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Paul Gerhardt im Blauen Engel

2017
978-3-7720-5464-8
A. Francke Verlag 
Ada Kadelbach

Kirchenlied und Gesangbuch sind heute nicht mehr selbstverständliches Bildungsgut. Dennoch ist ihre Kenntnis für ein tieferes Kulturverständnis unverzichtbar. Wer z. B. ein Kirchenliedzitat von Paul Gerhardt bei Matthias Claudius, Heinrich und Thomas Mann oder bei Robert Gernhardt nicht erkennt, dem entgeht nicht nur dessen frommer oder humorvoller Sinn, sondern erst recht ein zuweilen ironischer oder gar frivoler Hintersinn. In 27 Beiträgen entfaltet Ada Kadelbach ein breites thematisches Spektrum internationaler, interkonfessioneller und interdisziplinärer hymnologischer Forschung. Es reicht von der Gesangbuchvorrede als bisher kaum beachteter Primärquelle bis zur Rezeption von Kirchenliedern in Andachtsliteratur, Belletristik und Bildender Kunst. Exemplarische Studien befassen sich u. a. mit der Bedeutung des Singens für die Reformation, mit norddeutschen Territorialgesangbüchern und mit der Geschichte der Gesangbücher deutscher Auswanderer nach Amerika. In allen Beiträgen wird deutlich, wie sehr das Kirchenlied und das Gesangbuch Kultur- und Geistesgeschichte, Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte spiegeln und damit bleibende Zeugnisse der jeweiligen Zeitströmungen sind.

Mainzer Hymnologische Studien Mainzer Hymnolog Paul Gerhardt im Blauen Engel Ada Kadelbach und andere Beiträge zur interdisziplinären Kirchenlied- und Gesangbuchforschung MAINZER HYMNOLOGISCHE STUDIEN Band 26 · 2017 Herausgegeben von Hermann Kurzke in Verbindung mit dem Interdisziplinären Arbeitskreis Gesangbuchforschung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie Ada Kadelbach Paul Gerhardt im Blauen Engel und andere Beiträge zur interdisziplinären Kirchenlied- und Gesangbuchforschung Umschlagbild: Paul Gerhardt. Titelkupfer von Gabriel Uhlich um 1717. In: Johann Heinrich Feustking, Pauli Gerhardi Geistreiche Hauß= und KirchenLieder, Wittenberg 1723. Bibliothek der Hansestadt Lübeck. Vgl. Abb. 19.1. Notensatz: »Sollt ich meinem Gott nicht singen«. In: Johann Georg Ebeling, Pauli Gerhardi Geistliche Andachten, Berlin 1667, S. 248 f. Faks.-ND hg. von Friedhelm Kemp. A. Francke Verlag, Bern 1975. Vgl. Abb. 20.1. Gedruckt mit Unterstützung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen www.francke.de · info@francke.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Printed in Germany ISBN 978-3-7720-8464-5 Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX I. »Vorrede« 1 »In Christo, unserm Heilande, hertzlich = geliebter Leser« Die Gesangbuchvorrede - eine hymnologische Fundgrube . . . . 3 II. Norddeutsche Regionalstudien von der Reformation bis zur Restauration Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 2 »INt erste singet me eynenn düdeschen Psalm« Hermann Bonnus und die Bedeutung des Singens für die Reformation am Beispiel Lübecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3 Zwischen lutherischer Orthodoxie und Pietismus Lübecker Gesangbuchpolitik um 1700 und ein wieder entdecktes Gesangbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4 »Geist = reiche« Lieder in den Hansestädten Hamburg und Lübeck - mit einem Seitenblick auf Schleswig-Holstein . . . . . . . 55 5 Rationalismus und Restauration im Spiegel der lübeckischen Gesangbuchgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Die Residenzstädte Husum (Schleswig-Holstein-Gottorf) und Ludwigslust (Mecklenburg-Schwerin) 6 Zeugnisse höfischer Frömmigkeit und Repräsentation Gesangbücher im Gottorfer Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 7 Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 Ein verloren geglaubtes Gesangbuch und seine Quellen . . . . . . . 103 8 Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth Geschöpft aus den Kammerrechnungen 1646 - 1681 . . . . . . . . . . . . 135 9 Eine »Sammlung guter, von mystischen Ausdrücken gereinigter Lieder« Das »Neue« Mecklenburgische Hofgesangbuch von 1794 . . . . . 157 Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 10 Matthias Claudius und »seine« Gesangbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 11 C. P. E. Bach in Choralbüchern seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 III Gesangbücher im Auswanderergepäck 12 Altes Testament und Täuferlied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 13 Die HirtenLieder Von Bethlehem (Germantown 1742) Zur Singpraxis der Brüdergemeine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 14 Das erste Gesangbuch der Schwenckfelder (Germantown 1762) und seine Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 15 »Geist = reicher« Gesang in Amerika Einflüsse des halleschen Pietismus auf den lutherischen Kirchengesang in der Neuen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 IV Akrostichon und Parodie 16 Das Akrostichon im Kirchenlied Typologie und Deutungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 17 Die geistlichen Lieder Philipp Nicolais und die höfische Akrostichtradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 18 »Jesu, meine Freude, Purpur, Gold und Seide« Zitat und Parodie bei Erdmann Neumeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 V Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 19 »Sie nahm aus ihrem Beutel ein uraltes Buch . . .« Paul Gerhardt bei Matthias Claudius und Thomas Mann . . . . . . 357 20 Paul Gerhardt im »Blauen Engel« Ein rätselhaftes Kirchenliedzitat in Heinrich Manns Professor Unrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 21 ». . . wer so stirbt, der stirbt wohl« Paul Gerhardt in der Andachtsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 22 »Beschauliches und Erbauliches« Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Inhaltsverzeichnis VI 23 »I denne fagre sumarstid gå ut, mi sjel . . .« Paul Gerhardt in skandinavischen Gesangbüchern . . . . . . . . . . . . . 437 VI Religion und Kirche bei Thomas Mann 24 »Was ist das? « Ein neuer Blick auf einen berühmten Romananfang und die Lübecker Katechismen . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 25 Thomas Mann und »seine« Kirche im Spiegel der Buddenbrooks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 VII Epilog: Kleine hymnologische Narreteien 26 Ach got In hImel hIlff du mIr Andreas Marti zum 50. Geburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 27 Hic est dies et annVs iubiLæVs Hermann Kurzke zum 60. Geburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 Anhang Siglen und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 Quellenverzeichnis (QV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Literaturverzeichnis (LitV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 Bibliographie der Verfasserin (BibAK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 Inhaltsverzeichnis VII Vorwort Paul Gerhardt im Blauen Engel? Da stutzt der Leser. Wie kommt der große Dichter geistlicher Lieder in ein Etablissement, in dem die Künstlerin Fröhlich den Männern den Kopf verdreht? Es war Hermann Kurzke als Herausgeber der »Mainzer Hymnologischen Studien« selbst, auf dessen Vorschlag der Aufsatz über ein rätselhaftes Kirchenliedzitat in Heinrich Manns Roman Professor Unrat zum Titelgeber für den ganzen Sammelband wurde. Nicht nur, weil der Titel neugierig macht. Mit nur fünf Worten deutet er zugleich mehrere Aspekte an, die wissenschaftliche Aufmerksamkeit verdienen: u. a. die phänomenale Rezeptionsgeschichte Paul Gerhardts, die weit über den kirchlichen Gebrauch hinausgehende kulturelle Bedeutung des Kirchenlieds sowie den merklichen Verlust des Kulturguts »Kirchenlied« mit seinen Folgen für ein tieferes Textverständnis. Das Filmplakat von 1930 mit Marlene Dietrich, Zylinder, Weinfass und viel Bein gehört heute wohl eher zum allgemeinen Bildungsgut als die Gesangbuchstrophe, die ein fiktionaler Gymnasialprofessor seinen Schüler im schillernden Milieu des Romans aufsagen lässt. Viele Menschen werden Paul Gerhardts Lied Sollt ich meinem Gott nicht singen, das seinem Porträt auf dem Buchumschlag unterlegt ist, nicht mehr kennen. Damit entgeht ihnen der im Titelaufsatz entfaltete Sinn, vor allem aber der parodistisch-entlarvende Hintersinn des Liedzitats bei Heinrich Mann. Exemplarisch gibt der Titelaufsatz Einblicke in das Rüstzeug, mit dem sich die Hymnologie auf Spurensuche begibt: philologische Akribie, theologische Exegese, kirchengeschichtliche Verortung, literatur- und musikwissenschaftliche Analyse und vieles mehr. Hermann Kurzke schloss 1998 seine Rezension über diesen Aufsatz mit den Worten: »Weitere Untersuchungen . . . sollten folgen. Vielleicht wird einmal ein Buch daraus«. Hier ist es! Der Band versammelt 27 verstreute Aufsätze, die aus fünf Jahrzehnten hymnologischer Forschung und der damit verbundenen Vortrags- und Publikationstätigkeit erwachsen sind. Sie wurden nach regionalen, historischen, gattungs- und rezeptionsgeschichtlichen Gesichtspunkten in sieben Kapitel geordnet. Die Beiträge des 2. Kapitels zeigen beispielhaft die große Bedeutung von Regionalstudien für den gesamten deutschen Sprachraum und seine Territorialgeschichte. An den Gesangbüchern reichsfreier Hansestädte und norddeutscher Fürstenhöfe lässt sich Konfessions- und Theologiegeschichte mit ihren Epochen Reformationszeit, lutherische Orthodoxie, Pietismus, Aufklärung und Restauration konkret nachvollziehen. Und der hymnologische Blick auf das Werk von Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach hält auch für Literatur- und Musikwissenschaftler Überraschungen bereit. Im 3. Kapitel werden die Gesangbücher deutschsprachiger Auswanderer verschiedener Glaubensrichtungen nach Amerika untersucht. Sie erweisen sich wie wohl kein anderer Kulturgegenstand als Spiegel der Akkulturation in der Neuen Welt, besonders im 18. Jahrhundert. Diese Entdeckung weckte vor 50 Jahren in mir die Neugier auf die interdisziplinäre Kirchenlied- und Gesangbuchforschung, die mich bis heute nicht mehr losgelassen hat. Das 4. Kapitel gibt einen Eindruck von der Faszination, die von kunstfertigen Wortspielen wie dem Akrostichlied ausgeht. Dies vor allem, wenn es eine tiefere Dimension hat, z. B. in der Funktion als Sterbelied - oder als Kassiber, mit dem verborgene Grußbotschaften verfolgter Täuferführer aus dem Gefängnis geschmuggelt und dann gedruckt verbreitet wurden. Allein fünf Aufsätze sind Paul Gerhardt gewidmet (Kapitel 5). Sie gehen seiner Rezeption in der Andachtsliteratur, im Werk von Matthias Claudius, in den Romanen von Heinrich und Thomas Mann und in den Gedichten von Robert Gernhardt nach. Die Spannweite seiner Wirkungsgeschichte wird ebenso spürbar im graphischen Werk von Ludwig Richter und - exemplarisch für die weltweite Verbreitung - in skandinavischen Gesangbüchern der Gegenwart. Schließlich steht Thomas Mann in Kapitel 6 noch einmal besonders im Fokus - wenn auch nicht primär aus hymnologischer Sicht. Aber da die Hymnologie per se interdisziplinär ist, blickt man gerne mal über den ohnehin durchlässigen Zaun zum Nachbarn, um - wie in diesem Fall - zu ergründen, wie ein großer Romancier des 20. Jahrhunderts die Themen Religion und Kirche in der so genannten Schönen Literatur verarbeitet. Dass er dabei manchen Bezug zu Kirchenlied und Gesangbuch durchschimmern lässt, macht die Grenzüberschreitung zur Entdeckungsreise. Die an den Anfang gestellte Studie zur Gesangbuch-»Vorrede« lädt alle Hymnologen dazu ein, sich mit dieser bisher vernachlässigten Textsorte genauer zu beschäftigen. Und der Epilog demonstriert, dass Wissenschaft auch scherzhaft betrieben werden kann, hier mit parodistischen Carmina für zwei langjährige geschätzte Kollegen (und einem augenzwinkernden Gruß an den Herrn Verleger). Vorwort X Bis auf die Beiträge 9 und 21, die zum ersten Mal im Druck erscheinen, weil die betreffenden Tagungsbände noch nicht publiziert sind, haben die Aufsätze ihren Erstdruck an anderer - teils prominenter, teils entlegener - Stelle erlebt. Sie sind in der chronologischen »Bibliographie der Verfasserin« (S. 557 - 562) mit Verlagsangaben nachgewiesen. Die meisten Publikationen sind jedoch vergriffen und, soweit sie nicht bibliothekarisch erfasst oder digitalisiert sind, erst mit diesem Sammelband wieder zugänglich. Für die Nachdruckgenehmigung sei allen Verlagen herzlich gedankt. Alle Beiträge wurden redaktionell bearbeitet, aber nach dem Motto: So wenig wie möglich und so viel wie nötig! Sie spiegeln den Forschungsstand des Jahres, in dem der Text zum ersten Mal erschien. Auch der zielgruppenorientierte Vortragsbzw. Aufsatzstil wurde bewusst beibehalten. Kleine Fehler und Formulierungen wurden stillschweigend korrigiert. Gelegentlich habe ich mir sinnvoll oder gar notwendig erscheinende Ergänzungen eingefügt und diese in eckige Klammern gesetzt. Dies gilt besonders für Anmerkungen, vor allem bei späteren, z. T. verbesserten Neuauflagen zitierter Werke und Neuerscheinungen. Um Dubletten zu vermeiden, musste ich bei der Zusammenführung mehrerer Texte zur selben Thematik Streichungen vornehmen. Die sehr detaillierte und weiterhin zugängliche Monographie über das »Husumer Hofgesangbuch« (Beitrag 7) wurde unter Verzicht auf Einzelnachweise um der besseren Lesbarkeit willen gestrafft. Großen Wert legte ich auf die Bebilderung, die nur möglich wurde, weil die im Bildnachweis (S. 563 - 565) aufgeführten Bibliotheken und anderen Rechtsinhaber freundlicherweise dem Abdruck zustimmten. Die Abbildungen dienen nicht nur illustrativen Zwecken. Sie bieten vielmehr Informationen, für die sonst viele Worte gebraucht würden. Deshalb sind vor allem die Titelblätter der hymnologischen Quellen möglichst in Originalgröße und -format wiedergegeben. Für die teilweise aufwendige Bildbearbeitung danke ich von Herzen Karin Burger im Verlag, die mich auch während der gesamten Herstellungsphase intensiv und höchst kompetent betreute. Ein Buch entsteht niemals alleine. Deshalb gilt mein großer Dank zunächst dem Herausgeber Hermann Kurzke, der dieses Buch anregte und als Nr. 26 in die von ihm gegründete, so verdienstvolle Reihe aufnahm, sowie dem Verleger Dr. Gunter Narr mit seinem sympathischen Team in Tübingen. Inhaltlich habe ich vor allem meinen Lehrern und Weggefährten in der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie (IAH) zu danken, der ich seit 1971 angehöre, dem Herausgeberkreis des Jahrbuchs für Liturgik und Hymnologie (JLH), den Mitgliedern verschiedener Gremien der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche und ab 2012 der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) sowie der Vorwort XI Arbeitsgemeinschaft ökumenisches Liedgut (AÖL). Meine Liebe zum Kirchengesang und zu seiner Erforschung ist durch die jahrzehntelange internationale, interkonfessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen nachhaltig geprägt und vertieft worden. Denn Hymnologe ist man nicht - Hymnologe wird man. Für die Förderung des Buchprojekts bin ich der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK) sowie »meiner« Nordkirche ebenfalls herzlich dankbar. Dieser Band hätte nicht gelingen können ohne die Begleitung und Ermutigung meines Mannes Pastor em. Jürgen Heering-Kadelbach. Als kompetenter Berater in allen theologischen Fragen, als Lektor und Korrektor sowie als geduldiger Helfer bei der Erstellung der Bilddateien und des Personenregisters hat er mich unermüdlich unterstützt. Ihm widme ich dieses Buch in Liebe und Dankbarkeit. Lübeck, im Januar des Jubiläumsjahrs 2017 »500 Jahre Reformation« Ada Kadelbach Vorwort XII I. »Vorrede« 1 »In Christo, unserm Heilande, hertzlich = geliebter Leser« Die Gesangbuchvorrede - eine hymnologische Fundgrube Vorreden auf den ersten Seiten eines Gesangbuchs werden auch von Hymnologen zuweilen nur überflogen oder gar überblättert. Und selbst in Gesangbuchmonographien wird die Existenz eines Vorworts manchmal nur erwähnt, ohne es genauer zu untersuchen und zu beschreiben. Noch seltener wird der vollständige Wortlaut abgedruckt, obwohl damit auch dem Literatur- und Musikwissenschaftler, dem Volkskundler sowie dem Theologie- und Kirchengeschichtler Primärquellen von hohem Informations- und Erkenntniswert für eigene Fragestellungen zur Verfügung stehen würden. 1 So stellt sich dem Hymnologen vor allem die Frage nach dem Traditionszusammenhang berühmter Gesangbuchvorreden. Dazu gehören die von Johann Anastasius Freylinghausen in seinem zweiteiligen Geist = reichen Gesang = Buch, Halle 1704 und 1714. 2 Auf welche Vorbilder gehen sie zurück? Welche Topoi und welche neuen Gedanken enthalten sie? Inwieweit sind die beiden Vorreden Früchte der in den vorangegangenen Jahrhunderten gelegten Saat? Was ist daran spezifisch pietistisch und inwieweit wirken sie stilbildend auf nachfolgende Gesangbücher? Zur Beantwortung dieser Fragen wurden über hundert mir unmittelbar zugängliche deutschsprachige Gesangbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts auf Vorreden hin untersucht, vor allem die einflussreichen evangelisch-lutherischer Provenienz, aber auch einige böhmisch-mährische, täuferische, reformierte und katholische Quellen. Neben Original- und Faksimileausgaben wurden auch die Druckfassung eines Vortrags beim »I. Internationalen Kongress für Pietismusforschung« (Halle 28.8. - 1.9.2001). Siehe Bibliographie der Verfasserin (BibAK) im Anhang, hier: BibAK 30 (2005). 1 Christian Bunners verdanken wir jedoch die Dokumentation von drei Widmungsvorreden im Anhang seiner Paul Gerhardt-Monographie (1993, 3 2006). Außerdem vergleicht er die Vorreden der Berliner und der Frankfurter Ausgaben von Crügers Praxis Pietatis Melica in mehreren Aufsätzen (1980, 1985). 2 Ausführliche Titel dieser und anderer Gesangbücher im chronologisch angelegten Quellenverzeichnis (QV) im Anhang dieses Bandes und - soweit sie Noten enthalten - nach Ameln u. a. (Hg.), Das deutsche Kirchenlied (1975) mit DKL-Siglen versehen, hier: DKL 1704 04 und 1714 06 . immer noch unentbehrlichen Arbeiten Philipp Wackernagels 3 und der 2000 erschienene Quellenband Kirchenlied und Gesangbuch 4 herangezogen. Dabei habe ich folgende Beobachtungen gemacht: 1. Gesangbuchvorreden gibt es, seitdem es Gesangbücher gibt. Aber nicht alle enthalten Vorreden. 2. Die Gesangbuchvorrede ist eine eigene Textsorte. 3. Sie ist nach einem bestimmten Muster aufgebaut, häufig in Anlehnung an das antike und neutestamentliche Briefformular. 4. Sie enthält wiederkehrende Motive und Topoi. 5. Sie hat verschiedene, meistens mehrere Funktionen. 6. Sie macht Aussagen über die Beschaffenheit, also u. a. über Umfang und Liedauswahl, Rubrizierung, Autoren und Register, Text- und Melodiebearbeitung, Notation und Satz, aber auch über die Geschichte und die Dogmatik, die Auftraggeber und Herausgeber, die Zielgruppe und die Nutzung des Gesangbuchs. Die älteste lutherische Gesangbuchvorrede (Erfurt 1524) Bereits die ältesten Gesangbücher von Luther und seinem Umfeld enthalten Vorreden von größter wirkungsgeschichtlicher Bedeutung. Aus Luthers Feder sind vier Vorreden bekannt: 1. Vorrede zu Johann Walters Chorgesangbuch von 1524 (DKL 1524 18 ), in fünf Stimmbüchern mit 43 Liedern, davon 24 von Luther. 2. Vorrede zum Wittenberger Gemeindegesangbuch von 1529 (DKL 1529 03 / 1533 02 ), nach dem Drucker auch Klugsches Gesangbuch genannt. Sie wurde überschrieben Ein newe Vorrhede Mart. Luth., weil ihr die ältere noch einmal vorangestellt wurde; somit fanden beide Vorreden auch durch Klugs spätere Auflagen von 1533 bis 1543 (Titelauflagen 1544 und 1545) weite Verbreitung. 3. Vorrede zu den Begräbnisliedern 1542 (DKL 1542 15 ) mit fünf Liedern Luthers, sieben seiner Bearbeitungen lateinischer Bestattungsresponsorien und Michael Weißes berühmten Begräbnislied Nun lasst uns den Leib begraben. Diese Lieder wurden 1545 einschließlich Vorrede in den ersten Teil des berühmten Babstschen Gesangbuchs integriert. 3 Wackernagel, Das Deutsche Kirchenlied (1841): »Zweiter Anhang. Die Vorreden der alten Gesangbücher«, S. 788 - 836. - Ders., Bibliographie zur Geschichte des deutschen Kirchenliedes (1855): »Die Vorreden zu den Gesangbüchern des 16. Jhs.«, S. 537 - 711. - Ders., Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des 17. Jhs.: »Vorreden zu mehreren der vorstehend beschriebenen Gesangbücher«. Bd. I (1864), S. 831 - 884. 4 Möller (Hg.), Kirchenlied und Gesangbuch (2000). »Vorrede« 4 Abb. 1.1: Erfurter Enchiridion (Ferbefaß) 1524, Titelblatt 4. Vorrede zu eben diesem Gesangbuch des Leipziger Druckers und Verlegers Valentin Babst 1545 (DKL 1545 01 ), dem letzten zu Luthers Lebzeiten erschienenen Gesangbuch, Mit einer newen vorrhede/ D. Mart. Luth., durch die es gewissermaßen auch von ihm selbst autorisiert wurde. Diese vier Vorreden wurden natürlich gern in andere Gesangbücher übernommen - ein Copyright gab es im 16. Jahrhundert noch nicht - , um den Absatz zu steigern. Mit Gesangbüchern ließ sich damals Geld verdienen, und die Verleger-Drucker waren bei der Herausgabe von Neudrucken einer harten Konkurrenz ausgesetzt. So befanden sich die beiden Erfurter Drucker Johannes Loersfeld(t) und Mathes Maler 1524 in einem Wettlauf um den Ersterscheinungstag des nach dem Druckort bezeichneten Erfurter Enchiridions, den Loersfeld mit seinem so genannten Ferbefaß-Enchirichion (DKL 1524 03/ 04 ) gewann (Abb. 1.1). Beide enthielten ein gleichlautendes anonymes Vorwort, über dessen Verfasser viel gerätselt wurde; eine Autorschaft Luthers ist aber offenbar ausgeschlossen. Seine Vorrede in Walters Chorgesangbuch erschien in Wittenberg erst später im Jahr 1524. Das anonyme Vorwort in den Erfurter Enchiridien, das bis 1527 in zahlreichen Auflagen erschien, ist also die älteste Vorrede in einem lutherischen Gesangbuch und beeinflusste eventuell sogar den Wittenberger Reformator (Abb. 1.2). Diese älteste Vorrede wird von Wilhelm Lucke und Konrad Ameln 5 dem aus Schwaben stammenden Prediger Johann Eberlin von Günzburg (um 1470 - nach 1530) zugeschrieben. Der ehemalige Franziskanermönch hatte 1521 ca. fünfzigjährig seinen Orden verlassen, um in Wittenberg zu studieren. 1524 lebte er in Erfurt und ließ mehrere seiner Schriften bei Loersfeld drucken, in derselben kernigen und bildhaften Sprache, in der die Gesangbuchvorrede verfasst ist. Möglicherweise gewann ihn Loersfeld als Autor für das Vorwort, das unverkennbar schwäbische Dialektspuren, aber vor allem die musiktheologischen Anschauungen Luthers enthält. 6 Diese reformatorische Vorrede hat den Missbrauch des geistlichen Singens und seine Besserung zum Inhalt - ein Thema, das sich durch die ganze Geschichte der Gesangbuchvorrede bis zu Freylinghausen zieht. Eberlin hat wohl seine ehemaligen Klosterbrüder im Visier, wenn er von »des teuffels Corales« spricht und dreimal von den »Gotlosen/ eygennutzige[n] Tempel 5 Ameln (Hg.), Das Erfurter Enchiridion. Gedruckt in der Permentergassen zum Ferbefaß 1524 (Faks.-ND 1983), Geleitwort, S. 9. - Ders., Psalmus Jn exitu Jsrael verdeutscht (1984), S. 65 - 67. Zu Lucke vgl. WA 35 (1923), 5 - 25. 6 Eberlin von Günzburg, der »sich aber dazumahl [1522], nachdem er aus Ulm entweichen müssen, zu Wittenberg in Lutheri Behausung aufhielte« (Hans Lufft, zit. nach Ameln in JLH 1986, S. 96 f.), waren Luthers Gedanken also nicht nur aus den Vorlesungen, sondern auch aus den Tischgesprächen vertraut. »Vorrede« 6 Abb. 1.2: Erfurter Enchiridion 1524 (Ferbefaß), Vorrede knechte[n]«, die »den gantzen tag ym chor gestanden seyn/ vnnd nach artt der Priester Baal mit vndeutlichem geschrey gebrullet haben/ vnnd noch yn Stifft kirchen vnd klöstern brullen/ wie die Walt esel/ zu eynem tauben Gott. [. . .] Aber es war da keyn stymm noch antwort« (vgl. 1 Kön 18,26). Damit rückt er die Mönche polemisch in unmittelbare Nähe zu dem heidnischen »tempel volck«, das meine, Gott wolle sich »mit grossem geschrey eren« lassen, und das da »schreyet on allen verstand vnd besserung«. Ohne allen Verstand und ohne Besserung: darin stecken zwei neue Motive, die ebenfalls in fast allen Gesangbuchvorreden wiederkehren. Den Mönchen wirft der ehemalige Franziskaner vor, dass sie »auch selbert oft nit verstehen/ was sye syngen oder lesen«. Mit der Einführung »deutsche[r] Geystliche[r] gesenge vnd psalmen« solle »der gemeyn Christliche hauffe«, also die theologisch ungebildete Laiengemeinde, mit der Zeit verstehen lernen, was gesungen und gebetet wird. Und vor allem hofft Eberlin, dass die Gesänge und Lesungen die gottesdienstlichen Handlungen verständlich machen: »was man handle vnder d ’ gemeyn yn syngen vnd lesen«. Beim Besserungsgedanken - nun nicht mehr auf den Gesang, sondern auf den Menschen bezogen - beruft der Verfasser sich auf das 14. Kapitel des 1. Korintherbriefes, wonach alle geistlichen Gaben so eingesetzt werden sollen, »das die Gemeine dauon gebessert werde« 7 (1 Kor 14,5). Das Singen von Psalmen wird von Paulus neben Zungenreden, Weissagung, Offenbarung, Auslegung ausdrücklich genannt und der Besserungszweck um Ermahnung und Tröstung ergänzt. Damit sind in der Erfurter Vorrede zwei weitere Motive angedeutet, die in späteren Gesangbuchvorreden deutlicher herausgearbeitet werden. Die letzten, in einem einzigen Satz und damit wesentlich kürzer angesprochenen Gedanken sind dogmatischer, praktischer und pädagogischer Art: Auff das [. . .] furtan dz Bynen geschwurm yn den tempeln eyn ende neme/ Seyn yn dysem buchlein etzliche gemeyne vnd fast woll gegrundte lieder yn der heiligen geschrifft verfaßt/ welche eyn ytzlicher Christ billich bey sych haben soll vnd tragen zur steter vbung/ yn welchen auch die kynder mit der zeyt aufferzogen vnd vnterweist mögen werden. Dogmatisch ist der Hinweis auf den reformatorischen Grundsatz der Schriftgemäßheit der Kirchenlieder, praktisch der Verweis auf das Taschenformat des Handbüchleins, des Enchiridions eben, und pädagogisch der Appell zu ständiger Übung und zur Erziehung und Unterweisung der Jugend. Damit enthält die erste überlieferte lutherische Gesangbuchvorrede fast alle Elemente der späteren 7 Zit. nach Luther, Die gantze Heilige Schrifft Deudsch 1545. ND (1972). »Vorrede« 8 Vorberichte, die je nach Epoche und Konfession unterschiedlich ausgeführt, ausgebaut und akzentuiert werden. Zugleich zeigt sie immer wiederkehrende Funktionen einer Gesangbuchvorrede auf, die hier nur stichwortartig aufgeführt werden können: 1. existentielle Funktion, zugleich doxologische Begründung für das Singen und für das Gesangbuch 2. dogmatische Funktion: theologische Grundhaltung des Herausgebers, Verkündigungscharakter der Lieder 3. polemisch-apologetische Funktion: konfessionelle Abgrenzung und Profilierung, Rechtfertigung und Rehabilitation (z. B. Babst 1545 und Leisentrit 1567) 4. pädagogisch-moralische Funktion: Zielgruppenbestimmung, Lehrbuchcharakter 5. praktische Funktion im Sinne einer Gebrauchsanweisung, auch musikalisch. Luthers erste Vorrede zu Walters Chorgesangbüchlein - es erschien in demselben Jahr 1524 zwar nach den Erfurter Enchiridien in Wittenberg, aber rechtzeitig genug, um die verkaufsfördernde Vorrede des Reformators ab 1525 in die späteren Auflagen der Enchiridien aufzunehmen - enthält in drei Absätzen alle diese Gedanken und Funktionen, nur anders ausgedrückt, gegliedert und gewichtet. Sein Schüler und zeitweiliger Hausgenosse Johann Eberlin von Günzburg war ihm mit der Veröffentlichung jedoch zuvorgekommen. »Geist = reiche« Gesangbuchvorreden (Halle 1704/ 1714) Ein Zeitsprung von 180 Jahren, der nicht nur in chronologischer, sondern auch in theologiegeschichtlicher und hymnologischer Hinsicht beachtlich ist, führt uns von der Permentergassen in Erfurt 1524 direkt ins Hallesche Waisenhaus 1704. Dort war gerade das einflussreiche Geist = reiche Gesang = Buch mit der Vorrede seines Herausgebers Johann Anastasius Freylinghausen (1670 - 1739) erschienen (Abb. 1.3). Da diese nicht nur in alle 19 Auflagen des ersten Teils von 1704 bis 1759 übernommen wurde, sondern auch in die von Freylinghausens Schwager Gotthilf August Francke (1696 - 1769) besorgte Gesamtausgabe von 1741, ist die Ausstrahlung dieses Vorberichts im 18. Jahrhundert sicherlich immens und durchaus mit der Wirkung von Luthers immer wieder nachgedruckten Vorreden auf das 16. Jahrhundert zu vergleichen. Die Anrede ist für die Barockzeit auffällig schlicht: »Geliebter Leser! « (Abb. 1.4) - und so wenig fromm, dass Freylinghausen sie zehn Jahre später in der Vorrede zu Neues Geist = reiches Gesang = Buch, Halle 1714, mit einem geistlichen Zusatz versieht: »In Christo/ unserm Heilande/ hertzlich = geliebter Die Gesangbuchvorrede - eine hymnologische Fundgrube 9 Abb. 1.3: Geist = reiches Gesang = Buch, Halle 13 1723 [ 1 1704], Titelblatt mit Frontispiz Leser«. 8 Gotthilf August Francke knüpft 1741 dagegen mit seiner komprimierten Anrede »Christlicher Leser« an das Reformationsjahrhundert an. Von Straßburg bis Rostock, von Wittenberg bis Zürich, von Tübingen bis Leipzig - überall und überkonfessionell, auf oberdeutsch und niederdeutsch, werden Vorreden »An den Christlichen Leser« verfasst. Auch Johann Rist besinnt sich in Himlische Lieder (Lüneburg 1641/ 42) noch mitten im 17. Jahrhundert auf diese Tradition; im letzten der fünf Teile wird allerdings aus dem »Christlichen« nun ein »Gott = und Kunst = liebender Leser«. Um frühpietistische Epitheta angereichert wird das Attribut »christlich« in Peter Sohr(en)s Frankfurter Ausgabe von Crügers Praxis Pietatis: »Vorred an den Christlichen/ Gottliebenden und heylbegierigen Leser« (Frankfurt/ Main 1680). Im mystischen Sinne schlicht wird es bei Johann Scheffler, der sich nach seiner Konversion zum Katholizismus Johannes Angelus Silesius nannte, wenn er den Leser seiner Zuschrift zur Heilige[n] Seelen = Lust (Breslau 1657) anspricht mit: »Verliebte Seele«. Viele Gesangbuchvorreden des 16. Jahrhunderts sind - wie die Vorworte zu anderen literarischen Gattungen der Zeit - noch am Praescript des hellenistischneutestamentlichen Briefformulars orientiert, z. B.: »Joachim Slüter/ wünschet dem Christliken leser/ gnade vnd frede van Gade dörch Christum vnsen Heylandt« (Rostock 1531) 9 oder »Johann Horn, wunscht dem Christlichen leser, gnad vnd frid durch Jesum Christum vnsern Herren« (Nürnberg 1544) 10 . Meistens fehlt der Name des Absenders aber, wie es bereits beim mutmaßlichen Verfasser Johann Eberlin von Günzburg im oben vorgestellten Erfurter Enchiridion der Fall war: »Allen Christen sey Gnad vnd frid von Gott vnserm herrn allezeyt/ Amen« (Erfurt 1524). Freylinghausen ersetzt nun den Segenswunsch durch einen Lobpreis, mit dem er die eschatologische Lammes-Theologie des Halleschen Pietismus noch vor der Anrede einführt: »Ehre und Anbetung/ Danck und Preis sey unserm GOTT und dem Lamm! « (vgl. Abb. 1.4). In der hymnischen Formel klingen Verse aus der Offenbarung an, die prägend für das Programm der am 22. September 1703 unterzeichneten Vorrede und den Bildinhalt des Titelkupfers sind: »Heil sey [. . .] unserm GOtt, und dem Lamm. Und alle Engel [. . .] beteten GOtt 8 Ich zitiere Freylinghausen auch im Folgenden nach den Ausgaben in meinem Besitz: Halle 13 1723 [1. Teil], Halle 2 1719 [2. Teil] und Halle 1741 [Gesamtausgabe von Gotthilf August Francke]. 9 Zit. nach Hermann Bonnus, Enchiridion (Lübeck 1545/ 1546). Vgl. QV und Beitrag 2. 10 Ein Gesangbuch der Brüder inn Behemen vnd Merherrn, Nürnberg 1544. Zit. nach Wackernagel (1855), S. 579. Die Gesangbuchvorrede - eine hymnologische Fundgrube 11 an. Und sprachen: Amen, Lob und Ehre, [. . .] und Dank, und Preis [. . .] sey unserm GOtt [. . .]« (Offb 7,10-12). 11 Suvi-Päivi Koski hat darauf aufmerksam gemacht, dass das Frontispiz (vgl. Abb. 1.3) nicht nur von einigen Versen, sondern durch und durch vom eschatologischen Denken der Offenbarung durchdrungen und geprägt ist. 12 Dies gilt auch für die Vorrede, die voller Anspielungen auf das Bild und die darin verborgenen Bibelstellen steckt. Gleich im ersten Absatz ist von dem »Mund der geistlich = Unmündigen und Säuglingen« die Rede, der »in Psalmen und Lob = Gesängen und geistlichen lieblichen Liedern übergeflossen ist«. Damit wird das für den neuen, erweckten Menschen stehende abgewandelte Psalmwort (Ps 8,3; vgl. Mt 21,16) aus dem Titelkupfer paradox-wortspielerisch kombiniert mit dem traditionellen Pauluswort aus den Briefen an die Epheser und an die Kolosser (Eph 5,19; Kol 3,16). Kein anderes Bibelwort hat die musiktheologischen Programme zahlreicher Vorgängergesangbücher so stark geprägt. Es wird in fast jeder Vorrede zitiert. Dabei fällt auf, dass die älteren - so noch Praxis Pietatis 1680 - nur auf den 19. Vers aus dem 5. Kapitel des Epheserbriefes zurückgreifen: »Und redet unter einander von Psalmen und Lobgesängen« etc., während seit Johann Arndt auch der vorangehende Vers als unabdingbare Voraussetzung für ein »fein andechtig/ geistlich/ vnnd aus grund des Hertzens« 13 kommendes - also »geist = reiches« - Singen angesehen wird: »werdet voll Geistes! « (Eph 5,18 b). Das reformatorische Postulat nach einem verständigen Singen wird nun gedeutet und erweitert zu einem andächtigen, verinnerlichten Liedverständnis. Noch dreimal zitiert Freylinghausen die › Unmündigen und Säuglinge ‹ , zuletzt am Schluss der Vorrede, in der die Nützlichkeit des Singens in Abhängigkeit von Umkehr und Nachfolge gebracht wird: »Du mußt umkehren/ und werden wie ein Kind/ so dein Singen und Beten [. . .] dem Vater im Himmel gefällig und angenehm seyn soll« (fol. b5; vgl. Mt 18,3) und Gott »das Geplerr deiner Lieder« (Am 5,23) nicht von sich weisen soll. Wir erkennen sie wieder, die Motive vom Missbrauch des Singens und seiner und des Menschen Besserung, wie sie uns schon in der allerersten Vorrede im Erfurter Enchiridion begegneten. Und immer schwingt auch der Opfergedanke mit (»dankbare Lieder, sind Weihrauch und Widder« EG 449,3; vgl. auch EG 446,5). Schon Luther hatte seine erste Gesangbuchvorrede mit dem doxologischen Bekenntnis begonnen, dass das Singen geistlicher Lieder »gut vnd Gott angenem sei«, aber - so führt er später aus - nur, wenn die »Lieder odder Psalmen [. . .] mit ernst vnd andacht/ mit hertz vnd verstand/ gesungen« würden 11 Auch alle folg. Bibelstellen zit. nach der 143. Aufl. der Cansteinischen Bibel-Anstalt (Halle 1823). 12 Koski, Geist = reiches Gesang = Buch vuodelta 1704 (1996). Deutsche Zusammenfassung, S. 498. 13 Arndt, Das Ander Buch Vom wahren Christenthumb (1610), Kap. 41, S. 483. »Vorrede« 12 Abb. 1.4: Geist = reiches Gesang = Buch, Halle 13 1723 [ 1 1704], Vorrede und man sie eben nicht »plöcket vnd heulet« 14 wie »das wüste, wilde Eselgeschrey des Chorals« 15 . Das ruft uns Eberlins Vergleich mit dem Gebrüll des Waldesels und dem › Bienengeschwurm ‹ in Erinnerung, dem gegenüber Zwinglis »Lebe wohl, mein Tempelgemurmel! « 16 geradezu vornehm klingt. Freylinghausen, Luther und Johann Arndt Freylinghausens weniger drastische Formulierungen, mit denen er in seiner Vorrede zur Umkehr aufruft, erinnern an die typischen Rubrizierungen in pietistischen Gesangbüchern, wie er sie anschließend in 60 Abschnitten vornimmt, z. B. XLI. »Von der Ubergabe des Hertzens an GOTT« und XXXIII. »Von der Verleugnung sein selbst und der Welt«. Die Erbauungsliteratur des 17. Jahrhunderts steckt voll solcher Formulierungen, sie gehen fast alle auf Johann Arndt zurück und von diesem auf noch ältere Vorbilder in der deutschen Mystik, u. a. in der von Luther 1516 herausgegebenen Deutschen Theologie. Wie groß die Nähe Freylinghausens nicht nur in den Formulierungen, sondern auch in seiner Theologie zu Arndt war, wird sichtbar in den Auszügen aus dem Ander Buch Vom wahren Christenthumb, die er 1714 seiner zweiten Gesangbuchvorrede anfügte. Arndts programmatische Kapitelüberschriften könnten ebenso über Luthers wie über Freylinghausens Vorreden stehen: »Von dem heilsamen Nutz vnd heilsamer Krafft des lobes Gottes/ vnd der Lobgesenge« (Kap. 41) und »Gott loben ist des Menschen höheste vnd Englische Herrligkeit« (Kap. 43). Für die Liedtheologie des Pietismus, aber auch schon für die der Orthodoxie sind die beiden Kapitel aus Arndts »Wahrem Christentum« von zentraler Bedeutung. 17 Die Schlussgebete sind von den eschatologischen Bibelversen, die auch für Freylinghausens Vorberichte und Titelkupfer programmatisch sind, geprägt (Offb 4,11; 5,12 f; 15,3 f.). DenVers, mit dem Arndt das 43. Kapitel - ganz im Sinne des in der Überschrift aufgestellten Postulats, Gott zu loben - beschließt, setzt Freylinghausen über seine Vorrede von 1714: »GOtt und dem Lamme sey Lob und Ehre und Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit/ Amen.« (vgl. Offb 5,13 b). Während Freylinghausen (1704) und vor ihm Spener (1702), Züehl (1698) und Luppius (1686) in ihren Gesangbuchvorreden »das Lied Mosis [. . .] und das Lied des Lammes« (Offb 15,3) auf »alte« und »neue« Lieder bezogen und dies durchaus auch liedgeschichtlich verstanden, macht Arndt diese Unterscheidung 14 Klug 1533, fol. 133 r . 15 Symphoniae Jucundae (Wittenberg 1538). Zit. nach Möller (2000), S. 119. 16 Zit. nach Möller, S. 94. 17 Vgl. auch Bunners, Lieder Paul Gerhardts im Freylinghausenschen Gesangbuch (1997), S. 219 - 225. »Vorrede« 14 nicht. An die Bitte um Reinigung und Heiligung schließt er im Schlussgebet von Kap. 41 unmittelbar an: »lege denn in meinen Mund das neue Lied, Dich zu preisen, und Deine Wunder zu verkündigen«. Dies ruft den Anfang von Psalm 96 in Erinnerung, mit dem Luther seine dritte Gesangbuchvorrede beginnt: »Singet dem HERRN ein newes lied/ Singet dem HERrn alle welt« (Ps 96,1-3). 18 Und dann unterscheidet er zwischen einem Singen, das aus einem faulen, unwilligen, weil genötigtem Herzen kommt und deshalb nichts Gutes erreicht; und einem Singen, das aus einem fröhlichen, weil erlösten Herzen kommt und deshalb ein neues Lied zu singen vermag. Wenn Luther das alte, faule Testament vom neuen, fröhlichen Testament scheidet, so ist nicht das kanonische Alte und Neue Testament gemeint [. . .]. Es geht Luther vielmehr um die sich durch beide Testamente ziehende Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. 19 Ähnlich differenzierend hat Freylinghausen unter alten und neuen Liedern die besonders »geistreichen und kräftigen« ausgewählt »zur Erbauung und Erweckung Christlicher Andacht« (1704, fol. a11 r ). Luthers Erfahrung und Erkenntnis des Singens aus dem Glauben (»Wer solchs mit ernst gleubet/ der kans nicht lassen/ er mus frölich vnd mit lust dauon singen vnd sagen«) 20 inspiriert Freylinghausen in seiner ersten Vorrede zu der Conclusio: »Hast du aber an GOtt und deinem Heylande deine einige Lust und Freude, [. . .] so wird sich auch GOTT durch deinen Mund hier ein Lob bereiten« (fol. b5 v ). Es entspricht seiner Theologie und der barocken Lust an Redundanz, wenn dieses einfache Satzgefüge durch Weltabsagungsgedanken und den üblichen eschatologischen Ausblick auf 85 Wörter ausgeweitet wird und mit dem Halleluja-Lobpreis und akklamierendem Amen schließt. Koski hat nachgewiesen, dass der Halleluja-Ruf ebenfalls schon in älteren Gesangbüchern auf Titelseiten und in Vorreden auftauchte, aber in keinem wurde er wohl so bewusst in Korrespondenz zu dem eschatologischen Lobpreis am Anfang der Vorrede gesetzt: »Ehre und Anbetung/ Danck und Preis sey unserm GOTT und dem Lamm! « - »Halleluja! Amen! « Die Traditionslinie von Luther über Arndt und viele andere zu Freylinghausen - und darüber hinaus - ließe sich noch an vielen anderen Motiven nachweisen, z. B. an der liedgeschichtlichen Segensspur, die sich von Moses und Miriam über Debora und Hanna bis zu Simeon und Maria durch die heilige Schrift und von dort durch die Gesangbuchvorreden zieht. Eine grundlegende Untersuchung von Gesangbuchvorreden und ihre systematische Erschließung stehen noch aus. Dieser Beitrag will dazu Anstoß und Anregung sein. 18 Babst 1545, fol. [A2 r ]. 19 Vgl. Möller (2000), S. 82. 20 Luther im Babstschen Gesangbuch 1545, fol. [A3 v ]. Die Gesangbuchvorrede - eine hymnologische Fundgrube 15 II. Norddeutsche Regionalstudien von der Reformation bis zur Restauration Die Hansestädte Lübeck und Hamburg Die Residenzstädte Husum (Schleswig-Holstein- Gottorf) und Ludwigslust (Mecklenburg-Schwerin) Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach Abb. 2.1: Lübecker Kirchenordnung 1531 2 »INt erste singet me eynenn düdeschen Psalm« 1 Hermann Bonnus und die Bedeutung des Singens für die Reformation am Beispiel Lübecks »Reformation mit Augenmaß« könnte man ihn nennen: den langsamen, zähen, aber schließlich doch erfolgten Wandel von der katholischen zu einer evangelischen kaiserlichen Stadt. In anderen Reichsstädten - wie Nürnberg und Straßburg - und in den benachbarten Hansestädten war dieser Prozess schneller und eher abgeschlossen. Mit den zwischen Rat und Bürgergemeine am 30. Juni 1530 vereinbarten 15 Artikeln, die an erster Stelle die römische Messe abschafften - in allen Kirchen außer im Dom - , schien die Reformation in Lübeck zunächst vollzogen. 2 Und das ohne Reformatoren, fast ganz ohne charismatische Prediger und herausragende Einzelpersönlichkeiten, sondern offensichtlich überwiegend durch Laien, durch das »Volk«! Die Bürgervertreter führten die schwierigen Verhandlungen mit dem Rat auf einem hohen argumentativen Niveau. Doch diese »Reformation ohne Reformator« musste gefestigt werden. Deshalb reisten zwei Abgesandte zum Augsburger Reichstag, um einen der bekannten Reformatoren - am liebsten Luther selbst - nach Lübeck zu holen. Ende Oktober 1530 traf der aus Pommern stammende, des Plattdeutschen mächtige Theologe Johannes Bugenhagen (1485 - 1558) mit seiner Familie in Lübeck ein. Der sächsische Kurfürst hatte ihn freigestellt und Luther übernahm für eineinhalb Jahre die Vertretung des Stadtpredigers in Wittenberg. Und dann ging alles recht schnell. Da man sich auf Bugenhagens Braunschweiger und Zusammenführung von mehreren Vorträgen und Aufsätzen zum 500. Geburtstag von Hermann Bonnus. Siehe BibAK 28 und 29 (beide 2004) sowie 35 (2013). 1 »Zuerst singt man ein deutsches (Psalm-)Lied«. Niederdeutsch zit. aus der Lübecker Kirchenordnung von Johann Bugenhagen 1531 [KO]. Faks.-ND (1981), S. 73. 2 Der Dom blieb als Kathedrale des in Eutin residierenden Bischofs noch lange katholisch. Erst 1571 wurde - nach einer wechselvollen Geschichte - der evangelische Gottesdienst auch im Hochchor, dem liturgischen Ort der Messfeier des Bischofs und des Domkapitels, eingeführt. - Zur Reformation in Lübeck vgl. Jannasch, Geschichte des lutherischen Gottesdienstes (1928). Ders., Reformationsgeschichte Lübecks (1958). - Stahl, Geschichte der Kirchenmusik (1931). Ders., Musikgeschichte Lübecks. Geistliche Musik (1952). - Hauschild, Kirchengeschichte Lübecks (1981), S. 165 - 232. Hamburger Kirchenordnungen von 1528 und 1529 stützen konnte, wurde die »Christlike Ordeninge« für die »Keyserlike Stadt Lübeck« von einer Verfassungskommission erarbeitet und bereits am 27. Mai 1531, sieben Monate nach Bugenhagens Ankunft, vom Rat und vom Bürgerausschuss beschlossen und verabschiedet (Abb. 2.1). Das Jahrhundertwerk, das erst durch die Kirchenverfassung von 1895 offiziell abgelöst wurde, regelte nicht nur das Kirchen-, sondern auch das Schul- und Sozialwesen in der freien Reichsstadt. Die Umsetzung vor allem der Gottesdienstordnung setzte eine zentrale bürgerliche Lateinschule voraus. »VOr de joget möte wy hebben eine gude Schole« 3 Die Betonung auf »gut« bei der Neuordnung des Schulsystems erklärt sich aus dem erbärmlichen Zustand der Schulen vor der Reformation. Die Zahl der Schüler an den beiden kirchlichen Lateinschulen war so sehr zurückgegangen, dass der traditionelle Chordienst in der Kirche kaum aufrechterhalten werden konnte. Ursache des Schülerschwunds war u. a. der Privatunterricht, mit dem sich zahlreiche Priester einen Nebenverdienst verschafften. So beginnt die Kirchenordnung mit der Neuordnung des Schulwesens (»Van der Scholen«), die engstens verklammert ist mit der Reform der Gottesdienstordnung (»Van der Missen«). Artikel 6 der entscheidenden Vereinbarung vom Juni 1530 (»Item, dass das St. Katharinenkloster zu einer Schule eingerichtet werden möge«) ermöglichte die vorgezogene Gründung der städtischen Lateinschule, während die Verfassungskommission noch an den Details der Schul- und Kirchenordnung arbeitete. Auf Empfehlung von Bugenhagen wurde Hermann Bonnus (1504 - 1548) im Frühjahr 1531 als erster Rektor nach Lübeck berufen (Abb. 2.2). Das mit bischöflichen Aufgaben verbundene Amt des Superintendenten übte Bugenhagen bis zu seiner Abreise Ostern 1532 noch selber aus. Anschließend übernahm der ebenfalls aus dem niederdeutschen Sprachraum stammende Bonnus - Magister und erst 28 Jahre alt - auch diese Pflichten und wurde damit Lübecks erster amtlich ernannter evangelischer Kirchenführer. Als Lateinschüler von Bugenhagen im pommerschen Treptow und als Student von Luther und Melanchthon in Wittenberg war er für seine Aufgaben, die er bis zu seinem Tode 1548 ausübte, bestens gerüstet. 3 »Für die Jugend müssen wir eine gute Schule haben« (KO, S. 3). Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 20 Abb. 2.2: Kupferstich von Joh. Benjamin Brühl (1691 - 1763), Leipzig »WEn wy so hebben eyne gude Schöle/ vnd de kerken bestellet mit predikers/ so kan me fin anrichten den kerckensanck« 4 Dieser von Bugenhagen formulierte reformatorische Dreischritt - bestehend aus Schule (mit Bibliothek), Predigt und Gemeindegesang in der Volkssprache - war für den nun auf sich selbst gestellten Rektor und »Superattendenten« Hermann Bonnus Grundlage und Verpflichtung. Zehn Jahre zuvor hatte er im unmittelbaren Umfeld Luthers miterlebt, wie der Reformator Liedermacher für den Gemeindegottesdienst suchte und 1524 in Wittenberg die ersten Gesangbücher erschienen. Für Luther war die »musica« nicht nur Gottesgeschenk und Gotteslob, das den Menschen zum Empfang der göttlichen Gnade vorbereitet und ihn zu einem fröhlichen Christen macht, sondern auch Lehrhilfe zur Verbreitung des Evangeliums: »Donum dei« (Gottesgeschenk) und »ancilla theologiae« (Dienerin der Theologie) nannte er sie, zugleich aber auch »optima ars«, die beste der sieben freien Künste, die nun unter der Leitung von Bonnus auch den Schülern des neu gegründeten Gymnasiums vermittelt werden sollten. Viel ist deshalb nicht nur in Luthers Tischreden, sondern auch in Bugenhagens Kirchenordnung die Rede von der Musik - mit genauen Angaben, an welchen Tagen, in welchen Gottesdiensten, an welcher Stelle wer lateinische oder deutsche Gesänge anstimmen soll. Bonnus machte sich die Ideen der großen Reformatoren zu eigen, sorgte für die Umsetzung und Einhaltung der Vorgaben, nahm sich dabei aber durchaus die Freiheit, auch von Luther abweichende Akzente zu setzen. Die Lübecker › Singebewegung ‹ : Ach Godt van Hemmel se daryn »INt erste singet me eynenn düdeschen Psalm«. Mit dieser eindeutigen Anweisung beginnt das Kapitel über die Ordnung der Messe in der Lübecker Kirchenordnung. 5 Bis heute steht am Anfang des evangelischen Gottesdiensts ein Gemeindelied. Ein solcher »düdescher Psalm« spielte im Lübecker Reformationsprozess eine besondere Rolle: ACH Godt van Hemmel se daryn/ vnd lath dy des erbarmen (Abb. 2.3). 6 Es ist die niederdeutsche Fassung eines der sieben Psalmlieder Luthers, eine freie Bearbeitung des 12. Psalms, die hochdeutsch bereits in der allerersten reformatorischen Liederflugschrift, dem sog. »Achtliederbuch« von 1524, erschienen war (Abb. 2.4). 7 Schon vorher muss das Lied in Wittenberg »in Übung« gewesen sein, wie es auf dem Titelblatt des 4 »Wenn wir dann eine gute Schule haben und die Kirchen mit Predigern versorgt sind, kann man auch den Kirchengesang schön einrichten« (KO, S. 6). 5 Vgl. Anm. 1. 6 Alle ndt. und lat. Liedzitate, wenn nicht anders angegeben, nach Bonnus, Enchiridion (1545). Zit. nach dem Kieler Exemplar (siehe QV 1546), fol. 12 v . 7 Ach got von hymel sihe darein/ vnd laß dich das erbarmen, fol. C [1]. Vgl. BibAK 51. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 22 Abb. 2.3: Niederdeutsche Fassung von Luthers ältestem Psalmlied Achtliederdrucks heißt. Seitdem fehlt es in kaum einem lutherischen Gesangbuch. Das Psalmlied wurde schnell verbreitet und schien so etwas wie ein Kampf- und Agitationslied der Reformation zu werden. 8 Ein Beweis für die Wirkung dieses Liedes sind auch die zahlreichen Parodien aus dem Lager derer, die die reformatorische Bewegung auf polemische Weise behindern wollten. Eine niederdeutsche Parodie aus Flensburg ist bereits aus den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts überliefert. Am eindrucksvollsten aber sind die Berichte aus Braunschweig und Lübeck, wo Luthers ältestes Psalmlied zur Durchsetzung der evangelischen Sache im niederdeutschen Sprachgebiet offensichtlich gezielt eingesetzt wurde. In der handschriftlich überlieferten Chronik des Franziskanermönches Reimer Kock aus den Jahren 1529 - 1531 ist die Lübecker »Singebewegung« anschaulich dokumentiert. Der Rat war aus Angst vor Ausschreitungen mit Strafen zurückhaltend - man wollte, wie es in einem anderen Zusammenhang heißt, »dat daruth keyn upror unenicheyt edder ander ungefuch entsta« 9 - , kassierte 1529 aber dennoch Bußgelder »van etliken, dat se allene psalmen in ere huse gesungen hedden«, 10 und der Bürgermeister wies am 4. Dezember einen armen, blinden Mann, der vor den Häusern deutsche Psalmen sang, aus der Stadt. Bereits am nächsten Tag, dem 2. Advent, kam es in der Jakobikirche zum Eklat. Als der Kaplan nach der Frühpredigt begann, für die Seelen der Toten im Fegefeuer zu beten, »houen twe klene jungen den sallem an: Och gad vam hemel sehe darin«. 11 Sofort fiel die Gemeinde kräftig ein, als hätte sie das Lied vorher mit dem Kantor eingeübt, und unterbrach damit den Priester. Dies wiederholte sich angeblich - auch in anderen Kirchen - immer dann, wenn die Predigt nach Meinung der Gemeinde nicht mit dem Evangelium in Einklang stand: »und was de erst dudesche Psalm, welk to Lübeck in de kerken gesungen was«, 12 notiert Reimer Kock 1529 in seiner Chronik. Obwohl im Gottesdienst offiziell noch nicht deutsch gesungen werden durfte, kannten die Lübecker das lutherische Psalmlied. Es muss auf Flugblättern und - in der plattdeutschen Landessprache - über Joachim Slüters Rostocker Gesangbuch von 1525 sehr früh nach Lübeck gekommen sein. Und als die ersten beiden reformatorischen Prediger 1529 ihrer Ämter enthoben wurden und 8 Ein feste Burg ist unser Gott, das heute als das Reformationslied schlechthin empfunden wird, wurde erst fünf Jahre später publiziert (Klug 1529). 9 »dass daraus kein Aufruhr, Unfrieden oder anderer Unfug entstand«. Ndt. Original nach Jannasch (1928), S. 5. 10 »von etlichen, weil sie für sich (Psalm-)Lieder in ihren Häusern gesungen hatten«. Ndt. Original nach Stahl (1952), S. 28. 11 »fingen zwei kleine Jungen an, den Psalm zu singen: Ach Gott, vom Himmel sieh darein«. Ndt. Original nach Jannasch (1958), S. 274. 12 »Und das war das erste deutsche (Psalm-)Lied, das in Lübeck in der Kirche gesungen wurde« (ebd.). Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 24 Abb. 2.4: Erstdruck des Psalmlieds in Luthers »Achtliederdruck« 1524 deshalb die Stadt verlassen mussten, pilgerten die evangelisch gesinnten Lübecker nach Wismar, Grönau und vor allem ins holsteinische Oldesloe zum Gottesdienst. Natürlich sangen sie auf der Landstraße und - als ihnen die Strafgelder zu lästig wurden - auf dem weniger beobachteten Wasserweg »düdesche Psalmen«. So nannte man die neuen geistlichen Lieder, unabhängig davon, ob sie nach biblischer Vorlage oder frei gedichtet waren. Die Reformationsgeschichte war in Lübeck zu allererst eine Laien- und eine Singbewegung. Als Bonnus ein gutes Jahr später nach Lübeck kam, war der »Singekrieg« vorüber. Aber das Lied, das in Lübeck seine mitreißende Wirkung entfaltet hatte, wurde weiter gesungen und hat bis heute seinen festen Platz im Evangelischen Gesangbuch (EG 273, RG 9). ENCHIRIDION Geistlike Lede vnd Psalmen, Lübeck 1545 Zur Verbreitung der »düdeschen Psalmen« trug maßgeblich auch das niederdeutsche Gesangbuch bei, das Hermann Bonnus 1545 als Privatunternehmung bei Johann Balhorn in Lübeck drucken ließ. Es war das erste evangelische Gesangbuch überhaupt, das in Lübeck erschien, und ging auf die Sammlungen des Rostocker Reformators Joachim Slüter (um 1490 - 1532) von 1525/ 1531 zurück. 13 Nach dessen Tod 1532 bearbeitete Bonnus das Gesangbuch mehrfach. Der erste Teil ist die niederdeutsche Ausgabe von Luthers Wittenberger Gemeindegesangbuch von 1529, dem sog. Klugschen Gesangbuch; der zweite Teil besteht aus den von Slüter zusammengestellten und mit einem Vorwort versehenen plattdeutschen Originaldichtungen, die ab 1534 von Bonnus ergänzt und bearbeitet wurden. 14 Heute sind nur noch zwei Exemplare bekannt: Das Greifswalder Buch von 1545 ist nach kriegsbedingter Auslagerung noch nicht wieder dorthin zurückgekehrt; das ohne Titelblatt überlieferte Exemplar in der Universitätsbibliothek Kiel wurde ein bis zwei Jahre später gedruckt: ENCHIRIDION Geistlike Lede vnd Psalmen, vppet nye gebetert Mar. Luther. Mit einem nien Calender, schön togerichtet, Lübeck (Johann Balhorn) o. J. [um 1545/ 47]. - 2. Tbl.: Geistliker Gesenge vnd Leder/ So nicht jn dem Wittembergeschen Sanckboke stan. Gecorrigeret Dörch Magistrum Hermannum Bonnum/ Superattendentem tho Lübeck [UB Kiel Archiv IV 161; Haupttitel zit. nach DKL 1546 02 , da Tbl. fehlt] Das Kieler Exemplar wird in der älteren Literatur als seitengleich, aber orthographisch und typographisch abweichend beschrieben und als 2. Auflage von 1547/ 48 bezeichnet, die also noch zu Bonnus ’ Lebzeiten erschienen sein würde. 13 Eyn gantz schone vnde seer nutte gesangk boek (1525 o. N.), 2 1526 (DKL 1526 06 ). - Geystlyke leder uppt nye gebetert tho Wittenberch (1531 o. N.) 14 Alle Magdeburg: 1534 o. N., DKL 1538 03 , 1541 04 , 1543 05 , 1543 08 . Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 26 Abb. 2.5: Enchiridion von Hermann Bonnus 1545, Zweites Titelblatt Aufgrund seiner Autorität und seines Ansehens verbreitete sich das nun mit dem Namen des Lübecker Superintendenten verbundene Gesangbuch schnell im gesamten niederdeutschen Sprachgebiet bis tief in den Ostseeraum hinein. Das deutsche Gloria: ALlene God yn der höge sy ehr Das Glorialied ALlene Godt yn der höge sy ehr/ vnd danck vor syne gnade (fol. 85) wurde wohl bereits 1522/ 23 von Nikolaus Decius (1485 - 1546) in Braunschweig gedichtet. 15 Im Gegensatz zu Luther, Bugenhagen und Bonnus verbannte Slüter alle lateinischen Elemente aus der Messe und hatte das deutsche Gloria - mit einer eigenen vierten Strophe versehen - deshalb dankbar in sein Rostocker Gesangbuch aufgenommen. In der uns heute bekannten hochdeutschen Fassung erschien es dagegen erst 1539 in Leipzig. 16 In Bugenhagens Gottesdienstordnung folgen auf das Eingangslied, eben den »düdeschen Psalm«, die altkirchlichen Liturgiestücke Kyrie und Gloria. So bewusst wie Bonnus sonst an der lateinisch-deutschen Mischform der Bugenhagen-Messe festhält, an dieser Stelle wagt er eine Neuerung. Nach dem lateinischen Gloria lässt er die Gemeinde zusätzlich das deutsche Lied von Decius singen. Schon 1535 hatten sich die Wendischen Städte in den Hamburger Artikeln, die Bonnus wohl maßgeblich geprägt hat, auf gemeinsame liturgische Grundsätze verständigt, nach denen u. a. das deutsche Gloria erlaubt ist. In der von Bonnus verfassten Osnabrücker Kirchenordnung von 1543 17 und in der für das beiderstädtisch von Hamburg und Lübeck verwaltete Bergedorf ein Jahr später wird die gewachsene Lübecker Praxis dann festgeschrieben. Es ist offensichtlich Bonnus ’ Verdienst, dass das von der Gemeinde auswendig und unbegleitet gesungene Lied Allein Gott in der Höh sei Ehr (EG 179, RG 221) zum festen Bestandteil der Eingangsliturgie geworden ist. Wem ist schon beim gottesdienstlichen Singen dieses Ordinariumslieds bewusst, dass der auf dem altkirchlichen »Gloria in excelsis Deo« fußende hochdeutsche Text einen niederdeutschen Ursprung hat und dass es vor allem durch Hermann Bonnus nicht nur in dessen Sprachgebiet verbreitet wurde, sondern in ganz Deutschland, auch in der katholischen Kirche (GL 457, KG 75), noch heute als deutsches Gloria gesungen wird! Vorleen vns frede gnedichlick Nach der Lübecker Kirchenordnung wurde in jedem Gottesdienst am Ende des Predigtteils das Friedensgebet Vorleen vns frede gesungen: »Thom lesten volget de fredesanck«. 18 Die von Martin Luther verdeutschte altkirchliche Antiphon 15 Vgl. Andreas Marti, Kommentar zu EG 179. In: Liederkunde 6/ 7 (2003), S. 32 - 36. 16 Geistliche lieder/ auffs new gebessert (Schumann 1539). 17 Christlicke Kercken Ordenungh. Der Statt Ossenbrügge (1543). 18 »Zuletzt folgt der Friedensgesang« (KO, S. 83). Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 28 »Da pacem Domine« (Verleih uns Frieden gnädiglich) erschien seit 1529 in den hochdeutschen, ab 1531 in den niederdeutschen Gesangbüchern. Die deutsche Fassung beschloss auch andernorts den Kanzeldienst, häufig angehängt an das melodisch verwandte Lutherlied Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort. Mit dem dreimal gesungenen »Fredesanck«, in dem vor allem für den inneren Frieden gebetet wurde (»to frede, entracht und wolfahrt düsser stadt«), wurde nicht nur ein Schlusspunkt unter die Predigt gesetzt. Der Lübecker Klerus und der Rat wollten nach den Erfahrungen der Singebewegung wohl auch verhindern, dass die Gemeinde unkontrolliert weitersang. 19 Der ursprüngliche Grund für das Protestverhalten bestand nicht mehr: die Fürbitte für die Seelen der Toten und die marianischen Gesänge wie »Salve Regina« an dieser Stelle waren dem »Fredesanck« gewichen. ». . . edder vp etlicke Feste latinisch« »INnt erste singet me einen düdeschen Psalm/ edder vp etlicke Feste latinisch«, lautet der erste Satz über den Gottesdienst in Bugenhagens Kirchenordnung vollständig. 20 Die Alternative, statt eines volkssprachigen Eingangslieds an hohen Festtagen einen lateinischen Introitus zu singen, war durchaus im Sinne Luthers: Denn ich ynn keynen weg wil die latinische sprache aus dem Gottis dienst lassen gar weg komen/ denn es ist myr alles vmb die iugent zu thun. Vnd wenn ichs vermöcht/ vnd die Kriechische vnd Ebreische sprach were vns so gemeyn als die latinische/ vnd hette so viel feyner musica vnd gesangs/ als die latinische hat/ so solte man eynen sontag vmb den andern/ yn allen vieren sprachen/ Deutsch/ Latinisch/ Kriechisch/ Ebreisch/ messe halten/ singen vnd lesen. 21 Luthers Äußerungen wurden seinem und Melanchthons Schüler, dem humanistisch gebildeten Sprachlehrer, Verfasser einer erfolgreichen lateinischen Grammatik und Rektor einer Gelehrtenschule mit Kantorei offenbar zum Auftrag. Bonnus dichtete zahlreiche lateinische Texte im evangelischen Sinne um und machte sie für den Schulchor in den täglichen Singstunden, in Mette und Vesper sowie für die Messe verwendbar. Die meisten seiner zu Lebzeiten ungedruckten 77 Hymni et Sequentiae wurden von dem Lüneburger Kantor und Konrektor Lucas Lossius (1510 - 1582) ab 1553 in dessen berühmten Psalmodia veröffentlicht. Bonnus ’ Bearbeitungen und Neudichtungen und deren Rezeption erleichterten den Kantoren die mühsame Suche nach evangeliumsgemäßen Texten. Sie 19 Vgl. Jannasch (1958), S. 279 mit Anm. 32. 20 ». . . oder an manchen Festen einen lateinischen« (KO, S. 73). 21 Luther, Deudsche Messe vnd ordnung Gottis diensts (1526). Zitat nach Herbst, Evangelischer Gottesdienst ( 2 1992), S. 71. Hermann Bonnus und die Bedeutung des Singens für die Reformation 29 wurden wegweisend für die Ablösung der mittelalterlichen Mess- und Stundengebetsbücher - der Gradualien und Antiphonarien - und bezeugen den Reichtum liturgischen Lebens in Lübeck noch im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts. In ähnlicher Weise versuchte er, die Heiligenverehrung so zu reformieren, dass sie mit dem evangelischen Schriftverständnis vereinbar ist. Während Luther die wichtigsten Hymnen aus vorreformatorischer Zeit verdeutschte - z. B. wurde aus »Veni redemptor gentium« Nun komm der Heiden Heiland, aus »Veni creator spiritus« Komm Gott Schöpfer, heiliger Geist - , lehnte er die Halleluja-Sequenz, die in der Messe ihren Ort zwischen Epistel und Evangelium hatte, ab. Mit den 25 lateinischen Sequenzen, die Bonnus für seine Hymni et Sequentiae bearbeitete bzw. zusammentrug, und mit den Anweisungen in seiner Osnabrücker Kirchenordnung setzt er sich in diesem Punkt deutlich von Luther und auch von Bugenhagen ab. Diese wünschten an der Stelle der lateinischen Halleluja-Sequenz ein deutsches Gemeindelied, ein sog. de tempore-Lied, das auf die Lesungen des Tages Bezug nimmt. »Gecorrigeret dörch Hermannum Bonnum« Auch als Liedschöpfer war Hermann Bonnus kreativ, wie sein Lübecker Gesangbuch von 1545 und dessen Vorläufer zeigen. 22 Wenn die Grenzen zwischen Bearbeitung, Nachdichtung und Neudichtung auch oft fließend sind und Bonnus ’ Autorschaft nicht immer nachweisbar ist, so scheint sie doch zumindest für einige Lieder gesichert. Ältere Hymnologen haben sich von dem Hinweis »Gecorrigeret dörch Hermannum Bonnum« über einigen Liedern und auf dem zweiten Titelblatt (Abb. 2.5) irreführen lassen und Bonnus lediglich für den redaktionellen Bearbeiter gehalten. 23 »Gecorrigeret« ist jedoch vor allem inhaltlich zu verstehen, als im evangelischen Sinne verbessert. Schon Slüter hatte Dat vnchristlike Salue regina/ Christlick vorandert auf den aus evangelischer Sicht einzigen Mittler Jesus Christus übertragen: »GEgrötet systu Jesu eynn Köning der barmherticheit«. 24 In ähnlicher Weise bearbeitete Bonnus u. a. das Regina celi. Gebetert und ließ die Knaben nun auf lateinisch »REx Christe omnes in te letamur« singen (fol. 155 r ), auf deutsch »DEr Köning yn dem Hemmele/ Frouwet yuw vp erden« (fol. 158 v ). 22 Vgl. Anm. 13 - 14. 23 Z. B. Geffken, Die Hamburgischen Gesangbücher des 16. Jhs.(1857), S. 92: »Der Verfasser des Liedes ist unbekannt, denn von Hermann Bonnus heißt es nur, daß er es › corrigeret ‹ habe«. 24 Geystlike leder vppt nye gebetert (1531), zit. nach dem ND von Wiechmann-Kadow (1858), fol. Pv r . Später verzichtet Bonnus in seinen Ausgaben des Enchiridion in der Überschrift zum »Salve Regina« auf das polemische Attribut »vnchristlik« (fol. 121 v ). Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 30 »Gebessert« steht auch schon in den hochdeutschen Frühdrucken der Reformation über einigen Liedbearbeitungen Luthers. 25 Wer würde ihm aber deshalb die Autorschaft streitig machen? Bonnus verfährt im niederdeutschen Sprachraum genau wie Luther: »vorandert [verändert] vnd Christlick corrigeret« (z. B. fol. 108 v ). OCh wy armen Sünders Hymnologisch ist der Name von Hermann Bonnus heute nur noch mit dem weit verbreiteten Passionslied verbunden, das ihm seit Ende des 19. Jahrhunderts wieder zugeschrieben wird: OCh wy armen Sünders vnse missedath (fol. 153 v f., Abb. 2.6), hochdeutsch O wir armen Sünder, unsre Missetat. Das sechsstrophige Lied, dessen Wurzeln bis tief ins Mittelalter zurückreichen, hat eine reiche Rezeptionsgeschichte erlebt. Hermann Bonnus ’ eigenständige Liedbearbeitung ist seit Magdeburg 1542/ 1543 26 in fast allen deutschen und nordeuropäischen Gesangbüchern, auch in neueren Übersetzungen zu finden. 27 Im gegenwärtigen Evangelischen Gesangbuch von 1993 eröffnet es - wenn auch nur fragmentarisch - als Leitlied die Passionsrubrik (EG 75). Abweichend vom vorherigen Gesangbuch, dem Evangelischen Kirchengesangbuch von 1950, in dem das Lied noch vollständig abgedruckt war (EKG 57), wurden in das EG nur die Strophen 3 und 6 übernommen. Bonnus ’ Anfangsstrophe wurde hier ersetzt durch die vorreformatorische Einzelstrophe »Ehre sei dir Christe, der du littest Not«, die seinem Lied manchmal als Strophe 7 angehängt worden war, so auch in EKG 57. Damit ist das auch aus der Kirchenmusik bekannte Incipit O wir armen Sünder vorerst aus dem deutschsprachigen Evangelischen Gesangbuch verschwunden und nur noch als Melodiebezeichnung erhalten. 28 1. O wir armen Sünder! / Unsre Missetat, darin wir empfangen / und geboren sind, hat gebracht uns alle / in solche große Not, daß wir unterworfen / sind dem ewigen Tod. Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison. 25 Z. B. »Das lied S. Johannes Hus gebessert« (Augsburg um 1524), »Veni sancte spiritus durch D. Mar. Lu. gebessert« (Wittenberg 1529) oder sogar »Der lobgesang Got der vater won uns bey, gebessert, und Christlich Corrigirt« (Erfurt 1525). 26 Wackernagel datiert den Erstdruck auf 1542 (W I, S. 417; W III,849). Vgl. DKL 1543 05 . 27 Z. B. Liedboek voor de Kerken (1973), Nr. 175 (Ad den Besten). 28 In das für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland erarbeitete Beiheft zum EG wurde Bonnus ’ Passionslied zur Erprobung wieder mit allen 7 Strophen aufgenommen: Himmel, Erde, Luft und Meer (Kiel 2014), Nr. 17. Hermann Bonnus und die Bedeutung des Singens für die Reformation 31 2. Aus dem Tod wir konnten / durch uns ’ r eigen Werk nimmer werdn gerettet, / die Sünd war zu stark; daß wir würdn erlöset, / so konnts nicht anders sein, denn Gotts Sohn mußt leiden / des Todes bittre Pein. Kyrie . . . 3. So nicht wär gekommen / Christus in die Welt und hätt angenommen / unser arm Gestalt und für unsre Sünde / gestorben williglich, so hätten wir müssen / verdammt sein ewiglich. Kyrie . . . 4. Solche große Gnad und / väterliche Gunst hat uns Gott erzeiget / lauterlich umsonst in Christo seim Sohne, / der sich gegeben hat in den Tod des Kreuzes / zu unsrer Seligkeit. Kyrie . . . 5. Des solln wir uns trösten / gegen Sünd und Tod und ja nicht verzagen / vor der Höllen Glut; denn wir sind gerettet / aus aller Fährlichkeit durch Christ, unsern Herren, / gelobt in Ewigkeit. Kyrie . . . 6. Darum wolln wir loben, / danken allezeit dem Vater und Sohne / und dem Heilgen Geist; bitten, daß sie wollen / behüten uns hinfort, und daß wir stets bleiben / bei seinem heilgen Wort. Kyrie . . . 7. Ehre sei dir, Christe, / der du littest Not, an dem Stamm des Kreuzes / für uns bittern Tod; herrschest mit dem Vater / in der Ewigkeit: hilf uns armen Sündern / zu der Seligkeit. Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison. (EKG 57) Es gibt aber durchaus gute theologische, hymnologische und ökumenische Gründe dafür, die seit Mitte des 14. Jahrhunderts nachweisbare, wahrscheinlich noch ältere Strophe Ehre sei dir Christe an den Anfang zu setzen. Sie hatte ihren Sitz am Ende der Frühmette in der Karwoche und wurde vom Volk in der Muttersprache gewissermaßen als Kehrreim in den lateinischen Hymnus »Rex Christe factor omnium« hineingesungen. In dieser vorreformatorischen Einzelstrophe erscheint der am Kreuzesstamm leidende und den Opfertod sterbende Christus im abhängigen Relativsatz: ». . . der du littest Not, an dem Stamm des Kreuzes / für uns bittern Tod«. Im anschließenden Hauptsatz wird Christus als Herrscher »mit dem Vater in Ewigkeit« apostrophiert. Ehre gebührt also dem Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 32 Abb. 2.6: Hermann Bonnus ’ Passionslied im niederdeutschen Original Herrn der Passion, der den Tod überwunden hat. Es folgt die Bitte, »uns armen Sündern« zur Seligkeit zu verhelfen. 29 Hermann Bonnus entfaltet aus dieser mittelalterlichen Vorlage nun eine 6-strophige Passionspredigt unter reformatorischen Vorzeichen. Dazu einige Beispiele: Die erst in Vers 7 der Einzelstrophe genannten »armen Sünder« setzt Bonnus als Kopfmotiv an den Anfang des Liedes: »OCh wy armen Sünders«. Umgekehrt weitet er den Ehre-Ruf - bzw. den Lobpreis »Laus tibi Christe«, mit dem die Vorlage in der lateinischen Überlieferung beginnt - in seiner 6. und letzten Strophe zu einer Gloria Patri-Strophe aus und schließt an die trinitarische Doxologie noch zwei Bitten an: Darümme willen wy lauen [loben] / vnd dancken alletidt. Dem Vader vnd dem Söne / vnd dem Hillgen Geyst Vnd bidden dat se willen / behöden [behüten] vns for qwadt [Schlechtem] Vnd dat wy stedes blyven [stets bleiben] / by synem hillgen Wordt. (fol. 153 v f.) Damit gibt Bonnus der vorreformatorischen Einzelstrophe, in der ja nur für die Seligkeit der Sünder gebetet wurde, eine eindeutig evangelische Wendung. Noch eine andere Quelle ist für Bonnus ’ Liedbearbeitung von Bedeutung. Aus der beliebten Passionsstrophe Ehre sei dir Christe (»Laus tibi Christe«) ging ein längeres deutsches Lied hervor, das mit folgender Strophe endet: O du armer Judas / was hastu gethan das du vnsern Herren also verrathen hast darumb mustu leiden / Hellische pein Lucipers geselle mustu ewig sein Kyrieeleison. 30 Man kann sich vorstellen, welchen Spott diese Verse in den vorreformatorischen Passions- und Osterspielen hervorriefen und dass sie zahlreiche Parodien auf andere Feindbilder auslösten. Auch Bonnus parodiert den Anfang der Judas-Strophe, dreht aber in seiner Bearbeitung den Spieß um. Die singende Reformationsgemeinde richtet den Schuld zuweisenden Finger nun nicht mehr auf Judas als Verräter, sondern einzig auf sich selbst: »Wir armen Sünder - unsere Missetat - hat gebracht uns alle in 29 Vgl. Franz Karl Prassl, Kommentar zu EG 75. In: Liederkunde 10 (2004), S. 35 - 39. Hermann Bonnus wird in den hymnologischen Nachweisen zu dem Liedfragment zwar genannt, im Kommentar als Schöpfer des ursprünglich 6-strophigen Liedes, insbesondere der ins EG übernommenen Str. 3 und 6, dann aber nicht gewürdigt. 30 Wir dancken dir lieber Herre, Str. 7, zit. nach Leisentrit 1567, fol. 98 r . Vgl. auch W II,615 (»O du falscher Judas«) bis 627 (»Ach du armer Juda«). - Bäumker I,205, hier bes. S. 466. - Erk-Böhme III,1963 f. (»O tu miser Juda«). - Lipphardt, »Laus tibi Christe« - »Ach du armer Judas« (JLH 1961), S. 71 - 100. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 34 solche große Not - daß wir unterworfen sind dem ewigen Tod«. Aus einem volkstümlichen Spottlied entwickelt Bonnus ein reformatorisches Buß- und Rechtfertigungslied, das gedanklich und sprachlich ganz von Luther geprägt ist. Die › Judas-Strophe ‹ ist durch Luther selbst 31 und - leicht verändert - durch den bedeutenden Wittenberger Buchdrucker Georg Rhau überliefert: Melodie »O du armer Juda« VNser grosse sunde vnd schwere missethat Jhesum den waren Gottes Son ans Creutz geschlagen hat Drumb wir dich armer Juda/ darzu der Jüden schar Nicht feintlich dürffen schelten/ die schult ist vnser zwar/ Kirieleison. 32 Unabhängig davon, ob Bonnus solch eine Version gekannt hat, ist seine 6-strophige Bearbeitung mit der Parodie auf das Incipit der Judas-Strophe zweifellos eine eigenständige Leistung. Es wäre zu wünschen, dass im nächsten deutschsprachigen Gesangbuch zusätzlich zu der mittelalterlichen, konfessionsübergreifenden Einzelstrophe Ehre sei dir Christe, die das Wesen der Passion in konzentriertester Form vermittelt, das Bonnus-Lied wieder mit allen sechs Strophen abgedruckt wird. 33 Beispiele für solche Doppelungen gibt es ja bereits, z. B. bei dem altkirchlichen Osterhymnus Christ ist erstanden (EG 99), den Luther in den sieben Strophen von Christ lag in Todesbanden (EG 101) ausgelegt hat. Fazit Die Förderung des evangelischen Kirchengesangs durch Hermann Bonnus geschah auf vielfältige Weise, vor allem aber durch die Erfüllung des reformatorischen, in den Kirchenordnungen formulierten Auftrags, den volkssprachigen Gemeindegesang in den Gottesdienst einzuführen und zu pflegen. Dafür übertrug er einige volkstümliche lateinische Vorlagen ins Niederdeutsche und beteiligte sich an den plattdeutschen Gesangbüchern seiner Zeit, deren Wirkung weit in den Ostseeraum hinein reichte. Sein offensichtlich angesehener Name neben dem Luthers auf den Titelblättern trug sehr zur Verbreitung des evangelischen Kirchengesangs im gesamten niederdeutschen Sprachgebiet bei. Fest auf dem Boden der vorreformatorischen liturgischen Tradition stehend, erneuerte Hermann Bonnus auch den lateinischen Chorgesang. Der erste Lübecker Superintendent war weder als Theologe noch als Dichter eine herausragende Erscheinung, dafür aber ein hervorragender Praktiker. Dies 31 WA, Tischreden 6, S. 257, Nr. 6897. 32 Newe Deudsche Gesenge (1544), Tenorstimmbuch Nr. XIIII. 33 Vgl. Anm. 28. Hermann Bonnus und die Bedeutung des Singens für die Reformation 35 trifft auch und besonders zu für seine Bemühungen um den Kirchengesang, den er bewusst als Vermittler der evangelischen Lehre und zur Konsolidierung der Reformation einsetzte. Allein die wenigen, aber bemerkenswerten Spuren, die er in den Gesangbüchern bis heute hinterließ, sind Grund genug, auch noch nach über 500 Jahren an den erfolgreichen Schulleiter, Kirchenorganisator und nachhaltigen Förderer des Kirchengesangs zu erinnern. Bonnus war ein im besten Sinne konservativer Reformator, ein Reformator mit Augenmaß. Er wollte keinen Abbruch von Tradition, sondern deren Erneuerung im Sinne einer »christlyken beteringe«, einer »christlichen Besserung« mit größtmöglicher Akzeptanz. So gesehen ist er durchaus anregend für den interkonfessionellen Dialog und als Theologe, Philologe, Hymnologe und Pragmatiker auch für den interdisziplinären Diskurs. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 36 3 Zwischen lutherischer Orthodoxie und Pietismus Lübecker Gesangbuchpolitik um 1700 und ein wieder entdecktes Gesangbuch In Lübeck gehen die Uhren von jeher etwas anders. Auf dem Zifferblatt von St. Jakobi gibt es bis heute keinen Minutenzeiger (Abb. 3.1). Die Zeit wird in Stunden gemessen. Auch der Zeitgeist stellt sich etwas langsamer ein. Das hat Vorteile. Man hält auf Tradition, wechselt seine Geschäftspartner und Verbündeten nicht wie das Hemd und macht nicht jede Mode mit. Dies dient in der historischen Rückschau der Übersichtlichkeit und erleichtert auch dem Kulturwissenschaftler und der Hymnologin die Arbeit. So hat es in Lübeck vor den drei Einheitsgesangbüchern des 20. Jahrhunderts (DEG 1916/ 1930, EKG 1953, EG 1994) 1 überhaupt nur drei offizielle Gesangbücher gegeben. Nach Privatdrucken des 16. und 17. Jahrhunderts - überwiegend in niederdeutscher Sprache - erschien 1703 das erste Lübeckische Gesang = Buch [. . .] Auff Verordnung Eines Hoch = Edlen Hochweisen Raths Von Einem Ehr = würdigen MINISTERIO Ausgegeben 2 (siehe Abb. 4.3). Es enthält 303 Lieder ohne Noten und ab 1748 einen Anhang von weiteren 106 Liedern. In zahllosen Auflagen wurde es nachgedruckt und erst 1790, also nach drei Generationen statt der üblicherweise einen, durch das gemäßigt rationalistische Aufklärungsgesangbuch abgelöst. 3 Diesem folgte fast 70 Jahre später das ebenfalls moderate Restaurationsgesangbuch von 1859. 4 An das zweite amtliche Gesangbuch 1790 hatten sich die Lübecker so sehr gewöhnt, dass die geplante Erneuerung einen mehrjährigen Gesangbuchstreit in der Geist- Zusammenführung von Vorträgen bei den Internationalen Symposien Pietistische Liedkultur. Das Freylinghausensche Gesangbuch: Aspekte seiner Entstehung und Wirkung (Halle 29.9. - 2.10.1999), International Organ Academy (Göteborg 5. - 18.8.2000) und Faszination Schnitger- Orgel (Lübeck 24. - 27.1.2002). Siehe BibAK 25 und 26 (beide 2002). 1 Siehe Verzeichnisse der Siglen und Quellen (QV) im Anhang. 2 Zit. nach der inhaltlich unveränderten Aufl. von 1709 in meinem Besitz. 3 Neues Lübeckisches Gesangbuch (1790). 4 Lübeckisches evangelisch = lutherisches Gesangbuch (1859). Daran schloss sich bereits das Deutsche Evangelische Einheitsgesangbuch (DEG) von 1915/ 1930 an, das in Lübeck bereits 1916 eingeführt wurde. Abb. 3.1: Turmuhr von St. Jakobi in Lübeck mit Stundenzeiger lichkeit und der Öffentlichkeit auslöste und zwischen dem Reformplan und seiner Umsetzung 25 Jahre vergingen. Einmütiger hatte die Lübecker Pastorenschaft offensichtlich auf die geistigen und theologischen Strömungen um die Wende zum 18. Jahrhundert reagiert, auch wenn der Rat in seiner Eigenschaft als Kirchenregiment andere Positionen vertrat. Das orthodoxe Geistliche Ministerium fürchtete die Unordnung und Unübersichtlichkeit der tausendfachen Liederflut mit subjektiven Aussagen und ästhetischen Auswüchsen, die nicht mehr kontrollierbar waren, und beugte dieser Bedrohung durch die Herausgabe des standardisierten Gesangbuchs von 1703 vor. Damit sollte sicher auch die Verbreitung der neuen »geistreichen« Lieder unterbunden werden, die einige Jahre zuvor in den Vorläufern des Freylinghausenschen Gesangbuchs sowie in den letzten Auflagen der Praxis Pietatis - besonders in der Ausgabe von 1702 mit einem Vorwort von Philipp Jacob Spener - erschienen waren. Unter dem Vorsitz des Seniors, Dompastor Thomas Honstede (1642 - 1704), hatte das Geistliche Ministerium in einem Konvent vom 6. Oktober 1701 neben einem neuen Kirchengebet, einem neuen Katechismus sowie einem öffentlichen Beicht- und Absolutionsformular auch zuerst die Abfassung eines neuen Gesangbuchs angeregt; weil nämlich seit einiger Zeit in verschiedenen Kirchen neue und vorhin fast ungewöhnliche Gesänge gesungen waren, so suchte man ein Mittel, dieser Verwirrung zu wehren, und beschloß den Druck eines neuen Gesangbuches, worin zuerst die bisher ordentlich gesungenen Lieder unverändert, und wie sie vor Alters her gelautet [. . .] gelassen würden, denen denn einige neue, die bisher gesungen, auch noch einige andere könnten beigefügt werden, doch so, daß wenn etwa 3 oder mehr Gesänge nach einander gesungen würden, unter denselben nicht mehr als ein neuer angefangen würde, die aber in diesem Gesangbuch nicht gefunden würden, gar nicht in der Gemeinde müßten angestimmt werden, damit nicht, wenn auf einmal unterschiedene neue Gesänge nach einander gesungen würden, die alten lehrreichen, von dem seligen Luther und andern gottseligen Männern mit großem Geiste und sonderbarer Kraft ausgesetzt, und dabei der ganzen Gemeinde, sogar auch den Einfältigen und die nicht lesen und daraus in Noth und Tod gelehret und getröstet werden können, bekannte Gesänge, entweder meistentheils, oder auch wohl endlich gar aus den Kirchen wegkommen möchten; des Raths Consens müsse gesucht und dem Buche vorgedruckt werden. 5 Soweit das in umständlichem Kanzleideutsch formulierte, aber inhaltlich klare Zitat aus den biographischen Aufzeichnungen über Senior Honstede, der bereits fünf Wochen später, am 10. November 1701, dem Pastorenkonvent die von ihm 5 [Anonymus], Thomas Honstede und seine Wirksamkeit (1839). Dieses und die nachfolg. Zitate S. 247 und 248. Lübecker Gesangbuchpolitik um 1700 39 getroffene Auswahl vorlegte. Am 23. Dezember trat die vom Rat der Stadt ernannte Kommission zusammen und erklärte, man halte es nicht so gar nothwendig, daß ein neues Lübeckisches Gesangbuch gedruckt werde, weil ein vollständiges sogenanntes Lüb. Gesangbuch vorhanden sei; es möchte solches nicht abgehen und die Leute durch dessen Kaufung mit unnöthigen Unkosten beschwert werden. Das Geistliche Ministerium insistierte jedoch, sie hätten »ihre Gründe schon angegeben und werde sich der Verleger schon finden«. In einem Memorial vom 9. Januar 1702 wurde der Wunsch ausgesprochen, daß Eines Hochw. Rathes Verordnung vorgedruckt werden möchte, außer diesen Gesängen keine andere in den Kirchen zu singen; und die Hoffnung, daß dies Gesangbuch von allen Reichen und Armen angeschafft werden dürfte zu ihrer aller Nutzen und Heil. Die vom Rat eingesetzte Kommission wünschte das Gesangbuch, »weil es doch unter Autorität des Staats gedruckt werden solle, etwas reichhaltiger« und überreichte einen »Catalog der noch hinzuzufügenden Gesänge [. . .], damit der Senior begutachte, ob auch etwas der Glaubensregel zuwider laufendes darin wäre«. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Obrigkeit damit offensichtlich den Anteil an modernerem Liedgut erhöhen wollte, zugleich aber die theologische Kompetenz der Geistlichkeit auch im staatskirchlichen System respektierte. Im Übrigen lehnte die Kommission die vom Pastorenkonvent gewünschten Vorgaben über den Gebrauch der Lieder ab: »wie viel neue jedesmal gesungen werden sollten, [solle] völlig dem Ermessen jedes einzelnen Geistlichen überlassen [werden]«. Die Pastoren erklärten sich grundsätzlich einverstanden, nur dass »hinsichtlich der Gesänge es dabei bleiben möge, daß unter drei oder vier nicht mehr als ein neuer Gesang gewählt werden dürfe, › damit der Einführung allzu vieler neuen Gesänge gewehrt und die Ausmusterung der alten bekannten und geistreichen verhütet werde ‹ «. Woher kam diese Abwehrhaltung der Geistlichkeit gegenüber neuerem Liedgut? So reagiert man nicht nur prophylaktisch, sondern aufgrund von Vorerfahrungen. Offensichtlich wollten die Pastoren das in der ersten Antwort des Rats als »vorhanden« erwähnte »vollständige sogenannte Lüb. Gesangbuch« unbedingt aus dem Verkehr ziehen. Sie scheinen darin erfolgreich gewesen zu sein. Denn in Lübeck ist dieses Gesangbuch heute nicht mehr nachweisbar. Merkwürdigerweise wurde es niemals in den sonst so vollständigen Bestand der 1616 gegründeten Stadtbibliothek aufgenommen. Deshalb bezogen sich Hauschild (1981) und bereits vor ihm Stahl (1931/ 1952) in ihren Regionalstudien ausschließlich auf Pauli Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 40 Abb. 3.2: Gesangbuch Lübeck 1698/ 99, Titelblatt des »Greifswalder« Exemplars (G 1699) (1875), der es noch in Händen gehalten haben muss. 6 Sie übernahmen seine Beschreibungen und vertrauten seinem Urteil. Syndicus Dr. Carl Wilhelm Pauli hatte bereits 1832 das lübeckische reformierte Gesangbuch herausgegeben, das als eines der ersten Reformgesangbücher nach der Aufklärung in ganz Deutschland Beachtung fand. 7 Er war also in der Beurteilung von Gesangbüchern und Kirchenliedern erfahren und hatte in seiner Auswahl Qualitätsempfinden und Geschmack bewiesen. Pauli druckt in seiner Untersuchung den Titel des Lübeckisch = Vollständigen Gesangbuchs (Abb. 3.2) ab, nennt als Verlagsort und -jahr Lübeck und Leipzig 1699 und kommentiert folgendermaßen: Der Inhalt der Lieder ist in Einer Beziehung, wie die meisten Gesangbücher jener Zeit sehr gut, weil wir darin die Fülle der unvergleichlichen Lieder der Reformationszeit erblicken und unter ihnen auch die des Michael Weiße, und dann die Lieder vor und in der Zeit des 30jährigen Krieges. Von einigen Dichtern der letzteren hat man indessen deren Reichthum zu sehr benutzt - von Paul Gerhardt 76 Lieder - und alle ohne Verkürzung, die oft nothwendig sind. Blickt man aber weiter, so findet man mitten unter schönen Liedern gar viele solche, die Luther nennt: der › Meuse Mist unter dem Pfeffer ‹ . 8 Dafür gibt Pauli fünf Beispiele, darunter das im Lübeckisch = Vollständigen Gesangbuch als anonym bezeichnete daktylische Loblied nach Ps 148/ 150 von Matthäus Apelles von Löwenstern (1644), »Jn eigener Melodey«: 9 1. WAs lebet/ was webet/ was othem nur hat/ Soll preisen mit weisen die göttliche gnad/ Ach singet und klinget auff cymbalen schön/ Lasst schallen mit hallen ein lieblich gethön. 6. Last geben das leben der orgelen werck/ Erregets/ bewegets/ durch Aeolus stärck/ Im greiffen der Pfeiffen braucht künstliche wahl/ Last summen last brummen das grobe pedal. 6 Hauschild, Kirchengeschichte Lübecks (1981), S. 347. - Stahl, Musikgeschichte Lübecks. Geistliche Musik (1952), S. 48. - Pauli, Geschichte der Lübeckischen Gesangbücher (1875), S. 24 - 29. 7 Gesangbuch für die evangelisch = reformirte Gemeinde zu Lübeck (1832). 8 Pauli, S. 25 f. 9 Pauli, S. 26 - 28 (vgl. FT I,387). Ich zitiere die folg. Strophen aus dem Greifswalder Exemplar (G 1699) des Lübeckischen Gesangbuchs. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 42 Paulis kritisches Urteil wurde hymnologisch anscheinend niemals überprüft. Nachdem ich 1997 dankenswerterweise auf ein Exemplar des Lübeckisch = Vollständigen Gesangbuchs 1698[! ] in London (L 1698) aufmerksam gemacht wurde 10 und die Bibliothek der Hansestadt Lübeck einen Microfilm von dem Unikat erwerben konnte, wurde mir die Untersuchung dieses bisher unerforschten Marksteins in der Entwicklungsgeschichte der Lübecker Gesangbücher erst möglich. Titelblatt Zunächst fällt die Jahreszahl auf: Das Buch ist nicht - wie seit Pauli (1875) überliefert - 1699, sondern bereits ein Jahr früher, 1698 erschienen. 11 Schon Pauli schließt aus dem Titelzusatz »Anjetzo biß auf 974. Gesänge vermehret« zu Recht, dass es mindestens eine vorherige Ausgabe gegeben haben müsse. 12 Dafür spricht u. U. auch die Tatsache, dass die letzten elf Lieder (Nr. 964 - 974) - durchpaginiert von S. 1046 Mitte bis 1058 - als »Anhang etlicher schönen Gesänge« bezeichnet sind. Allerdings hat es in der Gesangbuchgeschichte durchaus Erstausgaben gegeben, die einen Anhang mit › vergessenen ‹ oder Leerseiten füllenden Liedern enthielten. Stahl vermutet, dass es sich bei dem Vollständigen Gesangbuch um die Erweiterung der Gesangbücher von 1670 und 1690 handelt, die aber verloren sind und schon Pauli nicht mehr vorgelegen haben. 13 Für unseren Zusammenhang ist vor allem der weitere Text des Titels von Interesse: Darinn Des S. Hn. D. Lutheri und andere in unser Kirchen übliche alte Gesänge ebenwohl behalten/ Und Mit einen[! ] Kern Geistreicher Lieder/ aus andern Authorisirten Gesangbüchern/ vermehret worden. Die Ähnlichkeit mit Freylinghausens vertrautem Titel Geistreiches Gesang = Buch/ Den Kern Alter und Neuer Lieder [. . .] in sich haltend (Halle 1704, s. o. Abb. 1.3) ist unüber- 10 British Museum (765aa.20). Fax von Robin A. Leaver an Verf. (18.9.1997). 11 Konstanze Grutschnig-Kieser informierte mich nach meinem Vortrag in Halle darüber, dass Christoph Schütz (1744) als eine der Quellen für sein ehrgeiziges Gesangbuch-Projekt von über 30.000 Liedern unter Nr. 93 »Gesangbuch, Lübeckisches vollständiges 1699« angibt (Brief vom 20.10.1999). Ihr verdanke ich auch den Hinweis auf ein Exemplar des Lübeckisch = Vollständigen Gesangbuchs 1699 in der UB Greifswald (FuH 38691), das ich dort mit einer Kopie des Londoner Exemplars (L 1698) vergleichen konnte. Das Greifswalder Exemplar (G 1699) unterscheidet sich von L 1698 nur durch das spätere Erscheinungsjahr auf dem Titelblatt sowie durch einen Anhang von 16 Seiten mit einem öffentlichen Bußgebet und zwei zeitgenössischen Liedern. Ein genauer Vergleich zwischen den beiden Büchern wird im Postscriptum vorgenommen. 12 Pauli, S. 24. 13 Stahl (1952), S. 48. Lübecker Gesangbuchpolitik um 1700 43 sehbar. Und ebenso naheliegend ist bei einem 1698/ 99 erschienenen Gesangbuch die Frage, ob es sich um ein »geistreiches« Gesangbuch im halleschen Sinne handelt bzw. wie groß der Anteil »geistreicher« Lieder ist. 14 Einteilung Ein Blick auf die 48 Überschriften (Abb. 3.3) zeigt, dass hier noch die Rubrizierung der lutherischen Orthodoxie gilt, ohne dass die Gliederung in acht Hauptabschnitte explizit gekennzeichnet wäre: Kirchenjahr (2 - 13), Katechismuslieder (14 - 21), Betlieder (22 - 32), Lehrlieder (33 - 35), Tod und Ewigkeit (36 - 40), Tagzeiten- und Reiselieder (41 - 48). Ungewöhnlich ist lediglich, dass die Lobgesänge mit 77 Liedern als erste Rubrik noch vor die Festlieder des Kirchenjahrs gestellt wurden. Diese Besonderheit wurde vom Lübecker Ministerium dann auch nicht in das offizielle Gesangbuch von 1703 übernommen; es beginnt wieder ganz traditionell mit den Adventsliedern. Auch einige frühpietistische Rubriken, die 1698 bereits Aufnahme gefunden hatten (»Um göttliche Regierung«, »Vom menschlichen Elend« etc.), sucht man 1703 vergeblich. Dagegen tauchen in beiden Lübecker Gesangbüchern die der Orthodoxie zuzuordnenden Abschnitte »Von der Rechtfertigung« und »Von der Höllen« (bzw. »Vom Himmel und Hölle«) auf. Eine einzige Überschrift fällt wirklich ins Auge, weil sie in den halleschen Gesangbüchern so nicht vorkommt: »Von den weltlichen Lüsten und Eitelkeiten« (Abb. 3.4). Die fünf dort aufgeführten Lieder sind alle aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Keins wurde nach Lübeck 1703 übernommen, keins in den › Freylinghausen ‹ von 1704, zwei jedoch in dessen zweiten Teil (Halle 1714). Es handelt sich um die beiden Weltverleugnungslieder FAhr nur hin/ du schnöde Welt von Heinrich Müller 1659 und STeh doch/ seele/ steh doch stille von Gregor Richter 1648 (siehe Abb. 3.4). Letzteres steht 1714 in der Rubrik »Von der Verleugnung sein selbst und der Welt«. Zarte Verbindungen zum halleschen Pietismus sind also durchaus zu erkennen. Aber die meisten typischen Überschriften aus den »geistreichen« Gesangbüchern mit ihren Wurzeln bei Arndt und Spener suchen wir 1698/ 99 in Lübeck vergeblich. Liedbestand Ein Vergleich der Liedregister zeigt, dass in Lübeck 1698/ 99 und Halle 1704 knapp 220 Lieder übereinstimmen. Das bedeutet für den Liedbestand des Vollständigen Gesangbuchs von fast 1.000 Texten ein gutes Viertel, für den 14 Da das Lübeckisch = Vollständige Gesangbuch zwar 1698 vermutlich in geringer Auflage erschien, in der älteren Fachliteratur aber 1699 als Erscheinungsjahr ausgewiesen ist, wird es in diesem Beitrag als »Lübeck 1698/ 99« bezeichnet. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 44 geringeren Bestand von 683 Liedern bei Freylinghausen (1704) immerhin fast 38 %. Die genauere Betrachtung zeigt, dass es sich bei den gemeinsamen Liedern weitestgehend um den Kernbestand des damals verbreiteten Liedguts handelt. Knapp 50 % der übereinstimmenden Lieder stammen aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert, gut die Hälfte entstand in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und danach. Kein einziges der gemeinsamen Lieder ist dem letzten Viertel des Jahrhunderts zuzuordnen. D. h., die das hallesche Gesangbuch prägenden, dem pietistischen Umkreis angehörenden Verfasser wie Gottfried Arnold (1666 - Abb. 3.3: Lübeck 1698/ 99, Rubrizierung und Anfang des de tempore-Registers Lübecker Gesangbuchpolitik um 1700 45 1714), Johann Wilhelm Petersen (1649 - 1727), Laurentius Laurenti (1660 - 1722), Michael Müller (1673 - 1704), Christian Friedrich Richter (1676 - 1711), Christian Knorr von Rosenroth (1636 - 1689) und Johann Caspar Schade (1666 - 1698) sind überhaupt nicht vertreten. Dafür ist der Paul Gerhardt-Anteil mit 76 in Lübeck 1698/ 99 und 52 in Halle 1704 prozentual in etwa gleich, 41 Gerhardt-Lieder wurden in beide Gesangbücher aufgenommen. Bei Luther, Heermann, Johann Franck und den Lied- Abb. 3.4: Lübeck 1698/ 99, Weltverleugnungslied Steh doch, Seele, steh doch stille (Gregor Richter 1648) Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 46 bearbeitungen von Gesenius/ Denicke ist die Übereinstimmung fast hundertprozentig. Bei Johann Rist beträgt sie zwei Drittel. Von den auffallend zahlreichen Liedern Schefflers in Halle 1704 (45) sind dagegen nur zwei in Lübeck zu finden: ACh! sagt mir nicht von gold und schätzen, allerdings ohne die beiden halleschen Zusatzstrophen, und JEsu komm doch selbst zu mir, das bereits seit Müllers Seelenmusik (1659) Eingang in die Gesangbücher gefunden hatte, aber in Lübeck 1703 fehlt. Von Müller selbst, dem aus Lübeck stammenden Rostocker Theologieprofessor, wurde neben FAhr nur hin, du schnöde Welt auch das andere ihm traditionell zugeschriebene, ebenso drastische Weltverleugnungslied ADe/ du süsse welt 1698 ins Lübeckische Gesangbuch aufgenommen. Zwei der jüngsten Lieder des Gesangbuchs, SEy lob und ehr dem höchsten gut von Johann Jacob Schütz und WAs GOtt thut, das ist wol gethan von Samuel Rodigast, die - beide auf 1675 datiert - dem Frühpietismus zugerechnet werden und bis heute zum Kernbestand des Kirchengesangs gehören, gelangten in den späten achtziger und den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts in die »Vollständigen Gesangbücher« und von dort spätestens 1698 auch nach Lübeck. 1703 fielen sie - aus heutiger Sicht kaum verständlich - wieder heraus. Eine umfassende Bestandsaufnahme der fast 1.000 Lieder des Lübecker Gesangbuchs von 1698/ 99 steht noch aus. Aber soviel kann schon nach den bisherigen Prüfungen gesagt werden: der Liedbestand entspricht weitgehend dem Typ des »Vollständigen Gesangbuchs« der Barockzeit, das die bewährten alten Kirchengesänge erhalten und die besten der ursprünglich für die Privatandacht publizierten neueren Lieder abdrucken wollte. Dies ist weitgehend gelungen. Schon Pauli hatte die Qualität des Kernbestands aus der Reformationszeit und der Zeit vor und nach dem Dreißigjährigen Krieg gelobt, die hohe Zahl von ungekürzten Gerhardt-Liedern sowie der »Meuse Mist unter dem Pfeffer« jedoch bemängelt (s. o. S. 42). Schließlich berichtet er von der zeitgenössischen Kritik an dem Gesangbuch von 1703, in dem man »u. A. in der Auswahl manche trockene Lieder genommen und dagegen ungleich kräftigere, geistreichere aus dem Gesangbuche von 1699 einzuverleiben vergessen habe«. 15 Geistreiche, geistreichere oder geistreichste Lieder? Welche Lieder sind hier mit den »geistreicheren« gemeint? Dazu seien noch einmal die Titelblätter von 1698/ 99 herangezogen. Zunächst ist von den Liedern Luthers und den anderen in der Kirche üblichen »alten« Gesängen die Rede, die »behalten« wurden - dann aber von einem »Kern Geistreicher Lieder/ aus andern Authorisirten Gesangbüchern«, um den der Altbestand vermehrt wurde. Da die vorherigen lübeckischen Gesangbücher dem Typ des reformatorischen Enchi- 15 Pauli, S. 30. Lübecker Gesangbuchpolitik um 1700 47 ridions angehörten, ist unter dem »Kern Geistreicher Lieder« hier eindeutig die Erweiterung des Gesangbuchs um die Lieder der Barockzeit zu verstehen. Ursprünglich standen die meisten dieser Lieder in privaten Drucken zur häuslichen Erbauung, wurden aber bald in die offiziellen Gesangbücher übernommen, wodurch diese den Umfang von 1.000 bis 2.000 Liedern erreichten. Wenn nun der Verleger 1698/ 99 ausdrücklich auf die »andern Authorisirten Gesangbücher« hinweist, so will er der Privatunternehmung einen verkaufsfördernden offiziösen Anschein geben. Dies muss den Rat der Stadt Lübeck beeindruckt haben. Denn er reagierte 1701 auf die Forderung des Geistlichen Ministeriums nach einem neuen Gesangbuch zunächst ja ablehnend unter Verweis auf das vorhandene »vollständige sogenannte Lüb. Gesangbuch«. Andererseits wird mit »sogenannt« deutlich gemacht, dass es sich nicht um ein behördlich autorisiertes Liederbuch handelt. Ist das wiederentdeckte Gesangbuch von 1698/ 99 nun ein »geistreiches«? Sicherlich nicht im Sinne des verlorenen halleschen von 1697, in dessen Titel nicht nur »von denen gewöhnlichen Kirchen = Gesängen« die Rede ist, sondern auch »vornehmlich« von den »geistreichesten Neuen Liedern«. 16 Dieser mit dem Superlativ gekennzeichnete neueste hallesche Liedertypus fehlt in Lübeck. Unter den im Titel genannten »Geistreichen Liedern« war in Lübeck, »in unser Kirchen«, der Typ des geistlichen Liedes gemeint, der bisher dort nicht im Gesangbuch vertreten und insofern neu war, selbst wenn es sich bei Gerhardt, Rist und Scheffler um eine Dichtergeneration handelt, die bei Drucklegung des Lübeckisch = Vollständigen Gesangbuchs schon über zwei bis drei Jahrzehnte nicht mehr lebte. Exkurs zu »geistreich«: Das Wort »geistreich« ist nicht erst eine Erfindung des 17. Jahrhunderts und schon gar nicht des halleschen Pietismus. Seit 1582 taucht das Adjektiv auf den Titelblättern der Gesangbücher in wechselnden Zusammenhängen auf. Das Suffix »-reich« ist im 16. Jahrhundert zunächst den Wortverbindungen trostreich, freudenreich, lehrreich, kunstreich vorbehalten. »Geist« wird mit der Endung »-lich« verbunden, die aus Luthers Übersetzung des Pauluswortes »Ermuntert (bzw. ermahnt) einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern« (Eph 5,19; Kol 3,16) vertraut ist. Doch bereits 1582 heißt es in Frankfurt [Enchiridion] Schöner geistreicher Lieder und Psalmen 17 und 1596 in Erfurt Geistreiche Lebendige Hertzfuncken (FT VI,16). Etwas umständlich ist die Zusammensetzung des Wortes »geist = reich« in einem Leipziger Titel von 1639 umschrieben: Geistliche Hertz = stärckende Schrifft = Lieder Aus der reichen vnd über = reichen Speise = Kammer GOTTES des Heiligen Geistes (FT VI,358). Im selben Jahr erhält ein Gesangbuch in Königsberg erstmals den Titel Außerlesene 16 [J. J. Schütze: ] Geistreiches Gesang = Buch (Halle 1697). 17 Wackernagel (1855), S. 403. Auch alle folg., z. T. nur auszugsweise zit. Titel von mir kursiviert. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 48 Geistreiche Lieder (FT VI,371), versehen mit dem paulinischen Zusatz »Werdet voll Geistes« (Eph 5,18). Auch Johann Crügers erstes Gesangbuch 1640 spricht von des Herrn Lutheri, vnd anderer gelehrten Leute, Geist = vnd Trostreiche Lieder, so bißhero in Christl: Kirchen bräuchlich gewesen, mit der Ergänzung: auch viel schöne newe Trostgesänge, Jnsonderheit des vornehmen Theol: vnd Poeten HErrn Johan Heermans [. . .] mit außen lassung hingegen der vnnötigen vnd vngebräuchlichen Lieder (FT VI,375). Die Zweiteiligkeit des Titels trifft das Wesen dieses Newen vollkömmlichen Gesangbuchs, das zum Prototyp für die nächsten 100 Jahre wurde. Es enthält nicht nur den überlieferten Kanon der alten, sondern auch ausgewählte zeitgenössische Lieder. Stellvertretend für das Reformationszeitalter steht Luther, für die Gegenreformation und den Dreißigjährigen Krieg Johann Heermann (1585 - 1647), der bei Erscheinen von Crügers Gesangbuch 65 Jahre alt und der bedeutendste Liederdichter seiner Zeit war. Paul Gerhardts Lieder erschienen erst sieben Jahre später (1647) - in Heermanns Todesjahr - in der von nun an Praxis Pietatis Melica genannten Sammlung. Auffallend ist, dass 1640 die alten als »Geist = und Trostreiche Lieder«, die zeitgenössischen als »schöne newe Trostgesänge« bezeichnet wurden. In den Ausgaben der Praxis Pietatis werden die Christlichen und Trostreichen Gesänge/ Herrn D. Martini Lutheri fürnemlich/ und denn auch anderer vornehmer und gelehrter Leute [. . .] zusammen gebracht und Mit vielen schönen außerlesenen newen Gesängen gezieret (FT VI,462). Auch ohne demonstrative › Nicht nur, sondern auch ‹ -Rhetorik ist die Zweigliedrigkeit des Titels klar zu erkennen. Das in Praxis Pietatis verschwundene Attribut »geistreich« bei Gesängen und Liedern fehlt auch in den nächsten Jahrzehnten zumindest in den offiziellen Gesangbüchern. Es wird durch »geistlich« und »lieblich« einerseits, durch »trost- und lehrreich« andererseits ersetzt. »Geistreich« taucht um die Jahrhundertmitte dagegen in Verbindung mit Gebeten auf, z. B. im Titel New Preussisches vollständiges Gesangbuch Lutheri und anderer Geist = reicher Männer [. . .], Wie auch: Ein Geistreiches Gebeth = Büchlein, Königsberg 1657 (FT VI,545). Durch Gesang- und Gebetbuch entsteht jetzt eine neue Zweiteilung auch im Titel. Der Generalsuperintendent für die Schleswig-Holsteinischen Herzogtümer, D. Christian von Stökken, ediert 1680 ebenfalls Ein vollständiges Gesang = Buch; Dem auch beigefügt ein geist = und sinnreiches Gebeht = Buch (FT VI,893). Das erste offizielle Gesangbuch, das wieder »geistreiche Lieder« erwähnt, ist das Plönische von 1674 mit dem charakteristischen Titel Vollständiges Gesang = buch/ Darinnen Nicht allein die alte/ gewöhnliche Kirchen = Gesänge/ sondern auch viel neue/ geist = reiche und theils vorhin nie in Druck gekommene Lieder zu befinden ( 2 1675, FT VI,843), unmittelbar gefolgt von zahlreichen anderen in Nördlingen, Nürnberg und Riga. 1676 erscheinen am Dresdener Hof Cornelius Beckers Psalter in der Vertonung von Heinrich Schütz und lutherische Kirchenlieder unter dem Haupttitel Geistreiches Gesang = Buch (DKL 1676 11 ). Nach diesem singulären Vorboten sollten noch über zwei Jahrzehnte vergehen, bis 1697/ 98 in Halle und Darmstadt die ersten »Geistreichen Gesang = Bücher« erschienen. 18 18 Für weitere Titel, die das Epitheton »geistreich« enthalten, vgl. FT VI, 89, 104, 144, 152, 216, 217, 273, 293, 304, 544, 591 u. a. Lübecker Gesangbuchpolitik um 1700 49 Die »Geistreichesten Neuen Lieder« in Halle und Darmstadt stammen bereits von einer Dichtergeneration, die im zeitgleich erschienenen Lübeckisch = Vollständigen Gesangbuch noch gar nicht vertreten ist. 19 Der »Kern Geistreicher Lieder« bezieht sich 1698/ 99 in Lübeck fast ausschließlich auf die Dichter aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und die nachfolgende Generation. Dennoch wollte die Lübecker Pastorenschaft, die befürchtete, dass die neuen Lieder die alten verdrängen könnten, das privat initiierte Barockgesangbuch abschaffen. Dies hatte mehrere Gründe: Erstens wollten sie Spreu von Weizen trennen, zweitens den qualitätvollen Kernbestand von gut 300 Liedern im Rahmen eines staatlich verordneten Gesangbuchs sichern und drittens mit dem autorisierten Liederstamm eventuellen Einflüssen des Pietismus vorbeugend entgegenwirken. Dass sie dabei das Kind mit dem Bade ausschütteten und sich auch von sehr guten Liedern des frühen Pietismus trennten, hat die nachfolgende Generation bedauert und dem amtlichen Gesangbuch von 1703 viereinhalb Jahrzehnte später einen Anhang von 106 Liedern gegeben, um das Defizit ein wenig auszugleichen. 20 In dieser Form war das Gesangbuch - wie eingangs erwähnt - bis zur Ablösung durch das Aufklärungsgesangbuch von 1790, also insgesamt fast das ganze 18. Jahrhundert lang, in Gebrauch. Die Kirchturmuhr an St. Jakobi in Lübeck zeigt bis zum heutigen Tage nur die Stunden an. Postscriptum Wie in Anmerkung 11 berichtet, verglich ich nach dem Hinweis auf ein in der UB Greifswald existierendes Exemplar des Lübeckisch = Vollständigen Gesangbuchs 1699 (Sign. FuH 38691; Sigle G 1699) dieses mit einer Kopie des Londoner Exemplars (Sign. 765aa.20; Sigle L 1698). Bis auf die abweichende Jahreszahl auf dem Titelblatt sind die ersten 1226 Seiten von L 1698 und G 1699 inhaltlich und typographisch identisch. Auf Frontispiz, Titelblatt und Liederteil (1.058 Seiten) folgt der Registerteil (48 unpaginierte Seiten). Damit endet der Liederteil und wird mit dem im Gesangbuchtitel angekündigten »nöthigen Gebet u. Communion-Büchlein« fortgesetzt (106 neu paginierte Seiten, eigenes Titelblatt mit dem Erscheinungsjahr 1698 in beiden Exemplaren): Geistreiches Gebet = Buch/ In welchem Morgen = und Abend = Segen auf alle Tage in der Wochen/ Benebenst andere andächtige Hertzens = Seuffzer/ Wie auch Beicht = Communion- Reise = und Krancken = Gebet zu finden. [. . .] Lübeck/ Verlegts Johann Wiedemeyer. 1698. 19 Vgl. die Beiträge im Tagungsband des ersten Symposions über den »Geist = reichen Gesang« 1994 in Halle, hg. von Busch/ Miersemann (1997). 20 Anhang zum Lübeckischen Gesang = Buch (1748). Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 50 Auf das letzte »Buß = Gebet wider den Türcken« folgen 100 »Christliche Lebens = Reguln/ Die ein jeder Christ [. . .] zu sorgfältiger Fortsetzung seines Christenthums stets für Augen haben muß« (S. 106 - 120). Hier endet L 1698. G 1699 ist jedoch ein weiterer Anhang von 16 nicht paginierten Seiten angefügt, der in der Literatur bisher keine Erwähnung fand. Er enthält auf den ersten beiden Seiten zwei geistliche Lieder und auf den folgenden 14 Seiten ein Offentliches Buß = Gebet/ Auf den allgemeinen Fast = Buß = und Beth = Tag/ d. 24. Novembris, Anno 1698. Jn der Stadt Lübeck und dero TERRITORIO angeordnet. Dieser neue Teil im Greifswalder Exemplar legt für die abweichenden Jahreszahlen auf den Titelblättern folgende Erklärung nahe: Nachdem das Gesangbuch 1698 bereits erschienen und in etlichen Exemplaren verkauft worden war, erließ der Rat der Stadt Lübeck das öffentliche Gebet für den auf den 24. November 1698 verordneten Bußtag. Um dem von ihm publizierten Gesangbuch einen noch offiziöseren Anschein zu geben, ließ der Lübecker Verleger Johann Wiedemeyer, der auf dem Titel mit dem Verlagsort Lübeck zugleich den Messeort Leipzig nennt, auch das amtliche Bußgebet in Rudolstadt von Heinrich Urban drucken und dem gerade erschienenen Lübeckisch = Vollständigen Gesangbuch anbinden. Zur Unterscheidung von der ersten Ausgabe wurde auf dem Titelblatt das Erscheinungsjahr 1698 verkaufsfördernd durch das aktuelle 1699 ersetzt. Im Übrigen wurden wohl die vorhandenen Druckbögen verwendet bzw. auf den noch verfügbaren Druckformen nachgedruckt. Es handelt sich bei G 1699 also nicht um eine Neuauflage, sondern allenfalls um einen identischen Nachdruck mit einem zusätzlichen Anhang. Dennoch sind L 1698 und G 1699 bibliographisch gesehen Unikate. 21 Es ist durchaus denkbar, dass Heinrich Urban während des Druckes zur optimalen Ausnutzung des Bogens zwei zeitgenössische Lieder auswählte bzw. -wählen ließ, um sie auf den beiden Vacat-Seiten zwischen dem Gebet = Buch und dem Buß = Gebet zu platzieren. Das erste ist das siebenstrophige Vertrauenslied von Moritz Kramer (1646 - 1702) GOTT lebet noch/ und stirbet nicht/ GOtt ist mein Trost/ mein Zuversicht (Mel. »Erschienen ist der herrliche tag«). Es erschien erstmals in Kramers Heilige Andachten (Glückstadt 1683). 22 Im antipietistischen Hamburger Umfeld von Johann Friedrich Mayer und Hinrich Elmenhorst veröffentlichte der Pastor aus Marne Eine Nöhtig erachtete Christliche Warnung für dem ungeschmakten Qvakerqvarke An die Christliche Gemeine zur Marne in 21 [In jüngster Zeit sind in den digitalen Bibliothekskatalogen weitere Exemplare des Lübeckisch- Vollständigen Gesangbuchs (1698 und1699) nachweisbar, z. B. beide Ausgaben in der Kgl. Bibliothek Stockholm.] 22 Vgl. KLL I, 227 f. Lübecker Gesangbuchpolitik um 1700 51 Ditmarschen (Glückstadt 1688). 23 Dennoch wurde sein Lied nicht nur von Freylinghausen abgedruckt (Halle 1714, Nr. 527), sondern auch in das erste pietistische Gesangbuch in Schleswig-Holstein (Altona 1717) und von dort in fast alle schleswig-holsteinischen Gesangbücher pietistischer und nicht-pietistischer Prägung übernommen. 24 Mit dem Abdruck im Lübeckisch = Vollständigen Gesangbuch (G 1699) gelangte es nach der Glückstädter Privatsammlung (1683) also erstmals in ein Gesangbuch mit offiziösem Anspruch. Das zweite Lied im Greifswalder Anhang von 1699 ZUr Lammes Hochzeit komm ich/ GOTT! weil du mich eingeladen, ein Abendmahlslied in vier Strophen »Jm Thon: Ach! lieben Christen seyd getrost«, stammt von Aemilie Juliane Gräfin von Schwarzburg-Rudolstadt (1637 - 1706). Es erschien als eins von 355 Liedern in einer ihrer ersten erbaulichen Liedersammlungen (1685), die 1699 in zweiter Auflage von Heinrich Urban gedruckt wurde 25 - in demselben Jahr, in dem er auch das Lübecker Gesangbuch G 1699 erstellte. Das Lied der frommen Reichsgräfin, deren ca. 600 überlieferte Texte von einer inbrünstigen, mystischen Jesusliebe zeugen, lag in seiner Werkstatt also gewissermaßen griffbereit. Die Verwendung als allerletztes Lied im Lübecker Gesangbuch kommt einer Verneigung des Druckers vor seiner Landesfürstin gleich - eine Kuriosität in einem Gesangbuch, das den Namen einer freien Reichsstadt im Titel führt. Zwar enthält bereits der Hauptteil des Gesangbuchs einige Lieder von Aemilie Juliane sowie ihrer Schwägerin Ludämilia Elisabeth Gräfin von Schwarzburg-Rudolstadt (1640 - 1672) und ihrem gemeinsamen geistlichen Mentor Ahasverus Fritsch (1629 - 1701). Alle diese Dichtungen gehen über die rein private Andacht hinaus und sprechen - wenn auch in Ich-Form - durchaus von allgemein gültigen Glaubensinhalten. Aber erst in dem G 1699 eingefügten Lied, in dem Aemilie Juliane für das Abendmahl ihre Lieblingsmetapher der »Lammes-Hochzeit« verwendet, kommt das Herzensanliegen ihrer Frömmigkeit, die Himmelssehnsucht als Braut Christi, zum Ausdruck. Der Freundin des Lammes Geistlicher Braut = Schmuck heißt dann auch einer der Titel, unter denen ihre Lieder 1714 postum ediert werden. Das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, ist der Zielpunkt ihres Lebens und ihrer Sehnsucht. So ergibt sich ganz zum Schluss des Lübeckisch = Vollständigen Gesangbuches von 1698 in seiner Ausgabe von 1699 doch noch eine deutliche Verbindung zum »geist = reichen« Gesang des halleschen Pietismus. 23 Vgl. Koch V, 370 f. 24 Vgl. Brederek I, 62 - 64 und Tabelle S. [130]. 25 Tägliches Morgen = Mittags = und Abend = Opffer, Rudolstadt 1685 (Benedictus Schultz), 2 1699 (Heinrich Urban. Vgl. FT V,629 und S. 548 ebd. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 52 Die beiden erstmals in einem Gesangbuch veröffentlichten Texte erhöhen die Liederzahl von 974 in L 1698 auf 976 in G 1699, ohne dass dies im Titelblatt vermerkt wurde. Sie gehören zu den wenigen zeitgenössischen Liedern, deren Verfasser bei Erscheinen des Lübecker Gesangbuchs noch lebten. Als moderate Beispiele für norddeutsche Orthodoxie einerseits, für mitteldeutsche Jesusmystik andererseits, spiegeln sie die ganze Bandbreite des Liedschaffens im ausgehenden 17. Jahrhundert. Zugleich rufen sie den beschriebenen Konflikt zwischen der konservativen Lübecker Geistlichkeit und dem aufgeschlosseneren Rat der Stadt in Erinnerung, der sich an der Liedauswahl für das erste offizielle Lübecker Gesangbuch von 1703 entzündete. Lübecker Gesangbuchpolitik um 1700 53 4 »Geist = reiche« Lieder in den Hansestädten Hamburg und Lübeck - mit einem Seitenblick auf Schleswig-Holstein Daß Du armer Schelm in der Predigt nicht findest, was Dir noth thut und Du gerne haben möchtest, ist mir von Herzen leid, wundert mich aber nicht, da die Herren Prediger in der Regel nur Moral predigen, und das ist magere Kost. Doch verzage deswegen nicht, liebe Agnes, gehe in Deine eigene innere Kirche [. . .]. Die alten Gesänge und Choräle sind immer meine besten Lebendigmacher gewesen und sind es noch, wenn ich kalt und todt inwendig werden will; sonderlich die wunderschönen Lieder von der Sehnsucht nach Gott in Freylinghausens Gesangbuch haben mich oft erquickt, und ich hoffe, sie sollen mich ferner in Noth und Tod erquicken. 1 Diese Zeilen schrieb Caroline Perthes (1774 - 1821), älteste Tochter von Matthias Claudius, 1818 aus Hamburg an ihre Tochter Agnes in Gotha. Weit über 100 Jahre nach Erscheinen des › Freylinghausen ‹ schenkte sie uns damit ein kostbares Dokument zu seiner Wirkungsgeschichte. 2 Auch frömmigkeitsgeschichtlich ist die Briefstelle aufschlussreich. Freylinghausens Geistreiches Gesangbuch war in der Hansestadt natürlich nie offiziell in Gebrauch, aber als unentbehrlicher Begleiter für die private Erbauung vermutlich nicht nur in Carolines Besitz. Wie schon ihr Vater beklagt sie die als kalt empfundene Amtskirche und indirekt die zeitgenössischen › verbesserten ‹ Gesangbücher. 3 Die von Caroline besonders hervorgehobene 34. Rubrik »Von der Begierde zu GOtt und Christo« enthält in der - von ihr sicherlich benutzten - Gesamtausgabe des › Freylinghausen ‹ 58 Lieder. 4 Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Überarbeitete Druckfassung eines Vortrags beim Symposion »SJngt dem HErrn nah und fern«. Das Freylinghausensche Gesangbuch im Spiegel seiner 300jährigen Wirkungsgeschichte (Halle 29.9. - 2.10.2004). Siehe BibAK 32 (2008). 1 Zit. nach C.Th. Perthes, Friedrich Perthes ’ Leben. Bd. 2 (1851), S. 369. 2 Geist = reiches Gesang = Buch (Halle 1704), Neues Geist = reiches Gesang = Buch (Halle 1714) und Gesamtausgabe von G. A. Francke (Halle 1741). Vgl. Beitrag 1 und Abb. 1.3. 3 Amtlich eingeführt war im dänisch-holsteinischen Wandsbek Cramers Allgemeines Gesangbuch (1780) und in Hamburg Neues Hamburgisches Gesangbuch (1787). 4 Geistreiches Gesang = Buch (Halle 1741, 2 1771), Nr. 832 - 889. Die in Anm. 5 - 7 angegebenen Liednummern beziehen sich auf Halle 1741. pietistischen Ursprungs, vorwiegend aus dem halleschen Kreis: 5 Fünf Lieder, darunter Höchste Vollkommenheit, seligstes Wesen, stammen von Johann Anastasius Freylinghausen selbst, 6 jeweils zwei von Christian Friedrich Richter, Jacob Gabriel Wolf, Christian Andreas Bernstein, Christian Jacob Koitsch und Johann Wilhelm Petersen. 7 Auch August Hermann Franckes berühmtes Neujahrslied GOtt lob! ein schritt zur ewigkeit (Nr. 846) ist in diesem Abschnitt zu finden. Die »wunderschönen Lieder von der Sehnsucht nach Gott in Freylinghausens Gesangbuch« suchte Caroline Perthes in dem amtlichen Neuen Hamburgischen Gesangbuch von 1787, das sie nach ihrer Heirat mit dem Verleger Friedrich Perthes 1797 in der Hansestadt vorfand, vergeblich. Ob der Vorgänger dieses aufklärerischen Gesangbuchs sie mehr »erquickt« hätte, wird unsere Untersuchung zeigen. Hamburg Nach Erfurt 1690/ 91 war Hamburg eine der ersten Städte, in denen der Pietismus durch wortgewaltige Prediger und durch Erbauungsversammlungen zu einer Art Volksbewegung wurde. 8 Drei der fünf in den 1680er Jahren berufenen Hauptpastoren waren profilierte Spener-Anhänger: Johannes Winckler (1642 - 1705), auf Vermittlung seines Freundes Spener seit 1684 an St. Michaelis; Johann Heinrich Horb (Horbius, 1645 - 1695), ein Schwager Speners, seit 1684 an St. Nicolai; Abraham Hinckelmann (1652 - 1695), seit 1688 an St. Katharinen. Sie wurden jedoch von ihren orthodoxen Gegnern heftigst angegriffen, vor allem von Johann Friedrich Mayer (1650 - 1712), der seine Wittenberger Professur 1686 mit dem Amt des Hauptpastors an St. Jacobi vertauscht hatte und als »Pietistenhammer« in die Kirchengeschichte eingegangen ist. Auf sein Betreiben wurde Horbius sogar abgesetzt und 1694 nach einer tumultuarischen Ratssitzung aus der Stadt getrieben. Die durch den Hamburger Pietismusstreit ausgelösten öffentlichen Unruhen trugen den streitenden Parteien sogar eine Rüge Kaiser Leopolds I. ein. 5 Je ein Lied von Nicolai, J. Franck, Liscow und Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (Nr. 876, 841, 872, 865). Scheffler (Angelus Silesius), ein Wegbereiter des Pietismus, ist in der Rubrik mit 9 Liedern vertreten. 6 Nr. 850 und 863, 869, 873, 880. 7 Nr. 857, 862 (Richter); 875, 877 (Wolf); 853, 874 (Bernstein); 836, 870 (Koitsch); 868, 879 (Petersen). 8 Vgl. Wallmann, Art. Pietismus. In: RGG 4 6, Sp. 1345. - Geffcken, Johann Winckler und die Hamburgische Kirche (1861). - Koch IV, 407 - 414 und V, 361 - 371. - von Schade, Hamburgische Gesangbuchgeschichte (1995), S. 159 - 203. [Vgl. auch die Monographie von Claudia Tietz: Johann Winckler (1642 - 1705). Anfänge eines lutherischen Pietisten, Göttingen 2008]. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 56 Bei der Wahl des Seniors 1699 - das ist in vielen Hansestädten der Vorsitzende des aus allen Pastoren gebildeten Geistlichen Ministeriums - galt Mayer als Favorit; jedoch setzte sich der moderate Pietist Winckler durch. Noch in demselben Jahr regte dieser ein einheitliches, ebenfalls autorisiertes Gesangbuch an, redigierte den Gebetsteil selbst und beauftragte seinen unterlegenen Gegner mit der Liedauswahl. 9 1. Hamburgisches Gesangbuch, 1700 In kürzester Zeit stellte Mayer, offenbar allein mit der Assistenz einiger Kieler »Studiosi«, 10 einen Kanon zusammen, der mit einer von ihm verfassten Vorrede vom Geistlichen Ministerium gebilligt und auch vom Rat genehmigt wurde. Das bereits Ostern 1700 eingeführte Gesangbuch 11 muss alle pietistisch gesinnten Hamburger tief enttäuscht haben, vor allem diejenigen, die mit den wenig vorher erschienenen »Geistreichen Gesangbüchern« aus Halle, Darmstadt, Halberstadt und Gotha in Berührung gekommen waren. Die nur 319 Texte ohne Noten stammen etwa je zur Hälfte aus dem 16. und dem 17. Jahrhundert; später als 1675 ist kaum eins datiert. Selbst die Wegbereiter des Pietismus Johann Scheffler, 12 Ernst Christoph Homburg 13 und Christian Scriver 14 sind nur mit jeweils ein oder zwei Liedern vertreten. Wirklich zeitgenössisch sind wohl nur zwei, auch namentlich gekennzeichnete Abendmahlslieder von Mayer selbst 15 und zwei bereits 1681 erschienene Neujahrslieder von Hinrich Elmenhorst (1632 - 1704). 16 Dieser ebenfalls orthodoxe Theologe, Verfasser geistlicher und weltlicher Dichtung, hatte 1688 mit einer klugen Schrift beim Rat die Wiedereröffnung der 1678 von ihm mitgegründeten Opernbühne bewirkt, die auf Betreiben pietistischer Kreise vorü- 9 20 bis 30 Bücher sollen bis dahin im Gottesdienst nebeneinander benutzt worden sein. Vgl. Geffcken (1861), S. 167. 10 »Noch nicht als Prediger angestellte Theologen, die schon lange gepredigt hatten, die schon dreißig Jahre und darüber alt waren«, meistens als Hauslehrer arbeiteten und sich an einen Pastor wandten, wenn sie predigen wollten. Vgl. Geffcken (1861), S. 164 ff. 11 Hamburgisches Gesang = Buch [1700]. Ausführliche Beschreibung dieses ersten amtlichen Hamburger Gesangbuchs bzw. seiner Nachfolger mit Liedregistern bei v. Schade (Anm. 8), auf dessen Vorarbeiten ich dankbar zurückgreifen konnte. Die in Anm. 12 - 27 angegebenen Lied- Nummern und Incipits beziehen sich auf die erweiterte Neuauflage Neu = Vermehrtes Hamburgisches Gesang = Buch (1710) - mit Anh. von 1712. 12 Nr. 93 JEsu meine Freud und Lust, JEsu meine Speis ’ und Kost (Breslau 1657), fälschlicherweise Rist zugeschrieben (vgl. KLL I, 379). 13 Nr. 117 JEsu meines Lebens Leben, JEsu meines Todes Tod, Nr. 96 Nun hat sich angefangen, das liebe neue Jahr (beide Jena 1659). 14 Nr. 505 JEsu meiner Seelen Leben, meines Hertzens höchste Freud (vor 1675), nur Str. 1,11,12. 15 Nr. 340 AUf auf mein Geist ermuntre dich, die Nacht ist nun vergangen, Nr. 352 Meinen JEsum laß ich nicht, meine Seel ist nun genesen. 16 Nr. 98 Du schenckest mir dich selbst, o JEsulein mein Leben, Nr. 99 Nun dancket GOtt mit Hertz und Mund, der grosse Dinge thut. »Geist=reiche« Lieder in den Hansestädten Hamburg und Lübeck 57 bergehend geschlossen worden war. In dem umständlich formulierten barocken Titel und in der Vorrede der bewusst sachlichen und alle Polemik meidenden Schrift annonciert Elmenhorst einen Bericht über die von den Kirchenvätern verurteilten Spiele in Abgrenzung zu dem, was die gegenwärtigen Opernaufführungen seien: nämlich keine »Unerbarkeit und sündliche Augen = Lust«, sondern »geziemende Ergetzung und Erbauung im Tugend = Wandel«, so dass sie von der kirchlichen Obrigkeit als »Mittel = Dinge« (Adiaphora) erlaubt und von Christen ohne Gewissensnöte gesehen und gehört und werden könnten. 17 Mayer hatte Elmenhorst in diesem berühmten Opernstreit, der die Stadt in ein pietistisches (opernfeindliches) und ein orthodoxes (opernfreundliches) Lager gespalten hatte, unterstützt und demonstrierte nun auch mit der Aufnahme von dessen Liedern seine eindeutige Parteinahme. Der bereits 1695 verstorbene pietistische Hauptpastor Abraham Hinckelmann, der wie Hauptpastor Johannes Winckler am pietistisch gesinnten Darmstädter Hof gewirkt hatte, fand dagegen vor den Augen des Gesangbuch-Kompilators keine Gnade. Vier Jahre nach Erscheinen des Hamburger Gesangbuchs wurden aber zwei Lieder von Hinckelmann posthum in den › Freylinghausen ‹ aufgenommen und auf diesem Wege weit verbreitet: das Abendmahlslied über den 23. Psalm Der wahre GOtt und GOttes Sohn 18 und das daktylische Loblied Seligstes Wesen unendliche Wonne, Abgrund der allervollkommensten Lust. 19 Die dazugehörige adäquate Melodie erfüllt alle Kriterien der »hallischen Manier« (Tripeltakt, Punktierungen, Durchgangsnoten, Oktav- und Sext-Sprünge, Ambitus einer Undezime etc.) und ist, wie auch der Text, in keiner älteren Quelle als Halle 1704 überliefert. Freylinghausen legt sie später sogar einem eigenen Lied zugrunde, in dem Hinckelmanns Eingangsstrophe parodistisch anklingt: HOechste Vollkommenheit, seligstes Wesen, reineste Wohllust, Beherrscher der welt! (Halle 1714, Nr. 392). 2. Neu = vermehrtes Hamburgisches Gesangbuch, 1710/ 12 Beide Lieder des von Mayer übergangenen Hinckelmann finden jedoch - zusammen mit zwei weiteren seiner Lieder 20 - Aufnahme in das auf 600 Lieder erweiterte Neu = Vermehrte Hamburgische Gesang = Buch von 1710 (Abb. 4.1). Da war Mayer bereits seit neun Jahren erster theologischer Professor und Generalsuperintendent in Greifswald. Die Auswahl der ergänzten bzw. ausgetauschten Lieder des Hauptteils und der 32 Lieder des Anhangs von 1712 17 Elmenhorst, Bericht von denen Oper-Spielen [1688]. [Vollständiger (apologetischer! ) Titel im QV (1688)]. 18 Nr. 544. Vgl. Halle 1704, 230. 19 Nr. 595. Vgl. Halle 1704, 177 mit Noten (Z 6986). 20 Nr. 132 Wen seh ’ ich dort an jenem Berge liegen, Nr. 514 Meine Seel ist still zu GOtt. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 58 Abb. 4.1: Neu-Vermehrtes Hamburgisches Gesangbuch 1716 [1710/ 12] wurde offenbar ohne ihn vorgenommen. Deshalb stellt sich die Frage, ob die für die Revision Verantwortlichen den inzwischen mit der Zugabe von 1705 versehenen und bereits in fünfter Auflage erschienenen › Freylinghausen ‹ zu Rate zogen. Obwohl das hamburgische Gesangbuch jetzt fast denselben Umfang hat wie das hallesche, enthält es wieder nur wenige neuere Lieder. Neben den vier Texten von Hinckelmann und fünf zusätzlichen von Elmenhorst sind dies vor allem 23 von Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt, 21 darunter zwei der drei Lieder, die auch Freylinghausen - allerdings erst 1714 - aufnahm: GOTT weiß es alles wohl zu machen 22 (1688) und ihr heute noch gesungenes Sterbelied Wer weiß wie nahe mir mein Ende 23 (1687). Ihre Schwägerin sowie der Rudolstädter Hofmeister und Kanzler Ahasver Fritsch sind ebenfalls mit einigen Liedern vertreten, darunter das berühmte Jesuslied Ludämilia Elisabeths JEsus JEsus nichts als JEsus 24 (1687) und Liebster Immanuel Hertzog der Frommen 25 (1670) von Fritsch. Während das letztgenannte Lied in der Hansestadt seit 1677 im Außzug Etlicher geistlichen Lieder für das Zucht = Hauß in Hamburg und in allen Folgegesangbüchern mit dem originalen Epitheton »liebster« beginnt, heißt es in Halle immer SChönster Immanuel. 26 Auch Speners Osterlied Nun ist auferstanden, aus des Todes Banden 27 (1676) erscheint bereits 1679 in einem inoffiziellen Hamburger Gesangbuch, 28 bei Mayer 1700 fehlt es, aber 1710 ist es wieder da, sogar mit dem Namen des Verfassers - ein Beweis dafür, dass Spener durchaus von der lutherischen Orthodoxie rezipiert wurde. Auch dieses Lied findet, zusammen mit vier anderen Spener-Liedern, erst 1714 Aufnahme in den › Freylinghausen ‹ . An den wenigen Beispielen wird deutlich, dass bei der Revision des ersten obrigkeitlichen Hamburger Gesangbuchs einige ältere Lieder des Pietismus zwar aufgenommen wurden, dass Halle 1704 dafür aber nicht als Quelle gedient hat. Liedschöpfungen aus der halleschen Schule sind überhaupt nicht vertreten, mehr noch: ein pietistisch geprägtes amtliches Gesangbuch hat es in Hamburg nie gegeben. Das beschriebene, spätorthodoxe hingegen hat unzählige Auflagen erlebt und den öffentlichen Gesang in der Hansestadt im 18. Jahrhundert 21 Die von v. Schade (S. 194) ermittelte Anzahl von 27 Liedern wurde aufgrund der Zuweisungen, die mir Judith Aikin, University of Iowa, freundlicherweise zur Verfügung stellte (Persönlicher Brief vom 26.2.2004), nach unten korrigiert. 22 Nr. 502. Vgl. Halle 1714, 465. 23 Nr. 581. Vgl. Halle 1714, 678. 24 Nr. 508. Vgl. Halle 1714, 466. 25 Nr. 511. Vgl. Halle ab 1705, Zugabe 729. 26 So auch schon Halle 1697 und Halberstadt 1699. Vgl. KLL II, 35. 27 Nr. 154. Vgl. Halle 1714, 757. 28 Vgl. KLL II, 112. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 60 bestimmt. 29 Es begleitete Erdmann Neumeister als Hauptpastor an St. Jacobi (1715 - 1756) und Georg Philipp Telemann als Musikdirektor an den fünf Hauptkirchen (1721 - 1767) während ihrer gesamten Amtszeit. Und noch Telemanns Nachfolger Carl Philipp Emanuel Bach (1767 - 1788) arbeitete damit, bis es - kurz vor seinem Tod - von dem Aufklärungsgesangbuch abgelöst wurde. 3. Neues Hamburgisches Gesangbuch, 1787 und Hamburgisches Gesangbuch, 1843 Erst im Neuen Hamburgischen Gesangbuch von 1787 30 (Abb. 4.2) tauchen einige Lieder des halleschen Pietismus kirchenamtlich zum ersten Mal auf, allerdings nur in den rationalistischen Bearbeitungen von Johann Samuel Diterich (3), Johann Andreas Cramer (1) und Georg Joachim Zollikofer (1), manchmal bis zur Unkenntlichkeit verändert: Wer ist wol wie du, 31 Wie Gott mich führet, will ich gehn, 32 Halt im Gedächtniß Jesum Christ. 33 Diterichs Fassung Herr, du kennest mein Verderben von ACh! mein JEsu, welch verderben (Ludwig Gotter) ist im alphabetischen Register kaum noch auffindbar. 34 In Zollikofers rationalistischer Bearbeitung Schafft mit Ernst, ihr Menschenkinder wurde das Incipit von der unerwünschten Wortwiederholung in Gotters Original (SChaffet/ schaffet, menschen = kinder) befreit und das kunstvoll als Spruchakrostichon eingewobene Bibelwort Schaffet - Daß - Ihr - Selig - Werdet - Mit Furcht - Und - Zittern (Phil 2, 12 b) als unnütze Spielerei aufgegeben. 35 Über Diterichs Bearbeitung Wer ist wol wie du, Stifter wahrer Ruh von Freylinghausens WEr ist wol, wie du, JEsu, süsse ruh steht im › Mylius ‹ 1780 die Angabe »In bekannter Melodie«, 36 in Hamburg aber »Eigene Melodie«. Offensichtlich war die auch durch Zinzendorfs Jesu, geh voran verbreitete Melodie 1787 in Hamburg noch nicht bekannt. 37 Sonst hätte sie C. P. E. Bach wohl nicht unter seine »Neuen Melodien« zu 14 Liedern des neuen Hamburgischen Gesangbuchs aufgenommen - und die »Herrn Organisten« seines Aufsichts- 29 Von Schade (S. 199 - 202) weist allein 15 verschiedene Ausgaben in Hamburg nach. 30 Neues Hamburgisches Gesangbuch [. . .] ausgefertiget von dem Hamburgischen Ministerio (1787). Vgl. v. Schade, S. 217 - 235. Die Lied-Nummern in Anm. 31 - 35 beziehen sich auf dieses Gesangbuch. Zit. wird nach der unveränderten 9. Aufl. 1822. 31 Nr. 189 (Bearb. Diterich 1780 [Anm. 36], Nr. 292). Vgl. Halle 1704, 66 (Freylinghausen). 32 Nr. 249 (Bearb. Cramer 1781, Nr. 680). Vgl. Halle 1714, 477 WIe GOtt mich führt, so wil ich gehn (Gedicke). 33 Nr. 156 (Bearb. Diterich 1780, Nr. 129). Vgl. Halle 1714, 765 (C. Günther). 34 Nr. 58 (Bearb. Diterich 1765, Nr. 45). Vgl. Halle 1714, 239. 35 Nr. 190 (Bearb. Zollikofer 1766? ). Vgl. Halle 1714, 361 (Gotter). 36 Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch in den Königl. Preußl. Landen (Berlin 1780), der sog. › Mylius ‹ , Nr. 292. 37 Die Melodie von Adam Drese (Darmstadt 1698) fehlt auch in den Choralbüchern von Bronner (1715) und Telemann (1730). »Geist=reiche« Lieder in den Hansestädten Hamburg und Lübeck 61 Abb. 4.2: Neues ( › verbessertes ‹ ) Hamburgisches Gesangbuch 1787 bezirks aufgefordert, »diese aus leichten Intervallen gesetzte Melodien mit der vorgeschriebenen und untergelegten leichten Harmonie stark und ungekünstelt« mitzuspielen, damit »die Gemeinen die neuen Melodien leicht und bald mitsingen lernen«. 38 Die fünf genannten Liedschöpfungen aus dem halleschen Pietismus - mehr waren es 1787 noch nicht - wurden zusammen mit einigen anderen derselben Provenienz in das offizielle Nachfolgegesangbuch von 1842/ 43 übernommen, aber trotz hymnologischer Ansätze nur halbherzig restauriert. Andere wurden vom Herausgeber, Senior August Jacob Rambach (1777 - 1851), ganz neu bearbeitet. 39 Dem neu aufgenommenen Weihnachtslied Freylinghausens Den die Engel droben tat er dabei so sehr Gewalt an, dass es aus heutiger Sicht unstatthaft erscheint, Freylinghausen im Register als alleinigen Urheber aufzuführen. Anstelle der eigenen vierzeiligen Melodie aus Halle 1741 (Z 1132), die auch Christian Gregor 1784 in sein Choralbuch übernimmt, wählt Rambach die schöne, aber nach der Strophenform unpassende alte Weise der Böhmischen Brüder zu Gottes Sohn ist kommen (Z 3294) und presst den Inhalt des achtstrophigen Lieds in vier Sechszeiler. Davon wird der Text von Freylinghausen nicht besser - glatter zwar, aber auch flacher. Hamburg 1842/ 43, Nr. 136 (Bearb. A. J. Rambach) Halle 1714, Nr. 21 (Original Freylinghausen) 1. Den die Engel droben mit Gesange loben, der ist nun erschienen, liebend uns zu dienen, ja für uns sein Leben in den Tod zu geben. 2. Arm ist er geboren, uns, die wir verloren, mit sich selbst zu füllen, unsre Noth zu stillen, und mit Himmels = Gaben unser Herz zu laben. 1. DEn die Engel droben mit gesange loben, der ist nun erschienen, uns in lieb zu dienen: 2. Der ist mensch geworden, und in unsern orden hat er sich begeben, unter uns zu leben: 3. Ja für uns zu sterben, und uns zu erwerben gnade, geist und gaben, die uns können laben. 4. Arm ist er gebohren, uns, die wir verlohren, mit sich selbst zu füllen, unsre noth zu stillen. 38 Neue Melodien zu einigen Liedern des neuen Hamburgischen Gesangbuchs (1787), S. 7. Zitate mit originalen Hervorhebungen aus der vorangestellten Anmerkung Bachs vom 30.7.1787. 39 Hamburgisches Gesangbuch (1842). »Geist=reiche« Lieder in den Hansestädten Hamburg und Lübeck 63 3. Freut euch seiner, Alle! Singt mit lautem Schalle! Jauchzt, ihr Cherubinen und ihr Seraphinen! Himmel und die Erde seines Ruhms voll werde! 4. Du auch, meine Seele, seinen Ruhm erzähle! Sing ’ ihm Freudenlieder, opfre dich ihm wieder! Preis ’ ihn, den dort oben alle Engel loben! 5. Freuet euch deß alle, singt mit grossem schalle, jauchtzt ihr Cherubinen und ihr Seraphinen. 6. Sonne, mond und sterne, und was in der ferne, luft und meer und erde, seines lobs voll werde. 7. Auch du, meine seele, stimm in deiner höhle, und ihr leibes = glieder, an die lobe = lieder. 8. Alles, alles singe, alles, alles bringe Glorie dem, den droben alle Engel loben. 4. Hamburgische Gesangbücher im 20. Jahrhundert Die Hamburger mussten also sehr lange warten, bis sie im öffentlichen Gottesdienst Lieder aus dem halleschen Pietismus singen durften. Einige seiner berühmtesten Schöpfungen waren sogar erst im 20. Jahrhundert genehm. Sie erschienen im amtlichen Hamburgischen Gesangbuch von 1912, 40 wenn auch in gekürzter und melodisch sowie rhythmisch geglätteter Form: O Durchbrecher aller Bande, 41 Es glänzet der Christen inwendiges Leben, 42 Fahre fort, fahre fort 43 und Dir, dir, Jehova, will ich singen. 44 So verspätet, wie die in ganz Deutschland beliebten Lieder in die Hamburger Gesangbücher gelangten, so schnell verschwanden sie auch wieder. Alle vier wurden noch über die Stammteile des DEG und des EKG rezipiert, aber nur das letztgenannte überlebte im EG, allerdings mit vereinfachter Melodie und dem neo-rationalistischen Incipit Dir, dir, o Höchster, will ich singen. 45 5. Hamburger Beiträge zum pietistischen Gesang Natürlich spiegeln die offiziellen Kirchengesangbücher nicht das gesamte Spektrum des Gotteslobs. Lange vor dem eingangs zitierten Zeugnis von 40 Hamburgisches Gesangbuch (1912). Das erste amtliche hamburgische Gesangbuch mit Noten! 41 Nr. 269. Eigene Weise 1704. Vgl. Halle 1704, 286 (Arnold 1698). 42 Nr. 292. Mel. Ihr Kinder des Höchsten 1704. Vgl. für den Text von C. F. Richter Halle 1704, 515, und für die Mel. Nr. 386 (Z 4927). 43 Nr. 174. Eigene Weise 1704. Vgl. Halle 1704, 667 (J. E. Schmidt). 44 Nr. 20. Eigene Weise 1704. Vgl. Halle 1704, 291 (Crasselius 1695). 45 EG 328. Schon im rationalistischen Neuen Lübeckischen Gesangbuch (1790), Nr. 345, hieß es: Dir, Gott, du Höchster! will ich singen, und auch die Deutschen Christen meinten - aus anderen Gründen - , den Hebraismus Jehova ersetzen zu müssen. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 64 Caroline Perthes hat es auch in Hamburg außerhalb des verordneten Gesangs andere Formen des geistlichen Singens und die dazugehörigen Privatpublikationen gegeben. Als Beispiel sei nur eine Schrift genannt, die Bernhard Eberhard Zeller (1654 - 1714) zusammen mit Nicolaus Lange (1659 - 1720) 1692 in Hamburg herausgab. 46 Zeller war nach Abhaltung von Erbauungsstunden nach Spenerschem Vorbild aus dem württembergischen Kirchendienst entlassen und von Hauptpastor Johannes Winckler nach Hamburg geholt worden, um dessen Söhne zu unterrichten. Auch Lange, der durch Scrivers Vermittlung 1685 von Magdeburg nach Hamburg gekommen war, wohnte bei Winckler und wurde auf Empfehlung seines alten Lehrers Hinckelmann als nicht-ordinierter Kandidat Montagsprediger an St. Nicolai. Als er zusammen mit Zeller und zwei als sektiererisch und antikirchlich verdächtigten Laien Katechismusübungen in privaten Häusern abhielt, wurde er ebenfalls seines Amtes enthoben. Auf Anraten ihrer pietistisch gesinnten Freunde verließen beide 1692 Hamburg. Nicolaus Lange wurde freundlich von Spener in Berlin aufgenommen, wo er auch ordiniert wurde, und Zeller wurde auf Wincklers Empfehlung Pfarrer im Hessen- Darmstädtischen. Zu ihrer Verteidigung hatten sie ihr Zeugniß eines guten Gewissens hinterlassen. Darin erschien auch zuerst Zellers Lied von der Wiederkunft Christi in 18 Strophen: Was ist doch diese Zeit? Was sind die Leiden und gelangte ab Halle 1697 in die »geistreichen« Gesangbücher und so auch in den › Freylinghausen ‹ . 47 Wenn schon das Geistliche Ministerium - und auf sein Drängen auch der Rat - pietistische Lieder im öffentlichen Gottesdienst zu verhindern suchte, so haben umgekehrt Hamburger Bürger wie Zeller und Hinckelmann in bescheidenem Umfang zum »geist = reichen« und »geistreichesten« Gesang im Freylinghausenschen Gesangbuch beigetragen. 48 Lübeck Das benachbarte Lübeck bietet kein wesentlich anderes Bild. Das Motiv für ein amtliches Gesangbuch war hier neben dem praktischen Nutzen der Einheitlichkeit aber vor allem die Furcht vor der unkontrollierten Ausuferung massenhaften neuen und vor allem pietistischen Liedguts. Wohl auch, um weiteren 46 Zeller/ Lange, Zeugniß eines guten Gewissens (Hamburg 1692). Vgl. KLL II, 332, 485 [Abweichend von Fischer und Koch gibt DDB (2014) als Zellers Lebensdaten 1652 - 1705 an]. Nicolaus war der ältere Bruder des halleschen Liederdichters Joachim Lange. Vgl. ADB 17, 648 - 650. 47 Halle 1704, 553. Mel. O JEsu! komm zu mir. Vgl. KLL II, 332. - Koch IV, 277 f. 48 Vgl. Titel des verschollenen ersten Gesangbuchs des halleschen Pietismus: Geistreiches Gesang = Buch/ Worinnen [. . .] Vornehmlich die geistreichesten Neuen = Lieder [. . .] (Halle 1697) und meine terminologischen Untersuchungen dazu in Beitrag 3 (Exkurs). »Geist=reiche« Lieder in den Hansestädten Hamburg und Lübeck 65 privaten Publikationen einen Riegel vorzuschieben, beschloss das Geistliche Ministerium am 6. Oktober 1701 die Herausgabe eines autorisierten Gesangbuchs. 49 1. Lübeckisches Gesangbuch, 1703 Im nicht-amtlichen Vorgänger Lübeckisch = Vollständiges Gesang = Buch von 1698/ 99 (s. o. Beitrag 3) hatte es unter den 974 (bzw. 976) Liedern durchaus Texte gegeben, die zumindest dem frühen Pietismus zuzurechnen sind, wie das Spener-Lied SOll ich denn mich täglich kräncken 50 (1676) oder Neanders Abendmahlslied O Menschen = freund! o JEsu lebens = quell 51 (1679). Sie blieben aber - wie auch die Lieder der Reichsgräfinnen von Schwarzburg-Rudolstadt und ihrem geistlichen Erzieher Ahasver Fritsch - im ersten offiziellen Lübecker Gesangbuch von 1703 (Abb. 4.3) unberücksichtigt. 52 Ausnahme ist wieder das Sterbelied Aemilies WEr weiß/ wie nahe mir mein ende 53 (1686/ 87) als »modernster« von 303 Texten. Zu den jüngsten Liedern zählt auch das bis heute gesungene Lied zum Beschluss des Gottesdienstes NUn/ GOtt lob/ es ist vollbracht Singen/ beten/ lehren/ hören (1680) von Hartmann Schenck (1634 - 1681) mit der dritten Strophe »Unsern ausgang segne GOtt/ Unsern eingang gleichermassen« (Nr. 244). Wegen dieser schönen Schluss-Strophe, die sich auch als eigene Liednummer verselbständigte, 54 und vor allem wegen der beliebten Melodie 55 fand das Lied in den neunziger Jahren des 17. Jahrhunderts schnell Verbreitung. Überraschenderweise erscheint es in Halle erst in der Zugabe von 1705, vielleicht weil die zweite Strophe in pietistischen Kreisen Anstoß erregt hatte: »Weil der GOttesdienst ist aus/ Und uns mitgetheilt der seegen«. Freylinghausen gab ihr die Fassung »Nun der kirchen = dienst ist aus« und kam damit dem pietistischen Verständnis von gottesdienstlichem Leben auch außerhalb der Kirchenmauern entgegen. 56 In den Hochburgen der lutherischen Orthodoxie Lübeck und Hamburg hatte man sich an der Originalfassung nicht gestört und sie unverändert übernommen. Die mangelnde Rezeption neueren, vor allem pietistisch ausgerichteten Liedguts auch in Lübeck ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Vorrede 49 Zum Abschnitt Lübeck vgl. Beiträge 3 und 5 in diesem Band. 50 Nr. 493. Vgl. Halle 1714, 474. 51 Nr. 333. In eigner Melodey. Vgl. Halle 1714, 223 mit neuer Mel. (Z 6156). 52 Lübeckisches Gesang = Buch (1703). Zit. wird aus der Ausgabe von 1709. Keine der zahlreichen Auflagen bis 1780 enthält Noten, hs. Choralbücher sind teilweise erhalten. 53 Nr. 266. Die neue Melodie aus Halle 1714 kann in Lübeck nicht nachgewiesen werden. 54 So auch Lübeck 1839 und 1859, Hamburg 1912 und EG 163. 55 »Liebster Jesu, wir sind hier« (Ahle 1664). 56 Vgl. Halle ab 1705, Zugabe 706, Str. 2. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 66 Abb. 4.3: Erstes amtliches Lübecker Gesangbuch 1709 [ 1 1703] von Senior Thomas Honstede, der Spener nahestand, andere Erwartungen wecken konnte. 57 In dieser Vorrede heißt es nach einer auf Johann Konrad Dannhauser (1603 - 1666) fußenden Apologie auf die Lieder Luthers und seiner Zeit: Diesen aber sind hin und wieder beygefüget unterschiedene/ so wol von bekannten als auch unbekannten Autoren verfertigte neue Lieder/ welche mit der Æhnlichkeit des Glaubens überein kommen/ und gute Andacht befördern können. (fol. a10 v ) 58 Gemeint sind hier ganz offensichtlich noch die barocken Andachtslieder der Orthodoxie bis ca. 1675 von Paul Gerhardt, Johann Rist u. a. sowie die vielen unbekannten aus dem Hannoversch-Lüneburgischen Gesangbuch von Gesenius/ Denicke, 59 das in der Vorrede ausdrücklich erwähnt wird. Ihre Rechtfertigung im amtlichen Gesangbuch ist mit dem Hinweis verbunden, dass sie »nicht eben alle durchgehends in der Kirche sondern nur zu Hause können gesungen werden«. Unter wiederholten Beschwörungen, die alten Lieder nicht zu »verjagen«, wird schließlich konzediert, dass man so wol vor und nach denen Predigten [. . .] als auch bey Ausspendung des Heil. Abendmahls/ nicht lauter neue/ sondern/ wenn es seyn kan/ zwey alte und ein neues/ anstimmen lässet/ damit durch die alten und bekannten die Andacht unterhalten/ die neuen aber mit zugleich eingeführet und beliebt gemacht werden. (fol. b1 r ) Der Lübecker Rat hatte diese › Quotenregelung ‹ , für die ursprünglich sogar das Verhältnis vier zu eins angestrebt worden war, jedoch nicht gewollt und dann auch nicht verordnet; er stellte die Liedauswahl in das Ermessen jedes einzelnen Pastors. Außerdem hatte er eine größere Anzahl neuerer Lieder erbeten und hierzu sogar eigene Vorschläge gemacht. 60 Neue zeitgenössische Lieder enthielt das Lübeckische Gesangbuch von 1703 überhaupt nicht. Der autorisierte Liedbestand wurde deshalb genauso kritisiert wie der von 1700 in Hamburg. Und auch in Lübeck erscholl bald der Ruf nach einer Ergänzung. Doch dauerte es hier über vier Jahrzehnte, bis dem Liederstamm von 1703 ein Anhang von 106 Liedern beigegeben wurde. 2. Der Anhang von 1748 Dem Bedürfnis nach neueren Liedern, wie sie in der wieder abgedruckten Vorrede von 1703 angekündigt waren, wird im Anhang von 1748 nun wesentlich 57 Dompastor Honstede (1642 - 1704) war Hauslehrer von zwei Enkeln des Lübecker Bürgermeisters David Gloxin, der zugleich Großvater von A. H. Francke war. Vgl. Anonymus, Thomas Honstede (1839), und Beitrag 3. 58 Vgl. Anm. 52. Fett gedruckte Hervorhebungen in Honstedes Vorrede werden kursiv wiedergegeben. 59 Zur Geschichte und Entwicklung dieses einflussreichen Gesangbuchs vgl. Beitrag 24. 60 Vgl. Beitrag 3, S. 39. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 68 stärker entsprochen. 61 Der Anteil an Liedern, die erst nach 1690 nachweisbar sind, beträgt beachtliche 30 %. Wieder stammen sie fast ausschließlich aus der Feder von Theologen, deren Namen nicht mit dem Pietismus, sondern mit der lutherischen Spätorthodoxie verbunden wurden: Caspar Neumann (6), Salomo Franck (1), Christian Weise (1) und vor allem die jüngeren Zeitgenossen Valentin Ernst Löscher (2) und Benjamin Schmolck (10). Die wenigen Lieder aus frühpietistischem Umfeld sind Kernlieder, die gleichermaßen in orthodoxen Gesangbüchern rezipiert wurden. 