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Langeweile bei Heidegger und Kierkegaard

2014
978-3-7720-5523-2
A. Francke Verlag 
Sebastian Hüsch

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht auf der einen Seite die Langeweilekonzeption Martin Heideggers, wie sie maßgeblich in den Grundbegriffen der Metaphysik entwickelt wird. Dem vergleichend gegenübergestellt wird die Thematisierung von Langeweile bei Sören Kierkegaard in seinem Erstlingswerk Entweder/Oder, wo die Frage der Langeweile im Kontext der Kierkegaard schen Konzeption einer ästhetischen Existenz zu verorten ist.

Sebastian Hüsch Langeweile bei Heidegger und Kierkegaard Sebastian Hüsch Langeweile bei Heidegger und Kierkegaard Zum Verhältnis philosophischer und literarischer Darstellung Basler Studien zur Philosophie 19 Sowohl bei Martin Heidegger als auch bei Søren Kierkegaard ist Langeweile kein triviales Phänomen, sondern erhält metaphysische Verweisfunktion, die auf die Möglichkeit eines eigentlichen Seinkönnens verweist. Dabei rückt die metaphysische Langeweile in beiden Fällen in den Horizont eines Erkenntnisbemühens, das um die Kontingenz des eigenen Standpunktes weiß. Beide Autoren bemühen sich in je eigener Weise dieser Konstellation gerecht zu werden, die sich in der impliziten oder expliziten Problematisierung der sprachlichen Vermittlung niederschlägt. Während dies bei Heidegger im Rückgriff auf das Konzept der eigentlichen Rede geschieht, bemüht sich Kierkegaard, mit einem literarisch-ironischen Verfahren die begrenzte Tragweite philosophisch-existentieller Erkenntnis gegenwärtig zu halten. Langeweile bei Heidegger und Kierkegaard Basler Studien zur Philosophie 19 Herausgegeben von Emil Angehrn und Lore Huhn Sebastian Hüsch Langeweile bei Heidegger und Kierkegaard Zum Verhältnis philosophischer und literarischer Darstellung Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Diese Veröffentlichung wurde finanziell unterstützt durch das Département de recherche Arts, Lettres et Langues der Université de Pau et des Pays de l’Adour, das Forschungslabor Centre de recherche en Poétique et Histoire littéraire (CRPHL) und die Freiwillige Akademische Gesellschaft Basel (FAG). © 2014 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISSN 0941-9918 ISBN 978-3-7720-8523-9 5 INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG ...........................................................................................7 A. PROBLEMSTELLUNG UND METHODISCHER RAHMEN DER UNTERSUCHUNG ....................................11 1. Philosophie und Literatur ..............................................................11 Die Krise der Philosophie in der Moderne ..........................................17 Die Krise der philosophischen Sprache und die Hinwendung der Philosophie zur Sprache .......................................................................21 2. Langeweile ..........................................................................................36 B. LANGEWEILE BEI HEIDEGGER UND KIERKEGAARD .............................................................................59 1. Langeweile als Grundgestimmtheit des Menschen in Martin Heideggers Grundbegriffen der Metaphysik ...................59 Erste Form der Langeweile ...................................................................67 Zweite Form der Langeweile ................................................................71 Dritte Form der Langeweile ..................................................................77 Zusammenfassung: Langeweile bei Heidegger ...................................86 2. Langeweile als dämonischer Pantheismus in Sören Kierkegaards Entweder/ Oder ..........................................................88 Der narrative Rahmen von Entweder/ Oder ...........................................89 Die Wechselwirtschaft ...........................................................................90 Langeweile aus der Perspektive des Ethikers ....................................100 Zusammenfassung: Langeweile in Entweder/ Oder .........................110 3. Vergleich der Langeweiledarstellung bei Heidegger und bei Kierkegaard ......................................................................111 Langeweile bei Heidegger und in der ästhetischen Lebensanschauung ..............................................................................112 Heidegger und die ethische Analyse der Langeweile .......................120 6 C. FORM UND INHALT ................................................................137 1. Philosophie und/ der Möglichkeit: Der Begriff der Möglichkeit im Denken Martin Heideggers und Sören Kierkegaards ....................................................................................137 Der Begriff der Möglichkeit im Denken Martin Heideggers ............138 Der Begriff der Möglichkeit bei Sören Kierkegaard ..........................148 Vergleich der Möglichkeitsbegriffe bei Heidegger und bei Kierkegaard .........................................................................................167 2. Philosophie und Sprache bei Heidegger und bei Kierkegaard - Ein Vergleich im Hinblick auf die Grundproblematik der philosophischen Methode ...........................176 Eigentlichkeit und Sprache: Martin Heideggers Konzeption eigentlicher Rede .................................................................................176 Philosophie und Wissenschaft ............................................................. 178 Eigentlichkeit und Sprache ................................................................. 183 Dichten und Denken .......................................................................... 191 Fazit .................................................................................................. 198 Sprache bei Sören Kierkegaard ...........................................................200 Ironie bei Sören Kierkegaard ............................................................... 208 Die Ironiekonzeption in Sören Kierkegaards Über den Begriff Ironie ................................................................................................ 209 Kierkegaard als ironischer Schriftsteller .............................................. 225 Ironie als philosophische Methode bei Kierkegaard und Heidegger als Ironiker ........................................................................234 Ironie als philosophische Methode bei Sören Kierkegaard ..................... 234 Heidegger Ironiker? ............................................................................ 239 SCHLUSSBETRACHTUNGEN ..................................................259 LITERATURVERZEICHNIS .........................................................273 7 EINLEITUNG Philosophie ließe, wenn irgend, sich definieren als Anstrengung, zu sagen, wovon man nicht sprechen kann; Dem Nichtidentischen zum Ausdruck zu helfen, während der Ausdruck es immer doch identifiziert. 1 Wenn der berühmte Wittgensteinsche Satz, daß man nur das sagen soll, was man klar aussprechen kann, über das andere aber schweigen, dann würde ich dem den Begriff der Philosophie geradezu entgegensetzen und sagen, die Philosophie sei die permanente und immer wieder auch verzweifelte Anstrengung, das zu sagen, was sich eigentlich nicht sagen läßt. 2 (Theodor W. Adorno) Wer vermöchte es, einfach vom Schweigen zu schweigen? 3 (Martin Heidegger) Ausgehend von den obigen Überlegungen Adornos könnte man zu der Einschätzung gelangen, dass die Philosophie seit jeher eine ganz besondere Art der Tätigkeit ist, die sich nämlich dadurch auszeichnet, dass sie genau deshalb existiert hat und existiert, weil ihre Aufgabe eigentlich eine mission impossible ist und alle Anstrengung, von der Adorno spricht, letzten Endes vergeblich. Mit der Philosophie, die Heidegger als das „Grundwie des Lebens“ 4 bezeichnet, stellt sich der Mensch eine(r) Aufgabe, die im Grunde erst da relevant wird, wo sie bereits über die menschliche Erkenntnisfähigkeit hinaus reicht. Im Sinne Kierkegaards könnte man das so auf den Punkt bringen, dass wir bei allem Philosophieren doch eigentlich nie weiter kommen können als jener Ahnherr der abendländischen Philosophie, dessen höchstes Wissen im Wissen um die eigene Unwissenheit bestand 5 . Als 1 Theodor W. Adorno, ‚Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Drei Studien zu Hegel’, in Th. W. Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. 5, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996, p. 336. 2 Theodor W. Adorno, Philosophische Terminologie. Zur Einleitung, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1973, Bd. 1, p. 82. 3 Martin Heidegger, Unterwegs zur Sprache, Gesamtausgabe Bd. 12, Frankfurt am Main: Klostermann, 1985, p. 144 4 Martin Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung, Gesamtausgabe Bd. 61, Frankfurt am Main: Klostermann, 1994, p. 80. 5 Das bedeutet aber selbstverständlich nur, dass die Philosophie nie weiter kommen kann, was zugleich impliziert, dass der Einzelne als Existierender weiter kommen muss. Sokrates konnte nur bis zu dieser Unwissenheit gelangen, die sich in der Ironie 8 wissenschaftliche Disziplin in einem strengen Sinne ist die Philosophie damit eigentlich ungeeignet und sie tut gut daran, ihren Anspruch von dem anderer Disziplinen abzugrenzen, ob diese nun zu den Geisteswissenschaften oder den Naturwissenschaften gehören. Die traditionelle Tendenz der Philosophie, sich als ‚Königsdisziplin’ 6 über sämtliche Einzeldisziplinen zu stellen, nimmt freilich unter den Bedingungen der Moderne - das heißt einem zunehmenden Kontingenzbewusstsein der Philosophie bei gleichzeitigen rasanten Erkenntnisfortschritten namentlich der Naturwissenschaften - den Charakter eines bisweilen fast trotzigen Selbstverteidigungsbeziehungsweise Selbstbehauptungsversuches an 7 . Dabei treten selbstverständlich bei der Philosophie Anspruch und Möglichkeiten besonders eklatant auseinander. So ist die Philosophie jene Disziplin, die den Anspruch hat, auf die Grundlagen sämtlicher Wissenschaften zu reflektieren, zugleich aber auch diejenige, die es am schwersten hat, überhaupt zu Resultaten zu gelangen. Die Philosophie ist die einzige Disziplin, deren Antworten seit ihrer ‚Erfindung’ fundamental unzureichend sind in Bezug auf die gestellten Fragen, auch wenn die verschiedensten Denker in den verschiedensten Zeiten anderes behauptet haben. Anders als die wissenschaftlichen Einzeldisziplinen ist die Philosophie in ihrer tiefsten Form eher eine Wissenschaft der Fragen als der Antworten und gemessen an den Kriterien der Nützlichkeit und Effizienz sicherlich im Vergleich zu den Natur-, wohl aber auch den Gesellschaftswissenschaften, schwer defizitär. Um Adorno wieder aufzunehmen, ließe sich Philosophie schließlich als Ausdruck verleiht, der christliche Mensch jedoch kann über diese Negativität hinauskommen im Glauben. Heidegger wiederum reformuliert den Anspruch der Philosophie hin auf eine Unabschließbarkeit, wenn er notiert: „Ist es denn von der Philosophie selbst ausgemacht und ausmachbar, daß sie im Felde ihrer Erkenntnis je zu einer absoluten, gültigen Wahrheit soll kommen können und gekommen ist? Doch nur dann, wenn man sich einen Gegenstand des Philosophierens zurechtmacht oder aber überhaupt den eigentlichen, grundsätzlichen nicht sieht, und so dann von Erkennen und gar philosophischem Erkennen spricht. Solange Philosophie diese Beglaubigung nicht geben kann, […] solange fehlt jedes Recht, überhaupt prinzipiell absolute Wahrheitserkenntnis für die Philosophie als Maßstab anzusetzen […]“ (Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, p. 163). Beides wird im Fortgang der Untersuchung noch zur Sprache kommen. 6 Dieser Status wurde natürlich von den verschiedensten Seiten immer mehr in Frage gestellt, sei es von den Naturwissenschaften oder der Psychologie. Bezeichnenderweise trägt der Titel eines Interviews der Süddeutschen Zeitung vom 04.02.2009 mit Julian Nida-Rümelin den Titel: „Königsdisziplin? Damit ist es vorbei“. 7 Dieses Gefühl könnte bisweilen beispielsweise bei der Lektüre Heideggers aufkommen. So ist im Titel des Eröffnungskapitels seiner Grundbegriffe der Metaphysik, in dem er die Philosophie von den „Wissenschaften“ aber auch Kunst und Religion abgrenzt, unzweideutig und offensiv von der „Unvergleichbarkeit der Philosophie“ die Rede (vgl. Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt - Endlichkeit - Einsamkeit, Gesamtausgabe Bd. 29/ 30, Frankfurt am Main: Klostermann, 1983, p. 1, Hervorhebung M.H.). 9 jene Disziplin definieren, die nicht in der Lage ist, das zu sagen, was sie sagen will, oder anders herum: die genau das sagen will, was sich nicht sagen lässt, eine Disziplin, die seit Menschengedenken keine Antworten findet auf die immergleichen Grundfragen der Existenz; und das wird sich wohl auch in absehbarer Zukunft kaum ändern. Dabei kann sich aber die Philosophie gerade in jüngerer Zeit wenigstens regelmäßig hinter die Entschuldigung der Unsagbarkeit zurückziehen. Das wird auch die Verteidigungslinie der vorliegenden Arbeit sein, die sich im Falle eines Falles (berechtigterweise oder nicht) darauf berufen wird, dass das Entscheidende sich eben gerade der Sagbarkeit entzieht. Diese apologetische Hintertüre bleibt der Arbeit insofern offen, als es um ‚Metaphysisches’ gehen wird und damit um Fragestellungen, die sich nicht nur im Grenzbereich des Unsagbaren bewegen, sondern parallel dazu auch im Grenzbereich dessen, was prinzipiell wissbar ist. Aufgabe der vorliegenden Arbeit ist es, anhand zweier exemplarischer Beispiele zu überprüfen, ob und in welcher Form metaphysische Langeweile Gegenstand philosophischen Fragens werden kann. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht dabei auf der einen Seite die Langeweilekonzeption Martin Heideggers, wie sie maßgeblich in den Grundbegriffen der Metaphysik entwickelt wird. Dem vergleichend gegenübergestellt wird die Thematisierung von Langeweile bei Sören Kierkegaard in seinem Erstlingswerk Entweder/ Oder, wo die Frage der Langeweile im Kontext der Kierkegaardschen Konzeption einer ästhetischen Existenz zu verorten ist. Dabei soll dieser Vergleich jedoch aus einem ganz speziellen Blickwinkel erfolgen, und zwar soll versucht werden, diese philosophische Problemstellung einer metaphysischen Langeweile in einen Dialog zu bringen mit der Frage nach der Art der Darstellung, womit sie angebunden wird an die seit einigen Jahren aktuelle Diskussion des Verhältnisses von Philosophie und Literatur. Insofern zwei zunächst einmal von einander unabhängige Themenkomplexe miteinander verbunden werden, soll es im ersten Teil der vorliegenden Studie darum gehen zu zeigen, warum eine solche Verbindung herzustellen interessant sein könnte, um dann im zweiten Teil der Arbeit zu einer Analyse und vergleichenden Gegenüberstellung der Langeweilekonzeptionen von Heidegger und Kierkegaard überzugehen, die das Material bereitstellen soll für eine Rückanbindung an die Überlegungen aus dem ersten Teil. Diese Struktur wird nun im ersten Teil ausführlicher darzustellen sein. 11 A. PROBLEMSTELLUNG UND METHODI- SCHER RAHMEN DER UNTERSUCHUNG 1. Philosophie und Literatur Man kann wohl mit Recht davon sprechen, dass das Thema Philosophie und Literatur in der aktuellen Forschungslandschaft in gewisser Hinsicht als ein Modethema zu betrachten ist, das besonders seit den 1990er Jahren auf wachsendes Interesse stößt, so dass eine mittlerweile fast unüberschaubare Anzahl von Publikationen zu diesem Themenfeld zu verzeichnen ist und zwar sowohl im Bereich der Monographien, wie von Kollektivwerken und wissenschaftlichen Aufsätzen 8 . Dabei ist dieses Thema selbstverständ- 8 Insofern das Forschungsgebiet in der Tat mittlerweile fast unüberschaubar ist (was im Übrigen in gleicher Weise für den deutschen, wie für den englischen und französischen Sprachraum gilt) und vor allem auch, weil die vorliegende Arbeit nicht als ‚Antwort’ auf beziehungsweise Kritik an bestimmten Forschungspositionen gedacht ist, wird hier darauf verzichtet, den aktuellen Forschungsstand zu referieren. Die in Bezug auf die Fragestellung relevanten Arbeiten werden im Laufe der Kapitel in die Argumentation integriert und gegebenenfalls der vorliegenden Arbeit entgegenlaufende Positionen werden an der jeweiligen Stelle besprochen. Für einen Überblick über die Thematik Philosophie und Literatur sei auf die folgenden Arbeiten verwiesen: Hans Feger (Hg.), Handbuch Literatur und Philosophie, Stuttgart: Metzler, 2010; Philippe Sabot, Philosophie et Littérature. Approches et enjeux d’une question, Paris: PUF, 2008; Alain Saudan und Claire Villanueva, Littérature et Philosophie. Ecrire, penser, vivre, Rosny-sous-Bois: Bréal, 2005; David Rudrum (Hg.), Literature and Philosophy: A Guide to the Contemporary Debates, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2006. Folgende Monographien und Sammelbände ergeben darüber hinaus vertiefende Einblick in das Problemfeld und verschiedene Teilaspekte: Garry Hagberg und Walter Jost, A companion to the philosophy of literature, Malden, Mass.: Wiley-Blackwell, 2010; Bärbel Frischmann (Hg.), Sprache - Dichtung - Philosophie: Heidegger und der Deutsche Idealismus, München: Alber, 2010; Eva Horn et al. (Hg.), Literatur als Philosophie - Philosophie als Literatur, München: Wilhelm Fink, 2006; M. W. Rowe, Philosophy and literature: a book of essays, Aldershot: Ashgate, 2004; Anne Tomiche und Philippe Zard (Hg.), Littérature et Philosophie, Arras: Artois Presses Université, 2002; Camille Dumouillé, Littérature et philosophie: le gai savoir de la littérature, Paris: Armand Colin, 2002; Louis Mackey, An ancient quarrel continued: the troubled marriage of philosophy and literature. Lanham: University Press of America, 2002; Richard Faber und Barbara Naumann (Hg.), Literarische Philosophie - philosophische Literatur, Würzburg: Königshausen & Neumann, 1999. Gottfried Gabriel und Christiane Schildknecht (Hg.), Literarische Formen der Philosophie, Stuttgart: Metzler, 1990. In den USA erscheint daneben seit einem Viertel Jahrhundert die Zeitschrift Philosophy and Literature (John Hopkins Uni- 12 lich keineswegs neu, sondern beleitet im Grunde die gesamte Gesichte der abendländischen Philosophie, wie Cascardi betont: „[T]he problem of literature and philosophy in their relationship to one another may be seen as continuous with the entire ‚history of Western metaphysics’ from Plato to the present age.“ 9 In der Regel wird in der Tat Platon als Anfang dieses Spannungsverhältnisses betrachtet - obwohl er selbst in diesem Zusammenhang von einem „alte[n] Streit […] zwischen Philosophie und Dichtkunst“ 10 spricht - und zwar, insofern er die Philosophie in Abgrenzung zu Mythos und Dichtung als vernunftbasierte Wissenschaft zu etablieren sich bemühte 11 , zugleich aber diese Abgrenzung der Philosophie von der Dichtung, die in der Politeia in der berühmten Verbannung der Dichter aus dem idealen Staat kulminiert, nicht zuletzt vor dem Hintergrund seines eigenen schriftstellerischen Werkes zutiefst ambivalent bleibt, insofern Platon selbst auffälligerweise immer dann, „wenn er an die Grenze argumentierender Rede stößt, zu Bildern, Metaphern und Mythen [greift], um durch sie anzudeuten, was direkt nicht zu sagen ist“ 12 . In diesem Sinne zeigt sich, dass die philosophische Rede sich immer dann in Verlegenheit sieht, wenn sich ein philosophisches Wissen der vollständigen begrifflichen Erschließung entzieht und sich die Frage stellt, ob es ihr gestattet sei, aus dieser Verlegenheit heraus in bildlicher Rede, Metapher oder Allegorie einen legitimen Ausweg zu suchen 13 . In der aktuellen Diskussion der Thematik nimmt dieser „alte Streit“ nun überaus vielfältige Formen an. Christiane Schildknecht und Dieter Teichert haben sich bemüht, hier ein wenig Ordnung zu schaffen, indem sie die verschiedenen Positionen in vier Richtungen subsumieren. So un- versity Press), genauso wie in Frankreich seit 2009 die Online-Zeitschrift Alkémie. Revue semestrielle de littérature et philosophie (http: / / alkemie.philosophie-en-ligne.fr). 9 A. J. Cascardi (Hg.), Literature and the Question of Philosophy, Baltimore: John Hopkins University Press, 1987, (Einleitung, pp. ix-xvii, hier p. x). 10 Platon, Der Staat, Über das Gerechte, Zehntes Buch, übersetzt von Otto Apelt, Hamburg: Meiner, 1989, p. 404 (607b). 11 Vgl. A. J. Cascardi, Literature and the Question of Philosophy, p. x. 12 Norbert Wokart, ‚Einleitung: Glaubenskriege um die literarische Form der Philosophie’, in R. Faber und B. Naumann (Hg.), Literarische Philosophie - philosophische Literatur, pp. 21-38, hier p. 23. Vgl. auch Jean-François Mattéi, ‚L’inspiration de la poésie et de la philosophie chez Platon’, in Noesis 4, 2000, pp. 73-96; Wolfgang Wieland, ‚Platons Schriftkritik und die Grenzen der Mitteilbarkeit’, in Volker Bohn (Hg.), Literatur und Philosophie. Internationale Beiträge zur Poetik, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987, pp. 24-44. 13 Norbert Wokart zeigt in seinem Aufsatz über die ‚Glaubenskriege um die literarische Form der Philosophie’ sehr eindrücklich anhand einiger exemplarischer Stationen, wie sich dieses Problem in der Tat seit Platon durch die Philosophiegeschichte zieht. Vgl. ders., ‚Glaubenskriege um die literarische Form der Philosophie’, pp. 24ff. 13 terscheiden sie ein „platonische[s] Disjunktionsmodell“ 14 , nach dem die Philosophie der Literatur übergeordnet ist, zunächst von einer „nietzscheanische[n] Disjuntionsthese“ 15 , die die Begriffsfixiertheit philosophischer Erkenntnis als „Irrtum attackiert“ 16 und ihrerseits die durch Künste und Dichtung vermittelten Einsichten und Erfahrungen der Philosophie als begrifflich-vernunftbasiertem Erkenntnismodell überordnet. Daneben identifizieren sie eine Komplementaritätsthese, der zufolge Philosophie und Literatur je „eigentümliche Weisen der Erkenntnisgewinnung und Wissensvermittlung“ 17 seien, sowie das vor allem von der Dekonstruktion ins Spiel gebrachte Entgrenzungsmodell, das „die Voraussetzungen der unterschiedlichen Varianten der Disjunktions- und Komplementaritätsmodelle“ 18 unterlaufe und mithin die Gattungsunterschiede auflöse 19 . Eine anschauliche Illustration der Spannweite dessen, was im Rahmen einer solchen Verhältnisbestimmung von Philosophie und Literatur an Perspektiven vertreten werden kann, zeigt dabei ein Blick beispielsweise auf die Positionen Martha Nussbaums auf der einen und Karl Heinz Bohrers auf der anderen Seite, von denen erstere der Komplementaritätsthese zuzuordnen wäre und letztere der nietzscheanischen Version einer Disjunktion. So sucht Martha Nussbaum einen Dialog von Philosophie und Literatur zu initiieren mit dem maßgeblichen Ziel, den philosophischen Nutzen von Literatur zu klären beziehungsweise zu plausibilisieren, das heißt, zu untersuchen ob und gegebenenfalls was wir philosophisch aus literarischen Texten lernen können 20 . Ihr Interesse ist dabei wesentlich ethischer Natur 14 Ch. Schildknecht und D. Teichert, Einleitung zu dies. (Hg.), Philosophie in Literatur, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996, pp. 11-18, hier p. 11 (Hervorhebung Ch.S./ D.T.). 15 Schildknecht/ Teichert, Philosophie in Literatur, p. 11 (Hervorhebung Ch.S./ D.T.). 16 Schildknecht/ Teichert, Philosophie in Literatur, p. 11. 17 Schildknecht/ Teichert, Philosophie in Literatur, p. 11. Freilich sei auch hier wieder eine Binnendifferenzierung nach den ersten beiden Modellen denkbar (vgl. ebd., p. 12). 18 Schildknecht/ Teichert, Philosophie in Literatur, p. 12. 19 Vgl. Schildknecht/ Teichert, Philosophie in Literatur, pp. 12f. 20 Hier zeigt sich eine gewisse Nähe zu Stanley Cavell, dessen interdisziplinäre Studien einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet haben, in der englischsprachigen Forschung ein Interesse am Verhältnis von Philosophie und Literatur - aber auch Kunst und Film - zu wecken. Nussbaum verweist in ihrem Werk Love’s Knowledge im Übrigen ausdrücklich auf Cavells Bedeutung in diesem Gebiet (vgl. dies., Love’s Knowledge. Essays on Philosophy and Literature, Oxford: Oxford University Press, 1992, p. 13). Beide seien mit dieser Öffnung der Philosophie in Richtung auf die Künste als Vertreter „‚post-analytische[r]’ Denkversuche“ (Ludwig Nagl, ‚Einleitung. Philosophie und Literatur - Textualität der Philosophie’, in ders. und H. J. Silverman (Hg.), Textualität der Philosophie: Philosophie und Literatur, Wien: Oldenbourg, 1994, pp. 7-31, hier p. 9) der amerikanischen Philosophie zu betrachten. Einen guten Überblick zu Cavell bietet der von Richard Eldridge herausgegebene Band Stanley Cavell (Cambridge: Cambridge University Press, 2003). Bezüglich seiner Arbeiten zu Philosophie und Film vgl. Stanley Cavell, The World Viewed: Reflections on the Ontology of 14 und sie unterstreicht die exemplifikatorische Bedeutung, die literarische Figuren in diesem Zusammenhang übernehmen können. In diesem Sinne sieht Nussbaum also in der Tat eine Komplementarität von Philosophie und Literatur, eher als eine Rivalität und betont so auch ganz explizit das konstruktive Element eines solchen Dialogs: Although this may disappoint some who find moderate positions boring, I have no interest in dismissive assaults on systematic ethical theory, or on ‚Western rationality’, or even on Kantianism or Utilitarianism. 21 Ganz anders als Martha Nussbaum, die mithin keineswegs darauf aus ist, unüberwindbare Grenzen zwischen Philosophie und Literatur zu errichten beziehungsweise einer wie auch immer gearteten oder begründeten Rangordnung beider Disziplinen das Wort zu reden, will Karl Heinz Bohrer, durchaus in polemischer Absicht, die Literatur in jenen Rang erheben, den die Philosophie traditionell für sich beansprucht. Dabei zögert er nicht, die Philosophie in ihrem Selbstverständnis in ihren Grundfesten anzugreifen, indem er die Philosophie zumindest des 20. Jahrhunderts für mehr oder weniger gescheitert erklärt und eine erkenntnistheoretische ‚Machtübernahme’ der Literatur postuliert: Das Überholtwerden der philosophischen Erkenntnis durch die der Literatur ist in der Moderne des 20. Jahrhunderts noch deutlicher geworden. Ein Indiz hierfür ist der Umstand, dass sie in der ersten Jahrhunderthälfte auf den kulturellen Diskurs am stärksten Einfluss nehmenden Philosophen (Heidegger, Sartre) betont die Nähe zur zeitgenössischen oder klassischen Literatur suchten, wenn auch, wie im Falle Heideggers, vergeblich […]. 22 Einer der Gewährsmänner Bohrers für die Überlegenheit der Literatur gegenüber der Philosophie ist dabei Emile Cioran, der selbst der Philosophie ein vernichtendes Zeugnis ausstellt und diese unversöhnlich anklagt: Sie schwinge sich auf zur Erklärerin da, wo es nichts zu erklären gebe, zur Trösterin da, wo es keinen Trost geben könne und halte somit beständig Film, Harvard (Mass.): Harvard University Press, 1980; William Rothman (Hg.), Cavell on film, New York: State University of New York Press, 2005. 21 Martha Nussbaum, Love’s Knowledge, p. 27. Vgl. kritisch zu Nussbaums Ansatz Josef Früchtl, ‚Insensible Tragik und tragische Insensibilität. Martha Nussbaums (an)ästhetische Ethik’, in L. Nagl und H. J. Silverman (Hg.), Textualität der Philosophie, pp. 94-112; Ingrid Vendrell, ‚Can Literature be Moral Philosophy? A sceptical view on the Ethics of Literary Empathy’, in Sebastian Hüsch (Hg.), Philosophy and Literature and the Crisis of Metaphysics, Würzburg, Königshausen und Neumann, 2011, pp. 197-212. 22 Karl Heinz Bohrer, Ästhetische Negativität, München: Carl Hanser, 2002, p. 232. Wenn Bohrer gerade auf der Überlegenheit der Literatur in Bezug auf die Erkenntnis gegenüber einer diesbezüglich defizitären Philosophie insistiert, dann vor allem in dem Sinne, dass es der Philosophie nie gelinge, das Nichts zu denken und sie beständig das Nichts in Etwas verwandle und somit fortwährend ihre eigene Kompetenz überschreite (vgl. ebd., pp. 101ff.). In diese Kritik bezieht er übrigens Heidegger, der ja den Anspruch hat, das Nichts zu denken, ausdrücklich mit ein (vgl. ebd., pp. 190ff.). 15 Optimismus und Hoffnung am Leben, womit sie ihre eigene Unglaubwürdigkeit unter Beweis stelle. Zugleich stehe sie in ihrer abstrakten Reflexion dem Leben fern und verfehle damit das, was dieses im Innersten ausmache: Je me suis détourné de la philosophie au moment où il me devint impossible de découvrir chez Kant aucune faiblesse humaine, aucun accent véritable de tristesse; chez Kant et chez tous les philosophes. En regard de la musique, de la mystique et de la poésie, l’activité philosophique relève d’une sève diminuée et d’une profondeur suspecte, qui n’ont de prestiges que pour les timides et les tièdes. D’ailleurs, la philosophie - inquiétude impersonnelle, refuge auprès d’idées anémiques - est le recours de tous ceux qui esquivent l’exubérance corruptrice de la vie. A peu près tous les philosophes on fini bien: c’est l’argument suprême contre la philosophie. La fin de Socrate lui-même n’a rien de tragique: c’est un malentendu, la fin d’un pédagogue, - et si Nietzsche a sombré, c’est comme poète et visionnaire: il a expié ses extases et non ses raisonnements. 23 Aus der Sicht Ciorans ist also Philosophie nichts als unpersönlichabstraktes Gerede, und wenn auch die Künste oder die Literatur letztlich ebenso wenig über das Universum zu wissen vermöchten beziehungsweise es auch ihnen unmöglich sei, es in seiner Essenz zu fassen zu bekommen - was nach Cioran den Anspruch der Philosophie auszeichnet - , so hätten sie zumindest den unbestreitbaren Vorteil gegenüber der Philosophie, dass sie in der Lage seien, das Universum zum Ausdruck zu bringen, denn: „On ne discute pas l’univers; on l’exprime. Et la philosophie ne l’exprime pas.“ 24 Im Fazit bedeutet dies für Cioran: Nous ne commençons à vivre réellement qu’au bout de la philosophie, sur sa ruine, quand nous avons compris sa terrible nullité, et qu’il était inutile de recourir à elle, qu’elle n’est d’aucun secours. 25 Wenn sich hier mit der versöhnlichen Position Nussbaums und der polemischen Perspektive Ciorans, die dann theoretisch von Bohrer aufgenommen wird, zwei antagonistische Betrachtungsweisen gegenüberstehen (und man kann wohl die Hypothese wagen, dass Cioran genau jene Art von Denker ist, von denen Nussbaum vermutet, dass sie ihre Position langweilig finden würden, genauso wie Nussbaum die Cioransche Haltung vermutlich für wenig konstruktiv erachten würde), so fällt dennoch eine Gemeinsamkeit ins Auge und zwar die, dass beide Positionen letztlich ihren Ausgangspunkt von einem philosophischen Betrachtungspunkt nehmen. Bei Nussbaum ist eine solche Positionierung evident, aber letztlich ist es auch 23 E. M. Cioran, ‚Précis de décomposition’, dans Œuvres, Paris: Gallimard, 1995, p. 622 (Hervorhebung E.M.C.). 24 ‚Précis de décomposition’, p. 623 (Hervorhebung E.M.C.). 25 ‚Précis de décomposition’, p. 623. 16 bei Cioran so, dass seine Kritik an der Philosophie im Wesentlichen philosophischer Natur ist und er mithin aus philosophischer Perspektive die Vorrangstellung der Dichtung postuliert, ein Widerspruch, der sich letztlich wenn überhaupt nur poetisch-performativ auflösen lässt 26 . Im Übrigen ist es wichtig zu betonen, dass selbstverständlich generell die Besonderheit und Sonderrolle der Philosophie gerade darin sichtbar wird, dass die Reflexion auf das Verhältnis von Philosophie und Literatur philosophischer Natur ist, insofern es nur der Philosophie darum zu tun ist, derartige Verhältnisse grundlegend und theoretisch zu bestimmen 27 . In diesem Sinne kann die Kritik Ciorans an der Philosophie durchaus als paradigmatisch angesehen werden: Allein für eine philosophische Perspektive ergibt sich die Notwendigkeit, das Verhältnis von Philosophie und Literatur zu bestimmen und ein Versuch, die Hierarchie umzudrehen, so wie ihn Cioran unternimmt, ist mithin letztlich ein philosophisches Unternehmen, das zu seiner Realisierung literarischer Mittel bedarf. Wenn mithin die Gründe für das große Interesse an Fragen zu Philosophie und Literatur vielfältig sind und die konzeptuellen Grundlagen, vor denen das Verhältnis der beiden Disziplinen erörtert wird, unterschiedlich, 26 In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, dass Cioran bestimmt, man müsse zunächst zum Ende („au bout“) der Philosophie gelangen, womit der Durchgang durch die Philosophie notwendig und Teil eines erkenntnisorientierten Prozesses ist. Strukturell kann damit das, worauf Cioran hinaus will, nicht vor der Philosophie liegen, sondern man gelangt dorthin nur, nach- und indem man die Philosophie hinter sich gelassen hat. Auch dies belegt noch einmal, dass seine Position ihren Ausgang in einer philosophischen Problemstellung nimmt. Ein ähnlicher Fall wie Cioran ist eventuell auch Maurice Blanchot, bei dem sich fragen ließe, ob seine écriture nicht ebenfalls ihren Ausgangspunkt letztlich in der Philosophie hat. Dabei erhält er freilich, anders als Cioran, selbst ausdrücklich seine ambivalente Haltung zur Philosophie, wie in der folgenden Reflexion gut zum Ausdruck kommt: „La philosophie serait notre compagne à jamais, de jour, de nuit, fût-ce en perdant son nom, devenant littérature, savoir, non-savoir [..].“ (ders., Notre Compagne clandestine, Paris: Jean- Michel Place, 1980, p. 80). Zu Blanchot vgl. den Sammelband von Kevin Hart (Hg.), Clandestine encounters: philosophy in the narratives of Maurice Blanchot, Notre Dame: University of Notre Dame Press, 2010. Vgl. auch Andreas Gelhard, Das Denken des Unmöglichen: Sprache, Tod und Inspiration in den Schriften Maurice Blanchots, Paderborn: Fink, 2005; Marie-Laure Hurault, Maurice Blanchot: le principe de fiction, Saint-Denis: Presses universitaires de Vincennes, 1999; Miriam Fischer, Das Undenkbare denken: zum Verhältnis von Sprache und Tod in der Philosophie Maurice Blanchots, Freiburg: Fördergemeinschaft wissenschaftlicher Publikationen von Frauen, 2006; Gerald L. Bruns, Maurice Blanchot: the refusal of philosophy, Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1997. 27 Vgl. A. Saudan und C. Villanueva, Littérature et philosophie, p. 15: „Il n’est pas étonnant que la philosophie par nature conceptuelle s’adonne à une réflexion théorique sur la littérature comme elle le fait à propos de la démarche scientifique ou de la pratique politique. Mais de même que la science ou la politique ne font pas nécessairement appel aux enseignements de la philosophie, la littérature pourrait arguer du même détachement à l’égard de ce que la philosophie pense d’elle.“ 17 so steht im vorliegenden Kontext ein ganz grundlegender Aspekt im Mittelpunkt, und zwar das in den letzten zwei Jahrhunderten gewachsene Bewusstsein der Abhängigkeit der Philosophie von der Sprache, womit die vorliegende Arbeit methodisch näher an die Problematisierung der Frage rückt, wie sie bei Karl Heinz Bohrer anzutreffen ist als an die Martha Nussbaums 28 . Denn es geht im Kern darum, in einem Fallbeispiel im Detail und anhand einer konkreten Fragestellung zu sondieren, inwieweit sich Differenzen zwischen philosophischer und literarischer Rede in Bezug auf ihre epistemologische Relevanz identifizieren lassen. Anders gesagt geht es darum zu überprüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Form die Literatur tatsächlich einen Erkenntnisvorsprung gegenüber der Philosophie in Anspruch nehmen kann, wobei diese Frage in einen ganz konkreten philosophiegeschichtlichen Kontext gestellt werden soll. In Anbetracht des Umfangs der bereits existierenden Forschungsarbeiten soll damit dann auch selbstverständlich hier nicht der Anspruch erhoben werden, diesen Themenbereich zu revolutionieren, sondern es soll versucht werden, einen Zugriffswinkel zu finden, der in der Lage ist, bestimmte Aspekte dieses Problemfeldes in besonderer Weise zu beleuchten, und ich hoffe, dass dies in der vorliegenden Studie gelungen ist. Die Krise der Philosophie in der Moderne Wenn man von dem in den einführenden Bemerkungen konstatierten Selbstverständnis der Philosophie als einer über den wissenschaftlichen Einzeldisziplinen thronende Königsdisziplin ausgeht, innerhalb derselben wiederum die Metaphysik den Vorrang beansprucht, erscheint die Krise, in die sie seit dem späten 18. Jahrhundert zunehmend gerät umso dramatischer, eine Krise, die letztlich darin kulminiert, dass der Begriff ‚Metaphysik’ im 20. Jahrhundert wesentlich fast nur noch in der Absicht verwendet wird, ihn zu denunzieren, zu destruieren oder zu dekonstruieren, während allenthalben von einem ‚Ende der Philosophie’ die Rede ist. Spätestens seit der Kritik Nietzsches an der abendländischen Philosophie wird der Begriff Metaphysik fast zu einem Schimpfwort. Verantwortlich für die Krise der traditionellen Metaphysik ist Nietzsche aber selbstverständlich nicht, viel eher befindet er sich in der Rolle eines Diagnostikers, der am Ende des 19. Jahrhunderts eine Verfallserscheinung auf den Punkt bringt. Ursächlich für diese Krise ist vielmehr - wenn man diesbezüglich Heidegger zu folgen 28 Ohne sich freilich völlig damit zu treffen, denn Bohrers Unterscheidung zwischen Literatur und Philosophie, wie sie namentlich in der Ästhetischen Negativität zum Ausdruck kommt, konzentriert sich vor allem auf die Unfähigkeit der Philosophie, Negativität zu denken, wofür er gerade Heidegger als Illustration heranzieht (vgl. Ästhetische Negativität, pp. 190ff.). In der vorliegenden Untersuchung geht es jedoch eher darum, inwieweit die literarische Form Ausdruck einer philosophischen Methode sein kann. 18 bereit ist - eine Ausrichtung der Philosophie an dem sich immer mehr durchsetzenden Ideal der Wissenschaftlichkeit. Das wissenschaftliche Denken offenbart erbarmungslos die epistemologischen Unzulänglichkeiten der Metaphysik in ihrer platonisch-christlichen Tradition, die seit der Kantischen Wende jenes transzendenten Garanten beraubt ist, der für die Wahrheit menschlichen Philosophierens bürgen könnte. Die Konsequenzen dieser Konstellation brauchte Nietzsche dann nur noch auf den Punkt zu bringen. Sie führt zur unhintergehbaren Verlorenheit einer auf ihren Planeten zurückgeworfenen Menschheit. Genau dies bringt Nietzsche in seiner bekannt suggestiven Art und Weise in dem berühmten 125. Fragment des Dritten Buchs der Fröhlichen Wissenschaft eindringlich zum Ausdruck, in dem er den Tod Gottes verkünden lässt: Was thaten wir, als wir diese Erde von der Sonne losketteten? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Giebt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? 29 Die Befreiung des Menschen von alten metaphysischen Fesseln ist mithin durchaus ambivalent gerade im Hinblick auf ihre Konsequenzen für die menschliche Selbstverständigung, weshalb Niklas Luhmann etwas weniger dramatisch als Nietzsche, aber im Kern auf das Gleiche hinauslaufend von der „Katastrophe der Modernität“ 30 spricht, die letztlich der Preis ist, den wir für den Siegeszug des sich spätestens mit der Aufklärung durchsetzenden Rationalismus metaphysisch zu zahlen haben: „Die Dekonstruktion der ontologischen Voraussetzungen der Metaphysik entwurzelt unsere historische Semantik auf radikalste Weise.“ 31 Das kohärente, christlichplatonische Weltbild, das sich im Mittelalter herausbildete und über die Renaissance bis ins 18. Jahrhundert mehr oder weniger erhalten blieb, bricht gegen Ende des 18. und im 19. Jahrhundert endgültig auseinander beziehungsweise stürzt in sich zusammen und untergräbt die Fundamente der abendländischen Sinnkonstitution 32 . Die kopernikanische Wende 29 Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, in Morgenröte, Idyllen aus Messina, Die Fröhliche Wissenschaft, Kritische Studienausgabe Bd. 3, München: DTV, 2003, p. 481. Albert Camus bemerkt dazu überaus zutreffend: „Im Gegensatz zur Meinung einiger seiner christlichen Kritiker hat Nietzsche nicht den Plan gefaßt, Gott zu töten. Er fand ihn tot in den Seelen seiner Zeit“ (ders., Der Mensch in der Revolte, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1996, p. 58). Das rational-wissenschaftliche Denken hat den Gott der christlich-abendländischen Tradition schlicht unplausibel gemacht. 30 Niklas Luhmann, ‚Dekonstruktion als Beobachtung zweiter Ordnung’, in N. Luhmann, Aufsätze und Reden, Stuttgart: Reclam, 2004, pp. 262-298, hier p. 287 (Hervorhebung N.L.). 31 Luhmann, ‚Dekonstruktion als Beobachtung zweiter Ordnung’, p. 287. 32 Das zentrale Symbol dieses Umbruchs ist dabei selbstverständlich die Französische Revolution, wie Camus sehr präzise diagnostiziert. Das Todesurteil gegen Ludwig XVI. sei „durch seine Begründung und seine Folgen [der] Wendepunkt unserer mo- 19 Kants, die die Erkenntnis in das Subjekt verlegt und damit Fichte den Weg zu einer Philosophie des allmächtigen Subjekts eröffnet, ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Herausbildung des modernen und autonomen Subjekts, stellt aber auch in mehr als einer Hinsicht philosophisch betrachtet eine gewaltige Herausforderung dar, der sich der Mensch gewachsen erweisen muss, denn nun steht er vor der Notwendigkeit einer immanenten Sinnkonstruktion. Die Aufgabe einer solchen Sinnkonstruktion, diesseits eines Absoluten und gestützt auf eine aufgeklärte Vernunft, ist im Grunde auch gegenwärtig noch aktuell, wie die Philosophie des 20. und 21. Jahrhunderts illustriert 33 . Dabei stellt sich im frühen 21. Jahrhundert die Frage, inwieweit dies bislang auch nur ansatzweise überzeugend gelöst ist 34 , so dass sich über die letzten zwei Jahrhunderte der ambivalente Charakter dieser Revolution immer wieder ins Bewusstsein ruft. Um diese Schwierigkeit präzise zu verorten, ist es sicherlich wichtig, nicht nur auf den Verlust eines transzendenten Sinngaranten zu verweisen, sondern sich einen ganz fundamentalen Grundwiderspruch in den Prinzipien der ‚modernen’, aufgeklärten Gesellschaften bewusst zu machen, der in einer besonderen Art des Auseinanderfallens von Objektivität und Subjektivität besteht. So erlaubt die Akzeptanz der Forderung nach wissenschaftlicher Überprüfbarkeit, sich aus überkommenem religiösem Aberglauben zu befreien, genauso wie dadurch die Ausrichtung der Gesellschaft an objektiven, überprüfbaren Kriterien möglich wird, die - zumindest in der Theorie - die Grundlage einer neuen Art von Gleichheit zwischen allen Menschen bereitstellt. Mit dieser Reorganisation der Gesellschaft nach Vernunftprinzipien einher geht die ‚Erfindung’ des modernen Subjekts, das sich in Kantischer Leseweise, gestützt auf eine universelle Vernunft, entwerfen und verwirklichen soll. Freilich scheint sich das Subjekt als solches in einer nach objektiven Kriterien strukturierten Lebenswelt nicht ohne Schwierigkeiten wiederfinden zu können, da es sich mit einer abstrakten Struktur konfrontiert sieht, dernen Geschichte […]. Er symbolisiert die Entheiligung dieser Geschichte und die Entkörperung des christlichen Gottes“ (ders., Der Mensch in der Revolte, p. 98). 33 So konstatiert Jean-François Mattéi: „Le renoncement à la transcendance a été payé par l’abandon du sens.“ (ders., Le regard vide. Essais sur l’épuisement de la culture européenne, Paris: Flammarion, 2007, p. 251). Während diese Konstellation es pessimistischen und nihilistischen Philosophien leicht macht, bemüht sich, um nur ein Beispiel zu nennen, Richard Rorty um eine konstruktive Philosophie, die sehenden Auges die Kontingenz in sich aufnimmt (vgl. ders., Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989). Daher scheint mir auch Fegers Beliebigkeitsvorwurf an die Adresse Rortys möglicherweise im Ergebnis, nicht aber der Intention nach zutreffend (vgl. Feger, ‚Die umgekehrte Täuschung. Kierkegaards Kritik der romantischen Ironie als Kritik immanenten Denkens’, in Kierkegaard Studies, Berlin: Walter de Gruyter, 2002, pp. 364-394, hier p. 367, Fußnote 9). 34 Beziehungsweise stellt sich angesichts der Renaissance religiöser Fundamentalismen die Frage, ob diese Aufgabe überhaupt lösbar ist. 20 die ungreifbar bleibt, wie der Soziologe Zijderveld deutlich macht, der hierfür den Begriff der „Abstract Society“ verwendet: [M]odern society is, in the experience and consciousness of man, very concrete as to its coercive forces of control, but it evaporates into an awareness of loss of meaning, reality, and freedom when modern man tries to keep this coercion under control and to evade the sense of absurdity and inauthenticity. 35 Diese Problematik einer Entfremdung zwischen dem Individuum und seiner Umwelt spiegelt sich selbstverständlich bereits in Denkströmungen wie dem Sturm und Drang und stärker noch in der (Früh-)Romantik, die sich vehement gegen eine Rationalisierung auch des interrelationalen Bereiches zur Wehr setzt 36 , während im 20. Jahrhundert dieses Phänomen 35 Anton Zijderveld, The Abstract Society. A Cultural Analysis of Our Time, Middlesex: Penguin, 1970, p. 49. Die Entleerung subjektiver Sinnmöglichkeit durch objektivabstrakte Strukturen bezeichnet Zijderveld auch treffend als die „supersedure of meaning by function“ (vgl. ders., On Cliché. The Supersedure of Meaning by Function in Modernity, Boston: Routledge and Kegan Paul, 1978). Emil Angehrn spricht von einem Umschlagen des „aufklärerische[n] Fortschrittsoptimismus in Erfahrungen der Ohnmacht und des Statusverlusts“ (ders., ‚Subjekt und Sinn’, in Ingolf U. Dalfert (Hg.), Krisen der Subjektivität: Problemfelder eines strittigen Paradigmas, Tübingen: Mohr Siebeck, 2005, pp. 225-240, hier p. 226). In ähnliche Richtung gehend betont Heinrich Rombach das Auseinanderfallen zwischen abstrakter Gesellschaftsorganisation und subjektivem Sinnbedürfnis. So zeige sich, „dass die Heraufkunft der ‚exakten’ Erkenntnisweise den Verlust von Fragemöglichkeiten bedeutet, die offensichtlich für den Menschen und seine Selbstvergewisserung in der Welt bedeutsam sind. Zwar gewinnt er dafür eine neue Dimension, eine Dimension völliger Schlüssigkeit und eigener Vollständigkeit, doch wird er dadurch der früheren nicht entrückt; er bleibt auf sie angewiesen, ist weiterhin in ihr ‚zu Hause’. So kommt es zu einer merkwürdigen Doppelexistenz, die dem modernen Menschen in vielfacher Weise fühlbar wird. Eine Existenz in zwei Welten, die sich nicht aufeinander beziehen und nicht ineinander abstützten; zwei Welten, von denen die eine die andere nicht zu kennen scheint“ (ders., Substanz, System, Struktur. Die Ontologie des Funktionalismus und der Hintergrund der modernen Wissenschaft, Bd. I, München: Alber, 1981, p. 50). 36 Peter Sloterdijk ist freilich hier nur mit Vorbehalt zuzustimmen, wenn er von einem „Jahrhundertstreit zwischen Rationalismus und Irrationalismus“ als von dem zweier „komplementärer Einseitigkeiten“ (P. Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, Band I, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1983, p. 269) spricht. Wenn dies als generelle Tendenz zutrifft, bleibt andererseits hervorzuheben, dass gerade die deutsche Frühromantik sich zwar gegen einen rationalistischen Weltzugriff stellt, jedoch nicht aus der Perspektive eines reinen Irrationalismus. Im 20. Jahrhundert wiederum bemüht sich beispielsweise Robert Musil, diese komplementären Einseitigkeiten zu umgehen, indem er mit dem Ratioïden und dem Nicht-Ratioïden ein Begriffspaar einführt, das quer zur überkommenen Einteilung verlaufen soll, um nicht dazu gezwungen zu sein, auf einen reduktionistischen Rationalismus mit einem - gleichfalls reduktionistischen - Irrationalismus zu antworten. Vgl. Robert Musil, ‚Skizze der Erkenntnis des Dichters“, in Robert Musil, Essays und Reden (Gesammelte Werke, Band VIII), Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1978, pp.1025-1030. 21 einer zunehmenden Entfremdung oft nur noch fatalistisch-resignativ beziehungsweise ironisch zur Kenntnis genommen und gebracht wird 37 . Was an dieser Entwicklung, die hier nur skizzenhaft dargestellt werden soll, besonders interessant ist, ist die Tatsache, dass mit der Herausbildung der Moderne - und eng verbunden mit den oben explizierten Entwicklungen - zwei Phänomene in Verbindung gebracht werden können, die die zwei Grundpfeiler der vorliegenden Studie bilden. Zum einen geht mit der Implosion der abendländischen Metaphysik und der Herausbildung einer neuen, an den Prinzipien der Wissenschaft und der Objektivität orientierten Denkweise eine Krise der philosophischen Sprache einher und zum anderen gibt es eine Reihe von Indizien, dass das Auseinanderfallen von einer Organisation der Gesellschaft nach objektiv-rationalen Prinzipien und dem subjektiven Sinnanspruch als ein wesentlicher Faktor für die Entstehung einer modernen Langeweile zu betrachten ist. Im Folgenden sollen diese Zusammenhänge etwas genauer untersucht werden. Die Krise der philosophischen Sprache und die Hinwendung der Philosophie zur Sprache Es ist auffällig, dass die Problematik der Sprache und der Sprachlichkeit der Philosophie in „der traditionellen Erkenntnistheorie und Metaphysik […] kaum eine Rolle“ 38 gespielt hat. Ab dem späten 18. Jahrhundert, noch unzweideutiger aber seit dem „Linguistic Turn“ 39 rückt sie dagegen immer öfter und immer expliziter in das Zentrum philosophischen Fragens. Die Verbindung zwischen dem Zusammenbruch der Metaphysik und einer Krise philosophischer Sprache erschließt sich anhand zweier Überlegungen. Zunächst steht die Krise der Sprache im Zusammenhang mit der Durchsetzung eines rein an der Wissenschaftlichkeit orientierten Denkens. Wenn sich die Philosophie methodisch in den Wissenschaften ihr Vorbild sucht, wie das beispielsweise Hegel ganz explizit in der Vorrede seiner Phänomenologie fordert 40 , dann bedeutet das im Gegenzug, dass sie sich 37 Robert Musil bringt das Paradox-Ausweglose an dieser Konstellation sehr trefflich folgendermaßen auf den Punkt: „Die ungeheure Grausamkeit unserer politischen und wirtschaftlichen Organisationsform, die den Gefühlen des Einzelnen Gewalt antut, ist so unentrinnbar, weil diese Organisation zur gleichen Zeit dem einzelnen überhaupt erst eine Oberfläche und die Möglichkeit eines Ausdrucks gibt. Denn man kann sagen, der Mensch wird erst durch den Ausdruck, und dieser formt sich in den Formen der Gesellschaft“ (R. Musil, Der Deutsche Mensch als Symptom, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1967, p. 21). 38 Albrecht Wellmer, Sprachphilosophie. Eine Vorlesung, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004, pp. 281f. 39 Richard Rorty, ‚Einleitung’, in ders. (Hg.), The linguistic turn: recent essays in philosophical method, Chicago: Chicago University Press, 1967, p. 9. 40 Vgl. G. W. F. Hegel: „Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das wissenschaftliche System derselben sein. Daran mitzuarbeiten, daß die Philoso- 22 damit den gleichen Kriterien der Überprüfbarkeit unterwerfen muss, wie die Wissenschaften, die ihr das Modell bereitstellen. Jedoch kann ein Großteil der philosophischen Probleme einem solchen Anspruch nicht gerecht werden, denn zum Beispiel kann die Gültigkeit moralischer Werte nie in gleicher Weise einer Überprüfbarkeit unterzogen werden, wie Thesen im Bereich der Naturwissenschaften. Worauf der Versuch, Philosophie an den Kriterien der Wissenschaftlichkeit auszurichten, aufs Äußerste zugespitzt, hinausläuft, das hat gut hundert Jahre nach Hegel Ludwig Wittgenstein in seiner Frühphilosophie auf den Punkt gebracht, die in seinem Tractatus quasi zwangsläufig auf den Anspruch hinausläuft, der Philosophie in ihrem traditionellen Sinne ein Ende zu setzen: „Man könnte den ganzen Sinn des Buches etwa in die Worte fassen: Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen.“ 41 So lautet der berühmte Satz aus Wittgensteins Tractatus, auf den auch Adorno im Eingangszitat angespielt hatte. Letztlich bedeutet eine Ausrichtung der Philosophie am Ideal der Wissenschaftlichkeit also ironischerweise, dass all jene Fragen aus dem Bereich des Frag- und des Sagbaren herausfallen, die den ureigensten Kern der traditionellen Philosophie ausmachen, seien es Fragen der Metaphysik, der Ethik oder der Ästhetik. Will man also die Wittgensteinschen Sprachkriterien anwenden, dann ‚gibt’ es im eigentlichen Sinne keine Metaphysik mehr. Die Philosophie als Wissenschaft vom Höchsten muss den streng (natur-)wissenschaftlichen Einzeldisziplinen Platz machen. Dabei ist die Frühphilosophie Wittgensteins der Kulminationspunkt eines neuen Problembewusstseins, insofern die Sprache, die lange Zeit die Rolle „eines bloßen Mittels der Kommunikation zwischen erkennenden und handelnden Subjekten“ 42 gespielt hat, nun zum zentralen Gegenstand philosophischer Reflexion geworden ist. Wittgenstein spitzt auch diesen Gedanken zu, wenn er explizit davon spricht, dass ein großer Teil der philosophischen Probleme gelöst werden könne, indem man aufdecke, dass in ihnen Sprache in ungerechtfertigter Weise verwendet werde 43 . phie der Form der Wissenschaft näher komme, - dem Ziele, ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu können und wirkliches Wissen zu werden, - ist es, was ich mir vorgesetzt“ (Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hamburg: Meiner, 1988, p. 6). 41 L. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, in Tractatus logico-philosophicus, Tagebücher 1914-1916, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1960, Vorwort. 42 Albrecht Wellmer, Wie Worte Sinn machen. Aufsätze zur Sprachphilosophie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2007, p. 7. 43 Vgl. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, p. 812, Fragment 116: „Wenn die Philosophen ein Wort gebrauchen - sei es ‚Wissen’, ‚Sein’, ‚Gegenstand’, ‚Ich’, ‚Satz’, ‚Name’ - und das Wesen des Dings zu erfassen trachten, muß man sich immer fragen: Wird denn dieses Wort in der Spra- 23 Ein zweiter, eng mit dem vorliegenden Problemfeld zusammenhängender Aspekt erklärt die neue Bedeutung, die der Sprache im Zuge dieser Epochenumwälzung zuwächst. Wenn zuvor gesagt wurde, dass das platonisch-christliche Weltbild zusammenbricht, dann fällt mit der transzendenten Verankerung auch der transzendente erkenntnistheoretische Bezugspunkt weg, der für Wahrheit bürgen könnte und mithin dafür, dass eine Aussage der ‚Wahrheit’ im Sinne einer ewigen, unveränderlichen Wahrheit entsprechen könnte. Ähnlich wie dem Menschen, der einer transzendent verankerten Sinnhaftigkeit verlustig geht, ergeht es auch der Sprache, die sich mit ihren Wahrheitspostulaten nicht mehr auf einen transzendenten Garanten berufen kann. Mit dieser Einsicht einher geht zunehmend ein Verständnis der Sprache als selbstreferenziell. Sie verweist mithin nicht mehr auf etwas anderes, ist nicht mehr Abbild einer Idee, sondern im Wesentlichen zu begreifen als Medium menschlicher Welterschließung, das heißt, nicht als Medium im Sinne einer Abbildtheorie, sondern als Medium der Kommunikation 44 . Wenn nun Wellmer diese Reflexion auf die Sprache im Wesentlichen als ein Phänomen der Philosophie des 20. Jahrhunderts ausweist 45 , dann ist dies sicherlich zum einen richtig, wenn damit die Sprachphilosophie als eine institutionalisierte und eigenständige philosophische Disziplin bezeichnet werden soll, greift aber andererseits zu kurz, insofern damit unterschlagen wird, dass eine Hinwendung zur Sprache bereits um einige Zeit früher ausgemacht werden kann. Eine neue Sensibilität für und ein neues Interesse an der Problematik der Sprache wird durchaus schon in unmittelbarer Nähe zu jener Phase geistesgeschichtlicher Umwälzung erkennbar, welche Aufklärung und Französische Revolution darstellen. Ganz besonders ist dabei selbstverständlich an die deutsche Frühromantik zu denken, bei der Überlegungen über die Grenzen des philosophisch Sagbaren, beziehungsweise über das Verhältnis von Form und Inhalt des Gesagten, einen auffallend breiten Raum einnehmen. Dabei verweisen hier theoretische Reflexion und Anwendung in der schriftstellerischen Praxis in faszinierender Weise aufeinander. Besonders in der Vorliebe der Frühromantik für das Fragment spiegelt sich dabei diese Interaktion von Form und Inhalt in augenfälliger Weise. Manfred Frank zufolge drückt sich im frühromantischen Fragment ein besonderes Bewusstsein um die erkenntnistheoretischen und parallel dazu um die sprachlichen Grenzen aus, denen der Mensch unterworfen ist. Für Frank ist das Fragment mithin zu che, in der es seine Heimat hat, je tatsächlich so gebraucht? - / Wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen auf ihre alltägliche Verwendung zurück.“ 44 Vgl. Rorty, Kontingenz, p. 80: „Denn auch wenn wir dem zustimmen, dass Sprachen keine Medien der Darstellung oder des Ausdrucks sind, bleiben sie doch Medien der Kommunikation, Werkzeuge sozialer Interaktion, Weisen, uns an andere Menschen zu binden.“ 45 Vgl. Wellmer, Wie Worte Sinn machen, p. 7. 24 begreifen als der Ausdruck eines besonderen philosophischen Stils, der gleichsam die ‚poetische’ Antwort auf das folgende philosophische Problem darstellt: „Wie kann ich die prätendierte An-deutung des Unsagbaren durch Eingrenzung des Sagbaren ihrerseits sprachlich vermitteln? “ 46 Das Fragment illustriert in diesem Zusammenhang die „Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mitteilung“ 47 und bringt durch seine Fragmenthaftigkeit, das heißt als „Bruchstück[…] eines (verfehlten) Ganzen“ 48 nicht nur die Unmöglichkeit zum Ausdruck, eine Gesamtheit der Lebenstatsachen in den Blick zu bekommen, sondern vor allem auch die Tatsache, dass das, worum es ‚im Kern’ philosophisch geht, jenseits des Sagbaren angesiedelt ist. Der ‚fehlende Text’, der die einzelnen Fragmente eben gerade in seiner Nicht-Existenz mit einander nicht verbindet, zeigt gleichsam die Leerstellen des Verschwiegenen weil Unsagbaren an. Dabei spielt sich ein wesentlicher Teil des zu Erkennenden gerade in diesen Zwischenräumen ab, beziehungsweise im Dialog des Gesagten mit dem Verschwiegenen. Insofern aber wissenschaftliche - und im Verständnis des Tractatus damit auch philosophische - Fragen klar gestellt und auch beantwortet werden können, verweist dieses nicht Gesagte hier noch einmal darauf, dass all das, was sprachlich einholbar ist, philosophisch nur von begrenztem Interesse ist, wie auch Wittgenstein selbst zugesteht, wenn er betont: „Wir fühlen, daß, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.“ 49 Diesen Sachverhalt paraphrasiert Jacques Bouveresse in seiner Wittgensteininterpretation in prägnanter Weise, wenn er sagt: „[A]u sens important du mot ‚important‘ les questions scientifiques ne sont pas importantes et les questions importantes ne sont pas des questions scientifiques [...]“ 50 . Dazu analog verläuft das Problem der philosophischen Sprache, mit 46 Manfred Frank‚ ‚Wittgensteins Gang in die Dichtung’, in ders. und Soldati, Gianfranco, Wittgenstein, Literat und Philosoph, Pfullingen: Neske, 1989, pp. 9-72, hier p. 31. 47 Friedrich Schlegel, KA II, p. 160, Fragment 108. Die Werke von Friedrich Schlegel werden zitiert nach der Kritischen Friedrich-Schlegel-Ausgabe in 23 Bänden, hg. von Ernst Behler, Paderborn: Schöningh, 1959ff. als „KA“ unter Angabe der Bandnummer in römischen Ziffern, gefolgt von der Seitenangabe und ggf. der Fragmentnummer. 48 Manfred Frank‚ ‚Wittgensteins Gang in die Dichtung’, p. 35. 49 Ludwig Wittgenstein, Tractatus, p. 85, Proposition 6.52 (Hervorhebung L.W.). Eine ganz ähnliche Überlegung findet sich im Übrigen bei Heidegger, der in den Grundbegriffen der Metaphysik den Verdacht äußert, dass beweisbar nur sei, „was im Wesentlichen belanglos ist“, und „vielleicht […] all das, was erst bewiesen werden soll, kein inneres Gewicht in sich [trägt]“ (Grundbegriffe, p. 20) . 50 Jacques Bouveresse, ‚La science sourit dans sa barbe’, in ders., La voix de l’âme et les chemins de l’esprit, Paris: Seuil, 2001, pp. 85-122, hier p. 108. Dabei bleibt die Position der Philosophie bis zu einem gewissen Grad ambivalent, insofern, wie Bouveresse betont, die Gründe des Philosophen tendenziell eher denen des Ästhetikers als denen des Naturwissenschaftlers ähneln, da der Philosoph in Analogie zum Künstler und im Unterschied zum Wissenschaftler nicht Hypothesen aufstellt und diese zu verifi- 25 dem es sich ebenso verhält: Was im Sinne des Tractatus klar gesagt werden kann, ist nicht wichtig und umgekehrt kann das, was ‚eigentlich’ wichtig ist, nicht in dem Sinne klar gesagt werden. Dass Manfred Frank in der zitierten Studie seine Reflexionen zum frühromantischen Fragment als Ausdruck philosophischen Stils und eines ganz besonderen sprachphilosophischen Bewusstseins im Rahmen eines Vergleichs mit Ludwig Wittgenstein entwickelt, ist vor dem Hintergrund dieser Problemstellung Wittgensteins im Grunde alles andere als überraschend, denn in beiden Fällen geht es um den Fragenkomplex des Sagenwollens und Nicht-Sagen-Könnens, welches sich in der Fragmentform der Frühromantik ebenso ausdrückt wie in den immer wieder neuen Anläufen Wittgensteins, der Sprache am Rande der Unsagbarkeit noch Sagbares abzuringen. In diesem Zusammenhang kommt Frank auch auf eines der wohl berühmtesten und beredtsten Beispiele zu sprechen, in dem sich sprachphilosophische Reflexion und philosophischer Stil wechselseitig durchdringen, auf den Novalisschen Monolog, in dem Novalis in der ihm eigenen Art die Paradoxien der Sprache zum Ausdruck bringt, und zwar in einem spielerischen Ernst und melancholischen Enthusiasmus, die in ihrem paradoxen Zusammenspiel genau jene Aufmerksamkeit im Leser hervorzubringen in der Lage sind, die die Sprache jenseits ihrer Instrumentalität zum Sprechen bringt: Es ist eigentlich um das Sprechen und Schreiben eine närrische Sache; das rechte Gespräch ist ein bloßes Wortspiel. Der lächerliche Irrthum ist nur zu bewundern, daß die Leute meinen - sie sprächen um der Dinge willen. Gerade das Eigenthümliche der Sprache, daß sie sich blos um sich selbst bekümmert, weiß keiner. Darum ist sie ein so wunderbares und fruchtbares Geheimniß, - daß wenn einer blos spricht, um zu sprechen, er gerade die herrlichsten, originellsten Wahrheiten ausspricht. Will er aber von etwas Bestimmten sprechen, so läßt ihn die launige Sprache das lächerlichste und verkehrteste Zeug sagen. Daraus entsteht auch der Haß, den so manche ernsthafte Leute gegen die Sprache haben. Sie merken ihren Muthwillen, merken aber nicht, daß das verächtliche Schwatzen die unendlich ernsthafte Seite der Sprache ist. Wenn man den Leuten nur begreiflich machen könnte, daß es mit der Sprache wie mit den mathematischen Formeln sei - Sie machen eine Welt für sich aus - Sie spielen nur mit sich selbst, drücken nichts als ihre wunderbare Natur aus, und eben darum sind sie so ausdruckvoll - eben darum spiegelt sich in ihnen das seltsame Verhältnißspiel der Dinge. Nur durch ihre Freiheit sind sie Glieder der Natur und nur in ihren freien Bewegungen äußert sich die Weltseele und macht sie zu einem zarten Maaßstab und Grundriß der Dinge. So ist es auch mit zieren sich bemüht, sondern durch Gründe, das heißt, durch den Appell an die Zustimmung des Lesers oder Hörers seine Argumente einleuchtend zu machen versucht (vgl. Jacques Bouveresse, Wittgenstein: la rime et la raison. Science, éthique et esthétique, Paris: Editions de Minuit, 1973, pp. 187ff.). 26 der Sprache - wer ein feines Gefühl ihrer Applicatur, ihres Takts, ihres musikalischen Geistes hat, wer in sich das zarte Wirken ihrer innern Natur vernimmt, und danach seine Zunge oder seine Hand bewegt, der wird ein Prophet sein, dagegen wer es wohl weiß, aber nicht Ohr und Sinn genug für sie hat, Wahrheiten wie diese schreiben, aber von der Sprache selbst zum Besten gehalten und von den Menschen, wie Cassandra von den Trojanern, verspottet werden. Wenn ich damit das Wesen und Amt der Poesie auf das deutlichste angegeben zu haben glaube, so weiß ich doch, daß es kein Mensch verstehn kann, und ich ganz was albernes gesagt habe, weil ich es habe sagen wollen, und so keine Poesie zu Stande kommt. Wie, wenn ich aber reden müßte? und dieser Sprachtrieb zu sprechen das Kennzeichen der Eingebung der Sprache, der Wirksamkeit der Sprache in mir wäre? und mein Wille nur auch alles wollte, was ich müßte, so könnte dies ja am Ende ohne mein Wissen und Glauben Poesie sein und ein Geheimniß der Sprache verständlich machen? und so wär’ ich ein berufener Schriftsteller, denn ein Schriftsteller ist wohl nur ein Sprachbegeisterter? - 51 Die Sprache in ihrem zutiefst paradoxen und ambivalenten Charakter und in ihrer Ungreifbarkeit verlangt von uns - ganz im Sinne der frühromantischen Idee des Alternierens zwischen Enthusiasmus und Ironie - beides, den Enthusiasmus für den emphatischen Versuch, etwas zu sagen und die ironische Resignation in die Einsicht in das unumgängliche Scheitern unseres Versuch, Sprache zu ‚nutzen’. Damit ist die Sprache genau das nicht, was sie zu sein scheint: ein problemlos und beliebig einsetzbares und verwendbares Mittel zum Zweck, sondern ihr Charakter ist eigentümlich vieldeutig, insofern sie zunächst den Eindruck vermittelt, ein uns zu Diensten stehendes Werkzeug zu sein, jedoch in ihrer Anwendung sich enthüllt, dass das Ausgesagte nicht mit der Intention des Sagenden zusammenfällt; und genau vor diesem Hintergrund erschließt sich die hintersinnige Bemerkung des Novalis über den „Haß, den so manche ernsthafte Leute gegen die Sprache“ hätten. Es bedarf der Subtilität eines Denkers wie Novalis, um in der Lage zu sein auszudrücken, wie Sprache funktioniert und zugleich ihre Funktionsweise nicht preiszugeben, das Paradox des Unsagbaren in Sprache zu fassen und doch den Leser den Eindruck gewinnen zu lassen, dem Gemeinten nähergekommen zu sein. Das Geheimnis seines Monologs besteht nicht zuletzt darin, ein Verständnis für die Unverstehbarkeit von Sprache zum Ausdruck zu bringen, indem Novalis gerade darauf ausgeht, „sich selbst immer zu widersprechen, und entgegengesetzte Extreme zu verbinden“ 52 , wie es Friedrich Schlegel formuliert. Das Gesagte kann man auch noch anders ausdrücken, und zwar wiederum in Anleh- 51 Novalis (Friedrich von Hardenberg), Schriften, Band II, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1965, 672f. Vgl. auch Ernst Behler, ‚Die frühromantische Sprachtheorie und ihre Auswirkungen auf Nietzsche und Foucault’, in Athenäum. Jahrbuch für Romantik, 11. Jg., 2001, pp. 193-214, hier pp. 202ff. 52 KA II, p. 164, Fragment 26. 27 nung an die Bemerkung über den Hass, den ernsthafte Leute auf die Sprache hätten: Wessen es bedarf, um das Wesen der Sprache zu erschließen beziehungsweise zu seiner Unerschließbarkeit vorzudringen, das muss das Gegenteil dieses Ernstes sein, anders gesagt, der Sprache nähern kann man sich nur mit Ironie. Aufgrund dieser von Novalis unternommenen Verwendung des Ernstbegriffes könnte man versucht sein, in diesem Zusammenhang die von Karl Heinz Bohrer stammende und in diese Richtung gehende Differenzierung in „Sprachen der Ironie“ und „Sprachen des Ernstes“ 53 zu übernehmen. Die Novalissche Reflexion auf das Wesen der Sprache legt einen solchen Versuch durchaus nahe und es würde sich mithin auch die Frage stellen, nicht nur, ob Sprache, wenn sie über Sprache spricht, ironisch sein muss, sondern ob Ironie möglicherweise als ein distinkter erkenntnistheoretischer Modus gefasst werden kann. Diese Überlegung soll im Augenblick noch zurückgestellt werden, aber auf sie wird im Vergleich zwischen Heidegger und Kierkegaard noch zurückzukommen sein und zwar nicht zuletzt aus dem Grunde, dass man möglicherweise in der Gegenüberstellung von Sprachen des Ernstes und Sprachen der Ironie auch etwas über das Verhältnis von Philosophie und Literatur erfahren kann. Im Augenblick soll das Beispiel des Novalisschen Monologs vor allem als Illustration des Gedankens dienen, dass, wie Manfred Frank in seinen Reflexionen zum philosophischen Stil deutlich werden lässt, die Relevanz der Verbindung beziehungsweise des Verhältnisses von Form und Inhalt auch bei der Interpretation philosophischer Texte nicht vernachlässigt werden darf, insofern dieses teilhat an deren Sinnkonstitution. Der Monolog veranschaulicht dabei in herausragender Weise, wie Form konstitutiver Teil des philosophischen Gehaltes eines Textes werden kann, dass mithin, erkenntnistheoretisch gewendet, die Form nicht nur Funktionsträger bei der Vermittlung von Erkenntnis, sondern auch fundamental daran beteiligt ist, dass diese sich überhaupt konstituieren kann, oder wie es Gottfried Gabriel treffend formuliert, dass „Darstellungsformen Erkenntnisformen“ sein können „und zwar nicht nur im Sinne der Vermittlung, sondern der Konstitution von Erkenntnis“ 54 . Letzterer Aspekt tritt gerade darin deutlich zutage, dass der Monolog sich autoreferenziell auf sich selbst in seiner Sprachlichkeit richtet. Insofern es um die Sprache geht, scheint auch die Titelgebung nach Abschluss der Lektüre des Monologs fast notwendig, alternativlos. Die Sprache spricht mit sich selbst über sich selbst. Letztlich kommt in dieser besonderen textuellen Form zum Ausdruck, dass das, worum es im Kern geht, gerade nicht im Text steht, sondern sich dem Leser 53 So der Titel eines von Bohrer herausgegebenen Bandes: Karl Heinz Bohrer (Hg.), Sprachen der Ironie. Sprachen des Ernstes, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000. 54 Gottfried Gabriel, Logik und Rhetorik der Erkenntnis. Zum Verhältnis von wissenschaftlicher und ästhetischer Weltauffassung, Paderborn: Schöningh, 1997, p. 9. 28 gleichsam im Raum des Unsagbaren erschließt, wobei das Ironisch- Spielerische seiner Sprachverwendung grundlegenden Anteil an der Sinnerschließungsmöglichkeit hat und damit unübersetzbar ist in philosophische Sprache, wenn man darunter eine Sprache verstehen möchte, die sich am Kriterium der Wissenschaftlichkeit und dem Ideal der Eindeutigkeit ausrichtet. Was also hier indirekt und im Umkehrschluss in Erscheinung tritt, ist die in Bezug auf das zu Sagende erkennbare Insuffizienz einer dieserart verstandenen philosophischen Sprache, die nur dann das im Monolog Gesagte in den Bereich der Thematisierbarkeit bekommen könnte, wenn sie ihre eigenen Prinzipien über Bord werfen und sich hin zu einer ambivalenteren Sprechweise transzendieren würde. Ein Angebot zu einer solchen Auflösung rein vernunftorientierten Sprechens hin zu einer vieldeutig-ambivalenten Sprechweise macht nun die Frühromantik. Dabei ist die bereits erwähnte fragmentarische Darstellung nur ein Merkmal dieser Vieldeutigkeit, die sich auf allgemeinerer Ebene in einer neuartigen Pluralität der Formen niederschlägt, in der ebenjene „Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mitteilung“ 55 zum Ausdruck gebracht wird, von der bereits die Rede war. So erklärt sich die auffallend heterogene Form, beziehungsweise, um es präziser auszudrücken, erklären sich die multiplen Formen aus der frühromantischen Überzeugung heraus, dass es die Form der Darstellung im Sinne einer idealen Form genauso wenig geben kann, wie die Wahrheit und zwar aufgrund der Kontingenz menschlicher Erkenntnisfähigkeit, was nichts anderes bedeutet als dass eine Annäherung an Erkenntnis immer nur negativ im Modus der Verfehlung möglich ist 56 . In der Formenvielfalt der Frühromantik spiegelt sich mithin ein philosophisches Kontingenzbewusstsein und damit die Unmöglichkeit einer idealen sprachlichen Einholung. Dabei offenbaren die immer neuen Anläufe zur Einholung dessen, worum es geht, in ihrem Scheitern ihre Angemessenheit, insofern darin unhintergehbar ihre Defizienz zum Ausdruck kommt 57 . Zugleich kann konstatiert werden, dass damit eine Tendenz ihren 55 Schlegel, KA II, p. 160, Fragment 108. 56 Vgl. dazu im Abschnitt C dieser Arbeit das Kapitel Sprache bei Sören Kierkegaard (pp. 200ff.). 57 Dem kann im Übrigen auch der Roman nicht abhelfen, der in seiner frühromantischen Spielart zwar die Möglichkeit bietet, diese disparaten Ausdrucksformen zusammenzuführen, um damit, wie Schlegel sagt, die moderne Entsprechung der „sokratischen Dialoge“ (KA II, p. 149, Fragment 26) zu konstituieren, jedoch führt das einheitliche Werk des Romans letztlich nur auf einer weiteren Ebene das Scheitern vor. Ein Beispiel hierfür ist Schlegels Skandalroman Lucinde (Fr. Schlegel, Lucinde. Ein Roman, Stuttgart: Reclam, 1999) der ständig und unsystematisch zwischen Erzählungen, Szenen, Briefen und Reflexionen wechselt, wobei in der ironischen Grundhaltung auch hier wieder die Unzulänglichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens präsent bleibt. 29 Ausgang nimmt, die sich bis ins 20. Jahrhundert hinein fortsetzen wird: das Aufbrechen einer Vielfalt neuer Formen, Philosophie zu betreiben und darzustellen, die in gewissem Sinne gelesen werden könnte als eine Allegorie auf und ein Spiegel des Zerfalls der Kohärenz der Grundlagen abendländischen Denkens in der Folge jener Katastrophe, von der Niklas Luhmann sprach. Ganz entscheidend in diesem Zusammenhang ist, unabhängig von den konkreten Ausprägungen, die sich hieraus ergeben, dass in dieser neuen Vielfalt philosophischen Schreibens zunächst einmal generell die Sprache als Problem identifiziert wird. In diesen Kontext einzuordnen ist selbstverständlich auch Sören Kierkegaard, der ganz explizit die Frage nach dem Funktionieren von Sprache aufwirft und versucht, aus seinen sprachtheoretischen Reflexionen methodologisch Konsequenzen abzuleiten. In der Kontinuität der Frühromantik identifiziert er eine vernunftbasierte Sprache als in jenem Bereich zum Scheitern verurteilt, der den Kern seiner philosophischen Preokkupationen ausmacht und er macht sich - auf die Reflexionen der Frühromantik aufbauend - die Vieldeutigkeit und Ambivalenz der Sprache methodisch nutzbar, was deutlich zutage tritt in der Verwendung multipler pseudonymer Herausgeberschaften und fiktiver Autoren. Im Grunde wendet er mit diesen Hilfsmitteln jene Unzuverlässigkeit, die die Novalisschen „ernsten Menschen“ der Sprache zum Vorwurf machen, zu seinen Gunsten. Sie bietet ihm die Möglichkeit, durch ihre Vieldeutigkeit die Unentscheidbarkeit namentlich zwischen den von ihm explizierten Existenzstadien sprachlich abzusichern. Mögliche Betrachtungsweisen der Existenz werden miteinander in Kommunikation gesetzt beziehungsweise gegeneinander ‚in Stellung’ gebracht, ohne dass dem Leser verbindlich gesagt werden könnte, was dies letztlich für ihn als diesen konkreten existierenden Einzelnen zu bedeuten hat. Die Pseudonymität ist damit gewissermaßen das Äquivalent der Formenvielfalt der frühromantischen Schriftstellerei 58 . Eine ähnliche Kommunikation zwischen Form und Inhalt findet sich selbstverständlich auch in Friedrich Nietzsches Perspektivismus, der den einheitlichen philosophischen Beobachtungsturm zerbrechen lässt, welcher zersplittert in eine Vielzahl möglicher Betrachtungswinkel. Auch hier ist das zentrale Motiv, dass es ohne transzendenten Wahrheitsgaranten nicht mehr die Erkenntnis geben kann, sondern bestenfalls Erkenntnisse mit mehr oder weniger begrenzter Trag- und Reichweite, die jedoch in keinem Falle über das Diesseits hinausreichen. Auf die fundamentale Rolle, die die Sprache im Zusammenhang mit der Frage nach der Wahrheit spielt, kommt er an den verschiedensten Stellen seines Werkes zu sprechen. Besonders erhellend ist ein Aphorismus aus der Götzendämmerung, in dem es heißt: 58 Auch hierauf wird im Abschnitt C dieser Arbeit (pp. 200ff.) zurückzukommen sein. 30 [W]ir kommen in ein grobes Fetischwesen hinein, wenn wir uns die Grundvoraussetzungen der Sprach-Metaphysik, auf deutsch: der Vernunft, zum Bewusstsein bringen. […] Am Anfang stand das grosse Verhängniss von Irrthum, dass der Wille Etwas sei, das wirkt, - dass Wille ein Vermögen ist … Heute wissen wird, dass er bloss ein Wort ist …. […] Die ‚Vernunft’ in der Sprache: oh was für eine alte betrügerische Weibsperson! Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben. 59 Nietzsche zufolge spielt mithin die Sprache eine ganz fundamentale Rolle bei der Schaffung jener Hinterwelten, die er zum Einsturz bringen will. Letztlich ist die Sprache, wenn sie unreflektiert verwendet wird, die beste Verbündete der traditionellen platonisch-christlichen Ideenwelt. Die unhinterfragte Unterstellung der Korrespondenz eines Begriffs mit dem bezeichneten Gegenstand ist der Grund-‚Trick’ der Sprachmetaphysiker, jedoch ist die Realität der mit dem Wort bezeichneten Entität damit im Grunde rein sprachlicher Natur. Vernunftgebrauch als Sprachmetaphysik: das besagt für Nietzsche nichts anderes, als dass sämtliche metaphysischen Erkenntnisse letzten Endes auf Sprachzauber beruhen, darauf, dass wir aus der Existenz eines Wortes die Existenz des damit bezeichneten Gegenstandes ableiten. Dem gegenüber insistiert Nietzsche darauf, dass eigentlich bereits jedes Wort als eine „Metapher“ zu betrachten, jedoch das Bewusstsein um deren Status als Metapher verloren gegangen sei 60 . In diesem Sinne kann man also für die Frühromantik genauso wie für Kierkegaard und Nietzsche konstatieren, dass sie sich darum bemühen, die Bedeutung ihrer Texte durch bestimmte textliterarische Verfahren der Ein- 59 Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung, in ders., Der Fall Wagner, Götzen-Dämmerung, Der Antichrist, Ecce homo, Dionysos-Dithyramben, Nietzsche contra Wagner, Kritische Studienausgabe Bd. 6, München: DTV, 1999, pp. 77f. 60 Vgl. hierzu besonders Nietzsches Text Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne: „Wir glauben etwas von den Dingen selbst zu wissen, wenn wir von Bäumen, Farben, Schnee und Blumen reden, und besitzen doch nichts als Metaphern der Dinge, die den ursprünglichen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen. Wie der Ton als Sandfigur, so nimmt sich das rätselhafte X des Dings an sich einmal als Nervenreiz, dann als Bild, endlich als Laut aus. Logisch geht es also jedenfalls nicht bei der Entstehung der Sprache zu, und das ganze Material, worin und womit später der Mensch der Wahrheit, der Forscher, der Philosoph arbeitet und baut, stammt, wenn nicht aus Wolkenkuckucksheim, so doch jedenfalls nicht aus dem Wesen der Dinge. […] Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen, in Betracht kommen“ (ders., Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, in ders., Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I-V, Nachgelassene Schriften 1870-1873, Kritische Studienausgabe Bd. I, München: DTV, 1999, pp. 875f.). 31 deutigkeit zu entziehen, sie gleichsam in der Schwebe zu halten, mit dem Ziel, die immer unzulängliche Fundierung erkenntnisphilosophischer Positionen literarästhetisch in den Text einschreiben 61 . In der Formenvielfalt der Frühromantik, der Pseudonymität Kierkegaards und dem Perspektivismus Nietzsches schwingt nicht nur diese prinzipielle Insuffizienz philosophischer Erkenntnis mit, mangels eines archimedischen Punktes, von dem aus sie mit Sicherheit sprechen könnten, sondern hier tritt gleichzeitig damit in jeweils eigener Weise die unauflösliche Interkonnexion erkenntnistheoretischer und sprachphilosophischer Betrachtungen hervor. Auf je eigene Weise schlägt sich also in der Wahl der besonderen Darstellungsform jene Überzeugung nieder, dass, wie Gabriel es formulierte, Darstellungsformen Erkenntnisformen sein können. Damit ist aber ein Weiteres gesagt: Wenn die Sprache nicht mehr lediglich als ‚Gefäß’ fungiert, das einen Inhalt von einem Sender zu einem Empfänger trägt, so dass ein objektives Wissen von A nach B weitergereicht wird, sondern die Mehrdeutigkeit des Textes als Ausdruck der unhintergehbaren Subjektivität in die Textstruktur eingeschrieben ist, dann kann es auch nicht mehr darum gehen, den Textsinn zu finden, sondern dem Leser fällt damit eine aktive Rolle bei der Sinnkonstitution zu und er muss als Leser im Bewusstsein dieser Rolle angemessene hermeneutische Verfahren zur Anwendung bringen. Damit muss zugleich die Deutungsoberhoheit des Verfassers verabschiedet werden, wie bereits bei Schleiermacher zum Ausdruck kommt, wenn er betont, dass der Leser „die Rede zuerst ebensogut und dann besser [...] verstehen [kann] als ihr Urheber“ 62 , was man im Sinne der Rezeptionsästhetik so erklären kann, dass der Text sich erst zum Werk entfaltet in der Rezeptionstätigkeit des Lesers, der Sinn sich also in der Interaktion zwischen Text und Leser und unabhängig von einer möglichen Autorenintention herausformt 63 . Stammt der Ansatz der Rezeptions- 61 Dass eine solche Vieldeutigkeit nicht ohne Risiken zu haben ist, das zeigt der folgende Kommentar des Nietzsche-Spezialisten Giorgio Colli, der konstatiert: „Im Bergwerk [Nietzsches] ist jedes Metall zu finden: Nietzsche hat alles gesagt und das Gegenteil von allem“ (ders., Nach Nietzsche, Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt, 1980, p. 209). Insofern birgt Vieldeutigkeit immer auch die Gefahr von Beliebigkeit beziehungsweise sind die Grenzen zwischen beiden oft nicht mehr ohne weiteres bestimmbar. 62 Friedrich Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, hg. von Manfred Frank, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977, p. 94. Diese Idee findet sich im Übrigen fast gleichlautend in Heideggers Grundbegriffen wieder, wo dieser betont, dass man dahin gelangen müsse, „daß wir einen Philosophen besser verstehen, als er sich selbst verstand“ (Grundbegriffe, p. 232). 63 Vgl. hierzu Wolfgang Iser, ‚Der Lesevorgang’, in Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, Stuttgart: UTB, 1994, p. 253-276, hier p. 253. Vgl. zur Bedeutung des Lesers auch Arthur C. Danto, ‚Philosophy as/ and/ of Literature’, in Anthony J. Cascardi (Hg.), Literature and the Question of Philosophy, Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1987, pp. 1-23. 32 ästhetik eher aus der Literaturtheorie, so ist auffällig, dass in der Frage nach dem philosophischen Stil, wie sie Manfred Frank, aber auch der französische Philosoph Gilles Gaston Granger 64 stellt, eine durchaus vergleichbare hermeneutische Konstellation identifiziert wird. Granger betont beispielsweise, dass der philosophische Stil begriffen werden könne als der Ausweis der philosophischen Methode des Verfassers und auf das subjektive Element jedweden philosophischen Textes verweise. Interessanterweise illustriert Granger seine Reflexionen übrigens genau wie Frank anhand der Texte Ludwig Wittgensteins. Dabei betont auch Manfred Frank den Aspekt des Individuellen im philosophischen Stil 65 und veranschaulicht in überzeugender Weise, wie sich dies in der fragmentarischen Schreibweise Wittgensteins hermeneutisch nutzen lässt. Anders als Granger freilich untermauert Frank seine Ausführungen, wie gesehen, durch die Parallelsetzung des Stils Wittgensteins mit dem Stil des Novalis, womit er für die epistemologische Nutzbarmachung des Stils einen größeren Handlungsraum offen hält als Granger, der die Grenze zwischen Philosophie und Literatur konsequenter aufrecht zu erhalten bemüht ist 66 . Damit stehen die Überlegungen Manfred Franks der vorliegenden Studie näher, insofern sie die Möglichkeit eines Literarischwerdens der Philosophie als philosophisches Stilphänomen konzediert. Eine solche Leseart hat durchaus einiges für sich, gerade wenn man in Anschlag stellt, dass ja eine wesentliche Stoßrichtung der Schlegelschen Transzendentalpoesie, welche dieser als autoreflexive „Poesie der Poesie“ 67 konzipiert, dahin geht, das philosophisch Relevante, jene questions importantes von denen Bouveresse sprach, die aber jenseits der Grenzen des Sagbaren liegen, einzuholen über den Umweg des Verweises 68 . Die Transzendentalpoesie stellt mit anderen Worten den Versuch dar, das philosophisch Bedeutsame zumindest indirekt und ex negativo in die Sprache zurückzuholen, auch wenn dieses Bemühen 64 Vgl. Gilles Gaston Granger: Essai d’une philosophie du style, Paris: Odile Jacob, 1988. 65 So versucht Frank, den Stil folgendermaßen zu fassen: „Der Stil ist nicht deduktiv aus Regelkenntnis ableitbar; und da alles Geregelte allgemein ist, darf er individuell heißen. Das Individuelle ist selbst nicht allgemein, so wahr es aus Regelkenntnis nicht gewonnen werden kann […]“ (ders‚ ‚Wittgensteins Gang in die Dichtung’, p. 30). 66 So notiert Granger bezüglich der Verwendung literarischer Sprache: „Un abus de l’expression figurée fait osciller du philosophique au poétique sur une ligne de démarcation difficile à déterminer“ (Granger, ‚Bild et Gleichnis: remarques sur le style de Wittgenstein’, in ders., Invitation à la lecture de Wittgenstein, Aix en Provence: Alinéa, 1990, pp. 189-199, hier p. 198). 67 KA II, p. 204, Fragment 238. 68 Vgl. Sebastian Hüsch, ‚Die Frage der Erkenntnis als Frage der Form - Philosophie und Literatur, dans A. Hügli und Curzio Chiesa, Was ist Philosophie/ Qu’est-ce que la philosophie? , Studia Philosophica 66, 2007, pp. 127-140. 33 selbstverständlich den Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit orientierter philosophischer Reflexion nicht genügt 69 . Andererseits bieten sich aber interessanterweise auch hier wieder Anknüpfungspunkte, mit denen man die frühromantische Sprachreflexion in mehr oder weniger direkte Korrespondenz mit Wittgenstein bringen kann. Denn der Weg, den Schlegel einschlägt, wird von Wittgenstein zumindest angedeutet, wenn er in einer mittlerweile berühmten Bemerkung konstatiert: „Ich glaube meine Stellung zur Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten.“ 70 In diesem Satz verbirgt sich selbstverständlich eine auch der frühromantischen Reflexion eigentümliche Spannung, insofern Wittgenstein im Grunde genommen in diesem Satz seine eigene Philosophie in der vorliegenden Form für unmöglich erklärt, beziehungsweise er den Eindruck vermittelt, dass die Art seines Philosophierens und die Absichten seines Philosophierens in einem ambivalenten, fast widersprüchlichen Verhältnis zueinander stehen 71 . Der gleiche Gedanke findet seinen Ausdruck 69 In diesem Sinne betont beispielsweise Gabriel, dass Schlegel mit seiner progressiven Transzendentalpoesie letztlich den rationalen Anspruch der Philosophie zugunsten von deren ästhetischem Aspekt unterlaufe. In dessen Postulat, „Alle Kunst soll Wissenschaft, und alle Wissenschaft soll Kunst werden; Poesie und Philosophie sollen vereinigt sein“ (KA II, p. 161, Fragment 115), erblickt er „nichts anderes als eine Einheitswissenschaft von der anderen Seite, nämlich von der Poesie aus gedacht, abgestellt auf Sinnlichkeit, Phantasie und Gefühl. […] Die ästhetische Weltauffassung wird der wissenschaftlichen nicht an die Seite gestellt, sondern die wissenschaftliche Weltauffassung wird der ästhetischen einverleibt.“ (Gabriel, Logik und Rhetorik der Erkenntnis, 1997, p. 106). Dies scheint mir freilich den Schlegelschen Ansatz zu stark zu verkürzen, insofern hier das vermeintlich Irrationale der Frühromantik überbetont wird. Dabei hebt Schlegel selbst explizit die Bedeutung der Vernunft hervor, namentlich wenn er die dialektische Methode als die Methode par excellence der Philosophie ausweist. Vgl. hierzu seinen Essay Über die Form der Philosophie, in ‚Charakteristiken und Kritiken II (1802-1829)’ in Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. III, Paderborn: Schöningh, 1975, pp. 97ff.). Jedoch fordert er zu deren Überschreitung durch die Poesie da auf, wo sie als rationale Wissenschaft an die Grenzen des Denk- und des Sagbaren stößt. 70 Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977, p. 59. 71 Diese der Wittgensteinschen Philosophie eigentümliche Spannung findet möglicherweise ihren angemessenen Ausdruck in der Tatsache, dass Wittgenstein, wie vermutlich kein anderer zeitgenössischer Philosoph, sowohl die ‚kontinentale’ als auch die angloamerikanisch-analytische Philosophie in erheblichem Maße beeinflusst hat. Wenn man wohl richtigerweise ganz generell davon sprechen kann, dass im 20. Jahrhundert „eine […] radikale Ohnmacht der Sprache“ in der Philosophie insgesamt paradoxerweise zu einer „theoretische[n] Wende hin zur Wirksamkeit von Sprache“ ( Emmanuel Alloa und Alice Lagaay (Hg.), Einleitung zu Nicht(s) sagen. Strategien der Sprachabwendung im 20. Jahrhundert, Bielefeld: Transcript, 2008, p. 7-22, hier p. 9, Hervorhebung E.A./ A.L.) geführt hat, dann geht freilich die Art und Weise der Auseinandersetzung in der kontinentalen und in der analytischen Philosophie in eine je eigene Richtung. Dabei scheint Wittgenstein interessanterweise an einer Art Schnittstelle zu stehen in dem Sinne, dass sich - in je eigener Weise - beide Seiten auf 34 selbstverständlich auch in folgendem Kommentar Wittgensteins zum Tractatus: Ich wollte einmal in das Vorwort einen Satz geben, der nun tatsächlich nicht darin steht, den ich Ihnen aber jetzt schreibe, weil er Ihnen vielleicht ein Schlüssel sein wird: Ich wollte nämlich schreiben, mein Werk bestehe aus zwei Teilen: aus dem, der hier vorliegt, und aus alledem, was ich nicht geschrieben habe. Und gerade dieser zweite Teil ist der Wichtige. [...] Kurz, ich glaube: Alles das, was viele heute schwefeln, habe ich in meinem Buch festgelegt, indem ich darüber schweige. 72 Indem nun Wittgenstein die Idee des Verschweigens in Verbindung bringt mit der Überlegung, dass seine Philosophie im Grunde Dichtung zu sein hätte, nähert er sich auffallend jener Konstellation, die auch Schlegel mit seiner Transzendentalpoesie über die Philosophie hinaus in die Dichtung führt. Dass dies kein Zufall ist, das zeigen nicht nur die Arbeiten von Manfred Frank 73 , sondern auch Arbeiten, die Wittgenstein in die Nähe zu Kierkegaard rücken, dessen literarische Kommunikationsform einem vergleichbaren Problemkomplex entstammt 74 . Wenn man des Weiteren berücksich- ihn berufen können. Die analytische Philosophie, die sich bemüht, das Funktionieren der Sprache offen zu legen, indem sie die Sprache in ihre Elemente zerlegt und implizite und explizite Verwendungsregeln zu entdecken bemüht ist und sich hierbei vor allem am Ideal mathematisch-logischer Genauigkeit orientiert (vgl. Friedrich Kambartel und Pirmin Stekeler-Weithofer, Sprachphilosophie. Probleme und Methoden, Stuttgart: Reclam, 2005), kann sich genauso gut auf Wittgensteins Untersuchungen zum Funktionieren der Sprache stützen, wie die kontinentale Tradition, der es eher um die Frage der Bedeutung geht, das heißt um die Frage, wie und unter welchen Voraussetzungen Sprache Sinn vermitteln kann. Auf die Ausrichtung an der Frage der Bedeutung als Aufgabe der Philosophie in expliziter Abgrenzung zu den Wissenschaften hat wiederum Granger hingewiesen, wie Gérard Lebrun in einem Artikel über dessen Philosophie zutreffenderweise betont: „[P]ar opposition à la science, constructrice de modèles, la philosophie aura pour tâche l’interprétation des significations“ (ders., ‚De la spécificité de la connaissance philosophique’, in Joëlle Proust und Elisabeth Schwartz (Hg.), La connaissance philosophique. Essais sur l’oeuvre de Gilles-Gaston Granger, Paris: Presses Universitaires de France, 1995, p. 21-34, hier p. 23). Diese Definition zeigt deutlich eine prinzipielle Differenz im Erkenntnisanspruch, denn hiernach wäre die analytische Philosophie in Teilen sicher eher als „constructrice de modèles“ im Sinne der Wissenschaft zu betrachten, insofern sie sich methodisch an deren Modell orientiert und in diesem Rahmen die Strukturen der Sprache möglichst universell offen zu legen trachtet. 72 Wittgenstein an Ludwig von Ficker, in ders., Briefe an Ludwig von Ficker, hg. von Georg Henrik von Wright, Salzburg: Müller, 1969, p. 35 (Hervorhebungen L.W.). 73 Vgl. neben den bereits erwähnten Arbeiten auch Manfred Frank, ‚Du style et de la signification. Wittgenstein, Musil et les premiers romantiques’, in Marie-Louise Roth (Hg.), Hommage à Musil. Genfer Kolloquium zum 50. Todestag von Robert Musil, Bern: Peter Lang, 1995, pp. 63-85. 74 Vgl. zu den Parallelen in der philosophischen Methodik Kierkegaards und Wittgensteins Gabriele Nientied, Kierkegaard und Wittengstein. Hineintäuschen in das Wahre, Berlin: de Gruyter, 2000. Vgl. auch Charles L. Creegan, Wittgenstein and Kierkegaard: 35 tigt - wie gerade neuere Studien gezeigt haben -, dass einige der Wittgensteinschen philosophischen Problemfelder letztlich auch denen von Martin Heidegger in mancher Hinsicht nicht allzu fern stehen 75 , deutet sich hier indirekt das Potential an, welches in einem Vergleich stecken könnte, in dem anhand eines konkreten philosophischen Problems die Differenzen untersucht werden, die sich aus einer literarischen und einer philosophischen Darstellung des gleichen Themenfeldes vor dem Hintergrund der Sagbarkeitsproblematik ergeben. Um das Gesagte auf den geplanten Vergleich der Langeweiledarstellung bei Heidegger und Kierkegaard zu übertragen und etwas zu pointieren, wäre die Frage dann, ob auch Heidegger, Religion, Individuality, and Philosophical Method, London: Routledge, 1989; Genia Schönbaumsfeld, A confusion of the spheres: Kierkegaard and Wittgenstein on philosophy and religion, Oxford: Oxford University Press, 2007. Zum Einfluss Kierkegaards auf Wittgenstein vgl. Michael P. Gallagher, ‚Wittgenstein’s admiration for Kierkegaard’, in The Month 39, 1968, pp. 43-49. Was Wittgenstein an Kierkegaard fasziniert haben könnte, scheint meines Erachtens implizit in der folgenden Überlegung Wittgensteins durch: „Dieses Buch ist für solche geschrieben, die seinem Geist freundlich gegenüberstehen. Dieser Geist ist ein anderer als der des großen Stromes der europäischen und amerikanischen Zivilisation in dem wir alle stehen. […] Ich möchte sagen, ‚dieses Buch sei zur Ehre Gottes geschrieben’, aber das wäre heute eine Schurkerei, das heißt es würde nicht richtig verstanden werden“ (Ludwig Wittgenstein, ‚Philosophische Bemerkungen’, in L. Wittgenstein, Studien, Texte, Wiener Ausgabe, Bd. 3, Wien: Springer, pp. 114f.). 75 Vgl. Thomas Rentsch, Heidegger und Wittgenstein. Existential- und Sprachanalysen zu den Grundlagen philosophischer Anthropologie, Stuttgart: Klett-Cotta, 1985. Als diese Studie 1985 erschien, betrat Rentsch damit im deutschen Sprachraum quasi Neuland. Dies hat sich in der Zwischenzeit spürbar geändert, wie er selbst anlässlich der Neuauflage seiner Arbeit knapp zwanzig Jahre später betont (vgl. ders, Heidegger und Wittgenstein. Existential- und Sprachanalysen zu den Grundlagen philosophischer Anthropologie, Stuttgart: Klett-Cotta, 2003, pp. 17-59). Bereits zuvor hatte freilich Karl-Otto Apel auf interessante Parallelen hingewiesen, genauso wie auf die Tatsache, dass die „Zusammenstellung der Namen Wittgenstein und Heidegger in einer philosophischen Abhandlung […] immer noch einiges Befremden“ errege (ders., ,Wittgenstein und Heidegger. Die Frage nach dem Sinn von Sein und der Sinnlosigkeitsverdacht gegen alle Metaphysik’, in Philosophisches Jahrbuch, 75. Jg., 1967, pp. 56-94, hier p. 56). Vgl. auch Steven L. Bindeman, Heidegger and Wittgenstein. The Poetics of Silence, Lanham: The University Press of America, 1981; Hirokiyo Furuta, Wittgenstein und Heidegger. ‚Sinn’ und ‚Logik’ in der Tradition der analytischen Philosophie, Würzburg: Königshausen und Neumann, 1996; Nicholas F. Gier, Wittgenstein and Phenomenology. A Comparative Study of the Later Wittgenstein, Husserl, Heidegger, and Merleau-Ponty, Albany: State University of New York Press, 1981; Friedrich Glauner, Sprache und Weltbezug. Adorno, Heidegger, Wittgenstein, Frankfurt am Main: Alber, 1997. Verschiedentlich rücken auch alle drei Autoren in den Fokus, so bei Stephen Mulhall, Inheritance and Originality. Wittgenstein, Heidegger, Kierkegaard, Oxford: Clarendon Press, 2001, sowie bei Paul Standish, Beyond the Self. Wittgenstein, Heidegger and the Limits of Language. Aldershot: Avebury, 1992, der den Einfluss Kierkegaards sowohl auf Wittgenstein als auch auf Heidegger betont, was sich im Erbe einer negativen Metaphysik äußere. 36 entsprechend der Einsicht Wittgensteins, seine Philosophie eigentlich hätte dichten müssen. Bevor auf diese Frage in der vergleichenden Gegenüberstellung eingegangen wird, soll aber zunächst erläutert werden, warum ich mich bei der vorliegenden Studie für den Vergleich der Darstellungsformen dazu entschieden habe, diese Problematik anhand der Frage der Langeweile zu entwickeln. 2. Langeweile Auf der Suche nach einem Anwendungsfeld für den Vergleich philosophischer und literarischer Darstellung ließe sich sicherlich an verschiedene philosophisch relevante Konzepte denken. Mein Vorschlag, mit der Langeweile ein auf den ersten Blick möglicherweise eher randständiges philosophisches Problem in den Blick zu nehmen, beruht auf Überlegungen, die sich aus verschiedenen, letztlich aber im Kern miteinander verwobenen Elementen zusammensetzten. Ganz zentral sind ein historisch-phänomenaler und ein wortgeschichtlicher Argumentationsstrang, zu denen dann im Laufe der Analyse eine Argumentationslinie hinzukommt, die sich aus der Problemstellung des Sagbarkeitsdiskurses und da genauer aus der Frage des Verhältnisses von Philosophie und Literatur ergibt. Ich hoffe, dass diese Überlegungen im Endergebnis dazu führen werden, die Entscheidung, das Problem der Langeweile in den Fokus zu rücken, zu legitimieren und zugleich deutlich machen können, dass und weshalb der Langeweile als Problem philosophische Dignität zuerkannt werden kann. Aus historischer Perspektive ist zunächst einmal zu konstatieren, dass es kaum möglich ist, in historischen Quellen eine Art ‚Ersterscheinungszeitpunkt’ des Phänomens Langeweile zu identifizieren beziehungsweise hängt der Versuch, die ersten Beschreibungen von Langeweile historisch nachzuweisen, ganz wesentlich davon ab, inwieweit man zwischen verschiedenen älteren Konzepten und dem Konzept der Langeweile Kontinuitäten annimmt. So werden in der Regel Begriffe wie das antike taedium vitae oder die mittelalterliche acedia als Vorgänger der modernen Langeweile angesehen beziehungsweise mit Langeweile gleichgesetzt. Wenn Friedhelm Decher beispielsweise in der acedia, der sogenannten Mönchskrankheit, die von Johannes Cassianus (ca. 360zw. 430-435) geschildert wird, eine Erscheinung erkennt, die im Wesentlichen mit Langeweile gleichgesetzt werden könne 76 , so sind Dalle Pezze und Salzani diesbezüglich vor- 76 Vgl. Friedhelm Decher, Besuch vom Mittagsdämon. Philosophie der Langeweile, Lüneburg: zu Klampen, 2000, p. 17. Auch Alfred Bellebaum sieht eher eine Kontinuität der Langeweile, die sich über die Jahrhunderte erstrecke und namentlich eine Verbindung vom ennui Pascals zur Langeweile bei Kierkegaard (vgl. A. Bellebaum, Lange- 37 sichtiger und konzedieren zwar bestimmte Ähnlichkeiten, verweisen aber zugleich darauf, dass es sich bei einer Übertragung der Bedeutung der modernen Langeweile auf antike und mittelalterliche Konzepte um eine anachronistische Attribution handelt, die keineswegs unproblematisch ist 77 . Im gleichen Sinne äußert sich auch Elisabeth A. Goodstein, die zu bedenken gibt, dass jeder dieser Begriffe nur dann präzise umrissen und erschlossen werden könne, wenn man berücksichtige, dass er eingebettet ist „in a historically and culturally specific way of understanding and interpreting human existence“ 78 . Wenn es letztlich unbestreitbare Parallelen zwischen acedia und taedium vitae auf der einen und Langeweile auf der anderen Seite gibt, so lassen sich doch auch deutliche Unterschiede konstatieren, die zumindest dafür sprechen, in der Langeweile in ihrer modernen Ausprägung ein spezifisches Phänomen mit ganz besonderen Implikationen zu erblicken. Generell scheint sich festhalten zu lassen, dass die antiken und mittelalterlichen Vorläufer sich von der Langeweile dadurch unterscheiden, dass sie tendenziell ‚elitärer’ sind, das heißt, dass es sich um marginale Phänomene handelt, während Langeweile ‚demokratischer’ zu sein scheint und mit einiger Berechtigung als „mass phenomenon“ 79 bezeichnet werden kann. Dass sich hinter dieser Differenz letztlich in der Tat auch ein konzeptueller Unterschied verbirgt, darauf deutet, dass sich aus begriffsgeschichtlichen Untersuchungen eine begriffliche Besonderheit der weile, Überdruß und Lebenssinn. Eine geistesgeschichtliche und kultursoziologische Untersuchung, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990, p. 57). 77 Vgl. Barbara Dalle Pezze und Carlo Salzani, ‚The Delicate Monster: Modernity and Boredom’, in dies. (Hg.), Essays on Boredom and Modernity, Amsterdam: Rodopi, 2009, pp. 5-34, hier p. 11. Vgl. auch Espen Hammer, der die besonderen Implikationen jener typisch ‚modernen’ Langeweile betont, die durch die Synchronisierung des modernen Lebens durch exakte Zeitmessung entsteht, gerade dann, wenn es zu einer „clock-based desynchronization“ komme, so dass auch aufgrund der modernen Zeitmessung ein Zeit- und damit ein Langeweileempfinden entstanden sei, das mit „pre-modern settings“ nicht ohne Probleme vergleichbar sei (ders., ‚Heidegger’s Theory of Boredom’, in Graduate Faculty Philosophy Journal, Vol. 29, Nr. 1, 2008, pp. 199-225, hier p. 207). 78 Elisabeth S. Goodstein, Experience without Qualities: Boredom and Modernity, Stanford: Stanford University Press, 2005, p. 4. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist darüber hinaus, dass acedia in der Theologie des Mittelalters anders als Langeweile aus einem moralischem Kontext stammt: „Les descriptions de l’acédie, qui nous sont parvenues grâce aux penseurs chrétiens de l’Antiquité tardive et du Moyen Âge, correspondent bien à ce que nous nommons aujourd’hui ‚ennui’. […] Mais il y a une différence fondamentale: alors que l’acédie est avant tout un concept moral, l’‚ennui’ tel que nous l’entendons de nous jours est davantage un état psychologique“ (Lars Svendsen, Petite philosophie de l’ennui, Paris: Fayard, 2003, p. 68). Das bedeutet, dass in diesem Sinne zwischen beiden der fundamentale Unterschied besteht, dass acedia als Sünde begangen wird, während wir unter Langeweile als Stimmung leiden (vgl. auch Patricia Meyer Spacks, Boredom: The Literary History of a State of Mind, Chicago: The University of Chicago Press, 1995, p. 11). 79 Dalle Pezze/ Salzani, ‚The Delicate Monster’, p. 8. 