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Skandinavisch-iberoamerikanische Kulturbeziehungen

2013
978-3-7720-5480-8
A. Francke Verlag 
Thomas Seiler

Zum ersten Mal überhaupt werden in diesem Band die vielfältigen historisch-kulturellen, literarischen und populärkulturellen Beziehungen zwischen Spanien/Südamerika und den skandinavischen Ländern beleuchtet. In der Imagination der Nordländer gilt Spanien aufgrund seines maurischen Erbes und seiner peripheren Lage als Ort des radikal Fremden, der sich einem Verständnis weitgehend entzieht und dessen Fremdheit auch das Identitätsgefühl des Beobachters erschüttert. Spanien nahm in nordischer Optik überdies eine Schlüsselstellung ein, wenn es darum ging, Fragen der aufkommenden Moderne zu diskutieren. Für die Spanier waren die nordischen Länder eine terra incognita, die als weißer Fleck auf der Landkarte mit den fantastischsten Vorstellungen angereichert wurde. Die Skandinavier galten als in jeder Beziehung maßlos und barbarisch. Theoretisch fundiert wurde diese Einschätzung mit den klimatischen Verhältnissen sowie dem Abfall vom rechten (katholischen) Glauben. Die Beiträge dieses Bandes analysieren die wechselvolle Geschichte gegenseitiger Imagination und produktiver Missverständnisse. Thomas Seiler ist Titularprofessor für skandinavische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich.

A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN BEITRÄGE ZUR NORDISCHEN PHILOLOGIE 50 Thomas Seiler (Hrsg.) Skandinavischiberoamerikanische Kulturbeziehungen Skandinavisch-iberoamerikanische Kulturbeziehungen Beiträge zur Nordischen Philologie Herausgegeben von der Schweizerischen Gesellschaft für Skandinavische Studien Redaktion: Jürg Glauser, Silvia Müller, Klaus Müller-Wille, Hans-Peter Naumann, Barbara Sabel, Thomas Seiler Beirat: Michael Barnes, François-Xavier Dillmann, Stefanie Gropper, Annegret Heitmann, Andreas G. Lombnæs Band 50 · 2013 A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN Thomas Seiler (Hrsg.) Skandinavischiberoamerikanische Kulturbeziehungen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. © 2013 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Printed in Germany ISSN 1661-2086 ISBN 978-3-7720-8480-5 Titelbild: Olaus Magnus: Carta marina et Descriptio septentrionalium terrarum ac mirabilium rerum in eis contentarum, diligentissime elaborata Anno Domini 1539 Veneciis liberalitate Reverendissimi Domini Ieronimi Quirini. Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................... VII T HOMAS S EILER Imagologie als Dezentrierung - eine Einführung ....................................... 1 I. H ISTORISCHES UND IMAGOLOGISCHES T EODORO M ANRIQUE A NTÓN Literatur im Dienst der Monarchie: Alfons X. ›der Weise‹ und Hákon IV. auf der Suche nach der nationalen Identität ........................... 15 M ATEO B ALLESTER R ODRÍGUEZ Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter ...................... 35 C ARLOS F. C ABANILLAS C ÁRDENAS Norge i spansk barokkpoesi ……………………................................................ 65 II. L ITERATUR : H ISPANOMANIE , S PANISCHER B ÜRGERKRIEG , P HANTASTIK K LAUS M ÜLLER -W ILLE Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne …………………….................................. 85 M ARIT T EERLING Von Bergen nach Brunete: Nordahl Grieg und der spanische Bürgerkrieg ....................................... 111 T HOMAS F ECHNER -S MARSLY »Kalte Rose, geheime Insel, die Germaniens Gedächtnis war« - Jorge Luis Borges und Island ................................................................... 131 VI I NGO S UNDMACHER Kolumbus-Mythen im Norden ............................................................... 143 M ARTIN Z ERLANG Juan Rulfo og den skandinaviske litteratur ............................................ 165 III. P OPULÄRKULTUR : S TIERKAMPFKITSCH , T ANGO , P OPULÄRES L IED F RITHJOF S TRAUSS »Spanisch, dass es zum Hals raushängt.« Metakitsch in Carl Muusmanns Stierkämpferinnen-Roman Matadora ........................ 181 P ETRA B ROOMANS Fotspår. Argentisk tango i nordisk litteratur .......................................... 199 T HOMAS S EILER Jag minns dig, Amanda - Vreeswijks Jara .............................................. 209 Abbildungsnachweise ............................................................................ 228 Autoren …………………………………………...................................................... 229 Vorwort Der vorliegende Band geht auf den Arbeitskreis »¡Rompiendo el hielo! - Skandinavisch-iber(oamerikan)ische Kulturbeziehungen« zurück, der im Rahmen der 18. Arbeitstagung der deutschsprachigen Skandinavistik (ATDS) in Berlin im September 2007 unter Leitung von Frithjof Strauss und Thomas Seiler durchgeführt wurde. Knapp die Hälfte der hier publizierten Aufsätze fußt auf in Berlin gehaltenen Vorträgen, alle anderen wurden speziell für diese Publikation verfasst. Ich bedanke mich sehr herzlich bei den Autorinnen und Autoren, die lange auf das Erscheinen des Buches haben warten müssen. Ein herzliches Dankeschön geht auch an die Schweizerische Gesellschaft für Skandinavische Studien (SGSS) für die Bereitschaft zur Publikation dieses Bandes in ihrer Reihe ›Beiträge zur Nordischen Philologie‹. Ebenfalls gedankt sei der Schweizerischen Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) für die finanzielle Unterstützung. Schaffhausen, Oktober 2013 Thomas Seiler Imagologie als Dezentrierung - eine Einführung T HOMAS S EILER Die Kontakte zwischen der iberischen Halbinsel und Nordeuropa reichen bis weit ins Mittelalter zurück. Bereits im 13. Jahrhundert kam es durch die Hochzeit der Tochter König Hákons IV. und dessen Ehefrau Margret mit dem spanischen Infanten Felipe, ein Bruder Alfons X. (der Weise), zu einer politisch motivierten dynastischen Verknüpfung Norwegens mit Spanien. 1 Noch früher, rund 400 Jahre zuvor, umsegelten die Wikinger auf ihren Fahrten wiederholt die iberische Halbinsel und gingen daselbst auch an Land. Spanischen und arabischen Quellen zufolge datiert die erste Belagerung der spanischen Küsten durch die Nordmänner in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts, möglicherweise ins Jahr 844. 2 Diese werden in den Quellen als unfassbar grausam beschrieben, als »enemigos de todo el género humano« (»Feinde der ganzen Menschheit«). Das Bild unzivilisierter Barbaren, die vor nichts zurückschrecken, wird sich im Laufe der Jahrhunderte verfestigen und immer schnell zur Hand sein, wenn es darum geht, die Normannen zu diskreditieren. Das war besonders während des Dreißigjährigen Kriegs der Fall, als spanische Truppen auf schwedische stießen und die topischen Argumente wieder schnell zur Hand waren: Die Schweden sind die vom rechten Glauben abgefallenen Barbaren, die maßlos in ihrer Trunksucht sind. Untermauert wurden solche Einschätzungen durch die damals herrschende Vorstellung, wonach ein extremes Klima mit zu viel Nässe und Kälte einer charakterlichen Ausgewogenheit des Menschen abträglich ist (vgl. hierzu die entsprechenden Ausführungen von Mateo Ballester in diesem Band). Das Extreme des Klimas widerspiegelt sich dieser Klimatheorie zufolge in einem entsprechenden charakterlichen Hang zum Extremen, in einem Hang zur Unmäßigkeit, Zügellosigkeit und zur charakterlichen Unausgeglichenheit. Demgegenüber steht die Mäßigkeit und Ausgewogenheit des eigenen spanischen Charakters. Dieser Eigenwahrnehmung steht die Fremdwahrnehmung diametral gegenüber. In der Imagination der Nordländer gelten die Spanier als impulsiv und temperamentvoll, deren feuriges Wesen unberechenbar ist. Dabei ist es nicht uninteressant, dass die Einschätzung der mediterranen Völker durchaus nicht einheitlich ausfällt. So unterscheiden sich etwa Spanien und Italien in skandinavischer Optik erheblich. 1 Vgl. Ellen Fischer: Auf der Jagd nach Prinzessin Kristin in spanischen Quellen, in: Collegium Medievale, vol. 25 (2012), S. 68-103 sowie den Beitrag Teodoro Manriques in diesem Band. 2 Vgl. hierzu A. Fabricius: Normannertogene til den spanske Halvø, in: Aarbøger for Nordisk Oldkyndighed og Historie (1897), S. 75-160, S. 88 und 102 sowie Jón Stefánsson: The Vikings in Spain. From Arabic (Moorish) and Spanish Sources, in: Saga-Book, Vol. VI. (1909), S. 31-46. Thomas Seiler 2 Italien gilt als Sehnsuchtsort, dessen idyllisierende Verklärung grundsätzlich nichts Fremdes an sich hat, weil sie auf der Folie des Vertrauten funktioniert. Die Koordinaten bleiben hier gleichsam gewahrt. Das Land gilt als lieblich und zivilisiert, während bei Spanien der Tenor ein anderer ist. Spanien wird als das radikal Fremde imaginiert, als ein im Grunde rätselhaftes Land, bei dem die Möglichkeiten des Verstehens nur sehr begrenzt bleiben und das vor allen Dingen auch den Beobachter mit seiner Fremdheit affiziert. Oft stellt man es sich als Ort vor, wo das Subjekt recht eigentlich entgrenzt wird, als Ort, wo der Einzelne aus seiner selbstverständlichen Mitte heraustreten und exzentrisch, ja ekstatisch wird. Paradigmatisch kann das anhand der Fridas visor des Schweden Birger Sjöberg festgemacht werden, der über Spanien und Italien folgende Lieder verfasste: I Spaniens månsken 1. När mina tankar vilja bada i söderns månsken, fly de till Granada. Då glömmer jag vår svenska lada med torvtäckt tak invid sin blåa sjö. Nu är just en av dessa nätter: uti min hand jag ivrig sätter ett par små goda kastanjetter, och vilda visor vill jag kring mig strö. 2. Då sjunker staden ur mitt minne och Rådmans plank med popplarne därinne. Då glömmer jag vart streck med linne ibland syrener på min svenska gård. Caramba! Med mitt hand i sida jag börjar som en orm mig vrida och svänger uti cirklar vida mitt ben, som stramar i sin gyllne bård. 3. Och visar yr och flyr kring munnen, som vattnet sprutar uti Lejonbrunnen. Nu är min fosterjord försvunnen. Jag rasar, raglar, glömsk av allt, som hänt. Gitarrens klang blir mera yster, och Spaniens dotter är min syster. Varenda stund hon vill bli kysster (betecknande för folkets temperament! ) 4. Här gnata inga störda grannar! Caramba! Vild och lycklig jag förbannar. Längtan till Italien 1. Jag längtar till Italien, till Italiens sköna land, där små citroner gula, de växa uppå strand, där näktergalar drilla allt uti dalen stilla, och snäckorna så röda, de lysa uppå sand. 2. Jag längtar till Italien, där palmerna de stå så doftande och höga med gröna blader på, där gossen spelar luta invid sin flickas ruta, när aftonstunden kommer med många stjärnor små. 3. Jag drömmer om Italien vid skymning i vår bod, där kryddor sällsamt dofta bland lådor och bland lod. Jag ser i mina drömmer de silvervita strömmar med tusende gondoler uppå den klara flod. 4. Jag tycker, att jag ser, hur i månens milda sken jag vrickar fram gondolen på böljan, klar och ren, och hur i aktern sitter beglänst att stjärnans glitter, Imagologie als Dezentrierung 3 --- Då plötsligt jag i dansen stannar --- Bland mörka ögon --blå en blick mig rör. Jag slutar som en orm mig vrida. Jag tycker att jag skönjer Frida, och hennes ögom syntes lida och säga: »Sådant väldigt liv du för! « 5. Då störtar mitt i yran glada den gyllne brant; då slocknar mitt Granada. --- Jag åter ser vår svenska lada i afton skum, då tyst är skogens liv. Bland våta blomster gå vi sakta att Sveriges måne ömt betrakta... O, tro ej, jag vill den förakta --fast Spaniens skiner mera intensiv! en späd italienska med röst så ljus och len. 5. Hon sjunger om Italien, om Italiens sköna land, där små citroner gula, de växa uppå strand, där näktergalar drilla i dalen, mörk och stilla, när solen sjunker ner bak Vesuvius’es rand. Die beiden Länder werden hier in ganz unterschiedlicher Art und Weise imaginiert. Die Sehnsucht nach Italien entpuppt sich als eine nach dem lieblichen Idyll, das, wie es sich für ein Idyll gehört, von Friede und Eintracht geprägt ist. Die Szenerie ist durchgängig romantisch überhöht, und als die wichtigsten Ingredienzen des Lieds dürfen die Zitrone, die Nachtigall, das Ständchen mit der Laute vor dem Fenster der Angebeteten und die Gondel gelten. Alles ist gemäßigt in diesem Lied, da ist keine Leidenschaft und kein entgrenzendes Benehmen festzustellen, vielmehr spielt sich die Handlung in einem züchtigen Rahmen ab, in dem die bürgerlichen Normen nicht in Frage gestellt werden. Ganz anders hingegen das Lied über Spanien, wo sich das Subjekt als völlig entfesselt und dezentriert präsentiert, wenn es »wilde Weisen« um sich streut und das Heimatland vergisst. Unmissverständlich heißt es: »Jag rasar, raglar, glömsk av allt, som hänt.« Das Ich rast und taumelt und vergisst dabei alles um sich herum; die Gitarrenklänge werden feuriger und die Regeln bürgerlicher Wohlanständigkeit werden außer Kraft gesetzt. Daran ändert auch die fünfte Strophe nichts, in der dem Sänger unvermittelt das Bild Fridas vor Augen geführt wird und damit die spanische Szenerie wieder durch die heimische, ironisch gezeichnete, ersetzt wird. Interessant bei diesem Lied ist vor allem der Umstand, dass die Entgrenzung des Subjekts konsequent vor dem Hintergrund des Vergessens seiner Herkunft stattfindet. Dass dies ein gefährliches Manöver sein kann, wird im Lied ebenfalls angedeutet, wenn davon die Rede ist, dass sich das Ich »wie eine Schlange windet«. Das Verführerische der schwarzen Augen wird deutlich kontrastiert mit den blauen Augen der schwedischen Frida, die für Geborgenheit, Treue und Wohlanständigkeit steht. Es scheint, als ob dasjenige, das als radikal fremd und deshalb unverständlich aufgefasst wird, die Voraussetzung für die Dezentrierung des Subjekts bildete: eine zusammengebrochene Semantisierung als Voraussetzung für De- Thomas Seiler 4 zentrierung - unter dieser Losung scheint das meiste zu stehen, was über Spanien geschrieben wurde. Dass die Bedrohung des Subjekts auf der Folie Spaniens und nicht Italiens geschildert wird, mag mehrere Gründe haben. Zum einen war den skandinavischen Künstlern Italien weitaus vertrauter als Spanien, man denke nur an die skandinavischen Künstlerkolonien in Rom im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Bildungsreisen führten auch die Skandinavier im 19. Jahrhundert vorwiegend nach Italien, Deutschland und Frankreich. Spanien hingegen, gleichsam abgeriegelt hinter den Pyrenäen, galt nicht zuletzt wegen seines maurischen Erbes, in weit geringerem Maße als Wiege der klassisch-europäischen Kultur. Das Land lag sowohl in geographischer als auch in kultureller Hinsicht zu weit weg. So geriet die iberische Halbinsel zum Ort einer radikalen Alterität, als Ort, wo der Fremde aufgrund des Zusammenbruchs eines vertrauten Koordinatennetzes leicht sich abhandenkommt. Es ist interessant zu sehen, wie dieses Thema bereits im vielleicht frühesten Reisebericht über Spanien, im 1848 publizierten En Maaned i Spanien (Ein Monat in Spanien) des Dänen Chr. K. F. Molbech, anklingt. 3 Im Kapitel »I Malaga« wird der Erzähler von einer inneren Stimme gemahnt, sein Ich nicht in mehrere zerfallen zu lassen und verrückt zu werden. 4 Und schon am Anfang seines Berichts wird das Unwirkliche, Traumartige seiner Situation als Reisender in Spanien betont. Auch Tom Kristensen nimmt solche Überlegungen wieder auf. In seinem 1926 erschienenen Reisebuch En kavaler i Spanien (Ein Kavalier in Spanien) beschreibt er das Land als Ort, der sich der Wahrnehmung entzieht: Men der var intet i Spanien, jeg kunde træde hen til, uden at den fordømte Følelse af noget uvirkeligt gled imellem mig og Tingen. Det laa maaske i Luften, som fik mig til at glemme det fraværende og tvivle paa det nærværende. Billeder blev det hele, Huse, Træer, Mennesker, og det var tilfældigt, om jeg skulde huske dem eller glemme dem. 5 (S. 25) Aber es gab nichts in Spanien, zu dem ich mich verhalten konnte, ohne das verdammte Gefühl zu haben, etwas Unwirkliches stellte sich zwischen mich und den Gegenstand. Es lag vielleicht an der Atmosphäre, dass ich das Abwesende vergaß und am Gegenwärtigen zweifelte. Alles wurde zu Bildern, Häuser, Bäume, Menschen, und es war zufällig, ob ich diese erinnern oder vergessen würde. Und gegen den Schluss des Berichts, als sich Kristensen schon auf der Abreise befindet, konstatiert er gegenüber einem anderen Ausländer, er vergesse in diesem Land alles, um dann fortzufahren: »Jeg er som forsvundet.« 6 [»Ich bin wie verschwunden.«] Dieses Verschwinden des Ich gehe einher mit einem Gedächtnisverlust, von dem alle Ausländer in Spanien betroffen seien, wie ein Mitreisender gegenüber dem 3 Chr. K. F. Molbech: En Maaned i Spanien. Nogle Reisebilleder, Kiøbenhavn 1848. 4 Ebd., S. 106. (Wenn nichts anderes angegeben, stammen alle fremdsprachigen Übertragungen vom Herausgeber.) 5 Tom Kristensen: En Kavaler i Spanien, København 3 1945, S. 25. 6 Ebd., S. 195. Imagologie als Dezentrierung 5 Schreiber vermerkt. Wieder haben wir hier das Thema des Gedächtnisverlustes, wie wir ihm schon bei Birger Sjöbergs Lied begegnet sind. Wer nach Spanien reist, so lautet die Botschaft, taucht in eine ihm radikal fremde Welt ein, in der er sich kaum positionieren kann, keine Anknüpfungspunkte hat und deshalb von der Fremdheit affiziert wird. Die Reisebücher aus Spanien stehen deshalb unter einer doppelten Strategie ihrer Verfasser. Diese stehen nämlich vor der Aufgabe, etwas ihnen gänzlich Fremdes zu beschreiben, und gleichzeitig ist das Schreiben gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Selbstreflexion, und zwar gerade wegen des drohenden Verlustes der Identität, der ein Erkunden des Ich nach sich zieht. Weshalb wird gerade Spanien als das Land imaginiert, das nicht zu verstehen ist, und in dem man sich leicht abhanden kommt? Mehrere Gründe mögen einer solchen Auffassung Vorschub leisten: Die über 700-jährige Prägung durch die arabische Kultur macht das Land zur idealen Projektionsfläche für allerlei exotische Vorstellungen, die sich an ein Nichtverstehen knüpfen. Spanien wird aus dieser Perspektive nur teilweise überhaupt als europäisches Land betrachtet. Unterstrichen wird dieses angeblich Nichteuropäische auch durch die Topographie. Weil die Pyrenäenkette einen schwer überwindbaren Riegel zu Europa bildet, gerät die geographische Besonderheit zum Symbol einer generellen Abgewandtheit und Fremdheit des Landes. Der in Schweden äußerst populäre Troubadour und Autor Evert Taube hält zu Beginn einer Reise nach Spanien beim Blick auf die Landkarte Folgendes fest: Kastar man en blick på kartan så tycker man att här slutar det egentliga Europa och att naturen byggt en väldig mur mellan oss och Iberia, krigarlandet i söder, kelters, feniciers, kartagernes, romares, västgoters och morers tummelplats, Ferdinands och Isabellas kongungarike, Columbus’, El Cids och Miguel Cervantes fosterland, Don Quijotes land, señoritornas, kastanjetternas, gitarristernas, mantillornas och den röda kappans land, tjurfäktarlandet - Spanien. 7 Wirft man einen Blick auf die Karte, so glaubt man, hier [bei den Pyrenäen] ende das eigentliche Europa, hier habe die Natur eine gewaltige Mauer errichtet zwischen uns und Iberien, dem Kriegerland im Süden, des Tummelplatzes der Kelten, Phönizier, Karthager, Römer, Westgoten und der Mauren; das Königreich Ferdinands und Isabelles, das Heimatland von Columbus, El Cid und Miguel Cervantes, Don Quichottes Land, das Land der Kastjanetten, der Gitarristen, das Land der roten Tücher das Land des Stierkampfs - Spanien. Taube zufolge wird der Gegensatz zwischen Spanien und dem »eigentlichen Europa« auch durch die Natur unterstrichen, indem die Pyrenäenkette eine Mauer bildet. Er imaginiert Spanien als Land, das im Laufe seiner Geschichte die verschiedensten Völker und Kulturen beherbergte und so in den Besitz einer Kultur (und vielleicht auch einer Mentalität? ) kam, die sich von der europäischen aufgrund fehlender Anknüpfungspunkte radikal zu unterscheiden scheint. Dies betrifft vor allem das maurische Erbteil sowie den Stierkampf und gerade das Faszinosum der 7 Evert Taube: Samlade berättelser I, Stockholm 1966, S. 249. Thomas Seiler 6 maurischen Kultur ist in den Reiseberichten deutlich zu spüren. In praktisch keinem fehlt eine eingehende Betrachtung der Alhambra sowie der Stadt Granada, generell gilt die Hauptaufmerksamkeit der spanischen Provinz Andalusien, und auch der Stierkampf wird oft in einem separaten Kapitel beschrieben und bewertet. Oft wird er als Zeichen von Spaniens Rückständigkeit interpretiert. So stellt etwa der Schwede Carl Snoilsky in einem Sonettzyklus über Spanien das alte und das neue Spanien gegenüber und knüpft schon in den 1860er Jahren den Beginn des neuen Spaniens an das Ende des Stierkampfs: Snart skall kanske den sista tjuren springa Med sänkta horn mot matadorens klinga; Det stoltaste af nöjen är forbi! Då läggs det gamla Spanien på båren: Det gått att söka upp Campeadoren - Farväl med riddardåd och poesi! 8 Die Rückständigkeit Spaniens ist ein Thema, das in den Reiseberichten immer wieder zur Sprache kommt und wie gesagt mit Vorliebe am Stierkampf festgemacht wird. Dabei fallen die Erklärungsversuche ganz unterschiedlich aus. Während der spätere Nobelpreisträger Johannes V. Jensen in seinem Buch Den gotiska renaissance (Die gotische Renaissance) von 1901 die Rückständigkeit mit dem katholischen Glauben in einen Zusammenhang bringt und von der Überlegenheit der sogenannten »gotischen Völker« des Nordens überzeugt ist, will Martin Andersen Nexø in seinem Bericht Soldage (Sonnentage) von 1903 von einem solchen Erklärungsmodell nichts wissen. Sein Buch darf als Replik auf Jensens Buch gelten, in dem dieser an Land und Leuten kaum ein gutes Haar lässt. Jensens Buch ist geprägt von einem arroganten Gefühl kultureller Überlegenheit. Jensen prophezeit in seinem Machwerk einen aufziehenden »Kampf der Rassen«, wobei die Spanier aufgrund ihres fehlenden Willens zur Industrialisierung gegenüber den angelsächsischen Goten den Kürzeren zögen. Andersen Nexø kehrt den Spieß um und spricht von der Würde und dem Schalk des verarmten, andalusischen Landproletariats und zeigt an zahlreichen Beobachtungen des spanischen Alltags auf, dass der verarmten Bevölkerungsschicht ein Selbstbewusstsein nicht abgesprochen werden könne. Im Gegensatz zu Johannes V. Jensen beklagt er die Industrialisierung, z.B. Nordspaniens, die für Andersen Nexø so viel bedeutet wie »Gleichschritt, Dressur und moderne Sklaverei« 9 . Zu Recht nennt es Andersen Nexøs Biograph, Aldo Keel, einen »Schlüsseltext« des Schriftstellers, »in dem sich zwei Intentionen von Nexøs künftigem Schreiben durchdringen. Bevor er die ›Cigarreras‹ in ihrem Elend darstellt, beschwört er ihre Würde, feiert er das Selbstbewusstsein der ›einfachen Menschen‹ auf eine Art, die vor ihm in Dänemark kaum bekannt war.« 10 8 Zit. nach Carl Snoilsky: Samlade dikter 1, (Nationalupplaga), Stockholm 1919, S. 171. 9 Aldo Keel: Martin Andersen Nexø - Der trotzige Däne, eine Biographie, Berlin 2004, S. 58. 10 Ebd., S. 64. Imagologie als Dezentrierung 7 Andersen Nexø hat ein waches Auge für das »von Staat wie Kirche misshandelte Volk« und ist sehr empfänglich, für die Karnevalisierungsphänomene, die er in Andalusien entdeckt, wenn er von den Tabakarbeiterinnen erzählt, die den König gnadenlos auslachen. 11 Im Gegensatz zu Johannes V. Jensen begegnet er dem Land mit großer Sympathie und beweist ein waches Sensorium für die Bevölkerung. Spanien ist bei ihm wie auch bei Johannes V. Jensen der Ort, wo Fragen nach der Moderne verhandelt werden können, wie das Klaus Müller-Wille in seinem Beitrag aufzeigt. Gleichzeitig ist bei Andersen Nexø aber auch zu sehen, dass dies Thema einher geht mit einer Aufwertung der spanischen Volkskultur und deren Hang zur Entgrenzung. Auch die spanischen Arbeiterinnen werden unter diesem Vorzeichen charakterisiert, wenn er etwa die Tabakarbeiterin wie folgt beschreibt: »Sie ist sorglos, unartig, gottlos; rücksichtslos in ihrer Leidenschaft, witzig, leichtbeweglich, vergesslich…« 12 Dass der Süden und besonders Spanien im kollektiven Bewusstsein der Nordländer der Ort der Entgrenzung des Subjekts ist, wo aufgrund der Ferienstimmung die Hemmungen abgelegt werden und man sich dem unmittelbaren Lebensgenuss hingeben kann, zeigt auch ein Blick auf die Populärkultur. So ist etwa beim European Song Contest vor einem Millionenpublikum der Titel des norwegischen Beitrags von 2007 Spanisch formuliert,»Ven a bailar conmigo«, und der graue, regnerische Alltag in Skandinavien kontrastiert mit dem Alltag unter der spanischen Sonne. Etwa bei Gro Anita Schønn in ihrem Lied aus den 70er Jahren, in dem die Sängerin davon singt, wie sie zuhause durch das Fenster eine verregnete Landschaft betrachtet und sich dann ihrer Ferien in Marbella erinnert: »Ned fra veggen tar jeg mine kastanjetter. Nå vil jeg danse flamenco, bare se. Det skal klapre i parketten flere netter fra mine hæler når jeg roper ut Olé! […] Så hør min glade feriesang. Eviva España. Vi sang den hele natten lang.« 13 Und im Film Elling wird in selbstironischer Weise mit den Länderklischees gespielt, wenn die etwas spröden norwegischen Touristen auf die angebliche Leichtigkeit spanischer Lebensart in Mallorca treffen. Wenn man die Perspektive umkehrt und sich fragt, wie man sich in Spanien die nordischen Länder vorstellt, kommt man etwas in Verlegenheit. Zwar existieren, wie die Beiträge von Mateo Ballester und Carlos Cabanillas zeigen, durchaus vage Vorstellungen des Nordens bereits im spanischen Siglo de Oro, insgesamt kann aber doch festgehalten werden, dass der Norden zu jener Zeit fast unbekannt und das Wissen noch sehr gering war, weshalb er als Projektionsraum für die abenteuerlichsten Vorstellungen diente. Interessanterweise scheint diese Unkenntnis bis ins 20. Jahrhundert hinein Bestand zu haben, wenn wir einem der raren spanischen Berichte aus dem Norden Glauben schenken wollen. Ángel Ganivet beginnt seine Cartas finlandeses (Finnländischen Briefe) mit folgenden Sätzen: 11 Vgl. Martin Andersen Nexö: Sonnentage. Reisebilder aus Spanien, Berlin 2000, S. 121-123. 12 Ebd., S. 122. 13 Vgl. Dag Øistein Endsjø: La, la, la. Grand prix og den nasjonale identiteten, in: Syn og Segn 2 (2010), S. 28-40, S. 30. Thomas Seiler 8 Varios amigos míos […] me han escrito pidiéndome notícias de estos apartados países, en la creencia de que las tales notícias, aparte de los atractivos con que yo pudiera engalanarlas, tendrían de fijo uno muy esencial, el de ser frescas; porque la imaginación meridional, reforzada por el desconocimiento, no ya meridional, sino universal, que de este rincón del mundo se tiene, concibe a su antojo cuadros boreales, en que figuran los hombres enterrados debajo de la nieve y saliendo de vez en cuando para respirar al aire libre y fumar un cigarro en agradable conversación con los renos, los osos y las focas. 14 Mehrer meiner Freunde haben mir geschrieben und mich gebeten, Nachrichten aus diesen entlegenen Ländern zu senden. Dies im Glauben, dass solche Nachrichten den unschätzbaren Vorteil hätten, aus erster Hand zu sein. Denn die südländische Imagination, verstärkt durch die universelle Unkenntnis, die man von dieser Ecke der Erde hat, entwirft sich nach Belieben Bilder des Nordens, in denen die Menschen unter dem Schnee begraben sind und ab und zu hervorkriechen, um frische Luft zu schnappen und eine Zigarette zu rauchen, in angenehmer Konversation mit den Rentieren, den Bären und den Seehunden. Bei dieser ironischen Schilderung mediterraner Vorstellungen nördlicher Lebenswelt ist bemerkenswert, dass der Akzent auf das Neue des Unternehmens gelegt wird. Es scheint, als ob der in Riga in diplomatischen Diensten stehende Ángel Ganivet wirklich einer der ersten Spanier war, der seinen Landsleuten in schriftlicher Form Kunde des Nordens brachte. Konzentrieren sich seine Finnländischen Briefe noch auf die Schilderung politischer, soziologischer und ethnologischer Besonderheiten Finnlands, widmet er sich in Hombres del norte ausschließlich der Literatur, und zwar der norwegischen. Das Buch enthält fünf Porträts über Jonas Lie, Bjørnstjerne Bjørnson, Henrik Ibsen, Arne Garborg, Vilhelm Krag sowie Knut Hamsun. Weitet man die Perspektive auf die südamerikanischen Autoren aus, fällt auf, dass einige der größten von der skandinavischen Literatur nachhaltige Impulse erhalten haben. So ist etwa das große Interesse Jorge Luis Borges’ für die altnordische Literatur und für die nordische Mythologie gut belegt (vgl. hierzu den Beitrag von Thomas Fechner-Smarsly). Auch der mexikanische Autor Juan Rulfo hatte seine Aufmerksamkeit den phantastischen Zügen im Werk Selma Lagerlöfs und anderer skandinavischer Autoren gewidmet, wie aus dem Beitrag von Martin Zerlang hervorgeht. Der vorliegende Sammelband geht auf einen Arbeitskreis zurück, der im Rahmen der 18. Arbeitstagung der deutschsprachigen Skandinavistik (ATDS) 2007 in Berlin unter dem Titel »¡Rompiendo el hielo! Skandinavisch-iber(oamerikan)ische Kulturkontakte « stattfand. Einige Beiträge wurden jedoch extra für diesen Band geschrieben, an dem Forscher aus dem skandinavischen, spanischen sowie deutschsprachigen Raum beteiligt sind. Beleuchtet werden in drei Teilen historisch-kulturelle, literarische und populärkulturelle Fragestellungen. Den Anfang des historischen Teils macht der Spanier Teo Manrique, der in seinem Beitrag die politischen Verhältnisse 14 Ángel Ganivet: Cartas finlandeses, hombres del norte, Madrid: Collección Austral 6 1971, S. 3. Imagologie als Dezentrierung 9 Spaniens während der Regierungszeit Fernando des III. und Norwegens während der Regierungszeit von Sverrir im 13. Jahrhundert einem Vergleich unterzieht. Beide Länder waren während dieser Zeit mit der Etablierung eines neuen monarchischen Systems beschäftigt. Durch die europäische Gesinnung ihrer Nachfolger - Alfons X. und Hákon IV. - ergaben sich einige Berührungspunkte, so z.B. die an beiden Königshöfen vertretene Überzeugung von der Wichtigkeit der Erziehung und Bildung, insbesondere der Gesetzeskunde. Beide Reiche zeichneten sich auch durch die Überzeugung aus, wonach die literarische Bildung einen wichtigen Teil der legitimatorischen Funktion des Reichs ausübt. Mateo Ballester zeigt in seinem Beitrag auf, dass Skandinavien im Spanien des 16. Jahrhunderts eine terra incognita darstellte, wo aufgrund vollständiger Unkenntnis ohne Weiteres übernatürliche und phantastische Wesen angesiedelt werden konnten. Es herrschte eine überwiegend negative Einstellung gegenüber den Bewohnern des Nordens vor, die auch durch die damals herrschende Klimatheorie gespiesen wurde, wonach der Charakter eines Volkes in Abhängigkeit vom Klima erklärt wurde. Parallel dazu existierte jedoch eine überaus positive Sicht der Skandinavier, und zwar wegen deren angeblicher Abstammung von den Goten, die sich in Spanien höchster Wertschätzung erfreuten. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte der Krieg gegen die Dänen und Schweden während des Dreißigjährigen Krieges die negative Sicht noch verstärkt; Mateo Ballester kann jedoch einleuchtend aufzeigen, wie die skandinavischen Gebiete durch den verstärkten Kulturkontakt dennoch allmählich ihre mysteriöse Aura verlieren und gleichsam als »normale« europäische Gebiete in die mentale Landkarte der iberischen Halbinsel inkorporiert werden. Carlos Cabanillas untersucht in seinem Beitrag, auf welche Art und Weise Norwegen als Symbol im spanischen Siglo de Oro verwendet wird. Mit dem Fokus auf der Poesie zeigt der Verfasser auf, dass das skandinavische Land topisch als Ort fast immerwährender Dunkelheit funktionalisiert wurde, als Inbegriff einer unwirtlichen Region, in der man nicht leben kann. Gleichzeitig wird jedoch Norwegen als Land angesehen, aus dem die besten Jagdvögel stammen, weshalb es innerhalb der Adelsschicht trotzdem über viel Prestige verfügte. Der literarische Teil wird durch den Beitrag Klaus Müller-Willes eröffnet, der die dänischen Reiseberichte unter dem Aspekt der aufkommenden Moderne beleuchtet. In seinem Artikel geht der Autor zunächst dem überraschenden Befund nach, dass die Mehrzahl der dänischen Reiseberichte über Spanien um 1900 und nicht etwa in der Zeit der romantischen »Spanienmode« im frühen 19. Jahrhundert erscheinen. Anhand der Reiseberichte Hans Christian Andersens, Johannes V. Jensens, Martin Andersen-Nexøs und Tom Kristensens entwickelt er die These, wonach der Bezug zu Spanien in einer spezifischen dänischen Tradition nicht nur genutzt werde, um die exotistischen und folkloristischen Imaginationen des frühen 19. Jahrhunderts wieder aufleben zu lassen. Ganz im Gegenteil diene Spanien in diesen Reiseberichten auch dazu, Probleme der Moderne zu verhandeln. Dabei erlaubt es die lange Serie von Spanienberichten, den signifikanten Verschiebungen Thomas Seiler 10 nachzugehen, welche die entsprechenden kulturellen Fragestellungen im Zeitraum zwischen 1863 und 1926 erfahren. Einzelaspekten sind die nachfolgenden Beiträge gewidmet. Marit Teerling untersucht den Niederschlag des Spanischen Bürgerkriegs im Werk des Norwegers Nordahl Grieg. Der norwegische Schriftsteller und Journalist Nordahl Grieg besuchte während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) mehrmals die Iberische Halbinsel. Seine Erlebnisse und Eindrücke verarbeitete er in zahlreichen Zeitungsartikeln, aber auch in Teilen seines literarischen Werks. In ihrem Beitrag untersucht Marit Teerling die Haltung des überzeugten Kommunisten und Stalinisten Grieg gegenüber den Ereignissen in Spanien und beschreibt dessen zunehmende Radikalisierung. Nachdem es Grieg nicht gelungen ist, sein Heimatland von der Abkehr der Nichteinmischungspolitik zu überzeugen, entwickelt er sich vom Schriftsteller und Journalisten zum Kämpfer und meldet sich als Freiwilliger zum Einsatz gegen die deutschen Besatzungstruppen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Teerling interpretiert das als logischen Schritt, nachdem Grieg in Spanien habe zusehen müssen, wie die Republik u.a. aufgrund der Hilfe Hitlers und Mussolinis unterlag. Thomas Fechner-Smarsly analysiert die Funktion der nordischen Mythologie im Werk des Argentiniers Borges, der als einer der prominentesten südamerikanischen Autoren sich wiederholt mit der Nordischen Mythologie und mit Skandinavien generell beschäftigte. Ingo Sundmacher untersucht das Kolumbus-Thema im Werk Ib Michaelsens. 1492-98 segelte Christoph Kolumbus insgesamt viermal nach Westen auf dem vermeintlichen Seeweg nach Indien. Tatsächlich landete er auf karibischen Inseln vor Amerika und gilt seither als - ebenso vermeintlicher - Entdecker der Neuen Welt. Was tatsächlich heute von ihm übrig geblieben ist, ist ein Mythos der Moderne, der im Alltag der westlichen Welt allgegenwärtig zu sein scheint: ein Bild des linearen Fortschrittglaubens. In der dänischen Literatur hat vor allem Johannes V. Jensen diesen Mythos aufgegriffen und u.a. in seinem Den lange rejse-Zyklus mit dem Roman Christofer Columbus (1921) an das Ende einer - wiederum vermeintlichen - langen nordischen Völkerwanderung gesetzt. Für ihn stellen die Reisen von Kolumbus den Wendepunkt zur Moderne überhaupt und damit einen Aufbruch zu unvermeidlich Höherem dar. Mit seinem Roman Palindromos eller Columbos sidste rejse (1991), der ein Jahr vor der 500-Jahr-Feier zu Kolumbus’ erster Reise erschien, bricht Vagn Lundbye mit diesem Mythos, in dem er einen italienisch-stämmigen US-Amerikaner auf eine Reise nach Borneo schickt, wo er gefangen von Eingeborenen im Dschungel die westliche Zivilisation verlieren lässt. Indem Lungbye Kolumbus nur noch als Mythos aufblitzen lässt und die Geschichte als Palindrom rückwärts liest, bricht er als Vertreter einer neuen Generation bewusst mit der Moderne, ihrer Linearität und ihrem Fortschrittsglauben. Mit dem mexikanischen Autor Juan Rulfo beschäftigt sich Martin Zerlang. In seinem Beitrag untersucht er im ersten Teil Juan Rulfos Interesse für die skandinavische Literatur, um anschließend auf Gemeinsamkeiten aufmerksam zu machen, die Imagologie als Dezentrierung 11 zwischen seinem Werk und demjenigen J.P. Jacobsens, Bjørnstjerne Bjørnsons, Knut Hamsuns, Selma Lagerlöfs und Haldor Laxness’ bestehen. Der populärkulturelle letzte Teil wird eingeleitet durch Frithjof Strauss, der sich mit dem um die vorletzte Jahrhundertwende ungemein beliebten Trivialautor Carl Muusmann auseinandersetzt. Unterhaltungskultur macht sich einen Spaß daraus, den spanischen Stierkampf und sein Milieu als Setting für pathetische Szenarien von Liebe und Tod mit starken erotischen Untertönen in Szene zu setzen. In Stolz und Hingabe, Ritual und Affekt, und mit dick aufgetragener Rhetorik agieren die spanischen Figuren dabei so übertrieben, dass sie im jeweiligen Fiktionswerk eine Kitschsphäre verkörpern, die die Tragik jeglichen unvermeidlichen Arenatodes überstrahlt. So ist es auch im 1906 erschienen Roman Matadora des dänischen Journalisten und Schriftstellers Carl Muusmann (1863-1936), in dem die weibliche Hauptfigur aus Stolzessucht mit ihrer Stierkämpferinnenambition innerhalb und außerhalb der Arena für erotische Turbulenz sorgt. Dieser naiven Kitschwelt der Toreros, in der sich alles um die Pathosformel der Penetration mit ihrem Von- Angesicht-zu-Angesicht und ihrem Entweder-Oder dreht, setzt der Roman eine Reihe (von vor allem) dänischen Figuren mit Künstler- oder Artistenberuf, die ihrerseits spanische Sujets vermarkten, entgegen. Mehr und auch mal weniger gelingt es diesen Reflektierten, die Kitschsphäre für ihre Produktion zu verwerten, ohne in ihren Strudel selbst hineingezogen zu werden. Die allwissende, sich mondän gebende Erzählinstanz liefert eine Reihe von Seitenblicken auf das massenmediale und populärkulturelle »Spaniengeschäft«, die somit auch den Roman betreffen. Somit kann Matadora als frühes Beispiel für selbstreflexives Trash-Entertainment gelten. Petra Broomans untersucht den Tango als Motiv in der skandinavischen Literatur. Wohl am bekanntesten ist dessen Funktionalisierung in einigen der berühmtesten Liedern des schwedischen Troubadours Evert Taube, der als junger Mann fünf Jahre lang in Argentien lebte und mit Hilfe dieser Tanz- und Musikform eine exotische Szenerie inszeniert, die er geschickt mit europäischen romantischen Reminiszenzen vermischt. Aber auch in der Literatur findet der Tango immer wieder Verwendung, und zwar nicht nur im populären Krimigenre, bei Henning Mankell etwa, sondern auch bei Autoren wie Sigrid Combüchen oder Kjartan Fløgstad, wie Petra Broomans in ihrem Beitrag aufzeigt. Thomas Seiler schließlich unterzieht die Übersetzungen ins Schwedische der Lieder des Chilenen Victor Jara durch Cornelis Vreeswijk einer kritischen Würdigung. I. Historisches und Imagologisches Literatur im Dienst der Monarchie: Alfons X. ›der Weise‹ und Hákon IV. auf der Suche nach der nationalen Identität T EODORO M ANRIQUE A NTÓN Das 12. Jahrhundert war sowohl in Norwegen als auch in Spanien von inneren dynastischen Machtkämpfen geprägt. In Norwegen dauerte die durch den Tod Sigurdrs Jórsalafari, ›des Jerusalemfahrers‹, verursachte Krise mehr als hundert Jahre. Ebenso führte die Thronbesteigung Alfons VIII. (1155-1214) in Spanien fast zum Bürgerkrieg und zu einem allgemeinen Chaos. Damals wurde allerdings auch das Fundament für die spätere kulturelle Blüte der beiden Königreiche gelegt. Auf dem Gebiet der Politik brachten solche Machtkämpfe sowohl eine definitive Bekräftigung der Monarchien mit sich als auch eine Verbesserung und Stärkung der Rechtspflege, besonders auf dem Höhepunkt der Regentschaften Alfons des Weisen und Hákons IV., des Alten. Für die literarisch-historische Beurteilung der im 13. Jahrhundert in den beiden Königreichen erlebten Glanzepoche ist es notwendig, die vorherrschenden politischen Tendenzen einiger europäischer Monarchen wie zum Beispiel Friedrichs II. und Ludwigs IX. nicht aus dem Auge zu verlieren. Alfons der Weise und Hákon IV. teilten die gleichen politischen Interessen wie die zuvor Genannten. Mithilfe von Gesetzessammlungen, Chroniken und didaktischen Abhandlungen versuchten sie, eine von nationalistischen Untertönen durchdrungene monarchische Politik in die Praxis umzusetzen. 1 Die von beiden Regenten geförderte kulturelle Wiedergeburt war sowohl ihre Errungenschaft als auch die ihrer Vorgänger, Sverrir Sigurðarssons (1151-1202) und Ferdinand III. (der Heilige, 1199-1252), die sich bemühten, ihren Regentschaften eine schwache innere Kohäsion zu verleihen, worauf wir uns im Folgenden konzentrieren wollen. 2 1 Aussagen über die politischen Beziehungen zwischen Alfons X., Hákon IV. und den damals wichtigsten europäischen Regenten sind in den von ihren königlichen Kanzleien ausgearbeiteten Dokumenten zu finden. S. Herrera, M.ª Teresa, Sánchez, M.ª Nieves, González de Fauve, M.ª Estela y Zabia, M.ª Purificación, Textos y Concordancias Electrónicos de Documentos Castellanos de Alfonso X, Madison, Hispanic Seminary of Medieval Studies 1999, (CD- ROM); Diplomatarium Norvegicum, Oldbreve til kundskab om Norges indre og ydre forhold, sprog, slægter, sæder, lovgivning og rettergang i middelalderen, (Hg.) Hallvard Magerøy. Norsk Historisk Kjeldeskrift-Institutt, Oslo 1976-. 2 Nach Sverris Tod bestieg zuerst sein illegitimer Sohn Hákon III. (1202-1204) den Thron und dann Guttorm I., sein vierjähriger Enkelsohn. Im Jahre 1204 wurde Ingi Bárðarson (1204-1217) von den Birkebeiner zum König gewählt. Siehe Sverres saga. En tale mot biskopene, Oslo: Aschehoug 1961 . Teodoro Manrique Antón 16 Im Jahre 1177 übernahm Sverrir, unehelicher Sohn von König Sigurðr Munn, das Zepter, als Norwegen immer noch mitten in einer jahrzehntelangen Konfrontation war. In Norwegen geboren, wurde der fünfjährige Sverrir zur Erziehung nach Kirkjubøur auf die Färöer geschickt, wo er Jahre später zum Priester geweiht wurde, wie uns die seinen Namen tragende Saga, Sverris saga, erzählt. 3 Durch seine Mutter über seinen wahren Vater aufgeklärt, kehrte Sverrir nach Norwegen zurück, wo er 1184 nach jahrelangen Kämpfen als Anführer der rebellischen Gruppe der Birkebeiner Alleinherrscher des Reiches wurde . Die große politische Bedeutung von König Sverrir liegt darin, dass es ihm während seiner stürmischen Regierungszeit gelang, das Königtum zu festigen und den Einfluss des Klerus und des hohen Adels einzuschränken. Er war der einzige Herrscher seiner Zeit, der im Kampfe gegen Innozenz III. nicht unterlag. Sverrir arbeitete energisch an der Zentralisierung der Verwaltung und an der Stärkung der Königsmacht, auch setzte er erstmals königlich bestellte Richter in den Gerichtsversammlungen (Thing) ein. Er leitete sein eigenständiges und souveränes Königtum unmittelbar von Gott ab (Dei Gratia Rex) und zeigte seine Ablehnung gegenüber der Vermittlung des Klerus in dieser Beziehung. 4 Ungeachtet der von der Forschung herausgestellten propagandistischen Absicht der Sverris saga, von der mindestens der erste Teil vom Abt des isländischen Þingeyrarklosters Karl Jónsson zu Lebzeiten Sverris verfasst wurde, ist es jedoch wichtig zu bemerken, dass in der Saga schon der Übergang vom Heerkönigtum zu einem europäisch geprägten Königsamt (Rex Iustus) dargestellt wird. 5 Im Unterschied zum synoptischen Überblick über die norwegischen Könige, wie die Ágrip af Nóregs Konunga sögum (Abriss der Geschichte der norwegischen Könige) oder das Werk par excellence der altnordischen Historiographie, die Heimskringla des isländischen Gelehrten und Historikers Snorri Sturluson (1179-1241), war die Sverris saga ein 3 Sverris saga, (Hg.) Gustav Indrebø, Den Norske Historiske Kildeskriftkommission, Kristiania, 1920, S. 2: »Sverrir var .v. vetra er han for af Noregi oc vestr til Færeyja, oc var hann þar með Hroa byscupi at fostri oc upfæzlo. Sætti byscup hann til bocar oc gaf honum vigslor sva at hann var vigðr til prests oc er hann var fullcominn maðr at alldri . « [»Sverrir war fünf Jahre alt, als er von Norwegen auf die Färöer als Pflegekind und zur Erziehung zu Bischof Hroi geschickt wurde. Der Bischof setzte ihn vor die Bücher und weihte ihn zum Priester, als er volljährig wurde.«] 4 Sverrir und die Kirche hatten gegensätzliche Meinungen über den Ursprung des Königtums, über die Rolle der Kirche im Staat, über das Gefolgsrecht des Erzbischofs, über die Bischofswahlen, usw. Außerdem verbot der König dem Erzbischof die Erhebung der Bußbezüge in Silber und bestand darauf, dass Kleriker wie Laien der staatlichen Gerichtsbarkeit unterstehen sollten. Siehe S. Zorn, Philipp K.: Staat und Kirche in Norwegen bis zum Schlusse des dreizehnten Jahrhunderts, München: Theodor Ackermann 1875, S. 118-133. Im Diplomatarium Norvegicum sind etliche Urkunden enthalten, die sich auf den kirchenpolitischen Streit zwischen Sverrir und der Kirche beziehen. 5 Siehe Bagge, Sverre: From Gang Leader to The Lord´s Anointed, The Viking Collection, Vol. 8, Odense: University Press 1996. Literatur im Dienste der Monarchie: Alfons X. der Weise und Hákon IV. 17 zeitgenössischer Bericht über das Leben Sverris, der in seinem Sinne aufgeschrieben wurde . 6 Von Sverris gesetzgeberischer Tätigkeit ist nicht viel zu bemerken, außer dass er, um seine eigene Legitimation zu stärken, das von der Kirche geschaffene Thronfolgerecht (1164) als nichtig erklärte. 7 Was das sogenannte kristenréttr des Königs betrifft, können wir feststellen, dass es nur eine Kompilation aus den kirchenrechtlichen Abschnitten der älteren Gulathingslög und Frostuthingslög zu sein scheint, und dass es wahrscheinlich auch nicht Sverrir zuzuschreiben ist. 8 Die Aussage des Autors am Ende der Sverris saga »nidran v-vínanna, vegr Noregsdyrd sinnar þiodar, eflíng rettínda, rettíng laga« sollte also den ihr ursprünglich zugeschriebenen Zweck der Propaganda erfüllen. 9 Auf der literarischen Ebene erwiesen sich die von Sverrir ausgeübten Kontrollen über die historiographischen Arbeitsmethoden und Vorstellungen als ein sehr geeignetes Werkzeug, um seine königliche Ideologie zu entwickeln und zu verbreiten. Der abtrünnige Priester verfolgte dadurch die von der Kirche angewandte Strategie, ihre eigenen Bekehrungsmittel jeweils in Latein und in der Landessprache zu verfassen. Die Streitschrift Rœða Sverris (Eine Rede gegen die Bischöfe), die Sverrir von einem gelehrten Geistlichen verfassen ließ, dient als gutes Beispiel dafür. Die literarische Zusammenarbeit von Klerikern und Laien wurde allmählich eines der wesentlichen und charakteristischsten Merkmale des literarischen Milieus Norwegens im 12. und 13. Jahrhundert. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass besonders die Isländer diejenigen Geschichtsschreiber und Literaten waren, die sich am norwegischen Hof hervortaten, wie es beim Abt Karl Jónsson der Fall war. Sie waren auch diejenigen höfischen Sänger (Skald), welche die Taten der Könige besangen und diejenigen, welche die besten Augenzeugenberichte über diese heroische Zeit niederschrieben. Die Errichtung des Bistums Niðaróss (Trondheim) im Jahre 1152 zum Erzbistum für Norwegen, Island und Grönland ermöglichte die Entwicklung der 6 Sverris saga, op. cit. s. 1: »[...] en yfir sat sialfr Sverrir konungr«. Besonders im ersten Teil der Saga, der Grýla genannt wurde, zeigt ihr Autor ein deutliches Interesse, Sverris Königsheil zu betonen. Sverris Träume dienen letztlich dem Zweck, seinem Amt eine größere Weihe zu geben, indem er erzählt, dass Samuel oder David ihm in Träumen erschienen seien. Vgl. Kummer, B.: Sverre und Magnus. Ein Lebensbeispiel zur Frage nach dem Ursprung und der Fortwirkung demokratischen und sakralen Königtums in Skandinavien, in: E. J. Brill (Hg.): La Regalitá Sacra (The Sacral Kingship), Leiden 1959, S. 716-735. 7 Siehe Zorn, Philipp K., op. cit., S. 134ff. 8 Das Gulathingslög des späten 11. bis 13. Jahrhunderts ist das gefasste Recht des Things von Gula, dem das Hordafylke, das Rygjafylke, das Firdafylke, das Sygnafylke, das Egdafylke und die Bonden von Sunnmøre angehörten. Das Gulathinslög stellt die älteste norwegische Rechtsaufzeichnung dar. Das jüngere Frostuthingslög ist das gefasste Recht des Things von Frosta, das insgesamt acht Fylke in Nord- und Südtrøndelag umfasste. 9 Sverris saga, op. cit., S. 195. [»…die Vernichtung der Feinde, die Ehre Norwegens, der Ruhm des Volkes, die Stärkung der Justiz, die Verbesserung des Gesetzes.«] Teodoro Manrique Antón 18 Schriftlichkeit in Norwegen. Aus dieser Zeit stammen die in Altnorwegisch geschriebenen Ágrip af Nóregs Konunga sögum und die lateinischen anonymen Historia Norvegiae und die Historia de antiquitate regum Norvagiensium des Theodoricus monachus. 10 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass, als Sverrir den norwegischen Thron bestieg, sich bereits eine Tendenz abzeichnete, das Lateinische und die mit ihm verbundenen literarischen Gattungen durch die norröne Sprache und deren Gattungen zu ersetzen. Das zunehmende Interesse der norwegischen Regenten und auch der isländischen Goden an der Kontrolle über die Gelehrten und deren literarisch-historiographische Produktion gibt uns einen Einblick in den Prozess der Konsolidierung einer nationalen Identität. Ein gutes Beispiel für die von den Isländern geleisteten Beiträge zur Stärkung der Landessprache ist der im 12. Jahrhundert geschriebene Fyrsta Málfræðiritgerð, (Erster Grammatischer Traktat), die einzige Abhandlung dieser Art in einer mittelalterlichen germanischen Sprache. 11 In Spanien gelang es Ferdinand III., der Heilige, (1199-1252) das Land seiner Mutter, Kastilien, mit León, dem Reich seines Vaters, im Jahre 1230 zu vereinigen. Mit der Macht beider Königreiche eroberte er zudem die Königreiche Córdoba, Sevilla, Jaén und Murcia von den Mauren zurück. Ferdinands Thronbesteigung geschah, wie auch im Falle Sverris, nicht ohne Opposition. Da Ferdinand, zwei Jahre nachdem Papst Innozenz III. die Auflösung der Ehe seiner Eltern verfügt hatte, geboren wurde, regten sich Zweifel an der Legitimität seiner königlichen Herrschaft. Papst Honorius III. stellte Ferdinand jedoch kurz darauf unter den speziellen Schutz des Heiligen Stuhles. 12 Während seiner Regierungszeit unternahm Ferdinand alle Anstrengungen, um die Verwaltung seines Reiches zu standardisieren und zu zentralisieren. Außerdem förderte er im Jahre 1241 zuerst die Vorbereitung des Fuero Juzgo, (forum judicum), eine kastilische Übersetzung des westgotischen Gesetzbuches, 10 Die älteren Heiligensagas, in Altnorwegisch-Isländisch (Helgisögur), waren bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden. Den Aussagen des Autors des isländischen Ersten Grammatischen Traktats zufolge waren schon zu dieser Zeit die sogenannten þýðingar helgar (Heilige Kommentare) vorhanden. Solche Werke, die zum lateinischen Genre passio gehören, wurden unter dem Einfluss der Kirche in den Norden gebracht und sehr früh ins Altisländische übersetzt. 11 Zu den grammatischen Traktaten und zum Einfluss der damaligen europäischen Kultur auf das Aufkommen der altisländischen Literatur, siehe Nordal, Guðrún: Tools of Literacy, University of Toronto Press, Toronto/ Buffalo/ London 2001; Tómasson, Sverrir: Fyrsta Málfræðiritgerðin og íslensk menntun á 12. öld, in: Tímarit Háskóla Íslands, 3, 1, (1988), Reykjavík. 12 Wie bereits oben erwähnt, waren die Kontroversen um Bischofsernennungen zur Regierungszeit Sverris sehr zahlreich. In dieser Beziehung stellte Spanien keine Ausnahme dar, da Alfons X. es für notwendig hielt, sich mit diesem Thema in Las Siete Partidas zu befassen (1 partida, título V, ley XVIII). Dessen ungeachtet zeigte der Heilige Stuhl eine geringere Streitlust Ferdinand III. gegenüber, denn nicht umsonst hatte Ferdinand in den neueroberten Gebieten viele Kirchen und Klöster gegründet. Literatur im Dienste der Monarchie: Alfons X. der Weise und Hákon IV. 19 zum Gebrauch für die Einwohner der neu eroberten Gebiete, und dann die des unvollständigen Setenario, (der Siebner), zum Gebrauch für die Gesamtheit seiner christlichen Untertanen. Im neugegründeten Reich Kastilien-León wurde aufgrund der Wiedereroberungskriege der territoriale Charakter der königlichen Macht nie in Frage gestellt. Die erfolgreichen Feldzüge, die Ferdinand gegen die Mauren führte, trugen dazu bei, seinen Herrschaftsanspruch zu legitimieren; durch sie wurden neue Mittel zum Interventionismus über alle gesellschaftlichen und religiösen Schranken hinweg zur Verfügung gestellt. Zusammen mit der Umsiedlung in den neueroberten Gebieten war die zunehmende Bürokratie eines der Hauptprobleme der Wiedereroberung Südspaniens und auch der Vereinigung beider Königreiche. Die viel komplexere und vielfältigere Kanzlei Ferdinands wurde daher ein integraler Bestandteil des Mechanismus der Zentralisierung und Verstärkung seiner Königsmacht. 13 Was die literarisch-historiographische Produktion zur Zeit Ferdinands anbelangt, muss hervorgehoben werden, dass ihm damals schon die ersten Versuche zur Förderung von höfischer Kultur und Wissenskultur gelangen. Dadurch wollte er zur allmählichen Ausbildung einer protonationalen Identität beitragen. 14 Obwohl die ersten »nationalen« Chroniken immer noch auf Latein geschrieben wurden, wie die vom Kanonikus Lucas de Tuy im Jahre 1236 verfasste Chronicon Mundi oder die im Jahre 1242 vom Erzbischof Rodrigo Ximénez de Rada geschriebene De rebus Hispaniae, verlor die Sprache der Gelehrten immer mehr an Bedeutung. Schon die aufbewahrten lateinischen Dokumente der kastilischen Kanzlei zur Zeit Alfons VIII. (1115-1214) enthalten ganze Absätze in der Landessprache. Nach der Thronbesteigung Ferdinads III. setzte sich das kastilische Spanisch allmählich als Standardsprache durch. Zusammen mit der gelehrten, betont christlichen Lyrik der Mester de clerecia gelten die Fürstenspiegel als großer literarischer Beitrag seiner Regierungszeit zur Geschichte der spanischen Sprache. Das Libro de Alexandre, eine Übersetzung der lateinischen Alexandreis des Gautier de Châtillon, verschaffte der Vorstellung eines durch einen Philosophiemeister erzogenen Königs eine hohe Popularität in Spanien. 15 Das Libro de los doze sabios (Das Buch der zwölf Weisen), eines der ältesten Beispiele des Genres, wurde circa 1237 auf Wunsch Ferdinands für die Erziehung seines Sohnes (des zukünftigen König Alfons X.) verfasst, obwohl allem Anschein nach dieses Werk erst unter demselben Alfons vervollständigt wurde. Von der orientalischen Tradition des im 10. Jahrhundert. verfassten Secretum Secretorum (Sirr-al-´asrâr) inspiriert, übten die spanischen Fürstenspiegel einen 13 Vgl. Ostos Salcedo, Pilar und Pardo Rodríguez, María Luisa: Signo y símbolo en el privilegio rodado, in: Sevilla, ciudad de privilegios, Fundación El Monte, Sevilla 1995, S. 19ff. 14 Siehe hierzu Márquez Villanueva, Francisco: El concepto cultural alfonsí, Colección Sefarad 9, Madrid: Ediciones Mapfre 1994, S. 21. 15 Die erste altisländische Übersetzung der Alexandreis, die Alexanderssaga, wurde circa 1260 in Island wahrscheinlich von Brandur Jónsson geschrieben. Die älteste Handschrift des Werkes (AM 519a 4t°) stammt aus dem Jahre 1280. Teodoro Manrique Antón 20 großen Einfluss auf jüngere Werke, wie z. B. auch auf Alfons X. Gesetzbuch der Siete Partidas, aus. 16 In den meisten Werken dieser Periode finden wir also eine ähnliche Vorstellung des Gottesgnadentums, Rex gratia Dei, wie sie in der patristischen Theologie, bei Isidor von Sevilla oder im Prolog des Fuero Juzgo vorherrschend war, und die als Vorbild für die damalige Historiographie galt. Zusammenfassend möchte ich hervorheben, dass die Regierungzeiten der Könige Ferdinand III. und Sverrir Sigurðsson als wichtige Quellen für die Legitimation eines neuen Systems der königlichen Macht betrachtet werden müssen. 17 Auf der kulturellen Ebene prägte Sverris überlegene christliche und intellektuelle Erziehung durch Bischof Roe das literarische Milieu seines Hofes, wie aus den vielen in der Sverris saga enthaltenen Reden zu schließen ist. Dank dem Skáldatal (Skaldenverzeichnis) sind uns mindestens elf Skalden bekannt, darunter auch Snorri Sturlusson, die am Hofe Sverris ihre Kunst ausübten. 18 Wie oben erwähnt, blieb Sverrir und Ferdinand der Nutzen der Historiographie und der Literatur für ihre Selbstpromotion und die ihrer königlichen Ideologie nicht unbemerkt. Einen deutlichen und direkten Hinweis auf Sverris Interesse an den literarischen Formen seiner Zeit finden wir im vielzitierten Bericht von der Hochzeit in Reykjahólar der Þorgils saga og Hafliða. Bei dieser Hochzeit wurden verschiedene Geschichten erzählt, unter anderem auch jene von Hröngviðr dem Wikinger und von Hromunðr Gripsson, die dem König sehr gefielen: »En þessari sögu var skemt Sverri konungi; ok kallaði hann slíkar lygisögur skemtiligastar« (»aber mit dieser Geschichte unterhielt man König Sverrir, und er hielt solche Lügengeschichten für die unterhaltsamsten«). 19 Ähnlich war es unter Ferdinand III. nicht ungewöhnlich, dass der König, zusammen mit den neuen Impulsen für die Universitäten (z.B. Studium Salmantino), auch an verschiedenen spielerischen und kulturellen Aktivitäten teilnahm, wie es nach Alfons X. Aussage in dem Setenario zu schließen ist: […] e pagándose de omnes cantadores e sabiéndolo él ffazer; et otrosí pagándose de omnes de corte que ssabían bien de trobar e cantar, e de jogíares que ssopiesen bien 16 Zu diesem Thema vgl. Rucquoi, Adeline und Bizzarri, Hugo O.: Los Espejos de Príncipes en Castilla: entre Oriente y Occidente, in: Cuadernos de Historia de España 79, 1, Buenos Aires 2005, S. 7-30. 17 Vgl. Nieto Soria, José M.: La monarquía fundacional de Fernando III, in: Fernando III y su tiempo (1201-1252), VIII Congreso de Estudios Medievales, Fundación Sánchez Albornoz, Madrid 1998, S. 33-66. 18 Das Skáldatal befindet sich in einer einzigen Handschrift (Codex Uppsaliensis) der Snorra- Edda und in einer weiteren der Heimskringla (AM 761, 4to). Die chronologisch gegliederte Liste von Skalden reicht bis um 1300. 19 Þorgils saga ok Hafliða, in Guðbrandur Vigfússon (Hg.): Sturlunga saga, I, Oxford at the Clarendom Press, Oxford 1878, S. 19. Die Þorgils saga og Hafliða ist ein Teil der im 13. Jahrhundert entstandenen Sturlungasaga. Die Erzählung der Hochzeit in Reykjahólar dient sowohl in der heftigen Diskussion über den historischen Gehalt der Sagas als Argument für den mündlichen Vortrag von sögur bereits im 12. Jahrhundert. Literatur im Dienste der Monarchie: Alfons X. der Weise und Hákon IV. 21 tocar estrumentos; ca desto sse pagaua él mucho e entendía quién lo ffazían bien o quién non. 20 […] und die Sänger bereiteten ihm große Freude und er konnte selbst singen; außerdem fand er an den Höflingen, die gut singen und Verse schreiben konnten, Gefallen; und auch an den Spielmännern die gut spielen konnten, denn er hörte es sehr gerne und wusste, wer gut spielen konnte und wer nicht. Hákon IV. und Alfons X. Die Thronbesteigung Hákons IV. im Jahre 1217 geschah nach der kurzen Regierungszeit Hákons III., Sohn des vorgenannten Sverrir, und nach den fünfzehn Jahren, die Ingi Bárðarson auf dem norwegischen Thron saß. Hákon IV., der auch illegitimer Enkelsohn von König Sverrir war, regierte als König von Norwegen bis 1263. Während seiner Regierungszeit gelang es ihm, den Bürgerkrieg zu beenden, diplomatische Beziehungen zu den mächtigsten europäischen Herrschern seiner Zeit zu knüpfen und sogar Kontakt zum König von Tunis aufzunehmen, wie es in der Hákonar saga Hákonarsonar des isländischen Gelehrten Sturla Þórðarson (1214- 1284), unsere wichtigste Quelle für das Leben Hákons, und in seinem Gedicht Hrynhenda (Strophe 21) erwähnt wird. 21 Ungeachtet dessen, dass Hákon IV. die von Sverrir annullierten Privilegien der Kirche wieder für gültig erklärte, konnte er die für seine offizielle Krönung benötigte päpstliche Dispens erst im Jahre 1247 erhalten, obwohl er mindestens zweimal dem Aufruf des Papsttums zum Kreuzzug ins Heilige Land folgte. 22 20 Alfonso X el Sabio, Setenario, op. cit., S. 13. 21 Hákonar saga, in Codex Frisianus, MS. no. 45 fol. in der Arnamagnæanischen Sammlung der Universitätsbibliothek Kopenhagen, Levin & Munksgaard, Copenhagen 1932, S. 568. Sturla Þórðarson, ein Neffe des berühmten Snorri Sturlusons, wurde von König Magnús ›Lagabötir‹, der ›Gesetzesbesserer‹, der Auftrag erteilt, die Geschichte seines Vaters Hákon kurz nach seinem Tode zu schreiben. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Sturla sowohl zu Dokumenten und Berichten über Hákon IV. aus erster Hand Zugang als auch zu Berichten seiner Zeitgenossen. Dass Sturla uns eine neutrale Darstellung des Lebens des Königs gegeben hat, ist nicht zu bezweifeln, denn, trotz seiner Freundschaft mit Magnus, war Hákon verantwortlich für den Mord an Sturlas Onkel, Snorri Sturluson. Zu diesem Thema vgl. Einarsdóttir, Ólafía: Om samtidssagaens kildeværdi belyst ved Hákonar saga Hákonarsonar, in: Alvíssmál 5 (1995), S. 29-80. Zum Hrynhenda vgl. Jónsson, Finnur (Hg.): Den norsk-islandske skjaldedigtning, vol. B 1-2, København: Gyldendal 1912, S. 118: »Allvaldr dýrkaz út með Serkjum/ innan lands af mildi þinni/ (þjóðum líka þínir haukar/ þaðra) alt með Blálands jaðri.« [»Mächtiger Herrscher, wegen deiner Freigebigkeit bist du von dem Land der Sarazenen bis zur afrikanischen Küste verehrt (Dort finden die Leute deine Falken herrlich).«] 22 Zum brieflichen Austausch zwischen Hákon und den europäischen Machthabern seiner Zeit vgl. Diplomatarium Norvegicum, (Hg.) C.C.A. Lange et al., Historisk Kjeldeskrift-Institutt, Christiania, 1849- . Zur Urkunde, auf der Hákon III. die Privilegien der Kirche wieder für Teodoro Manrique Antón 22 Während seiner Regierungszeit behielt er die traditionellen Verbindungen der norwegischen Außenpolitik bei und schloss außerdem den ersten Handelsvertrag mit England im Jahre 1217 ab sowie Verträge mit der Lübecker Hanse im Jahre 1250 und 1262 mit den Isländern über seine Königsherrschaft auf der Insel. Der beste Beweis für den Erfolg der »Pro-Europa« Politik Hákons ist, dass König Ludwig IX. von Frankreich den Chronisten Matthaeus Parisiensis (1200-1259) im Jahre 1247 nach Norwegen sandte, um Hákon das Kommando über die frankonorwegische Flotte anzubieten, welche er kurz zuvor ins Heilige Land zu schicken vorhatte. Die Bedeutung der norwegischen Flotte im europäischen Kontext konnte König Alfons X. nicht außer Acht lassen, wenn er seiner Heiratspolitik gemäß um die Hand von Hákons Tochter, Kristina, für seinen Bruder Felipe bat. Damit versuchte er, den norwegischen Regenten als Kampgefährten gegen die Mauren zu gewinnen: … þa bio konungr af Spáni her sinn út i heiðnina ok fyrsti hann miog Hákon konungr at fara með ser ok leysa sva kross sinn er hann hafði tekit. 23 ... da rüstete der spanische König sein Heer gegen die Muslime und er drängte Hákon, mit ihm zu gehen und sein Versprechen, am Kreuzzug teilzunehmen, zu halten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch Hákon dieses neue Bündnis als Ursprung ökonomischer und politischer Vorteile betrachtete, besonders für den Fall, wenn Alfons X. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gewählt würde. Die von Sturla Þórðarson geäußerte Annahme, dass eine solche Allianz dem norwegischen Hof zuzuschreiben war, ist aus gutem Grund schon von vielen Experten bezweifelt worden, die sich auf das Schweigen der spanischen Quellen über die norwegische Botschaft und auf das von Hákon IV. gezeigte Desinteresse an der Ankunft der Spanier in Bergen stützen. 24 Wie dem auch sei, die Hochzeit zwischen der jungen norwegischen Prinzessin Kristina und dem spanischen Infanten Felipe fand am 31. März 1258 in der Kirche Santa María la Mayor in Valladolid statt. Die kurzfristige gültig erklärte, vgl. vol. VIII, Brief Nr. 5. Zur päpstlichen Dispens vgl. vol. I, Brief Nr. 38. Zu Hákons Teilnahme am Kreuzzug vgl. vol. I, Briefe Nr. 24, 33 und 40. Siehe auch die Elektronische Ausgabe : [ http: / / www.dokpro.uio.no/ dipl_norv/ diplom_felt.html.]. 23 Hákonar saga, op. cit., S. 559. 24 Sturla Þórðarson gemäß wurde Elis der Priester von Hákon dem Jungen, dem Sohn Hákons IV., im Jahre 1255 nach Kastilien geschickt, um Alfons X Falken und verschiedene Kostbarkeiten zum Geschenk zu machen. Vgl. Hákonar saga, op. cit., S. 548. Einar Jenssen bezweifelt die Genauigkeit solcher Annahmen und behauptet, dass die Initiative für die Kontaktaufnahme König Alfons X. zuzuschreiben ist. Vgl. Jensen, Einar: Prinsesse Kristina - myte og virkelighet: et forsøk på en historisk studie, Tønsberg: Høgskolen i Vestfold 2001 [http: / / www-bib.hive.no/ tekster/ tunsberg/ kristina/ ] Zu diesem Thema siehe auch, Almazán, Vicente: El viaje de la princesa Cristina a Valladolid (1257-1258) según la saga islandesa del rey Hákon, in: Archivos Leoneses, 73 (1983), S. 101-110; Gelsinger, Bruce: A Thirteenth-Century Norwegian-Castilian Alliance, in: Mediaevalia et Humanistica, New Series, 10 (1981), S. 55-80; Guzmán y Gallo, J.: La princesa Cristina de Noruega y el infante, in: BRAH 74 (1919), S. 39-65. Literatur im Dienste der Monarchie: Alfons X. der Weise und Hákon IV. 23 Vertiefung der Beziehungen zwischen den beiden Königshäusern bedeutete jedoch nicht mehr als eine Äußerung von Respekt und eine Verpflichtung zur gegenseitigen militärischen Unterstützung, unter der Bedingung, dass ihre europäischen Alliierten, Frankreich, Aragonien und England, seitens Alfons X. und Schweden, Dänemark und England seitens Hákons IV. davon nicht betroffen sein sollten. 25 Die allmählich sprießenden Kontakte zwischen den beiden Königshöfen hatten ihren wahrscheinlichen Ursprung im zweijährigen Studienaufenthalt (1244-1247) des Infanten Felipe, Alfons X. Bruder, in Paris, wie durch Dokumente dieser Periode bestätigt wird. 26 Es ist doch nicht unwahrscheinlich anzunehmen, dass der Infant während seines Aufenthalts an dieser Universität die Bekanntschaft des zukünftigen norwegischen Bischofs Pétr von Hamar machte, der Jahre später die Verantwortung für die Reise der Prinzessin nach Kastilien übernahm. 27 Pétr war auch einer der Theologiestudenten bei Albertus Magnus, der im ersten Kapitel seines Buches De Mineralibus den Sohn des kastilischen Königs erwähnt: Post hoc autem longo tempore cum essenm Parisiis de numero doctorum et grege, contigit advenire ad studium filium regis Castellae [...] 28 Obwohl diese Stelle bezüglich der Identität des Infanten verschiedenen Interpretationen Raum bietet, gibt es genügend chronologische Gründe, um die Identifikation des filium regis Castellae mit Alfons X. zurückzuweisen. 29 Zusammen 25 In Kapitel 3. der Crónica de Alfonso X. wird, trotz mancher chronologischer Ungenauigkeit, bei der Ankunft Kristinas in Kastilien auf Einzelheiten eingegangen. Dem Chronisten gemäß habe Alfons X. aufgrund der mutmaßlichen Unfruchtbarkeit der Königin Violante um die Hand Kristinas für sich selbst geworben: »et truxeron la fija deste rey de Nuruega para con quien casase este rrey don Alfonso«. Vgl. González Jiménez, Manuel (Hg.): Crónica de Alfonso X : Según el Ms. II/ 2777 de la Biblioteca del Palacio Real, Real Academia Alfonso X el Sabio, Murcia, 1999. 26 Vgl. Ballesteros Beretta, Antonio: Alfonso X el Sabio, Barcelona: Ediciones El Albir 1984 und, Luciano Serrano (Hg.): Cartulario del Infantado de Covarrubias, in: Fuentes para la Historia de Castilla, vol II (1907), S. LIV-LV. 27 Hákonar saga, op. cit., S. 553: »Eftir þat let konungur bua ferþ hennar ok ætlaði menn til ferþar með henni. Var þar fyrir Petr byskup af Hamri.« [»Danach ließ der König die Reise der Prinzessin vorbereiten und wählte Männer aus, um sie zu begleiten. Bischof Pétr von Hamar war dafür zuständig.«] 28 Albertus Magnus, Book of minerals, D. Wyckoff (Hg.), Oxford 1977, S. 128. 29 Ohne dafür überzeugende Gründe anbieten zu können, behauptet Alejandro García Avilés, dass Alfons zu dieser Zeit auch in Paris war. Zuerst war García Avilés der Meinung, dass Alfons Aufenthalt an der Pariser Universität auf das Ende der Dekade 1240 datiert werden sollte, was zu der reichen Dokumentation über seine Regierungszeit im Widerspruch steht. Danach korrigierte er seine Meinung und ließ ihn fälschlicherweise auf die ersten Jahre derselben Dekade datieren , was nicht stimmen kann, da Albertus Magnus den Magister der Theologie erst im Jahre 1245 erwarb, obwohl er sich schon 1243 in Paris befand. Zu dieser Zeit wurde jedoch dem Infanten Alfons, aufgrund der Krankheit seines Vaters, die Befreiung Teodoro Manrique Antón 24 mit dem neuen Zweifel an der Identität des Schülers Albertus Magnus’ hat die des Begleiters des Infanten auch mehrere Missverständnisse verursacht. Einar Jensens Vermutung, dass Felipe von einem gewissen Sira Ferrant nach Paris begleitet wurde (»ble fulgt til Paris av Sira Ferrant«), widerspricht dem, was im Prolog des Cartulario del Infantado de Covarrubias über das Testament des Bischofs von Burgos (1240-1246), Juan Domínguez, gesagt wird. Juan Domínguez, der auch Kanzler des Königs Ferdinand III. zwischen 1217-1239 und höchstwahrscheinlich der Verfasser der lateinisch geschriebenen Crónica latina de los reyes de Castilla war, nimmt in seinem Testament eine Aufzählung der bei den Vorbereitungen seiner Reise mit dem Infanten nach Paris gemachten Schulden vor. 30 Dank den Dokumenten über die Reisekosten ist uns ebenfalls bekannt, dass die Reise nach Paris über eine ungewohnte Route verlief, denn der Infant und D. Juan haben sich auf Alfons’ Einladung zuerst auf den Wege nach Murcia gemacht, wo sie wahrscheinlich bis zum Ende des Herbstes 1244 blieben. 31 Dass, soviel wir wissen, im Gefolge des Infanten kein Sira Ferrant erwähnt wird, beeinträchtigt in keiner Weise die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme zwischen dem Infanten Felipe, seinem Begleiter und dem norwegischen Geistlichen Pétr von Hamar. Mit dem Tod Bischofs D. Juan in Palencia im Oktober 1246 ging leider eine der besten Quellen über die mutmaßlichen frühen Kontakte zwischen beiden Seiten verloren. Über den Namen der von Alfons X. nach Norwegen gesandten Botschaft sind jedoch keine wesentlichen Unstimmigkeiten festzustellen. Der vorher genannte Priester namens Ferrant wird, in Bezug auf diese Reise, sowohl in der Hákonar saga Hákonarson 32 als auch in einem Brief aus dem Jahre 1256 des Königs Heinrich III. von England an seinen Justizbeamten in Lynn erwähnt. 33 Die Identifizierung dieses Ferrants ist jedoch nicht weniger kompliziert gewesen, denn in den spanischen Quellen wird nur gesagt, dass Alfons X. durch Botschafter (»por medio de emba- von Murcia von den Arabern (1243-1245) anvertraut. Vgl. García Avilés, Alejandro: Alfonso X, Albumasar y la profecía del nacimiento de Cristo, in: Imafronte 8-9 (1993), S. 189-200; Alfonso X y la tradición de la magia astral, in: El Scriptorium alfonsí, de los libros de astrología a las Cantigas de Santa María, Universidad Complutense 1999, S. 83-105. 30 Vgl. Luciano Serrano (Hg.): Cartulario del Infantado de Covarrubias, in: Fuentes para la Historia de Castilla, vol II (1907), S. LIV-LV. 31 Ballesteros Baretta, Antonio: La reconquista de Murcia por el infante D. Alfonso de Castilla , Murcia 1949, S. 41ff. 32 Hákonar saga, op. cit., S. 551: »voro komnir sendimenn konungs av Spania ok het sa sira Ferant.« 33 Vgl. Diplomatariun Norvegicum, Bind XIX, Briefnummer 267: »[…] faciant habere Ferrando clerico et Nuncio Regis Castelle quandam bonam et conuenientem nauem ad transfretandum in nuncium eidem Regi in Norwagiam et curaliter et honorifice tractent eum.« Siehe auch: [http: / / www.dokpro.uio.no/ dipl_norv/ diplom_felt.html]. Literatur im Dienste der Monarchie: Alfons X. der Weise und Hákon IV. 25 jadores«) um die Freundschaft des norwegischen Königs warb. 34 Außerdem erscheinen in den Urkunden jener Zeit mindestens zehn Kandidaten mit diesem Namen, welche in so hohem Ansehen beim König standen, dass er sie auf einen solchen Botengang geschickt haben könnte. Zur Lösung dieses Problems tragen die vom Rechtshistoriker Antonio Pérez Martín gesammelten Daten über Fernando Martínez de Zamora, dem Verfasser des mittelalterlichen Rechtswerkes Ad sumariam notitiam, bei. In seiner eingehenden Untersuchung stellt Pérez Martín fest, dass ein gewisser Fernando Rodríguez Cabañas, welcher fälschlicherweise für den Autor der genannten Abhandlung gehalten worden war, tatsächlich der von König Alfonso nach Norwegen gesandte Botschafter war. Fernando Rodríguez war auch Kaplan des Königs, Kanonikus von Toledo und Salamanca, Notar des Königs in Kastilien und seit 1261 Abt des Klosters Covarrubias. 35 Seine enge Beziehung zum Königshaus und seine Teilnahme an verschiedenen diplomatischen Aufträgen, wie zum Beispiel an den Friedensverhandlungen mit Portugal im Jahre 1253, deuten in dieselbe Richtung, dass nämlich Fernando Rodríguez im Auftrag Alfons X. nach Norwegen reiste. Auch seine spätere Ernennung zum Abt des Klosters Covarrubias im Jahre 1261, als Nachfolger des Infanten Felipe, könnte in diesem Zusammenhang interpretiert werden. Nach Sturlas Aussage kehrten die im Gefolge der Prinzessin mitreisenden Kleriker, z.B. Bischof Pétr und Simon der Prediger und Rechtsexperten wie Lodin Leppr, kurz nach der Hochzeit nach Norwegen zurück und setzten damit einer kurzen Periode diplomatischer Beziehungen ein Ende. Die Ergebnisse der kulturellen und literarischen Kontakte zwischen den beiden Königreichen, besonders des mutmaßlichen Einflusses des gelehrten Milieus des Alfonsinischen Hofes auf die norwegischen Gesandten, haben bisher leider wenig Aufmerksamkeit erhalten, mit Ausnahme von Ingeborg Gløersens Untersuchung über die Parallelen zwischen der Konungsskuggsjá und Las Siete Partidas. 36 Gløersen behauptet, dass die norwegischen Gelehrten im Gefolge Kristinas Zugang zu den vielen Werken hatten, die damals an der berühmten Übersetzerschule von Toledo oder in den verschiedenen literarischen, legislativen und historiographischen Werkstätten von Alfons X. verfasst wurden. Unter diesen wurde ungefähr 1255 der vorgängig genannte, enzyklopädisch angelegte Setenario, ein didaktisches und doktrinales Werk in der Tradition der mittelalterlichen Specula, verfasst. Auf dieselbe Dekade sind auch die ersten Arbeiten an der Komposition der Las Siete Partidas oder des Espéculo datiert worden. Dessen ungeachtet sind die meisten Forscher der Meinung, dass die literarischen Übereinstimmungen zwischen dem 34 Vgl. De Guzmán y Gallo, J. P. : La princesa Cristina de Noruega y el infante D. Felipe hermano de Alfonso el Sabio, in: Boletín de la Real Academia de la Historia, vol. 74 (1919), S. 39-65. 35 Pérez Martín, Antonio: El ordo indiciarius ›Ad sumariam noticiam‹ y sus derivados, in: Historia, Instituciones, Documentos, Universidad de Sevilla 8 (1981), S. 261ff. 36 Gløersen, Ingeborg: Kongespeilet og Las siete partidas, Oslo et al.: Universitetsforlaget 1972 . Teodoro Manrique Antón 26 Konungsskuggsjá und den spanischen Werken, besonders Las Siete Partidas, durch gemeinsame Vorlagen bedingt sein könnten. 37 Die Schwierigkeiten bei der Untersuchung der charakteristischen Merkmale der Konungsskuggsjá, ein Werk, welches sich auf einem Mittelweg zwischen dem sogenannten Königsspiegel, einer juristischen Abhandlung und einem enzyklopädischen Traktat befindet, deuten daraufhin, dass bei seiner Konzeption Elemente von verschiedenen Quellen in Betracht gezogen wurden. 38 Obwohl wir dieser Diskussion nicht mehr Raum widmen können, erscheint es uns offensichtlich, dass sich in der Konungsskuggsjá die politischen, pädagogischen und literarischen Tendenzen ihrer Zeit spiegeln, und dass, wie es Gløersen gezeigt hat, etliche thematische und textliche Parallelen nur durch die Kenntnis des spanischen Textes erklärt werden können. In dieser Hinsicht eignete sich der Hof Alfons X. als bevorzugter Treffpunkt für den interkulturellen Austausch zwischen Intellektuellen von überall her. 39 Auch Hákon IV. versuchte in Norwegen eine blühende Kulturpolitik zu betreiben, indem er, um ein Reich nach europäischem Stil zu gründen, die Übersetzung von Werken der französischen höfischen Epik in Auftrag gab. Die große politische Aufgeschlossenheit Hákons IV. hatte einen wesentlichen Einfluss auf die traditionelle literarische Weltanschauung der norwegischen Gelehrten, welche jetzt an zahlreichen Höfen willkommen geheißen wurden. Die in der Konungsskuggsjá erwähnten sizilianischen Landschaften könnten beispielsweise darauf hindeuten, dass die vom Gesandten Hákons bei Friedrich II. Hohenstaufen neu gewonnenen geographischen oder historischen Kenntnisse, ob es sich bei jenem nun um den Verfasser des Werkes handelt oder nicht, zur Entwicklung, Bereicherung und Internationalisierung der norwegischen Literatur beigetragen haben. Die langen Aufenthalte der norwegischen Botschafter in Sizilien, worüber uns die Hákonar saga Hákonarsonar informiert, 40 sind ein sehr gutes Indiz für den doppelten Charakter der dem Verfasser der Konungsskuggsjá zur Verfügung stehenden Quellen. Ek hefi spurt í Sikiley at þar er mikill eldsofrgangr hann brennir bæði tré ok jörð. Ok er mér svá sagt at i Dialogo hafi hin helgi Gregorius svá mælt at pislarstaðir sé í Sikiley. 41 37 Vgl. Bagge, Sverre: Ingeborg Gløersen: Kongespeilet og Las Siete Partidas [...] [Rez], in: HT 51 (1972), S. 344-347; Kramarz-Bein, Susanne: Zur Darstellung und Bedeutung des Höfischen in der Konungsskuggsjá, in: Collegium Medievale 7 (1994), S. 51-86; Schnall, Jens Eike: Didaktische Absichten und Vermittlungsstrategien im altnorwegischen »Königsspiegel« (Konungsskuggsjá), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000. 38 Zu diesem Thema vgl. Jónsson, Einar Már: Staða Konungsskuggsjár í vestrænum miðaldabókmenntum, in: Gripla 7 (1990), S. 323-354. 39 Martin, Georges: Los intelectuales y la Corona: la obra histórica y literaria, in: Manuel Rodríguez Llopis (Hg.): Alfonso X y su época, Murcia: Caroggio 2002 S. 259-285. 40 Hákonar saga Hákonarsonar, op. cit., S. 489. 