62 Nur ein einziges Lied stammt aus der Feder eines jüngeren Pietisten: das Michaelislied Der Engel güldnes Heer von Johann Friedrich Starck (1680 - 1756). Dieser populäre Erbauungsschriftsteller hatte es erst wenige Jahre zuvor in seinem Täglichen Handbuch in guten und in bösen Tagen - das zuweilen sogar Arndts Wahrem Christentum Konkurrenz machte - veröffentlicht. 63 Obwohl die Rubrik »Am Michaelis = Fest« im Hauptteil von 1703 bereits drei traditionelle Engellieder enthielt, wurden drei weitere - davon zwei wirklich zeitgenössische - in den begrenzten Anhang zusätzlich aufgenommen. 64 Die Verfasser »C. N.« (Caspar Neumann) und »D. J. O.« (D. Johannes Olearius) wurden durch ihre Initialen kenntlich gemacht. Dagegen erscheint Starcks Lied anonym. Obwohl sich der Frankfurter Prediger ganz in der Spener-Nachfolge fühlte und einen kirchlichen Pietismus vertrat, wurde er in den 1730er Jahren heftig angegriffen. Die anonyme Aufnahme von Liedern, an denen inhaltlich, sprachlich oder musikalisch nichts auszusetzen ist, deren Verfasser aber bei Erscheinen eines Gesangbuchs als anstößig galt, hat in der Gesangbuchgeschichte Tradition, z. B. beim Verschweigen der Autorschaft von Ambrosius Lobwasser und Johann Scheffler aus konfessionellen Gründen. 65 Der Lübecker Anhang von 1748, der ebenso wie der Stammteil von 1703 in allen Auflagen unverändert blieb, muss Pietismus-Anhänger trotz der zahl- 61 Anhang zum Lübeckisches Gesang = Buch, Lübeck 1748. Lied-Nrn. des Anhangs 304 - 409. Zit. wird nach der Ausgabe von 1754. Nur vier der 106 Texte gehören ins 16. Jahrhundert. 87 % entstanden nach 1650. Besonders häufig vertreten sind auch hier wieder Gerhardt (14), Rist (4) und J. Olearius (8). 62 Nr. 365 Sey lob und ehr dem höchsten gut (J. J. Schütz 1675), Nr. 382 Was GOtt thut, das ist wohlgethan (Rodigast 1675), Nr. 407 Der lieben sonne licht und pracht (Scriver vor 1671/ 1684), Nr. 337 Zeuch uns nach dir! So laufen wir (F. Funcke 1686, nicht F. Fabricius! Vgl. KLL II, 418; FT IV,627) und Nr. 396 O du dreyein ’ ger GOTT! Den ich mir auserlesen (Aemilie Juliane 1682, vgl. FT V,608). Diese fünf frühpietistischen Lieder aus dem Lübecker Gesangbuch von 1698/ 99 wurden im amtlichen von 1703 offensichtlich vermisst und deshalb im Anhang von 1748 wieder aufgenommen. 63 Frankfurt/ M. 2 1734. Ob das Lied bereits aus der Erstauflage 1727 stammt, konnte ich nicht ermitteln. Vgl. die Ausführungen über dieses bedeutende Andachtsbuch in Beitrag 21. 64 Am Michaelis Fest. Nr. 348 HErr! du hast in deinem reich (Neumann 1718/ 1720), Nr. 349 Ich dancke dir mein GOtt! (Olearius 1671), Nr. 350 Der engel güldnes heer (Starck 1727? / 1734). 65 Vgl. Beitrag 7, S. 124. »Geist=reiche« Lieder in den Hansestädten Hamburg und Lübeck 69 reichen neuen Lieder genauso enttäuscht haben wie die Revision des Hamburger Gesangbuchs von 1710/ 12. Pietistische Privatpublikationen waren auch hier die Folge. 66 3. Neues Lübeckisches Gesangbuch, 1790 und die amtlichen Gesangbücher des 19. und 20. Jahrhunderts Auch in der Hansestadt Lübeck folgte dem ersten obrigkeitlichen Gesangbuch vom Typ des »Vollständigen Gesangbuchs« orthodoxer Prägung unmittelbar das ebenfalls behördlich eingeführte Aufklärungsgesangbuch 67 ohne den Zwischenschritt eines pietistischen Gesangbuchs mit den »geistreichesten« Liedern der halleschen Schule. Etwa 30 Lieder dieses Typs wurden 1790 (Abb. 4.4) und 1821 nur in rationalistischen Bearbeitungen für die Lübecker Kirchen und Schulen als verwendbar betrachtet. 68 Im nachfolgenden Gesangbuch von 1859/ 1877 (38 Anhangslieder) wurde das pietistische Liedgut bereits ansatzweise in den Originalzustand zurückversetzt sowie um über 50 Texte vermehrt. 69 Eine konsequente Restaurierung erfolgte aber auch in Lübeck erst mit den Einheitsgesangbüchern des 20. Jahrhunderts und ihren Regionalteilen. Fazit - und ein Seitenblick auf das benachbarte Schleswig-Holstein Es war den Geistlichen Ministerien in Hamburg und Lübeck also gelungen, die verordneten Gesangbücher von Anbeginn und auch in den späteren Auflagen 66 Ein frühes Beispiel sind die 50 Lieder von Heinrich Masius (gest. 1714), zuerst erschienen in seiner Erbauungsschrift Elieser. Die Preiß = würdigste Hand Gottes (Lübeck und Ratzeburg 1700). Als Sohn eines Pastors auf Fehmarn hatte er das Lübecker Katharineum besucht, bevor er in Kiel studierte und in Flensburg, Schleswig und Schwerin Konrektor bzw. Rektor der dortigen Gymnasien wurde. Einige seiner Lieder gingen in zahlreiche pietistische Gesangbücher ein, so auch in Halle 1704 (Nrn. 487, 620), aber eben nicht ins Lübecker Gesangbuch von 1703/ 1748. Das einzige Masius zugeschriebene Lied in einem Lübecker Gesangbuch erschien erst 1790 (s. u. Anm. 67): Nr. 56 Dir, unser Gott! ist niemand gleich. 67 Neues Lübeckisches Gesangbuch (1790). Einige der 563 Lieder wurden in der 2. Aufl. 1821 bereits im restaurativen Sinne bearbeitet. Der Liedbestand wurde dort um 26 auf 589 Texte - immer noch ohne Melodien - sowie um ein Verzeichnis der Verfasser und »Umarbeiter« erweitert. Der Titel lautet ab 1821 wieder Lübeckisches Gesangbuch. 68 Crasselius (1), Freylinghausen (1), Gotter (4), C. Günther (1), E. Lange (1) und Laurenti (2). Aus der Folgezeit sind die halleschen Theologieprofessoren Meister (2), Niemeyer (3) und J. J. Rambach (15) vertreten. 69 Lübeckisches evangelisch = lutherisches Gesangbuch (1859, 2 1877): Arends (1 im Anh.), Arnold (2), Bogatzky (1), Crasselius (2 + 1 im Anh.), Deßler (1), A. H. Francke (1 im Anh.), Freylinghausen (4), Gedicke (1), Gotter (4), C. Günther (2), Herrnschmidt (1), Job (1 im Anh.), E. Lange (1), Laurenti (5 + 2 im Anh.), Mentzer (1 + 1 im Anh.), M. Müller (1), Neuß (2), J. J. Rambach (7), C. F. Richter (2), Rothe (1), Ruben (1), J. H. Schröder (1), Joh. Joseph (! ) Winckler (1), J. G. Wolf (1), Zinzendorf (6 + 1 im Anh.). Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 70 Abb. 4.4: Neues ( › verbessertes ‹ ) Lübeckisches Gesangbuch 1790 und Ausgaben weitgehend von neuerem pietistischen Liedgut freizuhalten, 70 obwohl »Freylinghausens Gesangbuch« - wie die Briefstelle von Caroline Perthes belegt - durchaus bekannt und in privatem Gebrauch war. Wie in Politik und Wirtschaft gingen die norddeutschen Hansestädte auch in kirchlichen Angelegenheiten unter der Führung der lübeckischen Kirche Bündnisse ein, die weit über das Reformationsjahrhundert hinauswirkten. In dieser ihrer auctorität hat sie sich auch noch fester gesetzet durch die conjunction mit den beyden benachbarten Kirchen zu Hamburg und Lüneburg, mit denen sie sich in Religions-Sachen vereiniget/ und bald nach übergebener Augspurgischer Confession, umb den Feinden Göttlicher Wahrheit desto kräfftiger Bestand zu seyn/ ein genaueres Glaubens = Band geschlossen und aufgerichtet hat. 71 Zu den »Religions = Sachen« gehörte selbstverständlich auch das Singen im öffentlichen Gottesdienst, und so ist es nur plausibel, dass die Gesangbücher Hamburgs und Lübecks einander ähneln und sich beide an den älteren, eher konservativen Lüneburger Büchern orientieren. 72 Die Hansestädter mussten ihre pietistischen Bedürfnisse aus nicht-amtlichen Quellen stillen. In einem Brief an ihren Sohn Matthias schreibt Caroline Perthes im Frühjahr 1820: Ich weiß mir nicht zu helfen in dem Glück, das Gott uns von allen Seiten beschert hat, und muß nun meine Zuflucht zu Freylinghausens Gesangbuch nehmen und aus Herzensgrunde sagen: o daß ich tausend Zungen hätte - - - . 73 Auch dieses weit verbreitete Lied des Zinzendorf-Anhängers Johann Mentzer (1658 - 1734), das sie bereits ein Jahr zuvor bei der Geburt ihres ersten Enkelkindes zitiert hatte, 74 gelangte erst 1842, also fast 140 Jahre nach seinem Erstdruck 1704 im › Freylinghausen ‹ , ins Hamburger Gesangbuch (Nr. 13). Da war 70 Irreführend ist der häufige Nachweis »Lübeck 1766« in Fischers KLL. Dabei handelt es sich nicht um eine Auflage des Lübeckischen Gesangbuchs von 1703/ 1748, sondern um ein Neu = aufgelegtes Geistreiches Gesang = Buch, für die Kirchen und Schulen [. . .] im Bischofthum Lübeck verordnet (Eutin 1766). Es ist also das ebenfalls amtliche Gesangbuch für das schleswigholsteinische Territorium des in Eutin residierenden Fürstbischofs von Lübeck. In seiner Einteilung ist es zwar ebenso orthodox, enthält aber im Gegensatz zu dem offiziellen Gesangbuch der Hansestadt immerhin ca. 10 % pietistische Lieder. Von den 369 Liedern des Gesangbuchs für die evangelisch = reformirte Gemeinde zu Lübeck (Lübeck 1832), eins der ersten und vorbildlichen Reformgesangbücher in Deutschland, stammen sogar über 20 % aus dem halleschen Umfeld. 71 C. H. Starck: Lubeca Lutherano-Evangelica, das ist, der Kayserlichen/ Freyen/ und des Heil. Römischen Reichs Hanse = und Handel = Stadt Lübeck Kirchen = Historie (Hamburg 1724), Vorrede, fol. a3 v (s. QV 1724). 72 Die daraus entnommenen anonymen Lieder wurden sogar mit den Initialen L. B. gekennzeichnet. 73 C.Th. Perthes (Anm. 1), S. 403. Wie bei ihrem Vater Matthias Claudius sind die Briefe von Caroline Perthes von Bibel- und Gesangbuchzitaten durchzogen, die eine eigene Untersuchung verdienen. 74 14. August 1819. Vgl. ebd., S. 378 f. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 72 die fromme Tochter des Wandsbecker Boten bereits über 20 Jahre tot. Im dänisch-holsteinischen Wandsbeck, wo sie Kindheit und Jugend verbrachte, hatte sie bis zur Einführung (Ende 1782) des auch von ihrem Vater ungeliebten Cramerschen Gesangbuchs 75 ein ganz anders geartetes kennengelernt: das sog. 1000-Liederbuch, erschienen 1752 in Altona und Glückstadt. 76 Diese Druckorte waren als Freistädte ohnehin Einfallstore und Sammelbecken für Religionsausübungen aller Art. Aber vor allem wegen der ausgeprägten Hinwendung des regierenden dänischen Königshauses und des ihm verbundenen Adels zum Pietismus fasste dieser in Schleswig-Holstein schnell Fuß und wurde durch die Berufung ebenso gesinnter Generalsuperintendenten gezielt gefördert. Das »tausendliedrige« Gesangbuch enthielt eine Fülle »geistreicher Lieder« aus dem › Freylinghausen ‹ mit einem breiten Spektrum der von Spener und Francke beeinflussten Dichter und wurde »Auf Königl. Allergnädigsten Befehl« für die schleswig-holsteinischen Herzogtümer verordnet. Sein wichtigster Vorläufer ist das 1731 von Propst Johann Hermann Schrader im heute dänischen, damals aber schleswigschen Tondern herausgegebene Gesangbuch gleichen Titels; 77 aber auch schon vorher gab es zahlreiche private und offiziöse Publikationen, die stark vom halleschen Pietismus geprägt waren. 78 Schon das älteste offizielle schleswig-holsteinische Gesangbuch für das winzige Herzogtum Plön von 1674 (vgl. Abb. 10.2) enthielt in seinem Anhang von 1703 ein Lied aus dem halleschen Pietismus: das Lied des Francke-Schülers Johann Heinrich Schröder Jesu, hilf siegen, du Fürste des Lebens (1695), das 1716 in den Bedencken der Theologischen Fakultät zu Wittenberg besonders wegen einiger »als chiliastisch bezeichneter« Strophen ausdrücklich verworfen wurde. 79 Durch die nachfolgenden nicht-amtlichen, aber einflussreichen Liedersammlungen drangen pietistische Lieder aus beiden Teilen des › Freylinghausen ‹ unaufhaltsam in die unmittelbar an die Hansestädte angrenzenden Herzogtümer ein und prägten dann auch das erstmals für ganz Schleswig-Holstein verordnete Vollständige Gesang = Buch von 1752. 75 Allgemeines Gesangbuch (1780). Vgl. Abb. 10.6. 76 Vollständiges Gesang = Buch (1752). Vgl. Abb. 10.3. 77 Vollständiges Gesang = Buch (Tondern 1731), hg. von Johann Hermann Schrader, geb. 1684 in Hamburg, Informator der dänischen Kronprinzessin in Kopenhagen, Pastor in Oldesloe, 1726 bis zu seinem Tod 1737 Propst zu Tondern und Lügumkloster. Vgl. Arndal, Der »Freylinghausen« und das Vollständige Gesang = Buch (2008). 78 Vgl. Brederek I (1919): z. B. Schleswig 1712 (Muhlius); Kiel 1712, 2 1738; Altona 1717, 2 1723 (Saß); Schleswig 1721, 2 1724; Kiel 1727; Flensburg 1729, 2 1742; Kopenhagen 1730; Altona 3 1731. 79 Der Löblichen Theologischen Facultæt zu Wittenberg Bedencken (s. QV 1716). Vgl. Halle 1704, Nr. 312. - Brederek I, 14. - KLL I, 374. - Busch/ Miersemann, »Geistreicher Gesang« (1997), S. 73 - 76. »Geist=reiche« Lieder in den Hansestädten Hamburg und Lübeck 73 Trotz einer heftigen Polemik des Hamburger Hauptpastors Neumeister gegen Schrader und dessen Tondernsches Gesangbuch, 80 das viele Synoden auch im übrigen Schleswig-Holstein einführen wollten, wurde der Propst mit der Liedauswahl für das neue Einheitsgesangbuch betraut. Er trennte sich von fast einem Drittel des Tondernschen Liedbestandes und setzte dafür 188 neue Lieder ein, die weitgehend aus Johann Jacob Rambachs Haus = Gesangbuch von 1735 und aus der jüngeren halleschen Schule stammten. Zu den 345 ausgeschiedenen Liedern gehören vor allem extreme Texte aus dem sogenannten radikalen Pietismus von Gottfried Arnold und Johann Wilhelm Petersen. 81 Auch von Zinzendorfs acht Liedern im Tondernschen übernahm Schrader nur zwei in das Schleswig-Holsteinische Gesangbuch von 1752. Dafür waren aber so gut wie alle Dichter aus dem Umkreis von Freylinghausen - etliche mit allen ihren Liedern aus dem Geistreichen Gesangbuch - im 1.000-Liederbuch vertreten. 82 Die beliebtesten Lieder hallescher Povenienz wie Eins ist not, ach Herr, dies Eine (Joh. Heinrich Schröder), Es kostet viel, ein Christ zu sein (Christian Friedrich Richter), Fahre fort, fahre fort (Joh. Eusebius Schmidt) oder Gott wills machen, daß die Sachen (Joh. Daniel Herrnschmidt), auf die die Hansestädte so lange warten mussten, sind seit Schraders Sammlungen von 1731 und 1752 - außer in Cramers Aufklärungsgesangbuch - fester Bestandteil auch in den späteren amtlichen Gesangbüchern Schleswig-Holsteins. Erst durch die Einheitsgesangbücher des 20. Jahrhunderts wurden die so anders gearteten regionalen Traditionen aus den Herzogtümern und den Hansestädten zusammengeführt und die Unterschiede aufgehoben. Seit Gründung der Nordelbischen Kirche (1977) können die in Jahrhunderten gewachsenen Besonderheiten nur noch in einem gemeinsamen Regionalanhang bewahrt werden. 83 Der kurze Seitenblick auf Schleswig-Holstein zeigt, dass die Aufnahme pietistischen Liedguts hallescher Prägung hier sowohl zeitlich als auch quantitativ ein vollkommen anderes Bild bietet als in den Hansestädten Hamburg und Lübeck. Die Fülle und Differenziertheit des Materials erfordert und lohnt eine separate ausführliche Darstellung. 80 Vgl. Brederek I, 96 f. 81 18 von 25 Liedern Arnolds im Tondernschen Gesangbuch 1731 fehlen im 1.000-Lieder-Buch. Von den drei Liedern Petersens - darunter das Osterlied Triumph, Triumph dem Lamm, es lebt, es lebet, in dem nach dem Wittenberger Gutachten »ein nicht undeutlicher fanatischer Geist fast allenthalben zu erkennen« sei (KLL II, 281) - wurde 1752 keins übernommen. 82 Vgl. Brederek I, 101 - 104. 83 EKG-N: Nr. 400 - 522. - Lieder unserer Zeit. Beiheft 1982 zum EKG für die NEK, Nr. 700 - 732. - EG-N: Nr. 536 - 677. [Auch die drei 2013 zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) vereinigten Landeskirchen Mecklenburg, Pommern und Nordelbien haben zur Vorbereitung eines künftigen Regionalteils bereits ein gemeinsames Beiheft zum EG vorgelegt: Himmel, Erde, Luft und Meer. Beiheft zum EG in der Nordkirche, Kiel 2014.] Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 74 5 Rationalismus und Restauration im Spiegel der lübeckischen Gesangbuchgeschichte Das gegenwärtige Evangelische Gesangbuch (EG) wurde im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ihrer 24 Gliedkirchen sowie der evangelischen Kirchen in Österreich, Elsass und Lothringen erstellt und löste nach über 40 Jahren das Evangelische Kirchengesangbuch (EKG) ab. Fast alle, die für das EKG inhaltliche und redaktionelle Verantwortung getragen hatten, waren noch im 19. Jahrhundert geboren worden. Mit dem Schwerpunkt auf reformatorischem Liedgut und dem Bestreben, in Text und Melodie möglichst originalgetreu zu sein, stand das EKG dem restaurativen Ansatz des vorausgegangenen Jahrhunderts gar nicht so fern, wie der Mangel an Liedern aus der Vätergeneration und die Geringschätzung des historistischen Jahrhunderts vermuten lässt. So gesehen ist das gerade noch vor der Jahrtausendwende fertiggestellte EG das eigentliche Gesangbuch des 20. Jahrhunderts, das versucht, dem demokratischen Pluralismus unserer Gesellschaft auch im Gemeindegesang Rechnung zu tragen und interkonfessionelle, interkulturelle und internationale Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Vor allem aber will es den von den Herausgebern des EKG vernachlässigten Perioden gerechter werden und mehr Lieder aus dem 18. und 19. Jahrhundert aufnehmen. So sind Friedrich Heinrich Rankes bekanntes Adventslied Tochter Zion, freue dich (1826) zur Melodie aus Händels erfolgreichen Oratorien Josua (1747) und Judas Maccabäus (1746/ 50) sowie Rankes Übertragung des in der angelsächsischen Welt so beliebten Adeste fideles (um 1790), zu deutsch Herbei, o ihr Gläub ’ gen (1826), ebenso stammteilwürdig geworden wie sog. Geistliche Volkslieder. Dazu gehören Ihr Kinderlein kommet (1811) und O du fröhliche (1819) sowie Freu dich, Erd und Sternenzelt und Kommet, ihr Hirten aus Böhmen, Der Heiland ist geboren aus Oberösterreich und natürlich das weltberühmte, im Salzburger Land entstandene Stille Nacht, heilige Nacht. Zählen wir das aus dem Englischen übersetzte O Bethlehem, du kleine Stadt (O little Zusammenführung zweier Vorträge (3.12.1994 Tallin, 5.12.1995 Lübeck) mit dem Erstdruck in Speculum Ævi. Kirchengesang in Lübeck als Spiegel der Zeiten. Siehe BibAK 41 (1995). town of Bethlehem 1868) noch hinzu, beträgt der Anteil der Weihnachtslieder aus dem 19. Jahrhundert im Stammteil des gegenwärtigen Gesangbuchs immerhin 23 % (8 von 35). Im EKG war kein einziges Lied aus dem damals noch ungeliebten Jahrhundert für wert erachtet worden, in die Weihnachtsrubrik aufgenommen zu werden, fünf hatten jedoch Eingang in den Anhang von 1953 für die Landeskirchen in Hamburg und Schleswig-Holstein gefunden. Die Präsenz des 19. Jahrhunderts bei Weihnachtsliedern ist selbstverständlich überproportional; dennoch gibt es auch in anderen Abteilungen volkstümliche Lieder aus dem letzten Jahrhundert, die unseren Großmüttern und -vätern ans Herz gewachsen waren und hartnäckig die Vertreibung aus dem Gesangbuch überdauerten - wie So nimm denn meine Hände von Julie Hausmann (1862) zur Melodie von Friedrich Silcher (1842) und Harre, meine Seele (Text 1848, Mel. 1827) in der Rubrik »Angst und Vertrauen«. Dies ist nicht nur ein Zeichen von größerer Toleranz der zeitgenössischen Gesangbuchausschüsse im Vergleich zu ihren Vorgängern. Zugleich reagiert die »Postmoderne« mit ihrem Bedürfnis nach mehr Gefühlsausdruck auf die »Neue Sachlichkeit« - um zwei Begriffe aus der Kunstästhetik zu verwenden. Der Vorgänger des EKG, das sogenannte DEG (Deutsches Evangelisches Gesangbuch), sah in dieser Hinsicht nicht viel anders aus. Bereits 1910 wurde von der Deutschen evangelischen Kirchenkonferenz erstmalig ein deutsches Einheitsgesangbuch geplant, das kriegsbedingt aber 1915 zunächst nur für die Deutschen im Ausland erschien. In Lübeck wurde das DEG bereits 1916 offiziell eingeführt. Die anderen Landeskirchen folgten erst um 1930. Daraus darf aber nicht der Trugschluss gezogen werden, dass Lübeck Vorreiter in Gesangbuchangelegenheiten gewesen wäre. Die Beschäftigung mit dem 19. Jahrhundert wird das Gegenteil beweisen. Nein, die kirchenleitenden Gremien Lübecks waren nur deshalb hier einmal die ersten, weil sie in Wirklichkeit die letzten waren - weil das 1916 abgelöste Gesangbuch von 1859 bereits 57 Jahre im Gebrauch gewesen war. Drei offizielle Gesangbücher (DEG, EKG, EG) - ohne Zählung von Anhängen und Überarbeitungen - gab es also im 20. Jahrhundert in Lübeck. Davor hatte es nach dem inoffiziellen reformatorischen Enchiridion (1545) und seinen niederdeutschen und hochdeutschen Ablegern (vgl. Beitrag 2) nur das offiziöse Lübeckisch = Vollständige Gesangbuch (1698/ 99) und das amtliche Lübeckische Gesangbuch (1703/ 1748) gegeben (vgl. Abb. 5.1 und Beiträge 3 und 4), auf die nach 87 Jahren das rationalistische Neue Lübeckische Gesangbuch (1790) folgte und schließlich - nach weiteren fast 70 Jahren - das restaurative Lübeckische evangelisch-lutherische Gesangbuch (1859/ 1877). So übersichtlich sich die Gesangbuchgeschichte in Lübeck auch darstellt, sie verlief nicht ohne Spannungen und Komplikationen. Gerade der Wechsel vom Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 76 Abb. 5.1: Eine der letzten Ausgaben des Lübeckischen Gesangbuchs von 1703/ 1748 mit Stadtsilhouette von Westen Aufklärungsgesangbuch des ausgehenden 18. Jahrhunderts zum Reformgesangbuch des folgenden löste einen langwierigen, zähen Gesangbuchstreit aus, an dem weltliche Obrigkeit, Geistliches Ministerium, Gesangbuchkommission und Öffentlichkeit beteiligt waren. Exemplarisch spiegelt sich darin der Prozess vom Rationalismus zur Restauration in der deutschen Gesangbuchgeschichte, und das in extremer Weise. In anderen Gegenden hatte es vergleichbare Auseinandersetzungen schon früher gegeben. Es hat fast den Anschein, als hätte man in Lübeck mit der Einführung eines Reformgesangbuchs so lange gewartet, bis sie unumgänglich war - in der Hoffnung, dann auf weniger Widerstand zu stoßen. Zum besseren Verständnis dieses Konflikts muss zunächst ein Blick auf das lübeckische Aufklärungsgesangbuch von 1790 und seine Entstehung geworfen werden. Bereits 1765 hatte Oberkonsistorialrat Johann Samuel Diterich auf Wunsch Friedrichs des Großen in Berlin einen rationalistischen Anhang zum › Porst ‹ ediert, dem neben vielen anderen › verbesserten ‹ Gesangbüchern 1780 der berühmte › Mylius ‹ für Preussen und das Cramersche Gesangbuch für die Schleswig-Holsteinischen Herzogtümer folgten. Da man in Lübeck ein pietistisches Gesangbuch gewissermaßen übersprungen hatte und aufklärerische Gedanken in der nüchternen Kaufmannstadt durchaus Fuß gefasst hatten, war es nur eine Frage der Zeit, bis das erste amtliche Gesangbuch von 1703, das noch den Geist der Barockzeit atmete (Abb. 5.1), durch ein zeitgemäßes abgelöst wurde. Von belehrender Orthodoxie zu einer ethisierenden Aufklärung war es nur ein Schritt. Während das orthodoxe Gesangbuch von der Geistlichkeit gewünscht worden war, ergriff diesmal der Rat der Stadt als obrigkeitliches Kirchenregiment die Initiative. Daraufhin engagierten sich unter der Führung des gemäßigt rationalistischen Superintendenten Johann Adolph Schinmeier (1733 - 1796) mehrere dem neuen Zeitgeist aufgeschlossene Pastoren für ein modernes Gesangbuch - gegen den Widerstand des Geistlichen Ministeriums, aber mit Unterstützung des Rates. Als Neues Lübeckisches Gesangbuch (s. o. Abb. 4.4) wurde es bereits nach vierjähriger Arbeit eingeführt und enthielt zu zwei Dritteln zeitgenössische Lieder, »die dem pädagogischen Stil der Aufklärung entsprachen«, 1 darunter 94 Lieder und Bearbeitungen von Diterich, fast alle Lieder Gellerts (47), Cramers (49) und Balthasar Münters (42), des Pastors an der deutschen St. Petrikirche in Kopenhagen. Wie stets in Lübeck war man - gemessen an anderen Aufklärungsgesangbüchern - auch hier durchaus mit Augenmaß vorgegangen. 1 Hauschild, Kirchengeschichte Lübecks (1981), S. 367. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 78 Vielleicht ist das gemäßigt rationalistische Ergebnis aber auch der Kompromiss nach einem erbitterten Meinungsaustausch im Geistlichen Ministerium. Die Berufung auf Luther, Gerhardt und Gellert in dem kurzen Vorbericht vom 30.9.1790 jedenfalls ist auffallend und hat etwas Vermittelndes: Auch haben wir nicht die geistreichen Lieder eines Luthers, Paul Gerhards und anderer würdigen Männer älterer Zeiten schlechthin verworfen, sondern vielmehr aus solchen die besten beybehalten und, so weit es die verbesserte Sprache und Dichtkunst erfordern, der wahren Erbauung gemässer eingerichtet, ohne ihrem wesentlichen Inhalt dadurch Gewalt anzuthun. Wir glaubten solches nicht allein dem Andenken dieser vortreflichen Männer, sondern auch dem Wunsche unsrer Zuhörer, die daran von Jugend auf gewöhnt sind, schuldig zu seyn. 2 Im übrigen wird aber der Geist der Aufklärung beschworen, wenn es am Schluss des Vorberichts heißt: »so erwarten wir auch desto zuversichtlicher, die vernünftige christliche Gottesverehrung und Frömmigkeit unter uns dadurch immer mehr befördert zu sehen«. Gottesverehrung durch Vernunft statt Glauben durch Offenbarung - um diesen Gegensatz geht es in der Aufklärungstheologie. Aber ganz traditionsgemäß schließt das Vorwort mit den Worten: »Uebrigens bitten wir Gott, daß er den Gebrauch derselben mit dem reichsten Seegen für einen jeden begleiten wolle« (fol. 3 v ). Dieses rationalistische Gesangbuch, das zweite amtlich in der freien Reichs- und Hansestadt Lübeck eingeführte, an das die Lübecker sich gewöhnt zu haben schienen, geriet 40 Jahre später ins Kreuzfeuer der Kritik. Die tiefen gesellschaftlichen Erschütterungen durch die napoleonischen Kriege (1806 - 1815), von denen auch Lübeck nicht verschont blieb, und das neue historische Bewusstsein nach dem Wiener Kongress bereiteten auch der Reform des Kirchenlieds und des Gesangbuchs den Boden. Der Geschichtsprofessor Ernst Moritz Arndt war der erste, der mit seiner Schrift Von dem Wort und dem Kirchenliede (1819) auf hymnologische Fehlentwicklungen in der deutschen Aufklärung aufmerksam machte. Mit dieser Schrift begann »eine Epoche der Besinnung auf den Wert der alten Kirchenlieder und der Erneuerung des Gesangbuchs, die als die Zeit der Restauration bezeichnet wird und erst in unseren Tagen zu Ende geht«. 3 Die ersten Früchte des reformerischen Ansatzes waren das von Schleiermacher geprägte Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch für evangelische Gemeinen (Berlin 1829), der Geistliche Liederschatz (Berlin 1832) und vor allem Albert Knapps Evangelischer Liederschatz (Stuttgart 1837). Allen diesen Samm- 2 Neues Lübeckisches Gesangbuch (1790), fol. 2 v . Die kursivierten Namen sind im Original durch größere Lettern hervorgehoben 3 Ameln in der Einführung zum Faks.-ND (1970) von E. M. Arndt, Von dem Wort und dem Kirchenliede (1819), S. XIV. Rationalismus und Restauration 79 lungen ist gemeinsam, dass ihre Herausgeber die Lieder zwar von den rationalistischen Verbesserungen reinigen wollen, dabei aber - aus heutiger Sicht häufig unnötig - selber wieder zu Bearbeitern werden. Der konsequente Weg zurück zum Original erreichte erst mit dem EKG seinen Höhepunkt. Die Herausgeber des gegenwärtigen Evangelischen Gesangbuchs (EG) sahen im Urtext, soweit auffindbar, dagegen nur eines von vielen Kriterien beim Erstellen einer zeitgemäßen Textfassung. Für Lübeck war von großer Bedeutung, dass die Reformierte Gemeinde, die - als Nicht-Staatskirche - von behördlicher Zustimmung unabhängig war, bereits 1832 ein überregional beachtetes Reformgesangbuch herausgegeben hatte. 4 Darauf beschlossen noch im selben Jahr die evangelisch-lutherischen Geistlichen Ministerien in Hamburg und Lübeck die Ausarbeitung neuer Gesangbücher. In Hamburg stimmte der Senat sofort zu, das neue Gesangbuch wurde zehn Jahre später eingeführt. In der benachbarten Hansestadt Lübeck waren die Dinge wesentlich komplizierter. 1821 war das 1790 eingeführte Gesangbuch noch auf 589 Lieder erweitert und überarbeitet worden. Als der Verleger den Senat 1833 routinemäßig um Druckerlaubnis ersuchte, äußerte dieser Bedenken gegenüber einem unveränderten Nachdruck und bat das Geistliche Ministerium um Stellungnahme, ob dem Gesangbuch nicht ein weiterer Anhang hinzuzufügen sei. Nach gründlicher Untersuchung und Beratung entschied das Ministerium, »daß eine Veränderung und Vermehrung des gegenwärtigen kirchlichen Gesangbuches nicht statthaft, dagegen die Anfertigung und Einführung eines ganz neuen angemessen und zeitgemäß erscheine«. 5 Daraufhin beschloß der Senat 1835, den Wiederabdruck des bestehenden Gesangbuches nicht mehr zu genehmigen und löste damit den Lübecker Gesangbuchstreit aus, der vier Jahre später durch ein salomonisches Urteil der weltlichen Behörde vorerst beigelegt wurde. Der inzwischen unter dem Vorsitz des Bürgermeisters von Mitgliedern des Senats und des Geistlichen Ministeriums mit großer Sorgfalt vorbereitete Entwurf wurde zwar zum Druck freigegeben, um ihn in den Kirchengemeinden zu erproben, aber noch nicht als offizielles Gesangbuch eingeführt. Gleichzeitig genehmigte der Senat nun doch den Abdruck des alten Aufklärungsgesangbuchs, das in den schriftlich überlieferten Auseinandersetzungen zahlreiche Befürworter und Verteidiger gefunden hatte. Forum der öffentlichen Diskussion waren die Neuen Lübeckischen Blätter, ein von der »Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Thätigkeit« heraus- 4 Gesangbuch für die evangelisch = reformirte Gemeinde zu Lübeck (1832). 5 Evangelisch = Lutherisches Gesangbuch (1839), Vorrede, S. III. Die kursivierten Wörter sind im Original gesperrt hervorgehoben. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 80 gegebenes Kultur- und Bildungsmagazin. Die 1789 im Geist der Aufklärung gegründete Gesellschaft, kurz »Die Gemeinnützige« genannt, wirkt bis heute zum Wohle der Stadt, und die Lübeckischen Blätter werden noch immer vom Lübecker Bildungsbürgertum gern gelesen. Darin schreibt 1836 ein Laie »Einige Worte zu Gunsten des gegenwärtigen Gesangbuches«: Es haben sich in den letzten Tagen so manche Stimmen für ein neues Gesangbuch erhoben, und es wird mit solchem Ernste und Eifer davon gesprochen und geschrieben, daß wir wahrscheinlich bald zum letztenmale aus dem jetzt geltenden gesungen haben werden. Allein ob dies darum werth ist, daß man es gleichsam unter Schmähen und mit dem Stecken in der Hand aus dem Hause treibt, wo es gesetzlich eingeführt und obrigkeitlich behütet ist, - das wird, nach des Einsenders einfältiger Meinung, im theologischen Eifer nicht weiter erwogen. Nun ist es freilich schön und charakteristisch für unsere, leider gewöhnlich ganz verkannte Zeit, daß man sich bemüht, Bestehendes nach dem Ideale und dem Urtypus umzuformen und zu regeln; allein man vergißt dabei im reformatorischen Feuer, theils das rechte Ideal als Maaßstab anzulegen, theils die Umformung auf richtige Weise vorzunehmen. 6 Was aber ist das rechte Ideal, was ist die richtige Weise? Solange Texte bearbeitet werden, wird es hierüber Diskussionen und auch Streit geben, bis in die Gesangbuchkommissionen unserer Tage hinein. Der Verfasser des Artikels, der offensichtlich mit seiner Meinung nicht alleine in der Kirchenbank sitzt, hält vor allem am Vertrauten, Liebgewordenen und von der Obrigkeit Eingesetzten fest, wenn er weiter sagt: Mag aber auch, wie gern zugegeben werden kann, Manches darin durchaus veraltet, Manches nicht von glücklichen Händen bearbeitet, Manches nicht zweckmäßig eingerichtet sein: so würde man doch, wenn man in den Gemeinden herumfragt, wie Viele seine Abschaffung wünschen, weil es unerbaulich, unchristlich, fehlerhaft, einseitig, unzeitig sei, zu seiner großen Verwunderung erfahren, daß alle diese Vorwürfe, die man ihm aufgebürdet hat, den Allermeisten höchst befremdend, ja selbst anstößig gewesen sind. (S. 62 f.) Im übrigen fürchteten die Gegner der Erneuerung, die Reformer wollten das »Rad der Geschichte um 100 Jahre zurückdrehen und zu überholter Orthodoxie und klerikaler Verkirchlichung zurückkehren«. 7 Der mit »Kky.« unterzeichnete Beitrag wird eine Antwort auf den Vortrag von Pastor Johann Carl Lindenberg (1798 - 1892) gewesen sein, den dieser als am 8. Dezember 1835 in der »Gemeinnützigen« gehalten hatte. Sein leidenschaftliches Plädoyer für ein neues restauratives Gesangbuch war aber vor allem eine Polemik gegen das alte. 6 Kky. [anonym], Einige Worte zu Gunsten des gegenwärtigen Gesangbuches (1836), S. 61 f. 7 Hauschild, S. 396. Rationalismus und Restauration 81 Lindenberg war zu dem Zeitpunkt 37 Jahre alt, führendes Mitglied der vom Senat eingesetzten Gesangbuchkommission, Pastor an St. Aegidien, Sohn eines Lübecker Bürgermeisters und Schwiegersohn des angesehenen reformierten Pastors Johannes Geibel. Lindenberg hatte bei Schleiermacher und Neander studiert, und Geibel - Gründer des Missionsvereins in Lübeck und Sekretär der Bibelgesellschaft - machte ihn mit der Erweckungstheologie und deren Umsetzung in die Praxis vertraut. Allein diese wenigen biographischen Fakten machen verständlich, warum der antirationalistische Lübecker Theologe mit dem 45 Jahre alten Aufklärungsgesangbuch nicht länger leben wollte. In seiner Definition vom Kirchenlied wendet sich Lindenberg gegen den in seinen Augen gefühlsarmen Rationalismus: Ein Kirchenlied soll aber vor Allem seyn, was das Wort selbst besagt: ein Lied, d. h. der Erguß eines durch den besungenen Gegenstand mächtig bewegten und erregten Gemüthes, nicht nüchterne, mühsam in gebundene Rede hineingezwängte Prosa, nicht gereimte Dogmatik, gleichviel welcher Schule sie angehöre. Im Liede redet das Gefühl zum Gefühl. 8 Ähnlich äußert sich auch Johann Friedrich Petersen d. J., Domprediger und wie Lindenberg Vertreter der Geistlichkeit in der neuen Gesangbuchkommission, in einem ebenfalls 1836 veröffentlichten Beitrag Auch ein Wort in der Gesangbuchs- Sache. Der Titel verrät das Ausmaß, das die Diskussion inzwischen angenommen hat. Nach Petersen sollen die Kirchenlieder »das christliche Gefühl anregen und aussprechen«. Die Betonung scheint auf »christlich« zu liegen. Denn mit der folgenden »Regel für die aufzunehmenden Lieder in ein jedes neues Gesangbuch« fährt er differenzierend fort: Es wird darnach ganz entschieden hinwegzuweisen sein ein jedes Lied, wodurch a) gar kein Gefühl angeregt oder belebt wird; b) wodurch wohl ein Gefühl, aber kein christliches, sondern ein sinnliches angeregt wird. 9 Das wichtigste Kriterium für Petersen und Lindenberg wie für die ganze Erneuerungsbewegung ist die Rückbesinnung auf die Bibel: Der Inhalt jedes einzelnen Liedes muß einen durch die Bibel geheiligten und als biblisch zu beweisenden Inhalt haben. Ein Lied, dessen Inhalt nicht ganz unläugbar aus dem Inhalte der heiligen Schrift geschöpft ist, das bleibe fern! (Petersen, S. 6) Lindenberg wendet sich darüber hinaus gegen »schriftwidrige Ausdrücke« in den rationalistischen Kirchen-Liedern, die »aus der Sprache der heiligen Schrift in die Schulsprache der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts übersetzt worden« seien (S. 39). Als Beispiel beanstandet er den unbiblischen Gebrauch der Metapher »im Fleische leben« - nach Paulus also »unter dem Gebot der 8 Lindenberg, Über das Lübeckische Gesangbuch (1836), S. 16. 9 J. F. Petersen d. J., Auch ein Wort in der Gesangbuchs-Sache [1836], S. 6. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 82 Sünde leben« - in dem Lied von Samuel Diterich über die »Sorge für die Seele, Gewissenhaftigkeit«. Dort heißt es in Str. 3: Zu groß für diese kurze Zeit, bestimmt zum Glück der Ewigkeit, lebt sie im Fleisch auf Erden [. . .]. (Lindenberg, S. 39) In diesem Kontext sei mit Fleisch nicht Sünde, sondern der Leib gemeint. Aus der Rubrik »Selbsterkenntniß, Beßrung und Begnadigung« zitiert er kritisch ein weiteres Beispiel von Balthasar Münter, der mit seinen Liedern im Lübecker Aufklärungsgesangbuch (1790/ 1821) ebenfalls häufig vertreten ist: Ich wandle ruhig auf dem Pfade des Leichtsinns und der Eitelkeit. Nach tausend froh vollbrachten Gründen, denk ich einmahl an Jesum Christ, und hoffe, dich versöhnt zu finden, weil er für mich gestorben ist. (S. 40) Es entspricht der polemischen Zielsetzung des Vortrags, dass Lindenberg den dritten und vierten Vers der Strophe ausgelassen hat, in denen Münter selbstkritische Töne anschlägt: Gott! durch den Misbrauch deiner Gnade, stärk ’ ich mich in der Sicherheit! (Lübeck 1790, Nr. 226, 2) Mit der Rückkehr zur Bibel geht die Erneuerung der Liturgie einher, im Gesangbuch bedeutet dies eine Rückbesinnung auf die Einteilung des Gesangbuchs, wie sie im 16. und 17. Jahrhundert entwickelt wurde. Die aufklärerischen Hauptabteilungen »Gesänge über die christliche Glaubenslehre« und »Gesänge über die christliche Sittenlehre« (z. B. Lübeck 1790) wurden im 19. Jahrhundert wieder aufgegeben zugunsten der klassischen Dreiteilung: I. Lieder für die Festzeiten, II. Allgemeine Kirchenlieder, III. Zeit- und Berufslieder. Lindenberg forderte deshalb eine hinreichende Zahl von Festliedern, die durch einen höhern Schwung sich auszeichnen, und in denen nicht allein der Gedanke und die Geschichte des Festes ausgesprochen, sondern durch welche auch das Gemüth in eine festliche Stimmung versetzt wird. (S. 41) In diesem Zusammenhang bedauert er das Fehlen des Adventslieds Macht hoch die Tür und von Gellerts Weihnachtslied Dies ist der Tag, den Gott gemacht. Beide Lieder fanden selbstverständlich im 19. Jahrhundert wieder Eingang ins Lübecker Gesangbuch und behaupten bis heute ihren Platz. Macht hoch die Tür eröffnet als bekanntestes Adventslied sogar das gegenwärtige Evangelische Gesangbuch (EG 1). Rationalismus und Restauration 83 Beide Autoren, sowohl Lindenberg als auch Petersen, äußern sich ausführlich zum Thema Textbearbeitung, Lindenberg wiederum radikaler. Beide sind sich aber darin einig, dass es ohne Verbesserungen nicht geht. Lindenberg fordert daß man, wo Besserungen noth sind, doch nie ändern müsse, einmal ohne das Original zu kennen und genau durchdacht und nachempfunden zu haben, sodann aber auch nie anders, als im Geiste und Ton des Originals, [. . .] daß so geändert werde, wie zu vermuthen ist, daß der Liederdichter selbst, wenn er gegenwärtig lebte, würde geändert haben. (S. 70) 10 Den Bearbeitern des rationalistischen Gesangbuchs sprechen sie Geschmack und Einfühlungsvermögen jedoch ab. Von den zahlreichen Beispielen, die Lindenberg anführt, sei nur Paul Gerhardts Passionslied O Haupt voll Blut und Wunden erwähnt. Auch Lindenberg ist der Überzeugung, dass der Schluss der ersten Strophe geändert werden müsse, wegen des Wortes »schimpfieret«: O Häupt voll blut und wunden Voll schmertz und voller hohn! O häupt zu spott gebunden Mit einer dornenkron! O häupt sonst schön gezieret Mit höchster ehr und zier Itzt aber hoch schimpfieret Gegrüsset seyst du mir. (Paul Gerhardt, Lübeck 1703, Nr. 37) Die Bearbeitung aus dem Neuen Lübeckischen Gesangbuch von 1790 kritisiert er jedoch aufs Schärfste: »Warum dem Liede von vornherein alle Anschaulichkeit und allen Charakter nehmen, wie bei uns« (S. 62): Der du voll Blut und Wunden für uns am Kreuze starbst und unsern letzten Stunden den größten Trost erwarbst; der du dein theures Leben, noch eh ’ ich war, auch mir zur Rettung hingegeben; mein Heil! wie dank ich dir? « (Joh. Samuel Diterich, 11 Lübeck 1790, Nr. 110) Diese Umdichtung wurde zusammen mit allen anderen - bis auf die geringfügigen Änderungen, die 1821 in der 2. Auflage erfolgt waren - 1839 also noch einmal nachgedruckt, drei Jahre nach den engagierten Attacken der Pastoren Lindenberg und Petersen auf das in ihren Augen minderwertige Gesangbuch, »worin oft unsere trefflichsten Lieder durchwässert, verstümmelt und ganz krüppelhaft umgeformt sind«. 12 10 Vgl. auch Evangelisch = Lutherisches Gesangbuch (1839), Vorrede, S. VIII. 11 Lieder für den öffentlichen Gottesdienst (Berlin 1765), Nr. 13; auch in Hamburg 1787, Nr. 97. 12 Christian Friedrich Daniel Schubart, zit. nach A. J. Rambach von Lindenberg (S. 64). Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 84 In demselben Jahr 1839 erschien das von den beiden Geistlichen maßgeblich mitgestaltete neue Evangelisch = Lutherische Gesangbuch herausgegeben von E. Ehrw. Ministerium der freien Hanse = Stadt Lübeck (Abb. 5.2). Zur Erprobung geduldet, aber eben nicht »auf Verordnung Eines Hochedlen und Hochw. Raths«, wie es im gleichzeitig erscheinenden letzten Nachdruck des alten Gesangbuchs auf dem Titelblatt heißt. »So kam es als Kompromiß zu dem problematischen Nebeneinander eines offiziellen und eines von den meisten Geistlichen bevorzugten Gesangbuchs, eines aufgeklärt-bürgerlichen und eines konfessionell-kirchlichen«. 13 Wie problematisch der gleichzeitige Gebrauch in einem Gottesdienst gewesen sein muss, wird deutlich an dem oben zitierten Beispiel. O Haupt voll Blut und Wunden ist im Register zwar wieder unter dem Buchstaben O zu finden, jedoch weder in Gerhardts ursprünglicher noch in der Berliner Fassung, sondern in einer dritten Version: . . . o Haupt, sonst hoch geehret voll Majestät und Zier, doch jetzt mit Schimpf beschweret, gegrüßet seist du mir. (Lübeck 1839, Nr. 66) Zwei Jahrzehnte lang mussten die Lübecker Gemeinden mit diesem unbefriedigenden Zustand leben. Erst als 1854 der Nachdruck von 1839 fast gänzlich vergriffen war, wurde der Antrag des Ministeriums, ein neues Gesangbuch von etwa 400 Liedern zu veröffentlichen, vom Senat genehmigt und 1859, 20 Jahre nach dem ersten Probeentwurf, schließlich offiziell eingeführt (Abb. 5.3). 1877 gab es eine »neu durchgesehene und [um 38 Lieder] vermehrte« Auflage, die letztmalig 1905 gedruckt wurde und bis zur Einführung des DEG 1916 (Abb. 5.4) in Gebrauch war. Erst damit war die seit 1832 geplante Gesangbuchreform, die lange Zeit am Konservatismus von Rat und Bürgerschaft sowie von großen Teilen der Geistlichkeit und der Gemeinden gescheitert war, endlich vollzogen. Wie ungenügend die Restauration im offiziellen Gesangbuch von 1859 war, weist der reformierte Jurist Dr. Carl Wilhelm Pauli, Herausgeber des bereits 1832 erschienenen, weitaus fortschrittlicheren Gesangbuchs der Lübecker Reformierten, 1875 in einer umfangreichen Studie nach. 14 Darin macht er Hunderte von Verbesserungsvorschlägen, die an den Originaltexten orientiert waren. Diese standen ihm mit Erscheinen von Wackernagels großer Anthologie ab 1864 zur Verfügung. 13 Hauschild, S. 397. 14 Pauli, Geschichte der Lübeckischen Gesangbücher (1875). Rationalismus und Restauration 85 Abb. 5.2: Probeentwurf 1839 zwischen den amtlichen Gesangbüchern von 1790 und 1859 Abb. 5.3: Das verordnete Lübeckische Gesangbuch von 1859 Gerhardts Passionslied erschien 1859 in Lübeck in einer vierten Version, die zweifellos dem Original am nächsten kommt. Sie wurde über das Hannoversche (Braunschweig-Lüneburgische) Gesangbuch, 15 in dem Liedverbesserungen bereits seit Mitte des 17. Jahrhunderts Tradition hatten, im norddeutschen Raum weit verbreitet: . . . O Haupt, sonst schön gekrönet mit höchster Ehr und Zier, jetzt aber sehr verhöhnet, gegrüßet seist du mir. (Lübeck 1859, Nr. 50) 16 Gerhardts Originalfassung von 1656 zog erst mit dem DEG 1916 wieder in die Lübeckischen Gesangbücher ein. Zusammenfassend stellen wir fest, dass die evangelisch-lutherische Kirche in Lübeck im Laufe ihrer gesamten Gesangbuchgeschichte lediglich drei offizielle Eigengesangbücher hervorgebracht hat: das orthodox-barocke von 1703, das moralisierend-aufklärerische von 1790 und das restaurativ-erweckliche von 1859. Danach war die verantwortliche Gesangbucharbeit in der Hansestadt nur noch auf den Verbund mit anderen Landeskirchen sowie auf Revisionen und das Erstellen von Anhängen, Melodie- und Choralbüchern beschränkt. Mit der Zusammenlegung der Landeskirchen von Hamburg, Schleswig-Holstein- Lauenburg, Eutin und Lübeck zur Nordelbischen Evangelisch-lutherischen Kirche 1977 hatte die Hansestadt Lübeck kirchlich und damit auch gesangbuchmäßig gesehen die Eigenständigkeit verloren, die ihr politisch bereits 1937 durch die Eingliederung in die Provinz Schleswig-Holstein genommen worden war. 15 Vgl. Bode, Quellennachweis über die Lieder des hannoverischen und des lüneburgischen Gesangbuches (1881). 16 Z. B. Vermehrtes Lüneburgisches Kirchen = Gesang = Buch, Lüneburg 1767, Nr. 154. Die Hansestädte Lübeck und Hamburg 88 Abb. 5.4: Deutsches Evangelisches Gesangbuch (DEG), Berlin und Lübeck 1916 Abb. 6.1: Der Gottorfer Hofgelehrte Adam Olearius (Christian Rothgießer 1649) 6 Zeugnisse höfischer Frömmigkeit und Repräsentation Gesangbücher im Gottorfer Umfeld Gesangbücher spiegeln zu allen Zeiten - wenn auch zuweilen einige Jahrzehnte verspätet - viele Facetten der jeweiligen Wirklichkeit. Im Gegensatz zur Luther- Bibel, die nur orthographisch, typographisch und buchgestalterisch - erst in neuerer Zeit auch sprachlich - modernisiert wurde, erfuhr das Gesangbuch zusätzlich inhaltliche Veränderungen. Auswahl, textliche und melodische Gestalt sowie die Ordnung der Lieder reflektieren theologische und frömmigkeitsgeschichtliche Strömungen ebenso wie literarischen und musikalischen Geschmack. Im Laufe der Jahrhunderte hatte jede Generation das Bedürfnis, das eingeführte Gesangbuch durch Bearbeitungen und Ergänzungen dem jeweiligen Zeitstil anzupassen bzw. - sobald dies nicht mehr möglich erschien - eine neue Sammlung geistlicher Lieder herauszugeben. Gesangbücher sind deshalb wie kaum ein anderer Gegenstand dafür geeignet, kultur- und geistesgeschichtliche Entwicklungen auch vergleichend zu erforschen. Da bald nach der Reformation der Grundsatz › cuius regio, eius religio ‹ galt, ist das Gesangbuch außerdem ein Spiegel der Geschichte politischer und konfessioneller Auseinandersetzungen. Ebenso bunt wie die mitteleuropäische Landkarte war daher bis ins 19. Jahrhundert die Vielfalt territorialer Gesangbücher. In ihnen drückte sich das Bekenntnis des jeweiligen Fürsten bzw. des von ihm eingesetzten geistlichen Oberhirten aus. An der Redewendung »Er hat das falsche Gesangbuch« wird der hohe Identitätsgrad deutlich, den das Gesangbuch für die Konfessionszugehörigkeit noch bis tief in das 20. Jahrhundert hinein hatte. Es entsprach aber auch dem Repräsentationsbedürfnis eines barocken Fürsten, für seinen Hofstaat oder für sein Hoheitsgebiet eine eigene Liedersammlung herauszugeben. Man suchte den besten Geistlichen als Oberhofprediger zu gewinnen, nicht nur für Gottesdienste, Amtshandlungen und seelsorgerliche Aufgaben, sondern auch zur Kompilation und Redaktion eines Erstdruck im Katalog zur Jubiläumsausstellung zum 400. Geburtstag Herzog Friedrichs III. (1597 - 1659): Gottorf im Glanz des Barock. Kunst und Kultur am Schleswiger Hof 1544 - 1715. Siehe BibAK 43 (1997). Hof- oder Territorialgesangbuches. Der Repräsentation aber diente vor allem die äußere Gestalt des Buches, sein Umfang, Format und Buchschmuck wie Titelkupfer, Holzschnitte, Zierleisten und Vignetten, Schwarz-Rot- und Notendruck. Darin wetteiferten die Höfe wie mit ihren Schlossbauten, Lustgärten und Wasserspielen, Kunstkammern, Gemäldegalerien, Bibliotheken, Hoftheatern und -kapellen und eben auch mit der Ausgestaltung der Gottesdienste. Vor diesem Hintergrund erhebt sich die Frage, ob und wann auch der Gottorfer Hof Gesangbücher herausgab. Gesangbuchvorläufer Als die kursächsische Prinzessin Maria Elisabeth 1630 als Gemahlin Friedrichs III. (reg. 1616 - 1659) Herzogin von Schleswig-Holstein wurde, musste sie zunächst auf vieles verzichten, woran sie am kurfürstlichen Hof ihres Vaters Johann Georg I. (reg. 1611 - 1656) gewöhnt gewesen war. Der Dresdener Hof war als politisch und geistig führendes deutsches Fürstenhaus eine Stätte regen Kunst- und Geisteslebens. Vor allem aber wurde unter Johann Georg I. und seinem einflussreichen Oberhofprediger Matthias Hoë von Hoënegg (ab 1613) das orthodoxe Luthertum bewahrt und in der gottesdienstlichen Tradition gepflegt. Die 1610 geborene Maria Elisabeth erlebte bis zu ihrer Heirat mit 20 Jahren nicht nur aufwendig gestaltete mehrstündige Predigtgottesdienste - an Sonn- und Festtagen vormittags und nachmittags, am Mittwoch und Freitag nachmittags - , sondern zusätzlich die seit 1617 eingeführten Betstunden an zwei, ab 1619 sogar an drei Tagen in der Woche. 1 Zu jedem Früh- und Vespergottesdienst, in jeder Betstunde wurde aus dem Dresdener Gesangbuch von 1593 und seinen späteren Auflagen gesungen. 2 Es steht in einer direkten Traditionslinie zu Luthers Kirchenliededitionen seit 1524 und dem so genannten Babstschen Gesangbuch, Leipzig 1545, das noch zu Lebzeiten Luthers erschienen war. Angeführt wurde der Gemeindegesang grundsätzlich von der Kantorei, die wochentags vom Hofkantor, an Sonn- und Festtagen vom Hofkapellmeister geleitet wurde. Dies war ab 1617 kein geringerer als Heinrich Schütz. Er war nach Dresden berufen worden, um einen mehrwöchigen Aufenthalt von Kaiser Matthias am Kurfürstlichen Hof sowie die 100-Jahr-Feier der Reformation künstlerisch auszugestalten. Als Maria Elisabeth 1630 die Dresdener Residenz verließ, hatte er die Feierlichkeiten zum 100-jährigen Gedenken an die Augsburger Konfession auszurichten. Die kursächsische Prinzessin hatte in ihrer Jugend also eine musikalische Glanzzeit erlebt, die sich durch die aufkommende Generalbass- 1 Vgl. Schmidt, Der Gottesdienst am Kurfürstlichen Hofe zu Dresden (1961), bes. S. 100 - 106. 2 Vgl. QV 1593, 1656, 1676. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 92 musik und den italienischen Arien- und Konzertstil auszeichnete. Da die Fürstentöchter üblicherweise vom Hofkapellmeister selbst unterwiesen wurden, darf überdies unterstellt werden, dass Maria Elisabeth in ihrem musikalischen Anspruch und Geschmack auch persönlich von der Künstlerpersönlichkeit Heinrich Schütz geprägt worden war. Dass der Gottorfer Hof unter Friedrich III. eine kulturelle und künstlerische Blütezeit erlebte, wird nicht zuletzt auf den Einfluss der an Dresdener Maßstäbe gewöhnten Herzogin zurückzuführen sein. So nahm die unter William Brade berühmt gewordene Gottorfer Hofkapelle, die 1628/ 29 nicht nur ihren zahlenmäßigen Tiefstand erreicht hatte, kurz nach der Hochzeit des Herzogs mit Maria Elisabeth einen neuen Aufschwung. Im Jahre 1633 wurde mit dem erst 18-jährigen Franz Tunder ein erstklassiger Organist engagiert, und im darauf folgenden Jahr hatte die Kapelle wieder sechs Mitglieder. Hinzu kamen die Kapellknaben und Instrumentalisten aus Hamburg und Lübeck sowie Sänger häufig italienischer Herkunft. 3 Diese Entwicklung muss sich auch auf die Kirchenmusik qualitätssteigernd ausgewirkt haben. Wie stand es aber um den Gemeindegesang - als einem wesentlichen Element des reformatorischen Gottesdienstes - in der Gottorfer Schlosskapelle? Gesangbücher gab es allem Anschein nach nicht, allenfalls die in den Hansestädten Rostock, Magdeburg, Lübeck, Hamburg und Riga fast ausschließlich in niederdeutscher Sprache gedruckten. Grundlage und Richtschnur für das gottesdienstliche Leben war die Kirchenordnung des norddeutschen Reformators Johannes Bugenhagen: Christlyke Kercken Ordeninge/ De ynn den Fürstendömen/ Schleßwig/ Holsten etc. schal geholden werdenn, gedruckt 1542 von Hans Walther in Magdeburg. 4 Für Maria Elisabeth muss das Fehlen einer Liedersammlung für den Gottesdienst und die Privatandacht in Gottorf unfassbar gewesen sein. Fünf Jahre nach ihrer Ankunft gab Paul Walther, Pastor an St. Marien in Flensburg, ein Kercken Handbökeschen in niederdeutscher Sprache heraus, das neben Auszügen aus der Kirchenordnung von 1542 u. a. auch einen Liederteil erhielt. 5 Dieser umfasst 115 Texte aus dem reformatorischen Kernbestand ohne Noten, davon 19 lateinische und das lateinisch-deutsche In dulci jubilo. Die Litanei, das Magnificat und alle übrigen Gesänge meist hochdeutschen Ursprungs wurden in niederdeutschen Übertragungen aufgenommen. 6 3 Vgl. Richter, Die Gottorfer Hofmusik (1985). 4 Die Schleswig-Holsteinische Kirchenordnung von 1542. Faks.-ND, s. QV 1542. 5 MANUALE ECCLESIASTICUM, Edder Kercken Handbökeschen (Hamburg 1635), s. QV 1635. 6 Vgl. Brederek I (1919), 1 - 3. Zeugnisse höfischer Frömmigkeit und Repräsentation 93 Auch wenn der Druckort für das Kercken Handbökeschen des Flensburger Marienpastors 1635 Hamburg war, ist es als erste Veröffentlichung einer geistlichen Liedersammlung für die Herzogtümer anzusehen. Gemessen an anderen deutschen Fürstenhäusern - vor allem aber an den Städten - ist dies ein sehr später Zeitpunkt. Bis zum Erscheinen des ersten Gesangbuchs im eigentlichen Sinne sollten sogar noch vier Jahrzehnte vergehen. Maria Elisabeth konnte - wie viele Mitglieder des Hofstaates, die ihr aus Sachsen gefolgt waren - sicherlich kein niederdeutsch. Es dauerte 30 Jahre, bis das niederdeutsche Kirchenbuch von 1635 unter der Regentschaft ihres Sohns Christian Albrecht in hochdeutscher Fassung ediert wurde (Schleswig 1665). Obwohl die Herzogin nach dem Tod ihres Gatten ab 1660 auf dem Witwensitz in Husum lebte, wurde 1664 auf ihre Kosten ein lutherischer Bibelfoliant gedruckt; ein Jahr später erschien das Kirchenbuch in hochdeutscher Sprache. 7 Am Ende des Vorworts sind in dem Fraktursatz zwei Lettern durch Antiqua hervorgehoben: Amen/ hilff O Jesu/ Amen. Diese können als Alpha und Omega, aber sicher auch als die Initialen des Verfassers Adam Olearius (Abb. 6.1) gedeutet werden. Diskret hat der Gottorfer Hofgelehrte, dessen Name in dem offiziellen Kirchenbuch sonst nicht in Erscheinung tritt, sein Werk auf diese Weise als Herausgeber signiert (Abb. 6.2). Abb. 6.2: Schluss der Vorrede von Adam Olearius mit den hervorgehobenen Initialen des Verfassers Der Bestand des vorangestellten Liederteils entspricht weitgehend dem des niederdeutschen Vorbildes von 1635. Auffällig ist unter den 146 hochdeutschen und lateinischen Texten ein einziger aus dem 17. Jahrhundert: Für das 1642 7 Das Schleßwigische und Holsteinische Kirchen Buch (Schleswig 1665). Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 94 erstmalig erschienene Abendlied von Johann Rist WErde munter/ mein Gemüthe (S. 120 ff.) mag die Herzoginwitwe eine besondere Vorliebe gehabt haben. 8 Der Liederteil im Schleswig-Holsteinischen Kirchenbuch, das bis ins 19. Jahrhundert hinein im Gebrauch war und in Anspielung auf seinen Herausgeber »der alte Adam« genannt wurde, ist demnach die erste hochdeutsche Sammlung geistlicher Lieder in den Fürstentümern Schleswig und Holstein. 9 Es sollte die einzige bleiben, die auf Anordnung eines Gottorfer Regenten erschien. Denn das Gesangbuch, das nach Bibel und Kirchenbuch möglicherweise ebenfalls für den gottorfischen und den königlichen Anteil der Herzogtümer geplant gewesen war, erschien erst 1676, als der dänische König Gottorf besetzt hatte und Christian Albrecht im Hamburger Exil weilte. Die ersten Gesangbücher in Schleswig-Holstein: Plön 1674, Husum 1676, Rendsburg 1680 Christian Albrechts Mutter Maria Elisabeth hatte das Gesangbuch durch ihren Husumer Hofprediger Petrus Petraeus (Peter Petersen) edieren und wie das Kirchenbuch »In der Fürstl. Druckerey« bei Johann Holwein in Schleswig drucken lassen. Durch die politischen Verhältnisse wurde die offizielle Einführung des inhaltlich und buchgestalterisch hervorragenden Gesangbuchs in den Herzogtümern oder auch nur für den Gottorfer Hofstaat mit seinen Nebenresidenzen verhindert. Aus hymnologischer Sicht muss dies bedauert werden. Denn die Sammlung, die wegen ihrer auf den Witwensitz begrenzten Wirkungsgeschichte auch »Husumer Hofgesangbuch« genannt wurde, zeichnet sich in jeder Hinsicht als besondere Kostbarkeit aus. 10 Dies zeigt sich vor allem im Vergleich mit den beiden Gesangbüchern aus dem unmittelbaren Gottorfer Umfeld, aber auch mit anderen zeitgenössischen Hofgesangbüchern. Zwei Jahre vor der Gesangbuchinitiative der Gottorfer Herzoginwitwe war in Plön, ausgerechnet im kleinsten Herzogtum, das nicht einmal einen regierenden, sondern nur einen »abgetheilten« Herren besaß, das erste schleswigholsteinische Gesangbuch erschienen. Herausgeber war Christoph Gensch von Breitenau (1638 - 1732), Hofrat des Plöner Herzogs Hans Adolf. Als Feldherr in 8 Vgl. die Parodie ihres Hofpredigers Petrus Petraeus, die er im Husumer Hofgesangbuch seiner Herrin als »DanckLied am Geburts-Tage« in den Mund legte und mit ihrem Namensakrostichon zugleich widmete. S. u. Beitrag 7, S. 130. 9 In meinem Besitz befindet sich ein Exemplar mit handschriftlichen Eintragungen - offensichtlich eines Superintendenten - u. a. mit den Fragen für die »Generalkirchenvisitation 1805 d 10ten Juli« und dem Visitationsplan für das Jahr 1812, der den Vorbesitzer nach Kaltenkirchen, Oldesloe, Pronsdorf, Segeberg, Warder und Leezen führte. 10 Außerlesene Geistliche Lieder (Schleswig 1676). Ausführliche Beschreibung des »Husumer Hofgesangbuchs« in Beitrag 7. Vgl. auch Beiträge 8 und 10 in diesem Band. Zeugnisse höfischer Frömmigkeit und Repräsentation 95 fremden Diensten hatte dieser die Regentschaft jedoch seiner aus Gottorf stammenden Mutter Dorothea Augusta überlassen. Dieser Schwester des Gottorfer Herzogs Friedrich III. ist das Plöner Gesangbuch von 1674 gewidmet, das 1676 im Erscheinungsjahr des Gesangbuches ihrer Husumer Schwägerin bereits die 3. Auflage erlebte. 11 1680 gab der Generalsuperintendent für den königlichen Anteil beider Herzogtümer, Christian von Stökken (1633 - 1684), in Rendsburg das dritte schleswig-holsteinische Gesangbuch heraus, das in noch krasserem Gegensatz zu der Husumer Unternehmung stand. 12 Dies liegt vor allem an den sprachlichen »Verbesserungen«, die Stökken im Opitzschen Sinne an fast allen Liedern vornahm, an der häufigen Gegenüberstellung von alter und »geduppelter« Fassung sowie an seinen eigenen glatten, aber unbedeutenden Neuschöpfungen. Auch Gensch hatte dem Plöner Gesangbuch eigene Lieder beigegeben, wenn auch weitaus zurückhaltender, und ebenfalls bearbeitete Texte aufgenommen. Diese stammten aber überwiegend aus dem bekannten Hannoverschen/ Lüneburgischen Gesangbuch von 1646/ 1661. Maria Elisabeth widersetzte sich dem modischen Bedürfnis nach Textbearbeitungen und wies ihren Hofprediger offensichtlich an, ca. 400 der besten Lieder aus dem damals bekannten Repertoire von ca. 10.000 alten, neueren und zeitgenössischen Texten möglichst in ihren Originalfassungen aufzunehmen. Er selbst ist als Dichter mit nur elf Liedbeispielen vertreten, die durchaus ansprechend sind. Das ausgeprägte Stil- und Qualitätsempfinden der fürstlichen Frau beweist sich aber vor allem in der Auswahl der fast 300 Lieder aus dem 17. Jahrhundert, die beinahe 3/ 4 des Gesamtbestandes ausmachen. Insbesondere die 74 Texte von Paul Gerhardt, von denen zwei doppelt auftreten, 13 dürfen fast alle auch heute noch zu den besten des großen Barockdichters gerechnet werden. 11 Vollständiges Gesang = Buch (Plön 1674, 2 1675, 3 1676). Vgl. Brederek I, 3 - 19 und Beitrag 10. - Lohmeier, Art. Gensch (von Breitenau), Christoph. In: BLSH 8 (1987), 151 - 156. 12 von Stökken, Kleines Holsteinisches Gesang = Buch (Rendsburg 1680). Vgl. Brederek I, 25 - 34. - Otto/ Lohmeier, Art. Stökken, Christian von. In: BLSH 5 (1979), 246 - 248. 13 Vgl. Beitrag 7, Anm. 10. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 96 Das Husumer Hofgesangbuch unterscheidet sich von den Parallelinitiativen in Plön und Rendsburg nicht nur durch die vorzügliche Liedauswahl und die unzeitgemäße Texttreue, sondern auch durch die Aufnahme von Noten. Theologisch zeigt es frühpietistische Ansätze der Reformorthodoxie mit behutsamen überkonfessionellen Merkmalen. Äußerlich beeindruckt es vor allem durch sein stattliches Format und die exzellente typographische Gestaltung mit reichem Buchschmuck wie holzgeschnittenen Kopfleisten und Vignetten. 14 Vergleich der drei Exemplare in Husum, Kopenhagen und Lübeck Ein Vergleich der wenigen überlieferten Exemplare des Hofgesangbuchs gibt Rätsel auf. Das 1979 für das nordfriesische Kreisarchiv im Schloss vor Husum ersteigerte Exemplar (H) 15 trägt den Besitzvermerk »Augusta Maria Markgræfin zu Baden und Hochberg«. (Die jüngste Tochter Friedrichs III. und seiner Gemahlin Maria Elisabeth hatte 1670 den Husumer Witwensitz verlassen, um den Markgrafen Friedrich VII. Magnus zu heiraten.) 16 Das Exemplar H unterscheidet sich von dem in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen (K) 17 und dem lange Zeit verloren geglaubten, 1995 aber wieder aufgefundenen Exemplar 14 Die in die Beiträge 6 - 8 eingefügten Zierleisten und Vignetten stammen alle aus der Fürstlichen Druckerei von Johann Holwein und sind dem Husumer Hofgesangbuch (Schleswig 1676) entnommen. 15 Mc 8.608. [Seit 2006 befindet sich das Kreisarchiv in der Asmussenstr. 19, Husum. Neue Signatur: 20B.Aus 2.] 16 Vgl. Beitrag 7, S. 108. 17 DA 1.-2. S 44 11 04 04 002312 der Lübecker Stadtbibliothek (L) 18 . In letzterem (L) fehlt das den beiden anderen Büchern angebundene Ein Gebet Auff die heutige vielfältige KriegsNoth gerichtet, in Lübeck und Kopenhagen fehlt dagegen Das Ampt der Communion. Wie es In der HochFürstl. Hoff-Capelle zu Husum pflegt gehalten zu werden (jeweils 8 Seiten). Vor allem aber unterscheiden sich K und L (Abb. 6.3) von H (s. u. Abb. 7.1) durch abweichende Titelblätter. Abgesehen von einigen typographischen und orthographischen Varianten sowie der lateinischen Angabe »Anno 1676« (K und L) statt »Im Jahr 1676« (H) ist zwischen den Angaben zu ihrer Herkunft (»Der Durchläuchtigsten Fürstinn und Frauen Fr. Maria Elisabeth/ Gebohrnen auß Churfürstlichen Stamm zu Sachsen«) und ihrem Stand (»verwittweten Hertzogin zu Schleßwig Holstein/ Stormarn und der Dithmarschen/ Gräffin zu Oldenburg und Delmenhorst/ etc.«) in K und L »Erb = Princessin in der Ober = und NiderLaußnitz [! ]« eingefügt. 1635 waren im Frieden von Prag beide Lausitzen dem sächsischen Kurfürsten zugesprochen worden. Im Landesarchiv Schleswig sind zahlreiche Schriftstücke erhalten, die belegen, dass die bereits 1630 nach Gottorf verheiratete Kurfürstentochter die dynastische Bezeichnung »Erbprincessin« in ihrem vollen Titel führte. Über die Gründe des Fehlens dieses Zusatzes auf dem Titelblatt des Husumer Exemplars, das der Markgräfin in Baden-Durlach verehrt worden war, kann nur spekuliert werden - ebenso wie über die voneinander abweichenden Wappen auf der Rückseite der Titelblätter (Abb. 6.4 und 6.5). 19 Hauptunterschied ist die Präsentation der gekreuzten Kurschwerter als Zeichen der sächsischen Kurwürde im Herzschild des Wappens von K und L, während H den herzoglichsächsischen Rautenkranz an vornehmster Stelle, die Kurschwerter hingegen überhaupt nicht im Wappen führt. Es spricht einiges dafür, dass die einander sehr ähnelnden, schlichter gebundenen und Gebrauchsspuren zeigenden Exemplare in Kopenhagen und Lübeck ihren Standort ursprünglich in der Husumer Schlosskapelle hatten. Dagegen deutet der markgräfliche Besitzvermerk auf dem Respektsblatt des nach Husum zurückgekehrten Exemplars darauf hin, dass es seinen Ausgangsort bereits im 17. Jahrhundert verlassen hatte. Das 1995 wiedergefundene Lübecker Exemplar zeugt durch mehrere Besitzvermerke eindeutig von Husumer Provenienz. Eine blassere Schrift auf dem Titelblatt wurde überschrieben mit »Pastor Giese den 22 Januarij ao 80« (vgl. Abb. 6.3). Von Michaelis 1676 an war Joachim Giese Nachmittagsprediger in der Husumer Schlosskapelle. Nach dem Tode von Petrus Petraeus am 27. Oktober 18 Theol. pract. 8° 3588. 19 Entscheidende Hinweise für die heraldisch-dynastische Interpretation verdanke ich einer Stellungnahme des Landesarchivs Schleswig-Holstein, Tagebuch-Nr. 1970/ 87, Schreiben von Herrn Archivdirektor Dr. Martin Reißmann vom 15.7.1987. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 98 Abb. 6.3: Husumer Hofgesangbuch (Ex. L) mit Besitzvermerk des Nachmittagspredigers Joachim Giese 1680 rückte er zu dessen Nachfolger als Hofprediger auf. Die im April 1677 von Buchbinder David Goldbeck gelieferten 60 Gesangbücher mögen das Titelblatt des Kopenhagener und des Lübecker Exemplars enthalten haben, weitere 50 Gesangbücher des Buchbinders Daniel Freydanck das Titelblatt der Husumer Ausgabe. Die Zahl der in den Besoldungslisten des Jahres 1676/ 77 aufgeführten Hofdienerschaft und die bei der Versteigerung des Schlossinventars 1751 noch vorhandenen 39 Gesangbücher lassen eine Anzahl von ca. 60 »in allen Gestülen« der Schlosskapelle ausgelegten Büchern als durchaus realistisch erscheinen. 20 Auf jeden Fall muss der Herzoginwitwe daran gelegen gewesen sein, dass Hofstaat und Gäste mitsingen konnten. Dass dies im 17. Jahrhundert nicht selbstverständlich war, geht ebenfalls aus der Vorrede zum Husumer Hofgesangbuch hervor, wenn Petraeus betont, dass die Fürstin »nicht nur bey dero geheimen Andacht« das Gesangbuch benutzt, sondern dass zum »Vergnügen« der gelegentlichen Gäste auch »beym öffentlichen Gottesdienst und in den täglichen Bete-Stunden« passende Lieder daraus gesungen wurden. Maria Elisabeth, seit frühester Kindheit an die Benutzung eines Gesangbuchs zur privaten und öffentlichen Andacht gewöhnt, mochte auch in der norddeutschen Residenz nicht auf den bewährten Begleiter für Frömmigkeitsübung und Gotteslob verzichten. In Wahrnehmung der einer fürstlichen Frau traditionsgemäß zugewiesenen Zuständigkeit für die geistlichen Belange kümmerte sie sich darum, dass einheitliche Liedersammlungen und Liedfassungen für den Gottesdienst und die häusliche Andacht zur Verfügung standen. Es ist ihr vermutlich zuzuschreiben, dass das niederdeutsche Kirchenbuch von 1635 und die hochdeutsche Ausgabe von 1665 einen Liederteil erhielten. Zweifellos ist sie die Herausgeberin eines der besten und schönsten Gesangbücher, das im 17. Jahrhundert in Deutschland erschien. Sie wurde damit zum Vorbild für ihre jüngste Tochter Augusta Maria (1649 - 1728), die 1697 das erste eigenständige Gesangbuch für die Markgrafschaft Baden-Durlach herausgab. 21 Zu einer Zeit, da der Gottorfer Herzog seiner Souveränität enthoben war, legte seine Mutter mit dem prächtigen Gesangbuch auf ihrem Husumer Witwensitz ein Zeugnis barocker Frömmigkeit und höfischer Repräsentation ab, das seinesgleichen sucht. Die ersten offiziellen Gesangbücher für die Herzogtümer erschienen erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: das pietistische in Altona und Glückstadt 1752, das rationalistische 1780 in Altona. Ein Restaurationsgesangbuch wurde erst nach dem Ende des Gesamtstaats bereits als preußisches Provinzial- 20 Vgl. Vorrede. Weitere Details und Nachweise im Beitrag 7, S. 109 mit Anm. 19 u. 20. 21 Vgl. Erbacher, Die Gesang- und Choralbücher der lutherischen Markgrafschaft Baden-Durlach (1984), S. 38 - 43. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 100 Abb. 6.4: Kursächsisches Wappen mit Schwertern Abb. 6.5: Herzoglich-sächsisches Wappen ohne Schwerter gesangbuch (Schleswig 1883) herausgegeben. Es blieb das einzige im 19. Jahrhundert und wurde erst durch die drei deutschen Einheitsgesangbücher unseres Jahrhunderts abgelöst. 22 Zwischen dem gottorfischen (Husumer) Hofgesangbuch von 1676 und dem gegenwärtigen, 1994 in Schleswig-Holstein eingeführten Evangelischen Gesangbuch liegen also nur fünf Gesangbuchgenerationen. Der Zeitgeschmack führte die Gesangbuchmacher große, teilweise bizarre Umwege, um sie wieder bei den Grundsätzen ankommen zu lassen, von denen sich die Gottorfer Herzoginwitwe vor über 300 Jahren leiten ließ. Auch die landeskirchliche Ausgabe des gegenwärtigen Evangelischen Gesangbuchs auf dem ehemaligen Hoheitsgebiet der Gottorfer präsentiert sich als nicht zu umfangreiche, ausgewogene Mischung aus den besten alten und zeitgenössischen Liedern, überwiegend in ihrer textlichen und melodischen Originalgestalt, mit regionalen Akzenten einerseits und interkonfessionellen Bestrebungen andererseits. 22 Siehe Beitrag 5. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 102 7 Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 Ein verloren geglaubtes Gesangbuch und seine Quellen Nach über 300 Jahren ist ein verloren geglaubtes Gesangbuch wieder dahin zurückgekehrt, wo es ursprünglich beheimatet war: ins Schloss vor Husum, einen ehemaligen Nebensitz der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf. 1979 wurde die Rarität in einem Münchner Antiquariatskatalog entdeckt und von der Stiftung Nordfriesland für die allgemein zugängliche Bibliothek des Kreisarchivs im Husumer Schloss erworben. 1 Nicht nur als Rarität, sondern vor allem wegen seiner besonderen Qualität verdient das Husumer Hofgesangbuch eine eingehende monographische Darstellung und Würdigung. Titelaufnahme, Format und Umfang (nach DKL) [I: ] Außerlesene Geistliche Lieder/ Auß unterschiedenen Gesangbüchern zusammen getragen [. . .], Schleswig 1676. [vollständiger Titel in der Faksimile-Wiedergabe (Abb. 7.1)] [II: ] [Gebetsanhang o. N.] Schleswig 1675. [III: ] [Kopftitel: ] Das Ampt der Communion. Wie es In der HochFürstl. Hoff-Capelle zu Husum pflegt gehalten zu werden. [o. N.] Druck [I: ] Schleswig 1676: Johan Holwein; [II: ] Schleswig 1675: Johan Holwein; [III: ] o. O. o. J. gr.8º - (26) 687 (11); 88 (8, 4); (8) Sn. Bisheriger Stand der Forschung 1. Johann Melchior Krafft, Hamburg 1723 Relativ früh würdigte der Husumer Hauptpastor Johann Melchior Krafft das Gesangbuch in seiner Zwey = Hundert = Jährige[n] Husumische[n] Kirchen = und Der Aufsatz erschien zunächst im JLH 27 (1983) und kurz danach als Sonderdruck in den Schriften des Kreisarchivs Nordfriesland 8. Siehe BibAK 9 (1983). Wegen besserer Lesbarkeit wird auf zahlreiche Einzelnachweise verzichtet und auf die Belege im Erstdruck verwiesen. 1 Sign. Mc 8.608. Neue Sign.: 20B.Aus 2. Seit 2006 befindet sich das Kreisarchiv in der Asmussenstr. 19, Husum. Abb. 7.1: Titelblatt des Husumer Hofgesangbuchs, Schleswig 1676 (Ex. H) Schul = Historie. 2 Am Ende einer ausführlichen Lebensbeschreibung des Hofpredigers Petrus Petraeus (1631 - 1680) 3 erwähnt er das schöne und herrliche Gesang = Buch, so er [Petraeus] auf Befehl der Hertzogin Mariæ Elisabeth Anno 1676. in eben demselben Format in 4to, und mit so grossen Buchstaben, wie die 1664. gedruckte Bibel, zusammen getragen und zu Schleswig mit einer netten Vorrede ediret, unter dem Titul: Auserlesene und geistreiche Lieder. Weil aber von diesem herrlichen auch kostbaren Gesang = Buche nur wenige Exemplaria gedruckt worden, so ists nicht Wunder, daß es denen gelehrten Lieder = Freunden ausserhalb Landes unbekandt geblieben; darunter denn der Herr Hof = Prediger M. Petræus viele darinnen befindliche Lieder selbst verfertiget. Weil aber der seel. Mann nach der Zeit noch viele andere gedichtet, und ungedruckt nachgelassen, so wollen wir dem Christlich = gesinnten Leser, zumahl auch zur Nachricht denen Lieder = Freunden, auch besonders zur Ergäntzung Hn. Johann Caspar Wetzels Historischen Lebens = Beschreibung der berühmtesten Lieder = Dichter, etliche davon bey dieser Gelegenheit mittheilen, daraus derer übrigen Güte und Würde gnugsam zu erkennen. 4 Es folgt der Abdruck von vier Liedern des Petraeus, auf die wir später zurückkommen werden. Über diese urteilt Krafft folgendermaßen: Was er auch ins besondere für einen Geist gehabt, GOtt, nach dem Exempel Davids, für ein jedes Werck zu loben und zu dancken, das bezeugen seine viele, wohlgesetzte, erbauliche und geistreiche Lieder und Psalmen, die er verfertiget und übersetzt, als worinnen er dem geistreichen Paulo Gerharden nicht viel nachgegeben, vielen andern aber es weit zuvor gethan. 5 2 In: Krafft, Ein Zweyfaches Zwey = Hundert = Jähriges Jubel = Gedächtnis (1723), S. 309 - 314. Diesen sowie zahlreiche andere landeskundliche Hinweise verdanke ich Holger Borzikowsky. 3 Petrus Petraeus (Peter Petersen), geb. 25.7.1631 in Herckshuy [heute Jerrishoe] im Kirchspiel Eggebeck bei Flensburg, zeigt früh Begabungen und wird zu den Brüdern des Vaters nach Schleswig geschickt, wo er zunächst von Privatlehrern, ab 1648 vom Rektor der Domschule unterrichtet wird. Nach dreijähriger Gymnasialzeit in Stettin studiert er Philosophie und Theologie in Wittenberg und Jena. Überall fällt er durch überdurchschnittliche Leistungen auf. Als Magister nach Schleswig zurückgekehrt, heiratet er 1657 die Tochter des Dompastors Theodor Niemann, der ihn zum Rektor der Domschule macht. 1667 wird er Pastor am »Hoch- Adelichen Jungfer-Kloster zu St. Johannis in Schleswig«, 1672 Hofprediger der Herzoginwitwe Maria Elisabeth im Schloss vor Husum. Dieses Amt bekleidet er acht Jahre lang bis zu seinem Tode am 19. Sonntag nach Trinitatis [27.10.] 1680 (Lebenslauf nach Krafft 1723). Die Jenaer Studienzeit des späteren Hofpredigers wird bescheinigt durch die Matrikel eines »Petraeus, Petrus, Slesvicensis Holsatus« im Februar 1652 an der »Academia Genensis« (Achelis 1930, S. 112). Seine Rektoratszeit ist in etwas polemischer Weise durch ein handschriftliches Zeugnis belegt, das einem seiner Nachfolger im Rektoramt zugeschrieben wird: »Man hat derohalben hienächst den berühmten Inspector Niemannum gratificirt und Anno 1661 Mag. Petrum Petraeum, dieweil er des Inspectoris Tochter zur Ehe genommen, zum hiesigen Rectorat berufen, aber weil er dem Trunk ziemlich ergeben, die Schul daher unter ihm noch weiter abgenommen, hat man ihn endlich von hinnen in ’ s Predigtamt berufen (! ! )« (Schröder 1846, S. 59). 4 Krafft (1723), S. 311 f. In der Tat ist Petraeus in Wetzels vierbändiger Hymnopoeographia (1719 - 25) noch nicht erwähnt. 5 Ebd., S. 11. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 105 2. Johannes Moller, Kopenhagen 1744 Johannes Moller fasst die Ausführungen Kraffts in seinem schleswig-holsteinischen Literatenlexikon Cimbria Literata in lateinischer Sprache zusammen, ohne eine eigene Stellungnahme hinzuzufügen: Außerlesene geistliche Lieder, auß unterschiedlichen Gesangbüchern, auf Anordnung Mariae Elisabethae, verwittibten Hertzoginn zu Holstein-Gottorf, von ihm zusammengetragen, und mit einer Vorrede außgegeben. Slesvigae 1676. in 4.maj. Commendantur cantilenae sacrae, qvas partim Hymnologio huic inseruit, partim vero ineditas reliqvit, hymnis Pauli Gerhardi eximiis palmam reddentes dubiam, a Kraftio, qui [. . .] qvatuor etiam ineditas exhibuit. 6 3. Johannes Zahn, Gütersloh 1889 - 93 In den großen hymnologischen Standardwerken des 19. und frühen 20. Jahrhunderts von Eduard Emil Koch und Albert Friedrich Wilhelm Fischer/ Wilhelm Tümpel werden weder die Lieder des Petraeus noch die von ihm herausgegebene Sammlung erwähnt - ein weiterer Beweis für die geringe Verbreitung des Husumer Hofgesangbuchs. Nur Johannes Zahn muss das heute als verloren geltende Exemplar der ehemaligen Stadtbibliothek Hamburg persönlich vorgelegen haben (Zahn VI,745). 7 Zahn gibt den Titel stark gekürzt wieder. Seine knappen Anmerkungen bedürfen der Ergänzung und Korrektur. Immerhin gibt er bei 30 Melodien, vor allem des 17. Jahrhunderts, »Schleßwig 1676« als eine - in einigen Fällen sogar als einzige - weitere Quelle an. Laut Zahn sind »Neue Melodien [. . .] in dem Buch nicht enthalten«. Mindestens für eine bisher unbekannte Melodie muss diese Aussage korrigiert werden. 8 4. Emil Brederek, Kiel 1919 Auch Emil Brederek verwendete für seine Studien das verlorene Hamburger Exemplar. Er stellt »Das Schleswigische (Husumer) Gesangbuch v. 1676« als zweitältestes Gesangbuch der preußischen Provinz Schleswig-Holstein mit vollständigem Titel vor und weist darauf hin, dass es »als e i n z i g e s unter sämtlichen älteren Gesangbüchern [. . .] Noten zu jedem Liede, als e r s t e s die Angabe der Dichter unter den Liedern« bringe. 9 Tatsächlich finden sich aber nur bei 149 der 408 Lieder des Husumer Hofgesangbuchs Notendrucke. 10 6 Moller (1744), S. 489. Auch bei Jensen (1841), S. 588, und Arends (1932), S. 156, erscheinen Kurzbiographien von Petraeus. Das Husumer Hofgesangbuch wird darin nicht erwähnt. 7 Zu Koch, Fischer/ Tümpel und Zahn vgl. Siglenverzeichnis und LitV. 8 Mel. zu Nr. 199 ACh mein JESU/ der du dich (Petraeus), s. u. Abb. 7.4. 9 Brederek I, 19 - 24, hier S. 20. 10 Nach der Nummerierung sind es 408 Lieder. Da die Lieder von Paul Gerhardt ICh weiß mein GOtt/ daß all mein Thun (Nr. 200 und Nr. 347) und ICh preise dich/ und singe (Nr. 260 und Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 106 Brederek zählt - zeitlich und regional geordnet - lediglich die Lieder aus dem Husumer Gesangbuch auf, die im ersten schleswig-holsteinischen Gesangbuch (Plön 1674, 2 1675, 3 1676 u. ö.) noch nicht erschienen waren. Auch hierbei unterlaufen ihm Fehler, die teilweise auf dem älteren Stand der Forschung beruhen, teilweise auf echtem Versehen. Eine Wertung der Liedauswahl nimmt er - abgesehen von der Kritik an den Liedern des Petraeus - nicht vor. Über diese 14 Lieder sagt er: »Nur 3 davon [. . .] finden sich später noch einmal wieder; die übrigen 11 [. . .] sind - und wohl mit Recht - über dies Gesangbuch nicht hinausgekommen«. 11 5. Johanna Fries, Kiel 1964 Johanna Fries stützt sich in ihrer Dissertation über Kirchenlieddichtung des 17. Jahrhunderts in Schleswig-Holstein in erster Linie auf Brederek. Obwohl der Bibliographie zu entnehmen ist, dass ihr in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen ein Exemplar des Husumer Hofgesangbuchs zur Verfügung stand, übernimmt sie Bredereks teilweise falschen Angaben über das Gesangbuch sowie dessen abschätzige Meinung über die Qualität der Liedertexte des Herausgebers. Seine Lieder »sind alle glatt gereimt und gepflegt im Ausdruck, aber ohne den Schwung eigener Begeisterung oder überhaupt spürbarer innerer Beteiligung gemacht [. . .] eine eigene dichterische Begabung oder die Neigung zum Singen besaß Petersen nicht«. 12 Es wird zu untersuchen sein, wer dem dichtenden Hofprediger eher gerecht wird: Brederek und Fries, die in Petraeus einen braven Verseschmied sehen, oder Krafft, der ihn in die Nähe eines Paul Gerhardt rückt. 6. Philip Marshall Mitchell, Lawrence/ Kansas 1969 Auch in der bisher von der Hymnologie kaum beachteten Bibliographie der deutschen Drucke des 17. Jahrhunderts in Dänemark und Schleswig-Holstein von Philip Marshall Mitchell ist die Königliche Bibliothek in Kopenhagen als einziger Fundort für das Husumer Hofgesangbuch angegeben. 13 7. Das Deutsche Kirchenlied (DKL), Kassel 1975 In dem Verzeichnis für gedruckte Kirchenliedquellen vor 1800 mit Noten wird unser Gesangbuch unter DKL 1676 21 und der Sigle Schlesw 1676 mit dem Kurztitel von Zahn übernommen. Nur zwei Fundorte (Stadtbibliothek Hamburg und Nr. 296) zweimal aufgenommen wurden, enthält das Husumer Hofgesangbuch aber nur 406 verschiedene Lieder. 11 Brederek I, 24. 12 Fries, Die deutsche Kirchenlieddichtung in Schleswig-Holstein im 17. Jh. (1964), S. 105. 13 Mitchell, A Bibliography of 17th Century German Imprints (1969), S. 423. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 107 Bibliothek der Hansestadt Lübeck) sind angegeben - beide mit dem Vermerk »Verloren«! Das Fries und Mitchell bekannte Kopenhagener Exemplar muss der Aufmerksamkeit der DKL-Mitarbeiter entgangen sein. In einem Nachtrag zu DKL könnte nun der vollständige Titel auch um Angaben über Format und Umfang, bibliographische Literatur und vor allem um die aktuellen Standorte ergänzt werden. 14 Beschreibung des Husumer Hofgesangbuchs Ausstattung und Auflagenhöhe Der stattliche Rindlederband mit Schließen, goldverziertem Rücken und kunstvoll gepunztem Goldschnitt zeigt kaum Gebrauchsspuren. Dies ist verständlich, da die handschriftliche Eintragung auf dem Respektsblatt »Augusta Maria Margræfin zu Baden und Hochberg« als ehemalige Besitzerin des aus Husum stammenden Gesangbuchs ausweist. Augusta Maria (1649 - 1728), Prinzessin von Schleswig-Holstein-Gottorf, war das jüngste von 16 Kindern und erst zehn Jahre alt, als ihr Vater Friedrich III. 1659 starb. Bis zu ihrer Vermählung mit dem Markgrafen von Baden-Durlach im Jahre 1670 lebte die Prinzessin mit dem Hofstaat ihrer Mutter Maria Elisabeth (1610 - 1684) auf dem Witwensitz der Gottorfer Herzöge im Schloss vor Husum. Das beschriebene Exemplar des für die Husumer Schlosskapelle herausgegebenen Gesangbuchs wird ihr die Mutter zum Geschenk gemacht haben. Auf diese Weise kam es nach Süddeutschland, von wo es 300 Jahre später an seinen Ausgangsort zurückgelangte. Johann Melchior Krafft hebt in seiner Abhandlung über das Hofgesangbuch die »grossen Buchstaben wie die 1664. gedruckte Bibel« eigens hervor. Der Gottorfer Hofgelehrte Adam Olearius 15 schreibt in der Vorrede zu dem 1665 von ihm herausgegebenen Kirchenbuch: »Vnd damit auch durch dieses Buch alten Leuten/ und blöden Gesichtern/ sonderlich bey dunckeln Tagen im lesen desto besser bedienet werden möchte/ seind die Evangelia und Episteln [und auch die Liedertexte] mit gar grober Schrifft gedruckt«. 16 Elf Jahre später wählt derselbe Hofbuchdrucker Johann Holwein für das Husumer Gesangbuch eine noch größere Frakturtype. Daraus mag auf eine zunehmende Sehschwäche der 14 1995 wurde das verloren geglaubte Lübecker Exemplar wieder entdeckt. In Beitrag 6 werden die nunmehr drei nachweisbaren Exemplare miteinander verglichen. 15 Adam Olearius (1599 - 1671) wurde vor allem berühmt durch den Gottorfer Riesenglobus (1654) und die Beschreibung der »Moskowitischen und Persianischen Reisen«, an denen er 1633 - 1639 im Auftrag von Herzog Friedrich III. als Gesandtschaftssekretär teilnahm. 16 Das Schleßwigische und Holsteinische Kirchen Buch (1665). Vorrede, fol. iij v . Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 108 Herzoginwitwe geschlossen werden. 17 Nachhaltig aber ist der höfisch-repräsentative Eindruck, der durch die zum großen Format (ca. 23x18x6 cm) passenden Typen entsteht und durch 149 teils geschnittene, teils gesetzte gute Notendrucke verstärkt wird (s. u. Abb. 7.2 u. 7.4). Zwei ganzseitige Holzschnitte auf den Rückseiten der Titelblätter - sächsisches Wappen (I) und Christuskopf mit Nimbus (II) - figürliche, in Holz geschnittene Kopfleisten (II und III) sowie fünf Schlussvignetten tragen u. a. zum Buchschmuck bei. Da Johann Holwein, der aus einer alten Buchdruckerfamilie in Wolfenbüttel und Celle stammte, sich auch als »Formschneider« bezeichnete, 18 ist denkbar, dass die Holzschnitte, zumindest teilweise, von ihm selber gefertigt worden sind. Krafft spricht auch davon, dass »von diesem herrlichen auch kostbaren Gesang-Buche nur wenige Exemplaria gedruckt worden«. Aus den Husumer Hofrechnungen im Landesarchiv zu Schleswig sind Rückschlüsse über die Auflagenhöhe zu ziehen. Unter dem 10. April 1677 ist belegt, dass die Buchbinder David Goldbeck »für 60. Exemplaria der neuen Gesangbücher in die Fürstl: Schloß Kirche zu binden« und David Freydanck »für 50 Exemplaria Von den Neuen Gesangbüchern einzubinden« entlohnt wurden. 19 Man darf also davon ausgehen, dass mindestens 110 Exemplare gedruckt und gebunden wurden. Ein Teil davon wird im Gestühl der Schlosskapelle ausgelegt, der Rest von der Fürstin verschenkt worden sein. Immerhin sind 1751 bei der Versteigerung des Schlossinventars noch 39 Gesangbücher im Auktionsprotokoll aufgeführt. 20 Widmung und Vorrede Auf der Rückseite des Titelblatts ehrt der Herausgeber, der sich durch die Initialen M. P. P. (Mag. Petrus Petraeus) zu erkennen gibt, seine aus Sachsen stammende Auftraggeberin durch zwei schulmäßig verfasste Alexandrinerstrophen. Sie rahmen das abgebildete Wappen (s. o. Abb. 6.5) nicht nur ein, sondern stellen zu diesem auch inhaltlich eine Verbindung her. Wer danckt nicht unter uns dem grossen Hause Sachsen? Weil dessen Rauten = Krafft den Gifft vertrieben hat Der durch Abgötterey der Lehre Schaden that O GOtt laß ferner es zu deiner Ehre wachsen! 17 Die Herzogin besaß spätestens 1663 eine Brille. Vgl. Beitrag 8, S. 143. 18 Vgl. Schlee, Kupferstecher im Umkreis des Gottorfer Hofes (1981), S. 12. 19 LASH 7/ 4783, Hofrechnungen 1676/ 77, Belege 201/ 202. 20 »39 Stück große Gesang Bücher, alt und theils beschädiget, so in diesen Schrancken verhanden« wurden an verschiedene, einzeln aufgeführte Personen aus Husum nebst umliegenden Dörfern und Schleswig am 3. März 1751 versteigert. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 109 An unser Gnädigsten spürt man die Rauten Kräffte Mit Nesseln durchgemengt: der Glaube grünt in Jhr Und thut sich durchs Gebet und Liebes = Flamm herfür. Das sind des Christenthums stets grünende brennende Geschäffte! M. P. P. Die mit dem noch heute im schleswig-holsteinischen Wappen vorhandenen Nesselblatt vermengten Rauten des sächsischen Wappens stehen sinnbildlich für die religionspolitische Bedeutung des Hauses Sachsen 21 und die »grünenden« Glaubenskräfte der ehemals sächsischen Prinzessin, die ihre Frömmigkeit durch Gebet und »brennende Liebesflammen« 22 bekennt. Als Tochter Johann Georgs I. (reg. 1611 - 1656) war Maria Elisabeth (1610 - 1684) bis zu ihrer Heirat 1630 am kurfürstlichen Dresdener Hof aufgewachsen, dem geistig und politisch führenden unter den deutschen Fürstenhäusern. Die Bewahrung lutherischen Glaubens und gottesdienstlicher Tradition, besonders die Pflege evangelischer Kirchenmusik (seit 1617 geprägt durch Heinrich Schütz), standen in Dresden im Mittelpunkt des kulturellen Lebens. Die Bekenntnistreue ihres Vaters fand sichtbaren Ausdruck u. a. darin, dass er zeitlebens Luthers Siegelring am Finger trug. 23 Auf die Anregung ihres Bruders, des nachfolgenden Kurfürsten Johann Georg II. (reg. 1656 - 1680), geht die jährliche Feier des Reformationsfestes zurück. 24 Die exponierte Stellung des sächsischen Wappens im Husumer Hofgesangbuch ist ein Zeichen der Verbundenheit der Fürstin mit der Heimat ihrer Väter und der Wiege des deutschen Protestantismus. Auf die Widmung folgt die Vorrede. Sie ist unterzeichnet: »Husum den 27. Octobris An. 1676. M. PETRUS PETRÆUS/ Höchstgedachter verwittibten HochFürstl. Durchl. HoffPrediger«. Nach einer vierseitigen Apologie des Singens christlicher Lieder im Gottesdienst unter Berufung auf entsprechende 21 Die Wörter »Sachsen« und »Gnädigste« sind im Widmungsgedicht durch größeren Druck hervorgehoben. Vgl. die Huldigung an Maria Elisabeths Bruder Kurfürst Johann Georg II. (1613 - 1680) in den erläuternden Alexandrinern zu dem berühmten »Kupfer-Titul« des ebenfalls 1676 erschienenen Dresdener Geistreichen Gesang = Buchs (DKL 1676 11 ): »SEht hier das GOttes-Hauß des Königs untern Sachsen, Des Rauten-Davids, an, wie seine Zier erwachsen«. 22 »Liebesflamme« ist eine beliebte Metapher in der von Johann Arndt beeinflussten Erbauungsliteratur und in den Sammlungen geistlicher Lieder des 17. Jhs., z. B. bei J. M. Dilherr (DKL 1651 11 ), Ph. v. Zesen (DKL 1653 24 ) und H. Müller (DKL 1659 15 ). Müllers Andachtsbuch Himmlischer Liebeskuß (1659) wurde posthum unter dem Titel Göttliche Liebesflamme veröffentlicht. Dieses erst 1676 in Frankfurt erschienene Andachtsbuch wurde laut Hofrechnung vom 20.5.1676 in zwei Exemplaren von der Fürstin erworben. (LASH 7/ 4783, Beleg 198). 23 Schmidt, Der Gottesdienst am kurfürstlichen Hofe zu Dresden (1961), S. 23. 24 Ebd., S. 24. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 110 Stellen im Alten und Neuen Testament, wie sie in Gesangbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts gebräuchlich sind, erklärt Petraeus: Ich halte aber dafür/ daß unnöthig sey/ hievon viel Worte zu machen: nachdem schon hiebevor unterschiedliche Theologen unser Evangelischen Kirche dieses nützliche Stück unsers Gottesdienstes sattsam gerühmet/ und fürnemlich Sel. D. Müller in seiner Geistlichen Seelen-Musick. 25 So nun aber jemahls Gottliebende Seelen gewesen/ die ihre Lust und Ergetzlichkeit gesucht in solchen geistlichen lieblichen Liedern/ kan ich mit Warheit bezeugen/ daß hierunter für allen zu rechnen sey J. HochF. Durchl. meine Gnädigste Fürstin und Frau/ welche nicht nur bey dero geheimen Andacht/ Morgends/ Mittags und Abends zum Preiß des Göttlichen Namens sich derselben bedienen/ sondern auch gute Anordnung machen lassen/ daß beym öffentlichen Gottesdienst und in den täglichen Bete = Stunden fügliche und bequeme Psalmen mögen gesungen werden/ nicht ohn besondern Vergnügen (wiewol ohn üppigen Ruhm) der jenigen die zuweilen unser Versamlung beywohnen. Zu dem Ende haben Jhr HochFürstl. Durchl. das Dreßdenische Gesang = Buch Anno 1656. gedruckt/ in dero Hoff = Capell in allen Gestülen vertheilen lassen/ damit ein jeglicher wenn er zuvor die Gesänge auffgeschlagen/ findet/ so viel fertiger sey den Namen Gottes anzuruffen und zu preisen. 26 Wenn aber nach der Zeit von Jahren zu Jahren verbesserte und vermehrte Gesang = Bücher außkommen/ welche Jhr Durchl. fleissig durchgesucht/ und darinn befunden solche Lieder/ welche bißhero in der Gemeine noch unbekand/ aber dennoch erbaulich/ haben Sie belieben getragen/ die besten auß allen Büchern zu erwehlen/ und mir gnädigst befohlen/ solche in Ordnung zu bringen/ und in grossem Format/ gleich der Bibel/ welche Sie An. 1664. drücken lassen/ außzufertigen. Aus diesem Teil der Vorrede lassen sich folgende Schlüsse ziehen: 1. Nach dem Tod Herzog Friedrichs III. (reg. 1616 - 1659), der als Förderer der Geistes- und Naturwissenschaften hervorgetreten war, beeinflusste seine Witwe von Husum aus das geistliche Leben der Gottorfer. 27 Nach Lutherbibel (1664) und Kirchenbuch (1665) veranlasste sie nun die Herausgabe des Gesangbuchs. 2. In der Husumer Hofkapelle fanden täglich Gottesdienste bzw. Andachten statt, bei denen zu den Tageslesungen passende Lieder gesungen wurden. Entweder die Tatsache als solche oder aber die Qualität des Singens scheinen besondere Beachtung verdient zu haben, sonst wäre das »Vergnügen [. . .] der 25 Petraeus bezieht sich hier auf Heinrich Müllers »Zehen Betrachtungen von den Geistlichen Liedern« zu Beginn seines einflussreichen Gesangbuchs Geistliche Seelen-Musik (1659, 2 1668), im Folg. Seelenmusik. 26 Dreßdenisch Gesangbuch Christlicher Psalmen und Kirchenlieder (1656). Für die langfristige Überlassung des Exemplars aus der Bibliothek des Bärenreiter Verlags Kassel danke ich herzlich. 27 Maria Elisabeth soll sich auch nach dem Tode ihres Gatten häufig in Gottorf aufgehalten haben. Vgl. Beccau, Versuch einer urkundlichen Darstellung der Geschichte Husums (1854), S. 214. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 111 jenigen die zuweilen unser Versamlung beywohnen«, sicher nicht eigens betont worden. 3. Der Herzoginwitwe lag daran, dass Hofstaat und Gäste mitsingen konnten, weshalb sie zunächst das ihr vertraute Dresdener Gesangbuch in der Ausgabe von 1656 »in allen Gestülen« verteilen ließ. 4. In den politischen Wirren der siebziger Jahre entschloss sie sich zur Herausgabe eines eigenen zeitgemäßen Gesangbuchs, für das sie die Lieder aus zahlreichen Gesangbüchern persönlich auswählte. Ihren Hofprediger Mag. Petrus Petraeus beauftragte sie mit der Anordnung der Lieder und den übrigen editorischen Aufgaben. 5. Aus der Fülle der Gesangbücher des 17. Jahrhunderts wurden das Dresdenisch Gesangbuch (DKL 1656 03 ) und Heinrich Müllers Geistliche Seelen- Musik (DKL 1659 15 ) als Quellen ausdrücklich genannt. Die Register Neben dem alphabetischen Register am Schluss des Liedteils enthält das Gesangbuch zwei weitere zwischen Vorrede und Hauptteil. [1.] Register über die Psalmen und Kirchen = Gesänge/ welche an jedem Sonn = und Fest = Tage bey betrachtung der Evangelischen und Epistolischen Texte am füglichsten können gesungen werden/ oder sich zum besten auff die Zeit schicken. De tempore-Register dieser Art finden sich in zahlreichen Gesangbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Systematik, mit der im Husumer Gesangbuch jedem Evangelium und jeder Epistel jeweils zwei Lieder zugeordnet wurden, ist jedoch ungewöhnlich. Im Gesangbuch Dresden 1656 stehen im entsprechenden Register drei bis zehn Liedvorschläge zu jedem Sonntag, ohne dass zwischen Evangelien- und Epistel-Liedern unterschieden wird. In Müllers Seelenmusik sind nach der Sonntagsbzw. Festbezeichnung meistens zum Eingang ein Lied, zum Evangelium ein bis drei, zur Epistel ein bis vier Lieder aufgeführt. Anders als Müller nennt Petraeus bei jedem Tag die altkirchlichen Perikopen, so dass sein Register zugleich die Funktion eines Lektionars erhält. Die Mittelstellung des Husumer Gesangbuchs zwischen den traditionellen Festtagsbezeichnungen im Dresdener Gesangbuch und den knappen Überschriften in Müllers Seelenmusik wird bei einem Vergleich deutlich. Drei Festtage der Dresdener Tradition fehlen in den späteren Gesangbüchern. 28 Dafür erscheint ausschließlich in Husum bzw. Schleswig das »Fest Aller Heiligen«. 29 28 »Am Tage der unschuldigen Kindlein«, »der Tauffe Christi am Jordan« und »Mariae Magdalenae«. In H. Müllers Seelenmusik fehlen außerdem Epiphanias und Michaelis sowie die zweiten und dritten Feiertage der drei hohen christlichen Feste. 29 »Aller Heiligen Tag« wird im Kirchenbuch von 1665 unter den Festen aufgeführt, an denen nur vormittags gepredigt wird: Neujahr, Heilige drei Könige, Lichtmess, Mariä Verkündigung, Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 112 Petraeus verzichtet auf die seit 1593 für die Dresdener Gesangbücher typischen christologischen Zusätze zu den Hauptbezeichnungen der Festtage. So heißt es statt »Am Neuen Jahrstage/ von der Beschneidung Christi« oder »Am Tage der Heiligen drey Könige/ von der Offenbarung JEsu CHristi« (Dresden 1656) im Husumer Register nur noch »Am Neuen Jahrs-Tage« und »Am Fest der so genanten H. drey Könige«, bei Müller - wohl auch aus Platzmangel in dem schmalen Duodezband - noch kürzer nur noch »Neu Jahr« etc. Vor allem enthält das de tempore-Register des Petraeus aufschlussreiche Mitteilungen über das gottesdienstliche Leben am Husumer Hofe. Nach dem »Sontage Quinquagesima oder Esto mihi« heißt es: Wenn hierauff am Mittwochen nach Esto mihi der Anfang gemacht wird zur erklärung der zugleich Schmertz = und tröstlichen Geschicht von dem Leyden und Sterben unsers Hochverdienten Heylandes und Seligmachers Christi JEsu/ und dieselbe in unser Schloß = Kirche in 12. Stück eingetheilt abgehandelt wird/ theils am Mittwochen/ theils am Sontage an stat der ordentlichen Epistel in der Nachmittags = Predigt/ ist umb guter Ordnung willen beliebt worden/ bey einem jeglichen Passion = Text fügliche Gesänge hinbey zu fügen. Am Mittwochen nach Esto mihi ist der Anfang des Textes: Und da sie den Lobgesang/ etc. Ende: Betet aber/ auff daß ihr nicht in Anfechtung fallet. Meine Seel/ jetzt ist es Zeit [S.] 80 Siehe mein getreuer Knecht 70 Am Sontage Invocavit Evangelium Matth. 4. GOtt der Vater wohn uns bey 159 HErr GOtt dich loben alle wir 171 In der Nachmittags = Predigt wird in erklärung der Passion = Geschicht fortgefahren/ von den Worten: Und alsbald da er noch redet/ Siehe Judas/ etc. biß: und flohe bloß von ihnen. Ach wir armen Sünder 68 Hertzliebster JEsu/ was hastu [verbrochen] 66 Es folgen für jeden Mittwoch und Sonntagnachmittag bis zum »Stillen Freytage« die Stichworte eines weiteren Abschnitts aus der Passionsharmonie des Johannes Bugenhagen, die vollständig im Kirchenbuch von 1665 abgedruckt ist. 30 Wie bei den übrigen Textstellen sind auch den zwölf Passionstexten jeweils zwei Lieder zugeordnet. Christi Himmelfahrt, Heimsuchung Mariä, Johannes der Täufer, Michaelis, Allerheiligen. Vgl. Kirchenbuch (1665), Teil 6: Extract Etlicher Puncten Das Predigampt [! ] und Kirchenhandelung betreffende. Aus der für die Fürstenthumer Schleßwig/ und Holstein im Jahr Christi 1542 publicirter Kirchen = Ordnung und andern hernachmals beschehenen sonderbaren Verordnungen. 30 Teil 3. Bugenhagen ist der Verfasser der niederdeutschen Kirchenordnung von 1542 für Schleswig-Holstein, die Olearius für das hochdeutsche Kirchenbuch von 1665 als Vorlage diente. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 113 [2.] Das ander Register begreifft die Gesänge/ so in den täglichen Bet = Stunden gesungen werden. Ein fester Liedkanon gilt für die werktags außer Mittwoch und Sonnabend stattfindenden Betstunden: Am Montage. Gebät = Lehr = und Lebens = Lieder [. . .]. [60] 31 Am Diengstage [! ] [. . .] Gesänge vom Worte GOttes und der Christlichen Kirchen. [12] Am Donnerstage [. . .] Gebät = und Trost = Lieder im Creutz/ Verfolgung und Anfechtung. [49] Am Freytage [. . .] die Lieder/ welche erinnerung geben der Sterblichkeit/ des Jüngsten Gerichts/ der Höllischen Quaal und der seligen Ewigkeit. [40] Außerdem soll »an jedem Tage ein Buß-Psalm zugleich mit gesungen« werden, und zwar in der Reihenfolge der 38 Lieder der 20. Rubrik »Von der Busse und Beicht«. Als Schlusslied nach dem Segen sind zwölf Lieder, überwiegend aus dem Reformationsjahrhundert, zur Auswahl genannt. Die beiden Register geben Aufschluss über folgende Gottesdienst-Ordnungen am Husumer Hofe: 1. Sonntags fanden zwei Gottesdienste in der Schlosskapelle statt. Vormittags wurde wohl traditionsgemäß über das Evangelium, nachmittags über die Epistel gepredigt. 32 Daraus erklärt sich auch die Zuweisung von jeweils zwei Liedern zu den Perikopen. Zwei Lieder waren demnach für den Früh- Gottesdienst, die beiden anderen für den Vesper-Gottesdienst bestimmt. 2. Mittwochs fand ein weiterer Predigt-Gottesdienst statt. Über die Auswahl der Lesungen, Predigtexte und Lieder für diese Wochen-Gottesdienste gibt das Gesangbuch jedoch keine Auskunft. 33 31 Die jeweilige Anzahl der Lieder steht in eckigen Klammern. 32 In Dresden war bis zum Ende des 17. Jhs. an Sonn- und Festtagen das alte Evangelium verbindlicher Predigttext. Für die Vespergottesdienste wurden die Predigttexte aus AT und NT frei gewählt. »In sonn- und festtäglichen Vesperpredigten wird häufig über Texte gepredigt, die inhaltlich zum betreffenden Festtage passen, teilweise wird sogar über die alten Episteln gepredigt« (Schmidt 1961, S. 72). Was sich am Dresdener Hof als Tendenz abzeichnete, wurde im Husumer Vespergottesdienst zur Regel. 33 Oberhofprediger Matthias Hoë von Hoënegg, der das kirchliche Leben während Maria Elisabeths Jugendzeit am Dresdener Hof bestimmte, hatte »die Mittwochs-Predigten übernommen, und Anfangs nur Miscellan-Texte aus dem Alten und Neuen Testament erwehlet, Aº 1620. aber den Psalter Davids in der Woche zu predigen angefangen« (zit. nach Schmidt 1961, S. 71). Die hohe Zahl von Psalmliedern im Husumer Gesangbuch, vor allem die Psalmbereimungen des Hofpredigers Petraeus, legen die Vermutung nahe, dass auch in den Husumer Wochengottesdiensten über den Psalter gepredigt wurde. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 114 3. In der Passionszeit wurde in den Gottesdiensten am Mittwoch und am Sonntag Nachmittag über einen festgelegten Abschnitt der Leidensgeschichte gepredigt. 4. Montags, dienstags, donnerstags und freitags fanden Betstunden statt, die an jedem Wochentag einen anderen thematischen Schwerpunkt hatten. 34 Falls die Register verbindlich waren - die Konsequenz, mit der sie erstellt wurden, lässt dies vermuten - sind sie eine wichtige Quelle für den Kirchengesang am Husumer Hof zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth. Sie zeigen das Bestreben der Herzogin, auch neuere Lieder im Gottesdienst bekannt zu machen und durch ständige Wiederholungen die Kenntnis alten und neuen Liedguts zu festigen und zu bewahren. Im Gegensatz zu anderen Gesangbüchern des 17. Jahrhunderts, in denen die meisten zeitgenössischen Lieder nur der »geheimen Andacht« dienten, steht bei ihr die »beförderung des [. . .] öffentlichen Gottesdienstes« im Vordergrund (vgl. Titelblatt, s. o. Abb. 7.1). Die Einteilung Petrus Petraeus erledigte den Auftrag der Herzogin, die ausgewählten Lieder »in Ordnung zu bringen«, mit Sorgfalt und hymnologischem Sachverstand. Die folgende Übersicht zeigt die Einteilung des Hofgesangbuchs in acht Haupt- und 37 Unterabschnitte mit der jeweiligen Liederanzahl in Klammern. Erster Theil Der Geistreichen Gesänge/ gerichtet auff die Hohe Fest = Tage. [120] Das 1. Capitel. Hält in sich die Advents-Lieder/ Oder Von der Menschwerdung unsers Heylandes JEsu Christi. [8] (Abb. 7.2) Das 2. Capitel. Die Weynacht = Lieder/ Oder Von der Geburt Jesu Christi. [14] Das 3. Capitel. Vom Neuen Jahr/ dem Namen Jesu/ auch von der Beschneidung Christi. [13] Das 4. Capitel. Von der Offenbarung JEsu Christi/ oder am Tage der so genandten H. Drey Könige. [5] Das 5. Capitel. Von der Flucht Christi in Egypten. [2] Das 6. Capitel. Am Tage der Reinigung Maria. [2] Das 7. Capitel. Am Tage der Verkündigung Maria. [5] Das 8. Capitel. Vom Leyden und Sterben JEsu Christi. [29] Das 9. Capitel. Von der Aufferstehung unsers HErrn JESU Christi. [15] Das 10. Capitel. Von der Himmelfahrt unsers HErrn JESU Christi. [6] Das 11. Capitel. Von der Außgiessung des Heiligen Geistes am heiligen Pfingst = Fest. [10] 34 Zu den Betstunden am Dresdener Hof vgl. Schmidt, Betstunden in Kursachsen (1957), S. 127 - 130. Offensichtlich hielt sich die Herzogin nicht so sehr an die in ihrer Kindheit 1617 eingeführte Betstunden-Praxis, sondern an die 1662 festgelegte Ordnung ihres Bruders; sie richtete sich also auch nach der lange nach ihrem Weggang in Dresden eingeführten Kirchenordnung. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 115 Das 12. Capitel. Von der Heiligen Drey = Einigkeit. [4] Das 13. Capitel. Am Tage Johannes des Täuffers. [2] Das 14. Capitel. Am Tage der Heimsuchung Maria. [2] Das 15. Capitel. Am Tage Michaelis von den Engeln. [3] Der Ander Theil Begreiffend Die Catechismus = Lieder. [58] Das 16. Capitel. Von den Zehen Geboten. [3] Das 17. Capitel. Vom Glauben. [2] Das 18. Capitel. Vom Gebet. [2] Das 19. Capitel. Von der Heiligen Tauffe. [3] Das 20. Capitel. Von der Busse und Beicht. [38] Das 21. Capitel. Von der Absolution. [2] Das 22. Capitel. Vom H. Abendmahl. [8] Der Dritte Theil Begreiffend Die Bet = Lieder. [107] Das 23. Capitel. Gebet = Gesänge in allgemeinen Nöthen. [5] Das 24. Capitel. Gebet = Gesänge in sonderlichen Fällen/ und umb sonderliche Gnaden = Güter Gottes. [40] Das 25. Capitel. Morgen Lieder. [6] Mittags = Lied. [1] Abend = Lieder. [5] Das 26. Capitel. Gebet = und Trost = Lieder im Creutz/ Verfolgung und Anfechtung. [50] Der Vierdte Theil Begreiffend Die Lob = und Danck = Lieder. [28] Das 27. Capitel. Lob = und Danck = Gesänge. [22] Das 28. Capitel. Danck = Lieder nach dem Essen. [6] Der Fünffte Theil Begreiffend Die Lehr Lieder. [37] Das 29. Capitel. Vom Menschlichen Elend. [2] Das 30. Capitel. Von der Väterlichen Für = Sorge und Regierung Gottes. [4] Das 31. Capitel. Von der Rechtfertigung. [4] Das 32. Capitel. Vom Christlichen Leben und Wandel. [27] Der Sechste Theil Vom Worte Gottes und der Christlichen Kirchen. Das 33. Capitel. [15] Der Siebende Theil Vom Todt und Sterben. Das 34. Capitel. [26] Der Achte und letzte Theil Begreiffend die Gerichts = Höllen und Himmels = Lieder. [17] Das 35. Capitel. Vom Jüngsten Tage. [7] Das 36. Capitel. Von der Höllen. [5] Das 37. Capitel. Vom ewigen Freuden = Leben. [5] Wie schon beim de tempore-Register wird die dogmatische Stellung des Husumer Hofgesangbuchs zwischen dem noch stark von der lutherischen Orthodoxie geprägten Dresdener Gesangbuch und der schon pietistische Züge zeigenden Seelenmusik Heinrich Müllers deutlich. Die Ordnung der Festgesänge und der Katechismuslieder folgt dem Dresdener Vorbild. Neu hinzugekommen sind jedoch die Marienfeste - Reinigung, Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 116 Abb. 7.2: Luthers Adventslied als Nr. 1 des Husumer Hofgesangbuchs (Noten geschnitten) Verkündigung, Heimsuchung Mariä - und das Fest Michaelis. 35 Der im Dresdener Gesangbuch zwischen Absolutions- und Abendmahlsliedern stehende Abschnitt »Von der Rechtfertigung« wurde von Müller und Petraeus aus den Katechismusliedern herausgenommen und der neuen Rubrik »Lehr = Lieder« zugeordnet; der Liedbestand dieses strittigen Kapitels wurde von elf auf zwei verringert. Auf die ebenfalls heikle Rubrik »Wider den Pabst und Türcken« des Dresdener Gesangbuchs wurde in den beiden späteren Gesangbüchern verzichtet. An diesen Beispielen erkennen wir, dass die von der Rostocker Reformorthodoxie geprägten Theologen Müller und Petraeus jede konfessionelle Polemik zu vermeiden suchten. 36 Das Husumer Hofgesangbuch enthält keinen besonderen Psalmteil. Wie bei den älteren Dresdener Gesangbüchern finden sich jedoch zahlreiche Psalmlieder des 16. und des 17. Jahrhunderts in den verschiedenen Kapiteln, besonders bei den Buß-, Bet-, Lob- und Dankliedern. Dagegen wurde dem Liederteil des zeitgenössischen Dresdener Gesangbuchs nach reformiertem Vorbild der vollständige Psalter - hier der von Cornelius Becker (1602) in der Vertonung von Heinrich Schütz - vorangestellt. 37 Auch Müller fügt zwischen die Lieder des Kirchenjahres und die Katechismuslieder einen selbständigen Abschnitt von 66 Psalmliedern ein. Orientiert sich die Ordnung der Festgesänge und der Katechismuslieder noch ganz an dem kursächsischen Vorbild, so lassen die Bet- und Lehrlieder sowie die Gerichts-, Höllen- und Himmelslieder eindeutig den Einfluss Heinrich Müllers erkennen, der sich in der Vorrede zu seiner Seelenmusik wiederum auf das Nürnberger Gesangbuch beruft. 38 Im 24. Kapitel sind die Lied-Überschriften fast wörtlich aus Seelenmusik übernommen, die ihrerseits dem Geist und der Sprache des Paradiesgärtlein von Johann Arndt verpflichtet sind: 35 Bis auf Allerheiligen sind alle in der Schleswig-Holsteinischen Kirchenordnung festgelegten Feiertage mit einer eigenen Rubrik bedacht. 36 Rostock war für die Schleswig-Holsteiner bis zur Kieler Universitätsgründung (1665) die bevorzugte theologische Fakultät, an der auch zahlreiche Gottorfer Hofprediger und Husumer Pastoren ihre Ausbildung erhielten. 37 Geistreiches Gesang = Buch/ An D. Cornelij Beckers Psalmen und Lutherischen Kirchen-Liedern (Dresden 1676), im Auftrag von Maria Elisabeths Bruder, Kurfürst Johann Georg II., hg. von Christoph Bernhard »mit Heinrich Schützens [. . .] eigenen Gesang-Weisen«. Umso erstaunlicher ist es, dass nur ein einziges Lied aus dem Becker-Psalter (Ps 121, ICh heb mein Augen sehnlich auf) in das Husumer Gesangbuch aufgenommen wurde, und dieses nicht einmal mit der Mel. von Schütz (Z 542 a/ b), sondern »Im Thon: Wenn wir in höchsten Nöthen seyn« (Z 394). 38 »Die Gesänge hab ich nach Anleitung deß Nürnbergischen Gesangbuchs in gewisse Rubriken getheilet« (Müller in Seelenmusik, 2 1668, fol. A7). Gemeint ist wohl Dilherr, Göttliche Liebesflamme (Nürnberg 1651 u. ö.). Vgl. Anm. 22. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 118 Umb Glauben/ Lieb und Hoffnung. Umb Weißheit. Wider die drey Geistliche Feinde. Umb verschmähung der Welt. Wider den Geitz. Wider Wollust und üppigkeit. Wieder [! ] Ehrgeitz und Hoffart. Umb tägliche Außkunfft. Umb die Liebe gegen Christum zu haben. Umb Regierung des gantzen Lebens. Umb Christi tröstliche Gegenwart. Für die liebe Obrigkeit. [fehlt bei Müller] Umb einen fruchtbaren Regen. Umb einen gnädigen Sonnenschein. Umb den lieben Frieden. In grossem Ungewitter. Zur dürren Zeit. Zur Pest = Zeit und in Sterbens = Läufften. In theurer Zeit/ Armuth und Hungers = Noth. Die Texte Der Vorrede zufolge suchte Maria Elisabeth die »besten« Lieder aus zahlreichen Gesangbüchern persönlich aus, um auch »solche Lieder/ welche bißhero in der Gemeine noch unbekand/ aber dennoch erbaulich«, einzuführen. Aus heutiger Sicht gelang es der gebildeten Frau tatsächlich, aus den etwa 10.000 damals bekannten Texten rund 400 der anspruchvollsten auszuwählen. Sie sind zum großen Teil noch heute lebendig und bezeugen somit das sichere Gespür der Fürstin für bleibende Werte. Dieses Qualitätsbewusstsein mag weniger erstaunen bei den Kernliedern des Reformationsjahrhunderts, die schon damals zum festen Bestand des Kirchengesangs gehörten. Es überrascht aber umso mehr bei den Texten zeitgenössischer Verfasser. Denn die Qualität der Lieder war gerade im 17. Jahrhundert sehr unterschiedlich. Das Jahr 1600 teilt den Zeitraum vom Erscheinen der ersten Luther- Gesangbücher (1524) bis zur Drucklegung des Husumer Hofgesangbuchs (1676) in zwei gleiche Abschnitte. Die Zahl der Lieder ist aber keinesfalls gleich: 114 Lieder (28 %) stammen aus Gesangbüchern des Reformationsjahrhunderts; 294 (72 %) wurden erst im 17. Jahrhundert gedichtet. Beim Liedgut des 16. Jahrhunderts handelt es sich um die besten Lieder aus reformatorischer, vor- und nachreformatorischer Zeit. Sie gehörten zum Kernbestand des Dresdener Gesangbuchs seit 1593, das sich direkt vom Klugschen und vom Babstschen Gesangbuch herleitet. 39 Auch das Husumer Gesangbuch 39 Vgl. Schmidt (1961), S. 132 f. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 119 geht also mittelbar auf die ältesten lutherischen Gemeinde-Gesangbücher zurück. Anders als in Dresden und in Schleswig (1665) wurden lateinische Gesänge nicht mehr aufgenommen. 40 Eine entsprechende Vorbildung konnte die Herzogin beim Husumer Hofstaat wohl nicht mehr voraussetzen. Sie wird Mühe genug gehabt haben, die hochdeutsche gegenüber der niederdeutschen Sprache durchzusetzen. 41 Niederdeutsches Liedgut erscheint - wie schon im Kirchenbuch von 1665 - in älteren hochdeutschen Übertragungen. 42 Auffällig ist die unzeitgemäße Liebe des Herausgebers und seiner stil- und traditionsbewussten Auftraggeberin für Texttreue. Nur fünf Liedbearbeitungen von Justus Gesenius und David Denicke aus dem Hannoverschen Gesangbuch von 1646 (DKL 1646 03 ) und seinen späteren Lüneburger Auflagen übernahm Petraeus in sein Gesangbuch. 43 Was bei ihm die Ausnahme war, wurde bei seinen Landsleuten Christoph Gensch von Breitenau (Gesangbuch Plön 1674) 44 und Christian von Stökken (Gesangbuch Rendsburg 1680) 45 , die in unmittelbarer zeitlicher und geographischer Nachbarschaft »verbesserte« Gesangbücher herausgaben, fast zur Regel. Nicht einmal die Lieder Luthers blieben darin verschont. Aber auch zeitgenössische Lieder, selbst von Paul Gerhardt, wurden in Umdichtungen aufgenommen. Zahlreiche Texte erschienen bei Gensch und Stökken wie schon bei Gesenius/ Denicke und Müller in zweifacher Ausführung: »geduppelt« (Stökken) bzw. »Sonst singt mans also«. Petraeus entscheidet sich grundsächlich für eine Fassung, fast immer für die ältere. Obwohl ihm die Mittel moderner Quellenforschung noch nicht zu Gebote standen, versuchte Petraeus offensichtlich auch bei einzelnen Textvarianten die ältere Lesart herauszufinden. Bei diesem Bemühen mag wiederum Müller Pate gestanden haben, der in seiner Seelenmusik in 34 Anmerkungen auf verfälschte Textstellen hinweist und häufig die Rückkehr zum Urtext philologisch oder 40 Die Gesangbücher Dresden 1656 und 1676 enthalten noch 30 bzw. 16, das Schleswiger Kirchenbuch von 1665 noch 30 lateinische Hymnen und liturgische Gesänge einschließlich des deutsch-lateinischen In dulci jubilo. 41 Vgl. Krafft (1723), S. 308. 42 Z. B. WAs Lobes soll ’ n wir dir/ O Vater/ singen? (ndt. Magdeburg 1541) und WAcht auff ihr Christen alle (ndt. Lübeck 1545). 43 VOn allen Menschen abgewand nach A. Knöpken, ndt. Riga 1527 (FT II,379), WIe schön leucht uns der Morgenstern nach Ph. Nicolai 1599 (FT II,369), GOTT dessen Güt sich weit ergeust und KOmmt/ last euch den HERREN lehren nach J. Heermann [1630/ 1636] (FT II,439 und 404), O Todt wo ist dein Stachel nun nach G. Weissel 1644 (FT II,431). Gemeinsame Quelle für alle fünf Lieder könnte wieder Müllers Seelenmusik (1659) gewesen sein. Dort sind dieselben Bearbeitungen zu finden, während in Dresden 1656 die unveränderten Fassungen bevorzugt wurden. 44 Vollständiges Gesang = Buch (Plön 1674). Vgl. auch Koch III, 463 - 465 und FT VI,843 f. 45 Von Stökken, Kleines Holsteinisches Gesang = Buch (Rendsburg 1680). Zit. nach FT VI,893. Vgl. Brederek I, 25 - 38 und Koch III, 461 - 463. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 120 theologisch begründet. Fast immer stimmt die Husumer Lesart mit Müllers Revisionen überein. 46 Ein einziges Lied, »M. Josua Wegelein Mittags = Lied« (Abb. 7.3), trägt den Zusatz »in etwas gebessert. Im Thon: Mitten wir im Leben sind/ etc.«: MItten wir im Tage sind von der Sonn umbgeben (Nr. 230, vgl. FT III,306). Josua Wegelin (1604 - 1640) hatte sich eine kaum zu bewältigende Aufgabe gestellt, indem er die meisterhafte Übertragung der mittelalterlichen Antiphon Media vita zu parodieren versuchte. Die vollkommene Einheit zwischen Text und Weise, besonders in der ersten Strophe, sowie die kunstvolle Strophenform der alten Vorlage lassen sich bei einer Umdichtung wohl niemals erreichen. Treffen in der dreistrophigen Luther-Fassung von 1524 die Spitzentöne der Melodie fast immer mit den sinntragenden Wörtern zusammen, so erhalten bei Wegelin häufig nebensächliche Wörter und Wortsilben den Hauptakzent. 47 Abb. 7.3: Mittagslied von Josua Wegelin, Nürnberg 1637 46 Nachweise im Erstdruck (1983), S. 99. Ein einziges Mal entschied sich Petraeus für die von Müller als falsch angesehene Fassung. In VOm Himmel hoch da kom ich her, Str. 14, heißt es: »Mit hertzenlust und süssen thon [. . .] Wird unrecht gesungen/ den süssen thon« (Seelenmusik, S. 178). Diese »unrechte« Lesart steht aber bereits bei Klug und seither in fast allen Gesangbüchern, und so geht sie auch in das Husumer Hofgesangbuch ein. 47 Vgl. Wegelins Parodie in FT III,306. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 121 Der Verfasser der Husumer Bearbeitung erkannte dies: er bereinigte Versmaß und Reime nach den Opitzschen Regeln. Dabei sind textliche und melodische Höhepunkte sehr viel häufiger in Einklang gebracht als bei Wegelin. Das unregelmäßige Versmaß in der zehnten Zeile der vorreformatorischen Liedvorlage (»heiliger barmherziger Heiland«), das in Wegelins Parodie zu ungeschickten Betonungen führt (z. B. »Állein béy Christó, ´jrem HÉrren«, vgl. FT III,306, Str. 2.10) wird geglättet (»álle séine Wérck und Tháten«). Durch eine zusätzliche Ligatur auf der drittletzten Silbe kann die alte Weise dennoch unverändert beibehalten werden. Doch auch die in der Tat »gebesserte« Bearbeitung des Wegelinschen Textes reicht nicht annähernd an Luthers Vorlage heran. Vermutlich nahm Petraeus das Lied nur deshalb in sein Gesangbuch auf, um die Gruppe von sechs Morgen- und fünf Abendgesängen wenigstens um ein Mittagslied zu bereichern. Da die Husumer Fassung in keinem anderen Gesangbuch nachgewiesen werden konnte und einige Wendungen an die Lieder des Herausgebers erinnern, liegt es nahe, den Bearbeiter des Liedes in Petraeus selbst zu sehen. Über die Hälfte der Lieder aus dem 17. Jahrhundert stammt von den bedeutendsten Kirchenliederdichtern ihrer Zeit: Paul Gerhardt (74 Lieder, von denen zwei doppelt auftreten), 48 Johann Heermann (32), Johann Rist (32) und Johann Franck (23). 49 Die Bevorzugung der Lieder Gerhardts gegenüber denen des gleichaltrigen schleswig-holsteinischen Dichterfürsten Rist ist offenkundig. 50 Ob Gerhardts kursächsische Herkunft, sein Tod kurz vor Erscheinen des Husumer Gesangbuchs oder rein qualitative Beweggründe für die reiche Liedauswahl der Herzogin ausschlaggebend waren, ist heute schwer nachzuweisen. 51 Erstaunlich ist nur, mit welch sicherem Gespür Maria Elisabeth sich für die Gerhardt-Lieder entschied, die noch heute verbreitet sind. Die überwiegende Zahl der 32 Lieder von Rist gehört nach heutigen Maßstäben ebenfalls zu den besseren des schon zu Lebzeiten berühmten Autors. Mit den Rubriken der Gerichts-, Höllen- und Himmelslieder fanden auch seine Texte den Weg in das Husumer Hofgesangbuch. Von den 17 Liedern dieser drei letzten Kapitel stammen allein neun von dem besonders die Höllenqualen in drastischen Bildern schildernden holsteinischen Verfasser. Die übrigen Rist- Lieder füllen in erster Linie die Abschnitte auf, für die es an passenden Texten 48 Vgl. Anm. 10. 49 Einzelheiten, auch über Lieder anderer Verfasser, im Erstdruck (1983), S. 100 ff. 50 Im Plöner Gesangbuch stammen laut Brederek I, 8 - 10, 16 Lieder von Gerhardt, 20 von Rist. Auch in Seelenmusik überwiegen die Initialen J. R. (47-mal) gegenüber P. G. (45-mal). In Dresden 1656 dagegen ist Gerhardt 25-mal, Rist 14-mal als Verfasser genannt. 51 Paul Gerhardt starb am 27.5.1676 im damals kursächsischen Lübben. Die Vorrede von Petrus Petraeus wurde am 27.10.1676 unterzeichnet. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 122 mangelte: Epiphanias, Himmelfahrt, Pfingsten, Johannes der Täufer, Absolution, Abendmahl. 27 der von diesen vier Hauptautoren verfassten Lieder konnten weder im Dresdener Gesangbuch noch in der Rostocker Seelenmusik nachgewiesen werden - wohl aber in einer 1.520 Lieder umfassenden Sammlung, die drei Jahre vor dem Husumer Hofgesangbuch wohl mehr zum privaten als zum gottesdienstlichen Gebrauch veröffentlicht worden war: Vorrath von alten und neuen Christl. Gesängen [. . .] zum Gebrauch der Churfl. Sächs. Hoff-Capell zu Dreßden, Leipzig 1673. 52 Dass die Herzogin bei ihrer bleibenden Verbundenheit zum kursächsischen Hof im Besitz dieser umfangreichen Textsammlung gewesen sein wird, dürfen wir wohl voraussetzen. Eine weitere wichtige Quelle für neuere Texte und Melodien wird die berühmte Praxis pietatis melica von Johann Crüger gewesen sein, deren Erwerb in den Hofrechnungen zumindest für eine Ausgabe belegt ist. 53 Abgesehen von den 14 Neuschöpfungen des Herausgebers konnten fast alle Lieder aus dem 17. Jahrhundert in mindestens einem der oben genannten Gesangbücher nachgewiesen und ihre Verfasser bestimmt werden. 54 Dazu gehören neben den vier bereits genannten großen Liedschöpfern auch andere namhafte Barockdichter wie Sigmund von Birken (6 Lieder), Martin Opitz und Johann Scheffler (Johannes Angelus Silesius) (je 5), Johann Olearius und Ernst Christoph Homburg (je 2), Georg Philipp Harsdörffer und Philipp von Zesen (je 1). Das berühmte Reiselied IN allen meinen Thaten, das Paul Fleming vor seiner Teilnahme an der Gottorfer Expedition nach Moskau und Persien (1633 - 39) verfasst hatte, war für das Gesangbuch der Gottorfer Nebenresidenz natürlich von besonderer Bedeutung. 55 Auch zu dem auf den Wahl- und Sterbespruch ihres Vaters verfassten Lied MEinen JEsum laß ich nicht mit dem Akrostichon »J[ohann] g[eorg] Ch[urfürst] zu s[achsen]« in der letzten Strophe wird Maria Elisabeth eine besondere Beziehung gehabt haben. 56 Insgesamt fanden Lieder von 36 Autoren aus der Generation der Herzoginwitwe bzw. ihres um 20 Jahre jüngeren Hofpredigers Aufnahme in das Husumer Gesangbuch - ein eindrucksvolles Zeugnis für die Aufgeschlossenheit der Fürstin gegenüber zeitgenössischem geistlichem Liedgut. 52 Siehe QV 1673. Im folg. Vorrath. Vgl. auch Schmidt (1961), S. 133, 136. 53 LASH 7/ 4783, Husumer Hofrechnungen 1676/ 77, Beleg Nr. 198 vom 25.5.1676. 54 Beim Nachweis der Lieder und ihrer Verfasser, die im Erstdruck (1983), S. 101, aufgelistet sind, sowie in vielen anderen Einzelfragen leistete mir Konrad Ameln, dem ich für meinen hymnologischen Werdegang viel verdanke, unschätzbare Hilfe. 55 Vgl. Koch III, 73 - 75. - KLL I, 407. - Hüttel, Paul Fleming (1973/ 74), S. 198 ff. 56 Vgl. KLL II, 52. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 123 Die Verfasserangaben Mit derselben hymnologischen Sorgfalt, mit der Petraeus die von seiner Herrin ausgewählten Texte behandelte, versuchte er auch die Verfasser der Lieder zu ermitteln, um sie möglichst mit vollem Namen unter die Lieder zu setzen. In den Dresdener Gesangbüchern standen die Autorennamen nach Tradition der ersten Luther-Gesangbücher über dem jeweiligen Lied. Heinrich Müller setzte sie - auf Monogramme reduziert - unter die Texte. Bei Petraeus tauchen nicht aufgelöste Initialen nur fünfmal auf: A.[mbrosius] L.[obwasser] D.[octor], C.[hristoph] K.[noll], M.[agister] Z.[achäus Faber d. J.], M.[agister] G.[otthelf] Tr.[euer] und M.[agister] C.[aspar] F.[riedrich] N.[achtenhöfer] P.[astor] M.[ederanus]. Alle diese Abkürzungen, deren Bedeutung er wohl nicht verstand, übernahm Petraeus aus älteren Quellen. Dass dem für Akrostichen geschärften Blick »A-M-B-R-O-S-I-V-S-Lob-Was-Sehr«, zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben und -silben der zwölf Strophen von ALlein zu GOtt mein Hoffnung steht, verborgen geblieben sein soll, ist schwer vorstellbar. In diesem Fall wurde die Verschlüsselung des mit dem calvinistischen Lager verknüpften Namens vielleicht bewusst beibehalten. 57 Die Aufnahme eines Liedes von Lobwasser zeigt eine gewisse Offenheit im Konfessionsstreit. Mit Rücksicht auf orthodoxe Lutheraner blieb der Name des Verfassers jedoch verschlüsselt. 58 Aus demselben Grund erscheinen die Lieder des Konvertiten Johann Scheffler in Seelenmusik und im Husumer Hofgesangbuch wohl anonym, obwohl Müller in der Vorrede zu seinem Gesangbuch die Aufnahme der Lieder »vom Herrn [. . .] J. Angelo« ausdrücklich erwähnt. Im Gesangbuch Dresden 1656 und im Leipziger Vorrath (1673) ist Scheffler dagegen gar nicht vertreten. Dass sich die Abkürzung L. B. bei 11 Liedern nicht auf einen Verfasser, sondern auf die fürstlichen Lüneburgischen bzw. Hannoverschen Gesangbücher bezieht, wurde bereits von der älteren hymnologischen Forschung festgestellt. 59 Der weitaus größte Teil der 60 anonymen bzw. mit »Incerti« bezeichneten Lieder stammt ebenfalls aus »L. B.«, den zahlreichen Ausgaben des Lüneburger Buchs (Hannover 1646 u. ö./ Lüneburg 1661 u. ö.). Nicht alle Verfasserangaben im Husumer Hofgesangbuch sind richtig; die fehlerhaften entsprachen aber der damaligen Überlieferung und wurden teilweise erst durch die neuere hymnologische Forschung korrigiert. Auf die Irrtümer im Einzelnen einzugehen, würde den Rahmen dieses Aufsatzes 57 Andererseits schreibt er bei Gerhardts Adventslied WIe sol ich dich empfangen unbedenklich: »In seiner eigenen Melodey Oder Nach der Melodey des 128. Psalm des Lobwassers«. 58 So auch im Gesangbuch Dresden 1656, Nr. 421. 59 KLL I, 294, 381; II, 204. Fischer irrt jedoch in der Annahme, dass mit L. B. auch die in Lüneburg gedruckten Liedersammlungen von Rist gemeint seien. - Bode, Quellennachweis über die Lieder des hannoverischen und des lüneburgischen Gesangbuches (1881), S. 182 f. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 124 sprengen. Es sei nur hingewiesen auf die häufige Verwechslung von Autorschaft und Zueignung besonders bei Akrostichliedern, wie bei Ludwig Helmbolds ICh weiß daß mein Erlöser lebt mit dem Akrostichon JOHANS WILHELM HERTZOG ZU SACHSSEN. Die Melodien Mit 149 Melodien ist der Notenanteil im Husumer Hofgesangbuch verhältnismäßig hoch. Die Noten der Lagen A-Ff sind in Holz geschnitten, nur die drei Melodien des Bogen F sind in etwas kleineren Typen gesetzt. Mit Ausnahme einer einzigen Weise im Blockdruck (Bogen Hh) folgen danach nur noch gesetzte Noten. Daraus ergibt sich eine Verteilung von 47 Melodien im Blockdruck und 102 im Typensatz. Wie es zur Verwendung unterschiedlicher Drucktechniken in einem Gesangbuch kam, ist schwer zu ermitteln. Inhaltliche Gründe sind nicht erkennbar; alte und neue Weisen finden sich sowohl gesetzt als auch geschnitten. Die Druckstöcke sind grob und ungelenk und scheinen von einer im Notenschneiden ungeübten Hand gefertigt zu sein. Sie entsprachen wohl dem Wunsch der Herzogin nach großen, gut leserlichen Noten und können in der Werkstatt Johann Holweins hergestellt worden sein. Dass Holwein dennoch überwiegend die etwas kleineren Notentypen benutzte, mag daran gelegen haben, dass sich das Schneiden von 149 Druckstöcken als zu mühsam erwies. Es ist auch denkbar, dass er die Notentypen, die etwas größer sind als die noch 1665 für das Kirchenbuch verwendeten, erst während der Druckarbeiten am Husumer Hofgesangbuch erwarb. In diesem Stadium mag der Bogen F - vielleicht wegen fehlerhafter Ausführung - noch einmal gesetzt worden sein, während die Melodie der Lage Hh vielleicht schon als Druckstock vorlag und deshalb nicht mehr gesetzt zu werden brauchte. 87 Melodien (60 %) stammen aus Gesangbüchern des 16. Jahrhunderts. 60 Etwa die Hälfte davon gehörte bereits zu Luthers Lebzeiten zum Kernbestand. Zwölf bewährte Weisen der Reformationszeit sind mit Texten des 17. Jahrhunderts verbunden. Neben zwei Melodien aus dem Gesangbuch der Böhmischen Brüder 1566, die schon von Johann Stobäus (1635/ 40) zeitgenössischen Texten beigegeben wurden, handelt es sich um sieben Genfer Psalmweisen und drei Melodien, die sich bereits in frühen lutherischen Gesangbüchern zu Psalmliedern durchsetzten. Bis auf Crügers Umbildung der 89. Psalmweise für das Gerhardt-Lied NUn dancket all und bringet Ehr wurden die überlieferten Psalmweisen für neuere Paraphrasen von Opitz und Franck (je 4), Gesenius/ Denicke (2), Heermann, Gerhardt und Petraeus (je 1) verwendet. Obwohl diese Texte z. T. bereits mit zeitgemäßen Melodien erschienen waren, 60 Einzelnachweise für alle Melodien, auch die des 17. Jhs., im Erstdruck (1983), S. 103 f. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 125 bevorzugte die Fürstin bzw. der Herausgeber des Husumer Hofgesangbuchs die älteren Weisen. Melodien des 17. Jahrhunderts sind dagegen grundsätzlich auch mit neueren Texten verbunden. Ein Viertel aller Lieder soll auf zeitgenössische Melodien gesungen werden. Von diesen 100 Liedern haben 62 Noten, 38 nur Melodieangaben. Die 62 Melodien des 17. Jahrhunderts verteilen sich wie folgt: 22 (24) 61 von Johann Crüger in: Praxis pietatis melica, Berlin 1653, und früher. 16 (1) von Peter Sohren in: Praxis pietatis melica, Frankfurt 1668 10 (1) von Nicolaus Hasse in: Geistliche Seelenmusik, Rostock 1659 9 (6) von Johann Schop in: Himmlische Lieder, Lüneburg 1641/ 42 und Haußmusik, Lüneburg 1654 (beide hg. von Johann Rist) je 1 ( - ) von Heinrich Scheidemann und Jakob Schultz (Z 5917) in: Neue Himmlische Lieder, Lüneburg 1651 (hg. von Johann Rist) 1 (4) anonym in: Dreßdenisch Gesangbuch, Dresden 1656 1 (2) anonym in: As hymnodus sacer, Leipzig 1625 1 ( - ) anonym bisher nur im Husumer Hofgesangbuch 1676 nachgewiesen. Abgesehen von einigen stärkeren Umbildungen und zahlreichen kleineren Varianten vor allem am Schluss der Melodien bemühte sich Petraeus - wie bei den Texten - offensichtlich um eine möglichst originalgetreue Notierung. Selbst Crügers Veränderungen an alten Weisen übernahm er nicht alle. Das Notenbild entspricht dem der Gesangbücher des 17. Jahrhunderts, besonders dem von Dresden 1656: C-Schlüssel bis auf drei Ausnahmen im G-Schlüssel, große Notenwerte bei alten, kleine bei neueren Melodien, Zeilenendstriche statt Taktstriche selbst bei zeitgenössischen Melodien, Auflösung der meisten Ligaturen durch Bindebögen etc. Die Häufigkeit einiger Tonangaben gibt Aufschluss über die Beliebtheit bestimmter Melodien. 25 Weisen treten zwischen fünf- und 13-mal bei insgesamt 185 Liedern auf. Doch nur zwei der bevorzugten Tonschöpfungen stammen aus dem 17. Jahrhundert: »ZIon klagt mit Angst und Schmertzen« (13-mal) und »O GOtt/ du grosser GOtt« (5-mal), beide aus Crügers Gesangbuch. Alle anderen sind wesentlich älter. Die Psalmweisen »An Wasserflüsssen Babylon« (8-mal) und »Wie nach einer Wasserquelle« (7-mal) wurden wohl als bekannt vorausgesetzt, sie erscheinen nur als Melodie-Incipits und nicht mit Noten. Bis auf wenige Ausnahmen ist jede dieser Melodien mit Texten von Paul Gerhardt verknüpft, so dass eine Wechselbeziehung zwischen seinen Liedern und der Beliebtheit mancher Melodien zu bestehen scheint. 61 In Klammern die Zahl der Lieder, die statt Noten nur eine Melodieangabe haben: »Im Thon: . . .«. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 126 Die einzige, bisher nur im Husumer Hofgesangbuch nachgewiesene Melodie steht bei einem Lied des Herausgebers: ACh mein JESU / der du dich, »In seiner eigenen Melodey.« (Abb. 7.4) Abb. 7.4: Lied von Petraeus mit sonst nicht nachweisbarer Melodie Die siebenzeilige Strophenform 7.7.8.8.7.7.8. mit dem Reimschema a a b b c c b ist bei Zahn kein einziges Mal vertreten. Vielleicht erforderte der ausgefallene Strophenbau eine eigene Melodieschöpfung. Zeile Reim Tonart 1 ACh mein JESU/ der du dich a e 2 bloß auß Liebe williglich a G 3 in den Todt für mich gegeben: b e Zäsur 4 JEsu meiner Seelen Leben/ b a 5 ausser dem ich nichtes bin/ c h 6 führe meinen kalten Sinn c e 7 deiner Liebe nachzustreben b e Grundtonart e-Moll. Dort, wo der Dichter einen Gedanken einschiebt (Zeile 2, 4, 5), weicht die Melodie auch harmonisch aus. Nach der dritten Zeile entsteht ein syntaktischer und musikalischer Einschnitt. Da die Zeilen 3, 4, 7 durch den Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 127 Reim, die Zeilen 3 und 7 zusätzlich durch die Melodie miteinander verklammert sind, zerfällt die Strophe dennoch nicht in zwei beziehungslose Teile. Die kunstvolle Einheit zwischen Inhalt und Form des Textes einerseits und der Vertonung andererseits spricht in der Tat für eine Originalkomposition. Mit ihren Punktierungen, Tonwiederholungen, Antizipationen, Durchgangs- und Wechselnoten und im harmonischen Ablauf ist die Melodie typisch für den Arienstil der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Falls die Melodie eigens für das Lied des Petraeus erdacht wurde, stellt sich als nächstes die Frage nach dem Komponisten. Bevor darauf eine nicht nur spekulative Antwort gegeben werden kann, muss das musikalische Leben am Husumer Hofe gründlicher erforscht werden. 62 Die Qualität der Vertonung lässt auf einen Berufsmusiker schließen. Husum war immer ein wichtiger Außenposten der Gottorfer Hofkapelle gewesen, an der bedeutende Musiker wie William Brade, Franz Tunder und Johann Theile wirkten. Als das Husumer Hofgesangbuch erschien, befand sich Theile mit seinem Herzog Christian Albrecht im Hamburger Exil (1675 - 1679). Die meisten Gottorfer Musiker waren entlassen. 63 Maria Elisabeth nahm einige Mitglieder der Hofkapelle in ihrer Residenz auf (s. u. Beitrag 8). Bei den in ihrer Jugend in Dresden durch Schütz und in Gottorf durch Tunder gesetzten Maßstäben werden ihre Ansprüche an die Kirchenmusik nicht gering gewesen sein. 64 Jedenfalls ist es nicht ausgeschlossen, dass die unbekannte Weise speziell für das Lied des Husumer Hofpredigers an Ort und Stelle geschaffen wurde. Die Lieder des Petrus Petraeus Kap. 5, Nr. 41 Im Thon: An Wasser-Flüssen Babylon WIe kan ichs/ JEsu/ immermehr mit meinem Sinn erreichen? [7 Str.] Kap. 8, Nr. 57 Im Thon: An Wasser-Flüssen Babylon MEin GOtt/ mein GOtt/ wie hastu mich in meiner Noth verlassen? [16 Str.] Akrostichon: MARIA AMALIA GUDEN 62 Einen Anfang machte ich 1986 mit der Auswertung der Ausgaben für die Hofmusik in den überlieferten Husumer Hofrechnungen von 1646 - 1680. (s. u. Beitrag 8). 63 Vgl. Engelke, Musik und Musiker am Gottorfer Hofe (1930). - Gudewill, Die Gottorfer Musikkultur (1965), S. 223 - 231. 64 Maria Elisabeth wird gern als Schütz-Schülerin bezeichnet [z. B. von Brodde ( 2 1979), S. 130, und Gregor-Dellin (1984), S. 205]. Die musikalische Unterweisung der Fürstentöchter gehörte wohl generell zu den Verpflichtungen eines Hofkapellmeisters. Auch Maria Elisabeth ließ ihre Töchter von Franz Tunder, Hofkapellmeister zu Gottorf (1632 - 1641), unterrichten: »Neben seiner Tätigkeit in der damals 6 bis 10 Mitgl. [. . .] umfassenden Hofkapelle hatte Tunder den › fürstlichen jungen frewlein ‹ und gelegentlich auch den Knaben Musikunterricht zu erteilen« [Geck in MGG 13 (1966), Sp. 975]. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 128 Kap. 20, Nr. 149 Noch der 143. Psalm. In der vorigen Melodey. 65 MEin GOTT erhör in Gnaden/ erhöre was dir klagt [14 Str.] Akrostichon: MAGDALENA GIESE Kap. 24, Nr. 199 Aus Herrn Johan Arends Gebetbuch. In seiner eigenen Melodey. [Mit Noten] ACh mein]ESU/ der du dich bloß auß Liebe williglich [16 Str.] Akrostichon: ANNA DOROTHEA P[rinzessin] Z[u] S[chleswig] (1640 - 1713), unverheiratete Tochter der Herzogin Kap. 24, Nr. 217 Der 91. Psalm auff andere Art. Im Thon: In dich hab ich gehoffet HErr [Z 2459] AUff auff mein Hertz! ermuntre dich nimm deine Zuflucht sicherlich [21 Str.] Akrostichon: AUGUSTA ELISABETHA Von SCH-WE-RIN Kap. 26, Nr. 262 Der 27. Psalm auff eine andere Weise. Im Thon: Du O schönes Weltgebäude [Z 6773] EIlt nur nicht mich zu erschrecken/ Sünde/ Teuffel/ Todt und Welt [16 Str.] Akrostichon: EVA SOPHIA Von BAPZIN Kap. 26, Nr. 264 Der 62. Psalm auff eine andere Weise. Im Thon: Du O schönes Welt-Gebäude [wie Nr. 262] WIe? daß ich mich also quäle/ wenn mich mein Verfolger plagt [7 Str.] Kap. 26, Nr. 266 Der 71. Psalm. Im Thon: O Gott du grosser Gott [Z 5144] ICh trau und bau auff dich HErr Himmels und der Erden [13 Str.] Akrostichon: IOHAN HEINEMAN Kap. 26, Nr. 268 Der 86. Psalm. Im Thon: O Gott du grosser Gott [wie Nr. 266] MEin GOtt sieh gnädig an das ängsten meiner Seelen/ die Tag und Nacht sich muß mit tausend Sorgen quälen [15 Str.] Akrostichon: MARGARETA BLOMEN Kap. 26, Nr. 271 Der 46. Psalm. Im Thon: Zion klagt mit Angst und Schmertzen [Z 6550] WIe? daß wir doch also zagen? GOtt ist unser Zuversicht [8 Str.] 65 »Erhör, O Herr, mein Bitten« (Z 5352). Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 129 Kap. 27, Nr. 294 Der 34. Psalm. Im Thon: Lobet GOtt unsern HErren [Z 5393] SO lang ich werde leben/ in dieser Sterblichkeit [16 Str.] Akrostichon: SOPHIA AMALIA P[rinzessin] Z[u] S[chleswig H[olstein] (1670 - 1710), älteste Tochter Christian Albrechts, Enkelin der Herzogin Kap. 27, Nr. 307 DanckLied am Geburts-Tage. Im Thon: Werde munter mein Gemüthe [Z 6551 a] MAche munter mein Gemüthe/ Jesu durch den Freuden-Geist [14 Str.] Akrostichon: MARIA ELISABETH H[erzogin] Z[u] S[chleswig] H[olstein] Kap. 30, Nr. 318 Der 139. Psalm. Im Thon: HErr ich habe mißgehandelt [Z 3695] HErr du forschest meine Sinnen/ Kennest meines Hertzen Grund [15 Str.] Kap. 32, Nr. 343 Der 112. Psalm auff eine andere Weise. Im Thon: Christ unser HErr zum Jordan kam [Z 7246] HInweg/ die ihr auff Geld und Gut die eitle Hoffnung setzet [11 Str.] Akrostichon: HANS ERNST Von DesSin Dank Johann Melchior Krafft sind außer den 14 Liedern im Husumer Hofgesangbuch noch folgende vier Lieder von Petrus Petraeus überliefert: 66 Mel. Ein veste Burg ist unser GOtt Auff blödes Hertz ermuntre dich, und sey in GOtt vergnüget [10 Str.] Akrostichon: ANNA GIESEN Der XXXI. Psalm Davids. Mel. Was mein GOtt will Machs immerhin du stoltze Welt, wie die Gottlosen pflegen [4 Str.] Der CXXV. Psalm. Mel. An Wasser-Flüssen Babylon Ach wie sind die wohl daran, die auf den HErren hoffen [3 Str.] Der CXLVI. Psalm. Mel. Wie voriger. Mein Geist und Seel ermunt ’ re dich, GOtt Ehre zu erweisen [3 Str.] Gemessen an den Gesangbüchern von Gesenius/ Denicke, Gensch von Breitenau und Stökken ist die Zahl der Lieder des Herausgebers Petraeus relativ gering. Vielleicht zeigt sich auch in dieser Zurückhaltung der Einfluss der Herzogin. Elf 66 Vgl. Anm. 2. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 130 Texte enthalten Namen von Mitgliedern des Hofstaats in Akrostichform. 67 Während die Namen der fürstlichen Familie durch Antiqua-Lettern hervorgehoben sind, erschließen sich die Namen der Bediensteten in dem Fraktursatz nur dem suchenden Auge. 14 der 18 Lieder liegt ein Psalm zugrunde. Sicherlich ging es Petraeus nicht darum, ältere und z. T. ebenfalls aufgenommene Paraphrasen beispielsweise von Paul Gerhardt zu übertreffen, sondern - erfüllt von barocker Imitations- und Variationsfreude - bestimmte Persönlichkeiten durch eine neue, mit ihrem Namen unlösbar verbundene Bereimung › ihres ‹ Psalms zu ehren. Die Länge der Namen bringt es mit sich, dass der Psalmtext - nicht immer zugunsten der dichterischen Qualität - gerafft bzw. gestreckt werden muss. Während Gerhardt sich besonders in der ersten Zeile möglichst eng an die Lutherübersetzung hält, beginnt Petraeus gern mit einer rhetorischen Floskel, die den eigentlichen Psalmanfang zuweilen in die zweite Strophenhälfte oder sogar in die nächste Strophe verdrängt: DER HERR ist mein Liecht vnd mein Heil/ Fur wem solt ich mich fürchten? Der HERR ist meines lebens Krafft/ Fur wem solt mir grawen? (Ps 27,1 Lutherbibel, Wittenberg 1545) GOtt ist mein Liecht/ er ist mein Heyl/ das ich erwehlet habe/ Er ist die Krafft dahin ich eyl/ und meine Seele labe: was wil ich mich doch fürchten nun/ und wer kan mir doch Schaden thun auff dieser gantzen Erden? (Paul Gerhardt, Husumer Hofgesangbuch, Nr. 261,1) EIlt nur nicht mich zu erschrecken/ Sünde/ Teuffel/ Todt und Welt/ Jesus wird mich schon bedecken/ ob ihr gleich euch zornig stellt/ er ist ja mein Liecht und Sonne/ meines Lebens Krafft und Wonne: Hat nun Jesus auff mich acht/ was ist/ das mich bange macht? (Petrus Petraeus, Husumer Hofgesangbuch, Nr. 262,1) 67 Sie sind fast ausnahmslos nachzuweisen in den Husumer Hofrechnungen als wohlbestallte »CammerJungfern«, »HofJunckherrn«, »Cammer Diener« u. ä. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 131 Mit großer Unbefangenheit überträgt Petraeus den vom Psalmisten angerufenen »Herrn« mal auf Gott den Vater, mal auf den Sohn. Hinweise auf die Heilstaten Christi und Zitate aus dem Neuen Testament durchsetzen die Psalmlieder in einer bei Gerhardt nicht gekannten Weise: Auff dein Wort kan ich mich gründen/ welches ja nicht triegen kan/ sucht/ so werdet ihr mich finden/ klopfft/ so wird euch auffgethan/ Wol! so kan ich sicher hoffen/ daß auch mir die Thür steht offen/ was ich bitte/ wird erhört/ was ich wünsche/ mir gewährt. (Husumer Hofgesangbuch, Nr. 262,9) Bei aller Freiheit der Textbehandlung verliert der Verfasser den Psalminhalt jedoch selten aus den Augen. Auf nichtbiblischen Quellen beruhen die Lieder mit den Akrosticha der Herzogin selbst (Nr. 307) und ihrer unverheirateten Tochter Anna Dorothea (Nr. 199): Das bekannte Abendlied von Rist WErde munter mein Gemüthe (FT II,199), das dem Geburtstagslied der Herzogin zugrunde liegt, wurde in der verbesserten Fassung von 1652/ 57 ebenfalls in das Husumer Hofgesangbuch aufgenommen und mag ein Lieblingslied der Fürstin gewesen sein. 68 Und Johann Arndts Paradiesgärtlein von 1612, auf das sich das Anna Dorothea gewidmete Lied bezieht, gehörte zu den beliebtesten Erbauungsschriften des 17. Jahrhunderts. Schon Heermann und Gerhardt, der das Büchlein immer bei sich getragen haben soll, hatten Arndts Gebete und Betrachtungen als Vorlagen gedient. Gedanklich und sprachlich weisen die Lieder des Petraeus über viele der zahllosen Erzeugnisse seiner reimenden Amtsbrüder hinaus und erreichen stellenweise sogar die Qualität eines Paul Gerhardt. Mit diesem verbindet ihn der Sinn für Maß, Schönheit und Form. Selbst in den an Arndt orientierten Liedern finden wir keine übertriebene Jesuserotik, beim Ausdruck menschlicher Sündhaftigkeit und Vergänglichkeit kaum Drastisches und Widerliches wie bei Rist. Der zeitgenössische Formenreichtum zeigt sich im Strophenbau. Die 18 überlieferten Lieder haben 11 verschiedene Strophenformen. Sieben davon sind jambisch, vier trochäisch. Zweimal verwendet Petraeus den gelehrten Alexandriner (Nr. 266, 268), zweimal die achtzeilige Volksliedstrophe (Nr. 149, 294). Die übrigen Strophen sind sechsbis zehnzeilig. Trotz der anspruchsvollen Formen sind Versmaß und Reim im Opitzschen Sinne stets korrekt. Nur unreine 68 Es ist im Kirchenbuch von 1665 das einzige von 146 Liedern aus dem 17. Jahrhundert - allerdings in der hannoverschen Bearbeitung von 1659. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 132 Reime (hat - That; Himmel - Getümmel) benutzt er - wie Gerhardt - unbedenklich. 