38 modernen Langeweile destillieren lässt. So ist zunächst auffallend, dass sowohl der deutsche Begriff Langeweile als auch sein englisches Äquivalent boredom relativ ‚junge’ Wörter sind. Das deutsche Wort Langeweile scheint im 18. Jahrhundert entstanden zu sein und das Substantiv boredom im frühen 19. Jahrhundert, während to bore und a bore wie Langeweile aus dem 18. Jahrhundert stammen 80 . In dem Auftauchen neuer Begriffe zur Bezeichnung dieses Phänomens könnte zum Ausdruck kommen, dass die Besonderheit der konkreten kulturellen und geistesgeschichtlichen Situation das Bedürfnis nach einem solchen neuen Terminus hat entstehen lassen, das heißt, dass kein älterer und bereits verwendeter Begriff diese Aufgabe zu übernehmen geeignet erschien. Dieser Verdacht verstärkt sich angesichts einer überaus interessanten Parallele zum französischen Begriff ennui. Zwar handelt es sich hierbei um einen älteren Begriff, der bereits im 12. oder 13. Jahrhundert entsteht und auf das lateinische odium beziehungsweise in odio esse zurückgeht. Interessanterweise aber ‚treffen’ sich, wie Ludwig Völker gezeigt hat, die deutsche Langeweile und der französische ennui semantisch etwa in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts 81 . So bezeichnete das französische ennui zunächst einen Affekt und erhielt erst später die Konnotation der Länge der Zeit, während Langeweile ursprünglich beim Zeitverhältnis einsetzt und erst anschließend sich mit affektivem Gehalt auflädt 82 . Daraus ergibt sich neben der Verbreitung des Phänomens ein weiterer Unterschied zu den antiken Konzepten, und zwar, dass Langeweile sowohl einen affektiven Gehalt als auch eine zeitliche Dimension hat. Gerade Heidegger wird in seiner Langeweiledeutung auf diese besondere Doppelstruktur der Langeweile insistieren, welche er begrifflich als „Leergelassenheit“ und als „Hingehaltenheit“ fasst 83 . Was nun weiterhin bemerkenswert ist, das ist selbstverständlich der Zeitpunkt der Herausbildung des modernen Langeweilebegriffes und der semantischen Erweiterung des ennui-Begriffes. Sowohl phänomenologisch als auch begrifflich drängen sich Langeweile und ennui in dieser erweiterten Bedeutung in etwa parallel mit den epochalen Umwälzungen im weiteren Umfeld der Aufklärung, der Französischen Revolution und der Entstehung einer modernen bürgerlichen Gesellschaft mit Macht ins Bewusstsein. Deutlich erkennbar wird dies beispielsweise daran, dass Langeweile ganz besonders 80 Vgl. Dalle Pezze/ Salzani, ‚The Delicate Monster’, p. 10. 81 Vgl. Ludwig Völker, Langeweile: Untersuchungen zur Vorgeschichte eines literarischen Motivs, München: Wilhelm Fink, 1975, p. 145: „Demnach ist zu schließen, dass Langeweile sich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts allgemein als Entsprechung zu ennui (in Langeweile-Bedeutung) im ganzen deutschen Sprachgebiet durchsetzt.“ 82 Dabei hat der französische ennui bis heute sein weiteres Bedeutungsfeld konserviert. So kann der Begriff zum einen auf Langeweile verweisen, zum anderen aber zum Beispiel auf Sorgen und Ärger im Alltag, etwa in dem Ausdruck avoir des ennuis. 83 Vgl. Grundbegriffe, pp. 149ff. 39 in der Literatur zu einem immer bedeutenderen Topos wird, während sie gleichzeitig, wie Jürgen Große gezeigt hat, auch in der Empfindungslehre des 18. Jahrhunderts zu einem eigenständigen psychologischen Forschungsthema wird 84 . Auch in der Philosophie wird Langeweile durchaus als Phänomen wahrgenommen, jedoch erfolgt hier der Zugriff auf die Thematik interessanterweise in der Regel nicht über eine eventuelle metaphysische Dimension der Langeweile, sondern beschränkt sich überwiegend auf die pragmatische Frage nach den Möglichkeiten, der Langeweile abzuhelfen, beziehungsweise diese erst gar nicht aufkommen zu lassen, wobei Langeweile wesentlich als Begleiterscheinung eines untätigen Lebens begriffen wird 85 . Dieses Verständnis von Langeweile als Folge des Müßiggangs und die pragmatischen Überlegungen zur Überwindung derselben spiegeln selbstverständlich bereits sehr deutlich die Züge der sich langsam herausbildenden bürgerlichen Arbeitsgesellschaft, der „Langeweile, als Praxis des Nichtstuns, doppelt anstößig - beziehungsweise rätselhaft - scheinen“ 86 musste, insofern die gesamte Ideologie auf Tätigkeit ausgerichtet war, die in der Bezahlung ihre Entschädigung findet 87 . In diese Aufwertung der Arbeit durch die Aufklärung kommt im Übrigen eine grundlegende Wandlung gegenüber einer Anthropologie zum Ausdruck, wie sie zum Beispiel bei Blaise Pascal gefunden werden kann. So manifestierte sich in dessen theologisch-anthropologischer Deutung der ennui erschlossen im Wesentlichen ex negativo über von Gott wegführende Aktivitäten der Zerstreuung. Zu diesen rechnet Pascal freilich nicht nur jene Aktivitäten, die dem nahe kommen, was wir heute als Freizeitbeschäftigungen betrachten würden, wie die Jagd und das Spiel, sondern pikanterweise führt er auf gleicher Ebene auch die affaires auf, also das, was man heute Berufstätigkeit nennen würde. Jede Art der Beschäftigung entspringe demselben Bedürfnis des Menschen nach Zerstreuung und sei letztlich zu begreifen als Ausweis der Unzulänglichkeit des Menschen im Vergleich zum Göttlichen. Wesentliches Leitbild für das Göttliche und damit für jenes Höchste, woraufhin der Mensch sich ausrichtet, ist mithin nicht die Aktivität, sondern die Ruhe, die damit den schlechthin erstrebenswerten 84 Vgl. Jürgen Große, Philosophie der Langeweile, Stuttgart: Metzler, 2008, p. 16. 85 So in Kants Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (Hamburg: Meiner, 1980, vgl. pp. 152ff.). 86 Große, Philosophie der Langeweile, p. 16. 87 Als ein Beispiel unter unzähligen für eine ‚Ideologie des Tätigseins’ sei Claude Adrien Helvétius zitiert, der explizit konstatiert: „Der tätige Mensch ist der glückliche Mensch“, um dann zu veranschaulichen: „Ich nehme meinen Hobel in die Hand, - was empfinde ich da? Alle Freuden der Erwartung, die an die Bezahlung meiner Tischlerarbeit geknüpft sind“ (C. A. Helvétius, Vom Menschen, seinen geistigen Fähigkeiten und seiner Erziehung, hg. und übersetzt von Günther Mensching, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1972, p. 365). 40 Zustand bedeutet, weshalb Pascal pointiert in der berühmten Formel festhält: J’ai dit souvent que tout le malheur des hommes vient d’une seule chose, qui est de ne savoir pas demeurer en repos dans une chambre. 88 Je mehr der Mensch sich dem Göttlichen annähern würde, desto eher wäre er in der Lage, Ruhe zu ertragen. Aber der göttlichen Fülle steht die Leere im Menschen gegenüber, der sich nicht bewusst zu werden das Stürzen in Ablenkung (divertissement) dient. Es ist also aus dieser Perspektive wenig überraschend, dass Pascal letztlich in seinen Pensées alle Formen menschlicher Aktivität auf eine Stufe stellt und die berufliche Tätigkeit in diesem Sinne zu einem divertissement herabsetzt, so dass er in den affaires, anders als die Aufklärung, keinesfalls einen Wert an sich sieht: On […] accable [les hommes] d’affaires, de l’apprentissage des langues et d’exercices. Et on leur fait entendre qu’ils ne sauraient être heureux sans que leur santé, leur honneur, leur fortune et celles de leurs amis soient en bon état, et qu’une seule chose qui manque les rendra malheureux. Ainsi on leur donne des charges et des affaires qui les font tracasser dès la pointe du jour. Voilà, direz-vous, une étrange manière de les rendre heureux. Que pourrait-on faire de mieux pour les rendre malheureux? Comment, ce qu’on pourrait faire? Il ne faudrait que leur ôter tous ces soins, car alors ils se verraient, ils penseraient à ce qu’ils sont, d’où ils viennent, où ils vont. Et ainsi on ne peut trop les occuper et les détourner, et c’est pourquoi, après leur avoir tant préparé d’affaires, s’ils ont quelque temps de relâche, on leur conseille de l’employer à se divertir et jouer et s’occuper toujours tout entiers. 89 Diese Perspektive verkehrt sich nun in der säkularen Anthropologie der Aufklärung dahingehend, dass das Ideal der Ruhe ersetzt wird durch das neue Ideal der Bewegung. Der Mensch wird in der Aufklärung als strebend begriffen, ausgerichtet an der Idee eines steten Fortschreitens zum Besseren. Damit einher geht auch die Ausbildung einer neuen Zeitwahrnehmung, die mit diesem Fortschrittsgedanken kompatibel ist und die nunmehr den Rahmen menschlicher Sinngebung bildet. Christopher Schwarz fasst diese Tendenzen zusammen, indem er konstatiert, die „Psychologie der Aufklärung“ könne als „Bewegungslehre“ 90 begriffen werden. Wie sehr nun die Langeweile in diesen Kontext integriert werden muss, dies lässt sich anhand der Kantschen Überlegungen zu diesem Thema in seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht veranschaulichen, in der der Sinnhorizont durch die Bewegung beziehungsweise Tätigkeit determiniert ist. Seine 88 Blaise Pascal, Pensées, Paris: LGF Livre de Poche, 2000, p. 121, Fragment 168. 89 Pascal, Pensées, p. 128, Fragment 171. 90 Christopher Schwarz, Langeweile und Identität. Eine Studie zur Entstehung und Krise des romantischen Selbstgefühls, Heidelberg: Winter, 1993, p. 23. 41 Abhandlung der Langeweile hält sich deutlich diesseits einer möglichen metaphysischen Relevanz und beschränkt sich im Grunde darauf, auf Grundlage gewonnener anthropologischer Einsichten, pragmatisch Langeweilevermeidungsstrategien aufzuzeigen. Kant zufolge entsteht Langeweile durch ein Ins-Stocken-Geraten der für das menschliche Leben charakteristischen Pendelbewegung zwischen Schmerz und Vergnügen. Der dem Menschen eigene „Stachel der Tätigkeit“ hindere ihn an der Untätigkeit und führe ihn dazu, nach steter Verbesserung zu streben: Die Natur hat den Schmerz zum Stachel der Tätigkeit in [den Menschen] gelegt, dem er nicht entgehen kann, um immer zum Bessern fortzuschreiten, und auch im letzten Augenblicke des Lebens ist die Zufriedenheit mit dem letzten Abschnitte desselben nur komparativ (teils indem wir uns mit dem Lose anderer, teils auch mit uns selbst vergleichen) so zu nennen; nie aber ist sie rein und vollständig. 91 Mit dem Schmerz als erstem und Ausgangspunkt des Strebens nach Angenehmem kommt also eine Pendelbewegung in Gang, die den Menschen zum Fortschreiten führt, zur kontinuierlichen Verbesserung, wobei diese Pendelbewegung idealerweise intakt und das Fortschreiten zum Besseren in Gang bleibt. Bei demjenigen aber, bei dem dieses Alternieren von Schmerz und Befriedigung gestört sei, wen also keinerlei positiver Schmerz zur Tätigkeit anreizt, den wird allenfalls ein negativer, die Langeweile, als Leere an Empfindung, die der an den Wechsel derselben gewöhnte Mensch in sich wahrnimmt, indem er den Lebenstrieb doch womit auszufüllen bestrebt ist, oft dermaßen affizieren, daß er eher etwas zu seinem Schaden, als gar nichts zu tun sich angetrieben fühlt. 92 Bei Kant erscheint die Langeweile also nicht nur als eine unangenehme Empfindung, sondern durchaus als ein Übel, das den Menschen letztlich sogar grundlegend in seinem Selbsterhalt gefährden kann. Wenn auch 91 Kant, Anthropologie, pp. 259f. 92 Kant, Anthropologie, p. 157 (Hervorhebungen I.K.). Eine pessimistische Wendung gibt dieser Idee einer Pendelbewegung Arthur Schopenhauer, der die im Grunde dreipolige Kantische Konzeption (Schmerz, Befriedigung, Erholung) kurzschließt beziehungsweise zu einer neuen Bipolarität zusammenschmilzt, in der das Pendel nur noch zwischen zwei negativen Polen hin- und herschwingt, nämlich zwischen dem durch Mangel verursachten Schmerz und der durch die Beseitigung des Schmerzes aufkommenden Langeweile: „Die Basis alles Wollens aber ist Bedürftigkeit, Mangel, also Schmerz, dem [der Wille] folglich schon ursprünglich und durch sein Wesen anheimfällt. Fehlt es ihm hingegen an Objekten des Wollens, indem die zu leichte Befriedigung sie ihm sogleich wieder wegnimmt; so befällt ihn furchtbare Leere und Langeweile: d.h. sein Wesen und sein Daseyn selbst wird ihm zur unerträglichen Last. Sein Leben schwingt also, gleich einem Pendel, hin und her, zwischen dem Schmerz und der Langeweile, welche beide in der That dessen letzte Bestandtheile sind“ (Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, München: DTV, 1998, pp. 406f.). 42 hierin keine metaphysische Dimension erkennbar wird, so ist Langeweile dennoch eindeutig als ein ernst zu nehmendes Phänomen zu betrachten, das es nötig macht, Wege zu seiner Vermeidung und Bekämpfung aufzuzeigen. Folgerichtig gibt Kant, auf Grundlage seiner zuvor erarbeiteten Überlegung über den dem Menschen eigenen Stachel der Tätigkeit zur Bekämpfung von Langeweile, den ultimativen Ratschlag, mit „planmäßig fortschreitende[n] Beschäftigungen, die einen großen beabsichtigten Zweck haben“ zu dem „einzige[n] sichere[n] Mittel“ zu greifen, „seines Lebens froh und dabei doch auch lebenssatt zu werden“ 93 . Insofern also für Kant das stete Pendeln zwischen Schmerz und Befriedigung als anthropologischer Grundzug zu betrachten ist und er Langeweile und Nichtstun assoziiert, muss für ihn das Verhindern von Langeweile als erstrebenswert erscheinen und zwar nicht nur aus dem ganz schlichten Grunde, dass es sich hier um eine unangenehme Empfindung handelt, die es zu meiden gilt, sondern ganz besonders auch insofern die Langeweile das stete Fortschreiten zum Besseren untergräbt. Im Sinne der Vermeidung unangenehmer Empfindungen äußert Kant sich im Übrigen sogar durchaus wohlwollend über divertierenden Zeitvertreib wie das Kartenspiel 94 . Mir scheint genau hier, im Zusammenhang mit der Frage des Zeitvertreibs, noch einmal eindrücklich der Unterschied zu Pascal zu Tage zu treten. Denn interessanterweise treffen sich Pascals Reflexionen über Sinn und Zweck von Vergnügen und Arbeit zunächst einmal mit denen Kants: Arbeit und Vergnügen sind demzufolge in gleicher Weise geeignet, Langeweile von sich fern zu halten. Der wesentliche Unterschied in den Diagnosen beider besteht zunächst nur darin, dass Pascal les affaires, also die Arbeit, qualitativ im Grunde nicht vom divertissement unterscheidet, während auf der anderen Seite Kant den Vergnügungen ihren Platz zugesteht im Vermeiden einer Unterbrechung der Pendelbewegung zwischen Schmerz und Befriedigung, dabei aber doch zugleich deutlich macht, dass letztlich ein sinnvolles Leben nur ein solches sein kann, das mit Arbeit angefüllt ist. Dabei ist dann wiederum die Arbeit idealerweise so strukturiert, dass in ihr ein planmäßiges, stetes Forschreiten zu finden ist, dass sich, anders gesagt, kleine, alltägliche Arbeitsschritte letztlich über die Dauer auf ein großes, 93 Kant, Anthropologie, p. 159. Jürgen Große betont, dass besonders der philosophische Zugriff der Aufklärung oft eine physiologisch-pädagogische Ausrichtung hatte (vgl. ders., Philosophie der Langeweile, p. 57). Eine solche kommt durchaus auch in Kants Anthropologie zum Ausdruck. 94 Selbstverständlich gilt dies aber nur für das Kartenspiel als verdiente Ruhepause „nach einer langen Anstrengung der Gedanken“ (Kant, Anthropologie, pp. 155f.). Auch diesen Gedanken nimmt Schopenhauer als Vorlage, um ihm eine negative Wendung zu geben, indem er erklärt: „[G]anz besonders aber zeigt jenes Bedürfniß der Willensanregung sich an der Erfindung und Erhaltung des Kartenspieles, welches recht eigentlich der Ausdruck der kläglichen Seite der Menschheit ist“ (Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, p. 410). 43 weiter in der Zukunft liegendes Ziel zubewegen 95 . Dem würde Pascal mit Sicherheit nicht widersprechen, denn Kant gibt zur Vermeidung von Langeweile ebendas zum Ratschlag, was Pascal aus anderer Perspektive und mit anderem Erkenntnisinteresse als charakteristisch für das Verhalten der Menschen expliziert. Allein, diese Beobachtungen dienen ihm lediglich als Präliminarien, die es ihm erlauben, die Langeweileproblematik in einen metaphysischen Kontext zu stellen und eben gerade nicht in den einer Pragmatik, womit nicht eigentlich die pragmatische Effizienz von divertissement und Arbeit in Frage steht, sondern Pascal geht es letztlich um etwas Anderes, nämlich darum, ob es sinnvoll ist, sich dieserart der Langeweile zu entledigen oder ob hierdurch nicht der Blick verstellt wird auf eine tiefere Einsicht. Wie sehr sich mithin die pragmatische Deutung der Langeweile Kants von der Pascalschen Konzeption unterscheidet, das wird erst unter Hinzuziehung dieser Metaebene deutlich. Dabei ließe sich fragen, ob in Kants Insistieren auf den verheerenden Folgen von Langeweile („Die Engländer erhängen sich, um sich die Zeit zu passieren“; „Die in sich wahrgenommene Leere an Empfindungen erregt ein Grauen (horror vacui) und gleichsam das Vorgefühl eines langsamen Todes“ 96 ) nicht zumindest implizit ebenfalls ein Zusammenhang zwischen Langeweile und Sinnproblematik erkennbar wird, auch wenn seine Lösung dann in die exakte Gegenrichtung von den Intentionen Pascals läuft 97 . Während bei Pascal durch die Erfahrung der Leere der Langeweile hindurch die Einsicht in die Sinndefizienz einer immanenten Existenz aufscheint - das heißt dass der Mensch durch die Langeweileerfahrung zu der Erkenntnis gelangen kann, 95 In Kants Überlegungen schwingt selbstverständlich zumindest untergründig die aufklärerische Betrachtungsweise mit, Langeweile sei als Folge untätigen Müßiggangs letztlich das Charakteristikum einer bestimmten, privilegierten Gesellschaftsschicht. Vgl. hierzu seine Kritik am „geschäftigen Müßiggange“: „Unsere Lesewelt von verfeinertem Geschmack wird durch ephemerische Schriften immer im Appetit, selbst im Heißhunger zur Leserei (eine Art von Nichtstun) erhalten, nicht um sich zu kultivieren, sondern zu genießen; so dass die Köpfe dabei immer leer bleiben und keine Übersättigung zu besorgen ist; indem sie ihrem geschäftigen Müßiggange den Anstrich einer Arbeit geben und sich in demselben einen würdigen Zeitaufwand vorspiegeln, der doch um nichts besser ist als jener, welchen das Journal des Luxus und der Moden dem Publikum anbietet“ (Kant, Anthropologie, p. 157, Hervorhebung I.K.). In ähnliche Richtung geht sein Warnung vor der größeren Langeweileanfälligkeit der Wohlhabenden: „Dieser Druck oder Antrieb, jeden Zeitpunkt, darin wir sind, zu verlassen und in den folgenden überzugehen, ist akzelerierend und kann bis zur Entschließung wachsen, seinem Leben ein Ende zu machen, weil der üppige Mensch den Genuß aller Art versucht hat, und keiner für ihn mehr neu ist“ (ebd., p. 157f.). 96 Kant, Anthropologie, p. 158. 97 Bezeichnenderweise spricht Kant auch im Kontext seiner Reflexionen zur Langeweile davon, „dass das Leben in sich „gar keinen eigenen Wert habe und nur, was den Gebrauch desselben angelangt, zu welchen Zwecken es gerichtet ist, einen Wert habe […]“ (Kant, Anthropologie, p. 166). Das deutet im Grunde an, dass der Zustand der Langeweile genau dies zu Bewusstsein bringen könnte. 44 dass diesseits Gottes kein tragfähiger Sinn zu finden ist -, sieht wohl auch Kant die sinnunterminierende Wirkung der Langeweile. Jedoch geht sein Plädoyer dahin, Langeweileerfahrungen genau aus diesem Grunde zu vermeiden. Dadurch aber wird nun Langeweile ein hochgradig ambivalentes Problem. Denn wenn das tätige Leben zum Ideal erhoben wird, kann die Langeweile zunächst einmal als Konsequenz des Müßiggangs abgetan werden, die von alleine verschwindet, wenn der Mensch seinem eigensten Wesen gerecht wird, das eben darin besteht, tätig zu sein und beständig nach dem Besseren zu streben. Andererseits funktioniert dies aber auch nicht so ganz, insofern sich ja auch fragen ließe, ob die Langeweile nicht Indiz eines Sinndefizits ist, das auf etwas verweisen würde, das jenseits des menschlichen Tätigseins liegt. In diesem Falle liefe die Aufforderung zur Langeweilevermeidung Gefahr, durch das Abwenden von der an dieser Stelle aufbrechenden Sinnproblematik möglicherweise eine tiefere Erkenntnis zu verhindern und zwar genau dann, wenn, wie Pascal dies nahe legt, die Langeweile uns in der Tat einen tieferen Einblick in unser eigenes Wesen geben könnte. Durch die anthropologische Festschreibung der menschlichen Natur als ‚strebend’ erhält die Langeweile eine existenzgefährdende Komponente und Arbeit wird zu einer therapeutischen Maßnahme und Garantin des seelischen Gleichgewichts. Damit wird die Arbeit dann aber zum Selbstzweck, so dass mit Jürgen Große gefragt werden könnte, ob sich dahinter nicht lediglich das Sinnangebot eines „Fiktionalismus des ‚Als Ob’“ 98 verbirgt. In gewissem Sinne entgeht Kant durch die Konzeptualisierung der Langeweile im Rahmen seiner Anthropologie zwar der Notwendigkeit, nach der Möglichkeit einer metaphysischen Operationalisierbarkeit zu fragen 99 , jedoch öffnet sich trotz allem gleichsam einen Spaltbreit die Türe hin zu jener Frage, die schließlich Heidegger in den Grundbegriffen explizit und systematisch stellen wird, ob nämlich die Langeweile in einem metaphysischen Sinne uns etwas zu sagen hat beziehungsweise uns etwas „zu fragen gibt“ 100 . Dieser Spalt bleibt selbstverständlich bereits zu Zeiten Kants keinesfalls unentdeckt und gegen die in den Philosophien der Aufklärung zum Aus- 98 Große, Philosophie der Langeweile, p. 68. 99 Von den protestantisch-aufklärerischen Philosophien des 18. und frühen 19. Jahrhunderts führt im Übrigen eine Linie bis hin zur zeitgenössischen Philosophie, wo etwa der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt Langeweile lediglich als Ausdruck von Willensschwäche präsentiert und somit dahin gelangen kann, über den Willen einer Wertverlusterfahrung zu entgehen (vgl. Harry G. Frankfurt, Gründe der Liebe, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005, pp. 57ff.). Instruktiv ist hier auch die von Große vorgenommene Opposition dieses „Philosophen des guten Lebens“ (Große, Philosophie der Langeweile, p. 141; Hervorhebung J.G.) und der Lehre Schopenhauers, die in der Bejahung des Willens gerade den Grund für Langeweileerfahrung erblickt (vgl. ebd.). 100 Heidegger, Grundbegriffe, p. 248. 45 druck kommende Arbeits-, Leistungs- und Forschrittsethik bringt sich auch vor Heidegger schon ein Denken in Stellung, das auf die bürgerliche Arbeits- und Tätigkeitsideologie überaus skeptisch reagiert. Seine Positionen verdankt es dabei oft nicht zuletzt relativ direkt der Opposition gegen eine solche. Auch hier steht wieder die Frühromantik an vorderster Front, wo Schlegel und Novalis bewusst provokant und bewusst paradox von der „Begeisterung der Langeweile“ 101 sprechen und diese gegenüber dem Langeweileverständnis der Aufklärung umkonnotieren, ja die Langeweile sogar zur „erste[n] Regung der Philosophie“ 102 aufwerten. Auf die Spitze getrieben ist die frühromantische Herausforderung der bürgerlichen Weltanschauung in einer Passage aus Friedrich Schlegels Romanfragment und ‚Skandalwerk’ Lucinde, wo Schlegel mit maliziösem Vergnügen die Wertordnung der Bürgerwelt auf den Kopf stellt. So heißt es in diesem Abschnitt, der bezeichnenderweise Idylle über den Müßiggang betitelt ist: Mit dem äußersten Unwillen dachte ich nun an die schlechten Menschen, welche den Schlaf vom Leben subtrahieren wollen. Sie haben wahrscheinlich nie geschlafen, und auch nie gelebt. Warum sind denn die Götter Götter, als weil sie mit Bewußtsein und Absicht nichts tun, weil sie das verstehen und Meister darin sind? Und wie streben die Dichter, die Weisen und die Heiligen auch darin den Göttern ähnlich zu werden! Wie wetteifern sie im Lobe der Einsamkeit, der Muße, und einer liberalen Sorglosigkeit und Untätigkeit! Und mit großem Recht: denn alles Gute und Schöne ist schon da und erhält sich durch seine eigne Kraft. Was soll also das unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt? Kann dieser Sturm und Drang der unendlichen Pflanze der Menschheit, die im Stillen von selbst wächst und sich bildet, nährenden Saft oder schöne Gestaltung geben? Nichts ist es, dieses leere unruhige Treiben, als eine nordische Unart und wirkt auch nichts als Langeweile, fremde und eigne. Und womit beginnt und endigt es als mit der Antipathie gegen die Welt, die jetzt so gemein ist? Der unerfahrne Eigendünkel ahndet gar nicht, daß dies nur Mangel an Sinn und Verstand sei und hält es für hohen Unmut über die allgemeine Häßlichkeit der Welt und des Lebens, von denen er doch noch nicht einmal das leiseste Vorgefühl hat. Er kann es nicht haben, denn der Fleiß und der Nutzen sind die Todesengel mit dem feurigen Schwert, welche dem Menschen die Rückkehr ins Paradies verwehren. 103 Es ist unschwer zu erkennen, dass Schlegel sich hier förmlich Punkt für Punkt an den oben herausgearbeiteten Elementen bürgerlich-aufklä- 101 F. Schlegel, ‚Philosophische Lehrjahre (1796-1806 nebst philosophischen Manuskripten aus den Jahren 1796-1828), in Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. XVIII, Paderborn: Schöningh, 1963, p. 87, Fragment 689. 102 KA XVIII, p. 87, Fragment 689: „Die Begeisterung d[er] Langeweile ist d[ie] erste Regung der Philosophie“. Vgl. auch Novalis, Schriften, p. 628, Fragment 49. 103 Friedrich Schlegel, ‚Idylle über den Müßiggang’, ‚Dichtungen’, in Kritische Friedrich- Schlegel-Ausgabe, Bd. V, Paderborn: Schöningh, 1962, pp. 26f. 46 rerischer Philosophie und Ideologie abarbeitet, die unter dieser gewendeten Perspektive als reduktionistisch und borniert erscheinen. Zum Auftakt stellt er der bürgerlichen Wertschätzung des Strebens, des steten Aktivseins die Wohltaten des Schlafens und des Lebens gegenüber. Leben fühlt man hiernach also gerade nicht, wie bei Kant, dadurch, dass die Zeit gut gefüllt ist 104 , sondern indem man dem Göttlichen ähnlich wird, was Schlegel hier genau wie Pascal als einen Zustand der Ruhe beschreibt. Den Fortschrittsoptimismus der Aufklärung beschreibt Schlegel als ein unbedingtes Streben und Fortschreiten ohne Stillstand, das sich wiederum in Widerspruch dazu stellt, dass alles Gute und Schöne schon da ist und zwar wohlgemerkt „aus eigner Kraft“. Mit diesem kleinen Zusatz entlarvt er den Fortschrittsglauben nicht nur als ziellos, sondern er unterstellt implizit, er sei sogar kontraproduktiv, denn wenn das Schöne und Gute bereits da ist, dann kann der menschliche Eingriff im Grunde nur bedeuten, dass dem Guten und Schönen nicht entgegengearbeitet, sondern dieses ganz im Gegenteil im Arbeiten zerstört wird. Auch zum Phänomen der Langeweile äußert sich Schlegel in diesem Abschnitt und auch hier wieder dreht er den Spieß um. Das „unruhige Treiben“ der geschäftigen Bürgerwelt sei gerade Verursacher von Langeweile. Mit anderen Worte, Langeweile wird jetzt in die Arbeit selbst geholt: als sinn- und zweckloses blindes Vorwärtsdrängen könne Arbeit Langeweile gerade nicht beseitigen, sondern generiere sie vielmehr. An dieser Stelle nun scheint ein interessantes Moment auf. Hatte Schlegel noch wie Pascal betont, dass das Glück des Menschen im Grunde in der Ruhe liegen muss, da diese uns gottähnlicher mache, so weicht die Betonung der Tatsache, dass Arbeit Langeweile erzeugt, von Pascals Diagnose von der Arbeit als divertissement ab. Hierin scheint sich jener Wandel zu spiegeln, wie er 104 Diese Argumentation Kants ist ohnehin nicht unproblematisch, da die Frage zu stellen wäre, ob wir nicht unser Leben weit bewusster spüren, wenn wir es nicht spüren, also wenn wir uns langweilen. Man könnte beispielsweise Schopenhauer als Gewährsmann heranziehen, der auch hier wieder ein Kantisches Postulat umkehrt. So schreibt Kant: „Sein Leben fühlen, sich vergnügen, ist also nichts anderes als: sich kontinuierlich getrieben fühlen, aus dem gegenwärtigen Zustande herauszugehen (der also ein eben so oft wiederkommender Schmerz sein muß)“ (Kant, Anthropologie, p. 157). Schopenhauer nun sagt, dass es genau umgekehrt so sei, dass es uns dann am besten geht, wenn wir unser Leben gerade nicht fühlen: „Was alle Lebenden beschäftigt und in Bewegung hält, ist das Streben nach Daseyn. Mit dem Daseyn aber, wenn es ihnen gesichert ist, wissen sie nichts anzufangen: daher ist das Zweite, was sie in Bewegung setzt, das Streben, die Last des Daseyns los zu werden, es unfühlbar zu machen, ‚die Zeit zu tödten’, d.h. der Langeweile zu entgehen. Demgemäß sehen wir, daß fast alle vor Noth und Sorgen geborgenen Menschen, nachdem sie nun endlich alle anderen Lasten abgewälzt haben, jetzt sich selbst zur Last sind und nun jede durchgebrachte Stunde für Gewinn achten, also jeden Abzug von eben jenem Leben, zu dessen möglichst langer Erhaltung sie bis dahin alle Kräfte aufboten“ (Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, p. 408). 47 mit der Herausbildung der Moderne zu beobachten ist, und zwar genau die Entwicklung hin zur Arbeit als Selbstzweck, dessen mangelnde Tragfähigkeit der Schlegelsche Perspektivwechsel radikal enthüllt. Konnte Pascal Arbeit noch als divertissement begreifen, als ein Mittel der Abkehr von sich selbst, so gelingt das pardoxerweise scheinbar genau dann nicht mehr, wenn Arbeit ‚ideologisch’ aufgeladen und zu einem Selbstzweck gemacht wird. Erst als Selbstzweck kann sie ihre Leere enthüllen. Als Pointe endet Schlegel damit, dass letztlich Fleiß und Nutzen, also die Motoren des Fortschritts, die Menschen eben gerade nicht auf ein neues Paradies sich zubewegen lassen, sondern genau umgekehrt sich die Menschen durch eine derartige Ideologie den Weg zurück ins Paradies selbst verstellen. Mit letzterer Bemerkung stellt Schlegel dann auch noch die vorwärtsgerichtete Zeitökonomie bloß und konstatiert ironisch und durchaus folgenreich, dass das Paradies nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit liege, womit konsequenterweise in einer sich beschleunigenden Zeit wir uns immer weiter davon entfernen. Damit stehen sich mit der Fortschrittsorientierung und deren Kritik zwei Denkweisen antithetisch gegenüber, die zwar inkompatibel sind, aber dennoch dialektisch aufeinander verwiesen. Auf der einen Seite eine rationale und pragmatische, die in der Langeweile ein philosophisch sekundäres Problem erblickt, beziehungsweise ein Problem, dem, wie bei Kant, im Rahmen einer Anthropologie pragmatisch beizukommen ist und eine andere, in der die Konzeptualisierung der Langeweile weiter reichende Implikationen nach sich zieht. Dabei ist selbstverständlich auffallend, dass sich die romantische Reflexion zunächst einmal als eine Antwort, als eine Reaktion auf die prädominanten zeitgenössischen Denkströmungen zu erkennen gibt. Allerdings konstatiert Dieter Thomä zutreffender Weise, dass, „in der positiven wie in der negativen Reaktion […] jene Einflüsse präskriptive Kraft [behalten]“ denen man ausgesetzt war und „auch die Ablehnung sich bekanntlich vom Verneinten dessen Inhalt vorgeben lassen [muss]“ 105 , und es würde sich mithin die Frage stellen, ob und wie aus dieser Gegenposition heraus Neues erwächst, das sich in Bezug auf die Langeweileproblematik auch über diesen Status als Antithese hinaus, beziehungsweise unabhängig von diesem, als tragfähig erweist. Auffällig ist in jedem Falle, dass der Langeweile zunächst einmal in der Reaktion auf die aufklärerisch-rationalistische Philosophie philosophische Relevanz zuerkannt wird. Dies wird erkennbar zum einen in der paradoxen Rede von der Begeisterung der Langeweile - und zwar insofern sich in der Begeisterung die Perspektive eröffnet, dass aus der Langeweile heraus Möglichkeiten zu erwachsen scheinen. Zum anderen kommt in der ironi- 105 Dieter Thomä, ‚Die frühesten Texte. Kampf gegen die ‚Diesseitsauffassung’ des Lebens’, in ders. (Hg.), Heidegger-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, Stuttgart: Metzler, 2003, pp. 1-4, hier p. 3). 48 schen Umkehrung der Langeweiledeutung der Aufklärungsphilosophie implizit die Tatsache eines auf Transzendenz angewiesenen Sinnbedürfnisses zum Ausdruck und zwar in der Folge des Aufweises der Sinndefizienz eines Denkens, das Arbeit und Fortschritt als Selbstwert setzt 106 . Insofern das aufklärerische, auf Arbeit und Progress ausgerichtete Denken in der romantischen Reinterpretation der Bedeutung der Langeweile auf seine Unzulänglichkeiten hin hinterfragt wird, wird zunächst auf die Notwendigkeit einer Reflexion auf die Möglichkeiten von Sinnkonstruktion verwiesen, wenn damit auch der Status der Langeweile nur angedeutet ist und weiterer Klärung bedarf. Ersichtlich wird aber bereits hier, dass Langeweile, dieserart begriffen, über den Horizont einer Philosophie der Gefühle hinausweist in Richtung auf das, was man mit Heidegger als eine existenzielle Gestimmtheit bezeichnen kann 107 . Wenn sich hier in der Langeweile als Sinndefizienzindikator bereits eine metaphysische Relevanz andeutet, die ein weiteres Nachfragen viel versprechend erscheinen lässt, so spitzt sich im Aufeinandertreffen zweier Erklärungskontexte die Bedeutung der Langeweile in noch stärkerem Maße zu und es kristallisiert sich so eine ganz besondere Form der Langeweile als moderne Langeweile in metaphysisch-existentiell operationalisierbarer Weise heraus. Denn es deutet sich an, dass sich beispielsweise bei Friedrich Schlegel und - wie im Anschluss zu zeigen sein wird 108 - bei Kierkegaard die Herleitung aus der philosophisch-theologischen Tradition im Sinne Blaise Pascals, in der Langeweile als Erfahrung der Leere und Nichtigkeit auf das Defizitäre der menschlichen Existenz verwies, zu treffen scheint mit jener Perspektive, die wesentlich die zeitliche Induziertheit von Langeweile in Anschlag bringt, wie dies bei Kant - und ironisch verkehrt wiederum bei Schlegel - der Fall war. Dies lenkt den Blick auf den Zusammenhang zwischen einer bestimmten - modernen - Zeitkonzeption und Langeweile, womit sich die begriffsgeschichtliche Entwicklung des Langeweilebegriffes in der Tat zu treffen scheint mit einer Modifizierung des Langeweileverständnisses. Langeweile ist mithin in ihrer modernen Ausprägung weder ‚nur’ Leere noch verweist sie ‚nur’ temporal auf motivationslos verstreichende Zeit, sondern Zeitlichkeits- und Leerheitserfahrung treffen aufeinander und verstärken und vertiefen sich wechselseitig und werfen so mit gesteigerter Dringlichkeit die Heideggersche Frage auf, ob uns die Langeweile etwas zu sagen hat und zwar namentlich auch in Be- 106 Dabei ist an dieser Stelle ausdrücklich diesbezüglich von einem Sinnbedürfnis die Rede - womit noch nichts über Sinnmöglichkeit beziehungsweise die Erkenntnismöglichkeit dessen präjudiziert ist, was für einen solchen transzendenten Sinn bürgen könnte. 107 Heidegger expliziert in den Grundbegriffen die Langeweile als eine „Grundstimmung“ (ebd., p. 89), und zwar, wie im zweiten Teil der Arbeit noch zu zeigen sein wird, als eine Grundstimmung der Moderne (vgl. pp. 59ff. dieser Arbeit). 108 Vgl. hierzu pp. 88ff. dieser Arbeit. 49 zug auf einen transzendenten Sinnbegründungsbedarf 109 . In diesem Sinne bestätigt sich in der Tat eine Bedeutungsverschiebung - oder vielleicht besser eine Bedeutungserweiterung - der Langeweile seit dem späten 18. Jahrhundert, die über die Bedeutungshorizonte älterer der Langeweile verwandter Begriffe hinausweist. Die Verbindung des Aspektes der Leere, wie er bei Pascal dominierend ist, mit dem der Zeitlichkeit, der durch ein immanentes Fortschrittsdenken an Relevanz gewinnt, finden in der Langeweile ihr Negativ, das letztlich auf die Frage der Selbstsetzungsfähigkeit des Menschen diesseits eines ihn begründenden Prinzips verweist. Genau dies bringt Gerhard Jacobi zum Ausdruck, wenn er davon spricht, dass ohne Gott die Welt „immanent-unendlich und damit die Zeit endlos“ werde und genau hier sei darum die „Einbruchstelle der Langeweile“ 110 zu verorten, wie sie für die Moderne charakteristisch sei. Dass es interessant zu sein verspricht, hier weiter zu fragen, darauf deutet sicherlich nicht zuletzt die immense Bedeutung, die der Langeweile im 19. Jahrhundert zuwächst und zwar nicht primär im Sinne eines anlassbezogenen Phänomens, sondern durchaus im Sinne einer metaphysischen Langeweile, deren Ursprünge und Konsequenzen bedenkenswert sind. Als Ausdruck einer metaphysischen Insuffizienz der Welt erlangt sie eine Ubiquität, die ihr im französischen Sprachraum gar den Begriff der „Jahrhundertkrankheit“ (Mal du siècle) zuwachsen lässt. Diese Krankheit befällt freilich nicht nur Frankreich, sondern erweist sich als ein europäisches Phänomen, wie die in diesem Bereich einschlägigen Forschungsarbeiten recht einhellig und überzeugend nachgewiesen haben 111 . Die Anzahl der 109 Große spricht in Bezug auf die Inhaltsdimension explizit und treffend von „Sinnentzug“ im Erleiden der Langeweile (vgl. ders., ‚Ennui und Entschluss. Zur Genealogie neuzeitlicher Langeweiledeutung’, in Sinn und Form: Beiträge zur Literatur, Vol. 58, 2006, pp. 18-31, hier p. 18). 110 Gerhard Jacobi, Langeweile, Muße und Humor und ihre pastoral-theologische Bedeutung, Berlin: Lettner, 1952, p. 19. Vgl. auch Carl Friedrich von Weizsäcker, der die Frage stellt, ob denen, „die die Bewegung der Neuzeit durchlaufen haben, nicht mehr übrig [bleibt], als daß neben die beiden alten Aspekte der Welt: das Leid und die Schuld, als dritter die Sinnlosigkeit getreten ist? “, um dem freilich die Hoffnung hinzuzufügen, dass dem nicht so sei: „Ich glaube das nicht. Ich glaube allerdings, daß wir als erste den Abgrund sehen, das Vacuum ertragen müssen“ (ders., Zum Weltbild der Physik, Stuttgart: Hirzel, 1963, p. 161). Der sich auftuende Abgrund bleibt also auch für Weizsäcker unhintergehbar. 111 Vgl. zur Langeweile in der europäischen Literatur Reinhard C. Kuhn, The Demon of Noontide. Ennui in Western Literature, Princeton: Princeton University Press, 1976. Zur Langeweile in der deutschsprachigen Literatur vgl. Christopher Schwarz, Langeweile und Identität; zur Langeweile in der französischen Literatur Frantz Antoine Leconte, La Tradition de l’Ennui Splénétique en France de Christine de Pisan à Baudelaire, New York: Peter Lang, 1995; Valentin Mandelkow, Der Prozeß um den ‚ennui’ in der französischen Literatur und Literaturkritik, Würzburg: Königshausen und Neumann, 1999. Die Bedeutung dieses Phänomens seit dem späten 18. Jahrhundert über die Literatur hinaus im Bereich der zeitgenössischen Medizin und Psychologie zeigt Martina Kessel, 50 Schriftsteller, in deren Werk diese Jahrhundertkrankheit ihre Spuren hinterlassen hat, ist beeindruckend. Zu denken wäre an Rousseau, Senancour, Chateaubriand, Flaubert, Baudelaire in Frankreich, Goethe, Büchner, Brentano, Schlegel, Novalis, Tieck in Deutschland und selbstverständlich in Italien an Giacomo Leopardi - und diese Aufzählung ließe sich fast beliebig erweitern 112 . Die Verbreitung der Langeweile und ihre beachtliche Dokumentiertheit in der Literatur führen dann wiederum zu der bemerkenswerten Feststellung, dass es hier ein gewisses Ungleichgewicht zu geben scheint im Verhältnis zur Philosophie, in der die Thematik insgesamt weit weniger zentral ist. Bei Kant etwa wird sie zwar, wie gesehen, thematisiert, steht als Themenbereich aber sicherlich hinter anderen, für ihn zentraleren Fragen zurück 113 . So betont Große, dass Kant in einem metaphysischen Sinne mit Langeweile. Zum Umgang mit Zeit und Gefühlen in Deutschland vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein, 2001; vgl. auch Wilhelm J. Revers, Die Psychologie der Langeweile, Meisenheim am Glan: Hain, 1949. 112 Sie ließe sich aber nicht nur erweitern, sondern auch - zeitlich - verlängern. Denn auch im 20. Jahrhundert scheint Langeweile weiterhin allgegenwärtig zu sein. In Kunst und Kultur, aber auch in der Wissenschaft setzt man sich weiterhin mit dem Phänomen auseinander. Svendsen erwähnt in diesem Zusammenhang Bret Easton Ellis’ American Psycho (Svendsen, Petite Philosophie de l’ennui, pp. 95ff.), in der Kunst Andy Warhol (ebd., pp. 142ff.) und natürlich den Autoren und Dramatiker Beckett (ebd. pp. 133ff.), zu denken wäre aber auch an den zeitgenössischen belgischen Schriftsteller Jean-Philippe Toussaint (vgl. ders., La salle de bains, Paris: Les Editions de Minuit, 1985). Zu Kunst, Medien und Langeweile vgl. auch Franziska Heller et al., ‚Medien und die Erfahrung der Leere. Paradoxien der Langeweile’, in Franziska Heller et al. (Hg.), Paradoxien der Langeweile, Marburg: Schüren, 2008, pp. 5-10; Serjoscha Wiemer und Anke Zechner, ‚Im Nirgendwo und ohne Ziel lange zu verweilen. Temponauten des grauen Glücks. Überlegungen zu Langeweile und Kino ausgehend von Walter Benjamin und Siegfried Kracauer’, in Paradoxien der Langeweile, pp. 11-26; Florian Mundhenke, ‚Langeweile als ästhetisches Prinzip künstlerischer Reflexion im 20. Jahrhundert’, in Paradoxien der Langeweile, pp. 79-91; Hans-Friedrich Bormann, ‚Hülle der Zeit. Räume der Langeweile bei Benjamin, Fried, Warhol’, in Paradoxien der Langeweile, pp. 92-102. Auch in den Einzelwissenschaften wie besonders in der Soziologie interessiert man sich immer noch für diese Frage. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die bereits zitierte Arbeit von Zijderveld, The Abstract Society, aber auch die Studie von Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt am Main: Campus, 1992 (Neuauflage 2005); Gerhard Visser, Erlebnisdruck. Philosophie und Kunst im Bereich eines Übergangs und Untergangs, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005; Horst W. Opaschowski, Xtrem: der kalkulierte Wahnsinn: Extremsport als Zeitphänomen, Hamburg: Germa Press, 2000; Maria T. Kern, Langeweile: Modell eines psychologisch-anthropologischen Phänomens, Egg: Thesis Verlag, 2008. Es wäre auch durchaus zu fragen, ob die Ausrichtung einer ganzen Kultur am Entertainment nicht im dialektischen Umkehrschluss umso stärker auf eine dieser Kultur zugrunde liegende Langeweile verweist. 113 So konzentrieren sich die Überlegungen zur Langeweile auf gerade einmal vier Seiten und befinden sich zudem in einem Werk, das zumindest von der Forschung nicht als zentral angesehen wird, was sich daran ablesen lässt, dass die Anthropologie 51 Langeweile nicht recht etwas anzufangen wisse, sondern es sich für Kant um eine eher ‚abseitige’ Thematik handle: „Bei einem Denker wie Kant wird diese Abseitigkeit des Themas musterhaft deutlich: Langeweile figuriert gerade in dem Teil des Gesamtwerks, auf den sich die transzendentalphilosophische Herangehensweise nicht erstreckt.“ 114 Generell kann man sagen, dass Kant hier durchaus paradigmatisch ist für die Philosophie der Aufklärung, die Langeweile und Untätigkeit aneinander bindet und mithin dem Thema keine metaphysische Bedeutung zuschreibt. Darüber hinaus kommt Jürgen Große in seiner Philosophie der Langeweile zu der überaus interessanten Einsicht, dass es letztlich selten „die prominenten Metaphysiker“ seien, „die [über Langeweile] nachdenken“ 115 . Ganz im Gegenteil sei es vielmehr so, dass „[d]ie meisten Beiträge [zur Langeweile] von Außenseitern desjenigen Kanons“ stammten, „der als akademisch beziehungsweise schulphilosophisch gilt“ 116 . Langeweile erscheint also eher als eine Thematik für Außenseiter des ‚Philosophiebetriebes’, wobei besonders auffällt, dass die betreffenden Denker sich häufig gerade explizit von der institutionalisierten Philosophie abgrenzen. So betont Große: Alle Denker, die explizit die Langeweile bedacht haben, fallen durch ihre aggressive Polemik gegen die professionelle Philosophie auf. Ob F. Schlegel, Kierkegaard, Schopenhauer, Nietzsche, Mainländer, Cioran - sie alle erblicken in der Berufsphilosophie eine unausdrückliche, ihrer selbst nicht gewärtige Langeweile, die gerade wegen ihrer existentiellen Unreflektiertheit schwer zu ertragen sei. 117 Diese bei Große eher beiläufig gemachte Beobachtung zum Außenseitercharakter der Langeweile im philosophischen Fragen beziehungsweise zum Außenseitercharakter derjenigen Denker, die sich ihrer als metaphysisch relevant annehmen, bestätigt sich, wenn man die Sekundärliteratur als Indikator hinzuzieht: Untersuchungen zum Phänomen der Langeweile scheinen zum einen in der philosophischen Forschung seltener zu sein als in den Literaturwissenschaften und zum anderen ist auffallend, dass sich die wenigen existierenden Arbeiten auf philosophischer Seite nur auf wenige diesbezüglich ergiebige Quellen scheinen stützen zu können. In der Regel stößt man daher überwiegend immer wieder auf die gleichen ‚üblichen Verdächtigen’, nämlich im Wesentlichen auf Blaise Pascal, den bereits zitierten Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer, Sören Kierkegaard und im Vergleich zu den anderen Schriften Kants in der Rezeption nur eine Nebenrolle gespielt hat (vgl. Benjamin Jörissen, ‚Anthropologische Hinsichten, pragmatische Absichten’, in Paragrana 11, 2002, 2, pp. 153-176, hier p. 153). 114 Große, Philosophie der Langeweile, p. 19. 115 Große, Philosophie der Langeweile, p. 19. 116 Große, Philosophie der Langeweile, p. 19. 117 Große, Philosophie der Langeweile, p. 180. 52 Martin Heidegger 118 . Was das von Große beobachtete Übergewicht nichtinstitutioneller Philosophen als Analytiker der Langeweile angeht, so macht er hierfür im Wesentlichen die Strukturanalogie zwischen dem akademischen Philosophiebetriebes und der modernen Lebens- und Arbeitswelt („Geistesarbeiter“ 119 ) haftbar. Die Ausblendung der Frage der Langeweile wird somit aus den Strukturen eines wissenschaftlichen Lehrbetriebes hergeleitet, eine Erklärung die sicher nicht unplausibel ist. Jedoch scheint sich mir in diesem Zusammenhang noch eine weitere Frage aufzudrängen. Denn wenn auffällt, dass die Langeweileproblematik in der Philosophie ein randständiges Thema ist und dies wiederum im deutlichen Unterschied zur Relevanz steht, die die Literatur der Langeweile zumisst, sich mithin ein bemerkenswertes Ungleichgewicht zwischen philosophischer und literarischer Dokumentiertheit dieses Phänomens findet, dann könnte dies die Frage aufwerfen, ob es nicht identifizierbare Gründe dafür gibt, dass sich die Literatur und eben nicht die Philosophie als das bevorzugte Spielfeld der Langeweilebehandlung erweist. Ihre Relevanz erhält diese Frage letztlich dadurch, dass es sich bei der Langeweile, wenn man sie als metaphysische Langeweile deutet, anders als bei zahlreichen anderen literarischen Motiven, im Grunde um ein genuin philosophisches Problem handelt, das ein intrinsisches Verhältnis zum menschlichen Sinnbedürfnis hat 120 . Wenn man mithin wie zum Beispiel Heidegger der Langeweile eine zentrale philosophische Relevanz zuer- 118 Diese Liste wäre sicherlich um den einen oder anderen Namen zu verlängern - zu denken wäre etwa an Vladimir Jankélévitch (ders., L’Aventure, l’ennui, le sérieux, Paris: Aubier, 1963), aber auch, worauf Friedhelm Decher hinweist (vgl. ders., Besuch vom Mittagsdämonen, pp. 62ff.) an Bertrand Russell, bei dem freilich die Langeweile keine metaphysische Verweisungsfunktion hat, sondern als unhintergehbarer Bestandteil des Lebens betrachtet wird, den es in Anschlag zu bringen gilt bei dem Bemühen um ein gutes Leben (vgl. ders., Eroberung des Glücks. Neue Wege zu einer besseren Lebensgestaltung, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977) - an der allgemeinen Tendenz ändert dies jedoch nichts. Was die obige Aufzählung angeht, so würde ich im Übrigen, was eine zentrale These der vorliegenden Studie ist, dafür plädieren, Kierkegaard der literarischen Langeweilethematisierung zuzuordnen. Daneben ist zu sagen, dass Martin Heidegger vielleicht der einzige Vertreter einer institutionalisierten Philosophie ist, der der Langeweile als Stimmung eine fundamental sinnkonstitutive Rolle zuschreibt (vgl. dazu den Abschnitt B), eine Kontextualisierung, die sonst eher in literarischen Texten zu finden ist. Die Thematisierung der Langeweile bei Pascal fällt dabei in einem gewissen Sinne aus dem Rahmen, insofern sie noch nicht im Kontext der oben genannten Veränderungen in der Herausbildung der Moderne zu betrachten ist, wobei selbstverständlich entscheidende Elemente seiner Reflexionen durchaus auf diese voraus weisen. 119 Große, Philosophie der Langeweile, p. 184. 120 Vgl. zur Plausibilisierung der Langeweile als philosophisches Problem Große, Philosophie der Langeweile, pp. 9ff. und ders., ‚Langeweile. Zur Metaphysik einer Stimmung’, in Perspektiven der Philosophie - Neues Jahrbuch, hg. von Georges Goedert u. Martina Scherbel, 2006, pp. 11-39. 53 kennt, dann wäre also nach den Ursachen zu forschen für die Tatsache, dass ein wesentlich philosophisches Problem eher in literarischen Texten behandelt wird als in der Philosophie selbst. Verschiedene Erklärungen sind hier denkbar. Zum einen wäre an die bereits erwähnte These Karl Heinz Bohrers zu denken, dass in der Moderne mehr und mehr der Schriftsteller darstelle, was der Philosoph nicht zu denken wage. Er belegt dies anhand der Negativität und zwar besonders anhand des Denkens des Todes als der völligen Ver-nichtung: Der Tod als radikales Nichtmehrsein des eben noch Gewesenen und somit ja wohl doch eigentlich von philosophischer Dignität, wird wie das Böse und das Hässliche im philosophischen Diskurs nicht gedacht. 121 Insofern Langeweile, wie Kierkegaard es ausdrückt „auf dem Nichts [beruht], das sich durch das Dasein schlingt“ 122 , wäre vorstellbar, dass hier bezüglich des philosophischen ‚Scheiterns’ eine Analogie zwischen metaphysischer Langeweile und anderen von der Philosophie „nicht gedachten“ Topoi bestehen könnte. Damit wäre auf die Frage, warum die Philosophie sich der Langeweile nicht beziehungsweise nur selten annimmt, entsprechend der These Bohrers, möglicherweise die Antwort zu geben, dass es hier um ein Ausblenden geht, dass heißt, dass sich die Philosophie dieser Frage nicht annehmen will. Freilich wäre auch die Möglichkeit zu prüfen, ob es sich weniger als um ein Nicht-Wollen um ein Nicht-Können handelt. Vorstellbar wäre, dass es sich bei der Langeweile um ein Problem aus dem philosophischen Kernbereich handelt, das genau dort angesiedelt ist, wo sich der philosophische Diskurs seiner sprachlichen Mittel beraubt sieht, das heißt, an jene Sagbarkeitsgrenze stößt, die zu verschieben im Sinne Wittgensteins oder der Schlegelschen Transzendentalpoesie dem philosophischen Diskurs nicht offen steht, so dass als quasi unausweichliche Konsequenz hier eine metaphysisch ambitionierte Literatur jene Lücke besetzt, die sich aus dem Scheitern der Philosophie ergibt. Um dieser Frage nachzugehen, scheint mir ein geeigneter Weg der Zugriff über einen Vergleich zu sein. Idealerweise würden dazu Thematisierungen der Langeweile einander gegenüber gestellt, die zum einen in Bezug auf die Deutung der Langeweile eine relativ große Ähnlichkeit aufweisen, zum anderen aber in der Form ihrer sprachlichen Einholung unterschiedliche Wege gehen. Dies scheint mir bei Heideggers Thematisierung der Langeweile in den Grundbegriffen der Metaphysik auf der einen und Sören Kierkegaards Auseinandersetzung mit der Langeweile in Entweder/ Oder auf der anderen Seite der Fall zu sein. Diese Wahl soll im Folgenden erläutert werden, und zwar indem die beiden Stränge dieses ersten Teils zusammengeführt werden, das heißt zum einen die Problematisie- 121 Bohrer, Ästhetische Negativität, p. 167. 122 Sören Kierkegaard, Entweder/ Oder, Teil I und II, München: DTV, 2005, p. 338. 54 rung des Verhältnisses von Philosophie und Literatur und zum anderen die Explizierung der Langeweile als Problem von philosophischer Dignität. Es war gesagt worden, dass die Durchsetzung einer rationalistischen Philosophie und der Zusammenbruch der abendländischen Metaphysik zu einer Krise der philosophischen Sprache geführt haben, in deren Folge es zu einer Multiplikation der Darstellungsformen kam, wie sie vor allem die deutsche Frühromantik mit der Forderung nach einer progressiven Transzendentalpoesie auch theoretisch expliziert hat. Zugleich war die Verbindung der Langeweile in ihrer Ausprägung als modernes Phänomen zum einen mit der Etablierung der fortschritts- und arbeitsorientierten Bürgergesellschaft aufgezeigt worden, zum anderen aber gerade auch, wie Jacobi es ausdrückte, mit dem Phänomen einer „immanent-unendlich“ gewordenen Welt, in der „die Zeit endlos“ werde. Mithin gibt es Grund zu der Annahme, dass die Krise der philosophischen Sprache und die Verbreitung der Langeweile als Massenphänomen zu denken sind als strukturell eingebunden in den gleichen geistesgeschichtlichen Horizont. Sowohl die Krise der philosophischen Sprache als auch die Verbreitung der Langeweile scheinen ihren Ursprung in entscheidender Weise in jener Dekonstruktion der ontologischen Voraussetzungen der Metaphysik zu haben, von der Niklas Luhmann sprach. Dieser Nexus scheint mir zunächst einmal die Wahl der Langeweile als Problematik, anhand derer das Verhältnis von Philosophie und Literatur thematisiert wird, zu legitimieren. Die Entscheidung, die Langeweilerörterung in Heideggers Grundbegriffen als Beispiel einer philosophischen Analyse und Kierkegaards Entweder/ Oder als Vertreter einer literarischen Langeweilebehandlung als Fallbeispiele heranzuziehen, bedarf dagegen eingehenderer Legitimation. Das gilt vor allem, insofern Kierkegaard gemeinhin der Philosophie zugeordnet wird und mithin diese Seite der Wahl möglicherweise zunächst anfechtbar wirkt. Hierzu sei an dieser Stelle nur kurz Stellung genommen, da dies im zweiten Teil der Arbeit noch eingehender geschehen wird. Ich gehe in der vorliegenden Studie davon aus, dass Sören Kierkegaards Konzept der „indirekten Mitteilung“ 123 ein eminent literarisches Verfahren darstellt und dass man den Texten Kierkegaards im Grunde nur dann gerecht wird, wenn man diesen literarischen Charakter seines Werkes in Anschlag bringt und sein interpretatorisches Vorgehen entsprechend ausrichtet 124 . Kierkegaards spezifische Methode ist meines Erachtens gerade zu begreifen vor dem Hintergrund der oben explizierten Krise philosophischer Sprache und kann als seine Stellungnahme dazu begriffen werden. Was nun auf der anderen Seite die Entscheidung angeht, Martin Heideggers Grundbegriffe heranzuziehen, so ist diese dadurch begründet, dass Heidegger, wie ge- 123 Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken, Bd. I, Düsseldorf: Diederichs, 1959, p. 245. 124 Vgl. hierzu pp. 200ff. dieser Arbeit. 55 sagt, eine der seltenen Ausnahmen ist, die der Langeweile als philosophischem Problem eine grundlegende Bedeutung zuerkennen. Bei Heidegger wird Langeweile zu einer der Grundstimmungen, die er für metaphysisches Fragen für besonders vielversprechend hält. Was aber darüber hinaus diese Wahl begründet, ist die Tatsache, dass Heidegger in seiner Darstellungsform zwar vorderhand dem philosophischen Diskurs zugeordnet werden kann, sich sein Schreiben jedoch bewusst von einem rationalistischen Philosophieverständnis abhebt und er als post-metaphysischer Philosoph zu lesen ist, wenn man damit, wie Richard Rorty dies vorschlägt, bezeichnen will, dass in seiner Philosophie auf metaphysische Letztbegründungen bewusst verzichtet wird 125 . Damit ist zugleich gesagt, dass er darum bemüht ist, eine philosophische Sprache zu finden, die nicht mehr Ausdruck dieser zum Ende gekommenen Metaphysik ist und die nicht mehr nach den gleichen Kriterien ‚funktioniert’. Es soll also davon ausgegangen werden, dass sowohl die Kierkegaardsche als auch die Heideggersche Vorgehensweise im Angesicht der Krise traditioneller philosophischer Sprache als Ausdruck traditionellen philosophischen Denkens entwickelt wurde, so dass die Frage nach den Unterschieden zwischen den Wegen, die beide in Bezug auf die Gestaltung einschlagen, umso spannender zu sein verspricht. Darüber hinaus erhöht sich die Vergleichbarkeit dadurch, dass es eine ganze Reihe von Parallelen im Denken von Kierkegaard und Heidegger gibt, was sich nicht zuletzt in der Übernahme einiger der Schlüsselkonzepte Kierkegaards durch Heidegger äußert 126 . Auch die Ana- 125 Vgl. Rorty, Kontingenz, pp. 162ff. Freilich deutet Derrida Heidegger als noch in der Metaphysik verhaftet, womit er im Grunde dieselbe Geste praktiziert wie Heidegger in Bezug auf Nietzsche. So betont Figal, dass selbstverständlich „Derridas Versuch, Heidegger zu überbieten […] letztlich auf Heidegger zurück[geht]“ (G. Figal, ‚Verwindung der Metaphysik. Heidegger und das metaphysische Denken’, in ders., Zu Heidegger. Antworten und Fragen, Frankfurt am Main: Klostermann, pp. 185-204, hier p. 186). Vgl. auch Reiner Schürmann, Le principe d’anarchie. Heidegger et la question de l’agir, Paris: Seuil, 1982, p. 224: „Heidegger se saisit de la déconstruction phénoménologique des époques telle que Nietzsche l’a entreprise le premier (quoique sous d’autres titres), pour ensuite étiqueter Nietzsche comme dernier métaphysicien. Il semble qu’aujourd’hui Jacques Derrida s’engage dans un jeu semblable à l’égard de Heidegger.“ Vgl. hierzu auch Emil Angehrn, Interpretation und Dekonstruktion. Untersuchungen zur Hermeneutik, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, 2003, pp 231ff. Edwin Clerckx hebt hervor, dass so selbstverständlich der Metaphysikverdacht immer weiter gereicht wird: „Un enchaînement sans fin semble ainsi se mettre en place“ (ders., Language et affirmation. Le problème de l’argumentation dans la philosophie, Paris: L’Harmattan, 2005, p. 106). 126 Zu denke wäre hier besonders an die Zeitlichkeitsstruktur des Daseins beispielsweise in Heideggers Deutung des Augenblicksbegriffs (vgl. Sein und Zeit, Tübingen: Niemeyer, 1979, p. 338, Fußnote 1), die Bedeutung des Existenzproblems (vgl. Sein und Zeit, p. 255, Fußnote 1) und den Begriff der Angst (vgl. Sein und Zeit, p. 190, Fußnote 1). Freilich klingen, wie Günter Figal sagt, die wenigen Hinweise auf Kierkegaard bei Heidegger „auf befremdliche Weise distanzierend […], weil jeder, dem Heidegger 56 lyse der Langeweilekonzeptionen wird deutliche strukturelle Analogien zutage fördern. Die Tatsache, dass an zentralen Stellen eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten gefunden werden kann, lässt erwarten, dass hierdurch die Unterschiede, die sich aus der Art und Weise der Darstellung ergeben, umso deutlicher hervortreten. Damit ist auch in groben Linien die Struktur für den Fortgang dieser Studie vorgegeben. So soll es in einem ersten Schritt (Abschnitt B) darum gegen, die Thematisierung der Langeweile bei Heidegger und bei Kierkegaard detailliert nachzuvollziehen. Dies wird anhand einer textimmanenten Vorgehensweise geschehen, was insofern als ein geeignetes Verfahren erscheint, als es in diesem Stadium gerade nicht um die Einordnung weder in einen philosophiegeschichtlichen Kontext noch in den weiteren Horizont der Gesamtwerke Heideggers und Kierkegaards geht, sondern die Texte gewissermaßen von innen heraus in der Entfaltung ihrer Argumentation beziehungsweise Darstellung nachvollzogen werden sollen. Ausgehend von und auf Grundlage dieser textimmanenten Lektüre soll dann eine erste Gegenüberstellung erfolgen, in der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Langeweilekonzeptionen thematisiert werden. Diese Vorgehensweise wird dann jenes Material bereitstellen, dessen es bedarf, um in einem zweiten Schritt (Abschnitt C) den Blick auszuweiten und die Frage der Langeweile in den größeren Horizont des Denkens Heideggers und Kierkegaards zu stellen. In diesem Zusammenhang wird dann auch die Integration der übergeordneten Fragestellung nach der Beziehung zwischen Inhalt und Darstellungsart erfolgen, und zwar zum einen über den Begriff der Möglichkeit, der als fundamental sowohl bei Heidegger als auch bei Kierkegaard betrachtet werden kann, und zum anderen über den Versuch einer Anbindung der Darstellung der Langeweile an das Problem der Sprachlichkeit, das heißt, inwieweit das jeweilige methodische Vorgehen auch sprachlich in einer besonderen Weise seinen Niederschlag findet. In Bezug auf Heidegger wird das auf die Frage des Verhältnisses des Konzepts der Eigentlichkeit und dessen sprachlicher Darstellbarkeit hinauslaufen, während für die Frage der Sprache bei Kierkegaard eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Konzept der indirekten Mitteilung vonnöten sein wird und da insbesondere mit der Bedeutung der Ironie für Kierkegaards Schreiben. Über diese Zusammenführung des Problems der Sprachlichkeit mit dem Themenfeld der Langeweile sollten sich, so steht zu hoffen, einige und Kierkegaard gleichermaßen vertraut sind, weiß, wie viel die Daseinsanalyse von Sein und Zeit der Existenzdialektik des dänischen Denkers schuldet“ (ders., ‚Verzweiflung und Uneigentlichkeit. Zum Problem von Selbstbegründung und misslingender Existenz bei Sören Kierkegaard und Martin Heidegger’, in H. Anz, P. Lübcke, F. Schmöe (Hg.), Die Rezeption Sören Kierkegaards in der deutschen und dänischen Philosophie und Theologie, Sonderausgabe Bd. 15 Text und Kontext, München: Fink, 1983, pp. 135-151, hier p. 135), was andeutet, dass Heidegger selbst sicherlich den Fokus eher auf die Unterschiede als auf die Gemeinsamkeiten gelegt hätte. 57 Indizien zur Beantwortung der Frage ergeben, ob sich hinsichtlich der Einholung der Problematik Unterschiede ergeben, die der besonderen Form der Darstellung geschuldet sind. Bei einer derartigen Aufgabenstellung tritt natürlich eine grundlegende methodische Schwierigkeit hervor, mit der die vorliegende Untersuchung konfrontiert ist. Denn das methodische Vorgehen muss hier aus systematischen Gründen das trennen, was ihrer eigenen Grundthese zufolge gerade als eine Einheit zu denken ist. Wenn der Vorteil einer literarischen Darstellung gerade darin liegt, den Sachverhalt literarisch darzustellen, dann läuft eine systematische Vorgehensweise, wie sie hier vorgeschlagen wird, Gefahr, des Wesentlichen verlustig zu gehen, wenn sie versucht, über den Umweg der Auslegung das auszusagen, was die literarische Darstellung kommuniziert, indem sie es ungesagt lässt. Es handelt sich dabei im Übrigen um eine Problematik, mit der auch Sören Kierkegaard in Bezug auf seine indirekte Mitteilung konfrontiert ist und zwar da, wo er sich veranlasst sieht, über dieses methodische Verfahren Rechnung abzulegen, womit er im Grunde ebendieses Verfahren unterläuft 127 . Sobald man dieserart von der Einheit von Form und Inhalt ausgeht, ist dieses Problem ebenso real wie unumgänglich. Wenn allerdings der Anspruch der Studie bescheiden genug definiert wird - und vor allem immer im Bewusstsein des ihr inhärenten Defizits -, dann können zumindest bestimmte Strukturen sichtbar gemacht werden, die dem literarischen und dem philosophischen Text entnommen werden und anhand derer Bedingungen der Sinnkonstruktion sichtbar gemacht werden können, während das ‚Eigentliche’ ungesagt bliebe. Damit würde dem Verweisen und Ungesagtlassen jener Platz zukommen, der ihm durch die der Arbeit vorangestellten Zitate eingeräumt wird. 127 Vgl. hierzu die Bemerkung von Lore Hühn zur indirekten Mitteilung in, ‚Ironie und Dialektik; Zur Kritik der Romantik bei Kierkegaard und Hegel’, in J. Cappelørn, H. Deuser, K. B. Söderquist (Hg.), Kierkegaard Studies Yearbook 2009, Kierkegaard’s Concept of Irony, Berlin: de Gruyter, pp. 17-40, hier p. 29 (vgl. die Anmerkung 656 auf p. 206 dieser Arbeit). 59 B. LANGEWEILE BEI HEIDEGGER UND KIERKEGAARD 1. Langeweile als Grundgestimmtheit des Menschen in Martin Heideggers Grundbegriffen der Metaphysik Martin Heidegger thematisiert Langeweile ausführlich in den Freiburger Vorlesungen des Wintersemesters 1929/ 30 im Zusammenhang mit grundlegenden Reflexionen über die Bestimmung der Philosophie in den Grundbegriffen der Metaphysik. Dabei steht gerade seine Langeweileentfaltung noch im Kontext des fundamentalontologischen Projekts von Sein und Zeit und den Überlegungen zu einem eigentlichen Selbstseinkönnen 128 . Um sich der Frage nach dem Stellenwert und der Bedeutung der Langeweile im Kontext der Grundbegriffe der Metaphysik zu nähern, ist es sinnvoll, zunächst einmal den Blick auf den thematischen Rahmen zu richten, innerhalb dessen die Langeweile als Problematik zur Sprache kommt. In den Grundbegriffen bemüht sich Heidegger zunächst, in seinen einführenden Überlegungen, um eine Positionsbestimmung der Philosophie, der er eine Sonderrolle zuweist, die mit keiner Wissenschaft zu vergleichen sei 129 . Diese Sonderstellung zeichne die Philosophie nicht nur gegenüber den Wissenschaften aus, sondern in anderer Weise auch im Vergleich zu 128 Freilich weisen Teile der Grundbegriffe bereits voraus auf Fragestellungen, die beim späteren Heidegger stärker in den Vordergrund rücken, was ja im Grunde auch von Sein und Zeit selbst gesagt werden kann. Die Diskussion über die Frage, ob es sich hier um eine „Kehre“ (M. Heidegger, Seminare, Frankfurt am Main: Klostermann, 1986, p. 345) handelt oder nicht doch eher um eine Weiterentwicklung, beziehungsweise, wie dies Gadamer nahe legt, die Kehre schon vor Sein und Zeit zu verorten ist (vgl. ders., ‚Wilhelm Dilthey nach 150 Jahren’, in E. W. Orth, Dilthey und die Philosophie der Gegenwart, Freiburg: Alber, 1985, pp. 157-182, hier p. 159) soll hier nicht aufgenommen werden. Eine knappe Zusammenfassung der Positionen gibt Lawrence Paul Hemming, ‚Reading Heidegger’s Turn’, in Stephen Mulhall (Hg.), Martin Heidegger, Aldershot: Ashgate, 2006, pp. 271-297). Vgl. auch Dieter Thomä, ‚Stichwort: Kehre. Was wären, wenn es sie nicht gäbe? ’, in ders. (Hg.), Heidegger-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, Stuttgart: Metzler, 2003, pp. 134-141. 129 Vgl. Grundbegriffe, p. 7. Heidegger verwendet im Übrigen hier den Begriff der Philosophie weitgehend synonym mit dem Begriff der Metaphysik. Vgl. den Titel des ersten Kapitels „Die Umwege zur Bestimmung des Wesens der Philosophie (Metaphysik) ...“ (Grundbegriffe, p. 1; Hervorhebung M.H.); genauso die implizite Gleichsetzung durch die Definition „Philosophie ist Philosophieren“ (Grundbegriffe, p. 4; Hervorhebung M.H.), um dann fortzufahren: „Metaphysik als Philosophieren“ (ebd.). 60 Kunst und Religion. Die Aufgabe der Philosophie definiert Heidegger als „eine letzte Aussprache und Zwiesprache des Menschen, die ihn ganz und ständig durchgreift“ 130 , das heißt, ein Zwiegespräch des Menschen mit sich selbst als solchem. Als Ausgangspunkt für ein solches Zwiegespräch des Menschen mit sich selbst dient Heidegger ein Novalis-Zitat: „Die Philosophie ist eigentlich Heimweh, ein Trieb überall zu Hause zu sein.“ 131 Aus dessen Auslegung zieht Heidegger seine drei titelgebenden Begriffe Welt, Endlichkeit, Vereinzelung 132 als Grundbegriffen metaphysischen Fragens. Um freilich zu einem eigentlichen philosophischen Fragen gelangen zu können, sei es entscheidend, so Heidegger, dass dieses nicht lediglich über diese Begriffe spreche beziehungsweise von diesen handle, das heißt, dass gleichsam ‚von außen’ diese Begriffe objektiv erörtert würden, sondern der Zugang müsse aus der Philosophie heraus erfolgen. Es gehe beim metaphysischen Fragen mithin gerade nicht um „wissenschaftliche[n] Scharfsinn“ 133 , sondern um existenzielle „Ergriffenheit“: Dieser Ergriffenheit, ihrer Weckung und Pflanzung, gilt das Grundbemühen des Philosophierens. Alle Ergriffenheit aber kommt aus einer und bleibt in einer Stimmung. Sofern das Begreifen und Philosophieren nicht eine beliebige Beschäftigung neben anderen ist, sondern im Grunde des menschlichen Daseins geschieht, sind die Stimmungen, aus denen die philosophische Ergriffenheit und Begreiflichkeit sich erhebt, notwendig und immer Grundstimmungen des Daseins, solche, die den Menschen ständig und wesenhaft durchstimmen, ohne dass er sie auch immer schon notwendig als solche zu erkennen braucht. Philosophie geschieht je in einer Grundstimmung. 134 Damit ist die Grundkonstellation vorgezeichnet, innerhalb derer die Frage nach der Langeweile relevant wird. Heidegger möchte die Langeweile als eine solche Grundstimmung explizieren, in der und aus der heraus metaphysisches Fragen überhaupt erst in fruchtbarer Weise erfolgen kann. In diesem Postulat Heideggers tritt selbstverständlich jene Besonderheit seiner Methodik hervor, dass er Metaphysik gerade nicht als Wissenschaft begreifen und betreiben möchte, sondern als „inbegriffliches Denken“: „Metaphysik ist ein Fragen, in dem wir in das Ganze des Seienden hineinfragen und so fragen, daß wir selbst, die Fragenden, dabei mit in die Frage 130 Grundbegriffe, p. 7. 131 Novalis, zitiert in Grundbegriffe, p. 7. 132 Der Begriff der Vereinzelung wird schließlich zu dem im Titel der Vorlesung zu findenden Begriff Einsamkeit. Vgl. hierzu den Kommentar des Herausgebers (Grundbegriffe, p. 537). 133 Grundbegriffe, p. 9. 134 Grundbegriffe, pp. 9f. (Hervorhebungen M.H.). 61 gestellt, in Frage gestellt werden.“ 135 Dies kann selbstverständlich mit einer wissenschaftlichen Methodik nie erreicht werden, deren grundlegende Maßnahme ja gerade in der Einnahme einer dem zu Analysierenden externen Position besteht, in der Trennung von beobachtendem Subjekt und beobachtetem Objekt. Damit bleibe aber ein solches Philosophieren ist in seinem Wesen zutiefst zweideutig und zwar in einem doppelten Sinne. Erstens im Sinne der „Zweideutigkeit des Philosophierens überhaupt und zweitens [der] Zweideutigkeit unseres Philosophierens hier und jetzt“ 136 . Wenn nun der Fragende mit in die Frage gestellt ist, dann bedeutet dies, dass er auch dieses In-der-Frage-stehen als unhintergehbare Bedingung seines Philosophierens betrachtet und beachten muss. Anders gesagt, der Philosophierende muss die Unhintergehbarkeit dessen mitdenken, dass er als Philosophierender immer ‚gestimmt’ philosophiert, dass mithin sein Philosophieren durch dieses Gestimmtsein mitgeprägt ist, denn, wie Heidegger betont: „Die Stimmung gehört zum Sein des Menschen“ 137 . Konkret bedeutet dies, dass es sich um das Wecken einer Grundstimmung „unseres Philosophierens“ handelt, „nicht eines beliebigen Philosophierens oder gar der Philosophie an sich, die es nie gibt“ 138 , einer Grundstimmung, die für metaphysisches Fragen in herausragender Weise geeignet ist. Heidegger definiert konsequenterweise die Aufgabe als die „Weckung einer Grundstimmung und die Anzeige einer verborgenen Grundstimmung unseres heutigen Daseins“ 139 . Als eine solche wiederum identifiziert er die Lange- 135 Grundbegriffe, p. 13. Auf die Bedeutung dieser Abgrenzung zur Wissenschaft wird im Anschluss noch zurückzukommen sein und zwar im Zusammenhang mit der Frage nach der Möglichkeit eigentlicher Rede (vgl. pp. 176ff. dieser Arbeit). 136 Grundbegriffe, p. 20 (Hervorhebungen M.H.). 137 Grundbegriffe, p. 96 (Hervorhebung M.H.). Dieser Gedanke findet sich selbstverständlich, wenn auch weniger systematisch, bereits in Nietzsches Fröhlicher Wissenschaft, wenn Nietzsche betont, dass er „im Freien“ denke, da Stubenluft sich negativ im Denken niederschlage, was nichts anderes besagt, als dass sich die Gestimmtheit auf das Philosophieren auswirkt: „Wir gehören nicht zu Denen, die erst zwischen Büchern, auf den Anstoss von Büchern zu Gedanken kommen - unsere Gewohnheit ist, im Freien zu denken, gehend, springend, steigend, tanzend, am liebsten auf einsamen Bergen oder dicht am Meere, da wo selbst die Wege nachdenklich werden. Unsre ersten Werthfragen, in Bezug auf Buch, Mensch und Musik, lauten: ‚kann er gehen? Mehr noch, kann er tanzen? ’ … Wir lesen selten, wir lesen darum nicht schlechter - oh wie rasch errathen wir’s, wie Einer auf seine Gedanken gekommen ist, ob sitzend, vor dem Tintenfass, mit zusammengedrücktem Bauche, den Kopf über das Papier gebeugt: oh wie rasch sind wir auch mit seinem Buche fertig! Das geklemmte Eingeweide verräth sich, darauf darf man wetten, ebenso wie sich Stubenluft, Stubendecke, Stubenenge verräth.“ (ders., Die fröhliche Wissenschaft, p. 614, Aphorismus 366). 138 Grundbegriffe, p. 89 (Hervorhebung M.H.). 139 Grundbegriffe, p. 89 (meine Hervorhebung). In dieser Formulierung kommt im Übrigen eine doppelte Kontingenz zum Ausdruck, der das Philosophieren unterliegt, insofern Heidegger von der „Grundstimmung unseres heutigen Daseins“ spricht. Das 62 weile. Es geht darum, Langeweile als Grundstimmung zu wecken, aus der heraus in jene titelgebenden metaphysischen Grundbegriffe hineinzufragen sein wird. Sie wird damit gleichsam ‚Schlüssel’ - freilich nicht der Schlüssel, sondern ein Schlüssel 140 - zum Vordringen in das metaphysische Philosophieren. Dabei ist zum augenblicklichen Zeitpunkt noch ungeklärt, warum gerade die Langeweile als eine solche Grundstimmung zu betrachten ist. Die Begründung liefert Heidegger in einer Reflexion, in der er das, was er als „Kulturphilosophie“ bezeichnet, dem eigenen philosophischen Fragen entgegenstellt. Die entscheidende Gegenüberstellung ist dabei, dass die Kulturphilosophie danach frage, wo wir stehen, statt die uns viel wesentlicher betreffende Frage zu stellen, wie es mit uns steht 141 . Damit aber treffe die Kulturphilosophie mit ihrem Fragen nicht den Menschen als solchen, „sondern [d]er Mensch […] wird so vom Ausdruck seiner Leistungen her dargestellt“ 142 , mit anderen Worten: „Diese Philosophie gelangt nur zur Dar-stellung des Menschen, aber nie zu seinem Da-sein.“ 143 Das wesentliche Charakteristikum der kulturphilosophischen Herangehensweise sei, dass sie dem Menschen „eine Rolle in der Weltgeschichte zuerteilt“ 144 . Von dieser Diagnose aus fragt Heidegger weiter und zwar, was darin zum Ausdruck komme, dass wir uns eine Rolle geben? Ob dies etwa ein Hinweis darauf sei, dass wir uns so unbedeutend geworden sind, dass wir eine Rolle finden müssen? Diese Reflexionen kulminieren in einer Reihe von Fragen, die die Langeweile als Grundstimmung der Moderne inaugurieren: Warum finden wir für uns keine Bedeutung, d.h. keine wesentliche Möglichkeit des Seins mehr? Weil uns gar aus allen Dingen eine Gleichgültigkeit angähnt, deren Grund wir nicht wissen? Aber wer will so sprechen, wo der Weltverkehr, die Technik, die Wirtschaft den Menschen an sich reißen und in Bewegung halten? Und trotzdem suchen wir für uns nach einer Rolle. Was geschieht darin? , so fragen wir erneut? Müssen wir uns selbst erst wieder interessant machen? Warum müssen wir das? Etwa weil wir selbst uns, uns Philosophieren ist also zu betrachten als erstens aus der Bedingtheit einer Stimmung heraus erfolgend, zugleich aber auch aus der Bedingtheit der historischen Situation, die den Horizont möglicher Stimmungen bereitstellt. In letzterem unterscheidet sich die Langeweile von der Angst, die Heidegger in seiner Antrittsvorlesung Was ist Metaphysik (Frankfurt am Main: Klostermann, 1969) als philosophische Grundstimmung expliziert hatte. 140 Vgl. Grundbegriffe, p. 89: „Eine Grundstimmung, die unser Philosophieren tragen soll, gilt es zu wecken, und nicht die Grundstimmung. Demnach gibt es nicht nur eine einzige, sondern mehrere“ (Hervorhebung M.H.). Wie gesagt verwendet Heidegger an anderer Stelle die Angst als eine weitere solche Grundstimmung. 141 Vgl. Grundbegriffe, p. 114. 142 Grundbegriffe, p. 113. 143 Grundbegriffe, p. 113 (Hervorhebungen M.H.). 144 Grundbegriffe, p. 115. 63 selbst, langweilig geworden sind? Der Mensch selbst sollte sich selbst langweilig geworden sein? Warum das? 145 Und von hier geht Heidegger dann zu seiner fundamentalen These über - ebenfalls in Form eine Frage formuliert: „Ist es am Ende so mit uns, dass eine tiefe Langeweile in den Abgründen des Daseins wie ein schweigender Nebel hin- und herzieht? “ 146 Wenn es sich so verhält, wie Heidegger hier suggeriert, dann würde das bedeuten, dass die Kluft zwischen uns selbst und der Rolle, die wir in der Weltgeschichte spielen beziehungsweise die die Kulturphilosophie uns in der Weltgeschichte zuschreibt, die Einbruchstelle für die moderne Langeweile ist. Die Attribution einer Rolle nämlich führt dazu, dass wir in der Übernahme dieser Rolle von uns selbst entbunden werden, statt dass wir zu uns selbst gelangen würden. Dann aber ist auch der Weg vorgezeichnet, den es zu beschreiten gälte, um aus dieser Grundstimmung herauszugelangen. Wir müssen aus dieser Entbundenheit hinaus gelangen und uns „selbst zurückgegeben werden“ 147 , zurückgegeben im Sinne einer Aufgabe, der nämlich „das zu werden, was wird sind“ 148 . Heidegger leitet also den ‚Verdacht’, dass die Langeweile die Grundgestimmtheit der aktuellen Lage sei, ab aus der Konstatierung einer Entfremdung des Daseins von sich selbst. Dieses ist durch die Übernahme einer „Rolle“ definiert, in der es eben nicht im eigentlichen Sinne als dieses Daseins bestimmt ist, sondern in einem uneigentlichen Sinne von der Zuschreibung einer Rolle abhängt. Wenn nun Heidegger die Langeweile zum einen als Stimmung des Menschen als existierendem und zum anderen der aktuellen Lage ausweist, so bleibt freilich das Problem, ausgehend von dieser Bestimmung die Langeweile als Stimmung im Philosophieren nutzbar zu machen. Denn nach seinen methodischen Vorgaben ist das Ziel nicht, die Langeweile als Stimmung zu analysieren, sondern sich von der Langeweile als Stimmung stimmen zu lassen, oder wie Heidegger es ausdrückt: Es geht nicht darum, „über die Stimmung [zu] verhandeln“ 149 , sondern der Zugriff muss in einem Wecken der Stimmung bestehen, als einem Handeln 150 . Damit Langeweile als Grundstimmung für das metaphysische Fragen fungieren kann, muss sie als solche geweckt werden, um so aus der Langeweile heraus zum Philosophieren zu gelangen. Das Ziel Heideggers ist es also, zunächst einmal ‚in die Langeweile hinein’ zu kommen. Dies soll dadurch gelingen, dass dem alltäglichen Reflex widerstanden wird, beim Aufkommen der Langeweile dieselbe unmittelbar zu „vertreiben“ 145 Grundbegriffe, p. 115 (Hervorhebungen M.H.). 146 Grundbegriffe, p. 115 (Hervorhebung M.H.). 147 Grundbegriffe, p. 116 (Hervorhebung M.H.). 148 Grundbegriffe, p. 116. 149 Grundbegriffe, p. 103 (Hervorhebung M.H.). 150 Vgl. Grundbegriffe, p. 103. 64 beziehungsweise zu „verscheuchen“ 151 , um sie so „ständig zum Einschlafen“ 152 zu bringen. Das von Heidegger gewählte Bild des Einschlafenlassens ist dabei in Bezug auf seine Argumentation mit Bedacht gewählt, insofern es signalisiert, dass Langeweile letztlich im Grunde gar nicht verscheucht beziehungsweise vertrieben, das heißt, ‚aus uns hinaus’ getrieben werden kann, sondern immer irgendwie beziehungsweise irgendwo in uns zurückbleibt und uns jederzeit (unerwartet) überkommen kann. Denn die Langeweile einschlafen zu lassen bedeutet nicht, sie zu beseitigen, sondern die Langeweile ist - wenn auch schlafend - immer noch da. Sie bleibt, eben wie ein Nebel, immer vorhanden, ob wir von ihr wissen (wollen) oder nicht. Heidegger geht es also darum, die Langeweile wach zu halten, um von dort aus zunächst die Langeweile selbst und anschließend aus der durch sie gestimmten Gestimmtheit die Grundbegriffe der Metaphysik deuten zu können. Hierzu will Heidegger von der alltäglichen Langeweile ausgehend zu jener tiefen Langeweile gelangen, von der er annimmt, dass sie sich in den Abgründen des Daseins findet. Durch das „Ausschwingenlassen“ 153 der unwesentlichen, der „oberflächigen“ 154 Langeweile, das heißt, durch das In-der-Langeweile bleiben und das Sie-nicht-Verscheuchen sollen wir durch die tiefe Langeweile durchgestimmt werden. Wecken der Langeweile bedeutet also gerade nicht, kann nicht bedeuten, aktiv zu versuchen, Langeweile gleichsam zu ‚erzwingen’. Es geht umgekehrt darum, den alltäglichen Aktivitätsimpuls zu unterdrücken, da dieser letztlich zum Verscheuchen der Langeweile führt, dazu, Langeweile, sobald sie fühlbar wird, wieder zum Verschwinden zu bringen. Mit dieser Herausforderung, die unwesentliche, die „oberflächige“ Langeweile anzunehmen, soll also eine Stimmung nicht erzeugt, sondern wachgehalten werden, die wir normalerweise in unserem Alltag so schnell wie möglich zu bekämpfen trachten. Heideggers phänomenologisches Vorgehen in Bezug auf die Langeweile gelangt damit sicher plausibel und intuitiv zutreffend zu der Einschätzung, dass wir im Alltag Langeweile nicht auszuhalten versuchen, sondern tendenziell immer sogleich wegzudrücken bemüht sind, indem wir uns beschäftigen, mit irgendetwas beschäftigen. Damit berauben wir uns dann 151 Grundbegriffe, p. 118 (Hervorhebungen M.H.). Dieses Verhalten im Angesicht der Langeweile ist natürlich bereits bei Blaise Pascal in psychologisch höchst präziser Weise beobachtet worden, was wiederum indizieren könnte, dass letztlich in der Verbreitung ‚langeweileverscheuchender’ Institutionen ein Gradmesser zu erblicken wäre zum einen für Langeweile und zum anderen auch für die Frage nach dem Selbst-sein, zu dem es Heidegger zufolge gerade nicht kommen kann, solange Langeweile zum Einschlafen gebracht wird. 152 Grundbegriffe, p. 118 (Hervorhebung M.H.). 153 Grundbegriffe, p. 118. 154 Grundbegriffe, p. 118. 65 aber auch sogleich der Möglichkeit zu erfahren, ob die Langeweile, die wir da verscheuchen, uns nicht etwas zu sagen haben könnte. Genau das aber ist Heideggers Verdacht, dass die Langeweile, wenn wir sie in uns ausschwingen lassen, wenn wir sie als Stimmung zulassen, uns in der Tat etwas zu sagen hat. Seine Vermutung ist, dass geweckte Langeweile eine Annäherung unserer selbst an „uns selbst als einem Da-sein“ 155 erlaubt. Die Langeweile als Grundstimmung wird also zu einer besonderen Bedingung für die Möglichkeit, uns zu uns selbst zu führen 156 . Damit ist für Heidegger die Ausrichtung seines weiteren Fragens vorgegeben. Es muss ihm darum gehen zu zeigen, dass die „oberflächige“ Langeweile tatsächlich in eine tiefe, wesentliche Langeweile führt. Insofern die Aufgabe ein Zulassen der Langeweile ist, so dass der Weg von der „oberflächigen“ zur tiefen Langeweile führt, nimmt Heidegger seinen Ausgangspunkt bei alltäglichen Langeweilephänomenen. Heideggers Ansatz ist es hier, den „Ausgang vom Langweiligen“ 157 in einem alltagssprachlichen Sinne zu nehmen beziehungsweise von der „Langweiligkeit“, die er definiert als „das, was etwas Langweiliges zu dem macht, was es ist, wenn es langweilend ist“ 158 . Heidegger besteht auf diese tautologisch wirkenden Definition, um damit deutlich zu machen, dass hier der Zugriff auf die Langeweile durch das Sich-versetzen in eine Gestimmtheit erreicht werden soll, jedoch zu diesem Zeitpunkt noch unklar ist, was denn „Langeweile“ in ihrem Wesen ausmacht, während problemlos Aussagen darüber möglich sind, was langweilt, insofern es sich hier um konkrete Dinge oder auch „Daseine“ 159 handelt. Wir bewegen uns hier also noch im Konkreten, Beobachtbaren: Es gibt Langweiliges, durch das wir gelangweilt werden. Und was der Nachsatz „wenn es langweilend ist“ auch deutlich macht, ist die Tatsache, dass etwas Langweiliges möglicherweise nicht ‚an sich’ langweilig ist, sondern nur dann, wenn es langweilend ist, dass also ein und dasselbe Seiende sowohl langweilig als auch nicht langweilig sein kann. Es scheint also nicht nur eine Frage des konkreten Dings zu sein, ob es langweilig ist, sondern eine Frage des konkreten Dings in einer spezifischen Situation. Dies bestätigt sich, wenn Heidegger nun weiterfragt, was es denn eigentlich bedeutet, wenn wir sagen, dass etwas uns langweilt. Scheint es zunächst so, als habe das Langweiligsein gleichsam objektiven Charakter („Ein Buch [...] ist schlecht geschrieben, geschmacklos gedruckt 155 Grundbegriffe, p. 123 (Hervorhebung M.H.). 156 Freilich ist sie eine und nicht die Bedingung, insofern Heidegger ja davon ausgeht, dass es verschiedene Grundstimmungen gibt. 157 Grundbegriffe, p. 123. 158 Grundbegriffe, p. 124 (Hervorhebungen M.H.). 159 Heidegger sagt ausdrücklich und wohl kaum bestreitbar, dass nicht nur Bücher, Theaterstücke oder Festakte langweilen können, sondern auch Menschen (vgl. Grundbegriffe, p. 124). 66 oder ausgestattet [...]“ 160 ), so offenbart sich bei näherer Betrachtung, dass die Attribution von Langeweile einem subjektiven Moment Raum gibt, derart nämlich, dass man „langweilig“ auch so beschreiben kann, dass das Langweilende „nichts her[gibt],“, es „uns nichts zu sagen“ 161 hat. Hier findet also ein instruktiver Übergang von der Objektauf die Subjektebene statt. Das Langweilende wird zu dem, durch das wir gelangweilt werden. Dies lässt sich auch so ausdrücken, dass die Langweiligkeit „objektzugehörig“ und „subjektbezogen“ 162 ist. Es bedarf also sowohl des langweilenden Dinges (oder der langweilenden Person) als auch des Subjekts, das von diesem gelangweilt ist. Worin besteht aber nun dieses „langweilig“? Heidegger identifiziert hier zwei Strukturmomente im Sinne einer ersten, vorläufigen Deutung dessen, was das Langweilende beziehungsweise das Langweilige ist - und zwar bezeichnet er es als das „Hinhaltende und doch Leerlassende“ 163 . Hinhaltend ist das Langweilende insofern als wir, wenn wir bei Heideggers Beispiel des Buches bleiben wollen, es zwar lesen, im Lesen also gleichsam mitgehen, dass es uns aber nicht fesselt, wir in der Lektüre nicht hingegeben sind. Leerlassend ist dann wiederum das Moment, dass wir von der Lektüre nicht „erfüllt“ 164 sind. Es handelt sich also um Strukturmomente des Langweiligen, von denen das eine zeit- und das andere inhaltsbezogen ist 165 . Hingehalten sind wir in der Zeit. Wir verbringen mit der Lektüre Stunden, vielleicht Tage oder Wochen. „Wir sind im Lesen dabei […]. [W]ir sind hingegeben, aber nicht hingenommen, sondern eben nur hingehalten.“ 166 Wir widmen der Lektüre unsere Zeit, aber - und hier kommt das andere Strukturmoment ins Spiel - ohne gefesselt zu werden. Hingehaltensein und Leergelassenwerden verweisen mithin aufeinander, sind untrennbar ineinander verflochten. Das Gefühl des Hingehaltenseins kann nur dadurch aufkommen, dass wir zugleich leer gelassen werden durch das, was geboten ist. Denn würden wir nicht leer gelassen, so würde das ja bedeuten, dass wir von der Lektüre gefesselt und mithin nicht „hingehalten“ würden. Auf der anderen Seite geschieht auch das Leergelassensein wiederum in der Zeit, ist gleichsam das negative Gegenstück dazu, dass man sagt, man habe seine Zeit ‚gut ausgefüllt’. Das heißt, 160 Grundbegriffe, p. 126. 161 Grundbegriffe, p. 126. 162 Grundbegriffe, p. 126 (Hervorhebungen M.H.) 163 Grundbegriffe, p. 130 (Hervorhebung M.H.) 164 Grundbegriffe, p. 130. 165 Insofern bei Heidegger also hier ausdrücklich sowohl ein Zeitals auch ein Inhaltsaspekt für den Zugang zur Langeweile kennzeichnend ist, scheint mir die Deutung von Matthew Boss zu einseitig, wenn er in seiner Interpretation der Langeweile bei Heidegger einzig auf den Zeitaspekt abhebt (vgl. ders. ‚Metaphysics and the Mood of Deep Boredom: Heidegger’s Phenomenology of Mood’, in B. Dalle Pezze und C. Salzani, Essays on Boredom and Modernity, New York: Rodopi, 2009, pp. 85-107). 166 Grundbegriffe, p. 130 (Hervorhebung M.H.). 67 die quantitativen Indikatoren Fülle oder Leere sind in diesem Sinne an die Temporalität gebunden, woraus eben jene zwei wechselseitig aufeinander bezogenen Strukturmomente des Hingehaltenseins und des Leergelassenseins resultieren. Von hier aus geht Heidegger zunächst zur Analyse konkreter alltäglicher Langeweilephänomene über - und zwar über den Umgang mit ihnen im Alltag, was nichts anderes besagt als dass mit diesem Ansatz dasjenige in den Fokus rückt, was die alltägliche Reaktion auf Langeweile ist, der Zeitvertreib, denn im Zeitvertreib gewinnen wir Heidegger zufolge „gerade erst die rechte Haltung, in der uns die Langeweile unverstellt entgegenkommt“ 167 . Dazu, so Heidegger, „müssen [wir] sie so nehmen, wie wir uns in ihr bewegen, d.h. zugleich sie zu vertreiben suchen“ 168 . Um aber hierher zu gelangen, ist jene Art des Zeitvertreibs als Ausgangspunkt besonders geeignet, die ganz offensichtlich genau und ausschließlich diesem Zweck dient, das heißt, der Zeitvertreib in einer Situation, in der die Langeweile zu Bewusstsein kommt und in der der Zeitvertreib als solcher klar zutage tritt. Erste Form der Langeweile Heidegger wählt zur Illustration einer solchen Konstellation die alltägliche Situation des Wartens auf einen Zug an einem beliebigen Bahnhof einer kleineren Stadt. Weil man sich im Fahrplan verlesen hat 169 , ist man einige Stunden zu früh da und muss nun sehen, wie man diese Stunden ‚hinter sich bringt’. Sehr anschaulich und detailliert beschreibt Heidegger die üblichen Zeitvertreibsaktivitäten oder besser, die üblichen hilflosen Versuche, sich die Zeit zu vertreiben: Entfernungstabellen lesen, die Bäume der Allee vor dem Bahnhof zählen. Heidegger vergisst auch jenes merkwürdige 167 Grundbegriffe, p. 136 (Hervorhebungen M.H.). 168 Grundbegriffe, p. 136. Hier scheint sich zunächst ein Widerspruch aufzutun zwischen Heideggers anfänglich betontem „Durchstimmenlassen“ durch die Langeweile, das heißt, dem Überhaupt-erst-Zulassen und Nicht-gleich-Wegdrücken der Langeweile und dem nun vorgeschlagenen Weg, sich dem Zeitvertreib zuzuwenden als einer alltäglichen Form der Auseinandersetzung mit der Langeweile, ist doch der Zeitvertreib gerade als ein solches Wegdrücken beziehungsweise als der Versuch eines solchen zu begreifen. Im Fortgang der Überlegungen zur ersten Form der Langeweile wird freilich deutlich werden, dass für Heidegger gerade der Zeitvertreib - nämlich als der Versuch, die Langeweile zu vertreiben, unausweichlich in die Langeweile zurückführt. Dabei bleibt freilich nicht unproblematisch, dass letztlich das Durchstimmen- Lassen durch die Langeweile im Grunde durch den Zeitvertreib geschieht, insofern der Zeitvertreib in die Langeweile hineinführt, so dass die philosophische Einsicht in das, was uns die Langeweile zu sagen hat, letztlich in gewissem Sinne doch über das Verscheuchen der Langeweile erfolgt. 169 Das Risiko, sich im Fahrplan zu verlesen ist vermutlich heute geringer, da Abfahrtszeiten leicht im Internet zugänglich sind, hingegen erfüllt das durchaus nicht unrealistische Szenario größerer Verspätungen denselben Zweck. 68 Phänomen nicht, dass selbst Beschäftigungen, die in anderem Kontext und unter anderen Umständen oft für Kurzweil sorgen, in diesem besonderen Fall dies nicht vermögen: Zwar hat man ein Buch dabei, aber Lesen „geht nicht“ 170 ; und alle paar Minuten schaut man unwillkürlich auf die Uhr und muss konstatieren, dass kaum Zeit vergangen ist. Was wir in dieser Situation tun, definiert Heidegger als den Versuch eines die „Zeit antreibenden Wegtreibens der Langeweile“ 171 . „Die Zeit antreiben“ ist freilich in einem objektiven Sinne nicht möglich; und die objektive Zeit vergeht ja auch in der geschilderten Situation nicht besonders langsam, sondern immer gleich schnell und dennoch scheint sie förmlich zu stehen. Anhand dieses Beispiels expliziert Heidegger also nun erstmals die Bedeutung der Zeit für ein Verständnis der Langeweile, nachdem er dies in Verbindung mit der Identifizierung der zwei Strukturmomente der Hingehaltenheit und der Leergelassenheit bereits angedeutet hatte. Denn es ist nicht die Zeit als solche, die angetrieben werden soll, sondern die Zeit, wie sie von uns im Augenblick des Gelangweiltwerdens wahrgenommen wird. Vom Zusammenspiel von Langeweile und Zeit verspricht sich nun Heidegger nicht weniger als eine Einsicht in die Ausgangsfrage der Gestimmtheit: Das Gelangweiltwerden und die Langeweile überhaupt ist dann offenbar ganz in diesem rätselhaften Wesen der Zeit verwurzelt. Mehr noch - wenn die Langeweile eine Stimmung ist, dann hat die Zeit und die Art, wie sie als Zeit ist, d.h. sich zeitigt, einen eigentümlichen Anteil an der Gestimmtheit des Da-seins überhaupt. 172 In der Art und Weise, wie in der Bahnhofssituation subjektives Zeiterleben und objektive Zeitmessung aufeinandertreffen, deutet sich also bereits das besondere Verhältnis an, welches das Dasein an die Zeit bezie- 170 Grundbegriffe, p. 140. 171 Grundbegriffe, p. 140 (Hervorhebung M.H.). 172 Grundbegriffe, p. 149 (Hervorhebungen M.H.). Espen Hammer betont in diesem Zusammenhang, dass es sich in der von Heidegger untersuchten Konstellation um eine „typically modern experience“ handelt, denn in dieser Situation ist man „desynchronized in relation to an event whose occurence is scheduled to take place in accordance with a formal arrangemenent of a specific kind“ (ders., ‚Heidegger’s Theory of Boredom’, p. 200). Hier deutet sich auch an, warum Langeweile etwa im Vergleich zu Stimmungen wir Fröhlichkeit oder Traurigkeit geeigneter zu sein verspricht als Grundstimmung für das Philosophieren. Denn von diesen unterscheidet sie sich zwar nicht darin, dass sie in der Zeit auftritt und vergehen kann, wohl aber in entscheidender Weise darin, dass ihr Wesen selbst mit der Zeitlichkeit in Verbindung steht und damit genau an jene Besonderheit des Daseins gemahnt, die Heidegger im kurz zuvor erschienenen Sein und Zeit gegenüber der traditionellen Metaphysik eingeklagt hatte: an die Berücksichtigung des In-der-Welt-seins als Sein zum Tode und mithin als ein Dasein in der Zeitlichkeit, in dem die Zeitlichkeit die Möglichkeiten des Daseins generiert. Hier findet sich auch ein ganz entscheidender Unterschied zu Pascal, dessen Konzept des ennui, wie gesagt, vor allem den Inhaltsnicht aber den Zeitaspekt der Langeweile in den Blick nimmt. 69 hungsweise die Zeitlichkeit bindet. Zugleich erlaubt das Beispiel eine Antwort darauf zu geben, worin ein Zeitvertreib zu bestehen hat. Im Betrachten der Funktionsweise des Zeitvertreibs nämlich offenbart sich das paradoxe Wesen der Zeit, insofern ein erfolgreicher Zeitvertreib sich gerade darin äußert, dass die Zeit gleichsam ‚verschwindet’, die Zeit also überhaupt nicht ins Blickfeld tritt. Anders verhält es sich bei einem erfolglosen Versuch des Zeitvertreibs, so wie ihn Heideggers Beispiele des Fahrplanlesens und Bäumezählens illustrieren. An dieser Stelle kann nun Heidegger auf jenes in Bezug auf die Lektüre eines langweiligen Buches bereits identifizierte Strukturmoment der Hingehaltenheit zurückgreifen, wenn er sagt, wir seien hier hingehalten und zwar vom zögernden Zeitverlauf. Der Zeitvertreib stellt also nach Heidegger den Versuch dar, den stockenden Zeitverlauf zu beschleunigen. Der Blick auf den Zeitvertreib zeigt aber noch ein Weiteres: dass nämlich auch in diesem Falle, wie beim Eingangsbeispiel des Buches, die Leergelassenheit eine Rolle spielt, und zwar wiederum in Verbindung mit dem ersten Strukturelement der Hingehaltenheit. Wir wollen den zögernden Zeitverlauf beschleunigen und hierzu versuchen wir, uns zu beschäftigen. Anders als wenn wir uns eine Aufgabe definieren, um zweckgerichtet eine Arbeit zu vollbringen, geht es hier allerdings allein darum, irgendetwas zu finden 173 , irgendeine beliebige Beschäftigung, um das Stocken des Zeitverlaufs zu überwinden. Nun ist es nicht so, dass in der gegebenen langweiligen Situation nicht Dinge vorhanden wären, mit denen wir uns beschäftigen könnten: Bäume, Fahrpläne, das Bahnhofsgebäude, etc. Das Leergelassensein bedeutet also nicht, dass keine Dinge vorhanden sind, die Dinge verschwinden nicht, sondern sie müssen gerade vorhanden sein, um uns leerlassen zu können. Die Bedingung der Möglichkeit des Gelangweiltwerdens in der besagten Situation ist, dass die vorhandenen Dinge für uns immer in einer bestimmten Art und Weise da sind und beim Gelangweiltwerden ist die Art und Weise eben gerade die, dass sie uns leerlassen. Es ist das je „so und so“ 174 -Vorhandensein, welches die Möglichkeit in sich birgt, dass die Dinge uns leerlassen. In diesem Falle sind uns die Dinge in einer langweiligen Situation gegeben, in der sie uns als Vorhandene „nichts bieten“ 175 . Der vorhandene Bahnhof zum Beispiel „lässt uns leer, weil der ihm zugehörige Zug noch nicht kommt, so daß die Zeit bis dahin so lang, so zögernd ist“ 176 . Dabei ist eben gerade entscheidend, dass nicht der Bahnhof an sich langweilig ist, sondern dass das Leer- 173 Dabei würde sich freilich die bereits angedeutete Frage aufdrängen, ob sich hinter den zweckgerichteten Tätigkeiten nicht im Grunde das gleiche Motiv verbirgt. Vgl. dazu die im Abschnitt A zitierten Überlegungen Pascals und insbesondere das Fragment 171 aus den Pensées (vgl. p. 40 dieser Arbeit). 174 Grundbegriffe, p. 154 (Hervorhebung M.H.). 175 Grundbegriffe, p. 155 (Hervorhebung M.H.). 176 Grundbegriffe, pp. 155f. 70 gelassenwerden durch den Bahnhof einer ganz bestimmten Konstellation geschuldet ist: Das Leerlassen als Sichversagen setzt zwar Vorhandenes voraus, aber dieses muss gerade ein bestimmtes und auf eine bestimmte Situation erwartetes sein, damit wir von etwas leergelassen werden können, im Sinne des Gelangweiltwerdens von .... 177 Heidegger unterstreicht hier abermals die Bedeutung der Situationsgebundenheit, das heißt, dass das Dasein immer als in einer bestimmten Stimmung seiend auf anderes Seiendes trifft. Dass die Dinge uns nichts zu sagen haben, liegt weder objektiv an den Dingen, noch subjektiv an uns, sondern jenseits einer solchen eindeutigen Attribuierbarkeit vielmehr daran, wie diese Dinge in einer bestimmen Konstellation - also in jenem Kontext, in dem Dinge auf uns als in einer bestimmten Stimmung uns befindlichen - uns entgegentreten. Wir können also hier das Strukturelement der Leergelassenheit beschreiben als ein „Leergelassenwerden von ...“, das darauf beruht, dass vorhandene Dinge in bestimmten Situationen uns nicht das bieten, was wir von ihnen erwarten - und zwar weil unsere Erwartung an die Dinge in dieser konkreten Situation im wesentlichen unspezifisch oder zumindest in keiner Weise zweckgerichtet ist. Eigentlich erwarten wir nur, dass sie uns irgendwie dabei helfen, den zögernden Zeitverlauf zu beschleunigen. Gerade aber das können sie in der gegebenen Situation nicht leisten. Waren die Strukturmomente der Hingehaltenheit und der Leergelassenheit im Beispiel des Lesens eines Buches noch an ein konkretes Objekt gebunden, so zeigt sich nun, dass sich dieses „Gelangweiltwerden von ...“ gleichsam wie ein Netz über eine Vielzahl von Dingen legen kann, so dass sie sämtlich, auch wenn sie möglicherweise, würden sie in einer anderen Situation in einer anderen Gestimmtheit auf uns treffen, den Zeitvertreib sehr gut ermöglichen würden, uns jetzt, in der Art und Weise, wie sie auf uns zutreten und wie wir gestimmt sind, hinhalten und leerlassen, so dass wir von ihnen gelangweilt werden. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass die eingangs von Heidegger angebotene, tautologisch scheinende Definition durchaus für die Präzision der Beschreibung ausschlaggebend ist. Denn sie hängt mit der Eingebundenheit des langweiligen Dinges in einen Kontext zusammen, da das Gelangweiltwerden nicht eigentlich auf die Eigenart des Dinges zurückgeht, sondern auf die Konstellation, und es bedarf mithin der tautologischen Wendung, um das Phänomen adäquat zu beschreiben 178 . In die- 177 Grundbegriffe, p. 157 (Hervorhebungen M.H.). 178 Interessanterweise findet sich auch in den Papieren des Ästhetikers in Entweder/ Oder eine tautologische Definition, freilich bezogen auf das Phänomen der Langeweile selbst. Dort heißt es: „Wie ist die Langeweile doch entsetzlich - entsetzlich langweilig; ich weiß keinen stärkeren Ausdruck, keinen wahreren; denn Gleiches wird von Gleichem erkannt“ (Entweder/ Oder, p. 47). 71 sem Sinne sind also die Objekte, ein ‚schlechtes’ Buch genauso wie ein Provinzbahnhof, ihrer Möglichkeit nach sowohl dem Zeitvertreib dienlich als auch langweilig und ihr diesbezüglicher Status hängt nicht von der Qualität der Dinge als solcher ab, sondern davon, wie sie uns wann unter welchen Umständen gegeben sind. In diesem Stadium der Heideggerschen Phänomenologie der Langeweile mag sich die Frage stellen, was denn deren philosophische Relevanz ausmacht, insofern diese Beobachtungen kaum über alltagsintuitive Einsichten hinauszugehen scheinen, außer insofern hier die zwei Strukturmomente der Hingehaltenheit und der Leergelassenheit identifiziert und begrifflich fixiert werden. Gegen diesen Einwand würde Heidegger geltend machen, dass im Ausgang vom Alltäglichen gerade die Besonderheit seiner Vorgehensweise besteht, da nur so eine tiefere, philosophisch relevante Langeweile überhaupt in den Blick gelangen könne. Denn es handelt sich ja nach Heideggers Verständnis gerade nicht um den Versuch einer abstrakt-begrifflichen Bestimmung der Langeweile, sondern darum, aus der Langeweile als Stimmung heraus diese als Grundgestimmtheit des Daseins verstehen zu lernen. Diese Möglichkeit eröffnet aber erst der Durchgang durch die explizierte Form des „Gelangweiltwerdens von…“. Allein über das langsame Fortschreiten und das langsame Sich- Durchschwingenlassen durch die Langeweile wird schließlich der Zugang zu jener Langeweile eröffnet, die, so Heideggers Hypothese, in den Tiefen des Daseins hin- und herzieht gleich einem Nebel. Zweite Form der Langeweile Auf dem Weg zur tiefen Langeweile geht Heidegger nun einen weiteren Schritt, und zwar im Übergang zu einer gegenüber der ersten Form der Langeweile tieferen oder, wie Heidegger auch sagt, „ursprünglicheren“ 179 , die er kennzeichnet als „Sichlangweilen bei etwas“ 180 . Diese Form der Langeweile muss sich als ursprünglichere dadurch auszeichnen, dass sie gleichsam „mehr an die Wurzel unseres Daseins greift“ 181 . Wie kann man sich dies vorstellen, eine Langeweile, die uns in Richtung auf die Wurzel unseres Daseins führt? Zunächst einmal, insofern es sich um eine Langeweile handeln soll, die tiefer in uns verwurzelt ist, muss diese Langeweile sich dadurch auszeichnen, dass sie weniger konkret ist. In der ersten Form ist die Langeweile situationsgebunden und kann bis zu einem gewissen Grade definiert werden. Wir können sagen, was uns langweilt, was das Langweilige beziehungsweise Langweilende ist. Die Langeweile tritt auf in einer Situation, die noch mehr oder weniger durch Eindeutigkeit geprägt 179 Grundbegriffe, p. 160. 180 Grundbegriffe, p. 160. 181 Grundbegriffe, p. 162. 