41 Speculum Regale. Konungs-skuggsjá. Konge-Speilet. Et philosophisk-didaktisk Skrift. Forfattet i Norge mod Slutningen af det tolfte Aarhundrede, (ed.) R. Keyser, P.A. Munch, C. R. Unger, Christiania 1848, S. 33. Literatur im Dienste der Monarchie: Alfons X. der Weise und Hákon IV. 27 Ich habe gehört, dass es auf Sizilien ein außergewöhnliches starkes Feuer gibt, das sowohl Holz als auch Erde brennt. Außerdem habe ich erfahren, dass der Heilige Gregorius in seinen Dialogi über die sich in diesem Feuer befindenden Qualorte spricht. Nicht unerwähnt sollte allerdings bleiben, dass auch Alfons X. eine sehr enge Beziehung zu Friedrich II. hatte, nicht umsonst war er der Sohn von Beatrix von Schwaben, Cousine des vorgenannten. Auch nicht, dass Fadrique, König Alfons’ eigener Bruder, sich zwischen 1240 und 1245 am Hof Friedrichs II. in Italien befand. 42 Ebenso, sollten wir nicht außer Acht lassen, dass einigen der wichtigsten Gelehrten dieser Zeit die Türen beider Königshöfe offen standen, wie es der Fall bei Michael Scotus war, der während der zweiten Dekade des 13. Jahrhunderts als Übersetzer vom Arabischen ins Lateinische in Toledo und kurz danach als Gelehrter und Astrologe am Hof Kaiser Friedrich II. wirkte. 43 Obwohl man das literarische Milieu Norwegens mit demjenigen des Hofes Alfons X. nicht vergleichen kann, sind wir mit Jens Eike Schnall einverstanden, der Folgendes festhält: Dieses Milieu, in welchem die Kgs entstanden ist, wird maßgeblich durch Hákon Hákonarsons verschiedene politische Bestrebungen geprägt: territoriale Expansion, Stabilisierung der Königsmacht nach innen und nicht zuletzt seine »Europapolitik«. 44 Ebenso wie der kastilische Monarch, welcher als Förderer in den causa scribendi, den Prologen der in seinen Werkstätten verfassten Werken, erwähnt wurde, aber manchmal auch als Verleger und Korrektor auftritt, ließ Hákon IV. mindestens fünf französische Versromane in norwegische Sagaprosa übersetzen. 45 Zusammen mit der Konungsskuggsjá, Programmtext der höfischen Erziehung, gehören diese Übertragungen zum kulturpolitischen Programm Hákons IV., die norwegische Monarchie in das höfische Milieu Europas zu integrieren. Für Hákons IV. vortreffliche Erziehung sprechen Belege sowohl aus der Feder des vom Papst zu seiner Krönung gesandten Kardinals Sabina als auch aus derjenigen von Matheus Parisiensis, welcher, nach einem Aufenthalt in Norwegen, in seiner Chronica Maiora über den König und seine literarische Ausbildung lobrednerisch sagt, dass er »est enim vir discretus et modestus atque bene literatus«. 46 42 Zu diesem Thema vgl. Diago Hernando, Máximo: La monarquía castellana y los Staufer. Contactos políticos y diplomáticos en los siglos XII y XIII, in : Espacio, Tiempo y Forma, Historia Medieval 8 (1995), S. 51-84. 43 Zu Michael Scotus siehe Haskins Charles H.: Michael Scot in Spain, in: Estudios eruditos in memoriam de Adolfo Bonilla y San Martín, 2, Madrid 1930, S. 129-34 und Thorndike Lynn, Michael Scot, Thomas Nelson and Sons, London 1965. 44 Schnall, Jens Eike, op. cit., S. 242. 45 Tristams saga ok Isondar, Eliis saga ok Rosamundar, Strengleikar, Mottuls saga und Ivents saga. 46 Vgl. Einarsdóttir, Ólafia: Om samtidssagaens kildevaerdi belyst ved Hákonar saga Hákonarsonar, in: Alvíssmál 5 (1995), S. 29-80. Teodoro Manrique Antón 28 Wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, hatten solche Übertragungen nicht nur mit dem literarischen Geschmack des Königs oder mit ästhetisch-literarischen Übungen zu tun, sondern auch mit einem deutlichen Assimilations- und Kolonisationsversuch eines Textes, um damit die Einstellung der Audienz zu beeinflussen. 47 Die in diesen Texten enthaltene Pädagogik sollte also nicht nur dem delectare dienen, sondern auch zur Übung der ritterlichen und höfischen Tugenden führen. Die Konungsskuggsjá hat viel mit diesen gemeinsam, indem sie auch als ein Teil des auf die norwegische Elite zugeschnittenen Bildungsprogramms zu verstehen ist. 48 Die Erziehungsrolle der Literatur hatte auch viel mit dem translatio studii zu tun, da im Mittelalter ›das Wissen‹ als etwas Vollkommenes und Rätselhaftes verstanden wurde. Solche Kenntnisse sollte man zuerst erwerben, um sie später den nächsten Generationen übermitteln zu können. Die Übertragung des Wissens steht also in enger Beziehung zur Erreichung des Zieles, ein tugendhaftes Leben zu führen. Dies entspricht der von Alfons X. in der um 1272 begonnenen Grande e General Estoria geäußerten Idee, dass : Todas las artes de todos los saberes son cosas que nunca mueren, mas siempre biuen al que las sabe, e el quelas non sabe [...] tal es como muerto; et por esta razón los sabios al saber llaman vida, al non saber muerte. 49 Alle Wissenschaften und Künste sind unsterblich, aber sie machen den lebendig, der sie kennt und derjenige, der sie nicht kennt [...] ist so gut wie tot; aus diesem Grund nennen die Weisen das Wissen das Leben, und das Nichtwissen den Tod. Es sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass die an den vorgenannten europäischen Höfen produzierte Literatur auch dem Zweck der Fortdauer einer bestimmten politischen Ideologie, dem Zweck der sakralen Legitimation des Königs als Rex iustus dei gratia diente. In dieser Hinsicht waren beide Monarchen beeinflusst durch den französischen König Ludwig IX. (1214-1270) und seiner Idee eines Königtums als einziger Garant für Gerechtigkeit und Frieden (maiestas regis). 50 Der Trend zur Säkularisierung der in der höfischen Literatur enthaltenen ethischen Vorbilder, z.B. die der Königsritter, wurde auch bestimmend für die Entwicklung der neuen Staatsnationen. Wie bereits oben erwähnt, gelang es Hákon IV. und Alfons X. relativ früh, den Gedankengang der alten lateinischen Chroniken in eine neue in der Landessprache geschriebene Geschichte der Vereinigung und Wiedergründung ihrer Reiche zu verwandeln. 47 Zu einem Vergleich der Übersetzungen an den Höfen Hákons IV. und Alfons X. siehe Almazán, Vicente: Translations at the Castillian and Norwegian Courts in the Thirteenth Century: Parallels and Patterns, in: Edda 90 (1990), S. 14-27. 48 Schnall, Jens Eike, op. cit., S. 260. 49 General Estoria. Primera parte, (Hg.) Antonio García Solalinde, Centro de Estudios Históricos, Madrid 1930, S. 197. 50 Vgl. Hernández, Francisco J.: Relaciones de Alfonso X con Inglaterra y Francia, in: Alcanate: Revista de Estudios Alfonsíes 4 (2004-2005), S. 167-242. Literatur im Dienste der Monarchie: Alfons X. der Weise und Hákon IV. 29 Die Stärkung der Monarchien und der inhärente Wunsch nach Macht und Dominanz hatten zur Folge, dass gegen Ende des XII. Jahrhunderts die Gründung der ersten europäischen Universitäten von den Monarchen unterstützt wurde. 51 In Spanien wurden die Werke der von der Kirche gegründeten Übersetzerschule von Toledo schon von Alfonso VIII. als ein geeignetes Mittel zur Bestätigung seiner Macht betrachtet. Die Unterstützung der Kultur hob das Ansehen des Königs und seines Amtes, und ein König wie Alfons X. wurde, aufgrund seiner zahlreichen wissenschaftlichen Projekte, ›der Weise‹ genannt. In den ersten Universitäten Spaniens wurden die führenden Beamten des Landes ausgebildet, und Alfons X. zögerte nicht, die Kontrolle über diese zu übernehmen, indem er das erste Universitätsgesetz Europas erließ. In der zweiten Partida, título XXXI, die von der Macht des Königs handelt, wurde auch das Lehrer-Schüler Verhältnis, der Status der Universität als geschützter Ort, die Burschenschaften und die Pensionsregelung für Lehrende geregelt . 52 Obwohl das kulturelle und g esetzgebende Vorgehen Alfons X. von weittragenderer Bedeutung als jenes von Hákon IV. war, kann mit Sverre Bagge einig gegangen werden, dass die Konungsskuggsjá und zum Teil auch die Hákonar saga Hákonarsonar ein Programm zur Verbesserung der Gesellschaft enthalten, und dass: … the doctrine of the king as God’s representative on earth and the ideal of the ›rex iustus‹ were further developed and gained wider acceptance in the leading circles of the country. 53 Die politische Übereinstimmung zwischen den Monarchen ist mehr als deutlich, wenn wir den Prolog der didaktischen Abhandlung Setenario mit dem der Konungsskuggsjá vergleichen: [...] se viesen siempre como en espeio para saber enmendar los sus yerros e los de los otros e endereçar sus fechos e saberlos fazer bien e complidamente. [...] sie (die Könige) sollten sich wie in Enda á konungrinn hverr sem einn at sjá opt í þessa skuggsján, ok lita fyrst á sjálfs síns siðu ok þar naest allra annarra þeirra sem undir hánum eru. 54 Und jeder König sollte sich oft im 51 Die ersten spanischen Universitäten stammen aus der Regierungszeit Alfons VIII., der ein Kollegium mit italienischen und französischen Lehrern der Theologie und der Artes in Palencia im Jahr 1180 gründete. Alfons IV. von León gründete das Studium von Salamanca (circa 1218), das Ferdinand III. und Alfons X. später weiterführten. 52 Las Siete Partidas del rey D. Alfonso el Sabio, vol. II, Real Academia de la Historia 1807, S. 339ff. Siehe auch: [http: / fama2.us.es/ fde/ lasSietePartidasEd1807T2.pdf]. 53 Bagge, Sverre: From Gang Leader to the Lord’s Anointed, The Viking Collection, vol. 8, Odense: University Press 1996, S. 159. 54 Setenario, (Hg.) Kenneth H. Vanderford, Buenos Aires, 1945, S. 25 und Konungsskuggsjá, Konge-Speilet. Et philosofisk-didaktisk Skrift, (Hg.) R. Keyser, P.A. Munch, C.R. Unger, Christiania 1848, S. 3. Teodoro Manrique Antón 30 einem Spiegel sehen, um ihre Irrtümer und die der anderen zu vermeiden, um ihre Taten zu berichtigen und sie richtig und vollkommen zu vollbringen. Spiegel sehen, um zuerst sein eigenes Verhalten zu beurteilen und dann das derjenigen, die seine Untertanen sind. Um das Ziel der Kontrolle und Verbesserung der Gesellschaft zu erreichen, nahmen sich Alfons X. und Hákon IV. vor, die traditionelle Gesetzgebung ihrer Reiche zu modernisieren, indem sie das ›modus operandi‹ des Kaisers Friedrich II. förderten, der schon im Jahre 1231 eine seinen Machtanspruch legitimierende Gesetzsammlung für das ganze Königreich Sizilien (Liber Augustalis) erlassen hatte. Vor allem aber lässt sich an diesen Betrachtungen eine deutliche Kontinuität der gesetzgebenden Arbeit erkennen: einerseits zwischen König Ferdinand III. (rex 1217-1252) und seinem Sohn Alfons X. (rex 1252-1284) und andererseits zwischen dem Norweger Hákon IV. (rex 1217-1263) und seinem Sohn Magnus VI., genannt ›lagabætir‹ (›Gesetzesverbesserer‹) (rex 1263-1280). Alfons X. und Magnus VI. vervollständigten und verbesserten die legislativen Projekte ihrer Vorfahren, so z.B. die in Norwegen im Jahre 1262 geplante Reform Hákons IV. und in Spanien die endgültige und unvollständige Redaktion der Setenario und die Vorbereitung der Siete Partidas. Dass die höfische Erziehung und die Erfüllung des Gesetzes eine wichtige Rolle bei der kulturellen Formung der Nation spielten, wird sowohl im Prolog der Siete Partidas als auch in jenem der Konungsskuggsjá mehr als offensichtlich: En þat skal þú vist hugleiða, at á hverri stundu er þú mátt þik til tæma, at minnask á nám þitt ok allra mest um lögskrár[...] en ef þér eru lög kunu, þá verðr þú eigi beittr úlögum, ef þú átt málum at skipta við jafnmaka þína ... 55 Und denk auch daran, dass immer wenn du dir eine Stunde ersparen kannst, solltest du dich mit dem Lernen, besonders mit Gesetzbücher, befassen [...], denn wenn du mit dem Gesetz vertraut bist, dann solltest du keine Ungerechtigkeit anwenden, wenn du vor Gericht eine Klage gegen einen dir Ebenbürtigen führst .. . Gemeinsamkeiten lassen sich auch bezüglich des gemeinsamen Interesses der Monarchen feststellen, die existierenden Gesetzsammlungen zu vereinheitlichen und ihnen eine supraterritoriale Gültigkeit zu verschaffen. Der Prolog des Gesetzwerkes Espéculo (circa 1254-1255), kurz danach in den Partidas wiederholt, als auch der des von Magnus VI. erlassenen Landslov (circa 1275) sind gute Beispiele dafür. 56 55 Speculum Regale. Konungs-skuggsjá, op. cit., S. 6. 56 Vgl. Las Siete Partidas von Alfons X., S. 4: »E por ende nos el sobredicho rey D. Alfonso entendiendo et veyendo los grandes males que nascen y se levantan entre las gentes de nuestro senyorio por los muchos fueros que usaben en las villas et en las tierras que eran contra Dios y contra derecho [...] ficimos estas leyes que son escriptas en este libro.« R. Keyser und P. Much (Hg.): Norges Gamle Love indtil 1387, vol. II (Landslov), Christiania 1848, S. 7-8: »[...] hafa iðuliga getet fyrir oss at þer hafet spurt at ver hafum lut i att at boeta nokot um flestar logboekr i landeno med hinna bestra manna rade.« [»…mehrfach ist uns Literatur im Dienste der Monarchie: Alfons X. der Weise und Hákon IV. 31 Magnus VI. versuchte auch, die Kontrolle über seine Kolonien zu verstärken, indem er ein neues Gesetz, das sogenannte Jónsbók, eine Bearbeitung des Landslovs, ungefähr 1280 für die Isländer erließ. 57 Verantwortlich für die Übergabe des Gesetzbuches war kein geringerer als der vorgenannte Rechtsexperte Loðinn Leppr, den Magnus sogar nach Babylonien gesandt hatte, und der, wie oben dargelegt, einer der Begleiter der Prinzessin Kristina in Spanien war. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Ende der Regierungszeiten von Alfons X. und Magnus VI. für Kastilien und Norwegen auch das Ende einer Epoche bedeutete, die durch eine außerordentliche kulturelle und literarische Blüte charakterisiert war. Zu dieser Zeit wurde eine Reihe von historiographischen Richtlinien etabliert, die eine Reinterpretation der Geschichte mit sich brachten. Solche Reinterpretationen in der Landessprache entsprachen dem neuen monarchischen Modell der oben erwähnten Monarchen. Demzufolge wurden die Geschichte, die Literatur und auch die Gesetze, zu Bestandteilen der ›translatio potestatis‹, eine Vorstellung, die eine deutliche legitimierende Funktion hatte. Dieses Verlangen nach politischer und historischer Transzendenz hatte die Kontaktaufnahme zwischen den kastilischen und norwegischen Königshäusern zur Folge. Auf der literarischen Ebene deuten mehrere thematische und ideologische Übereinstimmungen darauf hin, dass der mögliche Einfluss der alfonsinischen didaktischen und juristischen Werke auf die unter Hákon IV. verfasste Literatur, z. B. Konungsskuggsjá, nicht außer Acht gelassen werden darf. 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Hákonar saga, in Codex Frisianus, MS. no. 45 fol. in the Arnamagnæan Collection in the University Library of Copenhagen, Copenhagen: Levin & Munksgaard 1932. gesagt worden, dass ihr verlangt habt, dass wir die Verbesserung einiger Gesetzbücher des Landes mit dem Rat der weisen Männer überarbeiten.«] 57 Im Jahre 1271 sandte Magnus das Gesetzbuch Járnsíða nach Island, das erst 1273 nach heftigen Protesten akzeptiert wurde. Deswegen ließ der König einen neuen codex verfassen, das Jónsbók, der im Jahre 1281 in Kraft trat. Teodoro Manrique Antón 32 Las Siete Partidas del rey D. Alfonso el Sabio, vol. II, Real Academia de la Historia, 1807, S. 339ff. Siehe auch: [http: / fama2.us.es/ fde/ lasSietePartidasEd1807T2.pdf]. Norges Gamle Love indtil 1387, (Hg.) R. Keyser und P. Much, vol. II (Landslov), Christiania 1848. Setenario, (Hg.) Kenneth H. Vanderford, Buenos Aires 1945. Speculum Regale. Konungs-skuggsjá. Konge-Speilet. Et philosophisk-didaktisk Skrift. 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Einleitung Im ersten Teil des Don Quijote (1605), als Sancho Panza bezweifelt, jemals die Statthalterschaft über eine Insel zu erhalten, die ihm Don Quijote versprach, beruhigt ihn dieser und bestärkt ihn in seinen Hoffnungen: »Ya te he dicho, Sancho, que no te de eso cuidado alguno; que cuando faltaré ínsula, ahí está el reino de Dinamarca, o el de Sobradisa, que te vendrán como anillo al dedo« (Cervantes 1980, 288-9). »Ich habe dir doch gesagt, Sancho, das muss dich nicht bekümmern, denn sollte es an Eilanden fehlen, gibt es immer noch die Königreiche von Dänemark oder Sobredisa, die dir wie auf den Leib geschneidert sind ...«(Cervantes 2008, 95). Das reale Königreich Dänemark befindet sich demnach auf derselben Ebene wie die Insel Barataria und das gleichermaßen phantastische Königreich von Sobradisa. Diese Gleichstellung scheint mir bezeichnend für die Unkenntnis Skandinaviens zu sein, die in Spanien zu Beginn des 17. Jahrhunderts herrschte. Die Vorstellungen bezüglich des dänischen Königreichs waren in der damaligen Zeit derart diffus und vage, dass es ohne Probleme Seite an Seite mit imaginierten Ländern stehen konnte, beide verbunden mit der Aura einer Region, die weit entlegen, mystisch, ja beinahe phantastisch ist. Es fehlt in jener Zeit nicht an solchen Beispielen; und wir werden im Laufe dieser Ausführungen sehen, wie für die Zeitgenossen von Cervantes die Erwähnung skandinavischer Gebiete der Vorstellungskraft Flügel verlieh, wie sie die außergewöhnlichsten Phänomene, Sitten und Kreaturen dort verorteten, deren Existenz man sich in heimischen Gefilden nicht vorstellen konnte. Was von Cervantes im Quijote nur als flüchtige Anregung gedacht war, hatte er in Persiles und Sigismunda (1616) konkretisiert, in dem er im ersten Teil, der in nordischen Regionen spielt, Allusionen anbringt u.a. an Menschenopfer, nekromantische Zauberer, phantastische Vögel sowie Episoden von Lykanthropie. Ausgehend von den Texten der Epoche kann beobachtet werden, dass bis weit ins 17. Jahrhundert hinein England, die Niederlande und das Heilige Reich deutscher Nationen die äußersten europäischen Gegenden waren, über die man in Spanien ein relativ klares Bild hatte. Obwohl es sich hierbei oft um feindliches Gebiet handelte mit anderen politischen Interessen, wurden diese Gegenden doch als im Wesentlichen vergleichbar mit der Heimat aufgefasst, und zwar sowohl in geogra- Mateo Ballester Rodríguez 36 phischer als auch in mentalitätsmäßiger Hinsicht. Jenseits dieser Grenzlinie erstreckte sich jedoch eine terra incognita, deren Undefiniertheit die Phantasie beflügelte. Die klaren Konturen der bekannten und zivilisierten Welt verflüchtigen sich im Nebel einer exotischen und mysteriösen Welt. 1 Die Verbindungen zwischen Skandinavien und der hispanischen Welt der katholischen Monarchie waren jedoch nicht einfach nicht existent. Die verschiedenen Allianzen hatten direkt oder indirekt alle Gebiete des Kontinents miteinander verbunden. Es gab auch einen bescheidenen Handel zwischen beiden Regionen, jedoch waren Kontakte solcher Art von untergeordneter Bedeutung, so dass sie in der spanischen Vorstellungswelt kein klareres, deutlicheres Bild der skandinavischen Gebiete erzeugten. Es gibt nicht viele Texte und Dokumente aus der Zeit, die sich mit dem Norden beschäftigen, eine Region, die sich gemäß einer üblichen Formulierung der Zeit, »en los confines del Septentrión«, (»an den Rändern des Septentrions«) befindet. Einige Formulierungen jedoch lassen Rückschlüsse zu, wie diese nördlichen Regionen aufgefasst wurden. Dabei zeigt sich, dass die skandinavischen Gebiete zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der spanischen Vorstellungswelt die unterschiedlichsten Phantasieprodukte hervorriefen, die oft mit abergläubischer Furcht vor bösen Wesen korrelierten. Das negative Bild der Völker Skandinaviens im damaligen Spanien beruhte auch noch auf einer anderen Quelle, nämlich der Erstarkung und zunehmenden Popularität von Theorien der klassisch griechisch-lateinischen Welt ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, denen zufolge der unterschiedliche Charakter der Völker das Resultat unterschiedlicher klimatischer Verhältnisse war. Entsprechend dieser Vorstellung produziert ein raues Klima, sei es aufgrund zu großer Kälte oder zu großer Hitze, Völker mit schwerwiegenden Charakterdefiziten, während ein gemäßigtes Klima Völker mit untadeligen Charaktereigenschaften hervorbringt. In der spanischen Version dieser Theorie hat die iberische Halbinsel die besten klimatischen Verhältnisse mit den entsprechenden vorteilhaften Konsequenzen für den spanischen Nationalcharakter. Die Skandinavier hingegen figurieren auf der Skala der Humanität aufgrund ihrer klimatischen Verhältnisse ganz unten. Es gab jedoch ein Element von enormer Bedeutung im spanischen Denken, das ein Gegengewicht gegenüber solch herabsetzender Vorstellungen der nordischen Völker darstellte. Die spanischen Könige legitimierten sich teilweise durch ihre Abstammung von den alten gotischen Königen. Den spanischen Adel erfüllte die Bestätigung einer gotischen Abstammung mit Stolz. Woher kam jedoch dieses Volk der Goten? Die damalige Geschichtsschreibung, die sich auf die klassischen Quellen 1 Diese Vorstellung spielt für die Wahrnehmung Skandinaviens und insbesondere Norwegens als ein diffuses Gebiet ewiger Dunkelheit, ständig in Nebel gehüllt, die in der Literatur des Siglo de Oro gleichsam als Topos auftritt, eine entscheidende Rolle. Vgl. hierzu Castro 1919: 184-186; Buceta 1920: 378-379; Spitzer 1922: 316-317. Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 37 berief, verortete den Ursprung der Goten in Skandinavien, wodurch dieses Gebiet eine entschiedene Aufwertung erfuhr. Es ergibt sich dergestalt eine widersprüchliche Auffassung im spanischen Goldenen Zeitalter, die typisch für die ganze Epoche ist. Verherrlichung und Abwehr der nordischen Völker gingen oft Hand in Hand, teilweise sogar beim selben Autor. Dieses Bild änderte sich erst im 17. Jahrhundert, als zuerst Dänemark und später Schweden zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs eine Rolle auf der europäischen Bühne zu spielen begannen. Die nordischen Reiche begannen für Spanien strategisch bedeutsam zu werden. Unvermittelt sahen sich die Spanier in einem direkten Konflikt mit Völkern, von denen sie kaum eine Ahnung hatten. Innerhalb weniger Jahre verlor ein Gebiet, von dem eine Mischung aus halb realen und fantastischen Vorstellungen bestand, seinen rätselhaften Charakter und seine Völker wurden in die europäische Staatengemeinschaft integriert, als »vollwertige« Mitglieder sozusagen. Byzantinische Romane wie Persiles und Sigismunda mussten in anderen Regionen angesiedelt werden, weil die nördlichen ihren magischen Nimbus verloren hatten. 2. Skandinavien als terra incognita In seinem Discurso político al rey Felipe III (1598) erstellt Álamos de Barrientos eine lange Liste der verschiedenen fremden Länder, die der Katholische König berücksichtigen sollte und versieht seine Ausführungen mit Erläuterungen, wie mit jedem von diesem umgegangen werden sollte. Mit Frankreich, England, Schottland, Italien und der Türkei muss man je individuell umgehen, während die skandinavischen Gebiete kurzerhand als irrelevantes Anhängsel an die deutschen Gebiete abgefertigt werden. Für die strategischen Interessen der Katholischen Monarchie hätten die Fürsten und freien Städte Deutschlands sowie die nordischen Nationen keine Bedeutung: … aunque unos y otros, en cuanto fueren apartados de la Iglesia católica, son enemigos de esta corona, no hay por que tratar de ellos en esta división, pues o tenemos confederación con ellos (…) o están tan apartados y son cada uno de por sí sólo de tan poco poder, que, si no es ligándose contra nuestra potencia e irritados de ella, o para defensa suya y de algún aliado, y cuya caída teman por su propio daño, hay poco que temer de sus insultos, y es cierto que nos dejaran como les dejemos (Álamos de Barrientos 1990: 47). … obwohl einige aufgrund ihres Abfalls von der katholischen Kirche Feinde unserer Krone sind, gibt es keinen Grund, sie als solche zu behandeln; denn entweder stehen wir in einem Bündnis mit ihnen oder sie sind derart abgelegen und als einzelne von so geringer Macht, dass von ihnen wenig zu befürchten ist. Skandinavien bildete im damaligen Spanien keinen Anlass zur Sorge und wurde von der Bevölkerung im späten 16. Jahrhundert kaum wahrgenommen. Im ersten einsprachigen Wörterbuch der spanischen Sprache, dem Tesoro de la lengua castellana Mateo Ballester Rodríguez 38 (1611) von Sebastián de Covarrubias, findet man viele Einträge von Ländern und Territorien, unter ihnen Deutschland, Flandern, Ungarn und sogar Irland. Bezeichnenderweise fehlen jedoch Norwegen und Schweden, und zu Dänemark wird nur ein schlichtes Quasi princeps Daniae vermerkt (Covarrubias 1995: 429). Es gab zu der Zeit einen zwar bescheidenen, jedoch stetigen Handel zwischen den spanischen und den skandinavischen Gebieten. Spanien importierte Holz aus Norwegen und dem Baltikum und v.a., in indirekter Form, Kupfer aus Schweden und seiner mächtigen Kopparkompaniet (vgl. Alcalá-Zamora 1975: 71-72, 126). In umgekehrter Richtung waren die beiden bedeutendsten Produkte aus Spanien Edelmetall aus den Kolonien und Salz; eine zeitgenössische Liste erwähnt außerdem überseeische Produkte, pharmazeutische Artikel wie auch solche für die Färberei, frische Früchte, getrocknete und solche in Konserven, Öl und Wein (vgl. Alcalá- Zamora 1975: 72). Muss schon der Kontakt der spanischen mit der skandinavischen Welt als eingeschränkt eingestuft werden, gilt das noch in weit stärkerem Maße, wenn es um die Kenntnis derselben geht. Die deutschen Gebiete und die Niederlande, wo der Herrscher Karl V. und die nachfolgenden spanischen Habsburger Gebiete und gefestigte Allianzen hatten sowie eine lange Tradition von Interventionen, waren deshalb im spanischen Bewusstsein fest verankert. Das gleiche kann für England gesagt werden, der zentrale Gegenspieler Spaniens während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Obwohl ein beträchtlicher Unterschied zwischen der englischen und der spanischen Bevölkerung wahrgenommen wurde, empfand man die britischen Gebiete nicht als gänzlich fremd. Weiter jenseits jedoch erstreckte sich für den Spanier der damaligen Zeit ein unbekanntes Gebiet, dessen Konturen und Bevölkerung kein nachvollziehbares Profil hatten und aufgrund dieser Unbestimmtheit der Fantasie Tor und Tür öffneten. Skandinavien erzeugte in der spanischen Vorstellungswelt einen ähnlichen Effekt wie die amerikanischen Gebiete nach der Entdeckung. In einem gewissen Sinne waren für den Spanier zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Gebiete der Neuen Welt vertrauter als diejenigen Nordeuropas, die in spanischer Optik als gänzlich unentdeckt galten. Legenden über Personen, Kreaturen und fantastische Orte, die in der bekannten Welt als unwahrscheinlich galten, wurden mit Vorliebe in diesen nördlichen Regionen angesiedelt, um sie glaubwürdiger zu machen. Dazu beigetragen hatte auch das Werk einer Person, die, trotz ihrer skandinavischen Herkunft, einer Legendenbildung Vorschub leistete. 1555 erschien in Rom in lateinischer Sprache die Historia de gentibus septentrionalibus des schwedischen Katholiken Olaus Magnus, zehn Jahre später erschien das gleiche Werk auch auf Italienisch. 2 Das Buch hat die Geographie, die Natur, die Sit- 2 Olaus Magnus, seit 1527 in Rom, wurde 1544 Erzbischof in Uppsala, ein Posten, der nur symbolische Funktion hatte, weil die Reformation in Schweden zu der Zeit bereits abgeschlossen war. Sein Werk wurde auch ins Deutsche übertragen (1567) und später ins Englische (1658) und ins Holländische (1665). Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 39 ten und den Volksglauben der skandinavischen Völker zum Gegenstand. Ohne seine Fantasie ins Kraut schießen zu lassen, beschreibt Olaus Magnus monströse Meerungeheuer: »Die seind eynes grewlichen Ansehens, dass man sich darvor entsetzet, und je mehr man sie ansiehet, je mehr man sich darob förchten und verwundern muss.« 3 Er spricht von »Meermännlin, die am gantzen Leib eynem Menschen gleich sehen. Die steigen bei nächtlicher Weil auff die Schiff […].« 4 Vor allem in seiner Beschreibung der nördlichsten und kaum christianisierten Gebiete verzeichnet er ein Übermaß an Wahrsagern und Hexern, vermutlich handelt es sich hierbei um samische Schamanen, denen man nachsagt, sie könnten durch die Lüfte fliegen. So ist zum Beispiel auch die Rede von Menschen, die sich in Werwölfe verwandelten: »Der nimbt eyn Glas mit Bier, spricht etliche Wort darüber, gibt es dann eynem zu trincken, und so ers trincket, kann er nachmals, so offt er will, wann er in eynem Keller oder finstern Wald gehet, die Gestalt eynes Menschen lassen und sich durchauß zu eynem Beerwolff machen, kann auch solche angenommene Gestalt über eyn Zeit nach seinem Gefallen hinlegen und widerumb eyn Mensch werden.« 5 Das Werk von Olaus Magnus wurde in Spanien nicht veröffentlicht, Teile davon erreichten jedoch das Land über Personen, die Zugang zur italienischen Fassung hatten und vor allem über ein bestimmtes Buch: Jardín de flores curiosas (Garten seltsamer Pflanzen) von Antonio de Torquemada. Dieses Werk, 1570 in Salamanca erschienen, ist eine heterogene Zusammenstellung von Kuriositäten, Gedanken, fremdartiger Phänomene und fantastischer Dinge, die angeblich den Erdball bevölkerten. Die Kapitel 15 und 16 widmen sich Skandinavien, und hier macht Torquemada einen extensiven und freien Gebrauch vom Werk von Olaus Magnus, den er wiederholt zitiert. 6 Nach unserem Wissensstand handelte es sich bei diesem Werk um das einzige im spanischen 16. Jahrhundert publizierte Buch, das sich umfassend mit Skandinavien beschäftigt, weshalb es sich als Referenztext zum Thema eignet. 7 Torquemada ignoriert die realistischeren Passagen des Werks von Olaus Magnus, übernimmt und verstärkt jedoch die fantastischen, so dass eine Welt entsteht, in der die vertraute Realität nicht mehr gilt. Im Werk wird lange über Hexen, Zauberer und Geisterbeschwörer nachgedacht, sogar einige schwedischen Monarchen 8 sollen 3 Olaus Magnus 2006: 325. 4 Ebd., 321. 5 Ebd., 296. 6 Torquemada kannte vielleicht das Werk, welches sich in der Bibliothek des Grafen von Benavente befand, für den er als Sekretär arbeitete (Terán Fierro 1989: 39). 7 Torquemada nennt keinen früheren spanischen Autor. Im Zusammenhang mit dem Werk Olaus Magnus’, seiner Hauptquelle, führt er Folgendes aus: »Es erstaunt mich, dass man hier nicht mehr Kenntnis von ihm hat, weil diese Gebiete so nahe bei den unsrigen liegen« (Torquemada 1982: 407). 8 Es gibt bis zur heutigen Zeit viele Geisterbeschwörer (…), und einer von ihnen war Enrico, König von Schweden, fast in unseren Zeiten. Er war so abhängig von den Dämonen, dass er nur seine Mütze lüften musste, wenn er eine andere Windrichtung wollte, und in die Richtung, die er mit ihr anzeigte, wehte dann der Wind (Torquemada 1982: 447). Mateo Ballester Rodríguez 40 dazugehören, es ist die Rede von Vögeln, die sich aus Blättern zeugen (Torquemada 1982: 486) oder die »sich von Luft ernährten« (Torquemada 1982: 484), von Meeresungeheuern (Torquemada 1982: 472-476), von hundertzwanzigfüßigen Schlangen, die von einem ganzen Heer zu bekämpfen seien (Torquemada 1982: 491), von in wilde Kühe verwandelten Zauberinnen (Torquemada 1982: 448) von Werwölfen, die so viele Schäden verursachten, dass selbst die Wölfe zahm im Vergleich seien (Torquemada 1982: 464). Solche Beschreibungen sind nicht nur kurios, sondern sie beinhalten auch eine Einteilung der Welt, in der der geographisch weit entlegene Raum Skandinaviens mit der geistigen Stigmatisierung seiner Bewohner Hand in Hand geht: … en esta tierra parece que el demonio está más suelto y tiene mayor libertad que en otras partes; y así quieren decir algunos que es la principal habitación de los demonios (Torquemada 1982: 444-445). In diesem Gebiet scheint der Dämon ungebändigter zu sein und größere Freiheiten als in anderen Regionen zu besitzen; und deshalb pflegen einige zu sagen, es sei die bevorzugte Wohnstätte der Dämonen. Der verdorbene Charakter der skandinavischen Einwohner ist aufgrund Göttlicher Vorsehung gleichsam angeboren. Grundlage dieser Überlegung bilden biblische Texte, z.B. die Prophezeiungen von Jesaias und Zacharias, die vorhersagen, dass »aus jener Gegend der Antichrist kommen muss« (Torquemada 1982: 445). Diese magische und mysteriöse Aura Skandinaviens erklärt auch, weshalb Miguel de Cervantes für sein letztes Werk, Los trabajos de Persiles y Sigismunda. Historia septentrional (Die Mühen und Leiden des Persiles und der Sigismunda. Eine septentrionale Geschichte) von 1617 gerade die nördlichen Regionen als Hintergrund für die Handlung wählte. 9 Cervantes könnte während seines Aufenthalts in Italien zwischen 1569 und 1575 (Terán Fierro 1989: 37) Bekanntschaft mit dem Werk von Olaus Magnus geschlossen haben, dass ihm das Buch von Torquemada bekannt war, zeigt seine Erwähnung im Quijote. 10 Die heroische und üppige geistige Welt Don Quijotes, die im beginnenden 17. Jahrhundert Spaniens nur im Kopf eines Verwirrten existieren konnte, ist im Begriff, sich in eine reale Welt, an den Rändern der bekannten Gebiete, zu verwandeln. Dort sind die bizarren und fantastischen Geschehnisse möglich, von denen die Ritterromane berichten und die Cervantes die perfekte Szenerie für sein großes Heldenepos 9 Das Werk wurde postum veröffentlicht. Am 19. April 1616, vier Tage vor seinem Tod, schrieb Cervantes die Widmung des Werks für den Fürsten von Lemos. 10 Bei der Durchsicht der Bibliothek Don Quijotes stoßen der Pfarrer und der Barbier auch auf Torquemada, worauf sich folgendes Gespräch ergibt: »Das ist«, antwortete der Barbier, »Don Olivante de Laura.« »Der Autor dieses Buches«, erklärte der Pfarrer, »hat auch den Garten seltsamer Blumen verfasst, und ich wüsste beim besten Willen nicht, welches von beiden wahrer oder vielmehr weniger verlogen ist.« (Cervantes 2008: 64) Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 41 liefern. 11 In der modernen Welt ist das Epos nur in einem grillenhaften Geist möglich oder dann jenseits der vernunftbestimmten und entmystifzierten Welt. Genauso wie es Riley formuliert, wenn er sagt, »dass die Distanz die Glaubwürdigkeit erhöhte, galt als eine literarische Maxime jener Zeit« (vgl. Riley 1966: 300- 301). Tatsächlich beflügelten Skandinavien und andere, noch unentdeckte Regionen der Erde die menschliche Phantasie in ähnlicher Weise wie heute der Weltraum, wenn man an die Gattung des Science-Fiction Romans denkt. Diese weit entfernte Welt erhält eine einheitliche Gestalt genau wegen ihrer Unbekanntheit, die es auch ermöglicht, wie dies in Persiles und Sigismunda der Fall ist, den amerikanischen Kontinent und seine Einwohner in die Regionen Nordeuropas zu übertragen. 12 Es wurde bereits viel über die mehr oder weniger exakte Beschreibung Skandinaviens durch Cervantes geschrieben, und es erscheint plausibel, dass der Autor die zentralen Texte über die Region kannte. Es steht aber auch außer Zweifel, dass Cervantes nicht daran interessiert war, eine realistische Beschreibung der Gegend zu liefern, sondern er hatte vielmehr die Exaktheit zugunsten der dramatischen Handlung vernachlässigt (Lozano Renieblas 1998: 93-97 und 105-106). Die Vermischung von realen mit fiktiven Orten zeigt auch, dass geographische Exaktheit nicht relevant war und dass das physisch Äußere nur als Staffage für die phantastischen Abenteuer der Figuren dienen sollte. Die Erzählung über den Italiener Rutilio demonstriert, was möglich wird, wenn die Handlung auf skandinavischem Terrain angesiedelt wird. In seiner Heimat zu Tode verurteilt, erhält Rutilio in seiner Zelle Besuch einer Zauberin, die ihn befreien will, wenn er ihr verspricht, sie zu heiraten. Auf einem fliegenden Mantel entschwinden beide nach Norwegen. Als sie dort ankommen, umarmt sie Rutilio »no muy honestamente« (Cervantes 1992: 91) (»nicht sehr ehrbar«) (Cervantes 1963: 738) und verwandelt sich dabei in eine Wölfin, die, nachdem sie von Rutilio getötet wurde, in die »unglückliche Zauberin« zurück verwandelt. 11 Schevill und Bonilla haben auf den streng ritterlichen Charakter einiger Passagen in Persiles aufmerksam gemacht und auf die Ähnlichkeit dieses Werks mit dem Amadis de Gaula hingewiesen (Schevill und Bonilla 1914: XXIX-XXX). 12 Die Beschreibung der Sitten der Bewohner der Insel Barbara im Persiles und generell der nördlichen Bewohner gleicht in vielen Punkten den Erzählungen aus Südamerika verschiedener Chronisten. Die Barbaren im Persiles leben in gedeckten Zelten aus Tierfellen, mit denen sie auch den Boden bedecken und sich anziehen, verwenden als Münzen Teilchen aus Gold und Perlen, brauchen Holzflöße mit Lianen und Weidenruten zusammengebunden, Pfeil und Bogen mit Steinspitzen, Messer aus Stein, und bringen Menschenopfer dar, denen sie das Herz herausschneiden. Schevill und Bonilla sehen in solchen Beschreibungen den Einfluss der Comentarios Reales von El Inca Garcilaso de la Vega, 1609 in Lissabon publiziert (Schevill und Bonilla 1914: IX). Lozano Renieblas bezweifelt diese Annahme und meint, diese Bilder könnten auch von anderen Geschichtsschreibern, die sich mit den spanischen Kolonien in Südamerika beschäftigten, herstammen. Die Beschreibung der Menschenopfer könne von der heimischen Tradition des byzantinisch-griechischen Romans übernommen sein (Lozano Renieblas 1998: 127 und 140). Mateo Ballester Rodríguez 42 Die erste Person, der Rutilio nach dieser Episode in Norwegen begegnet, zufälligerweise der Neffe ebenfalls eines Italieners, erklärt ihm sein Erlebnis: »puedes, buen hombre, dar infinitas gracias al cielo por haberte librado del poder destas maléficas hechiceras, de las cuales hay mucha abundancia en estas septentrionales partes. Cuéntase dellas que se convierten en lobos, así machos como hembras, por que de entrambos géneros hay maléficos y encantadores. Cómo esto pueda ser yo lo ignoro, y como cristiano que soy católico no lo creo. Pero la esperiencia me muestra lo contrario. Lo que puedo alcanzar es, que todas estas transformaciones son ilusiones del demonio, y permisión de Dios y castigo de los abominables pecados deste maldito género de gente« (Cervantes 1992: 92). »Du, mein guter Mann, kannst dem Himmel nur unendlich danken, daß er dich aus der Gewalt dieser bösartigen Hexe befreit hat, deren es in diesen nördlichen Breiten eine Unmenge gibt. Es heißt, daß sich hier Männer und Weiber in Wölfe verwandeln, denn unter den Männern gebe es Hexenmeister wie unter den Weibern Hexen. Wie dies zugeht, kann ich dir nicht sagen, und als katholischer Christ glaube ich nicht daran; allein die Erfahrung belehrt mich eines anderen. Ich kann mir dies nur so erklären, daß alle diese Verwandlungen Vorspiegelungen des Teufels sind, die Gott zur Strafe für die abscheulichen Sünden dieser verfluchten Menschengattung zuläßt« (Cervantes 1963: 739). Es wurde auf den Einfluss von Olaus Magnus, von Torquemada oder von beiden bei dieser Passage von Persiles hingewiesen. Cervantes, zweifelnd, ob der Glaube an die Lykanthropie in Konflikt mit der Lehrmeinung der Kirche geraten könnte, äußerte sich unbestimmt dazu. 13 Ohne an die extreme Position von Torquemada heranzukommen, vertrat jedoch auch Cervantes die Auffassung, dass die Einwohner Skandinaviens aufgrund ihrer geographisch peripheren Lage zu weit weg von göttlicher Aufmerksamkeit und Gunst und demzufolge minderwertig waren. Es ist insofern bezeichnend, dass die religiöse Verurteilung der Skandinavier oft nicht vor dem Hintergrund ihres protestantischen Glaubens formuliert wird, eine Abweichung, die einem bekannt war, sondern hinsichtlich ihrer heidnischen Bräuche, ihrer Geisterbeschwörung, Kulte, die am Rande der christlichen Welt angesiedelt wurden. Das fantastische und exotische Bild der Skandinavier wird begleitet von einer Herabstufung ihrer kulturellen Welt. Dies wird nicht nur anhand der Landschaftsbeschreibung und der Nebenfiguren deutlich, sondern auch anhand der eigentlichen Handlung des Romans. Trotz des Erfolgs von Don Quijote sah sich Cervantes als tragischer Autor an, der Ruhm und Unsterblichkeit nicht durch eine tragikomische Geschichte eines Gebildeten erreichen wollte, sondern durch Verdienste in der Gat- 13 In einer nachfolgenden Passage, wo das Thema wieder aufgegriffen wird, heißt es, die Verwandlung eines Menschen in Wolfsgestalt sei unmöglich, solche Visionen kämen aufgrund von Täuschungen zustande: »Das mag sein«, entgegnete Mauricio, »ist doch die Macht der Hexenmeister und Zauberer - solche gibt es ja - imstande, uns eine Sache für die andere vorzuspiegeln, doch steht fest, daß kein Mensch imstande ist, seine ursprüngliche Art und Gestalt in eine andere zu verwandeln.« (Cervantes 1963: 783) Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 43 tung, die höher bewertet wurde, das moralisierende Epos. Cervantes platzierte Persiles und Sigismunda gattungsmäßig als byzantinischen Roman, der in Westeuropa im 16. Jahrhundert eine Renaissance erfuhr (Saccheti 2001: 31-40), und nimmt explizit auf das Werk Theagenes und Charikleia des spätantiken Autors Heliodor Bezug. 14 Persiles und Sigismunda ist als Nachahmung dieser Geschichte, die am Ende des 16. und im 17. Jahrhundert große Popularität erreichte, ebenfalls eine Erzählung von einer abenteuerlichen Reise zweier Liebender in ferne und exotische Länder, Äthiopien und Ägypten in Theagenes und Charikleia, die nordische Welt in Persiles und Sigismunda. Das Verhältnis der Liebenden ist bei Cervantes durch eine zunehmende geistige Vervollkommnung geprägt, deren Evolution parallel mit einer geographischen Verschiebung vonstatten geht. Das Werk ist in zwei geographisch klar getrennte Räume geteilt; der erste spielt an nordischen Küstengebieten und deren Gewässern, u.a. in Dänemark, Norwegen, GolandaTule/ Tile und auf anderen fiktiven Inseln. Ein Großteil der Bevölkerung dieser Gebiete wird als Barbaren charakterisiert, primitiv und von einer mangelhaften Religiösität. Im zweiten Teil des Werks bewegen sich die Hauptakteure in der vertrauten Welt des europäischen Mittelmeerraums, Portugal, Spanien, Frankreich und Italien, was gleichbedeutend mit einem Zugang zur Zivilisation ist und einhergeht mit einer geistigen Erhöhung sowie dem rechten Glauben. Schlusspunkt bildet dabei Rom, »der Himmel der Erde«. Alban K. Forcione kommt zu folgender Konklusion: »If in the northern episodes the dominant notes are darkness, exile, penance, demonic forces, fear, sterility, separation of lovers, and the wilderness, in the southern episodes we discern a modulation towards a major tonality, as the notes of light, vision of divinity, reconciliation, atonement, joy, fertility and marriage begin to sound triumphantly« (Forcione 1972: 123). Der ganze Inhalt lässt sich jedoch mit einer dichotomischen Gegenüberstellung nicht fassen, wie Michael Nerlich in einer originellen Interpretation gezeigt hat, mit der er die bisherigen Auslegungen in Frage stellt. Er geht davon aus, dass Cervantes ein im Wesentlichen positives Bild der nordischen Welt hatte, was an der positiven Charakterisierung einiger zentraler nordischer Figuren des Werks ablesbar sei. Die Würde und Redlichkeit der Figur Persiles’ rührt von deren Identifikation als Gote her, was diese Figur wiederum mit dem Stamm verbindet, von dem die spanischen Könige und Teile des Adels behaupten, sie stammten von ihm ab. Persiles, Sigismunda und andere Personen nordischer Abstammung sind dergestalt adlige Goten und damit von gleicher Natur wie das vornehmste spanische Blut (Nerlich 2005: 101-103). Die Reise dieser Figuren wäre so gesehen ein Weg, auf dem die religiösen 14 In seinen Novelas ejemplares (Exemplarische Novellen) (1613) schreibt Cervantes, dass er sich mitten in der Arbeit am Persiles befinde, mit dem er sich getraut, sich mit Heliodor zu messen: »Nach diesen Novellen, sollte mich der Tod noch verschonen, verspreche ich dir die Mühen und Leiden des Persiles und Sigismunda, ein Werk, das sich erkühnt, mit Heliodor zu wetteifern, wenn es nicht schon vorher seiner Dreistigkeit wegen zu Fall kommt.« (Cervantes 1963, Band 1: 60). Mateo Ballester Rodríguez 44 Konnotationen einer gotischen Symbolik und gotischen Geographie subordiniert wären und in der Konsequenz auch der gloriosen Vergangenheit Spaniens unter Herrschern von solchem Ursprung (Nerlich 2005: 160-161). 15 Ungeachtet der bedenkenswerten Beobachtungen Nerlichs, muss nach unserem Dafürhalten von einer Widersprüchlichkeit des Werks von Cervantes ausgegangen werden. Diese Möglichkeit scheint von vielen Forschern ausgeschlossen zu werden, weil sie bei einem so großen Autor wie Cervantes zum Vornherein von einer inneren Kohärenz ausgehen. Die Widersprüchlichkeit in Bezug auf die Einschätzung der nordischen Völker in Persiles und Sigismunda ist übrigens kein singulärer Fall, sondern widerspiegelt die weiter oben erwähnte ambivalente Haltung gegenüber den skandinavischen Völkern während des spanischen Goldenen Zeitalters. Gering geschätzt als Barbaren auf der einen, verherrlicht auf der anderen Seite als Angehörige des ruhmreichen Stamms der Goten, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. 3. Die Zügellosigkeit des Nordens Der barbarische Charakter der nordischen Bevölkerung zeigt sich in Persiles und Sigismunda auch in ihrem übermäßigen Trinken: »…no danzan ni tienen otros pasatiempos sino los que les ofrece Baco en sus tazas risueño y en sus bebidas lascivo« (Cervantes 1992: 184). [ »... denn die Bewohner dieser Gegend tanzen nicht, noch kennen sie einen anderen Zeitvertreib als jenen, den Bacchus ihnen bietet: Fröhlichkeit in seinen Bechern und Geilheit in seinen Tränken« (Cervantes 1963: 837).] Die Tendenz zur Trunkenheit, mit der der Mensch in den Augen des damaligen Spaniens zum Tier herabgewürdigt wird, verweist auf ein Stereotyp, das den Bewohnern Nordeuropas und speziell den Deutschen anhaftete. 16 Die Hemmungslosigkeit punkto Alkohol ist nicht der einzige Mangel, sondern einer unter vielen anderen eines kollektiven, beschädigten Charakters dieser Völker, der oft als Resultat der klimatischen Verhältnisse angesehen wird, in denen sie leben. 15 Die Städte, die von den Protagonisten besucht wurden, existierten in der Zeit der Goten, während wichtige Städte, die in dieser Zeit nicht existierten, unerwähnt bleiben. Die Reiseroute reproduziert den römischen und später den westgotischen Weg, der von Lisabon nach Narbonne führte (Nerlich 2005: 161). 16 Beim Aufweis der Mängel der verschiedenen Völker liest man in Graciáns Kritikon: » GE- FRÄßIGKEIT, zusammen mit ihrer Schwester, der Trunksucht, habe, so versichert uns die treffliche Margarethe von Valois, sich Deutschland einverleibt, Oberwie Niederdeutschland, tage- und nächtelang auf Banketten schlemmend und schwelgend, Vermögen verprassend und Gewissen dazu. Manch einer dort war in seinem Leben nur einmal berauscht, und das hat für immer vorgehalten « (Gracián 2001: 250). In seiner Schrift España defendida (1609) bemerkt Quevedo, dass die inhärente Tendenz der Nordländer zum Alkoholexzess sogar deren Sprache beeinflusse: »Es ist die Sprache von Besoffenen, die zitternd ausgesprochen wird, typisch für diejenigen, die außerhalb ihrer selbst sind und abhängig vom Wein« (Quevedo 1992: 581). Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 45 Der Glaube, dass der Charakter eines Volkes durch die klimatischen Bedingungen, in denen es lebt, geformt wird, war im spanischen Golden Zeitalter weit verbreitet und diente auch dazu, die spanische Vorrangstellung zu begründen. Ein Autor scheint bei der Entwicklung dieser Theorie besonders wichtig gewesen zu sein, nämlich Juan Huarte de San Juan, der in seiner Schrift Examen de ingenios (1575) entsprechende Theorien von Klassikern der Antike wieder aufnahm und sie in den Dienst einer diskursiven Begründung der spanischen Vormachtstellung stellte. Gemäß dieser Perspektive ist die ideale Bedingung für ein Territorium die ›templanza‹ (›Mäßigung‹), die, wie die Tugend bei Aristoteles, sich als die richtige Balance erweist, weit weg vom Ungleichgewicht der Extreme. Nihil nimis, Das Maß- Halten; in seiner klimatischen Version ist in den Gebieten zu finden, die weit weg von extremer Feuchtigkeit bzw. Trockenheit liegen, und weder zu kalt noch zu heiß sind. Mäßigung oder »Übermaß« des Gebiets widerspiegelt sich in den Bewohnern, mit dem Ergebnis, dass … los que moran debajo [al Norte] del Septentrión todos son faltos de entendimiento; y los que están sitiados entre el Septentrión y la tórrida zona son prudentísimos. La cual postura responde puntualmente a nuestra región, y es cierto así. Porque España, ni es tan fría como los lugares del Norte, ni tan caliente como la tórrida zona (Huarte 1989: 414-415). … diejenigen, die im Norden wohnen, haben alle einen mangelnden Verstand; und diejenigen, die zwischen dem Norden und der heißen Zone leben, sind sehr klug. Dieser Ort entspricht genau unserer Region, daran besteht kein Zweifel. Denn Spanien ist nicht so kalt wie die Regionen im Norden, noch ist es so warm wie die heißen Zonen. Die Neigung zur Trunksucht der »ungemäßigten« Bewohner des Nordens wird dergestalt im globalen Zusammenhang gesehen. Huarte sagt über die Flamen, Deutschen, Engländer und Franzosen, dass »ihr Geist wie derjenige eines Betrunkenen ist und deshalb kann er die Natur der Dinge auch nicht untersuchen oder wissen« (Huarte 1989: 415). Als Kontrast zu diesen Beschränkungen preist Huarte die überlegenen Qualitäten derjenigen Völker, die »im fünften Klima wohnen, wie die Spanier, Italiener und Griechen, die Leute von großer Verstandeskraft und sehr mutig seien« [»habitan en el quinto clima (como los españoles, italianos y griegos) que son hombres de grande ingenio y muy aniomosos« (Huarte 1989: 717). 17 Der Unterschied beinhaltet auch eine religiöse Dimension. Huarte erklärt die Abweichung Nordeuropas von der katholischen Orthodoxie als Resultat einer Vorherrschaft eines Menschenschlags mit klaren psychischen Defiziten, die ihre Ursachen in den klimatischen Verhältnissen haben. Von daher kommt auch die blauäugige und gefährliche Zuneigung dieser Leute für das Extravagante, Neuartige 17 (Anm. des Hrsg.): Die Erde wurde in sieben Klimazonen eingeteilt, die parallel zum Äquator verliefen. Die erste Zone befand sich ganz im Süden und war zu heiß, die vierte und fünfte lagen etwa in der Mitte und galten als gemäßigt, während die siebte ganz im Norden lag und deshalb als zu kalt galt. Vgl. hierzu etwa: Carl Frängsmyr: Klimat och karaktär. Naturen och människan i sent svenskt 1700-tal, Stockholm 2000, S. 23f. Mateo Ballester Rodríguez 46 und Abweichende, das in Glaubensfragen sich verheerrend auswirkt. In einer typischen, barocken Wendung hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Schein und Realität, zwischen rhetorischer Künstlichkeit und Vernunft schreibt Huarte, wie … la vanilocuencia y parlería de los teólogos alemanes, ingleses, flamencos, franceses y de los demás que habitan el Septentrión echó a perder el auditorio cristiano con tanta pericia de lenguas, con tanto ornamento y gracia en el predicar por no tener entendimiento para alcanzar la verdad (Huarte, 1989, 451-2). … die Geschwätzigkeit und Faselei der deutschen, englischen, flämischen, französischen und aller anderen Theologen, die im Norden wohnen, ruinierte die christliche Zuhörerschaft mit soviel rhetorischer Verführungskunst, mit soviel Redeschmuck und Anmut beim Predigen, weil sie keinen Verstand haben, um die Wahrheit zu begreifen. Die Reformation ist demzufolge das Werk unverantwortlicher Theologen aus dem Norden, die, gezeichnet durch eine tiefe psychische Defizienz, die ihrer Nation inherent ist und durch unreflektierte Originalitätssucht die unerschütterliche Wahrheit des katholischen Glaubens korrumpiert hätten. Das Werk Examen de ingenios (Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften) war schon bei der ersten Auflage ein großer Erfolg und trotz seiner Probleme mit der Zensur im 17. Jahrhundert, und zwar gerade als Resultat seines Erfolgs, übte Huartes Theorie einen großen Einfluss auf das kulturelle und intellektuelle Spanien aus (Seres 1989: 65). In erster Linie kann dieser Einfluss nach meinem Dafürhalten in der üblichen Charakterisierung der skandinavischen Völker festgestellt werden. Der Einfluss Huartes de San Juan auf Cervantes und sein Werk ist von vielen Forschern nachgewiesen worden (Iriarte 1948: 311-332). Im Werk Persiles und Sigismunda wurde dieser Einfluss von Avalle-Arce anhand konkreter Episoden aufgezeigt (vgl. Avalle-Arce 1992: 73 und 133), aber man kann ihn auch in der Beschreibung der nordischen Völker sehen, die als kaum zivilisiert, einige unter ihnen recht eigentlich als Barbaren charakterisiert werden. Auch Juan de Mariana fällt in seiner Historia de España, die spanische Version stammt von 1601, ein negatives Urteil über die skandinavischen Völker, die er septentrionales nennt, und zwar als Resultat einer klimatischen Determiniertheit. Mariana nimmt ein Stereotyp der Zeit auf auf bringt sexuelle Grobheit in einen Zusammenhang mit der Trunksucht … además de ser los septentrionales más largos en la comida y en la bebida, se encienden con el estremo frío de aquellas regiones y aire: en especial antes que recibiesen la Religión Cristiana, y por ella enfrenasen sus apetitos con la ley de un matrimonio (Mariana: 1852: 127). … abgesehen davon, dass die Nordländer tüchtige Esser und Trinker sind, entflammen sie auch durch die extremen Kälte ihrer Gegend: im Speziellen bevor sie die christliche Religion erhielten, wodurch sie ihren Appetit durch das Gesetz der Ehe zügelten. Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 47 Die Gleichstellung der skandinavischen Völker mit anderen ihnen benachbarten Nordeuropas dient nicht dazu, sie in einer gemeinsamen Zivilisation zu integrieren, sondern sie an den spezifischen Defiziten jeder Region teilnehmen zu lassen, die von Gracián mit der spanischen Höflichkeit und Mäßigung kontrastiert werden: »En España nunca llegó la borrachera a ser merced, en Francia sí a ser señoría; en Flandes, excelencia; en Alemania, serenísima; en Suecia, alteza« (Gracián 1993: 474). [»Zwar hat es Trunksucht in Spanien niemals auch nur zu Gnaden gebracht, in Frankreich aber doch zu Wohlgeboren, in Flandern zu Exzellenz, in Deutschland zu Durchlaucht, in Schweden zu Hoheit, in England sogar zu Majestät.« (Gracián 2001: 641). ] Ähnlich wie bei Huarte de San Juan wird auch bei Gracián das Bild der Nordeuropäer, speziell dasjenige der Schweden, als übermäßige Trinker, verknüpft mit den verschiedensten Charakter- und Verhaltensdefiziten, unter ihnen ihre grausame Kriegslust und ihr religiöses Abweichertum: Es la embriaguez fuente de todos los males, reclamo de todo vicio […]. Gran comadre de la herejía: dígalo el Septentrión, llamado así no tanto por las siete estrellas que le ilustran, cuanto por los siete capitales vicios que le deslucen […]. Paisana de la ferocidad: publíquelo Suecia, inquietando muy de atrás toda la Europa (Gracián 1993: 462- 463). Die Trunkenheit ist aller Übel Urquell, Labung aller Laster [...]. Große Gevatterin der Häresie im Übrigen: Das bezeuge der Norden mit seinem Siebengestirn, welches nicht so sehr wegen der sieben Sterne so heißt, die ihn beleuchten, als vielmehr wegen der sieben Todsünden, die ihn verdüstern. [...] Landsmännin der Angriffswut: Das soll Schweden öffentlich eingestehen, welches schon so lange ganz Europa in Unruhe versetzt (Gracián 2001: 625-626). Francisco de Quevedo stellt in seiner España defendida (1609) die Klimatheorie ebenfalls in den Dienst eines Diskurses der nationalen Selbstbeweihräucherung und des Tadels der nördlichen Nachbarn. 18 Quevedo fügt ein neues Argument an, indem er räsoniert, dass die nördlichen Gebiete nicht nur aufgrund ihrer schädlichen natürlichen Gegebenheiten (Verhältnisse) Völker mit erheblichen Charakterdefiziten hervorgebracht hätten, sondern dass diese schon ursprünglich von minderwertigen menschlichen Gemeinschaften besiedelt worden waren, die genau wegen ihrer Charakterdefiziten in diesen Breitengraden strandeten: … las partes occidentales destempladas, como Francia por los grandes aires; Alemania, Flandes, Dinamarca y Noruega por los grandes fríos, no se habitaron por elección; si- 18 Es besteht kein Zweifel, dass Spanien, versehen mit einem gemäßigten Boden und einem heiteren Himmel ähnliche Effekte auf die Gemütsverfassung seiner Bevölkerung haben wird; denn weder macht die Kälte uns phlegmatisch und faul wie die Deutschen, noch verunmöglicht zu viel Hitze das Arbeiten wie bei den Negern und den Indianern; denn gut gemischt die eine Eigenschaft mit der anderen entstehen ausgewogene Gepflogenheiten (Quevedo 1992, 585). Mateo Ballester Rodríguez 48 no, después de habitadas las partes orientales y templadas, por la necesidad y estrecheza y inundación de gentes, fueron vividas del vulgo sobrado (Quevedo 1992 : 526). … die rauhen, nördlichen Gebiete, wie Frankreich wegen der großen Winde; Deutschland, Flandern, Dänemark und Norwegen wegen der großen Kälte wurden nicht freiwillig bewohnt, sondern, nachdem die südlichen, gemäßigten Gebiete besiedelt waren, durch Notwendigkeit. Sie wurden wegen der Knappheit und Beengung und wegen der Bevölkerungsüberschwemmung vom überschüssigen Volk besiedelt. Das Klima und, wie wir gesehen haben, auch ein ursprünglicher Mangel bei einigen, erklären den belasteten Charakter bestimmter Gemeinschaften. Wir haben schon auf das geringe Interesse der spanischen Gesellschaft im Goldenen Zeitalter an Skandinavien, zu dem nur spärliche Kontakte bestanden, hingewiesen. Deshalb wurden in erster Linie die Franzosen, Engländer, Holländer oder Deutsche charakterisiert und gewichtet. Richtete sich die Aufmerksamkeit jedoch auf die nordischen Länder, war die logische Konsequenz, dass diese in der Beurteilung noch schlechter als die anderen wegkommen mussten. Persiles und Sigismunda von Cervantes liefert dafür ein schlagendes Beispiel. 4. Der Gotizismus als gegenläufige Bewegung Skandinavien stellte für den Spanier des 17. Jahrhunderts ein fernes, beinahe unwirkliches Gebiet dar, zu dem sich kaum historische Verbindungslinien aufzeigen ließen. Verbindungen gab es jedoch, in Form von Pilgerreisen, Heiratskontrakten zwischen königlichen Familien und v.a. durch die Anwesenheit der Wikinger auf der iberischen Halbinsel Jahrhunderte zuvor. Solche Ereignisse haben jedoch im kollektiven Gedächtnis der Spanier während des Siglo de Oro keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Gleichwohl gab es eine historische Verbindung von ungleich höherer Relevanz für die Mentalität der Epoche, die der Aufmerksamkeit verschiedener Autoren nicht entging: Der skandinavische Ursprung des gotischen Volkes, welches das unabhängige Königreich Hispania im 5. Jahrhundert gegründet hatte. Die Wichtigkeit dieses alten Königreiches wurde nicht nur archäologisch begründet. Seit seinem Fall mit der muslimischen Invasion und noch unter der habsburgischen Dynastie diente es als ideologisches Instrument, mit dem die christlichen Regierungen der Halbinsel ihre Macht legitimieren wollten, indem sie auf ihre genetische Verbindung mit den alten westgotischen Königreichen hinwiesen. Ein ähnlicher Vorgang kann bei vielen adeligen Familien festgestellt werden, die in der Bekräftigung eines westgotischen Ursprungs ebenfalls eine Form der eigenen Nobilitierung sahen. Der Ursprung dieses Gotizismus liegt im 9., vielleicht sogar schon im 8. Jahrhundert, als sich die ersten christlichen Königreiche nach der muslimischen Eroberung konsolidierten. Die Verbindung mit dem alten gotischen Reich von Hispania stärkte nicht nur die monarchische Legitimation über das Territorium, sondern erlaubte gleichzeitig, sich als legitimer Nachfahre der okkupierten musli- Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 49 mischen Gebiete zu betrachten. Die territoriale Expansion in Richtung Al Andalus stellte sich so als Wiederherstellung (restitutio) einer ursprünglich legitimierten Ordnung dar. Schon von einem frühen Zeitpunkt der christlichen Rückeroberung an konturierte sich eine Erzählung, derzufolge der geflohene gotische Adel von den christlichen Enklaven aus, die im Norden der Halbinsel überlebten, zusammen mit autochthonen Ansiedlern die Rückeroberung der widerrechtlich verlorenen Gebiete begann. Die Legende von Don Pelayo (Pelagius) und seine Zuweisung zu einer gotischen Abstammung stellte ein bedeutendes rechtfertigendes und ermutigendes ideologisches Instrument christlicher Rückeroberung dar. Der Mythos entsteht im Königreich Asturien; 19 von dort wandert er nach Leon und wird später der kastilische Tradition einverleibt 20 , um in den Geschichten und Chroniken der verschiedenen spanischen Gebiete als fester Bestandteil zu enden. 21 Jahrhunderte später, nach der Vereinigung Kastiliens mit Aragonien fungierte die Zuordnung Isabels und Fernandos an den königlichen gotischen Stamm als Instrument zur Legitimierung der Eroberung des nasridischen Reichs von Granada. 19 Der erste Hinweis auf Pelagius stammt aus dem Jahre 812, in der Präambel einer Schenkung König Alfons II. an die Kirche von Oviedo und situiert diese unter dem Befehl des christlichen Asturiens, jedoch ohne explizit die westgotische Abstammung zu erwähnen. In der Chronik Albeldense (c. 881), die älteste erhaltene Chronik der christlichen Halbinsel, wird die westgotische und toledanische Herkunft hervorgehoben und folglich auch eine Verbindung mit der Königswürde. Es scheint in jedem Fall so zu sein, dass schon zu Beginn des neunten Jahrhunderts man diese Herkunft Pelagius’ im gelehrten Kreis der dem Hofe Alfonsos II. (c. 760-842) nahestand, zuschrieb. 20 In der Historia Silense der zweiten Dekade des 12. Jahrhunderts findet man den Mythos dann schon voll ausgebildet. Pelayo, abstammend vom Hofe von Toledo, befehligt die Goten, die vor der sarazenischen Invasion geflohen sind, und sich in den asturischen Bergen wieder kampffähig machen. Er etabliert eine Dynastie, von welcher der königliche asturischleonesische Stamm abstammen soll. In der kastilischen Geschichtsschreibung erscheint die neogotische Legende in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der Chronicon Mundi von Lucas de Tuy, und in De Rebus Hispaniae (oder Historia gótica) von Rodrigo Jiménez de Rada. 21 Der neogotische Mythos ist früh und intensiv in Katalonien und alludiert zunächst nicht an den entfernten Mythos von Covadonga, sondern an einen eigenen westgotischen Kern, mit eigenen historisch-mythischen Figuren wie Muñoz de la Cerdaña oder Otger Cathaló mit seinen sieben männlichen Wesen. Mit der Berufung auf eine westgotische Abstammung suchte man die Rückeroberung sowie auch den Widerstand gegenüber fränkischem Druck zu legitimieren. Die nachfolgende katalanische Geschichtsschreibung gab dieser westgotischen Tradition keine Kontinuität, sondern entwarf, aufgrund einer weiteren spanischen Perspektive einen eigenen Mythos, nämlich denjenigen von Covadonga (Maravall 1997: 326-35). In Portugal wurde der westgotische Mythos spät angenommen. Er ist jedoch in der portugiesischen Version der Crónica general de España von 1344 oder im Livro de Linhagens do conde Don Pedro (Ladero Quesada 1997: 123) vorhanden. Mateo Ballester Rodríguez 50 Fernando del Pulgar berichtet, dass, als der osmanische Sultan vermittelte, um die Beendigung der aggressiven Politik gegenüber diesem Königreich zu verlangen, die Katholischen Könige geantwortet hätten, was sie anstrebten sei das Ihrige einzutreiben (cobrar lo suyo) (del Pulgar 1943b: 397). Die Rechtfertigung der Rückeroberung durch die Katholischen Könige basierte nicht nur darauf, dass man ungläubige Gebiete eroberte, sondern auch auf ganz konkreten Eigentumsrechten: ... era notorio por todo el mundo que las Españas en los tiempos antiguos fueron poseydas por los reyes sus progenitores; y que si los moros poseyan agora en España aquella tierra del reyno de Granada, aquella posesión era tiranía y no jurídica (del Pulgar, 1943b, 396). ... es ist in der ganzen Welt bekannt, dass Spanien in den alten Zeiten durch die Könige und deren Vorfahren beherrscht war und dass der Besitztum der Araber des Königreichs von Granada tyrannisch zu nennen ist und nicht rechtlich. Nach der Periode des Herrschers Karl V. erlebten die gotischen Thesen unter Felipe II. wieder eine neue Blüte, mit königlicher Genehmigung und manchmal auch unter seiner Schirmherrschaft. 22 Nach der Eroberung Granadas 1492 hörte der Gotizismus auf, eine legitimatorische Funktion der Eroberung auszuüben, blieb jedoch wichtig als Argument für das Alter des spanischen Königreichs und seiner königlichen Abstammung gegenüber den andauernden Diskussion unter den europäischen Monarchen bezüglich der Frage nach dem hierarchischen Vorrang. 23 Obwohl einige Autoren wie García Matamoros, Garibay und Quevedo die zentrale Rolle der gotischen Abstammung ablehnten, ein Volk, das sie als fremdes präsentierten, welches sich auf einen bereits existierenden spanischen Stamm aufgepropft habe 24 , blieb der Gotizismus doch eine zentrale Denkfigur. López Madera, Mariana, Pellicer, Saavedra Fajardo, Gracián und weitere Autoren betonen die Vortrefflichkeit der alten westgotischen Herrscher, mutige, vornehme und 22 Philipp II. übertrug dem Historiker Ambrosio de Morales die Aufgabe, nach Asturien zu reisen, um eine Untersuchung einzuleiten, deren Ziel es hätte sein sollen, Dokumente und Reliquien zusammenzustellen sowie archäologische Funde aufzustöbern, die vom kleinen Königreich zeugten, das, um die Figur Don Pelayos, den arabischen Invasoren die Stirn bot. Das Projekt wurde jedoch nicht so sehr von einem generellen Interesse an der Vergangenheit geleitet, sondern eher vom Wunsch, die Verbindung des Königs mit Don Pelayo und dem westgotischen Königreich Hispaniens zu betonen. 23 Zu erwähnen sind Controversiarum Illustrium Aliarumque Usu Frequentium Libri Tres, von Fernando Vázquez de Menchaca, im Kontext des Trentinischen Konzils oder Excelencias de la Monarquía y Reino de España, publiziert durch Gregorio López Madera 1598. 24 Garibay ist in dieser Hinsicht kategorisch: »Pelayo war kein Gote und die spanischen Könige können sich durch eine gotische Herkunft nicht hervortun, denn offensichtlich war die Generation der gleichen Spanier, die von Tubal abstammte, adeliger. Er ist der wahrhafte Stammvater der Spanier und nicht die Generation der ausländischen Goten« (vgl. Garibay 1988: 325). Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 51 frühzeitig zum Christentum Bekehrte und später zum Katholizismus, Vorläufer der regierenden Monarchen. Die gotische Herkunft wird mit Stolz von vielen adeligen Familien verkündet, um so auf ihre edelste Abstammung zu verweisen. Schon 1505 beklagt sich Antonio von Ferrariis, el Galateo, von Neapel aus über die Präsenz von Spaniern, die sehr aufgeblasen von dieser superbia gothica seien, und sich ihrer gothischen Abstammung rühmen » muy hinchados de esa superbia gothica, que les lleva a gloriarse de ser descendientes de los godos « (vgl. Menéndez Pidal, 1956, 55). Das Motiv verwandelt sich zu einer gewöhnlichen Prestigeformel in der Literatur des spanischen Goldenen Zeitalters, z.B. in den Komödien Lope de Vegas, wo oft auf die Goten und das gotische Blut angespielt wird, um die Figuren zu nobilitieren (Kirschner y Clavero 2007, 18). Covarrubias macht auch auf die soziale Anerkennung aufmerksam, die mit einer solchen Verbindung einhergeht, indem er darauf hinweist, dass der gotische Stamm bis heute andauert (vgl. Covarrubias 1995, 593). In Anbetracht der Wichtigkeit des Gotischen in der spanischen Gesellschaft und Politik wird es verständlich, dass verschiedene Autoren sich Gedanken über den Ursprung dieses Volkes machten und dieser retrospektive Blick führte sie schließlich nach Skandinavien. Diese Herkunft wurde schon durch die klassischen Quellen betont, z.B. von Jordanes, ein lateinischer Geschichtsschreiber von gotischer oder alanischer Herkunft, der um 551 das Werk De Origine Actibusque Getarum (Vom Ursprung und von den Taten der Goten) schrieb. Dieses Werk, das am Anfang einer langen Tradition der Verwechslung der Goten mit den Geten steht, stellt über weite Strecken das Resultat eines anderen, heute verlorenen Werkes dar, das von Cassiodor im Auftrag von Teodoricus geschrieben wurde. Jordanes siedelt die Wiege dieses Volkes auf der skandinavischen Halbinsel La isla de Escandia an, von wo es weiterzog, um sich in einem Gebiet niederzulassen, das sie Gotiscandia nannten, um von hier weiterzuziehen nach Escitia am Schwarzen Meer (Jordanes 2001: 71-72). Noch früher hatte Ambrosius von Mailand in De fide von 378 die Goten mit dem biblischen apokalyptischen Volk von Gog gleichgesetzt, sich in seiner feindlichen Haltung den Christen gegenüber unter der Regierung des Heiden Atanaricus (Wolfram 2002: 11). Das Hauptvorhaben des Buches von Cassiodorus bestand im Gegensatz dazu, die Aristokratie und die Königlichen mit einer glorreichen Vergangenheit auszurüsten, vergleichbar mit den römischen Senatorenfamilien, mit dem Ziel, dem negativen Bild dieses Volkes entgegenzuwirken, welches von der römischen Propaganda entworfen wurde (Sanz Serrano 2009: 44). Das Einfügen der Goten in die biblische Erzählung verändert deshalb die Richtung ihrer Lobredner, in der Zusammenfassung der Historia de regibus gothorum, wandalorum et suevorum identifiziert Isidor von Sevilla in positivem Sinne dieses Volk mit Magog, entsprechend der Verbindung der Hunnen mit Gog (García Moreno 2005: 49). Der Mythos von Magog hält sich in der spanischen Geschichtsschreibung und wurde von Lucas de Tuy und Rodrigo Jiménez de Rada (Jiménez de Rada, 1989, 63-64), im Kontext der kastilischen Revitalisierung der Geschichtsschreibung im Mateo Ballester Rodríguez 52 13. Jahrhundert wieder popularisiert hervorgeholt (Lucas de Tuy 2007: 151 und 162). Die Historia Gothica des letztgenannten ist von Jordanes sehr beeinflusst ((Sánchez Martín 2001: 32). Es ergibt sich die verwirrende Situation, dass Magog in der Bibel, in der Apokalypse, ein Volk repräsentiert, gleichzeitig jedoch auch den Sohn von Jafet und Neffe von Noé. In den späteren Texten, die auf die Goten hinweisen, stehen diese in Verbindung mit Magog in dem einen oder anderen Sinn, als Volk oder als dessen Begründer, jedoch immer innerhalb eines positiven Berichts. Im 16. Jahrhundert wird der Originaltext von Jordanes bekannter, und zwar durch die erstmalige Edition 1515 in Augsburg, der andere folgten, 1531 in Basel, 1579 in Paris, 1588 in Frankfurt, 1597 in Leiden und andere mehr im 17. Jahrhundert. Andere Werke in der Zeit trugen auch dazu bei, das Bewusstsein zu schärfen, dass die skandinavischen Ursprünge im gothischen Volk zu suchen sind, z.B. die Historia de omnibus Gothorum Sveonomque regibus von Johannes Magnus, die in 1554 in Rom publiziert wurde. Dieses Werk, das über weite Strecken von Jordanes beeinflusst und reichlich mit Phantasie ausgestattet ist, wurde nach dem Tod des Autors von seinem Bruder, der schon erwähnte Olaus Magnus herausgegeben, der zwei eigene Kapitel einfügte. Magog, der Neffe von Noah, ist in diesem Werk der Grundleger der Abstammung der schwedischen und gothischen Könige, und zwar durch seine Söhne Sven und Gethar. 25 Die Publikation dieser beiden Werke erzeugte in Spanien ein neues Interesse am skandinavischen Ursprung der Gothen, der oft für eigene Zwecke instrumentalisiert wurde. Sich ausdrücklich auf Iornandes Godo und Johannes Magnus beziehend, argumentiert Lopez Madera, dass die Überlegenheit Spaniens und seiner Regierungen und damit auch seine Vorrangstellung gegenüber jeder andereren Regierungsmacht einerseits durch das Alter der spanischen Monarchie gerechtfertigt sei, die durch die Goten gegründet worden sei, andererseits jedoch auch durch »Überlegenheit, die die Goten als Goten ursprünglich hatten, die einzigartig auf der Welt war« (vgl. López Madera 1999: 58). Außer dem Alter war die Abstammung in ihrem skandinavischen Ursprung berühmt: Das Thema der Abstammung wird vor allem in den eigentlich historischen Texten häufig thematisiert. Julián del Castillo veröffentlichte 1582 eine Geschichte Spaniens, in der die dynastische Kontinuität mit den Westgoten beginnt und bis in seine Gegenwart reicht: la Historia de los Reyes Godos que vinieron de Scitia de Europa contra el Imperio Romano y a España y la sucesión dellos hasta el catholico y potentissimo don Philippe segundo, rey de España. 26 Der Autor situiert das Siedlungsgebiet dieses Volkes unpräzise auf der »Insel Gotia«, angesiedelt in Scythia von Europa (Castro y Castillo 1624: 3 und 8-9). Im Dienste einer Nobilitierung der spanischen Könige und deren Vorfahren preist das Werk die Tugenden dieses Volkes, das ein 25 Die schwedische Krone der Epoche übernahm diese Genealogie. Christina von Schweden verstand sich deshalb als Monarch Nr. 249 einer Liste, die mit Magog begann. 26 Das Werk wurde fortgesetzt, in späteren Editionen unter dem Namen seines Sohnes Jerónimo de Castro y Castillo. Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 53 Produkt der hervorragenden klimatischen Verhältnisse der Insel Gothia sei, in deren Beschreibung die nördliche Breite beiseite geschoben wird (vgl. Castro y Castillo 1624: 9). Juan de Mariana zeigt sich in seiner Historia general de España präziser in der Verortung der Wiege des gotischen Volkes: … los godos bajaron de una provincia por nombre Scandia, a la cual los antiguos llamaron Basilia o Baltia, tierra muy extendida y muy ancha, y que está sobre Alemania, y sobre Sarmatia o Polonia, pegada por la parte de Levante con otra provincia llamada Fimmarchia, rodeada por las otras partes del mar Báltico y Glacial. Tiene Scandia forma de península, muy más larga que ancha: divídese en la Gothia, la Suecia y la Norvegia, y con ésta está pegada otra provincia llamada la Lapia (Mariana, 1852, 127). … die Goten kamen aus einer Provinz namens Scandia, die von den Alten Basilia oder Baltia genannt wurde, ein ausgedehnte und sehr weites Gebiet, das sich über Deutschland und über Sarmatien oder Polen erstreckt, angeheftet ostwärts an eine andere Provinz, genannt Finmark, umgeben auf den anderen Seiten von der Ostsee und vom Eismeer. Scandia hat die Form einer Halbinsel, viel länger als breiter: geteilt in Gotia, Schweden und Norwegen, und mit diesem auch mit Lappland verbunden. Obwohl Mariana die Idee teilt, wonach Don Pelayo »aus dem Geschlecht und königlichen Blut der Goten stammt« (vgl. Mariana 1852: 202), und wonach dies Geschlecht der Ursprung der späteren königlichen spanischen Abstammung ist, ist die Beschreibung dieses Volkes in der frühen skandinavischen Periode keineswegs lobrednerisch. Es war schwierig für Mariana, ein nördliches und heidnisches Volk zu preisen, ohne in Widerspruch zu geraten mit den Hauptthesen in seinem Werk, die den Charakter eines Volkes als determiniert durch das Klima begreifen. Die spanische Überlegenheit ergibt sich deshalb aus dem gemäßigten Klima des Landes. Zu den Völkern, die einem extremen Klima unterliegen, gehört notwendigerweise auch das gotische mit allen daraus ableitbaren Defekten. Der damalige heidnische Charakter dieses Volkes gab dem jesuitischen Historiker ebenfalls keinen Anlass zum Lob, da für ihn der richtige Glaube das Hauptkriterium zur Beurteilung von Völkern und Individuen darstellte: Antiguamente eran dado a muchas supersticiones […]. Por persuadirse que no les sucedería prósperamente en la guerra si no ofrecían por el ejército sangre humana, sacrificaban los que prendían en la guerra, al dios Marte, al cual principalmente eran devotos, y asimismo acostumbraban a le ofrecer las primicias de los despojos, y colgar de los troncos de los árboles las pieles de los que mataban (Mariana 1852: 128). Früher widmeten sie sich sehr dem Aberglauben [...]. Überzeugt davon, dass sie kein Kriegsglück hätten, wenn sie dem Heer nicht Menschenblut darböten, opferten sie die Kriegsgefangenen dem Gott Mars, dem sie anfänglich geweiht waren, und so gewöhnten sie sich daran, ihm die Innereien zu opfern und die Haut der Getöteten an die Baumstämme zu hängen. Mariana, äußert jedoch trotz allem ebenfalls in wenig schmeichelhaften Formulierungen etwas, das einer Eloge auf das erstgeborene Volk der Goten gleichkommt. Mateo Ballester Rodríguez 54 Die unbarmherzige Schilderung der heidnischen Religiosität der Goten hat ihren Gegenpart in einem Fünkchen von Rechtschaffenheit, das sie in besonderer Art und Weise für den richtigen Glauben prädisponierte: … entre estos devaneos acertaban en tener por cierto, opinión recibida de su mayores, que las ánimas humanas eran perpetuas, y que después de la muerte había premios y castigos (Mariana 1852: 128). … unter diesen Hirngespinsten fand sich auch die Gewissheit, dass die menschliche Seele unvergänglich sei und dass es nach dem Tod Belohnung und Strafe gab. Die klimatisch begründete Tendenz zum Exzess musste auch positive Nebeneffekte erzielen, wie z.B. das Extreme in Bezug auf ihre Beherztheit und Kriegslust. 27 Diese Eigenschaft war besonders hervorstechend in der königlichen gotischen Abstammung, die mit dem späteren Spanier verbunden ist, in der »die Balten hervorstechen, die in deren Sprache die Tollkühnen« heißen (vgl. Mariana 1852: 127). Das Positive dieses Volkes erreicht seine volle Blüte jedoch erst, nachdem es sich zuerst vom Heidentum, und nachher vom Arianismus abwandte, und 589 unter seinem König Recaredo zum christlichen Glauben konvertierte: … la gente nobilísima de los godos, que hasta aquí descarriada se hallaba en medio de unas tinieblas muy espesas, alumbrada de la luz celestial ha entrado por el camino de la inmortalidad (Mariana 1852 : 162). … das vornehmste Volk der Goten, das bis anhin irregeführt war und sich inmitten dicker Finsternis befand, wurde vom himmlischen Licht erleuchtet und hat den Weg der Unsterblichkeit betreten. Die Ausführungen Marianas, sein Werk war ein Klassiker in seiner Zeit, scheinen auch von Diego de Saavedra Fajardo in seiner Corona gótica, castellana y austriaca von 1648 gebraucht worden zu sein, jedoch sehr selektiv, um ein Loblied auf dieses Volk anzustimmen seit seinen Anfängen. Das Werk ist ausdrücklich konzipiert worden, um ein Lob auf den Stamm anzustimmen, von dem die spanischen Regierungen abstammen und, konkreter, damit Philipp IV., der Adressat der Widmung, seine »gloriosos progenitores« (»ruhmreichen Stammväter«) kennen lernt (Saavedra Fajardo 1947: 269). 