69 Schriftreime und reiche Reime, vor denen Gerhardt ebenso wenig zurückschreckte, mied er dagegen. Um kräftige Reime mit volltönenden Vokalen zu erhalten, setzten beide auch biblische Eigennamen (Israel - meiner Seel) und sogar die von Opitz untersagten Fremdwörter ein (Creatur - Natur; von dannen - Tyrannen). Im Gegensatz zu Gerhardt verwendet Petraeus keine Diminutiva und kaum elative Wörter. Superlative treten nur in konventionellen Verbindungen auf (höchstes Gut). Durch die Fülle vertrauter Epitheta (bitter Elend; rechte Bahn) und Composita (Seelen-Angst; Gnaden-Schein) wirkt die Wortwahl relativ ungekünstelt und natürlich. Besonders auffallend ist die Häufung von volkssprachlichen Zwillingsformeln (Tag und Nacht; Weh und Ach; steiff und fäst), sehr oft verstärkt durch Assonanz (Rath und That) und Alliteration (Küche und Keller; Lust und Liebe; Geld und Gut). Einige dieser aus dem Mittelhochdeutschen herrührenden Wortpaare sind besonders seit Luthers Bibelübersetzung vertraut (Stab und Stecken; mit Worten oder Wercken). Mehrgliedrige Reihungen (Angst/ Creutz/ Marter/ Tod; bebt/ verzaget/ heult und weinet) wurden gern, aber nicht so übertrieben eingesetzt wie bei manchen Zeitgenossen. Neben der Häufung war die Wiederholung ein beliebtes Steigerungsmittel. Auch Petraeus bediente sich zahlreicher rhetorischer Figuren, die diesen Zweck verfolgen: Anapher (»Harre seyn/ sey unverzaget/ alles Hertzleid ist verjaget/ Harre seyn und habe Ruh/ dir gehört der Himmel zu«, hier zugleich mit Alliterationshäufung), Epanalepsis (»Schau Himmel/ schaue meine Quaal«) und der ebenfalls aus der Bibel bekannte Parallelismus (»leb ich/ kan ich dir ja leben/ sterb ich/ bleib ich dir ergeben«). Petraeus hatte Anteil an der »geistigen Gütergemeinschaft« 70 seiner Zeit. Er schöpfte aus einem festen Bestand von bekannten Bildern und Formeln. Viele Wendungen waren › herrenloser Besitz ‹ . Originalität war kein Ideal, Entlehnungen (»die Liebe ohne Massen«) galten keinesfalls als Plagiat, sondern waren sogar erwünscht. Dieser Hintergrund muss bei der Beurteilung der Lieder von Petraeus unbedingt gesehen werden. Johanna Fries (Anm. 12) tut ihm sicherlich unrecht mit ihrem abwertenden Urteil. Johann Melchior Krafft (Anm. 2) wird ihm dagegen wesentlich gerechter, auch wenn den Liedern des Husumer Hofpredigers gemessen an den besten Paul Gerhardts wirklich persönliche dichterische Aussage- und Sprachkraft fehlt. Im Vergleich mit der Flut zeitgenössischer Kirchenlieddichtungen schneiden seine Texte aber gut ab. Er beherrschte 69 Zur Stilanalyse der Lieder Paul Gerhardts vgl. Petrich, Paul Gerhardt (1914). Wertvolle Hinweise verdanke ich Waldtraut Ingeborg Sauer-Geppert. 70 Ebd., S. 194. Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 133 Sprache und Stilmittel der vor allem von der lateinischen Dichtkunst beeinflussten geistlichen Lyrik und setzte sie gekonnt ein. Im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen bleibt er dabei maßvoll und bei aller Gelehrtheit volkstümlich, bei aller Emphase schlicht. Wertung und Wirkung Das Husumer Hofgesangbuch von 1676 ist von außergewöhnlicher innerer und äußerer Qualität. Es verrät den hohen literarischen und musikalischen Bildungsstand der Auftraggeberin und des Herausgebers. Bei aller Verwurzelung im lutherisch-sächsischen Erbe bezeugen Einteilung und Liedauswahl theologische Aufgeschlossenheit, die sich in den frühpietistischen Zügen der Reformorthodoxie und in behutsamen überkonfessionellen Ansätzen ausdrückt. Der große Anteil an zeitgenössischen Texten und Melodien unterstreicht die Bereitschaft, ja sogar die Zielsetzung, neben der Pflege des Bewährten auch Neues einzuführen und durchzusetzen. Ungewöhnlich für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts ist die Texttreue in Bezug auf Wort und Ton. Leider blieb dem hervorragenden Gesangbuch eine weitere Verbreitung versagt. Es mag - wie die Bibel (1664) und das Kirchenbuch (1665) - ursprünglich für beide Herzogtümer geplant gewesen sein. Doch musste dieses Vorhaben an der politischen Entwicklung in Schleswig-Holstein scheitern. Zwei Jahre vor Erscheinen des Gesangbuchs wurde Gottorf vom dänischen König besetzt. Der Einflussbereich der Herzoginwitwe und damit das Wirkungsfeld für das Gesangbuch beschränkten sich nunmehr auf die Husumer Residenz. 1684 starb mit Maria Elisabeth die tragende Persönlichkeit des geistig-kulturellen Lebens am Husumer Hofe. Ausbruch und Ausgang des Nordischen Krieges (1700 - 1721) bewirkten die vollständige Auflösung des Hofstaates. Wenn das Husumer Hofgesangbuch selbst auch keine nachhaltige Wirkung hinterließ, so ist es um so wertvoller als Dokument für die Wirkungsgeschichte bedeutender Quellen wie des Gesangbuchs Dresden von 1656, Heinrich Müllers Seelenmusik von 1659 und Johann Crügers Praxis pietatis melica. Darüber hinaus vermittelt das Gesangbuch aufschlussreiche Einzelheiten über das gottesdienstliche Leben am Husumer Hofe - z. B. die aus Dresden vertrauten Betstunden - und wird damit zum Zeugnis für die Ausstrahlung des für den deutschen Protestantismus bedeutungsvollen kursächsischen Hofes bis in das nördlichste Fürstentum hinein. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 134 8 Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth Geschöpft aus den Kammerrechnungen 1646 - 1681 Vom Hofstaat und Hofleben der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf Adolf (reg. 1544 - 1586), Johann Adolf (reg. 1590 - 1616) und Friedrich III. (reg. 1616 - 1659) in Schleswig (Gottorf) haben wir eine relativ deutliche Vorstellung, u. a. durch die köstlichen Aufzeichnungen des Hofpredigers Jacob Fabricius d. J. aus den Jahren 1617 - 1644 und durch die wertvollen Studien von Ludwig Andresen und Walther Stephan. 1 Das Leben in der Husumer Nebenresidenz, die vor allem den Herzoginnen Augusta (1616 bis 1639) und Maria Elisabeth (1660 bis 1684; Abb. 8.1) als Witwensitz diente, war bisher weitgehend unbekannt. 2 Der folgende Aufsatz will dazu beitragen, ein wenig Licht in dieses Dunkel zu bringen und einen Eindruck davon zu vermitteln, wie das Leben und Treiben am Husumer Hofe in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges wohl ausgesehen haben mag. Dazu wurden alle erhaltenen, im Landesarchiv zu Schleswig aufbewahrten Kammerrechnungen der Herzogin Maria Elisabeth aus den Jahren 1646 - 1681 untersucht. 3 Sämtliche Aussagen, die im folgenden über die Zusammensetzung des Hofstaates und das alltägliche wie das festliche, das geistig-kulturelle wie das geistliche Leben bei Hofe und deren Kosten gemacht werden, sind aus diesen Archivalien gezogen. Sie sind eine unerschöpfliche Quelle für jeden, der Einblick gewinnen will in das Erstdruck in dem monographischen Band Schloss vor Husum. Siehe BibAK 12 (1990). 1 Andersen (Hg.), Jacob Fabricius den Yngres Optegnelser 1617 - 1644 (1964). - Andresen/ Stephan, Beiträge zur Geschichte der Gottorfer Hof- und Staatsverwaltung von 1544 - 1659 (1928). Weiteres Material enthalten die beiden Ausstellungskataloge: Schlee (Hg.), Gottorfer Kultur im Jahrhundert der Universitätsgründung (1965), und Borzikowsky (Hg.), Von allerhand Figuren und Abbildungen (1981). 2 Augusta (1580 - 1639), Tochter Friedrichs II., König von Dänemark, 1595 Heirat mit Herzog Johann Adolf (1575 - 1616). - Maria Elisabeth (1610 - 1684), Tochter Johann Georgs I., Kurfürst von Sachsen, 1630 Heirat mit Herzog Friedrich III. (1597 - 1659). 3 LASH 7/ 4757 - 86. Dem damaligen Leiter Prof. Dr. Reimer Witt und seinem Nachfolger Prof. Dr. Dr. Rainer Hering sei an dieser Stelle für vielfältige Hilfe gedankt. Abb. 8.1: Maria Elisabeth (1610 - 1684), Herzogin von Schleswig-Holstein-Gottorf, Ölgemälde um 1675, Maler unbekannt Leben einer kleinen deutschen Hofhaltung zur Zeit des Absolutismus, in der auch das Hofgesangbuch seinen festen Platz hat. Die Hofrechnungen Der sorgfältigen Buchführung der Kammerschreiber Hans Horn (ab 1646 erhalten), Joachim Schmied (ab 1651) und Johann Heinemann (ab 1661) ist zu verdanken, dass wir diese aufschlussreichen Daten und Angaben besitzen. Die in gestochener Handschrift notierten Einnahme- und Ausgabevermerke sowie die erhaltenen Belege vermitteln gewiss ein anschaulicheres und lebendigeres Bild ihrer Zeit als die im Zeitalter der elektronischen Datenverarbeitung üblichen Kämmereiauszüge unserer Tage. Die Übersicht über die »Geldrechnung« der Herzogin Maria Elisabeth gibt einen Einblick in die Bilanzen und Entwicklungen ihres Haushaltes über einen Zeitraum von 35 Jahren (Abb. 8.2). Bereits 1639, nach dem Tode seiner Mutter Augusta, hatte Friedrich III. das Wittum Husum an seine Gemahlin Maria Elisabeth auf Lebenszeit übertragen. Überwiegend aus den Husumer Amtsgefällen finanzierte die ehemalige kursächsische Prinzessin ihre in Dresden geprägten Ansprüche für sich und ihre Hofdienerschaft. Solange sie auf Gottorf lebte und die Husumer Hofhaltung auf ein Minimum beschränkt war, gelang es ihren Kammerschreibern, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Als Herzog Friedrich III. jedoch am 10. August 1659 auf der belagerten Festung zu Tönning starb und die Witwe sich für die restlichen 25 Jahre ihres Lebens mit einem entsprechenden Hofstaat im Schloss vor Husum einrichtete, reichten die Einnahmen nicht mehr aus. In den ersten beiden Jahren nach der Übersiedlung schloss der Haushalt mit einem beträchtlichen Minus ab: Maitag 1660 waren es 3.411 Reichstaler, 1661 sogar 4.683 bei einem Ausgabenvolumen von 23.600 bzw. 36.300 Talern. Im darauf folgenden Jahr war der Haushalt zwar wieder ausgeglichen, aber nur mit Hilfe einer Neuverschuldung von fast 30.000 Talern. Zum Vergleich sei erwähnt, dass der sächsische Kurfürst Johann Georg I. 1630 eine gleich hohe Summe an Heiratsgeldern für seine Tochter Maria Elisabeth an die gottorfische Rentkammer gezahlt hatte. Um nicht immer höhere Kredite - zum großen Teil bei ihren eigenen Bediensteten - aufnehmen zu müssen, verkaufte die Herzogin schließlich große Mengen an Juwelen, Perlen, Diamanten und Silberwaren, allein im Jahre 1663/ 64 im Werte von fast 10.000 Talern. Außerdem erhob sie ab 1668 eine Pflugsteuer: »Contribution 10. Rthr. vom Pfluge Thut von 190. Pflügen 1900 Rthr.«, sicherlich nicht gerade zum Jubel ihrer Untertanen. Erst im siebten und achten Lebensjahrzehnt beschränkte sich die fürstliche Frau offensichtlich auf eine maßvollere Lebensführung für sich und ihren Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth 137 Hofstaat und gab nicht mehr aus, als ihre Einnahmen zuließen. Aus der gottorfischen Rentkammer flossen 6.000 Taler Abfindungsgelder für die Witwe und 1.000 Taler Apanage für die unverheiratete Tochter Anna Dorothea. Aus den Husumer Amtsgefällen, dem Gut Arlewatt, dem Hof in Darrigbüll und dem Haubarg Padelecksberg bei Simonsberg kamen ca. 15.000 Taler. Leider sind die Rechnungen der letzten drei Lebensjahre nicht erhalten. Allem Anschein nach aber hat die Herzogin, als sie am 24. Juni 1684 mit 74 Jahren starb, ihrem im Hamburger Exil weilenden Sohn Christian Albrecht 4 bzw. dessen Gemahlin Friederike Amalie keine Schulden hinterlassen. Abb. 8.2: Jahresrechnungen des Husumer Wittums 1646 - 1681 4 Christian Albrecht (1641 - 1694) wurde 1559 Nachfolger seines Vaters Herzog Friedrich III., 1667 Heirat mit Friederike Amalie, Tochter Friedrichs III., König von Dänemark. 1665 Gründung der Universität Kiel und 1678 (im Hamburger Exil) Mitbegründer der Oper am Gänsemarkt. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 138 Der Hofstaat Der anspruchslosere Zuschnitt des Hofstaats unter der dänischen Königstochter Augusta wich einem fürstlicheren nach dem Einzuge der sächsischen Prinzessin Maria Elisabeth. Dieser war von Dresden eine stattliche adelige und gemeine Bedienung gefolgt, von der zwar ein Teil wieder zurückging, ein anderer jedoch in Gottorf blieb. Von April 1630 ab hat die Rentekammer in ihren Rechnungen eine besondere Abteilung für die Ausgaben der Herzogin eingerichtet. Sie hatte ihren eigenen männlichen Hofstaat mit einem Hofmeister, Kammerjunkern, dem Präzeptor der Kinder, einem Kammerschreiber, Hofschneidern, Edelknaben, einem Kammerdiener, Feuerbötern, Kutschern, Bereitern, Beiläufern und Bettwagendienern. Zum weiblichen Hofstaat zählten 1641 die Hofmeisterin, eine Kammerjungfer, mehrere Hofjungfern und Kammermägde, eine Zuckerbäckerin, eine oder zwei Ammen sowie Köchinnen und Dienstmädchen - insgesamt 23 Frauen. 5 Auch als Witwe wollte Maria Elisabeth offensichtlich nicht auf den gewohnten fürstlichen Standard verzichten. Noch in den 1670er Jahren dienten ihr 24 weibliche Angestellte, angeführt vom adeligen Frauenzimmer: der Hofmeisterin Catharina von Lützow, der Kammerjungfer Margaretha Blome, der Kammerjungfer der Prinzessinnen Augusta Elisabeth von Schwerin und der Hofjungfer Eva Sophie von Bapzien (vgl. Abb. 8.3, Nr. 51 - 54). 6 Am Ende der Besoldungsliste, die die strenge Hierarchie an einem absolutistischen Fürstenhof widerspiegelt, stehen »die Meyersche« und »der Meyerschen Magd«. Mit einem Zehntel bzw. Zwanzigstel des Jahresgehalts der Hofmeisterin (100 Taler) lagen sie an der unteren Einkommensgrenze bei Hofe. Der männliche Hofstaat umfasste 18 höhere Hofbeamte vom Kammerrat über Kammerjunker und Hofjunker einschließlich deren Diener, Amtsinspektor, Kammerdiener, zugleich Kammer- und Amtsschreiber, Kornschreiber, Küchenschreiber, Hofapotheker, Nachmittagsprediger und Hoforganist bis hin zu den drei Pagen Schack, Schenck und Freyberg. In früheren Jahren hatte es noch einen Hofarzt und einen Bauinspektor gegeben sowie einen Praeceptor für die beiden Prinzessinnen, die nach dem Tode des Vaters mit der Mutter in Husum lebten. 7 Zum niederen Hofgesinde gehörten 44 Personen: Gärtnermeister mit Geselle und Lehrjunge, Furier (Futtermeister), zwei Mundköche, Silberdiener und 5 Andresen/ Stephan I, S. 123 f. 6 LASH 7/ 4780 (1672/ 73). Vgl. die vollständig transkribierte Besoldungsliste (»Ordinari Außgaben«) von 1676/ 77 im Erstdruck (BibAK 12, S. 200 - 204). 7 Anna Dorothea (1640 - 1713), unverheiratet, nach dem Tode der Mutter 1684 Stiftsfrau in Quedlinburg. Augusta Maria (1649 - 1728), 1670 Heirat mit Friedrich VII. Magnus, Markgraf von Baden-Durlach. Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth 139 Abb. 8.3: Besoldungsliste der Husumer Hofhaltung (Auszug von 1672/ 73) Junge, Weinschenk, Baumeister, Brauer und Knecht, drei Lakaien, von denen einer auch schneiderte, drei Feuerböter, von denen einer auch Kupferschmied war, vier Küchenjungen, »Pottschührer« (Topfscheurer), zwei Kutscher und deren Vorreiter, Beiläufer, Jäger mit Junge, Schütze, Fischer mit Knecht, Bote, Wächter, Pförtner. Ebenfalls im Dienste der Herzogin waren der Holzvogt zu Ostenfeld, der Wassermüller, der »Norder Wind Müller«, der Schieferdecker, der Uhrmacher sowie zwei Fußknechte, die Platz 84 und 85 in der Liste der Hofdienerschaft einnehmen. Bei den Männern ist das Einkommensgefälle noch größer als beim weiblichen Hofstaat. Während der ranghöchste Beamte, Kammerrat Pauli (vgl. Abb. 8.3, Nr. 55), jährlich 600 Reichstaler vereinnahmte (doppelt so viel wie der Hofprediger, sechsmal so viel wie der Küchenschreiber und der Hoforganist, zehnmal so viel wie der Silberdiener), mussten sich die Fußknechte mit 10 Talern zufrieden geben. Die Pagen erhielten nur 8 Taler Schuhgeld, darüber hinaus aber alles, was sie zum Leben brauchten. Nach Beendigung der mehrjährigen höfischen Erziehung wurden die Edelknaben wehrhaft gemacht und blieben als Junker bei Hofe, begaben sich auf Kavaliersreise oder kehrten ins Elternhaus zurück. Neben den Barbezügen erhielten die Bediensteten nach alter Tradition Naturalien bzw. den Gegenwert in bar. 25 Bediensteten, die nicht bei Hofe speisten, wurde ein jährliches Kostgeld in Höhe von 43 1 / 3 Talern ausgezahlt. Im Gehalt des Kammerrats war das Kostgeld bereits enthalten. Das gesamte Frauenzimmer und etwa die Hälfte der männlichen Beamten- und Dienerschaft, insgesamt mindestens 55 Personen, wurden durch die Hofküche beköstigt. Hinzu kamen Gäste der Herzogin, »Abspeiser«, die sich ihr Essen in der Hofküche holen durften, und sicher auch etliche illegale Mitesser. Die Auszahlung weiterer Naturalien in bar wurde ebenso wie Neujahrs-, Hochzeits- und Gevatterngeschenke, Reise- und Trinkgelder bei »Extra Ordinari Außgaben« verbucht. Beispielsweise erhielt der Hofprediger alljährlich 8 Reichstaler »zu ein Pahr Schweine«. Dem 85-köpfigen Husumer Hofstaat von 1676/ 77, der mit der Herzoginwitwe und ihrer Tochter 27.653 Reichstaler verbrauchte, kam keine andere Aufgabe zu, als sich selbst zu unterhalten. Zum Hofstaat in der Gottorfer Residenz zählten einschließlich Kanzlei, Kammersekretariat, Rentkammer und Räten - selbst während der Blütezeit zwischen Westfälischem Frieden und dänischschwedischem Krieg - nicht mehr als 380 Personen. Fast völlig unberührt von politischen Entwicklungen und Regierungsentscheidungen diente die Husumer Hofhaltung einem reinen Selbstzweck und entfaltete dabei auch in kriegerischen Zeiten barocke Üppigkeit und Fülle gepaart mit einem regen Kunst- und Geistesleben. Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth 141 Küche und Keller Über das Ess- und Trinkverhalten an einem absolutistischen Fürstenhof ist viel geschrieben worden. Obwohl die Sitten in der zweiten Jahrhunderthälfte schon verfeinert waren und unter Friedrich III. auch eine Mäßigung eingetreten war, wurden dem Herzog und seiner Tafel noch 1652 mittags und abends je 18 Gerichte aufgetragen: verschiedene Wild-, Geflügel- und Fleischsorten, mehrere Fischgerichte, Suppe, »Gartenessen« (Gemüse) und Süßspeisen. Dazu und danach gab es reichlich Bier und Wein. Selbstverständlich zeigt sich die hierarchische Ordnung auch bei den Mahlzeiten. Gespeist wurde in verschiedenen Sälen an mehreren Tischen, die entsprechend dem Rang der daran Sitzenden gedeckt waren. Am Küchen- und Altfrauentisch gab es nur noch vier Gerichte: Rindfleisch, Kohl oder Gemüse, frischen Fisch, Salzfleisch oder Speck. 8 Auch auf dem Witwensitz zu Husum wurde nicht gefastet. Das Porträt der Herzogin (Abb. 8.1) ist ein unübersehbares Zeichen dafür, dass die fürstliche Frau die Künste der Mundköche und der Zuckerbäckerin nicht verschmähte. Die Haushaltszahlen sprechen eine noch deutlichere Sprache. Im bereits zitierten Beispieljahr 1676/ 77 nahmen die Küchenausgaben unmittelbar nach den Gehältern den größten Posten ein. Der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch für Essen und Trinken lag bei über 100 Talern jährlich. Darin sind die Ausgaben des Kornschreibers, der nicht nur Mehl und Grütze in die Hofküche lieferte, sondern auch Malz in die Brauerei, Hafer an den Futtermeister sowie Korn und Malz an alle möglichen Deputatempfänger, nicht einmal enthalten. Kein Wunder also, dass die Hofdienerschaft die Beköstigung bei Hofe einem Kostgeld von 43 1 / 3 Talern jährlich vorzog. Zu den persönlichen Genüssen der Herzoginwitwe gehörten nicht nur die süßen Erzeugnisse ihrer Zuckerbäckerin, sondern auch die fast täglich erworbenen »Kringel«, französisches Brot, das sie sich eigens von einem Friedrichstädter Bäcker holen ließ, Erdbeeren, Kirschen, »Bickbehren« (Blaubeeren), »Brummelbehren« (Brombeeren), Weintrauben und Nüsse, mit denen vermutlich die Erzeuger bei Hofe erschienen. Obwohl sich im Schloss eine eigene Brauerei befand, ließ sie zusätzlich Bier aus Hamburg und Minden kommen, vor allem aber aus Zerbst, wohin sie ihre älteste Tochter Sophie Auguste 9 1649 verheiratet hatte. All diese Delikatessen belasteten nicht etwa den Etat des Küchenschreibers, sondern wurden unter »Tägliche Außgaben« verbucht. Sie waren offenkundig für die Herzogin selbst und ihre engste Umgebung bestimmt. Von den großen Mengen an kostbaren Zitrusfrüchten dienten wohl nur die 8 Andresen/ Stephan II, S. 96 - 107. 9 Sophie Auguste (1630 - 1680), 1649 Heirat mit Fürst Johann von Anhalt-Zerbst. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 142 »Apfel de China« (Apfelsinen) und Pomeranzen dem Verzehr. Hunderte von Zitronen wurden dagegen in kurzer Zeit für Gesichtswasser verbraucht. Krankheiten und Heilkunst Die Vielesserei - rein rechnerisch etwa 1 kg Fleisch pro Kopf und Tag - und die Vieltrinkerei ohne entsprechende körperliche Betätigung legen die Frage nahe, wie die Hofgesellschaft ein solches Leben gesundheitlich überstanden hat. Auch hierüber geben die Husumer Hofrechnungen einigen Aufschluss. Bereits in der Gottorfer Zeit benutzte Maria Elisabeth ihre Husumer Frühjahrsaufenthalte dazu, um bei »Paull Barbierer [. . .] zu Ader gelaßen« zu werden, 1655 sogar noch am Tage ihrer Ankunft. Ab 1660, nachdem sie dauerhaft in Husum lebte, übernahm ihr Leibbarbier Meister Ernst Ulrich Schreiber die häufig wiederkehrende Aufgabe. Auch die Töchter wurden bereits in jungen Jahren - Augusta Maria 17-jährig nach einer »ohnpäßlichkeit« - dieser Prozedur unterzogen. Blutreinigend, entschlackend und stoffwechselfördernd sollten wohl auch der »Violensaft, so für Ihr: Durchl. von der Apoteck geholet«, und die Heilkräuter wirken, die Maria Elisabeth besonders im letzten Lebensjahrzehnt vermehrt erwarb: »Ehrenpreiß« (u. a. verwendet als Gichtmittel), »Camellen Bluhmen« (Kamille, u. a. zur Entkrampfung des Magens, des Darms und der Gallenwege), »Leberbluhmen« (wegen ihrer dreilappigen Blattform nach der Signaturenlehre gegen Leberleiden), »Muscaten Bluhmen« (gegen Verdauungsstörungen und Koliken). Am auffälligsten sind die großen Summen - bis zu 10 Taler - , die alljährlich im Mai für »Lilien Convallien« ausgegeben wurden: das duftende Maiglöckchen ist von alters her als Herzmittel bekannt. 10 Nur ein einziges Mal scheint die Herzogin ernsthaft krank gewesen zu sein. Am 27. Januar 1669 vermerkte der Kammerschreiber: »Den Husumbschen Dreyen Predigern, für daß wegen I. Hochfrstl. Durchl.ten Meiner gnädigsten Herzoginnen dieselbe wehrender Ohnpäßlichkeit, auff den Canzeln gebehten, einem jeden 4. Rthr.«. Da er ihr bereits am 17. März 10 Taler »zum Spiel« aushändigte, wird sie von ihrer »Ohnpäßlichkeit« bald genesen gewesen sein. Allerdings wurden am 20. April desselben Jahres noch einmal 10 Taler für Medikamente benötigt. Außerdem wissen wir, dass sie spätestens mit 53 Jahren eine Brille benötigt hat; am 23. Mai 1663 finden wir die Eintragung: »Der Cammer Jungfer Wittorfen wiedererstatet, welches Sie vor I: Dhl. vor gekauffte Brillen außgeben«. 20 Taler kostete die Brille, das entspricht zwei Drittel der Jahresbesoldung der Kammerjungfer. Die Zahnschmerzen, die die 19-jährige 10 Ich danke Dr. Wolf-Dieter Holm, Apotheker in Westerland/ Sylt, für medizinhistorische Hinweise. Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth 143 Prinzessin Anna Dorothea 1660 auf der Festung Tönning befielen, wurden ein viertel Jahr lang mit »Reinischem Branntwein« bekämpft. In schweren Krankheitsfällen wurde ein Bote nach Gottorf geschickt, um den gelehrten Dr. Joel Langelott, seit 1648 Leibarzt der Herzöge, zu Rate zu ziehen. Acht Wochen nachdem sich die Witwe Friedrichs III. mit ihrem Hofstaat in Husum eingerichtet hatte, rief sie den Gottorfer Hofmedicus ans Krankenbett der elfjährigen Prinzessin Augusta Maria. Bald darauf musste er noch einmal kommen. Vielleicht war dies der Anlass, für die Husumer Hofhaltung vorübergehend einen eigenen Hofmedicus, Dr. Ludovicus Albertus, zu bestallen. Ab 1663 scheint Dr. Langelott wieder für das Wohlergehen der fürstlichen Frau und ihrer beiden Töchter zuständig gewesen zu sein: er schickte 100 Krüge Sauerbrunnen nach Husum und erhielt zusätzlich zu seiner Besoldung aus der gottorfischen Rentkammer von Maria Elisabeth alljährlich 100 Taler Neujahrsgeld und 26 bis 30 Taler für einen »feisten Schlacht Ochsen«. Im Juli 1680 ließ der Gesundheitszustand des 63-Jährigen eine Kutschfahrt nach Husum wohl nicht mehr zu. 120 [! ] Reichstaler wurden »wegen Curirung des Fiebers an [. . .] Princesse Annen Dorotheen H. Dr. Gottfried Waltern bezahlet«. Dr. Joel Langelott, der die herzogliche Familie über 30 Jahre ärztlich betreut hatte, wurde am 8. Dezember 1680 im Dom zu Schleswig beigesetzt. 11 Vier Jahre später starb Maria Elisabeth, Herzogin zu Schleswig-Holstein- Gottorf, im 75. Lebensjahr, ohne dass größere Leiden ihr Leben beschwert zu haben scheinen. Vier ihrer 16 Kinder, von denen nur sechs Töchter und zwei Söhne Kindheit und Jugend überlebten, wurden ebenfalls über 70 Jahre alt: Anna Dorothea starb 73-jährig als Stiftsdame in Quedlinburg. Ihre Schwestern Hedwig Eleonora und Augusta Maria wurden 79, Magdalena Sibylla sogar 88 Jahre alt. 12 Gemessen an der geringen Lebenserwartung jener Zeit ist das erreichte Alter dieser fürstlichen Frauen und Fräulein zweifellos überdurchschnittlich. Von Krankheiten der Hofbediensteten erfahren wir nur dann, wenn Schmerzens- oder Witwengelder gezahlt wurden. Immer wieder kommt es zu Unfällen, teils mit tödlichem Ausgang. Am 9. Oktober 1660, zwei Wochen nach der endgültigen Übersiedlung nach Husum, »haben Ihr: Durchl: einem Zimmermann, welcher in dero arbeit sich ins Bein gehawen [. . .] auff untertheniges suppliciren gnedigst geben laßen 1 Rthr.« Kurz darauf erhielt die Witwe 2 Taler, »weil Ihr Mann an dem Schaden gestorben«. Als 1676 der alte Uhrmacher Thomas Jennsen vom Schlossturm stürzt, wird seine Witwe sogar mit 20 Talern 11 Andresen/ Stephan II, S. 94. 12 Hedwig Eleonora (1636 - 1715), 1654 Heirat mit Karl X. Gustav, König von Schweden. Augusta Maria s. o. Anm. 7. Magdalena Sibylla (1631 - 1719), 1654 Heirat mit Gustav Adolf, Herzog von Mecklenburg-Güstrow. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 144 entschädigt. Für den ebenfalls altgedienten Hofzwerg zahlt die Herzogin 53 Wochen lang Pflegegeld und 60 Taler Begräbniskosten. - Lange vor Einführung einer Sozialgesetzgebung gab es im 17. Jahrhundert zumindest für die Hofdienerschaft eine - wenn auch der fürstlichen Willkür ausgesetzte - Art Versicherungsschutz gegen Alter, Krankheit, Unfall, Tod. Spiel und Zeitvertreib Da die höhere Hofgesellschaft nicht darauf angewiesen war, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, gab es zwischen den Mahlzeiten und vor dem Schlafengehen viel Zeit auszufüllen. Man pflegte das Brettspiel und erging sich beim Kegeln und Boßeln im Lustgarten des Schlosses. Die Herzogin nahm selbst teil an Jagden, am Vogel- und Scheibenschießen und hatte eine offenkundige Liebe für Hunde. 1647 zahlte sie einem Trompeter Fuhrlohn für »2. Hunde, so derselbe von Schwerin mit uberbracht«. Immer wieder tauchen kleinere Beträge auf für Hundekämme, -bürsten, -salbe, für ein Hundekissen in ihrem Gemach, für »einen Halßband zu Ihr Durchl. bunten Hunde«. Als das silberne Halsband ihres Hündchens Mignon zerbricht, zahlt sie dem Goldschmied 8 Taler für die Reparatur; auch auf einem Brustbild in Öl, das als Leihgabe im Schloss vor Husum hängt, ist Maria Elisabeth mit einem Schoßhündchen abgebildet (s. Abb. 8.1). 13 Die spärlichen Hinweise über den Zeitvertreib der Kinder entsprechen ganz dem Bild höfisch-aristokratischer Erziehung, wie es später vom Bürgertum kopiert wurde. Prinzessin Anna Dorothea besaß mehrere »lebende Nachtigallen und Canarien«. Die vierjährige Augusta Maria bekam zum Weihnachtsfest 1653, das in Husum verbracht wurde, eine Puppe für 4 Taler, zwei Jahre später »Poppenzeugh [. . .] so in der Friedrichstadt gekaufft«. Ihrem drei Jahre älteren Bruder August Friedrich wurden dagegen »2. kleine geschüzen« für 5 Taler beschert. Den drei- und vierjährigen Söhnen Christian Albrechts schenkte die Großmutter 1676, als sie während der Exilszeit des Vaters wohl in Husum weilten, »ein pahr klein Pistohlen mit golde eingelegt« für 10 Reichstaler. In der dunklen Jahreszeit bot fahrendes Volk mit seinen Künsten willkommene Abwechslung. Erwähnt werden Gaukler und Springer sowie eine Truppe, »die eine gemachte Statt und Waßerkünste auff dem Fürstln. Schloße praesentiret«. Gern mischt sich die Fürstin unters Volk, um in der Stadt »Bären und Panterthier« zu sehen und anschließend die Tierwärter und »dem Jungen der 13 Hierbei könnte es sich um das Porträt handeln, dessen Verkleinerung (Miniatur) offensichtlich zum 70. Geburtstag der Herzoginwitwe am 22.11.1680 in Auftrag gegeben wurde. Am 6.12.1680 zahlt der Kammerdiener 6 Taler an »Clauß Thomaßen der I: HochFürstl: Durchl: Conterfaict in klein gemahlet«. Über die Praxis des Verkleinerns bzw. Vergrößerns von Bildern vgl. Schlee, Kunst und Kunsthandwerk (1965), S. 359. Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth 145 dem Panterthier den Hanen gebracht und vorgehalten« reichlich Trinkgeld zu geben. Immer, wenn die Herzoginwitwe das Schloss verlässt, stürzen Bittsteller auf sie ein, bei dieser Gelegenheit beispielsweise eine arme Frau, »die in der Türckei übel zugerichtet«. 1664 kommen Puppen- und Marionettenspieler aufs Schloss. Sie erhalten für ihre Darbietungen 40 Reichstaler, so viel wie der Weinschenk an Jahresbesoldung. Offensichtlich lässt sich die fürstliche Frau auch keine Theatervorstellung im Rathaussaal entgehen. 50 Taler zahlt sie »dem Commoedianten Carl Andreaß Paull, daß Ihr HochFürstl: Durchl. mit Ihrer Hoefstatt, dhero actiones zu 9 mahlen beigewohnet«. Mit großer Hingabe, wenn nicht sogar mit Leidenschaft, muss Maria Elisabeth das Spiel um Geld betrieben haben. Zu ihrer Gottorfer Zeit verbuchte der Kammerdiener die Spielgelder noch in kleineren Einzelbeträgen. Ab dem Jahre 1657 stellte er ihr am Monatsende Sammelquittungen von durchschnittlich 50 Talern aus. Während der 40 Monate bis zu ihrem endgültigen Einzug in das Husumer Schloss verspielte sie bis zu 1.000 Taler jährlich. Das entspricht der Apanage für die fürstlichen Fräulein nach dem Tode des Vaters. Zudem ist es denkbar, dass sie einen Teil der beträchtlichen Gelder, die sie »zu dhero Händen« empfing, ebenfalls dazu benutzte, um Spielschulden zu bezahlen. Die größten Summen verspielte sie im Winter 1659/ 60 nach dem Tode des Gatten: über 800 Taler in drei Monaten! Nachdem die Witwe nach Husum übergesiedelt war und wieder ein geordnetes Hofleben führen konnte, trat die Spiellust fast ganz in den Hintergrund und erwachte erst wieder ab 1666 - nun geteilt von der inzwischen 26-jährigen Anna Dorothea und ihrer neun Jahre jüngeren Schwester Augusta Maria - vor allem dann, wenn hochfürstliche Verwandtschaft zu Gast in Husum war. Die Beträge waren allerdings verhältnismäßig maßvoll und mit den Spielgeldern aus der Tönninger Festungszeit nicht zu vergleichen. Allem Anschein nach wandte sich die Herzogin während ihrer 25-jährigen Witwenschaft verstärkt den in ihrer Jugend angelegten künstlerischen, geistigen und geistlichen Interessen zu, von denen in den beiden letzten Abschnitten die Rede sein soll. Die Hofmusik Über Musik und Musiker am Gottorfer Hofe gibt es bereits mehrere Untersuchungen. 14 Eine Dissertation, in der die bisherigen Erkenntnisse unter neuen Gesichtspunkten zusammengefasst und überarbeitet wurden, liegt ebenfalls vor. 15 In allen Darstellungen wird die Husumer Hofmusik aber nur gestreift. 14 Grundlage für alle folgenden war Engelke, Musik und Musiker am Gottorfer Hofe (1930). 15 Ich danke Winfried Richter und seinem Doktorvater Heinrich-Wilhelm Schwab, dass sie mir vorab Einblick in die zwischenzeitlich abgeschlossene Dissertation gewährten, die während meiner Arbeit an diesem Aufsatz entstand: Richter, Die Gottorfer Hofmusik (1985). Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 146 So entsteht der Eindruck, als wäre der Neben- und Witwensitz nur von Gottorfer Musikern mitversorgt worden. Die Husumer Hofrechnungen zeigen auch in diesem Punkt, dass der kleine Hofstaat an der Westküste der schleswigholsteinischen Herzogtümer ein durchaus eigenständiges kulturelles Leben führte. In den erhaltenen Kammerrechnungen von 1646 bis 1681 tauchen nicht weniger als 220 Einträge auf, die mit Musik und Musikern, Musikinstrumenten und Musikalien zu tun haben. Wir finden sie in mehreren Rubriken: bei »Ordinari« und »Extraordinari« Ausgaben (Besoldung und Verehrungsgelder), bei Hochzeits- und Gevattern[Paten]geschenken und bei den Täglichen Ausgaben. Was sagen die zahlreichen Belege aber wirklich aus über das musikalische Leben bei Hofe? Aus den Küchen- und Weinkellerausgaben lässt sich der Nahrungsmittel- und Alkoholkonsum des Hofstaates leicht ablesen. Die »Außgaben an Mahler, Buchführer, Buchbinder, Wie auch für Kupferstiche« verraten ebenso eindeutig, wie viel Geld Maria Elisabeth in Literatur und Kunst investierte. Die Ausgaben, die im Zusammenhang mit Musik stehen, können hingegen nur über einen Teil dessen Auskunft geben, was zur höfischen Musikkultur gehörte. So erfahren wir mehr zufällig, dass die Herzogin ein privates Spinett besaß, da es 1664 für 2 Taler repariert wurde. 16 Aus der Anschaffung einer »Fiol« für ihren Pagen Henning Negendanck können wir schließen, dass sie für die musikalische Erziehung der Edelknaben Sorge trug. Es muss ein gutes Instrument gewesen sein, denn es war 7 Taler wert. Denselben Preis zahlte sie später für »Ein Clavicordium zu Princessin Anna Dorothea«. Besonders kostbar aber muss das Clavichord gewesen sein, das sie der 20-jährigen Christine, Gemahlin ihres jüngsten Sohnes August Friedrich 17 , im Oktober 1676 schenkte. Es war »gelaxiret und mit Blumen geschillert [geschildert = bemalt] in ein apartes futteral verehret« und kostete 24 Taler. Verglichen mit dem Diamanten für 380 Taler, den die Weißenfelser Prinzessin im Juni desselben Jahres von der Schwiegermutter zur Hochzeit bekommen hatte, wirkt das musikalische Präsent allerdings eher bescheiden. Zwar kennen wir den Kaufpreis dieser und anderer Instrumente - was wissen wir aber darüber, wer wann und wie oft welche Musik darauf spielte? Sicher dürfen wir davon ausgehen, dass Maria Elisabeth ihr Spinett selbst gespielt hat. Als kursächsische Prinzessin wird sie von Heinrich Schütz (1585 - 1672) unterwiesen worden sein. Beweise dafür gibt es nicht. Aber nach der Gepflogenheit der Zeit wurden die fürstlichen Fräulein vom ranghöchsten Musiker bei Hofe 16 Im 17./ 18. Jh. wurde das kleinere (einchörige) Kielklavier in Tafelform Spinett genannt. 17 August Friedrich (1646 - 1705), ab 1666 Fürstbischof von Lübeck in Eutin, 1676 Heirat mit Christine, Tochter von Herzog August von Sachsen-Weißenfels. Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth 147 unterrichtet. Dieser war in Dresden eben der Hofkapellmeister Heinrich Schütz. 18 Als er 1617 an den kurfürstlichen Hof gerufen wurde, war Maria Elisabeth sieben Jahre alt. Als 20-Jährige verließ sie Dresden, um ihrem Gatten nach Gottorf zu folgen. Zweifellos wurde sie in dieser Zeit und bei späteren Besuchen in ihrem Stilempfinden und in dem hohen Qualitätsanspruch geprägt von Schützscher Musik. Sie erlebte nicht nur die gewöhnliche Hof- und Kirchenmusik unter dem größten deutschen Musiker seiner Zeit, sondern auch die musikalische Ausgestaltung von mehrtägigen Festlichkeiten, z. B. zur Hundertjahrfeier der Reformation oder anlässlich des Besuchs von Kaiser Matthias in Dresden. 1627 war sie ebenfalls Zeugin, als Schütz zur Hochzeit ihrer ältesten Schwester Sophie Eleonore mit dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt Dafne aufführte. Es war die erste deutsche Oper überhaupt. Seine Italienreisen hatten ihn dazu angeregt. Der neue Arien- und Konzertstil, mit dem Maria Elisabeth aufgewachsen war, musste sich im nördlichsten deutschen Fürstentum erst langsam durchsetzen. Er löste die von England beeinflusste reine Instrumentalmusik für fünfstimmiges Gambenconsort ab, mit der die Gottorfer Hofkapelle unter William Brade (1560 - 1630) berühmt geworden war. So mag die junge Herzogin nach ihrer Heirat den Wiederaufbau der 1628 aufgelösten Gottorfer Kapelle vorangetrieben und beeinflusst haben. Schon 1634 war der alte Stand von sechs Mitgliedern wieder erreicht, von nun an unter Einbeziehung von Sängern meist italienischer Herkunft. Noch zu Lebzeiten des Gatten zahlte sie häufig Reise-, Verehrungs- und Lehrgelder an die Musiker aus ihrem persönlichen Budget. Auch nach ihrer Übersiedlung nach Husum erhielten die Gottorfer Musici Hochzeits- und Gevatterngeschenke, vor allem aber reichliche Verehrungsgelder, wenn sie zu besonderen Anlässen nach Husum gerufen wurden. Dann zahlte sie auch den Fuhrlohn, Kost und Logis während der Zeit der Aufwartung, z. B. während der Besuche Christian Albrechts oder anlässlich ihres Geburtstages am 22. November. Für »ein uffdhero gebuhrtstag dedicirt und gesungenes Lied« bekam der Gottorfer Kapellmeister Augustin Pfleger 1666 noch 8 Taler zusätzlich. Den Text dazu hatte wohl Dr. Daniel Georg Morhof geliefert, Professor der Rhetorik und der Dichtkunst an der ein Jahr vorher gegründeten Kieler Universität. Er erhielt zum gleichen Anlass zwei Silberbecher im Werte von 34 Talern und 26 Schilling »wegen uff Ihr Hochfrl. Durchl.ten Geburtstag überschickter Carmina«. Richtete die Herzoginwitwe für einen ihrer Hofbediensteten die Hochzeit aus, waren die Husumer Stadtspielleute für die Musik zuständig. Sie wachten peinlichst darüber, dass ihnen niemand ihr Zunftrecht streitig machte. Zwischen 18 Vgl. Anm. 64 in Beitrag 7. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 148 1660 und 1664 unterschrieb der Stadtspielmann Johann Knolck, ab 1667 Hinrich Pape, 19 die Quittungen des Kammerdieners über 6 bis 10 Taler Aufwartungsgeld. Sie spielten u. a. bei den Hochzeiten des Mundkochs und des Weinschenks, des Wachsmädchens und eines Kammermädchens, des Jägermeisters mit dem Waschmädchen und des Hofpredigers mit dem Kammermädchen der Herzogin. Alljährlich am Weihnachtsabend und am Neujahrsabend wurde »auff dem Fürstl: Schloße gespielet«, wofür den Ratsmusikanten mit schöner Regelmäßigkeit 2 Taler verehrt wurden. Ebenso sicher konnten die drei Prediger von St. Marien und die fünf »Schulcollegen« des heutigen Hermann-Tast-Gymnasiums mit einem Neujahrsgeld rechnen. Die Verbundenheit der Stadt mit der Herzogin fand ihren symbolischen Ausdruck auch darin, dass ihr zum Neuen Jahr vom Ratsdiener alljährlich ein junges Lamm gebracht wurde - bis 1657 nach Gottorf, während der Belagerungszeit sogar auf die Festung nach Tönning und ab 1660 ins Schloss vor Husum. Besondere Beachtung verdient die bisher unerkannt gebliebene Tatsache, dass Maria Elisabeth - im Gegensatz zu ihrer sparsamen Schwiegermutter Augusta, die von 1616 - 1639 den Husumer Witwensitz bewohnte - neben den Aufwartungen der Stadtspielleute und der Gottorfer Hofmusiker hauptamtliche Musiker fest bestallt hat. Mit gutem Recht können wir deshalb von einer eigenen Husumer Hofmusik sprechen. Bereits im Mai 1661, ein gutes halbes Jahr nach ihrer Übersiedlung, wird Hans Conrad Capeler bei einem Jahresgehalt von 100 Talern als Kapellmeister in Husum verpflichtet. Darüber hinaus bekommt er das übliche Kostgeld und die Hausheuer. Nach seinem vorzeitigen Tode im März 1667 erhält die Witwe 20 Taler Begräbnisgeld, dazu das letzte Jahresgehalt in voller Höhe. Sein Nachfolger Hermann Arp wird im Oktober desselben Jahres mit 10 Talern empfangen »zu seinem Antridt und Herüber Reise von Riepen [Ribe]«. Bei gleicher Bezahlung wird er in den Besoldungslisten jedoch nicht als Kapellmeister, sondern nur als Hoforganist geführt. Auch ohne den begehrten Titel hatte er wohl dieselben Aufgaben wie sein Vorgänger wahrzunehmen, d. h. neben dem Orgelspiel im Gottesdienst die »Kapelle« zu leiten, die aus den Kapellknaben und mindestens einem hauptberuflichen Musiker bestand. 19 Hinrich Pape stammte aus Schwabstedt und wurde 1653 Stadtmusikant in Flensburg. Dort kam es wegen seiner leichten Erregbarkeit und eines gewissen Starrsinns mehrfach zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Als einziger Flensburger Stadtmusiker machte er von seinem Recht der halbjährlichen Kündigung Gebrauch. Am 7. Oktober 1667 zeigte er dem Rat an, »daß er in Husum ander Vocation bekommen, und demnach ein halb Jahr vorher Loßkündigung thun wollen, welche Loßkündigung denn acceptirt worden; jedoch daß er biß Ostern seinem Amt noch ein Genügen zu thun schuldig sein solle«. (Zit. nach Detlefsen, Musikgeschichte der Stadt Flensburg etc.1961, S. 37). So wartet er bereits am 19. November 1667 mit »seinen Leüdten bei Ihr Durchl.ten Mundkochs Mr. Jacobs Hochzeit« in Husum auf und kassiert 6 Taler. Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth 149 1626 hatte der Gottorfer Orgelbauer und Organist, der spätere Kammerdiener und Amtsinspektor Johann Heckelauer, im Auftrage der Herzoginwitwe Augusta eine neue Orgel für die Husumer Schlosskapelle gebaut. 1662 lässt Maria Elisabeth das 400 Taler teure Instrument restaurieren. Dazu werden acht Lindenbretter, zwei Eichenbretter, Muskatholz und andere Materialien besorgt. Im November desselben Jahres erhält die Witwe des Orgelbauers Nielsen 8 Taler Begräbniskosten, ohne dass wir wissen, ob er sein Restaurierungswerk vollenden konnte. 1680 ist die Orgel erneut reparaturbedürftig. Dieses Mal kassiert der Orgelbauer Martin Hutmann »den Rest der Rechnung« in stattlicher Höhe von 220 Mark [ = 73 Taler 16 Schilling]. Nach dem Tod von Maria Elisabeth hat sich wohl niemand mehr um die Orgel gekümmert. Am 5. Dezember 1800 wird sie auf Anordnung des dänischen Königs über Flensburg zum Lehrerseminar in Schloss Blågård bei Kopenhagen transportiert und für 307 Taler von dem Orgelbauer Scherr instandgesetzt. 20 Dort ist sie 1807 beim Bombardement von Kopenhagen vermutlich verbrannt. Über das Orgelspiel hinaus muss aber auch Vokal- und Instrumentalmusik im Gottesdienst erklungen sein. Bereits 1662 wird ein zweiter Musiker, Detlef Röpstorf, für 50 Taler jährlich eingestellt. Aus den 10 Talern Neujahrsgeld »wegen seiner bißherigen auffwartung« schließen wir, dass er den Kapellmeister schon im alten Jahr unterstützt hat. Er wird als »Musicant«, später als »Violist« bezeichnet, hat sicherlich mehrere Instrumente gespielt und auch singen müssen, um das Vokalensemble zu komplettieren. Im September 1663 reist er mit einem Verehrungsgeld der Herzogin nach Kopenhagen, wohin es ihn im nächsten Jahr wohl ganz verschlagen hat. Am 11. Juli 1664 empfängt er sein halbes Jahressalär und noch einmal 25 Taler Reisegeld »weilen er abgangen«. 1671 wird er als Violinist in die Gottorfer Kapelle berufen und verdient inzwischen das Dreifache, 150 Taler jährlich. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen bleibt er auch während der Exilszeiten seines Brotherrn im Amt und ist im Todesjahr Christian Albrechts 1695 mit 209 Talern ein hochbezahlter Musiker. Noch während des Nordischen Krieges taucht sein Name in den Kammerrechnungen auf, zuletzt 1709 als Kantor und Küster bei einem Gnadengeld von 160 Talern. Sein Nachfolger in Husum war unmittelbar nach seiner Abreise Görries Götje (auch Göthe oder Goetge) geworden, der 1652 - 1656 in Gottorf ausgebildet worden war und dessen Schwerpunkt ebenfalls die hohen Streichinstrumente waren. Anfang September 1671 heiratete er Anna Regina Capeler, die nach dem Tode ihres Vaters Kammermädchen der Prinzessinnen geworden war. Die Herzogin steuerte die Tochter ihres verstorbenen Kapellmeisters mit 70 Talern und einer üppigen Hochzeit aus und entließ das junge Paar gemeinsam 20 Diesen Hinweis verdanke ich der Aufmerksamkeit von Prof. Dr. Ernst Schlee, der im Reichsarchiv in Kopenhagen die diesbezüglichen Belege entdeckte. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 150 aus ihren Diensten. Ein halbes Jahr später erhielt Görries Götje seine Bestallungsurkunde als »Instrumentist« in Gottorf mit 120 Talern Jahresbesoldung. Als sich Christian Albrecht nach Hamburg ins Exil begab, musste Götje Ende 1675 »gleich anderen gnädigsten Abschied« nehmen. Tragischerweise ereilte den Musiker noch vor dem Wiederaufbau der Hofkapelle im Februar 1680 der Tod, vermutlich als Opfer einer Seuche. In wenigen Tagen verlor seine junge Frau in Schleswig die Mutter, den Bruder, den Gatten. Bei seiner Husumer Brotherrin hatte der als »Musicant« bestallte Götje offenbar auch nicht-musikalische Aufgaben wahrzunehmen. Er erhielt Pulvergeld, wenn er mit Kammerjunker Lützelburg auf die Jagd ging, und für »in den fürstln. Garten und auff dem Platze geschoßene 27. Stück Stoeß- und Raubvoegel a stücke 12 ß. gnädigst geschenckte sechs Reichsthr. 36 ß«. Nach dem Ausscheiden des zielsicheren Musikers stellte Maria Elisabeth keinen Nachfolger mehr ein. Dass aber auch nach 1671 neben dem Orgelspiel noch andere Hofmusik erklang, geht allein aus der Anwesenheit mehrerer Kapellknaben hervor, die zwischen 1669 und 1681 in den Hofrechnungen erwähnt werden. Zu den Aufgaben von Röpstorf und Götje gehörte offenbar auch die Unterweisung der Prinzessinnen im Instrumentalspiel. Nachdem Augusta Maria 1670 die Husumer Residenz verlassen hatte, um den Markgrafen von Baden- Durlach zu heiraten, und der letzte fest bestallte Streicher 1671 nach Gottorf gegangen war, ist die inzwischen über 30-jährige Anna Dorothea (Abb. 8.4) auf die sporadischen Besuche des Gottorfer Violinisten und Gambisten Anton Günter Roberts angewiesen. 24 Taler erhält er jährlich »wegen seiner unterschiedlich gethanen auffwartung und der Princesinnen information«. Zwischen 1671 und 1676 quittiert Roberts mehrmals Belege über »verschoßene violen und Chitarren Quinten [Saiten], so Princessin Anna Dorothea empfangen«. Saiten kamen im 17. Jahrhundert noch überwiegend aus Italien. Sie wurden aus den Därmen frisch geschlachteter Lämmer hergestellt und in 2 - 3 m Länge in Rollen zu je 30 Stück [ = 1 Stock] verschickt. Seidenumsponnene Saiten sind als »Seidenbässe« noch heute bei Gitarren- und Lautenspielern beliebt. 21 Für »2 Stöcke Chitarren Seiden« musste Anna Dorothea ihrem Lehrer 3 Taler zahlen, für »4½ Stock Violen Quinten« 6 Taler. Welch erheblichen Wert Saiten damals darstellten, wird auch darin deutlich, dass den Musikern ein Saitengeld von ca. 20 Talern im Jahr vertraglich zugesichert wurde. Nur durch diese Ausgaben erfahren wir, dass Prinzessin Anna Dorothea wie ihre Mutter selbst musiziert hat und als erwachsene Frau einen renommierten Musiker von Gottorf kommen ließ, um weiterhin Unterricht zu nehmen. Nachdem auch Anton Günter Roberts 1675, nach fast 30 Jahren am Gottorfer 21 Vgl. Jahnel, Die Gitarre und ihr Bau (1963), S. 227 - 229. Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth 151 Abb. 8.4: Prinzessin Anna Dorothea (1640 - 1713), Ölgemälde um 1675, Maler unbekannt Hof, seinen Dienst quittieren musste, wird er sich nach Husum gewandt haben, um dort - wenn auch ohne feste Bestallung - ein Auskommen zu haben. 1679 setzte sich August Friedrich, Fürstbischof von Lübeck, bei seinem nun wieder regierenden Bruder Christian Albrecht dafür ein, den »vieljährigen Diener Unseres Fürstl: Hauses«, den »Viol de Gambist Anthon Günter Roberts« als Hardesvogt zu Treia einzusetzen, damit er »die übrige Zeit [seines] Lebens, in Ruhe zu bringen möge«. 22 Die Namen Hans Conrad Capeler (Kapellmeister), Hermann Arp (Organist) und Detlef Röpstorf, Görries Götje, Anton Günter Roberts (Musikanten) erbringen den Beweis dafür, dass in Husum nicht nur zu besonderen Anlässen von den Stadtspielleuten und den Gottorfer Hofmusikern aufgewartet wurde, sondern dass eine professionelle Hofmusik - wenn auch in bescheidenerem Umfang als in Gottorf - auch auf dem Witwensitz zu Lebzeiten der Maria Elisabeth zum höfischen Alltag gehörte. Dass es dabei nicht nur um geistliche, sondern auch um weltliche Musik ging, versteht sich in der Barockzeit von selbst. Die musikalisch verwöhnte Dresdener Kurfürstentochter, die in ihrer Gottorfer Zeit aufwendige Ballette aus ihrem Haushalt finanzierte, mag auch den Grund zu der Opernbegeisterung ihres Sohnes gelegt haben. Unter seiner Mitwirkung wurde 1678 mit der Oper Adam und Eva von Johann Theile in Hamburg das erste bürgerliche Opernhaus Deutschlands eröffnet. Das geistliche Leben Lebensfreude und Frömmigkeit, weltliches und geistliches Lebensgefühl empfand der Barockmensch noch als Einheit. Die Macht und die Herrlichkeit eines absolutistischen Fürsten spiegelten sich nicht nur in einem glanzvollen Hofleben nach französischem Vorbild, sondern auch in der prächtigen Ausgestaltung kirchlicher Feiertage. Dreibis vierstündige Gottesdienste vor und nach der Festtafel standen auch im Mittelpunkt weltlicher Feste, z. B. der fürstlichen Geburtstage. Nicht selten kümmerte sich der Souverän persönlich um Fragen der Kirchenordnung und des Gottesdienstes. Der sächsische Kurfürst Johann Georg II. (1613 - 1680), Bruder Maria Elisabeths, setzte die Ordnungen der Gottesdienste selbst auf, suchte Lesungen, Gebete und Lieder aus und sorgte für die Herausgabe eines Bibelfolianten und mehrerer Hofgesangbücher. 23 Seine Schwester wollte ihm offensichtlich so wenig wie möglich nachstehen. Während sich ihr Gatte Friedrich III. neben Politik und Wirtschaft vor allem den Wissenschaften 22 LASH 7/ 168. 23 Vgl. Schmidt, Der Gottesdienst am kurfürstlichen Hofe zu Dresden (1961), passim. Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth 153 zuwandte, förderte sie das geistliche und künstlerische Leben bei Hofe. Auch auf ihrem Witwensitz leistete sie sich einen eigenen Hofprediger, zeitweilig zusätzlich einen Nachmittagsprediger und einen Hoforganisten. Welch eine zentrale Rolle Gottesdienst und Privatandacht im Hofleben und speziell im Witwenleben der Maria Elisabeth spielten, wird deutlich in der Ausstattung der Husumer Schlosskapelle mit dem kostbaren Silberaltar, der heute im Nationalmuseum Kopenhagen zu besichtigen ist. Neben den mehrstündigen öffentlichen Gottesdiensten Sonntag vormittags und nachmittags sowie mittwochs und den nach Dresdner Vorbild eingeführten Betstunden an den übrigen Werktagen zog sich die Herzogin mehrmals täglich zur privaten Andacht in ihr »Betstübgen« zurück. Ihr ausgeprägtes Interesse für zeitgenössische Erbauungsliteratur frühpietistischer Prägung beweisen die einschlägigen Titel in den Buchführer- und Buchbinderrechnungen. Johann Arndt, Heinrich Müller, Christian Scriver seien stellvertretend genannt für die große Zahl an Verfassern und Herausgebern gewichtiger Predigtbände und handlicher Andachtsbüchlein. Obwohl vom Dresdner Hof stammend, an dem das orthodoxe Luthertum gepflegt und bewahrt wurde, schien sie der Rostocker Reformorthodoxie gegenüber aufgeschlossen gewesen zu sein. Frühpietistische Züge zeigt auch das von Maria Elisabeth herausgegebene › Husumer Hofgesangbuch ‹ Außerlesene Geistliche Lieder Auß unterschiedenen Gesangbüchern zusammen getragen, Schleswig 1676. Nachdem der Gottorfer Hofgelehrte Adam Olearius 1664 auf ihre Kosten eine Lutherbibel und ein Jahr später ein Kirchenbuch für beide Herzogtümer herausgegeben hatte, beauftragte sie ihren Husumer Hofprediger Magister Petrus Petraeus (Peter Petersen) mit der Edition eines Gesangbuches. Als Ergänzung zu Bibel und Kirchenbuch, das zugleich Agende, Kirchenordnung, Liedersammlung und Lektionar war, mag das Gesangbuch ebenfalls für die Herzogtümer geplant gewesen sein. Die politischen Umstände zwangen die Herausgeberin, das aufwendige Unternehmen auf den Husumer Witwensitz zu beschränken. Das Ergebnis ist jedoch in jeder Hinsicht überragend. Nur sehr wenige Exemplare - eins in der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen, eins seit 1979 wieder in Husum (Kreisarchiv) - sind von dem kostbaren großformatigen Gesangbuch überliefert. 24 Hinter feinster Buchbinderarbeit in Leder mit gepunztem Goldschnitt verbirgt sich ein ebenso wertvoller Inhalt. Als gebildete Frau bewies sie ihr literarisches, musikalisches und theologisches Urteilsvermögen in der Auswahl von rund 400 Liedern, die zum Besten gehören, was seit 24 [1997 konnte ein verloren geglaubtes drittes Exemplar in der Stadtbibliothek Lübeck wiedergefunden werden. In Beitrag 6 (1997) werden die drei Exemplare miteinander verglichen. Ausführliche Monographie und Bewertung des Gesangbuchs sowie der Lieder des Petraeus s. o. Beitrag 7 (1983).] Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 154 der Reformation bis in ihre Zeit entstanden ist. Auffallend ist die große Anzahl der noch heute gültigen Lieder von Martin Luther, Johann Heermann, Johann Franck und vor allem Paul Gerhardt. Sie wurden von Petrus Petraeus im größten Bemühen um die Originalgestalt von Texten und Melodien ediert. Das Husumer Hofgesangbuch wurde zum eindrucksvollen geistigen und geistlichen Vermächtnis einer fürstlichen Frau, die zeit ihres Lebens im barocken Spannungsfeld zwischen Diesseitsfreude und Jenseitssehnsucht gestanden hat. Essen und Trinken, Prunk und Tand, Spiel- und Festfreuden waren für sie ebenso selbstverständlich wie das tägliche Gebet. Im Singen und Beten fanden nicht nur Lob und Dank, sondern vor allem Sündenbewusstsein, Bußfertigkeit und Erlösungsgewissheit ihren Ausdruck. Die Frage, was davon persönlicher Frömmigkeit oder bloßer Konvention zuzurechnen war, muss offen bleiben. Das intensive Interesse der Fürstin an der modernsten subjektivistischen Glaubensliteratur ihrer Zeit und ihr persönlicher Einsatz bei der Gestaltung des geistlichen Lebens am Hofe lassen jedoch religiöse Bedürfnisse und Glaubenserfahrungen vermuten. Das Husumer Hofleben zur Zeit der Herzogin Maria Elisabeth 155 Abb. 9.1: Neues Mecklenburgisches Hofgesangbuch von Herzog Friedrich Franz I. 9 Eine »Sammlung guter, von mystischen Ausdrücken gereinigter Lieder« Das »Neue« Mecklenburgische Hofgesangbuch von 1794 Hymnologisch-historische Einordnung Während das Mecklenburger Land erst noch im J. 1764 ein in glaubigem Sinne besorgtes und nur, neben vielen alten unveränderten Kernliedern, allzu sehr mit matten Erzeugnissen aus der letzten Periode der pietistischen Liederdichtung versehenes »Kirchengesangbuch« mit 668 Liedern erhalten hatte, das ihm auch bis heute geblieben ist [. . .], wurde für die Hofgemeinden dieses neumodische G.[esangbuch] besorgt. 1 So pauschal und abwertend urteilte der berühmte Hymnologe Eduard Emil Koch 1869 über die beiden Gesangbücher, die das geistliche Leben am Schweriner Hof und in der Ludwigsluster Nebenresidenz unter den Herzögen von Mecklenburg Friedrich (der Fromme, reg.1756 - 1785) und Friedrich Franz I. (reg.1785 - 1837) bestimmten. Nachdem Johannes Bachmann und Christian Bunners ein sehr viel differenzierteres Bild von dem 1764 eingeführten › alten ‹ Kirchengesangbuch gezeichnet haben, 2 soll in der folgenden Untersuchung das 30 Jahre später erschienene Hofgesangbuch vergleichend betrachtet und hymnologisch eingeordnet werden. Titelblatt (Abb. 9.1) Zwei Unterschiede fallen vor allem ins Auge: 1. »Neu« im Titel eines Gesangbuchs signalisiert immer die Existenz eines Vorgängers, auf den sich das vorliegende bezieht. Das ist im Prinzip nichts Druckfassung eines Vortrags beim Interdisziplinären Symposium »Utopie und Idylle«. Der Mecklenburg-Schweriner Hof in Ludwigslust (Ludwigslust 18. - 21.9.2008). Siehe BibAK 39 (in Vorb.). 1 Koch VI, 253. 2 Bachmann, Geschichte des evangelischen Kirchengesanges in Mecklenburg (1881), S. 248 - 279. - Bunners, Wie Lieder aus dem Freylinghausenschen Gesangbuch nach Mecklenburg kamen (2002), S. 227 - 241. Besonderes, denn jede Generation hat das Bedürfnis, den gesungenen Glauben auf eigene Weise auszudrücken. So hießen die in den benachbarten Hansestädten erschienenen amtlichen Gesangbücher analog: Neues Wismarsches Gesang = Buch (1767), Neues Hamburgisches Gesangbuch (1787) und Neues Lübeckisches Gesangbuch (1790). Wieweit die Bezeichnung »Neu« jedoch nicht nur in diesem chronologischen Sinne, sondern auch programmatisch abgrenzend zu verstehen ist, soll unsere Untersuchung zeigen. 2. Statt Mecklenburgisches Kirchen = Gesang = Buch 3 (Abb. 9.2) heißt es nun: . . . Gesangbuch für die Hofgemeinen in Schwerin und Ludwigslust. Hier stellt sich die Frage, ob das Gesangbuch von 1794 nur für die genannte Zielgruppe bestimmt war oder ob es das als veraltet angesehene Landesgesangbuch von 1764 als Neues Mecklenburgisches Gesangbuch allgemein ablösen sollte. Die Vorrede vom »Julius 1794« gibt über beide Fragen Aufschluss. Vorrede Die von unserm gnädigsten Landesherrn getroffene Veranstaltung zur Anfertigung dieses neuen Gesangbuchs wird vermuthlich nach ihrem Werthe um so mehr verehret werden, je einstimmiger und größer der Wunsch aller nachdenkenden und von Vorurtheilen freien Verehrer der christlichen Religion in allen Ständen unsers Vaterlandes nach einem verbesserten Gesangbuche schon lange gewesen ist. 4 Aus dem ersten Satz erfahren wir, dass auch für dieses Gesangbuch der Landesherr (jetzt als Nachfolger Friedrichs des Frommen dessen Neffe Friedrich Franz I.) den Auftrag erteilt hatte; und zwar nicht nur für ein neues, sondern für ein »verbessertes« Gesangbuch. Dieses Stichwort verrät dem Hymnologen sofort, um welchen Gesangbuchtyp es sich handelt. »Verbesserte« Gesangbücher sind ein Produkt der Aufklärung und des Rationalismus. 5 Die ältere hymnologische Forschung nannte sie polemisch »verschlimmbessert« und versah die ganze Epoche mit dem Etikett »Verfall des Kirchenlieds«. Warum? Bereits 1765 - also nur ein Jahr, nachdem der Pietismus endlich auch in das mecklenburgische Gesangbuch eingezogen war - hatte Johann Samuel 3 So hieß das Gesangbuch bereits seit 1748. Ich zitiere aus der gegenüber 1 1764 inhaltlich unveränderten Ausgabe Mecklenburgisches Kirchen = Gesangbuch (Schwerin 1803) in meinem Besitz. 4 S. [III]. Alle übrigen Zitate aus der Vorrede, S. IV-X. 5 Umso bemerkenswerter ist es, dass bereits Herzog Friedrich die von ihm beförderte, pietistisch beeinflusste Neuauflage des Mecklenburgischen Landesgesangbuchs (1764) als »verbessertes Gesangbuch« bezeichnet. Vgl. Bachmann, S. 249. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 158 Abb. 9.2: Mecklenburgisches Kirchen-Gesangbuch, Schwerin 1803 [ 1 1764] Diterich, Pastor an der Berliner Marienkirche, über 200 im rationalistischen Sinne veränderte Lieder herausgegeben. 6 Durch ein Rescript Friedrichs des Großen sollte diese Sammlung in Preußen das amtliche, durch Orthodoxie und Pietismus geprägte › Porstsche ‹ Gesangbuch 7 im öffentlichen Gottesdienst zunächst ergänzen und 15 Jahre später - um mehr als das Doppelte gewachsen - nach Möglichkeit sogar ersetzen. 8 Fast alle Lieder in Diterichs berühmtberüchtigten › Mylius ‹ 9 waren mit dem Ziel der Verbesserung umgedichtet worden: nicht nur die älteren, sondern auch neuere aus den pietistischen Umfeldern von Freylinghausen, Rambach und Hiller sowie Texte der frommen Frühaufklärung von Klopstock, Cramer, Sturm und Gellert. Kernlieder der lutherischen Orthodoxie aus dem 16. und 17. Jahrhundert waren nun in der Minderheit, und selbst diese wurden bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet. Rationalistische Neudichtungen bildeten die Mehrheit. Dem preußischen Beispiel folgend, wurden in fast allen deutschen Territorien mehr oder minder radikal modernisierte Gesangbücher eingeführt. Dies ist der Hintergrund für den obrigkeitlich erteilten Auftrag für ein »verbessertes« Gesangbuch auch in Mecklenburg-Schwerin. Der Vorrede zum Neuen Mecklenburgischen Gesangbuch zufolge hatten die drei Hofprediger bereits am 5. März 1792 von Herzog Friedrich Franz schriftlich den »gnädigsten Befehl« erhalten, eine Sammlung guter, von mystischen Ausdrücken gereinigter und zur allgemeinen, so wie zur besondern Erbauung anwendlicher Lieder - als ein neues Gesangbuch für die Hofgemeinen in Schwerin und Ludwigslust - gemeinschaftlich zu veranstalten. Kurz darauf starb der Schweriner Hofprediger, Konsistorialrat Martini, 10 der schon das alte Gesangbuch von 1764 zusammengestellt hatte. Seine beiden 6 Lieder für den öffentlichen Gottesdienst (1765). 7 Geistliche und Liebliche Lieder (1709). Der Gebrauch des offensichtlich auch in Mecklenburg verbreiteten › Porst ‹ wurde 1764 von Herzog Friedrich untersagt, um sein Kirchengesangbuch landesweit einführen zu können. Vgl. Bachmann, S. 263. 8 Vgl. Koch III, 240. 9 So genannt nach dem Verleger August Mylius: Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch in den Königl. Preußl.[! ] Landen (1780). 10 Friedrich Heinrich Martini, geb. 16.8.1727, konfirmierte als Hof- und erster Domprediger, Superintendent und Konsistorialrat in Schwerin am 15.5.1774 den 17-jährigen Prinzen Friedrich Franz und vollzog am 11.10.1774 die Trauung von dessen Schwester Sophie Friederike und dem Erbprinzen Friedrich von Dänemark im Schweriner Dom. Ab 1785 assistierte ihm sein Sohn Christian David Anton (1761 - 1815), den er in Bützow und Göttingen hatte studieren lassen, an der Schloss- und Domkirche. Gest. 7.4.1792 in Schwerin. Vgl. Meusel (1808), S. 501 f. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 160 jüngeren Kollegen in Ludwigslust, Studemund 11 und Passow, 12 teilen in der von ihnen unterzeichneten Vorrede mit, dass sie - offensichtlich freiwillig - Martinis Nachfolger Heinrich Julius Tode um Stellungnahme zu ihrem Entwurf gebeten hätten. Tode sei dieser Bitte nicht nur nachgekommen, sondern habe ihnen »auch sieben von ihm selbst verfertigte Lieder . . . zum Einrücken zugesandt«. 13 Die Herausgeber verraten weiter, dass sie [1.] »die neuesten Liedersammlungen [ihrer] Zeit benutzt« hätten, »aber auch [2.] manchen alten Gesang, den [sie] der Aufnahme eben so werth fanden, beybehalten« und [3.] an diesen wie auch an neuen Liedern »Veränderungen vorgenommen« hätten. Defensiv erklären die beiden Theologen, dass sie dies weder aus »Neuerungs = noch Verbesserungssucht« gemacht hätten, sondern nur um den Auftrag des Herzogs gewissenhaft auszuführen. Andererseits hatten sie zu Beginn der Vorrede - doch wohl aus eigener Einsicht - erklärt, wie sehr die Art der Darstellung dazu beitrüge, religiöse »Lehren ehrwürdig oder anstößig, gemeinnützig oder unwürksam zu machen«, und dass das Gesangbuch zur »Beförderung christlicher Religionskenntnisse und Gesinnungen« besonders geeignet sei. Die aus den Gesangbüchern der Orthodoxie und des Pietismus vertraute Apologie und Theologie des Singens, wie sie in der Vorrede von 1764 noch erkennbar ist, musste einer rein aufklärungsdidaktischen Argumentation weichen. Die Verbesserung der Gesänge diene »einer zweckmäßigern Anwendung zur Aufklärung des Verstandes und 11 Christian Friedrich Studemund, geb. 11.4.1748 in Wessin bei Crivitz als Sohn des Predigers Gotthard Georg Studemund, 1764 Gymnasium Güstrow, 1766 Studium in Leipzig (u. a. bei Gellert), 1768 in Bützow (Theologie bei Doederlein und Mauritius, Philosophie bei Tetens und Witte). Nach dem Examen Hauslehrer, ab 1773 Prediger in Kuhlrade bei Ribnitz. 1789 berief ihn Herzog Friedrich Franz I. als zweiten Prediger an die Neustädter Kirche in Schwerin, 1792 als Hofprediger nach Ludwigslust; 1794 Konsistorialrat, 1802 Oberhofprediger, 1817 Emeritus, gest. 16.7.1819. Vgl. Koppe, Nekrolog. In: Freimüthiges Abendblatt 2/ 90 (1819), S. 613 f. 12 Dr. Moritz Joachim Christoph Passow, getauft 13.5.1753 in Hagenow, Theologiestudium in Rostock, Hofdiacon und Instructor der Prinzen und Prinzessinnen zu Ludwigslust, 1791 dort Hofprediger, 1795 Superintendent in Sternberg, Ernennung zum Konsistorialrat; 1817 als Nachfolger Studemunds im Amt des Oberhofpredigers nach Ludwigslust zurückberufen, gest. 28.2.1830. Er hinterließ 13 Kinder, darunter als berühmte Söhne den Altphilologen Franz (1786 - 1833) und den Pädagogen Carl (1798 - 1860). Vgl. Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur- Zeitung, Mai 1830, Sp. 329 f. 13 Fälschlicherweise bezeichnet Koch (III, 253) den Schweriner Hofprediger, Konsistorialrat und Superintendenten sowie hoch geachteten Lieder- und Kantatendichter Heinrich Julius Tode (1733 - 1797) als Herausgeber des Hofgesangbuchs von 1794. Anlässlich eines Symposions zu seinem 275. Geburtstag im Mai 2008 wurde Tode am Beispiel der ersten drei seiner 28 Christlichen Lieder (Hamburg und Lüneburg 1771), die nicht ins Gesangbuch übernommen wurden, in einer profunden Studie von Elke Axmacher vor allem liedtheologisch gewürdigt (s. LitV). Die in der Vorrede genannten sieben Lieder Todes (Nr. 183, 212, 245, 298, 339, 402, 417) sowie seine Umdichtung des deutschen Agnus Dei von Nikolaus Decius (O Lamm Gottes unschuldig, 1523) O Lamm Gottes, im Staube mit Blut und Thränen bedecket verdienen - auch rezeptionsgeschichtlich - noch eine gesonderte hymnologische Untersuchung. Das »Neue« Mecklenburgische Hofgesangbuch von 1794 161 sittlichen Veredlung des Herzens«. An die Stelle des Glaubens tritt jetzt die »christliche Gesinnung«, und der aus dem Glauben erwachsende christliche Lebenswandel wird zumindest terminologisch durch »Sitte« und »Tugend« ersetzt. Die Vorrede richtet sich nicht wie in orthodoxen und pietistischen Gesangbüchern an den gläubigen »Christlichen Leser«, sondern an »denkende« und »nachdenkende Verehrer der christlichen Religion«. Auffällig ist der gemäßigte Ton der Vorrede, der Reizwörter vermeidet und nicht - wie in anderen Vorreden der Aufklärungszeit 14 - gegen das bisherige Gesangbuch polemisiert. Vielleicht geschah dies aus Pietät gegenüber Herzog Friedrich ( † 1785) und dessen jüngst verstorbener Gemahlin Louise Friederike ( † 1791) sowie Hofprediger Martini ( † 1792), vielleicht aus Überzeugung, sicher aber auch aus politischen Gründen. 15 Die Einführung der verbesserten Gesangbücher war in anderen Gegenden sehr konfliktreich und langwierig verlaufen - z. B. in Berlin und in Schleswig-Holstein. Auch hatte man die Auseinandersetzung um das Kirchen = Gesangbuch von 1764 gewiss noch in Erinnerung. Wegen des massiven Widerstands der überwiegend orthodoxen Geistlichkeit mit der Rostocker Fakultät an der Spitze sowie der Ritter- und Landschaft wurde es erst ab 1783 landesweit eingeführt, war also in vielen Gemeinden erst seit etwa 10 Jahren im Gebrauch. 16 Da die Stände 1764 offensichtlich Grund gehabt hatten, sich gegen eine zwangsweise Einführung ohne die ihnen zustehende Beteiligung aufzulehnen, wurde das neue Hofgesangbuch den Gemeinden nun diplomatisch-klug lediglich als Angebot präsentiert. Es sei den Untertanen selbst überlassen, »ob sie sich dieses oder des gewöhnlichen Landes-Gesangbuchs in der Folge zur öffentlichen Erbauung zu bedienen für gut finden werden« möchten. Seine Herzogliche Durchlaucht habe bloß mit gutem Beispiel vorangehen wollen, es würde ihr aber »zur besondern gnädigsten Zufriedenheit gereichen [. . .], wenn die Gemeinen in unserm Vaterlande Höchst-Ihnen hierin freiwillig nachzufolgen sich bereit 14 So z. B. in Neues Waldeckisches Gesangbuch (1790), und Evangelisches Gesangbuch (Erfurt 1796). Gemäßigte Vorreden finden wir dagegen auch in anderen norddeutschen Gesangbüchern wie Hamburg 1787, Lübeck 1790 und für Schleswig-Holstein in Cramers Allgemeines Gesangbuch (1780). 15 In der Heimat von Prinzessin Louise (1756 - 1808), mit der sich Friedrich Franz I. am 31.5.1775 vermählt hatte, war auf landesherrlichen Befehl bereits 1778 ein Verbessertes Gothaisches Gesangbuch erschienen, das durchaus Verwandtschaft zum mecklenburgischen Hofgesangbuch aufweist. Ob und wie sehr die einstige Prinzessin von Sachsen-Gotha auf das neue Mecklenburgische Hofgesangbuch Einfluss nahm, ist nicht bekannt. Für Kunst, Kultur und Frömmigkeit waren bei Hofe aber häufig die Fürstinnen zuständig. Und wir wissen, dass Louise ihren Einfluss auf die geistliche Hofmusik durchaus geltend machte und beispielsweise eine Vertonung des 103. Psalms bei Johann Gottlieb Naumann erfolgreich in Auftrag gab (vgl. Landmann, S. 337 und 356). 16 Ausführliche Darstellung der fast 20-jährigen Streitigkeiten bei Bachmann, S. 263 - 276. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 162 erklären sollten«. Und obwohl - wie in vielen Aufklärungsvorreden - noch mit »nützlichen« Argumenten geworben wird (»bequemes Format«, »guter und leserlicher Druck«, »geringer Preis«), blieb das Neue Mecklenburgische Gesangbuch trotz des programmatischen Titels weitestgehend auf den Gebrauch bei Hofe beschränkt. 17 Es ist aber ein beredtes Zeugnis für die geistliche Hofkultur und Gesinnung unter Friedrich Franz I. und ein Spiegel des Zeitgeistes. Inhalt: Einteilung, Auswahl und Fassungen der Lieder, Melodieangaben Einteilung und Rubrizierung Die inhaltliche Gliederung verrät oft auf den ersten Blick, welcher konfessionellen und theologiegeschichtlichen Richtung ein Gesangbuch angehört. Trotz der pietistischen Liedaufnahmen folgte das Gesangbuch von 1764 noch ganz der Rubrizierung der lutherischen Orthodoxie: Kirchenjahr, Katechismus, Vom christlichen Leben und Wandel; Kreuz, Trübsal und Anfechtung; Trost-, Freuden- und Jesuslieder; Lob und Dank; Tod, Gericht und Ewiges Leben. Diese traditionelle Einteilung stieß bei den Aufklärern auf Ablehnung. Im Neuen Waldecker Gesangbuch (1790) heißt es z. B. abfällig: »Die Rubriken, unter welche die Lieder vertheilt waren, hatten keinen natürlichen Zusammenhang, und waren höchst mangelhaft«. 18 Und so sind auch die 493 Lieder des Neuen Mecklenburgischen Gesangbuchs nach einem Prinzip geordnet, das der Aufklärungstheologie besser entspricht. Die ersten beiden, fast gleichgewichtigen Hauptabteilungen mit je 30 bis 40 Rubriken tragen die Überschriften: [I.] »Lieder über die christliche Glaubenslehre«, [II.] »Lieder über die christliche Sittenlehre«. An diesem bereits von Diterich eingeführten Grundschema sind die rationalistischen Gesangbücher sofort zu erkennen: »Glaubenslehren« und »Lebenspflichten« (Waldeck 1790), »reine Erkenntniß Gottes« und »vernünftige Ausübung der christlichen Tugend« (Erfurt 1796) - das sind die Schlüsselwörter, die in allen möglichen Variationen die beiden Hauptabteilungen in den Gesangbüchern charakterisieren. Im »Ersten Haupttheil« (Abb. 9.3) geht es um Gottes Wesen und sein Handeln an uns. In neun Rubriken wird Gottes »Allmacht, Allwissenheit« und »Vollkommenheit« besungen, bis er als dreifaltiger Gott, als Schöpfer und Regierer auftritt (10. und 11.). Auffällig ist der 13. Abschnitt »Sünde«: In anderen Aufklärungsgesangbüchern ist stattdessen die Rede von »des Menschen ursprünglicher Bestimmung für eine bessere Welt und von dessen Verderben« 17 Nur in Gr. Salitz, Granzin und Plate wurde das Hofgesangbuch als Gemeindegesangbuch eingeführt. Vgl. Bachmann, S. 293. 18 Vorrede, fol. )( 2 r . Das »Neue« Mecklenburgische Hofgesangbuch von 1794 163 (Hamburg 1787) 19 oder »Von des Menschen Fall und Verdorbenheit« (Waldeck 1790). Aber nach der vom Rationalismus wenig geschätzten Sünden-Rubrik (mit ohnehin nur fünf Liedern! ) folgt in unserem Hofgesangbuch dann wieder ganz aufklärerisch: »Göttliche Anstalt zur Rettung und Beglückung der Menschen durch Christum« 20 (14.). Danach können dem Heilsplan Gottes folgend nun auch die Festlieder des Kirchenjahrs (16. - 22.) und die Katechismus-(Lehr)lieder (23. - 26.) sowie die Lieder von den letzten Dingen untergebracht werden: »Tod - Auferstehung - Weltgericht - Ewigkeit« (27. - 30.). Im »Zweiten Haupttheil« geht es um unsere Beziehung zu Gott und den Menschen. Die Rubriken 5, 6 und 7 heißen demnach »Gesinnungen und Pflichten in Beziehung auf Gott, [. . .] auf uns selbst, [. . .] auf Andere«. Die auf uns selbst bezogenen Unterabschnitte enthalten zumeist ein bis drei Lieder: »Sorge für den Leib überhaupt« und »Selbsterhaltung - Arbeitsamkeit, Mäßigkeit, Sparsamkeit - Keuschheit« und »Zufriedenheit«; ebenso die auf den Mitmenschen bezogenen: »Wohlthätigkeit und Barmherzigkeit - Aufrichtigkeit und Redlichkeit - Friedfertigkeit, Sanftmuth und Versöhnlichkeit - Bescheidenheit, Gefälligkeit und Dienstfertigkeit - Freundschaft« und »Verschwiegenheit«. Neben diesen allgemeinen Liedern gab es eine Fülle von »besonderen« Liedern, die praktisch für jede Lebenssituation und jeden Anlass, für jede Witterung und jedes Lebensalter, für jeden Familien- und Berufsstand gedichtet wurden, um die Nützlichkeit der Religion herauszustellen. Sie sprengten den Rahmen der beiden Hauptgruppen. Und so finden wir in unserem Hofgesangbuch noch einen kleineren »Dritten Haupttheil« von 103 »Lieder[n] für besondere Zeiten, Stände und Fälle«. Damit wurde dem - in der Vorrede zitierten - landesherrlichen Auftrag für eine Sammlung von »zur allgemeinen, so wie zur besonderen Erbauung anwendlichen Liedern« bereits im Inhaltsverzeichnis ausdrücklich Rechnung getragen. Die Lieder in diesen Rubriken sind denn auch keineswegs alle für den normalen öffentlichen Gottesdienst gedacht, sondern für ganz bestimmte Zielgruppen und deren Gottesdienste sowie für die Privatandacht. Besonders die Rubriken »Häusliche Gesellschaft« und »Bürgerliche Gesellschaft« (8. und 9.) mit ihren Untergliederungen sowie »Krankheit« 19 Ähnlich schon bei Diterich 1765: »Von der Verdorbenheit des Menschen«, und in Gotha 1778: »Von den verderbten Kräften und dem Elend des Menschen«. 20 Welch exponierte Stellung das Glück des Menschen in der Aufklärungstheologie hatte, zeigt sich bereits in der Vorrede, die mit dem Wort »beglückt« schließt, gefolgt von je zwei emphatischen Ausrufezeichen und Gedankenstrichen: »Gott aber - der durch jeden Versuch, christliche Gesinnungen und Tugenden zu befördern, verherrlicht wird - lasse auch auf dieser Arbeit den Segen ruhn, mit welcher er alle im Vertrauen auf ihn unternommene, und mit seinen Absichten übereinstimmende Bemühungen so gerne beglückt! - ! - «. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 164 Abb. 9.3: Rationalistische Einteilung und Rubrizierung des Hofgesangbuchs von 1794 und »Ansteckende Seuchen« (10.) sind charakteristisch für die rationalistischen Gesangbücher. Seit dem verheerenden Erdbeben in Lissabon 1755 schlug sich der Ruf nach Hygiene in allen Lebensbereichen nieder. Der Pflicht, die eigene Gesundheit zu erhalten, waren im zweiten Hauptteil ja bereits eigene Rubriken gewidmet. 21 Welche Lieder sich nun in welchen Fassungen hinter den jeweiligen Überschriften verbergen, soll im Folgenden letzten Abschnitt exemplarisch dargestellt werden. Liedbestand und Textfassungen Nicht nur mit der neuen Einteilung, sondern vor allem mit der Liedauswahl und den Verbesserungen erfolgte ein radikaler Bruch mit der bisherigen Tradition. Fast alle Texte sind Neu- und Nachdichtungen von zahlreichen vergessenen und einigen namhaften Dichtern wie Klopstock und Lavater, Cramer und Sturm, Zollikofer und Neander. Insgesamt zwei Drittel der Lieder sind nachweisbar in Diterichs und Cramers epochalen Sammlungen von 1765 und 1780 sowie in den »Neuen« Hamburger und Lübecker Gesangbüchern von 1787 und 1790. 22 Hatte man 1764 immerhin ca. 60 % der Lieder aus dem Vorgängergesangbuch übernommen, stimmten 30 Jahre später nur noch 45 Liedanfänge mit dem alten Register überein, weniger als 7 %. Und kein einziges dieser Kernlieder, von denen noch über drei Viertel im gegenwärtigen Evangelischen Gesangbuch stehen, blieb unbearbeitet. 23 Manche Lieder sind überhaupt nur noch am Incipit zu erkennen, so radikal haben sie sich vom Original entfernt. Andere sind nicht einmal mehr unter demselben Anfangsbuchstaben zu finden. So lauten die 21 Bis auf das Witwenlied von Lavater (Nr. 472) stammen die Texte in den Rubriken 8. und 9. ausschließlich von norddeutschen Aufklärungstheologen und Liedverbesserern: allein 6 von Cramer und je 1 von Diterich, J. J. Eschenburg, J. F. Feddersen, E. G. Küster. Fast alle Autoren waren bei Erscheinen des Hofgesangbuchs noch am Leben, mussten sich aber ebenfalls Veränderungen an ihren Texten gefallen lassen. So findet man Cramers beliebtes Kinderlied O Herr, mein Vater, dein Gebot in den meisten Aufklärungsgesangbüchern, auch in Ludwigslust, nur unter dem Incipit O Gott, mein Vater, dein Gebot - ein Phänomen, das uns in unserer neorationalistischen Zeit nicht unbekannt ist. 22 Dankenswerterweise stellte mir Ulrike Wendt-Sellin nach dem Symposium in Ludwigslust ihr bisheriges Verzeichnis geistlicher Literatur in der Bibliothek von Herzogin Louise Friederike zur Verfügung. Neben zahlreichen Liedersammlungen der lutherischen Reformorthodoxie und des Pietismus befanden sich im Besitz der Gemahlin Friedrichs des Frommen einige der genannten verbesserten und andere einflussreiche Gesangbücher der Aufklärung wie Neues Bremisches Psalm = und Gesangbuch (1766, 2 1777; reformiert) und Neues Braunschweigisches Gesangbuch (1779). 23 Auch die übrigen zählten fast alle lange zum Kernbestand. Von den erwähnten 45 Liedern sind 13 dem 16. Jh. und früher zuzuordnen (5 mal Luther), 23 dem 17. Jh. (7 mal Gerhardt) und 9 dem 18. Jh. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 166 Anfangzeilen der berühmten Paul Gerhardt-Lieder O Haupt voll Blut und Wunden / voll Schmerz und voller Hohn und Nun lasst uns gehn und treten / mit Singen und mit Beten jetzt: Du, der voll Blut und Wunden / für uns am Kreuze starb [! ] (Nr. 106, vgl. Beitrag 5) und Mit Freuden laßt uns treten / vor Gott, ihn anzubeten (Nr. 404). Von den 1764 neu aufgenommenen Liedern des Spenerschen und des halleschen Pietismus 24 überlebten nur ganz wenige den rationalistischen Zeitgeist, natürlich nur in veränderter Gestalt. 25 Dasselbe gilt für die beiden Texte aus dem orthodoxen Lager von Neumeister und Schmolck, die in das verbesserte Gesangbuch herübergerettet wurden. 26 Die beiden Osterlieder von Gellert, die bald nach ihrem Erstdruck (1757) ins Mecklenburgische Kirchen = Gesangbuch gelangt waren, wurden nicht nur beibehalten, 27 sondern die ausgelassenen Strophen wurden sogar wieder eingefügt und zusätzlich 34 neue Gellert-Lieder aufgenommen. Doch blieb selbst dieser große und verehrte Dichter der Empfindsamkeit, der sich ausdrücklich gegen die Modernisierung von Kirchenliedern ausgesprochen hatte, von Texteingriffen nicht verschont (s. u. Bsp. 5). Und die nach ihm Geborenen bearbeiteten sich sogar gegenseitig. Welches waren nun die Änderungskriterien für die Liedverbesserer? In den Gesangbuchvorreden, z. B. von Cramer, sind sie häufig formuliert. Aber erst zehn bis 15 Jahre nach den ersten bahnbrechenden Publikationen listet der fränkische Theologe und Musikforscher Friedrich Ferdinand Traugott Heerwagen (1732 - 1812) weit über 30 Verbesserungsgründe auf und bringt sie in ein systematisches Regelwerk. 28 Respektvoll erklärt er, dass man dem Volk zwar nicht »alle alte[n] Lieder, die seine Andacht bisher befördert haben«, nehmen könne, dass der »vernünftige und unanstößige Gebrauch derselben zur öffentlichen und Hausandacht« es aber »nothwendig mache, ihnen ein unsern Zeiten gemäßes Kleid anzulegen, und sie zu verändern, und damit zugleich auch das Andenken der alten frommen Dichter fortdauernd zu erhalten« (S. 308). 24 Vgl. Bunners (2002), S. 234 f. 25 Z. B. Nr. 232 (Du sagst: ich bin Christ. Wohl dir! ) und 210 (Schaffet, schaffet, Menschenkinder), Kernlieder aus den beiden Teilen des Freylinghausenschen Gesangbuchs 1704 (Nr. 244) und 1714 (Nr. 361) sowie Nr. 225 Ich habe nun den Grund gefunden von Rothe aus dem Zinzendorfkreis (s. u. Bsp. 6). 26 Nr. 219 Jesus nimmt die Sünder an (Neumeister 1718) und Nr. 142 Mein Gott, du wohnest zwar im Lichte (Schmolck 1712). 27 Nr. 115 Jesus lebt, mit ihm auch ich und Nr. 116 Erinnre dich, mein Geist, erfreut/ an dieses Tages Herrlichkeit. 28 Heerwagen, Literatur = Geschichte der geistlichen Lieder und Gedichte neuer Zeit. 2 Teile in einem Bd. (1797). Vorreden 16.9.1791 und 20.9.1796. Die Seitenangaben beziehen sich auf den zweiten Teil. Die Kursivierungen in den folgenden Liedbeispielen stammen von mir. Das »Neue« Mecklenburgische Hofgesangbuch von 1794 167 Die folgenden Beispiele sollen zeigen, wie sehr auch die beiden Hofprediger und ihr Auftraggeber Friedrich Franz I. die zeitgenössische Verbesserungsidee umsetzten und ihr Gesangbuch ganz in dem neuen Geiste gestalteten. Ich halte mich dabei an Heerwagens Systematik, in der er die zahlreichen Änderungsgründe in drei Hauptgruppen gliedert: »Ausdrücke und Gedanken [I.] wider die Wahrheit, [II.] wider die Simplicität, [III.] wider die Poesie«. I. »Ausdrücke und Gedanken wider die Wahrheit« 1. »Unwahres« Tempus. Johannes sagt zwar: Siehe das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt, und das konnte er mit Recht sagen. Aber wenn man noch singet: Christe du Lamm Gottes, der du trägst die Sünden der Welt; so ist das eine offenbare Unwahrheit; denn der Heiland ist nicht mehr mit der Sünden Last beschweret, sondern mit Preis und Ehre gekrönt, ist nicht mehr im Stande der Erniedrigung, sondern im Stande der Erhöhung. Dergleichen Ausdrücke sind also dem gegenwärtigen Zustande unsers Erlösers schlechterdings nicht mehr angemessen (S. 310). Bsp. 1 Christe, du Lamm Gottes (Martin Luther 1525/ 1528) 1764, Nr. 125. 1794, Nr. 105. In eigener Melodey. In eigner Melodie. Christe, du lamm Gottes! Der du trägst die sünde der welt, Erbarm dich unser. Christe, du Lamm Gottes, der du trugst die Sünde der Welt, erbarm dich unser! Bsp. 2 Wie soll ich dich empfangen (Paul Gerhardt 1653) 1764, Nr. 73. 1794, Nr. 72. M. Herzlich thut mich verl[angen]. In bekannter Melodie. 2. Dein Zion streut dir palmen Und grüne zweige hin, Und ich will dir in psalmen Ermuntern meinen Sinn . . . 2. Einst streute man dir Palmen; itzt soll die Dankbegier, mein Heil, in Freudenpsalmen ergießen sich vor dir . . . (Abb. 9.4) 2. Diminutiva und »tändelnde Ausdrücke, die nicht genug Interesse und Würde« haben. Z. B. Jesulein, eine Benennung, die für diese erhabene Person viel zu klein ist, und die nicht groß genug kann gedacht werden. Es sind auch das Gebeth und der Gesang sehr ernsthafte Geschäfte, mit welchen Tändeleyen und Spielereyen sich durchaus nicht vertragen (S. 311). Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 168 Nicht nur das »Jesulein« war verpönt, auch das »Lämmlein«, selbst in der Melodieangabe: Bsp. 3 Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld (Paul Gerhardt 1647) 1764, Nr. 129. (Rubrik: Paßions = Lieder) 1794, Nr. 410. (Rubrik: Jahreszeiten) Mel. An wasserflüssen B[abylon]. Mel. Ein Lamm das geht und trägt. Ein lämmlein geht und trägt die schuld Der welt und ihrer kinder . . . Früh, mit umwölktem Angesicht, geht schon die Sonne nieder . . . Von den 20 Jesusliedern des 17. Jahrhunderts im Kirchen = Gesangbuch gelangten nur noch zwei ins Hofgesangbuch: Jesu, meine Freude (Nr. 266) und Meinen Jesum laß ich nicht 29 (Nr. 265). Auch ohne Diminutiv erschien der Name Jesu Abb. 9.4: Paul Gerhardts Adventslied »Wie soll ich dich empfangen«, rationalistisch › verbessert ‹ 29 Erwartungsgemäß fiel der radikalen Bearbeitung des Sterbelieds von Keimann für den sächsischen Kurfürsten (vgl. EG 402) das tiefsinnige Spruchakrostichon zum Opfer, ebenso wie bei Gerhardts Befiehl du deine Wege (Nr. 284) und bei Gotters Schaffet, schaffet, Menschenkinder (Nr. 210). Diese bereits aus babylonischen Gebeten und jüdischer Dichtung überlieferte poetische Kunstform, die sich noch in der Barockzeit großer Beliebtheit erfreute, wurde vom Rationalismus als Tändelei und Spielerei abgetan. Vgl. Beitrag 16. Das »Neue« Mecklenburgische Hofgesangbuch von 1794 169 den Parodisten nicht erhaben genug und wurde konsequent eliminiert oder ersetzt, in der letzten Strophe von Jesu, meine Freude z. B. durch »Gott, mein Heiland«. Nur in der Kopfzeile, die als Erkennungsmerkmal auch für die vertraute Melodie diente, blieb »Jesus« als Anrede erhalten. Eigentlich handelt es sich nicht einmal mehr um eine Parodie oder Nachdichtung, sondern um ein eigenständiges neues Lied, in dem nur noch einige Motive aus dem alten anklingen (z. B. Str. 1: weide / lamm → Auen / Hirt; bräutigam → Freund und Tröster; Str. 4: lust → Lust; Str. 6: trauergeister, freudenmeister → Geist der Freuden; leide → Leiden). Bsp. 4 Jesu, meine Freude (Johann Franck 1653) 1764, Nr. 481. In eigener Melodey. 1794, Nr. 266. (Abb. 9.3) Eigne Melodie. 1. Jesu, meine freude, Meines herzens weide, Jesu, meine zier. Ach! wie lang, ach lange Ist dem herzen bange, Und verlangt nach dir. Gotteslamm, mein bräutigam. Außer dir soll mir auf erden Nichts sonst liebers werden. 1. Jesus, meine Freude! Wie getrost im Leide, machst du meinen Geist! Der du, die dir trauen, führst zu grünen Auen, und so gern ’ erfreust! Niemals wird bey dir, o Hirt, Freund und Tröster meiner Seelen! mir Erquickung fehlen. 4. Weg mit allen schätzen! Du bist mein ergötzen, Jesu, meine lust. Weg, ihr eitlen ehren! Ich mag euch nicht hören, Bleibt mir unbewusst: Elend, noth, kreuz, schmach und tod Soll mich ob ich viel muß leiden, Nicht von Jesu scheiden. 6. Würdig dir zu leben, dies sey mein Bestreben, meine Lust und Pflicht! Was die Welt vergnüget, o mein Gott! Das g ’ nüget meiner Seele nicht. Hab ’ ich dich; wie gern ’ will ich das, wonach die Eiteln trachten, reich in dir, nicht achten. 6. Weicht, ihr trauergeister, Denn mein freudenmeister, Jesus, tritt herein. Denen, die Gott lieben, Muß auch ihr betrüben Lauter zucker seyn. Duld ’ ich schon hier spott und hohn: Dennoch bleibst du doch im leide, Jesu, meine freude. 9. Voll von deiner Güte frohlockt mein Gemüthe, Gott, mein Heiland, dir! Dieser Geist der Freuden stärke mich im Leiden, weiche nie von mir! Laß mich so beherzt und froh einst durchs Thal des Todes dringen, dort dein Lob zu singen Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 170 II. »Ausdrücke und Gedanken wider die Simplicität« 1. »Worte aus fremden Sprachen, z. B. Seraphim, Immanuel, Hosianna, Kyrie, Gloria, Valet, Gratias u. d.gl. Diese Worte beleidigen in einem deutschen Liede die Einheit des Geschmacks«. (S. 312) Das Lied muß man nach seinem ganzen Inhalt verstehen können, und keiner Erklärung nöthig haben, wenn es gut seyn soll. (S. 311) Bsp. 5 Erinnre dich, mein Geist, erfreut (Christian Fürchtegott Gellert 1657) 1764, Nr. 163. Mel. O Jesu süß, wer [dein gedenkt]. 9. Mit engeln und mit seraphim, Mit thronen und mit cherubim, Mit allen frommen aller zeit Soll ich mich freun in ewigkeit! 1794, Nr. 116. Mel. Erschienen ist der herrlich [Tag]. 10. Mit jener Schaar um deinen Thron, mit allen Engeln, Gottes Sohn! mit allen Frommen aller Zeit soll ich mich freun in Ewigkeit? Auch in Paul Gerhardts Adventslied wurde die ausdrucksstarke biblische, aber »fremdsprachige« Metapher »Dein Zion« zu einem blassen »man« abgeschwächt: »Einst streute man dir Palmen« (s. o. Bsp. 2, Abb. 9.4). Die Bitt- und Huldigungsrufe »Kyrieleis« an den Strophenenden der mittelalterlichen Leisen Nun bitten wir den heil ’ gen Geist (Nr. 138) und Christ[us] ist erstanden (Nr. 124) wurden mit »Erbarm dich Herr« bzw. »Gelobt sey Gott« übersetzt. 2. »Mystische Ausdrücke, z. B. der heilige Geist eine Balsamkraft, Jesus eine Arzeney« (S. 312) Wir erinnern uns: Friedrich Franz I. hatte »eine Sammlung guter, von mystischen Ausdrücken gereinigter Lieder« in Auftrag gegeben, wohl vor allem als Reaktion auf die pietistischen Anteile im Landesgesangbuch seines frommen Vorgängers. Schon von der Orthodoxie waren die »unrein mystischen/ fanatischen und enthusiastischen/ verdächtigen/ zweydeutigen und unverständlichen Ausdrücke« in vielen Texten beanstandet worden, und auch die Hamburger Nachrichten hatten in einer Rezension (1767) den »Wust unreiner mystischer Gesänge« kritisiert. 30 »Unrein« ist hier wohl nicht nur dogmatisch zu verstehen, sondern auch als unklar; »mystisch« nicht so sehr phänomenologisch-religionsgeschichtlich, vielmehr in der Bedeutung von unverständlich und geheimnisvoll. Natürlich nimmt die Aufklärung erst recht Anstoß an dem laut Erfurter Gesangbuchvorrede von 1796 »mystischen Unsinn«. 31 30 Zit. nach Bunners (2002), S. 239, dieser nach Bachmann, S. 266 f. 31 Senior Mag. J. Engelhard in der Vorrede vom 4.1.1796 in: Evangelisches Gesangbuch, Erfurt 1796, S. XI. Das »Neue« Mecklenburgische Hofgesangbuch von 1794 171 Aus dem Herrnhuter Umfeld stammt das Rechtfertigungslied »über den ewigen Grund der göttlichen Gnade in Jesu Wunden« (vgl. KLL I, 235) von Johann Andreas Rothe, das seit 1738 aus den lutherischen Gesangbüchern nicht mehr wegzudenken ist: Ich habe nun den Grund gefunden. Für Frömmigkeitsübungen der Mystik, sich in Jesu Wunden zu versenken (Str. 1 u. 5), die unter anderem im Pietismus Zinzendorfscher Prägung eine Wiederbelebung erfuhren, konnten die Rationalisten kein Verständnis aufbringen. Alle diesbezüglichen Bilder wurden schon von Cramer umgedichtet, auch der tröstliche Vergleich von Jesu Wunden mit dem Meeresgrund, in dem der gläubige Christ ewig verankert ist, selbst beim Weltuntergang (Str. 1); oder die »offenen Liebesarme«, mit denen Christus den reuigen Sünder empfängt (Str. 2). Bsp. 6 Ich habe nun den Grund gefunden (Johann Andreas Rothe, vor 1722/ 1727) 1764, Nr. 225 Mel. Wer nur den lieben [Gott]. 1794, Nr. 225 [bearbeitet nach Cramer] Mel. Wer nur den lieben Gott läßt walten. 1. Ich habe nur[! ] den grund gefunden, Der meinen anker ewig hält; Wo anders, als in Jesu wunden? Da lag er vor der zeit der welt: Der grund, der unbeweglich steht, Wenn erd und himmel untergeht. 1. Ich habe nun den Grund gefunden, der meine Hoffnung sicher stellt: in Christo hab ’ ich ihn gefunden. Da lag er vor der Zeit der Welt: Ein Grund, der unbeweglich steht, wenn Erd und Himmel untergeht. 2. Es ist das ewige erbarmen, Das alles denken übersteigt; Es sind die offnen liebesarmen Deß, der sich zu dem sünder neigt: Dem allemal das herze bricht, Wir kommen oder kommen nicht. 2. Es ist das ewige Erbarmen, das alles Denken übersteigt, wodurch er sich mit offnen Armen, zu meinem Heile zu mir neigt. Er, der beym Vater für uns spricht, er will den Tod des Sünders nicht. 3. Wir sollen nicht verlohren werden, Gott will, uns soll geholfen seyn: Deswegen kam der Sohn auf erden, Und nahm hernach den himmel ein; Deswegen klopft er für und für So stark an unsers herzens thür. 3. Wir sollen nicht verloren werden: Gott will, uns soll geholfen seyn. Denn darum litt sein Sohn auf Erden, und nahm den Himmel siegreich ein. Nun ruft sein Wort und Geist uns zu: Kommt her zu mir! bei mir ist Ruh ’ . 5. Darein will ich mich gläubig senken, Dem will ich mich getrost vertraun: Und wenn mich meine sünde kränken, Nur bald nach Gottes herze schaun; Da findet sich zu aller zeit Unendliche barmherzigkeit. 4. An diesen Ruf will ich gedenken, will ihm mit Freudigkeit vertraun, und, wenn mich meine Sünden kränken, zu Gott, als meinem Vater, schaun. Bey ihm find ’ ich zu aller Zeit unendliche Barmherzigkeit. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 172 Manchmal sind es offenbar nur ein paar Bilder und Reizwörter - wie die von mir kursivierten - , die Anstoß erregten und eine Bearbeitung notwendig erscheinen ließen. In dem Lieblingslied Friedrich Wilhelms III. von Preußen (gest. 1840) Was Gott tut, das ist wohlgetan wird nicht einmal mehr das Bild vom Halt in den Vaterarmen toleriert. In der letzten Strophe heißt es statt »So wird Gott mich / Doch väterlich/ In seinen arm erhalten« (1764, Nr. 508) nun »nützlicher«: »so wird Gott mich / doch väterlich / stets schützen und erhalten. / Drum laß ’ ich ihn nur walten« (1794, Nr. 285). Die von Heerwagen kritisierte Metapher »Jesus eine Arzeney« (oder ein Arzt! ) taucht ebenfalls nicht mehr auf. Bis auf die Anfangs- und Schlusszeilen wurde die dritte Strophe vollständig umgedichtet: Bsp. 7 Was Gott tut, das ist wohlgetan (Samuel Rodigast 1675) 1764, Nr. 508. In eigener Melodey. 1794, Nr. 285. In bekannter Melodie. 3. Was Gott thut, das ist wohl gethan: Er wird mich wohl bedenken, Er, als ein arzt und wundermann, Wird mir nicht gift einschenken Für arzeney: Gott ist getreu, Drum will ich auf ihn bauen, Und seiner güte trauen. 3. Was Gott thut, das ist wohlgethan! Nur er weiß, was uns nützet; der irr ’ t auf ungewisser Bahn, der sich auf ihn nicht stützet! Ja, seine Treu ist immer neu: drum will ich auf ihn bauen, und seiner Güte trauen. 6. Was Gott thut, das ist wohl gethan! Dabey will ich verbleiben. Es mag mich auf die rauhe bahn, Gleich noth und elend treiben: So wird Gott mich Doch väterlich In seinen arm erhalten, Drum laß ich ihn nur walten. 6. Was Gott thut, das ist wohlgethan! das soll mein Trostspruch bleiben. Es mag mich durch die rauhe Bahn Gefahr und Elend treiben: so wird Gott mich doch väterlich stets schützen und erhalten. Drum laß ’ ich ihn nur walten. Als Verstöße gegen die »Simplicität« wurden auch »Philosophische« (»Harmonie«), »Obsolete« (»Fehde«), »Neologische« (»Vorgefühl statt Vorgeschmack«) und »Pöbelhafte Worte« (»Fressen und Saufen«) gewertet (S. 312). Das »Neue« Mecklenburgische Hofgesangbuch von 1794 173 III. »Ausdrücke und Gedanken wider die Poesie« Unter diese schon seit Opitz beanstandeten poetologischen Verstöße fielen vor allem: unreine Reime, falsche Syntax (»o Jesu mein«), »Wortzerrungen« (»genädiglich«) und »Elisionen« (»herrsch ’ st«), Alliterationen und mundartliche Ausdrücke, aber auch »Matte und trockene Verse, wenn sie nicht genug Lebhaftigkeit haben« (S. 313 f.). In einer letzten, unbenannten Kategorie zählt Heerwagen sieben spezifische Mängel auf, z. B. das Enjambement. Als falsch wird auch angesehen, wenn das Lied kein an Gott gerichtetes Gebet, sondern eine allgemeine ermahnende Betrachtung ist, wenn es zu lang oder anonym, wenn es zu »individuell« (Begräbnislied) oder zu »einseitig« ist. »Unter die einseitigen Ausdrücke gehören die Worte: Jüngling, Knecht, Greis, Brüder, welche das weibliche Geschlecht in seiner Andacht aufhalten« (S. 314). Wer hätte gedacht, dass sich bereits die Aufklärer Gedanken machten über die sog. inklusive Sprache, die heute in Gesangbuchausschüssen und unter Bibelübersetzern für heiße Debatten sorgt. 32 Schließlich ist es für Heerwegen höchst mangelhaft, »wenn das Lied keine Melodie hat. Da fehlt ihm die Seele, und gehört in kein Kirchengesangbuch; denn der Zweck des Singens ist, daß viele zugleich laut sollen bethen können«. Hat es aber eine Melodie, so soll sie »seinem Inhalt angemessen« sein. Singt man beispielsweise zu einem »klagenden Gesang« eine Weise, die »hüpfend und mehr einem Tanze ähnlich« ist, so verliert »der Eindruck und die Andacht bey dem Liede nothwendig viel« (S. 316). Da fast alle Aufklärungsgesangbücher ohne Noten, sondern nur mit Melodieangaben für die Gemeinde und mit Choralbüchern für die Organisten erschienen, ging das reiche musikalische Repertoire des 16. und 17. Jahrhunderts zwangsläufig schnell zurück. Andererseits wuchs der geistliche Liederschatz bis ins Unermessliche. Immer mehr Texte wurden auf immer weniger Melodien gesungen. Im Mecklenburgischen Hofgesangbuch von 1794 ist allein für 67 verschiedene Liedertexte ( = 13,6 % des gesamten Liedbestands) die Weise »Wer nur den lieben Gott läßt walten« angegeben, für 18 »Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut« sowie für 10 bis 13 »Nun danket alle Gott«, »O Gott, du frommer Gott« und »Lobt Gott, ihr Christen allegleich« 33 - Kernmelodien des 16. und 32 Statt »So legt euch denn, ihr Brüder« heißt es in der letzten Strophe von Matthias Claudius ’ Abendlied neuerdings in einigen neuen Gesangbüchern zwar › politisch korrekt ‹ , aber › verschlimmbessert ‹ : »So legt euch, Schwestern, Brüder, in Gottes Namen nieder«, z. B. im Mennonitischen Gesangbuch (2004), Nr. 226. 33 »In allen meinen Taten« und »Nun ruhen alle Wälder« für je 9, »Allein Gott in der Höh ’ sei Ehr« und, »Ein Lämmlein geht« (»Ein Lamm, das geht«) für je 8 Texte. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 174 17. Jahrhunderts, die zahlreiche Bearbeitungen in der choralgebundenen Kirchenmusik gefunden hatten. Bei der Fülle der Texte mit ein und derselben Melodieangabe kam es natürlich vor, dass auch solche darunter waren, die inhaltlich wenig passten und metrisch nur mühsam auf die zugewiesene Weise zu singen waren. Nicht alle Zeitgenossen konnten die rationalistischen Modernisierungen gutheißen. Zu den Kritikern gehörte neben Goethe und Claudius vor allem Johann Gottfried Herder, der als Oberhofprediger und Generalsuperintendent andersgeartete Gesangbücher für das Herzogtum Sachsen-Weimar herausgab. 34 Ausschnitte aus seinen Gesangbuchvorreden sollen beispielhaft die zeitgenössische Reserve und Kritik gegenüber der aufklärerischen Verbesserungssucht belegen: Keine Christengemeine kommt zusammen, sich in Poesie zu üben, sondern GOtt zu dienen, sich selbst zu ermahnen mit Psalmen und Lobgesängen, geistlichen und lieblichen Liedern, und dem HErrn zu singen in ihrem Herzen. Und dazu sind offenbar die alten Lieder viel tauglicher als die neuveränderten oder gar neuen [. . .] Ich halte also jedes Land, jede Provinz für glücklich, der man noch ihren alten GOtt, Gottesdienst und ihr altes Gesangbuch läßt und eine ganze Gemeine nicht täglich oder Sonntäglich mit Verbesserungen martert. (Herder, Vorrede Weimar 1778) 35 Wie anders liest sich da die Rezension über das Neue Mecklenburgische Gesangbuch für die Hofgemeinen in Schwerin und Ludwigslust von 1794 in der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom Januar 1795, 36 in der das Unternehmen »eines erleuchteten Fürsten« und seiner »sehr verehrungswürdigen« Hofprediger, »die der Mecklenburgischen Geistlichkeit Ehre machen«, als die Befriedigung eines »bey denkenden Menschen ziemlich allgemein überfälligen Bedürfnisses gerühmt wird«. Gepriesen wird die kluge Liedauswahl »für Christen jedes Standes, Alters und Bildung«, durch die »ein leiser Uebergang von Alten zum Bessern gemacht« würde. Einige der Lieder seien »noch ganz nach dem alten Schlage; andre verrathen schon den Geist der reinern Gottesverehrung, und wieder andre sind der reinste Abdruck des Geistes und der Wahrheit d. h. der eigentlichen Religion Jesu, also auch die schönste Zierde des ganzen Buchs«. Kritisch wird lediglich angemerkt, dass man »in andern evangelischen Ländern« bei der Herausgabe eines neuen Gesangbuchs weniger Rücksicht auf die 34 Herder fand 1795, ein Jahr nach dem Erscheinen des Mecklenburgischen Hofgesangbuchs, für das Herzogtum Sachsen-Weimar den Kompromiss eines zweiteiligen Gesangbuchs. Der erste Teil enthielt 358 unveränderte alte Lieder, der zweite 237 neue bzw. modernisierte Lieder. 35 Neu eingerichtetes Sachsen = Weimar = Eisenach = und Jenaisches Gesang = Buch (Weimar 1789). Vorrede 3.3.1778, S. IX, XIII. Vgl. Zit. aus Herders Vorrede von 1795 in Beitrag 10, S. 206 mit Anm. 33. 36 Jg. 1795, Bd. 2, No. 17, Sp. 132 - 136. Das »Neue« Mecklenburgische Hofgesangbuch von 1794 175 Orthodoxie genommen hätte: »Ob es aber der grossen Aengstlichkeit fürs System bedurfte, lassen wir dahin gestellt seyn«. Unzufriedenheit spiegelt sich auch in der Anpassung bekannter Texte an vertraute Melodien: Weil die Einführung neuer Melodien die größte Schwürigkeit hat; so führte dieses die Unbequemlichkeit herbey, dass selbst einige der schönsten Lieder bekannten Melodien angepasst werden mussten, wobey sie aber zum Theil ser verlohren haben, wie es z. B. der Fall bey dem schönen Gesange ist: Wie gross ist des Allmächtigen Güte No. 18, den wir kaum wieder erkannten. (Sp. 134) Die angegebene »bekannte Melodie« ist wieder »Wer nur den lieben Gott lässt walten«. Nur stimmt das Versmaß und der Strophenbau von dem beliebten Vertrauenslied Neumarks (1657) nicht mit dem 100 Jahre später von Gellert herausgegebenen berühmten Loblied Wie groß ist des Allmächtigen Güte, das vielfach vertont wurde (u. a. von C. P. E. Bach 1758, J. A. Hiller 1761, Beethoven 1804), überein. Gemeinsam ist beiden Liedern der vierhebige Jambus. Das ältere Lied ist sechszeilig mit der Silbenzählung 9.8.9.8. 8.8., das jüngere besteht dagegen aus acht Zeilen, zwei symmetrisch gegliederten Quartetten: 9.8.9.8. 9.8.9.8. Kein Wunder also, dass der Rezensent Gellerts Text in der auf Neumarks kürzere Melodie zurechtgestutzten Version »kaum wieder erkannte«. 37 Die Verwendung dieser formal ungeeigneten Lehnmelodie scheint eine Besonderheit des Hofgesangbuchs zu sein. Denn in allen anderen der weit über 20 untersuchten Aufklärungsgesangbücher steht über dem Lied »Eigene Melodie«, 38 manchmal mit einem Hinweis auf C. P. E. Bach, 39 oder »Die Tugend wird durchs Kreuz geübet« von C. F. Richter aus dem Freylinghausenschen Gesangbuch 1704. 40 37 Wie groß ist des Allmächt ’ gen Güte! / Ist der ein Mensch, den sie nicht rührt, / der mit verhärtetem Gemüthe / den Dank erstickt, der ihm gebührt? / Nein, seine Liebe zu ermessen, / sei ewig meine größte Pflicht. / Der Herr hat mein noch nie vergessen, / vergiß mein Herz, auch seiner nicht (Gellert 1757). Wie groß ist des Allmächt ’ gen Güte! / ist der ein Mensch, den sie nicht rührt? / der mit verhärtetem Gemüthe / den Dank erstickt, der ihm gebührt? / Nein! Dank sey ewig meine Pflicht: / Denn Gott vergisset meiner nicht. (Zur Mel. »Wer nur den lieben Gott lässt walten« im Mecklenburgisches Hofgesangbuch (1794), Nr. 18) 38 So Berlin 1765 (Diterich), Braunschweig 1779, Berlin 1780 ( › Mylius ‹ ), Hamburg 1787, Lübeck 1790, Weimar 1795, Erfurt 1796, Gotha 1825 etc. 39 Gemeint ist hier nicht C. P. E. Bachs Klaviersatz aus Herrn Professor Gellerts Geistliche Oden und Lieder (1758), S. 38, sondern seine kirchenliedhafte Vertonung (Melodie und bezifferter Bass) in Neue Melodien zu einigen Liedern des neuen Hamburgischen Gesangbuchs (1787), Nr. 23. Diese am weitesten verbreitete und vor allem im Norden des deutschen Sprachraums tradierte Vertonung erschien noch 1930 im Regionalteil des DEG für die norddeutschen Landeskirchen (DEG-N 261). 40 So in Altona 1780 (Cramer), Magdeburg 1805, Schleswig 1883 und in den reformierten Gesangbüchern der Schweiz. In das Mecklenburgische Kirchen = Gesangbuch wurde das Lied nie aufgenommen. Die Residenzstädte Husum und Ludwigslust 176 In einem Punkt zumindest irrte der Rezensent aus der Allgemeinen Literatur- Zeitung im Januar 1795: »Aber es lässt sich auch schon erwarten, dass eine vernünftige und nicht offenbar widerspenstige Geistlichkeit alle ihr Ansehen dahin verwenden wird, diesem bessern Gesangbuche allgemeinern Eingang zu verschaffen«. Diese Prognose trat nicht ein. Die Gemeinden in Mecklenburg- Schwerin folgten eher den Wünschen Herders. Das Angebot von Herzog Friedrich Franz und seinen Hofpredigern für ein Neues Gesangbuch lehnten sie ab und sangen bis tief ins 20. Jahrhundert hinein - als die modernisierten Gesangbücher schon längst wieder restauriert waren - aus ihrem Kirchen = Gesangbuch von 1764 mit seinen alten und weitgehend › unverbesserten ‹ Liedern. Das »Neue« Mecklenburgische Hofgesangbuch von 1794 177 Abb. 10.1: Matthias Claudius, Bleistiftzeichnung von seiner Tochter Caroline (? ) 10 Matthias Claudius und »seine« Gesangbücher »Großpapa ging immer spät zur Kirche, weil er den Gesang aus dem dänischen Gesangbuch nicht gern mochte«. 1 Selbst wenn Agnes Perthes das Zuspätkommen des Großvaters nur ein einziges Mall erlebt, es falsch gedeutet oder sogar erfunden haben sollte - hinter der anekdotenhaften Mitteilung verbirgt sich ein wahrer Kern: Matthias Claudius (Abb. 10.1) empfand Missbehagen beim Singen der Lieder aus dem in der Wandsbecker 2 Kirche eingeführten Gesangbuch. Agnes, 1798 als Tochter von Caroline und Friedrich Perthes geboren, erlebte als ältestes Enkelkind das letzte Lebensjahrzehnt des Wandsbecker Boten aus unmittelbarer Nähe. Sie war kaum jünger als die jüngsten Claudius-Söhne und sechzehn Jahre alt, als der Großvater im Hause ihrer Eltern am Hamburger Jungfernstieg starb. Auch wenn ihre Erinnerungen an Matthias Claudius, denen das Eingangszitat entnommen ist, erst über vierzig Jahre nach seinem Tode aufgeschrieben wurden, dürfen sie als weitgehend verlässlich angesehen werden. Die zitierte Beobachtung enthält noch eine andere Merkwürdigkeit für den regionalgeschichtlich weniger aufgeklärten Leser: das in Wandsbeck gebräuchliche Gesangbuch wird als »dänisch« bezeichnet. Wandsbeck gehörte - wie auch Altona - noch bis April 1938 zur Preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Doch bevor Dänemark die ehemaligen Herzogtümer Schleswig und Holstein in den kriegerischen und politischen Auseinandersetzungen zwischen 1864 und 1867 verloren hatte, waren sie Teil des dänischen Gesamtstaats gewesen, dem außerdem die Færoer Inseln, Island, Grönland und bis 1814 Norwegen angehörten. Der übernationale Staatsverband wurde durch einen gesamtstaatlichen Überarbeitete Druckfassung eines Vortrags beim Internationalen Interdisziplinären Symposion zum 250. Geburtstag von Matthias Claudius, veranstaltet von der Lessing-Akademie Wolfenbüttel und der Ev. Akademie Nordelbien (Bad Segeberg 1.-5.10.1990). Siehe BibAK 14 (1996). 1 A. Perthes, Erinnerungen an Matthias Claudius, München 1978, S. 16. 2 Nachdem Schleswig-Holstein Preußische Provinz geworden war, wurden durch Erlass von 1879 alle Ortsnamen mit Dehnungs-C nur noch mit »k« statt mit »ck« geschrieben. Ausnahme ist Lübeck, das bis 1937 staatsrechtlich selbständig blieb. Die Stadt Wandsbek wurde durch das Groß-Hamburg-Gesetz in den Stadtstaat Hamburg eingegliedert. In diesem Beitrag wird die historische Schreibweise »Wandsbeck« aus der Zeit von Claudius verwendet. Patriotismus zusammengehalten, der noch keine nationalen Gegensätze kannte. Solche unheilvollen Spannungen, von denen wir uns erst heute richtig erholen, kamen erst in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts auf. Claudius war als Holsteiner ein dänischer Untertan deutscher Nation, ein deutscher Däne. 3 »Dänisches Gesangbuch« bedeutet also nicht - wie der heutige Sprachgebrauch vermuten ließe - Gesangbuch in dänischer Sprache, sondern das de jure vom dänischen König, de facto von der Deutschen Kanzlei in Kopenhagen für die deutschsprachigen Kirchengemeinden in den Herzogtümern verordnete Gesangbuch. Wenn Agnes Perthes dem Großvater unterstellt, dass er »den Gesang aus dem dänischen Gesangbuch nicht gern mochte«, so müssen die Gründe für seine Abneigung außerhalb des politischen oder sprachpolitischen Bereichs gesucht werden. Denn für ihn war dänisch noch gleichbedeutend mit gottgegebener Obrigkeit. Nur der Vergleich mit anderen Gesangbüchern, vor allem mit denen, die Claudius aller Wahrscheinlichkeit nach benutzt hat, kann hier Aufklärung bringen. Zuvor müssen wir uns jedoch die allgemeine Gesangbuchsituation in den Herzogtümern vergegenwärtigen. Cuius regio, eius religio: nach dieser Devise spiegelte sich auch im Gesangbuch die konfessionelle Bindung des jeweiligen Landesherrn bzw. des von ihm eingesetzten geistlichen Oberhirten wider. Jede Generation veränderte das Gesangbuch - innerlich und äußerlich - und passte es ihrer Theologie und ihrem Zeitgeist an. Das gilt auch für die Territorien in Schleswig-Holstein. Die Geschichte eigener Gesangbücher für die Herzogtümer beginnt erst im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts. In dichter Folge erscheinen 1674 in Plön, 1676 in Schleswig, 1680 in Rendsburg sehr unterschiedliche Gesangbücher für die jeweiligen Hoheitsgebiete. 4 Durch die politische Situation beim Erscheinen des Schleswiger Gesangbuchs - der Gottorfer Herzog hatte seine Souveränität vorübergehend an den dänischen König abgeben müssen - blieb der Wirkungsbereich des hervorragenden Gesangbuchs auf den herzoglichen Witwensitz in Husum begrenzt. 5 Die neuen Verhältnisse gaben dem nun für beide Herzogtümer eingesetzten Generalsuperintendenten D. Christian von Stökken (1633 - 1684) die Chance, das von ihm herausgegebene und mit minderwertigen Umdichtungen älterer Lieder angereicherte Rendsburger Gesangbuch in seinem gesamten Zuständigkeitsbereich einzuführen. 3 Zur geschichtlichen Darstellung vgl. Brandt, Geistesleben und Politik in Schleswig-Holstein um die Wende des 18. Jhs.( 2 1927). - Ders./ Klüver, Geschichte Schleswig-Holsteins ( 8 1981). - Scharff/ Jessen-Klingenberg, Schleswig-Holsteinische Geschichte (1984). 4 [Gensch von Breitenau,] Vollständiges Gesang = Buch (Plön 1674, 2 1675, 3 1676 u. ö.). - Außerlesene Geistliche Lieder (Schleswig 1676). - von Stökken, Kleines Holsteinisches Gesang = Buch (Rendsburg 1680, 2 1681). Vgl. Brederek I, 3 - 38. 5 Zum »Husumer Hofgesangbuch« vgl. Beiträge 6 - 8 in diesem Band. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 180 Das Plönische Gesangbuch Dem Einfluss Stökkens entziehen konnte sich aber offensichtlich das 1622 durch Teilung entstandene Herzogtum Plön, das eigentlich nur aus der Stadt Plön und dem Gutsbezirk Reinfeld bestand. Der auf Schloss Plön residierende sogenannte »abgetheilte Herr« - in Abgrenzung zu den beiden »regierenden Herren« in Kopenhagen und Schleswig - unterstand zwar der gemeinschaftlichen Kirchenordnung, hatte aber offensichtlich seinen Hofrat, Christoph Gensch von Breitenau (1638 - 1732), mit der Herausgabe des ersten Gesangbuchs in den schleswig-holsteinischen Herzogtümern beauftragt. Eine spätere Auflage dieses Gesangbuchs von 1674 findet Pastor Matthias Claudius d. Ä. (1703 - 1773), der aus dem schleswigschen Süderlügum stammende Vater des Dichters, vor, als er mit dem letzten Plöner Herzog Friedrich Carl (1706 - 1761) von Norburg auf Alsen nach Reinfeld kommt, um das Pfarramt des Gutsbezirks zu übernehmen. 1730, im Jahre seiner Amtseinführung, erscheint eine revidierte Neuauflage, die ein Jahr später um einen eigens betitelten Anhang (Auserlesener Liederschatz, Plön 1731) erweitert wird. Von Anfang an enthält das Plönische Gesangbuch die Kernlieder der evangelischen Kirche von Martin Luther bis Paul Gerhardt. Älteres und neueres Liedgut stehen in einem ausgewogenen Verhältnis. Nur die Lieder des Pietismus fehlen fast ganz. Die in den späteren Auflagen ergänzten und ausgetauschten Lieder entstammen der Spätorthodoxie (Benjamin Schmolck, Erdmann Neumeister u. a.). Dieses Plönische Gesangbuch mit seinen über 630 Liedern befindet sich also im Reinfelder Pfarrhaus, als Matthias 1740 geboren wird. Daraus lernt er in der Reinfelder Dorfschule lesen und singen, und daraus lernt er weitere Gesangbuchverse, als er von 1755 bis 1759 die evangelisch-lutherische Lateinschule in Plön besucht. 6 Kirchenlied als geistiger Besitz Die frömmigkeitsgeschichtliche Bedeutung des Gesangbuchs ist noch nicht hinreichend erforscht. Sein prägender Einfluss auf die christliche Erziehung bis ins 20. Jahrhundert hinein steht jedoch außer Zweifel: gereimte Liedstrophen, 6 1745 hatte der Herzog eine »Allgemeine plönische Schulordnung« erlassen, die eine Schulpflicht schon vom fünften Lebensjahr an vorsah. Auf Schulversäumnisse stand eine Geldstrafe von 1 Schilling pro Tag. Schulhalter in Reinfeld war der Organist Hinrich Wolff. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Pastor Claudius das Schulwissen seiner Söhne vertiefte. Stifter der Plöner Lateinschule war 1704 - zum Abschluss einer glänzenden politischen und diplomatischen Karriere - der Herausgeber des Plönischen Gesangbuchs, Gensch von Breitenau, gewesen. Der aus Sachsen stammende herzogliche Berater selbst hatte die Fürstenschule zu Schulpforta besucht, wohin auch Matthias Claudius d. J. seine Söhne schickte. Vgl. Glagla/ Lohmeier (Hg.), Matthias Claudius 1740 - 1815 (1990), S. 54. Matthias Claudius und »seine« Gesangbücher 181 noch dazu in gesungener Form, haben besonders auf junge Menschen eine viel stärkere affektive Wirkung als gelesene oder gehörte biblische Prosa. Matthias Claudius hat mit dem Kirchenlied gelebt. Gesangbuchstrophen waren - wie Bibelverse - fester Besitz. Sein Werk und seine Briefe sind durchzogen von vollständigen Kirchenliedern, einzelnen Strophen und Versen. Reinhard Görisch und ich haben unabhängig voneinander das Gesamtwerk einschließlich der veröffentlichten Briefe auf Kirchenliedzitate und Kirchenliedanklänge durchgesehen. Die gemeinsamen Ergebnisse wurden an anderer Stelle veröffentlicht. 7 Auffallend sind dabei die Fülle der von Martin Luther verfassten, bearbeiteten und in seine Gesangbücher übernommenen Lieder sowie die markante Platzierung von Zitaten aus dem Liedschaffen Paul Gerhardts. Lutherische Orthodoxie und Spätorthodoxie prägen auch das Plönische Gesangbuch. Lieder des Pietismus und der Aufklärung, die darin fast völlig fehlen, kommen auch im Werk von Matthias Claudius nicht vor. Bis auf eine Ausnahme 8 können alle von Claudius zitierten Lieder in › seinem ‹ Plönischen Gesangbuch, meistens sogar in derselben Lesart, nachgewiesen werden. Für ein Lied ist das Plönische Gesangbuch der einzige norddeutsche und zudem der erste mir bekannte Beleg nach dem Erstdruck Breslau und Liegnitz 1711: In der frühen Fassung des Prosatextes Im Junius zitiert Claudius den Anfang eines Weihnachtsliedes von Caspar Neumann Adam hat im Paradies seinen Bund mit Gott gebrochen, das seit 1731 den Anhang des Plönischen Gesangbuches eröffnet. 9 Es ist bisher das einzige im Werk von Matthias Claudius nachgewiesene Kirchenliedzitat aus dem 18. Jahrhundert. Das Plönische Gesangbuch überlebte das Herzogtum Plön, das nach dem Tode von Friedrich Carl 1761 an den königlichen Anteil des Herzogtums Holstein zurückfiel, um viele Jahre. So befindet sich in der Schleswig- Holsteinischen Landesbibliothek zu Kiel ein königlich privilegierter Nachdruck von 1770 mit einem Besitzvermerk von 1775 (Abb. 10.2). 10 Es ist also davon auszugehen, dass Claudius nach der Rückkehr aus Jena und Kopenhagen ins Elternhaus das Plönische Gesangbuch in der Reinfelder Kirche nach wie vor in Gebrauch fand. 7 Görisch, Die Sprache des Kirchenlieds in Matthias Claudius ’ Werk (1991), S. 91 - 103. 8 Michael Weißes Morgenlied Der Tag vertreibt die finstre Nacht (1531) wurde jedoch in zahlreiche andere schleswig-holsteinische Gesangbücher aufgenommen. Vgl. Brederek I, Tabelle im Anhang. 9 In: Der Wandsbecker Bothe 30.6.1772. Vgl. Claudius, Sämtliche Werke SW (1984), 32. Siehe QV, Werkausgaben. Zur Interpretation dieses Textes und der darin enthaltenen Liedzitate vgl. Beitrag 19. 10 Plönisches Gesang = Buch (1770). [Zit. wird aus diesem Exemplar]. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 182 Abb. 10.2: Plönisches Gesangbuch 1770 [ 1 1674] Das 1.000-Lieder-Buch Mit dem bereits 1752 offiziell für die Herzogtümer herausgegebenen Vollständigen Gesangbuch (Altona und Glückstadt 1752 u. ö.), dem sogenannten 1.000-Lieder-Buch, wurde Claudius wohl erst mit seiner Übersiedlung von Hamburg nach Wandsbeck vertraut (Abb. 10.3). 11 Eine königliche Umfrage vom Jahre 1735 in beiden Herzogtümern hatte ergeben, dass fast jede deutschsprachige Gemeinde ein anderes Gesangbuch benutzte, darunter auch »ausländische« aus Hamburg, Lüneburg und Stade. Trotz starker Einwände der Gemeinden wurde zu Neujahr 1753 ein einheitliches Gesangbuch eingeführt und in den folgenden zwanzig Jahren siebzehnmal in ca. 240.000 Exemplaren nachgedruckt. 12 Im Gegensatz zu dem Plönischen zeigt das 1.000-Lieder-Buch, das vom Vollständigen Gesang = Buch 1731 des Tonderner Propsten Johann Hermann Schrader beeinflusst war, durchaus pietistische Züge. Schon die Einteilung enthält die typischen Rubriken der prägenden Vorbilder von Freylinghausen und Porst: XXVI. Von der täglichen Erneuerung XLVII. Vom Geheimnisse des Creutzes XLIX. Vom geistlichen Kampf und Sieg LII. Von der Uebergabe des Herzens an GOtt LVII. Von der geistlichen Vermählung. Der traditionelle Liederkanon ist erweitert um neueres pietistisches Liedgut, das allerdings von den Auswüchsen einer übertriebenen Jesuserotik und Kreuzestheologie frei ist. Dennoch fielen die Rationalisten sehr bald über das neue Gesangbuch her. Bereits in den sechziger Jahren waren die ersten »verbesserten« Gesangbücher erschienen, und auch in den Herzogtümern wurde der Wunsch nach einem nun im rationalistischen Sinne veränderten Gesangbuch laut. Das Cramersche Gesangbuch 1775 ging der Auftrag für ein neues, verbessertes Gesangbuch an Professor Johann Andreas Cramer (1723 - 1788), der nach dem Sturz Struensees in Kopenhagen ein Jahr zuvor Theologieprofessor und Prokanzler an der Kieler Universität geworden war (Abb. 10.4). Cramer war neben Gellert, Klopstock, Sturm als namhafter Liederdichter bekannt - vor allem durch die Vertonungen seiner Psalmbereimungen durch Carl Philipp Emanuel Bach. Er fühlte sich zu dieser Aufgabe berufen und nahm gern an. »Ich kenne wenige Gesangbücher, 11 Vollständiges Gesang = Buch (1752). [Zit. wird nach Glückstadt 5 1757]. 12 Vgl. Brederek II, 2 f. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 184 Abb. 10.3: Das 1.000-Lieder-Buch, Glückstadt 5 1757 ( 1 1752) die, um mich auf das gelindeste auszudrücken, so mittelmäßig wären«, urteilte er über das 1.000-Lieder-Buch. 13 Als dänischer Hofprediger hatte er bereits 1760 ein Neues Gesangbuch für die deutsche St. Petri Gemeine von tausend auserlesenen Liedern in Kopenhagen herausgegeben (Abb. 10.5). 14 Gegenüber Cramers zwanzig Jahre später erfolgten radikalen Texteingriffen muten die Revisionen von 1760 eher harmlos an. Dieses Kopenhagener Gesangbuch und seinen Herausgeber hat Claudius mit Sicherheit während seines Aufenthalts in der dänischen Hauptstadt 1764/ 65 im Dienste des Grafen von Holstein kennengelernt und vielleicht schon damals eine Abneigung gegen Kirchenliedbearbeitungen entwickelt. Mit Eifer stürzte sich Cramer in die Arbeit. Schon nach kurzer Zeit hatte er die Lieder für die Sammlung ausgewählt und auf umständlichem Wege von der Deutschen Kanzlei, die erst von den beiden Superintendenten in Schleswig und Rendsburg Stellungnahmen einholte, die Zustimmung zur Herausgabe erhalten. Die Drucklegung erfolgte jedoch erst im Jahre 1780 (Abb. 10.6). 15 Zwischen Ostern 1781 und 1790 wurde das Cramersche Gesangbuch gebietsweise von Süden nach Norden in den Herzogtümern eingeführt; im adeligen Güter- Distrikt Itzehoe, zu dem Wandsbeck gehörte, im Winter 1782. 16 Spätestens im Neujahrsgottesdienst 1783 sang die Familie Claudius also nicht mehr aus dem 1.000-Lieder-Buch mit seinem reichen orthodoxen und pietistischen Liedbestand, sondern aus dem neuen, ungeliebten »dänischen« Gesangbuch. Vernunft und Offenbarung - Aufklärungstheologie im Gesangbuch Schon ein Blick in Vorbericht und Einteilung erklärt die Abneigung des Wandsbecker Boten gegen Cramers Gesangbuch. Noch vor dem Inhaltsverzeichnis der 914 Lieder, die »zu gemeinschaftlichen Belehrungen, Ermahnungen, Warnungen und Tröstungen eingerichtet sind« (fol. a3), erfährt der Leser »die allen Christen zu wissen nöthigen dogmatischen und moralischen Wahrheiten und Vorschriften«. Erster von 23 Punkten: 1. Die Menschen können nicht wahrhaftig noch ewig glücklich werden, ohne GOtt durch die Vernunft und aus seiner Offenbarung recht zu erkennen. Unübersehbar und sehr bewusst hat Cramer hier die Gotteserkenntnis durch menschliche Vernunft vor den Glauben durch göttliche Offenbarung gesetzt. Damit steht er im krassen Widerspruch zu Claudius. In immer länger werdenden Abhandlungen greift der »Laienbruder« von Wandsbeck auch in die Diskussion 13 Vgl. Brederek II, 1. 14 Neues Gesangbuch (Kopenhagen 1760). [Zit. wird nach 2 1762]. 15 Allgemeines Gesangbuch (Altona 1780) [Zit. wird nach 2 1782]. 16 Vgl. Brederek II, 4 f. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 186 Abb. 10.4: Johann Andreas Cramer, Kupferstich von Joh. Martin Preisler 1774 Abb. 10.5: Cramers Neues Gesangbuch für die deutsche St. Petri-Gemeinde, Kopenhagen 1762 [ 1 1760] Abb. 10.6: Das Cramersche Gesangbuch, Altona 1782 [ 1 1780] Über die neue Theologie (SW 596 ff.) ein und argumentiert gegen die »dürren hagern unschlüssigen Klügler« (SW 602), die »nichts anders als ihre Vernunft in der Religion den Meister spielen [. . .] lassen« (SW 596). Ihnen stellt er den Apostel Paulus gegenüber, der schreibt, dass »das Evangelium, das von [ihm] geprediget ist, nicht menschlich« sei. Er habe »es von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi« (SW 597 f.; vgl. Gal 1,12). Offenbarung ist aber für Claudius gleichbedeutend mit dem göttlichen Wort der Heiligen Schrift, durch die Gottesnähe erfahren und Glauben geschenkt wird. 17 Cramer geht es dagegen um die »Pflicht, stets nach einer größern Vollkommenheit zu streben«. Dazu müssten »aufgeklärter[e] Einsichten in die heilige Schrift« genutzt werden (Vorbericht, fol. a3). Trotz der scheinbar unüberbrückbaren Gegensätze versucht Claudius zwischen Glauben und Offenbarung einerseits, Vernunft und Philosophie andererseits zu vermitteln: [Kandidat] Bertram: Aber, wenn nun die Philosophen suchen, den Glauben vernünftig zu machen? A[smus]: Sie täten besser, wenn sie suchten, die Vernunft gläubig zu machen. [. . .] An sich könnten Vernunft und Glaube gerne gemeinschaftlich, wie Freunde, miteinander leben; doch die meiste Zeit und fast immer entstehen daraus böse Händel. (SW 650) Die wenigen Zitate machen bereits deutlich, dass Claudius sich mit der theologischen Grundhaltung von Cramers Gesangbuch nicht einverstanden erklären konnte. Wie wenig erst mit seinen Texten! Im Vorbericht zählt Cramer die drei Schritte zu »einer größern Vollkommenheit und Nutzbarkeit« auf: 1. die bereits vorhandenen Gesänge verbessern, 2. schlechte gegen bessere - also neue - austauschen, 3. Lieder mit neuen Inhalten hinzufügen. Bei dieser Zielsetzung verwundert es nicht, dass im Ergebnis gut ein Viertel aller Lieder vom Herausgeber selber stammen, seine zahllosen Bearbeitungen nicht einmal mitgezählt. Diese › Verbesserungen ‹ aber sind es vor allem, die Claudius ’ Missbilligung erregen. Schon Adam Struensee (1708 - 1791), einer der beiden schleswig-holsteinischen Generalsuperintendenten, hatte in seinen Stellungnahmen an die Deutsche Kanzlei in Kopenhagen besorgt geäußert, dass »wenn bei den Gemeinen hiesiger Herzogthümer solche Neuerungen beliebt werden möchten, [. . .] kein Heyl gestiftet sondern vielmehr Schaden angerichtet« würde. Er habe wohl Verständnis dafür, wenn einige schlechte der bisherigen Gesänge »allenfalls weggelassen, bessere an ihre Stelle gesetzt, aber die alten, guten, geistreichen Lieder ungeändert beibehalten würden«. 18 17 Vgl. Hausvaterbericht, SW 573. 18 Zit. nach Brederek II, 3 f. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 190 Obrigkeitsgehorsam und Herzensfrömmigkeit Ganz ähnlich wie der Generalsuperintendent äußert sich Claudius in Gestalt seines alter ego Asmus in einer fiktiven Korrespondenz an den »Hochgelahrten und hochzuehrenden Herrn Vetter«: Es wird dem Herrn Vetter bekannt sein, daß in den neuen Zeiten die alten Kirchenlieder verändert werden. [. . .] Auch mögen wohl viele Lieder nicht so sein, als sie sein sollten etc. das ist alles wahr. Aber ich weiß nicht, ob ’ s an dem Verbessern oder an den Verbesserern liegt; genug, ich kann mir nicht helfen, daß es mich um einige alte Lieder nicht dauren und leid sein sollte. (SW 343 f.) In feinster Ironie stellt er nun dem Vetter das Problem dar, vergleicht die Modernisierungen und Glättungen an den Texten mit dem Auswechseln falscher Knöpfe und schiefer Nähte an einem liebgewordenen und unverwechselbaren Kleidungsstück und stellt schließlich die rhetorische Frage, ob er sich der Obrigkeit und seinem Gewissen gegenüber schuldig mache, wenn er »wohl bisweilen in der Kirche, wenn die Gemeine nach der Verordnung singt, stillzuschweigen, und im Herzen die alte Weise zu halten« pflege, und ob er denn, wenn er »ganz allein und für [sich sei]: ob [er] denn nur rein heraussingen« dürfe? Antwort [des Vetters: ] Die öffentliche Ordnung müßt Ihr nicht stören, Vetter; im Herzen könnt Ihr singen wie Ihr wollt. Denn übers Herz hat die Obrigkeit nichts zu befehlen. Und die Grad- Nähter noch weniger. Sein Diener etc. (SW 344) Mit diesem Frage- und Antwort-Spiel tritt Claudius in Distanz zu seiner eigenen Obrigkeitsfrömmigkeit. Die Veröffentlichung der »Korrespondenz an den Hochgelahrten und hochzuehrenden Herrn Vetter« erfolgte nicht zufällig zu diesem Zeitpunkt (V. Teil, 1790). Als 1783 der IV. Teil der Werkausgabe erschien, wurde Cramers Gesangbuch gerade erst in Wandsbeck eingeführt. Am 12. Juni 1788 starb Cramer, der vor allem gemeinte »Grad-Nähter«; am 19. Dezember 1789 erfolgte der Subskriptionsaufruf zum V. Teil, der die kritische »Korrespondenz an den [. . .] HerrnVetter« enthielt. Auch deren Platzierung genau in der Mitte des Bandes, zwischen dem Huldigungsgedicht an den höchsten Repräsentanten der Obrigkeit, Kronprinz Friedrich (später Friedrich VI.), und dem Lied des vom Gerichtsprozess heimgekehrten Bauern, der froh ist, kein Advokat zu sein (der »alle Tage seinen Sinn Auf Zank und Streiten hat« SW 345), geschah sicherlich mit Bedacht. 19 Dadurch wird der heimliche Konflikt zwischen Obrigkeitsgehorsam und persönlicher Überzeugung noch unterstrichen. 19 Im benachbarten Hamburg war mit dem Erscheinen des neuen Gesangbuchs von 1787 gerade ein Jahrzehnte dauernder Gesangbuchstreit zu Ende gegangen, in dessen Mittelpunkt Hauptpastor Goeze von St. Katharinen gestanden hatte. Vgl. von Schade, Johann Melchior Goeze und das Hamburger Gesangbuch (1989), S. 197 - 213. Matthias Claudius und »seine« Gesangbücher 191 Fast symmetrisch zur Mittelachse, der Kritik an den verbesserten Kirchenliedern, stehen die beiden Kantaten-Libretti, Das Große Halleluja (SW 291 - 294) zu Beginn, die Weihnacht-Kantilene (SW 363 - 367) am Schluss des V. Teils. In die von Claudius verfassten Kantaten-Texte sind insgesamt vier Kirchenliedstrophen und der Beginn von Luthers deutschem Te Deum eingefügt. An diesen Versen soll exemplarisch gezeigt werden, was in Cramers Gesangbuch mit den alten Liedern geschehen ist, die »man in der Jugend, in Fällen wo es nicht so war wie ’ s sein sollte, oft und andächtig mit der Mutter gesungen hat« und die »wie ein alter Freund im Hause [sind,] dem man vertraut und bei dem man in ähnlichen Fällen Rat und Trost sucht«. 20 (SW 344) Rezeption von Kirchenliedstrophen bei Claudius und Cramer Gelobet seist du, Jesu Christ Zwei Strophen aus Martin Luthers Lied zum Christfest hat Claudius in seine Weihnachtskantate aufgenommen. Die zentrale Weihnachtsbotschaft ist in diesen Strophen enthalten: »Er ist ein kindlein worden klein« (Str. 3), »Daß er unser sich erbarm« (Str. 6). Ungekürzt und unverändert gelangt die von Luther um sechs Strophen erweiterte mittelalterliche Leise auch in die schleswigholsteinischen Gesangbücher (Bsp. 1). Jede Strophe endet mit »Kyrieeleis«. Im Mittelalter war dieser Bitte und Akklamation verbindende Ruf, der auch außerhalb des Gottesdienstes z. B. zur Huldigung eines Fürsten erscholl, vom Volk gesungen und mit deutschen, meist vierzeiligen Liedstrophen verbunden worden (z. B. Christ ist erstanden). Cramer ersetzt den Bitt- und Huldigungsruf der alten Weihnachtsleise bereits 1760 in Kopenhagen durch das österliche »Hallelujah! « (Bsp. 2). Die tiefe Bedeutung, die in dem Beziehungsbogen › Gelobt sei Christus ‹ (Liedanfang) und › Erbarm dich, Herr ‹ (Schlussformel) liegt, ist in der aufklärerischen Fassung verloren gegangen. Zwanzig Jahre später wird selbst der uralte Osterruf von Cramer wohl als »undeutsch und morgenländisch« (Vorbericht 1780) verschmäht und ausgetauscht gegen die lapidare Aussage: »So hilft uns GOtt« (Bsp. 3). 21 Da verwundert es wenig, dass er die Texte auch anderweitig bearbeitet. In der starken Umdichtung aller sieben Strophen geht viel von der Direktheit des gesungenen Evangeliums verloren. Das von Luther analog gesetzte Gegensatzpaar Erde - arm (Str. 6.1) Himmel - reich (Str. 6.3) 20 Vgl. Beitrag 19, III. 21 In anderen Aufklärungsgesangbüchern blieb wenigstens der Vokativ erhalten, so in dem einflussreichen › Mylius ‹ , Berlin 1780 (Nr. 68), in Hamburg 1787 (Nr. 74) und Lübeck 1790 (Nr. 87): »Gelobt sey Gott! « Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 192 als Bild für die Selbsterniedrigung Gottes und die dadurch erfolgte Erhöhung des Menschen wird wohl bewusst aufgegeben. Die Richtungsvorstellung - von oben, vom Himmel herab - »Er ist auf erden kommen arm« ist sicher nicht nur aus grammatischen Gründen geändert worden: »Er kömmt zur erde bloß und arm« (Bsp. 3). Woher er kommt, bleibt allerdings offen! An die Stelle des Reichtums, der uns im Himmel - als Metapher für das Reich Gottes - erwartet: »Und in dem Himmel mache reich«, setzt Cramer flach: »Und uns auch mache groß und reich«. Das als verniedlichend empfundene Attribut »lieb« im letzten Vers wird durch eine theologisch überkorrekte Formulierung ersetzt. Aus »seinen lieben engeln« werden »seines Vaters engeln«. Bsp. 1: 1.000-Lieder-Buch 1752 Bsp. 3: Cramer 1780 Bsp. 2: Kopenhagen 1760 Matthias Claudius und »seine« Gesangbücher 193 Ein Kindelein so löbelich ist uns geboren heute Die ebenfalls vorreformatorische Liedstrophe erfreute sich Luthers Wertschätzung in seinen Predigten und wurde in seine Gesangbücher aufgenommen. Seitdem gehört sie als zweite Strophe von Der Tag, der ist so freudenreich und/ oder als selbständiges Lied zum Kernbestand aller evangelischen Gesangbücher bis hin zum Plönischen und zum 1.000-Lieder-Buch (Bsp. 4). Selbst Cramer nimmt es 1760 noch in die Kopenhagener Sammlung auf, allerdings bereits mit bezeichnenden Veränderungen (Bsp. 5). Neben kleineren grammatischen Korrekturen greift er in Strophe 2 massiv in den sprachlichen Ausdruck ein. Aus Groß ist die demuth und genad, Die GOtt vom himmel bey uns that (Bsp. 4, Str. 2.5 - 6) wird: Es war ein grosse gütigkeit, Die Gott vom himmel bey uns thät (Bsp. 5, Str. 2.5 - 6). Es wird sogar ein unreiner Reim in Kauf genommen, um sich »solcher kirchlichen Kunstwörter zu enthalten, welche über die gemeine Fassung hinausgehen, und Kenntnisse voraussetzen, die nur Lehrer haben müssen« (Vorbericht 1780, fol. a4 r ). So nimmt es nicht Wunder, dass Cramer das Lied in das neue schleswig-holsteinische Gesangbuch gar nicht mehr aufgenommen hat. Schon der Eingangsvers »Ein Kindelein so löbelich« mit seinem Diminutiv und den dem »Zwange des Reimes abgenöthigten Ausfüllungen« (fol. a4 v ), das Thema der Jungfrauengeburt sowie der gesamte Duktus mussten auf den rationalistischen Liedverbesserer naiv und einfältig wirken. Obwohl - oder gerade weil - die alte Liedstrophe nicht mehr im Gesangbuch stand, lässt Claudius sie in seiner Weihnacht-Kantilene singen, und zwar nachdem die Hirten die Krippe erreicht haben: »Zu trost uns armen leuten«. Doch auch er verzichtet auf die aus damaliger Sicht sprachlich und inhaltlich anstößigen Schlussverse: Ey du süßer JEsu Christ, Der du Mensch gebohren bist, Behüt uns für der hölle! (Bsp. 4, Str. 1.8 - 10) Folglich endet die abgebrochene Choralmelodie in Reichardts Vertonung der Weihnacht-Kantilene auf der Dominante, die er aber geschickt für den attacca auf der Tonika einsetzenden Chor zu nutzen weiß: »Das Heil ist unser aller«. 22 22 Weyhnachts-Cantilene von M. Claudius. In Musik gesetzt von J. Fr. Reichardt (Kopenhagen 1784, vgl. Berlin 2 1786). Die Komposition wurde am 4.12.1785 Claudius und seiner Frau Rebecca gewidmet und am 22.12. in der Berliner Nicolaikirche aufgeführt. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 194 Herr Gott, dich loben wir! Herr Gott, wir danken dir! Die Anfangsverse des deutschen Te Deum bilden den Schluss des Kantaten- Librettos Das Große Halleluja (SW 294). Luthers Übertragung des altkirchlichen Hymnus gehörte im dänischen Gesamtstaat in allen deutschen Gesangbüchern zum festen Liedbestand. In Cramers Gesangbuch folgt dem Original (Bsp. 6) unmittelbar eine Bearbeitung von Klopstock (Bsp. 7), die in zahlreichen anderen Aufklärungsgesangbüchern als alleinige oder - wie bei Cramer - als konkurrierende Fassung steht. Klopstocks Umdichtung weicht ab Vers 3 deutlich von Luther ab: Jehova ist von Ewigkeit; Er schuf die Welt, das Werk der Zeit. Die ganze weite Schöpfung preist, GOtt Vater! dich, dich, Sohn! dich, Geist! (Bsp. 7, Str. 1.3 - 6) Bsp. 4: 1.000-Lieder-Buch 1752 Bsp. 5: Kopenhagen 1760 Matthias Claudius und »seine« Gesangbücher 195 Da Claudius in seinem Libretto aber bereits nach der zweiten Zeile statt des typischen »etc.« ein abschließendes »Amen« setzt, entzieht er sich, den Leser und den potentiellen Tonsetzer dem Konflikt, zwischen Luther und Klopstock wählen zu müssen. In der Allee zu Pyrmont morgens beim Aufgang der Sonne lässt Claudius »alle Brunnengäste« das Te Deum laudamus singen, hier unverkennbar in der Übersetzung Martin Luthers: Herr Gott, dich loben wir! Herr Gott, wir danken dir! Dich, Gott Vater in Ewigkeit Ehret die Welt weit und breit. All Engel und Himmels Heer Und was dienet deiner Ehr, etc. etc. (SW 471 f.) und dieses Mal auch mit dem weiterführenden »etc. etc.« Sollt ich meinem Gott nicht singen, sollt ich ihm nicht dankbar sein Texttreu wie die drei alten, durch Luther in die Gesangbücher gekommenen Lieder zitiert Claudius die vollständige Eingangsstrophe von Paul Gerhardts Lob- und Danklied. Als Kernlied der evangelischen Kirche findet es sich ebenfalls in den schleswig-holsteinischen Gesangbüchern in weitgehend originaler Gestalt (Bsp. 8). Nur Cramer dichtete das Lied ab der dritten Zeile völlig um (Bsp. 9). Entsprechend seinem Prinzip, weder »die Gesetze der Sprachrichtigkeit« noch »die Regeln des Versbaues oder Wohllautes zu beleidigen« (Vorbericht fol. a4 v ), schreckt er nicht einmal vor der Korrektur des einprägsamen Kehrreims zurück, der bei ihm und damit ab 1780 in den Herzogtümern offiziell lautet: Alles währet seine zeit; Gottes lieb in ewigkeit. (Bsp. 9) Dass ihm in »währet« eine Füllsilbe unterlaufen ist, die er bei den alten Liedern so heftig kritisiert, scheint ihn hier weniger zu stören als das »Ding«, das er loswerden wollte. Die Originalfassung des Refrains wurde in der Familie Claudius offenbar gern zitiert. In einem Brief aus Wandsbeck vom 16. Juli 1813, kurz vor dem Aufbruch ins eigene Exil, schreibt Claudius der ältesten Tochter nach Aschau bei Eckernförde, wo sie unter dem Schutz von Cai Graf Reventlow Zuflucht vor den napoleonischen Truppen sucht: »Guten Morgen, liebe Caroline, [. . .] Ich komme, Dich in Deiner Einsamkeit zu zerstreuen und zu trösten. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit«. 23 Und Agnes Perthes, 23 Jessen/ Schröder (Hg.), Matthias Claudius und die Seinen. Briefe an die Familie [1940]. (Br II, 283), siehe QV, Werkausgaben. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 196 Bsp. 6: Cramer 1780, Originalfassung Luther Bsp. 7: Kopenhagen 1760, Bearbeitung Klopstock Matthias Claudius und »seine« Gesangbücher 197 Carolines Tochter, schließt ihre Erinnerungen an den Großvater mit demselben, wenn auch nicht ganz original zitierten Zweizeiler: »Großmama [Rebecca Claudius] ist nun auch schon lange, lange todt, alle seine Kinder sind todt, Alles, Alles ist anders geworden. Jedes [! ] Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit«. 24 Bsp. 8: Plön [ab 1731] Bsp. 9: Cramer 1780 24 A. Perthes, S. 50. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 198 Auf diese Weise könnte jedes Kirchenliedzitat im Werk von Matthias Claudius kommentiert werden. Bereits die wenigen Beispiele lassen ahnen, was in Claudius beim Singen der Lieder »nach der Verordnung« aus dem »dänischen«, dem Cramerschen Gesangbuch vorgegangen sein mag. Der »steife Choral« - erhaben und feierlich Auch die Melodien und Sätze bleiben von Veränderungen nicht verschont. Sie werden wegen ihrer rhythmisch und melodisch eingeebneten Form, ihrer Harmonik und der sehr langsamen Singweise später als »steifer Choral« bezeichnet. Alles, was an die bewegten Melodien im Arienstil der barocken und pietistischen Liederbücher erinnert, ist darin verpönt: Durchgangsnoten, Punktierungen, Tripeltakt und »unnütze Wiederholungen«. Für letztere wird in den Vorreden zu den Choralbüchern der Zeit als Beispiel meistens Lobt Gott Ihr Christen allzugleich genannt: bei einem Wegfall der Wiederholung der letzten Verszeile wird die fünfzeilige Melodie verstümmelt. Im Plönischen Gesangbuch, im 1.000-Lieder-Buch und im Kopenhagener Gesangbuch von 1760, die alle keine Noten enthalten, wird durch ein Wiederholungszeichen am Schluss jeder Strophe angezeigt, dass die letzte Zeile zweimal gesungen werden soll (Bsp. 10). Bei Cramer 1780 fehlen diese Zeichen (Bsp. 11). Entsprechend wurde die wertvolle Melodie, die wie der Text von Nikolaus Herman stammt, in den dazugehörigen Choralbüchern ihrer fünften Zeile beraubt und verliert dadurch ihren besonderen Charakter (Bsp. 12). 25 Wenn Claudius nun sein Osterlied mit der Melodieangabe »Lobt Gott ihr Christen allzugleich etc.« versieht und den letzten Vers jeder Strophe doppelt ausdrucken lässt, so ist dies als klare Anweisung zu deuten, dass zu seinem Text die fünfzeilige Originalweise gesungen werden soll: Das Grab ist leer, das Grab ist leer! Erstanden ist der Held! Das L e b e n ist des T o d e s Herr, Gerettet ist die Welt! Gerettet ist die Welt! (SW 675) Johannes Pfeiffer zeigt mit seiner Kritik an dem Osterlied, dass er beim Lesen des Textes die Originalmelodie, auf die es gedichtet wurde, offensichtlich innerlich nicht gehört und nicht bedacht hat: »Das Versmaß hat etwas unverkennbar Klapperndes, die Wiederholung der jeweils vierten Strophenzeile wandelt die erste in dann doch recht schematischer Weise«. 26 Ein Verzicht auf die letzte 25 [Kittel: ] Vierstimmige Choräle mit Vorspielen [. . .] für die Schleswig-Hollsteinischen Kirchen (1803), Nr. 128. 26 Pfeiffer, Dichtkunst und Kirchenlied (1961), S. 57. Matthias Claudius und »seine« Gesangbücher 199 Melodiezeile würde aber das überlieferte und vom Verfasser gewünschte fünfzeilige Liedschema zerstören. Abweichend von der Aufführungspraxis seiner Zeit beweist Claudius geradezu hymnologische Kenntnisse der originalen Melodiefassungen. Dies kommt auch in einer Anekdote zum Ausdruck, die Agnes Perthes erzählt: Ein Mal wurde er von uns um einen Walzer gebeten, er konnte keinen und sagte, wenn ihr die Melodie: »wer nur den lieben Gott läßt walten«, hören wollt, die hat ¾ Tackt, er spielte sie schnell, aber zum Tanzen ließ er es nicht kommen. 27 In allen Choralbüchern seiner Zeit ist das Lied aber geradtaktig notiert (Bsp. 13). Schon J. S. Bach verwendete den 4/ 4 Takt für diesen Choral in Kantaten und Orgelsätzen, ebenso C. P. E. Bach in der Ausgabe der Choräle seines Vaters. Bsp. 10: 1.000-Lieder-Buch 1752 Bsp. 11: Cramer 1780 27 Vgl. A. Perthes, S. 15. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 200 Bsp. 12: »Lobt Gott, ihr Christen all ’ zugleich« aus Kittels Choralbuch, Altona 1803 (Nr. 128), offizielles Choralbuch zu Cramers Gesangbuch 1780 Bisher konnte nicht geklärt werden, woher Claudius die Melodie im 3/ 4 Takt, wie sie in Schleswig-Holstein ja erst im Choralbuch zum Provinzialgesangbuch von 1883 (Bsp. 14) gedruckt ist, kannte. 28 Cramer weist im Vorwort zu seinem Kopenhagener Gesangbuch auf »die alten jedermann bekannten« Melodien hin, die »in dem Freylinghausenschen Gesangbuch mit Noten zu finden« sind. Aber selbst dort ist das Lied im 4/ 4 Takt notiert. Der bisher einzige Beleg für eine Notierung im Tripeltakt ist der Erstdruck des Dichterkomponisten Georg Neumark von 1657 (Bsp. 15). 29 Dass die Melodie schnelle und weite Verbreitung fand, ist bereits von Neumark selbst bezeugt, ebenfalls das frühe Zersingen des Liedes. 30 Der Bericht von Agnes Perthes scheint jedoch zu beweisen, dass der originale Tripeltakt über 150 Jahre lang mündlich tradiert wurde, obwohl sich in der Notation der gerade Takt längst durchgesetzt hatte. Kritische Schlussbemerkungen Der dänische Gesamtstaat ging 1864 unter. So lange hatten das Cramersche Gesangbuch und die dazugehörigen Choralbücher Gültigkeit. Die Restauration setzte durch den staatsrechtlichen Wandel in Schleswig-Holstein erst sehr viel später ein als im übrigen Deutschland. Ein Reformgesangbuch war schon in der Jahrhundertmitte vorgesehen, wurde aber vor dem Ende des Gesamtstaats nicht mehr fertig. Erst 1883 erschien das erste Gesangbuch für die Preußische Provinz Schleswig-Holstein. 31 Die Einführung zog sich hin bis 1903. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war das von Claudius gering geschätzte »dänische« Gesangbuch also in Gebrauch. Das Provinzialgesangbuch, das sich um Wiederherstellung der Texte bemühte und sogar drei Lieder von Claudius selbst aufnahm, 32 vor allem 28 Fromm/ Stange (Hg.), Vierstimmiges Choralbuch zu dem neuen Schleswig-Holsteinischen Gesangbuch (1884). 29 Neumark, Fortgepflantzter Musikalisch = Poetischer Lustwald (1657). 30 Kulp, Die Lieder unserer Kirche (1958), S. 467. 31 Evangelisch-lutherisches Gesangbuch der Provinz Schleswig = Holstein, Schleswig [1883]. 32 Nr. 51: Der Herr, der einst auf Erden war, uns hergesandt von Gott, Epiphaniaslied (8 Str.) zur Mel. »Lobt Gott, ihr Christen, allzugleich«, als stark veränderte Nachdichtung von Claudius ’ Lied der Schulkinder zu - an ihre kranke Wohltäterin (SW 457 f.). Ohne Autorenangabe erstmals erschienen in: Geistlicher Liederschatz ( 2 1840). Von dort übernommen in: Knapp (Hg.), Evangelischer Liederschatz ( 4 1891) und DEG, Tl. 2 (Nr. 361) - Nr. 410: Der Mond ist aufgegangen, die goldenen Sternlein prangen, Abendlied (7 Str.) zur Mel. »O Welt, ich muß dich lassen«. Erstdruck im Musenalmanach von J. H. Voss (1779), S. 184 (SW 217 f.); DEG 492, EKG 368, EG 482 mit der Mel. von J. A. P. Schulz (1790). - Nr. 95 des Anhangs »Geistliche Lieder«: Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land, Erntelied (4 Str.) zu eigener Mel. nach dem Bauernlied aus der Erzählung Paul Erdmanns Fest (SW 206 ff.), DEG 567, EKG Landeskirchlicher Anhang Nord 495, EG 508. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 202 Bsp. 13: »Wer nur den lieben Gott läßt walten« (Wer seinen lieben Gott läßt walten) aus Kittels Choralbuch, Altona 1803 (Nr. 145) Bsp. 14: Aus dem Vierstimmigen Choralbuch zu dem neuen Schleswig-Holsteinischen Gesangbuch, Schleswig 1883 Bsp. 15: Erstdruck Georg Neumark, Fortgepflantzter Musikalisch-Poetischer Lustwald, Jena 1657 aber die nachfolgenden Einheitsgesangbücher mit ihren Regionalteilen - DEG (1930), EKG (1954) und sogar EG (1994) - hätten ihm in ihrem restaurativen Charakter bestimmt besser gefallen. Wir leben wieder in einer Zeit mit stark rationalistischen Zügen. Zur Erarbeitung der gegenwärtigen Gesangbücher im deutschen Sprachgebiet wurde und wird erneut um Textfassungen und Bearbeitungen gerungen. Die Korrespondenz zwischen Asmus und seinem Vetter über die Verbesserung der Kirchenlieder ist deshalb hochaktuell und könnte auch nach 200 Jahren noch bzw. wieder der Orientierung dienen. Claudius fand Unterstützung bei Herder, in dessen Vorrede zum Weimarischen Gesangbuch von 1795 Anklänge an die Korrespondenz nicht zu überhören sind: Ein Lied, das man in der Kindheit auswendig gelernt hat, will man nicht gern im Alter verändert hören: einen Gesang, an dessen Kraftvollen Ausdrücken man sein Herz erquickte, an dem der Niedergeschlagene Trost, der Sterbende Hoffnung genoß, wünscht man nicht, etlicher schlechter Reime wegen, in eine andre Form gegossen, und fast unkenntlich gemacht zu sehen. Man wünscht mit dem Glauben der Väter auch die Lieder beyzubehalten, in denen Jene ihren Glauben ausdrückten und stärkten. Selbst mit den Melodieen kömmt uns ihr aufmunterndes Andenken wieder. 33 Goethe hatte schon zwanzig Jahre vorher (1772) in dieser Frage Stellung bezogen: Darum kann ich Liedverbesserungen nicht leiden; das möchte für Leute sein, die dem Verstand viel und dem Herzen wenig geben; was ist dran gelegen, was man singt, wenn sich nur meine Seele hebt und in den Flug kömmt, in dem der Geist des Dichters war; aber wahrhaftig, das wird einem bei denen gedrechselten Liedern sehr einerlei bleiben, die mit aller kritisch richtigen Kälte hinter dem Schreibpulte mühsam poliert worden sind. 34 Claudius, Herder, Goethe - so sehr die drei Dichter in der Beurteilung anderer Zeiterscheinungen auch voneinander abwichen - waren sich darin einig, dass das überlieferte Kirchenlied ein ungeeigneter Gegenstand ist, um veränderte weltanschauliche und gesellschaftspolitische Sichtweisen hinein zu › verbessern ‹ . Neue Befindlichkeiten sollten nur in Neudichtungen ihren Ausdruck finden. Gesangbuchkommissionen sollten sich auch künftig dem Versuch widersetzen, unter dem Druck aktueller feministisch-theologischer Kritik z. B. die letzte 33 [Herder (Hg.),] Weimarisches Gesangbuch (o. J.), [Vorrede 9.10.1795], S. [III]. Vgl. Zit. aus Herders Vorrede von 1778 in Beitrag 9, S. 175 mit Anm. 35. 34 Goethe, Brief des Pastors zu *** an den neuen Pastor zu ***. Aus dem Französischen (1772). Zit. nach Goethe, Werke. Hamburger Ausgabe Bd. 12, München 9 1981, S. 238. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 206 Strophe von Claudius ’ Abendlied umzudichten. 35 Die Hochachtung vor einem vollkommenen Kunstwerk verbietet eine rationalistische Anpassung an den Zeitgeist. 35 Str. 7: »So legt euch denn, ihr Brüder, In Gottes Namen nieder« (SW 218). Matthias Claudius und »seine« Gesangbücher 207 11 C. P. E. Bach in Choralbüchern seiner Zeit Gemessen an der zentralen Stellung, die das Kirchenlied im kompositorischen Schaffen von Johann Sebastian Bach einnimmt, fällt der Beitrag seines Sohnes Carl Philipp Emanuel zum Kirchengesang seiner Zeit weit weniger ins Gewicht. Obwohl er die letzten 20 Jahre seines Lebens für die Kirchenmusik an den fünf Hauptkirchen Hamburgs verantwortlich war, galt das Interesse des vom Senat bestallten Musikdirektors zunächst dem Konzertwesen in der Stadt. Seine Klavierwerke verlegte er in den sechs Sammlungen »für Kenner und Liebhaber« (1779 - 1787) selbst, und sein meisterhaftes Cembalo-, Klavier- und Clavichordspiel, dessen Ruhm ihm nach Hamburg vorausgeeilt war, erfreute sich großer Beliebtheit und lockte berühmte Zeitgenossen in die Hansestadt. Die »Singestücke für die Kirche« 1 - jährlich fast 200, darunter allein über 60 Sonn- und Festtagsmusiken, dazu Hochzeits-, Trauer-, Einführungskantaten - wurden scheinbar nebenbei erledigt. Dass der städtische Musikdirektor dieses gewaltige Pflichtpensum nur dadurch bewältigte, dass er auch auf den kirchenmusikalischen Fundus seines Vaters und seines Amtsvorgängers Telemann zurückgriff, entsprach durchaus den Gepflogenheiten der Zeit. Er probte diese Musiken mit Chor, Solisten und Orchester und führte sie z. T. auch außerhalb der Kirche im Konzertsaal auf. Eines aber dürfen wir uns wohl nicht vorstellen: dass der Kapellmeister sonntags auf der Orgelbank saß und den Gemeindegesang begleitete. Dafür waren die Organisten da. Er selbst hatte sich 19-jährig noch von Leipzig aus vergeblich um eine Organistenstelle nach Naumburg beworben, siedelte ein Jahr später als Jurastudent und Klavierlehrer nach Frankfurt an der Oder über und erklärte später, er habe »dabey am letztern Orte sowohl eine musikalische Akademie als auch alle damals vorfallenden Zusammenführung von zwei Beiträgen anlässlich des 200. Todestags von C. P. E. Bach: 1. im Bericht über das Internationale Symposium der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften (Hamburg 29.9. - 2.10.1988): C.Ph.E. Bach und die europäische Musikkultur des mittleren 18. Jhs., hg. von H. J. Marx (1990). 2. im Ausstellungskatalog: C.Ph.E. Bach. Musik und Literatur in Norddeutschland (SUB Hamburg und LB Kiel 1988/ 1989), hg. von D. Lohmeier (1988). Siehe BibAK 13 (1990) und 40 (1988). 1 C. P. E. Bach, Autobiographischer Abriß. In: Burney, Tagebuch seiner Musikalischen Reisen. Bd. 3 (1773), S. 207. Siehe QV 1773. öffentlichen Musiken bey Feyerlichkeiten dirigirt und komponirt«. 2 Mit Orgeldiensten hatte er sich sein Brot offenbar nicht verdienen müssen. Eine innige Beziehung zum Kirchenlied, wie sie sich beim Organisten durch die regelmäßige Begleitung des Gemeindegesangs mit Vor-, Zwischen- und Nachspielen wie von selbst ergibt, hat sich beim › Hamburger ‹ Bach deshalb wohl weniger entwickelt. Dass er sich im Gegensatz zu vielen seiner Amtskollegen nicht intensiver um das Kirchenlied gekümmert hat, mag aber auch an dem › steifen ‹ Choral im ausgehenden 18. Jahrhundert gelegen haben, dessen Töne sich möglichst ohne große Intervallsprünge in halben Noten auf- und abwärts bewegten, was zwar dem Zeitgeschmack entsprach, aber auf einen leidenschaftlichen, erfindungsreichen Musiker wie Bach wenig inspirierend gewirkt haben muss. Es ist nicht einfach, sich über die vielfältigen theologischen Strömungen, die im 18. Jahrhundert z. T. parallel liefen und einander durchdrangen - Orthodoxie, Pietismus, kirchliche Aufklärung - , ein zusammenhängendes Bild zu machen. Eine systematische hymnologische Aufarbeitung dieser Epoche steht noch aus, ist aber unerlässlich, um zu einer gerechteren Beurteilung zu kommen als die immer noch nachwirkende des 19. Jahrhunderts. Unter dem Einfluss der aufgeklärten Vernunftreligion scheint die Kirche überwiegend die Funktion einer moralischen Lehr- und Bildungsanstalt gehabt zu haben, von deren Kanzeln mehr über Pflichten und Tugenden als über Offenbarungsglauben und Erlösung gepredigt wurde. Trocken, belehrend und flach wie die Moralpredigten oder rokokohaft-sinnlich wie die Schäferlyrik waren auch viele der glatt gereimten »Lieder religiösen Inhalts« 3 . Sie wurden eilends verfasst, weil man die kraftvollen Glaubenslieder Luthers und die Vertrauenslieder Gerhardts ebenso als veraltet ansah wie die gefühlsbetonten, subjektiven Äußerungen der pietistischen Liederdichter. Alle älteren Liedertexte wurden im Sinne des rationalistischen Zeitgeistes »verbessert« bzw. modernisiert. Nicht einmal die hochgeschätzten geistlichen Oden und Lieder von Klopstock und Gellert, die sich durch literarische Qualität und echte religiöse Empfindung von der Masse der Dichtungen unterschieden, blieben verschont. Klopstock selbst hatte sich allerdings - ebenso wie Cramer und Sturm - aktiv an der modischen Gesangbuchrevision beteiligt. Da die Gesangbücher im 17. und 18. Jahrhundert immer umfangreicher geworden waren - 1.000 Nummern galten bereits als Einschränkung - , verzichteten die Herausgeber zunehmend auf die aufwendigen Notendrucke. Die 2 Ebd., S. 199. 3 Titel einer Sammlung von Johann Peter Uz (1720 - 1796), der dem anakreontischen Halleschen Dichterkreis um Gleim, Ramler und Zachariae angehörte: Johann Peter Uzens lyrische Gedichte religiösen Jnnhalts [. . .], Hamburg 1784. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 210 Folge war, dass der Melodienschatz der Gemeinden immer geringer wurde und schließlich auf wenige Weisen zusammenschrumpfte. Dutzende von Liedern wurden z. B.·auf die Melodie von Wer nur den lieben Gott läßt walten gesungen, selbst wenn manchen Liedern wegen unpassender Metren damit Gewalt angetan werden musste. Auch bildeten sich - u. a. durch die Willkür der begleitenden Organisten - unzählige regionale und sogar lokale Varianten. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts sollten deshalb sogenannte Choralbücher - zunächst als Melodienbücher mit Generalbässen, später vierstimmig auch für den Chorgesang ausgesetzt - den Organisten ermöglichen, der »Confusion« ein Ende zu bereiten und »den reinen Gesang« wieder einzuführen. Beispielhaft nenne ich die Choralbücher von Johann Christoph Kühnau (Berlin 1786/ 90) und Johann Adam Hiller (Leipzig 1793/ 1797). 4 Einigkeit bestand in Berlin und Leipzig darin, dass die Gemeinde sich nach dem Organisten zu richten habe und nicht umgekehrt, dass »melodische Verzierungen« und »harmonische Ausschweifungen« der »Reinheit, Schönheit, Würde und Heiligkeit« des Kirchengesangs abträglich seien und dass »Unnütze Wiederholungen« (z. B. der letzten Zeile von »Lobt Gott, ihr Christen all ’ zugleich«) sowie »Unschickliche Dehnungen« (z. B.·Melismen in »In dulci jubilo«) bereinigt werden müssten. »Opernbässe« und Tripeltakte galten als anstößig: »Die Melodie zu dem Liede: O, daß ich tausend Zungen hätte! ist gar im Charakter einer Menuet« (Kühnau 1786). Eine ungerade Taktart fand nur dann Gnade vor den Bearbeitern, wenn sie durch ein daktylisches Versmaß vorgegeben war. Beim Singen war jedoch unbedingt darauf zu achten, dass das Lied nicht tänzerisch wirkte. Mit den verpönten Tripeltakten, › Opernbässen ‹ und reichen Verzierungen des Freylinghausenschen Gesangbuchs, gegen das sich die rationalistische Kritik vor allem richtete, war Bach aber groß geworden. Und eben jener Arienstil bereitete auch den Boden für seine empfindsame Vertonung von Gellerts Geistlichen Oden und Liedern (1757), die ihn sofort als Liedkomponisten auszeichnete. 5 Gellert hatte in unzeitgemäßer Wertschätzung der alten Kirchenlieder 33 der 54 Oden und Lieder so verfasst, dass sie nach Strophenbau und Versmaß auf bekannte Kirchenliedmelodien passten, und diese in einem eigenen Verzeichnis am Schluss der Sammlung aufgelistet. Fast alle sind qualitätvoll und noch heute beliebt wie z. B. die reformatorischen Weisen »Vom Himmel hoch«, »Es ist das Heil uns kommen her« und die der Barockzeit »Herzliebster Jesu«, »O Gott, du frommer Gott«, »Wer nur den lieben Gott läßt walten«. Gellert räumt ein, von 4 Die Zitate in diesem und im nächsten Absatz stammen aus den Vorreden zu diesen Choralbüchern (Titel im QV). 5 Gellerts Geistliche Oden und Lieder mit Melodien von Carl Philipp Emanuel Bach (1758 u. ö.). C. P. E. Bach in Choralbüchern seiner Zeit 211 seinen Oden und Liedern seien »nicht alle im eigentlichen Verstande zum Singen geschickt: so wird es doch genug Belohnung für mich seyn, wenn sie sich mit Erbauung lesen lassen« (Vorrede 1757, S. XX). Diese Bemerkung muss Bach aber erst recht angeregt haben, die geistliche Lyrik Gellerts in Töne zu setzen, zumal der verehrte Professor der Dichtkunst und Beredsamkeit die Vertonung seiner Lieder geradezu herausfordert: Da überdieses der Gesang eine große Gewalt über unsre Herzen hat und von gewissen Empfindungen ein eben so natürlicher Ausdruck ist, als es die Mienen und Geberden des Gesichts sind: so sollte man der Religion besonders diejenige Art der Poesie heiligen, die gesungen werden kann. Ich habe in den nachstehenden Oden und Liedern diese Pflicht zu erfüllen gesucht [. . .] und wie die Declamation des Redners seiner Rede das Leben giebt, so giebt oft die Melodie erst dem Liede seine ganze Kraft. Vieles wird durch den Gesang eindringender und sanfter, als es im Lesen war. (Vorrede, S. IIIf., XIXf.) C. P. E. Bach, 6 damals noch Kammercembalist Friedrichs des Großen, erfüllte dem Dichter 1758 als erster den Wunsch einer Vertonung und löste damit einen Wettstreit unter den komponierenden Zeitgenossen aus. Während Bachs erfolgreicher Mitbewerber um das Thomaskantorat Johann Friedrich Doles (1758), dessen Nachfolger Johann Adam Hiller (1761), aber auch die › weltlichen ‹ Komponisten Johann Joachim Quantz und Johann Friedrich Gräfe (beide 1760) nur die Lieder vertonten, »die noch nicht mit Kirchenmelodien versehen sind«, 7 erfand Bach zu allen 54 Texten sehr persönliche, ariose Melodien »zum Singen bey dem Claviere« 8 . Doles tadelt indirekt diesen schöpferischen Eifer als Respektlosigkeit gegenüber dem traditionellen Kirchenlied und den von Gellert hochgeachteten alten Melodien: Nach verschiedenen von diesen schon bekannten Choralmelodien hat selbst Herr Professor Gellert viele von seinen Liedern verfertigt, und nach meiner wahren Empfindung, finde ich sie so schön, und so wohl gewählt, daß ich es nicht gewagt habe, auf eben diese Lieder neue Melodien zu machen« (Doles 1758, Vorrede vom 16. April 1758). Auf die übrigen 21 verfasst Doles jedoch schlichte Kantionalsätze »für die privat, und vielleicht auch öffentliche Andacht« (Vorrede) mit reich verziertem Diskant 6 Die Vornamen des › Berliner ‹ oder › Hamburger ‹ Bach werden vor allem in der älteren deutschen Literatur mit C.Ph.E. abgekürzt, in der internationalen mit C. P. E. Ich verwende letztere auch deshalb, weil Bach u. a. die Vorreden zu seinen Werken sowohl in Berlin als auch in Hamburg selbst mit »C. P. E. Bach« unterzeichnet hat. 7 Z. B. Doles, Melodien zu [. . .] Gellerts Geistlichen Oden und Liedern (1758). 8 So in den Titeln von C. P. E. Bachs Vertonungen von Cramers übersetzte Psalmen mit Melodien zum Singen bey dem Claviere (1774) und Christoph Christian Sturms [. . .] geistliche Gesänge mit Melodien zum Singen bey dem Claviere (1780/ 81). Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 212 und beziffertem Bass, so dass die Lieder entweder vierstimmig vom Chor oder solistisch mit Generalbassbegleitung gesungen werden konnten. Bachs Vertonungen, in denen die Gesangsstimme und der ausgearbeitete Klaviersatz eine untrennbare Einheit bilden, waren eindeutig für den solistischen, privaten Vortrag gedacht und für den Gemeindegesang ungeeignet. Dennoch fanden zwei Melodien in rhythmisch und melodisch vereinfachter Form Eingang in das Württembergische Choralbuch von 1799. 9 Drei weitere Melodien wurden sogar mit Bachs originalen Klaviersätzen in das Wernigerödische Choralbuch (1767) aufgenommen. 10 In den Vorreden zu den auf Bach folgenden Gellert-Vertonungen wird mehrfach darauf hingewiesen, dass seine Melodien zu schwer (Quantz 1760) bzw. »nicht bequem« (Schmidlin 1761) seien. Auf diese Art von Kritik mochte Bach anspielen, wenn er in der Vorrede zu seinen Vertonungen von Cramers Psalmliedern von 1774 einlenkt: »einigen meiner Freunde zu gefallen habe ich gewissen Psalmen Choralmelodien gegeben«. 11 Neun der 42 ausgewählten Psalmbereimungen Cramers vertonte er »choralmäßig« in dem wenig geschmeidigen Stil, den der Zeitgeschmack für den kirchlichen Gebrauch diktierte und der in krassem Gegensatz zu den kunstvollen Klaviersätzen der übrigen Psalmen steht. Aus der oben zitierten Formulierung klingt Distanz, ein wenig Spott und Rechtfertigung sich selbst gegenüber. Dennoch hat der › Hamburger ‹ Bach einen nicht unerheblichen Beitrag zum kirchlichen Gemeindegesang seiner Zeit geleistet, der von der Musikwissenschaft und der Hymnologie, erst recht von der Öffentlichkeit bisher wenig beachtet wurde. Die Beurteilung wurde lange Zeit auch dadurch erschwert, dass Bach nur wenige Kirchenliedmelodien bzw. -sätze mit Sicherheit zugeschrieben werden konnten. Nach den verdienstvollen Untersuchungen von Gudrun Busch (1957) sind es vor allem die Entdeckungen von Ea Dal (1975 - 78) und E. Eugene Helm (1988), die den gesicherten Bestand der Melodieschöpfungen Bachs für 9 Vollständige Sammlung [. . .] vierstimmiger Choralmelodien für das neue Wirtembergische Landgesangbuch (1799): »Gott ist mein Hort« (Z 2070), »So jemand spricht, ich liebe Gott« (Z 2421). 10 Melodeien zu der Wernigerödischen Neuen Samlung geistlicher Lieder (1767). Aus Gellerts Geistliche Oden und Lieder (1758): »Wenn Christus seine Kirche schützt« (Z 7379) zum Text Ein veste Burg ist unser Gott und »Er ruft der Sonn« (Z 8766) zu dem beliebten pietistischen Lied Mein Herzens-Jesu, meine Lust von J. Chr. Lange (1669 - 1756); aus Zwölf Geistliche Oden und Lieder (1764): »Mein Heiland nimmt die Sünder an« (Z 7778) von Leopold F. F. Lehr (1709 - 1744). - Eine darüber hinausgehende Beteiligung Bachs an dem von den dichtenden Grafen zu Stolberg-Wernigerode veranlassten Choralbuch ist schwer nachzuweisen, da die Anonymität der Textdichter und Komponisten in der Edition streng gewahrt ist. Vgl. Busch, C.Ph.E. Bach und seine Lieder (1957). Bd. 1, S. 78 - 85. 11 fol. b2 v . Titel in Anm. 8 und im QV. C. P. E. Bach in Choralbüchern seiner Zeit 213 den kirchlichen Gebrauch auf 45 haben ansteigen lassen. 12 Sie stehen nun der Carl Philipp Emanuel Bach-Forschung, besonders aber auch der Hymnologie, für Stiluntersuchungen und vergleichende Studien zur Verfügung. Vor allem gerät die bisher vertretene These, dass sich Bach für den Gemeindegesang wenig oder gar nicht interessiert habe, ins Wanken. Ich habe die Ergebnisse der genannten Untersuchungen zusammengefasst, vertieft und für weiterführende Studien in einer Tabelle am Ende dieses Beitrags (S. 230 - 232) systematisch aufbereitet. Es sind vor allem drei Choralbücher, an deren Inhalt C. P. E. Bach mehr oder weniger intensiv mitgewirkt hat. 1. Das Choralbuch der Grafen zu Stolberg-Wernigerode 1767, im letzten Jahr Bachs am Potsdamer Hof, erschien in Halle ein Choralbuch mit 348 Melodien und bezifferten Bässen, einige auskomponiert als »Handstücke« für Clavier. Dem Vorbericht zufolge sind es »die im Jahr 1752 versprochene[n] Melodeyen, zum Gebrauch der Wernigerödischen Neuen Sammlung geistlicher Lieder« (Abb. 11.1), einer von den Grafen Stolberg- Wernigerode 13 herausgegebenen Sammlung 818 »theils ungedruckter, theils in einzelnen Blättern und kleinen piecen abgedruckter neuer Lieder«. 14 Die Grafen unterhielten enge Beziehungen zu den Dichtern ihrer Zeit, besonders zu Gleim, Klopstock und der Karschin (Anna Louisa Karsch), und sie dichteten auch selbst. Vor allem die pietistisch geprägten Lieder des Grafen Heinrich Ernst (1716 - 1778) gingen in die Wernigerödische Sammlung ein. Dass C. P. E. Bach an dem in strenger Anonymität herausgegebenen Choralbuch musikalisch beteiligt war, ist bekannt. 15 Drei originale Klaviersätze aus Gellerts Geistliche Oden und Lieder (1758) nebst Anhang (1764) wurden unverändert mit nachträglicher Bezifferung des Basses in das Wernigerödische Choralbuch übernommen, zwei davon zusätzlich in vereinfachter Fassung unter Weglassung zahlreicher Verzierungen, Durchgänge und Vorhalte (s. Tab.-Nr. 22, 35, 43). Wir wissen jedoch aus einem Brief der Witwe Bachs an Sara Levy, geb. Itzig (Berlin, 5.9.1789), und aus dem Nachlassverzeichnis von 1790, dass darüber hinaus noch »Choral-Melodien zu Liedern des Grafen von Wernigerode« 12 Busch, C.Ph.E. Bach und seine Lieder (1957). - Dal, Omkring Niels Schiørrings tyske koralbog (1975/ 76), S. 43 - 74. - Dies. (Hg.), Niels Schiørrings Kirke = Melodierne 1781 og Choral-Bog 1783 (1978). - Helm, Thematic Catalogue of the Works of C. P. E. Bach (1989). 13 Christian Ernst (reg. 1710 - 1771), Heinrich Ernst (reg. 1771 - 1778), Christian Friedrich (reg. 1778 - 1824). 14 Neue Sammlung geistlicher Lieder (1752). Vorbericht vom 6. März 1752, fol. *2 r . 15 Vgl. Busch, S. 78 - 85. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 214 Abb. 11.1: »Melodeien« zum Wernigerödischen Gesangbuch 1767 existieren mussten. 16 Dies veranlasste Carl Hermann Bitter 1868 zu der Äußerung: »Der Melodien zu den Stolberg ’ schen Liedern, gleichfalls Bach ’ s Berliner Zeit angehörig, hat der Verfasser zu seinem großen Bedauern nicht habhaft werden können«. 17 Und auch Wotquenne merkt unter der Rubrik »Choräle« lediglich an: »Der Katalog Westphal nennt an dieser Stelle kurz die folgenden ungedruckten Werke, die mir sonst nicht vorgekommen sind: 10 Choräle zu Liedern des Grafen von Wernigerode«. 18 Auch wenn Gudrun Busch z. T. erfolgreich versuchte, anhand von Stilkriterien aus der Fülle der Wernigerödischen Melodien die Bachschen herauszufinden, war ein sicherer Nachweis bisher nicht zu erbringen. Die Entdeckung eines Autographs mit zehn vierstimmigen Choralsätzen von Bachs Hand durch E. Eugene Helm in der Breslauer Universitätsbibliothek (Va 1 bb) vor mehr als 25 Jahren darf deshalb getrost als sensationell bezeichnet werden. Da Helm für sein Werkverzeichnis 1989 das gedruckte Choralbuch von 1767 nicht vergleichend herangezogen hat, 19 habe ich in der Tabelle bei den laufenden Nummern Helms (H 842,1 - 10) die entsprechenden Seitenzahlen aus dem Wernigerödischen Choralbuch ergänzt. 20 Melodien und Bässe stimmen - bis auf wenige geringfügige Abweichungen - im Druck mit der Bachschen Handschrift überein. Der Hauptunterschied besteht im ausgesetzten Claviersatz des Autographs und der zweistimmigen Generalbassfassung des Drucks. Zwischen die beiden Systeme - Melodie und Mittelstimmen in der rechten Hand, unbezifferter Bass in der linken - schrieb Bach den vollständigen Text der jeweils ersten Strophe der zehn Stolberg-Lieder, während in der Druckfassung nur noch das Incipit des Textes über den aus Melodie und reich bezifferter Generalbass- Stimme bestehenden Sätzen steht. Die Melodien sind noch ganz in der ariosen hallischen Manier verfasst, schlicht, gut singbar, mit sparsamen Verzierungen, aber sehr kunstvoll harmonisiert. Die Bässe wirken in ihren chromatischen Gängen, Oktavsprüngen und Achtelpassagen ausgesprochen instrumental. Zwei Lieder sind im ¾-Takt notiert, so dass die Elemente, die in den Choralbüchern der zweiten Jahrhunderthälfte als unschicklich verworfen werden, alle in diesen › Berliner ‹ Choralsätzen Bachs zu finden sind: Tripeltakt, › Opernbässe ‹ , Rhythmisierun- 16 Vgl. Busch, S. 78. 17 Bitter, Carl Philipp Emanuel und Wilhelm Friedemann Bach und deren Brüder (1868), zit. nach Busch, S. 78. 18 Wotquenne, Thematisches Verzeichnis der Werke von C. P. E. Bach (1905), S. 96, Anm. 1. 19 Vgl. Anm. von Helm bei H 842: »presently inaccessible for page citations«. Im Quellenverzeichnis Das deutsche Kirchenlied (DKL) von 1975 sind unter 1767 24 jedoch zahlreiche Standorte angegeben, darunter Basel, Berlin, Brüssel, Halle, München und Pittsburgh, Pa. 20 Vgl. Tab.-Nr. 4, 7, 8, 9, 12, 13, 15, 17, 20, 23. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 216 gen, vor allem Punktierungen, Achtel- und Sechzehnteldurchgänge, Vorhalte, Ornamente. Die Entdeckung der Breslauer Handschrift in den 1980er Jahren ist deshalb von so großer Bedeutung, weil durch sie der Nachweis erbracht wurde, dass Bach in der Berliner Zeit für das Wernigerödische Choralbuch Tonsätze schuf, die noch ganz vom Geiste des hallischen Pietismus geprägt sind, dem Stil, der ihm und seinem Vater von den Gesangbüchern Freylinghausens und Schemellis her vertraut war. Der jetzt möglich gewordene Stilvergleich der zehn Choräle mit den übrigen 338 »Melodeien« und ihren Harmonisierungen wird weitere Aufschlüsse über die Mitarbeit Bachs an dem Choralbuch der Grafen von Stolberg-Wernigerode geben können. 2. Die Choralbücher von Niels Schiörring (Kopenhagen 1780 - 1783) und Bendix Zinck (Schleswig, Leipzig 1785) zu Gesangbüchern im dänischen Gesamtstaat Es ist dem › Schleswig-Holsteinischen Choralbuchstreit ‹ , der sich zwischen dem Erscheinen von Cramers Gesangbuch (1780) und der Herausgabe des dazugehörigen Choralbuchs fünf Jahre später abspielte, zu verdanken, dass über Bachs Mitwirkung an diesem offiziellen Choralbuch und seinen verschiedenen Vorläufern und Entwürfen aufschlussreiche Archivalien in Kopenhagen und Schleswig überliefert sind. 21 Die Auseinandersetzung zwischen dem Kgl. dänischen Kammermusikus Niels Schiörring (1743 - 1798) und der Deutschen Kanzlei in Kopenhagen einerseits sowie dem Schleswiger Domorganisten Bendix Friedrich Zinck (1715 - 1799) und dem Gottorfer Oberkonsistorium andererseits kann in diesem Rahmen nur verkürzt dargestellt werden. 22 Als Ergebnis ist festzuhalten, dass Schiörring, der von 1770 bis 1773 in Hamburg Bachs Schüler gewesen war und dessen Werke in Kopenhagen aufführte, in diesem Streit unterlag, obwohl er immer wieder auf die intensive Mitarbeit seines Lehrers an dem Choralbuchentwurf hingewiesen hatte. Kein Geringerer als der Herausgeber des neuen schleswig-holsteinischen Gesangbuchs, Professor Johann Andreas Cramer selbst, hatte Schiörring 1781 für die Herausgabe des Choralbuchs empfohlen, »sofern Bach sie durchsehen wolle, besonders auch die neuen Melodien«. 23 21 Kopenhagen, Rigsarkivet, Tyske Kancelli: Vorstellungen Januar - Juni 1782 und 1786. - LASH 65/ 2, Nr. 421 I [71 Folioseiten]. 22 Ausführlicher bei Busch (1957), S. 159 - 176, sowie in meinem Beitrag »C. P. E. Bach und das Kirchenlied« für den Ausstellungskatalog 1988 (BibAK 40), S. 106 - 110 und Kat.-Nr. 166 - 171 b, mit großem Dank an den Herausgeber Dieter Lohmeier für vielfältige Unterstützung, u. a. Übersetzungen aus dem Dänischen. 23 Zit. nach Kat.-Nr. 168, S. 119. C. P. E. Bach in Choralbüchern seiner Zeit 217 Am Erscheinen von Schiörrings Choralbuch bestanden wohl nicht die geringsten Zweifel, denn der Sohn des Fürsprechers, Carl Friedrich Cramer, zeigte es bereits 1784 in seinem Magazin der Musik an: »Eine Sammlung mit solchem Fleiße zusammengelesener Choralmelodien, von einem von Bachs ächtesten und liebsten Schülern (denn das ist Herr Schiörring) und Bach, dem größten der jetzt lebenden Harmoniker, mit neuen Geschenken für die Bedürfnisse der Zeit bereichert, und eine so zweckmäßige Vollständigkeit dabey beobachtet! « 24 »Es erschien indeß ein schlecht bearbeitetes Schleswich-holsteinisches Choralbuch [Abb. 11.2], daß den Hrn. Schiörring an der Herausgabe des Seinigen verhinderte«. 25 So urteilt der Berliner Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt über die im Auftrage des Schleswiger Oberkonsistoriums von Zinck vollständig überarbeitete Fassung, in der die Spuren von Bachs Mitarbeit weitgehend verwischt wurden. Zinck bekennt in seiner Erwiderung auf Schiörrings Protest, dass er »nicht gewußt habe, daß in Herrn Schiörrings Choralbuch Melodien von dem Herrn Capellmeister Bach wären, oder er sonst mit an dem Buche gearbeitet hätte«. 26 Der Versuch eines dänischen Musikers, mit Hilfe der künstlerischen Autorität von Carl Philipp Emanuel Bach und mit Unterstützung der Deutschen Kanzlei für die Herzogtümer und die deutsche Gemeinde in Kopenhagen eine Art Reformchoralbuch herauszugeben, war also an der starren Haltung des Schleswiger Oberkonsistoriums und der Direktion des Waisenhauses als Verlagsanstalt gescheitert. Der »itzige Geschmack«, 27 der schon von Zeitgenossen kritisiert wurde, hatte sich durchgesetzt. Wie intensiv Bach an Schiörrings Entwürfen zum Schleswig-Holsteinischen Choralbuch mitgewirkt hat, wurde von Ea Dal bereits 1975/ 1978 in einem viel zu wenig beachteten Aufsatz im dänischen kirchenmusikalischen Jahrbuch und im Vorwort zum Nachdruck von Schiörrings Choralbuch zum dänischen Gesangbuch ausführlich und überzeugend dargelegt (s. o. Anm. 12). In einem Brief an Carl Friedrich Cramer vom 17. Februar 1784 schrieb Schiörring, in seinem Werk seien die »neuern, z. E. die Hallischen und Quanzischen Melodien zu Gellerts Gesängen, [. . .] hin und wieder von dem Herrn Capellmeister C. P. E. Bach verändert worden, so wie auch alle darinn vorkommenden neuen Melodien von seiner Composition sind«. 28 Fünfzehn »Quanzische« sind mit Hilfe der 24 Zit. nach Busch, S. 146. 25 Ebd., S. 150, Anm. 153. Gemeint ist: [Zinck,] Vollständige Sammlung der Melodien zu den Gesängen des neuen allgemeinen Schleswig-Holsteinischen Gesangbuchs (1785). 26 Zit. nach Busch, S. 170. 27 Ebd., S. 165. 28 Ebd., S. 145. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 218 Abb. 11.2: Das offizielle Choralbuch zu Cramers Gesangbuch von Bendix Zinck, Schleswig 1785 Gellertvertonungen des Potsdamer Hofkomponisten leicht zu identifizieren, 29 die »Hallische« Quelle gilt es noch zu erschließen. Aber alle Erstveröffentlichungen stammen laut Schiörring ausnahmslos von seinem Lehrer Carl Philipp Emanuel Bach. Ein wesentlicher Beleg zum Nachweis der von Zinck übernommenen, angeblich stark veränderten Choralsätze Bachs im Schleswig-Holsteinischen Choralbuch ist ein handschriftliches Choralbuch, das Schiörring für das Gesangbuch der deutschen Gemeinden im Königreich Dänemark, vor allem der St. Petrigemeinde in Kopenhagen, herausgebracht hat. Nur Titel, Vorrede und Register sind gedruckt. 30 Parallel dazu erschien eine einstimmige Fassung, ebenfalls handschriftlich mit je zwei bedruckten Blättern am Anfang (Titel und Vorrede) und am Schluss (Register) des Buches. 31 Herausgeber des Allgemeinen Gesangbuchs für die deutsche Gemeinde 32 war der langjährige, einflussreiche Pastor an St. Petri, Balthasar Münter (1735 - 1793), in dessen Hause die gebildeten Kreise Kopenhagens verkehrten. Er übernahm den größten Teil der Lieder aus Cramers Gesangbuch von 1780 und ergänzte es um weitere geistliche Lieder aus dem Kopenhagener Dichterkreis, in dem er selbst eine führende Stellung einnahm. Seine eigenen Texte wurden von namhaften Komponisten seiner Zeit vertont. In den biographischen Aufzeichnungen von Münters Tochter Friederike Brun lesen wir: Um diese Zeit wurden meines Vaters geistliche Lieder, von den besten deutschen Tonkünstlern in Musik gesetzt. Er hatte sich eine recht schöne Orgel verfertigen lassen, auf welcher er selbst spielte, und sich mit seiner schönen kräftigen Baßstimme begleitete. Da ertönten seine herzvollen Lieder mit den tiefeingreifenden Melodien und Chorälen, von Emanuel Bach, Wolf, Benda, Rolle, Hiller, und den prächtigen Melodien des Bückeburger Bachs. 33 Sechzehn Tonsätze in Schiörrings Choralbuchmanuskript zu Münters Gesangbuch schreibt Ea Dal dem großen Bachsohn zu, darunter eine vereinfachte 29 Quantz, Neue Kirchen = Melodien zu denen geistlichen Liedern des Herrn Professor Gellerts welche nicht nach den gewöhnlichen Kirchen = Melodien können gesungen werden (1760). 30 Choral = Buch, in welchem alle Melodien des Allgemeinen Gesangbuchs der Deutschen in Kopenhagen enthalten sind (1783). 31 Kirchen = Melodien, des Allgemeinen Gesangbuchs der Deutschen in Kopenhagen (1783). 32 Allgemeines Gesangbuch, [. . .] zum öffentlichen und häuslichen Gebrauche der Deutschen in Kopenhagen (1782). 33 Brun, geb. Münter, Wahrheit aus Morgenträumen und Idas ästhetische Entwickelung (1824), S. 74. [Die typographischen Hervorhebungen im Original sind kursiv wiedergegeben]. Vgl. auch Münters Erste Sammlung Geistlicher Lieder. Mit Melodien von verschiedenen Singkomponisten (1773), und Zweyte Sammlung [. . .]. Mit Melodien von Johann Christian Friedrich [richtig: Christoph Friedrich, dem »Bückeburger«] Bach (1774). Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 220 Fassung des aus dem Anhang zu den Gellertliedern (1764) in das Wernigerödische Choralbuch übernommenen › Clavierliedes ‹ Mein Heiland nimmt die Sünder an (s. Tab. Nr. 35). Die übrigen 15 auf Texte von Münter (5), Cramer (4), Klopstock (3), Gleim (1), Sturm (1) und einen unbekannten Dichter (1) scheint Bach direkt für das Choralbuch komponiert zu haben. Dies erscheint auch deshalb plausibel, weil nur drei Liedertexte·auf vorhandene Kirchenliedmelodien gesungen werden konnten. Für die neuen Metren mussten eigene Melodien geschaffen werden. Dass Schiörring Bach darum bat, der ihm ohnehin bei den Harmonisierungen half, liegt nahe. Ein weiteres Indiz für Bachs Autorschaft ist Schiörrings Erklärung, Bach für seine Mitarbeit entlohnt zu haben. 34 Die fünf Lieder von Münter und der anonyme Text stammen nicht aus Cramers Gesangbuch; sie erschienen in Münters Kopenhagener Ausgabe von 1782. Folglich fehlen ihre Vertonungen auch im Schleswig-Holsteinischen Choralbuch. Aber auch von den übrigen neun Tonsätzen Bachs wurden nur vier von Zinck in Druck gegeben, und zwar bis auf unerhebliche melodische und harmonische Varianten unverändert: Anbetung, Jubel und Gesang (Cramer), Lobsingt dem Herrn, dem Gnädigen (Cramer), Ich bin ein Christ! mein Hertz ist ruhig (Sturm) und Des Ewigen und der Sterblichen Sohn (Klopstock). Schiörrings harsche Kritik an Zincks Choralbuch, die er am 16.6.1785 im Auftrag der Deutschen Kanzlei an das Oberkonsistorium in Schleswig schickte, ist daher sachlich an den vier überprüfbaren Beispielen nicht ganz nachzuvollziehen. Z. B. verschweigt er, dass die Bachsche Vertonung des Klopstockliedes bis auf drei Noten im Bass unverändert als Fassung › a ‹ erscheint und beanstandet nur heftig die vereinfachte Fassung › b ‹ mit einer zusätzlichen Variante, in der die Taktstriche weggelassen wurden, um den unerwünschten - aber aus dem daktylischen Metrum hergeleiteten - Tripeltakt einzuebnen: [No.] 76 Des ewigen und der [Sterblichen Sohn]. Original von Bach, das beibehalten ist; jedoch mit zwei Zutaten, die man lieber dort nicht sähe. 35 Über die Veränderungen an zwei weiteren Bachschen Tonsätzen, deren Originale zum Vergleich nicht herangezogen werden können, weil sie in den Kopenhagener Choralbuchmanuskripten nicht vorkommen und weil Schiörrings Vorlage zum Zinckschen Choralbuch verschollen ist, empört sich der Bachschüler folgendermaßen: 34 Wie viel er Bach von den 200 Reichstalern auszahlte, die er selbst vom dänischen König für seine Choralbuchentwürfe bekommen hatte (Quittung 5.6.1782), ist nicht überliefert. Vgl. Busch (1957), S. 163 f. 35 Auch die folgenden eingerückten Zitate stammen aus Schiörrings Kritik an Zincks Choralbuch, die er am 16.6.1785 im Auftrag der Deutschen Kanzlei Kopenhagen an das Oberkonsistorium in Schleswig schrieb. Vgl. dänisches Original im LASH (Anm. 21), deutsche Übersetzung Kat.- Nr. 171 a (Anm. 22), S. 120. C. P. E. Bach in Choralbüchern seiner Zeit 221 [No.] 52. Erheb, erheb, o meine Seele. Eine vortreffliche Melodie von Bach, die mit unverzeihlicher Besserwisserei in der Harmonie wie in der Melodie verschlimmbessert worden ist, und das Schicksal haben sie fast alle erlitten. No. 113. Von ganzem Herzen rühmen wir. Original von Bach, das auch verschlimmbessert ist, so daß man nun in der 4. Strophe singen muß: Wie bíst du dáhin, und in der 6.: Der Fríede géwalt. Noch größer ist die Verärgerung über Zincks Veränderungen an zwei von Bach bearbeiteten Liedern: No. 32. Wie schnell ist doch ein Jahr. Diese Melodie bat ich Bach zu verbessern, da sie nur wenig bekannt ist und eine Verbesserung vertragen konnte. Hier ist sie noch einmal verbessert worden, so daß sie jetzt schlechter geworden ist, als sie vorher war. [No.] 54. Die Himmel rühmen. Eine sehr gute Melodie von Quantz mit Bachs Verbesserungen. An ihrer Stelle gibt es ein schäbiges Flickwerk, das eher einem Tanz- Menuett als einer Kirchenmelodie ähnlich sieht. Aus den kritischen Anmerkungen wird deutlich, dass der Däne Schiörring sich qualifiziert und autorisiert fühlte, die Choralbücher zum Cramerschen (1780) und zum Münterschen Gesangbuch (1782) für die deutschen Gemeinden in den schleswig-holsteinischen Herzogtümern und im Königreich Dänemark herauszugeben. Mit unzeitgemäßer Gewissenhaftigkeit betrieb er Quellenstudien und benutzte dafür sogar reformatorische Gesangbücher und Abhandlungen. Seine Enttäuschung darüber, dass er trotz seiner editorischen Erfahrung und Bachs Mitarbeit an den dänischen Choralbüchern für das Schleswiger Unternehmen überhaupt nicht zu Rate gezogen wurde, ist verständlich. Schiörring hatte bereits zu dem neuen amtlichen dänischen Gesangbuch von 1778, dem sogenannten Guldbergs salmebog, 36 ein Choralbuch in mehreren, weitgehend inhaltsgleichen Ausgaben in Druck gegeben. Neben den 100 vierstimmigen Claviersätzen zu Weisen überwiegend lutherisch-deutscher Tradition (Kirke-Melodierne, Kopenhagen 1781) erschienen die Generalbassausgabe (Choral-Bog), die Chorausgabe in vier Stimmheften (Firestemmige Choralsange for Fire Syngestemmer) und das einstimmige Liederbuch mit vollständigen Texten (Sang-Bog) - alle 1783 in Kopenhagen. Für das Lied Naglet til et Kors paa Jorden (Ans Kreuz geschlagen auf Erden) des dänischen Kirchenliederdichters Benjamin Georg Sporon (1741 - 1796) sind zwei Melodien abgedruckt, laut Vorrede »beide von Herrn Kapellmeister Bach; die erste neue dazu auf meine Bitte gesetzt, die andere zuvor schon benutzt [zu Cramers Psalmlied Herr, erhöre meine Klagen]. Die von mir an die erste Stelle gesetzte scheint mir die am besten passende zu sein, aber die zweite ist vielleicht 36 Psalme-Bog eller En Samling af gamle og nye Psalmer (1778). Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 222 leichter«. 37 Ebenso weist Schiörring auf Bachs »bedeutenden« Einfluss auf die Qualität der Tonsätze hin und betont, dass »besonders mein verdienter und sehr verehrter Lehrer, Herr Kapellmeister C. Ph. E. Bach, die Güte [hatte], auf mein Begehren das Ganze durchzugehen«. 38 Wie Bachs Korrekturarbeit im Einzelnen aussah, zeigt anschaulich ein in der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen aufbewahrtes Manuskript des Choralbuchs (Abb. 11.3) mit 102 fortlaufend in alphabetischer Folge der dänischen Liedanfänge geschriebenen Melodien einschließlich des Te Deum und der Litanei. Die Sätze sind in drei Fassungen untereinander notiert: 1. vierstimmiger Chorsatz in vier Systemen, 2. vierstimmiger Klaviersatz, 3. zweistimmige Generalbassfassung. Naglet til et Kors paa Jorden (Nr. 71) trägt den Zusatz »B: orig: « (original Bach); bei zehn Liedern hat Schiörring am Rande »B: cor: « (von Bach korrigiert) vermerkt. Unter sieben Tonsätzen befinden sich eigenhändige Anmerkungen von C. P. E. Bach, teilweise als Antworten auf Schiörrings handschriftliche Fragen. In zwei Fällen (Nr. 71 und 74) holt der Herausgeber lediglich das Placet seines Lehrers zur Transposition um einen Ganzton höher bzw. tiefer ein. In einem anderen Fall (Nr. 10) fragt der Schüler, ob er die Dur-Terz im Schlussakkord des Moll-Liedes nicht in eine kleine Terz verwandeln dürfe. Alle drei Fragen beantwortet Bach mit einem eindeutigen »Ja! «. Nicht ganz so einleuchtend ist Bachs Antwort »Freylich. Ich habe gefehlt« auf die Frage: »ist e ˉ nicht besser als g, in Alt-Stimme? «. Damit würde - wohl zugunsten der Stimmführung im Alt - der Basston des Quintsextakkordes im Alt verdoppelt und die Terz geopfert (Takt 378 der Litanei). Ungefragt kommentiert Bach in dieser wohl letzten Fassung vor Drucklegung des dänischen Choralbuchs, in dem die Korrekturen alle ausgeführt sind, lediglich die »Manieren« (Verzierungen). Bei Luthers Weise »Aus tiefer Not« (Nr. 4; vgl. Abb. 11.3) bemerkt Bach exemplarisch, dass bei Chorälen der Triller dem prallenden Doppelschlag vorzuziehen sei: Die Manier    füllt bey der langsamen Ausführung der Noten in Chorälen nicht genung aus, folgl. ist ein µ (Triller) allezeit beßer u. allein hinlänglich. Ob ich nun gleich die Manier    blos im Anfange der Choräle bis auf diese Seite ausgestrichen habe, so muß sie weiter hin durchs ganze Buch ausgestrichen werden. 39 Bei zwei Melodien des dänischen Komponisten Thomas Kingo schränkte er diese generelle Anweisung bezogen auf kleinere Notenwerte (Viertel nach Punktierung) und schnelleres Tempo (Tripeltakt) wieder ein: »bey 4tel noten 37 Zit. nach Kat.-Nr. 167 c (Anm. 22), S. 118. 38 Zit. nach Kat.-Nr. 167 a (Anm. 22), S. 118. 39 Eigenhändige Anmerkung von C. P. E. Bach in Schiörrings Manuskript (1780/ 81) für die dänischen Choralbücher, Kgl. Bibl. Kopenhagen. Vgl. Kat.-Nr. 167 a (Anm. 22). C. P. E. Bach in Choralbüchern seiner Zeit 223 kan   stehen bleiben, aber bey halben Tackten nicht« (Nr. 12 »Lyksalig Dag! «, 1674) und: »in diesem Tripeltakte kan   stehen bleiben« (Nr. 21 »Frisk op, min sjael, forsage ej«, 1699). So lassen Bachs Anmerkungen nicht nur Rückschlüsse auf die Verzierungspraxis bei Choralspiel und -gesang zu, sondern auch auf das Aufführungstempo. Die »Manieren«, überwiegend Triller auf der Penultima jeder Choralzeile, sind in allen drei Fassungen notiert und auch von Bachs Hand korrigiert; sie sind also nicht nur vom Tastenspieler, sondern auch von der Solostimme und von den Chorsängern auszuführen. Alle Ornamente stehen im Discant des Kantionalsatzes, häufig vom Alt, seltener vom Tenor, nie vom Bass gedoppelt. Die eigenhändigen Anmerkungen Carl Philipp Emanuel Bachs im Manuskript des dänischen Choralbuchs sind nicht nur eine Bereicherung für die musikwissenschaftliche und die hymnologische Forschung; sie bestätigen auch die zahlreichen Beteuerungen Schiörrings über die Mitarbeit des Hamburger Musikdirektors an den dänischen und deutschen Choralbüchern des Kopenhagener Hofmusikers. 3. C. P. E. Bachs Neue Melodien und das Choralbuch zum Neuen Hamburgischen Gesangbuch (1787) Noch vor Einführung des rationalistischen Neuen Hamburgischen Gesangbuchs (1787) erschien ein dünnes Notenheft in Queroktav mit dem Titel Neue Melodien zu einigen Liedern des neuen Hamburgischen Gesangbuchs. (Abb. 11.4) Es enthält vierzehn von Bach herausgegebene Kirchenliedmelodien und Bässe zu zehn Texten von Gellert, je einem von Klopstock, G. B. Funk, Cramer und Freylinghausen. Für die Melodien der beiden letzteren griff Bach auf ältere Vorlagen zurück. Für das Gellertlied Besitz ich nur ein ruhiges Gewissen bearbeitete er den Tonsatz von Quantz. 40 Die übrigen neun Texte von Gellert und das berühmte Lied von Klopstock Auferstehn, ja auferstehn vertonte Bach aber neu. Im Gegensatz zu seinen berühmten Gellert-Vertonungen von 1758, die für den solistischen und instrumentalen Vortrag beim häuslichen Musizieren gedacht waren, bemühte sich Bach jetzt ganz im Sinne der Aufklärung um schlichte, leicht fassliche und für den Gemeindegesang geeignete Kirchenliedmelodien. Das Notenbild des › steifen ‹ Chorals täuscht. Die in halben Noten überwiegend in Tonschritten und Terzen auf- und abwärts geführten Weisen wirken natürlich, 40 S. o. Anm. 29. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 224 Abb. 11.3: Handschriftliches dänisches Choralbuch von Niels Schiörring mit eigenhändigen Anmerkungen von C. P. E. Bach durch die reiche, kunstvolle Harmonisierung aber keineswegs langweilig, sondern ruhig, empfindsam, innig, fromm. Den Zielen der Aufklärung entspricht auch Bachs kurze didaktische Vorbemerkung: Damit die Gemeinen die neuen Melodien leicht und bald mitsingen lernen, werden die Herrn Organisten wohl thun, wenn sie im Anfange diese aus leichten Intervallen gesetzte Melodien mit der vorgeschriebenen und untergelegten leichten Harmonie stark und ungekünstelt mitspielen. Hamburg, den 30 sten Julius, 1787. C. P. E. Bach. 41 Offensichtlich sollte der Name des »großen Bach« auch den Absatz des am Neujahrstag 1788 eingeführten Gesangbuchs fördern, das in 50.000 Exemplaren gedruckt wurde. 42 Es gelang den Behörden aber nicht, den im vorletzten Lebensjahr stehenden Kapellmeister, der mit der Herausgabe der Choräle seines Vaters und vor allem seiner eigenen großen Klavierwerke beschäftigt war, für die Edition des vollständigen Choralbuchs für das neue Hamburgische Gesangbuch zu gewinnen. Diese wurde von Diederich Christian Aumann, Hilfsorganist an der Heiligen Dreieinigkeitskirche in St. Georg, besorgt, der alle vierzehn Sätze Bachs - z. T. tiefer transponiert und an den Zeilenschlüssen mit Pausen versehen - aus den Neuen Melodien übernahm. 43 Im Gegensatz zu den Choralschöpfungen C. P. E. Bachs für die Grafen Stolberg-Wernigerode und Niels Schiörring fanden seine Hamburger Melodien z. T. große Verbreitung im deutschen Sprachgebiet bis ins 20. Jahrhundert hinein. Die »Neuen Melodien« gingen als nächstes - vierstimmig ausgesetzt - in den zweiten Teil des Berliner Choralbuchs von Johann Christoph Kühnau ein, zwei Melodien konnten sich bis 1885 in neun weiteren Auflagen behaupten. 44 Auch Johann Friedrich Schwenke, Sohn von Bachs Nachfolger in dessen Hamburger Ämtern, nahm die Melodien 1832 in sein Choralbuch auf, das das Aumannsche offiziell ablöste. 45 (Abb. 11.5) Häufig fügte Schwenke der Bachschen Harmonisierung alternativ eine eigene hinzu. In einer späteren Auflage setzte er alle Melodien neu und versah sie mit zeittypischen Zeilenzwischenspielen. 46 Einige der beliebtesten Bachschen Melodien gingen in über 30 Gesang- und Choralbücher ein, z. B. die zu Klopstocks Auferstehungslied, das der von seinen Zeitgenossen hochverehrte Dichter auf den Tod seiner ersten Frau Meta verfasst hatte und das zu Klopstocks eigener Beisetzung 1803 auf dem Ottensener Friedhof im heutigen Altona angeblich von Tausenden - mit größter Wahr- 41 C. P. E. Bach, Neue Melodien zu einigen Liedern des neuen Hamburgischen Gesangbuchs (1787), Vorbemerkung. 42 Vgl. von Schade, Johann Melchior Goeze und das Hamburger Gesangbuch (1989). 43 Aumann (Hg.), Choral = Buch für das neue Hamburgische Gesangbuch (1787). 44 J.Ch. Kühnau, Vierstimmige alte und neue Choralgesänge. 2. Teil (1790). 45 J. F. Schwenke (Hg.), Choral-Buch zum Hamburgischen Gesangbuche (1832). 46 Ders. (Hg.), Vollständiges Choralbuch zum Hamburgischen Gesangbuche (1844). Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 226 Abb. 11.4: C. P. E. Bachs 14 Neue Melodien zum Neuen › verbesserten ‹ amtlichen Gesangbuch, Hamburg 1787 scheinlichkeit in der Vertonung C. P. E. Bachs - gesungen wurde. Fast ebenso beliebt waren die Hamburger Vertonungen zu den Gellertliedern Gott ist mein Lied und Wie groß ist des Allmächt ’ gen Güte. Letzteres wurde noch 1957 mit der Melodie von C. P. E. Bach in den Regionalteil für die Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern aufgenommen (EKG 483). 47 Im Übrigen setzten sich Gellerts Lieder stärker in Vertonungen von Doles, Quantz und Hiller durch, in der Schweiz in Sätzen von Schmidlin, Egli und Nägeli. Meine Untersuchung hat ergeben, dass es nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung für den kirchlichen Gebrauch 45 Choralsätze gibt, die Carl Philipp Emanuel Bach geschaffen hat. Davon sind sechs ursprünglich geistliche Sololieder, die für den Gemeindegesang bearbeitet wurden. Unsere Generation und die folgenden haben darüber zu entscheiden, ob die Kirchenmelodien eines der größten Musiker seiner Zeit wieder Eingang in unsere Gesangbücher finden sollen. 47 [1994 erschien Gott ist mein Lied mit Mel. und (vierstimmig ausgesetztem) Bass von C. P. E. Bach erstmalig im EG als Leitlied des nordelbischen Regionalteils (Nr. 536) und gelangte von dort in die Ausgabe für die Ev. Kirche in Hessen und Nassau (Nr. 598) sowie in das Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz (1998, Nr. 730)]. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 228 Abb. 11.5: C. P. E. Bachs Vertonung des Gellertliedes »Gott ist mein Lied« in Schwenkes Choralbuch, Hamburg 1832 Tabelle: Die Kirchenliedkompositionen von C. P. E. Bach im Überblick Lfd. Nr. Incipit Textdichter 1758 Seite 1764 Seite 1767 Seite 1 Anbetung, Jubel und Gesang J. A. Cramer 2 Auferstehn, ja auferstehn J. G. Klopstock 3 Bald oder spät des Todes Raub G. B. Funk 4 Befreyt von Schuld und Sorgen Graf Stolberg 15 5 Betet an, ihr Kinder der Erde B. Münter 6 Das ist mein Leib! so sagte der J. G. Klopstock 7 Dem ewig wahren Glücke Graf Stolberg 18 8 Dennoch bleib ich stets an dir Graf Stolberg 19 9 Der du alle Creutzes-Plagen Graf Stolberg 20 10 Der mir den Weg zum Heile weist B. Münter 11 a Des Ewigen und der Sterblichen Sohn J. G. Klopstock b* 12 Des Glaubens Geist steht unbeweget Graf Stolberg 27 13 Die Allmacht siegt Graf Stolberg 29 14 Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre Ch. F. Gellert 15 Die Liebe, die Gott zu uns trägt Graf Stolberg 30 16 Diesen Saamen segne Gott J. W. L. Gleim 17 Die Zeit geht hin Graf Stolberg 34 f. 18 Dort hängt durch viele Leiden J. A. Cramer 19 Du klagst und fühlest die Beschwerden Ch. F. Gellert 20 Du weißt was ich bedarf Graf Stolberg 50 f. Ein veste Burg (siehe Nr. 43) M. Luther 21 Erheb, erheb, o meine Seele J.A. Cramer 22 a Er ruft der Sonn und schafft den Mond Ch. F. Gellert 49 195 1 ) b* 194* 1 ) 23 Es ist vollbracht! was denn? Graf Stolberg 68 24 Es jauchze Gott und preise J. A. Cramer 25 Gedanke, der uns Leben gibt Ch. F. Gellert 26 Gott ist mein Hort Ch. F. Gellert 4 27 Gott ist mein Lied Ch. F. Gellert 28 Herr, erhöre meine Klagen J. A. Cramer 29 Ich bin ein Christ! mein Hertz ist ruhig Ch. Ch. Sturm 30 Ich bins voll Zuversicht J. G. Klopstock 31 In deinem ganzen Weltgebiete ? 32 Jauchzt, ihr Erlösten des Herrn Ch. F. Gellert 33 Leite mich nach deinem Willen B. Münter 34 Lobsingt dem Herrn, dem gnädigen J. A. Cramer 35 Mein Heiland nimmt die Sünder an L. F. F. Lehr 4 188 f Mein Herzens-Jesu, meine Lust (siehe Nr. 22) J. Ch. Lange 36 Naglet til et Kors paa Jorden (Ans Kreuz geschlagen auf Erden) (siehe Nr. 28) B. G. Sporon 37 Preist ihn! dankt ihm! er erhält B. Münter 38 So jemand spricht, ich liebe Gott Ch. F. Gellert 20 39 Von dem Staub, den ich bewohne B. Münter 40 Von ganzem Herzen rühmen wir ? 41 Was ist mein Stand, mein Glück Ch. F. Gellert 42 Was sorgst du ängstlich für dein Leben Ch. F. Gellert 43 a Wenn Christus seine Kirche schützt Ch. F. Gellert 12 54 f. 3 ) b* 53* 3 ) 44 Wie groß ist des Allmächtgen Güte Ch. F. Gellert 45 Wohl dem, der beßre Schätze liebt Ch. F. Gellert *rhythmisch und melodisch vereinfachte Fassung 1 ) Incipit: Mein Herzens-Jesu, meine Lust 230 Lfd. Nr. 1774 Seite 1781 Seite 1783 Seite 1785 Seite 1787 Seite 1799 Seite Zahn Nr. Wq Nr. Busch Nr. Helm Nr. 1 8 58 2680 2 14 1991 203/ 12 268 781/ 12 3 15 2427 203/ 13 269 781/ 13 4 5563 842/ 1 5 15 6 26 7 842/ 7 8 4150 92? 842/ 2 9 6857 93? 842/ 10 10 27 11 a 28 76 a 64 (243) 842/ 2 b* 76 b* 12 842/ 8 13 4149 95? 842/ 3 14 4 1550 203/ 2 260 781/ 2 15 96? 842/ 4 16 30 17 8554 97? 842/ 5 18 33 19 12 760? 203/ 10 266? 781/ 10 20 98? 842/ 9 21 52 7833 (242) 844/ 1 22 a 8766 194/ 44 59 686/ 45 b* Anm. 23 842/ 6 24 45 25 5 718 203/ 3 261 781/ 3 26 107* 2070* 194/ 4 19 686/ 4 27 8 86 203/ 6 263 781/ 6 28 8 71 b 2 ) 196/ 19 146 733/ 19 29 79 126 1639 30 72 31 84 32 6 4070 203/ 4 262 781/ 4 33 90 34 93 74 1063 35 96* 7778 195/ 4 79 696/ 4 36 71 a 211 843 37 119 38 111* 2421 194/ 19 34 686/ 19 39 129 40 113 (244) 844/ 3 41 9 1080 203/ 7 264 781/ 7 42 13 3028? 203/ 11 267? 781/ 11 43 a 7379 194/ 12 27 686/ 12 b* 7378* 44 3 6025 203/ 1 259 781/ 1 45 11 2424 203/ 9 265 781/ 9 2 ) Incipit: Naglet til et Kors paa Jorden 3 ) Incipit: Ein veste Burg ist unser Gott 231 Legende zur vorstehenden Tabelle: 1758: Herrn Professor Gellerts Geistliche Oden und Lieder mit Melodien von Carl Philipp Emanuel Bach, Berlin 1758. (DKL 1758 14 , Wq 194, H 686) 1764: Zwölf geistliche Oden und Lieder als ein Anhang zu Gellerts geistlichen Oden und Liedern mit Melodien von Carl Philipp Emanuel Bach, Berlin 1764. (DKL 1764 01 , Wq 195, H 696) 1767: Melodeien zu der Wernigerödischen Neuen Samlung geistlicher Lieder, Halle 1767. (DKL 1767 24 , Wq deest, H 842) 1774: Herrn Doctor Cramers übersetzte Psalmen mit Melodien zum Singen bey dem Claviere von Carl Philipp Emanuel Bach, Leipzig 1774. (DKL 1774 01 , Wq 196, H 733) 1781: Kirke-Melodierne til den 1778 udgangne Psalmebog. For Claveer med udsatte Middelstemmer samlede og udgivne af N. Schiørring, Kopenhagen 1781. (Wq deest, H 843) 1783: Choral-Buch, in welchem alle Melodien des Allgemeinen Gesangbuchs der Deutschen in Kopenhagen enthalten sind, [. . .] verfertiget durch N. Schiörring, Kopenhagen 1783. (DKL 1783 07 , Wq deest, H deest) 1785: [Zinck, Bendix Friedrich: ] Vollständige Sammlung der Melodien zu den Gesängen des neuen allgemeinen Schleswig-Holsteinischen Gesangbuchs, Leipzig 1785. (DKL 1785 18 , Wq deest, H 844) 1787: Neue Melodien zu einigen Liedern des neuen Hamburgischen Gesangbuchs, nebst einigen Berichtigungen von Carl Philipp Emanuel Bach, Hamburg 1787. (DKL 1787 17 , Wq 203, H 781) 1799: Vollständige Sammlung theils ganz neu componirter, theils verbesserter, vierstimmiger Choralmelodien für das neue Wirtembergische Landgesangbuch [. . .] Hg. von Christmann und Knecht, Stuttgart 1799. (DKL 1799 14 ) Zahn: Johannes Zahn: Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder. 6 Bde., Gütersloh 1883 - 1893 Wq: Alfred Wotquenne: Thematisches Verzeichnis der Werke von Carl Philipp Emanuel Bach, Leipzig etc. 1905 Busch: Gudrun Busch: C. Ph. E. Bach und seine Lieder, Regensburg 1957 Helm: E. Eugene Helm: Thematic Catalogue of the Works of Carl Philipp Emanuel Bach, New Haven 1989. Matthias Claudius und Carl Philipp Emanuel Bach 232 III Gesangbücher im Auswanderergepäck Abb. 12.1: Erster amerikanischer Nachdruck (1742) des ältesten Täufergesangbuchs (1564/ 83) 12 Altes Testament und Täuferlied »The Anabaptist hymnody was strictly New Testament, dealing with the teaching and life of Jesus Christ or with the history of his church«. 1 Dieser These steht u. a. die täuferische Balladendichtung aus dem 16./ 17. Jahrhundert entgegen, die erkennen lässt, dass die Täufer in ihren Liedern alttestamentliche Themen nicht völlig ausgeschlossen haben. Zweifellos spielt das Neue Testament bei den Anabaptisten die tragende Rolle. Die Nachfolge Christi und eine Gemeindekirche nach apostolischem Vorbild wurden zum Mittelpunkt von Glauben, Lehre und Leben. Dennoch geriet das Alte Testament nicht in Vergessenheit. Im Gegenteil, im Laufe einer vierhundertjährigen Geschichte der Unterdrückung, Verfolgung und Vertreibung müssen sich die Täufer dem Volk Israel zunehmend verbunden gefühlt haben. Ihre konservativsten Nachkommen, die amischen Mennoniten in Nordamerika, vergleichen ihre Wanderung im 18. Jahrhundert von der Schweiz rheinabwärts über den Atlantik in die Neue Welt immer noch gern mit dem Exodus in ein besseres Land. 2 Auffällig ist auch die Vorliebe für alttestamentliche Vornamen. Eine weitere Parallele zum Volk Israel und damit auch zum Judentum ist die Ausschließlichkeit der Heiligen Schrift als Grundlage der gesamten Lebensführung. Älteste und Prediger wachen seit Jahrhunderten über »Ordnung«, »Gebrauch« und Gemeindezucht wie die Rabbiner über die strikte Einhaltung des mosaischen Gesetzes. Doktrin und Lebensführung sind bei beiden Glaubensgemeinschaften engstens miteinander verknüpft. Einige Geschichten aus dem Alten Testament besitzen für die Täufer besondere Anziehungskraft. Hierzu zählen Isaaks Opferung (1 Mose 22), die Josephsgeschichte (1 Mose 37 - 50) sowie das Buch Tobias (Tobit) aus den Apokryphen. Diese Erzählungen sind die Grundlage für drei Balladen, die 1752 dem zweiten amerikanischen Nachdruck des ältesten Täufergesangbuchs Ausbund beige- Erstdruck im Bulletin 5 (Juli 1977) mit Beiträgen zum Thema der 9. Studientagung der IAH: Das Alte Testament und der Kirchengesang (Erfurt 22.-27.8.1977). Siehe BibAK 8 (1977). 1 Routley, Hymnody and the Old Testament (1977), S. 25. 2 Vgl. Schreiber, Our Amish Neighbors (1962), S. 130. geben wurden. Das 1564 erstmalig gedruckte Märtyrergesangbuch 3 hatte im 18. Jahrhundert seine endgültige Form gefunden und war mit der Einwanderungswelle von 1709 bis 1754 nach Amerika gekommen. In Pennsylvanien wurde es 1742 zum ersten Mal in der Neuen Welt herausgegeben (Abb. 12.1) und um drei Lieder auf insgesamt 140 erweitert. 4 Die zweite Auflage (1751) erhielt einen betitelten Anhang: Fünff schöne Geistliche Lieder [. . .] Gedruckt im Jahr 1752. Allem Anschein nach benutzte der amerikanische Drucker für diese Ergänzung einen der zahlreichen europäischen Fünfliederdrucke, den er als Einzelheft, in einem Ausbund-Anhang oder in einem Sammelband aus der Alten Welt gefunden hatte und mit der aktuellen Jahreszahl nachdruckte. In der vierten Auflage von 1785 kam noch ein sechstes Lied hinzu (Abb. 12.2). 5 Seitdem erhielt der Ausbund keine Ergänzungen mehr. In dieser Form ist er in Amerika seit 200 Jahren ununterbrochen im Gebrauch und erlebte weit über 20 Auflagen. Noch heute wird er für die Amischen Gemeinden von Lancaster County in Pennsylvanien unverändert nachgedruckt. Drei der sechs Lieder im amerikanischen Anhang des Ausbund paraphrasieren die oben genannten alttestamentlichen Erzählungen und sind ohne Zweifel täuferischen Ursprungs. 6 Tobiaslied TObias war ein frommer Mann, zu Ninive gesessen, derselb hat GOtt vor augen ghan, er hat sich guts vermessen. (75 Strophen) Die Apokryphen, besonders aber das Buch Tobit (Tobias), erfreuen sich bei den Amischen großer Beliebtheit. 7 Der Hang der pennsylvanisch-deutschen Land- 3 Etliche schöne Christliche Geseng/ wie sie in der Gefengkniß zu Passaw [. . .] geticht vnd gesungen worden, o. O. 1564. Ab 1583 in erweiterter Form unter dem Titel Ausbund veröffentlicht (s. QV). 4 Ausbund, Das ist: Etliche schöne Christliche Lieder (Germantown 1742). Zur Entwicklung des Ausbund in Amerika vgl. meine Diss. Mainz 1972 (BibAK 2), S. 10 - 46. 5 Ausbund, Das ist Etliche schöne Christliche Lieder [. . .] Nebst einem Anhang von Sechs Liedern (Germantown 4 1785). [Zit. wird nach dieser Auflage.] 6 Bei den drei übrigen Liedern handelt es sich um das 15strophige Lied des lutherischen Kantors Nikolaus Herman über das Schicksal der heiligen Dorothea ES war ein GOttesfürchtiges und Christliches Jungfräulein (Wittenberg 1560), um das 56-strophige Scheidelied KUertzlich vor wenig Tagen, kam mir ein Lied in Sinn und um die historische Ballade O HErr thu auf die Läffzen mein, die den Nachweis erbringen soll, dass die Täufer ihre Lehre direkt aus der Apostelzeit ins 16. Jh. herübergerettet haben. Die drei alttestamentlichen Balladen stehen an erster, dritter und vierter Stelle. 7 In dem jährlich erscheinenden Bauernkalender, der in keinem amischen Haushalt fehlt, werden deutsche Bibeln nur mit den Apokryphen angeboten. Da die Britische Bibelgesellschaft nur die Gesangbücher im Auswanderergepäck 236 Abb. 12.2: Amerikanischer Ausbund ( 4 1785) mit Anhang von 6 Liedern, Nr. 1 Tobiaslied bevölkerung des 18. Jahrhunderts zum Legendären und Übersinnlichen hat sich bei den Amischen in ganz Amerika bis heute erhalten. Viele ihrer Bräuche lassen sich nur aus uralter heidnischer Tradition herleiten. Es wird ihnen beispielsweise schwerfallen, biblisch zu begründen, warum nur dienstags und donnerstags, nur bei zunehmendem Mond und nicht in Schaltjahren geheiratet werden darf. Das schlichte Trauzeremoniell hält sich jedoch strikt an die einzige biblische Stelle, in der etwas über den Ritus bei der Eheschließung ausgesagt wird: Tob 7, 13 - 15. Der alttestamentliche Segen des Tobias wird jedoch mit den Worten »Und all dies durch Jesus Christus, Amen« christlich angeeignet. Im Anschluss an die Trauung wird der Gemeinde die Geschichte vom frommen und barmherzigen Tobias erzählt, dessen Sohn, vom Engel des Herrn geleitet, Geld, Güter und das schöne Weib Sarah heimbringt. 8 75 Balladenstrophen benötigt der Liederdichter, um die 13 Kapitel des apokryphen Buches in eine versifizierte und mehr schlecht als recht gereimte Fassung zu bringen. Er hält sich in fast allen Einzelheiten an die biblische Vorlage. Nur dass Tobias sein Leben und das seiner Braut heidnischer Zauberei verdanken soll, kann der Balladendichter nicht mit seinem christlichen Gewissen in Einklang bringen. Er erwähnt zwar, dass Tobias auf Geheiß des Engels Leber, Herz und Galle des Fisches aufbewahren sollte (Tob 6,6; Str. 31), verschweigt aber, dass der Dämon (im Lied Satan), der sieben Vorgänger im Brautgemach sterben ließ, mithilfe der Fischleber vertrieben wurde (Tob 8,2-3). Für die Errettung aus der Hochzeitsnacht führt der Liederdichter einzig und allein Gebet und eheliche Enthaltsamkeit an: 39. Da sprach der Engel Raphael, so will ich dir thun sagen, über welche hie der Satan, seinen Gewalt mag haben. 40. Und also nemlich über die, die der Ehe wollen pflegen, und GOttes Rath nicht nemmen an, nach seinem Willen leben. 41. Als die nach ihres Hertzens Lust, Muthwillen wollen treiben, und achten nur auf grosses Gut, od ’ r auf ein schönen Leibe. 42. - 51. [. . .] kanonischen Bücher zulässt, werden The Apocrypha gesondert angezeigt. Z. B. Räber (Hg.), Der Neue Amerikanische Calender Auf das Jahr unseres Heilandes Jesu Christi 1978 welches ein Gemeinesjahr von 365 Tagen ist (Baltic/ Ohio 1978), S. 51 f. 8 Vgl. Schreiber, S. 195 f. Gesangbücher im Auswanderergepäck 238 52. Wie sie nun in d ’ Kammer konn, als nach ehelichen Sitten, Tobias zu seiner Frauen sprach, zu GOtt so wend wir bitten. 53. Wir wöllen uns drey heilige Nächt, und drey Tag Lusts enthalten, darinn GOtt treulich ruffen an, daß er die Sach verwalte. Obwohl der Verfasser den biblischen Text kaum merklich verändert, setzt er durch entscheidende Auslassungen (Tob 6,8-10.19 - 22; 7,11; 8,2-3) besondere Akzente. Im Mittelpunkt stehen der absolute Gehorsam gegen Gott und die Aussagen des Apostels Paulus über Ehe und Enthaltsamkeit (1 Kor 7, hier bes. 7,5). Die alttestamentliche Ballade wächst über das bloße Nacherzählen des Stoffes hinaus und dient der christlichen Unterweisung. Ihr vermutlich schweizerischer Autor schaltet sich nach Gepflogenheit des historischen Liedes in den letzten Strophen ein und gibt sich sogar namentlich zu erkennen: 73. Wer dieses Lied nun hat gemacht von neuem hat gesungen, das hat gethan ein alter Mann, der war genandt, Jörg Kummer. Im Ausbund findet sich zu dem Lied keine Melodieangabe. In einem Einzeldruck Ein schön Geistlich Lied, Von dem Frommen Tobia und seinem Sohn: Aus Heiliger Göttlicher Schrifft gezogen [. . .] Gedruckt in diesem Jahr 9 heißt es jedoch: »In der Melodey: Wie man den Dannhäuser singt« und in einem Fünfliederblatt ebenfalls: »In des Dannhäusers Weiß zu singen«. 10 Abrahamslied ES ist ein wunder schöne Gab, und auch ein grüne Saate, und auch vorauß die Göttlich Gnad, sie komt mit guter Thate. (46 Strophen) Eindeutig täuferisch ist die Darstellung der Opferung Isaaks in der Paraphrase des Genesiskapitels 22. Sie wird Hans Reist, dem Ältesten der Täufergemeinde im Emmental zugeschrieben, der nach Abspaltung der Amischen (1693) zum 9 Alle zitierten Liederdrucke wurden in Sammelbänden der Mennonite Historical Library, Goshen/ Ind., aufgefunden. Die fehlende Jahreszahl lässt auf Drucke zu Zeiten des Publikationsverbots (vor 1803) schließen. Die meisten Drucke weisen typographisch ins 17. Jh. 10 Weitere Quellen für diesen Ton bei Sommer, Die Melodien der alten deutschen Täufer-Lieder (1972), S. 121. Altes Testament und Täuferlied 239 Wortführer der Schweizer Brüder wurde. 11 Auch dieses Lied ist nach acht einleitenden Strophen über die Gnade und Güte Gottes im balladenhaften Dialogstil geschrieben. Nach der Rettung des Sohnes dankt der »im Glauben gestärckt[e]« Abraham (Str. 32) Gott dafür, dass er »den Glauben [. . .] für die Werck gnomn hat« (Str. 31): 36. Dann unsere Werck sind nüt dann Schuld, daß müssen wir empfinden, durch den Glauben erlangen wir GOttes Huld, das empfind ich zu dieser Stunden. Die letzten 10 Strophen enthalten die christlich-täuferische Lehre, die aus der alttestamentlichen Geschichte gezogen wird: 37. Durch Christi Werck sind wir all seelig gemacht, und kommen in das Leben, ja die er selber hat vollbracht, und unsere Sünd vergeben. 40. [. . .] daß Reich müssen wir aus Gnaden empfahen, ums Geld find mans nicht zkauffen. Aber der Aufruf zum Handeln nach Gottes Gebot bleibt nicht aus, wobei sogar der Gedanke des »Verdienstes« anklingt: 41. Und wer dasselb verdienen will, der soll GOttes Wort gedencken, bey uns hand wir der Armen viel, die solln wir speisen und träncken. Danach beeilt sich der Verfasser, auf den Vorrang des Glaubens hinzuweisen: »daß Abraham des Glaubens gnoß, / und nicht der guten Wercken« (Str. 43). 44. Das Werck kan nicht vor dem Glauben seyn, der Glaub der muß es bringen, daß er Isaac den Knaben sein, selber wolte umbringen. In diesen Versen kommt die Rechtfertigungslehre der Täufer in ihrer Mittelstellung zwischen der vorreformatorischen Auffassung von den › bona opera ‹ und Luthers › sola fide et sola gratia ‹ deutlich zum Ausdruck. Die täuferische Haltung ist nur aus der Einheit von Glaube, Taufe und Gehorsam zu verstehen. In dieser Einheit hat die Taufe ihren Grund im Glauben, der aber zugleich zur gehorsamen Nachfolge Christi verpflichtet. Die guten Werke sind demnach Ausfluss des Glaubens und keine Rechtfertigung. Denn durch die Taufe »werden 11 Für die typologische Bedeutung dieses Stoffes vgl. Honders, Abraham im Kirchenlied (1977), S. 28 - 35. Gesangbücher im Auswanderergepäck 240 die Werke des Gesetzes zu Werken der Freiheit in der Nachfolge« 12 . So geht es auch Hans Reist in seinem Lied um den Gehorsam Abrahams als Ausdruck unerschütterlichen Glaubens und um die › gute Tat ‹ , die aufgrund des Glaubens- Gehorsams nicht in letzter Konsequenz vollzogen werden muss. Denn Glaube heißt bei den Täufern nicht nur Erkenntnis und Vertrauen, sondern auch Gehorsam. Luthers Rechtfertigungslehre war bei den Täufern früh auf Kritik gestoßen. Sie befürchteten eine Vernachlässigung der Sittenlehre. Dafür mussten sie den Gegenangriff der Lutherischen hinnehmen, die ihnen ein Zurückfallen in die vorreformatorische Lehre vorwarfen. Die Täuferlehrer des 16. Jahrhunderts wiesen den Angriff aber geschlossen zurück. 13 Noch 100 Jahre nach dieser Auseinandersetzung wird die täuferische Auffassung von der Seligkeit durch den Glauben, zu dem die Werke des Glaubens selbstverständlich hinzugehören, zur Hauptaussage dieser alttestamentlichen Ballade gemacht. Das Lied des Hans Reist erfreute sich größter Beliebtheit in Schweizer und amerikanisch-schweizerischen Gemeinden. Es erschien in einem bekannten Gebetbüchlein, das bis heute in Europa und Amerika aufgelegt wird, 14 sowie in zwei Einzeldrucken zu den Melodien: »Es ist bald eine lange Zeit, daß GOtt die Welt erschaffen. Oder: Wie die zehen Jungfrauen. Oder: Der Anfang staht im ersten Buch«. Josephslied MEin frölich Hertz das treibt mich an, zu singen, und liegt mir stäts in meinem Muth, nun hörend was ich euch thu bringen, was Brüderliche Feindschafft thut, doch hof ich die Sach werd zletzt noch gut, viel Freud wird Layd verdringen. (54 Strophen) In der Bearbeitung der letzten 19 Genesiskapitel ist der Balladenstil besonders ausgeprägt, da der Verfasser so tut, als kenne er den Ausgang der Josephsgeschichte nicht. Auffällig ist die veränderte Erzählhaltung. Während der biblische Erzähler die Geschichte gewissermaßen von außen berichtet, lässt uns der Lieddichter teilhaben an Gedanken und Empfindungen der Figuren: »Nun wär mir doch nicht schwer die Reiß, / dann daß ich eigentlich weiß / wie mich meine 12 Oosterbaan, Versuch einer ökumenischen Theologie (1971), S. 154. 13 Vgl. [Menno Simons,] Ein gründliches und klares Bekenntniß [. . .]. Anno 1552. ND Elkhart/ Ind. 1881 (s. QV 1552). 14 Kleines Hand = Büchlein, darinnen Morgen = und Abend = Gebeter [. . .]. Nebst verschiedenen Märtyrer = und andern Liedern (2. amerik. Aufl. 1835). Die älteste bekannte europäische Ausgabe erschien 1786. Vgl. meine Diss. (BibAK 2), S. 51 - 56. Altes Testament und Täuferlied 241 Brüder hassen« (Str. 13). Andere Texteingriffe bestehen in Ausschmückungen und Kürzungen. Frei erfunden ist z. B. die Klage von Josephs Stiefmutter Lea über sein Scheiden (Str. 15) oder die ironische Begrüßung des verhassten Bruders auf dem Felde: »Simeon sprach: Gnad Hochgebohrner Herre, / wie komts das ihr gangen zu Fuß, / alleine also ferre« (Str. 20). Im Genesistext wollen die Brüder Joseph erwürgen und in eine Grube werfen (1 Mose 37,20). Im Lied erwägen sie eine der grausamen Hinrichtungspraktiken, mit der die täuferischen Märtyrer im 16. Jh. getötet wurden: »Einer sprach, wir wend den Buben hencken, / der ander wolt ihms Haupt abschlan / der dritt wolt ihn erträncken« (Str. 21). Während Joseph in der Prosavorlage keinerlei Reaktion auf das Verhalten seiner Brüder zeigt, vergleicht er sie in der Ballade mit den Wölfen, die eine Schafsherde überfallen, eine bei den Täufern verständlicherweise beliebte Metapher (Str. 23). Darauf ersucht er Gott um Trost in einem in christlicher Fürbitte für seine Brüder endenden Gebet (Str. 24). Nach der Einladung Josephs an seinen Vater, mit dem ganzen Stamm nach Ägypten zu kommen, unterbricht der Balladendichter die sonst so ausführliche Erzählung und fasst die letzten fünf Genesiskapitel in einer einzigen Strophe zusammen: 54. Ich will die Sach ein Weisern lahn aussprechen, wie es Benjamin ergangen ist, mit seines Bruders Becher, und Josephs Gefängnuß lang darvor, doch wurd alles offenbahr, GOtt kan sein Volck wohl rächen. 55. Hierbey will ich das Liedlein lassen bleiben, wie der Jacob sein Gut und Haab, in Egypten geführt und trieben, sein gantzes Haußgsind überall nahm zu und ward ein grosse Zahl, also kan es GOtt schicken. Auch in dem dritten alttestamentlichen Täuferlied wird ein enger Bezug zum Neuen Testament hergestellt. Der seinen Brüdern verzeihende Joseph wird mit Christus verglichen, der dem reuigen, um Gnade bittenden Sünder vergibt (Str. 51). In den Augen des Balladendichters lässt sich der durch Gott erhobene Joseph barmherzig herab, so wie sich Gott durch die Menschwerdung Christi herabgelassen hat. »Sein Garben stuhnd noch steiff auffrecht / O GOtt, du bist Herr und wird Knecht / laß uns dein Reich zu kommen« (Str. 53). Das Lied taucht in einem undatierten Dreiliederdruck unter folgender Überschrift auf: »Der Geistlich Joseph/ Wie er von seinen Brüderen verhasset [! ], und in Egypten verkauffet ward, etc. Im Thon: Es warb ein Knab nach Gesangbücher im Auswanderergepäck 242 Ritterlichen etc.«. Nach der letzten Strophe folgt ein im Ausbund fehlender Zusatz: »Wider böß Glück, gut Hertz. / Wer sein Vertrauen setzt auf GOtt, / Der wird nicht zu Schand und Spott, / Das kanst du an Joseph abnehn, / GOtt ihm thut seinen Segen gehn. / Benedict Gletting«. 15 Rudolf Wolkan weist mehrere Handschriften und einen Berner Einzeldruck (ca. 1590) mit ähnlicher Überschrift dieser beliebten Ballade des Schweizer Täufers Benedikt Gleding nach. 16 Von der besonderen Vorliebe der Täufer für die Josephsgeschichte zeugen zahlreiche andere metrische Nachdichtungen. In einem sehr viel späteren Joseph ’ s Lied, das mehrfach zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Shenandoah Valley, Virginia, in Einblattdrucken erschien, wird die Identifikation Josephs mit Jesus offen angesprochen: Da Joseph sein Brüder ansah, In Hungersnoth stehen allhie, Sein Herz mit Erbarmen war da, Er fühlte, er weinte für sie; Er stellte im Anfang sich hart, Erkenntlich zu machen ihr ’ Sünd, Und da sie demüthig und zart, Erzeig ’ t er sich freundlich geschwind Kann Joseph vergeben die Schuld, Und Bosheit die wir ihm gemein ’ t Erzeigen uns Liebe und Huld? O! das ist ein Bruder und Freund. So komm ich zu Jesu beschwer ’ t Beladen mit Sünden und Reu, Ich meinte ich wird ’ nicht erhört, Weil ich ihn gecreuzig ’ t aufs neu. 17 Die Ausstrahlung, die noch im 19. Jahrhundert von den Genesisstoffen ausging, hängt gewiss mit der oben erwähnten Identifizierung einer entwurzelten Gemeinschaft mit dem Volk Israel zusammen. Die aus wirtschaftlich zerrütteten Gebieten Europas verpflanzten Mennoniten mussten die fruchtbaren Ebenen des amerikanischen Mittelwestens als »Fleischtöpfe Ägyptens« empfinden. 1831 erhielt eine mennonitische Siedlung im Staat Indiana den Namen Goshen: »So wohnte Israel in Ägypten im Lande Goschen, und sie hatten es inne und wuchsen und mehrten sich sehr« (1 Mose 47,27). 15 Mennonite Historical Library, Goshen/ Ind., Sammelband. 16 Wolkan, Die Lieder der Wiedertäufer (1903), S. 282. Dort heißt es wie sicher ursprünglich: »von seynen Brüderen verhafft [verhaftet] vnd in Egipten verkaufft« (nicht »verhasset« wie im Dreiliederdruck). Die Buchstaben › f ‹ und › lang-s ‹ in deutscher Fraktur wurden in amerikanischen Nachdrucken häufig verwechselt. 17 Zit. nach dem Faks.-ND im Bulletin 1 (1967) der Menno Simons Historical Library and Archives, Harrisonburg/ Va., S. 9. Altes Testament und Täuferlied 243 Abb. 13.1: Herrnhuter Gesangbuch 2 1737 [1735] mit Zinzendorfs Ausführungen über die Praxis der Liederpredigt und der Singstunden 13 Die HirtenLieder Von Bethlehem (Germantown 1742) Zur Singpraxis der Brüdergemeine Lassen Sie mich mit einer ganz persönlichen Geschichte beginnen. Zur Weihnachtszeit 1966 erhielt der Chor der Moravian Church in Bethlehem, Pennsylvania, einen Brief von einer deutschen Studentin an der Universität Kansas folgenden Inhalts: »Ich verbringe ein Jahr in den Vereinigten Staaten, um meine musikwissenschaftliche Staatsexamensarbeit über das deutsch-amerikanische Kirchenlied im 18. Jahrhundert zu schreiben. Natürlich stieß ich in diesem Zusammenhang auch auf die Moravian Church [Herrnhuter Brüdergemeine] und ihre Musikgeschichte im historischen Bethlehem. Ich habe viel über Ihre Kirche, Ihre Kirchenlieder, Ihre Musik gelesen - auch über den Traditionsreichtum in Bethlehem besonders zur Weihnachtszeit. Offen gestanden ist es mein größter Wunsch, Weihnachten bei Ihnen, in Ihrer Kirche, in Ihrem Chor zu verbringen und im Archiv zu arbeiten«. Eine freundliche Antwort mit der herzlichen Einladung nach Bethlehem ließ nicht lange auf sich warten. Obwohl ich im Ausland war, verbrachte ich in Bethlehem, Pa. eines der schönsten Weihnachtsfeste meines Lebens, zwar nicht in der leiblichen, aber in einer geistlichen Familie. Viele der vertrauten Weihnachtsbräuche fand ich hier wieder: den Herrnhuter Stern, die Krippe, die Bienenwachskerzen - sie galten alle als »Moravian«, für mich waren sie selbstverständlich und einfach heimatlich deutsch. Am meisten zuhause fühlte ich mich aber beim Singen in den Christvespern. Eins fiel mir dabei auf: Viele Weihnachtslieder, die wir in der lutherischen Landeskirche singen, stammen aus der Reformationszeit. Aber in Bethlehem sangen wir überwiegend Texte und Melodien aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Während die Chor- und Instrumentalmusik in einem norddeutschen evangelischen Gottesdienst - besonders zur Weihnachtszeit - meistens barocken Deutsche Druckfassung eines in Englisch gehaltenen Vortrags bei der 13. Studientagung der IAH, Joint Conference mit der Hymn Society in the United States and Canada sowie der Hymn Society of Great Britan and Ireland (Bethlehem/ Pa. 13.8.1985). Siehe BibAK 11 (1986). Die persönliche Redeform wurde bewusst beibehalten. Ursprungs ist, erklangen hier Chor- und Orchesterstücke aus Klassik und Romantik. Noch mehr überraschte und beeindruckte mich das Singen von zwölf Strophen aus sieben verschiedenen Liedern zu sieben verschiedenen Melodien ohne Unterbrechung. 62 Verse hintereinander, ohne dass ich ermüdete! Bevor ich von Zinzendorfs Liederpredigt und der berühmten Singstunde gehört hatte, erlebte ich die letzten Spuren dieser einmaligen Herrnhuter Schöpfung in der Weihnachtsliturgie der Moravian Church in Amerika. Was wir gesungen hatten, war nichts anderes als eine festgelegte Liederpredigt über die Begrüßung und Anbetung des »Gnaden- und Himmelskönigs«, des »Lebens- und Friedensfürsten«, des »himmlischen Gastes«, des »Morgensterns«, der »Sonne der Gerechtigkeit«, des »Kindes zu Bethlehem«. Liederpredigt Was versteht Zinzendorf unter einer Liederpredigt? Zunächst darf sie nicht verwechselt werden mit einer »Liedpredigt«, einer Predigt über ein Kirchenlied, das der Prediger für seine Auslegung oder Meditation ausgewählt hat. 1 Eine »Liederpredigt« dagegen ist eine von der Gemeinde gesungene Predigt, die der Liturg anführt, indem er verschiedene Strophen bzw. Strophenteile von mehreren Liedern zusammenstellt, die sich alle auf ein Thema beziehen und eine zusammenhängende Botschaft enthalten. Ursprünglich folgten die Gemeinde und der Organist der spontanen Eingebung des Liturgen, der sogar Verse verändern durfte, wenn es der Zusammenhang erforderte. Liederpredigten sind auch heute noch in den Liturgien der Moravian Church enthalten; sie finden ihren lebendigsten Ausdruck aber in den Singstunden, wie sie an jedem Samstagabend z. B. in Herrnhut und Königsfeld im Schwarzwald stattfinden. In gesungener Form überdenken sie die Losung bzw. den Lehrtext des Tages. Der Liturg singt die erste Zeile jedes neuen Liedanfangs allein, danach fallen Orgel und Gemeinde ein. Ohne die Hilfe des Organisten muss der Pfarrer den Anfangston der nächsten Melodie treffen. Irrt er sich, muss der Organist sich sofort auf die › falsche ‹ Tonart einstellen. Seit dem 18. Jahrhundert wird so verfahren. Christian Gregor (1723 - 1801), der berühmte Herrnhuter Kirchenmusiker und Theologe, ermahnt die Organisten im Vorbericht zu seinem Choralbuch von 1784, alle Melodien in allen Tonarten zu beherrschen, um jeder Situation gewachsen zu sein. 2 1 Vgl. Rößler, Die Liedpredigt (1976). 2 »Ein Organist muß [. . .] die möglichste Fertigkeit [. . .] erlangen, aus allen Tönen spielen zu können«. Gregor, Choral = Buch (1784). Vorbericht, fol. c r . Gesangbücher im Auswanderergepäck 246 Singstunden Wie und wann entstanden die Singstunden? Bereits 1726, noch vor Entstehung der eigentlichen Brüdergemeine in Herrnhut, äußerte Nikolaus Ludwig Graf Zinzendorf (1700 - 1760) den Gedanken, musikalische Versammlungen abzuhalten, in denen geistliche Lieder gesungen werden sollten. So wurden bereits im Sommer 1727 in Berthelsdorf sonntags nach der Katechismusprüfung Singstunden eingeführt, wenn auch in der noch vorläufigen Form, einige zu den Texten des Tages passende Lieder zu singen. In den folgenden Jahren bemühte sich der Graf sehr darum, die Gemeinde zu einem besseren Singen zu erziehen und ihren Lieder- und Melodienschatz zu erweitern. Bald kamen die Brüder und Schwestern regelmäßig jeden Abend zur Singstunde zusammen. Das Besondere daran war, dass sie ohne Bücher sangen, deren Benutzung Zinzendorf ablehnte, weil sie die Herzen von der Sache ablenkten und die Andacht störten. Im Vorbericht zum Herrnhuter Gesangbuch von 1735 (vgl. Abb. 13.1) beschreibt er die Liederpredigt und die Praxis der Singstunde folgendermaßen: Die meisten Gesänge, welche man hier siehet, werden in unsrer Gemeine gebraucht, nicht aber eben wie sie da stehen, sondern nach unsrer Sing = Art, da man die Materien, welche vorkommen, durch den Gesang præpariret oder wiederholet, und da singt man nicht ganze Lieder von 10. 20. Versen, sondern aus so vielen Liedern halbe und ganze Verse, wie sie der Zusammenhang der Sache erfordert. Die meisten Glieder der Gemeine sind hierunter gewohnt, (weil man um des nähern und einfältigern Nuzens willen in einem fort singt, ohne das Lied oder Blat erst anzuzeigen,) eine dergleichen Lieder = Predigt sogleich und ohne Buch mit zu singen, weil ihnen GOTT die Gnade thut, alles, was unter uns zum Gebrauch dienet, gar leicht ins Herz und Gedächtnis zu fassen. 3 22 Jahre nach dem Erscheinen von Zinzendorfs Vorwort bestätigt ein »Christlich Unpartheiischer Freund«, dass die Vorstellungen des Herrnhuters über das Singen auch tatsächlich so praktiziert wurden: Sie haben auch das Besondere, daß sie keine ganze Lieder singen, sondern in jeder Singstunde aus etlichen Liedern gantze und halbe Verse nehmen, die der Cantor nach der Materie eines Biblischen Textes sogleich verbindet, von den Musicis fertig gespielet und von der Gemeine so gut als aus dem Buch mit gesungen werden: Worinnen auch die Kinder in den Anstalten von 4. bis 12. Jahren, zur Verwunderung aller Fremden, so geübt sind, daß sie oft die Alten übertreffen (§ IX). Alle Abend ist eine Zusammenkunft der Gemeine, da ein Lehrer, über einen Biblischen Text des Tages, singt, was er aus allerley Liedern der Materie gemäß findet, welches die Gemeine ohne Buch mitsingt. Das nennen sie die Sing = Stunde, die sie sehr hoch halten und besser angehört als beschrieben werden kan (§ XXIX). 4 3 Das Gesang = Buch, der Gemeine in Herrn = Huth (1735), fol. )( 3. [Zit. wird nach 2 1737.] 4 [David Cranz,] Kurze, zuverläßige Nachricht Von der, unter dem Namen der Böhmisch = Mährischen Brüder bekanten, Kirche [. . .] aus richtigen Urkunden und Erzählungen von einem Ihrer Die HirtenLieder Von Bethlehem (Germantown 1742) 247 Und doch war Zinzendorf in den letzten Jahren seines Lebens um den Fortbestand dieser Fähigkeit besorgt: Ich habe gemerkt, wenn gesungen wird [ … ], daß, laß es 100, 200 seyn, fast beständig die Helfte schweigt. Das war ehedem nicht so. Daraus könnte nach und nach eine gewiße Lauigkeit, [ … ] eine unerlaubte Gemächlichkeit, ein unliturgisches Wesen entstehen, und daß man die Gesang-Bücher wieder einführte und die Geschwister mit etlich hundert Gesang-Büchern auf den Saal kommen ließe und die paginas und Verse wieder vorsage. 5 Wie würde er reagieren, wenn er am kommenden Samstag in Königsfeld oder Herrnhut zur Singstunde käme und ihm am Eingang der Zettel mit den Lied- und Strophennummern der vorbereiteten Liederpredigt ausgehändigt würde? Wenn er beobachten würde, wie die Zettel ins Gesangbuch geschoben und mit deren Hilfe die darauf aufgeführten Liednummern in Windeseile aufgeschlagen werden? »Ich halte es in solchen Fällen mit Mosis Tafelnzerschmeißen, das manchmal cum effectu praktiziert wird«, 6 sagte er z. B., als in einer Versammlung zu viel gehustet und geschnaubt wurde, und brach sie ab. Hirtenlieder von Bethlehem Die Gegenwart des lebendigen Geistes stand für Zinzendorf über allem. War der Geist einmal nicht zugegen, was der Graf durchaus für möglich hielt, so sollte man lieber schweigen, statt aus lauter Gewohnheit zu reden oder zu singen. Der Anspruch ständiger Erneuerung in der Herrnhuter Singpraxis machte ein Gesangbuch eigentlich unmöglich und unnötig. In der Tat schaffte bereits die Synode von 1741 das Gesangbuch ab, nachdem zu dem Brüdergesangbuch von 1735 nicht weniger als zehn Anhänge erschienen waren. Dennoch gab Zinzendorf noch in demselben Jahr, kurz nach seiner Ankunft in Pennsylvanien, einen kleinen Auszug aus dem großen Brüdergesangbuch heraus unter dem Titel: HirtenLieder Von Bethlehem, Zum Gebrauch Vor alles was arm ist, Was klein und gering ist. 7 Germantown, gedruckt bey C. Saur 1742. (Tbl. Abb. 13.2) Georg Neisser (1715 - 1784), der während Zinzendorfs Aufenthalt in Amerika die Funktion eines Privatsekretärs ausübte, schrieb am 28. Dezember 1741, vier Tage nach dem legendären ersten Weihnachtsfest in Bethlehem, in sein Tagebuch: Christlich Unpartheiischen Freunde heraus gegeben, o. O. 1757. Ich danke den Archivaren Vernon Nelson und Lothar Madeheim sowie ihrem Nachfolger Dr. Paul Peucker dafür, dass sie mir diese und die im Folgenden genannten und daraus zitierten hs. und gedruckten Quellen in den Moravian Archives, Bethlehem, Pa. in großzügigster Weise zugänglich machten. 5 Jüngerhausdiarium, 11. Juli 1758. Ich danke Dr. Dietrich Meyer für die freundliche Suche und Überprüfung von Zitaten aus dem Diarium im Archiv der Evangelischen Brüder-Unität in Herrnhut. 6 Zit. nach Uttendörfer, Zinzendorfs Gedanken über den Gottesdienst (1931), S. 12. 7 Anspielung auf Mi 5,1; Mt 2,6. Gesangbücher im Auswanderergepäck 248 Abb. 13.2: Auszug aus dem großen Brüdergesangbuch für die Gemeinden in Pennsylvania »den 28ten brachte ich das Hirtenbüchel zum Sauer zu drukken, von Ludwig aus Philad.«. 8 Zinzendorf, der erst am 30. November in New York und am 10. Dezember in Philadelphia angekommen war, stellte sich in Amerika als Ludwig von Thürnstein vor und wurde von seinen Anhängern Bruder Ludwig genannt. Den Heiligen Abend verbrachte er mit einer kleinen Gemeinschaft in dem neu errichteten »Gemeinhaus«, in dem sich heute das Moravian Museum befindet. Obwohl die historische Forschung inzwischen herausgefunden hat, dass die junge Siedlung ihren Namen längst vor Zinzendorfs Ankunft in Amerika erhalten hatte - Neisser erwähnt Bethlehem bereits am 7. Mai 1741 - , ist die eindrucksvolle Geschichte unausrottbar, nach der Zinzendorf persönlich die Namensgebung zugeschrieben wird. Bei der Weihnachtsfeier 1741 soll er Adam Dreses Epiphaniaslied Jesu, rufe mich angestimmt und den Ort danach spontan Bethlehem genannt haben: 9 Nicht Jerusalem, sondern Bethlehem, hat bescheret was uns nähret, nicht Jerusalem. Wertes Bethlehem, du bist angenehm, aus dir kommet was uns frommet, wertes Bethlehem. 10 Vier Tage später, nachdem Zinzendorf bereits nach Philadelphia zurückgekehrt war, trug Neisser das Manuskript für die Hirtenlieder zu Christoph Sauer, der 1738 in Germantown die erste deutsche Druckpresse in Amerika eingerichtet hatte. Das einzige Gesangbuch, das Sauer vor 1741 gedruckt hatte, war Conrad Beissels Zionitischer WeyrauchsHügel (1739) 11 - das erste in Fraktur gedruckte Buch in der Neuen Welt. Nach diesem Unternehmen war es zwischen Sauer und der Klostergemeinschaft in Ephrata zum Bruch gekommen. Schuld daran war wohl das anmaßende Wesen Beissels, der daraufhin seine eigene Druckerei 8 [Georg Neisser,] Angemerkte Vorkommenheiten bey den Brüdern, in den Forks of Delaware, um die Zeit des Anbaues von Bethlehem, in dem Jahre 1741; ingleichen bey des seligen Jüngers Ludwigs Aufenthalt in Philadelphia und Germantown in dem Jahr 1742. Hs. in den Moravian Archives, Bethlehem, Pa.: Georg Neisser Papers, no. 1. 9 »No extant record tells exactly what happens next. Both the hymn and the occasion suggested to one and all that the place be called Bethlehem. It is safe for us to assume that with Zinzendorf there, it was his inspiration«. Weinlick, Count Zinzendorf (1956), S. 160 f. 10 Herrnhuter Brüdergesangbuch ( 2 1737), Nr. 940, Str. 2 und 3. 11 Siehe QV 1739. Vgl. auch Bunners (I. A. H. Bulletin 13/ 1985), S. 74 - 79. Gesangbücher im Auswanderergepäck 250 begründete. Bis zur Ankunft Sauers in Amerika druckte Benjamin Franklin in Philadelphia auch für die deutschen Einwanderer nur in römischer Antiqua. Sein Name steht auf der letzten Seite der Hirtenlieder an erster Stelle derer, die das Büchlein in Pennsylvania vertrieben. Was mag Zinzendorf zur Herausgabe eines Liederbüchleins unmittelbar nach Ankunft in der Neuen Welt veranlasst haben? Die Menschen, die zum Gottesdienst zusammenkamen und zu denen er sprach, waren keinesfalls alle Herrnhuter Herkunft. Es waren Lutheraner, Reformierte, Pietisten, Mystiker und Separatisten aller Art. Es war Zinzendorfs Ziel, sie in der Neuen Welt zu vereinen; dazu mussten sie gemeinsam singen können. Er betonte immer wieder, dass Singen wichtiger sei als Predigen, da es direkt in die Herzen eindringe. Für sein Einigungswerk unter den deutschen Siedlern und für die Missionsarbeit unter den Indianern war der Gesang ein wesentliches Anliegen. Das Herrnhuter Ideal, auswendig zu singen - die englische Sprache hat mit »singing by heart« einen wahrhaft Zinzendorfschen Ausdruck dafür - , konnte nicht ad hoc verwirklicht werden. Er brauchte Liederbücher, und zwar sofort. Es hätte zu lange gedauert, wenn er sie aus England oder gar Deutschland angefordert hätte. Außerdem war das Brüdergesangbuch mit seinen zehn Anhängen viel zu dick. Was er und seine Missionare brauchten, war ein kleines Buch für die Tasche der › pastores ‹ , der Hirten. Schon 1736 war in Frankfurt am Main ein anderer Auszug aus dem Brüdergesangbuch erschienen »Zum Gebrauch Der Pilger«. 12 Zinzendorf und seine Anhänger nannten sich gern Pilgergemeinde oder Pilgergemeinschaft. In Bethlehem lag es nahe, sich als Hirten anzusehen, die die frohe Botschaft verkündigten. Dass ihm an einer schnellen und weiten Verbreitung der Hirtenlieder gelegen war, wird deutlich aus den vier Vertriebsorten: Philadelphia, Germantown, Falckner ’ s Swamp und Conestoga. Zur Strophenauswahl Zinzendorf wählte aus verschiedenen Liedern, viele aus älterer lutherischer Tradition, Strophen aus und stellte sie in der im Vorbericht zum Brüdergesangbuch beschriebenen Weise zusammen: 360 Liednummern auf 128 Seiten! Viele Einzelstrophen erhielten eine eigene Liednummer. Strophen desselben Liedes treten unter verschiedenen Rubriken auf. So steht die erste Strophe von Luthers Weihnachtsleise Gelobet seist du, Jesu Christ als Nr. 254 unter »Gott Lob und Dank«, während Strophe 3 bereits als Nr. 20 in der Lehrpredigt über die christlichen Grundwahrheiten zu finden ist (Abb. 13.3): 12 Ein Kleines Gesang = Büchlein, Zum Gebrauch Der Pilger (1736). Die HirtenLieder Von Bethlehem (Germantown 1742) 251 Abb. 13.3: Auszug aus einer Liederpredigt mit Strophen zur Menschwerdung und zum Opfertod Christi 20. DEn aller welt kreiß nie beschloß, der liegt in Marien schooß: er ist ein kindlein worden klein, der alle ding erhält allein. Erbarm dich HErr. Sinnfällig schließt die erste Strophe mit »Halleluja«, die dritte mit »Erbarm dich HErr«. Dieser freie Austausch von Kyrie eleison und Halleluja spiegelt Zinzendorfs Auffassung: »Überhaupt ist bei unserm Halleluja das Jesu erbarme dich! immer nahe dabei«. 13 Von den 15 Strophen von Johann Heermanns Passionslied Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen, das als Nr. 98 vollständig im Brüdergesangbuch abgedruckt ist, sind nur vier Strophen über das Hirtenbüchlein verstreut. Die elf 13 Zit. nach Uttendörfer, Zinzendorfs Gedanken über den Gottesdienst (1931), S. 45. Gesangbücher im Auswanderergepäck 252 fehlenden gehören vermutlich zu den zahlreichen Versen, die bei den Herrnhutern nicht mehr gesungen wurden und die ihr Gesangbuch nach eigener Auffassung unbrauchbar machten. Zwei Strophen des Passionsliedes erscheinen als Nr. 22 und 24 auf S. 11 der Hirtenlieder (siehe Abb. 13.3). Zusammen mit den übrigen vier Strophen aus vier weiteren bekannten Passionsliedern des 16. und 17. Jahrhunderts bilden diese eine Art Liederpredigt. Im Mittelpunkt steht das Individuum, das erkennt, dass für seine persönliche Schuld Christus leiden und sterben musste. Es ist bezeichnend für Zinzendorfs Theologie und diese Lehrpredigt, dass in den Strophen über die Menschwerdung Christi auf der linken Seite 10 das Opferlamm, das Lamm Gottes, bereits in der Krippe zu finden ist (Nr. 18,1-3). Die Strophen sind von unterschiedlichem Versmaß und Strophenbau. Sie erfordern deshalb den ständigen Wechsel von einer Melodie zur andern. Ein Melodienregister am Ende des Büchleins ordnet die 360 Strophen 151 verschiedenen Melodien zu. In dem Exemplar der Moravian Archives wurde die zutreffende Melodieart jeweils neben die gedruckte Liednummer geschrieben. Diese Hilfe für den praktischen Gebrauch wurde in einer späteren, jedoch völlig veränderten Ausgabe der Hirtenlieder, dem ersten Teil des sogenannten Kleinen Brüdergesangbuchs, bereits vom Drucker hinzugefügt. 14 Außerdem enthielt diese Londoner Ausgabe erstmals ein Register aller Strophenanfänge, welches seitdem alle Brüdergesangbücher bis in unsere Zeit kennzeichnet und die besondere Singpraxis der Brüdergemeine belegt. Musikalische Ausführung Wie mag die musikalische Ausführung der Beispielseite aus den Hirtenliedern bei den deutschen Siedlern verschiedener konfessioneller Herkunft und den Delaware Indianern, die bereits 1763 ein Liederbuch in eigener Sprache erhielten, geklungen haben? Natürlich gibt es keine Tonaufnahme von Zinzendorfs Singpraxis im 18. Jahrhundert. Dennoch soll der Versuch gemacht werden, eine pennsylvanische Singstunde aus seiner Zeit fragmentarisch nachzubilden. Ich habe zwei Versionen erstellt. Die erste (Abb. 13.4) zeichnet die bekannten Melodien zu den Strophen-Nummern 22 - 26 nach Quellen des 16. bis 18. Jahrhunderts auf. 15 Die andere Fassung (Abb. 13.5) richtet sich nach Gregors Choralbuch von 1784, das 200 Jahre nach seinem Erscheinen in einer Faksimileausgabe herauskam 16 und dessen Choralsätze bereits vorher im amerikanischen 14 Hirten = Lieder von Bethlehem [. . .]. Nach der Germantowner Edition von 1742 (London 1754). 15 Orientiert an der Melodiensammlung von Zahn. 16 Boeringer (Hg.), Choral-Buch by Christian Gregor. A Facsimile of the First Edition of 1784 (1984). Die HirtenLieder Von Bethlehem (Germantown 1742) 253 Abb. 13.4: Auszug aus der Liederpredigt in › originaler ‹ rhythmischer Singweise Abb. 13.5: Auszug aus der Liederpredigt nach Gregors Choral-Buch Brüdergesangbuch eine Renaissance erlebten. 17 Bei der Entscheidung zwischen Original und Tradition wählte die amerikanische Gesangbuchkommission letztere - die für die Brüdergemeine typische Sing- und Satzweise. Die deutsche Brüdergemeine trennte sich bereits im Zusammenhang mit dem Gesangbuch von 1927 18 und erst recht mit dem Choralbuch von 1960 19 von den gleichförmigen isorhythmischen Melodien Gregors und dessen von Quintsextakkorden durchsetzten Harmonisierungen. Sie passte sich der Quellentreue und der rhythmischen Vielfalt des Evangelischen Kirchengesangbuchs (EKG) und dem harmonischen Zeitgeschmack an, um mit der Mehrheit der evangelischen Christenheit deutscher Zunge in Übereinstimmung zu kommen. Das amerikanische Brüdergesangbuch von 1969 übernahm 131 Sätze aus Gregors Choralbuch und verknüpfte sie mit 370 Liedern; das deutsche Choralbuch von 1960 enthielt dagegen nur sieben Melodien in Gregors Satzweise. Die 14 Sätze, die einem handschriftlichen Choralbuch von 1740 entnommen sind, zeigen rhythmische Auflockerungen wie Achteldurchgänge - die Gregor »dem Sänger und Organisten«, aber »nicht zu häufig«, erlaubte 20 - und sogar Punktierungen, die bei Gregor völlig fehlen. Zinzendorf hielt nichts von den Figuren und Verzierungen des barocken Arienstils, er setzte auf die »Simplizität« und »Gravität« des Gemeindegesangs - Stilmerkmale, die gemeinhin mit der Aufklärung verbunden werden. Georg Neissers handschriftliche Choralbücher im Archiv zu Bethlehem, die eine gründliche Untersuchung wert sind, zeigen bereits die Einflüsse der Neuen Welt sowohl aus dem englischsprachigen als auch aus dem deutschsprachigen Erbe anderer Konfessionen. Mit Sicherheit entspricht von meinen beiden Versionen weder die eine noch die andere der musikalischen Wirklichkeit von 1741/ 42 an der Gabelung des Delaware. Die Notenblätter können lediglich eine Vorstellung davon geben, wie der Ausschnitt aus einer Liederpredigt von Zinzendorf geklungen haben könnte. 21 Wie auch immer die Meinung über Zinzendorfs Auffassung vom Gemeindegesang und die seiner Nachkommen in der Alten und der Neuen Welt sein mag, in einem Punkt stimmen ihm alle zu: seiner unablässig geäußerten Freude am Singen. Einen Tag ohne Singstunde bezeichnete er als »Defekt«. Lieber wollte er zwanzig Reden versäumen als eine Singstunde, die er die Seele 17 Hymnal and Liturgies of the Moravian Church (Chicago 1969). 18 Gesangbuch der evangelischen Brüdergemeine (Gnadau 1927). 19 Choralbuch der evangelischen Brüdergemeine (Berlin 1960). 20 Gregor, Choral = Buch (1784), Vorbericht vom 10.4.1784, fol. b r . 21 Der praktische Ausführungsversuch mit den 700 - 800 Teilnehmern im Konferenzsaal von Bethlehem war für alle überwältigend und beeindruckte besonders in der vierstimmig gesungenen Version II nach Gregors Choralbuch. Gesangbücher im Auswanderergepäck 256 der Gemeinde nannte und die ihm nach dem Abendmahl das Wichtigste war. Es kam ihm darauf an, dass Lieder aus allen Zeiten gesungen wurden, aus der Alten Kirche, von den Alten Brüdern, altlutherische, reformierte und Pietistenlieder verschiedener Art [. . .] enthält doch ein Kirchengesangbuch den Gesang aller Kinder und Knechte Gottes vom Anfang bis ans Ende der Welt, da muss sich der Geist aus jedem Jahrhundert nach und nach in den der Gemeine verlieren, und wenn wir das 19. Jahrhundert schreiben, muss es fortgesetzt werden. 22 Dieser Gedanke Zinzendorfs ist zeitlos. Er hat noch immer Gültigkeit! Cantate domino cantica nova - was bei Zinzendorf und gewiss auch noch heute heißt, alte wie neue Lieder › neu ‹ zu singen, mit der Offenheit für das Wirken des Heiligen Geistes. 22 Den in meinen Unterlagen von 1985 verloren gegangenen Nachweis für dieses Zitat habe ich - auch mit freundlicher Hilfe fachkundiger Kollegen - bis zur Drucklegung leider nicht finden können. Dennoch möchte ich auf diese prägnante Aussage Zinzendorfs nicht gern verzichten. Die HirtenLieder Von Bethlehem (Germantown 1742) 257 Abb. 14.1: Titelseite des ersten gedruckten Gesangbuchs der Schwenckfelder, Germantown 1762 14 Das erste Gesangbuch der Schwenckfelder (Germantown 1762) und seine Entstehung In amerikanischen Bibliotheken begegnet dem Hymnologen zuweilen ein deutschsprachiges Gesangbuch, das nur aufgrund einiger Vorkenntnisse konfessionell richtig einzuordnen ist. Der vollständige Titel lautet: Neu = Eingerichtetes Gesang = Buch in sich haltend eine Sammlung (mehrentheils alter) schöner lehr = reicher und erbaulicher Lieder, Welche von langer Zeit her bey den Bekennern und Liebhabern der Glorien und Wahrheit JEsu CHristi biß anjetzo in Uibung gewesen: Nach den Haupt = Stücken der Christlichen Lehr und Glaubens eingetheilet, und Mit einem Verzeichniß der Titel und dreyen Nützlichen Registern versehen. Anjetzo also zusammen getragen, und Zum Lobe GOttes und heilsamen Erbauung im Christenthum, ans Licht gegeben. Germantown, gedruckt bey Christoph Saur, auf Kosten vereinigter Freunden, 1762 (Abb. 14.1). Das Gesangbuch wurde also im Jahr 1762 von dem deutschen Drucker Christoph Saur (oder Sauer) in Germantown, einem heutigen Stadtteil von Philadelphia, gedruckt. Sein Vater gleichen Namens hatte 1738 die erste deutsche Druckerei in der Neuen Welt errichtet. Sie wurde nach dessen Tode 1758 vom Sohn weitergeführt und war für die Bewahrung und Verbreitung des deutschen Kirchenliedes aller Denominationen von größter Bedeutung. Ganz so anonym, wie der Titel scheinen mag, ist er bei näherem Hinsehen jedoch nicht. Im 18. Jahrhundert unterschied man »Kirchenleute« (Lutheraner, Reformierte, Katholiken) und »Sektenleute« (Mennoniten, Herrnhuter, »Tunker« etc.). Der Hinweis »auf Kosten vereinigter Freunden« schließt die Möglichkeit eines autorisierten Kirchengesangbuchs, wie es z. B. die Lutheraner ab 1786 in deutscher Sprache in Germantown herausgaben, 1 aus. Er deutet vielmehr auf die Privatinitiative einer Freikirche. Die Anhänger Caspar Schwenckfelds von Ossig (1489 - 1561) nannten sich selbst »Bekenner der Glorien Christi«. Diese Bezeichnung ist im Titel wiederzufinden: »Lieder, Welche von langer Zeit her bey den Bekennern und Liebhabern Erstdruck im JLH 20 (1976). Siehe BibAK 7. 1 Erbauliche Lieder = Samlung Zum Gottesdienstlichen Gebrauch in den Vereinigten Evangelisch Lutherischen Gemeinen in Nord = America (Germantown 1786). Vgl. Beitrag 15. der Glorien und Wahrheit JEsu CHristi biß anjetzo in Uibung gewesen«. Zweifellos handelt es sich bei dieser Liedersammlung um den ersten Gesangbuchdruck der Schwenckfelder überhaupt. In den 1730er Jahren waren sie mit über 200 Personen nach Pennsylvanien ausgewandert. Der Ankunftstag der größten Gruppe in der Neuen Welt (22.9.1734) wird noch heute jährlich gefeiert. 1726 hatten mehrere hundert Schwenckfelder unter dem Druck der Jesuitenmission ihre niederschlesische Heimat verlassen und bei Nikolaus Ludwig Graf Zinzendorf Aufnahme gefunden. Sie wollten sich jedoch nicht in die Herrnhuter Brüdergemeine eingliedern lassen und wagten deshalb den Neubeginn in Amerika. Da die schon von Luther abgelehnte Gemeinschaft Druckverbot und vermutlich auch kein Geld für einen Gesangbuchdruck hatte, benutzte sie Liederhandschriften und die Gesangbücher der Böhmischen Brüder, die durch sie in fast allen Ausgaben und zahlreichen Exemplaren nach Amerika gekommen sind. Jedoch fügten die Schwenckfelder bei einer Neubindung leere Blätter zur handschriftlichen Ergänzung weiterer Lieder ein. Erst 28 Jahre nach der Einwanderung kam es zum Druck des ersten schwenckfeldischen Gesangbuchs überhaupt, dessen Kern von fast 1.000 Liedern bereits 1709 in Schlesien zusammengestellt, 1733 in Herrnhut noch einmal abgeschrieben und 1734 mit nach Pennsylvanien gebracht worden war. Allen Anders Seipt untersuchte als erster die dem Druck von 1762 vorausgegangenen Handschriften, über die hier zusammenfassend berichtet werden soll. 2 Fünf Männer aus drei Generationen machten sich um die Sammlung verdient: 1. Caspar Weiß (gest. 1712) stellte 1709 in Schlesien 988 Lieder zusammen, für die im Vorwort fünf verschiedene Quellen angegeben sind: a) Übertragungen lateinischer Hymnen von Aurelius Prudentius durch den Lutherschüler und Schwenckfeldanhänger Adam Reißner (oder Reusner) (um 1496 - 1582? ), dessen berühmtes Psalmlied In dich hab ich gehoffet, Herr von 1533 bereits 1540 in das Nüw gsangbüchle (DKL 1540 06 ) des Konstanzer Reformators Johannes Zwick aufgenommen wurde. b) Lieder »von Gott hocherleuchteter Christgläubiger«. Von den darauf genannten sieben Liederdichtern sind Reißner und Daniel Sudermann (1550 - nach 1631) zweifellos die bedeutendsten. Sudermanns über 2.500, meist ungedruckte Liedschöpfungen enthalten vorwiegend mystisches und schwenckfeldisches Gedankengut. Von den 435 gedruckten Liedern 2 Seipt, Schwenkfelder Hymnology and the Sources of the First Schwenkfelder Hymn-Book Printed in America (1909). Vgl. auch Schneider, Zur Literatur der Schwenckfeldischen Liederdichter (1857). [Inzwischen legte Uta Evers eine gründliche Studie über die hs. und gedruckten Quellen vor: Das Geistliche Lied der Schwenckfelder, Diss. Mainz 2005, Tutzing 2007]. Gesangbücher im Auswanderergepäck 260 erfreut sich seine Bearbeitung einer spätmittelalterlichen Vorlage von Es kommt ein Schiff geladen heute wieder großer Beliebtheit. c) Lieder der »sogenannten Picarden, oder Boheimischen Brüder [. . .] von M. Weisse angefangen [. . .] von Joh. Horn vermehret, und verändert«. Von den 162 Liedern aus Michael Weißes Ein New Geseng buchlen 1531 (DKL 1531 02 ), die dem Vorwort nach fast alle aus dem Böhmischen übersetzt waren, wurden 124 in die schwenckfeldische Liederhandschrift aufgenommen; dazu noch 22 aus der erweiterten Auflage des Bischofs Horn 1544 (DKL 1544 01 ). d) Lieder der »sogenannten Evangelischen oder Lutherischen und Reformirten [. . .], welche z. Theil die biblische Geschichte und Psalmen Davids [. . .] innen halten; deren Poeten Nahmen [. . .] sonderlich im grossen Nürnberger Gesang Buch gedacht wird«. Gemeint ist das Nürnbergische Gesang-Buch von 1690 (DKL 1690 14 ), aus dem 15 Lutherlieder und acht von Nikolaus Herman in die Liederhandschriften übernommen wurden. e) 110 »Gesänge über alle erklärte Evangelia« und zwei weitere Lieder seines Sohnes Georg Weiß, der ihm beim Abschreiben der Lieder half. 2. Georg Weiß (1687 - 1740) schrieb die Sammlung 1733 kurz vor der Ausreise nach Amerika in Herrnhut noch einmal ab und erweiterte sie auf 1.559 Lieder, die sich folgendermaßen zusammensetzen: 874 Lieder aus der Caspar Weiß-Sammlung von 1709, 230 von Georg Weiß bearbeitete Sudermann-Lieder, 106 Epistellieder von Balthasar Hoffmann, 178 »Meditationes« über biblische Gestalten von Georg Weiß, 171 traditionelle Lieder der Kirchenväter, der lutherischen Kirche und der Böhmischen Brüder. Das zweibändige Manuskript gelangte 1734 mit seinem Urheber nach Amerika (Abb. 14.2). 3. Balthasar Hoffmann (1687 - 1775) wurde nach dem Tode seines Freundes Georg Weiß dessen Nachfolger als Pfarrer der schwenckfeldischen Gemeinde in Pennsylvanien. Er fertigte 1752/ 1753 eine Abschrift des Gesangbuch- Manuskripts seines Vorgängers an und wurde zum eigentlichen Initiator für den Druck des Neu = Eingerichteten Gesang = Buchs, nachdem sich das bis dahin benutzte böhmische Gesangbuch als veraltet erwies. 4. Hans Christoph Hübner (1721 - 1803) fügte der handschriftlichen Sammlung noch 120 Lieder hinzu und brachte sie in die Ordnung, die sie 1762 beim Druck erhielt. Der erste Band von 1758 (Abb. 14.3) enthält überliefertes christliches Liedgut, darunter die Lieder der Kirchenväter, lateinisch und deutsch. Der zweite Band (1759) besteht aus den schwenckfeldischen Liedern Das erste Gesangbuch der Schwenckfelder (Germantown 1762) 261 der Weißschen Sammlungen in sechs Gruppen: Psalmlieder, Evangeliengesänge, Biblische Geschichte (Hs. Caspar Weiß 1709), Sudermann-Bearbeitungen, »Meditationes«, Epistellieder (Hs. Georg Weiß 1733). 5. Christoph Hoffmann (1728 - 1804), der Deutschland bereits als Sechsjähriger verlassen hatte, fertigte 1760 eine kunstvolle Abschrift von Hübners erstem Teil an. Er markierte die Lieder mit den Buchstaben A (alte Form), C (revidiert von Caspar Weiß) und G (revidiert von Georg Weiß). Es ist erstaunlich, dass Hübner den zweiten Band 1765, also drei Jahre nach Erscheinen des gedruckten Gesangbuchs, noch einmal eigenhändig abschrieb. Der Fleiß, den die schwenckfeldischen Pfarrer drei Generationen lang auf die mühevolle Arbeit des Sammelns und Abschreibens ihrer Lieder verwandten, zeigt, wie sehr ihnen an einem Liedgut gelegen war, das die spezifisch schwenck- Abb. 14.2: Titelseite der von Georg Weiß auf über 1.500 Lieder erweiterten Abschrift (Herrnhut 1733) Abb. 14.3: Titelseite der 1758 von Hans Christoph Hübner in Amerika erstellten Abschrift feldische Glaubensform und -praxis ausdrückte. Verfolgung und Armut verhinderten jedoch über 200 Jahre lang einen eigenen Gesangbuchdruck. Erst in Amerika, wo heute noch etwa 2.500 stark amerikanisierte Nachkommen leben, 3 gelang es in der zweiten Generation, das über Jahrzehnte hinweg gesammelte und immer umfangreicher werdende Gesangbuch-Manuskript zum Druck zu bringen. In Europa, wo sich die »Bekenner der Glorie Christi« in Schlesien bis ins 19. Jahrhundert halten konnten, 4 kam es nie zu einem gedruckten Gesangbuch. Die Schwenckfelder sind ein Beispiel dafür, dass die Verpflanzung einer geschlossenen Gemeinschaft in einen anderen Kulturraum nicht unbedingt den Verlust des eigenen Kulturguts bedeuten muss, sondern dass dieses zumindest teilweise bewahrt und sogar befestigt werden kann, solange es der mehrheitliche Wille der Gemeinschaft ist. 3 Vgl. Maron, Art. Schwenckfelder. In: RGG 3 5 (1961), Sp. 1622. [Vgl. auch Weigelt in: RGG 4 7 (2004), Sp. 1074]. 4 Ebd. und O. Kadelbach, Ausführliche Geschichte Kaspar v. Schwenkfelds und der Schwenkfelder in Schlesien, der Ober-Lausitz und Amerika, Lauban [1861]. Gesangbücher im Auswanderergepäck 264 15 »Geist = reicher« Gesang in Amerika Einflüsse des halleschen Pietismus auf den lutherischen Kirchengesang in der Neuen Welt I. Am 7. Oktober 1787 starb in Providence, Pennsylvania, 76-jährig ein Mann, der 1738 seine berufliche Laufbahn an den Franckeschen Stiftungen in Halle begonnen hatte: Heinrich Melchior Mühlenberg, der Organisator des lutherischen Kirchenwesens in Amerika. Er steht noch heute bei den lutherischen Kirchen in den Vereinigten Staaten von Amerika in Ehren; das angesehene Mühlenberg College in Gettysburg, Pa. ist auch Nicht-Lutheranern ein Begriff. 1 Hymnologisch interessiert Mühlenberg aber vor allem als Herausgeber des ersten lutherischen Gesangbuches in Amerika, das 1786 in Germantown, einem heutigen Stadtteil von Philadelphia, erschien (Abb. 15.2): Erbauliche Lieder = Samlung Zum Gottesdienstlichen Gebrauch in den Vereinigten Evangelisch Lutherischen Gemeinen in Nord = America; Gesamlet, eingerichtet und zum Druck befördert durch die gesamten Glieder des hiesigen Vereinigten Evangelisch Lutherischen Ministeriums. Erste Auflage. Germantaun, Gedruckt bey Leibert und Billmeyer, 1786. 2 Die meisten Auflagen des Gesangbuchs enthalten ein Frontispiz (Abb. 15.1), das den Reformator D. Martin Luther abbildet: »Nach dem von dessen eigenen Leichnam, als derselbe 1546 von Eisleben durch Halle nach Wittenberg gebracht wurde, in Wachs abgedruckten Bildniß gezeichnet: wie es noch bis jetzo in Halle Druckfassung eines Vortrags beim ersten interdisziplinären Symposion Geist = reicher Gesang. Halle und das pietistische Lied (Halle 4. - 7.10.1994). Siehe BibAK 17 (1997). 1 [Zur Bewertung von Mühlenbergs Aufbauleistung vgl. die Diss. von Müller, Kirche zwischen zwei Welten, Stuttgart 1994 (mit aktueller weiterführender Bibliographie). Anlässlich des 300. Geburtstags von Mühlenberg stellten die Franckeschen Stiftungen in Halle ihr Jahressprogramm 2011 unter das Zeichen des vom halleschen Pietismus geprägten Kirchenorganisators u. a. mit einer internationalen Mühlenberg-Konferenz und mehreren Wanderausstellungen.] 2 2. Aufl. 1795. [Zit. wird nach 3 1803]. Weitere Auflagen bis 1830. Die Ausgaben ab 1818 zeigen ein anderes Lutherporträt. Vgl. Arndt/ Eck (Hg.), The First Century of German Language Printing (1989). Abb. 15.1: Erbauliche Liedersammlung, Germantown 1786, Frontispiz D. Martin Luther (F. Reiche) auf der Bibliothek der Marien Kirche zu sehen«. So lautet der Text unter dem Titelkupfer. Tatsächlich ist ein Totenbildnis Luthers erhalten, das an seinem Sterbetag (18.2.1546) oder am Tage danach von Lukas Furtenagel aus Halle gemalt wurde. 3 Der durchaus qualitätvolle Holzschnitt zeigt Luther im Gelehrtenornat mit Barett an einem Tisch am Fenster sitzend, vor sich Schreibheft, Tintenfass und Sandstreuer, unter der linken Hand Tuch oder Schwamm, in der rechten Hand den Federkiel, freundlich wie für den Porträtisten (F.Reiche.fe[cit]) posierend. Auf dem Tischtuch steht aufrecht und augenfällig eine mit Schließen versehene und mit seinem Wappen, der Lutherrose, verzierte Bibel. Obwohl das Ambiente eher auf die Feste Coburg und der Porträttypus auf Cranach verweist, ist die Vorlage zu dem Holzschnitt laut Bildunterschrift angeblich hallescher Provenienz. Da Halle in der Lutherbiographie keine besondere Rolle spielt, wird mit diesem Kunstgriff in erkennbarer Absicht ein Beziehungsgeflecht zwischen Luther und Mühlenberg, Halle und Pennsylvania vermittelt. Die von Mühlenberg Ende des Jahres 1786 verfasste Vorrede zu seiner Erbaulichen Lieder = Sammlung wird folgendermaßen eröffnet: Christlich = geneigter Leser, Ein Hochehrwürdig Evangelisch Ministerium in Pennsylvanien etc. hat mir auferlegt, eine Vorrede zu dieser Lieder = Sammlung zu machen. Was kan ich aber, als ein abgelebter fünf und siebenzig jähriger greiß, neues sagen, das nicht schon gründlicher, schmackhafter und erbaulicher unter der sonne gedacht und in unzähligen Vorreden gemeinnützig gemacht worden? (fol. )( 2 r ) Nachdem er dennoch - wie unzählige Vorredenverfasser vor ihm - acht Druckseiten zu Papier gebracht hat, beginnt er den letzten Absatz mit den Worten: »Zum beschluß und am ende meiner vier und vierzigjährigen mühseligen wander = und pilgrimschaft in diesem Abendlande« - damit meint er die Neue Welt, in der er die letzten 44 von bisher 75 Lebensjahren verbracht hat. Wie und warum kam Mühlenberg nach Amerika? 4 1711 im Hannoverschen Einbeck geboren, studierte er 1735 bis 1738 in Göttingen Theologie, war danach ein Jahr Lehrer an den Franckeschen Anstalten in Halle und ging 1739 als Diakon nach Großhennersdorf (Oberlausitz). Dort hatte Nikolaus Graf Zinzendorf seine frühe Kindheit verbracht, bevor er in August Hermann Franckes Pädagogium aufgenommen wurde. Mühlenberg war außerdem Waisenhausinspektor in Hennersdorf unter dem Patronat von Henrietta von Gersdorf, einer Tante von Zinzendorf. Henrietta hatte in den Meinungsverschiedenheiten zwischen den 3 Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Kdz 4545. Vgl. Bott (Hg.), Martin Luther und die Reformation in Deutschland (1983), S. 437 f. 4 Vgl. Mühlenberg, Selbstbiographie, 1711 - 1743 (1881). - Aland (Hg.), Die Korrespondenz Heinrich Melchior Mühlenbergs (1986/ 87). - Köster, Art. Mühlenberg, Heinrich Melchior. In: BBKL 6 (1993), Sp. 225 - 229. - Müller (Anm. 1). »Geist = reicher« Gesang in Amerika 267 halleschen Pietisten und Zinzendorf Partei für Halle ergriffen und Mühlenberg gegenüber ihre Meinung über den nur 15 Jahre jüngeren Neffen offensichtlich erkennen lassen. Denn bei der einzigen Begegnung, die Mühlenberg mit Zinzendorf in Amerika hatte, soll er dem Grafen bei einem Wortgefecht entgegengeschleudert haben, er sei genau so, wie seine Tante ihn beschrieben habe. 5 Anfang 1741 wurde das Waisenhaus in Hennersdorf aus finanziellen Gründen geschlossen. So war Mühlenberg disponibel und konnte von Gotthilf August Francke nach Amerika geschickt werden; denn seit 1733 hatten die pennsylvanischen Gemeinden Providence, New Hanover und Philadelphia in London und in Halle um die Entsendung lutherischer Geistlicher gebeten. Mühlenberg reiste also zunächst nach London, wo ihm der lutherische Hofprediger Friedrich Michael Ziegenhagen die förmliche Berufung übergab, und erreichte am 25. November 1742 Philadelphia. Er versah nicht nur den Dienst in seinen drei Gemeinden, sondern erweiterte seinen Wirkungskreis weit über die Gemeinde- und sogar Kolonialgrenzen hinaus. 1748 berief er die erste lutherische Synode von Nordamerika ein. Um Streitigkeiten innerhalb der Gemeinden zu schlichten, legte er 1762 eine Kirchenordnung vor, die nach Annahme durch die Gemeinden drei Jahre später vom Gouverneur bestätigt wurde. Damit wurde das »Ministerium von Pennsylvanien und benachbarten Staaten« eigenständig und unabhängig von den europäischen Kirchenbehörden. 1776, im Revolutionsjahr, verließ Mühlenberg Philadelphia und zog sich in die Landgemeinde Providence zurück. Dort erarbeitete er den Entwurf zum ersten Gesangbuch für die deutschen Lutheraner in Amerika. Es erschien 1786, wenige Monate vor seinem Tode. II. Um das Lebenswerk von Heinrich Melchior Mühlenberg einordnen und würdigen zu können, müssen wir uns die Situation der lutherischen Gemeinden in Kolonialamerika und ihrer Gesangbücher vor der Ankunft Mühlenbergs vor Augen führen. 6 Als Mühlenberg in Philadelphia eintraf, war etwa ein Drittel der in Pennsylvanien lebenden Menschen deutsch, von diesen fühlten sich weitaus 5 Vgl. Weinlick, Count Zinzendorf (1956), S. 169. 6 In Abschnitt II stütze ich mich auf meine musikwissenschaftliche Staatsexamensarbeit an der Johannes Gutenberg-Universität zu Mainz, s. u. BibAK 1 (1967), S. 70 - 87. - Smith, Early Lutheran Hymnody in America (1956). - Wolf, Lutheran Church Music in America (1960). Der damalige Forschungsstand wurde jedoch mithilfe neuerer Untersuchungen von mir überprüft, u. a. in: Glatfelter, Pastors and People. German Lutheran and Reformed Churches in the Pennsylvania Field, 1717 - 1793 (1980/ 81). Gesangbücher im Auswanderergepäck 268 Abb. 15.2: Das erste deutschsprachige lutherische Gesangbuch in Amerika, Germantown 3 1803 [ 1 1786] die meisten den Lutheranern oder den Reformierten zugehörig. Dies war nicht immer so gewesen. Die ersten Lutheraner in Amerika waren Dänen, Schweden und Holländer. Doch unter der niederländischen Kolonialhoheit durften öffentlich zunächst nur calvinistische Gottesdienste gehalten werden. Erst nachdem Neu-Amsterdam 1664 englisch geworden war, gewährte man auch den Lutheranern freie Religionsausübung. 1700 wurde in Philadelphia die erste schwedisch-lutherische Kirche eingeweiht. Aparterweise kam ihr Pastor, der 1703 als erster lutherischer Geistlicher in der Neuen Welt ordiniert wurde, aus Deutschland: Justus Falckner (1672 - 1723) hatte als Sproß einer alten sächsischen Theologenfamilie bei Christian Thomasius in Leipzig und bei August Hermann Francke in Halle studiert. Einige Lieder Falckners fanden Eingang in das erste Geistreiche Gesang = Buch (Halle 1697), z. B. das als Kernlied bezeichnete Auf! ihr Christen, Christi Glieder, das auch bei Johann Anastasius Freylinghausen (Halle 1704) wieder zu finden ist. 7 Da war Falckner aber bereits in Amerika. Bis zu seinem Tode 1723 diente er mehreren holländischen und deutschen Gemeinden in New York, Albany und New Jersey. Doch nicht nur mit ihm gelangte der hallesche Pietismus in die Neue Welt. Über die drei deutschen Gemeinden in London, wo häufig Prediger aus Halle Anstellung fanden, wurde Kontakt mit den dortigen Theologen gehalten. Außerdem hatte der unmittelbar unter dem Einfluß Speners stehende Franz Daniel Pastorius 1683 mit 20 deutschen Familien, die unterschiedlichen Konfessionen angehörten, Germantown gegründet. 1694 war dort der erste deutsche lutherische Gottesdienst im Hause eines Mennoniten gefeiert worden. Es waren zunächst vor allem schweizerische Täufer und Angehörige anderer freikirchlicher Gemeinschaften, die in der zweiten und dritten Dekade des 18. Jahrhunderts in wirtschaftlicher und politischer Bedrängnis von der Pfalz rheinabwärts über London nach Pennsylvanien flohen. Doch als die Einwanderer aus allen Teilen des deutschen Sprachgebierts kamen, bildeten Lutheraner und Reformierte die Mehrheit. Im Gegensatz zu den freikirchlichen Gemeinschaften, die häufig als geschlossene Gruppe auswanderten, erreichten Lutheraner und Reformierte eher allein oder mit Familie den Kontinent und verstreuten sich dort. Folglich waren sie für lange Zeit ohne pastorale Führung und wurden häufig von › Autodidakten ‹ betreut, deren theologische und menschliche Qualitäten nicht immer zufriedenstellend waren. Erst mit der Ankunft Pastor Heinrich Melchior Mühlenbergs 1742 in Philadelphia wurde die lutherische Kirche in Amerika von New York bis Georgia organisiert. Er löste das Sprachproblem, indem er angeblich morgens holländisch, mittags deutsch 7 KLL I, 50. Suvi-Päivi Koski weist das Lied sogar noch früher nach: bei Andreas Luppius, Geistliche Lieder und Lobgesänge [Erfurt? ] 1695. Persönliche Mitteilung in Halle am 7.10.1994. Gesangbücher im Auswanderergepäck 270 und abends englisch predigte. 8 Jedoch waren nicht alle Pastoren dazu fähig, und er forderte die Umstellung auf die englische Sprache; dies schlug sich deutlich im lutherischen Kirchenlied jener Zeit nieder. Noch verwirrender war die Gesangbuchsituation, die Mühlenberg bei seiner Ankunft in Kolonialamerika vorfand. Da die Lutheraner aus allen Teilen Deutschlands kamen, brachten sie die verschiedenen Gesangbücher ihrer Landeskirchen mit, so daß es schwierig war, selbst in rein deutschsprachigen Gemeinden eine Einheit zu erzielen. Immer wieder wurden die Gemeinden und Kirchenbehörden in der Heimat um die Übersendung von Liederbüchern ersucht. Justus Falckner schrieb jahrelang an das Konsistorium Amsterdam, bis ihm 1712 endlich 50 Paradijshofjens (Paradiesgärtlein) geschickt wurden. 9 Die sangesfreudigen Salzburger, die 1734 nach Amerika gekommen und in Georgia angesiedelt worden waren, erhielten mehrfach Sendungen mit beiden Teilen des Freylinghausenschen Gesangbuchs und der Gesamtausgabe von 1741. 10 Daraus sangen sie zumindest in den Singstunden auch vierstimmig. Als Mühlenberg sie in Georgia besuchte, vermerkte er am 5. Oktober 1742 den besonders schönen und sauberen Gesang in seinem Tagebuch. 11 Neben dem › Halleschen Gesangbuch ‹ in seinen verschiedenen Ausgaben und Auflagen scheint das Marburger Gesangbuch das häufigste und beliebteste gewesen zu sein. Ein Brief des lutherischen Konsistoriums New York an das Konsistorium Amsterdam vom 4. Februar 1754, in dem um 50 holländische Exemplare dieses Gesangbuchs gebeten wurde, legt davon Zeugnis ab. Die Antwort, daß keine »Marnburg[! ]« Gesangbücher vorhanden und auch nicht bekannt seien, mag den Nachdruck des gewünschten Buches durch Christoph Saur 1757 in Germantown beschleunigt haben. 12 Weitere Auflagen erschienen in dichter Folge. 13 Die fünfte und letzte von Saur gedruckte Ausgabe wurde auf 680 Lieder vermehrt. Im Frontispiz sehen wir Luther barhäuptig, stehend, in der rechten Hand die aufgeschlagene Bibel, die linke zur Verkündigung erhoben. Es ist der spiegelverkehrt nachgeschnittene Holzschnitt aus den bei Heinrich Ludwig Brönner, Marburg und Frankfurt, erschienenen Vorbildern für die amerikanischen Nachdrucke des Marburger Gesangbuchs. Diese Art der 8 Vgl. Smith (Anm. 6), S. 26. 9 Vgl. ebd., S. 27 f. 10 Geist = reiches Gesang = Buch (Halle 1704), Neues Geist = reiches Gesangbuch (Halle1714), Geistreiches Gesang = Buch, hg. von Gotthilf August Francke (Halle 1741). Vollst. Titel im QV. 11 Vgl. Wolf (Anm. 6), S. 342. 12 Vgl. Smith, S. 48. 13 Vollständiges Marburger Gesangbuch (Germantown 1757, 2 1759, 3 1770, 4 1774, 5 1777). Taschenausgabe Philadelphia 1799 (Carl Cist) mit den 615 Liedern der Saurschen Ausgaben 1757 bis 4 1774. Vollst. Titel QV 1777. »Geist = reicher« Gesang in Amerika 271 Darstellung nach Cranach 1539 war zum Prototyp des Reformatorenbildnisses geworden. Die stetig wachsende Zahl von nicht-deutschsprechenden Lutheranern und der Druck der englischen Autoritäten auf die Deutschen - »It was even suggested that unless their children received an English education, they might finally join the French and drive the English from the continent of America« 14 - machte bald ein englischsprachiges Gesangbuch nötig. 1722 hatte Johann Christian Jacobi 15 in eigener Initiative für die German Lutheran Royal Chapel in London das erste englischsprachige lutherische Gesangbuch herausgegeben. Da die Sammlung 62 Übersetzungen von deutschen Liedern des 16. und 17. Jahrhunderts enthielt, wurde sie Psalmodia Germanica genannt. Die hervorragende Qualität der Auswahl - darunter elf Lieder Luthers und acht von Paul Gerhardt - zeigt sich auch darin, dass alle Texte bis auf 14 noch im gegenwärtigen Gesangbuch der Evangelischen Kirchen in Deutschland, Österreich, Elsaß und Lothringen (EG) zu finden sind. Die Minderwertigkeit der Übersetzungen allerdings bewirkte, dass Psalmodia Germanica nicht mehr benutzt wurde, als bessere Übersetzungen erschienen. 1732 gab Jacobi eine vermehrte zweite Auflage heraus, die jedoch keine Noten enthielt. Diese Ausgabe fand Mühlenberg in Gebrauch, als er zehn Jahre später nach New York kam. Da in der Gemeinde nur ein Exemplar vorhanden war, wurde die Methode des puritanischen Psalmsingens, das »lining-out«, angewandt: Der Pfarrer las eine Zeile vor, die Gemeinde sang nach. 16 Dieser unbefriedigende Zustand bewirkte die Herausgabe einer dritten verbesserten und sehr stark vermehrten Auflage der Psalmodia Germanica in New York 1756 (Abb. 15.3). Dort waren Gottesdienste in englischer Sprache zuerst gehalten worden. Das englischsprachige Gesangbuch erfüllte ein dringendes Bedürfnis und hatte eine einigende Wirkung, setzte aber den deutschen Gottesdiensten noch kein Ende. Obwohl das Titelblatt des New Yorker Nachdrucks wie die Erstausgabe angibt: »Together with their proper tunes, and thorough Bass«, enthält er wie schon die zweite Auflage 1732 nur Melodieangaben. So fehlt uns jedes Zeugnis, ob die Melodien so gesungen wurden, wie sie in der Originalausgabe 1722 aufgezeichnet sind. Aus Mühlenbergs Tagebuch geht hervor, daß man englische Psalmweisen zu den Liedern sang, da die deutschen Melodien den englischen Gemeindegliedern unbekannt waren. Diese aus der Not geborene Tatsache lag 14 Dubbs, The Founding of the German Churches of Pennsylvania (1893), S. 257. 15 Johann Christian Jacobi (1670 - 1750), Studium in Halle, von 1700 mit Unterbrechungen bis zu seinem Tode Organist und Verwalter der von Queen Anne für ihren dänischen lutherischen Gemahl eingerichteten German Lutheran Royal Chapel. Vgl. Williams, The Development of the Moravian Hymnal (1962), S. 244. 16 Vgl. Wolf, S. 46. Gesangbücher im Auswanderergepäck 272 Abb. 15.3: Englischsprachiges lutherisches Gesangbuch, London und New York 3 1756 [ 1 1722] sicher nicht in der Absicht Jacobis, der im »Preface to the Reader« der ersten Auflage erklärt hatte: Many of the British Nation, having heard the sacred Psalmody, us ’ d in the German congregations at London, have wish ’ d to see the same done into English, and set to the same Tunes and Metre, wherein they were originally composed. Da Psalmodia Germanica ein wichtiger Markstein in der Geschichte des deutsch-englisch-amerikanischen Kirchenliedes ist, zugleich ein musikalisch reizvolles Beispiel für den »Geist = reichen Gesang« in der Neuen Welt, sollen auch die Melodien der Erstausgabe in den Blick genommen werden, selbst wenn nicht wahrscheinlich ist, dass sie in dieser Form in Amerika gesungen wurden. Etwa zwei Drittel der Weisen stammen aus Gesangbüchern des 16. Jahrhunderts. Jedoch ließ sich der Herausgeber keine Gelegenheit entgehen, die Melodien in › hallischer Manier ‹ dem Geschmack seiner Zeit anzupassen und mit reizvollen Verzierungen zu versehen. Auffallend ist die relativ große Anzahl von 11 Liedern im Dreiertakt. Selbst »Ein feste Burg ist unser Gott«, »O Lamm Gottes unschuldig« sowie die Genfer Psalmmelodie »Herr Gott, dich loben alle wir« wurden dreiteilig aufgezeichnet: »into Triple Time, which seems more chearful [. . .] than common time« (Preface to the Reader). Überall begegnen wir den Kriterien geschmeidiger barocker Melodik: Durchgänge, Vorhalte, Anti- Abb. 15.4: Englische Version von »Wie schön leuchtet der Morgenstern« 274 Gesangbücher im Auswanderergepäck zipationen, Punktierungen, Akzidentien und die Auflösung kirchentonaler Wendungen. In »Wie schön leuchtet der Morgenstern«, einer Melodie des ausgehenden 16. Jahrhunderts, scheint Jacobi alle ihm zur Verfügung stehenden Verzierungsmittel angewandt zu haben (Abb. 15.4). III. So vielfältig, um nicht zu sagen verwirrend und unübersichtlich, war die Gesangbuchsituation bei den Lutheranern in Amerika, bevor Mühlenberg endlich ein einheitliches deutschsprachiges Gesangbuch herausbrachte. Den vorgefundenen Zustand und die daraus folgende Zielsetzung beschreibt er in der Vorrede zu seinem Gesangbuch wie folgt: 5. Ist zu bemerken, was bisher unsern gesang in öffentlichen versammlungen an der völligen übereinstimmung gehindert, nemlich die vielerley arten von Gesangbüchern, da fast in jedem verschiedene kleine abänderungen gemacht und in einem viele, im andern wenig lieder stehen. Wenn man aber in allen Americanischen gemeinen einerley Gesangbuch hätte, worinn die besten alten und neuen geistreichsten lieder zu finden, so wäre es viel bequemer und übereinstimmiger. Und warum solten die evangelischen gemeinen in America nicht macht und recht haben ihr eigen Gesangbuch einzuführen, so lange sie noch die unschätzbare religions = und gewissens = freyheit geniessen? Es kommt nicht auf die vielheit der lieder an, sondern auf die auswahl der besten und kräftigsten, und darzu haben wir GOtt sey dank! noch freyheit und gelegenheit, wie verständige und erfahrne christen aus diesem buche selbst ersehen werden. (fol. )( 5 r ) Um Abhilfe zu schaffen, war vier Jahre vor dem Erscheinen des Gesangbuchs unter dem Vorsitz Mühlenbergs ein Komitee zusammengetreten, das folgende Richtlinien für das neue Gesangbuch festlegte: 1. So weit wie möglich der Einteilung des halleschen Gesangbuchs zu folgen, 2. keine der alten Lieder wegzulassen, insbesondere nicht die von Martin Luther und Paul Gerhardt, 3. nicht mehr als 750 Lieder aufzunehmen. Nicht erwähnt wurde in den Protokollen ein vierter, zweifellos erkennbarer Grundsatz: möglichst viele Lieder aus dem halleschen Gesangbuch zu übernehmen, darunter möglichst viele der neuen geistreichen Lieder. Wäre dies nicht ebenfalls Zielsetzung gewesen, hätten weitere Nachdrucke des Marburger Gesangbuchs genügt. Der letzte von 1777 hatte mit seinen drei Anhängen 680 Lieder enthalten, also deutlich weniger als Mühlenbergs Obergrenze von 750. Aber es fehlten darin die neueren Lieder, von Mühlenberg in seiner Vorrede als die »zierlicheren« (fol. )( 5 v ) bezeichnet, vor allem die des halleschen Pietismus. Außerdem folgte die Einteilung des Marburger Gesangbuchs noch ganz der lutherisch-orthodoxen Rubrizierung: Kirchenjahr, Katechismus, Psalmlieder, »Geist = reicher« Gesang in Amerika 275 Rechtfertigung, Wort Gottes und Christliche Kirche, Christliches Leben und Wandel, Kreuz und Anfechtung, Lob und Dank, Morgen und Abend, Tod, Jüngstes Gericht und Auferstehung, Ewiges Leben. Darin vermisste Mühlenberg gewiss die pietistische Prägung, die ihm vertrauten Überschriften aus dem Geist = reichen Gesangbuch mit tiefer liegenden Wurzeln bei Arndt und Spener. So weit wie möglich der halleschen Einteilung zu folgen, war Mühlenbergs oberste Richtschnur. 46 von 60 Rubriken wurden übernommen, bis auf geringe Abweichungen sogar mit wörtlich übereinstimmenden Überschriften (Abb. 15.5). Neu ist der erste Abschnitt »Beym Anfange und Beschluß des Gottesdienstes«, ein Zugeständnis an die Gesangbücher der Reformierten und der Freikirchen, aus deren Mitte Mühlenberg etliche Mitglieder für die lutherische Kirche gewann. Es fehlen einige markante Rubriken, die Mühlenberg entweder zu hochkirchlich-orthodox (Marienfeste, Fest Johannis des Täufers) oder zu pietistisch angemutet haben mögen, z. B.: »Von der Keuschheit«, »Von der Verleugnung seiner selbst und der Welt«, »Von der geistlichen Vermählung«. Die Überschrift »Vom hohen Adel der Gläubigen« erschien im nachrevolutionären republikanischen Amerika wohl wenig zeitgemäß und entfiel ersatzlos. Schwer verständliche Metaphern wie »Zion« und »himmlisches Jerusalem« wurden durch »christliche Kirche« und »ewiges Leben« ersetzt. Dennoch sind die für pietistische Gesangbücher so typischen Rubriken wie »Vom wahren und falschen Christenthum« (20.), »Von der wahren Busse und Bekehrung« (22.), »Von der geistlichen Wachsamkeit« (26.), »Vom geistlichen Kampf und Sieg« (27.), »Von der Nachfolge Christi« (30.) unübersehbar vorhanden. Andererseits fügt Mühlenberg zwischen Freylinghausens Überschriften »Von der Uebergabe des Herzens an GOtt« und »Von der wahren Weisheit« die in Halle gestrichene Rubrik »Von der Rechtfertigung« (32.-34.) wieder ein. Damit setzt er sich nicht nur von A. H. Francke, sondern auch deutlich von den Freikirchen ab. In Formulierungen wie »ein köstlicher schatz alter und neuer auserlesener kern = und kraft = lieder« (Vorrede, fol. )( 4 r ), ausgewählt aus den »besten alten und neuen geistreichsten liedern« (fol. )( 5 r ), klingen die Titel der verschiedenen Ausgaben des Freylinghausenschen Gesangbuchs an. Auch die Halleluja- Vignette (Abb. 15.6) über dem ersten Lied ruft das Geist = reiche Gesangbuch aus Halle in Erinnerung. Dessen Nachdruck wäre bei dem riesigen Umfang von über 1.500 Liedern allerdings nicht in Frage gekommen. Das Marburger Gesangbuch war nicht mehr zeitgemäß. Also wurde in Amerika eine eigene Liedauswahl getroffen, die in keiner Auflage der Erbaulichen Lieder = Sammlung das gesetzte Limit von max. 750 Liedern überschritt. 17 17 Liederzahl 1 1786: 706, 2 1795 und 3 1803: 718, 6 1814: 746. Gesangbücher im Auswanderergepäck 276 Abb. 15.5: Erbauliche Liedersammlung, Germantown 1786, Rubrizierung Abb. 15.6: Halleluja-Vignette Fast zwei Drittel der Texte sind auch in den Geist = reichen Gesangbüchern enthalten, darunter zahlreiche aus dem halleschen Dichterkreis, so auch 17 der 44 Freylinghausen zugeschriebenen Lieder und A. H. Franckes Gott lob, ein Schritt zur Ewigkeit. Damit tritt das Mühlenbergsche Gesangbuch eindeutig das Erbe des Freylinghausenschen in der Neuen Welt an und löst es gleichzeitig ab. Leider enthält dieses erste autorisierte lutherische Gesangbuch in Amerika wie das Marburger nur Melodienangaben; erst 1813 wurde von der New Yorker Synode ein dazugehöriges Choralbuch herausgegeben, 18 das 170 ältere Melodien aus Johann Balthasar Königs Harmonischem Lieder = Schatz, Frankfurt/ M. 1738, enthielt und neuere Melodien aus dem Herrnhuter Choralbuch von Christian Gregor, Leipzig 1784. Es ist deshalb schwer nachvollziehbar, wie die Lutheraner in Amerika in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirklich gesungen haben und wie lange sie in dem englisch sprechenden und singenden Umfeld ihre Singweisen erhalten konnten. Bereits 1795 gab Johann Christian Kunze in New York ein Gesangbuch für englischsprachige lutherische Gemeinden heraus. 19 Kunze (1744 - 1807) hatte nach dem Schulbesuch in Halle Theologie in Leipzig studiert, wurde 1770 zum Missionar ordiniert und mit zwei Söhnen Mühlenbergs nach Pennsylvanien entsandt. Als Pastor in Philadelphia heiratete er Mühlenbergs Tochter, wurde Professor an der University of Pennsylvania und übernahm 1784 eine lutherische Gemeinde in New York. Dort setzte er sich für die Pflege der englischen Sprache im Gottesdienst ein und nahm neben ca. 180 Übersetzungen deutscher Lieder - davon ca. 50 aus Psalmodia Germanica und ca. 100 aus dem Londoner Gesangbuch der Brüdergemeine 20 - ca. 70 Originaltexte von Isaac Watts, Charles Wesley und John Newton in sein Gesangbuch auf. 18 Choralbuch für die Erbauliche Lieder-Sammlung (1813). 19 Kunze (Hg.), A Hymn and Prayer Book. For the Use of such Lutheran Churches as use the English Language (1795). 20 A collection of Hymns, for the use of the Protestant Church of the United Brethren (1789). Vgl. J. Th. Müller, Hymnologisches Handbuch (1916), S. 55. Das nur zwei Jahre später von seinem englischsprechenden Assistenten Georg Strebeck ebenfalls in New York herausgegebene Gesangbuch enthielt bereits überwiegend Kernlieder der besten englischen Liederdichter. 21 Der englische Einfluss ist auch in musikalischer Hinsicht spürbar. Statt der aus deutschen Gesangbüchern vertrauten Melodienangabe finden wir jetzt nur noch das Strophenschema nach Silbenzahl pro Zeile über jedem Lied, z. B. 7.6.7.6.7.6.7.6 für Befiehl du deine Wege. Der Organist wählte nach diesem › metre ‹ eine mehr oder weniger passende deutsche oder englische Melodie. Von Psalmodia Germanica und Mühlenbergs Gesangbuch über Kunzes zu Strebecks Liedersammlung ist eine Entwicklung vom lutherischen Gesangbuch nach deutschem, besonders halleschem Vorbild zum Hauptstrom englischer Liedersammlungen anderer Denominationen zu erkennen. Da die Lutheraner in New York früher englisch sprachen als ihre Landsleute in Pennsylvanien, gerieten sie stärker unter den Einfluss von Presbyterianern, Methodisten und Anglikanern, die viele lutherische Konvertiten aufnahmen. Viele sahen die Episcopal Church, die › Church of England ‹ in Amerika, als englischsprachige Form der lutherischen Kirche an. Es war relativ leicht, die lutherische Singtradition in deutscher Sprache zu bewahren; aber mit dem Annehmen des Englischen wandten sich die Pastoren, die gewohnt waren, Weisungen von den Kirchenbehörden zu empfangen, an die Nachbarn englischer Herkunft, anstatt das tradierte deutsche Liedgut in die neue Sprache zu übertragen. Mit den abnehmenden Kontakten der zweiten und dritten Generation zur alten Heimat schwand aber auch der Einfluß des deutschen Pietismus auf den Kirchengesang. Der inzwischen in Deutschland blühende Rationalismus, der sich bereits seit Diterich (Berlin 1765), aber vor allem in den 80er und 90er Jahren (Mylius, Cramer 1780) in den Aufklärungsgesangbüchern mit ihren sog. verbesserten Liedern und moralisierenden Rubrizierungen niederschlug, fand gar nicht erst Eingang in die amerikanischen Gesangbücher. Bevor dies - nach gebührender Beachtung des › cultural lag ‹ - hätte passieren können, gerieten die nun überwiegend englisch sprechenden und singenden Lutheraner unter den Einfluss des angelsächsischen Methodismus und der amerikanischen Erweckungsbewegung. Erst in unserem Jahrhundert besinnen sich die Lutheraner, vor allem aber die Moravians (Herrnhuter), auf ihre reformatorische Tradition einerseits, auf die pietistische andererseits und nehmen bewusst Lieder dieser Epochen in ihre 21 Strebeck (Hg.), A Collection of Evangelical Hymns Made from Different Authors and Collections (1797). »Geist = reicher« Gesang in Amerika 279 Gesangbücher auf. In den sorgfältig redigierten Gesangbüchern der Gegenwart erscheint in allen Indici und über den jeweiligen Liedern als Textund/ oder Melodieangabe »Freylinghausens Gesangbuch 1704« oder »Halle 1704« bzw. 1714. Mit der Aufnahme »Geist = reicher« Lieder hallescher Prägung in Gesangbücher aller Konfessionen und christlichen Gemeinschaften beeinflusste die pietistische Liedkultur den Kirchengesang weltweit. Gesangbücher im Auswanderergepäck 280 IV Akrostichon und Parodie 16 Das Akrostichon im Kirchenlied Typologie und Deutungsansätze Eine poetische Form, die aus vielen Kulturen überliefert ist und ebenso alt zu sein scheint wie die Literaturen selbst, fand bisher nur geringe wissenschaftliche Beachtung: das Akrostichon. Lexika der Literatur, der Rhetorik und der Religionswissenschaft beschränken sich auf die Definition: Wort, Name, Satz oder Alphabet, gebildet aus den ersten Buchstaben (Silben, Wörtern) aufeinanderfolgender Verse oder Strophen eines Gedichts. 1 Verwiesen wird auf den Ursprung in babylonischen Gebeten, in alttestamentlicher und jüdischer Dichtung, in griechischer und byzantinischer Kirchenpoesie, in antiker und christlich-lateinischer Dichtung und auf einige berühmte Beispiele. Für das deutsche Mittelalter werden immer wieder Otfrid von Weißenburg und Gottfried von Straßburg (Tristan-Prolog), für die Barockzeit Martin Opitz, Johann Christian Günther, Paul Gerhardt - »z. B. Befiehl du deine Wege« - genannt, obwohl von letzterem kein weiteres Akrostichlied bekannt ist. 2 Die Herausgeber der vierten Auflage von Die Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG) begrenzten den Umfang des Artikels »Akrostichon« erneut auf zehn Zeilen. 3 Abweichend von den allgemeinen Nachschlagewerken 4 gehen wenigstens die Lexika der Antike in mehrspaltigen Artikeln auf die »Akrostichis« in außerchristlicher und christlicher Dichtung ein, enden aber im frühen Mittelalter. 5 Erstdruck im JLH 36 (1996/ 97). Siehe BibAK 15. 1 Terminologisch wird nicht sauber unterschieden zwischen dem aus Versanfängen gebildeten eigentlichen Akrostichon und der aus Strophenanfängen geformten Akrostrophe. Als Akrostichon wird auch das Gedicht bezeichnet, das durch ein Akrostichon geprägt ist. In älterer Literatur wird in Abgrenzung dazu die Form selbst Akrostichis genannt. Bei einem Mesostichon steht die senkrecht gelesene Buchstaben- oder Wortreihung in der Versmitte, bei einem Telestichon am Zeilenende. Ein Akroteleuton ist die Kombination aus Akrostichon und Telestichon. Von den beiden möglichen Pluralbildungen »Akrosticha« und »Akrostichen« entschied ich mich für erstere. 2 von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 7 1989, S. 12. 3 A. Kadelbach, Art. Akrostichon. In: RGG 4 1 (1998), Sp. 256. 