72 ist 182 . Nun entschwindet diese Eindeutigkeit in der zweiten Form zumindest graduell. Als Beispiel für diese tiefere Form der Langeweile dient Heidegger die Einladung zu einer Abendgesellschaft. Man nimmt sich für den Abend Zeit, die Unterhaltung ist angenehm, genauso wie die Gesprächspartner und man verlässt die Gesellschaft spät abends mit dem Gefühl, dass es „wirklich sehr nett“ 183 war. Jedoch kommt im Nachhinein überraschend das vage Gefühl auf, man habe sich gelangweilt - und das, obwohl anders als in der ersten Situation nichts benannt werden könnte, was uns gelangweilt hätte. Diesem Sachverhalt wird Heidegger gerecht, indem er die Attribution der Langeweile nun von der Objektauf die Subjektebene verschiebt. Damit rückt sie gleichsam näher an uns heran und greift tiefer, was von Heidegger sprachlich gefasst wird als ein „Ich habe mich […] gelangweilt“ 184 . Um dieses Phänomen genauer zu fassen zu bekommen, geht Heidegger auch in diesem Falle, methodisch analog zu seiner Herleitung der ersten Form der Langeweile, nicht von der Langeweile direkt aus, sondern von der Art des Zeitvertreibes, die diesem „Ich habe mich gelangweilt“ zugrunde liegt. Dabei stellt sich Heidegger zufolge heraus, dass der Zeitvertreib in dieser Situation zunächst sich zu verbergen scheint, und zwar aus dem Grunde, dass es sich hier nicht wie in der ersten Situation darum handelt, einen nicht nutzbaren Zeitraum zu überbrücken. Vielmehr ist die Einladung selbst jener Zeitvertreib, den es zu identifizieren galt, das heißt zu überbrückender Zeitraum und Zeitvertreib fallen im vorliegenden Falle ineins. Die Schwierigkeit besteht nun darin zu erkennen, was denn in dieser Situation des „Ich habe mich gelangweilt“ das Langweilige gewesen ist. Es ist uns unmöglich, ein konkretes Langweiliges zu identifizieren in dieser Situation, von der wir nachher das vage Gefühl hatten, sie hätte uns gelangweilt. Genau hier scheint Heidegger zufolge das Tieferwerden der Langeweile auf, insofern die Unmöglichkeit der Identifikation langweilender Objekte gerade indiziert, dass sich die Langeweile „mehr und mehr auf uns“ konzentriert, „auf unsere Situation als solche, wobei das Einzelne der Situation nicht ins Gewicht fällt“ 185 . Es ist mithin zu konstatieren, dass im ersten Falle das Langweilige offen zu Tage lag, greifbar, konkret war, während im zweiten Fall, zumindest auf den ersten Blick, nichts Langweiliges zu finden ist. Da wir uns dennoch langweilen, muss es aber, so Heidegger, auch hier möglich sein, ein Langweilendes zu identifizieren. Er fasst dieses vage Langweilende in die bewusst unscharfe Form des „ich weiß nicht was“ 186 , um damit genau diesem Fehlen eines klar identifizierbaren Langweilenden, aber dennoch irgendwie identifizierbar sein Müssenden Aus- 182 Vgl. Grundbegriffe, p. 164. 183 Grundbegriffe, p. 165. 184 Grundbegriffe, p. 165. 185 Grundbegriffe, p. 171. 186 Grundbegriffe, p. 172 (Hervorhebung M.H.). 73 druck zu geben. In einer anderen Wendung drückt Heidegger das auch folgendermaßen aus: „In der ersten Form haben wie ein bestimmtes Langweiliges, in der zweiten Form ein unbestimmtes Langweilendes.“ 187 Nun gibt es aber neben dieser Unbestimmtheit einen weiteren - wesentlichen - Faktor, der die zweite Situation von der ersten unterscheidet: Während für die erste Situation kennzeichnend ist, dass wir keine Zeit verlieren wollen, ist es gerade charakteristisch für die Abendeinladung, dass wir uns Zeit nehmen. Das heißt, der Zeitbezug unterscheidet sich insofern grundlegend, als bei der Einladung nicht als eigentliches Ziel der Aufbruch im Vordergrund steht, sondern das Präsentsein bei der Abendgesellschaft. Und damit steht auch der Wunsch nach einem schnelleren Voranschreiten der Zeit, wie er im Auf-die-Uhr-Sehen in der Bahnhofssituation charakteristisch war, hier überhaupt nicht in Frage. Es gibt keine Hingehaltenheit in der Art eines zögernden Zeitverlaufes, da wir die Zeit nicht schnell hinter uns bringen wollen 188 . Damit sieht es zunächst so aus als sei das Strukturmoment der Hingehaltenheit in der zweiten Situation nicht ausschlaggebend oder aber nicht in der gleichen Art und Weise. Ähnliches kann nun für die Leergelassenheit konstatiert werden: Es fehlt dann in dieser zweiten Form der Langeweile ebenso wie die Hingehaltenheit durch den zögernden Zeitverlauf auch die Leergelassenheit von dem in der Situation uns umgebenden Seienden, das sich versagen sollte, in dieser Situation aber gar nicht daran denkt. 189 Dies ist freilich nur die erste, oberflächliche Diagnose. Bei näherem Hinsehen erscheinen die beiden Strukturelement der Hingehaltenheit und der Leergelassenheit erneut, jedoch in gewandelter Form. War die Leergelassenheit im ersten Falle zu erklären aus einem Suchen nach für den Zeitvertreib nutzbarem Seiendem, welches sich aber in der Langeweile gerade entzieht, ist es nun so, dass wir nichts konkret suchen und damit die Leergelassenheit auch nicht durch ein Ausbleiben der Ausgefülltheit begründet werden kann. Vielmehr ist es so, dass das Charakteristische für die Abendgesellschaft ein „mitplätscherndes Dabeisein“ 190 ist, in dem die Suche nach 187 Grundbegriffe, p. 173 (Hervorhebungen M.H.). 188 Dabei sieht Heidegger offensichtlich von dem wohl nicht selten vorkommenden Fall ab, dass sich bei einer Abendgesellschaft Langeweile installiert, wo man also zusammengekommen ist, um einen ‚angenehmen Abend’ zu verbringen, aber keine rechte ‚Stimmung’ aufkommen will, das Gespräch nie richtig in Gang kommt und immer wieder in betretene Stille zurücksinkt und wo die Gäste verstohlen auf die Uhr blicken und sich innerlich ausrechnen, wie lange sie wohl noch bleiben müssen, damit der Aufbruch nicht unhöflich wird. Im Falle einer solchen Langeweile ist es wohl plausibel davon auszugehen, dass sie eher in Richtung auf die erste Form der Langeweile tendiert, insofern das langweilende Seiende, nämlich die wenig divertierenden anderen Gäste, hier identifizierbar erscheint. 189 Grundbegriffe, pp. 174f. 190 Grundbegriffe, p. 177 (Hervorhebung M.H.). 74 Ausgefülltheit von vorneherein unterbleibt, insofern wir in der „Lässigkeit“ 191 , wie Heidegger sagt, also im Uns-mitnehmen-lassen im „mitplätschernden Dabeisein“ beziehungsweise im Uns-selbst-zurücklassen 192 nicht konkret Langeweile niederhalten müssen oder niederzuhalten versuchen. Wenn aber dann dennoch das Gefühl aufkommt, dass wir uns langweilen beziehungsweise gelangweilt haben, dann bezeugt dies nach Heidegger gerade die größere Tiefe der Langeweile, die nun nicht mehr durch das Sichversagen des Seienden zu erklären ist, sondern im Gegenteil und weit beunruhigender „wächst [sie] aus der Tiefe, weil ihre eigene Voraussetzung, das Suchen nach einem Ausgefülltsein von Seiendem“ 193 , in der Situation der Abendgesellschaft ursprünglich ja eigentlich gerade suspendiert ist. Auf der anderen Seite bedeutet aber die Tatsache, dass nichts konkret gesucht wird, um die Langeweile zu vertreiben, eben gerade nicht, dass die Langeweile nicht da ist, sondern das Dabeisein ist gewissermaßen nur der Schein der Ausgefülltheit, womit es also letztlich „weniger die Langeweile vertreibt, als dass [es] sie gerade bezeugt und da-sein läßt“ 194 . Heidegger schreibt nun dieser zweiten Form der Langeweile nicht nur aufgrund der geringeren Spezifizität und des höheren Maßes an Unschärfe, durch die hier das Langweilende gekennzeichnet ist, eine größere Tiefe zu. Es geht ihm um eine noch weit wichtigere Einsicht, die nämlich, dass sich in dieser im Vergleich zur ersten Langeweileform vertieften Langeweile manifestiere, dass wir uns in der „Lässigkeit“, im „mitplätschernden Dabeisein“ der Abendgesellschaft gleichsam weg von uns selbst bewegen, uns selbst entgleiten. Das Mitplätschern in der Gesellschaft führt uns also weg von uns selbst als uns selbst, indem es uns an die spezifische Situation bindet. Da aber dieses Binden an die Situation bedeutet, dass wir uns von uns selbst entfernen, ist letztlich hier der Grund dafür zu suchen, dass wir das Gefühl einer Leergelassenheit verspüren können. Somit erblickt Heidegger also in der „unterbindende[n] Lässigkeit“ eine „vertiefte Weise des Leerlassens“ 195 , charakterisiert wiederum durch ein „Sichlangweilen bei…“. In der Formulierung des „Sichlangweilens“ wiederum kommt noch einmal deutlich jener wesentliche Unterschied zur ersten Langeweilesituation zum Ausdruck, dass nun die Langeweile nicht mehr von außen kommt, sondern aus uns selbst und uns mithin näher ist. 191 Grundbegriffe, p. 177 (Hervorhebung M.H.). 192 Vgl. Grundbegriffe, p. 180. 193 Grundbegriffe, p. 177 (Hervorhebung M.H.). 194 Grundbegriffe, p. 177 (Hervorhebungen M.H.). Würde das Nichts-zum-Zeitvertreib- Suchen bedeuten, dass die Langeweile nicht da ist, dann stünde dies im Widerspruch zu den vorangegangenen Überlegungen Heideggers. Insofern er von einem Nebel sprich, der in den Tiefen unseres Daseins hin- und herzieht, verweist er gerade auf den ontologischen Charakter der Langeweile, die man zwar zu verscheuchen versuchen kann, die aber immer als mögliche Gestimmtheit bereitsteht uns zu überfallen. 195 Grundbegriffe, p. 178 (Hervorhebung M.H.). 75 Wenn also für diese zweite, tiefere Langeweile entgegen dem ersten Anschein das Moment der Leergelassenheit durchaus, wenn auch in gewandelter Form, identifizierbar ist, so erweist sich, dass auch die Hingehaltenheit sich in gewandelter Weise offenbart. Da sich nun, wie gezeigt, die Langeweile vom langweilenden Seienden hin zu uns als uns Langweilenden verschiebt, ist damit zu rechnen, dass sich für die Hingehaltenheit eine analoge Verschiebung wird ausmachen lassen, in der diese nun stärker auf uns als uns Langweilende bezogen ist, dies zumal als ja auch im Falle des Sichlangweilens bei, anders als in der ersten Form der Langeweile, es nicht darum geht, die Zeit anzutreiben, den Zeitverlauf beschleunigen zu wollen, sondern im Gegenteil ist die Situation gerade dadurch gekennzeichnet, dass wir uns für den Abend Zeit genommen haben. Um in dieser Frage weiter zu kommen, geht Heidegger zunächst aus von alltäglichen zeitbezogenen Redewendungen wie ‚Zeit haben’, ‚sich Zeit nehmen’ und versucht diese in Bezug auf die Frage der Hingehaltenheit auszulegen. Die Situation sei also gekennzeichnet dadurch, dass wir „Zeit haben“ 196 und zwar genau aus dem Grunde, dass wir uns die Zeit genommen haben beziehungsweise uns Zeit lassen 197 . Hier hakt Heidegger ein, um nachzufragen, was das genau bedeutet: Welche Zeit haben wir uns genommen und wie ist dieses „Nehmen“ zu verstehen? Heidegger bezieht nun die Zeit, die wir uns nehmen beziehungsweise lassen, als unsere Zeit auf die Zeit im Ganzen, die uns gegeben ist. Das bedeutet, die Zeit, die wir uns nehmen, ist jene Zeit, „[d]er wir selbst anheimgegeben sind, und die uns beschieden ist“ 198 . Die Zeit, die wir uns lassen, ist ein Teil jener Zeit, über die wir als Dasein je verfügen; und in der konkreten Situation der Abendgesellschaft, in der wir uns Zeit nehmen, tritt damit der Fristcharakter der Zeit beziehungsweise unsere Zeitlichkeit zwar in den Hintergrund, aber selbstverständlich verschwindet er dadurch nicht. Die Zeit „überläßt“ 199 uns unserem Dabeisein, unserem Mitplätschern, ohne uns jedoch völlig zu „entlassen“ 200 . Das Sichzeitnehmen im Dabeisein deutet Heidegger letztlich als ein Zum-Stehen- Bringen der Zeit. Die Zeit steht, ohne freilich verschwunden zu sein. Das Phänomen, auf das Heidegger hinaus will, ist, dass durch das Stehen der Zeit der präsentische Moment quasi gedehnt wird. Die ununterbrochene, unendliche Abfolge des „Jetzt und Jetzt und Jetzt“ 201 kommt nicht ins Stocken wie in der ersten Situation, sondern sie kommt zum Stehen. Das Währen der Abendgesellschaft wird „ein einziges gedehntes Jetzt“ 202 in dem wir selbst ganz Gegenwart sind. Nun ist aber das Dasein gerade durch seine 196 Grundbegriffe, p. 185 (Hervorhebung M.H.). 197 Vgl. Grundbegriffe, p. 185. 198 Grundbegriffe, p. 183. 199 Grundbegriffe, p. 183 (Hervorhebung M.H.). 200 Grundbegriffe, p. 183 (Hervorhebung M.H.). 201 Grundbegriffe, p. 186. 202 Grundbegriffe, p. 186 (Hervorhebung M.H.). 76 Zeitlichkeit gekennzeichnet, das heißt, durch das Eingebettetsein in Vergangenheit und Zukunft; und genau diese Verbindung wird durch das Dabeisein und Mitplätschern gekappt. Die gedehnte Zeit als Hingehaltenheit kann also kurz zusammengefasst werden als „Abriegelung der Vergangenheit und Abbindung der Zukunft“ 203 . Ohne die Offenheit für und Anbindung an Gewesenheit und Zukunft dehnt sich die Zeit in der Gegenwart, im Jetzt. Die stehende Zeit als jenes Jetzt steht dann gleichsam „in unser Dasein hinein“ 204 und ist letztlich ursächlich für die aufkommende Langeweile: „Wenn wir so, losgelassen in das Dabeisein, gestellt werden von dem stehenden Jetzt, das unser eigenes, aber aufgegebenes und leeres Selbst ist, langweilen wir uns.“ 205 Heidegger bezieht also das Dasein als Zeitlichkeit auf das Sich-Zeitnehmen als Zeitvertreib beziehungsweise umgekehrt den Zeitvertreib, für den wir uns Zeit nehmen, auf die Temporalität des Daseins als solchen. Das Dasein ist eben gerade bestimmt durch die Zeitlichkeit und damit durch seine Eingebundenheit in Vergangenheit und Zukunft. Wird es von diesen abgeschnitten, indem wir in der Gegenwart die Zeit zum Stehen bringen, schneiden wir uns bildlich gesprochen von uns selbst ab, insofern wir uns von dem abschneiden, was uns als Dasein zu einem Dasein macht. Die Zeit wird zum Stehen gebracht, kann uns aber beliebig zitieren, das heißt, sich als die Grundbedingung des Daseins in Erinnerung rufen. Genau dann kommt das Gefühl der Langeweile auf, da wir in dieser gedehnten Gegenwart nicht wir selbst sind und, da wir im eigentlichen Sinne in dieser Situation nicht wir selbst sind, auch nicht ausgefüllt sein können 206 . Damit findet sich also letztlich auch in dieser zweiten Form der Langeweile sowohl das von Heidegger zuvor identifizierte Strukturmoment der Leergelassenheit als auch das der Hingehaltenheit. Darüber hinaus gelangt Heidegger aber auch noch zu einer neuen, für die Untersuchung wesentlichen Einsicht in Bezug auf die Langeweile: Langeweile entsteht auf dieser 203 Grundbegriffe, p. 188 (Hervorhebungen M.H.). 204 Grundbegriffe, p. 189. 205 Grundbegriffe, p. 189. 206 Hier sei darauf hingewiesen, dass diese Deutung ein wenig forciert wirkt, gerade insofern ja auch dieses Sich-Zeit-nehmen im Grunde in der temporalen Struktur des Daseins verankert ist und auch eine Abendgesellschaft zeitlich strukturiert ist. Die Idee, dass hier ein Jetzt in die Zeit hinein steht und wir aus diesem Grunde, wenn wir uns im Hier explizierten Sinne Zeit nehmen, nicht wir selbst sein können, läuft vielleicht doch ein wenig zu offensichtlich darauf hinaus, durch eine solche Bestimmung des Sich-Zeit-nehmens die Differenz zwischen einem eigentlichen und einem uneigentlichen Selbstseinkönnen, wie Heidegger sie in Sein und Zeit expliziert hatte, unterscheiden zu können (vgl. auch Hammer, ‚Heidegger’s Theory of Boredom’, pp. 209f.). Interessant ist freilich die Frage, ob nicht in der Tat das Unfühlbarmachen der Zeit, das Heidegger hier als für die Abendgesellschaft charakteristisch präsentiert, generell als in unmittelbarer Nähe zu seinem Gegenteil, der Langeweile, zu begreifen ist. 77 Ebene durch die besondere „Art und Weise, wie unsere eigene Zeitlichkeit sich zeitigt“, was Heidegger zufolge darauf verweist, „daß Langeweile nur deshalb möglich ist, weil jedes Ding und grundsätzlicher jedes Dasein als solches seine Zeit hat“ 207 . Die dieserart identifizierbare Gebundenheit der Langeweile an die Zeitlichkeit des Daseins, so wie sie in der zweiten Form - im Vergleich zu der bloß situationsgebundenen Langeweile der ersten Form - erkennbar wird, ist denn auch für Heidegger das deutlichste Zeichen dafür, dass wir es mit einer Vertiefung zu tun haben 208 . Dritte Form der Langeweile Das Tieferwerden der Langeweile in der zweiten Form indiziert nun auch die Richtung, die ein Fragen nach dem Wesen der Langeweile im Folgenden nehmen muss. Wesentlich war die Verschiebung vom situativen Aspekt langweiliger Dinge hin zu einem Aufkommen der Langeweile aus dem Dasein selbst. Das heißt, der nächste Schritt muss in Richtung auf eine Langeweile gehen, die ihren Grund noch tiefer im Wesen des Daseins hat. Diese im Vergleich zur zweiten Form der Langeweile tiefere Form fasst Heidegger sprachlich über die Formel: „es ist einem langweilig“ 209 . In dieser Bezeichnung kommt für Heidegger zum einen eine Art Entpersonalisierung, ein Verlust des Selbst zum Ausdruck im Vergleich zu den beiden ersten Formen der Langeweile, in denen ich, du, er oder sie gelangweilt wird von beziehungsweise sich langweilt bei…. Zugleich bleibt aber die Langeweile auf ein bestimmtes Dasein bezogen. In dem „Ich langweile mich“ bei der Abendgesellschaft ist dieses Dasein noch konkret bestimmt 207 Grundbegriffe, p. 191 (Hervorhebung M.H.). 208 Daran ändert seines Erachtens auch die Tatsache nichts, dass eine erste flüchtige Betrachtung einwenden könnte, dass doch die erste Situation mehr Ernst habe, insofern wir hier keine Zeit verlieren wollen, während die zweite Situation ja gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass wir uns Zeit nehmen. Diesen vorweggenommenen Einwand kontert Heidegger durch eine Kontextualisierung dessen, was es bedeutet, dass wir keine Zeit verlieren wollen. Dies sei im Grunde nämlich der Ausdruck eines steten Beschäftigtseins und Beschäftigt-sein-müssens, wie es für die Moderne charakteristisch sei: „Wir wollen keine Zeit verlieren? Weil wir sie brauchen und verwenden wollen. Wofür? Für unsere alltäglichen Beschäftigungen, deren Sklaven wir längst geworden sind“ (Grundbegriffe, p. 195). In der zweiten Situation hingegen sei davon auszugehen, dass „ein Bei-sich-selbst“ zu finden sei, „das zum mindesten ahnt, daß das Wesentliche im Dasein durch keine Betriebsamkeit und Hetze erzwungen werden kann“ (ebd.). Dabei bleibt freilich unthematisiert, wie diese Ahnung sich genau herleitet, aber es steht zu vermuten, dass hier Heideggers Ansicht nach, insofern sich im geselligen Beisammensein beziehungsweise im Rückblick diese Langeweile den Weg bahnt, dies als Verweis darauf zu deuten ist, dass die Möglichkeit eines Daseins jenseits der Langeweile zu finden sein müsse, dass also in der Tatsache empfundener Langeweile in einer a priori nicht langweiligen Situation die Möglichkeit einer eigentlichen Seinsmöglichkeit aufscheint. 209 Grundbegriffe, p. 202 (Hervorhebung M.H.). 78 und mithin eindeutig. Jetzt hingegen, in dieser tiefsten Form der Langeweile, dem „es ist einem langweilig“, bleibt zwar der Bezug auf das Dasein, jedoch fällt das „Meinige und Deinige“ 210 von ihm ab. Ich und Du in unserer jeweiligen Besonderheit werden Heidegger zufolge in diesem „es ist einem langweilig“ indifferent, genauso wie in dem ‚Es’ jenes Unbestimmte zum Ausdruck komme, welches auch zu finden sei in Redewendungen wie jenen, in denen die Rede davon ist, dass es blitzt, donnert oder regnet 211 . Zwei maßgebliche Unterschiede ergeben sich nun im Vergleich zu den beiden zuerst behandelten Formen der Langeweile: Zum einen kann für die dritte Form der Langeweile kein Beispiel gefunden werden, es ist unmöglich, sie anhand einer Situation zu illustrieren, da sie völlig situationsungebunden, in jeder beliebigen Situation uns überfallen kann; und zum anderen weist Heidegger auf Schwierigkeiten bei der Beibehaltung des bisherigen methodischen Vorgehens hin, das heißt, vom Zeitvertreib auszugehen, da dieser für die dritte Form der Langeweile gänzlich zu fehlen scheint. Diese Tatsache erhellt sich, wenn erkannt wird, was allein aus der Stimmung dieser Form der Langeweile heraus erkennbar ist: dass es gegen sie keinen Zeitvertreib geben kann. Insofern bringt aber das Ausgehen vom Zeitvertreib dennoch einen Erkenntnisgewinn, denn wir verstehen, dass, wenn wir durch diese Langeweile gestimmt sind, ein Zeitvertreib „gar nicht mehr zugelassen“ 212 ist, sondern die Langeweile als diese tiefe Langeweile in ihrer Übermächtigkeit erkannt wird und damit auch die Vergeblichkeit allen Zeitvertreibs; und in dieser tiefen Form der Langeweile begreifen wir nun auch, dass die Langeweile uns ‚etwas zu sagen’ hat, dass wir sie nicht wegdrücken, sondern zulassen sollen: Während im ersten Fall der Langeweile das Bemühen darauf geht, die Langeweile durch den Zeitvertreib zu überschreien, damit man nicht auf sie zu hören braucht, während im zweiten Fall das Auszeichnende ein Nichthörenwollen ist, haben wir jetzt das Gezwungensein zu einem Hören, ein Gezwungenwerden im Sinne des Zwanges, den alles Eigentliche im Dasein hat, das demnach auf die innerste Freiheit Bezug hat. 213 210 Grundbegriffe, p 203. 211 Vgl. Grundbegriffe, p 203. Freilich ist Heideggersche Auslegung des „es ist einem langweilig“ an dieser Stelle nicht wirklich überzeugend in Bezug auf den für ihn durchaus maßgeblichen Hinweis, dass diese Formel einen Selbstverlust anzeige. Dies ist insofern wenig plausibel als Heidegger hier zu der einem Infinitiv vergleichbaren Allgemeinform greift, die jedoch im Sprachgebrauch überhaupt nicht dieserart verwendet wird. Hier sagt man nämlich ‚Mir ist es langweilig’ beziehungsweise „Dir ist es langweilig“, genau in dem gleichen Sinne wie in der Redewendung „Mir ist es kalt“, in deren Grundform „Es ist einem kalt“ auch nicht zum Ausdruck kommt, dass es eigentlich kein Ich oder Du mehr gibt, das die Kälte empfindet. 212 Grundbegriffe, p. 205 (Hervorhebung M.H.). 213 Grundbegriffe, p. 205 (Hervorhebungen M.H.). 79 Diese dritte Form der Langeweile ist also in erheblichem Maße abstrakter, unschärfer sowohl als die erste als auch als die zweite Form. Wir sind in ihr des Meinigen und Deinigen enthoben und auf die unpersönliche Form zurückgeworfen, dass es einem langweilig ist 214 . Zugleich erweist sich der Versuch der Beibehaltung des methodischen Ausgehens vom Zeitvertreib in diesem Falle als in ganz eigener Weise erhellend, insofern nämlich, anders als in den vorangehenden Betrachtungen, die Suche nach dem Zeitvertreib leerläuft. Der Grund hierfür ist in der Spezifizität der tiefen Langeweile zu suchen. Für diese Form der Langeweile existiert aufgrund ihrer besonderen Struktur kein ihr adäquater Zeitvertreib, ja ein solcher erscheint nicht einmal denkbar. Wenn zwar für diese Form der Langeweile kein angemessener Zeitvertreib mehr denkbar ist, so zeigt sich auf der anderen Seite, dass auch sie strukturell genau wie die ersten beiden Langeweileformen durch die Momente der Leergelassenheit und der Hingehaltenheit gefasst werden kann. In Bezug auf die Leergelassenheit ist die dritte Form der Langeweile dadurch gekennzeichnet, dass es nicht eine konkrete Situation ist, die leer lässt, sei es eine des Wartens oder eine, in der wir „uns Zeit genommen“ haben, sondern es gehört gerade zum Wesen dieser dritten Form der Langeweile, dass sie überall und schlagartig auftreten kann. Darüber hinaus erstreckt sie sich auf alles Seiende, das eigene Dasein eingeschlossen, so dass in ihr „alles gleich viel und gleich wenig gilt“ 215 also im doppelten Wortsinne ‚gleich-gültig’ ist. Wie sich in der sprachlichen Fassung des „es ist einem langweilig“ angedeutet findet, dass das Meinige und Deinige verschwindet, so enthebt diese dritte Form der Langeweile uns unserer alltäglichen Persönlichkeit oder Personalität, diese wird uns genauso fremd wie das übrige uns umgebende Seiende in einer „Gleichgültigkeit der Dinge und unserer selbst mit ihnen“ 216 . Die Leergelassenheit ist also gerade dieses Gleichgültigwerden des noch immer vorhandenen, sich aber dieserart uns versagenden Seienden. Nicht das an eine Situation gebundene Seiende wird also gleichgültig, entzieht sich uns, sondern alles Seiende - was uns selbst, insofern wir Seiende sind, mit einschließt - ist davon betroffen. Das Seiende als sich entziehendes beraubt uns in diesem Sich-Versagen unserer Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf das Seiende. Das Dasein, das in dieser Langeweile auch seine „Ichheit“ 217 eingebüßt hat, ist, wie Heidegger sagt - „im Stich gelassen“ 218 vom Seienden im Ganzen. Damit ist die so 214 Allerdings führen gerade die Abstraktheit und Unschärfe dieser tiefen Form der Langeweile beispielsweise Rivca Gordon dazu, schlechterdings zu bezweifeln, dass es diese tiefe Langeweile überhaupt gibt (vgl. dies., ‚Questioning Martin Heidegger’s Thinking on Boredom’, in Philosophical Inquiry, Vol 25, Issue 1-2, 2003, pp. 125-134). 215 Grundbegriffe, p. 207 (Hervorhebung M.H.). 216 Grundbegriffe, p. 207 (Hervorhebung M.H.). 217 Grundbegriffe, p. 210. 218 Grundbegriffe, p. 210. 80 aufbrechende Leere „nicht ein Loch zwischen Ausgefüllten, sondern betrifft das ganze Seiende“ 219 . Das Seiende versagt sich, aber gerade in dem Versagen liegt für Heidegger nicht nur ein Sich-Entziehen, sondern dieses Versagen ist als solches auch ein Sagen von dem, was versagt wird. Und das, was in dieser tiefen Langeweile dem Dasein versagt wird, sind die „Möglichkeiten seines Tuns und Lassens“. 220 Wenn das Seiende im Ganzen uns gleichgültig geworden ist, steht die Möglichkeit des Handelns - die natürlich, insofern Möglichkeit Freiheit bedeutet, sowohl eine Möglichkeit des Tuns als auch eine solche des Nicht-Tuns, des Lassens ist - nicht mehr offen, das Seiende entzieht sich unserem Zugriff. Die Langeweile dieser dritten Form ist also wesentlich gekennzeichnet durch die sich in einer bestimmten Form versagenden Möglichkeiten, aber derart, dass in diesem Versagen ein Hinweis auf die offenstehenden, aber in der Langeweile „brachliegenden“ 221 Möglichkeiten enthalten ist. In dieser tiefen Form manifestiert sich also die Leergelassenheit der Langeweile als ein Versagen der Möglichkeiten im Ganzen, freilich nicht nur als dieses Versagen, sondern zugleich auch in diesem Versagen als ein Hinweisen auf das Vorhandensein dieser Möglichkeiten. Was nun den Aufweis des temporalen Strukturmoments der Hingehaltenheit angeht, nimmt Heidegger den Ausgang von dem Sichversagen des Seienden im Ganzen, in seiner „vollen Weite“ 222 , und zwar indem er die Frage stellt, wem sich denn das Seiende dieserart in der Langeweile in seiner vollen Weite versagt. Dies ist nämlich Heidegger zufolge nicht das ‚Ich’, das ja in der Struktur des ‚Es … einem’ nicht identifiziert werden kann. Denn in jener Entpersonalisierung, die sich in der und durch die Langeweile ereignet, ist hier nicht das Ich als Ich betroffen. Vielmehr werde hier das Selbst „in aller Nacktheit“ 223 zu sich selbst als Dasein gebracht beziehungsweise vor sich als Dasein gestellt. Denn „[n]icht mir als mir, sondern dem Dasein in mir versagt sich das Seiende im Ganzen“ 224 . In dieser Nacktheit steht das Dasein vor seinem eigenen Sein-Können als solchem, und in diesem Sein-Können werden nicht beliebige Möglichkeiten angezeigt, auch nicht die Möglichkeiten dieses Daseins, sondern das Dasein ist gestellt vor das Ermöglichende des Daseins selbst: Dieses Anrufen der Möglichkeiten als solcher, das mit dem Sichversagen zusammengeht, ist kein unbestimmtes Hinweisen auf beliebige, wechselnde Möglichkeiten des Daseins, sondern ein schlechthin eindeutiges Hinweisen 219 Grundbegriffe, p. 210. 220 Grundbegriffe, pp. 211f. (Hervorhebung M.H.). 221 Grundbegriffe, p. 212 (Hervorhebung M.H.). 222 Grundbegriffe, p. 215 (Hervorhebung M.H.). 223 Grundbegriffe, p. 215. 224 Grundbegriffe, p. 215. 81 auf das Ermöglichende, das alle wesenhaften Möglichkeiten des Daseins trägt und führt [...]. 225 Da das Ermöglichende aber für uns keinen konkreten Inhalt hat, fühlen wir es als jene beunruhigende Inhaltslosigkeit, die sich in der Langeweile Ausdruck verleiht 226 . Das Moment der Hingehaltenheit offenbart sich also für das Dasein in der tiefen Langeweile als eine „Hingezwungenheit an die ursprüngliche Ermöglichung des Daseins als solchen“ 227 . Heidegger spricht also von Hingezwungenheit, insofern diese dritte Form der Langeweile in den sich versagenden Möglichkeiten hinweist auf das das Dasein und damit dessen Möglichkeiten überhaupt erst Ermöglichende. Die Hingehaltenheit steht damit als eine Zuspitzung in besonderer Weise der Leergelassenheit als einer Weite gegenüber beziehungsweise spiegelt sich die Ausweitung der Leergelassenheit durch alles Seiende in der Zuspitzung der Hingehaltenheit, denn nur indem die Leergelassenheit durch das Seiende sich immer mehr ausweitet, kommt es zu dieser Zuspitzung in der Hingehaltenheit. Um diese dritte Form der Langeweile noch präziser zu fassen, verortet Heidegger sie anschließend noch grundlegender in ihrem Zeitcharakter, indem er sie wiederum, wie er es auch für die zweite Langeweileform getan hatte, bezieht auf den Zeithorizont beziehungsweise die Zeit im Ganzen. Diesen Zeithorizont definiert er hier als „eine[n]-dreifach[en]“, insofern er sich auf Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft bezieht, die also als Dreifaches letztlich den „einheitliche[n] Allhorizont der Zeit“ 228 bilden. Wenn das Seiende im Ganzen sich versagt, so bedeutet das mithin, dass es sich in allen drei Hinsichten des Zeithorizonts versagen muss. Im „es ist einem langweilig“ ist nun die Stimmung so, dass das Seiende im Ganzen, wie gesagt, vorhanden ist, aber sich entzieht. Das Dasein in der Stimmung der Langeweile kann nicht mehr zugreifen auf das Seiende im Ganzen, das 225 Grundbegriffe, p. 216 (Hervorhebung M.H.). 226 Der Begriff des „Beunruhigende[n]“ (Grundbegriffe, p. 216), den Heidegger hier in Bezug auf die Langeweile verwendet, mag etwas überraschend sein, da dieser möglicherweise eher an den Begriff Angst denken ließe. Wenn nun Heidegger im Kontext der Langeweile von Beunruhigung spricht, rückt der Langeweilebegriff sehr nahe an den der Angst heran. Gerade insofern Heidegger aber in der Langeweile das Anzeigen von Freiheit und Möglichkeit erblickt, erscheint dies strukturell durchaus nachvollziehbar und zwar vielleicht in noch stärkerem Maße, wenn man die Kierkegaardsche Deutung des Angstbegriffs zugrunde legt, wie sie im Begriff Angst entwickelt wird und wo die Angst sich aus der Möglichkeit zu können herleitet. Vgl. S. Kierkegaard, Der Begriff Angst, in Furcht und Zittern. Der Begriff Angst. Die Krankheit zum Tode, Werksausgabe, Bd. 1, Düsseldorf: Diederichs, 1971, p. 220: „Angst [ist] die Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit für die Möglichkeit.“ Vgl. auch Jörg Disse, ‚Philosophie der Angst: Kierkegaard und Heidegger im Vergleich’, in Kierkegaardiana, 22, Kopenhagen, 2002, pp. 64-88. 227 Grundbegriffe, p. 216 (Hervorhebung M.H.). 228 Grundbegriffe, p. 218 (Hervorhebung M.H.). 82 es leer lässt. Das Dasein ist überall ohne jedoch irgendwo sein zu wollen, was Heidegger auch als das „Gebanntsein“ bezeichnet - und das, was das Dasein bannt, ist „nichts anderes als der Zeithorizont“ 229 : „Gebannt in der Zeit kann das Dasein nicht zum Seienden finden, das sich gerade in diesem Horizont der bannenden Zeit als das sich versagende im Ganzen bekundet.“ 230 Der Zeitbezug ist in diesem Falle also derart, dass erst das Gebanntsein durch den Zeithorizont bewirkt, dass das Seiende sich dem Dasein versagen kann. Die Leere, die im Sichversagen des Seienden im Dasein sich bekundet, hängt am Gebanntsein durch den Zeithorizont und erklärt somit die Leergelassenheit aus dem Zeithorizont heraus. Aber auch die Hingehaltenheit kann und muss für ein tiefes Verständnis der Langeweile in diesen Zeitbezug gestellt werden - und zwar als jenes Hinzwingen auf das, was das Dasein als solches ermöglicht. Die Zeit aber ist jenes Bannende, das zugleich, wie Heidegger es ausdrückt, „ansagt“ 231 , das heißt, die Möglichkeiten des Daseins zum Vorschein bringt. Das Bannende, nämlich die Zeit, erweist sich letztlich als diese Spitze selbst, „die das Dasein wesentlich ermöglicht“ 232 . Die das Dasein bannende Zeit ist also als ansagende das Ermöglichende des Daseins selbst. Was aber angesagt wird, nämlich als freigebbare Möglichkeit, das ist „nichts Geringeres als die Freiheit des Daseins als solche“ 233 . Diese Freiheit wiederum begreift Heidegger als ein Sichbefreien des Daseins und zwar, indem es sich „zu sich selbst entschließt“ 234 . Was aber bedeutet es, sich zu sich selbst zu entschließen? Laut Heidegger bedeutet das, „inmitten des Seienden je das Bestimmte zu sein, was zu sein [dem Dasein]aufgegeben ist“ 235 . Dieses Sichabzeichnen der Möglichkeit des Sich-zu-sich-selbst- Entschließens ist das entscheidende Moment, das in der tiefen Langeweile zutage tritt, insofern hier die Freiheit des Daseins zum Ausdruck kommt und sich zugleich, im Sich-Entschließen, der Augenblick als entscheidende Kategorie enthüllt. Der Augenblick als Möglichkeit des Sich-Entschließens wird zur „Grundmöglichkeit der eigentlichen Existenz des Daseins“ 236 . Der 229 Grundbegriffe, p. 221 (Hervorhebung M.H.). 230 Grundbegriffe, p. 221 (Hervorhebungen M.H.). 231 Grundbegriffe, p. 223. 232 Grundbegriffe, p. 223. 233 Grundbegriffe, p. 223 (Hervorhebung M.H.). 234 Grundbegriffe, p. 223 (Hervorhebung M.H.). 235 Grundbegriffe, p. 224. 236 Grundbegriffe, p. 224. In der Identifikation des Augenblicks lehnt sich Heidegger selbstverständlich nicht zuletzt begrifflich an Sören Kierkegaards Reflexionen hierzu an, wobei Heidegger selbst auch ausdrücklich auf dieses Erbe aufmerksam macht (vgl. Grundbegriffe, p. 225). Interessanterweise betont Heidegger in diesem Zusammenhang, dass Kierkegaard als erster Philosoph die wahre Bedeutung des Augenblicks dargelegt habe, während er in Sein und Zeit noch schreibt, dass Kierkegaard in seiner Deutung des Augenblicks „am vulgären Zeitbegriff haften“ (Sein und Zeit, p. 238, Fußnote) bleibe, worin zum Ausdruck zu kommen scheint, dass sich Heideggers 83 Bann der bannenden Zeit kann damit nur durch die Zeit selbst, und zwar im Augenblick, gebrochen werden, im Sichentschließen zu den eigenen Möglichkeiten des Daseins. In der Stimmung der Langeweile offenbart sich also zum einen die Weite des Zeithorizontes in den drei Dimensionen der Zeitlichkeit des Daseins und zum anderen die Zuspitzung auf den Augenblick als das eigentlich Ermöglichende unseres Daseins beziehungsweise der Hinweis, das Ansagen der Möglichkeiten dessen, was für das Dasein freigegeben werden könnte. Der Bezug von Zeit und Langeweile wird im Folgenden von Heidegger weiter expliziert durch die Anbindung an eine etymologische Herleitung und Ausdeutung des Begriffs der Langeweile selbst als eines „Langwerden[s] der Weile“ 237 . Die Weile definiert er als jene Zeit, die dem Dasein beschieden ist. Dabei bestimmt er den Zeitcharakter relativ nicht zu einer chronologischen Zeit, sondern zu dem, was er die „eigentliche Zeit“ 238 nennt. Die Dauer des Daseins, seine Länge oder Kürze kann in einem eigentlichen Sinne nicht über die Anzahl der Jahre, d.h. eine objektive Zeit, bestimmt werden, sondern ein wesentliches Dasein bestimmt sich in Bezug auf die „eigentliche Zeit“. In der uneigentlichen Zeit kommt es nun zu einem „Weitwerden des Zeithorizontes“, aber derart, dass dieses Weitwerden nicht positiv erfahren wird, nicht als Befreiung, „sondern es gerade umgekehrt mit der Weite bedrängt“ 239 . Denn in dieser Weite verschwindet die Spitze, der Augenblick und damit die Möglichkeit des Existierens und Handelns als eigentliches Existieren und Handeln - bleibt aber freilich als zugleich versagt und angesagt als eigentliche Möglichkeit der Existenz im Entschwinden dennoch präsent. Die tiefe Langeweile weist also hin auf unsere Ermöglichungsbedingung, das heißt die Zeitlichkeit, beziehungsweise auf ihre partikulare Manifestation, den Augenblick. Damit ist aber auch ein Hinweis auf das Langweilende in dieser dritten Form der Langeweile gegeben. Heidegger zufolge ist das eigentlich und einzig Langweilende nicht Seiendes oder eine bestimmte Situation, sondern nichts anderes als „die Zeitlichkeit in einer bestimmen Weise ihrer Zeitigung“ 240 . Hier ist Heidegger an dem für ihn entscheidenden Punkt angelangt, nämlich bei der Einschätzung diesbezüglich gewandelt hat (vgl. Gerhard Thonhäuser, Über das Konzept der Zeitlichkeit bei Sören Kierkegaard mit ständigem Hinblick auf Martin Heidegger, Freiburg: Alber, 2011, pp. 145f.). 237 Grundbegriffe, p. 229 (Hervorhebung M.H.). 238 Grundbegriffe, p. 229 (Hervorhebung M.H.). Hier nimmt Heidegger eine Unterscheidung aus Sein und Zeit wieder auf, wo er die Zeitlichkeit als eigentliche gerade nicht im Sinne der Zeitmessung als „öffentlich verfügbares Maß“ (Sein und Zeit, p. 413; Hervorhebung M.H.) begreift, sondern als ein ursprünglicheres Phänomen, das als solches die Zeit als messbare überhaupt erst begründet (vgl. dazu in Sein und Zeit den zweiten Abschnitt: Dasein und Zeitlichkeit, pp. 231ff.). 239 Grundbegriffe, p. 229 (Hervorhebungen M.H.). 240 Grundbegriffe, p. 237 (Hervorhebung M.H.). 84 Möglichkeit einer Antwort auf jene Frage, die er eingangs als zentrale Leitfrage angeführt hatte: Aus der Stimmung der tiefen Langeweile heraus kann nun erneut die Frage gestellt werden, ob wir uns heute selbst langweilig geworden sind. Er kann nun die phänomenologisch gewonnenen, mehr und mehr in die Tiefe des Daseins gehenden Formen der Langeweile zurückbeziehen auf die Besonderheit des heutigen Daseins und auf die Langeweile als Grundstimmung des heutigen Daseins. Heidegger diagnostiziert diesbezüglich zunächst, dass der Langeweile in der allgemeinen Leseweise Misstrauen entgegengebracht werde, da sie als fatalistisch und handlungshemmend erscheine: „Nicht [der Langeweile] entgegenhandeln - ist das nicht der Ruf zur erlahmenden Mutlosigkeit, Resignation, Untergangsstimmung, Verzweiflung? “ 241 Genau das bestreitet Heidegger, denn die Langeweile zuzulassen ermögliche erst ein „wesentliches Fragen“ 242 , in dem sich die Besonderheit der tiefen Langeweile zeigt als ein Phänomen der aktuellen Zeit. Das Zulassen der Langeweile enthüllt zunächst, dass es sich bei der hier in Frage stehenden Langeweile nicht um ein Gelangweiltwerden handeln kann, ein Gelangweiltwerden von bestimmten Dingen 243 . Es geht Heidegger letztlich selbstverständlich allein um die tiefe Langeweile, die in ihrem Wesen ein Anzeigen ist, ein versagendes Ansagen von etwas. Die Frage, ob wir uns heute selbst langweilig geworden sind, kann man deshalb Heidegger zufolge auch folgendermaßen formulieren: „Ist es am Ende dem Dasein im heutigen Menschen als solchem langweilig? “ 244 In dieser Re-Formulierung wird noch einmal der Unterschied zu der Frage deutlich, ob wir von etwas gelangweilt werden. Es geht hier um das Dasein als solches, das in Frage steht und das in der Schau des Wesens der tiefen Langeweile überhaupt erst in den Blick gerät; und vor diesem Hintergrund können nun auch die Strukturelemente der Leergelassenheit und der Hingehaltenheit in Bezug auf den heutigen Menschen in den Blickpunkt rücken in Form der Frage nach einer je spezifischen Leergelassenheit und Hingehaltenheit. Heidegger will die Leergelassenheit als eine Not begreifen, aber - und das ist wichtig vor dem Hintergrund der 241 Grundbegriffe, p. 240. 242 Grundbegriffe, p. 240. 243 Heidegger scheint durchaus davon auszugehen, dass die Langeweile in den ersten beiden von ihm explizierten Formen nicht unbedingt für die „heutige Situation“ charakteristisch ist. So betont er, dass es nicht darum gehe zu fragen, ob heutige Menschen von bestimmten Dingen „mehr gelangweilt werden als andere Epochen“ (Grundbegriffe, p. 241). Diese quantitative Bestimmung eines möglichen Mehr der Weniger in den alltäglichen Formen der Langeweile ist wohl in diese Richtung gehend zu deuten, spielt aber in Heideggers Vorhaben im Grunde keine Rolle. Jedoch scheint durchaus plausibel, dass die moderne Zeitmessung auch bezüglich der alltäglichen Langeweileformen für ein Mehr an Langeweile sorgt, wie Hammer nahe legt (vgl. ders., ‚Heidegger’s Theory of Boredom’, pp. 200f.). 244 Grundbegriffe, p. 242 (Hervorhebung M.H.). 85 spezifischen Leergelassenheit - nicht als diese oder jene konkrete Not, sondern er deutet das Sichversagen des Seienden in der spezifischen Leergelassenheit des heutigen Menschen als eine „Not im Ganzen“ 245 , die nicht aufkommen wolle und zwar genau aus dem Grunde, dass sich, so Heidegger, die Menschen in den kleinen, konkreten, einzelnen Nöten verlören. Dabei sind die einzelnen Nöte gerade nicht der Beweis der Inexistenz einer Not im Ganzen, sondern ganz im Gegenteil gründen vielmehr diese einzelnen Nöte gerade in der Leergelassenheit durch eine sich versagende Not im Ganzen. Die moderne Bedrängnis stellt sich dann also dar als „das Ausbleiben einer wesenhaften Bedrängnis unseres Daseins im Ganzen“ 246 . Dieses Ausbleiben einer wesenhaften Bedrängnis wiederum erklärt sich aus der Verlorenheit der Menschen an ein unwesentliches Handeln: „Alle und jeder sind wir die Angestellten eines Schlagwortes, Anhänger eines Programms, aber keiner ist der Verwalter der inneren Größe des Daseins und seiner Notwendigkeiten.“ 247 In der geregelten Uneigentlichkeit, in der wir leben, fehle das „Geheimnis“ 248 und damit der „innere Schrecken“ 249 , der eben durch die Ablenkung hin auf eine Unzahl konkreter, alltäglicher Nöte als tiefer, als existentieller Schrecken verdeckt und verdrängt wird. Das permanente und ununterbrochene Blicken auf diese und jene Sorgen und Nöte verdeckt, dass dieses Blicken zugleich etwas anderes verdeckt und ist damit ursächlich für die ausbleibende Bedrängnis: „Denn letztlich ist in all dem Organisieren und Programmbilden und Probieren ein allgemeines Behagen in einer Gefahrlosigkeit.“ 250 Gefahrlosigkeit meint hier natürlich nicht ein Ausweichen vor dieser oder jener gefährlichen Situation, sondern ein Ausweichen vor der Gefahr schlechthin, das Ausweichen vor dem Blick in die Tiefe des Daseins. Denn mit dem Ausweichen in die alltäglichen Sorgen und Nöte ist das Sichversagen der wesenhaften Bedrängnis kaum noch vernehmbar, so dass mit diesem Sichversagen auch das unvernehmbar ist, was sich in diesem Sichversagen ansagt: „Wer sich nichts zumutet, kann nie um ein Versagen und Versagtsein wissen, sondern er wiegt sich in einem Behagen, das hat, was es wünscht, und nur wünscht, was es haben 245 Grundbegriffe, p. 243 (Hervorhebung M.H.). 246 Grundbegriffe, p. 244 (Hervorhebung M.H.). 247 Grundbegriffe, p. 244. 248 Grundbegriffe, p. 244 (Hervorhebung M.H.). 249 Grundbegriffe, p. 244. 250 Grundbegriffe, p. 245. Die Betonung des Ausbleibens eines „inneren Schreckens“ und der „Gefahrlosigkeit“ ähnelt im Übrigen sehr stark einer Passage aus einer von Kierkegaards Erbaulichen Reden, wo es heißt: „Die Geschäftigen, die weder arbeiten noch beschwert sind, sondern nur geschäftig sind, glauben wohl, sie seien glimpflich davongekommen, wenn sie selber im Leben dem Leiden entgangen sind: deshalb wollen sie nicht gestört werden durch Hören und Denken des Schrecklichen. Ja, gewiß sind sie davongekommen, sie sind auch um eine Betrachtung des Lebens gekommen und sind in die Sinnlosigkeit hineingekommen“ (Erbauliche Reden in verschiedenem Geist 1847, Düsseldorf: Diederichs, 1966, p. 113). 86 kann.“ 251 Wenn also das Sichversagen sich nicht anzeigt, dann bedeutet das zugleich, dass das Dasein nicht zum Augenblick, zum Entschluss gelangen kann, der sich ja gerade in der Bedrängnis offenbart. Die Hingehaltenheit, die erst den Blick freigibt auf das Ermöglichende, kommt so eben gerade nicht in den Blick - und damit auch nicht die Möglichkeit des Sichentschließens, die es dem Menschen ermöglicht zu werden, „was er ist“ 252 . Die Langeweile in Form des „es ist einem langweilig“ ist mithin die Ermöglichungsbedingung der Erkenntnis der Möglichkeit eines Selbstseins, das heißt eines eigentlichen Selbstseinkönnens unter den Bedingungen der Gegenwart. Erst in dieser tiefen Langeweile offenbart sich die Differenz zwischen uneigentlichem Sein und eigentlichem Selbstseinkönnen. Damit ermöglicht erst das Zulassen dieser tiefen Langeweile das Anzeigen jener Besonderheit, in der wir heute leben, dass wir nämlich uns „aus der Gefahrenzone des Daseins fortgeschlichen“ 253 haben. Das Ausbleiben der Bedrängnis bewirkt, dass der heutige Mensch jene Spitze des schärfsten Augenblicks immer schon abgebrochen und umgebogen hat und stumpf macht und stumpf erhält durch die Eiligkeit seines Reagierens, durch die Plötzlichkeit seiner Programme, welche Eiligkeit und Plötzlichkeit er mit der Entschlossenheit des Augenblicks zusammenwirft. 254 Das Zulassen, das Sich-Stimmen-Lassen durch die tiefe Langeweile verweist also auf jene Seinsmöglichkeit, die verstellt ist durch ein uneigentliches Mittun, in dem der Mensch immer schon das wegdrückt, was ihn vor die Tiefen seines Daseins führen könnte. Damit aber beraubt er sich der Möglichkeit in jene Bedrängnis zu geraten, in der sich der Augenblick als der Entschluss in der Leergelassenheit und Hingehaltenheit der tiefen Langeweile im Sich-Entziehen offenbart. Ohne diese Bedrängnis gelangt der Mensch nicht dazu, „das Dasein sich auf die Schulter zu werfen“ 255 und zwar gerade dadurch, dass sich ihm in der Bedrängnis diese Möglichkeit als die ureigentlichste Möglichkeit des Daseins ansagt. Zusammenfassung: Langeweile bei Heidegger Die Entfaltung der Langeweileproblematik in den Grundbegriffen nimmt also ihren Ausgang im Kontext der Entwicklung eines metaphysischen Fragens. Heidegger identifiziert in der Langeweile jene Grundstimmung der Moderne, die sich für ein metaphysisches Fragen besonders gut eig- 251 Grundbegriffe, p. 246. 252 Grundbegriffe, p. 246 (Hervorhebung M.H.). 253 Grundbegriffe, p. 247. 254 Grundbegriffe, p. 248 (Hervorhebung M.H.). 255 Grundbegriffe, p. 246. 87 ne 256 . Die Entscheidung Heideggers für die Langeweile als Grundstimmung erschließt sich in doppelter Weise, einmal insofern er in ihr gerade ein Phänomen der Moderne erblickt und damit der Bedingtheit allen metaphysischen Fragens Rechnung trägt, und zum anderen insofern sie als Stimmung in anderer Weise als andere denkbare Stimmungen auf den Zeitcharakter des Daseins verweist und auf die unterschiedlichen Zeitigungsweisen der Zeit. Um zu jener tiefen Langeweile zu gelangen, durch die er sich für das metaphysische Fragen durchstimmen lassen möchte, geht er seinen eigenen methodischen Vorgaben entsprechend vor, indem er sich vom ontisch Nächstliegenden zum ontologisch Grundlegenden vorarbeitet. Dementsprechend geht er von alltäglichen, konkret beobachtbaren Langeweilephänomenen aus, um von dort aus vorzudringen zu Langeweileformen, die weniger offen zutage liegen. Ausgehend von der Auslegung der wohl alltäglichsten Form der Langeweile, die er als „Gelangweiltwerden von“ qualifiziert, dringt er vor zu einer tieferen und in diesem Sinne unspezifischeren Form der Langeweile, die er als „Sich langweilen bei“ charakterisiert. Von dort erst gelangt er zu der dritten, tiefsten und wesentlichen Form der Langeweile, in deren sprachlicher Fassung für Heidegger das Entscheidende des Wesens dieser Stimmung bereits zum Ausdruck kommt: „es ist einem langweilig“. Für jede der drei Formen konnte Heidegger zwei zentrale Strukturmomente identifizieren, die für ein tieferes Verständnis der Langeweile als Stimmung charakteristisch sind und die er als Leergelassenheit und als Hingehaltenheit bezeichnet. In der Leergelassenheit versagt sich das Seiende, entzieht sich dem bedeutungsvollen Zugriff durch das Dasein, während in der Hingehaltenheit sich die Zeit in einer ganz bestimmten Art und Weise zeitigt und das Gefühl eines stockenden Zeitverlaufs entstehen lässt. Im Vorarbeiten zur tiefen Langeweile tritt immer deutlicher die Rolle zutage, die die Zeitlichkeit für die Langeweile spielt, jener fundamentale Aspekt, dass die Langeweile letztlich ihren Grund hat in der Zeitlichkeit des Daseins selbst. Insofern also die Langeweile in Relation zur Zeitlichkeit des Daseins steht, verweist sie auf die Zeit als die Ermöglichungsbedingung des Daseins überhaupt. Die Analyse der Langeweile gelangt mithin zu dem Ergebnis, dass Leergelassenheit und Hingehaltenheit eine ursprüngliche Einheit sind und als solche ihren Ursprung in der Zeitlichkeit des Daseins haben. Die Leergelassenheit manifestiert sich nun in der Moderne als ein Ausbleiben der 256 Die Bedeutung der Langeweile, auf die er erstmals in seiner Antrittsvorlesung Was ist Metaphysik zu sprechen kommt, hat Heidegger auch späterhin noch besonders betont, wie die Herausgeber der Gesamtausgabe ausdrücklich hervorheben: „In der Zeit der Vorbereitung seiner Gesamtaufgabe hatte Heidegger dem Herausgeber die vorliegende Vorlesung [gemeint sind die Grundbegriffe; S.H.] persönlich übertragen. Wiederholt lenkte er das Gespräch während der Arbeitsbesuche des Herausgebers auf diese Vorlesung und hob dabei, außer ihrer Bedeutung für den Weltbegriff, die ausführliche Analyse der Langeweile hervor“ (Grundbegriffe, pp. 540f.). 88 Not im Ganzen, während Heidegger die Hingehaltenheit fasst als ein Hingezwungenwerden in die Spitze dessen, was das Dasein als solches ermöglicht, den Augenblick. Das entscheidende Merkmal dieser modernen Langeweile ist mithin, dass sie im Ausbleiben einer Not im Ganzen und im Hinzwingen in den Augenblick den Blick frei werden lässt für die Möglichkeit der Freiheit des Daseins, es selbst zu sein im Entschluss. 2. Langeweile als dämonischer Pantheismus in Sören Kierkegaards Entweder/ Oder Wenn die Studie sich an dieser Stelle der Langeweilebehandlung bei Sören Kierkegaard zuwendet, so unter der Prämisse, dass es sich zwar um eine Thematisierung von philosophischer Relevanz handelt, diese jedoch als literarisch zu begreifen ist. An dieser Stelle soll dies zunächst als Postulat eingeführt werden, dessen Legitimierung sich letztlich im Fortgang der Untersuchung der Kierkegaardschen Darstellung der Langeweilethematik plausibilisieren soll, bevor dann in der vergleichenden Überstellung von Heidegger und Kierkegaard die Besonderheit der Kierkegaardschen Vorgehensweise noch einmal explizit in den Fokus der Untersuchung rücken wird. Der Text, der die Grundlage für den Vergleich mit Heidegger bieten soll, ist ein literarischer Essay mit dem Titel Wechselwirtschaft. Versuch einer sozialen Klugheitslehre. Genauso wie bei Heidegger die Entfaltung der Langeweileproblematik Teil einer umfassenderen Abhandlung war, ist dieser Essay kein allein stehender Text, sondern er findet sich in Sören Kierkegaards 1843 unter dem Pseudonym Viktor Eremita herausgegebenen Erstlingswerk Entweder/ Oder 257 . Damit ist der Leser nun im Prinzip umgehend mit der Frage nach der formalen Gestaltung konfrontiert, insofern im Grunde nicht Kierkegaard selbst für das Werk verantwortlich zeichnet, sondern der Text einem Pseudonym zugeschrieben wird. Welche Konsequenzen dies auf interpretatorischer Ebene hat, darauf wird später noch ausführlich zu sprechen zu kommen sein, an dieser Stelle sollen einige kurze Bemerkungen zum textlich-narrativen Rahmen ausreichen, innerhalb dessen der Essay steht, sowie der Hinweis darauf, dass die Besonderheit der Mitteilungsstrukturen bereits hier insofern ernst genommen werden soll, als im Folgenden die inhaltlichen Aussagen nicht Kierkegaard, sondern dem jeweiligen Pseudonym zugeordnet werden 258 . 257 Dabei hat Sören Kierkegaard bei der Erstveröffentlichung im Übrigen strengstens darauf geachtet, dass der ‚wirkliche’ Verfasser, der hinter dem Pseudonym steht, unbekannt bleibt (vgl. den Kommentar von Niels Thulstrup in Entweder/ Oder, p. 938). 258 Eingehend untersucht werden die besonderen Mitteilungsstrukturen in Entweder/ Oder u.a. von Erika Deiss, Entweder - Oder? oder: Kierkegaards Rache. Eine Einladung an 89 Der narrative Rahmen von Entweder/ Oder Bei Entweder/ Oder handelt es sich um einen Text, in dem in zwei Teilen zwei unterschiedliche Lebensanschauungen präsentiert werden. Der fiktive Herausgeber berichtet im Vorwort davon, dass er durch einen Zufall auf jene Papiere gestoßen sei, die er mit der Herausgabe dem Leser überantworte. Dabei handle es sich um zwei Formationen von Papieren, die dem Herausgeber zufolge von zwei unterschiedlichen Verfassern stammen 259 . Die im ersten Teil zusammengefassten Papiere enthielten den Entwurf zu einer ästhetischen, die im zweiten Teil hingegen präsentierten eine ethische Lebensanschauung. Während Eremita für die Papiere des Ethikers einen Autorennamen ausfindig machen kann - es scheint sich um den Gerichtsrat Wilhelm zu handeln -, findet sich in den Papieren des Ästhetikers kein Hinweis auf den Verfasser, so dass Eremita sich der ‚Gleichbehandlung’ halber entschließt, beide mit Siglen zu belegen, der Ästhetiker firmiert fortan unter der Sigle A, der Ethiker unter der Sigle B 260 . Allerdings entlarvt sich diese vorderhand eindeutige Zuordnung der Verfasserschaft der Papiere letztlich als so unproblematisch nicht, insofern Eremita durch einige ironisch-widersprüchliche Winkelzüge diese Eindeutigkeit gezielt wieder untergräbt, so dass am Ende des Vorwortes dem Leser die letzte Gewissheit fehlt, wer denn nun für welche Texte verantwortlich zeichnet, beziehungsweise ob nicht eventuell A und B ein und dieselbe Person sein könnten oder sogar Eremita selbst mit A und/ oder B identisch ist 261 . Der die Verächter des Ästhetischen, sich fortzubilden oder fortzumachen, Diss., Heidelberg, 1984; Karin Pulmer, Die dementierte Alternative: Gesellschaft und Geschichte in der ästhetischen Konstruktion von Kierkegaards ‚Entweder/ Oder’, Frankfurt am Main: Peter Lang, 1982; Walter Baumgartner, ,Natürlich ein altes Manuskript… Die Herausgeberfiktion in Almquists Amorina und in Kierkegaards Entweder/ Oder. Zum fiktionalen Kommunikationsangebot zweier romantischer Romane’, in Hans Peter Naumann et al. (Hg.), Festschrift für Oskar Bandle. Zum 60. Geburtstag am 11. Januar 1986, Frankfurt am Main: Helbing und Lichtenhahn, 1986, pp. 265-283; Achim Kinter, Rezeption und Existenz: Untersuchungen zu Sören Kierkegaards ‚Entweder/ Oder’, Frankfurt am Main: Peter Lang; Sebastian Hüsch, Möglichkeit und Wirklichkeit. Eine vergleichende Studie zu Sören Kierkegaards ‚Entweder/ Oder’ und Robert Musils ‚Mann ohne Eigenschaften’, Stuttgart: Ibidem, 2004; Philipp Schwab, ‚Innen und Außen. Zu Kierkegaards Auseinandersetzung mit der romantischen Ironie vor dem Hintergrund der Mitteilungsform von Entweder/ Oder’, in N. J. Cappelørn, H. Deuser, K. B. Söderquist (Hg.), Kierkegaard Yearbook 2008, Berlin: de Gruyter, 2008, pp. 38-52; Roger Poole, ‚Reading ‚Either-Or’ for the Very First Time’, in Elsbet Jegstrup (Hg.), The New Kierkegaard, Bloomington: Indiana University Press, 2004, pp. 42-58. 259 Vgl. Entweder/ Oder, p. 15. 260 Vgl. Entweder/ Oder, p. 16. 261 So verweist Eremita zwar in durchaus plausibler Weise auf die unterschiedlichen Handschriften, die jeweils in Einklang mit der je vertretenen Lebensanschauung stünden (vgl. Entweder/ Oder, pp. 15f.). Freilich hatte er gleich zu Beginn seines Vorworts davor gewarnt, vom Äußeren auf das Innere zu schließen und vom Inneren auf das Äußere (vgl. Entweder/ Oder, p. 11). Das Besondere an dieser vieldeutigen Konstel- 90 Text, der hier im Mittelpunkt stehen wird, findet sich im ersten Teil von Entweder/ Oder, also jenen Papieren, in denen laut dem Herausgeber eine ästhetische Lebensanschauung entwickelt beziehungsweise dargestellt wird. Es handelt sich um den vorletzten Text dieses ersten Teils, auf den nur noch das berühmte Tagebuch des Verführers folgt 262 . Wenn nun aufgrund der im Vorwort erzeugten Vieldeutigkeit auch eine genaue Zuordnung der Texte zu einem Verfasser unmöglich ist, so kann man dennoch sagen, dass der Essay Wechselwirtschaft thematisch sicherlich in der Kontinuität der im ersten Teil veröffentlichten Texte steht und durchaus mit gewissem Recht als ein Abschluss der Papiere des Ästhetikers betrachtet werden kann, denn bei der Lektüre tritt so etwas wie eine Stringenz in der Leserichtung zutage, die von den unter dem Titel Diapsalmata präsentierten und den ersten Teil von Entweder/ Oder einleitenden Aphorismen über diverse kürzere und längere Abhandlungen hin zum Essay Wechselwirtschaft reicht in dem Sinne, dass die dort entfaltete „soziale Klugheitslehre“ als eine mögliche Antwort auf die namentlich in den Diapsalmata zur Sprache kommenden existentiellen Problemstellungen gelesen werden kann. Darüber hinaus ließe sich in dem Essay auch eine Art theoretischer Fundierung der im Tagebuch des Verführers in die Praxis übersetzten Ästhetisierung der Wirklichkeit erkennen. Die Wechselwirtschaft Dem Essay Wechselwirtschaft sind einige Zeilen aus Aristophanes’ Plutos vorangestellt, die beginnen mit dem Satz „... an Allem bekommt man endlich Überdruß.“ 263 Die Entwicklung der Langeweileproblematik im darauf folgenden Essay wird sich genau um dieses Problem drehen: Ist es möglich, Überdruss an Allem und die damit einhergehende Langeweile erfolgreich zu bekämpfen? Damit deutet sich bereits hier an, dass sich im Ver- lation ist, dass sich, je nachdem, wem welche Texte zugeschrieben werden, letztlich auch deren Deutung verschieben würde, so dass im Grunde genommen eine erschöpfende Interpretation von Entweder/ Oder jede dieser Möglichkeiten würde durchspielen müssen. Freilich läge in einem solchen Verfahren eine so grundlegende Ernsthaftigkeit, dass der Verdacht aufkommen könnte, dass sich einem derartigen Versuch seinerseits gerade wegen seiner Ernsthaftigkeit der Blick auf das Wesentliche verstellen würde, welches sich gerade in der Ironie zum Ausdruck bringt. 262 Die Rahmenstruktur des Tagebuches reproduziert im Übrigen das Schema der Herausgeberschaft von Entweder/ Oder. Auch dem Tagebuch ist ein Vorwort vorangestellt, in dem nun der Ästhetiker A als Herausgeber zu fungieren vorgibt und mithin explizit abstreitet, der Verfasser desselben zu sein. Diese Struktur erhöht die Mehrdeutigkeit noch einmal, so dass Eremita selbst darauf hinweist, dass dadurch seine eigene Position überaus heikel werde, da „der eine Verfasser schließlich in dem anderen drinsteckt wie die Schachteln in einem chinesischen Schachtelspiel“ (Entweder/ Oder, p. 18). 263 Entweder/ Oder, p. 330. 91 gleich zur Langeweilebehandlung bei Heidegger die Zielrichtung umdrehen wird: Ging es Heidegger darum, sich von Langeweile als Stimmung durchstimmen zu lassen, geht es dem Ästhetiker A darum, das Gefühl der Langeweile zu bekämpfen. Dies bestätigt sich, wenn A betont, dass Langeweile überaus „verderblich“ 264 sei. Zugleich deutet bereits der erste Satz des Essays an, dass die Frage der Langeweile auch stilistisch grundlegend anders angegangen wird als in Heideggers Grundbegriffen. War Heidegger ernst und systematisch vorgegangen, beginnt As Hinführung zur Thematik ironisch mit dem Satz: Von einem Grundsatz auszugehen behaupten erfahrene Leute, soll sehr verständig sein; ich tue ihnen den Willen und gehe von dem Grundsatz aus, dass alle Menschen langweilig sind. 265 Vollendet wird diese Einleitung mit der ebenso rhetorischen wie ironischen Frage: „Oder möchte wohl jemand so langweilig sein, mir darin zu widersprechen? “ 266 Mit dieser Einführung ist zunächst jener ironische Ton vorgegeben, der auch für den Rest der Ausführungen charakteristisch bleiben wird. Darüber hinaus etabliert A damit gleich zu Beginn Langeweile als eine philosophische Kategorie, insofern er die Langweiligkeit der Menschen zu einem Grundsatz erhebt, um unmittelbar ironisch die Richtigkeit dieses Grundsatzes zu ‚beweisen’, weil natürlich jeder im Sinne des zweiten Teils ethisch gesinnte Mensch sich gegen einen solchen Grundsatz verwahren müsste und insofern er es tut, genau das bestätigt, was A als seinen Grundsatz einführt. Gestützt auf die Ironie kann also A von nun an mit den philosophischen Erwartungen der Leser spielen beziehungsweise dem Leser vorführen, wie dieser sich in seinen eigenen Erwartungen und Vorurteilen verstrickt. Von der Einleitung, dass alle Menschen langweilig seien, geht A nun über auf die Langeweile selbst, und zwar indem er diese im Folgenden als ein negatives Bewegungsprinzip expliziert. So begreift er alle Aktivität des Menschen letztlich als eine Fluchtbewegung weg von der Langeweile. Damit gelangt er dann zu einer ersten Begriffsbestimmung der Langeweile, die er als „eine Wurzel alles Übels“ 267 definiert. Die Langeweile wird also aufgrund ihrer abstoßenden Wirkung zu einem Bewegungsprinzip, so dass letztlich das Wesen der Langeweile, das A als ein „ruhiges und gesetz- 264 Entweder/ Oder, p. 331. 265 Entweder/ Oder, p. 331. 266 Entweder/ Oder, p. 331. 267 Entweder/ Oder, p. 331. Diese Überlegung steht selbstverständlich der bereits erwähnten von Pascal sehr nahe, dass das ganze Elend den Menschen daher rühre, dass es ihm unmöglich sei, allein in einem Raum zu bleiben. Freilich ist die Stoßrichtung, wie sich zeigen wird, eine andere. 92 tes“ 268 beschreibt, Ursache ist für das ihm Entgegengesetzte: Die Ruhe der Langeweile setzt die Menschen in Bewegung, insofern sie der Langeweile entkommen wollen. Diese Überlegungen sind nicht weniger als der Auftakt zu einer umfassenden Kosmogonie in Form einer Neuschreibung der Schöpfungsgeschichte, in der der Ästhetiker nonchalant heidnische und biblische Elemente zusammenfügt, um die Geschichte der Welt als eine Geschichte expandierender Langeweile zu interpretieren: Die Götter langweilten sich, darum schufen sie die Menschen. Adam langweilte sich, weil er allein war, darum wurde Eva erschaffen. Von dem Augenblick an kam die Langeweile in die Welt und wuchs an Größe in genauem Verhältnis zu dem Wachstum der Volksmenge. 269 So langweilten sich „Adam und Eva und Kain und Abel en famille“ und heute langweilen sich „die Völker [...] en masse“ 270 . Die Geschichte der Menschheit wird mithin zu einer Geschichte der Langeweile. Der Turmbau zu Babel sei nichts als ein verzweifelter Zerstreuungsversuch gewesen, dabei aber nach As Dafürhalten nur ein „erschreckender Beweis dafür, wie sehr die Langeweile schon überhandgenommen hatte“ 271 . Langeweile erscheint also als ein Massenphänomen, als ubiquitär und nach der ihr eigenen Logik ist sie je weiter verbreitet, desto mehr Menschen es gibt. A gelangt schließlich zu einer weiteren Definition der Langeweile, die er nun als „dämonische[n] Pantheismus“ 272 bestimmt, also gleichsam als einen negativen Pantheismus: Aus der pantheistischen Überzeugung, dass Gott in allem ist, wird die Überzeugung, dass in allem Langeweile ist, die ihrerseits zu begreifen ist als die Statthalterin des Nichts in der Welt: „Langeweile ruht auf dem Nichts, das sich durchs Dasein schlingt […].“ 273 Nachdem A die Langeweile als negatives Bewegungsprinzip beziehungsweise dämonischen Pantheismus in ihrer Unhintergehbarkeit expliziert hat, folgt eine Wendung in seinem Fragen in Richtung auf die titelgebende Idee einer „sozialen Klugheitslehre“, die, wie nun erkennbar wird, nicht in einem ethischen Sinne zu begreifen ist, sondern in einem ästhetischen Sinne darauf ausgerichtet ist, sich der Problematik der Langeweile nunmehr vom divertissement her zu nähern. Freilich geht es ihm nicht wie Heidegger darum, ausgehend vom Fragen nach dem Zeitvertreib in Richtung auf eine tiefe Langeweile vorzudringen, sondern A will genau im Gegenteil mit seiner sozialen Klugheitslehre einen Weg finden, der Langeweile so oft und so weit wie möglich zu entkommen. Ziel seiner Reflexionen über die Langeweile ist also, trotz und gegen die Unhintergehbarkeit 268 Entweder/ Oder, p. 331. 269 Entweder/ Oder, p. 332. 270 Entweder/ Oder, p. 332. 271 Entweder/ Oder, p. 332. 272 Entweder/ Oder, p. 336. 273 Entweder/ Oder, p. 338. 93 der Langeweile, einen Weg zu finden diese im Dasein niederzuhalten. Zunächst führt A eine Einteilung ein, in der er auf seinen leitenden Grundsatz zurückkommt. So gebe es zwei Klassen von Menschen, nämlich jene, die andere langweilten und jene, die sich selbst langweilten 274 . Dabei sei das Verhältnis dieser beiden zueinander dialektisch, insofern diejenigen, „die sich nicht selbst langweilen, [...] gewöhnlich die anderen [langweilen]“, wohingegen diejenigen, „die sich selbst langweilen, [...] die anderen [unterhalten]“ 275 . Erstere sind für A „Plebs, der Haufe, der unendliche Menschenklüngel“, wohingegen letztere „die Auserwählten, der Adel“ 276 seien. Wesentlich unterscheiden sich beide dadurch, dass der Auserwählte erkenne, dass das Humane nicht in der Arbeit liege, sondern im Müßiggang, während der Plebs immer in Bewegung sei. Exemplarisch für diese Gruppe von Menschen seien jene, die die außerordentliche Gabe besitzen, alles in ein Geschäft zu verwandeln, deren ganzes Leben ein Geschäft ist, die sich verlieben und heiraten [...] und ein Kunststück bewundern mit dem gleichen Geschäftseifer, mit dem sie im Kontor arbeiten. 277 Müßiggang sei also keinesfalls als Laster zu begreifen, sondern es verhalte sich vielmehr so, dass ein Mensch, der keinen Sinn für den Müßiggang hat, „sich noch nicht zum Humanen erhoben hat“ 278 . Zur Erklärung dieser Tatsache greift A auf ein Motiv zurück, das bereits bei Pascal zu finden ist, dass nämlich, je näher der Mensch dem Göttlichen komme, er desto weniger der Aktivität bedürfe: „Die olympischen Götter langweilten sich nicht; sie lebten glücklich in glücklichem Müßiggang“ 279 . Wenn A also hier ar- 274 Freilich ist die Argumentation des Ästhetikers durchaus nicht unanfechtbar, wenn er an dieser Stelle ausgehend von dem einleitenden Grundsatz, dass alle Menschen langweilig sind, zu der Einteilung gelangt, dass das Wort langweilig „ebenso wohl einen Menschen bezeichnet, der andere, wie einen, der sich selbst langweilt“ (Entweder/ Oder, p. 335). Denn wenn letzterer sich selbst langweilt, dann ist damit etwas anderes gesagt als wenn man konstatiert, dass er langweilig ist. 275 Entweder/ Oder, p. 335. 276 Entweder/ Oder, p. 335. 277 Entweder/ Oder, p. 336. 278 Entweder/ Oder, p. 336. 279 Entweder/ Oder, p. 336. Vgl. Pascal, der im gleichen Sinne notiert: „Si l’homme était heureux, il le serait d’autant plus qu’il serait moins diverti, comme les saints et Dieu“ (ders., Pensées, Fragment 165, p. 120). Dabei fällt natürlich in Bezug auf As Argumentation eine Widersprüchlichkeit auf, insofern er eingangs die Schöpfung des Menschen darauf zurückgeführt hatte, dass sich die Götter langweilten. Wenn dieser Widerspruch auch nicht aufzulösen ist, so können die Überlegungen je eigenen Reflexionsschwerpunkten zugeordnet werden: Auf der einen Seite geht es um die Explizierung der Langeweile als negatives Bewegungsprinzip in Form einer Kosmogonie der Langeweile und auf der anderen Seite um den Fragekomplex des Müßiggangs. In diesem Falle ist das Entscheidende die Symbolik der „göttlichen Ruhe“, das heißt, dass die Ruhe als eine Eigenschaft der Götter zu betrachten ist. Es handelt sich 94 gumentiert, dass das wahrhaft Göttliche - und damit das Ideal, an dem der Mensch sich zu orientieren habe - nicht in der Arbeit liege, sondern im Müßiggang, dann ist konsequenterweise die Geschäftigkeit Ausdruck dessen, dass der Mensch sich von seinem Menschsein entfernt. Damit gelingt es dem Ästhetiker nun, die Langeweile als eine Kategorie in den Blick zu nehmen, die etwas mit Bewusstsein zu tun hat beziehungsweise mit Geist: Es gibt eine unermüdliche Tätigkeit, die einen Menschen aus der Welt des Geistes ausschließt und ihn in eine Klasse mit den Tieren setzt, die instinktiv immer in Bewegung sein müssen. 280 Die Empfänglichkeit für Langeweile wird mithin zu einem Kennzeichen der Menschlichkeit, wenn diese als Geistigkeit bestimmt ist 281 . Damit erhellt sich zum einen, warum der Geschäftige sich nicht langweilt, und zwar, um es pointiert zu sagen, weil er im eigentlichen Sinne sich nicht zum Menschlichen erhoben hat und ihm mit dem Bewusstsein auch die Möglichkeit fehlt, auf Langeweile aufmerksam zu werden; und zum anderen erklärt sich As Grundsatz, dass der Mensch sich unterhalten und der Langeweile entfliehen solle. Denn zwar macht die Bestimmung als Geist den Menschen überhaupt erst zum Menschen, damit einher geht aber auch die fundamentale Einsicht in die Nichtigkeit des Daseins, zu der der Geschäftige nicht vordringt 282 . Im Folgenden ist es A nun darum zu tun einen Weg zu finden, die Langeweile zu überwinden 283 , wobei der Begriff des Überwindens selbstver- also hier um die Opposition der Ruhe des Göttlichen auf der einen und der Unruhe der Menschen auf der anderen Seite. Letztlich ließe sich vielleicht sagen, dass die sich langweilenden Götter selbst nicht göttlich genug sind, um im Müßiggang zu verweilen. Der Widerspruch bleibt also bestehen, aber da es sich in beiden Fällen um Symbole handelt, bleibt dies ohne Auswirkung auf die Stringenz der Argumentation. Zu einer solchen Deutung passt auch die Erwähnung der „weiblichen Schönheit“ (Entweder/ Oder, p. 336), die glücklich im Müßiggang sei ohne zu nähen, zu spinnen oder zu bügeln (vgl. ebd.) und mithin als eine ästhetisierte Figur eine Art Mythos darstellt, ohne dass damit eine Aussage gemacht werden könnte über eine Realitätsmöglichkeit. 280 Entweder/ Oder, p. 336. Der Topos des Tiergleichen kommt auch an anderer Stelle zum Einsatz, so in dem Vergleich der „allergeschäftigsten Arbeiter […] in ihrem emsigen Gebrumm“ mit „am wildesten schwirrenden Insekten […]“ (ebd., p. 337) und p. 335, wo A kurzerhand und explizit die „Allerlangweiligsten“ mit einer „Tiergattung“ gleichsetzt. 281 Der Vergleich mit der Tierwelt in Bezug auf das Phänomen der Langeweile finden sich ganz ähnlich in der berühmten Goethe zugeschriebenen Bemerkung: „Wenn die Affen es dahin bringen könnten, Langeweile zu haben, so könnten sie Menschen werden“ (zitiert in Horst W. Opaschowski, Einführung in die Freizeitwissenschaft, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2008, p. 227). 282 Hierauf wird anschließend im Vergleich mit Heidegger noch näher einzugehen sein (vgl. pp. 111ff. dieser Arbeit). 283 Vgl. Entweder/ Oder, p. 338. 95 ständlich nicht in einem absoluten Sinne verstanden werden darf, sondern es geht vielmehr um ein Zurückdrängen derselben, die ja ‚im Grunde’ immer gegenwärtig bleibt. In dem Bestreben, Langeweile zu vermeiden, orientiert sich der Ästhetiker an der Opposition von Langeweile und Unterhaltung, wobei die gesuchte Unterhaltung vor dem Hintergrund des Wesens der Langeweile zu entwickeln ist. Diese Aufgabe nimmt er unter dem aus der Landwirtschaft übernommenen Begriff der Wechselwirtschaft in Angriff. Die Langeweile, so hatte A eingangs konstatiert, hat ein ruhiges und gesetztes Wesen, mit dem sie letztlich zum Bewegungsprinzip wird, insofern der Mensch vor ihr zu fliehen sucht. Wie A anhand seiner kosmogonischen Erzählung illustriert hatte, verschärft sich mit dem Versuch, in blindem Aktionismus der Langeweile zu entfliehen, jedoch das Problem. Mit den „dämonisch besessen[en]“ 284 Fluchtversuchen vor der Langeweile wird diese vielmehr nur vergrößert, sie bewirken, dass man sich letztlich „in sie hineinarbeitet“ 285 . Damit ist für A auch klar, dass der Begriff der Wechselwirtschaft nicht derart zu verstehen ist, dass man den Boden wechselt, sondern intensiv, das heißt im Sinne eines Wechsels „des Bewirtschaftungsverfahrens und der Fruchtarten“ 286 . Die Wechselwirtschaft im Sinne eines Wechsels des Bodens bezeichnet A als die „vulgäre, die unkünstlerische“ 287 , die zudem illusionär sei, da sie nicht den gewünschten Zweck erfülle, was jedoch nicht bedeutet, dass diese nicht überaus verbreitet sei: Man ist es müde, auf dem Lande zu leben, man reist in die Hauptstadt; man ist seines Heimatlandes müde, man reist ins Ausland; man ist ‚europamüde’, man reist nach Amerika usw., man gibt sich einer schwärmerischen Hoffnung hin auf ein unendliches Reisen von Stern zu Stern. 288 Oder, in einer anderen Form: Man ist es müde, von Porzellan zu essen, man ißt von Silber; man ist des Silbers müde, man ißt von Gold. Man brennt halb Rom nieder, um den Brand Trojas zu sehen. Diese Methode hebt sich selbst auf und ist die schlechte Unendlichkeit. 289 284 Entweder/ Oder, p. 338. 285 Entweder/ Oder, p. 338. 286 Entweder/ Oder, p. 339. Freilich wird der Begriff der Wechselwirtschaft in der Landwirtschaft überhaupt nicht in dieser ersten Bedeutung verwendet, worauf A auch selbst hinweist, sondern er bezeichnet immer einen Wechsel der Bewirtschaftungsverfahren beziehungsweise Fruchtarten. Aber A bedient sich dieser Bezeichnung als Illustration des Verhaltens der Mehrzahl der Menschen. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen. 287 Entweder/ Oder, p. 339. 288 Entweder/ Oder, p. 339. 289 Entweder/ Oder, p. 339. 96 Kennzeichnend an dieser extensiven Form der Wechselwirtschaft ist, dass sich im Grunde nur das Gleiche unendlich wiederholt. Gerade aus diesem Grunde kann man auf diese Weise auch nicht zu einer Überwindung der Langeweile durch Unterhaltung gelangen, denn der Aufbruch in das je Neue ist ja wiederum als Flucht vor jener Langeweile zu deuten, die aufgebrochenen ist, als man den Boden wechselte. Es handelt sich mithin um das aussichtslose Unterfangen, durch das immergleiche Verhalten, das ja erst zum Aufkommen der Langeweile führt, dieselbe bekämpfen zu wollen. Anders soll es sich dagegen mit der von A selbst vorgeschlagenen Methode verhalten, der intensiven Wechselwirtschaft, die nicht im Wechsel des Bodens, sondern des Bewirtschaftungsverfahrens liegt 290 , denn „[h]ier liegt gleich das Prinzip der Beschränkung, welches das einzig Rettende in der Welt ist. Je mehr man sich selbst beschränkt, um so erfinderischer wird man“ 291 . Bei der Beschränkung in der intensiven Wechselwirtschaft kommt es auf die Phantasie an, darauf, sich mit wenigem Gegebenen intensiv zu unterhalten. Als Beispiele nennt A einen auf Lebenszeit Gefangenen, der stundenlang eine Spinne an der Wand beobachtet oder ein Schulkind, das im Unterricht mit einer Nussschale eine Fliege fängt und beobachtet, wie die Fliege mit dieser umherläuft: äußerste Konzentration also auf Weniges als ein wirksames Mittel gegen die Langeweile, dem Wenigen kann so mehr und mehr abgewonnen werden. Diese Beispiele dienen A als Ausgangspunkt, von dem ausgehend er eine Theorie der Wechselwirtschaft entwickelt, die im Kern auf eine Poetisierung der Wirklichkeit hinausläuft. Diese wiederum soll sich vollziehen im Spannungsfeld von Erinnern und Vergessen. Interessanterweise argumentiert A nun, dass eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer Poetisierung der Wirklichkeit nach Maßgabe der intensiven Wechselwirtschaft sei, dass man zunächst die „Hoffnung über Bord“ werfen müsse 292 . Wer hoffe, könne sich nicht beschränken und wer sich nicht beschränken könne, könne nicht künstlerisch leben. Diese zunächst nicht unmittelbar einsichtige Vorbedingung erklärt sich im Folgenden, wenn A seine Deutung dessen, was es bedeutet künstlerisch zu leben, präziser fasst. Künstlerisch leben bedeutet für A zunächst einmal ein Leben zu führen, in dem Erinnern und Vergessen beherrscht, das heißt vom Künstler im Sinne seiner Poetisierung unter Kontrolle gebracht werden. Der entscheidende Aspekt ist hier, „wie man die Wirklichkeit erlebt“ 293 . Denn das Vergessenkönnen hänge ab vom Erinnernkönnen und dieses wiederum davon, wie die Wirklichkeit erlebt werde. Nicht im Rausche der Hoffnung darf erlebt werden, sondern so, dass jedes Lebensmoment „nur so viel Bedeutung für einen haben [darf], dass man es in 290 Vgl. Entweder/ Oder, p. 339. 291 Entweder/ Oder, p. 339. 292 Entweder/ Oder, p. 340. 293 Entweder/ Oder, p. 340. 97 jedem beliebigen Augenblick vergessen kann“, zugleich aber auch so viel, „dass man sich jeden Augenblick seiner erinnern kann“ 294 . Die Erinnerung wird hier zum Schlüsselmoment der Poetisierung der Wirklichkeit. Dabei muss aber bereits die Wirklichkeit so erlebt werden, dass eine solche Poetisierung überhaupt möglich ist. Dazu gehört, dass man sich gerade im Genuss nicht zu weit hinreißen lässt, da Genuss leicht in Übersättigung umschlägt - und damit als Material für poetisches Erinnern verloren geht. Deshalb soll man, wenn der Genuss oder ein Lebensmoment drohen, einen zu weit mitzureißen, „einen Augenblick inne[halten] und sich erinnern“ 295 . Mit einem dieserart perfektionierten Erleben, einem dieserart perfektionierten Erinnern und Vergessen, sei man schließlich „imstande, mit dem ganzen Dasein Federball zu spielen“ 296 , was nichts anderes besagt, als dass man so in die Position versetzt wird, die Langeweile niederzuhalten und gleichsam über den Tiefen der Wirklichkeit zu schweben durch das ständige gleichzeitige Erleben und Erinnern. Wie in Antizipation moderner Filmtechnik verweist A darauf, dass das Vergessen die Schere sei, „mit der man wegschneidet, was man nicht brauchen kann“ 297 . So könnte man sagen, dass die Kunst des Erinnerns und Vergessens als eines Poetisierens dazu in die Lage versetzt, den Roman oder Film seines Daseins zu schreiben beziehungsweise - anhand des vorhandenen Materials - in geeigneter Weise zusammenzuschneiden. Ein derartiges Poetisierungsverfahren ist in herausragender Weise dazu geeignet, Unpoetisches der Wirklichkeit wegzulassen und nur das Schöne, Interessante, Unterhaltende in sich aufzunehmen. Im Grunde besteht damit die Pointe der Ästhetisierung der Wirklichkeit darin, dass die Wirklichkeit als Wirklichkeit zum Verschwinden gebracht, in Poesie aufgelöst wird. Das bedeutet aber zugleich, ‚wirkliche’ Lebensverhältnisse möglichst zu vermeiden. So warnt A namentlich vor Freundschaft, Ehe und Berufsarbeit, da alle drei dazu führten, dass man sich in einem „Lebensverhältnis festrennt“ 298 und damit stehen diese dem für die Poetisierung unerlässlichen „vollkommenen Schweben“ 299 entgegen. Hier kommt eine Idee zum Tragen, die sich bereits in der Preisgabe der Hoffnung angedeutet findet. Das Einlassen auf die Wirklichkeit, sei es als Lebensverhältnis oder als Hoffnung in Bezug auf die Wirklichkeit, steht der Bedingung der Möglichkeit einer poetischen Lebensweise genau aus 294 Entweder/ Oder, pp. 340f. 295 Entweder/ Oder, p. 341. 296 Entweder/ Oder, p. 341. 297 Entweder/ Oder, p. 343. 298 Entweder/ Oder, p. 343. 299 Entweder/ Oder, p. 343. Die Anspielung in der Wortwahl auf die frühromantische Poetologie ist hier überdeutlich. So bestimmt beispielsweise Schlegel in den Lyzeums-Fragmenten seine progressive Universalpoesie derart, dass der Dichter gleichsam „auf den Flügeln der Reflexion in der Mitte schweben“ (KA II, p. 160, Fragment 108) müsse. 98 dem Grunde entgegen, dass es den Menschen daran hindert, sich ganz und gar willkürlich zu verhalten. Dies ist insofern problematisch, als dem Ästhetiker zufolge „[i]n der Willkür das ganze Geheimnis [liegt]“ 300 . Nur wer ganz und gar willkürlich handle, sei in der Lage, die Wirklichkeit zu poetisieren, denn nur wer willkürlich handle, könne das Erlebte auch genau so erleben, dass es sich in seine Dichtung integriert. Auf die Spitze getrieben wird diese Überlegung in der Feststellung, man müsse „auch beständig sich selbst variieren“ 301 . Damit erst wird die Wechselwirtschaft vollkommen und enthüllt sich in ihrem wahren Charakter. Während das Äquivalent der extensiven Wechselwirtschaft das Reisen von hier nach dort ist, aber unter Beibehaltung des Reisenden, bleibt die intensive Wechselwirtschaft gleichsam an Ort und Stelle, und die Variationen ergeben sich durch ein willkürliches Setzten der Lebensverhältnisse, dem auch das Selbst des Dichters unterworfen ist. Ein weiteres Element komplettiert diese Lehre einer intensiven Wechselwirtschaft, nämlich die Integration des Zufalls in die Dichtung, denn „[m]it der Willkür in einem selbst korrespondiert der Zufall draußen“ 302 . Poetisch seien nicht die „sogenannten geselligen Freuden“, auf die man sich tage- oder wochenlang vorbereite, ganz im Gegenteil müsse einem „das unbedeutendste Ding durch einen Zufall reichen Stoff zur Unterhaltung bieten“ 303 können. Ausgehend von der Einsicht in die Langeweile als das unhintergehbare allgemeine Bewegungsprinzip entwickelt also A auf der einen Seite seine Theorie der Langeweile, zugleich aber vor allem auch eine Langeweilevermeidungslehre, deren wesentliches Merkmal die Auflösung der Wirklichkeit in Poesie ist. Dies muss freilich bedeuten, dass sich derjenige, der Langeweile vermeiden will, jeder allgemein üblichen Form der Ausrichtung seines Verhaltens auf andere und damit der Notwendigkeit, verbindlich zu handeln, enthält. Die ethischen Implikationen dieser Tatsache stellen aber zunächst insofern kein Problem dar, als diese Konzeption der Wechselwirtschaft sich allein an ästhetischen Kriterien ausrichtet. Ganz deutlich zeigt sich diese Orientierung an ästhetischen Wertungskategorien in der Kritik des Ästhetikers am Dutzendmenschen, an jener Art von Mensch also, die sich nicht langweilt und damit für die anderen langweilig ist, insofern die Attribution des Prädikats ‚langweilig’ ein rein ästhetisches Urteil ist 304 . Damit ist aber auch die Kritik an dieser Art Menschen rein 300 Entweder/ Oder, p. 347. 301 Entweder/ Oder, p. 347 (meine Hervorhebung). 302 Entweder/ Oder, p. 349. 303 Entweder/ Oder, p. 349. 304 Diese Konzentration auf das Ästhetische ist freilich zumindest in der vom Ästhetiker verkörperten Existenzform ambivalent, insofern sich das ästhetisch Interessante gerade im Tagebuch des Verführers immer wieder als das ethisch Verwerfliche erweist. Insofern ist die A-Moralität des Ästhetischen hier im Grunde nicht mehr gegeben. 99 ästhetischer Natur. Der Vorwurf der Vulgarität verbleibt dann aber dennoch nicht im rein Ästhetischen, insofern in den Ausführungen As eine Kritik an der Ungeistigkeit zum Ausdruck kommt, die letztlich auch eine Kritik an der fehlenden Hellsichtigkeit in Bezug auf die Existenz darstellt, insofern sich der Massenmensch die Frage des Nichts nicht stellt. Es ist also nicht allein der fehlende ästhetische Reiz ihres Lebensentwurfes, der im Kern nicht Lebensentwurf, sondern imitatio des Immergleichen ist, sondern auch die Tatsache, dass dieses Immergleiche sich seiner eigenen Vergeblichkeit nicht bewusst ist 305 . Dem stellt A mit der Wechselwirtschaft keineswegs einen Entwurf entgegen, der den Anspruch hätte, nicht vergeblich zu sein. Ihm ist es vielmehr wesentlich darum zu tun, den wenigen Eingeweihten - denn er sagt explizit, seine Lehre sei „nicht zum Gebrauch für Jedermann“ 306 - eine Möglichkeit anzubieten, auf Grundlage der Einsicht in eine grundlegende Sinnlosigkeit der Existenz die Langeweile so weit wie möglich zu überwinden durch die Poetisierung der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit wird damit ent-wirklicht und ver-möglicht und gleichsam ein Kunstwerk, aus dem das Langweilige und Triviale der Wirklichkeit entfernt wurde. Das Leben wird damit nicht in einem metaphysischen Sinne sinnvoll, aber es wird so zumindest schön. A kann also in der Langeweile als Ausdruck des Nichts keine sinnkonstitutive Verweisfunktion erblicken, wenn damit die Möglichkeit gemeint sein soll, in besonderer Weise zu einem Selbst zu gelangen. Vielmehr konstruiert er auf der Einsicht in die Nichtigkeit und Vergeblichkeit der Existenz einen Lebensentwurf, der explizit eine (dichterische) Willkür zur Richtschnur des Handelns macht, die das gesamte Existenzverhältnis und auch die eigene Persönlichkeit umgreifen soll. A suggeriert als bestmögli- Dies hängt wesentlich damit zusammen, dass die ästhetische Existenz, wie A sie verkörpert, letztlich paradox ist (vgl. dazu pp. 172f. dieser Arbeit). 305 Die Kritik am Dutzendmenschen reicht also damit in der Tat deutlich über eine rein ästhetische hinaus und gleicht tendenziell eher dem Vorwurf Nietzsches an diejenigen, die keinen Willen zu Erkenntnis manifestieren, jedoch mit einer metaphysischen Komponente dahingehend, dass er den Menschen vorwirft, sich der Sinnlosigkeit des Daseins nicht bewusst zu sein. Dies wird freilich in den Aphorismen des ersten Teils deutlicher als in dem hier im Mittelpunkt stehenden Essay Wechselwirtschaft. Vgl. etwa Entweder/ Oder, p. 34: „Von allen lächerlichen Dingen erscheint mir als das Allerlächerlichste, es eilig zu haben auf der Welt, ein Mann zu sein, der rasch zum Essen und rasch zur Arbeit ist. Wenn ich darum sehe, wie sich einem solchen Geschäftsmann im entscheidenden Augenblick eine Fliege auf die Nase setzt, oder ein Wagen, der in noch größerer Eile an ihm vorbeifährt, ihn von oben bis unten bespritzt, oder die Zugbrücke vor ihm hochgeht, oder ein Dachziegel herabfällt und ihn erschlägt, da lache ich aus Herzensgrund. Was richten sie schon aus, diese geschäftigen Eilighaber? Ergeht es ihnen nicht wie jener Frau, die in ihrer Bestürzung darüber, daß das Feuer im Hause war, die Feuerzange rettete? Was retten sie wohl mehr heraus aus der großen Feuersbrunst des Lebens? “ 306 Entweder/ Oder, p. 334 (Hervorhebung S.K.). 100 ches Inrechnungstellen der Nichtigkeit die Überwindung der Langeweile in Form einer Ästhetisierung der eigenen Existenz, derart, dass die intensive künstlerisch-schöpferische Inszenierung derselben jenen Unterhaltungswert bieten soll, der den Blick in das Nichts verstellt 307 . Für die Langeweile aus der Perspektive des Ästhetikers lässt sich also festhalten, dass sie als metaphysische zu begreifen ist und zwar dahingehend, dass sie auf jenes Nichts verweist, das die Grundlage alles Seienden ist, genau damit aber auch jedwede Möglichkeit einer transzendenten Sinnhaftigkeit unmöglich macht. Insofern also die Langeweile auf die Unmöglichkeit einer transzendenten Sinnhaftigkeit deutet und mithin keine positive Verweisfunktion übernehmen kann, ist die Schlussfolgerung As konsequent, die Langeweile zu bekämpfen, was den Ausgangspunkt für die Erarbeitung seiner Lehre einer intensiven Wechselwirtschaft darstellt, einer Lehre, die rein immanent ist und deren Ziel eine Poetisierung der Wirklichkeit ist dahingehend, dass über den Wechsel von Erinnern und Vergessen zu einer möglichst langeweilefreien Existenz gelangt wird. Wenn der Essay des Ästhetikers mit dem Postulat der willkürlichen Poetisierung der Wirklichkeit seinen Höhe- und Schlusspunkt findet, dann scheint es sinnvoll, diese zu komplettieren durch einen Blick auf den zweiten Teil von Entweder/ Oder. Zwar bezieht sich der Ethiker, der hier zu Worte kommt, nicht explizit auf die Frage der Langeweile, in der Art und Weise jedoch, wie der Ethiker die vom Ästhetiker eingeführten Problemkomplexe aufnimmt und umdeutet, finden sich wichtige Elemente, die dazu beitragen, der Thematik ein schärferes Relief zu geben, gerade in Bezug auf die Grundvoraussetzung der Langeweile als metaphysisches Prinzip. Langeweile aus der Perspektive des Ethikers Wenn nun die Ausführungen des Ethikers in den Fokus rücken, so sei vorab darauf hingewiesen, dass diese keinesfalls, wie dies in der Sekundärliteratur oft dargestellt wird, die Kierkegaardsche Stellungnahme zum Problem der ästhetischen Existenz darstellten 308 . Insofern sollen die Über- 307 Die Stoßrichtung dieser Überlegungen ähnelt einer Bemerkung Nietzsches in der Fröhlichen Wissenschaft, wo er von der griechischen Kultur sagt, dort sei man oberflächlich gewesen aus Tiefe in dem Sinne, dass die Griechen einen ästhetischen Schleier über die Einsicht in die Nichtigkeit des Daseins gelegt hätten. Vgl. Die fröhliche Wissenschaft, p. 352: „Oh diese Griechen! Sie verstanden sich darauf, zu leben: dazu thut Noth, tapfer bei der Oberfläche, der Falte, der Haut stehen zu bleiben, den Schein anzubeten, an Formen, an Tönen, an Worte, an den ganzen Olymp des Scheins zu glauben! Diese Griechen waren oberflächlich - aus Tiefe! “ 308 Derartige Deutungen sind eher die Regel als die Ausnahme, auch wenn bisweilen einschränkend darauf hingewiesen wird, dass nicht alle Positionen des Ethikers mit denen Kierkegaards kompatibel seien. Dies ist ebenso wenig durch den Text gedeckt wie umgekehrt die Deutung zum Beispiel Friedhelm Dechers, der davon spricht, 101 legungen des Ethikers hier auch ausschließlich als dessen persönliche Stellungnahme zur ästhetischen Lebensanschauung, wie sie im ersten Teil expliziert wird, gelesen werden. Beim Blick auf die Ausführungen des Ethikers fällt im Übrigen auf, dass dieser an keiner Stelle, weder in seinem ersten Brief, in dem er die ästhetische Gültigkeit der Ehe darzulegen bemüht ist, noch in seinem zweiten Brief, der hier vor allem eine Rolle spielen soll und den er mit Das Gleichgewicht zwischen dem Ästhetischem und dem Ethischem in der Herausarbeitung der Persönlichkeit betitelt hat, die Langeweileproblematik aus der Wechselwirtschaft explizit aufgegriffen wird 309 . Das erklärte Ziel der beiden Briefe ist es A dahin zu führen, dass dieser sich der Defizienz seiner eigenen, das heißt der ästhetischen Lebensanschauung durchsichtig werde. Zu diesem Zwecke bemüht sich der Ethiker aufzuzeigen, dass eine ästhetische Lebensanschauung im Grunde Verzweiflung ist. Wenn nun die Langeweile nicht ausdrücklich aufgenommen wird, so wird sich zeigen, dass gerade über den Begriff der Verzweiflung das Problem metaphysischer Langeweile in den Ausführungen des Ethikers unausgesprochen durchgehend präsent ist. Die Verbindung wiederum, die von der Langeweile des Ästhetikers zum Konzept der Verzweiflung in den Reflexionen des Ethikers führt, ergibt sich über die Kategorie des Nichts; denn während der der Ästhetiker das Nichts als der Grund der Langeweile identifizierte, postuliert der Ethiker, dass der Ästhetiker sich „in das Nichts der Verzweiflung“ 310 verliere und enthüllt damit Nichts und Verzweiflung in ihrem intrinsischen Zusammenhang. Eine weitere, keinesfalls zufällige Brücke, die Langeweile und Verzweiflung in Beziehung setzt, ist die Tatsache, dass der Ethiker der Verzweiflung das gleiche Antonym zuordnet wie der Ästhetiker der Langeweile - und zwar den Begriff der Zerstreuung 311 . dass Kierkegaard als Therapie gegen Langeweile die Wechselwirtschaft empfehle (vgl. ders., Besuch vom Mittagsdämonen, p. 120), ohne auch nur beiläufig auf die Frage der Pseudonymität hinzuweisen. Freilich zeichnet sich diese Bemerkung Dechers zumindest insofern durch eine gewisse Originalität aus, als der Kanon meist dahin geht zu behaupten, Kierkegaard wolle das Ästhetische ‚überwinden’, während Decher Kierkegaard zumindest zutraut, eine ästhetische Wechselwirtschaft zu proklamieren und das nicht nur zu dem Zweck, diese anschießend zu denunzieren. In origineller Weise Ernst nimmt das Ästhetische bei Kierkegaard auch Konrad Paul Liessmann in der lesenswerten Arbeit Ästhetik der Verführung. Kierkegaards Konstruktion der Erotik aus dem Geiste der Kunst (Frankfurt am Main: Hain, 1991). 309 Es finden sich lediglich, vor allem im ersten Brief, einige Stellen, an denen der Ethiker auf die Langeweile zu sprechen kommt, jedoch ohne den Bezug zu der doch recht ausführlichen Würdigung der Langeweile durch den Ästhetiker herzustellen und im Grunde auch nicht so, dass darin eine philosophische Bedeutung erkennbar würde (vgl. etwa Entweder/ Oder, pp. 611, 638, 674). 310 Entweder/ Oder, p. 753. 311 Dabei betrachtet der Ethiker auch das abstrakt-logische Denken als ein Mittel, sich von seiner eigenen Verzweiflung abzulenken, was bei Philosophen des Öfteren zu beobachten sei: „Ihr Gedanke ist beruhigt, der objektive logische Gedanke ist in der ihm entsprechenden Objektivität zur Ruhe gebracht, und doch sind sie Verzweifelte, 102 Der Nachvollzug der Argumentation Bs, warum die Existenz des Ästhetikers als Verzweiflung zu betrachten sei, wird letztlich auch eine implizite Erklärung dafür liefern, warum er seinen Angriffspunkt bei der Verzweiflung wählt und nicht bei der Langeweile und zwar aufgrund der Tatsache, dass sich mit dem Überwinden der Verzweiflung das Problem der Langeweile von selbst erübrigt, da es, den Erörterungen Bs zufolge, auf falschen Voraussetzungen beruht, oder, um es mit der Begrifflichkeit Heideggers auszudrücken, auf nicht eigentlich erschlossenen Existenzmöglichkeiten. Insofern sind die Ausführungen Bs überaus hilfreich, um bestimmte Strukturaspekte der Langeweile, wie sie im ersten Teil zur Sprache kamen, aus anderer Perspektive zu profilieren. Wichtig beim Nachvollzug der Argumentation Bs ist dabei eine grundlegende Voraussetzung, die der Ethiker seinen Ausführungen unterlegt und zwar, dass der Ästhetiker schlecht platziert sei, um sich über seine eigene Existenzweise Aufschluss geben zu können, denn er sei, wie B explizit sagt, in das Ästhetische „verstrickt“ 312 , während er, B, aus einer Metaebene die Idiosynkrasie der ästhetischen Lebensanschauung durchsichtig machen könne. Bevor im Folgenden in groben Linien die Argumentation Bs nachvollzogen werden soll, ist es wichtig auf den fundamentalen Bruch hinzuweisen, der zwischen dem ersten und dem zweiten Teil von Entweder/ Oder erkennbar wird. Dieser spiegelt sich stilistisch sowohl im Ton als auch in der Gestaltung und ließe sich zuspitzen darauf, dass hier ein Übergang stattfindet von der Ironie zum Ernst. Schon der Titel jenes Briefes, der dem Nachweis der Verzweiflung einer ästhetischen Lebensanschauung gewidmet ist, Das Gleichgewicht zwischen dem Ästhetischen und dem Ethischen in der Herausarbeitung der Persönlichkeit hebt sich von der ironischen Verwendung namentlich des Begriffs der Wechselwirtschaft und der Sozialen Klugheitslehre im ersten Teil von Entweder/ Oder ab; und während der Ästhetiker in der Eröffnung seines Essays ironisch mit der Erwartungshaltung des Lesers gespielt hatte, beginnt der Ethiker sachlich und bedeutungsschwer: Mein Freund! Die Zeilen, auf die hier ein Auge zuerst fällt, sind zuletzt geschrieben. Ihr Zweck ist es, noch einmal einen Versuch zu machen, die ausführlichere Untersuchung, die Dir hiermit zugestellt wird, in die Form eines Briefes zu zwingen. […]. 313 mögen sie sich auch mit dem objektiven Denken zerstreuen, denn ein Mensch kann sich auf mancherlei Weise zerstreuen, und es gibt schwerlich ein so betäubendes Mittel wie abstraktes Denken, weil es dabei darauf ankommt, sich so unpersönlich wie möglich zu verhalten“ (Entweder/ Oder , pp. 769f.; meine Hervorhebung). 312 Inwieweit der Leser diese Überzeugung von B teilen muss, diese Frage stellt sich wiederum im Zusammenhang mit der Frage nach der Textstruktur von Entweder/ Oder und soll daher an dieser Stelle offen gelassen werden. 313 Entweder/ Oder, p. 525. 103 Dieser Perspektivwechsel und die Differenz zwischen der Ironie der ästhetischen Lebensanschauung und dem Ernst des Ethischen werden dabei vom Ethiker ausdrücklich unterstrichen. In verschiedensten Wendungen findet sich der immer wiederkehrende Gedanke vom Ernst der Ethik als Kritik an der unverbindlich-ironisch-beliebigen Lebensanschauung des Ästhetikers 314 . Pointiert formuliert könnte man mithin sagen, dass die Briefe des Ethikers letzten Endes auf den Versuch hinauslaufen, den Ästhetiker zu einem Ethiker und den Ironiker zu einem ernsten Menschen, das heißt im Grunde, A zu B zu machen und zwar durch den Nachweis, dass jedwede ästhetische Existenz prinzipiell verzweifelte Existenz ist. B entwickelt seine Argumentation, dass die ästhetische Lebensanschauung Verzweiflung sei, anhand des Problems der Persönlichkeit, welches er anbindet an eine Reflexion auf jenes Entweder-Oder, welches bereits von Herausgeber Viktor Eremita als Titelvorschlag für den Gesamttext nahe gelegt worden war. In seinen Ausführungen scheint B auf einen zentralen Aphorismus des Ästhetikers aus dem ersten Teil von Entweder/ Oder anzuspielen, der die Gleich-gültigkeit jedweder Entscheidung unterstrichen hatte. Dort hieß es unter dem Titel Entweder-Oder. Ein ekstatischer Vortrag: Heirate, du wirst es bereuen; heirate nicht, du wirst es auch bereuen; heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen. […]. Erhänge dich, du wirst es bereuen; erhänge dich nicht, du wirst es auch bereuen; erhänge dich oder erhänge dich nicht, du wirst beides bereuen […]. 315 B nun versucht A davon zu überzeugen, dass dieses Entweder-Oder nur gleichgültig bleibe, solange man kein absolutes Entweder-Oder annehme, sondern in dem Entweder-Oder beliebige Wahlmöglichkeiten einander gegenüberstelle. Beim ästhetischen Entweder-Oder handle es sich im Grunde um kein wirkliches Entweder-Oder, da in ihm keine Differenz zum Ausdruck komme. Es sei, vom Ästhetiker vorgebracht, nur „ein coup de main, ein Abrakadabra“ 316 , das im Grunde keinen Ernst habe. Worauf er mit diesem Vorwurf hinaus will, das wird deutlich, wenn er die Beliebigkeit des Entweder-Oder des Ästhetikers an das Problem der Persönlichkeit bindet und konstatiert, dass darin letztlich zum Ausdruck komme, „wie 314 Vgl. u.a. Entweder/ Oder, p. 531: „Siehst Du, mein junger Freund, dies sind keine Tändeleien […], sondern es ist der Ernst des Lebens“; p. 537: „Ich habe nicht die Absicht, Dir was vorzupredigen, allein es gibt einen Ernst […]; p. 704: Die Worte Entweder- Oder wirkten auf B „wie eine Beschwörungsformel, und meine Seele wird überaus ernst […]“; p. 705: „Als eine solche obrigkeitliche Person […] erscheinen also diese Worte, und meine Seele wird stets ernst“; ebd.: „[I]n jedem Falle aber werde ich mich bemühen, mit ungeheucheltem Ernst zu wählen […]“; p. 762: „[E]s liegt ein Ernst darin, der die ganze Seele erschüttert […]“; ebd.: „Es ist ein ernster und bedeutungsvoller Augenblick […]“ (meine Hervorhebungen). Diese Liste ließe sich fast beliebig verlängern. 315 Entweder/ Oder, p. 49. 316 Entweder/ Oder, p. 706. 104 haltlos deine [des Ästhetikers] Seele ist“ 317 . Der grundlegende Einwand ist hiermit ausgesprochen: Im Entweder-Oder des Ästhetikers kommt eine Verlorenheit der Seele zum Ausdruck. Dies aber, so die eindringliche Warnung, führe letzten Endes zu einem Selbstverlust: Ich habe im Leben Menschen gesehen, die andere so lange betrogen, dass zuletzt ihr wahres Wesen sich nicht mehr offenbaren konnte. […] Oder kannst Du Dir etwas Entsetzlicheres denken, als daß es damit endete, daß Dein Wesen sich in eine Vielfalt auflöste, daß Du wirklich zu mehreren, daß Du gleich jenen unglücklichen Dämonischen eine Legion würdest und Du solchermaßen das Innerste, Heiligste in einem Menschen verloren hättest, die bindende Macht der Persönlichkeit? 318 Dem stellt nun der Ethiker ein Entweder-Oder entgegen, das nicht der ästhetischen Beliebigkeit unterliege, sondern von absoluter Bedeutung sei, und zwar handelt es sich dabei um jene Wahl, in der der Mensch sich selbst wählt und die der Ethiker fasst als die Wahl zwischen dem Ethischen und dem Ästhetischen: Die Wahl [zwischen dem Ästhetischen und dem Ethischen] selbst ist entscheidend für den Gehalt der Persönlichkeit; durch die Wahl sinkt sie in das Gewählte hinab, und wenn sie nicht wählt, welkt sie an Auszehrung dahin. 319 Begrifflich fasst der Ethiker diese Differenz, die er zwischen dem ästhetischen und dem ethischen Entweder-Oder verortet, auch als den Unterschied zwischen einem Wählen „im uneigentlichen Sinne“ 320 und einem eigentlichen Wählen, insofern „das Wählen ein eigentlicher und stringenter Ausdruck für das Ethische ist“ 321 . Freilich ist das Zurückweichen vor dieser absoluten Wahl zwischen dem Ästhetischen und dem Ethischen nach Bs Dafürhalten durchaus eher die Regel als die Ausnahme, der Vorwurf, den er an A richtet, trifft mithin auf einen Großteil der Menschen zu: Und das ist das Traurige, wenn man das Leben der Menschen betrachtet, daß so viele ihr Leben in stiller Verdammnis dahinleben; sie leben sich selbst aus, nicht in dem Sinne, daß der Inhalt des Lebens sich sukzessiv entfaltete und nunmehr in dieser Entfaltung besessen würde, sondern sie leben sich gleichsam aus sich selbst heraus, verschwinden wie Schatten, ihre unsterbliche Seele verweht […]. 322 317 Entweder/ Oder, p. 706. 318 Entweder/ Oder, pp. 707f. 319 Entweder/ Oder, p. 711. 320 Entweder/ Oder, p. 715. 321 Entweder/ Oder, p. 715. 322 Entweder/ Oder, p. 717. Nach Bs Argumentation ist es auch nur konsequent, wenn er den Ästhetiker darauf hinweist, dass dieser letztlich „in dieser Betrachtung […] mit Menschen an einem Strang [wird] ziehen müssen, die [ihm] eigentlich ein Greuel 105 Im Zurückweichen vor dieser absoluten Wahl, in der das Ethische gewählt wird, verortet B nun die Verzweiflung. Dass der Ästhetiker „die Verzweiflung nicht zugeben“ 323 wolle, sei hier kein Einwand gegen diese Feststellung, denn der Verbleib im Ästhetischen sei immer wesentlich Verzweiflung 324 . Die Tatsache nun, dass B den Ästhetiker für verzweifelt hält, erklärt er darüber, dass dieser „die Eitelkeit aller Dinge durchschaut“ 325 habe, jedoch von dort aus nicht „weitergekommen“ 326 sei. B konzediert ferner, dass in einem gewissen Sinne die Verzweiflung As sogar durchaus angemessen sei, „denn nichts Endliches, nicht die ganze Welt vermag eines Menschen Seele zu befriedigen, die Verlangen nach dem Ewigen fühlt“ 327 . Insofern nun aber nichts Weltliches, nichts Endliches die Seele As zu befriedigen vermag, ziehe dieser sich zurück in einen „höhere[n] Äther“ und verflüchtige sich in „das Nichts der Verzweiflung“ 328 . An dieser Stelle nun schlägt die Argumentation des Ethikers eine Richtung ein, die diametral in die Gegenrichtung dessen geht, was der Ästhetiker in der Wechselwirtschaft postuliert hatte. So zieht der Ethiker zwar noch durchaus folgerichtig und in Einklang mit A vom Durchschauen der „Eitelkeit der Dinge“ eine Verbindungslinie zum Nichts, insofern ja in der Tat der Ästhetiker nahegelegt hatte, dass einer auf der Langeweile und dem Nichts basierenden Welt kein Sinn abzugewinnen sei jenseits des divertissement. Dann aber deutet der Ethiker schlicht die Konsequenzen um, die aus der Nichtigkeit des Weltlichen zu ziehen seien. Nachdem er also verargumentiert hat, dass die Existenz des Ästhetikers als Verzweiflung zu betrachten ist, weil nichts Endliches seine Seele zu befriedigen vermöge, fordert er diesen auf, die Verzweiflung nicht nur sich einzugestehen, sondern durchzuführen, um von dort aus über sie hinaus zu gelangen: [V]erzweifle! / So wähle denn die Verzweiflung, denn die Verzweiflung ist selbst eine Wahl […]. Und indem man verzweifelt, wählt man wieder, und was wählt man da, man wählt sich selbst, nicht in seiner Unmittelbarkeit, sind“ (Entweder/ Oder, p. 731), insofern sich der Ästhetiker mit seiner elitärästhetizistischen Lebensanschauung nur durch „Unwesentliches“ (Entweder/ Oder, p. 732) - nämlich innerästhetische Kriterien - von dem gemeinen Volk unterscheide, nicht aber durch eine wesentliche Differenz. 323 Entweder/ Oder, p. 746. 324 B verwendet hier die gleiche Reflexionsstruktur wie der Ästhetiker in seiner These, dass alle Menschen langweilig seien und dass die Langeweile nicht aufgehoben sei, wenn langweilige Menschen dies nicht wüssten (vgl. Entweder/ Oder, p. 337). In Bezug auf die Verzweiflung wird ebendiese Reflexionsstruktur im Übrigen auch von Anti- Climacus in der Krankheit zum Tode verwendet, wenn dieser eine unbewusste von einer bewussten Verzweiflung unterscheidet, worauf noch zurückzukommen sein wird (vgl. p. 128f. dieser Arbeit). 325 Entweder/ Oder, p. 749. 326 Entweder/ Oder, p. 749. 327 Entweder/ Oder, p. 758. 328 Entweder/ Oder, p. 753. 106 nicht als dieses zufällige Individuum, sondern man wählt sich selbst in seiner ewigen Gültigkeit. 