28 Die Exzellenz der ersten Goten, in denen die gegenwärtige Größe des Monarchen schon prefiguriert war, verdankt sich zwei Gründen. Einerseits der erhabenen Natur des Stammesgründers, ohne Magog 27 »Habían ganado gran crédito por su valentía, en tanto grado que se tuvo por cierto que Alejandro Magno, rey de Macedonia, huyó de encontrarse con ellos, Pirro, rey de Épiro, los temió, Julio Cesar rehusó la pelea con ellos« (Mariana, 1852, 129). 28 Der Text von Saavedra Fajardo berücksichtigt nur die eigentlichen gotischen Könige. Er wurde von Alonso Núñez de Castro fortgesetzt, der in drei Bänden den Bericht mit den Königen von Asturien, Leon und Kastilien ergänzte, »bis die Habsburger Dynastie in Spanien gekrönt wird« »hasta dejar coronada en España la Casa de Austria« (Núñez de Castro, Amberes, 1681). Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 55 explizit zu erwähnen, und andererseits greift Saavedra Fajardo die Legende wieder auf und verleiht den Goten den berühmtesten aller möglichen Ursprünge, nämlich denjenigen Noahs aus dem Alten Testament: … se adelantaron los hijos y descendientes de Noé (…), ya por estrecheza, o por el deseo de crear dominios donde el cetro fuese particular, se dilataron con nuevos descubrimientos, sin perdonar a lo destemplado de las zonas ni a lo estrecho de los círculos de la esfera, ocupando (fuera ya de los caminos del sol) en la provincia de Scandia (ilustre por su extensión y por los reyes que dio al mundo) la Suecia, la Norvegia y la Gotia (Saavedra Fajardo, 1947, 273). … die Söhne und Nachfahren Noahs breiteten sich aus, entweder durch die Enge oder den Wunsch, Herrschaftsgebiete mit einer besonderen Regierungswürde zu etablieren. Sie dehnten sich mit neuen Entdeckungen aus, ohne auf das unbeständige des Klimas zu verzichten, besiedelten sie in der Provinz Scandia (berühmt durch seine Ausdehnung und seine Könige) Schweden, Norwegen und das Gotenreich. Auf der anderen Seite greift man auf eine ungewöhnliche, positive Interpretation der Effekte des nordischen Klimas auf den Charakter zurück, die in jedem anderen Kontext unerhört wäre: ... los ingenios de aquella nación eran sutiles, prudentes y constantes, más dispuestos a engañar que a ser engañados; los cuerpos, robustos y blancos, cuyos poros, cerrados con el rigor del frío, abundaban en sangre y criaban espíritus atrevidos y generosos (Saavedra Fajardo 1947: 273). … der Einfallsreichtum jener Nation war feinsinnig, vorsichtig und konstant, eher disponiert, um zu täuschen als getäuscht zu werden; die robusten und weißen Körper, mit von der Kälte geschlossenen Poren überquollen von Blut und erzeugten einen tollkühnes und freigebigen Sinn. Diese exzellente ursprüngliche Beschaffenheit wurde verfeinert und perfektioniert durch einen legendarischen König namens Boroista, in dem sich der erleuchtete Charakter seiner königlichen Abstammung zeigte: »como prudente, reconoció gran disposición en los naturales de aquella gente para las artes y ciencias, y las introdujo entre ellos« (Saavedra Fajardo 1947: 273). Die Goten waren dergestalt nur dem Namen nach Barbaren, denn punkto Fähigkeiten befanden sie sich auf der Höhe der hervorragendsten Völker der Altertums: … entre las naciones bárbaras fueron estimados los godos por los más semejantes a los griegos en el saber y en la policía; de que es evidente testimonio la monarquía que fundaron, no con menor prudencia que valor (Saavedra Fajardo, 1947, 270). …unter den barbarischen Nationen wurden die Goten punkto Wissen und Höflichkeit als am ehesten mit den Griechen vergleichbar begriffen; davon legt die von ihnen gegründete Monarchie ein Zeugnis ab. Aber die Ausnahmestellung der Goten drückt sich nicht nur in ihrem Lebensmut oder in ihrer Verstandeskraft aus, sondern, wichtiger noch, in ihren geistigen Fähigkeiten. Obwohl ursprünglich Heiden, besitzen sie doch von Anfang an eine Mateo Ballester Rodríguez 56 intuitive Nähe zum rechten Glauben, »sie glaubten an die Unsterblichkeit der Seele, und dass nach dem Leben die Tugend belohnt würde und das Laster bestraft, weshalb sie den Tod verachteten und sich heldenhaft den Gefahren aussetzten« (vgl. Saavedra Fajardo, 1947, 273). Ihre Tugend war so außerordentlich, dass sie als Modelle der Emulation für zentrale Gestalten des Christentums dienten (vgl. Saavedra Fajardo, 1947, 270). Obwohl noch nicht im Schoße der Kirche integriert, vergisst Gott nicht, diese Art von Christentum avant la lettre des gotischen Volkes anzuerkennen: ... a cuya piedad se deben atribuir sus victorias y la duración de las coronas que adquirieron y aun conservan; porque si bien en aquellos principios erraron el culto, reconocieron una deidad suprema, a quien debían adoración y obediencia; y a esta luz natural y religiosa premió Dios con bienes y grandezas temporales (Saavedra Fajardo 1947: 274). ... ihrer Frömmigkeit sollte man auch ihre Siege und die Dauer ihrer Königreiche zuschreiben; denn obwohl sie sich anfänglich in der Religionsausübung irrten, anerkannten sie doch eine höhere Gottheit, die sie verehrten und der sie zu Gehorsam verpflichtet waren; und dieses natürliche und religiöse Licht belohnte Gott mit weltlichen Gütern. Als Resultat des göttlichen Plans gleichsam ist es nur allzu natürlich, dass der Moment kommen würde, wo die Goten ihr ursprüngliches Gebiet verlassen und auf ihre Ausnahmestellung pochen würden, die einem Geschlecht von so nobler Herkunft zusteht: ... deseosos de restituirse en los derechos que tenían a toda la tierra, y de hacer señores della a sus reyes, cuya antigüedad y esplendor no les parecía reputación tener oculto entre las sombras del norte (Saavedra Fajardo 1947: 274). ... begierig, die Rechte, die sie auf den ganzen Boden hatten, wieder zu erlangen, und ihre Könige wieder zu Herren über den Boden zu machen, dessen Alter und Ruhm nicht im Schatten des Nordens verborgen sein sollte. Die Verherrlichung des Ursprungs des gotischen Volks und seiner Könige weitet sich dergestalt aus zu einem universellen Machtanspruch der spanischen Krone, die sich als legitimer Nachfahre der Goten verstand. Der Gotizismus eröffnet so die Möglichkeit eines positiven Bildes der skandinavischen Völker. 5. Das Eindringen Skandinaviens in das spanische Bewusstsein während des Dreißigjährigen Kriegs 1618-1648 Im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts war Skandinavien, abgesehen von ein paar zerstreuten Bemerkungen über seine abgelegenen Königreiche, am Rande der mentalen europäischen Karte des Spaniers. Bis zum Ende der zwölfjährigen Waffenruhe waren England, die Niederlande und das Heilige Römische Reich deutscher Nationen die äußersten Gebiete, von denen ein relativ klares Bild bestand. Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 57 Jenseits dieser Gebiete erstreckten sich Regionen, deren Unbestimmtheit, wie wir anhand von Cervantes’ Persiles und Sigismunda gesehen haben, ihnen gleichsam etwas Irreales, zuweilen geradezu Magisches anhaften ließ. Von einer politischen und militärischen Perspektive her gesehen, führte die Wahrnehmung Skandinaviens als entferntes, in einzelne häretische protestantische Länder aufgeteiltes Gebiet zu einer gleichgültigen Haltung dieser Region gegenüber. Beim Aufzählen möglicher Feinde Spaniens misst Juan de Salazar in seiner Politica Española (1619) Skandinavien keinerlei strategische Bedeutung zu, außer einem entfernten Risiko einer Allianz mit England: De donde podría recibir algún daño España es si esta isla se uniese con holandeses, godos y reyes de Dinamarca, Noruega y Suecia (…), pero siendo en religión diversos (como he dicho) y disputando cada día entre sí nuevos puntos de sus sectas y herejías, y lo que más es, siendo tan distantes en sitio, clima y costumbres, bien se ve la dificultad (o imposibilidad, por decir mejor) que tiene esta unión y liga (Salazar 1997: 197). Eine gewisse Gefahr für Spanien bestünde allenfalls darin, wenn diese Insel sich mit Holland, mit den Goten und den Königreichen Dänemark, Norwegen und Schweden verbinden würde (...), aber da sie einen anderen Glauben haben und jeden Tag untereinander über neue Punkte ihrer Sekten und Ketzereien streiten und bezüglich ihrer Lage, ihres Klimas und ihrer Sitten so weit weg von uns liegen, ist die Schwierigkeit (oder Unmöglichkeit, besser gesagt) einer solchen Union leicht einzusehen. Im zweiten Viertel des Jahrhunderts ändert sich die Situation nachhaltig, das Eindringen zuerst von Dänemark und nachher Schwedens in das zentrale Europa aufgrund des Dreißigjährigen Kriegs konfrontiert die Spanier mit einer bis dahin vernachlässigten Welt, die dadurch zum ersten Mal historisch fassbar wurde. Die skandinavischen Gebiete waren, wie wir gesehen haben, handelsmäßig alles andere als unbekannt. Seit dem Beginn der 1620er Jahre und im Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg wurden sie auch strategisch bedeutsam. Ab 1620 war die spanische Regierung bestrebt, diplomatische Beziehungen mit Dänemark aufzunehmen, indem eine Botschaft mit einem ständigen Botschafter etabliert wurde. Das Interesse galt dabei nicht nur Dänemark, sondern dem ganzen nordischen Raum, wie es in einem internen Brief 29 hieß. Man versuchte mit dieser Annäherung, das dänische Königreich von seiner Allianz mit Holland und England zu entfremden, und es gegenüber Schweden zu unterstützen. 30 29 Darin steht die Formulierung: »lo mucho que importa aquella amistad para todo lo que se puede ofrecer en el Setentrión« (vgl. Alcalá-Zamora, 1975, 143) [»wie wichtig diese Freundschaft für alles sei, was man dem Norden bieten könne«]. 30 Dänemark hatte ein ökonomisches Interesse, mit Madrid zu verhandeln, und de facto wurden auch einige Handelsverträge abgeschlossen. Politisch gesehen, konnte das Land jedoch seine Allianz mit England und Schweden, als die nächsten und gefährlichsten Nachbarn, nicht gefährden. Christian IV. verwarf einen spanischen Vorschlag zur Kooperation, vermutlich aufgrund von politischem Druck von Gustav Adolf (Alcala-Zamora 1975: 143). Mateo Ballester Rodríguez 58 Der Kriegseintritt Dänemarks im Kampf gegen die spanischen Allierten bedeutete den Schiffbruch dieses Projekts. Nach ihren Siegen um 1625, wollte der Conde-Duque de Olivares einen Flottenstützpunkt im Norden, in Friesland oder im Baltikum sicherstellen, um den lukrativen Handel zwischen dieser Region und den mediterranen Ländern zu kontrollieren und gleichzeitig die holländische Position zu schwächen. Das Baltikum wurde während einer kurzen Zeitspanne zum bevorzugten strategischen Gebiet der spanischen Regierungen, bis 1628 der Wind drehte und durch die Erhebung der kaiserlichen Truppen, die den Hafen Stralsunds belagerten, der Plan zunichte gemacht wurde (Elliott, 2004, 136-137). Die Politik des Baltikums und v.a. das Vorstoßen auf den Kontinent von Dänemark und Schweden zog ein immer größer werdendes Interesse der spanischen Bevölkerung für den Norden nach sich. Der erste Hauch eines Interesses war die Teilnahme Dänemarks in einer frühen Kriegsphase (1625-1629) gegen die Katholische Liga, angeführt von einem habsburgischen Kaiser. Die zweite Phase des Interesses wurde geweckt, als Schweden sich ab 1630 in das Kriegsgeschehen mischte, was die Spanier entschiedener aufrüttelte. Als Antwort auf diese neue Situation kommt Juan de Palafox in seinem Diálogo político del estado de Alemania y comparación de España con las demás naciones (Politischer Dialog über Deutschland und Vergleich Spaniens mit den anderen Nationen) 1631 zu folgendem Befund: ... qué hallareis en Suecia y Noruega, sino una obscuridad y tinieblas, todos herejes, idólatras, hechiceros, pobres, míseros, sin policía ni uso de razón humana; tierras estériles, viviendo en los montes como salvajes fieras (in Jover Zamora y López Cordón 1996: 526). ... dass ihr in Schweden und Norwegen nur Dunkelheit und Finsternis finden werdet, alle sind Ketzer und Götzendiener, Hexer, arm und elend, ohne Manieren und menschliche Vernunft; sterile Böden und in den Bergen lebend wie grausame Wilde. Das von Palafox beschriebene Skandinavien ist immer noch ein nebliges Universum, in einem wilden und vorzivilisierten Zustand verankert. In den folgenden Jahren wird diese Wahrnehmung allmählich dazu führen, aus Schweden und den anderen skandinavischen Königreichen eine einzige Gesellschaft zu machen, deren Länder zwar untereinander nicht einig sind, jedoch von einer gemeinsamen kulturellen Wurzel zehren. Das Aufeinandertreffen zwischen Schweden und Spanier findet zu einem frühen Zeitpunkt statt, mit dem schwedischen Feldzug von 1631-32 verlieren die Spanier das Gebiet von Frankenthal, als Resultat eines Vorrückens, mit dem der spanische Weg blockiert wurde. 1633 marschierte der Graf von Feria mit einem Heer von 20’000 Mann vom Veltlin Richtung Süden von Deutschland und erlangte wieder die Kontrolle über dieses Gebiet. Solche Kämpfe waren jedoch sekundärer Natur, als Auseinandersetzungen kleiner Heere zu verstehen, die weit entfernt vom Hauptschauplatz waren, der weiter im Osten lag (vgl. Parker 2004: 173-174). Der wirkliche Wendepunkt war das Aufeinandertreffen von schwedischen und spanischen Truppen in Nördlingen im Jahr 1634. Suárez und Comellas berichten, Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 59 dass nach dem spanischen Sieg in dieser Schlacht, »die spanischen Soldaten sich in Deutschland zerstreut hätten und die schwedische Enklave von Vorpommern besetzten und sich dem Baltikum zuwendeten. So weit in Europa waren sie bislang nie gekommen« (vgl. Suarez y Comellas 2006: 241). Nicht nur die Soldaten, sondern auch große Teile der spanischen Bevölkerung begannen sich für ein bislang weitgehend unbekanntes Gebiet zu interessieren. Der Dreißigjährige Krieg trug dergestalt wesentlich zur größeren Bekanntheit der skandinavischen Welt in Spanien bei, als feindliches Gebiet blieb ein distanziertes Verhältnis jedoch gewahrt. Die Konfliktsituation führte dazu, dass man feindliche Reiche kennen musste, um sie definieren und kategorisieren zu können, gleichzeitig wurden sie jedoch auch stigmatisiert. Das schwedische Volk und seine Repräsentanten waren deshalb noch während Jahrzehnten in der spanischen Vorstellungswelt der Inbegriff von Brutalität. In einem ersten Schritt verglich man das aggressive Eindringen der Skandinavier in den Kontinent mit der verheerenden barbarischen Invasion des Römischen Reiches. Diese Heiden, jene Protestanten, erscheinen beide als Feinde des rechten Glaubens. Gegenläufig zum akzeptierten Gotizismus stellt ein gewisser Ludovico de Copiaria Carmerineo, ziemlich sicher ein Pseudonym, Gustav Adolf 1635 als erneuerte Ausgabe der alten germanischen Anführer dar, der sich durch die gleiche Brutalität auszeichnet: Rey de Godos y Vándalos, que agora llaman de Suecia, los Alaricos y Gensericos que por segunda vez con crueldad inaudita roban, deshacen, destruyen el sagrado Imperio y la Iglesia de Dios (Copiaria Carmerineo 1635: 13). König der Goten und Wandalen, das heute Schweden genannt wird, die Alarichen und Genserichen, die zum zweiten Mal mit einer unerhörten Grausamkeit das Heilige Reich und die Kirche Gottes berauben und zerstören. In zunehmendem Maße wurde die Charakterisierung der Schweden derjenigen der Engländer, Holländer und deutschen Protestanten angeglichen. Die Schlacht bei Nördlingen, »der größte Sieg in unserer Zeit«, gemäß dem Conde-Duque de Olivares (vgl. Parker 2004: 184), wurde in Spanien mit großem Jubel gefeiert. Mindestens drei Komödien über das Thema entstanden. 31 Die militärischen Führer, der Schwede Gustav Horn und der sächsische Herzog von Weimar sowie die schwedischen Soldaten werden darin mit Stereotypen geschildert, als arrogant, ehrgeizig, grausam und von einer ketzerischen Ruchlosigkeit. Quevedo zeichnet von den schwedischen Soldaten ein ähnliches Bild und braucht es für das schwedische Volk in seiner Gesamtheit: »los más canalla sin valor ni honra« »ein Gesindel ohne Mut und Ehre« (Quevedo 1961: 925); »ejército formidable de herejes« »ein Heer aus Ketzern« (Quevedo 1961: 891). In seinem 31 El primer blasón del Austria, von Calderón de la Barca, Los dos Fernandos de Austria, von Antonio Coello, und la Victoria de Nördlingen y el Infante en Alemania, von Castillo Solórzano (Rull y de Torres 1981: 62). Mateo Ballester Rodríguez 60 Werk Estebanillo Gonzáles (1646) entwirft der Autor ein total erniedrigendes und entmenschlichtes Bild der schwedischen Gefallenen bei Nördlingen: »… halle una almadraba de atunes suecos, un matadero de novillos arrianos y una carnecería de tajadas calvinistas« (Estebanillo González 1990: 316). [»… wo ich Reusen für schwedische Thunfische, eine Schlächterei für arianische Kälber sowie einen Fleischerladen fand, wo es auf kalvinistische Art zubereitetes Fleisch gab« (Estebanillo González 1985: 132).] Baltasar Gracián macht im Kritikon eine Aufzählung der verschiedenen Nationen der Erde und ihrer Charaktermankos. Die Spanier werden mit Hochmut in Verbindung gebracht, die Franzosen mit Habgier, die Italiener mit Betrug. Die Schweden, wie zu erwarten war, werden mit der Grausamkeit in Verbindung gebracht (Gracián 2001: 249-250). Das Bild der skandinavischen Welt ist noch lange kein positives, jedoch wird Nordeuropa allmählich als zugehörend zu Kontinentaleuropa begriffen. Als Resultat des europäischen Kriegs halten Jover Zamora und López-Cordón Folgendes fest: »Der Norden, das alte Gotenreich der byzantischen Romane, ist nicht nur eine von andersartigen Völkern bewohnte, diffuse Region, sondern das Gebiet hat politische Kontur durch einen Staat erlangt, dessen König unerwartet die zentralen Gebiete des Kontinents durchläuft.« 32 Skandinavien, und im Besonderen Schweden, ist nun vollumfänglich ein europäisches Gebiet geworden, wie es die Beschreibung Graciáns verrät: Es Europa vistosa cara del mundo, grave en España, linda en Inglaterra, gallarda en Francia, discreta en Italia, fresca en Alemania, rizada en Suecia, [...] (Gracián 1993: 501). Antlitz der Welt ist Europa, das die Blicke auf sich zieht, ernst in Spanien, lind in England, munter in Frankreich, klug in Italien, frisch in Deutschland, faltig in Schweden, [...] (Gracián 2001: 680). Das Zitat macht deutlich, wie sich der spanische Horizont trotz allem allmählich erweiterte. Mit der Eingliederung Skandinaviens in die mentale Landkarte hat sich das spanische Bild Europas vervollständigt. Im Denken der Spanier beginnen in dieser Epoche die geographischen Konturen Europas mit den symbolischen zusammen zu fallen. Romane mit einem übernatürlichen Inhalt, die noch vor Jahrzehnten mit der größten Selbstverständlichkeit im unbekannten skandinavischen Raum angesiedelt werden konnten, würden nun als unwahrscheinlich aufgefasst werden, weshalb sie in andere Regionen verlegt werden müssen. Übersetzung: Thomas Seiler 32 »El Septentrión, la antigua Gothia de las novelas bizantinas, no es sólo una región difusa que habitan pueblos distintos, sino que ha tomado forma política a través de un Estado cuyo rey, inesperadamente, corre las tierras centrales del continente« (Jover Zamora y López Cordón 1996: 526). Das Bild Skandinaviens im spanischen Goldenen Zeitalter 61 Bibliographie Primärliteratur Álamos de Barrientos, Baltasar de: Discurso político al rey Felipe III al comienzo de su reinado, Barcelona: Anthropos 1990. Castro y Castillo, Jerónimo de: Historia de los reyes godos que vinieron de la Scythia de Europa contra el imperio romano; y a España, con sucesión dellos hasta los católicos reyes don fernando y doña Isabel, Madrid 1624. 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I hundrevis av år verserte ulike skrekkfantasier omkring de uhyggelige skapninger man kunne risikere å møte i det nordlige, for ikke å snakke om den fryktelige natur med kulde og stormer og useilbare hav og et mørke man plutselig kunne seile inn i og aldri komme ut av. Ekkoer av disse gamle forestillingene finner vi i europeisk - også norsk- litteratur til langt ut på 1600tallet. 3 Sammenlignet med Amerika, ›Den nye verden‹, hvis geografiske utforskinger nådde sitt høydepunkt på denne tiden, var Norden merkverdig nok et lite utforsket territorium og kunnskapene om området følgelig mangelfulle. Slik har det seg for eksempel at mange stedsnavn var kjente, selv om man ikke var i stand til å plassere disse på kartet. Ultima Thule er et av disse stedene, nevnt for eksempel i Los trabajos de Persiles y Sigismunda. Historia septentrional av Miguel de Cervantes. 4 Dette er det verket i spansk barokklitteratur som omtaler nordområdet med størst detaljrikdom. Over halvparten av handlingen i romanen utspiller seg på nordisk territorium. Som primærkilder brukte Cervantes Historia de gentibus septentrionalibus (Roma, 1555) av den svenske erkebiskopen Olaus Magnus 5 , samt dette verkets fremste »popularisator« i Spania, Antonio de Torquemada og hans 1 Jeg takker Margrethe Henriksen for hennes hjelp med å oversette denne teksten fra spansk. 2 Jfr. Castro, Américo: Noruega, símbolo de la oscuridad. I: Revista de filología española 6 (1919), S. 184-186, S. 184. 3 Se Donecker 2010, for noen eksempler i det 16. og 17. århundre. 4 Miguel de Cervantes’ bysantinske roman Persiles og Segismundas trengsler. En historie fra Norden ble utgitt posthumt i 1617, ett år etter Cervantes’ død. 5 De nordiske folkenes historie. I 1539 utga Olaus Magnus sitt Carta Marina over Norden, med et mylder av illustrasjoner. Carlos F. Cabanillas Cárdenas 66 Jardín de flores curiosas (Salamanca, 1570). 6 Det har blitt gjort flere studier hvor man uten særlig hell har forsøkt å identifisere de geografiske områdene, folket og skikkene Cervantes beskriver i sin roman. Det virker imidlertid som Cervantes selv var mer opptatt av å mane frem et vidunderlig og drømmeaktig univers basert på de få opplysningene som fantes om området på den tiden enn å angi presise stedsbeskrivelser. 7 Går vi tilbake til Américo Castros artikkel, viser denne hvordan referansene til Norge i spansk litteratur, fra middelalderen til barokken, etter hvert blir flere. Fra å referere til de berømte norske jaktfalkene og den bitende kulden, blir mørket etter hvert den mest utbredte metaforen. 8 I forskjellige skrifter fra middelalderen ble Norge kjent som opphavsstedet til de beste rovfuglene brukt til falkejakt eller jakt med fugl. De første vitnesbyrdene om dette finner vi i kapittel 41 i kansler Pero López de Ayalas Libro de la caza de las aves (mellom 1385 og 1386). Los açores crían en muchas partidas por todo el mundo pero, de los que nós sabemos, son los mejores açores en Noruega e en Assuega e en aquellas comarcas do diximos que crían los neblís e girifaltes e otros falcones, e los açores que aí crían son muy grandes e fermosos e de grand esfuerço, […] E comunalmente, los açores de Noruega han estas figuras o los más d’ellos. E estos açores de Noruega tráenlos a Flandes en las cocas de Alemaña e estonçe traen los girifaltes e neblís e otras aves, e de allí, de Flandes, los lievan por todas las tierras así como a Françia, Italia, España e otras comarcas. 9 Dette sitatet av kansler López de Ayala forteller oss at denne type handel var på stor fremmarsj i Europa. Jakt med mange ulike typer rovfugl var kun forbeholdt adelen 6 Blomsterhaven. Antonio de Torquemada (ca. 1507-1569), var også forfatteren av ridderromanen Don Olivante de Laura (1564). Miguel de Cervantes sier i Don Quijote, I, VI, s. 70: »Forfatteren av denne boken [Don Olivante de Laura] er den samme som komponerte Blomsterhaven, og sant å si kan jeg ikke avgjøre hvem som er mest sannferdig, eller minst løgnaktig«. Se Sletsjøe 1960; Díaz de Alda Hejkkilä 2001 og Díez Fernández 2004. 7 Se Lozano Renieblas 1998. 8 I notater som ble publisert senere i 1920, 1922 og i 1934 tilføyer Buceta og Spitzer noen passasjer om disse referansene. 9 Pero López de Ayala, Fuglejaktbok, kap. 41: »Hønsehauken hekker i mange områder rundt om i verden men så langt vi vet, finnes de beste eksemplarene i Norge og i Sverige. Det er i de samme områdene hvor også vandrefalken, jaktfalken og andre falker hekker. Hønsehaukene som hekker her er store, vakre og svært driftige […]. Vanligvis har hønsehaukene i Norge disse kvalitetene, i alle fall de fleste av dem. Disse haukene ble brakt til oss i Flandern via tyske handelsmenn sammen med jaktfalker, vandrefalker og andre rovfugler, fra Flandern ble de spredt videre til alle land; Frankrike, Italia, Spania og til andre områder.« Boken var den mest berømte og populære på spansk om falkejakt. Hønsehauken (azor, accipiter gentilis), vandrefalken (neblí, falco peregrinus), jaktfalken (gerifalte, falco rusticolus). Norge i spansk barokkpoesi 67 ettersom det markerte sosial status. 10 Eksempelvis lå prisen på en norsk hønsehauk i 1252 på 30 maravedíes. 11 En vandrefalk kostet 12 maravedíes, mens ei ku til sammenligning samme året bare kostet 3 maravedíes. 12 I Libro de cetrería y montería av Juan Vallés, som kom ut flere år senere, i 1556, kan vi lese om den norske jaktfalkens gode ry i bok 1, kapittel 3: Los açores crían en muchas partes del mundo, pero los que se tienen por mejores son estos: los que crían en Noruega que es en la alta Alemaña, donde crían los gerifaltes y neblís y otros halcones […] Estos açores de Noruega son açores redondos y muy rezios y hermosos y de buenos plumages alvos, y tienen todas las facciones y talle que ha de tener el buen açor… 13 Utover å kommentere de norske rovfuglenes berømmelse, peker denne teksten på mørket i Norge som årsak til at disse fuglene er så driftige i jaktøymed: Son muy excellentes açores y de muy grandes presiones y la causa es porque en el invierno el día no dura allí más de quatro horas, y como toda la noche están sin cevarse y es tan larga que quando viene el día tienen muy rezia hambre, con la qual y con saber que si no se cevassen dentro de las quatro horas que dura el día se quedarían sin cevar, como de hecho se quedan algunas vezes; osan acometer a qualquier presión que vean por muy grande que sea… 14 I dette sitatet fra Vallés refereres det til mørket som altså etter hvert begynner å bli den viktigste karakteristikken av Norge. Men den befester seg med utgivelsen av 10 I mange av middelalderriddernes håndbøker, som hos infant Juan Manuel i Libro de los estados (Stendenes bok) s. 245, kan vi lese om betydningen denne type jakt hadde for å markere klassetilhørighet. Dette forklarer »boomen« av jaktbøker i Europa på den tiden. Infant Juan Manuel skrev også en Libro de caza (Jaktbok) (1337). Se Fradejas Rueda 1991 og 1998. 11 Maravedí er en gammel spansk myntenhet. 12 Gloser er fra Archivo Iberoamericano de Cetrería, (om azor). 13 Juan Vallés, Fuglog storviltboken, bok 1, kap. 3: »Hønsehauken hekker i store deler av verden, men den som hekker i Norge, øverst i Tyskland, står høyest i kurs. Der hekker også jaktfalk, vandrefalk og andre typer falk […]. Disse norske hønsehaukene er praktfulle. De er runde i formen, kraftige og har en flott hvit fjærdrakt. Størrelsen og proporsjonene er akkurat slik de skal være hos en god hønsehauk…« 14 Fuglog storviltboken, bok 1, kap. 3: »Hønsehaukens fortreffelighet og utholdenhet kan ses i sammenheng med klimaet. For dagene varer knapt mer enn fire timer vinterstid. Ettersom fuglen ikke tar til seg føde i løpet av hele den lange natten er den skrubbsulten når dagen gryr. Og den vet at den kun har sjanse til å finne mat disse fire timene dagen varer og noen ganger ikke det engang, den tør å angripe et hvilket som helst dyr, hvor stort det enn måtte være«. Fadrique de Zúñiga y Sotomayor, Libro de cetrería de caza de azor (Fuglejaktbok om hønsehauk) 1576 fortsetter å hylle norske hønsehauker og forteller om hvordan handelsmenn bedrev svindel ved å selge tyske jaktfalker som norske hønsehauker. Sebastián de Horozco, Libro de proverbios glosados (Kommenterte ordtak) 1570-1580, s. 235, skriver også om disse handelsmennenes svindel. Carlos F. Cabanillas Cárdenas 68 Cervantes’ Los trabajos de Persiles y Sigismunda blant annet i passasjen som omhandler Rutilos reise i bok I, kap. 8. hvor en heks ankommer det beksvarte Norge himmelveien. Denne teksten populariserte og forsterket trolig bruken av mørket som karakteristikk på landet 15 . Denne passasjen hos Cervantes viser at mørket det refereres til kan forklares ut fra to forskjellige perspektiver som drar veksel på hverandre. Når det refereres til mørket fra et vitenskapelig perspektiv, har det med dagens varighet å gjøre. 16 Disse forklaringene er ofte diffuse, vage. Imidlertid blir de mer konsise og klargjørende på 1500-tallet. For eksempel i Fernando de Herreras Anotaciones a la poesía de Garcilaso de la Vega, elegía II, s. 659-660, hvor han bemerker følgende: Los griegos y latinos negaron que hubiese antípodas […] afirmando que los dos extremos de él [orbe] eran en el medio del año llenos de tinieblas y tan fríos que la naturaleza humana no podía tolerar aquel destemplado hielo y frialdad; y que la parte contenida en medio era siempre abrazada de tan intenso calor y ardor inmenso que no la podía sufrir algún viviente. Todo esto nos muestra la experiencia ser falso […] porque ni el frío es intolerable ni se aparta el sol tanto de ella que la deje en privación perpetua de luz. Pero ninguno hay tan ajeno de esta noticia que no sepa que Noruega y Suecia y las regiones más sub polares son habitadas y frecuentadas de los mercaderes españoles, italianos y tudescos. 17 Francisco de Quevedo uttalte seg om samme tema i sin España defendida, y los tiempos de ahora de las calumnias de los noveleros y sediciosos (1634) s. 88: Así tengo por cierto que tienen más antigüedad, y es sin duda, las monarquías del oriente, antes y después del diluvio, que las demás; y así es que las partes occidentales destemplazas, como Francia, por los grandes aires, Alemania, Flandes, Dinamarca, y Noruega por los grandes fríos, no se habitaron por elección, sino después de habitadas las partes orientales templadas, por la necesidad y estrecheza e inundación de gentes fueron vividas del vulgo sobrado, como vemos que se hace ahora, buscando para vivir 15 Miguel de Cervantes, Los trabajos de Persiles y Sigismunda, s. 185-198. Carlos Romero spør seg i sin utgave av Cervantes’ bok, s. 191, note 19, om ikke det er på grunn av dette verket at Norge går fra å assosieres med kulden til å forbindes med mørket. Se også García Blanco 1950. 16 Polybios, Strabon og Plinius den eldre skriver om dette i sine bøker, basert på Phyteas’ beskrivelse av turen mellom 330-320 f.Kr. På den annen side er det en rekke tekster som omhandler dette emnet. Antonio de Torquemadas Jardín de flores curiosas (Blomsterhaven) ville også forklare lengden på dagen og dens virkning på innbyggerne i traktater 4 og 5. 17 Fernando de Herrera, Merknader til Garcilaso de la Vegas poesi, elegi II: »Grekerne og romerne avviste eksistensen av antipoder […] De hevdet det var umulig for mennesket å overleve på ytterkantene av verden, hvor det var tåke og isende kaldt halve året. På samme måte var det utenkelig at mennesket kunne overleve den intense brennende heten i midten, området mellom disse ytterkantene. Alt dette viser erfaringen oss at er feil […] For hverken er kulden uutholdelig, eller solen totalt fraværende her. Og ingen er så fremmed for denne kunnskapen at de ikke vet at Norge, Sverige og de subpolare områdene både er bebodde og besøkte av spanske, italienske og germanske handelsfolk.« Norge i spansk barokkpoesi 69 ajenas posesiones, por estar el mundo tan copiosamente habitado. Y como sean tierras muy frías y húmedas, la gente septentrional es más apta a la generación y aumento del pueblo. 18 Fra et religiøst perspektiv forklares det nordlige mørket som karakteriserer Norge med at det var her djevelen holdt hus, det var herfra den sterke nordavinden og stormer angrep, og herfra ulykker og epidemier skylte over verden. Og fremfor alt, som vi kan lese hos Cervantes, var dette stedet der heksene fra hele verden samlet seg for å delta på de djevelske festene. 19 Rune Blix Hagen henviser til Adam av Bremen som skrev på slutten av år 1000 og Andreas Walsperger som tegnet et kart over Satans domener i Norge. I tillegg kommer de mange illustrasjonene i den allerede nevnte Historia de gentibus septentrionalibus av Olaus Magnus 20 , og Torquemada selv i sin Jardín de flores curiosas viderefører, s. 444-445: En esta tierra parece que el demonio está más suelto y tiene más libertad que en otras partes; y así quieren decir algunos que es la principal habitación de los demonios, conforme a la autoridad de la sagrada escritura. 21 Videre skal jeg kort gå gjennom bruken av enkelte av de nevnte karakteristikkene i noen dikt fra den spanske gullalderen. Jeg har på ingen måte gjort et fullstendig utvalg, men skal gi noen eksempler jeg anser som representative. De kommer nesten utelukkende fra tre av barokkens viktigste poeter i Spania: Lope de Vega (1562- 1635), Luis de Góngora (1561-1627) og Francisco de Quevedo (1580-1645). 2. Ikke bare kaldt, men det kaldeste stedet i verden Norge var ikke bare ansett for å være et kaldt sted, men det stedet hvor kulden var aller mest ekstrem. I Epistolario skriver for eksempel Luis de Góngora, i et brev 18 Francisco de Quevedo, Spania forsvart, s. 88: »Det er visselig kongerikene i øst som uten tvil er de eldste, før og etter syndefloden. Slik er det at i de ustadige vestlige områdene, som Frankrike med sine kraftige vinder og i iskalde Tyskland, Flandern, Danmark og Norge, bosatte man seg ikke frivillig. Her måtte imidlertid de som ble til overs, almuen, slå seg ned, da milde østerland var befolket til randen, og nøden stor. Slik er det også nå, man leter etter fjerntliggende plasser å leve når verden ellers er overbefolket. Og siden det er snakk om så kald og fuktig jord, er nordboerne bedre skikket til avl og befolkningsvekst.« 19 I de profetiske skriftene i Bibelen, i Daniel 11, 8-11, Jesaja 14, 11-14 og i Jeremia 1, 14-16 beskrives områdene i nord som ondskapens plass, slik Blix Hagen 2001, påpeker. På den annen side ble det i det 17. århundre dokumentert uvanlig mange heksebrenninger i Nord- Norge. Se også Blix Hagen 2007, s. 88-108. 20 Nyheter fra nordre del av Norden generelt kan ses hos Knutsen 1993. 21 Antonio de Torquemada, Blomsterhaven, s. 444-445: »Det kan se ut som om Djevelen er mer husvarm, friere i disse strøk enn i resten av verden. Og noen vil hevde at det ifølge Den hellige skrift er selve oppholdsværelset hans.« Torquemada belyser også heksejakten på innbyggere i finsk Lappland. Carlos F. Cabanillas Cárdenas 70 datert 4. januar 1622, til herr Francisco del Corral om det kalde været i Spania de dagene, og da spesielt i Madrid: Don Francisco, mi señor: el frío es con tanto exceso estos días, que apenas puedo tener la pluma en la mano. Si Córdoba es Alemania, Madrid bien será Noruega. 22 Gitt denne ekstreme kulden, forekommer Norge hyppigst som element i den forslitte antitesen eller motsetningen kulde/ varme. Lope de Vega bruker nettopp dette grepet i poesisamlingen Rimas, sonett 76, vers 4, hvor han ved sammenligning beskriver motsetningen mellom to ytterpunkter: »En la Libia calor, hielo en Noruega.« 23 I Góngoras største culteranista diktsamling Soledades (I, vers. 783-785) 24 , finner vi igjen den samme antitesen, men denne gang har han på oppfinnsomt vis invertert bruken. Her hyller han en dames opphøyde skjønnhet ved å beskrive hva hun er i stand til å gjøre: å brenne opp Norge med øynene (de to solene) og å hvitkalke Etiopia med sine ekstremt hvite hender virgen tan bella, que hacer podría tórrida la Noruega con dos soles, y blanca la Etïopia con dos manos. 25 Men også i dikt som ikke er culteranista påberoper Góngora nok en gang Norges kjølige natur. For eksempel i en satire om de falske høviske ridderne, i Letrillas, 22 Luis de Góngora, Brevsamling, s. 138: »Min fornemme herr Francisco: Så bitende kaldt er det i disse dager at jeg knapt klarer å holde pennen i hånden. Hvis Córdoba er Tyskland, må Madrid minst være Norge.« 23 Lope de Vega, Rim , nr. 76, vers. 4: »Varme i Libya, i Norge is.« 24 Conceptismo var den viktigste litterære stilen i Spania i det 17. århundre. Den fremhever viddets rolle, slik Baltasar Gracián utlegger det i sin estetisk-retoriske avhandling Agudeza y arte de ingenio (1648). Ordet ingenio (’vidd’, ’skarpsinn’) betegner her evnen til både å produsere og tyde conceptos (’begreper’) som er uttrykt og kodet i form av agudezas (som er tankemessige eller språklige spissfindigheter). Vanskeligheten er sentral i conceptismo og krever derfor oppmerksomme og skarpsindige lesere som er i stand til å se sammenhengen mellom alle elementene i teksten og oppdage betydninger poeten presenterer i form av agudezas. Generelt kan vi si at conceptismo tok to forskjellige retninger i barokken. Den ene var mer opptatt av formen (»kulteranistisk stil«, særlig representert ved Luis de Góngora), mens den andre først og fremst fokuserte på det semantiske innholdet (Francisco de Quevedo). Góngoras kulteranistiske hovedverk Soledades (Ensomheter) utløste en stor litterær debatt i samtiden som resulterte i flere traktater om temaet. 25 Luis de Góngora, Soledades, I, vers. 783-785: »En jomfru så vakker at hun kunne gjøre / Norge svidd med to soler, / og hvitte Etiopia med to hender.« Apropos denne linjen skriver Juan de Jáuregui i sin Antídoto contra la pestilente poesía de las Soledades, p. 96: »Bien podríamos no hablar de la oscuridad confusa y ciega de todas las Soledades…« (Juan de Jáuregui, Motgift mot den forpestede poesien i las Soledades, s. 96: »Vi kan like godt unnvære å snakke om det dunkle, blinde mørket i Soledades.«) Norge i spansk barokkpoesi 71 XCIV, bruker han kulden som metafor når han beskriver humorløse og åndsfattige folk: Prestados suelen pedir caballeros cortesanos, que nunca saben cumplir: lindo humor al recibir, mas, cuando la paga llega, no tiene el cierzo de Noruega tan heladas sequedades. 26 Her brukes antitesene igjen, men med en ny betydning: med utsøkt humor når de mottar (pengene) / knusktørr og kjølig (humor) når de må betale. Den norske kjøligheten får samme funksjon i et annet av Góngoras satiriske dikt Til en veldig kjølig klovn kalt Sotés, hvor kulden blir et bilde på klovnens manglende humoristiske sans. I diktet blir klovnen satt ut i kulden en marsnatt: Tanto sabéis enfriar al que por desdicha os topa, que le haréis pedir ropa a un día canicular; ¿qué mucho, si hacéis temblar, en marzo y Andalucía, la que os hace compañía, cuando todo el mundo os niega la que en deciembre y Noruega pudiera ser noche fría? 27 I diktet Las cañas que jugó su Majestad cuando vino el Príncipe de Gales 28 av Francisco de Quevedo får Norge en lignende funksjon i teksten. Her er det lyriske jeget en kjeltring eller forbryter. Han framhever sitt poetiske geni i dette diktet som tar utgangspunkt i en poesikonkurranse og snakker om premien han fikk for å delta: Bien empleados dos reales, aunque los debo a mi cena, 26 Luis de Góngora, Letrillas, XCIV: »De høviske ridderne ber om lån / de aldri kan innfri. / Med utsøkt humor når de mottar, / men når de må betale tilbake / så er ikke den norske nordavinden / mer knusktørr og kjølig enn dem.« 27 Luis de Góngora, Antología poética, s. 266-267: »Så godt lykkes du i å nedkjøle / mannen som uheldigvis treffer deg, / at han blir nødt til å be om klær / på en høysommerdag. / Men hva gjør vel det, / hvis du i mars og i Andalucía / får folk til å skjelve som holder deg med selskap? / Når alle nekter deg den [humor] / som i desember og Norge / kunne vært kald natt? « 28 »Stokkene deres Kongelige høyhet spilte da Prinsen av Wales kom«. »Jugar cañas« var et slags spill som foregikk til hest med stokker istedenfor lanser og ellers med mye pomp og prakt. Det var særlig adelen som deltok under større festligheter, slik som her i anledning av Prinsen av Wales sitt besøk i Madrid i 1623, som altså er temaet for » poesikonkurransen«. Carlos F. Cabanillas Cárdenas 72 pues llevo en este cogote sol que vender a Noruega. 29 3. I det dunkle, blinde mørket. Mørket er det motivet som blir mest forbundet med Norge i barokken. I likhet med kulden som vi tidligere har sett på, er mørket ikke bare en simpel metafor, men et ord ladet med intensitet og ekstremitet. Alonso Castillo Solórzano (1584-1648) skriver i sin roman Aventuras del bachiller Trapaza (Zaragoza, 1637), s. 181: »Entraron en un portal Noruega, tanta era su oscuridad.« 30 I romanen Lazarillo de Manzanares (Madrid, 1620) av Juan Cortés de Tolosa (1590-1640) står det at Madrid, kongen og hoffets by, er »et lyst Norge«. En lek hvor forfatteren snur om på den intense ladningen ordet Norge hadde. 31 Det samme mørket brukes også i en burlesk beskrivelse av en mørkhudet lege i Guerras físicas proezas medicales, hazañas de la ignorancia, skrevet av poeten Juan del Valle y Caviedes i det spanske visekongedømmet i Peru (1645-1698). I dikt nr. 18, vers 13-15 skriver han: El licenciado morcilla y bachiller chiminea, catedrático de hollín graduado en la Noruega. 32 Karakteristikken »ekstremt mørke« blir også brukt som motsetning til dagslyset eller solen. Denne bruken er spesielt egnet til kjærlighetsdikt. Som i denne passasjen av Lope de Vega, i dramaet Los Benavides, fol. 188r: Detente Sol si recelas que debo de ti guardarme, pues ya en lugar de abrasarme como la nieve me hielas. Los rayos puros encoge, que si pensé ser tu día, ya vuelvo a ser noche fría donde jamás los descoje. 29 Francisco de Quevedo, Poesía original completa, nr. 677, vers. 221-224: »Godt anvendte penger de to realene, / selv om jeg skylder dem for middagen, / for jeg har i dette hodet / sol å selge til Norge.« Real, gammel spansk pengeenhet. 30 Alonso de Castillo Solórzano, Aventuras del bachiller Trapaza (Baccalaureus Trapazas eventyr), s. 181: »De kom inn i portrommet Norge. Så mørkt var det der inne.« 31 Se F. Rodríguez Mansillas´ artikkel fra 2008 om denne figuren. 32 Juan del Valle y Caviedes, Guerras físicas, proezas medicales, hazañas de la ignorancia (Medisinske kriger, legende bedrifter, uvitenhetens dåd) nr. 18, vers 13-15: »Blodpølselektor / og skorsteinskandidat, / sotprofessor / uteksaminert fra Norge.« Norge i spansk barokkpoesi 73 Estate Sol en tu esfera, que yo no soy paralelo de los cursos de tu cielo, ni el oriente que le espera. Ya soy oscura Noruega, tierra tenebrosa y fría, donde es tan pequeño el día que apenas a verlo llega. 33 Her ser vi motsetningen mellom den elskede (Sol, solen og dagen) og smerten til den som elsker (kald, mørk natt, Norge). I Lope de Vegas komedie El alcalde mayor blir mørket legemliggjort. Damen ber mørket om aldri å forsvinne, men være hennes medsammensvorne slik at hun kan se sin elskede i skjul: Noche, a quien llamaron santa porque callas, así estés más serenísima un mes que la más hermosa infanta. Ansí dure sola una hora, como en Noruega, en España el día, a quien tanto estraña tu tiniebla encubridora. 34 En annen metafor i tillegg til de allerede nevnte som bidrar til å befeste Norge som symbol på ekstremt mørke i barokkpoesien er blindheten. Vi finner eksempler på dette i diktet Sansón nazareno (1656) av Antonio Enríquez Gómez (1601-1661), i nummer 202, s. 66. Her påkalles på den ene side Samsons fysiske blindhet, ettersom han får et øye revet ut og på den annen side den moralske blindheten, forårsaket av lidenskapen han føler for Dalila: Por etíopes negros, aunque claros, los desechó la hermosa palaciega, que donde reinan dueños tan avaros, 33 Lope de Vega, Los Benavides (Benavides), f. 188r.: »Stopp sol hvis du tror jeg / bør holde meg unna deg, / for da får du meg til å fryse lik snøen / i stedet for å brenne meg. / De rene strålene krymper, / så om jeg vil være dagen din, / blir jeg igjen den kjølige natt / der hvor de aldri kan folde seg ut igjen. / Hold deg i din bane Sol / for jeg er ikke en parallell / til løpene i din himmel / ei heller Østen som venter på deg. / Jeg er nå mørke Norge / det kalde og dystre land / hvor dagen er så liten / at du knapt får øye på den.« 34 Lope de Vega, El alcalde mayor (Rådmannen): »Natt, de kalte deg helgen / fordi du tier, slik blir du / roligere en måned / enn den vakreste prinsesse [la serenísima, en fyrstetittel]. / Måtte dagen vare kun en time / i Spania slik som i Norge, / for den som så sårt savner / ditt mørkes skjul.« Carlos F. Cabanillas Cárdenas 74 hasta las niñas vende la Noruega. 35 Grev Bernardino de Rebolledo (1597-1676) var ambassadør i Danmark mellom 1648 og 1659. I diktsamlingen Ocios skrev han i nummer 188: »Til en svært vakker dame fra den fredsommelige dronningen av Danmark som giftet seg med en svært stygg kavaler, sendt til å styre i Norge«: Para tenerla por ciega indicio fuera bastante condenarte a tal amante, sin desterrarte a Noruega. 36. 4. Rovfugl og mørke: utholdenhet, driftighet, standhaftighet Barokk poesi bruker bilder av kjente norske rovfugler, populært i middelalderen som vi har sett, men ladet med en ny symbolsk betydning: utholdenhet, driftighet, standhaftighet. I nummer 39, vers 65-72 i Góngoras satiriske romanse Murmuraban los rocines (Arbeidshestene mumlet) brukes de norske rovfuglene som bilde på en negativ utholdenhet. Det lyriske jeget i diktet, et muldyr, henvender seg til en fattig ridder: No hay halcón hoy en Noruega donde el sol es más escaso tan solícito en cebarse como mi dueño, o mi daño, que volando pico al viento sale muy bien santiguado a escuchar las almireces de las casas do hacen plato. 37 Den norske rovfuglens utholdenhet i jaktøyemed på grunn av mørket sammenlignes her med den fattige rytterens seighet og hans evne til å skaffe seg mat gratis. Den moralske sonetten Exclama contra el rico hinchado y glotón (Utrop mot den oppblåste og grådige rikmannen) av Francisco de Quevedo har samme kritiske intensjon, der 35 Antonio Enríquez Gómez, Samson nasaréneren, nr. 202: »Med svarte etiopiere [øynene] / erstattet denne høviske dame mine klare, / der hvor så grådige herskere styrer / kan selv pikene selge Norge.« 36 Grev Bernardino de Rebolledo, Forlystelser, nr. 1888, vers. 9-12, »Det var et klart nok signal / at de tok henne for å være blind / ved å dømme deg til en slik elsker / uten å forvise deg til Norge.« 37 Luis de Góngora, Romances, nr. 39, versene 65-72: »Det fins ikke i dag falk i Norge, / hvor det knapt er sol, / som tar til seg føde med like stor iver / som min herre, eller min smerte / flygende med nebbet mot vinden / korser han seg når han hører morteren / fra husene hvor de lager mat.« Norge i spansk barokkpoesi 75 jaktfalken fra Norge (»pirata de Noruega«) tjener den grådige rikmannens forslukenhet ved å tømme himmelen for andre fugler (»familia alada«): ¡Cuánto pirata de Noruega, atento ministro de tu gula, remontando, despuebla de familia alada el viento! 38 I Góngoras dikt Amenazaba los campos dukker bruken av rovfuglen nok en gang opp. Men her hentyder dikteren også til Norges fantastiske kvaliteter som i diktet sidestilles med andre eksotiske steder: Potosi (de rikholdige sør-amerikanske sølvgruvene) og Ofir (Kong Salomons mytiske gullby). Dikteren klager på damens forakt og den andre kavalerens driftighet når han kaprer henne. Prometí a su blanca mano la plata del Potosí, y de adornar sus cabellos con todo el oro de Ofir. Cedió remontada garza si no cobarde perdiz, rayo de pluma, en Noruega, del siempre hambriento neblí. 39 Den norske rovfuglen omtales i en mer positiv forstand i Góngoras komedie Las firmezas de Isabela, hvor de representerer utholdenhet, driftighet og standhaftighet i møte med motgang og fare. Donde armados de nieve los Trïones al sol le hurtan la Noruega fría, tan breves son los términos del día, cuán ligeros de alas los halcones. Dales el Norte en todas sus regiones alas de viento y garras de arpía para cebarse. ¡Oh, diligencia mía, poco vuelas y a mucho te dispones! Hambre de honor alados pasos mueve, y por cebarse en dulces desengaños peligro corre, aunque valor enseña. 40 38 Francisco de Quevedo, Poesía original completa, nummer 61, i versene 9-11: »Hvilken pirat fra Norge / som behendig tjener din grådighet, ved å stupe i luften, / avfolker den vinden den bevingede familie! « 39 Luis de Góngora. Romances, nr. 210, versene 69-76: »Jeg lovte hennes hvite hånd / sølvet fra Potosí / og å smykke hennes hår / med alt gullet fra Ofir. / Men hun gav etter som en angrepet hegre / om ikke en feig rapphøne / for den stadig sultne falk, / fjærpilen fra Norge.« 40 Luis de Góngora, Las firmezas de Isabela (Isabellas stadighet) versene 1026-1036: »Hvor Trioner er dekket av snø / og stjeler solen fra kalde Norge / så korte er dagene, så lette falkens vinger. / Gi nordboerne i alle sine regioner / vinger av vind og hekseklør / så de kan ta Carlos F. Cabanillas Cárdenas 76 Lope de Vega tillegger rovfuglen de samme kvalitetene i sitt episke dikt Jerusalén conquistada. Her bruker han den som bilde på korsfarernes mot og anstrengelser, som bejubles da de, tross all motgang, lyktes i å forsere Jerusalems murer: Antes como las aves de Noruega, viendo que ya se les acaba el día, el vuelo esfuerzan, y en la noche ciega crece con la defensa la porfía. 41 Henvisninger til den norske rovfuglen ble populært, også i andre sjangere 42 . Vi kan for eksempel spore dem i en anonym oversettelse til kastiljansk av den svært utbredte fromme teksten Imagen de la vida cristiana av munken Héctor Pinto datert 1571. Teksten ble brukt i en preken: 43 Y así como los azores de Noruega vuelan con mayor ligereza que los de las otras tierras, no por ser ellos naturalmente más ligeros, mas por ver cuán poco espacio tienen por la brevedad del día, que allí no es más de tres horas; así los viejos, viendo cuán poco espacio tienen de vida, deben de darse a la virtud con grande prisa y volar altamente con grande velocidad y cuando no pudieren con obras corporales, a lo menos con las espirituales, para que la muerte os halle apercibidos y vayan a poseer con grande alegría la eterna bienaventuranza. Men de to mest kjente tiláene hvor det henvises til Norge i barokken finner vi hos Luis de Góngora og Francisco de Quevedo. To steder i utpreget kulteranistisk stil i Góngoras Soledades. I storartede beskrivelser bruker han mørket som metafor for å fremheve den ubeskrivelige skjønnheten og motet disse jaktfuglene besitter: Entre el confuso pues celoso estruendo de los caballos, ruda hace armonía cuanta la generosa cetrería, til seg føde. Å min flid! / Lite flyr du og mye utsetter du deg for ! Æressulten får vingene til å slå / og for å spise søte desillusjoner / setter du deg i fare, selv om du er modig.« 41 Lope de Vega, Jerusalem erobret, II, 227: »Lik fuglene i Norge / som når de så at dagen tok slutt / anstrengte flukten og i den blinde natten / ble de mer standhaftige mot murers forsvar.« 42 Flere eksempler på henvisninger til rovfuglen finner vi i Los fragmentos de Adonis (Adonis’ fragmenter), s. 206 av Pedro Soto de Rojas, hos Enríquez Gómez i El siglo pitagórico Vida de don Gregorio Guadaña (Det pytagoreiske århundre og don Gregorio Guadañas liv), s 104. Også i prosa, hos Luis Vélez de Guevara i Diablo Cojuelo (Den låghalte djevelen), s. 163, osv. 43 Originalen ble utgitt på portugisisk i to deler. Den første i 1563 og den andre i 1572. Den første delen foreligger i kastiljansk oversettelse. Héctor Pinto, Bilde av kristent liv, s. 504-505: »Og slik flyr hauken i Norge med en større letthet enn hauken andre steder. Ikke fordi den av natur er lettere her enn andre steder. Den har det bare mer travelt siden dagene her er så korte, de varer knapt mer enn tre timer. Den gamle fuglen skjerpes når han innser at han ikke har lenge igjen å leve. Flyr høyere og med større hastighet. Når kroppen ikke lenger adlyder, er han utrustet med en åndelig styrke som gjør at han møter døden med stor glede og salig finner evig hvile.« Norge i spansk barokkpoesi 77 desde la Mauritania a la Noruega, insidia ceba alada, sin luz, no siempre ciega, sin libertad, no siempre aprisionada, que a ver el día vuelve las veces que, en fïado al viento dada, repite su prisión y al viento absuelve: el Neblí que, relámpago su pluma, rayo su garra, su ignorado nido o lo esconde el Olimpo, o densa es nube que pisa, cuando sube tras la garza, argentada el pie de espuma; 44 Og deretter: Aunque ociosos, no menos fatigados, quejándose venían sobre el guante los raudos torbellinos de Noruega. 45 I sitt berømte skjemtedikt Relación que hace un jaque de sí y de otros fjerner Francisco de Quevedo seg fra alvorlige beskrivelser. Her bruker han rovfuglen som poetisk virkemiddel samtidig som han kritiserer Góngoras kulteranistiske stil. I denne passasjen finner vi en rekke hentydninger til mørket-rovfugler-kulde. Zampuzado en un banasto me tiene su majestad, en un callejón Noruega aprendiendo a gavilán. Graduado en tinieblas pienso me sacarán para ser noche de hibierno, o en culto algún madrigal. 46 I Poesía varía nummer 95, 8 kommenterer James Crosby denne passasjen i diktet. Han fortolker »smug« som et bilde på knappheten/ nøden i de norske fjordene som en konsekvens av kulden og mørket. Men at han også assosierer smug (callejón) 44 Góngora, Soledades (Ensomheter), II, vers 735-749, oversettelsen følger her Robert Jammes’ prosaversjon i notene til utgivelsen: »Blant den dunkle, men ivrige larmen / fra hestene, gjør en grov harmoni de generøs fuglejakt / fra Mauritania til Norge / uten lys, men ikke blind / uten frihet, men ikke alltid fanget. / Tidspunktene når rovefuglen, lånte til vinden flyr / kommer tilbake til fengselet sitt, og tilgi vinden. / Vandrefalken, fjære sitt er en lyn / hakke sitt er en strål og reiret sitt er ignorert. / Den gjemmer Olympus, eller skyen som falken nå er tett, hver gang hauken jakter på hegre med sølvaktig skum ben.« 45 Góngora, Soledades (Ensomheter), II, vers. 971-973: »Om enn ledige, ikke desto mindre trøtte / landet de klagende på hansken / de hurtige virvelvindene fra Norge.« 46 Quevedo, Poesía original completa, nr 856, vers 1-8: »Bortgjemt i en kurv [også fangehull] / forvarer deres Majestet meg, / i et norsk smug / hvor jeg lærer å bli hauk. / Eksaminert i mørke / skal jeg ut / for å bli vinternatt / eller en madrigal i kulteranistisk stil.« Carlos F. Cabanillas Cárdenas 78 med fjordenes tranghet (estrechez), virker her meningsløst, ettersom dette aspektet ved norsk natur ikke ble kjent før mye senere, da Norge ble en turistdestinasjon. Det kan derfor ikke regnes som annet enn en anakronisme fra kritikerens side. Forklaringen er enklere. Hyperbolen banasto »underjordisk fangehull« sammenlignes med et mørkt smug. Ikke et hvilket som helst smug, men et ekstremt mørkt smug og derav »callejón Noruega« eller »norsk smug«. Men det viktigste er referansen til hauken (»gavilán«) som her får en dobbel betydning. Den konkrete betydningen er rovfugl, men på den tiden betydde gavilán også kjeltring, i overført betydning. På samme måte som de norske rovfuglene på grunn av mørket utvikler en effektiv måte å jakte på, perfeksjonerer tyven sine ferdigheter i det mørke fengselet. Mørket brukes altså både i den fysiske beskrivelsen og moralkritisk. I tillegg brukes passasjen i Quevedos kritikk av Góngoras poesi; den kulteranistiske poesien ble av mange i samtiden ansett for å være altfor obskur og vanskelig å forstå. 5. Konklusjon I romanen El peregrino en su patria av Lope de Vega, som utkom i 1604, finner vi en annen karakteristikk av Norge som er verdt å nevne. Denne er også brukt i Cervantes’ Persiles og gjelder Norge som djevlenes bolig og dit heksene dro for å holde sine djevelske fester. Slik snakkes det om demoner: Estos se llaman en la lengua italiana foletos y en la española trasgos, de cuyos rumores, juegos y burlas cuenta Guillermo Totani, en su libro De Bello Demonum, algunos ejemplos, llamándolos espíritus de la menos noble jerarquía. Casiano escribe de aquellos que habitan en la Noruega, a quien el vulgo llama paganos, que ocupando los caminos, juegan y burlan a los que pasan por ellos de día y de noche. 47 Det er altså tydelig at den symbolske bruken av Norge er fruktbar og at det ikke bare er referansene til kulden og snøen i seg selv som rettferdiggjør bruken, men også den intensiteten/ kraften som disse karakteristikkene (kulden og snøen) påkaller. Norge fungerer først og fremst som en poetisk overdrivelse der barokkdikteren hentyder til kulden eller mørket, eller begge deler, for å få frem intensjonen i diktet. Men vi har også sett at rovfuglen (flere forskjellige arter; hauken, falken, etc.), er mye brukt. Dens tilstedeværelse støtter opp under det 17. århundrets klokketro på at skikk og bruk kan omformes til natur. 48 Norge blir i dette henseende et perfekt symbol på utholdenhet, driftighet og standhaftighet. 47 Lope de Vega, Pilegrimen i sitt hjemland, s. 446: »Disse som på italiensk kalles foletos og på spansk trasgos. Vi finner noen eksempler på deres rykter, leker og skjemt i Guillermo Totanis bok De bello demomum. Han kaller dem ånder av det minst noble hierarki. Casiano skriver om disse at de bor i Norge og at de av almuen blir omtalt som hedninger. De streifer rundt på landeveien dag og natt, og gjør narr av dem som kommer forbi.« 48 Et viktig tema i epoken. For eksempel kommenterer Antonio de Torquemada i Jardín de flores curiosas, s. 413: »¿No habéis oído decir el proverbio que dice: ›el uso y costumbre se hace Norge i spansk barokkpoesi 79 Bibliografi Archivo Iberoamericano de Cetrería, dir. 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Literatur: Hispanomanie, Spanischer Bürgerkrieg, Phantastik Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne K LAUS M ÜLLER -W ILLE Spanien nimmt zweifelsohne einen herausragenden Platz in der imaginären literarischen Geographie der sich konstituierenden dänischen Moderne ein. Die Menge der Reisebeschreibungen sowie die Prominenz der Spanienreisenden - unter anderem Hans Christian Andersen, Martin Andersen-Nexø, Johannes V. Jensen, Tom Kristensen und Klaus Rifbjerg - hat dazu beigetragen, dass das Thema in der Forschung inzwischen recht gut dokumentiert ist. Einen guten Einblick in die Relevanz der Thematik bieten etwa Henrik Yde und Henrik Schovsbo, die in ihren umfangreichen Kommentaren zu den Reiseberichten von Andersen und Andersen-Nexø versucht haben, die Geschichte und Forschungsgeschichte zur Spanien-Reise in der dänischen Literatur und Literaturgeschichte zu rekapitulieren. 1 Dabei weisen sie nicht zuletzt auf die engen intertextuellen Relationen zwischen den entsprechenden dänischen spanischen Reiseromanen hin, die insgesamt eine schöne Bestätigung der von Manfred Pfister formulierten These bieten, dass Reiseerzählungen eher als Lektüreberichte zu lesen sind denn als authentische Erfahrungsberichte. 2 Auch meine Textlektüre, die sich im Wesentlichen auf die Reiseberichte von Andersen, Jensen, Andersen-Nexø und Kristensen konzentrieren wird, nimmt ihren Ausgang in dem engen Netz der intertextuellen Relationen, welche die einzelnen Spanienreisen miteinander verbinden. Dabei möchte ich allerdings einen Aspekt akzentuieren, der meines Erachtens in der bisherigen Forschung zu diesen Reiseberichten unterbelichtet blieb. Die zentrale These meiner Ausführungen lautet, dass Spanien in der dänische Literatur um 1900 als Handlungsraum benutzt wird, um über einen Umweg über Effekte der Modernisierung zu diskutieren, die man normalerweise mit anderen Orten in Zusammenhang bringen würde. Spanien wird nicht nur als bewusste Alternative zur veralteten Reiseroute nach Italien (als Zentrum der Antike), sondern auch als Alternative zur Schilderung moderner urbaner Räume wie Paris oder Amerika (als Zentren der Moderne) in Szene gesetzt. In dieser Hinsicht 1 Vgl. Schovsbo, Henrik: Efterskrift. In: Hans Christian Andersen: I Spanien. Hg.v. Erik Dal (= Danske Klassikere). Kopenhagen 2004, S. 223-248; Yde, Henrik: Efterskrift. In: Martin Andersen Nexø: Soldage. Hg.v. Henrik Yde (= Danske Klassikere). Kopenhagen 1995, S. 243-278. 2 Pfister, Manfred: Intertextuelles Reisen, oder: Der Reisebericht als Intertext. In: Foltinek, Herbert u.a. (Hg.): Tales and »their telling difference«. Zur Theorie und Geschichte der Narrativik. Festschrift zum 70. Geburtstag von Franz K. Stanzel. Heidelberg 1993, S. 109-132. Klaus Müller-Wille 86 gewinnt Spanien als Imaginationsraum meines Erachtens die Ausnahmestellung, die dem Land in der Geschichte der dänischen Reiseliteratur zukommt. Um diese These zu untermauern, möchte ich meine Ausführungen mit einer kurzen Überlegung zur spezifischen Struktur der dänischen Spanienreisen beginnen, aufgrund derer ich die Texte im weiteren Verlauf miteinander vergleichen möchte. 1. Reisen mit Struktur Zunächst bedienen die Texte das simpelste narratologische Schema einer Erzählung, die durch zwei deutlich voneinander geschiedene Ordnungsräume und einen entsprechenden Grenzübertritt geprägt ist. Ein Subjektaktant, das heißt der reisende Ich-Erzähler, zirkuliert von einem in den anderen Ordnungsraum (Abb. 1). Ein Reisebericht erzählt in der Regel eher von den Herausforderungen und der Beeinflussung des Subjektes durch andere Normen als von der Beeinflussung dieses Raums durch das Subjekt. In der Tat wurden alle der oben erwähnten Reiseberichte auf diese Weise der Gattung des sentimentalen Reiseberichtes zugeordnet, der eher über die emotionalen und kognitiven Herausforderung des Reisenden informiert als dass er eine nüchterne Darstellung des Reiselandes selbst bietet. Süden Norden Subjekt Abb. 1 Alle Reiseberichte laborieren dabei mit der grundlegenden Dichotomie von Nord und Süd, einer coolen, rationalen und einer heißen, emotionalen Kultur, die sich in anderen Formen der Religion (steifer Protestantismus versus katholische Ekstase), der Körperkultur (Prüderie versus Erotik), der Politik und natürlich auch der Poesie äußert. Ausgehend von diesen Oppositionen ließe sich untersuchen, inwieweit die Texte die damit verbundene imaginäre Geographie bedienen oder zu brechen versuchen, inwieweit sich die Subjektaktanten auf eine Erfahrung der südlichen Kultur einlassen, oder inwieweit Abgrenzungen bestätigt werden. Auch wenn das Zwei- Raum-Modell durchaus ergiebig für eine erste Analyse ist - das gilt nicht zuletzt für die deutliche Inszenierung der Grenze und des Grenzübertritts in allen Romanen -, scheint es mir doch viel zu grobkörnig zu sein, um den spezifischen Reiz der Spanienreisen zu umreißen, die hier thematisiert werden sollen. All das, was in der Sekundärliteratur über die entworfenen Wunsch- und Wahnvorstellungen des Südens zu lesen ist, ließe sich mit wenigen Abweichungen auch an Italienreisen des frühen 19. Jahrhunderts nachweisen. Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 87 Das Raumschema wird aus diesem Grund in einem weiteren Schritt modifiziert: Gemäß der zentralen These dieses Aufsatzes, der zufolge Spanien in der dänischen Literatur um 1900 als Handlungsraum benutzt wird, um indirekt über Effekte der Modernisierung zu diskutieren, wird die Relation zwischen Dänemark und Spanien in den Texten nicht nur über die bekannten Nord-Süd-Dichotomien etabliert, sondern eher als Gegensatz zweier peripherer europäischer Räume, die sich auf unterschiedliche Art und Weise zu den Zentren der Modernisierung verhalten (Abb. 2). Zentren der Modernisierung Paris England/ Amerika Spanien als Dänemark europäische als europäische Peripherie Subjekt Peripherie Abb. 2 Auch diese Graphik scheint aber nicht ausreichend zu sein, um die in den Romanen entworfene Topologie, das heißt die komplexe Struktur der semantischen Räume zu vergleichen. Im Gegensatz zu Dänemark besteht eine Besonderheit Spaniens darin, dass es wirklich als Grenzraum zu einer anderen Kultur imaginiert werden kann. In allen Reiseberichten wird auf das maurische Erbe Spaniens eingegangen. Andersen und Andersen-Nexø reisen sogar nach Afrika. Spanien wird dabei in allen Texten als poröser, durchlässiger Grenzraum zu einer außereuropäischen Kultur dargestellt, die sich auf hybride Weise mit europäischen Gewohnheiten vermischt. Schließlich gehen alle Reiseberichte auf eine Minderheit ein, welche die bislang thematisierten Ordnungen in Frage stellt, da sie sich eigentlich keinem der skizzierten semantischen Räume zuordnen lässt. Die Zigeuner markieren dabei sozusagen einen Außenraum im Inneren Spaniens (Abb. 3). Zentren der Modernisierung Zigeuner EUROPA Spanien als Dänemark Grenzzone Subjekt AFRIKA Klaus Müller-Wille 88 Selbstverständlich soll dieses Schema hier nicht dazu verwendet werden, um die Texte über einen Kamm zu scheren. Wenn alle vier Texte, auf die ich eingehen werde, auf diese abstrakte Raumstruktur rekurrieren, so heißt das noch lange nicht, dass sie es auf gleiche Weise tun. Ganz im Gegenteil sollen im Folgenden die markanten Unterschiede herausgearbeitet werden, welche die Texte trotz des Rückgriffes auf eine einheitliche abstrakte Topologie voneinander unterscheiden. Als Ausgangspunkt meiner entsprechenden Analysen dient der Reisebericht Andersens, der zunächst auch dazu verwendet werden soll, die hier vorgestellten Schemata zu illustrieren. 2. Zwischen Omnibus, Orient und Exkrement - Plurale Moderne (H.C. Andersen) Im Verlauf der Napoleonischen Kriege verschlägt es 1808 nicht nur französische, sondern auch spanische Truppen nach Dänemark. Auch wenn der 1805 geborene Andersen kaum deutliche Erinnerungen an diese Begebenheit gehabt haben dürfte, kommt er in seinen Schriften immer wieder auf die Thematik zurück. In den 1833 publizierten Vaudeville-Stücken Spanierne i Odense und Fem og tyve Aar derefter wird von der Liebe zweier Däninnen zu den Spaniern berichtet. Die diesen Geschichten zugrundeliegende Vorstellung einer fundamentalen Sympathie zwischen den beiden Völkern wird indirekt auch in dem 1830 publizierten Gedicht Soldaten sowie dem Altersdrama Da Spanierne var her (1865) aufgegriffen, die von der tödlichen Auseinandersetzung zwischen einem französischen und einem spanischen Soldaten handeln. Dass die Sympathie der Dänen dabei nur den Spaniern gelten konnte, macht Andersen auch in seiner 1855 publizierten Autobiographie Mitt livs eventyr deutlich, in der er die Begegnung mit den Spaniern zu einer kleinen Genre-Szene verdichtet. Einer der spanischen Soldaten nimmt den erst dreijährigen Hans Christian auf den Arm, lässt ihn das Bild einer Madonna küssen und beginnt zu weinen - »han havde vist selv Børn hjemme i Spanien«. 3 Diese Szene potenziert Andersen schließlich in seinem 1863 publizierten Reisebericht I Spanien, 4 in dem er sie nun in dem Gespräch des reisenden Ich-Erzählers mit einem spanischen Mädchen zitiert, das dieser auf gleiche Weise von der Seelenverwandtschaft der beiden Völker zu überzeugen versucht: 3 Zitiert nach Hans Christian Andersen: Mitt livs eventyr. In: Hans Christian Andersen samlede værker. Bd. 17. Selvbiografier II. Hg. Klaus P. Mortensen. København 1997, S. 17. »Er hatte bestimmt selber Kinder in Spanien.« Alle Übersetzungen aus dem Dänischen stammen von mir, KMW. 4 Grundlegendes zur Spanienreise Andersen findet sich bei Schovsbo, Efterskrift (Anm. 1). Einen (wenig ergiebigen) Vergleich zwischen veröffentlichtem Reisebericht und den (nicht publizierten) Tagebucheinträgen zur Spanienreise liefert Dot Pallis, Rejseskildringen I Spanien. In: Anderseniana 1991, S. 75-86. Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 89 Jeg fortalte, at jeg var høit oppe fra Norden, fra Danmark, hvor engang Spanierne have været og vi holdt af dem. ›Jeg var dengang et Barn,‹ sagde jeg, ›en spansk Soldat tog mig paa sine Arme, kyssede mig og trykkede Madonnas Billede paa min Mund, det er min tidligste Erindring; jeg var den Gang kun tre Aar gammel! ‹ Hun forstod hvad jeg fortalte; hun smilede, tog min Haand, hendes var saa fiin, Haandtrycket var som et Kys, et Barnekys. (I Spanien, 101) 5 Ich erzählte, dass ich hoch oben aus dem Norden war, aus Dänemark, wo einst die Spanier gewesen waren und wir mochten sie. ›Ich war damals ein Kind‹, sagte ich, ›ein spanischer Soldat nahm mich auf seine Arme, küsste mich und presste ein Bild der Madonna auf meinen Mund, dies ist meine früheste Erinnerung; ich war damals nur drei Jahre alt! ‹ Sie verstand, was ich erzählte; sie lächelte, nahm meine Hand, ihre war so zart, der Handdruck war wie ein Kuss, ein Kinderkuss. Die Szene ist von struktureller Bedeutung für den ganzen Text. Denn von Beginn an wird das als »Længslers Land« (I Spanien, 15) - also als »Land der Sehnsüchte« - titulierte Spanien vom Ich-Erzähler als ein kindlicher Imaginationsraum in Szene gesetzt, das ihn auf paradoxe Art in eine fremde Heimat zurückkehren lässt, die folgerichtig als ›afrikanisches Dänemark‹ umschrieben wird: Jeg var i fremmed Land, og følte mig dog saa hjemlig, det var Havet, som bragte mig det Hjemlige det herlige Hav! Det rullede her mod Afrikas Kyst med Bølgeslag, som Vesterhavet ved Jyllands Kyst: den vatrede blaagrønne Flade kjendte jeg igjen fra en Sommeraften under Møens Klint. (I Spanien, 16) Ich war in einem fremden Land, und fühlte mich doch so heimatlich, da war das Meer, das mir dieses Heimatgefühl brachte, das herrliche Meer! Es rollt hier gegen Afrikas Küste mit Wellenschlägen, wie die Nordsee gegen die Küste Jütlands: die waagerechte blaugrüne Fläche erkannte ich wieder von einem Sommerabend unter Møens Klint. Die Anspielungen auf Dänemark wie die auf Afrika durchziehen den ganzen Text. Spanien wird als Teil eines orientalischen Kulturraums begriffen, den der Erzähler Andersen seinerseits immer über den Hinweis auf Tausend und eine Nacht als potenzielle Märchenwelt begreift, die ihn auf eine überraschende Weise an Dänemark und seine dänische Kindheit erinnert. Auch die frühen und häufig wiederholten Anspielungen auf die Glanzepoche der spanischen Literatur - genannt werden alte Romanzen aus dem Cid, Calderón, Moreto und Cervantes - dienen dazu, Spanien als gleichermaßen fremden wie heimatlichen Raum kindlicher Imaginationen und Wunschvorstellungen zu schildern. In diesem Sinne laboriert der Reiseroman durchaus mit der in Figur 1 skizzierten Nord-Süd-Dichotomie, die vor allem über die Gegensatzpaare von Morgenland und Abendland, Orient und Okzident, Kindheit und Reife semantisch gefüllt wird. Die Wunschprojektionen der Kindheit werden ihrerseits mit einer Wunschprojektion auf das Phänomen Kindheit selbst korreliert. Der ganze Text ist von Begegnungen Andersens - der sich in diesem Reise- 5 Die mit I Spanien nachgewiesenen Textzitate folgen Hans Christian Andersen: I Spanien. Hg.v. Erik Dal (= Danske Klassikere). Kopenhagen 2004. Klaus Müller-Wille 90 bericht selbst als alternder Dichter in Szene setzt - mit spanischen Kindern und vor allem Kindsfrauen durchzogen, die zum Teil verstörend erotisch konnotiert sind (s.o.). Insgesamt wird Spanien so als eine Art Ursprungsland figuriert, in dem der Reisende mit der gleichermaßen vertrauten wie fremden Welt der eigenen Kindheit konfrontiert wird. Es fragt sich allerdings, ob die genannten Gegensatzpaare ausreichen, um den Text zu charakterisieren. Zumindest lässt das späte Erscheinungsdatum des Reiseberichtes vermuten, dass hier mehr auf dem Spiel steht. Denn immerhin wird das Spanienbuch veröffentlicht, nachdem sich Andersen - wie dies vor allem Heike Depenbrock und Heinrich Detering in unterschiedlichen Kontexten nachgewiesen haben - ausführlich mit Phänomenen der Moderne und der Frage nach einer modernen Poetik auseinandergesetzt hat. 6 In diesem Sinne überrascht es vielleicht nicht, dass auch der Spanienbericht von aufmerksamen Beobachtungen der urbanen Kultur Spaniens durchsetzt ist, wodurch die Klischees einer kindlichen südlichen Kultur gebrochen werden. 7 Als Beispiel zitiere ich die folgende Beschreibung des Bahnhofes in Barcelona, die bezeichnenderweise direkt an die oben zitierte Passage anschließt, in welcher der Ich-Erzähler Spanien als eine zweite Heimat präsentiert: Station fulgte paa Station, alle Vogne fyldtes og endelig, Klokken var over Ti om Aftenen, naaede vi Barcelona. Den Brædeskuurs Banegaard var overfyldt af Mennesker, hvoraf Halvdelen neppe havde Noget der at gjøre. Kofferter, Kasser og Natsække kastedes imellem hverandre. Den gamle Skik, som vi ogsaa altfor længe kjendte herhjemme, at i alle Byer, hvor man steg af, skulde Tøiet eftersees, finder endnu Sted i Spanien. Her var en Rumsteren, en Trængsel, en Trykken; udenfor holdt Omnibusser nok, nogle tæt ved Udgangen, andre længere borte bag Plankeværket; hver Vogn havde sine Dragere, en greb eet Stykke, en anden et andet og løb i Galop med det til deres respective Vogne uden at bryde sig om Ens Gods blev samlet; der var en Raaben, en Skrigen ... (I Spanien, 16) 6 Depenbrock, Heike und Detering, Heinrich: Die Sprache der Dampfmaschine: H. C. Andersens ›Et Stykke Perlesnor‹. In: Norrøna 8 (1988), S. 6-16; Depenbrock, Heike und Detering, Heinrich: Der Tod der Dryade und die Geburt der Neuen Muse. In: Braunmüller, Kurt und Mogens Brøndsted (Hg.): Deutsch-nordische Begegnungen. 9. Arbeitstagung der Skandinavisten des deutschen Sprachgebiets 1989 in Svendborg. Odense 1991, S. 366-90; Depenbrock, Heike und Detering, Heinrich: Poesie und industrielles Zeitalter in I Sverrig, in: de Mylius, Johan (Hg.): Andersen og Verden. Indlæg fra den første internationale H.C.Andersen-konference. 25.-31. August 1991, Odense 1993, S. 31-51; Detering, Heinrich: Andersen dans les Passages parisiens. La dryade entre Baudelaire, Rilke et Benjamin. In: Etudes germaniques 58 (2003), S. 711-733. 7 Auf einen solchen Bruch macht auch Marisa Rey-Henningsen aufmerksam, die die Heterogenität des Spanienbildes allerdings rein biographisch zu erklären versucht. So ist von Enttäuschung und Desillusionierung Andersens in Spanien die Rede, die ihrerseits auf eine Mentalitätsbarriere zurückgeführt wird, die sich nicht zuletzt in Andersens mangelndem Kontakt zum zeitgenössischen spanischen Literaturleben äußere. Vgl. Rey-Henningsen, Marisa: Spanien og H.C. Andersen. In: Anderseniana 2005, S. 41-61. Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 91 Station folgte auf Station, alle Wagen wurden gefüllt und endlich, es war schon nach zehn Uhr abends, erreichten wir Barcelona. Der Holzschuppen-Bahnhof war überfüllt mit Menschen, von denen die eine Hälfte kaum etwas dort zu tun hatte. Koffer, Kisten und Schlafsäcke wurden durcheinander geworfen. Eine alte Gewohnheit, die wir auch viel zu lange bei uns hier zu Hause gekannt haben, ist immer noch in Spanien üblich: In allen Städten, an denen man ausstieg, musste das Gepäck überprüft werden. Hier war ein Rumoren, ein Gedrängel, ein Drücken; draußen hielten Omnibusse, einige dicht am Ausgang, andere weit weg hinter dem Bretterzaun; jeder Wagen hatte seine Gepäckträger, einer griff ein Stück, ein anderer ein anderes und sie liefen in Galopp zu ihren jeweiligen Wagen ohne sich darum zu kümmern, ob Hab und Gut der Besitzer wieder gesammelt wurde; dort war ein Rufen, ein Schreien ... Schon die beiden letzten Zitate deuten an, dass Spanien im Text keineswegs als homogener Kulturraum geschildert wird, sondern dass ganz im Gegenteil die Spannungen und Brüche in den Vordergrund gestellt werden, die das damalige Spanien wie das damalige Dänemark als spät modernisierte Gesellschaften auszeichnen. Im Buch finden sich entsprechende Schilderungen der Boulevards und der internationalen Häfen Spaniens. Die beiden letzten Zitate deuten auch an, dass sich das Interesse für die gebrochene Kultur Spaniens (beziehungsweise für eine Kultur im Umbruch) auch in dem heterogenen Stil der Reiseerzählung niederschlägt, in dem naturlyrische Passagen und biedermeierliche Genreszenen, die nahtlos an eine Guldalder-Tradition anknüpfen, mit Darstellungen urbaner Lebensräume kontrastiert werden, die in ihrer stilistischen Dynamik in vielerlei Hinsicht an die späteren Großstadtschilderungen Bangs und Strindbergs erinnern. 8 Wie gezielt Andersen mit solchen stilistischen Brüchen arbeitet, ließe sich auch an den interartiellen Bezügen illustrieren, mit denen er den ganzen Text über laboriert. Folgt man der Sekundärliteratur, dann lässt sich sein Versuch, das malerische Spanien als eine Art Bilderreigen zu präsentieren, auf Christian Molbechs Spanienbericht zurückführen. 9 Andersen selbst dagegen verweist gleich mehrfach auf ein direktes Vorbild aus der bildenden Kunst, nämlich die Genremalerei Murillos. Interessanterweise werden diesem Bezug auf das Goldene Zeitalter der spanischen Kunst Anspielungen auf die zeitgenössische Fotografie gegenübergestellt, in der Spanien zum Experimentierfeld der innovativsten Abbildungs- und Darstellungsver- 8 Vgl. dazu etwa Bernhard Glienkes Analysen der Anfangskapitel von Röda rummet (1879) und Sult (1887) in Glienke, Bernhard: ›Ich glaube an die Aufhebung der Städte‹. August Strindberg Röda rummet und ›Die Geschichte von Kopenhagens Fortuna‹. Herman Bang Stuk. In: Ders.: Metropolis und nordische Moderne (= Beiträge zur Skandinavistik 15). Frankfurt a.M. 1999, S. 93-122 und S. 123-164. Glienke selbst macht auf Andersen als Städte- und Geschwindigkeitsentdecker aufmerksam, geht dabei aber nicht auf dessen Spanienreise ein. Vgl. Glienke, Bernhard: Andersen in den Städten oder die Entdeckung der Schnelligkeit. In: Ders.: Metropolis und nordische Moderne, S. 27-44. 9 Das Buch ist von einer Vielzahl kleiner Genreszenen geprägt, die Andersen - wohl in Anlehnung an die entsprechende Gattungsbezeichnung seines Billedbog uden Billeder (1847/ 1854) - explizit als Bilder kenntlich zu machen versucht. Klaus Müller-Wille 92 fahren aufsteigt. 