4 Z. B. Brockhaus Enzyklopädie I (1986), S. 282. - Der Literatur-Brockhaus I (1988), S. 41 f. 5 Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft I (1894), Sp. 1200 - 07. - Reallexikon für Antike und Christentum I (1950), Sp. 235 - 238. - Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike I (1996), Sp. 411 - 413, mit Literaturangaben. Auch die hymnologische Forschung hat sich mit der Buchstabendichtung, die bis ins 18. Jahrhundert hinein im geistlichen Lied reiche Verwendung fand, kaum beschäftigt. Zwar wird in der älteren Literatur häufig auf Akrosticha hingewiesen, eine Bestandsaufnahme oder gar eine Typologie gab es jedoch bisher nicht. Bestandsaufnahme und Typologie Eine systematische Durchsicht der ca. 9.000 von Wackernagel (W) und Fischer/ Tümpel (FT) gesammelten Kirchenlieder vom Mittelalter bis 1700 war deshalb geboten. Auf diese Weise erfasste ich ca. 400 Strophenlieder mit Akrosticha o. ä., von denen zahlreiche, aber keineswegs alle von den Kompilatoren erkannt worden waren. Das nun geschärfte Auge findet seitdem »en passant« in fast jedem Gesangbuch bisher unentdeckte Akrostichlieder. Inzwischen ist der registrierte Bestand - auch durch die freundliche Mitwirkung hymnologischer Fachkollegen - auf weit über 800 angewachsen. Dem Sammeln folgte das Ordnen nach typologischen Gesichtspunkten. Auch hier erstaunt die Fülle der Formen und Anwendungsmöglichkeiten. Dennoch lässt sich folgende Typisierung vornehmen: 1. Alphabetisches Akrostichon oder Abecedarium Bei dieser Form des Akrostichons bilden die Anfangsbuchstaben der einzelnen Wörter, Verse oder Strophen das vollständige Alphabet. Die aus dem semitischen Orient stammende Erscheinung hatte neben der magischen sicher auch memorative Bedeutung und schützte vor verkürzenden und verändernden Eingriffen in den Text. Das noch heute verbindliche tägliche jüdische Morgengebet und der 145. Psalm, der täglich dreimal gebetet wird, sind nach dem hebräischen Alphabet aufgebaut. Andere biblische und außerkanonische Beispiele finden sich in Klgl 1 - 4; Spr 31,10-31; Sir 51,13-29 und vor allem im Psalter (Ps 9.10.25.34.37.111.112.119.145). Frühe Beispiele aus der lateinischen christlichen Dichtung sind die Hymnen AD coeli clara (W I,2) des Hilarius von Poitiers (um 350) und A Solis ortus cardine (W I,48) des Caelius Sedulius (um 430). Die Überschrift »Hymnus acrostichis, totam vitam Christi continens« offenbart die innere Verbindung zwischen der Form des vollständigen Alphabets und dem Inhalt der »tota vita«. In Luthers deutscher Übertragung des Weihnachtshymnus aus dem Jahre 1523 (Christum wir sollen loben schon) ging das alphabetische Akrostichon verloren. Im Spätmittelalter kommen die Marien-Abecedarien auf. Besonders kunstvoll ist »Das guldein Abc mit vil subtiliteten« des Mönch von Salzburg. Jede der 24 Strophen beginnt mit einem der 24 Wörter der ersten Strophe, die trotz alphabetischer Reihenfolge einen Sinn ergeben. Diese literarische Kunstform Akrostichon und Parodie 284 Abb. 16.1: Abecedarium (»Güldenes ABC«) Strophen A - F (Lübeckisches Gesangbuch 1780) wird von Heinrich von Laufenberg aufgegriffen, ohne dass er - »Ave«, »maria (m)«, »qual« und »xristo« ausgenommen - Wörter aus dem Vorbild übernimmt: AVe, ballsams creatur, AVe benedicti cederblu ˚ st, dw englische figur, dich engels fröude gru ˚ st, got hat in kewschleichem lob himels iemer keyserin, mariam naturen ob, lustlich maria nim, prich qual, ruf sündleichen toren on pines qual vnd wend xpristo ymmer zoren. rinn sünders tal vnd wart xristo yhesu zart. (Mönch von Salzburg, W II,580) (Heinrich von Laufenberg, W II,734) Im 16. Jahrhundert entstehen Lieder mit stark moralischem und pädagogischem Anspruch unter dem Titel »Das Gülden ABC«, den Luther dem 119. Psalm gegeben hatte, ohne jedoch das hebräische Alphabet in die deutsche Übersetzung zu übertragen. Jede der 24 Strophen beginnt mit einem Buchstaben des vollständigen Alphabets (I = J, V = U) und gibt Anleitungen zu einem »Gottseligen Wandel«. Am verbreitetsten war das wohl ursprünglich niederdeutsche Lied Allein auf Gott setz dein Vertraun (vgl. Abb. 16.1), das aber zunächst hochdeutsch in Greifswald 1597 (W V,516) und erst 1612 (W V,730) niederdeutsch nachgewiesen ist. Seit der Aufnahme in Crügers Praxis Pietatis 1656 wurde es Bartholomäus Ringwaldt zugeschrieben, in dessen vier Liedpublikationen es aber nicht enthalten ist. Die niederdeutschen Wörter »Ock« [Auch] (Str. 14) und »Quadt« [Schlecht] (Str. 16) mussten auch zu Beginn der O- und Q-Strophe der hochdeutschen Fassung beibehalten werden. Das Alphabet wäre sonst zerstört worden. Das niederdeutsche Original scheint aber auch an vielen anderen Stellen durch, z. B. da wo durch die Übertragung der Reim verlorengeht: »leyd - geht« [geyth] (Str. 8) oder gerade erhalten bleibt: »also - do« [dho = tue] (Str. 19). 2. Ave Maria Auf besonders vielfältige und kunstvolle Art wird der englische Gruß akrostichisch bzw. akrostrophisch gefasst. Typ 1: Text ganz lateinisch: AVe hierarchia cælistis et pia etc. (15. Jh., W I,416; vgl. Abb. 16.2) Typ 2: Text ganz deutsch: MAria, pis gegrüzzet etc.« (Mönch von Salzburg, W II,547) Typ 3: Nur Anfangswörter der Strophen lateinisch: 1. AVe, bis grüst, du edler hort, . . . 2. Maria, blu ˚ m der himel kron, . . . Akrostichon und Parodie 286 3. Gracia, gnod hat dich geziert,. . . 4. Plena, vol balsams bist ein gart, . . . etc. (Heinrich von Laufenberg, W II,774). Typ 4: Bis auf »Ave« alles deutsch: 1. AVe, bis grüsset, du edler schrin, . . . 2. Maria, edler nam! . . . 3. Gnod dich begoß, . . . 4. Vol bist ein vaß . . . etc. (Heinrich von Laufenberg, W II,771). Typ 5: Text ganz deutsch, aber die Anfangsbuchstaben der 100 Strophen ergeben den englischen Gruß mit dem christologischen Zusatz »Jhesus Christus. Amen« auf lateinisch (anonym, W II,1020 - 1025). Der Formenreichtum, auch in der Verbindung von Buchstaben- und Wort- Akrostichon (W II,344), ist in der Mariendichtung besonders groß. Die Verehrung für die Jungfrau Maria erhält ihren Ausdruck in einer vollendeten Kunstform. Das hellenistische Prinzip der Kalokagathie, der Einheit von edlem Inhalt und schöner Form, findet hier - wie in der christlichen Kunst überhaupt - eine späte Anwendung. Zugleich ist die ars poetica eine ars memorativa. Das Memoria-Argument, wonach die Gedächtnisübung (Mnemotechnik) der Konzentration und der Versenkung und damit als praxis pietatis der Vertiefung des Glaubens dient, ist schon von Augustin und Sedulius, später von den Mystikern überliefert. 6 3. Maria und Jesus J-H-E-S-W-S und M-A-R-I-A tauchen als Buchstabenakrosticha schon in Handschriften des 12./ 13. Jahrhunderts auf (W II,203 - 204). Seit der Reformation wird im evangelischen Kirchenlied ausschließlich der Name Jesu verarbeitet. Als Beispiel nenne ich Georg Vetters Osterlied MIt freuden zart (W IV,632) aus den Kirchengeseng der Böhmischen Brüder 1566. In der verkürzten Fassung EKG 81 und EG 108, die nur noch die ersten beiden und die letzte von 13 Strophen enthält, ist nicht nur das Akrostichon M-E-D-I-A- T-O-R- I-E-S-V-S bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, sondern auch die theologische Aussage verlorengegangen, dass Jesus Christus durch seine Auferstehung und Himmelfahrt zum Mittler zwischen Himmel und Erde geworden ist. Von dem Melanchthon-Schüler Nikolaus Selnecker führt Wackernagel (W IV,406) einen lateinischen Spruch an, dessen Anfangs- und Endbuchstaben der fünf Verse - beide von oben nach unten gelesen - das Akroteleuton J-E-S-V-S ergeben: 6 Vgl. Ernst, Ars memorativa und Ars poetica in Mittelalter und Früher Neuzeit (1993), S. 73 - 100. Das Akrostichon im Kirchenlied 287 Abb. 16.2: Spätmittelalterliches Ave Maria-Akrostichlied (Leisentrit 1567) De nomine Iesv. I n cunis nitidi iam fulges gloria coel I E ia age nostra quies, eo â pectora luc E S ancta fove ˉ s, magni proles æterna Parenti S, V na salus nobis, cuius stant omnia nut V. S alve sancte Puer, salve spes una saluti S. Dass das von der barocken Mystik eines Johann Arndt und Johann Gerhard geprägte 17. Jahrhundert ebenfalls Jesus-Akrosticha hervorgebracht hat, kann nicht verwundern, z. B. von Wilhelm Alard in strophischer (FT II,163) und gleich dreifach in stichischer Weise (FT II,176). Daniel Schadäus (FT IV,297) und Wilhelm Olter (FT IV,636) schufen Lieder zu Jesu Begräbnis und verewigten darin akrostrophisch - wie in einem Epitaph - seinen Namen. Olter hinterließ auch ein Passionslied mit dem Strophenakrostichon C-H-R-I-S-T-U-S (FT IV,637). Die produktivste deutsche Liederdichterin, Aemilie Juliane Gräfin von Schwarzburg-Rudolstadt, setzte über die Titel ihrer ersten drei Liedersammlungen »Im Nahmen JESU! « und wob diese Worte akrostrophisch in ihr Lied ICh bin in allen wohl zu frieden (FT V,633) ein. Schon früh wurde die letzte Strophe »Solch einen Sinn laß mich, Gott! haben« geändert in »GOtt, einen solchen Sinn laß haben«, wodurch das Akrostichon zerstört und sicher nicht mehr erkannt wurde. Ihre früh verstorbene Schwägerin Ludämilia Elisabeth Gräfin von Schwarzburg-Rudolstadt hinterließ ebenfalls ein J-E-S-U-S- Akrostichon in ihrem Lied JEsus, JEsus, nichts als JEsus (FT V,515), das auch bei ihrem Begräbnis gesungen wurde. 7 Das Akrostichon ist hier nicht nur sprachkünstlerischer Ausdruck für die mystische Jesusliebe des Frühpietismus, sondern knüpft zugleich an die mittelalterliche Tradition der tiefgründigen ars memorativa an. »Maria« tritt im reformatorischen und barocken Kirchenlied nur noch als Vorname adeliger oder bürgerlicher Frauen auf. Das berühmteste Beispiel ist wohl »Der Königin Maria von Vngern Lied« des Herzogs Albrecht von Preußen Mag ich Unglück nicht widerstahn: MA-Ri-A (W III,156 - 159; vgl. Abb. 16.3). Wie in der bildenden Kunst und auch in der Musik (B-A-C-H) zuweilen der Name des Künstlers oder des Empfängers im Kunstwerk verborgen ist, so bildet ein Akrostichon häufig einen Namen, der hinweist auf den Verfasser, eine ihm nahe stehende, von ihm verehrte oder von einem Auftraggeber genannte Person, z. B. für den Text eines Begräbnisliedes. Die Namensakrosticha bilden die größte Gruppe unter den Akrostichliedern. Sie bestehen aus dem Tauf- oder dem 7 Vgl. Koch IV, 55. Das Akrostichon im Kirchenlied 289 Familiennamen, am häufigsten aus dem vollständigen Namen, zuweilen mit Herkunfts- und Berufsbezeichnungen oder anderen Zusätzen. 4. Tauf- oder Familienname Es ist gefährlich, von einem eingewobenen Namen vorschnell auf den Verfasser zu schließen. Jahrhundertelang wurde der Hymnus IHesus Christus nostra salus (W I,367 - 369) des Prager Erzbischofs Johann von Jenstein (vor 1400) fälschlicherweise Jan Hus zugeschrieben. Unter der Überschrift »Sanct Johannes Huss lied gebessert« veröffentlicht Luther im Klugschen Gesangbuch (1529) sein Abendmahlslied Jesus Christus, unser Heiland, der von uns den Gotteszorn wandt (EG 215). Aber wie beim Weihnachtshymnus nimmt er auch bei dieser Übertragung einer lateinischen Vorlage das aus den Stropheninitialen gebildete Akrostichon I-O-H-A-N-N-E-S nicht auf. Der Frage, warum Luther, dem die Tradition aus dem Mittelalter durchaus vertraut gewesen sein muss, kein einziges Akrostichlied gedichtet hat, wäre noch nachzugehen. Eine Erklärung könnte sein, dass ein Akrostichon mehr durch das Auge als durch das Ohr erfahrbar ist. Abb. 16.3: Widmungsakrostichon MA - Ri - A in »Der Königin von Vngern Lied« Albrechts von Preußen (Babst 1545) Akrostichon und Parodie 290 Luther aber ging es um den Gemeindegesang und weniger um die der mystischen Versenkung oder der individuellen Erbauung dienende Liedlektüre. Besonders häufig hat sich der Caspar Schwenckfeld anhängende und die Mystiker verehrende Liederdichter Daniel Sudermann in seinen Texten verewigt. 8 Sie enthalten den eigenen Namen entweder vollständig oder nur den Vornamen mit der Initiale des Familiennamens: D-A-N-I-E-L- S (W V,794,797). Die Autorschaft wird bestätigt durch Überschriften wie »ist fast mein erst gedicht« (W V,794) oder »Ist meiner ersten lieder eine« (W V,797). Wie hier wird das Akrostichon meistens aus den Stropheninitialen gebildet (auch W V, 846,861). In einer Kombination aus strophischem und stichischem Akrostichon ergeben die Anfangsbuchstaben der ersten 6 Strophen den Vornamen D-A-N-I- E-L, die Versinitialen der 7. Strophe den Familiennamen S-v-D-e-R-m-a-n (W V,803). In einem anderen wird der Nachname durch die Initialwörter der beiden Schluss-Strophen gebildet: Sund-Erman (W V,804). Die Lieder der Täufer enthalten besonders zahlreiche Akrosticha, die bei der verfolgten, unter Druckverbot stehenden Glaubensgemeinschaft möglicherweise die zusätzliche Funktion einer geheimen Botschaft erfüllen konnten. In den ersten beiden Strophen eines Liedes des bekannten süddeutschen Täuferführers Michael Sattler aus dem Gesangbuch der Schweizer Brüder 1564/ 83 1. MIch verlangt zu allen zeiten . . . 2. Elend/ armut/ ängstigs leben . . . (Etliche schöne Christliche geseng 1564, fol. 23 v . Vgl. W V,1060) glaube ich den Rufnamen Mich-El zu erkennen (Abb. 16.4). Auch sein Namensvetter Michael Praetorius macht den im 7. Teil der Musae Sioniae, Wolfenbüttel 1609, veröffentlichten Text MEin Gott, mein G.[ott], O Vater mein (FT I,242) zu seinem persönlichen Bußlied durch das Strophenakrostichon M-I-C-H-A-E-L. So wie Michael Sattler in seinem Lied seine alemannische Herkunft durch den Reim »bestone [ = bestehen] - Krone« verrät, wird die niederdeutsche Variante und Aussprache des Namens Heinrich Gustav in dem Akrostichon H-I-N- R-Ick- Ch-V-Sta-V auch orthographisch sichtbar (Rostock 1531, W III,647). Allgemein bekannt ist das Beispiel Valet will ich dir geben, das den Vornamen des Verfassers Vale-R-I-V-S [Herberger] enthält. Die letzte Strophe des in der Pestzeit entstandenen Abschiedsliedes spielt auf das Akrostichon an: »Schreib meinen Nam aufs beste ins Buch des Lebens ein« (EG 523). Überhaupt ist das Namensakrostichon beim Typ des Scheidelieds aus naheliegenden Gründen besonders häufig. Der Verfasser verabschiedet sich 8 Vgl. Beitrag 14 Das Akrostichon im Kirchenlied 291 von der Welt, die er damit bittet, ihn im Gedächtnis zu bewahren; zugleich bittet er um ein seliges Ende und eine gnädige Aufnahme in den Himmel: Ich, N. N., trete hiermit vor Deinen Thron, nimm mich auf. Durch die Namensnennung im Akrostichon, teilweise auch die Erwähnung biographischer Daten, wird der Scheidende zur konkreten Person, zur persona, dem unverwechselbaren Du Gottes. Auch dies ist eine der tieferen Bedeutungen der akrostichischen Dichtung. Abb. 16.4: Versteckter Vorname des süddeutschen Täuferführers und Liederdichters MIch[a]-El Sattler (1564) Akrostichon und Parodie 292 Leider nur noch in einigen Regionalteilen des EG enthalten ist Paul Ebers Neujahrslied von 1580 Helft mir Gotts Güte preisen (EG-N 546), dessen ursprüngliche Fassung fortfährt: »jr lieben kinderlein«. Die Überschrift lautet: »Dancksagung vnnd Gebet gegen das newe Jar, zur erinnerung Göttlicher wolthat, vor [für] die Kinder«. Mit dem Akrostichon H-E-L-E-N-A mag sowohl die Mutter seiner 14 Kinder als auch eine Tochter gleichen Namens gemeint gewesen sein (W IV,7; vgl. IV,10). Auffällig ist das Auftreten von Vornamen in den Liedern Johann Hermann Scheins. Die erste Frau und sieben von zehn Kindern trug er im Dreißigjährigen Krieg zu Grabe und bedachte wohl alle mit Begräbnisliedern auf ihre Taufnamen, z. B. S-I-D-O-N-I-A- S[chein]- G[eborene]-H[ösel] (FT I,474), S-U-S-A-N-N-A (FT I,475), I-O-H-A-N-N-A- J-V-D-I-T-H- S[chein] (FT I,468) etc. Im Cantional von 1627 ( 2 1645) veröffentlichte er seine vierbis sechsstimmig vertonten Lieder auf die verstorbenen Angehörigen mit entsprechenden Überschriften. Außerdem schrieb Schein Trauer- und Trostlieder für Personen seines Bekanntenkreises und des öffentlichen Lebens. Das Lied Mach ’ s mit mir, Gott, nach deiner Güt (EG 525) erinnert durch ein Akrostichon noch heute an Ma-R- G-A-R-I-T-A- W, Ehefrau des Leipziger Baumeisters, Ratsherren, Kirchen- und Schulvorstehers Caspar Werner, und wurde »zu ihren letzten Ehren Componirt vnd Musicirt Von Johan-Herman Schein«, Leipzig 1628. 9 Der Name wird aus den Anfangsbuchstaben des jeweils 1. und 3. Verses der sechszeiligen Strophen gebildet. Diese seltene Form wendet Schein auch in dem »Trost = Liedlein« auf den Tod des Kindes E-V-P-H-R-O-S-I-N-A an (FT I,480). Begräbnislieder sind Trauer- und Trostgesänge für die Hinterbliebenen, die sich vergewissern, dass der Verstorbene als Vorausgegangener die Trauernden in der Ewigkeit erwartet. Durch das Einweben des Namens in das Begräbnislied wird der Verstorbene, dem der Text häufig in den Mund gelegt wurde, wie beim Scheidelied über den Tod hinaus personifiziert, das Gedächtnis an ihn festgehalten, die Bedeutung des Erlösungswerks Christi für jeden einzelnen sichtbar. Familiennamen treten sehr viel seltener auf als Vornamen. Als Beispiele für Verfasser nenne ich [Petrus] HERR-B-E-R-T (W IV,575) und [Johannes] N-I-E-D-L-I-N-G (FT II,80); für Empfänger C[aspar]-Von-Dan witz (W V, 796), dem Daniel Sudermann das Lied widmete. 9 Vgl. Prüfer, Johan Herman Schein (1895), S. 95 f. Die Habilitationsschrift gibt wertvolle Hinweise auf zahlreiche Akrostichlieder weit über den in FT I,467 - 481 aufgeführten Bestand hinaus. Das Akrostichon im Kirchenlied 293 5. Vollständiger Name Etwa ein Viertel aller registrierten Akrosticha gehört dieser Gruppe an. Nicht immer ist eindeutig festzustellen, ob es sich bei dem Namen um den Autor oder den Empfänger des Liedes handelt. Das häufig zitierte »Ich« kann sich auf den Verfasser beziehen, aber auch einer anderen Person in den Mund gelegt sein. Kaum Zweifel besteht, wenn der Verfasser sich zusätzlich zum Akrostichon in der letzten Strophe des Liedes HIlff Gott das mir gelinge als solcher zu erkennen gibt: . . . hat Heinrich müller gesungen/ in dem gefengnis sein. (Babst 1545, Teil II/ 14. Vgl. W III,112) 10 Diese Form der Signatur hat Tradition. Schon Heinrich von Laufenberg hat sie in seinem deutschen Ave Maria, bis grüsset verwendet, wenn es in der 6. Strophe heißt: . . . du sünerin des gottes zorn, du lob der engel hüt vnd morn, begnod mich armen Heinrich. (W II,730) Gut hundert Jahre später beschließen zwei süddeutsche Verfasser ihre Abecedarien auf folgende Weise: 20. Wolff Gernolt mit dem nammen, der leyder nicht gesicht, Den frommen allen samen, hat er das lied gedicht,. . .(W III,891; vgl. Ausbund Nr. 52) und 27. . . . Gott bitten hertzlich jmmer mee, das er vns Leyb vnd Seel bewar, das wünscht Gregorius Spring inn Klee. (W III,1137) Zuweilen ist die Urheberschaft im Akrostichon selbst ausgewiesen: J-O-H-A-N- (W)-N-E-S- G-E-I-S-E- V-O-N- M-E-L-S-V-N-G-E-N- M-A-C-H-T-S- L-I-E-D- N-E-W (W III,1154) oder V-L-R-I-CH- H-O-L-CZ-M-A-N- S-A-N-G- D-I-S- L-I-E-D (W III,1223). Für die Leser, deren Augen bisher »gehalten« waren, setzt der Autor noch zusätzlich unter die 23. und letzte Strophe: Der dises Lied erstlich sang, Findest du nach der gesatzen anfang: Am grossen buchstaben da besich! Gott sey lob, ehr vnd preiß ewigklich. Amen. 10 Das Lied wurde jahrhundertelang irrtümlich Heinrich von Zütphen zugeschrieben, der Verfasser ist auch heute noch nicht sicher zu bestimmen. Vgl. Koch I, 417 f. Akrostichon und Parodie 294 Ebenso eindeutig fügt Paschasius Reinigke den 16 Strophen seines »Abentsegen am Sonnabent«, deren Anfangsbuchstaben seinen Namen bilden, eine 17. Strophe hinzu, in deren vier Versen - etwa in Zeilenmitte - das Wort A-V-T-OR erscheint: Zu letzt leib, leben, Auch meine Arme Seele ich dir, mein HErr Vnd Gott, trewlich befehle, Denn dein Sohn erlösT mich durch sein Rott Blut aus hellen PfORdt. (W V,137) Derselbe Verfasser gibt in einem anderen Lied durch solch ein - ebenfalls durch Antiqua-Lettern typographisch hervorgehobenes - Mesostichon den Empfänger des »Abendtsegen Am Mitwoch« zu erkennen: S-I-M-O-N- S-C-H-V-T- T-E-N- A-B-E-N-D-L-I-E-D-T (W V,135). Die Buchstabenakrosticha D-A-V-I-D- W-O-L-D-E-R-U-S- H-A-M- B[urg] (W V,534) und S-Y-G-M-V-N-D- S-A-L-M-I-N-G-E-R- V-O-N- M-V-N-C-H-E-N (W III,960) verraten zugleich die Herkunft der Autoren. H-A-N-S- V-A-N- G-A-Z-Z-I-N-G-E-N (W III,1012) wird jedoch erst durch die Rückbildung der hochdeutschen Fassung (Greifswald 1597) in die bisher nicht nachweisbare niederdeutsche Vorlage entschlüsselt. Wenn »Ach« als »Ock« [ = auch] gelesen wird (Str. 6 und 9) und »Zu« als »To« (Str. 11 und 12), entsteht der Name H-A-N-S- V-O-N- G-O-T-T-I-N-G-E-N. Akrosticha können also auch der Bestimmung einer Urform dienen. Noch häufiger sind den Namen zur eindeutigen Zuordnung Berufsbezeichnungen beigegeben. So enthält ein Lied des Schweizer Täuferführers und Schuhmachers Hans Büchel das Akrostichon H-A-N-S- B-I-C-H-E-L- S-C-D[H]-D[U]-W[E]-M-A-C-H-E-R, das aber bereits im Ausbund, dem Gesangbuch der Schweizer Brüder von 1583, wie so häufig verstümmelt überliefert ist (W V,1047; vgl. Ausbund Nr. 71). Den frühesten akrostrophisch erfassten Beleg für einen akademischen Beruf liefert ein Basler Druck von 1518: S-E-B-A-S-T-I-A-N-V-S- B-R-A-N-T- V-O-N- S-T-R-A-S-Z-B-V-R-G- D-O-C-T-O-R- I-N- B-E-I-D-E-N- R-E-C-H-T-E-N- D (W II,1334). In den bisher genannten Beispielen wurden die Namen aus den Stropheninitialen gebildet. Diese Form ist die häufigste und auch relativ leicht erkennbar, selbst wenn die akrostrophischen Buchstaben nicht durch eine besondere Schriftgröße oder -type, zuweilen auch Farbe hervorgehoben sind. In anderen Fällen ist der Name stärker verborgen. O-K-Sch-T-V-R-I-S- O-J-R-V-T-N-E-C (W IV,627 - 628) ist der Name des böhmisch-mährischen Verfassers rückwärts gelesen: Centurio Sirutschko. P-a-V-l-V-s- K-n-A-b-L-o-C-h- D-r-V-C-K-e-R (W IV, 1086) und D-O-R-O-T-h-e-a- V-a-Nm-E-d-y-n-Gd-O-m-Y-n-a- Das Akrostichon im Kirchenlied 295 t-H-O- L-v-N-e-ni-Mk-L-o-S-t-e-r- A-m-E-n- A-m-e-n (W IV,1077) 11 wurden in den niederdeutschen Liedern von Hermann Wepse (Vespasius) und Otto Moyse (Musaenius) verewigt. Die beiden Akrosticha sind konsequent stichisch, d. h. sie ergeben sich aus den Anfangsbuchstaben eines jeden Verses und wurden deshalb von Wackernagel offensichtlich übersehen. A-M-B-R-O-S-J-V-S- Lob-Was-Ser (W IV,1301) und GE-Or-G-Fahren- Bach-Oberster (W V,711) sind Mischformen aus Buchstaben, Silben und Wörtern. Dazu gehört auch das aus einem 15-strophigen Täuferlied gebildete Akrostichon: CHrist-O f-Bau-Man-Gefangen und gebunden-Zu-L-A-N-D-Z- H-V-E-T (Ausbund Nr. 77; vgl. W V,1108). Wer diese Botschaft entziffert hat, dem wird sich auch das im Ausbund folgende Akrostichon als Bestätigung erschließen: CHrist-Pau-Man-Gefangen und geschlagen-Zu-Gottes-Preiß und lob-Amen (Ausbund Nr. 78, vgl. W III,527; Abb. 16.5). 6. Fürstlicher Name Der Obrigkeit wurde von alters her in weltlichen, aber auch in geistlichen Gedichten gehuldigt. Von K-A-R-O-L-V-S-Der funfte-Romischer kaiser-Zu ˚ allen zeiten-Merer des reichs (W III,1178) und FRE-D-Rick-Köning-Tho-Den- Merck (W III,846) über Kurfürsten und Herzöge bis zu Pfalz- und Markgrafen sind Fürsten - und deren Familienangehörige - jeden Ranges und jeder Region z. T. mit sämtlichen Titeln im Akrostichon festgehalten. In einem Königsberger Einzeldruck von 1550 wird in den jeweils 12 Versinitialen der 12 Strophen, also 144 Buchstaben, sogar das im dynastischen Steckbrief übliche »et cetera« akrostichisch verarbeitet: A-n-n-As-o-P-h-i-am-a-R-g-g-R-e-f-I-nz-vb-r- A-n-d-E-n-b-V-r-g-Ke-t- C-a-e-T-e-r-Ae-i-ng-e-B-o-r-N-sf-R-e-v-I-i-n- I-np-R-e-v-S-s-e-ne-t- C-a-e- B-et-R-a-c-h-t-s- L-e-i-D-e-n- V-n-dd-e-r- A-v-f-E-r-s-T-e-n- I-h-e-S-vc-H-r-i-S-t-iv-n-s-E-r-s- H-e-r-R-e-nw-n-d- S-e-l-I-g-m-A-C-h-e-r-s (W III,1149). 12 Mit HERR-ZOG-O T-HEJN als Akrostichon und PFALTz-GRAFF-E- BEy REJN als Telestichon (vgl. W IV,163) ist in dem von Sebastian Ochsenkhun 1558 in Heidelberg herausgegebenen Lautentabulaturbuch sogar ein Akroteleuton überliefert (Abb. 16.6). 13 Eine herausragende Stellung in der Akrostichdichtung nehmen die Herzöge und Kurfürsten von Sachsen ein. Politische 11 Dorothea van Meding[en], Domina to [zu] Lüne[n] im Kloster. 12 Anna Sophia Marggräfin zu Brandenburg et cetera, ein geborns Fräulein in Preussen et ce[tera], betrachts Leiden und der Auferste[hu]n[g] Jesu Christi, unsers Herren und Seligmachers. 13 Vgl. Anm. 1. Zu der Heidelberger Tabulatur vgl. Ameln, »Herr Gott laß dich erbarmen« (1992/ 93), S. 95 - 97. Akrostichon und Parodie 296 Abb. 16.5: Kassiberartige Botschaft: CHrist-Pau-Man-Gefangen vnd geschlagen-Zu-Gottes- Preiß und Lob-Amen (Ausbund 1583) Geschichte und Kirchengeschichte wird lebendig, wenn MOr-Itz-Hertz-O g- Zu-Sachsen (W III,1179) in einem späteren Lied (W III,1181) den akrostrophischen Zusatz Chur-Fürst erhält und damit im Kirchenlied sichtbar wird, dass 1547 durch den Ausgang des Schmalkaldischen Krieges die Kurwürde und die Führungsstellung im deutschen Luthertum von der ernestinischen auf die albertinische Linie der sächsischen Herzöge übergegangen war. Dass Akrosticha somit auch Datierungshilfen leisten können, sei nur am Rande vermerkt. 14 Auf Moritz folgte 1553 sein Bruder August, der 33 Jahre als Kurfürst in Dresden regierte. Dem überzeugten Lutheraner und seiner Frau Anna, Tochter König Christians III. von Dänemark, wurden zahlreiche Akrostichlieder gewidmet. So dichtete Caspar Füger mehrere Gesänge auf die Namen »A vnd A« (z. B. W IV,27). 1580 veröffentlichte er »Ein Christlich Gebet, vmb erhaltung des reinen vnverfelschten Worts Gottes [. . .] im Thon: Verley vns frieden gnediglich«, dessen vier mal vier Verse A-v-G-v-S-t-V-s- V-n-(V)-d- A-n-N-a ergeben (W IV,20). 15 Die Dichter der Barockzeit fanden im Akrostichon erst recht ein willkommenes Mittel, um dem Regenten von Gottes Gnaden und seinen Angehörigen zu huldigen. Ganz im Sinne absolutistischer Rangordnung war es, die Namensakrosticha von Mitgliedern der fürstlichen Familie typographisch, z. B. durch Antiqua-Lettern im Fraktursatz hervorzuheben, während die Namen der Hofbediensteten sich dem suchenden Auge erst erschließen mußten. 16 7. Monogramm Ebenfalls häufig, aber nicht so leicht zu entschlüsseln, sind Akrosticha, die sich aus den Initialen von Personennamen zusammensetzen. Wenn sie nicht typographisch hervorgehoben sind oder sich auf einen Hinweis in Über- oder Unterschrift beziehen, ist die Dechiffrierung schwierig. So enthält das Lied Ich Muß Christlich vertragen das Monogramm des Verfassers nicht nur in den ersten drei Wörtern des Anfangsverses, sondern auch in den Initialen der drei Strophen sowie in der Überschrift: »Umb Gedult im Kreutz I.[ohann] M.[eyer] C.[ellensis]«. Die Hervorhebung des Monogramms durch Antiqua-Lettern in dem Fraktursatz macht es unübersehbar; die Enträtselung war aber nur möglich 14 So muss das Schmählied des ursprünglich der reformatorischen Idee aufgeschlossenen Konstanzer Domherren Johannes Botzheim COnstantz, o we, am Bodensee (W III,555) mit dem akrostichisch eingewobenen Fluch COnstantz-Sol-Gestrafft-Werden und die trotzige Antwort des angegriffenen Reformators Ambrosius Blarer, COstantz[! ]-Du-Würst-Sigen in dem gleichgebauten Lied COstantz, du bist wol dran mit Christ (W III,652) 1526 oder wenig später entstanden sein, nachdem das Domkapitel von Konstanz nach Überlingen übergesiedelt war. Vgl. Jenny, Geschichte des deutsch-schweizerischen evangelischen Gesangbuches im 16. Jahrhundert (1962), S. 252, 289. 15 Vgl. Beitrag 17, S. 319 mit Anm. 11. 16 Vgl. Beitrag 7. Akrostichon und Parodie 298 Abb. 16.6: HERR-ZOG-O T-HEJN und PFALTz-GRAFF-E-BEy REJN bilden ein Akroteleuton (Heidelberg 1558) über den Buchtitel: Geistlich Wecke = und Beteglöcklein, zur ermunterung Christlicher Andacht [. . .] Durch Johannem Meyerum C. P. N., Celle 1641 (FT II,338). Die Deutung eines Monogramms auch als Sinnspruch erfreute sich allgemeiner Beliebtheit. So ist M. B. S. U. unter der Überschrift »Geistliches Lied auf des Verfassers Symbolum, nach seines Namens anfangs Buchstaben gerichtet« als M.[agister] B.[onifacius] S.[tölzlin] U.[lmiensis] aufzulösen wie auch als M.[ein] B.[egierd] S.[teht] U.[bersich] (FT III,351). Das Symbolum des seit 1656 in Kuchheim bei Ulm tätigen Pfarrers eröffnet jede der 12 Strophen des 1660 gedruckten Liedes. Eine umfassende dynastische und genealogische Recherche erfordert die Deutung des Monogramms M[adgalena]-S[ibylle]-H[erzogin]-z[u-S[achsen]- I[ülich]-C[leve]-u[nd]-B[ergen] in dem Scheidelied MEine Zeit hat nun ein Ende (FT IV,292) voraus, um zu ergründen, welche fürstliche Frau sich hinter dem Akrostichon, welche hinter der Unterschrift F.[räulein] M.[agdalena] S.[ibylle] P.[rinzessin zu] S.[achsen] verbirgt. Die prominentesten Beispiele für akrostrophische Monogramme im Kirchenlied stammen von Philipp Nicolai. Die Anfangsbuchstaben der sieben Strophen von Wie schön leuchtet der Morgenstern (EG 70) bilden das vollständige Monogramm seines fürstlichen Zöglings W[ilhelm]-E[rnst]-G[raf]-V[nd]-Herr- Z[u]-W[aldeck] (s. u. Abb. 17.2). Die drei Strophen von Wachet auf, ruft uns die Stimme (EG 147) ergeben rückwärts gelesen G[raf]-Z[u]-W[aldeck] (s. u. Abb. 17.3). Der achtzackige Stern im Wappen der Waldecker mag in huldigender Absicht die berühmte Metapher vom Morgenstern ausgelöst haben. 17 Das fürstliche Widmungsakrostichon H[erzogin]-Z[u]-S[achsen] in dem Lied Herr, wie du willst, so schick ’ s mit mir (EG 367) von Kaspar Bienemann ist ein weiteres Beispiel für ein akrostrophisches Monogramm im gegenwärtigen Gesangbuch. 18 8. Bibel- und Sinnspruch Durch das berühmte Beispiel von Paul Gerhardts Vertrauenslied Befiehl du deine Wege (EG 361) ist das Spruch-Akrostichon allgemein bekannt. In ähnlicher Weise wie hier die Anfangswörter der 12 Strophen den Psalmvers (Ps 37,4) BEfiehl-Dem HErren-Dein-Weg-Vnd-Hoff-Auf-Ihn-Er-Wirds-Wol-Mach en ergeben (FT III,435), wurden im 16. und 17. Jahrhundert zahlreiche Bibel- und Sinnsprüche überwiegend aus Satzteilen, Wörtern und Silben, seltener aus Buchstaben gebildet. Bei der Verbindung eines Wahlspruchs mit dem Namen seines Trägers wird der Personenname meist aus Buchstaben, das Symbolum aus Wörtern oder Wortgruppen zusammengesetzt: W-O-L-F-G-A-N-N-G- 17 Ausführliche Darstellung der Akrostichlieder von Nicolai in Beitrag 17 mit Abb. 17.2 und 17.3. 18 Zu den Akrostichliedern von Bienemann vgl. ebenfalls Beitrag 17. Akrostichon und Parodie 300 V-O-N- M-E-N- Maria-Hilff-Mir-Dann (W II,1325), C-I-R-Y-A-C-V-S- S-C-H-N-A-V-S- V-O-N- R-O-T-H-A- A-P-O-T-E-C-K-E-R- G-E-S-E-L- Des-Herren-Wort-Bleybt-In ewigkeyt (W III,1129), J-o-h-A-n-n- W-i-lh-e-L-mh-E-r-t-Z-o-gz-v- S-a-c-H-s-e-Ndas-mein-einigs-lieb- D-o-r-Ot-h-E-as-v-s-A-n-n-Aich-weis-Das-mein-erlöser-lebt-Amen (W IV,1053). In einem konsequent stichischen vierstrophigen Akrostichlied wird der Name eines Freiherrn in der ersten Strophe als Wortakrostichon festgehalten; in Str. 2 und 3 werden die Initialen des vollen Namens zweimal hintereinander aufgeführt, und Str. 4 schließt mit den Wahlsprüchen des Adeligen wiederum als Wortakrostichon: 1. PHILIPS-FREYHERR-ZV-WINNBERG-VND-BEILSTEIN-DER- IVNGER 2. P-F-Z-W-V-B-D-I 3. P-F-Z-W-V-B-D-I 4. NICHT-SPOTT-MIT-GOTT- GOTT-ALLEIN-DIE-EHR (W V,46). Aus der Fülle der verarbeiteten Sprüche nenne ich nur wenige typische, die auch in Varianten vorkommen: »Gott verläßt die Seinen nicht« (W IV,1018; W V,261; FT V,20), »Hilf mir, mein Gott« (W IV,1025), »Alles zu seiner Zeit« (W IV,1026), »Herr, nach deinem Willen« (W IV,1039; FT I,32), »Zu Gott mein Trost (Sonst anders Kein)« (W IV,1015,1027), »In Gott meine Hoffnung«. Letzterer war bereits der Wahlspruch Johann Friedrichs des Großmütigen (1503 - 1554), des letzten ernestinischen Kurfürsten von Sachsen, den Kaiser Karl V. nach der Schlacht bei Mühlberg 1547 gefangennahm und der die Kurwürde sowie die politische und geistige Vormachtstellung an seinen Vetter Moritz (1521 - 1553) und damit von Torgau an den Dresdner Hof abgeben mußte (s. o. S. 298). In der Zeit seiner Gefangenschaft wurden ihm deshalb zahlreiche Akrostichlieder gewidmet, z. B. VOn [Aller Welt verlassen]-Gottes-Genaden-Johans-Fridreich- Herrtzog-Zu Sachsen-Churfürst [»Bin ich gewesen, des bin ich nu entsetzt«] (W III,1185; vgl. W III,1194 - 1197). In der zweiten Strophe eines nichtakrostichischen Liedes wird ihm - wohl aus Reimgründen - die christologische Variante seines Wahlspruchs in den Mund gelegt: »Mein Hoffnung steht allein zu Christ« (W III,1199). Die lateinische Version des Symbolums, SPES MEA IN DEO EST, krönt sein Konterfei im Fürstenzug zu Dresden. Auch Leben und Sterben des dänischen Königs Friedrich II. stand unter diesem Symbolum (W IV,1017), das seiner Gemahlin Sophie von Mecklenburg unter GOtt-Verlest-Die Seinen-Nicht (W IV,1018). 19 1984 wurde in Flensburg eine 1582 in Nürnberg gedruckte fünfstimmige Motette auf die Sinnsprüche des dänischen Herrscherpaares entdeckt. Der Text von Paulus Schede (Melissus) 19 Vgl. KLL I, 226 Gott ist mein Heil Glück Hülf und Trost. Das Akrostichon im Kirchenlied 301 (1539 - 1602) »In Symbola Regis et Reginae« beginnt mit den Worten »Mein hofnung zu Gott allain« und endet mit »Got verlest die Seinen nicht«. 20 Beide Symbola bleiben auch im 17. Jahrhundert beliebte Wahlsprüche. Mindestens zehn Mitglieder der »Fruchtbringenden Gesellschaft« trugen den dem Psalter entlehnten Spruch »Zu Gott meine Hoffnung« (vgl. Ps 62,6) in verschiedenen Varianten in das Köthener Gesellschaftsbuch Fürst Ludwigs I. ein oder führten ihn auf ihrem Wappenschild. 21 Auch Georg Philipp Harsdörffer (1607 - 1658), der als Sprachtheoretiker unter den bezeichnenden Gesellschaftsnamen »Der Spielende« und »Der Kunstspielende« in die »Fruchtbringende Gesellschaft« und in Philipp von Zesens »Deutsch-gesinnte Genossenschaft« aufgenommen worden war, schrieb ein »Trostlied Auß dem Spruch« GOtt-Verläst-Die Seinen- Nicht (FT V,20). Zahlreiche Lieder von Otto Moyse, deren Zeilenanfänge Buchstabe für Buchstabe oder Wort für Wort z. T. lange Bibelsprüche ergeben, erschienen 1613 in Hamburg in niederdeutscher Sprache. Da im Titel Christlyke Gesenge vor de yungen Kinder vnde Godtsalige Christen (W IV,1079 - 1085) die Jugend ausdrücklich angesprochen ist, haben die Akrosticha hier wohl vor allem eine memorative Funktion. Vers für Vers können sich die Kinder in den für sie verfassten relativ kurzen Neujahrsliedern die Jahreslosung merken, z. B. M-I-N- L-O-F- I-S- C-H-R-I-S-T-V-S- A-M-E-N (1573, vgl. W IV,1080; Abb. 16.7) oder KAmt-her-Tho-my-All de-Gy-bemöiet-Vnd-beladen-Synt-ick-Wil-iuw- Erquicken-A-M-e-N-Amen (1587; W IV,1082). Moyse greift auf eine uralte Funktion des Akrostichons zurück: Einzelne Verse oder Strophen konnten nicht verändert, vertauscht, weggelassen oder hinzugefügt werden, ohne das Akrostichon zu zerstören. Religiöse Sprüche blieben so unantastbar und damit heilig. Neben Besfiehl du deine Wege (EG 361) finden sich in gegenwärtigen Gesangbüchern noch die Spruchlieder Herr, nun selbst den Wagen halt (EG 242) von Huldrych Zwingli (Herr-Gott-Hilf) und Meinen Jesus laß ich nicht (EG 402) von Christian Keimann. 22 9. Grußbotschaft Wie bereits erwähnt, hatten täuferische Gruppen, von ihnen besonders die Huterer, eine große Vorliebe für das Akrostichon. Václav Bok stellte in den 543 handschriftlich überlieferten Liedern der Huterer 92 z. T. farbig hervorgehobene Akrosticha fest. 23 Rudolf Wolkans Mitteilungen wurden dadurch weit über- 20 Kongsted, Kronborg Brunnen und Kronborg-Motetten (1991). 21 Conermann (Hg.), Fruchtbringende Gesellschaft. Bd. 3 (1985), Mitglieder Nr. 13.42.70.71. 301.334.336.347.357.455. 22 Vgl. Beitrag 17, Abschnitt I. 23 Bok, Hauptmerkmale der huterischen Lieder, Diss. masch. Prag 1972. Den Hinweis auf diese Arbeit, der die folg. Beispiele entnommen sind, verdanke ich Ursula Lieseberg. Akrostichon und Parodie 302 Abb. 16.7: Spruchakrostichon mit der Jahreslosung von 1573 (Otto Moyse) troffen und z. T. richtig gestellt. 24 Der Anteil an Akrostichliedern von fast 20 % ist damit um ein Mehrfaches höher als bei den Kirchenliedern aus dem Hauptstrom des Protestantismus im 16. und 17. Jahrhundert. Auch bei den Huterern überwiegen die Namensakrosticha (79). Das Besondere an ihnen ist jedoch, dass die Namen teilweise mit Mitteilungen und Grußbotschaften verbunden sind. So verwob Bischof Andreas Ehrenpreis in den 25 Strophen seines Scheidelieds Ach Gott, es kommt die Stunde, daß ich von hinnen soll den Gruß: ANDREAS-ERNPREIS-Laßt-Hiermit-Urlaub- Nehmen-Grüß-Gott. Hans Raiffer, der 1558 mit mehreren Leidensgenossen in Aachen gefangengenommen und hingerichtet wurde, verabschiedet sich mit 17 Liedstrophen, deren Anfangswörter ergeben: Gott-Ist-Mit-Euch-Ihr- Lieben-Brüder-Und-Schwestern-Und-Kinder-Gottes-Und-Darum-Gehabt- Euch-Wohl. In einem anderen Lied ermahnt er sie: Wie-Hertzlich-Geren- Wolten-Ich- Und-Meine-Brüeder-Schwestern-Euer-Lieb-Frieden-Und- Ainigkeit-Sehen-Amen. Ähnlich apostolisch wirkt der Gruß des bedeutendsten huterischen Dichters Peter Riedemann (47 Lieder) aus dem Gefängnis in Hessen: Wie- Wol-Ich-Im-Leib-Nit-Bey-Euch-Bin-So-Ist-Doch-Mein-Hertz-Und- Geist-Mit-Euch. Die Gefangenen tauschen verborgene Grüße offensichtlich auch untereinander aus. So ergeben die Strophenanfänge eines Liedes von Bastl Schlosser den Zuspruch: Gnad-Mein-Klein-Hannß-Mändl-Tröst-Dich-Gott. Die Initialwörter des sechsstrophigen Antwortliedes (Dein Wunsch und Gab empfangen hab) des so Angesprochenen lauten: Dein-Trost-Sei auch-Der-Herr. Dem Dichter des Liedes wird noch von einem anderen Mitgefangenen, Eustachius Kotter, eine Botschaft in Akrostichform übersandt: Mein-Liebster-Brueder- Hans-Mantl-Ich-Stächl-Schickk-Dir-Ein-Neu S-lied-Schau-Obs-Recht-Sei- Wo-Nit-Thues-Aus-O-Gott-Erlös-Die-Gfangen. 1561 erleiden Verfasser und Adressat in Innsbruck gemeinsam den Märtyrertod. Die von Wolkan aufgestellte These einer beabsichtigten Heimlichkeit zieht Bok in diesem Zusammenhang sehr in Zweifel. Diese Frage konnte noch nicht abschließend geklärt werden. Jedenfalls weisen Namensakrosticha, die in Märtyrerliedern besonders häufig sind, fast immer auf die Glaubenszeugen hin, denen damit ein Denkmal gesetzt wird und mit deren Opfertod sich die Sänger bzw. Leser identifizieren sollen. Nur in Ausnahmefällen enthält das Akrostichon den Namen des Verfassers, so bei dem Lied des Kölner Mennonitenpredigers Heinrich von Krufft, der den Märtyrertod des Matthias Servaes, mit dem er predigend und taufend durch niederrheinisches Gebiet gezogen war, 1565 als Augenzeuge erlebt und in 22 Strophen beschrieben hat. Die Stropheninitialen 24 Wolkan, Die Lieder der Wiedertäufer (1903). - Ders., Die Hutterer (1918). - Ders., Geschicht- Buch der Hutterischen Brüder (1923). Akrostichon und Parodie 304 des Liedes HYnweg ist mir genommen mein freudt in dieser Zeit ergeben: H-E(i)-N-R-I-C-H- V-O-N- K-R-V-F-F-T- L-E-E-R-E-R (W V,1095, vgl. 1096 - 1097). 10. Besonderheiten Es gibt Sprüche und Wünsche, die auf ein einziges Wort reduziert sind, z. B. G-E-D-V-L-T (W V, 746). Auch Städtenamen sind im Akrostichlied bittend, klagend oder rühmend verankert: R-A-V-E-N-S-P-V-R-G (W III,1150), MAg-De-Burg (W III,1229), H-A L-L-E-In-Sachsen-Land (W III,1183). Der Kantor Nikolaus Herman besingt »seine« Bergstadt I-O-C-H-I-M-S-T-A-L (W III,1391), der Pfarrherr Cyriacus Schneegaß als Parodie darauf »sein« F-R-I-D- R-I-C-H-R-O-D-A (W V,223). Beide hinterlassen im letzten Vers der letzten Strophe eine Signatur: ». . . das wündscht Herman der alte« bzw. ». . . singt dein Seelsorger, Amen«. Mehrere Verfasser, unter ihnen Abraham Theopoldus in seinem Geistliche[n] Wochen Calender, Rinteln 1635, und Josua Wegelin in seinem Augspurgischen Gebetbüchlein 1636 kennzeichnen die Morgen- und Abendlieder für jeden Tag der Woche durch entsprechende Akrosticha, z. B. M-O-N-T-A-G (FT II,480). Der lateinische Hymnus »De sancto Ioanne baptista« mit dem guidonischen Hexachord Ut-re-mi-fa-so-la in der ersten Strophe (W I,127) ist ebenso bekannt wie der »Hymnus de XV psalmis graduum«, der die 15 Psalmenanfänge 119 - 133 enthält (W I,140). In diesen Zusammenhang gehören auch die Lieder, deren Strophenanfänge die zehn Gebote und die Bitten des Vaterunser paraphrasieren und damit dem Spruchakrostichon verwandt sind. Das mittelhochdeutsche Marienlied »Quinque sunt vocales, AEIOU« (W II,346) reimt ebenso wie das berühmte Winterlied Walthers von der Vogelweide Diu welt was gelf, rôt unde blâ alle Verse einer Strophe auf jeweils einen der fünf Vokale. Die tiefere Bedeutung des so entstehenden Telestichons ist sicher der des Marien-Abecedariums vergleichbar. Das Akrostichon im 18. Jahrhundert Da es vergleichbare Anthologien wie die für das 16. und 17. Jh. für die drei nachfolgenden Jahrhunderte noch nicht gibt - obwohl die immense Arbeit, die Wackernagel und Fischer/ Tümpel im 19. Jh. ohne Technikunterstützung leisteten, im Zeitalter elektronischer Datenverarbeitung sehr viel müheloser möglich sein müsste - , konnte eine ähnlich systematische Untersuchung der nach 1700 entstandenen Kirchenlieder auf Akrosticha, ihre Häufigkeit, ihre Typen und ihre Anwendung bisher nicht erfolgen. Die Prüfung zahlreicher und maßgeblicher Gesangbücher vermittelt aber doch einen Eindruck, der als repräsentativ angesehen werden darf. Das Akrostichon im Kirchenlied 305 Das Akrostichon erfuhr im Zeitalter von Pietismus und Aufklärung einen starken Rückgang. Liederdichtern, die ihre überreiche Produktion von Texten gern göttlicher Eingebung zuschrieben, schien die Einengung durch ein strophisches oder gar ein stichisches Akrostichon im Wege zu stehen. So ist unter den Tausenden von Liedern eines Zinzendorf kein einziges Akrostichlied bekannt. Und die Aufklärer, die durch ihre rationalistischen Text-«Verbesserungen« fast alle Akrosticha in den älteren Liedern zerstörten, lehnten aufgrund ihrer vernunft- und verstandesbetonten Religion ohnehin alles »Künstliche« und »Spielerische« ab. Dichter wie Erdmann Neumeister und Benjamin Schmolck, die nur schwer einer der Zeitströmungen zuzuordnen sind, fanden an dem traditionellen Stil- und Formprinzip dagegen noch Gefallen. Das in den fast 1.200 Liedern von Benjamin Schmolck (1672 - 1737) immer wieder auftretende Monogramm BS wird gern als B[etender] S[chlesier] gedeutet. Er selbst nannte sich der BeStändige. 1704 gibt er seine ersten 50 Lieder heraus unter dem Titel Heilige Flammen der Himmlisch = gesinnten Seele, die mit mehreren Erweiterungen zu seinen Lebzeiten und noch Jahrzehnte darüber hinaus zahlreiche Auflagen erfuhren. 25 Von den ersten 50 Liedern der Erstauflage enthalten 37 konsequent stichische Namensakrosticha. In drei Fällen wird jeder Buchstabe des Akrostichons verdoppelt - eine bisher nur aus der hebräischen Bibel bekannten Variante: CCRRJJSSTTOOFF RREEHHWWAALLDD BS (Nr. 37). Das aus den Versinitialen der vier achtzeiligen Strophen gebildete Akrostichon (Christof Rehwald) wird erst vollständig durch das Monogramm des Autors (BS), mit dem er das Lied gewissermaßen signiert. Die Schlusszeilen lauten: »Bleib GOtt getreu, so bleibts dabey; / Sein Hertz wird dich nicht lassen« (Abb. 16.8). Ähnlich verfährt Schmolck bei zahlreichen Liedern, z. B. bei dem mit »Wahre Freude in GOTT« überschriebenen Lied auf den Namen seiner Ehefrau ANNA ROSINA SCHMOLCKIN GEBOHRENE REHWALDIN: »Bey diesem halt ich stille, / Sein Will ist auch mein Wille« (Nr. [26]). 26 Da die Heirat am 12.2.1702 erfolgte, wird dieses Lied frühestens zu diesem Datum entstanden sein, während die beiden Lieder auf ihren Mädchennamen ANNA ROSINA REHWALDIN (Nr. 28, 29) sicher davor gedichtet wurden. Auch hier dient das Akrostichon als Datierungshilfe. 25 Die mir vorliegende Aufl. Leipzig 8 1720 enthält 140 Lieder, darunter 41 Akrostichlieder, mit der Widmung des Verfassers: »Der GOTT und Ihm Wohlbekandten, Wohlthätigen Hand, überreichet abermals diese wenige Blätter, der in seinem Gebet und Diensten BeStändige.« 26 Weitere Beispiele: »Bleib ich bey GOtt in Gnaden, / So kan mir gar nichts schaden« (Nr. 20); »Bete, leide, lebe rein, / Selig wird dein Ende seyn« (Nr. 33); »Bey dir will ich auch sterben, / So kan ich nicht verderben« (Nr. 36); »Bleibe hier und dort mein Licht, / So laß ich Dich nimmer nicht« (Nr. [39]). Die Kursivierungen sind von mir. Akrostichon und Parodie 306 Abb. 16.8: Widmungsakrostichon mit Doppelbuchstaben und Signatur von B[enjamin] S[chmolck], Leipzig 8 1720 [ 1 1704] Die übrigen 34 Namen beziehen sich bis auf einige Verwandte und Bekannte auf Angehörige des schlesischen Landadels überwiegend weiblichen Geschlechts. Sie müssen die Auftraggeberinnen gewesen sein, von denen Koch in seinem biographischen Abriss spricht: Der bereits als Student zum poeta laureatus gekrönte Dichter wurde um viele Gelegenheitsgedichte angegangen, die ihm so gut bezahlt wurden, daß er seine Universitätszeit, in die eine gefährliche, seine ganze Lebenszeit ihm nachgehende Krankheit gefallen war, noch um ein viertes Jahr verlängern konnte (Koch V, 466). Akrostichlieder als lukrative Einnahmequelle für einen › Werkstudenten ‹ dürfen als Signal für den Niedergang genommen werden, der dem Akrostichon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, vor allem aber im 19. und 20. Jahrhundert nur noch einen Platz in der Kasualliteratur einräumt. Sobald Schmolck 1702 eine feste Pfarrstelle an der Friedenskirche zu Schweidnitz erhielt, ließ die Produktion von akrostichischen Gelegenheitsgedichten merklich nach. In die späteren Auflagen der Heiligen Flamme nimmt Schmolck nur noch je zwei Lieder mit Namens- und äußerst kunstvollen Spruchakrosticha auf. In Nr. 60 WIe GOtt will, so soll es gehen mit der Überschrift »Nach GOttes Willen« ergeben die Anfangswörter der sechs Zeilen jeder der vier Strophen - also viermal - den häufig verwendeten Wahlspruch Schmolcks: Wie-GOtt-will-Ist-Mein-Ziel. 27 Die 30 Zeilenanfänge der fünf Strophen des Liedes Nr. 61 HERR, mein GOtt, was wolt ich haben bilden dagegen untereinander gelesen Psalm 73, 25 f.: HERR- Wenn-Ich-Nur-Dich-Hab-So-Frag-Ich-Nichts-Nach-Himmel-Und-Erde- Wenn-Mir-Gleich-Leib-Und-Seele-Schmachtet-So-Bist-Du-Doch-GOTT- Allezeit-Meines-Hertzens Trost-Und-Mein-Theil. 28 Auch in der Zitier- und Parodietechnik von Erdmann Neumeister (1671 - 1756) gibt es akrostichartige Formen (vgl. Beitrag 18). Auf diese Weise parodiert er eine bekannte Liedstrophe von Zinzendorf. Dieser hatte die Zeilen 3 - 4 der ersten und 1 - 2 der zweiten Strophe eines alten Sterbeliedes (In Christi Wunden schlaff ich ein, W IV,9) mit kleinen Veränderungen zur Anfangsstrophe für ein eigenes Lied zusammengezogen, 32 Strophen hinzugedichtet und im Herrnhuter Brüdergesangbuch veröffentlicht. Das 1739 auf einer Missionsreise entstandene Glau- 27 Vgl. Nr. 1 MEin JESU, wie du wilt! Überschrift »Wie GOTT will, ist mein Ziel«; Nr. 18 ES geh mir, wie GOtt will; Nr. [26] Liedende: »Sein Will ist auch mein Wille«. In Nr. 19 zitiert der »Beständige« gleich zwei Wahlsprüche und verewigt sich mehrfach mit seinem Monogramm. Überschrift: Das beständige Vertrauen. Liedanfang: »BEy GOTT allein steht mein Vertrauen«, Str. 2: »Sein Wille bleibet auch mein Wille«. 28 [2003 stellte Eberhard Oehler aus 10 Quellen eine Liste von insg. 110 Namensakrosticha Schmolcks zusammen (s. LitV).] Akrostichon und Parodie 308 bens-und Rechtfertigungslied wurde sehr beliebt und steht noch heute im Gesangbuch: 29 1. CHristi blut und gerechtigkeit das ist mein schmuk und ehrenkleid, damit wil ich vor GOTT bestehn, wann ich in himmel werd ’ eingehn. (Nikolaus Ludwig von Zinzendorf) 30 Mit theologischem und poetischem Geschick verwendet Neumeister 15 Jahre später diese vier Verse als Strophenanfänge eines neuen vierstrophigen Rechtfertigungsliedes. Auf diese Weise entsteht ein aus den Strophenincipits zusammengesetztes Spruchakrostichon - nicht nur im handwerklichen Sinne, sondern durchaus auch mit der Bedeutung der ars memorativa und der ars contemplativa. 1. Christi Blut und Gerechtigkeit Ist meines Glaubens Sicherheit. Wenn das Gesetz die Sünde sucht, Und mich verdammet und verflucht, So spricht mich da mein H e y l a n d frey, Daß nichts Verdammlichs an mir sey. 2. Das ist m e i n Schmuck und Ehrenkleid Zu meiner grössten Herrlichkeit: Ich ziehe JEsum Christum an. Wie Er für mich hat gnung getan: So ist, zu seiner Gnaden Ruhm, Sein gantz Verdienst mein Eigenthum. 3. Damit will ich für GOTT bestehn, Als auserwehlt, gerecht und schön. So väterlich ist GOtt gesinnt: Er küsst mich, als sein trautes Kind, Und hat mir alle Seligkeit Zum Erbtheil ewiglich bereitt. 4. Wenn ich zum Himmel werd eingehn, Und er mich da wird recht erhöhn, So will ich mit der Engel = Schaar Ihn frölich loben immerdar. Indess sey hier auch lebenslang Ihm Lob und Ehre, Preis und Dank! (Erdmann Neumeister) 31 29 Gesangbuch der Evangelischen Brüdergemeine (1967) 17 Str., [(2007) 10 Str.], EG (1993) 5 Str. 30 Christliches Gesang = Buch, der Evangelischen Brüder = Gemeinen ( 3 1741), Nr. 1258. 31 Psalmen, und Lobgesänge und Geistliche Lieder, Hamburg 2 1755, S. 272 f. Das Akrostichon im Kirchenlied 309 Nachwirkungen im amerikanischen Täuferlied des 19. Jahrhunderts 32 Da die Einwanderer täuferischer Herkunft ihre aus Europa mitgebrachten Liedersammlungen und Gesangbücher lange Zeit in Amerika weiterbenutzten und nachdruckten - der Ausbund von 1564/ 1583 ist bei den Old Order Amish noch heute unverändert in Gebrauch - , wurde auch die täuferische Akrostichtradition überliefert und weitergegeben. Es ist auffällig, dass zur Zeit des deutschen Idealismus und der Romantik die ersten eigenen Liedschöpfungen deutsch-amerikanischer Mennonitenprediger Namensakrosticha der Verfasser enthalten. Beispielhaft nenne ich das Scheidelied Rath, hülf und trost, o HErr, mein GOtt, das 1820 in dem ersten »verordneten« Mennonitengesangbuch als Zugabe zur Zugabe erschien. 33 Die Anfangsbuchstaben der 13 Strophen bilden den Namen R-U-D-O-L-P-H- L-A-N-D-E-S. Da die Initialen auch in den Folgeauflagen typographisch nicht hervorgehoben sind, wurde ihre Bedeutung von der Forschung wohl bisher übersehen. Mithilfe zahlreicher anderer Quellen (Passagierliste, Brief in die alte Heimat, eigenhändige Lebensdaten in einem Erbauungsbuch, Gemeindeakten, Testament, Grabstein, Recherche bei Nachfahren) konnte ich den Verfasser des sonst nirgends nachgewiesenen Textes eindeutig identifizieren und ein Lebensbild erstellen. Es muss sich um den Diakon der Mennonitengemeinde in Deep Run, Bucks Co., Pa., Rudolph Landes (1732 - 1802) handeln, der 1749 aus der Pfalz nach Pennsylvania ausgewandert war. Aufgrund des Geburtsdatums und der letzten Strophe: »Sechszig = fünfe sind der jahre, Die nun bald sind verflossen« kann das Lied auf 1797 datiert werden und ist somit das älteste mennonitische Zeugnis geistlichen Liedschaffens in der Neuen Welt. 18 Jahre nach seinem Tode ehrten die amerikanischen »Mennonisten[! ] Gemeinden« ihren dichtenden Prediger mit dem Abdruck seines geistlichen Abschiedsliedes in der dritten Auflage ihres offiziellen Gesangbuchs. Es ist die einzige Ergänzung zur »Zugabe einiger auserlesenen Lieder«, die meisterhafte wie Wach auf, mein Herz, und singe (Paul Gerhardt 1647) und Jesu, meine Freude (Johann Franck 1653) enthält. Auch die nächsten, bereits in Amerika geborenen Generationen setzten die Akrostichtradition im Kirchenlied fort: Christian Guth (1779 - 1838), 34 Christian 32 Vgl. zum Folgenden die ausführliche Darstellung mit Beispielen und Literaturhinweisen im Schlusskapitel meiner Diss., S. 144 - 174, 204 - 241 [BibAK 2 (1971), engl. Übersetzung BibAK 6 (1974)]. 33 Die kleine geistliche Harfe der Kinder Zions [. . .] Auf Verordnung der Mennonisten Gemeinden (Germantown 1 1803, ab 2 1811 mit Zugabe von 20 Liedern, ab 3 1820 zusätzlich mit dem Scheidelied Nr. 21). 34 [Christian Guth,] Ein geistliches Lied, Gedichtet von einem Prediger auf seinem Siechbett. Einblattdruck o. O. ca. 1838 (s. QV 1838). Akrostichon und Parodie 310 Herr (1780 - 1853), 35 Daniel Kreider (1782 - 1860) 36 verewigten ihre Namen wie Rudoph Landes akrostrophisch ausschließlich in deutschen Liedern, während Johannes M. Brennemann (1816 - 1895) seine Erweckungslieder bereits in Englisch verfasste und mehrmals seinen amerikanisierten Namen akrostichisch einarbeitete. Sein Übersetzer David Scherk übernahm diesen für die akrostichische Signatur des Verfassers in den letzten 14 Zeilen der deutschen Version eines 20-strophigen Liedes: JOHN M BRENNEMAN 37 . Wie sehr die Akrostichtradition noch verankert war, zeigt auch ein Friedensgebet nach Beendigung des Bürgerkrieges in der Zeitschrift der Mennoniten The Herald of Truth, Chicago II/ 8 (1865) mit dem Akrostichon P-E-A-C-E, das in der deutschen Ausgabe der Zeitschrift Herold der Wahrheit aber fehlt. Zudem findet sich in Einblattdrucken aus dem 19. Jahrhundert in den mennonitischen Bibliotheken eine Fülle von Beispielen für die Verwendung von Akrosticha in Abschieds- und Begräbnisliedern sowie in moralischen ABC-Liedern, z. B. Das Musterweib im Alphabet von P. Töws: Anmutig und wie folgt besteh: Bescheiden trage sie zur Schau Charakterstark als Musterfrau Demütig fein. Sie geh einher Ehrbar nicht destoweniger. etc. 38 Beobachtungen im 20. Jahrhundert und Schluss Im 20. Jahrhundert spielt das Akrostichon fast nur noch im Gelegenheitsgedicht, vor allem in Hochzeits- und Bierzeitungen, eine Rolle. In neuester Zeit erfreut es sich offenbar weltweit großer Beliebtheit in der Werbe- und Computersprache. Firmen- oder Produktnamen werden als Akrosticha von Werbesprüchen gedeutet, oder umgekehrt: aus den Initialen mehrerer Wörter werden Notarika gebildet, z. B. RADAR (RAdio Detecting And Ranging) oder GAU (Größter Anzunehmender Unfall). Germanistik und Hymnologie sahen im Akrostichon in erster Linie eine vordergründige Wortspielerei, die ihre Legitimation in der Kasualliteratur besitzt. Aufgrund der freiwillig gewählten Beschränkung, die sich der Dichter aber schließlich mit jeder Form auferlegt und die Teil der poetischen Herausforderung ist, wurden Qualitätseinbußen a priori unterstellt. Dieses Vorurteil 35 Vgl. J. F. Funk (Hg.), A Biographical Sketch of Bish. Christian Herr. Also a Collection of Hymns, Written by him in the German Language (Elkhart/ Ind. 1887), Nr. 22 (s. QV 1887). 36 Vgl. Kreider, Hinterlassene Lieder (Lancaster/ Pa. 1861), S. 18 - 20 (s. QV 1861). 37 G. Funk (Hg.), Das kleine Lieder-Buch (Chicago [1865]), S. 43. - G. Funk (Hg.), The Little Hymn Book (Chicago [1865]), S. 27 f. (s. QV 1865). 38 Vgl. Anm. 31. Das Akrostichon im Kirchenlied 311 könnte erst bestätigt bzw. widerlegt werden, wenn die akrostichischen und die nichtakrostichischen Lieder desselben Verfassers einem Qualitätsvergleich unterzogen würden. Dass die Rationalisten der Aufklärungszeit den tieferen Sinn des Buchstabenspiels nicht erkannten, sondern alles Spielerische als Tand abtaten und deshalb bei den Textbearbeitungen in den »verbesserten« Gesangbüchern auf die Erhaltung eines Akrostichons keinen Wert legten, verwundert nicht. Ein bekanntes Beispiel ist Philipp Nicolais Lied Wie schön leuchtet der Morgenstern (s. o. S. 300 und Beitrag 17). Aber noch in zahlreichen Restaurationsgesangbüchern bis in unser Jahrhundert hinein begann die 2. Strophe mit der Textvariante »O meine Perl«, die 6. mit »Stimmt die Saiten«. Erst in EKG 48/ EG 70 wurde durch die Rückkehr zu »Ei meine Perl« und »Zwingt die Saiten« auch das Akrostichon wiederhergestellt. Spruchakrosticha sind im EG nun sogar einheitlich durch Kursivdruck hervorgehoben (EG 242, 361, 402). Es passt in die Befindlichkeit des Menschen der Gegenwart, dass wir für verloren gegangene Formen und die dahinter verborgenen Inhalte und Werte wieder empfänglich werden. Wir empfinden Respekt und Bewunderung für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Abecedarien und Ave Maria-Dichtungen als Abbild göttlicher Ordnung und Vollkommenheit. Und wir können nachvollziehen, dass das Akrostichon zu bestimmten Zeiten u. a. ästhetischer Ausdruck von Marienverehrung und Jesusliebe ist, Element der ars memorativa und der praxis pietatis, Huldigung weltlicher Vertreter Gottes auf Erden, Epigramm für Scheidende oder Verstorbene, › heiliger ‹ Schutz gegen Texteingriffe, Versteck für Grußbotschaften. Wenn Spiel nicht nur als zweckfreies Tun begriffen wird, sondern als Befriedigung eines Urbedürfnisses des Menschen, die den homo ludens in Harmonie mit sich, Gott und der Welt bringt, dann darf die Akrostichdichtung gern auch als spielerische Erfüllung des menschlichen Formtriebs (Schiller) angesehen werden. Im Kirchenlied erreichte sie eine besonders reiche, z. T. anrührende Blüte. Mit der vorgelegten Arbeit wollte ich besonders die hymnologische Forschung auf das Akrostichon als eine durch viele Zeiten und Literaturen tradierte Kunstform aufmerksam machen und zu weiterführenden Studien anregen. Das gesammelte Material wurde hier zunächst vorgestellt, typologisch geordnet und ansatzweise interpretiert. Die gestreiften Fragen, u. a. nach Bedeutung und Funktion des Akrostichons, nach der poetischen Qualität, nach der Motivation des Dichters, nach geistigen Bezügen - z. B. zur Mystik - bedürfen noch gründlicher Untersuchung. * * * Akrostichon und Parodie 312 Verzeichnis der bei Wackernagel (W) und Fischer/ Tümpel (FT) aufgefundenen Akrostichlieder, in eine typologische Ordnung gebracht. 1. Alphabetisches Akrostichon oder Abecedarium W I 2, 48 - 53, 69, 173, 370, 440; II 544, 580, 590, 732 - 736, 1014; III 891 - 894, 1137, 1176, 1231; IV 277, 594, 1286, 1312; V 3, 403, 516, 730, 1298 2. Ave Maria (Salve Regina u. ä.) W I (272), (304), 416; II 344, 345, 443 - 444, 485, 547, 730, 744, 770 - 776, 801/ 802, 1020 - 1026, 1088, 1159, (1258), 1262 3. Jesus und Maria W I 434; II 203, 204, (550), 577, 1250; III 179, 1456; IV 406, 632, 1078 FT II 163, 176; IV 297, 636, 637; V 515, 633 4. Tauf- oder Familienname (auch in Verbindung mit Initialen) W I 248, 367 - 369; II 738 - 740, 1319; III 210, 211, 213, 536, 560, 647, 854, 1256/ 1257; IV 7, 11? , 164, 575, 628, 769, 772, 797, 798, 803, 808; V 147, 657, 714? , 791, 794, 796, 797, 1060, 1098, 1107, 1357, 1594 FT I 29, 47, 78, 110 a/ b, 125, 126, 176, 242, 306, 403, 407, 468, 469, 473 - 476, 478 - 481, 490, 509; II 46, 49, 80, 83, 169; III 126, 241, 328, 330 - 332; IV 3, 128, 158, 159, 296, 298; V 226 5. Vollständiger Name (auch in Verbindung mit Herkunfts- und Berufsbezeichnung sowie Wahlspruch) W II 582, 1052, 1325, 1334; III 66, 112, 446, 529, 566, 567, 822 - 823, 855, 901, 960, 964, 989, 1012, 1129, 1131, 1154, 1217, 1223, 1224, 1227, 1234, 1252, 1320; IV 10, 13, 18, 150, 167, 627, 718, 719, 721, 771, 779, 781, 782, 788, 793, 799, 800, 1042, 1077, 1086, 1101 - 1102, 1112, 1301, 1554, 1557, 1558, 1560; W V 46, 133, 135, 137 - 138, 197, 260, 267, 422, 423, 428, 429, 534, 640, 641, 711, 713, 717, 725, 731, 742, 750, 803, 804, 806, 846, 861, 1027, 1028, 1038, 1047, 1092 - 1093, 1094, 1095 - 1097, 1131, 1339, 1392, 1602 FT I 16, 197 - 199, 250, 307, 402, 467; II 47, 95, 161, 312, 332? ; III 244, 336, 378; IV 2; V 48, 476, 499, 513 6. Fürstlicher Name W III 154 - 160, 212, 846, 1149, 1177 - 81, 1185, 1194 - 97; IV 14, 20, 25 - 27, 163, 832, 928, 1020, 1024, 1030, 1032, 1040, 1041, 1052 - 1053, 1300, 1573 - 1575; V 376, 414, 415, 417, 467, 510, 657, 769, 830, 900 FT I 47, 78; III 334; IV 375; V 265, 291 7. Monogramm W III 551? ; IV 261, 1038, 1046; V 393 - 395, 416, 836, 1064? FT II 92, 338; III 333, (351); IV 13, 292; V 531 8. Bibel- und Sinnspruch (auch in Verbindung mit Eigennamen) W II 1135, 1325; III 538, 552, 1129, 1130, 1228; IV 164, 1014, 1015, 1017 - 1019, 1021 - 1023, 1025 - 1027, 1039, 1052 - 1053, 1079 - 1085; V 46, 261, 401, 402, 413, 469, 511, 668, 796, 798, 800 - 802, 821, 824 - 826, 828 FT I 30 - 34; III 243, 319, 435; IV 13; V 20, 101, 109, 110 9. Grußbotschaft W II 737; III 527; V 1108 10. Besonderheiten W I 127, (140); II 182, 346; III 228? , 264? , 555, 652, 1130, 1150, 1183, 1229, 1391; V 223, 746 FT II 480 Das Akrostichon im Kirchenlied 313 Abb. 17.1: Philipp Nicolai (1556 - 1608) 17 Die geistlichen Lieder Philipp Nicolais und die höfische Akrostichtradition In der umfassenden Literatur über Wie schön leuchtet der Morgenstern und Wachet auf, ruft uns die Stimme, das berühmte Liederpaar Philipp Nicolais (Abb. 17.1), wird in der Regel in ein oder zwei Sätzen darauf hingewiesen, dass die Anfangsbuchstaben der sieben Strophen des Morgensternliedes als Akrostichon den Namen W[ilhelm] E[rnst] G[raf] V[nd] HERR Z[u] W[aldeck] bilden (Abb. 17.2), die Initialen der drei Strophen des Wächterliedes dagegen in rückwärtiger Reihenfolge das Monogramm G[raf] Z[u] W[aldeck] (Abb. 17.3). Allenfalls wird noch erwähnt, dass es sich bei dem Grafen um Nicolais Zögling, den Sohn der früh verwitweten Gräfin Margaretha handelt, dem er die Lieder zu Lebzeiten oder posthum gewidmet habe. Dabei hat es sein Bewenden. Schlägt der darüber hinaus Interessierte in den Lexika der Literatur, der Rhetorik oder der Religionswissenschaft den Artikel »Akrostichon« auf, erfährt er in ca. zehn Zeilen überall in etwa das gleiche. 1 Die Lektüre der Standardartikel trägt jedoch wenig zum Verständnis der Akrosticha in Nicolais Lieddichtungen bei. Ich möchte deshalb den Versuch machen, seine drei Akrostichlieder - die beiden genannten und ein wenig bekanntes drittes - in den Kontext geistlicher, speziell höfischer Akrostichdichtung zu stellen und der tieferen Bedeutung des Buchstabenspiels nachzuspüren. Dabei werde ich nach einem Blick in die Gegenwart die sächsisch-thüringische Traditionslinie im 16. Jh. aufzeigen, die direkt zu Nicolai und dem dritten, der Gräfin zu Waldeck gewidmeten Lied führt. Da dieses Lied im Gegensatz zu den beiden anderen bisher wenig Aufmerksamkeit erfuhr, wird es in meinen Ausführungen in einem eigenen Teil behandelt. › Morgenstern- ‹ und › Wächterlied ‹ werden in einem letzten Teil vor allem zu der Symbolik und der mystischen Dimension des Akrostichons in Beziehung gesetzt. Überarbeitete Druckfassung eines Vortrags bei der Tagung zum Thema Hof- und Kirchenmusik in der Barockzeit. Hymnologische, theologische und musikgeschichtliche Aspekte (Arolsen 5. - 7.6.1998) im Rahmen der 13. Arolser Barock-Festspiele. Siehe BibAK 18 (1999). 1 Zur Terminologie, Typologie, Verbreitung, Anwendung des Akrostichons etc. vgl. Beitrag 16. I. Von Philipp Nicolai (1556 - 1608) sind nur vier geistliche deutsche Lieder überliefert. Zwei gehören zum Besten, was an geistlicher Lyrik in deutscher Sprache je gedichtet wurde und widerlegen die Meinung, dass die durch das Akrostichon erzwungene Einengung nur Mittelmaß hervorbrächte. Noch unser gegenwärtiges Gesangbuch liefert überzeugende Beweise dafür, dass die poetische Herausforderung, der sich ein Dichter schließlich mit jeder Vorgabe stellt, Höchstleistungen hervorbringen kann. Unter den sieben Akrostichliedern im Stammteil des Evangelischen Gesangbuch (EG) befinden sich neben den Liedern von Philipp Nicolai (vgl. EG 70,147) noch andere Meisterwerke wie Paul Gerhardts BEfiehl du deine wege (vgl. EG 361) und Christian Keimanns MEinen JEsum laß ich nicht (vgl. EG 402) als Beispiele für das biblisch fundierte Spruchakrostichon. Bei Keimanns Lied ergeben die Anfangswörter der ersten fünf Strophen den an Gen 32,27 anklingenden Spruch, der zugleich die Kopfzeile des Liedes und die Schlusszeile jeder Strophe bildet. Folglich rahmt der Denkspruch, den der sächsische Kurfürst - wie von seinem Oberhofprediger überliefert - auf dem Sterbebett gesprochen haben soll, 2 das Lied an drei Seiten ein. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, dass der Regent selber spricht und nicht etwa der Verfasser oder ein anonymes Ich, ist sein Monogramm in die Verse der letzten Liedstrophe eingewoben: J[ohann]-G[eorg]-Ch[urfürst]-Z[u]-S[achsen] . . . spricht: Meinen Jesum laß ich nicht. Das Lied, das der Freund des Verfassers, der Zittauer Kantor Andreas Hammerschmidt nach dem Tode des Kurfürsten fünfstimmig vertonte (1658/ 59) und das u. a. Benjamin Schmolck (1704) und Erdmann Neumeister (1718) parodierten, 3 wurde zu einem Epitaph, zu einer posthumen Widmungsinschrift für den sächsischen Kurfürsten. So wie Hammerschmidt über seine Komposition setzte: »Ihr. Churfürstl. Durchl. zu Sachsen Hertzog Johan Georgen des Ersten Denck- und letzter Spruch«, geben Überschriften und Wahlsprüche häufig Hinweise auf verborgene Spruch- oder Namensakrosticha oder auch - wie hier - die Kombination von beiden. Der Liedanfang HErr, Wie Du Wilt, so schicks mit mir (W IV,1046; vgl. EG 367), der in dieser oder ähnlicher Form ein beliebtes fürstliches Symbolum war, lenkt die Aufmerksamkeit auf das akrostrophische Monogramm, das sich aus den Initialen der drei Strophen zusammensetzt: H-Z-S. Der Verfasser Kaspar Bienemann (1540 - 91) verweist im Erstdruck 1582 durch den Titel »Reimspruch, 2 »Ach JEsu: JEsu/ JEsu/ Ach JEsu erbarm dich meiner: JEsu hilff mir, JEsu, ich laß dich nicht«. Zit. nach E. Schmidt, Der Gottesdienst am Kurfürstlichen Hofe zu Dresden (1961), S. 23. 3 Vgl. KLL II, 51 - 53. Akrostichon und Parodie 316 Vnd tegliches Gebet, der Durchleuchtigen vnnd Hochgebornen Fürstin vnd Frewlin, Frewlin MARIA, geborne Hertzogin zu Sachsen, Landgreuin in Düringen, vnd Marggreuin zu Meissen« auf die Empfängerin des 1574 verfassten Huldigungsliedes. 1571, im Geburtsjahr der Prinzessin, war der Graecist und Dr. theol. Bienemann, der sich Melissander nannte, an den Hof ihres Vaters Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar berufen worden, um ihren Bruder, den neunjährigen Erbprinzen Friedrich Wilhelm (*1562) zu erziehen. Bereits zwei Jahre später, nach dem Tode des Herzogs (1573), wurde der streng lutherische Praeceptor von der calvinistischen Hofpartei in die Verbannung geschickt und erst 1578 als Generalsuperintendent nach Altenburg berufen, wo er 1591 starb. 4 Die beiden zuerst genannten Rezeptionsbeispiele von Gerhardt und Keimann weisen bereits tief ins 17. Jahrhundert hinein. Bienemanns Widmungsgedicht führt uns jedoch zurück in das politische, geistige und theologische Umfeld Philipp Nicolais im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts und die dogmatischen Auseinandersetzungen, an denen sich der Wildunger Hofprediger aktiv beteiligte. Die Rezeptionsbeispiele lassen folgende Schlüsse zu: 1. Akrostichlieder sind - bewusst oder unbewusst - noch heute lebendig. 2. Nicolais meisterhafte Akrostichlieder sind nicht die einzigen im gegenwärtigen Gesangbuch. Es gibt weitere von hoher Qualität, die alles andere als mittelmäßige Gelegenheitsgedichte sind. 3. Es gibt verschiedene Akrostichtypen, z. B. Spruch- und Namensakrostichon, in voller Länge oder als Monogramm. 4. Akrostichlieder stammen besonders häufig aus Sachsen und Thüringen. Von dort ist der Schritt zu Nicolai und den Grafen von Waldeck nicht weit. II. Philipp Nicolai, der an mindestens neun Lehranstalten ausgebildete Pfarrerssohn aus Mengeringhausen, erhielt wegweisende Impulse u. a. im thüringischen Mühlhausen (1572 - 73), an den Universitäten Erfurt (1575) und Wittenberg (1574 und 1576 - 79). 5 In Mühlhausen war sein einflussreichster Lehrer der von dort stammende Altphilologe und Poetologe Ludwig Helmbold (1532 - 1598). Dieser begabte und überaus produktive Dichter lateinischer und deutscher Verse hatte sich bereits zehn Jahre zuvor in Erfurt mit seinem ersten deutschen Lied unsterblich gemacht: Von Gott will ich nicht lassen (EG 365) klingt zweifellos fast 100 Jahre später noch nach in Christian Keimanns Meinen Jesum laß ich 4 Vgl. Koch II, 248 - 252. 5 Zur Biographie Nicolais vgl. Curtze, D. Philipp Nicolai ’ s Leben und Lieder (1859). - Koch II, 324 - 41. - Pannekoek, Das Pfarrergeschlecht Nicolai zu Mengeringhausen (1988), S. 55 - 71. Die geistlichen Lieder Philipp Nicolais 317 nicht und ist im EG ebenso vertreten wie sein beliebtes Danklied Nun laßt uns Gott dem Herren / Dank sagen und ihn ehren (EG 320). 6 Helmbold vermittelte seinen Schülern nicht nur seine profunde literarische Bildung und seine Begeisterung für die klassische Dichtkunst, sondern hielt sie zu eigenen poetischen Übungen an. Mit Sicherheit machte er sie in diesem Zusammenhang auch mit dem Akrostichon bekannt. Das uralte Formprinzip durchzieht praktisch die gesamte Versdichtung der griechischen und römischen Antike wie der geistlichen und weltlichen Poesie des Mittelalters in lateinischer und deutscher Sprache. So überrascht es nicht, dass sich auch der junge Nicolai in dieser Kunstform übte. Der Siebzehnjährige verfasste im Herbst 1573 in Dortmund 174 lateinische Hexameter über die Frage, ob der Heilige Geist eher einem Raben als einer Taube gleiche, und dedizierte das Gedicht selbstbewusst den Herren von Waldeck. Jedes Wort der Überschrift, der Widmung und des Gedichts (je nach Wortlänge waren dies pro Vers vier bis sieben) beginnt mit dem Buchstaben C - für einen Schüler zumindest handwerklich eine beachtliche Leistung, die Respekt verdient. 7 Dasselbe Buchstabenspiel wiederholte er ein Jahr später (1574) in Wittenberg mit 241 Hexametern auf den Buchstaben P und widmete sie Landgraf Wilhelm IV. von Hessen. 8 Da beide Gedichte sicher mit ernsthaftem Eifer geschrieben wurden und sich mit dem dogmatischen Glaubenskampf seiner Zeit über die »reine Lehre« befassten, mag das C für Christus, das P für den jungen Autor Philipp gestanden haben. Ebensogut mag die Häufigkeit der Initialen C und P im lateinischen Wortschatz Grund für die Buchstabenwahl gewesen sein. Im Winter des folgenden Jahres (1575/ 76) verdiente sich Nicolai sein Studium in Erfurt mit dem Verfassen von Gelegenheitsgedichten. Dabei war das akrostichische Einarbeiten der Namen der Auftraggeber Konvention. 1575 erschienen in Mühlhausen und Erfurt auch Helmbolds erste Sammlungen deutscher geistlicher Lieder, darin enthalten ICh weis, das mein Erlöser lebt (W IV,928). Durch die Ich-Form und das aus den Initialen aller Verse der drei Strophen gebildete Akrostichon J-o-h-A-n-s- W-I-l-h-E-l-m- H-e-r-T-z-o-g- Z-vs-A-c-h-S-s-e-n wurde das Lied häufig - z. B. im Dresdener Gesangbuch von 1656 - dem als Gönner Kaspar Bienemanns bereits erwähnten weimarischen Herzog selber zugeschrieben. Es wurde hingegen eindeutig nach dessen Tode 1573 von Ludwig Helmbold verfasst und der Witwe in den Mund gelegt. Es baut auf der sächsischen Tradition auf, Fürsten in akrostichischen geistlichen Liedern zu huldigen oder ihren Tod zu beklagen. Für die Hofprediger, die 6 Zu Helmbold vgl. BibAK 49 (2014). 7 Autograph überliefert und ausgestellt im Nicolai-Haus Mengeringhausen. Vgl. auch Curtze (Anm. 5), S. 12 f. 8 Vgl. Curtze, S. 15 f. Akrostichon und Parodie 318 ja auch häufig Herausgeber von Gesangbüchern waren, schien dies geradezu Verpflichtung zu sein. Sie versahen nicht nur das regierende fürstliche Paar, sondern dessen ganze Familie und weitere Mitglieder des Hofstaates mit akrostichischen Huldigungsgedichten vornehmlich zur Geburt, zum Geburtstag, zur Hochzeit und vor allem zum Begräbnis. Dabei wurde das Akrostichon häufig typografisch, z. B. durch römische Lettern, hervorgehoben. In den Hofgesangbüchern des Absolutismus bezog sich dies, hierarchisch differenzierend, jedoch nur auf die fürstliche Familie, nicht auf den übrigen Hofstaat. 9 Aber schon im Reformationszeitalter erfreuten sich fürstliche Namensakrosticha großer Beliebtheit. 10 Beispielhaft nenne ich Caspar Füger (1521 - 1592). Er war Hofprediger der Witwe Heinrichs des Frommen, von welchem 1539 in Dresden die Reformation ausgerufen worden war. Füger bedachte nicht nur seine Herrin VOn Gottes Gnaden-Katharina-Geborn von Mecklenburg-Hertzogin zu Sachsen (W IV,14), sondern auch die nachfolgenden Fürstenpaare A-v-G-v-S-t-V-s- V-n-(V)-d- A-n-N-a (W IV,20,26,27; V,376) sowie Ch-r-I-s-T-i-a-n-v-s- V-n-Ds-O-p-h-i-a (W IV,25) mit akrostichischen Bitt-, Klag- und Trostliedern. 11 Ganz im Sinne der christlichen Auferstehungsgewissheit nehmen die Trauergesänge aber spätestens in der letzten Strophe immer eine eschatologische Wendung. In Helmbolds oben erwähntem »Trostlied wider den Tod« singt der im Akrostichon genannte verstorbene Herzog den Hinterbliebenen als Vorausgegangener zu: 1. ICH weis, das mein Erlöser lebt: . . . 2. Er wirt hernach mich aus der Erdt leiblich wider erwecken . . . Am Schluss der 2. Strophe spricht er den Erlöser dann direkt an: »o HErr, mein Seel ich dir beuehl [befehl]« und bittet in der letzten Strophe für die noch »vnerzogen[en]« Nachkommen, dass sie »durch dein Wort erleucht« werden, »Selig vollenden diese zeit« und schließlich »in Ewigkeit new dich anschawen, Amen« (W IV,928). Bereits zu Lebzeiten Helmbolds wurde das Lied als »Epitaphium Hertzog Johan Wilhelms zu Sachsen« mehrfach gedruckt und u. a. von Joachim von Burck (1546 - 1610), in dessen Mühlhausener Schülerchor Nicolai gesungen hatte, vertont. Es ist schwer vorstellbar, dass Nicolai das berühmte Lied seines Lehrers nicht gekannt haben sollte. In seinem freudigen 9 Vgl. Beitrag 7. 10 In Beitrag 16 werden 50 Beispiele für das fürstliche Namensakrostichon im 16. Jh. aufgeführt. 11 August (1526 - 1586), Sohn Heinrichs (1473 - 1541) und Katharinas ( † 1561), übernahm 1553 von seinem Bruder Moritz (1521 - 1553) in der albertinischen Erbfolge die Kurwürde. Sein und seiner Gemahlin Anna (1532 - 1585), Tochter König Christians III. von Dänemark, gemeinsamer Sohn Christian (1560 - 1591), zu dessen Vermählung mit Sophie (1568 - 1622), Tochter des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg, Füger 1582 das Akrostichlied dichtete, übernahm 1586 nach dem Tode des Vaters die Regierung. Die geistlichen Lieder Philipp Nicolais 319 Grundton weist es bereits auf sein Alterswerk FrewdenSpiegel deß ewigen Lebens (1599) 12 und dessen dort zuerst veröffentlichte Akrostichlieder. Helmbolds Trostlied liefert vielleicht das entscheidende Argument für den Entstehungskontext und die Datierung der berühmten Lieder seines Schülers. Darauf komme ich im letzten Abschnitt noch zurück. Nicolai hatte vielfältige Kontakte nach Thüringen und Sachsen und kannte die dort erschienenen Gesangbücher und Liederdrucke. Es ist sogar belegt, dass er 1589 auf dem Höhepunkt des Konfessionsstreites mit seinem Bruder Jeremias zur Frankfurter Herbstmesse fuhr und für 14 Goldgulden Bücher erwarb, darunter das »Gesangbuch von Leipzig, 8.« und das epochale Werk Fünfftzig Geistliche Lieder vnd Psalmen von Lucas Osiander, Nürnberg 1586. 13 Bei dem »Gesangbuch von Leipzig« im Oktavformat wird es sich um den ebenfalls 1586 erschienenen Nachdruck des Babstschen Gesangbuchs gehandelt haben, dem ein neuer Anhang von 76 Liedern, u. a. von Helmbold und dem Architekten der Konkordienformel Nicolaus Selnecker, angefügt wurde. Ein knappes Jahr nach dem Büchererwerb wurde Nicolai in Marburg durch Intervention des calvinistisch gesinnten hessischen Landgrafen die theologische Doktorwürde verweigert, 1594 mit vierjähriger Verspätung in Wittenberg aber schließlich doch noch verliehen. III. Die 1585 verwitwete Waldecker Gräfin Margaretha hatte Nicolai nicht nur in die Pfarrämter nach Niederwildungen (1587) und Altwildungen (1588) vermittelt und zugleich als Hofprediger sowie als Erzieher ihres vierjährigen Sohnes eingestellt; als überzeugte Lutheranerin unterstützte sie ihn auch in seinem Anticalvinismus und verteidigte ihn klar und konsequent gegenüber Graf Franz von Waldeck und dem Landgrafen. Folgen ihres Engagements waren Drohungen gegen sie selbst, Kanzelverbot und Gefängnisandrohung für Nicolai. Delikaterweise war der Landgraf von Hessen Vormund des minderjährigen Sohnes Wilhelm Ernst, der ihrem Hofprediger als Zögling anvertraut war. Es nimmt nicht wunder, dass Nicolai als dogmatischer Verfechter der Konkordienformel sein erstes größeres Werk gegen den Calvinismus verfasste und es am Neujahrstag 1596 »Der Wolgebornen Gräffin und Frawen, Frawen Margaretha, geborene Gräffin zu Gleichen und Thonna, Gräffin und Frawen zu Waldeck, etc. Wittiben, meiner gn.[ädigen] Frawen« dedizierte. Zur Unterstützung der Widmung und der Widmungsvorrede fügt er der 1596 in Frankfurt verlegten Schrift noch »Ein Klagelied der Christlichen Kirchen zu Gott vber die 12 Vollst. Titel s. QV 1599. 13 Vgl. Curtze, S. 54. Vollst. Titel beider Liederbücher s. QV 1586. Akrostichon und Parodie 320 Caluinianer und Rottengeister« an, dessen 12 Stropheninitialen das vollständige Monogramm von MA[rgaretha]-Geborn-G[räfin]-Zu-Gleich[en]-Vnd-T[onna]-G[räfin]-V[nd]-F[rauen]-Zu-W[aldeck] bilden. Außerdem ist es der Gräfinwitwe, die gemäß Vorrede seit zehn Jahren dafür kämpfte, dass die »reyne Lehre in Kirchen und Schulen dieses Orts von dem Calvinischen Rottengeschmeiß lauter und unbefleckt erhalten würde« (Vorrede), in den Mund gelegt: MAg ich Vnglück nicht widerstahn (W V,393). Die erste Strophe ist wortgleich mit dem seit Klug 1529 zum Kernbestand lutherischer Gesangbücher gehörenden Akrostichlied, dessen Anfangssilben der drei Strophen den Namen Ma-Ri-A ergeben (W III,156; s. o. Abb. 16.3). Lange Zeit wurde deshalb Königin Maria von Ungarn und Böhmen, geborne Erzherzogin von Österreich und Schwester Karls V., als Verfasserin angesehen. Bereits Friedrich Spitta schrieb das Lied aber dem letzten Hochmeister des Deutschen Ordens Albrecht von Brandenburg-Ansbach zu, der es ihr in einer etwas weltlicheren Fassung (W III,159) wohl bereits 1522 oder 1523 gewidmet hatte. Albrecht wandelte 1525 den Deutschen Ordensstaat in das evangelische Herzogtum Preußen um. Und auch Maria schien sich dem neuen Bekenntnis zu öffnen. Denn als am 29. August 1526 ihr erst 20 Jahre alter Gatte, König Ludwig II. von Ungarn, in der Schlacht bei Mohacz fiel, dedizierte ihr Luther seine Auslegung von vier Trostpsalmen. 14 Jedenfalls hat das Lied den Glaubenskampf zum Inhalt. Nach den Worten des Verfassers gerät die Singende in Ungnade bei der Welt wegen ihres »recht glauben[s]« und ist sicher, dass Gott nach einer kurzen Zeitspanne, in der er sich verbirgt, diejenigen erwürgen wird, die sie, die Rechtgläubige, seines Worts berauben. In der 2. und 3. Strophe der Originalvorlage wird der Gedanke weiter ausgeführt, dass alles nur eine Frage der Zeit sei, »das kein gwalt«, also keine Regierung, fest bestehe und dass man des Beistandes Jesu Christi und des Schutzes Gottes sicher sein und auf bessere Zeiten hoffen dürfe: »All ding ein weil ’ ein sprichwort ist« (Str. 3). Genau dies ist der Tenor der elf Strophen, in denen Nicolai die Aussage der glaubensstarken Habsburgerin fortspinnt und sie auf seine Herrin und den Konfessionsstreit siebzig Jahre später überträgt. Obwohl seine Verse viel glatter sind als die der älteren Vorlage und in einigen Bildern und Wendungen bereits ins 17. Jahrhundert weisen (»Trawrig seufftz ich vnnd bett im Staub, / dein Turteltaub, / schaw doch mein Augenbrunnen«, Str. 7), ist kein eigentlicher Stilbruch erkennbar. In allen Strophen wird das Ich der Eingangsstrophe beibehalten, aber das gegenübergestellte Du ist nicht immer eindeutig identifizierbar: mal ist es Gott (Str. 2,3,4,8: »Getrewer Gott, mein Seele weiß / was du verheißt«), mal Christus (Str. 3,9,5: »O Gottes Sohn, / du wehrte Kron«), mal die 14 Vgl. Jenny, Geschichte des deutsch-schweizerischen evangelischen Gesangbuches im 16. Jh. (1962), S. 249. Die geistlichen Lieder Philipp Nicolais 321 eigene Seele (Str. 10: »Für wem schrickstu, mein arme Seel? «). Ebenso unmerklich pendelt die Perspektive vom »er« zum »du« und zurück, wobei Gott wie in den Du-Strophen (»Dein Abendmal«, Str. 3) durchaus christologisch gedeutet werden kann (»sein Kirch«, Str. 12). Die Aussage der reformatorischen Vorlage, dass Gott gewiss eingreifen wird: . . . Gott ist nicht weit, ein kleine zeit er sich verbirgt, bis er erwürgt die mich seins worts berauben (W III,156, Str. 1), übernimmt Nicolai mit der ersten Strophe zwar in seine Nach- und Weiterdichtung, klagt dann aber dieses Eingreifen Gottes nach dem Vorbild biblischer Psalmensprache mit ungeduldigen, drängenden Fragen ein: . . ..Wie kanstu leiden diesen Streit so lange Zeit vnd schweigen darzu stille? (W V,393, Str. 3) . . ..Wie lang wiltu denn spotten lan auff diesem Plan dein Ehrentreichen Namen? Was birgstu dich, vnd schawest nicht wie zu dir schreyt dein Christenheit? laß mich dein Hertz doch rühren! (Str. 8). Mit der darauf folgenden 9. Strophe wird die Wendung vom Klagezum Trostlied eingeleitet. Sie beginnt mit der christologischen Bitte »Verlaß mich nicht, [. . .] o Gottes Lamb! « und gipfelt im Schlussvers des zwölfstrophigen Liedes: »Gott wirt mich nicht verlassen«. Darauf folgt der Name des Verfassers wie eine Signatur und Bekräftigung des zuletzt Gesagten. Das Widmungslied Philipp Nicolais für seine Gönnerin geht weit über das allgemein gehaltene Lied Albrechts von Preußen hinaus. Während dieser nur vom »recht glauben« spricht, nennt Nicolai neben der »reinen Lehr« (Str. 10) die Streitpunkte beim Namen: Abendmahl, Ubiquität und Taufe (Str. 3-4). Dennoch ist die Grundaussage in beiden Liedern dieselbe: Gott steht dem »Rechtgläubigen« in Zeiten der Verfolgung bei, rettet ihn aus seiner Not und rächt sich an seinen Gegnern und Peinigern. Diese alttestamentlich anmutende Botschaft, die Maria von Ungarn 1526 nach dem Tode ihres Gatten im Krieg gegen die Türken trösten sollte, erfuhr durch die Aufnahme in die Reformationsgesangbücher eine konfessionelle Umdeutung. Sie sollte nun, sieben Jahrzehnte später, Nicolais Herrin und alle Leser der ihr gewidmeten Polemik in ihrem Kampf gegen die »Calvinianer Akrostichon und Parodie 322 und Rottengeister« bestärken. Zugleich wird Margaretha von Waldeck mit dem Lied, das ihren Namen ziert, in die unmittelbare Nähe der von Albrecht von Preußen und Luther selbst geehrten, hochadligen Königin und Kaiserschwester gerückt und damit für jeden erkennbar erhöht. Als Regentin der spanischen Niederlande wurde sie später allerdings wieder katholisch. IV. In diesem Zusammenhang muss auch die Strophenzahl 12 betrachtet werden: Als Produkt von 3 und 4, Himmel und Erde, Gott und Welt steht sie als heilige Zahl für das Vollständige, Ganze. 15 12 Strophen mit jeweils 7 Versen hat auch das dritte im Freudenspiegel abgedruckte Lied, Nicolais Scheidelied SO wündsch ich nun ein gute Nacht, dessen Strophenzahl und -schema er ohne Akrostichvorgabe frei wählen konnte. Eine traditionelle Funktion des Akrostichons ist der Schutz gegen Texteingriffe durch Streichung, Hinzufügung, Interpolation. Mit der Bewahrung des Akrostichons wird also auch die Strophenzahl und die darin enthaltene › göttliche ‹ Ordnung und Symbolik erhalten. Sie verleiht der Buchstabendichtung eine mystische Tiefendimension, die Nicolai aus seinen augustinisch-bernhardinischen Studien durchaus vertraut gewesen sein muss. Im Mittelalter hatte die ars poetica zugleich die Funktion einer ars memorativa und diente der Konzentration, der Versenkung und damit der Vertiefung des Glaubens. 16 Akrosticha konnten dabei durchaus mnemotechnische Bedeutung haben, allerdings weniger verstanden als Gedächtnisstütze denn als Gedächtnisübung im Sinne einer praxis pietatis. Besonders beliebt waren die alphabetischen Akrosticha oder Abecedarien und die Ave-Maria-Dichtungen des christlichen Mittelalters. Überaus kunstvoll wird der englische Gruß als sichtbares Zeichen der Marienverehrung immer wieder anders verarbeitet. 17 Die Übertragung verherrlichender Stilmittel von göttlichen auf weltliche Personen war nur ein Schritt und beim Glauben an das Gottesgnadentum weltlicher Herrscher zudem naheliegend. Dieser Traditionszusammenhang muss mit in den Blick genommen werden, um Nicolais Widmungslieder im Kontext der Akrostichdichtung einordnen zu können. Die Akrosticha auf die Namen seiner Herrschaft sind mehr als Spielerei oder Konvention eines dankbaren Untertanen. Sie sind zu sehen vor dem Hintergrund einer jahrhundertealten religiösen und literarischen Kultur, durch 15 Zur symbolischen Deutung der Zahlen, Blumen und Edelsteine in diesem Abschnitt vgl. Kirschbaum SJ (Hg.), Lexikon der Christlichen Ikonographie (1968 - 72). - Seibert, Lexikon christlicher Kunst (1980). - Meyer/ Suntrup, Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen (1987). 16 Vgl. Ernst, Ars memorativa und Ars poetica (1993), S. 73 - 100. 17 Vgl. Beitrag 16: 1. Alphabetisches Akrostichon, 2. Ave Maria. Die geistlichen Lieder Philipp Nicolais 323 die Nicolai aufgrund seiner Herkunft und Erziehung geprägt und für die er zweifellos empfänglich war. Der beschriebene Hintergrund mag mit dem Goldgrund eines gotischen Altarbildes verglichen werden, auf die das zurecht als Diptychon 18 erkannte Kunstwerk der beiden geistlichen Brautlieder gemalt wurde. Golden als Sinnbild des himmlischen Lichts leuchtet auch das neue Jerusalem, das dem Visionär der Apokalypse »als eine geschmückte Braut« erscheint (Offb 21,2): Kom/ ich wil dir das Weib zeigen/ die Braut des Lambs. [. . .] Vnd [er] zeiget mir die grosse Stad/ das heilige Jerusalem/ hernider faren aus dem Himel von Gott/ vnd hatte die herrligkeit Gottes/ vnd jr Liecht war gleich dem alleredlesten Stein/ einem hellen Jaspis. Vnd hatte grosse vnd hohe Mauren/ vnd hatte zwelff Thor/ vnd auff den thoren zwelff Engele/ vnd namen geschrieben/ welche sind die zwelff Geschlechte der kinder Jsrael (21,9-12). Vnd der Baw jrer mauren/ war von Jaspis/ vnd die Stad von lauterm Golde [. . .]. Vnd die Gründe [. . .] waren geschmücket mit allerley Eddel gesteine. Der erste Grund war ein Jaspis/ [. . .] (21,18 f.). VND die zwelff Thor waren zwelff Perlen (21,21)«. 19 Spätestens bei diesem 21. Vers des 21. Kapitels der Offenbarung assoziieren wir die dritte Strophe von Nicolais Wächterlied »Von zwölf Perlen sind die Tore« (im Originaltext »Pforten«, vgl. Abb. 17.3). Der im Offenbarungskapitel dreimal hervorgehobene Jaspis, der alleredelste, alles überstrahlende Stein, der dem Licht der von der Herrlichkeit Gottes erleuchteten Stadt gleich ist, wurde von Nicolai in seinem anderen Brautlied wie das Eingangsbild vom Morgenstern (Offb 22,16) als Metapher für den himmlischen Bräutigam verwendet (vgl. Abb. 17.2): Geuß sehr tieff in mein Hertz hineyn/ Du heller Jaspis vnd Rubin/ Die Flamme deiner Liebe (Str. 3). Aber der in der mittelalterlichen Mystik für Glaubenskraft stehende Jaspis (Hrabanus Maurus) wurde bereits früh mit dem Rubin als Symbol für Christi Liebe und Passion zusammengezogen zu »du leuchtend Kleinod, edler Stein«. 20 Die Bearbeiter scheinen die Gegenüberstellung von Jaspis und Rubin, von weiß und rot (Hld 5,10), von »Lilie« (Str. 2) und »Rose« (Str. 3), also die sich ergänzende Symbolik von Glaube, Liebe und Gnade einerseits, von Schönheit andererseits, nicht mehr verstanden zu haben. Trotz erhellender Interpretationen in jüngerer Zeit 21 ist es bis heute bei den nivellierenden Formulierungen 18 Vgl. Korth/ Wissemann-Garbe, Philipp Nicolai und seine Lieder (1997), S. 59 - 80. 19 Luther, Biblia: das ist: Die gantze Heilige Schrifft Deudsch (Wittenberg 1545), s. QV Werkausgaben. [Kursivierungen von mir.] 20 Vgl. EG 70 und GL 357. Vgl. auch RG 653: »du Gottesglanz und Himmelsschein«. 21 Vgl. vor allem Sauer-Geppert, Sprache und Frömmigkeit im deutschen Kirchenlied (1984), S. 170 - 212. Akrostichon und Parodie 324 geblieben. Immerhin glossiert das Naumburgische Gesangbuch von 1717 »Jaspis und Rubin« mit »Die Redens-Art soll die Göttl. und Menschl. Natur bezeichnen«. 22 Es wurde also erkannt, dass es sich nicht um Synonyme, sondern um eine Allegorie handelt, die zwei Seinsformen eines Wesens verbildlicht. Damit befinden wir uns aber mitten im Mysterium der Doppelwesenhaftigkeit Christi, für die die Bibel und ihre Interpreten immer wieder neue Bilder und Beziehungen fanden. So heißt es am Ende des letzten Buches der Bibel »JCH Jhesus [. . .] bin die wurtzel des geschlechts Dauid/ ein heller Morgenstern« (Offb 22,16), und bei Nicolai »WIe schön leuchtet der Morgenstern/ [. . .] Die süsse Wurtzel Jesse«. Die Wurzel Jesse aber hat in mittelalterlichen Darstellungen sieben Zweige mit sieben Tauben - Symbole für die sieben Gaben des heiligen Geistes - oder zwölf Triebe für die zwölf Stämme Israels. Die Zahlen 7 und 12, Summe und Produkt der göttlichen 3 und der weltlichen 4 mit ihren Vielfachen 21, 42, 70 bzw. 24, 144 durchziehen die ganze Apokalypse. Sie stehen für die letzte Vollkommenheit, die sich in der göttlichen und der menschlichen Natur Jesu Christi offenbart. Wenn diese Doppelnatur im erwähnten Naumburgischen Gesangbuch der Erklärung von »Jaspis und Rubin« diente, dürfen den Edelsteinen - wie auch den Blumen Lilie und Rose - analog die Zahlen drei und vier zugeordnet werden. Es kann nun kaum noch überraschen, dass die heiligen Zahlen 3, 7 und 12 auch die Lieder Nicolais bestimmen. Das › Wächterlied ‹ hat drei Strophen mit jeweils zwölf Versen, der › Morgenstern ‹ hat sieben Strophen, ebenfalls mit zwölf Zeilen. In den ersten vier Strophen des › Morgenstern ‹ spricht die gläubige Seele als Ich ihren himmlischen Bräutigam konsequent als Du an. Ab Strophe 5 ist ähnlich wie in dem Margaretha gewidmeten Lied plötzlich mit »Du« der Vater, mit »Er« der Sohn gemeint. Erst in den letzten vier Versen des Liedes nimmt das Ich den Dialog mit dem ursprünglichen Du, dem Seelenbräutigam, wieder auf: Komm du schone FrewdenKrone/ Bleib du nicht lange/ Deiner wart ich mit Verlangen (Str. 7). Die Aufteilung der sieben Strophen in vier plus drei durch den Adressatenwechsel von Christus zu Gott zeigt nicht nur Nicolais Bewusstsein für die der Zahl 7 innewohnenden Symbolik, sondern auch ein tiefes theologisches Verständnis für die Einheit von Vater und Sohn sowie von Gott und Mensch in der Gestalt des Gottessohnes einerseits, für Erfahrungen in mystischer Gottesliebe und schwärmerischer Jesusminne andererseits. 22 Zit. nach Sauer-Geppert, S. 184. Die geistlichen Lieder Philipp Nicolais 325 Abb. 17.2: Aus dem »FrewdenSpiegel deß ewigen Lebens«, Frankfurt/ M. 1599, Str. 1 Abb. 17.2: Aus dem »FrewdenSpiegel deß ewigen Lebens«, Frankfurt/ M. 1599, Str. 2 - 4 Abb. 17.2: Aus dem »FrewdenSpiegel deß ewigen Lebens«, Frankfurt/ M. 1599, Str. 5 - 7 Ein sichtbares Zeichen der Christusmystik ist auch die Form des Figurengedichts, die Nicolai dem geistlichen Brautlied gibt. Der Kelch als Symbol für das Erlösungswerk Christi versinnbildlicht wie die Zahl 7 Vollendung und das Mysterium der Vereinigung von Gott und Mensch. Mit der letzten Strophe des Morgensternliedes zitiert Nicolai fast wörtlich die Offenbarung: »Jch bin das A vnd das / der anfang vnd das ende/ der erst vnd der Letzte« spricht der Herr (Offb 22,13; vgl. 1,8.11; 21,6). A und , erster und letzter Buchstabe des griechischen Alphabets, weisen ebenfalls auf die Wesensgleichheit von Christus mit dem Vater hin. In der mittelalterlichen Kunst werden A und dem thronenden Christus als Weltenrichter zugeordnet, häufig ins Buch des Lebens in seiner Hand eingeschrieben. »Vnd die Todten wurden gerichtet nach der Schrifft in den Büchern/ nach jren wercken« (Offb 20,12). »Vnd so jemand nicht ward erfunden geschrieben in dem Buch des Lebens/ Der ward geworffen in den feurigen Pful« (Offb 20,15; vgl. Offb 3,5). Von der Offenbarung bezieht also nicht nur das alphabetische Akrostichon - ob als A bis oder A bis Z verwendet - eine zusätzliche Bedeutung, sondern auch und besonders das Namensakrostichon. Noch zwei Jahrzehnte nach Nicolai schrieb Valerius Herberger in der Pestzeit (1614) sein Scheidelied VALEt wil ich dir geben (FT I,125; EG 523), in dessen fünf Strophen er seinen Taufnamen einwebt: VALE-R-I-V-S. Das Akrostichon mündet mit der Initiale der letzten Strophe in die Bitte: »Schreib meinen Namn auffs beste Ins Buch des Lebens ein«. Mit diesem Vers wird der Zusammenhang zwischen Akrostichon und dem eschatologischen Verlangen nach dem ewigen Leben unmissverständlich deutlich. Wenn Nicolai den Namen seines jungen Herrn in seine beiden Lieder vom ewigen Leben einarbeitet, so schreibt er ihn damit stellvertretend ins »Buch des Lebens« ein, um ihn vor der Verdamnis zu retten, und macht den Grafen gleichzeitig zur persona, zum unverwechselbaren Du Gottes, zur konkreten Braut Christi. Die Lieder gehen damit weit über den Typ höfischer Huldigungs- oder Trauergedichte hinaus. Sie sind - versehen mit allen äußeren Zeichen der Vollkommenheit und Vollendung - Ver-ewigungen im tiefsten Sinne des Wortes. Es ist viel darüber spekuliert worden, ob Nicolai die Lieder vor oder nach dem Tode des Grafen verfasst habe, ob er sie ihm zu Lebzeiten oder posthum dedizierte. Letzteres schien unglaubwürdig, weil die Lieder nicht den Charakter von Trauergedichten hätten. Wären aber die Lieder noch in Wildungen entstanden, wie noch von Pannekoek angenommen, 23 wie konnten sie so lange geheim bleiben? Welches Motiv soll Nicolai gehabt haben, sie dem jungen Grafen und der Öffentlichkeit vorzuenthalten? Wären sie vor Erscheinen des 23 Vgl. Anm. 5. Die geistlichen Lieder Philipp Nicolais 329 Abb. 17.3: »Wachet auf, ruft uns die Stimme« Freudenspiegels in Einzeldrucken erschienen, wie konnten zwei solche Juwele eines nicht unbekannten Theologen verlorengehen und nicht sofort nachgedruckt werden? Und hätte er sie nicht - analog zur Widmungsschrift an Margaretha - dem Methodus, seinem dogmatischen Hauptwerk, angefügt, das er im Juni 1596, als Wilhelm Ernst bereits in Tübingen studierte, seinem ehemaligen Schüler widmete? 24 Allein der stilistische und künstlerische Abstand zu dem Margaretha dedizierten Lied verbietet die Annahme eines zeitnahen Entstehens. Das Vorwort zum Freudenspiegel wurde - ohne Erwähnung des Liederanhangs - am 10. August 1599, dem 44. Geburtstag des Autors, in Unna unterzeichnet. Sechs Wochen später, am 16. September, starb Wilhelm Ernst in Tübingen. Sicher war zu dem Zeitpunkt das umfangreiche Buch noch nicht vollends gedruckt und das Anhängen der den gräflichen Namen enthaltenden Lieder noch möglich. Doch ganz gleich, wann Nicolai die Texte dichtete, sie wurden zu Epitaphien wie Helmbolds Ich weiß, daß mein Erlöser lebt und - 60 Jahre später - Keimanns Meinen Jesum laß ich nicht. In allen drei Liedern lässt der jeweilige Dichter den Verstorbenen so sprechen, als wäre er noch am Leben oder im Übergang zwischen Tod und Auferstehung - Vorbild christlicher Hoffnung über den Tod hinaus für die Hinterbliebenen und Nachgeborenen: Himmlisch Leben/ wirdt er geben Mir dort oben/ (Str. 5) Er wirdt mich doch zu seinem Preyß/ Auffnemmen in das Paradeiß. (Str. 7) Die Gewissheit ist übertragbar. Wie der 14-jährig verstorbene Graf von Waldeck die Freuden des ewigen Lebens erfahren darf, so auch alle gläubigen Seelen: »Wie bin ich doch so hertzlich fro« endet das eine Lied, »Deß sind wir fro/ io/ io« das andere. Beide Lieder verkündigen die frohe Botschaft des ewigen Lebens und können deshalb sehr wohl auf den Tod - und die Auferstehung - des Menschen gedichtet worden sein, dessen Name in den Liedern ver-ewigt ist. 24 Nicolai, Methodus controversiae de omnipraesentia Christi secvndvm natvram eivs hvmanam (1596). Dieses Werk ist durch die Communicatio idiomatum (ein Aspekt der Zwei-Naturen- Lehre), die für Nicolai - auch in Abgrenzug von den Calvinisten - von zentraler Bedeutung war, theologisch engstens mit dem Morgenstern-Lied verbunden. Akrostichon und Parodie 332 18 »Jesu, meine Freude, Purpur, Gold und Seide« Zitat und Parodie bei Erdmann Neumeister Wenige Jahre vor dem Tode Erdmann Neumeisters (1671 - 1756) erschien als Fortsetzung seiner erfolgreichen Fünffachen Kirchen = Andachten (Leipzig 1716, Hamburg 1726) ein Dritter Theil (Abb. 18.1). 1 Will man dem Verfasser der Vorrede Glauben schenken, hatte der bereits über achtzigjährige Hauptpastor an St. Jakobi in Hamburg ihn, »einen Verwanten und Diener«, damit beauftragt, »die schon theils einzeln abgedruckte, theils noch ungedruckte Lieder und Poesie zusammen zu lesen und in Ordnung zu bringen«. 2 Der 1752 in Hamburg verlegte, 480 Seiten starke Band besteht aus einem vollständigen Jahrgang von Kantatentexten (S. 1 - 144), die von Georg Philipp Telemann (1681 - 1767), dem »Director Musices« der fünf Hauptkirchen, vertont wurden. Nach 17 Texten »Auf Fürstliche Geburths = Tage, und andere Solennitäten« (S. 145 - 194) 3 folgt als dritter Teil der ebenfalls vollständige Jahrgang von »Lieder = Andachten« (S. 195 - 368), auf den der Fokus dieser Studie gerichtet ist. Der Band schließt mit »Allerhand Privat = Andachten, in [39] Liedern« (S. 369 - 480), von denen die letzte ein autobiographisches Gelegenheitsgedicht von 50 Strophen auf das 50-jährige Dienstjubiläum des Pastors primus ist: »An meinem Iubilæo Ministeriali« [1748]. In der zweiten Hälfte dieses gereimten Selbstzeugnisses polemisiert Neumeister gegen alle Pietisten und Schwärmer, Aufklärer und Atheisten und bittet »Für alle Schafe, die ich hier / Mit deinem Worte weyde« (Str. 27), dass sie nicht Überarbeitete Druckfassung eines Vortrags beim Wissenschaftlichen Kolloquium Erdmann Neumeister und die evangelische Kirchenkantate (Weißenfels 12.-13.10.1996) im Rahmen der 12. Weißenfelser Heinrich-Schütz-Musiktage. Siehe BibAK 20 (2000). 1 Neumeister, Dritter Theil der Fünffachen Kirchen = Andachten (Hamburg 1752). Obwohl der Band keine fünf, sondern nur vier Teile enthält, wurde an dem erfolgversprechenden Titel der ersten beiden Bände festgehalten. Alle Zitate und Abbildungen aus dem Exemplar der Stadtbibliothek Lübeck. 2 Vorrede, fol. [8 r ], vermutlich verfasst vom Verleger-Drucker Rudolph Beneke. 3 U. a. »Bey Einweyhung eines Neuen Altars. Ist von Hr. Telemann in Eyl aus meinen Getichten zusammen gestoppelt worden«, S. 189. Abb. 18.1: Neumeister, Fünffache Kirchenandachten, 3. Teil, Hamburg 1752 verloren gehen. Er wettert gegen »Der Schwärmer Unkraut, Trug und List« (Str. 28), den »Krebs der Pietisterey« (Str. 32) sowie gegen die Erhebung der »Vernunfft« (Str. 29) und der »Philosophie« (Str. 36) zur Religion. Den giftigsten Pfeil aber schießt der gekränkte »Landsmann« (Str. 35) in vier Strophen (32 - 35) ab gegen den »Lästerer« (Str. 34) Nikolaus Ludwig Graf Zinzendorf: »Ein Edelmann, dem Nahmen nach, / Ein Satan vom Gemüthe« (Str. 33): Ach GOtt! wie raast der Wieder = Christ, Den Hernhut ausgehecket? Viel Länder hat; das schrecklich ist! Sein Gifft schon angestecket . . . (Str. 32). Ach GOtt! ach GOtt! bekehr ’ ihn doch; So dieser Belial annoch Bekehret werden möchte! (Str. 35) Meine Untersuchung konzentriert sich auf die »Lieder = Andachten, womit die Predigten im Jahr 1743. beschlossen worden« (Abb. 18.2). Neumeister predigte an allen 73 Sonn- und Festtagen des Kirchenjahrs 1742/ 43 über ältere Kirchenlieder oder einzelne Verse daraus und sang anschließend mit der Gemeinde ein neues Strophenlied zum Tagesevangelium, das er unter Verwendung von Gedanken und Zitaten aus der gewählten Liedvorlage gedichtet hatte. Dafür wurden offensichtlich für jeden Gottesdienst Liederblätter gedruckt, die später unpaginiert zusammengeheftet bzw. nachgedruckt erworben werden konnten: Hrn. Erdmann Neumeisters . . . Lieder = Andachten. Da derselbe im Jahr 1743 die Hauptpredigt [über das Evangelium] an den Sonn = und Festtagen nach bequemen Worten aus einem Geistlichen Liede zur Betrachtung eingerichtet; [. . .] Jegliche Predigt aber mit einem neuen, von ihm selbst verfertigten JEsus = Liede beschlossen hat. Hamburg [o. J.], zu haben bey Rudolph Beneken. 4 Da Neumeister alle Texte auf Melodien damals und weitgehend noch heute bekannter Lieder des 16. und 17. Jahrhunderts verfasst hatte, konnte auf Noten verzichtet werden. Als Orientierungshilfe für das Singen dienten Melodieangaben einerseits, Zitat, Parodie oder Anspielung andererseits. Dabei entwickelte Neumeister einen Formen- und Variationenreichtum, in dem drei Grundmuster zu erkennen sind: Typ I. Einfache Kontrafaktur: Das unter die Sonn- oder Festtagsbezeichnung in Klammern gesetzte Incipit verweist auf Strophenform und Melodie eines älteren Kirchenliedes (45 x) 4 Zit. nach Anonymus (Johannes Linke? ), Neumeisters Dichtungen. In: Blätter für Hymnologie 6 (1894), S. 88. Zitat und Parodie bei Erdmann Neumeister 335 Typ II. Zitat oder Anspielung im Liedincipit: Der Eingangsvers verweist durch Zitat oder Anspielung auf die Kontrafaktur einer älteren Liedvorlage. A. Wörtliches Zitat (4 x) B. Quasi-Zitat oder Anspielung (4 x) Typ III. Zitate in Strophenincipits: Alle Strophen beginnen mit den Incipits älterer Kirchenliedstrophen. A. Die Strophen beginnen mit den Strophenincipits einer Liedvorlage (15 x). B. Die Strophen beginnen mit den Strophenincipits verschiedener Lieder, d. h. Versschema und Melodie wechseln von Strophe zu Strophe (4 x). C. Mischform: Jede Strophe beginnt zwar mit dem Lied- oder Strophenincipit eines anderen Liedes, wird aber zu derselben Melodie gesungen (1 x). Typ I: Einfache Kontrafaktur Fast zwei Drittel der 73 Liedtexte fallen in diese Kategorie. D. h. Neumeister legt die Melodie und damit die Strophenform eines älteren Liedes zugrunde und dichtet einen ganz neuen Text passend zum Evangelium des jeweiligen Sonn- oder Festtags. Ein inhaltlicher oder theologischer Bezug zu dem Ursprungslied ist jedoch häufig zu erkennen. So wählt Neumeister zum Evangelium des 1. Advent (»Jesu Einzug in Jerusalem« Mt 21,1-11) die auf einen anderen Predigttext gedichtete Liedvorlage Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn - seit der Reformationszeit in allen lutherischen Gesangbüchern in der Rubrik »Vom Christlichen Leben und Wandel« zu finden (s. Abb. 18.2). 5 Vordergründig scheint die Liedvorlage mit der Einladung Jesu, zu ihm zu kommen, am Sonntag seiner Ankunft unpassend. Die an alle gerichtete Aufforderung »Kommt her zu mir« korrespondiert aber durchaus mit der Bitte des einzelnen Gläubigen in der Eingangsstrophe von Neumeisters Kontrafaktur: . . . So komm, mein Heyland, komm zu mir! Mein Hertz und Geist verlangt nach dir, Dich freudig zu empfahen (S. 195). So betrachtet, treten die beiden gegenläufigen Imperative in eine theologische Beziehung. Eine weitere Entsprechung finden wir in den Evangeliumstexten, die den beiden Liedern zugrunde liegen. Bei Matthäus heißt es im 11. Kapitel, der Vorlage zu dem älteren Lied: »Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig« (Mt 11,29); in Kapitel 21, auf das sich Neumeisters eigenes Predigtlied primär 5 Vgl. »Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken« (Mt 11,28-30) aus dem Evangelium zum St. Matthias-Tag. Akrostichon und Parodie 336 Abb. 18.2: Neumeister, Predigtlied zum 1. Advent (Typ I) bezieht: »Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel« (Mt 21,5). Wie bewusst Neumeister die jeweilige Liedvorlage für seine Kontrafakturen meistens gewählt hat, zeigt auch das Lied zum 2. Advent mit der Melodieangabe »Wer weiß, wie nahe mir mein Ende«. In Hamburg war diese Melodie - wie vielerorts - identisch mit »Wer nur den lieben Gott läßt walten«. 6 Neumeister gibt hier aber nicht das Incipit des beliebten Vertrauensliedes von Georg Neumark (1657) an, sondern eben den Anfang des gleichfalls weit verbreiteten Sterbelieds von Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt (1688). 7 Der Liedanfang ist auch hier mehr als eine Melodieangabe. Die bange Frage »Wer weiß, wie nahe mir mein Ende« findet in den unmittelbar folgenden Anfangszeilen von Neumeisters Predigtlied auf »Das Kommen des Menschensohns« (Lk 21,25-36) die tröstliche Antwort: Mein JEsus wird gewißlich kommen Mit grosser Krafft und Herrlichkeit . . . (S. 196). Auch wenn in dem häufigsten Typ I von Neumeisters Kontrafakturen die ursprünglichen Eingangsverse weder zitiert noch paraphrasiert oder gar parodiert werden wie bei den später vorgestellten Typen, so stecken auch sie voller Zitate und Anspielungen auf ältere, bekannte Kirchenlieder und deren biblische Vorlagen. Einige Beispiele: Am Sonntage Exaudi. (Nun freut euch, lieben Christen = gemein) 1. Was GOTT thut, das ist alles gut! So spricht mein Geist mit Freuden . . . (S. 278) (Vgl. Was Gott thut, das ist wohlgethan, Samuel Rodigast 1675, FT IV,467; vgl. EG 372). Strophenform und Melodie gehören zu einem der ältesten und bekanntesten Lieder der evangelischen Christenheit, Luthers Nun freut euch, lieben Christen g ’ mein von 1523 (EG 341). Dessen Versschema, das Luther besonders für seine frühen Lieder bevorzugte, wurde zum Prototyp für unzählige Kirchenliederdichtungen, die Melodie zur › Wandermelodie ‹ . Neumeister verwendet diese sog. Lutherstrophe in seinen »Lieder = Andachten« elfmal - ohne Berücksichtigung 6 Neu = Vermehrtes Hamburgisches Gesang = Buch (1710/ 12, Nr. 581), das während der Amtszeiten von Neumeister (1715 - 1756) und Telemann (1721 - 1767) amtliche Gesangbuch. - Telemann, Fast allgemeines Evangelisch = Musicalisches Lieder = Buch, (Hamburg 1730, 2 1751), Nr. 187. Beide Quellen lassen Rückschlüsse zu auf die seinerzeit in Hamburg gebräuchlichen Text- und Melodiefassungen. 7 Zur Beziehung Neumeisters zu Aemilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt vgl. Omonsky, Zwei Briefe von Erdmann Neumeister (2000), S. 197 - 213. Akrostichon und Parodie 338 zusätzlicher Einzelstrophen in den Liedern vom Typ III.B - zu fünf verschiedenen Melodien: »Nun freut euch, lieben Christen = Gemein« (5 x) »Es ist das Heyl uns kommen her« (3 x) sowie »Es ist gewißlich an der Zeit«, »Es spricht der Unweisen Mund wohl« und »Allein GOtt in der Höh sey Ehr« (je 1 x). 8 Am Sonntage Palmarum. (Hertzlich thut mich verlangen) 1. Zeuch ein zu meiner Seelen, Daß sie mit Freuden kan, HErr JEsu, das erzehlen, Was du an ihr gethan. Im Geist und Glauben dencket Sie deiner Passion; Und was du mir geschencket, O wahrer Gottes Sohn. (S. 251) (Vgl. ZEuch ein zu deinen thoren, Paul Gerhardt 1653, FT III,413; vgl. EG 133) Mit dem Incipit wird das Einziehen des Heiligen Geistes vom Pfingstfest übertragen auf »Jesu Einzug in Jerusalem« am Palmsonntag. Strophenform und Melodie zielen aber auf Paul Gerhardts Passionslied O Haupt voll Blut und Wunden (1656) mit der berühmten Kontrafaktur des weltlichen Liebesliedes Mein Gmüt ist mir verwirret, / das macht ein Jungfrau zart (1601) zum christlichen Scheidelied HErtzlich thut mich verlangen / nach einem seligen End (nach 1601/ 1613; W V,560). Die Bedeutung der Passion für den einzelnen Gläubigen wird in Neumeisters Parodie direkt angesprochen - im zweiten Teil der ersten Strophe mit der Anspielung auf eine andere »Passions = Betrachtung« 9 und zu Beginn der 6. Strophe: 6. Sey ewiglich gepreiset Für deine Passion! . . . (S. 253) Neumeisters Predigtlied zum Sonntag Invocavit (»Jesu Versuchung«, Mt 4,1-11) beginnt bezeichnenderweise mit: 1. Und wenn die Welt voll Teufel wär Mit aufgesperrten Rachen, Und wollte sich ihr gantzes Heer An einen Christen machen . . . (S. 238). 8 Auch für die 50 Strophen seines Jubiläumsgedichts verwendete Neumeister die › Lutherstrophe ‹ , s. o. S. 333, 335. 9 JESU, deine Passion / Will ich itzt bedencken: / Wollest mir vom Himmelsthron / Geist und Andacht schenken . . . (S. von Birken 1663, FT V,91; vgl. EG 88). Zitat und Parodie bei Erdmann Neumeister 339 Zwar ist auch dieses Lied eine Kontrafaktur zu Nun freut euch, lieben Christen g ’ mein. Es enthält jedoch weitere Zitate und Quasi-Zitate aus den Lutherliedern Ein feste Burg ist unser Gott (EG 362) und Gelobet seist du, Jesu Christ (EG 23) sowie aus Nikolaus Selneckers Nachfolgelied Lass mich dein sein und bleiben (EG 157), mit denen es aber keine Melodiengemeinschaft hat: 2. Des Geistes Schwerd, des Glaubens Schild, Sind seine Wehr ’ und Waffen . . . 4. Gelobet seyst du, JEsu Christ, Daß du den Feind gefället . . . 6. HErr JEsu Christ, mein starcker Held, Laß mich dein seyn und bleiben . . . (S. 238 f.). Schon aus diesen wenigen Beispielen wird deutlich, wie fest verankert die Kernlieder der lutherischen Orthodoxie im Bewusstsein und im Gedächtnis des dichtenden Hauptpastors waren. Seine Kontrafakturen sind somit eine Fundgrube für die Rezeptionsforschung. Das einzige Lied aus seiner Feder, das bis in die Stammausgabe des gegenwärtigen Evangelischen Gesangbuchs überlebt hat, ist das Rechtfertigungslied Jesus nimmt die Sünder an. / Saget doch dies Trostwort allen (EG 353). 10 Er schrieb es auf das Evangelium zum 3. Sonntag nach Trinitatis, auf die Gleichnisse vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Groschen (Lk 15,1-10). Der polemische Vorwurf der Pharisäer und Schriftgelehrten (Lk 15,2) wird zum Trostwort und nicht nur als Liedincipit, sondern auch als Kehrvers in allen acht Strophen verwendet: »Jesus nimmt die Sünder an«. Diesen Vers greift Neumeister 25 Jahre später für das Predigtlied desselben Sonntags wieder auf: 1. Wie mag ein Sünder doch verzagen, Der an den Sündentilger denckt? Will das Gewissen ängstlich nagen; So wird ihm reicher Trost geschenckt, Dadurch er sich erquicken kan. Denn JEsus nimmt die Sünder an. (S. 298) Darin zitiert er nicht nur den Evangelisten, sondern auch sich selbst. Nach den ersten drei Strophen wird der Refrain (»Denn JEsus nimmt die Sünder an«) fünfmal variiert: 4. . . . So seelig sind die Sünder dran! Denn JEsus nimmt sie freundlich an. 5. . . . So komm auf reiner Glaubens = Bahn; Da nimmt dich JEsus willig an. 6. . . . Hilff, daß ich freudig sprechen kan: Mich Sünder auch nimmt JEsus an. 10 Neumeister, Evangelischer Nachklang (Hamburg 1718), S. 95. Akrostichon und Parodie 340 7. . . . Daß ich von dir nun rühmen kan: Mein Heyland JEsus nimmt mich an! 8. . . . Der Himmel ist mir aufgethan; Da nimmt mich JEsus ewig an! (S. 299 f.) Typ II.A: Wörtliches Zitat im Liedincipit Der Eingangsvers eines bekannten Liedes wird wörtlich zitiert und in der Strophenform des älteren Vorbilds frei weitergedichtet. Für diesen Typ gibt es nur vier Beispiele, alle parodieren Kernlieder der lutherischen Orthodoxie: HERR GOtt, dich loben alle wir (S. 338), Paul Eber 1554 (vgl. EG 557). Wenn wir in höchsten Nöthen seyn (S. 225), Paul Eber 1566 (vgl. EG 366). Du Friede = Fürst, HErr JEsu Christ (S. 264), Jacob Ebert 1601 (W V,628). Nun dancket alle GOtt (S. 210), Martin Rinckart 1636 (vgl. EG 321). Das ursprünglich als Tischlied veröffentlichte 3-strophige Lob- und Danklied NVn dancket alle Gott (FT I,526), das im Hamburger Gesangbuch in der Rubrik »Nach der Predigt« aufgeführt ist, aber zum traditionellen Neujahrslied wurde, gibt den Impuls für Neumeisters eigenes 6-strophiges Predigtlied für diesen Feiertag: Am Neu = Jahrs = Tage. (Nun dancket alle GOtt mit Hertzen etc.) 1. Nun dancket alle GOtt / für alle seine Gaben, Und für das neue Jahr, / das wir erlebet haben. Er gebe, daß es mag / gewüntscht vorüber gehn, Und wir auch künfftig noch / in Ruh und Friede stehn. (S. 210) Ab Strophe 3 wendet sich der erklärte Gegner des Pietismus in jeder Strophe dem Blut Jesu zu, das in der pietistischen Theologie, vor allem bei Zinzendorf, von zentraler Bedeutung ist: 3. Wir dencken an dein Blut, / das du für uns vergossen. Ein Tröpflein war genug, / so erst von dir geflossen . . . 4. Wer ohne dieses Blut / vermeynt gerecht zu werden, Der ist ein Höllenbrand, / weil er noch lebt auf Erden . . . 5. Das ist mein Hertzens = Wuntsch, / dahin geht mein Verlangen, Dein Blut, o JEsu, stets / im Glauben aufzufangen . . . 6. So wird dein Blut nicht nur / das Jahr gesegnet machen: Auch alle Tage wird / mir neuer Segen lachen. Dein Nahme, dein Verdienst / ist Sonn ’ und Schild für mich. Und sterb ’ ich dieses Jahr, / so leb ’ ich ewiglich. (S. 210 f.) Die letzte Zeile und die Anspielung auf Neumeisters Wahlspruch »Gott, der Herr, ist Sonne und Schild« (Ps 84,12) verleihen dem Lied sehr persönliche Zitat und Parodie bei Erdmann Neumeister 341 Züge. 11 Der grundlegende Gedanke des Verdienstes Jesu - im Gegensatz zum eigenen Verdienst der guten Werke - kennzeichnet Neumeisters Theologie und kommt in zahllosen Liedern zum Ausdruck. Typ II.B: Quasi-Zitat oder Anspielung im Liedincipit Neben dem wörtlichen Zitat gibt es auch das Quasi-Zitat, das an den Eingangsvers der Liedvorlage mehr oder weniger anklingt. Auch von diesem Typ gibt es vier Beispiele: Am III. Sonntage nach der Offenbarung Christi [3. Sonntag nach Epiphanias] (Von GOtt will ich nicht lassen) 1. Ich bleibe GOtt gelassen. Mein Wuntsch soll sich allein nach seinem Willen fassen. Wie kan mir besser seyn? . . . (S. 220) (Vgl. VOn Gott will ich nicht lassen, dann Er lest nicht von mir, Ludwig Helmbold 1563, W IV,903; vgl. EG 365) Am XXIV. Sonntage nach Trinitatis. (Wo soll ich fliehen hin? ) 1. Wo soll ich Armer hin? Der ich bedränget bin . . . (S. 358) (Vgl. WO sol ich fliehen hin, Weil ich beschweret bin, Johann Heermann 1630, FT I,322). Die beiden anderen Kontrafakturen rufen nicht nur durch die Melodie, sondern auch durch die Liedanfänge Paul Gerhardts Loblied Sollt ich meinem Gott nicht singen (EG 325) in Erinnerung: Am Sonntage Jubilate. (Sollt ich meinen[! ] GOtt nicht singen? ) 1. Meinem JEsu will ich singen Frölich auch in Traurigkeit (S. 269) Am Feyertage Johannis des Täuffers. (Sollt ich meinem GOtt nicht singen? ) 1. Meinem GOtte will ich singen, Singen und mich Seiner freun . . . (S. 300) 11 Vgl. Koch V, 374. Akrostichon und Parodie 342 Neumeister lässt sich von dem berühmten Schlusspaar der Vorlage »Alles Ding währt seine Zeit, / Gottes Lieb in Ewigkeit« zu eigenen Kehrversen inspirieren. Während dieser am Johannisfest noch relativ nahe am Original ist: . . . Jedes Ding verfällt und bricht: Aber Gottes Gnade nicht, dichtet Neumeister am Sonntag Jubilate völlig frei: 1. . . . Drum soll meine Losung seyn: JEsus ist und bleibet mein! Hier bleibt der Schlussvers in allen Strophen gleich, während die vorletzte Zeile variiert wird: 2. . . . Drum, o Welt, behalt, was dein. JEsus ist und bleibet mein. 3. . . . Kan mir nun was Liebers seyn? JEsus ist und bleibet mein! 4. . . . Und dan kans nicht anders seyn, JEsus ist und bleibet mein! 5. . . . Und da wird diß ewig sein: JEsus ist und bleibet mein! Die Beispiele zeigen, dass das durch Eingangszitat oder -anspielung assoziierte ältere Kirchenlied nicht nur formal und melodisch als Vorbild diente, sondern - mal stärker, mal schwächer - auch inhaltlich-theologisch. Typ III: Zitate in Strophenincipits Diesem Typ gehören 20 Lieder an, bei denen nicht nur die erste, sondern jede Strophe mit dem Incipit einer bekannten Kirchenliedstrophe beginnt. Die Melodieangabe über dem Lied entfällt, weil die typographisch durch Fett- und Großdruck hervorgehobenen Liedanfänge auf die dazugehörigen bekannten Melodien verweisen. Typ III.A: Alle Strophen beginnen mit denselben Strophenincipits wie die der Liedvorlage, so dass die Strophenzahl der Kontrafaktur mit der des historischen Vorbilds übereinstimmt: Am Sonntage Lätare. 1. Liebster JESU, wir sind hier: Speis ’ und träncke Leib und Seele . . . 2. Unser Wissen und Verstand Kan es freylich nicht begreiffen . . . 3. O du Glantz der Herrlichkeit, Leucht uns immerfort im Leben . . . (S. 245 f.). Zitat und Parodie bei Erdmann Neumeister 343 Im ersten Vers jeder Strophe zitiert Neumeister die Strophenincipits von Tobias Clausnitzers berühmten Eingangslied (1663; EG 161) wörtlich. Während die Vorlage im amtlichen Hamburger Gesangbuch (Nr. 54) in der Rubrik »Vor der Predigt« steht, ist Neumeisters Parodie ein Lied nach der Predigt. Thema ist jetzt nicht mehr nur - wie bei Clausnitzer - das Wort Gottes, also die geistliche Nahrung, sondern die leibliche »Speisung der Fünftausend« des Sonntagsevangeliums (Mk 6,30-44), ausgelegt auf das tägliche Brot, das Wort Gottes und das Abendmahl. Damit geht Neumeister weit über das pädagogisch-theologische Anliegen der Liedvorlage hinaus und lässt den klassischen Dreiklang Körper, Geist und Seele anklingen, der auch für die Aufklärungsgesangbücher typisch ist. Viel stärker als Umdichtung im Sinne einer Paraphrase ist dagegen Neumeisters Predigtlied zum 18. Sonntag nach Trinitatis anzusehen. Zugrunde liegt ein »Geistliches Hirten = Lied, Der in ihren JESUM verliebten Psyche« von Johannes Angelus Silesius, eines der ganz wenigen von Neumeister zitierten Lieder, das in heutigen Gesangbüchern nicht mehr zu finden ist, zu seiner Zeit aber noch weit verbreitet war: ACh sagt mir nicht von Gold und Schätzen/ Von Pracht und Schönheit dieser Welt! Es kan mich ja kein Ding ergetzen/ Was mir die Welt für Augen stellt: Ein jeder liebe was er wil; Ich liebe JEsum/ der mein Ziel. (Scheffler 1657) 12 Ach sagt mir nichts von Gold und Schätzen , Und was man sonst für kostbar hält; Nichts vom Vergnügen und Ergötzen, Sammt aller Herrlichkeit der Welt. Mein Mund bekennts, mein Hertze sprichts: Nur JEsum will ich, und sonst nichts. (Neumeister 1752, S. 344) Alle sieben Strophen halten sich inhaltlich und sogar sprachlich bis hin zu übereinstimmenden Wörtern und Reimen relativ eng an die Vorlage. Nur in der 5. Strophe taucht wieder Neumeisters Lieblingsgedanke auf, von dem bei Scheffler nicht einmal andeutungsweise die Rede ist: . . . Mich hindern da nicht meine Sünden. Davon macht sein Verdienst mich rein . . . (S. 345). Bei so viel Übereinstimmung fällt der stark von Scheffler abweichende Refrain besonders auf. Doch hat die Umdichtung des Kehrverses bei diesem Lied schon Tradition. So gibt es bereits bei Freylinghausen, Halle 1704, neben Schefflers Original »Ich liebe JEsum, der mein Ziel« ab Strophe 3 sieben Varianten: 12 Scheffler/ Angelus Silesius, Heilige Seelen = Lust (Breslau 1657), Nr. 89, zit. nach 2 1668. Kursivierungen von mir. Schefflers Jesuslied wird noch im KLL I (1878) als Kernlied bezeichnet. Akrostichon und Parodie 344 3. . . . drum lieb ’ ein jeder was er will, nur JESUS ist allein mein ziel. 4. . . . Ein jeder liebe was er will ich bleib bey JEsu, meinem Ziel. 9. . . . Drum lieb ich billig in der still nur JEsum, meines hertzens ziel. 13 Im Hamburger Gesangbuch lautet der Refrain stark abgewandelt: . . . ein jeder liebe was mag seyn, ich liebe JESUM nur allein. 14 Damit ging Schefflers Gedanke »Jesus ist mein Ziel« verloren. An seine Stelle tritt das in der Liedüberschrift formulierte Programm: »Sie [die Psyche] wil sonst nichts als jhren JEsum lieben«. Während in Schefflers Vorlage, Freylinghausens Bearbeitung und in der amtlichen Hamburger Version Wärme und fromme Empfindung zu spüren sind, wirkt Neumeisters Refrain auf den heutigen Leser ernüchternd, wenn nicht gar banal: . . . Mein Mund bekennts, mein Hertze sprichts: Nur JEsum will ich, und sonst nichts. (S. 346) Auch die beiden Kontrafakturen zu Johann Francks berühmtem Jesuslied (1653; EG 396), das Neumeister häufig als Vorlage diente und mit dessen Anfangsvers sieben seiner geistlichen Lieder beginnen, sind eng an das Original angelehnt. 15 Am II. Tage des Geburths = Festes Christi. 1. JESU meine Freude Bist Du auch im Leide Auf der bösen Welt . . . (S. 203) Am I. Pfingst = Feyertage 1. JESU, meine Freude! Auch im grössten Leide Bist und bleibst du das . . . (S. 281). Festspezifische Inhalte sind nur andeutungsweise vorhanden: »Weil du bist im Fleische kommen« (Str. 2), »Und weil Er mein Bruder worden« (Str. 3) im Weihnachtslied und »Solchen schafft / Des Geistes Kraft« (Str. 1) im Pfingstlied, womit hier nicht einmal der Heilige Geist als Tröster gemeint ist, sondern der tröstende Heiland Jesus Christus. 13 Zit. nach Halle 13 1723, Nr. 368. 14 Vgl. Anm. 6, Nr. 498. 15 Vgl. Blätter für Hymnologie 9 (1894), S. 132 f.; 10/ 11 (1894), S. 171, und s. u. S. 350. Zitat und Parodie bei Erdmann Neumeister 345 Abgesehen von diesen spärlichen Hinweisen sind die Texte besonders zu Beginn der Strophen fast austauschbar. So wird die letzte Strophe von Franck Weicht, jhr trauergeister, Denn mein Freudenmeister, Jesus, trit herein . . . (FT IV,103) in Neumeisters »Lieder = Andachten« folgendermaßen paraphrasiert: Weicht, ihr Trauer = geister! Denn mein HErr und Meister, JESUS bleibet mein . . . (2. Weihnachtsfeiertag, S. 205) Weicht, ihr Trauer = Geister! Denn mein HErr und Meister, JEsus, wohnt in mir. . . (1. Pfingstfeiertag, S. 285) In ähnlicher Weise werden alle 15 Lieder des Typs III.A behandelt. Da die insgesamt 101 Strophenincipits mit denen der bekannten Vorlagen wörtlich übereinstimmen, haben sie für Neumeisters Gemeinde zugleich mnemotechnische Bedeutung. Sie musste das für den jeweiligen Sonntag gedichtete und gedruckte Predigtlied vom Blatt singen. Die vertrauten Anfangsverse und Melodien waren dafür eine Hilfe. Umso erstaunlicher ist der etwa je zur Hälfte aus dem 16. und dem 17. Jahrhundert stammende Melodienreichtum. Fast jedes Lied ist auf die jeweils › eigene ‹ Melodie seiner Vorlage gedichtet. Nur für Ach sagt mir nichts von Gold und Schätzen und Wer weiß, wie nahe mir mein Ende ist sowohl im Hamburgischen Gesangbuch (Nr. 498, 581) als auch in Telemanns Choralbuch (Nr. 187) als Lehnmelodie »Wer nur den lieben Gott läßt walten« genannt. Noch stärker vom eigentlich nicht mehr zeitgemäßen Melodienreichtum und von der Freude am Melodienwechsel sogar innerhalb eines Liedes ist der nächste Typ geprägt. Typ III.B: Bei diesem Schema signalisiert jede Strophe durch ihr Incipit ein anderes Lied mit anderer Strophenform, was einen ständigen Melodienwechsel zur Folge hat. In der Vorrede des Bandes wird dieses Kuriosum folgendermaßen kommentiert und begründet: Mögte man sich vielleicht wundern, wenn man auch etliche Lieder, als: pag. 206. 228. 262. zugleich von unterschiedlichen Melodien darin antrifft; so ist solches dem Hrn. Teleman zu Gefallen geschehen, der gerne etwas Neues haben wollen weil man doch allerhand Neues auch in der Poesie angefangen; überdem auch zur Abwechselung in der Composition ungemein bequem ist (fol. [8 v - 9 r ]). Akrostichon und Parodie 346 So entstanden gewissermaßen Liederpotpourris (Pasticci) auf bekannte Melodien; denn beim Wechsel von Strophe zu Strophe mussten die Lieder natürlich erst recht vertraut sein. Dabei boten die Strophenanfänge im Fett- und Großdruck schnelle Orientierungshilfe. Sicherlich erklang auf diese Weise ein lebendiger Gemeindegesang, der nach einer langen Predigt auch erfrischende Wirkung zeigen mochte. Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass Neumeister diesen abwechslungsreichen, Liedertyp für den 3. Christtag und den Osterdienstag wählte. Am Beispiel des weihnachtlichen Predigtliedes soll dies Prinzip veranschaulicht werden (Abb. 18.3). Am III. Tage des Geburths = Festes Christi. 1. Der Tag der ist so freudenreich Allen Gottes = Kindern . . . 2. Gelobet seyst du, JESU Christ, Daß du zu uns kommen bist . . . 3. Ich steh ’ an deiner Krippen hier, Und küsse dich im Glauben . . . 4. Lobt GOtt, ihr Christen, all zugleich, Und stimmet mit mir ein . . . No. 71. 5. Wohl deme, der deß Glaubens ist! v. 4. Der lebet, wenn er stirbet . . . No. 73. 6. Das hat Er alles uns gethan, v. 7. Jauchze, wer nur jauchzen kan . . . No. 80. 7. Lob, Ehr sey GOTT im höchsten Thron! v. 15. Lob sey auch seinem liebsten Sohn! . . . Den sieben Strophen liegen sechs verschiedene Weihnachtslieder mit ihren Melodien zugrunde. Denn mit dem Incipit von Strophe 6 »Das hat Er alles uns gethan« zitiert Neumeister die letzte Strophe von Luthers Weihnachtsleise Gelobet seist du, Jesu Christ, die er bereits in der 2. Strophe herangezogen hatte. Weil die Strophen 5 bis 7 nicht mit dem Incipit der ersten, sondern einer anderen Strophe der traditionellen Vorlagen beginnen, verweisen Marginalien sicherheitshalber auf Lied- und Strophennummer im Hamburgischen Gesangbuch. So wird die 5. Strophe als Strophe 4 des Liedes Nr. 71 Ein Kindelein so löbelich kenntlich gemacht. Seit Babst 1545 folgt es im Gesangbuch auf Der Tag der ist so freudenreich, mit dem es die Melodie gemeinsam hat. Folglich bilden die Strophen 1 und 5 sowie 2 und 6 identische Melodiepaare zu Weihnachtsstrophen aus den ältesten lutherischen Gesangbüchern. Auch die 4. und die 7. Strophe sind melodisch zweifelsfrei zu bestimmen - einmal durch die Tradition, aber auch durch das Choralbuch Telemanns: »Lobt GOtt, ihr Christen, allzugleich« (s. Abb. 18.4, Nr. 86) von Nikolaus Herman (1554) und »Vom Himmel hoch« (Nr. 9 und 10). Beide hat Martin Luther mit seinem Zitat und Parodie bei Erdmann Neumeister 347 »kinder lied auff die Weinacht Christi« verbunden - die ältere mit einer alten Tanzmelodie (Nr. 9: Wittenberg 1535), die jüngere mit einer Neuschöpfung (Nr. 10: Leipzig 1539). 16 Schwieriger wird die Melodiezuweisung bei dem einzigen Liedanfang aus dem 17. Jahrhundert: Paul Gerhardts Weihnachtslied Ich steh an deiner Krippen hier (Str. 3). Im Hamburgischen Gesangbuch (Nr. 74) und bei Telemann (Nr. 23) findet sich dieselbe Melodieangabe wie seit 1653 in Crügers Praxis Pietatis, nämlich »Nun freut euch lieben [Christen gmein]«. Telemann nennt aber als erste Alternative für das Lied, auf das so viele Melodien passen, eine andere Weise: »Es ist gewißlich an der Zeit« (Nr. 22). Dafür spricht die Tatsache, dass dann alle fünf Melodien des Neumeisterliedes mit dem Grundton beginnen und auch enden, so dass die Gemeinde trotz des Melodienwechsels von einer Strophe zur nächsten mühelos den Anschluss findet - auch bei der Schluss-Strophe, wenn die erste Abb. 18.3: › Pasticcio ‹ aus Kontrafakturen einzelner Liedstrophen zu verschiedenen Melodien (Typ III.B) 16 Vgl. Jenny, Luthers geistliche Lieder und Kirchengesänge (1985), S. 109 ff., 287 f. Akrostichon und Parodie 348 Abb. 18.4: Neumeisters › Weihnachtspasticcio ‹ zu Melodien aus Telemanns Choralbuch 1730 Melodie zu »Vom Himmel hoch« (Nr. 9) gesungen wird. Wählt man die heute übliche Alternative (Nr. 10), müsste die Melodie in G-Dur mit einem Oktavsprung oder - wie von Telemann vorgeschlagen - in D-Dur mit einem Quintsprung angegangen werden. Abb. 18.4 zeigt, wie Neumeisters Weihnachtspasticcio nach den Melodien in Telemanns Choralbuch geklungen haben könnte. Ganz ähnlich sind auch die drei anderen Lieder dieses Typs: Am VI. Sonntage nach der Offenbarung Christi. 1. JESU, meine Freude, Purpur, Gold und Seide Sind mein Feyer = Kleid . . . (S. 228 f.) Am III. Oster = Feyertage. 1. Heut triumphiret Gottes Sohn Nach überstandner Passion . . . (S. 262) Am XXVII. Sonntage nach Trinitatis. 1. Auf, auf! und lasst uns wachsam seyn. Bald stellet sich der Bräutgam ein, Sein Hochzeit = Fest zu machen . . . (S. 365) (Versschema der 1. Strophe: »Wie schön leuchtet der Morgenstern«) Insgesamt bestehen die vier Lieder des Typs III.B aus 25 Strophen mit Strophenanfängen von 23 verschiedenen Liedern, die auf mindestens 20 verschiedene Melodien gesungen werden sollen. 17 Diese › Pasticci ‹ sind vergleichbar mit den Liederpredigten, wie sie der von Neumeister bekämpfte Graf Zinzendorf in der Herrnhuter Brüdergemeine einführte und wie sie - in etwas anderer Form - noch heute in den großen Festgottesdiensten zu Weihnachten und zu Ostern bei den Moravians in den USA und in den Singstunden zu Herrnhut, Königsfeld und Christiansfeld praktiziert werden. 18 Der originelle Liedertyp, den Neumeister angeblich Telemann zuliebe anwendete, ist die eigentliche Würze im Dritten Teil seiner Fünffachen Kirchen = Andachten. Typ III.C: Für das Predigtlied an einem der höchsten christlichen Festtage, dem ersten Osterfeiertag, wählt Neumeister eine eigene, nur hier vorkommende Mischform (Abb. 18.5). Auf die Melodie »Nun freut euch, lieben Christen = Gemein« dichtet 17 10 Texte und 12 Melodien stammen aus dem 16. Jh., 13 Texte und 8 Melodien aus dem 17. Jh. 18 Vgl. Beitrag 13. Akrostichon und Parodie 350 Neumeister - sicher nicht zufällig - seine gereimte Osterpredigt. Die sieben Strophen beginnen mit Zitaten aus sechs bekannten Osterliedern, u. a. von Luther, Nikolaus Herman und Paul Gerhardt. Sie passen aber nicht alle zu der Melodieangabe, ihre Metren und Strophenformen mussten deshalb angepasst werden. Den Rahmen für das Lied bildet das Incipit der letzten Strophe von Luthers Osterlied Christ lag in Todesbanden (1524; EG 101): Abb. 18.5: Osterpredigtlied mit Strophenincipits verschiedener Lieder, aber zu derselben Melodie (Typ III.C) Am I. Oster = Feyertage. (Nun freut euch, lieben Christen = Gemein) 1. So feyren wir das Hohe Fest In allen Christen = Landen . . . (S. 256) 7. So feyren wir das hohe Fest In Freuden überschwänglich . . . (S. 258) Zitat und Parodie bei Erdmann Neumeister 351 Strophe 2 zitiert den Anfangsvers der 2. Strophe von Luthers anderem Osterlied Jesus Christus, unser Heiland (1524, vgl. EG 102): 2. Der ohne Sünden war gebohr ’ n, Nahm auf sich unsre Sünden . . . (S. 257). Die Liedvorlagen für die Strophen 3 und 6 wurden traditionell, auch im Hamburger Gesangbuch (Nr. 157, 151) und bei Telemann (Nr. 23), zu Nun freut euch lieben Christen gemein gesungen. Es sind Incipits bekannter Texte aus dem 17. Jahrhundert: 3. O Tod, wo ist dein Stachel nun? Sind wir von Sünden abe . . . (S. 257) (nach Georg Weissel 1635, vgl. EG 113) 6. Sey frölich alles weit und breit Im Leben und im Sterben . . . (S. 258) (nach Paul Gerhardt 1653, FT III,411) Neumeisters Vorbildern für die 4. und 5. Strophe wird in Hamburg 1710/ 12 (Nr. 145, 146) ebenfalls eine gemeinsame Melodie zugewiesen: »Erschienen ist der herrlich ’ Tag«. Er musste die Strophenform jedoch um drei Zeilen erweitern, um sie der angegebenen Melodie anzupassen. 4. Erschienen ist der herrlich ’ Tag, Den man für allen Tagen . . . (S. 257) (nach Nikolaus Herman 1560, vgl. EG 106) 5. Heut triumphiret Gottes Sohn, Dir, Hölle, dir zu Leide . . . (S. 258) (nach Kaspar Stolzhagen 1591, vgl. EG 109) Dabei werden die Originalstrophen kaum paraphrasiert oder gar parodiert. Nach den Eingangszitaten beliebter älterer Lied- und Strophenanfänge lässt der Dichter seinen eigenen poetischen und theologischen Gedanken freien Lauf. Im Gegensatz zu den vier Liedern des Typs III.B, bei denen von Strophe zu Strophe ein Melodienwechsel erfolgt, bleibt bei Neumeisters Osterlied die musikalische Einheit gewahrt. Die Belebung wird hier eher assoziativ erreicht durch sechs verschiedene Osterliedzitate aus der Zeit der Reformation, der Gegenreformation und des Barock. Auch ohne Melodiewechsel war dieser Mischtyp - ein weiteres Beispiel für Neumeisters Freude an Formenreichtum - sicherlich geeignet, um den Kirchengesang lebendiger zu machen. Schluss Schon als Weißenfelser Hofprediger (1704/ 1705) hat Erdmann Neumeister - eigenen Angaben zufolge - Predigtlieder zunächst zu seiner eigenen Erbauung verfasst: Akrostichon und Parodie 352 Wenn nun die ordentliche Arbeit des Sonntags verrichtet, versuchte ich das Vornehmste dessen, was in der Predigt abgehandelt worden, zu meiner Privatandacht in eine gebundene Rede zu setzen und mit solcher angenehmen Sinnenbemühung den durch Predigen ermüdeten Leib wieder zu erquicken, woraus denn bald Oden (Gesänge), bald poetische Oratorien, und mit ihnen auch gegenwärtige Cantaten gerathen sind. [. . .] Bei dem Stylo habe ich am liebsten biblische und theologische Redensarten behalten wollen. Denn mich dünkt, daß bei geistlichen Gedichten ein prächtiger Wörterschmuck von menschlicher Kunst und Weisheit den Geist und die Anmuth so sehr verhindert, als er vielleicht beides in politischen [weltlichen] Versen befördern möchte. 19 Über 600 geistliche Lieder flossen aus seiner Feder. Dabei entwickelte er eine zunehmende Affinität zum liturgisch gebundenen Kirchenlied. Häufig angestoßen durch die Anfangszeilen traditioneller, an den Perikopen orientierter Sonn- und Festtagsgesänge, entstanden neue Texte für die Lieder nach der Predigt. Mit den Melodiewechseln innerhalb seiner »Lieder = Andachten« wollte er einem langatmigen, ermüdenden Kirchengesang entgegenwirken. Das verbindet ihn mit dem Herrnhuter Zinzendorf, den er als Satan, Antichrist und Belial beschimpfte, 20 und dem Hamburger Musikdirektor Telemann. Mögen die Motive unterschiedlich gewesen sein, im Ergebnis ging es um das gleiche. Zinzendorf wollte einen inspirierten, erweckten Gesang überwiegend aus theologischen Gründen. Telemann ging es sicherlich mehr um musikalische Qualität und das barocke Prinzip »variatio delectat«. Neumeister aber setzte mit seinem poetischen Konzept den Kernliedern vom Reformationszeitalter bis zum Frühpietismus in seinen Dichtungen Denkmäler. Mit seiner Zitier- und Parodietechnik ging er weit über die gängige barocke Praxis der Übernahme einzelner Phrasen und Floskeln hinaus. Die bewahrenden Elemente in seinen Liedern - im Jahrgang der Lieder-Andachten von 1743 fast ausschließlich Kontrafakturen - wurden zum persönlichen Bekenntnis, zum Zeugnis seiner theologischen und ästhetischen Grundhaltung. 19 Zit. aus: Blätter für Hymnologie 5 (1894), S. 66. 20 Vgl. S. 355. Zitat und Parodie bei Erdmann Neumeister 353 V Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen Abb. 19.1: ». . . ein uraltes Buch, welches lächerlich und unverhältnismäßig viel höher als breit war und vorn . . . das übermenschlich pausbäckige Bildnis des Ahnherrn enthielt«. Thomas Mann über die Gerhardt-Ausgabe von Johann Heinrich Feustking, Wittenberg 3 1723 19 »Sie nahm aus ihrem Beutel ein uraltes Buch . . .« Paul Gerhardt bei Matthias Claudius und Thomas Mann Paul Gerhardt ist und bleibt ein Rezeptionsphänomen - nicht nur im Gesangbuch und in der Kirchenmusik, nicht nur in hymnologischen und pastoraltheologischen Texten, nicht nur in autobiographischen Zeugnissen, sondern auch in der sogenannten schönen Literatur. Im Handbuch zum gegenwärtigen schwedischen Gesangbuch wird Paul Gerhardt zur deutschen Nationalliteratur gerechnet. 1 Seine geistlichen Lieder fehlen bis heute in keiner Anthologie deutscher Dichtung. Dennoch staunen Germanisten immer wieder über die vielen Spuren, die Gerhardt in der Literatur hinterlassen hat. Mit dem Schwinden christlicher Erziehung und werden sie aber immer weniger entdeckt. Ein interdisziplinärer Austausch ist deshalb wichtiger denn je. In der folgenden Untersuchung blicken wir exemplarisch ins 18., 20. und sogar ins 21. Jahrhundert. Dabei werden wir ganz unterschiedlichen Formen der Verarbeitung und der Annäherung begegnen. Unmittelbare Äußerungen von »Dichtern über den Dichter« geben Zeugnis von der Haltung eines Autors zu Paul Gerhardt. 2 Besondere Formen der Aneignung bzw. der Auseinandersetzung sind das Zitat und die Anspielung, die Parodie und die Persiflage. Sie werden vom Leser aber nur verstanden, wenn er die Liedfragmente - ob wörtlich zitiert oder ironisch gebrochen - auch erkennt. Erkennen aber kann man nur, was man bereits kennt. Das möchte ich an acht Beispielen von zwei Schriftstellern zeigen: an Matthias Claudius, einem Meister der kleinen Form, den Karl Kraus dennoch zu den »allergrößten deutschen Dichtern« zählte, 3 und an Thomas Mann, der als größter deutscher Erzähler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt. - Zunächst zu Paul Gerhardt und Claudius: Überarbeitete Druckfassung eines Vortrags bei der Jahrestagung der Paul-Gerhardt-Gesellschaft Paul Gerhardt in der Literatur (Berlin 28. - 30.5.2010). Siehe BibAK 34 (2011), vgl. BibAK 24 (2001) und 33 (2009). 1 Den Svenska Psalmboken. Textoch Musikkommentarer. Bd. 3 (1985), S. 76. 2 Vgl. Bunners, Paul Gerhardt. Weg, Werk, Wirkung ( 3 2006), S. 272 - 289. 3 Die Fackel, Januar 1917. I. Unübersehbar sind die Parallelen zwischen den beiden berühmten »Abendliedern«: dieselbe Überschrift, dieselbe Strophenform, der innige, schlichte Volkston - Übereinstimmungen in Metaphorik und Wortwahl. Darüber ist bereits mehrfach geschrieben worden. 4 Ich möchte deshalb nur die auffälligsten semantischen Übereinstimmungen vor Augen führen. Sie sind in der Synopse kursiv markiert: Paul Gerhardt Erstdruck: Crügers Praxis pietatis 1647; später Ebeling 1666 und Feustking 1707, 2 1717, 3 1723; Plön 1731; Glückstadt 5 1757 Matthias Claudius Erstdruck: Poetische Blumenlese für das Jahr 1779; später Asmus [. . .] oder Sämmtliche Werke IV, 1783 »Nun ruhen alle Wälder« »Der Mond ist aufgegangen« Abendlied. 3. Der Tag ist nun vergangen: Die güldnen Sternlein [Sterne(n)] prangen Am blauen Himmels = Saal: Abendlied. 1. Der Mond ist aufgegangen Die goldnen Sternlein prangen Am Himmel hell und klar; 6. Nun geht ihr matten Glieder/ Geht/ geht [hin] und legt euch nieder/ Der Betten ihr begehrt: 7. So legt euch denn, ihr Brüder, In Gottes Namen nieder; Kalt ist der Abendhauch. 9. Gott laß euch ruhig [selig] schlafen Stell euch die güldnen Waffen Vmbs Bett/ und seiner Helden [Engel] Schaar. Verschon uns, Gott! Mit Strafen, Und laß uns ruhig schlafen! Und unsern kranken Nachbar auch! Zit. nach Ebeling/ Feustking/ Plön. Lesarten Glückstadt 1757 nach Praxis Pietatis 1647 (FT III,381) in eckigen Klammern Zit. nach SW IV, 217 f. 5 Zur Zeit von Claudius, aber auch noch bis in die fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein, war das Kirchenlied allgemeiner geistiger Besitz. Claudius hatte eine innige Beziehung zu seinem Gesangbuch und zum Kirchenlied, und zwar in der tradierten, nicht in der im rationalistischen Sinne seiner Zeit › verbesserten ‹ Form. So, wie er Gerhardts Lieder als Kind im Reinfelder Pfarrhaus gelernt hatte, so zitierte er sie auch. Das Gesangbuch seiner Jugend, das Plönische Gesangbuch von 1674 in seiner revidierten Auflage von 1731, enthält 46 Gerhardt-Lieder, und zwar in der Lesart von Ebeling (Erstdruck 4 Z. B. Beutel, »Jenseit des Monds ist alles vergänglich« (1990), S. 494, Anm. 36 mit Literaturhinweisen. 5 Alle Werkzitate aus: Matthias Claudius, Sämtliche Werke, Hg. Perfahl u. a. ( 5 1984). Siehe QV, Werkausgaben. Sigle: SW mit römischer Ziffer für die VIII einzeln erschienenen Teile der Erstausgabe (1775 - 1812), Seitenangabe. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 358 1666/ 67) und Feustking ( 3 1723). 6 Im amtlichen Schleswig-Holsteinischen Gesangbuch von 1752, dem sog. 1.000-Liederbuch, 7 das er seit 1770 im Gutsbezirk Wandsbeck 8 vorfand, stehen sogar 70 Lieder von Paul Gerhardt, nun aber in den Fassungen aus Crügers Praxis Pietatis. Am Beispiel des »Abendlieds« sehen wir, wie unauslöschlich sich die in der Kindheit erlernten Wendungen in das Gedächtnis des Dichters eingegraben hatten. So heißt es in seiner ersten Strophe nicht »Sterne(n)«, sondern Sternlein; und in der letzten nicht »selig«, sondern ruhig - so wie bei Ebeling und Feustking und eben wie im Gesangbuch des winzigen Herzogtums Plön, zu dem der heimatliche Guts- und Pfarrbezirk Reinfeld gehörte. Im Gesamtwerk von Claudius fand ich über 30 Kirchenliedzitate: vollständige Lieder, einzelne Strophen und Verse. 9 Davon stammt die überwiegende Zahl neben Luther von Paul Gerhardt, alle markant platziert. Allein daraus dürfen wir schließen, dass Claudius Gerhardts Lieder besonders lieb und vertraut gewesen sind. In einem Brief »an einen Bürgermeister« aus dem letzten Lebensjahr 1814 heißt es sogar: »Sie können den Paul Gerhard nicht lieber haben, als ich ihn habe.« 10 - Der früheste Beleg dafür ist besonders anrührend: II. I M J UNIUS Aber die Lenzgestalt der Natur ist doch wunderschön; wenn der Dornstrauch blüht und die Erde mit Gras und Blumen pranget! So ’ n heller Dezembertag ist auch wohl schön und dankenswert, wenn Berg und Tal in Schnee gekleidet sind, und uns Boten in der Morgenstunde der Bart bereift; aber die Lenzgestalt der Natur ist doch wunderschön! Und der Wald hat Blätter, und der Vogel singt, und die Saat schießt Ähren, und dort hängt die Wolke mit dem Bogen vom Himmel, und der fruchtbare Regen rauscht herab - Wach auf mein Herz und singe Dem Schöpfer aller Dinge etc. ’ s ist, als ob Er vorüberwandle, und die Natur habe Sein Kommen von ferne gefühlt und stehe bescheiden am Weg in ihrem Feierkleid, und frohlocke! (SW I/ II, 32) Relativ sachlich beginnt die Naturbeschreibung: »der Dornstrauch blüht und die Erde mit Gras und Blumen pranget! «. Aber als der Dichter nach dem Vergleich mit einem schönen Dezembertag den ersten Satz wieder aufgreift (»aber die 6 Ebeling, Pauli Gerhardi Geistliche Andachten (Berlin 1667), S. 148 f. - Feustking (Hg.), Pauli Gerhardi Geistreiche Hauß = und Kirchen Lieder (Wittenberg 3 1723), S. 183 f. 7 Vollständiges Gesang = Buch (Altona, Glückstadt 1752). Zit. wird nach Glückstadt 5 1757. 8 Zur Schreibweise von Wandsbeck vgl. Beitrag 10, Anm. 2. 9 Vgl. auch Görisch, Die Sprache des Kirchenlieds in Matthias Claudius ’ Werk (1991), S. 91 - 103. 10 Koch/ Siebke, Unbekannte Briefe und Texte (1972), S. 18, zit. nach Görisch (2007). Paul Gerhardt bei Matthias Claudius und Thomas Mann 359 Lenzgestalt der Natur ist doch wunderschön! «), wird er emphatisch. Er steigert sich von Bild zu Bild: Blätter, Vogel, Ähren, Wolke, Regenbogen - atemlos bricht er ab, und wie ein erfrischender Sommerregen rauscht Gerhardts Liedanfang auf den Leser herab: »Wach auf, mein Herz, und singe, dem Schöpfer aller Dinge«! Durch den Hinweis auf den Schöpfer erhält die zunächst reine Naturbeschreibung eine explizit religiöse Dimension, die vorher im Wort »wunderschön« nur angedeutet ist. Bei Claudius ist das Naturerlebnis aber nicht - wie bei seinen pantheistischen Zeitgenossen - bereits an sich Gotteserlebnis. 11 Deshalb kommt es - nachdem sich der Atem beruhigt hat - zu der metaphysischen Reflexion: » ’ s ist, als ob Er vorüberwandle, und die Natur habe Sein Kommen von ferne gefühlt . . .