329 Was hierin bereits angedeutet ist, findet sich dann wenig später explizit. Derjenige, der sich in seiner ewigen Gültigkeit wählt, findet sich schließlich „selbst […] in Gott“ 330 . Der Ethiker geht also im Grunde über eine weite Strecke den gleichen Weg wie der Ästhetiker, biegt dann aber im entscheidenden Augenblick in die Gegenrichtung ab. Ist der Ästhetiker bis zum Ende der ästhetischen Existenz gelangt, um dort in uneingestandener Verzweiflung im Genuss seiner Poetisierungen zu verweilen, ergreift der Ethiker von hier aus die Ewigkeit. Während also die Reflexion des Ästhetikers an der Einsicht in die Nichtigkeit der Welt festhält und seine soziale Klugheitslehre zur Langeweilevermeidung entsprechend und auf Grundlage dieser Einsicht entwickelt, hintergeht der Ethiker die Voraussetzungen, von denen aus A zu seiner Lebensanschauung gelangt war, indem er die Sinnlosigkeit in Sinnhaftigkeit umwertet durch die Anbindung des Endlichen und Bedingten an das Ewige und Unbedingte. Insofern er sich an keiner Stelle um eine Legitimierung dieses Schrittes bemüht und dieser rational auch nicht einsichtig zu machen ist, handelt es sich bei seinem Postulat der Wahl des Selbst in seiner ewigen Gültigkeit selbstverständlich um einen Sprung. Die Nichtigkeit des Endlichen wird nunmehr aufgehoben in der Wirklichkeit des Ewigen und die Entwertung des Seienden vor dem Hintergrund des Nichts als Grund alles Seienden wird verkehrt in eine transzendent verankerte Sinnhaftigkeit. Mit diesem Schritt nun verwandelt sich die Bedeutung zweier zentraler existentieller Kategorien, die Bedeutung dessen, was der von B oft verwendete Begriff der „Persönlichkeit“ bezeichnet und die Bedeutung der menschlichen Zeitlichkeit. Erst vor dem Hintergrund dieser Setzung eines Absoluten, auf das sich das Bedingte beziehen kann, werden die Forderung nach Selbstwahl und die positive Ausdeutung der menschlichen Zeitlichkeit plausibel. Auf Grundlage der Kosmogonie des Ästhetikers wäre im Grunde keinerlei prinzipieller Einwand möglich gegen die Theorie der Langeweilevermeidung durch die Strategie der Selbstvariation. In dem gleichen Sinne erscheint die Konzentration des Ästhetikers auf den Genuss des präsentischen Augenblicks als konsequente Konklusion aus der Einsicht in die Beliebigkeit und Vergeblichkeit menschlicher Bemühungen. Jedoch gilt dies nicht mehr, wenn das Ästhetische ethisch beziehungsweise religiös gedeutet wird 331 . Mit der 329 Entweder/ Oder, p. 768. 330 Entweder/ Oder, p. 774. 331 Der Ethiker in Entweder/ Oder unterscheidet nicht im gleichen Sinne, wie spätere Pseudonyme dies tun werden, zwischen dem Ethischen und dem Religiösen, die in seiner Lebensanschauung nicht als einander ausschließend konzipiert sind. So notiert er: „Wenn Du es nicht dahin bringen kannst, daß Du das Ästhetische, das Ethische, das Religiöse als die drei großen Verbündeten betrachtest, wenn Du die Einheit der 107 Integration des Ästhetischen in den Horizont des Ethischen beziehungsweise Religiösen lädt sich zunächst die Persönlichkeit mit Sinn auf. Zwar verliert das Selbst mit der absoluten Wahl die Möglichkeit willkürlicher Setzungen, es gewinnt dagegen jenen transzendenten Sinn, dessen Fehlen sich dem Ästhetiker im Blick in die Langeweile offenbarte. Die „ewige Gültigkeit“, die das Selbst in seiner absoluten Wahl erhält, ist gleichsam die ewige Kompensation der zeitlich verlorenen - willkürlichen - Möglichkeiten: „Wer ethisch sich selbst wählt, der hat sich selbst als eine Aufgabe, nicht als eine Möglichkeit, nicht als ein Spielzeug für das Spiel seiner Willkür.“ 332 Gleichzeitig erhält die Zeitlichkeit des Daseins vor dem Hintergrund der Ewigkeit einen neuen Stellenwert. Sie wird zu jenem Spielraum, in dem das Selbst sich als es selbst verwirklichen kann. Deshalb wirft der Ethiker dem Ästhetiker auch zutreffend vor, dass dieser „nicht geschichtlich denk[t]“ 333 , anders gesagt, kein Verhältnis weder zur Vergangenheit noch zur Zukunft herstelle. Die Existenz des Ästhetikers ist immer auf den präsentischen Augenblick konzentriert und insofern sie am sinnlichen Genuss orientiert ist, ist sie ohne Dauer und muss sich bemühen, in jedem Augenblick neu beginnen zu können. Aber, so betont der Ethiker, es „ist nun einmal […] das Los der Menschheit in [der Zeit] zu leben“ 334 . Nur in der Zeit kann sich ein ethisches Leben verwirklichen, nur in der Zeit kann sich auch eine Haltung entfalten. Der Existierende orientiert sich nicht mehr an den Augenblicken des diesseitigen und vergänglichen Genusses, sondern er richtet sich an der Ewigkeit aus, die nun der Orientierungspunkt ist, vor dem er sich als er selbst in der Zeit verwirklicht 335 . Die Differenz, die sich hieraus im Existenzvollzug ergibt, ist und verbleibt dabei überaus zweideutig, insofern in der Selbstwahl das Selbst nicht ein anderes wird, sondern es selbst bleibt, jetzt aber eben als es Selbst. Mithin gibt es kein äußerliches Zeichen einer solchen Veränderung, sondern die Differenz liegt allein in dem Gewählthaben der absoluten Wahl. Der Mensch wird er selbst, ganz derselbe, der er zuvor war, bis auf die unbedeutendste Eigentümlichkeit, und doch wird er ein anderer, denn die Wahl durch- verschiedenen Ausdrucksformen, die alles in diesen verschiedenen Sphären annimmt, nicht zu bewahren weißt, so ist das Leben ohne Sinn, so muß man Dir in Deiner Lieblingstheorie vollkommen recht geben, daß man von allem sagen könne: Tue es oder tue es nicht, du wirst beides bereuen“ (Entweder/ Oder, p. 695). Wenn er freilich das Ästhetische in diesen Dreiklang mit hinein nimmt, dann nicht mehr in dem Sinne, wie der Ästhetiker es begreift, sondern als dasjenige, welches nach der absoluten Wahl des Ethischen in seiner Relativität zurückkehrt (vgl. Entweder/ Oder, p. 728). 332 Entweder/ Oder, p. 824. 333 Entweder/ Oder, p. 672. 334 Entweder/ Oder, p. 672. 335 Später wird Vigilius Haufniensis im Begriff Angst in diesem Zusammenhang den Begriff des Augenblicks einführen (vgl. Begriff Angst, pp. 268ff. und im Folgenden pp. 137f.). 108 dringt alles und verwandelt es. So ist nun seine endliche Persönlichkeit verunendlicht in der Wahl, darin er sich selbst unendlich wählt. 336 Genauso, wie die Veränderung, die im Selbst vor sich geht, im Grunde keine Veränderung ist, genauso ist die Welt, in der derjenige sich bewegt, der sich selbst gewählt hat, im Grunde keine andere als die, die er vor der Selbstwahl um sich hatte. Aber dennoch kommt es auch hier zu einer ‚Metamorphose’: Alles kommt wieder, jedoch verklärt. Erst wenn man das Leben ethisch betrachtet, erst dann gewinnt es Schönheit, Wahrheit, Sinn, Bestand; erst wenn man selber ethisch lebt, erst dann gewinnt das eigene Leben Schönheit, Wahrheit, Sinn, Sicherheit […]. 337 Die Sinnlosigkeit und daraus resultierende Verzweiflung angesichts des Nichts und der Grundlosigkeit der Existenz, wie der Ethiker sie beim Ästhetiker diagnostiziert, wird mithin durch die absolute Selbstwahl zur Sinnhaftigkeit angesichts der Ewigkeit 338 . Genau dies erklärt nun freilich auch die eingangs dieses Abschnitts erwähnte Tatsache, dass der Ethiker sich nicht explizit auf das Problem der Langeweile konzentriert, denn die Langeweile des Ästhetikers ist lediglich Ausdruck der Verzweiflung der ästhetischen Existenz. Die strukturelle Angebundenheit der Langeweile an die Verzweiflung ist nun die Grundlage dafür, dass mit dem Überwinden der Verzweiflung der Langeweile als metaphysischem Problem keine Relevanz mehr zukommt. Oder schlicht gesagt: mit dem Setzen von Gott verschwindet jenes Nichts, das der Ästhetiker in seiner Kosmogonie als Grundlage für die Langeweile in der Welt in Anschlag gebracht hatte. Dabei ist allerdings wichtig zu betonen, dass die Wahl des Selbst, zu der der Ethiker den Ästhetiker auffordert, nicht als ein einmaliges Ereignis zu betrachten ist, sondern auch hier spielt die Sukzession in der Zeit wieder eine Rolle, insofern jene „Sicherheit“, von der der Ethiker sprach, zwar im Glauben an die ewige Gültigkeit der Persönlichkeit gegeben ist, jedoch durchaus der Anfechtung unterliegt, wie die folgende Reflexion des Ethikers deutlich macht, die zugleich illustriert, dass in der Tat die Frage der Langeweile aufs Engste mit der im obigen Sinne explizierten Sinnfrage verbunden ist: [M]itunter begegnet es mir, daß ich dasitze und in mich selbst zusammensinke. Ich habe meine Arbeit besorgt, ich habe keine Lust zu irgendeiner Zerstreuung, etwas Melancholisches in meinem Temperament gewinnt über mich die Oberhand; ich werde um viele viele Jahre älter, als ich wirk- 336 Entweder/ Oder, p. 783. 337 Entweder/ Oder, pp. 840f. 338 Auf den Ethiker trifft in der Setzung Gottes jene lapidare Bemerkung zu, die Günter Figal in Bezug auf den Anti-Climacus aus der Krankheit zum Tode macht: „Er lässt sich einen Grund sein […]“ (ders., ‚Verzweiflung und Uneigentlichkeit’, p. 141). 109 lich bin, ich entfremde mich fast meinem eigenen häuslichen Leben, ich sehe durchaus, daß es schön ist, aber ich sehe es mit andern Augen als sonst; mir ist, als sei ich selbst ein alter Mann, meine Frau eine jüngere Schwester von mir, die glücklich verheiratet wäre und in deren Hause ich nun säße. In solchen Stunden fehlt nicht viel, daß die Zeit anfängt, mir lang zu werden. […] Wenn ich nun so verlassen und verloren dasitze und dann meine Frau ansehe, leicht und jugendlich geht sie im Zimmer umher, immer beschäftigt, immer hat sie irgend etwas zu tun, so folgt mein Auge unwillkürlich ihren Bewegungen, ich nehme teil an allem, was sie sich vornimmt, und es endet damit, daß ich mich wieder in die Zeit hineinfinde, daß die Zeit wieder Bedeutung für mich gewinnt, daß der Augenblick wieder enteilt. 339 Die Gefahr eines Entgleitens aus jener Zeitlichkeit, in die erst die absolute Selbstwahl hineinführt, bleibt also zumindest als Möglichkeit gegenwärtig und sobald der durch die Selbstwahl erlangte positive Wirklichkeitsbezug fraglich wird, tritt die Langeweile als Möglichkeit in den Horizont auch des Ethikers. Den Weltbezug als einen solchen herzustellen, der nicht der Langeweile Raum gibt, bleibt also eine der grundlegenden Bedingungen gelingenden Existierens, wobei die Langeweile hier nicht an sich Problemcharakter erhält, sondern auf die ihr zugrunde liegende Verzweiflung einer immanenten Existenz verweist. Sie ist Symptom einer bewussten oder unbewussten Verzweiflung, die ihrerseits daher rührt, dass der Einzelne sich nicht in seinem Selbst durchsichtig geworden ist und mithin nicht über die durchgeführte Verzweiflung zu sich in seiner ewigen Gültigkeit gelangen kann. Damit also ergibt sich über die Begriffe der Verzweiflung und der absoluten Wahl gewissermaßen ein ‚ethisches Komplement’ zur ästhetischen Deutung der Langeweile als metaphysisches Prinzip, wie sie A vorgelegt hatte. Aus der Perspektive des Ethikers stellt seine Analyse der ästhetischen Existenz dabei eine Metaebene dar, insofern der Ästhetiker selbst in das ästhetische Stadium „verstrickt“ sei und es damit zwar illustrieren, nicht aber in seiner Essenz weder selbst durchschauen, noch als durchschautes kommunizieren kann. Die Struktur der Argumentation des Ethikers zeigt dann auch, dass im Grunde der Ästhetiker erst einmal bis zur äußersten Grenze des Ästhetischen gelangen muss, welche durch eine bewusste Verzweiflung markiert ist, damit das Oder des Entweder-Oder überhaupt in seinen Horizont treten kann. Jedoch geht die ethische Lebensanschauung mit dem Postulat einer transzendenten ewigen Gültigkeit der Persönlichkeit von einer Grundannahme aus, die letztlich zumindest rational nicht einsichtig gemacht werden kann, so dass es bestenfalls ein existenziell legitimiertes Postulat sein kann, die ästhetische Lebensanschauung durch die absolute Wahl seiner selbst hinter sich zu lassen. 339 Entweder/ Oder, pp. 883f. (meine Hervorhebungen). 110 Zusammenfassung: Langeweile in Entweder/ Oder Aus der dialektischen Konstruktion von Entweder/ Oder aus miteinander kommunizierenden Teilen ergibt sich also auch eine doppelte Perspektive im Hinblick auf das Phänomen der Langeweile. In seinem Essay Wechselwirtschaft hatte der Ästhetiker der Langeweile als transzendentem Prinzip metaphysische Bedeutung zuerkannt, jedoch gleichsam als negativem Prinzip, das nicht als Ansage positiver Möglichkeiten zu begreifen ist, sondern als Anzeige der Nichtigkeit, der Eitelkeit der menschlichen Existenz. Alles ist aus diesem Nichts geboren und verschwindet in dieses beziehungsweise in diesem Nichts. Angesichts des Nichts, auf das die Langeweile verweist, konstruiert A eine immanente Theorie der Langeweilevermeidung, die auf der Dialektik von Langeweile und Unterhaltung basiert und im Grunde nicht weiter reicht als bis zur Konstruktion einer Existenz, in der die Unterhaltung die Überhand gewinnt über die Langeweile. Langeweile bleibt also grundsätzlich vorhanden, kann nie beseitigt, sondern allenfalls vorübergehend verscheucht werden. Die Ausführungen von B haben ihren Schwerpunkt nicht in einer Auseinandersetzung mit der Langeweile, sondern konzentrieren sich auf den Nachweis, dass eine ästhetische Existenz eine verzweifelte Existenz ist. Die Argumentationsstruktur jedoch legt nahe, dass das Problem der Langeweile im Grunde über das Problem der Verzweiflung einholbar ist, welche letztere strukturell in den Kontext der Sinn(un-)möglichkeit einer immanenten Existenz eingebunden ist. Aus dieser Perspektive kann die Langeweile verstanden werden als Verweis zunächst auf unbewusste Verzweiflung. Langeweile stellt sich dadurch ein, dass der ästhetische Mensch den vorhandenen Dingen und sich selbst keinen Sinn abgewinnen kann, insofern er als geistig bestimmt sich nicht mit dem Endlichen zufrieden geben kann, zugleich aber nichts in der Welt über die Welt hinaus verweist. Langeweile ist mithin Ausdruck fehlender Sinnhaftigkeit der Existenz insgesamt. Diese Deutung lässt sich im Übrigen wohl als Essenz auch aus der in Entweder/ Oder gebotenen Doppelperspektive festhalten, denn der Versuch, den Dingen und Menschen temporär und willkürlich ein beliebiges Interesse zuzuschreiben, wie dies der Ästhetiker tut, ist nicht zuletzt Ausdruck des Phänomens, dass diese auf der Grundlage des ästhetischen Existenzverständnisses keinen ihnen als solchen eigenen Sinn aufweisen, dass aber eine Sinnattribution ebenfalls nicht gelingt, insofern vor dem Horizont einer alles entwertenden Langeweile eine solche von vorne herein zum Scheitern verurteilt ist. Mit der Sinnleere der Welt besteht die Herausforderung für A im Grunde darin, die gesamte Lebenszeit als nicht sinnvoll ausfüllbare Zeit durch divertierendes Experimentieren mit sich selbst und der Welt zu überbrücken. Insofern für B die Langeweile zurückgeführt werden kann auf die grundlegende Verzweiflung der ästhetischen Existenz, ist sie auch struktu- 111 rell angebunden an deren Überwindung durch die absolute Wahl als Wahl des eigenen Selbst in seiner ewigen Gültigkeit. Anders gesagt, mit der Überwindung der Verzweiflung müsste auch die Langeweile von selbst verschwinden, Langeweile verstanden nicht als konkrete, anlassgebundene Langeweile, sondern als tiefe, metaphysische Langeweile, die Spiegel jenes Nichts ist, das der Langeweile zugrunde liegt. Indem in der absoluten Wahl eine Anbindung an die Transzendenz erfolgt, die den Menschen aus dem Relativen heraushebt und damit es ermöglicht, die Relativität der vorhandenen Dinge zu relativieren, da sich diese Relativität nunmehr vor dem Hintergrund einer absoluten Sinnhaftigkeit präsentiert, wird das der Langeweile zugrunde liegende Nichts in ein sinntragendes Etwas transformiert. Die sinnvernichtende Vergänglichkeit des Seienden wird aufgehoben in der sinnstiftenden Ewigkeit Gottes. Langeweile könnte dieserart verstanden werden zum einen als Folge, zum anderen aber auch als Ursache der Verzweiflung. Sie ist deren Folge, insofern der Langeweile die unbewusste Verzweiflung zugrunde liegt und sie ist Ursache von Verzweiflung, wenn die Verzweiflung bewusst wird, so dass sogar gefragt werden könnte, ob nicht die Langeweile letztlich aus der Perspektive des Ethikers analog zur Verzweiflung als eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Bewusstwerdung betrachtet werden könnte beziehungsweise müsste. 3. Vergleich der Langeweiledarstellung bei Heidegger und bei Kierkegaard Wenn an dieser Stelle die Langeweiledarstellungen bei Heidegger und Kierkegaard einander vergleichend gegenübergestellt werden sollen, dann ergibt sich zunächst einmal ein doppeltes methodisches Problem, das dem besonderen philosophischen Verfahren Kierkegaards geschuldet ist und genau in das Zentrum der Frage der Bedeutung der Form der Darstellung zielt beziehungsweise auf diese vorausweist. Auf die erste Schwierigkeit wurde bereits hingewiesen und zwar, dass es aus textstrukturellen Gründen in einem strengen Sinne gar nicht möglich ist, von einer Langeweilekonzeption Kierkegaards zu sprechen und dass, wie gesehen, in Entweder/ Oder Langeweile aus einer doppelten Perspektivität heraus betrachtet wird, wobei die beiden präsentierten Perspektiven sich in ihren Grundvoraussetzungen widersprechen. Hinzu tritt jenes eingangs betonte Methodenproblem, dass es der Systematik halber unumgänglich ist, der Grundthese der Studie zuwider zu handeln dahingehend, dass in einem ersten Schritt Inhalt und Form getrennt betrachtet werden, um erst anschließend die Brücke zwischen beiden zu bauen, damit es zunächst möglich wird, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu identifizieren, die sich in der Konzeption von Langeweile bei Kierkegaard und bei Heidegger auf inhaltlicher Ebene finden, um daran anschließend über diese inhaltliche Analyse 112 hinaus jene Unterschiede zutage zu fördern, die sich wesentlich der Form der Darstellung verdanken. Der ersten Schwierigkeit kann dadurch gerecht geworden werden, dass in der vergleichenden Gegenüberstellung die Perspektivität der Darstellung der Langeweile in Entweder/ Oder beibehalten wird, das heißt, dass gemäß dem Kierkegaardschen Postulat einer Autonomie der Pseudonyme die zwei gegenläufigen Perspektiven als solche erhalten und in dieser Zweideutigkeit der Heideggerschen Langeweileanalyse entgegengestellt werden. Bezüglich des zweiten methodischen Problems bleibt festzuhalten, dass es wesentlich darum gehen wird Strukturen aufzuzeigen, so dass eine systematisch begründete Trennung von formalem und inhaltlichem Aspekt im Bewusstsein der Problematizität eines solchen Verfahrens vorgenommen werden soll. Interpretatorisch bedeutet dies, dass der Vergleich der Langeweiledarstellungen allein auf der inhaltlichen Ebenen ebenso unzureichend bleiben muss, wie der Vergleich auf der rein formalen Ebene und dass erst die Zusammenführung beider jene Strukturen erkennbar werden lässt, die letztlich den Unterschied des methodischen Vorgehens im Sinne einer Einheit von Form und Inhalt verdeutlichen können, allerdings auch hier wieder mit dem Vorbehalt, dass es sich um ein Aufzeigen von Sinnkonstitutionsbedingungen handelt, welches aber die unhintergehbare Interkonnexion von Form und Inhalt nicht unterlaufen kann. Langeweile bei Heidegger und in der ästhetischen Lebensanschauung Wie die textimmanente Lektüre gezeigt hat, unterscheidet sich die Kontextualisierung von Langeweile ebenso wie die Stoßrichtung des Erkenntnisinteresses in den Grundbegriffen und im ersten Teil von Entweder/ Oder erheblich. Bei Heidegger steht die Entfaltung der verschiedenen Formen der Langeweile im Kontext der Suche nach einer geeigneten Grundstimmung, aus der heraus das Fragen nach den metaphysischen Grundbegriffen Welt, Endlichkeit und Einsamkeit geschehen kann. Als Grundstimmung des Daseins schreibt Heidegger der Langeweile eine große Bedeutung zu, insofern sie für die philosophische Erschließung des Daseins wesentlich über zwei herausragende Merkmale verfügt, die gerade im Kontext des Heideggerschen Denkens von äußerster Wichtigkeit sind. Zum einen nämlich fasst Heidegger die Langeweile als Phänomen, das in herausragender Weise die „heutige Lage“ charakterisiert und damit als Grundstimmung des Philosophierens der Forderung Heideggers gerecht wird, metaphysisches Fragen generell nicht als universell, sondern als historisch zu begreifen. Der andere zentrale Aspekt ist der Zusammenhang der Langeweile mit der Zeit und der Zeitlichkeit des Daseins. Die Bedeutung dieses Aspektes bricht mit einiger Deutlichkeit zunächst in der zweiten Form der Langeweile hervor, in der die Langeweile hervorgeht aus einem gedehnten Jetzt, in dem der 113 Mensch von seiner Zeitlichkeit gleichsam abgeschnitten ist und letztlich von der Zeit zitiert wird, und ist selbstverständlich auch die Grundlage der daseinserschließenden tiefen Langeweile, wie Heideggers Ausführungen zum Augenblick gezeigt haben. Langeweile dient Heidegger also als jene Grundstimmung, aus der heraus ein metaphysisches Fragen gelingen kann. Um aber zu der tiefen Langeweile vorzudringen - und zwar nicht im Sinne einer abstrakten Analyse, sondern in einem Sich-Durchstimmenlassen -, kommt es für Heidegger darauf an Langeweile zunächst in ihrer alltäglichen Form und dann in ihrem Tieferwerden zuzulassen. In der Wechselwirtschaft nun geht es anders als bei Heidegger vorderhand wesentlich darum, Langeweile gerade nicht zuzulassen, nicht aufkommen zu lassen, insofern der Ästhetiker gleich zu Beginn seines Essays die abstoßende Wirkung der Langeweile statuiert, um von dort aus zu dem Postulat einer sozialen Klugheitslehre zu gelangen, in der Langeweile durch Unterhaltung möglichst großflächig aus dem Dasein zu verbannen sei. Dabei entfaltet sich die eigentliche philosophische Dimension der Langeweile im Wesentlichen implizit, insofern sich mit der mythologischen Herleitung der Langeweile als Bewegungsprinzip, genauso wie in der Langeweilevermeidungslehre, hologrammartig eine metaphysische Sinnproblematik entfaltet, die dann in der Stellungnahme des Ethikers explizit und direkt Gegenstand der Reflexion wird. Interessant ist freilich, dass A in der Wechselwirtschaft, wenn er langweilige Menschen und langweilige Situationen schildert, im Grunde wie Heidegger den Ausgang von einer alltäglich-trivialen Form der Langeweile nimmt, um von dieser zu einer zweiten Langeweile als einem ursprünglicheren Phänomen vorzudringen. So entspricht die Explikation der Langeweile als Bewegungsprinzip, wie sie A einleitend in seinem Essay schildert - und wenn man von der ironischen Überzeichnung absieht - im Kern durchaus der Beobachtung eines Verscheuchens der Langeweile, das Heidegger als die alltägliche Reaktion auf die Langeweile bezeichnet: Man vermeidet den Umgang mit Menschen, die man langweilig findet, fühlt sich hingehalten und leergelassen, wenn man ihn dennoch nicht verhindern kann, genauso wie bei der Lektüre eines langweiligen Buches, die Heidegger als Beispiel angeführt hatte. Wenn Heidegger von den alltäglichen Beispielen, die er gibt (ein langweilendes Buch, das Warten am Bahnhof) nach und nach zu jener tiefen Form der Langeweile vordringt, von der er sagt, dass sie in den Abgründen des Daseins wie ein schweigender Nebel hin- und herzieht, dann fällt auf, dass sich ein erstaunlich ähnliches Bild im Essay Wechselwirtschaft findet, wo der Ästhetiker sagt, die „Langeweile ruht auf dem Nichts, das sich durch das Dasein schlingt“ 340 . In diesem Sinne verweisen sowohl Heideggers Beispiele alltäglicher Langeweilephänomene wie die Betrachtung der alltäglichen Langeweile im Essay 340 Entweder/ Oder, p. 338. 114 Wechselwirtschaft auf eine tiefere Langeweile, welche der Ästhetiker als Emanation des Nichts begreift, die auf das Nichts selbst verweist. Damit scheint es mir durchaus angemessen davon auszugehen, dass auch im Falle der Langeweile des Ästhetikers eine tiefe Form der Langeweile ontologisch der alltäglichen Langeweile zugrunde liegt. Wenn also die alltägliche Langeweile bei Heidegger wie beim Ästhetiker auf eine ontologisch vorgeordnete tiefe Langeweile gegründet ist, so treten auf der anderen Seite zwischen beiden Konzeptionen auf verschiedenen Ebenen fundamentale Unterschiede zutage. Zum einen ist die methodische Herleitung bei A in ganz andere Weise problematisch als bei Heidegger, insofern letzterer phänomenologisch zur tiefen Langeweile vordringt, wohingegen die Einsicht des Ästhetikers in das der alltäglichen Langeweile zugrunde Liegende aus einer ironisch gebrochenen mythologischen Setzung erfolgt und methodisch vor allem jenem Prinzip zu folgen scheint, welches A bereits in dem Essay Die unmittelbaren erotischen Stadien oder Das Musikalisch-Erotische angewendet hatte und zwar, dass „frisch gewagt […] halb gewonnen“ 341 sei, insofern das Beruhen des Phänomens der Langeweile auf dem Nichts zwar plausibel, jedoch in der von A gebotenen Form rein spekulativ ist und aus dem Nichts so etwas wie ein Letztbegründungsprinzip konstruiert wird, auf das durch die Langeweile hindurch zurückgeschlossen wird. Damit in Verbindung steht auch ein anderer deutlicher Unterschied: Anders als Heidegger, der die tiefe Langeweile als Grundstimmung einer besonderen historischen Situation explizieren kann, erscheint die Langeweile in der Wechselwirtschaft vor dem Hintergrund der Schöpfungserzählung As als universelles und mithin ahistorisches Phänomen. Gerade dies aber verleiht der Langeweile in der Darstellung des Ästhetikers in besonderer Weise eine bedrohliche Dimension und zwar insofern sie sich, wenn auch anders als bei Heidegger nur implizit, letztlich in einem wichtigen Aspekt wieder mit letztem zu treffen scheint. Denn es hatte sich zwar gezeigt, dass sich die Stoßrichtung der Langeweilethematisierungen unterscheidet, insofern Heidegger, ausgehend von seinem Postulat, dass Langeweile uns etwas zu sagen haben könnte, diese als Stimmung für philosophische Erkenntnis nutzbar machen will, wohingegen die soziale Klugheitslehre As im Gegenteil darauf hinausläuft, die Langeweile so weit wie möglich fernzuhalten, letztlich stellt sich aber in Bezug auf die Ausführungen des Ästhetiker der deutliche Verdacht ein, dass sich hinter dieser Abkehr von der Langeweile im divertissement die nicht explizierte Einsicht verbirgt, dass die Langeweile uns auch hier, genauso wie Heidegger es für seine eigene Analyse ausdrücklich betont, ‚etwas zu sagen’ hat, sich in der Langeweile ein Erkenntnispotential 341 Vgl. Entweder/ Oder, p. 74: „Die Behauptung, das Christentum habe die Sinnlichkeit in die Welt gebracht, scheint recht kühn und frisch gewagt. Doch wie es heißt: frisch gewagt ist halb gewonnen […].“ 115 offenbart, das weit über das Unangenehme der Langeweile als Stimmung hinausweist. Wenn aber die Langeweile tatsächlich auch bei A eine Verweisfunktion in sich trägt, dann ergibt sich - auch wenn die Argumentation des Ästhetikers selbstverständlich philosophisch zunächst einmal in höherem Maße anfechtbar ist als die Heideggers, insofern sie im Rückgang von der Langeweile als immanentem Phänomen zu einer tieferen Langeweile als universelles Prinzip schließt - gerade aus der Universellsetzung und Mythologisierung der Langeweile, wie A sie vornimmt, dass diese als Phänomen sowohl umfassender als auch drastischer wird: umfassender gerade dadurch, dass Langeweile nicht an eine konkrete historische Situation gebunden ist, sondern als universelles Phänomen Ausdruck eines universellen Prinzips ist; und drastischer, weil hierin implizit zum Ausdruck kommt, was die Langeweile uns zu sagen hat: Gerade durch ihre größere Reichweite erhält sie die negative Verweisfunktion auf eine unhintergehbare Nichtigkeit und Sinnlosigkeit. Für den Ästhetiker steht die Einsicht, dass alles auf dem Nichts beruht, der Findung einer Sinnmöglichkeit grundlegend entgegen und insofern er keinen existentiellen Sinn zu konstruieren vermag, sucht er sich einen Ausweg - der aber im Grunde kein solcher beziehungsweise nur ein scheinbarer ist - in der Poetisierung, das heißt der Ästhetisierung der Wirklichkeit. Hier sei noch einmal auf die überaus interessante Analogie zu Nietzsche verwiesen, der in der Fröhlichen Wissenschaft vor dem Hintergrund des „grossen Verdachtes“ 342 in ganz ähnlicher Weise einer Ästhetisierung das Wort redet, wenn er den Griechen das Talent zuschreibt, die Wahrheit mit einem ästhetischen Schleier zu verhüllen, in dessen Oberflächlichkeit letztlich eine besondere Tiefe zum Ausdruck komme 343 . Dem entspricht die von A proklamierte Ästhetisierung der Wirklichkeit, deren Nichtigkeit er dichterisch verschleiert und in der die konsequente Ausrichtung seiner Lebensanschauung an der Einsicht in das Begründetsein alles Seienden im Nichts, das sich in der Welt als Langeweile manifestiert, zum Ausdruck kommt. Im Unterschied zu dieser expliziten Rückführung der Langeweile auf das Nichts tritt interessanterweise bei Heidegger im Zusammenhang mit der Langeweile der Begriff des Nichts nur indirekt beziehungsweise implizit in den Blick und zwar unter Rückgriff auf die Eigentlichkeitsdiskussion in Sein und Zeit, insofern die Möglichkeit des eigentlichen Selbstseinkönnens, auf die die Langeweile in den Grundbegriffen hinweist, in ihren Strukturen im Grunde erst vor diesem Hintergrund sich erhellt. Ein direkter Verweisungszusammenhang zwischen Langeweile und dem Nichts, wie er bei A zentral ist, ist hingegen in der Langeweileexposition der Grundbegriffe 342 F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, p. 350. 343 Vgl. F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, p. 352 und die Anmerkung 307 auf p. 100 dieser Arbeit. 116 nicht zu finden 344 . Heidegger würde aber vermutlich den Begriff des Nichts, so wie ihn der Ästhetiker verwendet, in seine Kritik an einem vulgären, auf der Vorhandenheit basierenden Nichts-Begriff mit einbeziehen 345 . Andererseits ist aber die Tatsache, dass das Nichts in Heideggers Reflexion auf die Langeweile zumindest explizit abwesend ist, dennoch überraschend. Schließlich hatte er ja in der Hinführung zur Thematik von der „Unruhe des Nichts“ 346 gesprochen und in anderem Zusammenhang gerade die herausgehobene Stellung sowohl der Poesie als auch der Philosophie damit begründet, dass diese mit der Welterschließung und der Erschließung des Seins auch dessen Gegenteil - das Nichtsein beziehungsweise das Nichtmehrsein - in den Horizont eintreten lassen. Dagegen kommt dieses Problem des Nichts oder auch des Nicht(mehr)seins im Kontext der Langeweileproblematik bei Heidegger nicht zum Tragen, während auf der anderen Seite das Nichts beim Ästhetiker der zentrale Bezugspunkt der Langeweile ist. Die Anbindung der Langeweile an das Nichts in der Wechselwirtschaft ist möglicherweise nun auch ein Grund dafür, warum jener Aspekt der Langeweile, der bei Heidegger zentral ist, von A kaum entwickelt wird, und zwar die Verbindung von Langeweile und Zeitlichkeit. Wie gesehen hebt Heidegger gerade auf die Zeitlichkeit ab und auf die Art und Weise, wie sich die Zeit zeitigt, wenn er für alle drei Formen der Langeweile neben dem Strukturmoment der Leergelassenheit auf das Strukturmoment der Hingehaltenheit verweist. Nur insofern alle drei Formen der Langeweile ihren Grund in der Zeitlichkeit haben, ergibt sich für Heidegger die Möglichkeit, jenes Postulat in Anschlag zu bringen, auf das es ihm ankommt: dass in der Langeweile die Zeitlichkeit als die Bedingung sämtlicher Möglichkeiten erkannt wird, die das Dasein ergreifen kann und den 344 Vgl. auch Espen Hammer, ‚Heidegger’s Theory of Boredom’, der darin einen der wesentlichen Unterschiede zur Vorlesung Was ist Metaphysik erblickt: „However, The Fundamental Concepts of Metaphysics differs substantially from the inaugural lecture in that the position from which philosophy is here seen to be able to respond to the problem of being is not the ‚being held out into the Nothing’ characteristic of anxiety, but the ‚being held in limbo’ of boredom“ (ebd., p. 222, Fußnote 3). Freilich rückt die Langeweile implizit in die Nähe des Nichts dadurch, dass sie mit der Angst als Grundstimmung genannt wird. Allerdings spricht Heidegger in Was ist Metaphysik von der Langeweile nicht als eine „possibility of a revelation of Nothing”, wie Hammer nahe legt, (ders., ,Being Bored: Heidegger on Patience and Melancholy’, in British Journal for the History of Philosophy, 12 (2), 2004, pp. 277-295, hier p. 280), sondern kommt auf sie zu sprechen über die Frage nach dem Seienden im Ganzen (vgl. Was ist Metaphysik, p. 33). 345 Vgl. Grundbegriffe, p. 433: „Kommt nun der vulgäre Verstand über diese Aufhellung der Grundzüge des Daseins und seiner Existenz, und hört er da vom Nichts und daß das Dasein in das Nichts hinausgehalten sei, dann hört er nur das Nichts - ein irgendwie Vorhandenes - und kennt auch das Dasein nur als etwas Vorhandenes.“ 346 Grundbegriffe, p. 8. 117 Menschen so hinzwingt auf den Augenblick als den Entschluss, sich das echte Wissen darum zu verschaffen, „worin das eigentlich Ermöglichende seiner selbst besteht“ 347 . Die jemeinige Zeit ist also das, was die Möglichkeit eines eigentlichen Selbstseins überhaupt erst bereitstellt. Die Perspektive des Ästhetikers ist hier eine grundlegend andere. Zwar bezieht sich auch bei ihm die Langeweile auf die Zeitlichkeit, jedoch nicht im gleichen Sinne wie bei Heidegger in Beziehung zu jener ganzen Zeit, die mir als Dasein beschieden ist, die „eigentliche Zeitlichkeit“ 348 , wie es in Sein und Zeit formuliert ist und die zum Sinnhorizont des Daseins wird, vor dem sich die eigentlichen Möglichkeiten zeitigen. Im Gegenteil scheint die Zeitlichkeit in der Perspektive des Ästhetikers die Möglichkeit eigentlicher Möglichkeiten von vorneherein zu untergraben. Seine Langeweilekonzeption steht in dieser Hinsicht der theologischen Perspektive Blaise Pascals näher, insofern in der Langeweile ein prinzipielles Ungenügen an der Wirklichkeit zum Ausdruck kommt, das als solches unhintergehbar bleibt, womit er wie Pascal in den Pensées eher auf die Leere verweist als auf den Zeitaspekt der Langeweile 349 . Das bestätigt auch der Blick auf einen bereits auszugsweise zitierten, die Langeweile thematisierenden Aphorismus, der sich ebenfalls im ersten Teil von Entweder/ Oder findet und in dem vor allem der Aspekt der Leere betont wird, wobei freilich das Problem der Endlichkeit ebenfalls zur Sprache kommt, womit die Frage der Zeitlichkeit zum mindesten implizit anwesend ist: Wie ist die Langeweile doch entsetzlich - entsetzlich langweilig; ich weiß keinen stärkeren Ausdruck, keinen wahreren; denn Gleiches wird von Gleichem erkannt. […] Ich liege hingestreckt, untätig; das einzige, was ich sehe, ist Leere, das einzige, wovon ich lebe, ist Leere, das einzige, worin ich mich bewege, ist Leere. […] Und böte man mir alle Herrlichkeiten der Welt oder alle Qualen der Welt, sie rühren mich gleichviel, ich würde mich nicht auf die andere Seite drehen, weder um ihnen entgegenzugehen noch um sie zu fliehen. Ich sterbe des Todes. Und was sollte mich auch zerstreuen können? Ja, wenn ich eine Treue zu sehen bekäme, die jede Prüfung bestünde, eine Begeisterung, die alles trüge, einen Glauben, der Berge versetzte; wenn ich einen Gedanken fühlte, der das Endliche und das Unendliche verbände: Der giftige Zweifel meiner Seele aber verzehrt alles. Meine Seele ist wie das Tote Meer, über das kein Vogel fliegen kann; wenn er bis mittwegs gekommen ist, sinkt er ermattet hinab in Tod und Verderben. 350 Aus dieser Perspektive verschließt sich die Langeweile dann in der Tat auch der Historisierung als ein modernes Phänomen und Ausdruck einer 347 Grundbegriffe, p. 247 (Hervorhebung M.H.). 348 Sein und Zeit, p. 338. 349 Dies wird noch deutlicher, wenn man die Perspektive des Ethikers hinzuzieht, der diesen Konnex explizit hervorheben wird (vgl. dazu pp. 120ff. dieser Arbeit). 350 Entweder/ Oder, pp. 47f. (meine Hervorhebungen). 118 besonderen geistesgeschichtlichen Konstellation, worin letztlich doch zumindest die Möglichkeit steckt, aus einer Situation hinauszugelangen, in der der Mensch sich selbst langweilig geworden ist 351 . Damit ist selbstverständlich die Langeweile als nicht historisch bedingtes metaphysisches Grundprinzip zunächst einmal weit fundamentaler als jene Langeweile, die Heidegger als Grundstimmung der aktuellen Lage untersucht, insofern das Empfinden einer Langeweile, die eine Emanation des Nichts ist, gerade nicht auf innerweltlich sich versagenden Möglichkeiten beruht und damit im Versagen die Möglichkeit sinnhaften Übernehmens der Möglichkeiten als der je mir eigenen ansagt, sondern es verhält sich genau umgekehrt derart, dass die innerweltlichen Möglichkeiten in den Horizont des Nichts gestellt und dieserart a priori entwertet werden, eine Sichtweise, die sicherlich unter den Heideggerschen Nihilismusvorwurf fiele 352 und dies zu Recht, was deutlicher noch als in der Wechselwirtschaft etwa in dem folgenden Aphorismus aus den Diapsalmata zum Ausdruck kommt: Wie ist das Leben so leer und bedeutungslos! - Man begräbt einen Menschen; man gibt ihm Geleit, man wirft drei Spaten Erde auf ihn; man fährt hinaus in der Kutsche, man fährt heim in der Kutsche; man tröstet sich damit, daß noch ein langes Leben vor einem liege. Wie lange währen wohl 7x10 Jahre? Warum macht man es nicht auf einmal ab, warum bleibt man nicht draußen und steigt mit hinaus ins Grab und zieht das Los, um zu bestimmen, wen das Unglück treffen soll, der letzte Lebende zu sein, der die letzen drei Spaten Erde auf den letzten Toten wirft? 353 Wie Karl Heinz Bohrer zutreffend konstatiert, wird in der Perspektive des Ästhetikers „die Lebenszeit […] vom tödlichen Ende her in ihrer Dauer von ‚Jahren’ als ein Nichts annihiliert“ 354 . Die Konsequenz aus der Einsicht, „in das Nichts hinausgehalten“ 355 zu sein, vermag also gerade nicht Grundlage einer Sinnkonstruktion zu werden. 351 Freilich gilt dies allein aus der Perspektive des Ästhetikers. Aus anderer Perspektive könnte man durchaus plausibilisieren, dass auch die Langeweile, die der Ästhetiker als universelles Bewegungsprinzip deutet, zumindest in einer bestimmten Art und Weise dennoch als ein historisches Phänomen zu betrachten ist. 352 Vgl. die Fortführung der zuvor zitierten Heideggerschen Überlegung zum vulgären Verständnis des Nichts: „Also schließt er [der vulgäre Verstand; S.H.]: Der Mensch ist im Nichts vorhanden, er hat eigentlich nichts und ist daher selbst nichts. Eine Philosophie, die solches behauptet, ist der reine Nihilismus und der Feind aller Kultur“ (Grundbegriffe, p. 433). Diese Einschätzung würde auch Karl Heinz Bohrer bestätigen, der explizit den ersten Teil von Entweder/ Oder für die Illustration seines Konzepts ästhetischer Negativität heranzieht, freilich mit gewendeter Intention, denn er will die Perspektive des Ästhetikers gerade gegenüber der Heideggerschen aufwerten (vgl. ders., Ästhetische Negativität, p. 19). 353 Entweder/ Oder, p. 39. 354 Bohrer, Ästhetische Negativität, p. 20. 355 Grundbegriffe, p. 433. 119 Insofern aber dieses Nichts, welches die Lebenszeit von ihrem Ende her annihiliert, unhintergehbar ist und der Langeweile des Ästhetikers zugrunde liegt, kann diese auch nicht als Grundstimmung einer bestimmten geschichtlichen Situation begriffen werden, der Kontingenz des Heideggerschen Langeweilebegriffs steht also beim Ästhetiker ein universeller Langeweilebegriff gegenüber. Gerade deshalb kann dieser aber auch von A nicht wie bei Heidegger philosophisch nutzbar gemacht werden, da ein Hineinfragen in die Langeweile nicht über die Einsicht hinausgelangen würde, dass das Nichts die Bedeutung des Lebens letztlich prinzipiell annihiliert und jedwede Möglichkeit der Konstruktion eines Selbstseins von Anfang an untergräbt. Damit erschließt sich auch, warum der Ästhetiker sich nicht damit aufhält, die Verweisfunktion von Langeweile detailliert aufzuarbeiten, sondern in immer neuen Wendungen das Grundthema variiert, dass Langeweile „verderblich“ 356 sei und mit allen Mitteln zu bekämpfen und als Ausweg das divertissement postuliert. Das Untergraben jedweder Sinnmöglichkeit im Essay Wechselwirtschaft ist damit von äußerster Radikalität und es scheinen sich kaum Anschussmöglichkeiten zu bieten, die diese Langeweilekonzeption strukturell der Heideggerschen annähern könnten, insofern in der Wechselwirtschaft die Langeweile darauf hindeutet, dass die Möglichkeit eines bedeutungsvollen Selbstseinkönnens a priori verstellt ist und nicht, wie bei Heidegger, als Ausdruck einer Flucht vor dem Selbst als Selbstseinkönnen begriffen werden kann. Mehr Anschlussmöglichkeiten bieten sich, wenn der zweite Teil von Entweder/ Oder in den Blick genommen wird, in dem der Ethiker B die Konstruktion einer ästhetischen Lebensanschauung in den Horizont einer ethischen Konzeption der Existenz stellt, denn in der ethischen Auseinandersetzung mit dem Ästhetischen finden sich zentrale Elemente, die strukturelle Ähnlichkeit zur Heideggerschen Konzeptionalisierung der Langeweile - und zwar gerade bezüglich deren Verweisstruktur - aufweisen 357 . 356 Entweder/ Oder, p. 331. 357 Wenn nun also die Langeweile aus ethischer Perspektive im Vergleich mit Heideggers Langeweilekonzeption in den Fokus rückt, so ist zu betonen, dass dieser Perspektivwechsel, genauso wie der Einbezug anderer Texte Kierkegaards, eine nicht ungefährliche Versuchung bedeutet, die äußerste Radikalität der Langeweiledeutung des Ästhetikers abzuschwächen beziehungsweise für durch Kierkegaard selbst widerlegt zu betrachten. Dies wäre jedoch den textstrukturell fundierten Sinnkonstitutionsbedingungen nicht angemessen, deren Besonderheit wesentlich darin liegt, dass Kierkegaard letztlich die Positionen aus dem ersten Teil von Entweder/ Oder gerade nicht relativiert beziehungsweise zwar relativiert, indem er der ästhetischen Lebensanschauung die ethische entgegenstellt, jedoch so, dass hier zwei Möglichkeit einander gegenüberstehen, aus deren Konfrontation keine vermeintlich vom Autor intendierte Hierarchisierung abgeleitet werden kann. Auf diese Problematik wird im Anschluss noch detaillierter zurückzukommen sein. Hierzu sei an dieser Stelle nur noch angemerkt, dass selbstverständlich die radikale Infragestellung jedweder Sinnmöglichkeit durch den Ästhetiker auch in fundamentalem Widerspruch zu dem 120 Heidegger und die ethische Analyse der Langeweile Der Ästhetiker geht, wie gesehen, von der Nichtigkeit allen Seins aus, womit für ihn jedwede Sinnmöglichkeit vor diesem Hintergrund grundsätzlich untergraben wird. Insofern die Langeweile damit im Verständnis des Ästhetikers und anders als bei Heidegger nicht im Sinne des Ansagens eigentlicher Seinsmöglichkeiten positiv genutzt werden kann, besteht für den Ästhetiker auch kein Grund zum Zulassen der Langeweile im Sinne eines Sich-stimmen-lassens 358 . Die im zweiten Teil von Entweder/ Oder entwickelte Position ist, wie sich gezeigt hatte, explizit in dialektischer Opposition zur im ersten Teil präsentierten ästhetischen Lebensanschauung konzipiert, wobei der Ethiker die Problematik der Langeweile nicht explizit aufnimmt, sondern seine Ausführungen wesentlich daraufhin orientiert den Nachweis zu erbringen, dass die vom Ästhetiker repräsentierte Existenzweise Verzweiflung sei. Insofern in diesem Zusammenhang der Nexus von Selbst(-wahl) und Verzweiflung relevant wird, soll für die vergleichende Gegenüberstellung mit Heideggers Langeweileanalyse neben dem zweiten Teil von Entweder/ Oder auch die Krankheit zum Tode herangezogen werden, in der einige der in Entweder/ Oder zu findenden Strukturen aus einer anderer Perspektive wieder aufgenommen und präzisiert werden. Gerade insofern die Verzweiflung sowohl in Entweder/ Oder als auch in der Krankheit zum Tode in einem Sinne als verweisend oder ansagend verstanden werden kann, und zwar im Sinne einer Ansage der Möglichkeit, nicht verzweifelt zu sein, scheint diese Ausweitung sinnvoll 359 . steht, was gemeinhin als die ‚eigentliche’ Philosophie Kierkegaards betrachtet wird. Dies ist freilich, wie gesagt, genauso zutreffend oder unzutreffend wie eine Identifizierung anderer in den pseudonymen Schriften vertretener Positionen mit Kierkegaards ‚wirklichen’ Ansichten, insofern sich hier wie da dieselben Auslegungsprobleme ergeben. Jedoch scheint mir der Hinweis wichtig, dass das Ästhetische stets die Grundlage für die literarische Konstruktion sämtlicher in seinen pseudonymen Schriften entwickelten Konzepte bildet, was für eine Einschätzung desselben von herausragender Bedeutung ist. Die Bemerkung, die Kierkegaard an seinen Freund Emil Boesen gerichtet macht, dass sein Element das Ästhetisch sei - „The Aesthetic is above all my element“ (zitiert in Joakim Garff, Søren Kierkegaard. A Biography, Princeton: Princeton University Press, 2005, p. 205) - ist bezeichnend. Und überaus zutreffend ist sicher auch Garffs daran anschließende Bemerkung: „Later on, Kierkegaard would expend a great deal of rhetorical energy trying to get his readers to distance themselves from what he says here: the aesthetic is his element; the lust to write is an ungovernable passion“ (ebd.). Vgl. auch ders., ‚The Aesthetic is above all my Element’, in Elsbet Jegstrup (Hg.), The New Kierkegaard, pp. 59-70. 358 Freilich ist die Stoßrichtung auch tendenziell eine andere, insofern Heidegger über die Langeweile zunächst einmal bestimmte ontologische Strukturen des Daseins erschließen will, um von dort aus eigentliche Seinsmöglichkeiten aufzuzeigen, während das Fragen des Ästhetikers existenziell ist. 359 Wobei freilich auch deutliche Unterschiede zwischen beiden Texten zu finden sind. Auffällig ist etwa, dass Anti-Climacus in der Krankheit zum Tode, anders als der Ethiker, den Begriff der Wahl nicht verwendet, der in der Form, wie ihn der Ethiker ver- 121 Die Verbindung zwischen der Langeweile, wie der Ästhetiker sie im ersten Teil von Entweder/ Oder als Grundprinzip allen Seins zum Ausdruck bringt und entwickelt, und der Verzweiflung, die der Ethiker in der ästhetischen Lebensanschauung verortet, ergab sich, wie gesehen, über das Problem des Ungenügens am Endlichen ohne Ausblick auf ein das Endliche Transzendierendes. Angesichts der Vergeblichkeit endlicher Sinnfindungsbemühungen ergibt sich mithin das Problem einer Beliebigkeit und Äqui-valenz aller sich dem Ästhetiker eröffnenden Möglichkeiten, welche aus ethischer Perspektive die Langeweile des Ästhetikers erklären kann 360 . Helmut Vetter bringt dies wie folgt auf den Punkt: Hat sich der Ästhetiker für die eine Wahl entschieden, drängt sich die Möglichkeit der anderen auf, wählt er diese, erscheint sie ihm gleichgültig angesichts einer weiteren, noch zu ergreifenden. Die Gleichgültigkeit ruft aber Langeweile hervor. 361 Die zuvor aufgezeigte strukturelle Verbindung von Langeweile und Verzweiflung kann dabei auch über den Begriff der Möglichkeit gefasst werden und zwar dahingehend, dass der Ethiker den Möglichkeitsbegriff des Ästhetikers als defizitär bestimmt, insofern dieser die Bedeutung der Möglichkeiten auf ästhetische Möglichkeiten reduziere. Diese seien in der Tat beliebig, wie der Ethiker konzediert, und führten aufgrund ebendieser Beliebigkeit in die Verzweiflung. Dabei belässt er es aber gerade nicht, sondern er postuliert genau aus diesem Grunde die Anbindung an das Absolute als unhintergehbare Forderung an den Menschen. Diese Anbindung wiederum führt er zurück auf eine absolute Wahl, die sich in Form tritt, nicht unproblematisch ist (vgl. hierzu Figal, Martin Heidegger - Phänomenologie der Freiheit, Frankfurt am Main: Athenäum, 1988, p. 252). Weitere Differenzen zwischen den Positionen des Ethikers und des Anti-Climacus ergeben sich in der Bestimmung des Selbst. Letztlich ist gerade das Postulat des Ethikers, der Einzelne setze sich mit der Selbstwahl auch zugleich in ein determiniertes Verhältnis zum Allgemeinen, aus der Perspektive anderer Pseudonyme nicht nachvollziehbar, genauso wie etwa in Begriff Angst die Möglichkeit ethischer Existenz prinzipiell in Frage gestellt wird (vgl. Begriff Angst, p. 193). Jenseits dieser Differenzen erlaubt jedoch der Blick auf die Krankheit zum Tode eine schärfere Herausarbeitung bestimmter im vorliegenden Kontext relevanter Aspekte. 360 Die Beliebigkeit dessen, worauf der Ästhetiker seine Existenz begründet, wird vom Ethiker wiederholt explizit angesprochen. So etwa, wenn er betont, dass jede ästhetische Lebensanschauung Verzweiflung sei, denn sie gründe auf das, „was sowohl sein als auch nicht sein kann“ (Entweder/ Oder, p. 785). Hier sei darauf hingewiesen, dass ein anderer Denker der Langeweile ebenfalls diese Verbindung aufmacht zwischen Langeweile und Verzweiflung, und zwar explizit, nämlich Arthur Schopenhauer, der notiert: „Die Langeweile aber ist nichts weniger, als ein gering zu achtendes Uebel: sie malt zuletzt wahre Verzweiflung auf das Gesicht“ (Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, p. 408). 361 Helmut Vetter, Stadien der Existenz. Eine Untersuchung zum Existenzbegriff Sören Kierkegaards, Wien: Herder, 1979, p. 57 (Hervorhebung H.V.). 122 des titelgebenden Entweder-Oder stellt und den Menschen von der Ebene ästhetischer Beliebigkeit auf die Ebene des Ethischen bringt: „Entweder muß man also ästhetisch leben, oder man muß ethisch leben.“ 362 In dieser Wahl liegt als entscheidendes Moment das Ergreifen der Persönlichkeit, das heißt, sich selbst als sich selbst zu wählen: „[D]enn das Große ist nicht, dieses oder jenes zu sein, sondern man selbst zu sein; und das kann ein jeder Mensch, wenn er es will.“ 363 B entwickelt also in seinen Überlegungen ein Konzept, dem zufolge nur in der absoluten Wahl zwischen dem Ästhetischen und dem Ethischen der Mensch zu sich selbst findet, zu sich selbst finden kann, so dass nur durch das Wählen dieser Wahl der Mensch die Möglichkeit hat, nicht verzweifelt zu sein. Während der Ästhetiker in der Wechselwirtschaft geltend gemacht hatte, dass gerade das Variieren der Persönlichkeit das geeignetste Mittel gegen Langeweile sei, dass also zur Vermeidung von Langeweile der Mensch sich beständig neu erfinden solle, um so in der Vielfalt der übernommenen Rollen das Aufkommen von Langeweile zu verhindern, betont der Ethiker, dass auf diese Art und Weise zwar kurzfristiges divertissement zu erzielen sei, letztlich aber in der Übernahme unendlich vieler Rollen „die bindende Macht der Persönlichkeit“ 364 verloren gehe, oder umgekehrt, dass der Ästhetiker durch dieses Variieren seiner selbst im Grunde genommen überhaupt nicht dahin komme, eine Persönlichkeit, ein Selbst zu erlangen. Genau diese Idee einer Wahl, in der das Selbst sich selbst als es selbst ergreift, ist nun für den Vergleich mit Heidegger besonders interessant, hatte sich doch gezeigt, dass Heidegger die tiefe Langeweile gerade so verstanden wissen möchte, dass in ihr die Möglichkeit sich anzeigt, „daß der Mensch, wenn er werden soll, was er ist, je gerade das Dasein sich auf die Schultern zu werfen hat“ 365 , was er in Sein und Zeit im Sinne einer Selbstwahl expliziert: „Das Man verbirgt sogar die von ihm vollzogene stillschweigende Entlastung von der ausdrücklichen Wahl dieser Möglichkeiten“ eines „eigentliche[n] Selbstsein[s]“, so dass das Ergreifen des eigenen Selbstseins ein „Nachholen der Wahl bedeutet“, das heißt das „Wählen dieser Wahl, Sichentscheiden für ein Seinkönnen aus dem eigensten Selbst“ 366 . Hier findet sich in der Tatsache, dass sowohl für das Überwinden des Ästhetischen wie für das Ergreifen des Selbst in seiner Eigentlichkeit der Mensch vor die Notwendigkeit einer Wahl gestellt wird, in der das Selbst als dieses Selbst ergriffen wird, selbstverständlich eine auffällige strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen der Analyse der ästhetischen Existenz aus ethischer Perspektive auf der einen und Heideggers phänomeno- 362 Entweder/ Oder, p. 717. 363 Entweder/ Oder, p. 728 (meine Hervorhebung). 364 Entweder/ Oder, p. 708. 365 Grundbegriffe, p. 246 (Hervorhebung M.H.). 366 Sein und Zeit, p. 268 (Hervorhebungen M.H.). 123 logischer Einholung der Uneigentlichkeit auf der anderen Seite 367 . Besonders fällt auf, dass sowohl Heideggers Uneigentlichkeit als auch die ästhetische Existenz als das ontisch Erste zu betrachten ist, das in seinen Strukturen erst durchsichtig gemacht werden muss, um von dort aus den Horizont anderer Existenzmöglichkeiten zu eröffnen. Genauso wie Heidegger sagt, dass das Dasein immer schon zuerst und zumeist an das Man verfallen ist, genauso hat der Mensch zunächst immer im Ästhetischen seine Existenz. Zugleich ist aber ontologisch bei Heidegger die Eigentlichkeit der Grund für die Möglichkeit der Verfallenheit der Uneigentlichkeit, weshalb er hier von einem Nachholen der Wahl sprechen kann. So betont Heidegger in den Vorüberlegungen zu seiner Auslegung der Verfallenheit, dass das „ontisch Nächste und Bekannte […] das ontologisch Fernste, Unerkannte“ 368 sei. Dabei könne das Dasein sich verloren beziehungsweise „noch nicht sich gewonnen haben […] nur, sofern es seinem Wesen nach mögliches eigentliches, das heißt, sich zueigen ist“ 369 . Für das Verhältnis des Ästhetischen und des Ethischen auf der anderen Seite kann hingegen nicht gesagt werden, dass letzteres ersterem ontologisch vorausliege, insofern das Ästhetische nicht als ein Abfallen vom Ethischen gedacht werde kann. Vielmehr bestimmt der Ethiker die ästhetische Existenz als Unmittelbarkeit 370 , das heißt als das Stadium, in dem der Mensch unmittelbar ist, was er ist. Diese Unmittelbarkeit wird durch die Reflexion aufgehoben, in der sich das Ethische zeigt. Von daher kann auch die Wahl des Ethischen nicht wie bei Heidegger als Nachholen der Wahl bestimmt werden, sondern die Wahlmöglichkeit tritt erst auf Grundlage der ästhetischen Existenz hervor. Sobald aber nun das Ethische in den Horizont der ästhetischen Existenz tritt, kann - und muss - der Mensch erkennen, dass, wenn er sich sinnlich 367 Auf die Parallele zwischen ästhetischer Existenz und ethischer Existenz auf der einen und den Kategorien der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit auf der anderen Seite weist in anderem Zusammenhang auch Figal hin (vgl. ders., Phänomenologie der Freiheit, pp. 252ff.). Figal betont dabei, dass „der Rekurs auf Kierkegaards Terminus der Wahl im Zusammenhang der Heideggerschen Konzeption [ …] nicht wirklich überzeugt“ (ebd., p. 252), wobei er wesentlich darauf abzielt, dass die Konzeption der Wahl des Ethikers sich als inkonsistent erweise: „Entweder ist das Ethische verbindlich und kann in dieser Verbindlichkeit lediglich eingesehen oder überspielt werden; oder das Ethische wird als Alternative zum Ästhetischen gewählt, und dann kann es nicht verbindlich sein“ (ders., Phänomenologie der Freiheit, p. 254). Zu Ähnlichkeiten und Unterschieden bei Heidegger und Kierkegaard in Bezug auf das Konzept der Eigentlichkeit vgl. auch Daniel Berthold-Bond, ‚A Kierkegaardian Critique of Heidegger’s Concept of Authenticity’, in Man and World 24, 1991, pp. 119-142; Alastair Hannay, ‚Kierkegaard’s Levelling and the Review’, in N. J. Cappelørn u. H. Deuser, Kierkegaard Studies Yearbook, Berlin: de Gruyter, 1999, pp. 71-95; Rainer Thurnher, ‚Kierkegaards ‚Menge’ und Heideggers ‚Man’, in Karen Gloy (Hg.), Kollektiv- und Individualbewusstsein, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008, pp. 135-148. 368 Sein und Zeit, p. 43. 369 Sein und Zeit, p. 42 (Hervorhebung M.H.). 370 Vgl. Entweder/ Oder, p. 732. 124 bestimmt, ein solcher Versuch letztlich Verzweiflung ist. Wie gesehen betont der Ethiker, dass „ein jeder, der ästhetisch lebt, verzweifelt ist, ob er es nun weiß oder nicht“ und dass mithin, „[w]enn man das weiß […] eine höhere Form des Daseins eine unabweisliche Forderung“ 371 ist. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass er sich geistig zu bestimmen hat, insofern es das Geistige ist, welches ihn an das Absolute anbindet: Als unmittelbarer Geist hängt der Mensch mit dem ganzen irdischen Leben zusammen, und nun will der Geist gleichsam aus dieser Zerstreutheit heraus sich sammeln und sich in sich selbst erklären; die Persönlichkeit will sich ihrer selbst in ihrer ewigen Gültigkeit bewußt werden. 372 In dem Postulat einer Wahl treffen sich also Heidegger und der Ethiker, wobei die Wahl auf einer ontisch gleichen Struktur beruht: Uneigentlichkeit und ästhetische Existenz gehen der Eigentlichkeit beziehungsweise der ethischen Existenz voraus. Dabei gilt auch in beiden Fällen, dass der Verbleib im ontisch Ersten sowohl möglich als auch im Grunde ‚das Normale’ zu sein scheint 373 . In beiden Fällen muss sich der Mensch als er selbst durchsichtig werden, um hierdurch den Blick freiwerden zu lassen auf die je andere Möglichkeit des Existierens, das eigentliche Existieren bei Heidegger und beim Ethiker die Wahl des Selbst in seiner ewigen Gültigkeit, die er als die Wahl des Ethischen begreift 374 . Bemerkenswert ist auch die Parallele in der Idee einer Zuspitzung, in welcher der Einzelne vor seine Daseinsmöglichkeiten geführt wird. Bei Heidegger erfolgt diese Zuspitzung über die tiefe Langeweile, während beim Ethiker diese Rolle von der bewussten Verzweiflung übernommen wird, die in einem aktivischen „[V]erzweifle! “ 375 kulminiert. Heidegger hatte die Langeweile konzeptuell gefasst als konstituiert aus den Strukturelementen der Leergelassenheit und der Hingehaltenheit, was in der tiefen Langeweile die Form dessen annimmt, dass diese die dem Selbst angezeigten Möglichkeiten versagt. Er spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von einer Zuspitzung in der „Spitze des schärfsten Augenblicks“ 376 , in welcher die Entschlossenheit zum Ergreifen seines Daseins als seiner ei- 371 Entweder/ Oder, p. 746. 372 Entweder/ Oder, p. 742. 373 Vgl. dazu die bereits zitierte Textstelle aus Entweder/ Oder: „Und das ist das Traurige, wenn man das Leben der Menschen betrachtet, daß so viele ihr Leben in stiller Verdammnis dahinleben; sie leben sich selbst aus, nicht in dem Sinne, daß der Inhalt des Lebens sich sukzessiv entfaltete und nunmehr in dieser Entfaltung besessen würde, sondern sie leben sich gleichsam aus sich selbst heraus, verschwinden wie Schatten, ihre unsterbliche Seele verweht […]“ (ebd., p. 717 und p. 104 dieser Arbeit). 374 Hiervon wird später namentlich Anti-Climacus abweichen, der in der Krankheit zum Tode diese Selbstwahl nicht mehr als ethische, sondern wesentlich als religiöse bestimmt. 375 Entweder/ Oder, p. 768 (vgl. p. 105f. dieser Arbeit). 376 Grundbegriffe, p. 248 (Hervorhebung M.H.). 125 gensten Möglichkeit vonnöten ist: „Die Notwendigkeit dieses Entschlusses ist der Inhalt des versagten und zugleich angesagten Augenblicks unseres Daseins.“ 377 Der Einsicht in die Notwendigkeit des Entschlusses aus der Stimmung der tiefen Langeweile heraus entspricht in der Argumentation des Ethikers jene Einsicht, die in und aus der Verzweiflung als bewusster Verzweiflung heraus in den Horizont des Einzelnen tritt. In der Verzweiflung wird sich die ästhetische Existenz ihrer selbst in ihrer Defizienz durchsichtig. Sie erkennt, dass die Ausrichtung am Weltlichen - mit anderen Worten am und mithin am Endlichen und Vergänglichen - Verzweiflung ist und dass die dieserart verwurzelte Verzweiflung nur durch das Ergreifen des Selbst in seiner ewigen Gültigkeit überwunden werden kann. Wenn nun in dem Postulat der Möglichkeit eines eigentlichen Selbstseins beziehungsweise einer Wahl, in der das Selbst als es selbst ergriffen werden kann, eine strukturelle Gemeinsamkeit zwischen dem zweiten Teil von Entweder/ Oder und der Heideggerschen Differenzierung in Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit zutage tritt, so unterscheiden sich beide selbstverständlich erheblich in Bezug auf die Voraussetzungen, die der Möglichkeit einer solchen Wahl zugrunde liegen, aber auch in Bezug auf die Bewertung des Verbindlichkeitscharakters dieser Wahl. Wie gesehen will der Ethiker dem Ästhetiker, der aus der Nichtigkeit des Daseins das Postulat einer auf dem divertissement basierenden Existenz entwickelt, nachweisen, dass eine solche Existenz als Verzweiflung zu charakterisieren ist, unabhängig davon ob dies dem dieserart Existierenden bewusst ist oder nicht.. Hieraus hatte der Ethiker die Notwendigkeit abgeleitet, in einer absoluten Wahl sich selbst zu wählen und zwar in seiner ewigen Gültigkeit. Freilich muss diese Forderung, die er an den Ästhetiker richtet, so lange zweifelhaft bleiben, wie der Ethiker nicht zeigen kann, dass ein solches nicht verzweifeltes und eigentliches 378 Selbstsein überhaupt möglich ist, beziehungsweise muss es ihm gelingen zu plausibilisieren, dass in den strukturellen Bedingungen der Existenz solche zu finden sind, die die Perspektive eines ‚eigentlichen’ Selbstseins eröffnen. Die Begründung der Möglichkeit eines eigentlichen Selbstseins liefert der Ethiker selbstverständlich, wenn er diese Selbstwahl beschreibt, indem er sagt, des ästhetischen Menschen „Selbst ist gleichsam außer ihm, und es muß er- 377 Grundbegriffe, p. 247. 378 Insofern in der Idee der Wahl seiner selbst als dieses Selbst die Vorstellung vom Ergreifen des Eigensten, nämlich seiner Persönlichkeit als seiner eigenen Persönlichkeit steckt, scheint es mir durchaus möglich, diese Heideggersche Kategorie der Eigentlichkeit auch zur Charakterisierung der Selbstwahl im Kontext von Entweder/ Oder zu verwenden. Im Übrigen spricht der Ethiker auch ausdrücklich davon, dass das Ergreifen beliebiger Möglichkeiten, welches für den Ästhetiker charakteristisch ist, als ein Wählen „im uneigentlichen Sinne“ (Entweder/ Oder, p. 715) zu betrachten ist, womit im Grunde die Begriffswahl in eine ähnliche Richtung weist. 126 worben werden […] aus des ewigen Gottes Hand.“ 379 Die Möglichkeit eines eigentlichen Selbstseins ist präfiguriert dadurch, dass es sich bei der Selbstwahl nicht um eine Selbstschöpfung handelt, sondern um das Ergreifen seiner selbst als desjenigen, als den Gott einen geschaffen hat: Wenn nämlich das, was ich wähle, nicht da wäre, sondern absolut durch die Wahl entstünde, so wählte ich nicht, so erschüfe ich; aber ich erschaffe mich nicht, ich wähle mich. 380 Damit hat also der Ethiker in der Anbindung an Gott jenes Fundament, auf dessen Boden ein eigentliches Selbstsein möglich wird. Diese Struktur der Wahl aus der Verzweiflung heraus präzisiert später, in der Krankheit zum Tode, das Pseudonym Anti-Climacus, dessen Überlegungen den Ausführungen des Ethikers an dieser Stelle eine größere Tiefenschärfe geben können dadurch, dass sie das Verhältnis des Selbst zu Endlichkeit und Ewigkeit konkreter bestimmen und damit auf den Punkt bringen, was im zweiten Teil von Entweder/ Oder noch nicht expressis verbis zum Vorschein kommt beziehungsweise nicht im Reflexionshorizont des Ethikers steht. So fasst Anti-Climacus den Menschen explizit als Synthese, und zwar als Synthese zum einen aus Leib und Seele und zum anderen aus Ewigkeit und Endlichkeit. Im Spannungsfeld dieser Begriffe nun entwickelt Anti-Climacus eine psychologische Interpretation der Verzweiflung. Denn aus der Verhältnisbestimmung von Leib und Seele beziehungsweise Endlichkeit und Ewigkeit ergibt sich die Verzweiflung beziehungsweise die Möglichkeit nicht verzweifelt zu sein. Ebendies stellt die Aufgabe des Menschen dar, das Verhältnis von Leib und Seele gemäß dieser Synthesestruktur richtig zu setzen. In diesem Sinne wird der Mensch in der Krankheit zum Tode in zweifacher Hinsicht bestimmt. Zunächst als Geist, der gleichgesetzt wird mit dem Selbst, das es zu setzen gilt: „Der Mensch ist Geist. Was aber ist Geist? Geist ist das Selbst.“ 381 Dann, in einem zweiten Schritt als ebenjene Synthese, die es zu setzen gilt, das heißt, der Mensch wird des Weiteren bestimmt als Synthese aus Leib und Seele. Allerdings weist Anti-Climacus darauf hin, dass der Mensch, bestimmt als Synthese - verstanden als Verhältnis zwischen Zweien - noch kein Selbst sei. Entscheidend für das Selbst ist das besondere an diesem Verhältnis, dass es sich zu sich selbst verhält: In dem Verhältnis zwischen Zweien ist das Verhältnis das Dritte als negative Einheit, und die Zwei verhalten sich zu dem Verhältnis, und in dem Verhältnis zum Verhältnis; so ist z.B. unter der Bestimmung Seele das Verhältnis zwischen Seele und Leib ein Verhältnis. Verhält dagegen das Verhält- 379 Entweder/ Oder, p. 775. 380 Entweder/ Oder, pp. 773f. 381 Sören Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, in Furcht und Zittern. Der Begriff Angst. Die Krankheit zum Tode, Werksausgabe, Bd. 1, Düsseldorf: Diederichs, 1971, p. 396. 127 nis sich zu sich selbst, so ist dieses Verhältnis das positive Dritte, und dies ist das Selbst. 382 Das Selbst ist mithin als ein Verhältnis bestimmt, das im Sich-zu-sich- Verhalten, das heißt, im Vollzug, sich als Selbst konstituiert 383 . In dieser Herleitung des Selbst als Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, d.h. zu sich selbst als Synthese aus Leib und Seele, tritt freilich noch nicht zutage, worauf nun die Möglichkeit der Verzweiflung beruht. Diese Möglichkeit tritt erst dann hervor, wenn sich die Setzung dieses Verhältnisses in irgendeiner Weise als defizitär oder, wie Figal es ausdrückt, als misslingend 384 erweisen kann. Insofern ist die bisherige Bestimmung noch unzureichend, da hier noch unklar bleibt, wie ein solches Verhältnis überhaupt möglich ist. Diesbezüglich gibt es Anti-Climacus zufolge zunächst einmal zwei Möglichkeiten: „Ein solches Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, ein Selbst, muß entweder sich selbst gesetzt haben, oder durch ein anderes gesetzt sein.“ 385 Erstere Möglichkeit verwirft Anti-Climacus ohne weitere Erklärung 386 , um sich der zweiten Option zuzuwenden und diese zu ent- 382 Krankheit zum Tode, p. 396 (meine Hervorhebung). 383 Die Tatsache, dass das Selbst als Vollzug bestimmt wird, ist von außerordentlicher Wichtigkeit, denn dies weist darauf hin, dass es kein Wissen um dasselbe in einem essentialistischen Sinne geben kann, vor allem aber, dass das Selbst an einer Selbstbegründung prinzipiell scheitern muss: „Der Vollzug des eigenen Lebens ist kein ergon, das aus eigener Kraft in Gleichgewicht und Ruhe, in Ordnung und Fügung gebracht werden könnte. Es ist sogar unmöglich, eine solche Ordnung und Fügung im Bewusstsein dauernder Unvollkommenheit anzustreben, weil es für das Selbstsein kein Wissen einer Ordnung und Fügung seiner selbst gibt“ (G. Figal, ‚Verzweiflung und Uneigentlichkeit’, p. 140). Vgl. auch G. Thonhäuser, der ebenfalls die Bedeutung dieses Verständnisses des Selbst hervorhebt: „Das Selbst ist kein Etwas, sondern es ist der reine Vollzug des Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens des Verhältnisses“ (vgl. ders., Konzept der Zeitlichkeit, p. 58; Hervorhebung G.T). Daneben ist bemerkenswert, dass der Geist hier nicht als das Überindividuelle bestimmt wird, sondern an das Selbst, das heißt, an den Einzelnen gebunden ist. Vgl. Joachim Ringleben, Die Krankheit zum Tode von Sören Kierkegaard. Erklärung und Kommentar, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1995, p. 51: „Deutlich ist jedenfalls die präzisierende Funktion dieser Näherbestimmung: ‚Geist ist das Selbst’. Sie besagt das folgende: Geist ist nicht etwas überindividuell Allgemeines, woran der einzelne bloß teilhat […], sondern Geist ist (jedenfalls im Falle des Menschseins) nur selbsthaft da. Geist ist das Selbstsein des je einzelnen Menschen.“ 384 Vgl. G. Figal, ‚Verzweiflung und Uneigentlichkeit’, pp. 135-151. 385 Krankheit zum Tode, p. 397. 386 Die Tatsache, dass Anti-Climacus die erste Möglichkeit überhaupt nicht durchspielt, sondern ohne Begründung als entschieden betrachtet, betont auch Deuser (vgl. ders., ‚Grundsätzliches zur Interpretation der Krankheit zum Tode. Zu M. Theunissens ‚Korrekturen an Kierkegaard’, in ders. und N. J. Cappelørn (Hg.), Kierkegaard Studies Yearbook, Berlin: de Gruyter, 1996, pp. 117-128), genauso wie selbstverständlich Theunissen, der darauf hinweist, dass die Annahme des „Gesetztseins durch Gott als eine Hypothese einzuführen ist, die alleine den im voraus gesichteten Sachverhalt der Verzweiflung zureichend erklären kann“ (ders., Das Selbst auf dem Grund der Verzweif- 128 wickeln: dass das Verhältnis durch ein Anderes gesetzt ist. Damit erweist sich das Selbst als ein abgeleitetes Verhältnis, das „sich zu sich selbst verhält, und, indem es sich zu sich selbst verhält, zu einem Anderen verhält“ 387 . Von hier aus kann Anti-Climacus nun zur Ausgangsfrage der Verzweiflung zurückkehren. Verzweiflung kann nun zweifach definiert werden. Insofern der Mensch eine Synthese ist, ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält und in diesem Sich-Verhalten sich zu jenem Dritten verhält, das ihn als Verhältnis gesetzt hat, muss es sich, um nicht verzweifelt zu sein, so als Verhältnis bestimmen, dass es „indem es sich zu sich selbst verhält, und indem es es selbst sein will“ sich als dieses Selbst „durchsichtig in der Macht [gründet], welche es gesetzt hat“ 388 . Verzweiflung ist der Ausdruck dafür, dass das Selbst entweder verzweifelt es selbst sein will oder verzweifelt nicht es selbst sein will, das heißt, ein Missverhältnis ist, das präziser bestimmt ist als ein Mißverhältnis in einem Verhältnisse, das sich zu sich selbst verhält, und durch ein Anderes gesetzt ist, so daß das Mißverhältnis sich zugleich unendlich reflektiert in dem Verhältnis zu der Macht, welche es gesetzt hat. 389 Wenn nun Anti-Climacus, wie im Übrigen auch der Ethiker, davon ausgeht, dass jeder Mensch zunächst einmal verzweifelt ist, dann erschließt sich vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen, warum der Mensch zunächst immer entweder verzweifelt er selbst sein will oder verzweifelt nicht er selbst sein will und es ihm nicht gelingen kann, sich unmittelbar ‚richtig’ zu setzen. Dies ist insofern unmöglich als Anti-Climacus das Selbst ausdrücklich als abgeleitetes Verhältnis bestimmt hatte und das richtige Setzen erst dann und nur dann möglich ist, wenn sich das Selbst im Sichzu-sich-selbst-verhalten auch zu jenem Dritten verhält, das die Synthese gesetzt hat. Jenes Dritte, das erst im zweiten Abschnitt ausdrücklich mit „Gott“ 390 benannt wird, setzt dabei die Synthese im „rechten Verhältnis“ 391 und es ist in die Freiheit und Verantwortung des Menschen gelegt, sich erneut in dieses rechte Verhältnis zu setzen. Dass dies nicht unmittelbar sein kann, liegt wiederum daran, dass das Verhältnis als Geist und mithin als Reflexion und Mittelbarkeit bestimmt ist und als solche zunächst vor die Möglichkeit gebracht werden muss, sich zu sich selbst und damit zu Gott in ein Verhältnis zu bringen. Damit erhellt sich auch, warum Anti- lung: Kierkegaards negativistische Methode, Frankfurt am Main: Hain, 1991, p. 37); vgl. auch ders., ‚Das Menschenbild in der ‚Krankheit zum Tode’’, in ders. und Wilfried Greve (Hg.), Materialien zur Philosophie Søren Kierkegaards, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1979, pp. 496-510. 387 Krankheit zum Tode, p. 397. 388 Krankheit zum Tode, p. 398. 389 Krankheit zum Tode, p. 398. 390 Krankheit zum Tode, p. 399. 391 Krankheit zum Tode, p. 399. 129 Climacus unterscheiden kann zwischen dem, was man eine uneigentliche und eine eigentliche Verzweiflung nennen könnte. Denn nach dem zuvor Gesagten ist klar, dass Verzweiflung in einem eigentlichen Sinne nur dann zutage treten kann, wenn der Mensch geistig bestimmt ist. Wenn er nicht geistig bestimmt ist - wofür Anti-Climacus mit Verweis auf den Begriff Angst den Begriff der Geistlosigkeit verwendet 392 -, dann ist der Verzweifelte zwar unwissend darüber, dass er verzweifelt ist, die Verzweiflung aber ist damit keineswegs aufgehoben. Denn dies ist vielmehr Ausweis dessen, dass sich der Verzweifelte überhaupt nicht bewusst ist, ein Selbst zu haben. Die eigentliche Verzweiflung aber, bei der man die zwei oben genannten Formen - verzweifelt man selbst sein wollen und verzweifelt nicht man selbst sein wollen - identifizieren kann, ist jene, in welcher das Selbst sich bewusst ist, ein Selbst zu haben. Unwissend über die eigene Verzweiflung zu sein bedeutet also zunächst, unwissend darüber zu sein, überhaupt ein Selbst zu haben. Von der eigenen Verzweiflung zu wissen bedeutet dann freilich eine tiefere Verzweiflung, aber auch dem näher zu sein, über die Verzweiflung hinaus zu kommen, insofern ein Überwinden der Verzweiflung überhaupt nur denkbar ist, wenn das Bewusstsein davon vorhanden ist, dass man ein Selbst hat. Die Definition des Selbst als Geist in der Krankheit zum Tode hilft nun auch besser nachzuvollziehen, was es bedeutet, wenn der Ethiker davon spricht, dass viele Menschen in „stiller Verdammnis“ leben, das heißt ohne sich dessen bewusst zu sein. Insofern auch der Ethiker den Menschen als Geist bestimmt, bedeutet dies, dass diese Menschen noch nicht dahin gelangt sind, sich bewusst zu sein ein Selbst zu haben und damit noch nicht dahin gelangt sind zu wissen, dass sie im Grunde verzweifelt sind. Umgekehrt kann man wiederum sagen, dass das Überwinden der Verzweiflung durch das Verzweifeln in seiner aktivischen Bestimmung, welches der Ethiker dem Ästhetiker nahe legt, bedeutet, dass das Ergreifen der Persönlichkeit in ihrer ewigen Gültigkeit, von dem der Ethiker spricht, sich erweist als ein Sich-zu-sich-selbst-verhalten derart, dass man sich so in das rechte Verhältnis setzt, dass man sich zu sich selbst und dabei zu Gott so verhält, wie dieser das Verhältnis gesetzt hat. Die Verzweiflung ist also in beiden Fällen, für den Ethiker wie für Anti-Climacus, begründet in einem fehlenden oder misslingenden Gottesverhältnis. Dass dabei die Strukturen des Gottesverhältnisses sich in Entweder/ Oder und in der Krankheit zum Tode durchaus unterscheiden, ist hier weniger entscheidend als deutlich zu machen, dass in beiden Fällen die Vernichtung der Verzweiflung an die Bestimmung des Selbst als Geist gebunden ist und nur durch die Anbindung an Gott als das Ewige gelingen kann. Bemerkenswert ist nun allerdings, dass B das Postulat einer absoluten Wahl vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ästhetische Existenz Ver- 392 Vgl. Krankheit zum Tode, p. 429. 130 zweiflung ist, weitestgehend diesseits dieser Anbindung an eine transzendente Instanz entwickelt. Argumentativ geht er so vor, dass er zunächst seine Konzeption einer absoluten Wahl postuliert, um im Anschluss seine zentrale These zu entfalten, dass jedwede ästhetische Existenz verzweifelte Existenz ist. Die Grundlage für diese These ist wiederum, dass nichts Endliches eine menschliche Seele befriedigen könne, welche Sehnsucht nach dem Unendlichen verspüre. Erst nachdem der Ethiker den Nachweis erbracht hat, dass ästhetische Existenz prinzipiell Verzweiflung ist und damit die Notwendigkeit der Wahl der Persönlichkeit in ihrer ewigen Gültigkeit als unausweichlich nachgewiesen hat, kommt er auf jene Grundvoraussetzung zu sprechen, ohne die seine gesamte Konstruktion überhaupt nicht funktionieren würde. Die Struktur der Argumentation ist mithin derart, dass zunächst nachgewiesen wird, dass jedwede ästhetische Existenz unausweichlich verzweifelte Existenz ist, um dann auf jene Klimax hinauszulaufen, dass der Einzelne sich in seiner ewigen Gültigkeit ergreifen muss, was wiederum bedeutet, dass Verzweiflung nur durch Gott überwindbar ist. Damit verbirgt der Ethiker durch diese Zuspitzung der Argumentation auf die Verzweiflung jenen Aspekt, der die Argumentation - zumindest logisch - anfechtbar macht, dass diese nämlich im Grunde darauf hinausläuft zu sagen, dass Gott existieren muss, da die menschliche Existenz andernfalls Verzweiflung wäre. Die Möglichkeit, dass es keine Existenz jenseits der Verzweiflung gibt, dass mithin die Verzweiflung der unüberschreitbare Horizont der menschlichen Existenz bleiben könnte, zieht er überhaupt nicht in Betracht. Wenn er aber den - im Grunde nicht ausgewiesenen - Schritt vom Nachweis der Verzweiflung zum Postulat Gottes nicht machen würde, hätte er dem Ästhetiker und seiner Langeweiletheorie nichts entgegenzusetzen, denn dann wäre die Existenz in der Tat in einem metaphysischen Sinne sinnlos beziehungsweise ungewiss, ob ein transzendenter Sinn gegeben ist und damit auch dem Ästhetiker kein Vorwurf zu machen, wenn er versucht, sich von der Sinnlosigkeit durch das divertissement abzulenken und somit sich zu befähigen, die Existenz zumindest punktuell zu genießen. Wie gesehen hintergeht der Ethiker damit letztlich in seiner Argumentation die Prämissen der ästhetischen Lebensanschauung und namentlich jene entscheidende Grundvoraussetzung, der zufolge alles Sein auf dem Nichts basiert. Dem Nichts und der Langeweile als dessen Emanation stellt er den christlichen Glauben entgegen und findet in Gott damit auch den Garanten einer möglichen Sinnhaftigkeit. Dorthin kann der Mensch aber nur gelangen, wenn er sich seiner Verzweiflung bewusst ist. Diesseits Gottes ist alle menschliche Existenz Verzweiflung, da sinnlos, insofern sie entweder als unbewusst gelebte Verzweiflung einem tierähnlichen präsentischen Zustand gleichen würde, dann nämlich, wenn der Mensch sich nicht geistig bestimmt 393 , oder aber als bewusste Verzweif- 393 Die Verkörperung einer solchen geistlosen Existenz ist bei Kierkegaard der Spieß- 131 lung, welche der Ethiker beim Ästhetiker vermutet und als deren Ausdruck die Langeweile zu werten ist. Die in der Verzweiflung erkannte Nichtigkeit entwertet die Welt, so dass ihr kein affektiver Wert mehr zugewiesen werden kann und das Fehlen der Möglichkeit eines affektiven Zugriffs auf die Welt aus der Stimmung der Langeweile heraus vertieft die Verzweiflung 394 . Bei Heidegger beruht die Herleitung der Möglichkeit eines Entschlusses aus der tiefen Langeweile heraus - beziehungsweise des Nachholens der Wahl, wie es in Sein und Zeit formuliert war -, das heißt die Möglichkeit des Sich-Entschließens zu einem eigentlichen Seinkönnen, trotz der Ähnlichkeit in der Begrifflichkeit und der Argumentationsstruktur auf anderen Voraussetzungen. Der entscheidende Unterschied zwischen der Heideggerschen Version einer Wahl im Sinne eines eigentlichen Selbstseinkönnens und der Idee einer Selbstwahl des Ethikers - beziehungsweise der Selbstsetzung des Anti-Climacus - besteht darin, dass Heidegger die Wahl phänomenologisch aus der Struktur des Daseins herleitet, ohne hierzu eines Rückgriffes auf eine sinnstiftende transzendente Instanz zu bedürfen. Anz bringt das folgendermaßen auf den Punkt: „Nicht aus dem unendlichen seienden Gott ist die Welt zu begründen, sondern das ‚Da’ im endlichen menschlichen Dasein ist der Ort, an dem Welt ‚aufgeht’.“ 395 Die Möglichkeit, den Menschen in der tiefen Langeweile vor den Augenblick zu bringen, in dem er in Entschlossenheit sich sein Dasein als das je seinige aneignet, hat ihre Grundlage nicht, wie die absolute Wahl des Ethikers, in einem Absoluten, sondern in der in Sein und Zeit fundamentalontologisch freigelegten Struktur des Daseins, welches in der tiefen Langeweile die ihm je eigenen Möglichkeiten angesagt bekommt und diese im Entschluss ergreifen kann. Im Durchstimmen in der tiefen Langeweile enthüllt sich die Zeit bürger. Vgl. dazu die treffende Schilderung von Niels Jørgen Cappelørn: „Seine [des Spießbürgers, S.H.] Bewusstlosigkeit befindet sich im Maximum und seine Verzweiflung deshalb im Minimum. Davon, dass er verzweifelt ist, weiß er nichts. Und doch verrät sein Benehmen, dass er in seinem Innersten ein wenig verzweifelt ist“ (ders., ‚Am Anfang steht die Verzweiflung des Spießbürgers. Zu Arne Grøns ‚Kierkegaards Phänomenologie’, in ders. und Hermann Deuser: Kierkegaard Studies Yearbook, Berlin: de Gruyter, 1996, pp. 129-148, hier p. 142). Vgl. auch den Artikel von Frederik Strand, ‚Geistlosigkeit’, in Tonny Aagaard Olesen, Richard Purkarthofer und K. Brian Soderquist (Hg.), Kierkegaardiana 22, 2002, pp. 107-124. 394 Freilich können als Grundlage des vom Ethiker geäußerten Verdachtes, der Ästhetiker sei sich seiner Verzweiflung bewusst, nur Teile der Papiere des Ästhetikers dienen - namentlich die Diapsalmata und der Essay Der Unglücklichste -, während die Wechselwirtschaft und das darauf folgende Tagebuch des Verführers gerade als Zeugnisse gelesen werden könnten, wie in der Immanenz eine Existenz diesseits der Verzweiflung und der Langeweile zumindest denkbar ist. 395 Wilhelm Anz, ‚Die Stellung der Sprache bei Heidegger’, in Otto Pöggeler (Hg.), Heidegger. Perspektiven zur Deutung seines Werks, Köln: Kiepenheuer und Witsch, 1970, pp. 305-320, hier p. 309 (Hervorhebung W.A.). 132 als Sinnhorizont, jedoch nicht im Sinne jenes „vulgären“ Zeitverständnisses, von dem Heidegger sich abgrenzt, sondern verstanden als eine Zeitlichkeit, die als die je meinige sich zeitigt. Dies entspricht der Heideggerschen Prämisse eines Philosophierens, das sich diesseits von Letztbegründungen situiert und erlaubt die Konzipierung des Daseins als Entwurf im In-der-Welt-sein, in dem der Mensch sich entschließt, sein Dasein als das je seine zu übernehmen. Freilich bleibt es bei Heidegger bei dieser formalen Bestimmung, weshalb ihm verschiedentlich vorgeworfen wurde, dass es sich hier um reinen Dezisionismus handle 396 . Insofern das Aufzeigen der Möglichkeit eines eigentlichen Selbstseins allein dem Interesse einer philosophischen Erschließung der ontologischen Strukturen des Daseins geschuldet ist, kann hieraus im Grunde auch kein Forderungscharakter abgeleitet werden. Dieser Tatsache wird Heidegger auch gerecht, indem er gerade in Sein und Zeit verschiedentlich darauf hinweist, dass es sich hier um eine mögliche Auslegung des Daseins handle, die rein deskriptiv zu verstehen sei und keine Kritik an der Uneigentlichkeit impliziere 397 . Kön- 396 So Jürgen Habermas, der vom „Dezisionismus der leeren Entschiedenheit“ spricht (ders., Der philosophische Diskurs der Moderne - Zwölf Vorlesungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985, p. 168). Ähnlich Daniel Morat, der kommentiert, dass „sich Heideggers schon im heroischen Existenzialismus von Sein und Zeit enthaltener Dezisionismus zu einem begrifflichen Leerlauf [steigerte], in dem das ‚wirkliche Wollen und Handeln’ explizit als ‚Wollen um des Wollens selbst willen’ erschien“ (ders., Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920-1960, Göttingen: Wallstein, 2007, p. 117. Vgl. auch Micha H. Werner, ‚Dezisionismus’, in Jean-Pierre Wils und Christoph Hübenthal (Hg.): Lexikon der Ethik, Paderborn: Schöningh, 2006, pp. 52-59. Gegen den Dezisionismusvorwurf argumentiert Andreas Luckner, Martin Heideggers ‚Sein und Zeit’. Ein einführender Kommentar, Paderborn: Schöningh, 2001, pp. 158ff. 397 Vgl. etwa Sein und Zeit, p. 179, wo Heidegger betont, die eigentliche Existenz sei nicht zu verstehen als etwas, das „über der verfallenden Alltäglichkeit schwebt, sondern existenzial nur ein modifiziertes Ergreifen dieser“ sei. Freilich betont Ernst Tugendhat, dass trotz dieser Beteuerungen „der normative Charakter“ von Heideggers Ausführungen „offenkundig“ sei und „obwohl Heidegger die Rede vom Sollen meidet - die Begriffe des Sollens und des Guten gehören, sagt er, in die Ontologie des Vorhandenen -, kommt er doch bisweilen nicht umhin zu sagen, man ‚soll’ eigentlich sein“ (E. Tugendhat, ‚Heideggers ‚Man’ und die Tiefendimensionen der Gründe’, in Reinhard Brunner, Peter Kelbel (Hg.), Anthropologie, Ethik und Gesellschaft. Für Helmut Fahrenbach, Frankfurt am Main: Campus, 2000, pp. 77-100, hier p. 77). In ähnlichem Sinne schreibt Michael Pauen: „Sein und Zeit […] gibt sich zunächst lediglich als eine neutrale Interpretation des ‚Seins des Daseins’ […]. Im Verlauf des Werks weicht Heidegger jedoch von dieser Konzeption ab. Obwohl die Fundamentalontologie eingestandenermaßen über keinen Maßstab verfügt, die verschiedenen Formen des Verhältnisses von Dasein und ‚Welt’ zu bewerten, werden Heideggers normative Urteile zusehends entschiedener, ohne dass der Maßstab, an dem sie sich orientieren, zur Diskussion gestellt würde“ (ders., Dithyrambiker des Untergangs. Gnostizismus in Ästhetik und Philosophie der Moderne, Berlin: Akademie-Verlag, 1994, pp. 293f.; Hervorhebung M.P.). Was hier zu Sein und Zeit gesagt wird, gilt sicherlich in ähnlicher Weise für die Entfaltung der Langeweileproblematik in den Grundbegriffen. 133 nen der Ethiker und Anti-Climacus diesbezüglich auf die Verantwortung im Sinne einer Forderung an den Einzelnen verweisen, darauf nämlich, dass der Mensch sich nicht nur geistig bestimmen kann, sondern sich geistig bestimmen soll als unhintergehbare Forderung an ihn, muss sich Heidegger mit dem Postulat der Eigentlichkeit letztlich in der Tat damit zufrieden geben, ontologische Strukturen aufzuzeigen, aus denen sich nicht im gleichen Maße eine Verbindlichkeit ergibt, wie dies der Fall ist, wenn eine höhere Instanz die Analyse absichert. Das Problematische an der Tatsache, dass Heidegger im Grunde aus seiner Phänomenologie kein Sollen ableiten kann, zeigt sich auch anhand eines weiteren von Kierkegaard entliehenen Motivs, des Motivs der Angst. Ähnlich wie bei der Frage der Wahl als der Wahl des eigentlichen Selbstseinkönnens, ‚erdet’ Heidegger auch das Kierkegaardsche Konzept der Angst. Ist diese im Begriff Angst auf den ‚Gründungsmythos’ der christlichen Schöpfung bezogen als Ahnung der Möglichkeit zu können, die in der Existenz mehr oder weniger deutlich spürbar bleibend doch immer auf die ursprüngliche Angst Adams zurückverweist, verwendet Heidegger den Begriff als Angst des In-der-Welt-seins beziehungsweise als Angst vor dem Tode, in der jedwede konkrete Furcht ihren ontologischen Grund habe 398 . Von dort aus gelangt Heidegger zu dem Postulat, diese Angst zur Erschließung des Daseins zuzulassen und macht zum Kriterium einer eigentlichen Existenz den Mut zur Angst 399 , während die uneigentliche, an das Man verfallene Existenz in ebendiesem Verfallen dieser Angst ausweiche. Auch hier ließe sich fragen, warum der Mensch Mut zur Angst aufbringen soll, denn das Zulassen der Angst ist nicht dadurch zureichend begründet, dass die Angst eine Angst vor dem Tode ist. Insofern die Angst vor dem Tode auf nichts Höheres verweist, auf nichts als das Nichts, in welches das Dasein hinausgehalten ist, stellt sich die Frage, warum das Dasein als ‚eigentlicher’ zu betrachten ist, wenn der Mensch seine Möglichkeiten als seine eigensten aus dem Vorlaufen zum Tod gewinnt. Gegen eine solche ‚Todesphilosophie’ ließe sich etwa folgender - selbstverständlich in dieser Hinsicht durchaus ambivalenter - Aphorismus Nietzsches aus der Fröhlichen Wissenschaft anführen, in dem es heißt: Es macht mir ein melancholisches Glück, mitten in diesem Gewirr der Gässchen, der Bedürfnisse, der Stimmen zu leben: wie viel Geniessen, Ungeduld, Begehren, wie viel durstiges Leben und Trunkenheit des Lebens kommt da jeden Augenblick an den Tag! Und doch wird es für alle diese Lärmenden, Lebenden, Lebensdurstigen bald so stille sein! Wie steht hinter Jedem sein Schatten, sein dunkler Weggefährte! Es ist immer wie im letzten Augenblicke vor der Abfahrt eines Auswandererschiffes: man hat einander mehr zu sagen als je, die Stunde drängt, der Ozean und sein ödes Schwei- 398 Vgl. Sein und Zeit, p. 186. 399 Vgl. Sein und Zeit, pp. 190f. 134 gen wartet ungeduldig hinter allem Lärme - so begierig, so sicher seiner Beute. Und alle, Alle meinen, das Bisher sei Nichts oder Wenig, die nahe Zukunft sei Alles: und daher diese Hast, dieses Geschrei, dieses Sich- Uebertäuben und Sich-Uebervortheilen! Jeder will der Erste in dieser Zukunft sein, - und doch ist Tod und Todtenstille das einzige Sichere und das Allen Gemeinsame dieser Zukunft! Wie seltsam, dass diese einzige Sicherheit und Gemeinsamkeit fast gar Nichts über die Menschen vermag und dass sie am Weitesten davon entfernt sind, sich als die Brüderschaft des Todes zu fühlen! Es macht mich glücklich, zu sehen, dass die Menschen den Gedanken an den Tod durchaus nicht denken wollen! Ich möchte gern Etwas thun, ihnen den Gedanken an das Leben noch hundertmal denkenswerther zu machen. 400 Auch ließe sich die Frage stellen, sowohl anlässlich dieses Aphorismus als auch im Zusammenhang mit der sozialen Klugheitslehre der ästhetischen Lebensanschauung, ob nicht auch eine Uneigentlichkeit aus Eigentlichkeit denkbar wäre. In Bezug auf die Idee einer (Selbst-)Wahl wirkt die strukturell der absoluten Wahl des Ethikers als der zwischen dem Ästhetischen und dem Ethischen analoge Wahl des eigentlichen Selbstseinkönnens bis zu einem gewissen Grad wie der Ausdruck eines Bedürfnisses nach der Möglichkeit eines eigentlichen Selbstseinkönnens 401 , womit Heidegger sich dann auf eigene Weise dem Versuch des Ethikers und des Anti-Climacus zugesellen würde, das Dasein in seiner Zeitlichkeit vor dem Nichts des Todes zu retten, so wie dies etwa Karl Heinz Bohrer bei Heidegger verortet, wenn er von dessen „Umdeutung des Todes“ 402 spricht, in der dieser ihn vom „Nichtsein“ zum „Sein“ umbestimme 403 . Sollte es sich so verhalten, dann würde sich eventuell die Frage aufdrängen, ob nicht die ‚Philosophie’ des 400 F. Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, p. 523 (die erste Hervorhebung stammt von F.N., die zweite von mir). Das Problematische an der Konzeption eines Vorlaufens zum Tode betont auch Figal, der im Anschluss an Gadamers Frage, ob „die Einführung der Todesproblematik in die Gedankenführung von Sein und Zeit eigentlich zwingend und angemessen“ (ders., Gesammelte Werke Bd. 3: Hegel, Husserl, Heidegger, Tübingen: Mohr, 1987, p. 277) sei, betont, dass im Grunde der Mensch nicht nur im Tode sich nicht vertreten lassen kann: „Und, das Entscheidende ist: niemand anderem kann das eigene unbestimmte Sein bevorstehen, man ist es immer selbst, der nicht weiß, wie er sein wird“ (Phänomenologie der Freiheit, p. 227). 401 Vgl. hierzu auch pp. 248f. dieser Arbeit. 402 Bohrer, Ästhetische Negativität, p. 195. 403 Vgl. Bohrer, Ästhetische Negativität, p. 193: „Die willkürliche Konstruktion läuft auf die folgende endgültige semantische Bestimmung hinaus, die die Vorstellung vom Ende von Etwas, den Übergang von Sein in Nichtmehrsein oder von Gegenwart in Vergangenheit endgültig zuschüttet und statt dessen den Tod als das eigentliche Sein identifiziert: ‚Der Tod als Ende des Daseins ist die eigenste, unbezügliche, gewisse und als solche unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit des Daseins. Der Tod als Ende des Daseins im Sein dieses Seienden zu seinem Ende’“ (Hervorhebung K.H.B.; vgl. Sein und Zeit, pp. 258f.). 135 Ästhetikers, die aus der Einsicht in die Vergänglichkeit den Bedingungen der Möglichkeit eines eigentlichen Selbstseinkönnens von Anfang an den Boden entzieht und aus der Geworfenheit in das Da das rein innerweltliche Prinzip ableitet, dass es die Bestimmung des Menschen sei, sich zu unterhalten, konsequenter der Einsicht in die Kontingenz einer postmetaphysischen Konstellation gerecht wird, als die Heideggers. Die Radikalität der Position des Ästhetikers ist umso einfacher zu plausibilisieren als eines der zentralen Charakteristika seiner Reflexionen immer wieder zutage tritt und zwar, dass er willkürliche Setzungen über deren Setzung hinaus nicht zu legitimieren bemüht ist und sogar des Öfteren explizit deren willkürlichen Charakter konzediert 404 . Zugleich kann dieser Hinweis auch den möglichen Einwand entkräften, der Ästhetiker setze mit dem Nichts ein metaphysisches Letztbegründungsprinzip. Auf diese Frage wird im Anschluss noch zurückzukommen sein 405 . Im folgenden Abschnitt soll es nun darum gehen, den Vergleich der Langeweilekonzeptionen auf Grundlage der obigen Ausführungen von der inhaltlichen Ebene auf die formale auszuweiten. Dies soll über zwei Zugriffswinkel erfolgen, die sich, so die Erwartung, komplementär zueinander verhalten und es erlauben, Differenzen herauszustellen, die von der formalen Gestaltung auf den Inhalt übergreifen. Der erste Ansatzpunk ist dabei eine Untersuchung der Kategorie der Möglichkeit, welche ohne Frage als die Schlüsselkategorie sowohl im Denken Heideggers als auch Kierkegaards begriffen werden kann. Die Anbindung an die formale Ebene ergibt sich in diesem Zusammenhang insofern als, wie ich zu zeigen versuchen werde, im Kierkegaardschen Möglichkeitsbegriff eine Konzeptualisierung steckt, die sich quasi zwangsläufig von der inhaltlichen auf die formale Ebene ausweiten muss. Diese Überlegungen werden dann dadurch komplettiert, dass in einem zweiten Schritt der Zugriff in gewissem Sinne ‚aus der anderen Richtung’ erfolgen soll, und zwar über das Problem der Sprache. 404 So unternimmt er in dem Essay Die erotischen Stadien den Versuch zu beweisen, dass Mozart unter den Klassikern an erster Stelle stehen muss und betont sogar, er wolle „einen Versuch machen, auf dem Wege der Überlegung“ (Entweder/ Oder, p. 60), die Rechtmäßigkeit dieses Anspruches zu beweisen, um kurz darauf zu konstatieren: „Alle klassischen Kunstwerke stehen […] gleich hoch, weil ein jedes unendlich hoch steht. Will man also dessenungeachtet einen Versuch machen, eine gewisse Ordnung in diese Prozession hineinzubringen, so folgt daraus von selbst, daß diese nicht auf etwas Wesentliches gegründet sein kann; denn daraus würde ja folgen, daß ein wesentlicher Unterschied bestünde, woraus wiederum folgen würde, daß das Wort ‚klassisch’ zu Unrecht von ihnen allen prädiziert wurde“ (Entweder/ Oder, p. 62). Insofern muss der oben verwendete Begriff des Prinzips in diesen Zusammenhang genauso ironisch verstanden werden, wie der Grundsatz in der Wechselwirtschaft, dass alle Menschen langweilig sind. 405 Vgl. dazu das Kapitel zur Ironie als philosophischer Methode, pp. 234ff. dieser Arbeit. 137 C. FORM UND INHALT 1. Philosophie und/ der Möglichkeit: Der Begriff der Möglichkeit im Denken Martin Heideggers und Sören Kierkegaards In diesem Kapitel soll also versucht werden, dadurch, dass die Langeweileproblematik in den Kontext des Möglichkeitsbegriffs bei Heidegger und bei Kierkegaard gestellt wird, einen ersten Übergang zu schaffen zur Frage nach der formalen Gestaltung. So erlaubt die Analyse des Möglichkeitsbegriffs es zum einen, die im letzten Kapitel herausgearbeiteten strukturellen Zusammenhänge noch präziser zu fassen. Darüber hinaus hoffe ich zeigen zu können, dass eine nähere Untersuchung der Kategorie der Möglichkeit auf Seiten Kierkegaards es unumgänglich macht, das Problem der Darstellungsform in die Überlegungen hineinzuholen. Mit anderen Worten erfordert nicht zuletzt die besondere Konzeptualisierung der Möglichkeit bei Kierkegaard eine Rückanbindung des Inhaltsaspektes an die Frage nach der Interaktion von Form und Inhalt und an die damit einhergehenden Folgen für die formale Gestaltung, so dass der bisherige inhaltliche Vergleich um die Dimension der Darstellung als in besonderer Weise inhaltskonstitutiv erweitert wird. Denn wenn sowohl bei Heidegger als auch bei Kierkegaard der Begriff der Möglichkeit an zentraler Stelle bei der Entfaltung ihrer Existenzkonzepte zu finden ist, die wiederum für die Konzeptionalisierung der Langeweile eine wichtige Rolle spielen, so treten bei einem Vergleich der Möglichkeitsbegriffe deutliche Unterschiede dahingehend zutage, dass nur bei Kierkegaard die Bedeutung des Möglichkeitsbegriffs darüber hinausgreift, und zwar insofern hier die Möglichkeit zugleich als die Kategorie des Dichterischen schlechthin begriffen wird. Dabei handelt es sich im Übrigen gerade nicht um getrennt zu betrachtende Aspekte der Kategorie der Möglichkeit, sondern im Gegenteil sind der existenzbezogene und der poetische Möglichkeitsbegriff wechselseitig aufeinander bezogen und letztlich auf methodischer Ebene ineinander verschränkt. Darüber hinaus wird der Begriff der Möglichkeit bei Kierkegaard in einem weiteren Kontext relevant und zwar bei der Verhältnisbestimmung von Sprache und Welt. Dieser Aspekt wird im Anschluss noch detailliert betrachtet, wenn die Konzeption von Sprache bei Kierkegaard in den Blickpunkt rückt, wobei auch der in diesem Zusammenhang noch zu explizierende Möglichkeitsbegriff im Grunde sowohl mit der Möglichkeit als Existenzkategorie als auch mit der Möglichkeit als Kategorie des Dich- 138 terischen kommuniziert, so dass in Vorwegnahme des Folgenden bereits soviel gesagt werden kann, dass in dieser Superposition verschiedener, einander bedingender und aufeinander verweisender Möglichkeitsbegriffe, wie sie bei Kierkegaard gefunden werden kann, ein wesentlicher Unterschied zu Heideggers Möglichkeitsbegriff besteht. Der Begriff der Möglichkeit im Denken Martin Heideggers Wie zentral die Bedeutung der Möglichkeit im Denken Heidegger ist, das illustriert meines Erachtens sehr gelungen Günter Figal, wenn er seiner bereits erwähnten Studie über Martin Heidegger, Phänomenologie der Freiheit, jene berühmte Kapitelüberschrift aus Robert Musils Mann ohne Eigenschaften voranstellt, in der dieser postuliert: „Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muß es auch Möglichkeitssinn geben.“ 406 Hier soll versucht werden, die Relevanz, die dem Begriff der Möglichkeit bei Heidegger zukommt, kontextualisiert herauszuarbeiten, das heißt, insofern er zum einen im Zusammenhang mit den vorangegangenen Überlegungen zum Problem der Langeweile relevant ist und zum anderen für den Vergleich mit dem Möglichkeitsbegriff, so wie er bei Kierkegaard eine Rolle spielt. Die folgenden Ausführungen werden sich dabei wesentlich auf Sein und Zeit beziehen, wo der Möglichkeitsbegriff im Kontext der Entfaltung der ontologischen Struktur des Daseins in den Blick gerät und in dessen Kontext sich auch der Möglichkeitsbegriff in den Grundbegriffen einordnen lässt. Bemerkenswert ist zunächst, dass Heidegger in Sein und Zeit die seit der Antike überwiegend angenommene Vorrangstellung der Wirklichkeit gegenüber der Möglichkeit in Frage stellt und das Existieren in seiner phä- 406 Figal, Phänomenologie der Freiheit, p. 5. Vgl. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, in Gesammelte Werke in 9 Bänden, Bd. 1, Rowohlt: Reinbek bei Hamburg, 1980, p. 16. Dabei wäre ein Vergleich der Möglichkeitsbegriffe von Heidegger und Musil sicher sehr interessant, könnte er doch möglicherweise in ähnlicher Weise, wie das hier in der Gegenüberstellung mit Kierkegaard versucht wird, die Frage der Verbindung von Inhalt und Darstellungsweise thematisieren. In diese Richtung geht eine - freilich nur en passant gemachte - Bemerkung Michael Jakobs zur Möglichkeit bei Musil und Heidegger (vgl. ders., ‚Möglichkeitssinn und die Philosophie der Möglichkeit, in Gudrun Brokoph-Mauch (Hg.), Essayismus und Ironie, Tübingen, 1992, pp. 13-24, hier p. 17). Auf die Bedeutung der Möglichkeit im Denken Heideggers hat zuletzt auch Francisco de Lara noch einmal aufmerksam gemacht, der gerade die frühe Philosophie Heideggers als Phänomenologie der Möglichkeit expliziert (vgl. de Lara, Phänomenologie der Möglichkeit. Grundzüge der Philosophie Heideggers 1919-1923, Freiburg: Alber, 2008, bes. pp. 203-222). Vgl. zum Möglichkeitsbegriff Heideggers auch die einschlägige Studie von Wolfgang Müller-Lauter, Möglichkeit und Wirklichkeit bei Martin Heidegger, Berlin: de Gruyter, 1960, sowie Bernard Schumacher, ‚La mort comme possibilité de l’impossibilité d’être: Une analyse critique de Heidegger’, in Archives de Philosophie, Vol. 62, 1999, pp. 71-94; George J. Stack, ‚The Language of Possibility and Existential Possibility, in Modern Schoolman: A Quaterly Journal of Philosophy, Vol. 50, 1973, pp. 159-182. 139 nomenalen Grundstruktur nicht mit dem Wirklichkeitsbegriff zusammendenkt, sondern Existieren „primär [als] Möglichsein“ 407 begreift. Wenn Heidegger in Sein und Zeit im Zusammenhang mit der Explizierung der Phänomenologie programmatisch formuliert: „Höher als die Wirklichkeit steht die Möglichkeit“ 408 , so kann dies auch als Grundlage für seine Auslegung der Strukturen des Daseins begriffen werden. Kennzeichnend für das Dasein ist nämlich nach Heidegger zunächst einmal ganz grundlegend, dass es, wie Emil Angehrn es formuliert, „die eigene Existenz auf ihre Möglichkeiten hin durchleuchten [will]“ 409 . Das Dasein betrachtet die Welt auf jene Möglichkeiten hin, die sich ihm im Erleben und Handeln eröffnen. Diese Analyse des Daseins als auf seine Möglichkeiten hin ausgerichtetes deutet im Übrigen auf eine weitere Besonderheit des Heideggerschen Möglichkeitsbegriffs und zwar, dass Heidegger sich nicht in abstrakter Weise für die Möglichkeit als Kategorie interessiert und seine Reflexionen mithin nicht in den Kontext einer Modalitätenlehre stellt, sondern ihn interessiert in der Tat nahezu exklusiv die Möglichkeit in Bezug auf das Dasein, das heißt als Existenzial. Heidegger betont in diesem Zusammenhang auch explizit, dass, wenn er von einer Höherstellung der Möglichkeit spreche, sich dies auf dieselbe als Existenzial beziehe und nicht als modale Kategorie: Als modale Kategorie der Vorhandenheit bedeutet Möglichkeit das noch nicht Wirkliche und das nicht jemals Notwendige. Sie charakterisiert das nur Mögliche. Sie ist ontologisch niedriger als Wirklichkeit und Notwendigkeit. Die Möglichkeit als Existenzial dagegen ist die ursprünglichste und letzte positive ontologische Bestimmtheit des Daseins […]. 410 407 Sein und Zeit, p. 143. 408 Sein und Zeit, p. 38 (Hervorhebung M.H.). Christian Graf von Krocknow bezeichnet dies bereits in den 50er Jahren als einen „Grundsatz“ (von Krocknow, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart: Enke, 1958, p. 85) von Heideggers Philosophie. 409 Angehrn, Interpretation und Dekonstruktion, p. 23. 410 Sein und Zeit, pp. 143f. (Hervorhebungen M.H.). Vgl. auch die folgende Bestimmung aus den Grundproblemen der Phänomenologie (Gesamtausgabe Bd. 24, Frankfurt am Main: Klostermann, 2005, p. 391): „Diese Möglichkeit seiner [des Daseins, S.H.] selbst sind nicht leere logische Möglichkeiten, die außerhalb seiner liegen, mit denen es sich einlassen kann oder gegen die es sich verschließen könnte, sondern sie sind als solche Bestimmungen der Existenz.