10 Auch die unterschiedlichen intermedialen Bezüge werden meines Erachtens in Anspruch genommen, um die Heterogenität des Spanienbildes zu unterstreichen, das Andersen entwirft. Die Abrechnung mit den süßlichen Spanien-Klischees, die sich in diesem Interesse für Iberien als spannungsreichen Kultur- oder Imaginationsraum andeutet, kulminiert schließlich in Beobachtungen, mit denen sich Andersen gezielt auf die Erfahrung einer fremden und unverständlichen Kultur einzulassen scheint. Das Interesse an der Alterität Spaniens kommt nicht zuletzt in der Auseinandersetzung mit dem maurischen Erbe der Halbinsel zum Ausdruck. Insbesondere die ausführlichen architektonischen Beschreibungen der Alhambra zeigen, wie aufmerksam Andersen dabei die fundamentale Fremdheit eines Stils beobachtet, der sich in der verwirrende Inszenierung von Oberflächeneffekten erschöpft: Deiligt, men overraskende smaat, var her. Jeg fandt ikke den Storhed og Udstrækning, jeg havde tænkt mig; dog idet jeg vandrede gjennem disse Buer, disse Gaarde, disse Sale, syntes de at udvide sig, det var, som gik jeg i Phantasiens forstenet Kniplings- Bazar, [...] Væggene selv er en upoleret hvidguul Porcellain af marmoragtigt Udseende, saa konstigt gjennemhugget, som var det et Kniplingsslør, lagt hen over rød, grøn og gylden Grund. Snirkler og Indskrifter løbe arabeskartede, forvirrende for Øiet, ind og ud af hverandre og klare sig dog, ret beseet, som bestemte, regelrette Former. (I Spanien, 91) Schön, aber überraschend klein war es hier. Ich fand nicht die Größe und Ausdehnung, die ich erwartet hatte; doch, indem ich durch diese Bögen, diese Höfe, die Säle wanderte, schienen sie sich auszudehnen, es war, als ob ich in den versteinerten Spitzen-Bazar der Phantasie ging, [...]. Die Wände selbst sind aus einem unpolierten weiß-gelben Porzellan von marmorähnlichem Aussehen, so kunstreich bearbeitet und ausgehöhlt, als ob es sich um einen Spitzenschleier handelt, der über einen roten, grünen und goldenen Grund gelegt wird. Schnörkel und Inschriften laufen arabeskenartig, verwirrend für das Auge, in- und auseinander und können doch, recht besehen, als bestimmte, regelrechte Formen angesehen werden. Die in- und auseinanderlaufenden Arabesken verwirren nicht nur das Auge des Betrachters, sondern auch dessen Raumempfinden. Dies zumindest deutet Andersen mit der Behauptung an, dass sich der architektonische Eindruck letztendlich weder sprachlich noch photographisch wiedergeben lasse: Sala de los Embajadores, hvor Maurerkongerne modtog de fremmede Ambassadeurer, er endnu for Størstedelen i sin gamle Herlighed; men hvorledes gjengiver man den i Ord; hvad hjelper det at fortælle, at Brystningen er grønne Porcellainsfliser, at Væggene i hele deres Høide synes bedækkede med et Tyl, hængt hen over Guld-Brocade 10 Im Text wird mehr oder weniger explizit auf Charles Clifford angespielt, der in den 1860er Jahren in Spanien vor allem mit fotografischen Panoramadarstellungen experimentiert. Vgl. Thornton, Grace: The famous English Photographer at the Alhambra. In: Anderseniana 1974, S. 79-80. Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 93 og Purpur, og at dette Tyl er en Stenmasse, et Filigran-Arbeide, hvori de hestekoformede Vinduesbuer, med svævende Marmorsøiler, giver Lysning; [...]. Ikke Ordet, men Photographien kan gjengive Billedet, og dog foran dette er man bunden til en bestemt Plet; man maa bevæge sig herinde, [...], gaae hen til det aabne Vindue, [...]. (I Spanien, 91f.) Sala de los Embajadores, wo die Maurenkönige die fremden Botschafter entgegennahmen, ist zum größten Teil noch in seiner alten Herrlichkeit erhalten, aber wie gibt man ihn in Worten wieder; was hilft es, zu erzählen, dass die Brüstung aus grünen Porzellanfliesen besteht, dass die Wände in ihrer ganzen Höhe mit einem Tüll bedeckt zu sein scheinen, über Gold-Brokat und Purpur gehängt, und dass dieser Tüll eine Steinmasse ist, eine filigrane Arbeit, in der die hufeisenförmigen Fensterbögen mit schwebenden Marmorsäulen für Licht sorgen; [...] Nicht das Wort, aber die Fotografie kann dieses Bild wiedergeben, und doch ist man auch vor diesem an einen bestimmten Platz gebunden; hier drinnen muss man sich bewegen [...]. zu dem offenen Fenster gehen, [...]. Ich zitiere diese Passagen so ausführlich, um zu illustrieren, wie gezielt Andersen seine erste intensive Begegnung mit der arabischen Kultur mit der Erfahrung einer fundamentalen Desorientierung verbindet, welche die Grundlage eines räumlich differenzierenden Denkens (d.h. die Differenz von Innen und Aussen, Eigenem und Anderem) aus den Fugen zu bringen scheint. Die Alhambra steht hier stellvertretend für eine Wahrnehmung Spaniens als eine Art porösen Grenz- oder Zwischenraums, der gerade deshalb so fremd erscheint, da er weder zu Afrika noch zu Europa gehört und sich entsprechend schwer lokalisieren lässt. Das desorientierte Raumempfinden bereitet eine Exotisierung Spaniens vor, für die sich weitere Belege im Text finden lassen. Interessanterweise schlägt sich diese exotisierende Tendenz auch in der Darstellung der spanischen Populärkultur beziehungsweise konkreter in der Darstellung des Stierkampfs nieder. Andersens ausführliche Beschreibung eines Stierkampfes in Malaga zeugt davon, dass die Möglichkeit eines Verstehens hier endgültig kollabiert. Der Ekel, den Andersen mit der detailgenauen Schilderungen der verletzten Tierkörper und der über das Station geschleiften Pferdegedärme auszulösen versucht, spricht von einer rein körperlichen Reaktion auf das Geschehen, die sich auch in der homoerotischen Faszination für die eleganten Bewegungen der Toreros niederschlägt. Es mag mit dieser Exotisierung der spanischen Populärkultur zu tun haben, dass Andersen keinen großen Wert darauf legt, die Differenz zwischen einer spanischen Kultur und derjenigen der Zigeuner zu umreißen. Die Zigeuner erscheinen vielmehr als wichtiger Bestandteil der gleichermaßen fremden wie faszinierenden iberischen Populärkultur, die allenfalls in Stereotypien einer erotisch aufgeladenen Körperkultur gefasst werden, die den Hang zu Rhythmus und Bewegung mit einer Vorliebe für das Exkrement (Dreck und Blut) verbindet. Zusammenfassend kann behauptet werden, dass Andersens Reisebericht insgesamt durch eine formale wie thematische Heterogenität geprägt ist. Das naiv biedermeierliche Bild Spaniens, das mit der Imagination der Kindheit verknüpft wird, Klaus Müller-Wille 94 kollidiert mit dem Bild einer Gesellschaft im modernen Aufbruch. Da sich dieses Bild eines modernen Spaniens seinerseits schwer mit dem einer rohen Populärkultur und einer exotischen, arabischen Kulturwelt in Einklang bringen lässt, bleibt der Reisebericht insgesamt genauso uneinheitlich wie die Fülle der sprachlichen Mittel, die den Text, in den auch eine Vielzahl von Gedichten integriert sind, auf einer rhetorisch-stilistischen Ebene kennzeichnen. 3. Priester und Torero - Anti-Moderne (J.V. Jensen) Im Gegensatz zu Andersens überaus ambivalentem Reisebericht liest sich Johannes V. Jensens 1901 erschienenes Spanienbuch Den gotiske renaissance wie ein Versuch, die imaginäre Geographie Europas wieder durch eindeutige Dichotomien zu strukturieren. So verbindet Jensen die Darstellung seiner Spanienreise bezeichnenderweise mit einem Bericht über die Weltausstellung in Paris. Die damit verbundene Eloge an die Errungenschaften einer angelsächsischen Moderne wird im Text konsequent genutzt, um die Unterlegenheit der iberischen Kultur zu unterstreichen. Der Text wirkt auf den heutigen Leser verstörend, da Jensen den Beleg von kulturellen Differenzen mit biopolitischen Argumenten verbindet und als Rassenkampf zu beschreiben versucht: Medens jeg færdedes paa Gaderne i Madrid, fik jeg første Gang et Indtryck af mig selv som Gote. Jeg daterer mit personlige gotiske Gennembrud til Rejsen i Spanien; dér begyndte jeg at anstille Sammenligning mellem Racer. Bevidstheden om at være Dansker har altid ydmyget mig og vakt min Opsætsighed, isoleret; men fra det øjeblik jeg fik Følelsen af at tilhøre en Race i videre Forstand, tiltog jeg mig Avtoritet og erkendte Ansvar. (Gotiske renaissance, 28) 11 Als ich mich auf den Straßen von Madrid bewegte, hatte ich zum ersten Mal den Eindruck von mir selbst, ein Gote zu sein. Ich datiere meinen persönlichen gotischen Durchbruch auf meine Reise nach Spanien; dort fing ich an, Rassen zu vergleichen. Das Bewusstsein, Däne zu sein, hat mich - isoliert betrachtet - immer gedemütigt und meinen Widerstand geweckt; aber von dem Augenblick, wo ich das Gefühl bekam, einer Rasse im weiteren Sinne anzugehören, gewann ich Autorität und erkannte meine Verantwortung. Ausgangspunkt dieses Rassenvergleiches bildet der spanisch-amerikanische Krieg, der 1898 fernab von Spanien und Amerika um Cuba Puerto Rico und die Philippinen geführt wird und der schnell mit dem Verlust dieser wichtigen Kolonien für Spanien endete. Dieser Krieg wird von Jensen in deutlich nietzeanischer Manier zu 11 Den gotiske renaissance gehört zu den Texten, die Johannes V. Jensen von seiner Werkliste streichen ließ und die Zeit seines Lebens nicht wieder veröffentlicht werden durften. Erst Ende der 1960er Jahre gestatteten die Erben eine Wiederveröffentlichung der Romane. Den gotiske renaissance erschien erst im Jahr 2000 in einer zweiten Auflage. Die mit Gotiske renaissance gekennzeichneten Zitate folgen dieser Ausgabe Johannes V. Jensen: Den gotiske renaissance. København 2000. Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 95 einer Auseinandersetzung mit weitreichenden zivilisatorischen Implikationen stilisiert. Der Ausgang des Krieges trage letztendlich zur Evolution der Menschheit bei: Sammenligningen laa saa nær; man kan vel vanskelig tænke sig en grellere Modsætning end denne amerikansk-spanske. Det var ikke alene to Nationer, der stod Ansigt til Ansigt, men to dybt forskellige Racer, to hinanden dødsfjendtlige Naturer. Det var Systemkrig. [...] Det var saa utvivlsomt, at denne Race, jeg dér saa, var en underlegen. Jeg saa det den første Dag, jeg var i Spanien. (Gotiske renaissance, 28) Der Vergleich lag so nahe, man kann sich schwerlich einen grelleren Gegensatz als diesen amerikanisch-spanischen vorstellen. Dies waren nicht nur zwei Nationen, die sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, sondern zwei tief verschiedene Rassen, zwei todfeindliche Naturen. Dies war ein Systemkrieg. [...] Es bestand überhaupt kein Zweifel daran, dass diese Rasse, die ich hier sah, eine unterlegene war. Ich sah dies am ersten Tag, als ich in Spanien war. Trotz der biologischen oder evolutionstheoretisch vorgetragenen Argumentation wird die Unterlegenheit der spanischen Kultur rein historisch belegt. Die spanische Kultur sei - so Jensen wörtlich - stehengeblieben. Sie habe sich vom Rest der Welt isoliert und sei somit noch von der christlichen Vorstellungswelt des Mittelalters geprägt: Madrid blottede sig som en Personlighed, jeg hørte Aviserne tale - og jeg havde min Mand! Han er sentimental. Han er nemlig svag og godlidende og grusom. Han tilhører et Folk, som er bleven holdt umyndig og uvant med Tænkning, og hvis Brøsighed er af samme sygelige Art som hos kirtelsvage Børn. Det spanske Folk er porøst og udhulet af Kristendom, opædt af Baciller, fordærvet af falsk Livsanskuelse. Smitsomme Sygdomme og al Slags Menneskeuværdighed beskyttes ved Kirkedørene, Barmhjærtigheden holder sin Haand over dem, Naturen dødsdømte. (Gotiske renaissance, 28) Madrid entpuppte sich als eine Persönlichkeit, ich hörte die Zeitungen sprechen - und ich hatte meinen Mann! Er ist sentimental. Er ist nämlich schwach und gutmütig und grausam. Er gehört einem Volk an, dass unmündig gehalten wurde und das Denken nicht gewohnt war, und dessen hochfahrende Haltung von der gleichen krankhaften Art war wie bei drüsenkranken Kindern. Das spanische Volk ist porös und ausgehöhlt vom Christentum, verzehrt von Bazillen, verdorben von falscher Lebensanschauung. Ansteckende Krankheiten und alle Arten von Menschenunwürdigkeit werden bei den Kirchentüren beschützt, die Barmherzigkeit hält ihre Hand über diejenigen, welche die Natur zum Tode verurteilt hat. Als Sinnbild für den Verfall der spanischen Kultur, der sich angeblich biologisch im Verfall des Volkskörpers niederschlägt, macht Jensen die unheilige Allianz zwischen katholischer Kirche und Populärkultur, Priester und Torero, aus, die sich gegenseitig stabilisieren: Sælsomt er det fysiognomiske Slægtskab mellem Præster og Toreadorer - hos begge Klasser ser man glatragede, solide Ansigter og tilfredse Udtryk. Her stikker der en Evolutionens Underfundighed. I Spanien har Racens Selvopholdelsesdrift maattet Klaus Müller-Wille 96 forklæde sig efter Omstændighederne, Reaktionen mod Kristendommen har dannet sig saa at sige under dens Øjne og i dens Lignelse. Medens den germanske Race protesterer direkte, først med Huss og Luther og sidst med Bismarck og Nietzsche, saa udvikler de romanske Barbartilbøjeligheder sig indirekte i Form af Tyrefægtning og Toreadordyrkelse. Men Reaktionen mod en Udvikling, der var syg, bliver syg selv. (Gotiske renaissance, 29) Seltsam ist die physiologische Verwandtschaft zwischen Priestern und Toreros - bei beiden Klassen sieht man glattrasierte, solide Gesichter und einen zufriedenen Ausdruck. Hierin verbirgt sich eine Hinterlist der Evolution. In Spanien musste sich der Selbsterhaltungstrieb der Rasse nach den Umständen verkleiden, die Reaktion gegen das Christentum musste sich sozusagen unter dessen Augen und in Analogie zu diesem vollziehen. Während die germanische Rasse direkt, erst mit Huss und Luther und zuletzt mit Bismarck und Nietzsche protestiert, so entwickelt sich die romanische Barbarenzuneigung indirekt in Form von Stierkampf und Toreroverehrung. Aber die Reaktion gegen eine Entwicklung, die krank war, wird selber krank. Unnötig zu sagen, dass auch Jensens Reisebericht sehr ausführliche und detailreiche Beschreibungen von Stierkämpfen erhält, die deutlich von den entsprechenden Darstellungen Andersens geprägt sind. Die Zitate mögen reichen, um zu illustrieren, wie Jensen die Komplexität der imaginären Geographie Andersens auf den schlichten Antagonismus von kosmopolitischen Goten und Barbaren reduziert. Spanien erscheint als homogener Raum einer durch und durch isolierten, nicht modernen, verfallenen Kultur, wobei die Differenz zwischen Moderne und Reaktion, die Jensen durchaus mit Anleihen bei aufklärerischen, emanzipativen Denkern zu illustrieren versucht, rassentheoretisch überformt wird. Genau diese Kombination von einem technisch-emanzipativ und kosmopolitisch ausgerichteten Modernismus und einem rassistischen Denken macht den Text letztendlich so schwer klassifizierbar. 4. Vergnügen und Verausgabung - Alternative Moderne (M. Andersen-Nexø) Jensens Text wiederum liefert die Vorlage für Martin Andersen-Nexøs 1903 publizierten Reisebericht Soldage, der ebenfalls mit der Gegenüberstellung von angloamerikanischer Moderne und spanischer Kultur laboriert. Im Gegensatz zu Jensen aber versucht Nexø, Spanien als Alternativkultur stark zu machen. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch Andersen-Nexøs Reisebericht verstörende Passagen enthält. Die rassistische Argumentation Jensens wird von Nexø in der Tat weitergeführt, aber auf das Wesen der Zigeuner und der Araber übertragen. Diese werden als krankhafte Auswüchse diffamiert und - im Gegensatz zu den entsprechenden Beschreibungen bei Andersen oder Jensen - aus dem eigentlichen Raum der iberischen Kultur ausgeschlossen. Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 97 Ich werde mich in meiner Lektüre des Textes vor allem auf Nexøs Versuch konzentrieren, die spanische Kultur als eine Art proletarische Alternativkultur darzustellen. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob man in diesem Zusammenhang wirklich noch mit dem Adjektiv ›proletarisch‹ argumentieren kann. Denn der springende Punkt in Nexøs Spanienbuch besteht darin, dass es in Spanien oder besser in Andalusien, wo er sich fast ausschließlich aufhält, aufgrund der fundamentalen anökonomischen Einstellung seiner Bewohner keine Arbeiter gibt, die sich zu Proletariern deklassieren ließen. Immer wieder kommt er so auf den Stolz der spanischen Arbeiter zu sprechen, die es verstehen, sich eine eigene Grandeza anzueignen: Denne lykkelige Overlegenhed stiller Almuen paa væsenlig lige Fod med de besiddende Klasser og meddeler den en Selvfølelse og Værdighed i Forholdet til dem, som man skal lede forgæves om andet Steds. I dette ›aristokratiske‹ Land er det den naturligste Ting af Verden, at Proletaren stanser Minister eller Adelsmanden paa Gaden for at bede om Ild - og faar den. [...] Andaluseren, som har hele sin Livsglæde ubeskaaren endnu under Forhold, hvor vi vilde lide, maaske bukke under for Tilværelsens Tryk, vedbliver ogsaa at være Menneske hvor vi ophører at være det. Hundrede Tiggere, hundrede tjenende Aander byder sig til overalt, men jeg har aldrig truffet nogen Lakajsjæl; Hundskheden og dens Reaktion Hovenheden er lige ukendte. (Soldage, 117) 12 Diese glückliche Überlegenheit stellt das einfache Volk im Wesentlichen auf gleichen Fuß mit den besitzenden Klassen und verleiht ihm eine Selbstachtung und Würdigkeit im Verhältnis zu diesen, die man vergeblich woanders sucht. In diesem ›aristokratischen‹ Land ist es die natürlichste Sache der Welt, dass der Proletarier den Minister oder Adelsmann auf der Straße anhält und ihn um Feuer bittet - und es erhält. [...] Der Andalusier, der seine ganze Lebensfreude auch unter solchen Verhältnissen uneingeschränkt behält, unter denen wir leiden würden, wo wir vielleicht unter dem Druck des Seins einknicken würden, bleibt auch dort noch ein Mensch, wo wir aufhören, es zu sein. Hunderte Bettler, Hunderte dienende Geister bieten sich überall an, aber ich habe nie eine Lakaienseele getroffen; hündische Art und ihre Äquivalent die Aufgeschwollenheit sind beide gleich unbekannt. Der Stolz der Arbeiter unterläuft die symbolische Ordnung der Gesellschaft und führt dazu, dass sich die ärmsten und machtlosesten Mitglieder der Gesellschaft als deren eigentliche Souveräne entpuppen. Diese fundamentale Reversibilität von Klassengegensätzen versucht Nexø zumindest in einem der schönsten und längsten Kapitel seiner Reisebeschreibung zu belegen, das den Cigarreras - das sind die Tabakarbeiterinnen von Sevilla - gewidmet ist. Auch wenn Nexø mit aller Deutlichkeit auf das soziale Elend und die unmöglichen Arbeitsbedingungen dieser Frauen eingeht, versucht er sie, als Königinnen Sevillias zu inszenieren, von deren launischem 12 Zitiert wird unter der Abkürzung Soldage nach Martin Andersen Nexø: Soldage. Hg.v. Henrik Yde (= Danske Klassikere), København 1995. Klaus Müller-Wille 98 Wille es alleine abhängt, ob die Trägheit der Stadteinwohner in eine karnevaleske Revolte umschlägt: I Samtale med Fremmede glider Seviljaneren let hen over Tobakspigen, men i Dybden af sit Væsen beundrer han hende, med en Beundring, der er tilsat en behagelig Gysen. Hun er sorgløs, uartig, gudsforgaaen; hensynsløs i sin Lidenskab, vittig, letbevægelig, glemsom - hun er Byens alle letlevende Egenskaber sat paa Spidsen. Seviljaneren kan ikke fornægte hende uden samtidig at bryde Staven over sig selv, og det gør ingen Spanier. Inderst inde i enhver alvorlig Spanier brænder desuden Bevidstheden om Revolutionen som den eneste Udvej, og Skammen ligger paa Lur efter ham, fordi han intet gør. Men Sevilla behøver ikke skamme sig saa meget, takket være Tobaksarbejdersken. Hun er altid parat til Tumult, der er hende, der kaster den første Sten, [...]. Hun er det musserende Element, den indre, prikkende Uro. Og naar Proppen gaar af, er hun Knaldet og Skummet, alt det som skræmmer Kvinder og fryder Mænd. (Soldage, 40f.) Im Gespräch mit Fremden gleitet der Sevillaner leicht über das Tabaksmädchen hinweg, aber in der Tiefe seines Wesens bewundert er sie, mit einer Bewunderung, der ein behagliches Schaudern beigemischt ist. Sie ist sorglos, unartig, gottesverachtend; rücksichtslos in ihrer Leidenschaft, witzig, leicht gerührt, vergesslich - sie vereinigt alle leichtlebigen Eigenschaften der Stadt und treibt sie auf die Spitze. Der Sevillaner kann sie nicht verachten ohne gleichzeitig den Stab über sich selbst zu brechen, und das macht kein Spanier. Im Innersten jedes ernsten Spaniers brennt ohnehin das Bewusstsein über die Revolution als einzigen Ausweg, und die Scham verfolgt ihn, weil er nichts tut. Aber Sevilla muss sich nicht so sehr schämen, dank der Tabaksarbeiterin. Sie ist immer zum Tumult parat, sie ist es, die den ersten Stein wirft, [...]. Sie ist das moussierende Element, die innere, prickelnde Unruhe. Und wenn der Korken losgeht, ist sie der Knall und der Schaum, all das, was Frauen erschreckt und Männer erfreut. Der Hinweis auf den Champagner fällt hier keineswegs zufällig. Andersen-Nexø versucht seinen Leser weiszumachen, dass die spanische proletarische Kultur durch einen katholischen Hang zur Verausgabung und zum Exzess geprägt sei, die sie für Arbeitsethos und kapitalistische Moral des Protestantismus und auch für jede Form von Utilitarismus unempfänglich mache. Schon der fundamentale ökonomische Umgang mit der Zeit ist in Spanien laut Nexø außer Kraft gesetzt: Seviljaneren er ugidelig, men kun over for det nyttige. Han har en spilvaagen Sans for alt hvad der kan adsprede, og Menneskestrømmen paa Gader og Torve bibringer én det dobbelte Indtryk af ørkesløs Lediggang og rastløs Jagen. (Soldage, 35) Der Sevillaner ist träge, aber nur gegenüber dem Nützlichen. Er hat einen hellwachen Sinn für alles, was zerstreuen kann, und der Menschenstrom auf Straßen und Märkten erweckt den doppelten Eindruck von beschäftigungslosem Müßiggang und rastlosem Jagen. Ein weiteres Merkmal für das verschwenderische, anökonomische Wesen der Spanier ist ihr Hang zu Spiel und Genussmitteln. Dabei ergeben sie sich im Gegensatz zu den Skandinaviern nicht dem Alkohol, dem man zumindest noch die Funktion des Rausches zuschreiben kann, sondern allein dem Nikotin, dessen Wesen nach Ander- Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 99 sen-Nexø darin besteht, Materie in Rauch aufgehen zu lassen, also schlicht dem Reiz der puren Verschwendung und Verausgabung zu frönen: Man overdriver ikke ved at anslaa den Sum, det spanske Folk aarlig lader gaa op i Røg, til langt over en kvart Milliard Frank. Der ryges i Teatrene under Forestillingen, i Banker, paa Posthuse og i kommunale Kontorer har enhver lige til Skrivedrengen sin Cigaret i Munden. Barberen ryger, mens han rager én; Opvarteren drypper ugenert sin Cigaretaske ned i Varerne mens han serverer dem. Taleren stanser midt i en flammende Sætning for at nippe til sin Cigaret; Præsten sniger sig under Messen om bag Alteret for at faa sig et Smugdrag, og paa Gaden gaar han med Cigaretten oppe i det vide Ærme. Børnene faa Tobak udleveret af deres Forældre, og gamle Kællinger sidder i Solen uden for Landsbyerne og bakker paa en Snadde. (Soldage, 42f.) Man übertreibt nicht, wenn man die Summe, die das spanische Volk jährlich in Rauch aufgehen lässt, mit weit über eine Viertel Milliarde Franc veranschlagt. Es wird in den Theatern während der Vorstellung geraucht, in Banken, auf der Post und in den kommunalen Büros hat jeder bis zum Schreiberburschen seine Zigarette im Mund. Der Barbier raucht, während er einen rasiert; der Kellner lässt ungeniert seine Zigarettenasche in die Waren fallen, während er sie serviert. Der Redner hält mitten in einem flammenden Satz inne, um an seiner Zigarette zu ziehen; der Priester schleicht während der Messe hinter den Altar um einen heimlichen Zug zu nehmen, und auf der Straße geht er offen mit Zigarette umher. Die Kinder erhalten Tabak von ihren Eltern, und alte Weiber sitzen in der Sonne außerhalb der Dörfer und paffen an einer Stummelpfeife. Schließlich wird die spezifisch anökonomische Haltung der Spanier an ihrer Vorliebe für die archaische Handelspraktik von Gabe und Gegengabe sowie dem daran angelegten Prinzip der Herausforderung illustriert. Mehrfach beobachtet der Erzähler Andersen-Nexø wie die Spanier sich durch Gaben und Gegengaben zu überbieten versuchen, wobei der Reiz dieser Praktik eben nicht im ökonomischen Tausch, sondern in der Herausforderung besteht, wie man auf die Gabe des anderen antworten kann. Das fängt beim Anbieten des eigenen Sitzplatzes im Zug an und endet bei dem gegenseitigen Aufzwingen von Kleidungsstücken. Ebenfalls auf das anökonomische Prinzip der Herausforderung wird die Begeisterung der Spanier für das Glücksspiel zurückgeführt. Die Vergnügungssucht der Spanier scheint nur durch ihre rührselige Verzückung durch das Weihnachtsfest gebannt zu werden. Dies zumindest glaubt der Erzähler Andersen-Nexø feststellen zu können: Julen er for Døren, hele Ugen har jeg kunnet mærke den som en voksende Uro, der skubbede Aarets Sorgløshed til Side og satte bekymret Stræb i Stedet. Her som Hjemme er Ordet Jul (Navidad) paa alles Læber og i alles Tanker. [...] [N]aar de taler, er det om Penge og Navidad, Julen. I disse Dage har jeg set dem gøre noget, som de ellers overlader til Kvinderne: de har ligget aabenlyst paa Knæ for Madonna eller en anden Helgen i Katedralen og mumlet Ordet Navidad Timer i Træk. Tigeren siger Navidad, idet han stræker Haanden ut. [...] I den Grad drejer alt sig om Navidad, den tilstundende Jul, at man gribes om Hjærtet Klaus Müller-Wille 100 deraf og synes, man aldrig har været Vidne til en saa stærk og bærende en Fromhed. (Soldage, 46) Weihnachten steht vor der Tür, die ganze Woche schon konnte ich eine wachsende Unruhe spüren, welche die Sorglosigkeit des Jahres zur Seite schob und durch ein bekümmertes Streben ersetzte. Hier wie zu Hause ist das Wort Weihnachten (Navidad) auf allen Lippen und in allen Gedanken. [...] [W]enn sie reden, geht es um Geld und Navidad, Weihnachten. In diesen Tagen habe ich sie etwas machen sehen, was sie sonst den Frauen überlassen: sie knien offen vor der Madonna oder einem anderen Heiligen in der Kathedrale und murmeln stundenlang das Wort Navidad. Der Bettler sagt Navidad, wenn er die Hand ausstreckt. [...] In diesem Ausmaß dreht sich alles um Navidad, der sich nähernden Weihnacht, dass man davon ganz berührt wird und meint, dass man nie Zeuge einer so starken und gefestigten Frömmigkeit gewesen sei. Die Begeisterung gilt bei genauerer Betrachtung allerdings weniger Christi Geburt als dem Lotto: »Og pludselig gaar det saa op for én, at Navidad slet ikke længer betyder Jul men Lotteri - det store Julelotteri« (Soldage, 46). 13 Wie konsequent Nexø Spanien als anökonomische Alternative stark zu machen versucht, zeigt sich auch in seiner Begeisterung für die völlig chaotische, unorganisierte und tagträumerische anarchistische Bewegung Spaniens, die nichts mit dem tristen Alltagssozialismus zu tun hat, für den sich Nexø später vereinnahmen ließ. Mit Nexø lässt sich Differenz, um die es ihm in der impliziten Topologie seines Reiseberichtes geht, mit einem Schlagwort auf den Punkt bringen. Die spanische Gesellschaft zeichnet sich als eine sich verausgabende durch eine hohe Sterberate, viele Kinder und wenig Selbstmorde aus, während die ökonomisch organisierten Staaten wenig Tote, wenig Kinder und viele Selbstmorde aufweisen: Sevilla har trods sit herlige Klima den højeste Dødelighedsprocent af alle spanske Storbyer. Men hvor andre Byer vilde møde denne Fatalitet med Kloaksystem og andre sanitære Forholdsregler, sætter Sevilla blot sin frodige Livsglæde: Byen har den højeste Fødselsprocent ogsaa og kender ikke til Selvmord. Men disse tre Forhold er efter Nationaløkonomers Sigende et usvigeligt Tegn paa kulturelt Bagstræb. Faa Dødsfald, faa Fødsler og mange Selvmord - saa først bliver Sevilla delagtig i evropæisk Kultur. (Soldage, 37f.) Sevilla besitzt trotz seines herrlichen Klimas die höchste Sterberate aller spanischen Großstädte. Aber wo andere Städte dieser Fatalität mit einem Kloakensystem und anderen sanitären Verhaltensregeln begegnen würden, setzt Sevilla nur seine fruchtbare Lebenslust entgegen: Die Stadt verfügt auch über die höchste Geburtenrate und kennt keinen Selbstmord. Aber diese drei Dinge sind nach dem Reden der Nationalökonomen ein untrügliches Zeichen für kulturellen Rückschritt. Wenig Todesfälle, wenig Geburten und viele Selbstmorde - erst dann wird Sevilla zu einem Teil der europäischen Kultur. 13 »Und plötzlich wird man gewahr, dass Navidad gar nicht mehr Weihnachten bedeutet, sondern Lotterie - die große Weihnachtslotterie.« Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 101 Nexø versucht dieses Gegensatzpaar in einem Kapitel über Gibraltar zu profilieren, wobei er Gibraltar nicht als militärischen Stützpunkt begreift, sondern als Stützpunkt des Kapitals, das sich direkt gegen die Herausforderung des spanischen oder besser andalusischen Charakters wendet. In Gibraltar wird ihm die Tristesse einer Kultur vor Augen geführt, die er mit einer deutlichen Spitze gegen Johannes V. Jensen als »anglo-germanische« charakterisiert: [D]en orientalsk sorgløse Ro, Ligegladhed og ørkesløs Slendrian, alt det ledige og ugidelige og dyrisk-letlevende, som er èn stærk Side af den sydlandske Folkekarakter, er borte. Og ligeledes Grandezaen, det ovenud rundhaandede, den oegennyttige Opofren, den stolte Foragt for Kræmmermoralen og dens blonde Haandhævere. [...] Anglo-germansk Kultur kan være stolt, der har fortrængt alle Solens forfløjne Deviser af Menneskenes Sind og sat sit solide: Nytte, money-making i Stedet. (Soldage, 84) [D]ie orientalische sorglose Ruhe, und der beschäftigungslose Schlendrian, all das und tierisch-leichtlebige, das eine starke Seite des südländischen Volkscharakters darstellt, ist verschwunden. Und genauso die Grandeza, das überaus freigiebige, das uneigennützige Aufopfern, die stolze Verachtung von Krämermoral und deren blonden Handlanger. [...] Die anglo-amerikanische Kultur kann stolz sein, sie hat alle leichtfertigen Devisen der Sonne aus dem Sinn der Menschen verdrängt und an deren Stelle ihr solides Nutzen, money-making gesetzt. 5. Apotheose der Unwirklichkeit - Barocke Moderne (T. Kristensen) Liest man das erste Kapitel von Tom Kristensens 1926 erschienenem Reisebericht En kavaler i Spanien, so mag man zunächst den Eindruck erhalten, dass Kristensen direkt an Andersen-Nexøs Spanienbild anzuknüpfen versucht. Gleich bei seinem »ersten spanischen Erlebnis« wird der Ich-Erzähler Zeuge eines »Höflichkeitsduells«, bei dem sich die Kontrahenten durch »formale Verausgabung« zu überbieten versuchen. 14 Wie Andersen-Nexø so kommt auch Kristensen in seinem Reisebericht immer wieder auf Strategien der Verausgabung und Verschwendung zu sprechen, mit welchen sich die Spanier der Tyrannei des Nutzens entziehen. Auch bei ihm wird Spanien als ein Kulturraum dargestellt, der sich der Logik der modernen Ökonomie allein schon deswegen entzieht, da die Macht jeglicher Zeitrechnung außer Kraft gesetzt ist. 14 »[E]n høflighedsduel brød øjeblikkelig løs. Det blev min første spanske oplevelse. Med den ene hånd rakte de begge cigaretten frem mod hinanden, og med den defensive venstre skubbede de modstanderens gave lempeligt tilbage. De rystede begge på hovedet, smilte, nikkede intrængende, de vilde overvinde hinanden i formel ødselhed; [...].« (En kavaler, 10) Die Abkürzung En kavaler verweist auf Tom Kristensen: En kavaler i Spanien. København 1993. Klaus Müller-Wille 102 Allerdings macht der Erzähler auch schon im ersten Kapitel deutlich, dass die von Nexø profilierte Vorstellung des aristokratischen Proletariats Spaniens nur eines von vielen »spanischen Klischees« (»spanske klischéer«; En kavaler, 12) ist, welche im Verlauf der Handlung mehr und mehr ins Zentrum seines Berichts rücken. Denn die Tatsache, dass der Erzähler in vielen Personen, denen er in Spanien begegnet, nur Typen aus den gängigen Spanienberichten erkennen kann, und dass er viele der Orte, die er in Spanien aufsucht, schon vorher abgebildet gesehen hat, trägt dazu bei, dass sich die Grenzen zwischen fiktionalem Spanienbild und wirklichem Spanienerleben zusehend auflösen: Aftenture på Ramblaen; den daglige vandring hen til Plaza Urquinaono, hvor der lå et par fireetages huse med kalkrøde facader, som jeg så tit har set afbildet, og som jeg derfor ikke kunne opfatte som virkelighed. (En kavaler, 45) Abendspaziergang auf der Rambla; die tägliche Wanderung zur Plaza Urquinaono, wo ein paar vierstöckige Häuser mit kalkroten Fassaden lagen, die ich schon häufig abgebildet gesehen hatte, und die ich deshalb auch nicht als Wirklichkeit begreifen konnte. Der Rekurs auf die Unwirklichkeit Spaniens durchzieht den Roman wie ein Leitmotiv, auf das der Erzähler Kristensen in ganz unterschiedlichen Kontexten zu sprechen kommt: Men der var intet i Spanien, jeg kunne træde hen til, uden den fordømte følelse af noget uvirkeligt gled imellem mig og tingen. Det lå måske i middagsheden, der gjorde mig til søvngænger; det lå måske i luften, som fik mig til at glemme det fraværende og tvivle på det nærværende. Billeder blev det hele, huse, træer, mennesker, og det var tilfældigt, om jeg skulle huske dem eller glemme dem. (En kavaler, 26) Aber es gab nichts in Spanien, an das ich herantreten konnte, ohne dass dieses verdammte Gefühl von etwas Unwirklichem zwischen mich und die Dinge glitt. Dies lag vielleicht an der Mittagshitze, die mich zu einem Nachtwandler machte; dies lag vielleicht in der Luft, die mich das Abwesende vergessen und an dem Anwesenden zweifeln ließ. Zu Bildern wurde alles, Häuser, Bäume, Menschen, und es war zufällig, ob ich mich an sie erinnern oder sie vergessen sollte. Besonders ausführlich wird dieses »verdammte Gefühl von etwas Unwirklichem« vom Erzähler bei der ersten Beschreibung eines Stierkampfs thematisiert. Ja, der Erzähler scheint weniger von dem blutigen Geschehen in der Arena schockiert zu sein, auf das er durchaus vorbereitet war und das er nur als merkwürdig wiederholte theatralische Handlung deuten kann, als von seiner eigenen Emotionslosigkeit, die es ihm erlaubt, das blutige Abschlachten der Pferde zu einem ästhetischen Bilderreigen zu gefrieren: Mit blod havde lagt sig til ro. Der var havblik i mig, og nede på arenaens gule kreds med den røde barrière dræbte farverne og bevægelserne al indføling af smerte, den gled af mod en hård glasurvæg af virkelighed, som alligevel ikke kunne forstås. Tyrefægtningen blev et billede, hvori der sprang elegante situationer frem og vakte vild jubel og undertiden også en spraglet rædsel, som jeg først kastede et sideblik hen til og Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 103 senere stirrede uforfærdet i møde. Jeg indstillede mig direkte på forfærdelsen, jeg konfronteredes. (En kavaler, 42-43) Mein Blut war ruhig. In mir war ein Meeresblick, und unten auf dem gelben Kreis der Arena mit der roten Barriere erstickten die Farben und Bewegungen jegliche Einfühlung von Schmerz, er glitt auf einer harten Glasurwand der Wirklichkeit ab, die doch nicht verstanden werden konnte. Der Stierkampf wurde zu einem Bild, aus dem elegante Situationen hervorsprangen und wilden Jubel und bisweilen auch eine schillernde Angst weckten, auf die ich zunächst nur einen Seitenblick warf und der ich später ohne Schrecken entgegenblickte. Ich stellte mich direkt auf den Schrecken ein, ich wurde konfrontiert. Das Motiv des Wirklichkeitsverlustes, das wie im Zitat immer mit einer medientheoretischen Akzentuierung einer oberflächlichen bildlichen Wahrnehmung einhergeht, wird im Roman in den scheiternden Versuchen des Helden wiederholt, einen Kontakt zur spanischen Bevölkerung aufzubauen. Insbesondere die spanischen Frauen entziehen sich dem Helden, der deutlich auf erotische Abenteuer aus ist. Dabei stößt er sich bezeichnenderweise weniger an dem verschlossenen Wesen der spanischen Ehefrauen, die sich den Blicken der Touristen zu entziehen versuchen, als an diversen Formen einer in vielfacher Hinsicht verstörenden Erotik, die offen zur Schau getragen wird. Dies gilt etwa für die Tänzerinnen in einem Vergnügungslokal, die sich im Festhalten an einen aristokratischen Selbstdarstellungsmodus, der sich an einer abgestorbenen Bild- und Theaterkultur orientiert, weigern, die Gäste »anzuschauen«, da sie selbst »angeschaut werden wollen«: Tæppet var oppe. I en afrakket dekoration spjættede et hunvæsen rundt. Hun var klæd som en af Velasquez’ prinsesser i en fladtrykt krinoline. En gardinstang stak ud fra hver hofte og bar det lange skørt. [...] Det gamle Spanien var rykket ind på forlystelsesetablissementerne. Der var tradition i denne pigeudstilling. De lange skørter flagrede om kvinderne. Undertiden snurredes der rundt, så at kjolen løftede sig som en klokke med luft under sig, en vandmand med to nøgne, trippende dameben som trævletråde, undertiden standsedes der med et tramp i en stivnet stilling, løftet arm, udfordrende øjne, fremskud bryst, brændende stolthed, en stilling, som havde al traditionens plastik over sig. Men øjnene udfordrede på kommando, og det stærke smil, der blottede alle tænderne, var ikke hjerteligere end det kast med benet, som fik skørterne til at skumme op over låret. Det var blot den spanske grandezza, som var gået i hundene og var blevet løsagtig. (En kavaler, 53) Der Vorhang war aufgezogen. In einer abgewrackten Dekoration zappelte ein Weibchen herum. Sie war wie eine von Velasquez’ Prinzessinnen in einer flachgedrückten Krinoloine gekleidet. Eine Gardinenstange stach aus jeder Hüfte hervor und trug den langen Unterrock. [...] Das alte Spanien war in die Vergnügungsetablissemente eingezogen. Es herrschte Tradition in dieser Mädchenausstellung. Die langen Unterröcke flatterten um die Frauen. Manchmal wurde sich gedreht, so dass sich der Rock wie eine Glocke mit Luft unter sich erhob, eine Qualle mit zwei nackten, trippelnden Damenbeinen als Tentakeln, manchmal wurde mit einem Stampfen in einer eingefrorenen Stellung an- Klaus Müller-Wille 104 gehalten, gehobener Arm, herausfordernde Augen, vorgestreckte Brust, brennender Stolz, eine Stellung, die die ganze Plastik der Tradition besaß. Aber die Augen forderten auf Kommando heraus, und das starke Lächeln, das alle Zähne entblößte, war nicht herzlicher als der Beinwurf, der die Unterröcke dazu brachte, über die Schenkel zu schäumen. Das war lediglich die spanische Grandeza, die vor die Hunde gegangen und leichtfertig geworden war. Der Roman reiht eine ganze Kette von solchen ›monströsen‹ (in doppelter Bedeutung des Wortes) Frauenbilder aneinander, die schließlich in der Begegnung des Erzählers mit einer undurchdringlichen Wahnsinnigen in San Antonio kulminieren. Auch ihrer tänzerischen Darbietung gegenüber verhält sich der Erzähler, der nach eigenem Bekunden von der Wahnsinnigen gleichermaßen erotisch angezogen wie physisch abgestoßen ist, merkwürdig ambivalent. Die Vorstellung einer grundlegenden Inszenierung von Weiblichkeit und Erotik in Spanien geht beim Erzähler überhaupt mit diversen Sexualängsten vor der Leere einher, die sich hinter den weiblichen Masken, Verkleidungen und theatralen Gesten offenbart. So rufen etwa die immer wieder thematisierten heiseren Stimmen der Spanierinnen die Vorstellung hervor, dass sich unter ihren Gesichtsmasken alte, zahnlose Frauen oder gar Männer 15 verbergen. Im ganzen Text wird mit dem barock anmutendem Vexierbild von jungem Mädchen und Greisin (Tod) laboriert. Dies deutet sich schon in der ersten Begegnung des Erzählers mit einem jungen spanischen Mädchen an, das sich nicht ihm, sondern einer Alten zuwendet, zieht sich über das Bild einer Spaniern, die sich auf dem Balkon barbusig zeigt und aufgrund ihrer schwarzen Kleidung im »nordischen Hirn« des Erzählers die »merkwürdige Symbolik« wachruft, »wo Tod und schwammige Sinnlichkeit ohne Feierlichkeit und ohne Scham aufeinandertreffen«, 16 und kulminiert schließlich in ambivalenten Bildern wie demjenigen der Prostituierten, die »ihr Gesicht zu sinnlosen Grimassen verziehen« und ihre Kunden mit einem »Netzwerk von Falten« zu locken versuchen. 17 Diese Ambivalenzen, die aus der Undurchdringlichkeit einer Wirklichkeit (und Weiblichkeit) resultieren, verursachen beim Erzähler einen körperlichen und metaphysischen Schwindel, der ein weiteres Leitmotiv des Textes darstellt. Der Schwindel scheint an die Erfahrung einer Leere geknüpft zu sein, die ihrerseits eng mit der 15 Der Text schreit geradezu nach einer verqueeren Analyse. So glaubt sich der Erzähler ausgerechnet auf seiner kaum kaschierten Suche nach käuflicher Liebe in Barcelona von einem Stricher verfolgt (En kavaler, 47-48). In Ibiza münden seine Reflexionen über die Liebe in die Begegnung mit einem Fremdenführer, dessen »blanke Stirn über den gefährlichen Lichtschimmer verfügte, der von einer anderen Erotik als meiner ausstrahlt«. (En kavaler, 127) 16 »[E]n kvinde, der stod åbenlyst deroppe på anden sal, ude i dagen [...] havde begge bryster op over kjolelivet, og hun ville vel vise en genbo sine blege yndigheder, så ubevægelig, som hun stod dér. Men hun var klædt i sort, hvad vi ynder at kalde sorg, og i min nordiske hjerne kogte en sær symbolik, hvor døden og den blegfærdige sanselighed mødtes uden højtidelighed, uden blufærdighed.« (En kavaler, 45-46) 17 »Mindre ærbare kvinder fortrak pludselig ansigtet i meningsløse grimacer og lokkede med et netværk af rynker.« (En kavaler, 46) Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 105 Wahrnehmung von theatralen Inszenierungen, Oberflächen, kurz »einer harten Glasurwand der Wirklichkeit« (s.o.) verbunden ist, deren Kern oder Inhalt verborgen bleibt. Dies zumindest macht der Erzähler in zwei zentralen Architekturbeschreibungen deutlich, die zweifelsohne zu den stärksten Passagen in seinem Spanienbericht gezählt werden können. Dabei wird gerade in der Beschreibung der »verfeinerten Unwirklichkeit« der Alhambra deutlich, wie aufmerksam Kristensen Andersens Reisebericht gelesen hat: 18 Men drømmen skulle blive mere sammensat, den skulle blive boblende og tusindfoldig. Det var inde i De to Søstres Hal, og det var, da jeg prøvede på at forstå drypstensloftet, der myldrede i en uendelighed af formationer over mit hoved, at jeg følte, virkeligheden brast. I mit øre lød en svag rislen af fontæner, og den udhulede ligesom alle monotone lyde min sans for realiteten. Alt, hvad jeg så, blev en mystisk oplevelse, et spraglet slør, der i næste nu kunne flænges. Loftet var en kuppel af kantede fordybninger og dryppende tappe; men trods dets bevægelige uregelmæssighed lå der et skær af symmetri over det, en gennemsigtig illusion, som forflygtigedes, hver gang jeg ville iagttage. Det observerende blik var ligesom for skarpt, det kunne ikke ordne loftets mangfoldighed for mig, kun styrte mig ud i en analytisk bundløshed, hvor enkelthederne gled sønderdelt fra hinanden [...]. (En kavaler, 155) Aber der Traum sollte noch komplexer werden, er sollte brodelnd und tausendfältig werden. Es war in der Halle der zwei Schwestern, und es geschah, als ich versuchte, die Tropfsteindecke zu verstehen, die in einer Unendlichkeit von Formationen über meinem Kopf wimmelte, und ich fühlte, die Wirklichkeit zerbrach. In meinem Ohr klang ein schwaches Rieseln von Fontänen, und dieses Rieseln höhlte - wie alle monotonen Laute - mein Gefühl für die Realität aus. Alles, was ich sah, wurde zu einem mystischen Erlebnis, ein buntscheckiger Schleier, der im nächsten Nu aufreißen könnte. Die Decke war eine Kuppel mit eckige Vertiefungen und tropfenden Zapfen; aber trotz ihrer beweglichen Unregelmäßigkeit lag da ein Schimmer von Symmetrie über ihr, eine durchsichtige Illusion, die sich jedes Mal verflüchtigte, wenn ich sie beobachten wollte. Der observierende Blick war gleichsam zu scharf, er konnte die Vielfältigkeit der Decke nicht für mich ordnen, konnte mich nur in eine analytische Bodenlosigkeit herausstoßen, wo die Einzelheit voneinander getrennt auseinander glitten [...]. Die »analytische Bodenlosigkeit«, um die die Passage kreist, wird im Folgenden in einer selbstreflexiven Wendung sprachtheoretisch potenziert. Wieder wird der Leser darauf aufmerksam gemacht, dass das Erleben des Erzählers durch vorhergehende Berichte und Sprachbilder vorstrukturiert ist. In diesem Fall aber können die literarischen Vorgänger vom Erzähler in Anspruch genommen werden, um genau das Gefühl der »verfeinerten Unwirklichkeit« auszuloten, das die Konfrontation mit der Architektur der Alhambra, beziehungsweise genauer, das die Konfrontation mit der 18 Die Nähe zu Andersens Reisebericht deutet sich schon in der grundlegenden formalen Ähnlichkeit zwischen den Texten an, die beide Gedichte in den prosaischen Reisebericht einfügen. Klaus Müller-Wille 106 durch literarische Beschreibungen noch potenzierten Textur der Alhambra in ihm auslöst: Théophile Gautier så en flok af bier, som sværmede ind mellem hallens søjler og hjalp arkitekten med at bygge loftets utallige celler - det er talt over fem tusinde, alle af forskellig form - men jeg stirrede ned i en kop med sæbevand, hvori jeg pustede med et rør, så at det sydede og boblede. Mit syn var mindre præcist end Gautiers. Dog lindrede det mig, og jeg forstod, hvorledes metaforer kan stilne hjertets uro. Hvad skulle jeg ellers have stillet op med dette loft, der sydede ned om ørerne på mig og vævede som myg for mit blik? Det var uvirkelighedens apoteose. (En kavaler, 155-156) Théophile Gautier sah einen Bienenschwarm, der zwischen die Säulen der Halle hereinflog und dem Architekten half, die unzähligen Zellen der Decke zu bauen - es ist die Rede von über fünf Tausend, alle in verschiedener Form, - aber ich selbst starrte in eine Tasse mit Seifenwasser, in die ich mit einem Halm blies, so dass es siedete und brodelte. Meine Vision war weniger präzise als die Gautiers. Doch sie beruhigte mich, und ich verstand, wie Metaphern die Unruhe des Herzens stillen können. Was hätte ich dieser Decke sonst entgegenstellen können, die mir um die Ohren sauste und wie Mücken um meinen Blick schwirrte? Das war eine Apotheose der Unwirklichkeit. Der Wechsel der Metaphorik vom Bienenstock zur Seifenblase geht mit einer deutlichen Anspielung auf ein gängiges Vanitas-Motiv des Barock einher. Die Apotheose der Unwirklichkeit, die im ganzen Roman zelebriert wird, führt insgesamt zu einer Stilisierung Spaniens als eine Art barocken Bildraums, der sich in Form »einer harten Glasurwand« vor eine wie auch immer geartete ›Realität‹ schiebt, die sich dem Erzähler nur als eine grundlegend entzogene präsentiert. 19 Entsprechend geht es auch in dem durch die Spanienreise hervorgerufenen existenziellen Krise des Erzählers um die Konfrontation mit einem »schwindelnden Raum« im Inneren des Ich. Auch diese Wendung in eine innere Bodenlosigkeit wird dem Leser durch eine architektonische Beschreibung verdeutlicht, die dieses Mal der Kathedrale von Barcelona gewidmet ist: Og jeg stod nu i et køligt, men vildt mørke, og oplevede et overnaturligt misforhold i hele katedralens konstruktion. Den høje dunkelhed med de opadstræbende linier, der blev afbrudt af natlige forvirringer, forsiringer, knuder og knyster, så at jeg ikke kunne ane mig til rummets afslutning, kunne umuligt være til i den lave, solbelyste stenbygning, som jeg for et øjeblik siden havde set udefra; men misforholdet var sandt, en grænseløst nat var bygget ind i den lille katedral. Som sjælen er bundløst i et legeme med faste konturer, som mørket må være bundløst inde i en sten, var katedralen levendegjort med et indre svimlende rum, der stræbte opad, ovenud taget, du i det 19 Einen weiteren Beleg für die Inszenierung von Spanien als barocker Bildraum bildet die ausführliche Beschreibung von El Grecos Begräbnis des Grafen von Orgaz (1586), die einen weiteren Höhepunkt und den Ausgangspunkt für ein weiteres religiös-ekstatisches Erlebnis des Helden im Text bildet. Vgl. dazu die Analyse der Toledo-Episode in En kavaler i Spanien von Marcus Janby: Tilværelsen som et spraglet slør. In: Reception 60 (2006), S. 45-50. Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 107 uendelige. Selv fantasien kunne ikke finde støttepunkter og skabe sig sorte flader til værn mod grænseløsheden, for de sodede hvælvinger var en porøs nat, mørket langs væggene var gennembrudt, kapellerne uddybede det, og gitrene lod ane en endnu dybere nat, mørke bag mørke. Rummet kunne tage alle former. Der var blokke og huler nok til at skabe af, og der var ikke håb om at kunne blive færdig, for det var altid et sort bagved. (En kavaler, 64-65) Und ich stand nun in einer kühlen, aber wilden Dunkelheit, und erlebte ein übernatürliches Missverhältnis in der ganzen Konstruktion der Kathedrale. Die hohe Dunkelheit mit den aufstrebenden Linien, die von nächtlichen Verwirrungen, Verzierungen, Knoten und Schwielen unterbrochen wurden, so dass ich den Abschluss des Raums nicht erahnen konnte, konnte unmöglich innerhalb des niedrigen, sonnenbeschienenen Steingebäudes existieren, das ich einen Augenblick vorher von außen betrachtet hatte; aber das Missverhältnis war wahr, eine grenzenlose Nacht war in die kleine Kathedrale gebaut worden. Genauso bodenlos wie die Seele in einem Körper mit festen Konturen ist, genauso bodenlos wie die Dunkelheit innerhalb eines Steins sein muss, wurde die Kathedrale über einen inneren, schwindelnden Raum belebt, der nach oben, über das Dach hinaus in das Unendliche strebte. Selbst die Phantasie konnte keinen Stützpunkte finden und sich schwarze Flächen als Schutz vor der Grenzenlosigkeit schaffen, da die verrußten Wölbungen eine poröse Nacht darstellten, die Dunkelheit entlang der Wände war durchbrochen, die Kapellen vertieften sie, und die Gitter ließen eine noch tiefere Nacht erahnen, eine Dunkelheit hinter der Dunkelheit. Der Raum konnte alle Formen annehmen. Es gab genug Blöcke und Löcher um daraus zu schöpfen, und es bestand keine Hoffnung, dass man fertig werden könne, weil es immer eine Dunkelheit dahinter gab. Im Text selbst wird dieses mystisch überhöhte Erleben eines bodenlosen Raums indirekt auf eine prägende Lektüre des Erzählers zurückgeführt, die sich als eigentlicher Ausgangspunkt seines Spanien-Interesses entpuppt. An einer anderen Stelle des Reiseberichts macht er nämlich darauf aufmerksam, dass er ein Buch über Raimundus Lullus schreiben wolle, dessen dritter Teil dem »heiligen Schwindel« (»den hellige svindel«; En kavaler, 97) gewidmet sein soll. Schwindel ist auch im Dänischen ein doppeldeutiger Begriff und der Erzähler lässt keinen Zweifel daran, dass seine religiösen Gefühle an seiner Selbstauffassung als »der moderne Romanautor« (»den moderne romanforfatter«; En kavaler, 97) scheitern. 20 Auch im oben wiedergegebenen Zitat bereitet die Schilderung der Bodenlosigkeit als »poröse Nacht« 21 eine Dekonstruktion der räumlichen Metaphern von 20 Zu einer gegenteiligen Einschätzung kommt Marcus Janby, der der Religiösität des Textes allerdings selbst mit einem psychoanalytischen Vokabular begegnet und die regressiven Phantasien aufdeckt, die sich hinter den Auflösungs-Sehnsüchten des Erzählers verbergen. Vgl. Janby, Tilværelsen som et spraglet slør, (Anm. 19). 21 Angesichts der Schlüsselstellung, welche die Konzeption des Porösen in den ausführlichen Reflexionen der Anschauungskategorien von Zeit und Raum in En kavaler i Spanien einnimmt, drängt sich der Vergleich zur Neapel-Schilderung auf, die Walter Benjamin anlässlich eines internationalen Philosophenkongresses zwei Jahre vor Erscheinen von Kristensens Klaus Müller-Wille 108 Innen und Außen vor, auf denen das religiöse Verständnis der Seele beruht, auf das der Erzähler eingangs des Zitates noch selbst zurückgreift. Raimundus Lullus’ heiliger Schwindel wird mit aller Deutlichkeit als einer von vielen phantasievollen Stützpunkten inszeniert, mit denen der Erzähler Schutz vor der Grenzenlosigkeit zu finden versucht, die ihm in Form einer metaphysischen Wüstenlandschaft, eines »Wüstenwahnsinns« (»ørkengalskab«; En kavaler, 7) in Spanien begegnet. Dass es sich bei dieser Grenzenlosigkeit weniger um ein mittelalterliches oder barockes Phänomen, sondern um ein Phänomen der Moderne handelt, wird im Text durchaus offengelegt: Kapellernes række trættede ved sin gentagelse. Den sløvede som butiksvinduer i en gade. Hist ulmede en flitterglorie, her glødede et kors, men intet trængte sig på. Der var alt for meget at se, en levende dunkelhed, udmattende og ophidsende, så at jeg i håb om lindring formede uendeligheden ud af mit indre og forstod den træthedsfornemmelse og overskud af kraft, der tilsammen er evigheden. En trafikeret gade giver den samme følelse; men her i katedralen var det en færdsel af mørke og stilhed. (En kavaler, 65) Die Reihe der Kapellen ermüdete durch ihre Wiederholung. Sie stumpften ab wie Schaufenster in einer Straße. Hier glimmte eine Flitterglorie, hier glühte ein Kreuz, aber nichts drängte sich auf. Es gab viel zu viel zu sehen, eine lebendige Dunkelheit, ermattend und erhitzend, so dass ich in der Hoffnung auf Linderung eine Unendlichkeit aus meinem Inneren formte und die Müdigkeitsempfindung sowie den Überschuss an Kraft verstand, die gemeinsam die Ewigkeit bildeten. Eine vielbefahrene Straße ruft das gleiche Gefühl hervor; aber hier in der Kathedrale ging es um einen Verkehr von Dunkelheit und Stille. Die Beschreibung des unendlichen Raums innerhalb der Kathedrale kippt bezeichnenderweise in einen Vergleich um, der das geschilderte (religiöse) Unendlichkeitsempfinden radikal säkularisiert, indem er es in Beziehung zu Effekten der Moderne beziehungsweise zu den Effekten des ermüdenden Oberflächenzaubers einer Schaufensterästhetik setzt. Es ist genau diese Warenästhetik, die auch den Blick auf Spani- Buch zusammen mit Asja Lacis verfasst. Auch hier wird die philosophische Verwirrung, welche die Beobachtung des südlichen Lebens beim Betrachter auslöst, mit dem Begriff der »Porosität« gekennzeichnet, die »das unerschöpflich neu zu entdeckende Gesetz dieses Lebens« bilde: »Porös [...] ist die Architektur. [...] Man meidet das Definitive, Geprägte. Keine Situation erscheint so wie sie ist, für immer gedacht, keine Gestalt behauptet ihr ›so und nicht anders‹.« Zitiert nach Walter Benjamin und Asja Lacis: Neapel [1924]. In: Walter Benjamin: Gesammelte Schriften IV: 1. Hg. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main 1972, S. 307-316, S. 311 und S. 309. Gerade angesichts der Beschreibung der Gassen von Barcelona drängt sich die Vermutung auf, dass Kristensen Benjamins Text gelesen haben könnte. Denn hier gipfelt die Verwirrung des Beobachters in der Beschreibung von »porösen und krankhaften Mauern« (En kavaler, 46), die das Innenleben der Häuser auf die Straße heraussickern lassen. Genau an dieser mangelnden architektonischen Trennung von Privatem und Öffentlichem macht Benjamin den porösen Charakter des neapolitanischen Stadtlebens fest. Hispanomanie - Dänische Spanienreisen und die Konzeption einer anderen Moderne 109 en verbaut, das wie die käuflichen Frauen längst zu einem (gleichermaßen monströsen wie faszinierenden) Warenprodukt einer touristischen Industrie geworden ist. Bibliographie Primärliteratur Hans Christian Andersen: I Spanien, hg. von Erik Dal, Kopenhagen 2004 (= Danske Klassikere). Martin Andersen Nexø: Soldage, hg. von Henrik Yde, København 1995 (= Danske Klassikere). Johannes V. Jensen: Den gotiske renaissance, København 2000. Tom Kristensen: En kavaler i Spanien, København 1993. Sekundärliteratur Depenbrock, Heike und Heinrich Detering: Die Sprache der Dampfmaschine: H. C. Andersens ›Et Stykke Perlesnor‹, in: Norrøna 8 (1988), S. 6-16. Depenbrock, Heike und Heinrich Detering: Der Tod der Dryade und die Geburt der Neuen Muse, in: Kurt Braunmüller und Mogens Brøndsted (Hg.): Deutsch-nordische Begegnungen. 9. Arbeitstagung der Skandinavisten des deutschen Sprachgebiets 1989 in Svendborg, Odense 1991, S. 366-90. Depenbrock, Heike und Heinrich Detering: Poesie und industrielles Zeitalter in I Sverrig, in: Johan de Mylius (Hg.): Andersen og Verden. Indlæg fra den første internationale H.C.Andersen-konference. 25.-31. August 1991, Odense 1993, S. 31-51. Detering, Heinrich: Andersen dans les Passages parisiens. La dryade entre Baudelaire, Rilke et Benjamin, in: Etudes germaniques 58 (2003), S. 711-733. Glienke, Bernhard: Andersen in den Städten oder die Entdeckung der Schnelligkeit, in: Ders.: Metropolis und nordische Moderne. Großstadtthematik als Herausforderung literarischer Innovationen in Skandinavien seit 1830, Frankfurt a.M. 1999 (= Beiträge zur Skandinavistik 15), S. 27-44. Janby, Marcus: Tilværelsen som et spraglet slør, in: Reception 60 (2006), S. 45-50. Pfister, Manfred: Intertextuelles Reisen, oder: Der Reisebericht als Intertext, in: Herbert Foltinek u.a. (Hg.): Tales and »their telling difference«. Zur Theorie und Geschichte der Narrativik. Festschrift zum 70. Geburtstag von Franz K. Stanzel. Heidelberg 1993, S. 109-132. Rey-Henningsen, Marisa: Spanien og H.C. Andersen, in: Anderseniana 2005, S. 41-61. Thornton, Grace: The famous English Photographer at the Alhambra, in: Anderseniana 1974, S. 79-80. Von Bergen nach Brunete: Nordahl Grieg und der spanische Bürgerkrieg M ARIT T EERLING 1. Einleitung Der norwegische Journalist und Schriftsteller Nordahl Grieg ist seinen Landsleuten heutzutage vor allem als Schöpfer der Antikriegs-Hymne Til Ungdommen (Für die Jugend) bekannt, die fester Bestandteil des nationalen Liederschatzes ist. 1 Literaturgeschichtlich besitzt er als Verfasser mehrerer sozialkritischer Stücke im brechtschen Stil eine große Bedeutung, denn mit diesen Dramen erneuerte und prägte er das norwegische Theater im 20. Jahrhundert nachhaltig. Als Dichter und Dramatiker ist Grieg in seinem Heimatland eine feste Größe - sein journalistisches Œuvre ist allerdings größtenteils vergessen. Außerhalb Norwegens ist Grieg gar so gut wie unbekannt, eine Ironie des Schicksals für den überzeugten Kommunisten und Weltbürger, der konsequent europäisch und international dachte. Griegs Anteilnahme an den politischen Entwicklungen seiner Zeit soll im Rahmen dieses Aufsatzes beispielhaft untersucht werden. Im Fokus steht dabei der spanische Bürgerkrieg (1936-1939), mit dem sich Grieg als Journalist wie als Schriftsteller gleichermaßen beschäftigte: Im Sommer 1937 und im Winter 1938 hielt er sich in Spanien auf, die Erlebnisse seiner ersten Reise hielt er in dem Reportageroman Spansk Sommer (Spanischer Sommer, 1937) fest. Auch schrieb er mehrere Artikel über den Bürgerkrieg für die von ihm verlegte Zeitschrift Veien Frem (Der Weg vorwärts, 1936-1937), aber auch für andere, vorrangig linksorientierte norwegische Zeitungen. Darüber hinaus spielen einige Szenen des Romans Ung må verden ennu være (Jung muss die Welt noch sein, 1938) in Spanien. Griegs Drama Nederlaget (Die Niederlage) wiederum, das vom Untergang der Pariser Kommune handelt, gilt verschiedentlich als seine Interpretation des spanischen Bürgerkriegs. Allerdings entstand das Stück 1937 unmittelbar vor seiner Spanienreise und kann daher nur als indirekte Auseinandersetzung und metaphorische Übertragung verstanden werden. 2 Es bleibt daher in dieser Untersuchung unberücksichtigt. Diese Schriften bilden die Grundlage für die vorliegende Analyse, wobei es nicht das Ziel ist, sämtliche Verweise auf den Krieg in Griegs Werk lückenlos aufzulisten. Vielmehr wird untersucht, mit welchen Aspekten des Konflikts Grieg sich vorrangig beschäftigte, welche Haltung er einnahm - und wie er sich einordnen lässt in die 1 Siehe Lied Nr. 117 in Norsk Folkehøgskolelag (Hg.): Songbok for folkehøgskolen, 5. Aufl. Oslo 1991. 2 Vgl. Hoem, Edvard: Til Ungdommen. Nordahl Griegs liv. Oslo 1989, S. 241-242. Marit Teerling 112 lange Reihe der Schriftsteller und Intellektuellen, die sich mit dem spanischen Bürgerkrieg auseinandergesetzt haben. 2. Nordahl Grieg (1902-1943) Nordahl Grieg war ein politisch äußerst engagierter Linksintellektueller und eine Ausnahmeerscheinung in der norwegischen Literatur der Zwischenkriegszeit. Seine kommunistische Überzeugung bekam er keinesfalls in die Wiege gelegt: Grieg stammte aus bürgerlichen Verhältnissen, war Sohn eines Bergenser Gymnasialrektors und entfernt mit dem Komponisten Edvard Grieg verwandt. Sein literaturwissenschaftliches Studium in Oslo und Oxford unterbrach er, um als Leichtmatrose auf dem Frachter Henrik Ibsen anzuheuern, mit dem er bis nach Australien gelangte. Von da an hatte ihn das Fernweh gepackt. Als Reporter ging er 1927 für die konservative Zeitung Tidens Tegn nach China, um über den Bürgerkrieg zu berichten. Von 1933 bis 1934 hielt er sich in Moskau auf, 1937 und 1938 war er als Kriegsberichterstatter in Spanien. In China begann er sich zu politisieren, im sowjetischen Russland festigte sich seine kommunistische Einstellung. Wenn er auch nie zum Theoretiker wurde oder gar der Kommunistischen Partei beitrat, so war er doch »perhaps the most aggressive and politically oriented anti-fascist author in Norway before the war«. 3 Seine in Spanien gesammelten Eindrücke empfand er als Bestätigung für seine politischen Überzeugungen. Im Frühjahr 1940, als deutsche Truppen Norwegen besetzten, bewies Grieg einmal mehr, dass er bereit war, für seine Überzeugungen einzutreten: Er meldete sich als Freiwilliger zur Armee, begleitete die norwegischen Goldtransporte an die Küste und folgte schließlich der Regierung und dem König ins Exil nach England. In London beteiligte er sich am Aufbau des norwegischen Exilradios, gestaltete eigene Radiosendungen und wurde in dieser Zeit so etwas wie ein Nationalheld für die Norweger in der besetzten Heimat. Immer wieder bemühte er sich darum, bei einem Flug der Royal Air Force über Deutschland als Reporter dabei zu sein und erhielt im Winter 1943 schließlich die Zusage. Es war sein letzter Einsatz: In der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember wurde sein Bomber über Berlin von der deutschen Flak abgeschossen. 4 Unter den zahlreichen, auch politisch engagierten norwegischen Schriftstellern seiner Zeit war Grieg der Einzige, der zu den Brennpunkten historischer Ereignisse reiste. Bei ihm speiste sich das schriftstellerische Werk aus dem unmittelbaren Erleben vor Ort - er selbst betonte wiederholt, dass er nur über Dinge schreiben könne, 3 Ugelvik Larsen, Stein: When Fascism became treason. Fascism and Literature in Norway, in: ders./ Beatrice Sandberg (Hg.): Fascism and European Literature. Bern/ Berlin et al. 1991, S. 358-385, S. 368. Vgl. auch Borgen, Johan: Nordahl Grieg. Oslo 1945, S. 53, sowie Uecker, Heiko u. Joachim Trinkwitz (Hg.): Die Klassiker der skandinavischen Literatur. Die großen Autoren vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Essen 2002, Neuaufl., S. 86. 4 Vgl. Ugelvik Larsen: Fascism, S. 364 und Uecker: Klassiker, S. 82-85. Von Bergen nach Brunete: Nordahl Grieg und der spanische Bürgerkrieg 113 die er selbst erlebt und gesehen habe. Die Perspektive des Reporters bestimmt viele seiner literarischen Veröffentlichungen, ebenso überlagern sich in seinen Reportagen mitunter Fakten und Fiktion. Trotz oder gerade wegen seiner zahlreichen Reisen fühlte sich Grieg seiner Heimat aufs Engste verbunden. Marxistischer Internationalismus und Vaterlandsliebe waren für ihn ohne weiteres miteinander vereinbar, was jedoch mitunter auf Unverständnis stieß. So wurde Grieg etwa aufgrund seiner patriotischen Heimatgedichte von der norwegischen Linken als konservativ bzw. reaktionär eingestuft. 5 Auch Griegs kompromisslose und militante Haltung unterschied ihn von den anderen Intellektuellen. Am deutlichsten wurde dies ab dem Sommer 1936, als in Russland die Moskauer Prozesse begannen und Stalin ehemalige Weggefährten und unliebsame Konkurrenten ausschalten ließ. 6 In den Augen zahlreicher Linksintellektueller verlor damit die Sowjetunion ihren Nimbus, ein gesellschaftliches Vorbild für Europa zu sein, viele distanzierten sich daraufhin vom sozialistischen Russland. Grieg hingegen verteidigte Stalins Maßnahmen. Seiner Meinung nach war Gewaltanwendung in bestimmten Situationen gerechtfertigt: Vor dem Hintergrund der in Deutschland, Italien und anderswo in Europa erstarkenden autoritären, rechtsgerichteten Regime konnten Zweifler im kommunistischen Lager die eigenen Reihen schwächen und somit der Gegenseite Vorschub leisten. Mit dieser unbedingten Moskautreue isolierte sich Grieg weitgehend vom norwegischen Literaturbetrieb, zumal er seinen Standpunkt in Artikeln für die Zeitschrift Veien Frem und in dem Roman Ung må verden ennu være immer wieder deutlich machte. Dies trug maßgeblich dazu bei, dass er Ende 1937 Veien Frem, in der vormals so illustre Personen wie Thomas Mann, Aldous Huxley, Sigurd Hoel und Arnulf Øverland publiziert hatten, aus Mangel an beitragenden Autoren und Abnehmern einstellen musste. 7 3. Die Intellektuellen und der Krieg um Spanien Als sich die Militärs unter General Francisco Franco am 18. Juli 1936 gegen die demokratisch gewählte republikanische Regierung in Spanien erhoben und ein drei Jahre andauernder bewaffneter Konflikt seinen Anfang nahm, ordnete die europäische Öffentlichkeit diesen Krieg vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse im Europa der 1930er Jahre ein. 5 Vgl. Vorwort bei Grieg, Nordahl: Veien frem. Artikler i utvalg ved Odd Hølaas. Oslo 1947, S. 8. 6 Die große Säuberung von 1936 bis 1938 war die Abrechnung Stalins mit seinen Gegnern. In diesen Jahren wurden die alten Revolutionäre in Partei und Armee liquidiert. Dies war eine wichtige Voraussetzung für die Errichtung der stalinistischen Diktatur. Höhepunkt dieser Maßnahmen waren drei Schauprozesse in Moskau, bei denen auch der Politiker, Wirtschaftstheoretiker und ehemalige Weggefährte Lenins, Nikolai Bucharin, zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. 7 Vgl. Uecker: Klassiker, S. 87. Marit Teerling 114 Der Spanische Bürgerkrieg wird häufig als erste bewaffnete Auseinandersetzung zwischen ›Faschismus‹ und ›Antifaschismus‹ 8 betrachtet. Eine auf die Ideologien bezogene Interpretation des Bürgerkrieges gewinnt zusätzlich an Gewicht, wenn die massive militärische Intervention Italiens, Deutschlands und der Sowjetunion in Betracht gezogen wird. So verstanden die meisten Zeitgenossen den Konflikt als Auseinandersetzung zwischen Ideologien, mit der nicht nur das Schicksal Spaniens, sondern darüber hinaus der zivilisierten Menschheit auf dem Spiel stand. 9 Über kaum einen anderen bewaffneten Konflikt haben Journalisten, Schriftsteller und Intellektuelle so viel geschrieben wie über den spanischen Bürgerkrieg. Er »war der erste große Informationskrieg, bei dem nicht nur die Schriftsteller, sondern vor allem die Journalisten eine Schlüsselrolle spielten, um die Sache der Republik der internationalen Öffentlichkeit zu erklären« (var den første store informasjonskrigen, der ikkje berre forfatterne, men framfor alt journalistane spela ei nøkkelrolle med å forklare republikkens sak for den internasjonale opinionen). 10 Unter anderem hielten sich Ernest Hemingway, Stephen Spender, Ilja Ehrenburg, Egon Erwin Kisch und Antoine de Saint-Exupéry in Spanien auf und waren dort als Kriegskorrespondenten tätig - einige von ihnen setzten ihren Erlebnissen auch literarische Denkmäler, wie es beispielsweise Hemingway mit seinem Roman Wem die Stunde schlägt (1940) tat. Dabei berichteten sie fast ausschließlich aus der Perspektive des republiktreuen Lagers. Wer dort als Journalist tätig war, sah sich nicht als neutraler Protokollant des Geschehens, sondern zeigte offen seine Sympathien und versuchte gezielt, seine Leser für die Sache der Republik einzunehmen. Dieses Engagement reichte so weit, dass Geschichten erfunden und Fotos gestellt wurden - das Bild vom angeblich sterbenden Soldaten des Fotografen Robert Capa ist hierfür ein eindrückliches Beispiel. Andere wie etwa George Orwell und André Malraux kämpften nicht nur mit Worten, sondern auch mit Waffen und schlossen sich den Internatio- 8 In der Forschung ist es umstritten, inwiefern bei der Franco-Diktatur von einem faschistischen Regime gesprochen werden kann, geschweige denn ob die sich während des Krieges herausbildenden Herrschaftsstrukturen im Franco-Lager als faschistisch bezeichnet werden können. Ebenso wenig fanden sich unter den Republiktreuen ausschließlich Kommunisten und Sozialisten. Dieser Aufsatz gibt die schematische Einteilung wieder, die Grieg - und mit ihm viele andere Linksintellektuelle - in seinen Publikationen vornahm: Er setzt die Aufständischen und ihre Unterstützer mit den »Faschisten« gleich; »Antifaschisten« wiederum sind all jene, welche die republikanische Regierung Spaniens unterstützen. 9 Collado Seidel, Carlos: Der Spanische Bürgerkrieg. Geschichte eines europäischen Konflikts. München 2006, S. 9. Kurz nach der Erhebung begannen Hitler und Mussolini bereits, die Aufständischen mit Waffen und Personal zu unterstützen - die von Deutschland entsandte Legion Condor, die im April 1937 Guernica bombardierte, ist eines der bekanntesten Beispiele. Ab Oktober 1936 leistete auch die Sowjetunion ihrerseits Waffenhilfe an die spanische Republik, wenn auch in sehr viel geringerem Maße. 10 Hoem: Ungdommen, S. 247. Von Bergen nach Brunete: Nordahl Grieg und der spanische Bürgerkrieg 115 nalen Brigaden an. 11 Auch die Liste der spanischen Literaten, die sich auf die Seite der Republiktreuen schlugen, ist lang. Da ihre Perspektive auf ihr Land jedoch eine »von innen« war, ist es nahe liegend, Grieg vor allem in die Tradition der ausländischen Kriegsberichterstatter zu stellen und mit jenen zu vergleichen. 4. Nordahl Griegs Aufenthalte in Spanien Es ist belegt, dass Grieg sich den Internationalen Brigaden anschließen wollte, jedoch auf den Rat seiner Freunde in der norwegischen Kommunistischen Partei hörte und von diesem Vorhaben Abstand nahm. Im Juli 1937 reiste Grieg dennoch nach Valencia, allerdings in seiner Eigenschaft als Schriftsteller: Als Vertreter Norwegens hatte ihn die spanische Autorenvereinigung eingeladen, am 2. Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur teilzunehmen. Die Autorenvereinigung vertrat die spanische Republik - eine Teilnahme an dem Treffen war somit auch ein politisches Statement. 12 Der Kongress wurde in Valencia eröffnet und in Madrid fortgeführt. Im Anschluss blieb Grieg mehrere Wochen in Madrid und nutzte seinen Aufenthalt, um Eindrücke für journalistische Beiträge zu sammeln. Dabei besuchte er unter anderem das Thälmann-Bataillon der Internationalen Brigaden, das zu dem Zeitpunkt in der Schlacht bei Brunete nahe Madrid im Einsatz war. Kommandant dieses Bataillons war der deutsche Schriftsteller Ludwig Renn, den Grieg kurz zuvor beim Schriftstellerkongress kennen gelernt hatte. Im Winter 1937/ 38 hielt sich Grieg erneut in Spanien auf, dieses Mal im Norden des Landes, um gemeinsam mit der norwegischen Kriegskorrespondentin Lise Lindbæk von der Schlacht bei Teruel zu berichten. 13 Nachdem die Franco-Truppen Teruel eingenommen hatten, reiste Grieg zurück in seine Heimat. Dort schrieb er seinen einzigen Roman: Ung må verden ennu være erschien im Herbst 1938 - eine Momentaufnahme des Vorkriegseuropa und in vielerlei Hinsicht ein Konzentrat von Griegs literarischem und journalistischem Gesamtwerk. 14 Neben Russland, England und Norwegen ist auch das Bürgerkriegs-Spanien einer der Handlungsorte des Romans. 11 Vgl. Martínez de Pisón, Ignacio: Un ejército de poetas. In: Centro Virtual Cervantes: Corresponsales en la Guerra de España, 2006 - 2008, http: / / cvc.cervantes.es/ corresponsales/ martinezdepison.htm sowie Requate, Jörg: Mit Waffen und Worten. In: message 1 (1999), Online-Ausgabe unter www.message-online.com. Ab Herbst 1936 wurden die ersten Einheiten von ausländischen Soldaten, die in den so genannten Internationalen Brigaden organisiert waren, auf der Seite der Republik eingesetzt. Bis 1938 kämpften etwa 59.000 Ausländer in diesen Verbänden. 12 Vgl. Hoem: Ungdommen, S. 242. 13 Vgl. ebd., S. 248-250. 14 Vgl. Uecker: Klassiker, S. 89. Marit Teerling 116 5. Darstellung der Literaten und Journalisten In seinen Veröffentlichungen zu Spanien beschreibt Grieg unter anderem seinen eigenen Alltag und den seiner Journalisten-Kollegen. Auch die Teilnehmer am Schriftstellerkongress werden erwähnt, vor allem Ludwig Renn wird ausführlich in seiner Doppelrolle als Literat und Soldat vorgestellt. Grieg stellt dabei auch immer wieder seine eigene Rolle als Journalist auf den Prüfstand - als ein Mensch, der zwar die Ereignisse protokolliert und Position bezieht, jedoch nicht selbst zu den Waffen greift und als Berichterstatter besonderen Schutz genießt. An dem Schriftstellerkongress 1937 nahmen etwa 200 Schriftsteller aus 30 Ländern teil - damit verdeutlichte die internationale Intelligenz ihre entschiedene Unterstützung der Republik sowie eine bis dato beispiellose politische Einigkeit. 15 Der Auftakt zur Konferenz fand im Rathaus von Valencia statt, Grieg sieht Martin Andersen Nexø, José Bergamín, André Malraux sowie Ludwig Renn unter den Gästen, unterstreicht allerdings auch, das andere Eingeladene fehlen: Federico García Lorca wurde von Francos Schergen getötet und Gustav Regler, der bereits in den Reihen der Brigadisten kämpft, wurde bei Huesca verwundet und liegt im Hospital. 16 Am folgenden Tag werden die Kongressteilnehmer in Limousinen von Valencia durch eine vom Krieg zerstörte Landschaft nach Madrid gebracht. An der dortigen Universität wird zu Ehren der Schriftsteller ein Festbankett ausgerichtet, Honoratioren sprechen zu den Teilnehmern, eine Ehrenwache steht bereit: Die republikanische Regierung weiß, wie sie sich diesen Kongress für ihre Propaganda zunutze machen kann. Vor dem Hintergrund des Krieges erscheinen Grieg diese Feierlichkeiten zunehmend befremdlich. Mehr noch: Für ihn gibt es keinen Grund zum Feiern, denn der Krieg in Spanien konnte nur ausbrechen, weil »die Geistesmenschen« zuvor in ihrer Arbeit versagt hätten: »Schlecht hatten wir mit unseren Worten und Gedanken die Kultur verteidigt. […] Aber wenn die Welt vor Zeiten voller Blindheit, Grausamkeit und Qual zitterte, sagten wir, dass die Kultur in Gefahr sei. Welche Kultur? « (Dårlig hadde vi med vårt ord og tanker forsvart kulturen […] Men når verden skalv foran tider av blindhet, grusomhet og kval, sa vi at kulturen var i fare. Hvilken kultur? ) 17 Das Schuldgefühl des tatenlos zusehenden Beobachters thematisiert Grieg an verschiedenen Stellen und auch die Dichotomie zwischen Geistes- und Handlungsmenschen tritt immer wieder hervor. Im Unterschied zu Ludwig Renn etwa tauscht Grieg nicht die Schreibmaschine gegen die Pistole aus, und es ist dem Norweger anzumerken, dass er dies bedauert. Die Bewunderung, die Grieg für 15 Vgl. Thornberry, Robert S.: Der Zweite Internationale Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur (1937). In: Günther Schmigalle (Hg.): Der Spanische Bürgerkrieg. Literatur und Geschichte. Frankfurt a.M. 1986, S. 115. Weitere Kongressteilnehmer waren Alexej Tolstoi, Bertolt Brecht, Anna Seghers, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Rafael Alberti, Antonio Machado, Pablo Neruda und Octavio Paz. 16 Vgl. Grieg, Nordahl.: Langveisfra. Græske breve - Kinesiske dager - Spansk sommer (Gyldendals Uglebøger). Oslo 1964, S. 119-120. 17 Grieg: Langveisfra, S. 112-113. Von Bergen nach Brunete: Nordahl Grieg und der spanische Bürgerkrieg 117 Ludwig Renn hegt, ist ein deutliches Indiz, 18 ebenso sein Unbehagen, als Korrespondent zwischen lauter Kämpfern im Grunde fehl am Platz zu sein: Als hoch gewachsener Skandinavier fühlt er sich zwischen den zierlichen Spaniern »krankhaft groß« 19 , wenn es darum geht, im Gefecht Deckung zu suchen. Donald Morrison, ein fiktiver Journalist im Roman Ung må verden ennu være, der sich als Alter Ego Griegs interpretieren lässt, nimmt sich unter den Frontsoldaten als Eindringling wahr, denn »er konnte immer in eine Art Sicherheit zurückkehren. […] es war eine geschlossene Gesellschaft hier draußen, die des Todes.« (han kunde alltid vende tilbake til en slags sikkerhet […] det var et sluttet selskap her ute, dødens.) 20 Dennoch erfährt Grieg auch Bestätigung für seine Arbeit, und er bekommt sie von den Frontkämpfern persönlich, die davon überzeugt sind, dass die Franco- Truppen langfristig zum Scheitern verurteilt sind, denn »sie haben nichts, wofür sie kämpfen können« (de har ikke noe de skal slåss for). 21 Ludwig Renn wird von Grieg folgendermaßen zitiert: »Der Respekt dem Menschen gegenüber ist das Wichtigste, auch im Krieg. […] Unsere Idee ist besser als ihre, größer, edelmütiger. […] Den Menschen zu bilden bedeutet, ihn dazu zu befähigen, die Welt zu verteidigen im Angesicht der Katastrophe, die sie bedroht; ein Werk des Geistes ist genauso wichtig wie ein Schützengraben« (menneskeverd er det viktigste, også i krig. […] Vår idé er bedre enn deres, større, edelmodigere. […] Å bygge mennesket, er å sette oss i forsvarstilstand foran den katastrofen som truer verden; et åndsverk er like viktig som en skyttergrav). 22 Mit Gedichten, Prosa und Zeitungsartikeln leistet somit auch Grieg einen Beitrag zur Verteidigung der Demokratie. Der Norweger weiß aus Erfahrung, dass dies nicht immer leicht ist: In Spansk Sommer schildert er die Schwierigkeit, überhaupt an die Front zu gelangen, denn der Zugang wird durch die Regierung beschränkt und vielen Journalisten bleibt oft nur, die offiziellen Verlautbarungen in ihre Berichterstattung zu übernehmen. 23 Gleichzeitig stehen die ausländischen Journalisten unter einem erheblichen Druck ihrer heimischen Redaktionen - und machen oftmals die Erfahrung, dass sich der Bürgerkrieg nicht mehr »ver- 18 Vgl. etwa »Borgerkrig i Spania«, erschienen in Hjemmet vom 11. Dezember 1937, abgedruckt in: Grieg: Veien Frem, S. 174-175. Dieser Artikel ist auch in Spansk Sommer abgedruckt. 19 »Journalist i Madrid«, erschienen in Veien Frem vom Oktober 1937, abgedruckt in: Grieg: Veien Frem, S. 112. 