«. In seinem theologischen Konzept geht es nicht darum, dass der Mensch Gott in der Natur erkennt, sondern dass der Mensch sich ganz als Teil der Natur empfindet. Und die Natur weist am Wegrand bescheiden auf den Schöpfer hin und frohlockt. Sie, die Natur - und in ihr der Mensch - appelliert an sich selbst, dem Schöpfer ein Lied zu singen. Sie tut es durch den Mund von Claudius mit den beiden Anfangsversen aus Paul Gerhardts Morgenlied. Wie so oft in seinen Texten weist Claudius auch hier auf die Grenzen des menschlichen Denkens und Wahrnehmens hin, hebt sich damit von der Hybris mancher Aufklärer ab und zeigt bewusst seine Nähe zu der vertrauensvollen Demut des Barockdichters Gerhardt. Den geliehenen Zeilen fügte Claudius nur wenige hinzu, und es entstand ein Kabinettstück deutscher Dichtung. So sind wir versucht, diesen 1775 in der Werkausgabe veröffentlichten Text als geniales, gleichsam fertig vom Himmel gefallenes Kunstwerk anzusehen, aber bereits drei Jahre vorher erschien im Wandsbecker Boten eine frühere Fassung (1772/ Nr. 104 vom 30.6.): Den 8ten Junius 1772. — aber das Laubgewand der Natur ist doch wunderschön, wenn die Blume im Grase steht und die Nachtigall singt! So ein heller Decembertag ist auch wohl schön und dankenswerth, wenn Berg und Thal in Schnee gekleidet sind, und uns Bothen in der Morgenstunde der Bart bereift; aber das Blumen = und Laub = Gewand der Natur ist doch wunderschön — und der Wald hat Blätter, und die Nachtigall singt, [und die Blume steht im Grase,] und die Saat schießt Aehren — und dort hängt die Wolke mit dem Regenbogen vom Himmel und der fruchtbare Sommer Regen rauscht herab — [ — Barmherzig — und Gnädig — »Heint als die dunkeln Schatten, mich ganz umgeben hatten. Adam hat im Paradies, seinen Bund mit Gott gebrochen etc. In allen meinen Thaten etc.« — du wirst das nicht verschmähen — ich habe nichts beßers — , Barmherziger — — — ] 11 Vgl. Görisch, Matthias Claudius oder Leben als Hauptberuf (1985), S. 53. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 360 Es ist [mir als ob er hinter jedem Baum stünde], als ob er [im Lispel der Luft] vorüberwandle, und die Natur habe sein Kommen von ferne gefühlt und stehe am Wege in ihrem Feyerkleid[e] und frolocke — Diese ältere Version ist fast doppelt so lang und zeigt uns, wie intensiv auch Claudius an seinen Texten gearbeitet hat, wie sehr er sie durch Wortveränderungen, vor allem aber durch Weglassen › verdichtet ‹ hat (die später vereinfachten Ausdrücke habe ich kursiv, Streichungen in eckige Klammern gesetzt): So wird das etwas umständliche Blumen = und Laub = Gewand aus der Frühfassung in der späteren Werkausgabe zur schlichteren »Lenzgestalt«, die Nachtigall zum »Vogel«. Die Komposita Regenbogen und Sommer Regen werden zu »Bogen« und »Regen«. Von den stammelnden Worten in der Mitte der Frühfassung » - Barmherzig - und Gnädig - [. . .] - d u w i r s t d a s n i c h t v e r s c h m ä h e n - i c h h a b e n i c h t s b e ß e r s - Barmherziger - - - « bleibt in der endgültigen Version nur noch ein Gedankenstrich. Die gestrichenen Satzsplitter spielen an auf die Strophen in Gerhardts Morgenlied, in denen Gott statt alttestamentlicher Opfergaben »Gebete und Lieder« dargeboten werden: 6. Du wilt dein opfer haben; Hie bring ich meine gaben: Mein weihrauch und mein widder Sind mein gebet und lieder: 7. D i e w i r s t d u n i c h t v e r s c h m ä h e n , Du kanst ins herze sehen, Und weißt wohl, daß zur gabe I c h j a n i c h t s b e s s e r s h a b e . 12 Auf die syntaktisch in Prosa umgewandelten Verse aus Str. 7 verzichtet Claudius in der Werkausgabe ebenso wie auf den Beginn der 2. Strophe »Heint als die dunkeln Schatten, mich ganz umgeben hatten«. Auch die beiden darauf folgenden Liedincipits von Caspar Neumann (Adam hat im Paradies seinen Bund mit Gott gebrochen, 1711) und Paul Fleming (In allen meinen Thaten, 1633) fielen weg. Sie wurden im Nachhinein wohl als theologisch zu kompliziert und überfrachtet empfunden und deshalb ersetzt durch den Herz und Sinne ansprechenden Liedanfang: Wach auf, mein Herz, und singe. III. Das vielleicht berühmteste Lied von Paul Gerhardt taucht einmal in Claudius ’ Werken, einmal in einer Briefstelle auf. Im Frühjahr 1777, nach schwerer Erkrankung am Ende der unerquicklichen einjährigen Episode in Darmstadt, 12 Zit. nach dem 1.000-Lieder-Buch, Nr. 891 (Anm. 7). Gesperrter Druck von mir. Paul Gerhardt bei Matthias Claudius und Thomas Mann 361 schreibt Claudius vor der Rückkehr in eine ungewisse Zukunft an Johann Gottfried Herder: Ich habe eine Pleuresie gehabt und bin soeben entronnen, Gott sei Dank. Wenn ich und meine gute Rebecca uns darnach befinden, so gehen wir Ausgang April von hier ab in meinem Wagen, den ich noch konserviert habe, vielleicht über Wolfenbüttel, wie ich Lessing [. . .] versprochen habe, sonst gerade nach Wandsbeck. [. . .] Was in Wandsbeck anfangen? Auf diese rhetorische Frage fährt er sich selbst und dem sicherlich besorgten Freund antwortend fort: »Übersetzen, Fortsetzung vom Asmus herausgeben, und Befiehl Du Deine Wege pp.« (Br I 2 , 234). 13 Das typische pp. (perge perge = fahre fort! ) oder etc. am Ende von Claudius ’ Zitaten deutet auch hier die Fortsetzung des Liedes an: ». . . und was dein Herze kränkt«. Wie sehr musste sich das Herz eines Menschen, der sich seiner selbst und seiner emotionalen wie intellektuellen Fähigkeiten bewusst ist, gekränkt fühlen! Unfähigkeit und Desinteresse waren ihm vorgeworfen worden. Der von Herder eingefädelte Versuch, in ein geordnetes Berufsleben einzutreten, war auf ganzer Linie gescheitert! Stärker noch als die Kränkung aber war sein unerschütterliches Gottvertrauen, das aus dieser Briefstelle spricht. Was blieb ihm, der persönliches Glück und ein Leben in Harmonie über berufliche und gesellschaftliche Anpassung stellte, dessen »Hauptberuf das Leben« 14 war - was blieb ihm also anderes übrig als Vertrauen auf Gott! Seit frühester Kindheit muss Befiehl du deine Wege für Claudius ein Tröster gewesen sein. Davon spricht er in der berühmten »Korrespondenz zwischen mir und meinem Vetter«. Er kritisiert die bereits erwähnte übliche Verbesserung von Kirchenliedern in der Aufklärungszeit. Sie war ihm so zuwider, dass er deshalb sogar zu spät in den Gottesdienst kam, um wenigstens das Eingangslied nicht in der › verschlimmbesserten ‹ Form mitsingen zu müssen. Das berichtet uns jedenfalls die Enkeltochter Agnes in ihren Lebenserinnerungen. 15 In dem fiktiven Dialog mit seinem Vetter fragt er, ob er sich schuldig mache, wenn er »wohl bisweilen in der Kirche, wenn die Gemeine nach der Verordnung singt, [stillschweige] und im Herzen die alte Weise [halte]«, und ob er, wenn er »ganz allein und für [sich sei]: ob [er] denn nur rein heraussingen« dürfe. In diesem Balanceakt zwischen Obrigkeitsgehorsam und Gewissensfreiheit beruft er sich erneut auf das geliebte Paul Gerhardt-Lied: So ein: »Befiehl du deine Wege« z. E., das man in der Jugend, in Fällen wo es nicht so war wie ’ s sein sollte, oft und andächtig mit der Mutter gesungen hat, ist wie ein alter 13 Briefzitate aus: Matthias Claudius. Briefe an Freunde, Hg. Jessen (²1965), Sigle: Br I 2 , sowie Briefe an die Familie (1940), Sigle: Br II, jeweils mit Seitenangabe. Siehe QV, Werkausgaben. 14 Vgl. Buchtitel von Görisch (Anm. 11). 15 A. Perthes, Erinnerungen an Matthias Claudius. Von seiner Enkelin (1858/ 1978), S. 16 f. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 362 Freund im Hause dem man vertraut und bei dem man in ähnlichen Fällen Rat und Trost sucht. Wenn man den nun, anders montiert, und im modernen Rock wiedersieht; so traut man ihm nicht, und man ist nicht sicher: ob der alte Freund noch darin ist - und ich sehne mich denn immer nach dem falschen Knopf und der schiefen Naht. (SW V, 344) IV. Auch das vierte Gerhardt-Lied, das bei Claudius eine herausgehobene Rolle spielt, wird mehrmals zitiert. In seinem Kantatenlibretto »Das Grosse Halleluja« (SW V, 291 - 294) erscheint als »Choral« die Anfangsstrophe von Sollt ich meinem Gott nicht singen. 16 Der an den Bibelvers »Ein Jegliches hat seine Zeit« (Prediger 3,1) angelehnte Kehrreim des Lob- und Dankliedes muss in der Familie Claudius geflügeltes Wort gewesen sein: »Alles Ding währt seine Zeit; Gottes Lieb in Ewigkeit! «. Tröstend und vertrauensvoll schreibt es Matthias an seine Hamburger Tochter Caroline Perthes, nachdem sie sich 1813 vor den napoleonischen Truppen in Sicherheit gebracht hatte (Br II, 283). Resümierend und abgeklärt setzt es seine Enkelin Agnes 45 Jahre später leicht abgewandelt unter ihren Lebensrückblick: »Jedes [! ] Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit.« 17 Vier der bis heute bekanntesten und beliebtesten Gerhardt-Lieder, das Abendlied Nun ruhen alle Wälder, das Morgenlied Wach auf, mein Herz, und singe, das Trost- und Vertrauenslied Befiehl du deine Wege und das Lob- und Danklied Sollt ich meinem Gott nicht singen sind also z. T. mehrfach in Claudius ’ schriftlichem Nachlass dokumentiert und zeigen seine Nähe zum Kirchenlied im Allgemeinen, zu denen Paul Gerhardts im Besonderen. 18 V. Neben den Liedzitaten gibt es noch ein anderes Dokument, das eine bewusste oder unbewusste Nähe zu Paul Gerhardt zeigt. 1799 entließ der 59-jährige Claudius seinen 16-jährigen Sohn in eine Kaufmannslehre mit einem brieflichen Vermächtnis »An meinen Sohn Johannes« (SW VII, 545 ff.). Auch Paul Gerhardt 16 Es folgt der 100. Psalm (Jauchzet dem Herrn alle Welt) und Luthers Te Deum (Herr Gott, dich loben wir). 17 A. Perthes, S. 50. Beide Zitate ausführlicher in Beitrag 10, S. 198. 18 Eine Anspielung auf Gerhardts Passionslied O Haupt voll Blut und Wunden findet sich in einem Brief von Claudius an Herder mit Bezug auf ein Buch von Hamann, »darin er Euerer [Herders] mit großer Ehr und Zier gedenkt« (Br I 2 , 314). Freundliche Mitteilung von Reinhard Görisch. Paul Gerhardt bei Matthias Claudius und Thomas Mann 363 hatte kurz vor seinem Tod seinem noch nicht 14-jährigen Sohn Paul Friedrich ein solches - in der damaligen Zeit nicht unübliches - › Testament ‹ hinterlassen. Die beiden Dokumente ähneln einander nicht nur inhaltlich, sondern auch im Sprachduktus. Wie die güldenen ABC ’ s haben sie die biblische Weisheitsliteratur, vor allem das Buch der Sprüche Salomos, zum Vorbild. Drei Beispielen von Paul Gerhardt habe ich entsprechende Lebensregeln von Claudius (kursiv) zugeordnet: In deinem gemeinen Leben folge nicht böser Gesellschaft, sondern dem Willen und Befehl deines Gottes. Insonderheit tue nichts Böses in der Hoffnung, es werde heimlich bleiben, denn es wird nichts so klein gesponnen, es kommt an die Sonnen. Sitze nicht, wo die Spötter sitzen, denn sie sind die elendesten unter allen Kreaturen. Habe immer etwas Gutes im Sinn. Der fleischlichen Lüste schäme dich, und wenn du dermaleinst zu solchen Jahren kommst, daß du heiraten kannst, so heirate mit Gott und gutem Rat frommer, getreuer und verständiger Leute. Tue keinem Mädchen Leides, und denke, daß Deine Mutter auch ein Mädchen gewesen ist. Summa: bete fleißig, studiere was Ehrliches, lebe friedlich, diene redlich und bleibe in deinem Glauben und Bekennen beständig, so wirst du einmal auch sterben und von dieser Welt scheiden willig, fröhlich und seliglich. Amen. Bleibe der Religion Deiner Väter getreu, und hasse die theologischen Kannengießer. - Und sinne täglich nach über Tod und Leben ob Du es finden möchtest, und habe einen freudigen Mut; und gehe nicht aus der Welt, ohne Deine Liebe und Ehrfurcht für den Stifter des Christentums durch irgend etwas öffentlich bezeuget zu haben. Dein treuer Vater. Paul Gerhardt, Frühjahr 1676 19 Matthias Claudius, 1799 Bisher gab es keinen Beweis dafür, dass Claudius Gerhardts › Testament ‹ gekannt hat. Aber nun kommt endlich Thomas Mann ins Spiel. Auch sein Werk untersuchte ich auf Kirchenliedzitate. Denn für den im wilhelminischen Kaiserreich aufgewachsenen Lübecker Bürgersohn und seine Generation war das Kirchenlied ebenfalls noch fester Bestandteil der Bildung und des täglichen Lebens. Die freie Reichs- und Hansestadt war seit der Reformation protestantisch geprägt. 1875, im Geburtsjahr von Thomas Mann, gehörten noch 96 % der 45.000 Einwohner der evangelisch-lutherischen Staatskirche an. D. h. fast alle Kinder wurden lutherisch getauft und auch konfirmiert. 19 Zit. nach Bunners (1993), S. 302. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 364 Im Lübecker Katechismus aus Heinrich und Thomas Manns Schulzeit stand eine »Auswahl [38] evangelischer Lieder zum Auswendiglernen« 20 (Abb. 19.2) - sieben stammen von Paul Gerhardt! Von diesen gehören vier (also über 20 %) zum Pflichtkanon der 19 fett gedruckten, darunter auch zwei der von Claudius zitierten: Nun ruhen alle Wälder und Befiehl du deine Wege. Es ist also gar nicht so verwunderlich, dass auch im literarischen Werk von Thomas Mann Kirchenliedverse zu entdecken sind. Drei Paul Gerhardt-Zitate fand ich allein in Buddenbrooks. Wie eingangs angedeutet, werden sie im Gegensatz zu Claudius aber auf unterschiedlichste Weise ironisiert, ja, persifliert. VI. Das erste Zitat hat einen ernsten, religiösen Hintergrund. Die Szene ist komisch und berührend zugleich. Thomas Buddenbrook liegt auf dem Sterbebett. Wie ein barocker Chronist beschreibt Thomas Mann die letzten Stunden des verunglückten Senators. Der Arzt hatte nachmittags den nahenden Tod angekündigt, der Pastor war dagewesen. Die Familie ist im Sterbezimmer versammelt. Um fünf Uhr [. . .] begann [Tony] plötzlich, [. . .] sehr laut und mit gefalteten Händen, einen Gesang zu sprechen . . . »Mach ’ End ’ , o Herr«, sagte sie, und Alles hörte ihr regungslos zu - »mach ’ Ende mit aller seiner Not; stärk ’ seine Füß ’ und Hände und laß bis in den Tod . . .« Aber sie betete so sehr aus Herzensgrund, daß sie sich immer nur mit dem Worte beschäftigte, welches sie grade aussprach, und nicht erwog, daß sie die Strophe gar nicht zu Ende wisse und nach dem dritten [richtig: vierten! ] Verse jämmerlich stecken bleiben müsse. Das that sie, brach mit erhobener Stimme ab und ersetzte den Schluß durch die erhöhte Würde ihrer Haltung. Jedermann im Zimmer wartete und zog sich zusammen vor Geniertheit (S. 754 f.). 21 Kurz darauf starb der Senator. Gerhardt-Kenner bemerken Tonys Textvariante sofort: Aus »unsrer« Not macht sie »seine« Not und bezieht auch die »Füß ’ und Hände« grammatikalisch auf den Bruder. Vielleicht ist es ja die Unlogik dieser spontanen, situationsbedingten Textvariante, durch die Tony den Faden verliert, weil sie dem Bruder einerseits den erlösenden Tod herbeiwünscht, andererseits die Stärkung seiner Glieder, also seine Genesung erbittet. Dadurch wird der ironische Anstrich des aufrichtig gemeinten, aber durch das Steckenbleiben komisch wirkenden Auftritts am Sterbebett noch verstärkt. Die steife Feierlichkeit der Szene schlägt jedenfalls um in peinliche Beklommenheit. Allerdings teilt der Leser weniger die Geniertheit der Umstehenden als das Vergnügen des Erzählers über seinen satirischen Einfall und empfindet 20 Erklärung des kleinen Katechismus Luthers (Lübeck 1886), S. 126 f. 21 Alle Romanzitate aus: T. Mann, Buddenbrooks (GKFA 1.1, 2002). Weitere Werkausgaben siehe QV. Paul Gerhardt bei Matthias Claudius und Thomas Mann 365 Sympathie für die literarische Figur. Tony versucht wenigstens, ein religiöses Bedürfnis, das sie mit eigenen Worten nicht mehr auszudrücken vermag, mittels einer altbewährten Kirchenliedstrophe zu artikulieren. Ihr nehmen wir das aufrichtige Bemühen, dem Familientreffen im Sterbezimmer einen Sinn und eine religiöse Dimension zu geben, gerne ab. Bevor wir uns dem nächsten Beispiel zuwenden, möchte ich noch auf eine hymnologische Petitesse aufmerksam machen. Tony sagt: »Mach ’ End ’ , o Herr, mach ’ Ende mit aller seiner Not«. Wenn es in den Anmerkungen zu Buddenbrooks in der »Winkler Weltliteratur Dünndruck Ausgabe« von 1995 heißt: »Tony stimmte die zwölfte und letzte Strophe von Paul Gerhardts Lied Befiehl du deine Wege an, die richtig [. . .] lautet: › Mach End, o Herr, mach Ende/ An aller unsrer Not! «, so geschieht der Romanfigur und damit auch ihrem Schöpfer Thomas Mann unrecht. Zwar ist die Präposition »an« im zweiten Vers der letzten Strophe seit dem Erstdruck des Liedes in der Praxis Pietatis 1653 und auch seit Ebeling 1666/ 67 in den Gesamtausgaben überliefert. Insofern ist der Kommentator philologisch-textkritisch scheinbar im Recht. 22 Aber eben auch nur scheinbar. Denn in allen Lübecker Gesangbüchern seit 1790 heißt es bis heute »mit aller unsrer Not! «, also auch in der Romanzeit zwischen 1835 und 1877 und ebenso zur Lebenszeit von Thomas Mann. Tony zitiert also › richtig ‹ und nicht falsch - ein anschauliches Beispiel für die Notwendigkeit interdisziplinären Zusammenspiels von Germanistik und Hymnologie! Es »zeigt den Literaturwissenschaftlern, daß es nicht reicht, ein beliebiges Gesangbuch zur Hand zu nehmen, aber auch nicht irgend eine textkritische Paul-Gerhardt-Ausgabe, sondern daß die fein und feinst verästelten regionalen Quellen und Traditionen maßgebend sind«, die sich nicht ohne »das nötige hymnologische Rüstzeug« erschließen - so Hermann Kurzke 1998 in seiner Rezension über den Erstdruck von »Paul Gerhardt im Blauen Engel. Ein rätselhaftes Kirchenliedzitat in Heinrich Manns Professor Unrat« 23 (s. Beitrag 20). VII. Die nächste Episode spielt etwa zwanzig Romanjahre früher in einem vollkommen anderen Milieu. Sie verbindet eine Pennäleranekdote mit kalauerndem Wortspiel und politischem Witz. Konsul Thomas Buddenbrook lässt sich 22 T. Mann, Buddenbrooks. Mit Nachwort, Anmerkungen und Zeittafel von Jochen Hieber (1995), S. 788. 23 Kurzke, Ein Kirchenliedzitat in der Literatur (1998), S. 215. Vgl. BibAK 16 (1996/ 97), S. 92 f., sowie BibAK 33 (2009), S. 166 - 169, und BibAK 34 (2011), S. 37 f. Leider wurde für den Kommentar zur neuen Buddenbrooks-Ausgabe (2002) statt der relevanten älteren lübeckischen Gesangbücher die Regionalausgabe des DEG (1930) herangezogen und infolgedessen die Romanstelle weiterhin fehlgedeutet (GKFA 1.2, S. 395). Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 366 allmorgendlich von Barbier Wenzel, ebenfalls Mitglied der Bürgerschaft, rasieren: [Dabei] entspann sich fast immer ein Gespräch, das mit Nachtruhe und Witterung beginnend, alsbald zu Ereignissen in der großen Welt überging [. . .]. ». . . Was Neues aus Kopenhagen? « »Gar nichts, Herr Konsul. Sie wollen nicht« [. . .]. ». . . Ach ja, diese Dänen! Ich erinnere mich lebhaft, wie ich mich schon als ganz kleiner Junge beständig über einen Gesangvers ärgerte, der anfing: › Gieb mir, gieb allen denen, die sich von Herzen sehnen . . . ‹ wobei ich › Denen ‹ im Geiste immer mit › ä ‹ schrieb und nicht begriff, daß der Herrgott auch den Dänen irgend etwas geben sollte . . .« (S. 392 - 94). Wenzel lacht und der Konsul wechselt das Thema von der großen Politik zur regionalen Eisenbahnpolitik. Das fast wörtliche und zugleich verballhornte Zitat stammt aus Paul Gerhardts Neujahrslied Nun laßt uns gehn und treten. Gib mir und allen denen, Die sich von hertzen sehnen Nach dir und deiner hulde, Ein hertz, das sich gedulde. 24 Warum lachen wir? Nur ein Laut des Anfangsverses wird phonemisch verhört, bzw. ein Buchstabe wird gedanklich verändert. Dadurch entsteht ein neuer Sinn, der komisch wirkt. Die spöttische, damals hochbrisante politische Pointe bezieht sich auf das gespannte Verhältnis zwischen dem republikanischen Stadtstaat Lübeck und dem Königreich Dänemark, dessen rechtswidrige gesamtstaatliche Politik mit dem Zugriff auf die deutschen Herzogtümer Holstein und Lauenburg auch das angrenzende und fast umschlossene Lübeck provozierte. VIII. In der dritten Szene mit einem Liedzitat von Paul Gerhardt unterhält uns Thomas Mann nun nicht mehr mit den öffentlich-politischen Themen der Männergesellschaft, sondern mit den privat-religiösen Angelegenheiten der Lübecker Damenwelt. Nach dem Tod von Konsul Jean Buddenbrook wurde das Haus in der Mengstraße zum Treffpunkt sogenannter Jerusalemsabende, an denen weibliche Mitglieder der besseren Gesellschaft nicht nur zum Tee und zum Handarbeiten für die Missionsarbeit zusammenkamen, sondern dabei auch 24 Originalfassung aus Praxis Pietatis, Editio V (1653), vgl. FT III,407. Thomas Mann legt Konsul Buddenbrook jedoch auch hier die Textvariante in den Mund, die von 1790 bis 1859 im aufklärerischen Neuen Lübeckischen Gesangbuch (Nr. 471,8) stand - also ebenfalls zu Lebzeiten des Konsuls im Roman: »Gieb mir, gieb allen denen«. Vgl. Notb I, 62 u. 74. Im restaurativen Übergangsgesangbuch von 1839 (Nr. 719,9) heißt es bereits wieder original (wie ab 1859 dann auch offiziell): »Gieb mir und allen denen« (Nr. 28,9). Vgl. Beitrag 5. Paul Gerhardt bei Matthias Claudius und Thomas Mann 367 fromme Lieder und Texte aus Gesang- und Andachtsbüchern vorlasen (vgl. Beitrag 25, S. 484 - 486): [Darunter war] ein Zwillingspaar, zwei sonderbare alte Mädchen, die mit Schäferhüten aus dem achtzehnten Jahrhundert und seit manchem Jahr schon verblichenen Kleidern Hand in Hand in der Stadt umhergingen und Gutes thaten. Sie hießen Gerhardt und beteuerten, in gerader Linie von Paul Gerhardt abzustammen. Man sagte, daß sie durchaus nicht mittellos seien; aber sie lebten aufs Jämmerlichste und gaben Alles den Armen [. . .]. Da Lea Gerhardt taub war, war sie es gewöhnlich, die an den Jerusalemsabenden vorlas; auch fanden die Damen, daß sie schön und ergreifend läse. Sie nahm aus ihrem Beutel ein uraltes Buch, welches lächerlich und unverhältnismäßig viel höher als breit war und vorn, in Kupfer gestochen, das übermenschlich pausbäckige Bildnis des Ahnherrn enthielt, nahm es in beide Hände und las, damit sie selbst sich ein wenig hören konnte, mit fürchterlicher Stimme, die klang, wie wenn der Wind sich im Ofenrohre verfängt: »Will Satan mich verschlingen . . .« Nun! dachte Tony Grünlich. Welcher Satan möchte die wohl verschlingen! Aber sie sagte nichts, hielt sich ihrerseits an den Pudding und dachte darüber nach, ob sie wohl auch dermaleinst so häßlich sein werde, wie die beiden Fräulein Gerhardt (306 f.). Durch diesen ungezogenen Gedanken - glücklicherweise nur dem Leser und nicht den Damen mitgeteilt - wird der Vers aus Paul Gerhardts Abendlied Nun ruhen alle Wälder (EG 477,8) persifliert und ins Lächerliche gezogen. Die Liedzeile aus der berühmten Strophe »Breit aus die Flügel beide«, die sich als Gute-Nacht-Gebet für Kinder verselbständigt hat, wird hier eingesetzt, um Tonys Misstrauen gegen gewisse Formen der Frömmigkeit zum Ausdruck zu bringen. Neben dem ironisierenden Liedzitat tritt der Dichter nun auch selbst unmittelbar und leibhaftig in Erscheinung, nämlich in Person der beiden weiblichen Nachfahren, die seine Verse vorlesen (Abb. 19.1). Die bildhafte Beschreibung des »uralten« Buches in »lächerlichem« Format mit dem »pausbäckigen Bildnis des Ahnherrn« trifft nur auf eine einzige der zahlreichen Gerhardt-Ausgaben zu, und zwar auf die des hochfürstlichen Hofpredigers und Konsistorialrats von Anhalt-Zerbst Johann Heinrich Feustking. 25 Bereits die erste, 1707 zum 100. Geburtstag des Dichters in Zerbst erschienene Auflage hatte zwar das schmale Duodezformat, doch erst die 2. und 3. Auflage, Wittenberg 1717 und 1723, enthielten das von Gabriel Uhlich in Kupfer gestochene Frontispiz mit dem Brustbild des - in der Tat pausbäckig abgebildeten - Dichters. Wie konnte Thomas Mann dieses Buch nur so treffend beschreiben? Die gleichsam fotografische Wiedergabe ist ein charakteristisches Stilmittel in seinem Werk. Er muss das Buch also gesehen haben, entweder in der eigenen Familie 25 Freundlicher Hinweis von Christian Bunners, Berlin. Zu Feustking vgl. Bunners (1993), S.[2], 18, 128, 255, 259. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 368 Abb. 19.2: 38 Kirchenlieder zum Auswendiglernen aus dem Lübecker Katechismus (1886), darunter 7 von Paul Gerhardt oder bei den lebenden Vorbildern für seine Romanfiguren, die ja beteuerten, von Paul Gerhardt abzustammen. Hinter den meisten Figuren des Romans verbergen sich echte Gestalten der Lübecker Gesellschaft aus Thomas Manns Jugendzeit. Und es war nach dem Erscheinen 1901 ein beliebtes Gesellschaftsspiel, die Figuren zu enträtseln und damit zu entlarven. Und welche Namen stehen in den überlieferten › Entschlüsselungslisten ‹ bei den Schwestern Gerhardt? - »Geschwister Claudius, Nachfahren des Dichters Matthias Claudius«. 26 In der Tat gab es in Lübeck Enkelinnen des Wandsbecker Boten. Es waren die ledigen Töchter von Friedrich Claudius, Senator und Bürgermeister von Lübeck, Rebecca (1819 - 1900) und Caroline (1830 - 1881). Sie lebten nicht weit von der Mengstraße in der Petersgrube. Es ist also durchaus vorstellbar, dass Thomas Mann die Feustking-Ausgabe bei den Geschwistern Claudius gesehen und sie dann den fiktionalen Schwestern Gerhardt in die Hände gelegt hat. Dafür spricht zusätzlich die Tatsache, dass nur diese Ausgabe im Vorwort Gerhardts Vermächtnis an seinen Sohn enthält. Dieser hatte es dem anhaltinischen Superintendenten Feustking zusammen mit den 120 Liedern zur Verfügung gestellt. Sollte Claudius Gerhardts Testament tatsächlich gekannt haben, dann muss ihm die Feustking-Ausgabe vorgelegen haben. Denn nur in dieser Quelle war das Vermächtnis damals zugänglich. Man kann nur staunen über diesen raffinierten Einfall Thomas Manns, der außerdem zeigt, wieviel Beachtung und Zuwendung er jeder einzelnen Nebenfigur geschenkt hat. Mit seiner fotografisch genauen Beschreibung hat er unfreiwillig der Literaturwissenschaft und der Frömmigkeitsforschung das entscheidende - bisher einzige - Indiz dafür gegeben, dass Claudius das Gerhardt-Vermächtnis tatsächlich gekannt, mit der Feustking-Ausgabe der Gerhardtlieder vermutlich sogar besessen und über seinen Sohn Friedrich an die Enkelinnen vererbt haben könnte. Thomas Mann jedenfalls wird die realen Fräulein Claudius, die sicherlich Zugang zum Hause seiner Großmutter in der Lübecker Mengstraße hatten, noch erlebt haben. 1881, als er sechs Jahre alt war, starb Rebecca mit 61 Jahren, 1900 - im Jahr der Vollendung von Buddenbrooks - Caroline mit über achtzig. So hat der junge Novellist in seinem Romanerstling über die Schwestern Gerhardt alias Claudius auch deren Ahnherren Paul Gerhardt und Matthias Claudius ein gemeinsames Denkmal gesetzt. Dass er dafür auch noch ein Zitat aus Gerhardts Abendlied wählte (»Will Satan mich verschlingen«), welches Claudius zum Vorbild für sein eigenes wurde, zeugt von profunder Kenntnis oder genialer Intuition. 26 Auszug aus einer › Entschlüsselungsliste ‹ ca. 1901/ 03 aus der Sammlung Stolterfoht, Stadtbibliothek Lübeck. Faks. in: Dräger, Buddenbrooks (1993), S. 24. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 370 Auf jeden Fall sind die drei Dichter, deren Lebensdaten 350 Jahre deutscher Literatur- und Geistesgeschichte umspannen, durch diese Pointe auf wundersame Weise miteinander verbunden. Sie gab den reizvollen Anstoß dazu, der Rezeption von Paul Gerhardt im Werk von Matthias Claudius und Thomas Mann nachzugehen und dabei ein fein gesponnenes Beziehungsnetz zwischen drei bedeutenden deutschen Dichtern zu entdecken. Paul Gerhardt bei Matthias Claudius und Thomas Mann 371 20 Paul Gerhardt im »Blauen Engel« Ein rätselhaftes Kirchenliedzitat in Heinrich Manns Professor Unrat I. Wir sind im 10. Kapitel, Höhe- und Wendepunkt des Romans. Professor Unrat hat das Klassenziel erreicht. Er sitzt »in eins verschmolzen« mit Rosa im Hinterzimmer des »Blauen Engel«. Nicht Lohmann, sondern er war der Künstlerin Fröhlich »teilhaftig geworden«. Er hatte »der Stadt von fünfzigtausend widerspenstigen Schülern die Künstlerin Fröhlich entzogen, und er war Alleinherrscher im Kabuff! « Der »bedrohte Tyrann« ist auf dem Höhepunkt seiner Macht, den frischen Triumph mit »heißer Genugtuung« auskostend, als die drei jungen Widersacher die Künstlergarderobe betreten. Jetzt geht es nur um eins: die verhassten Schüler vor der von ihm Eroberten zu demütigen. Zunächst gelingt es ihm, sie, die ihn durch ihr Erscheinen schockieren wollten, durch eine entwaffnende Souveränität in Verlegenheit zu bringen: »Freilich nun wohl - setzen Sie sich und trinken Sie eins. Heute sind Sie meine Gäste«. Lohmann dreht eine Zigarette, Kieselack kaut an den Nägeln, Ertzum gerät ins Zittern, als Rosas Blick ihn teilnahmslos fahren läßt - ihn, der dem »Weib, das [er] so hochgestellt« hatte und »das aus solcher Höhe gestürzt war«, nun gegenübertreten wollte, um »von ganz oben einen Blick über sie und ihren elenden Verführer hin[zu]werfen und [zu] sehen, ob sie den Blick aushielt«. (S. 133 - 140) 1 Auf Missachtung durch Nichtbeachtung lässt das zärtliche Paar aktive Kränkungs- und Demütigungsversuche folgen. Das erste Opfer ist Kieselack. Dieser wehrt sich aber gegen Unrats Absicht, ihn durch Erwähnung der großmütterlichen Züchtigungen »in seiner Manneswürde zu beeinträchtigen«, Druckfassung eines Vortrags bei der Tagung Kritik der Epoche. Die Romane Heinrich Manns bis zum Ersten Weltkrieg (Lübeck 28. - 30.3.1996) im Rahmen der Festwoche zum 125. Geburtstag von Heinrich Mann. Siehe BibAK 16 (1997). 1 Auch alle folgenden Seitenangaben in diesem Beitrag beziehen sich auf: H. Mann, Professor Unrat (Studienausgabe 1989). Siehe QV, Werkausgaben. mit einem wenig vornehmen Annäherungsversuch an Rosas untere Körperhälfte, der mittels Fußtritt vereitelt wird. Viel tiefer sitzt die Kränkung, die Ertzum in der folgenden Episode erfährt. Da sie den Gegenstand unserer Untersuchung enthält und ihr deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit gilt, rufe ich den Wortlaut in Erinnerung: »Nun also, von Ertzum - [. . .] Stehen Sie einmal auf - « Ertzum stand gehorsam auf. Denn Rosa lachte; und ihr Lachen nahm ihm die letzte Kraft, sich zu empören, und den Rest seines Selbstbewußtseins; es lähmte ihn. » - und lassen Sie einmal sehen, ob Ihr vertrauter Verkehr im Blauen Engel Sie, der Sie bekanntlich zu den Schlechtesten gehören, etwa dahin bringt, daß Sie die von der Schule an Sie gestellten Anforderungen nicht nur nicht befriedigen, sondern dieselben leichten Herzens in den Wind schlagen. Sagen Sie die für morgen aufgegebenen Gesangbuchverse her! « Ertzums Augen irrten aufgerissen durchs Zimmer. Seine Stirn war naß. Er fühlte sich im Joch, senkte den Kopf, zog an: »Sollt ich meinem Gott nicht singen? Sollt ich ihm nicht fröhlich sein? Denn ich seh in allen Dingen, Wie so gut er ’ s mit mir mein ’ .« Hier begann Rosa zu kreischen. Auch Frau Kiepert gluckste, gutmütig. Rosa aber kreischte, mit der Absicht, Ertzum zu beleidigen; und sie kreischte weich, aus Zärtlichkeit für Unrat, dessen Arm sie drückte, und um ihm zu schmeicheln, ihn zu belohnen für seine Herrschaft über den vierschrötigen, roten Menschen, der in ungelenkem und untertänigem Ton seine frommen Reime hersagte. Von Ertzum versetzte noch: »Ist doch nichts als lauter Lieben, Das sein treues Herze hegt . . .« Da ward ihm das Betragen des Artisten zu toll. Kiepert hatte die Situation erst eben zu schmecken begonnen. Jetzt aber brüllte er Ertzum ins Gesicht und schlug sich dabei aufs Knie. »Nee Sie, aber Sie! Was reden Sie denn? Ihnen is woll schlecht geworden? « Er zwinkerte Unrat zu, gab zu verstehen, daß er den Grafen Ertzum, der im Hinterzimmer des Blauen Engels Gesangbuchverse hersagte, zu schätzen wisse und sich diesem Witz auf Adel und Religion mit Überzeugung anschließe. Er öffnete die Tür und tat, als bestellte er bei dem Klavierspieler einen Choral. Schließlich stimmte er selbst ihn an . . . Doch Ertzum hörte auf. Die Situation ist grotesk. Drei Pennäler ertappen ihren ungeliebten Pauker in flagranti beim Liebesakt mit einer Halbweltdame in einem nicht ganz standesgemäßen Etablissement, und dieser lässt - statt einen roten Kopf zu kriegen - Verse aufsagen. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 374 Warum aber Gesangbuchverse? Hätten Homer, Vergil oder Ovid, von denen im Roman auch die Rede ist, nicht näher gelegen? Hätte sich Ertzum mit Versen aus Ovids Ars amandi oder einer Szene aus der Jungfrau von Orléans nicht ebenso beziehungsreich blamieren können? Warum wählt Heinrich Mann zur Verhöhnung des jungen Grafen in dieser Episode einen religiösen Text, warum ein Kirchenlied, warum eins von Paul Gerhardt, warum gerade dieses? II. Bevor wir diesen Fragen nachgehen, möchte ich das Phänomen als solches ins Blickfeld nehmen. Kirchenliedzitate in der freien oder gebundenen Dichtung sind nichts Außergewöhnliches. Bei Goethe, Claudius, Fontane, Brecht, Bobrowski, um nur einige zu nennen, stößt der Leser auf offene oder auch auf mehr oder weniger verborgene Anspielungen und Zitate aus geistlichen Liedern. Bisher fehlt es an einer zusammenhängenden Untersuchung - eine reizvolle und längst überfällige interdisziplinäre Aufgabe, die nur von Germanisten und Hymnologen gemeinsam in Angriff genommen werden kann. Sie wird umso dringlicher, als das Kirchenlied kaum noch allgemeines Bildungsgut ist, immer mehr Strophen und Verse aus dem Bewusstsein schwinden und die Zitate von immer weniger Lesern - aber leider auch nicht mehr von allen Interpreten und Kommentatoren - erkannt werden. In älterer Zeit waren Kirchenliedstrophen ebenso wie Bibelverse fester Besitz. Das Gesangbuch war häufig das einzige Buch, das jeder hatte, der überhaupt ein Buch besaß. Denn Bibeln waren noch teurer und wurden oft als Familienbibel an den Stammhalter weitervererbt. Herder nannte das Gesangbuch »die Bibel des Volks«. 2 Daraus lernten die Kinder besonders auf dem Lande lesen und singen; gereimte Liedstrophen waren leichter zu lernen als Bibeltexte und hatten - noch dazu in gesungener Form - eine viel stärkere affektive Wirkung als gelesene oder gehörte biblische Prosa. Sie blieben deshalb ein Leben lang im Gedächtnis haften, waren jederzeit abrufbar und »wie ein alter Freund im Hause dem man vertraut und bei dem man [. . .] Rat und Trost sucht« - so Matthias Claudius (1740 - 1815). 3 In seinem Gesamtwerk von 960 Druckseiten identifizierte ich 30 Kirchenliedzitate, darunter sechs markant platzierte von Paul Gerhardt. Sie lassen Rückschlüsse zu auf die Rezeptionsgeschichte einzelner Lieder und ihre feste Verankerung im Volksmund. Ich möchte dies nur an einem Beispiel verdeutlichen, das uns zurückführt ins Hinterzimmer des »Blauen Engel«. Wer Paul Gerhardt kennt - und davon durfte 2 »Das Gesangbuch ist die Bibel des Volks, sein Trost und seine beste Erholung«. Herder, Volkslieder. 2. Teil (1779), S. 312. 3 Claudius, SW V, 344. Vgl. Beitrag 19,III. Paul Gerhardt im »Blauen Engel« 375 Heinrich Mann bei weiten Kreisen seiner Leserschaft wohl noch ausgehen - wird die von Ertzum abgebrochene Strophe im Stillen ergänzen: . . . Ist doch nichts als lauter Lieben, das sein treues Herze regt, das ohn Ende hebt und trägt, die in seinem Dienst sich üben. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. (EG 325) Wie sprichwörtlich der alle zwölf Strophen beschließende Kehrreim geworden war, 4 zeigt die mehrfache Verwendung im schriftlichen Nachlass von Matthias Claudius und seiner Familie. 5 Auch Heinrich und Thomas Mann verfügten offensichtlich noch über einen Grundbestand an Kirchenliedern, aus denen sie zitieren konnten. Dabei scheint - ähnlich wie bei dem um 130 Jahre älteren Claudius - Paul Gerhardt (1607 - 1676) eine herausgehobene Rolle gespielt zu haben. Professor Unrat entstand nur wenige Jahre nach Thomas Manns Romanerstling Buddenbrooks, in dem ich drei Liedverse von Paul Gerhardt entdeckte, die nicht nur an exponierten Stellen zitiert, sondern überdies ironisch gebrochen wurden. 6 Alle drei Zitate sagen etwas aus über den Sitz des Kirchenlieds im Leben einer protestantischen Lübecker Kaufmannsfamilie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die drei Episoden zeigen auf unterschiedliche Weise, dass religiöse Äußerungen nicht mehr unbedingt in persönlicher Glaubenserfahrung und Frömmigkeit verwurzelt sind. Das Kirchenlied ist noch gegenwärtig, aber weitgehend Konvention geworden. Es dient jedoch u. a. dem Ausdruck religiöser Bedüfnisse, die auf individuelle Weise nicht mehr artikuliert werden können und deshalb auf vorhandene, stets verfügbare Formeln angewiesen sind. III. Wie ist vor diesem Hintergrund das vier Jahre nach Buddenbrooks erschienene Gerhardt-Zitat bei Heinrich Mann einzuordnen und zu bewerten? Sitz des geistlichen Liedes in Professor Unrat ist nicht der »öffentliche Gottesdienst« oder die »häusliche Andacht«, wie es in den amtlichen lübeckischen Gesangbuchtiteln zwischen 1790 und 1906 heißt, 7 sondern ein an 4 In der letzten Strophe mit der Variante: »bis ich dich nach dieser Zeit / lob und lieb in Ewigkeit«. 5 Beispiele dafür in Beitrag 10, S. 196 - 198. 6 Ausführliche Darstellung der drei Romanszenen in Beitrag 19,VI - VIII. 7 Vgl. den Titel des in der Jugendzeit der Brüder Mann eingeführten Gesangbuchs: Lübeckisches evangelisch = lutherisches Gesangbuch für den öffentlichen Gottesdienst und die häusliche Andacht auf Verordnung Eines hohen Senates ausgefertigt durch das Ministerium. Aufs Neue durchgesehene und vermehrte Auflage, Lübeck 1877. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 376 Frivolität kaum zu überbietender Kontext: die zu ungewöhnlicher Stunde an ungewöhnlichem Ort vom Lehrer gestellte Unterichtssituation. Funktion des Zitats ist nicht Trost und Zuspruch wie bei Claudius, sondern das Kirchenlied wird hier zu einem profanen Instrument, einer unfairen, gemeinen Waffe, mit der Unrat den unbegabten Rivalen in sadistischer Lust vernichten will. So, wie der menschenverachtende Tyrann den Schüler Kieselack an seiner schwächsten Stelle - den sozialen Verhältnissen, aus denen er kommt - zu »fassen« suchte, will er nun Ertzum mit seiner »mangelnden Fassungsgabe« vor der Angebeteten blamieren, verhöhnen und verletzen. Deshalb lässt er den, dem das Lernen am schwersten fällt, vor Rosa etwas Auswendigzulernendes aufsagen. Schlimmer als die dem Schüler gestellte geistige Aufgabe aber ist das Lachen der Umworbenen, das er als Ausgelachtwerden empfindet und das ihn vollends aus dem Gleichgewicht bringt - so sehr, dass er der deplatzierten Aufforderung des Lehrers Folge leistet, als befände er sich tatsächlich im Klassenzimmer. Warum ein Kirchenlied? An dieser Stelle greife ich die Frage wieder auf, warum Heinrich Mann für die Episode einen religiösen Text wählt, speziell ein Kirchenlied. Im Roman tritt Professor Raat als Deutsch-, Latein- und Griechischlehrer, jedoch nicht als Religionslehrer in Erscheinung. Die literarische Figur wird wohl von einem ihrer realen Vorbilder, dem Altphilologen und Bibliothekar Dr. Carl Curtius (1841 - 1922) überlagert, der am Lübecker Katharineum auch Religion unterrichtete. 8 Im Stoffplan dieses Faches standen im Schuljahr 1886/ 87 für die Obertertia des Gymnasiums »fünf Kirchenlieder«. 9 Vielleicht oblag das Abhören der für die Montags-Andachten in der Schulaula zu lernenden Choraltexte ja auch dem Deutsch- oder Klassenlehrer. Jedenfalls fordert im Roman Unrat das Hersagen der für den nächsten Tag aufgegebenen Gesangbuchverse. Ein geistlicher Text hat auf das Groteske und Frivole der Situation sicherlich eine steigernde Wirkung. Er ist Professor Unrat offensichtlich weniger heilig als seine geliebten Klassiker. Homer, Vergil, Ovid waren ihm gewiss zu schade, um von dem unbegabten Schüler heruntergestottert zu werden. Zwar straft er Kieselack wenig später mit dem Memorieren von vierzig Vergilversen, aber zur Rezitation im Klassenraum, nicht im »Kabuff«. Vor einem Missbrauch von Paul Gerhardts geistlicher Lyrik schreckt er dagegen nicht zurück. 8 »Dr. Curtius [. . .] lehrt in den II a und in OIII a Religion Latein Griechisch Geschichte und Geographie«, zit. aus einem Gutachten des Director Dr. Schubring [. . .] vom 23 Decbr 1880, Archiv der Hansestadt Lübeck. Faks. in: Wißkirchen (Hg.), Mein Kopf und die Beine von Marlene Dietrich (1996), S. 46. - Zu Carl Curtius vgl. auch Bruns, Art. Curtius-Familie. In: BLSH 10 (1994), 67. 9 Leider lassen weder der »Stoffplan« noch andere Dokumente eine Zuweisung bestimmter Kirchenlieder zu. Schriftliche Auskunft von Harald Ehlers, Katharineum zu Lübeck, 1.3.1996. Paul Gerhardt im »Blauen Engel« 377 In allen Szenen des Romans, in denen Religion oder Religiosität - auch Kirchenlieder - eine Rolle spielen, werden diese in irgendeiner Form ironisiert. Der verlegene Flurhüter sucht während des unschuldigen Absingens von Chorälen in der Schulaula nach den Tätern, die das Hünengrab zerstörten (S. 155). Die leichtlebige Badegesellschaft im Gefolge der Unrats frühstückt nach durchspielter Nacht »zum Morgenchoral der Kurkapelle« (S. 199). Und im Hause des Herrnhuters, dessen »geistige Enge« und »pietistische Überspanntheiten« Unrat verachtete, breitet auf der gehäkelten Decke des Sofatisches »ein segnender Christus seine Biskuitarme aus« (S. 44, 41). Trotz aller Selbsterhebung über ein beschränktes Christentum wollte der ungläubige Freidenker Professor Unrat bestehende Autoritäten zunächst erhalten wissen. Er »warnte [. . .] düster vor der unseligen Sucht des modernen Geistes, an den Grundlagen zu rütteln« und wollte »eine einflußreiche Kirche, einen handfesten Säbel, strikten Gehorsam und starre Sitten« (S. 45). Anklänge an die nationalprotestantischen Predigten des wortgewaltigen Seniors Leopold Friedrich Ranke (1842 - 1918), der 1891 beim Begräbnis von Senator Thomas Johann Heinrich Mann die Leichenrede hielt und kurz darauf »von dieser verrotteten Familie« 10 sprach, sind unüberhörbar: »Immer größer wird die Zahl derer, die an den Grundfesten des Staates, der Kirche, der Gesellschaft rütteln«. 11 »Was erwartet das Vaterland von uns? « fragte er in einer Festpredigt aus dem Jahre 1893: »Es erwartet: [. . .] daß wir Gottes Wundergüte gegen uns Deutsche mit neuen Liedern fröhlich preisen«. 12 Mit »Lobe den Herrn« und Vogelschießen feierten die Katharineer alljährlich ihr Schulfest. 13 Werner Bergengruen (1892 - 1964), der ebenfalls die Lübecker Anstalt besuchte, berichtet, dass nach dem Choral Lobe den Herrn eine Festordnung verlesen wurde mit der bezeichnenden Anweisung: »Jeder Schüler des Katharineums hat an diesem Tage ein munteres Wesen und jugendliche Fröhlichkeit zur Schau zu tragen«. 14 Das Kirchenlied repräsentiert hier die Macht, stützt die Institution, transportiert verordnete Fröhlichkeit. Dass Unrat den jungen Grafen im »Blauen Engel« ein Kirchenlied aufsagen lässt, ist Ausdruck der symbiotischen Beziehung zwischen Staat und Kirche, Adel und Militär im 10 Vgl. de Mendelssohn, Der Zauberer. Das Leben des deutschen Schriftstellers Thomas Mann (1975), S. 132, 141, 263. - Vgl. auch H. Mann, Ein Zeitalter wird besichtigt (1988): »Die › verrottete Familie ‹ , so genannt von einem voreiligen Pastor, sollte noch auffallend produktiv sein«, S. 239. 11 Neujahrspredigt 1905, zit. nach Hauschild, Kirchengeschichte Lübecks (1981), S. 499. Vgl. Beitrag 25, S. 489 - 491. 12 Hauschild, S. 498. Vgl. Beitrag 25 und Abb. 25.3. 13 Vgl. Ewers, Schattenbilder katharineischer Erinnerung. In: H. Mann, Briefe an Ludwig Ewers (1980), S. 482. 14 Zit. nach Wißkirchen, Spaziergänge durch das Lübeck von Heinrich und Thomas Mann (1996), S. 65. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 378 Kaiserreich. Doch zugleich greift Unrat als Bürger und Intellektueller das autoritäre System an, entlarvt dessen Hohlheit und erringt einen Teilsieg. So sieht es wenigstens Kiepert, der »sich diesem Witz auf Adel und Religion mit Überzeugung anschließt«. Aristokratie und Kirche, Thron und Altar, Schwert und Kreuz erfahren eine lächerliche Spiegelung in dem einfältigen holsteinischen Grafen, der »in untertänigem Ton seine frommen Reime hersagt« - eine vom Autor bewusst gewählte Konstellation. Verse aus dem »auf Verordnung Eines hohen Senates« 15 vom geistlichen Ministerium herausgegebenen Gesangbuch repräsentieren im Roman aber nicht allein die Autorität von Staat und Kirche sowie deren Verhöhnung, sondern auch die Textsorte geistliche Lyrik. Diese steht nicht nur der Romanprosa und der mehrfach erwähnten klassischen Versdichtung gegenüber, sondern vor allem dem weltlichen, deutschen Gedicht. Eine ähnliche Funktion wie das zitierte Kirchenlied hat das kernige, patriotische Flottenlied, mit dem die Kieperts Beifallsstürme ernten und damit die Autorität des Staates stärken. Während der Saal vor »vaterländischer Begeisterung« tobt, gehen in der Garderobe Rosa und Unrat »in ebenbürtiger Volksverachtung« gegen das »olle Flottenlied« und die »Affen mit Eichenlaub« auf Distanz (S. 67 f.). So wie mit dem Aufsagen des Kirchenlieds religiöses Empfinden und die Kirche verspottet werden, macht man sich im »Blauen Engel« auch über Staat und Hurra-Patriotismus lustig. Eine ganz andere Funktion dagegen haben die poetischen Versuche des Schülers Lohmann. Sie stehen als »Heinesche Gedichte« (S. 18) für das große und - wie wir endgültig aus dem Ewers-Briefwechsel wissen - hochgeschätzte lyrische Vorbild des jungen Heinrich Mann und bilden den eigentlichen Gegenpol zu dem Gerhardt-Lied. Sie sind Inbegriff der Verworfenheit, des Verbotenen, zugleich der unerfüllten Sehnsucht, der »Jagd nach Liebe« 16 . Leidenschaftliche, unausgegorene Pennälerlyrik wird im Roman der innigen Schlichtheit eines ausgereiften Kirchenlieds der Barockzeit gegenübergestellt. Warum ein Lied von Paul Gerhardt und warum gerade dieses? Warum aber wählt Heinrich Mann ausgerechnet dieses Lied für die Episode im »Blauen Engel«? Wäre es ihm nur um die Verhöhnung der ausgehöhlten Allianz von Kirche und Staat gegangen, von Religiosität und Nationalgefühl, hätte er Lobe den Herren, den mächtigen König nehmen können. 17 Auch zur Ironisierung der Situation hätte es zahlreiche Alternativen gegeben, z. B. ein anderes im Kaiserreich beliebtes Lob- und Danklied, das Carl Zuckmayer im Haupt- 15 Vgl. Anm. 7. 16 Romantitel von Heinrich Mann (1903). Siehe QV, Werkausgaben. 17 Lob- und Danklied von Joachim Neander 1680 (EG 317). Paul Gerhardt im »Blauen Engel« 379 mann von Köpenick in der Zuchthauskapelle singen lässt: Bis hierher hat mich Gott gebracht durch seine große Güte. 18 Wir werden noch sehen, dass Heinrich Manns Entscheidung für das Gerhardtsche Lob- und Danklied von tiefgründigerer satirischer Absicht ist. Warum fällt die Wahl überhaupt auf ein Lied von Paul Gerhardt? Oder - anders gefragt - was spricht dafür? Ein bekanntes Lied musste es sein, vor allem eins, das Heinrich Mann im Kopf hatte, dessen er sich, wenigstens bruchstückhaft, erinnerte. Und sicher sollte es auch ein volkstümliches sein. Von der Sprichwörtlichkeit des Kehrreims des gewählten Liedes war schon die Rede (S. 376). Noch Eva Zeller ruft ihn in ihrem Gedicht »Paul Gerhardt« (1989) in Erinnerung: Ich hätte fragen sollen: Alles Ding hat seine Zeit, viel Wasser fließt dahin, doch diese Lieder, warum sind sie nicht abgesunken . . . 19 Kein anderer deutscher Dichter der Barockzeit ist bis heute im gesamten deutschen Sprachgebiet, aber auch weltweit in Übersetzungen so bekannt, vertraut und lebendig geblieben wie Paul Gerhardt - sicherlich auch deshalb, weil die nachfolgenden Schriftsteller-Generationen sich immer wieder über den Dichterpfarrer äußerten und aus seinen Liedern zitierten. Gellert wäre lieber ein zweiter Gerhardt als der größte Fabeldichter gewesen. Schiller dankte seiner Mutter, dass sie ihn früh mit Gerhardts Liedern vertraut machte. Goethe beginnt einen Brief an Johann Jakob von Willemer »Ob ich gleich nicht mit dem frommen Paul Gerhardt singen dürfte« (15.11.1815), und Hebbel vertraute 1845 seinem Tagebuch an, durch Gerhardts Abendlied Nun ruhen alle Wälder »die Poesie in ihrem eigentümlichen Wesen und ihrer tiefsten Bedeutung zum erstenmal« geahnt zu haben. Eine »Art protestantischer Heiligenverehrung« betreibt Fontane im 4. Band seiner Wanderungen durch die Mark Brandenburg (1882). Eingeleitet wird der Mittenwald-Abschnitt mit einigen Zeilen aus der Gerhardt-Ballade des Georg Philipp Schmidt von Lübeck aus dem seit 1852 im Bürgertum weit verbreiteten Deutschen Balladenbuch. Und am Ende des Abschnitts verweist Fontane auf das »große deutsche Tröstelied« Befiehl du deine Wege. Aus dem 20. Jahrhundert sei 18 Aemilie Juliane Gräfin zu Schwarzburg-Rudolstadt 1699 (EG 329). - Vgl. Zuckmayer, Der Hauptmann von Köpenick (II,8): »Die Gefangenen (stehend, mit Gesangbüchern in der Hand, singen den Choral: ) › Bis hierher hat uns Gott geführt / In seiner großen Güte - ‹ «. 19 Zit. nach Bunners, Paul Gerhardt. Weg, Werk, Wirkung (1993), S. 343. Auch die folgenden Rezeptionsbeispiele verdanke ich seiner Monographie, S. 329 - 344. Die Ergebnisse meiner dadurch angeregten eigenen Recherchen im Werk der Brüder Mann wurden freundlicherweise in die 3. Aufl. (Göttingen 2006) eingearbeitet (vgl. S. 276 - 279). Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 380 neben zahlreichen Parodien z. B. von Brecht, Rühmkorf, Gernhardt noch auf Benn, Hermlin, Strittmatter und Grass - nicht nur im Treffen in Telgte (1979) - hingewiesen. 20 Zurück zu Heinrich Mann. Auch bei ihm hat die Gerhardt-Rezeption Spuren hinterlassen. In einem mit Zitaten wie »In diesen heil ’ gen Hallen« und »ade, ade, Scheiden tut weh« garnierten Brief des 19-Jährigen an Ludwig Ewers vom 8. - 10.6.1890 aus Dresden findet die »Lebensnähe und Volkstümlichkeit Gerhardtscher Lieder« 21 ihren heiteren Ausdruck: » - - Nun ruhen aber alle Wälder schon geraume Zeit - - also bon soir, Monsieur - good night, sleep well and dream of me! - - s ’ il vous plaît«. 22 Und 14 Jahre später - irgendwo und -wann - von »Florenz Ende 1903 bis Ulten (Südtyrol) Aug. 1904« 23 fällt Heinrich ein anderes Paul Gerhardt-Lied ein: Sollt ich meinem Gott nicht singen? Sollt ich ihm nicht fröhlich sein? Hier stutzt der gesangbuchfeste Leser und korrigiert innerlich »Sollt ich ihm nicht dankbar sein? « Wer das Lied kennt, hat es heute wohl so im Ohr. So steht es im gegenwärtigen Evangelischen Gesangbuch (EG 325), und so stand es auch in den vorausgegangenen deutschen Einheitsgesangbüchern: EKG 232 und DEG 251. Letzteres wurde in Lübeck bereits 1916 eingeführt. Es wäre aber eine voreilige, wenn auch naheliegende Hypothese anzunehmen, Heinrich Mann habe die Textvariante »fröhlich« in Anspielung auf den Namen der Künstlerin Rosa Fröhlich selbst geschaffen. Hier kann nur hymnologische Quellenforschung Klärung bringen. IV. Paul Gerhardts Lieder erschienen seit 1647 in dem einflussreichsten Gesangbuch des 17. Jahrhunderts und einem der auflagenstärksten überhaupt, der berühmten Praxis Pietatis Melica seines Kantors an der Berliner Nicolaikirche Johann Crüger. In der 5. Auflage von 1653, die bereits 82 Gerhardt-Texte enthält, wird auch unser Lied zum ersten Mal gedruckt: SOlt ich meinem Gott nicht singen? Solt ich jhm nicht danckbar seyn? 24 20 [Der 2011 erschienene Tagungsband der Paul-Gerhardt-Gesellschaft: Balders/ Bunners (Hg.), Paul Gerhardt im Spiegel der Literatur, enthält Beiträge über die Gerhardt-Rezeption u. a. im Werk von Fontane, Grass und Gernhardt.] - Zu Robert Gernhardt vgl. Beitrag 21,III. 21 Bunners (1993), S. 340. 22 Briefe an Ludwig Ewers, S. 146. 23 H. Mann an Paul Hatvani, München, 3.4.1922. Zit. nach der Studienausgabe (1989), S. 260. 24 Praxis pietatis melica. Editio V. (1653), Nr. 223. Paul Gerhardt im »Blauen Engel« 381 Doch bereits 1667 druckt Crügers Nachfolger im Amt, Johann Georg Ebeling, in der ersten Gesamtausgabe von 120 Liedern den Text in der Fassung ab, die Heinrich Mann ca. 240 Jahre später seiner literarischen Figur in den Mund legt: »SOlt ich meinem Gott nicht singen / Solt ich ihm nicht frölich seyn! « 25 (Abb. 20.1). Ebelings Angabe, die Lieder »nach dem Original des Autoris« überprüft zu haben, und die sicherlich erfolgte Autorisierung der Ausgabe durch Paul Gerhardt verleihen seiner Version besonderes Gewicht. 26 Abb. 20.1: Pauli Gerhardi Geistliche Andachten, J. G. Ebeling 1667 Von nun an sind zwei Rezeptionsstränge zu verfolgen: Während in den Gesamtausgaben bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts »fröhlich« beibehalten wird, setzt sich in den Gesangbüchern die Fassung des Erstdrucks »dankbar« durch. Diese Lesart findet mit der ersten historisch-kritischen Ausgabe, die sich an den Erstdrucken orientiert, 1866 Eingang in die Gerhardt-Gesamtausgaben bis in unsere Zeit. 27 Auch in der 1877 herausgegebenen Anthologie Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts, 28 die sich im Nachlass Heinrich Manns befindet, 29 steht also »dankbar«. Umgekehrt gelangte die alternative Fassung »fröhlich« mit dem Beginn textkritischer Editionsarbeit der Kommissionen in einige evangelische 25 Ebeling, Pauli Gerhardi Geistliche Andachten (1667), S. 248 f. 26 Vgl. Bunners (1993), S. 114. 27 Bachmann (Hg.), Paulus Gerhardts geistliche Lieder (1866), Nr. LX. 28 Goedeke (Hg.), Gedichte von Paulus Gerhardt (1877), Nr. 84. 29 Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin, Heinrich-Mann-Nachlassbibliothek: Nb hm 599. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 382 Gesangbücher, so auch in das evangelisch-lutherische Gesangbuch in Bayern von 1854, mit seinen zahlreichen Nachdrucken einschließlich der für die Entstehung des Romans aktuellen von 1903/ 1904. 30 Dieses bayrische Gesangbuch mit der zitierten Textvariante »fröhlich« stand dem Autor während der Arbeit am Roman theoretisch zur Verfügung. Falls gewünscht, hätte er es mit Sicherheit einsehen können im Hause der Mutter - die jüngeren Geschwister wurden ja erst in Bayern konfirmiert - oder über seinen Verleger Albert Langen in München oder sogar in Südtirol, wo der geistigkulturelle Einfluss Bayerns zur Jahrhundertwende noch dominierte und wo große Teile des Romans entstanden. Theoretisch, wohlgemerkt, denn Vieles spricht gegen die Benutzung einer Textvorlage oder gar ein Lektorat in München. Dagegen spricht z. B. auch eine weitere, wesentlich unauffälligere Variante, die leicht übersehen werden kann. Im zweiten Quartett der 1. Strophe heißt es ausnahmslos in allen Ausgaben: Ist doch nichts als lauter Lieben, Das sein treues Herze regt . . . Nirgends findet sich die Lesart, die Heinrich Mann den Schüler aufsagen lässt: Das sein treues Herze hegt. . . 31 An dieser Stelle weiß Ertzum nicht weiter, der Autor vielleicht auch nicht. Beide brechen ab an einem offensichtlich falsch erinnerten Phonem, durch das ein weiterer Stabreim entsteht, den Paul Gerhardt in dieser Form wohl nicht verwendet hätte: Das sein treues Herze hegt, Das ohne Ende hebt und trägt . . . Vermutlich hat Heinrich Mann dieses »hebt« aus dem nicht mehr zitierten Vers 7 vorweg assoziiert und deshalb in Vers 6 versehentlich »hegt« statt »regt« geschrieben. Er wird das Liedfragment auswendig zitiert haben, und zwar so, wie er es seit Kinder- und Jugendtagen im Gedächtnis hatte. V. Woher aber kannte er die zitierte Fassung? Leider schaffen die Lübecker Gesangbücher in diesem Fall keine Klarheit, sie geben neue Rätsel auf. Seit dem ersten offiziellen Gesangbuch von 1703 hieß es in Lübeck konsequent »dankbar«. 32 Die vertraute Version des Erstdrucks hielt sogar der Bearbeitung im 30 Gesangbuch für die evangelisch = lutherische Kirche in Bayern (1854), Nr. 7. 31 Hervorhebungen von mir. 32 Lübeckisches Gesang = Buch (1703 u. ö.), Nr. 134. Paul Gerhardt im »Blauen Engel« 383 Aufklärungsgesangbuch von 1790 stand. Allerdings wurde der bekannte Refrain »Alles Ding währt seine Zeit . . .« rationalistisch verändert in: »Alles währet seine Zeit, Gottes Lieb ’ in Ewigkeit«. 33 Erst in dem 1859 eingeführten Restaurationsgesangbuch finden wir eine überraschende dritte Textvariante: Sollt ich meinem Gott nicht singen und in ihm nicht fröhlich sein? 34 Bereits der Entwurf für ein halbrestauratives Gesangbuch von 1839, der zwar vom Senat zur Erprobung zum Druck freigegeben, aber wegen starker Widerstände in den Kirchengemeinden noch nicht als staatliches Gesangbuch eingeführt worden war, enthielt die bis dato nicht nachweisbare Textvariante. 35 Die von 1836 bis 1839 wöchentlich unter dem Vorsitz des Bürgermeisters tagende Kommission, die in der Vorrede vermerkte, »daß oft ein einziger Vers stundenlange Arbeit und ausführliche Besprechung erfordert hat«, sah die Fassung der Gesamtausgabe offensichtlich als die Gerhardtsche an und erfand unter Beibehalt des Adjektivs »fröhlich«, jedoch in Abänderung der wohl schon den damaligen Ohren fremd klingenden Dativ-Konstruktion, die neue Textvariante. Der Ausschuss folgte damit den in der Vorrede formulierten Grundsätzen, »daß nämlich jedes Lied so viel möglich unverändert in derjenigen Gestalt aufzunehmen sey, in welcher es von dem Liederdichter ist verfaßt worden«. Diese spezielle Lübecker Lesart, die nur noch in das Reformgesangbuch für die Provinz Schleswig-Holstein übernommen wurde, 36 stand also bereits seit 30 Jahren im amtlichen Gesangbuch, als Heinrich Mann 1889 seine Vaterstadt verließ. Aus diesem Buch wurde bis 1916 - also fast 60 Jahre lang - in Kirche und Schule gesungen und gelernt. Dennoch zitiert der Verfasser von Professor Unrat 1903 oder 1904 jenseits der Alpen eine andere Version, die zwar bekannt war, aber nie in einem Lübecker Gesangbuch gestanden hat. Das Realismuskonzept von Heinrichs Bruder, das eine solche »Unbedenklichkeit des Künstlers« 37 nicht zugelassen hätte, erschließt uns eine mögliche Quelle. Das Buch, aus dem Lea Gerhardt alias Rebecca Claudius an den Jerusalemsabenden im Hause Buddenbrook alias Mann vorliest, wird von 33 Neues Lübeckisches Gesangbuch (1790 u. ö.), Nr. 24. 34 Lübeckisches evangelisch = lutherisches Gesangbuch (1859 u. ö.), Nr. 316. 35 Evangelisch = Lutherisches Gesangbuch (1839), Nr. 512. Die beiden folgenden Zitate stammen aus der Vorrede, S. VIII. Zur Gesangbuchreform in Lübeck vgl. Beitrag 5. 36 Evangelisch-lutherisches Gesangbuch der Provinz Schleswig-Holstein (1883), Nr. 274. 37 T. Mann, Notb II (1992), S. 115: »Anti-Heinrich [. . .] Dergleichen ist wohl kaum noch [die] › Unbedenklichkeit des Künstlers ‹ sondern etwas mehr, nämlich Belletristenthum, das sich ins Zeug legt. Das Buch scheint nicht auf Dauer berechnet«. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 384 Thomas Mann folgendermaßen beschrieben: »Sie nahm aus ihrem Beutel ein uraltes Buch, welches lächerlich und unverhältnismaßig viel höher als breit war und vorn, in Kupfer gestochen, das übermenschlich pausbäckige Bildnis ihres Ahnherrn enthielt«. 38 Solche Details werden in der Regel nicht erfunden, der Dichter bildet mit Worten ab, was er real vor sich sieht. Die fotografische Beschreibung des Buches passt nur auf die von Johann Heinrich Feustking besorgte Gesamtausgabe von Gerhardts Liedern, und zwar in den Wittenberger Auflagen von 1717 und 1723. Nur diese haben das schmale Duodezformat und enthalten als Frontispiz den Titelkupfer mit dem Konterfei des wohlgenährten Dichters (s. o. Abb. 19.2). Dem Vorbericht und Titelblatt zufolge edierte Feustking 120 Lieder »Nach des seel. Autoris eigenhändigen revidirten Exemplar«, welches er von Paul Gerhardts Sohn erhalten hatte. Erwartungsgemäß heißt es deshalb - wie bei Ebeling, der sich ebenfalls auf das Original berufen hatte: »Solt ich ihm nicht frölich seyn? «. 39 Wenn Thomas Mann dieses - ihn offensichtlich faszinierende - Büchlein gesehen hat, so wird es auch der Bruder gekannt haben. Und falls das Lied jemals in Heinrichs Gegenwart aus der beschriebenen Ausgabe gelesen oder gesungen wurde, so muss es jedenfalls in der Version erklungen sein, die später in Professor Unrat verwendet wurde. VI. Woher auch immer Heinrich Mann das Lied kannte, aus dem Gesangbuch oder aus der Gesamtausgabe der Lieder Paul Gerhardts, er hat es mit Bedacht gewählt - und das nicht nur wegen der vordergründigen Anspielung auf den Namen der Barfußsängerin, den sie ja nicht zufällig trug. Rosa steht mit ihrem Namen und ihrem Wesen in krassem Gegensatz zu dem alle Farbe und Fröhlichkeit entbehrenden wilhelminischen Despotismus, der im Schulalltag seinen sadistischen Ausdruck findet. Sie scheint als einzige lachen zu können, alle anderen lässt der Autor nur gröhlen, kreischen, grinsen, feixen, juxen, lächeln, und letzteres nie ohne Beiwörter wie höhnisch, hinterhältig, unsicher, fromm. Gerade bei Paul Gerhardt hätte Heinrich Mann aber eine Menge von Alternativen gefunden, wäre es nur um die Anspielung auf den Namen gegangen, z. B. Fröhlich soll mein Herze springen (EG 36) . . . aber nun steh ich, bin munter und fröhlich (EG 449) Er gebe uns ein fröhlich Herz, erfrische Geist und Sinn (EG 322,5). 38 T. Mann, Buddenbrooks (GKFA 1.1, 2002), S. 307. Vgl. Beitrag 19,VIII. 39 Feustking, Pauli Gerhardi Geistreiche Hauß = und Kirchen Lieder (1723), S. 183. Paul Gerhardt im »Blauen Engel« 385 Das gewählte Lied treibt die Ironie der Szene aber auf die Spitze und verleiht ihr geradezu satirische Züge: Wem - außer vielleicht Rosa - ist in dieser Situation wirklich wohl, geschweige denn fröhlich zumute? Wen drängt es, ein Lob- und Danklied zu singen? Wer vermag zu erkennen oder gar zu äußern, dass Gott es gut mit ihm meine? Mit einem sicheren Gespür für das Groteske der Situation »kreischt« selbst Rosa nach diesem Vers, Frau Kiepert »gluckst«. Für den leidenden, die Liedverse gezwungenermaßen aufsagenden Schüler sind sie der blanke Zynismus, der in den folgenden Zeilen noch eine Steigerung erfährt: »Ist doch nichts als lauter Lieben, / das sein treues Herze hegt . . .«. Reine, selbstlose, lautere Liebe und eheliche Treue werden später in der Villa vor dem Tor als sittliche Werte verhöhnt und durch die Beteiligung von Pastor Quittiens an den »Nebendingen« auch in religiöser Hinsicht unterhöhlt. Dennoch erlaubt die satirische Verwendung des Paul Gerhardt-Liedes im Roman keinen unmittelbaren Rückschluss auf die persönliche Einstellung des Autors. Der junge Heinrich Mann hatte in seinen Briefen an Ewers durchaus Empfänglichkeit zu erkennen gegeben für »eine gewisse Innigkeit, ein undefinierbares Glücksgefühl«, die sich in Heines »Leise zieht durch mein Gemüt« ausdrücken, und für die Empfindung Geibels, wo sie nicht in Empfindelei ausartet. Nach dem Tod seiner Großmutter bekannte er offen: »Ich sage ganz ohne Spott: Sie war › stark im Glauben ‹ Begreifst du? «. 40 Daraus spricht zumindest Respekt für Religiösität und sogar Bibelkenntnis. Von dieser frommen Frau mit schweizerischen Wurzeln wird Heinrich das Lied gehört und gelernt haben. 41 Noch heute erfreut es sich in der reformierten Schweiz großer Beliebtheit. 42 Die aus dem Lied sprechende fröhliche Zuversicht, das Dominus providebit, 43 entsprach wohl auch der Religiosität der Kaufmannsfamilie Mann. 44 Von dem christlich-liberalen Geist des humanistischen Gymnasiums, in dem Wissenschaft und Heiterkeit einander nicht ausschlossen, hatte sich die wilhelminische Lehranstalt, die Heinrich und Thomas Mann besuchen mussten, allerdings bereits verabschiedet. 45 In der Zeit des freien Bürgertums und der biblisch orientierten Restauration hatten die schlichten, gemütvollen Lieder Paul 40 Briefe an Ludwig Ewers, S. 198. Vgl. Röm 4,20. 41 Elisabeth Mann, geb. Marty (1811 - 1890). Vgl. Beitrag 25 und Abb. 25.2 sowie Beitrag 19, VIII. 42 Vgl. Jenny/ Nievergelt (Hg.), Paul Gerhardt. Weg und Wirkung (1976), S. 42 - 67. - Persönliche Mitteilung von Andreas Marti, Köniz/ Kanton Bern. - Die Versionen »fröhlich« und »dankbar« existierten in den verschiedenen schweizerischen Kantonalgesangbüchern nebeneinander; im ersten von der Reformierten Gemeinde in Lübeck herausgegebenen Gesangbuch 1832 heißt es jedoch »dankbar« (Nr. 19). 43 Inschrift über dem Portal des 1758 erbauten Hauses, Mengstr. 4 (»Buddenbrookhaus«). 44 Zur religiösen Prägung der Familie Mann vgl. Beitrag 25, insbesondere S. 485 f. 45 T. Mann, Buddenbrooks (GKFA 1.1, 2002), S. 796. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 386 Gerhardts in der Schule noch eine geistige Heimat gefunden. In seiner Anmut und Innigkeit passte das zitierte Kirchenlied aber nicht mehr zu wilhelminischen Lerninhalten. Es wird in Professor Unrat seiner Funktion kollektiven Gotteslobs oder individueller häuslicher Andachtsübung entzogen und nicht nur zum bloßen Paukstoff degradiert, sondern sogar zum Gegenstand des Gespötts. »Soviel ich mich erinnere, habe ich in meinen Schriften den Namen Gottes nie erwähnt«, bekennt Heinrich Mann 40 Jahre später: »Aus Scheu? Um das Unbekannte nicht zu verantworten? Vielleicht aus Entgegenkommen für eine Konvention des Zeitalters. Oder, im Gegenteil, als unwillkürlichen Protest gegen diese seine Trägheit«. 46 Zumindest einmal lieh er sich zur Erwähnung des Namen Gottes die Stimme eines anderen, die Stimme von Paul Gerhardt, eines der größten geistlichen Liederdichter überhaupt, mit der eine andere Religiosität verbunden war als die hohl und heuchlerisch erscheinende der wilhelminischen Kirche, Familie und Gesellschaft. Zugleich darf die Kirchenlied-Rezitation im »Blauen Engel« als Hinweis auf die (pseudo-) religiöse Dimension des dort Erlebten gedeutet werden. Zunächst sucht Unrat bei der »Barfußtänzerin« - für den frommen Schuster Rindfleisch Inkarnation des Götzendienstes und der »Fleischessünde« (S. 43) - »geistige Erholung«, die der Herrnhuter auf das Abendgebet »mit einem berühmten Missionar« (S. 41) bezieht. Für den glaubens- und bindungslosen Misanthropen wird Rosa, die »hoch und heilig im Angesicht der Menscheit« steht (S. 122, 174, 214) und die auch für Ertzum hoch und rein »auf einem unzugänglichen Wolkenthron« (S. 146) sitzt, zur Priesterin und zur Göttin. Er betet sie an. Während das Klassenzimmer immer mehr zum Kriegsschauplatz und das »Kabuff« nebenan zum Gefängnis wird, entwickelt sich der »Blaue Engel« mit seinem Hinterzimmer zum Freiraum und zum Schutzraum, zum »Paradies« (S. 71) und zum »Tempel« (S. 60), in dem Unrat Freiheit und Geborgenheit, Wärme und Orientierung findet. »Sie [Rosa] war etwas Neues. [. . .] Sie war eine fremde Macht« (S. 59). Wie nach einem Bekehrungserlebnis fühlt er sich auf- und angenommen, findet Halt und geht eine Bindung ein. Der harmlos dahergesagte Wahlspruch des Altphilologen »Das Wahre ist nur die Freundschaft und die Literatur« (S. 46) wird plötzlich Wirklichkeit: die leidenschaftlichen Gefühle eines intellektuellen Bürgers für eine (Pseudo-) Künstlerin. Liebe und Kunst werden zur Ersatzreligion - eine Thematik, die zahlreiche Literaten um die Jahrhundertwende in ihren Bann zieht. 46 H. Mann, Ein Zeitalter wird besichtigt, S. 226. Siehe QV, Werkausgaben. Paul Gerhardt im »Blauen Engel« 387 VII. Die hymnologische Betrachtungsweise bezieht sich immer auf die Ganzheit von Text und Musik, die ein Kirchenlied erst zum Kirchenlied macht. Deshalb, gewissermaßen als Coda, noch einige Worte zur Melodie des Liedes. Im Gegensatz zu den drei Gerhardt-Zitaten in Buddenbrooks wird der Choral in Professor Unrat auch gesungen. Kiepert »öffnete die Tür und tat, als bestellte er bei dem Klavierspieler einen Choral. Schließlich stimmte er selbst ihn an . . . Doch Ertzum hörte auf« (S. 138 f.) Während der vom Autor gesetzten drei Punkte hört er Kiepert singen bzw. gröhlen und erwartet dies wohl auch vom Leser - ein Zeichen der Volkstümlichkeit des Kirchenliedes. Welche Melodie aber hört der Autor beim Schreiben dieser Sätze? Auch zur Beantwortung dieser Frage hält das Quellenstudium eine Überraschung bereit. Der Gebrauch der tänzerischen Weise von 1641 des Hamburger Ratsmusikers Johann Schop (Z 7886 a), die schon bald nach dem Entstehen des Liedes mit dem Text bis heute fest verbunden wurde (EG 325), ist in Lübeck in älterer Zeit nicht Abb. 20.2: Lübecker Text- und Melodieversion, hier im Melodienbuch von H. Jimmerthal 1859 Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 388 nachweisbar. Hier sang man dazu eine eigene dorische Weise, die von der Ebelingschen Dur-Melodie abgeleitet ist (Abb. 20.2). Der reizvolle, tanzartige Wechsel zum Tripeltakt im Refrain wurde jedoch in Lübeck nicht beibehalten. Die langsame, schreitende Weise ist seit dem Chorchoralbuch (1705) zum Lübeckischen Gesangbuch von 1703 handschriftlich überliefert 47 und wurde mit kleinen Varianten in alle Choralbücher der Hansestadt übernommen - so auch in das von Marienorganist Hermann Jimmerthal 1859 zum amtlichen Gesangbuch herausgegebene Vierstimmige Choralbuch und das gleichzeitig erschienene Melodienbuch. Spätere Ausgaben dieser Notenbücher begleiteten Heinrich Mann bis 1889 während seiner ganzen Schulzeit. 48 Wilhelm Stahl, Chronist der Lübecker Kirchenmusikgeschichte, stellt die heute völlig unbekannte Melodie ebenfalls als lübeckische Besonderheit heraus und bestätigt noch 1931 ihren aktuellen Gebrauch. 49 Es ist also anzunehmen, dass Heinrich Mann diese Melodie im Ohr hatte, als er Kiepert den Choral anstimmen lässt. Jedenfalls ist die kirchentonale Weise aus Lübeck, die das trochäische Versmaß unterstreicht, der ambivalenten Situation angemessener als die das schwere Versmaß überspielende tänzerische aus der benachbarten Hansestadt. 47 Archiv der Marienkirche I,III 14 - 17 im Archiv der Hansestadt Lübeck. Bass-Stimme fehlt. - Vgl. auch Bauck, Lübeckisches Choral = Melodien = Buch ( 2 1826), Nr. 70. 48 Jimmerthal, Vierstimmiges Choralbuch zu dem Lübeckischen Gesangbuche (1859, 2 1877 u. ö.), Nr. 114. - Ders., Melodienbuch zu dem Neuen Lübeckischen Gesangbuche (1859, 2 1870, 3 1886 u. ö.), Nr. 114. 49 »Unter diesen [neuen Melodien] befindet sich auch die heute noch gesungene lübeckische Originalweise zu Sollt ich meinem Gott nicht singen«. Stahl, Geschichte der Kirchenmusik in Lübeck (1931), S. 139, Anm. 181. Paul Gerhardt im »Blauen Engel« 389 21 ». . . wer so stirbt, der stirbt wohl« Paul Gerhardt in der Andachtsliteratur Misst man die Bedeutung und Berühmtheit eines Dichters daran, wie häufig und wie treffend er zitiert, paraphrasiert oder parodiert wird, dann gehört Paul Gerhardt zweifellos zu den ganz Großen. Auch in dieser Hinsicht ist er ein Rezeptionsphänomen. Er hat unauslöschliche Spuren in der deutschsprachigen Literatur hinterlassen - im Erbauungsschrifttum ebenso wie in geistlicher und weltlicher Lyrik, in der Essayistik wie in der Belletristik - ja, sogar in der Weltliteratur! 1 Im Kontext des Tagungsthemas über Paul Gerhardts Wirkungen im Pietismus liegt es nahe, das Augenmerk auf seine Präsenz in der Andachtsliteratur zu richten - jedoch nicht ohne am Schluss einen Ausflug in die profane Gegenwartslyrik zu wagen. Erbauungsbücher sind neben amtlichen Gesangbüchern und privaten Liedersammlungen die wichtigsten hymnologischen Textquellen; zugleich legen sie über den Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad von Kirchenliedern viel aussagekräftiger Zeugnis ab als tausendliedrige Gesangbücher. Wer weiß schon genau, welche der 84 Gerhardt-Lieder aus dem »Freylinghausen« in Halle oder anderenorts wirklich gesungen oder gelesen wurden? Begegnen den Lesern aber einzelne Verse, Strophen oder ganze Lieder in der täglichen oder sonntäglichen Gebetslektüre - und das z. T. über Hunderte von Jahren hinweg - , so ist dies ein ziemlich verlässliches Zeichen für eine nicht nur gedruckte, sondern auch gelebte Rezeption in der Frömmigkeitspraxis. Nach meiner Wahrnehmung wurden Andachtsbücher in ihrer wirkungsgeschichtlichen Bedeutung von der Hymnologie bisher viel zu wenig beachtet und untersucht. Dabei sind sie eine lohnende Fundgrube für Rezeptionsstudien aller Art - auch und besonders für die Paul Gerhardt-Forschung. Dies will ich exemplarisch an zwei lutherischen Büchern zeigen, die ich aus der Fülle der Hauspostillen, Katechismusschriften, Leichenpredigten und Gebetbücher aus- Druckfassung eines Vortrags beim Symposion ». . . des seel. Paul Gerhards herrliche geistliche Lieder«. Wirkungen Paul Gerhardts im Pietismus (Halle 19. - 21.9.2007). Siehe BibAK 38 (in Vorb.). 1 Vgl. Beiträge 19 und 20. gewählt habe, weil sie im und durch den Pietismus, auch noch in den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts, gewirkt haben und sogar bis heute vor allem in ländlichen Gegenden Württembergs, im Alten Land und in Pennsylvania in Gebrauch sind. I. Der alte »Habermann« Obwohl Luther vorformulierte Gebete im Grundsatz ablehnte, wurde der Ruf danach bald laut. Sie sollten sich dann aber wenigstens so nah wie möglich an biblischen Texten, besonders an den Psalmen, orientieren. Dem entsprach in vorbildlicher Weise der aus Eger stammende lutherische Pfarrer Johannes Habermann (1516 - 1590) wohl noch vor 1567 mit einem kleinen Gebetbüchlein. 2 Es wurde immer wieder nachgedruckt, in mehrere Sprachen übersetzt und war so populär wie das 45 Jahre später erscheinende Paradiesgärtlein von Johann Arndt (Magdeburg 1612 u. ö.). »Der Habermann«, wie das Buch kurz und bündig genannt wurde, enthielt ursprünglich keine Lieder. Aber in den mir vorliegenden amerikanischen Nachdrucken - Germantown 1794 3 und Lancaster, Pa. 1838 4 (Abb. 21.1) - gibt es kurze Anhänge mit ca. 15 Liedern für die wichtigsten Situationen des christlichen Lebensalltags. In der deutschsprachigen Pioniergesellschaft Amerikas wollte man also offensichtlich nicht nur Gebete, sondern auch ausgewählte Lieder in einem handlichen Taschenbuch griffbereit haben oder sogar ständig bei sich tragen. Dazu gehören auch Paul Gerhardts Morgenlied Wach auf, mein Herz, und singe und das noch berühmtere Abendlied Nun ruhen alle Wälder (Abb. 21.2). Das von Friedrich dem Großen als »dummes törichtes Zeug« bezeichnete Abendlied musste sich bekanntlich in Deutschland die skurrilsten rationalistischen Überarbeitungen gefallen lassen, z. B. in Bayreuth 1804: Nun ruht schon in den Wäldern, In städten, auf den feldern Ein grosser theil der Welt. 5 2 Christliche Gebet für alle Not vnd Stende der gantzen Christenheit, Wittenberg 1567 [Erstausgabe 1565? ] u. ö. [Zur Datierung der Erstausgabe vgl. Lyster in JLH 51 (2012), S. 222 - 233, bes. 229 f.] - Habermann (Avenarius) war seit 1540/ 42 lutherischer Pfarrer in verschiedenen Gemeinden Kursachsens, kurzzeitig Theologieprofessor in Jena (1571) und Wittenberg (1576) und lebte bis zu seinem Tod als Stifts-Superintendent in Zeitz. Vgl. Wallmann, Art. Habermann, Johann. In: RGG 4 3, Sp. 1364. 3 Habermann, [. . .] Christlich Gebät = Buch, Bestehend: In Morgen = und Abend = Segen, [. . .] Samt Einem Anhang etlicher schönen Morgen = und Abend = Liedern [. . .] (Germantown 1794). 4 Habermann, Christliches Gebet = Büchlein (Lancaster 1838). 5 Neue Sammlung auserlesener evangelischer Lieder (Bayreuth 1804), Nr. 330. Vgl. Sauer-Geppert (1978), S. 134 f. Dort auch Nachweise für das Zitat Friederichs II.: »Ein jeder kann bei mir Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 392 Abb. 21.1: Habermanns Gebetbüchlein, Lancaster, Pa. 1838 Abb. 21.2: Paul Gerhardts Abendlied im amerikanischen »Habermann«, Germantown 1794 In den etwa gleichzeitig erscheinenden amerikanischen Liedanhängen zum »Habermann« hielt man sich an die Originale. Im vollen Bewusstsein, dass die Sonne bei den Glaubensbrüdern in Mitteleuropa sechs Stunden früher auf- und unterging, sang man in Pennsylvania dennoch unbeirrt: »es schläft die ganze Welt«. Einer späteren Restauration wie im Heimatland des Liedes bedurfte es also nicht. Der lutherische »Habermann« - mit seinen verschiedenen Liedanhängen - war in Amerika besonders in konservativ-pietistisch ausgerichteten Glaubensgemeinschaften weit verbreitet. Der pennsylvanischen Ausgabe Lancaster 1838, die neben den beiden Gerhardt-Texten und weiteren älteren Kernliedern auch zwei anonyme pietistische Jesuslieder enthält, 6 ist ein Frontispiz mit folgenden Versen vorangestellt: Gleich wie der Fromme Habermann, Wie dieses Büchlein zeiget an, Mit stets gebognem Herz und Knien Inbrünstig hat zu Gott geschrien; Also soll unser Herz und Mund, In jeder Früh = und Abendstund, Sowohl als auch zur andern Zeit, Zu Jehova stets seyn bereit. II. Starcks Gebetbuch Das Tägliche Handbuch in guten und bösen Tagen von Johann Friedrich Starck (1680 - 1756), das im Pietismus zeitweilig sogar Arndts Paradiesgärtlein an Beliebtheit übertraf, ist für die hymnologische Wirkungsgeschichte noch viel bedeutender als der um 160 Jahre ältere »Habermann«. Seit seinem ersten Erscheinen 1728 7 erfuhr das sog. »Starckenbuch« weit über 100, immer wieder glauben, was er will, wenn er nur ehrlich ist; so stehet einem jeden frei, zu singen: › Nun ruhen alle Wälder ‹ oder dergleichen dummes törichtes Zeug mehr. . .«. 6 Ach, schönster Jesu, mein Verlangen; / ach, liebster Jesu, meine Lust und Wer seinen Jesum recht will lieben, / der achtet nicht der Eitelkeit, S. 120 ff. 7 In der Fachliteratur ist immer wieder 1727 zu lesen (so auch noch in RGG 4 7, Sp. 1688), vermutlich weil der Erstdruck schon lange nicht mehr greifbar ist und das in den späteren Auflagen überlieferte Datum der Widmung und der Vorrede (24.11.1727) auf das Erscheinungsjahr übertragen wurde. Durch Starcks Sohn M. Johann Jacob, Prediger an der Hauptkirche St. Katharinen in Frankfurt am Main (und Ehemann einer Tante mütterlicherseits von Goethe), der nach dem Tode des Vaters die Herausgabe des Handbuchs übernahm, ist jedoch 1728 als Erscheinungsjahr belegt. Er schreibt in der Vorrede von 1776: »Es sind nun beynahe vierzig Jahre verflossen, daß dieses Buch, welches 1728. in der Ostermeß zum erstenmal in Duodez gedruckt worden, bekannt und beliebt gewesen, und immerdar häufig gesuchet worden ist. Die vielfältigen Auflagen desselben, legen davon überzeugende Beweise an den Tag.« (Zit. nach 10 1779, fol. a2; LUB Halle AB 81333 b). Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 394 veränderte Auflagen. 8 Der erste amerikanische Nachdruck erschien 1812 in Philadelphia, der zweite wegen des großen Erfolges bereits ein Jahr später. 9 Der ursprüngliche Plan, Zollikofers Gebetbuch nachzudrucken, wurde damit außer Kraft gesetzt. 10 Im Vorwort einer »wohlfeilen« Volksausgabe für 1,50 Mark aus Reutlingen um 1880 (Abb. 21.3) betont der Herausgeber: »Dieses Handbuch [. . . wird] nun seit mehr denn 150 Jahren [. . .] von vielen Reichen und Armen nebst der heiligen Schrift als das Haupt- und Hausbuch betrachtet, und überall, wo man die deutsche Sprache spricht und liest, mit Sehnsucht und zum Heil der Seelen gelesen [. . .] in ganz E u r o p a und noch weiterhin [. . .]. Du hast also hier, mein lieber christlicher Leser, deinen alten Starken, der schon deine Ur = und Groß = Eltern in mancher betrübten Stunde erquickt, und, durch Christi Geist geleitet, schon manchen Schwachen zu einem Starken gemacht hat, in einer neuen Ausgabe wieder vor dir.« 11 Und auch heute ist Starks Gebetbuch in einem Nachdruck von 1999 in Fraktur beim Freimund = Verlag Neuendettelsau für 11,30 € immer noch »wohlfeil« lieferbar. 12 Starcks Gießener Professoren Johann Heinrich May und Johann Christian Lange, deren collegia pietatis er ab 1702 besuchte, brachten ihm den Spenerschen Pietismus nahe. Später, in Frankfurt, hielt er selber 30 Jahre lang nach dem Gottesdienst Erbauungsstunden ab, war aber ein erklärter Gegner des Separatismus und blieb der lutherischen Amtskirche treu. 1742 wurde er sogar Konsistorialrat. Sein Anliegen war eine praktische Frömmigkeit, die er mit Erbauungsschriften und weit über 1.000 gedruckten Liedern anregte. Sein Tägliches Handbuch wird als »wichtiges Geschenk des Pietismus an die Volkskirche« bezeichnet. 13 In Anlehnung an Arndts Wahres Christentum besteht es im Kern aus vier Teilen, nämlich aus Andachten »1. Für Gesunde, 2. Für Betrübte, 3. Für Kranke, 4. Für Sterbende«, seit 1734 ergänzt um Andachten zu den kirchlichen Festtagen und ab 1738 zu besonderen Anlässen wie Krieg- und Pestzeiten. Der stufenmystische Dreischritt ist in abgewandelter Form auch bei Starck erkennbar: Fast 8 Verglichen wurden die beiden ältesten überlieferten Auflagen ²1734 (LUB Halle AB 44 20/ i,6) und ³1738 (HAB Wolfenbüttel M: Th 2558; UB Greifswald 520/ Fv 116). Zitiert wird - wenn nicht anders angegeben - aus dem Greifswalder Exemplar, weil das noch 2007 von mir benutzte aus dem sog. Bodenreformbestand der LUB Halle zwischenzeitlich in Privatbesitz zurückgegeben wurde und nicht mehr verfügbar ist. 9 Tägliches Handbuch in guten und bösen Tagen (Philadelphia 1813). 10 Zollikofer, Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen (1785 u. ö.). 11 Johann Friedrich Stark ’ s tägliches Hand = Buch (Reutlingen o. J. ca. 1880), S. 5 f. 12 Starks Gebetbuch. Neubearb. von Lotter. Unveränd. ND (Neuendettelsau 1999). 13 Vgl. Dienst, Art. Starck, Johann Friedrich. In: BBKL 9, Sp. 1223 - 1225. RGG 4 widmet Starck im Jahr 2004 nur noch 11 Zeilen. Paul Gerhardt in der Andachtsliteratur 395 jedes der 120 durch Großdruck hervorgehobenen »Gebete« ist eingebettet zwischen einer »Aufmunterung«, die aus Bibelwort und Betrachtung mit durchnummerierten praktischen Anweisungen besteht, und einem mehrstrophigen »Gesang«, den Starck unter Aufnahme und Fortführung des Gebetsinhalts zu bekannten Kirchenliedmelodien selbst dichtete. Herz und Mund des Prosabeters fließen - ganz im pietistischen Sinne - gewissermaßen über in den persönlichen, vom Herzen kommenden »geist = reichen Gesang«. Dadurch unterscheidet Starck sich deutlich von Arndt. 14 Paul Gerhardt wird in Starcks Andachten auf verschiedene Weise rezipiert durch: 1. fast wörtlich zitierte Liedstrophen am Schluss der Gebete, 2. Liedverse mitten in der Gebetsprosa, 3. Zitat und Anspielung, Paraphrase und Nachdichtung in Starcks eigenen Liedern zum Beschluss der Andacht. Abb. 21.3: Titelblatt der »wohlfeilen« Volksausgabe, Reutlingen um 1880 14 Parallelen bestehen jedoch zu Starcks Zeitgenossen Benjamin Schmolck (1672 - 1737), der seine Morgen- und Abendandachten nach einem ganz ähnlichen Schema gestaltet (vgl. QV 1720). Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 396 II.1. Liedstrophen am Schluss der Gebete Fast alle Gebete enden typographisch völlig unauffällig im Prosatext weiterlaufend mit ein oder zwei Strophen eines bekannten Kirchenliedes aus der Barockzeit. 15 Nur wenige sind älter oder zeitgenössisch. Immerhin erscheinen einige interessante pietistische Lieder zum ersten Mal. Mindestens zweimal zitiert Starck sich selbst. 16 Paul Gerhardt ist von allen Dichtern mit neun, z. T. mehrfach verwendeten Strophen am häufigsten vertreten. Es handelt sich zumeist um die Schlussstrophen folgender sechs Lieder: Wach auf, mein Herz, und singe (Str. 10) Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld (Str. 10) O Haupt voll Blut und Wunden (Str. 10, 2 x) Zeuch ein zu deinen Toren (Str. 12, 2 x) O du allersüß ’ ste Freude (Str. 5) Warum sollt ich mich denn grämen (Str. 5.8.11.12) Von dem zuletzt genannten Vertrauenslied wurden insgesamt vier Strophen in drei verschiedenen Gebeten verarbeitet. Z. B. findet sich die 8. Strophe in Starcks Betrachtung zu der bekannten Bibelstelle über den guten Kampf, den vollendeten Lauf und die Krone der Gerechtigkeit. Der Krancke erinnert sich seines Todes. Aufmunterung. 2. Timoth. IV, 6.7.8. [. . .] SIch seines Todes erinnern, ist eine nützliche Sache, denn [. . .] Man sol [. . .] sich seine Todes = Stunde nicht so gar grausam und schrecklich vorstellen, wie manche Krancke thun, die sich vor dem Sterben und Hertz = Brechen fürchten; die Heyden haben zwar gesagt: der Tod sey das schrecklichste unter allen schrecklichen Dingen, Christen aber sterben in der Gnade GOttes, in den Armen JEsu, in der Gemeinschafft des Heiligen Geistes, was ist daran schrecklich? ist dieses nicht vielmehr Trost, Süßigkeit und Freude? (S. 499 f.) Diese Gedanken werden inhaltlich und sprachlich in dem anschließenden Gebet aufgegriffen. Zielgerichtet mündet es in die Liedstrophe, mit der sich Paul Gerhardt in seiner eigenen Sterbestunde Trost zugesprochen haben soll: 17 15 U. a. von Johann Heermann (8), Johann Franck (5), Johann Rist (4) etc. 16 Z. B. Str. 1 seines Abendlieds »Ich lege mich in Jesu Wunden, wenn ich mich leg zu meiner Ruh« (s. u. S. 401). 17 Vgl. Bunners, Weg, Werk, Wirkung (³2006), S. 107. Paul Gerhardt in der Andachtsliteratur 397 Gebet. [. . .] Ich fürchte mich vor dem Tode und Sterben nicht, ich habe bey gesunden Tagen offt an ihn gedacht, darum kommt er mir jetzt nicht schrecklich vor. [. . .] Der HERR ist mein Licht und mein Heil, vor wem solt ich mich fürchten, der ist meines Lebens Krafft, vor wem solte mir grauen? [. . .] warum solt ich mich fürchten? [. . .] wie selig werde ich seyn, wenn ich in JEsu Armen bin, wie vergnügt werde ich seyn, wenn ich durch den Tod in das ewige Leben bin durchgedrungen. Kan uns doch kein Tod nicht tödten, sondern reißt unsern Geist aus viel tausend Nöthen, schleußt das Thor des bittern Leiden, und macht Bahn, daß [da] man kan gehn zur ew ’ gen [Himmels] Freuden, Amen. (S. 501 - 504; FT III 426,8) 18 Der Anschluss der Liedverse an den Prosatext ist so folgerichtig, dass der Wechsel von der Ich-Form in die Wir-Form kaum auffällt: »wie vergnügt werde ich seyn . . . Kan uns doch kein Tod nicht tödten«! Die Übergänge von der freien in die gebundene Rede sind noch gleitender, wenn Starck das kollektive »wir« des Originals in ein individuelles »ich« verwandelt und die Liedzitate dem Betenden damit persönlich in den Mund legt. Überdies schafft er häufig eine syntaktische Verbindung zwischen Gebetsprosa und Liedstrophe: Der glaubige Christ bittet, GOTT wolle ihn regieren und leiten. Gebet. [. . .] Regiere mein gantzes Leben [. . .] und überlaß mich nicht meinem eigenen Willen, oder Führung, wenn ich mich führe, so werde ich verführt: [. . .] und schreibe deine heilige Furcht in mein Hertz, daß ich mich nach dir, deinem Wort und meines JEsu Exempel, allein richten möge: Ja leite mich mit deinen Augen, und richt mein [unser] gantzes Leben, allzeit nach deinem Sinn, und wenn ich es sol [wann wirs sollen] geben ins Todes Rachen hin, wenns hie mit mir [Wanns mit uns hie] wird aus, so laß mich [hilf uns] frölich sterben, und nach dem Tod ererben des ew ’ gen [ewign] Lebens Hauß. (S. 111 f.; FT III 413,12) Auch die Variantenbildung - hier in der letzten Strophe von Gerhardts Pfingstlied Zeuch ein zu deinen Toren - ist eine Form der persönlichen Aneignung. So wurde das Adverb in Gerhardts Bitte, »frölich« sterben zu dürfen, bereits von Starck selbst an anderer Stelle durch »selig« ersetzt. 19 Diese Version haben - 18 Die von Starck zitierten Liedverse von Paul Gerhardt werden von mir durch Fettdruck hervorgehoben. Bei Textabweichungen wird das Gerhardtsche › Original ‹ (zit. nach FT III) hinter der Starckschen Fassung [kursiv in eckigen Klammern] eingefügt. Die Nachweise beziehen sich auf Starcks Tägliches Handbuch ( 3 1738; vgl. Anm. 8) sowie auf die Lied-Nr. und Strophen-Nr. in FT III. 19 Seit der dritten Auflage 1738 am Schluss seines »Morgen = Gebet am Dienstag«: »Ja, richt mein gantzes Leben allein nach deinem Sinn, und wenn ich es sol geben ins Todes = Rachen hin, wenns hie mit mir wird aus, so laß mich selig sterben, und nach dem Tod ererben des ew ’ gen Lebens Hauß, Amen.« (S. 74). Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 398 sicher unter aufklärerischem Einfluss - spätere Bearbeiter auch für die oben zitierte Stelle übernommen. 20 Am auffälligsten ist die Bereinigung eines drastischen Bildes in Gerhardts anderem, heute fast vergessenem Pfingstlied O du allersüß ’ ste Freude. Strophe 5 erscheint in den frühen Auflagen von Starcks Handbuch noch im Wortlaut des Erstdrucks in Crügers Praxis Pietatis 1647. Der glaubige Christ bittet, GOtt wolle sein Hertz heiligen. Gebet. [. . .] Du bist heilig, läst dich finden, wo man rein und sauber ist, fleuchst hingegen Schand und Sünden, wie die Tauben Stanck und Mist, mache mich, o Gnaden = Quell, durch dein Waschen rein und hell, laß mich fliehen, was du fliehest, gib mir, was du gerne siehest, Amen. (S. 95 f.; FT III 389,5) Der anstößige vierte Vers wird in späteren Ausgaben, die weder Starck noch sein Sohn 21 zu vertreten haben, folgendermaßen abgewandelt: Du bist heilig, läßt dich finden, wo man rein und sauber ist, fliehst hingegen Schand und Sünden, heiligster Herr Jesu Christ! 22 Die Wiedergabe der letzten Strophe von Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld in Starcks Karfreitagsandacht ist besonders variantenreich; dabei ist unklar, ob er die Abweichungen bewusst oder unbewusst vornahm oder ob es sich gar um eine regionale Lesart handelt: Der andächtige Christ erweget den Todes = Tag JEsu, oder den Char = Freytag Gebet. [. . .] Ja dein letztes Wort am Creutz sol auch mir ein Trost = und Freuden = Wort werden, Vater! in deine Hände befehl ich meinen Geist, so wil ich beten, so wil ich dir nachsprechen, wie du mir vorgesprochen. Wenn endlich ich sol gehen ein zu [In] deines Reiches Freuden, so sol dein [diß] Blut mein Purpur seyn, ich wil mich darein [darin] kleiden, es sol seyn meines Hauptes Cron, mit [In] welcher ich wil vor dem Thron des ewigen [höchsten] Vaters stehen [gehen], und dir, dem ich hie [Er mich] anvertraut, als eine wohlgeschmückte Braut, zu [an] deiner Rechten gehen [stehen], Amen. (S. 701 f.; FT III 386,10) Wie souverän Starck mit den als Allgemeingut angesehenen Liedern umgeht, wird an drei Stellen deutlich, an denen er zwei Strophenhälften aus ganz verschiedenen Liedern zu einer neuen Strophe zusammensetzt, nämlich die Abgesänge von Valerius Herbergers Valetlied (1614, vgl. EG 523,3) und Gerhardts berühmten Passionschoral (1656, vgl. EG 85,10). Beide Lieder haben 20 Z. B. Philadelphia 1813 und Reutlingen ca. 1880. 21 S. o. Anm. 7. 22 Zit. nach der Reutlinger Ausgabe ca. 1880, S. 72. Paul Gerhardt in der Andachtsliteratur 399 bekanntlich das lateinische Passionssalve zum Vorbild, aber die Anlehnung Gerhardts an Herberger ist in der 10. Strophe unübersehbar: Der andächtige Christ betrachtet das Leiden JEsu Christi im Anfang der Heil. Fasten = Zeit Gebet. [. . .] Vater in deine Hände befehl ich meinen Geist. In solcher meiner letzten Stunde, o Jesu, sey mein Trost, meine Freude, meine Erquickung, mein Beystand; Und erschein mir alsdann zum Bilde, zu Trost in meiner Noth, wie du HErr Christ so milde dich hast geblut zu tod [Herberger]. Da wil ich nach dir blicken, da wil ich Glaubens = voll, dich fest in [an] mein Hertz drücken, wer so stirbt, der stirbt wohl [Gerhardt], Amen. (S. 691; FT III 467,10) 23 Wenn nun die Herausgeber der aktuellen Neudettelsauer Ausgabe von Starcks Gebetbuch alle diese Varianten, Umstellungen und Einschübe rückgängig machen, die Wir-Form wiederherstellen und die Strophen typographisch abgesetzt von der Gebetsprosa grundsätzlich im Original zitieren, so nehmen sie dem Buch Wesentliches und werden Starcks freiem und aneignendem Umgang mit Paul Gerhardts Texten nicht gerecht. Das ist besonders bedauerlich und verlustreich bei dem zuletzt genannten Beispiel. In ihrem neubearbeiteten Nachdruck zerstören die Neuendettelsauer nicht nur die elegante Überleitung von der Prosa in die Versform - »und erschein mir alsdann zum Bilde . . .« - , sondern ersetzen Herbergers Halbstrophe auch noch durch den »richtigen« Anfang der letzten Strophe von Gerhardts Passionslied: Erscheine mir zum Schilde, / zum Trost in meinem Tod / Und laß mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot. / Da will ich nach dir blicken, / da will ich glaubensvoll / Dich fest an mein Herz drücken; / wer so stirbt, der stirbt wohl. Amen. (Neuendettelsau 1999, S. 337) II.2. Liedverse in der Gebetsprosa Zuweilen streut Starck Kirchenliedfragmente kaum merklich mitten in die Gebetsprosa ein. Dieses Verfahren hat noch eine andere Qualität als gereimte Schlussverse, die wir ja auch aus der Predigtliteratur kennen. Das Binnenzitat ist ein Gradmesser dafür, wie sehr Kirchenliedstrophen zur Sprache des Glaubens und zum selbstverständlichen geistigen Besitz geworden sind. Ein markantes Beispiel ist das mit Anspielungen auf Bibeltexte und Luthers Abendsegen gespickte »Abend = Gebet am Freytag«, in das auch Liedverse von Paul Gerhardt einfließen: 23 Vgl. auch den Gebetsschluss in der Andacht »Der Sterbende wil auf JEsum Christum sterben«: [. . .] Erschein du mir zum Bilde in meiner letzten Noth, wie du, HERR Christ, so milde, dich hast geblut zu tod, da wil ich nach dir blicken, da wil ich Glaubens = voll, dich fest an mein Hertz drücken, wer so stirbt, der stirbt wohl, Amen. (S. 579) Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 400 [. . .] Ach verzeihe mir aus Gnaden, was ich diesen Tag böses vollbracht, geredt, gedacht, [. . .] So du wilt Sünde zurechnen, HErr wer wird bestehen, [. . .] Was ich aber nicht vermag, das wil ich mit JESU Blute bezahlen. Mein JEsus ist mein, sein Blut ist mein, seine Gerechtigkeit ist mein, sein Himmel ist mein. So erkenne mich doch mein Hüter, mein Hirte, nimm mich an, von dir, Brunn [quell] aller Güter, ist mir viel guts gethan, laß mich solche deine Güte zur Busse leiten, denn du hast mich je und je geliebet, und aus grosser Liebe hast du mich zu dir gezogen. (S. 170 f.; FT III 467,5) Mitten im Prosagebet verwendet Starck also eine weitere Strophenhälfte aus O Haupt voll Blut und Wunden (vgl. EG 85,5). Und dann leitet er mit drei weiteren ausladenden Prosasätzen inhaltlich und semantisch über in die Schluss- Strophe, die aber dieses Mal nicht von Paul Gerhardt stammt, sondern vom Verfasser selbst. Er zitiert die erste Strophe seines eigenen Abendliedes Ich lege mich in Jesu Wunden. Als Ganzes bildet es den Abschluss des »Abend = Gebet am Sonntag« und zeigt besonders in den Eckstrophen, wie sehr Starck die lutherische Vertrauenstheologie Paul Gerhardts mit pietistischer Wunden- und Lammestheologie verbindet: Abend = Gesang. Mel. Wer nur den lieben GOtt läst walten, etc. 1. ICh lege mich in JESU Wunden, wenn ich mich leg zu meiner Ruh, ich bleib im Schlaff mit ihm verbunden, er drücket mir die Augen zu, [²1734: weil seine Hand mich decket zu,] ich fürchte nicht die finstre Nacht, da JEsus um mein Bette wacht. 10. So bleib ich denn in JESU Wunden, und schlaffe in denselben ein. Auch in den letzten Todes = Stunden, werd ich darin verwahret seyn, darinnen wil ich auferstehn, und zu des Lammes Hochzeit gehn. (S. 33 f.) 24 II.3. Gerhardt-Zitate in Starcks eigenen Liedern zum Beschluss der Andacht Zu seinen 104 »Gesängen« im Täglichen Handbuch finden sich nur 20 verschiedene Melodieangaben 25 , darunter auch drei Liedincipits von Paul Gerhardt: Wie soll ich dich empfangen, Wach auf, mein Herz, und singe sowie zweimal Zeuch ein zu deinen Thoren. Bei den Texten zu diesen, aber auch zu anderen Melodien hat Starck Gerhardt-Lieder teilweise paraphrasiert oder nach bekannter Manier einzelne Bilder und Inhalte z. T. wörtlich aufgenommen. 24 Str. 10 wird erst in der 3. Aufl. hinzugefügt. 25 Allein 67 Liedertexte (64 %) sollen auf die drei Melodien »O Gott, du frommer Gott« (37), »Wer nur den lieben Gott« (16) und »Alle Menschen müssen sterben« (14) gesungen werden. Paul Gerhardt in der Andachtsliteratur 401 Auch wenn manchmal schwer zu entscheiden ist, ob es sich um ein direkt aus der Bibel übernommenes oder über Paul Gerhardt vermitteltes Zitat handelt, so sind andere Stellen über jeden Zweifel erhaben, z. B. in der Andacht »Der Sterbende wil auf JEsum Christum sterben«. Das christologisch ausgerichtete Gebet, in dem das vergossene Blut und die heiligen Wunden Jesu im Mittelpunkt stehen, endet mit den bereits erwähnten Gerhardtschen Schlussversen ». . . da wil ich Glaubens = voll, dich fest an mein Hertz drücken, wer so stirbt, der stirbt wohl, Amen.« (s. o. Anm. 23) Starcks eigenes 6-strophiges Lied schließt unmittelbar daran an: Gesang. Mel. O GOtt, du frommer Gott, etc. 1. ICh wil mit frohen[! ] Muth in JEsu Wunden eilen, wenn mich der blasse Tod erschreckt mit seinen Pfeilen, ach! öffne mir dein Hertz, und nimm dein Küchlein ein, hie sol mein Aufenthalt und wahre [²1734: meine] Wohnung seyn. (S. 579 f.) Das vertraute Bild aus Gerhardts berühmtem Abendlied Nun ruhen alle Wälder (vgl. EG 477,8) wird von Starck in ein Sterbegebet transponiert und mit Bildern aus der Braut- und Passionsmystik verwoben. Gerhardt bittet - Mt 23,37 und 1 Petr 5,8 aufnehmend - Jesus darum, wie eine Glucke die Flügel auszubreiten und das Kind Gottes vor den Angriffen des Satans zu behüten. Starck bettet das wörtliche Gerhardt-Zitat in einen aus dem Hohenlied (2,14) und aus bernhardinischer Leidensbetrachtung abgeleiteten Traditionszusammenhang. Bei ihm heißt es, Jesus möge den Betenden in die Liebeswunde seines geöffneten Herzens hineinnehmen, wie eine Glucke ihre Küken unter ihren Flügeln birgt, und ihn dort eine ewige Heimat finden lassen (»Aufenthalt und wahre Wohnung«). Unübersehbar ist auch, dass Starck sich in zwei Strophen seines Sterbeliedes auf ein einzelnes markantes Wort aus dem Gerhardtzitat im voranstehenden Gebetsschluss bezieht: 2. Ich wil mich Glaubens = voll in diese Wunden sencken, ich will an JESU Blut und sein Verdienst gedencken, sein Blut ergreiff ich jetzt in voller Zuversicht, und bricht mein Hertze schon, so bricht mein Glaube nicht. 6. Und endlich wil ich auch in diesen Wunden sterben, und in derselbigen der Seelen Heil ererben, und schlaff ich Glaubens = voll In JEsu Wunden ein, so wird mein Leib und Seel gar wohl verwahret seyn. (S. 580) Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 402 In seinem »Morgen = Gebet am Sonntag« verweist Starck mit der Melodieangabe »Wach auf, mein Herz, und singe« direkt auf das große Vorbild, zitiert aber gleich in der ersten Strophe eine Zeile aus Gerhardts Neujahrslied Nun laßt uns gehn und treten (vgl. EG 58,1), das ja ebenfalls auf die bekannte Melodie (Selnecker/ Crüger 1587/ 1649) gesungen wird: Morgen = Gesang. Mel. Wach auf mein Hertz und singe, etc. 1. DIe Nacht ist nun vergangen, drum wil ich gleich anfangen, mit Singen und mit Beten, vor GOttes Thron zu treten. Auch in den folgenden 10 Strophen werden überwiegend Gedanken und Bilder aus dem Neujahrsgesang paraphrasiert bzw. mehr oder weniger frei nachgedichtet, aber nicht mehr wörtlich übernommen. 26 Gerhardts Vergleich, dass »Gott« seine »kinder« in »noth und trübsal« in seinem »schoosse sitzen« lässt, wie »treue mütter« in schweren Ungewittern ihre »kindlein« mit Fleiß bewahren (Str. 4 und 5), liest sich z. B. bei Starck folgendermaßen: 2. Gleich wie die Mütter pflegen die Kinder sanfft zu legen, nach ihnen offt zu sehen, und um ihr Bett zu stehen: 3. So hat auch GOttes Lieben das Unglück weggetrieben, ich hab in Schutz und Segen, in seinem Schooß gelegen. Und so geht es weiter: aus »grossen und auch kleinen« (11,3) werden »Junge mit den Alten« (5,3); aus »creutz und leyden« (8,3) »Kreuz und Sorgen« (7,3); die emblematischen Komposita »freudenströme« und »gnadensonne« aus Gerhardts Strophen 10 und 11 werden zu »Freuden = Sonne« (8,4) kontaminiert, und die Segensbitte »Sprich deinen milden segen Zu allen unsern wegen« (11,1.2) wird von Starck umformuliert in »Leit mich auf guten Wegen, und gib mir deinen Segen« (9,1 f.): 5. Laßt uns den Höchsten preisen, laßt uns dem Danck erweisen, der Junge mit den Alten, in seinem Schutz erhalten. 26 Zugleich gibt es deutliche Anklänge an Gerhardts Abendlied. So parodiert Starck bereits mit dem Liedincipit DIe Nacht ist nun vergangen den Anfang der 3. Strophe von Nun ruhen alle Wälder: »Der Tag ist nun vergangen« (FT 381,3; vgl. EG 477,3). Paul Gerhardt in der Andachtsliteratur 403 7. Erheben sich die Glieder, o GOTT! so kommt auch wieder, die Unruh [²1734: Arbeit], Creutz und Sorgen, schon an dem frühen Morgen. 8. Ach hilff mir alles tragen, wend ab des Creutzes Plagen, und laß nach Angst und Weinen, die Freuden = Sonne scheinen. [²1734: Hilff mir die Arbeit tragen wend ab des Creutzes Plagen, fahr fort für mich zu sorgen am Abend und am Morgen.] 9. Leit mich auf guten Wegen, und gib mir deinen Segen, und daß ich, wo ich gehe, dich stets vor Augen sehe. (S. 15 f. [²1734: S. 8 f.]) Ganz ähnlich verfährt Starck mit Gerhardts Pfingstlied Zeuch ein zu deinen Toren, das er sich in einer spürbar pietistischen Nachdichtung aneignet. 27 Selbst bei seinem Gesang zum Beschluss der Andacht »Der glaubige Christ dancket GOtt wegen der wieder erlangten Gesundheit« WIe kan ich gnugsam preisen, HERR! deine Wunderthat zur Melodie »Wie soll ich dich empfangen« (S. 520 ff.) nimmt Starck unübersehbare Anleihen aus Gerhardts Adventslied, obwohl es in dem Danklied inhaltlich um etwas ganz anderes geht. Die meisten - nicht nur die auf Gerhardt anspielenden - Texte von Starcks eigenen Liedern kommen dem Leser bzw. dem Sänger wegen der vielen Versatzstücke sehr vertraut vor. Diese geschickt beherrschte Technik mag zusammen mit den wörtlichen Zitaten ein wesentlicher Grund für die Beliebtheit, die Volkstümlichkeit und die Langlebigkeit von Starcks Handbuch gewesen sein. Wie Habermann und Arndt war Starck stilbildend. In fast allen nachfolgenden Andachtsbüchern sind Kirchenlieder und Liedzitate ein wesentliches Element auch für die gegenwärtige › praxis pietatis ‹ , wie z. B. die Herrnhuter Losungen bis heute zeigen. In den letzten Jahresausgaben finden wir regelmäßig ca. 20 Liedstrophen von Paul Gerhardt, weit mehr als von jedem anderen Autor. III. Epilog: Robert Gernhardt Paul Gerhardt ist nicht nur in Andachtsbüchern präsent. Dass seine Lieder zur Andachtsliteratur, zum »Tröster« werden können, haben nicht nur die Generationen vor uns erfahren. Sogar der 2006 gestorbene Robert Gernhardt las Paul Gerhardt in seiner letzten Lebensphase. In vielen der späten Gedichte setzt sich der krebskranke und schließlich den Tod erwartende Dichter in einem Späten 27 ACh komm doch in mein Hertze, O werther Heil ’ ger Geist (S. 178 f.). Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 404 Spagat 28 - so der posthume Buchtitel - auseinander mit Krankheit und Tod, mit Angst und Schmerz, mit Schuld und Sühne. Nach Fassungslosigkeit und Auflehnung dem Schicksal gegenüber - wobei Gott meistens ironisch und sarkastisch genannt wird - , nach Bilanzierung, Selbstprüfung und Selbsterkenntnis spricht selbst dieser säkulare Mensch schließlich von der Ergebung in das Unabänderliche, von der »Übergabe«, wie es in der pietistischen Andachtsliteratur heißen würde. Robert Gernhardt hat sich in diesem Reifungsprozess offenbar von Paul Gerhardt begleiten und leiten lassen. Drei Gedichte offenbaren einen unmittelbaren Bezug zu dem Barockdichter: Die bittere Parodie Geh aus mein Herz trägt den eindeutigen Untertitel: oder Robert Gernhardt liest Paul Gerhardt während der Chemotherapie. Geh aus mein Herz und suche Leid in dieser lieben Sommerszeit an deines Gottes Gaben. Schau an der schönen Gifte Zier und siehe, wie sie hier und mir sich aufgereihet haben. (S. 17) Gernhardt überträgt hier wie in den folgenden sechs Strophen Gerhardts fast idyllische Beschreibung von Gottes Schöpfung auf seine eigene Leidenssituation, um in der 8. Strophe - wenn auch noch hadernd - zu resignieren: Ich selber möchte nichts als ruhn. Des großen Gottes großes Tun ist für mich schlicht Getue. Ich schweige still, wo alles singt und lasse ihn, da Zorn nichts bringt, nun meinerseits in Ruhe. (S. 19) 29 Welch eine Entwicklung in der ars moriendi hat der leidenschaftliche Spötter Robert Gernhardt hinter sich, bis er den Schuldchoral II formulieren kann: O Robert hoch in Schulden Vor Gott und vor der Welt, Was mußt du noch erdulden, Bevor dein Groschen fällt? Durch Speien und durch Kotzen, Läßt der sich nichts abtrotzen, Der auch dein Feld bestellt. 28 Robert Gernhardt, Später Spagat (2006). 29 In den Schlussversen klingt auch die letzte Strophe von Gerhardts Lob- und Danklied Ich singe dir mit Herz und Mund an: »Ei nun, so laß ihn ferner tun / und red ihm nicht darein, / so wirst du hier im Frieden ruhn / und ewig fröhlich sein« (EG 324,18). Paul Gerhardt in der Andachtsliteratur 405 Dein Feld trägt lauter Dornen Und Disteln ohne End. Wie um dich anzuspornen: Du hast genug geflennt. Beim Rupfen und beim Jäten Läßt der wohl mit sich reden, Den man den Vater nennt. (S. 20) Neben den Anspielungen auf biblische Texte sind die auf Gerhardts Passionschoral (Schulden - erdulden; Dornen) trotz der abweichenden Strophenform und des kunstvolleren Reimschemas (ababccb) unüberhörbar. Die Strophen sind - wie oft bei Gernhardt - durch Schlüsselworte miteinander verklammert: »dein Feld« (Str. 1 - 2) und »der Vater« bzw. »dein Vater« (Str. 2 - 3 s. u.). Am Schluss der 2. Strophe ist zweifellos der himmlische Vater gemeint, von dem bisher nur als »der« gesprochen wurde und der nun - am Ende des Leidens (»Du hast genug geflennt«) - »wohl mit sich reden [läßt]«. 30 In der 3. Strophe geht es dann eindeutig um den leiblichenVater, den der siebenjährige Gernhardt 1945 zugleich mit der baltischen Heimat verloren hatte: Dein Vater starb im Morden, Da warst du noch ein Kind. So bist du nicht geworden, Wie andre Menschen sind. Gernhardts viel bewundertes Markenzeichen, der Spagat zwischen Ernst und Komik oder - wie er selbst gesagt hat - zwischen Tiefsinn und Flachsinn, zwischen »Tiefsen« und »Flachsen«, gelingt ihm selbst hier noch, in diesem todernsten Gedicht, wenn er in den letzten Zeilen bekennt: Und mußt dich doch ergeben, Du hast nur dieses Leben. Mach also nicht so ’ n Wind. 250 Jahre vorher bittet Johann Friedrich Starck am Schluss der Vorrede seines Handbuchs den dreieinigen Gott: »laß die Sterbenden nach dem Vorbilde JEsu sich dem Willen des Vaters übergeben.« (fol. 8 v ) Gewiss darf Gernhardt nicht religiös vereinnahmt werden, aber immerhin hat er von sich aus Paul Gerhardt auf dem Kranken- und Sterbebett gelesen. Durch diese geistliche Lektüre angeregt, schrieb er am Ende seines Lebens 30 Paul Gerhardt hätte bei dieser Zeile vielleicht an die Vorrede zu Arndts Paradiesgärtlein gedacht: »Gott hat den Menschen fürnehmlich dazu erschaffen, daß er mit demselben reden« könne und »daß der Mensch hinwieder mit Gott reden und Gott fragen sollte«. Zit. nach Bunners (³2006), S. 224. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 406 Gedichte, die in ihrer vielschichtigen Auseinandersetzung mit den bedrängendsten Fragen des menschlichen Seins den modernen Menschen, ob christlich oder säkular, selbst zum memento mori führen. Unter dem Einfluss Paul Gerhardts gelingen Robert Gernhardt Stücke säkularer Andachtsliteratur, die es wert sind, tiefgehender untersucht zu werden - auch aus theologischer Sicht. 31 31 [Inzwischen erschien ein Beitrag von Johannes Goldenstein, Theodizee und Religionskritik. »Robert Gernhardt liest Paul Gerhardt«. In: Balders/ Bunners (Hg.), Paul Gerhardt im Spiegel der Literatur (Beiträge der Paul-Gerhardt-Gesellschaft 7), Berlin 2011, S. 95 - 112.] Paul Gerhardt in der Andachtsliteratur 407 Abb. 22.1 22 »Beschauliches und Erbauliches« Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter Der Mensch war nicht nur in Vorzeiten Jäger und Sammler. Gesammelt wird nach wie vor so gut wie alles: Bücher und Bierkrüge, Kunst und Kaffeekannen. Hymnologen sind ständig auf der Jagd nach Gesangbüchern und Kirchenliedern, manche auch nach Akrosticha und Paul Gerhardt-Zitaten in der geistlichen wie in der so genannten schönen Literatur. Letztere Leidenschaft - und nicht nur diese - verbindet mich nun seit drei Jahrzehnten mit unserem Jubilar. Womit könnte man Christian Bunners wohl eine größere Freude machen, als seine Sammlung von Gerhardtschen Spuren in der deutschen Kulturgeschichte um einige neue Fundstücke zu ergänzen! An einem Donnerstag im Hochsommer 2013 traf mich das Finderglück. Auf einem wohltätigen Zwecken dienenden Hausfrauenmarkt vor dem Sylter Rathaus hatte eine Frau mittleren Alters auf dem Boden ein paar Gegenstände ausgebreitet, von denen einer meine ungeteilte Aufmerksamkeit erlangte. »Ludwig Richter. Die Gute Einkehr« stand auf dem Titel eines der »Blauen Bücher«, die man in meiner Generation den Konfirmanden auf den Gabentisch legte. Und weiter: »Auswahl schönster Holzschnitte. Mit Sprüchen und Liedern«. In einer Vignette prangte ein Strauß von Gartenblumen mit dem Spruchband »Willst Du recht zu Hause sein / kehre bei Dir selber ein«. Das atmete alles den Geist biedermeierlicher Idylle, wie ich sie seit früher Kindheit von Richters Illustrationen her kannte. Mit meinem Sammelgebiet schien das Buch zunächst nichts zu tun zu haben. Trotzdem begann ich zu blättern, bis mir ein Holzschnitt ins Auge sprang, in dessen oberer rechter Ecke in Fraktur zu lesen war: Geh ’ aus mein Herz u. suche Freud ’ In dieser lieben Sommerszeit An deines Gottes Gaben. pp Erstdruck in der Festschrift der Paul-Gerhardt-Gesellschaft für Christian Bunners (Beiträge der Paul-Gerhardt-Gesellschaft 10/ 2016). Siehe BibAK 37 (2016). Unter dem Bild, das eine junge Familie beim Aufbruch zu einem sommerlichen Spaziergang zeigt, stand die Fortsetzung des berühmten Sommerlieds bis zum Ende der zweiten Strophe - darunter die Signatur »Paul Gerhardt« (Abb. 22.1). 1 Neugierig geworden, stieß ich beim Vor- und Zurückblättern auf die Namen der Schriftsteller Brentano, Rosegger, Goethe, Claudius, Rückert, Eichendorff, Lenau, Logau, Hölty, Storm, Grimmelshausen, Mörike, C. F. Meyer - meistens ohne Vornamen. Nur der Name des anderen großen Weimaraners fehlte; dafür hieß es aber gleich drei Mal: »Das Lied von der Glocke«! In diesen Parnass großer und zugleich beliebter deutscher Dichter war also auch der Verfasser barocker geistlicher Lieder aufgenommen worden. Ich begann zu singen: »Geh aus mein Herz . . .«, die Nochbesitzerin stimmte ein: »und suche Freud«. Gemeinsam bejubelten wir auf dem von vielen Touristen besuchten Flohmarkt an einem strahlenden Sommertag die »Narzissen und die Tulipan«, und noch bevor ich einen weiteren Paul Gerhardt-Bezug entdeckt hatte (Die güldne Sonne, s. u. Abb. 22.12), wechselte das »Blaue Buch« für ein paar Euro die Eigentümerin. Zuhause angekommen, begann ich zu recherchieren. Von dem Buch, dessen Erstauflage 1922 erschienen war, wurde 1928 bereits das 257. - 272. Tausend gedruckt! Es enthielt 75 ganzseitige Holzschnitte von Adrian Ludwig Richter, geboren am 28.9.1803 und gestorben am 19.6.1884 in Dresden. Nahezu 4.000 soll der geniale Illustrator geschaffen haben! Die meisten Zeichnungen wurden von seinem Schwiegersohn, dem kongenialen Leipziger Formschneider August Gaber (1823 - 1894), für die Reproduktion auf Holzplatten übertragen. Wie viele mochten darunter sein, die sich auf Lieder von Paul Gerhardt bezogen? Richter wuchs in Dresden katholisch auf. Während seines Romaufenthalts 1823 - 1826 schloss er Freundschaft mit den Deutschrömern - von denen etliche erst durch Konversion katholisch wurden - und öffnete sich seinerseits dem Protestantismus. In den letzten Lebensjahren war er mit einem der exponiertestenVertreter der württembergischen Erweckungsbewegung, dem etwa gleichaltrigen Pfarrer Johann Christoph Blumhardt (1805 - 1880), und dessen Sohn Christoph Friedrich eng befreundet. Nach seinem Tod wurde er auf dem Neuen Katholischen Friedhof in Dresden-Friedrichstadt beigesetzt. Besonders populär ist der Künstler als Illustrator deutscher Volksbücher und Kalender mit Märchen (Musäus, Bechstein, Grimm), Sagen, Fabeln, Sprüchen, Schnurren und Volksliedern. Weniger wird er als Zeichner christlicher Volks- 1 Aus: Richter, Die gute Einkehr. Auswahl schönster Holzschnitte. Mit Sprüchen und Liedern ( 3 1928), S. 35. Auch alle anderen Abb. in diesem Beitrag stammen aus Büchern des 19. und frühen 20. Jhs. in Privatbesitz. Bildnachweise in den Anmerkungen zu der jeweiligen Abbildung sowie im QV unter: »Werkausgaben Richter«. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 410 kunst wahrgenommen. Er schuf jedoch ganze Zyklen zu religiösen Themen und bezeugte mit Andachtsmotiven auch im › weltlichen ‹ Kontext immer wieder, wie selbstverständlich christliches Leben seinerzeit nicht nur zum Sonntag, sondern auch zum Alltag gehörte. Dies motivierte mich, nach weiteren Kirchenliedern - und damit auch und besonders nach denen von Paul Gerhardt - im Werk Ludwig Richters zu suchen. Aus Christian Bunners ’ Gerhardt-Monographie kannte ich bereits den berührenden Holzschnitt zu dem Trauer- und Trostlied Leid ist mirs in meinem Herzen. 2 Nun aber entdeckte ich den einschlägigen Aufsatz »Paul Gerhardt und Ludwig Richter« im Sonderheft der Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst zum Paul Gerhardt-Jahr 1907! 3 Der Verfasser, Karl Budde (1850 - 1935), war Alttestamentler und Bearbeiter von Kirchenliedern, zudem Richter- Verehrer und -Sammler. Jetzt wurde mein Forschergeist erst recht geweckt, und ich begab mich auf die weitere Suche in der schier unübersehbaren Menge von Holzschnitten bzw. Vorzeichnungen des herausragenden Künstlers. Nach vollständiger Durchsicht der von Wolf Stubbe dokumentierten ca. 2.600 Holzschnitte, 4 die in Bildbänden, in über 150 illustrierten Büchern und auch als Einzelblätter in hohen Auflagen reproduziert wurden, kann ich Christian Bunners zu seinem 80. Geburtstag nun 13 Fundstücke präsentieren, die belegen, dass Paul Gerhardt auch in der Bildenden Kunst - und eben nicht nur als schmückendes Beiwerk in Gesang- und Andachtsbüchern - wirkungsgeschichtlich lebendig ist. Vielleicht ist dies sogar der eindrucksvollste Beweis für seine echte › Popularität ‹ , wenn der geistliche Barockdichter in einem › weltlichen ‹ Buch mit volkstümlichen Bildern und Texten auf höchstem literarischen Niveau in riesigen Auflagen präsent ist. Ein höherer und breiterer Grad von Rezeption ist kaum vorstellbar. Die 13 Holzschnitte von Ludwig Richter, die sich auf Lieder von Paul Gerhardt beziehen, wurden alle zwischen 1853 und 1861 zu seinen Lebzeiten erstveröffentlicht. Sie werden hier in der Reihenfolge ihres Erscheinens abgebildet und vorgestellt. Beschauliches und Erbauliches Es war sein Verleger Georg Wigand (1808 - 1858), der den Künstler immer wieder zu neuen Themen anregte. So fragte er in einem Brief vom 1. Dezember 1850 nach 2 Bunners, Paul Gerhardt. Weg, Werk, Wirkung ( 3 2006), S. 185 sowie S. 56 und 116. 3 Budde, Paul Gerhardt und Ludwig Richter (1907), S. 91 - 97. Vgl. auch Hoff/ Budde (Hg.): Adrian Ludwig Richter. Verzeichnis seines gesamten graphischen Werkes ( 2 1922), siehe QV und LitV. 4 Stubbe (Hg.), Das Ludwig Richter Album. Sämtliche Holzschnitte. 2 Bde. ( 3 1974). Sigle: Stubbe mit Band-Nr., Seitenzahl. Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter 411 »religiösen Bildern«. Richter schlug ihm als Konzept und zunächst auch als Titel »Beschaulisches und Erbauliches aus dem Abendlande« vor. Er »will damit sagen: nicht die heilige Geschichte, wie sie sich im fernen Osten abspielte, sondern › Bilder und Symbole, welche die Gefühle und Anschauungen der gläubigen Seele offenbaren, darunter auch Scenen des christlichen Familienlebens ‹ «. 5 Unter dem Titel Beschauliches und Erbauliches. Ein Familien = Bilderbuch von Ludwig Richter in Dresden. Leipzig, Georg Wigands Verlag. 1855. 6 erschienen in drei Lieferungen (1851, 1853, 1855) 43 Holzschnitte, von denen sieben im engeren Sinne »Scenen des christlichen Familienlebens« abbilden wie Tischgebet (Ps 145), Taufgang, »Schäfers Sonntagslied« (Das ist der Tag des Herrn von Ludwig Uhland), Nächstenliebe am Krankenbett mit dem Jesuswort aus Mt 25,40. In der 2. Lieferung von acht Holzschnitten auf Einzelblättern finden wir den ersten Bezug zu einem Lied von Paul Gerhardt: Leid ist mirs in meinem Herzen Der bereits erwähnte Holzschnitt zeigt eine trauernde Familie auf dem Kirchhof (Abb. 22.2). 7 Sie steht am Grabe eines Kindes, das an einen Engel geschmiegt aus den Wolken herab auf seine Eltern und Geschwister blickt. Unter dem Bild stehen die Verse: Ach, es ist ein bittres Leiden Und ein rechter Myrrhentrank, Sich von seinen Kindern scheiden Durch den schweren Tod[es]gang! Hier geschieht ein Herzensbrechen, Das kein Mund recht kann aussprechen Aber das, was wir beweinen, Weiß hiervon ganz lauter nichts, Sondern sieht die Sonne scheinen Und den Glanz des ew ’ gen Lichts. Singt und springt und hört die Schaaren, Die hier seine Wächter waren. Paul Gerhard. 8 5 Budde, Ludwig Richters Volkskunst (o. J., - Faks.-ND 1978, s. QV und LitV), S. XXIII. 6 Stubbe I, 21 - 51. 7 Aus: Richter, Beschauliches und Erbauliches, Leipzig (Georg Wigand) o. J., 8. Aufl. [um 1912], Bl. 9 a. 8 Ebd. Vgl. Stubbe I, 38. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 412 Abb. 22.2 Nur intime Kenner von Gerhardts geistlicher Dichtung erkennen in diesen Versen die Strophen 2 und 3 eines heute ganz unbekannten Trauerlieds zum Tode eines Kindes. Die erste Strophe lautet: Leid ist mirs in meinem Herzen Um die, so dir, liebes Kind, Mit so großem Weh und Schmerzen Um den Hals gefallen sind, Da du dich bei deinem Ende Gabst in deines Gottes Hände. 9 Gerhardt dichtete das siebenstrophige Lied 1659 auf den Tod der kleinen Elisabeth Heintzelmann. Sie war die Tochter von Johannes Heintzelmann, Diakon und Kollege Gerhardts an der Berliner Nikolaikirche, mit dem er im Berliner Kirchenstreit entschieden für die lutherische Position eintrat. 10 Nach dem Erstdruck des Liedes im Anhang zum »Kinder = Leich = Sermon« des Propstes Georg Lilie gelangte es erst im 19. und 20. Jahrhundert in die Gesamtausgaben und zu Gerhardts 400. Geburtstag 2007 auch in die Neuausgaben der Gegenwart. Das Trauer- und Trostlied zur Melodie »Herr, ich habe mißgehandelt« weist weit über den Rang eines Gelegenheitsgedichts hinaus und besitzt, wie fast immer bei Gerhardt, Allgemeingültigkeit. Zwei Jahre zuvor, nur acht Monate nach der Geburt, hatte er selbst von seiner ersten Tochter Maria Elisabeth Abschied nehmen müssen. 11 »Gerhardts Lieder zum Ableben von Kindern - Gelegenheitsgedichte für Trauerfälle in seinem Bekanntenkreis - beziehen aus der Dialektik von Elternschmerz und Christenhoffnung ihren anrührenden Charakter.« 12 Es gelingt Richter, die Kerngedanken des Liedes - insbesondere in den beiden zitierten Strophen - bildhaft auszudrücken, indem sich die Gegensatzpaare organisch berühren: Erde und Himmel (5.5 - 6), »Tränen« und »Trost« (6.5 - 6), »des Todes Nacht« und »die Sonne« als »Glanz des ew ’ gen Lichts« (5.2, 3.3 - 4). Das »beweinen« (3.1) wird durch das Taschentuch der Mutter angedeutet, und die schmerzliche letzte Liebkosung im Lied (1.4) wird künstlerisch in dem zärtlichen Umfassen des Grabkreuzes durch das Schwesterchen zum Ausdruck gebracht. So findet die irdische Umarmung ihre eschatologische Entsprechung im »Himmelsschoße« (7.4), in den Armen des Engels, der von dem »Glanz des ew ’ gen Lichts« umgeben ist. 9 Alle Gerhardtverse, die nicht den Publikationen Richters entnommen sind, werden zit. nach Cranach-Sichart ( 4 2007), s. QV: Werkausgaben Gerhardt. 10 Vgl. Bunners (Anm. 2), S. 66 und 90. 11 Vgl. ebd., S. 52 f. mit Abbildung der Gedächtnistafel in der St. Moritzkirche von Mittenwalde. 12 Ebd., S. 56. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 414 Richters Sammlung Beschauliches und Erbauliches endet 1855 mit einem Holzschnitt zu einem weiteren christlichen Lied, das in Richters Darstellung unter dem Spruchband »Ehre sey Gott in der Höhe / Friede auf Erden« (vgl. Lk 2,14) auf einer Turmbrüstung von Kinder- und Bläserchor weit in die heilige Nacht hinein geschmettert wird. 13 Darunter steht in einigen Ausgaben die erste und die letzte Strophe von Luthers »kinderlied auf die Weinacht Christi« Vom Himmel hoch, da komm ich her. Die beiden Bilder zu Liedern von Paul Gerhardt und Martin Luther in diesem Band sind Vorboten einer Sammlung von 40 geistlichen Liedinterpretationen, die im selben Jahr 1855 - ebenfalls in drei Lieferungen - in Leipzig gedruckt wurde. Christenfreude in Lied und Bild Christenfreude in Lied und Bild. Geistliche Lieder mit Holzschnitten nach Zeichnungen von Ludw. Richter, Jul. Schnorr v. Carolsfeld u. C. Andreae, herausgegeben und verlegt durch A. Gaber ’ s Atelier für Holzschneidekunst. Leipzig, in Commission bei Georg Wigand. 1855. 14 Über dem Titel schwenken dieses Mal vier kindliche Engel in Anspielung auf die »Menge der himmlischen Heerscharen« (Lk 2,13) das Gloria-Spruchband »Ehre sey Gott in der Höhe! « und knüpfen damit in Christenfreude unmittelbar an die Verkündigungsfreude im Schlussbild von Erbauliches und Beschauliches an. Die erste Lieferung enthielt neben Richters Zeichnungen neun von den im Titel genannten Künstlern Carl Christian Andreae und Julius Schnorr von Carolsfeld aus dem römischen Freundeskreis. Danach wurde Richter von seinem Schwiegersohn gebeten, »die andern 2 Hefte allein zu übernehmen«. 15 Von den 50 Liedern der erweiterten Auflage haben acht einen direkten Paul Gerhardt- Bezug. 16 Die beiden Passionslieder nach dem ersten und letzten »Salve« einer mittelalterlichen Vorlage, Sei mir tausendmal gegrüßt (Ad pedes) und O Haupt 13 Vgl. Einkehr (Anm. 1), S. 75 und Stubbe I, 46 sowie die Bleistiftvorzeichnung in: Heise, Adrian Ludwig Richter. Zeichnungen aus der Sammlung Dräger (2013), S. 62, 127. Richters anhaltende Popularität zeigt sich u. a. in dem Adventskalender »mit 24 erlesenen Pralinen«, den der katholische St. Benno-Verlag 2013 in Leipzig mit dem bekannten Motiv in kolorierter Fassung, aber leider ohne das Gloria-Spruchband, herausgebracht hat. 14 Stubbe II, 1307 - 1343. Mir liegt eine undatierte, um 10 Lieder erweiterte Ausgabe von Christenfreude vor, der auch die Zitate und die Abbildungen entnommen sind: Dresden (J. Heinrich Richter) und Leipzig (Breitkopf & Härtel) [um 1860]. 15 Budde (Anm. 3), S. 92. 16 Die übrigen Lieder stammen von fast 30 anderen Dichtern wie Luther, Herman, Heermann, Rinckart, Becker, Albert, Harsdörffer, Fleming, Neumark, Clausnitzer, Scheffler, J. H. Schröder, J. J. Rambach, C. F. Richter, Zinzendorf, Tersteegen, Hensel, Claudius. Sie geben einen aufschlussreichen Einblick in eine private › Kernliederliste ‹ zur Zeit der Restauration um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter 415 voll Blut und Wunden (Ad faciem), ließ Richter von Schnorr und Andreae zeichnen, die übrigen sechs sowie alle Texte anderer Dichter von Luther bis Claudius in den folgenden Lieferungen übernahm er selbst. »Ich suche mir die Lieder selber und gehe sehr frei damit um und hoffe, es wird noch recht hübsch«, schrieb er am 8. Juni 1855 an Georg Wigand. 17 Wie soll ich dich empfangen? An erster Stelle des ganzen Buchs steht Paul Gerhardts Adventslied Wie soll ich dich empfangen, bezogen auf das Evangelium des ersten Sonntags im Advent, aber auch auf das vom Palmsonntag (Abb. 22.3). 18 Jesu Einzug nach Jerusalem ist für jeden sofort erkennbar: am Nimbus, an den segnenden Händen, am Esel und nicht zuletzt an dem zwar nicht von Palmen, aber von › bunten ‹ Blumensträußen eingerahmten Psalmvers »Gelobt sey der da kommt im Namen des Herrn« (Ps 118,26), der bei allen vier Evangelisten zu finden ist. 19 Auch wenn das Lied mit seinem biblischen Hintergrund hier mehr als Impuls für die künstlerische Umsetzung dient denn als wörtliche Vorlage, so schimmern auch in dieser Abbildung Bibel- und Liedverse durch: Dein Zion streut dir Palmen Und grüne Zweige hin, Und ich will dir in Psalmen Ermuntern meinen Sinn (Str. 2,1-4). Exemplarisch trägt ein Jünger aus Jesu Gefolge einen Palmwedel wie ein Pilgerkreuz, und ein kleiner Junge streckt Jesus einen ebenso langen grünenden Zweig entgegen (vgl. Mt 21,8; Mk 11,8). Überhaupt besteht hier › sein Zion ‹ 20 fast ausschließlich aus jubelnden Kindern, die er »froh gemacht« hat (Str. 3.8). Im freien Umgang mit dem Thema, den Richter sich bewusst erlaubt, wird er zum Interpreten: Der mit Vorliebe die heitere Kinderwelt nachzeichnende Künstler projiziert die Kinder, die bei der nachfolgenden Tempelreinigung Jesus das »Hosianna dem Sohne Davids« (Mt 21,15) zujubeln, in die Szene vom Einzug in Jerusalem hinein. Zugleich wird das Motiv »Christus segnet die Kinder« (Mk 10,13-16) assoziiert. 21 17 Budde (Anm. 3), S. 92. 18 Aus: Richter u. a., Christenfreude (Anm. 14) [Nr. 1]. Vgl. Stubbe II, 1308. 19 Vgl. Mt 21,9; Mk 11,9; Lk 19,38; Joh 12,13. Die Bibelzitate in diesem Aufsatz stammen - sofern sie nicht den Holzschnitten von Richter entnommen sind - aus einer Lutherbibel seiner Zeit: Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift, Leipzig und Dresden (G. B. Teubner) 8 1860 (s. QV: Werkausgaben Luther). 20 »Viele« Mk 11,8; »viel Volks« Mt 21,8; »der ganze Haufe seiner Jünger« Lk 19,37. 21 Vgl. auch Jesu Einzug in Jerusalem aus Richters Spätwerk Biblische Bilder [1876]; Stubbe II, 1585. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 416 Nun laßt uns gehn und treten / Mit Singen und mit Beten »Neujahrslied« steht auf dem Schriftband über den drei Menschen, die beide Geschlechter und drei Generationen repräsentieren - durch die unterschiedliche Gebetshaltung vielleicht auch verschiedene Konfessionen (Abb. 22.4). 22 Der barhäuptige ältere Mann mit dem Pelzkragen legt die Hände gegeneinander, die kniende jüngere Frau faltet sie, das Kind kniet zwischen ihnen auf einem Kissen in der Kirchenbank. Zwei Kerzen brennen, ein Gesangbuch liegt auf der Ablage, und in der Wange trägt ein Putto eine Kartusche mit dem überwiegend katholisch tradierten Jesusmonogramm IHS. Die Spitze eines im Übrigen kahlen Tannenbaums mit einem alles überragenden Stern sowie die stilisierte »Wurzel Jesse« bilden den linken Schmuckrahmen und machen bewusst, dass der Neujahrstag als Fest der Beschneidung Jesu noch zum Weihnachtsfestkreis gehört. Alles dient dem andachtsvollen Ausdruck, das Neue Jahr unter den Namen des Herrn stellen zu wollen. Unter dem Bild stehen in Christenfreude die ersten drei Strophen von Gerhardts Neujahrslied, auf der Rückseite folgen die Strophen 4 - 14. Abb. 22.3 22 Aus: Christenfreude (Anm. 14) [Nr. 7]. Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter 417 Abb. 22.4 Das in der Gesamtausgabe überraschend unter diesen Holzschnitt gesetzte Incipit von Johann Rists Neujahrslied Hilf, Herr Jesu, laß gelingen betont den Jesusbezug noch stärker. 23 Als Gottes Lamm und Leue / Entschlafen und verschieden Auch bei Richters Grablegungsszene, die sich weitgehend an den Bibeltext und Gerhardts Liedvorlage Als Gottes Lamm und Leue hält, erlaubt sich der bildende Künstler Freiheiten (Abb. 22.5). 24 Gerhardt paraphrasiert die in allen Evangelien sehr ähnlich tradierte Geschichte als Ballade. Da die Erzählung von der Anfrage Josephs von Arimathia bei Pilatus über die Kreuzabnahme bis zur Einbalsamierung nicht in einem einzigen Bild dargestellt werden kann, musste sich der 23 Vgl. Stubbe II, 1313. 24 Aus: Christenfreude (Anm. 14) [Nr. 13]. Vgl. Stubbe II, 1315. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 418 Zeichner entscheiden. Er wählte den Moment, in dem Jesus - wie in Str. 9 geschildert - in ein Felsengrab gelegt wird: Es war nicht weit von hinnen, Wo Christus starb, zu schauen Ein Garten, und darinnen Des Josephs Grab gehauen Gar neu in einen Felsenstein, Da legten ihren Schatz hinein Die zwei geliebten Herzen. Nikodemus war bei Gerhardt bereits in Str. 5 in das Geschehen eingetreten. Aber die in der Zeichnung dargestellten trauernden Frauen sowie der die vordere Frau stützende Jünger - dem Gestus nach Maria und Johannes unter dem Kreuz - kommen bei Gerhardt gar nicht vor. Dafür musste Richter auf die Synoptiker zurückgreifen, die von der Anwesenheit von »Weiber[n]« (Lk 23,55), von Maria Magdalena und der »andere[n] Maria« (Mt 27,61; Mk 15,47) berichten. Von einem dritten Mann ist allerdings in keinem der Evangelien die Rede. Jedoch ist es in der älteren christlichen Kunst nicht ungewöhnlich, dass neben Joseph und Nikodemus noch andere Männer als Zeugen der Grablegung abgebildet wurden. 25 Eine weitere Abweichung von der biblischen und der bereimten Vorlage erlaubt sich Richter mit der Unterschrift: »Sie nahmen den Leib des Herrn und begruben ihn«. So heißt es in Luthers Übersetzung bei keinem Evangelisten. Sinngemäß beschreiben alle Synoptiker, was Richter auch › historisch korrekt ‹ abbildet: »Und Joseph nahm den Leib [. . .] Und legte ihn in sein eigen neu Grab, welches er in einen Fels hatte hauen lassen« (Mt 27,59-60). Mit der freien Bildunterschrift scheint sich Richter - oder sein Holzschneider Gaber? - vor allem an Johannes orientiert zu haben: »Da nahmen sie [Joseph und Nikodemus] den Leichnam JEsu, und banden ihn in leinene Tücher mit den Specereien, wie die Juden pflegen zu begraben« (Joh 19,40). »Begraben« wird man - streng genommen - in der Erde, nicht in einer Felsenhöhle. Luther übersetzt an dieser Stelle aber »begraben« und spricht auch in den anderen Evangelien von einem in den Felsen gehauenen »Grab«. Außerdem mag Richter das berühmte Bestattungslied Nun laßt uns den Leib begrab ’ n von Michael Weiße im Sinn gehabt haben. Sprachlich leicht geglättet, steht es sogar noch im damaligen amtlichen rationalistischen Dresdener Gesangbuch. 26 25 Vgl. auch Richters spätere Grablegungsszene in Biblische Bilder [1876]; Stubbe II, 1589. 26 Dresdnisches Gesangbuch, Dresden 1822 ( 1 1797) u. ö., Nr. 766. Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter 419 Abb. 22.5 Nun ruhen alle Wälder Die vier berühmten Abendlieder, mit denen sich der Künstler auseinandersetzte, stammen aus vier Jahrhunderten: Mein schönste Zier und Kleinod (1598), Müde bin ich, geh zur Ruh (1817), Der Mond ist aufgegangen (1779) und schließlich das weltweit verbreitete Paul Gerhardt-Lied Nun ruhen alle Wälder (1647). »Abendlied« steht auf einem Spruchband über den › ruhenden ‹ Wäldern (Abb. 22.6). 27 Nicht nur wegen der Überschrift würde die Bildschöpfung ebenso gut auf das verwandte »Abendlied« von Claudius passen: Der Wald steht auch hier schwarz und schweiget, der Mond ist nicht ganz zu sehen, und die so trauliche und so holde Welt spielt sich in einer stillen Kammer ab. Aber sonst ist das Bild ganz von den beiden letzten Strophen von Gerhardts »Abendlied« geprägt. Jesus ist wieder in seinem Namenskürzel IHS präsent, dieses Mal wie eine Signatur auf einem Wappenschild vor einem Kreuzstab und blühenden Rosen mit weit ausladendem arabeskem Rankenwerk. Im Lied wird er in der 8. Strophe, die sich zum Abendgebet verselbständigt hat, direkt mit Namen angesprochen: »Breit aus die Flügel beide, O Jesu, meine Freude«. Im Bild ist er auch durch das Kruzifix mit Öllämpchen im Herrgottswinkel gegenwärtig. Drei kleine musizierende Engel beschützen die Kinder in der Wiege: »So laß die Englein singen: Dies Kind soll unverletzet sein! «. Der große Engel steht Harfe spielend mit halb ausgebreiteten Flügeln am Bett der Mutter: »Gott laß euch ruhig schlafen, Stell Euch die güldnen Waffen / Ums Bett und seiner Helden Schaar! « 28 In einem späteren kleinen Holzschnitt zur 8. Strophe »Breit ’ aus die Flügel beide« ist Jesus mit Nimbus selbst und nicht nur durch Symbole anwesend (Abb. 22.7). 29 Er ist hinter das Bett eines kleinen Mädchens getreten und breitet - wie eine Glucke ihre Flügel - über dem Kind beide Arme aus. Die aus dem Bildrahmen herausragenden Hände lassen eine Kreuzform entstehen. Ich singe dir mit Herz und Mund Unmittelbar auf das Abendlied folgt in Christenfreude die sommerliche Vorgartenidylle zu Gerhardts Lob- und Danklied Ich singe dir mit Herz und Mund. Das Liedincipit ist auf einem flatternden Spruchband zu lesen (Abb. 22.8). 30 Vor dem Gartenzaun singen vier heitere Kinder jeweils zu zweit aus ihren Büchern. Es ist schwer, die in 18 Strophen aufgezählten Wohltaten Gottes auswendig zu 27 Aus: Christenfreude (Anm. 14) [Nr. 39]. Vgl. Stubbe II, 1330 - 1333. 28 In dieser Fassung (Ebeling 1666/ 67) steht das Lied in Christenfreude [Nr. 39]. In Crügers Praxis Pietatis 1647 heißt es: »Gott laß euch selig schlaffen [. . .] und seiner Engel Schaar«. Vgl. FT III,381. 29 Aus: Richter u. a., Der gute Hirt. Gebetbüchlein für fromme Kinder, Dresden [um 1860], S. 17. 30 Aus: Christenfreude (Anm. 14) [Nr. 40]. Vgl. Stubbe II, 1334. Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter 421 Abb. 22.6 können. Die ersten vier, noch ungetrübten Strophen stehen direkt unter dem Bild (». . . Ich sing und mach auf Erden kund, Was mir von dir bewußt«), die übrigen auf der Rückseite. Der Stimmungswechsel nach Str. 9, genau auf der Hälfte des Liedes, ist von Richter simultan eingefangen. Im Kontrast zu den fröhlichen Kindern vor dem Gartenzaun sitzt dahinter, auf der Schattenseite des Hauses, eine weinende Gestalt, die von einem Engel getröstet wird. Richter gelingt es, beide Seiten des Liedes und des Lebens in einem Bilde festzuhalten: [11.] Du zählst, wie oft ein Christe wein Und was sein Kummer sei; Kein Zähr = und Thränlein ist so klein, Du hebst und legst es bei. [13.] Wohl auf, mein Herze, sing und spring, Und habe guten Muth! Dein Gott, der Ursprung aller Ding, Ist selbst und bleibt dein Gut. Abb. 22.7 Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter 423 Abb. 22.8 Befiehl du deine Wege Paul Gerhardts berühmtes Vertrauenslied zählte im 19. Jahrhundert und gehört, wie Umfragen im Jubiläumsjahr 2007 bewiesen, noch immer zu den beliebtesten Liedern des Dichters. So überrascht es nicht, dass Richter auch von Befiehl du deine Wege - ähnlich wie beim »Abendlied« - gleich zweimal Impulse für eine graphische Auslegung empfing. Den unmittelbar aufeinander folgenden Darstellungen in der erweiterten Auflage von Christenfreude ist gemeinsam, dass der Psalmvers 37,5, der als Spruchakrostichon in das Lied eingewoben ist, unlösbar in die floralen und figürlichen Schmuckrahmen der Holzschnitte integriert wurde. Das Lied war den Menschen offenbar so vertraut, dass sie Gerhardts Verse mit dem Bibelspruch immer gleich mitdachten. Im Übrigen können die beiden bildkünstlerischen Interpretationen zu Befiehl du deine Wege aber unterschiedlicher nicht sein - inhaltlich und stilistisch. Sie repräsentieren die Intention, die Richter seinem Verleger Georg Wigand 1850 mitteilte, als dieser ein »Andachtsbüchlein in Bildern« anregte: »Der Text würde nur aus Bibelstellen und einzelnen Versen aus älteren und neueren guten Liedern bestehen, und so denke ich mir ein solches Büchlein für die stillen Sonntage, wo irgendeine fromme Menschenseele mutterseelenallein sitzt, recht geeignet. Auch kann es die Mutter mit den Kindern beschauen und ernste Gespräche daran knüpfen.« 31 Während die im engeren Sinne religiöse Darstellung aus Christenfreude (1855) recht nazarenerhaft wirkt (Abb. 22.9), 32 stellt das Blatt aus dem großen Zyklus über die vier Jahreszeiten Für ’ s Haus (1858 - 1861) in weichen, malerischen Linien solch eine »Scene des christlichen Familienlebens« dar (Abb. 22.10). 33 Richter und seine Verleger haben seine Schöpfungen häufig mehrfach verwendet - so auch dieses Blatt, das im Winterteil der jahreszeitlichen Bände 1860 erstmals erschien und zeitgleich oder kurz danach auch in die erweiterte Auflage von Christenfreude [ca.1860] übernommen wurde. Da darin aber der Text von Befiehl du deine Wege bereits seit 1855 für den älteren, historisierenden Holzschnitt vergeben war (vgl. Abb. 22.9), wurde unter der biedermeierlichen Familienidylle das durchaus zu Ps 37,5 passende, aber natürlich nicht von Gerhardt stammende Lied Wer nur den lieben Gott lässt walten (Georg Neumark 1641/ 57) abgedruckt. 34 Außerdem wurde dort die kommentierende Arabeske am rechten Bildrand weggeschnitten, so dass die schöne Analogie 31 Richter an Georg Wigand. In: Kalkschmidt (Hg.), Ausgewählte Briefe (1903), S. 61 ff. 32 Aus: Christenfreude (Anm. 14) [Nr. 47]. Vgl. Stubbe II, 1340; Budde (Anm. 5), Nr. 366. 33 Aus: Richter, Für ’ s Haus. Im Winter, Dresden und Leipzig [1860]. Die Auflagen von 1858 und 1859 enthielten diesen Holzschnitt noch nicht. Vgl. Stubbe I, 175. 34 Vgl. Christenfreude (Anm. 14) [Nr. 46]. Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter 425 (Gott sorgt für seine Schöpfung, die Eltern für ihre Kinder, das Kleinkind für das Vögelchen) verlorenging und die geistliche Verbindung nur noch durch den Psalmvers erhalten blieb. Dagegen bezieht sich die frühere Darstellung eindeutig auf Gerhardts Psalmlied, das mit allen zwölf Strophen abgedruckt ist. Während der verzweifelt Betende noch zum bewölkten Himmel aufschaut, ist hinter ihm der Engel dessen, »Der Wolken, Luft und Winden / Giebt Wege, Lauf und Bahn«, unbemerkt mit einem Palmzweig in der Hand eingetreten (vgl. Abb. 22.9): [6.] Hoff, o du arme Seele, Hoff, und sei unverzagt! Gott wird dich aus der Höhle, Da dich der Kummer plagt, Mit großen Gnaden rücken; Erwarte nur die Zeit: So wirst du schon erblicken Die Sonn der schönsten Freud. [11.] Wohl dir, du Kind der Treue: Du hast und trägst davon Mit Ruhm und Dankgeschreie Den Sieg und Ehrenkron! Abb. 22.9 Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 426 Gott giebt dir selbst die Palmen In deine rechte Hand, Und du singst Freudenpsalmen Dem, der dein Leid gewandt. Gib dich zufrieden und sei stille Nicht zufällig schließt ein weiteres Trost- und Vertrauenslied von Paul Gerhardt unmittelbar an. Noch im EKG folgen die beiden Lieder direkt aufeinander, denn auch Gib dich zufrieden und sei stille bezieht sich auf einen Vers aus Psalm 37: »Sey stille dem HErrn, und warte auf ihn« (Ps 37,7). Über den Strophen steht ein weiterer Bibelvers: »Sei zufrieden, meine Seele: / Denn der Herr thut dir Gutes« (vgl. Ps 116,7). Wie in vielen Kompositionen Richters ist der Liedanfang, der hier zugleich Refrain ist, als Inscriptio bzw. Subscriptio in das Bild eingefügt Abb. 22.10 Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter 427 Abb. 22.11 (Abb. 22.11). 35 Die in der rechten unteren Ecke platzierte Figur des rastenden Wanderers zieht den Blick des Betrachters durch kräftigere Linien auf sich. Das Kreuz am Wegrand, dem gegenüber er sich niedergelassen hat, und der in die Hand gestützte Kopf - ein in der Kunstgeschichte wohlbekannter archetypischer Gestus - lassen ahnen, dass er sich nicht nur aus körperlicher Erschöpfung an diesem Platz niedergelassen hat. Die Symbolik wird noch verstärkt durch das Kreuz auf dem Dachreiter des auf einem Hügel stehenden Kirchleins und die Grabkreuze auf dem Friedhof. Im Gegensatz zur Körpersprache des Rastenden zieht eine Familie unbeschwert durchs Feld. Auf einer Anhöhe weiden Kühe und Schafe, am Himmel fliegt ein Vogelschwarm. Über allem breitet der von zwei betenden Engeln umgebene Gottvater seine segnenden Hände aus. Strahlen umgeben ihn. Der Regenbogen, auf dem er thront, verbindet ihn mit einer sanften, hügeligen Landschaft, die im Hintergrund von einem großen Gewässer durchzogen wird - mit seiner Schöpfung. In dem tief im Tal auf dem jenseitigen Ufer liegenden Kirchdorf berührt der Bogen als Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Menschen die Erde. Selten hat Richter den Grundton und die Aussage eines Liedes sowie viele Details so stimmig eingefangen: [3.] Er hört die Seufzer deiner Seelen Und des Herzens stilles Klagen; Und was du Keinem darfst erzählen, Magst du Gott gar kühnlich sagen. Er ist nicht fern, steht in der Mitten, Hört bald und gern der Armen Bitten; Gieb dich zufrieden! [5.] Der allen Vögeln in den Wäldern Ihr bescheidnes Körnlein weiset, Der Schaf und Rinder in den Feldern Alle Tage tränkt und speiset: Der wird ja auch dich Einen füllen Und alle deine Nothdurft stillen: Gieb dich zufrieden! [10.] Er wird uns bringen zu den Schaaren Der Erwählten und Getreuen, Die hier mit Frieden heimgefahren, Sich auch nun in Frieden freuen; Da sie den Grund, der nicht kann brechen, Den ewgen Mund selbst hören sprechen: Gieb dich zufrieden! 35 Aus: Christenfreude (Anm. 14) [Nr. 48]. Vgl. Stubbe II, 1341. Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter 429 Auf diesen letzten und die letzten Dinge ansprechenden Gesang von Paul Gerhardt folgt in Richters bebilderten geistlichen Liederzyklus nur noch die Bereimung des 121. Psalms von Cornelius Becker Ich heb mein Augen sehnlich auf und das Reiselied von Nikolaus Herman In Gottes Namen fahren wir. Andere Sammlungen und Einzelblätter Christenfreude in Lied und Bild erfuhr nach dem Tod von Georg Wigand 1858 noch zahlreiche Auflagen im Verlag von Richters Sohn J. Heinrich. Danach ist keine größere Sammlung mit religiöser Thematik mehr erschienen. Aber in Einzelblättern und anderen Sammelbänden tauchen immer wieder Zeichnungen mit einem Kirchenliedbezug auf. Dazu gehören die bereits vorgestellten volkstümlichen Verbildlichungen zu Breit aus die Flügel beide 36 und Befiehl du deine Wege 37 sowie die beiden anfangs erwähnten Holzschnitte zu Geh aus mein Herz und Die güldne Sonne, die mich zu meinem Thema inspirierten. Die güldne Sonne voll Freud und Wonne Das meisterhafte Blatt veröffentlichte Richter in dem Jahreszeitenzyklus: Fürs ’ s Haus. Frühling. Dresden, Verlag Gaber & Richter, Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig. [1859]. 38 Der zweiten Graphik mit Paul Gerhardt-Bezug in dem Bildband Die Gute Einkehr, der meine Untersuchung auslöste, sind die ersten drei Zeilen seines beliebten Morgenliedes beigegeben (Abb. 22.12). 39 Viele liebevolle Details vermitteln den Grundton des Liedes, wie er bereits in der ersten Strophe angelegt ist. Das ganze Bild ist erfüllt von dem Glänzen der goldenen Morgensonne und ihrem »herzerquickenden lieblichen Licht«. Ihre »Freude« und ihre »Wonne« spiegeln sich auf den Gesichtern der Kinder, die - »munter und fröhlich« - von einer Anhöhe aus das Naturschauspiel erleben. Von dort »schauen [sie] den Himmel«, der etwa die Hälfte des Bildes einnimmt; sie blicken ins Tal mit seinem geschäftigen Treiben und weit ins Land hinein. Hier gelingt es dem erfahrenen Landschaftsmaler Ludwig Richter auch als Zeichner, die Geschöpfe Gottes in vollkommener Weise miteinander zu verschmelzen. In Stubbes Ludwig Richter Album trägt die Szene mit den staunenden Kindern auf dem Ausguck den prosaischen Titel »Guck in die weite Welt«. Ob Gerhardts beliebtes Morgenlied schon vom Künstler selbst bzw. von seinen 36 Vgl. Anm. 39. 37 Vgl. Anm. 33. 38 Vgl. Stubbe I, 165 mit dem Titel »Guck in die weite Welt«. 39 Aus: Die gute Einkehr (Anm. 1), S. 15. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 430 Abb. 22.12 Verlegern dem Bild zugeordnet wurde oder erst 60 Jahre später für »Die Blauen Bücher«, konnte ich bisher nicht ermitteln. In jedem Fall ist die Verbindung überaus stimmig. Geh aus mein Herz u. suche Freud ’ / In dieser lieben Sommerszeit. Das Sommerlied (Abb. 22.1) 40 erschien zuerst in einer Mappe von neun Einzelblättern plus Titelgraphik: Der Sonntag in Bildern von Ludwig Richter. Dresden, Verlag von J. Heinrich Richter. Dresden, C. C. Meinhold & Söhne, K. Hofbuchdruckerei. [1861]. 41 Die neun Bilder schildern detailliert und bis auf zwei Bibelsprüche fast ganz ohne Worte das trauliche Familienleben an einem Sonntag im Biedermeier. Der Holzschnitt »Geh aus mein Herz« hat seinen Platz auf der Höhe des Tages genau zwischen Hausandacht, Kirchgang, Predigt, Krankenbesuch und »Besuch auf dem Lande«, »Vesper«, »Heimkehr«, »Gute Nacht«. Er zeigt den fröhlichen Aufbruch einer jungen Familie in den Sonntagsausflug. Direkte Anspielungen auf die bilderreichen 15 Strophen von Paul Gerhardt gibt es wenige. Zwar steht der Kirschbaum voller Laub - attraktiv sind aber vor allem die Früchte daran. Nicht Tulpen und Narzissen blühen am Zaun, sondern eine Sonnenblume. Die Entenmutter - nicht die Glucke - »führt ihr Völklein aus«. Auch kommt nicht »der schnelle Hirsch, das leichte Reh«, sondern der Hund froh aus dem Haus - nicht »aus der Höh« - »ins [tiefe] Gras gesprungen«. Richter geht es nicht um eine Illustration des Textes, sondern die zitierten Anfangsverse von Paul Gerhardt lassen in seiner Fantasie ein heiteres, sehr diesseitiges Sommerbild entstehen, das die Grundstimmung des Liedes trifft. Nur der Kirchturm ganz in der Ferne mag auf die geistlich-eschatologische Tiefenschicht des Liedes verweisen, in dem hinter den schönen Naturbildern auch der »gute Baum«, die »schöne Blum« und die »Glaubensfrüchte« in »Christi Garten« aufleuchten. Sollt ich meinem Gott nicht singen So markant, wie sich die Schlusszeile »Gieb dich zufrieden! « (S. 428 f.) einprägt, ist auch der viel zitierte Kehrreim aus Gerhardts Loblied Sollt ich meinem Gott nicht singen: 40 Aus: Die gute Einkehr (Anm. 1), S. 35. Vgl. Stubbe I, 214; vgl. auch die in einigen Details abweichende Zeichnung (Feder und Pinsel über Bleistift) der Sammlung Dräger in: Heise (Anm. 13), S. 73, 134 f., sowie in: Heise (Hg.), Zum Sehen geboren. Handzeichnungen der Goethezeit und des 19. Jhs. (2007), S. 268. Die Lesart »Sommerszeit« verrät, dass Richter das Lied in der seit Ebeling tradierten Fassung kannte, an der sich auch die Gesamtausgaben orientierten. 41 Vgl. Stubbe I, 209 - 218. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 432 Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb ’ in Ewigkeit. Das geflügelte Wort, das sich an Prediger 3 anlehnt, bildet den Abschluss einer mit 50 Holzschnitten illustrierten Märchensammlung für Kinder: Es war einmal: Ein Bilderbuch von Dresdner Künstlern. Dresden, Verlag von J. Heinrich Richter. Druck von E. Blochmann und Sohn. [1862] 42 Nach 49 kleinformatigen Bildern zu sieben bekannten Märchen der Brüder Grimm und mehreren Gedichten schließt der Band mit einem Holzschnitt, der oben und unten von Gerhardts vielzitiertem Zweizeiler eingerahmt wird (Abb. 22.13). 43 Die Darstellung ist leicht zu beschreiben, schwerer zu deuten: Ein alter Mann sitzt an einem kleinen Tisch zwischen Fenster und Kachelofen. Die Wanduhr - Symbol der Zeit und der Vergänglichkeit - zeigt Punkt acht Uhr. Die Gewichte sind aufgezogen, das Pendel schlägt aus: tempus fugit, die Zeit verrinnt. Es muss kalt sein, der Mann trägt im Zimmer eine Kopfbedeckung und hat den Mantelkragen hochgeschlagen. Die Katze hat sich unter dem Ofen verkrochen. Der Holzkorb ist leer. Leicht vorgebeugt liest der Mann in einem dicken Buch. Ein Märchenbuch? Ein Gesangbuch oder gar Pauli Gerhardi Geistliche Andachten? Darüber kann man nur spekulieren. Auch die zwölf Strophen von Sollt ich meinem Gott nicht singen enthalten wenig Anhaltspunkte. Ich entscheide mich für die Bibel, die in Strophe 4 des Liedes als Gottes Wort angesprochen wird, überlasse dem Jubilar und Widmungsträger die weitere Deutung und wünsche ihm mit Gerhardts Dichtkunst weiterhin Gottes reichen Segen. [4.] Seinen Geist, den edlen Führer, Gibt er mir in seinem Wort, Daß er werde mein Regierer Durch die Welt zur Himmelspfort, Daß er mir mein Herz erfülle Mit dem hellen Glaubenslicht, Das des Todes Macht zerbricht Und die Hölle selbst macht stille. Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit. 42 Vgl. Stubbe II, 1594 - 1620. 43 Vgl. Stubbe II,1620. Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter 433 Abb. 22.13 Nachwort Hier endete mein Beitrag für die Festschrift der Paul Gerhardt-Gesellschaft zum 80. Geburtstag ihres Ehrenpräsidenten Christian Bunners. Doch so wie mich der Zufall auf dem Sylter Flohmarkt auf hymnologische Entdeckungsreise schickte, hielt er kurz vor Drucklegung dieses Sammelbandes eine weitere Überraschung für mich bereit. Auf der Suche nach bibliographischen Daten stieß ich im Internet auf eine »[um 1865]« in Leipzig gedruckte Ausgabe von Richters Bilderbuch Es war einmal. Bisher hatte ich nicht in Erfahrung bringen können, welchem literarischen Text der in Stubbes Richter-Album an letzter Stelle stehenden Holzschnitt zuzuordnen war, zumal der nachdenkliche alte Mann mit dem Spruchband »Alles Ding währt seine Zeit . . .« in späteren Ausgaben durch ein heiteres Motiv Äpfel pflückender Kinder ersetzt wurde. 44 44 Vgl. Insel-Bücherei Nr. 360 (ab ca. 1923) u. ö., S. 73. Unter dem Bild auf der letzten Seite steht der harmlose Kinderreim »Die Geschichte ist aus, / Gehet alle nach Haus / und haltet einen Schmaus« etc. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 434 Würde ein Blick in die im Internet offerierte Ausgabe Es war einmal: Ein Bilderbuch von Ludwig Richter und A.[lbert] Zeh. Dresden, Verlag von J. H. Richter. Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig. [um 1865] Klärung bringen? Da das Buch von einem Lübecker Antiquariat angeboten wurde, war die Antwort schnell gefunden. Als ich das Büchlein in Händen hielt, entdeckte ich auf der letzten Seite nicht nur die gesuchte Abbildung mit Gerhardts eindrücklichem Kehrvers, sondern selbigen sechs weitere Mal im zugeordneten Text, darunter als Überschrift und als abschließendes Reimpaar. Der Doppelvers bildet also nicht nur den Rahmen des Bildes, sondern auch den einer bewegenden Erzählung von einem Mann, der nach lange erlittenem Unrecht späte, aber nicht zu späte Genugtuung erfuhr. In Zeiten der Not trösteten ihn zusätzlich Zeilen aus Gerhardts Abendlied (Nun ruhen alle Wälder, 2.4 - 6) - ein weiteres Beispiel für die geradezu selbstverständlich anmutende Rezeption des Barockdichters: [. . .] der Tag seines Lebens hatte sich geneigt, die Sonne seines Glückes war untergegangen, seine Eltern todt, seine Freunde todt; - doch er war n i c h t allein; es hieß bei ihm: Fahr ’ hin, ein ’ andre Sonne, Mein J e s u s, meine Wonne, Gar hell in meinem Herzen scheint. Die Frage nach dem Buch, in dem der Mann unter dem Pendel der Wanduhr liest, lässt sich nach Lektüre der zugehörigen Geschichte leichter beantworten. Ein Märchenbuch ist es nicht, auch nicht die Bibel, eher wohl ein Andachts-, Gebet- oder Gesangbuch, das der Mann in Richters Bild, aber wohl auch der Mann in der Erzählung für seinen Abendsegen aufgeschlagen hat. Denn so endet die Geschichte: Nun war er von allen Sorgen frei [. . .] und sein Herz war voll Dank; jeden Abend aber, wenn er seinen Abendsegen las, schloß er mit den Worten: Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb ’ in Ewigkeit! - Nach diesem Fund ist es nicht verwunderlich, dass nicht nur auf dem Sylter Flohmarkt, sondern auch in einem Antiquariat in der Lübecker Altstadt ein Richter-Buch seinen Besitzer wechselte. Paul Gerhardt im Werk von Ludwig Richter 435 Abb. 23.1: Evangelisches Gesangbuch (EG) 1993 23 »I denne fagre sumarstid gå ut, mi sjel . . .« Paul Gerhardt in skandinavischen Gesangbüchern Kein anderer deutscher Dichter von geistlichen Liedern ist so stark verbreitet wie Paul Gerhardt, nicht einmal Luther. Gerhardts Lieder wurden praktisch in alle Sprachen übersetzt. Sie werden bis heute weltweit gesungen, in allen Konfessionen, in allen Ländern. Ihre Wirkung ist auch in der Kirchenmusik, in der Andachts- und in der Weltliteratur, ja sogar in der Bildenden Kunst bis heute zu spüren. »Gerhardt als Rezeptionsphänomen umfassend und detailliert zu untersuchen, wäre eine Aufgabe, der sich die Hymnologie erst noch stellen müsste«, fordert Andreas Marti. 1 Mein kurzer Beitrag über Gerhardt-Lieder in skandinavischen Gesangbüchern soll zu dieser Aufgabe ein Baustein sein. Skandinavien nimmt in der internationalen Rezeptionsgeschichte Paul Gerhardts eine bemerkenswerte Stellung ein. Bereits in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts erschienen die ersten dänischen und schwedischen Übersetzungen: in den Gesangbüchern des Bischofs von Odense Thomas Kingo (1681) und des schwedischen Erzbischofs Haquin Spegel (1686). So wurden Gerhardts berühmte Morgen- und Abendlieder Wach auf, mein Herz, und singe und Nun ruhen alle Wälder bereits kurz nach seinem Tode (1676) auf dänisch und schwedisch gesungen. Einige dieser frühen Übersetzungen haben bis heute überlebt, wenn auch in immer wieder neuen Bearbeitungen und Verbesserungen. Andere wurden in den folgenden Jahrhunderten durch neue Übertragungen und Nachdichtungen abgelöst und ergänzt. Für Deutschsprachige, die Gerhardts Texte weitgehend (wieder! ) in den Originalfassungen singen, ist es ein faszinierender Gedanke sich vorzustellen, dass sich in anderen Sprachräumen theoretisch jede Generation »ihren« Paul Gerhardt ästhetisch und theologisch neu aneignen kann. Das birgt Risiken, aber auch Chancen. Vor allem hat man die Möglichkeit der Revision, ohne gleich in Druckfassung eines Vortrags bei der Konferenz der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie (Trondheim/ Norwegen 31.7.2007). Siehe BibAK 31 (2007/ 08 und 2010). 1 Marti, Warum Paul Gerhardts gedenken? (2006), S. 7. den Verdacht der Denkmalschändung zu geraten. Von dieser Chance haben die Kommissionen der aktuellen amtlichen Gesangbücher der evangelisch-lutherischen Kirchen in Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland in unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht. Ich habe Den Svenska Psalmboken 1986 (S), 2 das Svensk Psalmbok 1986 (SF - das schwedische Gesangbuch für die evangelisch-lutherische Kirche in Finnland), das Norsk Salmebok 1985 (N) mit dem Ergänzungsheft Salmer (1997) und Den Danske Salmebog 2003 (DK) sowie ihre jeweiligen unmittelbaren Vorgänger auf Paul Gerhardt-Lieder untersucht und zunächst die statistischen Ergebnisse in der Synopse aufgelistet (Tab. 23.1). Insgesamt enthalten die vier evangelisch-lutherischen skandinavischen Gesangbücher von 1985 bis 2003 21 verschiedene Lieder von Paul Gerhardt (27 Nummern einschließlich der alternativen Text- und Melodiefassungen, vgl. Tab. 23.1). 3 Das ist ein lebendiges Zeugnis einer über 300-jährigen Wirkungsgeschichte, auch im Vergleich mit den Kirchen und Freikirchen im deutschen Sprachraum. Das Evangelische Gesangbuch (EG) enthält im Stammteil 26 Gerhardt-Lieder (drei weitere in Regionalteilen), das Reformierte Gesangbuch der Schweiz (RG) 27 (davon drei, die nicht im EG stehen). 4 Mennoniten, Baptisten und Methodisten nahmen 21 bis 22 Lieder auf. 5 Von den insgesamt 32 gegenwärtig im deutschen Sprachraum nachgewiesenen sind 19 in allen untersuchten protestantischen Gesangbüchern zu finden. Auf katholischer Seite sieht es anders aus. Im Gotteslob und im katholischen Gesangbuch der deutschsprachigen Schweiz ist Paul Gerhardt nur 4bzw. 5-mal vertreten, aber bei den 2 Den Svenska Psalmboken med Tillägg (2002) ist ein Verlagsprojekt ohne Autorisierung der lutherischen Kirche (Svenska Kyrka). In dem Anhang von 100 überwiegend neuen geistlichen Liedern befindet sich keins von Paul Gerhardt. 3 Die Gesangbücher Finnlands und Islands konnten von mir aus sprachlichen Gründen nicht näher untersucht werden. Dem Verfasserverzeichnis zufolge enthält das Gesangbuch der evangelisch-lutherischen Kirche Islands Sálmabók íslensku kirkjunnar (1997) 8 Lieder von Paul Gerhardt, davon 3 in zeitgenössischen Übersetzungen. Nach der Tagung in Trondheim 2007 hat Erkki Tuppurainen freundlicherweise auch die Gerhardt-Lieder im finnischsprachigen evangelisch-lutherischen Gesangbuch für die Druckfassung meines Vortrags aufgelistet (Tab. 23.2). Demnach gibt es im offiziellen Suomen evankelis-luterilaisen kirkon Virsikirja (1986) 13 Lieder von Gerhardt in 15 Fassungen, davon zwei, die in den vier skandinavischen Gesangbüchern fehlen: Gott Vater, sende deinen Geist und Wir singen dir, Immanuel (vgl. Tab. 23.1 und 23.2 auf S. 452 und S. 453). Die Zahl der zwischen 1985 und 2003 in den Gesangbüchern der nordischen Länder (ohne Island) überlieferten Gerhardt-Lieder erhöht sich somit auf 23. 4 Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz (1998). 5 Mennonitisches Gesangbuch (2004). - Feiern und Loben. Die Gemeindelieder (2003). - Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche (2002). Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 438 deutschen Alt-Katholiken und bei den Schweizer Christkatholiken immerhin 10bzw. 13-mal. 6 Jedenfalls zeigt der statistische Vergleich, dass Paul Gerhardt in den skandinavischen Gesangbüchern gut vertreten ist und dass die liedökumenischen Gemeinsamkeiten zwischen den protestantischen Kirchen des deutschen und des skandinavischen Sprachraums diesbezüglich größer sind als zwischen den Protestanten und Katholiken deutscher Zunge. Dies ist bei der lutherischen und pietistischen Kirchenliedtradition des Nordens vielleicht nicht überraschend, angesichts des Transfers in andere Sprachen dennoch bemerkenswert. Im Folgenden werden die einzelnen skandinavischen Gesangbücher, die Liedauswahl und ihre Übersetzungen genauer betrachtet. I. Dänemark Den Danske Salmebog 2003 - königlich autorisiert am 29.7.2002 - führt mit 15 Liedern und 18 Nummern die skandinavische Gerhardt-Liederliste an. Ist Gott für mich, so trete wurde nicht nur in Brorsons ursprünglicher Übertragung von 1735, sondern auch in deren späterer Bearbeitung (1850) übernommen. Befiehl du deine Wege erscheint gleich in drei mehr oder weniger wortgetreuen Nachdichtungen aus dem 19. Jahrhundert - die letzte von Grundtvig 1855. Alle drei Übersetzungen befanden sich auch in dem Gesangbuchvorgänger von 1953. Es ist der einzige mir bekannte Fall, bei dem ein Lied offensichtlich bewusst in drei Textversionen tradiert wird - welch eindrucksvoller Beweis für die Beliebtheit von Gerhardts Trostlied in Dänemark! Für die Rezeption der Lieder Paul Gerhardts sind die eigenständigen Übertragungen von Hans Adolph Brorson (1694 - 1764) von größter Bedeutung. Sieben befinden sich noch im neuen dänischen Gesangbuch, sechs im norwegischen. Es ist vor allem Steffen Arndals Verdienst, Brorson als den großen dänischen Kirchenlieddichter zwischen Thomas Kingo (1634 - 1703) und Nikolaj F. S. Grundtvig (1783 - 1872) von dem Vorurteil einfältiger nationaler Enge, das ihm lange anhaftete, befreit zu haben. Brorson verbindet Gerhardts Theologie und barocke Dichtkunst mit seiner eigenen pietistischen Frömmigkeit und einer durch die dänische Kirchenliedtradition geprägten Sprache und entwickelt daraus eine spezifische Metaphorik. 7 6 Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch (1975). Zahlreiche Diözesanausgaben mit eigenem Liederteil ab Nr. 792. - Katholisches Gesangbuch. Gesang- und Gebetbuch der deutschsprachigen Schweiz (1998). - Eingestimmt. Gesangbuch des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland (2003). - Gebet- und Gesangbuch der Christkatholischen Kirche der Schweiz (2004). - [Das neue Gotteslob (2013) enthält im Stammteil jetzt 7 Gerhardt-Lieder, außerdem zusätzliche Strophen bei den Liedern, die bereits im Gotteslob 1975 standen.] 7 Vgl. Arndal, H. A. Borson og tysk pietistisk vækkelsessang, Diss. Odense 1989. Paul Gerhardt in skandinavischen Gesangbüchern 439 Abb. 23.2: Den Danske Salmebog 2003 Die meisten Gerhardt-Lieder werden auch in Dänemark zu den bereits von Crüger und Ebeling komponierten oder zugewiesenen vertrauten Weisen gesungen. Doch es gibt einige sehr schöne Ausnahmen. Für Gerhardts berühmtes Sommerlied Geh aus, mein Herz, und suche Freud musste auch im deutschen Sprachraum lange nach einer geeigneten Melodie gesucht werden, bevor sie Anfang des 19. Jahrhunderts in August Harders volkstümlicher Weise gefunden wurde. Obwohl sie durch die - aus heutiger Sicht - zum Purismus neigenden Väter des EKG über 40 Jahre lang aus dem deutschen Gesangbuch vertrieben worden war, 8 überlebte sie in der Singpraxis und bekam mit dem EG (Abb. 23.1) wieder offizielle Anerkennung. Zusammen mit dem Text ist sie zu einem echten Volkslied geworden, das auch Menschen kennen, lieben und singen, die nicht oder wenig zur Kirche gehen. Die so beliebte Melodie, die im deutschen Sprachraum wohl auch künftig mit dem Lied verbunden bleiben wird, findet sich aber in keinem der untersuchten skandinavischen Gesangbücher. In Dänemark, Norwegen, Schweden und im schwedischsprachigen Finnland wird die Melodie gesungen, die der große Theologe und Erzbischof von Uppsala, der spätere Friedensnobelpreisträger Nathan Söderblom (1866 - 1931), 1916 dem Gerhardt-Lied gab. Christian M. Kragballe (1824 - 1897) übersetzte Gerhardts Sommerlied 1855 ins Dänische: Gak ud, min sjæl, betragt med flid / i denne skønne sommertid / Guds underfulde gaver! Es ist - mit 8 von 15 Strophen des Gerhardtschen Originals - das einzige Lied des jütländischen Liederdichters und Übersetzers im Danske Salmebog von 2003 (Abb. 23.2). Bernt Støylen (1858 - 1937) übertrug das Sommerlied 1923 ins Norwegische: I denne fagre sumarstid / gå ut, mi sjel, og gled deg i / vår Herres store under! (Abb. 23.3). Und die schwedische Kirchenlieddichterin Britt G. Hallquist (1914 - 1997) sorgte 1980 für eine zeitgemäße Auffrischung der bereits im 19. Jahrhundert bearbeiteten Übersetzung von Joachim von Düben (1671 - 1730) aus dem Jahre 1725: I denna ljuva sommartid/ gå ut, min själ, og gläd dig vid/ den store Gudens gåvor (Abb. 23.4). 9 II. Norwegen Das Norsk Salmebok 1985 - königlich autorisiert am 29.6.1984 - enthält 9 Lieder von Paul Gerhardt in 10 Übersetzungen. 6 wurden aus dänischen Gesangbüchern übernommen und überarbeitet: neben den 4 von Brorson - darunter Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld und Wie soll ich dich empfangen - je eine 8 Vgl. EKG 371 zur Melodie »Heut singt die liebe Christenheit« von Nikolaus Herman 1560. 9 Bei der Präsentation in Trondheim wurden einige Strophen von Tagungsteilnehmern auf dänisch, norwegisch und schwedisch vorgetragen, um die Schönheit des Textes auch in den Übersetzungen spüren zu können, und danach vom Auditorium mehrsprachig auf Söderbloms Melodie von 1916 gesungen (vgl. Abb. 23.2 - 4). Paul Gerhardt in skandinavischen Gesangbüchern 441 Übertragung aus der Barockzeit (O Haupt voll Blut und Wunden 1718) von Frederik Rostgård (1671 - 1745) und aus der Romantik (Fröhlich soll mein Herze springen 1878) von Carl Joakim Brandt (1817 - 1889). Während im dänischen Gesangbuch für das letztgenannte Lied die bekannte Crügersche Melodie (1653) verwendet wird, finden wir im Norsk Salmebok (Nr. 39) eine weniger › springende ‹ , aber durchaus angemessene Weise des Norwegers Per Steenberg (1879 - 1947) von 1922. Die vier übrigen Texte beziehen sich nicht auf dänische Vorlagen, sondern sind originale Übersetzungen bedeutender norwegischer Kirchenlieddichter. Der Herausgeber des ersten amtlichen norwegischen Gesangbuchs von 1869, Magnus B. Landstad (1802 - 1880), übersetzte 1861 die 12 Strophen von Befiehl du deine Wege unter Beibehaltung des Spruchakrostichons: Velt-På Herren- Din-Vei-Og-Håp-På-Ham-Han-Skal-Det-Gjør e[n] (Ps 37,5). Das ist nur in ganz wenigen Sprachen gelungen. Aber offensichtlich wurde seine Übertragung Abb. 23.3: Norsk Salmebok 1985 Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 442 aufgrund dieses Formzwangs doch als mangelhaft empfunden. Denn 1923 überarbeitete Anders Hovden (1860 - 1943) die Übersetzung Landstads und opferte dabei das Akrostichon. Beide Fassungen erscheinen (mit allen 12 Strophen) im norwegischen Gesangbuch 1985 (Nr. 460/ 461) zu der berühmten Melodie von Hans Leo Haßler, heute allgemein mit O Haupt voll Blut und Wunden verbunden. Aber Bach wählte die Lehnmelodie in der Matthäuspassion auch für Befiehl du deine Wege: beim Verhör des Pilatus (Nr. 53). Zusammen mit den drei Übersetzungen aus dem Danske Salmebog stehen also in Dänemark und Abb. 23.4: Den Svenska Psalmboken 1986 Paul Gerhardt in skandinavischen Gesangbüchern 443 in Norwegen z.Zt. fünf Fassungen zur Verfügung. Welche wirklich gesungen werden, müsste eine Erhebung klären. 10 Der produktive norwegische Liederdichter Bernt Støylen - er ist mit 20 eigenen Texten und 53 Übersetzungen im Gesangbuch vertreten - übersetzte im 20. Jahrhundert nicht nur Gerhardts Sommerlied, sondern auch dessen berühmtes Abendlied neu (Nr. 804). In Dänemark wird Nun ruhen alle Wälder dagegen bis heute in der ältesten Übersetzung von Peter Møller (1682) gesungen (Nr. 759). Überraschenderweise findet sich in dem offiziellen Ergänzungsheft zum Norsk Salmebog (Salmer 1997) mit überwiegend neuen geistlichen Liedern ein weiterer Gerhardt-Text, den ich in keinem anderen skandinavischen Gesangbuch (wohl aber im offiziellen finnischen) gefunden habe: Ich steh an deiner Krippen hier, / o Jesu, du mein Leben zur Melodie aus dem Schemelli-Gesangbuch von 1736, die traditionsgemäß Bach selbst zugeschrieben wird. Die Übersetzung stammt von Johannes Smemo (1898 - 1973). Der norwegische Bischof trat in den 1960er Jahren als Übersetzer alter und zeitgenössischer Lieder aus Schweden, England und Deutschland hervor, von denen 17 ins amtliche Gesangbuch von 1985 aufgenommen wurden. Heute ist es kaum noch vorstellbar, dass Gerhardts Krippenlied es auch in Deutschland schwer hatte, in die offiziellen Gesangbücher einzuziehen. Aber jetzt gehört es zu den vier Liedern, die in allen deutschsprachigen Gesangbüchern stehen, auch in den katholischen. In Gotteslob ist der Text noch mit Luthers Melodie »Es ist gewisslich an der Zeit« (1529) verbunden, wie es auch zur Bachzeit üblich war und wie wir das Lied aus dem 6. Teil des Weihnachtsoratoriums im Ohr haben. In vier Diözesananhängen erscheint der Text zusätzlich mit der innigen, arienhaften Melodie aus dem Schemelli-Gesangbuch. 11 Die norwegische Kommission, die das Ergänzungsheft 1997 konzipierte, befindet sich mit ihrer Entscheidung also in guter ökumenischer Gemeinschaft. 12 III. Schweden Wie bereits erwähnt, liegen uns in schwedischer Sprache zwei amtliche evangelisch-lutherische Gesangbücher vor. Den Svenska Psalmboken von 1986 10 Die dänischen Tagungsteilnehmer in Trondheim erklärten, dass alle drei Fassungen in ihrem neuen Gesangbuch in Gebrauch seien, wobei die älteste (Nr. 36, Stener J. Stenersen 1826/ Wilhelm A. Wexels 1840) zu Haßlers Melodie sehr beliebt bei Trauergottesdiensten sei. Wenn dieser Text überhaupt im Sonntagsgottesdienst gesungen würde, dann nur zu einer anderen Melodie. 11 [Im Stammteil des neuen Gotteslob 2013 (GL 256) wird Ich steh an deiner Krippe hier nun mit der Melodie von Bach/ Schemelli verbunden.] 12 [Das neue Norsk Salmebog (2013) enthält noch 8 Gerhardt-Übersetzungen, darunter Ich steh an deiner Krippen hier (Nr. 34), ebenfalls zur Melodie von Bach/ Schemelli.] Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 444 enthält 8 Lieder von Paul Gerhardt. 13 Das Svensk Psalmbok för den evangelisklutherska kyrkan i Finland, ebenfalls von 1986, hat zwei zusätzliche Lieder von finnlandschwedischen Übersetzern: das Osterlied Nun freut euch hier und überall (Johan Ludvig Runeberg 1855) und das Lob- und Danklied Sollt ich meinem Gott nicht singen (Alfons Takolander 1927) zu der Melodie von Johann Schop. Die Nachdichtungen spiegeln eine lange Rezeptionsgeschichte. So erscheint die schon genannte älteste Übersetzung von Nun ruhen alle Wälder (Spegel 1686) in einer Bearbeitung durch Britt G. Hallquist (1978) genau 300 Jahre später in beiden Gesangbüchern: Nu vilar folk och länder. Sie ist näher an Gerhardts Text und trifft auch seinen persönlichen Ton. Zugleich versucht Hallquist, die in Schweden vertrauten ursprünglichen Formulierungen Spegels beizubehalten. Dieser Spagat scheint ihr weitgehend zu gelingen. Der rhythmischen Fassung der berühmten Innsbruck-Weise von Isaac ist im Svenska Psalmboken noch eine begradigte Alternative beigegeben (Nr. 186 b). Der überragende schwedische Übersetzer um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war der Hymnologe, Gesangbuchherausgeber und Bischof von Karlstad, Johan Alfred Eklund (1863 - 1945). Durch ihn wurden ältere Übersetzungen abgelöst bzw. ergänzt. Unter seinen zahlreichen Liedern in den beiden aktuellen schwedischsprachigen Gesangbüchern befinden sich auch die zu den Gerhardt-Vorlagen Ich singe dir mit Herz und Mund, Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld und Ist Gott für mich, so trete / gleich alles wider mich. IV. Die beliebtesten Gerhardt-Lieder in Skandinavien Alle bisher vorgestellten Lieder sind heute auch noch in deutschsprachigen Gesangbüchern vertreten - allerdings in sehr unterschiedlicher Häufigkeit. Nur ein einziges Lied steht wirklich in allen hier untersuchten Gesangbüchern: das u. a. durch Bachs Matthäuspassion weltberühmt gewordene Passionslied O Haupt voll Blut und Wunden. Drei weitere Lieder sind allen deutschsprachigen Gesangbüchern gemeinsam: Ich steh an deiner Krippen hier, Lobet den Herren alle, die ihn ehren und Nun danket all und bringet Ehr. Zwar wurde das Weihnachtslied 1997 in das norwegische Ergänzungsheft aufgenommen, aber die beiden Lob- und Danklieder, die sich bei uns auch wegen der Crügerschen Chorsätze großer Beliebtheit erfreuen, kommen in keinem offiziellen skandinavischen Gesangbuch vor. Dort sind die natur- und lebensnahen, volksliedhaften, aber dennoch geistlichen Gesänge Nun ruhen alle Wälder und Geh aus 13 Davon befinden sich 5 im ökumenischen Teil (Nr. 1 - 325), auf den sich 15 Kirchen und kirchliche Gemeinschaften in Schweden einschließlich der Katholiken verständigt hatten. Paul Gerhardt in skandinavischen Gesangbüchern 445 mein Herz am häufigsten. Sie fehlen dagegen in fast allen katholischen Gesangbüchern des deutschen Sprachraums, obwohl sie bei Umfragen fast jeder kennt, ohne meistens den Namen des Dichters nennen zu können. Überraschenderweise sind die beiden anderen Lieder, die in allen skandinavischen lutherischen Gesangbüchern der Gegenwart zu finden sind, Brorsons bzw. Eklunds Übersetzungen von Ist Gott für mich, so trete und Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld. Letzteres wurde zum ersten Mal bereits im Todesjahr von Paul Gerhardt 1676 von Ericus L. Norenius (1635 - 1696) ins Schwedische übersetzt, hat also eine lange Übersetzungstradition; und Brorsons dänische Nachdichtung wird auch in Norwegen gesungen. Im deutschen Sprachraum ist Gerhardts einst so beliebtes und heute theologisch wie sprachlich umstrittenes Passionslied nur noch im EG zu finden, in keinem schweizerischen, in keinem freikirchlichen und schon gar nicht in einem katholischen Gesangbuch - aber eben in den skandinavischen Gesangbüchern. Es ist wirkungsgeschichtlich also hochinteressant, unter den skandinavischen Übertragungen Gerhardt-Lieder zu entdecken, die aus den deutschsprachigen Gesangbüchern verschwinden. Ja, es gibt in den nordischen Ländern sogar einige, die im deutschen Sprachraum schon sehr lange ausgeschieden sind oder nie richtig Fuß fassen konnten. Dafür zum Schluss vier Beispiele: Schon jetzt müssen Gerhardt-Liebhaber nach Skandinavien reisen, um einige seiner Lieder wenigstens in einer Fremdsprache singen zu können, z. B. in den Übersetzungen Grundtvigs im dänischen Gesangbuch. Dort finden wir eine stark verkürzte Nachdichtung von Gerhardts 17-strophigem Ehestandslied aus der Ebelingschen Gesamtausgabe, das nur selten den Weg in ein deutsches Gesangbuch fand (Voller Wunder, voller Kunst, / voller Weisheit, voller Kraft). 14 Und dort entdecken wir auch zwei kaum erkennbare Strophen aus dem einst sehr beliebtem Pfingstlied O du allersüß ’ ste Freude (1647), das eine kuriose Wanderung durch halb Europa antrat, bis es im dänischen Gesangbuch landete. Dies sind die Stationen der hymnologischen Reise: Der aus Deutschland stammende Pastor Johann Christian Jacobi (1670 - 1750) fertigte 1722 in London für die German Lutheran Royal Chapel, die Queen Anne für ihren dänischlutherischen Gemahl eingerichtet hatte, die erste überaus dürftige englische Übersetzung der 10 Strophen von Paul Gerhardt. Jeweils ca. 50 Jahre später wurde sie zunächst von seinem reformierten Londoner Kollegen Augustus Montague Toplady (1776), dann erneut von dem anglikanischen Pfarrer Edward Bickersteth (1833) überarbeitet. Aus dieser kaum noch an das Original erinnernden Vorlage fertigte Grundtvig 1837 seine Fassung, die noch immer im dänischen 14 Vgl. DEG-N 497 (Rubrik »Haus und Beruf«), 14 von 17 Str. zur Melodie von Ebeling 1666. Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 446 Gesangbuch steht: Helligånd, vor sorg du slukke (DK 308). Sie hat mit der 10strophigen Übersetzung von Brorson 100 Jahre vorher O du sjælens største glæd (O du allersüß ’ ste Freude) so gut wie nichts gemeinsam. Doch scheint es sich bei diesen beiden Liedern um dänische Außenseiter zu handeln. Ganz anders steht es um das aus den deutschsprachigen Gesangbüchern schon lange verbannte Lied Weg, mein Herz, mit den Gedanken auf die Genfer Psalmmelodie »Wie nach einer Wasserquelle«. Biblische Grundlage sind die Gleichnisse vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Groschen und vom verlorenen Sohn aus Lk 15, besonders Vers 10: »So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut«. Das Lied war seit der Praxis Pietatis (1647) im 17. und 18. Jahrhundert stark verbreitet, tauchte aber nur noch vereinzelt in Gesangbüchern des 19. und gar nicht mehr in denen des 20. Jahrhunderts auf. Dennoch wird es von Theodor Fontane in der Katte-Tragödie zitiert: 15 Weil der junge Leutnant Hans Hermann von Katte (1704 - 1730) einen missglückten Fluchtversuch des 19-jährigen Kronprinzen Friedrich, dessen Günstling und Freund er war, unterstützt hatte, sollte er auf Befehl des gestrengen › Soldatenkönigs ‹ Friedrich Wilhelm I. »vor den Augen des Kronprinzen« (S. 845), des späteren Friedrich des Großen, enthauptet werden. Bei der Überführung des Delinquenten auf die Festung Küstrin drei Tage vor der Hinrichtung »begann der [ihn begleitende] Feldprediger ein Singen und Beten, und besonders war es das Lied: › Weg, mein Herz, mit den Gedanken ‹ , was eines Eindrucks auf Katte nicht verfehlte« (S. 846). Am letzten Tag der Überführung regnete es. Als sich der Leutnant der Oderbrücke in Küstrin näherte, »ließ [der Regen] nach und die Sonne trat hervor. › Das ist mir ein gutes Zeichen ‹ , sagte er, › hier wird meine Gnadensonne anfangen zu scheinen. ‹ « (S. 849). Möglicherweise spielt Katte unter Bezugnahme auf das zuvor geführte Gespräch damit auf ein anderes Paul Gerhardt-Lied an: Nun laßt und gehn und treten (EG 58), dessen 11. Strophe lautet: »Sprich deinen milden Segen / zu allen unsern Wegen, / laß Großen und auch Kleinen / die Gnadensonne scheinen.« Über die letzten Lebensstunden am 6. November 1730 ist bezeugt, dass Katte Gerhardts Buß- und Trostlied zusammen mit seinen Begleitern wiederholt gesungen hat. Denn kurz bevor er dem Scharfrichter zugeführt wurde, so heißt es, schenkte er seine Bibel »dem Corporal, welcher sehr fleißig mit ihm gesungen und gebetet, insonderheit das oben benannte Lied [Weg, mein Herz, mit den Gedanken], so oft er ohne den Prediger allein gewesen« (S. 851). 15 Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg, S. 831 - 870. Siehe QV, Werkausgaben. Paul Gerhardt in skandinavischen Gesangbüchern 447 Weg, mein Herz, mit den Gedanken, als ob du verstoßen wärst; bleib ’ in Gottes Wort und Schranken, da du anders reden hörst. Bist du bös ’ und ungerecht, ei, so ist Gott fromm und schlecht; hast du Zorn und Tod verdienet, sinke nicht, Gott ist versühnet. Fontane konnte das 12-strophige Lied noch im Geistlichen Liederschatz, Berlin ²1840 (Nr. 596), und im Unverfälschten Liedersegen, Berlin 1851 (Nr. 436), nachschlagen. Wir müssen Gesamtausgaben oder Anthologien heranziehen oder eben nach Dänemark oder Schweden reisen. Dort können wir das Lied, dessen Schluss-Strophe (»Mein Gott, öffne mir die Pforten«) Bach in seiner Kantate Es erhub sich ein Streit (BWV 19) verwendete, noch im gottesdienstlichen Kontext erleben. Dies ist im deutschen Sprachraum seit Verzicht auf das Glaubenstrostlied in den Gesangbüchern vor ca. 150 Jahren nicht mehr möglich. Die alte schwedische Übersetzung von Petrus Brask (um 1650 - 1690) Driv den tanken ur ditt hjärta - so das Incipit im finnlandschwedischen Gesangbuch (Nr. 258) - wurde von Jan Arvid Hellström (1941 - 1994), Professor für Praktische Theologie in Uppsala und seit 1991 Bischof in Växjö, für Den Svenska Psalmboken 300 Jahre später noch einmal ganz neu bearbeitet: Bort med tanken, sorgs na hjärta (S 241). Man wollte und konnte sich in Schweden und Finnland von dem tradierten Gleichnislied offensichtlich noch nicht trennen. Die Norweger vollzogen 1984 diesen Schritt, doch die Dänen halten beharrlich an Brorsons Nachdichtung von 1734 auch im neuen Gesangbuch fest. Desgleichen gab es von dem Lied Kommt, ihr traurigen Gemüter (Abb. 23.5) eine alte schwedische Übersetzung von Petrus Brask (1690), die Johan Olof Wallin (1779 - 1839), der bedeutendste schwedische Kirchenliederdichter seiner Zeit, 1814 bearbeitete. Eine dänische oder norwegische Übersetzung des Liedes ist mir nicht bekannt. Auch in Deutschland war es wenig verbreitet und verschwand bald ganz aus den Gesangbüchern. Und dennoch erscheint im Svenska Psalmboken eine neue Übersetzung des renommierten Liederdichters und langjährigen Vorsitzenden der Gesangbuchkommission Anders Frostenson (1906 - 2006) von 1976 (Abb. 23.6). Unter seinen 157 Liedern und Liedübersetzungen befindet sich auch dieses Gerhardtsche Trostlied über Hosea 6,1-4. Aber weder zu der Ebelingschen Weise noch zu den von Crüger angegebenen Melodien »Zion klagt mit Angst und Schmerzen« und »Werde munter, mein Gemüte« oder zu einer anderen Lehnmelodie zu dieser beliebten Strophenform, sondern zu einer schönen alten Weise aus dem schwedischen Koralbok von 1697 (vgl. Abb. 23.6). Es ist eine schwingende Moll-Melodie im barocken Arienstil à la Paul Gerhardt - ein Rezeptionsphänomen 448 Abb. 23.5: Gerhardts Lied für den Karsamstag in Ebelings Vertonung 1667 (Sopran und Alt) Abb. 23.6: Anders Frostensons Übersetzung (1976) von »Kommt, ihr traurigen Gemüter« auf eine schwedische Weise von 1697 Halle: modulierend, mit Punktierungen und Durchgängen. Sie mag der Grund für die Neuübersetzung gewesen sein. Einige der von Brask 1690 edierten Übersetzungen mit den Melodien aus dem Choralbuch von 1697 sind offensichtlich so bekannt und beliebt, dass sie in zeitgemäßen Überarbeitungen, notfalls Neuübersetzungen, weiterleben sollen. * * * * Beispielhaft habe ich versucht zu beschreiben, was in den skandinavischen Gesangbüchern der Gegenwart an eindrücklichen Spuren des größten deutschen Liederdichters der Barockzeit, Paul Gerhardt, zu entdecken ist. Auf die Frage, warum einige der im deutschen Sprachraum unverzichtbaren Lieder fehlen, dafür aber andere überraschenderweise im Norden Europas überlebt haben, können wohl nur diejenigen antworten, die in der skandinavischen Kirchenliedtradition groß geworden sind und den tatsächlichen Gebrauch der Lieder kennen. Meine Präsentation soll aber dazu anregen, sich an der Bearbeitung des eingangs zitierten Desiderats zu beteiligen, nämlich Paul Gerhardt als weltweitem Rezeptionsphänomen nachzuspüren. Die dazu nötigen Einzeluntersuchungen sind eine schier unerschöpfliche Herausforderung für alle Hymnologen. Paul Gerhardt in skandinavischen Gesangbüchern 451 Tabelle 23.1 Paul Gerhardt-Lieder in skandinavischen Gesangbüchern der Gegenwart (2007) fett = in allen skandinavischen Gesangbüchern kursiv = nicht mehr in deutschsprachigen Gesangbüchern DK = dänisches GB, N = norwegisches GB, S = schwedisches GB, SF = finnlandschwedisches GB deutsches Liedincipit Liednummer in den skandinavischen Gesangbüchern DK 2003 N 1985 S 1986 SF 1986 Befiehl du deine Wege 36, 37, 38 460, 461 Du Volk, das du getaufet bist 452 Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld 190 121 439 65 Fröhlich soll mein Herze springen 114 39 Geh aus mein Herz 726 766 200 534 Ich singe dir mit Herz und Mund 24 288 a, 288 b Ich steh an deiner Krippen hier Salmer 1997: 8 Ist Gott für mich, so trete 665, 666 324 553 259 Kommt, ihr traurigen Gemüter 541 362 Nun danket all und bringet Ehr 30 Nun freut euch hier und überall 96 Nun ruhen alle Wälder 759 804 186 a, 186 b 517 O du allersüß ’ ste Freude 308 O Haupt voll Blut und Wunden 193 150 144 60 O Jesu Christ, mein schönstes Licht 141 Sei mir tausendmal gegrüßet 207 Sollt ich meinem Gott nicht singen 262 Voller Wunder, voller Kunst 699 Weg, mein Herz, mit den Gedanken 506 241 258 Wie soll ich dich empfangen 86 7 Zeuch ein zu deinen Toren 295 452 Tabelle 23.2 Paul Gerhardt-Lieder im finnischen evangelisch-lutherischen Gesangbuch Suomen evankelis-luterilaisen kirkon Virsikirja 1986 aufgestellt von Erkki Tuppurainen (2007) fett = in allen skandinavischen Gesangbüchern (einschließlich Finnland) kursiv = nicht mehr in deutschsprachigen Gesangbüchern deutsches Liedincipit Liednummer Erstmals in einem finn. Gesangbuch Schwedischer Vermittler Melodie im gegenwärtigen Gesangbuch von 1986 Befiehl du deine Wege 379 1938 Wohlauf, ihr deutsche/ frommen Christen Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld 58 1886 An Wasserflüssen Babylon Gott Vater, sende deinen Geist 118 1886 Kommt her zu mir, spricht Gottes Sohn Ich steh an deiner Krippen hier 25 1886 Aus tiefer Not (I) Nun freut euch hier und überall 86 1886 Heikki Klemetti Nun ruhen alle Wälder 559 1686 Innsbruck, ich muss dich lassen Nun ruhen alle Wälder 560 1963 Johan Kahl Innsbruck, ich muss dich lassen O du allersüß ’ ste Freude 117 1701 Haquin Spegel eigene finnische Melodie bzw. Variante O Haupt voll Blut und Wunden 63 1886 Hans Leo Haßler O Haupt voll Blut und Wunden 64 1938 eigene finnische Melodie bzw. Variante Sollt ich meinem Gott nicht singen 270 1886 Johann Schop Weg, mein Herz, mit den Gedanken 269 1701 Petrus Brask eigene finnische Melodie bzw. Variante Wie soll ich dich empfangen 8 1886 Melchior Teschner Valet will ich dir geben Wir singen dir, Immanuel 26 1886 eigene finnische Melodie bzw. Variante Zieh ein zu deinen Toren 445 1886 eigene finnische Melodie bzw. Variante 453 VI Religion und Kirche bei Thomas Mann 24 »Was ist das? « Ein neuer Blick auf einen berühmten Romananfang und die Lübecker Katechismen »Was ist das. - Was - ist das . . .« Mit diesen zweimal drei Wörtern beginnt einer der bedeutendsten Romane des 20. Jahrhunderts, zugleich Jugend- und Meisterwerk: Thomas Manns Buddenbrooks. Die Interpunktion macht stutzig: Keine Fragezeichen, obwohl das Interrogativpronomen »Was« am Satzanfang sie eigentlich vorschreibt; dafür zwei Gedankenstriche, die diese Bezeichnung hier offensichtlich zu Recht tragen, und Punkte - zunächst einer am Satzende, bei der Wiederholung drei - , ebenfalls zur Andeutung einer Denkpause (vgl. S. 9). 1 Zweifelsohne war den Lesern der ersten Jahrhunderthälfte die berühmte, stereotyp wiederkehrende Frage aus Luthers Kleinem Katechismus bekannt. Und noch die evangelisch-lutherisch erzogene Nachkriegsgeneration hat das in fünf Hauptstücke gegliederte Elementarbuch der christlichen Glaubenslehre auswendig lernen und bei der Konfirmandenprüfung vor versammelter Gemeinde laut aufsagen müssen. Jedem, der sich dieser Gedächtnisübung unterzogen hat, klingt es im Ohr, dieses 22-fache »Was ist das? «, in der Intonation eines Aussagesatzes: »Was ist das«. So wird es auch Thomas Mann in Erinnerung gehabt haben, als er im Juli 1897 in Palestrina den Romananfang bereits wörtlich und mit der endgültigen Interpunktion notierte: Anfang / »Was ist das. - Was - ist das . . .«. 2 Und genauso hörte der alte Johann Buddenbrook in Gegenwart seiner Frau Antoinette, seines Sohnes Konsul Jean und dessen Frau Elisabeth die alte Katechismusfrage aus dem Munde seiner achtjährigen Enkeltochter Antonie im ersten Romanjahr 1835. Selbstverständlich muss der Text, auf den sich die Frage bezieht, vorweg gedacht werden. Dies ist dem Leser aber erst möglich, nachdem die Konsulin Druckfassung eines Vortrags beim Kolloquium Buddenbrooks - Neue Blicke in ein altes Buch im Buddenbrookhaus zum 100. Geburtstag des Jahrhundertromans von Thomas Mann (Lübeck 9.6.2000). Siehe BibAK 21 (2000). 1 Die Seitenangaben der Romanzitate in diesem Beitrag beziehen sich auf T. Mann, Buddenbrooks (GKFA 1.1, 2002). Siehe QV, Werkausgaben. 2 T. Mann, Notizbücher I (1991), S. 67 (Notb I, 67). Siehe QV, Werkausgaben. neun Zeilen später der Tochter eingeholfen hat: »Tony! « sagte sie, »ich glaube, daß mich Gott - «. Jetzt wird klar, dass es sich um den ersten Artikel des zweiten Hauptstücks »Vom christlichen Glauben« handelt. Vor dem Einstieg in den Roman mit der berühmten Frage hat der Leser sich also den Schöpfungsartikel aus dem apostolischen Bekenntnis vorzustellen: »Ich glaube an Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden.« 3 Das vom Erzähler mitgedachte Credo hat Johann Buddenbrook demnach im Bewußtsein, wenn er der stockenden Tony vorhält »Je, den Düwel ook, c ’ est la question, ma très chère demoiselle! « (S. 9). Die Replik, die Thomas Mann im Notizbuch von 1897 ebenfalls bereits festgehalten hat (Notb I, 67), eröffnet mehrere Deutungsmöglichkeiten. Zunächst einmal wollte der Autor seine Romanfigur Tony durch ihren Großvater wohl darauf hinweisen lassen, dass es sich bei dem dahingesagten »Was ist das? « um eine echte Frage handelt. Es ist aber auch vorstellbar, dass der 22-Jährige, der von sich selbst über drei Jahrzehnte später sagt, »daß das Buch die Spuren des jugendlichen Alters trägt, in dem es verfaßt wurde«, 4 zumindest in Kauf genommen hat, dass die Bemerkung des Großvaters auch als Infragestellung des Glaubenssatzes über Gott den Schöpfer verstanden werden konnte. Auf jeden Fall gibt der alte Buddenbrook wenig später seinem frommen Sohn Veranlassung zu dem Vorwurf: »Aber Vater, Sie belustigen sich wieder einmal über das Heiligste! « (S. 12). Heftiger reagierten einige Zeitgenossen nach dem Erscheinen des Buches auf den jungen Autor. Ein Geistlicher polemisierte 1904 in der Zeitschrift »Die Reformation«: »Der Roman beginnt eigentlich gleich mit einem Ausfalle gegen das Christentum.« 5 Worüber hatte sich das siebzigjährige Familienoberhaupt »moquiert« (S. 10), und wodurch hatte er alle Erwachsenen, vor allem seine Frau und seine Schwiegertochter, zum Lachen gebracht? Nachdem die Mutter dem auf den Knien des Großvaters sitzenden Kind mit dem Soufflieren des Anfangs von Luthers Erklärung den entscheidenden Impuls gegeben hatte, wiederholte Tony ein drittes Mal »Was ist das« [. . .] »Ich glaube, daß mich Gott« [. . .] » - geschaffen hat samt allen Kreaturen« (S. 9). Dann schnurrte sie, ohne steckenzubleiben, die ganze Erklärung des Glaubensartikels herunter. Während der Autor beschreibt, wie Tony sich fühlt, nachdem sie »auf glatte Bahn geraten« ist und nun wie auf einer unaufhaltsamen Schlittenfahrt vorankommt, läuft der Luthersche Text ungedruckt, aber im inneren Ohr des Lesers 3 Zit. nach dem Lübecker Katechismus von 1837, vgl. Abb. 24.4. In der Ausgabe von 1886 aus der Schulzeit Thomas Manns heißt es: »Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erden« (S. 39). 4 Dittmer, Buddenbrooks und die Kirche (1931), S. 67. 5 Wagner, Die Behandlung des Christentums in Thomas Manns »Buddenbrooks« (1904), S. 427. Religion und Kirche bei Thomas Mann 458 weiter: »mir Leib und Seele, Augen und Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält«. »Dazu Kleider und Schuhe«, fährt Tony für den Leser nun wieder wahrnehmbar fort, »Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker und Vieh . . .« An dieser Stelle aber bricht Johann Buddenbrook sen. in Gelächter aus. »Er lachte vor Vergnügen, sich über den Katechismus moquieren zu können, und hatte wahrscheinlich nur zu diesem Zwecke das kleine Examen vorgenommen« (S. 10). Der noch der Aufklärungsgeneration angehörende Spötter findet es offensichtlich komisch und wirklichkeitsfremd, die von Luther für den Erhalt der Schöpfung und die tägliche »Notdurft und Nahrung« als notwendig erachteten Güter, die dem Erfahrungshorizont eines achtjährigen Stadtkindes weitgehend entrückt sind, aufzählen zu lassen. Amüsiert »erkundigte [er] sich nach Tonys Acker und Vieh, fragte, wieviel sie für den Sack Weizen nähme und erbot sich, Geschäfte mit ihr zu machen« (S. 10). Während Tony, davon unbeeinträchtigt und für den Leser wiederum imaginär, die noch fehlende längere Hälfte der Lutherschen Erklärung aufsagt, beschreibt der Erzähler detailliert die anwesenden Personen und das »Landschaftszimmer« im neu bezogenen Haus in der Mengstraße, wo die Buddenbrooks an einem Donnerstag im Oktober 1835, »außer den in der Stadt ansässigen Familienmitgliedern, auch ein paar gute Hausfreunde auf ein ganz einfaches Mittagbrot gebeten« (S. 13) hatten und nun gegen vier Uhr nachmittags die Gäste erwarten. Die Ausführlichkeit der Beschreibung lässt die parallel dazu ablaufende Gedächtnisübung noch länger erscheinen, als sie in Wirklichkeit ist. Mit dieser Übertreibung parodiert Mann die aus pädagogischer und katechetischer Sicht erhebliche Länge des auswendig zu lernenden Katechismustextes, an der der alte Buddenbrook neben dem Inhalt offensichtlich gleichfalls Anstoß nimmt. Dem aufklärerischen Freigeist muss jede Form von Textunverständlichkeit ein Dorn im Auge gewesen sein. Wie kommt es aber zu dieser deutlichen, wenn auch humorvollen Kritik an dem Katechismus, »wie er soeben, anno 1835, unter Genehmigung eines hohen und wohlweisen Senates, neu revidiert herausgegeben war« (S. 9)? Johann Buddenbrook, dessen Lebenszeit vom Autor von 1765 bis 1842 angesetzt wurde, hätte als real existierende Figur die drei ersten offiziellen, stark voneinander abweichenden Lübecker Katechismen kennengelernt. Bis zu seinem neunten Lebensjahr hätte er noch aus dem orthodoxen Katechismus von 1702 lernen müssen. Erst 1774 wurde durch Ratsdekret vom 23. April der Aufklärungskatechismus eingeführt, der über 60 Jahre ebenfalls in allen Kirchen und Schulen auf dem Lübecker Staatsgebiet verbindlich blieb. 1837 wurde er durch den restaurativ-othodoxen Katechismus abgelöst. »Was ist das? « 459 Da Thomas Mann bekanntlich sorgfältig recherchierte und sich an der historischen Wirklichkeit orientierte, ist es naheliegend, die drei Lübecker Katechismen, die die verschiedenen Buddenbrooks in ihrer religiösen Erziehung prägten, zu untersuchen, um anschließend festzustellen, ob die aus den Quellen gezogenen Erkenntnisse für die Charakterisierung der Romanfiguren und für die Deutung des literarischen Kunstwerks von Bedeutung sind. Die 1702 im Rahmen einer Liturgie- und Gesangbuchreform verordnete Einfältige doch Gründliche Catechismus-Erklärung des Seniors Thomas Honstede, 6 die in fünf nie revidierten Ausgaben bis 1760 erschien, enthielt außer den fünf Hauptstücken mit Luthers Erklärungen weitere 481 erläuternde Fragen und Antworten sowie zahlreiche biblische Beweisstellen, die mit den Fragen und Antworten »auch von jungen Kindern gelernet werden« mussten. 7 Dieser in Lehre und Sprache noch ganz orthodox-biblizistische Katechismus erwies sich als völlig ungeeignet zur religiösen Jugenderziehung, weil er in seinem trockenen Dogmatismus keinerlei Bezug zum realen Leben der Kinder und Jugendlichen hatte. Selbst Senior Leopold Friedrich Ranke (1842 - 1918), der ungeliebte Konfirmator Heinrich und Thomas Manns, der den verletzenden und zugleich belustigenden Begriff von der »verrotteten Familie« prägte, kritisiert, dass »die Fragestellung dieses Katechismus [. . .] vielfach eine gänzlich unkatechetische ist« mit »geradezu ungeheuerliche[n] Fragen«. 8 Dieser erste offizielle Lübecker Katechismus von 1702 war also zu der Zeit, in der Johann Buddenbrook senior im wirklichen Leben Kind gewesen wäre, noch in Gebrauch. 1774, als die Romanfigur in demselben Alter war, in dem über 60 Jahre später Enkelin Tony examiniert wird, verordnete der Rat der Stadt einen neuen Katechismus: Der Catechismus Lutheri in einer kurzen und ausführlichen Auslegung erklärt und mit E. Hochedl. und Hochweisen Raths Genehmhaltung zum öffentlichen Gebrauche herausgegeben von Einem Ehrwürdigen Ministerio der Kayserlichen freyen und des heiligen Römischen Reichs Stadt Lübeck. Lübeck: Georg Christian Green 1774. (8º IV, [6], 70, 256 Sn. Stadtbibliothek Lübeck Lub. 8º 7360) (Abb. 24.1) 6 Vgl. [Anonymus], Thomas Honstede und seine Wirksamkeit (1839), S. 77 - 258. 7 Funk, Der kleine Katechismus Luthers in Lübeck (1917), S. 72 f. - Ranke, Zur Lübecker Katechismusgeschichte (1919), S. 201 - 236. - Hauschild, Kirchengeschichte Lübecks (1981), S. 346, 355 - 357. 8 Ranke (1919), S. 223. Zur Biographie vgl. Art. Ranke, G. P. E. Leopold Friedrich. In: Bruns (Hg.), Lübecker Lebensläufe aus neun Jahrhunderten (1993), S. 314 - 317. Thomas Mann verlieh der Romanfigur Pastor Pringsheim in Buddenbrooks Züge von Senior Ranke (vgl. Abb. 25.3). Religion und Kirche bei Thomas Mann 460 Abb. 24.1: Der Lübecker Katechismus von Joh. Andreas Cramer 1774 Der Verfasser war kein geringerer als der bedeutende Aufklärungstheologe und Liederdichter Johann Andreas Cramer (1723 - 1788), der 1771 nach Struensees Machtübernahme die Stelle als deutscher Hofprediger in Kopenhagen aufgeben musste und am 13. Oktober desselben Jahres als Superintendent in Lübeck eingeführt wurde. Die drei Jahre bis zu seiner Berufung an die Kieler Universität als Vizekanzler, erster Theologieprofessor und Kurator der Akademie dienten der Erarbeitung eines neuen, im Geiste der Aufklärung verfassten katechetischen Lehrbuchs, das ab Michaelis 1774 alle bisherigen Katechismuserklärungen außer Kraft setzen sollte. Mit großem diplomatischen Geschick hatte sich Cramer zwar der Mitwirkung und der Zustimmung des geistlichen Ministeriums und der städtischen Gremien versichert, theologisch und sprachlich aber ist der zweite offizielle Lübecker Katechismus zweifellos sein Werk. 9 Bei dem Versuch, die neue rationalistische, praktisch orientierte Theologie »in pflichtmäßiger Übereinstimmung mit den Bekenntnißbüchern unsrer Kirche« (Vorrede, S. 1) zu elementarisieren, gelang ihm didaktisch und methodisch eine Erschließung des Lutherschen Katechismus, die den jungen Menschen in seiner Erfahrungswelt abholte, um ihn von dort in die religiöse Dimension seines Lebens zu führen. Dabei ging es Cramer zunächst um die verständliche Vermittlung der »Wahrheiten der natürlichen Religion«, der jedem Menschen von Natur aus zugänglichen Gotteserkenntnis, dann erst um ihren Bezug zur »geoffenbarten Religion« (Vorrede, S. 2), der »beste[n] Erkenntniß von Gott«, die wir aus einem »Buche lernen [können], das die Bibel [. . .] heißt«. 10 Großer Wert wird darauf gelegt, dass die vollständig formulierten Fragen und Antworten nicht nur auswendig gelernt, sondern auch dem Sinne nach erfasst werden. Gleich zu Beginn wird in einem rhetorischen Frage- und Antwortspiel das Glück des Menschen als Leitgedanke formuliert, entsprechend dem anthropozentrischen Ansatz der Aufklärung. »Wünschen nicht die Menschen allezeit froh und glücklich zu seyn? « Antwort: »Wir Menschen wünschen alle immer froh und glücklich zu seyn«. Über die Erkenntnis, dass »Wir Menschen [. . .] uns nicht alles Gute verschaffen [können], was wir brauchen«, um glücklich zu sein, wird »Gott, der Schöpfer und Vater aller Menschen« eingeführt (Abb. 24.2). 11 Das Glücksstreben des Menschen findet sich auch in Cramers Definition von »Religion«: »Die Religion ist die Erkenntniß und Ausübung dessen, was die Menschen von Gott, dem Schöpfer und Herrn aller Dinge, lernen sollen, um durch ihn glücklich zu werden« (Abb. 24.3). 12 9 Zu Cramer und den aufklärerisch › verbesserten ‹ Gesangbüchern vgl. Beiträge 5,9 und 10. 10 Vorbereitung zur kurzen Erklärung des Catechismus Lutheri (1774), S. 6. 11 Ebd., S. 1. Hervorhebungen werden auch im Folgenden kursiviert wiedergegeben. 12 Einleitung zur [ausführlichen] Erklärung des Catechismus (1774), S. 1. Religion und Kirche bei Thomas Mann 462 Abb. 24.2: Cramers pädagogisches Frage- und Antwortspiel zur Vorbereitung auf Luthers Katechismus Abb. 24.3: Leitgedanke der Aufklärungstheologie ist das Glück des Menschen Dementsprechend wird das bereits im Vorbericht zitierte Pauluswort (Tit 1,1), nach welchem der Glaube der Christen eine Erkenntnis der Wahrheit zur Gottseligkeit sei, im Anschluss an die eben zitierte Definition von Religion durch einen Klammertext paraphrasiert: »Der Glaube (die Religion) ist eine Erkenntniß der Wahrheit (der Lehre von Gott) zur Gottseeligkeit, (zur Ausübung dessen, was Gott will)«. Wenn aber Gottseligkeit mit der Ausübung von Gottes Willen gleichgesetzt wird, ist der Schritt zu Tugendhaftigkeit und Pflichterfüllung, d. h. zur moralischen Akzentuierung des Glaubens in der Aufklärungstheologie nicht weit. Weise, gut und glücklich wird, wer Gottes Gebote erfüllt, unglücklich wird der Gott ungehorsame Sünder. Diese eudämonistische Denkweise durchzieht vor allem die Erklärungen zum ersten Hauptstück, zu den Zehn Geboten. »Gott, unser Herr, befiehlt uns in seinem Gesetze alles, was uns gut und glücklich macht, und verbietet nichts, als was uns böse und unglücklich macht«. 13 »Gott verbietet alle Sünden wider das Wohl der häuslichen und bürgerlichen Gesellschaften, weil dieselben dadurch unglücklich, durch alle dazu nötigen Tugenden aber sicher und glücklich werden«. 14 »Gott verbietet [. . .] alle Laster, welche dem Leben des Menschen, der Gesundheit, und dem ruhigem frölichem Genuße des Lebens zuwider sind«. 15 So wie Thomas Mann das älteste Buddenbrooksche Familienoberhaupt schildert, gibt es eine Entsprechung zwischen dessen Überzeugungen und der zeitgenössischen Katechismuslehre. 16 Der heitere »aufgeklärte Mann« (S. 14) hatte ein natürliches, unbefangenes Verhältnis zu Gott, und sein bürgerliches und geschäftliches Leben stand in keinerlei Widerspruch zu seiner Religiosität. Wenn er in der Familienbibel den Ratschlag seines Vaters las: »Mein Sohn, sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können« (S. 62), so mag er auch an › seinen ‹ Katechismus gedacht haben, auf dessen erster Seite steht: »Wir brauchen [. . .] den Tag zur Arbeit, die Nacht zum Schlafe«. Sein Katechismus also war sechs Jahrzehnte lang das vom Geist der rationalistisch-eudämonistisch geprägten Aufklärungstheologie durchdrungene, von Cramer verfasste und vom Rat für Schule und Kirche verordnete Lehrbuch von 1774. 13 Vorbereitung (1774, Anm. 10), S. 13. 14 Ebd., S. 25. 15 Einleitung (1774, Anm. 12), S. 101. 16 Ebenso gibt es Parallelen zwischen den Buddenbrooks und ihren jeweiligen Pastoren. Johann Buddenbrook sen. entsprach dem ihm geistesverwandten Pastor Wunderlich, Jean dem schwärmerisch-moralisierenden Pastor Kölling und Thomas dem konventionellen Wortchristen Pastor Pringsheim. Vgl. Moulden/ Wilpert (Hg.), Buddenbrooks-Handbuch (1988), S. 279 - 292. - Jens, Die Buddenbrooks und ihre Pastoren (1993). »Was ist das? « 465 Inwiefern unterschied sich der angeblich »soeben anno 1835, unter Genehmigung eines hohen und wohlweisen Senates, neu revidiert« herausgegebene reale Katechismus von seinem Vorgänger? Zunächst einmal wird derjenige, der bei Thomas Mann einen photographischen Realismus sucht, enttäuscht. Die dem Anschein nach wörtlich von der historischen Vorlage übernommenen Angaben enthalten mehrere Abweichungen. Der Katechismus, der von einer neuen Theologengeneration unter der Führung von Senator Johann Carl Lindenberg (1798 - 1892) 17 erarbeitet worden war, erschien nicht 1835, sondern zwei Jahre später 1837 unter dem Titel Erklärung des kleinen Katechismus Luthers mit Eines Hochedlen und Hochweisen Rathes Genehmhaltung zum öffentlichen Gebrauche herausgegeben von Einem Ehrwürdigen Ministerio der freien Stadt Lübeck. Lübeck: G. C. Schmidt,1837. (8º 110 Sn. Stadtbibliothek Lübeck Lub. 8º 7370) (Abb. 24.4) Sechsmal wird dieser dritte offizielle Katechismus wieder aufgelegt, stets mit unverändertem Titel, obwohl es doch zumindest nach dem Beschluss der Bürgerschaft vom 8.4.1848 verfassungsgemäß »Senat« statt »Rat« hätte heißen müssen. Thomas Mann unterläuft also am Romananfang gewissermaßen ein doppelter › Fehler ‹ . Erstens hieß es auch noch in der 5. Katechismusauflage von 1886, die zu seiner Schulzeit benutzt wurde, anachronistisch »mit Eines Hochedlen und Hochweisen Rates Genehmhaltung«. Zweitens hätte er für das fiktive Erscheinungsjahr 1835 historisch korrekt in jedem Fall Rat statt Senat verwenden müssen. Vermutlich hatte er den Titel des Lübeckischen Gesangbuches vor Augen, in dem es 1877, 1889 und 1890 lautete: »auf Verordnung Eines hohen Senates [. . .] Aufs Neue durchgesehene und vermehrte Auflage«. 18 Ungeniert hat er Elemente des Gesangbuchtitels seiner Zeit mit dem Katechismustitel von 1837 vermischt und für den fiktiven Katechismus von 1835 einen Kunsttitel erfunden. Denn weder hat es die Bezeichnung »hoher und wohlweiser Senat« je gegeben, noch ist der reale Katechismus von 1837 jemals »neu revidiert herausgegeben« worden. Vielmehr handelte es sich um einen wirklich neuen Katechismus, der mit seinem rationalistischen Vorgänger von 1774 so gut wie nichts mehr gemeinsam hatte. Die Vorverlegung des Erscheinungsjahrs muss Thomas Mann sehr bewusst vorgenommen haben. Er wählte mit 1835 für den Romananfang ein Jahr, das in Lübeck mit dem Aufbruch in eine neue Zeit verbunden ist, nämlich mit den 17 Zu Lindenberg vgl. Hauschild, S. 384 - 397 passim. 18 Lübeckisches evangelisch-lutherisches Gesangbuch (1877). 1889 und 1890 bleibt der Titel unverändert, 1899 und 1905/ 06 heißt es nur noch »Aufs neue durchgesehene Auflage«. Die Gesangbuchanhänge enthielten teilweise Luthers Kleinen Katechismus. Religion und Kirche bei Thomas Mann 466 Abb. 24.4: Der › neue ‹ Katechismus von »Tony Buddenbrook« und Thomas Mann Reformdiskussionen, die in den bis heute fortgeführten Dienstagsvorträgen der »Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit« und - seit 1835 ununterbrochen - in den »Neuen Lübeckischen Blättern« ein wirksames Forum erhielten. Die neue Wochenzeitschrift »wollte die politische Bildung und staatsbürgerliche Gesinnung fördern und damit die Schranken beseitigen, die in einer Zeit freisinniger Ideen deren Realisierung entgegenstanden. Die Losung lautete: Weckung des Gemeingeistes unter Zurückdrängung des individualistischen Egoismus, sittliche Vervollkommung des Einzelnen durch Verwirklichung seiner Freiheit in einem gut geordneten Gemeinwesen«. 19 Es entsprach der Tradition lübeckischen Christentums, dass hier auch von Anfang an religiöskirchliche Themen behandelt wurden und Geistliche sich mit Beträgen beteiligten. Als das »junge Lübeck« vertraten einige Intellektuelle, zu denen der Jurist Theodor Curtius mit seinen Brüdern Ernst und Georg, der Dichter Emanuel Geibel, später auch der Katharineums- und Bibliotheksdirektor Wilhelm Mantels sowie Theodor Behn gehörten, liberale emanzipatorische Ideen, die zur Vorbereitung innerer Reformen führten und damit der Revolution von 1848 in Lübeck wenig Anhaltspunkte boten. Insgesamt gab es im »Vormärz« von Lübeck »eine geistige Elite, wie es sie in dieser Art hier nicht wieder gegeben hat«. 20 Parallel dazu prägte eine neue Predigergeneration das religiöse Leben, u. a. mit den durch die Erweckungsbewegung entstandenen Vereinen (Bibelgesellschaft, Missionsverein). Andererseits beförderten die jungen Theologen eine verstärkte konfessionalistische Kirchlichkeit. Dadurch geriet in Lübeck die Erweckungsbewegung in eine orthodox-biblizistische Restauration. Exemplarisch dafür steht der Katechismus von 1837, der pädagogisch-katechetisch gegenüber dem Aufklärungskatechismus von 1774 als Rückschritt in die Orthodoxie anzusehen ist, »denn seine steil-theologischen Erklärungen zu Luthers Text waren ohne umständliche Erläuterungen nicht verständlich. [. . .] Welche lebenskräftige Christlichkeit konnte bei einer Jugend entstehen, die nach einem so abstrakten Katechismus religiös erzogen wurde? « 21 Bereits Senior Ranke, der in seinem aktiven Leben als Geistlicher zu Lübeck über 30 Jahre lang mit dem Katechismus von 1837 pädagogisch zu arbeiten hatte, monierte: »Wer jemals den Versuch gemacht hat, nach diesem Katechismus zu unterrichten, weiß, wieviel Zeit mit solchem Erklären der Erklärungen hingebracht und wie wenig wirkliche Förderung der Schüler dabei im Grunde erzielt wurde«. Deshalb bekannte Ranke, dass dieser langatmige Katechismus 19 Hauschild, S. 408. 20 Ebd. 21 Ebd., S. 399 f. Religion und Kirche bei Thomas Mann 468 »beim Religionsunterricht zuletzt fast nur dazu benutzt wurde, die vorgedruckten Hauptstücke des Lutherschen Katechismus auswendig lernen zu lassen«. 22 Eine solche Bekannschaft machte wohl auch der Schüler und Konfirmand Thomas Mann mit diesem Katechismus. Und die Erinnerung an das Auswendiglernen der Erklärungen Luthers regte ihn zu der Eingangsszene in Buddenbrooks an: Der aufgeklärte Großvater moquiert sich beim Abhören seiner Enkeltochter über den neuen Katechismus und kritisiert offensichtlich auch das sture Auswendiglernen der langen Lutherschen Erklärungen. Was hatte Johann Buddenbrook denn anderes gelernt? Warum bricht er ausgerechnet bei den Worten »Dazu Kleider und Schuhe [. . .], Weib und Kind, Acker und Vieh« in Gelächter aus und spottet darüber? Selbstverständlich kannte er Luthers Erklärung zum ersten Glaubensartikel wörtlich. Sie war vollständig auch in › seinem ‹ Katechismus abgedruckt gewesen, sogar in größeren typographischen Lettern als die rationalistischen Erklärungen, wurde aber offensichtlich nicht mehr auswendig gelernt. Bei Cramer folgte auf die zusätzliche Frage »Was hat Gott erschaffen? « 23 eine erstaunlich knappe und präzise Antwort, die zwar wesentliche Passagen aus Luthers Erklärung übernimmt, sie aber anders zuordnet und dem jugendlichen Leser damit das Verständnis erheblich erleichtert. Zunächst ersetzt Cramer Luthers Formulierung, »daß mich Gott geschaffen hat samt allen Creaturen« 24 durch die konkretere Aussage: »Gott hat alles geschaffen, den Himmel, die Erde, die Engel, die Menschen, und alles Gute, was wir haben und genießen«. 25 Den anschließenden Text zitiert er zwar gekürzt, aber wörtlich nach Luther, ohne jedoch wie dieser zwischen Gott als Schöpfer und Gott als Erhalter zu unterscheiden. Einziges Verb bei Cramer ist »erschaffen«; Luthers feine Differenzierung zwischen »erschaffen«, »geben«, »erhalten«, und »versorgen« fehlt. Nur durch Kommata gegliedert, folgt auf »was wir haben und genießen«: »Leib und Seele, Augen und Ohren, und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne«. 26 Das ist eingängiger und viel leichter zu lernen als Luthers Original. Luther hatte nach »Ich glaube, daß [. . .] Gott [. . .] mir [. . .] Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält« die von Tony Buddenbrook im Eingangskapitel zitierte Aufzählung folgen lassen: »dazu Kleider und Schuhe, [. . .] Acker, Vieh und alle Güter«. Es ist in Luthers Text nicht eindeutig, ob diese 22 Ranke, S. 235 f. 23 Vorbereitung (1774, Anm. 10), S. 40. 24 Ebd., S. 39. 25 Ebd., S. 40. 26 Ebd., S. 40 f. »Was ist das? « 469 Abb. 24.5: Der erste Glaubensartikel mit Luthers Erklärung und den wenig kindgerechten Erläuterungen im Lübecker Katechismus von 1837 Güter den vorher aufgeführten körperlichen, seelischen und geistigen Gaben des Menschen zuzuordnen sind oder der »Nothdurft und Nahrung dieses Leibes und Lebens«, mit denen Gott das Geschöpf »reichlich und täglich versorget« - also ob die aufgezählten Güter zum Schöpfungs- oder Erhaltenshandeln Gottes gehören. Diese Unschärfe muss den Rationalisten ein Dorn im Auge gewesen sein. Sie korrigierten Luther an dieser Stelle demnach durch Auslassung. Auf jeden Fall gibt es für den aufgeklärten Geist keinen Zweifel darüber, dass Versorgungsgüter wie »Kleider und Schuhe« nicht direkt von Gott gemacht sind. Deshalb taucht das Tony in den Mund gelegte Lutherzitat in der Antwort Cramers auf die Frage »Was hat Gott erschaffen? « auch nicht auf. Die statt dessen aus dem Katechismus von 1774 übernommene pauschale Formulierung (»mit aller Nothdurft und Nahrung des Leibes und des Lebens«) konnte vom Kinde selbst mit Beispielen aus seiner Vorstellungs- und Erfahrungswelt nachvollzogen werden. In der Lutherschen Konkretion, verstärkt durch die Ich-Form, wirkt die Aufzählung durch einen jungen Menschen spätestens bei »Haus und Hof, Weib und Kind« komisch, ja grotesk. Und Tony lernte eben nicht mehr die katechetischen Erklärungen Cramers, sondern die Luthers aus dem restaurativen Katechismus. Thomas Mann verstärkt die skurrile Wirkung noch durch eine geschickte Auslassung. Er macht Tony nach dem Eingangssatz »Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen« erst wieder hörbar bei der anstößigen Aufzählung. So entsteht der Eindruck, dass Kleider und Schuhe, Acker und Vieh des einzelnen Menschen »kreatürlich«, d. h. direkt von Gott geschaffen worden seien (Abb. 24.5). Das ist es, woran Tonys Großvater Johann Buddenbrook senior, der mit Cramers Katechismus groß geworden war, Anstoß nimmt. Deshalb hakt er an dieser Stelle ein und spottet über Luthers wenig kindgemäße Erklärung und ihre zu Missverständnissen führende Syntax - über nicht mehr und nicht weniger. In den Ohren seines konfessionalistisch-frommen Sohnes Jean aber belustigt er sich »wieder einmal über das Heiligste! « Jean, nach eigenem Bekenntnis ein »Mensch von religiösem Empfinden« (S. 31), begreift nicht, dass sein Vater mit seiner »natürlichen« Religiosität es sich leisten kann, angeblich über das »Heiligste« zu spotten. Sechs Jahre später wird dieser im Kreise seiner Familie »alt und lebenssatt« (Gen 25,8) im Bett sterben wie kein anderes Familienmitglied nach ihm, offenbar im Einklang mit sich, seiner Umwelt und seinem Gott. 27 Thomas Mann scheint daran gelegen zu sein, Situationen zu schaffen, in denen er die liberale Gesinnung des aufklärerischen Freigeistes herausstellen 27 Vgl. Beitrag 25, S. 483 f. Religion und Kirche bei Thomas Mann 472 kann, um ihn als Vertreter der alten Generation der neuen gegenüberstellen zu können. »Amen«, sagte Tony, »ich weiß was, Großvater! « (S. 13), nachdem das Ende des Katechismusexamens glücklich erreicht war - in Ergänzung oder anstelle des von Luther vorgeschriebenen »Das ist gewißlich wahr«. Sie will dem Großvater wohl zeigen, dass sie sich nicht nur in der Religion, sondern auch in der Natur auskennt, z. B. Bescheid weiß über Donner und Blitz. Was die preußische Mamsell dem Kind darüber beigebracht hat, ist allerdings alles andere als wahr, sondern barer Unsinn, »c ’ est une folie! « (S. 14). Während Jean die »wunderlichen Vorstellungen«, die in der Kinderwelt ihre Berechtigung hätten, verteidigt, wehrt sich sein Vater als Vertreter der époque des lumières gegen »solche Verdunkelung der Kinderköpfe« (S. 14). Die zweite Episode folgt wenig später, als der Konsul seiner Tochter »die ergebene, fromme und fleißige Cousine Thilda« (S. 65) als Vorbild präsentiert. »So ist es recht, Thilda. Bete und arbeite, heißt es. Unsere Tony soll sich ein Beispiel daran nehmen. Sie neigt nur allzu oft zu Müßiggang und Übermut . . .« (S. 16). Der Vater kritisiert Tonys Lebensfreude, wie der Großvater sie ihr in Haltung und Handeln vorlebt. Dieser kommt ihr jedoch mit positiven, ermunternden Parolen zu Hilfe: »Kopf hoch, Tony, courage! Eines schickt sich nicht für alle. Jeder nach seiner Art. Thilda ist brav, aber wir sind auch nicht zu verachten. Spreche ich raisonable, Bethsy? « (S. 16). In dem »wir« solidarisiert er sich zweifelsfrei mit seiner lebensbejahenden Enkeltochter. Die »elastische Zuversichtlichkeit« (S. 66), mit der wenige Jahre später ihr Gang beschrieben wird, entspricht seiner aufklärerischen Geisteshaltung. Das »Dominus providebit« über dem Hauseingang an der Mengstraße wird von ihm noch aus einem natürlichen Gottvertrauen heraus geglaubt und gelebt, von der nachfolgenden Generation dagegen durch eine religiöse Leistungsethik im Ergebnis relativiert. Die den beiden Generationen zugeordneten Katechismen liefern auch hierfür den dogmatisch-moralischen Hintergrund. Während in Cramers Katechismus von 1774 auf die Frage »Sorget Gott für alle Dinge? « bedingungslos geantwortet wird »Gott sorget für alles, was er geschaffen hat, und zwar eben so wohl für das Geringste, als für das Größte«, 28 folgt im Katechismus von 1837 auf die Frage »Wirst du denn ohne dein Zuthun von Gott versorgt? « die Antwort: »Nein, ich soll mich der von Gott vorgeschriebenen Ordnung unterwerfen, nämlich arbeiten und beten«. 29 Dieser lustlosen Maxime, nach der im Roman vor allem Klothilde und Clara leben, setzt der Großvater in geradezu offener Opposition zum Erziehungsberechtigten des 28 Vorbereitung zur kurzen Erklärung (1774), S. 42. 29 Erklärung des kleinen Katechismus (1837), S. 44. »Was ist das? « 473 Kindes sein ermutigendes »Kopf hoch« entgegen, mit der französischen Verstärkung »courage! « Auf dem Sterbebett wird er dies als letztes Vermächtnis seinem Sohn zusprechen (vgl. S. 78). Auf die Ermunterung folgen zwei Zitate, die ebenfalls den Geist eines aufgeklärten Liberalismus heraufbeschwören. Aus der Beherzigung für die Weimarer Gesellschaft, die Goethes unkonventionellen Lebenswandel argwöhnisch beobachtete, stammen die Verse des in der Zeitrechnung des Romans drei Jahre zuvor gestorbenen Dichters: Eines schickt sich nicht für alle! Sehe jeder, wie ers treibe. Sehe jeder, wo er bleibe, Und wer steht, daß er nicht falle! 30 Fast wie eine Paraphrase des Goetheworts wirkt die Devise »Jeder nach seiner Art«, die - aus der Schöpfungsgeschichte abgeleitet (Gen 1,11-25) - im 18. Jh. viele Varianten fand, darunter die berühmte Äußerung Friedrichs des Großen, jeder solle nach seiner Façon selig werden. Chacun à son goût! Auch das hätte Thomas Mann dem geistreichen lübischen Kaufmann in den Mund legen können. Zum Aufklärer gehörte auch das Räsonieren, das Johann Buddenbrook offensichtlich liebte und zu dem er Tony hier indirekt auffordert: Thilda ist brav, aber sei Du ein »enfant raisonneur«, 31 sei nicht nur angepasst, lebe nach Deinen Bedürfnissen, lass Dich nicht unterkriegen, geh Deinen eigenen Weg. Diese Bedeutung von »Vernunft« scheint mitzuschwingen, wenn er schließlich seine Schwiegertochter um Zustimmung bittend anspricht: »Spreche ich raisonable, Bethsy? « Im Sterbezimmer fasst Johann Buddenbrook noch einmal die glaubensmäßigen und ethischen Ideale der Aufklärung, wie er sie im Katechismus des Lübecker Superintendenten J. A. Cramer vorgefunden hatte, zusammen: Seinem Sohn wünscht er »Alles Glück, - du? Jean? Und immer courage! «, dem künftigen Firmenchef Thomas: »Hilf deinem Vater! «, und dessen Bruder Christian, der sich mehr für künstlerische als für kaufmännische Dinge interessiert: »Werde was Ordentliches! « (S. 78). 30 Goethes Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 1 ( 11 1978), S. 133. Vgl. »Wer meint, er stehe, mag zusehen, daß er nicht falle« (1 Kor 10,12). 31 Vgl. Claudius: »Auch ist, dünkt mich, Gehorsam an sich etwas Löbliches und Liebliches, und man kann ein Kind das aufs Wort gehorcht, und so ein enfant raisonneur nicht nebeneinander sehen, ohne das eine zu lieben, und dem andern die rute zu gönnen«. SW VI (1984), S. 452. Religion und Kirche bei Thomas Mann 474 Das hat hier noch nicht den preußischen Klang wie am Ende des Romans, sondern mag wieder aufklärungstheologisch verstanden werden. In Cramers Katechismus hieß es: »Das Wesen, das alles gemacht hat, muß ein verständiges Wesen seyn; denn alles in der Welt ist gut und ordentlich eingerichtet und gemacht: ohne Verstand aber kann nichts gut und ordentlich eingerichtet werden. [. . .] Gott ist ein Wesen, das Verstand und Willen hat; denn die ordentliche und nützliche Einrichtung der Welt beweist daß sie von keinem andern als von dem größten und vollkommensten Verstand gemacht werden konnte«. 32 Als Gottes vernünftige Geschöpfe haben wir in dem Streben nach »Heiligung und Besserung und zugleich zur Zufriedenheit und Freude« (Vorrede, S. 4) eben auch ordentlich zu sein, etwas Ordentliches zu werden und zu leisten. Von dieser Maxime hat sich Thomas Mann in seinem bürgerlichen Künstlerleben ebenfalls leiten lassen. Obwohl er als junger Autor eher seinen Romanfiguren Thomas und Hanno ähnelte, nimmt er mit sich neigender Lebenszeit zunehmend Züge vom alten Johann Buddenbrook an. Auch er spürt zuletzt eine Bereitschaft zum Sterben und will mit denselben Worten wie seine fast sechs Jahrzehnte zuvor geschaffene Romanfigur scheiden. »Kurios, kurios. Das habe ich früh gesagt und werde es zuletzt sagen« (9.10.1954). »Kurios, kurios. Eine Merkwürdigkeit, dieses Leben«, schreibt er fünf Wochen vor seinem Tod ins Tagebuch. 33 Hermann Kurzke hat zu Recht darauf hingewiesen, dass drei von Thomas Manns Romanen mit einem Blick in die Ewigkeit enden. 34 Dazu gehört bereits sein Romanerstling. In Buddenbrooks wird das Wiedersehen in der Ewigkeit direkt angesprochen; dieses Motiv führt uns zurück zum Kleinen Katechismus Martin Luthers, zu dem darin enthaltenen Glaubensbekenntnis und damit an den Romananfang. Schon Eberhard Lämmert hat auf die Bedeutung der Katechismusfrage für den strukturellen Zusammenhang zwischen Anfang und Ende des Romans hingewiesen. 35 Die formale Klammer ist das Hauptstück »Vom Christlichen Glauben« aus dem Katechismus. Nimmt der Anfang Bezug auf den Schöpfungsartikel, geht es beim Romanschluss um den dritten Artikel »Von der Heiligung«: »Ich glaube an den heiligen Geist, [. . .] die Gemeinde der 32 Einleitung (1774, Anm. 12), S. 10 f. 33 Vgl. Kurzke, Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk (1999), S. 592. 34 »Welch freundlicher Augenblick wird es sein, wenn wir dereinst wieder zusammen erwachen« (Lotte in Weimar), »daß wir alle uns einst mit denen, von denen ich sagte, im Paradiese wiedersehen« (Der Erwählte). Und auch der junge Joseph spricht einem Sterbenden zu: »Fahr wohl denn, mein Vater und Vorsteher! Im Lichte und in der Leichtigkeit sehen wir beide uns wieder«. Zit. nach Kurzke (1999), S. 595, 590. 35 Lämmert, Thomas Mann. Buddenbrooks (1963), stellt diese Beobachtung jedoch in einen anderen Zusammenhang als die vorliegende Untersuchung. »Was ist das? « 475 Heiligen, [. . .] Auferstehung des Fleisches, und ein ewiges Leben«. So steht es im dritten Artikel der Katechismusausgabe von 1837. Und Luthers Erklärung dazu, wie Tony sie als achtjähriges Schulkind hatte lernen müssen, lautet auf die vertraute Frage »Was ist das? . . . der heilige Geist [. . .] berufet, sammlet, erleuchtet, heiliget und [. . .] erhält im rechten einigen Glauben: In welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich vergiebt, und am jüngsten Tage mich und alle Todten auferwecken wird, und mir sammt allen Gläubigen in Christo Jesu ein ewiges Leben geben wird. Das ist gewißlich wahr«. 36 Als Tony am Ende des Buches Zweifel an dieser letzten Glaubensgewissheit anmeldet, antwortet ihre einstige Lehrerin, bucklig, winzig und bebend vor Überzeugung«: »Es ist so! « (S. 837). Es sind die letzten von einer Romanfigur gesprochenen Worte in Buddenbrooks, und auch sie waren von Anfang an von Thomas Mann als Schlussworte fixiert (Notb I, 74). In der Erzählzeit des Romans sind inzwischen 42 Jahre vergangen, Tony ist eine zweifach geschiedene Frau von 50 Jahren, hat ihre Großeltern, ihre Eltern, ihren Bruder, ihre Schwester verloren - in immer jüngeren Lebensjahren, unter immer schrecklicheren Umständen. Und als jetzt, im Romanjahr 1877, auf den letzten Buchseiten vom jüngsten Verlust, vom Tod des geliebten, engelgleichen Neffen Hanno die Rede ist, wagt sie zum erstenmal Zweifel zu äußern an der christlichen Verheißung, die ihre Cousine Friederike in die volksfrommen Worte kleidet: »Es giebt ein Wiedersehen« (S. 836). Aber nicht nur daran zweifelt Tony. Sie, die auf der ersten Buchseite den Glaubensartikel heruntergeschnurrt hat, stellt nun am Ende dieses Romans über den »Verfall einer Familie« in ihrer Replik noch Grundsätzlicheres infrage: »Ja, so sagt man . . . Ach, es giebt Stunden, Friederike, wo es kein Trost ist, Gott strafe mich, wo man irre wird an der Gerechtigkeit, an der Güte . . . an Allem. Das Leben, wißt ihr, zerbricht so Manches in uns, es läßt so manchen Glauben zu schanden werden . . . Ein Wiedersehen . . . Wenn es so wäre . . .« (S. 836). Sie, die vom Wesen her Lebensfrohe, war die vom Leben Betrogene, weil ihr aufgrund bürgerlicher Konvention und innerer Überzeugung kein selbstbestimmtes Leben im Sinne des Katechismus ihres Großvaters, nämlich »immer froh und glücklich zu seyn«, gelingen wollte. So wurde sie nun irre an Gottes Gerechtigkeit und Güte, »an Allem«. Selbst den Glauben als solchen spart sie nicht aus, auch wenn in der ihr eigenen häufigen Aneinanderreihung von Gemeinplätzen wieder einmal einiges durcheinandergerät. So will sie offenbar einer biblischen Glaubenszusage widersprechen, nimmt das Bibelwort aber falsch auf. Aus dem berühmten Paulusvers »Hoffnung aber läßt nicht zuschan- 36 Zit. nach dem Lübeckischen Katechismus von 1837, S. 68 f. Religion und Kirche bei Thomas Mann 476 den werden« (Röm. 5,5) wird bei ihr: »Das Leben [. . .] läßt so manchen Glauben zu schanden werden . . .«. Dieser Lapsus ist für die Romanfigur ebenso typisch wie ihr wiederholtes Steckenbleiben: gleich zu Beginn beim Katechismusexamen, am Sterbebett ihres Bruders beim Aufsagen der Paul Gerhardt-Strophe »Mach ’ End ’ , o Herr, [. . .] mach ’ Ende« (S. 754 f.) 37 und nun am Schluss. Ihre Gedanken über die Auferstehung und das ewige Leben unterbricht der Erzähler mehrfach durch jeweils drei Punkte: ». . . Ein Wiedersehen . . . Wenn es so wäre . . .«. Der Katechismus, der im ersten Romanjahr eingeführt wurde und zum Ende der Erzählzeit noch immer in Gebrauch war, gab umständliche Antworten auf die Fragen nach dem Zustand des Leibes und der Seele nach dem Tode (Fragen 360 - 367). Der Aufklärungskatechismus hatte lediglich die Wiedervereinigung der Seelen mit den Leibern der Menschen »Nach diesem Leben [. . .], am Ende der Welt« 38 als Wahrheit festgestellt, ohne dass das »Wie« erklärt oder seine Vorstellung vom Leser verlangt wurde. Zweifel waren dem Aufklärer und damit der Dominus providebit-Philosophie des ältesten Buddenbrook fremd. Sie hatten auch noch nichts in der Welt seines bibelfesten Sohnes Jean, dessen Frömmigkeit lediglich in Konflikt mit seinem Geschäftssinn geriet, zu suchen. Bei Thomas sind Zweifel jedoch ein unübersehbares Zeichen seiner Verfeinerung, die mit der Décadence einhergeht. Obwohl Tony die Verfallsentwicklung eigentlich nicht mitmacht, sondern sich, ihrer Familie und ihren Grundsätzen immer treu bleibt, zeigt sie durch diese existentiellen Glaubenszweifel - selbst wenn sie teilweise nur dahingesagt sind - dennoch den Ansatz einer ihr häufig abgesprochenen Reifung und Entwicklung. 39 Thomas Mann nimmt die Nebenfigur Tony, um durch sie den Glauben anfänglich als Bekenntnis in den Raum zu stellen und dann am Ende grundsätzlich infragestellen zu lassen. Die von ihr aufgesagte Eingangsfrage »Was ist das« wird von Sesemi Weichbrodt, einer anderen Nebenfigur, die sich ebenfalls treu geblieben ist, nach einem riesigen Erzählbogen jedoch beantwortet mit »Es ist so! « Thomas Mann wählte Luthers Kleinen Katechismus, um seinem Roman einen äußeren - und auch inneren - Rahmen zu geben. Es erscheint nach den bisherigen Untersuchungen nicht abwegig, für den zweiten Glaubensartikel 37 12. und letzte Strophe von Befiehl du deine Wege. Zur häufig ironisierenden Verwendung von Kirchenliedversen bei H. und T. Mann vgl. die Beiträge 19, 20 und 25 in diesem Band. 38 Vorbereitung (1774, Anm. 10), S. 54. 39 Vgl. dazu Wysling, Buddenbrooks ( 3 2001), S. 375. - Kurzke, Thomas Mann. Epoche, Werk, Wirkung (1985), S. 74 f. - Keller, Die Figuren und ihre Stellung im »Verfall« (1988), S. 182 - 185. »Was ist das? « 477 »Von der Erlösung« im Romaninneren ebenfalls eine Entsprechung zu vermuten. Möglicherweise ist sie im Schopenhauer-Kapitel zu finden. Zugleich markierte er mit den beiden Lübecker Katechismen und ihren Repräsentanten, Johann Buddenbrook senior und junior, die Hauptthemen des Romans: Generationenkonflikt und »Verfall«. In der Lübecker Katechismusgeschichte stellt der Gebrauch des Cramerschen Katechismus von 1774 mit seiner lebenspraktischen Ausrichtung zwischen dem altorthodoxen von 1702 und dem restaurativen Katechismus von 1837 eine Blütezeit dar. Diesem Katechismus entsprach voll und ganz die Lebensphilosophie und die ungebrochene Lebensfreude des alten Johann Buddenbrook, bei dem Religion noch Lebensstärke, dem sein natürlicher Glaube noch Lebenshilfe bedeutete. Der Katechismus von 1837 findet dagegen seine Entsprechung in dem Lebensgefühl des Bibelchristen Jean Buddenbrook. Wohl wirkte er frömmer als sein moquanter Vater, aber das Auseinanderfallen von Wort und Tat, Glauben und Leben, Anspruch und Wirklichkeit, das sich erst in der nachfolgenden Generation manifestiert, zeichnet sich bei ihm schon ab. Die Genialität des jungen Autors, der dieses Stück Weltliteratur vor 100 Jahren vollendete, besteht darin, dass er sein Verfallsthema praktisch in allen Lebensbereichen des Romans durchspielte. Wie überzeugend ihm dies mit dem scheinbar nebensächlichen, aus heutiger Sicht eher abgelegenen Gegenstand des lutherischen Katechismus gelang, wollten ich mit den obigen Ausführungen zeigen. Religion und Kirche bei Thomas Mann 478 25 Thomas Mann und »seine« Kirche im Spiegel der Buddenbrooks Thomas Mann und › seine ‹ Kirche - das ist für die Leser des Romans zunächst einmal die Kirche der Buddenbrooks, zugleich aber auch die Kirche in Lübeck, der »siebengetürmten Väterstadt«. Diese nennt er in seinem nobelpreisgekrönten Romanerstling kein einziges Mal beim Namen, beschreibt sie aber bis ins kleinste Detail - und dies so präzise, dass die Lübeck-Kenner bei der Lektüre ständig wissen, wo sie sich topographisch befinden, und die Leser, die das »niederdeutsch-hanseatische«, »patrizisch-stadtherrschaftliche« Gemeinwesen noch nicht aufgesucht haben, es zu kennen glauben. »Patrizisch-stadtherrschaftlich«, »niederdeutsch-hanseatisch«, »siebengetürmt« - das sind Prädikate, die Thomas Mann seiner Vaterstadt 1926 zur 700-Jahrfeier verliehen hat. In der am 5. Juni, dem Vorabend seines 51. Geburtstages, im Stadttheater gehaltenen und berühmt gewordenen Rede über Lübeck als geistige Lebensform spricht er auch von der »Lübecker Gothik«, die auf seine »Schreiberei« Einwirkung habe und sich in ihr spiegele. Die »Lübecker Gothik«, das ist für ihn das winkelige »Beieinander von Giebeln, Türmchen, Arkaden, Brunnen«, 1 das sind vor allem die Giebelhäuser, die uns noch heute auf Schritt und Tritt begegnen, mit ihren Fassaden, Dielen und Gewölben. Das bürgerliche Lübeck durchzieht das ganze Werk Thomas Manns. »Es ist mein Ehrgeiz, nachzuweisen«, bekennt er in dem so häufig zitierten Vortrag, »daß Lübeck als Stadt, als Stadtbild und Stadtcharakter, als Landschaft, Sprache, Architektur durchaus nicht nur in › Buddenbrooks ‹ , deren unverleugneten Hintergrund es bildet, seine Rolle spielt, sondern daß es von Anfang bis zu Ende in meiner ganzen Schriftstellerei zu finden ist, sie entscheidend bestimmt und beherrscht.« 2 Dem Bischof für den Sprengel Holstein-Lübeck Karl Ludwig Kohlwage zum Abschied aus dem Amt gewidmet. Vortrag am 26.1.2001 anlässlich der internen Begegnungstagung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Lübeck; am 6.6.2001 leicht verändert zur 750- Jahrfeier von St. Marien öffentlich wiederholt. Siehe BibAK 22 und 23 (2001). 1 T. Mann, Tonio Kröger (GW VIII, S. 310). Siehe QV, Werkausgaben. 2 Zitate in Absatz 1 - 2 aus: T. Mann, Lübeck als geistige Lebensform (1926), S. 55, 38, 43, 33, 32. (Siehe QV, Werkausgaben). Aber selbstredend verbinden wir das › gotische Lübeck ‹ nicht nur mit profanen Gebäuden, sondern vor allem mit seinen aufragenden Sakralbauten, die ebenfalls in Thomas Manns literarischen Stadtbildern ständig präsent sind: »Die kleine alte Stadt mit ihren schmalen, winkeligen und giebeligen Straßen, ihren gotischen Kirchen und Brunnen«, so beschreibt der 22-Jährige (Abb. 25.1) 1897 seine Heimatstadt, also noch vor dem Buddenbrookroman, in der Künstlernovelle Bajazzo. 3 Noch heute ist die Stadtsilhouette geprägt von den sieben Türmen der fünf Altstadtkirchen, als geistliches Pendant zum weltlichen Holstentor - und das nicht nur auf den Etiketten der Marmeladengläser aus Bad Schwartau und auf den Autobahnschildern. Lübeck bezieht bis heute seine Identität keineswegs nur über Holstentor und Marzipan, Hanse und Hafen, sondern auch und besonders über diese sieben Türme, durch die Kirche zunächst einmal architektonisch und kunsthistorisch definiert ist. In der Stadt Buxtehudes und Distlers, in der Stadt der Glocken, Chöre und Orgeln wird sie vor allem aber auch tönend, d. h. kirchenmusikalisch wahrgenommen. Diese kulturelle Dimension von Kirche tritt in Buddenbrooks permanent in Erscheinung. Schließlich steht das neuerworbene Haus der Familie Buddenbrook in der Mengstraße, in das man an einem Donnerstag im Oktober 1835 die »in der Stadt ansässigen Familienmitglieder« und »auch ein paar gute Hausfreunde« (S. 13) 4 einlädt, direkt gegenüber dem Nordschiff und dem Chor von St. Marien. Um »die mächtigen gotischen Ecken und Winkel der Kirche pfiff der Wind« (S. 13). So stellt Thomas Mann auf den ersten Romanseiten › seine ‹ Kirche vor, in der er 1890 konfirmiert wurde, deren Pastoren ihn und alle seine Geschwister 3 T. Mann, Bajazzo (GW VIII, S. 107). Siehe QV, Werkausgaben. Abb. 25.1: Thomas Mann um 1900 4 Die Seitenangaben der Romanzitate beziehen sich auf T. Mann, Buddenbrooks (GKFA 1.1, 2002). Siehe QV, Werkausgaben. Religion und Kirche bei Thomas Mann 480 tauften und zunächst seine Großeltern und dann seinen Vater »als große Leichen« aussegneten. Gemütlich und heimelig klingt dieser Einstieg nicht gerade. Eher lässt er an den »heimatlichen gotischen Spuk« 5 denken, den Thomas Mann bei der Ansprache zum 60. Geburtstag seines Bruders Heinrich (1931) in Erinnerung bringt. Zur - zugestandenermaßen gut beobachteten - ungastlichen Zugluft am Marienkirchhof gesellt sich am Ende des ersten Romankapitels die Unsauberkeit des Glockenspiels, beides zur einführenden Charakterisierung der stolzen Pfarr- und Ratskirche Lübecks. Mit ihrer die Bischofskirche um 18 Meter überragenden Firsthöhe und dem zehn Meter höheren Doppelturm forderte sie die Domherren jahrhundertelang heraus, wurde aber vor allem zum Vorbild für alle Backsteinkirchen im Ostseeraum. So endet das Eingangskapitel von Buddenbrooks: Das Glockenspiel von St. Marien setzte mit einem Chorale ein: pang! ping, ping - pung! ziemlich taktlos, so daß man nicht recht zu erkennen vermochte, was es eigentlich sein sollte, aber doch voll Feierlichkeit, und während dann die kleine und die große Glocke fröhlich und würdevoll erzählten, daß es vier Uhr sei, schallte auch drunten die Glocke der Windfangthür gellend über die große Diele, worauf es in der That Tom und Christian waren, die ankamen, zusammen mit den ersten Gästen (S. 16). Darunter war auch der Hauptpastor von St. Marien Wunderlich, von dem später noch zu sprechen sein wird. Mit einer kleinen, aber doch wahrnehmbaren Taktlosigkeit führt Thomas Mann im ersten Kapitel des Romans also › seine ‹ Kirche ein. Fast 700 Seiten oder über 40 Romanjahre später ist es Hanno, der 15jährige Sohn des zu Beginn des Romans 9-jährigen Thomas, den das falsche Glockenspiel von St. Marien an einem nebeligen Montagmorgen nervt, um so mehr als er am Vorabend im Stadttheater »Lohengrin« hatte hören dürfen, »die süße und verklärte Herrlichkeit« (S. 774). Das Glockenspiel konfrontiert ihn überdies gnadenlos mit der Realität seiner morgendlichen Verspätung. Umsonst hatte er den Wecker auf sechs Uhr gestellt, vergeblich den Vorsatz zur Unterrichtsvorbereitung im Morgengrauen gefasst und sich stattdessen seiner Verzagtheit und Hoffnungslosigkeit hingegeben. Alle waren an Ort und Stelle, und da begann es auch schon, acht Uhr zu schlagen! Die Glocken klangen durch den Nebel von allen Türmen, und diejenigen von Sankt Marien spielten zur Feier des Augenblicks sogar, »Nun danket Alle Gott« . . . Sie spielten es grundfalsch, wie Hanno rasend vor Verzweiflung konstatierte, sie hatten keine Ahnung von Rhythmus und waren höchst mangelhaft gestimmt (S. 778). 5 Royer, Lübecks Gotik und Lübecker Straßenbild als Leitmotiv in den »Buddenbrooks« (1964), S. 141. Thomas Mann und »seine« Kirche im Spiegel der Buddenbrooks 481 Der Choralvers »Nun danket alle Gott« 6 ist in einer Situation, in der Hanno verzweifelt feststellt, dass er die Montagsandacht nicht mehr pünktlich würde erreichen können, von ähnlicher Ironie wie das Lob- und Danklied, das Heinrich Mann den Schüler von Ertzum auf Geheiß des Herrn Professor Unrat im Hinterzimmer des »Blauen Engel« aufsagen lässt: »Sollt ich meinem Gott nicht singen« (vgl. Beitrag 20). Glaubwürdiger ist da schon Hannos gedachtes »gepriesen sei Gott«, als es ihm wenige Minuten später gelang, »sich ungesehen ins Klassenzimmer zu stehlen [und] dort heimlich das Ende der Andacht abzuwarten«, während alle anderen »für die Arbeit der Woche eine kleine religiöse Stärkung zu sich« nahmen (S. 779 f.). Die Liebe der Lübecker zur Tradition will es, dass sich jeder, der sich heute in der Altstadt aufhält, persönlich über das Glockenspiel von St. Marien ein musikalisches Urteil bilden kann. Zwar wurde das originale, 1508 erbaute älteste Glockenspiel Deutschlands in der Bombennacht Palmarum 1942 restlos zerstört, aber 1954 aus den Glocken der Danziger Katharinenkirche neu erstellt. So erklingt beispielsweise von Pfingsten bis Johannis nun wieder zu jeder vollen Stunde »Nun bitten wir den Heiligen Geist« und zur halben »Komm, Heiliger Geist, Herre Gott« - ebenfalls »ziemlich taktlos« und »höchst mangelhaft gestimmt«, wie von Thomas Mann vernommen und vor 100 Jahren beschrieben. »Nun danket alle Gott« wird aber nach der traditionellen Choralfolge zwischen Michaelis und dem Reformationsfest zur halben Stunde gespielt. Dass Thomas Mann den Choral an einem nebeligen Spätwintertag ertönen lässt, ist sicherlich bewusste dichterische Freiheit und ein weiterer Beleg dafür, dass er den ihm gern unterstellten fotografischen Realismus nur soweit einsetzt, wie er ins literarische Konzept passt. Die verstimmten Glocken von St. Marien - eine der vielen scheinbaren Nebensächlichkeiten im Roman! Zugleich ein Beispiel für die Methode der Leitmotivik, die Thomas Mann in Buddenbrooks anwendet. Wie auf vielen anderen Ebenen auch, wird mit dem Zustand des Glockenspiels und seiner Wirkung auf die Protagonisten die Eskalation des Romanthemas, Niedergang und Verfall, aufgezeigt. »Voll Feierlichkeit«, »fröhlich und würdevoll«, nur nicht ganz im Takt erklingen die Glocken am Romananfang - »durch den Nebel«, »grundfalsch«, »höchst mangelhaft gestimmt« werden sie vom letzten Buddenbrook wahrgenommen. Für Tom und Christian ist das Glockenspiel Zeichen, dass sie - von der Schule kommend - pünktlich zur vereinbarten Essenszeit im geborgenen Familien- und Freundeskreis eintreffen. Für Hanno ist der Choral quälende Gewissheit, dass er - aus der Kunstwelt der Oper und seinen Fantasien 6 Lob- und Danklied von Martin Rinckart 1636 (vgl. EG 321). Religion und Kirche bei Thomas Mann 482 gerissen - die verhasste Lehranstalt nur verspätet erreicht. In den vier Jahrzehnten der Romanzeit ist das Glockenspiel sicherlich nicht schlechter geworden. Es hängt mit der Verfeinerung der Buddenbrooks zusammen, mit ihrer Sensibilisierung für das Künstlerische und Ästhetische, dass Hanno die rhythmischen und intonatorischen Mängel der Glocken als störender empfindet als die vorherigen Generationen, ja, dass sie ihn sogar »rasend vor Verzweiflung« machen. Sie symbolisieren sein Leiden am Leben, das wenig später zuende geht, weil er sich ihm verweigert. Es ist schon angeklungen: Thomas Mann entfaltet sein Verfallsthema auf vielen Ebenen - familiär und gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch, biologisch und sittlich, und natürlich auch religiös-kirchlich. Parallel zum Firmenniedergang erkranken und sterben die Familienmitglieder immer früher - und immer weniger im Einklang mit sich und Gott. Während Johann Buddenbrook d. Ä., der heitere aufgeklärte Freigeist mit einer natürlichen, unbefangenen Religiösität - umstanden von seiner Familie - »alt und lebenssatt« (Gen 25,8) stirbt, ereilt seinen romantischen, fundamentalistisch frommen Sohn Jean der Tod plötzlich und unerwartet nach einem Barometersturz im Lehnstuhl. Dessen Sohn Thomas, der sich als Kulturprotestant mehr für Kunst und Philosophie als für das Religiöse interessiert, stirbt noch nicht 50-jährig zwar im Bett, aber beschämenderweise nach einem Sturz in die Gosse und ohne von den Segnungen des Pastors Notiz zu nehmen. Und sein Sohn Hanno, für den die Musik Religionsersatz ist, wird 15-jährig von der als ekelhaft beschriebenen Typhuskrankheit dahingerafft. Die zunehmende Décadence der Romanfiguren findet somit ihre Entsprechung in der zunehmenden Würdelosigkeit ihres Sterbens, aber auch in ihrem Verhältnis zu Kirche und Religion. Um Letzteres zu verdeutlichen, hat der Autor jeder Buddenbrookgeneration einen Pastor zur Seite gestellt, der den theologischen und kirchlichen Zeitgeist spiegelt. Diese Verkörperung gerät - bis auf die des ersten - wenig liebevoll, dafür karikierendfrivol bis süffisant, in jedem Fall aber ironisch-kritisch und meistens amüsant. Der noch in die Aufklärungsgeneration gehörende Pastor Wunderlich wird als »untersetzter alter Herr in langem, schwarzen Rock, mit gepudertem Haar und einem weißen, behaglich lustigen Gesicht, in dem ein Paar grauer, munterer Augen blinzelten« (S. 19), noch als recht liebenswert und sympathisch geschildert. Als Vollmitglied der Lübecker Gesellschaft trinkt er »in aller Behaglichkeit ein Glas [Rotspon] nach dem andern« (S. 32), bleibt dabei aber »weiß und formgewandt« (S. 38) und versteht »in angenehmen Wendungen zu toasten [. . .], in dem freien und behaglichen Plauderton, den er auch auf der Kanzel innezuhalten liebte . . .« (S. 35). Was er von der Kanzel, im seelsorgerlichen oder theologischen Gespräch sagte, darüber schweigt sich der Autor allerdings aus. Aber offensichtlich sind für Pastor Wunderlich wie für den ältesten Budden- Thomas Mann und »seine« Kirche im Spiegel der Buddenbrooks 483 brook Kirche und Leben, Religion und Bürgertum noch eine selbstverständliche, harmonische Einheit. Die beiden aufgeklärten Herren lächeln einander »ganz leise zu«, wenn der zweite Buddenbrook von sich selbst als »christlicher Mann, als Mensch von religiösem Empfinden« spricht und bei diesen Worten »einen stillen und schwärmerischen Ausdruck« annimmt (S. 31). Dieser Konsul Jean, dem sein Vater einen »Kopf voll christlicher und phantastischer Flausen« (S. 51 f.) vorwirft, hängt dem gefühlsbetonten Bibelchristentum der Erweckungsbewegung an, das bei dem ihm zugeordneten nächsten Marienpastor Kölling - »ein robuster Mann mit dickem Kopf und derber Redeweise« (S. 80) - aber bereits bigotte Züge annimmt. Das natürliche Christentum des Pastor Wunderlich degeneriert bei seinem Nachfolger zur Morallehre. Er wettert am Grabe des alten Buddenbrook mit großem Pathos gegen die »Wollüstigen, Fresser und Säufer« (S. 80) und predigt statt den Glauben die Mäßigkeit. Er mißbraucht sein Amt, indem er sich von Konsul Jean instrumentalisieren lässt und dessen Tochter Tony von der Kanzel aus in die Ehe mit dem betrügerischen Pastorensohn Grünlich und damit ins Unglück treibt. Kein Wunder also, dass Tony nach diesem Komplott väterlicher und kirchlicher Gewalt eine instinktive Abscheu gegen jede Form eines heuchlerischen Christentums empfindet. Diese richtet sich vor allem gegen die frömmelnden Wanderprediger, die sich zuhauf im Hause ihrer Mutter durchfüttern lassen. Konsulin Elisabeth Buddenbrook, genannt Bethsy, entwickelte im Witwenstand eine religiöse Betriebsamkeit mit ausgedehnten Morgen- und Abendandachten, an denen der gesamte Hausstaat teilnehmen musste, mit Sonntagsschule für die Volksschul-Mädchen aus dem sogenannten niederen Stande und mit den »Jerusalemsabenden«, an denen »etwa zwanzig Damen, die in dem Alter standen, wo es an der Zeit ist, sich nach einem guten Platze im Himmel umzusehen«, einmal wöchentlich zusammenkamen, Tee tranken, »geistliche Lieder und Abhandlungen« vorlasen und Handarbeiten fertigten, »die am Ende des Jahres in einem Bazare verkauft wurden, und deren Erlös zu Missionszwecken nach Jerusalem geschickt ward« (S. 305). 7 Auch bei den Morgen- und Abendandachten »trat oft an die Stelle der Bibel eines der Predigt- und Erbauungsbücher mit schwarzem Einband und Goldschnitt, dieser Schatzkästchen, Psalter, Weihestunden, Morgenklänge und Pilgerstäbe, deren beständige Zärtlichkeit für das süße, wonnesame Jesulein ein wenig widerlich anmutete und von denen allzuviele im Hause vorhanden waren« (S. 304). Man spürt geradezu, wie der nach eigener Aussage eben »aus der Haft seiner engen Vaterstadt« 8 entflohene Thomas Mann, 23-jährig und in München 7 Vgl. Beitrag 19, VIII. 8 Schröter, Thomas Mann (1964), S. 32. Religion und Kirche bei Thomas Mann 484 oder Rom in sicherer Entfernung, sich diese Sätze genüßlich auf der Zunge zergehen läßt. Bei dem hier praktizierten Christentum wurde die Institution Kirche offensichtlich kaum noch gebraucht. Und so trat Marienpastor Kölling in den Hintergrund gegenüber dem clerus vagans: »Thränen-Trieschke aus Berlin, der diesen Beinamen führte, weil er allsonntäglich einmal inmitten seiner Predigt an geeigneter Stelle zu weinen begann . . .« (S. 309), Erbschleicher Pastor Tiburtius, der Tonys fromme Schwester Clara nach Riga entführte, Missionar Jonathan, Pastor Matthias aus Cannstadt und wie sie alle hießen. Thomas Mann beschreibt das fromme Treiben in der Mengstraße 4 sicherlich mit einiger Übertreibung, aber zweifellos auch aus eigener Anschauung. Seine Großmutter Elisabeth Mann, geb. Marty (Abb. 25.2), die das Vorbild für Bethsy Buddenbrook abgab, überlebte ihren Mann um 27 Jahre in dem Haus, das durch den Roman Weltruhm erhalten sollte. Die Enkel gingen bei der Großmutter, die von Thomas Mann später als »sehr fromm reformiert-protestantisch denkend« 9 charakterisiert wurde, ein und aus. Sie waren von ihrer Frömmigkeit offensichtlich beeindruckt, trotz der »vielen wunderlichen Missionars- und Predigertypen, von denen manches Humoristische und Karikaturistische von Familienhumor anekdotisch überliefert wurde«. 10 Als sie 1890 fast achtzigjährig starb - Thomas war damals fünfzehn - , schrieb der vier Jahre ältere, spürbar betroffene Bruder Heinrich an seinen Schulfreund: »Ich sage ganz ohne Spott: Sie war › stark im Glauben ‹ . Begreifst Du? « 11 »Stark im Glauben« setzte er dabei in Anführungsstriche und ließ damit durchblicken, dass ihm die Wendung als Bibelzitat vertraut war (Röm 4,20). 9 Zit. nach Dittmer, Buddenbrooks und die Kirche (1931), Sp. 68. 10 Ebd. 11 H. Mann, Briefe an Ludwig Ewers (1980), S. 198. Siehe QV, Werkausgaben. Abb. 25.2: Elisabeth Mann, geb. Marty (1811 - 1890) Thomas Mann und »seine« Kirche im Spiegel der Buddenbrooks 485 Elisabeth Mann (1811 - 1890), war die Tochter von Johann Heinrich Marty, eines aus der Schweiz stammenden aktiven Mitglieds der Reformierten Gemeinde Lübeck. Dieser vermachte sie ansehnliche Teile ihres Vermögens. Die Erweckungsfrömmigkeit ging in Lübeck in erster Linie von reformierter Seite aus. Führender Geistlicher war 55 Jahre lang (1798 - 1853) Johannes Geibel, Vater von Emanuel, der - konfessionsübergreifend - mit den angesehensten Lübecker Bürgern u. a. die Bibelgesellschaft (1814) und den Missionsverein (1821) gründete und sonntags nahezu 800 Gottesdienstbesucher um sich versammelte. Darunter waren auch viele Mitglieder der lutherischen Staatskirche, die sich von der gefühlsbetonten Bibelorientierung und Christusfrömmigkeit angezogen fühlten. Durch Einheirat bildete die Familie Mann ein gesellschaftliches Bindeglied zwischen den lutherisch-orthodoxen Gelehrtenkreisen und den traditionell dem Kaufmannsstand angehörenden reformierten Familien mit der neupietistischen Frömmigkeit und der positiven Dominus providebit-Theologie. »Ein freudiger Glaube ist Erbtheil in unserer Familie gewesen«, schrieb noch Thomas Manns Vater 1891 in sein Testament. 12 Davon spürt man in dem, was sein Sohn über die religiösen Übungen im fiktionalen Hause Bethsy Buddenbrooks und vor allem über den freudlosen Glauben ihrer Tochter Clara erzählt, allerdings wenig. Wenn Religiosität Ausdruck von Weltflucht und Lebensschwäche wird und Sündenbewusstsein in heuchlerische Zerknirschung umschlägt, revoltiert Tony, und ihr Schöpfer Thomas Mann brilliert in ironisch-satirischen Episoden. So nötigt ein fremder Prediger, der bei Buddenbrooks zu Gast ist, die Familie bei der Morgenandacht, »zu einer feierlichen, glaubensfesten und innigen Melodie die Worte zu singen: Ich bin ein rechtes Rabenaas, Ein wahrer Sündenkrüppel, Der seine Sünden in sich fraß, Als wie der Rost den Zwippel. Ach Herr, so nimm mich Hund beim Ohr, Wirf mir den Gnadenknochen vor Und nimm mich Sündenlümmel In deinen Gnadenhimmel! « (S. 304) Manche Germanisten beschäftigen sich noch immer mit der Frage, was es mit dieser Strophe auf sich habe, in welchem Gesangbuch sie zu finden sei oder ob sie Thomas Mann selbst gedichtet habe. Die Hymnologen haben das Geheimnis längst gelüftet. Es handelt sich um die Parodie einer Kirchenliedstrophe, die 1840 in einem Artikel gegen die beabsichtigte Restauration der rationalistisch veränderten Kirchenlieder veröffentlicht wurde. Allerdings wurde von dem anonymen Verfasser des Artikels (und wohl auch der Parodie) in polemischer 12 Zit. nach de Mendelssohn, Der Zauberer (1975), S. 132. Religion und Kirche bei Thomas Mann 486 Absicht behauptet, sie »einem noch nicht sehr alten Breslauer Gesangbuche entnommen« 13 zu haben. Danach wurde ein jahrzehntelanger öffentlicher Streit um die vermeintliche Echtheit der »Rabenaas-Strophe« und ihre Urheberschaft ausgetragen, an der sich mit großer Genugtuung kein geringerer als Friedrich Engels beteiligte. Von katholischer Seite wurde sie sogar Luther zugeschrieben, weil darin »die lutherische Rechtfertigungslehre doch recht korrekt ausgesprochen« sei. 14 Die Diskussion entbrannte 1898 neu, gerade rechtzeitig, um Thomas Mann diese drastische Karikatur von Sündenzerknirschtheit und Erlösungsglauben für das 5. Kapitel des 5. Buches, in dem er die Veränderungen im Hause Buddenbrook nach dem Tode des Konsuls Jean schildert, zuzuspielen. Doch auch echte Kirchenliedverse, vor allem von Martin Luther und Paul Gerhardt, zitiert der Autor, meistens jedoch ebenfalls in einem ironischen Kontext. »Laß fahren dahin« wurde gegen Ende des Romans die Lieblingsrede des zitierfreudigen Maklers Gosch, »er wiederholte sie beständig und oftmals ganz außer dem Zusammenhange« (S. 733). Und das zu einem Zeitpunkt, als die Buddenbrooks tatsächlich »Gut, Ehr, Kind und Weib« verloren, ohne dass ihnen ein anderes Reich zu bleiben schien. »Ich mag gar nicht mehr auf der Welt sein«, sagte Christian. »Laß fahren dahin! « sagte Herr Gosch (S. 738). Für Thomas Mann und seine Generation war das Kirchenlied - und dies keineswegs nur auf Luthers Ein feste Burg bezogen, aus dessen 4. Strophe die Redensart des Maklers stammt - noch fester Bestandteil der Bildung. In Schule und Konfirmandenunterricht wurden nicht nur zahlreiche Bibelverse und der Katechismus mit den umständlichen Erklärungen der Erklärungen Luthers auswendig gelernt, sondern auch ein Stamm von vielstrophigen Kirchenliedern. Der Katechismusausgabe aus Thomas Manns Schulzeit (1886) ist z. B. eine Auswahl von 38 »evangelischen Liedern zum Auswendiglernen« beigegeben, von denen 20 fettgedruckte offensichtlich zum absoluten Pflichtkanon gehörten, darunter auch fast alle der in Buddenbrooks zitierten Kirchenlieder (vgl. Beitrag 19 mit Abb. 19.2). So schöpften der jugendliche Verfasser des Romans, aber auch sein Bruder Heinrich wie viele Dichter vor ihnen und noch nach ihnen aus dem Fundus eines Wissens, das ständig verfügbar war. Die Kirchenliedzitate und -anspielungen werden von immer weniger Lesern, aber auch nicht mehr von allen Interpreten und Kommentatoren erkannt. Das gilt selbst bei Liedern, die heute noch im Gesangbuch stehen, regelmäßig im Gottesdienst gesungen und in Kirchenkonzerten gehört werden. Drei besonders reizvolle Liedzitate von Paul Gerhardt in Buddenbrooks stellte ich bereits mehrfach an anderer Stelle vor 15 (s. o. Beitrag 19, S. 365 - 370). 13 Zit. nach Ameln, Über die »Rabenaas«-Strophe und ähnliche Gebilde (1968), S. 193. 14 Ebd., S. 191. 15 Vgl. BibAK 16 (1997) und BibAK 22 - 24 (alle 2001). Thomas Mann und »seine« Kirche im Spiegel der Buddenbrooks 487 1. »Will Satan mich verschlingen« (S. 307), aus Nun ruhen alle Wälder, Str. 9 »Breit aus die Flügel beide« (vgl. EG 477,8). 2. »Gieb mir, gieb [! ] allen denen, die sich von Herzen sehnen« (S. 393), aus Nun laßt uns gehn und treten (vgl. EG 58,9). 3. »Mach ’ End ’ , o Herr, mach ’ Ende mit aller seiner [! ] Not« (S. 754 f.), aus Befiehl du deine Wege (vgl. EG 361,12). Die zuletzt genannte, leicht veränderte Strophe eines der bekanntesten Lieder von Paul Gerhardt legt Thomas Mann seiner Romanfigur Tony Buddenbrook am Sterbebett ihres Bruders in den Mund. Damit versucht sie dort einzuspringen, wo Pastor Pringsheim, den sie nach der letzten Visite des Hausarztes hatte holen lassen, versagte. Der Sterbende hatte von den theatralischen Segnungen des fiktionalen Seelsorgers keine Notiz mehr genommen. Dieser steht mit seiner gekünstelten Selbstinszenierung und gefühllosen Perfektion in krassem Gegensatz zu Tonys ehrlicher Absicht und bleibt im Gegensatz zu ihr natürlich auch nicht stecken. So beschreibt Thomas Mann seinen Auftritt: In halbem Ornat, ohne Halskrause aber in langem Talar, erschien er [. . .]. Er bat den Kranken, ihn zu erkennen und ihm ein wenig Gehör zu schenken; da dieser Versuch aber fruchtlos blieb, so wandte er sich direkt an Gott, redete ihn in stilisiertem Fränkisch an und sprach zu ihm mit modulierender Stimme in bald dunklen, bald jäh accentuierten Lauten, indeß finsterer Fanatismus und milde Verklärung auf seinem Gesichte wechselten [. . .] Und dann sprach er mit wirksamer Pointierung noch zwei in solchen Fällen übliche Gebete und erhob sich [. . .], streifte Schwester Leandra [die katholische] nochmals mit einem kalten Blick und hielt seinen Abgang (S. 753 f.). Der Vertreter der Amtskirche, der dem letzten Buddenbrookschen Familienoberhaupt zugeordnet ist, zeigt an dessen Sterbebett also sehr viel mehr schauspielerisches Talent als seelsorgerliche Qualitäten. In der Überzeichnung der Person des Pastors Pringsheim wird noch einmal deutlich: Dem äußeren Verfall der Familie entspricht die Veräußerlichung der Religion und die Vergröberung ihrer kirchlichen Amtsträger. Neben dem Spiegelbild des Verfalls erkennen wir aber auch das Gegenbild einer Décadence im Sinne von Verfeinerung. Das heißt, je weiter der religiöse und sittliche Niedergang sowie der gesellschaftliche und biologische Verfall voranschreiten, desto mehr reflektieren die Buddenbrooks, desto mehr werden sie sensibilisiert für das Philosophisch- Künstlerische, das schließlich in Hannos lebensverachtender Musikleidenschaft, in seiner Kunstreligion gipfelt. Sein Vater Thomas Buddenbrook hatte sich noch nach dem wirklichen Leben und nach Erlösung gesehnt, die er bei der »Schopenhauer-Lektüre« in einem metaphysischen Erlebnis gekommen glaubte: Und siehe da: plötzlich war es, wie wenn die Finsternis vor seinen Augen zerrisse, wie wenn die sammtne Wand der Nacht sich klaffend teilte und eine unermeßlich tiefe, eine ewige Fernsicht von Licht enthüllte . . . Ich werde leben! sagte Thomas Budden- Religion und Kirche bei Thomas Mann 488 brook beinahe laut und fühlte, wie seine Brust dabei vor innerlichem Schluchzen erzitterte (S. 723). Doch schon am nächsten Morgen hatte er sich wegen der »geistigen Extravaganzen« (S. 726) geniert und sich zwei Wochen später in den sicheren Hafen von den »Begriffen und Bildern, in deren gläubigem Gebrauch man seine Kindheit geübt hatte« (S. 727), hinübergerettet, ohne dass sie ihm wirklich zur Lebenshilfe wurden. Er rief sich die Grundsätze der christlichen Lehre von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht in Erinnerung und fand doch keinen Frieden. Mehrere Tage plagte ihn die Frage, »ob nun eigentlich die Seele unmittelbar nach dem Tode in den Himmel gelange, oder ob die Seligkeit erst mit der Auferstehung des Fleisches beginne . . .« (S. 728) und wo die Seele bis dahin bliebe? Er warf Schule und Kirche vor, ihn niemals darüber belehrt zu haben, und wäre beinahe zu Pastor Pringsheim gegangen, was er jedoch im letzten Augenblick aus Furcht, sich lächerlich zu machen, unterließ. Stattdessen machte er sein Testament, und ein halbes Jahr später war er tot. Pastor Pringsheim hätte ohnehin wenig Verständnis gehabt für derlei differenzierende Fragen und unbürgerliche Anwandlungen. Er beobachtete mit Abneigung die zunehmenden »Décadence-Merkmale« 16 bei den Buddenbrooks und sagte nach dem Tode des Senators über dessen Sohn Hanno, man müsse ihn aufgeben, denn er stamme »aus einer verrotteten Familie« (S. 820). Dies hat nun der › echte ‹ langjährige Hauptpastor an St. Marien, Senior Leopold Friedrich Ranke (1842 - 1918; Abb. 25.3), der in mancherlei Hinsicht für sein literarisches alter ego »Pastor Pringsheim« Pate gestanden hat, tatsächlich über die Familie Mann gesagt. »Die › verrottete ‹ Familie, so genannt von einem voreiligen Pastor, sollte noch auffallend produktiv sein«, mokiert sich Heinrich Mann in Ein Zeitalter wird besichtigt. 17 Der über 30 Jahre an St. Marien wirkende Konfirmator von Heinrich und Thomas Mann trat als Anhänger des wilhelminischen Nationalprotestantismus für Deutschtum und Christentum, Religion und Vaterland, Ehe und Familie ein. Als von der Erlanger Theologie geprägter Konservativer fürchtete er die immer größer werdende Zahl derer, »die an den Grundfesten des Staates, der Kirche, der Gesellschaft rütteln«, 18 und meinte damit wohl vor allem die Sozialdemokraten. In einer Festpredigt von 1893 über Ps 144,9 - 12 machte er das Vaterland direkt zum Thema: »Was erwartet das Vaterland von uns? Es erwartet: 1. daß wir Gottes Wundergüte gegen uns Deutsche mit neuen Liedern fröhlich preisen [gemeint ist das »Wunder« von 1870/ 71, das er als herrliches Eingreifen Gottes interpretierte]; 2. daß wir uns vor undeutschen Lehren und Werken fleißig in Acht 16 Vgl. Moulden/ Wilpert (Hg.), Buddenbrooks-Handbuch (1988), S. 24. 17 H. Mann, Ein Zeitalter wird besichtigt (1988), S. 239. Siehe QV, Werkausgaben. 18 Neujahrspredigt 1905, zit. nach Hauschild, Kirchengeschichte Lübecks (1981), S. 499. Thomas Mann und »seine« Kirche im Spiegel der Buddenbrooks 489 nehmen; 3. daß wir das junge Geschlecht zu echt deutscher Art treulich und ernstlich anleiten.« 19 Wozu eine solche Verschmelzung von Nationalismus und Religiosität führen kann, hat die Geschichte und die Kirchengeschichte - leider auch in Lübeck - schmerzlichst gezeigt. Die eben zitierte Festpredigt kann der 18-jährige Thomas Mann, bevor er im Herbst 1893 nach München übersiedelte, noch gehört haben. Gestalten wie Pastor Ranke haben sein Bild von der Institution Kirche und ihren Repräsentanten zweifellos geprägt. Und er hat ihre Charaktere und Ansichten in seinem literarischen Werk verarbeitet. Nicht eins zu eins, damit täte man dem in mancher Hinsicht herausragenden Lübecker Theologen und Kirchenführer Ranke unrecht. Er war nicht nur ein geschätzter Prediger und Seelsorger, sondern als Mann der Inneren Mission auch ein sozialkaritativer und volkskirchlicher Reformer. In Pastor Pringsheim karikiert der jugendliche Autor nur Abb. 25.3: Senior Leopold Friedrich Ranke (1842 - 1918) 19 Zit. nach Hauschild, S. 498. Religion und Kirche bei Thomas Mann 490 eine, wenn auch besonders auffällige und unsympathische Seite des aus dem fränkischen Bayreuth stammenden Geistlichen. Thomas Manns Beschreibungen der pastoralen Auftritte am Sterbebett von Thomas Buddenbrook einerseits und in der Todesstunde seines leiblichen Vaters andererseits zeigen auffallende Parallelen: Als der Hauptpastor von Sankt Marien zu Lübeck, im Priesterkleide am Sterbebett meines Vaters kniend, sich in lauten Gebeten erging, sprach der Sterbende, nach einigem unruhigen Kopfwenden, ein energisches »Amen! « in die frommen Redereien hinein. Der Geistliche ließ sich dadurch nicht stören und tat des Amens sogar in seiner Grabrede lobend Erwähnung, während es doch, wie mir, dem halbwüchsigen Jungen, sofort klar gewesen war, nichts weiter bedeutet hatte als »Schluß! «. 20 Thomas Mann und seine Kirche. Ohne den Zusatz »im Spiegel der Buddenbrooks« hätte ich nicht gewagt, darüber zu sprechen und zu schreiben. Der »Libertin und ein wenig lasche Kulturprotestant, der er in seiner Jugendzeit war«, 21 hat dazu selten ausdrücklich Stellung genommen. Aber wir spüren Distanz und Mißtrauen. In einem Brief an Kuno Fiedler äußert er sich direkter: Sobald das Religiöse sich als positive, gegen andere Bekenntnisse bestimmt, ja militant abgegrenzte Religion etabliert, stellt sich alles wieder ein: Theologie, Mythologie, Orthodoxie, ein Dogmensystem, das an das Heil gebunden ist, sogar kirchliche Machtpolitik (denn Religion und Politik sind nicht zu trennen), und wir sind wieder am gleichen Fleck. 22 Der Roman sagt über das persönliche Verhältnis seines Autors zur Kirche oder gar zum Glauben zunächst gar nichts aus. Er ist Literatur, Fiktion, auch wenn sich die Erfahrungswelt des Verfassers auf jeder Seite widerspiegelt. Der Erzähler legt damit nicht etwa ein Bekenntnis ab, weder ein religiöses noch ein konfessionelles. Er gewährt uns aber mittels seiner Romanfiguren Einblicke in seine Beobachtungen und kritischen Überlegungen. Und weckt somit indirekt, über das Medium Literatur, Verständnis für seine Skepsis. Das sahen die Geistlichen seiner Zeit keineswegs alle so. In der theologischen Zeitschrift Die Reformation entspann sich bereits 1904, also drei Jahre nach dem Erscheinen von Buddenbrooks, eine kontroverse Diskussion über die Behandlung des Christentums im Roman. Die einen warfen dem Verfasser vor, ob gewollt oder ungewollt, »eine weltgeschichtliche Erscheinung wie das Christentum« 23 mit seinem Roman empfindlich getroffen zu haben: »Daß Th. Mann ein vornehmer Charakter ist, steht uns außer aller Frage; aber daß er in den › Buddenbrooks ‹ dem Christentum eine vornehme Behandlung so total versagt, 20 Zit. nach Schröter, S. 25. 21 Zit. nach Jens, Die Buddenbrooks und ihre Pastoren (1993), S. 11. 22 Ebd., S. 18. 23 Wagner (Braunsfeld). In: Die Reformation 3 (1904), S. 428. Thomas Mann und »seine« Kirche im Spiegel der Buddenbrooks 491 das ist unser Schmerz« 24 . Die anderen verteidigen den künstlerischen Standpunkt und konstatieren, dass der Verfasser »kein böses Wort über das Christentum« sage. »Was er schildert, unbarmherzig, boshaft schildert, sind allerhand › Christen ‹ , denen das › Christentum ‹ im Munde und auf der Haut, in den Kleidern und über der Haustür sitzt. Gibt es solche › Christen ‹ vielleicht nicht? Ist die Kritik an ihnen eine Kritik am Christentum? « 25 Thomas Mann selbst hat in reiferem Alter (1931) dem Theologen Hans Dittmer gegenüber konzediert, »daß das Buch die Spuren des jugendlichen Alters trägt, in dem es verfaßt wurde. Die Satire gegen das Protestantisch- Geistliche, die es enthält, ist ohne Frage ein bißchen knabenhaft leichtsinnig«. 26 Er nahm die religiöse Frage durchaus ernst. Sie stellte sich ihm nach eigener Aussage in der Sterbestunde seines Vaters, 27 ließ ihn sein Leben lang nicht wieder los und fand zunehmend Eingang in sein Werk. Doch dies ist ein eigenes Thema. 24 Ders. ebd., S. 570. 25 Brüssau, ebd., S. 524. 26 Zit. nach Dittmer, Sp. 67. 27 Vgl. Schröter, S. 25. Religion und Kirche bei Thomas Mann 492 VII Epilog: Kleine hymnologische Narreteien 26 Ach got In hImel hIlff du mIr Andreas Marti zum 50. Geburtstag Ach got In hImel hIlff du mIr / NIt leIcht fellt mIr das tIchten. DIch rVf ich an / ich schrey zu dIr / ReIn gar nIchts thV ich rIchten. Eer sy dem Vatter Vnnd dem sVn / Als er im anfang was Vnd nVn/ SIn gnade leIste / Amen. Lieber Andreas, rechtzeitig zu Deinem Semicentennium, dem zur Neige gehenden annus jubilaeus, stieß ich durch Zufall in meiner Akrostichsammlung auf obenstehenden Einblattdruck o. O. o. J. Ich zögerte bisher mit der Veröffentlichung und erwähnte ihn auch nicht in meinem Akrostichonaufsatz im JLH 36 (1996/ 97), weil ich mir über Echtheit und Provenienz zu sehr im Unklaren war. Heute nahm ich mir die Strophe aber wieder vor und machte einige interessante Entdeckungen, die ich Dir nicht vorenthalten möchte. Sprache und Orthographie deuten in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts und erinnern besonders in den ersten vier Versen noch ganz an Luther und seinen Umkreis. Unübersehbar ist die siebenzeilige Lutherstrophe, die dem Dichter für das aus sieben Lettern bestehende Namensakrostichon natürlich entgegenkam, und die Anspielung auf Luthers Psalmlied »Ach got von hymel sihe darein«. Bereits 1524 im Achtliederbuch abgedruckt, wurde es in niederdeutscher Fassung zum Agitproplied der Lübecker Reformation, »de erst dudesche Psalm, welk to Lübeck in de Kerken gesungen was«. Am 5. Dezember 1529 störten »twe klene Jungen« den Adventsgottesdienst in St. Jakobi, als der mit der neuen Lehre sympathisierende Kaplan nach der Predigt die vorgeschriebene Fürbitte für die Seelen im Fegefeuer sprechen wollte, mit dem Gesang des Lutherliedes, in das die ganze Gemeinde kräftig und kämpferisch einstimmte. »Van dem dage hebb de borger vorgenamen, wo ener up den predikstol qwam, he was doctor effte cappelan, monke effte papen, so he begunde wat to seggen [. . .] dat sik mit der lere des euangelium nich rimede, so houense strakes an › Och Gad vam hemel sehe darin ‹ , so moste de pape effte monke strakes van dem stole« (Reimar Kock, Chronik 1529 - 1531). Weitere Anklänge an den Wittenberger Reformator finden sich im zweiten und vierten Vers, der die »Warnung D. M. L.« auf dem Titelblatt des Babstschen Gesangbuchs (»Viel falscher Meister itzt Lieder tichten / sihe dich für, vnd lern sie recht richten«) mit demselben gekreuzten Reimpaar wie in unserer Strophe in Erinnerung ruft. Besonders auffällig aber ist das Quasi-Zitat aus Luthers »De profundis« in Vers 3: »Dich ruff ich an / ich schrey zu dir«, ein weiterer Beleg für die These von Markus Jenny, dass den drei Psalmliedern, die Jobst Gutknecht 1524 im Achtliederbuch hintereinander unter der bekannten Melodie eines mittelalterlichen Osterwallfahrtsliedes (»Die drey nachfolgenden Psalm. / singt man in disem thon«) abdruckte, ein bereits vorhandener Dreiliederdruck zugrundelag, der Luthers Paraphrasen des 12., 14. und des 130. Psalms von jeher miteinander verklammerte. Der unbekannte Dichter der Akrostichstrophe hatte dieses offensichtlich so verinnerlicht, dass er den Liedanfang von »Auß tieffer not schrey ich zu dir / herr got erhör mein ruffen« in einem Atemzug mit dem ersten der drei Psalmlieder zitierte. Auch aus diesem Grunde ist die Datierung des Liedes sehr früh anzusetzen, in deutlicher Nähe zu den Vorbildern, d. h. also in den späten 20er oder in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts. Der Dichter beschwört, wie oben bereits bemerkt, in den ersten vier Versen inhaltlich, sprachlich und orthographisch mit leichtem Nürnberger Einschlag Wittenberg herauf, fällt aber in den letzten drei Versen, die eine verkürzte Doxologie darstellen, unverkennbar in alemannischen Dialekt und Duktus. Während der Liedvorlage in Nürnberg, Erfurt und Wittenberg 1524 - 1535 eine Gloria Patri-Strophe fehlt, ist ihr Incipit in Zwicks Nüw gsangbüchle Zürich 1540 ausdrücklich abgedruckt. Unter dem 1. Psalm finden wir sie in voller Länge. Da der Dichter unter dem Zwang des Akrostichons nur noch drei Verse zur Verfügung hatte, musste er zwangsläufig Eliminierungen vornehmen. In der untrüglichen Gewissheit, dass der Leser und Sänger seiner Zeit nach Nennung von »vatter« und »sun« den Heiligen Geist mitdenkt - bezeichnenderweise wird ausgerechnet das weibliche Prinzip in der Trinität dem Mitdenken überlassen! - , konnte er auf die Zeile »vnnd ouch dem heilgen geiste« verzichten, zumal der letzte Vers »[der vnns] sin gnade leiste« durch den assoziierten Reim auf »Geiste« den Kontext wieder herstellt. Es handelt sich hier um ein bisher weder in der geistlichen noch in der weltlichen Dichtung entdecktes Phänomen, das ich mit › Reimellipse ‹ bezeichnen möchte, um späteren Forschern eine Orientierung an die Hand zu geben. Das Akrostichon macht jeden Zweifel darüber erhaben, dass es sich hier um eine absichtliche Auslassung handelt. Es ist ein Meisterbeispiel für Epilog: Kleine hymnologische Narreteien 496 eine bewusst vermiedene Redundanz. Nach dem vierzeiligen Stoßgebet des Klagepsalms überlässt es der Dichter dem mündigen und aufgeklärten Leser selbst, den bekannten Topos vom erhörten Gebet, von der erbrachten Hilfe und Rettung hineinzudenken, und schließt unmittelbar die Lobpreisung des dreifaltigen Gottes an, die mit Amen endet, nicht ohne zuvor die Gnade Gottes, der er die Hilfe verdankt, erwähnt zu haben. Mutmaßungen über den Verfasser können nur Spekulation bleiben. Wie oben ausgeführt, versucht der Dichter zwar den Wittenberger Ton zu treffen, fällt aber in den letzten Versen unüberhörbar in die alemannische Mundart, was zumindest auf eine Schweizer Affinität schließen lässt. Da die Orthographie des Schlussterzetts zudem mit dem Nüw gsangbüchle fast hundertprozentig übereinstimmt, könnte die Autorschaft im Umkreis des Konstanzer Reformators Dr. Johannes Zwick vermutet werden. Vielleicht handelt es sich um ein Epigramm auf seinen 1542 an der Pest gestorbenen Vorgänger im Predigtamt zu Bischofszell im Thurgau, Andreas Köllin von Ulm, dem er ein halbes Jahr später in die Ewigkeit folgte. Dem entgegen steht allerdings das in der Akrostichstrophe enthaltene Chronogramm. Andreas Köllin von Ulm erreichte ein deutlich höheres Lebensalter. Hier sind also noch Fragen offen. Auch werde ich das Gefühl nicht los, dass es sich bei dem Akrostichon unter Anwendung eines einfachen oder augmentierenden Zeilensprungs um die sehr seltene Form eines Doppelakrostichons handeln könnte, in dem sich sowohl der Widmungsträger als auch der Verfasser verbergen. Was meinst Du dazu? Sollten wir mal jemanden darauf ansetzen für einen Beitrag im JLH? Ich komme z.Zt. leider nicht dazu, aber vielleicht würde es Dich selber reizen? Und damit, lieber Andreas, getreuer Mitstreiter, Aufklärer, Ketzer, guter Freund, bin ich am Ende meines Briefes, den ich ausnahmsweise nicht faxen, sondern unserer gelben und Eurer roten Post anvertrauen werde. Wie gut, dass es Dich seit 50 Jahren so gibt, wie Du bist, und dass ich manche Wegstrecke in Deinem Leben mit Dir gehen oder doch wenigstens kreuzen durfte. Ad multos annos! Lübeck, zum 5. November 1999 1 1 Siehe Postscriptum nach Beitrag 27. Andreas Marti zum 50. Geburtstag 497 27 Hic est dies et annVs iubiLæVs Hermann Kurzke zum 60. Geburtstag HERR JEsu CHrist, mein höchstes Gut, Mein Seelenschatz, mein Hertzensmuth, Ach frommer GOtt! wo soll ich hin? Nun lob, o meine Seel und Sinn. Halleluja! Nunc angelorum gloria, KURZ ist die Zeit, kurz sind die Jahr, Komm, Heilger Geist, der Leben schafft, Erfülle mich mit deiner Kraft. Halleluja! anonymer Einblattdruck, o. O., o. J. Als die Bitte an mich herangetragen wurde, mich mit einem originären Beitrag an einer Festschrift für Hermann Kurzke zu seinem 60. Geburtstag zu beteiligen, ging ich auf die Suche nach einem bisher nicht kommentierten Text und wurde in meiner hymnologischen Sammlung schnell fündig. Gern widme ich meine Betrachtung dazu dem verehrten Kollegen, dem ich zunächst in der Thomas Mann-Gesellschaft begegnete, dessen leidenschaftliches Interesse an der Hymnologie ich in den vergangenen Jahren mit großer Freude beobachten konnte und dem ich für seinen beispiellosen Einsatz für die hymnologische Forschung und Lehre herzlich dankbar bin. Bei dem oben zitierten Strophenpaar handelt es sich zweifellos um ein geistliches Gedicht mit allen Anzeichen eines geistlichen Liedes. Dafür spricht nicht nur die Strophenform, sondern auch die Fülle geprägter Wendungen, die Erinnerungen an bekannte Kirchenlieder wachrufen. Obwohl das Lied in keiner der einschlägigen Veröffentlichungen - weder in einem der zahlreichen konsultierten Gesangbücher noch in einer der großen Anthologien, Enzyklopädien oder Kirchenliedgeschichten des 19. Jahrhunderts - nachgewiesen werden konnte, meint der Leser, den Text schon einmal gehört, gelesen oder gar Erstdruck in: Eva Barwinek, Christiane Schäfer, Rebecca Schmidt, Stephan Stachorski, Ulrike Süß (Hg.), Mainzer Anthologie. Eine Festgabe für Hermann Kurzke zum 60. Geburtstag, Privatdruck Aschaffenburg 2003, S. 97 - 101. gesungen zu haben. So vertraut sind Inhalt, Sprache und Form. Und dennoch oder gerade deshalb wirft der Text etliche Fragen auf, denen wir uns in der nachstehenden Untersuchung stellen wollen. Dankenswerterweise gibt die lateinische Überschrift einen Hinweis auf den möglichen Anlass, für den das Lied geschrieben und bei dem es gesungen wurde oder doch zumindest gesungen werden sollte: »Hic est dies et annus iubilæus«. Selbst der des Lateinischen nicht besonders kundige Leser wird keine Probleme damit haben herauszufinden, dass es sich bei dem Anlass um einen Jubelbzw. Festtag respektive um ein Jubelbzw. Festjahr handeln muss. Irritierend, wenn nicht sogar irreführend, ist nur die Tatsache, dass die Übertitelung in Lateinisch erfolgt. Denn der gesamte Sprachduktus deutet auf eine Entstehungszeit, in der die lateinische Sprache längst aus dem Kirchenlied verbannt worden war. Wenden wir uns nun den einzelnen Versen zu. Das Initium lässt zunächst an das berühmte Bußlied von Bartholomäus Ringwald, Frankfurt/ Oder 1588, denken: HErr JESU CHrist, du höchstes Gut! du Brunnquell aller gnaden! bzw. an das noch heute gebräuchliche Abendmahlslied (Chemnitz 1713) mit dem gleichen Anfang (EG 219). Dem aufmerksamen Leser entgeht aber natürlich die kleine Variante nicht - aus dem Personalpronomen »du« (2. Person) wird das Possessivpronomen »mein« (1. Person) - , mit der eine Reihe emphatischer Prädikationen eingeleitet wird: »mein höchstes Gut, mein Seelenschatz, mein Hertzensmuth«. Die Komposita in Vers 2 entsprechen noch ganz den Genetiva emblematica der Paul Gerhardt-Zeit, in die das Lied zeitlich durchaus einzuordnen wäre, wenn es nicht ein Trostlied aus Ps. 73, 23 - 28 von Erdmann Neumeister (1671 - 1756) gäbe, das mit denselben Versen beginnt, aber erst Anfang des 18. Jahrhunderts zur Melodie »Hertzlich lieb hab ich dich, o Herr« in den Gesangbüchern auftaucht. Da Neumeister seine Lieder häufig mit den Liedanfängen älterer Lieder beginnt, um dann in ganz anderer Strophenform frei weiterzudichten, ohne direkt zu parodieren, ist es nicht ausgeschlossen, dass wir mit unserm Lied Neumeisters Vorlage für den 1717 in der 5. Auflage des Gnaden-Stuhles Jesu Christo veröffentlichten Trostgesang entdeckt haben. Das dreifache »mein« der Anrede erfährt im dritten Vers eine Steigerung durch den Einsatz des flehenden »Ach«. Der so entstehende emphatische Ausruf mündet - rhetorisch konsequent - in die Frage: »Ach frommer GOtt! wo soll ich hin? « Kein geringerer als der Professor für Poesie an der Königsberger Albertina, Simon Dach (1605 - 1659), dichtete ein Bußlied in 11 Strophen gleichen Anfangs. Doch anders als das von den Schwernissen der Zeit gebeugte Haupt des Königsberger Dichterkreises, dessen Lied in sanfter Schwermut verharrt, findet der Verfasser unseres Liedes bereits im Schlussvers der ersten Strophe die Antwort auf seine quälende und suchende Frage: Aktives Gotteslob aus ganzem Herzen und von ganzem Gemüt und mit allen Sinnen! Diese Aufforderung an Hermann Kurzke zum 60. Geburtstag 499 die eigene Seele und die eigenen Sinne, also an das Ich, wird bekräftigt durch den biblischen Lobaufruf Halleluja (vgl. Ps 104 - 106, 111 - 113, 115 - 117, 135, 146 - 150). Bewusst habe ich die Frage nach der Melodie des Liedes bis zum Ende der ersten Strophe zurückgestellt. Denn der letzte Vers gibt auch darauf eine Antwort. Im zweiten Teil des Freylinghausenschen Gesangbuchs, Neues Geist = reiches Gesang-Buch, Halle 1714, steht in der Rubrik »Vom Lobe Gottes« als Nr. 580 ein anonymes Lied über den 103. Psalm in 22 Strophen. Die erste Strophe lautet: Nun lob, o meine seel und sinn, den HErren, deß geschöpf ich bin: es lobe, was nur ist in mir, sein ’ n heilgen namen für und für. Halleluja. Das Psalmlied ist zuerst im Hannoverschen Gesangbuch (Lüneburg 1652) nachgewiesen und wurde irrtümlicherweise dem Stifter des Blumenordens Georg Philipp Harsdörffer (1607 - 1658) zugeschrieben. Auch hier endet jede der 22 Strophen - in den Gesangbüchern des 17. Jahrhunderts seit Lüneburg 1652 folgte noch eine 23. (Gloria Patri-)Strophe - mit dem akklamierenden Halleluja. Damit wird die eigentlich vierzeilige Strophenform im vierhebigen jambischen Versmaß mit ausschließlich männlichen Reimen (z. B. »Vom Himmel hoch, da komm ich her«), für die Johannes Zahn über 400 Melodien nachweist (Z 297 a »Christum wir sollen loben schon« bis Z 701 »Hilf, edler Heiland, Jesu Christ«) und die sich auch in der englischsprachigen Welt als »Long Meter« (L. M. = 8.8.8.8) großer Beliebtheit erfreut, um eine zweihebige Kurzzeile erweitert (8.8.8.8.4). Für diese nunmehr fünfzeilige Strophenform reduzieren sich die Zuweisungsmöglichkeiten um 90 % auf nur 40 Melodien (Z 1743 - 1779), von denen die meisten zu Halleluja-Liedern komponiert bzw. diesen zugeordnet wurden. Die erste Weise ist zugleich die berühmteste und wurde von Nikolaus Herman nicht nur erfunden, sondern auch gleich dreien seiner 1560 in Wittenberg erschienenen Sontags Evangelia vber das gantze Jahr, In Gesenge verfasset, Für die Kinder und Christlichen Hausveter beigegeben. Bei den zwei Osterliedern AM Sabbath frü Marien drey und ERschienen ist der herrliche tag sowie dem Himmelfahrtslied Als viertzig tag nach Ostern warn wird deutlich, dass Herman den Texten seiner biblischen Kinder- und Erzähllieder die volkstümliche vierzeilige Strophenform zugrunde legte und diese lediglich um das naheliegende Halleluja ergänzte. Seine Melodien sind aber von vornherein fünfzeilig konzipiert. Da auch bei Freylinghausen für das anonyme Psalmlied, dessen Initium den Schlussvers der Eingangsstrophe unseres Liedes bildet, als Melodie »Erschienen ist der herrlich tag etc.« angegeben ist, dürfen wir für das Epilog: Kleine hymnologische Narreteien 500 auf dem Einblattdruck überlieferte Jubel- und Festlied getrost Hermans wunderbare Weise annehmen (Z 1743, EG 106 ö), zumal die sinntragenden Wörter mit den melodischen Akzenten zusammenfallen und der eintönige Wechsel von unbetonten und betonten Zählzeiten des jambischen Metrums durch den dreigliedrigen Takt herrlich zum Schwingen gebracht wird. Herman ist es auch, der den mittelalterlichen Weihnachtshymnus Nunc angelorum gloria (W I,343 f.), mit dessen Initium die zweite Strophe unseres Liedes beginnt, eingedeutscht hat. Wir singen die vier Strophen seiner Übertragung (W III,1368) noch heute als Mittelteil beim weihnachtlichen Quempas- Singen: HEut sein die lieben Engelein inn hellem schein erschienen bey der nachte Den Hirten die jr Schefelein bey Monen schein im weiten feld bewachten: »Grosse freud vnd gute mehr woln wir euch offenbaren, die euch vnd aller welt soln widerfaren! « (W III,1368. Vgl. EG 29, 2. Teil) Auf diese Weise hat der weitverbreitete lateinische Hymnus aus dem 14. Jahrhundert bis in unsere Zeit überlebt. Es gibt einen katholischen und einen protestantischen Traditionsstrang. Letzterer ist vor allem durch das Babstsche Gesangbuch 1545, durch Lucas Lossius 1561 und durch Michael Prätorius 1607 (Musae Sioniae V) überliefert, ersterer durch Leisentrit 1567 und das Mainzer Cantual 1605. In den katholischen Gesangbüchern wird seit Mainz 1605 der Fest- und Erinnerungscharakter des Liedes, auf den ja auch die Überschrift unseres Liedes hinweist, besonders betont durch den jeder der vier Strophen folgenden Zusatz: »Cuius festi hodie recolitur memoria« (W I,343). Und die dritte Strophe enthält in beiden Fassungen genau den Wortlaut der Überschrift des bisher nicht identifizierten Liedes auf dem mir vorliegenden Einblattdruck: Redemptori domino redempti iubilemus, hic est dies et annus iubilæus. (W I,343/ 344) In den evangelischen Gesangbüchern folgt jeder Strophe ein vierzeiliger Zwischengesang, der nach der dritten Strophe den Grund zum Jubeln aufgreift und zum Mittun einlädt: Pueri [puellaeque], concinite et psallite, voce pia dicite et plaudite. (W I,344) Hermann Kurzke zum 60. Geburtstag 501 So wie die Menschen, hier vor allem die jungen, aufgefordert werden, es den Engeln gleichzutun und in ihr Lob einzustimmen, wird in unserem Lied mit dem Beginn der zweiten Strophe an das Lob der himmlischen Heerscharen erinnert, an dem sie in der Weihnachtsnacht die Menschen auf Erden teilhaben lassen. Der Einsatz der lateinischen Sprache ist hier sicher als Stilmittel zu verstehen, mit dem der irdischen Existenz des Menschen, dem die Volkssprache zugeordnet ist, die göttliche Wirklichkeit gegenübergestellt werden soll. Denn bereits nach einem Vers fällt der Dichter ins Deutsche zurück, um den Menschen auf seine Sterblichkeit zu verweisen. Im Gegensatz zum ewigen Lobpreis der Engel sind dem menschlichen Gotteslob zeitliche Grenzen gesetzt. Deshalb folgt auf die an Seele und Sinne gerichtete Aufforderung zum Loben und das memento angelorum nun das memento mori in einem Parallelismus membrorum: »KURZ ist die Zeit, kurz sind die Jahr«. Staccatohaft wie die Schläge einer Uhr gemahnen die beiden einzigen Aussagesätze in dem Lied daran, die verbleibende Lebenszeit zum Loben und Danken zu nutzen. Wie zu erwarten war, gibt es auch für diesen Vers eine wörtliche Vorlage, und zwar - wie bei Vers 3 der ersten Strophe - aus dem Königsberger Dichterkreis. Georg Weissel (1590 - 1635), Pastor an der Kirche am Roßgarten, schrieb als Gelegenheitsgedicht ein Trawer vnd Klag Lied, das in einer Vertonung des Domkantors und Hofkapellmeisters Johann Stobäus (1580 - 1646) 1634 in einem Einzeldruck erschien und dann über die Königsberger Gesangbücher und Crügers Praxis Pietatis Melica verbreitet wurde. Alle bisher betrachteten Verse sind offenbar Zitate aus älteren Liedern, und zwar überwiegend ihrer Anfangszeilen. Bei den letzten beiden Versen des untersuchten Liedes scheint es umgekehrt zu sein. Unschwer ist zu erkennen, dass es sich bei den Schlusszeilen um eine deutsche Bearbeitung des alten Pfingsthymnus Veni creator spiritus des Mainzer Erzbischofs und Praeceptor Germaniae Hrabanus Maurus (ca. 783 - 856) aus dem Jahre 809 handelt. Die berühmteste Eindeutschung ist Martin Luthers Kom got schöpffer heiliger geist, die schon 1524 in die Erfurter Enchiridien Eingang fand und bis heute gern gesungen wird (vgl. EG 126). Der Anfang der heute im katholischen Umfeld gebräuchlichen deutschen Fassung, die von Friedrich Dörr 1969 geschaffen und in das Einheitsgesangbuch Gotteslob aufgenommen wurde (Nr. 241), aber wegen ihrer hervorragenden Qualität auch in den Nordelbischen Anhang des EG (Nr. 555), ist fast identisch mit den Schlusszeilen unseres Liedes: Komm, Heilger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit deiner Kraft. Ist es vorstellbar, dass der 1908 geborene Eichstätter Theologieprofessor unser Rarum gekannt haben kann? Wohl kaum! Eher wird es eine gemeinsame Vorlage geben, die der ältere in die Ich- oder der jüngere in die Wir-Form gebracht hat. Die aufgezeigten Datierungsprobleme, angefangen mit dem Epilog: Kleine hymnologische Narreteien 502 lateinischen Einschub in einen Text, der überwiegend Kirchenliedanfänge aus dem 17. Jahrhundert zitiert, bis zu der Hypothese, dass unser Jubellied bereits Erdmann Neumeister 1717 die Anfangszeilen für sein Trostlied geliefert haben könnte, machen aber eines deutlich: Das 19., 20. und 21. Jahrhundert scheiden als Entstehungszeitraum aus, es sei denn, ein Autor späterer Epochen hätte - zu welchem Anlass auch immer - eine bewusste Stilkopie fertigen wollen. Dafür aber sind der Ton des Liedes zu echt, die Wortwahl und die rhetorischen Finessen zu gekonnt, die Anpassung an die Hermansche Weise zu kongenial und die Gedankenführung zu plausibel. Denn was bleibt dem Menschen nach Erkenntnis seiner Zeitlichkeit anderes, als um die Kraft des heiligen Geistes zu bitten, der Leben nicht nur schafft, sondern es auch erhält und uns täglich das Fest des Lebens feiern lässt: carpe diem! Dem hymnologisch erfahrenen Leser wird das Akrostichon nicht entgangen sein, das sich aus den ersten Wörtern bzw. Buchstaben aller acht Verse zusammensetzt. Es handelt sich also nicht um eine Akrostrophe, sondern um ein echtes Akrostichon, das nach älterer Terminologie als Akrostichis bezeichnet wird. Nach typologischen Gesichtspunkten (vgl. meine diesbezügliche Studie im JLH 36, 1996/ 97, S. 175 - 207) gehört das hier entdeckte zur größten Gruppe der Namensakrosticha, die den vollständigen Tauf- und Familiennamen aufzeigen, allerdings in der sehr seltenen Mischform aus Buchstaben und Wörtern, die eher im Formenreichtum der Mariendichtung (W II,344) und bei fürstlichen Namen auftritt (K-A-R-O-L-V-S-Der funfte-Romischer kaiser-Zu allen Zeiten-Merer des reichs, W III,1178). Als bürgerliche Beispiele waren mir bisher nur A-M-B- R-O-S-I-V-S-Lob-Was-Ser (W IV,1301) und GE-Or-G-Fahren-Bach-Oberster (W V,711) bekannt. Mit dem vorliegenden Lied wird die kleine Gruppe des Buchstaben-Wort-Akrostichons also um einen reizvollen Beleg bereichert. Bei Namensakrosticha ist nicht immer eindeutig zu bestimmen, ob sich dahinter der Verfasser des Liedes oder sein Widmungsträger verbirgt. Auch in unserem Fall ist beides möglich. Gegen ein Verfasserakrostichon spricht die Tatsache, dass mir von dem Autor bisher kein weiteres geistliches Lied oder weltliches Gedicht begegnet ist. Für ein Widmungsakrostichon ist die Überschrift anzuführen, die ja auf einen besonderen Festtag und ein Jubeljahr hinweist - ein häufiger Anlass für Gelegenheitsgedichte, in die der Name des zu Ehrenden eingewoben wird. Mit letzter Sicherheit kann dies aber erst bestätigt werden, wenn die Verfasserschaft des Liedes und die näheren Umstände seiner Entstehung geklärt sind. Bei der gegenwärtigen Quellenlage müssen viele Fragen offen bleiben und späteren Forschergenerationen zur Beantwortung übergeben werden. Lübeck, zum 15. Februar 2003 Hermann Kurzke zum 60. Geburtstag 503 Postscriptum zum Epilog In den letzten 14 bzw. 17 Jahren haben Studiosi der Hymnologie an den Universitäten Bern, Zürich und Graz sowie ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Gesangbucharchivs an der Universität Mainz im Rahmen ihres von mehreren Stiftungen geförderten Forschungsprojekts »Hymnologisches Plagiat im deutschen Sprachraum« nach eingehenden Recherchen auch mittels modernster Suchmaschinen belegen können, dass für jeden einzelnen Vers der in den Beiträgen 26 und 27 kommentierten Carmina wörtlich und diplomatisch getreu zitierte Anleihen von alten, im Ausnahmefall auch neueren Quellen geistlicher Lyrik genommen wurden. Ob und welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus für den bzw. die anonymenVerfasser der beiden akrostichischen Geburtstagscarmina ergeben, bleibt abzuwarten. Ein Antrag auf Verlängerung des Forschungsprojekts mit dem Ziel der lückenlosen Aufklärung nicht nur dieses Falles ist in Vorbereitung. Epilog: Kleine hymnologische Narreteien 504 Anhang Siglen und Abkürzungen Vollständige Titel in den Quellen- und Literaturverzeichnissen (QV und LitV) ADB Allgemeine Deutsche Biographie Anh. Anhang Anm. Anmerkung AÖL Arbeitsgemeinschaft Ökumenisches Liedgut im deutschsprachigen Raum Art. Artikel in Nachschlagewerken Aufl. Auflage Ausbund Etliche schöne Christliche Geseng (Täufergesangbuch ab 1564) Babst Babstsches Gesangbuch (Leipzig 1545) Bäumker Das katholische deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen BBKL Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Bd./ Bde. Band, Bände Bearb./ bearb. Bearbeiter/ bearbeitet BibAK Bibliographie der Verfasserin (in diesem Anhang) Bibl. Bibliothek BLSH Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck Brederek Geschichte der schleswig-holsteinischen Gesangbücher Br I 2 Claudius Briefe von Matthias Claudius an Freunde Br II Claudius Briefe von Matthias Claudius an seine Familie Cramer Cramers Gesangbuch (Altona und Glückstadt 1780) D. Doktor der Theologie DDB Deutsche Digitale Bibliothek DEG Deutsches Evangelisches Gesangbuch (Stammteil 1915, Lübeck 1916) DEG-N DEG, Ausgabe für Schleswig-Holstein-Lauenburg, Hamburg, Schwerin, Lübeck, Strelitz, Eutin (1930) DKL Das Deutsche Kirchenlied (Kassel 1975) DV Druckervermerk ebd. Ebenda EG Evangelisches Gesangbuch (Stammausgabe 1993) EG-N EG, Ausgabe für die Nordelbische Ev.-Luth. Kirche (1994) EKD Evangelische Kirche in Deutschland EKG Evangelisches Kirchengesangbuch (Stammausgabe 1950) EKG-N EKG, Ausgabe für Schleswig-Holstein-Lauenburg, Hamburg, Lübeck und Eutin (1953), ab 1977 für die Nordelbische Ev.-Luth. Kirche Erk-Böhme Deutscher Liederhort erg. ergänzt erw. erweitert ev.-luth. evangelisch-lutherisch Faks. Faksimile fol. r/ v folio recto/ verso (Vorder-/ Rückseite eines Blattes) folg. folgende(n) FT Fischer-Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts GA Gesamtausgabe geb. geboren GKFA Thomas Mann, Große kommentierte Frankfurter Ausgabe GL Gotteslob (1975) gest. gestorben GW Gesammelte Werke H Helm, Thematic Works of C. Ph. E. Bach HAB Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Halle 1704 Freylinghausen, Geist = reiches Gesang = Buch (1704) Halle 1714 Freylinghausen, Neues Geist = reiches Gesang = Buch (1714) Halle 1741 Freylinghausen, Geistreiches Gesang = Buch, Gesamtausgabe (1741) Hg./ hg. Herausgeber/ herausgegeben I. A. H./ IAH Internationale Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie Ill. Illinois Ind. Indiana Jg. Jahrgang, Jahrgänge Jh. Jahrhundert JLH Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie Kap. Kapitel Kat. Katalog KG Katholisches Gesangbuch der deutschsprachigen Schweiz (1998) Kgl. Königlich KLL Fischer, Kirchenlieder-Lexikon Klug Klugsches Gesangbuch (Wittenberg 1531 [1529]) KO Kirchenordnung Koch Koch, Geschichte des Kirchenlieds korr. korrigiert LASH Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig lat. lateinisch LB Landesbibliothek Leisentrit Geistliche Lieder vnd Psalmen (Bautzen 1567) Liederkunde Liederkunde zum EG LitV Literaturverzeichnis (in diesem Anhang) LUB Landes- und Universitätsbibliothek Mel., Meln. Melodie, Melodien MGG Die Musik in Geschichte und Gegenwart MGG 2 Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl. Mylius Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch (Berlin 1780) Siglen und Abkürzungen 507 N. C. North Carolina ND Nachdruck, Neudruck NDB Neue Deutsche Biographie ndt. niederdeutsch NEK Nordelbische Ev.-luth. Kirche Nordkirche Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland Notb. Notizbücher von Thomas Mann Nr./ Nrn. Nummer(n) o. J. ohne Jahr o. N. ohne Noten o. O. ohne Ort Pa. Pennsylvania Porst Geistliche Und Liebliche Lieder (Berlin 1709) QV Quellenverzeichnis (in diesem Anhang) reg. regierend RG Reformiertes Gesangbuch der deutschsprachigen Schweiz (1998) RGG 3 Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl. RGG 4 Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl. s. siehe S./ Sn. Seite, Seiten Seelenmusik Geistliche Seelen-Musick von Heinrich Müller (Rostock 1659, 2 1668) Sign. Signatur Sp. Spalte Str./ -str. Strophe/ -strophig Stubbe Stubbe, Das Ludwig Richter Album SUB Staats- und Universitätsbibliothek SW Matthias Claudius, Sämtliche Werke Tab. Tabelle Tbl. Titelblatt u. ö. und öfter überarb. überarbeitet Va. Virginia veränd. verändert verb. verbessert Verf. Verfasser(in) vgl. vergleiche vollst. vollständig Vorrath Vorrath von alten und neuen Christl. Gesängen (Leipzig 1673) Vz. Verzeichnis W Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied WA Weimarer Ausgabe von Luthers Werken Wq Wotquenne, Thematisches Verzeichnis der Werke von C. Ph. E. Bach Z, Zahn Zahn, Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder Zit. Zitat, zitiert Zs. Zeitschrift Anhang 508 Quellenverzeichnis (QV) Titelaufnahme in der Regel nach dem Original (auch faksimiliert oder digitalisiert) - ersatzweise aus zuverlässigen Sekundärquellen. Bei Quellen vor 1800 mit Noten ist die DKL-Chiffre angegeben. 1524 [Achtliederdruck] Etlich Cristlich[! ] lider Lobgesang/ vnd Psalm/ dem rainen wort Gottes gemeß/ auß der heyligen schrifft/ durch mancherley hochgelerter gemacht/ in der Kirchen zu ˚ singen/ wie es dann [z]um tayl berayt zu ˚ Wittenberg in übung ist. [Nürnberg 1524] (DKL 1524 13 ). - Faksimilebeilage JLH 2 (1956) und JLH 50 (2011) [Erfurter Enchiridion] Eyn Enchiridion oder Handbüchlein. eynem ytzlichen Christen fast nutzlich bey sich zuhaben/ zur stetter vbung vnd trachtung geystlicher gesenge vnd Psalmen/ Rechtschaffen vnd kunstlich verteutscht, [Erfurt (Johannes L OERSFELT )] 1524 (DKL 1524 03 ). - Faks.-ND: Das E RFURTER E NCHIRIDION gedruckt zu Erfurt in der Permentergassen zum Ferbefaß 1524, Kassel 1929. - 2. Aufl. mit Geleitwort hg. von Konrad A MELN (Documenta musicologica I,36), Kassel etc. 1983 [Vgl. Tbl. Abb. 1.1] Enchiridion Oder eyn Handbuchlein/ eynem yetzlichen Christen fast nutzlich bey sich zu haben/ zur stetter vbung vnnd trachtung geystlicher gesenge/ vnd Psalmen/ Rechtschaffen vnnd kunstlich vertheutscht, [Erfurt (Mathes M ALER ) 1524 (DKL 1524 05 ). - ND von Karl R EINTHALER , Erfurt 1848. [Titelaufnahme nach dem Faks. des wieder entdeckten einzigen Exemplars in Dublin, Trinity College Library Sign. C.pp.37. Vgl. L AUTERWASSER in: JLH 53 (2014), S. 168 - 182, bes. 172 - 176] 1525 [S LÜTER , Joachim (Hg.): ] Eyn gantz schone vnde seer nutte [nützliches] gesangk boek/ tho dagelyker öuinge [Übung] geystlyker gesenge vnde Psalmen/ vth Christliker vnd Euangelischer schryfft/ beuestyghet/ beweret/ vnde vp dat nyge Gemeret/ Corrigert/ vnnd jn Sassyscher sprake klarer wen tho vorn [klarer als vorher] verdüdeschet, [Rostock] Ludwig Dietz 1525 [Zit. nach B OSINSKI (1971), siehe LitV] [W ALTER , Johann: ] Geystliche Gsangbüchlin, [Worms] 1525 (DKL 1525 22 ). - Faks.-ND hg. von Walter B LANKENBURG : Johann Walter. Das geistliche Gesangbüchlein. »Chorgesangbuch« (Documenta musicologica I,33). 5 Stimmbücher, Kassel etc. 1979 [Erstdruck Wittenberg 1524 verschollen] 1526 L UTHER , Martin: Deudsche Messe vnd ordnung Gottis diensts [. . .], [DV: Wittenberg 1526] (DKL 1526 17 ). [Zit. wird nach H ERBST , Evangelischer Gottesdienst (1992), S. 69 - 87] 1531 B UGENHAGEN , Johannes: Der Keyserliken Stadt Lübeck Christlike Ordeninge/ tho denste dem hilgen Euangelio/ Christliker leue [Liebe]/ tucht/ frede vnde enicheyt/ vor de yöget yn eyner guden Scholen tho lerende. Vnde de Kercken denere vnd rechten armen Christlick tho vorsorgende, [DV: Lübeck (Johann Balhorn)] 1531 (DKL 1531 06 ). - Faks.-ND mit Übersetzung, Erläuterungen und Einleitung hg. von Wolf-Dieter H AUSCHILD : Lübecker Kirchenordnung von Johannes Bugenhagen 1531, Lübeck 1981 [Vgl. Tbl. Abb. 2.1] [S LÜTER , Joachim (Hg.): ] Geystlyke leder uppt nye gebetert tho Wittenberch, dorch D. Martin. L UTHER , [Rostock] Ludwig Dietz [DV: 1531] - 2. Tbl.: Gheystlyker gesenge vnde leder/ wo ytzunndes Gade tho laue [Gott zu loben]/ nicht allene yn düssen laueliken Seesteden/ sünder ock yn hochdüdeschen vnnde anderen landen gesunghen werden/ ein wol geordent Bökelin myt allem vlyte [Fleiß] corrigeret vnde myt velen anderen ghesengen den thovören [als zuvor] vormeret vnde gebeterth, Rostock (Ludwig Dietz) 1531 u. ö. bis Magdeburg 1543 [Zit. nach W IECHMANN -K ADOW (1858) und B OSINSKI (1971), siehe LitV] W EI ß E , Michael (Hg.): Ein New Gesengbuchlen, 1531 [DV: Jungbunzlau/ Böhmen (Georg Wylmschwerer) 1531] (DKL 1531 02 ). - Faks.-ND: Michael Weiße, Gesangbuch der Böhmischen Brüder 1531, mit einem Geleitwort hg. von Konrad A MELN , Kassel und Basel 1957 1533 [K LUG , Joseph (Hg.): ] Geistliche lieder auffs new gebessert zu Wittemberg[! ]. D. Mart. L UTH ., 1533 [DV: Wittenberg (Joseph Klug)] (DKL 1533 02 ). - Faks.- ND nach dem einzigen erhaltenen Exemplar der Lutherhalle zu Wittenberg ergänzt und hg. von Konrad A MELN : Das Klug ’ sche Gesangbuch 1533 (Documenta musicologica I,35), Kassel etc. 1983 [Erstauflage von 1529 verschollen] 1538 [R HAU , Georg (Hg.): ] S YMPHONIÆ I UCUNDAE A TQUE A DEO B REVES Q UATUOR V OCUM [. . .] Cum Præfatione D. Martini Lutheri. 4 Stimmbücher, Wittenberg 1538 1539 [S CHUMANN , Valentin (Hg.): ] Geistliche lieder/ auffs new gebessert vnd gemehrt/ zu Wittenberg. D. Marti. L UTHER . Viel Geistliche gesenge/ von andern fromen Christen gemacht. Item Die ordnung der deutschen Mess [DV: Leipzig (Valentin Schumann) 1539] (DKL 1539 04 ) 1540 [Z WICK , Johannes (Hg.): ] Nüw gsangbüchle von vil schönen Psalmen vnd geistlichen liedern/ durch ettliche diener der kirchen zu ˚ Constentz und anderstwo mercklichen gemeert/ gebessert vnd in gschickte ordnung zesamen gstellt/ zu ˚ übung vnnd bruch jrer ouch anderer Christlichen kirchen, Zürich (Christof Froschauer) 1540 (DKL 1540 06 ). - Faks.-ND mit einem Nachwort hg. von Jean H OTZ , Zürich 1946 Anhang 510 1542 [B UGENHAGEN , Johannes]: Christlyke Kercken Ordeninge/ De ynn den Fürstendömen/ Schleßwig/ Holsten etc. schal geholden werdenn [DV: Magdeburg (Hans Walther) 1542]. - Faks.-ND hg. von Walter G ÖBELL : Die Schleswig- Holsteinische Kirchenordnung von 1542 (Schriften des Vereins für Schleswig- Holsteinische Kirchengeschichte I/ 34), Neumünster 1986 N YSTAD , Christian Adolph: Eyn schön Geystlick Sangböck/ Vpt nye mit allem vlite tho gerichtet/ vnde in einen seer leffliken angenemen orden thosamen gebracht [. . .], Magdeburg o. J. [1542/ 43] (DKL 1543 05 ) 1543 B ONNUS , Hermann: Christlicke Kercken Ordenungh. Der Statt Ossenbrügge, o. O. 1543 1544 [H ORN , Johann: ] Ein Gesangbuch der Brüder inn Behemen vnd Merherrn/ Die man aus haß vnd neyd/ Pickharden/ Waldenses/ etc. nennet [. . .], Nürnberg 1544 (DKL 1544 01 ) [R HAU , Georg (Hg.): ] Newe Deudsche Geistliche Gesenge CXXIII. Mit Vier vnd Fünff Stimmen/ Für die gemeinen S CHVLEN / Mit sonderlichem vleis aus vielen erlesen/ Der zuuor keins im druck ausgangen. 4 Stimmbücher, Wittenberg (Georg Rhau) 1544 (DKL 1544 13 ). - Faks.-ND mit einem Nachwort von Ludwig F INSCHER , Kassel etc. 1969 1545 [B ABST , Valentin (Hg.): ] Geystliche Lieder. Mit einer newen vorrhede/ D. Mart. L UTH ., Leipzig [DV: Leipzig (Valentin Babst) 1545] (DKL 1545 01 ) u. ö. - Faks.- ND nach dem besterhaltenen Exemplar der UB Göttingen mit einem Nachwort hg. von Konrad A MELN , Kassel 1929 ( 2 1966, 3 1988): Das Babstsche Gesangbuch 1545 (Documenta musicologica I,38) [Mit einem neuen Geleitwort von Ameln ab 1966] [B ONNUS , Hermann (Hg.): ] E NCHIRIDION Geistlike Lede vnd Psalmen/ vppet nye gebetert. Mar. L UTHER , Lübeck 1545 (DKL 1545 02 , 1546 02 ). Vorgänger [S LÜTER , Joachim (Hg.): ] Rostock 1525 o. N., (DKL 1526 06 ), 1531 o. N. und Magdeburg 1534 o. N. (DKL 1538 03 , 1541 04 , 1543 05 , 1543 08 ) 1546 [B ONNUS , Hermann (Hg.): ] E NCHIRIDION Geistlike Lede vnd Psalmen, vppet nye gebetert Mar. L UTHER . Mit einem nien Calender, schön togerichtet, Lübeck (Johan Balhorn) o. J. [2. Aufl. um 1546/ 47]. - 2. Tbl.: Geistliker Gesenge vnd Leder/ so nicht jn dem Wittembergeschen Sanckboke stan. Gecorrigeret Dörch Magistrum Hermannum Bonnum/ Superattendentem tho Lübeck (UB Kiel Archiv IV 161) [Aufnahme des Haupttitels nach DKL 1546 02 , da Tbl. fehlt. Vgl. 2. Tbl. Abb. 2.5] 1552 S IMONS , Menno: Ein gründliches und klares Bekenntniß der armen und elenden Christen, von der Rechtfertigung, den Predigern, der Taufe, dem Abendmahl und Eidschwören, um welcher willen sie besonders von den Gelehrten so jämmerlich gehaßt, gelästert und verleugnet werden; deutlich aus Gottes Wort verfaßt. Anno 1552. - ND in: Die vollständigen Werke Menno Simon ’ s, übersetzt aus der Originalsprache, dem Holländischen, Elkhart/ Indiana 1876 - 1881, S. 375 - 408 Quellenverzeichnis (QV) 511 1553 L OSSIUS , Lucas: P SALMODIA , hoc est, C ANTICA S ACRA V ETERIS E CCLESIÆ S ELECTA [. . .], Lüneburg 1553 (DKL 1553 10 ) u. ö. 1564 [Ausbund] Etliche schöne Christliche Geseng/ wie sie in der Gefengkniß zu Passaw im Schloß von den Schweitzer Brüdern durch Gottes gnad geticht vnd gesungen worden, o. O. 1564. - Faks.-ND Amsterdam, Nieuwkoop o. J. 1566 Kirchengeseng darinnen die Heubtartickel des Christlichen glaubens kurtz gefasset vnd ausgeleget sind: jtzt von newen durchsehen/ gemehret/ vnd Der Rö. Kei. Maiestat in vnterthenigsten demut zugeschrieben, [Eibenschütz] 1566 (DKL 1566 04/ 05 ) 1567 H ABERMANN (A VENARIUS ), Johannes: Christliche Gebet für alle Not vnd Stende der gantzen Christenheit [vollst. Titel s. u. 1576], Wittenberg 1567 u. ö. [Erstdruck 1565? Vgl. Jens L YSTER in JLH 51 (2012), S. 222 - 233] (s. u. Lancaster 1794, Germantown 1838) L EISENTRIT VON O LMÜTZ , Johann: Geistliche Lieder vnd Psalmen/ der alten Apostolischer recht vnd warglaubiger Christlicher Kirchen/ so vor vnd nach der Predigt/ auch bey der heiligen Communion/ vnd sonst in dem haus Gottes/ zum theil in vnd vor den Heusern/ doch zu gewönlichen zeitten/ durchs gantze Jar/ ordentlicher weiß mögen gesungen werden. Aus klarem Göttlichen Wort/ vnd Heiliger geschrifft Lehrern [. . .] Auffs fleissigste vnd Christlichste zusamen bracht [DV: Bautzen (Hans Wolrab) 1567] (DKL 1567 05 ) u. ö. - Faks.-ND mit einem Nachwort hg. von Walter L IPPHARDT , Leipzig 1966 1571 Geistliche lieder vnd Psalmen, so in Kirchen und Heusern mögen gesungen werden mit fleis Corrigirt/ vnd mit schönen Psalmen gebessert, Kopenhagen 1571 1576 H ABERMANN (A VENARIUS ), Johannes: Christliche Gebet/ für alle noth vnnd Stände der gantzen Christenheit/ außgetheilet auff alle tag in der Wochen zu sprechen/ Sampt gemeinen Dancksagungen/ auch Morgen vnd Abendsegen [. . .] gantz new Corrigiert/ dabey es nun forthin bleiben soll, Nürnberg 1576 1583 Außbund Etlicher schöner Christlicher Geseng/ wie die in der Gefengnuß zu Passaw im Schloss von den Schweitzern/ vnd auch von andern rechtgläubigen Christen hin vnd her gedicht worden. Allen vnd jeden Christen/ welcher Religion sie auch seien/ vnparteilich vnd fast nützlich zu brauchen, o. O. 1583 u. ö. 1586 Geystliche Lieder. Mit einer newen Vorrhede/ D. M. L UTH . [. . .] Hierzu sind auch kommen viel andere schöne Lobgesenge von frommen Christen gemacht/ die in das ander Teil dieses Büchleins gesetzt worden, Leipzig (Jacob Berwald) 1586 (DKL 1586 07 ), vgl. 1545 (Babst) O SIANDER , Lucas: Fünfftzig Geistliche Lieder vnd Psalmen. Mit vier Stimmen/ auff Contrapuncts weise [. . .] also gesetzt/ das ein gantze Christliche Gemein durchauß mit singen kan. 4 Stimmbücher, Nürnberg 1586 (DKL 1586 11 ) Anhang 512 1593 Gesangbuch: Darinnen Christliche Psalmen/ vnnd KirchenLieder D. M ARTINI L VTHERI , vnd anderer frommen Christen. Alle sampt mit den Noten/ vnd jhren rechten Melodeyen/ wie solche in der Churfürstlichen Sächsischen Schloszkirchen zu Dreszden gesungen werden [. . .], Dresden 1593 (DKL 1593 02 - 04 ) u. ö. (s. u. 1656, 1676) 1596 N ICOLAI , Philipp: M ETHODUS CONTROVERSIAE DE OMNIPRAESENTIA C HRISTI SECVNDVM NATVRAM EIVS HVMANAM [. . .], Frankfurt/ Main 1596 1597 Ein new Christlich P SALMBUCH Darinn der gantze Psalter des Königs Dauids, Geistliche Lieder vnd Lobgesenge, von D. Mart. L UTH . vnd andern Gottseligen Lehrern vnd Christen gestellet [. . .], Greifswald 1597 (DKL 1597 06/ 07 ) 1599 N ICOLAI , Philipp: FrewdenSpiegel deß ewigen Lebens. Das ist: Gründtliche Beschreibung deß herrlichen Wesens im ewigen Leben/ sampt allen desselbigen Eygenschafften vnd Zuständen/ auß Gottes Wort richtig vnd verständtlich eyngeführt. Auch ferrnere[! ]/ wolgegründte Anzeig vnd Erklärung/ was es allbereit für dem jüngsten Tage für schöne vnd herrliche Gelegenheit habe mit den außerwehlten Seelen im himmlischen Paradeiß [. . .], Frankfurt/ Main 1599 (DKL 1599 10 ). - Faks.-ND (Soester Wissenschaftliche Beiträge 23), Soest 1963 1600 - 1699 Ein schön Geistlich Lied, Von dem Frommen Tobia und seinem Sohn: Aus Heiliger Göttlicher Schrifft gezogen [. . .] Gedruckt in diesem Jahr [o. J. 17./ 18. Jh. Vgl. Abb. 12.2] 1609 P RAETORIUS , Michael: M USAE S IONIAE [. . .] Deutscher Geistlicher in der Christlichen Kirchen vblicher Psalmen vnd Lieder/ Mit IV. Stimmen. SJebender Theil, [Wolfenbüttel] 1609 (DKL 1609 18 ) 1610 A RNDT , Johann: Das Ander Buch Vom wahren Christenthumb/ Wie Christi Menschwerdung/ Liebe/ Demuht/ Sanfftmuht/ Gedult/ Leyden/ Sterben/ Creutz/ Schmach vnd Todt/ vnser Artzney vnd Heylbrunnen/ Spiegel/ Regel vnd Buch vnsers Lebens sey/ Vnd Wie ein wahrer Christ/ Sünde/ Todt/ Teuffel/ Helle/ Welt/ Creutz/ vnd alle Trübsal durch den Glauben/ Gebet/ Gedult/ Gottes Wort vnd Himlischen Trost vberwinden sol/ Vnd dasselbe alles in Christo Jesu durch desselben Krafft/ Stercke/ vnd Sieg in vns. [Bd. 2 von 4], Magdeburg 1610 u. ö. 1612 - Paradiesgärtlein voller christlicher Tugenden, wie solche zur Übung des wahren Christentums durch andächtige, lehrhafte und trostreiche Gebete in die Seele zu pflanzen, Magdeburg 1612 u. ö. 1627 S CHEIN , Johann Hermann: C ANTIONAL , Oder Gesangbuch Augspurgischer Confession [. . .], [Leipzig] 1627 (DKL 1627 10 ), 2 1645 (DKL 1645 04 ) 1635 W ALTHER , Paul (Hg.): M ANUALE E CCLESIASTICUM , Edder Kercken Handbökeschen: Darin entholden I. Die vornehmeste und gebrückligste Kercken Gesänge [. . .], Hamburg 1635 [Zit. nach Borchling/ Claussen II (1936), Nr. 3247] Quellenverzeichnis (QV) 513 1640 C RÜGER , Johann: Newes vollkömliches Gesangbuch/ Augspurgischer Confession, Auff die in der Churvnd Marck Brandenburg Christliche Kirchen/ Fürnemlich beyder ResidentzStädte Berlin vnd Cölln gerichtet/ Jn welchem nicht allein vornemlich des Herrn L UTHERI , vnd anderer gelehrten Leute/ Geistvnd Trostreiche Lieder/ so bißhero in Christl: Kirchen bräuchlich gewesen: sondern auch viel schöne newe Trostgesänge/ Jnsonderheit des vornehmen Theol: vnd Poëten Herrn Johan H EERMANS / zu finden/ mit aussenlassung hingegen der vnnötigen vnd vngebräuchlichen Lieder/ Jn richtige Ordnung gebracht/ vnd mit beygesetzten Melodien/ nebest dem Gen: Bass, Wie auch absonderlich/ nach eines oder des andern beliebung in 4. Stimmen verfertiget, Berlin 1640 (DKL 1640 04 ) 1641 M EYER , Johann: Geistlich Wecke= und Beteglöcklein/ zur ermunterung Christlicher Andacht. [. . .] Nebenst Geistlichen Liedern/ Lobgedichten/ Schluß- Reimen/ vnd Danckpsalmen [. . .], Celle 1641 1641/ 42 R IST , Johann/ S CHOP , Johann: Himlische Lieder, Lüneburg 1641/ 1642 (DKL 1641 05 , 1642 03 - 07 ). - Faks.-ND hg. von Siegfried K ROSS (Documentation zur Geschichte des deutschen Liedes 2), Hildesheim und New York 1976 - Himmlische Lieder (1641/ 1642). Kritisch hg. und kommentiert von Johann Anselm S TEIGER . Kritische Edition des Notentextes von Konrad K ÜSTER . Mit einer Einführung von Inge M AGER , Berlin 2012 1646 [G ESENIUS , Justus/ D ENICKE , David: ] New Ordentlich Gesang=Buch/ Sampt Einer nothwendigen Vorrede vnd Erinnerung Von dessen nützlichem Gebrauch, Hannover 1646 (DKL 1646 03 ) u. ö. 1647 C RÜGER , Johann: P RAXIS P IETATIS M ELICA . Das ist Vbung der Gottseligkeit in Christlichen und Trostreichen Gesängen/ Herrn D. Martini L UTHERI fürnemlich/ und denn auch anderer vornehmer und gelehrter Leute. Ordentlich zusammen gebracht/ und Mit vielen schönen außerlesenen newen Gesängen gezieret: Auch zu Befoderung[! ] des KirchenGOttesdienstes mit beygesetzten Melodien/ Nebest dem Basso Continuo verfertiget, Berlin 1647 (DKL 1647 08 ) u. ö. [Erstaufl. verloren, Titel zit. nach Faks.-Tbl. in: N ELLE , Geschichte des deutschen evangelischen Kirchenliedes, Hildesheim 4 1962, S. 105] 1651 D ILHERR , Johann Michael: Göttliche Liebesflamme: Das ist/ Christliche Andachten/ Gebet/ und Seufftzer/ über Das Königliche Braut=Lied Salomonis [. . .]. Mit künstlichen Kupferstücken/ und anmutigen Liedern/ welche/ auf bekante und absonderliche neuen Melodeyen zu singen/ auffgesetzet, Nürnberg 1651 (DKL 1651 11 ) u. ö. R IST , Johann: Neue Himmlische Lieder (1651). Kritisch hg. und kommentiert von Johann Anselm S TEIGER . Musik von Andreas H AMMERSCHMIDT , Michael J ACOBI , Jacob K ORTKAMP , Petrus M EIER , Hinrich P APE , Jacob P RAETORIUS , Heinrich S CHEIDEMANN und Sigmund Theophil S TADEN . Kritische Edition der Notentexte von Konrad K ÜSTER , Berlin 2013 - Neüer Himlischer Lieder Sonderbahres Buch/ Jn sich begreiffend I. Klaag= und Buhsslieder. II. Lob= und Danklieder. III. Sonderbahre Lieder. IV. Ster- Anhang 514 bens und Gerichtslieder. V. Höllen= und Himmelslieder. Welche so wol auf bekante/ und in unseren Evangelischen Kirchen gebräuchliche Weisen/ Alß auf gantz Neüe/ und von etlichen fürtreflichen und hochberühmten Meistern der Singekunst wolgesetzte Melodeien können gesungen und gespielet werden [. . .], Lüneburg 1651 (DKL 1651 05 - 07 ) - / S ELLE , Thomas: Sabbahtische Seelenlust/ Daß ist: Lehr= Trost= Vermahnung= und Warnungsreiche Lieder über alle Sontägliche Evangelien deß gantzen Jahres/ Welche/ so wol auf bekante/ und in reinen Evangelischen Kirchen gebräuchliche/ alß auch gantz Neue/ Vom Herren Thoma Sellio [. . .] wolgesetzete Melodeien können gesungen und gespielet werden [. . .], Lüneburg 1651 (DKL 1651 08 - 09 ) 1652 - / S CHOP , Johann: Himlische Lieder/ Mit sehr lieblichen und anmuhtigen/ von dem fürtrefflichen und weitberühmten H. Johann Schop/ wolgesetzeten Melodeien/ Nunmehr aufs neüe Widrum übersehen/ in Eine gantz andere und richtigere Ordnung gebracht/ an vielen Ohrten verbessert/ und mit Einem nützlichen Blatweiser beschlossen, Lüneburg 1652 (DKL 1652 05 ) 1653 C RÜGER , Johann: P RAXIS P IETATIS M ELICA . Das ist: Vbung der Gottseligkeit in Christlichen und trostreichen Gesängen/ Herrn D. Martini L UTHERI fürnemlich/ und auch anderer vornehmer und gelehrter Leute: Ordentlich zusammen gebracht/ Vnd/ über vorige Edition/ mit gar vielen schönen/ neuen Gesängen (derer insgesamt 500) vermehret: Auch zu Beforderung des so wol Kirchen= als Privat=GOttesdienstes/ mit beygesetzten Melodeyen/ nebest dazu gehörigem Fundament/ verfertiget [. . .] E DITIO V., Berlin 1653 (DKL 1653 04 ) 1654 R IST , Johann/ S CHOP , Johann: Frommer und Gottseliger Christen Alltägliche HAuszmusik/ Oder Musikalische Andachten/ Bestehend Jn mancherlei und unterschiedlichen/ gantz neüen/ Geistlichen Liederen und Gesängen/ Welche [. . .] erbaulich können gebrauchet/ und deroselben grössester Theil auf bekante/ und in reinen Evangelischen Kirchen übliche; Sämtlich aber/ auf gahr neüe/ von dem fürtreflichem und weitberühmten Musico/ Herren Johann Schopen/ wol= und anmuhtig=gesetzte Melodien füglich gesungen und gespielet werden [. . .], Lüneburg 1654 (DKL 1654 04 ) 1655 - / S ELLE , Thomas: Neüe Musikalische Fest=Andachten/ Bestehende Jn Lehr= Trost= Vermahnungs= und Warnungsreichen Liederen/ über Alle Evangelien und sonderbahre Texte/ [. . .] Die den/ Grössern Theils/ auf gewöhnliche und bekante; Alle aber auf gantz Neüe/ von Herren Thoma Sellio/ berühmten Musico, [. . .] wolgesetzete Melodyen können gespielet und gesungen werden [. . .], Lüneburg 1655 (DKL 1655 10 ) 1656 - / H AMMERSCHMIDT , Andreas: Neüe Musikalische Katechismus Andachten/ Bestehende Jn Lehr= Trost= Vermanung und Warnungs= reichen Liederen über den gantzen heiligen Katechismum/ [. . .] welchen zugleich zwölf Erbauliche Gesänge über die Christliche Haustaffel/ sind beigefüget/ Die den Alle/ so wol auf bekante/ und in unseren Evangelischen Kirchen gebräuchliche; als auch auf gantz Neüe/ von Herrn Andreas Hammerschmid/ fürtreflichem Musico, Quellenverzeichnis (QV) 515 [. . .] sehr fleissig und wolgesetzete Melodien können gespielet und gesungen werden [. . .], Lüneburg 1656 (DKL 1656 07 ) Dreßdenisch Gesangbuch Christlicher Psalmen und Kirchenlieder/ Herrn D. Martini L UTHERI / und anderer Gottseligen Lehrer und frommen Christen/ theils mit den Noten und ihren rechten Melodeyen gesatzt/ wie sie in der Churfürstl. Sächß. Schloß=Kirchen zu Dreßden gesungen werden/ Jetzo auffs neue revidirt/ nach der Jahrzeit und Herrn L UTHERI Catechismo fein ordentlich zu gerichtet/ und mit etlichen 100. neuen Liedern/ neben den vorigen Gesängen vermehret und verbessert/ Allen Christlichen Haußvätern und Haußmüttern/ so wohl in Häusern/ als in Kirchen und Schulen sehr nützlich zugebrauchen, Dresden 1656 (DKL 1656 03 ) u. ö. (vgl. 1593 und 1676) 1657 N EUMARK , Georg: Fortgepflantzter Musikalisch=Poetischer Lustwald [. . .], Jena 1657 [vollst. Titel DKL 1657 19 ] [S CHEFFLER , Johann] A NGELUS S ILESIUS , Johannes/ J OSEPH , Georg: Heilige Seelen=Lust/ Oder Geistliche Hirten=Lieder/ Der in jhren J ESUM verliebten Psyche [. . .] mit außbundig schönen Melodeyen geziert/ Allen liebhabenden Seelen zur Ergetzligkeit und Vermehrung jhrer heiligen Liebe/ zu Lob und Ehren Gottes an Tag gegeben, Breslau [1657] (DKL 1657 12 ), s. u. 2 1668 [auch Faks.-ND] 1659 M ÜLLER , Heinrich (Hg.): Geistliche SeelenMusik Bestehend Jn zehen betrachtungen/ und vier hundert auserlesenen/ Geist= und Krafft=reichen/ so wol alten/ als neuen Gesängen/ mit allerhand schönen/ unter andern fünfzig gantz neuen Melodeyen gezieret, Rostock 1659 (DKL 1659 15 ). [Zit. wird nach Frankfurt/ Main 2 1668, s. u.] 1661 C RÜGER , Johann: P RAXIS P IETATIS M ELICA [. . .wie 1653, aber: ] E DITIO X., Berlin 1661 (DKL 1661 11 ). [Kritische] Edition und Dokumentation der Werkgeschichte, hg. von Hans-Otto K ORTH und Wolfgang M IERSEMANN . 5 Teilbände, Halle ab 2014 [S ONNEMANN , Ernst: ] Voll=ständiges Gesang=Buch/ in welchem nicht allein di[! ] gewöhnliche alte Kirchen=Lider/ sondern auch vihl neue/ nüzliche Gesänge/ auf mancherlei Fälle zu befinden, Lüneburg 1661 (DKL 1661 08 ) u. ö. 1665 [O LEARIUS , Adam (Hg.): ] Das Schleßwigische und Holsteinische KIrchen Buch/ Jn welchem verfasset 1. Die fürnembsten und gebräuchlichsten Kirchen Gesänge/ mit der Misse und etlichen sonderbaren Collecten [. . .], Schleswig 1665 1667 E BELING , Johann Georg (Hg.): P AULI G ERHARDI Geistliche Andachten Bestehend in hundert und zwantzig Liedern [. . .] Dutzendweise mit neuen sechsstimmigen Melodeyen gezieret, Berlin 1667 (DKL 1667 05 ). - Faks.-ND samt den übrigen [14 deutschen] Liedern und den lateinischen Gedichten hg. von Friedhelm K EMP , Bern und München 1975 1668 M ÜLLER , Heinrich (Hg.): Geistliche Seelen=Musik Bestehend Jn Zehen Betrachtungen/ und vier hundert außerlesenen/ Geist= und Krafft=reichen/ Anhang 516 sowol alten/ als neuen Gesängen/ mit allerhand schönen/ unter andern funffzig gantz neuen Melodeyen gezieret, Frankfurt/ Main 2 1668 (DKL 1668 07 ), s. o. 1 1659 [S CHEFFLER , Johann] A NGELUS S ILESIUS , Johannes/ J OSEPH , Georg: Heilige Seelen=Lust/ Oder Geistliche Hirten=Lieder [. . .wie 1 1657, nur: ]. . . mit außbündig schönen Melodeyen geziert. Anjetzo auffs neue übersehn/ und mit dem Fünfften Theil vermehrt. Allen denen die nicht singen können statt eines andächtigen Gebet=Buchs zu gebrauchen, Breslau 2 1668 (DKL 1668 10 ). - Faks.-ND hg. von Michael F ISCHER und Dominik F UGGER (Documenta musicologica I/ 51), Kassel etc. 2004 1673 Vorrath von alten und neuen Christl. Gesängen/ nebenst Kirchen=Gebethen und Fest=Andachten/ zum Gebrauch der Churfl. Sächs. Hoff=Capell zu Dreßden zusammen gebracht und Nebenst einer Vorrede der Theol. Facultät zu Leipzig herauß gegeben, Leipzig 1673 1674 [G ENSCH VON B REITENAU , Christoph: ] Vollständiges Gesang=Buch/ Darinnen Nicht allein die alte gewöhnliche Kirchen=Gesänge zu finden/ sondern auch mit vielen neuen/ geist=reichen/ und theils vorhin nie in Druck gekommenen Liedern vermehret: Alle auff bekante Melodeien/ zu männigliches/ absonderlich der Einfältigen desto bessern Gebrauch/ eingerichtet. [. . .], Plön 1674 ( 2 1675, 3 1676) u. ö. [Das sog. Plönische Gesangbuch, zit. wird nach 1770 (s. u.)] 1676 [Husumer Hofgesangbuch] Außerlesene Geistliche Lieder/ Auß unterschiedenen Gesangbüchern zusammen getragen. Und Auff gnädigste Anordnung Der Durchläuchtigsten Fürstinn und Frauen Fr. Maria Elisabeth/ Gebohrnen auß Churfürstlichen Stamm zu Sachsen/ verwittweten Hertzogin zu Schleßwig Holstein/ Stormarn und der Dithmarschen/ Gräffin zu Oldenburg und Delmenhorst/ etc. Zu beförderung des so wol öffentlichen Gottesdienstes in dero Hoff=Capelle/ als auch geheimen Andacht außgefertiget, Schleswig 1676 (DKL 1676 21 ). Faks.-ND mit einem Nachwort von Ada K ADELBACH , Husum 1986 [Vgl. BibAK 3], Tbl. Abb. 6.3 (Exemplar L[übeck]) und Tbl. Abb. 7.1 (Exemplar H[usum]) Geistreiches Gesang=Buch/ An D. Cornelij B ECKERS Psalmen und Lutherischen Kirchen=Liedern/ mit ihren Melodeyen unter Discant und Basso, sammt einem Kirchen=Gebeth=Buche/ Auf Chur=Fürstl. Durchl. zu Sachsen &c Hertzog Johann Georgens des Anderen/ gnädigste Verordnung und Kosten/ für die Churfl. Häuser und Capellen aufgeleget und ausgegeben. 1. Teil: Der Psalter Davids [. . .], 2. Teil: Neu=eingerichtetes Gesang=Buch [. . .], Dresden 1676 (DKL 1676 11 ) (s. o. 1593 und 1656) 1677 Außzug Etlicher geistlichen Lieder für das Zucht=Hauß in Hamburg, Hamburg 1677 (DKL 1677 05 ) 1680 S TÖKKEN , D. Christian von: Kleines Holsteinisches Gesang=Buch Darinn außerlesene Alt und neue Gesänge/ Von den Alten zwar die gewöhnlichsten/ Und von den Neuen die nöhtigsten/ Von Beeden die nüzzlichsten; durchgehends aber also verbeßert/ daß die Alten darinn geduppelt/ nach ihrer Quellenverzeichnis (QV) 517 vorigen und izz=üblichen Poetischen Reim=Art, die Neuen dabei mit vielen vermehret zu finden/ so noch nie gedrukket worden [. . .], Rendsburg 1680 ( 2 1681) C RÜGER , Johann/ S OHR ( EN ), Peter: Johann Crügers/ Neu zugerichtete P RAXIS P IETATIS M ELICA : Das ist: Ubung der Gottseligkeit/ In Christlichen und trostreichen Gesängen Herrn D. Martin. L UTHERI fürnehmlich/ wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger/ und reiner Evangelischer Lehr Bekenner. Ordentlich zusammen gebracht/ Und zur Beförderung des so Kirchen= als Privat=Gottesdiensts/ mit bißhero gebräuchlichen/ wie auch neuen Melodeyen/ neben darzu gehörigen Fundament verfertigt/ und mit vielen trostreichen Gesängen vermehret Von Peter Sohren, Frankfurt/ Main 1680 (DKL 1680 10 ) 1683 K RAMER , Moritz: Heilige Andachten, bestehend in etlichen geistlichen Liedern, Glückstadt 1683 1685 [S CHWARZBURG -R UDOLSTADT , Aemilie Juliane Gräfin von: ] Im Nahmen JESU! Tägliches Morgen= Mittags= und Abend=Opffer/ bestehend in Gebet= Seuffzern und geistlichen Liedern, Rudolstadt 1685 (Benedictus Schultz), 2 1699 (Heinrich Urban) 1686 Lüneburgisches Gesangbuch/ Darinn 2000. so wol alte als neue geistreiche Lieder/ Aus den besten Autoren gesamlet/ und mit vielen neuen wolgesetzten Melodeyen und Kupffern gezieret [. . .], Lüneburg 1686 (DKL 1686 06 ) u. ö. (s. u. 4 1702) 1688 E LMENHORST , Hinrich: D RAMATOLOGIA A NTIQUO -H ODIERNA . Das ist: B ERICHT von denen O PER -Spielen/ Darinn gewiesen wird/ Was sie bey den Heyden gewesen/ und wie sie des darbey vorgegangenen abgöttischen und lasterhafften Thuns halber von den Patribus und Kirchen=Lehrern verworffen/ Ferner Was die heutige Oper-Spiele seyn/ und daß sie nicht zur Unerbarkeit/ und sündlicher Augen=Lust/ sondern zur geziemenden Ergetzung/ und Erbauung im Tugend=Wandel vorgestellet/ Dannenhero von Christlicher Obrigkeit/ als Mittel=Dinge/ wohl können erlaubet/ und von Christen ohn Verletzung des Gewissens geschauet und angehöret werden/ Aus Liebe zur Wahrheit geschrieben, Hamburg [1688]. - Faks.-ND Leipzig 1978 K RAMER , Mauritio [Moritz]: Eine Nöhtig erachtete Christliche Warnung für dem ungeschmakten Qvakerqvarke An die Christliche Gemeine zur Marne in Ditmarschen/ als seine anvertrauete liebe Zuhörer, Glückstadt 1688 1690 Nürnbergisches Gesang=Buch/ Darinnen 1230. auserlesene/ sowol alt als neue/ Geist- Lehr- und Trost-reiche Lieder/ auf allerley Zeit= Freud- und Leid-Fälle der gantzen Christenheit gerichtet/ und Mit Voransetzung der Autorum Namen/ auch theils vortrefflich-schönen Melodien/ Noten und Kupffern gezieret/ zu finden [. . .], Nürnberg 1690 (DKL 1690 14 ) 1692 Z ELLER , Eberhard/ L ANGE , Nicolaus: Zeugniß eines guten Gewissens In dem theuren Glauben des H. Evangelii/ Für der Kirchen GOttes Augspurgischer Confession, Nach dem H. Geboth des H ERRN . [. . .] Zu Abwendung der offentlichen Aergerniß Der Unversühnlichkeit und Affter=Rede/ in Gliedli- Anhang 518 cher Unterthänigkeit abgeleget zu H AMBURG / durch Eberhard Zeller und Nicolaus Lange/ Des H. Ministerii Angehörige in der Göttlichen Gedult, o. O. 1692 1695 [L UPPIUS , Andreas (Hg.): ] Geistliche Lieder und Lobgesänge/ Aus der lebendigen und reinen Quelle des Geistes Gottes entsprungen/ und zur Ermunterung der Kinder Gottes publicirt, [Erfurt? ] 1695 1697 Geistreiches Gesang=Buch/ Worinnen nicht nur viele von denen gewöhnlichen Kirchen=Gesängen Sondern auch Vornehmlich die geistreichesten Neuen= Lieder in eine Ordnung gebracht/ Und Zu Erweckung und Vermehrung wahrer Andacht zum Druck befördert, Halle (Johann Jacob Schütze) 1697 [Verschollen, Titel nach FT VI, 981] 1698 Geistreiches Gebet=Buch/ In welchem Morgen= und Abend=Segen auf alle Tage in der Wochen/ Benebenst andere andächtige Hertzens=Seuffzer/ Wie auch Beicht=Communion- Reise= und Krancken=Gebet zu finden [. . .], Lübeck 1698 Geistreiches Gesang=Buch/ Vormahls in Halle gedruckt/ Nun aber allhier mit Noten der unbekandten Melodien und 123. Liedern vermehret/ wie auch von vielen im vorigen gefundenen Druckfehlern verbessert; Zur Ermunterung Glaubiger Seelen, Darmstadt 1698 (DKL 1698 06 ) [Vorrede von Eberhard Philipp Z ÜEHL ] Lübeckisch=Vollständiges Gesangbuch/ Anjetzo biß auf 974. Gesänge vermehret/ Darinn Des S.Hn.D. L UTHERI und andere in unser Kirchen übliche alte Gesänge ebenwohl behalten/ Und Mit einen[! ] Kern Geistreicher Lieder/ aus andern Authorisirten Gesanbüchern/ vermehret worden/ Sammt Einem darzu nöthigen Gebet u. Communion-Büchlein, Lübeck und Leipzig (Verlag Johann Wiedemeyer), Rudolstadt (Druck Heinrich Urban) 1698 [Exemplar London]. 1699 Lübeckisch=Vollständiges Gesangbuch/ Anjetzo biß auf 974. Gesänge vermehret [. . . wie 1698, nur: ] 1699 [Exemplar Greifswald, Tbl. Abb. 3.2] 1700 - 1799 1700 Hamburgisches Gesang=Buch, Zum Heiligen Gebrauch Des öffentlichen GottesDienstes Als auch derer Hauß=Andachten Heraus gegeben Von Den [! ] Hamburgischen M INISTERIO , Hamburg [1700] u. ö. M ASIUS , Heinrich: Elieser. Die Preiß=würdigste Hand Gottes/ In seiner Heiligen Vorsehung/ auch Väterlichen Güte und Hülffe. Nach Anleitung Des Edlen Danck=Spruchs/ Sir.L.24. Nun dancket alle Gott/ etc. In Form einiger Seligen Gedancken [. . .] und mit einem nöthigen Register außgefertiget, Lübeck und Ratzeburg 1700 1702 C RÜGER , Johann: P RAXIS P IETATIS M ELICA [. . . wie 1653, nur: ] . . . Herrn D. Martin L UTHERS fürnemlich/ wie auch anderer seiner getreuen Nachfolger und reiner Evangelischer Lehre Bekenner/ [. . .] mit beygesetzten bishero gebräuchlichen und vielen schönen neuen Melodien [. . .]. Anjetzo bis auf Quellenverzeichnis (QV) 519 786. Gesänge vermehret/ Nebst D. Johann H ABERMANNS vollständig- und vermehretem Gebatbuche/ [! ] E DITIO XXIX., Berlin 1702 (DKL 1702 11 ) [Vorrede von Philipp Jacob S PENER ] Lüneburgisches GEsang=Buch/ Darinnen 2100. so wol alte als neue Geistreiche Lieder/ Auß den besten Autoren gesammlet/ mit vielen neuen anmuhtigen Melodeyen versehen/ und mit Kupffern gezieret [. . .], Lüneburg 1702 (DKL 1702 10 ) u. ö. (s. o. 1 1686) 1703 Lübeckisches Gesang=Buch/ Nebst Anfügung Eines Gebeth=Buchs/ Auff Verordnung Eines Hoch=Edlen Hochweisen Raths/ Von Einem Ehrwürdigen M INISTERIO Ausgegeben, Lübeck 1703 u. ö. [Titelaufnahme nach der ältesten überlieferten Aufl. von 1704 in der Forschungsbibliothek Gotha, zit. wird nach der Aufl. von 1709 aus meinem Besitz] 1704 F REYLINGHAUSEN , Johann Anastasius (Hg.): Geist=reiches Gesang=Buch/ Den Kern Alter und Neuer Lieder/ Wie auch die Noten der unbekannten Melodeyen/ Und dazu gehörige nützliche Register in sich haltend; In gegenwärtiger bequemer Ordnung und Form/ sammt einer Vorrede/ Zur Erweckung heiliger Andacht und Erbauung im Glauben und gottseligem Wesen, Halle 1704 (DKL 1704 04 ) u. ö. [Zit. wird nach 13 1723] 1709 [P ORST , Johann: ] Geistliche Und Liebliche Lieder/ Welche Der Geist des Glaubens durch D. Martin L UTHERN / Johann H ERMANN / Paul G ERHARD / und andere seine Werckzeuge in den vorigen und itzigen Zeiten gedichtet/ Und bisher in diesen Städten bekannt worden/ Mit Fleiß zusammen gelesen/ und in dieser bequemen Form zum Druck befördert. Nebst Einigen Gebethen, Berlin 1709 u. ö. (s. u. 1767) Lübeckisches Gesang=Buch [. . .wie 1 1703/ 04], Lübeck 1709 [Tbl. Abb. 4.3] 1710/ 12 Neu=Vermehrtes Hamburgisches Gesang=Buch [. . .], Hamburg 1710/ 12 (s. u. 1716) 1712 C RÜGER , Johann: P RAXIS P IETATIS M ELICA [. . .wie 1702, nur: ] E DITIO XXXV., Berlin 1712 (DKL 1712 10 ) Hoch=Fürstl. Schleswig=Hollsteinisches Gesang=Buch zum GOttgeheiligten Nutzen des öffentlichen GOttes=Dienstes, Wie auch derer Hauß=Andachten verfertiget, Kiel 1712 u. ö. 1714 F REYLINGHAUSEN , Johann Anastasius (Hg.): Neues Geist=reiches Gesang= Buch, auserlesene/ so Alte als Neue/ geistliche und liebliche Lieder/ Nebst den Noten der unbekannten Melodeyen/ in sich haltend/ Zur Erweckung heiliger Andacht und Erbauung im Glauben und gottseligen Wesen, Halle 1714 (DKL 1714 06 ) u. ö. [Zit. wird nach 2 1719 s. u.] [S CHWARZBURG -R UDOLSTADT , Aemilie Juliane Gräfin von: ] Der Freundin des Lammes Geistlicher Braut=Schmuck Zu Christlicher Vorbereitung Auf die Hochzeit des Lammes/ In Lieder/ Gebete und Seuffzer abgefasset und mitgetheilet [. . .], Leipzig und Rudolstadt 1714 Anhang 520 1715 B RONNER , Georg: Das/ Von E. Hoch=Edlen und Hoch=Weisen Raht der Stadt H AMBURG privilegirt= und vollkommenes Musicalisch=Choral=Buch/ mit Fleiß eingerichtet Nach dem Hamburgischen Kirchen=Gesang=Buch/ Und verfertiget [. . .], Hamburg [1715] (DKL 1715 01 ) 1716 Der Löblichen Theologischen Facultæt zu Wittenberg Bedencken über das zu Glauche an Halle 1703. im Wäysen=Hause daselbst edirte Gesang=Buch eingeholt und zum Druck befördert durch Hoch=Gräfliche Waldeckische zur Regierung Verordnete Land=Drost und Räthe, Frankfurt und Leipzig 1716 Neu=Vermehrtes Hamburgisches Gesang=Buch/ Zum Heiligen Gebrauch Des öffentlichen GOttes=Dienstes/ Als auch derer Hauß=Andachten/ Heraus gegeben Von Dem Hamburgischen M INISTERIO , Hamburg 1716 [Tbl. Abb. 4.1] u ö. ( 1 1710 mit Anhang von 1712) 1717/ 23 Evangelisches Gesang=Buch, Bestehend im Kern Der alten und neuen Lieder in gegenwärtiger bequemen Form zur Erwekk= und Entzündung Heiliger Andacht und Erbauung im Glauben und gott=seeligen Leben. [Vorrede von Propst Daniel Saß, 7. 11. 1717], Altona 2 1723 ( 1 1717). [Titel nach 2 1723, da Erstaufl. verschollen. Vgl. Brederek, S. 62 f.] Naumburgisches Gesangbuch, bestehend vornehmlich Aus denen Alten Lutherischen Kern= und Kirchen= wie auch vielen Neuen Liedern [. . .], Naumburg 1717 1718/ 29 N EUMEISTER , Erdmann: Evangelischer Nachklang, Das ist: Neue Geistreiche Gesänge über die ordentlichen Sonn= und Festtags=Evangelia auf ’ s gantze Jahr, Zur Erwekkung und Beförderung Heil. Andacht in Gottseligen Hertzen zusammen getragen. 2 Teile, Hamburg 1718/ 29 1719 F REYLINGHAUSEN , Johann Anastasius (Hg.): Neues Geist=reiches Gesang= Buch [. . .wie 1 1714], Halle 2 1719 (DKL 1719 07 ) 1720 S CHMOLCK , Benjamin: Heilige Flammen der Himmlisch=gesinnten Seele, In andächtigen Gebet= und Liedern angezündet [. . .] Als der erste Theil, des bald darauff erfolgenden andern Theiles, Leipzig 1720 ( 1 1704) 1722 [J ACOBI , Johann Christian: ] Psalmodia Germanica; OR , A SPECIMEN OF Divine HYMNS , Translated from the High Dutch. Together with Their Proper T UNES , and Thorough B ASS , London 1722 ( 2 1732) und New York 3 1756 (s. u.) 1723 F EUSTKING , Johann Heinrich: P AULI G ERHARDI Geistreiche Hauß= und KirchenLieder Nach des seel. Autoris eigenhändigen revidirten Exemplar Mit Fleiß übersehen Auch samt einem kurtzen doch Nöthigen Vorbericht Ausgefertiget, Wittenberg 3 1723 [Tbl. Abb. 19.1] (Zerbst 1 1707, Wittenberg 2 1717) F REYLINGHAUSEN , Johann Anastasius (Hg.): Geist=reiches Gesang=Buch [. . . wie 1 1704, nur 3 kleine Abweichungen in Interpunktion und Orthographie], Halle 13 1723 (DKL 1723 04 ) [Tbl. Abb. 1.3] Quellenverzeichnis (QV) 521 K RAFFT , Johann Melchior: Ein Zweyfaches Zwey=Hundert=Jähriges Jubel=Gedächtnis, Deren das Erste In einer am Fest=Tage Allerheiligen 1722. gehaltenen Predigt vorstellet Die Reformation, so durch GOttes Segen 1522. zu allererst in diesen Hertzogthümern, Schleßwig, und Holstein, von Hermanno T ASTEN , in dieser Stadt Husum angefangen worden [. . .], Hamburg 1723 1724 S TARCK , Caspar Heinrich: Lubeca Lutherano-Evangelica, das ist, der Kayserlichen/ Freyen/ und des Heil. Römischen Reichs Hanse= und Handel=Stadt Lübeck Kirchen=Historie/ Darin Die vornehmsten Geschichte, Welche sich Sint der Reformation Herrn L UTHERI seel. biß auf gegenwärtige Zeiten in der Kirchen daselbst begeben/ und zugetragen haben/ von Jahren zu Jahren ordentlich beschrieben/ Ins besondere Die wichtigsten Religions-Handlungen E. Ehrw. Ministerii sowohl für sich alleine, als auch in Gemeinschafft der Ministeriorum zu Hamburg, und Lüneburg, ihre controversien, conventus, colloquia, und scripta publica umständlich erzehlet [. . .], Hamburg 1724 1728 S TARCK , Johann Friedrich: Tägliches Hand=Buch in guten und bösen Tagen [. . .], Frankfurt/ Main 1728 ( 2 1734) u. ö. [Zit. wird nach 3 1738 s. u.] 1730 T ELEMANN , Georg Philipp: Fast allgemeines Evangelisch=Musicalisches Lieder=Buch, welches 1. sehr viele alte Chorale nach ihren Uhr=Melodien und Modis wieder herstellet, aber auch zugleich 2. eine große Menge der itzt=üblichen Abweichungen anzeiget; hiernächst 3. den Baß also verfasset enthält, daß man die Lieder durchgehends mit 4. Stimmen spielen kann, zu welchem Ende dann 4. die Ziefern aufs sorgfältigste hinzugefüget worden; welches ferner 5. so wohl Chor= als Cammer=mäßig gebrauchet werden mag, und endlich 6. über 2000. Gesänge in 500. und etlichen Melodien darstellet; zusammen getragen, in die Harmonie gebracht, mit einem Register versehen, und, nebst einem zu Ende angehangenen Unterrichte, der unter andern zur vierstimmigen Composition und zum damit verknüpften General=Basse anleitet, in dieser bequemen Form herausgegeben, Hamburg 1730 (DKL 1730 11 ). - Faks.-ND hg. von Siegfried Kross (Dokumentation zur Geschichte des deutschen Liedes 3), Hildesheim und New York 1977 1731 [S CHRADER , Johann Hermann: ] Vollständiges Gesang=Buch, in einer Sammlung Alter und Neuer Geistreichen Lieder, Der Gemeinde Gottes zu Tondern zur Beförderung der Andacht bey dem öffentlichen GOttes=Dienst, und besonderen Hauß=Ubung gewiedmet, Tondern 1731 1734 S TARCK , Johann Friedrich: Tägliches Hand=Buch in guten und bösen Tagen, Das ist: Aufmunterung/ Gebete/ und Gesänge 1. Für Gesunde, 2. Für Betrübte, 3. Für Krancke, 4. Für Sterbende, wie auch Sprüche/ Seuffzer, und Gebete, den Sterbenden fürzusprechen. Nebst Fest=Andachten, zur Ehre GOTTES, und Erbauung der Christlichen Gemeinde heraus gegeben, Andere um die Helffte vermehrte Auflage, Mit Kriegs= Theurungs= Pest= und Friedens=Gebetern vermehret, Frankfurt und Leipzig (Reinhard Eustachius Möller) 2 1734 ( 1 1728), s. u. 3 1738 u. ö. 1735 Das Gesang=Buch der Gemeine in Herrn=Huth, Herrnhut 1735 (s. u. 2 1737, 3 1741) Anhang 522 R AMBACH , Johann Jacob: Geistreiches Haus=Gesang=Buch, welches Alle Glaubens=Lehren und Lebens=Pflichten in siebenhundert auserlesenen, meist neuen, und zum Theil noch nie gedruckten, Liedern [. . .] in sich fasset; [. . .] Zur Beförderung der Haus=Andacht ausgefertiget, Frankfurt und Leipzig 1735 1736 Ein Kleines Gesang=Büchlein, Zum Gebrauch Der Pilger, Frankfurt/ Main 1736 1737 Das Gesang=Buch der Gemeine in Herrn=Huth, Herrnhut 2 1737 [Tbl. Abb. 13.1] (s. o. 1 1735) 1738 K ÖNIG , Johann Balthasar: Harmonischer Lieder=Schatz, oder Allgemeines Evangelisches Choral=Buch, Welches die Melodien derer so wohl alten als neuen biß hieher eingeführten Gesänge unsers Teutschlandes in sich hält; Auch durch eine besondere Einrichtung dergestalt verfasst ist, daß diejenige Lieder, so man nicht zu singen gewußt, nunmehro mit ihren behörigen Melodien gesungen, und mit der Orgel oder Clavier accompagnirt werden können. Ferner finden sich darinnen die Melodien derer Hundert und Funffzig Psalmen Davids/ Wie solche in denen Gemeinden der Reformirten Kirche gesungen werden/ benebst denen Frantzösischen Liedern, so viel deren biß itzo bekannt worden; [. . .] aufs sorgfältigste zusammen getragen, anbey durchgehends mit einem modernen General-Bass versehen [. . .], Frankfurt/ Main 1738. - Faks.- ND Hildesheim etc. 2004 [S CHÜTZ , Christoph (Hg.)]: Des Geistlichen Würtz= Kräuter= und Blumen= Gartens, oder UNIVERSAL-Gesangbuchs Erster Theil Bestehend In einer Auswahl von tausend/ so wohl alten als neuen geistlichen lieblichen Liedern/ GOtt und seiner ewigen Weißheit zum Preiß und Lobe und denen Menschen zum Dienst und Nutz herausgegeben, Homburg vor der Höhe 1738 (s. u. 1744) S TARCK , Johann Friedrich: Tägliches Hand=Buch in guten und bösen Tagen, Das ist: Aufmunterung/ Gebete u. Gesänge/ [. . .usw. wie 2 1734, nur: ] Dritte Auflage [. . .], Frankfurt und Leipzig (Reinhard Eustachius Möller) 3 1738 ( 1 1728, s. o. 2 1734, s. u. amerik. Ausgabe Philadelphia 2 1813, Reutlingen ca. 1880 [Tbl. Abb. 21.3], Neuendettelsau 1999) u. ö. 1739 [B EISSEL , Conrad: ] Zionitischer WeyrauchsHügel Oder: Myrrhen Berg, Worinnen allerley liebliches und wohl riechendes nach Apotheker=Kunst zu bereitetes Rauch=Werck zu finden. Bestehend In allerley Liebes=Würckungen der in GOTT geheiligten Seelen, welche sich in vieler und mancherley geistlichen und lieblichen Liedern aus gebildet. Als darinnen Der letzte Ruff zu dem Abendmahl des grossen GOttes auf unterschiedliche Weise trefflich aus gedrucket ist; Zum Dienst Der in dem Abend=Ländischen Welt=Theil als bey dem Untergang der Sonnen erweckten Kirche GOttes, und zu ihrer Ermunterung auf die Mitternächtige Zukunfft des Bräutigams ans Licht gegeben, Germantown 1739 1741 Christliches Gesang=Buch, der Evangelischen Brüder=Gemeinen von 1735 zum drittenmal aufgelegt und durchaus revidirt, [Herrnhut] 3 1741 (s. o. 1 1735) F RANCKE , Gotthilf August (Hg.): Johann Anastasii F REYLINGHAUSEN [. . .], Geistreiches Gesang=Buch, den Kern alter und neuer Lieder in sich haltend: Quellenverzeichnis (QV) 523 Jetzo von neuen so eingerichtet, Daß alle Gesänge, so in den vorhin unter diesem Namen alhier herausgekommenen Gesang=Büchern befindlich, unter ihre Rubriquen zusammengebracht, auch die Noten aller alten und neuen Melodeyen beygefüget worden, und mit einem Vorbericht herausgegeben, Halle 1741 (DKL 1741 03 ), 2 1771 (DKL 1771 05 ) 1742 Ausbund, Das ist: Etliche schöne Christliche Lieder, Wie sie in dem Gefängnüs zu Bassau in dem Schloß von den Schweitzer=Brüdern, und von anderen rechtgläubigen Christen hin und her gedichtet worden. Allen und jeden Christen welcher Religion sie seyen, unpartheyisch fast nützlich, Germantown 1742 u. ö. - Faks.-ND Amsterdam und Nieuwkoop o. J. [Tbl. Abb. 12.1] (s. u. 2 1751, 3 1767, 4 1785) HirtenLieder Von Bethlehem, Zum Gebrauch Vor alles was arm ist, Was klein und gering ist, Germantown 1742 [Tbl. Abb. 13.2] M ÜHLENBERG , Heinrich Melchior: Selbstbiographie, 1711 - 1743. Aus dem Missionsarchive der Franckischen Stiftungen zu Halle. Mit Zusätzen und Erläuterungen von Lic. Theol. Dr. W. G ERMANN , Allentown, Pa. 1881. - ND mit Einleitung von Thomas M ÜLLER -B AHLKE , Halle 2011 N EISSER , Georg: Angemerkte Vorkommenheiten bey den Brüdern, in den Forks of Delaware, um die Zeit des Anbaues von Bethlehem, in dem Jahre 1741; ingleichen bey des seligen Jüngers Ludwigs Aufenthalt in Philadelphia und Germantown in dem Jahr 1742 [Hs. in den Moravian Archives, Bethlehem/ Pa.: Georg Neisser Papers, no. 1] 1744 M OLLER , Johannes: Cimbria Literata, Kopenhagen 1744 [ausführlicher Titel siehe LitV] [S CHÜTZ , Christoph (Hg.): ] Ein Geistlicher Würtz= Kräuter und Blumen=Garten oder des U NIVERSAL -Gesang=Buchs [. . .] Erster Haupt=Theil [. . .] in 5. Bänden und 5000. Liedern verfasset, und mit der Vorrede Eines vornehmen GOttes=Gelehrten aus H. Vom Nutzen eins Universal=Gesang=Buchs heraus gegeben, Homburg vor der Höhe 1744 (s. o. 1 1738) 1748 Anhang zum Lübeckischen Gesang=Buch, auf Verordnung Eines Hoch=Edlen Hochweisen Rahts, von einem Ehrwürdigen M INISTERIO ausgegeben, Lübeck 1748 u. ö. (bis 1780, s. u.) [Ab Nr. 304 ohne eig. Tbl. in den Liederteil integriert] 1751 Ausbund [. . .wie 1742], Germantown 2 1751. Anhang: Fünff schöne Geistliche Lieder [es folgen 5 Liedanfänge]. Gedruckt im Jahr 1752 [o. O.] 1752 Neue Sammlung geistlicher Lieder, Wernigerode [Vorbericht 3. 3. 1752] N EUMEISTER , Erdmann: Dritter Theil der Fünffachen Kirchen=Andachten, bestehend aus zween Musicalischen Jahrgängen, und allerhand Geistlichen Liedern, zu Morgen und Abend, und andern Seelen=Angelegenheiten, Hamburg 1752 [Tbl. Abb. 18.1] Vollständiges Gesang=Buch [. . .wie 5 1757], Altona und Glückstadt 1752 [Das sog. 1.000 Lieder-Buch, zit. wird nach 5 1757] Anhang 524 1754 Hirten=Lieder von Bethlehem, Zum Gebrauch für alles was arm ist, was klein und gering ist. Nach der Germantowner Edition von 1742, London 1754 [1. Teil des »Kleinen Brüdergesangbuchs«, 2. veränd. Aufl. Barby 1761] 1755 N EUMEISTER , Erdmann: Psalmen, und Lobgesänge und Geistliche Lieder, aus seinen Poetischen und andern seinen Schrifften zusammen gelesen von Dem, welcher die Vorrede zum Dritten Theile der fünffachen Kirchen=Andachten verfertiget. Neue Auflage, Hamburg 1755 R EIN , Johann Balthasar: Vierstimmig Choralbuch, worinnen alle Melodien, des Schleswig=Holsteinschen Gesangbuchs, enthalten sind. Componirt und mit Königl= allerhöchstem Privilegio exclusivo herausgegeben, Altona 1755 1756 [J ACOBI , Johann Christian: ] Psalmodia Germanica: OR , THE G ERMAN P SALMODY . Translated from the HIGH DUTCH . T OGETHER With their proper T UNES , and thorough B ASS . The T HIRD E DITION , Corrected and very much Enlarged. LONDON , Printed: [1722, 2 1732] N EW -Y ORK Re-printed 1756 [Tbl. Abb. 15.3] 1757 G ELLERT , Christian Fürchtegott: Geistliche Oden und Lieder, Leipzig 1757 [Cranz, David: ] Kurze, zuverläßige Nachricht Von der, unter dem Namen der Böhmisch=Mährischen Brüder bekanten, Kirche U NITAS F RATRUM Herkommen, Lehr=Begrif [! ], äussern und innern Kirchen=Verfassung und Gebräuchen, aus richtigen Urkunden und Erzehlungen von einem Ihrer Christlich Unpartheiischen Freunde heraus gegeben und mit sechzehn Vorstellungen in Kupfer erläutert, o. O. 1757 ( 2 1762) Vollständiges Marburger Gesangbuch [. . .], Germantown 1757 (s. u. 5 1777) Vollständiges Gesang=Buch in einer Sammlung alter und neuer Geistreichen Lieder, auf Königl. allergnädigsten Befehl zum allgemeinen Gebrauch in den Kirchen und Gemeinen des Herzogthums Schleswig, des Herzogthums Holstein, Königl. Antheils, der Herrschaft Pinneberg, Grafschaft Rantzau und Stadt Altona gewidmet, Glückstadt 5 1757 [Tbl. Abb. 10.3] u. ö. (s. o. 1 1752) 1758 B ACH , Carl Philipp Emanuel: Herrn Professor G ELLERTS Geistliche Oden und Lieder mit Melodien, Berlin 1758, 2 1759, 3 1764 u. ö. (DKL 1758 14 etc.). - Faks.-ND Hildesheim und New York 1973. Im Anhang: Zwölf geistliche Oden und Lieder [. . .], Berlin 1764 (s. u.) D OLES , Johann Friedrich: Melodien zu des Herrn Prof. C. F. G ELLERTS Geistlichen Oden und Liedern, die noch nicht mit Kirchenmelodien versehen sind, vierstimmig, mit untergelegtem Texte und fürs Clavier mit beziffertem Basse zur privat und öffentlichen Andacht gesetzt, Leipzig 1758 (DKL 1758 04 ) 1760 [C RAMER , Johann Andreas (Hg.): ] Neues Gesangbuch für die deutsche St. Petri Gemeine von tausend auserlesenen Liedern, Kopenhagen 1760 (s. u. 2 1762) G RÄFE , Johann Friedrich: Funfzig Psalmen, geistliche Oden und Lieder zur privat und öffentlichen Andacht in Melodien mit Jnstrumenten gebracht, Braunschweig und Leipzig 1760 (DKL 1760 03 ) Quellenverzeichnis (QV) 525 [Q UANTZ , Johann Joachim: ] Neue Kirchen=Melodien zu denen geistlichen Liedern des Herrn Professor G ELLERTS welche nicht nach den gewöhnlichen Kirchen=Melodien können gesungen werden, Berlin 1760 (DKL 1760 07 ) 1761 H ILLER , Johann Adam: Choral=Melodien zu Hrn. Prof. C. F. G ELLERTS Geistlichen Oden und Liedern, welche nicht nach bekannten Kirchen=Melodien können gesungen werden, Leipzig 1761 (DKL 1761 06 ) S CHMIDLIN , Johannes: Hrn. Prof. G ELLERTS geistliche Oden und Lieder, in Music gesezt[! ], Zürich 1761 (DKL 1761 21 - 22 ) 1762 [C RAMER , Johann Andreas (Hg.): ] Neues Gesangbuch für die deutsche St. Petri Gemeine von tausend auserlesenen Liedern, Kopenhagen 2 1762 [Tbl. Abb. 10.5] (s. o. 1 1760) Neu=Eingerichtetes Gesang=Buch in sich haltend eine Sammlung (mehrentheils alter) schöner lehr=reicher und erbaulicher Lieder, Welche von langer Zeit her bey den Bekennern und Liebhabern der Glorien und Wahrheit JEsu CHristi biß anjetzo in Uibung gewesen [. . .], Germantown (Christoph Saur) 1762 [Das erste Gesangbuch der Schwenckfelder, siehe vollst. Titel in Abb. 14.1] 1764 B ACH , Carl Philipp Emanuel: Zwölf geistliche Oden und Lieder als ein Anhang zu G ELLERTS geistlichen Oden und Liedern mit Melodien, Berlin 1764, 2 1771 (DKL 1764 01 , 1771 02 ). - Faks.-ND s. o. 1758 Mecklenburgisches Kirchen=Gesangbuch, Schwerin 1764 u. ö. (s. u. 1803) 1765 [D ITERICH , Johann Samuel (Hg.): ] Lieder für den öffentlichen Gottesdienst, Berlin 1765 u. ö. 1765/ 69 B ACH , Carl Philipp Emanuel (Hg.): Johann Sebastian B ACHS vierstimmige Choralgesänge. Erster Theil 1765, Zweyter Theil 1769, beide Berlin und Leipzig (DKL 1765 01 / 1769 01 ). - Faks.-ND Hildesheim und New York 1975 1766 H ESSE , Johann Heinrich: Vier und Zwanzig Geistliche Oden und Lieder und eine Cantate mit Melodien fürs Clavier nebst zwey Violinen und dem Baß, Eutin 1766 (DKL 1766 25 ) Neu=aufgelegtes Geistreiches Gesang=Buch, Für die Kirchen und Schulen, und zum beständigen Gebrauch im Bischofthum Lübeck verordnet, Eutin 1766 Wernigerödisches Gesang=Buch, begreiffend 852 Geistreiche so wol Alte als Neue auserlesene Lieder, mit den Noten der unbekannten melodeyen und einem kleinen Gebet=Buch versehen [. . .], Wernigerode 9 1766 (DKL 1766 17 ) 1767 Ausbund [. . .wie 1751]. Nebst einem Anhang von fünff Liedern. Zum dritten mal aufgelegt in Pennsylvanien, Germantown (Christoph Sauer) 1767 Neues Bremisches Psalm= und Gesangbuch zur öffentlichen und besonderen Erbauung der Reformirten Stadt= und Landgemeinen, mit Hoch= Obrigkeitlicher Bewilligung, herausgegeben von dem Bremischen Ministerio, Bremen 1767 (DKL 1767 09 , 2 1777 04 ) u. ö. Anhang 526 Neues Wismarsches Gesang=Buch, zum heiligen Gebrauch beym öffentlichen Gottesdienste und der Hausandacht, Wismar 1767 [P ORST , Johann (Hg.): ] Geistliche und Liebliche Lieder, Welche Der Geist des Glaubens durch Doct. Martin L UTHERN , Johann H ERMANN , Paul G ERHARD , und andere seine Werckzeuge, in den vorigen und jetzigen Zeiten gedichtet, und die bißher in Kirchen und Schulen Der Königl. Preuß. und Churfl. Brandenburg. Lande bekannt [. . .] vnd eingeführet worden, Nebst Einigen Gebeten und einer Vorrede von Johann Porst [1. 8. 1727], Berlin 1767 (s. o. 1 1709) [S TOLBERG -W ERNIGERODE , Ernst Heinrich Graf von: ] Melodeien zu der Wernigerödischen Neuen Samlung geistlicher Lieder, Halle 1767 (DKL 1767 24 ) [Tbl. Abb. 11.1]. Vermehrtes Lüneburgisches Kirchen=Gesang=Buch, Nebst einem Gebet= Buche, Auf Sr. Königl. Groß=Britannischen Majestät und Chur=Fürstl. Durchl. zu Braunschweig=Lüneburg etc. Allergnädigsten Befehl herausgegeben, Lüneburg 1767 ( 3 1771) u. ö. 1770 Plönisches Gesang=Buch, darin nicht allein die alten und gewöhnlichen Kirchen=Gesänge/ sondern auch viele neue geistreiche Lieder, zu finden; alle auf bekannte Melodeyen [. . .], Plön 1770 [Tbl. Abb. 10.2] (s. o. 1 1674 u. ö.) 1771 T ODE , Heinrich Julius: Christliche Lieder, Hamburg und Lüneburg 1771 1773 B ACH , Carl Philipp Emanuel: [Autobiographischer Abriß.] In: Charles B UR- NEY , Tagebuch seiner Musikalischen Reisen. Bd. 3: Durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland. Aus dem Englischen übersetzt [von Joh. Joachim Christoph B ODE ], Hamburg 1773, S. 199 - 209 M ÜNTER , Balthasar: Erste Sammlung Geistlicher Lieder. Mit Melodien von verschiedenen Singkomponisten, Leipzig 1773 (DKL 1773 09 ) 1774 - Zweyte Sammlung Geistlicher Lieder. Mit Melodien von Johann Christian [richtig: Christoph] Friedrich B ACH , Hochreichsgräflich=Bückeburgischen Concertmeister, Leipzig 1774 (DKL 1774 10 ) B ACH , Carl Philipp Emanuel: Herrn Doctor C RAMERS übersetzte Psalmen mit Melodien zum Singen bey dem Claviere, Leipzig 1774 (DKL 1774 01 ) [C RAMER , Johann Andreas: ] Der Catechismus Lutheri in einer kurzen und ausführlichen Auslegung erklärt und mit E. Hochedl. und Hochweisen Raths Genehmhaltung zum öffentlichen Gebrauche herausgegeben von Einem Ehrwürdigen Ministerio der Kayserlichen freyen und des heiligen Römischen Reichs Stadt Lübeck, Lübeck 1774 [Tbl. Abb. 24.1] H ESSE , Johann Heinrich: C. F. G ELLERTS geistliche Oden und Lieder mit Melodien. Zweyter Theil, Hamburg 1774 (DKL 1774 04 ) 1777 Vollständiges Marburger Gesangbuch, zur Uebung der Gottseligkeit, in 680. christlichen und trostreichen Psalmen und Gesängen Hrn. D. Martin L UTHERS , und andrer Gottseliger Lehrer. Ordentlich in XII. Theile verfasset. [. . .] Fünfte Quellenverzeichnis (QV) 527 und vermehrte Auflage, Germantown 5 1777 ( 1 1757, 2 1759, 3 1770, 4 1774, Taschenausgabe Philadelphia 1799) 1778 [H ERDER , Johann Gottfried (Hg.): ] Neu eingerichtetes Sachsen= Weimar= Eisenach= und Jenaisches Gesang=Buch, Weimar 1778 (vollst. Titel s. u. 1789) - (Hg.): Volkslieder. 2 Teile, Leipzig 1778/ 79. - Faks.-ND der beiden Teile von 1778/ 1779 in einem Band, Hildesheim und New York 1981 Psalme=Bog eller En Samling af gamle og nye Psalmer, Kopenhagen 1778 [»G ULDBERGS salmebog«] Verbessertes Gothaisches Gesangbuch zum Gebrauch beym öffentlichen Gottesdienst und bey häuslicher Andacht, Gotha 1778 u. ö. 1779 Neues Braunschweigisches Gesangbuch, nebst einem kurzen Gebetbuche, zum öffentlichen und häuslichen Gottesdienste, Braunschweig 1779 u. ö. V OSS , Johann Heinrich (Hg.): Musen Almanach für 1779, Hamburg bey L. E. Bohn 1780 [C RAMER , Johann Andreas, (Hg.): ] Allgemeines Gesangbuch, auf Königlichen Allergnädigsten Befehl zum öffentlichen und häuslichen Gebrauche in den Gemeinen des Herzogthums Schleswig, des Herzogthums Hollstein, der Herrschaft Pinneberg, der Stadt Altona, und der Grafschaft Ranzau gewidmet und mit Königlichem Allerhöchsten Privilegio herausgegeben, Altona. Erste Ausgabe. 1780 [Zit. wird nach 2 1782 (s. u.)] Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch in den Königl. Preußl.[! ] Landen, Berlin 1780 [der sog. Mylius] Lübeckisches Gesang=Buch, nebst Anfügung eines Gebet=Buchs, auf Verordnung E. Hochedlen Hochw. Raths von einem Ehrwürdigen M INISTERIO ausgegeben, Lübeck 1780 [Tbl. Abb. 5.1] (s. o. 1 1703/ 04, 1709, 1748) 1780/ 81 B ACH , Carl Philipp Emanuel: Herrn Christoph Christian S TURMS , Hauptpastors an der Hauptkirche St. Petri und Scholarchen in Hamburg, geistliche Gesänge mit Melodien zum Singen bey dem Claviere. [Erste Sammlung], Hamburg 1780 (DKL 1780 03 ). Zweyte Sammlung, Hamburg 1781 (DKL 1781 02 ) 1781 S CHIØRRING , Niels: Kirke=Melodierne til den 1778 udgangne Psalmebog. For Claveer med udsatte Middelstemmer samlede og udgivne, Kopenhagen 1781. - Faks.-ND hg. von Ea D AL (1978), Bd. 1 1781/ 83 D AL , Ea (Hg.): Niels Schiørrings I. Kirke=Melodierne 1781 og II. Choral-Bog 1783. - Udgivet i facsimile af Samfundet Dansk Kirkesang med historisk indledning og melodifortegnelse [Zusammenfassung in deutscher Sprache]. 2 Bde., Kopenhagen 1978 1782 [C RAMER , Johann Andreas, (Hg.)]: Allgemeines Gesangbuch [. . .wie 1 1780 s. o.]. Zwote Ausgabe, Altona 1782 [Tbl. Abb. 10.6] Anhang 528 [M ÜNTER , Balthasar, Hg.: ] Allgemeines Gesangbuch, auf Königlichen allergnädigsten Befehl zum öffentlichen und häuslichen Gebrauche der Deutschen in Kopenhagen herausgegeben, Kopenhagen 1782 1783 S CHIØRRING , Niels: Choral=Bog, hvori findes alle Melodierne til Psalme= Bogen af 1778. Efter Kongelig allergnaadigst Befaling udgivet, Kopenhagen 1783. - Faks.-ND hg. von Ea D AL (1978), Bd. 2 S CHIÖRRING , Niels: Choral=Buch, in welchem alle Melodien des Allgemeinen Gesangbuchs der Deutschen in Kopenhagen enthalten sind, Auf Königlich allergnädigsten Befehl verfertiget, Kopenhagen 1783 (DKL 1783 07 ) S CHIÖRRING , Niels: Kirchen=Melodien, des Allgemeinen Gesangbuchs der Deutschen in Kopenhagen in Uebereinstimmung mit dem Choralbuche; den Canto allein, mit untergelegten Texte, Kopenhagen 1783 1784 B ACH , Carl Philipp Emanuel (Hg.): Johann Sebastian B ACHS vierstimmige Choralgesänge. 4 Teile, Leipzig 1784 - 1787 (DKL 1784 01 - 1787 02 ) [G REGOR , Christian: ] Choral=Buch, enthaltend alle zu dem Gesangbuche der Evangelischen Brüder=Gemeinen vom Jahre 1778 gehörige Melodien, Leipzig 1784 B OERINGER , James (Hg.): Choral-Buch by Christian G REGOR . A Facsimile of the First Edition of 1784, Winston-Salem, NC und Bethlehem/ Pa. 1984 R EICHARDT , Johann Friedrich: Weyhnachts-Cantilene von M. C LAUDIUS . In Musik gesetzt, Kopenhagen 1784 (Berlin 2 1786, s. u.) U Z , Johann Peter/ S CHULZ , Johann Abraham Peter: Johann Peter Uzens lyrische Gedichte religiösen Jnnhalts nebst einigen andern Gedichten gleichen Gegenstandes von E. C. von Kleist [u. a.] mit Melodien zum Singen bey dem Claviere von J. A. P. Schulz, Hamburg 1784 (DKL 1784 24 ) 1785 Ausbund, Das ist Etliche schöne Christliche Lieder, Wie sie in dem Gefängnüß zu Bassau [. . . wie 1 1742] hin und her gedichtet worden. [. . .] Nebst einem Anhang von Sechs Liedern. Zum vierten mal aufgelegt in Pennsylvanien, Germantown (Leibert und Billmeyer) 1785 [vgl. Abb. 12.2] [Z INCK , Bendix Friedrich: ] Vollständige Sammlung der Melodien zu den Gesängen des neuen allgemeinen Schleswig=Holsteinschen Gesangbuchs, Schleswig und Leipzig 1785 (DKL 1785 18 ) [Tbl. Abb. 11.2] Z OLLIKOFER , Georg Joachim: Andachtsübungen und Gebete zum Privatgebrauche für nachdenkende und gutgesinnte Christen. 2 Teile, Leipzig 1785 (u. ö.), bis 1792/ 93 auf 4 Teile erweitert 1786 Erbauliche Lieder=Samlung[! ] Zum Gottesdienstlichen Gebrauch in den Vereinigten Evangelisch Lutherischen Gemeinen in Nord=America; Gesamlet, eingerichtet und zum Druck befördert durch die gesamten Glieder des hiesigen Vereinigten Evangelisch Lutherischen Ministeriums, Germantown 1786 ( 2 1795, 3 1803 s. u.) Quellenverzeichnis (QV) 529 K ÜHNAU , Johann Christoph: Vierstimmige alte und neue Choralgesänge, mit Provinzial=Abweichungen, [Erster Teil] Berlin 1786 (DKL 1786 15 ) R EICHARDT , Johann Friedrich: Weinachts-Cantilene von Mathias C LAUDIUS , in Musik gesetzt, Berlin 2 1786 (DKL 1786 33 ), s. o. 1 1784 S CHIØRRING , Niels (Hg.): Zwey Litaneyen aus dem Schleswig=Holsteinischen Gesangbuche mit ihrer bekannten Melodie für Acht Singstimmen in zwey Chören und dem dazu gehörigen Fundament in Partitur gesetzt, und zum Nutzen und Vergnügen Lehrbegieriger in der Harmonie bearbeitet von Carl Philipp Emanuel B ACH , Kopenhagen 1786 1787 Neues Hamburgisches Gesangbuch zum öffentlichen Gottesdienste und zur häuslichen Andacht ausgefertiget von dem Hamburgischen Ministerio, Hamburg 1787 [Tbl. Abb. 4.2] u. ö. (s. u. 9 1822) B ACH , Carl Philipp Emanuel: Neue Melodien zu einigen Liedern des neuen Hamburgischen Gesangbuchs, nebst einigen Berichtigungen, Hamburg 1787 (DKL 1787 17 ) [Tbl. Abb. 11.4] A UMANN , Diederich Christian (Hg.): Choral=Buch für das neue Hamburgische Gesangbuch, Hamburg 1787 (DKL 1787 01 ) 1789 A collection of Hymns, for the use of the Protestant Church of the United Brethren, London 1789 [H ERDER , Johann Gottfried: ] Neu eingerichtetes Sachsen= Weimar= Eisenach= und Jenaisches Gesang=Buch, bestehend in 1192. alten und neuen Liedern auf speciellen gnädigsten Befehl Ihro regierenden Herzogl. Durchl. zum allgemeinen Gebrauch in Dero sämmtl. Herzogthümern und incorporirten Landen, auch Hennebergischen Antheil, nebst einem Gebetbuch. Jezt[! ] neu übersehen und mit einer Vorrede begleitet, Weimar 1789 [Vorrede 3. 3. 1778] (s. o. 1 1778) 1790 K ÜHNAU , Johann Christoph: Vierstimmige alte und neue Choralgesänge. Zweyter Theil, Berlin 1790 (DKL 1790 10 ) Neues Lübeckisches Gesangbuch zum öffentlichen Gottesdienste und zur häuslichen Andacht auf Verordnung Eines Hochedlen Hochw. Raths ausgefertiget von dem Lübeckischen Ministerio, Lübeck 1790 [Tbl. Abb. 4.4] u. ö. (s. u. 2 1821) Neues Waldeckisches Gesangbuch für den öffentlichen und häuslichen Gottesdienst, Mengeringhausen 1790 1793/ 97 H ILLER , Johann Adam: Allgemeines C HORAL -M ELODIENBUCH für Kirchen und Schulen, auch zum Privatgebrauche, in vier Stimmen gesetzt; zur Bequemlichkeit der Orgel- und Clavierspieler auf zwo Linien zusammengezogen; mit Bezifferung des Generalbasses, Leipzig o. J. [DV: Leipzig 1793]. - Faks.-ND Hildesheim, New York 1978 (DKL 1793 10 , vgl. 1797 08/ 09 ) 1794 H ABERMANN , Johannes: Christlich Gebät=Buch, Bestehend: In Morgen= und Abend=Segen, auch anderen Gebäten für alle Noth und Stände der Christenheit, auf alle Tage in der Wochen; Mit schönen Buß= Beicht Communion= Anhang 530 Kranck= und Sterbens=Gebäten; Samt Einem Anhang etlicher schönen Morgen= und Abend=Liedern, Christlichen Lebens=Regeln, etc., Germantown 1794 u. ö. (s. o. Wittenberg 1567, Lancaster 1838) Neues Mecklenburgisches Gesangbuch für die Hofgemeinen in Schwerin und Ludwigslust. Nebst einem Anhange von Gebeten, wie auch Evangelien und Episteln, Schwerin 1794 1795 Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1795. Zweyter Band. April, May, Junius, Jena und Leipzig 1795 [H ERDER , Johann Gottfried (Hg.): ] Weimarisches Gesangbuch. Nebst einigen Gebeten zur öffentlichen und häuslichen Andacht, Weimar o. J. [Vorrede 9. 10. 1795] K UNZE , John C. (Hg.): A Hymn and Prayer Book. For the Use of such Lutheran Churches as use the English Language, New York 1795 1796 Evangelisches Gesangbuch, Erfurt 1796 [Vorrede Senior Mag. J. E NGELHARD , Erfurt 4. 1. 1796] 1797 Dresdnisches Gesangbuch auf höchsten Befehl herausgegeben, Dresden 1797 u. ö. [ab 1830 auch mit dem Titel Dresdner Gesangbuch] S TREBECK , George (Hg.): A Collection of Evangelical Hymns Made from Different Authors and Collections, for the English Lutheran Church in New York, New York 1797 1799 C HRISTMANN , Johann Friedrich/ K NECHT , Justin Heinrich (Hg.): Vollständige Sammlung theils ganz neu componirter, theils verbesserter, vierstimmiger Choralmelodien für das neue Wirtembergische Landgesangbuch. Zum Orgelspielen und Vorsingen in allen vaterländischen Kirchen und Schulen ausschließend, gnädigst verordnet. Nebst [. . .] einem mit diesem Werke eng verbundnen Anhange, Stuttgart 1799 (DKL 1799 14 ) 1800 - 1899 1803 Die kleine geistliche Harfe der Kinder Zions, oder auserlesene geistreiche Gesänge, allen wahren heilsbegierigen, Säuglingen der Weißheit, insonderheit aber allen Christlichen Gemeinden des HErrn zum Dienst und Gebrauch mit Fleiß zusammen getragen, und in gegenwärtiger Form und Ordnung gestellt; nebst einem dreyfachen Register. Erste Auflage. Auf Verordnung der Mennonisten[! ] Gemeinden, Germantown 1803 ( 2 1811, 3 1820, Northhampton 4 1834, Doylestown 5 1848) Erbauliche Lieder=Sammlung zum Gottesdienstlichen Gebrauch in den Vereinigten Evangelisch=Lutherischen Gemeinen in Pennsylvanien und den benachbarten Staaten. Gesammlet, eingerichtet und zum Druck befördert durch das hiesige Deutsche Evangelisch=Lutherische Ministerium, Germantown 3 1803 [Tbl. Abb. 15.2] (s. o. 1 1786) Quellenverzeichnis (QV) 531 K ITTEL , Johann Christian: Vierstimmige Choräle mit Vorspielen. Zum allgemeinen sowohl, als zum besondern Gebrauch für die Schleswig=Hollsteinischen Kirchen gesezt[! ], Altona 1803 Mecklenburgisches Kirchen=Gesangbuch, Schwerin 1803 [Tbl. Abb. 9.1], ( 1 1764 u. ö.) 1804 Neue Sammlung auserlesener evangelischer Lieder oder vollständigeres Gesangbuch zum öffentlichen und besonderen Gebrauch der christlichen Gemeinen in dem Burggrafthum Nürnbergs [. . .], Bayreuth 1804 1805 Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauche für die Stadt und das Herzogthum Magdeburg. Nebst einem Anhange einiger Gebete zur häuslichen Erbauung, Magdeburg 1805 ( 3 1811) 1812 Christliches Gesangbuch zur Beförderung öffentlicher und häuslicher Andacht, Bremen 1812 1813 Choralbuch für die Erbauliche Lieder-Sammlung der Deutschen Evangelisch- Lutherischen Gemeinen in Nord-Amerika, Philadelphia 1813 S TARK , Johann Friedrich: Tägliches Hand=Buch in guten und bösen Tagen. Enthaltend: Aufmunterung, Gebete und Gesänge, 1. Für Gesunde, 2. Für Betrübte, 3. Für Kranke, 4. Für Sterbende. Wie auch Sprüche, Seufzer und Gebete, den Sterbenden vorzusprechen. [. . .]. Zweyte, verbesserte Amerikanische Auflage, Philadelphia 1813 ( 1 1812; vgl. Frankfurt 1 1728, 2 1734, 3 1738) 1819 K OPPE , Johann Christian: Nekrolog Christian Friedrich S TUDEMUND . In: Freimüthiges Abendblatt 2. Jg. (1819) Nr. 90, S. 613 f. 1821 L ANGE , Johann Heinrich (Hg.): Choralbuch zu dem neuen bremischen Gesangbuch betitelt: Christliches Gesangbuch zur Beförderung öffentlicher und häuslicher Andacht. Vierstimmig gesetzt und herausgegeben, Rinteln o. J. [Vorwort Januar 1821] Lübeckisches Gesangbuch [ohne Neues, sonst wie 1 1790, nur: ] Neue, mit dem Verzeichniß der Verfasser [und einem Anhang von 26 Liedern zur Oeffentlichen Confirmation] vermehrte Auflage, Lübeck 2 1821 1822 Dresdnisches Gesangbuch auf höchsten Befehl herausgegeben, Dresden 1822 [Zahlreiche Ausgaben seit 1797, ab 1830 auch unter dem Titel Dresdner Gesangbuch] Neues Hamburgisches Gesangbuch [. . .wie 1 1787], Hamburg 9 1822 u. ö. 1824 B RUN , Friederike, geb. M ÜNTER : Wahrheit aus Morgenträumen und Idas ästhetische Entwickelung, Aarau 1824 1825 Neues Gothaisches Gesangbuch für die öffentliche Gottesverehrung und für die häusliche Andacht, Gotha o. J. [Vorrede 5. 10. 1825] 1826 B AUCK , Matthias Andreas (Hg.): Lübeckisches Choral=Melodien=Buch. Zweite verbesserte Auflage, Lübeck 1826. Anhang 532 1829 Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch für evangelische Gemeinen, Berlin 1829 1832 A PEL , Georg Christian (Hg.): V OLLSTÄNDIGES C HORALBUCH zum Schleswig- Holstein ’ schen Gesangbuche, für die Orgel mit und ohne Pedal, für ’ s Pianoforte, auch für vier Singstimmen harmonisch bearbeitet, Kiel o. J. [Vorrede 10. 12. 1832] Gesangbuch für die evangelisch=reformirte Gemeinde zu Lübeck, Lübeck 1832 Geistlicher Liederschatz. Sammlung der vorzüglichsten geistlichen Lieder für Kirche, Schule und Haus und alle Lebensverhältnisse, Berlin 1832 ( 2 1840) S CHWENKE , Johann Friedrich (Hg.): Choral-Buch zum Hamburgischen Gesangbuche, Hamburg 1832 (s. u. 1844) 1834 Evangelisches Gesang-Buch. Hg. nach den Beschlüssen der Synoden von Jülich, Cleve, Berg und von der Grafschaft Mark, Elberfeld 1834 u. ö. 1835 Kleines Hand=Büchlein, darinnen Morgen= und Abend=Gebeter, wie auch zur Tauf und Communion, und mehr andere Gebeter enthalten sind. Nebst verschiedenen Märtyrer= und andern Liedern, Osnaburg, Stark Co., Ohio 1835 1837 Erklärung des kleinen Katechismus Luthers mit Eines Hochedlen und Hochweisen Rathes Genehmhaltung zum öffentlichen Gebrauche herausgegeben von Einem Ehrwürdigen Ministerio der freien Stadt Lübeck, Lübeck 1837 [Tbl. Abb. 24.4] K NAPP , Albert (Hg.): Evangelischer Liederschatz für Kirche und Haus. Eine Sammlung geistlicher Lieder aus allen christlichen Jahrhunderten, gesammelt und nach den Bedürfnissen unserer Zeit bearbeitet. 2 Bde., Stuttgart und Tübingen 1837 u. ö. (s. u. 2 1850, 4 1891) 1838 [G UTH , Christian: ] Ein geistliches Lied, Gedichtet von einem Prediger auf seinem Siechbett, o. O., ca. 1838. [Einblattdruck in der Historical Library of Goshen College, Broadside Collection, Goshen/ Ind.] H ABERMANN , Johann: Christliches Gebet=Büchlein, enthaltend Morgen= und Abendsegen auf alle Tage in der Woche. Nebst andern schönen Gebeten. Wie auch Doct. N EUMANS Kern aller Gebete, und schönen Morgen=, Abend= und andern Liedern, nebst angehängtem Geistlichen Stundenwecker, Lancaster 1838 [Tbl. Abb. 21.1] (s. o. Wittenberg 1567, Germantown 1794) Wismarsches Gesangbuch, Wismar 1838 1839 Evangelisch=Lutherisches Gesangbuch herausgegeben von E. Ehrw. Ministerium der freien Hanse=Stadt Lübeck, Lübeck 1839 [Tbl. Abb. 5.2] 1840 Geistlicher Liederschatz [. . .wie 1 1832], Berlin 2 1840 1842/ 43 Hamburgisches Gesangbuch für den öffentlichen Gottesdienst und die häusliche Andacht, Hamburg 1843 [Vorrede vom 24. 9. 1842] u. ö. Quellenverzeichnis (QV) 533 1844 S CHWENKE , Johann Friedrich (Hg.): Vollständiges Choralbuch zum Hamburgischen Gesangbuche, für Orgel oder Fortepiano, für Gesang-Vereine etc. vierstimmig harmonisirt, durchgängig mit Zwischenspielen, mit Text, veränderter Harmonie, kritischen, historischen u. a. Anmerkungen etc., Hamburg 1844 (s. o. 1 1832) 1850 K NAPP , Albert (Hg.): Evangelischer Liederschatz für Kirche, Schule und Haus [. . .usw. wie 1837]. Zweite, ganz umgearbeitete [einbändige] Ausgabe, Stuttgart und Tübingen 1850 1854 Gesangbuch für die evangelisch=lutherische Kirche in Bayern, Nürnberg 1854 u. ö. 1859 Lübeckisches evangelisch=lutherisches Gesangbuch für den öffentlichen Gottesdienst und die häusliche Andacht, auf Verordnung Eines Hohen Senates ausgefertigt durch das Ministerium, Lübeck 1859 [Tbl. Abb. 5.3] u. ö. (s. u. 2 1877) J IMMERTHAL , Hermann (Hg.): Melodienbuch zu dem Neuen Lübeckischen Gesangbuche vom Hohen Senat genehmigt, Lübeck 1859, 2 1870, 3 1886, s. u. 5 1912 - Vierstimmiges Choralbuch zu dem Lübeckischen Gesangbuche, vermehrte und verbesserte Ausgabe, mit Genehmigung des Hohen Senates bearbeitet und herausgegeben, Lübeck 2 1877 ( 1 1859) u. ö. 1861 K REIDER , Daniel: Hinterlassene Lieder, Lancaster/ Pa. 1861 1865 F UNK , Georg (Hg.): Das kleine Lieder-Buch. Eine kurze Sammlung von Liedern, von verschiedenen Dichtern, Chicago, Ill. [1865] F UNK , George (Hg.): The Little Hymn Book. A Selection of Hyms from Different Authors, Chicago, Ill. [1865] 1877 Lübeckisches evangelisch=lutherisches Gesangbuch [. . .wie 1 1859]. Aufs Neue durchgesehene und vermehrte Auflage, Lübeck 2 1877 u. ö. (bis 1905/ 06) J IMMERTHAL , Hermann (Hg.): Vierstimmiges Choralbuch zu dem Lübeckischen Gesangbuche, vermehrte und verbesserte Ausgabe, mit Genehmigung des Hohen Senates bearbeitet und herausgegeben, Lübeck 2 1877 ( 1 1859) 1880 Aus einem Gutachten des Director Dr. S CHUBRING über die Besetzung zweier Oberlehrerstellen der ersten Gehaltsklasse vom 23 Decbr 1880 (Archiv der Hansestadt Lübeck) ca. 1880 Johann Friedrich S TARK ’ S tägliches Hand=Buch in guten und bösen Tagen, enthaltend Aufmunterungen, Gebete und Gesänge 1. Für Gesunde. 2. Für Betrübte. 3. Für Kranke. 4. Für Sterbende. Nebst mehreren Fest-Andachten und viel schönen Buß-, Beicht-, Communion- und Wettergebeten, Morgen- und Abendandachten auf alle Tage in der Woche, wie auch Kriegs-, Theurungs-, Pest- und Friedens-Gebeten [. . .]. Wohlfeile Ausgabe in grobem Druck, Reutlingen [o. J., ca. 1880, Tbl. Abb. 21.3] (s. o. 3 1738) Anhang 534 1883 Evangelisch=lutherisches Gesangbuch der Hannoverschen Landeskirche, Hannover 1883 Evangelisch-lutherisches Gesangbuch der Provinz Schleswig=Holstein. Herausgegeben von dem Königlichen evangelisch=lutherischen Consistorium in Kiel in Gemäßheit der Beschlüsse der zweiten ordentlichen Gesammtsynode 1883, Schleswig [1883] 1884 F ROMM , Emil/ S TANGE , Hermann (Hg.): Vierstimmiges Choralbuch zu dem neuen Schleswig-Holsteinischen Gesangbuch für Kirche, Schule und Haus, Schleswig 1884 s. o. ( 2 1889, 3 1892, 4 1899 mit Vorwort, 11 1918) 1886 Erklärung des kleinen Katechismus Luthers mit Eines Hochedlen und Hochweisen Rates Genehmhaltung zum öffentlichen Gebrauche herausgegeben von Einem Ehrwürdigen Ministerio der freien Stadt Lübeck, Lübeck 1886 1887 F UNK , John F. (Hg.): A Biographical Sketch of Bish. Christian H ERR . Also a Collection of Hymns, Written by him in the German Language, Elkhart/ Ind. 1887 1891 K NAPP , Joseph (Hg.): Albert Knapps Evangelischer Liederschatz [. . . usw. wie 1850]. In vierter Auflage bearbeitet und bis auf die Gegenwart fortgeführt, Stuttgart 1891 1900 - 1999 1912 Hamburgisches Gesangbuch, Hamburg 1912 J IMMERTHAL , Hermann (Hg.): Melodienbuch zu dem Neuen Lübeckischen Gesangbuche Vom Hohen Senate genehmigt, Lübeck 5 1912 ( 1 1859) 1916 Deutsches evangelisches Gesangbuch herausgegeben vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß. Nebst Sammlung gottesdienstlicher Stücke und Gebete bearbeitet vom Geistlichen Ministerium in Lübeck, Berlin und Lübeck 1916 [Tbl. Abb. 5.4] (DEG) 1921 L ICHTWARK , Karl/ S TAHL , Wilhelm: Lübeckisches Choralbuch. Bearbeitet im Auftrage des Kirchenraths, Lübeck und Leipzig (Stich und Druck) 1921 1922 Hymns Ancient and Modern for Use in the Services of the Church With Accompanying Tunes. The Edition of 1889 Reset with the Second Supplement of 1916, London 1922 1927 Gesangbuch der evangelischen Brüdergemeine ausgegeben im Erinnerungsjahr 1927, Gnadau 1927 1930 Gesangbuch der Evangelisch=Lutherischen Landeskirche im Lübeckischen Staate. Einheitsgesangbuch der Evangelisch=lutherischen Landeskirchen in Schleswig=Holstein=Lauenburg, Hamburg, Mecklenburg=Schwerin, Lübeck, Mecklenburg=Strelitz, Eutin, Lübeck u. a. 1930 (DEG-N) Gesangbuch der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins. Einheitsgesangbuch der Evangelisch=lutherischen Landeskirchen in Schleswig= Quellenverzeichnis (QV) 535 Holstein=Lauenburg, Hamburg, Mecklenburg=Schwerin, Lübeck, Mecklenburg=Strelitz, Eutin, Bordesholm 1930 (DEG-N) 1950 Evangelisches Kirchengesangbuch. Stammausgabe Hannover 1950 (EKG) 1954 Evangelisches Kirchengesangbuch. Ausgabe für die Evangelisch=lutherischen Landeskirchen Schleswig=Holstein=Lauenburg, Hamburg, Lübeck und Eutin, Hamburg 1954 [Synodalbeschluss 8. 5. 1953] (EKG-N) 1960 Choralbuch der evangelischen Brüdergemeine. Hg. von der Direktion der Brüderunität in Herrnhut und Bad Boll, Berlin 1960 1967 Gesangbuch der Evangelischen Brüdergemeine. Hg. von den Direktionen der Evangelischen Brüder-Unität in Herrhut und Bad Boll, Hamburg 1967 Joseph ’ s Lied. Einblattdruck, frühes 19. Jh. aus dem Shenandoah Valley, Virginia. Faks.-ND im Bulletin 1 (1967) der Menno Simons Historical Library and Archives in Harrisonburg/ Virginia 1969 Hymnal and Liturgies of the Moravian Church. Published by the Autority of the Provincial Synods of the Moravian Church in America, Chicago 1969 1973 Liedboek voor de Kerken. Psalmen en Gezangen voor de Eredienst in kerk en huis, aangeboden door de Interkerkelijke Stichting voor het Kerklied, Den Haag 1973 1975 Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch, hg. von den Bischöfen Deutschlands und Österreichs sowie der Bistümer Bozen-Brixen und Lüttich, Stammausgabe Stuttgart 1975. Zahlreiche Diözesanausgaben mit eigenem Liederteil ab Nr. 792 1977/ 82 Evangelisches Kirchengesangbuch. Ausgabe für die Nordelbische Evangelisch- Lutherische Kirche. 2. Tbl.: Liederanhang zum Evangelischen Kirchengesangbuch für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, Kiel 1977. 3. Tbl.: Lieder unserer Zeit. Beiheft 1982 zum Evangelischen Kirchengesangbuch für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, Kiel 1982 [EKG-N (1977/ 1982)] 1985 Norsk Salmebok, Oslo 1985 1986 Suomen evangelis-luterilaisen kirkon Virsikirja, Helsinki 1986 Svensk Psalmbok för den evangelisk-lutherska kyrkan i Finland, Vasa 1986 Den Svenska Psalmboken, antagen av 1986 års kyrkomöte, Stockholm 1986 1993 Evangelisches Gesangbuch. Stammausgabe der Evangelischen Kirche in Deutschland, erarbeitet im Auftrag der EKD und ihrer Gliedkirchen, der Evangelischen Kirchen in Österreich, Elsass und Lothringen, Hannover 1993 (EG) 1994 Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche. 2. Tbl.: Gott ist mein Lied. Regionaler Liederteil der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, Hamburg und Kiel 1994 (EG-N) Anhang 536 1997 Sálmabók íslensku kirkjunnar, Reykjavík 1997 [Gesangbuch der evangelischlutherischen Kirche Islands] 1998 Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz, Basel und Zürich 1998 [4. bearb. Aufl. 2013] Katholisches Gesangbuch. Gesang- und Gebetbuch der deutschsprachigen Schweiz, hg. im Auftrag der Schweizer Bischofskonferenz vom Verein für die Herausgabe des Katholischen Kirchengesangbuches der Schweiz, Zug 1998 1999 Starks Gebetbuch. Neubearbeitet von Dekan Dr. Karl L OTTER , Nördlingen. Unveränderter ND, Neuendettelsau 1999 ab 2000 2002 Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche, hg. von der Evangelischmethodistischen Kirche in Deutschland, Österreich und Schweiz/ Frankreich, Stuttgart 2002 2003 Den Danske Salmebog, Kopenhagen 2003 [Textausgabe], 2005 [mit Noten] Eingestimmt. Gesangbuch des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland, hg. vom Katholischen Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland, Bonn 2003, 2. korr. und erg. Aufl. 2015 Feiern und Loben. Die Gemeindelieder, hg. vom Hänssler Verlag, Bundes- Verlag und Oncken Verlag in Zusammenarbeit mit dem Bund Freier evangelischer Gemeinden und dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, Holzgerlingen, Witten, Kassel und Haan 2003 2004 Gebet- und Gesangbuch der Christkatholischen Kirche der Schweiz, hg. von Bischof und Synodalrat der Christkatholischen Kirche der Schweiz, Basel 2004 Mennonitisches Gesangbuch, hg. von der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland und der Konferenz der Mennoniten der Schweiz (Alttäufer), München 2004 2007 Gesangbuch der Evangelischen Brüdergemeine, hg. von der Evangelischen Brüder-Unität/ Herrnhuter Brüdergemeine Bad Boll/ Herrnhut/ Zeist, Basel 2007 2013 Gotteslob. Katholisches Gebet- und Gesangbuch, hg. von den (Erz-)Bischöfen Deutschlands und Österreichs und dem Bischof von Bozen-Brixen, Stuttgart 2013 Norsk Salmebok, For kirke og hjem, [Stavanger] 2013 2014 Himmel, Erde, Luft und Meer. Beiheft zum Evangelischen Gesangbuch in der Nordkirche, Kiel 2014 Quellenverzeichnis (QV) 537 Werkausgaben Matthias Claudius [C LAUDIUS , Matthias: ] A SMUS omnia sua S ECUM portans oder Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen, VII Teile und Zugabe zu den Sämmtlichen Werken des Wandsbecker Bothen; oder VIII. Theil, Hamburg 1775 - 1812 - Sämtliche Werke. Nach dem Text der Erstausgaben und den Originaldrucken hg. von Jost P ERFAHL , Nachwort Rolf S IEBKE , Anmerkungen Hansjörg P LATSCHEK , München 5 1984 [Sigle SW mit römischer Ziffer für die einzeln erschienenen Teile der Erstausgabe und arabischer Seitenzahl] - Botengänge. Briefe an Freunde. Hg. Hans J ESSEN , Witten, Berlin ²1965 [Sigle Br I 2 ]. Bd. 2: Asmus und die Seinen. Briefe an die Familie. Hg. DERS . und Ernst S CHRÖDER , Berlin [1940] [Sigle Br II, Seite] Paul Gerhardt E BELING , Johann Georg: P AULI G ERHARDI Geistliche Andachten Bestehend in hundert und zwantzig Liedern [. . .] Dutzendweise mit neuen sechsstimmigen Melodeyen gezieret, Berlin 1667 (DKL 1667 05 ). - Faks.-ND samt den übrigen [14 deutschen] Liedern und den lateinischen Gedichten hg. von Friedhelm K EMP , Bern und München 1975 F EUSTKING , Johann Heinrich (Hg.): P AULI G ERHARDI Geistreiche Hauß= und Kirchen Lieder Nach des seel. Autoris eigenhändigen revidirten Exemplar Mit Fleiß übersehen Auch samt einem kurtzen doch Nöthigen Vorbericht Ausgefertiget, Wittenberg 1723 [Tbl. Abb. 19.1], 2 1717, Zerbst 1 1707 B ACHMANN , J.[ohann] F.[riedrich] (Hg.): Paulus G ERHARDTS geistliche Lieder. Historisch=kritische Ausgabe, Berlin 1866 G OEDEKE , Karl (Hg.): Gedichte von Paulus G ERHARDT (Deutsche Dichter des siebzehnten Jahrhunderts 12), Leipzig 1877 VON C RANACH -S ICHART , Eberhard (Hg.): Paul G ERHARDT . Wach auf, mein Herz, und singe. Vollständige Ausgabe seiner Lieder und Gedichte, Wuppertal 4 2007 Martin Luther D. Martin L UTHER , Die gantze Heilige Schrifft Deudsch 1545, Wittenberg 1545. 2 Bde. Letzte zu Luthers Lebzeiten erschienene Ausgabe hg. von Hans Volz. - ND München 1972 Die Bibel, oder die ganze Heilige Schrift des alten und neuen Testaments, nach der deutschen Uebersetzung D. Martin L UTHERS . 143. Aufl. der Cansteinischen Bibel-Anstalt, Halle 1823 Anhang 538 Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, nach der deutschen Uebersetzung D. Martin L UTHERS . Revidirte Ausgabe. Achter Abdruck, Leipzig und Dresden (Druck und Verlag G. B. Teubner) 1860 D. Martin L UTHERS Werke. Kritische Gesamtausgabe. 120 Bde., Weimar 1883 - 2009 [Weimarer Ausgabe (WA)] Heinrich Mann M ANN , Heinrich: Briefe an Ludwig E WERS 1889 - 1913 (Veröffentlichungen der Akademie der Künste der DDR), hg. von Ulrich D IETZEL und Rosemarie E GGERT , Berlin und Weimar 1980 - Die Jagd nach Liebe. Roman. Mit einem Nachwort von Alfred K ANTORO- WICZ und einem Materialienanhang zusammengestellt von Peter-Paul S CHNEI- DER (Studienausgabe in Einzelbänden), Frankfurt/ M. 1987 - Ein Zeitalter wird besichtigt. Erinnerungen. Mit einem Nachwort von Klaus S CHRÖTER und einem Materialienanhang, zusammengestellt von Peter-Paul S CHNEIDER (Studienausgabe in Einzelbänden), Frankfurt/ M. 1988 - Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen. Roman. Mit einem Nachwort von Rudolf W OLFF und einem Materialienanhang, zusammengestellt von Peter-Paul S CHNEIDER (Studienausgabe in Einzelbänden), Frankfurt/ M. 1989 Thomas Mann M ANN , Thomas: Gesammelte Werke in Dreizehn Bänden, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/ Main 1990. Lizenzausgabe des S. Fischer Verlags 1960/ 1974 (GW) Bd. 1: Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Roman Bd. 8: Erzählungen. Fiorenza. Dichtungen. Darin: Der Bajazzo, S. 106 - 140 Tonio Kröger, S. 271 - 338 - Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Roman. Lizenzausgabe im Fischer Taschenbuch Verlag 1989. 48. Aufl. Juli 2000. Der Text wurde anhand der Erstausgabe, S. Fischer Verlag, Berlin 1901, neu durchgesehen. - Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Roman. Mit Nachwort, Anmerkungen und Zeittafel von Jochen H IEBER , Zürich und Düsseldorf 1995 - Buddenbrooks. Verfall einer Familie. Roman. Herausgegeben und textkritisch durchgesehen von Eckhard H EFTRICH unter Mitarbeit von Stephan S TACHORSKI und Herbert L EHNERT (Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke - Briefe - Tagebücher, hg. von Heinrich D ETERING u. a. Bd. 1.1 [Roman] und 1.2 [Kommentar von Eckhard H EFTRICH und Stephan S TACHORS- KI unter Mitarbeit von Herbert L EHNERT ]), Frankfurt/ Main 2002 (GKFA). [Um der Einheitlichkeit willen wurden auch die Buddenbrook-Zitate in früher Quellenverzeichnis (QV) 539 erschienenen Aufsätzen der Neuausgabe angepasst. Ein Vergleich der Zitate aus der Fischer Taschenbuch Lizenzausgabe von 1989/ 2000 (s. o.) mit denen aus der GKFA, die beide auf dem Erstdruck von 1901 beruhen, zeigt jedoch außer minimalen Abweichungen in Orthographie und Interpunktion keine Unterschiede.] - Notizbücher. Edition in zwei Bänden. Notizbücher 1 - 6 (I) und 7 - 14 (II), hg. von Hans W YSLING und Yvonne S CHMIDLIN , Frankfurt/ M. 1991/ 92 [Sigle Notb I - II, Seitenzahl] - Lübeck als geistige Lebensform, Lübeck 1926. - ND mit einem Nachwort von Eckhard H EFTRICH , Lübeck 1993 Ludwig Richter Beschauliches und Erbauliches. Ein Familien=Bilderbuch von Ludwig R ICH- TER in Dresden, Leipzig (Georg Wigand) 1855 Beschauliches und Erbauliches. Ein Familien=Bilderbuch von Ludwig R ICH- TER , Leipzig (Georg Wigand), Dresden (Druck E. Blochmann & Sohn), 8. Aufl. [um 1912] Beschauliches und Erbauliches. - Faks.-ND nach der EA von 1855 (Die bibliophilen Taschenbücher 39), Dortmund 1978 Christenfreude in Lied und Bild. Geistliche Lieder mit Holzschnitten nach Zeichnungen von Ludw. R ICHTER , Jul. S CHNORR V . C AROLSFELD u. C. A NDREAE , herausgegeben und verlegt durch A. G ABER ’ s Atelier für Holzschneidekunst, Leipzig 1855 Christenfreude in Lied und Bild. Geistliche Lieder mit Holzschnitten nach Zeichnungen von Ludwig R ICHTER , Jul. S CHNORR V . C AROLSFELD und C. A NDREÆ , geschnitten von August G ABER , Dresden (J. Heinrich Richter), Leipzig (Druck Breitkopf & Härtel) [um 1860] Für ’ s Haus. Frühling, Dresden (Gaber & Richter), Leipzig (Druck Breitkopf & Härtel) [1859] Für ’ s Haus. Im Winter, Dresden (J. Heinrich Richter), Leipzig (Druck Breitkopf & Härtel) [1860] Der gute Hirt. Gebetbüchlein für fromme Kinder. Aus dem Schatz der Kirche gesammelt von A. W EBER . Mit Holzschnitten nach L. R ICHTER und Anderen, Dresden (Gaber & Richter, Druck E. Blochmann & Sohn) [um 1860]. Der Sonntag in Bildern von Ludwig R ICHTER , Dresden (J. Heinrich Richter, Druck C. C. Meinhold & Söhne) [1861] Es war einmal: Ein Bilderbuch von Dresdner Künstlern, Dresden (J. Heinrich Richter, Druck E. Blochmann und Sohn) [1862] Es war einmal. Ein Bilderbuch von Ludwig R ICHTER und A.[lbert] Zeh, Dresden (J. H. Richter), Leipzig (Druck Breitkopf & Härtel) [um 1865] Anhang 540 Es war einmal. Ein Bilderbuch von Ludwig R ICHTER , Insel-Bücherei Nr. 360, Wiesbaden o. J. [1923] Biblische Bilder von Ludwig R ICHTER . Mit einleitendem Vorwort und beigefügten Versen von Julius S TURM , Basel (Ferd. Riehm) [1876]. Enthält 10 neue Holzschnitte auf Einzelblättern Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Selbstbiographie nebst Tagebuchniederschriften und Briefen von Ludwig R ICHTER . Herausgegeben und ergänzt von Heinrich Richter. Mit einer Einleitung von Ferdinand Avenarius. Neue reich illustrierte Ausgabe [Volksausgabe des Dürerhauses], Leipzig 1909 P IPER , Reinhard (Hg.): Ludwig R ICHTER . Aus den Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Mit 46 Holzschnitten, München 1954 [ 1 1949] N EIDHARDT , Hans Joachim (Hg.): Ludwig R ICHTER . Texte aus den »Lebenserinnerungen eines deutschen Malers«, den Jugendtagebüchern und den Jahresheften, Zeichnungen, Druckgrafik und Gemälde, Leipzig und Königstein/ Taunus 1976 Ludwig Richter. Die gute Einkehr. Auswahl schönster Holzschnitte. Mit Sprüchen und Liedern, Königstein/ Taunus und Leipzig (Langewiesche, Die Blauen Bücher) 3 1928 [ 1 1927] B UDDE , K ARL : Ludwig R ICHTERS Volkskunst. Sein Holzschnitt vom Keim bis zur Blüte in planmäßiger Auswahl zusammengestellt und erläutert, Leipzig o. J. - Faks.-ND Wiesbaden 1978 H EISE , Brigitte (Hg.): Adrian Ludwig R ICHTER . Zeichnungen aus der Sammlung Dräger, München 2013 K ALKSCHMIDT , Eugen (Hg.): Ludwig R ICHTER an Georg W IGAND . Ausgewählte Briefe aus den Jahren 1836 - 1858, Leipzig 1903 S TUBBE , Wolf (Hg.): Das Ludwig R ICHTER Album. Sämtliche Holzschnitte. 2 Bde., München 3 1974 [ 1 1971] Weitere F ONTANE , Theodor von: Werke, Schriften und Briefe, hg. von Walter K EITEL und Helmuth N ÜRNBERGER . Abt. II, 1. Bd.: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. 2. Teil Das Oderland. Zweite, im Text und in den Anmerkungen revidierte Aufl., München 1977 [ 1 1966] G ERNHARDT , Robert: Später Spagat. Gedichte, Frankfurt/ Main 2006 G OETHE , Johann Wolfgang von: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hg, von Erich T RUNZ . Bd. 12: Schriften zur Kunst und Literatur, Maximen und Reflexionen, München 9 1981 Z UCKMAYER , Carl: Der Hauptmann von Köpenick. Ein deutsches Märchen in drei Akten, Berlin 1930 Quellenverzeichnis (QV) 541 Literaturverzeichnis (LitV) A CHELIS , Thomas Otto: Schleswig-Holsteiner auf der Universität Jena 1558 - 1850. In: Zeitschrift der Zentralstelle für Niedersächsische Familiengeschichte XII, 6 (1930) A LAND , Kurt (Hg.): Die Korrespondenz Heinrich Melchior Mühlenbergs. Aus der Anfangszeit des deutschen Luthertums in Nordamerika (Texte zur Geschichte des Pietismus, Abt. III, 2 - 3). Bd. I: 1740 - 1752. Bd. 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Diss. Mainz 1971, Selbstverlag 1972, 285 Sn. 3. D AS H USUMER H OFGESANGBUCH , S CHLESWIG 1676. Im Auftrag der Stiftung Nordfriesland hg. und mit einem Nachwort versehen. Faksimile-Nachdruck in einer Auflage von 500 nummerierten Exemplaren, Husum: Husum Druck 1986, XXXX [1], 678 [11], 88, 20, 18 Sn. 4. S PECVLVM Æ VI . K IRCHENGESANG IN L ÜBECK ALS S PIEGEL DER Z EITEN . Im Auftrag der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie [IAH] und der Bibliothek der Hansestadt Lübeck hg. mit Arndt Schnoor. Ausstellungskatalog zur 18. Studientagung der IAH zum Thema S PECVLVM Æ VI . Kultur, Geist und Leben in Kirchenlied und Gesangbuch, Lübeck: Schmidt-Römhild 1995, 112 Sn. 5. J AHRBUCH FÜR L ITURGIK UND H YMNOLOGIE (JLH), begründet 1955 von Konrad Ameln, Christhard Mahrenholz und Karl Ferdinand Müller im Johannes Stauda- Verlag Kassel; nach Bd. 30 1986 (1987) edition stauda im Lutherischen Verlagshaus; seit Bd. 35 1994/ 95 (1996) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Herausgeberin seit 1991 zusammen mit: Konrad Ameln (bis 1993), Alexander Völker (bis 2011), Andreas Marti (1993 - 2015), Karl-Heinrich Bieritz (1994 - 2004), Wolfgang Ratzmann (1994 - 2011), Jörg Neijenhuis (seit 2001), Irmgard Scheitler (seit 2005), Alexander Deeg, Michael Meyer-Blanck, Matthias Schneider, Helmut Schwier (seit 2012), Daniela Wissemann-Garbe (seit 2015) Aufsätze 6. H YMNS WRITTEN BY A MERICAN M ENNONITES . Translated by Elizabeth Bender. In: The Mennonite Quarterly Review 48 (July 1974), S. 343 - 370. Englische Übersetzung des Schlusskapitels Liedschöpfungen amerikanischer Mennoniten, aus s. o. Nr. 2 (Diss. Mainz 1971), S. 133 - 174 7. D AS ERSTE S CHWENCKFELDER -G ESANGBUCH G ERMANTOWN 1762 UND SEINE E NT- STEHUNG . In: JLH 20 (1976), S. 176 - 179, mit Tafeln III-IV 8. A LTES T ESTAMENT UND T ÄUFERLIED . In: I. A. H. Bulletin 5 [Publikation der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie], Groningen: Rijksuniversiteit, Instituut voor Liturgiewetenschap (Juli 1977), S. 5 - 13 9. D AS H USUMER H OFGESANGBUCH (S CHLESWIG 1676). E IN VERLOREN GEGLAUBTES G ESANGBUCH UND SEINE Q UELLEN . In: JLH 27 (1983), S. 83 - 111. - Auch als Sonderdruck erschienen (Schriften des Kreisarchivs Nordfriesland 8), Husum: Husum Druck 1983, 32 Sn. 10. A GAIN : F OUR H UNDRED Y EARS WITH THE »A USBUND «. A S TUDY ON S TABILITY AND C HANGE . In: Werner Enninger (Hg.), Studies on the Languages and the Verbal Behavior of the Pennsylvania Germans I (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beiheft 51), Stuttgart: Franz Steiner 1986, S. 106 - 11 11. 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Hymnologische, theologische und musikgeschichtliche Aspekte (Arolser Beiträge zur Musikforschung 7), Sinzig: Studio 1999, S. 221 - 245 19. A CH GOT I N H I MEL H I LFF DU M I R . E INE HYMNOLOGISCHE S PIELEREI FÜR A NDREAS M ARTI ZUM 50. G EBURTSTAG , Zürich: Privatdruck 1999 20. »Jesu, meine Freude, Purpur, Gold und Seide«. Z ITAT UND P ARODIE IN E RDMANN N EUMEISTERS »L IEDER= A NDACHTEN « 1743. In: Henrike Rucker (Hg.), Erdmann Neumeister (1671 - 1756). Wegbereiter der evangelischen Kirchenkantate (Weißenfelser Kulturtraditionen 2), Rudolstadt und Jena: Hain 2000, S. 147 - 170 Anhang 558 21. »W AS IST DAS ? « E IN NEUER B LICK AUF EINEN BERÜHMTEN R OMANANFANG UND DIE L ÜBECKER K ATECHISMEN . In: Manfred Eickhölter und Hans Wißkirchen (Hg.), »Buddenbrooks«. Neue Blicke in ein altes Buch. Begleitband zur neuen ständigen Ausstellung Die › Buddenbrooks ‹ - ein Jahrhundertroman im Buddenbrookhaus, Lübeck: Dräger Druck 2000, S. 36 - 47 22. T HOMAS M ANN UND SEINE K IRCHE IM S PIEGEL DER B UDDENBROOKS . In: Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hg.), Thomas Mann und seine Kirche. Zwei Vorträge von Ada Kadelbach und Christoph Schwöbel (EKD Texte 70), Hannover 2001, S. 7 - 23 23. T HOMAS M ANN UND » SEINE « K IRCHE IM S PIEGEL DER B UDDENBROOKS . In: Lübeckische Blätter. Zeitschrift der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit. 166. Jg. 2001. Heft 13, S. 197 - 200, und Heft 15, S. 233 - 237 [Überarbeitete Fassung von Nr. 22] 24. M ATTHIAS C LAUDIUS , P AUL G ERHARDT , T HOMAS M ANN - V ERBORGENE B EZIEHUNGEN . In: Reinhard Görisch (Hg.), Jahresschriften der Claudius-Gesellschaft 10, Kiel: Stamp Media 2001, S. 5 - 18 25. V ERLOREN UND WIEDER ENTDECKT : L ÜBECKISCH= V OLLSTÄNDIGES G ESANGBUCH , L ÜBECK UND L EIPZIG 1698/ 99. E IN » GEISTREICHES « G ESANGBUCH ? In: Gudrun Busch, Wolfgang Miersemann (Hg.), Pietismus und Liedkultur (Hallesche Forschungen 9), Halle und Tübingen: Franckesche Stiftungen und Niemeyer 2002, S. 143 - 158 26. Z WISCHEN O RTHODOXIE UND P IETISMUS . L ÜBECKER G ESANGBUCHPOLITIK UM 1700 UND EIN WIEDER ENTDECKTES G ESANGBUCH . In: Lübeckische Blätter. Zeitschrift der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit. 167. Jg. 2002. Heft 4, S. 49 - 52. - Leicht bearbeiteter Nachdruck in: Organ. Journal für die Orgel. 5. Jg. 2002. Heft 4, S. 58 - 61 27. H IC EST DIES ET ANN V S IUBI L Æ V S . In: Eva Barwinek, Christiane Schäfer, Rebecca Schmidt, Stephan Stachorski, Ulrike Süß (Hg.), Mainzer Anthologie. Eine Festgabe für Hermann Kurzke zum 60. Geburtstag, Mainz: Pfeifer 2003, S. 97 - 101 28. »INt erste singet me eynenn düdeschen Psalm«. H ERMANN B ONNUS UND SEINE B EDEUTUNG FÜR DEN REFORMATORISCHEN K IRCHENGESANG . In: Lübeckische Blätter. Zeitschrift der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit. 169. Jg. 2004. Heft 21, S. 355 - 359 29. INt erste singet me eynenn düdeschen Psalm / edder vp etlicke Feste latinisch. H ERMANN B ONNUS (1504 - 1548) ZUM 500. G EBURTSTAG . In: I. A. H. Bulletin. Publikation der Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie 30 (2004), S. 100 - 107 30. »In Christo, unserm Heilande, hertzlich-geliebter Leser«. D IE G ESANGBUCHVOR- REDE ALS E RKENNTNISQUELLE . In: Udo Sträter in Verbindung mit Hartmut Lehmann, Thomas Müller-Bahlke, Johannes Wallmann (Hg.), Interdisziplinäre Pietismusforschungen. Beiträge zum Ersten Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2001 (Hallesche Forschungen 17/ 2), Halle und Tübingen: Franckesche Stiftungen und Niemeyer 2005, S. 913 - 921 31. »I denne fagre sumarstid gå ut, mi sjel . . .«. P AUL G ERHARDT IN SKANDINAVISCHEN G ESANGBÜCHERN . In: I. A. H. Bulletin. Publikation der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie 35/ 36 (2007/ 08), S. 411 - 423. Korrektur und Ergänzung der Tabelle auf S. 421 in Bulletin 38 (2010), S. 399 32. »G EIST=REICHE « L IEDER IN DEN H ANSESTÄDTEN H AMBURG UND L ÜBECK - MIT EINEM S EITENBLICK AUF S CHLESWIG -H OLSTEIN . In: Wolfgang Miersemann, Gudrun Busch Bibliographie der Verfasserin (BibAK) 559 (Hg.), »Singt dem Herrn nah und fern«. 300 Jahre Freylinghausensches Gesangbuch (Hallesche Forschungen 20), Halle und Tübingen: Franckesche Stiftungen und Niemeyer 2008, 373 - 397 33. W ER IRRT - T ONY B UDDENBROOK ODER DER K OMMENTATOR ? V OM N UTZEN DER H YMNOLOGIE FÜR DIE L ITERATURWISSENSCHAFT . In: Franz Karl Praßl, Piotr Tarlinski (Hg.), B ENE CANTATE EI . Festschrift 50 Jahre I. A. H. (I. A. H. Bulletin. Publikation der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie 37), Graz und Oppeln: Selbstverlag der IAH 2009, S. 165 - 184 34. »Sie nahm aus ihrem Beutel ein uraltes Buch . . .«. P AUL G ERHARDT BEI M ATTHIAS C LAUDIUS UND T HOMAS M ANN . In: Günter Balders, Christian Bunners (Hg.), »Und was er sang, es ist noch nicht verklungen«. Paul Gerhardt im Spiegel der Literatur (Beiträge der Paul-Gerhardt-Gesellschaft 7), Berlin: Frank & Timme 2011, S. 27 - 43 35. D IE SINGENDE R EFORMATION IN L ÜBECK . In: Daniel Mourkojannis, Johannes Schilling, Gerhard Ulrich (Hg.), Hamburg, Lübeck, Schleswig-Holstein (Orte der Reformation 8), Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013, S. 44 - 46 36. H IMMLISCHE L IEDER IN H AMBURG , L ÜBECK UND L ÜNEBURG . Z UR R EZEPTION VON J OHANN R IST IN G ESANGBÜCHERN NORDDEUTSCHER H ANSESTÄDTE . In: Johann Anselm Steiger und Bernhard Jahn (Hg.), Johann Rist (1607 - 1667). Profil und Netzwerke eines Pastors, Dichters und Gelehrten (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 195), Berlin und Boston: de Gruyter 2015, S. 481 - 512 37. »Beschauliches und Erbauliches«. P AUL G ERHARDT IM W ERK VON L UDWIG R ICHTER . In: Winfried Böttler (Hg.), ». . .Doch der ist am besten dran/ der mit Andacht singen kann«. Festschrift der Paul-Gerhardt-Gesellschaft für Christian Bunners (Beiträge der Paul-Gerhardt-Gesellschaft 10), Berlin: Frank & Timme 2016, S. 84 - 114 38. ». . . wer so stirbt, der stirbt wohl«. P AUL G ERHARDT IN DER A NDACHTSLITERATUR . [Veröffentlichung vorgesehen in dem Sammelband: Wolfgang Miersemann (Hg.), »des seel. Paul Gerhards herrliche geistliche Lieder«. Wirkungen Paul Gerhardts im Pietismus (Hallesche Forschungen), Halle: Franckesche Stiftungen, Harrassowitz in Kommission] 39. ». . . eine Sammlung guter, von mystischen Ausdrücken gereinigter Lieder«. D AS N EUE M ECKLENBURGISCHE G ESANGBUCH FÜR DIE H OFGEMEINEN IN S CHWERIN UND L UDWIGSLUST VON 1794 IM S PANNUNGSFELD VON O RTHODOXIE , P IETISMUS UND A UFKLÄRUNG . In: Andreas Waczkat (Hg.), »Utopie und Idylle«. Der Mecklenburg-Schweriner Hof in Ludwigslust 1764 - 1834 (Göttinger Studien zur Musikwissenschaft), Hildesheim etc.: Olms/ Weidmann] (in Vorb.) Größere Beiträge in Enzyklopädien und Ausstellungskatalogen 40. C ARL P HILIPP E MANUEL B ACH UND DAS K IRCHENLIED . In: Dieter Lohmeier (Hg.), Carl Philipp Emanuel Bach. Musik und Literatur in Norddeutschland. [Katalog zur] Ausstellung zum 200. Todestag Bachs, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg - Carl von Ossietzky 23.9.-31.10.1988; Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel 16.11.1988 - 29.1.1989 (Schriften der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek 4), Heide: Boyens 1988, S. 101 - 122 41. R ATIONALISMUS UND R ESTAURATION IM S PIEGEL DES EVANGELISCH - LUTHERISCHEN K IRCHENLIEDS . In: S PECVLVM Æ VI [s. o. Nr. 4], S. 27 - 40 und Katalogtexte S. 43 - 54 Anhang 560 42. S PECVLVM Æ VI . K ULTUR , G EIST UND L EBEN IN GEISTLICHEN L IEDERBÜCHERN DES 16. - 18. J AHRHUNDERTS NICHT - LÜBECKISCHER H ERKUNFT . In: S PECVLVM Æ VI [s. o. Nr. 4], S. 81 - 83 und Katalogtexte S. 84 - 109 43. Z EUGNISSE HÖFISCHER F RÖMMIGKEIT UND R EPRÄSENTATION : G ESANGBÜCHER IM G OT- TORFER U MFELD . In: Heinz Spielmann, Jan Drees (Hg.), Gottorf im Glanz des Barock. Kunst und Kultur am Schleswiger Hof 1544 - 1713. Kataloge der Ausstellung zum 50-jährigen Bestehen des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums auf Schloß Gottorf und zum 400. Geburtstag Herzog Friedrichs III. Bd. 1: Die Herzöge und ihre Sammlungen, Schleswig und Neumünster: Wachholtz 1997, S. 306 - 311 44. G OTTES W ORT SINGEN . In: Johannes Schilling im Auftrag der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (Hg.), Glauben. Nordelbiens Schätze 800 - 2000. Katalog zur Ausstellung im Rantzaubau des Kieler Schlosses, Neumünster: Wachholtz 2000, S. 77 - 95 [Konzeption und Katalogtexte der Abt. Kirchenlied und Gesangbuch] 45. L IEDER DER R EFORMATIONSZEIT - GOTTESDIENSTLICHER K ONTEXT UND T YPEN . In: Albert Gerhards, Matthias Schneider (Hg.), Der Gottesdienst und seine Musik (Enzyklopädie der Kirchenmusik 4/ 2), Laaber: Laaber 2013, S. 229 - 250 46. D IE WEITERE E NTWICKLUNG DES K IRCHENLIEDS IM S PANNUNGSFELD VON K ONFESSIO- NALISMUS , F RÖMMIGKEITSBEWEGUNGEN UND A UFKLÄRUNG . In: s. o. Nr. 45, S. 251 - 273 Lexikonartikel und Rezensionen (Auswahl) 47. N EUE AMERIKANISCHE G ESANGBÜCHER . E IN L ITERATURBERICHT . In: JLH 15 (1970), S. 202 - 204. [Rezension von: The Mennonite Hymnal, Scottdale/ Pa. & Newton/ Ks. 1969, und Hymnal and Liturgies of the Moravian Church, Chicago/ Ill. 1968] 48. D AS G ESANGBUCH ALS I DENTITÄTSTRÄGER . H YMNOLOGISCHE B ETRACHTUNG EINER VOLKSKUNDLICHEN U NTERSUCHUNG . In: JLH 40 (2001), S. 189 - 191. [Rezension von: Otto Holzapfel, Religiöse Identität und Gesangbuch. Zur Ideologiegeschichte deutschsprachiger Einwanderer in den USA und die Auseinandersetzung um das »richtige« Gesangbuch (Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien 12), Bern etc.: Lang 1998] 49. Art. A KROSTICHON . In: Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Jankowski, Eberhard Jüngel (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 4., völlig neu bearbeitete Auflage (RGG 4 ). Bd. 1, Tübingen: Mohr Siebeck 1998, Sp. 256 50. Art. O LEARIUS , J OHANN C HRISTOPH . In: RGG 4 [vgl. Nr. 49], Bd. 6 (2003), Sp. 549 51. D AS »A CHTLIEDERBUCH « VOM J AHRE »1523/ 1524«. Z U UNSERER F AKSIMILEBEILAGE . In: JLH 50 (2011), S. 30 - 34 52. Rezension von: Susanne Rode-Breymann (Hg.), Musikort Kloster. Kulturelles Handeln von Frauen in der Frühen Neuzeit (Musik, Kultur, Gender 6), Köln: Böhlau 2009. In: Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen (Hg.), Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 83 (2011), S. 395 f. 53. Rezension von: Johann Rist / Johann Schop. Himmlische Lieder (1641/ 42) und Johann Rist. Neue Himmlische Lieder (1651). Kritisch hg. und kommentiert von Johann Anselm Steiger. Kritische Edition der Notentexte von Konrad Küster, Berlin: Akademieverlag/ de Gruyter 2012/ 2013. In: JLH 53 (2014), S. 259 f. Bibliographie der Verfasserin (BibAK) 561 54. Art. H ELMBOLD , L UDWIG . In: Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Michael Schilling, Johann Anselm Steiger, Friedrich Vollhardt (Hg.), Frühe Neuzeit in Deutschland 1520 - 1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon (VL 16). Bd. 3, Berlin und New York: de Gruyter 2014 Anhang 562 Bildnachweis Autorin und Verlag danken allen Rechtsinhabern herzlich für die Überlassung von Bildvorlagen und die Erteilung von Abdruckgenehmigungen für diesen Sammelband. Die vollständigen Titel der Bücher, aus denen die Abbildungen stammen, sind im chronologischen Quellenverzeichnis zu finden, auf die abgebildeten Titelblätter wird dort ebenfalls hingewiesen. Die nicht geschützten Bildvorlagen aus Privatbesitz wurden in die nachstehende Liste nicht aufgenommen. Sollten trotz sorgfältiger Recherche Rechtsinhaber übersehen worden sein, wird um Mitteilung gebeten. Abbildung 1.1 - 2 Das Erfurter Enchiridion 1524 (Ferbefaß), Titelblatt und Vorrede. Faks.- ND B ÄRENREITER -V ERLAG , Kassel 1929 2.1 Lübecker Kirchenordnung von Johannes Bugenhagen 1531. Faks.-ND V ERLAG S CHMIDT -R ÖMHILD , Lübeck 1981 (nach den Exemplaren des Archivs und der Bibliothek der Hansestadt Lübeck) 2.3; 2.5 - 6 ENCHIRIDION Geistlike Lede vnd Psalmen, Lübeck um 1546/ 47. UB K IEL : Archiv IV 161 2.4 [Achtliederdruck] Etlich Cristlich[! ] lider Lobgesang/ vnn Psalm, [Nürnberg] 1524. Faks.-ND B ÄRENREITER V ERLAG , Kassel 1956 (nach dem Exemplar der SUB G ÖTTINGEN ) 3.1 Turmuhr von St. Jakobi Lübeck. Foto: K ONRAD D ITTRICH , Lübeck 3.2 - 4 Vollständig = Lübeckisches Gesangbuch, Lübeck 1699. UB G REIFSWALD : FuH 38691 4.1 Neu = Vermehrtes Hamburgisches Gesang = Buch, Hamburg 1716. SUB G ÖTTINGEN : 8 H E RIT I, 11390 4.2 Neues Hamburgisches Gesangbuch, Hamburg 1787. N ORDKIRCHENBIBLI- OTHEK (Standort Hamburg): Mi 2698 6.1 Porträt Adam Olearius, Kupferstich von Christian Rothgießer 1649. LB K IEL : Adam Olearius Nr. 4 6.3 - 4 [sowie Zierleiste und Vignetten] Außerlesene Geistliche Lieder, Schleswig 1676 [Husumer Hofgesangbuch (L)]. B IBLIOTHEK DER H ANSESTADT L ÜBECK : Theol. pract. 8º 3588 6.5; 7.1 - 4 Außerlesene Geistliche Lieder, Schleswig 1676 [Husumer Hofgesangbuch (H)]. K REISARCHIV N ORDFRIESLAND , Husum: 20B.Aus 2 8.1; 8.4 Herzogin Maria Elisabeth (8.1) und Prinzessin Anna Dorothea (8.4), Ölgemälde eines unbekannten Malers (um 1675), Leihgaben aus Privatbesitz im Schloss vor Husum. S TIFTUNG N ORDFRIESLAND , Husum 8.3 Besoldungsliste der Husumer Hofhaltung 1672/ 73. L ANDESARCHIV S CHLESWIG -H OLSTEIN : 7/ 4780 9.1; 9.3 - 4 Neues Mecklenburgisches Gesangbuch, Schwerin 1794. Reproduktion nach einer Vorlage aus der Online Edition »Hymnologische Quellen aus Augsburger Bibliotheken«, H ARALD F ISCHER V ERLAG , Erlangen: Werksign. HYM1794M 10.1 Brustbild Matthias Claudius, Bleistiftzeichnung von Caroline Claudius (? ). S TAATS - UND U NIVERSITÄTSBIBLIOTHEK H AMBURG : Gemäldesammlung, Nr. 48 10.2 Bsp.8 Plönisches Gesang = Buch, Plön 1770. LB K IEL : SHe 142 10.4 Porträt Johann Andreas Cramer, Kupferstich von Johann Martin Preisler 1774. LB K IEL : Johann Andreas Cramer Nr. 4 10.5 Bsp.2,5,7 Neues Gesangbuch für die deutsche St. Petri Gemeine, Kopenhagen 1762. LB K IEL : 8º Sd 2325 10 Bsp.12 - 13 Johann Christian Kittel, Vierstimmige Choräle mit Vorspielen, Altona 1803, Nr. 128 und Nr. 145. LB K IEL : SHe 328 11.2 [Benedict F. Zink,] Vollständige Sammlung der Melodien zu den Gesängen des neuen allgemeinen Schleswig = Holsteinschen Gesangbuchs, Schleswig und Leipzig 1785. A RCHIV DES K IRCHENCHORVERBANDS IN DER N ORD- KIRCHE , Geschäftsstelle Moorrege/ Dithm. 11.3 Faksimilierte Seite aus Niels Schiörrings hs. dänischen Choralbuch ohne Titel (1780/ 81) mit hs. Korrekturen von C. P. E. Bach. In: Dieter Lohmeier, Ausstellungskatalog C. P. E. Bach. W ESTHOLSTEINISCHE V ERLAGS- ANSTALT B OYENS & C O ., Heide/ Holst., S. 109 (nach dem Original der Kgl. Bibl. Kopenhagen: MU 7708.0831) 11.4 C. P. E. Bach, Neue Melodien zu einigen Liedern des Neuen Hamburgischen Gesangbuchs, Hamburg 1787. LB K IEL : Mb 22 11.5 J. F. Schwenke, Choral-Buch zum Hamburgischen Gesangbuche, Hamburg 1832. S TAATSARCHIV H AMBURG : A 534/ 214 12.1; 16.5 Ausbund, Das ist: Etliche schöne Christliche Lieder, Germantown 1742. Faks.-ND F RITS K NUF , Amsterdam, und B. DE G RAAF , Nieuwkoop [1972? ] (nach dem Exemplar der M ENNO S IMONS H ISTORICAL L IBRARY - E ASTERN M ENNONITE U NIVERSITY , Harrisonburg, Va.) 13.2 - 3 HirtenLieder Von Bethlehem, Germantown 1742. M ORAVIAN A RCHIVES , Bethlehem, Pa. 14.1 - 3 Druckvorlagen aus: Allen Anders Seipt, Schwenkfelder Hymnology, Philadelphia 1909 (nach dem Ms. in der S CHWENKFELDER L IBRARY , Pennsburg, Pa.) 15.3 - 4 Druckvorlagen aus: Publications of the Pennsylvania Society of Colonial Dames of America, Church Music and Musical Life in Pennsylvania in the 18 th Century. 3 Bde., Philadelphia 1926 - 1947 Anhang 564 16.2 Johann Leisentrit, Geistliche Lieder vnd Psalmen, Bautzen 1567, 2. Teil, fol. 25 v . Faks.-ND S T . B ENNO -V ERLAG , Leipzig 1966 (nach den Exemplaren der LB G OTHA und des W ILHELMSTIFTS T ÜBINGEN ) 16.3 Das Babstsche Gesangbuch 1545, 2. Teil, Nr. XVII. Faks.-ND B ÄREN- REITER -V ERLAG , Kassel 1929 (nach dem Exemplar der SUB Göttingen) 16.4 [Ausbund] Etliche schöne Christliche Geseng, o. O. 1564, fol. 23 v . Faks.- ND F RITS K NUF , Amsterdam, und B. DE G RAAF , Nieuwkoop [1974? ] (nach dem einzigen bekannten Exemplar in der G OSHEN C OLLEGE L IBRARY , Goshen, Ind.) 17.1 - 3 Philipp Nicolai, FrewdenSpiegel deß ewigen Lebens, Frankfurt/ Main 1599, Frontispiz u. S. 409 - 413. Faks.-ND W ESTFÄLISCHE V ERLAGS -B UCH- HANDLUNG M OCKER & J AHN , Soest 1963 18.1 - 3; 18.5 Erdmann Neumeister, Dritter Theil der Fünffachen Kirchen = Andachten, Hamburg 1752. B IBLIOTHEK DER H ANSESTADT L ÜBECK : Theol. pract. 8º 2555 19.1 Johann Heinrich Feustking, Pauli Gerhardi Geistreiche Hauß = und KirchenLieder, Wittenberg 1723. B IBLIOTHEK DER H ANSESTADT L ÜBECK : Theol. pract. 8º 2450 19.2 Erklärung des kleinen Katechismus Luthers, Lübeck 1886. B IBLIOTHEK DER H ANSESTADT L ÜBECK : Lub. 8º 7370 f 20.1; 23.5 Johann Georg Ebeling, Pauli Gerhardi Geistliche Andachten, Berlin 1667. Faks.-ND hg. von Friedhelm Kemp. A. F RANCKE V ERLAG , Bern 1975 (nach dem einzigen bekannten Exemplar in der HAB Wolfenbüttel) 20.2 Johann Hermann Jimmerthal, Melodienbuch zu dem Neuen Lübeckischen Gesangbuche, Lübeck 1859. B IBLIOTHEK DER H ANSESTADT L ÜBECK : Lub. 8º 8824 23.1 Evangelisches Gesangbuch. Stammausgabe (Liedauszug). E VANGELISCHE K IRCHE IN D EUTSCHLAND , Hannover 1993 23.2 Den Danske Salmebog [2003] (Liedauszug). D ET K GL . V AJSENHUS ’ F OR- LAG , Kopenhagen 2004 (Textausgabe) 23.3 Norsk Salmebok [1984] (Liedauszug). V ERBUM (Andaktsbokselkapet), Oslo 1985 23.4; 23.6 Den Svenska Psalmboken (Auszüge). V ERBUM F ÖRLAG AB, Stockholm 1986 24.1 - 3 [Johann Andreas Cramer,] Der Catechismus Lutheri, Lübeck 1774. B IBLIOTHEK DER H ANSESTADT L ÜBECK : Lub. 8º 7360 24.4 - 5 Erklärung des kleinen Katechismus Luthers, Lübeck 1837. B IBLIOTHEK DER H ANSESTADT L ÜBECK : Lub. 8º 7370 25.1 - 2 Fotos von Thomas Mann (um 1900) und Elisabeth Mann, geb. Marty (1811 - 1890). K ULTURSTIFTUNG H ANSESTADT L ÜBECK , B UDDENBROOKHAUS L ÜBECK 25.3 Foto von Senior Leopold Friedrich Ranke (1842 - 1918). S T . A NNEN - M USEUM - F OTOARCHIV DER H ANSESTADT L ÜBECK Bildnachweis 565 Personenregister A Adolf, Herzog von Schleswig-Holstein- Gottorf 135 Ahle, Johann Rudolf 66 Aikin, Judith 60 Alard, Wilhelm 289 Albert, Heinrich 415 Albertus, Ludovicus 144 Albrecht, Markgraf von Brandenburg- Ansbach, Herzog von Preußen 289 f., 321 - 323 Ameln, Konrad 6, 123 Andreae, Carl Christian 415 f. Andresen, Ludwig 135 Anna Dorothea, Prinzessin von Schleswig-Holstein-Gottorf 129, 132, 138 f., 144 - 147, 151 f. Anna Sophia, Markgräfin von Brandenburg 296 Anna, Kurfürstin von Sachsen 298, 319 Anne, Königin von Großbritannien 446 Anton Ulrich, Herzog von Braunschweig- Wolfenbüttel 56 Apelles von Löwenstern, Matthäus 42 Arends, Otto Fr. 106 Arends, Wilhelm Erasmus 70 Arndal, Steffen 439 Arndt, Ernst Moritz 79 Arndt, Johann 12, 14 f., 44, 69, 110, 118, 129, 132, 154, 276, 289, 392, 394 - 396, 404, 406 Arnold, Gottfried 45, 64, 70, 74 Arp, Hermann 149, 153 August Friedrich, Fürstbischof von Lübeck 145, 147, 153 August, Herzog von Sachsen- Weißenfels 147 August, Kurfürst von Sachsen 298, 319 Augusta Elisabeth, Prinzessin von Schwerin 129, 139 Augusta Maria, Markgräfin von Baden- Durlach 97 f., 100, 108, 139, 143 - 146, 151 Augusta, Herzogin von Schleswig- Holstein-Gottorf 135, 137, 139, 149 f. Augustinus, Aurelius (Augustin) 287 Aumann, Diederich Christian 226 Axmacher, Elke 161 B Babst, Valentin 6, 9, 119, 347 Bach, Carl Philipp Emanuel 61, 63, 176, 184, 200, 209 - 232 Bach, Christoph Friedrich 220 Bach, Johann Sebastian 200, 209, 443 - 445, 448 Bachmann, Johannes 157 Balhorn, Johann 26 Bapzien, Eva Sophie von 129, 139 Bechstein, Ludwig 410 Becker, Cornelius 49, 118, 415, 430 Beethoven, Ludwig van 176 Behn, Theodor 468 Beissel, Conrad 250 Benda, Georg Anton 220 Beneke, Rudolph 333, 335 Benn, Gottfried 381 Bergengruen, Werner 378 Bernstein, Christian Andreas 56 Bickersteth, Edward 446 Bienemann, Kaspar (Melissander) 300, 316 - 318 Birken, Sigmund von 123, 339 Bitter, Carl Hermann 216 Blarer (Blaurer), Ambrosius 298 Blome, Margaretha 129, 139 Blumhardt, Christoph Friedrich 410 Blumhardt, Johann Christoph 410 Bobrowski, Johannes 375 Bogatzky, Karl Heinrich von 70 Bok, Václav 302, 304 Bonnus, Hermann 19 - 36 Borzikowsky, Holger 105 Botzheim, Johannes 298 Brade, William 93, 128, 148 Brandt, Carl Joakim 442 Brask, Petrus 448, 451, 453 Brecht, Bertolt 375, 381 Brederek, Emil 106 f., 122 Brennemann, Johannes M. 311 Brentano, Clemens 410 Bronner, Georg 61 Brönner, Heinrich Ludwig 271 Brorson, Hans Adolph 439, 441, 446 - 448 Brühl, Johann Benjamin 21 Brun, Friederike (geb. Münter) 220 Büchel, Hans 295 Budde, Karl 411 Bugenhagen, Johannes 18 - 20, 22, 28 - 30, 113 Bunners, Christian 3, 157, 368, 409, 411, 434 Burck, Joachim von 319 Busch, Gudrun 213, 216 f. Buxtehude, Diet(e)rich 480 C Capeler, Anna Regina 150 Capeler, Hans Conrad 149, 153 Christian Albrecht, Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf 94 f., 128, 130, 138, 145, 148, 150 f., 153 Christian I., Kurfürst von Sachsen 319 Christian III., König von Dänemark 298, 319 Christine, Prinzessin von Sachsen- Weißenfels 147 Cist, Carl 271 Claudius d. Ä., Matthias 181 Claudius, Caroline 370 Claudius, Friedrich 370 Claudius, Johannes 363 Claudius, Matthias 55, 72, 174 f., 178 - 207, 357 - 365, 370 f., 375 - 377, 410, 415 f., 421, 474 Claudius, Rebecca 370, 384 Claudius, Rebecca (geb. Behn) 194, 198, 362 Clausnitzer, Tobias 344, 415 Cramer, Carl Friedrich 218 Cramer, Johann Andreas 55, 61, 73 f., 78, 160, 162, 166 f., 172, 176, 184, 186 - 188, 190 - 202, 210, 213, 217, 219 - 222, 224, 230 f., 279, 461 - 463, 465, 469, 472 - 475, 478 Cranach d. Ä., Lucas 267, 272 Crasselius, Bartholomäus 64, 70 Crüger, Johann 3, 11, 49, 123, 125 f., 134, 286, 348, 358 f., 381 f., 399, 403, 421, 441 f., 445, 448 Curtius, Carl 377 Curtius, Ernst 468 Curtius, Georg 468 Curtius, Theodor 468 D Dal, Ea 213, 218, 220 Dannhauser, Johann Konrad 68 Danwitz, Caspar von 293 Decius, Nikolaus 28, 161 Denicke, David 47, 68, 120, 125, 130 Deßler, Wolfgang Christoph 70 Dessin, Hans Ernst 130 Dilherr, Johann Michael 110, 118 Distler, Hugo 480 Diterich, Johann Samuel 61, 78, 83 f., 160, 163 f., 166, 176, 279 Dittmer, Hans 492 Doles, Johann Friedrich 212, 228 Dorothea Augusta, Herzogin von Schleswig-Holstein-Sonderburg- Plön 96 Personenregister 567 Dräger, Christian 415, 432 Drese, Adam 61, 250 Düben, Joachim von 441 E Ebeling, Johann Georg 358 f., 366, 382, 385, 389, 421, 432, 441, 446, 449 Eber, Paul 293, 341 Eberlin von Günzburg, Johann 6, 8 f., 11, 14 Ebert, Jacob 341 Egli, Johann Heinrich 228 Ehlers, Harald 377 Ehrenpreis, Andreas 304 Eichendorf, Joseph von 410 Eklund, Johan Alfred 445 f. Elmenhorst, Hinrich 51, 57 f., 60 Engelhard, J.[ohannes? ] 171 Engels, Friedrich 487 Eschenburg, Johann Joachim 166 Evers, Uta 260 Ewers, Ludwig 379, 381, 386 F Faber d. J., Zachäus 124 Fabricius d. J., Jacob 135 Fabricius, Friedrich 69 Falckner, Justus 270 f. Feddersen, Jakob Friedrich 166 Feustking, Johann Heinrich 356, 358 f., 368, 370, 385 Fiedler, Kuno 491 Fischer, Albert Friedrich Wilhelm 72, 106, 124, 284, 305, 313 Fleming, Paul 123, 361, 415 Fontane, Theodor 375, 380 f., 447 f. Franck, Johann 46, 56, 122, 125, 155, 170, 310, 345 f., 397 Franck, Salomo 69 Francke, August Hermann 56, 68, 70, 73, 267, 270, 276, 278 Francke, Gotthilf August 9, 11, 55, 268, 271 Franklin, Benjamin 251 Freydanck, Daniel 100, 109 Freylinghausen, Johann Anastasius 3, 6, 9, 11 f., 14 f., 43, 45, 52, 55 f., 58, 60 f., 63, 66, 70, 72, 74, 160, 184, 217, 224, 270, 276, 278, 280, 344 f. Friederike Amalie, Herzogin von Schleswig-Holstein-Gottorf 138 Friedrich (der Fromme), Herzog von Mecklenburg-Schwerin 157 f., 160, 162 Friedrich Carl, Herzog von Schleswig- Holstein-Sonderburg-Plön 181 f. Friedrich Franz I., Herzog von Mecklenburg-Schwerin 156 - 158, 160 - 163, 168, 171, 177 Friedrich Wilhelm I., Herzog von Sachsen-Weimar 317 Friedrich Wilhelm I., König in Preußen 447 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 173 Friedrich, Erbprinz von Dänemark 160 Friedrich II. (der Große), König von Preußen 78, 160, 212, 392, 447, 474 Friedrich II., König von Dänemark 135, 301 Friedrich III., Herzog von Schleswig- Holstein-Gottorf 91 - 93, 96 f., 108, 111, 135, 137 f., 142, 144, 153 Friedrich III., König von Dänemark 138 Friedrich VI., König von Dänemark 191 Friedrich VII. Magnus, Markgraf von Baden-Durlach 97, 108, 139 Fries, Johanna 107 f., 133 Fritsch, Ahasver(us) 52, 60, 66 Frostenson, Anders 448, 450 Füger, Caspar 298, 319 Funcke, Friedrich 69 Funk, Gottfried Benedict 224, 230 f. Furtenagel, Lukas 267 G Gaber, August 410, 415, 419, 430 Gedicke, Lampertus 61, 70 Geibel, Emanuel 386, 468, 486 Geibel, Johannes 82, 486 Gellert, Christian Fürchtegott 78 f., 83, 160 f., 167, 171, 176, 184, 210 - 214, 218, 221, 224, 228, 230 f., 380 Anhang 568 Gensch von Breitenau, Christoph 95 f., 120, 130, 181 Gerhard, Johann 289 Gerhardt, Maria Elisabeth 414 Gerhardt, Paul 3, 42, 46 - 49, 68 f., 79, 84 f., 88, 96, 105 - 107, 120, 122, 124 - 126, 131 - 133, 155, 166 - 169, 171, 181 f., 196, 210, 272, 275, 283, 300, 310, 316 f., 339, 342, 348, 351 f., 356 - 371, 373 - 389, 391 - 435, 437 - 453, 477, 487 f. Gerhardt, Paul Friedrich 364 Gernhardt, Robert 381, 404 - 407 Gersdorf, Henrietta Catharina von 267 Gesenius, Justus 47, 68, 120, 125, 130 Giese, Anna 130 Giese, Joachim 98 f. Giese, Magdalena 129 Gleding, Benedikt 243 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 210, 214, 221, 230 f. Gloxin, David 68 Goethe, Johann Wolfgang von 175, 206, 375, 380, 394, 410, 474 Goeze, Johann Melchior 191 Goldbeck, David 100, 109 Goldenstein, Johannes 407 Görisch, Reinhard 182, 363 Götje, Görries 150 f., 153 Gotter, Ludwig Andreas 61, 70, 169 Gottfried von Straßburg 283 Gräfe, Johann Friedrich 212 Grass, Günter 381 Gregor, Christian 63, 246, 253, 255 f., 278 Grimm, Jacob und Wilhelm 410, 433 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoph von 410 Grundtvig, Nikolaj Frederik Severin 439, 446 Grutschnig-Kieser, Konstanze 43 Gude, Maria Amalia 128 Günther, Cyriakus 61, 70 Günther, Johann Christian 283 Gustav Adolf, Herzog von Mecklenburg- Güstrow 144 Guth, Christian 310 H Habermann, Johannes (Avenarius) 392 - 394, 404 Hallquist, Britt G. 441, 445 Hamann, Johann Georg 363 Hammerschmidt, Andreas 316 Händel, Georg Friedrich 75 Hans Adolf, Herzog von Schleswig- Holstein-Sonderburg-Plön 95 Harder, August 441 Harsdörffer, Georg Philipp 123, 302, 415 Haßler, Hans Leo 443 f., 453 Hasse, Nicolaus 126 Hatvani, Paul 381 Hauschild, Wolf-Dieter 40 Hausmann, Julie 76 Hebbel, Friedrich 380 Heckelauer, Johann 150 Hedwig Eleonora, Königin von Schweden 144 Heermann, Johann 46, 49, 120, 122, 125, 132, 155, 252, 342, 397, 415 Heerwagen, Friedrich Ferdinand Traugott 167 f., 173 f. Heine, Heinrich 379, 386 Heinemann, Johann 129, 137 Heinrich (der Fromme), Herzog von Sachsen 319 Heinrich von Laufenberg 286 f., 294 Heinrich von Zütphen 294 Heintzelmann, Elisabeth 414 Heintzelmann, Johannes 414 Hellström, Jan Arvid 448 Helm, E. Eugene 213, 216 Helmbold, Ludwig 125, 317 - 320, 332, 342 Hensel, Louise 415 Herberger, Valerius 291, 329, 399 f. Herbert, Petrus 293 Herder, Johann Gottfried 175, 177, 206, 362 f., 375 Hering, Rainer 135 Herman, Nikolaus 199, 236, 261, 305, 347, 351 f., 415, 430, 441 Hermlin, Stephan 381 Herr, Christian 311 Herrnschmidt, Johann Daniel 70, 74 Personenregister 569 Hilarius von Poitiers 284 Hiller, Johann Adam 176, 211 f., 220, 228 Hiller, Philipp Friedrich 160 Hinckelmann, Abraham 56, 58, 60, 65 Hoë von Hoënegg, Matthias 92, 114 Hoffman, Christoph 262 Hoffmann, Balthasar 261 Holm, Wolf-Dieter 143 Hölty, Ludwig 410 Holwein, Johann 95, 97, 103, 108 f., 125 Homburg, Ernst Christoph 57, 123 Homer 375, 377 Honstede, Thomas 39, 68, 460 Horb(ius), Johann Heinrich 56 Horn, Hans 137 Horn, Johann (Jan Roh) 11, 261 Hovden, Anders 443 Hrabanus Maurus 324 Hübner, Hans Christoph 261 - 263 Hus, Jan (Huss, Johannes) 31, 290 Hutmann, Martin 150 I Isaac, Heinrich 445 J Jacobi, Johann Christian 272, 274 f., 446 Jennsen, Thomas 144 Jensen, Hans Nicolai Andreas 106 Jimmerthal, Hermann 388 f. Job, Johann 70 Johann Adolf, Herzog von Schleswig- Holstein-Gottorf 135 Johann Friedrich I. (der Großmütige), Kurfürst von Sachsen 301 Johann Georg, Kurfürst von Brandenburg 319 Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen 92, 110, 123, 135, 137, 316 Johann Georg II., Kurfürst von Sachsen 110, 118 Johann von Jenstein 290 Johann Wilhelm I., Herzog von Sachsen- Weimar 125, 317, 319 Johann, Fürst von Anhalt-Zerbst 142 K Kahl, Johan 453 Karl V., Kaiser 301, 321 Karl X. Gustav, König von Schweden 144 Karsch(in), Anna Louisa 214 Katharina, Herzogin von Sachsen 319 Katte, Hans Hermann von 447 Keimann, Christian 169, 302, 316 f., 332 Kingo, Thomas 223, 437, 439 Kittel, Johann Christian 201, 203 Klemetti, Heikki 453 Klopstock, Friedrich Gottlieb 160, 166, 184, 195 - 197, 210, 214, 221, 224, 226, 230 f. Klug, Johann 4, 119, 121, 321 Knapp, Albert 79 Knolck, Johann 149 Knoll, Christoph 124 Knöpken, Andreas 120 Knorr von Rosenroth, Christian 46 Koch, Eduard Emil 106, 157, 161, 308 Kock, Reimer 24 Kohlwage, Karl Ludwig 479 Koitsch, Christian Jacob 56 König, Johann Balthasar 278 Koski, Suvi-Päivi 12, 15 Kotter, Eustachius 304 Krafft, Johann Melchior 103, 105 - 109, 130, 133 Kragballe, Christian M. 441 Kramer, Moritz 51 Kraus, Karl 357 Kreider, Daniel 311 Krufft, Heinrich von 304 Kühnau, Johann Christoph 211, 226 Kummer, Jörg 239 Kunze, Johann Christian 278 f. Kurzke, Hermann 366, 475, 498 Küster, Elieser Gottlieb 166 L Lämmert, Eberhard 475 Landes, Rudolph 310 f. Landstad, Magnus B. 442 f. Lange, Ernst 70 Lange, Joachim 65 Anhang 570 Lange, Johann Christian 213, 230 f., 395 Lange, Nicolaus 65 Langelott, Joel 144 Langen, Albert 383 Laurenti, Laurentius 46, 70 Lavater, Johann Caspar 166 Leaver, Robin A. 43 Lehr, Leopold Franz Friedrich 213, 230 f. Leisentrit, Johann 9, 288 Lenau, Nikolaus 410 Leopold I., Kaiser 56 Lessing, Gotthold Ephraim 362 Levy, Sara 214 Lieseberg, Ursula 302 Lilie, Georg 414 Lindenberg, Johann Carl 81 - 84, 466 Linke, Johannes 335 Liscow, Salomo 56 Lobwasser, Ambrosius 69, 124 Loersfeld(t), Johannes 6 Logau, Friedrich von 410 Lohmeier, Dieter 217 Löscher, Valentin Ernst 69 Lossius, Lucas 29 Louise Friederike, Herzogin von Mecklenburg-Schwerin 162, 166 Louise, Herzogin von Mecklenburg- Schwerin, geb. von Sachsen-Gotha 162 Lucke, Wilhelm 6 Ludwig I., Fürst von Anhalt-Köthen 302 Ludwig II., König von Ungarn 321 Lufft, Hans 6 Luppius, Andreas 14 Luther, Martin 4, 6, 9, 12, 14 f., 19 - 36, 39, 42 f., 46 - 49, 68, 79, 91 f., 110 f., 117, 119 - 122, 124 f., 131, 133, 155, 166, 168, 181 f., 192, 194 - 197, 210, 223, 230 f., 240 f., 251, 260, 265 - 267, 271 f., 275, 284, 286, 290 f., 321, 323, 338 - 340, 347, 351 f., 359, 363, 392, 400, 415 f., 419, 437, 444, 457 - 478, 487 Lützelburg [Kammerjunker] 151 Lützow, Catharina von 139 Lyster, Jens 392 M Madeheim, Lothar 248 Magdalena Sibylla, Herzogin von Mecklenburg-Güstrow 144 Magdalena Sibylla, Herzogin von Sachsen, Jülich, Cleve und Berg 300 Maler, Mathes 6 Mann, Elisabeth 386, 485 f. Mann, Heinrich 365, 373 - 389, 460, 477, 481 f., 485, 487, 489 Mann, Thomas 356 f., 364 - 368, 370 f., 376, 380, 384 - 386, 457 - 492 Mann, Thomas Johann Heinrich 378, 486 Mantels, Wilhelm 468 Maria Elisabeth, Herzogin von Schleswig- Holstein-Gottorf 92 - 98, 100, 103 - 155 Maria, Königin von Ungarn 289 f., 321 f. Maria, Landgräfin von Thüringen 317 Marti, Andreas 386, 437, 495 Martini, Christian David Anton 160 Martini, Friedrich Heinrich 160 - 162 Masius, Heinrich 70 Matthias, Kaiser 92, 148 May, Johann Heinrich 395 Mayer, Johann Friedrich 51, 56 - 58, 60 Meding(en), Dorothea van 296 Meister, Christoph Georg Ludwig 70 Melanchthon, Philipp 20, 29, 287 Mentzer, Johann 70, 72 Meyer, Conrad Ferdinand 410 Meyer, Dietrich 248 Meyer, Johann(es) 300 Mitchell, Philip Marshall 107 f. Moller, Johannes 106 Møller, Peter 444 Mönch von Salzburg 284, 286 Morhof, Daniel Georg 148 Mörike, Eduard 410 Moritz, Kurfürst von Sachsen 298, 301, 319 Moyse, Otto (Musaenius) 296, 302 f. Mühlenberg, Heinrich Melchior 265 - 280 Müller, Heinrich 44, 47, 110 - 113, 116, 118 - 121, 124, 134, 154 Personenregister 571 Müller, Michael 46, 70 Münter, Balthasar 78, 83, 220 f., 230 f. Musäus, Johann Karl August 410 Mylius, August 160, 279 N Nachtenhöfer, Caspar Friedrich 124 Nägeli, Hans Georg 228 Naumann, Johann Gottlieb 162 Neander, Joachim 66, 82, 166, 379 Neisser, Georg 248, 250, 256 Nelson, Vernon 248 Neumann, Caspar 69, 182, 361 Neumark, Georg 176, 202, 205, 338, 415, 425 Neumeister, Erdmann 61, 74, 167, 181, 306, 308 f., 316, 333 - 353 Neuß, Heinrich Georg 70 Newton, John 278 Nicolai, Jeremias 320 Nicolai, Philipp 56, 120, 300, 312, 314 - 332 Niedling, Johannes 293 Nielsen [Orgelbauer] 150 Niemann, Theodor 105 Niemeyer, August Hermann 70 Norenius, Ericus L. 446 O Ochsenkhun, Sebastian 296 Oehler, Eberhard 308 Olearius, Adam 90, 94, 108, 113, 154 Olearius, Johann(es) 69, 123 Olter, Wilhelm 289 Opitz, Martin 96, 122 f., 125, 132 f., 174, 283 Osiander d. J., Lucas 320 Otfrid von Weißenburg 283 Ovidius Naso, Publius (Ovid) 375, 377 P Pannekoek, Jacobus 329 Pape, Hinrich 149 Passow, Moritz Joachim Christoph 161 Pastorius, Franz Daniel 270 Paul [Barbierer] 143 Pauli, Carl Wilhelm 40, 42 f., 47, 85 Pauli, Petrus 141 Perthes, Agnes 55, 179 f., 196, 200, 202, 362 f. Perthes, Caroline 55 f., 65, 72, 178 f., 196, 198, 363 Perthes, Friedrich 56, 179 Perthes, Matthias 72 Petersen d. J., Johann Friedrich 82, 84 Petersen, Johann Wilhelm 46, 56, 74 Petraeus, Petrus (Peter Petersen) 95, 98, 100, 103 - 134, 154 f. Peucker, Paul 248 Pfeiffer, Johannes 199 Pfleger, Augustin 148 Porst, Johann 184 Praetorius, Michael 291 Preisler, Johann Martin 187 Prudentius, Aurelius 260 Q Quantz, Johann Joachim 212 f., 218, 222, 224, 228 R Raiffer, Hans 304 Ram(m)ler, Carl Wilhelm 210 Rambach, August Jacob 63, 84 Rambach, Johann Jacob 70, 74, 160, 415 Ranke, Friedrich Heinrich 75 Ranke, Leopold Friedrich 378, 460, 468, 489 f. Reichardt, Johann Friedrich 194, 218 Reiche, F. [Kupferstecher] 266 f. Reinig(ke), Paschasius 295 Reißmann, Martin 98 Reißner (Reusner), Adam 260 Reist, Hans 239, 241 Reventlow, Cai Graf 196 Rhau, Georg 35 Richter, Adrian Ludwig 409 - 435 Richter, Christian Friedrich 46, 56, 64, 70, 74, 176, 415 Richter, Gregor(ius) 44, 46 Richter, Johannes Heinrich 430, 432 f., 435 Richter, Winfried 146 Riedemann, Peter 304 Anhang 572 Rinckart, Martin 341, 415, 482 Ringwaldt, Bartholomäus 286 Rist, Johann 11, 47 f., 57, 68 f., 95, 122, 124, 126, 132, 397, 418 Roberts, Anton Günter 151, 153 Rodigast, Samuel 47, 69, 173, 338 Rolle, Johann Heinrich 220 Röpstorf, Detlef 150 f., 153 Rosegger, Peter 410 Rostgård, Frederik 442 Rothe, Johann Andreas 70, 167, 172 Rothgießer, Christian 90 Ruben, Johann Christoph 70 Rückert, Friedrich 410 Rühmkorf, Peter 381 Runeberg, Johan Ludvig 445 S Sattler, Michael 291 f. Sau(e)r d. Ä., Christoph 248, 250 Sau(e)r d. J., Christoph 259, 271 Sauer-Geppert, Waldtraut Ingeborg 133 Schadäus, Daniel 289 Schade, Herwarth von 57, 60 f. Schade, Johann Caspar 46 Schede, Paulus (Melissus) 301 Scheffler, Johann (Johannes Angelus Silesius) 11, 47 f., 56 f., 69, 123 f., 344 f., 415 Scheidemann, Heinrich 126 Schein, Johann Hermann 293 Schemelli, Georg Christian 217, 444 Schenck, Hartmann 66 Scherk, David 311 Scherr [Orgelbauer] 150 Schiller, Friedrich von 312, 380 Schinmeier, Johann Adolph 78 Schiörring, Niels 217 f., 220 - 226 Schlee, Ernst 150 Schleiermacher, Friedrich 79, 82 Schlosser, Bastl 304 Schmidlin, Johannes 213, 228 Schmidt (von Lübeck), Georg Philipp 380 Schmidt, Johann Eusebius 64, 74 Schmied, Joachim 137 Schmolck, Benjamin 69, 167, 181, 306 - 308, 316, 396 Schneegaß, Cyriacus 305 Schnorr von Carolsfeld, Julius 415 f. Schop, Johann 126, 388, 445, 453 Schopenhauer, Arthur 478 Schrader, Johann Hermann 73 f., 184 Schreiber, Ernst Ulrich 143 Schröder, Johann Heinrich 70, 73 f., 415 Schubart, Christian Friedrich Daniel 84 Schultz, Jakob 126 Schulz, Johann Abraham Peter 202 Schütz, Christoph 43 Schütz, Heinrich 49, 92 f., 110, 118, 128, 147 f. Schütz, Johann Jacob 47, 69 Schwab, Heinrich-Wilhelm 146 Schwarzburg-Rudolstadt, Aemilie (Aemilia) Juliane Gräfin von 52, 60, 66, 69, 289, 338, 380 Schwarzburg-Rudolstadt, Ludämilia Elisabeth Gräfin von 52, 60, 66, 289 Schwenckfeld (von Ossig), Caspar 259, 291 Schwenke, Johann Friedrich 226, 229 Scriver, Christian 57, 65, 69, 154 Sedulius, Caelius 284, 287 Seipt, Allen Anders 260 Selnecker, Nikolaus 320, 340, 403 Servaes, Matthias 304 Silcher, Friedrich 76 Sirutschko, Centurio 295 Slüter, Joachim 11, 24, 26, 28, 30 Smemo, Johannes 444 Söderblom, Nathan 441 Sohr(en), Peter 11, 126 Sophia Amalia, Prinzessin von Schleswig- Holstein-Gottorf 130 Sophie Auguste, Fürstin von Anhalt- Zerbst 142 Sophie Eleonore, Landgräfin von Hessen- Darmstadt 148 Sophie Friederike, Prinzessin von Dänemark 160 Sophie, Königin von Dänemark 301 Sophie, Kurfürstin von Sachsen 319 Spegel, Haquin 437, 445, 453 Personenregister 573 Spener, Philipp Jacob 14, 39, 44, 56, 60, 65 f., 68 f., 73, 167, 270, 276, 395 Spitta, Friedrich 321 Sporon, Benjamin Georg 222, 230 f. Spring inn Klee, Gregorius 294 Stahl, Wilhelm 40, 43, 389 Starck (Stark), Johann Friedrich 69, 391 - 407 Starck, Caspar Heinrich 72 Starck, Johann Jacob 394 Steenberg, Per 442 Stenersen, Stener J. 444 Stephan, Walther 135 Stobäus, Johann 125 Stökken, Christian von 49, 96, 120, 130, 180 f. Stolberg-Wernigerode, Christian Ernst Graf zu 214 Stolberg-Wernigerode, Christian Friedrich Graf zu 214 Stolberg-Wernigerode, Heinrich Ernst Graf zu 214 Stolberg-Wernigerode, Grafen zu 213 f., 216 f., 226, 230 f. Stolzhagen, Kaspar 352 Stölzlin, Bonifacius 300 Storm, Theodor 410 Støylen, Bernt 441, 444 Strebeck, Georg 279 Strittmatter, Erwin 381 Struensee, Adam 190 Struensee, Johann Friedrich 184, 462 Stubbe, Wolf 411, 430 Studemund, Carl 161 Studemund, Christian Friedrich 161 Studemund, Franz 161 Studemund, Gotthard Georg 161 Sturm, Christoph Christian 160, 166, 184, 210, 221, 230 f. Sudermann, Daniel 260 - 262, 291, 293 T Takolander, Alfons 445 Telemann, Georg Philipp 61, 209, 333, 338, 346 - 350, 352 f. Tersteegen, Gerhard 415 Teschner, Melchior 453 Theile, Johann 128, 153 Theopoldus, Abraham 305 Thomasius, Christian 270 Thürnstein, Ludwig von (Pseudonym von Zinzendorf) 250 Tode, Heinrich Julius 161 Toplady, Augustus Montague 446 Töws, P. 311 Treuer, Gotthelf 124 Tümpel, Wilhelm 106, 284, 305, 313 Tunder, Franz 93, 128 Tuppurainen, Erkki 438, 453 U Uhland, Ludwig 412 Uhlich, Gabriel 368 Urban, Heinrich 51 f. Uz, Johann Peter 210 V Vergilius Maro, Publius (Vergil) 375, 377 Vetter, Georg 287 W Wackernagel, Philipp 4, 85, 284, 287, 296, 305, 313 Waldeck, Franz Graf von 320 Waldeck, Margaretha Gräfin von 315, 320, 323, 325, 332 Waldeck, Wilhelm Ernst Graf von 300, 315, 320, 332 Wallin, Johan Olof 448 Walter, Gottfried 144 Walter, Johann 4, 6, 9 Walther von der Vogelweide 305 Walther, Hans 93 Walther, Paul 93 Watts, Isaac 278 Wegelin (Wegelein), Josua 121 f., 305 Weiß, Caspar 260 - 262 Weiß, Georg 261 f. Weise, Christian 69 Weiße, Michael 4, 42, 182, 261 Weissel, Georg 120, 352 Wendt-Sellin, Ulrike 166 Wepse, Hermann (Vespasius) 296 Werner, Caspar 293 Anhang 574 Wesley, Charles 278 Wetzel, Johann Caspar 105 Wexels, Wilhelm A. 444 Wiedemeyer, Johann 50 f. Wigand, Georg 411 f., 415 f., 425, 430 Wilhelm IV., Landgraf von Hessen 318 Willemer, Johann Jakob von 380 Winckler, Johann Joseph 70 Winckler, Johannes 56 - 58, 65 Witt, Reimer 135 Wolf, Ernst Wilhelm 220 Wolf, Jacob Gabriel 56, 70 Wolf(f), Gernold(t) 294 Wolff, Hinrich 181 Wolkan, Rudolf 243, 302, 304 Wotquenne, Alfred 216 Z Zachariae, Friedrich Wilhelm 210 Zahn, Johannes 106 f., 127 Zeh, Albert 435 Zeller, Bernhard Eberhard 65 Zeller, Eva 380 Zesen, Philipp von 110, 123, 302 Ziegenhagen, Friedrich Michael 268 Zinck, Bendix Friedrich 217 - 222 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von 61, 70, 72, 74, 167, 172, 244 - 257, 260, 267 f., 306, 308 f., 335, 341, 350, 353, 415 Zollikofer, Georg Joachim 61, 166, 395 Zuckmayer, Carl 379 Züehl, Eberhard Philipp 14 Zwick, Johannes 260 Zwingli, Huldrych 14, 302 Personenregister 575 er Hymnologische Studien Mainzer Hymnologische Studien Mainzer Hymnologische Studien Kirchenlied und Gesangbuch sind heute nicht mehr selbstverständliches Bildungsgut. Dennoch ist ihre Kenntnis für ein tieferes Kulturverständnis unverzichtbar. Wer z. B. ein Kirchenliedzitat von Paul Gerhardt bei Matthias Claudius, Heinrich und Thomas Mann oder bei Robert Gernhardt nicht erkennt, dem entgeht nicht nur dessen frommer oder humorvoller Sinn, sondern erst recht ein zuweilen ironischer oder gar abgründiger Hintersinn. In 27 Beiträgen entfaltet Ada Kadelbach ein breites thematisches Spektrum internationaler, interkonfessioneller und interdisziplinärer hymnologischer Forschung. Es reicht von der Gesangbuchvorrede als bisher kaum beachteter Primärquelle bis zur Rezeption von Kirchenliedern in Andachtsliteratur, Belletristik und Bildender Kunst. Exemplarische Studien befassen sich u. a. mit der Bedeutung des Singens für die Reformation, mit norddeutschen Territorialgesangbüchern und mit der Geschichte der Gesangbücher deutscher Auswanderer nach Amerika. In allen Beiträgen wird deutlich, wie sehr das Kirchenlied und das Gesangbuch Kultur- und Geistesgeschichte, Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte spiegeln und damit bleibende Zeugnisse der jeweiligen Zeitströmungen sind. ,! 7ID7H2-aiegef! ISBN 978-3-7720-8464-5