“ Wenn Heidegger in Sein und Zeit auf die Differenz zwischen existenzialer und modaler Möglichkeit hinweist, darüber hinaus aber jeder Verweis auf die verschiedenen philosophiegeschichtlichen Möglichkeitsbegriffe und beispielsweise auf die Unterscheidung in Potenz und Akt etc. fehlt, dann zeigt sich sicherlich auch daran, dass die Möglichkeit ihm in der Tat allein existenzbezogen von Wichtigkeit ist. Darauf hat auch bereits Stack in einem Artikel hingewiesen, der das Denken Heideggers (und Kierkegaards) in den weiteren Kontext der Möglichkeitsproblematik stellt: „Although the general notion of logical possibility is often referred to in philosophical argumentation, there is a sense in which Heidegger is justified in 140 Damit geht es also nicht um die Möglichkeit als Modalkategorie, sondern um jene Möglichkeit, die aus der Geworfenheit des Daseins erwächst. Genau in diesem Sinne bestimmt Heidegger Dasein zunächst einmal ganz generell als Möglichsein und über den Begriff des Könnens im Sinne eines Seinkönnens. Der Zugriff auf das Verständnis des Daseins als Möglichkeit beziehungsweise als Seinkönnen erfolgt zunächst über den Begriff des Verstehens: „Im Verstehen liegt existenzial die Seinsart des Daseins als Sein-können.“ 411 Das Dasein ist also in diesem Sinne zu verstehen als Möglichsein und zwar als ein Möglichsein, das zum einen „je schon in bestimmte Möglichkeiten hineingeraten“ 412 ist als jenes Dasein, „das es ist“ 413 und welches sich zum anderen aus diesen Möglichkeiten, aber auch aus jenen Möglichkeiten heraus, die es hat vorbeigehen lassen, entwirft hin auf neue Möglichkeiten. Dabei ist das Entscheidende des Verstehens gerade dieser Entwurfcharakter, dass das Dasein sich als Möglichkeit hin auf zukünftige Möglichkeiten entwirft: „Das Verstehen ist, als Entwerfen, die Seinsart des Daseins, in der es seine Möglichkeiten als Möglichkeiten ist.“ 414 Um diese Grundausrichtung des Daseins als eines „Sein[s] zu Möglichkeiten“ 415 zu unterstreichen, bezeichnet Heidegger also das Dasein als ein verstehendes Sein, als geworfenes und sich auf zukünftige Möglichkeiten hin entwerfendes Sein. Insofern nun aber Dasein prinzipiell als Möglichsein zu bestimmen ist, muss es Heidegger darum zu tun sein, die Möglichkeit eines eigentlichen Selbstseinkönnens, welches den eigentlichen genauso wie die uneigentlichen Seinsmöglichkeiten ontologisch zugrunde liegt, nachzuweisen. Dies soll zum einen durch den Zugriff über die Angst als „ausgezeichnete Befindlichkeit“ 416 des Daseins gelingen, insofern in der Angst „das Dasein durch sein eigenes Sein vor es selbst gebracht“ 417 wird und zum anderen über die der Angst korrespondierende Sorgestruktur des Daseins. Die Begründung für die Gestimmtheit der Angst als ausgezeichnete Erschlossenheit des Daseins leitet Heidegger her aus der Verfallenheit, das heißt der Uneigentlichkeit. Denn das Verfallen deutet er als eine Flucht, und zwar als describing it as leere, logische Möglichkeiten or ‚empty logical possibility’” (George J. Stack, ‚The Language of Possibility and Existential Possibility’, pp. 159-182). Vgl. auch Pöggeler, Neue Wege mit Heidegger, Freiburg: Alber, 1992, p. 128 und Wolfgang Müller-Lauter, der betont: „Bei Heidegger geht es nahezu exklusive um einen existenzialen und nicht um einen kategorialen Möglichkeitsbegriff“ (W. Müller-Lauter, Möglichkeit und Wirklichkeit, p. 17). 411 Sein und Zeit, p. 143. 412 Sein und Zeit, p. 144. 413 Sein und Zeit, p. 144. 414 Sein und Zeit, p. 145 (Hervorhebung M.H.). 415 Sein und Zeit, p. 148 (Hervorhebung M.H.). 416 Sein und Zeit, p. 184. 417 Sein und Zeit, p. 184. 141 die „Flucht des Daseins vor ihm selbst als eigentlichem Selbst-seinkönnen“ 418 . Das Dasein flieht vor seinem eigentlichen Selbstseinkönnen in die Verfallenheit an die Welt. Die Angst nun führt dazu, dass dieses Abwenden nicht mehr funktioniert: Die Angst benimmt dem Dasein die Möglichkeit, verfallend sich aus der ‚Welt’ und der öffentlichen Ausgelegtheit zu verstehen. Sie wirft das Dasein darauf zurück worum es sich ängstet, sein eigentliches In-der-Welt-seinkönnen. 419 In der Angst vereinzelt sich das Individuum und erschließt in dieser Vereinzelung „das Dasein als Möglichsein und zwar als das, das es einzig von ihm selbst her als vereinzeltes in der Vereinzelung sein kann“. 420 Mit anderen Worten bringt die Vereinzelung in der Angst den Einzelnen davor zu verstehen, dass ihm Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit als Grundmöglichkeit des Seins offen stehen. In der Angst wird das Dasein also vor sein eigenes Möglichsein als eigentliches oder uneigentliches geführt. Hier nun wird die Sorgestruktur des Daseins relevant, insofern bestimmt wurde, dass Angst als die Angst um das In-der-Welt-sein zu deuten ist 421 . Insofern nun das Dasein als Entwurf zu begreifen ist, bedeutet dies, es geht ihm um sein In-der-Welt-sein-können, das heißt, das Worumwillen des Daseins ist das Sein des Daseins „zum eigensten Seinkönnen“ 422 . Dieses „es geht um…“ ist zu deuten im oben genannten Sinne als ein verstehendes Sich- Entwerfen hin auf seine Möglichkeiten, das heißt ein Sich-vorweg-sein-in. Insofern bestimmt Heidegger die vollständige Sorgestruktur als ein „Sichvorweg-schon-sein-in-(der Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)“ 423 . Darin nun wird deutlich, dass mithin Sorge zunächst einmal das verfallende, das heißt uneigentliche In-der-Welt-sein-können bezeichnet, in dem das Dasein in der besorgten Welt als vorhandener aufgeht. Es entwirft sich als Seinkönnen im Hinblick auf die Welt als entdeckte und legt die Welt in eingeschränkter Weise aus und zwar indem es die „wahlfreien Möglichkeiten auf den Umkreis des Bekannten, Erreichbaren, Tragbaren, dessen, was sich gehört und schickt“ 424 begrenzt. Das Dasein als Möglichsein erfährt in der Ausrichtung an der alltäglichen und uneigentlichen Auslegung eine „Nivellierung der Daseinsmöglichkeiten auf das all- 418 Sein und Zeit, p. 184 (Hervorhebung M.H.). 419 Sein und Zeit, p. 187. 420 Sein und Zeit, p. 188 (Hervorhebung M.H.). 421 Zugleich ist sie Angst vor dem In-der-Welt-sein (vgl. Sein und Zeit, p. 187), aber im Kontext der Sorgeproblematik scheint mir der Aspekt der Angst um das In-der-Weltsein der maßgebliche zu sein. 422 Sein und Zeit, p. 191. 423 Sein und Zeit, p. 192. 424 Sein und Zeit, p. 194. 142 täglich zunächst Verfügbare“ und „vollzieht zugleich eine Abblendung des Möglichen als solchen“ 425 . In der Formulierung der „Abblendung des Möglichen als solchen“ deutet sich bereits an, worauf Heidegger hinaus will. Wenn er das Sein des Daseins als Sorge fasst und zugleich Existenz charakterisiert als verstehendes Seinkönnen, dann muss das Seinkönnen für eine ontologische Interpretation des Daseins zu jenem ursprünglicheren Seinkönnen gelangen, dessen abgeleiteter Modus die Uneigentlichkeit ist, das heißt, er muss das Dasein als Möglichsein bestimmen in seiner Eigentlichkeit, so wie es sich in der Angst als möglich zeigt. Das Dasein im eigentlichen Sinne in den Blick zu bekommen, um es ontologisch ursprünglich deuten zu können, muss aber bedeuten, es als Ganzes zu begreifen. Dies kann aus der existenzialen Analyse des Daseins als uneigentlichem jedoch nicht gelingen, insofern dieses immer nur als ‚unganz’ sich offenbart, es, mit anderen Worten, als Seinkönnen immer „etwas noch nicht“ 426 ist. Bis zum Tode des Daseins, mit dem das Sein des Daseins abbricht, steht immer noch etwas aus und dieser Ausstand - beziehungsweise Bevorstand 427 - verhindert, dass Dasein als Strukturganzes begriffen und gedeutet werden kann und damit die Möglichkeiten des Daseins als die ihm eigentlichen erschließbar werden. Das bedeutet aber, dass das Strukturganze der Existenz in seiner „Eigentlichkeit und Ganzheit“ 428 nur dann verstanden werden kann, wenn nach dem Ende des Ausstandes gefragt wird und mithin jener Moment in den Blick genommen wird, in dem das Dasein gleichsam zur Ganzheit gelangt, in der das Sein des Daseins kein Möglichsein und keinen Ausstand mehr ‚offenlässt’, mit anderen Worten, das Ende des Daseins, das heißt, der Tod als das Ende des Möglichseins: „Dieses Ende, zum Seinkönnen, das heißt zur Existenz gehörig, begrenzt und bestimmt die je mögliche Ganzheit des Daseins.“ 429 Entscheidend im vorliegenden Zusammenhang ist nun, dass in 425 Sein und Zeit, pp. 194f. Die anschließende Bemerkung, dass die „durchschnittliche Alltäglichkeit des Besorgens […] möglichkeitsblind“ werde und „sich bei dem nur ‚Wirklichen’“ (ebd.) beruhige, scheint mir im Übrigen eine interessante Parallele zu dem von Figal zitierten Möglichkeitsdiskurs bei Musil aufzuweisen, insofern Musil im Mann ohne Eigenschaften von den immer schon gekannten „wirklichen Möglichkeiten“ die dem Utopismus huldigenden „möglichen Wirklichkeiten“ unterscheidet (vgl. R. Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, p. 17). 426 Sein und Zeit, p. 233 (Hervorhebung M.H.). 427 Heidegger verwendet zunächst den Begriff des Ausstandes für die Beschreibung des Noch-nicht des Daseins, entscheidet sich aber anschließend für den Begriff des „Bevorstandes“ (Sein und Zeit, p. 250; Hervorhebung M.H.) insofern der Begriff Ausstand ein summarisches Verständnis nahelege (vgl. Sein und Zeit, pp. 242ff.) und damit die Besonderheit des Seins des Daseins nicht präzise genug zu fassen bekomme, sondern eine „ontologische Verkehrung des Daseins in ein Vorhandenes“ (ebd., p. 250) in sich schließe. 428 Sein und Zeit, p. 233 (Hervorhebungen M.H.). 429 Sein und Zeit, p. 234. 143 dieser Explizierung des Daseins als Sein zum Tode der Bezug zur Möglichkeit fundamental bleibt, insofern Heidegger den Tod gerade bestimmt als die „eigenste, unbezügliche, gewisse und als solche unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit des Daseins“ 430 , denn er bedeutet die Möglichkeit „der Unmöglichkeit der Existenz überhaupt“ und damit die „Möglichkeit der Unmöglichkeit jeglichen Verhaltens zu …, jedes Existierens“ 431 . Freilich gilt die Tatsache, dass der Tod die Möglichkeit der Unmöglichkeit jeglichen Verhaltens zu … bedeutet, in gleicher Weise für das eigentliche wie für das uneigentliche Dasein, genauso wie beiden eine Unabgeschlossenheit wesenhaft zugehört, jedoch modifiziert die Erschlossenheit des Daseins als Sein zum Tode die strukturelle Beschaffenheit dessen, was noch „aussteht“, mit anderen Worten: Erst wenn das Sein zum Seinkönnen begriffen wird als ein Sein zum Tode, zeitigen sich die innerzeitlichen Möglichkeiten als die je mir eigenen. Für das Verständnis des Daseins als Möglichsein ist diese Differenz fundamental, denn wenn sich das Dasein als eigentliches genauso wie als uneigentliches auf seine Möglichkeiten hin entwirft, so bedeutet die Inblicknahme des Horizonts des Todes als eigenste, unbezügliche Möglichkeit, dass sich auch der Bezug zu den dem Tod vorausliegenden innerzeitlichen Möglichkeiten verändert. Das Dasein richtet sich nun nicht mehr aus auf jene ‚immer schon’ erschlossenen Möglichkeiten des Man, sondern 430 Sein und Zeit, pp. 258f. (Hervorhebung M.H.). 431 Sein und Zeit, p. 262 (Hervorhebung M.H.).Genau diese Entscheidung Heideggers, den Tod zum Garanten der Ganzheit zu machen, kritisiert Adorno: „Nach [Heideggers] Willen muß ‚das Sein der Gänze selbst als existenziales Phänomen des je eigenen Daseins begriffen’, die existenziale Orientierung am je eigenen Dasein gewonnen werden. Das weist der Selbsterhaltung die ontologische Schlüsselposition in der sogenannten Daseinsanalyse zu. Damit aber notwendig auch dem Tod. Er bestimmt nicht bloß, als Grenze, Heideggers Daseinskonzeption, sondern koinzidiert, im Zug von dessen Entwurf, mit dem Prinzip der abstrakten, sich absolut auf sich zurücknehmenden und auf sich beharrenden Selbstheit. […] Der Tod aber wird zum Kern des Selbst, sobald es sich vollends auf sich reduziert. “ (ders. Jargon der Eigentlichkeit, in ders., Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit, Gesammelte Schriften Bd. 6, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003, p. 504). Karl Heinz Bohrer wiederum sieht in der Idee der Ganzheit den Ausdruck dessen, dass Heidegger nicht den Tod als Ende von Etwas in den Blick nehmen wolle: „Zirkelschlussartig, das heißt aus dem im Grunde metaphysisch gesetzten Apriori einer Idee von Ganzheit, wird der Tod zum Indikator der Ganzheit erklärt. Im Verschleierung betreibenden Stil: ‚Die existenziale Struktur dieses Seins erweist sich als die ontologische Verfassung des Ganzseinkönnens des Daseins.’ Man kann hier idealistische Philosophie studieren: wie sie nämlich das Ende von etwas leugnet. Heideggers Auslassung des Endes von Etwas - die subjektive und objektive Zeit eines Menschen - beginnt damit, dass er das Nichtmehrdasein des Anderen, also noch nicht der Eigenperson, semantisch umzäunt über mehrerer Begriffsstationen und es in eine andere ‚Seinsmöglichkeit’ umtauft, eine Operation die einschlägig Entflammbare noch immer beeindrucken kann, die aber vor dem Kriterium der Sprache eines Leopardi oder Montaigne als die philosophische Nebelbildung zu erkennen ist, die Montaigne der philosophischen Rede von dem Tode vorwarf“ (ders., Ästhetische Negativität, pp. 190f.) 144 auf seine eigensten Möglichkeiten. Der Tod als ultimative und unhintergehbare Möglichkeit wird durch das Vorlaufen in die Möglichkeit des Todes, und damit in die Unmöglichkeit jeglichen Existierens, zum Generator jener eigentlichen Möglichkeiten, die sich für das Dasein zeitigen. „Das Sein zum Tode als Vorlaufen in die Möglichkeit ermöglicht allererst“ 432 die eigentlichen Möglichkeiten des Daseins und enthüllt dabei zugleich die uneigentlichen Möglichkeiten als zufällig und beliebig: Das vorlaufende Freiwerden für den eigenen Tod befreit von der Verlorenheit in die zufällig sich andrängenden Möglichkeiten, so zwar, dass es die faktischen Möglichkeiten, die der unüberholbaren vorgelagert sind, allererst eigentlich verstehen und wählen läßt. 433 Durch das Vorlaufen in die unüberholbare Möglichkeit des eigenen Todes gewinnen die dem Dasein offen stehenden Möglichkeiten als nun dem Dasein eigentliche eine neue Bedeutung, sie entstehen als Möglichkeiten vor dem Horizont der ultimativen Möglichkeit der Unmöglichkeit der eigenen Existenz. Weil das Vorlaufen in die unüberholbare Möglichkeit alle dieser vorgelagerten Möglichkeiten mit einschließt, liegt in ihm die Möglichkeit eines existenziellen Vorwegnehmens des ganzen Daseins, das heißt die Möglichkeit, als „ganzes Seinkönnen zu existieren.“ 434 Nur aus der eigentlichen Ganzheit des Daseins heraus wird das Dasein frei für seine eigensten Möglichkeiten und verliert sich nicht an jene ‚vordefinierten’ Daseinsmöglichkeiten, die das Dasein als verfallenes vom Man ‚zur Verfügung gestellt’ bekommt, die jedoch das Seinkönnen des Daseins von seinen eigenen Seinsmöglichkeiten fortführen. Insofern aber Heidegger die Verfallenheit an das Man als die gewöhnliche Existenzform des Daseins ansieht, bedeutet dies für das Dasein, dass es sich der Uneigentlichkeit entreißen muss, um für diese seine eigenen Möglichkeiten frei zu werden. Heidegger spricht in diesem Zusammenhang von einem „Sichzurückholen aus dem Man“ als „existenzielle Modifikation des Man-selbst zum eigentlichen Selbstsein“ 435 . Dies wiederum muss durch jenes Nachholen der Wahl geschehen, von dem bereits die Rede war. Das Sichzurückholen aus dem Man bedeutet das „Wählen dieser Wahl, Sichentscheiden für ein Seinkönnen aus dem eigenen Selbst. Im Wählen der Wahl ermöglicht sich das Dasein allererst sein eigentliches Seinkönnen.“ 436 Dass das Dasein aber diese Wahl hat, dem liegt zugrunde, dass es die Möglichkeit des eigentlichen Selbstseinkönnens bereits als eine der ihm offen stehenden Möglichkeiten je 432 Sein und Zeit, p. 262 (Hervorhebung M.H.). 433 Sein und Zeit, p. 264 (Hervorhebung M.H.). 434 Sein und Zeit, p. 264 (Hervorhebung M.H.). 435 Sein und Zeit, p. 268 (Hervorhebung M.H.). 436 Sein und Zeit, p. 268 (Hervorhebungen M.H.). 145 schon hat beziehungsweise dieses eigentliche Selbstsein „der Möglichkeit nach je schon ist“ 437 . Wenn nun aber das Dasein der Möglichkeit nach sein eigenes Selbstsein je schon ist, jedoch zugleich als Dasein zunächst und zumeinst an das Man verloren ist, dann muss es gleichsam zu sich selbst gerufen werden, heraus aus der Verfallenheit an die beliebigen Möglichkeiten des Man. Dieser Ruf zum eigentlichen Selbstseinkönnen erfolgt Heidegger zufolge durch das Gewissen, welches, „im Modus des Schweigens“ 438 , das Dasein aus dem Gerede und der Neugierde des Man zu sich selbst ruft 439 : „Das Dasein ist rufverstehend hörig seiner eigensten Existenzmöglichkeit. Es hat sich selbst gewählt.“ 440 Im Ergreifen seiner ureigensten Möglichkeit in der Wahl des Rufverstehens und Gewissenhabenwollens läuft das Dasein vor zu seinem Tod und erschließt im Horizont des Todes als des jemeinigen die Möglichkeiten des Daseins als die ihm je eigenen. Im Vorlaufen zum Tode und im Setzen des Todes als der ausgezeichneten Möglichkeit entsteht die Möglichkeit eines eigentlichen Ganzseinkönnens. So ist „[d]as eigentliche ‚Denken an den Tod’ […] das existenziell sich durchsichtig gewordene Gewissen-haben-wollen“ 441 und Heidegger zufolge ergibt sich aus dieser phänomenologischen Erschließung des eigentlichen Selbstseinkönnens durchaus ontologische Verbindlichkeit: Das Vorlaufen sei keine erdichtete und dem Dasein aufgezwungene Möglichkeit, sondern der Modus eines im Dasein bezeugten existenziellen Seinkönnens, den es sich zumutet, wenn anders es sich als entschlossenes eigentlich versteht. Das Vorlaufen ‚ist’ nicht als freischwebende Verhaltung, sondern muß begriffen werden als die in der existenziell bezeugten Entschlossenheit verborgene und sonach mitbezeugte Möglichkeit ihrer Eigentlichkeit. 442 Wenn also Heideggers Philosophie als Philosophie der Möglichkeit gefasst wird, so bedeutet dies, wie die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, ein Mehrfaches. Zum einen bezeichnet dies, dass Heidegger Dasein 437 Sein und Zeit, p. 268 (Hervorhebungen M.H.). 438 Sein und Zeit, p. 273 (Hervorhebung M.H.). 439 Der Schwierigkeit, das Gewissen zu derjenigen Instanz zu machen, die das eigentliche Selbstsein anzeigt, ist sich Heidegger durchaus bewusst. An wissenschaftlichen Wahrheitskriterien kann das Gewissen nicht gemessen werden, was aber nach Heidegger kein Mangel ist, „sondern nur Kennzeichen seiner ontologischen Andersartigkeit gegenüber umweltlich Vorhandenem“ (Sein und Zeit, p. 269). Zugleich hebt Heidegger seinen Gewissensbegriff ab von jedweder Art ‚kollektiven’ Gewissens, da „der Ruf [des Gewissens] aus dem Seienden kommt, das ich je selbst bin“ (Sein und Zeit, p. 278), da also, anders gesagt, das Gewissen, das das Dasein zu seinem eigentlichen Selbstsein ruft, nur aus diesem Dasein selbst hervorgehen und damit auch nur auf dieses selbst bezogen sein kann. 440 Sein und Zeit, p. 287 (Hervorhebung M.H.). 441 Sein und Zeit, p. 309. 442 Sein und Zeit, p. 309 (Hervorhebungen M.H.). 146 insofern als Möglichsein begreift, als er die Sorgestruktur der Existenz zugrunde legt. Das Dasein ist als geworfen-entwerfendes immer schon im Besorgen über sich hinaus, da seine ontische Grundausrichtung in die Zukunft weist. Darüber hinaus aber gewinnt der Möglichkeitsbegriff ontologisch an Bedeutung dadurch, dass er im Zusammenhang mit dem eigentlichen Selbstseinkönnen eine Schlüsselrolle spielt, und zwar vor dem Hintergrund der Heideggerschen Konzeptionen der Angst als ausgezeichneter Erschlossenheit des Daseins und des Todes als unüberholbarer Möglichkeit. In der Angst gerät jene Eigentlichkeit in den Blick, die über das Verständnis des Seins als Sein zum Tode erschlossen und dem Gewissensruf folgend gewählt wird. Aus dem Verständnis des Todes als unüberholbarer Möglichkeit leitet Heidegger also das Sein zum Tode als die Möglichkeit eines eigentlichen Selbstseinkönnens ab, insofern hierin die ontologische Struktur des Daseins als ganze in den Blick gelangt, wobei der Tod als der jemeinige und unhintergehbare gleichsam der Generator aller Möglichkeiten als der mir je eigenen wird 443 . Ist das ins Man verlorene Dasein auch immer schon in Möglichkeiten und entwirft es sich auf Möglichkeiten hin, so sind diese letztlich beliebig, da der Horizont eines Ganzseinkönnens fehlt. Erst indem der Tod als je meiner durch das Vorlaufen zur ultimativen Möglichkeit, das heißt der Möglichkeit der Unmöglichkeit des eigenen Daseins, in Anschlag gebracht wird, ergibt sich ein ontologischer Horizont, der ein eigentliches und mithin nicht beliebiges Seinkönnen offenbart. 443 Dieter Thomä freilich äußert Bedenken bezüglich der Stichhaltigkeit der Heideggerschen Setzung des Todes als desjenigen, das die existenziellen Möglichkeiten generiert, insofern Heidegger den Tod und innerzeitliche Möglichkeiten unter den gemeinsamen Titel des „Bevorstandes“ - den Heidegger, wie gesagt, für angemessener hält als den zunächst verwendeten des „Ausstandes“ - subsumiert, diese jedoch nicht zusammenpassten. Thomä ortet in der Konzeption des Todes als Möglichkeit einen „Spurwechsel“, dessen Heidegger bedarf, um in gleicher Weise das Besorgen und den Tod als „Bevorstände“ fassen zu können, da die Verwendung des Begriffes „Bevorstand“ in Bezug auf die eigenen Möglichkeiten nicht unproblematisch ist. Denn üblicherweise wird der Begriff des Bevorstehens auf Befürchtetes bezogen, während bei eigenen Seinsmöglichkeiten sinnvollerweise nicht davon gesprochen werden kann, sie ‚stünden bevor’. So bemerkt Thomä: „Es deutet sich also an, dass das Besorgen und der Tod, die Heidegger im ‚Bevorstand’ einen will, nicht zusammenpassen. Dem Dasein, das sich immer schon aus zu ergreifenden Möglichkeiten versteht, gelingt es zumindest hier nicht, den Tod schlüssig als eine solche Möglichkeit einzubeziehen - was doch die entscheidende Voraussetzung dafür wäre, den ‚Tod’ als Kriterium für das eigenste Seinkönnen heranzuziehen“ (D. Thomä, Die Zeit des Selbst und die Zeit danach. Zur Kritik der Textgeschichte Martin Heideggers 1910-1976, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990, p. 382). Zudem hebt Thomä hervor, dass es problematisch ist, den Tod als Ur-Möglichkeit in das Leben mit hinein zu nehmen insofern der Tod eher einen Müssensals einen Könnenscharakter hat, das heißt, dass das „Dasein sterben ‚muss’“ (ebd., p. 406). 147 In der Langeweiledarstellung der Grundbegriffe der Metaphysik nun kommt Heidegger auf die Bedeutung des Verständnisses des Seins als Sein zum Tode nicht mehr explizit zu sprechen, während sie selbstverständlich in der Betonung der Zeitlichkeit des Daseins als der mir je beschiedenen Zeit implizit weiter zugegen ist. Zugleich tritt die Langeweile an die Stelle der Angst, die Heidegger in Sein und Zeit dazu gedient hatte, als ausgezeichnete Gestimmtheit das Dasein vor das Erschließen der Möglichkeit seiner selbst als Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit zu bringen 444 . Die tiefe Langeweile wird zu jener Gestimmtheit, die dem Dasein die Möglichkeit des Seinkönnens als eigentliches Dasein offenbart. In ihr als Bann der Zeit erschließt das Dasein seine eigensten Möglichkeiten: Durch dieses Bannen gibt [die Zeit] dem Seienden im Ganzen die Möglichkeit, sich dem gebannten Dasein zu versagen, d.h. ihm die Möglichkeiten seins Tuns und Lassens inmitten des Seienden und mit Bezug auf es als brachliegende gleichsam vorzuhalten. 445 Die tiefe Langeweile zwingt hin auf das das Dasein „eigentlich Ermöglichende“ 446 : Was demnach die bannende Zeit an sich hält und im Ansichhalten zugleich als Freigebbares ansagt und als Möglichkeit zu wissen gibt, ist etwas von ihr selbst, das Ermöglichende, das sie selbst und nur sie sein kann, der Augenblick. 447 Analog zum Vorlaufen zum eigenen Tod, durch den das Dasein die ihm beschiedene Zeit und mithin die Endlichkeit des Daseins als Möglichsein in den Blick bekommt, vor deren Hintergrund sich die innerzeitlichen Möglichkeiten erst als die dem Dasein je eigenen Möglichkeiten zeitigen können, verweist in den Grundbegriffen die Langeweile auf die Zeitlichkeit als das das Dasein Ermöglichende und wird damit zum Horizont, vor dem das Dasein als Möglichsein sich die ihm je eigenen Möglichkeiten erschließt. Gegenüber Sein und Zeit rückt dabei der Begriff des Augenblicks, der sich in der tiefen Langeweile ansagt, stärker in den Vordergrund. Das „Langwerden der Weile“, so Heidegger, 444 Es ist im Übrigen interessant, dass Heidegger sowohl der Langeweile als auch der Angst als Grundstimmung zuschreibt, dass diese das Dasein anlasslos überfallen können. So heißt es in Sein und Zeit: „Die Angst kann in den harmlosesten Situationen aufsteigen. Es bedarf auch nicht der Dunkelheit, in der es einem gemeinhin leichter unheimlich wird“ (Sein und Zeit, p. 189). Bezüglich der Langeweile notiert er in den Grundbegriffen, dass die tiefe Langeweile „gar nicht auf eine bestimmte Situation und bestimmte Veranlassung und dergleichen bezogen ist“, sondern „unverhofft und gerade dann eintreten“ (Grundbegriffe, p. 203) könne, wenn man es nicht erwartet. 445 Grundbegriffe, p. 223. 446 Grundbegriffe, p. 223. 447 Grundbegriffe, p. 244. 148 bringt aber gerade nicht den Augenblick zum Verschwinden, sondern hier entschwindet nur die Möglichkeit, wobei sich die Möglichkeit des Möglichen gerade noch steigert. Im Entschwinden drängt der Augenblick sich noch auf als das im Bannen der Zeit eigentlich Versagte, als die eigentliche Möglichkeit dessen, was die Existenz des Daseins ermöglicht. 448 Freilich erhält der Begriff des Augenblicks hier auch einen deutlich stärker dezisionistischen Charakter als noch in Sein und Zeit: Wozu muß das Dasein sich als solches entschließen, um den Bann der Not […] zu brechen? Entsprechend jener Leere im Ganzen muß die äußerste Zumutung an den Menschen angesagt sein, nicht eine beliebige, nicht diese oder jene, sondern die Zumutung an den Menschen schlechthin. Was ist das? Dieses, daß dem Menschen das Dasein als solches zugemutet wird, daß ihm aufgegeben ist - da zu sein. 449 Die Grundstruktur des Daseins als Möglichsein, wie sie in Sein und Zeit entwickelt wurde, ist also fundamental auch für das Verständnis der anzeigenden Funktion der tiefen Langeweile, insofern in und aus der Langeweile heraus sich die eigentlichen Daseinsmöglichkeiten im Versagen ansagen, beziehungsweise der Augenblick im Entschwinden sich dem Dasein aufdrängt als zu ergreifender, das heißt, dass der Mensch sich sein Dasein als eigentliches Dasein zumutet. Der Begriff der Möglichkeit bei Sören Kierkegaard Wenn also in der Tat Heideggers Philosophie als eine Philosophie der Möglichkeit charakterisiert werden kann, so soll im Folgenden gezeigt werden, dass diese Charakterisierung in anderer Weise, aber vielleicht sogar in noch stärkerem Maße auf das Denken Sören Kierkegaards zutrifft. Auffallend ist bei Kierkegaard eine ambivalente Vielschichtigkeit des Möglichkeitsbegriffs, deren Besonderheit darin besteht, dass letztlich eine Hierarchisierung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit im Grunde unhintergehbar zweideutig bleibt, wobei freilich ebendiese Zweideutigkeit der Zuordnung wiederum zumindest implizit der Möglichkeit den Vorrang gibt. Dem Möglichkeitsbegriff Kierkegaards soll im Folgenden nicht in allen Facetten nachgegangen werden, sondern hier soll es im Wesentlichen darum gehen, die Verschränkung beziehungsweise Interaktion des existenzbezogenen Möglichkeitsbegriffs mit dem Verständnis der Möglichkeit 448 Grundbegriffe, p. 229 (Hervorhebungen M.H.). 449 Grundbegriffe, p. 246 (Hervorhebung M.H.). In Sein und Zeit war der Augenblick folgendermaßen bestimmt: „Die in der eigentlichen Zeitlichkeit gehaltene, mithin eigentliche Gegenwart nennen wir den Augenblick. […] Er meint die entschlossene, aber in der Entschlossenheit gehaltene Entrückung des Daseins an das, was in der Situation an besorgbaren Möglichkeiten, Umständen begegnet“ (Sein und Zeit, p. 338; Hervorhebung M.H.). 149 als texttheoretischer Kategorie, so wie sie für Entweder/ Oder relevant wird, herauszuarbeiten 450 . Die herausragende Bedeutung des existenzbezogenen Möglichkeitsbegriffs deutet sich selbstverständlich bereits im Titel von Kierkegaards Erstlingswerk an, stellt doch ein Entweder-Oder zunächst einmal ganz formal und prinzipiell Möglichkeiten einander gegenüber. Diese enthüllen sich dann in der Entfaltung des Textes als zwei konkrete Existenzmöglichkeiten, die anhand des Ästhetikers A und des Ethikers B illustriert werden 451 . Die Lektüre von Entweder/ Oder wird nun nahelegen, dass der Begriff der Möglichkeit mit der ästhetischen und der Begriff der Wirklichkeit mit der ethischen Lebensanschauung zusammenfällt. Diese Einteilung ergibt sich zunächst implizit aus der Lektüre des ersten Teils und wird dann in der Analyse der ästhetischen Existenz aus der Perspektive des Ethikers explizit validiert. Die Affinität der ästhetischen Existenz zur Möglichkeit wird exemplarisch in einem längeren Aphorismus des Ästhetikers zum Ausdruck gebracht, in dem es heißt: 450 So wird im Folgenden die Differenzierung zwischen der Möglichkeit als Denkmöglichkeit auf der einen und der Existenz als Wirklichkeit auf der anderen Seite weniger im Vordergrund stehen, aber im Kapitel über die Sprachkonzeption Kierkegaards dann wieder eine Rolle spielen. Angesichts der Vielschichtigkeit des Möglichkeitsbegriffs bei Kierkegaard scheint mir im Übrigen die Exposition der Möglichkeit in Bezug auf den Begriff Angst bei Jörg Disse (ders., ‚Philosophie der Angst’, pp. 64-88) zu wenig ambivalent, wenn er bei Kierkegaard als „äußerste Möglichkeit eines jeden Daseins […] die Wirklichkeit des Geistes“ (ebd., p. 80) expliziert, gerade insofern die Wirklichkeit jeweils aus einer anderen Perspektive wiederum als Möglichkeit zu begreifen ist. In diesem Sinne würde ich auch Günter Figal nur begrenzt zustimmen, wenn er konstatiert, dass „Kierkegaard […] an der Aristotelischen Fassung des Verhältnisses von Möglichkeit und Wirklichkeit fest[hält]“ (ders., Phänomenologie der Freiheit, p. 208), denn das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit bleibt von Grund auf ambivalent, zumal jede Wirklichkeit im Grunde als Möglichkeit expliziert wird und Kierkegaard auch Gott in letzter Instanz zwar die Wirklichkeit zuordnet, aber als Möglichkeit (vgl. dazu p. 156 dieser Arbeit). 451 Dabei stellt die Titelgebung dieserart zwar Möglichkeiten einander gegenüber, jedoch schließt sie in dieser Gegenüberstellung zugleich Möglichkeiten aus - und zwar die Möglichkeit eines Sowohl-als-auch genauso wie die eines Weder-noch. Ersteres scheint zumindest im Sinne der antithetischen Konstruktion in Entweder/ Oder schwer vorstellbar, wobei allerdings auch hier der ambivalenten Spannung Rechnung zu tragen wäre. So hebt Gabriele Nientied hervor, die pseudonymen Schriften ließen sich deuten als ein textuelles Sowohl-als-Auch, dessen Ambivalenz freilich „eine vereindeutigende Lektüre eines Entweder-Oder provoziert“ (dies., Hineintäuschen in das Wahre, p. 63). Karin Pulmer vertritt die Ansicht, dass aufgrund der Aporien des Ästhetischen wie des Ethischen sich Kierkegaards Entweder-Oder als ein Weder--noch erweise (vgl. dies., Die dementierte Alternative, p. 232). Diese Möglichkeit evoziert auch Kristin Kaufmann: „Zuletzt sei auf die Möglichkeit verwiesen, dass Kierkegaard ‚Entweder/ Oder’ im Sinne eines Weder-Noch konzipiert haben könnte, um die Unzulänglichkeit des Ästhetischen und des Ethischen gleichermaßen darlegen zu wollen“ (dies., Vom Zweifel zur Verzweiflung. Grundbegriffe der Existenzphilosophie Sören Kierkegaards, Würzburg: Königshausen und Neumann, 2002, p. 39). 150 Der Wein erfreut mein Herz nicht mehr; ein wenig davon macht mich wehmütig; viel - schwermütig. Meine Seele ist matt und kraftlos, vergebens drücke ich ihr die Sporen der Lust in die Seite, sie kann nicht mehr, sie bäumt sich nicht mehr auf in ihrem königlichen Sprung. Ich habe alle meine Illusion verloren. Vergebens versuche ich mich der Unendlichkeit der Freude hinzugeben, sie kann mich nicht erheben oder vielmehr ich kann mich selber nicht erheben. Einstmals, wenn sie nur winkte, da stieg ich leicht und gesund und wohlgemut. Wenn ich langsam durch den Wald ritt, so war es, als ob ich flöge; wenn jetzt das Pferd, schon nah dem Sturze, schäumt, so scheint es mir, als käme ich nicht vom Fleck. Einsam bin ich, bin es je und je gewesen; verlassen, nicht von den Menschen, das würde mich nicht schmerzen, sondern von den glücklichen Genien der Freude, die mich in zahlreicher Schar umringten, die überall Bekannte trafen, überall eine Gelegenheit mir zeigten. Wie ein betrunkener Mann das ausgelassene Gewimmel der Jugend um sich sammelt, so scharten sie sich um mich, der Freude Elfen, und ihnen galt mein Lächeln. Meine Seele hat die Möglichkeit verloren. Sollte ich mir etwas wünschen, so wünscht’ ich mir nicht Reichtum oder Macht, sondern die Leidenschaft der Möglichkeit, das Auge, das allenthalben ewig jung, ewig brennend die Möglichkeit erblickt. Der Genuß enttäuscht, die Möglichkeit nicht. Und welcher Wein ist so schäumend, welcher so duftend, welcher so berauschend! 452 Der Lobgesang auf die Möglichkeit gründet hier in jenem Ungenügen an der Wirklichkeit, welches auch im Essay Wechselwirtschaft thematisiert wird. Um der prosaischen Wirklichkeit zu entgehen, muss sich der Ästhetiker bemühen, sich gleichsam in der Möglichkeit zu halten, in der eben immer alles noch möglich, nichts je wirklich ist. In gewissem Sinne würde mithin A sicherlich Heidegger zustimmen, wenn dieser konstatiert, dass die Möglichkeit höher stehe als die Wirklichkeit, freilich geht der Ästhetiker von einem grundlegend anderen Möglichkeitsverständnis aus. Denn es handelt sich für den Ästhetiker um die Möglichkeit als Kategorie gerade in jenem Sinne dichterischer Willkür und Unverbindlichkeit, von der Heidegger seinen eigenen Möglichkeitsbegriff abzugrenzen bestrebt ist, um aus ihm die Möglichkeit der Eigentlichkeit gewinnen zu können 453 . Das Loblied auf die Möglichkeit im hier zitierten Aphorismus bestätigt mithin jene Differenz, die sich bereits im Vergleich der Langeweilekonzepte ergeben hatte, dass nämlich die Möglichkeit für den Ästhetiker gerade jenes ist, was ihn in der Unbestimmtheit und Zweideutigkeit halten soll, und sie entspricht strukturell eher dem, was Heidegger als „leere Möglichkeit“ be- 452 Entweder/ Oder, pp. 52f. (meine Hervorhebungen). 453 Wie gesehen betont Heidegger, dass es sich bei dem Seinkönnen als eigentlichem gerade nicht um „erdichtete und dem Dasein aufgezwungene Möglichkeit“ handelt, sondern um solche, die im „Modus eines im Dasein bezeugten existenziellen Seinkönnens“ (Sein und Zeit, p 309; Hervorhebung M.H.; vgl. p. 145 dieser Arbeit) erschlossen wurden. 151 zeichnet, „in die ich kommen könnte“ und über die ich „nur reflektiere und sie gleichsam beschwatze“ 454 , beziehungsweise jenen „zufällig sich andrängenden Möglichkeiten“ 455 , von denen in Sein und Zeit die Rede ist - und die der Ästhetiker als solche zufälligen, das heißt beliebigen und indifferenten Möglichkeiten auch betrachtet, insofern ihm aus seiner Perspektive kein Kriterium an die Hand gegeben ist, zu einer validen Differenzierung zu gelangen, so dass er jede von ihnen ergreifen und durchspielen und zu jedem beliebigen Zeitpunkt auch wieder aufgeben kann. Der Möglichkeitsbegriff des Ästhetikers enthüllt sich also als ein solcher, der mit Zufall und Willkür korrespondiert und die ästhetische Existenz damit in der Unverbindlichkeit, aber damit auch in der Beliebigkeit hält. Das wird besonders dann deutlich, wenn man noch einmal an den ultimativen Vorschlag aus der Wechselwirtschaft denkt, sowohl sich selbst beständig zu variieren als auch in Bezug auf die „Realitäten des Lebens“ willkürlich Differenzen zu setzen und so „etwas Zufälliges zum Absoluten“ 456 zu machen. Freilich entfaltet sich die Konstruktion der ästhetischen Existenz als Möglichkeit in ihrer vollen Dimension erst vor dem Hintergrund des zweiten Teils von Entweder/ Oder, denn wie gezeigt ist der Anspruch des Ethikers, dass die ästhetische Lebensanschauung nur dann überhaupt erklärbar werde, wenn sie aus ethischer Perspektive in den Blick genommen wird. Erst dann nämlich erschließe sie sich in ihrer Defizienz, insofern ästhetische Existenz bedeute, dass der Mensch nicht geistig bestimmt ist. Ist er aber nicht geistig bestimmt, so kann er sich nicht als Persönlichkeit in einem eigentlichen Sinne in den Blick bekommen. Sich geistig zu bestimmen bedeutet dann aber auch konsequenterweise, der ästhetischen Möglichkeit zu entsagen, insofern diese, wie gesehen, zu begreifen ist als jene Möglichkeit, die den Existierenden immer nur vor seine endlichen Möglichkeiten führt und der Ästhetiker im Blick auf - man könnte auch sagen, in der Verfallenheit an - diese es versäumt, den Bezug zur Ewigkeit herzustellen. Daher stellt der Ethiker dem Lob auf die Möglichkeit des Ästhetikers die Forderung entgegen, sich selbst in seiner ewigen Gültigkeit zu erwerben 457 , was für den Ethiker gleichbedeutend ist mit der Forderung, sich selbst in seiner Wirklichkeit zu ergreifen beziehungsweise als Wirklichkeit. Diese Opposition des Ethikers von Möglichkeit und Wirklichkeit, in welcher die Möglichkeit mit der ästhetischen Existenz assoziiert wird, kommt deutlich in der folgenden Reflexion zum Ausdruck, in der er bemerkt: Das Individuum wählt also sich selbst als eine mannigfaltig bestimmte Konkretion und wählt sich daher nach seiner Kontinuität. Diese Konkretion 454 Grundprobleme der Phänomenologie, p. 392. 455 Sein und Zeit, p. 264 (vgl. auch p. 144 dieser Arbeit). 456 Entweder/ Oder, p. 348. 457 Vgl. Entweder/ Oder, p. 711. 152 ist die Wirklichkeit des Individuums; da es sie aber nach seiner Freiheit wählt, so kann man auch sagen, sie sei seine Möglichkeit oder, um nicht einen so ästhetischen Ausdruck zu gebrauchen, sie sei seine Aufgabe. Wer ästhetisch lebt, sieht nämlich überall nur Möglichkeiten, diese bilden für ihn den Inhalt der Zukunft, wohingegen derjenige, der ethisch lebt, überall Aufgaben sieht. 458 Vereinfacht gesprochen steht also aus der Perspektive des Ethikers der poetisch-willkürlichen Existenz in der Möglichkeit die ethische Existenz in der Wirklichkeit gegenüber 459 . Wie gesehen verweist B dabei darauf, dass eine Existenz in der Möglichkeit im Grunde immer Verzweiflung ist, insofern der Ästhetiker im Spiel mit indifferenten Möglichkeiten sich in der Beliebigkeit verliert. Im Nicht-wirklich-Werden welke zu guter Letzt das Selbst „in Auszehrung dahin“ 460 . Das Wirklich-Werden, welches für den Ethiker darin liegt, die absolute Wahl zu wählen, ist also aus dessen Perspektive eine unabdingbare Forderung an den Menschen 461 . Wenn dieserart die Begriffe der Möglichkeit und der Wirklichkeit an die ästhetische Existenzweise auf der einen Seite und an die ethische auf der anderen angebunden werden, so bedeutet das selbstverständlich, dass hier Möglichkeit und Wirklichkeit der Existenz in ontologischer Betrachtung sich nicht derart unterscheiden, dass Möglichkeit auf ein (noch) nicht Existierendes verweisen würde, sondern dass sowohl Möglichkeit als auch Wirklichkeit als existenzbezogen die Existenztatsache zur Grundlage haben, mit anderen Worten die Differenzierung in Möglichkeit und Wirklichkeit nicht über das Dass des Daseins Auskunft gibt, sondern über das Wie 462 . Möglichkeit als Kategorie der Existenz bezeichnet mithin im Sinne des Ethikers die ästhetische Existenz, das heißt das Verbleiben in der Unmittelbarkeit, die Ausrichtung der Existenz am Sinnlichen. Damit ist auch 458 Entweder/ Oder, p. 817 (meine Hervorhebung). Im Anschluss an das zuvor Gesagte (vgl. p. 102 dieser Arbeit) kann man das auch so formulieren, dass sich mit der Möglichkeit des Ästhetikers und der Wirklichkeit des Ethikers Ironie und Ernst gegenüberstehen. 459 Vgl. auch die folgende Warnung des Ethikers an den Ästhetiker: „Wer nicht mit der Wirklichkeit kämpfen will, der muß sich schließlich mit Phantomen herumschlagen“ (Entweder/ Oder, p. 902). 460 Entweder/ Oder, p. 711. 461 Die Kritik des Verhältnisses des Ästhetikers zur Wirklichkeit, die der Ethiker in Entweder/ Oder vorträgt, hat im Übrigen einige Gemeinsamkeiten mit der Kritik Kierkegaards an der Romantik in Der Begriff Ironie, wo allerdings diese Kritik noch nicht an den Begriff der Verzweiflung gebunden ist, wohl aber an den der Langeweile. Vgl. Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, Düsseldorf: Diederichs, 1961, pp. 285ff. 462 Das macht auch Theunissen deutlich, wenn er über den existenzbezogenen Möglichkeitsbegriff bei Kierkegaard konstatiert: „Die Möglichkeit steht nicht außerhalb des faktischen Seins, aber außerhalb der Wirklichkeit“ (ders., Der Begriff Ernst bei Sören Kierkegaard, Freiburg: Alber, 1958, p. 26). 153 analog zu der Feststellung, dass die ästhetische Existenz der ethischen ontisch vorausgeht, zugleich gesagt, dass die Möglichkeit der Wirklichkeit vorausgeht, dass also der Mensch als in die Existenz geworfen zunächst einmal als Möglichkeit zu bestimmen ist 463 . Die Wirklichkeit wird aus der Perspektive des Ethikers erst und nur dann erreicht, wenn der Mensch aus der Unmittelbarkeit heraustritt, das heißt, sich geistig bestimmt und wählt als den, der er sein soll. Möglichkeit bezeichnet also das, was dieser absoluten Wahl vorausgeht, während die Wirklichkeit über die Wahl des Ethischen erreicht wird 464 . Mithin steht also aus ethischer Perspektive die Wirklichkeit höher als die Möglichkeit. Nun ergeben sich an dieser Stelle zwei Schwierigkeiten, die diese Rangordnung letztlich zweideutiger werden lassen, als es zunächst den Anschein hat. Das ist zum einen die Konzeption der Existenz als Wirklichkeit selbst und zum anderen die Integration der Opposition zwischen ästhetischer und ethischer Existenz als Möglichkeit und Wirklichkeit in den narrativen Rahmen von Entweder/ Oder. Bezüglich der Existenz als Wirklichkeit im Sinne einer Wahl, wie sie der Ethiker expliziert hat oder im Sinne einer Selbstsetzung, wie in der Krankheit zum Tode, ist zu konstatieren, dass trotz der Forderung des Ethikers, sich als Wirklichkeit zu bestimmen, diese Hierarchisierung ambivalent bleibt und zwar vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Selbst - weniger deutlich in Entweder/ Oder, aber ganz explizit in der Krankheit zum Tode, wo es, wie gesehen, als ein Verhältnis bestimmt wird, das sich zu sich selbst verhält - prozessual gedacht ist. Damit ist das Selbst im Grunde nie in Wirklichkeit, sondern es muss bestimmt werden über das Werden. In diesem Sinne bestimmt der Ethiker auch ganz aus- 463 In diesem Sinne äußert sich auch Sören Kierkegaard in Leben und Walten der Liebe, wenn er davon spricht, dass „der Jüngling und das Kind […] selbst noch eine Möglichkeit“ seien (Leben und Walten der Liebe, Jena: Diederichs, 1924, p. 257), insofern er das Kind und den Jugendlichen als Unmittelbarkeit begreift (vgl. Theunissen, Begriff Ernst, p. 109). 464 Freilich wird dies später von Vigilius Haufniensis bestritten, insofern die Ethik „die Idealität als Aufgabe“ zeige und dabei voraussetze, „daß der Mensch im Besitz der Bedingungen dazu ist“ (Begriff Angst, p. 193). Dies sei aber nicht der Fall, da der Mensch im Stand der Sünde ist. Insofern scheitere die Ethik an der Sünde. Hierzu erklärt er in einer langen Fußnote, in der er auf Furcht und Zittern verweist: „Hier läßt der Verfasser zu mehreren Malen die begehrte Idealität der Ästhetik an der geforderten Idealität der Ethik stranden, um in diesem Zusammenstoß die religiöse Idealität sichtbar werden zu lassen als diejenige, welche eben die Idealität der Wirklichkeit ist, und daher ebenso begehrenswert als die der Ästhetik und nicht unmöglich wie die der Ethik, - jedoch dergestalt, daß diese Idealität hervorbricht in dem dialektischen Sprung und in der positiven Stimmung: ‚Siehe, es ist alles neu geworden’, und der negativen Stimmung, welche die Leidenschaft des Absurden ist […]“ (Begriff Angst, p. 194, Fußnote; meine Hervorhebung). Insofern es im vorliegenden Zusammenhang wesentlich um die in Entweder/ Oder präsentiere Gegenüberstellung von Möglichkeit und Wirklichkeit als Kategorien der Existenz geht, soll auf die Problematik des ethischen Stadiums hier nicht näher eingegangen werden. 154 drücklich das Ethische in Abgrenzung zum Ästhetischen: „[D]as Ästhetische in einem Menschen ist das, wodurch er unmittelbar ist, was er ist; das Ethische ist das, wodurch er wird, was er wird.“ 465 Das Werden wiederum wird in den Philosophischen Brocken bestimmt als der Übergang vom Nicht-Sein zum Sein, freilich so, dass dieser Übergang nicht verstanden werden darf als einer vom Nicht-Dasein zum Dasein, denn „dieses Nicht-Sein, welches das Werdende verläßt, muß ja da sein; denn sonst „bliebe das Werdende nicht unverändert im Werden“ 466 , was Johannes Climacus, der Verfasser der Philosophischen Brocken, folgendermaßen präzisiert: Aber ein solches Sein, welches dennoch Nicht-Sein ist, das ist ja die Möglichkeit; und ein Sein, welches Sein ist, das ist ja das wirkliche Sein, oder die Wirklichkeit; und die Veränderung des Werdens ist der Übergang von Möglichkeit zu Wirklichkeit. 467 Wenn also der Ethiker davon spricht, dass der Ästhetiker die Wirklichkeit ergreifen soll, dann zeigt sich vor dem Hintergrund der Fassung des Ethischen als eines Werdens, dass das Ethische wählen nicht bedeuten kann, dass hier ein und für allemal das Ethische und damit die Wirklichkeit gewählt werde, sondern das Ergreifen der Wirklichkeit ist eingebunden in die prozessuale Struktur des Selbst als eines Verhältnisses, das sich zu sich selbst verhält und als solches eben als ein Werden zu denken ist, in dem im Grunde die Möglichkeit primordial bleibt, insofern die Wahl der Wirklichkeit jeweils, um mit Heidegger zu sprechen, sich auf einen Bevorstand bezieht, während auf der anderen Seite „das Wirkliche als das Vergangene bestimmt ist […] als das, was den Übergang aus der Möglichkeit schon ‚hinter sich’ hat“ 468 . Insofern könnte man sagen, dass die Wirklichkeit für den Existierenden letztlich relevant ist als Möglichkeit, insofern er als Möglichkeit, die er als Existierender immer schon ist, sich auf die Möglichkeit der Wirklichkeit hin entwerfen muss, so dass das Verhältnis zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit als Kategorien der Existenz hochgradig ambivalent bleibt 469 . 465 Entweder/ Oder, p. 729 (meine Hervorhebung). Dabei ist das Ästhetische nicht prozessual zu verstehen, insofern der Mensch als nicht geistig bestimmt, um die Explikation des Anti-Climacus zu verwenden, (noch) nicht als ein Verhältnis bestimmt werden kann, das sich zu sich selbst verhält. 466 Philosophische Brocken. De Omnibus dubitandum est, Düsseldorf: Diederichs, 1960, p. 70. 467 Philosophische Brocken, p. 70. 468 Theunissen, Begriff Ernst, pp. 29f. 469 Das Prozessuale und auf das Werden ausgerichtete kommt auch in der Krankheit zum Tode zum Ausdruck, wenn Anti-Climacus schreibt: „Nicht verzweifelt sein, es muß bedeuten die Zunichte gemachte Möglichkeit, es sein zu können; soll es wahr sein, daß ein Mensch nicht verzweifelt ist, so muß er jeglichen Augenblick die Möglichkeit zunichtemachen“ (Krankheit zum Tode, p. 399). Ich würde deshalb Figal widersprechen, wenn er in seiner Analyse der Wahl bei Heidegger und dem Ethiker sagt, dass diese sich dahingehend unterschieden, dass Heidegger die Eigentlichkeit nicht so 155 Dies bestätigt sich auch, wenn man die Möglichkeitsproblematik aus der Krankheit zum Tode hinzuzieht, was insofern nahe liegt als auch Anti- Climacus, wie der Ethiker, den Begriff der Verzweiflung in Zusammenhang mit dem Möglichkeitsbegriff thematisiert. Bei Anti-Climacus wird die Möglichkeit zunächst, anders als in Entweder/ Oder, nicht der Wirklichkeit, sondern als Freiheit der Notwendigkeit antithetisch zugeordnet. Auffallend ist nun, dass die Möglichkeit hier wiederum zweideutig ist und zwar präsentiert Anti-Climacus sie zum einen als Ursache für Verzweiflung, aber genauso zentral ist die Möglichkeit bei der Überwindung der Verzweiflung. Ursache für Verzweiflung ist die Möglichkeit, wenn sich der Existierende beim Versuch der Selbstsetzung in der Möglichkeit verliert: Die Möglichkeit erscheint so dem Selbst größer und größer, mehr und mehr wird möglich, weil nichts wirklich wird. Zuletzt ist es als ob alles möglich wäre, aber eben dies geschieht, wenn der Abgrund das Selbst verschlungen hat. 470 Der Existierende verliert sich mithin in der Beliebigkeit und geht - durchaus in dem Sinne, wie es der Ethiker in Entweder/ Oder in seinen an den Ästhetiker gerichteten Briefen expliziert hatte - der Persönlichkeit verlustig. Dass der Existierende aber der Persönlichkeit bedarf, das illustriert Anti-Climacus sehr anschaulich, wenn er notiert: „Schon um sich selbst in einem Spiegel zu sehen ist es notwendig sich selbst zu kennen, denn tut man das nicht, so sieht man nicht sich selbst, sondern bloß einen Menschen.“ 471 Die Möglichkeit ist also hier Grundlage des Selbstverlustes und damit der Verzweiflung. Andererseits aber ist die Möglichkeit gleichzeitig unhintergehbare Bedingung der Möglichkeit, nicht verzweifelt sein zu können, wie sich zeigt, wenn Anti-Climacus nur wenige Seiten später emphatisch konstatiert: Denn Möglichkeit ist das Eine, was rettet. Wenn einer ohnmächtig wird, ruft man nach Wasser, Eau de Cologne, Hoffmannstropfen; wenn aber einer denkt, dass man sich für sie wie „für ‚das Ethische’ ein für allemal entscheiden kann“ (ders., Phänomenologie der Freiheit, p. 255), denn sonst wäre es inkonsequent vom Ethiker, das Werden in den Vordergrund zu stellen. Mir scheint die Struktur hier näher bei der der Verzweiflung in der Krankheit zum Tode zu liegen, was bedeuten würde, dass genauso wie die Verzweiflung in jedem Augenblick als Möglichkeit zunichte gemacht werden muss, um nicht verzweifelt zu sein, auch die Wahl des Ethischen nie ‚vollendet’ ist, sondern sich in jedem Augenblick neu vollziehen muss. Dies scheint mir insofern plausibel als B auch von dem Kampf mit der Wirklichkeit spricht (vgl. Entweder/ Oder, p. 902), was darauf hindeutet, dass es stets aufs Neue darum geht, sich als Möglichkeit in ein Verhältnis zur Wirklichkeit zu setzen. Nur dann wird auch die Überlegung Eremitas im Vorwort verständlich, wo er sich die Frage stellt, „wie es B ergangen ist, ob er die Kraft gehabt hat, an seiner Anschauung festzuhalten oder nicht“ (Entweder/ Oder, p. 24). 470 Krankheit zum Tode, p. 421. 471 Krankheit zum Tode, p. 421. 156 verzweifeln will, so heißt es: schaff Möglichkeit, schaff Möglichkeit, Möglichkeit ist das Einzige, was rettet […]. 472 Diese Ambivalenz der Möglichkeit, wie sie in je eigener Weise in Entweder/ Oder und der Krankheit zum Tode zum Ausdruck kommt, ist letztlich lediglich der konsequente Ausdruck der Tatsache, dass Möglichkeit ja gerade das Offensein für… impliziert, so dass die Möglichkeit der Verzweiflung und die Möglichkeit der Erlösung lediglich die zwei Seiten derselben Medaille sind. Diese mit dem Möglichkeitsbegriff verbundene äußerste Ambivalenz wird gerade in der Krankheit zum Tode von Anti- Climacus herausgestellt, wenn er betont, dass die tiefste Verzweiflung zugleich unendlich weit von der Erlösung entfernt und ihr unendlich nahe sei 473 , wobei der Weg zur tiefsten Verzweiflung wie zur Erlösung über die Möglichkeit führt, nämlich über die Möglichkeit, sowohl verzweifelt als auch nicht verzweifelt sein zu können. Über die der Möglichkeit eigene Ambivalenz hinaus, dass Möglichkeit sowohl die Möglichkeit der Erlösung als auch der Verzweiflung ist, kommt aber noch ein weitere Aspekt zum Tragen und zwar, dass sowohl in Entweder/ Oder als auch in der Krankheit zum Tode ein doppelter Möglichkeitsbegriff Verwendung findet, der seinen Ausgang nimmt von dem Hinweis des Ethikers, der Ästhetiker verliere sich an endliche Möglichkeiten, die als beliebige Möglichkeiten letztlich zur Verzweiflung führen. Dies führt zurück auf die Erklärung des Ethikers, dass A verzweifelt sei, weil er die Endlichkeit und Vergeblichkeit aller endlichen Dinge durchschaut habe, von dort aber nicht weitergekommen sei. Die Möglichkeit hingegen, von der im obigen Zitat die Rede ist, jene, die die einzige ist, die rettet, ist die, dass alles möglich ist für Gott oder, wie es Anti-Climacus ausdrückt: „[D]enn Gott ist dies daß alles möglich ist oder daß alles möglich ist, ist Gott.“ 474 Die Möglichkeiten des Ästhetikers sind endliche Möglichkeiten und eine auf sie ausgerichtete Existenz ist Verzweiflung. In der durchgeführten Verzweiflung, das heißt, im Sich-ins-Verhältnis-Setzen zu sich selbst und damit zu Gott, befreit sich der Mensch gleichsam von dem zum Scheitern verurteilten Versuch, den innerweltlichen Möglichkeiten eine Bedeutung zuzuschreiben, die die Sehnsucht nach Ewigem stillen könnte. Damit nun, dass in dem oben explizierten neuen Sinne alles möglich ist, dass also die unendliche Möglichkeit in den Blick tritt, wird gleichsam den endlichen Möglichkeiten jene absolute Bedeutung genommen, die sie nicht haben können, aber haben müssten, um die Möglichkeit der Verzweiflung zu vernichten. 472 Krankheit zum Tode, pp. 423f. 473 Vgl. Krankheit zum Tode, p. 455: „Eben deshalb, weil der Trotz Verzweiflung vermöge des Ewigen ist, ist er dem Wahren in gewissem Sinne sehr nahe; und eben deshalb weil er dem Wahren sehr nahe ist, ist er ihm unendlich ferne.“ 474 Krankheit zum Tode, p. 425. 157 Die Ambivalenz des Möglichkeitsbegriffs erklärt sich also über diese doppelte Bedeutung, dass er zum einen der Inbegriff der endlichen Möglichkeiten ist, zum anderen aber auch zur Bezeichnung der unendlichen Möglichkeit dient. Hieraus erhellt sich auch noch einmal das Phänomen der Langeweile. Es war gesagt worden, dass diese sich erklärt über die Gleichgültigkeit beziehungsweise Indifferenz der endlichen Möglichkeiten. Angesichts der Vergänglichkeit entwerten sich diese beliebigen Möglichkeiten und es bleibt dem Ästhetiker allein der willkürliche Zugriff, in dem er - zumindest für einen Augenblick - dem willkürlich Gewählten absolute Bedeutung zuschreibt 475 . Insofern freilich diese Setzung willkürlich ist und er auch eine andere Möglichkeit hätte ergreifen können, ruft dieses Spiel mit letztlich gleichgültigen Möglichkeiten Langeweile hervor. Wesentlich ist dabei, dass dem Ästhetiker kein discrimen zur Verfügung steht, durch das einer Möglichkeit ‚wirkliche’ Bedeutung zu verleihen wäre. Dies gelingt nun aber, so die These des Ethikers, durch das Sich-Ins-Verhältnis- Setzen zur Möglichkeit verstanden als unendliche Möglichkeit. In der Anbindung an Gott als unendliche Möglichkeit überwindet der Verzweifelnde nicht nur die Verzweiflung, sondern erhält damit auch die endlichen Möglichkeiten in einer neuen Art und Weise zurück, so dass zwar die endlichen Möglichkeiten als endliche Möglichkeiten wiederkehren, dabei aber als die gleichen dennoch verändert sind. Der Ethiker verwendet hierfür den Begriff der „Metamorphose“, in der die endlichen Möglichkeiten durch die Anbindung an die unendliche Möglichkeit gleichsam mit Bedeutung aufgeladen werden: Ihr [die Ästhetiker] wünscht nicht, euch mit dem Ethischen einzulassen; das hieße ja, das Leben seines Sinns und vor allem seiner Schönheit berauben. […] In der Verzweiflung gibt es einen Augenblick, da es so scheint, und wer das nicht gefühlt hat, dessen Verzweiflung ist immerhin trügerisch gewesen, und der hat sich selbst nicht ethisch gewählt. Indessen ist dem aber nicht so, und darum erweist sich die Verzweiflung im nächsten Augenblick nicht als Bruch, sondern als eine Metamorphose. Alles kommt wieder, jedoch verklärt. Erst wenn man das Leben ethisch betrachtet, erst dann gewinnt es Schönheit, Wahrheit, Sinn, Bestand […]. 476 Die Verzweiflung im Sinne einer durchgeführten Verzweiflung, welche der Ethiker als das Ergreifen der Wirklichkeit begreift, führt also nicht zu einer Vernichtung der endlichen Möglichkeiten, sondern zu deren Verwandlung dadurch, dass sie nun in ein sinnhaftes Ganzes eingeordnet werden können. Wie dies zu verstehen ist, wird noch deutlicher, wenn hier eine Kategorie hinzugezogen wird, die Heidegger in den Grundbegriffen aufgreift: 475 Vgl. Entweder/ Oder, p. 348, wo A den Rat gibt, man müsse „etwas Zufälliges zum Absoluten und als solches zum Gegenstand absoluter Bewunderung“ machen. 476 Entweder/ Oder, p. 840 (meine Hervorhebung). 158 die Kategorie des Augenblicks. Denn dieser wird im Begriff Angst explizit bestimmt als das, in welchem sich Zeitliches und Ewiges berühren: Der Augenblick ist jenes Zweideutige, darin Zeit und Ewigkeit einander berühren, und damit ist der Begriff der Zeitlichkeit gesetzt, allwo die Zeit fort und fort die Ewigkeit abriegelt und die Ewigkeit fort und fort die Zeit durchdringt. 477 Analog zu der oben gemachten Unterscheidung zwischen der ästhetischen Möglichkeit und der Möglichkeit, die den Einzelnen in Beziehung zum Unendlichen setzt, unterscheidet Vigilius Haufniensis einen uneigentlichen (ästhetischen) und einen eigentlichen Augenblick. Der uneigentliche Augenblick ist zu verstehen in dem Sinne, wie man sagt, dass jemand im gegenwärtigen Moment lebe. Hier argumentiert Haufniensis, dass eine Existenz im Augenblick, verstanden als ästhetischer Augenblick, im Grunde keine Gegenwart habe, wenn man die Zeit bestimmt als ein unendliches Aufeinanderfolgen. Denn in diesem sei kein „fester[r] Haltepunkt“ 478 zu finden, der die Vergangenheit von der Zukunft trennt. Da aber jeder Moment, ebenso wie die Summe der Momente […] wieder Prozeß (d.h. ein Vorübergehen) ist, so ist kein Moment ein gegenwärtiger, und insofern ist in der Zeit weder ein Gegenwärtiges, noch ein Vergangenes, noch ein Zukünftiges. 479 Wenn es aber kein Gegenwärtiges gibt, dann ist das, was sich in der Zeit abspielt, ein „unendlich inhaltsleere[s] Nichts“ 480 . Die Bestimmung des Gegenwärtigen, Vergangenen und Zukünftigen gelingt erst, wenn die Unterscheidung nicht in der Zeit verortet wird, sie „kommt erst zum Vorschein vermöge des Verhältnisses der Zeit zur Ewigkeit“ 481 . Denn das Ewige ist zu verstehen als das Gegenwärtige, aber nicht im oben bestimmten Sinne als unendliches Aufeinanderfolgen, sondern im Gegenteil gerade „als das aufgehobene Aufeinanderfolgen“ 482 . Die Bestimmung der drei Dimensionen der Zeit ist also aus der Zeit heraus nicht möglich, sondern nur, wenn die Zeit in Beziehung zur Ewigkeit als Gegenwart gesetzt wird. Damit kann Haufniensis sagen: „[D]as Leben, welches in der Zeit ist und allein der Zeit zugehört, hat nichts Gegenwärtiges.“ 483 Erst wenn sich im eigentlichen Augenblick Ewigkeit und Endlichkeit berühren, kann im eigentlichen Sinne von einer Einteilung in Gegenwärtiges, Vergangenes und Zukünftiges gesprochen werden. Gegenwart kann mithin nur für den Menschen 477 Begriff Angst, p. 270. 478 Begriff Angst, p. 267. 479 Begriff Angst, p. 267. 480 Begriff Angst, p. 267. 481 Begriff Angst, p. 266. 482 Begriff Angst, p. 267. 483 Begriff Angst, p. 268. 159 existieren und nur dann, wenn er sich als Geist bestimmt, das heißt, sich in Beziehung zum Ewigen setzt. Aus dieser Bestimmung des Augenblicks im Vergleich zum ästhetischen Augenblick erhellt sich nun auch noch einmal die Problematik der Langeweile aus einem anderen Blickwinkel, insofern die ästhetischen Augenblicke im Grunde in dem beschriebenen Sinne ein unendliches inhaltsleeres Nichts sind. Dabei bekommt wiederum der Begriff des Augenblicks - sowohl im uneigentlichen wie im eigentlichen Sinne - überhaupt nur insofern Relevanz, als der Mensch als Geist bestimmt ist. Denn wie Haufniensis betont liegt hierin gerade der Unterschied zur Natur, für welche die Zeit „schlechterdings keine Bedeutung hat“. 484 Damit werden aber auch die innerzeitlichen Möglichkeiten im eigentlichen Sinne erst zu solchen, wenn sie vor dem Hintergrund dieser Bestimmung des Augenblicks als eigentlichem in den Horizont des Existierenden treten. Erst durch den Einbruch der Ewigkeit in die Zeitlichkeit wird aus dem inhaltsleeren Nichts ein bestimmbares Etwas. Die Bestimmung der Zeitlichkeit aus der Ewigkeit bedeutet aber damit auch, dass letztlich die ästhetischen Möglichkeiten auch für die ethische beziehungsweise religiöse Existenz relevant bleiben, da in gewissem Sinne Wirklichkeit gedeutet werden könnte als ein Sich-Entwerfen hin auf Möglichkeiten, derart freilich, dass in diesem Entwurf hin auf die unendliche Möglichkeit auch die endlichen Möglichkeiten - nun aber als endliche Möglichkeiten vor dem Horizont der unendlichen Möglichkeit - sich zeitigen. Damit bleibt freilich auch aus dieser Perspektive die Feststellung, dass das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit nicht im Sinne einer eindeutigen Überordnung der Wirklichkeit begriffen werden kann 485 . Wenn zunächst aus der Perspektive des Ethikers sich die Überordnung der Wirklichkeit über die Möglichkeit als Deutung aufzudrängen scheint, dann zeigt gerade der Einbezug jener Schrift, die die Thematik der Verzweiflung in eigener Weise wieder aufnimmt, der Krankheit zum Tode, dass letztlich die Unterteilung von Möglichkeit und Wirklichkeit wiederum auf einer Möglichkeit beruht. Insofern es sich freilich bei Entweder/ Oder um eine eigenständige Schrift handelt, dürfen die Präzisierungen aus der Krankheit zum Tode nicht in einem direkten Sinne als ‚Korrekturen’ verstanden werden, sondern als möglicher Reflexionshintergrund für die Konstellation in Entweder/ Oder. 484 Begriff Angst, p. 270. 485 Dass auch der Wirklichkeitsbegriff doppeldeutig ist, zeigt Theunissen, der deutlich macht, dass etwa in den Philosophischen Brocken das Wirkliche durchweg als das Endliche, Relative bestimmt ist (vgl. Begriff Ernst, p. 31), während Kierkegaard selbst davon spricht, dass die Wirklichkeit des Ewigen als „Innerlichkeit die einzige wirkliche Wirklichkeit ist“ (ebd., p. 43). Gerade insofern jedoch die Wirklichkeit des Ewigen eine Möglichkeit bleibt, ist aber auch hier das Mögliche wieder primordial. 160 Die Frage des Verhältnisses von Entweder/ Oder und der Krankheit zum Tode bietet nun einen geeigneten Übergang zum zweiten oben genannten Aspekt, nämlich inwieweit der narrative Rahmen hier seinerseits ein besonderes Licht auf diese Problematik zu werfen vermag. Auch hier wird sich zeigen, dass eine Verhältnisbestimmung von Möglichkeit und Wirklichkeit vor dem Hintergrund der Textstrukturen, beziehungsweise der Verschränkung und Interaktion von Textstruktur und Inhalt, ebenfalls zweideutig in der Schwebe gehalten wird. Diesbezüglich ist besonders auffallend, dass eine vordergründige Konkordanz von Textstruktur und Inhalt die Bewegung von A nach B nahe legt, jedoch auf einer weiteren Ebene Hinweise zu finden sind, die einer solchen teleologischen Leseweise gegenläufig sind. Wie gesehen ist die ästhetische Existenz als das ontisch Erste zu begreifen, insofern jeder Mensch zunächst immer ästhetisch existiert, das heißt in der ursprünglichen Bedeutung des Ästhetischen als des Sinnlichen. Erst aus dem Ästhetischen heraus kann schließlich das Ethische in den Blick kommen, dann nämlich, wenn der Mensch sich als Geist bestimmt. Diese Struktur wird nun durch die Anordnung der Papiere zunächst einmal bestätigt, insofern der erste Teil Papiere präsentiert, die eine ästhetische Lebensanschauung illustrieren und der zweite Teil eine ethische Lebensanschauung entwickelt. Diese Leserichtung scheint umso plausibler als dem auch der Inhalt der jeweiligen Papiere entspricht dahingehend, dass sich der Ethiker in seinen zwei Briefen auf den Ästhetiker zu beziehen scheint. Zum einen müssten die Briefe des Ethikers unverständlich bleiben ohne das ‚Entweder’, auf das das ‚Oder’ Bezug nimmt, während umgekehrt die Papiere im ersten Teil auch ohne die Ausführungen des Ethikers zugänglich bleiben würden; und zum anderen schreibt sich der Ethiker auch ausdrücklich jene ‚höhere’ Ebene zu, die es ihm ermögliche, das Ästhetische in seinem Wesen zu analysieren. Diese Bewegung vom Ästhetischen zum Ethischen wird auch explizit vom Herausgeber ins Spiel gebracht, wenn dieser auf die Redensart hinweist, dass wer A sagt auch B sagen müsse 486 . Freilich wird diese Teleologie ebenfalls auf verschiedenen Ebenen unterlaufen. Gerade der fiktive Herausgeber spielt hier eine wichtige Rolle, insofern er die von ihm selbst suggerierte Bewegung von A nach B sowohl explizit als auch implizit in ihrer Plausibilität untergräbt. Implizit tut er dies durch die einleitenden Hinweise, dass man bisweilen daran zweifeln könne, dass das Äußere das Innere und das Innere das Äußere sei, womit auch der ‚äußere Anschein’, wonach eine Lektüre von A nach B konsequent ist, in einem anderen Licht erscheint. Explizit in Zweifel zieht Eremita diese teleologische Leseweise ebenfalls und zwar, wenn er selbst die Unabgeschlossenheit beziehungsweise Unabschließbarkeit der ‚Debatte’ zwischen A und B betont, da es die Entscheidung für A oder für B nicht geben könne: „[O]b A nun wirklich überzeugt worden sei 486 Vgl. Entweder/ Oder, p. 24. 161 und bereut habe, ob B gesiegt, oder ob es etwa damit geendet habe, daß B zu As Meinung überging“, darüber könne nichts gesagt werden, denn „[i]n dieser Beziehung haben die Papiere […] kein Ende“ 487 . Die Teleologie des Gesamttextes wird aber auch durch andere subtile Hinweise in Frage gestellt. Dabei lässt sich an die oben zitierte Feststellung des Herausgebers anknüpfen. Wenn nämlich Eremita ausdrücklich auf der Unentscheidbarkeit insistiert, dann wird deutlich, dass jene Einschätzung des Ethikers, dass die ethische Existenz ‚höher’ stehe als die ästhetische und mithin erst er selbst in der Lage sei, die ästhetische Existenz in ihrer Essenz zu fassen, insofern er nicht im Ästhetischen ‚befangen’ sei, im Grunde von keiner ‚höheren Instanz’ - also dem Herausgeber oder gar Sören Kierkegaard - validiert wird, sondern sich B die Autorität, das Ästhetische be- und verurteilen zu können, selbst zuschreibt. Bedenkenswert ist dies besonders insofern, als damit anders als wenn der Herausgeber diese Stellungnahme vorgenommen hätte, die Ausführungen Bs in keiner Weise gegenüber denen des Ästhetikers als privilegiert zu betrachten sind dahingehend, dass sie in verbindlicher Art und Weise eine Antwort auf das Entweder-Oder des Gesamttextes geben würden 488 . Ein ebenfalls nicht zu vernachlässigender Aspekt sind die bisweilen fast karikatural kleinbürgerlichen Züge der Argumentation des Ethikers insbesondere in dem Versuch, die ästhetische Gültigkeit der Ehe unter Beweis zu stellen, genauso wie erwähnenswert ist, dass der Ethiker Gerichtsrat ist, denn das Leben in gesicherten Verhältnissen ist ein ums andere Mal Gegenstand des Spottes 487 Entweder/ Oder, p. 24. Wenn Eremita hier die Teleologie der Texte also wieder relativiert, dann darf freilich nicht verschwiegen werden, dass ja auch die Suggestion des ‚Wer A sagt muss auch B sagen’ sich im Grunde überhaupt erst deshalb aufdrängt, weil Eremita den Autoren der zwei Formationen von Papieren die Siglen A und B gegeben hat. Was also in der vorliegenden Form so stringent erscheint, geht direkt auf das Eingreifen des Herausgebers selbst zurück. 488 Hier sei auch noch einmal betont, dass der Ethiker nicht als der ‚Statthalter’ Kierkegaards in Entweder/ Oder zu betrachten ist, wie dies gerade in der älteren Forschung bisweilen gesagt wurde. So schreibt beispielsweise Emanuel Hirsch: „Daraus ergibt sich, daß B diejenige Lebensanschauung vertritt, zu der Kierkegaard sich selbst wider den Romantiker in sich bekennt [...]“ (ders.: Kierkegaard-Studien, Bd. III, Gütersloh: Bertelsmann, 1933, p. 13), um zwei Seiten später zu resümieren: „Die ethisch-religiöse Lebensanschauung von B ist die Kierkegaards [...]“ (ebd., p. 15). Aber auch in neueren Arbeiten findet sich noch verbreitet eine solche Leseart. Vgl. als ein Beispiel Paul Thomas Erne, der sagt, nicht etwa der Ethiker, sondern Kierkegaard wolle im zweiten Teil von Entweder/ Oder die „These belegen, die Ehe sei die schönere Form der romantischen Liebe“ (ders., Lebenskunst. Aneignung ästhetischer Erfahrung. Ein theologischer Beitrag zur Ästhetik im Anschluß an Kierkegaard, Kampen: Kok Pharos, 1994, p. 70). Vgl. gegen eine solche Gleichsetzung Kierkegaards mit dem Ethiker, wie sie hier als den Textstrukturen unangemessen expliziert wird, auch Annemarie Pieper, Sören Kierkegaard, München: Beck, 2000, pp. 32f. 162 anderer Pseudonyme, aber auch Kierkegaards selbst 489 . Freilich müssen diese Hinweise behutsam aufgenommen werden, insofern sie sich nicht aus dem Text selbst ergeben, sondern erst vor dem Hintergrund der Kommunikation der verschiedenen pseudonymen Texte hervortreten. Eine textinterne Ironisierung freilich erfahren die Ausführungen Bs ebenfalls, und zwar sowohl direkt als auch indirekt. So konstatiert der Herausgeber im Vorwort mit ironischem Unterton bezüglich einer Stelle in einem der Briefe Bs: Wenn B meint, von 100 jungen Menschen, die irregehn in der Welt, würden neunundneunzig durch Frauen gerettet, einer durch göttliche Gnade, so sieht man leicht, daß er nicht rechnen konnte, da er für die keinen Platz mehr hat, die wirklich verlorengehen. 490 Auch wenn Eremtia gleich darauf betont, dass in diesem Rechenfehler eine gewisse Schönheit liege, so ist auffallend, dass er derartige ironisierende Kommentare B vorbehält, genauso wie in einem weiteren Beispiel, wo es heißt, B spreche an einer Stelle „von einem griechischen Weisen namens Myson und erzählt von ihm, er genieße das seltene Glück, unter die 7 Weisen gerechnet zu werden, wenn man deren Anzahl auf 14 festsetze“. Dazu bemerkt er: Ich war unschlüssig, woher B diese Weisheit haben mochte“ 491 , um nach der Quellensuche zwecks Verifizierung zu dem Ergebnis zu kommen: „[G]anz so, wie [B] es sagt, verhält es sich nicht […]. 492 489 So findet sich in Kierkegaards Tagebuch eine Notiz über die „sogenannte fromme Existenz“, welche „vermeintlich Aufgaben gelöst hat, welche nicht einmal Christus löste - denn Christus hatte es nicht eilig, Justizrat zu werden oder einen Lebensunterhalt zu bekommen [...]“ (Tagebücher in 5 Bänden, Bd. II, Düsseldorf: Diederichs, 1963, p. 166, meine Hervorhebung). In ähnlicher Weise spottet Kierkegaard auch in seiner Dissertation, wo er von einem „Bedürfnis“ spricht, „einmal Mensch zu sein und nicht immer und ewig Kanzleirat“ (Begriff der Ironie, p. 257). Freilich bleibt auch hier wieder die Ambivalenz erhalten, insofern etwa in Furcht und Zittern gerade betont wird, dass der wahre Glaubensritter durchaus wie ein Spießbürger aussehen könne. Vgl. Johannes de Silentio, der über den Glaubensritter schreibt: „Ich mustere seine Gestalt vom Scheitel bis zum Schuh, ob nicht ein Riß da sein möchte, durch den das Unendliche herausscheint. Nein! Er ist durch und durch gediegen. Sein Auftreten? Ist kraftvoll, gehört ganz der Endlichkeit zu; kein geputzter Bürgersmann, der Sonntagsnachmittags ausgeht nach dem Schloßgarten, schreitet fester auf dem Erdboden daher; er gehört ganz der Welt zu, kein Spießbürger kann ihr mehr zugehören“ (S. Kierkegaard, Furcht und Zittern, in Furcht und Zittern. Der Begriff Angst. Die Krankheit zum Tode, Werksausgabe, Bd. 1, Düsseldorf: Diederichs, 1971p. 48). Vgl. zu den spießbürgerlichen Zügen von B auch Smail Rapic, Ethische Selbstverständigung. Kierkegaards Auseinandersetzung mit der Ethik Kants und der Rechtsphilosophie Hegels, Berlin: de Gruyter, 2007, pp. 201ff. 490 Entweder/ Oder, p. 21. 491 Entweder/ Oder, p. 21. 492 Entweder/ Oder, p. 21. 163 Implizit werden die Ausführungen des Ethikers wiederum ironisiert vor allem durch den Spiegeleffekt mit dem ersten Teil von Entweder/ Oder und hier besonders mit dem Tagebuch des Verführers. So findet sich, um nur ein Beispiel zu nennen, im Tagebuch des Verführers ein Hinweis von Johannes dem Verführer, der sinngemäß besagt, mit der Ethik komme die Langeweile. In Anbetracht der Tatsache, dass nur wenige Seiten später zwei je über zweihundertseitige Briefe auf den Leser warten, könnte dies durchaus als eine Warnung vor dem zweiten Teil von Entweder/ Oder gelesen werden. Die gleiche Textstelle, in der die Ethik mit der Langeweile assoziiert wird, ist auch noch aus einem anderen Grunde interessant. So spricht der Ethiker in seiner Apologie der Ehe von seiner Abneigung gegen die Verlobung, da diese keine Wirklichkeit habe, sondern vom „Zuckerbrot der süßen Möglichkeit“ 493 lebe, eine Einschätzung, die vor dem Hintergrund der in Frage stehenden Textstelle aus dem Tagebuch des Verführers in ein eigentümliches Licht gerückt wird: Das Verwünschte an einer Verlobung ist immer das Ethische darin. Das Ethische ist in der Wissenschaft wie im Leben gleich langweilig. Welch ein Unterschied: unter dem Himmel der Ästhetik ist alles leicht, schön, flüchtig; wenn die Ethik dazukommt, wird alles hart, eckig, unendlich langweilig. 494 Wenn sich der Ethiker, wie es ja sein Anspruch ist, auf die ästhetische Existenz zu beziehen meint, dann zeigt sich zumindest an dieser Stelle ein frappantes Missverhältnis zwischen seinem eigenen Verständnis des Ästhetischen - er verwendet bezeichnenderweise gerade an dieser Stelle die Opposition von Wirklichkeit und Möglichkeit, die ja für ihn das entscheidende Diskriminationskriterium zwischen dem Ethischen und dem Ästhetischen ist - und dem, was der Ästhetiker, beziehungsweise an dieser Stelle Johannes, darunter versteht. Wenn dieserart verschiedene Indizien gefunden werden können, die eine teleologische Leseweise von Entweder/ Oder im Sinne des ‚Überwindens’ der Existenz als Möglichkeit und des Ergreifens der Wirklichkeit zumindest nicht unproblematisch machen, wird die Frage nach Möglichkeit und Wirklichkeit auch noch auf andere Weise auf formaler Ebene relevant. Von großer Wichtigkeit scheint mir dabei die Tatsache zu sein, dass Entweder/ Oder seiner Struktur nach am romantischen Roman orientiert ist, worin sicher eine sinnkonstitutive Bedeutung zu erblicken ist 495 . Im Grun- 493 Entweder/ Oder, p. 561. 494 Entweder/ Oder, p. 428. 495 Treffenderweise wird deshalb Entweder/ Oder beispielsweise in Kindlers Literaturlexikon als schriftstellerisches Werk in der Tradition der Romantik aufgeführt (vgl. Heinrich Fauteck, ‚Enter-Eller, udgivet af Victor Eremita’, in Kindlers Literaturlexikon, Bd. II, Zürich: Kindler Verlag, 1964, pp. 2147-2150). Auf diese Nähe von Entweder/ Oder zum romantischen Roman wird zwar verschiedentlich in der Sekundärliteratur hin- 164 de führt nämlich erst die Berücksichtigung dieses romanhaften Charakters dazu, dass über die diesbezügliche explizite Aussage Eremitas hinaus die Gegenüberstellung von Möglichkeit und Wirklichkeit in ihrer Unentscheidbarkeit methodisch abgesichert werden kann. Diese findet nämlich im possibilistischen Charakter der Darstellungsweise literarästhetisch sowohl ihren Ausdruck als auch ihren Rückhalt. Mit anderen Worten wird der Tatsache, dass Kierkegaard der Möglichkeit als Kategorie der Existenz eine zentrale Rolle zuweist, genauso wie der Tatsache, dass das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit unausweichlich ambivalent bleiben muss, methodisch in der Form des Textes Rechnung getragen. Sowohl die Möglichkeit als Möglichkeit einzuholen und sichtbar zu machen als auch die Wirklichkeit als Möglichkeit offen zu halten, bedeutet bei Kierkegaard den Rückgriff auf eine Form, in welcher dies aufgenommen, literarästhetisch repräsentiert und vor allem in seiner Ambivalenz konserviert werden kann, statt das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit in Richtung auf Eindeutigkeit aufzulösen. Dabei ist der Status des Textes als literarische Fiktion grundlegend für die Möglichkeit, zu dieser wechselseitigen Durchwirkung von Form und Inhalt zu gelangen. Aus texttheoretischer Perspektive kann das wiederum so erklärt werden, dass der literarische Text sich der dem Text externen Wirklichkeit als Möglichkeit gegenüberstellt 496 . Dies geschieht in Entweder/ Oder durch die Herausgeberfiktion. Wenn damit nun der Text als Möglichkeit der textexternen Wirklichkeit gegenübersteht, so bedeutet das aber zugleich, dass damit im Rahmen dieser literarischen Fiktion eine eigene textinterne Wirklichkeit entsteht, die wiederum neue Möglichkeiten entstehen lässt. Mit der Konstruktion von Entweder/ Oder als literarischer Fiktion sieht sich Kierkegaard mithin in die Lage versetzt, auf der Ebene beziehungsweise im Modus der Möglichkeit die Frage nach Möglichkeit und Wirklichkeit zu stellen beziehungsweise durch die Pseudonyme stellen zu lassen. Aus diesem methodischen Verfahren ergibt sich ein doppelter Vorteil für Kierkegaard, insofern er damit zum einen der Gefahr entgeht, die Möglichkeit in Richtung auf Wirklichkeit festzuschreiben und zum anderen gelingt es ihm so, Möglichkeit und Wirklichkeit im Modus der Möglichkeit zu behandeln, womit die Wirklichkeit als Wirklichkeitsmöglichkeit nicht überdeterminiert wird. Aus dieser Konstellation ergibt sich für Kierkegaard - da es ihm um die Möglichkeit als existenzbezogene Kategorie geht -, dass der literarische Text ihm den Raum bietet, Existenz, sei es als Möglichkeit oder als Wirklichkeit, zu konstruieren und den textinternen Wirklichkeitsraum als Laboratorium zu nutzen, in dem die verschiedenen Existenzmöglichkeiten als solche gewiesen, in der Regel jedoch ohne dass daraus eine dieser Tatsache Rechnung tragende Methodik für eine Deutung abgeleitet würde. 496 Vgl. hierzu Andreás Horn: Literarische Modalität. Das Erleben von Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit in der Literatur, Heidelberg: Winter, 1981, pp. 18 ff. 165 entfaltet werden können. Gerade dieser Experimentalcharakter ist dabei von außerordentlicher Bedeutung, wie Kierkegaard Climacus in der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift bezeugen lässt, wo es heißt: Denn dadurch, daß die Mitteilung in der Form des Experiments geschieht, formt sie sich selbst einen Widerstand, und das Experiment befestigt eine bodenlose Tiefe zwischen dem Verfasser und dem Leser und setzt die Geschiedenheit der Innerlichkeit zwischen sie, so daß das direkte Verständnis unmöglich ist. 497 Dieserart enthüllen sich experimentell die existenziellen und metaphysischen Konsequenzen der jeweiligen Existenzform, jedoch, aufgrund der Textstruktur, im Modus der Möglichkeit. In Entweder/ Oder kann Kierkegaard so eine ästhetische und eine ethische Existenz aufeinander treffen lassen und deren jeweilige Idiosynkrasien aus multiplen Perspektiven beleuchten. Zunächst erscheint die ästhetische Existenz in der paradoxwidersprüchlichen Schilderung Eremitas, anschließend gleichsam ‚von innen heraus’ in ihrem Selbstverständnis und letztens aus der Perspektive des Ethikers. Auch die ethische Existenzweise gewinnt ihre Konturen aus diesen drei Perspektiven. Maßgeblich ist freilich, dass Kierkegaard hier über die Schaffung einer romaninternen Wirklichkeit noch einen entscheidenden Schritt hinausgeht und damit das traditionelle Schema potenziert, indem er die romaninterne Wirklichkeit ihrerseits in ihrem Status dahingehend textontologisch modifiziert, dass sie zu romaninterner Möglichkeit wird und zwar, indem er den Text im Ganzen in den Modus der Ironie transponiert 498 . Erst dieser zweite Schritt hebt Entweder/ Oder über eine 497 Unwissenschaftliche Nachschrift, p. 258. Der Experimentalcharakter, der sich in der Literarizität der Texte Kierkegaards spiegelt, wird im Übrigen in der Sekundärliteratur nur relativ selten herausgestellt, was angesichts der verbreiteten Vorbehalte, sich auf Kierkegaards Mitteilungsstrukturen wirklich einzulassen, nicht unbedingt überraschen kann. Betont hat die Relevanz des Experiments für das Denken Kierkegaards freilich bereits Anz (vgl. Wilhelm Anz, Kierkegaard und der deutsche Idealismus, Tübingen: Mohr, 1956, p. 9). Auch Lore Hühn (vgl. dies. ‚Ironie und Dialektik’, p. 29) und Fujino haben dies in jüngerer Zeit noch einmal herausgestellt. So konstatiert Fujino: „[D]aß Kierkegaard selbst hier und da von Experiment spricht, kann nicht genug berücksichtigt werden. [...] Er erkennt den Vorteil der experimentellen Schriften darin, daß der Autor einen Gedanken konsequent verfolgen und entwickeln kann, ohne dabei Rücksicht darauf nehmen zu müssen, ob das Resultat dieses Denkexperimentes seiner Person entspricht, mit andern Worten, ob er es wirklich als eigenen Standpunkt vertreten kann“ (Hiroshi Fujino, Kierkegaards ‚Entweder/ Oder‘. Ein ‚Entweder ästhetisch/ Oder existentiell‘, Würzburg: Königshausen & Neumann, 1994, p. 11). 498 Damit nimmt Kierkegaard selbstverständlich frühromantische Textverfahren auf. Dies relativiert sicherlich den von Jürgen H. Petersen für den modernen Roman des 20. Jahrhunderts in Anschlag gebrachten Paradigmenwechsel, insofern bereits hier der Erzähler „das traditionelle Leseverhalten [untergräbt] und damit den Leser in den Entstehungsprozess des Romans mit einbezieht“ (ders., ‚Die Folgen der Moderne: Literarästhetischer, rezeptionsästhetischer und textontologischer Paradigma- 166 ‚normale’ literarische Fiktion hinaus in den Rang dessen, was Kierkegaard selbst als indirekte Mitteilung bezeichnet. An dieser Stelle soll zunächst der Hinweis auf die Bedeutung der indirekten Mitteilung in Bezug auf den Möglichkeitsbegriff ausreichen, insofern aufgrund der besonderen Wichtigkeit der indirekten Mitteilung als methodischem Verfahren auf diesen Aspekt im Zusammenhang mit der Frage nach der Sprache noch einmal vertiefend eingegangen werden soll, wobei besonders die Bedeutung der Ironie in den Fokus rücken wird. Für den vorliegenden Zusammenhang gilt es vor allem festzuhalten, dass eine Analyse des existenzbezogenen Möglichkeitsbegriffs unzureichend ist, wenn dabei der texttheoretische Möglichkeitsbegriff ausgeblendet bleibt, vielmehr ist ersterer auf letzteren methodisch angewiesen. So wird es letztlich erst durch die Textstruktur möglich, sowohl die Möglichkeit als auch die Wirklichkeit als auch das Verhältnis von - textinterner - Möglichkeit und Wirklichkeit zwar zu bestimmen, dabei aber nicht abschließend zu determinieren. Gerade durch diese Nicht-Determinierung wird deutlich, dass es letztlich der literarischen Möglichkeit bedarf, um überhaupt erst zu dieser Konstellation einer Opposition von Möglichkeit und Wirklichkeit gelangen zu können. Wenn also Möglichkeit und Wirklichkeit einander gegenüberstehen, so kann das im Sinne dessen, was kommuniziert werden soll, nur unter dem Primat der Möglichkeit geschehen, insofern nur die Möglichkeit für jene Offenheit bürgen kann, derer es bedarf, um die Entscheidung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit in der Schwebe zu halten. Freilich deutet die Kommunikation des existentiellen Möglichkeitsbegriffs mit demjenigen, der für sein Konzept der indirekten Mitteilung eine zentrale Rolle spielt, an, dass letzterer gleichsam ‚im Dienste’ des ersteren steht, indem er diesen methodisch absichert, dass also, anders gesagt, bei Kierkegaard die Existenz im Vordergrund steht und sich der texttheoretische Möglichkeitsbegriff nur aufgrund jener methodischen Schwierigkeiten ins Spiel bringt, die sich bei dem Versuch ergeben, Existenz auszulegen. Diesen Sachverhalt wird die Gegenüberstel- wechsel - Aus Anlass von Andreas Horns Abhandlung über Literarische Modalität’, in Arcadia , 20/ 3, 1985, pp. 273-289; hier p. 282). In diesem Sinne fällt dem Leser bereits bei Kierkegaard eine zentrale Rolle bei der Sinngebung zu, indem ihm „sozusagen eine konstruierte Welt vor Augen geführt wird, ohne dass ihm gesagt würde, wie er sie verstehen soll“ (ebd., p. 280). In herausragender Weise gilt im Übrigen für Kierkegaards Texte, was Petersen als ein wesentliches Kennzeichen der Moderne ausgemacht hat: „Es kann daher nicht länger um das richtige Verständnis, sondern um die Auflistung möglicher Verständnisse gehen“ (ders., ‚Die ästhetische Inkohärenz der Moderne und ihre Folgen für die Grundlagen literarischer Interpretation’, in Peter Wiesinger (Hg.), Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000. ‚Zeitenwende - Die Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21. Jahrhundert’, Vol. 8: Kanon und Kanonisierung als Probleme der Literaturgeschichtsschreibung, Bern: Peter Lang, 2003, pp. 277-282, hier p. 281). 167 lung von Existenz und Denken, die im Zusammenhang mit der indirekten Mitteilung zentral wird, noch deutlicher zutage treten lassen. Vergleich der Möglichkeitsbegriffe bei Heidegger und bei Kierkegaard Die Analyse der Möglichkeitsbegriffe bei Heidegger und bei Kierkegaard zeigt also zunächst einige bedeutende Gemeinsamkeiten. Festgehalten werden kann diesbezüglich, dass sowohl für Heidegger als auch für Kierkegaard eine grundsätzliche Existenzbezogenheit des Möglichkeitsbegriffs zentral ist. Heidegger wie Kierkegaard geht es darum, die Möglichkeiten des einzelnen existierenden Individuums beziehungsweise des Daseins zu erschließen. Dabei scheint mir die zuvor zitierte Formulierung, die Emil Angehrn in Bezug auf Heidegger verwendet, in ähnlichem Sinne auch für das Vorhaben Kierkegaards zutreffend zu sein, dass es darum gehe, die Existenz auf ihre Möglichkeiten hin zu durchleuchten 499 , weshalb man meines Erachtens durchaus mit einiger Berechtigung auch von der Konzeption des Selbst, die namentlich in Entweder/ Oder und in der Krankheit zum Tode entwickelt wird, als von einem Seinkönnen sprechen kann. Anders als bei Heidegger, der die Konzeption des Daseins als geworfen und sich projizierend explizit entwickelt - und zwar nicht zuletzt aus dem Grunde, dass er gerade in diesem Ansatz, in Bezug auf das Dasein die Möglichkeit der Wirklichkeit überzuordnen, eine wichtige Neuorientierung gegenüber der traditionell konstatierbaren philosophischen Privilegierung der Wirklichkeit erblickt -, findet sich diese Vorstellung eines sich auf Möglichkeiten hin entwerfenden Selbst bei Kierkegaard nicht in dieser Ausdrücklichkeit, enthüllt sich aber sowohl im Hinblick auf Entweder/ Oder als auch auf die Krankheit zum Tode. So werden in Entweder/ Oder mit der ästhetischen und der ethischen Lebensanschauung als einander ausschließenden Existenzweisen zwei je dem Existierenden offen stehende Möglichkeiten präsentiert. Was sich hier andeutet, verdichtet sich beim Blick auf die Bestimmung des Selbst in der Krankheit zum Tode als ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält. Damit wird das Selbst als Vollzug bestimmt und erscheint mithin unter dem Begriff des Werdens, das heißt einer Unabgeschlossenheit, in der der Existierende sich fortgesetzt neu als eben dieses Verhältnis zu bestimmen hat. Vor diesem Hintergrund ist auch die Entscheidung zwischen dem ‚Entweder’ und dem ‚Oder’, sofern man sich hier einmal auf diese Gegenüberstellung konzentrieren will, trotzt der möglicherweise missverständlichen Begrifflichkeit einer absoluten Wahl 500 , nicht im Sinne einer einmaligen und definitiven Wahl zu begreifen, in der das 499 Vgl. Emil Angehrn, Interpretation und Dekonstruktion, p. 23 und p. 139 dieser Arbeit. 500 Vgl. zur Kritik am Begriff der absoluten Wahl bei Kierkegaard Figal, Phänomenologie der Freiheit, pp. 251ff. 168 Selbst sich als Selbst ergreift und sich dann ‚hat’, sondern der Mensch muss sich ununterbrochen neu auf diese Möglichkeiten hin entwerfen, die sich in der Gegenüberstellung von ästhetischer und ethischer Existenz als der von Möglichkeit und Wirklichkeit zeigen. Der Vollzugscharakter des Selbst wird in der Krankheit zum Tode dann noch deutlicher dadurch, dass Anti- Climacus das Nicht-verzweifelt-sein - welches gleichgesetzt werden kann mit dem Glauben - bestimmt als das stete Zunichtemachen der Möglichkeit verzweifelt sein zu können. Sehr treffend sagt deshalb Figal, dass „das Gleichgewicht und die Ruhe des Glaubens […] keineswegs stabil [sind]“ 501 . Auffällig ist nun - wenn man auch bei Kierkegaard in diesem Sinne von der Konzeption der Existenz als eines Seinkönnens ausgeht -, dass in Entweder/ Oder die Projektion dieses Seinkönnens auf unterschiedliche Arten von Möglichkeit gerichtet sein kann. Wie gezeigt ist die ästhetische Existenz als Möglichkeit bestimmt, jedoch, wie der Ethiker deutlich macht, handelt es sich bei den Möglichkeiten, auf die hin der Ästhetiker sich orientiert, um endliche Möglichkeiten, die in ihrer Indifferenz letztlich Langeweile hervorrufen. Eine solche auf endliche Möglichkeiten ausgerichtete Existenz sei aber im Grunde Verzweiflung. Daraus leitete der Ethiker das Postulat ab, der Ästhetiker müsse seine eigene Persönlichkeit in ihrer ewigen Gültigkeit ergreifen und mithin in einer absoluten Wahl das Ethische wählen. Damit aber kommt nun ein neuer Möglichkeitsbegriff ins Spiel, der dann in der Krankheit zum Tode explizit als jene unendliche Möglichkeit introduiert wird, dass alles möglich ist für Gott. Die immanente Möglichkeit, die im ästhetischen Stadium verantwortlich ist für Verlorenheit und Verzweiflung, wird mithin ersetzt durch eine transzendente Möglichkeit, die den Existierenden in Beziehung setzt zur Ewigkeit. Nur die Möglichkeit Gottes als ultimative Möglichkeit vermag aus der Verzweiflung zu befreien. Wenn aber das Selbst sich derart in Beziehung auf die ewige Möglichkeit Gottes hin entworfen hat, dann, so hatte sich gezeigt, verändern sich auch die endlichen Möglichkeiten, die der Grund für die Verzweiflung waren. Vor dem Hintergrund der unendlichen Möglichkeit erschließen sich die endlichen Möglichkeiten nun vor einem ganzheitlichen Sinnhorizont und werden damit aus ihrer Indifferenz herausgeführt. Die Anbindung an die Ewigkeit stellt jenes Differenzkriterium zur Verfügung, das dem Ästhetiker bei seinem Zugriff auf die unzähligen gleichgültigen endlichen Möglichkeiten gefehlt hatte. Durch die Wahl seiner selbst in seiner ewigen Gültigkeit kehren die immanenten Möglichkeiten, wie der Ethiker sagte, „verklärt“ wieder. Alles ist gleich und doch anders, denn die Möglichkeiten zeigen sich nun mir selbst als mir selbst, insofern ich mich in meiner ewigen Gültigkeit ergriffen habe. Dieserart gefasst fällt natürlich die übergroße Ähnlichkeit auf zum Möglichkeitsbegriff bei Heidegger. Im Grunde findet sich die gesamte 501 Figal, ‚Verzweiflung und Uneigentlichkeit’, p. 142. 169 Struktur der Erschließung der existenzbezogenen Möglichkeiten, wie sie durch Entweder/ Oder und die Krankheit zum Tode entfaltet wird, hier wieder. Es war bereits darauf hingewiesen worden, dass das ästhetische Stadium und die Uneigentlichkeit gewisse Ähnlichkeiten aufweisen und jeweils als das ontisch Erste zu denken sind. Der Ästhetiker entwirft sich wie das Heideggersche Dasein immer schon hin auf Möglichkeiten, die freilich beliebig sich „andrängen“ wie Heidegger es ausdrückte 502 . In Bezug auf diese sich indifferent andrängenden Möglichkeiten sprach Heidegger auch von „wahlfreien Möglichkeiten“ 503 , das heißt von Möglichkeiten, für die ich mich in einem eigentlichen Sinne überhaupt nicht entscheide, sondern die aus der „Nivellierung der Daseinsmöglichkeiten auf das alltäglich zunächst Verfügbare“ 504 heraus in den Blick treten. Das deutet im Wesentlichen auf das gleiche hin, wie wenn der Ethiker erklärt, dass das Entweder- Oder des Ästhetikers im Grunde nicht als Wahl zu bezeichnen sei, dass dieser vielmehr nur in einem „uneigentlichen Sinne“ 505 wähle. Sowohl in der Opposition von Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit als auch in der Gegenüberstellung von Verzweiflung und der Möglichkeit nicht verzweifelt zu sein, findet sich mithin jeweils ein doppelter Möglichkeitsbegriff, was erkennbar wird, wenn Heidegger von einem Verfallen an immer schon verfügbare Möglichkeiten im Sinne einer „Abblendung des Möglichen als solchen“ 506 , das heißt einer Ausblendung der eigentlichen Möglichkeiten, spricht. Der Blick auf die beliebigen Möglichkeiten verstellt also den möglichen Blick auf die mir je eigenen Möglichkeiten. Umgekehrt gilt, dass die Erschlossenheit des Daseins, wie sie in Sein und Zeit über das Vorlaufen zum eigenen Tod gelingen soll, jene unhintergehbare Möglichkeit bereitstellt, vor deren Hintergrund sich die Möglichkeiten des Daseins als die ihm je eigenen zeitigen. Damit wird das Vorlaufen zum Tode im gleichen Sinne zu jenem entscheidenden Diskriminationkriterium, das es erlaubt, aus den willkürlichen Möglichkeiten je eigene zu machen, wie dies im zweiten Teil von Entweder/ Oder durch die Anbindung an die Möglichkeit Gottes geschieht 507 . 502 Vgl. Sein und Zeit, p. 264 und p. 139 dieser Arbeit. 503 Sein und Zeit, p. 194. 504 Sein und Zeit, p. 194. 505 Entweder/ Oder, p. 715. 506 Sein und Zeit, pp. 194f. 507 Hier deutet sich im Übrigen auch noch eine weitere Gemeinsamkeit an. So zeigt der Ethiker, dass die Existenz erst durch diese Anbindung an die Ewigkeit Gottes als sinnhaftes Ganzes verstehbar wird, insofern erst die Anbindung an die Ewigkeit der Zeitlichkeit Bedeutung verleiht. In ähnlicher Weise ist Heidegger bemüht, für seine ontologische Untersuchung zur möglichen Ganzheit des Daseins vorzudringen, vor deren Hintergrund sich für ihn überhaupt erst die Erschließbarkeit des Daseins als Eigentlichkeit ergibt. 170 Dabei scheint es nun so zu sein, dass auch im Verständnis Heideggers jene Möglichkeiten, die sich dem Dasein in seiner Uneigentlichkeit andrängen und jene, die das Dasein als die ihm je eigenen in der Erschlossenheit seines Daseins entdeckt, im Wesentlichen die gleichen sein können beziehungsweise die gleichen sind. Was sich jedoch ändert, ist der Sinnhorizont, innerhalb dessen sie als Möglichkeiten sich dem Dasein zeitigen. Wie gezeigt hatte der Ethiker darauf hingewiesen, dass nach der absoluten Wahl die endlichen Möglichkeiten wiederkehren, jedoch verklärt. Bei Heidegger unterscheiden sich die Möglichkeiten auf Grund der Art und Weise der Erschlossenheit, wobei diese Differenz, genauso wie jene, die durch die Verklärung sich ereignet, ‚von außen’ nicht einsehbar ist - Heidegger betont dies auch ausdrücklich, wenn er sagt, dass im „alltäglichen Miteinandersein […] bald nicht mehr entscheidbar [ist], was in echtem Verstehen erschlossen ist und was nicht“ 508 , das heißt, dass es für den Anderen unmöglich ist eindeutig zu erkennen, ob die je erschlossenen Möglichkeiten als eigentliche oder als uneigentliche erschlossen wurden. Auch die Bestimmung des Augenblicks als eine „Entrückung des Daseins an das, was in der Situation an besorgbaren Möglichkeiten, Umständen begegnet“ 509 , zeigt, dass es sich um eine nicht sichtbar zu machende Differenz handelt, womit, wie Margot Fleischer es auf den Punkt bringt, in diesem Sinne „die Grenze zwischen Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit […] durchlässig“ 510 ist. Dies bestätigt sich, wie im folgenden Kapitel nochgenauer zu zeigen sein wird, auch insofern als sich diese Durchlässigkeit beziehungsweise Unentscheidbarkeit auch sprachlich als Problem erweist, das heißt im Grunde nicht kommunizierbar ist, da für die Sprache letztlich das gleiche gilt wie für die Möglichkeiten: sie unterscheidet sich im Modus der Unei- 508 Sein und Zeit, p. 173. Es findet sich übrigens im Begriff Angst eine mit der oben zitierten Stellungnahme Heideggers zur Unentscheidbarkeit von Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit korrespondierende Bemerkung, und zwar im Zusammenhang mit der Bestimmung des Menschen als Geist und der Unentscheidbarkeit, ob etwas Gesagtes gesagt ist von jemandem, der sich selbst als Geist bestimmt oder von jemandem, der durch Geistlosigkeit gekennzeichnet ist: „Wenn man daher Geistlosigkeit darstellen soll, legt man ihr gerne schlecht und recht Geschwätz in den Mund, weil man nicht den Mut hat, sie die gleichen Worte brauchen zu lassen, die man selbst braucht. Das ist Unsicherheit. Die Geistlosigkeit kann ganz und gar das Gleiche sagen, was der reichste Geist gesagt hat, nur sagt sie es nicht in Kraft des Geistes. Als geistlos bestimmt ist der Mensch eine Sprechmaschine geworden, und es steht dem nichts im Wege, daß er ebenso gut einen philosophischen Schwulst auswendig lernen kann, wie ein Glaubensbekenntnis und ein politisches Rezitativ“ (Begriff Angst, p. 277; meine Hervorhebung). 509 Sein und Zeit, p. 338. 510 Margot Fleischer, Die Zeitanalysen in Heideggers ‚Sein und Zeit’. Aporien, Probleme und ein Ausblick, Würzburg: Königshausen und Neumann, 1991, p. 55. 171 gentlichkeit nicht von der im Modus der Eigentlichkeit, jedoch liegt die Differenz in dem Bezug zum Gesagten 511 . Die beliebigen Möglichkeiten verändert sich also, ohne sich zu verändern dadurch, dass sie in den Horizont einer ureigensten Möglichkeit gestellt werden, in den der Möglichkeit Gottes in Entweder/ Oder und in den des eigentlichen Seinkönnens im Sein zum Tode bei Heidegger, der deshalb auch sagen kann, dass durch das Vorlaufen „die faktischen Möglichkeiten, die der unüberholbaren vorgelagert sind, allererst eigentlich“ 512 verstanden und gewählt werden können. Was dabei natürlich auffällig ist, ist die Tatsache, dass durch diese Bezüglichkeit auf eine ultimative Möglichkeit in beiden Fällen das Verhältnis des Daseins zur Zeit modifiziert wird. So zeichnet sich die Verzweiflung des Ästhetikers dadurch aus, dass er die ihm offen stehenden Möglichkeiten als endliche Möglichkeiten erblickt, die in ihrer Bedeutung als endliche vor dem Hintergrund der Unendlichkeit des Nichts indifferent werden. Das Postulat Bs ist nun, dass sich der Ästhetiker in seiner ewigen Gültigkeit zu wählen habe, womit er zunächst von den endlichen Möglichkeiten auf die unendliche Möglichkeit Gottes verwiesen wird. Dass nun aber die endlichen Möglichkeiten in verklärter Form zurückkehren, das erhellt sich, wenn die Reflexionen des Vigilius Haufniensis zum Augenblick hinzugezogen werden. Denn in Haufniensis’ Bestimmung des Augenblicks hatte sich gezeigt, dass es ohne Ewigkeit keine Gegenwart gibt. Erst indem sich der Mensch in ein Verhältnis zur Ewigkeit setzt, ‚entsteht’ in einem eigentlichen Sinne eine bedeutungsvolle Zeitlichkeit. Heidegger betont in vergleichbarer Weise für die Unterscheidung von Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit, dass sich für diese beiden Modi je die Zeitigung der Zeit fundamental unterscheide. Interessant dabei ist, dass dies in beiden Fällen, das heißt sowohl für die ästhetische Existenz wie für die Uneigentlichkeit, darauf hinausläuft, dass 511 In diesem Sinne kommentiert Figal „Einem ausgesprochenen Satz ist nicht ohne weiteres anzusehen, ob er von Anderen übernommen wurde und ein Nachreden ist oder ein echtes, aus dem Verstehen gewonnenes Projekt zum Ausdruck bringt“ (ders., Phänomenologie der Freiheit, p. 180). Die Schwierigkeit der sprachlichen Einholbarkeit spiegelt sich auch in der von Heidegger vorgenommenen doppelten Verwendung des Begriffes Welt, bei der er zu dem Hilfsmittel greift, denselben Begriff einmal mit und einmal ohne Anführungszeichen zu verwenden: „Welt als das Worin des In- Seins und ‚Welt’ als innerweltliches Seiendes, das Wobei des besorgenden Aufgehens, sind zusammengeworfen beziehungsweise gar nicht erst unterschieden“, schreibt Heidegger in Sein und Zeit (p. 202) und versucht damit, den ontologischen Begriff von Welt zu scheiden von einem Welt-Begriff im Zusammenhang mit dem Verfallen (vgl. Sein und Zeit, p. 221: „Zunächst und zumeist ist das Dasein an seine ‚Welt’ verloren“). Freilich weist Müller-Lauter darauf hin, dass Heidegger selbst diese Differenz bisweilen überspringt (ders., Möglichkeit und Wirklichkeit, p. 71). Zugleich kann dieser Behelf die Schwierigkeit auch nicht wirklich umgehen, sondern nur ins Bewusstsein rücken. 512 Sein und Zeit, p. 264. 172 dem Präsentischen als dem ‚Jetzt’ die primordiale Rolle zufällt. Heidegger begründet dies vor dem Hintergrund seiner Deutung der Uneigentlichkeit als „Flucht des Daseins vor seiner eigentlichen Existenz“ 513 : „Die uneigentliche Zeitlichkeit des verfallend-alltäglichen Daseins muß als solches Wegsehen von der Endlichkeit die eigentliche Zukünftigkeit und damit die Zeitlichkeit überhaupt verkennen.“ 514 Insofern das Dasein in der Verfallenheit an das Man sich nicht auf seine unhintergehbare Möglichkeit hin entwirft und ihm damit der eigentliche Zeitlichkeitscharakter seines Daseins verborgen bleibt, entwirft es sich hin auf „Vorhandenes“: Das alltägliche, sich Zeit nehmende Dasein findet die Zeit zunächst vor an dem innerweltlich begegnenden Zuhandenen und Vorhandenen. Die so ‚erfahrene’ Zeit versteht es im Horizont des nächsten Seinsverständnisses, das heißt selbst als ein irgendwie Vorhandenes. 515 Die Zeit wird also der Auslegung der Vorhandenheit entsprechend interpretiert und damit auf das präsentische Jetzt ‚festgeschrieben’: Die Jetzt sind gleichsam um diese Bezüge [der ekstatisch-horizontalen Verfassung der Zeitlichkeit; S.H.] beschnitten und reihen sich als so beschnittene aneinander lediglich an, um das Nacheinander auszumachen. 516 Auch für die ästhetische Existenz konnte ja konstatiert werden, dass es sich um eine präsentische handelt, orientiert am Genuss im Augenblick. Freilich unterscheiden sich wiederum die Begründungszusammenhänge. Während Heidegger die Konzentration auf das Gegenwärtige als ein Verfallen deutet, in dem das Dasein gleichsam wegsieht von seinem Sein als Sein zum Tode, ist die Bindung des Ästhetischen an das Präsentische bei Kierkegaard in gewissem Sinne doppelt begründet; zunächst insofern das ästhetische Stadium als Unmittelbarkeit zu begreifen ist, in dieser Unmittelbarkeit aber der Geist noch nicht zum Durchbruch gekommen ist. Mithin ist das Leben im Augenblick, die Ausrichtung am Sinnlichen hier analog zu Haufniensis’ Bestimmung der Natur, das heißt, dass für den im Ästhetischen Existierenden die Zeitlichkeit (noch) keine Bedeutung hat 517 . Daneben kommt die Anbindung an das Präsentische aber auch in einem weite- 513 Sein und Zeit, p. 424. 514 Sein und Zeit, p. 424. 515 Sein und Zeit, p. 405. 516 Sein und Zeit, p. 422. 517 Dass das Ästhetische in der Tat an die Natur heranzurücken ist, zeigt aus anderer Perspektive auch Anti-Climacus, wenn er das Betenkönnen als Ausdruck des Menschlichen und damit des Geistigen bestimmt: „Daß Gottes Wille das Mögliche ist, es macht, daß ich beten kann; ist er bloß das Notwendige, so ist der Mensch wesentlich ebenso ohne Rede wie das Tier“ (Krankheit zum Tode, p. 426). Das Betenkönnen ist Ausdruck der Freiheit und die Freiheit ihrerseits Ausdruck des Geist-Seins des Menschen. 