20 Grieg, Nordahl: Ung må verden ennu være. Roman. Oslo 1994, S. 185. 21 Grieg: Langveisfra, S. 163. 22 Ebd., S. 123. 23 Vgl. »Journalist i Madrid « , erschienen in Veien Frem vom Oktober 1937, abgedruckt in: Grieg: Veien Frem, S. 108f. Grieg befindet sich bei Brunete (Sommer 1937) und Teruel (Winter 1938) an der Front, die einzigen größeren Schlachten, bei denen Journalisten offiziell zugelassen waren. Vgl. García Santa Cecilia, Carlos: Corresponsal en España, in: Centro Virtual Cervantes: Corresponsales en la Guerra de España, 2006-2008, http: / / cvc.cervantes.es/ corresponsales/ sta_cecilia.htm. Marit Teerling 118 kauft«. 24 Erschwerend kommt hinzu, dass das gegnerische Bürgerkriegslager seine eigene Version der Kriegsereignisse verbreitet und die Republiktreuen verleumdet. So wird Morrison in Ung må verden ennu være von seiner Redaktion in New York vorgeworfen, dass er »rote Propaganda« betreibe, und er muss bei dieser bürgerlichen Zeitung seine Artikel regelrecht »in die Spalten hineinzwingen«. 25 Die persönliche Anteilnahme, die Grieg und andere Journalisten für das republiktreue Lager empfinden, hat indes auch ihren Preis: Zwar bezahlt etwa Morrison seinen Einsatz in Spanien nicht mit dem Leben. Doch auch er ist vom Krieg gezeichnet: »Es lag ein graues Licht auf seinem Antlitz von all dem Tod, den er gesehen hatte.« (Det var et grått lys over ansiktet hans av all død han hadde sett.) 26 Schließlich fühlt er sich im zerbombten Barcelona mehr zu Hause als bei Frau und Kindern in Frankreich - der Ausnahmezustand ist zur Routine geworden. Auch dieses Gefühl der Heimat- und Rastlosigkeit dürfte der weit gereiste Grieg aus eigener Erfahrung gekannt haben. 6. Die Darstellung des antifaschistischen Lagers Während seiner Spanienreisen hielt sich Grieg ausschließlich in dem Territorium auf, das von der republikanischen Regierung kontrolliert wurde. Dank seiner mehrwöchigen Aufenthalte konnte er auf ein breites Spektrum an Erlebnissen zurückgreifen, und so finden sich in seinen Veröffentlichungen gleichermaßen Eindrücke von der Front wie vom Alltagsleben der Zivilbevölkerung. Auch die mediterrane Landschaft und Lebensart nimmt Grieg gefangen, wenn er zu Beginn seiner ersten Reise die Orangenbäume und Weinreben am Wegesrand erwähnt und bewundert, dass die Bewohner »auf spanische Weise alles miteinander teilten, Brot und Wein« (på spansk vis delte de alt med hverandre, brød og vin). 27 Das Leben der Menschen im republiktreuen Teil Spaniens gestaltet sich indes weniger idyllisch: Zwar bewundert Grieg den Mut der Bewohner von Barcelona und Madrid, die trotz ständiger Bombenangriffe ihr Leben weiterführen, so gut es geht. 28 24 Vgl. Grieg: Langveisfra, S. 112. 25 Grieg: Ung må verden ennu være, S. 183-184. Tatsächlich ist der spanische Bürgerkrieg vor allem in seinem ersten Jahr in den Medien präsent. Besonders im Frühjahr 1937, als das deutsche Fliegergeschwader Legion Condor die baskische Stadt Guernica bombardierte, erreichte die Berichterstattung einen neuen Höhepunkt. Danach ebbte sie allerdings sukzessive ab und die Weltöffentlichkeit wendete sich anderen Themen zu: Der chinesisch-japanische Krieg (ab Juli 1937), der Anschluss Österreichs (März 1938) und das Münchner Abkommen (September 1938) belegten die Frontspalten der Zeitungen. Vgl. García Santa Cecilia: Corresponsal. 26 Grieg: Ung må verden ennu være, S. 253. 27 Grieg: Langveisfra, S. 109. 28 Vgl. etwa »Borgerkrig i Spania« in Hjemmet vom 11. Dezember 1937, und »Nonintervensjon - Små inntrykk fra Barcelona« in Nordeuropa, Nr. 1, 1938, beide abgedruckt in: Grieg: Veien Frem, S. 177 und 186. Von Bergen nach Brunete: Nordahl Grieg und der spanische Bürgerkrieg 119 Noch mehr unterstreicht er jedoch ihre Leiden und Entbehrungen. Kurze, aber erschütternde Schicksale werden etwa in Ung må verden ennu være beschrieben, mit dem Ziel, den Leser zu schockieren und aufzurütteln - wie etwa das eines Bergarbeiters aus der Provinz Extremadura, dessen Kind bei einem Luftangriff umgekommen ist: »Das Kind hatte so ein hübsches lachendes Gesicht, und es war wie eine Eierschale von einem Eisenbalken zermalmt worden, als eine Fliegerbombe das Haus traf« (Barnet hadde et slikt leende vakkert ansikt, og det var blitt knust som et eggeskall av en jernbjelke, da en luftbombe rammet huset). 29 Weitaus umfassender sind indes Griegs Beschreibungen von der Front. In Spansk Sommer etwa »ist der Kriegsschauplatz in flimmernden klaren Bildern, wie in einem Film, dargestellt« (Krigsskodeplassen er sett i flimrende klare bilete, som på film). 30 Verletzung und Tod im Gefecht werden schonungslos geschildert, etwa wenn nach einem Volltreffer im Schützengraben »das Gesicht [eines Soldaten] weggeschossen war, nur eine blutige Masse befand sich noch auf dem Hals. Er lebte noch« (ansiktet var skutt bort; bare en blodig masse stod igjen paa halsen. Han levde ennå). 31 Aber auch Freundschaft und Mut, selbst in ausweglosen Situationen, werden von Grieg immer wieder thematisiert, und zwar so konsequent, dass man von einer Idealisierung der Frontsoldaten sprechen kann: Fast ohne Ausnahme handelt es sich um junge, idealistische Männer, die auch im Angesicht des Todes Besonnenheit zeigen. 32 Zudem zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie aus verschiedenen Ländern stammen und unter teilweise schwierigen Bedingungen nach Spanien gekommen sind, um dort freiwillig auf Seiten der Republik in den Krieg zu ziehen. Diese Solidarität stellt Grieg bewusst den Kriegshandlungen gegenüber und zeigt damit, dass ein friedliches Zusammenleben unter Europäern möglich ist. Auch in anderer Hinsicht spielen sich an der Front Szenen ab, mit denen Grieg Parallelen zu politischen Ereignissen in Europa zieht - so wird in Ung må verden ennu være ein Deserteur, der den Krieg schon als verloren betrachtet, von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt und erschossen. 33 Hiermit rechtfertigt Grieg die Moskauer Prozesse und argumentiert, dass in Ausnahmesituationen Zweifler eine Gefahr darstellen und es somit rechtmäßig sei, sich ihrer zu entledigen. In einer anderen Szene wiederum weigert sich ein Brigadist, weiter zu töten und wird von seinem Vorgesetzten folgendermaßen zurechtgewiesen: »Wir anderen müssen es tun. Bist Du besser, als wir es sind? « (Vi andre må gjøre det. Er du bedre enn oss? ) 34 Grieg kritisiert auf diese Weise indirekt Pazifisten und Vertreter der Nichteinmischungspolitik, die mit ihrer Passivität letztendlich Franco begünstigen. 29 Grieg: Ung må verden ennu være, S. 173. 30 Hoem: Ungdommen, S. 248. 31 Grieg: Ung må verden ennu være, S. 179. 32 Vgl. etwa ebd., S. 171-179. 33 Vgl. ebd., S. 201. 34 Ebd., S. 180. Marit Teerling 120 Es fällt auf, dass vor allem die ausländischen Soldaten in den Internationalen Brigaden im Mittelpunkt von Griegs Berichten stehen, weniger die spanischen Einheiten. Offensichtlich haben sie bei ihm einen starken Eindruck hinterlassen, so dass er ihnen mehr Zeilen widmet - womit er allerdings ihre tatsächliche Bedeutung innerhalb des republikanischen Heeres verfälscht. Besonders häufig erwähnt Grieg die Nordeuropäer unter den Brigadisten, wobei er unterstreicht, dass auch sie sich nicht mehr als Schweden, Dänen oder Norweger wahrnehmen, sondern als Skandinavier. Grieg mag an seine heimischen Leser gedacht haben, die besonders am Schicksal der nordeuropäischen Brigadisten Anteil nahmen, und auch für ihn selbst ist der Kontakt zu seinen Landsleuten wichtig, die ihm ein Heimatgefühl mitten in der Fremde geben. 35 Darüber hinaus fasziniert Grieg der Heroismus einzelner Personen, wie etwa Ludwig Renn: Er »stand wieder oben am Hang, ungeheuer lang und dünn, ungeschützt vor dem blauen Sommerhimmel. Wie kein anderer war er in Don Quijotes Landschaft zu Hause. Im Widerstreit mit aller Vernunft dachte ich, dass solche Männer nicht sterben konnten.« (var igjen oppe på skrenten, umåtelig lang og tynn, udekket mot den blå sommerhimmelen. Som ingen annen hørte han hjemme i Don Quijotes landskap. I strid med all fornunft tenkte jeg at slike menn kunne ikke dø). 36 Mit der Erwähnung Don Quijotes unterstreicht Grieg die aussichtslose Lage, in der sich die republiktreuen Truppen gegenüber dem Franco-Lager befinden. Die Brigadisten übernehmen die Rolle der tragischen Helden in Griegs Publikationen. Vor allem in Ung må verden ennu være wird dies deutlich: Als Grieg diesen Roman verfasste, hatte sich das Blatt in Spanien bereits zugunsten der Aufständischen gewendet und Grieg dürfte bewusst gewesen sein, dass die Republik langfristig unterliegen musste. Nichtsdestotrotz spricht sich Grieg in seinen Berichten immer wieder dafür aus, die Nichteinmischungspolitik des Auslands in Spanien zu beenden. Die unzureichende Bewaffnung und die mangelhafte Ausrüstung, unter der die Republiktreuen chronisch litten, 37 sind ein häufig wiederkehrendes Thema. Schuld ist nach Griegs Meinung das Waffenembargo des Westens, das die Republik benachteiligt, da es von Italien und Deutschland unterlaufen wird, die Franco mit Waffen und Truppen versorgen. In einem Interview, das Grieg mit dem Kommandanten des republikanischen Heeres für Madrid, José Miaja, führt, erklärt der General: »Der Großteil Europas sympathisiert mit uns, darüber freuen wir uns, aber lassen Sie uns Waffen kaufen. Man bewundert uns, weil wir die Demokratie verteidigen; geben Sie uns Waffen. Man schickt uns humanitäre Hilfe, kommen Sie mit Waffen. Dann werden wir den Rest alleine schaffen« (Størstedelen av Europa har sympati for oss, det er vi glad for, men la oss få kjøpe våben. Man beundrer oss fordi vi forsvarer 35 Vgl. Grieg: Langveisfra, S. 158 und 162. 36 Ebd., S. 156. 37 Vgl. Collado Seidel: Bürgerkrieg, S. 122. Von Bergen nach Brunete: Nordahl Grieg und der spanische Bürgerkrieg 121 demokratiet; gi oss våben. Man sender oss humanitær hjelp, kom med våbnene. Så skal vi klare resten selv). 38 Für europäische wie nordamerikanische Linksintellektuelle war Spanien ein Schlachtfeld, auf dem eine Art Generalprobe zu einem neuen großen Krieg auf dem Kontinent stattfand. Sich dort auf der richtigen Seite zu engagieren, war für jeden demokratisch gesinnten Intellektuellen eine Verpflichtung - vor allem, als die Waffenhilfe für Franco durch Hitler und Mussolini die Theorie einer internationalen faschistischen Verschwörung zu bestätigen schien. 39 Auch Grieg folgt dieser Lesart, für ihn repräsentiert die Republik »das Volk«, 40 als »Spanien« wird stets das Lager der Republiktreuen bezeichnet, dass »seine Unabhängigkeit schützt« 41 gegenüber dem internationalen Kapitalismus, der sich des Faschismus als ausführender Gewalt bedient. So muss sich die Zivilbevölkerung vor Luftangriffen in Sicherheit bringen, und auch die Soldaten der Republik sind in Griegs Darstellung immer die Attackierten, nie jedoch die Angreifenden - der Norweger sieht die republiktreue Seite klar als Opfer, das in dieser Situation das Recht und die Pflicht hat, sich zur Wehr zu setzen. 42 7. Die Darstellung des faschistischen Lagers Das kommunistische China, die Sowjetunion und das Lager der Republiktreuen im spanischen Bürgerkrieg kannte Grieg aus eigener Anschauung. Im nationalsozialistischen Deutschland, im faschistischen Italien oder im von Franco beherrschten spanischen Territorium war der weltgewandte Norweger nie gewesen und so auf Berichte aus zweiter Hand und seine eigene Imagination angewiesen. Es verwundert nicht, dass sich Darstellungen des faschistischen Lagers in erster Linie im Roman Ung må verden ennu være finden, in dem Grieg die literarische Freiheit besaß, fiktive Charaktere und Szenen einzubauen. Grieg trifft während seines Aufenthalts in Spanien nur wenige, die auf der Seite der Aufständischen stehen. Meist ist der Kontakt indirekter Natur, etwa wenn Fliegergeschwader die Stellungen der Brigadisten angreifen. Begegnet er dennoch einzelnen Vertretern des gegnerischen Lagers, ist auffällig, wie stark er diese zu entlasten versucht: So sind Soldaten, die von den Brigadisten gefasst wurden, erfreut über ihre Gefangennahme, da sie vom Franco-Lager zwangsverpflichtet wurden und unfreiwillig in dessen Reihen kämpfen mussten. 43 Auch die auf Seiten Francos eingesetzten marokkanischen Einheiten werden entschuldigt, da diese, wie es ein Briga- 38 Grieg: Langveisfra, S. 118. 39 Vgl. Martínez de Pisón: ejército (= Fußnote 11). 40 Veien Frem vom Dezember 1937, abgedruckt in: Grieg: Veien Frem, S. 116. 41 »Det er forbrytere iblandt oss - noen betraktninger over de norske frivillige i Spania«, in Arbeideren vom 28. Februar 1938, abgedruckt in: Ebd., S. 181. 42 Vgl. Veien Frem vom Februar 1936, abgedruckt in: Ebd., S. 17. 43 Vgl. Veien Frem vom Oktober 1937, abgedruckt in: Ebd., S. 113-114. Marit Teerling 122 dist in Ung må verden ennu være ausdrückt, lediglich aus Not die Aufständischen unterstützen: »Sie sind durch die Armut und die Einsamkeit in der Wüste so geworden. […] Wenn wir gewinnen, werden wir gute Leute aus den Marokkanern machen« (De er blitt sånn av fattigdom og ensomhet i ørkenen. […] Når vi vinner, skal vi få gjort bra folk av marokkanerne). 44 Wirklich überzeugt vom Faschismus ist bei Grieg nur eine Minderheit, die, unterstützt durch fremdes Kapital, Deutsche, Italiener und »marokkanische Söldnertruppen« 45 für ihre Interessen kämpfen lässt. Der Norweger folgt hierbei der marxistischen Deutung des Faschismus, nach der sich das Großkapital mit autoritären Regimes verbündet, um die wachsende Stärke des Volkes zu unterdrücken. Die Darstellung dieser Personen ist eindimensional und schematisch, es überwiegt das Typenhafte. Im deutlichen Gegensatz dazu stehen die teils sehr genauen Charakterstudien, die Grieg von Angehörigen des republiktreuen Lagers zeichnet. Dieser Gegenüberstellung bedient sich Grieg auch als Stilmittel; mit der Montagetechnik, die Grieg vom sowjetischen Film übernommen hatte und auch in seinen Dramen anwendete, ließen sich gesellschaftliche und politische Gegensätze besonders wirkungsvoll gegenüberstellen. 46 So springt Grieg in Ung må verden ennu være häufig zwischen den beiden Bürgerkriegslagern, gleichzeitig verdeutlicht er damit die verzweifelte Lage, in der sich die Republiktreuen befinden: In einer Szene sterben in Barcelona zahlreiche Zivilisten bei einem Bombenangriff, in der folgenden kehren ebenjene Piloten, die zuvor die Stadt angegriffen hatten, zu ihrer Flughafen- Basis auf Mallorca zurück. Ihr Einsatz erweckt eher den Eindruck eines unbeschwerten Urlaubs, wenn sie nach getaner Arbeit im Mittelmeer baden und die Sonne genießen. Der Flug über Barcelona wird als ungefährliches Spiel beschrieben. 47 Auch die Offiziere, die in einer anderen Szene ein Gefecht durch Ferngläser beobachten, befinden sich in sicherer Entfernung zum Geschehen. 48 Sie alle werden nie in einen direkten Kampf verwickelt und sind keiner unmittelbaren Todesgefahr ausgesetzt. Dadurch wirken sie fern und unbeteiligt am Geschehen und verlieren selbst ihre Menschlichkeit. Auf diese Weise will Grieg Ablehnung beim Leser hervorrufen und ihn so für die Seite der Republiktreuen einnehmen. Besonders deutlich wird dies bei der Figur des Marquis Jesús de Roxas in Ung må verden ennu være, einem völlig überzeichneten Charakter, der die »feudalistische Einstellung der traditionellen Eliten gegenüber Gewerbetätigkeit und Arbeitsleistung« 49 symbolisiert. Er entstammt einem alten spanischen Adelsgeschlecht, das 44 Grieg: Ung må verden ennu være, S. 176. 45 Veien Frem vom Oktober 1936, abgedruckt in: Grieg: Veien Frem, S. 61. 46 Vgl. Borgen: Grieg, S. 30. 47 Vgl. Ung må verden ennu være, S. 229. Eine ähnliche Beschreibung findet sich auch in »Nonintervensjon - Små inntrykk fra Barcelona« in Nordeuropa, Nr. 1, 1938, abgedruckt in: Grieg: Veien Frem, S. 185. 48 Vgl. Grieg: Ung må verden ennu være, S. 179. 49 Collado Seidel: Bürgerkrieg, S. 11. Von Bergen nach Brunete: Nordahl Grieg und der spanische Bürgerkrieg 123 bereits bei der Reconquista der iberischen Halbinsel gegen die Mauren und bei der Eroberung der Azteken- und Inka-Reiche in Amerika gekämpft hat, womit Grieg die Familie in eine Tradition der Grausamkeit und Unterdrückung stellt. Der Stierkampf ist de Roxas Leidenschaft, und zwar im Wortsinne: Er genießt es, den Stier zu töten, ebenso wie ihn die Massenerschießungen, an denen er im Bürgerkrieg beteiligt ist, in Ekstase versetzen. Im Bordell und mit seiner Geliebten schließlich lebt er seine sexuellen, sadistischen Phantasien aus. 50 Bei ihm wendet Grieg eine an den Freud-Schüler Wilhelm Reich angelehnte »Vulgärpsychologisierung« 51 an: In Ung må verden ennu være verfügen lediglich die überzeugten Kommunisten über ein intaktes und erfülltes Sexualleben, während unter den Faschisten ein natürliches Verhältnis zur Sexualität nicht mehr existiert - lediglich Perversitäten und Machtphantasien werden ausgelebt. Auch wenn der italienische Pilot Vittorio über Barcelona im Einsatz ist, trägt dies in der Beschreibung Griegs deutliche sexuelle Konnotationen: »Er wartete so lange wie er konnte, bis er die Bomben abwarf, es war wie ein mächtiger Geschlechtsakt, bei dem es gut war, ihn in die Länge zu ziehen« (Han ventet så lenge han kunde med å slippe bombene, det var lik et maktfullt samleie som det var godt å trekke ut). 52 Mit dieser polemischen Umkehrung des Freud’schen Modells folgt Grieg weitgehend den Vorstellungen Reichs, der nach Möglichkeiten suchte, das Phänomen des Faschismus psychologisch zu erklären: Seiner Theorie zufolge unterdrückt die bürgerliche Gesellschaft sexuelle Regungen jedweder Art; der Faschismus dient als Ersatzbefriedigung, die Sexualität in Aggression gegenüber anderen umwandelt. Da Reich in den 1930er Jahren unter anderem in Oslo lebte und forschte und von norwegischen Schriftstellern wie etwa Sigurd Hoel auch intensiv rezipiert wurde, liegt es nahe, dass Grieg sich von dessen Publikationen beeinflussen ließ. 53 In der Darstellung der Stadt Burgos, die während des Bürgerkriegs als Basis für die von Franco gebildete Regierung der »Nationalen« diente, steigert sich Grieg in die geradezu apokalyptische Beschreibung eines Gottesdienstes, in dem Faschismus, Religion und Sadismus eine Einheit bilden, symbolisiert im Bild des gekreuzigten Christus. 54 Grieg zeichnet ein Bild einer finsteren, rückwärtsgewandten Welt, die danach trachtet, das Rad der Zeit zurückzudrehen und »in schwarze und blutige Jahrhunderte zurückzuzwingen« (tvinge tilbake til sorte og blodige århundrer). 55 50 Vgl. Grieg: Ung må verden ennu være, S. 239-244. 51 Dahl, Willy: Norges Litteratur, Bd. 3: Tid og tekst 1935-1972, Oslo 1989, S. 65. 52 Grieg: Ung må verden ennu være, S. 230. 53 Wilhelm Reich emigrierte kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten von Berlin zuerst nach Kopenhagen, dann nach Malmö und schließlich 1934 nach Oslo. Noch 1933 publizierte er von Skandinavien aus sein bekanntestes Werk, Die Massenpsychologie des Faschismus. 54 Vgl. ebd., S. 243-244. 55 Veien Frem vom Oktober 1936, abgedruckt in: Grieg: Veien Frem, S. 62. Marit Teerling 124 8. Norwegen und die »Heimatfront« Norwegen war mit ähnlichen politischen und sozialen Problemlagen konfrontiert, mit denen sich in den 1930er Jahren die meisten europäischen Länder auseinandersetzten. Nichtsdestotrotz besaß das Land ein stabiles demokratisches System: Das norwegische Pendant zur NSDAP, die Partei Nasjonal Samling (Nationale Sammlung), war denkbar schwach und stellte keine Parlamentsabgeordneten, gleiches galt für die kommunistische Partei. Die norwegische Arbeiterpartei bildete die Regierung - allerdings regierte sie mit einer Minderheit im Parlament und musste auf das bürgerliche Lager Rücksicht nehmen. So bewegte sich die Politik der norwegischen Regierung zwischen Sympathie für die Republiktreuen in Spanien und Zugeständnissen an konservative Kräfte in Norwegen, die ihrerseits mit Franco sympathisierten. Einerseits unterstützte die Arbeiterpartei Spendensammlungen und die Werbung von Kriegsfreiwilligen. Beides wurde in Norwegen, wie in vielen anderen Staaten auch, von der kommunistischen Partei organisiert. Bis zum Sommer 1938 kamen auf diese Weise mehr als eine Million Kronen an Spendengeldern zusammen - im Verhältnis zur Bevölkerungszahl war das mehr als in jedem anderen Land, und dieses Geld kam überwiegend von den Arbeitern. 56 Insgesamt 300 Norweger meldeten sich außerdem als Freiwillige, um auf der Seite der Republik in den Internationalen Brigaden zu kämpfen. Norwegen gehörte indes auch zu den Staaten, die ab August 1936 eine Nichteinmischungspolitik verfochten und jedwede Unterstützung für eine der beiden Bürgerkriegsparteien verweigerten. 57 In Norwegen wurde diese Position durch Außenminister Halvdan Koht vertreten. Nichtsdestotrotz machten norwegische Reeder unter dem Deckmantel der Neutralität gute Geschäfte mit dem Lager der Aufständischen und lieferten Güter und Lebensmittel an von Franco beherrschte Hafenstädte. Mehr noch: Als norwegische Schiffe in diesen Häfen den Bombenangriffen republikanischer Flugzeuge ausgesetzt waren, verlangten mehrere Reeder von der norwegischen Regierung Geleitschutz durch die norwegische Marine. Koht setzte im April 1937 einen entsprechenden Antrag im Storting durch, was einer De- Facto-Anerkennung Franco-Spaniens durch Norwegen gleichkam. Im Juli 1937 erließ die sozialdemokratische Regierung Norwegens schließlich ein Werbungsverbot für Kriegsfreiwillige - die norwegischen Spanienkämpfer riskierten bei ihrer Rückkehr in die Heimat Gefängnisstrafen. 58 Diese widersprüchliche Haltung der norwegischen Regierung wurde von der Linken und insbesondere von den Kom- 56 Vgl. Bull, Edvard: Norges Historie, Bd. 13: Klassekamp og Fellesskap, Oslo 1979, S. 327. 57 Dieses Übereinkommen war auch von Deutschland, Italien und der UdSSR unterzeichnet worden, die sich allerdings nicht an die Abmachung hielten. Da die sowjetische Hilfe für die spanische Republik weit geringer war als die der Deutschen und Italiener für Franco, verschob sich die Waagschale der Kriegsentwicklung sukzessive zugunsten der Aufständischen. 58 Vgl. Hoem: Ungdommen, S. 241 und 248 sowie Bull: Historie, S. 328. Von Bergen nach Brunete: Nordahl Grieg und der spanische Bürgerkrieg 125 munisten immer wieder scharf kritisiert 59 - und Grieg war dabei häufig ihr Sprachrohr. Stellung zur norwegischen Position nimmt Grieg vor allem in seinen journalistischen Beiträgen, allen voran in der Zeitschrift Veien Frem. Häufig handelt es sich um Aufrufe an seine Leser, das republiktreue Spanien zu unterstützen, etwa in Form von Geldspenden für Essen und Medizin. 60 Je weiter der Krieg voranschreitet und je schwieriger die Lage für die spanische Republik wird, desto nachdrücklicher fordert Grieg auch die Aufgabe der Nichteinmischungspolitik sowie Waffenlieferungen an das republiktreue Lager: »Es hat genug Blut, genügend Leichen gegeben für unser Mitgefühl, und jetzt müssen wir einige Lebende retten« (det har vært nok blod, nok lik for vår medfølelse, og nu må vi redde noen levende). 61 Im Gegenzug verurteilt Grieg regelmäßig die Kontakte norwegischer Geschäftsleute zum Lager der Aufständischen und fordert ein Embargo gegen Franco. 62 Sowohl in seinem Roman als auch in seinen journalistischen Beiträgen kritisiert er zudem die Situation in der norwegischen Botschaft in Madrid, die 800 Personen Unterschlupf und diplomatischen Schutz vor der republikanischen Regierung gewährt. Die Insassen sind gut versorgt, derweil ringsum die Zivilbevölkerung Hunger leidet - und zu allem Überfluss, so ist es für Grieg erwiesen, werden aus dem Botschaftsgebäude militärische Informationen sowie Waffen ans Franco-Lager geliefert. 63 Im Grunde, so suggeriert Grieg, gibt Norwegen mit seiner Position des Ausgleichs dem internationalen Kapitalismus freie Hand und unterstützt damit indirekt den Aufstieg des Faschismus. Auch wendet er sich gegen die Kriminalisierung der norwegischen Spanienkämpfer und deren Darstellung in der heimischen Presse, derzufolge es sich bei den Brigadisten um Söldner handele, die nur auf den schnellen Verdienst aus seien. Grieg stellt diesem Urteil seine eigenen Erlebnisse in Spanien gegenüber und unterstreicht den Heroismus der Kriegsfreiwilligen. 64 Vor allem die Skandinavier in ihren Reihen erwähnt er häufig, vorrangig, um sich der Anteilnahme seiner Leser zu versichern. Eine Rede, die Grieg im September 1937 unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Spanien hielt, widmete er ihnen ebenfalls. Auch hier inszeniert er die nordeuropäischen Kriegsfreiwilligen als aufrechte tapfere Männer, die das Opfer auf sich ge- 59 Vgl. ebd., S. 327-329. 60 Vgl. Veien Frem vom Oktober 1936, abgedruckt in: Grieg: Veien Frem, S. 62. 61 »Non-intervensjon - små inntrykk fra Barcelona« in Nordeuropa, Nr. 1, 1938, abgedruckt in: Ebd., S. 186. 62 Vgl. Veien Frem vom Mai - Juni 1937, abgedruckt in: Ebd., S. 106. 63 Vgl. Ung må verden ennu være, S. 138ff. und »Det er forbrytere iblandt oss - noen betraktninger over de norske frivillige i Spania« in Arbeideren vom 28. Februar 1938, abgedruckt in: Grieg: Veien Frem, S. 181. 64 Vgl. ebd., S. 183. Marit Teerling 126 nommen haben, stellvertretend für die skandinavischen Völker in Spanien Freiheit, Frieden und Demokratie zu verteidigen. 65 Dabei verweist Grieg stets darauf, dass der Bürgerkrieg in Spanien kein ferner Konflikt ist, sondern entscheidende Auswirkungen auf das weitere Schicksal Europas haben wird: »Diejenigen, die für die Demokratie in Spanien kämpfen, kämpfen für unsere Sache. Die Freiheit verblutet in Spanien. Helft Spanien! « (De som kjemper for demokratiet i Spania, kjemper for vår sak. Friheten forblør I Spania. Hjelp Spania! ) 66 Die Norweger, die sich in Sicherheit wiegen und tatenlos zusehen, seien »Deserteure an der spanischen Front«. 67 Eine neutrale Haltung gegenüber dem Bürgerkrieg existiert für Grieg nicht, da diese Position eine der Schwäche ist und von den faschistischen Kräften ausgenutzt wird. Auch das Erstarken des Faschismus sieht der Norweger als etwas an, das seine Heimat unmittelbar bedroht: »Der Faschismus wird in der Reserve gehalten, auch in unserem Land« (fascismen holdes i reserve, også i vårt land). 68 Auch fordert er, dass die norwegischen Behörden alle Offiziere, die die demokratisch gewählte Regierung nicht anerkennen, aus ihren Ämtern entfernen, um so einen möglichen Putsch zu verhindern. 69 Der direkte Vergleich mit der Erhebung der Militärs um Franco hatte durchaus seine Berechtigung, da die Partei Nasjonal Samling, so unbedeutend sie in Norwegen auch war, die Legitimation der demokratisch gewählten Regierung konsequent in Frage stellte und auch einige hochrangige Offiziere zu ihren Mitgliedern zählte. Zudem ist es belegt, dass Parteichef Vidkun Quisling Kontakte zu hochrangigen NSDAP-Mitgliedern unterhielt und einem möglichen deutschen Angriff auf Norwegen aufgeschlossen gegenüberstand, um einen Staatsstreich durchzuführen und sich selbst zum Regierungschef zu proklamieren. Als deutsche Truppen im Frühjahr 1940 in Norwegen einmarschierten, zeigte sich, wie hellsichtig Griegs Vermutungen gewesen waren. 70 9. Schluss In seinen journalistischen Veröffentlichungen legt Grieg Wert auf Authentizität, möglichst nah will er dem Leser die Lebensbedingungen der Spanier im republiktreuen Lager bringen, um ihn aufzurütteln und zu aktivieren. Realistische und detaillierte Beschreibungen, die Wiedergabe ganzer Dialoge unter den Brigadisten ein- 65 Rede im Folkets Hus vom 10. September 1937, abgedruckt in: Grieg: Veien Frem, S. 165- 169. 66 Veien Frem vom Oktober 1936, abgedruckt in: Ebd., S. 62. 67 Veien Frem vom Mai - Juni 1937, abgedruckt in: Ebd., S. 107. 68 Veien Frem vom Oktober 1936, abgedruckt in: Ebd., S. 62. 69 Vgl. Veien Frem vom Dezember 1937, abgedruckt in: Ebd., S. 117. 70 Vgl. Longum, Leif: Arnulf Øverland og Nordahl Grieg - nazismen og krigen, in: Bjarte Birkeland et al. (Hg.): Nazismen og norsk litteratur, Oslo 1995, 2. Aufl., S. 142-156, S. 361-362. Von Bergen nach Brunete: Nordahl Grieg und der spanische Bürgerkrieg 127 schließlich eingestreuter spanischer Ausdrücke sorgen für große Unmittelbarkeit. 71 Grieg beschreibt anschaulich, was er auf seinen Reisen erlebt und wen er gesprochen hat. Dabei versteht er sich nicht als neutraler Beobachter, sondern gibt stets seine persönliche Einstellung wieder. Alles, was Grieg nicht aus persönlicher Erfahrung kennt, wie etwa das faschistische Lager, gerät hingegen schematisch oder wird ganz weggelassen. Dieser Darstellung, die in Bezug auf die Faschisten auch unter die Gürtellinie zielt, steht die ebenso durchgängige Idealisierung des antifaschistischen Lagers gegenüber, dessen Vertreter, und unter ihnen insbesondere die Brigadisten, fast ausschließlich als tapfere Helden gezeigt werden. Wenn überhaupt irgendwo, dann ist unter ihnen »das Gute zu finden«. 72 Es ist offensichtlich, dass Grieg sich diesen Spanienkämpfern besonders nahe fühlte: Sie waren Ausländer wie er selbst, viele von ihnen waren überzeugte Kommunisten und - als Kriegsfreiwillige - ebenso entschiedene Idealisten. Griegs Bewunderung für diese Männer ist womöglich auch Ausdruck seiner Sehnsucht, einer von ihnen sein zu wollen. Hinzu kam, dass sich unter diesen Einheiten ein hoher Anteil von Schriftstellern und Intellektuellen befand. »Der damit einhergehende niedrige Professionalisierungsgrad dieser Einheiten sollte allerdings bei allem Idealismus der Freiwilligen zu militärischen Problemen und hohen Verlusten führen.« 73 Dies kommt bei Grieg nicht zur Sprache, ganz im Gegenteil: Ludwig Renn etwa ist für ihn das Paradebeispiel des umsichtigen Befehlshabers im Feld. Schuld an der schlechten Situation im republiktreuen Lager sind ausschließlich äußere Faktoren, allen voran die Nichteinmischungspolitik des Auslands, die zu schlechten Versorgungsbedingungen für die Republiktreuen führt. Grieg reiste zu einem Zeitpunkt nach Spanien, als seine politische Einstellung bereits gefestigt war, seine Wahrnehmung des Bürgerkriegs ist die eines überzeugten und moskautreuen Kommunisten. Was nicht in dieses Weltbild passte, klammerte er aus oder wollte er nicht sehen. Die Vielfalt der politischen Fraktionen - und damit auch Friktionen - innerhalb des republiktreuen Lagers erwähnt Grieg mit keiner Silbe. So ist es bemerkenswert, dass er etwa zum »Bürgerkrieg im Bürgerkrieg« 74 71 In Spansk Sommer etwa gibt Grieg häufig den Arbeitergruß »Salud! « wieder, andernorts auch kurze Befehle und Warnungen im Gefecht, vgl. etwa Grieg: Ung må verden ennu være, S. 181. Dabei unterlaufen ihm mitunter auch Fehler in der Wiedergabe des Spanischen, wie etwa beim Kampfnamen des Generals »El Campesino« in Spansk Sommer, den Grieg durchweg als »El Camposino« (sic) bezeichnet. 72 Grieg: Ung må verden ennu være, S. 185. 73 Collado Seidel: Bürgerkrieg, S. 118. 74 Ebd., S. 130. Der Konflikt lud sich an der Frage auf, ob sich Revolution und Krieg parallel verfolgen ließen. Die Kommunisten sprachen sich dafür aus, zuerst den Krieg zu beenden, um sich dann der Umsetzung einer neuen Gesellschaftsordnung zuzuwenden. Mit dieser Haltung wurden sie von moderaten Sozialisten und bürgerlich-republikanischen Parteien unterstützt. Ihnen gegenüber standen die Anarchisten, von Moskau unabhängige Kommunisten sowie die radikale Linke innerhalb der sozialistischen Partei, für die eine erfolgreiche Revolution die Vorbedingung für einen Sieg im Bürgerkrieg darstellte. Im Mai 1937 steigerte sich Marit Teerling 128 1937 in Barcelona, der das republiktreue Lager nachweislich schwächte, keinerlei Stellung nimmt. Ebenso wenig finden sich Verweise etwa auf die regionalen Nationalismen in Katalonien und im Baskenland oder den in Spanien stark ausgeprägten Anarchosyndikalismus und damit auf genuin spanische Problemlagen, die den Bürgerkrieg in einigen Aspekten zu einem Konflikt machten, der nur aus der Geschichte dieses Landes zu verstehen ist. Seine politische Einstellung änderte Grieg nicht, wohl aber veränderte sich sein Ton im Laufe der Jahre. Seine erste Spanienreise im Sommer 1937 ist eine Zäsur: »Spanien veränderte ihn. Er kam als ernsthaft enttäuschter Mensch aus Spanien zurück« (Spania forandret ham. Han kom hjem fra Spania som et alvorlig skuffet menneske). 75 Danach wurden seine Appelle gegen das Waffenembargo eindringlicher in dem Maße, in dem sich das Kriegsglück zugunsten Francos wendete. Dabei unterstrich er stets, dass eine neutrale bzw. unpolitische Haltung gegenüber den Ereignissen in Europa nicht existierte - Tatenlosigkeit bzw. das Ignorieren politischer Entwicklungen war für Grieg gleichbedeutend mit einer Begünstigung des Faschismus. Auch an der nordeuropäischen Peripherie befand man sich Grieg zufolge mitten auf den politischen Schauplätzen des Kontinents. Spanien war kein fernes Land, sondern eine mögliche Zukunft für Norwegen selbst: Dieser konsequent internationale Blick unterscheidet Grieg maßgeblich von anderen norwegischen Schriftstellern seiner Generation. Eher lässt er sich in eine Tradition der angelsächsischen Literatur rücken, zu der Grieg aufgrund seines Studienaufenthaltes in Oxford ein enges Verhältnis besaß. 76 Nichtsdestotrotz bewahrte er sich einen »skandinavischen Blick« auf die Dinge, indem er vor allem die nordeuropäischen Brigadisten porträtierte und die Position Norwegens zum Bürgerkrieg thematisierte. Besonders in Ung må verden ennu være findet sich auch eine gehörige Portion Sarkasmus und beißender Spott. Grieg schrieb diesen Roman 1938 unter dem Eindruck des Anschlusses von Österreich ans Deutsche Reich im März und des Münchener Abkommens im September - die fortdauernde Ausgleichspolitik der europäischen Großmächte dürfte ihn zutiefst desillusioniert haben. Ein Gefühl der Machtlosigkeit und des persönlichen Versagens spielten ebenso eine Rolle - als »Geistesmensch« 77 war es ihm nicht gelungen, politische Veränderungen mit Worten herbeizuführen. Dies mag der Grund gewesen sein, dass Grieg zwei Jahre später, als Deutschland Norwegen besetzte, zum »Handlungsmenschen« wurde und sich zum Dienst im norwegischen Heer meldete. Im englischen Exil setzte er seine schriftstellerische und journalistische Arbeit fort. Parallel dazu absolvierte er eine Offiziers- dieser Konflikt zur bewaffneten Auseinandersetzung in Barcelona, der Hochburg der Anarchisten. Vgl. Collado Seidel: Bürgerkrieg, S. 125-126. 75 Borgen: Grieg, S. 44. 76 Vgl. Uecker: Klassiker, S. 83 und 85. Grieg studierte in England Philologie und beendete sein Studium mit einer Examensarbeit über den britischen Schriftsteller Rudyard Kipling. 77 Grieg: Langveisfra, S. 112. Von Bergen nach Brunete: Nordahl Grieg und der spanische Bürgerkrieg 129 laufbahn, die ihn schließlich zu seinem Einsatz über Berlin führte, von dem er nicht mehr zurückkehren sollte. Bibliographie Borgen, Johan: Nordahl Grieg, Oslo 1945. Bull, Edvard: Norges Historie, Bd. 13: Klassekamp og Fellesskap, Oslo 1979. Collado Seidel, Carlos: Der Spanische Bürgerkrieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, München 2006. Dahl, Willy: Norges Litteratur, Bd. 3: Tid og tekst 1935-1972, Oslo 1989. García Santa Cecilia, Carlos: Corresponsal en España, in: Centro Virtual Cervantes: Corresponsales en la Guerra de España, 2006-2008, http: / / cvc.cervantes.es/ corresponsales/ sta_cecilia.htm. Grieg, Nordahl.: Langveisfra. Græske breve - Kinesiske dager - Spansk sommer (Gyldendals Uglebøger), Oslo 1964. Grieg, Nordahl.: Ung må verden ennu være, Oslo 1994. Grieg, Nordahl: Veien Frem. Artikler i utvalg ved Odd Hølaas, Oslo 1947. Hoem, Edvard: Til Ungdommen. Nordahl Griegs liv, Oslo 1989. Longum, Leif: Arnulf Øverland og Nordahl Grieg - nazismen og krigen, in: Bjarte Birkeland et al. (Hg.): Nazismen og norsk litteratur, Oslo 2 1995. Martínez de Pisón, Ignacio: Un ejército de poetas, in: Centro Virtual Cervantes: Corresponsales en la Guerra de España, 2006-2008, http: / / cvc.cervantes.es/ corresponsales/ martinezdepison.htm Norsk Folkehøgskolelag (Hg.): Songbok for folkehøgskolen, Oslo 5 1991. Requate, Jörg: Mit Waffen und Worten, in: message 1(1999), Online-Ausgabe unter www.message-online.com. Thornberry, Robert S.: Der Zweite Internationale Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur (1937), in: Günther Schmigalle (Hg.): Der Spanische Bürgerkrieg. Literatur und Geschichte, Frankfurt a. M. 1986, S. 115-128. Uecker, Heiko u. Joachim Trinkwitz (Hg.): Die Klassiker der skandinavischen Literatur. Die großen Autoren vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Essen 2002 (Neuaufl.). Ugelvik Larsen, Stein: When Fascism became Treason. Fascism and Literature in Norway, in: ders./ Beatrice Samdberg (Hg.): Fascism and European Literature, Bern/ Berlin et. al. 1991, S. 358-385. »Kalte Rose, geheime Insel, die Germaniens Gedächtnis war« - Jorge Luis Borges und Island T HOMAS F ECHNER -S MARSLY I. Was faszinierte Jorge Luis Borges an der isländischen Literatur? Was suchte er im Norden, dass er in seinen Werken immer wieder darauf Bezug nahm? Diente dem Enzyklopädiker der modernen Weltliteratur auch die altnordische Literatur nur als weiteres Teil in jenem System verstellbarer Spiegel, mit dem er sein ganz persönliches Erzähl- und Dichtungs-Labyrinth umstellte, um es im Augenblick des Erzählens zugleich zum Verschwinden zu bringen und als bloße Illusion erkennbar werden zu lassen? Möglicherweise hat ihn deshalb auch jener erste Teil von Snorri Sturlusons Prosa-Edda so eingenommen, der Gylfaginning heißt: Gylfis Täuschung. Und zwar so sehr, dass er ihn zusammen mit seiner Frau zwei Jahre vor seinem Tod ins Spanische übersetzte. In einer Mischung aus Erzählung und Dialog handelt die Gylfaginning davon, wie ein vorzeitlicher schwedischer König namens Gylfi in Verkleidung zu den Göttern, den Asen, reist, um etwas über deren Macht zu erfahren. Die Götter durchschauen die Maskierung und täuschen ihrerseits Gylfi durch allerlei Blendwerk. In der Gylfaginning sind das Streben nach universeller Erkenntnis und der Effekt täuschender Illusion zwei Seiten derselben Medaille. Das Paradox vom getäuschten Täuscher muss Borges gefallen haben - und ein wenig davon klingt noch in seinem Gedicht Ein Leser (Un lector) an: Ich werde die alten Sprachen des Nordens nicht zu Ende entziffern, ich werde die begierigen Hände nicht in Sigurds Gold tauchen; die Aufgabe, die ich auf mich nehme, ist unbegrenzt und wird mich bis zum Ende begleiten, sie ist nicht weniger geheimnisvoll als das Weltall und als ich, der Lehrling. 1 Snorri Sturlusons Figur des getäuschten Täuschers, der sich maskiert, um das Wissen von den Göttern zu erlangen, wird bei Borges konterkariert durch die Figur des (naiven) Lesers, der mit einer Demutsgeste, indem er sich nämlich als bloßen Lehrling ausgibt (eine weitere Täuschung? ), die Aufgabe des Verständnisses der nordischen Literatur der Enträtselung des Universums gleichsetzt und damit natürlich zugleich zum unlösbaren Geheimnis macht. Meine Frage lautet: Was wird hier der 1 Ein Leser, in: Gedichte 1969-1976, S. 57-58. [= Gesammelte Werke, Band 2] Thomas Fechner-Smarsly 132 Literatur (der nordischen insbesondere) aufgebürdet und zu welchem Ende? Beginnen wir, auf dem Weg zu einer möglichen Antwort, mit dem Ende des Dichters. II. Im November 1985 verlässt Jorge Luis Borges Argentinien gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin María Kodama. Er wird das Land und auch seine Heimatstadt Buenos Aires nie wiedersehen. Und er war sich wohl darüber im Klaren, denn bei dem mittlerweile 85-jährigen Borges war Leberkrebs diagnostiziert worden. Dies wussten nur sein Arzt, María Kodama und Borges selber. Nach einem kurzen Italienaufenthalt suchte er im Januar 1986 ein Krankenhaus in Genf auf. In dieser Stadt zu sterben, hatte er sich ganz offensichtlich entschieden. Borges lebte dort noch ein knappes halbes Jahr, teilweise in einem Appartement, das María Kodoma für sie beide gefunden hatte. Knapp zwei Monate vor seinem Tod am 14. Juni 1986 hatte Borges die damals 40-jährige María Kodoma geheiratet. Es war seine zweite Ehe. Schon bei der ersten Eheschließung mit Elsa Astete Millán 1967 war Borges nicht gerade ein junger Mann gewesen. Welche Rolle María Kodama für die letzten Lebensjahre von Borges spielte, insbesondere aber für dessen Nachleben, ist nicht Gegenstand dieser Überlegungen. Gut möglich ist freilich, dass sie einen gewissen Einfluss auf die Gestaltung des Grabsteins auf dem Genfer Friedhof Plainpalais hatte. 2 Bei einem Schriftsteller wie Borges und seiner weltliterarischen Orientierung hätte man eine Inschrift von Dante oder Milton erwartet - und wenn schon ›Heldenhaftes‹, dann aus der eigenen argentinischen Tradition, etwa aus der Gaucho-Literatur wie dem Epos Martín Fierro von José Hernández. In Stein gemeißelt wurden stattdessen ausschließlich Passagen aus der altenglischen und altnordischen Literatur, gerahmt von Bildmotiven aus dem frühmittelalterlichen England sowie dem wikingerzeitlichen Schweden. Die Vorderseite des Grabsteins zeigt, neben Namen, Geburts- und Sterbejahr des Autors, ein archaisch anmutendes Bild einer Gruppe beil- und schwertschwingender Männer, dazu eine altenglische Inschrift, deren Text etwa bedeutet: ›and be not afraid‹ oder ›and should not be afraid‹. 3 Es handelt sich um eine Aufforderung aus dem altenglischen Heldengedicht The Battle of Maldoon, die der Anführer vor dem Beginn der Schlacht an seine Männer richtet. Das Medaillon lässt sich zurückführen auf ein englisches Vorbild, von dem man vermutet, dass es sich um einen Gedenkstein für die Wikingereinfälle in Großbritannien seit Lindisfarne 793 handeln könnte. Das ins 10. Jahrhundert oder frühe 11. Jahrhundert datierte steinerne Fragment befindet sich heute im englischen York (ursprünglich eine Wikingergründung, die in der altnordischen Literatur als Jorvik auftaucht). Formuliert die Vorderseite des Grabsteins eine trotzige, vielleicht etwas heroisch-atavistische, nichtsdestoweniger allgemeine Haltung gegenüber dem Tod, so 2 Vgl. Abbildungen auf S. 83 in diesem Band. 3 [… and ne forhtedon na]. »Kalte Rose, geheime Insel, die Germaniens Gedächtnis war« - Jorge Luis Borges und Island 133 präsentiert dessen Rückseite ein anderes Bild. Im Zentrum sieht man ein Schiff unter Segel, das sich unschwer in Verbindung bringen lässt mit zahlreichen ähnlichen Abbildungen von Wikingerschiffen mit dem typischen Waffeleisenmuster des Segels, wie wir es häufig auf den zahlreichen erhaltenen Bildsteinen auf der Ostseeinsel Gotland finden. Die Inschrift dazu lautet: »Hann tekr sverthit Gram ok leggr i methal theira bert« = »Er nimmt das Schwert Gram und legt es offen zwischen sie«. Es handelt sich um ein Zitat aus der wahrscheinlich nach 1250 entstandenen Völsunga saga. Sie gehört zur Gattung der sogenannten ›Fornaldarsögur‹ (Vorzeitsagas) und greift den Nibelungenstoff auf. Angespielt wird auf die Szene, in der Sigurd (Siegfried), in der Maske Gunnars (Gunthers) das Bett mit Sigdrifa (Brynhild) teilt, aber sein Schwert zwischen sie beide legt - zur Abwehr gegen jegliche Verlockung. Darunter findet sich auf dem Stein noch eine etwas rätselhafte Zueignung: Von Ulrica für Javier Otárola. Diese ebenfalls literarische Anspielung bezieht sich auf die Erzählung Ulrica aus dem späten Prosaband Das Sandbuch von 1973, wohl der einzigen Liebesgeschichte, die Borges je geschrieben hat. Sie handelt von der Zufallsbekanntschaft zwischen der jungen Norwegerin und Feministin, wie es im Text ausdrücklich heißt, Ulrica, und dem Kolumbianer Javier Otárola im Museum der englischen Stadt York. Anschließend streifen die beiden nicht nur durch die Kneipen der Stadt (sie heißen alle Northern Inn), sondern sie schlüpfen - vor ihrer Liebesnacht - für einen Moment in die Rollen von Sigurd und Brynhild, wobei auch das Zitat mit dem Schwert fällt. Wie soll man den Grabstein, wie sein Bild- und Textprogramm deuten? Möglicherweise spricht aus der Vorderseite Borges’ tiefe Verbundenheit mit der englischen Seite seiner Familie (und deren literarischer Erbschaft), die Rückseite hingegen könnte sich auf María Kodama beziehen (oder auf sie zurückgehen? ): auf die endgültige Trennung des Paares, verbunden mit einer doppelten literarischen Hommage. Auffällig bleibt in jedem Fall der starke nordeuropäische, um nicht zu sagen altnordische Bezug. Ich will diesen Grabstein in Genf und seine Inschriften zum Ausgangspunkt für eine kleine Erkundung, eine Spurensuche durch die altnordische Abteilung der inneren Bibliothek von Borges nehmen. Sie beginnt mit einem kleinen Umweg, nämlich bei der Frage: warum überhaupt Genf als Grabstätte und nicht etwa Buenos Aires? III. Genf als Sterbeort bedeutete sicher keine zufällige Wahl. Hier hatte Borges einige entscheidende Jugendjahre zwischen seinem 15. und 20. Lebensjahr verbracht. Die Jahre der späten Pubertät, Jahre aber auch voller geistiger Einflüsse und neuer Erkundungen. »Noch heute kenne ich Genf viel besser als Buenos Aires«, gestand Borges in seinem 1970 entstandenen Autobiographischen Essay. 4 Gründe dafür lassen 4 Vgl. Autobiographischer Essay, S. 19, in: Borges über Borges. [= Gesammelte Werke, Band 9]. Künftig zitiert als AE. Thomas Fechner-Smarsly 134 sich leicht finden: »Ich erwähnte bereits, dass ich einen großen Teil meiner Knabenzeit im Haus verbrachte. Da ich keine Kinderfreunde hatte, erfanden meine Schwester und ich zwei imaginäre Gefährten […].« (AE, S. 12) Zu ihnen stieß noch eine von Borges vergötterte Gouvernante, die am Nachmittag ins Haus kam, um das Englisch der Kinder zu verbessern. (Ich erwähne das auch aus dem Grund, weil der zweisprachig erzogene Borges über das Altenglische zum Altnordischen gelangte.) Und noch etwas räumte er freimütig ein: »Fragte man mich heute nach dem Hauptereignis in meinem Leben, so würde ich die Bibliothek meines Vaters nennen. Tatsächlich glaube ich manchmal, nie aus dieser Bibliothek hinausgefunden zu haben.« (AE, S. 13) Kein Wunder, dass die Bibliothek auch sein professionelles Leben bestimmte: Borges wurde im späteren Leben Leiter der Nationalbibliothek von Argentinien wie auch die labyrinthische Bibliothek eine zentrale Figur in seinem Werk darstellt. Die Bibliothek (des Vaters) verlassen musste Borges dann aber doch, und mit ihr das Haus im Vorort Palermo und das Land. Im Kriegsjahr 1914 gingen die Eltern mit den Kindern nach Europa, in die Schweiz, um Abhilfe zu suchen für das Augenleiden des Vaters, wie später bei Borges selbst führte es schließlich zur Erblindung. Er besuchte das von Johannes Calvin gegründete Gymnasium in der weltoffenen Stadt - die Hälfte der Mitschüler in seiner Klasse waren Ausländer. Hauptfach war Latein, der Unterricht fand auf Französisch statt, die Sprache, die Borges zunächst einige Schwierigkeiten bereitete: »Anfangs hatte ich nicht einmal verstanden, wenn ein Lehrer mich aufrief, denn mein Name wurde französisch ausgesprochen, in einer Silbe im Gegensatz zu zwei Silben in unserer Aussprache, wo das ›g‹ wie ein deutsches ›ch‹ klingt.« (AE, S. 18) Aber Borges lernte nicht nur Französisch, sondern noch eine weitere Sprache: Auf eigene Faust studierte ich außerhalb der Schule Deutsch. Dieses Unterfangen war eine Folge von Carlyles Sartor Resartus, der mich verwirrte und zugleich begeisterte. Der Held, Diogenes Devilsdung, ist deutscher Professor des Idealismus. Ich suchte in der deutschen Literatur nach etwas Germanischem, verwandt mit Tacitus, aber das sollte ich erst später im Alt-Englischen und Alt-Norwegischen finden. Die deutsche Literatur stellte sich als romantisch und kränklich heraus. (AE, S. 19) Hinter dem Germanischen dürfen wir vermuten, was neben Borges schon andere bei Tacitus gefunden hatten oder zumindest gefunden zu haben meinten - etwas Ursprüngliches, etwas Unverfälschtes, etwas zwar Rohes, aber von der Zivilisation noch nicht Angekränkeltes. Natürlich ist diese Suche nach dem Unromantischen stets und zutiefst romantisch gewesen, das war auch Borges klar. Sie muss es erst recht sein, wenn es sich um eine Suche handelt, die nicht in der Wirklichkeit, auf dem Feld der Taten, sondern ausschließlich im Dämmerlicht der Bibliothek vor sich geht. Bücher über Gesetzlose und Desperados hatten schon früh die Phantasie des Kindes beflügelt. Andererseits konnte Borges auf eine Reihe militärischer Vorfahren zurückblicken, und er schien sie durchaus bewundert zu haben, allen voran seinen Großvater. »Kalte Rose, geheime Insel, die Germaniens Gedächtnis war« - Jorge Luis Borges und Island 135 1874, während eines unserer Bürgerkriege, fand mein Großvater, Oberst Borges, den Tod. Er war damals einundvierzig Jahre alt. Unter komplizierten Begleitumständen, die mit seiner Niederlage in der Schlacht von La Verde zusammenhingen, ritt er langsam aus, bekleidet mit einem weißen Poncho, gefolgt von zehn oder elf seiner Männer, in Richtung auf die feindlichen Linien, dort streckten ihn zwei Remington-Geschosse nieder. Zum ersten Mal wurden in Argentinien Remington-Gewehre benutzt, und es reizt meine Einbildungskraft wenn ich bedenke, daß die Firma, die mich allmorgendlich rasiert, den gleichen Namen trägt wie die, die meinen Großvater tötete. (AE, S. 9) An dieser Stelle freilich die Klinge des Rasiermessers (aber wahrscheinlich ist es ja ohnehin ein elektrischer Rasierapparat der Marke Remington) mit dem gezückten Schwert des heran reitenden Oberst bildlich zu kreuzen, wäre vielleicht selbst für Borges ein wenig zu subtil. Nichtsdestoweniger spürt man hier die Sympathie des Autors für die heldenhafte Haltung, den Schritt zur (letztlich sinnlosen) Tat, und wenn sie auch den Tod nach sich zieht. Und wir erkennen den Typus des Don Quijoteschen Helden, der weniger einem tapferen Gegner als vielmehr einer unerwarteten Perfidie zum Opfer fällt: dem technischen Fortschritt. 5 Sicher, nordische Recken und südamerikanische Obristen sind äußerst zweifelhafte Vorbilder, insbesondere wenn deren Treue- und Heldenideal in politische Forderungen gemünzt wird. Hier hat man Borges, wohl nicht zu Unrecht, in die Nähe autoritärer Auffassungen gerückt. Er selber schreibt an einer Stelle: Es gibt einen eigenen Geschmack, den unsere Zeit (vielleicht überdrüssig der plumpen Nachahmungen, wie die Berufspatrioten sie herstellen) nicht ohne einen gewissen Argwohn zu begutachten pflegt: den elementaren Geschmack des Heldischen. 6 Diese, milde gesagt, nostalgische Verlusterklärung stammt aus einem Essay mit dem etwas kryptischen Titel Die Schamhaftigkeit der Geschichte, der von einem Treffen zwischen dem norwegischen König Harald Sigurdsson und dem englischen König Harold Goodwinson berichtet. Es ist der Abend vor der entscheidenden Schlacht bei Stamford Bridge im Jahr 1066, deren Ausgang das Ende der norwegischen Vorherrschaft in England bedeutete. Entnommen hat Borges die Erzählung Snorri Sturlusons (1179-1241) Geschichte der norwegischen Könige, der Heimskringla. Dies ist nur eine von zahlreichen Fundstellen, in denen sich Borges auf die altnordische Literatur bezieht. 5 Ein solche Begegnung im Zeichen des Anachronismus zwischen einem berittenen Offizier mit gezücktem Säbel und einer gegnerischen Maschinengewehrgarbe ist übrigens auch eine wiederkehrende Figur im Werk des französischen Nobelpreisträgers Claude Simon und seiner Auseinandersetzung mit der Geschichte, etwa im Roman La Route des Flandres (1959) sowie in verschiedenen weiteren Werken. Die quasi in Zeitlupe ablaufende Handlung dehnt nicht nur den Moment, sondern macht ihn damit zum Signum einer Veränderung. 6 Die Schamhaftigkeit der Geschichte, in Essays 1952-1979, S. 176 [= Gesammelte Werke, Band 5/ II]. Thomas Fechner-Smarsly 136 IV. Es lassen sich im Gesamtwerk von Jorge Luis Borges wohl mehr als 30 Texte identifizieren, die - offen oder verborgen - Themen und Motive aus der altnordischen (und das heißt zuallererst: mittelalterlichen isländischen) Literatur verwenden. Dabei zähle ich jene nicht mit, die altenglische Überlieferungen aufgreifen, ebenso wenig jene Texte, die sich mit neueren skandinavischen Stoffen und Gestalten beschäftigen, etwa mit Olaus Magnus (1490-1557), einem schwedischen Historiker, Kartographen und Kirchenmann des 16. Jahrhunderts, oder mit seinem Landsmann, dem Gelehrten und Mystiker Emanuel Swedenborg (1688-1772). Borges Texte mit altnordischen Elementen entstammen allen Gattungen: Gedichte und Erzählungen finden sich ebenso darunter wie Essays, unter letzteren erlangte der frühe Versuch über die sogenannten Kenningar einige Bekanntheit gerade auch unter Literaturwissenschaftlern, die sich mit dem Altnordischen befassen. Bevor ich darauf zu sprechen komme, hier zunächst zwei Gedichte, die ein wiederkehrendes Thema ausstellen, das Thema des Lesens selbst. Denn wie kaum ein anderer Autor war Borges zuallererst ein Leser. Selbstverständlich haben auch andere Schriftsteller hin und wieder ein Buch zur Hand genommen, aber niemand hat wohl die Rolle des Lesers so systematisch in sein Werk inkorporiert und so raffiniert inszeniert wie Borges. In seinem Gedicht Un lector (Ein Leser) heißt es unter Anspielung auf die Erblindung des Autors: Als in meinen Augen die eitlen geliebten Erscheinungen verschwammen, die Gesichter und die Seiten der Bücher, ergab ich mich dem Studium der Sprache aus Eisen, die meine Vorfahren benutzten/ um Einsamkeiten zu besingen und Degen, und nun, durch sieben Jahrhunderte hindurch, dringt aus der Ultima Thule her deine Stimme zu mir, Snorri Sturluson. 7 Die Frage, wer dieser Leser im Titel des Gedichts sei, erscheint zunächst als eine rhetorische: natürlich niemand anderes als Borges selber. Und als Leser wie als Schriftsteller schien er keine großen Unterschiede zu machen zwischen der altenglischen und der altnordischen (isländischen) Literatur. Er zählte sie und ihre Autoren, seien sie nun bekannt oder namenlos geblieben, zu seinen Vorläufern, zur eigenen zweiten Kultur. Borges schränkt aber auch ein, dass er selber kein Philologe sei und die alten Sprachen des Nordens nicht enträtseln würde. Das Latein des Nordens nennt Borges das Altisländische, wie etwa das Gedicht An Island weiß, und entsprechend mühsam gestaltete sich manche Lektüre: Island, lange hab ich von dir geträumt/ Seit jenem Morgen, als mein Vater Dem Knaben, der ich gewesen bin und der nicht tot ist, 7 Ein Leser, S. 57 (vgl. Fußnote 1). »Kalte Rose, geheime Insel, die Germaniens Gedächtnis war« - Jorge Luis Borges und Island 137 Eine Fassung der Völsungasaga gab, Die mit Hilfe eines langsamen Wörterbuchs Jetzt mein Halbschatten entziffert. 8 Gelesen hatte Borges die Völsunga saga also schon als Junge, in der englischen Übersetzung von William Morris und Eiríkr Magnússon. Durch sie dürfte er wohl auch zum ersten Mal mit dem Grundprinzip der Kenningar, jener typischen Metapherform der altnordischen Dichtung, konfrontiert worden sein. Ob er deren Grundprinzip damals bereits verstanden hatte, ist mehr als fraglich. Was an Borges späteren Gedichten ins Auge fällt, ist freilich der Umstand, dass er jene seltsamen Metaphern selber so gut wie gar nicht ausprobierte. Vielmehr steht er ihnen eher kritisch gegenüber, wenn er schreibt: »Eine der unverfrorensten Verirrungen, die die Geschichte der Literatur verzeichnet, sind die rätselhaften Bezeichnungen oder kenningar der isländischen Dichtung.« 9 Nicht gerade eine Lobeshymne! Für Borges handelte es sich bei den Kenningar um den »erste[n] Ausdruck einer bewussten Freude am Wort in einer ursprünglichen Literatur«, wobei »diese Metaphern halfen, die Schwierigkeiten einer Metrik zu bezwingen, die, was Alliteration und Binnenreim betraf, sehr anspruchsvoll war.« 10 Borges Essay erschien zuerst 1933 in der Zeitschrift Sur und untersucht den Sprachgebrauch der Skalden. In einem späteren Essay über die Metapher, den er bei der Neuausgabe an den Text über die Kenningar anfügt, moniert Borges, »dass keine Emotion rechtfertigend hinter ihnen steht, weshalb wir sie gesucht und überflüssig nennen.« 11 Und er fügt hinzu: »Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es uns mit den Figuren des Symbolismus oder Marinismus ebenso ergeht.« 12 Verbirgt sich also in der Auseinandersetzung mit den Kenningar eine Art Dichtungskritik der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit, vorgeführt am historischen Gegenstand und geübt am vornehmsten Teil der Poesie, dem Bild/ der Metapher und ihrer Form/ Gestaltung? Borges’ Wissen über die Kenningar (wie auch der nordischen Mythologie) verdankt sich zum großen Teil Snorri Sturluson und seiner Prosa-Edda. Freilich verfasste Snorri sein Handbuch der Poetik in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in einer Zeit, als die Skalden als Dichtertypus schon ein wenig aus der Mode gekommen waren und nicht wenigen ihrer Hervorbringungen der Hautgout des Artifiziellen anhaftete. Selbst bei Hofe wurden sie manchmal nicht mehr verstanden. Schon hundert Jahre früher hatte sich der Skalde Einar Skúlason beschwert, natürlich in einer Strophe, dass der dänische König Geigen und Dudelsäcke seinen verbalen Kompositionen vorziehe. Man sieht: Nicht nur der elementare Geschmack für das Heroische kann abhanden kommen, sondern auch das Gehör für dessen Gesänge. In 8 An Island, S. 99 (vgl. Fußnote 1). 9 Die Kenningar, in Essays 1932-1936, S. 199 [= Gesammelte Werke, Band 5/ I]. 10 Ebd., S. 199 und 200. 11 Die Metapher, in Essays 1932-1936, S. 218-219. 12 Ebd., S. 219. Thomas Fechner-Smarsly 138 der Blütezeit der skaldischen Poesie dürften die Herrscher indes ein gutes Gedicht nicht nur zu schätzen, sondern manche von ihnen auch ästhetisch zu beurteilen gewusst haben. Das legt jedenfalls eine andere Passage in Snorri Sturlusons Heimskringla nahe. An jenem schon erwähnten Abend vor der für die Norweger fatalen und für Harald Sigurdsson letalen Schlacht von Stamford Bridge (1066) dichtet der König zunächst eine Strophe über seine Absicht, ohne sein Kettenhemd in die Schlacht ziehen zu wollen. Dann aber findet der König die Strophe schlecht gedichtet und macht eine neue, bessere. Abgesehen von einer darin enthaltenen Doppeldeutigkeit (Brünne und Frau) geht hier also Literatur (und Literaturkritik) der heroischen, nichtsdestoweniger schicksalhaften Tat voraus. Mag für Borges auch hier der Geschmack des Heroischen auf der Zunge gelegen haben, für Snorri waren die Skalden-Strophen mehr als nur Reminiszenz und Zierrat zur Ausschmückung seiner Königsgeschichten. In seinem Vorwort zur Heimskringla wies er ausdrücklich auf ihren Wert als historische Quellen hin. Allerdings bedurfte es einer gewissen Kenntnis der Mythologie und anderer Überlieferungen, um die überkommenen Dichtermetaphern der Skalden zu verstehen. Auch zu diesem Zweck hatte Snorri sein Skaldenlehrbuch geschrieben. Was aber las Borges darin? Eine Zwischenfrage kristallisiert sich allmählich heraus: War er ein eher naiver Leser der altnordischen Literatur und ihrer vordergründigen Heroik? In seinem Essay über die altnordischen Kenningar listet Borges über mehrere Seiten hinweg Beispiele auf, wobei er ausdrücklich anfügt, dass er die mythologischen Formen ebenso weglasse wie diejenigen zweiter Stufe, also solche, die aus einem Grundwort und wiederum einer Kenning bestehen (z. B. Möwe des Wundenmeeres). 13 In Borges’ Liste finden sich mannhafte Klassiker wie die Schwertversammlung für die Schlacht, der Wogenhengst für das Schiff, der Wundenwolf für das Schwert oder der Helmbaum für den Krieger, aber auch etwas drolligere wie das Riff der Worte für die Zähne oder der Kinnbackenwald für den Bart. In seinem Urteil bleibt Borges freilich kritisch, er hält die Kenningar für Sophismen: Überblickt man das Verzeichnis der »kenningar« im ganzen, so kann man sich des unbehaglichen Gefühls nicht erwehren, daß von ganz wenigen Fällen abgesehen nicht das Geheimnisvolle maßgebend war, sondern unangebrachte Redseligkeit. 14 Das Urteil zieht natürlich die Frage nach sich: Wieso dann die Mühe, wenn er Form und Ausdruck doch nicht mochte? Gereizt haben dürfte Borges das Element des Rätsels und der Entschlüsselung, das in den Kenningar als Form enthalten ist. Ein anderer Grund könnte sein, dass der begrenzte Vorrat an Dingen und Objekten, aus dem die Kenningar schöpfen, in der bildkräftigen Kombination mehr evoziert als nur den Gegenstand, auf den angespielt werden soll. Insbesondere in diesem Punkt darf man Borges eingehende Beschäftigung mit den altnordischen Kenningar im Zusammenhang mit anderen poetologischen Debatten sehen, etwa im Kontext des sogenannten Ultraísmo (Ultraismus), einer Reaktion in der spanischen Literatur 13 Die Kenningar, S. 205-210. 14 Die Kenningar, S. 214. »Kalte Rose, geheime Insel, die Germaniens Gedächtnis war« - Jorge Luis Borges und Island 139 nach 1918 auf und gegen bestimmte Spielformen des Modernismus. An dieser Bewegung hatte der junge Borges einigen Anteil. In einem von ihm mit unterzeichnetem Manifest aus dem Dezember 1921 heißt es über die Ziele der Ultraisten: Wir haben die Poesie in ihrem ursprünglichen Element erfaßt: in die [sic! ] Metapher, der wir eine maximale Unabhängigkeit gewähren, weit jenseits solcher Spielchen, bei denen ähnliche Formen miteinander verglichen werden, etwa ein Kreis mit dem Mond. Jeder Vers in unseren Gedichten besitzt sein eigenes Leben und stellt ein unveröffentlichtes Bild dar. Der Ultraismus neigt somit zur Schaffung einer emotionalen und wandelbaren Mythologie. 15 Eine Dichtung, welche die Neu-Erfindung von poetischen Bildern und Metaphern zum System erhob, musste also das Interesse von Borges wecken. Freilich hatte sich Borges zu dieser Zeit, Anfang der Dreißigerjahre, längst vom Ultraismus entfernt, ja von dessen gesuchten Metaphern distanziert. In einer Nachschrift zum Kenningar- Essay heißt es nichtsdestoweniger: »Der verstorbene Ultraist, der als Gespenst immer noch in mir fortlebt, hat seine Lust an diesen Spielen.« 16 Das könnte die Kenningar der Skalden als Wiedergänger durchaus einschließen. In einigen seiner Erzählungen hat Borges zwar Kenningar zitiert, etwa in Der Zahir, Undr oder Spiegel und Maske, allerdings hat er kaum versucht, selbst Kenningar zu erfinden - vielleicht mit der auf den ersten Blick unspektakulären, aber nicht uninteressanten Ausnahme, die ich schon einmal zitiert habe: »Ich werde die alten Sprachen des Nordens nicht zu Ende entziffern,/ ich werde die begierigen Hände nicht in Sigurds Gold tauchen.« 17 Die Genitiv-Verbindung ›das Gold Sigurds‹ stellt gewissermaßen eine Kombination von formaler Kenning und klassischer Metapher dar, die sich ihrerseits, ganz im Sinne Snorris, auf Dichtungstraditionen beruft (Völsunga saga). Hier stünde dieses Gold Sigurds dann für den Schatz der altisländischen Literatur (in seiner ursprünglichen sprachlichen Überlieferung). Mit anderen Worten: Borges verquickt das poetische Bild mit der altnordischen Gestaltung und hebt es auf die Meta-Ebene des Selbst-Kommentars. Dabei scheint darin, zumindest vordergründig, ein Bedauern über die Unmöglichkeit, heute noch Heldenepen verfassen zu können, anzuklingen. Allerdings widerspricht dem naiven Leser und seiner Suche nach einer Lektüre mit dem elementaren Geschmack des Heroischen jener andere (selbe) Leser, der das Artifizielle der heroischen Dichtung für das altnordische Mittelalter konzedieren musste. Auch wenn er letztere, was deren Metaphern, die Kenningar, angeht, für eine Verirrung hielt, so löst er doch den Widerspruch nicht zwischen dem Elementaren (des Heroischen) und dem Artifiziellen (der Dichtung darüber). Vielmehr entdeckt Borges ein ganz ähnliches Moment in der eigenen (heroischen? ) Vergangenheit als rebellischer Modernist: eine Tendenz zur gesuchten, zur gezierten, zur gekünstelten Metapher. 15 Siehe Wolfgang Asholt/ Walter Fähnders (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938), Stuttgart: Metzler 1995, S. 264. 16 Die Kenningar, S. 218. 17 Ein Leser, S. 57 (vgl. Fußnote 1). Thomas Fechner-Smarsly 140 V. Auch in Borges’ Prosa finden sich eine ganze Reihe von Anspielungen auf die altnordische Literatur, explizite wie implizite. Ein schönes Beispiel findet sich in der Erzählung Spiegel und Maske. Sie setzt an nach der Schlacht von Clontarf, in der die Iren 1014 mit ihrem Sieg die Wikingerherrschaft beendeten. In diese Geschichte mischen sich Elemente, wie man sie in Snorris Königs-Sagas findet, indem ein König und ein Skalde aufeinander treffen, um dann aber in borgesker Manier über wahre Dichtung zu debattieren (Blindheit und Vision spielen ebenfalls eine Rolle). Als der Dichter sein Werk, ein panegyrisches Gedicht, mündlich vorträgt, schafft er das mühelos. Und der König spricht sein Urteil, wie manche Könige bei Snorri - dabei von Borges versehen mit deutlichen Hinweisen auf die Gestaltungsweisen der Skaldendichtung: In dem ganzen Lobgesang gibt es kein Bild, das die Klassiker nicht benutzt hätten. Der Krieg ist das schöne Männergewerbe, und das Schwertwasser ist das Blut. […] Mit Geschick hast du den Reim gehandhabt, die Alliteration, die Assonanz, die Silbenlängen, die Kunstfertigkeiten der gelehrten Rhetorik, die weise Abwechslung der Versmaße. 18 Mit anderen Worten: ein perfektes Gedicht - doch eines, das lediglich die Überlieferung variiert und perpetuiert. Der König gibt ein neues Werk in Auftrag. Der Dichter kehrt nach einiger Zeit mit einer weniger umfangreichen Handschrift zurück, deren Text er unsicher abliest, dabei zu stammeln beginnt. In den Augen des Königs übertrifft dieses Werk das erste nicht nur, es macht es zugleich zunichte. Ein dritter Auftrag endet mit einem Gedicht, das nur aus einer einzigen Zeile besteht und dem König vom Dichter ins Ohr geflüstert wird. Wie an nordischen Königshöfen seinerzeit üblich entlohnt der König den Dichter für sein Werk. Und folgendermaßen endet die Erzählung: »Ich habe dir einen Spiegel und eine goldene Maske gegeben; hier habe ich das dritte Geschenk, das das letzte sein wird.« Er [der König] drückte ihm [dem Dichter] ein Kurzschwert in die Rechte. Von dem Dichter wissen wir, dass er sich beim Verlassen des Palastes das Leben nahm; vom König, dass er ein Bettler ist, der durch Irland zieht, welches vordem sein Reich war, und dass er das Gedicht niemals wiederholt. 19 Rätselhafter Schluss einer rätselhaften Erzählung? Die Perfektionierung des Gedichts führt in drei Stufen - und mit Achtergewicht, sozusagen - nicht nur zu dessen stetiger Verkürzung, sondern auch von der erkalteten Wortkunst über das (innovative? ) Stammeln zum bloßen Flüstern als existentieller Konsequenz, gewissermaßen zur Selbstaufgabe der Kunst und darüber hinaus: zum Selbstmord des Dichters gesellt sich der Verlust oder die Aufgabe der Macht. 18 Spiegel und Maske, in: Erzählungen 3, S. 61 [= Gesammelte Werke, Band 4]. 19 Spiegel und Maske, S. 63. »Kalte Rose, geheime Insel, die Germaniens Gedächtnis war« - Jorge Luis Borges und Island 141 Worum geht es? Um die Beziehung zwischen König und Skalde, also zwischen Kunst und Macht? Die Problematik dieses Verhältnisses hatte der Isländer Snorri Sturluson buchstäblich am eigenen Leib erfahren, als er, wohl auf Geheiß des norwegischen Königs Håkon Håkonsson (1204-63) im Jahr 1241 auf seinem eigenen Hof ermordet wurde. Borges hat Snorri ein eigenes Gedicht gewidmet, mehr noch, er hat ihm, vor allem mit der Nennung des Geburts- und des Sterbejahres im Titel, einen poetischen Grabstein gesetzt: Snorri Sturluson (1179-1241) Du hast eine Mythologie aus Eis und Feuer für die Nachwelt hinterlassen, hast den gewalttätigen Ruhm verfaßt deiner unbändigen Piratensippe; staunend hast du gefühlt, an einem Abend von Schwertern, daß dein tristes Menschenfleisch erbebte. Dieser Abend ohne Morgen ließ dich begreifen, daß du feige warst. In Islands Nacht bewegt der salzige Sturmwind das Meer. Dein Haus ist schon umstellt. Die unvergeßliche Ehrlosigkeit hast du getrunken bis zur Neige. Auf dein bleiches Haupt stößt nun das Schwert hinab, wie es so oft in deinem Buch geschah. 20 Das Gedicht spielt an auf jenen historischen Moment der Ermordung Snorris, die entweder mit Billigung oder sogar im Auftrag des norwegischen Königs geschah. Zwar spricht Sympathie aus diesen Zeilen, aber sie ist keineswegs nur schmeichelhaft - im Gegenteil. Da wird Snorri zum Schilderer einer Piratensippe, es ist die Rede von seinem tristen Menschenfleisch, von Feigheit und Ehrlosigkeit. Wenig spürt man von dem Heldenideal, das sich für Borges mit dem alten Norden und seiner Literatur verband. Schon in seinem Aufsatz über die Kenningar hatte Borges eine eigenwillige Charakterisierung Snorris gegeben. Er sei, heißt es da, einer der als Geschichtsschreiber, als Archäologe, als Erbauer einer Thermenanlage, als Sippenforscher, als Vorsitzender einer Versammlung, als Dichter, als zwiefacher Verräter, als Enthaupteter und als Gespenst weithin bekannt ist. 21 Eine eher absteigende Karrierekurve - ob sie zumindest auch ironisch gemeint sein könnte, wäre noch die Frage. Der Bezeichnung als »zwiefacher Verräter« hat Borges übrigens eine eigene interessante Anmerkung gewidmet: »Verräter« ist ein hartes Wort. Sturluson war - vielleicht - nichts anderes als ein Fanatiker auf Abruf, ein Mann, der auf ärgerniserregende Art von aufeinanderfolgenden und widerspruchsvollen Treueverpflichtungen hin- und hergerissen wurde. Auf geisti- 20 Snorri Sturluson (1179-1241), in: Gedichte 1923-1965, S. 105 [= Gesammelte Werke, Band 1]. 21 Die Kenningar, S. 204. Thomas Fechner-Smarsly 142 gem Gebiet sind mir zwei Beispiele bekannt: Francisco Luis Bernárdez und ich selber. 22 Die widerspruchsvollen Treueverpflichtungen spielen an auf Snorris diplomatisches Doppelspiel zwischen norwegischem König und isländischen Landsleuten. Worin sein eigener Verrat bestand, lässt Borges hingegen offen. Aber vielleicht verkörperte ja der Isländer Snorri sein wahres heroisches Ideal, insofern als Snorri erfuhr und Borges wusste, dass der Konflikt zwischen dem Mann der Tat und dem des Wortes nicht zu lösen sei. Anders ausgedrückt: Borges empfand die Position des Dichters und damit nicht zuletzt seine eigene wohl doch viel ambivalenter, als es vordergründige Anrufungen des heroischen Ideals erscheinen lassen. Augenfällig und besonders interessant ist hier die Betonung der Gegenwart durch das Präsens am Schluss des Gedichts (»Auf dein bleiches Haupt stößt nun das Schwert herab«). Mit dem Tempus und dem zusätzlichen »nun« holt er Snorri in die eigene Gegenwart, macht ihn zu seinem Zeitgenossen. Mehr noch, er stellt sich mit ihm auf eine Höhe: die Höhe des Verrats. Aber das ist noch nicht das Ende des Gedankengangs. Zu untersuchen wäre vielmehr in den Texten von Borges nicht nur, wie sich das Heroische zum Verrat verhält, sondern wie das Heroische und der Verrat sich zum Elementaren und zum Artifiziellen verhalten: sind dies nur Maskierungen des jeweils anderen oder spiegeln sich diese Phänomene ineinander? Soviel scheint klar: Einfacher wird es damit nicht. Bibliographie Die Werke von Jorge Luis Borges werden nach folgender Ausgabe zitiert: Jorge Luis Borges: Gesammelte Werke, München: Hanser 1980-1982. Wolfgang Asholt/ Walter Fähnders (Hrsg.): Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909-1938), Stuttgart: Metzler 1995, S. 264. Cees Nooteboom/ Simone Sassen: Tumbas. Gräber von Dichtern und Denkern, München: Schirmer/ Mosel 2006. 22 Die Kenningar, S. 204, Anmerkung. Kolumbus-Mythen im Norden I NGO S UNDMACHER 1. Mythos und Geschichte Das Phänomen Kolumbus steht für vieles. Zunächst natürlich für die reale, historisch nachvollziehbare Person des Genuesen Cristoforo Colombo, der sich nach seiner Ankunft in Spanien Christobal Colón nannte und bis heute vor allem unter dem latinisierten Namen Kolumbus bekannt ist. Das historische Bild des Kolumbus lässt sich weiter aufschlüsseln in den›Entdecker Amerikas‹, der stellvertretend für eine Reihe anderer Amerikareisender seiner Zeit steht. Tatsächlich erreichte er nach zahlreichen entdeckten Inseln ab 1492 das amerikanische Festland im Gebiet der Orinoco-Mündung erst 1498. Sein venezianischer Landsmann Giovanni Caboto, der als John Cabot im englischen Auftrag unter anderem in der Gegend von Neuengland im Nordosten der heutigen USA vor Anker gegangen war, hatte schon ein Jahr zuvor mit dem von ihm Terra de prima vista genannten Gebiet amerikanisches Festland betreten. Daneben steht der innovative Seemann, der möglicherweise auf seinen Fahrten wichtige Entdeckungen etwa zur Berechnung der Breitengrade und zu magnetischen Abweichungen der Kompassnadel machte, und Naturbeobachter, was in seiner Zeit so nicht selbstverständlich war. »Kolumbus war ein ›Mann des Auges‹. (…) Sowohl im Erfassen von Augenblicksgeschehnissen als auch in der Darstellung physisch-geographischer Komplexerscheinungen leistete er für die damalige Zeit Außergewöhnliches.« 1 Außerdem gibt es den Autor Kolumbus, dessen erster Brief aus der Neuen Welt genauso wie das Schiffstagebuch seiner ersten Reise erfolgreich veröffentlicht wurde, wenn auch von anderen ohne sein Zutun. Dazu kommt eine ausgiebige Literaturproduktion zu und über Kolumbus bis in die heutige Zeit: Die Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde registrierte bis 1973 allein über 350 internationale wissenschaftliche Veröffentlichungen in Verbindung mit dem Publikumsliebling. Die von der Akademia de la Historia in Madrid vor einhundert Jahren veröffentlichte Bibliografia Colombina spricht von mehr als 315 spanischen Poesien über Kolumbus. Der Entdecker ist der Held in über fünfunddreißig Opern. 2 Außerdem kommen etliche Arbeiten hinzu, die außerhalb Spaniens entstanden sind. Für Dänemark sind hier unter anderem Johannes V. Jensens Christoffer Kolumbus von 1921 und Vagn Lundbyes Palondrimos eller Colombos sidste rejse von 1991 her- 1 Bürger, Klaus: Christoph Kolumbus, Leipzig 1979, S. 120. 2 Dreyer-Eimbcke, Oswald: Kolumbus. Entdeckungen und Irrtümer in der deutschen Kartographie, Frankfurt am Main 1991, S. 7. Ingo Sundmacher 144 vorzuheben, die sich dem Thema ganz unterschiedlich nähern. Den meisten dieser Arbeiten ist gemeinsam, dass sie vor allem den Mythos Kolumbus zum Gegenstand haben, der sich nach Roland Barthes so charakterisieren lässt: Man erkennt […] alle gnostischen Themen wieder: die Einheit der Natur, die ideale Möglichkeit einer grundlegenden Zurückführung der Welt, die Öffnungskraft des Wortes, den uralten Kampf eines Geheimnisses und eines Wortes, die Idee daß das totale Wissen nur mit einem Schlag erobert werden kann, wie ein Schloß, das nach tausend tastenden Versuchen plötzlich aufspringt. 3 Diese ursprünglich auf Einstein und sein Hirn bezogene Aufstellung lässt sich problemlos auch auf Kolumbus und seine Reisen beziehen. Barthes beschreibt den Mythos als eine Aussage, der aber »nicht durch das Objekt seiner Botschaft definiert [wird], sondern durch die Art und Weise, wie er diese ausspricht. Es gibt formale Grenzen des Mythos, aber keine inhaltlichen« 4 . Diese ergeben sich aus einem dreidimensionalem Schema: das Bedeutende, das Bedeutete und das Zeichen. Dabei baut er systematisch auf eine semiologische Kette auf: »[E]r ist ein sekundäres semiologisches System.« 5 Im ersten System finden sich noch Zeichen als das assoziative Ganze eines Begriffs und eines Bildes, die im zweiten System aber bereits in Bedeutendes umgewandelt werden. »Man muß hier daran erinnern, daß die Materialien der mythischen Aussage […] sich auf die reine Funktion des Bedeutens reduzieren, sobald der Mythos sie erfaßt. Der Mythos sieht in ihnen ein und denselben Rohstoff.« 6 Diese Materialien haben bei Barthes durchgehend kommunikativen Charakter, so wie Sprache, Photografie, Gemälde, Plakat, Ritus, Objekt, etc., um seine eigenen Beispiele aufzugreifen. Damit erklärt sich aber auch der unbedingt kulturelle Einfluss, der notwendig ist, um den Übergang vom ersten zum zweiten semiologischen System nach Barthes und damit die Genese eines Mythos erst möglich machen zu können. Er unterscheidet entsprechend auch zwischen der Objektsprache, die er als das linguistische System definiert, deren sich der Mythos bedient, um sein eigenes System einzurichten, und der Metasprache, die den Mythos selbst beschreibt, »weil er eine zweite Sprache darstellt, in der man von der ersten spricht« 7 . Schrift und Bild sieht er dabei vom semiologischen Standpunkt aus gleichermaßen in dieses linguistische System eingebettet. Das der Realität entstammende Signifikat bildet damit eine Folie, von dem der Signifikant und damit der Mythos sich abheben. Barthes zufolge kann daher die Mythologie »nur eine geschichtliche Grundlage haben, denn der Mythos ist eine von der Geschichte gewählte Aussage« 8 . Mythen sind so gesehen im weitesten Sinne 3 Barthes, Roland: Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964, S. 25. 4 Ebd., S. 85. 5 Ebd., S. 92. 6 Ebd., S. 92f. 7 Ebd., S. 93. 8 Ebd., S. 86. Kolumbus-Mythen im Norden 145 literarisierte Darstellungen der Wirklichkeit, die eine Eigendynamik entwickeln und so ursprüngliche Gesichtspunkte dieser Wirklichkeit in ihrer Darstellung und Wahrnehmung verdecken können. Daraus ergibt sich für Barthes ein »Prinzip des Mythos: Er verwandelt Geschichte in Natur« 9 . So schließt sich ein Zirkel, den Claude Lévi-Strauss kritisch beurteilt: »Die Mythologie ist statisch - wir sehen, dass ein und dieselben mythologischen Elemente immer neu kombiniert werden, aber gleichsam in einem geschlossenen System, im Gegensatz zur Geschichte, bei der es sich um ein offenes System handelt.« 10 Im Fall der oben genannten Romane von Johannes V. Jensen und Vagn Lundbye, die beide das Thema Kolumbus auf sehr unterschiedliche Weisen aufgreifen, lässt sich der Umgang mit Geschichte und Mythos exemplarisch zeigen. 