173 ren Sinne ins Spiel, dann nämlich, wenn die Reflexion aufbricht. An diesem Punkt wird der Verbleib im Ästhetischen paradox, da der Mensch dann nicht mehr durch Unmittelbarkeit bestimmt ist, sondern als reflektiert im Stadium der Unmittelbarkeit - und damit im Präsentischen - zu verbleiben trachtet. Erst wenn der Mensch als Geist bestimmt ist, wird die Zeitlichkeit relevant, insofern sich erst jetzt das Problem der Selbst-Setzung stellt, das zugleich bedeutet, sich zu seiner Zeitlichkeit zu verhalten, beziehungsweise zu der Synthesestruktur, die das Selbst darstellt, das heißt der Synthese aus Zeitlichkeit und Ewigkeit. Die Ausführungen des Vigilius Haufniensis erhellen nun auch das Problem der Langeweile, wenn man diese vor dem Hintergrund der Herleitung des eigentlichen Augenblicks betrachtet, wie sie im Begriff Angst erfolgt. Während für die Unmittelbarkeit die Zeitlichkeit noch keine Bedeutung hat, gilt dies für den reflektierten Ästhetiker nicht mehr. Dennoch hält er am uneigentlichen Augenblick fest, das heißt an der Sinnlichkeit. Insofern er nun aber Geist ist und die Zeitlichkeit für ihn relevant, geht er der Gegenwart verlustig, da diese sich nicht aus der Zeit heraus bestimmen lässt. Die Langeweile, die für die ästhetische Existenz kennzeichnend ist, könnte mithin verstanden werden als Stimmung, die verursacht ist durch die sich entziehende Gegenwart im Sinne eines „unendlich inhaltsleeren Nichts“ 518 , in welchem „kein Moment ein gegenwärtiger“ ist und mithin „weder ein Gegenwärtiges, noch ein Vergangenes, noch ein Zukünftiges“ 519 . Der Augenblick des Ästhetikers ist mithin genau das, was Karl Heinz Bohrer als „negative[n] Augenblick“ 520 beschreibt. Ein ‚eigentliches’ Verhältnis zur Zeitlichkeit und damit den eigentlichen, das heißt positiven Augenblick, erhält der Mensch erst, wenn er die Zeitlichkeit aus der Ewigkeit heraus begreift. Tut er dies nicht, richtet er sich am Augenblick im Sinne einer Gegenwart aus, die im Grunde leer bleibt, weshalb Haufniensis diese auch als „die Parodie auf das Ewige“ 521 bezeichnet. Die Möglichkeiten, die hier in den Blick treten, sind als endliche Möglichkeiten vor diesem Hintergrund zu sehen und eben ‚nichtig’, insofern und solange sie aus einem innerzeitlichen Verständnis der Zeit, das heißt im Grunde gerade nicht begriffen werden. Erst wenn die Zeitlichkeit aus der Ewigkeit heraus erschlossen wird, erhält die Gegenwart im eigentlichen Sinne Gegenwart und damit kann dann auch von Vergangenem und Zukünftigem gesprochen werden, wenn nämlich die drei Dimensionen der Zeit mehr sein sollen als jenes „unendlich inhaltsleere[…] Verschwinden“ 522 . Der unterschiedliche Begründungszusammenhang der Gegenwartsbezogenheit der Uneigentlichkeit und des ästhetischen Stadiums entspricht 518 Begriff Angst, p. 267. 519 Begriff Angst, p. 267. 520 Bohrer, Ästhetische Negativität, p. 24 (Hervorhebung K.H.B.). 521 Begriff Angst, p. 267. 522 Begriff Angst, p. 267. 174 dabei der bereits herausgearbeiteten Differenz, dass anders als die Eigentlichkeit weder das ethische noch das religiöse Stadium als das ontologisch Erste bestimmbar ist. So ist für Heidegger die Uneigentlichkeit als ein distinkter Modus der Erschlossenheit im Kontext der Möglichkeitsproblematik durch die Flucht vor der eigentlichen Existenz zu erklären. Das Dasein entwirft sich nicht im Hinblick auf jene unhintergehbare Möglichkeit, die der Tod darstellt und welche abgeblendet wird: „Die durchschnittliche Alltäglichkeit des Besorgens wird möglichkeitsblind und beruhigt sich bei dem nur ‚Wirklichen’.“ 523 Das Dasein verfällt dem alltäglichen Besorgen und muss sich aus diesem ‚zurückholen’, um seine eigensten Möglichkeiten in den Blick zu bekommen. Umgekehrt wird die ästhetische Existenz nicht an die Wirklichkeit gebunden, sondern gerade an den Begriff der Möglichkeit. Freilich bedeutet der Begriff der Möglichkeit hier etwas anderes - nämlich den Bezug auf jene beliebig sich andrängenden endlichen Möglichkeiten, die gerade nicht im Sinne Heideggers als die je meinen verstanden werden können. Die Gegenwartsbezogenheit des Ästhetikers gründet hier in der noch ausstehenden Selbstbegründung als Synthese von Zeitlichkeit und Ewigkeit. Dabei scheint im Grunde sowohl die Nähe der Uneigentlichkeit zur Wirklichkeit und der Eigentlichkeit zur Möglichkeit als auch die Nähe des Ästhetikers zur Möglichkeit und des Ethikers zur Wirklichkeit ambivalent, insofern in beiden Fällen die Existenz als ein Sich- Entwerfen hin auf Möglichkeiten zu begreifen ist, jedoch sich die Art des Entwurfes unterscheidet wie auch die Erschließungsart des Möglichen. Im Ergebnis zeigen sich trotz der beschriebenen Differenzen einige grundlegende Parallelen zwischen Heidegger und Kierkegaard, insbesondere in der aufschlussreichen Beziehung der Möglichkeit zur Zeitlichkeit, insofern sich hier wie da eine Zukunftsorientierung des Daseins offenbart. Das Verhältnis zu Zeitlichkeit ist das entscheidende Kriterium dafür, wie sich die Möglichkeit zeitigt und wird manifest im Unterschied zwischen innerzeitlichen beliebigen Möglichkeiten und eigentlichen Möglichkeiten, die sich durch eine andere Art der Erschließung auszeichnen. Ein Aspekt ist bislang freilich im Herausarbeiten dieser Parallelen und Unterschiede noch völlig ausgeblendet worden und zwar die Anbindung an den Möglichkeitsbegriff als texttheoretische Kategorie. Hier konnte gezeigt werden, dass diese Verknüpfung bei Sören Kierkegaard von großer Bedeutung ist und gerade in Entweder/ Oder eine sinnkonstitutive Rolle spielt. Bei Heidegger hingegen scheint die formale Frage nach der sprachlichen Einholung einer möglichkeitsbasierten Existenzauffassung nicht gestellt zu werden. Lediglich ein allgemeiner methodischer Hinweis darauf findet sich, dass 523 Sein und Zeit, p. 195. Freilich ist die Assoziierung des Verfallens mit der Wirklichkeit nicht unproblematisch, wie Müller-Lauter am Beispiel der Neugier gezeigt hat, die bei Heidegger als das Verfallensphänomen par excellence erscheint (vgl. ders., Möglichkeit und Wirklichkeit, pp. 74ff.). 175 die ontologisch Untersuchung „eine mögliche Art von Auslegung“ 524 sei, wohingegen bei Kierkegaard die Form der Darstellung implizit Teil der philosophischen Methode wird. Besonders bemerkenswert war in diesem Zusammengang, dass das Schema einer Einteilung in Möglichkeit und Wirklichkeit als Kategorien der Existenz, das heißt, die Gegenüberstellung einer ästhetisch-unverbindlichen und einer ethisch-verbindliche Lebensanschauung 525 bereits im und durch das Vorwort, das zentral ist für die Fiktionalisierung des Textes, unterlaufen wird, insofern dieses dafür sorgt, dass die Differenzierung in Möglichkeit und Wirklichkeit ihrerseits dem Möglichsein unterworfen wird und damit keinen affirmativen Charakter erlangt, sondern gleichsam ‚versuchsweise’ eingeführt wird. In Bezug auf die leitende Fragestellung nach literarischen und philosophischen Verfahren erscheint besonders relevant, dass Kierkegaard durch die Schaffung eines literarischen Möglichkeitsraums Möglichkeit als Kategorie letztlich nicht ausschließlich und vielleicht nicht einmal in erster Linie konzeptuell entwickelt als vielmehr literarisch in der Einbettung reflexiver und theoretischer Erörterungen in einen Möglichkeitsrahmen, der aufgrund der Literarizität in starkem Maße virtuell bleibt. Der Vorteil des Kierkegaardschen Verfahrens ist mithin doppelt: zum einen verhindert der narrative Möglichkeitsmodus eine einseitige Auflösung der sinnkonstitutiven Ambivalenz des Möglichkeitsbegriffs und zum anderen erlaubt er, Möglichkeiten der Existenz zu veranschaulichen beziehungsweise durchzuexerzieren 526 , dabei aber durch den literarischen Rahmen einer nicht ausweisbaren normativen Festlegung bezüglich dieser Möglichkeiten zu entgehen. Heideggers Darstellung begnügt sich diesbezüglich mit dem methodischen Hinweis möglicher Auslegung, läuft dabei aber immer Ge- 524 Sein und Zeit, p. 231. 525 Ansätze für eine solche Gegenüberstellung von Möglichkeit und Wirklichkeit finden sich im Übrigen bereits im Begriff Ironie, wo Kierkegaard den Ironiker explizit mit der Möglichkeit in Verbindung bringt, da er als Ironiker „fortwährend in Widerstreit mit der Wirklichkeit [gerät], der er zugehört. […] Alles in der gegebenen Wirklichkeit Bestehende hat für den Ironiker lediglich poetische Giltigkeit; denn er lebt ja poetisch. Wenn nun aber die gegebene Wirklichkeit dergestalt für den Ironiker ihre Giltigkeit verliert, so liegt dies nicht daran, daß sie eine überlebte Wirklichkeit wäre, die von einer wahreren abgelöst werden muß, sondern daran, daß de[m] Ironiker […] keine Wirklichkeit die angemessene ist” (Begriff Ironie, p. 289). Hier fehlt aufgrund des Erkenntnisinteresses der Arbeit freilich noch eine genauere Ausarbeitung des Gegenpols der Möglichkeit, wie sie dann der Ethiker in Entweder/ Oder entwickelt. 526 Freilich nicht, wie Adorno es möchte, als „Illustrationen seiner philosophischen Kategorien, die sie fibelhaft verdeutlichen, ehe sie begrifflich zureichend artikuliert sind“ (ders., Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen, Gesammelte Schriften 2, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, pp. 14f.), sondern die Illustration ist gerade der Tatsache geschuldet, dass eine begriffliche Artikulation in zufriedenstellender Weise gerade nicht möglich ist. 176 fahr, in einen normativen Sprachgestus zu fallen 527 . Vor allem aber bleibt seine Konstruktion der Existenz als Seinkönnen im Vergleich zu den literarisch Existenz illustrierenden Ausführungen As und Bs abstrakt. Hier scheint mir auch möglicherweise die wiederkehrende Kritik an einem Heideggerschen Dezisionismus, ihren Ort zu haben 528 . „Existenz besagt Seinkönnen - aber auch eigentliches“ 529 , dies bleibt mithin eine rein formale Bestimmung, während in Entweder/ Oder Seinkönnen illustriert wird, ohne damit der philosophischen Dimension des existenzbezogenen Möglichkeitsbegriffes verlustig zu gehen. Die Art der sprachlichen Einholung scheint hier bei Kierkegaard wie eine Absicherung des Möglichkeitsdiskurses in einer Methode zu fungieren, die literarästhetisch Form und Inhalt in besonderer Weise aneinander bindet und so die Möglichkeit als existenzielle konkret werden lässt. Diese Beobachtungen sollen im Folgenden dadurch ergänzt werden, dass die Sprachauffassungen Heideggers und Kierkegaards in den Blick genommen werden, um zu überprüfen, ob und gegebenenfalls wie diese Unterschiede auch aus dieser Perspektive abgesichert werden können. 2. Philosophie und Sprache bei Heidegger und bei Kierkegaard - Ein Vergleich im Hinblick auf die Grundproblematik der philosophischen Methode Eigentlichkeit und Sprache: Martin Heideggers Konzeption eigentlicher Rede Wenn hier nun die Sprachauffassung Heideggers genauer betrachtet werden soll, dann geht es nicht um eine möglichst vollständige Rekonstruktion des überaus komplexen Heideggerschen Sprachbegriffs 530 , vielmehr soll 527 Erinnert sei an die Feststellung Tugendhats, dass der „normative Charakter“ von Heideggers Ausführungen „offenkundig“ sei (ders., ‚Heideggers ‚Man’ und die Tiefendimensionen der Gründe’, p. 77; vgl. die Anmerkung 397 auf p. 132 dieser Arbeit). 528 Vgl. Anmerkung 396 auf p. 132 dieser Arbeit. Auch wenn selbstverständlich Adorno den dezisionistischen Charakter bei Heidegger gerade auf Kierkegaard zurückführt: „Nicht umsonst ist bei Kierkegaard, dem Urvater aller Existenzialphilosophie, richtiges Leben definiert durch Entscheidung schlechthin“ (ders., Jargon der Eigentlichkeit, pp. 498f.). 529 Sein und Zeit, p. 233. 530 Vgl. ausführlich zum Sprachbegriff Heideggers Michael Steinmann, Die Offenheit des Sinns: Untersuchungen zu Sprache und Logik bei Martin Heidegger, Tübingen: Mohr Siebeck, 2008; Alfred W. E. Hübner, Existenz und Sprache. Überlegungen zur hermeneutischen Sprachauffassung von Martin Heidegger und Hans Lipps, Berlin: Duncker und Humblot, 2001; Cristina Lafont, Sprache und Welterschließung. Zur linguistischen Wende der Hermeneutik Heideggers, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994; Manfred Riedel, Hören auf die Sprache. Die akroamatische Dimension der Hermeneutik, Frankfurt am Main: 177 die Frage im Mittelpunkt stehen, ob und inwieweit Heideggers Verständnis von Sprache Anhaltspunkte bietet für eine besondere Verbindung der formalen Gestaltung und des Inhalts in Bezug auf die Grundbegriffe der Metaphysik. In diesem Zusammenhang versprechen vor allem die Ausführungen Heideggers im fünfen Kapitel des ersten Abschnitts von Sein und Zeit hilfreich zu sein 531 , wo Heidegger die Problematik des In-der-Weltseins in Verbindung bringt mit der Sprachlichkeit, insofern die dortige Anbindung der Sprache an das Problem von Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit in den Grundbegriffen indirekt wieder eine Rolle spielen wird, wenn es darum geht zu erklären, was unter eigentlichem Philosophieren beziehungsweise „eigentlicher Philosophie“ 532 zu verstehen ist. Darüber hinaus soll zumindest umrissartig die wachsende Bedeutung beleuchtet werden, welche der Dichtung in Heideggers Denken zunehmend zukommen wird. Freilich, soviel kann bereits vorweg genommen werden, bieten diese im Grunde keine direkte Anschlussmöglichkeit für die im Raum stehende Frage nach dem Verhältnis von Form und Inhalt in den Grundbegriffen 533 . Die Antwort auf die Frage, inwieweit sprachliche Form und Inhalt in den Grundbegriffen aufeinander verweisen, wird helfen zu erklären, warum bei Heidegger, anders als dies im Anschluss bei Kierkegaard der Fall sein wird, wo die Unhintergehbarkeit einer Reflexion auf die Darstellungsform recht unmittelbar ins Auge springt, das Problem der Form zwar in einem Sinne wichtig ist, sich aber andererseits weniger aufdrängt. Auf den ersten Blick auffallend ist zunächst einmal nur, dass Heidegger generell in den Grundbegriffen und insbesondere in der Analyse der Langeweile häufig auf Suhrkamp, 1990; Gerald L. Bruns, Heidegger’s estrangements. Language, truth, and poetry in the later writings, New Haven: Yale University Press, 1989; Hermann Schweppenhäuser, Studien über die Heideggersche Sprachtheorie, München: Text & Kritik, 1988; Hans Jäger, Heidegger und die Sprache, Bern: Francke, 1971. 531 Vgl. Sein und Zeit, pp. 130ff. 532 Grundbegriffe, p. 85. 533 Was selbstverständlich nicht bedeutet, dass die Überlegungen Heideggers in Sein und Zeit nicht bereits auf das spätere Sprachverständnis vorauswiesen (vgl. Anz, ‚Die Stellung der Sprache bei Heidegger’, p. 308). Es ist im Übrigen interessant, dass trotz der herausragenden Rolle, die die Sprache bei Heidegger zunehmend spielen wird, seine Auseinandersetzung mit der Sprache zu keiner Zeit den Charakter einer systematischen Untersuchung annimmt (vgl. A. W. E. Hübner, Existenz und Sprache, p. 16). Wenn die Reflexionen zur Sprache im späteren Werk Heideggers einen immer breiteren Raum einnehmen und sich auch die Sprachauffassung deutlich wandelt, dann schlägt sich dies selbstverständlich auch deutlich darin nieder, dass seine eigene Sprache sich verändert, die, wenn man Heidegger folgen möchte, in der Verwendung eines besonderen Vokabulars in fortwährenden Reiterationen ein vordringen zum Wesen der Sprache ermöglichen soll beziehungsweise, wenn man den Kritikern folgen möchte, immer abseitiger wird (vgl. etwa die polemische Kritik an den Vorlesungen des späten Heidegger von Benno Hübner, Die Nacht des Seins: vierzig Jahre Denken, um nur noch schwarz zu sehen: Martin Heidegger, Wien: Passagen Verlag, 2007 und ders., Martin Heidegger - ein Seyns-Verrückter, Wien: Passagen-Verlag, 2008). 178 die Frageform zurückgreift und zum anderen, dass er, anders als Kierkegaard in Entweder/ Oder - und hierin liegt sicherlich bereits ein ganz wesentlicher Unterschied -, sein methodisches Vorgehen wiederholt nachdrücklich explizit macht, während es umgekehrt, wie sich bereits andeutungsweise gezeigt hatte und worauf im Anschluss genauer einzugehen sein wird, ein ganz zentrales Kennzeichen der Kierkegaardschen Methode ist, dass diese sich weitgehend implizit entfaltet. Auf zwei Aspekte in Heideggers Bemühen, sein Vorgehen explizit zu machen, soll hier eingegangen werden, insofern sie Aufschluss über die formale Gestaltung zu geben vermögen. Das ist zum einen die Bestimmung der Stellung der Philosophie im Verhältnis zu den Wissenschaften, und das ist zum anderen seine Betonung dessen, was er unter „eigentlichem Philosophieren“ versteht, wobei diese beiden Bereiche selbstverständlich bis zu einem gewissen Grade ineinander spielen. In beiden Fällen wird wiederum der Begriff der „Zweideutigkeit“ 534 eine wichtige Rolle spielen, der seinerseits wiederum Heideggers Neigung zur Frageform zu illustrieren hilft. Philosophie und Wissenschaft Die Herausarbeitung der besonderen Stellung der Philosophie im Vergleich zu den Wissenschaften ist insofern von entscheidender Bedeutung, als sie Heidegger als Fundament zur Legitimierung seines methodischen Vorgehens dient. Wie die einleitende Vorbetrachtung, die Heidegger der Entfaltung des Langeweilebegriffs und anschließend der Grundbegriffe der Metaphysik voranstellt, deutlich macht, geht es ihm darum, die Philosophie als von den Wissenschaften grundlegend verschieden zu erweisen. In Abgrenzung zur philosophischen Tradition möchte Heidegger eine Sichtweise plausibilisieren, derzufolge Metaphysik nicht als prima philosophia zu betrachten ist, wenn damit gemeint sein soll, dass es sich um die höchste wissenschaftliche Disziplin handelt, die sich zum Ziel setzt, die „absolute Wissenschaft“ 535 zu werden. Vielmehr ist für Heidegger Philosophie überhaupt nicht als Wissenschaft zu begreifen und kann damit auch aus den Wissenschaften heraus in ihrem Wesen gerade nicht verstanden werden. Ein Zugriff gelinge nur aus ihr selbst heraus und zwar wenn sie begriffen werde als „etwas Eigenständiges, Letztes“ 536 . Dies zu betonen ist für Heidegger insofern wichtig, als er mit der prinzipiellen Loslösung der Philosophie von der Wissenschaft zeigen kann, dass damit sich die Philosophie auch den für die Wissenschaft relevanten Kriterien der Beweisbarkeit und Überprüfbarkeit als ihr wesensfremd nicht zu unterwerfen hat. Das bedeutet dann nicht nur konsequenterweise, dass eine Philosophie, die sich nicht 534 Grundbegriffe, p. 15. 535 Grundbegriffe, p. 2. 536 Grundbegriffe, p. 3 (Hervorhebung M.H.). 179 nach wissenschaftlichen Kriterien ausweisen kann, deshalb nicht notwendig als defizitär zu verwerfen ist, sondern, so suggeriert Heidegger, es verhalte sich sogar umgekehrt so, dass der Anspruch an die Philosophie nach Überprüfbarkeit diese in ihrer Würde herabsetze, insofern im Grunde „beweisbar immer nur das wesenhaft Belanglose“ 537 sei. Was er damit genau meint, macht er am Beispiel der Mathematik deutlich, die als abstrakte Wissenschaft zu Ergebnissen gelange, die für das Dasein als solches ohne Bedeutung seien. In diesem Sinne sei die mathematische Erkenntnis im Grunde die „leerste und zugleich für die menschliche Substanz unverbindlichste Erkenntnis“ 538 . Genau umgekehrt gehe es der Philosophie aber gerade um das „vollste und verbindlichste Erkennen“ 539 . Insofern also das 537 Grundbegriffe, p. 20. 538 Grundbegriffe, p. 25. 539 Grundbegriffe, p. 25. Diese Illustration des Besonderen der Philosophie anhand der Gegenüberstellung mit der Mathematik genauso wie die daran anschließenden Überlegungen Heideggers ähneln übrigens sehr auffällig den Überlegungen in der Unwissenschaftlichen Nachschrift, wo Johannes Climacus zwischen subjektiver und objektiver Wahrheit unterscheidet und in diesem Kontext ebenfalls die Mathematik als Illustration für ein nicht interessiertes Wissen anführt. Die folgende Passage aus der Unwissenschaftlichen Nachschrift macht diese Nähe sehr deutlich und zeigt, worauf auch Heidegger hinaus will: „Mag der wissenschaftlich Forschende auch mit rastlosem Eifer arbeiten, mag er sogar sein Leben im begeisterten Dienst für die Wissenschaft verkürzen, mag der Spekulierende weder Zeit sparen noch Fleiß scheuen: sie sind doch nicht unendlich persönlich in Leidenschaft interessiert, im Gegenteil, sie wollen es nicht einmal sein. Ihre Betrachtung will objektiv, interesselos sein. Was das Verhältnis des Subjekts zu der erkannten Wahrheit betrifft, so nimmt man an, daß es mit der Aneignung der Wahrheit, wenn nur erst das objektiv Wahre zuwege gebracht ist, eine Kleinigkeit ist, die man von selbst als Zugabe beim Kauf mitbekommt, und am Ende ist es mit dem Individuum doch auch gleichgültig. Gerade darin liegt nämlich die erhabene Ruhe des Forschers und die komische Gedankenlosigkeit des Nachschwätzers“ (Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 18). Bemerkenswert ist freilich, dass sich der polemische Ton in den pseudonymen Schriften Kierkegaards gegen die ‚Spekulation’ richtet, das heißt wesentlich gegen Hegel und die Hegelianer, während auf der anderen Seite den Wissenschaften durchaus ihr Platz gelassen wird. Kierkegaard selbst notiert sogar in seinen Tagebüchern explizit: „Begeistert bin ich gewesen für die Naturwissenschaften und bin es noch“, freilich um dann zu präzisieren: „[A]ber doch scheint es mir, daß ich sie nicht zu meinen Hauptstudium machen werde. Mich hat immer das Leben in Kraft von Vernunft und Freiheit am meisten interessiert; die Rätsel des Lebens zu klären und zu lösen, ist beständig mein Wunsch gewesen.“ (Die Tagebücher. 1834-1855, hg. von Thomas Haecker, München: Kösel, 1949, p. 41). Heidegger hingegen neigt gerade bei der Evozierung der Wissenschaften oft zu auffällig abfälligen Formulierungen, so wenn er sagt, dass die Philosophie durch eine Nähe zur Wissenschaft „herabgesetzt“ werde. Dabei heißt es in der Vorbetrachtung der Grundbegriffe zunächst noch zurückhaltend, dass „vielleicht schon allein die Abschätzung der Philosophie an der Idee der Wissenschaft die verhängnisvollste Herabsetzung ihres innersten Wesens“ (Grundbegriffe, p. 2f.; meine Hervorhebung) sei, bevor die Vorsicht des ‚Vielleicht’ dann nur eine Seite später aufgegeben wird, wenn es nun affirmativ heißt: „Der Vergleich der Philosophie aber mit 180 Erkenntnisinteresse der Mathematik und das der Philosophie in keinerlei Weise vergleichbar seien, könne auch „mathematische Erkenntnis nicht als Ideal der philosophischen Erkenntnisse“ 540 betrachtet werden. Um zu illustrieren, dass die Ausrichtung der Philosophie an der Mathematik am Wesen der Philosophie vorbeigeht, zeigt Heidegger in einem Rückgang auf die philosophiegeschichtliche Bedeutung des Begriffs Metaphysik, wie seit Aristoteles nach und nach das, was Philosophie eigentlich ausmacht, nämlich die Ergriffenheit, das heißt, dass der Mensch in seinem Fragen in seinem ganzen Wesen mit in die Frage gestellt ist 541 , sich in lehr- und lernbare Erkenntnis transformiert habe, die in Fächer eingeordnet und studiert werden könne. Dieser Herabwürdigung der Philosophie in ihrer Bestimmung als Wissenschaft stellt Heidegger die Philosophie als eigenständig entgegen, was er einmal mehr in eine zunächst tautologisch wirkende Definition fasst: „Philosophie ist Philosophieren“ 542 . Damit will er auf zweierlei hinaus. Zum einen darauf, dass Philosophie gerade nicht über anderes zugänglich gemacht werden kann, sondern nur aus ihr selbst heraus, und zum anderen darauf, dass Philosophie nicht statisch zu begreifen ist, sondern nur ist im Akt des Philosophierens, begriffen „als menschliches Tun im Grunde des Wesens des menschlichen Daseins“ 543 . Philosophieren ist mithin kein abstraktes Räsonieren über Fragen, die das Dasein als solches im Grunde gar nicht betreffen, sondern Philosophieren ist nur dann ein solches, wenn es sich von der „indifferenten Erwartung einer Kenntnisnahme“ 544 im Sinne der Aneignung von Faktenwissen, wie sie in den Wissenschaften möglich ist, grundlegend unterscheidet. Mit anderen Worten: wissenschaftliche Erkenntnis bleibt dem Menschen äußerlich, während Philosophie den Menschen in dem was er ist, vollständig umgreift und „das Da-sein erst zu dem werden läßt, was es sein kann“ 545 . In diesen Zusammenhang gehören auch seine methodischen Überlegungen zum philosophischen Begriff. Dass Heidegger Metaphysik gerade nicht als eine wissenschaftliche Disziplin - und sei es deren edelste - begreifen will, wirkt sich auch auf das Verständnis philosophischer Begriffe aus. Der für die Wissenschaft charakteristische „Entwurf des Seienden auf Vorhandenheit hin“ 546 , führe in die Irre, wenn er auf die Metaphysik über- der Wissenschaft ist eine unberechtigte Herabsetzung ihres Wesens“ (ebd., p. 4). Kurz darauf bezeichnet er dann die Wissenschaften als „Dienstmann“ (ebd., p. 7) der Philosophie. 540 Grundbegriffe, p. 25. 541 Vgl. Grundbegriffe, p. 13 und p. 60 dieser Arbeit. 542 Grundbegriffe, p. 6 (Hervorhebung M.H.). 543 Grundbegriffe, p. 11. 544 Grundbegriffe, p. 15. 545 Grundbegriffe, p. 33. 546 Ernst Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger, Berlin: de Gruyter, 1970, p. 295. 181 tragen werde. Heidegger spricht in diesem Zusammenhang von einer „sachlichen Mißdeutung“ 547 der philosophischen Begriffe, sobald sie in gleichem Sinne wie wissenschaftliche „wie etwas Vorhandenes erörtert“ 548 werden. Philosophische Begriffe sollen nichts in diesem Sinne Vorhandenes bezeichnen, vielmehr seien sie als „formal anzeigend“ zu verstehen: „Alle philosophischen Begriffe sind formal anzeigend, und nur, wenn sie so genommen werden, geben sie die echte Möglichkeit des Begreifens.“ 549 Wie dieser Unterschied zwischen philosophischen Begriffen als formal anzeigend und wissenschaftlichen Begriffen im Sinne von Vorhandenheit zu verstehen ist, das illustriert Heidegger am Beispiel des Begriffs des Todes beziehungsweise seiner eigenen Bestimmung des Daseins als Sein zum Tode aus Sein und Zeit. Die Vorstellung des Seins zum Tode dürfe nicht im Sinne des vulgären Verständnisses verstanden werden als handle es sich um einen „Bericht über Eigenschaften des Menschen, den es neben Stein, Pflanze, Tier auch gibt“ 550 . In einem solchen - wissenschaftlichen und alltäglichen - Verständnis fehle die richtige Grundhaltung, die einzunehmen sei, um sich als Dasein in das richtige Verhältnis zu dieser Bestimmung zu bringen, das heißt den Tod nicht als etwas Vorhandenes zu begreifen. Vielmehr liege der „Grundcharakter des Existierens des Menschen in der Entschlossenheit“ und Entschlossenheit ist gerade kein vorhandener Zustand, sondern sie ist immer nur „als Augenblick des wirklichen Handelns“ 551 . Damit sind philosophische Begriffe nur dann verstehbar, wenn sie nicht als Bedeutungen von Beschaffenheiten und Ausstattungen eines Vorhandenen genommen werden, sondern als Anzeigen dafür, daß das Verstehen erst den vulgären Auffassungen des Seienden sich entwinden und eigens sich in das Da-sein in ihm verwandeln muss. 552 In der Bestimmung der philosophischen Begriffe liegt also, dass es im Verstehen eines Begriffes nicht darum geht zu wissen, was der Begriff bedeutet, sondern darum zu wissen, worauf dieser Begriff verweist, wobei das Verstehen nicht in der theoretischen Aneignung, sondern im Augenblick wirklichen Handelns besteht. Insofern verweisen also Begriffe nicht auf bestimmte - vorhandene - Eigenschaften, sondern zeigen „ihrem Wesen nach je in eine Konkretion des einzelnen Daseins im Menschen hinein“ 553 . Das bedeutet aber auch, dass das Verstehen philosophischer Begriffe einer gewissen Zweideutigkeit unterliegt, insofern philosophische Begriffe nicht 547 Grundbegriffe, p. 422 (Hervorhebung M.H.). 548 Grundbegriffe, p. 422 (Hervorhebung M.H.). 549 Grundbegriffe, p. 425 (Hervorhebung M.H.). 550 Grundbegriffe, p. 427. 551 Grundbegriffe, p. 427. 552 Grundbegriffe, p. 428 (Hervorhebung M.H.). 553 Grundbegriffe, p. 429. 182 in dem, worauf sie verweisen, lernbar oder eindeutig kommunizierbar sind, wie auch die folgende Bestimmung Heideggers deutlich mach: Der Bedeutungsgehalt dieser Begriffe meint und sagt nicht direkt das, worauf er sich bezieht, er gibt nur eine Anzeige, einen Hinweis darauf, daß der Verstehende von diesem Begriffszusammenhang aufgefordert ist, eine Verwandlung seiner selbst in das Dasein zu vollziehen. 554 Die Rede vom „Begriffszusammenhang“ deutet zugleich auf eine weitere Besonderheit der philosophischen Begriffe und zwar, dass sie weder auf isoliertes Vorhandenes verweisen noch in einem Zusammenhang stehen, in dem die Begriffe „anzeigefrei gegeneinander dialektisch“ 555 ausgespielt werden könnten. Vielmehr verhält es sich so, dass „der ursprüngliche und einzige Zusammenhang der Begriffe […] schon durch das Dasein selbst gestiftet“ 556 ist. Die Schwierigkeit des Verständnisses philosophischer Begriffe besteht also darin, diese nicht als Bezeichnungen eines Vorhandenen zu begreifen, sondern ihres verweisenden Charakters gewahr zu werden, so dass Verstehen in diesem Sinne bedeutet, dass der „Verstehende auf das Dasein in ihm“ 557 angesprochen wird, also selbst in das philosophische Fragen gestellt wird, nicht um über ‚den Menschen’ und dessen Eigenschaften als vorhandene etwas zu erfahren, sondern um in die Entschlossenheit eigentlichen Handelns zu gelangen. Diese methodischen Überlegungen zum philosophischen Begriff, die Heidegger erst im zweiten Teil der Grundbegriffe zur Sprache bringt, integrieren sich in den Kontext der Bestimmung der Philosophie als Philosophieren, in der mithin, wie vor dem Hintergrund der Bestimmung philosophischer Begriffe als formal anzeigend noch deutlicher zum Ausdruck kommt, Philosophie nur Philosophieren ist, wenn nicht „von der Philosophie gesprochen“ wird, sondern „aus ihr“ 558 : „Das Entscheidende ist“, so Heidegger, „daß wir aus diesem Verhandeln über … herauskommen und mit dem Handeln in der Metaphysik selbst beginnen“ 559 . Erst wenn Philosophie in diesem Sinne bestimmt wird, kann „eigentlich und wirklich“ 560 gefragt werden. Freilich, und auch hier kommt der Begriff der Zweideutigkeit ins Spiel, bleibt das Verhältnis zur Wissenschaft ambivalent. Wenn nämlich die Philosophie nicht als Wissenschaft zu begreifen ist, so bleibt dennoch die Tatsache, dass sie sich gibt und so aussieht „wie eine Wissenschaft und es doch nicht [ist]“ 561 . Sie kann, wie Heidegger sagt, Prüfungs- und Exa- 554 Grundbegriffe, p. 430. 555 Grundbegriffe, p. 432. 556 Grundbegriffe, p. 432 (Hervorhebungen M.H.). 557 Grundbegriffe, p. 432. 558 Grundbegriffe, p. 86 (Hervorhebungen M.H.). 559 Grundbegriffe, pp. 86f. (Hervorhebung M.H.). 560 Grundbegriffe, p. 87. 561 Grundbegriffe, p. 15. 183 mensfach sein und kann gelehrt werden, wie eine Wissenschaft, sie scheint wissenschaftliche Begründungen zu geben und steht mithin „im Schein der Wissenschaft“ 562 . Wie dies genau zu verstehen ist, das erhellt sich über eine schärfere Herausarbeitung des Begriffs der Zweideutigkeit, wie ihn Heidegger in den Grundbegriffen verwendet und der an Präzision gewinnt, wenn er vor dem Hintergrund der Überlegungen zu Sprache und Eigentlichkeit in Sein und Zeit betrachtet wird. Eigentlichkeit und Sprache Wenn Heidegger in Sein und Zeit auf die Sprache auch nur recht knapp zu sprechen kommt, so fällt ihr, beziehungsweise der Rede als deren existenzial-ontologischem Fundament, gleichwohl in der Daseinsanalyse eine durchaus nicht unwesentliche Rolle zu. Denn Heidegger fasst die Rede mit Befindlichkeit und Verstehen als existenzial gleichursprünglich 563 . Erörtert wird sie im Kontext der Erschlossenheit des In-der-Welt-seins als Verstehen und als Auslegung im § 34 Da-sein und Rede. Die Sprache. Dort definiert Heidegger zunächst die Rede als das, was das Verstandene in der Auslegung zur Sprache bringt. Reden ist demzufolge zu verstehen als „das ‚bedeutende’ Gliedern der Verständlichkeit des In-der-Weltseins, dem das Mitsein zugehört, und das sich je in einer bestimmten Weise des besorgenden Miteinander hält“ 564 . Die Sprachlichkeit geht also gleichursprünglich einher mit Erschlossenheit und Gestimmtheit und verweist als Mitteilung auf das Mitsein und zwar in ihren drei ausgezeichneten Formen, der Rede, dem Hören und dem Schweigen, die sämtlich zu den existenzialen Möglichkeiten der Sprache gehören. Bis hierhin ist die Argumentation Heideggers problemlos nachvollziehbar. Allerdings verbergen sich in der weiteren Argumentationsführung Heideggers gewisse Schwierigkeiten, die gerade im vorliegenden Kontext zutage treten 565 . Denn insofern die Rede Heidegger zufolge das ist, was das Verstandene zum Ausdruck bringt, ergibt sich im Grunde analog zu den Modi der Erschlossenheit als Verfallen beziehungsweise als eigentliches Verstehen konsequenterweise, dass sich auch hier zwei Modi der Rede identifizieren lassen müssten im Zur-Sprachebringen des Erschlossenen und zwar zum einen die Rede als eigentliche Rede und zum anderen die uneigentliche Rede, die Heidegger als „Gere- 562 Grundbegriffe, p. 16. 563 Vgl. Sein und Zeit, p. 161. 564 Sein und Zeit, p. 161. 565 Auf die Unstimmigkeiten in Heideggers Analyse der Sprache in Sein und Zeit ist bereits verschiedentlich hingewiesen worden. Vgl. dazu Otto Pöggeler, Der Denkweg Martin Heideggers, Stuttgart: Neske, 1994, pp. 209ff.; Jochem Henningfeld, Die Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts: Grundpositionen und -probleme, Berlin: de Gruyter, 1982, pp. 205ff.; Alfred W. E. Hübner, Existenz und Sprache, pp. 83ff. 184 de“ 566 begrifflich fast. Gerede ist dabei zu verstehen als die dem Man analoge Sprachlichkeit und „regelt und verteilt die Möglichkeiten des durchschnittlichen Verstehens und der zugehörigen Befindlichkeit“ 567 . Wenn das Man sich dadurch auszeichnet, dass wir in diesem „genießen und [uns] vergnügen, wie man genießt; […] lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt“ 568 , dann ist das Gerede die sprachliche Form des Mitteilens dieses „wie man…“. Das Problem ist nun, dass Heidegger zwar begrifflich diese Differenzierung einführt, indem er der Rede das Gerede als den verfallenden Modus entsprechend der eigentlichen und der uneigentlichen Erschlossenheit gegenüberstellt, sich jedoch anschließend auf die Auslegung der Rede im Modus des Verfallens als Gerede konzentriert, ohne auch den Modus der eigentlichen Rede näher zu entfalten. Hierfür scheint es einen systematischen Grund zu geben, der letztlich auf die konzeptuelle Unmöglichkeit eigentlicher Rede hinausläuft, während Heidegger freilich auf der anderen Seite auf die Möglichkeit eigentlicher Rede nicht verzichten kann. Darauf werde ich später zurückkommen. Zunächst soll aber, entsprechend der Bestimmung der Rede als Existenzial, davon ausgegangen werden, dass es eine dem Gerede als Modus der Verfallenheit äquivalentes eigentliches Reden geben muss. Genauso wie Welt sowohl im Verfallen als auch im eigentlichen Selbstsein als erschlossen zu verstehen ist, genauso ist Rede, sei sie eigentliche Rede oder Gerede, das Aussprechen des Verständnisses und der Auslegung 569 . In der Rede konstituiert sich immer und prinzipiell die Seinsart des Verstehens und Auslegens des Daseins. In der Form des Geredes nun repräsentiert sie die alltägliche Art des Verstehens und Auslegens und gibt die durchschnittlichen Möglichkeiten des Verstehens und des dazugehörigen Verständnisses zu verstehen 570 . Das sich in der Durchschnittlichkeit haltende Gerede ist Rede, die allgemein „[g]emäß der durchschnittlichen Verständlichkeit“ 571 verstanden werden kann; dabei tritt durch die einfache Zugänglichkeit in ihrer Durchschnittlichkeit letztlich das Verstehen als bewusstes Verstehen von Seiendem, als „ursprünglich verstehendes Sein“ 572 , in den Hintergrund und das Verstehen geht weniger auf das im Gerede ausgelegte Seiende, als sich vielmehr die Aufmerksamkeit des Hörens wesentlich nur nach dem Gerede als solchem richtet. Das Gerede erscheint mithin gleichsam als ‚Verfallsprodukt’ eigentlicher Rede, so dass die Mitteilung „nicht den primären Seinsbezug zum beredeten Seienden [teilt], sondern das Miteinandersein bewegt sich im Miteinanderreden und 566 Sein und Zeit, p. 167. 567 Sein und Zeit, pp. 167f. 568 Sein und Zeit, pp. 126f. (Hervorhebungen M.H.). 569 Vgl. Sein und Zeit, p. 167. 570 Vgl. Sein und Zeit, p. 168. 571 Sein und Zeit, p. 168. 572 Sein und Zeit, p. 168. 185 Besorgen des Geredeten“ 573 . Je öfter das Gesagte weiter- und nachgeredet wird, desto weiter entfernt es sich von der „ursprünglichen Zueignung“ 574 des Seienden und desto „weitere Kreise“ 575 zieht es, um mehr und mehr „autoritativen Charakter“ 576 anzunehmen. Diesen Verfallensprozess sieht Heidegger im Übrigen nicht nur in der Rede im Sinne eines Nach- und Weiterredens am Werk, sondern genauso in dem, was er, als schriftliches Äquivalent des Geredes, das „Geschreibe“ nennt: Das Nachreden gründet hier nicht so sehr in einem Hörensagen. Es speist sich aus dem Angelesenen. Das durchschnittliche Verständnis des Lesers wird nie entscheiden können, was ursprünglich geschöpft und errungen und was nachgeredet ist. Noch mehr, durchschnittliches Verständnis wird ein solches Unterscheiden gar nicht wollen, seiner nicht bedürfen, weil es ja alles versteht. 577 Diese Unterscheidung von eigentlicher Rede auf der einen und Gerede beziehungsweise Geschreibe auf der anderen Seite hilft nun zum einen die Frage dessen, was eigentliches Philosophieren ist, präziser zu beantworten und zum anderen die Zweideutigkeit, von der in den methodischen Vorüberlegungen der Grundbegriffe die Rede war, genauer einzuordnen. Das Verständnis des eigentlichen Philosophierens erschließt sich über die Bestimmung der Möglichkeit eigentlichen und uneigentlichen Seinkönnens. Wenn Heidegger das Verfallen an das Man als ein Ausweichen vor der Angst deutet, dann ist in dem gleichen Sinne nun das Gerede als ‚vorausgelegtes’ beruhigend, da alles immer schon verstanden ist, der Auslegung alles vertraut und nichts ‚unheimlich’ ist. Somit bedeutet eigentliches Philosophieren, sich nicht im Bereich des beruhigenden Geredes zu bewegen, sondern eine „elementare Bereitschaft für die innere Gefährlichkeit der Philosophie“ 578 aufzubringen. Philosophie ist also nicht, über Philosophie zu sprechen, verschiedene philosophische Theorien zu kennen oder „Artikel in Zeitschriften gegeneinander los[zu]lassen“ 579 , sondern Philosophie heißt in einem ursprünglichen Sinne eben tatsächlich zu philosophieren, was bedeutet, wie Heidegger es ausdrückt, „das eigene Dasein und das der anderen in eine fruchtbare Fraglichkeit hineinzutreiben“ 580 . Die Schwierigkeit besteht nun in einer mehrfachen und unhintergehbaren Zweideutigkeit des Philosophierens. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Heidegger Philosophie insofern als zweideutig begreift, als ihr Vorgehen den 573 Sein und Zeit, p. 168. 574 Sein und Zeit, p. 168 575 Sein und Zeit, p. 168 576 Sein und Zeit, p. 168. 577 Sein und Zeit, p. 169 (Hervorhebungen M.H.). 578 Grundbegriffe, p. 29. 579 Grundbegriffe, p. 29. 580 Grundbegriffe, p. 29. 186 Schein der Wissenschaft habe, ohne aber Wissenschaft zu sein. Nun erweist sich, dass das eigentliche Philosophieren auch in Bezug auf seine Eigentlichkeit zweideutig ist und zwar insofern die Differenz zwischen eigentlichem und uneigentlichem Philosophieren, genauso wie die zwischen Rede und Gerede, nicht anhand besonderer äußerlicher Merkmale erkennbar ist. Dies gilt in verschiedener Hinsicht. Es gilt für das Philosophieren überhaupt, von dem Heidegger sagt, es sehe bald „so aus wie Philosophie und ist es ganz und gar nicht, bald sieht es so gar nicht aus wie Philosophie und ist es gerade doch“ 581 . Es gilt aber nicht nur für die Philosophie überhaupt, sondern es gilt auch für das Philosophieren in der konkreten Situation - etwa für die Situation einer Vorlesung. Der Dozent könne auftreten, „als sei mit ihm die Philosophie als absolute Wissenschaft zum ersten Mal zur Welt gekommen“ 582 , und doch könne es sein, dass es sich dabei nicht eigentlich um Philosophie handelt. Genauso kann ein Student die Vorlesung schneller und besser begreifen als ein anderer, ohne sie aber eigentlich zu fassen zu bekommen. Darüber hinaus ist aber auch die Wahrheit der Philosophie zweideutig, insofern sie gerade nicht mit wissenschaftlicher Methodik überprüfbar ist und mithin uns selbst als Philosophierenden zweideutig bleibt. Die Zweideutigkeit ist, so Heidegger, derart fundamental zum Wesen der Philosophie gehörig, dass wir sogar in Bezug auf uns selbst „dessen gar nicht absolut gewiß sind und gewiß sein können, ob wir mit all den Erörterungen überhaupt philosophieren“ 583 . Aus diesen methodischen Überlegungen Heideggers zur Zweideutigkeit der Philosophie im Sinne eigentlichen Philosophierens ergibt sich eine maßgebliche Einsicht in Bezug auf die Frage nach der Form der Darstellung. Wenn darauf hingewiesen worden war, dass Aufbau und Strukturierung der Heideggerschen Grundbegriffe, anders als Kierkegaards Entweder/ Oder, im Grunde keinerlei Besonderheit aufweisen, so erklärt sich dies über die Ausführungen Heideggers zu Rede und Gerede auf der einen und zur Zweideutigkeit des Philosophierens auf der anderen Seite. Die Feststellung, dass sich Heidegger bei der Entfaltung seines Fragens formal im Grunde an den philosophischen Gepflogenheiten auch und gerade da orientiert, wo er bemüht ist, sich von der philosophischen Tradition abzugrenzen, bei gleichzeitiger Betonung, dass sein Philosophieren nicht als „Schulphilosophie“ 584 (miss-)verstanden werden solle, der es um ein „bloßes Sammeln von Kenntnissen“ 585 gehe, dass er also nicht eine Darstellungsweise wählt, die sich eindeutig als nicht schulphilosophisch zu erkennen gibt - wobei eine solche eindeutige Abgrenzung freilich nach dem 581 Grundbegriffe, p. 17. 582 Grundbegriffe, p. 29. 583 Grundbegriffe, p. 27. 584 Grundbegriffe, p. 53. 585 Grundbegriffe, p. 6. 187 oben Gesagten ebenfalls wieder zweideutig wäre -, erklärt sich darüber, dass der Unterschied zwischen eigentlicher Rede und Gerede letzten Endes überhaupt nicht strukturell an der Rede ablesbar, sondern jenseits eines sichtbar zu machenden Differenzierungskriteriums angesiedelt ist, nämlich in der Art der Erschlossenheit, in der Ursprünglichkeit des Zugangs zu Seiendem, der zur Sprache kommt. Ob eigentlich gesprochen beziehungsweise philosophiert wird, das wird nicht im Gesagten beziehungsweise im Text sichtbar. Der Unterschied zwischen einem bloßen Weiter- oder Nachreden und einem Philosophieren, in dem tatsächlich etwas ursprünglich geschöpft beziehungsweise errungen wurde, befindet sich wesentlich in der Beziehung des Sprechenden zum Gesagten, die aber prinzipiell nicht unzweideutig zu erkennen ist. Auch in Sein und Zeit verweist Heidegger im Übrigen bereits auf diese Zweideutigkeit, wenn er, analog zur Zweideutigkeit des Philosophierens in den Grundbegriffen, für das Verstehen allgemein konstatiert: „Alles sieht so aus wie echt verstanden, ergriffen und gesprochen und ist es im Grunde doch nicht, oder es sieht nicht so aus und ist es im Grunde doch.“ 586 Nun ergibt sich allerdings jene erwähnte Schwierigkeit in Bezug auf die Bestimmung der eigentlichen Rede, die sich in § 34 von Sein und Zeit andeutet, dann aber noch deutlicher hervortritt, wenn Heidegger auf das Gewissen zu sprechen kommt. Denn zunächst bringt Heidegger, wie gesehen, das Schweigen als Modus der Rede ins Spiel, um kurz darauf zu betonen, dass, wer im Miteinander schweige, „eigentlicher zu verstehen geben“ könne „als der, dem das Wort nicht ausgeht“ 587 . Diese Überlegung führt Heidegger dann noch fort, indem er präzisiert, dass das Schweigen als eigentliches Zu-Verstehen-geben untrennbar mit dem Sprechen verbunden sei, was er dadurch illustriert, dass er betont: Der Stumme hat nicht nur nicht bewiesen, daß er schweigen kann, es fehlt im sogar jede Möglichkeit, dergleichen zu beweisen. […] Wer nie etwas sagt, vermag im gegebenen Augenblick auch nicht zu schweigen. 588 586 Sein und Zeit, p. 173. Das Problem ist selbstverständlich, dass diese Zweideutigkeit letztlich selbst zweideutig ist, das heißt, dass vor dem Hintergrund der Zweideutigkeit auch das Postulat dieser Zweideutigkeit zweideutig wird. Bernhard Sylla spricht daher auch zutreffend von einer „existenzial verankerte[n]“ Zweideutigkeit (vgl. Sylla, Hermeneutik der ‚langue’. Weisgerber, Heidegger und die Sprachphilosophie nach Humboldt, Würzburg: Königshausen und Neumann, 2009, p. 264). Das bedeutet aber, dass die Frage einer eigentlichen Erschließbarkeit, das heißt eines ursprünglichen Zugang zum Seienden, letztlich ebenfalls offen bleibt (vgl. Udo Tietz, Sprache und Verstehen in analytischer und hermeneutischer Sicht, Berlin: Akademie-Verlag, 1995, p. 32), was umso mehr gilt, als ja auch, wie Heidegger zuvor betont hat, zweideutig bleibt, ob wir überhaupt philosophieren, wenn wir philosophieren. 587 Sein und Zeit, p. 164. 588 Sein und Zeit, p. 165. 188 Während Heidegger im darauf Folgenden zunächst nicht ausführlicher auf das Schweigen als besonderen Modus der Rede eingeht, kommt er an entscheidender Stelle darauf zurück und zwar, wenn er auf den Ruf des Gewissens zu sprechen kommt, der gewissermaßen die eigentliche Rede par excellence für das Dasein darstellt, insofern das Gewissen das Dasein in seinem „alltäglich-durchschnittlich besorgenden Sich-immer-schonverstehen […] [a]uf das eigene Selbst“ 589 hin anruft. Im Ruf des Gewissens wird das Selbst „zu ihm selbst“ 590 gebracht. Freilich zeigt sich, dass der Ruf des Gewissens dem Dasein „[s]treng genommen - nichts“ 591 zuruft, denn: „Das Gewissen redet einzig und ständig im Modus des Schweigens.“ 592 Das Dasein wird also vom Ruf des Gewissens heraus aus dem öffentlichen Miteinander und vor sich selbst gerufen als „Aufruf zum eigensten Seinkönnen“ 593 und ist zu verstehen als ein „Vorrufen des Daseins in seine Möglichkeiten“ 594 . Führt man nun die Überlegungen zum Schweigen als Möglichkeit, „eigentlicher“ zu verstehen zu geben und die Darstellung des Gewissensrufs zusammen, so spitzt sich die Möglichkeit eigentlicher Rede im Modus der Eigentlichkeit im Grunde zu auf das Schweigen. Maßgeblich dafür ist, wie Pöggeler gezeigt hat, dass Heidegger „alles Sein-bei-Seiendem oder Gegenwärtigen als ein Verfallen erscheint und gar nicht gefragt wird, wie das Mitsein mit Anderen […] auf Eigentlichkeit verweist“ 595 . Damit kann letztlich die „Artikulation als Rede […] mit dem Verfallen zusammenrinnen“ 596 . Die Heideggersche Konzeption der Eigentlichkeit ist mit einer eigentlichen Rede - sobald diese mehr als Schweigen sein soll - insofern schwer zusammen zu bringen, als die Möglichkeit des eigentlichen Selbstseinkönnens als unbezügliches Sein zum Tode das Dasein ja gerade vereinzelt und im Herausrufen aus dem Miteinander erschlossen wird. „[D]ie Unbezüglichkeit des Todes blockiert jede symmetrische Beziehung zwischen Dasein und Dasein im Mitsein“, wie Udo Tietz schreibt, und lässt eigentliches Verstehen „nur in Abkoppelung zum Mitsein“ 597 denken: Sowenig nämlich, wie im Modus der Eigentlichkeit das ‚vereinzelte’ Dasein zum Mitsein kommt, welches sich als ‚eigentlicher’ erweist als das alltägli- 589 Sein und Zeit, pp. 272f. (Hervorhebung M.H.). 590 Sein und Zeit, p. 273. 591 Sein und Zeit, p. 273. 592 Sein und Zeit, p. 273 (Hervorhebung M.H.). 593 Sein und Zeit, p. 273. 594 Sein und Zeit, p. 274. 595 Pöggeler, Neue Wege mit Heidegger, p. 130. 596 Pöggeler, Neue Wege mit Heidegger, p. 130. 597 Tietz, Sprache und Verstehen, p. 33 (Hervorhebung U.T.). 189 che, sowenig kann die ‚eigentliche Rede’ einen ‚primären Seinsbezug zum beredeten Seienden’ herstellen. 598 Tietz spitzt diesen Sachverhalt genau in die oben genannte Richtung zu, wenn er betont, die Heideggerschen Reflexionen in Sein und Zeit liefen darauf hinaus, dass „weder eine eigentliche Rede noch ein eigentliches Verstehen möglich ist, da hier nur andächtig geschwiegen werden kann“ 599 . Wenn also die Überlegungen zur Sprache darauf hinauszulaufen scheinen, dass die Rede im Modus der Eigentlichkeit letztlich nur als Schweigen sich vollziehen kann, dann scheint mir andererseits deutlich zu sein, dass Heidegger bis zu dieser Konsequenz (noch) nicht vordringt 600 . Denn selbst wenn Heidegger die eigentliche Rede anders als das Gerede nicht detailliert entfaltet, so bezeugen seine Ausführungen zur Sprache in Sein und Zeit doch zumindest indirekt, dass er im Grunde von der Möglichkeit eigentlicher Rede diesseits des Schweigens ausgeht. Darauf weist gerade jener Abschnitt, in dem er auf das Schweigen (mit dem Hören) als Möglichkeiten der Rede zu sprechen kommt. Denn dort heißt es, dass im Mit-dasein und Mit-sein gerade das In-Schweigen-Verfallen im Gespräch es erlaube, in gewissem Sinne „eigentlicher“ zu kommunizieren 601 . Der von Heidegger verwendete Komparativ als Steigerung von ‚eigentlich’ impliziert schließlich, dass es auch dessen Grundform geben muss, die dann nichts anderes als die Rede sein kann 602 . Genauso ist Heideggers im Zusammenhang mit dem Gerede verschiedentlich wiederholte Betonung einer Unentscheidbarkeit in Bezug auf eigentliche und uneigentliche Rede, dass alles aussehe „wie echt verstanden, ergriffen und gesprochen“ es aber „im Grunde doch nicht“ sei oder umgekehrt, dass es nicht so aussehe, es aber „im Grunde doch“ 603 sei, nur dann sinnvoll, wenn Heidegger davon ausgeht, dass in beiden Modi ein ‚Aussprechen’ möglich ist. Würde die eigentliche Rede ausschließlich ins Schweigen verlegt, dann fiele auch die Zweideutigkeit 598 Tietz, Sprache und Verstehen, p. 32. 599 Tietz, Sprache und Verstehen, p. 32. 600 Die Konsequenzen daraus scheint er später gezogen zu haben, wie sich in seiner gewandelten Sprachauffassung zeigen wird. Vgl. hierzu Thomä, Die Zeit des Selbst, p. 657: „Das Scheitern der ‚ersten‘ Hinwendung zum Sein zeigt sich […] auch im Verständnis der Sprache, in der Privilegierung des ‚Schweigens’. […] Die eigentliche Sprache ist später nicht geradewegs das Schweigen, sondern das ‚das Waltende zum Ausspruch Bringen’. Damit soll zulässig werden, sich auf ein ‚Geschehen’ einzulassen, ohne dass dies als bedingungslose Selbstpreisgabe, als ‚Verfallen’ verstanden werden muss.“ 601 Vgl. Sein und Zeit, p. 164. 602 Wobei die Verwendung des Komparativs ein weiteres Problem auf den Plan ruft, insofern die Steigerungsform darauf hin deutet, dass es verschiedene Grade von Eigentlichkeit zu geben scheint und sich die Frage stellen würde, wie dies zu denken ist. 603 Sein und Zeit, p. 173 (vgl. p. 187 dieser Arbeit). 190 fort, auf die Heidegger besonders in den Grundbegriffen insistiert 604 . Im Grunde verbirgt sich in dem oben genannten Komparativ auch noch eine weitere Schwierigkeit. Denn wenn Heidegger sagt, dass die Art der Erschlossenheit nicht ‚von außen’ erkannt werden kann, dass das eine wie das andere aussehe, dann bekommt er Probleme, wenn er dem Ins- Schweigen-Fallen die Bedeutung der Eigentlichkeit zukommen lässt. Denn wenn das Ins-Schweigen-Fallen tatsächlich eigentlicher zu verstehen gibt, dann löst sich zumindest in diesem Moment die Zweideutigkeit auf und es wird eine Differenz erkennbar zwischen Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit. In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass es zumindest im Miteinander analog zum Gerede auch ein ‚Geschweige’ geben müsste, eine Möglichkeit, die Heidegger nicht zu berücksichtigen scheint 605 . In jedem Fall bleibt die Schwierigkeit der eigentlichen Rede in Bezug auf die für die Thematik der Langeweile entscheidende Frage akut, und Heideggers Antwort hierauf besteht in den Grundbegriffen wesentlich in der nachdrücklichen Methodenexplikation und dem wiederholten Hinweis auf die Zweideutigkeit seines philosophischen Unternehmens, die sich ihrerseits wiederum in der bevorzugten Verwendung der Frageform manifestiert. Freilich bringt Heidegger bereits in Sein und Zeit und sogar schon in den 1925 veröffentlichten Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs eine im vorliegenden Kontext interessante Überlegung ist Spiel, die aber möglicherweise zu einer Verschärfung der Schwierigkeit eigentlichen philosophischen Sprechens führt. So heißt es in den Prolegomena: Diese Möglichkeit eines echten Mitredens besteht jedoch und dokumentiert sich vor allem darin, daß die Entdecktheit, die mit einem Wort gegeben ist, sich mit bestimmten Sätzen berichtigen und weiter ausbilden kann. Ja, die ausgesprochene Rede kann allererst dazu verhelfen, Seinsmöglichkeiten, die man vorher schon immer unausdrücklich erfahren hat, nun allererst zu 604 Dabei sei auch noch ein im Grunde mehr als offensichtliches Argument dafür vorgebracht, dass für Heidegger eigentliche Rede, die ja die Grundvoraussetzung für eigentliches Philosophieren ist, möglich sein muss, und zwar Heideggers Philosophieren selbst. Insofern anzunehmen ist, dass Heideggers Philosophieren der Intention nach kein Gerede sein soll, das heißt, ein eigentliches ist oder auf Eigentlichkeit zielt und mithin sich bemüht, auf die Möglichkeit und Relevanz eigentlichen Seinkönnens hinzuweisen, ist auch davon auszugehen, dass Heidegger zumindest die Möglichkeit eigentlichen Redens annehmen muss. Anzunehmen, dass auch die Mitteilung eigentlich erschlossenen Seinsbezugs als ausgesprochene immer Gerede sei, aber im Hören eigentlich erschlossen werden kann, hülfe auch nicht weiter, insofern dann ein Unterschied bestehen müsste zwischen eigentlicher uneigentlicher und uneigentlicher uneigentlicher Rede, womit das Problem nur verschoben würde. 605 Das Nichtsprechen des Stummen kann nicht in diese Richtung gedeutet werden, da es sich ja hierbei, wie Heidegger ausdrücklich sagt, überhaupt nicht um ein Schweigen in diesem Sinne handelt. Nicht reden zu können bedeutet gerade, nicht schweigen zu können. 191 ergreifen. […] So kann Rede, vor allem Dichtung, sogar neue Seinsmöglichkeiten des Daseins freiwerden lassen. 606 In diesem Hinweis deutet sich also mit der Verwendung der Sprache als dichterischer ein möglicher, wenn nicht gar ein ausgezeichneter Weg an, Sprache in eigentlicher Weise zu Wort kommen zu lassen. Heideggers Denkweg wird ihn auch schließlich genau aus diesem Grunde zu dem Postulat der Möglichkeit eines eigentlichen Dialogs zwischen Dichter und Denker führen 607 , beziehungsweise der Rede von Philosophie und Poesie als zwei ‚gleichberechtigten’ Zugangsweisen zum Sein. Dabei bemüht sich Heidegger freilich immer darum, eine deutlich erkennbare Trennung zwischen Dichten und Denken, Poesie und Philosophie aufrechtzuerhalten, so dass die Nähe der Philosophie zur Dichtung nicht dazu führt, erstere in letzterer aufgehen zu lassen, das heißt also auch zunächst einmal, ohne dass sich die Philosophie der Dichtung in der Form annähern würde. Allerdings weckt die Heideggersche Konzeption der Dichtung als seinserschließende Rede par excellence zumindest den Verdacht, dass der Dichtung sprachliche Möglichkeiten zur Verfügung sehen könnten, die der Philosophie verschlossen bleiben. In diese Richtung jedenfalls geht eine Überlegung Rortys, wenn dieser sagt, Heidegger habe sich in jenen Streit zwischen Philosophie und Dichtung verwickelt, „den Platon anzettelte“ und habe schließlich versucht, „ehrenhafte Bedingungen für eine Kapitulation der Philosophie vor der Dichtung auszuhandeln“ 608 . Insofern scheint es sinnvoll, die Heideggersche Aufwertung der Dichtung in seinen späteren Schriften zumindest in groben Zügen nachzuvollziehen, auch wenn diese, wie gesagt, für die Frage nach der Darstellung in den Grundbegriffen nicht unmittelbar nutzbar sind. Dichten und Denken Vorwiegend soll hier jenem Hinweis aus den Prolegomena nachgegangen werden, wonach der Dichtung eine präeminente Bedeutung bei der Erschließung des Seins zuzuschreiben ist. Dieser Gedanke führt Heidegger ab den 1930er Jahren zum Verständnis der Dichtung als dem fundamentalen Zugang zur Sprache und damit zum Sein, insofern Dichtung als die „Ursprache eines Volkes“ 609 dessen Sein überhaupt erst begründet, wie er an- 606 M. Heidegger, Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, Gesamtausgabe, Bd. 20, Frankfurt am Main: Klostermann, 1994, pp. 375f. (Hervorhebung M.H.). In Sein und Zeit findet sich eine - fast beiläufige - Bemerkung in dieselbe Richtung: „Die Mitteilung der existenzialen Möglichkeiten der Befindlichkeit, das heißt das Erschließen von Existenz, kann eigenes Ziel der ‚dichtenden’ Rede werden“ (Sein und Zeit, p. 162). 607 Vgl. hierzu Sylla, Hermeneutik der ‚langue’, p. 269. 608 Rorty, Kontingenz, p. 57. 609 Hölderlins Hymnen ‚Germanien’ und ‚Der Rhein’, Gesamtausgabe Bd. 39, Frankfurt am Main: Klostermann, 1980, p. 74. 192 hand der Dichtung Hölderlins sich zu zeigen bemüht 610 . Erst über diesen genuinen Zugang zur Sprache erhalte der Mensch auch Zugang zu seinem Sein. Dies begründet Heidegger durch das Gefahrenpotential der Sprache für den Menschen, welche er, in Übernahme eines Ausdrucks von Hölderlin, als „der Güter Gefährlichstes“ 611 bezeichnet. Dabei ist dieses gefährlichste Gut in zweideutiger Weise eine Gefahr für den Menschen. Zunächst einmal ist Sprache genau aus dem Grunde gefährlich, dass sie dem Menschen einen Zugang zum Sein eröffnet. Denn Zugang zum Sein bedeutet in letzter Konsequenz, dass mit der Offenbarkeit des Seins auch das Nichtsein enthüllt wird: Nur wo Welt, d.h. wo Sprache, da ist höchste Gefahr, die Gefahr überhaupt, d.h. die Bedrohung des Seins als solchen durch das Nichtsein. Die Sprache ist nicht nur gefährlich, weil sie den Menschen in Gefahr bringt, sondern das Gefährlichste, die Gefahr der Gefahren, weil sie die Möglichkeit der Seynsbedrohung überhaupt erst schafft und allein offenhält. Weil der Mensch in der Sprache ist, deshalb schafft er diese Gefahr und bringt die in ihr lauernde Zerstörung. Als das Gefährlichste ist die Sprache das Zweischneidigste und Zweideutigste. Sie stellt den Menschen in die Zone höchsten Erringens und hält ihn zugleich im Bereich abgründigen Verfalls. 612 Damit, dass die Sprache also die Möglichkeit des Zugangs zum Sein in sich birgt, eröffnet beziehungsweise enthüllt sie die Möglichkeit des Nichtseins. Der Preis des Welt-habens ist das Wissen um die Möglichkeit des Weltverlierens, die Erschließbarkeit des Seins beinhaltet auch die Erschließung des Nichtmehr-seins. Für Tiere zum Beispiel gibt es keine Welt, beziehungsweise sind sie „weltarm“, wie es in den Grundbegriffen heißt 613 , und mithin haben sie auch keine Zugangsmöglichkeit zum Sein, aber im Gegenzug gibt es für sie auch weder das Nichtsein noch „die Leere des Nichts“ 614 . Daneben beinhaltet die Sprache - und dies ist eine Gefahr in einem anderen Sinne - die Möglichkeit des Verfalls. In der Abwandlung des eigentlichen, ursprünglichen Sagens verstellt die Sprache, namentlich als Gerede, den Zugang zum Sein und damit zugleich zum Nichtsein. Strukturell entspricht dies selbstverständlich der Konstellation von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit als fundamentalen Modi des Daseins, in der die Verfallenheit an das Man erklärt wurde über dessen Beruhigungscha- 610 Heidegger schränkt dies freilich explizit auf die „große Dichtung“ (Martin Heidegger, Einführung in die Metaphysik, Gesamtausgabe Bd. 40, Frankfurt am Main: Klostermann, 1983, p. 180) ein und eigentlich im Wesentlichen auf die Dichtung Friedrich Hölderlins. 611 Hölderlins Hymnen ‚Germanien’ und ‚Der Rhein’, p. 61. 612 Hölderlins Hymnen ‚Germanien’ und ‚Der Rhein’, p. 62 (Hervorhebungen M.H.). 613 Vgl. Grundbegriffe, pp. 274ff. 614 Hölderlins Hymnen ‚Germanien’ und ‚Der Rhein’, p. 62. 193 rakter, insofern die Vorausgelegtheit des Man den Blick auf das Dasein als Sein zum Tode verstellt. Wenn Heidegger nun die Dichtung als Ursprache eines Volkes bezeichnet, die das Sein eines Volkes begründe, dann könnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass in der Tat die Dichtung letztlich besser geeignet sei, den Zugang zum Sein zu ermöglichen als die Philosophie selbst, und die Nachdrücklichkeit, mit der Heidegger in seinen Reflexionen über die Bedeutung der Dichtung in Bezug auf die Sprache darum bemüht ist, der Philosophie ihre tragende Rolle für den Zugang zur Seinsfrage zu sichern, scheint diesen Eindruck zumindest nicht zu entkräften. In jedem Falle betont er, dass letztlich Philosophie und Dichtung, jedoch auf je eigene Weise, dazu bestimmt seien, die Frage nach dem Sein zu stellen. Dabei komme es in beiden Fällen darauf an, den richtigen Zugang zu finden, das heißt, dass das richtige Verhältnis zur Dichtung beziehungsweise Philosophie erreicht werde. Denn wenn, wie Heidegger am Beispiel der Dichtung Hölderlins verdeutlicht, Dichtung einen Weg zum Sein eröffnen kann, ja mehr noch: Sein stiftet, dann liegt dies nicht nur in der Dichtung selbst, sondern es ist wesentlich, dass der Leser die Dichtung als seinsstiftende begreift, dass er im Nachsagen der Dichtung der seinsstiftenden Kraft der Dichtung gewahr wird. Das kann nur gelingen, wenn das Nachsagen ebenfalls ein dichterisches ist: „Ein Gedicht nachsprechen und sogar auswendig hersagen können, heißt noch nicht, die Dichtung dichterisch mitsagen.“ 615 Aber nur wenn es gelingt, die Dichtung in diesem Sinne dichterisch mitzusagen, anders ausgedrückt, im Nachsagen der Dichtung sich in ein eigentliches Verhältnis zu derselben zu bringen, eröffnet sich der Weg eines Zugangs zum Sein. Der Zugang zur Philosophie weist diesbezüglich analoge Strukturen auf. Auch der Zugang zur Philosophie muss gelingen als eigentlicher, oder wie Heidegger ab den 30er Jahren bevorzugt sagt, als wesentlicher. Genauso wenig wie das bloße Nachsagen eines auswendig gelernten Gedichtes notwendigerweise den eigentlichen Zugang eröffnet, genauso wenig bedeutet das Hören und Mitschreiben dessen, was zum Beispiel in einer philosophischen Vorlesung zur Sprache kommt, dass man im eigentlichen Sinne verstanden hat, worum es in der Vorlesung geht. Verstehen bedeutet in der Philosophie wie in der Poesie prinzipiell eigentliches Verstehen. Hier entsprechen Heideggers Überlegungen den methodischen Vorüberlegungen in den Grundbegriffen. Jedoch wird der veränderte Schwerpunkt deutlich, wenn er betont, dass die Schwierigkeit des eigentlichen Verstehens darin liege, dass letztlich das Gesagte nur als ein Hinweisen zu verstehen ist auf das, was erschwiegen werden soll: „In einer wirklichen philosophischen Vorlesung z.B. kommt es nicht eigentlich darauf an, was unmittelbar gesagt wird, sondern auf das, was in dem Sagen er- 615 Hölderlins Hymnen ‚Germanien’ und ‚Der Rhein’, p. 41. 194 schwiegen wird.“ 616 Sowohl in der Philosophie als auch in der Poesie kommt es also darauf an, hinter dem Gesagten im Erschwiegenen das eigentlich Gemeinte zu ‚hören’ 617 . Was in Sein und Zeit erst im Ansatz festzustellen war und in den Überlegungen Heideggers zum eigentlichen Philosophieren in den Grundbegriffen noch keine Rolle spielte, wird nun zentral - dass das, was eigentlich zu sagen ist, nur erschwiegen werden kann. In diesem Zusammenhang nimmt Heidegger auch die Illustration der Differenz zu den Wissenschaften wieder zur Hilfe, die er schon in den Grundbegriffen verwendet hatte. Bezog sich das In-ein-rechtes-Verhältnis- Setzen in den Grundbegriffen noch allein auf die Philosophie, hebt Heidegger nun in Hölderlins Hymnen ‚Germanien’ und ‚Der Rhein’ hervor, dass dies sowohl für Philosophie als auch für Dichtung gelte, um beide dann gemeinsam den Wissenschaften entgegenzustellen. Die wesentliche Differenz zwischen Philosophie und Dichtung auf der einen Seite und den Wissenschaften auf der anderen zeige sich in dem je eigenen Zugang zur Sprache, der bei den Wissenschaften ein instrumentell-funktionaler sei, dem es vorrangig um die Möglichkeit gehe, das Gesagte unmittelbar auffassen zu können als abrufbares Wissen. Die Möglichkeit und Notwendigkeit eines Erschweigens ist in den Wissenschaften weder gegeben noch erstrebenswert, während sie für die Philosophie wesentlich ist. Dabei attribuiert Heidegger keineswegs den Wissenschaften die besondere begrifflichen Strenge und Philosophie und Dichtung als seinserschließenden Disziplinen sprachliche Unschärfe, um dieserart Dichtung und Philosophie zusammenzurücken als Disziplinen, in denen es auf Präzision nicht in gleichem Maße ankomme wie in den Wissenschaften. Im Gegenteil dreht Heidegger diese Sichtweise um: Freilich, um im Sagen zugleich das wesentliche zu erschweigen, dazu kann man nicht Beliebiges verworren daherreden, sondern dieses Sagen verlangt von der Philosophie eine Strenge des Denkens und des Begriffes, wie sie die Wissenschaften nie erreichen und auch nicht brauchen. 618 Die Philosophie ist also nicht im Vergleich zu den Wissenschaften eine inferieure, das heißt weniger präzise Zugangsweise zur Welt, sondern sie ragt vielmehr über diese hinaus und zwar gerade in jenem Bereich, der 616 Hölderlins Hymnen ‚Germanien’ und ‚Der Rhein’, p. 41. 617 Vgl. Hölderlins Hymnen ‚Germanien’ und ‚Der Rhein’, p. 41. 618 Hölderlins Hymnen ‚Germanien’ und ‚Der Rhein’, p. 41. Dieser Gedanke einer besonderen begrifflichen Strenge der Philosophie im Vergleich zu den Wissenschaften findet sich im Übrigen in ganz ähnlicher Weise bereits in den Grundbegriffen, wo es heißt: „Die metaphysischen Begriffe bleiben dem in sich gleichgültigen und unverbindlichen wissenschaftlichen Scharfsinn verschlossen. […] Vor allem aber, diese Begriffe und ihre begriffliche Strenge werden wir nie begriffen haben, wenn wir nicht zuvor ergriffen sind von dem, was sie begreifen sollen“ (Grundbegriffe, p. 9; Hervorhebungen M.H.). 195 gemeinhin als der ureigenste Zuständigkeitsbereich der Wissenschaften gilt: in der Strenge des Denkens, insoweit selbstverständlich, wie das in Frage Stehende das dem Menschen im eigentlichen Sinne Wesentliche ist 619 . Nicht zuletzt aufgrund des der Philosophie und der Dichtung gemeinsamen Fragebereichs, das heißt ihres seinsaufschließendes Vermögens, stehen beide also - gemeinsam und auf gleicher Höhe - über den Wissenschaften und sind in diesem Sinne die zwei ausgezeichneten Seinsweisens, die Zugang zum Sein bieten und damit auch zur Sprache als „Haus des Seins“ 620 . Freilich illustriert Heidegger in seinen Erörterungen der Gemeinsamkeiten von Philosophie und Dichtung immer wieder vor allem die Seinserschließung der Dichtung, wie exemplarisch in seiner Hölderlin- Auslegung deutlich wird. Dem bereits geäußerten Verdacht, dass letztlich eventuell der Zugang zum Sein in der Tat eher von der Poesie geleistet werden könnte, entspricht auch, dass Heidegger selbst konzediert: 619 Auch dies findet sich bereits in den Grundbegriffen, wo, wie gezeigt, in Heideggers Äußerungen über die Wissenschaften gleichzeitig, noch nicht explizit das Dichten, wohl aber die Kunst der Philosophie nebengeordnet wird: „Der Vergleich der Philosophie aber mit der Wissenschaft ist eine unberechtigte Herabsetzung ihres Wesens. Ihr Vergleich mit Kunst und Religion ist dagegen eine berechtigte und notwendige Gleichstellung ihres Wesens“ (Grundbegriffe, p. 4). In diesem Zusammenhang kommt selbstverständlich auch eine weitere Gemeinsamkeit von Dichtung und Philosophie zum Tragen, die wiederum in den Bereich der Eigentlichkeit verweist und im Kontext der Heideggerschen Hölderlin-Auslegung bereits zur Sprache gekommen war. Wenn Heidegger, Hölderlin zitierend, von der Sprache als der Dinge Gefährlichstem gesprochen hatte, was sich im Kontext seiner Hölderlinauslegung in ausgezeichneter Weise auf dessen Dichtung bezog, so macht Heidegger in seiner Vorlesung Was ist Metaphysik deutlich, dass dies selbstverständlich auch ein Charakteristikum der Philosophie sei, insofern es sich um wesentliches oder eigentliches Philosophieren handelt. Wie gesehen hatte Heidegger diese Gefahr darauf zurückführt, dass Sprache als dichterische Sprache Welt erschließt, was aber besagt, dass Sprache, insofern sie Zugang zum Sein ist, auch das Nichts erschließt. Nur wenn Bewusstsein über das Sein existiert, existiert auch das Bewusstsein seines Gegenteils, des Nichtseins beziehungsweise des Nichts. Insofern die Wissenschaften keinen Zugang zum Sein bieten, bleibt ihnen auch das Nichts verschlossen, das Heidegger zufolge „grundsätzlich aller Wissenschaft unzugänglich ist“ (Einführung in die Metaphysik, p. 28). Dem wissenschaftlichen Positivismus muss das Nichts als Negativität verschlossen bleiben, was seinen Niederschlag darin findet, dass das Reden vom Nichts sinnlos ist. Dass es umgekehrt Dichtung und Philosophie möglich sei, vom Nichts zu sprechen, gründe daher nicht in der fehlenden Strenge ihres Denkens, sondern in der „wesenhafte[n] Überlegenheit“ des in ihnen waltenden Geistes „gegenüber aller bloßen Wissenschaft“ (ebd.). In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Karl Heinz Bohrer vehement bestreitet, dass die Philosophie - und zumal die Philosophie Heideggers - es vermöge, das Nichts zu denken (vgl. K. H. Bohrer, Ästhetische Negativität, pp. 190ff. Vgl. auch Anmerkung 22 auf p. 14 dieser Arbeit). 620 Martin Heidegger, Holzwege, Gesamtausgabe Bd. 15, Frankfurt am Main: Klostermann, 1972, p. 310. 196 Weil die Philosophie das Seyn sagt, und deshalb nur als Wort im Wort ist, und weil ihr Wort nie das Zusagende nur bedeutet oder bezeichnet, sondern im Sagen das Seyn selbst ist, möchte sie alsbald den Übertritt in die Dichtung als Nothilfe und als Gefäß zumal suchen. 621 Dieser Verdacht erhärtet sich auch vor dem Hintergrund, dass Heidegger selbst sich an der Poesie versucht und sich bemüht hat, bestimmte Gedanken seiner Philosophie poetisch zu fassen 622 . Freilich warnt Heidegger, trotzdem er von der ‚gleichrangigen’ Stellung von Philosophie und Poesie spricht, sogleich davor, hier Grenzen zu verwischen: Und doch bleibt dies immer eine Verstrickung in die Wurzeln eines Gleichgeordneten, das ob seines aus sich waltenden Eigenwesens von jeher unendlich dem Denken des Seyns ausgewichen. Denn die Dichtung ist auch anderen geschichte-gründenden Wesens; ihre ‚Zeiten’ decken sich nicht mit jenen des Denkens. 623 Dabei betont Heidegger, dass der Unterschied hier selbstverständlich nicht darin zu suchen sein könne, dass eine „Angleichung der Philosophie an die Dichtung und somit an die Kunst […] das denkerische Wissen“ gefährde, „weil dadurch sie die Strenge der ‚Wissenschaftlichkeit’ einbüßte“ 624 , insofern Heidegger ja explizit Poesie und Philosophie gemeinsam über die Wissenschaften stellt. Vielmehr richtet sich sein Vorbehalt darauf, dass das philosophische Denken als ein solches gleichsam ‚beweglich’ bleiben müsse und als „Denken des Seyns“ nicht wie die Poesie „in die Ruhe des ‚Werkes’ einkehren“ 625 dürfe: Die Zuflucht zur Dichtung ist die Flucht vor der kalten Kühnheit der Seinsfrage, die stets ein Zerbrechen der Machenschaft des Seienden, ihrer Ver- 621 Martin Heidegger, Besinnung, Gesamtausgabe Bd. 66, Frankfurt am Main: Klostermann, 1997, p. 51 (Hervorhebungen M.H.). 622 Wenn auch mit eher zweifelhaftem Erfolg, wie zumindest Jean-Baptiste Dussert meint, der den Eindruck gewinnt, dass letztlich aus dieser Heideggerschen Dichtung zu deutlich seine Philosophie spreche (vgl. J.-B. Dussert, ‚Heidegger en ses poèmes’, in Sebastian Hüsch (Hg.), Philosophy and Literature and the Crisis of Metaphysics, pp. 115-123, hier p. 115): „Quoique Heidegger n’ait jamais poursuivi l’idéal d’une langue formulaire, et ait sans cesse recours à l’étymologie pour révéler combien l’être parle dans nos textes, jamais ces deux aspects ‚ne s’ajointent […] purement et simplement’ chez lui. Son principal écrit poétique, Aus der Erfahrung des Denkens (L'expérience de la pensée), nous semble témoigner de cette faiblesse, puisqu’il met en regard quelques versets poétiques dont le style imite Hölderlin, avec de plus longues strophes dont le recours à des images poétiques ne dissimule guère qu’il s’agit toujours et seulement de sa philosophie, quoiqu’exprimée d’une manière plus elliptique encore.“ 623 Martin Heidegger, Besinnung, p. 51. 624 Martin Heidegger, Besinnung, p. 51. 625 Martin Heidegger, Besinnung, p. 51. 197 leugnung des Seyns, vollbringt und in der Unruhe und Zerklüftung eines Bruchs verharren muß […]. 626 In diesem Sinne steht also bei der Philosophie das Weghafte des Denkens besonders im Vordergrund, welches hier den Weg zur Sprache und damit zum Sein eröffnet. Andererseits bleibt die Frage sicher im Raum, ob nicht jenseits eines Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit als fundamentales Problem des Philosophierens bestehen bleibt, dass dieses letztlich aufgefordert ist, etwas zu leisten, was ihm im Grunde entzogen ist, insofern ihm als eigentlichem Philosophieren ‚die Worte fehlen’. Wenn allein ein erschweigendes Hin-deuten möglich bleibt, dann fragt sich, ob in dieser Hinsicht nicht doch die Dichtung eher dies zu leisten vermag, was im Grunde auch die folgende Überlegung Heideggers entgegen seiner Absicht zum Vorschein bringt: Das höchste denkerische Sagen besteht darin, im Sagen das eigentlich zu Sagende nicht einfach zu verschweigen, sondern es so zu sagen, daß es im Nichtsagen genannt wird: das Sagen des Denkens ist ein Erschweigen. Dieses Sagen entspricht auch dem tiefsten Wesen der Sprache, die ihren Ursprung im Schweigen hat. 627 Günter Wohlfahrt kommentiert nun in Bezug auf diese Überlegungen durchaus naheliegend: Nicht das höchste denkerische Sagen, wie Heidegger meint, - sondern das höchste dichterische Sagen besteht darin, ‚im Sagen das eigentlich zu Sagende nicht einfach zu verschweigen, sondern es so zu sagen, daß es im Nichtsagen genannt wird.’ 628 Heideggers Fortführung der oben zitierten Passage lässt dann auch wieder an die Bemerkung Rortys denken, Heidegger versuche für die Kapitulation der Philosophie ehrenhafte Bedingungen auszuhandeln, insofern er ausgehend von dieser Überlegung zwar das ‚Dichterische’ eines solchen Vorgehens konzediert, jedoch gleichzeitig die Grenze zwischen und die Gleichstellung von Denken und Dichten aufrechterhält: „Als Erschweigender rückt der Denker in seiner Art und Weise in den Rang des Dichters und 626 Martin Heidegger, Besinnung, p. 51. 627 Nietzsche, Bd. 1, Pfullingen: Neske, 1961, pp. 471f. 628 Günter Wohlfahrt, ‚Dichten der Individualität’, in Th. S. Hoffmann und S. Majetschak, Denken der Individualität. Festschrift für Josef Simon zum 65. Geburtstag, Berlin: de Gruyter, 1995, pp. 55-66, hier p. 64 (Hervorhebungen G.W.). Insofern ist auch durchaus folgerichtig, dass Christiane Schildknecht und Dieter Teichert bei Heidegger zwar den Gedanken einer Komplementarität von Philosophie und Dichtung verorten, innerhalb derer aber wiederum - im Grunde gegen Heidegger - diesem eine „Höherbewertung der Bedeutung von Literatur und Kunst“ (Ch. Schildknecht/ D. Teichert, Einleitung zu dies. (Hg.), Philosophie in Literatur, p. 12) zuschreiben. 198 bleibt doch ewig von ihm geschieden, wie umgekehrt auch der Dichter vom Denker.“ 629 Fazit Im vorangegangenen Abschnitt ging es um die Frage, inwieweit das Sprachverständnis Heideggers besondere methodische Voraussetzungen impliziert, die sich auf die Art und Weise der Entfaltung der Langeweileproblematik als Grundstimmung in den Grundbegriffen der Metaphysik auswirken, das heißt, ob sich Heideggers Reflexionen zur Sprache in den Grundbegriffen in prägnanter Weise in der Form niederschlagen. Diese Frage ließ zunächst das Problem eigentlichen und uneigentlichen Sprechens in den Fokus treten, insofern es Heidegger darum geht, den Begriff des eigentlichen Sprechens zu erläutern als Voraussetzung für ein gelingendes eigentliches Philosophieren. Hier wurden im Rückgriff auf die Sprachanalyse in Sein und Zeit und die dort entwickelten Überlegungen zu Rede und Gerede deutlich, dass im Grunde die Problematik der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit Heidegger nicht notwendig zu besonderen stilistischen Maßnahmen anhält, insofern die Einteilung in Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit zwar auf eine Differenz in der Erschließung des Daseins hinweist, diese sich jedoch nicht äußerlich niederschlagen muss. Im Gegenteil betont Heidegger, dass die Differenz von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, von Rede und Gerede immer zweideutig bleibe, da nicht gewusst werden kann, welches Ausgesprochene im eigentlichen Sinne erschlossen und welches bloß nachgesprochen ist. Damit ergibt sich zunächst keine Notwendigkeit beziehungsweise nicht einmal die Möglichkeit, Eigentlichkeit in der Form unzweideutig ‚sichtbar’ zu machen. Die durchaus konventionelle Form der Grundbegriffe - genauso wie von Sein und Zeit - steht also zunächst nicht im Widerspruch zu Heideggers Anspruch, ‚anders’ zu philosophieren und zu seiner expliziten und eindringlichen Abgrenzung von der philosophischen Tradition und deren Ausrichtung am Ideal der Wissenschaftlichkeit. Heidegger verweist sogar ausdrücklich auch hier auf die Zweideutigkeit, dass nämlich Philosophie so aussehen könne wie Wissenschaft, es aber doch nicht sei. Genauso könne „ein Gespräch unter vier Augen geschehen ohne jede wissenschaftliche Terminologie und Aufmachung, eine gewöhnliche Aussprache - und ist doch durch und durch strengstes philosophisches Begreifen“ 630 . Eigentliche Philosophie ist also nicht an der Form erkennbar, sondern „ist nur für den zu erkennen, der zuinnerst mit ihr verwandt worden ist, d.h. sich um sie bemüht“ 631 . Mit dem Insistieren auf der Zweideutigkeit rückt also die Form in den Hinter- 629 Nietzsche, Bd. 1, p. 472. 630 Grundbegriffe, p. 17. 631 Grundbegriffe, p. 17. 199 grund, die dieserart gleichsam nur unumgängliches „Scheingebilde[…]“ oder „Verkleidung[…]“ 632 ist. Die Betonung der Unentscheidbarkeit, ob eigentlich philosophiert wird oder nicht, wie sie in den Grundbegriffen zur Sprache kommt, entspricht der Zweideutigkeit von Rede und Gerede in Sein und Zeit. Freilich schleicht sich gerade in die Analyse der Sprache in Sein und Zeit eine weitere Zweideutigkeit ein, auf die Heidegger im Grunde nie explizit eingeht. Denn zwar spricht er von der Zweideutigkeit in Bezug auf Rede und Gerede, stellt zugleich aber das Schweigen als eine Möglichkeit dar, „eigentlicher“ zu verstehen zu geben. Weiter aufgewertet wird das Schweigen dadurch, dass auch der Ruf des Gewissens im Modus des Schweigens sich vollzieht - womit das Dasein vor die Möglichkeit des eigentlichen Selbstseinkönnens gebracht wird über das Schweigen. Hieraus ergab sich das Problem, dass im Grunde Heideggers Argumentation darauf hinausläuft, dass Eigentlichkeit nur im Modus des Schweigens möglich zu sein scheint. Dass auch jene andere Schwierigkeit, dass es neben dem eigentlichen Schweigen auch - analog zum uneigentlichen Gerede - ein Geschweige geben müsste, nicht in den Blick Heideggers gerät, darauf deutet die zunehmende Aufwertung, die das Schweigen als ein Erschweigen in seinem späteren Denken erfahren sollte. Die damit einhergehende größere Beachtung der Dichtung ist ebenfalls aufschlussreich, insofern es in der Tat nahe liegt, in der Dichtung mit ihren Verweisungsmöglichkeiten das ideale Medium eines solchen Erschweigens zu erblicken. Zahlreiche Reflexionen Heideggers gehen auch in diese Richtung, freilich betont er wohl ebenso häufig, dass Philosophie und Dichtung zwei distinkte Zugangsweisen zum Sein bieten und hält damit an einer Trennung von Philosophie und Dichtung fest. Die diesbezüglichen Überlegungen Heideggers sind hier nur kurz skizziert worden, insofern sie in Bezug auf die Entfaltung der Problematik der Langeweile und deren methodischen Rahmen noch keine Konsequenzen zeitigen, jedoch auf der anderen Seite gerade mit der Entwicklung der Problematik des Erschweigens und der nicht zuletzt hieraus resultierenden Inblicknahme der Dichtung einen aufschlussreichen Horizont bieten. Für den vorliegenden Zusammenhang ist das Wesentliche die Verbindung der Problematik der Eigentlichkeit mit der Frage der Sprache. Hier lässt sich zusammenfassend festhalten, dass letztlich die Mitteilung immer in einem zweideutigen Verhältnis zu dem Mitgeteilten steht, insofern sich das Gesagte nicht notwendig in dem unterscheidet, wie es gesagt ist, sondern darin, wie dieses Gesagte erschlossen ist. In diese Zweideutigkeit nimmt Heidegger konsequenterweise - zumindest als Geste - auch seine eigenen Ausführungen zu den Grundbegriffen der Metaphysik mit hinein. Die auffälligste Besonderheit, die formal sichtbar wird und den zweideutigen Charakter des Philosophierens durchscheinen lässt, ist die Tatsache, dass 632 Grundbegriffe, p. 17. 200 Heidegger zahlreiche Überlegungen als Fragen formuliert beziehungsweise als Vermutung, eingeleitet durch ein „Vielleicht“, womit er dem Anspruch gerecht wird, Philosophie als ein Fragen kenntlich zu machen, das nicht in ein abgeschlossenes ‚Werk’ überführt werden kann. Sprache bei Sören Kierkegaard Wenn also für Heidegger konstatiert werden kann, dass die formale Gestaltung, insofern sie die prinzipielle Zweideutigkeit des Philosophierens nicht hintergehen kann, letztlich - zumindest in den Grundbegriffen - keine besondere Relevanz hat, ist die Reflexion auf die Art der Darstellung ein wesentlicher Bestandteil des Kierkegaardschen Philosophierens, was sich unzweideutig gerade an Entweder/ Oder ablesen lässt, wo diese Reflexionen einen eindrücklichen Niederschlag in dem finden, was man seinen besondern philosophischen Stil nennen könnte 633 . Einen geeigneten Ausgangspunkt für die Frage nach der Bedeutung der Sprache bei Kierkegaard können die Reflexionen des Pseudonyms Johannes Climacus in der Schrift De Omnibus Dubitandum bieten, wo dieser die These vertritt, dass es eine unüberbrückbare Kluft gebe zwischen Denken und Sein: Wenn wir etwas sprachlich fassen, dann fassen wir es im Grunde nicht, denn in dem Moment, in dem wir die Realität in Worten beschrei- 633 Vgl. Sebastian Hüsch, ‚Style et signification. Intériorité et communication indirecte chez Søren Kierkegaard’, in ders. (Hg.), Philosophy and Literature and the Crisis of Metaphysics, pp. 80-91. In der besonderen Bedeutung, die bei Kierkegaard der Form der Darstellung zuwächst, kann man deutlich den Einfluss frühromantischer Sprachphilosophie erkennen (vgl. dazu die folgenden Ausführungen zum Ironiebegriff), aber auch Hamanns (vgl. Joachim Ringleben, ‚Sören Kierkegaard als Hamann-Leser’, in Bernhard Gajek (Hg.), Die Gegenwärtigkeit Johann Georg Hamanns, Frankfurt am Main: Peter Lang, 2005, pp. 455-465). Es ist eine in der Forschung immer noch nicht selten vernachlässigte Tatsache, dass Kierkegaards gesamte philosophische Methodik auf engste mit seinen Reflexionen über die Sprache verbunden ist und dass seine Texte in ihrer Deutbarkeit von der Berücksichtigung der Mitteilungsstrukturen abhängen. Diese Vernachlässigung der Mitteilungsstrukturen gilt allerdings weniger ‚theoretisch’ als ‚praktisch’. So wird zwar in der Regel auf die Besonderheit der Kierkegaardschen Schreibweise hingewiesen, jedoch werden daraus in der Praxis für die Deutung beziehungsweise eine Problematisierung der Deutbarkeit oft keinerlei Konsequenzen gezogen. Noch immer zeichnet sich ein nicht geringer Teil der Forschungsarbeiten zu Kierkegaard durch das aus, was Roger Poole als „blunt reading“ bezeichnet hat. In ‚The Unknown Kierkegaard’ definiert Poole dieses folgendermaßen: „Blunt reading is that kind of reading that refuses, as a matter of principle, to accord a literary status to the text; that refuses the implications of the pseudonymous technique; that misses the irony; that is ignorant to the reigning Romantic ironic conditions obtaining when Kierkegaard wrote […]“ (ders., ‚The Unknown Kierkegaard: Twentieth Century Receptions’, in Alastair Hannay und Gordon D. Marino, The Cambridge Companion to Kierkegaard, Cambridge: Cambridge University Press, 1998, pp. 48-74, hier pp. 59f.). Vgl. auch ders., Kierkegaard. The Indirect Communication, Charlottesville: University Press of Virginia, 1993). 201 ben, ist sie nicht mehr Realität, sondern Idealität, so argumentiert Climacus dort: Die Unmittelbarkeit ist die Realität, die Sprache ist die Idealität, das Bewußtsein ist der Widerspruch. In dem Augenblick, da ich die Realität aussage, ist der Widerspruch da; denn was ich sage, ist die Idealität. 634 In ähnlicher Weise wird in der Unwissenschaftlichen Nachschrift die Sprache als die Sphäre der Idealität gefasst. Dort heißt es dementsprechend: Vom Denken aufs Dasein zu schließen, ist also ein Widerspruch; denn das Denken nimmt gerade […] vom Wirklichen das Dasein fort und denkt es, indem es das Wirkliche aufhebt, indem es das Wirkliche in die Möglichkeit übersetzt. 635 Dabei geht Climacus in der Unwissenschaftlichen Nachschrift über die Ausführungen in den Philosophischen Brocken insofern hinaus, als er die dortige reflexive Einholung der Besonderheit von Sprache nun auf die Möglichkeit existenzieller Mitteilung anwendet und damit theoretisch die Notwendigkeit indirekter Mitteilung entwickelt. Dies geschieht, indem er zunächst, ausgehend von der Gegenüberstellung von Denken und Sein, die Differenz zwischen Objektivität und Subjektivität und den mit diesen jeweils verbundenen Wahrheitsbegriffen expliziert, welche ihrerseits auf einen zentralen Aspekt der Opposition von Wirklichkeit und Möglichkeit hinführt. Der maßgebliche Unterschied zwischen objektiver Wahrheit und subjektiver Wahrheit bestehe darin, so Climacus, dass objektive Wahrheit ist, während subjektive Wahrheit als Wahrheit eines Existierenden mit dem Begriff des Werdens zusammengedacht werden müsse. Objektive Wahrheiten sind unveränderlich und gelten unabhängig von kontingenten Faktoren. Dagegen muss subjektive Wahrheit der Tatsache gerecht werden, dass der Denker, der sie denkt, ein Dasein ist, das Existenz hat und mithin niemals ist, sondern immer nur wird: Während das objektive Denken alles aufs Resultat abstellt […], stellt das subjektive Denken alles auf das Werden ab und läßt das Resultat aus, teils weil es eben dem Denker gehört, da er den Weg hat, teils weil er als Existierender ständig im Werden ist, was ja jeder Mensch ist […]. 636 Mithin ist ein Resultat nur im objektiven Denken möglich, insofern es vom Dasein und damit vom Werden abstrahiert. Damit wird es dem objektiven Denken aber unmöglich, Wirklichkeit zu beschreiben, denn diese ist kein Resultat, sondern ist nur im Werden und als Werden. Wenn also das objektive Denken etwas über die Wirklichkeit sagen will, so sagt es im Grunde 634 Philosophische Brocken, p. 155. 635 Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den philosophischen Brocken, Bd. II, Düsseldorf: Diederichs, 1959, p. 18. 636 Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 65. 202 nichts über die Wirklichkeit, sondern es beschreibt eine Möglichkeit. Objektives Denken ist also da am Platze, wo es Resultate geben kann, im reinen Denken, so etwa in der Mathematik. Für die Philosophie hingegen ergibt sich hier eine Schwierigkeit, wie Climacus am Beispiel der philosophischen Spekulation deutlich macht 637 . So verkünde diese zwar wie die Mathematik Resultate, freilich beziehe sie sich nicht auf dieserart Darstellbares, sondern auf etwas, das im Werden ist. Denn anders als die Mathematik, die keine Relation zur Wirklichkeit herzustellen bemüht ist, will das abstrakte Denken im Sinne der Spekulation etwas über die Wirklichkeit aussagen. Dies kann ihm allerdings nicht gelingen, denn indem es die Wirklichkeit denkt, vernichtet es sie als Wirklichkeit. Der Bezug zur Wirklichkeit, welcher sie von der Mathematik unterscheidet, stellt die Abstraktion dabei in Widerspruch zu ihrem eigenen Anspruch, nämlich die Wirklichkeit zu erklären. Denn das, was sie erklären will, kann sie nur dann erklären, wenn sie es zum Verschwinden bringt: Die Misslichkeit der Abstraktion zeigt sich eben in bezug auf alle Existenzfragen, wo die Abstraktion die Schwierigkeit dadurch entfernt, daß sie sie auslässt, und dann sich damit brüstet, alles zu erklären. 638 Als Beispiel führt Climacus das Problem der Unsterblichkeit an. Die Abstraktion erklärt die Unsterblichkeit überhaupt, und siehe da, das geht vortrefflich, indem die Unsterblichkeit mit der Ewigkeit identisch wird, mit der Ewigkeit, welche wesentlich das Medium des Gedankens ist. Aber darum, ob ein einzelner existierender Mensch unsterblich ist, worin gerade die Schwierigkeit liegt, kümmert sich die Abstraktion nicht. 639 Im „reinen Denken und dem reinen Sein“ 640 gibt es keine Widersprüchlichkeit, denn diese tritt ja erst durch jene unüberbrückbare Differenz zwischen der Wirklichkeit und dem Denken der Wirklichkeit auf den Plan, von der das reine Denken abstrahiert. Allerdings hat dieses dann selbstverständlich auch keinen Bezug mehr zur Wirklichkeit, so wie Climacus sie hier auffasst, als Existieren. Was für die Mathematik kein Problem ist, wird es für das logische System, denn in ein logisches System darf nichts aufgenommen werden, was ein Verhältnis zum Dasein hat, was nicht gegen die Existenz gleichgültig ist. Das unendliche Übergewicht, das das Logische dadurch, daß es das Objektive ist, über alles Denken hat, wird wieder dadurch begrenzt, daß es subjektiv gesehen eine Hypothese ist, gerade weil es im Sinne der Wirklichkeit gleich- 637 Climacus bezieht sich hier selbstverständlich auf die Hegelsche Philosophie beziehungsweise den Hegelianismus. 638 Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 2. 639 Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 2. 640 Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 5. 203 gültig gegen das Dasein ist. Dieser sein Doppelcharakter ist der Unterschied des Logischen vom Mathematischen, das gar kein Verhältnis zum Dasein, weder hin zu ihm oder weg davon, hat, sondern das nur die Objektivität hat - nicht die Objektivität und das Hypothetische als Einheit und Widerspruch, worin es sich negativ zur Existenz verhält. 641 Das System als „Abgeschlossenheit, die zusammenschließt“ 642 , muss also prinzipiell daran scheitern, die Existenz als Existenz zu fassen, weil letztere sich nicht abstrakt fassen lässt, sondern, sobald sie gedacht wird, aufgehoben ist. Da nun aber das System nicht in der Lage ist, das Dasein zu fassen, sind seine Erkenntnisse im Sinne der Existenz gleichgültig. Für das subjektive Denken hingegen kommt es auf das Interesse an. Der Existierende ist an seiner Existenz unendlich interessiert, denn es geht ihm gerade nicht um eine abstrakte Wahrheit, sondern um subjektive Wahrheit, die nichts Abgeschlossenes ist, das außerhalb des Existierenden liegt, sondern sie liegt im Existierenden und ist, insofern er ein Existierender ist, nie abgeschlossen, sondern immer im Werden: Insofern alles Denken indessen ewig ist, ist die Schwierigkeit für den Existierenden (gegeben). Mit der Existenz umgehen ist eine überaus schwierige Sache, ebenso wie mit der Bewegung [d. h. mit dem Werden im Gegensatz zum Sein; S.H.]. Denke ich sie, so hebe ich sie auf, und damit denke ich sie nicht. Da könnte es wohl richtig erscheinen zu sagen, daß es etwas gibt, was sich nicht denken läßt: das Existieren. Aber da ist die Schwierigkeit wiederum, daß die Existenz es dadurch zusammen setzt, daß der Denkende existiert. 643 Aus dieser Kritik des abstrakten Denkens ergibt sich nun folgerichtig jene Schwierigkeit, vor die Kierkegaard sein eigenes Philosophieren gestellt sieht. Wenn es darum geht, die Existenz zu fassen, die, wie gesehen, von der Idealität disruptiv getrennt ist, wird mit einem Male die Sprachlichkeit zu einem Problem, insofern sie das Medium der Reflexion ist, die Reflexion aber im Widerspruch zur Existenz steht. Das Problem besteht mithin darin, dass Sprache als Medium der Reflexion zunächst prinzipiell daran scheitern muss, subjektive Wahrheit zu kommunizieren, da subjektive Wahrheit derart ist, dass sie Wahrheit ist für das Subjekt in seinem Existieren und als existierendes und damit unmittelbar, Reflexion jedoch als Mittelbarkeit die Wirklichkeit des Existierens in Möglichkeit überführt. Strukturell nimmt dies die Unterscheidung in Idealität und Wirklichkeit aus den Philosophischen Brocken wieder auf: Wann immer das Denken die Wirklichkeit zu fassen denkt, fasst es sie als Möglichkeit: 641 Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 103. 642 Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 111. 643 Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 9. 204 Die Abstraktion stellt abhandelnd Möglichkeit und Wirklichkeit dar, aber ihre Auffassung von Wirklichkeit ist eine falsche Wiedergabe, da das Medium (die Wiedergabe) nicht die Wirklichkeit ist, sondern die Möglichkeit. 644 Damit ist die Sprache als Medium der Reflexion auch nicht in der Lage, Wirklichkeit als Wirklichkeit des existierenden Einzelnen zu fassen, insofern „die wirkliche Subjektivität […] nicht die wissende“ ist, „denn durch das Wissen ist der Mensch im Medium der Möglichkeit“ 645 . Sprache kann also eigentlich nur Wissen zur Sprache bringen, das heißt, Möglichkeit, was wiederum bedeutet, dass sie nichts über den Einzelnen als existierenden sagen kann, denn „[j]edes Wissen um Wirklichkeit“, so betont Climacus, „ist Möglichkeit“ 646 . Aus diesem Grunde kann Sprache nichts über Existenz als Existenz aussagen. Insofern freilich die Sprache auch das Medium der Kommunikation zwischen Subjektivität und Subjektivität ist, kann es konsequenterweise dann aber auch keinen gemeinsamen Raum einer Kommunikation von Subjektivität zu Subjektivität als Subjektivitäten mehr geben, das heißt keinen Raum der Kommunikation, in dem ein einzelner Existierender seine Subjektivität einem anderen Existierenden direkt mitteilen könnte. Denn „[d]ie einzige Wirklichkeit, die es für einen Existierenden gibt, ist seine eigene“ 647 und um die Wirklichkeit anderer Existierender weiß er nur und das heißt, wie Climacus zuvor betont hatte, sie ist für ihn nicht Wirklichkeit, sondern Möglichkeit. Insofern es aber „kein unmittelbares Verhältnis zwischen Subjekt und Subjekt“ 648 geben kann, muss auch der ‚normale’ Gebrauch von Sprache, das heißt jedwede direkte Kommunikation, an dem Versuch einer Existenzmitteilung von Subjektivität zu Subjektivität prinzipiell scheitern. Anders als objektive Erkenntnis, die im Bereich der Reflexion verbleibt und über die Sprache als Medium der Reflexion angemessen eingeholt werden kann, nimmt also subjektive Erkenntnis beim Versuch ihrer sprachlichen Vermittlung gerade das Existieren fort und verwandelt es in Denken. Deshalb sagt Climacus ausdrücklich: „Die Verschiedenheit des subjektiven und objektiven Denkens muß sich auch in der Form der Mitteilung äußern […]. 649 “ Dem subjektiven Denker muss es darum gehen, „den Empfänger zu bedenken und auf die Form der Mitteilung hinsichtlich des Mißverstehens des Empfängers zu achten“ 650 . Es geht also darum, eine subjektive Erkenntnis als solche kenntlich zu machen und das kann zunächst nur dadurch gelingen, dass die Mitteilung zugleich mit dem Mittei- 644 Unwissenschaftliche Nachschrift II, pp. 15f. 645 Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 17. 646 Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 17. 647 Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 17. 648 Unwissenschaftliche Nachschrift II, pp. 22f. 649 Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 65 (meine Hervorhebung). 650 Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 68. 205 len darauf hinweist, dass das, was mitgeteilt werden soll, nicht mitgeteilt werden kann, da es um subjektive Wahrheit geht, die sich, wie gezeigt, jenseits des Sagbaren befindet, insofern sie diesen einzelnen Existierenden in seiner Innerlichkeit betrifft. Kierkegaards Versuch, diese Schwierigkeit methodisch zu lösen ist das, was er selbst als indirekte Mitteilung bezeichnet. Um die Mitteilung als eine sich auf die Subjektivität richtende - und mithin im Sinne einer direkten Mitteilung zum Scheitern verurteilte - kenntlich zu machen, überführt Kierkegaard die Reflexivität der Mitteilung in die zweite Potenz. In der Unwissenschaftlichen Nachschrift illustriert Climacus, wie ein solches Verfahren der Potenzierung direkter Mitteilung funktioniert: Wenn der Gedanke seinen rechten Ausdruck im Wort gefunden hat, was durch die erste Reflexion erreicht wird, dann kommt die zweiter Reflexion, die das eigene Verhältnis der Mitteilung zum Mitteilenden betrifft und das eigene Verhältnis des existierenden Mitteilenden zur Idee wiedergibt. 651 Mit anderen Worten, die Kommunikation eines Gedankens - das heißt die Kommunikation im Bereich der Idealität - entspricht einer direkten Mitteilung, während die Kommunikation subjektiver Erkenntnis einer zweiten Reflexionsebene bedarf, die das Verhältnis des Existierenden zur Mitteilung mitreflektiert und also mitkommuniziert. Genau dieser Anforderung soll Kierkegaards indirekte Mitteilung gerecht werden, dass nämlich die Mitteilung nicht einfach, sondern doppelt reflektiert ist, was sich wiederum, wie eingangs gesagt, in seinem philosophischen Stil niederschlägt 652 . Auch Climacus verwendet diesen Begriff explizit: Die Form des subjektiven Denkers, die Form seiner Mitteilung, ist sein Stil. Seine Form muß ebenso mannigfaltig sein wie die Gegensätze, die er zusammenhält. Das systematische eins, zwei, drei ist eine abstrakte Form, die deshalb auch jedes Mal in Verlegenheit geraten muß, wenn sie auf das Konkrete angewandt werden soll. In demselben Grade wie der subjektive Denker konkret ist, in demselben Grade muß auch seine Form konkret dialektisch sein. 653 Genau dieses Bewusstsein um die Problematizität der direkten Form spiegelt sich in Kierkegaards eigener schriftstellerischer Praxis, die das „syste- 651 Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 68. 652 Strukturell entspricht diese Doppelreflexion dem, was Gilles Gaston Granger als „surcodage“ bezeichnet, als eine Verschlüsselung auf zweiter Ebene. Im gleichen Sinne, wie Climacus in der Unwissenschaftlichen Nachschrift betont, dass dem Empfänger hier eine zentrale Rolle zufällt, notiert Granger: „Le propre de ce surcodage est de n’être pas donné a parte ante, mais d’être reconstitué plus ou moins librement a parte post par le récepteur du message, de sorte que la situation stylistique est une sorte de jeu de stratégie qui se joue au-delà du jeu ordinaire de communication“ (Granger, Bild et Gleichnis, p. 189). 653 Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 61 (meine Hervorhebung). 206 matische eins, zwei, drei“ in eine Multiplizität der Formen überführt, welche der literarästhetische Spiegel jener Einsicht in die Unangemessenheit direkter sprachlicher Form für die Existenzmitteilung ist. Damit einher geht aber noch ein weiterer Aspekt, der zum einen eine Rückanbindung bietet an die obigen Reflexionen zum Möglichkeitsbegriff Kierkegaards, zum anderen aber auch voraus weist auf die Notwendigkeit einer genaueren Betrachtung dessen, was als das Stilmittel Kierkegaardschen Schreibens betrachtet werden kann, die Ironie. So betont Climacus: Aber Existenzwirklichkeit läßt sich nicht mitteilen […]. Wenn Wirklichkeit von einem Dritten verstanden werden soll, muß sie als Möglichkeit verstanden werden, und ein Mitteilender, der sich dessen bewußt ist, wird darauf achten, daß seine Existenzmitteilung, gerade um in Richtung der Existenz zu liegen, in der Form der Möglichkeit sein muß. 654 Damit präzisiert sich an dieser Stelle - an das in diesem Zusammenhang bereits Gesagte 655 anschließend - die Bedeutung der Kategorie der Möglichkeit dadurch, dass sie hier noch einmal explizit in den Kontext des methodologischen Rahmens gerückt wird, der die theoretische Grundlage bildet für Kierkegaards philosophischen Stil. Nur durch die doppelte Überführung in Möglichkeit wird Kommunikation indirekt und als solche für den Leser als Existenzmitteilung zugänglich, freilich auch hier nur indirekt, über die Aneignung 656 . Wenn man nun konkreter die Frage stellt, welche literarästhetischen Konsequenzen der Versuch einer doppelt reflektierten Mitteilung in der 654 Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 62 (meine Hervorhebung). 655 Vgl. das Kapitel Möglichkeit bei Sören Kierkegaard (pp. 148ff. dieser Arbeit). 656 Das in der Unwissenschaftlichen Nachschrift in Angriff genommene Unterfangen, das Verfahren der indirekten Mitteilung als Verfahren zu erklären, birgt indes eine nicht zu vernachlässigende Schwierigkeit - und zwar, dass die theoretische Einholung Gefahr läuft, indirekte Mitteilung direkt aussagen zu wollen (vgl. auch Philipp Schwab, ‚Zwischen Sokrates und Hegel. Der Einzelne, die Weltgeschichte und die Form der indirekten Mitteilung in Kierkegaards Über den Begriff der Ironie’, in N. J. Cappelørn, H. Deuser, K. B. Söderquist (Hg.), Kierkegaard Yearbook 2009, p. 129). Der Hinweis auf diese indirekte Mitteilung ist im Grunde schon ein solcher Versuch und widerspricht zum einen der Vorstellung, dass von Individuum zu Individuum nur indirekt kommuniziert werden kann, und zum anderen sollte die indirekte Mitteilung ja gerade so ‚funktionieren’, dass ihr keine ‚Gebrauchsanweisung’ beigelegt werden muss, sondern dass sich die doppelte Kodierung des Gesagten aus der Textstruktur ergibt. Die indirekte Mitteilung muss also im Grunde literarästhetisch in den Text eingeschrieben sein und kann nicht der Erläuterung eines Dritten - und sei es der Verfasser selbst - bedürfen. Insofern wirft Lore Hühn meines Erachtens zu Recht die Frage auf, ob Kierkegaard nicht „überall dort von seinem Niveau abfällt, wo er der Darstellungskraft seiner hochgradig bewussten Reflexionen nicht mehr traut, ja seinem schriftstellerischen Selbstverständnis einer notwendigerweise offenen und indirekten Aneignungspraxis abschwört und unmittelbar affirmativ wird“ (dies., ‚Ironie und Dialektik’, p. 29). 207 Praxis hat, so kann selbstverständlich unmittelbar auf die Literarizität des Kierkegaardschen Schreibens verwiesen werden. Denn in der Zusammenführung der oben zitierten Betonung, dass die Mitteilung „die Form der Möglichkeit“ haben muss, mit den vorangegangenen Überlegungen zur Ambivalenz des Möglichkeitsbegriffs, wo dieser als Kategorie des Dichterischen expliziert worden war 657 , ergibt sich fast konsequenterweise diese Verbindung der doppelt reflektierten Mitteilung mit der Dichtung beziehungsweise Schriftstellerei. Dies wird im Übrigen auch von Kierkegaard selbst hervorgehoben, wenn er in einer „Erste[n] und letzte[n] Erklärung“ 658 davon spricht, dass die indirekte Mitteilung bedeute, gleichsam mit der „doppeltreflektierten leichten Idealität eines dichterisch-wirklichen Verfassers zu tanzen“ 659 . Jedoch ist mit der Wahl einer literarischdichterischen Darstellungsweise nur ein erster Schritt getan, und das fundamentale Kierkegaardsche Stilmittel zur Umsetzung dieses Projekts scheint mir die Überformung der Literarizität durch die Ironie zu sein 660 . Diese ist als literarästhetische und textstrukturelle Verweisungsstrategie die zentrale Konstitutionsbedingung der indirekten Mitteilung. Insofern Ironie auch gerade in der Interaktion zwischen dem Essay Wechselwirtschaft und den Antwortbriefen des Ethikers zum Tragen kommt und gezielt eine Mehrdeutigkeit generiert, die ihrerseits fundamentale Auswirkungen auf die Sinnkonstitutionsbedingungen hat und damit auf die unauflösliche Interdependenz von Form und Inhalt verweist, soll den methodologischen Grundlagen des Ironiegebrauchs bei Kierkegaard im Folgenden detailliert nachgegangen werden. 657 Vgl. pp. 148ff. dieser Arbeit. 658 Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 339. 659 Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 342. 660 Der Begriff Ironie ist so zentral für Kierkegaards Denken und Schreiben, dass indirekte Mitteilung und Ironie in der Forschung verschiedentlich gleichgesetzt beziehungsweise als quasi synonym eingeschätzt worden sind. So bei Ernst Behler, der im Kontext der Frage, ob Kierkegaards Ironieschrift ironisch sei, die Verbindung beider explizit herstellt, wenn er notiert: „[Kierkegaard] has non only split his identity as an author into a plurality of pseudonyms and masks, but also dissolved his texts into so many points of view and orders of discourse that nobody can doubt the seriousness and unseriousness of his writing. This manner of writing, however, is irony, and ‚indirect communication’ in Kierkegaard’s own designation.“ (E. Behler, ‚Kierkegaard’s The Concept of Irony with Constant Reference to Romanticism’, N. J. Cappelørn und Jon Stewart, Kierkegaard Revisited. Proceedings from the Conference ‚Kierkegaard and the Meaning of Meaning It’, Copenhagen, May 5-9, 1996, Berlin: de Gruyter, 2007, pp. 13-33, hier p. 31). Auch Philipp Schwab (‚Zwischen Sokrates und Hegel’, p. 133), schreibt Ironie und indirekter Mitteilung eine strukturelle Gemeinsamkeit zu, und zwar „Darstellung des Undarstellbaren“ (ebd.) zu sein. Dies ist eine Einschätzung, der ich zustimmen würde. 208 Ironie bei Sören Kierkegaard Der Begriff der Ironie hat gerade im Kontext der Moderne und in hervorragendem Maße seit der Theoretisierung des Ironiebegriffs durch die deutsche Frühromantik und insbesondere durch Friedrich Schlegel eine recht weitreichende Bedeutung erlangt. Bezeichnete Ironie über Jahrhunderte wesentlich und überwiegend die bekannte rhetorische Figur, dass etwas Bestimmtes gesagt wird, jedoch dessen Gegenteil gemeint ist, so erfährt dieses Ironieverständnis durch die Frühromantik eine entscheidende Erweiterung, die namentlich durch Friedrich Schlegel in den Lyzeums- und Athenäums-Fragmenten entwickelt wird und der Ironie eine wesentlich philosophische Dimension zuweist 661 . So heißt es im Lyceums-Fragment 42 ausdrücklich: „Die Philosophie ist die eigentliche Heimat der Ironie.“ 662 Die frühromantische philosophische Konzeptualisierung der Ironie hat in der Folge zu einer veritablen Explosion von Ironieformen und Theorien dessen geführt, was unter Ironie zu verstehen ist 663 . Hier geht es nun weniger darum, diesen Horizont abzuschreiten, als ich vielmehr versuchen möchte, den Ironiebegriff über drei Ansatzpunkte in den Blick zu nehmen, die mir in Bezug auf die Gegenüberstellung von Heidegger und Kierkegaard relevant zu werden versprechen. Insofern die Bedeutung des Möglichkeitsbegriffs bei Kierkegaard und dessen intrinsische Verbindung zur Ironie als ein zentraler Faktor bei der Einordnung der besonderen Textualität des Kierkegaardschen Schreibens betrachtet werden soll, möchte ich zunächst die impliziten und expliziten 661 Vgl. Ernst Behler: „When Friedrich Schlegel published 127 critical fragments in the periodical Lyceum in 1797, he brought about, among other things, a completely new conception of irony. Until far into the eighteenth century, irony had the coherent and consistent connotation of an established form of speech or communication that could be reduced to the simple formula, ‚a figure of speech by which one wants to convey the opposite of what one says’“ (ders., ‚Kierkegaard’s The Concept of Irony’, p. 14). Vgl. auch ders., Ironie und literarische Moderne, Paderborn: Schöningh, 1997. 662 KA II, p. 152, Fragment 42: „Die Philosophie ist die eigentliche Heimat der Ironie, welche man logische Schönheit definieren möchte.“ 663 Vgl. zur Ironie Beda Allemann, Ironie und Dichtung, Pfullingen: Neske, 1956; D. C. Muecke, The Compass of Irony, London: Methuen, 1969; ders., Irony, London: Methuen, 1970; Wayne Booth, A Rhetoric of Irony, Chicago: University of Chicago Press, 1974; Vladimir Jankélévitch, L’Ironie, Paris: Flammarion, 1979; Uwe Japp, Theorie der Ironie, Frankfurt am Main: Klostermann, 1983; Richard Rorty, Kontingenz; Armen Avanessian, Phänomenologie ironischen Geistes. Ethik, Poetik und Politik der Moderne, München: Fink, 2010; Paul de Man, ‚The Concept of Irony’, in Andrzej Warminski (Hg.) Aesthetic Ideology, Minneapolis: University of Minnesota Press, 1996, pp. 163-184. Zur methodischen Bedeutung der Ironie vgl. auch die spannende Arbeit von Eckhard Schumacher, Die Ironie der Unverständlichkeit: Johann Georg Hamann, Friedrich Schlegel, Jacques Derrida, Paul de Man, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000, sowie Karl Heinz Bohrer (Hg.), Sprachen der Ironie, Sprachen des Ernstes und Andreas Barth, Inverse Verkehrung der Reflexion. Ironische Textverfahren bei Friedrich Schlegel und Novalis, Heidelberg: Winter, 2001. 209 Verbindungen zwischen Ironie und Möglichkeit zum Ausgangs- und Bezugspunkt nehmen, so wie sie bei Kierkegaard relevant werden. Für einen solchen Zugriff ist zum einen die theoretische Auseinandersetzung mit der frühromantischen Ironie in Kierkegaards Dissertation Der Begriff der Ironie von Bedeutung und zum anderen der praktische Rückgriff auf Ironie, wie er in Kierkegaards Schreiben als produktionsästhetisches Verfahren Verwendung findet, wobei beide Aspekte selbstverständlich aufeinander verweisen. Darüber hinaus möchte ich einen weiterer Aspekt in den Blick nehmen, und zwar soll hier Richard Rortys Ironiebegriff näher untersucht werden, wie dieser ihn in Kontingenz, Ironie und Solidarität entwickelt, um Ironie in besonderer Weise als eine philosophische Haltung nutzbar zu machen. Die Auseinandersetzung mit Rorty scheint mir insofern unumgänglich, als dieser explizit Martin Heidegger mit dem Ironiebegriff in Verbindung bringt und diesen in den Rang eines „ironistischen“ Philosophen erhebt 664 . Insofern ich in der vorliegenden Studie den Begriff der Ironie als ein wesentliches Unterscheidungskriterium zwischen Kierkegaard und Heidegger plausibilisieren will, muss ich selbstverständlich auf die These, Heidegger sei als Ironiker zu betrachten, eingehen. Dabei sei vorab bereits erwähnt, dass Rortys Argumentation, anders als eventuell vorderhand zu erwarten wäre, mir letztlich zwar nicht in der Verwendung des Begriffs, wohl aber in einer von Rorty im Rahmen der Untersuchung vorgenommenen Binnendifferenzierung in „Schriftsteller der Ironie“ und „Theoretiker der Ironie“ letzten Endes zur Hilfe kommt, um den Unterschied zwischen Heidegger und Kierkegaard vielleicht noch präziser zu fassen und mithin, zumindest nach meinem Dafürhalten, meine These eher stützt als widerlegt. Die Ironiekonzeption in Sören Kierkegaards Über den Begriff Ironie In seiner Dissertationsschrift Über den Begriff der Ironie 665 nähert sich Kierkegaard dem Problem der Ironie über eine Opposition sokratischer und 664 Vgl. Rorty, Kontingenz, pp. 162ff. 665 Der Begriff Ironie hat lange Zeit in der Kierkegaardforschung eher eine Nebenrolle gespielt. Erst in jüngerer Zeit wird diese Schrift häufiger in den Mittelpunkt gerückt und das sicherlich zu Recht. Vgl. zur Rezeptionsgeschichte Stephen Tullberg, ‚More than Meets the Eye. On the Danish Reception of The concept of Irony’, in Kierkegaard Yearbook 2009, pp. 355-371; Philipp Schwab, ‚Der ‚ganze Kierkegaard im Keim’ und die Tradition der Ironie. Grundlinien der deutschsprachigen Rezeptionsgeschichte von Kierkegaards Über den Begriff der Ironie’, in Kierkegaard Yearbook 2009, pp. 373-492; K. Brian Söderquist, ‚A Short Story. The English Language Reception of On the Concept of Irony, in Kierkegaard Yearbook 2009, pp. 493-506. Vgl. auch Elisabeth Gräb- Schmidt, die betont, dass zahlreiche Kierkegaardsche Schlüsselkonzepte im Begriff Ironie bereits in nucleo enthalten seien, die dann in den pseudonymen Schriften nach und nach entfaltet würden (vgl. dies., ‚Ironie als Existenzbestimmung der Unendlichkeit. Zur Differenz des Ironiebegriffs bei Sokrates und Kierkegaard’, in Kier- 210 ‚moderner’ Ironie. Besonders interessant für den vorliegenden Zusammenhang ist der zweite Teil dieser Arbeit, in dem Kierkegaard seine Deutung der Ironie des Sokrates mit der frühromantischen Ironiekonzeption konfrontiert, wobei hier gerade Kierkegaards Kritik an der frühromantischen Ironie wertvolle Indizien liefert, in welche Richtung sich seine eigene Ironiekonzeption entwickeln würde und ein erhellendes Licht auf die Genese dessen wirft, was man vorsichtig als Kierkegaards ‚Poetologie’ bezeichnen könnte, eine Poetologie, die ihr Profil ganz besonders vor dem Hintergrund und in Abgrenzung zur Poetologie Friedrich Schlegels gewinnt. Den Ausgangspunkt der Kierkegaardschen Auseinandersetzung mit der frühromantischen Ironie bildet deren Funktion im Rahmen des Programms einer „progressiven Universalpoesie“ 666 , in dem die neue, erweiterte Form von Ironie eine entscheidende Rolle spielt. Schlegel macht dort aus der Ironie eines der zentralen produktionsästhetischen Konzepte frühromantischer Dichtung und attribuiert ihr erkenntnistheoretische Relevanz. In diesem Zusammenhang sind zwei wechselseitig aufeinander bezogene Gedankenbewegungen Schlegels entscheidend. Zum einen geht es um ein philosophisches Erkenntnisinteresse, an dem die Philosophie selbst scheitert und das letztlich, wenn auch nur negativ, allein über die Poesie einholbar ist. Zum anderen will Schlegel zeigen, dass letzten Endes auch die Poesie die ihr gestellte Aufgabe, eben weil sie ihr nur negativ gerecht werden kann, nur dann zu lösen vermag, wenn sie sie im Bewusstsein ihres unausweichlichen Scheiterns ironisch in Angriff nimmt 667 . Ausgangspunkt dieser Reflexionen ist Schlegels Auseinandersetzung mit der Philosophie Fichtes. Schlegel wendet sich in diesem Zusammenhang explizit gegen den Versuch, das Absolute oder Unbedingte beweisen zu wollen, insofern sich das Erkennen des Menschen unweigerlich und unausweichlich immer nur auf ein bedingtes Wissen beziehen könne, was er auf den Punkt bringt, indem er notiert: „Die Nichterkennbarkeit des Absoluten ist […] eine iden- kegaard Yearbook 2009, pp. 41-70, hier p. 42). Gräb-Schmidt nennt dabei eine Reihe von Themen wie Angst, Leidenschaft, Verzweiflung und Möglichkeit. Ein ganz entscheidendes Thema fehlt hingegen in der Aufzählung und zwar jenes, das in der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt steht, die Langeweile. Auch in Bezug auf die theoretische Fassung moderner Ironie erweist sich Kierkegaards Dissertation als überaus reich, wie Paul de Man betont hat, der sogar so weit geht zu sagen, Kierkegaard „wrote the best book on irony that is available“ (Paul de Man ‚The Concept of Irony’, in ders., Aesthetic Ideology, Minneapolis: University of Minnesota Press, 1996, p. 163). 666 F. Schlegel, ‚Studien des klassischen Altertums’, in Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. I, Paderborn: Schöningh, 1979, p. 182. 667 Insofern verwendet Kierkegaard auch völlig angemessen im Kontext seiner Auseinandersetzung mit der frühromantischen Ironie die Begriffe Dichtung und Ironie beziehungsweise Dichter und Ironiker quasi als Synonyme (vgl. Begriff Ironie, p. 291, wo er diese Gleichsetzung - vom Ironiker herkommend - explizit vornimmt: „Aber der Ironiker ist ein Dichter […]. Er dichtet alles […].“). 211 tische Trivialität.“ 668 Das bedeutet nichts anderes, als dass das Absolute nicht mittels der Vernunft erkannt werden kann, insofern sich das Absolute als undenkbar der menschlichen Vernunft entzieht 669 . Andererseits kann, Schlegel zufolge, aus dieser Undenkbarkeit des Absoluten nicht im Umkehrschluss auf dessen Nichtexistenz geschlossen werden, sondern als Konsequenz aus der Undenkbarkeit ergibt sich zunächst einmal nur, dass das Absolute nicht im herkömmlichen philosophischen Sinne erkannt, das heißt, durch die menschliche Vernunft erschlossen werden kann. Andererseits will Schlegel das Absolute durchaus in einem gewissen Sinne für die Erkenntnis offen halten, allerdings ohne der Versuchung zu erliegen, es per Demonstration zu beweisen. Konsequenterweise erklärt Schlegel, dass etwas auch derart erkannt werden könne, dass es zwar nicht rational bewiesen, wohl aber gewusst werde: „Die Hauptsache aber bleibt doch immer, dass man etwas weiß […]. Es beweisen oder erklären zu wollen, ist in den meisten Fällen herzlich überflüssig.“ 670 Dabei basiert Schlegels Ansatz eines Zugangs zum Absoluten auf einer immanenten Setzung, in der das Relative durch seine Relativität auf das Absolute verweist, welches sich aber immer entzieht und mithin nur negativ als das, wohin nicht gelangt werden kann, aufscheint. Zutreffend betont darum Lore Hühn, dass Schlegel damit die entscheidende Perspektive seines Denkens „mit der ganzen Tradition der von Parmenides ausgehenden negativen Theologie“ teile, und zwar die, „dem Absoluten nicht anders als im Modus der Verfehlung begegnen zu können“ 671 . Das Absolute scheint also negativ auf als das stets Verfehlte und ist prinzipiell sowohl undenkbar als auch unbeweisbar. Damit tritt aber für Schlegel eine neue Schwierigkeit auf den Plan: Insofern das Absolute undenkbar ist, ist es als solches auch zunächst einmal unsagbar, das heißt sprachlich nicht auf gewöhnliche Art einholbar. Es entzieht sich dem Denken genauso wie den Begriffen: „[D]as reine Denken und Erkennen des Höchsten, Unendlichen kann nie adäquat dargestellt werden.“ 672 Dieser Tat- 668 KA XVIII, p. 511, Fragment 64. 669 Vgl. KA XVIII, p. 512, Fragment 71: „Das Absolute selbst ist indemonstrabel.“ 670 KA II, p. 177, Fragment 82. 671 Lore Hühn, ‚Das Schweben der Einbildungskraft. Zur frühromantischen Überbietung Fichtes’, in Deutsche Vierteljahresschrift 70, 1996, pp. 569-599, hier p. 580. Vgl. auch Manfred Frank, der ebenfalls auf die Negativität des Bezugs zum Absoluten bei Schlegel verweist und zugleich auf deren Einbindung in eine Dialektik aus Unendlichkeit und Endlichkeit (vgl. ders., Einführung in die frühromantische Ästhetik, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1989, p. 287). Auch bei Kierkegaard findet sich selbstverständlich ein solcher Aspekt der Negativität (vgl. Michael Theunissen, Das Selbst auf dem Grund der Verzweiflung; ders., Negative Theologie der Zeit, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991; David R. Law, Kierkegaard as Negative Theologician, Oxford: Oxford University Press, 1993). 672 ‚Philosophische Vorlesungen (1800-1807)’, in Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. XII, Paderborn: Schöningh, 1964, p. 214 (Hervorhebung F.S.). 212 sache trägt Schlegel Rechnung, indem er sagt, dass einzig der Verweis auf das Absolute möglich sei. Die Sprache darf das Absolute nicht direkt aussagen wollen, sondern muss vielmehr so beschaffen sein, dass sie das Absolute, oder vielmehr den Verweis auf das Absolute, gleichsam durchscheinen lässt, dadurch dass sich das Gesagte selbst negiert und so den Weg freigibt für das Unsagbare. Um dies zu bewerkstelligen, bedarf es einer Sprechweise, die zwar die Limitationen der Sprache nicht überwinden kann, gegenüber der auf Eindeutigkeit zielenden philosophischen Sprache jedoch den Vorteil einer ihr impliziten Mehrdeutigkeit hat: der literarischen Sprache - und insbesondere in der Form der Allegorie: „Das Höchste kann man eben weil es unaussprechlich ist, nur allegorisch sagen.“ 673 So begreift Schlegel, wie Manfred Frank es formuliert, die Allegorie als „die Tendenz aufs Absolute im Endlichen selbst“ 674 . Das Absolute kann nicht ausgesagt werden, es ist unsagbar, aber es ist möglich, durch den allegorischen Verweis ex negativo auf das Absolute zu verweisen: „Das Bewußtsein d[es] Unendlichen muß constituirt werden - indem wir d[as] Gegenteil annihiliren.“ 675 Und genau dies kann die Allegorie - unter der Bedingung, dass es der allegorischen Darstellung gelingt, die ihr eigene Unzulänglichkeit in Bezug auf die Darstellung des Absoluten durchscheinen zu lassen und damit „die Einbildung des Endlichen“ 676 zu vernichten. Die Poesie wird mithin zu einem Medium der Erkenntnis - oder besser: des Verweises auf ein Wissen, das Wissen um das Absolute, das weder ausgesagt noch bewiesen, auf das aber verwiesen werden kann. Genau dies soll die progressive Universalpoesie leisten, die mithin eine Poesie ist, die ihren Ursprung in einer genuin philosophischen Problemkonstellation hat 677 . Damit ist zugleich gesagt, dass die Poesie hier bewusst eine philoso- 673 KA II, p. 324. 674 Frank, Frühromantische Ästhetik, p. 291. 675 KA XVIII, p. 412, Fragment 1095 (Hervorhebung F.S.). 676 KA XVIII, p. 412, Fragment 1095. 677 Was in diesen Überlegungen Schlegels auch deutlich wird, ist die Tatsache, dass Schlegel hier keinesfalls einem Ende der Philosophie, genauso wenig wie einer irrationalistischen Philosophie das Wort reden will. Im Gegenteil betont er immer wieder, dass die Philosophie die edelste Wissenschaft sei (vgl. KA III, p. 98: „Die Wohlfahrt der Menschen und die Begründung aller höheren Wissenschaft und Kunst ruht auf der Philosophie […]“), genauso wie er die dialektische Methode als die Methode der Philosophie expliziert (vgl. ebd., p. 99: „[D]aher aber auch endlich diejenige Form der Philosophie, welche unter allen Bedingungen und in allen Zuständen die bleibende und ihr eigentlich wesentliche ist; die Dialektische. Nicht bloß an die Nachbildung eines Gesprächs gebunden, findet sie überall statt, wo ein schwebender Wechsel der Gedanken in fortgehender Verknüpfung d.h. überall, wo Philosophie stattfindet“). Schlegels Gang in die Poesie basiert vielmehr auf der Überzeugung, dass die Philosophie da, wo sie konzeptuell an ihre Grenzen stößt - und das heißt da, wo die Vernunft nicht mehr weiter kann - nicht aufhören muss, sondern - in veränderter Form - als Poesie ihre Mission fortsetzen kann und muss. Damit ist die Poesie, die an dieser Stelle der Philosophie zur Hilfe eilt, nicht eine gewöhnliche Poesie, sondern eine 213 phische Aufgabe übernimmt - oder umgekehrt: dass es die Philosophie ist, die der Poesie an dieser Stelle ihre Aufgabe zuweist, beziehungsweise dass die eine in die andere übergeht. Nichts anderes besagt auch das berühmte Schlegelsche Postulat: „Alle Kunst soll Wissenschaft, und alle Wissenschaft soll Kunst werden; Poesie und Philosophie sollen vereinigt sein.“ 678 Dieses Postulat macht dabei eines ganz deutlich: die höhere Poesie, die an jener Stelle ansetzt, an der die Philosophie an ihre konzeptuellen Grenzen stößt, ist im Grunde weiterhin Philosophie - man könnte sagen, sie ist Philosophie mit anderen Mitteln. Sehr anschaulich verdeutlicht Schlegel dies in einem Abschnitt, der mit dem bezeichnenden Titel Über die Form der Philosophie überschrieben ist 679 . Darin expliziert er die fundamentale Bedeutung der Form, insofern sich in der Form der Kern einer Philosophie manifestiere, und Schlegel expliziert den Übergang von der Philosophie zur Poesie als einen inhaltlich notwendigen Übergang 680 . Das heißt, wenn Philosophie zur allegorischen Darstellung übergeht, hört sie nach Schlegels Verständnis gerade nicht auf, Philosophie zu sein, sondern sie passt ihre Darstellungsform dem darzustellenden, das heißt nicht darstellbaren, Inhalt an 681 . solche, die aus einer auf der Ratio beruhenden Philosophie hervorgeht; und um diesen philosophischen Ursprung der Dichtung kenntlich zu machen, bezeichnet Schlegel diese aus der Philosophie hervorgehende Poesie als „höhere Poesie“ (KA III, p. 99). 678 KA II, pp. 161, Fragment 115. 679 KA III, pp. 97ff. 680 Vgl. KA III, p. 99: „Daher endlich die Allegorie im Ausdruck des vollendeten positiven Philosophen; die Identität seiner Lehre und Erkenntnis mit Leben und Religion, und der Übergang seiner Ansicht zur höhern Poesie […]“ (meine Hervorhebung; S.H.). 681 In gewissem Sinne wird mithin der Begriff Philosophie ambivalent und bezieht sich in diesem Kontext nicht mehr auf die Tätigkeit einer diskursiv-begrifflichen Vernunft, sondern es geht, wie Lore Hühn treffend konstatiert, darum, „sich freigesetzt von präformierenden Begründungsansprüchen […] dem Ganzen einer Lebenswelt zu öffnen, nicht zuletzt demjenigen, das sich der Logik diskursiver Begrifflichkeit nicht fügt und nachgerade sprachlich nicht auflösbar ist“ (dies., ‚Das Schweben der Einbildungskraft’; p. 587). So formuliert rückt dann selbstverständlich das Schlegelsche Projekt in die Nähe von Heideggers Bemühen, Denken nicht auf das Wissenschaftlich-Logische zu reduzieren. In diesem Sinne notiert Jure Zovko: „Schlegels aufrichtige Warnung aus dem Essay ‚Über die Unverständlichkeit’, ‚Wahrlich, es würde euch bange werden, wenn die ganze Welt, wie ihr es fodert, einmal im Ernst durchaus verständlich würde’, wird mutatis mutandis im Heideggerschen Verweis auf die Gefahr der technisch-wissenschaftlichen Rationalisierung, die die gegenwärtige Welt exakt und genau beherrschen will, wiederholt. Das Bedenklichste in unserer Zeit ist, dass unser Denken durch die Wissenschaft, die eigentlich ‚nicht denkt’, sondern alles erforscht und verrechnet, determiniert ist, und demzufolge an die vernehmende Vernunft und die ihr korrespondierende ‚Präsenz des Präsenten’ gebunden bleibt“ (ders., ‚‚Ereignet sich das Dichterische, dann wohnet der Mensch menschlich…’. Ein Vergleich von Friedrich Schlegels und Martin Heideggers Metaphysikkritik’, in Bärbel Frischmann (Hg.), Sprache - Dichtung - Philosophie: Heidegger und der deutsche Idealismus, Freiburg: Alber, 2010, pp. 95-111, hier pp. 109f.). 214 Mit Schlegels Hinwendung zur höheren Poesie wird sehr deutlich, wie ein Erkenntnisproblem sich in der Frage nach seiner Darstellbarkeit niederschlägt, beziehungsweise beide untrennbar aneinander gebunden werden. Das Absolute, das Höchste, das Ziel aller Philosophie, entzieht sich dem rationalen Diskurs, der sich hier an den Grenzen der Sprache bricht, und kann daher im strengen Sinne nicht erkannt werden. Allerdings bleibt es uns zugänglich als ‚Gewusstes’, insofern es das ist, was sich negativ durch die Relativität der Immanenz ins Spiel bringt. Dabei bleibt es Aufgabe der Philosophie, uns zu einem Wissen um dieses Absolute zu führen, so dass man Schlegels Postulat, wonach Poesie dort anfangen muss, wo Philosophie aufhört 682 , auch paradox so formulieren könnte, dass Philosophie an diesem Punkt nicht Philosophie bleiben kann, wenn sie Philosophie bleiben will. Sie muss im Schlegelschen Sinne Transzendentalpoesie werden, welche, als Poesie der Poesie, wesentlich ironisch ist, insofern sie sich ihrer eigenen Defizienz stets einsichtig bleibt und dieser Einsicht textstrukturell Ausdruck verleiht. Dies gelingt ihr dadurch, dass die Allegorie Teil eines ironischen Strukturganzen ist 683 , das über die Verweisungsfunktion der Allegorie hinaus deren „Einseitigkeit der Einheit, die das Absolute hätte umfassen sollen“ 684 korrigiert. Ironie entsteht aus beziehungsweise ist der Ausdruck des negativen Bezugs zum Absoluten, der in der Spannung zwischen Bedingtem und Unbedingtem, Relativem und Absoluten zutage tritt. Schlegel spricht in diesem Zusammenhang von einem „Ewigen Suchen und nie ganz finden können“ 685 . Diese Spannung der Suche nach etwas sich immer Entziehendem ist als ein Prozess der unendlichen Annäherung zu begreifen, in dem die Sehnsucht nach dem Unbedingten immer wieder nur „relativ gestillt werden“ 686 kann, und bildet die Grundlage der Idee zu einer progressiven Universalpoesie, in der es eben um diese Annäherung geht, die frei von allem realen und idealen Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schwebt, diese Reflexion immer wieder potenziert und wie in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfacht. 687 682 Vgl. KA II, p. 261, Fragment 48. 683 Vgl. Manfred Frank (Frühromantische Ästhetik, pp. 302f.) der den Begriff des Strukturganzen verwendet, um auf jene besondere Konfiguration zu verweisen, in der Allegorie und Witz die beiden abstrakten Teilglieder des Strukturganzen der Ironie sind. 684 Manfred Frank, Frühromantische Ästhetik, p. 303. 685 KA III, p. 100. 686 Novalis II, p. 269, Fragment 566. An anderer Stelle heißt es „Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge“ (Novalis, II, p. 412, Fragment 1; Hervorhebung N.). 687 KA II, pp. 182f., Fragment 116. Vgl. zu der Idee einer progressiven, unendlichen Annäherung in der Frühromantik Manfred Frank, Unendliche Annäherung. Die Anfänge der Philosophischen Frühromantik, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997. 215 Das Oszillieren zwischen Absolutem und Relativem, Unbedingtem und Bedingtem wird reflektiert durch das Alternieren von Enthusiasmus und Ironie, das gleichermaßen den Dichter in einer unendlichen Annäherung in Richtung auf das Absolute hinführt. Wenn nun die Ironie an dieser Schnittstelle der Spiegelung von Bedingtem und Unbedingtem zum Vorschein kommt, so wird sie auch in ihrer Funktion durchsichtig 688 , wie sie sich im Werk zum Ausdruck bringt und zugleich in einem weiten Sinne auch durchaus mit der traditionellen rhetorischen Figur verbunden bleibt, wonach Ironie in ihrer Grundform als jene Redefigur angesehen werden kann, in der etwas Bestimmtes gesagt wird, jedoch das Gegenteil gemeint ist. In der frühromantischen Version der Ironie nun bleibt die Differenz, die Spannung zwischen Gesagtem und Gemeintem, relevant, jedoch ist der Verweisungshorizont im Verhältnis zum rhetorischen Ironieverständnis nicht zuletzt dahingehend erweitert, dass das, was gemeint ist, nicht das Gegenteil des Gesagten sein muss, sondern dass das Gesagte auf etwas verweist, was nicht gesagt werden kann. Das bedeutet, dass anders als in der traditionellen Redefigur, in der das ironisch Kommunizierte auch unironisch und mithin direkt gesagt werden könnte (auch wenn es dadurch eine rhetorische Dimension einbüßen würde), die Ironie in der frühromantischen Prägung die conditio sine qua non des Kommunizierens ist, da das Gemeinte nicht nur nicht anders, sondern im Grunde überhaupt nicht gesagt werden kann. Wenn die Ironie also negativ auf das Absolute gerichtet ist, dann darum, weil sich das Absolute der menschlichen Erkenntnisfähigkeit im Sinne der Vernunft entzieht. In der Ironie kommt diese Spannung zum Ausdruck und insofern es darum geht, diese Spannung zu fassen, um auf das Dahinterliegende zu verweisen, wächst nun der Sprache eine fundamentale Rolle zu, da gleichsam das Sagbare eine Allegorie auf das Unsagbare ist, welches damit sprachlich, aber dabei selbstverständlich wiederum nur indirekt und negativ, eingeholt werden kann im Sinne eines Verweisens. Während nun Kierkegaard in seiner Dissertation die frühromantische Ironie scharf kritisiert, enthüllt bereits diese Kritik, mehr aber noch Kierkegaards nach der Ironieschrift einsetzende eigene schriftstellerische Praxis, die große Nähe, die ihn in mehr als einer Hinsicht an das Kritisierte bindet. Deshalb konstatiert Feger auch völlig zu Recht, dass Kierkegaard keinesfalls, wie dies in der älteren Forschung bisweilen dargestellt wur- 688 Dies jedoch nur für denjenigen, der Sinn für diese „freieste aller Lizenzen“ (KA II, p. 160, Fragment 108) hat: „[D]enn durch sie setzt man sich über sich selbst hinweg. Es ist ein sehr gutes Zeichen, wenn die harmonisch Platten gar nicht wissen, wie sie diese stete Selbstparodie zu nehmen haben, immer wieder von neuem glauben und mißglauben, bis sie schwindlicht werden, den Scherz gerade für Ernst, und den Ernst für Scherz halten“ (ebd.). 216 de 689 , die romantische Ironie „in Bausch und Bogen verurteilt“, vielmehr versuche Kierkegaard, „an ihr das Wahrheitsmoment aufzudecken, das es erlaubt, Ironie über Ironie hinauszuheben“ 690 und somit bleibe letztlich „[d]ie ironische Differenz, die den unendlichen Widerstreit der Reflexion unterhält, […] der unhintergehbare Horizont von Kierkegaards Existenzdialektik“ 691 . Diese Diagnose drängt sich geradezu auf, wenn man Kier- 689 Vgl. zum Beispiel Anna Paulsen, ‚Kierkegaard in seinem Verhältnis zur deutschen Frühromantik: Einfluss und Überwindung’, in Kierkegaardiana 3, 1959, pp. 38-47; Gerhard vom Hofe, Die Romantikkritik Sören Kierkegaards, Frankfurt am Main: Athenäum, 1972. Übrigens lässt sich selbst Karl Heinz Bohrer, der die Vieldeutigkeit des Schreibens Kierkegaards an anderer Stelle betont, zu der etwas zu eindeutigen Aussage verleiten, dass Kierkegaard der Hegelschen Kritik des Schlegelschen Ironiebegriffs Recht gebe (vgl. Bohrer, ‚Sprachen der Ironie - Sprachen des Ernstes: Das Problem’, in ders. Sprachen der Ironie, pp. 11-35, hier p. 23), ohne gleichzeitig zu betonen, wie sehr nahe Kierkegaard mit seiner indirekten Mitteilung der frühromantischen Ironie kommt, anders als Hegel, „der keinen Nerv für ironische Sprache besaß“ (ebd.). 690 Hans Feger, ‚Die umgekehrte Täuschung. Kierkegaards Kritik der romantischen Ironie als Kritik immanenten Denkens’, in Kierkegaard Studies, Berlin: Walter de Gruyter, 2002, pp. 364-394, hier p. 382. 691 Feger, ‚Die umgekehrte Täuschung’, p. 377. Ähnlich auch Elisabeth Gräb-Schmidt, ‚Ironie als Existenzbestimmung der Unendlichkeit’, p. 43. Insofern ist es auch meines Erachtens eine völlig gerechtfertigte Feststellung von Hans Feger, dass Kierkegaard in seiner Kritik der romantischen Ironie näher stehe, als er selbst dies sehe (vgl. ders., ‚Die umgekehrte Täuschung’, pp. 368f.). Wenn ich also diese Diagnose Fegers teile, so würde ich auf der anderen Seite Bedenken äußern bezüglich der Feststellung, dass Kierkegaards Kritik der frühromantischen Ironie maßgeblich unter dem Einfluss der Hegelschen Philosophie und dessen Kritik an der Frühromantik erfolge. Hier würde ich eher zu Roger Pooles These neigen, dass bereits im Begriff Ironie die Kierkegaardschen Hegelbezüge und die vermeintliche Nähe zu Hegel durch die Form des Textes (Poole spricht von „layout“ - vgl. ders, Kierkegaard. The Indirect Communication, p. 44) ironisiert würden. Im gleichen Sinne deutet auch Louis Mackey die Ironieschrift: „The Concept of Irony written in Hegelianese, is anti-Hegelian. But it is impossible to write Hegel’s language without writing Hegel’s philosophy. In order to attack Hegel, therefore, Kierkegaard’s essay on irony has to undercut itself. Ironically“ (ders., Points of View. Readings of Kierkegaard, Tallahassee: University Presses of Florida, 1986, p. 1). Dagegen argumentiert Philipp Schwab, dass die Ironieschrift zwar ironische Passagen aufweise, ohne jedoch in ihrer Gesamtstruktur ironisch zu sein (wobei sich im Grunde die Frage stellt, wie ernst eine Arbeit über Ironie überhaupt sein kann, ohne sich selbst performativ zu widersprechen. Vgl. hierzu auch Sylvia Agacinsky, Aparté. Conceptions et morts de Søren Kierkegaard, Paris: Aubier, 1977, pp. 54f.), so dass es seines Erachtens fraglich ist, ob die Ironie in der Dissertation als eine Art indirekter Mitteilung avant la lettre zu deuten sei (ders., ‚Zwischen Sokrates und Hegel’, pp. 133ff.). Diese Bedenken würde ich teilen, insofern der Status der Ironieschrift sicherlich ein anderer ist als der der pseudonymen Schriften. Vgl. gegen die Ironiethese auch Jon Stewart, Kierkegaard’s relations to Hegel reconsidered, Cambridge: Cambridge University Press, 2003, pp. 132-181 und deutsch in ders., ‚Hegel und die Ironiethese. Zu Kierkegaards Über den Begriff der Ironie’, in Jahrbuch für Hegelforschung 3, 1997, pp. 157-181. Dass freilich Kierkegaards Pseudonyme, worauf Schwab hinweist, später über den 217 kegaards Romantikkritik nicht nur theoretisch verortet, sondern auch in das Licht seiner eigenen schriftstellerischen Praxis stellt 692 . Dann nämlich wird deutlich, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil des poetologischen Arsenals Kierkegaards deutliche Spuren frühromantischer Reflexion aufweist. Um diese Einschätzung zu plausibilisieren, werde ich mich bemühen, im Folgenden in einem ersten Schritt die zentralen Argumente der Kierkegaardschen Kritik an der frühromantischen Ironie aufzuzeigen, um vor diesem Hintergrund dann in einem zweiten Schritt den Aspekt der Nähe präziser herauszustellen. Hier soll also zunächst interessieren, wo Kierkegaards Kritik an der romantischen Ironie ansetzt 693 . Der Grundvorwurf, den Kierkegaard gegen Hegelianismus des Magister Kierkegaard ironisieren, scheint mir nicht notwendigerweise ein Beleg gegen die Ironiethese zu sein, insofern solche Passagen gerade vor dem Hintergrund der indirekten Mitteilung und mithin nicht in einem unmittelbaren Sinne als ‚Stellungnahmen’ Kierkegaards zu lesen sind. 692 Vgl. Lore Hühn, die zu Recht betont, dass Kierkegaard in der schriftstellerischen Praxis sich der Logik der indirekten Mitteilung aussetzt „und in einer performativen Haltung dasjenige ins Werk setzt, was er theoretisch fordert“ (dies., ‚Ironie und Dialektik’, p. 26). Vgl. auch dies., ‚Rhetorik der Zweideutigkeit. Zum schriftstellerischen Ethos Sören Kierkegaards’, in Internationales Jahrbuch für Hermeneutik 3, 2004, pp. 221- 232. Mit etwas anderer Stoßrichtung betont Ernst Behler, dass Kierkegaards Kritik der Romantik im Begriff Ironie letztlich nicht zentral gegen die Romantik gerichtet sei, sondern vorausweise auf die Konstruktion des ästhetischen Stadiums: „Now, under the impact of Kierkegaard’s ‚construction of the aesthetic,’ romantic irony is being removed from its historical context of Jena and the Romantic School and becomes the first stage on the pathway of life, the esthetic form of existence. All the reproaches Kierkegaard had raised against romantic irony - extravagant subjectivity, hyperreflexion, playful attitude - immediately assume a new meaning. They lose their definitive, condemning, and attacking character and relate to an entirely new process which finds expression in Kierkegaard’s own writings. To give this a sharper focus: the romanticism of Schlegel, Tieck, and Solger loses its historical contours and is transformed to the aesthetic mode of existence in Either/ Or“ (E. Behler, ‚Kierkegaard’s The concept of Irony’, pp. 27f.). In Bezug auf Kierkegaards Nähe zur Romantik sagt Behler sogar abschließend - und sicherlich nicht weit von der Wahrheit -: „We could say that Hegel remained outside of romanticism and irony while Kierkegaard was among those native to it” (ebd., p. 3). 693 In diesem Zusammenhang sei zugleich darauf hingewiesen, dass Kierkegaards Kritik an der Frühromantik und besonders an Schlegel diesen sicher nicht in jeder Hinsicht gerecht wird. Hierzu notiert beispielsweise Behler: „Many of Kierkegaard’s claims against the romantics […] have no correspondence in their writings and are clichés obviously derived from the widespread anti-romantic literature of that time“ (E. Behler, ‚Kierkegaard’s The concept of Irony’, p. 26). Vgl. kritisch zu Kierkegaards Schlegel- Deutung Jan Holmgaard, ‚‚Maybe Even Less Than Nothing’. A Few Critical Notes on Kierkegaard Reading Schlegel’, in Kierkegaard Yearbook 2009, pp. 237-247); Ingrid Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, Tübingen: Niemeyer, 1977; Gerhard vom Hofe, Die Romantikkritik Sören Kierkegaards; Karl Heinz Bohrer, Die Kritik der Romantik. Der Verdacht der Philosophie gegen die literarische Moderne, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991; Gary J. Handwerk, Irony and Ethics in Narra- 218 die frühromantische Ironiekonzeption erhebt, lautet dahingehend, dass diese in einer Art ironischer Verflüchtigung die Wirklichkeit auflöse, was seinen Grund in der besonderen Haltung habe, die das Verhältnis des Ironikers zur Wirklichkeit auszeichne 694 . Dabei geht Kierkegaard im Einklang mit der Frühromantik von einem weiten, über die Funktion einer rhetorischen Figur hinausgehenden Ironiebegriff aus. Dies macht er in den Orientierenden Betrachtungen deutlich, die er seiner Kritik der romantischen Ironie voranschickt. Dort reflektiert er auf verschiedene Ausdrucksformen von Ironie, die von „einem Bröcklein Ironie“ 695 bis zur Ironie verstanden als „Standpunkt“ 696 reichten. In Bezug auf seine Kritik an der Frühromantik und auf seine eigene Ironiekonzeption ist nur letztere, verstanden als „reine Ironie“ 697 , von Bedeutung 698 . In ihr findet sich die in Kierkegaards Den- tive. From Schlegel to Lacan, New Haven: Yale University Press, 1985. Andererseits bedeutet die Tatsache, dass Kierkegaards Kritik sicher nicht in allen Punkten berechtigt ist, keineswegs, dass diese nicht dennoch spannende Ergebnisse zutage fördern kann. Originell auf den Punkt bringt dies Szondi, wenn er schreibt: „Vielleicht ist es kein Zufall, dass das Erhellendste über die romantische Ironie in jenen Schriften zu lesen ist, deren Autoren Schlegels theoretische Werke entweder gar nicht kannten, wie vermutlich Kierkegaard, oder dann nicht eigentlich zu interpretieren beabsichtigten, wie Lukacs in seiner ‚Theorie des Romans’“ (Peter Szondi, „Friedrich Schlegel und die romantische Ironie“, in ders., Satz und Gegensatz, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1976, pp. 14f.). Ein Aspekt sei freilich bei aller Berechtigung der Kritik an Kierkegaards Deutung der frühromantischen Poetologie dennoch hervorgehoben, der zwar in Bezug auf Kierkegaards Verhältnis zu Hegel verschiedentlich angeführt wird, erstaunlicherweise aber nicht in Bezug auf Kierkegaards Verhältnis zu Schlegel beziehungsweise der deutschen Frühromantik, dass nämlich Kierkegaard die Neigung hat, seine Argumentationen polemisch zu überspitzen, um damit seine eigene Position schärfer profilieren zu können. In diesem Sinne ist auch Kierkegaards Kritik der Frühromantik sicher in gewissem Sinne ‚ergebnisorientiert’, insofern er bestimmte Aspekte der frühromantischen Poetologie einseitig zuspitzt, um dem gegenüber seinen eigenen Ansatz schärfer konturieren zu können. Dies wird in Ansätzen in den obigen Ausführungen nachvollziehbar. 694 Vgl. Begriff Ironie, p. 269: „So ist z.B. in der neueren Zeit reichlich von Ironie und von der ironischen Auffassung der Wirklichkeit gesprochen worden; diese Auffassung aber hat sich nur ziemlich selten ironisch ‚gestaltet’. Je mehr das aber geschieht, um so sicherer und unvermeidlicher ist auch der Untergang der Wirklichkeit, um so größeres Übergewicht hat der ironische Einzelne über die Wirklichkeit […].“ 695 Begriff Ironie, p. 249 (Hervorhebung S.K.). 696 Begriff Ironie, p. 258. 697 Begriff Ironie, p. 258. 698 In der Unwissenschaftlichen Nachschrift wird Climacus noch einmal betonen, dass allein Ironie als Standpunkt von Relevanz ist: „Ironie ist eine Existenzbestimmung, und nichts ist somit lächerlicher, als wenn man glaubt, es sei eine Redeform, oder wenn der Verfasser sich deswegen glücklich preist, daß er sich dann und wann ironisch ausdrücken kann“ (Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 213). Zu Kierkegaards Bestimmung der Ironie als Standpunkt vgl. auch Paul Muench, ‚Socratic Irony and Kierkegaard’s On the Concept of Irony’, in Kierkegaard Yearbook 2009, pp. 71-125, besonders pp. 85-100. 219 ken zentrale Anbindung der Kategorien von Wirklichkeit und Möglichkeit an die Begriffe der Existenz und der Subjektivität wieder, und nur in diesem Kontext kann sein Vorbehalt gegen die romantische Ironie seine Tragfähigkeit entfalten. Wenn freilich diese grundlegende Unterscheidung getroffen wird, so bleibt dennoch eine Nähe auch zur traditionellen Ironieform immer vorhanden, insofern nämlich beide Ironieformen ein fundamentales strukturelles Merkmal teilen: In der Verwendung von Ironie bleibt das Subjekt, Kierkegaard zufolge, negativ frei, insofern es sich in der ironischen, anders als in der indikativischen Aussage, positiv nicht festlegt 699 . Damit ist gesagt, dass in der ironischen Aussage, genauso wie in der ironischen Haltung, letztlich der Ironiker positiv keinen Standpunkt vertritt: Was er sagt, ist nicht gemeint und was er meint ist allein negativ festgelegt darüber, dass er das, was er gesagt hat, nicht gemeint hat. Dabei richtet sich die rhetorische Ironie auf Einzelaspekte der Wirklichkeit, während die Ironie als Standpunkt weiter ausgreift und sich in ein negatives Verhältnis zu der Wirklichkeit als solcher bringt: Die Ironie im strengeren Sinne richtet sich nicht wider das eine oder andre einzelne Daseiende, sie richtet sich wider die ganze zu einer gewissen Zeit und unter gewissen Verhältnissen gegebene Wirklichkeit. Sie trägt daher in sich eine Apriorität, und sie gelangt zu ihrer Gesamtsicht nicht dadurch, daß sie allmählich ein Stück der Wirklichkeit nach dem anderen vernichtet, sondern kraft ihrer Gesamtansicht richtet sie Zerstörungen an im einzelnen. Nicht diese oder jene Einzelerscheinung, sondern das Ganze des Daseins wird von ihr sub specie ironiae betrachtet. 700 Insofern nun aber die Ironie negativ frei macht, indem sie den Ironiker nicht festlegt, sondern gerade ent-bindet, führt sie in einen Strudel der Negativität, in dem sich die Wirklichkeit auflöst: In der Ironie ist das Subjekt negativ frei; denn die Wirklichkeit, welche ihm Inhalt geben soll, ist nicht vorhanden, das Subjekt ist frei von der Gebundenheit, in welcher die gegebene Wirklichkeit das Subjekt hält, aber es ist negativ frei und als solches in der Schwebe, weil nichts da ist, das es hielte. 701 Vor dem Hintergrund dieser Begriffsbestimmung der Ironie ist es nur konsequent, dass Kierkegaard schließlich die Ironie an den Begriff der Möglichkeit anbindet. Die Wirklichkeit, die Halt geben soll, ist nicht (mehr) vorhanden, der Ironiker ist also negativ frei, in der Freisetzung des Subjekts von der Wirklichkeit nun wird dieses offen für die Möglichkeit: Eben diese Freiheit aber, dieses Schweben verleiht dem Ironiker einen gewissen Enthusiasmus, indem er sich an der Unendlichkeit der Möglichkei- 699 Vgl. Begriff Ironie, p. 251. 700 Begriff Ironie, pp. 258f. 701 Begriff Ironie, p. 267 (Hervorhebung S.K.). 220 ten gleichsam berauscht, indem er, soweit er wegen alles des Untergehenden eines Trostes bedarf, zu dem ungeheuren Reservefonds der Möglichkeit seine Zuflucht nehmen kann. 702 Jedoch gibt sich der Ironiker diesem Enthusiasmus nicht eigentlich hin, sondern „dieser begeistert und nährt lediglich den Enthusiasmus der Vernichtung in ihm“ 703 . Damit bleibt die Ironie nach Kierkegaards Deutung ein allumfassendes, Wirklichkeit vernichtendes Prinzip. So notiert er: Wir sehen, inwiefern die Ironie ganz und gar negativ bleibt, indem sie in theoretischer Hinsicht ein Mißverhältnis zwischen Idee und Wirklichkeit, Wirklichkeit und Idee, und in praktischer Hinsicht ein solches zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit, Wirklichkeit und Möglichkeit aufrichtet. 704 Diese Einschätzung der Ironie als vernichtend führt Kierkegaard aber keineswegs zu einer pauschalen Zurückweisung der Ironie. Ganz im Gegenteil erkennt Kierkegaard der Ironie durchaus eine Berechtigung zu oder, um es präziser zu formulieren, zumindest die Möglichkeit ihrer Berechtigung. Berechtigt ist Ironie nämlich genau dann, wenn sie in und mit ihrer Negativität die Wirklichkeit, verstanden als überkommene historische Wirklichkeit, untergräbt. Dies sei beispielsweise bei der Ironie des Sokrates der Fall gewesen. Dieser attribuiert Kierkegaard ausdrücklich Berechtigung, wenn er von der „Wahrheit der Ironie“ 705 spricht. Der entscheidende Unterschied zwischen der sokratischen und der frühromantischen Ironie besteht für Kierkegaard darin, dass die Ironie des Sokrates sich zwar auf die Wirklichkeit gerichtet habe, jedoch nicht auf die Wirklichkeit überhaupt, sondern auf die konkrete historische Wirklichkeit, in der Sokrates existierte: Indes, nicht die Wirklichkeit überhaupt ist von [Sokrates] verneint worden, sondern die zu einer gewissen Zeit gegebene Wirklichkeit, die der Substantialität, so wie diese in Griechenland war, und das, was seine Ironie heischte, war die Wirklichkeit der Subjektivität, der Idealität. 706 Das heißt, in der - berechtigten - Negierung der alten Wirklichkeit scheint die neue Wirklichkeit der Subjektivität auf. Demgegenüber negiere die romantische Ironie die Wirklichkeit schlechthin und insofern für den Ironiker keine gegebene Wirklichkeit mehr existiere, schwinge er sich auf zum Schöpfer der Welt, zum Schöpfer einer selbst erschaffenen beziehungsweise selbst zu erschaffenden Wirklichkeit: 702 Begriff Ironie, p. 267 (meine Hervorhebung). 703 Begriff Ironie, p. 267. 704 Begriff Ironie, p. 292. 705 Begriff Ironie, p. 271 (Hervorhebung S.K.). 706 Begriff Ironie, p. 276. 221 Es ging [der romantischen Ironie] nicht darum, ein Moment der gegebenen Wirklichkeit durch ein neues Moment zu verneinen und zu verdrängen; vielmehr wurde die gesamte geschichtliche Wirklichkeit verneint, um Platz zu schaffen für eine selbstgeschaffene Wirklichkeit. 707 Welthistorisch sei die romantische Ironie aber unberechtigt, insofern es ihr nicht wie Sokrates darum ging, die Subjektivität in Erscheinung treten zu lassen, denn die Subjektivität war in den Weltverhältnissen allbereits vorhanden; es ging vielmehr um eine überspannte Subjektivität, eine zweite Potenz der Subjektivität. 708 Damit kann die romantische Ironie der Aufgabe nicht mehr gerecht werden, zumindest ex negativo Verkünderin einer neuen Wirklichkeit zu sein, insofern sie in überspannter Subjektivität die gesamte Wirklichkeit vernichtet und sich selbst ermächtigt, eine andere Wirklichkeit zu setzen und zwar so, dass sie selbst weiß, dass diese Setzung im Grunde beliebig ist, da die Ironie selbst in einem Akt der Willkür diese Wirklichkeit gesetzt hat. Auf diese Weise suspendiert der Ironiker zunächst die Wirklichkeit, bringt sie, mit anderen Worten, zum Schweben, zugleich aber gerät auch die eigene gesetzte Wirklichkeit ins Schweben, da sie nur ironisch gesetzt ist und damit eigentlich nichtig. Aus diesem Grunde kann Kierkegaard dann festhalten, dass letztlich die „Wirklichkeit der Ironie […] bloß Möglichkeit“ 709 sei; anders gesagt, der Ironiker löst die Wirklichkeit in Möglichkeit auf beziehungsweise ver-nichtet die Wirklichkeit, indem er sie vermöglicht. Diese Selbstsetzung als Möglichkeit unter Auflösung der Wirklichkeit soll dem Romantiker dadurch gelingen, dass er poetisch lebt. Kierkegaard hält diesem Anspruch nun entgegen, dass der Romantiker im Grunde den falschen Begriff davon habe, was es heißt, poetisch zu leben. Indem er die Wirklichkeit und sich selbst poetisch erschaffe, verliere er, da diese Schaffung willkürlich sei, sein „An-sich“ 710 und sein Konzept dessen, was es heißt poetisch zu leben, bestehe letztlich darin, sich immer wieder neu zu erfinden und damit nur im Augenblick zu sein, ohne Kontinuität, welche aber nötig sei, wolle man wahrhaft poetisch leben 711 . 707 Vgl. Begriff Ironie, p. 280 (Hervorhebung S.K.). 708 Begriff Ironie, pp. 281f. (Hervorhebung S.K.). 709 Begriff Ironie, p. 285. 710 Begriff Ironie, p. 287. 711 Diese Vorwürfe an die Adresse der Romantik finden sich, wie gesehen, fast gleichlautend in der Kritik des Ethikers an der ästhetischen Lebensanschauung wieder. Das Problem des Verlustes des An-sich, für welches der Ethiker in Entweder/ Oder den Begriff der Persönlichkeit in ihrer ewigen Gültigkeit verwendet und das Leben im Augenblick sind im Rahmen der Untersuchung der Langeweile zur Sprache gekommen (vgl. pp. 100ff. dieser Arbeit). Die These, dass allein die Kontinuität es erlaube wahrhaft poetisch zu leben, vertritt der Ethiker in seinem Brief über die ästhetische Gültigkeit der Ehe (vgl. Entweder/ Oder, pp. 672ff.). 222 Das Grundproblem der romantischen Ironie ist also für Kierkegaard die Beliebigkeit der Selbstsetzung, der der Ironiker nicht entgehen kann. Um dieser zu entgehen und um im eigentlichen Sinne ein Selbst, ein „An-sich“ zu haben, bedürfte es, so Kierkegaard, einer transzendenten Anbindung, die das Selbst dem willkürlichen Spiel der Möglichkeit entreiße. Von daher ist es nur konsequent, wenn er betont: Ein Ding nämlich ist es, sich selbst zu dichten und ein ander Ding, sich dichten zu lassen. Der Christ läßt sich dichten, und in dieser Hinsicht lebt ein einfältiger Christ weit poetischer als so mancher hochbegabte Kopf. 712 Genau in dem gleichen Sinne ist die Versöhnung mit der Wirklichkeit, die die romantische Ironie dadurch erreicht, dass sie die wahre Wirklichkeit vernichtet, um sich eine höhere und vollkommenere Wirklichkeit zu geben, die aber eben gerade nicht Wirklichkeit ist, sondern Möglichkeit, defizitär im Vergleich zu jener wahren Versöhnung, die allein durch das Religiöse gelingen kann 713 . In diesen Überlegungen deutet sich bereits an, in welche Richtung Kierkegaard gehen könnte, um seine Kritik an der Romantik für sich selbst nutzbar zu machen, ohne Ironie prinzipiell zurückzuweisen, der er ja schließlich explizit Wahrheit und Berechtigung zuspricht. Es muss ihm gelingen, die Ironie in ihrem Wahrheitsmoment zu erhalten, ohne sie zugleich - wie dies seiner Ansicht nach bei der Frühromantik der Fall ist - völlig zu entgrenzen. Dann nämlich und nur dann kann sie die fundamentale Funktion erfüllen als jenes Organ zu dienen, das Missverhältnisse aufspürt 714 . Dabei ist das wesentliche Missverhältnis, auf das sich die Ironie richten kann, jenes, „daß das Ich das Missverhältnis zwischen der Existenz und der Idee der Existenz entdeckt hat“ 715 . Dieses Missverhältnis zwischen der Existenz und der Idee der Existenz entspricht der Unvereinbarkeit des Relativen und des Absoluten, des Endlichen und des Unendlichen, die dem Denken unzugänglich bleibt, während die unvereinbaren Elemente im Selbst vereint sind und dessen Wesen ausmachen. Auch die Ironie des romantischen Dichters ist Kierkegaard zufolge Ausdruck der Einsicht in diese Konstellation, jedoch führe die ironische Vernichtung der Wirklich- 712 Begriff Ironie, p. 286. 713 Vgl. Begriff Ironie, p. 303. 714 Vgl. Begriff Ironie, p. 315, wo er selbst die Ironie als Organ bezeichnet: „Die Ironie ist ein Organ, ein Sinn für das Negative.“ 715 Zitiert in den Anmerkungen des Herausgebers von der Begriff Ironie, p. 374, Anm. 406. Vgl. Papirer, Bd. III, hg. von Niels Thulstrup, Kopenhagen: Gyldendal, 1968, p. 118 (Pap III B 19): „Ironien er den objektive Aands Føedselsveer (den beroer paa det af Jeget opdagede Misforhold mell. Existentsen og Existentsens Idee). / Humor er den absolute Aand Føedselsveer (deb beroer paa det af Jeget opdagede Misforhold mell. Jeget og Jegets Idee)“ (Diese Notiz zum Ironiebegriff findet sich in keiner der deutschen Ausgaben der Tagebücher). 223 keit als solcher zu einer Entfesselung und Potenzierung der Ironie, in der diese sich letztlich gegen sich selbst wende und das Subjekt sich auflöse in unendlichen Spiegelungen, in denen der substantielle Gehalt „in einem immer flüchtiger werdenden Nebel“ 716 verdampft. Jedoch, es bleibt, dass die Ironie ein notwendiger Schritt auf dem Weg zum Selbst-sein ist, denn ein Selbst kann nur sein, wer sich zu der Unvereinbarkeit von Relativem und Absolutem, Endlichem und Ewigen als Wesen seiner selbst in angemessener Weise verhält - und um sich hierzu in angemessener Weise verhalten zu können, muss dieses Missverhältnis zunächst einmal ins Bewusstsein treten. Der Ausdruck aber für dieses Bewusstsein um das Missverhältnis, das den Menschen in seinem Wesen ausmacht, ist die Ironie. So heißt es auch bezeichnenderweise in der letzten der der Dissertation beigegebenen Thesen: „Ebenso wie die Philosophie mit dem Zweifel, ebenso beginnt ein Leben, das menschenwürdig genannt werden kann, mit der Ironie.“ 717 Freilich kommt es darauf an, dass die Ironie nicht - und das ist der entscheidende Vorbehalt gegenüber der Frühromantik - ‚aus dem Ruder läuft’, sondern in angemessener Weise beherrscht wird, dass im dichterischen Werk der Dichter „Herr [ist] über die Ironie“ 718 . Zeichnet sich die romantische Ironie durch eine Entgrenzung aus, in der der Ironiker sich in der Unendlichkeit flüchtiger Möglichkeiten verliert, bedeutet beherrschte Ironie, dass der Dichter seine Dichtung nicht absolut setzt und damit die Ironie entfesselt. Dafür muss er in seinem Dichtwerk ein „Moment seiner eignen Entwicklung erblicken“ 719 . So gelinge es, jene Konsequenz zu vermeiden, die Kierkegaard der romantischen Ironie zuschreibt, dass sich nämlich der Romantiker im Augenblick, im Zusammenhanglosen verliert, welche die Kehrseite der Medaille jener negativen Freiheit sind, stets über die Möglichkeit eines neuen Anfangs zu verfügen. Durch diese entgrenzte Negativität nämlich stehen die verschiedenen Dichtungen nicht in einem Zusammenhang, beziehungsweise könnte man umgekehrt sagen, dass der einzige Zusammenhang, der zwischen 716 Begriff Ironie, p. 328. 717 Begriff Ironie, p. 4 (meine Hervorhebung). 718 Begriff Ironie, p. 329. 719 Begriff Ironie, p. 329. Auf die Widersprüchlichkeit des Kierkegaardschen Versuchs, der romantischen eine beherrschte Ironie entgegenzustellen, hat Schwab hingewiesen. Vgl. ders., ‚Zwischen Sokrates und Hegel’, p. 145. Eventuell ließe sich diese Schwierigkeit beseitigen, wenn man davon ausgehen würde, dass Kierkegaards theoretische Einholung einer beherrschten Ironie in seiner Dissertation weniger gelungen ist, als ihre Umsetzung in der literarischen Praxis. Auf eine solche Leseart deutet auch die Einschätzung Ernst Behlers, dass die Problemstellung, die „radikale Ironie zu einem ‚beherrschten Moment’“ zu machen, „über die Dissertation hinaus“ (ders., Ironie und literarische Moderne, p. 158) auf Kierkegaards literarisches Gesamtwerk weise. 224 ihnen besteht, ihre Unverbundenheit ist 720 . Wenn aber die Ironie beherrscht und das einzelne Werk als Moment betrachtet wird, tritt letztlich wieder ein Weg, eine Geschichte, eine Biographie zutage, in der eine individuelle Entwicklung ersichtlich wird. Für ein solches Unterfangen wäre dann entscheidend, dass die Ironie in beide Richtungen wirkt, die für ihr Entstehen maßgeblich sind. Ironie wurde, wie gezeigt, von Kierkegaard in Anlehnung an die Schlegelsche Deutung als Zeichen der Unvereinbarkeit von Endlichkeit und Unendlichkeit, der Opposition von Relativität und Absolutem bezeichnet. Ausgangspunkt ist dabei die Fähigkeit der Ironie, aus der Enge der Endlichkeit auszubrechen zu helfen, wie Kierkegaard sehr anschaulich schildert: Wer Ironie schlechterdings nicht versteht, wer für ihr Raunen kein Gehör besitzt, er ermangelt eben damit (eo ipso) desjenigen, das man den absoluten Anfang des persönlichen Lebens nennen könnte, er ermangelt desjenigen, das da in einzelnen Augenblicken dem persönlichen Leben unentbehrlich ist, er ermangelt des Bades der Verjüngung, der Reinigungstaufe der Ironie, welche die Seele aus dem Gebundensein ihres Lebens im Endlichen, möge sie gleichwohl kraftvoll und stark darinnen leben, befreit […]; er kennt nicht die Erfrischung und Stärkung, die darin liegt, daß man, wenn die Luft drückend wird, sich entkleidet und sich ins Meer der Ironie stürzt […]. 721 Die Ironie ist also das, was über die Endlichkeit und Beschränktheit des Daseins hinaus verweist - womit Kierkegaard natürlich bis hierher völlig auf der Linie Schlegels liegt, nach dessen Vorstellung ja Ironie negativ auf das nicht erkennbare Absolute verweist. Jedoch tritt der entscheidende Unterschied im Nachsatz zur oben zitierten Stelle zutage, wo Kierkegaard, im Bild bleibend, fortführt: „[…] natürlich nicht, um darinnen zu bleiben, sondern um gesund und froh und leicht die Kleidung wieder anzulegen“ 722 . Denn die beherrschte Ironie muss in beide Richtungen weisen, in Richtung auf das Unendliche im Sinne einer Befreiung, aber aus dieser Befreiung und Entgrenzung durch die Auflösung der Wirklichkeit muss die Ironie als beherrschte auch wieder in die Gegenrichtung weisen und damit die Entgrenzung der Ironie ironisch revidieren. Diese Gegenbewe- 720 Interessanterweise kommt Kierkegaard im Begriff Ironie gerade bei der Frage nach dem Zusammenhängenden auch bereits auf die Langeweile zu sprechen. Langeweile sei nämlich, so Kierkegaard, „das einzige Stetige und Zusammenhängende, das der Ironiker besitzt“ und Kierkegaard definiert Langeweile hier in ihrem paradoxen Charakter folgendermaßen: „Langeweile, diese inhaltslose Ewigkeit, diese genußlose Seligkeit, diese oberflächliche Tiefe, diese hungrige Übersättigung“ (Begriff Ironie, p. 291; Hervorhebungen S.K.). Denn die Langeweile reiht gewissermaßen die beliebigen endlichen Möglichkeiten in einer Art negativen Geschichtlichkeit in ihrer Unverbundenheit aneinander. 721 Begriff Ironie, pp. 331f. 722 Begriff Ironie, p. 332. 225 gung, die Ironie aus der Entgrenzung in Richtung auf das Unendliche wieder zurückzulenken in Richtung auf das Endliche ist es, die der Ironie erst jene Wahrheit zuwachsen lässt, von der Kierkegaard in Abgrenzung zu Hegel spricht 723 . Denn wenn die Frühromantik das freie Schweben und die unendlichen Spiegelungen der Ironie hervorhebt, so stellt Kierkegaard diesen nun das Gegenmoment gegenüber und kann in diesem Sinne konstatieren: „Die Ironie setzt Schranken, verendlicht, begrenzt, und gewährt damit Wahrheit, Wirklichkeit, Inhalt […].“ 724 Er kann ihr mithin all jene Eigenschaften attribuieren, die er der frühromantischen Ironie abspricht und führt damit die Ironie der Frühromantik ironisch über sich selbst hinaus 725 . Kierkegaard als ironischer Schriftsteller Genau an der Stelle nun, wo Kierkegaard mit dem Begriff der beherrschten Ironie der frühromantische Ironie sein eigenes Konzept entgegenstellt, führt er interessanterweise auch seine Reflexionen über den Ironiker mit Reflexionen zum Niederschlag der Ironie im dichterischen Werk zusammen. In Analogie zu seinem Postulat, dass Ironie im eigentlichen Sinne nicht hier und da zum Vorschein kommen dürfe, sondern als „Standpunkt“ zu begreifen sei, betont Kierkegaard nun, dass dichterische Ironie „nicht an einem einzelnen Punkt im Gedicht zugegen“ sein darf, sondern darin allgegenwärtig sein muss, freilich so, dass „die im Gedicht sichtbare Ironie abermals ironisch beherrscht wird“ 726 . Diese Zusammenführung von Ironie als Standpunkt und als Moment im poetischen Werk ist insofern konsequent, als Kierkegaard als ‚Ursprung’ der Ironie das Erblicken des Missverhältnisses zwischen der Existenz und der Idee der Existenz begreift, ein Missverhältnis, an dessen Schnittstelle sich wiederum, wie zuvor gezeigt, die Sprache befindet, die in Bezug auf das Aussagen der Wirklichkeit der Existenz genau an der Unvermittelbarkeit zwischen Existenz und 723 Vgl. Begriff Ironie, p. 271. 724 Begriff Ironie, p. 331. 725 Vgl. Feger, ‚Die umgekehrte Täuschung’, p. 381. Es ist freilich fraglich, ob Kierkegaards Kritik gerade in diesem Punkt zutreffend ist und der frühromantischen Ironie dieses Moment der Begrenzung tatsächlich abgeht. So betont Manfred Frank, dass in der Schlegelschen Ironie die Synthese von Allegorie und Witz genau diese Funktionen einer Ent- und einer Begrenzung übernimmt: „Im Witz nimmt der Geist ‚schärfste Richtung auf Einen Punkt’ und erwirbt so ‚eine Art von Ganzheit’. Die Bindekraft des Absoluten wird so gleichsam in die Einzelsynthesen der individuierten Welt abgelenkt, die Welt wird vorgestellt als in Schranken gefasst. Die genau umgekehrte Wesenstendenz, das Streben über alle Grenzen hinaus ins Grenzenlose, wird in der Allegorie Ereignis, die den ‚abgeleiteten’ und ‚fragmentarischen Charakter des menschlichen Bewusstseins’ durch die Öffnung ins Unendliche korrigiert“ (ders., Frühromantische Ästhetik, pp. 302f.). 726 Begriff Ironie, p. 329 (Hervorhebung S.K.). 226 Denken scheitert. Zugleich bezeugt diese Verknüpfung noch einmal, dass letztlich auch Möglichkeit und Wirklichkeit als Kategorien der Existenz und damit das Existieren als Möglichsein für Kierkegaard in der Tat aufs Engste mit dem poetologischen Möglichkeitsbegriff verbunden sind 727 , insofern jede Aussage über die Existenz als Möglichsein diesem Grundwiderspruch beziehungsweise Missverhältnis reflexiv Rechnung zu tragen hat. Aus dieser Konstellation ergibt sich, dass der Existierende, wenn er existenziell kommunizieren will, der Ironie bedarf, insofern das, was kommuniziert werden soll, prinzipiell verfehlt wird. Die Ironie hat damit die gleiche negative Verweisungsfunktion wie bei Schlegel, allein dass nicht auf das in der Negation des Relativen aufscheinende Absolute verwiesen wird, sondern auf die dem Denken entzogene Existenz. Das heißt, im Postulat einer beherrschten Ironie, wie Kierkegaard sie im Begriff Ironie expliziert, spiegelt sich seine Einsicht in die Notwendigkeit einer sich selbst annihilierenden Kommunikation, die den Blick freigibt auf das, was nicht gesagt werden kann. In den Überlegungen zum Problem der beherrschten Ironie im dichterischen Werk zeichnet sich mithin deutlich die zukünftige Kierkegaardsche Methodologie ab. Das wird auch noch an einem anderen Aspekt deutlich, und zwar daran, dass er im Zusammenhang mit der beherrschten Ironie nicht nur betont, dass die Ironie sowohl das Gedicht als auch den Dichter frei mache 728 , sondern vor allem auch darauf hinweist, dass die Ironie als ein Weg zu begreifen ist: „Die Ironie ist als das Negative der Weg, - nicht die Wahrheit sondern der Weg.“ 729 Hier findet sich zum einen eine deutliche Kritik an die Adresse der Frühromantik, die Ironie in einen Wahrheitsanspruch verwandle, zugleich weist diese Formel aber vor allem auch Kierkegaard selbst den Weg, insofern sich mit dieser Reflexion die Spezifizität seines eigenen schriftstellerischen Werkes gut fassen lässt, nämlich verstanden als Weg im Sinne einer Methode im ursprünglichen Wortsinne, als der Weg zu etwas hin. Denn genau dies ist eine der Besonderheiten des Kierkegaardschen Schreibens, dass in seinen Texten nicht das Ergebnis, eine philosophische Erkenntnis, den Kern seines Philosophierens ausmacht, sondern dass er jener im Begriff Ironie formulierten Einsicht gerecht zu werden trachtet, dass jeder, „der da ein Ergebnis als solches besitzt, […] es gerade nicht [besitzt]“ 730 . 727 Vgl. das Kapitel zur Kategorie der Möglichkeit bei Kierkegaard und Heidegger (pp. 137ff. dieser Arbeit). 728 Vgl. Begriff Ironie, p. 329. 729 Begriff Ironie, p. 332. 730 Begriff Ironie, p. 332. Wenn Feger diese Tatsache ebenfalls betont, so scheint mir freilich, dass der Kierkegaardsche Vorwurf einer übergroßen „Freude am Ergebnis“ (Begriff Ironie, p. 332) eher auf die Systemphilosophie gemünzt ist als auf die Frühromantik, da im dieser Passage vorangehenden Satz von der „Wissenschaft in unserer Zeit“ die Rede ist, die „in den Besitz eines so ungeheuren Ergebnisses gelangt“ (ebd.; Her- 227 Die besondere Form des Kierkegaardschen Schreibens kann mithin als die Ausrichtung an dieser Vorgabe betrachtet werden, dass es nicht auf das Ergebnis ankomme, sondern auf die Methode. Die Ironie in seinen eigenen „einzelne[n] dichterische[n] Hervorbringungen“ 731 , verstanden als Methode, hat mithin die doppelte Funktion, zum einen Ausdruck der „Moment[e] seiner eigenen Entwicklung“ 732 zu sein, zum anderen aber vor allem auch, den Leser auf den Weg zu bringen hin zu seinem eigenen Existieren, ihn bestenfalls zu begleiten, keinesfalls aber weder ihm das ‚Ziel’ beziehungsweise ‚fertige’ Ergebnisse zu liefern, noch eine allgemein zugängliche Bedeutung vorzugeben. Die Ironie ist also ein Weg, auf dem die verschiedenen pseudonymen Texte wie Momente zu betrachten sind, freilich hier wiederum nicht so univok, dass die chronologische Folge des Erscheinens dem Leser eine Chronologie des Fortschreitens vorschreiben würde 733 , sondern ihre Verbundenheit und ihr wechselseitiges Aufeinanderverweisen stellen den Leser vor die Verantwortung, sich selbst ‚auf den Weg zu machen’ oder vielleicht auch, sich selbst einen Weg zu bahnen durch die Vielzahl pseudonymer Schriften. Als Illustration könnte hier eventuell die Wittgensteinsche Leiter-Metapher die Funktion der Ironie als Methode bei Kierkegaard veranschaulichen 734 , in dem Sinne, dass die Ironie den Leser immer weiter vorwärts führt. Dem Leser stellt sich dann aber selbstverständlich auch immer die Frage, ob er letztlich über die Ironie hinaus kommen kann oder muss, ob er jenseits der Ironie zu einer Wahrheit gelangen kann. Diese könnte dann aber in jedem Falle erst am Ende des Weges, also immer hinter und niemals vor der Ironie liegen, die in dem Sinne, wie Kierkegaard es in der erwähnten These zu seiner Dissertation postuliert hatte, unhintergehbar als der Ausgangspunkt eines menschen- vorhebung S.K.) sei. Der Vorwurf an die Frühromantik ist eher darauf gerichtet, dass diese die Ironie als Wahrheit und nicht als Weg betrachtet, wobei Kierkegaard dies nicht im gleichen Sinne als „Ergebnis“ zu begreifen scheint. Vgl. dazu auch die Anmerkung der Herausgeber der Ironieschrift (Begriff Ironie, p. 373, Anmerkung + 400 ). 731 Begriff Ironie, p. 329. 732 Begriff Ironie, p. 329. 733 Diese Leseweise wird immer wieder nahe gelegt, zum Beispiel in jüngerer Zeit von Kristin Kaufmann (vgl. dies., Vom Zweifel zur Verzweiflung), die sich für ihr methodisches Vorgehen explizit auf eine ältere Arbeit von Régis Jolivet bezieht, in der dieser postuliert, idealerweise seien die „Schriften Kierkegaards genau in der chronologischen Folge ihrer Veröffentlichung zu lesen“ (vgl. ders., Kierkegaard, Bern: Francke, 1948, p. 4). Dies scheint mir mit Blick auf das Konzept der indirekten Mitteilung als unpassend direktivistisch und damit konträr zu den Textstrukturen und den in sie eingeschriebenen Sinnmöglichkeiten. 734 Vgl. Ludwig Wittgenstein, Tractatus, Proposition 6.54: „Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie - auf ihnen - über sie hinausgestiegen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.) Er muß diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.“ 228 würdigen Daseins zu betrachten ist 735 . Zugleich würde dieses Jenseits der Ironie auch immer jenseits des Mitteilbaren liegen und somit niemals positiv sprachlich zu fassen sein 736 . Genau diese Zusammenhänge spiegeln sich letztlich in Kierkegaards literarischem Vorgehen, welches den in seiner Dissertation über die Ironie gewonnenen Einsichten in der Umsetzung seiner eigenen Methode in der schriftstellerischen Praxis Rechnung trägt. Sein Anspruch an das eigene Schreiben muss also sein, dass es zum einen ironisch ist, zum anderen sich aber von der romantischen Ironie - was selbstverständlich bedeutet, der romantischen Ironie, so wie er sie deutet - dahingehend unterscheidet, dass die Ironie beherrscht ist. Dabei bleibt freilich unleugbar jenseits dieser Betonung der Beherrschung der Ironie, womit sie erst eigentlich zu einer Methode werde, gerade in den Textstrukturen der pseudonymen Schriften eine äußerste Nähe zur frühromantischen Ironiekonzeption 737 , was in herausragendem für Entweder/ Oder gilt, aus welchem der im vorliegenden Kontext zentrale Essay Wechselwirtschaft stammt, wo die methodologische Bedeutung der Ironie besonders eindrücklich zutage tritt. Man könnte mithin zu der Deutung gelangen, dass Kierkegaard die romantischen Reflexionen zu Ironie und allegorischer Ausdrucksweise als fundamentalen Aspekten der progressiven Universalpoesie aufgreift und für sich nutzbar macht, indem er ihnen eine existenzphilosophische Wendung gibt 738 . 735 Vgl. auch Begriff Ironie, p. 332, wo Kierkegaard betont, dass derjenige, welcher „die Unendlichkeit, welche in der Ironie sich regt, nicht kennt […] nicht über, sondern unter der Ironie“ stehe (Hervorhebung S.K.). 736 „Die Beschreibung des (religiösen) Glaubens als zweite Unmittelbarkeit, die sich in den pseudonymen Schriften wiederholt findet“ (Andreas Krichbaum, Kierkegaard und Schleiermacher: eine historisch-systematische Studie zum Religionsbegriff, Berlin: de Gruyter, 2008, p. 327; Hervorhebung A.K.), lässt mithin das Problem der Unmöglichkeit direkter Mitteilung auf dieser höheren Ebene wiederkehren, so dass eine ästhetische Einholung im Sinne des Verweisens auch aus dieser Perspektive unumgänglich bleibt. 737 Wenn hier wesentlich auf die pseudonymen Schriften verwiesen wird, so merkt Roger Poole durchaus zu Recht an, dass Kierkegaard bereits im Begriff Ironie zu einer Form greift, die sich ironisch auf den Inhalt richtet und notiert erstaunt: „It is incredible […] that the long and distinguished line of Danish commentators should not have seen (what original examiners must have been quick to perceive) that the form of the work subverts what the work is apparently concerned to say“ (ders., Kierkegaard. The Indirect Communication, p. 44). Vgl. hierzu auch Anmerkung 691 auf p. 216 dieser Arbeit. 738 Von daher ist meines Erachtens auch Roger Poole zuzustimmen, wenn er betont, dass Kierkegaard in seiner Dissertation mit dem Konzept Ironie die erste seiner zentralen existenziellen Kategorien entwickle (vgl. ders, Kierkegaard. The Indirect Communication, p. 45). Zugleich würde dies selbstverständlich bedeuten, dass Kierkegaard, auch wenn er gemeinhin als Ahnherr der Existenzphilosophie betrachtet wird, für die von Bohrer für das 19. Jahrhundert ausgemachte „Existenzialisierung der ‚geistigen Situation’“ (ders., ‚Sprachen der Ironie’, p. 13) und das damit einhergehende fortschreitende „Überwältigtwerden der ‚Ironie’ durch den ‚Ernst’“ (ebd.) mit Sicherheit nicht 229 Auf einen weiteren Aspekt soll dabei noch hingewiesen werden, und zwar auf Kierkegaards ‚formale Anleihen’ bei der Romantik gerade in Entweder/ Oder. Wie gesehen betont Schlegel im Zusammenhang mit der Problematik von Immanenz und Transzendenz, dass das Bewusstsein für das Unendliche konstituiert werde durch die Vernichtung von dessen Gegenteil, das heißt des Endlichen. Zugleich bleibt in dieser Struktur immer der Charakter der Negativität erhalten, des Zugangs zum Absoluten im Modus der Verfehlung. Diese Konstellation muss sich für Schlegel formal niederschlagen, und zwar, indem das philosophische Problem des Absoluten eingeholt wird über die Poesie, da die auf der Vernunft basierende Philosophie sprachlich nicht in der Lage ist, diese Einholung zu leisten. Der Ausweg ist mithin der Übergang zu jener höheren Poesie, die im Wechsel von Enthusiasmus und Ironie im allegorischen Verweis auf das nie zu bezeichnende und sich dem Sagen immer entziehende Absolute hindeutet. Dies bedeutet freilich, dass in der Form jener höheren Poesie ihre Verweisfunktion immer gegenwärtig sein und bleiben muss, damit deutlich werde, dass das, was gesagt werden soll, aber nicht gesagt werden kann, das ist, was es - im Grunde - zu sagen gilt. Die Defizienz des Gesagten in Bezug auf das, was es eigentlich zu sagen gilt, ist ein ganz fundamentaler Aspekt in der Formenvielfalt, die eines der wesentlichen Merkmale der Frühromantik ist. Manfred Frank hat so beispielsweise, wie im ersten Abschnitt der vorliegenden Studie angedeutet, den Verweischarakter des Fragments, einer vor allem für Lyceum und Athenäum charakteristischen Darstellungsweise, in einem Vergleich des philosophischen Stils bei Novalis und bei Wittgenstein herausgestellt 739 . Das Fragment erweist sich in besonderer Weise geeignet, das Absolute ex negativo einzuholen, insofern es als einzelnes immer in seinem Fragmentcharakter durchsichtig bleibt und damit auf andere Fragmente verweist. Dabei kann aber auch die Gesamtheit der Fragmente die Negativität nicht durchbrechen, insofern die Fragmente bisweilen einander ergänzen, bisweilen aber auch einander widersprechen, jedoch nie ein geschlossenes Ganzes werden können, welches das Absolute darstellte. Das einzelne Fragment ist in sich geschlossen „wie ein Igel“ 740 und verweist dennoch auf die anderen Fragmente, die Gesamtheit der Fragmente verweist wiederum auf den Widerspruch zu den einzelnen haftbar gemacht werden kann. Wenn Bohrer mit dieser Diagnose recht hat und man dennoch zugleich den Ironiker Kierkegaard als den Ahnherrn der Existenzphilosophie betrachten möchte, dann ließe sich vielmehr der Verdacht äußern, dass dieses Überwältigtwerden der Ironie durch den Ernst möglicherweise vor allem daher rührt, dass die existenzphilosophisch orientierten Kierkegaard-Exegeten für die Ironie seiner Texte kein Gespür hatten. 739 Vgl. pp. 23ff. dieser Arbeit. 740 Vgl. KA II, p. 197, Fragment 206: „Ein Fragment muß gleich einem kleinen Kunstwerke von der umgebenden Welt ganz abgesondert und in sich selbst vollendet sein wie ein Igel.“ 230 Fragmenten und auf ihre eigene Unzulänglichkeit, da eine ‚vollständige’ Fragmentsammlung undenkbar ist. So führt Schlegel im Rückgriff auf fragmentarisches Schreiben die „Unabgeschlossenheit und Offenheit des Denkens in der Schreibpraxis“ 741 vor. In gewissem Sinne ist also das Fragment die Ausdrucksweise par excellence der dem frühromantischen Projekt inhärenten Negativität. Dass sich dies in Entweder/ Oder nicht nur in den Aphorismen des ersten Teils spiegelt, sondern Viktor Eremita dem Titel den Untertitel Ein Lebensfragment beilegt, ist bezeichnend - wobei die nach der Lektüre im Grunde überraschende Verwendung des Singulars wiederum die bereits betonte Zweideutigkeit verstärkt. Wenn mithin die Form des Fragments genauso wie der Begriff des Fragmentarischen für Entweder/ Oder sicher von einiger Bedeutung ist, dann findet sich in der Form von Entweder/ Oder freilich noch ein weiteres Element, das in besonderer Weise geeignet ist, dem Anspruch an eine Transzendentalpoesie literarästhetisch gerecht zu werden und zwar, dass der Gesamttext romanhafte Züge aufweist. So betont Schlegel in einem Fragment: „Die Romane sind die Sokratischen Dialoge unserer Zeit. In diese liberale Form hat sich die Lebensweisheit vor der Schulweisheit geflüchtet.“ 742 Dabei ist eines der herausragenden Merkmale des romantischen Romans, dass er die unterschiedlichsten Elemente zusammenführen kann, das heißt, narrative und lyrische Elemente, essayartige Abhandlungen, Fragmente, Briefe, etc. Die formale Disparatheit der dieserart zusammengeführten Textkörper spiegelt dann wiederum auf einer höheren Ebene die Defizienz der Darstellungsform in Bezug auf das Darzustellende und es ist sicher alles andere als zufällig, dass sich in Entweder/ Oder eine solche Formenvielfalt wiederfinden lässt 743 . Besonders wichtig ist freilich, dass Kierkegaard diese Zusammenführung verschiedener Textformen derart vornimmt, dass das gesamte - im frühromantischen Sinne romanhafte - Unterfangen durch eine durchgehende Ironie zusammengehalten wird, womit die thematisierten existenzphilosophischen Fragen dem Leser ironisch gebrochen entgegentreten. Damit übernimmt die Form, die im Sinne der indirekten Mitteilung die in die zweite Potenz gehobene Reflexion zum Ausdruck bringt, jene unerlässliche Verweisfunktion, die vom Gesagten auf das nicht Sagbare verweist, freilich, wie bereits hervorgehoben, hier nicht mehr auf das Absolute, sondern auf das Individuum in seiner Subjektivität ausgerichtet. 741 Sarah Schmidt, Die Konstruktion des Endlichen. Schleiermachers Philosophie der Wechselwirkung, Berlin: de Gruyter, 2005, p. 50. 742 KA II, p. 149, Fragment 26. 743 Dass der unter anderem von Erika Deiss (vgl. dies., Entweder - Oder? , pp. 384ff.) gemachte Vorschlag, Entweder/ Oder als einen romantischen Roman zu lesen, freilich auf wenig Resonanz gestoßen ist, kann kaum überraschen, insofern dies bedeuten würde, eine Reihe von Standardannahmen zur Philosophie Kierkegaard revidieren zu müssen. 231 Vor dem Hintergrund der Überlegungen zur Ironiefunktion kann nun also festgestellt werden, dass auch in Kierkegaards indirekter Mitteilung, genauso wie in der frühromantischen Transzendentalpoesie, Ironie einhergeht mit Literarizität, dass die Ironie bei Kierkegaard ihre epistemologische Funktion im Rahmen einer literarischen Fiktion mit pseudonymen Autoren und fiktiven Herausgebern entfaltet. Im systematischen philosophischen Text, und erst recht im philosophischen System, kann Ironie - zumindest in der hier explizierten Form - keinen Platz finden, denn die Kierkegaardsche Ironie ist, genau wie die frühromantische, gerade der Ausdruck dessen, was sich prinzipiell dem System und der Systematisierbarkeit entzieht. Dabei ist gerade im objektiven, reinen Denken - für das bei Kierkegaard Hegel steht - der Ironie als Organ für Missverhältnisse der Boden entzogen, insofern dort genau jene Missverhältnisse weggekürzt sind, die die Existenz charakterisieren. Ganz im Sinne der frühromantischen Reflexionen konstruiert Kierkegaard, ausgehend von seiner Orientierung nicht am abstrakten Denken, sondern am Problem des Existierens, seine indirekte Mitteilung als eine ironisch-literarische Kommunikationsform, in der die Ironie, genau wie er es in seiner Dissertation für die beherrschte Ironie fordert, einen Weg, oder besser: mögliche Wege aufzeigt. Dass in Kierkegaards Texte ‚Ergebnisse’ hineingelesen werden, widerspricht mithin nicht nur - was weniger problematisch wäre - der Intention Kierkegaards selbst, sondern vor allem der Textstruktur, die auf Unabschließbarkeit hin angelegt ist, insofern die Existenz immer als ein Werden zu begreifen ist 744 . Die Kierkegaardsche Ironie als Methode ist damit zunächst einmal der stilistische Ausdruck dessen, dass das, worum es in seinen Texten geht, im philosophischen System - beziehungsweise ganz allgemein in einer an Rationalität und Objektivität ausgerichteten Philosophie - keinen Platz findet. Kierkegaards indirekte Mitteilung ist der Versuch, eine dieser Subjektivität angemessene Kommunikationsweise zu finden, um den einzelnen zu sich selbst zu führen. Dies freilich kann ihm nicht in der Weise direkter 744 In diesem Sinne könnte die Kierkegaardsche Methode eventuell auch als eine Antwort auf Heideggers Überlegung verstanden werden, wonach die Philosophie anders als die Dichtung, nicht „in die Ruhe des ‚Werkes’ einkehren“ (Heidegger, Besinnung, p. 51; vgl. p. 196 dieser Arbeit) dürfe, denn in der indirekten Mitteilung wird eine solche Werkform gerade nicht durch das Werk als Werk erreicht, sondern bleibt virtuell und ist stets aufs Neue vom Leser aktiv zu realisieren und zwar in dem Sinne, wie Wolfgang Iser davon spricht, dass der Text „erst durch die Konstitutionsleistung eines ihn rezipierenden Bewußtseins zu seiner Gegebenheit [gelangt], so daß sich das Werk zu seinem eigentlichen Charakter als Prozeß nur im Lesevorgang zu entfalten vermag“ (Iser, ‚Der Lesevorgang’, p. 253); beziehungsweise könnte man auch genau umgekehrt argumentieren, dass dieser prozessuale Charakter des literarischen Werkes Kierkegaards letztlich anzeigt, dass sich damit einmal mehr erweist, dass es sich hier, genauso wie bei der frühromantischen Transzendentalposie, um Philosophie handelt. In beiden Fällen freilich würde die Grenzziehung zwischen Philosophie und Dichtung, wie sie Heidegger zu erhalten sich bemüht, untergraben. 232 Mitteilung gelingen, da, wie gezeigt, Existenz sich der direkten beziehungsweise jeder positiven Mitteilbarkeit entzieht. Da es Kierkegaard nicht um objektive, sondern um subjektive Wahrheit geht, subjektive Wahrheit aber die Existenz in Anschlag bringen muss, die sich der sprachlichen Kommunizierbarkeit entzieht, indem sie Existenz in das Denken von Existenz verwandelt, kann subjektive Wahrheit niemals explizit zur Sprache gebracht werden. Wenn direkte Mitteilung, das heißt Sprache als Medium der Reflexion, auch in der Lage ist, objektives Wissen zu kommunizieren, genauso wie dem reinen Denken entstammende Erkenntnisse wie die der Mathematik, so bleibt ihr der Zugang zur Subjektivität des Existierenden als Existierendem durch ihre reflexive Struktur verstellt. Freilich kann auch der literarisch-ironische Text, insofern er Sprache ist, diese Problematik nicht kurzschließen und in der ihm eigenen Verwendung von Sprache sich unmittelbar an die Subjektivität des Einzelnen wenden. Angesichts der Unhintergehbarkeit der Reflexionsstruktur von Sprache sieht Kierkegaard lediglich jene Möglichkeit, die Reflektiertheit der Sprache mitzureflektieren und diese doppelte Reflektiertheit in der literarischen Form, im Stil, zu kommunizieren, um darauf hinzudeuten, dass hier die Form Ausdruck einer besonderen Problemkonstellation ist. Genau an dieser Stelle nun fällt der Ironie ihre fundamentale sinnkonstitutive Rolle zu. Genauso wie die romantische Ironie dient die Ironie Kierkegaards hier als ein Sagen, das sagt, dass das Gemeinte und eigentlich zu Sagende unsagbar ist. In der indirekten Mitteilung ist mithin die Verweisstruktur der frühromantischen Konstellation vollständig zugegen: der ironische Text sagt etwas, das sich in seiner ironischen Struktur selbst vernichtet, um in diesem Prozess der Selbstvernichtung das aufscheinen zu lassen, was es im eigentlichen Sinne zu sagen gilt, sich aber der Sagbarkeit als nicht denkbar entzieht. Die ironische Struktur wiederum erzeugt Kierkegaard durch eine Multiplizität dessen, was man als ‚vermöglichende’ Faktoren bezeichnen könnte, um dieserart eine hochgradige Ambivalenz entstehen zu lassen. Hier wird die zuvor herausgearbeitete Verbindung von Möglichkeit und Freiheit relevant. Dass Ironie den Ironiker frei macht, kann man auch so ausdrücken, dass man sagt, Ironie eröffnet ihm Möglichkeiten. Während, um bei der ursprünglichen Ironiestruktur anzusetzen, die nichtironische Rede durch das Gesagte gebunden ist, bleibt die ironische Rede in Bezug auf das Gesagte frei, insofern das Gesagte nicht das Gemeinte ist. Dies gilt nun umso mehr in der frühromantischen und Kierkegaardschen Ironieform, da hier die Formel nicht lediglich besagt, dass das Gegenteil des Gesagten gemeint ist, womit die Bindung zwar nicht direkt, aber doch zumindest indirekt das Gemeinte umreißt und den Ironiker festlegt, sondern das Gesagte wird negiert und lässt in dieser Negation nicht ein Ungesagtes aufscheinen, das direkt aussagbar wäre, sondern eine Vielzahl von prinzipiell unsagbaren Sinnmöglichkeiten. Wie sehr Kier- 233 kegaard bemüht ist, eine Multiplizität der Sinnmöglichkeiten zu erzeugen, darauf verweist gerade in Entweder/ Oder die komplexe Textstruktur, in der sich ein manifester Sinn mehr und mehr verflüchtigt, der Sinn gleichsam in multiplen Spiegelungen zum Schweben gebracht wird. Die Tatsache, dass der Text von einem fiktiven Pseudonym herausgegeben ist, ist dabei ein erster Hinweis auf die Ironie und auf eine Barriere, die einer direkten Mitteilung zwischengeschaltet wird, aber besonders das Vorwort, welches den beiden Teilen vorangeschickt wird, sorgt anschließend dafür, dass sich die Indizien multiplizieren. Dabei sei hier noch ganz besonders auf ein Stilelement verwiesen, das in engem Zusammenhang mit Ironie und Möglichkeit steht, die Verwendung des Konjunktivs. Gerade die Verwendung des Konjunktivs als Möglichkeitsform, sowohl im Vorwort als auch im ersten Teil von Entweder/ Oder, sichert nicht nur abermals die Vielfalt der Sinnmöglichkeiten auch grammatisch ab, sondern verweist zugleich auf die Fragilität des Fundaments philosophischen Wissens, wie sie in existenziellen Fragen unter den Bedingungen der Moderne unhintergehbar ist 745 . Das Besondere an der ironisch-hypothetischen Darstellung scheint mir nun zu sein, dass diese in herausragender Weise für die methodische Legitimität des Kierkegaardschen Schreibens steht und zwar ganz besonders in dem paradoxen Sinne, dass letztlich der philosophische Gehalt nur dadurch wahr werden kann, dass er nicht beansprucht, es zu sein 746 . Mit anderen Worten schafft das in der indirekten Mitteilung ironisch Gesagte, beziehungsweise das, worauf im ironischen Text verwiesen wird, dadurch, dass es konjunktivisch beziehungsweise nicht gesagt wird, indem das Gesagte und das Gemeinte in der ironischen Rede auseinanderfallen, jenen Aneignungsraum beziehungsweise jene Leerstelle, die vom Leser als dieser 745 Eine ähnliche Interaktion von Ironie und Konjunktiv findet sich im Übrigen auch im Möglichkeitsdenken des bereits erwähnten Robert Musil. Vgl. hierzu Albrecht Schöne, Zum Gebrauch des Konjunktivs bei Robert Musil’, in Euphorion, 55, 1961, pp. 196- 220; Joseph Strelka, ‚Zu den Funktionen der Ironie in Robert Musils Roman ‚Der Mann ohne Eigenschaften’’, in G. Brokoph-Mauch, Robert Musil: Essayismus und Ironie, Tübingen: Francke, 1992, pp. 37-48. 746 Genau aus diesem Grunde scheint mir auch der ‚Vorwurf’ Rortys an Kierkegaard fraglich, wenn er, in einer Gegenüberstellung metaphysischen und ironischen Denkens schreibt: „Der Metaphysiker stimmt der platonischen Theorie der Erinnerung in der Form zu, in der sie von Kierkegaard restauriert wurde, nämlich, dass wir die Wahrheit in uns haben, dass wir eingebaute Kriterien besitzen, die uns dazu befähigen, das richtige abschließende Vokabular zu erkennen, wenn wir es hören“ (Rorty, Kontingenz, p. 132). Denn zu einer solchen Leseart kann nur gelangen, wer den ironischen Charakter des Kierkegaardschen Schreibens übersieht, welches genau jene Kontingenz in Anschlag bringt, welche Rorty für sich selbst beansprucht. Er übersieht an dieser Stelle, dass die Berücksichtigung der Kontingenz der Position des Ironikers die Existenz einer „realen Essenz“ (ebd.), die durch das Projekt der Moderne unplausibel geworden ist, letztlich zumindest als Möglichkeit weiterhin konzedieren muss (vgl. hierzu pp. 253ff. dieser Arbeit). 234 einzelnen Subjektivität auszufüllen ist. Erst die besondere Textstruktur erlaubt Kierkegaard, etwas mitzuteilen, was nicht gesagt werden kann und, indikativisch kommuniziert, zur Unwahrheit würde 747 beziehungsweise ja gerade insofern überhaupt nicht indikativisch gesagt werden kann, als damit genau jene Leerstelle besetzt würde, die für den Leser frei bleiben muss. Die Ironie fungiert demgemäß als epistemologischer Modus, der es Kierkegaard erlaubt, den Bereich des Unsagbaren in den Horizont zu bekommen und damit durch das nicht - im Sinne von nicht indikativisch - Gesagte nicht nichts zu sagen, sondern im Sagen zu verweisen auf das Unsagbare und eigentlich Gemeinte 748 . Ironie als philosophische Methode bei Kierkegaard und Heidegger als Ironiker Ironie als philosophische Methode bei Sören Kierkegaard Aus dieser zweifachen Funktion der Verwendung der Ironie, erstens als Ausdruck eines besonderen epistemologischen Horizontes, den man als ‚modern’ bezeichnen kann, und zweitens des von Kierkegaard identifizierten Paradoxes der Existenz, wächst der Ironie die Rolle eines adäquaten Modus des Sprechens zu, vor dessen Hintergrund die Kierkegaardschen Reflexionen zur Langeweile erst ihr spezifische Bedeutung entfalten können. Zugleich tritt nun möglicherweise noch deutlicher hervor, dass der Kierkegaardsche Möglichkeitsbegriff in seiner Vielschichtigkeit als Existenzkategorie, literarästhetische Kategorie und Erkenntnismodus tatsächlich als ein Schlüsselbegriff zu betrachten ist, wenn es um die Unterschiede zwischen der Kierkegaardschen und der Heideggerschen Vorgehensweise geht. Mir scheint, dass in der Tat der Vergleich der von Heidegger und von Kierkegaard entwickelten Langeweilekonzeptionen erst sein Profil gewinnt, wenn dieser Horizont mit berücksichtigt wird, da im Grunde der möglicherweise entscheidendste Unterschied sich einer rein inhaltlichen 747 Bereits Johann Georg Hamann betont im Übrigen diesen Nexus von Stil und Wahrheit und konstatiert in einer Anmerkung in Übersetzungen von Buffon. Über den Styl, „daß Gedanken durch die Deutlichkeit einen großen Teil ihrer Neuheit, Kühnheit und Wahrheit verlieren können“ (J. G. Hamann, Vom Magus im Norden und der Verwegenheit des Geistes. Ein Hamann-Brevier, Bonn: Parerga, 1993, p. 172), wobei ich den Begriff der Deutlichkeit im Sinne der Explizität verstehen würde und nicht im Sinne fehlender Präzision. Vgl. auch Bohrer, ‚Sprachen der Ironie’, pp. 17ff. 748 Hier sei angemerkt, dass Karl Heinz Bohrer bei Schlegel wiederum eine ganz ähnliche Konstellation verortet, wenn er mit Blick auf die Schlegel-Rezeption bemerkt, dass man Schlegels Ironie erstaunlicherweise „nie eigentlich als eine eigene Sprachform und Theorie poetisch-rhetorischer Rede verstanden“ habe (Bohrer, ‚Sprachen der Ironie’, p. 13; meine Hervorhebung), um kurz darauf völlig zutreffend zu konstatieren, dass die Schlegelsche Ironie-Definition „ins Gebiet der Philosophie, in das der Erkenntnistheorie“ (ebd., pp. 16f.) gehöre. 235 Gegenüberstellung entzieht. Ganz fundamental unterscheiden sie sich in ihrem jeweiligen philosophischen Stil als Ausdruck eine Methode, in der sowohl erkenntnistheoretische als auch sprachphilosophische Reflexionen zum Tragen kommen. Diese führen Kierkegaard zu einer literarischen, vor allem aber auch ironischen Schreibweise, die im Bohrerschen Sinne als eigenständiger und in seiner Begründung philosophischer Sprachmodus zu begreifen ist 749 . Dass sowohl Heidegger als auch Kierkegaard vor dem Hintergrund problematisch gewordener metaphysischer Letztbegründungsbemühungen der Philosophie zu lesen sind, scheint mir hinlänglich deutlich geworden zu sein, genauso wie die Tatsache, dass beide bemüht sind, dennoch weiterhin jene im Bouveresseschen Sinne wichtigen philosophischen Fragen zu stellen 750 , wobei die Antwort hierauf nicht mehr auf den ausgetretenen Pfaden traditionellen metaphysischen Denkens, genauso wenig wie mithilfe einer an den Wissenschaften orientierten Methodologie, erfolgen kann. Dies betont Heidegger in seinen Vorüberlegungen genauso, wie es besonders in Johannes Climacus’ Auseinandersetzung mit der Spekulation als abstrakt-objektivem Denken zum Ausdruck kommt. Der wesentliche Unterschied scheint mir darin zu liegen, wie die Aufgabe eines Philosophierens jenseits der Ausrichtung der Philosophie an der Vorstellung einer „absolute[n] Wissenschaft“ 751 angegangen wird. Sowohl bei Heidegger als auch bei Kierkegaard drückt sich das in einer Problematisierung der Sprache aus. So bringt Heidegger ganz explizit sein Bemühen zum Ausdruck, sich von der Logoszentriertheit der Sprache zu lösen, um zu einem neuen, authentischen philosophischen Fragen zu gelangen. In Sein und Zeit formuliert er dies folgendermaßen: Der in die nachkommende Sprachwissenschaft übergegangene und grundsätzlich heute noch maßgebende Grundbestand der ‚Bedeutungskategorien’ ist an der Rede als Aussage orientiert. Nimmt man dagegen dieses Phänomen in der grundsätzlichen Ursprünglichkeit und Weise eines Existenzials, dann ergibt sich die Notwendigkeit einer Umlegung der Sprachwissenschaften auf ontologisch ursprünglichere Fundamente. Die Aufgabe einer Befreiung der Grammatik von der Logik bedarf vorgängig eines positiven Verständnisses der apriorischen Grundstruktur von Rede überhaupt als Existenzial und kann nicht nachträglich durch Verbesserungen und Ergänzungen des Überlieferten durchgeführt werden. 752 749 Vgl. die oben zitierte Überlegung Bohrers zur Ironie als „eigene[r] Sprachform und Theorie poetisch-rhetorischer Rede“ (ders., ‚Sprachen der Ironie’, p. 13; vgl. die Anmerkung 748 auf p. 234 dieser Arbeit). 750 Vgl. p. 24 dieser Arbeit. 751 Grundbegriffe, p. 2 (vgl. p. 176ff. dieser Arbeit). 752 Sein und Zeit, pp. 165f. (Hervorhebungen M.H.). 236 Wenn sich also Heidegger unter anderem genau diese Aufgabe stellt, die Grammatik der Logik zu entwinden 753 , um zu einem eigentlichen Philosophieren (zurück) zu gelangen, dann bedeutet das für ihn vor allem, gleichsam ‚anders’ zu denken, wobei, wie gezeigt wurde, dies zumindest in Sein und Zeit und den Grundbegriffen im Grunde keine Konsequenzen in der formalen Gestaltung zeitigt. Dem Problem einer Differenz zwischen einem uneigentlichen und einem im Heideggerschen Sinne eigentlichen Philosophieren trägt er dabei vor allem mit dem Verweis auf die unhintergehbare „Zweideutigkeit“ des Philosophierens Rechnung, das heißt mit dem Hinweis darauf, dass im Miteinanderreden nie Gewissheit darüber zu gewinnen ist, ob das Gegenüber im eigentlichen Sinne philosophiert, das heißt aus der Philosophie heraus redet, oder ob es bloß über Philosophie redet. Eine weitere, von Heidegger nicht explizit hervorgehobene Zweideutigkeit ergab sich über das Phänomen des Schweigens als Modus eigentlicher Rede. Mit dieser in Sein und Zeit im Kapitel über die Sprache eingeführten Reflexion kommt Heidegger im Grunde auf genau jenes Phänomen zu sprechen, auf welches auch Kierkegaards ironische Rede hinweist, auf das Auseinanderfallen von Gesagtem und eigentlich Gemeintem. In den Grundbegriffen begnügt sich Heidegger für das gleiche Problemfeld noch mit dem Verweis auf die Zweideutigkeit jedweden Philosophierens, jedoch wird die Frage der Sagbarkeit gerade in seiner späteren Philosophie an Relevanz zunehmen. Nicht zuletzt die Bedeutung des Erschweigens führt Heidegger zu einem wachsenden Interesse an der Dichtung, wobei er aber die Philosophie weiterhin als distinkte Disziplin gegenüber der Dichtung behaupten will. Der Blick auf Kierkegaards in der Tradition der deutschen Frühromantik stehende Methode nun zeigt, wie ein Auflösen dieser Grenze zwischen Philosophie und Literatur im Sinne einer literarischen Einholung genuin philosophischer Fragen möglich wäre und scheint mir anzudeuten, dass in der Tat die Literatur ein geeigneter Ort sein könnte, wenn es darum geht, jene Zweideutigkeit, von der Heidegger spricht, nicht nur zu artikulieren, sondern performativ ästhetisch zu erzeugen. Gerade die für die Kierkegaardsche Literarizität charakteristische spezielle Ironieform - in ihrer doppelten Ausprägung als Standpunkt und als textstrukturelles Element -, und damit verstanden als Methode, hat den Vorteil, das inhaltliche Problem der Zweideutigkeit, aber auch der Defizienz jedweden philosophischen Standpunkts gegenwärtig zu halten. Dies gilt umso mehr, wenn man die Negativität in Anschlag bringt, die Kierkegaards Methode mit der Frühromantik teilt; denn insofern das philosophische Ziel nur im Modus der Verfehlung erreicht werden kann, muss diese Negativität Teil der philoso- 753 Vgl. kritisch zu Heideggers Verständnis von Logik Walter Bröckler, ‚Heidegger und die Logik’, in Otto Pöggeler, Heidegger. Perspektiven seines Werks, Köln: Kiepenheuer und Witsch, 1970, pp. 298-304. 237 phischen Methode werden. Da nun Kierkegaard Ironie genau in diesem Sinne als Negativität begreift, kann in der Tat, wie oben angedeutet, der Begriff der indirekten Mitteilung als das Kierkegaardsche Synonym für Ironie betrachtet werden kann 754 . Wie bei Schlegel ist Ironie in diesem Sinne auch ganz wesentlich Ausdruck der Kontingenz des präsentierten Standpunktes, da der Ausgangspunkt des philosophischen Fragens immer und unhintergehbar die Relativität des existierenden, des in die Existenz geworfenen Einzelnen ist. Damit kann Kierkegaards ästhetische Schriftstellerei gleichsam begriffen werden als Modus postmetaphysischer Kommunikation 755 , insofern die vorangegangenen Ausführungen zur Ironie zu dem Verdach Anlass geben, dass Kierkegaard sprachlich, das heißt stilistisch eine Form gefunden haben könnte, der es letztlich auch darum geht, den Bruch mit der Metaphysik zu repräsentieren, insoweit mit dem Begriff Metaphysik eine Philosophie jenseits der Kontingenz und mit Rückgriff auf Letztbegründungen bezeichnet ist 756 . Wesentlich ist in diesem Zusammen- 754 Vgl. hierzu die Anmerkung 660 auf p. 207 dieser Arbeit. 755 Diese Deutung widerspricht dann selbstverständlich dem Verständnis Heideggers, der Kierkegaard als Vertreter der abendländischen Metaphysiktradition liest. Vielleicht ließe sich dies aber gerade damit erklären, dass Heidegger zwar den Kierkegaardschen Konzepten große Aufmerksamkeit schenkt, nicht aber dem Kierkegaardschen Stil. Dass Heidegger sich zumindest meiner Kenntnis nach an keiner Stelle zur Kierkegaardschen Ironie äußert, kann sicherlich zum Teil mit der Überlieferungslage der Schriften Kierkegaards zu jener Zeit erklärt werden. So erschien gerade die Kierkegaardsche Ironieschrift erst 1929 erstmals in deutscher Sprache (dann aber gleich in zwei verschiedenen Übersetzungen, zum einen in der von Hans Heinrich Schaeder: Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, München: Oldenburg, 1929; und zum anderen in der von Wilhelm Rütemeyer: Der Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, München: Kaiser, 1929), das heißt erst nach der Phase der Auseinandersetzung mit Kierkegaard, die sich in Sein und Zeit niederschlägt. Andererseits liegt man sicherlich auch nicht ganz falsch, wenn man jene auf Hegel gemünzte und bereits zitierte Bemerkung Karl Heinz Bohrers auf Heidegger überträgt, dass dieser „keinen Nerv für ironische Sprache besaß“ (ders., ‚Sprachen der Ironie’, p. 23; vgl. Anmerkung 689, p. 216 dieser Arbeit). Auch ein weiterer Grund für die Einreihung Kierkegaards in die Tradition der abendländischen Metaphysik wäre denkbar, denn man könnte auch jene Bemerkung Rortys zum Verhältnis Heideggers zu Nietzsche auf dessen Verhältnis zu Kierkegaard übertragen, dass nämlich Heidegger sagt, die Metaphysik komme mit Nietzsche zum Abschluss, um selbst derjenige Philosoph zu sein, der als erster mit dieser Tradition bricht (vgl. Rorty, Kontingenz, pp. 177ff., bes. p. 185), wobei mir plausibler erscheint, dass Heidegger die epistemologischen Implikationen der Kierkegaardschen Ironie nicht in den Blick geraten. Dabei ist sicherlich auch davon auszugehen, dass es anders als bei Nietzsche nicht Kierkegaards Ziel war, sich als Überwinder der Metaphysik zu stilisieren, sondern wesentlich ist ihm, seiner Einsicht in die erkenntnistheoretisch prekäre Lage des Existierenden methodisch Rechnung zu tragen und auf den Versuch rational fundierter Letztbegründungen zu verzichten. 756 Diese Perspektive vertritt auch Figal, wenn er betont, dass die beiden für Kierkegaard und Heidegger zentralen Begriffe der Verzweiflung und der Uneigentlichkeit „für eine Konzeption misslingender Praxis stehen, die nicht mehr am ‚maßgebenden An- 238 hang gerade die Ambivalenz seiner literarisch-ironischen Rede, die zum einen dem Ausdruck des Auf-dem-Weg-Seins, des Seinkönnens und des Werdens - und damit auch dem Hinweis auf die Unabschließbarkeit der Deutbarkeit seiner Schriften - dient und die zum anderen die defizitären Strukturen menschlicher Erkenntnisfähigkeit reflektiert 757 . Dabei hätte Kierkegaards Verfahren eventuell dann gegenüber dem Heideggerschen den Vorzug, dass durch das literarisch erzeugte ironische Schweben die unausräumbaren Vorbehalte gegen das eigene Philosophieren textstrukturell gegenwärtig bleiben, während umgekehrt Heidegger größere Schwierigkeiten hat, seinen Bruch mit der traditionellen Metaphysik sprachlich abzusichern. Darauf zumindest deutet der sicher nicht völlig aus der Luft gegriffene Vorwurf Adornos, der in Sein und Zeit „Gesten einspruchsloser Autorität“ 758 ausmacht, sobald Heidegger seine „freiwillige Selbstkontrolle“ 759 lockere, genauso wie sich nach Adornos Ansicht jene andere Auffälligkeit des Heideggerschen Stils, die sich gerade auch in den Grundbegriffen blick’ eines erkennbaren und bestimmbaren geordneten Ganzen und seines Grundes orientiert sein will“ (ders., ‚Verzweiflung und Uneigentlichkeit’, p. 138). Freilich müsste dann der Begriff der „misslingenden Praxis“ in Bezug auf Kierkegaard insofern relativiert werden, als die Frage des Gelingens oder Misslingens gerade durch die Kommunikationsstruktur der indirekten Mitteilung in der Schwebe bleiben muss, was mir die an die oben zitierte Stelle anschließende Bemerkung Figals auch anzudeuten scheint, wenn er sagt, das die Bedingungen misslingenden Lebens darin bestünden, „dass wir außerstande sind uns in unserem Sein selbst zu begründen, genauso wenig aber die Frage nach einem Grund unseres Seins wirklich abweisen können“ (ebd.). Das würde aber bedeuten, dass die Frage offen bleiben muss, ob es gelingende Praxis geben kann, beziehungsweise müssten die Kriterien für Gelingen und Misslingen ebenfalls wieder jenseits des sprachlich Einholbaren angesiedelt werden. 757 Damit ist freilich nicht impliziert, Kierkegaard sei als dekonstruktivistischer Autor zu lesen, wie es in der poststrukturalistischen Literaturkritik bisweilen geschieht. Auf dieses Phänomen weisen Jonathan Rée und Jane Chamberlain hin: „A rumour is gaining ground concerning Kierkegaard. A new Kierkegaard is coming forward, it seems, at the end of the twentieth century, comparable perhaps to the protodeconstructionist ‚new Nietzsche’ who emerged from the shadows in the 1970s“ (dies. (Hg.), Kierkegaard: a critical reader, Oxford: Blackwell, 1998, p. 1). Dagegen spricht einiges und nicht zuletzt die Tatsache, dass Kierkegaard gerade nicht auf die negative Freiheit der Möglichkeit im Sinne der „Ironie des anything goes“ (Feger, ‚Die umgekehrte Täuschung’, p. 336) und der Beliebigkeit als Quintessenz seines Denkens hinaus möchte, sondern ganz im Gegenteil sein Philosophieren ein zum Scheitern verurteiltes Bemühen um den Ausbruch aus einer unhintergehbaren Kontingenz ist, freilich im Bewusstsein um die Vergeblichkeit dieses Versuchs und im bewussten Verwerfen von trügerischen metaphysischen Gewissheiten. Als Gedankenfigur entspricht dies dem von Schlegel proklamierten ewigen Suchen und doch nicht finden können (vgl. KA III, p. 100 und p. 214 dieser Arbeit). 758 Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, p. 446. 759 Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, p. 446. 