2. Der historische Kolumbus Vieles aus dem Leben des historischen Kolumbus liegt im Dunklen und die bekannten Daten haben sich oftmals verselbständigt, so dass über die Tatsache seiner Reisen und den damit verbundenen Begleitumständen hinaus kein verlässliches Bild seines Lebens existiert. So beanspruchen zum Beispiel »[m]indestens zwanzig italienische Städte (…), sein Geburtsort gewesen zu sein, etliche Völker reklamieren ihn als ihren Staatsangehörigen« 11 . Selbst das Porträt, das Sebastiano del Piombo 1529- 1530 anfertigte und das damit erst zwei Jahrzehnte nach Columbus’ Tod entstand, entsprang der Phantasie des Malers. Trotzdem prägt es - vielleicht noch neben dem von Gérard Depardieu dargestellten Kolumbus in dem Film 1492: Conquest of Paradise, den Ridley Scott 1992 anlässlich der 500-Jahr-Feiern zur Entdeckung Amerikas in Hollywood gedreht hat - heute weitgehend die Vorstellung seiner Erscheinung. Ähnlich verhält es sich mit seinem berühmten Flaggschiff während der ersten Reise. Obwohl man heute sogar einen vermeintlichen Nachbau des Schiffes im Hafen von Madeira bewundern kann, gibt es keine sicheren Aufzeichnungen über das Äußere dieses Schiffes. Nicht einmal der Schiffstyp ist gesichert. Es gibt hierzu keine authentischen Illustrationen: »Das schöne Schiff, das unter der Bezeichnung Oceanica classis den im Mai 1493 in Rom in lateinischer Sprache gedruckten Kolumbus-Brief begleitet, ist einem Bericht von Bernhard von Breydenbachs (ca. 1440-1497) Reise ins Heilige Land entnommen, der 1487 in Mainz gedruckt wurde.« 12 Dieses Bild ist der Ursprung der seitdem verbreiteten Vorstellung der Santa Maria, deren vermeintliche Nachbildung heute im Hafen von Madeira besichtigt werden kann. Allerdings waren Illustrationen dieser Art »reine Phantasieprodukte« 13 . 9 Ebd., S. 113. 10 Lévi-Strauss, Claude: Mythos und Bedeutung, Frankfurt am Main 1980, S. 53. 11 Dreyer-Eimbcke, Oswald: Kolumbus, S. 141. 12 Ebd., S. 154. 13 Ebd. Ingo Sundmacher 146 Die widersprüchlichen Angaben und Legendenbildungen in der Vita des genuesischen Entdeckers sind in erster Linie auf die geringe Zahl belegbarer Original-Dokumente zurückzuführen. Da die meisten Quellen apokryphisch und vielfach auch regelrecht gefälscht sind, muss jeder sorgfältige Biograph zunächst alles in Frage stellen, was in den Geschichtsbüchern über Kolumbus geschrieben ist. Denn fast nichts bei ihm wäre »gerichtsverwertbar«. Der Entdecker selbst neigte vielfach dazu, einen Schleier der Geheimnisse über seine Entdeckungen zu breiten. Außer einigen Briefen hat nur eine Originalkarte des Kolumbus überlebt. Als zuverlässigste Quellen gelten seine handschriftlichen Randnotizen in der von ihm benutzten Literatur. Da aber die Handschriften von Kolumbus und seinem Bruder Bartolomeo zum Verwechseln ähnlich sind, ist von der Nachwelt kaum zu unterscheiden, von welchem der beiden Brüder die jeweiligen Eintragungen erfolgten. 14 Offensichtlich hat Kolumbus selbst an seinem Mythos mitgewirkt, indem er Informationen bewusst lancierte, veränderte und verhinderte. So kann man davon ausgehen, dass er als Sohn von Domenico Colombo und Susanna Fontanarossa vermutlich in Genua geboren ist, weiß aber ansonsten dank seiner Verschleierung wenig über seine Kindheit und Jugend. Was er in den Vordergrund gestellt hat, ist seine Rolle als der große Entdecker der Westroute nach Indien und gewissermaßen eines legitimen Nachfolgers Marco Polos. Nach heutiger Lesart wird der Mythos Kolumbus mit der Entdeckung Amerikas verbunden. Der historisch verbriefte Kolumbus segelte so nach zähen Verhandlungen mit den öffentlichen Stellen sowohl in Portugal als auch in Spanien im Namen der spanischen Krone mit drei teilweise privat ausgerüsteten Schiffen »am Freitag, dem 3. August, um acht Uhr morgens (…) auf die Kanarischen Inseln zu« 15 , um von dort aus weiter über das unbekannte offene Meer Richtung Westen zu segeln, wo er am 12. Oktober eine von den Eingeborenen Guanahani genannte Insel, möglicherweise das heutige San Salvador, erreichte. Von hier aus schreibt er in einem später von den Kanaren voraus gesandten Brief an die spanische Krone: Dreiunddreißig Tage nachdem ich von Cádiz ausgelaufen war, erreichte ich das Indische Meer und fand dort mehrere Inseln, auf denen unzählige Menschen leben. Von all diesen Inseln habe ich im Namen unseres durchlauchtigsten Königs nach feierlicher Verlautbarung und dem Hissen der Fahne Besitz ergriffen, ohne dass mir irgendjemand widersprochen hätte. Und der ersten dieser Inseln gab ich den Namen unseres heiligen Erlösers, denn nur im Vertrauen auf seine Hilfe haben wir sowohl diese als auch alle anderen Inseln erreicht. Die Inder nennen diese Insel allerdings Guanahani. 16 Insgesamt noch drei weitere Reisen unternahm er so, bis zuletzt im festen Glauben daran, vor der Küste Asiens gelandet zu sein. Während dieser Zeit stieg er zum Vizekönig der neu entdeckten Inseln auf und verlor Amt und Würden wieder. Obwohl schon zu seinen Lebzeiten andere die Kontrolle über die Entwicklung in der neuen 14 Ebd., S. 139. 15 Christoph Columbus: Schiffstagebuch, Leipzig 1980, S. 7. 16 Kolumbus: Der erste Brief aus der Neuen Welt, Stuttgart 2000, S. 13f. Kolumbus-Mythen im Norden 147 Welt übernahmen und Kolumbus selbst seine letzten Jahre mehr oder weniger zurückgezogen in Spanien verbrachte, sicherte er seine Familie dennoch materiell ab. 3. Johannes V. Jensen: Christofer Columbus (1921) Schon 1892 anlässlich der 400-Jahr-Feier der Entdeckung Amerikas, soll Johannes V. Jensen begonnen haben, sich für die Figur des Kolumbus zu interessieren, die in der Folge offensichtlich einen zentralen Stellenwert in seiner Arbeit angenommen hat. »I […] romanen Kongens Fald (1900-01) […] ser den vidunderlige Axel Columbi Skib i sine syner, og i forfatterens amerikaromaner, Madame d’Ora (1904) og Hjulet (1905) er Columbus den martrede og magiske følgesvend for de europæere, der søger forløsning i den nye verden.« 17 [»Im […] Roman Der Fall des Königs (1900-01) […] sieht der wunderbare Axel im Geiste Columbus’ Schiffe, und in den Amerika-Romanen Madame d’Ora (1904) og Das Rad (1905) ist Kolumbus der gemarterte und magische Begleiter der Europäer, die in der Neuen Welt nach Erlösung suchen.«] Das Gedicht Der nejed saa mangt et sødygtigt skib, das er später unter dem einfacheren Titel Columbus in seine Sammlung Digte 1906 mit aufnahm, entstammt ursprünglich ebenfalls dem Roman Madame d’Ora. Unmittelbar zum Titelhelden macht er Kolumbus in Christoffer Columbus (1921), »hvori Jensen summerer et langt livs skyggeboksning med si tragiske helt op« 18 [»worin Jensen das Schattenboxen eines langen Lebens mit seinem tragischen Helden aufsummiert«] und beschäftigt sich darüber hinaus auch essayistisch etwa in Introduktion til vor Tidsalder (1906) (Einführung in unser Zeitalter) und Æstetik og Udvikling (1923) (Ästhetik und Entwicklung) mit der Figur. Für Jensen markiert die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus den Endpunkt einer langen Reise durch die Menschheitsgeschichte, an dem die Moderne ihren Ursprung nehmen kann. So setzt er seinen Roman Christoffer Columbus an das Ende einer sechsbändigen Reihe 19 , in der er die Entwicklung der Menschheit durch seine 17 Wivel, Henrik: Columbus. Drift og Darwinisme i Johannes V. Jensens forfatterskab. In: Jørgensen, Aage, & Helene Kragh-Jakobsen (red.), Columbus fra Himmerland. Bidrag til et Johannes V. Jensen-Symposium i Farsø 28. august 1994, Farsø 1994, S. 55. 18 Ebd. 19 Johannes V. Jensens Zyklus Den lange rejse, bestehend aus den Bänden Bræen (1908), Skibet (1912), Norne-Gæst (1919), Det tabte Land (1919), Christofer Columbus (1921) und Cimbrernes Tog (1923), zieht sich chronologisch von der Eiszeit über das Mittelalter bis hin zur Eroberung Amerikas durch die Europäer. Jensen thematisiert hier eine Menschheitsgeschichte, deren zivilisatorischen Ursprung er als im Norden verankert schildert. Die mit der Eiszeit im ersten Band einsetzende Völkerwanderung von Nord nach Süd findet so gewissermaßen ihren Abschluss mit der Besiedelung der Neuen Welt durch die Europäer. Der letzte Band der Reihe, Cimbrernes Tog, nimmt dabei den mehr oder weniger geschichtlichen Faden noch einmal auf. Den eigentlichen Abschluss mit Blick auf die geschilderten Vorgänge und Ereignisse bildet aber der Roman Christofer Columbus. Ingo Sundmacher 148 eigene subjektive Brille darzustellen versucht, beginnend mit der Eiszeit und dem Beginn der Menschheit während der einsetzenden Völkerwanderungen, die nach seiner Sichtweise im Norden ihren Ursprung nimmt, und endend mit einer neuen Völkerwanderung in die Neue Welt, die durch Kolumbus und seine Entdeckungsfahrten ihren Ursprung nimmt. Dabei ist Kolumbus Jensen zufolge ebenfalls wieder ein Nachfahre von Nordvölkern. Efter hvad man ved om Columbus var han af nordisk Type, lyshaaret og fregnet, med blaa Øjne, det Præg man kender nordpaa fra Skippere og Bønder. Slægten sad i de nærmeste Led oppe i Bjergene ovenfor Genua, den sidste Station paa Vejen til Havet, Bønder som gennem Haandværk og i Berøring med Kystbyen blev Søfarere. Folkevandringen havde ført Stamfædrene fra glemte Strande ved Østersøen tvers gennem den gamle Verdens Lande og alle Middelalderens urolige Aarhundreder saa vidt som til Middelhavet - nu skulde Columbus føre den videre. Longobardernes Historie er da Columbus’ Forhistorie, i sit Blod arver han, selv om Oprindelsen er glemt, dybe og stærke Tilskyndelser fra vandrende Forfædre. 20 Nach allem, was man von Kolumbus weiß, war er von nordischem Typ, hellhaarig und sommersprossig, mit blauen Augen, die Prägung die man im Norden von den Seeleuten und Bauern kennt. Das Geschlecht stammte aus den Bergen oberhalb von Genua, der letzten Station auf dem Weg zum Meer, Bauern, die durch das Handwerk und der Berührung mit der Küstenstadt zu Seefahrern geworden waren. Die Völkerwanderung hatte die Stammväter von vergessenen Stränden der Ostsee quer durch die Alte Welt und alle unruhigen Zeiten des Mittelalters bis hin zum Mittelmeer geführt - jetzt sollte Kolumbus sie weiterführen. Die Geschichte der Langobarden ist die Vorgeschichte von Kolumbus, auch wenn die Herkunft vergessen wurde, hat er das Erbe in seinem Blut, ein tiefer und starker Antrieb seiner Vorväter. Im Gedicht Kolumbus wird er entsprechend noch deutlicher, wenn er schreibt: »Christofer Columbus, dit hvide Haar din Alders Is/ kroner de halvkolde Vikingebryn og din Sjæls Forlis.« 21 [»Christoph Kolumbus, Dein weißes Haar, Deines Alters Eis/ krönt die halbkühlen Wikingerbrauen und Deiner Seele Schiffbruch.«] Eine historische Bestätigung für diesen Nord-Bezug gibt es nicht und fußt auch bei Jensen ausschließlich auf dem - letztlich nicht bestätigten - Äußeren von Kolumbus. Kolumbus ist nach Jensens Auffassung das Bindeglied der im Aufbruch begriffenen Menschheit, deren Entwicklung von den Ursprüngen über die großen Völkerwanderungen bis ins Mittelalter führt, und dem modernen Menschen. Mit der Entdeckung der Neuen Welt sieht er auch ein neues Zeitalter anbrechen. Zu seinem Kolumbus-Roman stellt er daher fest: »I Christofer Columbus bringes Mødet i Stand mellem det primitive og det moderne Menneske.« 22 [»In Christoph Kolumbus wird das Treffen zwischen dem primitiven und dem modernen Menschen zustande gebracht.«] 20 Johannes V. Jensen: Christofer Columbus, Kjøbenhavn 1921, S. 7f. 21 Johannes V. Jensen: Madame d’Ora, Kjøbenhavn 1904, S. 25. 22 Johannes V. Jensen: Æstetik og Udvikling, Kjøbenhavn 1923, S. 98. Kolumbus-Mythen im Norden 149 Entsprechend besteht der Roman aus drei Teilen: Der erste Teil Katedralen (Die Kathedrale) setzt in der Eisenzeit an und schildert noch einmal eine urzeitliche Wanderung von Nord nach Süd. Hier wird der vermeintliche familiäre Ursprung von Kolumbus im Norden untermauert und auch der Fährmann Christoforus, Schutzpatron der Reisenden, wird in dieses Geschlecht mit eingebunden. Der zweite Teil Karavelen (Die Karavelle), eingeleitet durch ein Kolumbus- Zitat 23 , hat vor allem die erste Reise des Kolumbus, so wie sie in seinem Schiffstagebuch geschildert wird, zum Thema. Kolumbus wird hier als großer Entdecker, aber auch mit seinem tragischen Irrtum bezüglich des Reiseziels geschildert. Og saadan var Stillingen, da Columbus aabnede Vejen fra Evropa til de nye Lande i Vest, som han troede var Indien men som, uden at han nogensinde fik det at vide, viste sig at være en helt ny Verdensdel, med endda et Ocean paa den anden Side som skilte det fra Indien. […] Øerne Columbus fandt kom til at hedde Vestindien, de Infødte Indianere, til uudryddeligt Minde om Vildfarelsen der laa til Grund for Opdagelsen. 24 Und so war die Lage, als Kolumbus den Weg von Europa zu den neuen Ländern im Westen eröffnete, die er für Indien hielt, ohne dass er jemals erfuhr, dass sie sich als ein völlig neuer Erdteil erweisen würden, wiederum mit einem Ozean auf der anderen Seite, der ihn von Indien trennte. […] Die Inseln, die Kolumbus fand, wurden Westindien genannt, die Eingeborenen Indianer, als untilgbare Erinnerung an die Irrfahrt, die der Entdeckung zugrunde lag. Dieser Teil schließt mit der Eroberung des Aztekenreiches durch Cortez ab, der vor allem über die geschilderte Beziehung zu der indianischen Sklavin Malina, die immerhin historisch verbürgt ist, in seinem Verhältnis zu den von ihm und den Spaniern unterdrückten Indianern wesentlich positiver dargestellt ist als es historische Dokumente eigentlich zulassen. Hier schließt sich ein Kreis, der dem Zyklus der gesamten Den lange rejse-Bänden entspricht und wie Jensen ihn etwa in Æstetik og Udvikling charakterisiert: Der Wald wird zum Schiff, Wald und Schiff wiederum zur Kirche, die Kirche ihrerseits zum Schiff und dieses zum Wald und zur Erde. 25 Hier ist es der Jäger im nordischen Wald und Sumpf, der anfangs aufbricht. Über den Fährmann Christoforus wird der Kirchen-Aspekt einbezogen und mit Kolumbus‘ Plan, das Christentum in der Neuen Welt, die er noch für Asien hält, zu verbreiten, intensiviert und schließlich wird über diese Motivation die Kirche fast unmittelbar zum 23 »De muy pequeña edad entré en la mar navegando, é lo hé continuado hasta hoy. La mesma arte inclina à quien le prosigue a deséar de saber los secretos deste mundo” (Johannes V. Jensen, Christofer Columbus, S. 120) In freier Übersetzung: »Schon als Kind bin ich auf dem offenen Meer zur See gefahren und das mache ich bis heute. Wer sich diese Kunst zueigen macht, wünscht sich, mehr über die Geheimnisse dieser Welt zu erfahren.« 24 Ebd., S. 283. 25 Vgl. Brezinova, Helena: Die lange Reise: Johannes V. Jensens Epos über die Entwicklung der Menschheit als Mythos. In: Aage Jørgensen und Sven Hakon Rossel (Hrsg.) »Gelobt sei das Licht der Welt…«. Der dänische Dichter Johannes V. Jensen. Eine Forschungsanthologie, Wien 2007, S. 247f. Ingo Sundmacher 150 Schiff und dieses wiederum motivisch zum Wald und zur Erde, da hier eine neue Wanderung und die Besiedelung einer neuen Welt einsetzt. »[D]et er Columbus der fuldbyrder den germanske Vandring og samtidigt gør Kristendommen som terrestrisk Drøm umuligt.« 26 [»Es ist Kolumbus, der die germanische Wanderung abschließt und gleichzeitig das Christentum als irdischen Traum unmöglich macht.«] Indem sich der Kreis hier schließt, wird der Weg frei gemacht für ein neues Zeitalter, das Jensen mit dem Vermittler Kolumbus hier aufsteigen sieht: Die Moderne. »Saadan er en gammel Verden flyttet over og blivet ny. Skibet har forvandlet sig til Arker og en Skov. […] Den lange Rejse har Ende« 27 [»Damit ist eine alte Welt hinüber gezogen und erneuert worden. Das Schiff hat sich in Archen und einen Wald verwandelt. […] Die lange Reise hat ein Ende«], schreibt Jensen entsprechend. Dødssejleren (Der Todessegler), der dritte und letzte Teil, der in der Urfassung enthalten ist, aber in späteren Ausgaben mitunter auch ausgelassen wurde, setzt noch einmal beim inzwischen gealterten Admiral Kolumbus an. Desillusioniert und kränkelnd blickt er auf seine Reisen zurück, »den anden Rejse: […] Kolonierne slaaet fejl, Kongen vrang, Spanien fuld af Uvenner« 28 [»die zweite Reise: […]: die Kolonien fehl geschlagen, der König irrig, Spanien voller Feinde«], die »[t]redje Rejse: Stadig forgæves Jagt efter Gennemgangen til Indien« 29 [»dritte Reise: immer noch eine vergebliche Jagd nach dem Durchgang nach Indien«] und »sin fjerde og sidste Rejse, da han var sejlet ud som Privatmand og ikke engang fik Lov at lande paa sin egen Koloni, der nu bestyrdes af andre« 30 [»vierte und letzte Reise, bei der er als Privatmann lossegelte und nicht einmal die Erlaubnis erhielt, in seiner eigenen Kolonie anzulegen, die jetzt von Anderen geführt wurde«]. Auf all diesen Reisen hat er den Zugang zum asiatischen Festland gesucht, der aber durch das amerikanische Festland, das er bekanntlich als solches nicht erkannt hat, versperrt blieb. Auf diese Reisen blickt Kolumbus aber nur noch wehmütig zurück, genauso wie auf seine Liebe zu Phillipa, die er in Portugal hinter sich gelassen hat, und zu seinem Sohn Diego, der im Kloster untergebracht ist. Stattdessen setzt der Text mit Charles Darwin fort, der im Winter 1832-33 auf der Beagle das Kap Horn bei Feuerland umrundet. Jensen muss dieser Zeitsprung konsequent erschienen sein, sieht er in Darwin doch den »endelige intellektuelle Konsekvens af Opdagelsesrejserne, fra Columbus til Cook« 31 [»endgültige intellektuelle Konsequenz als Entdeckungsreisenden, von Kolumbus bis Cook«] verkörpert. Hier begegnen sie dem Fliegenden Holländer, der sich als die Santa Maria entpuppt, mit der Kolumbus Jahrhunderte zuvor vor Amerika gelandet war. In der 26 Johannes V. Jensen, Introduktion til vor Tidsalder, Kjøbenhavn 1925, S. 63. 27 Johannes V. Jensen, Christofer Columbus, S. 411f. 28 Ebd., S. 382. 29 Ebd., S. 383. 30 Ebd., S. 384f. 31 Ebd., S. 395. Kolumbus-Mythen im Norden 151 Nähe der Passage, die Kolumbus zu entdecken gehofft hatte, begegnet ihnen dabei der Mythos, der ihre eigene Fahrt antreibt. At møde med Dødssejleren skal betyde Forlis, det slog ikke til her i bogstavelig Forstand; derimod betød det at Skæbnetimen var slaaet for hele den Grundanskuelse af Livet Sjælene hjemme i Evropa byggede paa. Men Santa Maria fortsatte sin Aandefart sønden om Kap Horn, ned om Kap det Gode Haab, Havene rundt, Jorden rundt, ind i alle afsides Stræder, under alle Øer, som den skal saa længe den Higen varer der i sin Tid udrustede den for Fart paa det taabte Land. Et underligt Skip, stærkere i Mindet end det nogensinde havde været i Virkeligheden. 32 Dem Todessegler zu begegnen soll Schiffbruch bedeuten, das fand hier nicht im buchstäblichen Sinne statt; im Gegenteil bedeutete es Schicksalsschläge für die ganze Grundanschauung des Lebens, auf die die Seelen daheim in Europa aufbauten. Aber die Santa Maria setzte ihre Geisterfahrt südlich um Kap Horn fort, rund um das Kap der Guten Hoffnung, über die Meere, hinein in alle abgelegenen Meerengen, bei allen Inseln, zu denen sie muss, so lange das Verlangen andauert, das sie seinerzeit für die Fahrt ins verlorene Land ausrüstete. Ein seltsames Schiff, stärker in der Erinnerung als es jemals in Wirklichkeit gewesen war. Der Fliegende Holländer handelt der Sage nach von einem verfluchten Kapitän auf seinem Geisterschiff, der dazu verdammt ist, auf den sieben Weltmeeren umherzuirren, ohne jemals einen Hafen anlaufen zu können. Entsprechendem Seemannsgarn zufolge soll dieser für sein Fluchen bekannte Kapitän eines holländischen Schiffes Mitte des 17. Jahrhunderts versucht haben, das Kap der guten Hoffnung bei kräftigem Sturm und ungünstigen Windverhältnissen zu umschiffen. Es heißt, er habe gegen den Willen seiner Mannschaft den Naturgewalten zu trotzen versucht und dabei Gott und die Welt verflucht, er wolle nicht eher aufgeben, als bis er das Kap umschifft habe und wenn es bis zum jüngsten Tag dauern sollte. Das soll dazu geführt haben, dass er genau dazu verdammt wurde. Jensen sah in dieser Sage »en mytisk Udvidelse af Columbusmotivet, idet jeg fandt at den germanske Vandredrift, som blev husvild paa jorden med ham, paa en forunderlig Maade er gaaet over i og har fortsat sig« 33 [»eine mythische Erweiterung des Kolumbus-Motivs, bei dem ich fand, dass der germanische Wandertrieb, der mit ihm heimatlos geworden war, auf wunderbare Weise darin eingegangen ist und sich fortgesetzt hat«]. Während er Kolumbus selbst so auf der Santa Maria als Kapitän eines Geisterschiffs auf ewige Fahrt schickt, birgt das Schiff die Besiedelung der neuen Welt mit in sich. [D]et største Under sker nu, Santa Marias Gallionsfigur, Guds Moder med Barnet, bliver levende og kommer og sætter sig ned paa Græsset under udsprungne Træer, den 32 Johannes V. Jensen: Christofer Columbus, S. 403. 33 Johannes V. Jensen: Introduktion til vor tidsalder, S. 64. Ingo Sundmacher 152 unge Moder med sin Førstefødte i Favn, Livet forfra igen, under aaben Himmel, Foraaret, Skoven, Barndommen! Ja Livet forfra igen, i Skikkelse af en ung Nybyggermoder som gaar udenfor Blokhuset den første varme Dag og soler sin Spæde og sidder med sit lyse, bare Haar i Solen […]: Familjen forfra paa et øde Sted, Kanada, dybt inde i Minnesota eller Dakota, hvor Bønder fra Norden genfinder deres Vejr og deres Aarstider, og hvor de haarde Vintre holder deres Sjæl vedlige. 34 Das größte Wunder geschieht jetzt, die Galionsfigur der Santa Maria, eine Mutter Gottes mit dem Kind, wird lebendig und kommt und setzt sich ins Gras unter ausschlagenden Bäumen, die junge Mutter mit ihrem Erstgeborenen im Arm, wieder lebendig, unter offenem Himmel, der Frühling, der Wald, die Kindheit! Ja, das Leben wieder vor sich, in der Gestalt einer Neusiedlermutter, die am ersten warmen Tag vor das Blockhaus geht und ihren Säugling an die Sonne bringt und dort mit ihren hellen, unbedeckten Haaren in der Sonne sitzt […]: die Familie wieder von vorne an einer öden Stelle, Kanada, tief drinnen in Minnesota oder Dakota, wo die Bauern aus dem Norden ihre Wege und ihre Jahreszeiten wiederfinden, und wo der harte Winter ihre Seele gesund bleiben lässt. Der Kolumbus in Jensens Roman verkörpert den Mythos der großen Entdeckungsreisen, aus denen, folgt man dem Grundmotiv seiner Menschheitsgeschichte, die Moderne entsteht. Er steht am Scheideweg zwischen der alten und der neuen Zeit, Vorzeit und Moderne. So gesehen kann er an seiner Aufgabe fast nur scheitern, während seine Mission selbst zum Erfolg wird. Damit ist aber das Bild stimmig, mit dem Jensen Kolumbus mit dem Fliegenden Holländer verbindet und zum ewigen Widergänger macht, während ein Teil der Santa Maria, die als Schiff die Mission repräsentiert, die er als Kapitän führt, zum Ursprung der Besiedelung Amerikas avanciert. Fast ein Jahrhundert später drängt sich der Gedanke auf, hier sogar einen Grundmythos der Globalisierung zu sehen. Zwar konnte Jensen diese Entwicklung noch nicht absehen, aber natürlich liegen die Wurzeln der Globalisierung in der als Folge der Fahrten des Kolumbus einsetzenden Kolonialgeschichte. Jensens Blick auf diesen Teil der Geschichte ist noch deutlich national geprägt. Das beweist sein Bedürfnis, Kolumbus als Nachfahre von Skandinaviern sehen zu wollen, während er die Spanier, die etwa zur Schiffsbesatzung gehören, als ihm unterlegen beschreibt. »Admiralen staar stille og hæver sit Løvehoved, omfatter Skibet under sig i et Blik« 35 [»Der Admiral steht still und hebt sein Löwenhaupt, erfasst das Schiff unter sich mit einem Blick«], heißt es über Kolumbus, während sein Verhältnis zur Besatzung so beschrieben wird, dass er »paa sin Side har et Blik fuldt af Forbehold tilovers for sin Besætning« 36 [»auf seiner Seite voller Vorbehalte gegenüber seiner Besatzung ist«]. Die Indianer, auf die Kolumbus trifft, beschreibt Jensen 34 Johannes V. Jensen: Christofer Columbus, S. 410f. 35 Ebd., S. 145. 36 Ebd., S. 149. Kolumbus-Mythen im Norden 153 als »nøgne Vilde« [»nackte Wilde«] 37 und betrachtet sie erst recht nicht als ebenbürtig. Men fordi de saaledes stadig havde opsøgt og var bleven i deres Urbetingelser havde de ikke forandret sig, var de samme Urmennesker den Dag i Dag de altid havde været, Skovmanden med de faa men kraftige Midler Fyr i sin Tid havde lagt ham i Haanden, Ilden, Spydet og Stenkniven, hvortil var kommen Buen. […] Og nu skulde Skovmanden for første Gang mødes med sin Broder fra for en halv Jordperiode siden, Istidsmanden, den Del af Menneskeheden som var bleven nordoppe og havde forandret sig i Stedet for at gaa […]. 38 Aber weil sie dergestalt immerzu nach ihrem Urzustand suchten und darin verharrten, hatten sie sich nicht verändert, waren sie heute die selben Urmenschen, die sie immer gewesen waren, Waldmenschen mit den wenigen, aber starken Mitteln, die seinerzeit das Feuer ihnen in die Hände gelegt hatte, das Feuermachen, den Speer und das Steinmesser, woraus dann der Bogen kam. […] Und nun sollte der Waldmensch zum ersten Mal auf seinen Bruder von vor einer halben Erdperiode früher treffen, den Eiszeitmenschen, dem Teil der Menschheit, der oben im Norden geblieben war und sich verändert hatte, statt zu gehen […]. In seinem Vorwort zu einer Jubiläumsausgabe unter dem Titel Christoph Columbus anlässlich der 500-Jahr-Feier der Entdeckung Amerikas 1992 merkt Ib Michael ganz richtig dazu an: »Det er for nemt - og for kedeligt - i dag at beskylde Jensen for socialdarwinisme.« 39 [»Es ist zu einfach - und zu fade - Jensen heutzutage des Sozialdarwinismus zu beschuldigen.«] Zwar ordnet er die Europäer, die Kolumbus repräsentiert, seiner Zeit entsprechend als höher entwickelt ein als Folge einer Wertigkeit aus seiner angeblich im Norden ihren Ursprung nehmenden Menschheitsgeschichte, die er in Den lange Rejse entwickelt, beschreibt beide Teile der Menschheit, den Waldmenschen und den Eiszeitmenschen, wie er sie hier in Anlehnung an Bræen, den ersten Band des Zyklus, nennt, letztendlich doch als Brüder. Die Tatsache, dass er ausgerechnet Darwin dem Geisterschiff begegnen lässt, weist nicht zwangsläufig auf - von Darwin ohnehin so nie formulierte - sozialdarwinistische Bezüge hin, sondern vielmehr auf die Theorie der Entstehung der Arten, wie dieser sie vor allem in seinem Buch On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or The Preservation of Favoured Races in the Struggle of Life (1859) entwirft. Es geht um die Entwicklung hier der Menschheit im Zusammenhang mit den äußeren Bedingungen zu Veränderungen und Fortschritt, die bei Darwin zu Mutationen führen. Jensens Hintergrund für seine Betrachtungen liegt darin, naturwissenschaftliche Maßstäbe anzusetzen. Jensen setzt den naturwissenschaftlich motivierten Ansatz komplementär zum Mythos. Wenn Darwin auf seiner eigenen Entdeckungsreise, die aber mehr mit Wis- 37 Ebd., S. 264. 38 Ebd., S. 265 und 267. 39 Ib Michael, Jubelåret, Vorwort zu Johannes V. Jensen: Christoph Columbus, København 1991, S. 13. Ingo Sundmacher 154 senserweiterung als mit geographischen Entdeckungen in Verbindung gebracht werden kann, Kolumbus auf dem Geisterschiff sichtet, dann natürlich, weil seine Fahrt im 19. Jahrhundert denen von Kolumbus und anderen verpflichtet ist, nicht nur weil beide Namen mit dem amerikanischen Kontinent verbunden sind, sondern vor allem auch aus einer Tradition von Erforschung und Entdeckungen heraus. Kolumbus ist so nicht nur ein Vorläufer Darwins als Forscher und Entdecker, sondern vor allem auch der Mythos, der neue Entdeckungs- und Forschungsfahrten - und damit auch Darwins - antreiben und motivieren kann. Der Logik Jensens folgend, ist Kolumbus damit der Urvater der Moderne, der Darwin angehört. I Columbus’ person forener hedensk Naturlængsel sig med Kristendommens Fata Morgana og gaar til Grunde sammen. Man kunde vel sige, at Columbus, opfattet som Helten i en Skæbnetragedie, hvor Elementerne var ham overlegne, er det første moderne Menneske, den første gudforladte Skikkelse, han erstatter Middelalderen i Aandsfængsel og Overtro med Rum og Virkelighed, selv om Virkningerne af hans Bedrift kom længe efter og knap er trængt helt igennem endnu. 40 In Kolumbus’ Person vereinigen sich heidnische Natursehnsüchte mit der Fata Morgana des Christentums und gehen gemeinsam zugrunde. Man kann wohl sagen, dass Kolumbus, fasst man ihn als den Helden in einer Schicksalstragödie auf, bei der ihm die Elemente überlegen waren, als der erste moderne Mensch aufgefasst werden kann, die erste gottverlassene Gestalt, er ersetzt das Mittelalter mit seinem gefangenen Geist und Aberglauben durch Raum und Wirklichkeit, selbst wenn die Wirkungen seiner Taten sich erst lange danach zeigten und sich noch nicht einmal ganz durchgesetzt haben. Dass naturwissenschaftliche Ansätze und Mythos bei Jensen zusammengehen, ist nicht von ungefähr. Während seiner Beschäftigung mit Mythen, die sich durch sein gesamtes Werk zieht, nicht zuletzt repräsentiert auch durch seine im Ganzen neunbändige Mythensammlung, die er zwischen 1909 und 1944 geschrieben hat, hat sich ein für ihn entsprechender Mythenbegriff zunehmend etabliert. Allerdings darf man dabei nicht von einer klar abgegrenzten Definition für Mythen ausgehen. Vielmehr ist Mythos ein während Jensens langjähriger Beschäftigung mit Mythen immer wieder variierender und sich fortentwickelnder Komplex. »I virkeligheden er det aldrig lykkedes litteraturforskningen at uddrage den specielle Johannes V. Jensenske mytenform, skønt flere har gjort forsøget - han selv inklusive - i formodningen om, at denne form findes i virvaret. Det gjør det også« 41 [»Tatsächlich ist es der Literaturforschung nie geglückt, die spezielle Johannes V. Jensensche Mythenform zu ergründen, obwohl viele es versucht haben - inklusive ihm selbst - in der Vermutung, diese Form finde sich im Wirrwarr. So ist es auch«], stellt etwa Iben Holm fest. Jensens früher Mythen-Begriff ist noch weitgehend unbelegt. Er experimentiert im ersten Mythen-Band von 1909 noch merklich mit einer Gattung, die literarisch 40 Johannes V. Jensen: Introduktion til vor Tidsalder, S. 64. 41 Holm, Iben: Jærtegn. Et essay om Johannes V. Jensens myter, København 2000, S. 88. Kolumbus-Mythen im Norden 155 zumindest für ihn noch neuartig ist, ohne sich der Reichweite, die diese für sein Werk noch erlangen wird, bewusst zu sein. Immerhin kristallisiert sich eine spezielle Form heraus, unter der seine Mythen zusammengefasst werden können: Die von ihm verfassten Mythen sind kurze Prosastücke ohne eine eigentliche Handlung oder Episode. Vielmehr tritt das Motiv in den Vordergrund, dessen Beschreibung und die Schilderung des motivischen Umfeldes eine zentrale Rolle übernehmen. Nicht die äußere, sondern die Sprachhandlung selbst bilden im Mythos den Ort der Wirklichkeit - Wirklichkeit durchaus auch im Sinne des Sprachspiels mit Wirkung - und deren Rezeption. Allerdings behält Jensen diesen Ansatz einer Definition schon in seinen Mythen- Bänden nicht durchgängig bei, sondern variiert ihn nach Bedarf. Umso mehr sprengt Jensens Behandlung der Mythen, die auch charakteristisch für die Romane des Den lange Rejse-Zyklus und damit nicht zuletzt auch für Christofer Columbus sind, den Rahmen dieser Definition für die Figur des Kolumbus, wie sich sowohl im Umfang des Romans als auch in der Vermengung von eigentlicher Handlung, mythischer Schilderung und essayistischer Beschreibung zeigt. Jensen selbst bietet daher eine erweiterte Lesart von Mythen an. Indem er sie inhaltlich der Gattung der Märchen zur Seite stellt, ermöglicht er sich selbst die Öffnung von Mythen hin zum Spannungsfeld zwischen den Bildern aus der Vorzeit einerseits und der Moderne andererseits, in der diese Bilder immer noch aktiv seien, wenn auch aus einem anderen Blickwinkel heraus. Den engen formalen Rahmen, der Märchen eigen ist, übernimmt er dabei nicht. 42 Myten er bleven min Form for Æventyret. Jeg forstaar derved enten et Stof fra vor egen »prosaiske« Tid behandlet og afrundet efter Urmetoden, ingen lang møjsommelig Opregning men et Spring ind i et Billede, eller ogsaa et Stof fra Fortiden belyst og givet ny Betydning gennem den moderne Indsigt der staar til vor Raadighed, Naturvidenskaberne anvendt med tilbagevirkende Kraft. Enhver Skildring der bringer et Stykke af Naturen i Sammenhæng med Tiderne er en Myte. Metoden iøvrigt er ligegyldig, blot det lykkes at bibringe andre en samlet rund Forestilling om hvad der ellers opfattes spredt, skilt af Tid og af Afstand, eller som slet ikke opfattes. Virkeligheden eksisterer paradoksalt nok ikke før den er hævet op i et Afbillede. Myten som moderne Form er den rummeligste af alle Kunstarter, i Stand til at nære sig af Læsning og Rejser, Drømme, bogstavelig forstaaet, og de mest haandgribelige Ting fra Hverdagen, Biologi og Øjebliksbilleder fra Gaden, indre dæmrende Erindringer omspændende alle fem Verdensdele, Historien, Urtiden og en fjern Barndom, Fiktioner, ædru Sammenligning, Allestedsnærværelse og Sjælero, mellem hinanden, men sandt til Hobe forsaa vidt som det hænger sammen og har Tone og Farve. Hvert enkelt Motiv er som en køn Sten man har fundet og gemt, enkeltvis har de ikke med hinanden at gøre, men samlet bliver de alligevel til et Hele, en Mosaik som ligner Alverden og Ingenting; til allersidst staar de og bliver staaende som et Livsudtryk for den der var forelsket i dem og samlede dem. 43 42 Vgl. zur Abgrenzung von Märchen und Mythen: Lüthi, Max: Märchen, Stuttgart 1996, S. 11f. 43 Johannes V. Jensen, Aarbog 1916, Kjøbenhavn 1916, S. 10f. Ingo Sundmacher 156 Der Mythos ist meine Form des Märchens geworden. Ich verstehe darunter entweder einen Stoff aus unserer eigenen »prosaischen« Zeit, behandelt und abgerundet nach der Urmethode, keine lange mühsame Abrechnung mit einem Sprung ins Bild, oder auch einen Stoff aus der Vorzeit, beleuchtet und mit neuer Bedeutung versehen durch eine moderne Einsicht, über die wir verfügen, die Naturwissenschaften, angewandt mit rückwirkender Kraft. Jede Schilderung, die ein Stück der Natur mit den Zeiten in Verbindung bringt, ist ein Mythos. Die Methode ist übrigens gleichgültig, wenn es nur gelingt, anderen eine gesammelte runde Vorstellung davon nahezubringen, was sonst unabhängig von Zeit und Abstand zerstückelt aufgefasst oder eben nicht aufgefasst wird. Die Wirklichkeit existiert paradoxerweise nicht, bevor sie nicht in einem Abbild aufgehoben worden ist. Der Mythos ist als moderne Form die geräumigste aller Kunstarten, imstande sich vom Lesen oder von Reisen, von buchstäblich verstandenen Träumen und von den meisten alltäglichen Dingen des Alltags, von der Biologie und von Augenblicksbildern auf der Straße, von im Inneren dämmernden Erinnerungen, alle fünf Weltteile umfassend, von der Geschichte, von der Vorzeit und einer fernen Kindheit, von Fiktionen zu nähren; nüchterner Vergleich, Allgegenwärtigkeit und Seelenruhe untereinander, aber wahrhaftig als Ganzes insofern sie zusammenhängen und Ton und Farbe haben. Jedes einzelne Motiv ist wie ein schöner Stein, den man gefunden und aufgehoben hat, einzeln haben sie nichts miteinander zu tun, aber zusammen werden sie doch zu einem Ganzen, einem Mosaik, das Allem und Nichts gleicht; zuallerletzt stehen sie und bleiben stehen als ein Lebensausdruck für den, der sie geliebt und gesammelt hat. Hier spiegelt sich bereits das semiotische Prinzip, das Barthes für seine Betrachtung von Mythen formuliert. Sowohl Jensen als auch Barthes betrachten den Mythos als formal offen und auf den Inhalt hin ausgerichtet. Wenn Barthes dabei vom dreidimensionalen Schema Bedeutendes, Bedeutetes, Zeichen ausgeht, lässt sich dies unmittelbar auf das Bild des schönen Steins, der bei Jensen gesammelt wird, übertragen, das Motiv, das mit Allem und Nichts verbunden wird und letztendlich als Zeichen für einen Lebensausdruck des Sammlers steht. Bei Jensen lässt sich so auf ähnliche Weise ein dreidimensionales Schema aufstellen, das in seiner Begrifflichkeit etwa virkelighed, afbillede, livsudtryk [Wirklichkeit, Abbild, Lebensausdruck] umfassen kann. Barthes Schlussfolgerung, dass im Mythos Geschichte, aus der Mythen entspringen, zur Natur wird, findet sich hier ebenfalls wieder, indem Jensen bewusst den Mythos als Mittler zwischen Vorzeit und Moderne einsetzt. Der Kolumbus-Mythos zeigt dies exemplarisch. Am Ursprung steht hier der historisch nachvollziehbare Kolumbus mit seinen Reisen, die zur Entdeckung Amerikas beitrugen und mit der einsetzenden Kolonialisierung ein neues Zeitalter zumindest mit beeinflussten. Die Vielzahl literarischer und anderer Bearbeitungen, darunter nicht zuletzt auch die Jensens, ist Abbild dieses historischen Moments. Das Verhältnis ist hier das von Signifikat und Signifikant. Im Fall von Jensens Christofer Columbus kommt hier die Eingliederung des Kolumbus-Motivs in den Gesamtrahmen einer subjektiven Menschheitsgeschichte, wie sie Den lange Rejse als Ganzes darstellt. Hierher gehört auch die - historisch nicht nachvollziehbare - Eingliederung von Kolumbus in eine nach Skandinavien zurückzuführende Ahnenreihe. Indem Jensen Kolumbus aber in dieses groß angelegte Projekt eingliedert, wird er zum Zeichen, Kolumbus-Mythen im Norden 157 das den Beginn der Moderne symbolisiert. Damit wird Kolumbus zum Mythos, der neben dem als objektiv intendierten historischen Zugriff auf Kolumbus, bei dem zwangsläufig immer eine Differenz zwischen Signifikant und Signifikat besteht, einen subjektiven Rückgriff unmittelbar auf das Signifikat suggeriert und damit die literarisierte Verinnerlichung des Zeichens Kolumbus als Mythos des Alltags erlaubt. 4. Vagn Lundbye: Palindromos eller Colombos sidste rejse (1991) Vagn Lundbye bearbeitet in seinem Roman Palindromos eller Colombos sidste rejse (Palindromos oder Colombos letzte Reise), veröffentlicht ein Jahr vor der 500-Jahr- Feier der Endeckung Amerikas durch Kolumbus, den Kolumbus-Mythos neu, indem er das noch vom zivilisatorischen Fortschritt geprägte Bild, mit dem Jensen die Moderne feiert, kritisch beleuchtet. Der Held Jensens wird hier zum Anti-Helden und die dort noch überlegene Welt der Moderne verliert jeden Aspekt ihrer Überlegenheit. Lundbyes Kolumbus ist nicht zuletzt auch eine Antwort auf die aktuellen Feierlichkeiten im Kolumbus-Jahr 1992 in den Zeiten der Globalisierung als moderne Folge der Kolonialisierung, die bereits Kolumbus mit ausgelöst hatte. Hvis man, her i Columbus-året, vil læse en i alle måder flot modvægtning til historien, skal man læse Vagn Lundbyes roman fra efteråret 91, Palindromos eller Colombos sidste rejse. Vagn Lundbye vender udviklingen på hovedet, læser os teksten bæglæns, og sender Colombos fra den industrialiserede verden tilbage til en oprindelse blandt ubesmykkede indfødte i Borneos jungler. Trækker ham gennem et stenalderstadie, som er befriet for enhver form for romantik. Disse indfødte tager fat under huden på vor anti-helt og krænger, i en helt bogstaveligt kastration, vrangen ud, hvorved drømmen fordufter, og blodet bliver tilbage. Sådan kunne det også være gået Columbus og hans fæller, hvis ikke de var landet blandt folk, der på sæt og vis var mere civiliserede end de selv. Så havde historien set anderledes ud. 44 Wenn man jetzt im Kolumbus-Jahr ein auf jede Weise schönes Gegengewicht zur Geschichte lesen will, muss man Vagn Lundbyes Roman vom Herbst 91 Palindromos eller Colombos sidste rejse lesen. Vagn Lundbye stellt die Entwicklung auf den Kopf, liest uns den Text rückwärts und schickt Kolumbus aus der industrialisierten Welt zurück zum Ursprung unter ungeschmückte Eingeborene in Borneos Dschungel. Zieht ihn durch ein Steinzeitstadium, das von jeder Form von Romantik frei ist. Diese Eingeborenen stülpen das Innere unseres Anti-Helden gegen außen, in einer buchstäblichen Kastration, wodurch der Traum verduftet und das Blut zurückbleibt. So hätte es auch Kolumbus und seinen Gefährten gehen können, wenn sie nicht bei Leuten gelandet wären, die in einer gewissen Art zivilisierter als sie selbst waren. So hätte die Geschichte anders ausgesehen. Entsprechend stellt Vagn Lundbye den ursprünglichen Kolumbus-Mythos auf den Kopf. Colombo, der Anti-Held des Romans, der dem von Jensen als Held eingeführten Columbus komplementär gegenüber steht, ist hier ein eher passiver US- 44 Ib Michael: Jubelåret, S. 14. Ingo Sundmacher 158 Amerikaner vermutlich italienischer Abstammung, der an einem Buch über moderne Missionstätigkeiten schreibt. Während dem Besuch einer indonesischen Missionsstation wird er von Eingeborenen entführt. Er wird in ein Dorf im Dschungel fernab der Zivilisation verschleppt, wo er zu einer Reihe anderer Gefangener, alle aus diversen Ländern der so genannten Ersten Welt, »repræsentanter for meget patriarkalske nationer rundt om i verden« 45 [»Repräsentanten sehr patriarchalischer Nationen aus der ganzen Welt«], gesperrt und wie ein Haustier gehalten wird. Entsprechend werden alle Gefangenen gefüttert, willkürlich frei laufen gelassen oder auch wieder eingesperrt und nicht zuletzt kastriert. In einer der Hütten befindet sich darüber hinaus ein Mausoleum, in dem die verstorbenen Gefangenen als Mumien balsamiert ausgestellt sind. »[D]e udstopper dem og har dem stående som museumsgenstande« 46 [»Sie stopfen sie aus und lassen sie wie Museumsobjekte dort stehen«], ähnlich den ausgestopften Tieren eines Naturkundemuseums in den Herkunftsländern der Gefangenen. Am Ende fliegt er in dem Wrack eines alten Flugzeuges, das er nicht unweit des Dorfes im Dschungel findet, in einer durch Halluzinogene hervor gerufenen Vision in den Himmel, durchbohrt von den Pfeilen der Eingeborenen wie ein Christusbild, das sich den Missionaren seiner Forschungsarbeit zuzuordnen lässt. Die Eingeborenen, die Colombo entführen, entsprechen einem indianischen Volk, das schon früh ausgerottet und seitdem zu einem Indianer-Mythos geworden ist. Als Colombo ihnen das erste Mal begegnet, wundert er sich. »Men det var især deres sølvhvide hår, der fascinerede Colombo. Han prøvede at komme i tanke om, hvor det var han havde hørt om et folk med sølvhår.« 47 [»Aber es war vor allem ihr silberweißes Haar, das Colombo faszinierte. Er versuchte sich zu erinnern, wo er von einem Volk mit Silberhaar gehört hatte.«] Die Lösung zu dieser Frage gibt Lundbye bereits in einem dem Roman voran gestellten Motto preis: »Tilegnet de sølvhårede mandanere, der blev udryddet af de hvide under kolonisationen af Amerika.« 48 [»Gewidmet den silberhaarigen Mandanern, die während der weißen Kolonisation Amerikas ausgerottet wurden.«] Diese sind offensichtlich nach fünf Jahrhunderten wieder präsent und im Gegensatz zu Kolumbus, der trotz aller Bemühungen bekanntlich nie dorthin gelangte, in Asien. Der 500-Jahr-Zyklus korrespondiert nicht nur mit den Feierlichkeiten zu Kolumbus Ehren, sondern auch zur indigenen Vorstellung vom Pachacuti, der periodischen Erneuerung der Welt in verschiedenen Zyklen, deren größter aber etwa 500 Jahre nach üblicher Zeitrechnung beträgt. So besagt beispielsweise der indigene Inkarrí-Mythos, dass nach einer entsprechenden 45 Vagn Lundbye, in: Bo Elbrønd Bek, Palindromos eller Columbos sidste rejse. Interview med Vagn Lundbye. In: Bogens Verden 3 (1995) , S. 188. 46 Ebd., S. 192. 47 Vagn Lundbye: Palindromos eller Columbos sidste rejse, København 1991, S. 10. 48 Ebd., S. 5. Kolumbus-Mythen im Norden 159 Periode die alten Inka-Herrscher wiederkehren sollen. 49 Für Lundbye liegt hierin die Möglichkeit, mit einer entsprechenden Zeitspanne den Kolumbus-Mythos, wie ihn beispielsweise Jensen einsetzt, mit indigenen Mythen zu verbinden und damit eine neue Folie zu schaffen. Die reale Vorlage für die Figur des Colombo findet Lundbye in Michael Rockefeller, dem Sohn des ehemaligen Gouverneurs von New York und Vizepräsidenten unter Gerald Ford, der in den Sechzigern als Mitglied einer Expedition in Neuguinea spurlos verschwand und trotz der offensichtlich größten Suchaktion der US- Geschichte verschollen blieb. »Det er simpelthen det historisk-realistiske forlæg: Hvad blev der af Michael Rockefeller på Ny Guinea? Han optræder i bogen.« 50 [»Dies ist einfach die historisch-realistische Vorlage: Was wurde aus Michael Rockefeller auf Neuguinea? Er tritt im Buch auf.«] Das mysteriöse Verschwinden Rockefellers kann im Sinne Barthes ebenfalls als Mythos gesehen werden, spätestens seit es literarisiert wurde, sei es im vorliegenden Roman oder auch an anderer Stelle, etwa in dem australisch-amerikanischen Spielfilm Welcome to the Jungle von 2007. Lundbye verbindet diese drei Ebenen im Kolumbus-Motiv, das für ihn mehr als ein halbes Jahrhundert nach Jensens Kolumbus-Interpretation über den optimistischen Glauben an die Moderne hinausragt. »Jeg synes, at Johannes V. Jensen har en fremskridtstro, som han ikke ville have haft, hvis han havde levet på min tid« 51 [»Ich denke, dass Johannes V. Jensen einen Fortschrittsglauben hatte, den er nicht gehabt hätte, wenn er in meiner Zeit gelebt hätte«], wie er selbst anmerkt. Det [das Kolumbus-Motiv, I. S.] er den største ulykke, der er sket i verdenshistorien, europæernes ødelæggelse af de indianske kulturer først og fremmest på øerne ud for Mellemamerika, men dernæst i Mellemog Sydamerika i særdeleshed og i Nordamerika i almindelighed. Og når vi nærmer os det år, der hedder 1992, så er det nærliggende at tage hele dette Columbus-syndrom op til behandling. Det har jeg så gjort i forbindelse med den her bog, hvor hovedpersonen hedder Columbo, og hvor jeg har forsøgt at skrive det, jeg kalder en omvendt Columbus-bog. 52 Das [die Geschichte um Kolumbus, I. S.] ist das größte Unglück, das in der Weltgeschichte geschehen ist, die Vernichtung der indianischen Kulturen zunächst af den Inseln draußen vor Mittelamerika, aber dann in Mittel- und Südamerika im Besonderen und in Nordamerika im Allgemeinen. Und wenn wir uns dem Jahr 1992 nähern, dann liegt es nahe, uns dieser ganzen Kolumbus-Krankheit zur Behandlung anzunehmen. Das habe ich in Verbindung mit diesem Buch gemacht, in dem die Hauptperson Colombo heißt, und mit dem ich versucht habe, das zu schreiben, was ich ein umgedrehtes Kolumbus-Buch nenne. 49 Vgl. Jones, David M. und Brian L. Molyneaux: Mythologie der neuen Welt. Die Enzyklopädie der Mythen in Nord-, Meso- und Südamerika, Reichelsheim 2002, S. 194. 50 Bo Elbrønd Bek, Palindromos eller Columbos sidste rejse, S. 187. 51 Ebd., S. 196. 52 Ebd., S. 187. Ingo Sundmacher 160 Schon in seiner Gedichtsammlung Digte 1977, die als Antwort auf Jensens Digte 1906 verstanden werden kann, bezieht Lundbye sich mit einem eigenen Kolumbus- Gedicht auf das von Jensen. Der hatte noch geschrieben: »Der er ingen Gud i de rasende Bølger/ der er Christoph Columbus’ Hjerte,/ som skaber en ny Verden ud af sin Verdenssmærte« 53 [»Es ist kein Gott in den rasenden Wellen/ es ist Christoph Kolumbus’ Herz/ das eine neue Welt erschafft aus seinem Weltenschmerz«]. Lundbye nimmt diese pathetische Feier der Moderne in seinem Gedicht deutlich zurück: »Hvad blir det næste? / europæiske menneske / nu hvor du ligger med hagen højt / i den synkende eftermiddag / og ser den hvide verdenssmærte« 54 [»Was kommt als nächstes? / europäischer Mensch/ jetzt wo du mit hochgestrecktem Kinn daliegst/ am vergehenden Nachmittag/ und den weißen Weltschmerz siehst«]. Für ihn ist im Gegensatz zu Jensen der europäische Mensch »endnu mere umættelig / og endnu mere dødbringende« 55 [»noch unersättlicher/ und noch totbringender«]. Das Kolumbus-Motiv in Palindromos eller Columbos sidste rejse bleibt allerdings losgelöst vom historischen Kolumbus und auch von der Jensenschen Kolumbus- Figur. Eine Verbindung wird auf den ersten Blick nur durch den Titel, das Motto des Romans und den Klappentext hergestellt, wo es heißt: »Vagn Lundbyes roman Palindromos - eller Colombos sidste rejse handler om Columbus’ sidste opdagelsesrejse, idet han i 1992 begiver sig ud til et af de få steder på Jorden, hvor der stadig bor indfødte, der ikke er civiliserede« 56 [»Vagn Lundbyes Roman Palindromos - oder Colombos letzte Reise handelt von Kolumbus’ letzter Entdeckungsreise, indem er sich 1992 hinaus zu den wenigen Stellen der Welt begibt, wo immer noch Eingeborene leben, die nicht zivilisiert sind«]. Allerdings würde die Reise von 1992 völlig anders verlaufen als 1492, heißt es dort weiter. Tatsächlich wird hier eine falsche Spur gelegt, da Kolumbus und Colombo weder identisch sind noch unmittelbar in Zusammenhang gebracht werden. Colombos Bezug zu Kolumbus findet sich lediglich in seinem Buchprojekt: »I 500 år eller mere har de kristne sendt mænd og kvinder ud i verden for at missionere blandt fremmede. Det er det, som interesserer mig.« 57 [»Seit 500 Jahren oder länger haben die Christen Männer und Frauen in die Welt ausgesandt, um unter den Fremden zu missionieren. Das ist es, was mich interessiert.«] Mission war bekanntlich eine Motivation für Kolumbus’ Reisen. Für Lundbye liegt die Verbindung im Schweineritual 58 , während dem Colombo wie die anderen Gefangenen zuvor nach einem sexuellen Ritual kastriert wird. In diesem Ritual sieht Lundbye eine Analogie zwischen der modernen Gesellschaft und Kolumbus’ erster Reise. 53 Johannes V. Jensen: Madame d’Ora, S. 26. 54 Zitiert nach Bo Elbrønd Bek: Palindromos eller Columbos sidste rejse, S. 186. 55 Ebd. 56 Vagn Lundbye: Palindromos eller Columbos sidste rejse, Klappentext. 57 Ebd., S. 69. 58 Ebd., S. 80ff. Kolumbus-Mythen im Norden 161 Hele den hvide mands kultur er udtryk for angst for kastration. Jeg mener hele Columbus’ rejse til Amerika i 1492 er kastrationsangst, og jeg mener hele den vestlige industrikultur er kastrationsangst. Alt det der med at skulle forny sig hele tiden og skulle kaste det gamle væk er kastrationsangst, kort og godt. Hvad er mere naturligt end at tage det bogstaveligt og foretage den kastration i forbindelse med svineritualet, som jeg i øvrigt har overværet på Ny Guinea, dog ikke med kønslig omgang til slut. Hvad skal Christopher Columbus? Denne knap 60-årige mand med kone og børn. Det, han oplever, er, at livet er ved at være slut; han kan ikke så meget mere. Derfor vil han altså gøre et eller andet, som giver ham kraft igen. Det er kastrationsangst! 59 Die ganze Kultur des weißen Mannes ist ein Ausdruck für Kastrationsangst. Ich halte die ganze Reise von Kolumbus nach Amerika 1492 für Kastrationsangst und ich halte die westliche Industriekultur für Kastrationsangst. Der ganze Wahn mit der ständigen Erneuerung und das Alte wegzuschmeißen, ist Kastrationsangst, kurz und gut. Was wäre natürlicher als das wörtlich zu nehmen und die Kastration in Verbindung mit dem Schweineritual vorzunehmen, das ich übrigens in Neuguinea erlebt habe, wenn auch ohne Geschlechtsverkehr am Ende. Was ist mit Christoph Kolumbus? Diesem knapp 60-jährigen Mann mit Frau und Kindern. Das, was er erlebt, ist, dass sich das Leben zum Ende neigt; er ist nicht mehr zu allzuviel fähig. Deshalb will er irgend etwas unternehmen, das ihm wieder Kraft gibt. Das ist Kastrationsangst! Hier liegt das treibende Element für die Einbindung des Mythos in den Roman, den Lundbye als umgekehrtes Kolumbus-Motiv bezeichnet. Ähnlich dem indigen Pachacuti schließt sich hier ein Kreis, indem Colombo in dem Dschungeldorf landet, in dem die Weißen kastriert als eine Art Haustiere weiter existieren. Was zunächst unzivilisiert scheint, wird hier von Colombo selbst ebenfalls als vermeintlich zivilisierte Handlung entlarvt: »Kan tvangssterilisationer være et gode? […] Flere af de missionærer, jeg har mødt, gik faktisk ind for det.« 60 [»Kann Zwangssterilisation etwas Gutes sein? […] Viele der Missionare, die ich getroffen habe, setzten sich tatsächlich dafür ein.«] Geschichte wird hier als Palindromos aufgezeigt. »SIGNA TE, SIGNA TEMERE ME TANGIS ET ANGIS, læste han langsomt og forstod ikke et ord af det. Det måtte være latin.« 61 [»SIGNA TE, SIGNA TEMERE ME TANGIS ET ANGIS, las er langsam und verstand nicht ein Wort davon. Das musste Latein sein.«] Das Entscheidende ist hier aber nicht die Übersetzung, sondern die Tatsache, dass Gagags Satz ein Palindromos ist, ein Satz, der sowohl vorwärts als auch rückwärts gelesen werden kann und immer noch exakt gleich lautet. Gagags Erklärung für Colombo ist zyklisch: »Løbende i én uendelighed. Fremtid og nutid. Nutid og fremtid! « 62 [»In eine Unendlichkeit laufend. Zukunft und Gegenwart. Gegenwart und Zukunft! «] Lundbye fügt dazu an: 59 Bo Elbrønd Bek: Palindromos eller Columbos sidste rejse, S. 191. 60 Vagn Lundbye: Palindromos eller Columbos sidste rejse, S. 70. 61 Ebd., S. 237. 62 Ebd., S. 249. Ingo Sundmacher 162 Der er det specielle ved 1991, at det også er et palindrom. Og så tænkte jeg på her op til 500 års jubilæet at lave en omvendt Columbus, dvs. en Columbus, der rejste den anden vej, hvis ellers man er i stand til at forestille sig det muligt. Jeg lader Columbus ankomme til Ny Guinea på samme måde som Michael Rockefeller gjorde i 1962. 63 Das ist das Spezielle an 1991, dass es auch ein Palindrom ist. Und darum dachte ich hier zum 500-Jahres-Jubiläum einen umgedrehten Kolumbus zu erschaffen, d.h. einen Kolumbus, der auf dem anderen Weg reist, soweit man in der Lage ist, sich das als möglich vorzustellen. Ich lasse Kolumbus in derselben Art und Weise in Neuguinea ankommen wie dies Michael Rockefeller 1962 tat. Die Geschichte wird umgedreht und lässt sich so wieder genauso lesen. Letztendlich handeln die Eingeborenen des Dorfes nicht anders als die Weißen in der Nachfolge der Kolumbusreisen. Der Kolumbus von Jensen, der als Mythos für die Moderne steht, wird entsprechend umgewendet. Bei Lundbye sind die Errungenschaften der Moderne fragwürdig geworden, nicht nur durch die Gefangenschaft ihrer Vertreter, sondern vor allem auch durch die Tatsache, dass die Gefangenen im Dorf inklusive Colombo ihre Rolle akzeptieren. Damit werden auch die Errungenschaften der Moderne, für die Jensens Kolumbus-Mythos steht, in Frage gestellt. In Lundbyes Roman existiert Kolumbus daher folgerichtig gar nicht. Er ist ausschließlich ein Mythos, den der Rahmen vorgibt und mit dem Lundbye abrechnet. Det handler om det gode og det onde. Og godheden og ondskaben går på tværs af alle skel og grænser. Tag nu for eksempel den landsby her, den er hverken god eller ond. Den er både god og ond. Ethvert menneske er det. Hvad det gælder om, er at beskytte godheden og bekæmpe ondskaben. 64 Es geht um Gut und Böse. Und das Gute und das Böse laufen quer über alle Grenzen. Nimm zum Beispiel dieses Dorf hier, das ist weder gut noch böse. Es ist sowohl gut als auch böse. Jeder Mensch ist das. Es kommt darauf an, das Gute zu beschützen und das Böse zu bekämpfen. Die Kolonialgeschichte und mit ihr die Moderne, deren Teil sie ist, zeichnet sich nicht zuletzt durch lineares Denken aus, das eine Einteilung in Gut und Böse mit sich führt. Daraus speist sich der zivilisatorische Fortschrittsgedanke, für den Kolumbus im Allgemeinen - und im Besonderen bei Jensen - steht. Die Geschichte als Palindromos gedacht, führt wieder zurück vor die Reise des Kolumbus. Hier findet sich wieder, was Barthes als gnostische Themen formuliert hat. Insbesondere die Möglichkeit einer grundlegenden Rückführung der Welt und die Öffnungskraft des Wortes sind deutlich erkennbar. Damit lösen sich aber auch Gut und Böse als 63 Bo Elbrønd Bek: Palindromos eller Columbos sidste rejse, S. 187. 64 Vagn Lundbye: Palindromos eller Columbos sidste rejse, S. 70. Kolumbus-Mythen im Norden 163 brauchbare Kategorien auf und Kolumbus’ Kraft als Mythos wird, folgt man Lundbyes Logik, entwertet. Bibliographie Primärliteratur Christoph Columbus: Schiffstagebuch, Leipzig 1980. Kolumbus: Der erste Brief aus der Neuen Welt, Stuttgart 2000. Johannes V. Jensen: Christofer Columbus, Kjøbenhavn 1921. Johannes V. Jensen: Madame d’Ora, Kjøbenhavn 1904. Johannes V. Jensen, Aarbog 1916, Kjøbenhavn 1916. Johannes V. Jensen: Æstetik og Udvikling, Kjøbenhavn 1923. Johannes V. Jensen: Introduktion til vor Tidsalder, Kjøbenhavn 1925. Vagn Lundbye: Palindromos eller Columbos sidste rejse, København 1991. Sekundärliteratur Barthes, Roland: Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964. Brezinova, Helena: Die lange Reise: Johannes V. Jensens Epos über die Entwicklung der Menschheit als Mythos, in: Aage Jørgensen und Sven Hakon Rossel (Hrsg.): »Gelobt sei das Licht der Welt…«. Der dänische Dichter Johannes V. Jensen. Eine Forschungsanthologie, Wien 2007, S. 239-262. Bürger, Klaus: Christoph Kolumbus, Leipzig 1979. Dreyer-Eimbcke, Oswald: Kolumbus. Entdeckungen und Irrtümer in der deutschen Kartographie, Frankfurt am Main 1991. Elbrønd Bek, Bo: Palindromos eller Columbos sidste rejse. Interview med Vagn Lundbye, in: Bogens Verden 3 (1995), S. 186-196. Holm, Iben: Jærtegn. Et essay om Johannes V. Jensens myter, København 2000. Jones, David M. / Brian L. Molyneaux: Mythologie der neuen Welt. Die Enzyklopädie der Mythen in Nord-, Meso- und Südamerika, Reichelsheim 2002. Lévi-Strauss, Claude: Mythos und Bedeutung, Frankfurt am Main 1980. Lüthi, Max: Märchen, Stuttgart 1996. Michael, Ib: Jubelåret, Vorwort zu Johannes V. Jensen: Christoph Columbus, København 1991. Wivel, Henrik: Columbus. Drift og Darwinisme i Johannes V. Jensens forfatterskab, in: Jørgensen, Aage, & Helene Kragh-Jakobsen (red.): Columbus fra Himmerland. Bidrag til et Johannes V. Jensen-Symposium i Farsø 28. august 1994, Farsø 1994, S. 155-163. Juan Rulfo og den skandinaviske litteratur M ARTIN Z ERLANG Det eksotiske Danmark Danmark er et land, hvor der ikke er nogen tyve; træerne her er større og ældre end nogen andre steder på jorden; hvert træ har sin egen uforvekslelige duft; man vågner, når havfuglene begynder at skrige; og når foråret bryder det frem, sker det pludseligt, når sneen smelter og oversvømmer alt som en flodbølge. Sådan præsenteres Danmark i uruguayaneren Juan Carlos Onettis novelle Esbjerg ved kysten, og som man ser, er det her Danmark der fremstilles som den eksotiske »anden«, legemliggjort i Kirsten, som af fortælleren karakteriseres som »stor og grov, fregnet og hærdet«: »måske får hun en dag den tunge staldog flødelugt ved sig, som jeg forestiller mig der er i hendes hjemland.« 1 (136) I Onettis hovedværk, romanen El astillero (1961) - i norsk oversættelse: Verftet - bærer hovedpersonen det gode navn Larsen. Onetti er imidlertid ikke den eneste latinamerikaner med et blik for det eksotiske Skandinavien. Guatemalaneren Miguel Angel Asturias skrev i 1932 en stribe artikler om sin rejse til Skandinavien, om de lyse nætter, om de blå øjne, om de norske fjorde, om vikingeskibe og Vigelandsparken. I diktatorromanen Præsidenten nævnes »det vidunderlige Danmark« som en kontrast til diktaturet. 2 »Hvilke hemmelige veje førte mig til kærligheden til alt hvad der er fra Skandinavien? «, spørger argentineren Jorge Luis Borges i indledningen til sin udgivelse af Seis poemas escandinavas (1966), og han svarer, at det kan have skyldtes slægtsbånd på faderens side, læsning i sagaerne eller »måske magien i ord som Danmark, Norge, fjord, Odin og Thor...« 3 Hans landsmand Julio Cortázar var i Danmark i forbindelse med sit arbejde som oversætter for UNESCO, og han bemærkede her en helt moderne fantastik. I det finurlige essay Nætter i Europas ministerier, optrykt i Passager, finder han det fantastiske realiseret i elevatoren i Christiansborg, den - for danske tv-seere velkendte elevator som uophørligt og uden afbrydelse bringer politikerne op og ned. 4 1 J.C. Onetti: Esbjerg ved kysten, i: Peter Poulsen og Uffe Harder (red.): I Latinamerikas spejl, København: Vindrose 1982, s. 136. 2 M.A.Asturias: Præsidenten, Haslev: Gyldendal 1974, s. 37. 3 J.L. Borges: Prólogo, i: Seis poemas escandinavas, her citeret efter books.google.dk/ books? isbn=8499896642. 4 Jf. J. Cortázar: Passager, Hellerup: Forlaget Spring 2004, s. 110-116. Martin Zerlang 166 På de følgende sider vil jeg imidlertid koncentrere mig om de skandinavisklatinamerikanske forbindelseslinjer hos en mexicansk forfatter, Juan Rulfo, som simpelthen mente, at litteraturens kilder måtte søges i Skandinavien. Om Juan Rulfos forfatterskab Først et par ord om Juan Rulfo og hans lillebitte, men meget store forfatterskab. Han blev født i 1918, midt under den mexicanske revolution. Da revolutionen fra 1926 blev mødt af en religiøst motiveret kontrarevolution, måtte han se, hvordan hele hans familie blev dræbt, én for én. I Autobiografía armada fortæller han, at i familien Perez Rulfo (...) »var der aldrig meget fred; alle døde tidligt, og alle blev dræbt bagfra.« 5 Det kan således ikke undre, at døden hele tiden er nærværende i forfatterskabet, der består af novellesamlingen Sletten brænder, romanen Pedro Páramo samt et par drejebøger til film. Rulfo voksede op i Jalisco, i det vestlige Mexico, og han oplevede derfor også, efter revolutionsårenes blodsudgydelser, den nye åreladning, da bønder i milliontal forlod landbruget for at søge lykken i byerne. Han forlod sin barndoms Sayula, dengang en by med 7-8000 indbyggere, og måtte ved gensynet en lille menneskealder senere konstatere, at indbyggertallet var faldet til 150. I en selvbiografisk optegnelse fortæller han om det uhyggelige gensyn, akkompagneret af vinden, der tuder og hyler gennem trækronerne, og han spørger, hvorfor folk har ladet landsbyen dø; hvordan de har kunnet retfærdiggøre ønsket om at lade alt bag sig, deres hus og deres liv. Man kan sige, at forfatterskabet repræsenterer en slags svar på dette spørgsmål. Men i så fald et af den slags svar, der blæser i vinden, og som man kan læse i novellen Luvina, er det ikke en lun og imødekommende vind. Fortælleren beskriver den for sin tavse tilhører: Den kommer til Luvina og tager i ting og sager som om den bed i dem. Og der er masser af dage hvor den blæser tagene af husene som om det var hatte af palmeblade den tog i, og bagefter står murene bare og blottede tilbage. Så begynder den at kradse som om den havde negle; man hører den fra morgen til aften, uophørligt time efter time, den kradser på væggene, river skorpen af jorden, skraber med sin spidse skovl under dørene til den kan høre det krible i én, som om den havde sat sig for at blæse hængslerne på éns knogler itu. Det skal De nok få at se. 6 Rulfo er ikke en opbyggelig forfatter, men på sin egen besættende måde opbygger han en forsvunden verden i Pedro Páramo. Romanen begynder ved et dødsleje, hvor en mor afkræver sin søn det løfte, at han opsøger sin far, »en vis Pedro Páramo« 7 , og at han tager sig dyrt betalt af denne, fordi han svigtede sin kone og sin søn. Sønnen, Juan Preciado, drager afsted og kommer til byen Comala, hvor alt fra første færd er 5 R. Roffé: Autobiografía armada, Buenos Aires 1973, s. 30-31. 6 J. Rulfo: Sletten brænder, København 1988, s. 85f. 7 J. Rulfo, Pedro Páramo, København 1998, s. 5. Juan Rulfo og den skandinaviske litteratur 167 sært og uhyggeligt. Han møder en kvinde formummet i et sjal, der forsvinder »så pludseligt, at det var som om hun slet ikke havde været der«. (11) Han kommer ind i et hus, selv om der ikke er nøgle i døren. Han hører skrig indemuret i husene. Og han hører selve jorden knirke i sine rustne hængsler, som om den prøver »at vriste sig fri af mørket«. (154) Men først halvvejs gennem romanen står det klart for læseren, at den i udgangspunktet realistiske skildring af mexicansk landsbyvirkelighed i virkeligheden (eller uvirkeligheden) er et spøgelsesunivers, og at romanens overordnede ramme er en samtale mellem dødningene Juan Preciado og Dorotea, der ligger i en grav under et af byens huse, en samtale som med mellemrum afbrydes af stemmer fra andre lig. I romanens første halvdel er det sønnens historie, der dominerer. I romanens anden halvdel, er det faderens historie, der dominerer. Og gennem en montage af erindringsklip, situationer mv. tegner der sig en historie om ulykkelig kærlighed. Pedro Páramo vokser op til et magtmenneske, hvis manglende magt over kærligheden slår over i had og ødelæggelse. Da målet for hans ulykkelige kærlighed, Susana San Juan, dør, spotter landsbyen hans sorg med fest og glade dage, hanekamp og lotteri, og Pedro Páramo sværger, at han vil hævne sig: »Jeg sætter mig ned med armene over kors, og så dør Comala af sult.« (165) Juan Preciado er en af Pedro Páramos sønner, og det Comala, han ankommer til, er en by, hvor det eneste levende er Pedro Páramos bitre had. Han er »et levende nag« (9), siger den mand, der viser Juan Preciado hen til Comala, i øvrigt - viser det sig - en halvbror til Juan, og i romanens sidste klip den, der »tager sig dyrt betalt« (jf. s. 5) ved at dræbe sin far. Romanen er udformet som et kor af stemmer, de dødes stemmer, som lægger brik på brik til et billede af den ulykke, som Pedro Páramo med sit nag har kaldt ned over landsbyen. Nøglen til denne sælsomme verden er de folkereligiøse forestillinger om sjæle i skærsilden, sjæle der ikke kan få fred, f.eks. fordi præsten ikke på dødslejet har givet dem syndernes forladelse. Men det er ikke sjæle, men legemer, levende og rådnende lig, der befolker Comala, og en reduceret trosbekendelse kaster lys over den forbandelse, der har ramt byen. Præsten siger »syndernes forladelse og kødets opstandelse«(Ibid., s. 21), men udelader ordene om »det evige liv«, og dermed fanges personerne i skærsildens »evige død«. På trods og på tværs af de skrækromantiske kulisser med ruiner, måneskin, tågebanker, gengangerheste og spøgelser er romanen båret af en samfundskritik, der er præcist forankret i mexicansk virkelighed og historie. Undervejs skildres således den mexicanske revolution og kontrarevolution, godsejernes manipulation af de oprørske bønder, de samme bønders manipulerbarhed, præsteskabets korruption og familiens opløsning. Magisk realisme kalder man denne forening af myter og virkelighed, hvor myterne kritiseres, fordi de spærrer for frigørelse, men samtidig fremstår som et redskab for den kritiske undsigelse af en ond virkelighed. Martin Zerlang 168 En verden af tåge og skyer Som man fornemmer, er der langt fra Rulfos Mexico til Skandinavien, men ikke desto mindre har Rulfo netop peget på de nordiske forfattere som sin foretrukne læsning: De nordiske forfattere var i virkeligheden dem, hvis påvirkning jeg har haft tættest på. Jeg begyndte at læse de nordiske forfattere, Knut Hamsun, Bjørnson, Selma Lagerlöf. Jeg har altid godt kunnet lide den nordiske litteratur, fordi den giver mig indtryk af en verden af tåge og skyer, ikke sandt? Jeg kan godt lide det triste, det triste og det tætte. Dengang interesserede alle de nordiske forfattere mig. 8 Rulfo nævner især de nordiske forfattere fra årtierne omkring 1900, men han fortæller også om sin beundring for Laxness’ Salka-Valka (1931-32), og mere generelt erklærer han, at den nordiske litteratur »har givet mig nogle af mine største nydelser«. (Fell 426) I en forelæsning om Den moderne romans aktuelle situation fremsatte Rulfo en teori om, at man finder kilderne til den europæiske litteratur i de nordiske lande: Den nordamerikanske roman har indtil videre ikke fostret en forfatter af særlig værdi. Den nordiske litteratur, derimod, er forblevet stabil. Det er en litteratur, som altid har interesseret mig meget, fordi jeg tror - sådan mener nu jeg - at al den europæiske litteratur er født i Norden, i disse tågede lande, som Island, Norge, Sverige, hvorfra den har bredt sig til resten af Europa. Laxness, islænding, som har fået Nobel-prisen, forfatter til Atomstationen, blander det humane spørgsmål med teknikken og videnskaben og skaber derigennem human fiktion. I denne litteratur bemærker man en stor indflydelse fra Hamsun, forfatteren til En vandrer spiller med sordin, men desværre har hans efterfølgere ikke den samme munterhed, som kendetegnede Hamsun, denne store glæde som gav mennesket en sandt human karakter. (Fell 377) Rulfo nævner også forfattere som William Faulkner fra de nordamerikanske sydstater, den svejtsiske bondeforfatter Ramuz og russere som Andreiv, Korolenko. Fælles for disse og skandinaver som Hamsun og Laxness er, at de alle kommer fra den økonomiske, politiske og kulturelle periferi. De er forfattere fra en verden, hvor myten dominerer over historien og hvor den mundtlige fortælling er mere udbredt end den skrevne litteratur. »Jeg er ikke en urban forfatter«, har Juan Rulfo erklæret 9 , og det træk, der primært forbinder hans verden med de nordiske forfattere, er landsbykulturen og den mundtlige tradition. Den danske forfatter Knud Sørensen har forklaret den mundtlige kultur på følgende vis: det, som kendetegner sproget i bondekulturen, er at det har sin oprindelse i et lukket fællesskab, og at det tjener som redskab i en verden, hvor alle kender hinanden, og hvor man ved, hvad den anden vil sige, »fordi man opererer med en stor flade af noget fælles underforstået«. 10 Derfor er det normalt ikke nødvendigt at bruge mange ord, og man kan begrænse sig til allusioner og 8 C. Fell (ed.): Juan Rulfo. Toda la obra. Edición crítica, México 1992, s. 879. 9 Cuadernos Americanos, 1985: 421-423, s. 5. 10 K. Sørensen: Danmark mellem land og by, København 1988, s. 15. Juan Rulfo og den skandinaviske litteratur 169 insinuationer. Ofte handler en samtale om noget helt andet end det, der tales om. Man underdriver hellere end man overdriver, og litoten er den mest yndede retoriske figur. I landsbykulturen er sproget præget af forsøget på at undgå konflikter, og eventuelle følelser formuleres ikke i ord. I sin yderste konsekvens er det et sprog uden ord. »Et sprog uden ord«, siger Knud Sørensen, og det er netop et sådant sprog, man møder hos Juan Rulfo. I Autobiografía armada siger Rulfo om Jalisco, hans fødestat i det vestlige Mexico: »Folk er hermetisk tillukkede. Måske af mistro, ikke alene til dem, der kommer og går, men også indbyrdes. De bryder sig ikke om at tale om deres ting.« Og han tilføjer om sproget hos bønderne i Jalisco: »Deres vokabular er meget knapt. De taler næsten ikke.« (Roffé 43) »Jeg ville ikke tale, som man skriver, men skrive som man taler« (Roffé 54), erklærer Rulfo, og den samme bestræbelse gør sig gældende hos forfattere som Bjørnstjerne Bjørnson, Knut Hamsun og Haldor Laxness. Også hos dem bemærker man denne forkærlighed for en folkelig fortællestil, hvor det enkle og det subtile mødes i litoten og i de lakoniske ordvekslinger. Men det er samtidig forfattere, der har fået snakkeog skrivetøjet på gled, fordi de uhjælpeligt er på vej ind i moderniteten. Når Octavio Paz i Ensomhedens labyrint (1950) siger, at »vi er for første gang i vores historie samtidige med andre mennesker«, 11 kan man tilføje, at denne oplevelse af samtidighed var særligt intens for de forfattere, der stod i begreb med at træde ind i den moderne virkelighed. Om Rulfo som et prisme for denne dialektik mellem periferi og modernitet siger Angel Rama i Transculturación narrativa en América Latina: Den forfatter, som efter manges opfattelse introducerer avantgardens skrivemåde i den mexicanske fortællekunst, har ikke rettet sig mod de hovedskikkelser i den europæiske avantgarde (Joyce, Woolf, Kafka, Musil), der har dannet baggrund for den store kosmopolitiske linie i latinamerikansk litteratur. Han har i stedet rettet sig mod de repræsentanter fra den europæiske periferi, som et halvt århundrede før latinamerikanerne gjorde deres erfaringer med en modernitet, som kom fra de metropolitane centre. 12 Bjørnstjerne Bjørnson Blandt de norske forfattere, som Rulfo har læst, finder man Bjørnstjerne Bjørnson. Det kan ikke undre, at han har fundet behag i Bjørnsons forfatterskab, da bondekulturen her indtager en særstilling. Med fortællinger som Synnøve Solbakken (1857), Arne (1858) og En glad Gut (1860) indførte Bjørnson bonden i den nordiske litteratur, og med det nye motiv udviklede han også en ny stil. I sit portræt af Bjørnson skrev Georg Brandes, at bønderne i disse fortællinger forekom han fjerne og næsten eksotiske. 11 O. Paz: Ensomhedens labyrint, Aarhus 1986, s. 181. 12 Á. Rama: Transculturación narrativa en América Latina, México 1982, s. 107. Martin Zerlang 170 En Bjørnsons samtidige, Jonas Lie, karakteriserede Bjørnson som en enkel og ligefrem forfatter: »Han indførte den direkte stil - subjekt like på objekt - det virket som nitroglycerin! « 13 At Rulfo med sin direkte, upyntede stil må have sat pris på Bjørnsons måde at fortælle på er indlysende. I et interview udtalte han: Ligesom der i syntaksen er tre støttepunkter, grundled, udsagnsled og genstandsled, er der i fortællekunsten tre skridt: det første er skabelsen af en person, det andet er skabelsen af et miljø, hvor denne person kan bevæge sig rundt, og det tredje er udviklingen af denne persons stemme, hans måde at udtrykke sig, dvs. at give ham form. 14 I følge en anden af Bjørnsons samtidige, kritikeren Clemens Petersen, var det den dramatiske eller sceniske fremstilling, der gav Bjørnsons fortællinger deres eksplosive direkthed. Her blev personerne karakteriseret gennem deres handlinger og replikker, »ikke gennem fortællekommentarer, ›Reflexion eller andre Armodens Hjælpetropper‹.« 15 Igen kan man sammenligne med Rulfo, der enten undlader at kommentere sine personer eller delegerer fortællerrollen ud til en person, der er en del af fortællingen. Sandt at sige er Bjørnsons forfatterskab ikke ganske renset for alvidende fortællere. Synnøve Solbakken, der jo handler om kærligheden mellem Synnøve, der tilhører livets solside, og Thorbjørn der er bundet af livets skyggesider, åbnes ligefrem af en sådan alvidende og medvidende fortæller: »Den, hvorom her skal fortælles, bodde på en sådan [solbakke], hvoraf gården havde sit navn.« 16 Men som man straks fornemmer, er det en fortæller, hvis stemme forener sagaernes enkle stil med bøndernes enkle stil. Ved siden af denne fortæller er der en af personerne, der optræder som en slags alternativ fortæller: Aslak er en oprørsk småbonde, der ikke accepterer den alvidende fortællers harmoniserende livssyn. Under en bryllupsfest vælger han selv at fortælle sin historie: »Nu fortæller jeg det, jeg vil, jeg«, sagde Aslak. (162) Hans historie handler om de sociale og fatale konflikter i landsbyen, f.eks. om hvordan han selv kom til verden som horeunge. Han formulerer sig underfundigt, når han om sin mor siger, at hun som tjenestepige hos en gårdmand »fik en god løn, fik hun, og hun fik mere end hun skulde ha; hun fik et barn«. (164), men han rammer sine tilhørere med sin historie. »Dette var stygt«, sagde kvindfolkene og rejste sig for at komme bort. (165) En tredje fortæller er landsbyfællesskabet, der spinder alt og alle ind i sit net af rygter, historier og snak. »Men det ord gik, at i Granliden havde blot hver anden mand lykken med sig...« (118) Det er næsten som om det er fortællingerne, der giver personerne eksistens: »Hvordan det var og ikke var: den tid jenten blev større, 13 Cit. Martin Zerlang: Grundtvigianismen og den folkelige kultur, i: Lise Busk-Jensen et al.: Dansk litteraturhistorie, bd. 6, 1990, s. 178. 14 Juan Rulfo: «El desafío de la creación», i: Revista de la Universidad de México, vol. XXXV, nr. 2-3, 1980, s. 15-16. 15 Cit. efter Martin Zerlang: Grundtvigianismen, s. 178. 16 B. Bjørnson, Samlede værker, bd. 3, 1900, s. 117. Juan Rulfo og den skandinaviske litteratur 171 kaldte alle hende Synnøve efter moderen, og de fleste sagde, at i mandeminde var ikke så fager en jente vokset der i bygden som Synnøve Solbakken.« (117f.) Ligesom i Rulfos roman Pedro Páramo er fællesskabet dannet af et væv af rygter: »Snart blev mangehånde fortalt i bygden; men ingen vidste noget med sikkerhed.« (141) Og ligesom i Rulfos fortællinger, f.eks. Luvina hvor vinden tager levende og ødelæggende del i fortællingen, og Vi er meget fattige hvor floden blander sig i pigernes fatale vækst, er landskabet hos Bjørnson en aktiv og undertiden fjendtlig medspiller i forløbet. Synnøve Solbakken er en roman med et magisk eller fantastisk univers, hvor træerne og fuglene samtaler, og hvor samspillet mellem en ørn og et aristokratisk fyrretræ giver anledning til »en travel snak« (144) blandt de øvrige træer. Knut Hamsun I sin Autobiografía armada fortæller Rulfo, at han engang skrev et romanmanuskript om en ung mand, der lige var ankommet til Mexico City. Denne roman om ensomhed i byen byggede på egne erfaringer: Jeg kendte ingen, og efter fyraften havde jeg ikke andet at lave end at skrive. Det var som en slags dialog, jeg førte med mig selv. Lidt som en snak. (...) Man kan sige, at jeg levede med ensomheden. Jeg snakkede med ensomheden, sludrede med den. 17 Disse følelser af ensomhed i byen, denne »hypersensibilitet« (53), og disse stunder, hvor han sludrede med sig selv, forbinder Rulfo med den unge Knut Hamsun, der jo lader debutværket Sult åbne med sætningen: »Det var i den Tid, jeg gik omkring og sulted i Kristiania, denne forunderlige By, som ingen forlader, før han har faaet Mærker af den.« 18 Hamsuns beskrivelse efterlod også tydelige spor hos Rulfo, der flere gange har talt om sin fascination af den norske forfatter. Rulfos udforskning af den mystiske verden i landsbyen Comala kan således minde om Hamsuns anden roman Mysterier (1892), hvor titlen jo røber, at den ydmyge lille norske havneby er hjemsted for sære kræfter. Den afsides og isolerede nordnorske småby kom til at danne ramme om Hamsuns univers, ligesom Rulfo i sit forfatterskab samlede sig om den afsides og isolerede vest-mexicanske småby. Angel Rama karakteriserer dette lighedstræk med følgende ord: »Et landsbyliv i ubetydelige småbyer og egne, hvor der ikke desto mindre manifesterer sig et intenst åndeligt liv hos anspændte personligheder, der er placeret i grænsesituationer.« 19 Blandt disse personer optræder også et stort antal charlataner. Hos Rulfo møder man en sådan charlatan i fortællingen Anacleto Morones, der handler om en 17 Roffé, s. 53. 18 K. Hamsun, Sult, i: Samlede værker, bd. 6, Oslo 1934, s. 5. 