239 nachweisen lässt, dass er nämlich Überlegungen oft in Frageform formuliert, letztlich im Grunde lediglich als Rhetorik erweise 760 . Wenn sich so mithin die Ironie, verstanden als Methode, als ein wesentliches Differenzkriterium zwischen Kierkegaard und Heidegger zu erweisen scheint, dann ergibt sich an dieser Stelle das zu Beginn des Abschnitts erwähnte Problem, dass diese Einschätzung zunächst einmal quer steht zu den Überlegungen Rortys in Kontingenz, Ironie und Solidarität, wo dieser ausdrücklich Heideggers Philosophie dem Ironiediskurs zuordnet, während er auf der anderen Seite ebenso ausdrücklich Kierkegaard mit dem Vorwurf belastet, einer der ‚Restauratoren’ metaphysischer Sprache zu sein 761 . Im Folgenden soll deshalb der Frage nachgegangen werden, inwieweit Rortys Reflexionen den obigen Ausführungen widersprechen. Heidegger Ironiker? In seinem Buch Kontingenz, Ironie und Solidarität bemüht sich Rorty, einer philosophischen Perspektive das Wort zu reden, die die Kontingenz der menschlichen Situation und Erkenntnisfähigkeit strikt und konsequent anerkennt und die Suche nach universell gültigen Prinzipien und Letztbegründungen aufgibt, das heißt, metaphysisches Denken endgültig verabschiedet. Damit wendet er sich in gleicher Weise gegen theologisch fundierte Metaphysiken wie gegen die Metaphysiken der Aufklärung, deren Rationalismus vergeblich nach Universalien zur Ordnung des menschlichen Zusammenlebens suche. Die Alternativposition, die Rorty vorschlägt, ist die des Ironikers, der der Tatsache ins Gesicht sieht, dass [seine] zentralen Überzeugungen und Bedürfnisse kontingent sind [und] die Vorstellung aufgegeben hat, jene zentralen Überzeugungen und Bedürfnisse bezögen sich zurück auf eine Instanz jenseits des raum-zeitlichen Bereichs. 762 760 Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, p. 509. In diesen Kontext scheint mir auch zu gehören, dass die Betonung Heideggers, Ausdrücke wie ‚Man’, und ‚Gerede’ seien nicht kulturkritisch oder abwertend gemeint, problematisch bleibt, weil, wie Adorno völlig zutreffend kommentiert, „die ‚terminologisch gewählten’ Ausdrücke in der subjektiven Wahlfreiheit ihrer Verwendung nicht sich erschöpfen, sondern - wie der Sprachphilosoph Heidegger als erster zugestehen müßte - selber, objektiv, jene Normen beinhalten, von denen Heidegger sie abgrenzt“ (ebd., p. 477). Die explizierte Wertneutralität stehe somit im Widerspruch zu einer Wortwahl zur Charakterisierung der Uneigentlichkeit, die „vorweg gehässig“ (ebd.) sei. In diesem Sinne scheint mir auch Figal zu bereitwillig Heideggers Selbstexplikation zu folgen, wenn er die „Missverständnisse“ betont, die es der Heideggerschen Konzeption des ‚Man’ gegenüber immer wieder gegeben habe, insofern das Konzept nicht „kulturkritisch“ gemeint sei (Phänomenologie der Freiheit, p. 150). 761 Rorty, Kontingenz, p. 132 (vgl. auch die Anm. 746 auf p. 233 dieser Arbeit). 762 Rorty, Kontingenz, p. 14. 240 Damit führt er eine grundlegende Opposition ein zwischen dem „Metaphysiker“ und dem „Ironiker“. Ersterer bleibe dem Glauben an eine ‚höhere’, das heißt jenseitige Instanz als Maßstab unserer Wert- und Handlungsausrichtung verhaftet, sei dies Gott oder eine universelle Vernunft, während der Ironiker sich ganz im Sinne Nietzsches mit dem kontingenten Diesseits begnüge. Rorty fasst den Nachweis der Kontingenz über zwei Themenfelder, zunächst über die Explizierung der Sprache als kontingent und schließlich über die Kontingenz des Selbst. Für die Einsicht in die Kontingenz der Sprache sei eine fundamentale Entdeckung maßgeblich gewesen und zwar, dass Wahrheit nicht, wie dies in der Philosophiegeschichte seit Platon vorausgesetzt worden sei, im Sinne einer universellen, transzendenten Wahrheit gefunden, sondern dass sie gemacht werde. Auf politischem Gebiet ruft er für die Herausbildung dieser Einsicht die Erfahrung der Französischen Revolution auf, wobei parallel zu dieser Entdeckung auf dem Gebiet der Geschichte auch die Tendenzen der Kunst in diese Richtung gegangen seien und zwar mit dem in der Romantik hervorbrechenden Anspruch des Künstlers, nicht mehr die Wirklichkeit zu imitieren, sondern diese - und sich selbst - zu schaffen. Die Philosophie sei hingegen auch in der Gegenwart noch in starkem Maße der Überzeugung, dass Wahrheit gefunden werde - womit sie sich die Sprachlichkeit und damit die Bedingtheit der menschlichen Wahrheiten verschleiere: Dass die Wahrheit nicht dort draußen ist, heißt einfach, dass es keine Wahrheit gibt, wo es keine Sätze gibt, dass Sätze Elemente menschlicher Sprachen sind und dass menschliche Sprachen vom Menschen geschaffen sind. Wahrheit kann […] nicht unabhängig vom menschlichen Geist existieren, weil Sätze so nicht existieren oder dort draußen sein können. 763 Der Glaube daran, dass Wahrheit „dort draußen“ und mithin findbar sei, ist für Rorty das Erbe der abendländischen Metaphysik, das Erbe einer Epoche, „in der die Welt als Schöpfung eines Wesens gesehen wurde, das im Besitz einer eigenen Sprache ist“ 764 und das mit der Wahrheit identifiziert werden konnte. Allerdings sei nicht ‚die Wahrheit’ dort draußen, sondern nur die Welt und nur die Beschreibungen derselben, nicht die Welt selbst, könnten wahr oder falsch sein 765 . Wenn Wahrheit aber nicht an einen jenseitigen Garanten gebunden werden kann, sondern menschengemacht ist, dann bedeutet das auch, dass sie sich verändern kann, und genau das ist für Rorty die entscheidende Revolution, die sich seit dem späten 18. Jahrhundert erahnen lässt: die Entdeckung, „dass man alles gut oder böse, wichtig oder unwichtig, nutzlos oder nützlich aussehen lassen 763 Rorty, Kontingenz, p. 24. 764 Rorty, Kontingenz, p. 24. 765 Vgl. Rorty, Kontingenz, p. 24. 241 konnte, indem man es neu beschrieb“ 766 . Vor dem Hintergrund dieser Einsicht nun müsse man sich von der Idee verabschieden, dass die Welt oder auch das Selbst eine immanente Natur, ein An-sich besitze, das ‚gefunden’ werden könne, insofern damit die Vorstellung aufgegeben wird, dass in unserer Sprache etwas mit den Tatsachen der Welt, wie sie ‚an sich’ sind, korrespondiert 767 . In diesem Zusammenhang wendet sich Rorty mit Davidson auch gegen die übliche Vorstellung, Sprache sei als ein Medium zu betrachten 768 , das heißt als ‚Vermittlerin’ „zwischen dem Selbst und der nicht-menschlichen Realität […], mit der das Selbst in Verbindung kommen möchte“ 769 . Dabei läuft es für Rorty philosophisch auf das Gleiche hinaus, ob eine solche Betrachtungsweise zu der Überzeugung gelangt, dass dies der Sprache gelinge oder dass es nicht gelinge. Im Kern werde damit immer das überkommene und zu überwindende metaphysische Subjekt-Objekt-Schema weitergeführt 770 . Dem stellt er das Angebot einer Sprachauffassung entgegen, die sich verschiedene Vokabulare denkt, verstanden als verschiedene Werkzeuge, die im Sinne Wittgensteins als Sprachspiele in je eigener Weise gespielt werden 771 . So könnten dann auch ‚alte Werkzeuge’, das heißt alte Vokabulare, alte Beschreibungen durch neue ersetzt werden, was in der Philosophie durchaus geschehen sei, etwa in der Ablösung des aristotelischen durch ein mathematisches Vokabular im 16. Jahrhundert 772 . Das bedeute aber keinesfalls, dass dieses neue Vokabular die ‚Wirklichkeit’ in irgendeiner verifizierbaren Weise ‚besser’ beschreibe, das heißt, näher daran wäre, ‚wie die Dinge wirklich sind’, weil dann selbstverständlich die Sprache wieder in dem Sinne als Medium verstanden würde, wie Rorty es ablehnt 773 . Genauso habe Sprache keinen 766 Rorty, Kontingenz, pp. 27f. 767 Rorty weist im Übrigen auf das Problem hin, seine Position vor den Anhängern einer Philosophie, die einer immanenten Natur verhaftet bleibt, zu legitimieren: „Nach Ansicht der Philosophie, die ich anbiete, sollten von Philosophien nicht Argumente etwa gegen die Korrespondenztheorie der Wahrheit oder gegen die Vorstellung von der ‚inneren Natur der Wirklichkeit’ verlangt werden. Das Problematische an Argumenten gegen die Verwendung eines vertrauten und altehrwürdigen Vokabulars liegt darin, dass sie in eben dem Vokabular formuliert sein sollen, gegen das sie sich wenden. […] Jedes Argument, das zeigen soll, die uns vertraute Verwendung eines vertrauten Terminus sei inkohärent, leer, konfus, vage, ‚rein metaphorisch’, kann nur ungültig und eine petitio principii sein“ (Rorty, Kontingenz, p. 30). 768 Vgl. Rorty, Kontingenz, p. 32. 769 Rorty, Kontingenz, p. 33. 770 Vgl. Rorty, Kontingenz, p. 33. 771 Damit würde dann ein bestimmter Typ von philosophischen Fragen schlicht überflüssig, zum Beispiel: „‚Welche Ort hat das Bewusstsein in einer Welt der Moleküle? ’ ‚Sind Farben bewusstseinsabhängiger als Gewichte? ’ ‚Welchen Ort haben Werte in einer Welt der Tatsachen’ […]“ (Rorty, Kontingenz, p. 34). 772 Vgl. Rorty, Kontingenz, p. 35. 773 Vgl. hierzu auch Mary Hesse, ‚The Explanatory Function of Metaphor’, in dies., Revolutions and Reconstructions in the Philosophy of Science, Bloomington: Indiana Uni- 242 „Zweck“, was wiederum einen ihr zugrunde liegenden Plan unterstellen würde, sondern „[u]nsere Sprache und Kultur sind ebenso zufällig, ebenso Ergebnis von tausenden kleinen Mutationen, die Nischen finden […], wie Orchideen und Menschenaffen“ 774 . Damit kann sie auch nicht ‚der Wahrheit’ dienen, sondern eher sei Wahrheit, wie schon Nietzsche postulierte, ein „bewegliches Heer von Metaphern“ 775 . Dem Aufweis der Kontingenz der Sprache folgt bei Rorty der Aufweis der Kontingenz des Selbst. Konsequenterweise bedeutet der Abschied von einer transzendenten Instanz als Bürgin für Wahrheit auch den Abschied von einem prädefinierten Selbst, das, analog zur Wahrheit, gefunden werden könnte. Diese Rortysche Feststellung ist besonders interessant, insofern er in Bezug auf die Konzeption des Selbst eine Differenz zwischen Dichtung und Philosophie verortet und zwar dahingehend, dass Dichtung, zumindest die romantische Dichtung „mit Platon“ breche „und Freiheit als Erkenntnis der Kontingenz“ verstehe, so dass sie sich in ihrem „Streben nach Erschaffung des Selbst durch Erkenntnis von Kontingenz“ der Philosophie entgegenstelle, die „nach Universalität durch Überschreitung von Kontingenz“ 776 strebe. Damit steht also in einer groben Einteilung zunächst der ironische Dichter dem metaphysischen Philosophen gegenüber. Allerdings schreibt Rorty die Einsicht in die Kontingenz nicht ausschließlich Dichtern zu, sondern findet Beispiele dafür auch in der Philosophie, wobei Rorty neben Nietzsche besonders den Namen Heidegger aufruft 777 . Insofern hier die Einteilung in kontingenzbewusste Dichtung und metaphysische Philosophie nicht trägt, nimmt Rorty eine weitere Differenzierung vor, indem er unterscheidet zwischen ironistischer Theorie auf der einen und versity Press, 1980, auf die sich Rorty bezüglich der Betrachtung wissenschaftlicher Revolutionen als Neubeschreibungen beruft. 774 Rorty, Kontingenz, p. 42. 775 Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne, p. 876 (vgl. auch die Anmerkung 60 auf p. 30 dieser Arbeit). 776 Rorty, Kontingenz, p. 56. 777 Genauso wie übrigens Hegel. Bei Hegel freilich schränkt er ein, dass dies nur in der Praxis gelte: „Statt an den alten Platitüden festzuhalten und Unterscheidungen einzuführen, die sie kohärent machen, veränderte Hegel ständig das Vokabular, in dem die alten Platitüden ausgedrückt waren; statt philosophische Theorien zu konstruieren und Argumente für sie zu produzieren, vermied er Argumentation, indem er ständig die Vokabulare verschob und dabei das Thema wechselte. In der Praxis, wenn auch nicht in der Theorie, gab er die Idee, der Wahrheit nahe kommen zu können, zugunsten der Idee auf, die Dinge neu machen zu können. Seine Kritik an seinen Vorgängern lautete nicht, dass ihre Aussagen falsch, sondern dass ihre Sprachen veraltet seien. Durch die Erfindung dieser Art Kritik brach der junge Hegel aus der Reihe von Platon bis Kant aus und begann eine Tradition ironistischer Philosophie, die bei Nietzsche, Heidegger und Derrida weitergeführt wird. Das sind die Philosophen, die ihre Leistungen durch ihre Beziehung zu ihren Vorgängern statt durch ihre Beziehung zur Wahrheit definieren“ (Rorty, Kontingenz, pp. 135f.). 243 ironistischer Dichtung auf der anderen Seite 778 . Ironistische Theorie sei Philosophie 779 , der es um metaphysische Theorie zu tun sei: Für ironistische Theoretiker ist die Geschichte des Glaubens an eine geschichtslose Weisheit und der Liebe zu ihr gleichbedeutend mit der Geschichte einer Folge von Versuchen, ein abschließendes Vokabular zu finden, das nicht nur das abschließende Vokabular des einzelnen Philosophen, sondern ein in jedem Sinne abschließendes Vokabular ist, […] das letzte Wort, in dem Forschung und Geschichte zur Konvergenz gekommen sind, das weitere Forschung und Geschichte überflüssig macht. 780 Der ironistischen Theorie geht es also darum, im Verständnis der metaphysischen Implikationen sich von diesen zu befreien, um so zu Autonomie zu gelangen, was nicht zuletzt besagt, zu der Autonomie, die Vergangenheit neu und in eigenen Worten, mit dem eigenen - kontingenten - abschließenden Vokabular zu beschreiben. Dabei unterscheide sich die ironistische Theorie aber von der ironistischen Dichtung durch die Ausweitung ihres Anspruchs. Während letztere sich damit begnüge, kleine Kontingenzen zu erzählen - Rorty bezieht sich hier auf Prousts A la recherche du Temps perdu 781 als paradigmatisches Beispiel - und es nicht bedrohlich finde, wenn ihre Neubeschreibungen nachfolgenden Dichtern wiederum Stoff zu Neubeschreibungen liefern würden, strebe die Theorie danach, „eine große Sache [zu] beschreiben“ 782 und sich selbst in diesem Zusammenhang eine besondere Wichtigkeit zuzuschreiben, was sich vor allem in der Rede von einem Schlusspunkt äußere, dass heißt, dass der ironistische Theoretiker sich „überhaupt keinen Nachfolger vorstellen [kann], denn er ist der Prophet eines neuen Zeitalters, auf das keine Begriffe aus der Vergangenheit angewendet werden können“ 783 . Man finde bei ihnen die Vorstellung vom Ende der Geschichte und sie prätendierten, dass „das Reich der Möglichkeit nun ausgeschöpft sei, sich niemand mehr in derselben Weise über sie werde erheben können, wie sie sich über alle anderen erhoben hatten“ 784 . Damit befinde sich die ironistische Theorie aber selbstverständlich auch immer mit einem Bein in der Metaphysik, die sie überwinden will, das gilt Rorty zufolge in gleicher Weise für Nietzsche wie für Heidegger. Die ‚Anfälligkeit’ für einen Rückfall zeige sich namentlich in den übermenschlichen Instanzen beider, der Macht bei Nietzsche und dem Sein (oder Seyn) bei Heidegger. Im Ergebnis läuft Rortys Analyse darauf hinaus, dass es 778 Vgl. Rorty, Kontingenz, pp. 162ff. 779 Rorty selbst vermeidet den Begriff ‚Philosophie’ wegen seiner metaphysischen Implikationen (vgl. Rorty, Kontingenz, p. 162). 780 Rorty, Kontingenz, p. 163. 781 Marcel Proust, A la recherche du temps perdu, Band I-VII, Paris: Folio, 1988. 782 Rorty, Kontingenz, p. 169. 783 Rorty, Kontingenz, p. 171. 784 Rorty, Kontingenz, p. 174. 244 ironistischen Diskurs sowohl in der Literatur als auch in der Philosophie geben kann, wobei die Philosophie - beziehungsweise, um in der Sprache Rortys zu bleiben: die ironistische Theorie - tendenziell anfälliger sei für einen Rückfall in die Metaphysik, zugleich aber vor allem auch größere Schwierigkeiten habe, dem Kontingenzbewusstsein selbstreferentiell Ausdruck zu verleihen. Wenn Rorty also Heidegger zunächst exemplarisch dem Ironie-Diskurs zuordnet, so scheint mir im Ergebnis diese Zuordnung durch Rorty selbst in der Differenzierung zwischen ironistischer Dichtung und ironistischer Theorie so erheblich relativiert zu werden, dass man in letzterer gerade insofern es ihr darum gehe, „eine große Sache“ zu beschreiben, statt Ironie beinahe schon jenen „Daseinsernst“ wiederzufinden vermeint, den Karl Heinz Bohrer bei Heidegger verortet und weshalb er diesen dem Ernst- Diskurs zugeschlagen hatte 785 . Der scheinbare Widerspruch zwischen Rortys Überlegungen und der in dieser Studie vertretenen These, Heideggers Philosophie sei, im Gegensatz zu der Kierkegaards, gerade nicht ironisch, sondern ernst, wobei die textstrukturelle Ironie möglicherweise gerade ein besonders geeignetes Mittel sein könnte, um dem Kontingenzbewusstsein selbstreferentiell Ausdruck zu verleihen, ist relativ leicht mit einem Blick auf den Ironiebegriff auflösbar. Denn es zeigt sich, dass den Überlegungen Rortys und in der vorliegenden Studie eine unterschiedliche Definition des Ironiebegriffs zugrunde liegt, während es sich jenseits dieser definitorischen Differenz sogar vielmehr so verhalten mag, dass Rortys Argumentation in Teilen die These der vorliegenden Arbeit stützen kann. Was den Ironiebegriff betrifft, den Rorty verwendet, so beinhaltet dieser wesentlich die Idee eines Kontingenz-Bewusstseins, wie es in ironistischen Theorien zum Ausdruck komme. Diese Definition ist zunächst durchaus im Einklang mit der hier verwendeten Definition, die sich freilich, in Anlehnung an den romantischen Ironiebegriff, noch durch weitere Dimensionen auszeichnet. Zum einen durch die begrifflich schwer zu fassende Besonderheit einer in die Tiefe weisenden Leichtigkeit, die bei Kierkegaard sehr eloquent zum Ausdruck kommt, wenn er von der „Erfrischung und Stärkung“ spricht, „die darin liegt, daß man, wenn die Luft drückend wird, […] sich ins Meer der Ironie stürzt“ 786 und darin dem Humor nicht unähnlich ist, den im Übrigen auch Rorty Heidegger explizit abspricht 787 . Daneben, und 785 Diese Ambivalenz ist freilich nicht notwendigerweise ein Einspruch gegen Rorty, insofern die Zuordnung zu Ernst und Ironie für einem Ironiker - für den Rorty sich selbst hält - niemals eindeutig sein kann, wenn er nicht selbst vom Ironiein den Ernst-Diskurs fallen möchte. Deshalb kann Rorty auch explizit darauf hinweisen, dass Heidegger selbst „weder Metaphysiker noch Ironiker“ (Kontingenz, p. 186) sein wollte. 786 Begriff Ironie, pp. 331f. (vgl. p. 224 dieser Arbeit). 787 Vgl. Rorty, Kontingenz, p. 182. Die Nähe von Ironie und Humor thematisiert Kierkegaard wiederum dahingehend, dass er Johannes Climacus die Ironie als das Konfi- 245 das scheint mir ein ganz fundamentaler Aspekt zu sein, hat das ironische Kontingenzbewusstsein selbstverständlich auch sein literarästhetisches Element, das die Einsicht in die Kontingenz ironisch ‚in Szene setzt’. Zwar sieht auch Rorty diesen zusätzlichen Aspekt, wenn er schreibt, dass ein fundamentales Problem ironistischer Theorie in der Frage bestehe, „wie man auch noch die Vorführung des Bewusstseins der eigenen Begrenztheit endlich macht“, beziehungsweise das Problem, „wie man Autorität überwindet, ohne für sich selbst Autorität zu beanspruchen“ 788 , jedoch ist dies für Rorty eine ‚ironieinterne’ Frage, während in der vorliegenden Studie davon ausgegangen wird, dass sich genau an dieser Stelle entscheidet, ob eine Sprechweise als ironisch zu bezeichnen ist. Hier stellt sich nämlich die Frage, ob es hilfreich ist, den Begriff der Ironie zu verwenden für Theorien oder Philosophien, die zwar im Bewusstsein der Kontingenz geschrieben sind beziehungsweise versuchen, Kontingenz als wesentliche Erkenntnis ihrer Theorie zu postulieren, auch dann, wenn diese in ihrem Stil nicht ironisch sind, das heißt gerade jener rhetorischen Dimension entbehren, die eine ironische Sprechweise ausmacht. Diese Frage stellt sich gerade insofern, als es ja eine Besonderheit der ironischen Sprechweise ist, die Kontingenz literarästhetisch zu spiegeln und so letztlich genau dem vorzubeugen, was nach Rortys Dafürhalten die wesentliche Gefahr ironistischer Theorie darstellt, nämlich am Ende doch wieder - wie Heidegger mit seinem Seyn - auf potenziell nicht kontingente Instanzen zu rekurrieren 789 . Wenn man sich also der besonderen Bedeutung des Ironiebegriffs bei Rorty bewusst ist, dann wird letztlich seine Analyse auch mit Karl Heinz Bohrers Ansicht zumindest nicht inkompatibel, dass gerade Heidegger mit Hegel der hauptverantwortliche Vertreter jenes Ernstdiskurses sei, der seit dem 19. Jahrhundert den ironischen Diskurs, wie er namentlich bei Hamann, aber auch in der deutschen Frühromantik präsent gewesen sei, nach nium zwischen ästhetischer und ethischer Existenz und den Humor als das Konfinium zwischen ethischer und religiöser Existenz definieren lässt (vgl. Unwissenschaftliche Nachschrift II, p. 211). Erstaunlicherweise identifiziert im Übrigen Thorsten Sindermann in seiner Studie Über praktischen Humor: oder eine Tugend epistemischer Selbstdistanz (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2009) Humor und Ironie bei Kierkegaard als „statisch“ (ebd., p. 116), wobei er diese als „Zwischenstadien“ einem Kierkegaardschen „System“ (ebd., p. 116) zuordnet, welches das wesentliche der Ironie nicht in sich aufzunehmen wisse. Als Belegstelle freilich zitiert er dann Johannes Climacus, der sich dort selbstverständlich nicht auf ein vermeintliches System Kierkegaards, sondern auf das System Hegels bezieht. 788 Rorty, Kontingenz, p. 176. 789 Eventuell könnte man begrifflich zwischen ‚ironisch’ und ‚ironistisch’ unterscheiden, was Rorty auch tut, wobei er dann aber als Substantiv in beiden Fällen den Begriff der Ironie verwendet. Andererseits könnte Rorty sicherlich mit seinem Argument der Neubeschreibung argumentieren. Hiergegen wäre kein in Rortys Sinne gültiger Einwand möglich. 246 und nach verdrängt habe und zu dem Bohrer vor allem die Philosophen des deutschen Idealismus zählt: Aber es kamen ernste Männer, um den als frivol-unzüchtig empfundenen Umgang der beiden Wörtermagi [gemeint sind Hamann und Schlegel; S.H.] mit dem Geist als angeblich ungeistig für immer zu unterbrechen! Die ernsten Männer hießen Fichte, Schelling, Hegel. 790 Bohrer spricht dabei, wie gesehen, von einem „Überwältigtwerden der ‚Ironie’ durch den ‚Ernst’“ 791 . Wenn er dieses Überhandnehmen des Ernstes dabei wesentlich ins 19. Jahrhundert platziert, dann liegt er damit interessanterweise auf einer Linie mit Johannes Climacus, der in der Unwissenschaftlichen Nachschrift in einer bemerkenswerten Fußnote konstatiert: Es war für Lessing ein Glück, daß er nicht in dem ebenso ernsthaften wie echt-spekulativ-dogmatischen neunzehnten Jahrhundert lebte; er hätte sonst vielleicht erleben müssen, daß ein höchst ernsthafter Mann, der wahrhaft keinen Spaß verstand, im Ernst den Antrag gestellt hätte, Lessing solle nochmals den Konfirmandenunterricht besuchen, um Ernst zu lernen. 792 Bohrer nun fügt seiner Liste der Vertreter des Ernst-Diskurses anschließend auch noch Heidegger hinzu, den er im Verdacht hat, für die „äußerste Zuspitzung jenes Seins- und Daseins-Ernstes“ verantwortlich zu sein, der sich im deutschen Idealismus angekündigt habe. Dabei definiert er den dem Begriff der Ironie antithetisch zugeordneten Begriff des Ernstes dahingehend, dass alles Gesagte unter den Bedingungen eines radikalisierten Sinnanspruchs gesagt wird. […] Wer so spricht, konfrontiert den Adressaten mit einer existentiellen und einer dezisionistischen Selbstbeschreibung, die nicht mehr überboten werden soll. 793 Diese Definition passt wiederum zu Rortys Diagnose der Charakteristika ironistischer Theorie, die sich von ironistischer Dichtung genau dadurch unterscheide, dass sie sich gleichsam ‚am Ende des Weges’ sehe und als eine Art Schlusspunkt begreife, der nicht mehr überboten werden kann. Aufgrund dieser Tatsache würde ich in der Wahl der Begrifflichkeit eher Bohrer folgen als Rorty und auch Heideggers Langeweilethematisierung in diesem Sinne dem Ernstdiskurs zuschlagen. Dafür spricht umso mehr, dass 790 Bohrer, ‚Sprachen der Ironie’, p. 22. 791 Bohrer, ‚Sprachen der Ironie’, p. 12. 792 Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 97, Fußnote. 793 Bohrer, ‚Heideggers Ernstfall’, in Sprachen der Ironie, Sprachen des Ernstes, pp. 366-385, hier p. 366. Im Übrigen verweist selbstverständlich auch Bohrer in Bezug auf den Ironie-Begriff auf den literarästhetischen Aspekt, wenn er die frühromantische Ironie - wie gesehen - als eigene Sprachform bezeichnet. Auch ausgehend von dieser Definition wird es schwierig, Heideggers Philosophie als ironisch zu bezeichnen. 247 sich bei Rorty selbst eine dieser Attribution konkordierende Reflexion finden lässt, die sich auf den Heidegger von Sein und Zeit bezieht. Dort heißt es: Als er Sein und Zeit schriebt, hat Heidegger anscheinend ernsthaft geglaubt, ein transzendentales Unternehmen durchzuführen, also eine vollständige Aufzählung der ‚ontologischen’ Bedingungen der Möglichkeit bloß ‚ontischer’ Zustände zu geben. Er war offenbar aufrichtig überzeugt, dass die alltäglichen inneren Einstellungen und Lebenspläne von Nicht-Intellektuellen auf der Fähigkeit von Menschen wie Heidegger […] ‚gründeten’, ganz andere Ängste und Pläne zu haben. (Mit unbewegter Miene erzählt er uns etwa, dass ‚Schuld’ in der [Heideggerschen; S.H.] Definition eine Bedingung der Möglichkeit ist zum Beispiel dafür, dass man sich schuldig fühlt, weil man geliehenes Geld noch nicht zurückgezahlt hat.). 794 In ihrem Tenor passt diese Überlegung sicherlich auch auf die Grundbegriffe der Metaphysik, wo sich die gleiche Argumentationsstruktur findet, wenn Heidegger die alltäglichen Formen der Langeweile auf jene tiefe, eigentliche Langeweile zurückführt, die er als Grundstimmung seines metaphysischen Fragens wecken möchte. Bevor nun Kierkegaard in diesen Kontext eingeordnet werden soll, möchte ich die Frage nach Ironie und Ernst bei Heidegger noch in einen weiteren Reflexionszusammenhang stellen, der meines Erachtens geeignet ist, hier Erhellendes beizutragen - und zwar findet sich in Peter Sloterdijks bereits erwähnter Kritik der zynischen Vernunft ein längerer Abschnitt zu Martin Heidegger, der abschließend in eine Pointe mündet, die ebenfalls dazu beitragen könnte, zumindest indirekt die hier vertretene These zu legitimieren, dass Ironie ein geeignetes sprachliches Mittel zur Gewährleistung eines Projektes wie des Heideggerschen sein könnte. In dem Abschnitt Das Man oder: Das realste Subjekt des modernen diffusen Zynismus 795 , der den ersten Teil seiner Untersuchung zum modernen Zynismus abschließt, wendet sich Sloterdijk der Philosophie Martin Heideggers zu, die er, im Einklang mit Rorty, für einen exemplarischen Ausdruck des Philosophierens unter den Bedingungen der Moderne hält. Dabei schlägt er in seiner These einer Dialektik von Zynismus und Kynismus Heideggers Philosophie letzterem zu, das heißt einer gegenüber dem ‚Mainstream’ des Denkens subversiven Denkweise. Er begründet dies damit, dass Heidegger der Komplexität der Moderne die Betonung des Einfachen, ja sogar des Trivialen entgegenstelle. Er mache „Trivialität zum Gegenstand ‚hoher’ 794 Rorty, Kontingenz, pp. 183f. Zugleich betont Rorty in diesem Zusammenhang, dass „der Heidegger dieser Periode niemals die Frage der methodologischen Selbstbezüglichkeit [stellt]. Er fragt sich niemals, wie eine ‚Ontologie’ seiner Machart ihren eigenen Schlussfolgerungen zum Trotz überhaupt möglich sei“ (ebd., p. 184). 795 Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft I, pp. 369ff. 248 Theorie“ 796 und liefere „eine Reihe von Etüden in höherer Banalität, mit der sich die Philosophie hinaustaste in das, ‚was der Fall ist’“ 797 . Diese dem Sloterdijkschen Stil eigene bewusste polemische Zuspitzung ist selbstverständlich bis zu einem gewissen Grad als - in dem von ihm selbst explizierten Sinne - kynische Provokation zu lesen, entbehrt aber, sowohl für Sein und Zeit als auch für die Beschreibung der alltäglichen Langeweileformen in den Grundbegriffen der Metaphysik, sicherlich nicht einer gewissen Plausibilität. Besonders interessant im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch Sloterdijks Überlegung zu Heideggers grundlegender Unterscheidung zwischen Man und Ich, zwischen Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit, insofern diese von Sloterdijk in besonderer Weise an die Frage der Partikularität Heideggerscher Sprache angebunden wird. So weist Sloterdijk im Zusammenhang mit der Opposition von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit auf einen ganz zentralen Aspekt hin, der auch in der vorliegenden Studie bereits verschiedentlich zur Sprache gebracht wurde, nämlich den der Unentscheidbarkeit beziehungsweise Zweideutigkeit der Attribuierungen von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit 798 . Auch Sloterdijk zitiert diesbezüglich die einschlägige Bemerkung aus Sein und Zeit: Alles sieht aus wie echt vorhanden, ergriffen und angesprochen und ist es im Grunde doch nicht, oder es sieht nicht so aus und ist es im Grunde doch. 799 An dieser Stelle nun bringt auch Sloterdijk das Problem der Sprache ins Spiel: Die Sprache, scheint es, hält mühevoll das, was bloß ‚so aussieht’, und das, was wirklich ‚so ist’, noch auseinander. Doch die Erfahrung zeigt, wie alles sich verwischt. Alles sieht aus wie. 800 Das heiße, positivistisch gesprochen, dass es keinen Unterschied gibt zwischen dem einen und dem anderen, aber Heidegger insistiere darauf, hier eine Differenz zu behaupten. Das Eigentliche sieht aus wie das Uneigentliche, das Echte wie das Unechte, aber es gibt einen Unterschied. In der Behauptung dieses Unterschiedes verortet Sloterdijk bei Heidegger einen 796 Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft I, p. 370. 797 Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft I, p. 371. 798 Den Aspekt der Unentscheidbarkeit hebt auch Jacques Poulain hervor: „L’existence authentique cherche à nous garantir la possibilité d’être libre à l’égard de toutes nos prédéterminations mais ne permet pas de reconnaître quand ces conditions sont effectivement remplies“ (Jacques Poulain, ‚Cynisme ou Pragmatisme ? Le temps du Jugement’, in Critiques, 1986, n° 464-465, pp. 60-78, hier pp. 71f.). Rorty hilft sich elegant aus dieser Schwierigkeit, indem er sagt, dass Heidegger vermutlich auf die Frage wie eine eigentlichen Existenz aussehe, geantwortet hätte, so wie die Existenz von Menschen wie ihm selbst (vgl. Rorty, Kontingenz, p. 183). 799 Sein und Zeit, p. 173 (bei Sloterdijk p. 376). 800 Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft I, p. 376. 249 „metaphysische[n] Rest“ 801 , das Postulat einer Differenz, die philosophisch nicht aufweisbar ist: Das Andere lässt sich zunächst nur behaupten, indem zugleich versichert wird, es sehe genauso aus wie das Eine; für die äußerliche Sicht hebt sich das ‚Eigentliche’ vom ‚Uneigentlichen’ in keiner Weise ab. 802 Will man dieser Überlegung folgen, dann kann man an dieser Stelle zeigen, wie nah Heidegger hier bei Kierkegaard ist, zugleich aber auch umso deutlicher hervortreten lassen, wo wesentliche Unterschiede liegen. Denn auch bei Kierkegaard sind diese Unterschiede dem äußeren Zugriff entzogen; und auch Kierkegaard bringt dieses Problem explizit zur Sprache, am deutlichsten in jener Schrift, die bezeichnenderweise einem Johannes de Silentio zugesprochen wird, Furcht und Zittern. De Silentio behandelt diese Frage im Kontext der Bestimmung des Konzeptes des „Glaubensritters“. Die Pointe Johannes de Silentios ist genau jene Unentscheidbarkeit, die Sloterdijk bei Heidegger verortet, wie die folgende Passage anschaulich verdeutlicht: Die hingegen, welche das Kleinod des Glaubens tragen, täuschen leicht, dieweil ihr Äußeres eine auffallende Ähnlichkeit hat mit dem, was sowohl der unendlichen Resignation wie dem Glauben tief verächtlich ist - mit der Spießbürgerlichkeit. […] / Ich will aufrichtig gestehen, ich hab in meiner Praxis kein zuverlässiges Belegstück gefunden, ohne daß ich deshalb leugnen will, daß vielleicht jeder zweite Mensch solch ein Belegstück ist. […] Wüßte ich […], wo solch ein Glaubensritter lebte, so würde ich, so wie ich steht und geh, mich auf den Weg zu ihm machen; denn mit diesem Wunder geb ich mich unbedingt ab. Ich ließe ihn keinen Augenblick los, achtete jede Minute darauf, wie er sich mit den Bewegungen benähme; ich sähe mich selbst als fürs Leben versorgt an, und teilte meine Zeit dazwischen, auf ihn zu blicken und selber Übungen zu machen, und so brächte ich meine ganz Zeit damit zu, ihn zu bewundern. Wie gesagt, ich habe keinen solchen gefunden, immerhin kann ich ihn mir denken. Da ist er. Die Bekanntschaft wird gemacht, ich werde ihm vorgestellt. In dem Moment, wo ich ihn in Augenschein nehme, schüttle ich, in eben diesem Augenblick, ihn von mir ab, tue selbst einen Sprung rückwärts, schlage die Hände zusammen und sage halblaut: ‚Herrgott! Das ist der Mensch, das ist er wirklich? Er sieht ja aus wie ein Rottmeister.’ 803 Die postulierte Differenz ist also auch für de Silentio nicht nachweisbar, sondern allein in ihrer Unnachweisbarkeit illustrierbar; und um dieser Unzugänglichkeit des ‚Eigentlichen’ noch stärkeren Ausdruck zu verleihen, beschreibt er nicht - was schließlich nicht möglich ist - einen ‚wirkli- 801 Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft I, p. 377. 802 Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft I, p. 378. 803 Furcht und Zittern, in Sören Kierkegaard, Furcht und Zittern. Der Begriff Angst. Die Krankheit zum Tode, pp. 47f. 250 chen’ Glaubensritter, sondern der beschriebene Glaubensritter entstammt seiner Phantasie: Er kann ihn sich denken. Damit wird aber im Grunde genau das ungewiss, was er postuliert: dass es ihn überhaupt gibt. Der „metaphysische Rest“, den Heidegger Sloterdijk zufolge hartnäckig behauptet, wird so in der Einholung durch de Silentio literarisch als eben solcher sichtbar gemacht, genauso übrigens wie in Entweder/ Oder, wo diese Problematik ebenfalls thematisiert wird, auch hier selbstverständlich in ihrer unhintergehbaren Zweideutigkeit. Dort nimmt die Unmöglichkeit des Schlusses vom Äußeren auf das Innere oder, mit anderen Worten, vom Identifizierbaren zum Postulierten, die ironische Wendung einer Hegelparodie, indem Viktor Eremita im Vorwort davor warnt, das Äußere mit dem Inneren gleichzusetzen, jene zu Beginn eingeführte Opposition zwischen Außen und Innen, die im Verlaufe der einleitenden Bemerkungen immer wieder ironisch aufgenommen und unterlaufen wird 804 . Diesseits dieser ironischen Unterminierung jedweder eindeutigen Attributionsmöglichkeit könnte man argumentieren, dass es so aussieht, als spräche der Ethiker eigentlich, während die Ausführungen des Ästhetikers dem Gerede zuzuschreiben wären. Das würde dann bedeuten, dass das sich ‚eigentlich’ setzende Selbst aus dem Gerede ausbricht und eigentlich spricht. Dabei bliebe freilich auch hier der Unterschied, jedoch unerkennbar und unbestimmbar, da das Innere dem Ausdruck inkommensurabel ist und damit sprachlich uneinholbar bleibt oder, positivistisch gewendet, nicht existiert. Durch die Ironie aber tritt das Problem schon früher auf den Plan und zwar genau dadurch, dass die Kierkegaardsche Ironie nicht nur die Einholbarkeit dieser Differenz, sondern schon die Differenz selbst unterminiert. Wenn man den Blick genau auf diesen Aspekt des Unbestimmbaren, Unsagbaren richtet, dann fällt auf, dass damit die dem „metaphysische Rest“ Heideggers entsprechende Transzendenzorientierung Kierkegaards sich genau an dieser Stelle durch die Ironie als Methode von jenem unterscheidet. Will man hierin Sloterdijk folgen, so entspricht der „metaphysische Rest“ Heideggers einer Art Postulat malgré tout, das über die Forderung nach Eigentlichkeit hinaus im Grunde nicht zu sagen hat, jedoch nicht notwendigerweise, weil es eigentlich nichts zu sagen hat, sondern weil bereits die Frage, ob etwas eigentlich gesagt werden kann, zweideutig ist. Ein wesentlicher Unterschied zu Kierkegaard scheint mir nun nicht darin zu liegen, dass 804 Vgl. Sebastian Hüsch, ‚Wer A sagt, muss auch B sagen? ! Sören Kierkegaards Entweder/ Oder und das Konzept der ‚indirekten Mitteilung’, in Conceptus, Zeitschrift für Philosophie XXXVI, 2006, Heft 89/ 90, pp. 105-130. Hier sehe ich auch eine Schwäche in der Argumentation Schwabs (vgl. ders., ‚Innen und Außen’, pp. 44ff.), der in seiner Deutung des Vorwortes von Entweder/ Oder die Reflexion über die Widersprüchlichkeit von Innen und Außen ‚ernst’ nimmt und m. E. der Ambivalenz nicht genügend Rechnung trägt, die darin liegt, dass Eremita permanent gegenläufige Denkbewegungen ausführt, die mal die Hypothese, das Innere sei das Äußere, das Äußere das Innere, zu stützen, mal ihr zu widersprechen scheinen. 251 Kierkegaard kein malgré tout in seiner Argumentation hätte, sondern allein darin, dass Kierkegaard seinen „metaphysischer Rest“ nicht postuliert, sondern ironisch-zweideutig als Möglichkeit formuliert. Die Heideggersche Möglichkeit eines eigentlichen Selbstseinkönnen ist bei Kierkegaard in der Ironie zurückgenommen zur Möglichkeit der Möglichkeit eines solchen, wobei der Schritt vom Möglichkeitsaufweis zum Wirklichkeitspostulat von Kierkegaard durch seine literarästhetischen Vorsichtsmaßnahmen vermieden und dem Leser überantwortet wird. Wenn man sich bemühen wollte, dieses methodische Vorgehen sprachlich zu fassen, so könnte man versuchen es so zu formulieren, dass die Kierkegaardschen Suggestionen nur deshalb tragfähig sind, weil sie auf jenen Wahrheitsanspruch verzichten, den Rorty für traditionelles philosophisch-metaphysisches Denken expliziert hatte 805 . Hier nun spielt die Ironie ihre epistemologisch wirkungsmächtigste Rolle, indem sie einen neuen Erkenntnismodus schafft, der die Kontingenz seiner selbst in sich eingeschrieben hat und Aussagen im Aussagen selbst sogleich negiert. Damit werden die Aussagen in eigener Weise dem positivistisch-rationalen Zugriff entzogen und in den sich ex negativo eröffnenden Möglichkeitsraum verlegt. In diesem Zusammenhang scheint mir die abschließende Pointe der Sloterdijkschen Heidegger-Interpretation eine weitere indirekte Legitimation dieser Deutung zu sein, die in ähnlicher Weise nutzbar gemacht werden kann, wie Rortys Einteilung in Dichter und Theoretiker der Ironie. Denn nachdem Sloterdijk das legitime Heideggersche Bemühen um eine ‚andere’ und ‚eigentlichere’ philosophische Sprache betont und dessen Postulat der Existenz eines eigentlichen Selbstseinkönnens expliziert hat, kommt er bezüglich der Philosophie Heideggers zu der folgenden Konklusion: Vielleicht nimmt man der Existentialontologie viel von ihrer anmaßenden Düsterkeit, wenn man sie als philosophische Eulenspiegelei versteht. Sie macht den Leuten allerhand vor, um sie dahin zu bringen, wo sie sich nichts mehr vormachen lassen, sie gibt sich furchtbar spröde, um das Einfachste zu vermitteln. 806 Diese Überlegung könnte man wohl als Andeutung Sloterdijks interpretieren, dass es möglicherweise eine glückliche Maßnahme sein könnte, Heideggers Fundamentalontologie nicht ernst, sondern ironisch zu lesen. Diese Pointe würde die Frage aufwerfen, ob Heideggers Philosophie ihrem eigenen Anspruch besser gerecht würde, wenn sie nicht nur im Rortyschen Sinne ironistisch, sondern im hier vertretenen Sinne ironisch wäre. Die Bedeutung der ernsten Philosophie des ‚Ernstfalls’ Heideggers würde sich möglicherweise in spannender Weise verschieben, wenn es in ihr Anzeigen 805 Vgl. Rorty, Kontingenz, p. 24 und pp. 239ff. dieser Arbeit. 806 Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft I, p. 390 (meine Hervorhebung). 252 eines Oszillierens zwischen Ironie und Ernst gäbe, in dem beide wechselseitig aufeinander verwiesen. Denn wie Karl Heinz Bohrer ja völlig zu Recht betont, bedarf auch die Ironie des Ernstes 807 . Bohrer deutet sogar an, dass Heideggers Rede durchaus Potential dafür gehabt hätte, dem Ironiediskurs zugeschlagen zu werden. Dieser Gedanke stellt sich in der Tat ein, wenn man sich an Heideggers Bestimmung der philosophischen Begriffe erinnert, die diese recht nahe an die ironische Rede rückt, wenn er schreibt: „Der Bedeutungsgehalt dieser Begriffe meint und sagt nicht direkt das, worauf er sich bezieht, er gibt nur eine Anzeige […].“ 808 Wenn er darauf aufbauend betont, dass der Zusammenhang der Begriffe je „durch das Dasein selbst gestiftet“ 809 ist, dann ist er im Grunde nicht mehr weit von Kierkegaards Bestimmung der indirekten Mitteilung entfernt. Das gilt umso mehr als Heidegger, wie gesehen, ausdrücklich und wiederholt die Zweideutigkeit des Philosophierens gegenüber der nach Eindeutigkeit strebenden vorhandenheitsorientierten Wissenschaft und traditionellen Metaphysik betont. In diesem Sinne notiert Bohrer: Insofern die ironische Rede immer ein Stilphänomen ist, das die Eindeutigkeit philosophischer und pragmatischer Sätze auflöst, steht sie in naher Verwandtschaft zur poetischen Rede als einer ebenso zweideutigen. Indem Heidegger letztere Eigenschaft gegenüber der Sinnidentifikation so stark macht, ist der Ironiediskurs jedenfalls nicht auszuschließen. 810 Allerdings kommt Bohrer dann zu dem Ergebnis, dass Heideggers Philosophie letztlich zu einem „End-Ernst“ 811 gelangt, in dem alles Gesagte unter den Bedingungen eines radikalisierten Sinnanspruches gesagt werde 812 . 807 Vgl. Bohrer, ‚Sprachen der Ironie’, p. 34. 808 Grundbegriffe, p. 430 (vgl. auch pp. 180ff. dieser Arbeit). 809 Grundbegriffe, p. 432 (Hervorhebung M.H.). 810 Bohrer, ‚Heideggers Ernstfall’, p. 174. 811 Bohrer, ‚Heideggers Ernstfall’, p. 384. 812 Vgl. Bohrer, ‚Heideggers Ernstfall’, p. 366 und p. 246 dieser Arbeit. „Wer so spricht“, so konstatierte Bohrer in diesem Zusammenhang, „konfrontiert den Adressaten mit einer existentiellen und einer dezisionistischen Selbstbeschreibung, die nicht mehr überboten werden soll“ (ebd.). Hier tut sich eine überaus interessante Parallele auf zu jenem anderen gemeinhin als überaus ‚ernst’ betrachteten Philosophen, den Rorty unter die Ironiker einordnet, G. F. W. Hegel. Denn genauso wie hier Sloterdijk für Heidegger nahe legt, diesen ironisch zu lesen und Bohrer zugesteht, dass Heideggers Rede Ironiepotential in sich berge, so kommentierte niemand anders als Kierkegaard in Bezug auf den Ernst Hegels, dass Hegel, wenn er am Ende seiner Wissenschaft der Logik geschrieben hätte, dass sie „nichts weiter als ein gedankliches Experiment“ sei, er „wohl der größte Denker“ gewesen wäre, „der je gelebt hat“ (S. Kierkegaard, zitiert nach W. Lowrie in der englischen Übersetzung der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift: Concluding Unscientific Postscript, Princeton, New Jersey: Princeton University Press, 1968, p. 58). Rortys Kommentar zu Hegel geht dabei durchaus in die gleiche Richtung, wenn er kommentiert, dass es angenehm gewesen wäre, hätte Hegel „durch eine ironische Geste“ (Rorty, Kontingenz, p. 175) seinen Anspruch rela- 253 Nun stellt sich die Frage, wie Kierkegaard in dieser Konstellation zu platzieren ist, erwähnt ihn doch Rorty explizit im Zusammenhang mit einer Restauration platonisch-metaphysischen Denkens. „Der Metaphysiker“, schreibt Rorty, „stimmt der platonischen Theorie der Erinnerung in der Form zu, in der sie von Kierkegaard restauriert wurde, nämlich, dass wir die Wahrheit in uns haben, dass wir eingebaute Kriterien besitzen, die uns dazu befähigen, das richtige abschließende Vokabular zu erkennen, wenn wir es hören.“ 813 Meines Erachtens entspricht genau das nicht der Perspektive Kierkegaards. Zumindest lässt er beispielsweise Climacus in der Unwissenschaftlichen Nachschrift gerade nicht sagen, dass wir die Wahrheit in uns haben, sondern vielmehr heißt es dort explizit: „[D]ie Wahrheit ist die Innerlichkeit.“ 814 Damit gibt es gerade keine „eingebauten Kriterien“, da es auf Grundlage der Kontingenz der Existenz, die in einem Sinne immer unhintergehbar ästhetisch bleibt, keine letztbegründbare Erkenntnis geben kann, die hierfür unerlässlich wäre, sondern allenfalls einen Glauben, dessen wesentliches Merkmal gerade darin besteht, dass Kriterien fehlen, und dessen Fundament mithin gerade die völlige Ungewissheit ist, wie es Climacus in der Unwissenschaftlichen Nachschrift ausdrücklich und nachdrücklich formuliert: „Ohne Risiko kein Glaube. Glaube ist gerade der Widerspruch zwischen der unendlichen Leidenschaft der Innerlichkeit und der objektiven Ungewißheit.“ 815 Ich denke, dass Rorty mit seiner Einschätzung nur unter einem wesentlichen Vorbehalt richtig liegt. Es findet sich zweifellos in Kierkegaards Schriften metaphysisches Denken jener Art, wie Rorty es zu verabschieden bemüht ist. Jedoch scheint mir, dass eine solche Einschätzung zu nuancieren wäre - und zwar in entscheidender Weise. Es stellt sich hier die Frage, ob Rorty nicht den verbreiteten Fehler begeht, tiviert und auf die eigene Stellung in der Historie als endlich verwiesen. Anders gesagt scheint Rorty hier selbst eine Unterscheidung zwischen „ironisch“ und „ironistisch“ zu machen, die mit den obigen Ausführungen durchaus konvergieren könnte. Dabei deutet im Übrigen auch Vigilius Haufniensis im Begriff Angst in diese Richtung, wo er zu Hegel im Vergleich zu Schleiermacher Folgendes konstatiert: „[Schleiermacher] hat man schon lange verlassen, als man Hegel erkor, und doch ist Schleiermacher in schönem griechischem Sinne ein Denker gewesen, der nur von dem redete, was er wußte, während Hegel, trotz allen seinen ausgezeichneten Eigenschaften und seiner riesenhaften Gelehrsamkeit doch mit seiner Leistung immer wieder daran erinnert, daß er in deutschem Sinne ein Philosophieprofessor großen Maßstabes gewesen ist, sofern er unbedingt alles erklären muß“ (Begriff Angst, p. 197). 813 Vgl. Rorty, Kontingenz, p. 132 (meine Hervorhebung). Vgl. auch die Anmerkung 746 auf p. 233 dieser Arbeit. 814 Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 248 (meine Hervorhebung). 815 Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 195. Im Übrigen grenzt Climacus dort auch ausdrücklich Sokrates, den Kierkegaard ja bekanntermaßen zum Vorbild seines Philosophierens macht, von der platonischen Theorie des (Wieder-)Erinnerns ab. Dort heißt es über den Satz, dass alles Erkennen ein Erinnern sei: „Dieser Satz ist ein Anzeichen der beginnenden Spekulation, daher verfolgte ihn Sokrates auch nicht weiter, er wurde im wesentlichen ein Platonischer Satz“ (ebd., p. 196; meine Hervorhebung). 254 Kierkegaard genau an der für ihn entscheidenden Stelle einem „blunt reading“ 816 zu unterziehen. Sonst hätte er möglicherweise sogar dahin gelangen können, Kierkegaard als methodischen Erben der Frühromantik unter die Dichter der Ironie einzureihen, dann nämlich, wenn er die indirekte Mitteilung als Methode begriffen hätte, die vor dem Hintergrund der Einsicht in eine unhintergehbare Kontingenz entwickelt wurde, wie sie Rorty selbst für den Ironiker fordert. Der Rortysche Vorwurf an Kierkegaard kann meines Erachtens nur dann gemacht beziehungsweise aufrechterhalten werden, wenn man die Strukturen der indirekten Mitteilung nicht ernst nimmt und Kierkegaards Texte als die Texte Kierkegaards liest, das heißt so, als würde in ihnen und durch sie die Philosophie Kierkegaards in einem traditionellen Verständnis entfaltet. Mit anderen Worten, Kierkegaard ist metaphysisch, wenn man seine Texte als die Texte Kierkegaards ernst nimmt. Wenn man allerdings die Kommunikationsstrategie ernst nimmt - und damit maßgeblich die Ironie als Sinnkonstitutionshorizont -, dann wird der Metaphysikverdacht zweifelhaft, insofern in Kierkegaards Texten die Ironie nicht zuletzt gerade dazu dient, als Kontingenzgarant zu fungieren. Der Aufwand, den Kierkegaard bei der Konstruktion seiner besonderen philosophischen Methode betreibt, dient im Grunde dazu, der von Novalis konstatierten Besonderheit der Sprache gerecht zu werden, „daß sie sich blos um sich selbst bekümmert“ 817 , das heißt dem Sachverhalt, dass Sprache nicht als zuverlässiges Werkzeug zur Beschreibung einer Wirklichkeit oder einer Wahrheit nutzbar gemacht werden kann. Insofern ist es selbstverständlich auch alles andere als zufällig, dass Kierkegaard ‚metaphysische’ Elemente philosophischer Reflexion ja gerade nicht direkt vorträgt, sondern immer im Rahmen der indirekten Kommunikation und er sie mithin im Rahmen des Ästhetischen, das heißt aus der Perspektive der Kontingenz, entfaltet. Kierkegaard eines ‚Rückfalls’ in die Metaphysik für schuldig zu befinden, hieße, bei der Lektüre seiner Schriften in jene Falle zu geraten, in der sich all jene Interpretationen verfangen haben, die in Entweder/ Oder den ersten Teil für eine Darstellung des ‚zu überwindenden’ ästhetischen Stadiums halten und im zweiten Teil das zu entdecken vermeinen, was Kierkegaard selbst ‚wirklich’ gedacht habe 818 . 816 Poole, ‚The Unknown Kierkegaard’, p. 59. Vgl. auch die Anmerkung 633 auf p. 200 dieser Arbeit. 817 Novalis, Schriften, Band II, pp. 672f. (vgl. p. 25 dieser Arbeit). 818 Es ist, wie gesagt, immer noch eher die Regel als die Ausnahme, dass das ästhetische Stadium als zu überwindendes begriffen wird. Vgl. hierzu auch Kurt Röttgers berechtigten Einwand gegen solche Deutungen (ders.: ‚Lügen(-)Texte oder nur Menschen’, in ders. und Monika Schmitz-Emans (Hg.): Dichter lügen. Essen: Die Blaue Eule, 2001, pp. 37-60). Vgl. auch Richard Purkarthofers Kritik an einer ‚stadientheoretischen’ Leseweise Kierkegaards: „Aber so einleuchtend und fruchtbar der stadientheoretische Ansatz auch gewesen sein mag, darf dabei nicht übersehen werden, dass 255 Auffallend ist im Übrigen, dass Kierkegaards Kontingenz-Bewusstsein letztlich genau an jenen Stellen zum Ausdruck kommt, die auch Rorty in seiner Ironieschrift explizit an die Kontingenzanalyse anbindet: bei der Sprache und beim Selbst. In Bezug auf die Sprache scheint Kierkegaard zwar wiederum unter die Kritik Rortys zu fallen, insofern er diese ausdrücklich als ein Medium begreift. Wie Kierkegaard Climacus konstatieren lässt, ist Sprache ein Medium, das, wenn es die Realität beschreiben will, diese in Idealität verwandelt 819 . Damit scheint er zunächst einmal zu jener Kategorie von Metaphysikern zu gehören, die Sprache als ein Medium fassen, dessen ‚Funktion’ es ist, die Wirklichkeit möglichst ‚wahr’ zu beschreiben, das sich aber diesbezüglich als defizient erweist. Dies ist wohl unzweifelhaft ein Aspekt der Kierkegaardschen Überlegungen zum Problem der Sprache und hier steht er sicherlich in der idealistisch-metaphysischen Tradition 820 . Jedoch scheint mir ein anderer Aspekt entscheidender zu sein, gerade in Bezug auf seine philosophische Methode, der nämlich, dass Kierkegaard Sprache als ein Medium der Kommunikation begreift, so wie sie Rorty explizit auch dem ironistischen Sprachverständnis zuordnet 821 , und zwar insofern er im Kontext der indirekten Mitteilung maßgeblich eine Konzeption von Sprache zu entwickeln bemüht ist, in der diese nicht auf ‚Tatsachen’ verweist, sondern gerade auf sich selbst als problematisch und mithin jene Selbstreferenzialität aufweist, die Rorty für den ironistischen Diskurs veranschlagt 822 . Erst vor dem Hintergrund dieses in der literarästhetischen Ausdrucksweise sich spiegelnden Kontingenzbewusstseins kann das ‚Metaphysische’ Kierkegaards richtig eingeschätzt werden. Sicher ist bei Kierkegaard die Überwindung der Verzweiflung und damit auch der Langeweile immer strikt an die Anerkenntnis dessen gebunden, dass es jene höhere Instanz gibt, die Rorty verabschieden will. er eine stark reduktionistische Tendenz aufweist“ (ders., Kierkegaard, Stuttgart: Reclam, 2005, p. 105). 819 Vgl. Philosophische Brocken, pp.155ff. So sagt Climacus: „Die Unmittelbarkeit ist die Realität, die Sprache ist die Idealität, das Bewußtsein ist der Widerspruch. In dem Augenblick, da ich die Realität aussage, ist der Widerspruch da; denn was ich sage, ist die Idealität“ (ebd., p. 155). 820 Hier ist allerdings auffällig, dass die Einsicht, dass Sprache Wirklichkeit nicht fassen kann, nicht zu dem ‚metaphysischen’ Versuch führt, sich um eine Sprache zu bemühen, die dies vermöchte. 821 Vgl. Rorty, Kontingenz, p. 80: „Denn auch wenn wir dem zustimmen, dass Sprachen keine Medien der Darstellung oder des Ausdrucks sind, bleiben sie doch Medien der Kommunikation“ (meine Hervorhebung). 822 So besteht Climacus in der Unwissenschaftlichen Nachschrift auf den Unterschied zwischen objektivem und subjektivem Denken, wobei für letzteres charakteristisch sei, dass es der Mitteilung um diese selbst zu tun ist: „Objektiv wird akzentuiert: was gesagt wird; subjektiv: wie es gesagt wird.“ (Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 193; Hervorhebungen S.K.) Der Wahrheitsbegriff als Korrespondenz wird also in Bezug auf das, worum es Kierkegaard geht, explizit verabschiedet. 256 Jedoch muss diese Kierkegaardsche ‚Metaphysik’ betrachtet werden im Kontext der indirekten Mitteilung und wenn man dies tut, so kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass es sich hier, um Rortys Ausdrucksweise zu übernehmen, um Beschreibungsversuche handelt. Diese aber sind, wie ja die Methode Kierkegaards deutlich macht, gerade nicht als verbindlich gedacht, sondern als Deutungsmöglichkeiten. Kierkegaard scheint mir etwas zu tun, was Rortys Konzept widerspricht ohne ihm zu widersprechen - und zwar nimmt er die Einsicht in die Kontingenz zum Anlass, Metaphysik (im Rortyschen Sinne) als Möglichkeit zu retablieren. Er nutzt damit genau jene ‚Lücke’, die Rorty, aus der Gegenrichtung kommend, an Nietzsche und Derrida aufdeckt, wenn er sagt, dass man diesen verschiedentlich den Vorwurf gemacht habe, „sie beanspruchten, das zu wissen, wovon sie selbst behaupten, dass man es nicht wissen könne“ 823 . Denn unsere kontingente Position ermöglicht es uns zwar, auf diese Kontingenz hinzuweisen und die traditionelle metaphysische Suche nach der Wahrheit als vergeblich auszuweisen, zugleich überschreitet sie ihre Kompetenzen, wenn sie die Möglichkeit eines der Kontingenz Jenseitigen oder einer höheren Instanz prinzipiell zurückweist. Eine kontingent-ironische Haltung kann nicht weiter als bis zu den Grenzen ihrer Kontingenz gelangen. Wenn nun aber Rortys Pointe ist, dass es darum geht, Beschreibungen zu finden, die sich in gewisser Weise ‚besser’ eigenen als andere (selbstverständlich nicht in dem Sinne, dass damit ein höheres Maß an Annäherung an die ‚Wahrheit’ gelingt), dann kann auch eine metaphysische Beschreibung sich als geeignet erweisen, wenn sie sich der Kontingenz ihrer Beschreibung bewusst ist, was selbstverständlich paradox ist, insofern aus der Perspektive der Kontingenz eine nichtkontingente Beschreibung entsteht, aber im Bewusstsein der Kontingenz, aus der heraus diese Beschreibung erfolgt. Dies scheint mir umso mehr eine mögliche Deutung des Kierkegaardschen ‚Platonismus’ zu sein, als er diesen ja herleitet aus dem Ästhetischen. Die ästhetische Existenz hat nicht zufällig große Ähnlichkeit mit der des modernen Ironikers und der Essay Wechselwirtschaft, genauso wie das Tagebuch des Verführers, sind paradigmatische Beispiele eines Selbsterschaffungsprozesses in jener romantischen Tradition, die sich Rortys moderner Ironiker zum Vorbild nimmt. Was dabei jedoch die ästhetische Existenz charakterisiert, ist die Tatsache, dass die Beliebigkeit der Existenzmöglichkeiten ohne ‚An-sich’ zu einem Oszillieren zwischen ver- 823 Vgl. Rorty, Kontingenz, p. 29 Fußnote: „Nietzsche hat viel Verwirrung damit gestiftet, dass er aus dem Satz ‚Wahrheit ist keine Sache der Korrespondenz mit der Realität’ schloss: ‚Was wir ‚Wahrheiten’ nennen, sind nur nützliche Lügen’. Dieselbe Konfusion findet sich gelegentlich bei Derrida, in dem Schluss von ‚Eine Realität, wie sie die Metaphysiker zu finden hoffen, gibt es nicht’ auf ‚Was wir ‚real’ nennen, ist nicht wirklich real’. Solche Konfusionen setzen Nietzsche und Derrida dem Vorwurf der selbstbezüglichen Inkonsistenz aus - dem Vorwurf, sie beanspruchten, das zu wissen, wovon sie selbst behaupten, dass man es nicht wissen könne.“ 257 schiedenen Stimmungen, zwischen Enthusiasmus und Langeweile, Leidenschaft und Verzweiflung führt und damit die Schwierigkeiten einer kontingenzbewussten Selbstsetzung zutage fördert, wie besonders in den Diapsalmata zum Ausdruck kommt. Insofern auch in der Wechselwirtschaft das Postulat, die Langeweile sei ein metaphysisches Grundprinzip, im Modus der Ironie vorgebracht wird, scheint der Metaphysikverdacht, den Rorty gegen Kierkegaard erhebt, erst mit dem Auftritt des Ethikers B gerechtfertigt. Zugleich macht bezüglich der Metaphysik Bs die Textstruktur deutlich, dass dessen Perspektive keineswegs als ‚die Wahrheit’ zu verstehen ist. Vielmehr wird, wie man es ausdrücken könnte, der Ironiker A vom Metaphysiker B dafür kritisiert, den Schritt in die Metaphysik nicht zu unternehmen 824 . Dabei stehen sich gewissermaßen die beiden von Rorty in seinem Ironiebuch präsentierten Positionen innerhalb einer Romanfiktion gegenüber. An dieser Stelle sei dann noch einmal an den Rahmen von Entweder/ Oder erinnert, der gerade die Ironie zu einem eigenen narrativen Modus macht, so dass - direkt - keine der beiden Positionen der anderen überbeziehungsweise untergeordnet wird. Die ‚Restaurierung’ des Platonismus durch Kierkegaard ist also keine wirkliche, sondern eine mögliche. Diese These wird meines Erachtens auch durch folgende Überlegungen zum Christentum in der Unwissenschaftlichen Nachschrift gestützt, in der es um die Kategorie des Sprungs geht. Dort schreibt Climacus: Alles Christentum wurzelt nach ‚Furcht und Zittern’, ja es wurzelt in Furcht und Zittern (welches gerade die verzweifelten Kategorien des Christentums und des Sprunges sind) im Paradox, man nehme dieses nun an (d.h. sei ein Gläubiger) oder man verwerfe es (gerade weil es das Paradox ist). 825 Der Sprung ist gleichsam der Ausweg für denjenigen, der in der Ironie zwar, im Einklang mit der letzten der Thesen, die Kierkegaard seiner Dissertation beigegeben hat, den Anfangspunkt einer menschenwürdigen Existenz sieht, jedoch die Notwendigkeit einer Überwindung dieses Standpunktes als einzig möglichen Ausweg aus der Verzweiflung betrachtet 826 . Kierkegaards Sprung wäre in diesem Sinne der Vorschlag eines Verlassens der ironischen Position aus Verzweiflung, aber, um einen Ausdruck Kierkegaards anzuwenden, ‚ohne Vollmacht’, das heißt, ohne Rechtfertigungsmöglichkeit noch Rechtfertigungsversuch in einem philosophischen Sinne. Diese Deutung des Glaubens als Möglichkeit wird auch gestützt 824 Dabei ist zwar der Gottesbezug Bs in gewissem Sinne letztbegründend, jedoch bleibt auch dies ambivalent, gründet sich sein Postulat Gottes letztlich doch wesentlich auf eine existentielle Notwendigkeit. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen. 825 Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 98 (meine Hervorhebung). 826 Vgl. Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 98: Denn „so wie das Christentum ein verzweifelter Ausweg war, als es in die Welt kam“, so wird es dies „für alle Zeiten für jeden sein […], der es wirklich annimmt.“ 258 durch eine Bemerkung in einer Fußnote zu der Feststellung, dass „jeder Augenblick, in dem [man] Gott nicht hat, vergeudet ist“: Auf diese Weise wird Gott freilich ein Postulat, aber nicht in der unfruchtbaren Bedeutung, worin man dies Wort sonst nimmt. Vielmehr wird deutlich, daß die einzige Art, wie ein Existierender in ein Verhältnis zu Gott kommt, die ist, daß der dialektische Widerspruch die Leidenschaft zur Verzweiflung bringt und mithilft, mit der ‚Kategorie der Verzweiflung’ (Glauben) Gott zu erfassen; so daß das Postulat weit davon entfernt ist, das Willkürliche zu sein, sondern gerade Notwehr ist; so daß Gott nicht ein Postulat ist, sondern das, daß der Existierende Gott postuliert - eine Notwendigkeit ist. 827 Die analoge Verwendung von Notwehr und Notwendigkeit zeigt, dass es sich hier nicht um eine ‚metaphysische’ Position im herkömmlichen Sinne handelt, sondern um die Explikation einer existentiellen Notwendigkeit: Diesseits von Gott gibt es nur Verzweiflung, das heißt, wir brauchen Gott, ohne dass daraus geschlossen werden könnte, das Gott ist. Das wirft selbstverständlich die Frage auf, ob Rortys Position durchführbar oder im Grunde ebenfalls Verzweiflung ist, wie Anti-Climacus sagen würde. Selbstverständlich kann auch beides zugleich der Fall sein, wobei eine Antwort hierauf objektiv unmöglich ist und sich subjektiv der Mitteilbarkeit entzieht. In gewissem Sinne kann also das metaphysische Moment bei Kierkegaard als Möglichkeit seine Berechtigung behaupten, da dessen unironische Zurückweisung ein Überschreiten der Erkenntnisgrenzen der Kontingenz bedeuten würde. Diese Überlegungen sollen nun abschließend in den Kontext der Langeweileproblematik bei Kierkegaard und Heidegger gestellt werden, die als leitender Rahmen des zweiten Teils gedient hatte, sowie in den Kontext der im ersten Abschnitt aufgeworfenen Problematik von Literatur und Philosophie. 827 Unwissenschaftliche Nachschrift I, p. 91. In ähnlicher Weise taucht dieser Gedanke auch in den Schriften über sich selbst (Düsseldorf: Diederichs, 1960, pp. 16f.) auf. 259 SCHLUSSBETRACHTUNGEN An dieser Stelle gilt es, die zwei Stränge der vorliegenden Studie abschließend noch einmal explizit zusammenzubringen. Auf inhaltlicher Ebene hatte sich in der vergleichenden Gegenüberstellung von Langeweile bei Heidegger und bei Kierkegaard gezeigt, dass Langeweile in beiden Fällen in je eigenem Sinne als ein Phänomen zu betrachten ist, das metaphysische Bedeutung hat, eine Bedeutung, die sich allerdings erst erschließt, wenn in der Langeweile nicht jenes triviale und alltägliche Phänomen gesehen wird, welches Heidegger in der ersten Form der Langeweile beschreibt, sondern wenn in der Tat, so wie dies die Grundbegriffe und Entweder/ Oder tun, davon ausgegangen wird, dass diese alltägliche Form nur ein abkünftiger Modus eines ursprünglicheren Phänomens ist. Heidegger macht dies deutlich, indem er systematisch zurückfragt von der alltäglichen Langeweile auf die ihr zugrunde liegende tiefe Langeweile. In weniger systematischer Weise zeigt sich das gleiche Phänomen in der Wechselwirtschaft, in der die Langeweile der langweiligen und der sich langweilenden Menschen zurückgeführt wird auf eine metaphysische Langeweile, die der Ästhetiker als dämonischen Pantheismus bezeichnet. Dass die Konstellation, innerhalb derer Langeweile bei Heidegger und bei Kierkegaard relevant wird, in dem einleitend explizierten Sinne als ‚modern’ betrachtet werden kann, zeigt sich gerade daran, dass sie in beiden Fällen in Verbindung steht mit einem problematisch gewordenen Selbst, das dazu herausgefordert ist, sich über die Möglichkeiten einer sinnhaften Bestimmung des Selbst klar zu werden, dessen Konstruktion nicht mehr vor dem Hintergrund eines als gegeben angenommenen transzendenten Prinzip sich vollzieht und damit diesseits einer essentialistischen Selbstauffassung erfolgen muss 828 . Langeweile ist sowohl in den Grundbegriffen als auch in Entweder/ Oder Ausdruck einer misslingenden oder scheiternden, beziehungsweise der Unmöglichkeit einer erfolgreichen Selbstsetzung 829 . Damit ist genau jenes Phänomen angesprochen, das Christopher Schwarz in seiner umfassenden Studie Langeweile und Identität 828 Wie gezeigt ist auffällig, dass sowohl bei Heidegger als auch bei Kierkegaard das Selbst sich gerade nicht mehr als Essenz verstehen kann, sondern als Vollzug zu denken ist. In diesem Sinne kann Selbstsetzung nicht mehr bedeuten, zu sich selbst zu kommen, das heißt, sich in seiner Essenz durchsichtig zu werden. Für ein solches Verständnis gibt es für beide kein tragfähiges Fundament mehr. Damit einher geht dann selbstverständlich, dass die Attribution von Gelingen oder Misslingen der Selbstsetzung unhintergehbar zweideutig bleibt. 829 Ersteres gilt aus der Perspektive Heideggers, bei dem die tiefe Langeweile vor die Defizienz der durch das Man bestimmten uneigentlichen Selbstsetzung bringt und für den Ethiker, letzteres gilt aus der Perspektive des Ästhetikers. 260 als Grund für die moderne Langeweile ausmacht: „Dem Gelangweiltsein durch die Objekte“, so Schwarzes Kommentar zu einer diesbezüglichen Bemerkung Friedrich Schlegels, „liegt eine Langeweile am eigenen Selbst zugrunde“ 830 . Diese Langeweile am eigenen Selbst ist ein Grundzug der Heideggerschen Suche nach der Möglichkeit eines eigenen Selbstseinkönnens, aber vielleicht noch pointierter präsent in der Idee des Ästhetikers, sich selbst beständig zu variieren. Denn das von Heidegger diagnostizierte Verfallen an das Man eröffnet zumindest die Möglichkeit, durch das Zulassen der tiefen Langeweile auszubrechen aus dem mitgehenden Sichhingeben an das Alltägliche und somit, im Augenblick der Entschlossenheit, zu einem eigentlichen Selbstsein zu gelangen. Dagegen bewirkt die in der Nichtigkeit der Existenz gründende Unmöglichkeit eines sinnhaft bestimmbaren Selbst des Ästhetikers, dass der Blick auf die tiefe Langeweile gerade keine Möglichkeit eines Ausbruchs aus dem Bann der Langeweile im Sinne der Eigentlichkeit mehr möglich macht. Die Rettung des Selbst kann nur noch in dessen Poetisierung liegen, was aber in einem Sinne gerade dessen endgültige Preisgabe auch nur als Möglichkeit bedeutet. Dass sich aber das Selbst langweilig werden konnte, dafür scheint jene strukturelle und semantische Katastrophe der Moderne die Ursache zu sein, von der Niklas Luhmann sprach 831 . Langeweile erscheint als Ausdruck jener Leere, welche durch die fehlende Verankerung in der Transzendenz dem Selbst seinen ‚Ort’ entzieht und es auf sein Dasein zurückwirft, wie es ja auch der Rückgriff Heideggers auf das Novalis-Zitat in der Hinführung zu den Grundbegriffen der Metaphysik zeigte, in welchem es hieß, Philosophie sei eigentlich Heimweh. Eine ähnliche räumliche Metapher findet sich bei Georg Lukacs, wenn er von „transzendentaler Heimatlosigkeit“ 832 spricht. Die Langeweile ist damit zunächst einmal in einer Bestimmung Walter Rehms auf den Punkt gebracht, wonach „[d]ie Leere und Tiefe der Langeweile […] Sinnbild jener Leere [ist], die dort gähnt, wo ein Platz im Menschen frei geblieben ist: der Platz Gottes.“ 833 Allerdings bleibt hier die Bestimmung der Langeweile noch im Kontext der Verweisungsfunktion, die 830 Vgl. Schwarz, Langeweile und Identität, p. 10. Er bezieht sich dabei auf die folgende Bemerkung Schlegels: „Alle Langeweile, die man hat, macht man eigent(lich) sich selbst“ (KA XVIII, p. 87, Fragment 689). Vgl. auch Miguel De Beistegui, ‚‚Boredom: Between Existence and History’: Heidegger’s Pivotal ‚The Fundamental Concepts of Metaphysics’’, in Journal of the British Society for Phenomenology, Vol. 31, Issue 2, 2000, pp. 145-158, hier p. 153: „Indifferent to his world and to his own fate, incapable of finding meaning to his increasingly technologised and alienating life, contemporary man falls prey to the most nihilistic of all attunements: boredom.“ 831 Vgl. Luhmann, ‚Dekonstruktion als Beobachtung zweiter Ordnung’, p. 287 und p. 18 dieser Arbeit. 832 Georg Lukacs, Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik, Berlin: P. Cassirer, 1920, p. 51. 833 Walter Rehm, Experimentum Medietatis. Studien zur Geistes- und Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts, München: Rinn, 1947, p. 100. 261 ihr bereits Pascal zugeschrieben hatte, insofern sie vor allem zu deuten wäre als die „verborgene Wahrheit innerweltlicher Sinngebung“ 834 und somit noch der Aspekt der Leere prädominiert. Entscheidend ist aber, dass in den Grundbegriffen genauso wie in Entweder/ Oder auch jener zweite Aspekt zugegen ist, der aus der Langeweile erst ein modernes Phänomen macht, nämlich die besondere Art der Zeiterfahrung, welche zu der Erfahrung einer Sinnlehre hinzutritt. Heidegger weist ausdrücklich auf den Zeitaspekt hin, wenn er neben der Leergelassenheit die Hingehaltenheit als das zweite für die Langeweile konstitutive Strukturmoment identifiziert. Dabei erfährt die bereits von Pascal gemachte Beobachtung, dass die permanente Bewegtheit, welcher der Mensch sich hingibt, im Grunde eine Abwehrstrategie ist, vor dem Hintergrund eines gewandelten Zeiterlebens eine Vertiefung dadurch, dass eine vorwärts gerichtete Bewegtheit als Fortschritt zum Selbstzweck wird und damit in steter Beschleunigung nur umso intensiver auf die ihr zugrunde liegend Leere verweist. Sowohl in den Grundbegriffen als auch in Entweder/ Oder kommt dies zum Ausdruck. So hieß es bei Heidegger: Warum finden wir für uns keine Bedeutung, d.h. keine wesentliche Möglichkeit des Seins mehr? Weil uns gar aus allen Dingen eine Gleichgültigkeit angähnt, deren Grund wir nicht wissen? Aber wer will so sprechen, wo der Weltverkehr, die Technik, die Wirtschaft den Menschen an sich reißen und in Bewegung halten? 835 Die objektive chronometrische Zeit der technisierten Welt entfremdet das Dasein von seiner ihm je eigenen Zeit und damit in einem eigentlichen Sinne von seiner Zeitlichkeit, und diese Entfremdung des Daseins von sich selbst wird im Leergelassen- und Hingehaltensein der tiefen Langeweile greifbar und deutbar. Der Zusammenhang von moderner Arbeitsorganisation und metaphysischer Langeweile kommt auch in den Ausführungen des Ästhetikers zum Ausdruck, der argumentiert, dass die zum Selbstzweck gewordene Arbeit gerade nicht, wie Kant meinte, Heilmittel gegen Langeweile ist, sondern im Gegenteil tiefer in diese hinein arbeite: Die Behauptung, [Langeweile] werde durch Arbeit aufgehoben, verrät Unklarheit; denn Müßiggang kann freilich durch Arbeit aufgehoben werden, da dieser ihr Gegensatz ist, nicht aber die Langeweile, wie man ja daraus ersieht, daß die allergeschäftigsten Arbeiter, die in ihrem emsigen Gebrumm am wildesten schwirrenden Insekten, die allerlangweiligsten sind […]. 836 Der Blick des Ästhetikers auf die emsige Geschäftigkeit offenbart deren Sinnleere. So schreib er in den Diapsalmata: 834 Große, ‚Ennui und Entschluss’, p. 20. 835 Grundbegriffe, p. 115 (Hervorhebung M.H.). Vgl. auch p. 62 dieser Arbeit. 836 Entweder/ Oder, p. 337. 262 Was richten sie schon aus, diese geschäftigen Eilighaber? Ergeht es ihnen nicht wie jener Frau, die in ihrer Bestürzung darüber, daß das Feuer im Hause war, die Feuerzange rettete? Was retten sie wohl mehr heraus aus der großen Feuersbrunst des Lebens? 837 Die Analogie mit der Tierwelt weist darüber hinaus auf den funktionalistischen Aspekt der Strukturierung der modernen Arbeitswelt, in dem der Einzelne als dieser konkrete Einzelne keine Rolle spielt, während die Betriebsamkeit gerade den Blick verstellt auf die ‚eigentliche’ Frage dessen, was es heißt, zu existieren. „Für Kierkegaard“, so Große, „macht die haltlose Beflissenheit der kapitalistisch spezialisierten Kulturarbeit evident, dass sich in ihr etwas verbergen müsse, das sich nicht so aushalten kann, wie es unverborgen wäre“ 838 , eine Einsicht, die mit Sicherheit auch auf Heideggers Analyse der Langeweile übertragen werden könnte. Dass dabei gerade das Problem der Zeit in neuer Art und Weise eine Rolle spielt, hängt abermals mit dem Zusammenbruch der christlich fundierten Metaphysik zusammen, was besonders in Kierkegaards Überlegungen zum Augenblick deutlich wird: Gegenüber der christlichen Teleologie entlarvt sich die Vorwärtsgerichtetheit und Fortschrittsorientierung der Moderne als Selbstzweck und damit als ziellos, so dass genau jene leere Zeit zurückbleibt, die Vigilius Haufniensis als den uneigentlichen Augenblick beschreibt 839 . Die Zeitlichkeit, so hatte Haufniensis konstatiert, kann aus der Zeitlichkeit selbst heraus nicht bestimmt werden, und ohne den eigentlichen Augenblick zu setzen bleibt nur ein unendlich inhaltsleeres Nichts 840 . Wenn aber 837 Entweder/ Oder, p. 34. Vgl. die Anmerkung 305 auf p. 99 dieser Arbeit. 838 Große, ‚Ennui und Entschluss’, p. 22. 839 Auch Jean-François Mattéi verweist auf diese Verbindung einer „crise de sens“ als Krise des „telos“ (ders., Le regard vide, p. 130). Die europäische Kultur sei „emportée dans un tourbillon dénué de toute fin“, der sie und die Welt mit ihr ins Nichts führe: „La perversion de son mouvement est la perversion d’un regard qui, privé de but, se perd dans le vide et ne parvient plus à surmonter son épuisement“ (ebd., p. 159). 840 Auch Heidegger sieht das Problem einer Bestimmung eigentlicher Zeitlichkeit, jedoch schreibt er der Philosophie die Aufgabe zu, die Zeit aus der Zeit selbst heraus zu bestimmen. In Der Begriff der Zeit erläutert Heidegger, dass die Zeit philosophisch nicht über den Begriff der Ewigkeit im Sinne der Ewigkeit Gottes, so wie sie im Begriff Angst zur Bestimmung der Zeit verwendet wird, begründet werden kann, sondern nur aus der Zeit selbst heraus, insofern wir über die Ewigkeit nichts wissen können (vgl. Der Begriff der Zeit, p. 107). Indem er postuliert, dass die Zeit selbst nichts Zeitliches sei, erhält aber auch er einen ganzheitlichen Horizont, vor dessen Hintergrund das Phänomen Zeitlichkeit, das aus der Innerzeitigkeit heraus nicht verstanden werden kann, deutbar wird (vgl. hierzu Figal, Phänomenologie der Freiheit, p. 282). Allerdings konstatiert Pöggeler zu Heideggers Bestimmung des Augenblicks, dass, anders als die Ekstasen der Gewesenheit und der Zukunft, die Ekstase der Gegenwart, vor allem in ihrer Bestimmung als eigentlicher Augenblick, letztlich doch in dem von Haufniensis bestimmten Sinne leer bleibe, so dass zumindest aus Pöggelers Sicht Heideggers Augenblicksbestimmung dieses Problem nicht lösen kann (vgl. Pöggeler, Der Denkweg Martin Heideggers, p. 210). 263 der Augenblick nicht in ‚eigentlicher’ Weise bestimmt wird, dann wird er zu dem, was Karl Heinz Bohrer als den „negativen Augenblick“ 841 bezeichnet, zu einem Augenblick, der im Grunde nichtig ist, insofern er keine Gegenwart erhält und damit jedwede Sinnmöglichkeit untergräbt: „Wie ist das Leben leer und bedeutungslos“ 842 hieß es in einem bereits zitierten Aphorismus des Ästhetikers. Daran kann auch seine Idee einer Poetisierung der Wirklichkeit in der Erinnerung nichts ändern, die er in der Wechselwirtschaft entwickelt, insofern „der Erinnernde sich ja immer an einer Gegenwart [erinnert], die seinerzeit für ihn keine Realität besaß“ 843 . Die Langeweile, die eine solche Sinndefizienz verursacht, liegt dabei, wie gesehen, in der Beliebigkeit der sich andrängenden Möglichkeiten und in deren beliebiger Übernahme durch das Dasein, ohne dass ein Horizont bereitstünde, der ein Diskriminationskriterium bieten würde, diese Möglichkeiten in ein eigentliches Verhältnis zum Selbst zu bringen. Die Langeweile, die diese Indifferenz hervorruft, stellt das Dasein „vor ein Nichts des Sinns“ 844 , wie Große formuliert. Hieraus erklärt sich das von Heidegger geschilderte Phänomen des Verfallens an die Vorausgelegtheit als ein Abwenden des Blickes von der Nichtigkeit, die dem Dasein zugrunde liegt 845 . Heideggers Deutung des Verfallens richtet dabei den Blick noch einmal auf die Modernität des Kontextes, insofern er mit der Differenzierung zwischen Verfallen und eigentlichem Selbstseinkönnen darauf insistiert, dass das vorausgelegte Immer-schon des öffentlichen Raums und dessen abstraktes Bezugs- und Wertsystem dem Individuum im Grunde äußerlich bleiben. Das wird in eigener Weise bereits von Kierkegaard beim Namen genannt, wenn dieser in polemischer Invektive gegen die Tagespresse als Inkarnation dieser Abstraktion vom Einzelnen notiert: „Die Tagespresse ist der Staaten Unglück, ‚die Menge’ das Böse in der Welt. [Gez.] ‚Jener Einzelne’“ 846 ; ein ‚Unglück’, das mit den Möglichkeiten der Kommunikationsgesellschaft des späten 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts noch einmal eine neue Dimension erreicht haben dürfte und in seiner Abstraktheit, entgegen allen gegenteiligen Affirmationen, den Einzelnen als Einzelnen 841 Bohrer, Ästhetische Negativität, p.24 (Hervorhebung K.H.B.). 842 Entweder/ Oder, p. 39. 843 Bohrer, Ästhetische Negativität, p. 24. 844 Große, ‚Ennui und Entschluss’, p. 22. 845 Umgekehrt ist es dann so, wie Figal notiert, dass das Nicht-Verfallen bei Heidegger letztlich auch nicht mehr bedeutet als sich aus dem Unbedeutenden heraus zu verstehen: „Eigentlich muss man sagen: was bevorsteht, ist das Unbedeutsame, dass bedeutsam wird, indem man sich immer aufs Neue aus ihm versteht“ (ders., Phänomenologie der Freiheit, p. 217). 846 Schriften über sich selbst, p. 141. 264 überhaupt nicht mehr in den Blick bekommt 847 . In den Grundbegriffen hieß es, in eine ähnliche Richtung gehend: „Alle und jeder sind wir die Angestellten eines Schlagwortes, Anhänger eines Programms, aber keiner ist der Verwalter der inneren Größe des Daseins und seiner Notwendigkeiten.“ 848 Die Langeweile verweist also auf eine Krise des Selbst, die wiederum gründet zum einen in der durch den Tod Gottes verursachten „transzendentalen Heimatlosigkeit“ und zum anderen in dem, was Heidegger die Uneigentlichkeit nennt, der Beliebigkeit der sich innerzeitig andrängenden Seinsmöglichkeiten, wobei dies selbstverständlich im Grunde nur zwei Seiten derselben Medaille sind. Will man den Grundbegriffen und Entweder/ Oder folgen, dann kann als gemeinsamer Nenner festgehalten werden, dass die metaphysische beziehungsweise tiefe Langeweile uns zumindest dies zu sagen hat: dass dem Menschen ein ‚eigentliches’ Sinnbedürfnis eingeschrieben ist, das am bloß Vorhandenen nicht gestillt werden kann. Die Frage ist dann allerdings, in welche Richtung man von dieser Erkenntnis aus aufbricht. Hier scheint mir der Ort zu sein, wo zum einen die Grundbegriffe und Entweder/ Oder, zum anderen aber auch das Entweder und das Oder innerhalb von Entweder/ Oder auseinander gehen. Die Richtung, die Heidegger in den Grundbegriffen einschlägt, ist der Versuch, die Möglichkeit eines transzendenten Prinzips als Bezugspunkt gerade aus seinem ontologischen Fragen auszuklammern, insofern ein solches nicht Gegenstand der Philosophie sein kann 849 . Sein Bemühen geht dahin, die Daseinsmöglichkeiten allein aus diesem selbst heraus offenzulegen. Freilich bleibt die Konzeption der Übernahme des eigenen Selbstseinkönnens als Resultat der Auslegung der Langeweile problematisch, insofern sie auf der Deutung des Daseins als Sein zum Tode aus Sein und Zeit aufbaut, die verschiedentlich Kritik auf sich gezogen hat und zwar gerade insofern sie zwar in der Herleitungsstruktur, wie gesehen, starke Parallelen 847 Lukacs spricht in diesem Zusammenhang von „der Heimatlosigkeit einer Seele in der seinsollenden Ordnung des überpersönlichen Wertsystems“ (ders., Theorie des Romans, pp. 51f.) 848 Grundbegriffe, p. 244. 849 Das macht Heidegger gleich zu Beginn von Sein und Zeit deutlich, wenn er sagt: „Der erste philosophische Schritt im Verständnis des Seinsproblems besteht darin, […] ‚keine Geschichte zu erzählen’, d.h. Seiendes als Seiendes nicht durch Rückführung auf ein anderes Seiendes in seiner Herkunft zu bestimmten […]“ (Sein und Zeit, p. 6). Insofern ist es auch nur konsequent, wenn er in den Wegmarken notiert, dass Philosophie und Theologie „nicht relativ, sondern absolut verschieden“ (Wegmarken, Gesamtausgabe Bd. 9, Frankfurt am Main: Klostermann, 1976, p. 48) sind. Vgl. auch Pöggeler, der betont, Heidegger zeige, „dass das Dasein auf Sinn angewiesen ist und der Mensch sich nicht sich selbst verdankt; ob es aber so etwas wie Offenbarung oder gar Sünde im christlichen Sinne gibt, das muss die Philosophie offen lassen.“ (ders., Neue Wege mit Heidegger, p. 153). Zum Verhältnis von Theologie und Philosophie bei Heidegger vgl. auch Françoise Dastur, ‚Heidegger et la théologie’, in Revue philosophique de Louvain, 1994, vol. 92, pp. 226-245. 265 zu Kierkegaards Differenzierung von verzweifelter und nicht verzweifelter Existenz aufweist, zugleich aber ohne den Bezug auf eine göttliche Instanz auszukommen bemüht ist, jedoch fraglich ist, inwieweit die Konstruktion dieserart tragfähig ist 850 . So wirft Adorno Heidegger vor, dass dieser im Grunde „den Tod zum Stellvertreter Gottes“ 851 mache und den Sinn in die Sinnlosigkeit verlege 852 . Bohrer wiederum sieht in Heideggers Sein zum Tode eine Konzeption, die in der „kaum verhüllte[n] Begriffsmetaphorisierung“ eines „Auferstehungsjubels“ 853 ende, wenn er aus dem Tod als reinem Verschwinden das Sterben begriffen als „Vollendung des ‚Nochnicht’“ 854 mache und wirft Heidegger mithin vor, dass es sich hier genau um jene Art dichtender und willkürlicher Konstruktion handle, von der er sich gerade explizit abgrenzt 855 . Unabhängig von der Frage der Tragfähigkeit der Heideggerschen Konzeption ist im vorliegenden Zusammenhang die große Ähnlichkeiten der Konstruktion der Langeweile nicht nur mit der Herleitung der Verzweiflung des Ethikers in Entweder/ Oder, sondern auch mit Blaise Pascals Langeweileanalyse auffällig, dahingehend, dass hier jeweils dem Abgrund der Langeweile beziehungsweise der Verzweiflung eine Anzeigefunktion zukommt, die Möglichkeit einer Erschließung der Strukturen des Daseins. Genau aus diesem Grunde vertreten alle drei die Position, dass Langeweile beziehungsweise Verzweiflung nicht zu verscheuchen ist, sondern gerade zuzulassen, um darauf zu hören, was sie zu sagen haben. Der wesentliche Unterschied kommt erst dann ins Spiel, wenn es um die Deutung des Phänomens Langeweile geht. Anders als Heidegger gelangen Pascal und der Ethiker (wie selbstverständlich auch der Spezialist der Verzweiflung, Anti- Climacus, aber auch der Climacus der Philosophischen Brocken und der Unwissenschaftlichen Nachschrift) von hier aus in je eigener Weise zu Gott als existenzieller Notwendigkeit, als einzig möglichem Horizont zur Durchbrechung jenes Banns, in dem die Langeweile beziehungsweise Verzweiflung den Zugriff auf die Möglichkeit eigener Möglichkeiten - und das heißt als im eigentlichen Sinne als sinnvoll erfahrener Möglichkeiten - 850 Auf die Konstruktion des Seins als Sein zum Tode, die in der Langeweileentfaltung selbst nur implizit zugegen ist, kommt Heidegger später in den Grundbegriffen zu sprechen, um zu illustrieren, was ein eigentliches Denken an den Tod auszeichnet gegenüber der Vorstellung des Todes als eines Vorhandenen (vgl. Grundbegriffe, pp. 425ff.). 851 Jargon der Eigentlichkeit, p. 505. 852 Zwar, so Adorno, sei der Tod „zu erfahren nur als Sinnloses“, Heidegger verlege aber nun den Sinn genau dort hinein: „Das sei der Sinn der Erfahrung des eigenen Todes und, weil er das Wesen des Daseins ausmache, dessen Sinn zugleich“ (Jargon der Eigentlichkeit, p. 506). 853 Bohrer, Ästhetische Negativität, p. 192. 854 Bohrer, Ästhetische Negativität, p. 192. 855 Vgl. Bohrer, Ästhetische Negativität, p. 193. 266 verstellt. Heidegger hingegen bemüht sich, das Problem in der Philosophie zu halten, wobei er in der Zurückweisung eines Gottesbezuges im Grunde dem Ästhetiker näher steht als dem Ethiker, jedoch mit dem fundamentalen Unterschied, dass es dem Ästhetiker gerade nicht gelingt, in einer rein immanenten Lebensanschauung zu Kriterien zu gelangen, die aus gebotenen Möglichkeiten eigene Möglichkeiten zu machen erlaubten, um die Langeweile zu durchbrechen. Letztlich bemüht sich Heidegger, die vom Ästhetiker aus der Einsicht in die Zeitlichkeit des menschlichen Daseins gezogenen Konsequenzen zu vermeiden, ohne aber den Schritt hin zu einem metaphysischen Begründungsprinzip zu tun, wie dies die Lösung des Ethikers ist, und zwar in dem er aus der Freilegung der Strukturen des Daseins die Eigentlichkeit als Sinnkriterium konstruiert, auf die die tiefe Langeweile verweist. Auch bei A hat selbstverständlich die Langeweile, wie bei Heidegger und dem Ethiker, verweisende Funktion, dahingehend, dass die tiefe metaphysische Langeweile die Strukturen des Daseins freilegt, allerdings derart, dass hieraus gerade keine Sinnkonstruktion möglich ist beziehungsweise die Langeweile gerade die Sinnlosigkeit der Existenz offenbart. Bemerkenswert ist nun, dass eigentlich nur Kierkegaard - oder genauer, der Ästhetiker - jene Möglichkeit in Betracht zieht, dass eventuell hinter der Langeweile in der Tat sich etwas verbirgt, das sich, wie Große sagte, nicht aushalten kann und zwar die Möglichkeit, dass ein eigentliches Selbstseinkönnen unmöglich ist beziehungsweise nur eine weitere Möglichkeit des Daseins als Seinkönnen. Das würde wiederum der Analyse Bohrers entsprechen, der die Aphorismen des Ästhetikers zur Illustration ästhetischer Negativität heranzieht. Interessanterweise verortet Bohrer darüber hinaus bei Kierkegaard den Übergang von der Literatur zur Philosophie genau an jener Stelle, wo die Expression ästhetischer Negativität konzeptuell begriffen und analysiert wird als Verzweiflung 856 , und das heißt im Grunde genau an jener Stelle, wo der Anspruch auf den Plan tritt, das ästhetische Stadium durch eine ‚höhere Existenzform’ zu überwinden. Dies bietet nun den geeigneten Übergang für die Hinzuziehung der Frage nach der Interaktion von Form und Inhalt, die den zweiten Strang der vorliegenden Untersuchung gebildet hatte. Dabei kann ich anknüpfen an die zuvor zitierte Bemerkung von Sloterdijk, dass Heidegger mit der Differenz von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit, auf die dessen Deutung der tiefen Langeweile hinausläuft, einen Unterschied postuliert, den er im Grunde nur behaupten kann, da die Differenz unangebbar ist. Wie gesehen findet diese Struktur eines Hinzwängens auf den Augenblick in der tiefen Langeweile in Entweder/ Oder ihr Äquivalent in der Verzweiflung, die im „Verzweifle“ des Ethikers in gleicher Weise zur Selbstwahl auffordert wie Heidegger in den Grundbegriffen mit seinem emphatischen Appell, der Mensch 856 Vgl. Bohrer, Ästhetische Negativität, p. 25. 267 müsse sich sein Dasein als solches zumuten. Insofern entsprechen sich hier die beiden Analysen, wenn sie das Dasein in diese Entscheidungssituation hineinzwingen, aus der heraus es die Beliebigkeit indifferent sich andrängender Möglichkeiten hinter sich lässt, um sein eigentliches Seinkönnen zu ergreifen. Scheint diese Deutung für Heideggers Grundbegriffe angemessen, so greift sie in Bezug auf Entweder/ Oder freilich zu kurz. Denn wenn Heidegger eine Differenz setzt, von der Sloterdijk sagt, dass er sie im Grunde nur postulieren könne, dann deutet gerade die Form von Entweder/ Oder darauf hin, dass Sloterdijk damit genau den entscheidenden Punkt trifft, insofern Entweder/ Oder sowohl Heidegger als auch Sloterdijk Recht gibt. Die besondere Form dieses von Eremita herausgegebenen Werkes ist nämlich wesentlich der Ausdruck für die Unentscheidbarkeit, ob es diesen Unterschied gibt oder nicht und es scheint mithin unumgehbar, beide Möglichkeiten zu entwickeln. Wie im Kapitel zur Langeweile in Entweder/ Oder gezeigt wurde, gibt der Text auf die Frage, was die Langeweile uns zu sagen hat, mindestens zwei Antworten 857 und zwar, weil es sich bei der Frage nach der Verweisfunktion der Langeweile um ein Problemfeld handelt, das die Subjektivität zum Gegenstand hat und sich damit Kierkegaard zufolge der (direkten) Sagbarkeit, oder mit Heidegger, der Eindeutigkeit, entzieht. Folgende Überlegung Ludwig Völkers zum Abschluss seiner Langeweilestudie bringt das treffend auf den Punkt: Die notwendige Subjektivität jeder Aussage über die Langeweile (in ihrer existentiellen Ausprägung) bestätigt sich im Urteil über die in ihr liegenden Wirkungen: dem einen offenbart sie das Seiende im Ganzen (Heidegger […]), dem anderen das Nichts (‚Langeweile ist das Organ, mit dem wir das Nichts wahrnehmen’; H. Schomerus […]). So mündet die Frage nach dem Wesen der Langeweile zwangsläufig in die Frage nach dem Fragenden selbst - ein Umstand, dem jede Untersuchung des Motivs Langeweile, wie es sich in der deutschen Literatur seit dem Sturm und Drang darbietet, Rechnung zu tragen hätte. 858 Dabei könnte man Völker dahingehend ergänzen, dass diesem Umstand nicht nur Untersuchungen des Motivs der Langeweile Rechnung tragen müssten, sondern auch Analysen der Langeweile selbst. Genau dies zu leisten ist Kierkegaards Methode der indirekten Mitteilung bestrebt: die Subjektivität des Existierenden in der Mitteilung mitzureflektieren, um in 857 Ich spreche von mindestens zwei Antworten, insofern die Überformung der Konstellation aus ‚Entweder’ und ‚Oder’ durch Ironie die Antwortmöglichkeiten vervielfältigt. 858 Völker, Langeweile, p. 194. Vgl. zu dieser Verbindung von Verweisungsstrategie und Subjektivität auch Gottfried Gabriel, ‚Literarische Form und nicht-propositionale Erkenntnis in der Philosophie’, in ders. und Ch. Schildknecht (Hg.), Literarische Formen der Philosophie, pp. 1-25, bes. pp. 9ff. 268 der dieserart doppelt reflektierten Mitteilung das in diese mit hinein zu holen, was sich ihr im Grunde entzieht. Das aber ist, wie gezeigt, nur negativ möglich, über eine Aussage, die sich selbst annihiliert und so den Blick frei werden lässt auf das, was im Gesagten ungesagt bleibt und bleiben muss. „Indirekte Mitteilung“, so Kierkegaard, ist das „Grenzgebiet direkter Mitteilung“ 859 . Dabei könnte man in gewissem Sinne auf Kierkegaards indirekte Mitteilung auch das Bild einer Spitze übertragen, welches Kierkegaard selbst im Begriff Ironie auf Sokrates anwendet. Dort heißt es: Insofern ist es mithin zu gleicher Zeit mit der Unwissenheit des Sokrates ein Ernst und doch wiederum kein Ernst, und auf dieser Spitze muß man Sokrates festhalten. […] Wenn die Ironie nämlich einen obersten Satz aufstellen soll, so ergeht es ihr, wie es jedem negativen Standpunkte ergeht: sie sagt dann etwas Positives aus, es ist ihr ein Ernst mit dem, was sie sagt. 860 Der indirekten Mitteilung Kierkegaards ist es ebenfalls ernst mit der Ironie und sie muss auf jener Spitze festgehalten werden, die die Ironie vom Ernst trennt und zugleich auf jener, die das Sagbare vom Unsagbaren trennt, insofern das, womit es Ernst ist, die Subjektivität, sprachlich nicht positiv eingeholt werden kann. Diese Spitze, auf der es die indirekte Mitteilung zu halten gilt, findet ihren Ausdruck im literarischen Stil. Die Schriftstellerei Kierkegaards ist jene Spitze, in die die Sprache gezwungen wird und der Versuch, sie aus dieser Spitze herauszuholen, würde entweder durch ein „blunt reading“ den Sinn ungerechtfertigt positiv festschreiben oder, auf der anderen Seite, ins Schweigen führen. Wenn man die Methode der indirekten Mitteilung in der Art verstehen will, wie dies hier versucht wird, dann könnte man sogar zu der Einschätzung gelangen, dass es Kierkegaard damit gelungen ist, eine Antwort auf das zu finden, was Rorty als Schwierigkeit des Ironikers ausgewiesen hatte, nämlich „ein Vokabular [zu] konstruieren, das sich gleichzeitig ständig selbst demontiere und ständig ernst nähme“ 861 . Mir scheint, dass die ironisch-literarische Form von Entweder/ Oder diesem Anspruch gerecht wird und damit gegenüber Heideggers Methode den Vorteil hat, die unhintergehbare Zweideutigkeit, die dem Philosophieren als einem eigentlichen anhaftet, in die Darstellungsform hinein zu holen. Richard Rorty kommt im Übrigen auf das ‚Problem’ des Stils Heideggers in Bezug auf Nietzsche zu sprechen. So notiert er in einer Anmerkung: Heidegger wollte weder für einen ‚gescheiterten Dichter’ gehalten werden noch für den Professor, der Nietzsche in akademische Sprache übersetzte. Aber das erste liegt sehr nahe, wenn man liest, was er nach dem Krieg ge- 859 Tagebücher Bd. II, p. 113. 860 Begriff Ironie, p. 274 (meine Hervorhebung). 861 Rorty, Kontingenz, p. 187. 269 schrieben hat, genau wie das zweite, wenn man gewisse Abschnitte aus Sein und Zeit liest. 862 Vielleicht ist der zweite Teil der Aussage ebenso treffend, wenn man für den Namen Nietzsche den Namen Kierkegaard einsetzen würde. Dass Rorty selbst dies nicht tut, liegt sicherlich daran, dass er Kierkegaard etwas zu vorschnell dem metaphysischen Diskurs zuordnet und so dessen letztlich postmetaphysische Methodik nicht in den Blick bekommt 863 . Diese wird aber gerade in Entweder/ Oder besonders deutlich, insofern die ironisch-literarische Darstellung der Kontingenz als unhintergehbarer Voraussetzung des Philosophierens Ausdruck verleiht. Die Zweideutigkeit der ironischen Sprechweise korrespondiert dabei den einander widersprechenden Stellungnahmen der Pseudonyme, und damit kann Kierkegaard zum einen jene Möglichkeit integrieren, die Heidegger von vorneherein auszuschließen scheint, dass nämlich Langeweile allein auf die Sinnlosigkeit der Existenz verweist, und zum anderen präsentiert er die von Heidegger postulierte Differenz im gleichen Text als existent und als nicht existent, das heißt, als möglich. Anders als Heidegger, der sich zwar um eine Sprechweise bemüht, die ihn von der Sprache der metaphysischen Tradition abgrenzt 864 , jedoch selbst darauf verweisen muss, dass vorderhand zwischen eigentlichem und uneigentlichem Sprechen kein angebbarer Unterschied besteht, sondern die Art der Erschlossenheit immer zwei- 862 Rorty, Kontingenz, p. 187. Im Übrigen kommt Rorty im Fazit zu dem Ergebnis, dass Heidegger mit seinem Projekt wohl gescheitert sei, was möglicherweise nicht zuletzt mit dem ‚letzten Ernst’ - um mit Bohrer zu sprechen - zusammenhängt, mit dem er seine philosophische Unternehmung in Angriff genommen hat. Freilich scheitert in anderem Sinne auch Kierkegaard, insofern, wie gezeigt, das Scheitern die einzige Möglichkeit ist, sein Unternehmen erfolgreich zu gestalten. 863 Beziehungsweise scheint er sie beizeiten aus dem Blick zu verlieren, denn er würdigt ausdrücklich Kierkegaard als Schriftsteller, wenn er dessen Deutung Hegels in die Nähe der von ihm gesuchten Neubeschreibungen rückt (vgl. Kontingenz, pp. 136f.). Rorty schwankt mithin zwischen den beiden Polen, die er an Kierkegaard ausmacht: der ironischen Originalität seiner Methode auf der einen Seite und dessen Christentum auf der anderen, womit er im Grunde genau den entscheidenden Punkt trifft. Denn als Philosoph bleibt Kierkegaard Ironiker, jedoch kann er, wie gesehen, in Einklang mit dem Tenor der letzten These seiner Dissertation, als Mensch dort nicht stehen bleiben. 864 Doch bemerkt Rorty diesbezüglich, dass sich die Frage stelle, „ob sein angeblich nicht-theoretischer Jargon wirklich so verschieden ist von dem eingestandenermaßen theoretischen Jargon anderer“, um anschießend zu dem Schluss zu gelangen, dass dies nur dann der Fall sei, wenn man Heideggers Worte nie in einen Kontext stelle und sie „weder als Werkzeuge noch als relevant für andere Fragen als Heideggers eigene“ (Rorty, Kontingenz, p. 192) verwende. In diesem Sinne spricht auch Emil Angehrn von der „teils hermetischen Sprache“ Heideggers (ders., ‚Kritik der Metaphysik und der Technik. Heideggers Auseinandersetzung mit der abendländischen Tradition’, in Dieter Thomä (Hg.), Heidegger-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, Stuttgart: Metzler, 2003, pp. 268-279, hier p. 278). 270 deutig bleibe - wobei der Hinweis auf die Zweideutigkeit selbstverständlich ebenfalls wieder zweideutig ist -, schreibt Kierkegaard diese Schwierigkeit literarästhetisch in seine Texte ein. Der Bruch mit dem traditionellen, logos-zentrierten Sprechen wird durch die Verwendung literarischironischer Sprache deutlich betont, und zugleich vermeidet Kierkegaard damit zu sagen, was nicht gesagt werden kann. Ob es ein eigentliches Selbstsein geben kann, das kann in letzter Instanz weder bestätigt noch dementiert werden, insofern sowohl Affirmation als auch Dementi sich jeweils in der Sprache bewegen und damit jener Zweideutigkeit unterliegen, aufgrund derer die Möglichkeit sowohl der Affirmation als auch des Dementi der Sprache entzogen ist. Das eigentliche Selbstsein kann allein als Denkmöglichkeit expliziert werden; und inwieweit dem existenziell etwas entspricht, dies kann textlich nicht ausgesagt werden. Das Urteil wird damit letztinstanzlich dem Leser zugeschrieben, der jedoch die Antwort nur für sich finden kann. Freilich muss auch der Leser bei dem Versuch, diese Antwort zu kommunizieren, scheitern. Dass nun der Roman - und zumal der ironische -, durch den Kierkegaard sich für Entweder/ Oder inspirieren lässt, ein besonders geeigneter Weg zu sein scheint, philosophischen Schwierigkeiten unter den erkenntnistheoretischen Bedingungen der Moderne Ausdruck zu verliehen, darauf deutet auch die folgende Überlegung von Georg Lukacs aus seiner Theorie des Romans. Dort heißt es: Jede Form ist die Auflösung einer Grunddissonanz des Daseins, eine Welt, in der das Widersinnige an seine richtige Stelle gerückt, als Träger, als notwendige Bedingung des Sinnes erscheint. Wenn also in einer Form der Gipfel des Widersinnes, das ins Leere Hinauslaufen tiefer und echter menschlicher Bestrebungen oder die Möglichkeit einer letzten menschlichen Nichtigkeit, als tragende Tatsache aufgenommen und das an sich Widersinnige erklärt und zerlegt, mithin als seiend und unaufhebbar daseiend anerkannt werden muß, dann können in dieser Form zwar einige Ströme ins Meer der Erfüllung münden, aber das Verschwundensein der offenbaren Ziele, die entscheidende Richtungslosigkeit des ganzen Lebens muß dennoch allen Gestalten und Begebenheiten als Fundament des Aufbaus, als konstitutives Apriori zugrunde gelegt werden. 865 Mit seiner indirekten Mitteilung wird Kierkegaard mithin dem Anspruch an eine postmetaphysische Haltung gerecht, jedweder Explizierung von Sinnmöglichkeit immer die Möglichkeit der Sinnlosigkeit als „konstitutives Apriori“ zugrunde zu legen. Die Ironie und Literarizität seiner Texte erlaubt es ihm aber andererseits, die Möglichkeit dafür offen zu halten, dass „einige Ströme ins Meer der Erfüllung münden“. Freilich bleibt die Ironie jener unhintergehbare Hintergrund, vor dem allein der von Rorty diagnostizierte Rückfall Kierkegaards in den Platonismus richtig zu 865 Georg Lukacs, Theorie des Romans, p. 52 (meine Hervorhebung). 271 deuten ist und zwar als Rückfall in einen Platonismus, der im Grunde paradox als postmetaphysisch-kontingenter Platonismus zu begreifen wäre. Denn vom Platonismus trennt Kierkegaard genau das Entscheidende, dass er ihn nämlich als Möglichkeit begreift und damit nicht in dem Sinne, wie Bohrer den Begriff im Unterschied zu ironisch verwendet, ernst nimmt. Daher kann Kierkegaard dann sogar - als im Rortyschen Sinne ironistischer Schriftsteller und unter Ausnutzung der Kontingenz des kontingenten Standpunktes - das Pseudonym de Silentio die folgenden Zeilen in ganz eigener Weise auflösen lassen: Wenn kein ewiges Bewußtsein wäre im Menschen, wenn allem nichts als eine wild gärende Macht zugrunde läge, die, in dunklen Leidenschaften sich windend, alles hervorbrächte, was groß ist und was gering ist, wenn eine abgründliche Leerheit, nimmer zu sättigen, sich unter allem verbärge, was wäre dann das Leben anders als Verzweiflung. Wenn es so wäre, wenn es kein heiliges Band gäbe, welches die Menschheit verknüpfte, wenn ein Geschlecht nach dem andern entstünde wie die Blätter im Walde, wenn das eine Geschlecht das andre ablöste wie Sang der Vögel im Walde, wenn das Menschengeschlecht über die Erde ginge wie das Schiff über das Meer geht, wie der Sturm über die Einöde, ein gedankenloses und unfruchtbares Tun und Treiben, wenn ein ewiges Vergessen allezeit hungrig auf seine Beute lauerte, und es keine Macht gäbe, stark genug, sie ihm zu entreißen, - wie leer wäre dann das Leben, wie trostlos! Das wäre in der Tat trostlos, und aus diesem Grunde belässt er es auch nicht dabei, sondern fährt entschieden fort: „Aber darum ist es auch nicht so […]“ 866 . Selbstverständlich verlässt de Silentio mit dieser Behauptung den Boden des philosophisch Wissbaren. Dennoch könnte er Recht haben. Möglich wäre es zumindest und aus existentieller Perspektive möglicherweise sogar notwendig. 866 Furcht und Zittern, p. 22. 273 LITERATURVERZEICHNIS Verwendete Texte von Martin Heidegger: ‒‒ Was ist Metaphysik? , Frankfurt am Main: Klostermann, 1969 ‒‒ Sein und Zeit, Tübingen: Max Niemeyer, 1979. ‒‒ Holzwege, Gesamtausgabe Bd. 5, Frankfurt am Main: Klostermann, 1972 ‒‒ Wegmarken, Gesamtausgabe Bd. 9, Frankfurt am Main: Klostermann, 1976 ‒‒ Unterwegs zur Sprache, Gesamtausgabe Bd. 12, Frankfurt am Main: Klostermann, 1985 ‒‒ Seminare, Gesamtausgabe, Bd. 15, Frankfurt am Main: Klostermann, 1986 ‒‒ Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, Gesamtausgabe Bd. 20, Frankfurt am Main: Klostermann, 1994 ‒‒ Die Grundprobleme der Phänomenologie, Gesamtausgabe Band 24, Frankfurt am Main: Klostermann, 2005 ‒‒ Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt - Endlichkeit - Einsamkeit, Gesamtausgabe Bd. 29/ 30, Frankfurt am Main: Klostermann, 1983 ‒‒ Hölderlins Hymnen ‚Germanien’ und ‚Der Rhein’, Gesamtausgabe Bd. 39, Frankfurt am Main: Klostermann, 1980 ‒‒ Einführung in die Metaphysik, Gesamtausgabe Bd. 40, Frankfurt am Main: Klostermann, 1983 ‒‒ Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung, Frankfurt am Main: Klostermann, 1994, Gesamtausgabe Bd. 61 ‒‒ Besinnung, Gesamtausgabe Bd. 66, Frankfurt am Main: Klostermann, 1997 ‒‒ Nietzsche, Bd. 1, Pfullingen: Neske, 1961 Verwendete Texte von Sören Kierkegaard: ‒‒ Leben und Walten der Liebe, Jena: Diederichs, 1924 ‒‒ Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, übersetzt von Hans Heinrich Schaeder München: Oldenburg, 1929 ‒‒ Der Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, übersetzt von Wilhelm Rütemeyer München: Kaiser, 1929 ‒‒ Die Tagebücher. 1834-1855, hg. von Thomas Haecker, München: Kösel, 1949 ‒‒ Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken, Bd. I, Düsseldorf: Diederichs, 1959 ‒‒ Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den Philosophischen Brocken, Bd. II, Düsseldorf: Diederichs, 1959 ‒‒ Die Schriften über sich selbst, Düsseldorf: Diederichs, 1960 ‒‒ Philosophische Brocken. De omnibus dubitandum est. Düsseldorf: Diederichs, 1960 ‒‒ Der Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, Düsseldorf: Diederichs, 1961 ‒‒ Die Tagebücher in 5 Bänden, Bd. II, Düsseldorf: Diederichs, 1963 ‒‒ Erbauliche Reden in verschiedenem Geist 1847, Düsseldorf: Diederichs, 1966 ‒‒ Papirer, Bd. III, hg. von Niels Thulstrup, Kopenhagen: Gyldendal, 1968 274 ‒‒ Concluding Unscientific Postscript, Princeton, New Jersey: Princeton University Press, 1968 ‒‒ Furcht und Zittern, Der Begriff Angst, Die Krankheit zum Tode, Werksausgabe, Bd. 1, Düsseldorf: Diederichs, 1971 ‒‒ Entweder/ Oder, Teil I und II, München: DTV, 2005 Weitere Primärtexte: Adorno, Theodor W., ‚Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Drei Studien zu Hegel’, in ders., Gesammelte Schriften, Bd. 5, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996 ‒‒ Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen, Gesammelte Schriften Bd. 2, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1979 ‒‒ Philosophische Terminologie. 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Beide Autoren bemühen sich in je eigener Weise dieser Konstellation gerecht zu werden, die sich in der impliziten oder expliziten Problematisierung der sprachlichen Vermittlung niederschlägt. Während dies bei Heidegger im Rückgriff auf das Konzept der eigentlichen Rede geschieht, bemüht sich Kierkegaard, mit einem literarisch-ironischen Verfahren die begrenzte Tragweite philosophisch-existentieller Erkenntnis gegenwärtig zu halten.