19 Fell, s. 535. Martin Zerlang 172 kvaksalver, der bruger sine magiske hænder og sin letløbende tunge til at få magt over kvinderne, åndeligt men også kropsligt. I Hamsuns univers møder man igen og igen charlataner, vagabonder og sværmere, og i de indledende sætninger til En Vandrer spiller med sordin erklærer fortælleren, at han lært at fortælle af en mexicaner. Han begynder i den stil, som også Rulfo dyrker, en stil der mimer det improviserede, enkle og spontane i den mundtlige fortælletradition, men som også benytter sig af formler og gentagelser for at kunne fastholde den røde tråd. Det blir visst meget Bær iaar. Tyttebær, Krækling og Multer. Ikke for det, Bær kan man ikke leve av. Men det er hyggelig at de staar der i Marken og er venlige for Øiet. Og mangen Gang er de ogsaa forfriskende at finde naar man er tørst og sulten. Dette sat jeg igaaraftes og tænkte paa. 20 Korte, selvhenvisende efterhængte sætninger som »Dette sat jeg igaaraftes og tænkte paa« er et af de mest karakteristiske træk hos Rulfos ensomme fortællere. Rulfo ville oprindelig have givet Pedro Páramo titlen Los Murmullos, og ligesom fortællernes ord her blandes med en »mumlen« i omgivelserne, finder man også hos Hamsun en »mumlen«, der ligesom udmåler hele det narrative univers: »Det lyder som fjærnt Elvesus fra Himlen, det er ingen saa langdragen Lyd for Tid og Evighet.« (277) Landskabets kombination af ro og voldsomhed går igen i fortællemåden - denne fortællemåde, som jo ifølge fortælleren i En Vandrer spiller med Sordin er noget, han har lært af en mexicansk fortæller: Men nu tænker jeg paa at disse stille Ting sitter jeg og skriver rolige Ord om — som om jeg aldeles ikke senere skulde komme til hæftige og farlige Begivenheter. Det er bare et Knep, jeg lærte det av en Mand paa den sydlige Halvkule, av Rough, en Meksikaner. Det ringlet smaa Messingpailetter rundt Bræmmen paa hans umaatelige Hat, saa jeg husker ham allerede av den Grund. Og jeg husker fremfor alt hvor rolig han fortalte om sit første Mord. (278) Som et eksempel på dette mexicanske fortællegreb kan man citere et stykke fra Rulfos fortælling La Cuesta de las Comadres. Fortælleren er en gammel og fattig mand, der udnytter månens lys, da han sidder og reparerer en hullet sæk. Den næsten idylliske ro fra denne måneskinsaften farver hans lakoniske beretning om, hvordan roen blev afløst af et drab: Den store oktobermåne lyste over gården og kastede Remigios lange skygge helt hen på huset. Jeg så at han gik hen til tejocote-træet og tog den machete jeg plejede at have hængende der. Bagefter så jeg at han kom tilbage med macheten i hånden. Men da han gik væk, så han ikke skyggede for mig, glimtede måneskinnet i måttenålen, som jeg havde stukket ind i en stolpe. Og jeg ved ikke hvorfor, men lige pludselig fik jeg stor tillid til den nål. Så da Remigio Torrico gik forbi trak jeg nålen ud, og uden at betænke mig stak jeg den i ham lige ved navlen. Jeg stak den helt ind. Og der lod jeg den sidde. 21 20 K. Hamsun: En vandrer spiller med sordin, i: Samlede Værker bd. 8, Oslo 1934, s. 277. 21 J. Rulfo: Sletten brænder, s. 22. Juan Rulfo og den skandinaviske litteratur 173 Som man bemærker, er der ikke stor afstand mellem liv og død hos Rulfo, og også i Hamsuns verden finder man eksempler på denne »leg« med døden. I En vandrer spiller med sordin præsenterer fortælleren nogle refleksioner over hekse, som kan lede tanken hen på de spøgelsesagtige kvinder i Pedro Páramos Comala. Jens Peter Jacobsen Rulfo synes ikke at have nævnt Johannes V. Jensen, hvis Kongens Fald (1900-1901), som allerede titlen røber, ikke er uden tematisk fællesskab med Pedro Páramo, ligesom den mytiske by Gråbølle i Himmerland kan lede tankerne hen på Comala. Men han nævner udtrykkeligt J.P. Jacobsen, hvilket umiddelbart kan undre, når man betænker dennes forfinede, aristokratiske stil. Jacobsen så jo gerne sig selv som ›Grande d’Espagne‹ 22 i dansk litteratur, mens Rulfos ambition var at skrive, som man taler blandt bønder, der stort set ikke taler. Imidlertid må melankolien i Jacobsens forfatterskab have anslået tilsvarende strenge i Rulfos sind. I Marie Grubbe (1876) fortælles om »en gehejm Societet, som En kunde kalde for de Melankoliskes Kompagnie« 23 , og Rulfo hørte helt åbenbart til i samme kompagni. Romanen Niels Lyhne (1880) handler om muligheden for at give afkald på troen på en hinsidig verden. Niels Lyhne vil være »fritænker« og prøvestenen for den frie tanke er modet og evnen til at tage afsked med alle de religiøse forestillinger om et hinsides. Diskussionen om et liv uden Gud, uden kirke, uden autoritet er beslægtet med Rulfos fremstilling af Susana San Juan i Pedro Páramo, fordi også hun afviser den autoritære indstilling i forhold til såvel det fysiske liv som det åndelige liv. Hun siger således, at hun ikke har brug for Fader Rentería, og hun hengiver sig i stedet til naturen, havet. På samme måde hylder Niels Lyhne livet uden Gud: »Men,« udbrød Niels Lyhne, »fatter De da ikke, at den Dag, Menneskeheden fri kan juble: der er ingen Gud, den Dag skabes der som med et Trylleslag ny Himmel og ny Jord. Først da bliver Himlen det fri, uendelige Rum, i stedet for et truende Spejderøje. Først da bliver Jorden vor, og vi Jordens (...).« 24 I den spanske oversættelse fra 1941 er denne passage, som rummer hele diskussionen om den frie tanke, udeladt, uden tvivl under pres fra Francos censur. Men har Rulfo ikke læst denne passage, har han helt sikkert læst romanens slutscene, som på mange punkter kan minde om den afsluttende dødsscene i Pedro Páramo. Under sine voldsomme feberfantasier erklærer Niels Lyhne, at han vil »dø staaende«, og »saa døde han da Døden, den vanskelig Død.« 22 Jf. Breve fra J.P.Jacobsen. Udgivet med Forord af Edvard Brandes (1899), Kbh. 1968, s. 130. 23 J.P. Jacobsen: Marie Grubbe. Interiør fra det 17. Aarhundrede, København 1989, s. 119. 24 J.P. Jacobsen: Niels Lyhne, København 2008, s. 102. Martin Zerlang 174 Selma Lagerlöf I sin Textos de la bruma nórdica (2004) skriver den colombianske-svenske forfatter Victor Rojasen om en litteraturhistorisk linje fra de islandske sagaer over Selma Lagerlöf til Juan Rulfo og Gabriel García Márquez, og han trækker linjen op ved at følge hævnmotivet fra Njals Saga over Lagerlöfs roman Herr Arnes Penningar (1903) til Rulfos Pedro Páramo og García Márquez’ Historien om et bebudet mord (1981). 25 Ligesom Rulfo voksede Selma Lagerlöf op i provinsen, i Mårbacka, en landsby i Värmland; ligesom Rulfo voksede hun op i et atmosfære af religiøse forestillinger. Ligesom Rulfo oplevede hun det trauma, at familien mistede alt, hvad den ejede; og ligesom Rulfo stiftede hun allerede i barndommen bekendtskab med døden. Hun var svag og syg, og hendes forældre regnede - fejlagtigt - med at hun ikke ville blive ret gammel. Da hun indledte sit forfatterskab, ønskede hun at bryde med den naturalisme, som da beherskede den nordiske litteratur, og med Gösta Berlings saga (1891) skabte hun et værk, der i mange henseender må kaldes en forløber for den magiske realisme: Her er et karneval, der samler handlingen, en flerstemmig fortællemåde og en verden uden skarpe grænser mellem virkelighed og drøm. Også romanen Niels Holgerssons underbara resa genom Sverige (1906-07) foregriber magien og fantastikken i den latinamerikanske litteratur. Her flyves helten rundt til alle hjørner af Sverige af en talende gås. I Materialismen i skönlitteraturen (1892) forsvarede Ola Hansson forekomsten af spøgelser, og i Herr Arnes Penningar lod Selma Lagerlöf spøgelser og genfærd spille en vigtig rolle i handlingen. Romanen fortæller om tre skotske soldater, der dræber præsten hr. Arne og hele hans familie i hans eget hjem, hvor de røver en stor egetræskiste fuld af penge. Den eneste, der mirakuløst slipper levende fra dette blodbad, er Elsalill, en adoptivdatter som bliver hjulpet af Torarin, en fattig fiskehandler fra Marstrand. Nogle uger senere støder Elsalill helt tilfældigt ind i de skotske soldaters leder, sir Archie, og uden at vide at han er en af ophavsmændene til massakren indleder hun en romance med ham. Sir Archie og hans to venner befinder sig i havnen i Marstrand, fordi de venter på den båd, der skal bringe dem hjem, men isen forhindrer al sejlads. Det giver Elsalill tid til at forberede sin hævn mod drabsmændene. Lidt efter lidt åbner beretningen for denne anden verden, hvor de døde kan tale. Pastor Arne selv vender tilbage fra de dødes verden til præstegården i Solberga, hvor han giver sig til at udstede ordrer om, hvordan hans død skal hævnes. Og Hr. Arnes døde datter stiger ned fra himlen for at vaske op i en snavset krostue i havnen. Ligesom de »lidende og fredløse sjæle« i Pedro Páramo, er denne døde datter en »fredløs sjæl«, og under en gudstjeneste hører Elsalill sin døde fostersøsters gråd, ligesom hun i gudstjenesten ser, at hun sætter blodspor i sneen. Hun sukker og tænker: 25 Se især sidste kapitel: «La saga islandesa y su influencia en otras literaturas», i: Victor Rojas: Textos de la bruma nórdica, Jönköping: Simon Editor 2004, s. 68-88. Juan Rulfo og den skandinaviske litteratur 175 At hon dock inte kan finna ro i sin grav! Ve mig, att hon har måst irra så länge, att hendes fötter ha lupit i blod. 26 En nat, fjorten dage efter Hr. Arnes død, rejser Torarin og hans hund gennem et mystisk landskab, der kan minde om den stenørken, der har givet Pedro Páramo hans efternavn: »något som såg ut att vara vid och öppen slätt, över vilken en mängd steniga kullar höjde sig.« (25) Det er et landskab, som giver Torarin anledning til følgende kommentar: »Grim min hund (...) om vi i kväll såge detta för första gången, då skulle vi väl tro, att vi färdades över en stor hed.« (25) I slutningen af romanen manifesterer landskabets magiske kræfter sig i en håndfuld lidende sjæle, der lukker havets porte for at forhindre drabsmændenes flugt. Det er ikke svært at forstå, at Selma Lagerlöfs verden måtte vække genkendelse hos Rulfo. Det er en udkantsverden, hvor det fantastiske blander sig med hverdagen; og hvor de forfærdeligste hændelser gengives i den mest lakoniske form. Om massakren på Hr. Arne og hans familie siger hjælpepræsten: I natt har herr Arne och allt hans husfolk blivit mördade av trenne karler som kom nerklättrande genom vindhålet i taket och var klädda i ludet skinn. De kastade sig över oss som vilddjur och dräpte oss. (13) Oprørte følelser og følelseskulde smelter her sammen ligesom hos Rulfo, der også skildrer hævnen som en fatal kraft i landsbylivet. I fortællingen Manden følger man et hævntogt, der slår om i en massakre, som gerningsmanden beskriver i disse knappe vendinger: Jeg skulle ikke have slået dem alle sammen ihjel; jeg burde have nøjedes med ham, jeg skulle slå ihjel; men det var mørkt, og de lignede hinanden alle sammen ... Og på den anden side, så får de også begravelsen billigere når der er flere på en gang. 27 Halldór Laxness Et sted indrømmer Rulfo, at han gerne selv ville have skrevet Halldór Laxness berømte roman Salka-Valka, men at han i øvrigt ikke mente at have modtaget direkte påvirkninger fra denne: »Jeg tror ikke, at jeg er blevet påvirket af Salka Valka, da Salka Valka er skrevet efter det, som jeg har skrevet. Men jeg sætter stor pris på alt, hvad Haldor Laxness har skrevet.« 28 Det er ikke svært at finde årsagerne til denne forkærlighed for den islandske forfatter. Ligesom Rulfo tager Laxness sit udgangspunkt i et afsides sted, tilsyneladende blottet for enhver betydning: 26 S. Lagerlöf: Herr Arnes Penningar, i: Skrifter av Selma Lagerlöf, Stockholm 1947, s. 55. 27 J. Rulfo: Sletten brænder, s. 32. 28 Fell, s. 876. Martin Zerlang 176 Når man i dette kuldsalige midvintermørke sejler langs ad de her kyster, kan man ikke lade være at tænke, at der i den ganske vide verden vel næppe gives noget så ringe og blottet for betydning, som sådan en lille by, klinet op til så overmægtige bjerge. 29 Ligesom Comala og Luvina hos Rulfo er denne landsby på Islands fjerne kyst et sted, som håbet har forladt: »På et sted, man ikke kan rokke sig fra og hvor man aldrig kan vente at møde en fremmed, lades alt håb ude.« (7) Magisk realisme Jorge Ruffinelli skriver i bogen El lugar de Rulfo, at Rulfos interesse for den europæiske og nordiske litteratur kunne fortjene et nøjere studium, og han noterer i forlengelse heraf, at dengang, i 1980, bestod den dominerende linje i Rulfo-forskningen i sammenligninger med de klassiske myter, hvor det i virkeligheden havde været mere relevant at se på hans inspiration fra den folkelige ballade-tradition, spøgelseshistorier og forfattere som Laxness, Lagerlöf, Björnson, Sillanpää, Hamsun m.fl. 30 Da den latinamerikanske litteratur i 1960erne oplevede det ›boom‹, som gjorde den til noget af det mest læste og mønsterdannende verdenslitteratur, var der mange nordiske forfattere, der oplevede den magiske realisme som et enestående nybrud. I essayet Episk, mytisk - skrev Hans-Jørgen Nielsen om den »misundelse (...) hvormed man som europæisk forfatter læser latinamerikaner som Márquez eller Scorza« 31 , og en hel stribe nordiske forfattere begyndte at udfolde sig i den fabulerende stil, som kendetegnede især Gabriel García Márquez: Ib Michael, Vagn Lundbye, Henrik Stangerup, Peter Høeg, Hanne Marie Svendsen, Einar Már Guðmundsson m.fl. Men som tilfældet Rulfo viser, behøver de skandinaviske forfattere ikke at lide under et mindreværdskompleks. Der er i hvert fald en af de mest indflydelsesrige latinamerikanske forfattere, som har hentet inspiration i den skandinaviske litteraturs udkantsskildringer, fremstillet i en mundtlig stil, henlagt til en verden, hvor virkelighed, myter og fantastik brydes med hinanden. Den mexicanske forfatter Carlos Monsiváis har gjort sig nogle interessante overvejelser over denne konstellation mellem Rulfo og de nordiske forfattere, og de får lov at afslutte denne artikel: På hvilken måde blander og forener dette værk forskellige historiske og litterære traditioner? Gennem et begær, som jeg i dag ville kalde demytificerende, hvori deltager dysterheden i atmosfæreskildringen og sandheden i personskildringen. Heraf kommer korrespondensen mellem Rulfo og skandinaverne Knut Hamsun og Halldór Laxness. (...) Rulfo er helt uinteresseret i enhver idealisering. Han ønsker at fremstille landsbymennesket som et konkret væsen, kendetegnet ved utålelig afmagt, underkastet de infame spilleregler, som andre har påtvunget ham og som andre har fastholdt. 29 H. Laxness: Salka Valka, s. 7. 30 J. Ruffinelli: El lugar de Rulfo, Xalapa 1980, s. 15. 31 Kritik 60 (1982), s. 119. Juan Rulfo og den skandinaviske litteratur 177 Læseren erhverver sig derigennem en social bevidsthed om de undertrykkelsessystemer, der har skabt denne afmagt. Rulfo hverken prædiker, deklamerer eller dømmer åbent. 32 En kortere version af denne artikel er publiceret under titlen »Juan Rulfo y la literatura de los países nórdicos«, i: Anne Marie Ejdesgaard Jeppesen (red.): Tras los murmullos. Lecturas Mexicanas y Escandinavas de Pedro Páramo, København: Museum Tusculanums Forlag 2010. Bibliografi Asturias, Miguel Ángel: El palomar azul, Aquí no cantan los gallos, El Fjord de Oslo, Noruega, Una nave de los vikings, Estatuas y mujeres, Noruega la blanca, Berguen, , i: Paris 1924-1933. Periodismo y creación literaria. Edición Crítica, Paris: Colección Archivos 1988, s. 479-485. Asturias, Miguel Ángel: Præsidenten, Haslev: Gyldendal 1974. Bjørnson, Bjørnstjerne: Synnøve Solbakken, i: Samlede Værker, Bd. 3, København: Gyldendalske Boghandels Forlag 1900, s. 117-213. 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Mut und Blut, Stolz und Tod, Grazie und Grauen werden in der Arena verhandelt, wenn das rote Tuch um das Rind weht. In der literarischen Thematisierung dieses Szenarios, vor allem in der populärkulturellen, spielt darüber hinaus mindestens seit Carmen (Mérimée 1845, Bizet 1875) die erotische Dimension eine Rolle. Ein kompaktes skandinavisches Beispiel hierfür bietet das Gedicht På tjurfäktning des schwedischen Lyrikers Graf Carl Snoilsky. 1 1865 unternahm er eine Spanienreise, bevor er seine Stelle im diplomatischen Dienst der schwedischen Gesandtschaft in Paris antrat. Sein Sonettzyklus España, aus dem das Gedicht stammt, folgt im zumeist humorvollen Tonfall einem touristischen Interesse: Städte, Gemälde, Schlösser und viel ›folkliv‹ sind die Themen. In Sevilla kommt die Arena ins Visier: Den stöten gjort din lycka, matador! Ditt namn förkunnas skall i Spanien vida; Din mine, din hållning man i trä skall snida, Ditt svärd, som skalf i tjurens breda sår! Kringjublad på arenans sand du står. Bakom solfjädrarne de sköna strida Om äran att få svikta vid din sida För frestelser i Andalusiens vår. En öfvermodig Venus i mantilla Vildt stampar bifall med den minsta fot, Som ännu krossat hjärtan i Sevilla. För dig, för dig de häfvas, barmens klot ... Men brinner du för andra mör i landet, För dig hon bär en dolk i strumpebandet! Sevilla, Juni 1865. 1 Carl Snoilsky: Samlade dikter, Nationalupplaga, Bd. 1, Stockholm 1913, S. 168. Frithjof Strauss 182 Dieser Stoß hat dir Glück gebracht, Matador! Deinen Namen wird man weithin in Spanien verkünden; Deinen Gesichtsausdruck, Deine Haltung wird man in Holz schneiden Dein Schwert, das in der breiten Wunde des Stieres zitterte. Umjubelt stehst du im Sand der Arena. Hinter Fächern streiten sich die Schönen Um die Ehre, an deiner Seite sich den Versuchungen In Andalusiens Frühling hinzugeben. Eine übermütige Venus in Mantilla Stampft wild Beifall mit dem bisher kleinsten Fuß, Der die Herzen in Sevilla gebrochen hat. Für dich, für dich heben sie sich, des Busens Kugeln ... Doch solltest Du für andere Jungfrauen im Lande brennen, Trägt sie für dich einen Dolch im Strumpfband. Sevilla, Juni 1865. Snoilskys Text ist nicht am eigentlichen Kampfspektakel interessiert; die Sprechsituation setzt erst bei der Jubelzeremonie nach dem Todesstoß ein. Vielmehr geht es um das Verhältnis der öffentlichen Figuren von Arenakünstler und Aficionada in ihrem symbolischen und erotischen Tausch, das die Sprechinstanz belächelnd kommentiert. Der Matador erntet viel Ruhm für seine kontrollierte, disziplinierte Körperperformanz im Kampf (»Stoß«, »Haltung«), aber auch in der Stolzshow der Zeremonie. Dies sei der Stoff, von dem Spanier nationenweit wissen wollen. Und die Holzschneidekunst, die massenmediale Xylographie, wird erwähnt, die die Kunde vom visuellen Spektakel verbreitet. Während die Toreros um die Matadorehre kämpfen, »streiten die schönen« Frauen im Publikum untereinander um den symbolischen Glanz, den Siegertorero erotisch zu verpflichten. Der Erzähler fokussiert eine »Venus«, die »Herzen brechend« »Beifall stampft«. Fuß und Busen streicht er an ihr als erotische Attraktoren hervor. Während der Torero mit disziplinierter »Haltung« wettkämpft, gilt es für die Frau, möglichst mit dem Temperament aus dem Häuschen zu geraten (»vildt«). Steifer Stolz der Männer und leidenschaftliche Impulsivität der Frauen definieren auch hier den spanischen Topos der Genderaffektivitäten. Falls der Torero aber selber leidenschaftlich aus der Monogamie »entbrennen« sollte, dann wartet der Dolch im Strumpfband. Der Erzähler weiß, was die Spanierin unter dem Rock trägt. In Spanien wird also viel gestochen. Das Gedicht macht sich seinen Spaß daraus, den Bullentöter nach getaner Arbeit in der Liebe als einen ebenfalls von der Klinge bedrohten Stier parallel zu führen. So erlaubt das erotisierte Stierkampfszenario, eine Reihe von einander sich in den Aktanten durchkreuzender oder sich aufhebender semantischer Dichotomien auszuspielen - als da wären Maskulinität vs. Femininität, Eros vs. Thanatos, HerrIn vs. KnechtIn, Ritual vs. Affekt. Das sind einfache Themen, die in ihrer Variation und »Spanisch, dass es zum Hals raushängt« 183 wechselseitigen Durchdringung gut unterhalten. Der belustigte Duktus von Snoilskys Erzähler gibt zu erkennen, dass er die dargestellte Poussage sowohl wegen ihres hohen rituellen Aufwandes als auch wegen ihrer »wilden« Gefühlsausbrüche als übertrieben und damit als unterentwickelt erachtet. Kurz: eine Welt aus lauter Kitsch. Diese Dichte an überdrehten Pathosformeln mag zunächst den ausländischen Spanienreisenden aufgefallen sein. Z.B. schreibt ein unbenannter Artikelautor in Meyers Großem Konversationslexikon 1909, dass die Toreros »heute in ganz Spanien der Gegenstand allgemeinster Popularität und der übertriebensten Huldigungen sowohl innerhalb als außerhalb der Arena sind«. 2 In Spanien selbst wurde die Kitsch-Dimension des Stierkampfmilieus spätestens vom Camp-Experten Pedro Almodóvar thematisiert (insbesondere in seinem Film Matador, 1986). 2. Frau und Stier 1906 erschien der Roman Matadora des Dänen Carl Muusmann (1863-1936), die Krone der nordeuropäischen Stierkampfdichtung. Die weibliche Form des Titels lässt ahnen, dass hier der Genderaspekt besonders pointiert wird. Es geht um eine Stierkämpferin, eine Töterin, zu einer Zeit in der die Femme fatale nicht nur in der Popularkultur Hochkonjunktur hatte. Während die prominenten Reisebeschreibungen von H.C. Andersen, Johannes V. Jensen und Andersen Nexø ihr Entsetzen über das Blutbad in der Arena kundgeben und es als Schlüssel zum Wesen ›des Spaniers‹ verstehen, kann der Fiktionsautor Muusmann das Arenaszenario süffisant metakitschig - das ist hier die These - für seinen knaldroman ausschlachten. Das war in der »ernsten« Belletristik dieser Zeit nicht möglich: Der zwei Jahre später erschienene, bekannteste aller Torero-Romane Sangre y Arena (1908) des spanischen Sozialrealisten Vincente Blasco Ibañez, den man erst seit den 20er Jahren in dänischer Übersetzung lesen konnte, muss den Ernst wahren, auch wenn er eine klischeehafte erotische Konstellation einflechtet. Für Torero Don Juan Gallardo nämlich, dem es nicht nur um Ehre, sondern auch ums Geldverdienen geht, verblasst die brave Gattin Carmen im Glanz der Femme fatale Doña Sol (! ), die in ihm lediglich die Kampfbestie sieht. Das Ganze nimmt ein böses Ende beim obligatorischen letzten Kampf. Muusmann hat sich den Beruf Stierkämpferin nicht ausgedacht; schon seit dem 18. Jahrhundert gibt es in Spanien Frauen in der Arena. Goya hat in seinem Radierzyklus Tauromachia (1816) auch eine berittene Picadora abgebildet, die mit der Lanze dem Stier trotzt (Blatt 22). Vom »valor varonil« dieser Artistin ist im Untertitel die Rede, also vom »männlichen Mut«. Die Arenafrauen lieferten im 19. Jahrhundert anekdotischen Genderstoff als unterhaltsame Abwechslung in der Folge der Corridas, wobei sie damals nie als eventuelle Konkurrentinnen der Toreros für voll 2 N.N.: Stiergefechte, in Meyers Großes Konversation-Lexikon, Bd. 19, Leipzig und Wien 1909, meine Hervorhebung, F. S. Frithjof Strauss 184 genommen wurden. Nicht selten empfand das Publikum beim Anblick ihrer Shows »connotaciones sexuales licenciosas«. 3 In der Sexualfolklore der Unterwäsche-Branche funktionieren diese Konnotationen offensichtlich weiter. Ein deutscher Internet-Versandhandel für »hochwertige Dessous« heißt sogar Matadora. 2007 erklärte auf der Homepage dieser Firma ein Slogan, den man später gestrichen hat, recht denotativ: »Matadora bedeutet - Die Stierkämpferin reizt mit Dessous! « 4 Die Wäsche eine Muleta, der Sexualpartner ein Bulle. So durchkreuzt sich wechselseitig - real vs. imaginär - das Wer-penetriertwen. Die Matadora in der Arena mit dem Degen, der Mann im Bett mit dem Organ. Und im Unglücksfall der Stier mit den Hörnern. 2007 konnte man, um im Spanischen zu bleiben, bei matadora.de obendrein die Kollektion ›Carmen‹ erwerben. »Carmen, la passionnée verarbeitet mit leichtem Tüll, geschmeidig und sehr angenehm, zeichnet sich diese Serie durch seine farbig bestickten Blumen-Muster aus. [sic! ]« 5 Jenseits dieser Art Blümchensex findet sich auch eine Anwendung der Stierkampfmetapher für den Geschlechtsakt, die dagegen Grausamkeit und Tod herausstreicht. Das ist im Titel von Nagisa Oshimas Film Ai no korida (Frankreich/ Japan 1976; dt. Titel: Im Reich der Sinne) der Fall. Übersetzt heißt der japanische Titel »Stierkampf der Liebe«. Der Film handelt von Algolagnie und destruktiver Sexualität. Am Ende tötet die Frau den Mann auf seinen Wunsch hin im Akt und macht sich mit dem abgeschnittenen Genital von dannen. 3. Muusmanns Artisten Der Roman Matadora fällt in das Genre des Schaustellermelodrams; Muusmann selber nennt mehrere seiner Werke »Artistroman«. Dieser Sujettypus war in der Zeit von 1890 bis 1920 in der Unterhaltungsbelletristik und Filmfiktion (am bekanntesten Afgrunden, 1910, mit Asta Nielsen) sowie als journalistischer Stoff international sehr beliebt. Es geht um einen von der (klein-)bürgerlichen und proletarischen Lebenswelt abgehobenen Handlungsraum. Artistenleben, Zirkus, und auch das Filmmilieu boten Szenarien für exzentrische Figuren, spannende Lebensgefahren und erotische Eskapaden. Emanzipationsorientierte Frauenfiguren konnten in dieser Sphäre eigenbestimmt agieren, ohne dass sie damit schon zu gesellschaftspolitischen Konsequenzen aufforderten. Diese Gestalten lebten in ihren »fatalen« Pri- 3 Vgl. María S. Reyes Aguirre Sánchez: Mujer y toro: La mujer en el mundo del toro, pasado, presente y futuro, Vortrag auf der Semana Taurino-Cultural, Albacete, 26.9. 2005; http: / / www.ganaderoslidia.com/ webroot/ mujer_y_toro.htm, eingesehen am 18.8. 2011. 4 http: / / www.matadora.de, eingesehen am 30.8.2007. Später heißt es weniger hitzig im Begrüßungstext: »In unseren luxuriösen Dessous fühlen Sie sich jeden Tag wie eine Matadora. Verführen Sie wie eine Stierkämpferin - mit unseren Dessous Tag für Tag.« Auch hier der Bettpartner ein Bulle. Ebd. eingesehen am 18.8. 2011. 5 Ebd. »Spanisch, dass es zum Hals raushängt« 185 vatschicksalen. Mit den Frauenrechten, der anwachsenden Angestelltenklasse, der Urbanisierung und der massenmedialen Amerikanisierung in den 20er Jahren verliert das Schaustellermelodram an Bedeutung. Carl Muusmann, der in der dänischen Literaturwissenschaft weitgehend unbeachtet blieb, trug in seinem etwa 60-bändigem belletristischem und journalistischem Œuvre nicht wenig zu diesem Genre bei. »En lige saa karakteristisk Blandning af en harmløs Boheme og en bestandig Bourgeois skabte en stærk og stadig Sans for Circuslivets og Forbryderverdenens Skæbner og dermed en Række Romaner om Artister eller Fanger.« (»Die ebenso charakteristische Mischung aus einem harmlosen Bohème und einem ewigen Bourgeois erschuf in ihm ein starkes und sicheres Gespür für die Schicksale im Zirkusleben und in de Verbrecherwelt und damit eine Reihe von Romanen über Artisten und Gefangene.«), resümiert Carl Dumreicher über Muusmanns Leben und Lieblingsthemen kurz nach dessen Tod. 6 Dabei schlägt die Gefangenenthematik mit den Romanen Fange Nummer 113 (1903; Gefangener Nummer 113) und Kvindefængslet (1913; Frauengefängnis) allerdings kaum so zu Buche wie das Artistensujet mit Titeln wie Den flyvende Cirkus (1906; Der fliegende Zirkus), Beridernes Konge og andre Fortællinger (1907; Der Kunstreiterkönig und andere Erzählungen), Wolfings Kæmpe-Menageri (1907; Wolfings Riesen- Menagerie), Filmens Datter (1914; Die Tochter des Films), Tretten Trumfer (1914; Dreizehn Trümpfe), Gøglervognen (1919; Der Gauklerwagen) Clara Hoffmann (1921), Artistblod (1923; Artistenblut), Verdens Henrykkelse (1929; Das Entzücken der Welt), De tre Dødsjockeyer (1935; Die drei Todesjockeys) und eben Matadora. Außerdem zählen zu seiner Belletristik Kriminalromane, historische Romane und Phantastik. Ebenso wie seine Artisten nicht den kontemplativen Künsten und nicht der bürgerlichen Kulturinstitution nachgehen, so tut es auch nicht Muusmann in seiner Produktion, deren zweites Standbein der Journalismus ist. Er schrieb für mehrere Zeitungen der konservativen Presse und publizierte eine Reihe Sachbücher; auch hier war sein Fachgebiet die Unterhaltungsbranche. Seine Bücher über Det glade København (1921/ 22; Das fröhliche Kopenhagen) der 1880er und 1890er Jahre erlebten bis 1974 drei Auflagen. Dumreicher schätzte nur diese Arbeiten und sollte mit seiner Prophezeiung dann recht bekommen: »Varigere Betydning har kun den Gruppe Bøger, hvori M. med sin skarpe Hukommelse og sit nøjagtige Kildestudium har givet sine Bidrag til Københavns ydre Historie.« (»Nachhaltigere Bedeutung hat nur diejenige Gruppe Bücher, in denen M. mit seiner scharfen Erinnerung und seinem sorgfältigen Quellenstudium seine Beiträge zur äußeren Geschichte Kopenhagens geleistet hat.«) 7 Muusmann war ihm zu flatterig, zu sehr aufs »Äußere« orientiert. In diesem Sinne beschrieb er ihn auch als »en karakteristisk Blanding af en Fuldblods Københavner med Byens Overfladeliv som Særstof og en franskbegejstret Pariserfarer med særlig sympati for Tiden under det andet Kejserdømme« (eine charakteristische Mischung aus einem Vollblut-Kopenhagener mit 6 Carl Dumreicher: Carl Muusmann, in: Dansk Biografisk Leksikon, Bd. XVI, København 1938. 7 Ebd. Frithjof Strauss 186 dem Oberflächen-Leben der Stadt als Spezialgebiet und einem für das Französische begeisterten Paris-Fahrers mit besonderer Sympathie für die Zeit des zweiten Kaiserreichs). 8 Auf jeden Fall ist ihm Muusmann - diese Wendung bringt Dumreicher zweimal - »en karakteristisk Blanding« (»eine charakteristische Mischung«). Eine »vermischte« Übergangsgestalt zwischen den traditionellen Künsten und der massenmedialen Kommunikation ist Muusmann allemal. Dazu gehört auch, dass er 1915-18 fünf Filmmanuskripte geschrieben hat. Eine Verfilmung seines Romans Fange Nummer 113 (Gefangener Nummer 113) von Carl Theodor Dreyer, der dafür auch das Drehbuch schrieb, hatte 1917 Premiere. Auch im Falle der Erstausgabe des Buches Matadora im Verlag A. Christiansen strebt die typographische Form schnelle, massenmediale Konsumierbarkeit an. Der Text ist mit seinen 326 großzügig bedruckten Seiten in 57 kurze Kapitel unterteilt. Beim Lesen rauschen die Kapitel nur so vorbei. Dazu trägt außerdem bei, dass das Buch reichhaltig illustriert ist. Zusammen mit sechs weiteren Romanen ist es Teil der gemeinsamen Produktion von Muusmann mit dem Grafiker Carsten Ravn in den Jahren 1906-07. Ravn ist einer der wichtigsten Vertreter Jugendstil/ Art Noveau-Grafik in Skandinavien. Davon zeugen auch seine Zeichnungen in Matadora in ihrem fein schraffierten, flächiglinearen Stil. 4. Matadoras Schicksalsstöße Muusmanns Roman kann man journalistisch nennen: Er ist handlungsreich, schlicht geplottet und in seiner Deskriptivität mit Lokalkolorit, Gadgets aus der jüngsten Technikentwicklung und Society-Stoff eingefärbt. Geschichten von lebensgefährlichen Wettkämpfen wechseln ab mit amourösen Begegnungen. Die Spannung pendelt ständig zwischen den Fragen »Wie geht der Kampf aus? « und »Wer kriegt wen? «. Verbunden sind diese Motive über die Fokusfigur, den dänischen Maler Hugo Hjorth, den der Text eine Künstlerkrise und eine unglückliche Liebesgeschichte durchlaufen lässt. Der Hauptstrang der Erzählung gestaltet sich wie folgt: Der junge Maler Hugo Hjorth lernt im Stierkämpfermilieu von San Sebastian die Schauspielerin und Aficionada Lola Montero kennen. Diese lässt sich von den Toreros - allen voran vom Matador Bombatini - huldigen, weshalb ihr Volkes Stimme den Namen Matadora gegeben hat. Auch der französische Marquis de Plane macht ihr Avancen, aber Lola findet nur den großen Mut attraktiv, den ihr die Stierkämpfer widmen. Doch außerhalb der Arena versagt Bombatinis Mut, als es gilt, ein ertrinkendes Kind zu retten, wohingegen der Marquis beherzt handelt. Das imponiert Lola. Unterdessen hat sich auch Hugo bei einer Corrida in Lola und ihren Glanz als von allen gehuldigte Königin der Arena verliebt. Aus innerem Drang heraus malt er sofort ihr Porträt. Er schenkt ihr das Bild und wird in ihre Anbeterschar aufgenom- 8 Ebd. »Spanisch, dass es zum Hals raushängt« 187 men. Als Dank bekommt er den Auftrag, ein Gruppenbild der lokalen Toreros zu malen. Doch noch ein weiterer Bewerber um die Gunst Lolas taucht auf: Der Hypnotiseur Tordalkado, der in den vom windigen Impressario Joseph Bravo veranstalteten Corridas dem Stier offensichtlich nur mit der Kraft seiner Blicke entgegen tritt und in die Flucht schlägt. Auch dieser - vermeintliche - Mut lässt Lola nicht kalt. Sie, die mittlerweile selbst Stierkampfunterricht nimmt (was nicht weiter im Text motiviert wird) verspricht Bravo, für seine Agentur in der Arena aufzutreten, wenn er ihr ein Rendezvous mit Tordalkado ermöglicht. Als es zur Begegnung kommt, versucht Tordalkado, durch Hypnose sich Lola gefügig zu machen. Noch bevor sie willenlos Beute seines Begehrens wird, kann sie fliehen. Dieser Versuch der Freiheitsberaubung kränkt ihren Stolz. Beim nächsten Stierkampf Tordalkados legt Bombatini dem Nebenbuhler das Handwerk, indem er zeigt, dass der falsche Hypnotiseur den Stier keineswegs durch seinen Blick, sondern mit dem Gestank von Ratten vertreibt. Als der entlarvte Tordalkado vor dem wilden Bullen flüchtet, will Bombatini diesen zu Ehren Lolas töten, um wiederum mit Mut vor ihr zu glänzen. Als er dem Rind den Todesstoß gibt, jagt auch das Tier sein Horn ihm tödlich zwischen die Rippen. Der Tod Bombatinis ermuntert Lola mit besonderem Eifer, ihrem Stierkämpferinnen-Projekt nachzugehen. Sie bekommt Unterricht beim Epada Espartero und tritt das erstemal in San Sebastian auf. Allerdings stößt sie die Klinge nicht kräftig genug und der verletzte Stier springt auf die Zuschauertribüne. Dort wird er vom Marquis erschossen. Wenig später liest der nach Dänemark zurückgekehrte Hugo Hjorth, der sich dank seiner Spanienbilder als Gesellschaftsmaler etablieren konnte und nun in Skagen residiert, dass Lola und der Marquis heiraten. Von nun an fällt er in Melancholie; seine geschmäcklerischen Werke zieren dabei die Illustrierten. In Spanien vergnügt sich Lola beim Stierkampf in ihrer privaten Arena als Amateurin. Doch auch jetzt fühlt sich ihr Gatte, der Marquis, berufen, aufs Neue seinen Mut zu beweisen. Diesmal mit einem Luftschiff-Aufstieg über der Concha von San Sebastian. Er kommt beim Absturz ums Leben. Nun verspricht Lola Sühne für die Männer, die sie mit ihrem verlangen nach Mut in den Tod getrieben hat. In einer Abschiedscorrida in ihrer eigenen Arena weiht sie ihr Leben dem Stier, der sie in die ihm dargebotene Brust rammt. Als Hugo Hjorth einmal wieder nach San Sebastian kommt, erlebt er, wie die Toreros Lola als Heilige verehren - an einem Altar mit einem von Hugos Gemälden. Als er sieht, wie sein Porträt Lolas zum Gegenstand der Anbetung geworden ist, beschließt er, ein neues Meisterwerk zu schaffen: den von Pfeilen durchbohrten Heiligen Sebastian soll es zeigen. »Han er jo selv en San Sebastian, hvis Sjæl stadig lider søde Kvaler ved at gennembores af Mindernes smertende Pile, og Tiden, der gik, har lært ham, at på Længslernes Utilfredsstillelse beror den sande kunstneriske Inspiration« (326; »Er ist doch selber ein Heiliger Sebastian, dessen Seele ständig süße Qualen erleidet an den Pfeilen der Erinnerung, die ihn durchbohren; und die verflossene Zeit hat ihn gelehrt, dass die wahre künstlerische Inspiration auf der Un- Frithjof Strauss 188 erfülltheit der Sehnsüchte beruht.«) 9 , lautet der letzte Satz mit dick aufgetragenem und deshalb komischem Pathos. Hier spielt der Text noch einmal voll die Penetrationsfixierung aus, die (nicht weniger als in Snoilskys eingangs besprochenem Gedicht) Rhetorik und Leben der Hauptfiguren bestimmt. Im Stierkampf ist Durchbohren die Hauptsache, zumal der Schauplatz San Sebastian heißt. Hugo heißt Hirsch (Hjorth), Lola Jäger (Montero). Zu ihrer Straßengarderobe gehört ein Dolch, »som et yderligere Symbol paa, at denne Kvinde ikke appellerede til Mænds Beskyttelse« (6; »als ein weiteres Symbol dafür, das diese Frau nicht an männliche Beschützung appellierte«). Der hilft ihr aber nichts, als Tordalkado, der sie willenlos machen will, »plantede [...] sine skarpe Øjne i hendes, der var saa ømme, at hans blik saarede dem som to skarpe, slebne Dolke« (148; »seine scharfen Augen in ihre pflanzte, ihre Augen, die so nachgiebig waren, dass sein Blick sie wie zwei scharfe, geschliffene Dolche verwundete«). Klimax der Penetration dann Lolas Freitod (316) durchs Stierhorn. In der dargestellten spanischen Welt der Toreros, und für Hugo, der ihr erliegt, bietet das Penetrationsschema die zentrale passionssemiotische Pathosformel am Ende des Romans. Das ist eine sehr drastische Formel des Von-Angesicht-zu-Angesicht und des Entweder- Oders, die die Leidenschaften von Eros und Tod, Duell und Opferung, Freiheit und Hingabe vor allem für die spanischen Figuren strukturiert. Eine Kitschwelt. Die allwissende, sich mondän gebende Erzählinstanz teilt diese exaltierte Haltung und Rhetorik nicht. Und auch die hier bisher noch nicht erwähnten, stärker mit Dänemark verknüpften Figuren in der Nebenhandlung leben ohne den Penetrationskitsch. 5. Künstler- und Bildthematik Diese Nebenhandlung rankt sich um Hugos Freund, den Komponisten Niels Fernando Castella. Er trägt einen südländischen Namen, denn er stammt von einem jener spanischen Soldaten ab, die 1808 in Koldinghus einquartiert waren und beim Heizen unbeabsichtigt das Schloss abbrannten. Ihm ist das Spanische lobenswert und blamabel zugleich. Einerseits weist er gerne auf seine spanische Abstammung hin, wenn es um sein Temperament in der Musik geht, andererseits verschweigt er in Dänemark seinen Mittelnamen Fernando, »fordi han ikke vilde have, at man skulde gøre Nar af ham« (13; »denn er wollte nicht, dass man ihn zum Narren hielt«). Auch beim Stierkampf tritt diese Haltung zutage: Einerseits ist er »betaget af Tyrefægtningens brogede Billede« (»vom bunten Bild des Stierkampfs hingerissen«), andererseits verursacht dieser Schaugenuss ihm »moralske Tømmermænd« (62; »moralischen Kater«). Dies erklärt der Erzähler so: »Han hørte, trods sin spanske Afstamning, til den ret almindelige nordiske Pedanttype, der finder Behag i at opsøge det Forargerlige for at kunne lade sig indignere over fremmed Umoralitet.« 9 Die Seitenangaben folgen Carl Muusmann: Matadora, København 1906. Steht ein Zitat ohne solche, so ist die letzte Seitenangabe weiterhin gültig. »Spanisch, dass es zum Hals raushängt« 189 (61; »Er gehörte, trotz seiner spanischen Abstammung, zu dem recht gewöhnlichen nordischen Pedantentyp, der Beglückung darin empfindet, das Anstößige aufzusuchen, um sich dann über fremde Unmoral entrüsten zu können.«) Hier gesteht der Erzähler also gleichzeitig ein, auf welche »nordische« Leselust er mit der Wahl seines Spaniensujets spekuliert. Niels, den der Erzähler öfter herablächelnd »den lille Komponist« (»den kleinen Komponisten«) nennt, ist als Comic relief zu Hugo angelegt. Auch er lernt in San Sebastian eine Spanierin kennen, doch die ist das Gegenteil der Femme fatale. Er ist bei der impulsiven lustigen Witwe und guten Hausfrau »lille Señora Carmen« einquartiert, die er dann auch heiratet und nach Dänemark mitnimmt. Die Naivität, die Niels’ Leben prägt, kennzeichnet auch seine Einstellung zum eigenen Künstlertum. Der Künstler müsse sich seine kindliche Naivität bewahren, fordert er (217). Als Komponist bringt er jedoch keine großen Werke zustande, denn er ist eher ein Musikant als ein Notenschreiber. Der Roman stellt insgesamt drei Künstlertypen nebeneinander, die allesamt von der Artistensphäre abgehoben sind. Die durchaus an P. S. Krøyer angelehnte Figur des Hugo ist der routinierte Handwerker, der seinen Esprit verliert, wenn ihn die Melancholie packt. Der Erzähler beäugt den Modemaler skeptisch: »Han hørte til de Kunstnere, hvem de Jævnaldrende beundrede mere end de Ældre, og til hvem Kammeraterne nærede større Forventninger end Lærerne.« (13; »Er gehörte zu denjenigen Künstlern, die von den Gleichaltrigen mehr bewundert wurden als von den Älteren, und auf die von den Kameraden größere Hoffnungen gesetzt wurden als von den Lehrern.«) Der naiv(istisch)e Niels hat dagegen weder Esprit noch Erfolg und wird von der narrativen Sanktion zu einem Brotberuf bekehrt. Dafür ist der dritte der Künstlertypen verantwortlich, den der Roman als räsonierende Instanz erst im letzten Drittel einflicht: Jens Thomsen hat während seines Auslandaufenthaltes in Deutschland eingesehen, dass er nur ein mittelmäßiger Bildhauer ist. Deshalb gründet er eine keramische Fabrik, die dann auch prosperiert. Er ist der massenproduzierende Brugskunstner, wie er typisch in der Medienwelt der Jugendstilepoche auftritt. Der joviale und hilfsbereite Jens - er besorgt u.a. Niels einen Posten als Kirchenmusiker - bekommt die volle Sympathie der Erzählinstanz, die somit auch ihre eigene implizite Unterhaltungsmarkt-Poetik legitimieren kann. Wieder findet das künstlerische Projekt eine erotische Entsprechung: Auch Jens heiratet keine Femme fatale, sondern eine Dame des »frischen, kräftigen, nordischen Typs« (274). Im Roman werden ständig Bildmedien in ihren unterschiedlichen Funktionen erwähnt. Dazu gehören die massenmedialen Bilder in Zeitschriften und auf Plakaten, die vom Stierkampf in dramatischen Szenen künden. Der Torero Bombatini hat sich einen Gedenkraum eingerichtet, »hvis Vægge var overfyldte af Billeder, der var klippede ud af det illustrerede Blad Blanco y Negro, og som alle havde taget deres Motiver fra Toropladsen« (74; »dessen Wände überfüllt waren von Bildern, die aus der Illustrierten Blanco y Negro, ausgeschnitten waren, und die allesamt Motive aus der Arena zeigten«). Die Torerokneipe »var fyldt med Plakater og Billeder fra Torospladsen og Arrangementer af billige Papirvifter med bloddryppende Optrin i skri- Frithjof Strauss 190 gende røde og blaa Farver« (101; »war voll mit Plakaten und Bildern aus der Arena und mit Arrangements aus billigen Papierfächern mit blutrünstigen Szenen in schreienden roten und blauen Farben«). Auf Nippesniveau werden die Erinnerungen an die visuellen Spektakel bewahrt; drastische Selbstbehauptungen der Kitschsphäre, die der Roman belächelt. Hugo malt dagegen keine Stierkampfszenen, sondern porträtiert die Arena- Akteure in all ihrem posierenden Stolz. Seine Arbeiten dienen der Mehrung symbolischen Glanzes von Maler und Dargestellten. Das gilt auch für sein Selbstporträt, mit dem er sich im Pantheon der dänischen Gesellschaftsmalerei in Skagen installiert, wo er nach seinem Spanienerfolg ein Atelier unterhält: »Hans Selvportræt havde fået en af Hæderspladserne i den Brøndumske Spisestues Portrætgalleri ved Siden af Krøyer og Michael Ancher« (243; »Sein Selbstporträt hatte einen Ehrenplatz in der Porträtgallerie des Speisesaals von Brøndums Hotel direkt neben Krøyer und Michael Ancher bekommen«). Hugos Gemälde entstehen dabei im ›Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit‹. Sein Gruppenbild von Lola und ihrer Toreroclique kann sehr gut ohne auratischen Effekt bestehen: »Da de illustrerede Tidender tilmed bragte Gengivelser af Billedet, og dette udkom baade i Fotografi og Olietryk, saa var Matadora og Tyrefægterne i Løbet af kort Tid ligesaa kendt som Fru Jerichaus Danmark eller Tuxens Susanna.« (220; »Da die Illustrierten sogar Wiedergaben des Bildes sowohl als Fotografie und als Ölfarbendruck brachten, wurden »Matadora und die Stierkämpfer« in kurzer Zeit ebenso berühmt wie Frau Jerichaus Dänemark oder Tuxens Susanna.«) Mit den beiden populären Frauenbildnissen Danmark, eine kraftstrotzende Allegorie der Nation mit Flagge und gezogenem Schwert, und Susanna, ein salonerotischer Akt der beschaut beschämten Badenden, gibt der Text Matadoras herausgeputzter Genderattraktion ein Vergleichsmaß. Die Rezeption von Hugos Arbeit schlägt dagegen in Spanien in die entgegengesetzte, sehr wohl auratische Richtung. Die geistig schlichten Toreros beten in einer Kapelle das Bildnis der mit Kastagnetten zum Tanz schreitenden Lola wie ein Heiligenbild als Altargemälde an (325), was Hugo imponiert und ihn, wie er am Ende beschließt, von seiner leichtfüßigen Gesellschaftsmalerei abbringen soll. Der Erzähler teilt nicht selten die Sujets von Illustriertenbildern und Hugos Motivwahl und ist darauf bedacht, seine dargestellte Welt in pointierter Visualität zu arrangieren. Öfter folgt die Erzählerperspektive derjenigen des motivsuchenden Hugos, um das Spanische pittoresk zu gestalten. Z.B. die Ankunft Lolas in San Sebastian: »et ægte spansk Sceneri i hele dets brogede Karnevalspragt« (5; »eine echt spanische Szenerie in ihrer ganzen bunten Karnevalspracht«). Spanien, der reine Zirkus! Der Blick aus dem Fenster: »Man [saa] i Diorama et Udsnit af den biscayske Bugt med de gamle, skumle Fæstningsværker, der indrammer en altid lys, klar og gennemsigtig blaa Sø, hvis smaa Bølger fjærnt ud ruller som lange, hvide Perlehalsband« (19; »Man sah als Diorama einen Ausschnitt der Bucht von Biscaya mit den alten, unheimlichen Festungsanlagen, die eine immer helle, klare und durchsichtig blaue See einrahmen, deren kleine Wellen in der Ferne wie lange, weiße Perlenketten rollten«). Oder badende Kinder, bevor sie vorm Ertrinken gerettet werden müs- »Spanisch, dass es zum Hals raushängt« 191 sen: »Det var et nydeligt Genrebillede i den mest maleriske Indramming.« (83; »Es war ein niedliches Genrebild in der malerischsten Einrahmung.«) Der Erzähler macht so explizit, dass sein dargestelltes Spanien nach populären Vor-Bildern arrangiert ist. 6. Artisten und Schwindel Während die dänischen Künstler im Text allesamt danach streben, Werke für den bürgerlichen Markt zu erzeugen, liegen sämtliche Schauprodukte der Südländer im Text außerhalb der Werkkategorie. Es sind Shows, Performances, Wettkämpfe, Artistik. Gleichzeitig sind ihre Bestreiter allesamt außerbürgerliche Existenzen. Nicht nur die Toreros setzen ihre Attraktions-Körper und ihr Leben ein, auch Lola als Schauspielerin tut das, und ebenso der Marquis mit seinem Luftschiffwagnis und als Jockey. Der Adelige, »der efter at være sat udenfor enhver politisk Indflydelse i den tredie Republik har ladet al interesse gaa over paa Automobilkørsel, Luftsejlads, Væddeløb og Tyrefægtning« (39f.; »der nachdem er in der Dritten Republik von jeglichem politischem Einfluss ausgeschlossen war, sein ganzes Interesse auf Automobilfahrten, Luftschiffahrt, Pferderennen und Stierkampf gerichtet hatte«) lanciert dabei seine Shows nicht einmal zum Lebensunterhalt, sondern als Souveränitätsbekundung in der erotischen Kommunikation mit Lola. Die dänischen Künstler arbeiten im Kontext der Äquivalenzökonomie, wo ihre Werke das einbringen, was sie auf dem Markt wert sind. Die südländischen Showartisten geben ihre Vorstellungen im Rahmen der Risikoökonomie als Duelle mit dem Schicksal. Wer in diesem Rahmen unlauter gegen die Spielregeln verstößt wie Tordalkado mit stiervertreibenden Stinkeratten, ist ganz unten durch, und wird aus der Stadt vertrieben. Für ihn gilt das gleiche, wie in der Arena, so auch in der Liebe. Weil er Lola durch Hypnose gefügig machen will, anstatt dass sie sich bei vollem Bewußtsein »i Frihed« (149; »in Freiheit«) verführen lassen kann, hat er sich auch im Liebesduell disqualifiziert. Tordalkado unlautere Stiershow ist ein Spektakel, mit dem sein Agent Joseph Bravo den spanischen Markt abgrast. Als Unternehmer macht letzterer keine feinen Unterschiede in seinem Angebot, das Hochkultur und Rummel gleichermaßen offeriert. »Han var Italiener af Fødsel og rejste udenfor Tyrefægtersæsonen rundt i Evropa [sic! ] med Trouper lige fra Eleonora Duse og Novelli til Dinkaer und Samoanerne.« (105; »Er war Italiener von Geburt und reiste außerhalb der Stierkampfsaison in Europa mit Truppen angefangen bei Eleonora Duse und Novelli bis hin zu Dinka und Samoanern.«) Joseph Bravo wird im Roman als jovialer Windhund geschildert, womit seine Vermarktung von Starschaupielern und Völkerschauen der gleichen kapitalistischen Prämisse der Schaustellerbranche folgt. Gegen Ende des Roman verschlägt es Tordalkado alias »Smukke Francisco« (»der hübsche Francisco« wie er ursprünglich wegen seiner für Frauen attraktiven Ausstrahlung genannt wurde) und Bravo ebenfalls nach Kopenhagen, wo dieser jenem ein Engagement im Waldbiergarten-Varietérestaurant ›Over Stalden‹ in Charlottenlund be- Frithjof Strauss 192 sorgt hat - der Text kennt sich gut aus im Unterhaltungsgeschäft. Tordalkado trägt jetzt den Namen Don Gluck Mozarthi und dirigiert eine Kapelle, die sechs spanische Tänzerinnen begleitet. Bravo kommentiert das Entertainment: »Her gaar det endda an, hvor Folk endnu ikke har faaet saa meget spansk, at det hænger dem ud af Halsen. Men Otero, Tortajada, Guerrero, og hvad de allesammen hedder, har ødelagt det for os paa de andre Pladser.« (281 f.; »Hier ist das alles noch möglich, wo die Leute noch nicht soviel Spanisches bekommen haben, dass es ihnen zum Hals raushängt. Aber Otero, Tortajada, Guerrero und wie sie alle heißen, haben uns das Geschäft an den anderen Orten verdorben.«) Hier spricht er die zu ihrer Zeit europaweit berühmten spanischen Tänzerinnen an, die um die Jahrhundertwende mit ihrem Ibero-Exotismus auf den Varietébühnen der Großstädte für Furore sorgten. Der Text teilt gleichzeitig mit, dass sein Sujet der heißblütigen Spanierin in der Unterhaltungsbranche so oft schon verwertet wurde, dass es mittlerweile zum Klischee verkommen ist. In der Tat wurde den Kopenhagenern manch Spanisches geboten und vorgemacht. Von 1857 bis 1869 existierte das von Tivoligründer Georg Carstensen konzipierte Vergnügungsetablissement Alhambra im maurischen Stil. Es zog als Tivolikonkurrenz jedoch nicht genügend Gäste nach Fredriksberg und endete im finanziellen Fiasko. Zeitnah an Matadora konnte man in der Tivolisaison 1901 unter dem Motto »Fest i Granada« eine vom Theatermaler Carl Lund besorgte Ausstaffierung mit »en spansk Port, en spansk Gade og et spansk Torv« (»ein spanisches Tor, eine spanische Straße und einen spanischen Marktplatz«) besuchen. 10 Die Illustrierte Hver 8. Dag schreibt darüber: Da Carl Lund var færdig med sine forvitrede Mure, tæppebehængte Altaner og barmhjertige Madonnaer, behøvedes der som sædvanlig ikke stort mere. Og dog hidkaldtes fra Paris et Par spanske Danserinder, hvis Ægthed var utvilsom, medens en nærliggende Variété sendte et Par mere tvivlsomme, som Tivoli burde have sendt hjem igen, saa vist som de kun lidet svarede til, hvad Rygtet siger om spanske Piger. Tivolis spanske Dekoration blev den smukke Ramme omkring et virkningsfuldt Stykke københavnsk Folkeliv med Dans til Kastagnetters Klang paa den aabne Estrade og et Glas »Douro« i Pausen mellem Dansen udenfor Bodegas Løvhytte. Thi Bodega var flyttet ind i et hyggeligt Hjørne paa Torvet, hvor dens uforfalsket spanske Vine bidrog ikke lidet til at kalde en ægte Stemning frem. 11 Als Carl Lund fertig war mit seinen verwitterten Mauern, den mit Decken behangenen Altanen und den barmherzigen Madonnen, reichte das alles wie gewöhnlich schon aus. Und doch holte man aus Paris einige spanische Tänzerinnen, die ohne Zweifel echt waren, wogegen ein Varieté aus der näheren Umgebung einige eher zweifelhafte Damen abstellte, die das Tivoli besser hätte nach Hause schicken sollen, da sie allzu wenig dem entsprachen, was das Gerücht über spanische Mädchen sagt. 10 Hier und im Folgenden ohne Autornennung: Festen i Granada, in: Hver 8. Dag, Aargang 1900-1901, Nr. 48, S. 765. 11 Ebd. »Spanisch, dass es zum Hals raushängt« 193 Die spanischen Dekorationen im Tivoli wurden zum schönen Rahmen für ein effektvolles Stück Kopenhagener buntem Treiben mit Tanz zum Klang der Kastagnetten auf der Freiluftbühne und einem Glas Douro in der Pause zwischen den Tänzen vor der Laubhütte der Bodega. Denn die Bodega hatte man in eine gemütliche Ecke auf dem Marktplatz verlegt, wo die unverfälschten spanischen Weine nicht wenig dazu beitrugen, eine echte spanische Stimmung hervorzurufen. Zum Glück können die »unverfälschten« Weine wieder gut machen, was die falschen Tänzerinnen an »echter Stimmung« verdorben haben. Allerdings ist der Maßstab für spanische Feminität »was das Gerücht über spanische Mädchen sagt«, wobei die Imagination ihres dazu beiträgt. Unter diese kollektive Imagination fällt auch die Lola-Figur des Romans. 7. Lola Star Das erste, was der Roman seinen Protagonisten Hugo in Spanien erleben lässt, ist die Ankunft Lolas auf dem Bahnhof von San Sebastian, wo die lokalen Stierkämpfer zeremoniell empfangen werden. Der Text beschreibt hier wie auch sonst Lola vor allem anhand ihrer prachtvollen Garderoben im Zusammenspiel mit ihrem Körper: Hun var iført en stramsiddende, ved Midien indsyet Robe af fint, staalgraat Klæde, over hvilket der laa en gnistrende Glans som en Silkefernis. I Brystet var et Par Knapper aabnede, og en stor Buket dybfarvede Valmuer syntes at kaste en rødlig Refleks op over det smalle regelmæssige Ansigt med den matte Teint og de spillende, mandelformede Øjne. (6) Sie war in eine stramm anliegende, an der Taille gestraffte Robe aus feinem, stahlgrauem Stoff gekleidet, von der ein funkelnder Schimmer wie Seidenglanz ausstrahlte. An der Brust waren ein paar Knöpfe geöffnet, und ein Buket dunkelfarbiger Mohnblumen schien einen rötlichen Reflex auf das schmale, gleichmäßige Gesicht mit dem matten Teint und den lebendigen, mandelförmigen Augen zu werfen. Der Erzähler, der die visuelle Attraktion Lolas (reinste Belle Époque! ) herausstreicht, folgt dabei Hugos auf das Farbenspiel achtenden Künstlerblick und seinem auf die Körperform achtenden Männerblick. Da wird von Hugo schnell der Skizzenblock gezückt. Ganz makellos ist die Dame nicht: »Næsen var energisk og stærkt bøjet, maaske en lille Kende for stor til de øvrige Træk [...].« (»Die Nase war energisch und stark gekrümmt, vielleicht ein bißchen zu groß gegenüber den anderen Gesichtszügen.«) Nicht nur die Nase ist energisch, sondern die ganze Frau, wofür der gut hinguckende Erzähler als Beweis Lolas »kleinen Dolch« findet. Toreros in voller Montur huldigen ihr auf dem Bahnsteig und einer von ihnen, der vor ihr niedergekniet hat, schwingt eine Lobesrede »med et vist teatralsk Foredrag« (»mit einer gewissen theatralischen Ausdrucksweise«): Skønne Donna Lola, vor Stolthed, vort Smykke, vor duftende Blomst, vor højt beundrede Dame og Dronning, vær velkommen iblandt os iaar som i tidligere Aar, modtog vort Hus og lad det være Dit saa længe som Du vil gøre Dine Slaver den Ære at Frithjof Strauss 194 færdes iblandt dem som deres ophøjede herskerinde. Schöne Doña Lola, unser Stolz, unser Schmuck, unsere duftende Blume, unsere hoch bewunderte Dame und Königin, sei willkommen bei uns in diesem Jahr genau so wie in den vorherigen Jahren, und komme in unser Haus und betrachte es als dein eigenes, so lange du deinen Sklaven die Ehre gewähren möchtest unter ihnen zu weilen als ihre erhabene Königin. Der Erzähler streicht schon im Eröffnungskapitel die Übertreibungen der »Spanier« heraus: emotionale Impulsivität, Rhetorik, Pomp, erotische Pathetik, Stolz und eben Theatralik als Elemente ihrer Kitschwelt. Als dann Bombatini, der Anführer der Toreros, »under Mængdens Jubel og Blomsterregn« (10; »unter dem Jubel der Menge und Blumenregen«) mit Silbermünzen um sich wirft, lacht Hugo ihn aus: »Det er en rigtig Matador? sagde Hugo Hjort og lo.« (»Das ist wohl ein richtiger Matador? sagte Hugo Hjort und lachte.«) Die Aficionada Lola ist als eine Star-Schauspielerin, »en bekendt Stjerne i Madrid« (9; »ein bekannter Star in Madrid«), ausgewiesen als eine Kennerin von Theatralität und Theatralik. »Jeg er skabt til et Glædens Syn for Mændene« (79; »Ich bin geschaffen zum freudigen Anblick für die Männer«) sagt sie und ist dementsprechend eingekleidet. Ihre Teilnahme an der Öffentlichkeit findet durchgehend in der Form des Paradierens statt. Über ihr Berufsleben wird indes nur einmal kurz referiert. Hugo berichtet, wie er sie im Theater in Madrid erlebt hat: Specielt for hende var der skrevet et stort Udstyrsstykke, der hed »Kubanerinden«, og som havde taget sit Motiv fra den spansk-amerikanske Krig. Hun fremstilledes som en Slags Nationalheltinde, og da hun med egen Haand i det kritiske Øjeblik nedlagte to Amerikanere, der faldt for hendes sikre Skud, jublede Huset. Jeg opdagede jo desværre hurtigt, at hun ikke hørte til de fineste Kunstnerinder paa en Scene, men pragtfuld saa hun ud, ikke mindst i et malerisk spansk Soldaterkostume, og da hun i sidste Akt ved en Fest dansede en Fandango, var jeg saa betaget af hende som nogensinde. (224; Kursivierung im Original) Eigens für sie war eine großes Ausstattungsstück unter dem Titel »Die Kubanerin« geschrieben worden, das sein Motiv aus dem spanisch-amerikanischen Krieg bezog. Ihre Rolle war die einer Art Nationalheiligen, und als sie im kritischen Augenblick mit eigener Hand zwei Amerikaner niederlegte, die von ihren sicheren Schüssen getroffen wurden, jubelte das Haus. Ich entdeckte ja leider schnell, dass sie nicht zu den feinsten Bühnenkünstlern gehörte, aber prächtig sah sie aus, nicht zuletzt in einem malerischen spanischen Soldatenkostüm, und als sie im letzten Akt bei einem Fest einen Fandango tanzte, war ich so hingerissen von ihr wie immer. Ein Ausstattungsstück verheißt keine subtile Schaupielkunst, sondern die Pracht des pompösen Auftritts, wiederum Parade. In der Tat steht in der »Kubanerin« nicht die Interpretation eines Werkes im Vordergrund, sondern wie in der Stierarena die artistische Performance von grazilem (vgl. »sikre«) Töten und Tanzen. Auch hier wie im Stierkampf ein Nationalismus, der sich beim Remmidemmi gefällt. »Spanisch, dass es zum Hals raushängt« 195 Wenn Hugo seiner Schaulust hier noch erlegen ist, zumal Lola in einer körperbetont gendertravestierender Hosenrolle auftritt, so merkt er doch langsam, dass er die Dame eigentlich nicht näher kennenlernen will. »Det var ikke den Matadora, jeg var vandt at se færdes mellem Tyrefægterne: naturlig, sund og ugenert i alle sine Bevægelser.« (225; »Das war nicht die Matadora, die ich gewohnt war zu sehen, wie sie unter den Stierkämpfern verkehrte: natürlich, gesund und ungeniert in all ihren Bewegungen.«) In ihrem Salon in Madrid erscheint sie ihm »altfor meget koket, ja næsten kokotteagtigt« (»allzu kokett, ja fast kokottenhaft«). Als »natürlich« hat der Roman Lola zwar auch nicht im Kreise ihrer Torerofreunde dargestellt; aber das zeigt gerade Hugos Betörtheit. 8. Corridas Wie schon angesprochen ist das im Roman dargestellte Leben der Spanier durchzogen von Ehrerbietungsritualen und pathetischer Rhetorik. Insbesondere die Arena ist der Ort des Aufbietens und Überbietens von Ehrbeweisen oder umgekehrt Schmähungen. Gleichzeitig steht hinter dieser Sozialpraktik eine naive, impulsive Emotionalität. Das entzückte Publikum lässt Orangen, Zigarren, Hüte und Rosen regnen. Wenn es aber die Wut packt, dann fliegen Tomaten, »Sten, raadne Appelsiner og Skrællinger […], som et Toros-Publikum altid på den mærkeligste Maade kommer i Besiddelse af, naar det geraader i Raseri« (161; »Steine, faule Apfelsinen und Obstreste, in deren Besitz ein Toros-Publikum immer auf die sonderbarsten Weisen gerät, wenn es in Wut gerät«). Denn »det spanske Publikum […] er værre end nogen Bøddel, hvis man holder det for Nar« (154; »das spanische Publikum ist schlimmer als jeder Henker, wenn man es zum Narren hält«). Das formell ritualisierte Auftreten im sandigen Rund steht für diese Spanier nicht im Widerspruch zum ebenso rituellen Exzess. Den Dänen des Romans und der Erzählinstanz ist das Beweis für iberische Inferiorität, zumal der Stierkampf als »Midlet til Nationens Hærdelse og dens Bevarelse af chevalereske Egenskaber« (9; »Mittel zur Abhärtung der Nation und ihrer Bewahrung von chevaleresken Eigenschaften«) und wegen seiner landesweiten Relevanz als Massenmedienstoff als nationales Anliegen deklariert ist. Die Dänen wissen, dass sie sich selbst im Griff haben, auch wenn das der naive Niels einmal bedauert: »Er det nu dog ikke velsignet, naar man kommer fra al vor hjemlige Blaserthed og Frygt for at give sig hen, at se Folk, der kan være saa straalende glade for saa lidt? « (27; »Ist es nicht aber auch ein Segen, wenn man aus unserer heimischen Blasiertheit und Furcht, sich hinzugeben, kommt, und dann Leute sieht, die so strahlend fröhlich sein können bei so geringem Anlass? «) Froh zu sein, bedarf es wenig. Aber diese Leidenschaft der geistig Armen geht dann doch zu weit, wenn die Arena ausrastet und der Erzähler kommentiert: »Et dyrisk Hyl af Raseri, Forfærdelse og Overraskelse hævede sig fra Torospladsen som et Baal af flammende Lyde op mod den stille, stjerneklare Nattehimmel.« (160; »Ein tierisches Geheul aus Wut, Schrecken und Überraschung erhob sich vom Torosplatz wie Frithjof Strauss 196 ein Feuer aus flammenden Lauten, das zum sternenklaren Nachthimmel emporloderte.«) Symbolische Versicherung und leidenschaftliche Emotion verbinden sich klischeehaft für die Spanier des Romans im Stolz. Stolz ist auch Matadoras Triebfeder für triviale Tragik und Zeichen ihrer Schlichtheit. Was für sie den Stolz verdient und somit ihren Erotikpartner auszeichnen soll, ist einzig der Mut der Matadore: »Modet […] findes i Spanien kun på Torospladserne, thi Tyren kender ikke til Skaansel. Tyren er Faren selv.« (45; »Mut findet man in Spanien nur auf den Torosplätzen, denn der Stier kennt keine Nachsicht. Der Stier ist der Inbegriff von Gefahr.«) Derb und unkultiviert dürfen ihre Verehrer dabei gerne sein: »Derfor færdes jeg iblandt [Tyrefægterne], selv om de ikke alle har […] fine Manerer, naar de spiser og drikker; derfor omfatter jeg en Mand som Bombatini, selv om han kun er en almindelig Slagtersvend, med en næsten national Stolthed […].« (»Deshalb verkehre ich unter Stierkämpfern, auch wenn sie nicht alle feine Manieren haben, wenn sie essen und trinken; deshalb verehre ich einen Mann wie Bombatini, auch wenn er nur ein gewöhnlicher Schlachtergeselle ist, mit fast nationalem Stolz.«) Auch an anderer Stelle ist die Arena als Bewährungsort der Männlichkeit markiert. Einer der Nebenfigur-Matadore, der Kutscher von Coimbra, beendet wegen seiner Heirat seinen Berufsweg mit einer letzten Corrida. Zum Abschluss wird ihm, der den Stierkampf noch einmal als »Spaniens ædleste, nobleste og mandigste Sport« (195; »Spaniens edelsten, nobelsten und männlichsten Sport«) würdigt - also auch die Maskulinität herausstreicht -, nach vorgeschriebenem Ritual sein Zopf abgeschnitten. Im Sinne eines Phalloszeichens werden ihm die Haare als »Tegnet paa sin Værdighed« (194; »Zeichen seiner Würde«) genommen. »Gennem Publikum gik der et Angstens Suk, som var det Guillotinens Kniv, der havde gjordt sin Pligt.« (196; »Durchs Publikum ging ein Seufzer der Angst, als wäre es das Fallbeil der Guillotine, das seine Pflicht getan hatte.«) Wenn Lola zu ihrem ersten Stierkampf in die Arena treten wird, ist sie maskulin im »stramtsiddende Silketøj« (231; »stramm anliegenden Seidenanzug«) wie die männlichen Kollegen eingekleidet, wogegen sie sich aber durch »høje, snørede Ruslædersstøvler om de fine kødfarvede Silkestrømper« (»hohe, geschnürte Wildlederstiefel um die feinen fleischfarbenen Seidenstrümpfe«) von den anderen Toreros vestementär unterscheidet. Sie ist »stolt som en Dronning« (233; »stolz wie eine Königin«) und preist die Veranstaltung in einer Ansprache an den Arena- Präsidenten als Ort, des »stolte spanske Mod, der gør os til Nationernes Adelsfolk« (»stolzen spanischen Muts, der uns zum Adelsvolk unter den Nationen macht«). Der Text macht keine große Sache aus der Beschreibung des Kampfes. Schnell hat sie ihren »Mesterstød« (234; »Meisterstoß«) zwischen den Stierschultern plaziert, doch eben nicht kräftig genug. Ihre Maskulinität ist eben Travestie. Der Bulle springt ins Publikum und wird schließlich vom Stierkampfskeptiker Marquis de Plane per Pistole (Fern-Technik statt Nahkampf-Mut) niedergestreckt. Die nächste Stolzerfüllung ereilt Lola etwas später, als sie mit dem Marquis verheiratet ist, und er ihr seinen Mut mit einem Luftschiffaufstieg beweisen will (wenn man schon mal de »Spanisch, dass es zum Hals raushängt« 197 Plane heißt). Was sie bewegt hat, den Marquis zu ehelichen und den Techniktest als Mut-Messlatte neben dem Stierkampf zu akzeptieren, lässt der Text offen. Jedenfalls will sie ihren Gatten »belønne med sin Kærligheds hele fyrige Varme, naar han kom tilbage for at hente sit Mods Løn« (296; »mit der ganzen feurigen Hitze ihrer Liebe belohnen, wenn er zurückkommt, um den Lohn für seinen Mut abzuholen«). Als er tödlich verunglückt ist, packt Lola die Reue. Sie erkennt, dass sie Männer zum Todesmut angetrieben hat »for at ægge og hidse min Kærlighed« (305; »um meine Liebe anzustacheln und anzuheizen«), wie sie gegenüber Pater Vincenso beichtet. Die Mutproben waren für sie also allesamt erotisch betont. Der Pater verlangt Sühne und rechnet damit, dass sie ins Kloster geht. Aber ihr Sühneopfer sieht anders aus: Statt asexuell die Freiheit aufzugeben, wählt sie den erotisch konnotierten Tod durchs Stierhorn. Ihre letzte Corrida beschreibt der Text dann auch mit Körper- und Textilfokus stark erotisch ausgerichtet: Nej, hvor var hun pragtfuld! […] Hendes dragt havde ingen af Tyrefægternes sædvanlige skrigende Farver. Den var helt af sort Silke, og under den lille Bolerotrøje bar hun kun et Liv af Tyll, saa tyndt og florlet, at Brystet skinnede igennem det og gav det en Farve som rødmende Rosenblade. […] Kun det røde Klæde […] gav Farve til denne sorte Enkeskikkelse i stramtsiddende Kostume, der sluttede saa tæt, at man kunde se enhver af det smukke Legemes Former. […] Der var nu tændt to smaa blussende Roser af hektisk Rødme paa hendes voxblege Kinder, hendes kulsorte Øjne lynede med feberagtig Glans, og den fintbyggede Næses smalle Fløje udspilede sig. Bag det fine Flor saa man Brystets Bue hæve og sænke sig i hurtige Bølger. (314 f.) Nein, wie sah sie prächtig aus! Ihre Kleidung hatte nichts mehr von den gewöhnlichen, schreienden Farben der Stierkämpfer. Sie war ganz aus schwarzer Seide, und unter der kleinen Bolerojacke trug sie nur ein Leibchen aus Tüll, so dünn und blütenzart, dass die Brust hindurchschimmerte und ihr eine Farbe wie errötenden Rosenblättern verlieh. Dieser schwarzen Witwengestalt im stramm sitzenden Kostüm, das so eng anlag, dass man jede der Formen des schmucken Körpers sah, gab nur das rote Tuch Farbe. Jetzt hatten sich zwei kleine glühende Rosen von hektischer Röte auf ihren wachsbleichen Wangen entzündet, ihre kohlenschwarzen Augen blitzten mit fiebrigem Glanz, und die schmalen Flügel der fein gebauten Nase blähten sich. Hinter dem feinen Flor sah man den Bogen der Brust sich in schnellen Wellen heben und senken. Hier fällt der Text insbesondere auch durch die traditionell genitalmetaphorisch genutzte Rose schwülstige Sexualpathetik auf. Die Penetration lässt nicht lange auf sich warten, nachdem Matadora dem Bullen ihr Ja-Wort gegeben hat: Hun kastede Klingen til den ene Side og Muletaen til den anden, saa udbredte hun Armene, saa at Brystet strammedes som to svulmende Rosenknopper, og med aaben Favn skreg hun som i Jubel: - Saa vier jeg mig til denne Tyr! Og det var som om Tyren forstod den Bøddelgærning, der var den betroet. Med et kort Stød borede den sine skarpe Dolke ind i det spændte Bryst, saa foer den som i Frithjof Strauss 198 Forfærdelse over sin Ugærning efter en af Capadorernes røde Klæde. (316) Sie warf die Klinge zur einen Seite und die Muleta zur anderen, dann breitete sie die Arme aus, so dass sich die Brust wie zwei schwellende Rosenknospen spannte, und mit offenen Armen schrie sie wie im Jubel: - Jetzt weihe ich mich diesem Stier. Und es war, als ob der Stier verstand, welche Henkertat ihm da anvertraut wurde. Mit einem kurzen Stoß bohrte er seine scharfen Dolche in die gespannte Brust, danach jagte er wie aus Entsetzen über seine Untat nach dem roten Tuch eines der Capadores. Der Text feiert in seiner Klimax ein Fest des Umkehrens semantischer Oppositionen im Spannungsfeld von Eros und Thanatos. Die Töterin Matadora, wird selbst getötet; die maskulin travestierte Penetratorin wird als feminin genitalmetaphorisierte penetriert; Lolas symbolischer Kontrakt wird ausgerechnet vom Todestrieb motiviert; sogar der tierische Tötungstrieb des Stiers wird durch das ihm zugesprochene Schuldbewusstsein relativiert. Lustvoll kitschig tötet der Text seine Kitschkönigin. Der Roman Matadora kann als Beispiel für frühes, massenmedial bedingtes und selbstreflexives Trash-Entertainment gelten. »Spanien« macht’s mit seinen populärkulturellen Klischees möglich. Bibliographie Primärliteratur Muusmann, Carl: Matadora, København 1906. Sekundärliteratur Dumreicher, Carl: Carl Muusmann, in: Dansk Biografisk Leksikon, Bd. XVI, København 1938. N.N.: Festen i Granada, in: Hver 8. Dag, Aargang 1900-1901, Nr. 48, S. 765. N.N.: Stiergefechte, in: Meyers Großes Konversation-Lexikon, Bd. 19, Leipzig und Wien 1909. N.N.: [Dessous-Katatalogtexte], http: / / www.matadora.de, eingesehen am 30.8.2007 und am 18.8.2011. Sánchez, María S. Reyes Aguirre: Mujer y toro: La mujer en el mundo del toro, pasado, presente y futuro, Vortrag auf der Semana Taurino-Cultural, Albacete, 26.9.2005; http: / / www.ganaderoslidia.com/ webroot/ mujer_y_toro.htm, eingesehen am 18. 8. 2011. Snoilsky, Carl: Den stöten gjort din lycka, matador! , in: Samlade dikter, Nationalupplaga, Bd. 1, Stockholm 1913, S. 168. Fotspår. Argentisk tango i nordisk litteratur P ETRA B ROOMANS ¡Rompiendo la noche! Låt oss bryta natten, låt oss dansa tango till morgongryningen, brukar man säga i Buenos Aires när man går ut och dansa tango i stadens ›milongas‹ (danslokaler). I dagens Buenos Aires kan man stöta på massor tangoturister, dansnomader eller snarare sagt danspelgrimer som har ett enda mål: att kunna säga hemma, jag har varit i tangons Mekka, Buenos Aires. Det finns många som aldrig åker hem igen, som har fastnat i stora spindelns nät. För Buenos Aires är en enda stor lockande och sväljande organism som aldrig sover. En annan kategori tangodansande turister är de som åker hem igen men som minst en gång om året reser tillbaka till Buenos Aires för att dansa tango. De brukar för det mesta aldrig se mera än danslokalernas inre, de reser sällan till andra delar av Argentina. Många av dessa tangonomader kommer från Europa, dit den argentinska tangon kom på 1980-talet på nytt och fick en ny impuls. Dessutom tog många politiska flyktingar från Argentina, Chile och Uruguay med sig tangon till Europa. Tangon blev för de hemlängtans musik, en musikalisk tryghetssymbol som Carl- Gunnar Åhlén har kallat det i sin studie Tango i Europa - en pyrrusseger? (1987) om hur tangon kom till Europa. 1 Vad är det för ett fenomen som ofta också är ett sätt att leva för de så kallade aficionados? Den kan även vara någons öde. Det var det för Virtanen, jagberättaren i romanen Tango on intohimoni (1998) av M.A. Numminen: »Många frågar efter livets mening. Jag vet att den är tango.« (Numminen 2003: 5). Jag definierar argentinsk tango som ett kulturellt fenomen som i dess historia två gånger har blivit en global företeelse. Första gången på 1910-talet då den argentinska tangon spreds i Europa och andra gången på 1980och 1990-talen då de stora tangoshowerna förde den argentinska tangon tillbaka till Europa. 2 Den argentinska tangokulturen består av en ›treenighet‹: dikt, musik och dans. Det finns många historier hur tangon utvecklades i Sydamerika, i synnerhet i Buenos Aires, på 1800talet och lika många om hur tangon kom till Europa i början av 1900-talet. Men tangosakkunniga utgår ifrån att den argentinska tangon har sitt urspung i olika musikformer och olika etniska grupper. Tangon föddes i Buenos Aires’ förorter och i stadens hamnkvarter på slutet av 1800-talet. I tangon finns så att säga afrikanska gener. De första ›tangodansarna‹ imiterade sättet på vilket de före detta svarta slavarna, som hade förts från Afrika till Sydamerika, dansade. Tidigare hade negrerna sina fester utomhus och de dansade 1 Han syftar i sin bok på argentinare i exil i Europa i början av 1900-talet, men samma mekanism kan man se hos flyktingarna som kom till Europa på 1980och 1990-talen. 2 Även till Förenta staterna och Japan kom tangon, men jag begränsar mig här till Europa. Petra Broomans 200 fritt, inte i någon omfamning. Men de lokala myndigheterna ansåg dessa fester som oanständiga och förbjöd negrerna att dansa utomhus. Festerna fick äga rum inomhus och eftersom det inte fanns tillräckligt plats började man dansa i en omfamning. Så småningom blev andra inbjudna till festerna och började folk imitera detta sätt att dansa. Ursprunget av själva namnet ›tango‹ är också kringspunnen av olika myter och har omdiskuterats livligt. Mest sannolikt är att det urspungligen ett afrikanskt ord som har att göra med festerna. Festerna fick hållas i särskilda lokaler och dessa lokaler kallades för ›tangos‹. Och detta koncept blev senare använt för den argentinska tangon. Tangomusiken föddes också i själva Buenos Aires, fast instrumentet som skulle bli det viktigaste för tangon, bandoneon, ett litet draginstrument, kom från Tyskland. Instrumentet har troligen kommit till Buenos Aires med tyska immigranter och där har det blivit tangons själ. Själva tangomusiken har utvecklats ur olika musikstilar. Omkring 1870 existerade i Buenos Aires tre musikarter med var sin dans: negrernas Candombe, Habanera från Cuba och Milonga, kallad tangons mor, som spelades och dansades av gauchos (cowboys) på Argentinas Pampas. Den argentinska tangon uppstod förmodligen ur en musikblandning av dessa tre stilar. Det finns två stilar som är viktiga för tangons utveckling. Den rytmiska och dynamiska stilen av Eduardo Arolas (1892-1924) och den melodiska och glidande, ›legato‹, stilen av Juan Maglio (1880-1934). Ett annat viktigt namn inom tangons utveckling är Carlos Gardel (ca. 1890-1935), den berömda tenoren som dyrkas fortfarande av argentinare. Den argentinska tangon kan indelas i flera epoker med en kulmen i perioden 1940-1950, ›epoca d’oro‹. Första perioden kallas ›genesis‹, begynnelsen, ca. 1880-1890, sedan följer guardia vieja ca. 1890-1917, perioden slutar året då Gardell kom med ›Mi noche triste‹, och sedan guardia nueva till 1940. Efter tangons guldålder fick den argentinska tangon med rock och popmusikens uppkomst en backlash på 1960och 1970-talen. På 1980och 1990-talet blev den argentinska tangon populär igen. När det gäller atmosfären och känslan som präglas tango har tangons filosof och komponisten Enrique Santos Discépolo (1901-1951) skrivit de odödliga frasen »El tango es un pensamiento triste que se baila«, som betyder ungefär »tangon är en sorgsen tanke som dansas«. I hans text Esta noche me emborracho (Denna kväll kommer jag att berusa mig) från 1928 återspeglas något av sorgenhet och melankoli. Den handlar om en man som efter en lång tid möter en fore detta älskarinna för vem han hade uppgett allt, även sina vänner. Han ser hur hennes skönhet har försvunnit och inser att hans liv är förstört för intet och bestämmer sig att gå och berusa sig för att kunna glömma allt. Naturligtvis finns det också triviala, ironiska och sarkastiska tangotexter, till exempel Discépolos Cambalache (Bytesmarknad) från 1934 om sociala missförhållanden i Argentina på 1930-talet. Även om tangodansen fick inflytande från ovannämnda tre musikarter: candomde, habanera och milonga, är den argentinska tangons koreografi en autentisk skapelse. Dansen uppfattades för övrigt i början som en dans som hörde hemma i bordellerna och folkskvarter. Först omkring 1910 började överklassen dansa tango. Fotspår - Argentinsk tango i nordisk litteratur 201 I dansen har takten utvecklat sig från en 4/ 4 till en 4/ 8 takt. Den argentinska tangon är en improvationsdans. Överkroppen i en omfamning, ganska stilla och benen fria och i rörelse. I överkroppen finns dialogen, kommunikationen och känslorna. Många, även dansare, förvirrar scendansen med dansen så som den dansas i danslokalerna. Det som visas med höga hopp (saltos) och kvinnans ben i höjden på scenen, är i hög grad koreografisk. Danslokalernas tango är mera jordbunden. Det anses som ohyfsat att inta för mycket utrymme på dansgolvet när det är trångt och farliga rörelser som kan skada andra dansare uppskattas inte. Tangodansarna, milongueros, dansar helt för sig själva, i sig själva, men också tillsammans med andra dansare, i rytmens trollmakt (›flow‹). Improvisationen kräver koncentration, kreativitet och uppmärksamhet för ens partner. Rytmen är tangons själ, med en krydda känsla och en nypa passion. I motsats till vad många tror, rör det sig om koncentration och inte om sexualitet. Tango som dansform är i hög grad en ›här och nu känsla‹. Så länge dansen varar, de flesta tango stycken är ungefär tre minuter, omfamnar man inte bara en annan person utan också musiken. Efter dansens slut, slutar även passionen eller snarare, illusionen av passion. I ovannämnda Tango i Europa - en pyrrusseger? (1987) har Carl-Gunnar Åhlén skrivit om tangons ankomst till Europa och hur den blev standariserad i de flesta europeiska länderna och blev en förstelnad form. Åhlén jämför argentinsk tangons mottagandet med jazzens mottagande i Europa. Jazzen fick en stor framgång, men tangon blev transformerad och en tysk och svensk tango låter annorlunda än den genuina argentinska tangon. Det kan ha haft mycket att göra att tangodansen fick en stor ändring på internationella danskonferenser 1920 och 1921 där den argentinska tangon standariserades (Åhlén 1987: 65). I Finland transformerades den argentinska tangon till en ny, nationell form Den finländska tangon behandlas utförligt av Pirjo Kukkonen i Tango Nostalgia. The Language of Love and Longing (1996). Argentinsk tango blev populär på nytt efter det att de stora tangoshowerna som ›Tango Argentino‹, med stora dansare som Eduardo and Gloria Arquibau, uppfördes på 1980-talet och början av 1990-talet och som blev en inspirationskälla för många andra shower. Med denna nya våg kom även metatexter om argentinsk tango. Efter cirka 1990 skrevs böcker, artiklar och kortare notiser av för det mesta praktiserande tangodansare. I allmänhet rör det sig om ett slags bekännelselitteratur där den egna upptäckten av tangon berättas, den egna utvecklingen och synen på tangon. Detta fenomen ser man inte bara i Norden utan också i de länder i Europa där en livlig tangoscene uppstod efter den argentinska tangons återkomst på 1980och 1990-talen. Tangon har också fått sina genklangar i nordisk litteratur efter såväl den första och den andra tangovågen. Vilka fotspår går att hitta i detta spännande fält? Det självklara namnet som förknippas med det tidiga tangoinflytandet är Evert Taube (1890-1976). ›Tango Taube‹ som han till och med kallades av Lars Forssell (1928-2007). Evert Taube är en av Sveriges stora visdiktare. Han blev älskad av den svenska publiken framför allt för hans sjömansvisor. För en del av visorna fann Taube en inspirationskälla i den argentinska tangon. Som ung man kom Taube till Petra Broomans 202 Buenos Aires 1910 och han bodde i Argentina i fem år. Taube levde under dessa fem år under olika levnadsförhållanden. Den sociala positionen växlade mellan dagdrivarens och herremannens, bostaden växlar mellen en bänk på ett kontor i storstaden, ett tält på Pampas och en ranch. (Timm 1998: 99.) Texten som har blivit en klassiker och som mest förknippas med tango är Fritiof och Carmencita. Lars Lönnroth har ägnat en essä åt visan som utkom 1936 i samlingen Ultra Marin. Taube skrev både texten och musiken. Taube berättade att han fick idén till Carmencita-visan då han åkte i en motorbåt och fick tänka på hans resor »på det oändliga Pampas. I detsamma började fiskarbåtens motor att hosta och synkopera takten. Där hade jag min tango - «. 3 I sin analys har Lönnroth följt »Taubes form för muntlig kommunikation«, sjömansvisans förvandling genom de olika medier Taube har framfört den. Lönnroth har även analyserat »det exotiska och romantiska universum« i Carmencitavisan och i de andra dansvisorna med ett liknande motiv (Lönnroth 1978: 263- 264). Han går också in på vem som kan ha varit Fritiof och Carmencita i verkligheten. Jag kommer dock att fokusera det som Lönnroth skriver om tangon i analysen. Fritiof och Carmencita kom till två decennier efter det att Taube hade varit i Argentina, men Lönnroth ser Taubes medverkan i en danssketch 1918 på Gillet i Stockholm som hette En afton på Pampas som »utgångspunkten för den dramatiska situation som 1936 skulle skildras i tangon om Fritiof och Carmencita« (Lönnroth 1978: 271). Personen Fritiof Andersson uppförs för första gången samma år, 1918, i en visa som utspelar sig i Buenos Aires, där sjömannen ser folk dansa tango. Fritiof i Carmencita-visan från 1936 kommer ridande till den lilla byn Samborombon, »för jag ville dansa tango«. Han bjuder upp Carmencita som tackar ja: »Si gracias, señor, vamos a bailar este tango! « Den andra tangovisan där Carmencita figurerar är Tango i Nizza. Båda två är »skrivna till tangomelodier på 30-talet« (Lönnroth 1978: 281). I första visan avvisar den unga Carmencita Fritiof, i den andra uppvaktar den mogna Carmencita honom. Som Lönnroth skriver, har Taube baserat sig på tangon såsom det spelades på dansrestaurangen i Sverige och så kunde den svenska publiken 1936 känna »sig hemma i Samborombons fiktiva värld, trots exotismen! «(Lönnroth 1978: 283). Lönnroth indelar visan Fritiof och Carmencita i två långa strofer som i sin tur kan indelas i tre undravdelningar (A, B och C). Varje del avslutas med ett slag omkväde: »dansa tango«. Omkvädet varieras dock två gånger, nämligen när det är Carmencita som taler; »Si gracias, señor, vamos a bailar este tango! « (min kursv.) och i delen där hon svarar Fritiof att hon kommer att gifta sig med en rik man som till på köpet »dansar underbart tango«. Lönnroth ser med rätta att visan är »en dramatisk duett mellan de två dansande« (Lönnroth 1978: 284). Både män och kvinnor kan identifiera sig med det dansande paret. Miljön är exotisk och det kallar Lönnroth för 3 Se introduktionen av Anders Eldeman som finns i omslaget till cd: n Evert Taube. Vals på Mysingen, Stockholm 1991 med 24 originalinspelningar från åren 1932-1937. Fotspår - Argentinsk tango i nordisk litteratur 203 »derealisation«. Lyssnarna kan på det sättet ha sina önskedrömmar. Genom att situera händelserna i en liten by nära Rio de la Plata kan mottagarna »dansa in i ett landskap som är på en gång exotiskt och primitivt, bortom den moderna högindustrialiserade stadskulturens hämmande regler« (Lönnroth 1978: 285). I hans konklusion om visans popularitet lägger Lönnroth än en gång tonvikten på mottagarens önskedrömmarna. Manschauvinismen i Fritiof och Carmencita är uppenbar. Men det är samtidigt ganska lätt att förstå varför just denna visa blivit en av Taubes populäraste, både bland kvinnor och män. Den ger ju nämligen möjlighet både för kavaljeren och damen att i kombinerad dikt och dans leva ut sina erotiska hävdelsedrömmar och aggressioner mot det motsatta könet i en form som både är lustfyld och socialt acceptabel. Kavaljeren får leka den store erövrararen och hjärtekrossaren. Damen får leka hjärtlös siren som brutalt snoppar av en alltför självsäker charmör. (Lönnroth 1978: 290). Men enligt Lönnroth är det musikinstrumenten, »dragspel, fiol och mandolin«, som gör att mottagaren förs tillbaka till den svenska verkligheten, för just av dessa instrument lät Taube ackompanjera sig. I Taubes Samborombon finns ingen bandoneon, fast den redan var introducerad i Argentina. Tangon som Taube mötte under 1910-talet var redan konsoliderad. Som sagt befann tangon sig i perioden av den så kallade guardia vieja. Instrumentet bandoneon hade gjort sitt entré. Tyvärr är inspelningarna från denna tid för dåliga för att kunna avgöra hur tangon lät kring 1910. Det man vet är att det fanns de ovannämnda två stilar, en lugn och harmonisk stil (Maglio) och en kraftigare och mer ritmisk stil (Arolas). På 1910-talet var de bästa tangokomponisterna verksamma, bland andra Arolas, och många klassiker skrevs just i denna tid, till exempel Rodriguez Peña 1910, Inspiración 1913, och El Once 1914. På 1910-talet var besättningen ofta bandoneon, gitarr, flöjt, fiol, ibland piano. Ett piano var svårt att transportera, så det blev oftast flöjten som fick pianos roll. Medan Taube var i Argentina uppstod de så kallade ›orquesta típicas‹, ett namn som blev introducerat av Vicente Creco, då han 1911 blev inbjuden att spela in en skiva med tangomusik. Han ville ange att det handlade om tangomusik och inte om annan musik. I perioden då Taube befann sig i Buenos Aires kunde han höra den tango som vi fortfarande idag känner till. Man kan fråga sig om denna tango har lämnat spår i Taubes tangovisor som blev så populära. Evert Taubes sätt att använda den argentinska tango såsom han mindes den i några visor har i alla fall fascinerat många, bland andra sonen Sven-Bertil och författaren Lars Forssell. Forssell och Sven-Bertil Taube producerade till och med en tangoskiva Tango tillsammans, inspelad delvis i Buenos Aires med bandoneonisten Nestor Marconi som arrangören. Skivan utkom 1990. I låten Tango Taube hyllas Evert Taube. Hur ›tango tango‹ var visorna som Tango Taube diktade och tonsatte? I Fritiof Andersson finns inga spår av argentinsk tango kvar. Det är bara ›couleur locale‹. I Fritiof och Carmencita handlar det visserligen om att dansa tango, men det var ingen argentinsk tango. Det finns bara ibland i ackompagnemanget som ibland liknar argentinsk tango. I Tango i Nizza slutligen, liknar ackompanjemanget mer än i Fritiof Petra Broomans 204 och Carmencita ibland på argentinsk tango, dock inte melodin. Tango Taube var bara ett varumärke. Taube tillhör och passar bäst i den stora Bellman-traditionen. Till Finland kom tangon för att stanna kvar och att utvecklas på ett helt eget sätt. Finsk tango har fått sin egen Carlos Gardell, Olavi Virta (1915-1972), som föddes samma år som den första inspelade finska tangon, Tango laulu av Iivari Kainulainen, en parodi på tangosjukdomen som drabbades storstäderna i Europa. Den finlandssvenska författaren Lars Huldén (1926) har översatt finska tangotexter till svenska. Han tycker att det är lika viktigt med finska tangotexter som med det finska folkeposet Kalevala. Man skulle kunna betrakta dessa tangotexter som ›låg kultur‹ men även i de finska tangotexterna återspeglas en finsk identitet. Huldén skrev en tangotext själv som blev tonsatt av Jack Mattsson. Det är ett slags parodi, Buenos Aires, och handlar om två brödrar, Eric och Gustav, som dansar tango med varandra. Eric vill lära Gustav att dansa tango eftersom den senare ska till sjöss och till Buenos Aires. Det viktigaste som Gustav ska lära sig är att man leder i tangodansen: Så! Tvära kast med nacken och ryggen ner i backen. Men vad du har att göra i dansen är att föra. Det skall en sjöman minnas i Buenos mörka natt. (ur: Broomans and Huldén 2006). Inte bara i nordisk lyrik har den argentinska tangon lämnat några fotspår, utan också i prosan, i romaner och reseskildringen, finns inslag av argentinsk tango. De flesta exempel går att hitta efter tangons återkomst till Europa och Norden på 1980-talet. I Reisen (1991), en antologi sammanställd av Kjartan Fløgstad tillsammans med Morten Harry Olsen finns ett bidrag av Marit Nicolaysen, Bestemor og Valentino. Det är en drömlik historia om en liten del i tangons historia, nämligen den såkallade Hollywood tangohjälte Rudolf Valentino. Jag-berättaren följer sin bestemor genom det förflutna och hennes drömmar om Valentino. Berättaren känner släktskap med sin bestemor i och med att hon känner sig fången i tangons famn. Till och med i kriminallitteratur kan man stöta på tango, till exempel i Henning Mankells Danslärarens återkomst från 2000. Polisen upptäcker på brottsplatsen att blodspåren på golvet bildar ett märkligt mönster. Det visar sig att någon har dansat tango med offret, nazisten Herbert Molin, i ett hus i Härjedalen. Upptäckten är en början till en lång resa i det förflutna och sanningen som dock inte resulterar i ett häktning. Mördaren, sonen till mannen som hade lärt Molin dansa tango under andra väldskriget och som slutligen hade mördet sin danslärare, blir inte häktad. Han beskriver den fasansfulla upplevelsen som han hade varit med om som liten pojke för polisen. Han brukade sitta i tamburen för att lyssna till sin fars danslektioner. Jag hörde min fars vänliga röst, hur han räknade takter och talade om ›vänster fot‹ och ›höger fot‹ och ryggen som alltid skulle vara rak. Plötsligt tystnade grammafonen. Det blev alldeles stilla. Jag trodde först att dom hade tagit en paus. Sen öppnades dörren, Fotspår - Argentinsk tango i nordisk litteratur 205 Herbert Molin lämnade hastigt lägenheten. Jag såg hans fötter, hans dansskor, när han försvann. (Mankell 2000: 407.) När sonen tittar in i rummet ser han att hans far är död, strypt med hans egen livrem och med en krossad grammofonskiva i hans mun. »Etiketten var blodig. Men det var en tango, det kunde jag se.« Sonen som hade bosatt sig i Buenos Aires hade äntligen hittat sin fars mördare och hade gett honom hans sista danslektion. Mannen från Buenos Aires kom undan. Mankells användning av argentinsk tango är kanske av ren slump. Det passade till historien och fungerar bara som kuliss. »It takes two to tango«, brukar man säga. I denna roman är det liv och död som dansar med varandra. En annan svensk författare som tar upp tango på ett mer medvetet sätt är den svenska författaren Sigrid Combüchen. I romanen Korta och långa kapitel (1992) berättas om Heidi, en student i Lund som har ett extrajobb inom hemtjänsten och som bl. a. tar hand om en gammal invandrare från Buenos Aires, Casimir Denia. Casimir lever i det förflutna där gamla tangoskivor spelar en viktig roll: han har skivor av Osvaldo Pugliese, Alfredo de Angelis, Roberto Firpo och Florindo Sassone och Carlos Gardell. I skåpet brevid bröllopsfoto står ett foto av Carlos Gardel. I Korta och långa kapitel finns tangotexter som översattes till svenska: El último organito (text och musik: Homero Manzi), översatt till svenska som Det sista positivet (Combüchen 1992: 21-22), Madreselva (Kaprifoler, musik och text av Francesco Canaro) (Combüchen 1992: 126-127). Sur, (musik och text av Troilo och Manzi), S. 211- 212, och La ultima curda (musik: Troilo och text: Castillo), S. 359-360). Naturligtvis förekommer även Carlos Gardell i romanen i avsnittet där Heidi reflekterar över mannen, något som vi kommer att se i en essä av Combüchen i Om en dag man vaknar (1995). Heidi har börjat tycka om tango. »Låtorna är magasin av energi, otämjbar.« (Combüchen 1992: 203) och »Tango är som en lavin, som stannar sig själv i flykten, och faller igen, och stannar - efter behag. Det är sådana krafter igång i en mänska.« (Combüchen 1992: 208) Heidi pratar med en vän om tango som kulturellt fenomen, hur en proletär kultur kunde bli nationell kultur. Hon förebrår svenskarna att de inte på samma sett som argentinare dyrkar sin Bellman och Taube. I Korta och långa kapitel står tango som symbol för hemlängtan, det förflutna, nationell karaktär och för kärleken i all former: den obesvarade, den försmådda. I essän Stolthet och vemod - Anteckningen om den maskulina mystiken ur essäsamlingen Om en dag man vaknar (1995) verkar Combüchen utarbeta sina tankar om maskulinitet och använder i detta samband argentinsk tango. Combüchen karakteriserar tangon och berättar om dess historia. Tangon är inte ›varm‹ som jazzen sägs vara utan håller till på spektrums blåskala, gråblå, dimgrå, indigo. Den är inte varm, utan har en hetta som aldrig tar sig över fryspunkten. Den har blivit studerad och spekulerad kring i alla dess musikaliska, litterära, sociologiska och nationalistiska aspekter. Men forskning och analys kan inte hantera det faktum att tangon väsentligen handlar om sig själv. (Combüchen 1995: 33.) Petra Broomans 206 Varför skriver Combüchen tangon i alla fall? Hon ser tangon »som hjärtat i antiutopin machismo« (Combüchen 1995: 34) och därför återger hon tangons rötter. Tangon skulle ha uppstått genom en sammanslagning av immigrationvågor, en från landet (pampan) till storstaden Buenos Aires och en från Europa till Buenos Aires. Gauchon från inlandet fick inget fotfäste i storstaden och den fattiga immigranten från Europa, fram för allt Italien inte heller. Det fanns inte längre jord att fördela i Argentinien och de som kom från inlandet och Europa till Buenos Aires trängdes i slumkvartererna. Och så föddes tangon Combüchen beskriver dansen där mannen verkar vara den dominerande. Kvinnan är dock som jag ser det lika suverän. Mannen gör ett förslag, hon svarar eller inte. Combüchen har rätt i att tango inte är bara dansen. Den är förenad med musiken och poesin. I resten av essän reflekterar hon över machismons och feminismens polarisering i dansen. I de nämnda exempel, i både lyriken och prosan, får dansen mest uppmärksamhet. 4 Det kan bero på tangodansens popularitet i Europa och i Norden. I Taubes visor handlar det om att dansa tango. Men det handlade inte om Discépolos’ »sorgsna tanke som dansas«. Det gäller även för Huldéns tangodikt. Liksom i prosan är tangon i Nordisk litteratur ett tema, tjänstgör den som ›couleur locale‹ eller den är en inspirationskälla. Ibland handlar det helt enkelt om ett slags bekännelselitteratur som handlar om tangodansarens känslor och kärleksbekymmer i tangovärlden. I ett fåtal fall (Combüchen) handlar det om en metatext i vilken man gör ett försök att begripa fenomenet argentinsk tango i dess helhet: som dikt, musik och dans. Bibliografi Broomans, Petra: Een trieste gedachte die je kunt dansen. Enrique Santos Discépolo - de filosoof van de tango, i: La Cadena 80 (2002), S. 30-33. Broomans Petra (Dancer 1) & Lars Huldén (Dancer 2), Two Tango Tales in One, i: TijdSkrift voor Skandinavistiek 27: 2 (2006), S. 199-207. Combüchen, Sigrid: Korta och långa kapitel, Stockholm 1992. Combüchen, Sigrid: Stolthet och vemod - Anteckningen om den maskulina mystikeni, i: Om en dag man vaknar, Stockholm 1995, S. 13-43. Kukkonen, Pirjo: Tango Nostalgia. The language of Love and Longing, Helsinki 1996. Lönnroth Lars: Galanta samtal i Samborombon (Fritiof och Carmencita), i: Den dubbla scenen. Muntlig diktning från Eddan till ABBA, Stockholm 1978, S. 260-292. Mankell Henning: Danslärarens återkomst. Stockholm 2000. 4 Det finns naturligtvis hänvisningar till tangon i andra böcker, till exempel i Kristian Himmelstrups Dinosaurens sidste tango från 2004, ett slags blandform av roman och resebok. Tangoälskaren som börjar läsa denna bok med den tilltalande titeln kommer att bli besviken. Den handlar inte alls om tango. Fotspår - Argentinsk tango i nordisk litteratur 207 Nicolaysen, Marit: Bestemor og Valentino, i: Fløgstad Kjartan og Morten Harry Olsen (red.): Reisen, Bergen 1991, S. 27-32. Numminen, M.A.: Tango är min passion, Stockholm 2003 (originalet: Tango on intohimoni, 1998). Timm, Mikael: Evert Taube. Livet som konst, konsten som liv, Stockholm 1998. Åhlén, Carl-Gunnar: Tangon i Europa - en pyrrusseger? Studier kring mottagadet av tangon i Europa och genrens musikaliska omställningsprocess, Stockholm 1987. Ett stort tack till min make Iván Torres Concha som lärde mig så mycket om den argentinska tangon. Jag minns dig, Amanda - Vreeswijks Jara T HOMAS S EILER Cornelis Vreeswijk zählt ohne Zweifel zu den bedeutendsten skandinavischen Liedermachern des 20. Jahrhunderts. Der ursprünglich aus Holland stammende Troubadour, der seit seinem zwölften Lebensjahr in Schweden ansäßig ist, macht sich in den 60er und 70er Jahren einen Namen als Erneuerer der schwedischen Liedtradition, indem er sozialkritische Themen aufgreift und auf die Schattenseiten des schwedischen Wohlfahrtsstaats hinweist. Durch den Einbezug politisch aktueller Themen erweitert er die thematische Vielfalt des schwedischen Lieds beträchtlich, drohte dieses doch in einer idyllisierenden Naturschwärmerei zu erstarren und sich immer mehr von der Tagesaktualität zu entfernen. Die Tendenz, die Gesellschaft von ihren Rändern her zu betrachten und zu analysieren, zur Hereinholung dessen, was der brave Bürger lieber aus seinem Gesichtsfeld verdrängen möchte, ist ein grundlegender Zug Vreeswijks. Thematisch lässt sich das an seinen Rollengedichten festmachen, erfindet er doch einige Außenseiterfiguren und trägt seine Lieder aus deren Perspektive vor. 1 Das ist keine neue Erfindung des Troubadours, sondern Cornelis knüpft damit an die Tradition der Rollengedichte Carl Michael Bellmans an, der in der gustavianischen Zeit mit viel Sinn für Komik die Figuren der Stockholmer Unterwelt aufleben ließ und als dessen direkter Nachfahre Vreeswijk mit Fug und Recht gelten darf. 2 Vor allem in seinen Anfängen noch stark beeinflusst vom literarischen Chanson französischer Provenienz - die Einflüsse Georges Brassens’ sind auf seinen ersten Einspielungen deutlich zu hören -, macht sich Cornelis zunehmende internationale Ausrichtung auch in seiner Musik geltend, die durchdrungen ist von Einflüssen aus den Bereichen Rock, Pop, Jazz sowie der internationalen (besonders der südamerikanischen) Volksmusik. Die Abkehr von der klassischen schwedischen Liedtradition ist auch an Cornelis’ Vorführungsart ablesbar. Vreeswijk bricht mit dem Wohlklang nach dem Vorbild klassischer Gesangstechnik und nähert sich dem Jazzgesang an. Er beginnt, einzelne Silben über Gebühr in die Länge zu ziehen, scheut nicht vor Parlandoeffekten zurück und Intonationsreinheit ist ihm nicht oberstes Gebot. Das ist zum Beispiel deutlich in seinen Bellman- und Taubeeinspielungen zu hören, letztere stellt schon 1 Vgl. Baumgartner, Walter: Polaren Pär im Nebel und Cornelis Vreeswijk in der intertextuellen Echokammer, in: Hoff, Karin et al. (Hg.): Poetik und Gedächtnis - Festschrift für Heiko Uecker, Frankfurt am Main 2004, S. 407-426, S. 411. 2 Vgl. hierzu auch Lönnroth, Lars: Vreeswijks Bellman, in: Krüger, Cornelia u. Frithjof Strauss (Hg.): Tango del Norte. Festschrift für Walter Baumgartner, Greifswald 2006, S. 304-310, S. 304. Thomas Seiler 210 durch die Gestaltung des Covers eine Provokation dar, indem er sich dort mit seinem massigen, nackten Oberkörper in einem Boot sitzend präsentiert und dazu eine Grimasse schneidet. Durch diese Darstellung wird bereits optisch unterstrichen, dass es bei der Einspielung nicht um die Fortsetzung und Zementierung des herrschenden idyllisierenden Taubebildes geht, sondern um eine Art Neupositionierung des populären Sängers und Entertainers. Vreeswijks internationaler Ausrichtung sowie seinem politischen Interesse ist es zuzuschreiben, dass der Sänger in den 70er Jahren eine Platte mit Liedern des chilenischen Volkssängers Victor Jara einspielte. Der Südamerikaner, der von den Schergen der Pinochet-Diktatur anlässlich des Sturzes der Allende-Regierung 1973 im Fußballstadion Santiagos gefoltert und erschossen wurde, erlangte in jener Zeit internationale Berühmtheit und wurde zu einer Symbolfigur der politischen Linken in Europa. Neben Victor Jara feierten auch zahlreiche andere südamerikanische Liedermacher wie Daniel Vigletti aus Uruguay oder Mercedes Sosa und Atahualpa Yupanqui aus Argentinien als Vertreter des revolutionären Lieds im damaligen politisierten Kulturklima Europas große Erfolge. Wie aus der Studie von Ulf Carlsson über Cornelis hervorgeht, wurde der Liedermacher zunächst für sein Vorhaben, einige der Lieder Victor Jaras ins Schwedische zu übertragen, kritisiert. 3 Man warf ihm vor, sich auf Kosten des Chilenen bereichern zu wollen, und es wurde auch die Frage gestellt, ob die beiden unterschiedlichen Temperamente überhaupt zusammenpassten. Victor Jara, der durch seine Mutter, Amanda, das chilenische Volkslied kennenlernte, gehörte seit den 60er Jahren zum engeren Kreis des sogenannten ›nueva canción‹. Den Vertretern dieser Bewegung, verbunden mit Namen wie Angel und Isabel Parra, den Kindern Violeta Parras, ging es um eine Erneuerung des Volkslieds, das aus seiner verkitschten Folkloreform befreit werden sollte. So reiste schon Violeta Parra aufs Land, um sich anzuhören, was die Leute dort sangen. Horacio Salinas, ein Musiker der Gruppe Inti Illimani, bemerkte dazu: »Hasta entonces la musica popular narraba cosas insulsas, que nunca nos interesaron.« [»Bis anhin erzählte die populäre Musik von abgeschmackten Dingen, die uns nie interessierten.«] Im Gegensatz zur verkitschten Folklore ging es den Vertretern des ›nueva canción‹ darum, an die heimische Tradition anzuknüpfen, und zwar sowohl was die Instrumente anbelangte als auch in Bezug auf die Thematik. Die Instrumente der indigenen Bevölkerung wurden wieder entdeckt, die in den Anden die Kolonialisierung überlebten wie zum Beispiel die »quena«, eine Art Flöte, oder die »zampoña«, eine Hirtenflöte. Die Volksmusiktradition der indigenen Bevölkerung sollte wieder aufgegriffen werden, um diese in den Texten mit der konkreten Lebenswirklichkeit des Volks zu verbinden. Soziale Missstände wurden angeprangert, und im Vordergrund der Bemühungen stand der Wille, den einfachen Leuten eine Stimme zu verleihen. Bereits 1964 wurde die Vereinigung La Peña de los Parra von Ángel und Isabel Parra gegründet, die in dieser Zeit aus Paris zurückkehrten. Victor Jara war ausgebildeter Schauspieler 3 Vgl. Carlsson, Ulf: Cornelis Vreeswijk. Artist - vispoet - lyriker, Malmö 1996, S. 300. Jag minns dig Amanda - Vreeswijks Jara 211 und Theaterregisseur, seine Mutter eine Folkloresängerin, was erklären mag, weshalb auch der Sohn seine musikalischen Interessen selbst als Schauspieler und Regisseur weiter verfolgte. Ende der 1950er Jahre war er ein paar Jahre lang Mitglied der Gruppe Cuncumén, und Jara stellte seine Kunst während der Regierungszeit von Allendes Unidad Popular ganz in den Dienst dieser Partei und deren politischer Ziele. Was Victor Jara unter einem folkloristischen Lied in der Art des ›Neuen chilenischen Liedes‹ verstand, mögen folgende Zeilen aus einem Interview veranschaulichen: Sie [die Bewegung des ›Neuen chilenischen Lieds‹] steht für ein Lied, das versucht, alle die Werte, die unser eigenes Volk nicht mehr kennt, wieder zu beleben und zur gleichen Zeit dem Lied eine soziale Ausrichtung zu geben, was eine viel größere Übereinstimmung mit der von uns erlebten Wirklichkeit bedeutet. Das revolutionäre Lied ist ein unmaskiertes Lied, es ist ein ehrliches Lied, das natürlich in sehr schweren Zeiten entstand, sowohl für den Sänger als auch für das chilenische Volk überhaupt.[…] Und ich meine damit das folkloristische Lied, nicht das pseudofolkloristische, nicht so ein Postkartenlied. Ich meine das authentische folkloristische Lied, das reinste, das wirklichste; das Lied des Volkes oder das Lied, das von der Volksbasis ausgehend, die Dinge mit anderen Worten ausdrückt. 4 Jara geht es darum, in seinen Liedern die Lebenswirklichkeit der einfachen Leute, der Kleinbauern und Arbeiter zu besingen und Front zu machen gegen die Erzeugnisse des »Kulturimperialismus« nordamerikanischer Prägung, die für seichte Unterhaltung standen. Schaut man sich die Grundsätze der Vertreter des ›nueva canción‹ an, mag es unmittelbar einleuchten, weshalb sich Cornelis Vreeswijk für ein solches Programm interessiert. Schließlich hat auch er immer wieder und von Anfang seiner Karriere an die sozialen Missstände seiner schwedischen Heimat in seinen Liedern thematisiert und damit entscheidend dazu beigetragen, die Naturschwärmerei der heimischen Liedermacher-Szene in die politische Tagesaktualität zu überführen. Ungeachtet der unterschiedlichen kulturellen Tradition beider Länder stehen die Vertreter einer neuen, sozialkritischen Liedtradition in Europa vor teilweise ähnlichen Fragestellungen wie ihre südamerikanischen Kollegen. Auch ihnen geht es, zumeist aus einer dezidiert linken Position heraus, um das Anprangern sozialer Missstände sowie um die Verbindung von Politik mit der Volkskultur. Die Politisierung der Kulturproduktion war ein hervorstechender Zug jener Zeit. Die europäischen Liedermacher und die südamerikanischen ›cantautores‹ treffen sich auch in der gemeinsamen Ablehnung des vorwiegend amerikanischen Kulturimports, der als Kulturimperialismus gebrandmarkt wurde. Es ist demnach vor diesem Hintegrund alles andere als abwegig, wenn Cornelis sich für die Lieder Victor Jaras interessiert und diese ins Schwedische überträgt. Cornelis sprach im Zusammenhang mit seiner Einspielung von einem unpolitischen Projekt, was ihm prompt Kritik einbrachte. Sein Ziel sei es gewesen, einen Quer- 4 Der Künstler als Revolutionär - ein Gespräch mit Victor Jara, in: Sinn und Form 31 (1979), S. 1184-1192, S. 1184 und 1187. Thomas Seiler 212 schnitt durch Jaras Schaffen zu liefern. Das ist ihm durch die Zusammenstellung meines Erachtens gut gelungen. Berühmte Lieder wie Te recuerdo Amanda finden sich neben weniger berühmten wie El cigarillo oder Angelita Huenumán. Auch in politischer Hinsicht ist festzuhalten, dass Cornelis nicht eine agitatorische Platte machte, sondern eine facettenreiche. Vreeswijk war sich bei seiner Einspielung sehr bewusst, dass die kulturelle Situation der beiden Länder Chile und Schweden eine völlig andere war. Das sei auch der Grund, weshalb Jaras politische Lieder in Westeuropa kein Publikum fänden, die Bevölkerung Westeuropas sei schlicht zuwenig vertraut mit der Thematik und die Interessenlage zu unterschiedlich. Im Lied Blues för Victor Jara wird diese Thematik mit bitterbösen Versen abgehandelt: »Här odlar man orkidéer, min bror, / som ekar med stor emfas / och sjunger rymdklangsklichéer, min bror, / och en plastdocka sjunger bas. / Dom mixtrar på tusen sätt, Victor Jara, / med avsikt och tur och flit. / : Och dom anser att detta är rätt, Victor Jara. / Men jag anser at det är skit. «: / / 5 Die Einspielung von Cornelis wird eröffnet mit dem Lied El arado mit folgendem Text: Aprieto firme mi mano y hundo el arado en la tierra hace años que llevo en ella como no estar agotado. Vuelan mariposas cantan grillos la piel se me pone negra y el sol brilla, brilla, brilla. El sudor me hace surcos yo hago surcos a la tierra Sin parar. Afirmo bien la esperanza cuando pienso en la otra estrella nunca es tarde me dice ella la paloma volará. Vuelan mariposas cantan grillos la piel se me pone negra y el sol brilla, brilla y brilla. Y en la tarde cuando vuelvo en el cielo apareciendo una estrella / : Jag knyter näven kring plogen Ned med stålet i jorden! År efter år har jag stretat, undra på att jag är sliten! : / Fjärilarna lyfter, gräshopporna kvider och min hud blir svart, ja svart, ja svart i solen. Svetten rinner efter ryggen. Den gör fåror i min åker som du ser! Mitt hopp står stadigt i jorden sen jag lyssnat på en stjärna. Det finns hopp ännu! Hon säger: Duvan flyger ju ännu! När jag sen går hemåt ser jag rakt upp mot stjärnan. Och hon berättar med sitt ljus, sitt ljus, sitt ljus. Det finns tid ännu! Hon säger: Duvan kommer nog att flyga, 5 Der Text ist abgedruckt in Cornelis Vreeswijk: Sånger, red. av Jan Erik Vold, Stockholm 1988, S. 334-335. Die schwedischen Übertragungen der Lieder Victor Jaras sind ebenfalls nach dieser Ausgabe zitiert. Jag minns dig Amanda - Vreeswijks Jara 213 nunca es tarde me dice ella la paloma volará, volará, volará. Como yugo de apretado tengo el puño esperanzado porque todo cambiará. stjärnan väntar! Denna sång ska färdas stadigt stadigt, stadigt framåt, framåt som den gör. Lika stadig som en näve är mitt hopp och min förväntan som du hör. Fjärilarna lyfter, gräshopporna kvider och min hud blir svart, ja svart, ja svart i solen. Svetten rinner efter ryggen. Den gör fåror i min åker som du ser! (S. 235-236) Fest schließe ich meine Hand / und senke den Pflug in die Erde. / Jahre habe ich so verbracht, / wie soll ich da nicht erschöpft sein. Schmetterlinge fliegen, / Grillen zirpen, / meine Haut färbt sich schwarz / und die Sonne funkelt, funkelt und funkelt. / Der Schweiß durchfurcht mich / und ich furche die Erde / ohne zu verweilen. Ich halte fest an der Hoffnung, / wenn ich an den anderen Stern denke. / Nie ist es zu spät, sagt er mir; / die Taube wird fliegen. Schmetterlinge fliegen, / Grillen zirpen, / meine Haut färbt sich schwarz / und die Sonne funkelt, funkelt und funkelt. / Und abends, wenn ich zurückkehre, / geht am Himmel ein Stern auf. / Nie ist es zu spät, sagt er mir, / die Taube wird fliegen, wird fliegen, wird fliegen. / Wie ein zwingendes Joch / ist meine hoffnungsvolle Faust, / denn alles wird sich ändern. (S. 29) (Span. Original und dt. Übersetzung aus Victor Jara - Sein Leben, seine Lieder, Frankfurt am Main: Zweitausendeins, o.J., engl. Original 1976.) Bei diesem Lied haben wir es eher mit einer freien Übertragung als mit einer wörtlichen Übersetzung zu tun. Es ist das einzige Lied auf der Platte, bei dem es zu markanten textlichen Umstellungen und Veränderungen gekommen ist. Während Jara jede Strophe bis auf die letzte wiederholt, werden bei der schwedischen Version die Reihenfolge der Strophen und deren Wiederholungen verändert. Nur die erste wird unmittelbar wiederholt, wohingegen die zweite am Schluss des Lieds nochmals gesungen wird. Dadurch wird ein anderer Akzent gesetzt, denn bei Jara endet das Lied mit dem Aspekt der Veränderung: »porque todo cambiará«, wohingegen bei Cor- Thomas Seiler 214 nelis das Lied in der Betonung der Wiederholungsstruktur der täglichen Arbeit endet und damit die apodiktischen Worte, die keinen Zweifel zuzulassen scheinen, Lügen gestraft werden. Verstärkt wird dieser Eindruck auch durch die recht blasse Wiedergabe der entsprechenden spanischen Verse mit »lika stadig som en näve / är mitt hopp och min forväntan«, die in den Text eingebettet nicht annährend die prophetische Kraft von Jaras Formulierung »porque todo cambiará« haben, die zudem noch den Schluss des Lieds bildet. Auch in syntaktischer Hinsicht wird die erste Strophe verändert und bestimmte Wörter werden verändert wiedergegeben, etwa wenn »mano« mit »näve« übersetzt wird oder eine Tätigkeit wie »hundo el arado en la tierra« mit einem verblosen Ausruf »Ned med stålet i jorden! « wiedergegeben wird. Dasselbe Verfahren kennzeichnet das ganze Lied. Z.B. wird auch im Refrain die sengende Hitze der Sonne nicht wie im Original direkt erwähnt, sondern indirekt als »Haut, die schwarz wird«. Auch ist die Wiederholungsstruktur bei Jara, das dreimalige Erwähnen des Verbs »brillar«, wodurch das intensive und unausweichliche Licht der Sonnenstrahlen sprachlich gestaltet wird, bei Cornelis abgemildert und die poetische Struktur dieser Wiederholungen wird nicht nachvollzogen. Besonders auffällig (und stoßend) sind dann die nachfolgenden Verse, die im Original eine deutlich chiastische Struktur aufweisen: »El sudor me hace surcos / yo hago surcos a la tierra«. In der deutschen Übersetzung wird das mit »Der Schweiß durchfurcht mich / und ich furche die Erde« wiedergegeben; wörtlich müsste es eigentlich heißen: »Der Schweiß macht mir Furchen / ich mache Furchen in die Erde.« Die Pointe besteht in der chiastischen rhetorischen Figur, wodurch ein enger Zusammenhang zwischen dem »Ich« und der »Erde« entsteht. Die schwedische Version, klingt an dieser Stelle nüchterner, distanzierter und abstrakter. Es fehlt der Chiasmus und damit der enge Zusammenhang »svetten rinner efter ryggen / den gör fåror i min åker«. Das Gefühl der Distanziertheit kommt auch deshalb zustande, weil die schwedische Version die Konkretheit und die Sinnlichkeit des Orginals zu scheuen scheint und stattdessen eine abstrakte Formulierung vorzieht. »Svetten rinner efter ryggen / den gör fåror i min åker« ist eine Formulierung, die abstrakter ist als die spanischen Verse, wenn »der Schweiß gleichsam furchen in meinem Acker macht«. Es ist jedoch nicht immer so, dass in Cornelis’ Versionen von Jaras Liedern konkrete Formulierungen in abstraktere übersetzt würden. Oft ist es auch umgekehrt, wie im Lied Vientos del pueblo, das mit geradezu drastischen Formulierungen aufwartet, die dem Original fehlen. Vientos del pueblo De nuevo quieren manchar mi tierra con sangre obrera los que hablan de libertad y tienen las manos negras los que quieren dividir a la madre de sus hijos y quieren reconstruir Folkets vind Nu våldtas mitt folk igen. Oss dränka i blod vill dom. Dom talar om friheten med svarta handen bakom. Dom skingrar allt folk som boss, barn utan mor och far. Dom tänker påtvinga oss Jag minns dig Amanda - Vreeswijks Jara 215 la cruz que arrastrara Cristo. Quieren ocultar la infamia que legaron desde siglos, pero el color de asesinos no borrarán de su cara ya fueron miles y miles los que entregaron su sangre y en caudales generosos multiplicaron los panes. Ahora quiero vivir junto a mi hijo y mi hermano la primavera que todos vamos construyendo a diario no me asusta la amenaza patrones de la miseria la estrella de la esperanza continuará siendo nuestra. Vientos del pueblo me llaman vientos del pueblo me llevan me esparcen el corazón y me avientan la garganta así cantará el poeta mientras el alma me suene por los caminos del pueblo desde ahora y para siempre. korset som Jesus bar. Än döljer dom all sin skam. Dom döljer den bakom lag. Men mordet ska bryta fram och visa sitt rätta jag. Och många tusen män ska offra sitt liv för mord. Och blodet ska strömma igen och gödsla vår goda jord. Jag vill ha ett riktigt liv med mina barn och syskon och rekonstruera våren som ligger där och förblöder. Mig skrämmer ni inte alls, ni eländets herremän! Beröva oss hoppets stjärna! Den ska nog bli vår igen! Blås, folkets vindar, blås! Blås åter! och än en gång! Ni spränger mitt hjärtas lås och fyller min mun med sång. Än sjunger han, er poet, så länge min mun kan andas och ända till evighet hans aska med er ska blandas. (S. 245) Heimische Winde / Wieder wollen sie beflecken / meine Heimat mit Arbeiterblut, / die von der Freiheit sprechen / und schmutzige Hände haben, / die trennen wollen / die Mutter von ihren Kindern / und wiedererrichten wollen / das Kreuz, das Christus schleppte. Sie wollen die Niedertracht verheimlichen, / die sie seit Jahrhunderten vererbten, / aber die Farbe der Mörder / werden sie nicht aus ihrem Gesicht wischen, / tausende und tausende schon / haben ihr Blut hingegeben / und in freigebigem Strom / die Brote vermehrt. Jetzt will ich leben / neben meinem Sohn und meinem Bruder / in dem Frühling, den wir alle / Tag für Tag erschaffen, / mich erschreckt nicht die Drohung, / Ihr Brotgeber des Elends, / der Stern der Hoffnung/ wird immer unser sein. Winde der Heimat rufen mich, / Winde der Heimat tragen mich, / weiten mir das Herz / und lüften mir die Kehle, / so wird der Dichter singen, / solange meine Seele Thomas Seiler 216 bebt, / auf den heimischen Wegen / jetzt und auf immer. (S. 95) Jaras poetische Hymne an das Volk beginnt in Cornelis’ Version mit einer drastischen Formulierung, die dem Original fehlt, wenn im schwedischen Text von der »Vergewaltigung meines Volkes« die Rede ist. Die deutsche Version kommt an dieser Stelle dem Original wesentlich näher. Überhaupt scheint mir die schwedische Version die poetische Kraft und Schönheit des Originals nur unzureichend wiederzugeben. Oft werden in Cornelis’ Version ambige Formulierungen in eine Einsinnigkeit überführt, wodurch die poetische Unbestimmtheit des Originals Gefahr läuft, beschädigt zu werden. Das ist zum Beispiel bei der Formulierung »la estrella de la esperanza / continuará siendo nuestra« der Fall, die mit »Beröva oss hoppets stjärna! Den ska nog bli vår igen! « übertragen wird. Während im Original der Akzent darauf gelegt wird, dass die Hoffnung immer die unsere sein wird, gleitet der schwedische Text in eine schiefe Bildlichkeit ab, denn wie soll »der Stern der Hoffnung« geraubt werden können. An dieser Stelle funktioniert die Übertragung meines Erachtens nicht so gut, und zwar weil sie eine Drastik ins Spiel bringt, die es im Zusammenhang mit der abstrakten Bildlichkeit, die zugegebenermaßen im Original auch nicht sehr originell ist, nicht leiden mag. Was Cornelis zu seiner Wahl bewogen haben mag, darüber kann natürlich nur spekuliert werden. Sicher war es nicht eine Art von Reimzwang, denn gerade in dieser dritten Strophe nimmt er Abstand von den Endreimen, die die anderen Strophen auszeichnen. Dass der Reimzwang nicht zwangsläufig zu unangemesseneren Übertragungen führen muss, zeigt eine Stelle in der ersten Strophe. Dort heisst es: «los que quieren dividir a la madre de sus hijos», das mit »Dom skingrar allt folk som boss, barn utan mor och far« wiedergegeben wird. Hier ist es die schwedische Version, die ein Bild gesucht hat für eine Formulierung, die auf Spanisch recht einsinnig und einfach daherkommt. Man kann sich sogar vorstellen, dass Cornelis erst aufgrund des Reimzwangs auf das Wort »boss« kam, das sich mit dem nachfolgenden »oss« der zweitletzten Zeile reimen muss. Natürlich könnte man argumentieren, dass der Originaltext auch an dieser Stelle stimmiger ist, denn wie die Kinder von ihren Müttern getrennt werden, so wird Christus, von dem in der lezten Zeile dieser Strophe die Rede ist, von uns Menschen und seiner Mutter getrennt. Generell bleibt der Entscheid in der schwedischen Version, für die Übertragung kreuzreimende Endreime zu suchen, mit Ausnahme wie gesagt von der dritten Strophe, jedoch fragwürdig, wie das in der zweiten Strophe festgestellt werden kann, etwa wenn auf »jag« ein Reimwort gesucht wird und man sich für »lag« entscheidet, obwohl davon im Original nicht die Rede ist. Hier heißt es nur: »Quieren ocultar la infamia / que legaron desde siglos«, woraus in der Übertragung »Än döljer dom all sin skam. / Dom döljer den bakom lag« wird. Vermutlich wieder aufgrund der Reime hat man sich entschieden, das Wort »infamia« mit »skam« wiederzugeben, was zumindest fragwürdig ist. »Skam« hat ebenso wie das entsprechende deutsche Wort »Scham« eine moralische Komponente, die nicht passen will zu den südamerikanischen Machthabern, die Jara im Auge hat. Das deutsche »Niedertracht« trifft den Sachverhalt weitaus besser. Durch die Wahl des Jag minns dig Amanda - Vreeswijks Jara 217 Wortes »skam« ist die schwedische Version gezwungen, im folgenden Vers dem Original nicht mehr zu folgen, denn eine »Scham« könnte schwerlich über Jahrhunderte hinweg übertragen oder vermacht werden. Auch in der letzten Strophe zeigen sich große Unterschiede, die vielleicht mit dem unterschiedlichen Temperament der beiden Liedermacher erklärt werden können. Im spanischen Original kommt erst jetzt der Liedtitel ins Spiel. Die »Winde des Volks rufen mich« und es ist im Fortgang der Strophe von diesen Winden die Rede und wie sie das »Ich« begleiten (vgl. die deutsche Übertragung oben). Der Text belässt es in dieser Strophe bei einer relativ nüchternen Konstatierung, die rhetorisch nicht aufgeladen ist. Ganz anders dagegen die schwedische Übertragung, wo schon die Eröffnungsverse der Strophe in der rhetorischen Figur der Prosopopoia gestaltet sind, als direkte Anrede der Winde durch den Sänger: »Blås, folkets vindar, blås! / Blås åter! och än en gång! « Weil sich Cornelis entschlossen hat, die lezte Strophe wieder als kreuzreimende Endreime zu gestalten, muss er Reimwörter auf »blås« und »gång« finden. Dabei hat er sich für »lås« und »sång« entschieden. Als Resultat ergeben sich die folgenden vier Verse: »Blås, folkets vindar, blås! / Blås åter! och än en gång! / Ni spränger mitt hjärtas lås / och fyller min mun med sång.« Es sind hier die Winde, die das »Schloss des Herzens sprengen« und »meinen Mund mit Gesang füllen«. Durch die Prosopopaia erhält diese Strophe eine Dramatik, eine Art von emphatischer Formulierung (»Blås, folkets vindar, blås! «), die dem Original gänzlich fremd ist. Das muss, isoliert betrachtet, nicht schlecht sein, es ergibt sich einfach ein ganz anderes dichterisches Temperament, das hier, wie wir schon weiter oben gesehen haben, einmal mehr die direkte Formulierung und vor allem eine konkretere Bildlichkeit bevorzugt, wenn die Winde »das Schloss des Herzens sprengen«, wohingegen sie im Original das Herz weiten. Eher problematisch ist dann nach meinem Dafürhalten der Schluss, wo bei Cornelis die Rede davon ist, dass sich die Asche des Poeten mit derjenigen des Windes mischen soll. Hier will die ganze Bildlichkeit nicht mehr richtig stimmen: »Än sjunger han, er poet, / så länge min mun kan andas / och ända till evighet / hans aska med er ska blandas.« Cornelis setzt einen deutlichen Schluss, wenn vom Tod des Poeten die Rede ist, dessen Asche mit der Asche von »folkets vind« vermischt wird. Damit wird ein personalisierter Schluss vorgezogen, der der Intention des Originals tendenziell zuwiderläuft. Hier behalten die »Winde des Volkes« das letzte Wort, die ihn gleichsam erst hervorbringen, wie das auch in der schwedischen Version ersichtlich ist. Der Akzent liegt in Jaras Version eindeutig auf dem »pueblo« das den »poeta« hervorbringt und nach ihm weiterleben wird. Deshalb werden im zweitletzten Vers ja auch die »caminos del pueblo« erwähnt, auf denen der Poet wandelt, und zwar »desde ahora y para siempre«, also »von jetzt an und auf immer«. Jaras Lied endet nicht mit dem Tod eines einzelnen Menschen, sondern mit der Gewissheit seiner Einbettung in den Schoß des Volkes, das ihn, den Künstler, zuallererst hervorbringt. Noch etwas fällt auf: Wenn im Original die Rede ist von »así cantará el poeta« verbirgt sich dahinter eine literarische Anspielung und damit eine Form von Inter- Thomas Seiler 218 textualität, die in der Übersetzung nicht mehr ersichtlich ist. Wörtlich übersetzt heißt »así cantará el poeta« »so wird der Dichter singen«. Wenn daraus ein »Än sjunger han, er poet« und dann gleich anschließend »så länge min mun kan andas« wird, dann bezieht sich dieser Poet nur noch auf den Sänger des Liedes. Wohingegen die spanische Zeile unweigerlich die Frage evoziert, von welchem Poeten hier die Rede sei. Und in der Tat sind die Verse zwei, drei und vier der letzten Strophe wörtlich einem Gedicht des spanischen Lyrikers Miguel Hernández entnommen, und zwar aus seinem Gedichtband Viento del pueblo (! ); »así cantará el poeta« weist demnach zurück auf den antifaschistischen Dichter Hernández, und in die Gegenwart auf die Dichter der politischen Linken in Südamerika während den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Jaras Lied Vientos del pueblo erweist sich als Referenz an den spanischen Dichter, der wie Jara auch gegen die Unterdrückung des Volks durch eine faschistische Regierung anschrieb, und verortet sich in der gleichen Tradition einer antifaschistischen Lyrik, die sich in den Dienst der einfachen Leute stellt und versucht, deren Sprache zu sprechen. Deutlich wird die Parteinahme für die einfachen Leute auch im Lied El cigarrito, das von Cornelis mit Fimpen übersetzt wird. Voy a hacerme un cigarrito acaso tengo tabaco si no tengo de donde saco lo más cierto es que no pito. Ay, ay, ay, me querís, Ay ay, ay, me querís, Ay, ay, ay. Voy a hacerme un cigarrito con mi bolsa tabaquera lo fumo y boto la cola y recójala el que quiera. Ay, ay, ay, me querís, Ay, ay, ay, me querís, Ay, ay, ay. Cuando amanezco con frío prendo un cigarro de a vara y me caliento la cara con el cigarro encendido. Ay, ay, ay, me querís, Ay, ay, ay, me querís, ayayay. Tänkte rulla mig en cigarett nu men min tobak har visst tagit slut. När man ingenting har att röka, säg mig hur ska man då stå ut? Hej hej hej, älskar du mig? Hej hej hej, käraste! Hej hej hej! Man får lov att plocka fimpar, samla fimpar i sin pung. Sedan röker man fimp på fimpar, kastar bort dom - och sedan sjung: Hej hej hej, älskar du mig? Hej hej hej, käraste! Hej hej hej! När jag vaknar i kalla natten rullar jag en stadig en, en som värmer mina kinder och så ger jag dig fimpen sen. Hej hej hej, älskar du mig? Hej hej hej, käraste! Hej hej hej! (S. 244) Ich werde mir einen Glimmstengel drehen, / falls ich Tabak habe, / hab ich nirgendwo welchen, / dann werde ich wohl nicht rauchen. / Ayaya, liebst mich? / Ayayay, liebst Jag minns dig Amanda - Vreeswijks Jara 219 mich? / Ayaya. Ich werde mir einen Glimmstengel drehen / aus meinem Tabaksbeutel, / ich rauch ihn und schmeiß den Stummel weg, / soll ihn aufheben, wer will. / Ayaya, liebst mich? / Ayayay, liebst mich? / Ayaya. Wenn ich in der Kälte aufstehe, / nehm ich eine Riesenzigarette / und wärme mir das Gesicht / mit der angezündeten Zigarette. / Ayaya, liebst mich? / Ayayay, liebst mich? / Ayaya. (S. 31) Die Wahl des Titels bei der schwedischen Fassung schuldet sich wohl dem Inhalt, stellt er doch bereits eine Interpretation dar, wenn von »Fimpen«, also »Zigarettenstummel« oder »Kippe« die Rede ist, wo im Original wertfrei von einer »cigarrito« die Rede ist. »Cigarrito« ist eine Diminutivform von »cigarro« und müsste in diesem Lied mit »Zigarettchen« übersetzt werden. Im gleichen, wertenden Ton fährt die schwedische Übertragung fort, wie die obige Gegenüberstellung zeigt. Mit keinem Wort wird im Original in der ersten Strophe die Misere angesprochen, wohingegen in der schwedischen Fassung schon die Frage gestellt wird, wie man es ohne etwas zu rauchen, überhaupt aushalten könne. Die Lakonie des Originals - wenn ich keinen Tabak mehr habe, wird es das wahrscheinlichste sein, dass ich nicht rauche - bleibt auf der Strecke. Auch die zweite Strophe stellt bereits eine Ausdeutung vor, es soll die Armut des Mannes dadurch unterstrichen werden, dass er sich neue Zigaretten aus alten Stummeln dreht, die er in seinem Tabaksbeutel sammelt. Nichts davon steht bei Jara, sondern hier wird die erste Zeile des Lieds wörtlich wiederholt - »Voy a hacerme un cigarrito« - das Zigarettendrehen wird demnach erwähnt, worauf nur gesagt wird, dass sie anschließend geraucht und der Stummel weggeschmissen wird, es soll ihn aufheben, wer will. Die größte Änderung stellt jedoch die dritte Strophe dar, wo der »fimpen« einem Gegenüber gegeben wird, wohl um einen Übergang in den anschließenden Refrain zu haben. Nichts von einer solchen Geste ist jedoch bei Jara zu vernehmen. Die geliebte andere Person kommt bei ihm nur indirekt im Refrain als verkappte Frage in seinen Gedanken vor. Das Ich bei Jara verbleibt einsam, es wärmt sich das Gesicht. Die besten Übertragungen auf Cornelis’ Platte sind meines Erachtens diejenigen, in deren Mittelpunkt eine bestimmte Person steht: Jag minns dig Amanda und Angelita Huenumán. Letzteres ist interessant, weil in diesem Lied zahlreiche Mapuche- Wörter, Pflanzennamen und dergleichen, vorkommen, die die Frage nach deren Übersetzbarkeit nach sich ziehen. Inwieweit sollen Pflanzen- und Vogelarten übersetzt werden, die hierzulande gar nicht existieren und v.a. auch nicht bekannt sind? In der deutschen Nachdichtung hat man sich entschieden, solche Begriffe zu übernehmen und in einem Anhang zu erklären. So wurden beispielsweise die Baumarten »mañío« und »hualle« übernommen, in der schwedischen Fassung wurden beide durch eine Eiche ersetzt »Under en ek med sin gröna krona«, was darauf hindeuten könnte, dass es Cornelis darum geht, das Lied in die heimische Landschaft zu ver- Thomas Seiler 220 pflanzen. Diese Strategie wird jedoch auch nicht konsequent verfolgt, wie die Übersetzung zeigt: En el valle de Pocuno donde rebota el viento del mar donde la lluvia cría los musgos vive Angelita Huenumán. Entre el mañío y los hualles el avellano y el pitrán entre el aroma de las chilcas vive Angelita Huenumán. Cuidada por cinco perros un hijo que dejó el amor sencilla como su chacrita el mundo gira alrededor. La sangre roja del copihue corre en sus venas Huenumán junto a la luz de una ventana teje Angelita su vida. Sus manos bailan en la hebra como alitas de chincol es un milagro como teje hasta el aroma de la flor. En tus telares, Angelita, hay tiempo, lágrima y sudor están las manos ignoradas de éste, mi pueblo creador. Después de meses de trabajo el chamal busca comprador y como pájaro enjaulado canta para el mejor postor. Entre el mañío y los hualles el avellano el pitrán entre el aroma de las chilcas vive Angelita Huenumán Långt nere i Pocunodalen där blåser havsvind hela dan. Där du ser regnbyar välsigna jorden bor Angelita Hueneman. Under en ek med sin gröna krona bland hasselbuskar och astrakan under en sky av vilda blommor bor Angelita Hueneman. Fem hundar har hon på vakt, hon har en son, i kärlek fått! Gården kring henne är hela världen. Allting är enkelt och allting är gott. Copihueblommans röda blomma brinner i henne, ser du väl? När ljuset faller genom fönstret syr Angelita på sin själ. Hennes hand dansar i tyget som vore den en kolibri. Hon syr blommor, hon syr blommor. Känner du doften drar förbi? På din duk, min Angelita, rinner tårar och blod och svett. Mitt folks händer, min Angelita, finns där. Händer som ingen sett. Efter tre månaders arbete ropar din vävnad efter en kund som en fågel ropar i buren: Se på min duk en liten stund! Under en ek med sin gröna krona bland hasselbuskar och astrakan under en sky av vilda blommor bor Angelita Hueneman. (S. 243) Im Tal von Pocuno / wo der Meerwind stürmt, / wo der Regen das Moos kräftigt, / lebt Angelita Huenumán. Jag minns dig Amanda - Vreeswijks Jara 221 Zwischen dem Mañío und den Hualles, / dem Haselstrauch und dem Pitrán, / mitten im Duft der Chilcas / lebt Angelita Huenumán. Behütet von fünf Hunden, / ein Kind der Liebe bei sich, / unauffällig wie ihr Stückchen Acker / dreht sich die Welt um sie. Das rote Blut der Copihue / fließt in ihren Huenumán-Adern, / am Licht eines Fensters / webt Angelita ihr Leben Ihre Hände tanzen am Faden / wie die Flügel eines Morgensängers; / es ist ein Wunder, wie sie sogar / den Duft einer Blume einwebt. In deinen Geweben, Angelita, / sind die Zeit, Tränen und Schweiß, / sind die namenlosen Hände / dieses, meines, schöpferischen Volkes. Nach Monaten der Arbeit / sucht der Chamal einen Käufer, / und wie ein Vogel im Käfig / singt er für den höchsten Bieter. Zwischen dem Mañío und den Hualles, / dem Haselstrauch und dem Pitrán, / mitten im Duft der Chilcas / lebt Angelita Huenumán. (S. 57) So werden etwa die »Copihue« oder der »chamal« dann doch wieder übertragen. Der »Chincol« hingegen mutiert zu einem »Kolibri«; es handelt sich bei diesem Vogel jedoch um eine chilenische Morgenammer, die in Südamerika verbreitet vorkommt. Was ist der Hintergrund für dieses Lied? Gemäß dem Kommentar aus der deutschen Ausgabe seiner Lieder handelt es sich bei Angelita Huenumán um »eine Bauersfrau, eine Mapuche-Indianerin, die in Südchile, mitten zwischen den Hügeln und Seen und Wäldern von Arauco lebte, die Victor so liebte. Auf einer seiner vielen Wanderungen kam er zufällig zu ihrem meilenweit vom nächsten Dorf entfernten Häuschen, und sie wurden Freunde. Angelita zeigte Victor eine außerordentlich schöne Wolldecke, die halbfertig in ihren Webstuhl gespannt war. Sie erzählte ihm, dass sie, ehe die Ernte nicht eingebracht sei, keine Zeit zum Weben habe, aber während der Wintermonate würde sie fertigwerden. Sonst wanderte sie über die Berge, um ihre Decken in der nächsten Stadt zu verkaufen, aber diesmal kam die Decke ein paar Monate später bei uns in Santiago an. Victor hatte da schon das Lied über Angelita geschrieben.« (S. 56) Das Lied kann als Huldigung einer Vertreterin der indigenen Bevölkerung Chiles aufgefasst werden, die sich ihren Lebenunterhalt mit dem Weben von Teppichen verdient. Gleichzeitig steht dieses Einzelschicksal symbolhaft für das Schicksal der chilenischen, indigenen Bevölkerung, wie das in der sechsten Strophe schön zum Ausdruck gebracht wird. Wenn sich Respekt und Ehrfurcht vor den kulturellen Eigenheiten anderer Völker in einer genauen Übertragung äußern, dann ist die schwedische Fassung doch eher respektlos zu nennen. Etwas gar salopp wird, wie oben gezeigt wurde, der spezifische kulturelle Hintergrund der Mapuche-Kultur übergangen, ohne dass jedoch Thomas Seiler 222 eine klare Übersetzungsstrategie auszumachen wäre. Eine gewisse Respektlosigkeit zeigt sich übrigens schon darin, dass der Name, der dem Lied den Titel gab, falsch wiedergegeben wird. Merkwürdig ist wiederum die Tendenz, Konkretes in Abstraktes zu verwandeln, wenn etwa die Zeile »teje Angelita su vida« mit »syr Angelita på sin själ« wiedergegeben wird. Damit wird in der schwedischen Fassung die genaue Beobachtung des Originals verwandelt in ein ziemlich merkwürdiges Bild, dessen Abstraktheit ins Abstruse zu kippen droht. Ist nämlich die Formulierung »webt Angelita ihr Leben« noch einigermaßen nachvollziehbar, gilt das nicht mehr, wenn »Leben« mit »Seele« ersetzt wird. Es geht ja gerade um die Existenz Angelitas, die vom Weben abhängig ist; die Betonung liegt hier meines Erachtens auf den materiellen Grundlagen, die durch den Fleiß ihrer Hände gewährt sind. Cornelis vollzieht hier gleichsam noch eine Drehung, indem er den materiellen Aspekt des Verses zusammenkoppelt mit dem Abstraktum der Seele. Vielleicht wurde dieses Wort auch einfach deshalb gewählt, weil man ein Reimwort auf das »väl« des zweiten Verses dieser Strophe brauchte, da die schwedische Fassung sich durch die Endreime des zweiten und vierten Verses jeder Strophe auszeichnet. Wieder will es nicht richtig einleuchten, weshalb man sich in der schwedischen Fassung entschieden hat, sich einem Reimzwang überhaupt zu unterwerfen. Gerade diese vierte Strophe zeigt, wie schief das Ganze herauskommen kann, wenn im zweiten Vers völlig unmotiviert eine Hinwendung an den Hörer/ Leser auftaucht, die wiederum sehr seltsam wirkt, wenn man sich überlegt, wie man das Blut in den Venen der Copihue-Blume sehen könnte. Der Versuch, einer abstrakten Formulierung von großer poetischer Schönheit einen konkreten Sinn zu unterlegen, führt ins Nichtige. Die Krönung von Cornelis Vreeswijks Victor Jara-Platte stellt jedoch nach meinem Dafürhalten die Übertragung des Klassikers Te recuerdo Amanda dar, hierzulande vielleicht das berühmteste Lied Victor Jaras. Te recuerdo, Amanda, la calle mojada, corriendo a la fábrica donde trabajaba Manuel. La sonrisa ancha, la lluvia en el pelo, no importaba nada: ibas a encontrarte con él, con él, con él, con él, con él. Son cinco minutos, la vida es eterna en cinco minutos. Suena la sirena, de vuelta al trabajo y tu caminando lo iluminas todo los cinco minutos te hacen florecer. Jag minns dig, Amanda på en regnvåt gata på språng emot fabriken där Manuel är. Du skrattar hela tiden, du har regn i håret och ingenting är viktigt utom att du är kär, du är kär, du är kär, du är kär, du är kär! Om några minuter är livet fullständigt, om några minuter visslar sirenen. Ditt arbete väntar men där du går fram blir allting så ljust. Jag minns dig Amanda - Vreeswijks Jara 223 Te recuerdo, Amanda la calle mojada, corriendo a la fábrica donde trabajaba Manuel. La sonrisa ancha, la lluvia en el pelo, no importaba nada: ibas a encontrarte con él, con él, con él, con él, con él, que partió a la sierra, que nunca hizo danjo que partió a la sierra y en cinco minutos quedó destrozado. Suena la sirena, de vuelta al trabajo. Muchos no volvieron tampoco Manuel. Te recuerdo, Amanda, la calle mojada, corriendo a la fábrica donde trabajaba Manuel Några minuter har fått dig att blomma! Jag minns dig, Amanda på en regnvåt gata på språng emot fabriken där Manuel är. Du skrattar hela tiden, du har regn i håret och ingenting är viktigt utom att du är kär, du är kär, du är kär, du är kär, du är kär! Han flydde upp i bergen, aldrig gjort någon illa! Men han fllydde till bergen och på några minuter förändrades allting. Nu visslar sirenen! Tillbaka till fabriken. Många kom aldrig. Bland dem Manuel. Jag minns dig, Amanda på en regnvåt gata på språng emot fabriken där Manuel är. (S. 236) Ich denke an dich, Amanda / wie du auf regennasser Straße / in die Fabrik liefst, / in der Manuel arbeitete. / Das breite Lachen, / der Regen im Haar / machte gar nichts, / du wolltest dich mit ihm treffen, / mit ihm, mit ihm, mit ihm, mit ihm. / Nur fünf Minuten, / das Leben ist ewig / fünf Minuten lang. / Die Sirene heult, zurück zur Arbeit, / und du gingst nachhaus, / alles überstrahlend, / die fünf Minuten / lassen dich aufblühen. Ich denke an dich, Amanda, / wie du auf regennasser Straße / in die Fabrik liefst, / in der Manuel arbeitete. / Das breite Lachen, / der Regen im Haar / machte gar nichts, / du wolltest dich mit ihm treffen, / mit ihm, mit ihm, mit ihm, mit ihm, / der in die Berge ging, / der niemandem etwas zu Leide tat, / der in die Berge ging / und in fünf Minuten / sein Ende fand. / Die Sirene heult, / zurück zur Arbeit, / viele kehrten nicht wieder, / auch Manuel nicht. Ich denke an dich, Amanda, / wie du auf regennasser Straße/ in die Fabrik liefst, / in der Manuel arbeitete. (S. 45) Thomas Seiler 224 Dieses Lied gibt in der schwedischen Fassung nicht nur in musikalischer Hinsicht perfekt die Stimmung des Originals wieder, auch textlich handelt es sich um eine rundum geglückte Übertragung, und zwar vielleicht gerade wegen ihrer Texttreue. Zwar haben wir es auch hier nicht mit einer Wort-für Wort-Übersetzung zu tun, die schwedische Fassung scheint mir aber dennoch geglückt zu sein, weil es im Gegensatz zu den bisherigen analysierten Liedern bei diesem keine wirklich störenden Brüche gibt. Typisch ist auch bei diesem Lied die schon mehrfach beobachtete Tendenz, unpersönliche Aussagen im Originaltext in Aussagen über die besungene Figur, hier Amanda, umzumünzen, beispielsweise wenn »la sonrisa ancha, / la lluvia en el pelo« übersetzt wird mit »du skrattar hela tiden, / du har regn i håret« [Hervorh. T. S.]. Solche Zuschreibungen machen das Lied in der schwedischen Version direkter, konkreter, ein Eindruck, der durch die andere Tempuswahl im Schwedischen noch verstärkt wird. Cornelis unterstreicht das hic et nunc der Situation und verleiht dem Treffen Amandas mit ihrem geliebten Manuel durch die Präsensform zusätzliches Gewicht. Im spanischen Original hingegen liegt der Schwerpunkt durch die Präteritumsform eher auf der Erinnerung an solche Treffen und nicht auf den Treffen selber. Nicht die Verliebtheit Amandas steht wie in der schwedischen Fassung im Zentrum, sondern zunächst einmal nur der Gang Amandas zur Fabrik, in der Manuel arbeitete. Die Liebe ist im Original eigentlich nur indirekt ablesbar, wohingegen sie in der Übersetzung direkt betont wird. Bezeichnenderweise wird die viermalige Wiederholung von »con él« mit »du är kär« wiedergegeben, was den Eindruck des Expliziten noch verstärkt. Durch solche Übersetzungsentscheide geht die Raffinesse des Originals stellenweise verloren. Denn während die Erzählung im Original nach der Einleitung gleich übergeht in die Formulierung »son cinco minutos, / la vida es eterna / en cinco minutos« wird das in der schwedischen Fassung nicht realisiert, wenn es heißt »om några minuter / är livet fullständigt, / om några minuter«. Wiederum macht hier die schwedische Fassung durch die Konkretisation einen banaleren Eindruck. In Jaras Text sind es fünf Minuten, die sich sowohl auf die Dauer der Arbeitspause beziehen als auch auf das Treffen der Liebenden, das fünf Minuten dauert und aufgrund der großen Liebe »ewiges Leben« darstellt. Das Leben dauert deshalb fünf Minuten lang ewig. Diese poetische Formulierung wird in der Übersetzung nicht realisiert, weil im schwedischen Text nicht der Aspekt der Zeitlosigkeit, des ›erfüllten Augenblicks‹ im Vordergrund steht, sondern der Zeitaspekt wird sogar noch betont und damit die Aussage des Originals abgeschwächt, indem die syntaktische Struktur verändert wurde. Im schwedischen Text liegt der Akzent auf dem Wort »om«, und man hat sich entschieden, das Heulen der Sirenen mit der Formulierung »om några minuter« zu verknüpfen, wodurch es heißt: »In fünf Minuten heulen die Sirenen.« Im Original ist jedoch ein Punkt gesetzt nach der Formulierung »en cinco minutos.« Wodurch es eben heißen kann, dass das Leben während fünf Minuten ewig dauert, worauf eine deutliche Zäsur in der Erzählung stattfindet, bis mit dem Sirenenton gleichsam ein neues Kapitel aufgeschlagen wird, die Erzählung weiterschreitet. Jag minns dig Amanda - Vreeswijks Jara 225 Dennoch halte ich die Übertragung für sehr geglückt, und zwar weil die Veränderungen der Textstimmigkeit nichts anhaben können. Das beginnt schon mit dem Titel, der in der schwedischen Übertragung aufgrund einer Eigenheit der skandinavischen Sprachen ebenso elegant klingt wie im Original. Durch die s-Form kann die Schwerfälligkeit der reflexiven Form, die bei einer wörtlichen Übersetzung ins Deutsche entstünde - »ich erinnere mich an dich, Amanda« - vermieden werden. Und schließlich kommt das Thema des Lieds, die Erinnerung an Amanda als direkte Ansprache derselben der Tendenz Cornelis Vreeswijks entgegen, Jaras Texte als dialogische Aussprache zu gestalten. Cornelis findet dieses Stilmittel schon im Original und muss es nicht extra bemühen, etwas, das seine Übertragungen sonst doch eher forciert erscheinen lässt. Als Fazit von Cornelis’ Jara-Übertragungen kann Folgendes festgehalten werden. Vreeswijk bemüht sich um eine sinngemäße Übertragung von Jaras Liedern und weniger um eine exakte im Sinne einer größtmöglichen Texttreue. Dabei gelingt es den schwedischen Fassungen jedoch nicht immer, die Bildlichkeit des Originals, seine Poetizität adäquat zu realisieren. Dadurch resultieren oft schiefe Bilder, die wegen ihrer Schiefheit auch der poetischen Genauigkeit beraubt sind. Eine weitere, in meinen Augen störende Tendenz ist die Vorliebe von Cornelis, abstrakte, nüchterne Formulierungen zu dramatisieren, indem er sie konkretisiert bzw. mit einer Hinwendung an den Hörer (oder ein imaginiertes Gegenüber) ins Anschauliche dreht. Etwa wenn die Strophe aus Angelita Huenumán »Sus manos bailan en la hebra / como alitas de chincol / es un milagro como teje / hasta el aroma de la flor« mit »Hennes hand dansar i tyget / som vore den en kolibri. / Hon syr blommor, hon syr blommor. / Känner du doften drar förbi? « wiedergegeben wird. Jaras Texte erhalten so oft eine dialogisierende Form, die ihnen im Original fremd ist. Deutlich ist das im Lied Fimpen zu sehen, wo in der letzten Strophe unvermittelt ein Gegenüber auftritt. Durch solche Figurenrede erhalten die Lieder eine andere Stoßkraft oder Intention, die mit derjenigen Victor Jaras - oder allgemein des südamerikanischen Protestlieds jener Jahre - nicht mehr übereinstimmt. Man könnte auch sagen, dass Vreeswijks Jara der kulturellen Ausgangssituation zuwenig Rechnung trägt, geht es dem Chilenen doch gerade darum, den Sänger (Künstler) als Vertreter der einfachen Leute, der arbeitenden Klasse zu sehen. Ein Schlüsselbegriff bei Jara ist Authentizität, verstanden als das Vermögen des Künstlers, sich möglichst volksnah und unverstellt zu geben und den Interessen der arbeitenden Bevölkerung, des Landproletariats zu dienen. 6 Seine Kunst soll dem Volk dienen und seine Stimme ist diejenige des Volkes. Was das heißt, zeigen die Lieder Vientos del pueblo und Angelita 6 Vgl. Witthaus, Jan-Henrik: Kunst und Revolution. Victor Jara, in: Butler, Martin u. Frank Erik Pointner (Hg.): »Da habt ihr es, das Argument der Straße« - Kulturwissenschaftliche Studien zum politischen Lied, Trier 2007, S. 97-110, S. 103: »Jaras Gegeninszenierung als authentischer, volksnaher Sänger und Sprachrohr des Landproletariats arbeitet einer Abkoppelung der Kunst von der Gesellschaft entgegen.« Thomas Seiler 226 Huenumán deutlich. Ersteres spricht mit den Zeilen »mientras el alma me suene / por los caminos del pueblo« deutlich von der Einbettung des Künstlers in den Schoß des Volkes, und letzteres stellt nicht nur eine Huldigung der Arbeit einer einzelnen Vertreterin des Volkes dar, sondern koppelt diese Nobilitierung, über das Bild des Webens bzw. über den gemeinsamen Aspekt der Arbeit mit den Händen als Garant für Authentizität, zusammen mit der Kunstproduktion. 7 Mit anderen Worten: Der Künstler soll einer des Volkes werden, er geht gleichsam als Sprachrohr des Volkes in diesem auf und soll diesem dienen. 8 Es ist ein Kennzeichen weiter Bereiche der südamerikanischen Kultur jener Zeit und insbesondere der kulturellen Situation Chiles während der Allende-Zeit, dass sie aufs engste mit der Politik, mit politischen Anliegen verbunden ist. Vergleicht man diese Situation mit derjenigen Schwedens in den 70er Jahren, so wird man leicht große Unterschiede feststellen. Zwar ist auch in Schweden in jener Zeit eine Politisierung der Kultur zu beobachten, aber ein mehr oder weniger rechtloses und verarmtes Landproletariat, das einer schmalen Klasse von Großgrundbesitzern gegenübersteht, kennt man in diesem skandinavischen Land natürlich nicht. Das Pathos, mit dem sich Victor Jara auf die Seite des Volkes schlägt, will in Europa schon deshalb nicht richtig greifen, weil der Feind, verstanden als eine ausbeutende schmale Klasse von Oligarchen und Großgrundbesitzern so nicht gegeben ist und der Begriff des »Volks«, des »pueblo« nur schwer als einheitliche Größe aufgefasst werden kann. Die ökonomische Situation, ja die gesamte Lebenswirklichkeit des Volks der beiden Länder kann nur sehr bedingt, wenn überhaupt, miteinander verglichen werden. Vielleicht ist das der Grund, weshalb bei Cornelis die Tendenz festzustellen ist, Jaras Lieder als dialogisch zu gestalten und deren Verbundenheit mit dem Volk etwas zu dämpfen. Wie etwa im Lied Fimpen, das im Original die Armut eines Arbeiters in völlig unspektakulärer Weise und gerade deshalb so poetisch eindringlich beschreibt, und das bei Cornelis zu einem Liebeslied mutiert. Dadurch wird aber das bei Jara Entscheidende, die Schilderung der Lebenswirklichkeit eines einfachen Arbeiters, in den Hintergrund gedrängt bzw. überblendet mit der Fokussierung in der letzten Strophe auf die Liebe. So aber läuft der Text Gefahr, ins Kitschige abzudriften, weil explizit gemacht wird, was bei Jara nur im Refrain angedeutet wird. Die Kunst Victor Jaras besteht u.a. darin, das Intime, die zärtliche Geste des Einzelnen 7 Vgl. ebd., S. 108. 8 Im Interview, welches in der Zeitschrift Sinn und Form 1979, also sechs Jahre nach der Ermordung des chilenischen Liedermachers erschien, wird dieser Aspekt mal für mal betont (notabene ganz in Übereinstimmung mit den offiziellen kulturpolitischen Grundsätzen der damaligen DDR). Vgl. z.B. folgende Zeilen: »Wir Künstler können nicht von unserem Podest, aus unserem gläsernen Turm, auf das Volk herabsehen und ihm unsere Künste anbieten: Wir müssen uns als Gleiche verstehen, und dazu müssen wir einander kennen, wissen, womit das Volk sich beschäftigt, wir müssen seine Sprache kennen, sein Leben, mit den Leuten zusammenleben, in der Lage sein, ihr Haus zu betreten, und vor allem, daß sie begreifen, daß man ist wie sie, und keine paternalistische und kluge Kunst machen.« (S. 1189) Jag minns dig Amanda - Vreeswijks Jara 227 mit dem Abstrakt-Politischen zu verbinden und nicht voneinander abzukoppeln, wie das tendenziell bei Cornelis der Fall ist. Auf der anderen Seite driftet Jaras Bestreben, die Würde des einfachen Volkes zu betonen, bei Cornelis gerne ins Emphatische ab, und zwar durch seine wiederholten Hinwendungen an ein fiktives Gegenüber oder durch eine Explizitheit, die bei Jara nicht zu finden ist. Cornelis Übersetzungen deuten darauf hin, dass er Mühe hat mit der Volksverbundenheit von Jaras Versen, die das Spektakuläre, Dramatische eher scheuen. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb die Übertragung von Te recuerdo Amanda am besten gelungen ist. Bei diesem Lied trifft Cornelis schon im Ausgangstext auf eine dialogische Situation, die ihm zu entsprechen scheint, und er versucht nicht, die Andeutungen oder die Aussparungen, die Jaras Text auszeichnen, explizit zu machen oder noch zusätzlich zu dramatisieren, wie das in den anderen Übertragungen oft der Fall war. Damit erreicht er in der Übertragung eine Balance, die dem Original nicht nachsteht. Bibliographie Primärliteratur Cornelis Vreeswijk: Sånger, red. av Jan Erik Vold, Stockholm 1988. Victor Jara -Sein Leben, seine Lieder, Frankfurt am Main o.J., engl. Original 1976. Tonmaterial: Victor Jara complete, 4-CD-Box, Verlag pläne 1997, = pläne 88747. Cornelis sjunger Victor Jara. Rätten till ett eget liv (1978), Metronome MLP 15620. Sekundärliteratur (An.): Der Künstler als Revolutionär - ein Gespräch mit Victor Jara, in: Sinn und Form 31 (1979), S. 1184-1192. Baumgartner, Walter: Polaren Pär im Nebel und Cornelis Vreeswijk in der intertextuellen Echokammer, in: Hoff, Karin et al. (Hg.): Poetik und Gedächtnis - Festschrift für Heiko Uecker, Frankfurt am Main 2004, S. 407-426. Carlsson, Ulf: Cornelis Vreeswijk. Artist - vispoet - lyriker. Malmö 1996. Lönnroth, Lars: Vreeswijks Bellman, in: Krüger, Cornelia u. Frithjof Strauss (Hg.): Tango del Norte. Festschrift für Walter Baumgartner, Greifswald 2006, S. 304-310. Witthaus, Jan-Henrik: Kunst und Revolution. Victor Jara, in: Butler, Martin u. Frank Erik Pointner (Hg.): »Da habt ihr es, das Argument der Straße« - Kulturwissenschaftliche Studien zum politischen Lied, Trier 2007. Abbildungsnachweise S. 15 Ausschnitt der Carta Marina, vgl. http: / / commons.wikimedia.org/ wiki / File: Carta Marina Gotland.jpg. S. 81 Vorder- und Rückseite des Grabsteins von Jorge Luis Borges. Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Verlags Schirmer/ Mosel, München, © Simone Sassen/ courtesy Schirmer/ Mosel. S. 177 vgl. http: / / nerraw0001.deviantart.com/ art/ Matadora-Introduction-1923. Autoren MATEO BALLESTER RODRÍGUEZ, Assistenzprofessor an der Universität Complutense in Madrid, schrieb eine Doktorarbeit in Politikwissenschaft, Studium an den Universitäten in Madrid, Leiden und Oslo. Forschungsinteressen: Nation und Nationalismus, spanische Ideen- und Mentalitätsgeschichte. Veröffentlichungen: La identidad española en la Edad Moderna (1556-1665). Discursos, símbolos y mitos, Madrid : Editorial Tecnos 2010, Fama y eclipse de la Numancia: la identidad en la lectura contemporánea de Cervantes en España, in: M.G Besse y Michel Ralle (eds.), Les grands récits: miroirs brisés, Paris, ed. Indigo, 2010, S. 26-38, sowie diverse Aufsätze in Fachzeitschriften. PETRA BROOMANS, is Associate Professor of Scandinavian Linguistics and Literatures at the University of Groningen and visiting professor at Ghent University. Dissertation über Stina Aronson: Detta är jag. Stina Aronsons litteraturhistoriska öde, 2001 in Schweden publiziert. Zahlreiche Artikel v.a. zu Themen des Kulturtransfers. Koordinatorin des Projekts Scandinavian Literature in Europe around 1900: the Influence of Language Politics, Gender and Aesthetics. Arbeitet zurzeit an einer Bibliographie zu Übersetzungen der schwedischen und finnlandschwedischen Literatur ins Niederländische zwischen 1491-2007. Über den argentinischen Tango hat sie mehrere Artikel verfasst, und zusammen mit ihrem Ehemann Iván Torres lehrt und tanzt sie Tango. CARLOS F. CABANILLAS CÁRDENAS, Assistenzprofessor (førsteamanuensis) an der Universität Tromsø, schrieb eine Doktorarbeit über den spanischen Barockpoeten Juan del Valle y Caviedes. Forschungsinteressen: Literatur des spanischen Siglo de Oro, Kolonialliteratur Lateinamerikas, spanisch-skandinavische Kulturbeziehungen. THOMAS FECHNER-SMARSLY, Privatdozent an der Universität Bonn. Studium der Skandinavistik, Kunstgeschichte und. Ethnologie. Forschungsschwerpunkte: Literatur und Medien bzw. visuelle Kultur, Literatur und Architektur, Moderner Durchbruch. Literaturkritiker für Radio und Tageszeitungen. Außerdem Mitglied im Vorstand des Literaturhauses Bonn. TEODORO MANRIQUE ANTÓN, Assistenzprofessor an der Universität Castilla La Mancha. Im Jahr 2008 hat er an der Universität Salamanca den Doktortitel auf dem Gebiet der Altisländischen Literatur erworben. Forschungsaufenthalte an den Universitäten Bergen und Reykjavík. Forschungsinteressen: Mythologie und Literatur des mittelalterlichen Norwegens und Islands, Germanische Heldendichtung im Mittelalter. Veröffentlichungen: Antología de la Literatura Nórdica Antigua, Ediciones Universidad de Salamanca 2003, Íslensk-Spænsk-Íslensk orðabók (2 vol.) 230 Autoren 2007-2011, Rituales mágicos en la religión nórdica precristiana: el seiðr en la Saga de Gísli Súrsson, in: Ilu, Revista de Ciencias de las Religiones, nr 14 (2009), S. 87-100. KLAUS MÜLLER-WILLE, Lehrstuhlinhaber für Nordische Philologie am Deutschen Seminar der Universität Zürich und zur Zeit Gastprofessor am Hans Christian Andersen Centeret (Odense). Forschungsschwerpunkte: Skandinavische Romantik, Skandinavische (Neo)Avantgarden, Theorien zu Schrift und Schreiben, Experiment und Literatur. Arbeitet zurzeit an einer Monographie zu HC Andersens Produktionsästhetik. THOMAS SEILER, Titularprofessor für skandinavische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich. Dissertation über den norwegischen Lyriker Paal Brekke, Habilitation über skandinavische Gefängnisautobiografik Im Leben verschollen - Zur Rekontextualisierung skandinavischer Gefängnis- und Holocaustliteratur, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2006 sowie Herausgeber der Festschrift für Gert Kreutzer: Herzort Island - Aufsätze zur isländischen Literatur- und Kulturgeschichte, Lüdenscheid: Seltmann + Söhne Verlag 2005. FRITHJOF STRAUSS, Dr. phil., Studium der Skandinavistik, Neueren Deutschen Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Kiel und Kopenhagen. Dissertation Soundsinn. Jazzdiskurse in den skandinavischen Literaturen (2003). Seit 1999 Mitarbeiter am Lehrstuhl für neuere skandinavische Literaturen am Nordischen Institut der Universität Greifswald. Seit 2012 Mitarbeiter am Institut für Skandinavistik der Universität Poznań. Künstlerischer Leiter des Kulturfestivals Nordischer Klang in Greifswald. Musikjournalistik. Aufsätze über Humoristik, Interartbeziehungen, Großstadtdichtung, Narratologie, Popularkultur und -literatur. INGO SUNDMACHER, M.A., studierte Skandinavistik und Germanistik in Berlin, wo er als selbständiger Übersetzer arbeitet. Einzelne Lehraufträge vor allem zu Themen der Gender und Postcolonial Studies. Arbeitet an einem Dissertationsprojekt über Ib Michael mit dem Arbeitstitel: Ib Michaels Multiversum. Raum, Zeit und Postmoderne. MARIT TEERLING, M.A., studierte Geschichte, Spanisch und Skandinavistik in Freiburg, Basel und Sevilla. Ihre Magisterarbeit schrieb sie 2002 über die öffentliche Aufarbeitung des spanischen Bürgerkriegs im postfranquistischen Spanien. Zurzeit arbeitet sie als Pressereferentin am TECHNOSEUM, Landesmuseum für Technik und Arbeit, in Mannheim. MARTIN ZERLANG, Professor für Literaturwissenschaft und moderne Kultur an der Universität Kopenhagen. Neueste Buchpublikationen: Herman Bangs Køben- Autoren 231 havn (2008) und Karikaturlandet - i krydsild mellem danske forfattere og tegnere (2011), Mitherausgeber der Anthologien Fun City (2007), Strejftog i Buenos Aires (2010). Zusammen mit Stephan Michael Schröder Herausgeber des Bandes: 1908 - et snapshot af de kulturelle relationer mellem Tyskland og Danmark, Hellerup: Spring, 2011. Zum ersten Mal überhaupt werden in diesem Band die vielfältigen historisch-kulturellen, literarischen und populärkulturellen Beziehungen zwischen Spanien/ Südamerika und den skandinavischen Ländern beleuchtet. In der Imagination der Nordländer gilt Spanien aufgrund seines maurischen Erbes und seiner peripheren Lage als Ort des radikal Fremden, der sich einem Verständnis weitgehend entzieht und dessen Fremdheit auch das Identitätsgefühl des Beobachters erschüttert. Spanien nahm in nordischer Optik überdies eine Schlüsselstellung ein, wenn es darum ging, Fragen der aufkommenden Moderne zu diskutieren. Für die Spanier waren die nordischen Länder eine terra incognita, die als weißer Fleck auf der Landkarte mit den fantastischsten Vorstellungen angereichert wurde. Die Skandinavier galten als in jeder Beziehung maßlos und barbarisch. Theoretisch fundiert wurde diese Einschätzung mit den klimatischen Verhältnissen sowie dem Abfall vom rechten (katholischen) Glauben. Die Beiträge dieses Bandes analysieren die wechselvolle Geschichte gegenseitiger Imagination und produktiver Missverständnisse. Thomas Seiler ist Titularprofessor für skandinavische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich.