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Altslavische Eschatologie

2016
978-3-7720-5531-7
A. Francke Verlag 
Julian Petkov

Die Identifizierung und Erschließung des umfangreichen Quellenmaterials bleibt ein zentrales Problem auf dem Weg zu einem besseren Verständnis der Vitalität von Apokalyptik in ihren vielfältigen Erscheinungsformen. Die Studie stellt einen Beitrag zur Klärung der diffizilen Quellenfrage dar. Sie ist dem Zweck gewidmet, den Verästelungen der apokalyptischen Literatur nachzuspüren, die im kirchenslavischen Schrifttum erhalten sind. Es handelt sich hierbei um eine außerordentlich reichhaltige und nur ansatzweise erforschte Überlieferung, die nahezu lückenlos die wichtigsten Etappen der apokalyptischen Literaturgeschichte dokumentiert. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht daher eine ausführliche Analyse des gesamten in Kirchenslavisch erhaltenen apokalyptischen Textmaterials. Ein Textanhang mit Übersetzungen schwer zugänglicher und kaum bekannter Apokalypsen lädt zu weiterer Forschung auf diesem Gebiet ein. Damit liefert die Arbeit erstmalig eine systematische Darstellung der in kirchenslavischer Überlieferung enthaltenen Apokalypsen und präsentiert wertvolles, bislang nicht verfügbares Quellenmaterial.

Julian Petkov Altslavische Eschatologie Texte und Studien zur apokalyptischen Literatur in kirchenslavischer Überlieferung Altslavische Eschatologie TANZ 59 Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter herausgegeben von Klaus Berger, Matthias Klinghardt, Günter Röhser, Stefan Schreiber und Manuel Vogel Julian Petkov Altslavische Eschatologie Texte und Studien zur apokalyptischen Literatur in kirchenslavischer Überlieferung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISSN 0939-5199 ISBN 978-3-7720-8531-4 Für Lilia Vorwort Dieses Buch stellt die überarbeitete Fassung meiner Doktorarbeit dar, die im Sommersemester 2012 von der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls- Universität angenommen wurde. Für die Drucklegung wurde sie entsprechend den Empfehlungen der Gutachter und der Herausgeber gestrafft und überarbeitet. Die Reihenfolge der Kapitel wurde angepasst, und die Übersetzungen im Anhang wurden über ein Verweissystem mit den Ausführungen in der Quellensynopse verbunden. Zur Entstehung der Quellensammlung haben viele „Weggefährten“ beigetragen. Einige von ihnen werden im Folgenden häufig zitiert, andere wiederum gar nicht oder nur am Rande in den Fußnoten und in der Bibliographie am Ende des Buches erwähnt. All ihnen sei an dieser Stelle vom ganzen Herzen gedankt. Obwohl es nicht möglich ist, alle abschließend aufzuzählen, seien stellvertretend einige Namen genannt, die mir für immer in Erinnerung bleiben werden. Allen voran schulde ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Klaus Berger tiefste Anerkennung sowie größten menschlichen und fachlichen Respekt. Ohne ihn hätte ich nicht einmal ermessen können, welche Schätze die altbulgarische Literatur birgt und wie weit ihre Wurzeln zurückreichen. Das hier Geleistete ist im Grunde nur ein bescheidener Beitrag zu seiner berühmten Apokalypsen- Bibliothek, die er sorgfältig im Verlaufe von Jahrzehnten angelegt hat und welche gegenwärtig die wohl größte private Sammlung von Offenbarungsschriften weltweit repräsentiert. Neben der rein akademischen Anleitung haben mich seine bedingungslose Loyalität, sein grenzenloses Vertrauen und seine menschliche Art - gepaart mit einem trockenen norddeutschen Humor - all die Jahre aufs Neue beeindruckt und durch alle Hochs und Tiefs begleitet und getragen, die man als ökumenischer Austauschstudent und Doktorand an einer Gastuniversität durchschreitet. Ebenso muss ich mich bei meinem zweiten Gutachter Prof. Dr. Matthias Konradt für sein kritisches Votum zum Einleitungsteil bedanken. Das ausführliche Drittgutachten von Prof. Dr. Christfried Böttrich war mir bei der Endredaktion des Buches außerordentlich hilfreich. Neben vielen Detailhinweisen, die ich dankbar aufgenommen habe, enthält es ein eigenes Forschungsprogramm auf dem Feld der kirchenslavischen Apokalypsen, welches zu einer Fortsetzung der begonnenen Arbeit inspiriert und ermutigt. Prof. Dr. Günter Röhser sei für die Aufnahme der Quellenstudie in die traditionsreiche TANZ-Reihe herzlich gedankt; seine Hinweise und Empfehlungen zur Überarbeitung der ursprünglichen „Rohfassung“ waren mir ein verlässlicher Leitfaden im Endspurt der Publikationsvorbereitung. Vorwort 8 Besondere Wertschätzung gebührt Prof. Dr. Anisava Miltenova vom Institut für Literatur der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften. Sie gehört zu den Wegbereitern der Erforschung der apokryphen Literatur der Südslaven und hat insbesondere auf dem Gebiet der altbulgarischen Apokalypsen echte Pionierarbeit geleistet. Für ihre wertvollen Ratschläge und für die selbstverständliche Überlassung von in Druck befindlichen Manuskripten und Handschriftenfotos schulde ich ihr aufrichtigen kollegialen Dank. Für die geteilten Einsichten und Kontakte bezüglich der weiteren Erforschung der behandelten Quellen sei an dieser Stelle Prof. Dr. Christopher Rowland, Queen’s College Oxford ausdrücklich gedankt. Eine eigene Institution und eine akademische Schule ersten Ranges war mir das Heidelberger Doktorandenkolloquium, das jahrelang unverändert montagabends in der Wohnung unseres geschätzten Mentors abgehalten wurde. Hier konnte ich erstmalig meine Arbeitsübersetzungen vorstellen und in kritischer Runde besprechen. Für die oft überraschenden, aber immer hilfreichen Einsichten und Argumente sei an dieser Stelle meinen Kollegen Markus Richter und Michael Knöthig sowei ganz besonders Wichard von Heyden herzlichst gedankt. Dem Leiter des IEPG Mannheim Prof. Dr. Hermes Andreas Kick sei ein besonderes Dankeschön gesagt für die wiederholte Möglichkeit, die anthropologischen Hintergründe von Apokalyptik an der Psychiatrischen Klinik Heidelberg zu beleuchten und in einem interdisziplinären Forum zu diskutieren. Einem dreijährigen Graduiertenstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung, ergänzt durch ein hervorragendes Seminarprogramm, verdanke ich die Überbrückung der Anfangsphase der Dissertation, als es darum ging, die weit zerstreuten Quellen und die disparate Sekundärliteratur hierzu zusammenzutragen. Eine wichtige Hilfestellung verdanke ich Prof. em. Dr. Eckhard Wessling, der die Mühe auf sich nahm, die an der Heidelberger Fakultät eingereichte Erstfassung sorgfältig zu prüfen und stilistisch zu glätten. Einen herausragenden Beitrag zum Zustandekommen der Schlussredaktion hat mein Lektor Daniel Seger vom Narr-Verlag in Tübingen geleistet. Seine Kollegin Karin Burger hat mit viel Geduld und Knowhow die technische Gestaltung vorangetrieben. Für ihre hohe Professionalität, für ihre Herzlichkeit und für ihr Couching in allen Fragen rund um die Drucklegung schulde ich ihnen meinen aufrichtigen Dank. Für die gründliche Durchsicht des Druckmanuskriptes sowie für seine weiterführenden Anmerkungen muss ich mich bei Dr. Ekkehard Kraft recht herzlich bedanken. Falls noch Versäumnisse und Fehler offen sind, liegen sie ganz in meiner Verantwortung. Die Beendigung des gesamten Projektes wäre ohne meine Freunde und ohne meine Familie undenkbar gewesen. Mrs. Vanya Gabrovska-Johnson Vorwort 9 und Mr. Aylmer Johnson, Clare College Cambridge bin ich für die verwand schaftliche Unterstützung von Anbeginn außerordentlich verbunden. Mein Schwager Emil Danailov hat sich mit seiner Erfahrung als Chefredakteur bei der Formgebung der Abbildungen eingebracht. Ebenso bin ich Dr. Georgi Kukudov, Universitätsklinikum Mannheim, für seine logistische und freundschaftliche Hilfe in den letzten Monaten sehr verpflichtet. Meine Mutter Lilia Gabrovska hat mich bis zuletzt mit wertvollem Material aus den Kreisen der altkalendarischen Gemeinschaft in Sofia versorgt - mit modernen Apokalypsen, in denen das mittelalterliche Erbe in neuer Gestalt fortlebt. Als symbolische Geste für die entgangene gemeinsame Zeit sei dieses Buch meiner Tochter Lilia Emig gewidmet. t Inhaltsverzeichnis Vorwort ....................................................................................... 7 Inhaltsverzeichnis................................................................... 11 Tabellenverzeichnis ............................................................... 14 Abbildungsverzeichnis.......................................................... 15 Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen apokalyptischer Schriften................................................. 16 Teil A: Prolegomena I. Vorbemerkungen ............................................................... 21 1. Ausgangspunkt der Untersuchung ................................... 21 2. Zur Vorgehensweise ............................................................ 23 3. Zur Auswahl der Texte........................................................ 25 4. Begriffsklärungen ................................................................. 30 5. Aufbau des Buches............................................................... 33 II. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 39 1. Die slavische Palaea ............................................................. 40 2. Mose-Apokalypse oder Vita Adae et Evae? ..................... 51 3. Die Tücken der Überlieferung............................................ 69 Teil B: Quellensynopse III. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 72 1. Das slavische Henochbuch ................................................. 73 2. Die Abraham-Apokalypse .................................................. 81 3. Das Testament Abrahams ................................................... 86 4. Die Leiter Jakobs................................................................... 99 5. Testamente der zwölf Patriarchen ................................... 109 ........ ... Inhaltsverzeichnis 12 6. Die Himmelfahrt des Jesaja............................................... 124 7. Die griechisch-slavische Baruch-Apokalypse (3 Bar).... 131 IV. Altkirchliche Offenbarungsschriften .............. 139 1. Pseudopatristische Fragmente ......................................... 140 2. Die Fragen des Bartholomäus........................................... 149 3. Die Paulus-Apokalypse ..................................................... 155 4. Das Streitgespräch Christi mit dem Teufel..................... 163 5. Die Sibylla Tiburtina .......................................................... 166 6. Apokryphe Johannes-Offenbarungen ............................. 169 V. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 181 1. Offenbarungen des Pseudo-Methodius .......................... 183 2. Die slavische Daniel-Diegese............................................ 202 3. Die Vision des Propheten Daniel von den Königen ...... 204 4. Die Deutung Daniels.......................................................... 215 5. Die letzte Vision des Propheten Daniel........................... 229 VI. Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen .................................................... 240 1. Die Wanderung unseres Vaters Agapius zum Paradies 241 2. Die Höllenwanderung Mariens........................................ 243 3. Himmelsreise der Nonne Anastasija ............................... 246 4. Die Vita des Andreas Salos ............................................... 248 5. Die Vita des Basilius Novus.............................................. 268 VII. Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen ....... 271 1. Die Sage des Jesaja (Bd. 1) ................................................. 273 2. Die Sage des Jesaja (Bd. 2) ................................................. 282 3. Die Vision des Propheten Jesaja vom letzten Zeitalter 292 4. Russische Jesaja-Homilie................................................... 294 5. Prophetische Sage des Pandech ....................................... 295 6. Der Kampf Michaels mit Satanael.................................... 297 7. Die Sage vom Antichrist.................................................... 299 ......... ...... Inhaltsverzeichnis 13 VIII. Jenseits des byzantinisch-slavischen Horizontes 300 1. Die Deutung der zwölf Träume von König Šachinšach 301 2. Die Vision des Tungdal ..................................................... 303 IX. Zwischenbilanz .................................................... 305 1. Ertrag.................................................................................... 305 2. Abschließende Bemerkungen........................................... 309 3. Chronologische Prismen (Abfassung, Übersetzung, Überlieferung) ............................................................... 313 Teil C: Anhang X. Quellentexte ...................................................................... 318 1. Leiter Jakobs........................................................................ 319 2. Pseudopatristische Fragmente ......................................... 330 3. Tiburtinische Sibylle .......................................................... 338 4. Offenbarung des Pseudo-Methodius .............................. 344 5. Slavische Daniel-Diegese................................................... 354 6. Vision des Propheten Daniel von den Königen ............. 362 7. Deutung Daniels................................................................. 374 8. Letzte Vision des Propheten Daniel ................................ 385 9. Agapius-Sage ...................................................................... 391 10. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 1)..................................... 400 11. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 2)..................................... 414 12. Vision des Propheten Jesaja vom letzten Zeitalter ........ 424 13. Homilie des Propheten Jesaja über die letzten Tage ..... 430 14. Pandech-Orakel .................................................................. 437 15. Sage vom Antichrist........................................................... 441 16. Deutung der zwölf Träume von Šachinšach .................. 447 XI. Bibliographie ........................................................ 455 ........ ... ......... Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Palaea Interpretata .............................................................................. 45 Tabelle 2: Palaea Chronographica....................................................................... 47 Tabelle 3: Variierende Hss.-Bezeichnungen zu Rezension A von VAE sl ..... 55 Tabelle 4: Variierende Hss.-Bezeichnungen zu Rezension B von VAE sl...... 56 Tabelle 5: Kontextmanuskripte der Patriarchentestamente .......................... 114 Tabelle 6: Gegenüberstellung des griechischen und slavischen Textes von Bar ............................................................................................................... 136 Tabelle 7: Argumentationsaufbau des zweiten Hippolyt-Fragmentes ........ 147 Tabelle 8: Orakel der Sib Tib sl .......................................................................... 168 Tabelle 9: Fahrplan der Endzeit nach 1 AcIoh apocr...................................... 173 Tabelle 10: Codex-Übersicht zu 1 ApcIoh apocr sl („Tabor-Text“) .............. 176 Tabelle 11: Codex-Übersicht zu 1 ErotIohAbr („Abraham-Text“)................ 178 Tabelle 12: Codex-Übersicht zu 2 ErotIohAbr („Eleon-Text“) ...................... 179 Tabelle 13: Griechische und lateinische Textüberlieferung des Pseudo- Methodius ...................................................................................................... 188 Tabelle 14: Überlieferung von RevPsMeth sl Fil ............................................. 192 Tabelle 15: Symbolik und historische Bezüge in 2 ApcDan .......................... 209 Tabelle 16: Gegenüberstellung von Vision (2 ApcDan) und Deutung Daniels (3 Apc Dan) .................................................................................................... 225 Tabelle 17: Historische Bezüge von 4 ApcDan (Dynastien der Komnenoi der Angeloi) ......................................................................................... 234 Tabelle 18: Aufbau der Apokalypse des Andreas Salos ................................ 250 Tabelle 19: Aufnahme der VAS in der ersten Prolog-Redaktion .................. 257 Tabelle 20: Aufnahme der VAS in der zweiten Prolog-Redaktion ............... 258 Tabelle 21: Historische Bezüge in 1 ApcIes ..................................................... 277 Tabelle 22: Verhältnisbestimmung der beiden „Sagen/ Homilien des Jesaja“ (1 und 2 ApcIes)............................................................................................. 288 Tabelle 23: Gegenüberstellung von 2 ApcDan und 2 ApcIes ........................ 289 Tabelle 24: Chronologische Prismen................................................................. 316 3 und Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Übersicht zur Quellensynopse .................................................... 38 Abbildung 2: Henochs Wanderung durch die sieben Himmel ...................... 75 Abbildung 3: Verbreitung des Testaments Abrahams ..................................... 94 Abbildung 4: Bezugsebenen der byzantinisch-slavischen Daniel- Apokalypsen .................................................................................................. 182 Abbildung 5: Geographische Schwerpunkte der kirchenslavischen Daniel- und Jesaja-Apokalypsen auf dem Hintergrund der heutigen Staatsgrenzen ................................................................................................. 272 Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen apokalyptischer Schriften Kürzel Text Kapitel im Buch ApcAbr Apocalypsis Abrahae Abraham-Apokalypse III.2. ApcAnast Apocalypsis Anastasiae Anastasija-Apokalypse V.3. ApcBar Apocalypsis Baruchi Baruch-Apokalypse (3 Bar) III.7. ApcDan Apocalypses Danielis Daniel-Apokalypsen (1 bis 4) V.2 bis 5. X. 5 bis 8. ApcIes Apocalypses Iesaiae Jesaja-Apokalypsen (1 bis 4) VII.1 bis 4. X.10-13. ApcIoh apocr Apocalypses Iohannis apocryphae Apokryphe Johannes-Offenbarungen (1 bis 4) IV.6. ApcMariae Apocalypsis Mariae Theotokos-Apokalypse VI.2. ApcMos Apocalypsis Mosis Mose-Apokalypse (griechisches Leben Adams und Evas) II.2. ApcPauli Apocalypsis Pauli Paulus-Apokalypse IV.3. ApocrIoh Apocryphon Iohannis Apokryphon des Johannes IV.6. AscIes Ascensio Iesaiae Himmelfahrt des Jesaja III.6. CertIes Certamen Iesu cum diabolo Streitgespräch Jesu mit dem Teufel IV.4. CertMich Certamen Michaeilis cum diabolo Kampf Michaels mit dem Teufel VII.6. ClimIac Climax Iacobi Jakobs Leiter III.4. X.1. DAC De arbore crucis Sage vom Kreuzholz II.2. Desc Descensus ad inferos Hadesfahrt Jesu / Acta Pilati II.2. Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen apokalyptischer Schriften 17 ErotIohAbr Erotapocrises Iohannis et Abrahae Lehrdialoge des Johannes mit Abraham (Abraham- und Eleon-Text) IV.6. EvNic Evangelium Nicodemi Nikodemus-Evangelium II.2. Hen (äth) Henoch aethiopice Äthiopisches Henochbuch III.1. Hen (hebr) Henoch hebraice Hebraisches Henochbuch III.1. Hen (sl) Henoch slavice Slavisches Henochbuch III.1. Hipp Fragm Hippolyti Fragmentum Hippolyt-Fragmente (1 bis 2) IV.1. X.2. Hyp Fragm Hypathii Fragmentum Hypathius-Fragment IV.1. X.2. LibIoh Liber Iohannis Bogomilisches Johannesbuch IV.6. Narr Ant Narratio de Antichristo Antichrist-Sage VII.7. X.15. Or Pand Oracula Pandechi Orakelsprüche des Pandech VII.5. X.14. PerAgap Peregrinatio Agapii Sage/ Wanderung des Agapius VI.1. X.9. Quaest- Barth Quaestiones Barholomaei Bartholomäus-Fragen IV.2 RevPsMeth Revelatio Pseudo-Methodii Offenbarungen des Pseudo- Methodius V.1. X.4. Narr Šach Narratio Šachinšachi Traumdeutung des Šachinšach VIII.1. X.16. Sib Tib Sibylla Tiburtina Tiburtinische Sibylle IV.5. X.3. TestAbr Testamentum Abrahae Abraham-Testament III.3. TestPatr Testamenta duodecim patriarcharum Testamente der zwölf Pat-riarchen III.5. VAE Vita Adea et Evae Leben Adams und Evas II.2. VAS Vita Andreae Sali Vita des Andreas Salos VI.4. VBN Vita Basilii Novi Vita des Basilus Novus VI.5. VisTungdali Visio Tungdali Vision des Ritters Tungdal VIII.2. Teil A: Prolegomena I. Vorbemerkungen 1. Ausgangspunkt der Untersuchung Apokalypsen gehören zu den faszinierendsten Werken christlicher Literatur. Die surrealen Symbolwelten, die darin entfaltet werden, fesseln und befremden zugleich ihr Publikum und laden zu vielfältigen Lesarten ein. Die Fülle der erhaltenen Zeugnisse ist dabei außergewöhnlich, ihre Streuung in Raum und Zeit kaum zu überblicken. Antike und mittelalterliche Apokalypsen werden über die Neuzeit hinaus bis zum heutigen Tag fortgeschrieben. Viele dieser Texte sind in Sprachen und Kulturen überliefert worden, die wenig zugänglich und nur ansatzweise erforscht sind: Armenisch, Georgisch, Koptisch, Syrisch, Äthiopisch und Altkirchenslavisch. Selbst die byzantinische und die westlich-mittelalterliche Überlieferung bergen manch eine Überraschung. Die Diskussion über die kulturelle Rolle von Apokalypsen und ihre geschichtlichen Hintergründe hat dabei in den letzten Jahrzehnten einen neuen Aufschwung erfahren, sowohl in literarischer Hinsicht (Taxonomie des Genres) als auch was neue Texteditionen betrifft. 1 In alledem lässt sich festhalten, dass das Fundament dieser Diskussion - die Quellen selbst - noch immer nicht in seiner Reichweite beleuchtet worden ist. Ein „Inhaltsverzeichnis“ der apokalyptischen Schriften bleibt zum heutigen Zeitpunkt ein Desiderat, und somit beschränken sich die Entwürfe zur Geschichte der apokalyptischen Literatur auf die wenigen Schriften, die durch Texteditionen zugänglich respektive im Zuge akademischer Trends eingehend untersucht worden sind. Ein Großteil der Überlieferung liegt allerdings im Dunkel, und erst deren Erschließung würde das notwendige Material beisteuern, das ein besseres Verständnis der Apokalyptik ermöglicht. Die nachfolgende Übersicht ist daher den Apokalypsen gewidmet, die in der reichhaltigen Tradition der slavischen Literaturen erhalten worden sind. Mehrere Gründe sprechen dafür, diesem Überlieferungsbereich mehr Beachtung zu schenken. Zum einen zeichnet sich die kirchenslavische Tradition durch eine besondere Vorliebe für apokryphe Erzählungen aus - ganz besonders für Offenbarungsschriften und eschatologisch-mystische Spekulationen. Zum anderen stellt sie eine getreue Kopie der byzantinischen Apokalyptik dar. Damit ist sie ein hilfreiches Korrektiv ihrer Schrifttradition, und in Einzelfällen bewahrt sie kostbare Abschriften griechischer Texte, die nicht mehr 1 Forschungsübersicht bei DiTommaso, Apocalypses and Apocalypticism, 235-286, 367- 432, für den slavischen Bereich siehe Pesenson, Visions, 23-31 (Stand 2001). Vorbemerkungen 22 erhalten sind und sonst für immer verschollen geblieben wären. Des Weiteren enthüllen die slavischen Textzeugen ein Stück weit die Mentalitätsgeschichte ihrer Tradenten, die apokalyptische Schriften umgewidmet und auf ihre unmittelbare Gegenwart bezogen haben. In ihrer Gesamtheit betrachtet, dokumentiert die Masse der Überlieferung wiederum nahezu lückenlos die wichtigsten Perioden der Entwicklung des Genres. Ungeachtet ihrer Bedeutung als Zeugnisse eschatologischen Denkens sind die kirchenslavischen Apokalypsen nur fragmentarisch erforscht, eine Gesamtübersicht steht noch aus. Schon vor über hundert Jahren hielt hierfür von theologischer Warte G. Bonwetsch fest: Eine zusammenhängende Untersuchung dieser apokryphen Literatur nach ihrem ganzen Umfang steht noch aus, sie kann auch nicht ernstlich in Angriff genommen werden, bevor das Material - die erhaltenen Reste jener Literatur (denn um Reste handelt es sich noch) - in möglicher Vollständigkeit gesammelt und veröffentlicht wird. 2 Hieraus drängte sich ihm die Forderung auf: … in Bezug auf diese apokalyptische, vielfach ineinander greifende Literatur, gilt es zunächst das Material in möglichster Vollständigkeit zugänglich zu machen, um dann mit einiger Sicherheit über die einzelnen Stücke urteilen zu können. 3 Von slavistischer Seite aus beklagte V. Jagić: [Es] hat sonst Niemand bisher eine systematische Vergleichung der slavischen Texte mit den griechischen angestellt, um die Abweichungen zu constatiren und kritisch zu verwerthen…so liegt denn das reiche Material noch immer brach … die altkirchenslavischen Texte [sind] dem Inhalt nach dem Westen vollkommen unbekannt. 4 Ein Jahrhundert später musste M.E. Stone mit Blick auf die slavische Adamund-Eva-Überlieferung feststellen: A corpus of translations of all these texts, and of the further rich materials referred to by Jagić is a clear and pressing desideratum. 5 Gleichwohl ist in den letzten Dekaden ein Neuerwachen des Interesses an den handschriftlichen Schätzen der altslavischen Skriptorien zu verzeichnen. 6 Nach wie vor mangelt es jedoch an Texteditionen und Übersetzungen sowohl bedeutender Texte wie z.B. der slavischen Paulus-Apokalypse als auch ganz 2 Bonwetsch, Fragen des Bartholomäus, 1. 3 Bonwetsch, Leiter Jakobs, 85. 4 Jagić, Beiträge, 1; 58. 5 Stone, History, 116, Anm. 147. 6 Erwähnt seien stellvertretend Pesenson, Visions (2001); Orlov, Selected Studies (2009) und DiTommaso & Böttrich (ed.), OT Apocrypha (2011). Zur Vorgehensweise 23 besonders der beträchtlichen Zahl sog. „späterer“ Apokalypsen, die als eschatologische Reflexion gegenwärtiger Turbulenzen im Mittelalter entstanden (Daniel-Zyklus). Hinzu kommt, dass Apokalypsen in der Regel keineswegs isolierte Texte sind, die als eigenständige Traktate für sich dastehen, sondern in ganz besonders hohem Maße aufeinander verweisen und miteinander verknüpft sind, ja eine Art apokalyptisches Netzwerk bilden, das in vielfältiger Weise zusammenhängt und ineinander überfließt. Dies hat zur Folge, dass es recht schwierig ist, einzelne Texteditionen zu erstellen und ihre Hintergründe zu beleuchten, ohne das Textumfeld zu kennen. Hierfür fehlt es jedoch schlichtweg an zitierfähigen Ausgaben, vielmehr beginnt die Konfusion schon auf der Ebene der Überschriften und der Textidentifizierung, wie untenstehend beispielsweise für die außerkanonischen Johannes-Offenbarungen belegt wird. Eine doppelte Sprachbarriere stellt sich dazwischen, wenn kirchenslavische Texteditionen und neuere slavistische Beiträge ausschließlich in bulgarischer Sprache erscheinen und von westlichen Forschern kaum zur Kenntnis genommen werden. 7 Selbst profunde Kenner der Materie blenden in ihren Studien mitunter den Bereich der kirchenslavischen Apokryphen weitgehend aus. 8 Aber auch umgekehrt werden Ergebnisse und Einsichten der gegenwärtigen theologischen, orientalistischen, mediävistischen und byzantinischen Diskussion wenig rezipiert und finden kaum Beachtung unter slavistisch arbeitenden Textforschern, sodass man hier zu Recht statt vom interdisziplinären Dialog eher von nebeneinander verlaufenden Wissenschaftsdiskursen reden kann. 2. Zur Vorgehensweise Ausgehend von diesen Beobachtungen stellt sich die Frage nach einer vorläufigen „Kartographie“ der altslavischen Apokalyptik, um darin die Standorte der einzelnen Schriften bestimmen zu können. Es ginge indes weniger darum, einen umfassenden synoptischen Katalog zu erstellen als vielmehr um die Lücken, die es auszufüllen gilt. Es wäre schon viel getan, gäbe es eben ein erstes „Inhaltsverzeichnis“ der apokalyptischen Literatur in kirchenslavischer Überlieferung, aus welchem hervorginge, welche Einträge noch zu vervollständigen sind. Damit würden nicht nur die zugrundeliegenden Strukturen in groben Zügen sichtbar, sondern auch bislang übersehene Zusammenhänge zutage treten und neue Verknüpfungen deutlich werden. 7 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina (1996). Diese kostbare Quellensammlung wurde erst kürzlich ins Englische übersetzt: Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Apocalyptic literature (2011). 8 Selbst die sonst sehr solide Studie von Podskalsky, Literatur des Mittelalters (2000) enthält keine systematische Übersicht über das sog. „apokryphe“ Schrifttum. Vorbemerkungen 24 Im Folgenden wird daher erstmalig in systematischer Darstellung das apokalyptische Material in der kirchenslavischen Überlieferung zusammengetragen, welches so weit in Druckeditionen und Manuskripten-Katalogen greifbar ist. Es handelt sich, so betrachtet, um ein Quellenkompendium mit Randglossen, das nach chronologischen Gesichtspunkten angeordnet ist. Schon die synoptische Zusammenstellung der zugänglichen Texte lässt die einzelnen Überlieferungschichten erkennen, die im Zuge einer Jahrhunderte währenden „Ablagerung“ zustande gekommen sind. Es sind hierbei drei chronologische Prismen zu unterschieden. Eine erste Sichtweise lässt die Texte nach dem vermutlichen Zeitpunkt ihrer Entstehung unterscheiden. Die Bestimmung der Textchronologie ist schließlich die notwendige Basis, um die historische Entfaltung des Genres nachzeichnen zu können. Diesem naheliegenden Schritt steht jedoch der besondere Umstand im Weg, dass Apokalypsen keineswegs einheitliche Texte „aus einem Guss“ sind, sondern vielmehr Knotenpunkte einer weitverzweigten Evolutionsgeschichte, die nie zum Stillstand kommt, sondern sich immer weiter entfaltet und in jedem Stadium ihrer Entwicklung weitere Verästelungen bildet. So besehen stellt der einzelne Text ein „work in progresss“ dar, dass während seiner Wanderung durch Raum und Zeit allen möglichen Evolutionsprozessen unterworfen ist: Umbildungen, Redaktionen, Weglassungen und Interpolationen. Ein Sonderkapitel der Textkarriere sind übrigens Missverständnisse und Fehlinterpretationen der Übersetzer und Kopisten, die mitunter kuriose Blüten treiben können. 9 Überarbeitungen und Einflüsse der Tradenten machen sich überdies nicht nur im Text selbst bemerkbar, sondern kommen unter Umständen schon in der Zusammenstellung der Kontextmanuskripte zum Tragen. Last but not least ist die symbolische Codierung der Texte eine weitere Barriere auf dem Weg zur Rekonstruktion der Entstehungsverhältnisse. Mit anderen Worten liefert eine Apokalypse eine in Bildern verschlüsselte Antwort auf eine einstmals drängend gewesene Gegenwartsfrage, die wir heute nicht mehr kennen. Eine zweite chronologische Schiene, die sich etwas genauer eingrenzen lässt, betrifft die Übersetzung der apokalyptischen Offenbarungsschriften, in der Regel aus dem byzantinischen Griechisch, in ein slavisches Idiom. Ein Haupttor für diesen Kulturtransfer stellt die schriftliche Hochkultur des sog. Ersten Bulgarischen Reiches im 9. und 10. Jahrhundert dar. Der Import von Werken und Motiven intensiviert sich gar in der Folgezeit, als das bulgarische Territorium als byzantinische Provinz (Θέμα Βουλγαρία) von Konstantinopel wieder eingegliedert wird (11.-12. Jh.). Unruhen und Aufstände aus dieser Zeit hinterlassen eine tiefe Spur im eschatologischen Kulturgedächtnis, wie dies im slavischen Jesaja-Zyklus eindrücklich belegt ist. Die Eroberung von 9 Ein bizarres Beispiel aus dem slavischen Henochbuch analysiert Turdeanu, Curiosité, 53-54 (Verwandlung der Ophanim in Phönixe). Zur Auswahl der Texte 25 Konstantinopel im Jahre 1204 entfacht die endzeitliche Phantasie aufs Neue, so dass die politische Apokalyptik um diesen Wendepunkt einen weiteren Höhepunkt erreicht. Die Verhältnisse ändern sich grundlegend mit dem Eindringen der Osmanen auf dem Balkan im 14. Jh., so dass es sinnvoll erscheint, den Texthorizont mit dem Niedergang des Zweiten Bulgarischen Reiches im Jahre 1396 abzugrenzen. Neben dem südslavischen Kulturraum sind die literarischen Beziehungen zwischen Russland und Byzanz eine eigene Schiene für die Verschriftlichung apokalyptischer Traditionen, für welche der endgültige Fall Konstantinopels im Jahre 1453 eine einschneidende Zäsur darstellt (Vorstellung von Moskau als „drittes Rom“). Westslavische Überlieferungen (Böhmen, Tschechien, Polen) folgen auf Grund ihrer eigenen Dialektik einer abweichenden Chronologie, und Zeugnisse hieraus werden nachfolgend nur am Rande tangiert, um die Reichweite umfangreicher Texttraditionen (Pseudo-Methodius) zu illustrieren. Die dritte chronologische Ebene umfasst das Alter der Handschriften, die den gegenwärtigen Textbestand ausmachen. Angesichts der Tatsache, dass Apokalypsen bis in das 19. Jh. hinein abgeschrieben wurden, ergeben die drei Zeitfolien zusammengenommen einen Zeitraum von über 2.000 Jahren, da die frühesten Texte bis in das neutestamentliche Zeitalter und in die frühjüdische Periode zurückreichen. Derart epoche- und kulturübergreifenden Dimensionen werfen verstärkt Fragen nach der Beschaffenheit und der Einheitlichkeit der betreffenden Texte auf. 3. Zur Auswahl der Texte Die Frage, was denn genau „Apokalyptik“ sei, hat in den letzten Jahrzehnten an Virulenz gewonnen. Der Apokalyptik-Begriff selbst ist indes vergleichsweise neu und geht bekanntlich auf die Arbeiten von Gottfried Christian Friedrich Lücke (1871-1855) zurück, namentlich auf seinen „Versuch einer vollständigen Einleitung in die Offenbarung Johannis und die gesamte apokalyptische Literatur“ aus dem Jahre 1832. 10 Das Ringen um eine verbindliche Definition hat seitdem nicht aufgehört, ohne jedoch eine Einigung herbeizuführen. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass dem Terminus gemeinhin die Aura des Geheimnisvollen, Rätselhaften und Mysteriösen anhaftet. Um ein berühmtes Zitat aus dem Jahre 1895 anzufügen: … die dumpfe Luft der jüdischen Konventikel weht uns entgegen, wo die Menschen dicht beieinander sitzen, um sich tiefe Geheimnisse zuzuraunen, über dem Halbverstandenen nachzugrübeln und das ganz Unverständliche umso mehr zu bewundern. 11 10 Lücke, Versuch (1832). 11 Gunkel, Schöpfung und Chaos (1895). Vorbemerkungen 26 Kanonische und nichtkanonische Apokalypsen scheinen dabei gleichermaßen ein gewisses Unbehagen hervorzurufen; so erscheine das letzte Buch des Neuen Testamentes: … bis heute rätselhaft und dunkel, sogar bedrohlich mit seiner beängstigend besetzten Bildwelt. 12 Wie weit die Positionen darüber auseinander gehen, mag die entgegengesetzte Meinung von keinem geringeren als Friedrich Engels (1883) verdeutlichen: Nehmen wir z.B. unser Buch der Offenbarung, von dem wir sehen werden, dass es, statt das dunkelste und geheimnisvollste zu sein, das einfachste und klarste Buch des ganzen Neuen Testaments ist. 13 Damit wären die beiden Pole umrissen, zwischen welchen sich die Debatte innerhalb eines recht breiten Spektrums bewegt. Noch immer offen bleiben zahlreiche Fragen nach den literarischen Merkmalen einer Apokalypse, nach ihrem sozialen Momentum (Trägerkreise und Adressaten) und ihrer Erlebnisechtheit (Vision, Halluzination oder „Schreibtischprodukt“). Es wäre müßig, an dieser Stelle die Hauptthesen dieser Diskussion abzuwägen, und dies würde weit über die eigentliche Fragestellung hinausgehen. Für die Zwecke der Untersuchung würde indes genügen, einen Ausgangspunkt zu finden, um das apokalyptische Material in kirchenslavischer Überlieferung erst einmal überhaupt identifizieren zu können. Eine der meistdiskutierten Definitionen der letzten Zeit stammt von John J. Collins, der erstmalig im Jahre 1979 folgende konstitutive Elemente ausmachte und in späteren Jahren unverändert aufgriff: „Apocalypse” is a genre of revelatory literature with a narrative framework, in which a revelation is mediated by an otherworldly being to a human recipient, disclosing a transcendent reality which is both temporal, insofar as it envisions eschatological speculation, and spatial insofar as it involves another, supernatural world. 14 Was die soziale Dimension von Apokalyptik anbetrifft, definierte er sie als … the ideology of a movement that shares the conceptual structure of the apocalypses. 15 Es ist nun eine Art akademische Mode geworden, diese Gattungsdefinition zu kritisieren, um ihre Schwachstellen zu erweisen. 16 Es ist aber wiederum 12 Bieberstein & Kosch, Paulus, 341. 13 Engels, Buch der Offenbarung, 10. 14 Collins, Morphology, 9; Collins, Daniel, 4. 15 Collins, Apocalyptic Imagination, 5. 16 Zuletzt auf der Apokalyptik-Konferenz der Humboldt-Universität in Berlin, 14.-15. November 2014. Zur Auswahl der Texte 27 recht schwierig, ja nahezu unmöglich, einen gemeinsamen Nenner zu finden für eine derart evolutive (in stetiger Entwicklung begriffene), referenzielle (aufeinander verweisende) und kompilative (sich stets aufs Neue zusammensetzende) Literatur wie die apokalyptische, die sich zudem über sehr lange Zeiträume erstreckt und auch in nicht-christlichen und nicht-jüdischen Kontexten (iranische und islamische Apokalyptik) breit bezeugt ist. Für den slavischen Apokryphenbestand hilft diese Arbeitsdefinition dennoch, um einen Kriterienkatalog zur Identifizierung apokalyptischer Offenbarungsschriften aufzustellen und zumindest einen Leitfaden bei der Durchsicht der Überlieferung zu haben. Demnach müssten also folgende formal-inhaltliche Merkmale gegeben sein, um eine „apokryphe“ Schrift aus dem kirchenslavischen Bereich der Gattung der Apokalyptik zuzurechnen: - Bezug zur übergeordneten Gattung der visionären Literatur ein feststehendes Erzählgerüst, in welchem sonst unzugängliches, himmlisches Wissen durch einen Offenbarungsmittler (angelus interpres) an ausgewählte Offenbarungsempfänger enthüllt wird ein Themenspektrum, das sowohl Details der jenseitigen Welt als auch Fragen der Endzeit umfasst Mit dieser Arbeitsdefinition, die hauptsächlich auf eine Auswahl frühjüdischer, urchristlicher und altkirchlicher Apokalypsen rekurriert, ist nun die Frage aufgeworfen, inwieweit sie auch für die sog. „späteren Apokalypsen“ zutrifft 17 - d.h. für all diejenigen Texte, die am Ausgang der Antike und während der Expansion des Islam bis in das Mittelalter hinein abgefasst bzw. in abgewandelter Form weiter tradiert werden. Es muss ferner gefragt werden, auf welcher Ordnungsebene die so umrissene apokalyptische Grundstruktur auftritt. Fungiert sie als ein Meta-Genre, das für den Einschluss weiterer Gattungen (Paränese, testamentarische Literatur, weisheitliches Denken, astronomisches und Kalenderwissen) offen ist? Oder tritt sie als ein Sub-Genre im Zusammenhang einer übergeordneten Gattung (Vita, Testament, Homilie) auf? Ist sie irgendwo in „Reinkultur“ gegeben oder begegnet sie in abgesplitterter, „apokopierter“ Form? Handelt es sich gar um eine „para-apokalyptische Gattung“, die eine apokalyptische Formensprache spricht oder verwandte Themen anreißt? Es wäre also angemessen, im Sinne des „approach“ von J.J. Collins eine „apokalyptische Grundstruktur“ anzunehmen und beim Durchgang der Texte zu untersuchen, welche Wandlungen und Anpassungen sie unterläuft. Ein zweiter Indizienbereich zur Zugehörigkeit zum Genre rührt vom Selbstverständnis der Textzeugen selbst. So geben sich einige Texte schon in der Überschrift als Vision oder Offenbarung zu erkennen (ὅρασις/ prozrýnіе, 17 Zum Terminus siehe Weinel, Apokalyptik (1923). Vorbemerkungen 28 vid7ni9). Der terminus technicus „Wanderung“ (hoždenïe) deutet eine Jenseitsreise an, die auch mit „Himmelfahrt“ (v]znesenïe, wörtlich „hinaufgetragen-werden“) umschrieben werden kann. Mitunter folgt eine thematische Übersicht, wovon der Text handeln wird: „von letzten Tagen“, „von der Abfolge der Könige“, „von der Vollendung des Zeitalters“, „vom Antichrist“. Pseudepigraphe Zuschreibungen können auf eine übergeordnete Tradition (Daniel-Apokalyptik oder sibyllinische Literatur) verweisen. 18 So lässt sich in einzelnen Fällen schon der Überschrift entnehmen, dass wir es mit einer Offenbarungsschrift zu tun haben, die beispielsweise an die Geschichtsapokalyptik des Danielbuches anschließt und das Tagma der Endereignisse behandelt. 19 Solche Textsignale dürfen natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es abweichende „Verpackungen“ von Texten geben kann, die durch und durch apokalyptischen Charakter haben. Sehr verbreitet ist beispielsweise der Begriff „slovo“ (slovo/ λόγος), der zwar genrespezifisch „Homilie“ bezeichnet, aber auch im weiteren Sinne „Sage“ oder einfach „Erzählung“ bedeuten kann. 20 In manch einem Fall geht die Verwirrung auf das Konto der slavistischen Wissenschaft, die Apokalypsen gelegentlich als historische Chroniken betrachtet hat. 21 Aber auch umgekehrt kann eine nicht-apokalyptische Schrift eine apokalyptische Aufmachung aufweisen wie zB die sog. Mose-Apokalypse, die trotz der Überschrift Ἀποκάλυψις τοῦ Μοϋσέως weder mit dem Genre zu tun hat noch von Mose berichtet, sondern der weit verzweigten Adam-und-Eva-Literatur zuzurechnen ist. 22 Eine letzte Quelle zur Identifizierung apokalyptischen Materials in der kirchenslavischen Überlieferung wären die Listen verbotener Schriften, die aus der byzantinischen Literatur übernommen wurden. 23 Was ist der Ertrag dieser Listen? Der erste und früheste „Index librorum prohibitorum“ der slavischen Literaturen befindet sich im sog. „Izbornik“ (= Sammelcodex) des russischen Fürsten Svjatoslav aus dem Jahre 1073, welcher auf ein verloren gegangenes Original zurückgeht, der ursprünglich für den bulgarischen Zaren Symeon (864-972) angefertigt wurde. In der einschlägigen Literatur wird 18 Siehe dazu Kap. IV.5 und V.2-5. 19 So die Überschrift einer der Daniel-Apokalypsen (2 ApcDan): „Vision des Propheten Daniel von den Königen und den letzten Tagen und der Vollendung des Zeitalters“ (siehe Kap. V.3). 20 Es handelt sich weniger um eine Gattungsbezeichnung denn um einen funktionalen Begriff in der Bedeutung von „mündlich vorgetragener Rede“; cf. Seemann, Slovo, 345-353. 21 Dies ist der Fall bei der ersten Jesaja-Apokalypse (1 ApcIes), die noch immer vereinzelt als „Apokryphe Bulgarenchonik“ („Апокрифна българска летопис“) aufgelistet wird (sieh Kap. VII.1). 22 Siehe dazu Kap. II.2. 23 Bibliographische Übersicht zum slavischen Apokryphenindex bei Orlov, Selected Studies, 413-417. Zur Auswahl der Texte 29 er daher sowohl als „Symeon’scher sbornik“ (nach dem ursprünglichen Auftraggeber) als auch als „Svjatoslav’scher Izbornik“ (nach dem Auftraggeber der Abschrift) bezeichnet, jeweils mit Angabe des Abfassungsjahres („Izbornik 1073“ zum Unterschied von einem anderen „Izbornik“ aus dem Jahre 1076). Neben dieser ältesten Kopie sind heute fünfundzwanzig erheblich spätere teils komplette, teils fragmentarische Izbornik-Abschriften aus dem Zeitraum vom 15. bis zum 18. Jh. bekannt. 24 Unter Artikeln, Zitaten und Auszügen enzyklopädischer Art, die von über dreißig Autoren stammen und ein nahezu enzyklopädisches Nachschlagewerk zu Themen orthodoxer Theologie, zu Kosmologie und Geographie abgeben, findet sich eine Liste verbotener „apokrypher“ Schriften, die von einer byzantinischen Vorlage herrührt. 25 Es werden vierundzwanzig Titel aufgezählt, wobei lediglich neun davon in der handschriftlichen Überlieferung bezeugt sind. Einträge sind allein für folgende Titel (teils) apokalyptischer Texte vorhanden: Testamente der zwölf Patriarchen, eine nicht näher bezeichnete Vision Jesajas, die Paulus-Apokalypse und das slavische Henochbuch. 26 Für die Petrus-Apokalypse, die ebenfalls angeführt wird, ist bereits der begründete Verdacht geäußert worden, ob jemals eine slavische Übersetzung stattgefunden hat. 27 Vieles deutet darauf hin, dass diese in der Zeit unmittelbar nach der Christianisierung Bulgariens übersetzte Liste verbotener Schriften vielmehr eine präventive Funktion erfüllte und nicht bereits im Umlauf befindliche Schriften zu diskriminieren suchte. Im Blick auf diesen kaum verwertbaren Ertrag lassen sich aus diesem ersten slavischen Index keine greifbaren Angaben gewinnen, die über die vorhandenen Hss.-Bestände hinausführen könnten. Wohl die gleiche Vorlage, die für den Index des „Izbornik 1073“ diskutiert wird, kommt für eine weitere Liste apokrypher Schriften in Frage, die im sog. „Taktikon“ des Nikon Černogorec („Nikon vom Schwarzen Berge“, 11. Jh.) befindlich ist - es ist die zweite Übertragung des slavischen Index. Ihre handschriftliche Überlieferung setzt in der ersten Hälfte des 14. Jh. ein und ist durch eine Reihe russischer, serbischer und bulgarischer Codices bezeugt. Als Übersetzungsdatum wird jeweils das Ende des 13. Jh. oder der Anfang des 14. Jh. genannt. Zu klären bleibt, ob diese Liste auf einer erweiterten Vorlage fußt oder unter Zuhilfenahme weiterer Quellen zustande gekommen ist. Obwohl etliche neue Titel genannt werden (darunter außerkanonische Johannes-Offenbarungen), wird der Umfang des Izbornik-Index im Wesentlichen kaum überschritten. 28 24 Petkanova, Art. „Simeonov sbornik“, 408-409. 25 Es handelt sich um das sog. „Verzeichnis der 60 Bücher“, das Anastasios Sinaites (6. Jh.) bzw. Gregor Nazianz zugeschrieben wird - Böttrich, Weltweisheit, 59. 26 Miltenova, Art. „Indeksi“, 193-194. 27 Santos Otero, Überlieferung I, 212-213. 28 Miltenova, Art. „Indeksi“, 193. Vorbemerkungen 30 Die Entstehung des ersten genuin slavischen Index wird übereinstimmend für das 11. Jh. angenommen, wobei für eine Abfassung auf bulgarischem Territorium plädiert wird. Die hierfür gebräuchliche Bezeichnung „Pogodin’scher Index“ rührt vom Namen der Sammlung her, in welcher seine älteste Kopie in einem altrussischen Nomokanon aus dem 14. Jh. enthalten ist. In dieser ersten Redaktion des slavischen Index werden erstmalig Titel von Schriften angeführt, deren umfangreiche Überlieferung durch einen beachtlichen handschriftlichen Befund bestätigt wird. Für mehrere Apokalypsen wird somit ein hoher Verbreitungsgrad bescheinigt, darunter für das Streitgespräch Christi, für die Fragen des Johannes am Berge Tabor, die Fragen des Bartholomäus, die Theotokos-Apokalypse u.a. 29 Eine beträchtliche Anzahl von Abschriften (über hundertfünfzig) weist die seit dem Ende des 14. Jh. in Russland unter dem Namen des Metropoliten Kiprian (1330-1406) kursierende, zweite Redaktion der Liste apokrypher Schriften. Beachtung verdient dabei eine neue Gattung, die darin aufgeführt wird - Divinationen, Orakel- und Weissagebücher. Eine letzte Redaktion des slavischen Index enthält das sog. Kyrillbuch (russ. „Kirilova kniga“ a.d. J. 1644, red. 1678), die unter den Altgläubigen in Russland kursierte. 30 Die Gesamtzahl der bisher erhaltenen Kopien slavischer Indices wird mittlerweile auf über zweihundert Handschriften geschätzt, die sich in mehrere Redaktionen aufsplittern. 31 Die darin aufgezählten über hundert Einträge apokrypher Schriften haben allerdings nicht zu einer Zurückdrängung der genannten Titel geführt, sondern sind umgekehrt als ein Beleg für die hohe Anziehungskraft anzusehen, die außerbiblische Überlieferungen in den slavischen Literaturen ausübten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kombination aus einer Ausgangsdefinition und dem Selbstzeugnis der Texte in Verbindung mit den Abwehrreaktionen des slavischen Apokryphenindex eine Leitplanke ergibt, um apokalyptisches Textmaterial zu identifizieren und einer inhaltlichen Überprüfung zu unterziehen. 4. Begriffsklärungen Im akademischen Sprachgebrauch hat sich eine Reihe von Begriffen eingebürgert, die auf das Feld sowohl „früherer“ (frühjüdisch, urchristlich, spätantik) als auch „späterer“ (byzantinisch, mittelalterlich) Apokalypsen bezogen werden. Ganz oben rangiert der Terminus „apokryph“, wenngleich der Bedeutungsgehalt hiervon je nach christlicher Konfession variiert. Ebenso beliebt ist 29 Ibid. 30 Ibid.; siehe ferner Böttrich, Weltweisheit, 60. 31 Ibid. Begriffsklärungen 31 das Wortfeld „außerbiblisch“ bzw. „außerkanonisch“, und ganz besonders populär in letzter Zeit ist die Wortschöpfung „pseudepigraph“ geworden. 32 Doch ein jeder dieser Termini birgt gewisse Tücken, was die slavische Textüberlieferung anbelangt, und bedarf daher einer Präzisierung, in welchem Sinne er im Folgenden verwendet werden kann. Was die Semantik von „apokryph“ (gr. ἀπόκρυφος) betrifft, so begegnet sie dem modernen Leser erst einmal in einem biblischen Kontext: Damit werden in protestantischen Bibelausgaben diejenigen Schriften des Alten Testamentes bezeichnet, die aus der Texttradition der Septuaginta entstammen und nicht im hebräischen Tanach enthalten sind. Dafür hat die katholische Theologie den Begriff „deuterokanonisch“ geprägt, während die orthodoxe Kirche von „lesenswerten Büchern“ (ἀναγιγνωσκόμενα [βιβλία]) spricht. 33 Die ursprüngliche Bedeutung von „apokryph“ bildete sich in einem polemischen Kontext heraus: Der Begriff wurde aus dem Bereich heidnisch-gnostischer Geheimlehren auf die lediglich für einen begrenzten Adressatenkreis bestimmten Schriften der jüdischen und frühen christlichen Überlieferung übertragen und damit - nun aus christlicher Sicht - negativ bewertet. 34 Da man die Apokryphen eben als verführerische Schriften betrachtete, die auf bewusste Täuschung angelegt waren, fertigte man die ersten Indices an, um die Gläubigen vor dieser literarischen Gefahr zu warnen. Hieran knüpft auch der slavische Apokryphenindex an. 35 Bezeichnenderweise adaptierte die slavistische Wissenschaft in der Zeit nach der Oktoberrevolution bis kurz vor der politischen Wende Ende der 80er Jahre des 20. Jh. den Apokryphenbegriff in einem positiven Sinne. Darin glaubte man, zum einen, eine begrüßenswerte Opposition gegenüber der als reaktionär empfundenen Kirchenmacht erkennen zu können. Zum anderen interpretierte man die „apokryphen“ Quellen im Bezugssystem eines marxistisch-dualistischen Geschichtsmodells als Bekundungen von Widerstand gegenüber den herrschenden Klassen, ja als Zeugnisse erbitterter Klassenkämpfe. 36 Nur im Vorbeigehen sei angemerkt, dass der Begriff, rein etymologisch betrachtet, denkbar ungünstig gewählt ist. Die betreffenden Texte waren keinesfalls „verborgen“ oder „geheim“, sondern weitaus mehr verbreitet als der Bibelkanon selbst, der erst Ende des 15. Jh. zum Teil aus dem Lateinischen in vollem Umfang übersetzt wurden (sog. Gennadij-Bibel). 37 An dieser Stelle 32 DiTommaso, Bibliography (2001). 33 Römer, Macchi & Nihan (Hg.), Einleitung, 699-701. 34 Böttrich, Weltweisheit, 59. 35 Ibid. 36 So Georgiev, Literatura (1966), der von einer „Literatur verschärfter [Klassen-]Kämpfe im mittelalterlichen Bulgarien“ spricht. 37 Tvorogov, Knigi, 20-22; zur Bibel des Gennadius siehe Alekseev, Tekstologija, 195-200. Vorbemerkungen 32 stellt sich vielmehr umgekehrt die Frage, ob die „apokryphen“ Schriften nicht etwa eine de-facto-Kanonizität besaßen, während die kanonische Bibel ein praktisch „apokryphes“, verborgenes Dasein führte: The Russian Church had no real notion of the canon of Scripture; in theory, there was a distinction between it and apocrypha, but not in practice. 38 Ähnlich verhält es sich mit den Termini „außerkanonisch” und „außerbiblisch“, die nicht nur außerordentlich unscharf und unpräzise sind, sondern gerade in Bezug auf die apokalyptische Literatur nahezu tautologisch und redundant sind. Denn die Gattung der Apokalyptik hat den biblischen Kanon im Grunde nur am Rande gestreift, sie zeigt aber wie kaum ein anderes der in der Bibel vertretenen Genres eine außerordentliche Vitalität und wird bis auf den heutigen Tag fortgeschrieben. So betrachtet ist die apokalyptische Literatur in ihrer Gesamtheit an sich außerbiblisch und nicht-kanonisch. Aber auch innerhalb des biblischen Kanons variiert ihr Umfang, da das äthiopische Henoch in der äthiopischen Bibel, die syrische Baruch-Apokalypse (Baruch II) in der Pešitta enthalten sind. Die Johannes-Offenbarung wiederum war zwar im lateinischen Westen untrennbar mit der Vulgata verbunden, in Byzanz hat sie sich allerdings erst nach dem 6. Jh. nach und nach durchgesetzt. 39 Sie wird bis heute im liturgischen Ritus der orthodoxen Kirche nicht gelesen, und findet in der Ikonographie wohl erst seit dem 16. Jh. breitere Verwendung. 40 Der Pseudepigraphenbegriff wiederum wirft mehr Fragen auf als damit beantwortet werden und lässt sich mehr als Überschrift einer Debatte betrachtet denn eine zuverlässige Richtschnur. Zunächst einmal werden damit die verschiedenen Auffassungen von „Urheberschaft“ in Gegenwart und Antike umschrieben. Gerade religiöse Texte offenbaren eine eigene, subtile Verbindung von „Autorität“ und „Autorschaft“. 41 Die Deutungen dafür sind sehr vielfältig und reichen von Vermarktung, Loyalität, Zugehörigkeit zu einer Schultradition bis hin zur Annahme einer echten, visionären Verbindung zum Namensgeber der Tradition. 42 Obwohl Pseudepigraphie fest zum literarischen Repertoire von Apokalypsen gehört, ist sie kein ausschließlich apokalyptisches Phänomen, wird sie ja für zahlreiche biblische, antike und patristische Schriften ebenso diskutiert; sie kann jedenfalls nicht als Alleinstellungsmerkmal angeführt werden. Somit wird deutlich, dass „pseudepigraph“ ge- 38 DiTommaso, Book of Daniel, 4-5, Anm. 14. 39 Meyendorff, Art. „Byzanz“, 510. 40 Ein sehr schönes Beispiel ist der Narthex des bulgarischen Rila-Klosters (gegründet im 10. Jh.). Die Fresken aus dem 19. Jh. sind eine plastische Bildergalerie zur Johannes-Offenbarung. 41 Petkov, Techniques of Disguise, 241-244. 42 Soweit Stone, Vision or Hallucination, 47-56 und Merkur, Visionary Practices, 119-148. Aufbau des Buches 33 nauso wie die vorausgehend erörterten Begriffe nur als terminus technicus Verwendung finden kann, ohne jedoch weitergehende Wertungen zu implizieren. Etwas genauer ist hingegen die slavistische Terminologie, die im Folgenden benutzt wird. Der Oberbegriff „slavisch“ ist auf einer ähnlichen Abstraktionsstufe angesiedelt wie „romanisch“ oder „germanisch“ mit allen daraus folgenden Implikationen. Die slavische Sprachfamilie gliedert sich indes in drei Hauptzweige, die ihrerseits in weitere Subgruppen zerfallen: Ostlavisch, gegenwärtig vertreten durch Russisch, Ukrainisch, Weißrussisch u.a.; südslavisch (Bulgarisch, Serbokroatisch, Slovenisch u.a.) und westlavisch (Polnisch, Tschechisch, Sorbisch u.a.). 43 Unter „altkirchenslavisch“ resp. „altslavisch“ wird für gewöhnlich die älteste schriftlich fixierte Entwicklungsstufe der slavischen Sprachen verstanden, basierend auf der Schriftsprache des 9. und 10. Jh. wie sie sich zuerst auf dem Balkan, hauptsächlich auf bulgarischem Territorium, etablierte (daher die gelegentliche Bezeichnung „altbulgarisch“). Aus dieser Epoche sind jedoch nur einige wenige Handschriften auf uns gekommen. Von hier aus vollzog sich seit dem 11. Jh. die weitere Differenzierung des Altkirchenslavischen, die schließlich in der Herausbildung der Nationalsprachen resultierte. Hierfür steht auf Grund des engen Bezuges zur christlichen Kultur oft der Terminus „kirchenslavisch“, wobei gelegentlich die regionale Prägung mit angegeben wird („altrussisch“, „ukrainisch“, „mittelbulgarisch“). 44 Der Großteil der behandelten Apokalypsen ist daher der kirchenslavischen Überlieferung zuzurechnen, wobei einige wohl schon in altbulgarischer Zeit übersetzt wurden. Etliche Texte wurden bis in das 19. Jh. hinein kopiert, so dass das die nationalsprachliche Prägung entsprechend zunimmt. In der Bestimmung von Zugehörigkeiten sind allerdings immer wieder Eigeninteressen der nationalen Geschichtsschreibung und Slavistik in Rechnung zu stellen, die den Fluss von Werken und Motiven für die eigene Tradition zu verbuchen suchen. In Abgrenzung davon werden im Folgenden regionale Zuschreibungen nur auf faktischer Basis vorgenommen, soweit dies durch linguistische Argumente oder historische Bezüge zu belegen ist. 5. Aufbau des Buches Die eingangs beschriebenen Besonderheiten der kirchenslavischen Apokryphenüberlieferung - eine beträchtliche Fülle des handschriftlichen Materials, 43 Panzer, Sprachen; Rehder (Hg.), Einführung, 17-48 (Ur- und Altkirchenslavisch), 49-125 (ostslavische Sprachen), 230-245 (südslavische Sprachen). 44 Dogramadžiëva, Art. „Starobălgarski ezik“, 446-448; Böttrich, Weltweisheit, 62-63. Vorbemerkungen 34 die nur unzureichend katalogisiert und punktuell ediert ist - stellt ihr Studium insoweit vor Probleme rein technischer Natur, da es sich sozusagen um weit verstreute Mosaiksteine handelt, die bisher, zumindest was die Apokalypsen anbetriff, noch nicht zusammengetragen worden sind. Die im Folgenden gebotene Synopse mit einem Textanhang verfolgt daher das Ziel, die disparat liegenden Publikationen zusammenzuführen und eine Forschungsbilanz zu erstellen, die als Basis der weiteren Auseinandersetzung dienen soll. Bei alledem gilt es zu beachten, dass in den allermeisten Fällen nur ein Bruchteil der Manuskripte überhaupt erst erfasst worden ist. Verlässliche Textausgaben stellen in der Regel eine Ausnahme dar, und die Quellentexte sind teilweise nur mühsam aufzutreiben wie beispielsweise die kostbaren Studien von S.G.Vilinskij über die Vita des Basilius Novus, die heute eine hundert Jahre alte bibliographische Rarität sind. 45 Gleiches gilt für die Sekundärliteratur. Die Wirren der Russischen Revolution haben nicht nur zur Auflösung, Vernichtung, Neuordnung und Migration von erheblichen Hss.-Beständen geführt, sondern eine schmerzliche Zäsur der slavistischen Forschung herbeigezogen, sodass bezeichnenderweise ein bedeutender Ausschnitt der vielversprechend begonnenen Forschung um die vorletzte Jahrhundertwende heute ein apokryphes Dasein fristet und zum Teil in russischen Provinzialzeitschriften aus dem vorletzten Jahrhundert erschienen ist oder in wenig rezipierten sowjetischen Journalen fortgeführt wird. Wichtige Beiträge der letzten Jahrzehnte wiederum werden außerhalb enger Fachkreise wenig oder kaum wahrgenommen, da sie in Russisch, Serbisch oder Bulgarisch veröffentlicht werden und nicht ins Bewusstsein der westlichen Forscher gelangen. Diese Diskrepanz entspricht nicht der tatsächlichen Bedeutung der slavischen Apokryphen, die nahezu lückenlos die wichtigsten Etappen der Entwicklung der apokalyptischen Literatur dokumentieren und oft die einzigen Textzeugen verlorengegangener Apokalypsen bieten. Eine Zusammenstellung der kirchenslavischen Offenbarungsschriften wird daher nicht allein den Literaturtransfer aus dem christlichen Osten innerhalb des byzantinischen Reiches beleuchten, sondern gleichsam einen kulturellen Austauschprozess deutlich werden lassen, in welchem man eben nicht nur die materiale Kultur in der Form von Kopien von Apokalypsen übernahm, sondern ihr eigentümliches Empfinden, ihre Weltsicht und Weltdeutung verinnerlichte und im eigenen Kontext aneignete. Da die frühe slavische Literatur in nicht unerheblichem Maße aus Übersetzungen byzantinischer Werke bestand, 46 bestünde eine minimalistische Sichtweise darin, erst einmal ihren Beitrag in der Bewahrung älterer Traditionen und Textversionen zu erblicken. Sie ist aber natürlich nicht nur ein 45 Vilinskij, Žitie I (1913); Vilinskij, Žitie II (1911). 46 Podskalsky, Kiever Rus', 63-72; 246-271; Podskalsky, Literatur des Mittelalters, 144-152. Aufbau des Buches 35 „Back-up“, sondern auch ein „Update“ der byzantinischen Literatur, da die übernommenen Offenbarungsschriften den Bedürfnissen und Erwartungen ihrer Rezipienten entsprechend überarbeitet und aktualisiert wurden. Die damit einhergehenden Prozesse der Kontextualisierung können nicht nur an den Texten selbst, sondern an den sie umgebenden Kontextmanuskripten und den sie beheimatenden Überlieferungsmedien abgelesen werden. Die vorliegende Sammlung umfasst daher Beobachtungen zur Überlieferung, eine Quellensynopse und einen Textanhang. Im ersten Durchgang (Kap. II) werden zwei Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung präsentiert. (1) „Palaea“ ist ein Oberbegriff für die verschiedenen Typen von Volksbibeln, die in Byzanz und in der Slavia Orthodoxa kursierten und in ihrem Textcorpus auch apokalyptisches Material integrierten. (2) „Mose-Apokalypse“ ist eine irreführende Überschrift für die altslavische Adam-und-Eva- Literatur. Eine Durchsicht dieser Textraditionen macht jedoch die literarischen Prozesse deutlich, die für die apokryphen Literaturen von Byzanz und den orthodoxen Slaven prägend waren. Anschließend wird eine Synopse des apokalyptischen Quellenmaterials in kirchenslavischer Überlieferung geboten (Kap. III bis VIII). Es handelt sich um einen annotierten Index der Bibliotheca Slavica Apocalyptica, in welchem die teils weit zerstreuten Monographien und Texteditionen zusammengetragen und in einem ersten Durchgang ausgewertet werden. Die Quellenübersicht selbst ist nach einem chronologisch-stratigraphischen Modell aufgebaut und listet Schicht für Schicht die Ablagerungen in der kirchenslavischen Überlieferung auf. Es versteht sich von selbst, dass es nicht möglich ist, eine genaue Chronologie der behandelten Apokalypsen aufzustellen. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn es zumindest deutlich werden könnte, in welchem religiös-kulturellen Zusammenhang einzelne Texttraditionen ihren Ursprung genommen haben. Die endgültige Zuordnung jedoch, ob die fragliche Apokalypse nun „frühjüdisch“, „urchristlich“ oder „altkirchlich“ ist, geht weit über den eigentlichen Rahmen hinaus und wäre Gegenstand einer grundlegenden Debatte, die an dieser Stelle nicht zu leisten ist. Es wäre nur so viel gesagt: Die überlieferten Texte sind erst einmal, da in altslavischen Handschriften bezeugt, ein kulturelles Eigentum der Slavia Orthodoxa und ein integraler Bestandteil ihrer schriftlichen Kultur. Sie sind Zeugnisse ihres eschatologischen Kulturgedächtnisses und stellen in ihrer Gesamtheit eine diachrone Apokalypsenbibliothek dar, die es zu indizieren und zu beschreiben gilt. Da die slavischen „Apokryphen“ größtenteils aus der byzantinischen Kirche übernommen wurden, sind sie zugleich eine Sicherheitskopie der Bibliotheca Apocalyptica Byzantina - eine Art „Back-up“ der byzantinischen Textfassungen zum Zeitpunkt ihrer Übertragung. Dieser Doppelcharakter der altslavischen Apokalypsen als Übersetzungsliteratur aus dem byzantinischen Griechisch macht sie zu wertvollen Quellen für die byzantinische Men- Vorbemerkungen 36 talitätsgeschichte, indem sie belegen, welche Offenbarungsschriften zu welcher Zeit derart verbreitet oder einflussreich waren, dass altbulgarische und altrussische Übersetzer sich ihrer angenommen haben. Insoweit die byzantinische Apokalyptik ihrerseits ein Sammelbecken für altorientalische, urchristliche und frühjüdische Überlieferungen war, sind hinter jeder Offenbarungsschrift weitere Verästelungen zu vermuten, die nicht ohne weiteres im Einzelnen nachzuweisen sind. Mitunter kann diese mühsame Detailarbeit zu lohnenden Ergebnissen führen. 47 Man kann sich hierfür das Bild des Heidelberger Schlosses vor Augen führen, das nicht nach einem einheitlichen Masterplan errichtet wurde, sondern aus vielen Bauten besteht, die mehrere Generationen von Fürsten angelegt haben, und zugleich Spuren von Zerstörungen aufweist. Für die Anlage des Quellenkompendiums bedeuten diese Überlegungen, dass man bei den Einträgen zu den einzelnen Texten weniger von einer eng umgrenzten „Apokalypse“ reden kann, sondern von weit verzweigten Texttraditionen, die sich in frühjüdischer, urchristlicher oder altkirchlicher Zeit unter dem Namen eines Offenbarungsempfängers zu einer bestimmten Form „verdichtet“ haben, in der byzantinischen Überlieferung weitergegeben wurden und schließlich von slavischen Tradenten übernommen, kopiert und zur gegenwärtig erhaltenen Textgestalt umgeformt wurden. Man kann in diesem Zusammenhang zutreffend von einer kritischen „Gravitationsmasse“ sprechen - von der einenden Kraft der pseudepigraphen Zuschreibung, die eine apokalyptische Texttradition zusammenhält (Henochbuch, Baruch-Apokalypsen). Eine Sonderrolle nehmen diejenigen Offenbarungsschriften ein, die in der Regel nach der Expansion des Islam im byzantinischen Kulturkreis entstanden (Daniel-Apokalypsen) oder sich als Kompilationen oder Nachbildungen in einem kirchenslavischen Sprachmilieu herausbildeten (Jesaja-Apokalypsen). Vor diesem Hintergrund werden die kirchenslavischen Apokalypsen zwei großen Überlieferungsbereichen zugeordnet. Der erste umfasst diejenigen Offenbarungstraditionen, die sich schon in frühjüdischer, urchristlicher oder altkirchlicher Zeit um den Namen eines Offenbarungsempfängers zu einer festen Textgestalt gebündelt haben (Kap. III und IV). Ein gemeinsames Merkmal dieser Schriftengruppe ist der Typus der Himmelsreise, ihr thematisches Spektrum ist unter Umständen recht umfangreich und in Einzelfällen gar von enzyklopädischer Reichweite. Einen weiteren, eigenständigen Überlieferungsbereich ergeben die eigentümlichen Offenbarungsschriften des byzantinisch-slavischen Kulturraumes, die eine verstärkte Zuwendung zu Themen 47 Siehe die beispielhafte Monographie von Böttrich, Weltweisheit, dem es gelingt, frühjüdische, frühchristliche und byzantinisch-chronographische Erweiterungen im Text des slavischen Henochbuches zu identifizieren. Aufbau des Buches 37 der politischen Mystik und der postmortalen Seelenreise verraten (Kap. V bis VII). Innerhalb des frühjüdisch-christlichen Textgruppe folgt die Übersicht der biblischen Reihenfolge der pseudepigraphen Offenbarungsempfänger: Henoch-Abraham-Jakob-Söhne Jakobs (Patriarchentestamente). Die byzantinisch-slavischen Schriften wiederum, die eine genauere Datierung ermöglichen, werden innerhalb von Subgruppen (Daniel-Apokalypsen, Jesaja-Zyklus) stärker nach chronologischen Gesichtspunkten angeordnet. Der Transfer von Werken und Motiven aus nicht-byzantinischen Kontexten wird an Hand zweier Fallbeispiele aus dem iranischen und dem irischen Bereich beleuchtet (Kap. VIII), wobei hier dringend weitere Forschung erforderlich ist. Eine vorläufige Zwischenbilanz fasst die wesentlichen Beobachtungen der Quellensynopse zusammen. Eine chronologische Tabelle verdeutlicht die Chronologie der altslavischen Apokalyptik entlang der drei zeitlichen Prismen von Entsehung, Übersetzung und Überlieferung der behandelten Texte (Kap. IX). Im Anhang werden achtzehn Quellentexte abgedruckt, die zum Teil erstmalig in deutscher Übersetzung erscheinen (Kap. X). Es handelt sich um Arbeitsübersetzungen, die zu weiterer Arbeit an den Texten einladen. Vorbemerkungen 38 Abbildung 1: Übersicht zur Quellensynopse II. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung Angesichts der eingangs skizzierten Problematik - keine vollständige Erfassung und Katalogisierung der handschriftlichen Bestände, evolutiver Charakter der Überlieferung, recht wenige Druckeditionen und nur vereinzelt verlässliche Textausgaben - werden einleitend zwei Fallbeispiele erörtert, um das Innenleben der kirchenslavischen Apokryphen zu beleuchten. Im ersten Schritt wird die literarische Form der sog. Palaea umrissen - eine Art slavische „Historienbibel“, die sehr weit verbreitet war und zahlreiche Gattungen und Textsorten in ihr Corpus integrierte. Die verschiedenen Palaea-Formen sind deswegen von hoher Bedeutung, da sie reichhaltiges Apokryphenmaterial, darunter eine Reihe frühjüdischer Pseudepigraphen mit tradieren. Ihr Zeugnis in Bezug auf die frühe Apokalyptik ist deswegen besonders wertvoll, da bestimmte Texte ausschließlich dank der Palaea erhalten wurden (Abraham- Apokalypse, Leiter Jakobs). Für andere Überlieferungsstränge liefert sie wiederum wichtiges Vergleichsmaterial (Patriarchen-Testamente). Da das Alte Testament in der kirchenslavischen Literatur aus verschiedenen Gründen nur selten in vollständigem Umfang vorlag, wertet die Palaea die tradierten frühjüdischen Apokalypsen erheblich auf, indem sie sie „auf gleicher Augenhöhe“ mit den kanonischen Texten liest und ihnen gewissermaßen gleichstellt. Das zweite Fallbeispiel betrifft die ausufernde Adam-und-Eva-Literatur, die ausgiebig im altslavischen Schrifttum rezipiert wurde. Es handelt sich zwar um keine „Apokalypse“ im herkömmlichen Sinne, obwohl die griechischen Texte als „Offenbarung des Mose“ betitelt werden. Die Vielfalt an Themen, Motiven und literarischen Techniken im Umgang mit den Texten sind indes sehr aussagekräftig und lassen sich durchaus auf die Überlieferung von Apokalypsen übertragen, die im Zuge ihrer Weitergabe allen nur möglichen Formen von Wandlung, Überarbeitung und Anpassung ausgesetzt waren. 1. Die slavische Palaea Zur kirchenslavischen Bibeltradition Die heutzutage gängige Vorstellung, jeder Christ müsse eine Bibel in verständlicher Sprache besitzen und darin nach eigenem Ermessen lesen und interpretieren können, ist historisch gesehen ein vergleichsweise neues Phänomen, das auf ein Bündel von Ursachen zurückgeht. Erwähnt seien darunter die Erfindung des Buchdruckes, der Bildungsanspruch des Bürgertums, schließlich aber die seit der Reformation etablierte Hochachtung gegenüber der Bibel („sola scriptura“) und die zahlreichen volkssprachlichen Übersetzungen, die seitdem entstanden sind und immer wieder neu angefertigt werden. Im europäischen Mittelalter aber war die Bibel ein knappes Gut, und ihre Geschichten kursierten in mitunter phantastischer Ausschmückung wie in der berühmten „Legenda aurea“ des Dominikanermönches und späteren Bischofs von Genua Jakob de Voragine (†1298). 1 Während die byzantinische Kirche nahtlos eine reichhaltige Texttradition des biblischen Kanons von der Alten Kirche übernahm, verhielt es sich mit der kirchenslavischen Bibel anders. Zunächst einmal begegnet hier das bekannte Quellenproblem, gepaart mit einer bruchstückhaften Katalogisierung. Die im Jahre 1911 von I.E. Evseev im Rahmen des sog. Septuaginta-Unterfangens vervollständigte Auflistung der altslavischen Handschriften des Alten Testamentes wurde zu seinen Lebzeiten nicht gedruckt und ging in den Wirren der Russischen Revolution spurlos verloren. 2 Ein Großteil der von ihm aufgefundenen über 4.000 Manuskripte (etwa 90% davon) entfällt allerdings auf Abschriften des Psalters. Was den neutestamentlichen Kanon anbetrifft, ist eine doppelt so hohe Zahl von Abschriften anzunehmen, von denen nur ein Bruchteil erfasst worden ist. 3 Die Spuren der ersten, altbulgarischen Bibelübersetzung im 9. Jh. verlieren sich im Dunkel. Als gesichert gelten kann eine Übertragung der wichtigsten liturgischen Lesevorlagen (Evangeliar, Apostolos und Psalter) durch den Erfinder der glagolitischen Schrift, Konstantin-Kyrill (†869), und seinen Bruder Method (†885) für ihre Kirchenmission in Böhmen und Großmähren. 4 Die hagiographische Notiz, Method habe nach dem Tode Konstantins „alle Bücher bis auf die Makkabäer aus dem Griechischen ins Slavische“ übertragen, weist 1 Le Goff, Temps sacré (2011), engl. Le Goff, Sacred Time (2014). 2 Erhalten davon ist nur eine Rohfassung aus dem persönlichen Archiv des Forschers - Alekseev, Tekstologija, 132. 3 Ibid. 4 Ibid., S. 145-153. Die slavische Palaea 41 allerdings Widersprüche auf; womöglich hat Method nur einen Band einer mehrteiligen Bibelhandschrift übersetzt. 5 Entgegen diesen legendarischen Nachrichten war die kirchenslavische Bibelübersetzung wohl kaum einem einmaligen Kulturakt zu verdanken, sondern vollzog sich vielmehr als kumulativer Prozess, der vergleichsweise erst spät zum Abschluss gelangte. Als der Novgoroder Bischof Gennadij sich Ende des 15. Jh. anschickte, eine vollständige Bibelausgabe zusammenzutragen, stellte sich heraus, dass eine ganze Reihe biblischer Bücher fehlte, sodass er sie kurzerhand aus dem Lateinischen übertragen lassen musste. 6 Das Ergebnis war ein eklektisches: Da auch Texte der Vulgata, zu deren Übersetzung Gennadij in- und ausländische Gelehrte anwerben ließ, genutzt wurden, entstand mit der ersten orthodoxen Bibel eine eigenartige Mischung aus griechischer Septuaginta, auf die sich die orthodoxe Kirche beruft, und lateinischer Vulgata und zwar, sowohl im Hinblick auf die Anordnung einzelner Kapitel, als auch, übersetzungsbedingt, auf ihren Inhalt. 7 Die erste gedruckte Bibelausgabe wiederum erschien, durch zähe Widerstände gegen die suspekte Neuerung verzögert, erst ein gutes Jahrhundert nach der Erfindung Gutenbergs in der Gestalt der sog. Ostroger Bibel (1580/ 81). 8 Diese flüchtigen Anmerkungen erscheinen umso aufschlussreicher, wenn man sie auf die westeuropäische Tradition bezieht, die im Zeitalter von Renaissance, Humanismus und Reformation eine verstärkte Zuwendung zu den Urtexten durchlebte, das gedruckte Buch massiv vorantrieb und eine Reihe volksprachlicher Bibelübersetzungen hervorbrachte. Sonderformen biblischer Rezeption im kirchenslavischen Schrifttum Die Slavia Orthodoxa ging in der Rezeption der Bibel eigene Wege, derer einer unter dem Oberbegriff Palaea (gr. παλαιὰ διαθήκη, sl. paleá) bekannt ist. 9 Damit ist eine spezifische Form kompilativer Werke gemeint, die alttestamentliche Geschichten für ein breites Publikum nach kompendienartiger Manier zusammenfassen und dem Empfinden mittelalterlicher Leser entsprechend mit apokryphen Ausschmückungen angereichert nacherzählen. 10 Die 5 Ibid., S. 153-159, insb. S. 153-154. 6 Es handelt sich um die Bücher 1-2 Chr, 1-3 Esra, Neh, Tob, Jdt, Est 10-16, Weish, Jer 1- 25, 46-51, 1-2 Makk - Alekseev, Tekstologija, 197 7 Trueb, Buchdruck, 92. 8 Alekseev, Tekstologija, 204-216. 9 Bibliographie bei Orlov, Selected Studies, 299-306; Slavova, Paleja, 349-379; Potthast (Hg.), Repertorium VIII, 452-456. 10 Übersicht zur Palaea-Literatur bei Böttrich, Palaea/ Paleja, 304-313. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 42 einbezogenen Quellen werden indes nicht lose nebeneinander gestellt, sondern in einen übergreifenden Erzählbogen eingebunden, der je nach Fassung unter Zuhilfenahme populärer Chroniken bis in die historische Gegenwart des Verfassers (10. Jh.) fortgesetzt wird. Die in ihrem Corpus situierten Apokalypsen und weiteren nicht-kanonischen Schriften erhalten damit einen besonderen Stellenwert: Sie werden nicht bloß der nacherzählten Bibel angefügt, sondern bilden mit ihr als legitime Interpretationen ein organisches Ganzes. Es lassen sich zwei Haupttypen unterscheiden - Palaea Historica („Istoričeskaja Paleja“) und Palaea Interpretata („Tolkovaja Paleja“), die in verschiedenem Umfang apokryphe Erzählstoffe integrieren. Der historische Typus ist ein Übersetzungsdokument aus dem byzantinischen Griechisch, das eine eher „nüchterne“ Wiedergabe des biblischen Textes in komprimierter Form bietet. Die deutenden Versionen umfassen hingegen verschiedene, erst auf slavischem Boden abgefasste Kompilationen, die auf eine Vielzahl verschiedener Quellen zurückgreifen. Palaea Historica Der erste Typus, die sog. Palaea Historica, lässt sich als eine Art biblischer Reader’s Digest für den mittelalterlichen Leser umschreiben und zeichnet sich durch seinen „linearen“ Charakter aus. Biblische Episoden und apokryphe Ergänzungen treten gleichberechtigt nebeneinander auf. Der Erzählton ist resümierend-lakonisch, apologetisch-polemische Interessen sind nicht erkennbar. Der byzantinische Prototyp, der sich wohl erst im 9. Jh. zu seiner gegenwärtigen Gestalt herausgebildet hat, ist nicht hinreichend erforscht worden. 11 Die slavische Übertragung mit der Überschrift „Buch von der Entstehung von Himmel und Erde“ korrespondiert zwar mit den bekannten griechischen Texten, die Frage nach ihrer Vorlage bleibt nichtsdestotrotz offen. 12 Die erhaltenen Handschriften stammen jedenfalls aus späterer Zeit (15.-17. Jh.). Einen Sonderzweig stellt die rumänische Tradition dar, die bisher weitgehend unbeachtet geblieben ist. 13 Der handschriftliche Befund wurde zu seiner Zeit unterschiedlich gedeutet. Der Herausgeber der bislang einzigen kirchenslavischen Textedition A.N. Popov vermutete eine Übersetzung auf bulgarischem Gebiet im 12. Jh. 14 M.N. Speranskij, der der Palaea Historica eine eigene Studie widmete, erweiterte diese Hypothese um die Annahme, die südslavische Urübersetzung sei nach 11 Einzige Ausgabe bleibt Vasiliev, Anecdota, 160, 188-292 (a.d.J.1893); Übersetzung ins Englische durch Adler, Palaea Historica, 585-672 (erschienen 2013). 12 Popov, Kniga bytija (1881). 13 Den Literaturhinweis hierzu verdanke ich Prof. Christfried Böttrich: Moraru & Moraru, Palia Istorica (2001). 14 Popov, Kniga bytija, XXXII. Die slavische Palaea 43 Russland gewandert, im Süden jedoch verloren gegangen und im 14. bzw. 15. Jh. wieder auf den Balkan zurückgelangt. In seinem Modell schloss er zwei weitere, südslavische Übersetzungen ein, die unabhängig voneinander aus verschiedenen griechischen Vorlagen herzuleiten seien, sodass es zum Nebeneinander dreier für das 16. Jh. bezeugter Übersetzungen gekommen sei. 15 Speranskijs Folgerungen wurden in der Folgezeit von E. Turdeanu bestritten, der die lexikalischen Merkmale der südslavischen Handschriften nicht auf drei parallele Übersetzungen, sondern auf eine einzige, ebenfalls im 12. Jh. anzusiedelnde und auf mazedonischem Gebiet zu lokalisierende Übertragung zurückführte, die sich in der Folge in drei Redaktionen aufgespalten habe. 16 Im Jahre 1969 meldete T.A. Sumnikova den Fund von zehn weiteren russischen Hss. der Istoričeskaja Paleja aus dem Zeitraum vom 15. bis 17. Jh. und erweiterte damit die handschriftliche Basis auf nunmehr dreizehn Kopien; 17 hinzuzuzählen sind im Übrigen die von M.N. Speranskij untersuchten sechs südslavischen Textzeugen. In einem Punkt musste sie allerdings den vorausgegangenen Datierungsansatz revidieren, da die hierfür schon von A.N. Popov als Anhaltspunkt herangezogene Abschrift des berühmten Bologna-Psalters nicht ins 12., sondern mit ziemlicher Sicherheit ins 13. Jh. und zwar, in die Regierungszeit des bulgarischen Königs Ivan Asen II. (1218-1241) zu datieren ist. 18 Der lexikalische Bestand der slavischen Palaea Historica wurde erst neuerdings einer genaueren Analyse unterzogen. 19 Demnach wäre die Übersetzung der byzantinischen Palaea aus linguistischen Gründen schon in der zweiten Hälfte des 10. Jh. bzw. am Anfang des 11. Jh. auf westbulgarischem Territorium anzusetzen. Sehr zweifelhaft erscheint allerdings die hergestellte Verbindung der Palaea Historica zur Bewegung der Bogomilen, 20 die von der älteren Slavistik des Öfteren als Urheber apokrypher Werke bemüht worden waren - eine These, die gegenwärtig nicht mehr haltbar ist. 21 Obwohl eine frühe Adaptation der byzantinischen Palaea nicht unwahrscheinlich erscheint, bleibt fraglich, ob die widrigen historischen Umstände 15 Speranskij, Jugoslavjanskie teksty, 104-147, insb. S. 109-123; 141-142. 16 Turdeanu, Palaea byzantine, 195-206, insb. S. 196-201 (repr. in Turdeanu, Apocryphes slaves (1981), 392-403). 17 Sumnikova, K probleme perevoda, 27-39; Hss.-Liste auf S. 31-32. 18 Ibid., S. 31-32. 19 Stankov, Chrarakteristika, 39-55; Stankov, Istoričeskaja paleja, 55-63; Stankov, Lokalizacija, 83-91; Stankov, Leksika. 20 Problematisch sind die Rückführung des Mythos vom Fall Satanaels auf eine „Doktrin“ der Bogomilen sowie die angebliche Verbindung zum sog. Liber Ioannis (um 1170) - Stankov, Istoričeskaja paleja, 56-57. 21 Eine grundsätzliche Abrechnung mit dieser These der älteren Slavistik lieferte Turdeanu, Apocryphes bogomiles, 22-52; 176-218 (repr. in Turdeanu, Apocryphes slaves, 1-74). Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 44 günstig für einen derart bedeutenden literarischen Akt erscheinen. Die Raubzüge des russischen Fürsten Svjatoslav in den Jahren 968-971 verwüsteten die bulgarischen Gebiete zwischen Donau und Balkan, und im Jahre 972 wurde die bulgarische Hauptstadt Preslav von Kaiser Johannes I. (969-976) eingenommen. 22 Über das Schicksal der Hofbibliothek ist nichts bekannt; sie gelangte möglicherweise nach Kiev - entweder als russische Kriegstrophäe von Fürst Svjatoslav 23 oder als byzantinisches Hochzeitsgeschenk an Fürst Vladimir (980-1015). 24 Recht wahrscheinlich ging sie spätestens bei der Eroberung von Kiev durch die Tataren im Jahre 1240 endgültig verloren. 25 Auch die Kriegswirren im Südwesten des Balkan bis hin zur Unterwerfung der letzten bulgarischen Herrscher durch Kaiser Basilios I. (976-1025) im Jahre 1018 boten weniger günstige Voraussetzungen für einen Literaturtransfer im Sinne von Stankovs Hypothese. 26 Die Bezüge der Palaea Historica zur frühjüdischen Pseudepigraphie und zur christlichen Legendenbildung sind bislang kaum studiert worden. 27 In diesem Stadium zeichnen sich Berührungen zur apokryphen Abraham-Literatur und zum Jubiläenbuch sowie zu Joseph Flavius’ „De bello iudaico“. 28 Der anonyme Kompilator hat neben geläufigen Erzählungen wie von Lucifers Fall am vierten Tag der Schöpfung und von den Säulen des Seth auch unbekannte Apokryphen über Mose aufgenommen. 29 Signifikant erscheint der Umstand, dass an mindestens zwei Stellen von syrischen Quellen Gebrauch wird. 30 All das erfordert eine Klärung, und der Bedarf weiterer Forschung auf diesem brach liegenden Feld ist offensichtlich. Palaea Interpretata Die Palaea Interpretata ist ein vor allem im Westen zu Unrecht vernachlässigtes kompilatives Werk der frühen slavischen Übersetzungsliteratur, das viel älteres Material, teilweise aus frühjüdischer Zeit, einschließt. Der Text liest sich wie eine mittelalterliche Enzyklopädie und stellt einen Querschnitt durch den Wissensbestand des mittelalterlichen Lesers dar. 31 Die Komposition weist 22 Abriss der Ereignisse bei Runciman, History, 184-216. 23 Kuev, Sădbata, 14-15. 24 Sobolevskij, Materialy, 136. 25 Alekseev, Tekstologija, 133. 26 Abriss bei Runciman, History, 217-252. 27 Eine Ausnahme ist die Studie von Flusser, Palaea Historica, 48-79. Neuerdings wurde der Text ins Englische übersetzt und mit einer Einführung versehen: Adler, Palaea Historica, 585-672. 28 Flusser, Palaea Historica, 50-53; 58-60. 29 Ibid., S. 72-73. 30 Ibid., S. 68-69. 31 Slavova, Paleja, 37; siehe ferner die Aufsatzsammlung unter der Redaktion von Užankov, Paleja Tolkovaja (a.d.J. 2014). Die slavische Palaea 45 eine vielfach verschränkte innere Struktur auf. Die biblische Textvorlage, die in etwa die Hälfte des Textvolumens ausmacht, 32 liefert eine Ausgangsbasis für komplexe Verknüpfungen verschiedener kommunikativer Ebenen, die aus eigenen Quellen herrühren. Kommunikationsebene Quellen Vermittlung und Erläuterung des biblischen Textes Jüdische Pseudepigraphen: ApcAbr, TestAbr, ClimIac, TestPatr. Apologie Polemische, „antijüdische“ Verfasserkommentare. Typologische Exegese Patristische Zitate und Auszüge: Pentateuch- Kommentar des Theodoretus von Kyrrhus (†460), Paraenesis des Ephraem Syrus (†373) u.a. 33 Naturkunde Physiologus, Hexamaeron des Johannes Exarchos (Ende des 9.-Anfang des 10. Jh.), Erotapokriseis des Pseudo-Kaisarios (Abfassung um 550), „Christliche Topographie“ des Kosmas Indikopleustes (6. Jh.). 34 Liturgisches Kalenderwissen Byzantinische Ostertafeln 35 Chronologie und Historiographie Byzantinische Chroniken in slavischer Bearbeitung 36 Tabelle 1: Palaea Interpretata Die Textsituation gestaltet sich allerdings als schwierig. Bis vor kurzem gab es nebst Auszügen 37 nur eine einzige Textausgabe aus dem Ende des 19. Jh., 38 eine Edition neueren Datums weist beträchtliche methodologische Mängel 32 Ibid., S. 41. 33 Ibid., S. 211-22; 242-245. 34 Ibid., S. 269-177; 189-211; 245-250. 35 Hier wären aus Sicht von Slavova Spuren des glagolitischen Alphabets erkennbar, was sie als Beleg für eine altbulgarische Herkunft deutet ibid., S. 195-211. 36 Es geht vor allem um die Chroniken von Johannes Malalas, Georgios Hamartolos und Georgios Synkellos, die dem Verfasser der Palaea wohl schon in slavischer Bearbeitung vogelegen haben (ibid., S. 222-239). 37 Tichonravov, Pamjatniki I, 91-232; 259-272. 38 Trud učenikov Tichonravova, Paleja 1406 (a.d.J.1892-1896). Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 46 auf. 39 Der handschriftliche Bestand, der mittlerweile über dreißig Kopien russischer Provenienz aus der Zeit vom 14. bis 18. Jh. sowie fünfundzwanzig Fragmente zählt, 40 harrt indes noch immer seiner Erschließung. Die Diskussion über die historische Einordnung der Palaea Interpretata begann schon im ausgehenden 19. Jh. Zur Disposition standen die Fragen nach byzantinischen Vorbildern und nach der kirchenslavischen Urheberschaft. Strittig war, in welcher Fassung die frühesten Texte vorlagen und wie sich die einzelnen Redaktionen herausgebildet haben. Eine Übernahme aus der byzantinischen Literatur schied jedenfalls früh aus; 41 erste Hypothesen zugunsten einer altbulgarischen Abfassung setzten sich allerdings nicht durch. 42 Man nahm hingegen an, die Palaea sei ein im 13. Jh. in Russland entstandenes Werk mit antijüdischer Ausrichtung. 43 Hierfür bediente man sich gelegentlich eines Zirkelschlusses: Aus den polemischen Partien der Palaea schloss man auf vermeintliche jüdische Gegner (insbesondere auf die sog. Judaisierenden), die man habe „bekämpfen“ wollen, um von der angeblichen Auseinandersetzung mit ihnen wiederum die Entstehung der Palaea selbst abzuleiten. Mitunter postulierte man eine generell antijüdische Tendenz der altrussischen Literatur. 44 Die Debatte ist noch immer nicht abgeschlossen. Gegenwärtig stehen sich zwei Erklärungsmodelle gegenüber: (1) Südslavische Hypothese - Frühdatierung ins 10. Jh. im Zusammenhang der literarischen Tätigkeit im Ersten Bulgarischen Reich und (2) Ostlavische Hypothese - späte Abfassung im 14. Jh. in Russland. 45 Damit hängt wiederum die Frage zusammen, wann und unter welchen historischen Bedingungen die apokryphen Texte übersetzt wurden, die im Corpus der Palaea eingeschlossen wurden. Hierher zählen mehrere Offenbarungsschriften, darunter die Abraham-Apokalypse, das Testament Abrahams, die Leiter Jakobs und die eschatologisch geprägten Abschnitte der Patriarchen-Testamente. 46 Hierzu sei nur angemerkt, dass selbst eine spätere 39 Kamčatnov (red.), Paleja Tolkovaja (a.d.J.2002). Die Resonanz blieb allerdings eher verhalten: „ … der Leser … ist … dem Dafürhalten des Herausgebers blind ausgeliefert“; die Edition sei „nur bedingt brauchbar“ (Trunte, Besprechung, 440-445). 40 Mss.-Liste bei Slavova, Paleja, 27-37. 41 Vertreten von Uspenskij, Tolkovaja paleja (1876). 42 Šachmatov, Tolkovaja Paleja, 14-20; 73-74. 43 Deržavina, Art. „Palejá“, 552; Bulanin, Art. „Palejá“, 265. 44 Eine These, die gelegentlich bis heute vertreten wird; cf. Kožinov, Kniga bytija, 6-7. Zur Debatte darüber siehe Santos Otero, Tolkovaja Paleja, 109 und Mil'kov, Značenie, 108- 113, ins. S. 109. 45 Zur frühbulgarischen These siehe Slavova, Paleja (Thesen auf S. 9-12, Schlussfolgerungen auf S. 335-348, Resümee in Englisch auf S. 386-388). Zugunsten der späteren russischen Provenienz der Palaea (nicht vor dem Ende des 13. Jh.) argumentiert Vodolazkin, Rohfassung, 453-470, insb. S. 469-470. 46 Textologische Anmerkungen hierzu bei Santos Otero, Tolkovaja Paleja, 110-118. Die slavische Palaea 47 Kompilation der Palaea in Russland eine frühere Übersetzung dieser Apokalypsen im altbulgarischen Kontext nicht ausschließen würde. Palaea Chronographica Eine Abwandlung des deutenden Palaea-Typus stellt die sog. Palaea Chronographica dar, die ihrerseits in eine umfangreiche, „volle“, und eine komprimierte, „kurze“ Redaktion zerfällt. In beiden Fällen wurde die Tolkovaja Paleja in verschiedenem Umfang um byzantinische Chroniken erweitert. 47 Die Wahl beruhte auf einer gewissen Verwandtschaft, denn die Chroniken folgten gleichermaßen dem Muster einer weltgeschichtlichen Darstellung a creatione mundi. Ihre Autoren verknüpften zu diesem Zweck biblische Erzählungen mit antiker, römischer und byzantinischer Geschichte unter breitem Einschluss unterschiedlicher Mythen, Legenden und Anekdoten. 48 Auch die slavischen Pendants der byzantinischen Chroniken, die sog. Chronographen, folgten diesem integrativen Geschichtsmodell. 49 In der chronographischen Palaea wurde die heilsgeschichtliche Matrix der Tolkovaja Paleja um Narrative der antiken, römischen und byzantinischen Geschichtsschreibung ergänzt und bis in die Mitte des 10. Jh. fortgeführt. Diese neue, „historiographische“ Dimension entspricht sich in den beiden Redaktionen der Chronografičeskaja Paleja weitgehend. Die erweiterte chronographische Fassung beinhaltet umfangreiches apokryphes Material, die kurze Bearbeitung lässt die entsprechenden exegetischen Anmerkungen und polemischen Kommentare aus. 50 Lange Fassung Kurze Fassung Bearbeitung der Palaea Interpretata Erweiterungen: Apokryphen über Lamech, Melchisedek, Mose u.a. Straffungen und Kürzungen: Auslassung von typologischer Exegese und polemisch gefärbter Apologetik Historiographischer Teil Gemeinsames Gut: Chroniken des Johannes Malalas, Georgios Hamartolos, Alexanderroman des Pseudo-Kalisthenes u.a. Tabelle 2: Palaea Chronographica 47 Böttrich, Palaea/ Paleja, 311-313. 48 Zur Rezeption der byzantinischen Chroniken in Russland siehe Podskalsky, Kiever Rus', 202-232; zur Rezeption unter den Südslaven cf. Podskalsky, Literatur des Mittelalters, 471-494. 49 Zum gesamten Komplex siehe die Standardwerke von Tvorogov, Drevnerusskie chronografy und Vodolazkin, Istorija. 50 Tvorogov, Art. „Paleja Chronografičeskaja“, 161. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 48 Auch dieser Palaea-Typus wirft zahlreiche Fragen auf. Zum einen betreffen sie die Bestimmung des Verhältnisses der deutenden und der chronographischen Palaea zueinander. Zum anderen ist klärungsbedürftig, in welcher Verbindung die kurze und die lange Redaktion der letzteren zueinander stehen. Bereits vor hundert Jahren wurde diese akademische Debatte ungewöhnlich leidenschaftlich ausgefochten und mündete in einem Gelehrtenstreit zwischen zwei russischen Slavisten, welcher zeitweise skurrile Züge einnahm. Auf der einen Seite stand V.M. Istrin, von dem im Folgenden häufiger die Rede sein wird. Für ihn war die Tolkovaja Paleja das frühere Dokument, die Chronographische hielt er für sekundär. In seinen Überlegungen knüpfte er an die vorausgegangene Klassifikation von N.S. Tichonravov an und hielt in seinem Gefolge die in der Kolomnaer Palaea (1406) enthaltene Textfassung für einen Repräsentanten der frühesten Entwicklungsstufe. Daraus seien dann beide chronographische Redaktionen entstanden. 51 Für seinen akademischen Opponenten K.K. Istomin standen die Dinge anders. Er sprach der Chronographischen Palaea die Priorität zu, und leitete davon den Deutetypus ab. Hierzu meinte einen Urtext rekonstruiert zu haben, aus welchem zwei Gruppen von Abschriften der Palaea Chronographica hervorgegangen seien. Aus der zweiten Gruppe habe sich dann der sog. zweite Protograph abgesondert, der die unmittelbare Vorlage für die kurze chronographische Redaktion darstelle und über eine Zwischenstufe in die Vorlage für die sog. Kolomnaer Palaea (1406) gemündet habe. 52 In der Folge wurde sein Stemma verworfen, und im Einklang mit Istrins Theorie wurde die Abfassung der Tolkovaja Paleja durchgehend in das 13. Jh. datiert und auf russischem Boden verortet. 53 Für die davon abzuleitende Chronographische Palaea tendierte man zu einem späteren Datum (15. Jh.). Diese Theorie wurde neuerdings durch die Arbeiten von E.V. Vodolazkin weiter ausgebaut und vervollständigt. 54 Zusammengefasst enthält sein Entstehungsmodell folgende Gesichtspunkte - Abfassung der Tolkovaja Paleja „nicht vor dem Ende des 13. Jh. in der Rus‘“. in der Folgezeit wurden mehrere Versuche unternommen, sie zu erweitern. ein erster Versuch, die Kompilation fortzusetzen, ist die sog. Salomo-Prophezeiung („Proročestvo Salomona“) vermutlich aus dem 13. Jh. 51 Istrin, Zamečanija (zwischen 1897-1898) und Istrin, Redakcii (1905-1906 und 1908 erschienen). 52 Istomin, K voprosu (mit Unterbrechungen in den Jahren 1905-1906, 1908 und 1913 erschienen). 53 Michajlov, Entstehungsgeschichte, 115-131, insb. S. 124; Goldblatt, Art. „Paleyá“, 328. 54 Zusammenfassung seiner Argumentation in Vodolazkin, Rohfassung, 453-470. Die slavische Palaea 49 die sog. Barsov-Handschrift (Ende des 14.-Anfang des 15. Jh.) repräsentiert eine „Rohfassung“ der langen Redaktion der Chronographischen Palaea, die in die ersten Jahrzehnte des 15. Jh. zu datieren ist. im ersten Drittel des 15. Jh. entstand die kurze Redaktion der Chronographischen Palaea auf der Basis der Palaea Interpretata und eines russichen Chronographen (dem sog. „Chronograf po velikomu izloženiju“). die Schöpfer der Chronographischen Palaea sind in der sog. Novgorod- Schule zu vermuten. Weitergehende Schlussfolgerungen wären allerdings erst einer Textedition der Palaea Chronographica zu entnehmen. Eines der Manuskripte der vollen Redaktion wurde im Jahre 1893 gedruckt, 55 derzeit liegt nur eine Ausgabe der kurzen Redaktion aus den Jahren 2006-2010 vor. 56 Die Palaea-Literatur als Tradierungsfolie von Offenbarungsschriften Zunächst einmal begegnen uns auch auf diesem Feld ungelöste Quellenfragen und ein Mangel an Texteditionen. Aus dem bekannten Material wird jedoch deutlich, dass die Palaea-Literatur ein bedeutendes, sehr beliebtes Pendant zur kirchenslavischen Bibelübersetzung darstellte. Sie dokumentiert zum einen, welche Apokryphen aus der byzantinischen Literatur für so wichtig erachtet wurden, dass sie übernommen und weiter bearbeitet wurden; ferner, dass diese im Grunde gleichberechtigt neben den kanonischen Büchern standen und die Rezeption der biblischen Geschichten entscheidend prägten. Die Palaea-Kompilationen enthält zudem eine Reihe frühjüdischer und altchristlicher Offenbarungsschriften, die zum Teil nur daraus bekannt sind wie die sog. Leiter Jakobs. Die Abraham-Apokalypse ist bis auf eine einzige Ausnahme (den sog. Sylvester-Codex) ebenso nur in Palaea-Abschriften erhalten (die lange Fassung der Apokalypse in der Chronographischen, die kurze in der Deutenden Palaea). Das Testament Abrahams wird in der Palaea Chronographica überliefert, die Patriarchen-Testamente auch in der Interpretierenden (hier allerdings nur in einer gekürzten Fassung und in einer anderen Reihenfolge). 57 Die aufgezählten Apokalypsen wurden also nicht separat, sondern in einem ganz spezifischen Kontext tradiert - zusammen mit patristischen Werken, byzantinischen Chroniken, russischen Chronographen und Kalenderbüchern. Sie standen nicht für sich, sondern auf gleicher Ebene mit den 55 -, Paleja 1477 goda 56 Vodolazkin, Paleja I; Vodolazkin, Paleja II; Vodolazkin, Paleja III (die Hinweise hierauf verdanke ich Prof. Chr. Böttrich). 57 Vodolazkin, Rohfassung, 456-457. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 50 biblischen Texten, als deren legitime Wiedergabe sie galten. Eine wohl singuläre Besonderheit stellten die eingeflochtenen antijüdischen Passagen dar, die sich wohl nicht an reelle Gegner richteten, sondern rein apologetischen Zwecken gewidmet waren. 58 Damit ist in der Tat eine paradoxe argumentative Wendung gegeben, wenn frühjüdische Apokalypsen mit typologischen Glossen kommentiert und zur antijüdischen Polemik verwendet werden. In der Wahrnehmung der russischen Leser waren also weder die Abraham-Apokalypse noch die Leiter Jakobs Zeugnisse der frühjüdischen oder altchristlichen Literatur, sondern eine Illustration der hermeneutischen Chiffre, das Alte Testament würde das Neue vorwegnehmen und symbolisch abbilden. 58 Ibid., S. 455. 2. Mose-Apokalypse oder Vita Adae et Evae? Ein hervorragendes Beispiel für den relativen Charakter von narrativen Textstrukturen im byzantinisch-slavischen Kulturkreis ist die sog. Adamund-Eva-Literatur - ein Oberbegriff für einen umfangreichen Literaturkomplex, in welchem ein breites Spektrum an Umgangsformen mit vorliegenden Texttraditionen zum Tragen kommt. 1 Eine Orientierungshilfe hierzu bietet die Unterteilung der Traditionszweige in „primäre“ und „sekundäre“ Adamund-Eva-Schriften. Zur ersten Gruppe gehört eine in sich geschlossene Erzählung, die in Griechisch, Lateinisch, Georgisch, Armenisch und Kirchenslavisch auf uns gekommen ist. Die zweite Gruppe setzt sich zusammen aus einer Reihe von Texten, die weitere Erzählstoffe über die Protoplasten einschließen wie die syrische Schatzhöhle, das Testament Adams, der Kampf Adams und Evas mit dem Satan u.a. 2 Ein flüchtiger Blick auf diese Literatur würde die Bandbreite an literarischen Techniken erhellen, derer sich die kirchenslavischen Kopisten - auch was Apokalypsen anbelangt - in ihrer Praxis bedienten. Griechische Tradition und Verwandtes Ein hervorstechendes Merkmal der griechischen Überlieferung ist die Überschrift, die die Nacherzählung vom Leben der Ureltern nach dem Auszug aus dem Paradies als eine an Mose ergangene Offenbarung ausgibt: Ἀ  . 3 Dies wirkt auf den ersten Blick befremdlich, denn es handelt sich keinesfalls um eine Offenbarungsschrift im herkömmlichen Sinne dieses Wortes. Die Superscriptio weist zwar eine kurze Notiz auf mit dem Inhalt: Erzählung vom Wandel Adams und Evas, der Erstgeschaffenen, die Gott seinem Diener Mose enthüllte, als dieser die Gesetzestafeln aus seiner Hand empfing und vom Erzengel Michael unterwiesen wurde. In der Erzählung selbst wird Mose allerdings nirgendwo erwähnt noch ist im weiteren Ereignisverlauf von einer Enthüllung an ihn die Rede. Näher besehen ist die Betitelung allerdings ein aufschlussreiches Indiz zum Verständnis der Adam-und-Eva-Erzählung, die gerade in ihrer griechischen Fassung als 1 Bibliographie bei DiTommaso, Bibliography, 163-196; Lehnhardt, Bibliographie, 227- 232. 2 Knittel, Leben Adams und Evas, 9-30; Stone, Literature of Adam and Eve, 3-5; 84-123; Denis, Introduction, 3-14. 3 Die Überschrift wurde in der Erstausgabe der griechischen Texte im Jahre 1866 übernommen (Tischendorf, Apocalypsis Mosis, X-XII, 1-23) und in der Folge uneinheitlich beibehalten. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 52 eine legitime Fortführung der in den Fünf Büchern Mose dargelegten Begebenheiten wahrgenommen wurde. 4 In diesem Zusammenhang wäre es gerechtfertigt, die Schrift gemäß dem Verständnis ihrer Rezipienten als „Apokalypse des Moses“ (ApcMos) zu betrachten. 5 Die Bezeichnung „Leben Adams und Evas“ (VAE gr) hat wiederum in den tradierten Inhalten ihre Begründung. Das Narrativ selbst hat einen verwobenen Aufbau und beleuchtet die Begebenheiten rund um die Vertreibung aus dem Garten Eden teils vermittels von Rückblenden (Erzählung in der Erzählung) vom nahenden Tod Adams und Evas aus. 6 Über alledem schwebt die Frage, was als Grundbestand einer evolutiven Überlieferung zu erachten ist, die sich in ständigem Wandel befand. 7 Bezüglich der Entstehungsverhältnisse ist Vorsicht geboten. Es herrscht ein gewisser Konsens darüber, dass die Konturen der Grundschrift sich wohl im ersten nachchristlichen Jahrhundert in Kreisen der jüdischen Diaspora in griechischer Sprache herauskristallisierten. Womöglich geschah das im Ostmittelmeerraum (Palästina oder Nordägypten - Alexandrien? ), es ist allerdings schwierig, dies näher einzugrenzen. 8 Man ist sich allerdings nicht einig darüber, welchem Genre das so skizzierte Schriftstück zuzurechnen wäre - ob „rewritten bible“ oder „midrashic novella“ (Eldridge), „exegetische Erzählung“ (Knittel) oder „haggadischer Midrasch“ (Merk & Meiser). 9 Es ist zudem fragwürdig, ob wir es hier tatsächlich mit eingestreuten apokalyptischen Sequenzen zu tun haben (Bertrand). 10 Die griechische Adam-und-Eva-Erzählung weist zusammen mit den verwandten Schriften in Lateinisch, Georgisch, Armenisch und Kirchenslavisch (primäre Adam-Literatur; Dochhorn: „Adamviten“) eine eigene synoptische 4 Böttrich, Ego & Eißler, Adam und Eva, 47. 5 Mit Dochhorn, Apokalypse des Mose, 3, Anm. 1; S. 184 ff. 6 Gliederungsvorschläge bei Knittel, Leben Adams und Evas, 84-96; Eldridge, Dying Adam, 1; Bertrand, Vie grecque, 53. 7 Nach Tischendorf (1866) kam erst im Jahre 1974 eine neue Edition heraus - Nagel, Vie grecque, Bd. 1- 3. Die Ausgabe von Bertrand, Vie grecque (1987) wurde als in textkritischer Hinsicht eklektisch und intransparent kritisiert (Dochhorn, Apokalypse des Mose, 17). Derzeit setzt die sehr solide und ausführliche Arbeit von Dochhorn (2005) neue Maßstäbe für die Textkritik am Werk. 8 Knittel, Leben Adams und Evas, 35-69; cf. ferner Eldridge, Adam, 20-56; Dochhorn, Apokalypse, 149-174. Zur vorausgegangenen Diskussion siehe Stone, History, 42-61 sowie de Jonge& Tromp, Life, 65-78. 9 Eldridge, Dying Adam, 172; 256; Knittel, Leben Adams und Evas, 92-94; Merk & Meiser, Leben Adams, 769-770; siehe ferner Dochhorn, Apokalypse des Mose, 112-124. 10 Bertrand, Vie grecque, 50-54. Mose-Apokalypse oder Vita Adae et Evae? 53 Problematik auf, über deren Auflösung verschiedene Hypothesen und Modelle diskutiert werden. 11 Davon zu unterscheiden sind die in Orient und Okzident breit bezeugten Erzähltraditionen (sekundäre Adam-Literatur; Dochhorn: „Adamdiegesen“), die nicht in direkter Verwandtschaft mit der griechischen Überlieferung stehen und eine z.T. verwirrende Vielfalt aufweisen. 12 Von hier aus verzweigen sich weitere Erzählkomplexe, derer einige auch in der kirchenslavischen Überlieferung von Bedeutung sind. Kirchenslavische Überlieferung Die kirchenslavische Adam-und-Eva-Erzählung (VAE sl) ist quellenkritisch nur unvollständig erfasst worden. 13 Ihre Ausgaben stammen größtenteils aus der zweiten Hälfte des 19. Jh.; eine Reihe neu hinzugekommener Textzeugen bleibt unediert. Die slavischen Texte selbst wurden dank der großen Apokryphensammlungen von A.N. Pypin und N.S. Tichonravov erstmalig in den 60er Jahren des 19. Jh. publik. 14 Bald darauf erkannte man den Zusammenhang mit der soeben von K. von Tischendorf (1866) publizierten griechischen „Apokalypse“. 15 Von hier aus fanden die Texte der VAE sl Eingang in Kozaks und Bonwetschs Übersichten und wurden dadurch auch im Westen bekannt. 16 Gleichzeitig erschien die Studie von V. Jagić (1893), die die im Grunde bis heute einzig belastbare Textausgabe enthält. 17 Darin unterteilte der Wiener Slavist die damals bekannten Manuskripte in zwei Redaktionen - eine lange (A) und eine kurze (B). Die erste, die in fünf südslavischen Hss. enthalten war, führte er auf eine altbulgarische Vorlage zurück. Die zweite, die er nur aus den restlichen vier russischen Hss. kannte, war für ihn folgerichtig in Russland als Kürzung und Umstellung der ersten entstanden. Im Jahre 1896 machte Iv. Franko auf ukrainische „Ableger“ von VAE sl aufmerksam, die er in seine bedeutende Sammlung aufnahm. 18 Zwei Jahrzehnte später erweiterte A.I. Jacimirskij den Hss.-Bestand auf nunmehr zwei Dutzend Abschriften. 19 Weitere Textzeugen benannte im Jahre 1925 J. Ivanov 11 Tabellarische Aufstellung bei Anderson & Stone (ed.), Synopsis; Diskussion der Zuordnungsmodelle bei Knittel, Leben Adams und Evas, 35-44 (Benutzungs-, Urerzählung und Fragmentenhypothese). Eigene Modelle offeriert Eldridge, Dying Adam, 101-133 („Growth-by-Accretion” vs. „Erosion-of-Particularity”). 12 Cf. Dochhorn, Apokalypse des Mose, 3-4. Übersicht hierzu bei Stone, Literature of Adam and Eve, 84-123. 13 Bibliographie bei Orlov, Selected Studies, 207-221. 14 Pypin, Knigi, 1-14; Tichonravov, Pamjatniki I, 1-17; 298-304. 15 Porfir’ev, Skazanija I, 34-46. 16 Kozak, Übersicht, 131-132; Bonwetsch, Literatur, 913. 17 Jagić, Beiträge, 1-104. 18 Franko, Apokrifi I, 19-32. 19 Jacimirskij, Obzor, 76-81. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 54 und druckte zum ersten Mal einige davon ab. 20 Er nahm die Existenz einer dritten Redaktion an, die als Beleg dafür angeführte Abschritt im Loveć-Codex aus dem 16. Jh. wäre allerdings der B-Fassung (nach Jagić) zuzurechnen. 21 Ein halbes Jahrhundert später nahm M. Nagel eine genauere Verortung der griechischen Vorlage der slavischen A-Fassung in der Nähe der von ihm ausgemachten zweiten Textform („groupe II“) vor, ohne diese jedoch genauer bestimmen zu können. 22 Eine neue Stufe erreichte das Studium der slavischen Tradition jedoch erst durch E. Turdeanu, der sie 1981 einer eingehenden Untersuchung unterzog und fürs erste sowohl Jagićs als auch Nagels Schlussfolgerungen untermauern konnte. Neben den rumänischen Übersetzungen von VAE sl ging er zudem auf das Nachleben der Adam-Legenden in Ikonographie, Folklore und moderner Dichtung des Balkan-Raums ein. 23 Ein Jahr nach seiner Studie wurden jedoch neue Handschriften von VAS sl identifiziert, die nur in Bulgarisch erschienenen Ergebnisse blieben jedoch weitgehend unbeachtet. 24 Erst neuerdings wurden diese Beobachtungen einem breiteren Publikum zugänglich. 25 Im Lichte der Neuentdeckung muss das bisher gezeichnete Bild der Überlieferung von VAE sl revidiert werden. Während die erste Redaktion (A nach Jagić) durch weitere südslavische Textzeugen gestützt wurde, zeigte sich, dass die zweite Redaktion (B nach Jagić) ebenso auf dem Balkan, wohl auf bulgarischem Territorium noch vor dem Ende des 13. Jh. anzusetzen wäre. 26 Die Konfusion verstärkt sich im Übrigen dadurch, dass die Textevidenz nicht nur fragmentarisch berücksichtigt wird, sondern darüber hinaus in Textausgaben und einschlägigen Studien neben verschiedenen Manuskripten auch verschiedene Abbreviaturen für dieselben Handschriften verwendet werden. Hierzu sei eine kurze Übersicht beigefügt. 20 Ivanov, Knigi, 208-209 (um eigene Funde ergänzte Hss.-Liste), S. 211-217 (Textausgabe), S. 218-227 (Erläuterungen). 21 Miltenova, Adamic tradition, 336-337. 22 Nagel, Vie grecque 1, 90-112, insb. S. 92-98; 107-112; Nagel, Vie grecque 3, 124-154. 23 Turdeanu, Vie d'Adam, 75-144. 24 Miltenova, Nabljudenija, 35-55 (Hss.-Liste Nr. 2, S. 48-49); Dimitrova, Nabljudenija, 56- 66; Dimitrova, Kăm văprosa, 70-81 (Hss.-Liste S. 71-72). 25 Miltenova, Adamic tradition, 325-340. 26 Ibid., S. 337. Mose-Apokalypse oder Vita Adae et Evae? 55 Autor Pypin Tichonravov Porfirev Frank Jagić Ivanov 27 Jagić Miltenova Dimitrova Turdeanu Nationalbibl. Belgrad, Cod. 104 (468), 14. Jh. belgr. 6 1 I .1. A 1 belgr. Nationalbibl. Sofia, Cod. 681 (299), 15. Jh. C I. 2. A 2 S Nationalbibl. Sofia, Cod 433 (629), 16. Jh. Grundtext I. 3. A 3 P Mosk.Tr.-Serg. Lavra, 794, 16. Jh. 6-15 t 9 I. 5. A 5 t Wiener Hofbibl., Cod. 149., 16. Jh. m B 5 I. 4. A 6 m Serb. Akad. der Wiss., Cod. 147, 17.-18. Jh 28 n H 20 I. 8. A 2 n Tabelle 3: Variierende Hss.-Bezeichnungen zu Rezension A von VAE sl 27 Kyrillische Kürzel. 28 Hg. von Novaković, Primeri (1877). Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 56 Autor Pypin Tichonravov Porfirev Franko Jagić Ivanov 29 Jagić Miltenova Dimitrova Turdeanu Mosk. Rumj. Museum, Cod. 358, 15.-16. Jh. 1-3 298-304 pp 25 II. pp (russ.) Loveč- Sbornik, 16. Jh. (fragm.) Lo (mitttelbulg.) Cod. Sammlung Franko, 16.- 17. H. 19-23 10 Fr. (ukr.) Rumj. Museum, Moskau, Cod. 380, 17. Jh. 4-7 pp’ 17 pp’ (russ.) Rumj. Museum, Moskau, Cod. 637, 17. Jh. 1-6 tr 19 tr (russ.) Geistl. Akad., Kazan, Cod. 925, 17. Jh. 90-96 pr’ 18 pr (russ.) Geistl. Akad., Kazan, Cod. 868, 17.-18. Jh. 208-216 pr 21 pr (russ.) Drog. Cod. (1743) 23-25 22 Fr (ukr.) Tabelle 4: Variierende Hss.-Bezeichnungen zu Rezension B von VAE sl 29 Kyrillische Kürzel. Mose-Apokalypse oder Vita Adae et Evae? 57 Transformationen von ApcMos/ VAE gr beim Transfer in den slavischen Bereich Bei ihrer Aneignung durch die altslavischen Literaten hat die griechische Adam-und-Eva-Literatur eine sehr breite Palette an Änderungen, Anpassungen und kontextuelle Färbungen erfahren. Es ist dabei nicht ohne weiteres ersichtlich, welche Motivation die Bearbeiter für ihre Eingriffe am Text an den Tag legten: Il est par conséquent impossible de préciser le motif d’une grande partie des changements. 30 Es wäre jedenfalls sehr aufschlussreich, die Bandbreite an Transformationen zu umreißen, denen der Text unterworfen war, da sie sowohl für die apokryphe Literatur im Allgemeinen als auch für die Apokalypsen im Besonderen zutrifft, die im Folgenden behandelt werden. (1) Akzentverschiebung Es lässt sich zwar vage konstatieren, dass das Motiv des Überlebens an Gewicht gewinnt: („the writing is mainly focused on the sustenance motif”), was der Erzählung ätiologische Züge verleiht: … a kind of aetiological legend of agriculture as the poor substitute for paradisiac food. 31 Die beschwerliche Sicherung der menschlichen Existenz nach der Vertreibung aus dem Paradies steht allgemein im Vordergrund, ein Interesse an jenseitigen Phänomenen fehlt hingegen - Visionen und Prophezeiungen werden ausgelassen. 32 Auch die stark hymnisch-mystisch ausgestaltete Beerdigung des Urmenschenpaares in den Schlussabschnitten wird in den slavischen Versionen abgekürzt. 33 (2) Überschrift Die slavische Adamvita wird in der Regel als „Homilie“, „Sage“ oder „Erzählung von Adam und von Eva, vom Anfang bis zum Ende“ tituliert. Ein Verweis auf Mose als Adressaten jenseitiger Offenbarungen fehlt hier ebenso wie in den lateinischen, armenischen und georgischen Versionen. Es ist fragwürdig, ob sich der Zusatz ć{ paleê in belgr. (Nr. I.1. nach Miltenova) auf die 30 Nagel, Vie grecque 1, 95. 31 de Jonge & Tromp, Life of Adam, 61-63. 32 Ibid., S. 25. 33 Gegenüberstellung mit den anderen Versionen bei Anderson & Stone (ed.), Synopsis, 84-95E. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 58 Palaea deuten lässt 34 oder nicht viel eher in der allgemeinen Bedeutung „vom Alten (Testament)“ figuriert, 35 zumal keine direkte Verbindung zwischen beiden Werken nachweisbar ist. (3) Auffächerung in Redaktionen Bereits Jagić hatte auf die Unterschiede zwischen zwei Gruppen von Handschriften aufmerksam gemacht, die er jeweils mit A und B bezeichnete. Der entscheidende Unterschied bestand für ihn neben Abweichungen in Details im vergeblichen Versuch von B, Unebenheiten in der Erzähllogik von A zu glätten, was sich allerdings in weiteren logischen Brüchen manifestieren musste. Während in A zunächst die Begebenheiten um die und nach der Verbannung aus dem Paradies bis hin zu Adams Erkrankung und Seths Paradiesreise erläutert werden, um das Dargelegte erst dann retrospektiv in Evas Erzählung an Adams Sterbebett neu zu beleuchten (Kap. 4-17.18-39 nach Jagićs Zählung), kürzt B letztere und schaltet sie vor, sodass insgesamt der Eindruck einer inneren Zusammenhangslosigkeit entsteht. 36 Die ursprüngliche Übersetzung verortete Jagić im späten 14. Jh. im slavischen Süden, ihre Überarbeitung auf russischem Boden im 15. Jh. 37 Die von J. Ivanov ohne stichhaltige Begründung eingeführte dritte Version ist in Wirklichkeit der zweiten Redaktion zuzurechnen. 38 Das einzige von ihm vorgebrachte Argument über die Substitution von Evas Erzählperspektive durch die dritte Person in einer einzigen, fragmentarisch erhaltenen Hs. (Loveč-Sbornik, 16. Jh). reicht nicht aus, um die Existenz einer separaten Fassung zu begründen. 39 Ein genaueres Bild der innerslavischen Verhältnisse zeichnet E. Turdeanu in seiner detaillierten Studie der VAE sl. Auf Grund der von ihm analysierten Manuskripte lässt sich eine „version longue“ in zwei südslavische Familien festmachen, die aus einem gemeinsamen, Anfang des 14. Jh. im westlichen Mazedonien übersetzten Vorläufer entstammen. Die kurze Fassung zerfällt ihrerseits in eine mittelbulgarische, eine russische und eine ukrainische Subgruppe. 40 Während A. Miltenova im Allgemeinen Jagićs und Turdeanus Befund des in B stattgefundenen Rearrangements auf Grund einer aufgestockten Mss.-Liste bestätigt, verlegt sie Ort und Zeit dieser Umarbeitung in den slavischen Süden, möglicherweise nach Bulgarien, ins frühe 14. bzw. ins späte 34 Turdeanu, Vie d'Adam, 88-89; Ivanov, Knigi, 220-221. 35 Jagić, Beiträge, 17-18. 36 Ibid., S. 5-9. 37 Ibid., S. 15-17. 38 Ivanov, Knigi, 209. 39 Zur Zuordnung dieser Hs. zur kurzen Fassung siehe Turdeanu, Vie d'Adam, 93ff.; Miltenova, Nabljudenija, 42. 40 Turdeanu, Vie d'Adam, 82-104; Stemmata auf S. 90 und 102. Mose-Apokalypse oder Vita Adae et Evae? 59 13. Jh. 41 Das Vorhandensein einer „gemischten“, Besonderheiten von A und B kombinierenden Redaktion als vorläufig letzter bekannter Entwicklungsstufe der VAE sl, die parallel dazu von D. Dimitrova bekanntgegeben wurde, legt erneut Zeugnis davon ab, wie zwanglos mit vorliegenden schriftlichen Traditionen umgegangen wurde. 42 (4) Erweiterungen Die bedeutendsten Ergänzungen im Textcorpus der VAE sl gegenüber dem Rest der Überlieferung sind der Eingangspassus und die sog. Cheirographon- Legende (Perikopen 1 und 3 nach Anderson/ Stone). (a) Macht und Glück im Paradies Dem Gang der Ereignisse um den Sündenfall fügt VAE sl eine Schilderung des paradiesischen Zustandes der Urmenschen voran, 43 denen unumschränkte Gewalt über die gesamte Schöpfung und Erfüllung aller Wünsche zugesprochen wurden. Kein Geschöpf darf demnach ohne Adams Geheiß agieren. Mit diesem Allmachts-Eintrag wird jedenfalls ein gelungener Kontrast zum von Angst, Not und Hilflosigkeit geprägten Dasein des gefallenen Menschen hergestellt. (b) Die sog. Cheirographon-Episode In der VAE sl ist eine Anekdote erhalten, die von einer erneuten Verführung der Urmenschen handelt. Der als Kulturbringer auftretende Erzengel Joel bringt Adam die Grundlagen des Ackerbaus bei. Eine List des Teufels hindert allerdings Adam bei der Arbeit. Er kann erst weitermachen, nachdem er sich demjenigen verschreibt, dem sie gehört - dem Teufel, der das entsprechende Vertragswerk (ksl. rukopisanïe/ gr. ) an sich nimmt. 44 So besagt eine Variante der Legende, Adam sei aus Angst vor der Dunkelheit der ersten Nacht außerhalb des Paradieses auf das trügerische Versprechen des Widersachers hereingefallen, dieser würde ihm das Licht zurückgeben. 45 Es wäre allerdings überzogen, diesen Passus im Lichte einer dualistischen Kosmogonie zu lesen und darin Zeichen einer bogomilischen Zugehörigkeit der VAE sl zu erblicken 46 so wie es überhaupt problematisch ist, das Gros der slavischen Apokryphen pauschal der Bogomilenbewegung zuzuschreiben. 47 41 Miltenova, Nabljudenija, 42-43. Hinzuzählen sind neun Hss. für A, fünfzehn für B aus dem Zeitraum 14.-18. Jh.; Hss.-Liste im Anhang, S. 48-49. 42 Dimitrova, Kăm văprosa, 70-81. 43 Anderson & Stone (ed.), Synopsis, 1-1E. 44 Ibid., 6-6E. 45 Pypin, Knigi, 2 (entspricht der Hs. pp nach Jagić, cf. Tabelle). Diese Variante der Legende ist auch in Armenisch überliefert; cf. Turdeanu, Apocryphes bogomiles, 191-192 (Nachdruck in Turdeanu, Apocryphes slaves, 47-48). 46 Ivanov, Knigi, 224-227. 47 Siehe zu dieser Debatte Turdeanu, Apocryphes bogomiles, 22-52; 176-218 (Nachdruck in Turdeanu, Apocryphes slaves, 1-74). Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 60 Außerhalb der VAE sl kursieren vielfältige Ausprägungen dieser Erzählung. Eine davon setzt bei Kains Geburt an. Er sei mit zwölf Schlangenköpfen zur Welt gekommen, die Eva beim Stillen fürchterlich zusetzten. Um seine Frau von dieser unermesslichen Qual zu befreien, willigt Adam in das Heilungsangebot des in menschlicher Gestalt erschienenen Teufels ein. Das Abkommen wird mittels Ziegenbockblut auf einem weißen Stein festgehalten, welchem die zwölf Schlangenköpfe angefügt werden; dieser soll bis Christi Ankunft im Jordan aufbewahrt werden. Bei Jesu Taufe durch Johannes fallen die Schlangenköpfe ab, der Stein selbst kommt zur Lagerung in den Hades - bis Jesus ihn bei seiner Auferstehung und Hinabkunft ins Totenreich endgültig vernichtet. 48 Weitere Abwandlungen in Volksdichtung und Märchen zeugen von der Popularität der Sage bis ins 20. Jh. hinein. 49 Obwohl I.Ja.Porfir’ev schon früh auf die Spuren dieser womöglich auf Kol 2,13-14 fußenden Sage in Liturgie und Ikonographie hinwies, 50 war die Versuchung groß, darin Ansätze dualistischer Kosmogonie zu erkennen und folgerichtig auf eine bogomilische Urheberschaft zu plädieren. Zur Bekräftigung dieser These spielte V. Jagić die Bedeutung von Porfir’evs Belege herunter und führte u.a. die Schöpfungssage „Vom Tiberiasmeer“ an, die allerdings lediglich eine weitere Ausprägung der Cheirographon-Legende enthält. 51 Insbesondere der Wortführer der Bogomilismustheorie, J. Ivanov, hielt an der Lehrmeinung einer bogomilischen Interpolation auf bulgarischem Territorium fest. 52 Die Tendenz, den Großteil der apokryphen Literatur im mittelalterlichen Bulgarien dieser häretischen Gruppierung zuzuschreiben, geht im Fall der VAE sl allerdings ebenso wenig auf wie beim Rest der Referenzquellen; zu eindeutig die Beweislast für eine bereits viel frühere Tradentenschaft außerhalb bulgarischer Bogomilenkreise, während entsprechende Belege aus dem südlichen Balkan-Raum für die Zeit vor dem 14. Jh. nicht zu erbringen sind. So konnte E. Turdeanu nachweisen, dass die Legende bereits viel früher im orthodoxen Orient und in Kleinasien anzutreffen war. 53 Zugleich begegnen ikonographische Belege dafür jedoch erst seit dem 16. Jh. und zwar, außerhalb bulgarischer Territorien. 54 E. Turdeanus Schlussfolgerungen wurden zuletzt von M. Stone bestätigt und näher illustriert, der auf die eigentümliche Stellung der Cheirographon-Episode verwies: 48 Diese Altgläubiger-Legende wird ohne nähere Angaben verzeichnet in Tichonravov, Pamjatniki I, 16-17; Wiedergabe bei Porfir’ev, Skazanija I, 41. 49 Ivanov, Knigi, 349-354 (Nr. 13 und 14). 50 Porfir’ev, Skazanija I, 41-42. 51 Jagić, Beiträge, 42-45. 52 Ivanov, Knigi, 223-227. 53 Turdeanu, Apocryphes bogomiles, 188-194 (Nachdruck in Turdeanu, Apocryphes slaves, S. 44-50). 54 Turdeanu, Vie d'Adam, 115-122. Mose-Apokalypse oder Vita Adae et Evae? 61 an apocryphal tale existing not just outside the biblical corpus, but also beyond the „mainstream“ apocryphal literature. 55 (5) Kürzungen Die meisten Weglassungen im Text der VAE sl lassen sich auf dem Hintergrund der bereits erwähnten Tendenz zur „Demystifizierung“ der Vorlage erklären. Die Ausblendung der visionären Partien ist allerdings weniger durch ein generelles Desinteresse am Jenseits bestimmt, sondern durch die pragmatische Akzentverschiebung hin zur von Nüchternheit und Realismus gekennzeichneten Hinwendung zu diesseitigen Sorgen. Dies wird in der Exposition durch den Einschub der Cheirographon-Legende markiert und macht sich vor allem im Schlussteil durch größere Kürzungen bemerkbar. 56 So wird beispielsweise der gesamte Abschnitt zum Beerdigungsritual von Adam und Abel auf eine lakonische Notiz komprimiert. Demgegenüber tendieren die anderen Adamviten hin und wieder zur Aufnahme mehr oder weniger umfangreichen apokalyptischen Materials. Dies ist der Fall beim breiten Raum einnehmenden Einschub VAE lat 25,1-29,10 (hier allerdings nur in Textfamilien II, III und IV) 57 sowie im eschatologischen Ausblick in VAE gr lat arm georg 13, 3-5. 58 (6) Missverständnisse und Fehlinterpretationen Kennzeichnend für den Annäherungsprozess an den Verstehenshorizont der slavischen Adressaten sind einige unbedeutende Varianten, die in Jagićs Untersuchung recht ausführlich dargelegt werden. 59 Diese reichen beispielsweise von der Übertragung des Traummotivs auf Eva (Kap. 2) über eine Inkunabel über Kains Mord an Abel in Kyr(i)no (Kap. 3) 60 bis hin zur Benennung des sonst namenlosen Tieres (lat. serpens bestia), welches Seth und Eva auf ihrer Wanderung zum Paradies überfällt (Kap 13). 61 Die Bezeichnungen гор[гоni/ Gorgoni resp. krokodil]/ Krokodil rühren möglicher-weise vom „Physiologus“ her. 62 Das missverständliche kotùrú/ Kotur muss indes nicht umständlich über Κένταυρρος oder gar als Abwandlung von spätbulg. кутре/ Hündlein oder котъ/ Kater erklärt werden, 63 sondern dürfte viel eher 55 Stone, Legend, 149-166, insb. S. 149. 56 Perikope 32 nach Anderson & Stone (ed.), Synopsis, 84-90E. 57 Ibid., Perikope 8, S. 32-32E. 58 Ibid., Perikope 14, S. 45-45E. 59 Jagić, Beiträge; 17-40. 60 Ibid., S. 19-20. 61 Ibid., S. 50. 62 Turdeanu, Vie d'Adam, 88-89. 63 Jagić, Beiträge, 50. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 62 auf einer einfachen Omission beruhen: καὶ θηρ[ίον]. 64 Dieses Detail verrät die Unsicherheit und die Fehlinterpretationen, die ein ständiger Begleiter der Arbeit der Kopisten waren. Satellitenschriften In der „Umlaufbahn“ der VAE sl kursierte eine Reihe weiterer Schriften, die die gleichen Themenkomplexe tangierten, ähnliche Motivkonstellationen entfalteten oder dieselben Figuren behandelten. Ein Ausschnitt daraus würde die vielschichtigen Interaktionsebenen erhellen, die zwischen diesen Textgruppen entstehen. (1) Mose als Offenbarungsempfänger; die slavische Vita des Mose Die griechische Superscriptio weist Mose als Offenbarungsempfänger aus. 65 Der Terminus „Enthüllung“ () begegnet allerdings nicht im „technischen“ Sinne als apokalyptisches Gattungsmerkmal, sondern wertet die außerbiblische Adam-und-Eva Erzählung als gültige Offenbarung und legitime Fortsetzung der biblischen Menschenschöpfungsgeschichte auf. Mose tritt aber mehreren Offenbarungsschriften auch als apokalyptischer Seher auf. 66 Ein bedeutendes Zeugnis für den visionären Emploi von Moses ist der sog. Midrasch Gedulat Mosche ( השׂמ תלודג שׁרדמ ) - ein Visionsbericht über eine ausgedehnte Jenseitsreise, der in mittelalterlichen hebräischen Handschriften tradiert wurde und Versionen auch in Arabisch und Persisch aufweist. 67 Eine spätere Fassung der Himmelsreise wurde unter aserbaidschanischen Bergjuden im Kaukasus in ihrem Idiom überliefert und im Jahre 1894 vom Ethnologen M. Bežanov in Russisch aufgeschrieben. 68 Eine als „Himmelfahrt des Mose“ („Assumptio Mosis“) betitelte Schrift wiederum, die in einer einzigen lateinischen Hs. aus dem 6. Jh. nur bruchstückhaft auf uns gekommen ist, behandelt die letzten Unterweisungen Moses an Joshua, ohne jedoch auch nur annähernd eine Himmelsreise zu erwähnen. 69 64 Turdeanu, Vie d'Adam, 76. 65 Dochhorn, Apokalypse des Mose, 122-124; 185-187. 66 Berger, Buch der Jubiläen, 281, Anm. 10 (mehrere Nachdrucke, zit. nach der Ausgabe von 1981). 67 Ein Ausschnitt aus den bedeutenden Texttraditionen um Moses Himmel-, Höllen- und Paradiesfahrt wurde 2012 in einer Synopse mit Einleitung und deutscher Übersetzung abgedruckt: Krupp, Midrasch Gedulat Mosche (Hebräisch und Deutsch). 68 Böttrich, Himmelsreise des Mose, 173-196. 69 Tromp, Assumption of Moses (Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar). Mose-Apokalypse oder Vita Adae et Evae? 63 Auch die slavische Tradition hat eine reichhaltige Mose-Literatur bewahrt. 70 Ein Teil der Mose-Überlieferungen wurden aus der griechischen Palaea Historica übernommen. 71 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Gegenüberstellung von zwei von M.N. Speranskij herangezogenen Hss. vom 16. Jh.: Die eine enthält die Vita des Mose im Anschluss an die historische Palaea, die andere integriert diese in das Palaea-Corpus. 72 Die Vorlagen wurden je nach Palaea-Typ abgewandelt, aber auch separat weitergegeben in den sog. Lesemenäen (russ. „Čet’i Minei“). 73 Bei diesen kontextuellen Interaktionen wurden gelegentlich polemische Passagen gegen jüdische Ansichten nach der Art der Palaea Interpretata inkorporiert. 74 In diesem Zusammenhang wurde die Frage aufgeworfen, ob die Mose-Vita zu vermeintlich Ende des 15. Jh. in Russland getätigten Direktübersetzungen aus dem Hebräischen gehören würde - eine Debatte, die hier nicht besprochen werden kann. 75 In der Fassung der Palaea Chronographica klingen visionäre Motive an, die jedoch nicht in einen weiteren, apokalyptischen Kontext eingebettet sind. So habe Mose während seines Hirtendienstes in Midian weisheitliche Belehrung durch den Erzengel Gabriel bekommen, der ihn unterrichtet habe über den Lauf der Sterne und über die Elemente und die Zahlen und über die Maße der Erde und über alle Weisheit. 76 Die Mose-Überlieferung wird hingegen im Sinne der typologischen Exegese gefärbt. Die Trinkbarmachung des Quellenwassers in Mara wird mit einer Christusprophezeiung verknüpft, und in Raguels Garten stößt Mose auf den von Adam aus Eden herausgetragenen Sabaoth-Stab 77 - ein Motiv, das in verschiedener Ausgestaltung in der sog. Kreuzholzsage transportiert wird. (2) Adam-Legenden Eine systematische Aufstellung der Adam-Legenden im slavischen Bereich fehlt bislang. 78 Bei der Identifizierung des Textmaterials können Überschrif- 70 Tichonravov, Pamjatniki I, 233-253; Pypin, Knigi, 39-49; Porfir’ev, Skazanija I, 194-204; 228-230; 259-260; Übersetzung mit kurzer Einleitung bei Bonwetsch, Mosessage, 518-607. 71 Flusser, Palaea Historica, 63-70; zum möglicherweise hohen Alter der Palaea-Überlieferung über Mose siehe Berger, Buch der Jubiläen, 288. 72 Speranskij, Pamjatniki, 68-70. 73 Ponyrko, Art. „Apokrifi o Moisee“, 63-67. 74 Roždestvenskaja, Žitie proroka Moiseja, 132-135; 140-141; 144-149. 75 Taube, Life of Moses, 84-119. 76 Istrin, Redakcii Tolkovoj Palei (1905), 160 und (1906), S. 14-27. 77 Ponyrko, Art. „Apokrifi o Moisee“, 64-66. 78 Kurze Übersicht bei Stone, Literature of Adam and Eve, 115-117. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 64 ten auch hier eine falsche Fährte legen. So bezieht sich der Titel „Evas Pönitenz“ nicht auf eine separate Adam-Schrift, sondern eröffnet einige Abschriften der kurzen Redaktion B von VAS sl. 79 In verschiedener Gestalt begegnet uns eine Adam-Sage, die jüdische Etymologie mit hellenistischer Anthropologie verbindet. Eine Variante davon ist im slavischen Henochbuch abgebildet: Adam habe seinen Namen aus den vier Himmelsrichtungen bekommen (, , , ) und sei aus den acht Element der Schöpfung gemacht worden (Hen(sl) 30, 8- -14). 80 Das Motivgebilde tritt des Öfteren im Zusammenhang der sog. Erotapokriseis (Frage-und-Antwort-Literatur) auf, 81 aber auch als selbstständige Erzählung. 82 Ebenfalls losgelöst und mit folkloristischer Imagination verziert erscheint der zum Weltenbaum gewordene Paradiesbaum (8,4) als himmelshohe Eiche in späteren russischen Sborniki, hier auf Christus und den Heiligen Geist gedeutet. 83 Vielfach zu neuartigen Verstrebungen verknüpft ist dagegen die reichhaltige Motivik der populären „Sage vom Tiberiasmeer“. Dicht aneinander gereiht sind darin die Episoden von Satanaels Hochmut und anschließendem Fall, sein Anschlag auf den neu geschaffenen Menschen als Krankheitsätiologie, die Cheirographon-Legende sowie Elemente aus VAE sl und der Kreuzholzsage. 84 (3) Seth als Offenbarungsempfänger; das Nikodemus-Evangelium Die Episode von Seths Wanderung zum Paradies, die allen Sprachversionen der VAE (gr lat georg arm sl) gemeinsam ist, 85 begegnet auch im sog. Nikodemus-Evangelium - einem der beliebtesten apokryphen Evangelien der Alten Kirche. 86 Die Schrift führt drei Themenbereiche fort, die in der kanonischen Überlieferung angerissen sind. Der erste Abschnitt („Gesta Pilati“) behandelt die Verurteilung Jesu durch Pontius Pilatus, die in der Gestalt von Prozessakten nacherzählt wird (Kap. 1-11), und die Verfolgung der Jünger Jesu, insbesondere von Joseph von Arimathea, durch die jüdischen Behörden (Kap. 12 bis 16). In einem zweiten Abschnitt, der später angefügt wurde („Descensus ad inferos“), wird die Herabkunft Jesu ins Totenreich und die Heraufführung der auferstandenen Gerechten geschildert (Kap. 17-27). 87 Dabei kommen einige der Hades-Insassen zu Wort, darunter auch Seth, der von 79 Siehe die Tabelle zu B, Hss. pp und pp‘. 80 Sehr erhellend hierzu ist die materialreiche Studie von Böttrich, Adam als Mikrokosmos. 81 Ibid., S. 70-72; 79-82. 82 Pypin, Knigi, 11; Roždestvenskaja, Skazanie; 94-99; 367-368; Kagan-Tarkovskaja, O sotvorenii Adama, 92-93; 366-367. 83 Cod. Nr. 889 und 924 (17. Jh.), abgedruckt bei Porfir’ev, Skazanija I, 205-206. 84 Sehr ausführlich dazu Badalanova-Geller, Sea of Tiberias, 13-157, insb. S 73-78. 85 Anderson & Stone (ed.), Synopsis, Perikope 14. 86 Schärtl, Nikodemusevangelium, 231-261. 87 Ibid., S, 236-237. Mose-Apokalypse oder Vita Adae et Evae? 65 seiner Paradiesreise berichtet (Kap. 19). Während aber in der VAE der Schwerpunkt auf der Unumkehrbarkeit des Todes liegt, thematisiert das Nikodemus-Evangelium die Auferstehungshoffnung. Waren im Gefolge der Ureltern alle Menschen sterblich geworden, ist die Macht des Hades durch Jesus nun gebrochen. Nicht Seth, sondern Jesus obliegt es, Adam mit dem Öl des Lebens zu salben (EvNic 19 / Desc 3): Und er [= Jesus] wird auferstehen und ihn [= Adam] und seine Nachkommen mit Wasser und dem Heiligen Geist taufen. Jetzt aber [= Seth vor den Toren des Gartens Eden] ist das unmöglich. Die Gegenüberstellung beider Kontexte ist insoweit von Interesse, da ein- und dieselbe Episode sowohl in einem alttestamentlichen als auch in einem neutestamentlichen Apokryphon vorkommt. Leitthema in der VAE ist die Urerfahrung vom tod und die sinnlose Rebellion dagegen, die in einer mythischen Urzeit inszeniert wird. Dies wird an der Figur von Seth sichtbar gemacht, der sich in verzweifelter Anstrengung auf den beschwerlichen Weg zum Garten Eden macht, um seinem sterbenden Vater Heilung angedeihen zu lassen - ein Ansinnen, das im Scheitern enden muss. 88 Im Nikodemus-Evangelium hingegen ist von der Überwindung der menschlichen Sterblichkeit die Rede. Jesus steigt in die Unterwelt hinab, nicht jedoch als Toter, sondern als ewig Lebender, und lässt die Fülle an Leben den im Hades Gefangenen angedeihen wie es bei seinem zweiten Kommen allen Menschen zuteilwerden wird. Dies wird auch mit „Heilung von jeglicher Krankheit“ gleichgesetzt (EvNic gr 19). Die literarische Geschichte der altkirchlichen Erzählung von der Hadesfahrt Jesu ist nicht restlos geklärt. Die als Prozessakten inszenierte Novelle (Pilatus-Akten) wurzelt womöglich schon im frühen Christentum, eine Urfassung war wohl schon im 2. Jhr.n.Chr. gegeben. Die griechische Version gewann ihre gegenwärtige Gestalt anscheinend erst im 4. Jh.n.Chr. und wurde Anfang des 5. Jh. vervollständigt und Nikodemus zugeschrieben. Die ältesten lateinischen Handschriften der Gesta Pilati (= EvNic 1-11) stammen jedenfalls aus dem 6. Jh. Die Sequenz über Joseph von Arimathea (= EvNic 12-16) dürfte nachträglich hinzugetreten sein. Die „Höllenfahrt Christi“ (= EvNic 17-27) taucht erst in Abschriften aus dem 9. Jh. auf, könnte jedoch schon für das 6. Jh. bezeugt worden sein. 89 Die kirchenslavische Überlieferung des Nikodemus-Evangeliums ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: In keiner einzigen Fassung des slavischen Apokryphenindex erwähnt, weist dieses Apokryphon die größte Anzahl von Textzeugen in der altslavischen Literatur überhaupt auf. 90 88 Quinn, Seth (1962); Klijn, Seth (1977); Kolenkow, Trips to the Other World, 1-11. 89 Schärtl, Nikodemusevangelium, 233-238. 90 Santos Otero, Überlieferung II, 61; Hss.-Liste auf S. 66-98. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 66 Ebenso ungewöhnlich ist die Tatsache, dass es zuerst aus dem Lateinischen und dann aus dem byzantinischen Griechisch übertragen wurde. Dies wäre schon in der altkirchenslavischen Periode anzusiedeln, allerdings eher im Südwesten (Kroatien) denn im Südosten (Bulgarien). Diese lange, lateinischstämmige Redaktion (sl. „Trinitätsakten“) umfasst den vollständigen Text des EvNik (Kap. 1-27): Pilatusakten, Joseph-Sequenz und Höllenfahrt Christi. Die kürzere, griechischstämmige Fassung, die nur die „Gesta Pilati“ beinhaltete, erlangte eine außerordentliche Popularität, da sie in den liturgischen Zyklus der Karwoche Eingang fand. Eine dritte, gemischte Redaktion dürfte in Russland entstanden sein. Hinzu kommt eine eigene, wenig erforschte kirchenslavische Pilatus-Literatur. 91 Die Descensus-Erzählung ihrerseits hat eine eigene, „weit verzweigte Textgeschichte“ (Santos Otero). 92 Sie existierte nicht nur in der Gestalt der langen Redaktion, sondern war auch als „Homilie“ verbreitet, die verschiedenen Kirchenvätern zugeschrieben wurde: Epiphanius von Salamis, Eusebius von Alexandrien, Eusebius von Samosata oder wie eine Reihe von Apokalypsen Johannes Chrysostomos. Sie wurde bezeichnenderweise als „Homilie vom Descensus Johannes‘ des Täufers“ betitelt und wurde am Karsamstag vorgelesen. 93 Die Seth-Episode wird dabei sowohl in den slavischen als auch in den lateinischen Textzeugen um aufschlussreiche Details ergänzt. Der Engel, der die Prophezeiung vom Kommen des Gottessohnes gegenüber Seth verkündet, ist nicht namenlos wie in den griechischen Versionen, sondern der Erzengel Michael, der über den menschlichen Körper (ksl. „Adams Körper“) wacht. Der Gottessohn wird in 5.500 Jahren (von Seth aus gesehen) nicht „unter die Erde steigen“ (EvNic gr 19), sondern „auf die Erde kommen, um den Leib Adams und die Leiber der Toten aufzuerwecken“ (EvNic sl lat 19): Togda pridet[ na zemlé vozléblenyi Syn] Boжжіi, (i) stvorit[ voskrэшen[e tэlu Аdamovu i oжivit[ telesa mr]tvym]. / Tunc veniet super terram amantissimus Dei Filius ad resuscitandum corpus Adae et corpora mortuorum. 94 Die Taufe Jesu im Jordan ist in den lateinischen und slavischen Fassungen Angelpunkt des Geschehens. Wenn er aus den Wassern des Jordan heraufsteigt, wird das Öl der Barmherzigkeit jene salben, die in ihn glauben, und sie werden durch die Taufe im Wasser und im Heiligen Geist zum ewigen Leben neugeboren. Dann wird der Geliebte auf die Erde herabkommen und den Urvater Adam zum Baum der Barmherzigkeit zurückführen (cf. EvNic sl lat 19). 91 Ibid., S. 61-64. 92 Literatur neueren Datums (nach Santos Otero): Roždestvenskaja, Slovo na voskresenie, 256-261, 397-398 und Tvorogov, Slovo o sošestvii, 262-275, 398-400. 93 Einführung und Textzeugen bei Santos Otero, Überlieferung II, 99-118. 94 Zit. nach Vaillant, Évangile de Nicodème, 58-61. Mose-Apokalypse oder Vita Adae et Evae? 67 Das Thema der Gefangenschaft in der Hölle und der Auferstehung zum ewigen Leben hin wurde auch in der Folklore aufgegriffen. Ein Klagelied Adams im Zusammenhang mit der Rückholung des Lazarus aus dem Hades ist in eine geistliche Dichtung eingewoben, die in russischen Abschriften erhalten wurde und womöglich ins 12. Jh. zu datieren ist. 95 (4) Die Sage vom Kreuzholz Ein weiterer Legendenzyklus in der Umlaufbahn der VAE sl stellt die sog. Kreuzholzsage („De arbore crucis“, i.F. DAC) dar. 96 Es handelt sich um eine Aneinanderreihung narrativer Sequenzen verschiedener Herkunft, die die Vorgeschichte der drei Golgota-Kreuze zum Thema hatten. Sie waren sowohl in loser Zusammenstellung als auch separat in Umlauf und handeln von der Abstammung der Kreuze vom Paradies und von ihrem weiteren Schicksal bis hin zu ihrem Zusammenkommen auf Golgota. 97 Die Textüberlieferung ist hauptsächlich in Kirchenslavisch und Lateinisch bezeugt. Die griechischen Quellen dieser im Westen u.a. durch Jacobus de Voragines „Legenda Aurea“ recht bekannten Legende liegen dagegen weitgehend im Dunkel. 98 Die slavischen Abschriften (gegenwärtig über 60 Hss.) gehen wohl auf ein und denselben, erstmalig im späten 10. Jh. übersetzen Archetypen zurück. Sie zerfallen in drei Grundtypen: (1) Die in den Indices aufgeführte Sage des bulgarischen Priesters Jeremia „Vom Holz des Kreuzes“, deren Abfassung in die zweite Hälfte des 10. Jh. fällt. 99 (2) Eine Version war unter dem Namen des Gregor von Nazianz in Umlauf. (3) Eine dritte Gruppe fungierte unter Severian von Gabalas fiktiver Autorschaft. 100 Wahrscheinlich dank der pseudepigraphen Zuschreibungen (gewissermaßen unter der Patronage ihrer „Schutzheiligen“) blieben die beiden letzten Bearbeitungen der Sage dem Zugriff der Indices entzogen. Die Sequenz vom Fund des Adam- Schädels, ein gängiges Motiv orthodoxer Golgota-Darstellung, genoss sogar ähnlich den Descensus-Partien des Nikodemus-Evangeliums einen legitimen Platz im Lesezyklus der Karwoche. 101 95 Bibliographie bei Orlov, Selected Studies, 219-220. Darin nicht erwähnt sind Gruschewskij, Istorija 3, 39-42 und Zenkovsky, Russland, 134-141; 580-581. 96 Bibliographie bei Orlov, Selected Studies, 214-216. 97 Porfir’ev, Skazanija I, 47-50; Turdeanu, Vie d'Adam, 110-114; Santos Otero, Überlieferung II, 129-147; Miltenova, Nabljudenija, 35-55; Kagan-Tarkovskaja, Art. „Apokrify“, 60-66; Kagan-Tarkovskaja, Slovo, 284-291 (Text), S. 402-406 (Einführung und Anmerkungen). 98 Da die Legende vor dem 12. Jh. in lateinischen Quellen nicht auftaucht, wäre ein Transfer durch die Kreuzzüge denkbar - Meyer, Geschichte, 103-165, insb. S. 104-106. 99 Petkanova, Art. „Prezviter Jeremija“, 201-202; Petkanova, Art. „Povest“, 334-335. 100 Santos Otero, Überlieferung II, 129-133. 101 Kagan-Tarkovskaja, Slovo, 403. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 68 Das von W. Meyer vorgeschlagene Interaktionsmodell von Kreuzholzlegenden und VAE lat macht dabei deutlich, wie bestimmte Bearbeitungen der Sage an bestimmte Rezensionen der Vita (dritte Gruppe der lateinischen Textzeugen) andockten. 102 Zuletzt wurde auch für die slavischen Pendants ein Interaktionsmodell erörtert, insbesondere für die in drei Gruppen zerfallenden Mss. der Gregor-von-Nazianz-Bearbeitung der DAC sl. Demnach lassen sich folgende Entwicklungsstufen festhalten: (1) VAE sl A erscheint unabhängig von DAC sl; (2) VAE sl B interagiert mit DAC sl auf der Ebene der zweiten Gruppe der Nazianz-Texte; (3) VAE sl B wird mit der dritten Gruppe der Nazianz-Texte der DAC sl kompiliert - ein Prozess, der von E. Turdeanu treffend als „soudure“ bezeichnet wurde. 103 Die VAE sl wird dadurch zum Vorspann der Erzählung über die Bäume, aus denen die drei Golgota-Kreuze entstanden sind. 104 An DAC sl knüpfen wiederum weitere Motivbildungen an. Eine davon ist die heute noch als Weihnachtsgeschichte beliebte Erzählung von Maria, die das Kind eines der Räuber stillt, die die Familie auf der Flucht nach Ägypten überfielen. Dadurch rettet sie es vorm Verhungern. Es handelt sich dabei um jenen Räuber, der mit Jesus gekreuzigt wurde und Einsicht vor dem Foltermord zeigte. 105 Zwischenbilanz Die Betrachtung der kirchenslavischen Adam-und-Eva-Literatur verdeutlicht die hohe Textvarianz, die apokryphe Werke kennzeichnet. Sie nehmen sich aus wie ein sich ständig wandelndes Flechtgebilde, das aus vielschichtigen Netzwerken besteht. Sie können um verschiedene thematische Kerne (Wanderung zum Paradies; Sage vom Kreuzholz) kreisen oder einer exemplarischen Figur (Mose, Adam, Seth) zugeordnet sein. Bestimmte Episoden sind nur in der kirchenslavischen Tradition anzutreffen: Das Thema der uneingeschränkten Verfügungsgewalt der Urmenschen im Paradies und die Cheirographon-Legende. Einzelne Motivgebilde des Adam-und-Eva-Zyklus verraten eine gewisse Nähe zur apokalyptischen Erzähltechnik wie das Urzeit- Endzeit-Entsprechungsschema und die zum Visionär stilisierte Gestalt des Seth. Theologische Aussagen werden dabei in plastischen Bildern festgehalten wie in der Sage vom Kreuzholz, die wie eine symbolische Darstellung der paulinischen Adam-Christus-Typologie (Röm 5,12-21) wirkt: Der Baum, durch welchen die Sünde in die Welt trat, dient der Errettung aller Menschen. 102 Meyer, Vita, 215. 103 Turdeanu, Vie d'Adam, 113. 104 Miltenova, Nabljudenija, 43-44; Miltenova, Adamic tradition, 325-340, insb. S.338-340. 105 Kagan-Tarkovskaja, Slovo, 403. 3. Die Tücken der Überlieferung Aus der bisherigen Betrachtung einiger Besonderheiten der Überlieferung wurde deutlich, dass die Grenzen des Kanons seit der Erstübersetzung der kirchenslavischen Bibel de facto nicht fest umrissen waren und seine endgültige Herausbildung sich schließlich historischen Zufällen verdankte. 1 Zugleich entstand - zumindest für den Pentateuch resp. für den Oktateuch - in der Gestalt der Palaea-Literatur eine Art „Ersatzkanon“, der sich jedoch weiterhin im Fluss befand und seinerseits neue Auffächerungen hervorbrachte. Die Konturen der apokryphen Literaturwerke wiederum waren weitaus weniger konstant, bedingt sowohl durch die Überlieferungsform (Codices gemischten Inhaltes) als auch durch ihre Inhalte, die mehr oder weniger disponibel waren und zu weiterer Überarbeitung einluden. Für ihre Tradenten waren die literarischen Kategorien von „Originalität“ und „persönlicher Urheberschaft“ nicht gegenwärtig; sie wussten sich hingegen einer Tradition verpflichtet, die es in Demut und Zurückhaltung zu bewahren galt. Der Umgang damit war allerdings nicht von „masoretischer“ Texttreue gekennzeichnet, sondern von einer gewissen „Kreativität“, die zu mitunter eigenwilligen Kompositionen führte. Eine der wichtigsten Folgen davon war, dass die betreffenden Schriften ständiger Wandlung unterworfen waren, unter wechselnden Überschriften auftauchten und in zahlreiche Redaktionen zerfielen. Sie waren unter Umständen nicht einfach Blaupausen, die es unverändert zu vervielfältigen galt, sondern gewissermaßen plastische „Vorlagen“, die vielfach überarbeitet, gesplittet und neuzusammengesetzt wurden. Es wäre daher angemessen, weniger von feststehenden Texteinheiten auszugehen denn von lose gebundenen“ Erzählstoffen und Motivbündeln, die vergleichbar mit zellulären Netzwerken, die verschiedene organische Verbindungen eingehen je nach literarischer Zwecksetzung stets neu gebildet und neu aufgelegt werden können. Einige Transformationsmechanismen sind per se der apokryphen Literatur inhärent (relative Instabilität der Textstrukturen), andere ergeben sich beim Transfer in den kirchenslavischen Bereich. Dies kann beispielsweise eine neue thematische Gesamtausrichtung gegenüber den Parallelüberlieferungen sein wie im Fall der kirchenslavischen Adam-und-Eva-Schriften, die sich durch eine stärkere Hinwendung zum Diesseits und durch ein pragmatisches Interesse an Daseinssorgen auszeichnet. Die Spaltung in Redaktionen geht dabei auf eine Neuordnung der Kompositionsstruktur zurück. Zu berücksichtigen sind ferner die assoziativen Netze, die sich um eine Texteinheit spannen. Sie 1 Alekseev, Tekstologija, 28-29. Innenansichten der kirchenslavischen Überlieferung 70 können Verbindungen zu exemplarischen Gestalten (Offenbarungsempfänger), mythologischen Grundstrukturen (Wanderung zum Paradies) und verwandten Themen und Motiven (Adams Schädel und Golgota) umfassen. Der Durchgang durch die Adam-und-Eva-Literatur hat schließlich eine Reihe von Besonderheiten offengelegt, die nicht nur allgemein für apokryphe Schriften zutreffen, sondern ganz besonders für die Überlieferung von Apokalypsen charakteristisch sind: (1) Eine Überschrift kann einem narrativen Textcorpus eine apokalyptische Ausrichtung verleihen. Die Superscriptio der VAE gr verwandelt die Adamund-Eva-Erzählung in eine Offenbarung, die an Mose übermittelt wurde. Es ist für die späteren Apokalypsen aber gar nicht unüblich, dass eine visionäre Autorität nur in der Überschrift begegnet und außerhalb von ihr nicht mehr erwähnt wird (Pseudo-Methodius-Apokalypse, Daniel- und Jesaja-Zyklus). (2) Die Benennung eines Offenbarungsmittlers stellt einen Bezug zu jenen Traditionen her, in welchem er explizit als Empfänger apokalyptischer Geheimnisse fungiert (Himmelfahrten des Mose, Daniel-Apokalypsen). (3) Auch in nicht-apokalyptischen Schriften können Motivdispositionen begegnen, die eine apokalyptische Qualität aufweisen (Paradieswanderung des Seth, Prophezeiung eines Engels über künftige Geheimnisse). (4) Ein- und dieselbe Episode kann in verschiedenen Zusammenhängen auftreten (besagte Paradiesreise des Seth in VAE sl und in EvNic sl) und verschiedene theologische Aussagen bekräftigen (Unumkehrbarkeit des Todes - Hoffnung auf eine Auferstehung aller Menschen). (5) Es ist stets mit starken Wechselwirkungen innerhalb der Kontextmanuskripte zu rechnen. Dies betrifft nicht nur übergeordnete Textassoziationen, sondern die Qualität von Texteinheiten an sich. So wurde beispielsweise die kurze Redaktion der VAE sl zu einer Hinführung zur Sage vom Kreuzholz (DAC sl) umgearbeitet. (6) Es ist stets in Rechnung zu stellen, dass wir es in der Regel nur mit einem Teilausschnitt der Überlieferung zu tun haben, während ein erheblicher Prozentsatz der Handschriften unentdeckt oder unveröffentlicht bleibt. (7) Auch bei den zugänglichen Textausgaben ist von erheblichen Differenzen in der Bewertung der handschriftlichen Überlieferung auszugehen, die nicht nur die Anordnung in Überlieferungszweigen betreffen, sondern auch die Klassifizierung der Manuskripte beeinflussen. Teil B: Quellensynopse III. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen Die nachfolgend gebotene Übersicht der apokalyptischen Quellen in kirchenslavischer Überlieferung ist unter chronologisch-taxonomischen Gesichtspunkten aufgebaut, insoweit sich die betreffenden Schriften natürlich historisch-philologisch einordnen lassen. Sie enthält Kurzportaits der einzelnen Apokalypsen, die Grunddaten der handschriftlichen Tradition, Inhaltsangaben, Resümees der Datierungsdiskussio sowie Anmerkungen zur Rezeption in den kirchenslavischen Literaturen. Im Zuge der Synopse wird das „Mosaikbild“ der kirchenslavischen Apokalypsen nach und nach vervollständigt. Maßgeblich sind dabei die drei zeitlichen Prismen, die eingangs erwähnt wurde: (1) Entstehung bzw. Abfassung des vermutlichen Originals; (2) Übertragung ins altslavische Schrifttum; (3) Diffusion innerhalb der kirchenslavischen Literaturen. Eine tabellarische Zusammenstellung führt die Ergebnisse der Durchsicht zusammen und verdeutlicht die literarische „Stratigraphie“ der altslavischen Apokalyptik. Die früheste Überlieferungsschicht bilden die frühjüdischen und urchristlichen Pseudepigraphen, die in der Regel dem Typus „Himmelsreise“ zuzuordnen sind - sei es als Metagattung, die andere Textsorten umfasst, sei es als Subgenre innerhalb einer übergeordneten Erzählung. Drei davon sind ausschließlich aus der kirchenslavischen Überlieferung bekannt: Das slavische Henochbuch, die Abraham-Apokalypse und die Leiter Jakobs. Das Testament Abrahams knüpft an die apokryphen Literaturen des östlichen Mittelmeerraumes an und zeigt ein Überlieferungskontinuum auf, das in zahlreichen Sprachen in verschiedener Färbung auftaucht. Die Testamente der zwölf Patriarchen werden auf Grund der breit eingestreuten visionären Sequenzen ebenso in die Übersicht aufgenommen, wobei hier sowohl in Bezug auf die apokalyptischen Partien als auch auf die slavische Rezeption weitere Forschung notwendig ist. Die Himmelfahrt des Jesaja in der altbulgarischen Literatur gut bezeugt und textkritisch recht gut erschlossen. Die sog. griechisch-slavische Baruch- Apokalypse (3 Bar) schließt den ersten Abschnitt der Synopse ab. Damit wird deutlich, das schon in der Frühzeit der Herausbildung der altsbulgarischen Literatur ein reicher Fundus an frühjüdischen Apokalypsen aus dem byzantinsichen Griechsich übersetzt wurde - lange bevor die meisten kanonischen Texte des Alten Testamentes vollständig übertragen worden waren. 1. Das slavische Henochbuch Das sog. slavische Henochbuch ist das wohl bedeutendste Zeugnis der apokalyptischen Literatur in kirchenslavischer Überlieferung. 1 Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass damit die Geisteswelt des hellenistischen Judentums in den Kulturbereich der Slavia Orthodoxa Einzug gehalten hat. Die Zuordnung zum Genre der Apokalyptik ist schon auf einer Meta-Ebene gewährleistet, insoweit die Himmelsreise und die visionäre Einweihung Henochs das inhaltliche Gerüst der Erzählung bilden (Kap. 1-38). Der Text bietet zugleich ein reichhaltiges Spektrum an Gattungen und Stilformen, die vor allem im Mittelteil in ein weisheitliches Kompendium münden (Kap. 39-67). Eine Auswahl an Handschriften umfasst zudem einen Anhang, in welchem von der Gründung eines priesterlichen Kultes berichtet wird (Kap. 68-73). 2 Zentrale Bezugsfigur der um je ein Oberthema kreisenden Hauptpartien sowie der in ihnen entfalteten weisheitlich-paränetischen Erzählkomplexe ist Henoch selbst, der abwechselnd als Visionär und Vermittler kosmischer und eschatologischer Geheimnisse, als allwissender himmlischer Schreiber, als urzeitlicher Mahner und Ethiklehrer und schließlich als kultischer Gründer auftritt. Damit ermöglich Henochs Gestalt die zwanglose Integration verschiedener Traditionen in den narrativen Grundplan. 3 Die nahezu unerschöpfliche Bandbreite von Henochs Offenbarungen, das die selbst den Engeln vorenthaltenen Schöpfungsgeheimnisse, die Stellung des Menschen in einem übergeordneten kosmischen Zusammenhang mit allen daraus hervorgehenden ethischen Pflichten sowie Fragen kultischen und rituellen Charakters gleichermaßen umfasst, wird unter Rückgriff auf ein weit gefächertes Repertoire von Textformen weitergegeben. 4 Durch seine streng durchdachte, einheitlich konzipierte Struktur mit eigener Zielsetzung unterscheidet sich das slavische Henochbuch erheblich von der restlichen Henoch- Literatur, für welche im Ganzen die Nebeneinanderstellung verschiedener Traktate mit jeweils in hohem Maße homogenem Material charakteristisch ist. 5 1 Bibliographien bei Orlov & Boccaccini (ed.), Perspectives, 455-471; Orlov, Selected Studies, 222-243; DiTommaso, Bibliography, 431-449; Lehnhardt, Bibliographie, 449-452, Böttrich, Weltweisheit, 4-18; 226-247; Böttrich, Henochbuch, 821-828. 2 Inhaltsübersichten bei Böttrich, Weltweisheit, 145-149; Böttrich, Henochbuch, 817-818. 3 Zur Interpretation von Henoch als weisheitlicher, ethischer und kultischer Integrationsfigur siehe die Ausführungen von Böttrich, Weltweisheit, 145-215. 4 Siehe dazu Berger, Formgeschichte, 295-305 (apokalyptische Gattungen); 280-295 (Vaticinien, Visions- und Auditionsberichte). 5 Berger, Art. „Henoch“, 479-480; Böttrich, Henochbuch, 785. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 74 Überlieferung- und Entstehungssituation Die Überlieferungsgeschichte des slavischen Henochbuches ist größtenteils ins Dunkel gehüllt. Der Text wird erst in späten Abschriften greifbar und liegt ausschließlich in kirchenslavischen Codices vor. Die Handschriften (die meisten davon fragmentarisch) stammen aus der Zeit vom 14. bis 18. Jh. und zerfallen in eine lange und eine kurze Redaktion. 6 Die erste davon wurde vor über hundert Jahren von M.I. Sokolov ediert, 7 letztere vor mehr als einem halben Jahrhundert von A. Vaillant. 8 Ihre Editionen bildeten jahrzehntelang die Basis für die Auseinandersetzung mit dem slavischen Henochbuch, bis G. Macaskill erst kürzlich eine neue Textausgabe vorlegte. 9 Vor wenigen Jahren wurden vier koptische Fragmente publik, die wohl ins 8. bis 10. Jh. zu datieren sind. 10 Sie sind von besonderer Bedeutung, da sie, obwohl nur einen Bruchteil des Textumfangs betreffen, die wichtigen Kapitel 36-42 widerspiegeln und sowohl ihre bislang offene Reihenfolge erhellen als auch die Priorität der kurzen Fassung bekräftigen. Auf inhaltlicher Ebene erschwert die fragwürdige Zugehörigkeit der sog. Melchisedek-Erzählung (Kap. 69-73) zum Epilog des Hen(sl) die Gesamtzuodnung. 11 Hinzu kommt die fehlerbehaftete, von Missverständnissen und Fehldeutungen geprägte Übersetzung in einigen Abschriften. 12 Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht Wunder, dass die Einordung der Schrift mitunter in einem sehr weiten Rahmen schwankt. Die Datierung variiert von Autor zu Autor innerhalb eines Jahrtausends (vom 1. bis zum 11. Jh.n.Chr.), die Lokalisierung der Urfassung schwankt vom östlichen Mittelmeergebiet (Ägypten) bis hin zum Balkanraum. 13 Gleichwohl scheint die Diskussion in den letzten Jahrzehnten einen tragfähigeren Boden zu betreten. 14 Eine Abfassung im 1. Jh.n.Chr. erscheint demnach recht wahrscheinlich, als 6 Böttrich, Weltweisheit, 3 (Handschriftenliste); Böttrich, Henochbuch, 788-795 (Verhältnisbestimmung der beiden Textfassungen); allegemeine Übersicht bei Sacchi, Art. „Henochgestalt/ Henochliteratur“, 48-50. 7 Sokolov, Materialy III (1899); Sokolov, Kniga Enocha II (posthum erschienen im Jahre 1910). 8 Vaillant, Livre des secrets (1952). 9 Macaskill, Slavonic Texts (2013). 10 Hagen, 2 Enoch Attested in Coptic, 7-34. 11 Für ihre Integrität mit dem ursprünglichen Text des Hen(sl) votiert Böttrich, Weltweisheit, 43-48; 147-149. 12 Ein bizarres Beispiel hierfür (die Verwandlung der Ophanim im sechsten Himmel in Phönixe) liefert Turdeanu, Curiosité, 53-54. 13 Diskussion bei Böttrich, Book of the Secrets, 52-57. 14 Noch immer maßgeblich sind die Studien von Böttrich, Weltweisheit (1992) und Böttrich, Henochbuch (1995). Neuere Gesichtspunkte werden im Sammelband von Orlov & Boccaccini (ed.), Perspectives (2012) erörtert. Das slavische Henochbuch 75 Entstehungsort kommt wohl Alexandrien in Frage. 15 Ob hinter der griechischen Fassung ein semitisches Original liegt, bleibt hingegen fragwürdig. 16 Die Übertragung ins Altbulgarische (Mazedonien? ) wäre schon für das 10. (spätestens 11. Jh.) anzunehmen. 17 Von hier aus gelangte der Text nach Russland. 18 Die Argumente zu Gunsten einer Priorität der kürzeren Fassung, die anschließend auf slavischem Boden erweitert wurde, dürften indes etwas mehr Plausibilität für sich beanspruchen. 19 Themenüberblick Im slavischen Henochbuch wird eine außerordentliche Bandbreite an theologischen Themen und mythologischen Bildern entfaltet, die von nahezu enzyklopädischer Reichweite ist. Abbildung 2: Henochs Wanderung durch die sieben Himmel Kein anderes Zeugnis apokalyptischer Literatur aus der slavischen Tradition liefert einen derart reichhaltigen Schatz an älterem Material - dies sowohl hinsichtlich der Inhalte als auch der sie tragenden Textformen und Gattungen. Es lässt sich mit Chr. Böttrich drei großen Themenbereichen zuordnen: Weisheit, Ethik und Kult, 20 die jeweils apokalyptische Bezüge aufweisen. 15 Der Argumentation von Chr. Böttrich ist grundsätzlich zuzustimmen; cf. Böttrich, Henochbuch, 807-813. 16 Macaskill, 2 Enoch, 101. 17 Navtanovich, Provenance, 78. 18 Böttrich, Weltweisheit, 103. 19 Mit Navtanovich, Provenance, 78 und gegen Böttrich, Book of the Secrets, 53. 20 Böttrich, Weltweisheit, 145-211. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 76 (1) Himmlisches Schon die Überschrift „Buch der Geheimnisse Henochs“, die folgerichtig in den meisten Übersetzungen wiedergegeben wird, taucht die an Henoch ergangenen Offenbarungen in ein esoterisches Licht. 21 Es handelt sich um arkanes Wissen, das vor der Sintflut dem siebten Patriarchen kundgetan wurde, und damit um eine „Apokalypsis“ - eine Enthüllung im doppelten Sinne: Einmal in mythischer Urzeit, einmal als Einweihung der Leser, die das geheime Buch aufschlagen. Die Rahmengattung „Apokalypse“ ist durch die Wanderung von Henoch durch die sieben Himmel gegeben, die als tragendes Erzählgerüst fungiert und die Integration vielfältiger Textsorten ermöglicht. Die Vorstellung eines stockwerkartig, genaugenommen pyramidal gebauten Universums begegnet in ähnlicher Form in verwandten kirchenslavisch bezeugten Apokalypsen (3 Bar, AscsIes, ApcPauli), 22 nicht jedoch in denjenigen des historischen Typus (Daniel- und Jesaja-Zyklus). Die einzelnen „Etagen“ dieses Weltbaus sind mystisch aufgeladen und reell zugleich: Sie sind Stufen der ekstatischen Jenseitsschau und entsprechen den Stationen einer Initiation in die himmlischen Geheimnisse. Zudem stellen sie ein Panorama der unsichtbaren Welt dar und spiegeln eine Kartographie des Jenseits wider. Das siebenstufige Himmelsmodell prägt allerdings nicht nur die Strukturierung von Henochs visionären Erfahrungen, sondern bietet ein vom Schöpfungsbericht in Gen 1,1-2,4 abweichendes räumliches Schema. Es ordnet die während der Schöpfung hervorgebrachten Phänomene nicht diachron in einem Wochenmodell, sondern synchron als stets im Raum gegenwärtig an. 23 Sie werden durch ihre Nähe bzw. „Entfernung“ vom Schöpfer hierarchisch gewichtet und von Henoch aufgeschrieben, der im höchsten Himmel am Gipfel und damit in der „Mitte“ der Schöpfung angelangt ist und von da aus alles Dagewesene überblickt. Das Buch von Henochs Geheimnissen weist sich also als jenseitiger Reisebericht aus, in welchem alles Erlebte genau „protokolliert“ wird. Darin werden verschiedene Wissenssorten erfasst wie beispielsweise Meteorologie oder Kalenderwissen, die auf das Engste mit mythischen Vorstellungen verknüpft sind. So werden die Vorratsspeicher für verschiedene Witterungserscheinungen (eine Art Container für Schnee, Hagel, Tau und Wolken) von eigens zuständigen Dienstengeln im ersten Himmel verwaltet (4,1-6,1), d.h. geöffnet und geschlossen. Gefängnisse für die gefallenen Engel sind im zweiten (Kap. 7) und im fünften Himmel (Kap. 18) errichtet. Die paradiesische Oase und die 21 Morfill, Book of the Secrets (1896); Forbes, Book of the Secrets, 425-469; Bonwetsch, Henochbuch (1922); Vaillant, Livre des secrets (1952). Übersicht der Überschriften in den einzelnen Codices bei Böttrich, Henochbuch, 829. 22 Vergleichsmaterial bei Böttrich, Weltweisheit, 136-139. 23 Ibid., S. 167-169; 180-184; 221-223. Das slavische Henochbuch 77 jenseitigen Straforte sind im dritten Himmel (Kap. 8-10) situiert. Der vierte Himmel ist astronomischen Phänomenen vorbehalten: Hier liegen beispielsweise die Aus- und Eingangstore und die Durchgangsstationen für die Wagen von Mond und Sonne sowie für die Bahnen der Gestirne (Kap. 11-17). Der sechste Himmel wird als „Verwaltungszentrale der Dienstengel für astronomische Belange (Sonne, Mond, Sterne) und für irdische Belange (Naturprozesse, Menschenleben)“ portraitiert (Kap. 19). 24 Hier findet eine Art himmlische Totalüberwachung statt, da alles auf der Erde Geschehene genau festgehalten wird. Höhepunkt der Reise ist die Schau von Gottes Thron im siebten Himmel inmitten des ihn umgebenden Hofstaates - Erzengel, Obrigkeiten und Mächte, Cherubim, Seraphim und Ophanim, die allezeit Lobgesänge anstimmen (Kap. 20-22). Die beiden Begleitengel Samoil und Raguil treten zurück, und Henoch wird durch den Erzengel Gabriel vor Gott gebracht „wie ein Blatt vom Wind hinweggerissen wird“ (21,1-5). Entgegen Ex 33,20 schaut Henoch den Herrn von Angesicht zu Angesicht (V.1). Er bekommt durch den Erzengel Vrevoil Einsicht in die himmlische Bibliothek (23,1-5). Nach der Installation als Schreiber im himmlischen Hofstaat und Protokollant der Werke aller Menschen wird Henoch, zur Linken des Herrn sitzend, vom Schöpfer selbst ausführlich in die Schöpfungsordnung eingeführt (Kap. 24-36). Am Ende der Himmelsreise bekommt Henoch den Auftrag, das Erlebte, Geschaute und Gehörte bis zu seiner endgültigen Entrückung binnen einer Frist von dreißig Tagen an seine Söhne und Hausgenossen weiterzugeben und ihnen die im Himmel abgeschriebenen 366 Bücher zu hinterlassen (36,1-3). Es sei nur nebenbei angemerkt, dass die Szenerie von Henochs Wanderung im Jenseits vielfach an einen orientalischen Palast erinnert (Eskorte durch Leibwächter, oasenartiger Lustgarten, Kerker für Gefangene, der Bestrafung harrende Verschwörer, Spione und Denunzianten, eine mit Lobhymnen aufwartende Gefolgschaft, Hofbibliothek, Audienz im Thronsaal). (2) Irdisches Die Weitergabe von Henochs Wissen an seine Hausgenossen im zweiten Hauptteil des Buches ist als testamentarische Rede gestaltet. Dies geschieht in einem paränetischen Rahmen unter Eingliederung weiterer symbuleutischer Gattungen (Kap. 40-67). 25 Neben Mahnreden, Tugend- und Lasterkatalogen, Tat-Folge-Schemata u.ä. findet sich hier die wohl umfangreichste Sammlung von Makarismen in der frühjüdischen Literatur (42,6-14; 52,1-14). 26 Signifikant für Henochs ethische Anweisungen ist die Scheidung der Menschen in zwei 24 Nach der zutreffenden Formulierung von Böttrich, Weltweisheit, 150. 25 Klassifizierung nach Berger, Formgeschichte, 36ff. 26 Oegema, Apokalypsen, 156. Näheres zur Gattungsform bei Berger, Formgeschichte, 188- 194 und Kähler, Studien (1974). Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 78 gegensätzliche Gruppen, die für ihr Tun jenseitige Konsequenzen angesichts des vorhin erwähnten Modells räumlicher Eschatologie anvisieren müssen. 27 Die Anthropologie des Hen(sl) steht insgesamt im Zeichen der Mikrokosmos- Makrokosmos-Entsprechung: Der erste Mensch wird aus sieben Elementen des Kosmos, von sichtbarer und unsichtbarer Natur geschaffen; den Namen „Adam“ erhält er nach den vier Himmelsrichtungen: , , ,  (30,8-14). 28 Die Schöpfung wird aus anthropozentrischer Perspektive betrachtet (65,3): Der Herr setzte den Äon um des Menschen willen, und schuf die ganze Schöpfung um seinetwillen. (3) Priesterliches Ein retrospektives Resümee in Kap. 68 bildet den Übergang zum dritten Hauptteil des Buches (Kap. 69-73). Darin ist von rituellen Handlungen und Kultgründern die Rede. So erfährt Henochs Sohn Methusalem im Schlaf, dass er am Ort Achuzan Henoch einen Altar weihen soll (69,4-5). Er soll ferner seinem Nachfolger Nir eine apokalyptisch aufgeladene Sintflutankündigung übermitteln (70,4-10): Denn in seinen Tagen wird eine überaus große Unordnung auf der Erde sein. Denn ein Mensch ist auf seinen Nächsten neidisch geworden, und ein Volk hat sich über das [andere] Volk erhoben, und eine Nation hat [gegen die andere] Krieg begonnen, und die ganze Erde ist erfüllt mit Befleckung und mit Blut und mit einem jeden Übel. Und noch dazu haben sie ihren Schöpfer verlassen, und werden nichtige Götter anbeten und was am Himmel befestigt ist und was auf der Erde geht und die Wellen des Meeres. Und der Widersacher wird sich rühmen und wird sich freuen über seine Werke zu meinem großen Verdruss. Und die ganze Erde wird ihre Einrichtung verändern, und jeder Baum und jede Frucht wird ihren Samen verändern, indem sie die Zeit der Vernichtung erwarten. Und alle Nationen werden sich auf der Erde verändern [und] all mein Begehren. Dann werde ich dem Abgrund befehlen, dass er sich auf die Erde ergieße, und die großen Vorratsspeicher der himmlischen Wasser werden auf die Erde herabkommen in einer großen Materie und gemäß der ersten Materie. Und der ganze Bestand der Erde wird verderben, und die ganze Erde wird vertilgt werden, und sie wird ihrer Kraft beraubt werden von diesem Tag an. Dann werde ich den Sohn deines Sohnes Lamech bewahren, seinen ersten Sohn Noah. Und von seinem Samen werde ich eine andere Welt errichten, und 27 Böttrich, Weltweisheit, 176-178. 28 Hintergründe und ausgiebiges Vergleichsmaterial bei Böttrich, Adam als Mikrokosmos (1995). Das slavische Henochbuch 79 sein Same wird überdauern in Ewigkeit bis zur zweiten Vernichtung, wenn die Menschen ebenso sündigen werden vor meinem Angesicht. Die Unheilsansage wird im Epilog („Melchisedek-Erzählung“) in einer nächtlichen Erscheinung gegenüber Nir aufgegriffen (71, 27): Und siehe, ich will nun eine große Vernichtung auf die Erde hinabschicken, und der ganze Bestand der Erde wird verderben. Kontextualisierungsebenen Das Henochbuch war bezeichnenderweise in sehr unterschiedlichen Kontexten beheimatet. Es entstand im alexandrinischen Judentum und war ursprünglich auf die Integration hellenistischer Kultur und jüdischer Religion ausgelegt. Eine nächste Rezeptionsstufe wäre in „esoterischen Kreisen der frühen jüdischen Mystik“ (Chr. Böttrich) zu vermuten. 29 Es bleibt zu fragen, welche Gruppen im frühen Christentum Gefallen an der arkan angehauchten Apokalypse fanden. In Byzanz dürften monastische Kreise in Henochs Figur mystische Inspiration geschöpft haben. Hinweise auf den Rezeptionszusammenhang im slavischen Bereich liefern die Kontextmanuskripte des Henochbuches wie von Chr. Böttrich richtig erkannt: Sie verraten einmal ein eschatologisches Interesse, legen aber auch Verbindungen zur Gattung der sog. „Chronographen“ (weltgeschichtliche Chroniken) nahe. Ein weiteres Überlieferungsmedium sind juristisch-moralische Sammelbände. Eine Überarbeitung erfuhr das Henochbuch im Textcorpus des Traktates „Merilo pravednoe“ („Gerechte Waage“) aus dem 14. Jh., in dem auf Henoch als ethische Autorität Bezug genommen wird. 30 Eine übergeordnete Referenzebene ist in den historisch-eschatologisch geprägten Apokalypsen gegeben, in denen Henoch zusammen mit Elija als endzeitlicher Überführungszeuge auftritt. 31 Eine Andeutung hierauf findet sich im Proömium des ältesten Textzeugen von Hen(sl) aus dem 14. Jh. Aus den Büchern Henochs des Gerechten, der vor der Flut war und auch jetzt noch lebt (k.m.). 32 In der Bilanz werden im Henochbuch folgende Formen von Apokalyptik als Textsorte erkennbar: (1) Rahmengattung: Strukturschema für die Anlage des Textes (Himmelsreise, visionäre Übergänge) 29 Böttrich, Weltweisheit, 215. 30 Ibid., S. 62-80. 31 Belege im Übersetzungsteil (insb. Kap. X.4-7 und 15). 32 Böttrich, Henochbuch, 829. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 80 (2) Teilgattung (weisheitliches Wissen über die himmlische Welt, endzeitlich umgedeutete Sintflut) (3) Kontextuelle Bezüge (eschatologische Kontextmanuskripte) (4) Intertextuelle Bezüge (Henochs Rückkehr am Ende der Zeiten) 2. Die Abraham-Apokalypse Die Abraham-Apokalypse (ApcAbr) ist ebenso wie das slavische Henochbuch und die Leiter Jakobs nur dank der kirchenslavischen Überlieferung auf uns gekommen. 1 Der Text ist von großer Bedeutung, da er sowohl die frühe Phase der slavischen Literaturen widerspiegelt als auch den Übergang von der frühjüdischen Apokalyptik zur späteren mystischen Literatur dokumentiert. 2 Die Apokalypse wurde erstmalig Mitte des 19. Jh. bekannt und seitdem mehrfach ediert und in verschiedene europäische Sprachen übersetzt. 3 Die kritischen Textausgaben neueren Datums berücksichtigen jedoch nicht die Gesamtmasse des handschriftlichen Materials in ihrem vollen Umfange, sodass auch hier auf das Desiderat einer Aktualisierung der Textbasis hingewiesen werden muss. 4 Bezeugung Der Großteil der Überlieferung entstammt der Tradition der sog. Palaea, sodass die ungeklärten Fragen diesbezüglich sich auch auf die Apokalypse Abrahams übertragen. Dies betrifft unter anderem die Textstruktur der Palaea, die Fragen nach ihrer Entstehung und die Problematik einer zuverlässigen Textausgabe. 5 Interessanterweise ist die Apokalypse auch außerhalb der Palaea bezeugt. Die fragliche Kopie findet sich im sog. Sylvester-Codex aus dem 14. Jh.; sie wird ferner von zwei weiteren Abschriften aus dem 16. Jh. gestützt. 6 Dieser Überlieferungszweig ist jedoch nicht unproblematisch, insoweit er … zahlreiche Fragen aufgibt, die auf vorhandene Missverständnisse und Verstümmelungen … hinweisen. 7 1 Bibliographien bei Orlov, Selected Studies, 246-255; DiTommaso, Bibliography, 135-144; Lehnhardt, Bibliographie, 419-421; Delling, Bibliographie, 163-164; Denis, Introduction, 37-38. 2 Kulik, Toward the Original, 1. 3 Bonwetsch, Apokalypse Abrahams (1897); Box & Landsman, Apocalypse of Abraham (1918; 2 1919); Riessler, Schrifttum (1928), 13-19, 1267-1269; Rubinkiewicz, Apocalypse d'Abraham (1977) / Nachdruck in Rubinkiewicz, Apocalypse d'Abraham (1987)/ ; Rubinkiewicz, Apocalypse of Abraham (1983); Philonenko-Sayar & Philonenko, Apocalypse d'Abraham (1981); Philonenko-Sayar & Philonenko, Apokalypse Abrahams (1982); Petkanova & Miltenova, Eschatologija, 17-30; 208. 4 Santos Otero, Überlieferung der Apokalypse Abrahams, 389-406. 5 Siehe dazu Kap. II.1. 6 Santos Otero, Überlieferung der Apokalypse Abrahams, 392. 7 Ibid., S. 393. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 82 Die Unebenheiten wären in erheblichem Maße durch eine - allzu wörtliche Übersetzung zu erklären, was wiederum die Chance einer „Zurückgewinnung“ der Vorlage(n) mit sich bringt. 8 Der Sylvester-Codex und seine Satelliten dürften indes auf dieselbe frühe Vorlage zurückgehen wie auch die Palaea-Tradition, 9 für welche in der Zwischenzeit zahlreiche neue Textzeugen zutage gefördert wurden. 10 Entstehung und Transmission Es herrscht ein gewisser Konsens darüber, dass das wie auch immer geartete Original der Apokalypse Abrahams im späten 1. Jh. resp. im frühen 2. Jh.n.Chr. auf palästinensischem Boden entstand. 11 Mangels externer Referenzen wird hierfür wie sonst oft üblich die Zerstörung des Zweiten Tempels als terminus post quem angeführt. 12 Es gleicht einem Glasperlenspiel herauszubekommen, ob die Urfassung auf Hebräisch oder Aramäisch abgefasst wurde. 13 Der Text wartet jedenfalls mit zahlreichen Hebraismen und Aramäismen auf lexikalischer (Wortspiele), morphologischer (Genitiv- und Komparativformen) und syntaktischer Ebene (parataktische Satzstruktur) auf. 14 Es lässt sich aber kaum sagen, zu welchem Zeitpunkt die Übertragung ins Griechische geschah, ebensowenig unter welchen Umständen die Apokalypse ins byzantinische Schrifttum überging und weiter tradiert wurde. Für die Aneignung im Kirchenslavischen wird eine Reihe von Hypothesen diskutiert. Sehr unwahrscheinlich ist erst einmal eine direkte Übersetzung aus dem Hebräischen im 11. oder 12. Jh. 15 Die Annahme einer späten Übersetzung (13. Jh.) im makedonisch-serbischen Raum wirft wiederum mehr Fragen auf als sie beantwortet. 16 Am plausibelsten erscheint eine Übernahme aus dem byzantinischen Griechisch im Ersten Bulgarischen Reich gegen Ende des 9. resp. Anfang des 10. Jh. 17 Es ist aber offen, ob die altbulgarische Übersetzung im gleichen Zeitraum in das Corpus der Palaea integriert wurde oder erst zu 8 Bemerkenswert ist das Experiment einer teilweisen Rückübersetzung von Kulik, Toward the Original, 9-90. Den Rekonstruktionsversuch eines einzelnen Begriffes (obraz]/ obrazovanïе als אסח ) unternimmt Lourié, Propitiatorium, 267-277. 9 Santos Otero, Überlieferung der Apokalypse Abrahams, 393. 10 Slavova, Paleja, 27-37. 11 Collins, Apocalyptic Imagination, 180-181; 12 Philonenko-Sayar & Philonenko, Apokalypse Abrahams, 419; cf. noch Rubinkiewicz, Apocalypse of Abraham (1983), 683. 13 Davila, Hebrew or Aramaic, 3-61. 14 Rubinkiewicz, Apocalypse of Abraham (1983), 683; Philonenko-Sayar & Philonenko, Apokalypse Abrahams, 417 15 Rubinkiewicz, Apocalypse of Abraham, 682-683. 16 Turdeanu, Apocalypse d'Abraham, 158-161 (Nachdruck in Turdeanu, Apocryphes slaves, 178-181). 17 Lunt, Transmission, 686-688. Die Abraham-Apokalypse 83 einem späteren Zeitpunkt. 18 Ihre Weitergabe in Russland lässt sich an Hand ostslavischer Abschriften etwas genauer nachzeichnen, einzelne Stationen sind beispielsweise Novgorod im 15. Jh. und Volokolamsk Anfang des 16. Jh. 19 Aufbau und Inhalt Die Apokalypse setzt sich aus zwei Genesis-Deutungen zusammen, die miteinander verbunden sind. Ein haggadischer Midrasch über die Konversion Abrahams vom Götzenkult zum Monotheismus im Hause seines Vaters Thares (AbrApc 1-8) fußt auf Gen 11,31-12,1-3. Das Tieropfer Abrahams nach Gen 15,9-17 wird zu einer apokalyptischen Offenbarung ausgestaltet (Kap. 9- 31). Thema ist die bedingungslose Scheidung von Götzenanbetern und Monotheisten. Der Ausbruch Abrahams aus dem sesshaften Leben und sein Aufbruch ins Nomadendasein werden damit als Übergang in eine höhere, apokalyptische Wahrnehmungsstufe gedeutet; Kult und Vision werden zusammengeführt. Die Abkehr vom illusionären Götzenglauben und der visionäre Aufstieg zu Gott werden so in plastische Bilder gekleidet. Singuläre Züge Das bekannte Faible von Apokalypsen für surreale Bilder kommt im Text der Abraham-Apokalypse des Öfteren zum Tragen. Seinesgleichen sucht die Nutzung der beiden Opfertauben als Vehikel zum Himmel, die den Patriarchen und den begleitenden angelus interpres Jaoel als eine Art Helikopter hinauftragen (15,1-4). 20 Die Begrifflichkeiten von „Feuer“ (8,1; 9,7; 15,3.5; 17,2.9; 18,1- 3.9-12; 19,1.4) und „Licht“ (9,2; 15,4; 17,15-16; 18,11; 19,4) haben eine tragende Rolle und werden eng aufeinander bezogen. Das Element des Feuers dient sowohl der Läuterung und Erhöhung als auch der Vernichtung und Bestrafung. Eine vom Himmel herabgeschleuderte Feuerflut vernichtet Thares’ und sein Haus zusammen mit all seinen Idolen (ApcAbr 8,1-6), und Feuer vom Himmel in der Gestalt eines Ofens und einer Fackel fährt zwischen die hälftig arrangierten Opfertiere hindurch (Gen 15,10-17; ApcAbr 12,8; 13,1-2; 14,5; 15,1). Es ist abermals das Feuer des Brandopfers, welches die Himmelsreise einleitet (ApcAbr 15,1.3; 17,1). Das kultische Feuer geht nahezu unmerklich in 18 Frühdatierung bei Slavova, Paleja, 266-267; für eine spätere Übernahme der separat kursierenden Abraham-Apokalypse in die Palaea Interpretata plädiert Santos Otero, Überlieferung der Apokalypse Abrahams, 392. 19 Turdeanu, Apocalypse d‘Abraham, 161-164 (Nachdruck in Turdeanu, Apocryphes slaves, 181-184). 20 Heininger, Paulus, 134. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 84 himmlisches Licht über, welches die Schau von Feuerthron und feuerrädrigem Tragewagen als Höhepunkt und eigentliche Mitte der Opfervisionen Abrahams durchflutet (18,1-11). Der mit Abstand extravaganteste Wurf der Apokalypse ist jedoch die Vorrichtung einer himmlischen Leinwand (21,3ff.), auf welche das Weltgeschehen übertragen und simultan erklärt wird - wohl Gottes Thron, der als eine Art „Display“ dient. 21 Folgende Sequenzen werden hierauf Abraham vorgeführt: 1. Sequenz (21,4-8): Schau der Gesamtheit des Kosmos 2. Sequenz (21,9; 22,4-6): Die zweigeteilte Menschheit 3. Sequenz (23,1-13): Der Sündenfall der Protoplasten 4. Sequenz (24,4-8): Die Urtriebe Tod und Unzucht 5. Sequenz (25,1-8): Das Idol der Eifersucht 6. Sequenz (26,5-27,8): Überfall der Heiden auf das Volk der Auserwählten 7. Sequenz (28,1-29,2): Die zwölf Zeitalter des diesseitigen Äons 8. Sequenz (29,3-11): Auftritt einer messianischen Figur inmitten der Heiden Im Nachspiel der Apokalypse werden Abraham in einer Audition zehn Endzeitplagen verkündet, die auffallender Weise nur Heiden betreffen (ApcAbr 30,1-8). In diesem Ton ist auch das abschließende Kapitel 31 gehalten. Das eschatologische Szenario setzt folgenden Ablauf der Endereignisse voraus: - Posaunenschall - Auftritt des Messias - Sammlung der Gerechten (deren Zahl laut 29,15 unbekannt ist) - Scheidung von Heiden und Auserwählten - Vernichtung der paganen Völker. Kontextualisierung Die Apokalypse Abrahams steht im kirchenslavischen Schrifttum nicht isoliert da, sondert gehört zu einem umfassenden Erzählzyklus, der mehrere Novellen über Abraham, Sarra, Isaak, Melchisedek und Ismael zu einer narrativen Ganzheit verbindet. Erhalten sind zwei Redaktionen hiervon, die jeweils auf eine frühe Übersetzung ins Altkirchenslavische im 10. Jh. und eine spätere südslavische Bearbeitung im 12.-13. Jh. zurückgehen. Ihre handschriftliche Überlieferung ist ab dem späten 14. Jh. belegt und erfolgt sowohl über die 21 Nach der Interpretation von Lourié handelt es sich beim „Television Screen“ um den Thron Gottes (Lourié, Propitiatorium, 277). Die Abraham-Apokalypse 85 Palaea Interpretata als auch in den Codices gemischten Inhaltes. 22 Die kirchenslavischen Abraham-Erzählungen weisen Berührungen mit einschlägigen Qumran-Texten wie beispielsweise 1 Q G Ap ar auf. 23 Auf einer übergeordneten Ebene wären schließlich die Apokalypse Abrahams und das Testament Abrahams als ein Doppelwerk innerhalb der kirchenslavischen Literatur zu betrachten. Sie behandeln jeweils die Jugend und die letzten Tage des Patriarchen und umspannen den Abraham-Zyklus als Introduktion und Schlussteil, indem sie apokalyptische Deutungen alttestamentlicher Perikopen entfalten. 22 Miltenova, Art. „Apokrifi za Avraam“, 32-33. Neubulgarische Übersetzung der zweiten Redaktion des Zyklus bei Petkanova, Apokrifi, 88-98; 356-363. 23 Vălčanov, Kumranski tekstove (Zusammenfassung auf S. 127-131). 3. Das Testament Abrahams Unter dem Titel „Testament Abrahams“ (Ἀverbirgt sich eine außerkanonische Erzählung vom den letzten Tagen und dem Tod des Patriarchen, die im christlichen Osten sehr verbreitet war und rund um das Mittelmeer bezeugt ist. 1 Der Hauptstrom der Überlieferung erfolgte im Griechischen bewahrt sind eine lange und eine kurze Fassung. Darüber hinaus sind Übersetzungen ins Kirchenslavische, ins Rumänische, ins Koptische (Bohairisch und Sahidisch), ins Arabische und ins Äthiopische (eine christliche und eine falaschische Version) erhalten. 2 Handlung Die apokalyptischen Partien der Erzählung sind in einem ungewöhnlichen Kontext angesiedelt, der durchaus Beachtung verdient und im Folgenden skizzenhaft wiedergegeben werden soll. Abraham wird eingangs als wohlhabender Scheich vor idyllischer Kulisse portraitiert. Er bekommt Besuch von einem Fremdling, den er überaus gastfreundlich empfängt (A/ B 2-5). Der Gast ist jedoch kein Geringerer denn Erzengel Michael, der im Auftrag von Gott die Nachricht überbringen soll, dass Abraham bald sterben wird (A/ B 1). Abraham weigert sich jedoch, den nahenden Tod wahrzunehmen bzw. anzunehmen (A/ B 3-4). 3 Aus dieser Weigerung ergibt sich eine Reihe von Verwicklungen, die die Novelle bis zum Schluss prägen. Die erste davon ereignet am selben Abend, als Isaak im Traum erfährt, dass sein Vater bald sterben wird; das bestätigt Michael als Traumdeuter. (A/ B 5-7). Abraham weigert sich erneut zu sterben und fängt an zu verhandeln. In der Folge wird ihm eine Schau der jenseitigen Welt zugesichert, bevor er die diesseitige verlässt (A 7-9/ B 7-8). 4 Dies ist wohl auch das einzige Beispiel einer Jenseitswanderung in der intertestamentarischen Literatur, die nicht etwa durch Gebet oder Fasten initiiert resp. als abrupte Entrückung inszeniert wird, sondert als Kompromiss in Folge eines Handels zustande kommt: 1 Bibliographien bei Orlov, Selected Studies, 256-257; DiTommaso, Bibliography, 145-161; Lehnhardt, Bibliographie, 269-273. 2 Zusammenfassung bei Delcor, Testament d'Abraham, 15-23; vgl. insbesondere das tableau comparatif (S. 23). 3 Zum Motiv der Weigerung des Gerechten zu sterben siehe Berger, Amen-Worte, 99-101 (hier insbes. Anm. 96). 4 Belege zu Abraham als Offenbarungsempfänger in rabbinischen Quellen und in der Kabbala-Literatur bei James, Testament of Abraham, 125, Anm. 2. Das Testament Abrahams 87 the heavenly journey found in the text is almost incidental. 5 Abraham wird zum Aussichtspunkt über die gesamte Erde erhoben und anschließend zu den Orten der postmortalen Rechtsprechung geführt (A 10- 15/ B 8-12). In diesem Punkt unterscheiden sich die beiden Fassungen wesentlich voneinander. Der längeren Version A zufolge weiht Abraham auf dem Weg zum jenseitigen Gerichtshof drei auf der Erde geschauten Gruppen von Sündern kurzerhand dem Tod (A 10ff.). Nach der kurzen Version nach B geschieht dies erst nach der Besichtigung des himmlischen Tribunals (B 12), was Abraham ein Stück weit als unnachgiebig und unbarmherzig erscheinen lässt. Aber auch nach dem himmlischen Exkurs zeigt sich Abraham unbelehrbar und will partout nicht Abschied nehmen und seinen Nachlass regeln (A 15). Damit reißt der Geduldsfaden im Himmel ein für alle Mal, und der Tod wird persönlich zu Abraham geschickt (A 16; B 13). Er erscheint in täuschend schöner Tracht und wendet eine List an, um den Patriarchen heimzuholen (A 20): Da sprach der Tod zu Abraham: „Komm, ergreife meine Rechte! Da wird zu dir kommen Fröhlichkeit, Leben und Kraft“. Denn der Tod hatte Abraham getäuscht. Da ergriff er seine Rechte. Und sogleich hing seine Seele in der Hand des Todes. Singuläre Züge Das Testament Abrahams wartet mit zahlreichen Besonderheiten auf, die auf den ersten Blick durchaus befremdlich erscheinen. Zunächst einmal handelt es sich um ein testamentloses Testament, denn Abraham hinterlässt keine Verfügung über sein Hab und Gut, obwohl er mehrfach dazu aufgefordert wird (A 1/ B 1; A 4/ B 4; A 8; A 9/ B 12). 6 Dies ist umso ungewöhnlicher, da Abraham traditionell als Vorbild des Gehorsams gilt, der bedingungslos Gott folgt und ihm vertraut (Gen 12,1-5; 22,1-19). Auf die Schrift trifft auch nicht die Gattungsbezeichnung „Testament“ zu. Gerade der Kernteil (mahnender Abschiedsdiskurs) ist nicht einmal ansatzweise vorhanden: Abraham stirbt, ohne sich um die Seinigen zu kümmern. 7 Der einzige Bezug zum Genre ist die Betonung der Tugend der Gastfreundschaft. 8 Dies reicht jedoch nicht aus, um TestAbr hierher zu zählen, 9 da er auch außerhalb eines testamentarischen Settings vielfach als gastliebend porträtiert wird (Hebr 13,2). 10 5 Dean-Otting, Heavenly Journeys, 175. 6 Sanders, Testament of Abraham, 879; Ludlow, Narrative Humor, 1. 7 Zur Gattung „Testament“ siehe Berger, Formgeschichte, 75 ff.; zum Bezug zu TestAbr cf. von Nordheim, Lehre der Alten I, 149-150; Diskussion der Gattungsbestimmung bei Kolenkow, Testament, 139-152. 8 Sanders, Testament of Abraham, 879. 9 Entgegen der Meinung von Delcor, Testament d'Abraham, 47-48. 10 Vasiliev, Anecdota, 214. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 88 Die Vorstellung eines Messias sowie einer wie auch immer gearteten Erlösungsfigur fehlt in beiden Rezensionen, sodass man mit M. Delcor schlussfolgern kann: Il s’agit d’un messianisme sans Messie. 11 Es ist ebenso ungewöhnlich, dass die himmlischen Pläne ins Leere laufen und einer Anpassung bedürfen. So erntet Michael wiederholt Misserfolg bei seiner Mission, Abraham heimzuholen, bis der Tod persönlich kommen muss (A 2/ B 2; A 5; A 9/ B 7; A 15; A 16/ B 13; A 20). Während Abraham in der biblischen Erzählung bis zum Äußersten um die „Frevler“ in Sodom und Gomorrha verhandelt (Gen 18,1-33), zeigt er sich im TestAbr als strenger Sittenwächter und wünscht vom Himmel herab den erblickten Sündern den Untergang herbei (A 10/ B 12). Unüblich ist überhaupt der Grund der Erhebung in den Himmel als eine Art Vorausschau, damit Abraham endlich gehen kann (A 9/ B 7-8). Ob aber Abraham im Körper oder nur mit seiner Seele die Jenseitsgefilde bereist, ist nicht Thema der Erzählung; 12 ebenso ist zu bezweifeln, ob sich dabei um den einzigen Beleg für eine Himmelsreise im Körper handelt. 13 Sehr ausgefallen ist die ausladende Gerichtsszenerie, derer Abraham ansichtig wird. Die Seelen der Gestorbenen werden demnach dreifach geprüft: Einmal auf der wohlbekannten Waage der Gerechtigkeit, einmal vermittels von Feuertrompeten und ein letztes Mal nach den Aufzeichnungen in den himmlischen Akten (A 12). Einmalig ist die Bezeugung eines dreifaches Gerichtes über die Menschen: Einmal am Ende des Lebens, dann am Ende der Geschichte und schließlich am Ende der Zeiten (A 13). Die Gesamtkonstellation erinnert vielfach an ein antikes Drama, in welchem vergleichbar mit dem Ödipus-Mythos Publikum und Protagonisten von Anbeginn um die Wahrheit wissen, nur Abraham nicht, der sie durchweg verdrängt (A 5/ B 6). Parodie oder Unterhaltungsliteratur? Das Testament Abrahams ist ein gutes Beispiel dafür, dass ethische Unterweisung nicht nur in belehrender Form geschehen muss, sondern durchaus humoreske Züge aufweisen kann. 14 Die Erzählung schwankt zwischen Komik und Tragik, zwischen Angst und Hoffnung, Verdrängung und Einsicht. Abraham wird nicht als engelsgleicher Gerechter überhöht, sondern durchaus 11 Delcor, Testament d'Abraham, 61. 12 Gegen Janssen, Testament Abrahams, 224-225, Anm. 156. 13 Gegen Dean-Otting, Heavenly Journeys, 196 14 Ludlow, Narrative Humor, 1ff. Zum Humor in der Bibel siehe Radday & Brenner (ed.), Humour (1990); zum Humor im religionssoziologischen Kontext Berger, Redeeming Laughter (1997); Berger, Erlösendes Lachen (1998). Das Testament Abrahams 89 von seiner menschlichen Seite gezeichnet. Er will einfach leben, und nicht einmal die mystische Schau des Himmels vermag ihm Hoffnung und Trost zu spenden. Auch Michael wird in einer unbequemen Rolle aufgeführt, da er zwischen der Achtung vor dem Gerechten und seiner Mission hin und her gerissen ist und ständig zwischen Himmel und Erde vermitteln muss. 15 Es wäre jedoch übertrieben, den tragikomischen Humor im TestAbr gleich als Satire oder Parodie aufzufassen. 16 Nirgendwo verlässt die Schrift den schmalen Grat zwischen Frömmigkeit und Pietätslosigkeit, und der humane Grundton wird in all den anekdotenhaften Verwicklungen stets beibehalten. Der Unterhaltungscharakter und die menschlichen Eigenarten des Testament Abrahams müssen den Rezipienten ganz besonders imponiert haben und dürften wesentlich zur Verbreitung der Schrift beigetragen haben. Anthropologische Themen Vom Umgang mit dem Tod Bei allen satirischen und humoristischen Anklängen wird im Testament Abrahams der vergebliche Kampf gegen den Tod in all seinen emotionalen Ambiguitäten existenziell und psychologisch durchaus glaubwürdig dargestellt. Das Testament Abrahams ist keine große Literatur, hat aber ein großes Thema: den Tod des Menschen und dessen vergeblichen Versuch, diesem Schicksal auszuweichen. 17 Abrahams vergebliche Versuche, das Unabwendbare abzuwenden, beschreiben den breiten Bogen von Nicht-Wahrhaben-Wollen über Verhandeln, Suche nach Auswegen, Kampf, Wut und Ohnmacht bis zu Resignation und Hinnahme des unausweichlichen Endes. Es sind allgemein menschliche Reaktionen im Umgang mit der Angst vor dem Tod, 18 die transkulturell, in Antike und Gegenwart in zahlreichen Geschichten zur Sprache kommen. Ein alter Mann war, unter einer schweren Last von Reisigbündeln, einen ziemlichen Weg fortgeschlichen, endlich aber ward er so müde und verdrüsslich, dass er seine Last abwarf und dem Tode rief, ihn von diesem elenden Leben zu befreien. Der Tod erschien sogleich auf seinen Ruf und fragte ihn, was er verlange? O, ich bitte, lieber Herr, sagte der Alte, der über die plötzliche Be- 15 Gruen, Diaspora, 135-212, insb. S. 187-188. 16 Wills, Satirical Novel, 245-256. 17 Heininger, Paulus, 132. 18 „The theme of the fear of death is one which must of necessity occur to men of all nations and in all times.” (James, Testament of Abraham, 69). Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 90 reitwilligkeit des Todes erschrak, tut mir die Liebe und helft mir, meine Reisigbündel wieder auf den Rücken zu nehmen (Aesop, Der alte Mann und der Tod, übertragen von Gotthold Ephraim Lessing). Von emotionalen Extremreaktionen zeugen die Interviews mit sterbenskranken Menschen, die die Schweizer Ärztin Elisabeth Kübler-Ross Ende der 60er Jahre in den USA durchführte. 19 Sie hat ein fünfstufiges Modell über die innere Auseinandersetzung mit dem Tod aufgestellt, das diesen Erkenntnissen Rechnung trägt: - Nicht-Wahrhaben-Wollen (denial) - Zorn (anger) - Verhandeln (bargaining) - Depression (depression) - Zustimmung (acceptance) Natürlich spiegelt dieses Schema nur eine nüchterne Bilanz von existenziellen Grenzerfahrungen wider und ist nur sehr entfernt mit TestAbr vergleichbar. Aber auch hier wird eine eingehende Schilderung des Sterbens entfaltet, angefangen mit der Ankündigung des Todes durch den Erzengel Michael bis hin zum Tod selbst im Epilog der Novelle (A 16-20; B 13-14). Nahtod-Erfahrungen und Jenseitsreisen Ein sehr weiter anthropologischer Themenkomplex wird mit der Himmelsreise von Abraham angerissen, die seinem Tode vorausgeht. Das Überschreiten der Grenzen von Diesseits und Jenseits in Todesnähe, die damit einhergehende innere Verwandlung und die Rückkehr in neuer Gestalt sind ein interkulturell reichhaltig bezeugtes Phänomen, das in vielfältigen Ausprägungen auftritt. Bezeugungen davon finden sich in zahlreichen Zusammenhängen, sei es im medizinischen Kontext oder in Feldforschungen von Ethnologen, in der mystischen oder in der apokalyptischen Literatur. 20 Mit den Berichten von wieder aufgewachten Komapatienten, die der amerikanische Arzt Raymond Moody sammelte und Mitte der 70er Jahre des 20. Jh. publik machte, wurde diese Erfahrung zum Thema einer breiten Öffentlichkeit. 21 Er arbeitete eine gewisse Typologie heraus, die wiederkehrende Elemente der Schilderungen umfasst, darunter 19 Kübler-Ross, On Death and Dying (1969); Kübler-Ross, Interviews mit Sterbenden (1971). Hierauf verweist mit Recht Janssen, Testament Abrahams, 198. 20 Man dürfte neben den Visionsberichten in der testamentarischen Literatur oder Zeugnissen der Sterbebegleitung von Mönchen beispielsweise die sog. „Vision des Tungdal“ hierher zählen. 21 Moody, Life after Life (1975), Moody, Leben nach dem Tod (1975). Das Testament Abrahams 91 außerkörperliche Erfahrungen (out-of-the-body experience) - Begegnungen mit Lichtwesen, Ahnen und Verwandten - Rückschau auf das Leben („Lebensfilm“) - Scheidelinie („Schranke“) zwischen Leben und Tod - Rückkehr zum Leben -Unaussprechlichkeit des Erlebten Seitdem wurden die sogenannten „Nahtodefahrungen“ (near-death experiences) wiederholt zum Gegenstand interdisziplinärer Studien, die neben medizinischen Beobachtungen auch religiösen und interkulturellen Gesichtspunkten Rechnung tragen. 22 In unserem Zusammenhang relevant sind die Verbindungen zwischen dem Genre der Himmelsreise und Narrativen über Todesnäheerlebnisse, die jedoch bei weitem den Rahmen dieses flüchtigen Exkurses übersteigen. 23 Wichtig ist festzuhalten, dass das Testament Abrahams weit über seinen Herkunftskontext hinaus ein gewisses Licht auf die Art und Weise wirft, wie die existenziellen Themen von Sterben und Tod erlebt und verarbeitet wurden und dadurch in einen größeren, anthropologischen Zusammenhang eingeordnet gehört. 24 Entstehungssituation Obwohl der Text reichhaltig bezeugt ist, bietet er kaum Anhaltspunkte für eine nähere Einordnung in einen bestimmten historischen Zusammenhang. Schon die Frage, ob die Schrift christlich oder jüdisch ist, berührt eine Grundsatzdebatte, die hier nicht aufgenommen werden kann. 25 Es wäre jedoch problematisch, dezidiert von „einem christlichen Autor“ zu sprechen, 26 denn diese Aussage beinhaltet mindestens drei Annahmen, die nicht ohne weiteres zu begründen sind. Ein jüdischer Ursprung ließe sich hingegen aus positiven Gründen (rabbinische Parallelen) sowie aus dem argumentum ex silentio (Fehlen christlicher Elemente) leichter belegen. 27 Was die Sprache betrifft, legen die stilistischen Besonderheiten eher semitisierendes Griechisch in der Nähe der LXX denn eine rein semitische Vorlage nahe. 28 22 Aus der Fülle der Literatur sei eine kurze Übersicht herausgegriffen: Schröter- Kuhnhardt, Erfahrungen, 132-140. 23 Zaleski, Otherworld Journeys (1987); Zaleski, Nah-Todeserlebnisse (1993); Högl, Nahtod-Erfahrungen (2000). 24 Zandee, Death as an Enemy (1960); Samellas, Death in the Eastern Mediterranean (2002). 25 Hierzu sei auf Davila, Provenance (2005) verwiesen. 26 James, Testament of Abraham, 76. 27 Box, Testament of Abraham, VII (Kritik an James); XV-XX (jüdischer Ursprung). 28 Mit Delcor, Testament d'Abraham; 32-34: „Les sémitismes ne sont que des septuagintismes“. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 92 Die Indizien zugunsten einer palästinensischen Herkunft (Lokalkolorit, das Nebeneinander von hellenistischem Stadtleben und traditioneller Dorfkultur) wiegen nicht allzu schwer und treffen höchstens auf die kurze Fassung zu. 29 Interessanter erscheint die Annahme einer ägyptischen Herkunft zumindest der längeren Redaktion. 30 Ein starkes Argument dafür wäre die in TestAbr A 12 entfaltete Gerichtsszenerie. Sowohl das Gesamtsetting (Gerichtshalle des Osiris; Seelenwaage mit Anubis und Horus als Assistenten, Totenregister des Thot) als auch einzelne Elemente (Psychostasie-Vorstellung) sind tief in der ägyptischen Mythologie verwurzelt und ausgiebig bezeugt bis in die ptolemäische Zeit hinein. 31 Es wäre sehr lohnend, diese Spur in einer eigenen Studie aufzugreifen und das Nachleben dieser wirkungsmächtigen Bilder im christlichen Ägypten zu untersuchen, zumal die Waage als festes Attribut Michaels mit Vorliebe in der späteren Ikonographie begegnet. 32 In Sachen Datierung liefert das Testament Abrahams ähnlich wie zahlreiche andere apokryphe Schriften keine Hinweise auf greifbare zeitgenössische Ereignisse, ja es lässt sich nicht einmal auf dem Hintergrund einer bestimmten „Lehre“ platzieren oder auf Grund einer sprachlichen Entwicklung zeitlich eingrenzen. Man schwankt zwischen dem 1. Jh.v.Chr. und dem 1. oder 2. Jh.n.Chr, für eine nähere chronologische Anordnung fehlen verlässliche Anhaltspunkte. 33 Weitere Schwierigkeiten bereitet die Verhältnisbestimmung der beiden griechischen Versionen zueinander: It is debatable whether or not A and B are directly or indirectly related and even whether there is an original (= common ancestor) behind either one or both of them. 34 29 Gegen Janssen, Testament Abrahams, 198-199. 30 Mit James, Testament of Abraham, 58; 70-72 („weighing of the souls”) und Denis, Introduction, 33-34. 31 Vgl. insbesondere Spruch 125 des altägyptischen Totenbuches - Hornung, Totenbuch, 241-244; zum breiteren Hintergrund siehe Hornung, Unterweltsbücher (1997). Bebilderung unter anderem im berühmten Papyrus Ani (British Museum, EA 10470/ 3, um 1275 v.Chr.); Facsimile und Übersetzung bei Budge, Book of the Dead (1894-1895) und im Totenbuch des Schreibers Hunefer (British Museum, EA 9901/ 3, um 1275 v.Chr.); cf. Budge, Book of the Dead (1899); Quirke, Funerary Papyri, 89; Taylor, Book of the Dead, 204-237 (fig. 9; nr. 160); Bildhintergründe bei Champdor, Totenbuch (1994). Für die Kontinuität der Totengerichtsvorstellung spricht eine Abbildung aus ptolemäischer Zeit im Totenbuch des Pajuheru (2.-1. Jh.v.Chr, Ägyptisches Museum München). 32 Hierzu sei nur eine Synopse genannt: Kretzenbacher, Seelenwaage (1958). 33 Delcor, Testament d'Abraham, 73-78; Sanders, Testament of Abraham, 874-875; James, Testament of Abraham, 55; Denis, Introduction, 35; Box, Testament of Abraham, VIII; XX. 34 Sanders, Testament of Abraham, 872, Anm. 4. Das Testament Abrahams 93 Die Relation der beiden Rezensionen lässt sich auch nicht auf eine einfache Formel herunterbrechen wie M.Rh. James 1892 formulierte: B preserves the greatest proportion of the original language, A the greatest proportion of the original story. 35 Falls eine Abhängigkeit bestünde, so wäre nach der Regel der lectio difficilior die „rauhere“ Version B womöglich als ursprünglich anzunehmen. 36 Womöglich wurde die palästinensische Züge aufweisende kurze Fassung in Ägypten erweitert und umgearbeitet. 37 Es ist hingegen ein Geschmacksurteil, B als zensierte Fassung von A später anzusiedeln. 38 Es fällt jedenfalls auf, dass die lange Redaktion außer in Griechisch nur in einer späten rumänischen Übersetzung aus dem 18. Jh. vorliegt, während die kurze Redaktion im Gesamt der Überlieferung (Slavisch, Koptisch, Arabisch, Äthiopisch) recht gut belegt ist. Verbreitung Die Übersetzungen der griechischen Fassungen A und B wären unter geographischen Gesichtspunkten in zwei Gruppen aufzuteilen - eine slavisch-rumänische nördlich vom Mittelmeer und eine semitisch-ägyptische im östlichen und südlichen Mittelmeerbereich. Zur ersten gehören die Übertragungen in die Literaturen des balkanischen und ostslavischen Sprachraums, die zweite betrifft Koptisch, Arabisch und Äthiopisch mit ihren Idiomen (Bohairisch, Sahidisch, Falascha). 35 James, Testament of Abraham, 51. 36 Diskussion bei Allison, Testament of Abraham, 12-27 (Stemma-Vorschlag auf S. 27). 37 Schmidt, Testament grec, 118, Anm. 2. 38 Cf. die Argumentation von Ludlow, Narrative Humor, 1ff. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 94 Abbildung 3: Verbreitung des Testaments Abrahams Die slavischen Textzeugen Die Nachverfolgung der Transmission des TestAbr in den kirchenslavsichen Literaturen ist durch die Tatsache erschwert, dass eine textkritische Ausgabe fehlt und eine Reihe wichtiger Handschriften noch immer unediert sind. Das Auftauchen neuer Textzeugen signalisiert zudem, dass die Überlieferung womöglich nicht in ihrer ganzen Reichweite erfasst worden ist. 1 Die handschriftliche Tradition erstreckt sich über ein breites Areal von der Balkanhalbinsel hin zur Adriatischen Küste sowie über die Donau hin zu den ostslavischen Kulturzentren. Sie umfasst ca. zwanzig süd- und ostslavische Manuskripte (drei davon in glagolitischer Schrift) aus der Zeit vom 13. bis zum 18. Jh. Die einzige umfassende Studie hierzu ist bislang die Monographie von E. Turdeanu aus dem Jahre 1977 (Nachdruck 1981). 2 Demnach dürften die slavischen Abschriften allesamt von der kürzeren griechischen Fassung herrühren, 1 So Cod.Q.p.I.65, 13. Jh., Russische Nationalbibliothek, St. Petersburg, kürzlich ediert von Panajotov, Smărtta na Avraam, 284-291 (erschienen im Sammelband Glòbiny k]niž]ny3, Šumen 2003). 2 Turdeanu, Testament d'Abraham, 1-38. Das Testament Abrahams 95 und zwar aus jenem griechischen Überlieferungszweig von B, der vom frühesten Manuskript aus dem 11. Jh. bezeugt wird. 3 Was den Zeitpunkt und Ort der erstmaligen Übersetzung betrifft, sprechen linguistische Argumente (Spuren archaisierenden Sprachgebrauchs) sowie die Verwandtschaft mit B, die insbesondere an Hand des frühesten griechischen Repräsentanten erkennbar wird, für eine relativ frühe Übertragung aus dem Griechischen nicht wesentlich später als das 10. Jh. 4 Die von E. Turdeanu untersuchten Handschriften lassen sich in folgende Gruppen aufteilen: (1) eine süd- und ostslavische Textfamilie, die in orthodoxen Kreisen tradiert wurde (insgesamt zehn Hss. vom 13. bis 18. Jh.); (2) eine aus drei kroatischen Manuskripten in glagolitischer Schrift aus dem 15. Jh. bestehende Textfamilie, die in katholischer Überlieferung erhalten wurde. Die beiden Gruppen gehören zusammen, und darin lässt sich auch die größte Nähe zur byzantinischen Vorlage von B erkennen. 5 Die nächsten zwei Textfamilien (3) und (4) umfassen insgesamt sechs Manuskripte vom 14. bis 18. Jh. Sie gehen laut E. Turdeanu auf zwei Redaktionen des Abraham-Zyklus zurück, die er am Ausgang des 14. respektive zu Beginn des 15. Jh. auf mazedonischem Territorium ansiedelt. Dafür nimmt er eine „Kontamination“ der byzantinischen Palaea mit weiteren apokryphen Erzählungen an. 6 Es ist aber strittig, ob dies erst auf slavischem Boden geschah oder nicht schon vorher in der byzantinischen Tradition erfolgt war. 7 Kontextmanuskripte Das Testament Abrahams war in vielfältigen Zusammenhängen unterwegs. Es repräsentiert ein Pendant zur Apokalypse Abrahams, insoweit beide Schriften das Leben des Patriarchen (Jugend und Lebensabend) umspannen und um apokalyptische Deutungen erweitern. 8 Das TestAbr wäre ferner als ein Band der Trilogie zu betrachten, die noch die Testamente von Isaak und Jakob umfass, letztere nur auf Arabisch, Koptisch und Äthiopisch bewahrt. 9 In den Constitutiones Apostolorum ist jedenfalls von Apokryphen in Dreier- Zahl die Rede: ίἀόῶῶχῶ (ConstApost VI, 16, 3); es ist jedoch unklar, ob sich das auf die drei Testamente bezieht. 10 3 Schmidt, Testament grec, 22. 4 Cooper & Weber, Church Slavonic Testament, 301-305. 5 Turdeanu, Testament d’Abraham, 10-12. 6 Ibid., S. 21-32. 7 Miltenova & Badalanova, Cikăl za Avraam, 206. 8 Turdeanu, Testament d’Abraham, 1. 9 Heide, Testamente Isaaks und Jakobs (2000); cf. Heide, Testament Abrahams (Edition von TestAbr in Arabisch und Äthiopisch). 10 Funk, Didascalia et Constitutiones, 339. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 96 In den griechischen Codices war die Schrift in einen apokryphen und in einen hagiographischen Kontext eingebettet. Vor allem die kurze Fassung, aus der die slavische Tradition entstammt, wurde des Öfteren in der Nachbarschaft apokalyptischer Schriften tradiert, so der außerbiblischen Johannes- Offenbarung und der Theotokos-Apokalypse; ferner der sog. Mose-Apokalypse und der Vita des Andreas Salos, die bekanntlich eine ausgedehnte visionäre Sequenz beinhaltet. Das TestAbr war in Lesezyklen zum byzantinischen Kirchenjahr integriert und wurde wohl mit Vorliebe in der Fastenzeit vor Ostern bzw. vor Christi Geburt vorgelesen. 11 Im slavischen Bereich belegt die Herkunft der Manuskripte die großflächige Rezeption des TestAbr. Darunter befinden sich moldauische, mittelbulgarische, serbische, mazedonische, kroatische, russische, ukrai-nische und rumänische Abschriften. 12 Es zeigen sich neben der Überarbeitung in Redaktionen die üblichen Fehldeutungen und Sinnbrüche, die mitunter in skurril anmutende Lesarten münden. Nur um ein Beispiel zu nennen: Die Umkehrung der narrativen Abfolge in einer slavisch-mazedonischen Abschrift aus dem 15. Jh. führt zu folgendem, in gewisser Weise grotesk anmutendem Ergebnis: Abraham lebte in seinem Hause und begehrte all dessen ansichtig zu werden, das sich auf Erden zutrug: Darum betete er zu Gott. Gott aber entsandte Erzengel Michael, damit er ihm die Seele nimmt. 13 Weitere Besonderheiten betreffen die Interferenzen innerhalb des sog. Abraham-Zyklus. Es handelt sich um eine Zusammenstellung von Erzählungen über Abraham im slavischen Bereich, die in der Regel sechs Texteinheiten umfasst, die zum Teil weit zurückreichen. Der erste davon („Sage“ oder „Erzählung von Abraham und Sarah“) weist Gemeinsamkeiten mit dem Qumran- Apokryphon 1 Q G A par auf, 14 und die letzte entspricht dem Testament Abrahams. 15 Der Erzählzyklus ist mit ca. 30 Kopien bulgarischer, serbischer, moldauischer und russischer Provenienz gut dokumentiert und wurde zweimal „aufgelegt“. Die erste Redaktion fällt in die altkirchenslavische Zeit (spätes 10. Jh. oder frühes 11. Jh), die zweite erfolgte auf bulgarisch-mazedonischem Gebiet im 12. oder 13. Jh. Die Erzähleinheit „Von der heiligen Dreifaltigkeit“ beispielsweise handelt in ähnlichem Klang von Abrahams Gastfreundschaft wie die Exposition des TestAbr: 11 Schmidt, Testament grec, 30-31. 12 Auflistungen bei Turdeanu, Testament d’Abraham, 10-11; 21-22; 29 und Miltenova & Badalanova, Cikăl za Avraam, 207. 13 Petkanova, Apokrifi, 96. 14 Vălčanov, Kumranski tekstove, 189-229. 15 Miltenova, Art. „Apokrifi za Avraam“, 32-33; Miltenova & Badalanova, Cikăl za Avraam, 204-206. Das Testament Abrahams 97 Abraham hatte den Brauch nie zu speisen, ohne Fremde zu bewirten. Der Teufel aber versperrte alle Wege, damit niemand zu Abraham kommt. So verbrachte Abraham fünf Tage ohne zu speisen. Gott erkannte seine Geduld und stieg mit den Erzengeln Michael und Gabriel in der Gestalt von Reisenden herab. 16 Das Gastfreundschaftsmotiv wird in dieser Prägung auch folgerichtig in die Exposition der Manuskripte der dritten slavischen Gruppe (Sl 3 nach Turdeanu) von TestAbr übernommen. 17 Eine letzte Gruppe von Interferenzen bilden folkloristische Anklänge, die sich durch die Nähe zur Volksdichtung ergaben. So erscheint der Tod in den Texten von Gruppen (1) und (2) mitunter als mehrköpfige, drachengestaltige und feuerspuckende Kreatur. 18 Und die Redaktionen von Gruppen (3) und (4) enthalten folgende, mythisch angehauchte Lesart von Abrahams Tod: Und Gott stieg in prächtiger Gestalt herab und trat zu Abraham und reichte ihm drei Äpfel [und eine überaus schöne Taube]. Und Abraham sah sie und begehrte sie und griff nach ihnen, und so übergab er seine Seele Gott. 19 Der Bezug zu der Frucht der Versuchung ist offenkundig (Gen 3,6), und die Taube ruft Assoziationen an ApcAbr 15,1-4 hervor, da Abraham auf ihren Flügeln zum Himmel emporgetragen wurde. Kontinuität und Wandel Im Lichte der beiderseits des östlichen Mittelmeeres belegten Diffusion des TestAbr erscheinen die slavischen Versionen als Bezeugungen eines beachtlichen raumzeitlichen Überlieferungskontinuums. Sie dokumentieren noch besser als die nur slavisch bezeugten Apokalypsen des spätantiken Judentums wie das slavische Henochbuch, die Abraham-Apokalypse und die Leiter Jakobs den Anschluss der slavischen Überlieferung an die apokryphen Literaturen des christlichen Ostens: ... themes, motifs and ideas floated around the Mediterranean World. 20 Das TestAbr illustriert zudem den kulturübergreifenden Charakter von Apokryphen im Allgemeinen und Apokalypsen im Besonderen, für welchen A.Y. Collins den Begriff „cross-cultural plausibility“ geprägt hat: 16 Petkanova, Apokrifi, 92-93. 17 Liste mit weiteren Besonderheiten der Gruppe in Turdeanu, Testament d’Abraham, 22- 23. 18 Ibid., S. 12. 19 Miltenova & Badalanova, Cikăl za Avraam, 236 [in eckigen Klammern die Lesart von Cod. 740, Rumänische Akademie der Wissenschaften]. 20 Sanders, Testament of Abraham, 875. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 98 … the apocalyptic genre was not confined to one culture in the ancient world. 21 Die weit voneinander verstreuten Versionen des TestAbr, die einzelne Stationen der handschriftlichen Diffusion punktuell markieren, lassen sich zu einem nahezu repräsentativen Umriss des hohen Verbreitungsgrades dieser eigentümlichen Saga über Abrahams Tod verbinden. Daran lässt sich leicht erkennen, mit welch erstaunlicher Leichtigkeit Apokryphen über sprachliche und geographische Grenzen hinweg kursierten und in welch eigentümlichem Gewande manch eine Apokalypse verborgen war. 21 Collins, Cosmology, 11. 4. Die Leiter Jakobs Unter dem Titel „Leiter Jakobs“ (ClimIac) ist in späten kirchenslavischen Codices (15. bis 17. Jh.) eine Offenbarungsschrift erhalten, die eine apokalyptische Interpretation der Begebenheit zu Bethel (Gen 28,10-22) liefert. 1 Sie wurde recht bald nach ihrem Bekanntwerden als „dunkel, rätselhaft“ und als „eine schwer zu enträtselnde Schrift“ empfunden, es häuften sich Epitheta wie „all das ist ganz dunkel“ und „das rätselhafte Buch“. 2 Die Erforschung des Textes bleibt noch viele Antworten schuldig, sodass die gegenwärtigen Urteile über die ClimIac dieses Empfinden wiedergeben. So wurde die Schrift neuerdings als ein „echtes Problemkind unter den alttestamentlichen Pseudepigraphen“ bezeichnet, 3 und unlängst befand J.L. Kugel, die Leiter Jakobs sei … one of the strangest texts to be included in recent collections of biblical pseudepigrapha. 4 Kurzum, der Text der nur kirchenslavisch erhaltenen Apokalypse ist noch immer nicht in allen Details entschlüsselt und wirft zahlreiche Fragen auf. 5 Inhalt Die Leiter Jakobs ist in zwei Fassungen auf uns gekommen - eine lange (A) und eine kurze (B), die die gleiche Handlung wiedergeben, stellenweise jedoch (2,5 ff.; Kap. 2 und 5,3-7) in verschiedenem Maße voneinander abweichen. Beide erweitern Jakobs Traum zu Bethel um eine Reihe surrealer Bildsequenzen, die dem Geschauten eine geschichtstheologische Prägung verleihen. Die Leiter, die Jakob im Traume erscheint, ist von einer Furcht erregenden Galerie gesäumt. Vierundzwanzig feurige Büsten zieren paarweise ihre zwölf Stufen, eine Statue an der Spitze jedoch ist schrecklicher denn alle darunter stehenden Gesichter (1,1-12). Auf Jakobs Offenbarungsgebet hin (2,1-12) erscheint ihm der Erzengel Sariel, der sich als himmlischer Traumexperte vorstellt (3,1-8) und die wahre Deutung des schaurigen Bildes liefert. Die zwölf 1 Bibliographie bei Orlov, Selected Studies, 259-261; DiTommaso, Bibliography, 553-556; Haelewyck, Clavis, 67-68; ältere Übersichten (Ende des 19. Jh.) bei Kozak, Übersicht, 135- 136 und Bonwetsch, Literatur, 915. 2 Weinel, Apokalyptik, 172-173. 3 Böttrich, Apocalyptic tradition, 290. 4 Kugel, Ladder, 209. 5 Erst im Jahre 2015 erschienen zwei wichtige Publikationen, die hier nicht mehr berücksichtigt werden können: Eine ausführlich kommentierte deutsche Übersetzung von Fahl, Böttrich & Fahl, Leiter Jakobs (JSHRZ.NF 1,6) und eine textkritische Edition in russicher Sprache: Fal' & Fal', Lestvica Jakova. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 100 Sprossen symbolisieren die zwölf Zeitalter des gegenwärtigen Äons, die vierundzwanzig Büsten sind ihrerseits ein Schaubild der heidnischen Könige, die Jakobs Nachkommen unterwerfen werden (4,1-7). Vier befremdliche „Ausgänge“ sind in Sariels Erläuterung hineingewoben (5,7), die nicht in der vorausgegangenen Erweiterung der Leitervision vorkommen. Das geschilderte Geschichtsdrama Israels gipfelt in der Herrschaft eines tyrannischen Königs aus Esaus Linie, der seinen Untertanen die Befolgung eines polytheistischen Kultes aufzwingt (4,8-5,1). Erst dann soll sich das Blatt wenden. Israels Befreiung wird allein durch Gottes Eingriff geschehen und mit Strafwundern an seinen Feinden einhergehen (5,2-6,2). Auf die Bezwingung des Meeresungeheuers und der mysteriösen Gottheit Falkon folgen der endgültige Triumph der Gerechtigkeit sowie ein eschatologisch gedeuteter Sieg über Edom und Moab (6,5-7). Diesem endzeitlichen Drehbuch unmittelbar angeschlossen ist ein christologischer Exkurs über das Kommen des Ersehnten, der bezeichnenderweise nicht als Gekreuzigter, sondern nur als „Verwundeter“ angesprochen wird (7,1-25). Überlieferung Die ClimIac ist ausschließlich kirchenslavisch überliefert. Eine Ausnahme bildet das Gebet des Patriarchen in Kap. 2, das eine hebräische Parallele unter den magischen Texten der Kairoer Geniza hat. Sie weist allerdings etliche Auslassungen gegenüber dem kirchenslavischen Text auf, mit welchem sie eine gemeinsame Vorlage teilt. 6 Die ClimIac wurde bereits in frühen slavischen Indices inkriminiert, was womöglich auf eine frühe Übersetzung hinweist. So enthält die Pogodin-Liste (14. Jh.) einen Eintrag hierzu, ebenso der Apokryphenindex des Onufrius- Klosters (18. Jh.). Beides spiegelt recht wahrscheinlich den Status quo der apokryphen Literatur in Bulgarien im 10. bzw. 11. Jh. wider. Der Wortlaut irritiert auf den ersten Blick (: vj: 8kovlixi glagolema1 l7stvica/ „Zwölf des Jakobs“, genannt „Leiter“). Dies dürfte sich auf die zwölf Stufen der Leitervision beziehen - und nicht auf die Patriarchen-Testamente, die für gewöhnlich gesondert aufgeführt werden. 7 Die slavische Überlieferung ist innerhalb der reichhaltigen Palaea-Literatur angesiedelt (gr. παλαιὰ διαθήκη, sl. paleá). Der Text der ClimIac ist daher gemäß der Intention des Verfassers, das Alte Testament im Lichte der typologischen Exegese zu präsentieren, entsprechend überarbeitet und um christologische Exkurse erweitert. Die Auswertung des Textmaterials wird indessen durch den Mangel einer verlässlichen Textausgabe erschwert. Hinzu kommt 6 Textausgabe von Schäfer & Shaked (Hg.), Magische Texte II, 27-78; cf. ferner van der Horst & Newman, Jewish Prayers, 247-258. Diskussion bei Leicht, Qedushah, 140-176 und Böttrich, Apocalyptic tradition, 297-299. 7 Slavova, Paleja, 264-265. Die Leiter Jakobs 101 die Debatte über die Entstehung der Palaea in ihren Fassungen - Datierung und Lokalisierung der ursprünglichen Kompilation bleiben noch immer umstritten. 8 Es wäre zudem wichtig, die gesamte Textevidenz der Palaea-Abschriften zu berücksichtigen, von welcher bislang nur ein Bruchteil der handschriftlichen Überlieferung überhaupt ediert ist. 9 Die kurze Fassung der ClimIac entstammt der Tradition der sog. Tolkovaja paleja (Palaea Interpretata), Kronzeugen hierfür sind die Kolomna-Palaea aus dem Jahre 1406 10 und die Solovecki-Palaea aus dem 17. Jh. 11 Die lange Fassung liegt in der sog. Chronografičeskaja paleja (Palaea Chronographica) vor, wichtige Textzeugen sind die Synodalpalaea aus dem Jahre 1477, 12 die Rumjancev- Palaea aus dem Jahre 1494 13 und die ukrainische Krehiv-Palaea aus dem 16. Jh. 14 Die ClimIac gehört damit zusammen mit der ApcAbr und den TestPatr zu einer Gruppe von Apokryphen apokalyptischer Ausrichtung, die über die Schiene der Palaea-Kompendien tradiert wurden. Ähnlich wie ApcAbr und Hen(sl) ist die Apokalypse ausschließlich aus slavischen Quellen bekannt. Es wäre zu erwägen, ob diese frühjüdischen Pseudepigraphen nicht schon in Byzanz in monastischen Kreisen zirkulierten, die am Studium jüdischer Mystik interessiert waren und Zeugnisse der Merkabah-Literatur in christlicher Bearbeitung auflegten und in Umlauf brachten. 15 Abfassung Die wohlbekannte Geschichte von der Vision der himmlischen Leiter, die in Gen. 28 erzählt wird, hat seit jeher die Fantasie der Rezipienten beflügelt und vor allem in der Kunst eine breite Spur hinterlassen. 16 Die Episode bietet in der Tat wie kaum ein anderer Text einen besonders geeigneten Ausgangspunkt für eine apokalyptische Lesart: Der Einbruch einer transzendenten Erfahrung in die Wirklichkeit des Alltags, die alles verändert und jedem alltäglichen Gegenstand eine appräsentative Bedeutung erteilt („Der Herr ist an diesem Ort), die er vorher nicht besaß („und er wusste es nicht“), ist wohl selten eindrucksvoller dargestellt worden. 17 8 Cf. Slavova, Paleja, 335-348 (frühbulgarische These) und Vodolazkin, Rohfassung, 453- 470 (russische Provenienz). 9 Liste der Palaea-Hss. bei Slavova, Paleja, 27-37 (unedierte Hss. auf S. 29-33). 10 Tichonravov, Pamjatniki I, 89-95 (Коломная палея/ Kolomnaja paleja). 11 Porfir’ev, Skazanija I, 138-149 (Соловецкая палея/ Solovetskaja paleja). 12 -, Paleja 1477 goda, 100-107 (Синодальная палея/ Sinodal’naja paleja). 13 Pypin, Knigi, 27-32 (Румянцевская палея/ Rumjancevskaja paleja). 14 Franko, Apokrifi I, 108-120 (Крехiвска палея/ Krehivska paleja). 15 Cf. Böttrich, Apocalyptic tradition, 299. 16 Kaufmann, Jakobs Traum (2006). 17 Schütz, Symbol, 390. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 102 Obwohl die Enstehung der apokalyptischen Deutung von Jakobs Vision nicht näher bestimmt werden kann, seien im Folgenden einige Anmerkungen dazu gemacht. Mangels externer Indizien ist man dabei hauptsächlich auf das Zeugnis der ClimIac selbst angewiesen. Die von Epiphan in AdvHaer 30,16,7 erwähnte ebionitische Schrift Ἀναβαθμοὶ Ἰακώβου bezieht sich jedenfalls nicht auf unseren Text, in welchem keinerlei Anordnungen gegen den Tempel, den Opferkult und das Altarfeuer erwähnt werden. 18 Verwandschaft mit der Abraham-Apokalypse Die Leiter Jakobs und die Abraham-Apokalypse weisen zahlreiche Gemeinsamkeiten auf, welche die Frage aufwerfen, ob wir es nicht mit einem zweibändigen Werk zu tun haben - einer apokalyptischen Neuauflage von Patriarchenerzählungen im gleichen zeitgeschichtlichen Kontext. Beide Schriften sind apokalyptische Variationen über ein Offenbarungserlebnis der Altvorderen im Geiste der Merkabah-Mystik. Sie behandeln die visionäre Initiation von Abraham und Jakob ihre ersten Erfahrungen mit Gott (Gen 12 ff.; Gen 28,10 ff.). Die Gebete um eine Enthüllung des Geschauten gleichen einander bis in den Wortlaut hinein (ApcAbr 17,8-18 vs. ClimIac 2,5-18). Thematisch steht die Verheißung zahlreicher Nachkommenschaft im Vordergrund, die gerade in Zeiten fremder Herrschaft einer Vergewisserung bedarf (Gen 12,1- 3.6-5.14-18; 15, 4-5; 28,13-14). Die Verbindung zur Ortschaft Bethel ist in beiden Fällen von herausragender Bedeutung (Gen 12,8; 28,19). Zudem spielt die apokalyptisch gedeutete Vorwegnahme der ägyptischen Sklaverei eine herausragende Rolle. So sind für die Abraham-Apokalypse Kap. 7 ff. die Bezüge in Gen 15,15-16 von besonderer Bedeutung, für die Leiter Jakobs wird diese Verknüpfung vor dem Hintergrund des Epilogs der Patriarchengeschichte (Gen 50,22) verständlich. Ebenso gemeinsam ist, dass eine urzeitliche Erfahrung typologisch auf die als Endzeit erlebte Gegenwart projiziert wird: Rom- Bezug in ApcAbr; Esau-Rom-Chiffre in ClimIac). Beide Texte greifen verwandte eschatologische Leitkonzepte auf. Neben der universalhistorischen Wertung der Tempelzerstörung im Jahre 70 (ApcAbr 27,3 vs. ClimIac 4,4-6) sind es das zwölfstufige Geschichtsmodell (ApcAbr 29,2.7-8 vs. ClimIac 1,4; 4,1-3) und das Motiv der vier „Ausgänge“ (ApcAbr 27,3; 28,4 vs. ClimIac 5,7). Waren beide Texte zusammen konzipiert worden und als eine Art „Jugendapokalypsen“ Jahrtausende lang in zweibändiger Auflage unterwegs? Ihnen steht jedenfalls eine Trilogie gegenüber, gebildet aus den drei Testamenten von Abraham, Isaak und Jakob. All diese Besonderheiten lassen sich 18 Dieser Bezug wird nur vereinzelt erwähnt - Weinel, Apokalyptik, 173, und wurde schnell verworfen - cf. Vasiliev, Anecdota, XXIX-XXX; Bratke, Religionsgespräch, 104- 105; Bonwetsch, Leiter Jakobs, 86; James, Lost Apocrypha, 102-103 und Denis, Introduction, 34-35, Anm. 23-24. Die Leiter Jakobs 103 eher durch verwandte Urschriften erklären denn durch eine gegenseitige Beeinflussung im Zuge der späteren Überlieferung. Das Wortspiel um das Lexem שׁאר Die surreale Galerie feuriger Büsten, die die Sprossen der Leiter in Jakobs Vision säumen, hängt sehr wahrscheinlich mit einem Wortspiel zusammen, das nur in semitischem Idiom einen Sinn ergibt und bereits im Bedeutungsgeflecht von Gen 28,10-22 mitschwingt. Für die Spitze der Leiter steht in den Texten der Version A das untypische глава/ glava („Kopf“). Eine naheliegende Erklärung dafür ergibt sich aus dem semantischen Spektrum des hebräischen Lexems שׁאר - einmal im räumlichen Sinne („Kopf, Gipfel, Spitze“), einmal im zeitlichen Sinne („Beginn eines Zeitraumes“). Die Sinnverknüpfung mit „Büste“ und „Statue“ - eine beliebte Praxis der Selbstapotheose orientalischer, hellenistischer und römischer Herrscher - rundet die sinnbildliche Assoziationskette ab. In der Folge färbt das semantische Spektrum des Begriffes שׁאר auf die gesamte Episode ab. Jakob legt einen Stein unter seinen Kopf שׁאר ( ): ויתשׁארמ םשׂיו (Gen. 28,11) Daraufhin erscheint ihm eine Leiter, deren Spitze (שׁאר) bis zum Himmel reicht: המימשׁה עיגמ ושׁארו (V.12) Er stellt den Stein, den er unter seinen Kopf (שׁאר ) gelegt hatte, als Mazzebe ( הבצמ , Phallos-Säule) auf und gießt Öl darauf - wörtlich auf den „Kopf“ (שׁאר ) des aufgestellten Steinpfeilers: הּשׁאר־לע ןמשׁ קציו (V. 18) Die Vorstellung von „Büsten“ (zweimal zwölf an der Zahl) beiderseits der Sprossen der Leiter verknüpft die in der Perikope der Leitervision entfaltete Bildsemantik mit der historischen Gegenwart der Verfasser, der Bildapotheose fremder Herrscher in der Gestalt figürlicher Darstellungen, vornehmlich Statuen und Büsten in Konflikt mit dem Bilderverbot (Ex 20,4; Dtn 5,8). Die Zwölfer-Abfolge in einem apokalyptisch-chronologischen Zusammenhang ist wiederum in der zeitgenössischen Literatur hinreichend belegt. 19 Beim „Antlitz“ der die Leiter überragenden, schrecklichen Statue schwingt die Assoziation an שׁאר erneut mit. Damit wird eine bildmächtige Symbolik aufgegriffen; das Antlitz Jakobs wäre auf dem Thron Gottes eingraviert, und er würde in seiner Vision sein himmlisches Gegenüber betrachten. 20 19 Collins, Numerical Symbolism, 1241-1242. 20 Belege für diese Deutung liefert Orlov, Heavenly Counterpart, 59-76. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 104 Da שׁאר zugleich den Anfang eines Zeitraums bezeichnet (vgl. הנשׁה שׁאר - „Kopf/ Beginn des neuen Jahres“), liegt es nahe, den Begriff als eschatologische Zeiteinheit aufzufassen. Die so skizzierte Bildschicht der apokalyptischen Umdeutung von Gen 28 wäre J.L. Kugel zufolge noch in der Zeit vor dem Makkabäer-Aufstand anzusetzen. 21 Esau als Chiffre für Rom Die Erzählung geht ferner auf den Verlust der Unabhängigkeit Israels an Rom ein. Auf eine römische Schicht verweist der Codename „Esau“ in ClimIac 4,8 (4 Esra 6,9; 11,1-2.5-6; 12,10-11). 22 Der Abschnitt 4,4-6 spielt recht eindeutig auf die Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahre 70 n.Chr. an. Dahingehend zu interpretieren sind auch die seltsamen „vier Ausgänge“, die sowohl in der Leiter Jakobs als auch in der Abraham-Apokalypse vorkommen. Ob das tatsächlich eine Spur des bekannten Vier-Reiche-Schema ist, die nun auf Jakobs Vision übertragen wird? Diese Verbindung ist in der rabbinischen Exegese zu Gen 28 tatsächlich gut belegt. Die Schutzengel einzelner Nation treten demnach als chronologische Zeiger auf der „Geschichtsleiter“ auf und markieren die begrenzte Dauer der Herrschaft vorderasiatischer Großreiche nach dem fatalistischen Geschichtsmodell der Apokalyptik. 23 Diese Annahme würde allerdings Sinnbrüche und Inkonsistenzen erzeugen. Einmal hätte dies eine anachronistische Verschiebung zur Folge, denn das Vier-Reiche-Schema passt zwar gut in die „Erzählzeit“ des Danielbuches, nicht aber in diejenige Jakobs, von der aus zwei weitere Reiche vorauszusehen gewesen wären (Ägypten und Assyrien). Darüber hinaus werden die vier „Ausgänge“ in Sariels Darlegungen zwar erläutert, begegnen aber nirgendwo in der Leitervision selbst und werden auch sonst mit keinem Bildsymbol vorausgesetzt. 24 Sariel als Traumdeuter Ein weiteres Indiz zur näheren Einordnung der Leiter Jakobs wäre die Figur des Sariel, der als Traumdeuter und Deuteengel auftritt (3,1 ff.). 25 Der Name des unter anderem aus den Qumran-Schriften bekannten Erzengels wird mittels eines weiteren semitischen Wortspiels mit Gen 28 und 32 verwoben - aus „Sariel“ lässt sich durch Konsonantenumstellung „Israel“ bilden ( לאירשׂ - 21 Kugel, Ladder, 223. 22 Avemarie, Esaus Hände, 177-208. 23 Kugel, Ladder, 212-213. 24 Ibid., S. 215-217. 25 Vermes, Archangel Sariel, 159-166. Die Leiter Jakobs 105 לארשׂי ). 26 Enthält die ClimIac damit die Auflösung der unbeantworteten Frage von Gen 32,30? Die Episode in Gen 28,10-22 selbst ist durch ein etymologisches Wortspiel geprägt, das auf einer Umbildung basiert: Jabbok/ קבּי und Jakob/ בקעי . Sowohl hier als auch in Gen 32,23-33 wird Jakob als derjenige porträtiert, der Gott gefährlich nahe gekommen und trotzdem am Leben geblieben ist. Damit opponiert die Leiter Jakobs zusammen mit Hen(sl) 22,1f. der Vorstellung, die in Ex 33,20 festgehalten wird: Niemand kann die Begegnung mit Gott von Angesicht zu Angesicht überleben. 27 Jakobs Offenbarungsgebet in Kap. 2 Ein Gebet, dass eine Offenbarung einleitet, ist ein wohlbekanntes Stilelement apokalyptischer Rede (Dan 9,4-19). In der AbrApc stimmt Abraham nach seiner Entrückung auf den Flügeln der Opfertauben eine himmlische Hymne an, die ihn der Engel Jaoel lehrt (AbrApc 17,4-18). Jakobs Gebet (2,5-10.17-18 im Alleingang, 2,12-16 im Chor der himmlischen Liturgie) unterscheidet sich jedoch davon, denn es leitet kein Gesicht ein, sondern wird erst nach der Traumvision vorgetragen und enthält die Bitte um eine Deutung des Geschauten. Hierzu wurde die Vermutung geäußert, die ursprüngliche Fassung würde einem synkretistischen Milieu entstammen, wo es dem Sonnengott Helios gewidmet gewesen wäre, und sie wäre erst nachträglich in die Apokalypse eingefügt worden. 28 Die griechische Übersetzung des Gebetes könnte auf eine Verwendung durch hellenistische Juden und in diesem Zusammenhang auf einen späteren Transfer an judenchristliche Adressaten hindeuten. 29 Die Gottesnamen-Reihe in der Hymne der himmlischen Liturgie wird im Kirchenslavischen nahezu unverändert im hebräisch anmutenden Wortlaut wiedergegeben: Jao, Jaova, Jaoil, Kadoš, Chavod, Omlelech, Sabaoth, Ilavir, Amis’mi, Varich (ClimIac 2,13-14). Listen von Gottesnahmen waren durchaus unter den orthodoxen Slaven verbreitet und wurden als Amulette getragen - eine Sitte, die in den Indices mit einem Bann belegt wurde: Darin ist von den „Siebzig Namen Gottes“ die Rede. 30 Die frühesten Kopien von Gottesnamen- Listen datieren aus dem 14. Jh. und wurden bis ins 19. Jh. hinein abgeschrieben, was die Beliebtheit dieser sicherlich viel älteren Abwehrgeste bezeugt. Es fällt auf, dass die Anrufungen einen zweigliedrigen Aufbau haben. Der erste Teil enthält allgemein verständliche bzw. griechisch abgeleitete Gottesnamen, 26 Fossum, Image, 147, Anm. 50. 27 Cf. Böttrich, Henochbuch, 890. 28 Leicht, Qedushah, 140-176. 29 Cf. Böttrich, Sanctus, 10-36, insb. S. 31; zum weiteren Hintergrund siehe Böttrich, Apocalyptic tradition, 297-299. 30 Jacimirskij, Imena Gospodnja, 1-22. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 106 der zweite enthielt Anrufungen in hebräischem Wortklang, die mit arkanen Warnungen versehen waren. 31 Die Nähe dieses Brauches zur Magie erklärt das Misstrauen von kirchlicher Seite, zugleich wird aber die geringe Geltung von Maßnahmen gegen den Aberglauben deutlich. Die ihnen zugeschriebene Wirksamkeit wird in den Begleittexten heraufbeschworen (Cod. 22, Bibliothek des Jerusalemer Patriarchats, serb., aus dem Jahre 1498): Derjenige aber, der diese Gottesnamen zu Hause hat oder unterwegs und an unbewohnten Orten trägt, wird von allem Übel, vom Teufel und von bösen Menschen erlöst sein. 32 Obwohl dieses „apokryphe“ Genre nicht direkt im Zusammenhang mit der ClimIac steht, geht daraus die magische Bedeutung hervor, die man der Anrufung und dem Besitz von Listen mit Gottesnamen über einen langen Zeitraum im orthodoxen Slaventum beimaß. Dies bietet eine anthropologische Folie für die Rezeption des Textes, insoweit es sich um den archaischen Brauch handelt, nach einer nächtlichen Anwandlung durch einen Dämon („Albdruck“) oder einer verstörenden Traumvision eine höhere Macht um Schutz und Enthüllung des Geschauten anzuflehen. Die „Sage des Aphroditian“ Die ClimIac endet mit einem christologischen Anhang, der der Traumvision eine messianische Färbung verleiht (7,1-25). Dafür kommen verschiedene Quellen in Betracht: Periphrasen alt- und neutestamentlicher Zitate (7,3-5.7- 8.12.14.19.23-25) zählen ebenso hierher wie Topoi und Motivaufhäufungen (7,4). Von besonderer Bedeutung ist dabei die sog. Sage des Aphroditian - eine altchristliche Erzählung aus dem 5. oder 6. Jh., die von den wunderbaren Begebenheiten während der Geburt Christi handelt (Mt 2,1-12), die sich in einem persischen Tempel zutrugen. 33 Die Sage wurde begierig im slavischen Kulturkreis aufgenommen und erfreute sich insbesondere in der altrussischen Literatur großer Beliebtheit. 34 Es sind über 50 Abschriften aus dem Zeitraum vom 13. bis 17. Jh. überliefert, die auf zwei Übertragungen zurückgehen - eine südslavische und eine ostlavi- 31 Ibid. 32 Ibid., S. 10. 33 Studien von Bratke, Religionsgespräch (1899) und Heyden, Erzählung des Aphroditian (2009). 34 Begunov, Slovo o zvezde, 238-257; Bobrov, Art. „Skazanie Afroditiana“, 396-398; Bobrov, Skazanie Afroditiana (1994); Bobrov, Skazanie Afroditiana, 248-255 (Text und Übersetzung), S. 395-397 (Anmerkungen); Mil'kov, Apokrify, 186-201. Die Leiter Jakobs 107 sche. Die genaueren Umstände der beiden Übersetzungen sind nicht allerdings hinreichend geklärt. 35 Da die Anfügungen aus der „Sage des Afroditian“ in die Leiter Jakobs weitgehend mit den slavischen Texten der Sage übereinstimmten, nicht jedoch mit ihrem griechischen Wortlaut, wäre die Überarbeitung wohl erst im kirchenslavischen Tradierungskontext zu verorten. 36 Bei alledem bleibt zu klären, in welchem Ausmaß der Schlussteil schon in der griechischen Vorlage christliche Spuren aufwies und inwieweit es in der kirchenslavischen Tradition weiter bearbeitet worden ist. Der in die Palaea-Kompilation eingebettete Text der Leiter Jakobs erfährt eine weitergehende Kontextualisierung in der Gestalt eines Folgekommentars, der an den Schlussteil anknüpft. 37 Ziel der Ausführungen ist darzulegen, dass Jakob die Ankunft Christi kundgetan wurde. Textkarriere Das vielschichtige Gefüge des Textes lässt es nicht zu, von einem Verfasser zu sprechen, der einen einheitlichen Entwurf vorgelegt („geschrieben“) hat. Vielmehr werden darin die Spuren von wechselnden „Trägerkreisen“ deutlich, sowohl innerhalb des Textes als auch in seinem Kontext. Der Gesamtzusammenhang deutet allerdings darauf hin, dass sich der jüdische Grundbestand der Apokalypse, der sich wohl schon in hellenistischer Zeit herausgebildet hat, gegen Ende des 1. Jh. oder Anfang des 2. Jh.n.Chr. hin zur vorliegenden Gestalt im römisch okkupierten Palästina verdichtet hat. 38 Eine im rabbinischen Schrifttum belegte Parallele wäre das sog. Geschichtsleiter-Motiv „staircase of history“. Der Schreck, der Jakob bei seiner Vision überkommt, bezieht sich in diesem Licht auf die an der Leiter abgebildete düstere Zukunft von Jakobs Nachkommen, da sie heidnischer Herrschaft unterliegen werden. 39 Die Übernahme der Urfassung in der Alten Kirche wäre in einem judenchristlichen Milieu zu vermuten, wo sie auf den „Verwundeten“ und „Ersehnten“ übertragen wurde. Von daher lässt sich auch die Existenz der verloren gegangenen griechischen Zwischenstufe erklären, die im byzantinischen 35 Ščegolev, Skazanie I, 148-199; Ščegolev, Skazanie II, 1304-1344; zur Möglichkeit einer dritten Übersetzung siehe Begunov, Slovo o zvezde, 240-242. 36 Gegen Bonwetsch, Leiter Jakobs, 86, der die Kompilierung der Aphroditian-Sage innerhalb der ClimIac schon für das 6. oder 7. Jh. im Griechischen annimmt. Gegenüberstellung der Entlehnungen bei Ščegolev, Skazanie II, 1330-1339; Vergleich der Leiter Jakobs mit dem griechischen Text der „Sage des Aphroditian“ bei Bratke, Religionsgespräch, 101-106. 37 Kamčatnov (red.), Paleja Tolkovaja, fol. 79b ff., S. 209 ff. 38 Siehe Charlesworth, Pseudepigrapha, 130; Charlesworth, Art. „Ladder“, 609; Evans, Noncanonical Writings, 34. 39 Kugel, Ladder, 211-221. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 108 Kontext weitertradiert wurde und dem Verfasser der Palaea als Vorlage gedient hat. 40 Für den Zeitpunkt der mutmaßlichen Übertragung ins Kirchenslavische sind die gleichen Ausgangsbedingungen wie für die Abraham-Apokalypse sowie die Palaea überhaupt anzusetzen. Dafür kommt die erste Hälfte des 10. Jh. während der kulturellen und literarischen Blütezeit des Ersten Bulgarischen Reiches in Betracht. 41 Die erste Erwähnung der Leiter Jakobs in einem slavischen Index (im sog. Pododin’schen Nomokanon) ist zwar erst im 14. Jh. greifbar, doch es ist davon auszugehen, dass die Eintragung bereits davor (spätes 10. oder frühes 11. Jh.) erfolgt war. 42 Die Genese der beiden Fassungen hängt mit der Textgeschichte der Palaea-Traditionen zusammen, für welche verschiedene Modelle zur Verhältnisbestimmung diskutiert werden. 43 Beide Versionen dürften jedoch auf eine gemeinsame kirchenslavische Vorlage zurückgehen, aus welcher heraus sich die Unterschiede ergeben haben. 44 Die lange Fassung A verrät einen konservativen Umgang mit der Texttradition, währen B in höherem Maße überarbeitet wurde. 45 Vieles spricht dafür, dass die Leiter Jakobs zusammen mit der Abraham- Apokalypse entworfen wurde und beide Schriften im Laufe von über einem Jahrtausend in Byzanz zusammen tradiert wurden, bevor sie im Kompendium der Palaea zusammengefügt wurden. 40 Beispiele bei Lunt, Ladder, 403; die Annahme einer Direktübertragung aus einer hebräischen Vorlage erscheint sehr unwahrscheinlich. Zur Debatte hierüber siehe die Bibliographie von Orlov, Selected Studies, 432-434. 41 Slavova, Paleja, 9-12, 263-266; 335-348; 386-388; cf. ferner Lunt, Ladder, 404-405, insb. Anm. 3. 42 Salmina, Art. „Lestvica Jakova“, 230-231, nennt hierfür irrtümlicherweise das 15. Jh. 43 Vodolazkin, Rohfassung, 453-470. 44 Vtorych, Verhältnis, 1-2. 45 Lunt, Ladder, 401. 5. Testamente der zwölf Patriarchen Die als „Testamente der zwölf Patriarchen“ (TestPatr) betitelte Schrift ist eine literarische Ahnengalerie, die in zwölf narrativen Sequenzen die Söhne Jakobs am Ausgang ihres Lebens abbildet und ihre letzten Worte an die Nachkommen festhält. 1 Da sich darunter auch apokalyptische Exkurse finden, sollen im Folgenden die Verästelungen der slavischen Tradition sowie ihre Vorlagen in aller Kürze beleuchtet werden. Aufbau Das Gesamtwerk hat den Titel „Testamente der zwölf Patriarchen, der Söhne Jakobs“, und acht der zwölf Abschiedsreden sind folgerichtig mit διαθήκη überschrieben. 2 Es zeichnet sich durch eine im Allgemeinen klare, symmetrische Struktur aus, und der Rahmen eines jeden der zwölf litterarischen „Portraits“ weist einen in hohem Maße stereotypen Aufbau auf. Eine „Präambel“ und ein abschließender Todesbericht umfassen den eigentlichen Inhalt - die Abschiedsrede des jeweiligen Patriarchen. 3 Die darin eingeschlossenen Materialien sind äußerst vielfältig und speisen sich aus Erzählstoffen heterogener Natur, die für gewöhnlich auf drei Hauptkategorien bezogen werden: (1) biographische Rückblenden; (2) ethische Anweisungen dualistischer Art (Warnungen vor Lastern/ Aufforderungen zum tugendhaften Leben) und (3) Ausblicke auf die Zukunft, die die Konsequenzen menschlichen Verhaltes verdeutlichen. 4 Hierfür hat E. von Nordheim zuletzt die Begriffe „Rückblick auf die Vergangenheit“, „Verhaltensanweisung“ und „Zukunftsansage“ geprägt. 5 Es begegnen aber auch davon abweichende Textsorten, für welche sich die Termini „Levi-Juda-Stücke“ (Idealisierungen der beiden Patriarchen) und „SER-Stücke“ (Geschichtstheologie um die Themen Sünde-Exil-Rückkehr) eingebürgert haben. 6 1 Literaturübersichten bei DiTommaso, Bibliography, 919-975; Lehnhardt, Bibliographie, 233-247; Delling, Bibliographie, 167-171. 2 de Jonge, Art. „Testamente“, 112. 3 Analyse bei Becker, Untersuchungen, 158-172; Näheres zum formalen Aufriss bei von Nordheim, Lehre der Alten I, 12-114, insb S. 89-107 (Zusammenfassung). 4 Die Beobachtungen hierzu sind schon älteren Datums; cf. Charles & Oesterley, Testaments, VII-VIII. 5 von Nordheim, Lehre der Alten I, 229-232. 6 Diese Begrifflichkeit geht auf de Jonge, Testaments (1953) zurück; cf. Hollander & de Jonge, Commentary, 51-61 und Becker, Testamente, 172-182. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 110 Überlieferung Die Textgrundlage für die Erforschung dieser höchst komplexen, vielschichtigen Schrift bildet die griechische Tradition. 7 Sie dürfte auf ein einziges Majuskelmanuskript zurückgehen, das im 9. oder 10. Jh. in Minuskelschrift transliteriert wurde - eine Hypothese, die auf spezifischen Übertragungsfehlern bei der Umschreibung von Unzialbuchstaben in Minuskelschrift basiert. 8 Der auf uns gekommene griechische Hss.-Befund umfasst insgesamt vierzehn Abschriften (drei davon sind allerdings fragmentarisch) aus dem Zeitraum vom 10. bis zum 18. Jh., die in zwei Gruppen aufgeteilt werden. 9 Eine frühere Unterscheidung, die von R.H. Charles im Jahre 1908 vorgenommen wurde (Familie und ), fand bis vor kurzem noch Zustimmung. 10 Gegenwärtig wird hingegen angenommen, dass die Scheidung vielmehr zwischen den Hss. bk und dem Rest verläuft, wenn man das Kriterium gemeinsamer Fehler zugrundelegt (Familie I und II). 11 Erwähnungen aus dem 2. Jh. (u.a. in einer Homilie von Origenes über Jos 15,6) belegen die Existenz der TestPatr bereits in urchristlicher Zeit. 12 Hinzu kommen ein mit dem TestJud verwandter Midrasch, etliche aramäische Fragmente (u.a. aus Qumran) sowie kleinere Bruchstücke in griechischer und syrischer Sprache, die jedoch nicht in testamentarischer Form abgefasst sind. Ein hebräisches Testament Naphtalis ist mit Sicherheit als späte Kreation zu erweisen. 13 Sehr reichhaltig ist die armenische Überlieferung (über 50 Kopien), über welche bereits einiges an Vorarbeit gerade in textkritischer Hinsicht geleistet wurde und wenigstens eine editio minor vorliegt. 14 Über die Bedeutung der 7 Erstedition von Charles, Greek Versions (1908); editio maior von de Jonge, Edition (1978). 8 de Jonge, Earliest Traceable Stage, 63-86, insb. S. 66 ff. 9 Liste der Textzeugen bei DiTommaso, Bibliography, 919-920; detaillierte Beschreibung bei de Jonge, Edition, S. XI-XXV. 10 Charles, Greek Versions, XXII („genealogical table“); cf. Becker, Untersuchungen, 7-68, insb. S. 31-32. 11 de Jonge, Textüberlieferung, 45-62 (Nachdruck von de Jonge, Textüberlieferung, 27-44); de Jonge, Earliest Traceable Stage, 64; de Jonge, Edition, XXXIII. 12 Hollander & de Jonge, Commentary, 67-82; de Jonge, Edition, XXX-XXXII. 13 Charles, Greek Versions, LI-LVII (Anhang III: Parallelstücke, die schon vor den Entdeckungen in Qumran bekannt waren; deutsche Übersetzung bei Becker, Testamente, 142- 151); Becker, Untersuchungen, 69-127 (Übersicht und Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse). 14 DiTommaso, Bibliography, 922-923 (Literaturübersicht bis 1999); Burchard, Zur armenischen Überlieferung, 1-29, insb. S. 6-13 (Bestandsaufnahme der Hss.); de Jonge, Edition, XXV-XXIX (Ergänzungen und Korrekturen); Stone, Editio minor (2012). Testamente der zwölf Patriarchen 111 slavischen Textzeugen dagegen herrscht Zurückhaltung, was nicht zuletzt am Mangel an Textausgaben und Studien begründet ist. 15 Entstehung Über die Entstehungsverhältnisse der TestPatr herrscht eine anhaltende Debatte, die verschiedene Antworten auf die Frage parat hält, wie weit die Wurzeln der Vorlagen der slavischen Überlieferung letztendlich zurückreichen. 16 Auf der einen Seite stehen die Verfechter der sog. „Interpolationstheorie“, die eine Frühdatierung befürworten und einen jüdisch-christlichen Grundstock annehmen („Grundschrift-Hypothese“), der um jüdische und christliche Interpolationen angewachsen sei (Drei-Stufen-Modell). Das methodologische Werkzeug für den Erweis des Wachstumsmodells wäre also literarkritische Analyse, um zum Ursprung der Textentwicklung zu gelangen. Der vermutliche Kernbestand wird indessen recht unterschiedlich bestimmt. So veranschlagte R.H. Charles dafür einen größeren Umfang (ca. 11/ 12 der Gesamtschrift), die Urfassung soll in Palästina gegen Ende des 2. Jh.v.Chr. in Hebräisch abgefasst worden sein. 17 H.C. Kee suchte den Ursprung der TestPatr in der Makkabäischen Zeit und zwar, in Syrien in griechischer Sprache. 18 J. Becker geht von einem geringeren Umfang der Grundschrift aus und verortet sie gegen Anfang des 2. Jh.v.Chr. in Ägypten auf Griechisch. 19 Die Beurteilung der jüdischen Zusätze erfolgt ebenso uneinheitlich. Während R.H. Charles sie auf einen Bruchteil der Urfassung ansetzt und Opponenten der Makkabäer im 1. Jh.v.Chr. zuschreibt, kalkuliert J. Becker dafür einen längeren Zeitraum bis in das 1. Jh.n.Chr. hinein. 20 Die christliche Interpolationsschicht reduziert R.H. Charles auf ein Minimum; nach J. Becker beginnt sie frühestens im Jahre 70 n.Chr., wahrscheinlicher aber erst im 2. Jh.n.Chr. und setzt sich bis zur Verästelung der bekannten Hss. fort. 21 Eine Sonderposition innerhalb dieses Theoriemodells vertritt A. Hultgårds, der ein semitisches, eher aramäisches denn hebräisches „Urwerk“ der TestPatr postuliert, das im 1. Jh.v.Chr. im Norden Palästinas entstanden sei und in der Folge eine hellenisierende und eine christliche Redaktion erfahren haben 15 DiTommaso, Bibliography, 923-924 (Literaturübersicht); cf. ferner Charles, Greek Versions, XVIII-XIX; Becker, Untersuchungen, 10; 31; de Jonge, Textüberlieferung, 51- 54; 62; de Jonge, Edition, XXIX-XXX. 16 Becker, Untersuchungen; 129-158; de Jonge, Patriarchentestamente, 3-42; Slingerland, Testaments (1977); Hollander & de Jonge, Commentary, 1-8. 17 Charles, Greek Versions, IX; Charles & Oesterley, Testaments, XVI-XVII. 18 Kee, Testaments, 776-778. 19 Becker, Untersuchungen, 373 ff. 20 Charles, Greek Versions, XLVI-XLVIII; Becker, Untersuchungen, 373 ff. 21 Charles, Greek Versions, XLVIII-LI; Becker, Untersuchungen, 376; Becker, Testamente, 23-24. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 112 soll. 22 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Interpolationshypothese auf den ersten Blick zwar durchaus plausibel erscheinen mag, im Detail jedoch nur sehr schwer am Text zu belegen ist und zu sehr widersprüchlichen Ergebnissen führt. To prove the results of a highly complex literary-critical analysis like that by Becker is difficult, and it is equally difficult to disprove them. 23 Eine andere Sichtweise, die vor allem von M. de Jonge aufrechterhalten wird, betont dagegen die Integrität des vorliegenden Textes und verzichtet bewusst auf literarkritische Operationen zugunsten textkritischer Argumente und kontextueller Analyse. Hieraus wird ein späterer Abfassungstermin gefolgert. So soll ein christlicher Redaktor um das Jahr 200 n.Chr. jüdische Materialien in die vorliegende Form gegossen haben („Kompilationstheorie“). 24 In diesem Zusammenhang fällt es allerdings schwer zu erklären, warum die wichtige armenische Überlieferung keine explizit als christlich zu gewichtende Interpolationen kennt. Für die Vorlagen der slavischen Überlieferung ist in der Bilanz wichtig festzuhalten, dass mit den TestPatr eine uralte orientalische Gattung in einem neuen Kontext übernommen wird. 25 Die Frage, ob der Text „christlich“ oder „jüdisch“ sei, stellte sich für die altslavischen Kopisten überhaupt nicht; ebenso wenig die Fragen nach „Kanonizität“ oder „Legitimität“. Man darf vermuten, dass neben den paränetischen Abschnitten die apokalyptischen Sequenzen von besonderer Bedeutung für ihre Auswahl waren. Welche Partien der TextPatr wären dahingehend zu verorten? Apokalyptisches Material in den Patriarchentestamenten Es wäre sehr lohnend, die apokalyptischen Passagen in den Testamenten der zwölf Patriarchen auf dem Hintergrund der verwandten zeitgenössischen Literatur einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. 26 Die bisher erstellten Listen apokalyptischer Sequenzen nehmen sich eher bescheiden aus und bedürften einer genaueren Analyse. 27 Die Diskussion dreht sich stattdessen viel eher 22 Cf. Hultgård, Eschatologie I und insb. Hultgård, Eschatologie II, 181-182; 223-238. 23 Hollander & de Jonge, Commentary, 37. 24 Cf. ferner die Arbeiten von H.C. de Jonge, H.W. Hollander und T. Korteweg; griffige Zusammenfassung der Kompilationstheorie bei Hollander, Testaments, 71-74. 25 Baltzer, Bundesformular, 142-147; de Jonge, Art. „Testamente“, 110-113. 26 Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Studie von Hultgård, Eschatologie I (1977). Die Liste von J. Becker dient dem Erweis der Zugehörigkeit apokalyptischer Zusätze zur sog. Sammelbecken-Schicht (idem, Untersuchungen, 403-405). 27 Hollander & de Jonge, Commentary, 39-41 (Umfang der eschatologischen Passagen); 61- 63 (Belegstellen zu Messianologie und Auferstehung). Testamente der zwölf Patriarchen 113 darum, ob die betreffenden Textabschnitte zum ursprünglichen Text gehören oder erst nachträglich interpoliert wurden. 28 Dabei werden die Konsequenzen dieser Schlussfolgerung in mindestens zweifacher Hinsicht nicht bedacht. Dies würde zur Folge haben, dass die wie auch immer umrissene hypothetische Grundschrift einen vornehmlich ethischen Traktat ohne jenseitige „Illustrationen“ darstellen würde. Damit wird aber außer Acht gelassen, dass gerade die apokalyptischen Exkurse einen wesentlichen Teil der Argumentation ausmachen, denn sie verdeutlichen die Auswirkungen diesseitigen Handelns und zeigen auf, worauf es hinausläuft. Ethik und Eschatologie gehen in den Patriarchentestamenten Hand in Hand. Zum anderen wirft das die Frage auf, in welcher Gestalt die apokalyptischen Textstücke gegeben sein sollten, die (angenommen zwischen 160 und 100 resp. 63 v.Chr.) integriert worden wären. 29 Handelt es sich um vereinzelte, versprengte Fragmente oder um eine zusammengehörige Apokalypse? In welcher Beziehung stünden sie zu zeitgenössischen Entwürfen? Warum kam dieser Prozess zum Abschluss? Noch mehr Fragen ergeben sich, sobald wir den Boden der Interpolationstheorie verlassen und die apokalyptischen Textstellen im Prisma der Kompilationstheorie betrachten würden. Hat der vermutliche „christliche Redaktor“ um 200 n.Chr. alte Apokalypsen vorgefunden und in einer Schlussredaktion zusammengetragen? In welcher Form wird ihm dieses Material vorgelegen sein? Gabe es eine korrespondierende Textsammlung, in etwa „Apokalypsen der zwölf Patriarchen“, so wie es Sammlungen von Apokalypsen unter den Namen biblischer Patriarchen und Propheten in großer Fülle gab? All diese offenen Fragen können hier nur registriert, nicht jedoch weiter aufgegriffen werden. Zu ihrer Beantwortung wäre sicherlich von Bedeutung, etwas genauer zwischen „Apokalyptik“ als Textsorte und „Eschatologie“ als nur eines von vielen möglichen Themen in Offenbarungsschriften zu unterscheiden. Es wäre ferner wichtig, auch die Kontextmanuskripte genauer in den Blick zu fassen. Hierbei ergeben sich durchaus Korrespondenzen mit den apokalyptischen Textstücken innerhalb der TestPatr. 30 Handschrift Kontextmanuskripte b Oracula des Kaisers Leo VI. d TestJob; Jubiläenbuch 28 Becker, Untersuchungen, 403-405 (Zugehörigkeit apokalyptischer Zusätze zur sog. Sammelbecken-Schicht); Ulrichsen, Grundschrift, 329-331 (Zuweisung zu einer Interpolationsschicht). 29 Ulrichsen, Grundschrift, 343. 30 Siglen nach de Jonge, Edition, XII-XXV. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 114 k Andreas von Kaisareia, Kommentar über die Johannes-Offenbarung; Exkurs über den Antichrist l Fragmente aus der Johannes-Offenbarug n Kommentare über die Johannes-Offenbarung von Andreas von Kaisareia und Johannes Chrysostomos Tabelle 5: Kontextmanuskripte der Patriarchentestamente Es empfiehlt sich in diesem Zusammenhang, erst einmal diejenigen Abschnitte überhaupt zu identifizieren und zusammenzustellen, die den slavischen Kopisten und Übersetzern als apokalyptische Vorlage gedient haben können. TestRub 1,7- 3,8: Dieser Abschnitt rückt in die Nähe apokalyptischer Rede. Nach lebensgefährlicher Krankheit und siebenjähriger, von asketischer Praxis und Trauerritualen begleiteter Buße wird Ruben eine Schau von sieben Geistern zuteil. 31 Der Zusammenhang von Buße, Askese, Gebet und Vision ist natürlich ein klassischer Topos (Dan 9,1-17; 10,1-21; Mt 4,1-11 par), der auch in apokalyptischem Setting begegnet (ApcBar syr 20,5; 4 Esdr 5,20; 6,35; 9,26-27; 12,51) und anthropologisch und psychologisch gut nachvollziehbar ist. 32 All das reicht jedoch nicht aus, um den Passus als „apokalyptisch“ auszuweisen. TestSym 6,2-7: Hier liegt ein endzeitliches Völkerorakel vor, das den Untergang israelfeindlicher Ethnien verheißt. Das Tagma (Untergang feindlicher Nationen, eschatologisches Friedensreich, endzeitliche Theophanie und Sieg über widrige Geistermächte, Auferstehung) enthält interessanterweise keine Gerichtsschilderung. Falls wir mit J.Becker „eine ehedem selbständige, in TestSim nachträglich eingefügte Apokalypse“ annehmen, wäre im Sinne der vorhin vorgetragenen Kritik an seinem Konzept nach ihrem ursprünglichen Kontext zu fragen. 33 Die slavische Literatur kennt ebenso Völkerorakel, ein herausragendes Beispiel dafür sind die sog. Vaticinien des Pandech, hier insb. Orakelsprüche 7, 11-13 und 15-17. 34 TestLevi 2,4-6,2 (mit Ausnahme von 2,11-12 und 4,2-6) ist eine klassische Apokalypse, die von Levis Himmelsreise in Begleitung eines Deuteengels erzählt. Zahlreiche Motive reihen sich hierher: (1) der Berg als Offenbarungsort (cf. Ex 19-20, Proömium der RevPsMeth syr par), ebenso gut belegt in kirchenslavischen Apokalypsen (2 ApcDan sl 1,2; 3 ApcIes 1,2); (2) Traumvision als Eröff- 31 Die Liste ist gedoppelt - handelt es sich um den Einschub einer stoischen Geisterliste? Cf. Becker, Testamente, 33, Anm. a). zu II, 3). 32 Man kann von einer „somatischen Psychologie“ sprechen (Kee, Testaments, 778). 33 Becker, Testamente, 44, Anm. a). zu VI, 3). 34 Siehe Kap. VII.5 und X.14. Testamente der zwölf Patriarchen 115 nung einer Himmelsreise; cf. Hen(sl) 1,2-6; (3) das Motiv der geöffneten Himmel (TestLevi 2,6; 5,1; 18,6 - hier in Verbindung mit einer Vision des himmlischen Tempels); ferner TestIud 24,6 (hier in messianischem Kontext); ApcPetr 17; 35 (4) Naturkatastrophen als Zeichen des herannahenden Endgerichtes kommen nur an dieser Stelle in den TestPatr vor (TestLevi 4,1); (5) die Vorstellung der sieben Himmel (hier divergieren allerdings die Hss.; die Gruppe α kennt nur drei Himmel). 36 Sie ist auch im slavischen Bereich gut bezeugt; cf. Hen(sl) 3-22; AscIes sl; ApcBar gr sl; 37 (6) die Schau von Tempel und Thron Gottes (TestLevi 5,1). Die Rache für Judas Schwester Dina an den Söhnen Emors in Sichem geschieht übrigens auf Geheiß des Begleitengels (TestLevi 5,3). Der Massenmord ist auf den himmlischen Tafeln verzeichnet und folglich auch vorherbestimmt und unvermeidlich (V.4). TestLevi 7,4-8,19 handeln von einem Traum von Levi in Bethel über seine Einsetzung in das Priesteramt durch sieben Männer in weißen Gewändern. Das Erschaute erhält im Folgeabschnitt eine doppelte Bestätigung - einmal durch eine Segnung durch Levis Großvater Isaak (TestLevi 9,1-2), einmal durch einen Traum Jakobs (TestLevi 9,3-4). Es folgt eine kultische Handlung in der Form einer Zehntelabgabe. Levis Investitur wird mit einer Unterweisung im priesterlichen Dienst durch Isaak abgeschlossen (TestLevi 9,6-14). Die Szenerie erinnert an die himmlische Investitur von Henoch (Hen(sl) 22,8-10) und ist per se apokalyptisch, dies gilt aber nicht für den gesamten Abschnitt. TestLevi 14-17: Diese Kapitel handeln vom eschatologischen Verfall, der sich über siebzig Wochen erstreckt (cf. Dan 9,1-27; Henochs Zehn-Wochen-Apokalypse). Seine Kennzeichen sind Blasphemie, Promiskuität und kultische Vergehen, die sich in der fortschreitenden Dekadenz der priesterlichen Institution spiegeln (Kap. 17) und in ihrer endgültigen Auflösung gipfeln (18,1). Ein slavisches Pendant hierzu wäre die sog. Traumdeutung des Šachinšach. 38 TestLevi 18,1-14: Im Mittelpunkt steht das Auftreten einer messianischen Priestergestalt. Die Himmel und die Tore des Paradieses öffnen sich. Im Zusammenhang damit stehen Endgericht (V. 2), kosmische Freude (V.3-9.13-14), ultimative Heilszeit (V.9-11), Sieg über Beliar (V.12) und Auferstehungsaussagen (V.14). TestJud 21-23 Analog zum Verfall des Priestertums (TestLevi 17) wird hier von der allmählichen Verkümmerung der Institution des Königtums resp. der Nachfahren Judas berichtet. Ungerechtigkeiten und Perversionen (21,6-9) werden zum Untergang führen (Kap. 22). Die Gravamina werden aber im Sinne 35 Belege bei Böttrich, Henochbuch, 923-924, Anm. a). zu 31,2. 36 Cf. de Jonge, Textüberlieferung, 60; die Drei-Himmel-Lesart favorisiert hingegen Becker, Testamente, 48, Anm. a). zu 3,1. 37 Belege bei Böttrich, Weltweisheit, 135, Anm. 360; 138, Anm. 379. 38 Siehe Kap. VIII.1 und X.16. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 116 der SER-Theologie zu guter Letzt durch Buße und Umkehr aufgehoben werden (Kap. 23). TestJud 24-25: Nach dekadenten Erscheinungen und Katastrophen kommt die Wiedergutmachung durch eine messianische Erlösungsfigur (Kap. 24). Es folgen Sieg über BElijar und allgemeine Auferstehung (Kap. 25). TestIss 6,1-4 ist ein typisches SER-Stück, das einige wenige Gattungsmuster wie sittliche Verschlechterung enthält, ohne sie jedoch in einen übergeordneten apokalyptischen Zusammenhang zu stellen. TestSeb 9,5-9: Auf die Verwerfung des in Jerusalem erschienenen Herrn durch Israel folgt die endgültige Verbannung „bis zur Zeit der Vollendung“. All das lässt stark an das Jahr 70 denken. TestDan 5,4-13: Es begegnen vereinzelte eschatologische Elemente (V.4) sowie eine Referenz auf Henochs Schriften (V.6) im SER-Kontext (V. 4-9). Der Krieg Gottes gegen BElijar wird ewigen Frieden für die Gerechten bringen, für sie steht das neue Jerusalem bereit (V.10-13). TestNapht 4-6: Kap. 4 enthält SER-Theologie und Verweise auf Henochs Schriften (V.1). Es folgen zwei Träume Naphtalis. Der erste deutet auf eine Erhöhung von Levi und Juda (V.2-5) und schließt mit einer Liste der Völker, die Israel gefangen nehmen werden. Gegenstand des zweiten Traums ist ein Schiffbruch von Jakob und seinen zwölf Söhnen, die die Katastrophe unbeschadet überstehen. Beides verweist auf die Endzeit (7,1; 8,1). TestGad 8,2 berichtet wiederholt vom endzeitlichen Sittenverfall. TestAss 7,2-3: Auf dem Hintergrund des SER-Geschichtsbildes (Sünde und Zerstreuung) wird ein apokalyptisches Tagma ausgebreitet. Die Verwüstung von Land und Heiligtümern setzt sich bis zur eschatologischen Theophanie fort. Erst der Sieg von Gott über BEliar bringt die Erlösung von Israel und allen Völkern herbei. TestIos 19,1-10: In einem Traum wird Joseph eine in Tiersymbolik gekleidete Offenbarung über die Endzeit zuteil (cf. Dan 7,1-28; Henochs Tierapokalypse). 39 TestBen 9,1-5: Mit Bezug auf Henochs Schriften wird das Bild moralischer Verkommenheit heraufbeschworen. Die versammelten zwölf Stämme werden den Herrn schmähen, der dann aber im Himmel erhöht wird. TestBen 10,6-10 beinhaltet eine Auferstehungsverheißung (cf. Dan 12,2) und eine Schilderung des Endgerichtes. Der Herr wird über Israel und über alle Völker richten (V.9). Aus dieser Zusammenstellung wird deutlich, dass die TestPatr eine eigene Lesart von Apokalyptik beinhaltet. Haggadah, Paränese und eschatologische 39 Cf. Becker, Testamente, 129, Anm. zu 19, 2.10 (Lesarten der armenischen Überlieferung). Testamente der zwölf Patriarchen 117 Prophetie gehen dabei nahtlos ineinander über. 40 Das Herannahen der Endzeit ist am Umsichgreifen sittlicher Dekadenz abzulesen (TestLevi 14-18; Test- Jud 21,7-22,3; TestIss 6,1-4; TestGad 8,2; TestBen 9,1-5). Den ultimativen Tiefpunkt markiert der Zerfall von Priestertum und Königtum (TestLevi 17; TestJud 22). Die Endereignisse sind nicht nach einem feststehenden Tagma angeordnet, sondern werden vom Auftreten einer messianischen Erlösungsfigur bestimmt, die Endgericht, Sieg über BEliar und sein Geisterheer, Auferstehung und paradiesische Heilszeit einläutet (TestSim 6,2-7; TestLevi 18,2-14; TestJud 24-25; TestDan 5,4-13; TestAss7,2-3; TestBen 10,6-10). Visionen treten im Zusammenhang von Reue und Buße auf (TestRub 1,7-10), der Traum als Offenbarungsmedium spielt eine zentrale Rolle (TestNapht 5-6; TestIos 19,1-10). Selbst Levis Himmelsreise beginnt als Traumerscheinung (TestLevi 2,5 ff.). An spezifischem Formgut finden sich hauptsächlich Vaticinia diversen Charakters, nur an je einer Stelle figurieren Völkerorakel (TestSim 6,2-7) und apokalyptische Schilderungen von Naturkatastrophen (TestLevi 4,1). Durch die häufige Bezugnahme auf Henochs Schriften reihen sich die Patriarchen unter die Bewahrer apokalyptischer Tradition ein (TestSim 5,4; TestLevi 10,5; TestDan 5,6; TestNapht 4,1; TestBen 9,1). 41 Der Akzent liegt stets auf der Paränese, 42 und Zukunftsankündigungen verdeutlichen die Folgen bestimmter Verhaltensweisen. Unheilsansagen sind mit moralischer Verderbtheit verbunden, Heilsansagen und Umkehr bilden eine Sinneinheit. Die feste Verbindung von Eschatologie und Ethik folgt insoweit der Logik deuteronimistischer Theologie, die kollektive Buße als letzte historische Chance ansieht. Mit Blick auf diese knappe Skizze wäre also zu fragen, wie das apokalyptische Material in den slavischen Codices adaptiert worden ist. Transmission im slavischen Bereich Die Forschungslage zum Schicksal der TestPatr in der Slavia Orthodoxa ist recht dürftig. Es gibt zwar eine Reihe von Textausgaben, vornehmlich aus der zweiten Hälfte des 19. Jh., jedoch keine textkritische Edition, die die Gesamtheit der Quellen umfasst. 43 Nur einige wenige Studien befassen sich mit den großen Verlaufslinien der Überlieferung, 44 und erst in den letzten Jahren wurde Neues hierzu beigesteuert; die Ergebnisse harren noch ihrer Rezeption 40 Denis, Introduction, 49. 41 Hollander & de Jonge, Commentary, 40. 42 „Das Herz der Testamentsform schlägt also in der Verhaltensanweisung! “ (von Nordheim, Lehre der Alten I, 233). 43 Bibliographie bei Orlov, Selected Studies, 262-264. 44 An Ausnahmen seien Turdeanu, Testaments, 148-184 (Nachdruck in Turdeanu, Apocryphes slaves, 239-275) und Soldat, Testaments, 407-427 genannt. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 118 und Fortführung. 45 Daher lässt sich in diesem Rahmen noch keine Detailanalyse der Transformationen der apokalyptischen Textabschnitte vornehmen, stattdessen seien einige Anmerkungen zum Gesamtzusammenhang des Transfers angefügt. Die kirchenslavische Tradition kennt drei Überlieferungswege der Test- Patr. Der erste davon verläuft über die Verzweigungen der sog. Palaea und korrespondiert mit ihren Redaktionen, der zweite liegt in eigenständigen Codices ost- und südslavischer Provenienz vor. Ein dritter bewegt sich in der Bahn der erbaulichen und der hagiographischen Literatur. Es lassen sich insgesamt folgende Überlieferungstypen unterscheiden: 46 (1) Eine vollständige Fassung der TestPatr ist in folgenden Codices vertreten: (a) Im sog. Archivchronograph (russ. Архивский хронограф). Es handelt sich um eine chronographische Kompilation aus der zweiten Hälfte des 15. Jh. (Cod. 279/ 658, Zentrales Staatsarchiv alter Urkunden, Moskau), die zwar auf eine Vorlage aus dem Jahre 1262 zurückgeht, womöglich aber schon aus frühbulgarischer Zeit (Anfang des 10. Jh.) stammt. 47 (b) In einem Manuskript aus der Sammlung des Dreifaltigkeitsklosters von Sergiev Posad aus der ersten Hälfte des 16. Jh. („Свято-Троицкая Сергиева Лавра“/ Kloster der Dreifaltigkeit und des heiligen Sergius, gegenwärtig Cod. 730 im Bestand der Russischen Staatsbibliothek Moskau, f.304.I). 48 (2) Eine kurze Fassung der TestPatr (Turdeanu: „version courte“) ist in der Palaea Interpretata enthalten. 49 Eine Besonderheit dieser Bearbeitung ist, dass das TestIos gemäß dem Kontext vorangestellt wird. Ein herausragendes Merkmal ist die ausgiebige Kommentierung der TestPatr im Sinne der typologischen Exegese (Altes Testament als Vorausverweis auf das Neue), ferner die Einfügung stereotyper antijüdischer Polemik. 50 Wichtige Textzeugen hiervon sind die sog. Kolomna-Palaea aus dem Jahre 1406 (russ. Коломная палея/ Kolomnaja paleja) 51 und die Palaea aus dem Solovki-Kloster, 17. Jh. (russ. Соловецкая палея/ Solovetskaja paleja). 52 Diese Manuskripte überliefern im Übrigen die kurze Version der Leiter Jakobs. 53 45 Vologina, O tekstologii, 73-77; Griščenko, Teksty-svjazki, 35-36. 46 Aufteilung nach Griščenko, Slavjano-russkij apokrif, 128-158, insb. S. 144-146. 47 Tvorogov, Art. „Chronograf“, 475. Die Kürzel zum Cod. 279/ 658 sind wie folgt aufzulösen: ЦГАДА/ CGADA , seit 1992 umbenannt in РГАДА/ RGADA, entspricht „Русский госсударственный архив древных актов“ (Zentrales Staatsarchiv alter Urkunden); МГАМИД/ MGAMID bedeutet „Московский главный архив Министерства иностранных дел“ (Moskauer Hauptarchiv des Außenministeriums). 48 Das Kürzel RGB steht für „Российская госсударственная библиотека“ (Russische Staatsbibliothek). 49 Cf. Turdeanu, Testaments, 166-167. 50 Ibid., S. 169-181. 51 Tichonravov, Pamjatniki I, 96-145. 52 Porfir’ev, Skazanija I, 158-194. 53 Siehe den entsprechenden Abschnitt in Kap. III.4. Testamente der zwölf Patriarchen 119 (3) Einen Sonderplatz nimmt die Abschrift in dem sog. Barsov-Codex (Cod. 619, Staatliches Historisches Museum, Anfang 15. Jh.) ein, die an die kurze Palaea-Redaktion anschließt. 54 Ein Merkmal dieser Kopie, die als Vorlage der langen Fassung der Chronographischen Palaea gehandelt wird, ist die Trennung der Palaea-typischen Kommentare und des eigentlichen Textes der TestPatr (bzw. was der Kopist als solches ansah), die wiederum mit einem eigentümlichen Verweissystem verbunden sind. 55 (4) Eine erweiterte Kurzfassung der TestPatr (Turdeanu: Version longue) tradiert die sog. Palaea Chronographica, die die Redaktion der Palaea Interpretata nach Maßgabe der vollständigen Fassung der TestPatr ergänzt. 56 Vertreter sind u.a. die sog. Synodalpalaea aus dem Jahre 1477 (russ. Синодальная палея/ Sinodal’naja paleja) 57 , die sog. Rumjancev-Palaea aus dem Jahre 1494 (russ. Румянцевская палея/ Rumjancevskaja paleja) 58 und die sog. Krehiv- Palaea aus dem 16. Jh. (ukr. Крехiвска палея/ Krehivska paleja). 59 (5) Eine Sonderfassung ist aus einer einzigen Kopie aus dem 16. Jh. bekannt („Лицевой летописный свод“, wörtlich „Sammlung illuminierter Annalen“).ִ Es handelt sich um ein außerordentlich umfangreiches weltgeschichtliches Kompendium, welches tausende von Einträgen und Miniaturen umfasst. Charakteristisch für seinen Umgang mit dem Text ist, das es sowohl die TestPatr als auch die begleitenden Palaea-Kommentare starken Kürzungen unterwirft (f.151r-160). 60 (6) Eine sehr komprimierte Variante der TestPatr überliefert die Kurze Chronographische Palaea, die nur einzelne Auszüge aus der Palaea Interpretata übernimmt (f.109r-113r). 61 (7) Ein serbischer Codex aus dem 16. Jh. (Krušedol-Kloster, Syrmien) enthält die ersten fünf Kapitel des TestRub. Unter den Kontextmanuskripten findet sich eine Redaktion der Palaea Historica. Anscheinend handelt es sich um den Beginn einer Übersetzung, die nicht beendet wurde. Der Abschnitt dürfte erbaulichen Zwecken gewidmet worden sein. 62 54 Cf. hierzu Alekseev, Svjazi, 63-70. Das Kürzel GIM steht für „Госсударственный исторический музей“ (Staataliches Historisches Museum Moskau). 55 Griščenko, Slavjano-russkij apokrif, 144-145. 56 Ibid., S. 145-146. 57 Tichonravov, Pamjatniki I, 146-232. 58 Pypin, Knigi, 33-35 (TestRub), 36-38 (TestSym). 59 Franko, Apokrifi I, 174-223. 60 Cf. die Dissertation von Morozov, Licevoj svod (2006). Eine Facsimile-Ausgabe ist seit dem Jahre 2006 im Erscheinen begriffen. 61 Griščenko, Slavjano-russkij apokrif, 146. 62 Turdeanu, Testaments, 181-184; cf. Jovanović, Zavet, 394-404. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 120 Eine auffallende Besonderheit der Überlieferung der PatrTest ist ihre Verbindung mit einem apokryphen Werk, das „Jakobs Segen für seine Söhne“ überschrieben ist. 63 Es handelt sich um ein nicht näher bekanntes Apokryphon, das auf einer verschollenen griechischen Vorlage fußt, die womöglich einem haggadischen Midrasch über Gen 49 folgt. Es ist nicht auszuschließen, dass es auf ein verloren gegangenes griechisches „Testament Jakobs“ zurückgeht. Beides wurde in der slavischen Tradition zu einer Texteinheit verknüpft, die zusammen tradiert wurde, teils gemeinsame Überschriften teilte und im Corpus des Archiv‘schen Chronographen stellvertretend für Gen. 49 eingesetzt wurde. 64 Eine Querverbindung besteht zudem zum Traktaten des Epiphanius von Salamis „De duodecim gemmis“ (4. Jh.), welches ebenfalls in das Corpus der Palaea Interpretata aufgenommen wurde. 65 Darin erörtert der Zyprioter Bischof die Eigenschaften der zwölf Edelsteine auf dem Ephod des jüdischen Hohepriesters und bezieht sie im Schlussteil auf die zwölf Söhne Jakobs. 66 Dies nahm der Verfasser der Palaea zum Anlass, Auszüge aus den TestPatr in seine Bearbeitung des Epiphanius-Textes einzubeziehen. 67 Eine eigene Überlieferungsform der PatrTest wird in der erbaulichen Literatur entfaltet, die in der russischen Tradition seit dem 14. Jh. unter dem Namen „Izmaragd“ (vom Gr. σμάραγδος, Smaragd) kursiert und eine sehr komplexe Überlieferungsgeschichte aufweist. 68 In der dritten, südwest-russischen Redaktion des Izmaragd, die um die Wende des 15.-16. Jh. datiert, tauchen in Kap. 323-334 die PatrTest in der Reihenfolge der Palaea-Versionen, jedoch ohne Überschrift auf. 69 Von hier aus gelangten sie in die didaktischen Sequenzen der westrussischen Redaktion des sog. Prolog, einer kirchenslavischen Entsprechung der byzantinischen Synaxarien, die ihren Namen einer Verwechslung verdankt. 70 Die TestPatr wurden dabei gegen Anfang des 16. Jh. (noch vor dem Jahre 1512) den Kalender-Einträgen für den Monat Dezember (11., 13.-16. und 18.-24.) zugeordnet. Ebenso um diese Zeit (noch vor 1530) wurde diese Version der TestPatr mit der Strophenredaktion des Prolog zu- 63 Analyse bei Griščenko, Slavjano-russkij apokrif, 128-158. 64 Ibid., S. 146-151. 65 Slavova, Paleja, 251-260. 66 Das griechische Original ist verloren gegangen; Ausgabe des armenischen Textes von Albrecht & Manukyan, De duodecim gemmis (2014). 67 Slavova, Paleja, 259 (Tabelle der Entlehnungen aus den TestPatr). 68 Pudalov & Turilov, Art. „Izmaragd“, 594-598. 69 Turilov, Art. „Perevody“, 231-232. 70 Das Vorwort des Basilius‘schen Menologions (um 985) wurde von den slavischen Übersetzern irrtümlich als Überschrift gedeutet und als Titel des gesamten Werkes übernommen. Näheres bei Ivanova, Art. „Prolog“, 372-373 und Loseva, Žitija, 23-128. Testamente der zwölf Patriarchen 121 sammengelegt, wobei die ursprüngliche Reihenfolge der Kapitel wiederhergestellt wurde. Die hagiographische Fassung der PatrTest bleibt nahezu unerforscht und verdient indes weitere Untersuchung. 71 Die TestPatr haben zudem eine Spur in der russischen Ikonographie hinterlassen. Zitate und Paraphrasen hieraus finden sich in ca. vierzig Patriarchendarstellungen aus dem 17. und 18. Jh. auf der Ikonostase (der Bilderwand, die den Altar vom Kirchenraum trennt). Sie sind auf Rollen festgehalten, die die alttestamentlichen Figuren mit sich tragen, und fallen entsprechend knapp aus. Es geht dabei um einen um 1528 entstandenen Ikonentypus, der die „alttestamentliche Kirche von Adam bis Mose“ abbilden sollte und in einem großen geographischen Raum von Moskau über Suzdal‘ bis zu den Solovki-Inseln vertreten ist. Verweise auf die TestPatr finden sich schon in den Malerbüchern (seit 1666), die inhaltliche und technische Anweisungen für die Ikonenmaler enthielten (vergleichbar mit der „Hermeneia“ des Dionysius von Phourna, 1730-1734). Interessanterweise wichen die Ikonographen des Öfteren davon ab und wandten sich direkt dem Text der PatrTest zu, den sie offenbar in ihrer kurzen Fassung nach der Redaktion der Palaea Interpretata nutzten. Die verwandten Summarien verraten indes eine genauere Kenntnis des Textes, da die Inhalte treffend zusammengefasst werden. All das bezeugt die hohe Bedeutung der Palaea, die als autoritative Quelle für die ikonenmalenden Mönche galt. 72 Es würde sich sicherlich lohnen, diese Fährte aufzunehmen und nach weiteren Querverbindungen, so nach lokalen Traditionen zu fragen wie nach der Nutzung der Palaea im Solovki-Kloster für die Ikonenmalerei auf dem Archipel oder um den Verbreitungsgrad der Palaea an Hand der ikonographischen Quellen nachzuzeichnen. Mit Vorsicht ist dagegen die von C. Soldat aufgestellte Behauptung einer Verbindung zwischen der russischen Tradition eines Testamentes auf dem Sterbelager und der TestPatr zu betrachten. 73 Der kulturelle Gestus einer letzten Verfügung über materielle und ethische Dinge kurz vor dem Tod, am Lager des Sterbenden versinnbildlicht, repräsentiert im Grunde eine „anthropologische Konstante“ und kann nicht als spezifisch russisch gelten. Es bleibt unklar, wie genau der Text der PatrTest mit diesem Habitus zu tun haben könnte. Übernahme der PatrTest in die Slavia Orthodoxa In alledem bleiben Ort und Zeit der ursprünglichen Übersetzung unklar. Mitunter wird sie apriori früh angesetzt und zwar, noch im Ersten Bulgarischen 71 Auf diese Form der Überlieferung der TestPatr verweist Turilov, Art. „Perevody“, 231- 232. 72 Sergeev, Nadpisi, 306-320, insb. S. 319-320. 73 Soldat, Testaments, 420. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 122 Reich unter König Symeon (893-927). 74 Eine späte Übertragung gegen Ende des 12. Jh. resp. in der ersten Hälfte des 13. Jh. „quelque part en Bulgarie“ (E. Turdeanu) ist aber weniger wahrscheinlich. 75 Dies würde mit der Eigenart der frühesten, vollständigen Abschrift der TestPatr im sog. Archivchronographen (15. Jh.) kollidieren. Dieses wichtige Denkmal der altrussischen Literatur umfasst neben einer Kompilation alttestamentlicher Bücher (Oktateuch, 1-2 Kön, 1-2 Chron u.a.) noch „De bello iudaïco“ von Josephus Flavius, die Chroniken des Ioannes Malalas (6. Jh.) und des Georgios Hamartolos (9. Jh.), die Palaea Historica und weitere apokryphe Texte. 76 Es bietet im Übrigen ungewöhnliche Lesarten wie die Einfügung eines achten Geistes in TestRub (дùх] s]nnïi/ Traumgeist, womöglich eine Art Todesahnung - wbraç smrtnіьй). 77 Seine lexikalischen Merkmale verweisen jedenfalls in die frühbulgarische Epoche und zwar, in das Zeitalter von König Symeon (889-927). 78 Es trägt die Signatur des altbulgarischen Literaten Presbyter Grigorij, und seine Urfassung wäre ggf. schon ins Jahr 921 zu datieren. 79 Es ist ferner zu prüfen, wie sich der sog. Warschauer Chronograph (Sammlung der Zamoyski-Ordination, BOZ cim 83, Nationalbibliothek Warschau, 15.-16. Jh., russische Redaktion) hierzu verhält. 80 Es stimmt weitgehend mit dem Archivchronographen überein und weist die gleiche Glosse von Presbyter Grigorij auf (Wortlaut nach Arch., f.199r): Книгы завѣта б͠жїа ветха(г) сказающе ѡбразы новаго завѣта истиннѹ соущѹ. преложеныѧ ѿ гре(ч)ска(г) языка в ͛словенс͛кыи. при кн͠ѕи блъгарс͛тѣ(м) симеѡне с͠нѣ бориши. григорїе(м) презвитерѡ(м) мнихо(м), всѣ(х) цр͠квни(к) блъгарс͛кы(х) црк͠вїи повелѣнїе(м) того кни(г)лю(б)ца кн͠ѕѧ семїо(н). истинѣ(ж) рщї б͠олю(б)ца („Bücher des göttlichen Alten Testamentes, die die Bilder des Neuen Testamentes enthüllen, die wahrhaftig sind; unter dem bulgarischen König Symeon, Sohn des Boris, aus dem Griechischen ins Slavische übersetzt vom Presbyter und Mönch Grigorij, Kirchenmann in allen bulgarischen Kirchen, auf Geheiß des selbigen Bücher liebenden - besser gesagt Gott liebenden - Königs Symeon“). 81 Zudem verlangt die Gesamtbeurteilung des Übersetzungszusammenhanges die genauere Auswertung der zahlreichen unedierten Palaea-Handschriften sowie eine Entscheidung in der Debatte, ob die Palaea Interpretata schon im 74 Turilov, Art. „Perevody“, 231-232. 75 Turdeanu, Testaments, 163-166. 76 Tvorogov, Art. „Chronograf“, 475. 77 Panajotov, Personifikacija, 151-161, insb. S. 152-154. 78 Panajotov & Nikolov, Archivski sbornik, 95-115, insb. S. 113-114. 79 Dimitrov, Izbornicite, 3-16. 80 Tomova, Varšavski chronograf, 137-140. 81 Cf. Miltenova, Art. „Grigorij“, 113 (Wirken des Presbyter Grigorij, Text seiner Notiz im Wortlaut). Testamente der zwölf Patriarchen 123 Ersten Bulgarischen Reiches (9.-10. Jh.) zustande kam oder erst später (13. Jh.) in Russland abfasst wurde. 82 Im Allgemeinen setzt die slavische Tradition am griechischen Überlieferungszweig der zweiten Familie (β) an und steht den griechischen Hss. aef nahe. 83 Dies trifft vor allem für die ostslavischen Fassungen zu. 84 Die südslavische Fassung im vorhin erwähnten serbischen Fragment aus dem 16. Jh. (TestRub 1-5) ist mit der nchiNgr-Gruppe der griechischen Gruppe α verwandt und stellt eine eigenständige Übersetzung dar. 85 Insgesamt drängt sich der Eindruck einer frühen Übersetzung der PatrTest ins Altbulgarische (10. Jh.) auf, die sich in der vollständigen Fassung zeigt. Die Palaea-Bearbeitungen führten ihrerseits die paradoxe Situation herbei, dass die christlich bearbeiteten, jüdischen Midrasche über die zwölf Patriarchen zwar in einem antijüdischen Kontext angesiedelt wurden, dafür aber dem Zugriff der Indices entzogen waren und von hier aus in die erbauliche und hagiographische Literatur sowie in die Ikonographie hineinwirken konnten. In diesem Gewand wurden auch die vorhin umrissenen apokalyptischen Passagen mittradiert. 82 Zur „frühbulgarischen“ These siehe Slavova, Paleja, 335-348. Zugunsten der späteren russischen Provenienz der Palaea (nicht vor dem Ende des 13. Jh.) argumentiert Vodolazkin, Rohfassung, 453-470. 83 Charles, Greek Versions, XVIII; Gaylord & Korteweg, Slavic Versions, 142-143. 84 Turdeanu, Testaments, 158-163. 85 de Jonge, Textüberlieferung, 54. 6. Die Himmelfahrt des Jesaja Die Offenbarungsschrift mit dem Titel „Himmelfahrt des Jesaja“ ist ein frühchristliches Apokryphon, welches vom Martyrium des Propheten und von seiner Reise durch die sieben Himmel handelt. 1 Obwohl es sich in der älteren Forschung eingebürgert hat, von einem Doppelwerk auszugehen (Kap. 1-5: Martyrium des Jesaja, Kap. 6-11: Vision des Jesaja), spricht eine Reihe von Argumenten für die literarische Zusammengehörigkeit der beiden Abschnitte. 2 Überlieferung Die AscIes ist nur im Äthiopischen vollständig erhalten, allerdings erst in späten Handschriften (15. bis 18. Jh.), die auf eine verschwundene griechische Vorlage zurückgehen. 3 Griechische, lateinische und koptische (sachidische und achmimische) Bruchstücke aus früherer Zeit (4.-5. Jh.) zeugen davon, dass die AscIes in diesen Sprachen als Ganzes kursierte. Eine Jesaja-Legende aus byzantinischen Menologien des 11. und 12. Jh. reflektiert eine Bearbeitung aus dem 10. Jh., in der beides, Martyrium und Vision des Jesaja, zusammengehören. Die kirchenslavischen Fassungen und eine lateinische Version beinhalten allerdings nur den zweiten Teil der AscIes (Kap. 6 bis 11). Glücklicherweise liegen all diese Texte dank der intensiven Arbeit einer Gruppe von italienischen Forschern um M. Pesco (seit 1978) nun in einer ausgiebig kommentierten Textedition vor. 4 Inhalt Der erste Teil von AscIes erzählt vom dramatischen Schicksal Jesajas unter Hiskias gottlosem Sohn Manasse (7. Jh.v.chr.): Von seiner Anklage durch den Lügenpropheten Belchira, von seiner Flucht und schließlich von seinem Märtyrertod (Kap. 1-5). Die Erzählung reiht sich unter die zahlreichen Zeugnisse vom gewaltsamen Tod der Gerechten unter einem fevlerischen König ein, und die Zersägung des Propheten avanciert zu einem beliebten Motiv in der späteren Ikonographie. 5 1 Bibliographie bei DiTommaso, Bibliography, 527-551. 2 Mit Bauckham, Ascension, 363-390. 3 Denis, Introduction, 171-174; Knibb, Martyrdom and Ascension, 143-146; Knight, Ascension, 23-25. 4 Bettiolo (Hg.) et alii, Ascensio I (1995) und Norelli, Ascensio II (1995); cf. Bauckham, Ascension, 363-365 (Leistungen und Rezeption der italienischen Forschung). 5 Schwemer, Zersägung, 45-68. Die Himmelfahrt des Jesaja 125 Der zweite Abschnitt schildert Jesajas Reise - im Geiste! - durch die sieben Himmel 6 und parallel dazu den Aufstieg und Abstieg des „Geliebten“ sowie die kosmischen Dimensionen der Erlösung. Er trägt in der Mehrzahl der Codices eine eigene Überschrift („Vision des Jesaja, Sohn des Amoz“), die auch in den griechischen und slavischen Indices auftaucht. 7 Es ist indes fragwürdig, ob es sich bei der Apokalypse in AscIes 3,13-4,22 um ein selbständiges Schriftstück handelt, das unter der Überschrift „Testament des Hiskia“ vom Rest zu trennen wäre. 8 Die Referenz des Georgios Kedrenos (11. Jh.) auf eine gleichnamige Schrift 9 greift nicht, denn es ist recht unwahrscheinlich, dass AscIes 3,13-4,22 unter diesem Namen eine eigenständige Existenz in Byzanz gehabt hätte. Sie dürfte auch nicht mit Blick auf die Akzente auf Parusie und Chiliasmus als Gegenentwurf zur kosmologisch-räumlich ausgerichteten Vision betrachtet werden. 10 Der Beweis, dass „räumliche“ und „(end-)zeitliche“ Eschatologie konkurrierende Konzepte in Frühjüdentum und Urchristentum wären, müsste erst erbracht werden. Abfassung Im Gefolge von R.H. Charles (seit 1900) setzte sich die Tendenz durch, die AscIes als ein Doppelwerk zu betrachten und die beiden Sequenzen, MartIes und VisIes, unterschiedlich zu datieren. 11 Neuerdings wurde hingegen vermehrt auf ihre literarische Integrität trotz bestehender Inkonsistenzen hingewiesen. 12 In der Tat dürfte die AscIes genauso wenig zweigeteilt sein wie auch das Danielbuch resp. die Abraham-Apokalypse, 13 denn es ist nicht unüblich, dass Visionen ein narrativer Auftakt vorausgeht und sie in einen übergeordneten Zusammenhang eingebettet sind; eher ihr isoliertes Vorkommen stellt eine Ausnahme dar. 6 Cf. Daniélou, Histoire I, 131-138 („échelle cosmique“) und Collins, Cosmology, 21-54 („seven heavens in Jewish and Christian apocalypses“). 7 Denis, Introduction, 170 („les fragments grecs du Martyre d’Isaïe“). 8 Mit Bauckham, Fate of the Dead, 366-367 und gegen die ältere Position von Charles, Ascension (1900). 9 de Jonge, Art. „Testamente“, 111. 10 Knight, Ascension, 10-13. 11 Charles’ quellenkritischer Ansatz fand Anklang bei Denis, Introduction, 174-175; von Nordheim, Lehre der Alten I, 208-219; Charlesworth, Pseudepigrapha, 125-129 („ascension of Isaiah [and Isaiah Cycle]: Martyrdom of Isaiah, Testament of Hezekiah, Vision of Isaiah“); Knibb, Martyrdom and Ascension, 143-147. 12 Die Gegenthese wurde bereits Anfang des 20. Jh. als Reaktion auf R.H. Charles durch F.C. Burkitt und V. Burch formuliert; Denis, Introduction, 174, Anm. 17; cf. ferner Tromp, Assumption of Moses, 120, Anm. 1 und Hannah, Vision, 80-101, insb. S. 84-85. 13 Bauckham, Ascension, 371-374. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 126 Die AscIes dürfte als Ganzes auf das Konto eines (jüden-)christlichen Redaktors gehen, der auf jüdische Traditionen zurückgriff und diese apokalyptisch umdeutete als eine Reaktion auf drängende Herausforderungen seiner Zeit: Innerkirchliche Machtkämpfe, Obstruktion durch römische Behörden und Opposition gegenüber apokalyptischer Prophetie, der er sich offenbar zugehörig fühlte. 14 Ph. Vielhauer erblickte darin gar das älteste Beispiel dafür, dass eine christliche Apokalypse einem vorchristlichen Frommen zugeschrieben wurde; sie ist ein weiteres Beispiel dafür, dass und wie ein jüdischer Text durch literarische Erweiterungen ... christianisiert wurde. 15 Seine Ansicht wäre allerdings zu revidieren, da eine Reihe jüdischer Apokalypsen, die christlich überarbeitet wurden, als mindestens genauso alt oder oder sogar früher anzusetzen sind (darunter Hen(sl), ApcAbr und insb. ClimIac). Die dramatisch gezeichnete Konfliktsituation zwischen charismatischen Propheten und einer kirchlichen Obrigkeit, die ihnen gegenüber feindlich gesonnen war, macht eine Abfassung im späten 1. Jh. resp. im frühen 2. Jh.n.Chr. wohl im Ostmittelmeerraum (Palästina, Syrien) in Griechisch wahrscheinlich. 16 Unter Zuhilfenahme näherer Indizien (Gegenwart der Jesus-Generation, Aktualität der Nero redivivus-Vorstellung) ließe sich der Zeitraum der Entstehung zwischen 70 und 80 n.Chr. eingrenzen - vorausgesetzt die literarische Einheitlichkeit des Werkes. 17 Kirchenslavische Textzeugen Die Bedeutung der slavischen Textzeugen ist der Tatsache zu verdanken, dass sie wohl auf eine frühe Übersetzung aus dem 10. oder 11. Jh. auf westmazedonischem Territorium zurückgehen und somit eine verschollene Zwischenstufe der griechischen Textentwicklung dokumentieren, die ein halbes Jahrtausend älter ist als die äthiopischen Äquivalente. 18 Die gewagte Theologie der AscIes (Subordinationismus, Transformationen des Erlösers) wird maßgeblich zum Zurückdrängen der Schrift aus den byzantinischen Klosterbibliotheken und letztendlich zu ihrem Verlust in der griechischen Überlieferung beigetragen haben. 19 Sie war aber im 12. Jh. noch immer virulent genug, um sich den Zorn des Euthymios Zigabenos zuzuziehen, der gegen die AscIes eine Invektive richtete und sie mit Anathemata belegte. 20 14 Knight, Ascension, 28-46 (Setting of the Ascension of Isaiah). 15 Vielhauer, Geschichte, 523. 16 Knight, Ascension, 9; 21-23. 17 Bauckham, Ascension, 381-390. 18 Vaillant, Apocryphe, 109-121; Turdeanu, Vision, 291-318; Giambelluca Kossova, Nabljudenija, 66-79; Giambelluca Kossova, Visio Isaiae, 237-319 (241-248: Textausgabe). 19 Cf. Vaillant, Apocryphe, 111. 20 Turdeanu, Vision, 296-297 Die Himmelfahrt des Jesaja 127 Es ist umso bezeichnender, dass die AscIes im kirchenslavischen Schrifttum ungeachtet ihrer „suspekten“ Inhalte und der expliziten Inkriminierung im Apokryphenindex erhalten blieb. Sie ist in elf Codices aus der Zeit vom 12. bis zum 16.Jh enthalten und avancierte zudem zum legitimen Bestandteil des Menologions für den Monats Mai (sechs Handschriften aus dem Gesamtbestand). 21 Gut möglich, dass sie darüber hinaus Zuspruch innerhalb der Bewegung der sog. Bogomilen erhielt, die Affinitäten zu ihrer Lehre erkannten (Verwerfung des Alten Testamentes, Ablehnung der Verehrung des Kreuzes und der Gottesmutter, Verbot der Ausschreibung von Jesu Namen). 22 Es wäre jedoch spekulativ, die lateinische Version der AscIes, die Antonio de Fantis 1522 in Venedig herausgab, auf eine Übersetzung aus dem Altbulgarischen zurückzuführen, die mittels dualistischer Transmission von Bogomilen an die Katharer weiter gegeben worden wäre. 23 Die Korrespondenzen zwischen beiden Versionen lassen sich durchaus über eine gemeinsame byzantinische Vorlage erklären. 24 Singularitäten Es sind andererseits gerade jene aus den gängigen Bahnen „orthodoxer“ Theo-logie ausscherenden Elemente, die die AscIes zu einem in vielerlei Hinsicht einmaligen Zeugnis judenchristlicher Apokalyptik machen. Sehr wertvoll ist die genaue Beschreibung der Ekstase von Jesaja, während derer er die Himmel bereist: Und während er durch den heiligen Geist redete, indem alle zuhörten, schwieg er plötzlich still, und sein Bewusstsein wurde von ihm genommen, und er sah die Männer nicht [mehr], die vor ihm standen. Und seine Augen waren geöffnet, aber sein Mund war stumm, und das Bewusstsein seiner Körperlichkeit wurde von ihm genommen (6,16). 21 Giambelluca Kossova, Visio Isaiae, 241-248 (Hss.-Liste); 237-241 (Forschungsgeschichte). Weitere Literatur zur slavischen Überlieferung bei Orlov, Selected Studies, 276-278; DiTommaso, Bibliography, 533-534. Cf. ferner Rystenko, K literaturnoj istorii (1912); Dujčev, Knižnina I, 144-153; Petkanova, Apokrifi, 64-70 (Übersetzung ins Bulgarische); 352-353 (Anmerkungen); Kagan & Roždestvensjkaja, Art. „Videnie“, 95-98; Miltenova, Art. „Videnie“, 80-81; Mil'kov, Apokrify, 499-527; Roždestvenskaja, Videnie, 192-203 (Text und Übersetzung); 386-387 (Anmerkungen). 22 Turdenu, Vision, 313-318. 23 Ivanov, Knigi, 133; 153-160; zum dualistischen Hintergrund der Transmission cf. ferner Döllinger, Beiträge II, 208-210; 276 und Delcor, Ascension, 157-178. 24 Vaillant, Apocryphe, 115-118; Turdeanu, Vision, 313-318. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 128 Es drängt sich der Eindruck auf, dass wir es mit der authentischen Beschreibung eines Trancezustandes haben, wie wir sie zur Genüge aus der religionshistorischen, ethnologischen und psychiatrischen Literatur kennen. 25 Die charismatische Bewegung der Pfingstkirchen liefert zudem ausgiebiges Material zum Studium der Phänomenologie außergewöhnlicher Bewusstseinszustände bis in die Gegenwart hinein. 26 Die Steigerung in die Trance hinein weist in modernen Gemeinschaften eine ähnliche Abfolge auf: Wirres Reden („Sprache der Engel“), auf welche der jähe Übergang zur Katalepsis folgt, die als göttliche Ergriffenheit erlebt wird. Der Ekstasebericht der AscIes ist umso bedeutender, wenn man es auf dem Hintergrund der antiken Entrückungsliteratur betrachtet. Eine Gruppe von Zeugnissen berichtet bekanntlich von einem Entrücktsein im Leibe - dem leiblichen Übergang in eine himmlische Existenz noch zu Lebzeiten (Gen 5,21- 24; 2 Kön 2,1-18). Hier schließt die apokalyptische Erwartung von „Zeugen“ an (Offb 11,3-14), die in der Endzeit wiederkehren sollen, um den Antichrist zu überführen (Henoch, Elija, Johannes). 27 Nur beiläufig sei die Zurückhaltung von Paulus erwähnt, der in dieser Materie ambivalent bleibt und über seine Entrückung festhält: „Ich weiß allerdings nicht, ob es mit dem Leib oder ohne den Leib geschah, nur Gott weiß es.“ (2 Kor 12,2-4). Ebenso unüblich und genreuntypisch ist die Reaktion des Deuteengels, der sich zu Beginn des Abhebens in den Himmel weigert, seinen Namen preiszugeben, denn davon geht eine numinose Gefahr aus (cf. Gen 32,30). Meinen Namen wirst du nicht erfahren, denn du musst in diesen deinen Leib zurückkehren (AscIes 7,5) Die Schilderung der himmlischen Flächen ist wiederum in teils dualistischer Manier von mehrfachen Oppositionen gekennzeichnet. Auf der vertikalen Achse ist es zunächst die Gegenüberstellung von Menschenwelt und Geisterwelt. Im sublunaren Raum regieren die Dämonen Samaels, von gegenseitigem Neid gezeichnet (7,9). Die ihnen inhärenten Rivalitäten erscheinen dabei als Urbild irdischer Vorgänge: Und so wie es droben, also ist es auch auf der Erde, denn das Abbild dessen, was in dem Firmament ist, ist hier auf Erden (7,10). Es ist aber fraglich, ob dies als ein astrologisches Entsprechungsverhältnis zu deuten ist, da (1) astrale Symboliken gänzlich fehlen und (2) es ist die dämonische Missgunst, die sich in den Menschen wiederfindet, nicht jedoch die Bewegung der Gestirne, die ihr Schicksal lenkt: 25 Cf. die vielfältigen Beiträge in Resch (Hg.), Bewusstseinszustände (1990). 26 Hemminger (Hg.), Ekstase (zum Dialog mit der charismatischen Bewegung). 27 Ausgiebiges Quellenmaterial zu dieser Vorstellung wird in der Habilitationsschrift von Berger, Auferstehung des Propheten (1976). Die Himmelfahrt des Jesaja 129 There is virtually no astronomical interest in this work. 28 Die einzelnen Himmelsebenen sind in hierarchisch ungleiche Ränge unterteilt. Die Engel zur Linken haben weniger Herrlichkeit als diejenigen zur Rechten, die Trennung markiert je ein Thronengel (7,14-5,37). Sie werden aber auch gegeneinander abgegrenzt. Die Oppositionen betreffen einerseits den Äther unterhalb des Firmamentes gegenüber der himmlischen Sphäre, andererseits die Abstufungen innerhalb des himmlischen Gebäudes: (a) der erste und der dritte Himmel gegen die höheren Himmel; (b) der fünfte Himmel fungiert ähnlich wie die non plus ultra Grenze in 3 Bar als einschneidender Übergang (7,37; 8,7; 10,19-21); (c) hervorgehoben wird die besondere Herrlichkeit des sechsten und des siebten Himmels; hier ist die vorausgegangene Links-Rechts-Trennung aufgehoben (8,16). 29 Das trinitarische Modell der AscIes entspricht einer „Subordination“, Sohn und Heiliger Geist richten an Gott als Vorbeter der Engelscharen ihre Ehrerbietung und treten zudem selbst als Engel auf (9, 40). 30 Parallel zu den Singularitäten treten aber auch herkömmliche Motive auf wie die Einsichtnahme in die himmlischen Register, die sämtliche Menschentaten (künftig und vergangen) enthalten (9,22; cf. Hen(sl) 22,11-23,6; TestAbr A 12). 31 Die Erlösung geschieht im Verborgenen und wird selbst gegenüber den Engeln geheim gehalten. Der „Geliebte“ verwandelt sich vom fünften Himmel an in die Gestalt der jeweiligen Dienstengel und muss vom dritten Himmel abwärts ein Passwort nennen (10,24ff.). Die sublunaren Dämonen werden glorreich besiegt, und die Rückkehr des Geliebten vollzieht sich feierlich im Lobgesang der himmlischen Liturgie (11,23ff.). Bedeutung Die AscIes weicht in vielem von den Konventionen des Genres ab. Die ornamentlose Schilderung des himmlischen Stockwerkbaus ist von calvinistischer Strenge und entbehrt der surrealen Symbolik, die viele der verwandten Texte kennzeichnet. Die Liturgie der Engel steht im Mittelpunkt, Paradies und Hölle fehlen, die Adressen der Gerechten werden lakonisch im siebten Himmel verortet. Ihr Aufenthaltsort gilt jedoch als ein nur vorübergehender Warteraum auf den endzeitlichen Lohn die Kronen, Throne und Gewänder, die ihnen zustehen. Von einer Strafe im Jenseits ist nirgendwo die Rede, Meteorologie, Uranologie und Paränese sind finden sich darin genauso wenig. 28 Mit Collins, Cosmology, 41 und gegen Vaillant, Apocryphe, 111. 29 Collins, Cosmology, 41-42. 30 Cf. Barbel, Christos Angelos (Engelchristologie). 31 Baynes, Heavenly Book (2012). Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 130 Immerhin zu Recht befand E. Turdeanu, die Himmelfahrt des Jesaja sei „un des plus beaux apocryphes que la tradition judéo-chrétienne nous ait laissés“, 32 und A. Vaillant ergänzte, sie sei: „une des œuvres les plus curieuses de la littérature religieuse slave“. 33 Alles in allem ist die Schrift ein außergewöhnliches Beispiel dafür, wie ein theologischer Entwurf aus vornizäischer Zeit unbeschadet die Widrigkeiten der Jahrhunderte überstehen und sich trotz des abweisenden Urteils späterer Zensoren die Wertschätzung sowohl von Orthodoxen als auch von Bogomilen sichern konnte. 32 Turdeanu, Apocryphes, 148. 33 Vaillant, Apocryphe, 109. 7. Die griechisch-slavische Baruch-Apokalypse (3 Bar) Unter dem Namen des Baruch - Sekretär, Jünger und Gefährte des Propheten Jeremia - ist ein Zyklus pseudepigrapher Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit erhalten, die im thematischen Rahmen der ersten Tempelzerstörung im Jahre 587 v. Chr. situiert sind. 1 Während das in Septuaginta und Vulgata überlieferte Baruchbuch (1 Bar) möglicherweise noch vor der Zeitenwende anzusetzen ist, reflektiert der außerhalb des biblischen Kanons befindliche Restbestand die traumatischen Erfahrungen der nationalen Katastrophe im Jahre 70. 2 Hierher zählen die syrische Baruch-Apokalypse (2 Bar), die griechische Baruch- Apokalypse (3 Bar) und die sog. „Paraleipomena“ des Jeremia (4 Bar), , die letzten zwei reichlich in der slavischen Tradition bezeugt. 3 Inhalt Die in der Baruch-Reihe nachgezeichnete visionäre Karriere vom Sekretär des Jeremia und eigenständigen Propheten zum apokalyptischen Seher und himmlischen Reisenden erreicht in 3 Bar einen einzigartigen Höhepunkt. 4 Das hier entfaltete Panorama einer Himmelsreise ist durch zahlreiche mythologische Exkurse ausgeschmückt und enthält eigentümliche individualeschatologische Akzente. Sowohl die griechische als auch die slavischen Fassungen folgen bis auf etliche Detailunterschiede einem gemeinsamen Plot und berichten von der Wanderung Baruchs durch das fünfgliedrige Himmelsgebäude. Die Erzählung eröffnet mit Baruchs Klage über den Fall von Jerusalem, auf welche hin die Erscheinung des Engels Panuil/ Phanuël folgt (1,1-8). Sie leitet eine ausgedehnte Himmelreise ein, auf der gewaltige Entfernungen zurückzulegen und riesengroße Tore zu durchschreiten sind (2,2; 3, 1-2; 4,2). Zoomorphe Menschen besiedeln die ersten zwei himmlischen Ebenen (2,3- 3, 8), es handelt sich um die Erbauer des babylonischen Turmes (Gen 1,1-11). Von ihrer wahnhaften Verblendung zeugt die Episode von der schwangeren Frau, die während der Arbeit entbinden muss (3,5). Die beiden Reisenden in Sachen Apokalyptik besichtigen den wassertrinkenden Drachen, der für gleichbleibenden Meeresspiegel sorgt (4,3-7; 5,1-3), und betrachten die Prozession des Helioswagens, der vom Phönix eskortiert wird, um die Erde vor Verbrennung zu bewahren (6,1-8,7). 5 Die Erläuterungen des Deuteengels sind vielfältig und 1 Übersicht über die Baruchliteratur bei Mallau, Art. „Baruch/ Baruchschriften“, 269-276. 2 Zum gesamten Komplex siehe Söllner, Jerusalem (1998) und Döpp, Deutung (1998). 3 Bibliographien bei DiTommaso, Bibliography, 259-310 und Kulik, 3 Baruch, 65-80. 4 Cf. Wright, Baruch, 264-289. 5 Cf. Sokolov, Feniks, 395-405 und van den Broek, Myth (1971). Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 132 betreffen u.a. die Rolle des Weinstocks bei der Verführung der Urmenschen, die allerdings mit einer Apologie auf den Wein verknüpft wird (4,8-17), sowie meteorologische Phänomene wie die Mondphasen (9, 1-8) und die Herkunft der Niederschläge (10,1-9). Dreimal werden kurze Lasterkataloge im Zuge der Himmelfahrt eingeblendet (4,17; 8,5; 13,4). Im fünften Himmel stoßen die beiden Gefährten auf die himmlischen Tore mit den Namen derjenigen, die hineingehen werden (11,1-9). Hier bekommen sie die Anhörung der Engel mit, die dem Erzengel Michael die Ergebnisse aus der Überwachung der Menschen vortragen (12,1ff.). An Hand der von den Engeln mitgebrachten Blumen werden drei Gruppen von Menschen erkennbar: Gerechte, Schwankende und Sünder. Dementsprechend fällt Michaels Urteil -verhängt werden auffallenderweise diesseitige Sanktionen (15,1-16,4). Hiermit endet Baruchs Visite, er wird unmittelbar an den Ausgangspunkt seiner Reise zurückbefördert (17,1-4). Überlieferung Die griechische Fassung von 3 Bar ist sehr spärlich bezeugt und beschränkt sich auf zwei Abschriften aus dem 15. Jh. Die erste davon wurde 1896 durch C.D. Butlers in einer Handschrift der British Library entdeckt, 6 das zweite bisher bekannte griechische Manuskript steuerte J.-C. Picard im Jahre 1967 bei. Es fällt auf, dass beide Texte in einer überwiegend hagiographischen Umgebung beheimatet sind, 7 was an die Praxis der slavischen Kopisten erinnert, apokalyptisch-prophetische Schriften als Vitae aufzulegen (cf. die Himmelfahrt des Jesaja, deren Überlieferung zur Hälfte in Menologien verläuft). Dadurch kommt der slavischen Tradition besondere Bedeutung zu. Sie wurde erstmalig dank der Edition einer serbischen Handschrift aus dem 16. Jh. durch St. Novaković zugänglich. 8 Gegenwärtig sind zwölf Abschriften aus der Zeit vom 13. bis 18. Jh. verfügbar, wobei ihre Anzahl sich erhöhen kann. 9 Sie zerfallen in drei Redaktionen, die sehr wahrscheinlich auf eine recht frühe, möglicherweise glagolitische Übersetzung aus dem 10. Jh. zurückzuführen sind. 10 Es ist hingegen fraglich, ob die bestehenden Differenzen ausreichen, um die Annahme zweier Übersetzungen zweieir verschiedenen Vorlagen zu rechtfertigen. 11 6 Publikation im Jahre 1897 bei James, Anecdota II, LI-LXXI, 83-94. 7 Harlow, Greek apocalypse, 178-181. 8 Novaković, Otkrovenie, 203-209; Bonwetsch, Baruchbuch, 91-101 (deutsche Übersetzung); Lüdtke, Beiträge, 219-222. 9 Kulik, 3 Baruch, 7-8. 10 Sokolov, Otkrovenie, 201-258; Ivanov, Knigi, 89-97; Gaylord, Slavonic version (Diss. 1983, mir leider nicht zugänglich); Gaylord, Slavjanskij tekst, 49-56; Tvorogov, Art. „Otkrovenie“, 282-283; Miltenova, Art. „Otkrovenie Varuchovo“, 304-305. 11 Gegen Philonenko-Sayar, Version slave, 89-97. Die griechisch-slavische Baruch-Apokalypse (3 Bar) 133 Der Weg der ersten Familie führt nach Russland, wo sie u.a. homiletische Nachahmungen inspirierte. Die Rede ist von der losgelösten Episode von der Bepflanzung des Gartens Eden und der Rolle des Weinstocks beim Sündenfall, verzeichnet in drei russischen Hss. aus dem 15, 16. und 17. Jh. 12 Die anderen zwei Textgruppen, die Merkmale einer gemeinsamen Zwischenvorlage aufweisen, blieben auf den südslavischen Bereich begrenzt. 13 Von der Nachhaltigkeit einer lebendigen oralen Tradition zeugt eine neubulgarische Erzählung aus dem 18. Jh. 14 Anders als die Umgebung der griechischen Texte von 3 Bar sind die kirchenslavischen Texte auffallend häufig unter eschatologischen Schriften platziert. Unter den Kontextmanuskripten fallen Abschriften folgender Apokalypsen auf: Außerkanonische Johannes-Offenbarungen, Jesaja-Apokalypsen, die Vision des Paulus, das Bartholomäus-Evangelium, Pseudo-Methodius, Theotokos-Apokalypse und das Testament Abrahams. 15 Abfassung Die Entstehungsgeschichte der Vorlage der griechisch-slavischen Baruch- Apokalypse lässt sich nicht genau rekonstruieren. Möglich ist die Entstehung eines ersten Entwurfs aus dem Bereich der jüdischen Traditionsbildung um Baruchs Gestalt innerhalb eines halben Jahrhunderts nach dem Jahre 70. 16 Während der Verfasser in hellenistischen Diasporakreisen zu vermuten ist, kommt für seinen Text eher eine palästinensische Audienz in Frage. Bezüge zu verwandten Schriften lassen sich u.a. zu Hen(sl), zur Himmelfahrt des Jesaja und zum Testament des Levi herstellen. 17 Im Zuge des 2. Jh. muss die Schrift in christliche Hände gelangt sein. 18 Die immer wieder angeführte Referenz des Origenes (De princ. II, 3, 6) auf eine die sieben Himmel thematisierende Baruch-Apokalypse ist indessen fraglich. 19 Die vereinzelt auftretende monastische Terminologie (3 Bar 13,4; 16,4) lässt recht vage auf entsprechende Tradentengruppen im 5.-6. Jh. schließen. 20 12 Turdeanu, Apocalypse de Baruch, 23-48, insb. S. 44-48 (Nachdruck in Turdeanu, Apocryphes slaves, 364-391, insb. S. 385-389). 13 Cf. Gaylord, Redactional elements, 91-115, insb. S. 92-94. 14 Lavrov, Teksty, 149-151 (Textausgabe); Turdeanu, Apocalypse de Baruch, 377-379 (Analyse). 15 Harlow, Greek apocalypse, 175-177. 16 Ibid., S. 206. 17 Mallau, Art. „Baruch/ Baruchschriften“, 274; Denis, Introduction, 81-82; Hage, Baruch- Apokalypse, 19. 18 Harlow, Greek Apocalypse, 206. 19 Mit Bonwetsch, Baruchbuch, 91 und Denis, Introduction, 79 gegen Hage, Baruch-Apokalypse, 18-19 und Mallau, Baruchschriften, 274; cf. ferner Harlow, Greek apocalypse, 35-76. 20 Hage, Baruch-Apokalypse, 20; Mallau, Baruchschriften, 274; Gaylord, Greek apocalypse, 656-657. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 134 Unzialschriftliche Verwechslungen beim Transfer in Minuskelschrift zeigen indessen die Eckdaten der Vorlage der slavischen Texte an. 21 Insgesamt können frühere und spätere Retuschen auseinandergehalten werden, ohne jedoch hieraus die Konturen der ursprünglichen Übersetzung und ihrer Vorlage genauer bestimmen zu können. 22 Verhältnis der griechischen und slavischen Versionen Dieses in beiden Fassungen (griechisch und slavisch) durchgehaltene Sujet variiert unerheblich in der Ausführung einzelner Episoden. Insgesamt illustrieren beide Texte die Plastizität des vorliegenden Materials und den freien Umgang damit. 21 Harlow, Greek apocalypse, 7-8 (Bezugnahme auf die Beobachtungen von H.E. Gaylord). 22 Kenntnisreich dazu Turdeanu, Apocalypse de Baruch, 365-371. 23 Wohl als Akrostichon aufgebaut; cf. Turdeanu, Apocalypse de Baruch, 369-370 (alphabetische Anordnung? ); Philonenko-Sayar, Apocalypse de Baruch, 92-93 (Zahlenwerte kyrillischer Buchstaben? ). Griechisch Slavisch Titel Diegesis/ Apokalypsis Lesung Proömium Zweifach Einfach Bedingung des angelus interpres (1,6-7) Baruch soll nicht weiter reden/ klagen Baruch soll nichts am Mitgeteilten ändern 1. Himmel (2,2) 30 Tagesreisen Eine Wochenreise Name des angelus interpres (2,5) Phamael P(h)anuil Name des Widersachers Samael (4, 8) Satanael (4,7-8.13) 2. Himmel (3,2) 60 Tagesreisen Eine Wochenreise Geburt während des Turmbaus (3,5) Ziegelstreichen/ Leinentuch Kalk/ Obergewand Beschaffenheit des Firmaments (3,7) tönern-ehern-eisern steinern-ehern-kupfern Höhe des Turms (3,6) 463 Ellen 80.000 Klafter Ursprache/ Sprachverwirrung (3,6.8) Syrisch/ 32 Sprachen Passage durch Tore zum dritten Himmel (4,2) 185 Tagesreisen 187 (32) Tagesreisen Zuflüsse zum Meer (3,5.7); Akrostichon? 360 (nur drei Namen werden genannt) 343 + weitere 354 (neun Namen werden genannt) 23 Die griechisch-slavische Baruch-Apokalypse (3 Bar) 135 Wassertrinkender Drache / Schlange (4,3-6) verschlingt Sünder (V. 5) Fluch Gottes beim Sündenfall (4,8) Samael und Weinstock Wein Zahl der vorsintflutlichen Giganten (4,10) 409.000 104.000 Höhe der Sintflut über den Gipfeln (4,10) 15 Ellen 20 Ellen Verwandlung des Weinstocks (4,15) Durch Jesus Chr. Emmanuel 1. Lasterkatalog (4,17) „Diebstahl“ fehlt Größe des Phönix (6,2) Wie ein Berg Wie neun Berge Nahrung des Phönix (6,11) Manna des Himmels Tau der Erde Begleitengel der Sonne (8,1) 36 an der Zahl 2. Lasterkatalog (8,5) dreizehn Einträge sechs Einträge Motiv des visionären Schreckens 8,5 Gespann des Mondes (9,3) Ochsen und Lämmer nur Ochsen Ätiologie von Mondphasen und Sündenfall (9,7) Licht für Samael Mond lacht Ätiologie des Mondes bei Nacht (9,8) Erschöpfung durch Sonnenlicht See der Vögel der Gerechten (10,1-5) In der Mitte eines Berges In der Mitte einer Ebene Ätiologie der Niederschläge aus dem himmlischen See (10,6-9) Sie bringen Früchte zum Unterschied von irdischem Regen Quelle aller Niederschläge Namen auf den Toren des fünften Himmels 11,1 Archistrategos als Titel Michaels 11,4.6-8; 13,3 Lärm bei seinem Abstieg (11,3) Donner Dreifacher Donner Breite von Michaels Behälter (11,8) Von Nord bis Süd Von Ost bis West Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 136 Tabelle 6: Gegenüberstellung des griechischen und slavischen Textes von 3 Bar Hinzu zu rechnen ist zu dieser Gegenüberstellung ein längerer Einschub in die kürzere Fassung von 3 Bar sl in zwei russischen Handschriften aus dem 15. und 17. Jh., die den Fall Satanaels und den Verlust des göttlichen Namenzusatzes - לא zum Thema haben. Diese Episode kombiniert die beiden im byzantinisch-slavischen Raum kursierenden Motive vom Engelfall: Die auch aus Bestimmung von Michaels Behälter (11,9; 14,2) Gebete der Menschen Tugenden und gute Werke Mitbringsel der Überwachungsengel (12,1) Blumenkörbe Blumengaben Funktion der Engel (12,3) Dienst der Menschen Engel der Gewalten Monastische Terminologie (13,4) geistige Väter 3. Lasterkatalog (13,4) dreizehn Einträge Drei Einträge Schließen der Tore des fünften Himmels (14,1) Lärm wie vierzig Ochsen Lohn der Gerechten (15,2) hundertfach Strafe der Bösen durch Krankheiten und Plagen (16,1-3) ergänzt um Anstiftung zu weiteren Sünden V. 2 Erweiterung in 3 Bar sl (16,4-8) (1) Baruch wird die Schau der Aufenthaltsorte von Gerechten und Sündern in Aussicht gestellt (2) Baruch erbittet sich Interzessionsrecht für Sünder Erweiterung in 3 Bar gr (16,4) Definition für Bestrafte: Blasphemie und Kirchenfeindlichkeit Schluss (Kap. 17) Tor (des ersten Himmels? ) schließt (V. 1); Baruch wird an den Ausgangsort zurückgebracht (V. 2); Baruch preist Gott (V. 3); Aufforderung zu Doxologie durch Adressaten (V. 4) Stimme vom Himmel verkündet, Baruch soll zwecks Verkündigung des Geschauten auf die Erde zurückkehren. Schlussdoxologie (V. 1) Die griechisch-slavische Baruch-Apokalypse (3 Bar) 137 dem Koran bekannte Weigerung des ehemals höchsten Engels, die Protoplasten anzubeten, und seinen Beschluss, sich über Gott zu erheben (Jes 14,13). 24 Singuläre Merkmale Auf dem Hintergrund der bisher behandelten Apokalypsen offeriert 3 Bar die wohl längste Liste von Ausnahmen aus den Konventionen des Genres. 25 Dafür, dass der Text in den Dezennien nach der Tempelzerstörung des Jahres 70 abgefasst worden sein soll, fällt er überraschend optimistisch aus. Das dramatische Ringen um Theodizeefragen wie es beispielsweise in der syrischen Baruch-Apokalypse ausgefochten wird ist hier genauso wenig präsent wie das Szenario eines nationalen Revivals oder einer Erneuerung des Tempels. Die Erzählzeit ist weder ein Wendenoch der Endpunkt der erzählten Zeit, sondern linear verlängerbar. Die historisch-eschatologische Auseinandersetzung mit aktuellen Krisen oder ein als vaticinia ex eventu geformtes Periodisierungsschema geschichtlicher Epochen zwecks einer endzeitlichen Zuspitzung der Gegenwart („Geschichtsüberblick in Futurform“) werden von einer prototypischen Belichtung des Babel-Wagnisses ersetzt. Die Jetzt-Zeit wird nicht von der Endzeit, sondern von der Urzeit her beleuchtet. Die Theodizeeproblematik wird somit individualisiert: Es sind menschliche Überheblichkeit und Verblendung, die Böses zur Folge haben. Der ursprüngliche Hintergrund ist stark verblasst bzw. nur indirekt greifbar. Spuren halachischer Bestimmungen oder sonstige Hinweise auf eine längere Zirkulation in jüdischen Kreisen sind nicht aufzufinden. Die sonst übliche, bisweilen drastische Gegenüberstellung unversöhnlicher Widersprüche (Zwei-Äonen-Lehre, Zwei-Wege-Lehre, strikte Trennung zwischen jüdisch und pagan) weichen einer „polychromen“ Malweise. Das Augenmerk richtet sich auf jenseitige Phänomene und mythische Meteorologie und Uranographie, die in ihrem Diesseitsbezug erläutert werden. Es begegnen in diesem Zusammenhang mehrere Ätiologien, ihr Gegenstand ist die Herkunft von Sonnentemperatur, Meeresspiegel, Wein, Mondphasen und Regen. Der narrative Aufbau nimmt sich ungeachtet der vertikal-hierarchischen Achse der fünf Himmel (sieben minus zwei! ) bemerkenswert „flach“ aus: Es fehlt eine Kulmination in der Form einer Visite des höchsten (siebten? ) Himmels, einer Vision des himmlischen Tempels oder der Schau von Gottes Thron oder Wagen. Gerade mit Blick auf die prononciert individual-eschatologische Gesamtausrichtung ist in der Tat überraschend, dass die Destinationen jensei- 24 Cf. Stichel, Verführung, 116-128 und Gaylord, Satanael, 303-309. 25 Ich stütze mich im Folgenden auf die Beobachtungen von Collins, Cosmology, 43-46; Harrow, Greek apocalypse, 3-16; 206-211; Gaylord, 3 Baruch, 657-659. Frühjüdische und urchristliche Apokalypsen 138 tiger Jurisprudenz, Paradies und Hölle, an Stelle der zu erwartenden detaillierten Schilderung lediglich skizzenhaft angedeutete Konturen aufweisen. Entsprechende paränetische Exkurse sind auf drei knappe Lasterkataloge reduziert. Nicht die postmortale, sondern die prämortale Rechtsprechung an den Menschen steht allgemein im Vordergrund mit dem Ergebnis diesseitiger Strafen. Bis auf eine flüchtige Reminiszenz wird keine explizite Belohnung in Aussicht gestellt. Gewissermaßen zwischen den Zeilen wird auf einen künftigen Gerichtsakt verwiesen. Es bleibt jedoch offen, ob dieses als postmortales Tribunal oder als allgemeines Endzeitverdikt zu verstehen ist. Ein fester Fahrplan für die Endzeit mit den dazugehörigen allgemeinen Erschütterungen (Naturkataklysmen, politische Katastrophen, Auseinanderfallen der kosmischen Ordnung, Weltbrand oder eine kosmische Transformation) ist nicht vorgesehen. Die fehlende Erwartung einer messianischen Figur, die zu gegebener Zeit alles zurechtrücken soll, komplettiert den Bestand all der atypischen Elemente, die in ihrer Gesamtheit das Bild eines unkonventionellen, offenen Werkes vermitteln. IV. Altkirchliche Offenbarungsschriften Eine eigene Überlieferungsschicht bilden die Offenbarungsschriften, deren Wurzeln bis in die Epoche der Alten Kirche zurückreichen. Die Bandbreite der Texttypen umfasst apokryphe Fortsetzungen kanonischer Bücher (Paulus-Apokalypse, Johannes-Offenbarungen), pseudopatristische Fragmente, sibyllinische Orakel und volkstümliche Neuschöpfungen, die apokalyptische Züge aufweisen. Die kirchenslavischen Texte sind nicht vollständig katalogisiert und nur teilweise in Druckeditionen zugänglich. Gegenüber den frühjüdischen Pseudepigraphen werden eigene Akzente deutlich. Der Typus der Himmelsreise ist mit der Paulus-Apokalypse vertreten, die Inhalte werden allerdings weiter entwickelt, und die Jenseits-vorstellungen werden um neue Details ergänzt. Bezüglich der Parusie wird ein genauer Fahrplan vorgelegt (apokryphe Johannes-Offenbarungen), und offene Fragen aus den kanonischen Evangelien werden in Dialogform erörtert (Fragen des Bartholomäus). Die Berechnungen des Endzeittermins stehen im Zusammenhang einer Aktualisierung vorausgegangener eschatologischer Modelle im späten 10. und frühen 11. Jh. 1. Pseudopatristische Fragmente Das Phänomen der Pseudepigraphie tangiert eine eigentümliche Verbindung zwischen „Autorschaft“ und „Autorität“. Die als Urheber einer bestimmten Apokalypse genannten „Altvorderen“ bürgen für ihre Echtheit, indem sie ihr ihren Namen „leihen“. So wird der Text als verlässlich, die Prophezeiung als wahr ausgewiesen. Zugleich wird sie in die Vergangenheit verlegt und gewissermaßen „zurückdatiert“, sodass apokalyptische Offenbarung als immerwährender Prozess erscheint. 1 Für die Urheberschaft von Apokalypsen wurden nicht nur Offenbarungsempfänger aus dem Alten und Neuen Testament herangezogen, sondern im Verlaufe der Kirchengeschichte immer häufiger auch bedeutende Kirchenväter. Zwei eschatologische Traktate aus dem 7. Jh., die die Namen christlicher Autoren tragen, werden im Folgenden besprochen: Die Offenbarung des Pseudo-Methodius und die Homilie des Pseudo-Ephraem über „das Ende und die Vollendung“. Auch Johannes Chrysostomos wurde des Öfteren als Verfasser von Apokalypsen angeführt. Einige dieser Texte, die in den byzantinisch-slavischen Kontext gehören, werden im Folgenden angerissen: Abschriften der Paulus-Apokalypse, 2 eine außerkanonische Johannes-Offenarung (2 ApcIoh apocr); 3 eine griechische Daniel-Apokalypse, die sich teilweise mit der anderen „Vision Daniels“ (2 ApcDan sl) überschneidet, 4 sowie eine nur slavisch bezeugte Offenbarungsschrift, die vom Kampf Michaels mit Satanael berichtet. 5 In mehreren, teils unedierten kirchenslavischen Codices finden sich ferner drei Fragmente komputistisch-apokalyptischer Natur, die Hippolyt von Rom (†235) und Hypatios von Ephesos (†540/ 541) zugeschrieben werden. 6 Sie bezeugen allesamt eine Naherwartung, die gegen Ende des 10. Jh. in Byz anz greifbar war und von den altbulgarischen Literaten mit übernommen wurde, als sie die griechischen Vorlagen der nachstehend präsentierten Texte wohl im 10. Jh. übersetzten. 7 1 Siehe hierzu Petkov, Techniques of Disguise, 241-252. 2 Siehe Kap. IV.3. 3 Siehe Kap. IV.6. 4 DiTommaso, Book of Daniel, 155-158; 362-363. 5 Siehe Kap. VII.6. 6 Cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Apocalyptic literature, 257-273. 7 Siehe hierzu Podskalsky, Reichseschatologie, 96-98. Apokalyptische Fragmente unter dem Namen des Hippolyt von Rom Die herausragende Bedeutung des Hippolyt von Rom (†235) als wegweisender frühchristlicher Denker ist unbestritten, und dies gilt auch für seinen Beitrag zur Entwicklung eschatologischer Denkansätze. 1 Sein Danielkommentar wird mitunter gewürdigt als „eines der wertvollsten Werke des christlichen Schrifttums überhaupt“, sein Traktat vom Antichrist bleibt „die ausführlichste erhaltene Abhandlung über das Thema des Antichrist aus patristischer Zeit“. 2 Hippolyts schöpfungstheologische Epochenberechungen im Bezugssystem eines Sieben-Wochen-Modells der Geschichte sind ebenso in einen übergeordneten eschatologischen Rahmen einzureihen. 3 Ein bedeutsames Zeugnis seiner Autorität in endzeitlichen Dingen legt zudem eine byzantinische Offenbarungsschrift mit dem Titel „De consummatione mundi“ ab, die Hippolyt zugeschrieben wurde. Textstellen aus seinem Traktat „De Christo et Antichristo“ werden darin mit Anleihen aus den Schriften von Ephraem Syrus zusammengestellt. 4 Der ottonische Diplomat Liutprand von Cremona, der am Hofe von Kaiser Nikephoros II. Phokas im Jahre 968 vergeblich als Heiratsvermittler im Auftrag seines Dienstherrn Otto I. (†973) tätig war, berichtet in seinem Gesandtschaftsbericht von einer Orakelsammlung, die von einem gewissen sizilianischen Bischof namens Hippolyt stammen sollte. 5 Hippolytos aber, ein gewisser sizilianischer Bischof, hat dasselbe über Euer Reich und über Euer Volk [Otto des Großen] geschrieben. Was er sonst schrieb, hat sich bisher alles erfüllt, wie ich von denen, die Kenntnis von solchen Büchern haben, erfahren habe. Da der Text dieser Quelle anderweitig nicht belegt ist und keine byzantinische Apokalypse unter Hippolyts Namen erhalten ist, bleiben die näheren Umstände dieser Zuschreibung offen. 6 1 Altaner & Stuiber, Patrologie, 164-167. 2 Marcovich, Art. „Hippolyt“, 381-387. 3 Richard, Comput I, 237-268; Richard, Comput II, 19-50; Richard, Comput III, 13-52; 145- 180; Dunbar, Eschatology, 77-83; Bracht, In Danielem, 300-368. 4 Whealey, De consummatione mundi, 461-469. 5 Brandes, Liudprand von Cremona, 435-463, insb. S. 446. 6 P. Alexander vermutet eine sizilianische Apokalypse, die im Kontext des antiarabischen Bündnisses entstand, das um 870 zwischen Ludwig II. und den Byzantinern bei der Eroberung von Bari geschlossen wurde; W. Brandes geht von von einer Daniel-Apokalypse aus - ibid., S. 451, Anm. 76. Altkirchliche Offenbarungsschriften 142 Ansehen Hippolyts in der alstlavischen Literatur In der slavischen orthodoxen Tradition genoss Hippolyt von Rom eine hohe Wertschätzung. Sein bedeutender Daniel-Kommentar, der älteste durchlaufende Kommentar zu einem alttestamentlichen Buch aus der Alten Kirche, ist vollständig nur in Kirchenlavisch erhalten. 7 Die slavische Überlieferung des biblischen Danielbuches, die über hundert Textzeugen umfasst, ist ihrerseits eng mit dem Namen des römischen Kirchenvaters verbunden. Ein besonderer Überlieferungstypus umrahmt den biblischen Text mit kirchenväterlichen Kommentaren, mit Vorliebe des Danielkommentars des Hippolyt. 8 Er wurde bis in die Neuzeit hinein in Russland gelesen, allerdings nicht mehr in handschriftlicher Form, sondern in einer Druckedition. 9 Auch der Antichrist-Traktat des Hippolyt zirkulierte in altslavischer Überlieferung, wo er überarbeitet und neu aufgelegt wurde. 10 Er bleibt bis heute noch immer eine beliebte Lektüre in orthodoxen Kreisen, vor allem in Gemeinschaften, die gegenwärtig eine Naherwartung pflegen wie die russischen Altgläubigen oder die Altkalendarier in Bulgarien. 11 Zwei kirchenslavische Fragmente unter dem Namen des Hippolyt, deren griechische Vorlagen wenig erforscht sind, 12 zeugen von seiner Autorität in Sachen Apokalyptik unter Ost- und Südslaven vom 11. Jh. an. Hippolyt-Fragment I Das erste der beiden Fragmente trägt den etwas umständlichen Titel „Homilie des Hippolyt von Rom über den Danielkommentar“ (Hipp Fragm I) und liegt in folgenden Codices vor: - Cod. 651 (Dragol’scher sbornik, Sammelcodex des Priesters Dragol’), Serbische Nationalbibliothek Belgrad, zweite Hälfte des 13. Jh., fol.35b-36a 13 - Cod. 382/ 24, Chilendar-Kloster, Athos, Ende des 13.-Anfang des 14. Jh. 14 - Cod. 237, Sammlung Chludov, 14. Jh., mittelbulgarisch, unediert 15 7 Bonwetsch, Überlieferung, 31-37; Bonwetsch & Achelis, Hyppolitus' Werke I (1897); Bonwetsch & Richard, Kommentar zu Daniel (2000); Altaner & Stuiber, Patrologie, 167; Engel, Susanna-Erzählung, 31; Bracht, In Danielem (2014). 8 Evseev, Tolkovanija (1901), Evseev, Kniga, VI-XI; LII-LXX. 9 Ippolit Rimskij, Tokovanija (1898). 10 Nevostruev, Slovo (1868); Sreznevskij, Skazanija (1874); Bonwetsch, Übersetzung (1895). 11 Tvorogov, Art. „Slovo i skazanie“, 425-426. 12 Podskalsky, Reichseschatologie, 96-98. 13 Edition bei Srećković, Zbornik, 14 und Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 187 (Übersetzung und Anmerkungen auf S. 188-189). 14 Text bei Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 187 (apparatus criticus). 15 Ibid., S. 183. Pseudopatristische Fragmente 143 - Cod. 310, Rumänische Akademie der Wissenschaften Bukarest, 16. Jh., unediert 16 - Cod. 74 („Scaliger Paterikon“), Universitätsbibliothek Leiden, 13. Jh., fragmentarisch 17 Es handelt sich dabei um ein Kompendium byzantinischer Eschatologie, das durchaus an Hippolyts Danielkommentar anknüpft (cf. IV, 23, 2-5). Es dürfte wohl schon im 10. Jh. ins Altbulgarische übertragen worden sein. 18 Anhand von Schriftzitaten, exegetischer Bezüge und komputistischer Verweise wird die endzeitliche Relevanz des millennialen Epochenschemas herausstreicht. Kurzum, die Weltuhr läuft ab; die Weltzeit ist bald verstrichten. Ein Schlüsselsatz für das Verständnis des Fragmentes liefert V.9 des Fragmentes: Auch die tausend Jahre seit der Menschwerdung Christi gehen nach der Offenbarung des Johannes dem Ende zu, zuletzt auch die zehn Reiche (cf. Offb 13,1-10; 17,3-18) Damit wird eine Fülle an eschatologischen, chronographischen und patristischen Themen berührt, die mittels einer apokalyptischen Argumentationskette verknüpft sind. V.1: Das Gräuelbild der Verwüstung (Dan 9,27; 11,31; 12,11; Mk 13,14 par) wird offenbar auf Byzanz bezogen. V.2: Voraussetzung dafür sind die Apostasie und das Auftreten des Antichrist (2 Thess 2,3-4). V.3: Der wiederkommende Jesus wird den Antichrist „mit dem Hauch seines Mundes umbringen“ (2 Thess 2,8; Offb 19,15). V.4: Der Antichrist verweilt im Verborgenen im letzten der vier Großreiche (=Byzanz). Er wird hervortreten („offenbar werden“), wenn das Byzantinische Reich erobert ist (im Anschluss an Daniel 2 und 7). V.5: Diese Eroberung ist zugleich eine Strafe für die moralische Dekadenz der Byzantiner, die mit dem Wandel und dem Schicksal der Bewohner von Sodom und Gomorrha (Gen 19,23-25 par) verglichen wird. V.6: Die Vermehrung der Gesetzlosigkeit in der Welt geht mit dem Zerfall des byzantinischen Imperiums in zehn Teilreiche einher (Dan 7,7-8.20-28). V.7: Die Ende ist unabwendbar und steht unmittelbar bevor. V.8: Dies geht aus der im Danielbuch 2 und 7 geschilderten Abfolge der Großreiche hervor. Der Text beinhaltet folgende Sukzession: Babylonier, Perser, 16 Ibid. 17 Deskription bei Veder, Paterikon II, 139-141; cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 183-184 (Datierung, Textauszug, Gegenüberstellung mit Cod. 651) 18 Ibid., S. 183; zur griechischen Vorlage cf. Podskalsky, Reichseschatologie, 96-98. Altkirchliche Offenbarungsschriften 144 Hellenen und Griechen. Die „Zahl“, die dem Griechenreich zugewiesen ist, geht dem Ende zu. V.9: Sowohl das Jahrtausend seit der Menschwerdung Christi als auch die Zeit der „zehn Reiche“ neigen sich dem Ende zu. 19 V.10: Nach dem Untergang von Byzanz wird der sich darin verborgen aufhaltende Antichrist auftreten und die Christen, die dem Glauben nicht abgeschworen haben, verfolgen. V.11: Es gilt daher die Vollendung in der Mitte des siebten Jahrtausends zu erwarten, als tausend Jahre seit der Geburt des Erlösers verstrichen sind. Denn der Sabbat ist „ein Vorbild für alle Kreaturen“ und ein Modell der Schöpfungschronologie. 20 V.12: Der Weltsabbat beinhaltet eine Erlösungsverheißung in sich, da die Heiligen mit Christus herrschen werden (Offb 20,4). V.13 bekräftigt das Weltwochenmodell mit Verweis auf Ps. 90,4 und 2 Petr 3,8: „Ein Tag des Herrn ist wie tausend Jahre.“ Das Hippolyt-Fragment verknüpft damit zentrale Topoi christlicher Eschatlogie zu einem konsistenten apokalyptischen Entwurf: (1) Die Herrschaftsabfolge der Großreiche - die Idee der Begrenztzeit aller irdischen Macht gegenüber dem „ewigen Äon“ (2) Das Tagma der Endereignisse aus 2 Thess 2,1-12 wird präzisiert (3) Die Vorstellung einer Herrschaft der Heiligen zusammen mit dem wiedergekommenen Herrn, angereichert mit chiliastischen Anklängen in enger Anlehnung an die Johannes-Offenbarung (20,1-10) (4) Die Weltsabbat-Chronologie, die in Verbindung mit der Christo-natu-Zeitrechnung zum eschatologischen Maßstab erhoben wird. Für all diese Bereiche stellt Hippolyt von Rom eine verlässliche Bezugsgöße dar, da er neben seinen exegetischen Kommentaren zum Danielbuch und zur Johannes-Offenbarung die gängige christliche Chronologie mitbegründet und mitgeprägt hat. Dies gilt auch für die Datierung der Geburt Jesu in der Mitte des sechsten Millenniums, die er in seinem Danielkommentar vorgenommen hat. Von da aus war es kein langer Schritt, ihn als Zeugen anzurufen 19 Zur Mittte des letzten Millenniums als endzeitlichem Terminus siehe Magdalino, History of the Future, 3-34; Magdalino, Year 1000, 233-270; Landes, Gow & van Meter (ed.), Apocalyptic Year (2003). 20 Zur Kategorie der Weltwoche siehe Wikenhauser, Herkunft, 1-24; Wikenhauser, Weltwoche, 399-417; Daniélou, Typologie, 1-16; Wolfson, Arguments, 351-368; Kötting, Endzeitprognosen, 125-130; Kötting & Geerlings, Art. „Aetas“, 457-479; zu den byzantinischen Berechnungen der Weltdauer cf. Podskalsky, Reichseschatologie, 92-94; Podskalsky, Herleitung, 455-458; Podskalsky, Représentation, 439-450; zu den slavischen Komputationen siehe Pesenson, Visions, 32-70, insb. S. 38-53. Pseudopatristische Fragmente 145 für jene Naherwartung, die in Byzanz um die Jahrtausendwende wohl in einem höheren Maße als im Westen greifbar war. 21 Hippolyt-Fragment II In zwei russischen Codices des 15. und 16. Jh. und in einer späteren ukrainischen Abschrift findet sich eine Komputation des Weltendes. Die Fassung in den Lesemenäen (15. Jh.) sowie in ukrainischer Übersetzung führen den Text unter dem Namen von Hippolyt von Rom (†235) auf. 22 Es dürfte sich um ein frühes Übersetzungsdokument einer wenig bekannten byzantinischen Vorlage handeln. 23 Nach dieser Berechnung zufolge liegt der Beginn der Endzeit in der Mitte des sechsten Millenniums und fällt etwas genauer auf das Jahr 1042. Die Argumentation hierzu ist kohärent gehalten und folgt der geschlossenen Logik eines Schriftbeweises. Ausgangspunkt ist die in der Johannes-Offenbarung genannte Fesselung des Teufels für die Dauer eines Jahrtausends (V.1), bis er für eine bestimmte Zeit „losgelassen“ wird, um „die Völker zu verführen.“ (Offb 20,2-3). Wie ist dieses eschatologische Schlüsselereignis allerdings anzusetzen? Der unbekannte Interpret führt zwei Traditionen zusammen, um diese Frage zu beantworten. Für ihn beginnt die tausendjährige Frist mit der Hadesfahrt Jesu während seiner Kreuzigung, als er die Seelen der Hölleninsassen der Macht des Satan entrissen hat (EvNic 17-27; QuaestBarth 1,28-35). 24 Die Kreuzigung von Jesus wird im Einklang mit der altkirchichen Tradition in seinem 33.Lebensjahr angesetzt. Diese Tradition findet sich im Prolog des Nikodemus-Evangeliums; auch Euseb von Kaisareia legt in seinem „Chronikon“ den Kreuzigungstod Jesu im 19. Regierungsjahr von Kaiser Tiberius fest, was dem Jahr 33 nach Christi Geburt entspricht. 25 Davon ausgehend müssen sich die Höllenfahrt Jesu und die tausendjährige Festsetzung des Satan im Jahre 5533 der Erschaffung der Welt zugetragen haben (V.2). An dieser Stelle wird explizit die in Byzanz geläufige chronologische Überlieferung bekräftigt, die die Geburt des Erlösers im Jahre 5500 ansetzt und im Übrigen von Hippolyt von Rom aufrechterhalten wird (V.3). 26 21 Brandes, Anastasios, 24-63, insb. S. 28; Magdalino, End of time, 119-133, insb. S. 128-129. 22 Speranskij, Materialy, 31-32 (nach einem Sammelcodex des Čudovski-Klosters, Weißrussland, 15. Jh.); Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 184-185 (Abdruck desselben Textes); Sreznevskij, Svedenija i zametki, 506-514 (Lesemenäen für den Monat September aus dem Bestand der sog. Synodalsammlung, 16.J.); Franko, Apokrifi IV, 356-357 (späte ukrainische Abschrift); cf. Turilov, O datirovke, 27-38 (Endzeitberechnungen im alten Russland). 23 Cf. Podskalsky, Recheschatologie, 98. 24 Cf. Klauck, Evangelien, 126-128; 133.. 25 Ibid., S. 119-120; cf. Gerhardt, Datum, 137-164 26 Siehe die zum ersten Hippolyt-Fragment aufgeführte Literatur. Altkirchliche Offenbarungsschriften 146 Es folgt eine Eingrenzung der Geburt Jesu im Rahmen relativer Chronologie, wobei das Jahr 42 wohl auf einer Verlesung beruht (V.4). Abschließend wird der historische Standort des Interpreten und seiner Adressaten angegeben: Es ist das Schöpfungsjahr 6550 respektive das Christusjahr 1042, das nach der Indiktionszählung präzisiert wird (V.5). 27 Dieser Termin ist insoweit von Belang, da er er mit dem zeitlichen Schwerpunkt jener Daniel- und Jesaja- Apokalypsen zusammenfällt, die Mitte des 11. Jh. im Südwesten der byzantinisch regierten bulgarischen Provinzen aktualisiert bzw. neu abgefasst wurden. 28 Die Beweisführung lässt sich in einzelne Argumentationsschritte nach bewährten rhetorischen Vorgaben auflösen: Aufbau Aussage Beleg Expositio Ein Engel mit Schlüssel und ehernem Seil bindet die „alte Schlange“, den „Teufel Satanael (sic! )“ und wirft ihn in den Abgrund und versiegelt ihn für ein Jahrtausend Offb 20,2-3 Propositio Die Endzeit beginnt mit der Loslassung des Satan aus seiner tausendjährigen Haft. <zu beweisende These des Komputators > Argumentatio (1) Satan wurde während der Höllenfahrt Jesu für tausend Jahre gefesselt. Nikodemus-Evangelium; Fragen des Bartholomäus; Johannes- Offenbarugn (2) Die Höllenfahrt Jesu geschah nach seiner Kreuzigung und vor seiner Auferstehung. Nikodemus-Evangelium; Fragen des Bartholomäus (3) Die Kreuzigung Jesu geschah in seinem 33. Lebensjahr. Ebd. (4) Aus dem Stammbaum Jesu ergibt sich, dass er im 5500. Schöpfungsjahr geboren wurde. Schöpfungschronologie des Julius Africanus und Hippolyt von Rom (5) Dies entspricht dem 42. Jahr der Herrschaft eines römischen Kaisers Wohl eine Verwechslung kyrillischer Zahlenwerte (6) Die Fesselung Satans ereignete sich im 5533. Schöpfungsjahr, also Johannes-Offenbarung + Chronologie 27 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 184. 28 Cf. Kap. V.3-4 und Kap. VII.1-2. Pseudopatristische Fragmente 147 wird seine Loslassung im 6533. Schöpfungsjahr zu erwarten sein. (7) Der Interpret lebt im Jahr der Schöpfung 6550 (= 1042 u.Z.), so dass die Vollendung seit geraumer Zeit unmittelbar bevorsteht. Byzantinische Chronologie Peroratio Die Zeichen der Zeit sind in eschatologischem Licht zu lesen: Sie lassen sich mit einer Berechnung interpretieren, der zufolge mit dem Anbruch der Endzeit in der Mitte des siebten Millenniums zu rechnen ist. Tabelle 7: Argumentationsaufbau des zweiten Hippolyt-Fragmentes Das Fragment belegt die Bedeutung der Johannes-Offenbarung als autoritativer Quelle, war sie doch bis ins 9. Jh. noch immer nicht im byzantinischen Kanon fest verankert; das Buch findet bei all seiner hymnischen Schönheit bis heute keine Verwendung in der orthodoxen Liturgie. Das Nikodemus-Evangelium wird ebenso vorauszusetzen sein, ebenso die Fragen des Bartholomäus. Der darin geschilderte Abstieg Jesu in die Hölle war in der russischen Ikonenmalerei bis zum 16. Jh. die dominierende Darstellung der Auferstehung und bleibt bis heute ein beliebtes ikonographisches Motiv. 29 Für die Verknüpfung von Höllenfahrt und tausendjähriger Festsetzung des Satan im Abyssos als Kernpunkt der Computatio wird folgerichtig die Autorität des Hippolyt von Rom herangezogen. Dies enthüllt eine akute Enderwartung für den errechneten Zeitraum um das Jahr 1042. Dies fällt wiederum mit dem Zeugnis anderer Texte zusammen, die als Manuskripte im Dragol’-Codex erhalten sind und die eschatologisch angespannte Haltung der Zeitgenossen des Petăr-Deljan-Aufstandes im Jahre 1040 dokumentieren - die Apokalypsen aus dem Daniel- und dem Jesaja-Zyklus. Der Berechnung der Weltalter ist also nicht isoliert zu betrachten, sondern in Verbindung mit den zeitgleichen Quellen, die die Zeichen der Gegenwart eschatologisch zu deuten suchen. Damit stellt sie einen weiteren Beleg dafür aus, dass das Jahr 1000 in Byzanz - wohl anders als im Westen - mit endzeitlichen Erwartungen verknüpft war, die sich im Bezugssystem eines Sabbatmodells der Weltgeschichte artikulierten. 29 Laurina, Ikona, 163-187, insb. S. 166. Altkirchliche Offenbarungsschriften 148 Hypatius-Fragment über die Wiederkunft des Herrn Ausgehend vom zweiten Petrusbrief (3,3-4.8.10) greift ein Fragment, das unter dem Namen des Hypatios von Ephessos († 540/ 541) tradiert ist, das Problem der ausgebliebenen Wiederkunft des Herrn auf. 30 Seine Überlieferung entspricht soweit derjenigen des ersten Hippolyt-Fragmentes 31 Das Schreiben wird im Referenzrahmen der Weltwoche entfaltet: Ein Schöpfungstag währt tausend Jahre (V.2). Der Mensch wurde am Mittag des sechsten Schöpfungstags erschaffen, also wurde er durch die Menschwerdung des Herrn in der Mitte des sechsten Jahrtausends erneuert (V.6). Die Vollendung wird in der Mitte des siebten Jahrtausends sein (V.7). Ein Schriftzitat aus der Johannes-Offenbarung (20,6-10) erläutert den Ablauf der Endereignisse (V.8-12). Der Termin der Ankunft Jesu wird zwar im siebten Jahrtausend liegen (V.14), nichtsdestotrotz bleibt er letztendlich verborgen (V.13). Daher gilt es, mit dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13), stets wachsam zu bleiben, da wir nicht wissen, ob der Herr morgens, abends oder mitternachts wiederkommen wird. 30 Zu Hypatius siehe Altaner & Stuiber, Patrologie, 151; Destephen, Chute, 131-149. 31 Srećković, Zbornik, 14 (Text), Tăpkova-Zaimova & Miltenova, 183-186 (Einführung), 190-191. 2. Die Fragen des Bartholomäus Unter dem Namen des Jüngers Jesu Bartholomäus (Mk 3,16-19 par) sind mehrere apokryphe Schriften auf uns gekommen: Acta des Apostels in mehreren Sprachen, ein unvollständiges koptisches „Buch von der Auferstehung Jesu Christi“, mehrere koptische Fragmente und schließlich die sog. „Fragen des Bartholomäus“ in Griechisch, Lateinisch und Slavisch. 1 Letztere verdienen schon deswegen Beachtung im vorliegenden Zusammenhang, da sie sich als eine geheime, esoterische Offenbarung zu erkennen geben, die das Genre der Höllenwanderung mit der dialogischen Form der erotapokritischen Literatur verbinden (4,67). 2 Es ist ferner zu fragen, ob sich dahinter nicht eine verlorengegangene Bartholomäus-Apokalypse verbirgt. 3 Abfassung und Überlieferung Die Zugehörigkeit der aufgezählten Bartholomäus-Schriften zum mehrfach indizierten gleichnamigen Evangelium ist indes fraglich, es ist jedoch davon auszugehen, dass sie auf ältere Bartholomäus-Traditionen zurückgreifen. 4 Für die QuaestBarth lässt sich eine Entstehungszeit vom 2. bis 4. Jh. in Betracht ziehen; Versuche, Näheres hierzu auszumachen, würden wie so oft in solchen Fällen allzu schnell in den Bereich der Spekulation führen. 5 Die Überlieferung ist spärlich gesät, und eine Textedition des Gesamtbestandes steht noch aus. Die beiden erhaltenen griechischen Handschriften (13. Jh.) sind fragmentarisch und weisen dogmatische Glättungen (G) resp. volkssprachliche Unebenheiten sowie Lacunae (H) auf. Die zwei lateinischen Abschriften (9.-11. Jh.) wären einer eigenständigen Gruppe zuzurechnen, deren Archetyp nur hypothetisch zu rekonstruieren ist. 6 Die slavischen Texte (ebenfalls zwei Mss.) stammen ebenso aus späterer Zeit und wurden zuletzt in der zweiten Hälfte des 19. Jh. ediert. Die Kopie im sog. Paisij-Codex aus dem 14. Jh. (P) wurde im Jahre 1863 von A.N. Pypin und von N.S. Tichonravov unabhängig voneinander herausgegeben. 7 V.N. Močul’skij brachte 1893 den Abdruck eines Sammelcodex der Wiener Hofbibliothek aus dem 16. Jh. (V) heraus mit dem Titel „Fragen der heiligen Apostel 1 Zur Einführung siehe Markschies, Bartholomaeustraditionen, 696-701 und Klauck, Evangelien, 131-139; zum Hintergrund cf. Kaestli, Évangile (1993). 2 Markschies et alii, Fragen, 708. 3 Markschies, Bartholomaeustraditionen, 700. 4 Ibid., S. 696-699. 5 Markschies et alii, Fragen, 708-709; Klauck, Evangelien, 132. 6 Markschies et alii, Fragen, 703-709 (Stemma auf S. 704). 7 Pypin, Knigi, 109-112; Tichonravov, Pamjatniki I, 18-22. Altkirchliche Offenbarungsschriften 150 an die Mutter Gottes“ (f.259). Der Text ist durch eine weitere Überschrift gegliedert: „Fragen des heiligen und rühmlichen Apostels Christi Varfolomei. Vater segne! “ (f.276). 8 Die slavische Tradition wurde zwar gegen Ende des 19. Jh. flüchtig in den Übersichten von E. Kozak und N. Bonwetsch erwähnt 9 und in einer Übersetzung ins Deutsche aufgegriffen, 10 sie bleibt jedoch weitgehend unerforscht. Es ist offen, ob es nicht weitere Manuskripte gibt; A. de Santos Otero führt in seinem Katalog insgesamt fünf Textzeugen auf, 11 und M.A. Salmina verwies neulich auf eine weitere russische Abschrift aus dem 17. Jh. (Bestand der Russischen Nationalbibliothek, Sankt Petersburg, F. 261/ 107). 12 Die ursprüngliche Übersetzung wird zwischen dem 10. und dem 11. Jh. zu verorten sein, womit sie zum frühesten Bestand des altbulgarischen Schrifttums zu zählen wäre. 13 Zu klären sind noch die Bezüge der QuaestBarth zur kirchenslavischen Descensus-Literatur (Nikodemus-Evangelium, Homilien vom Abstieg Jesu in den Hades), 14 die Rezeption in der orthodoxen Ikonographie 15 sowie die Beschaffenheit der Kontextmanuskripte in den noch unedierten Codices, um die Konturen des Überlieferungszusammenhangs genauer bestimmen zu können. Inhalt Die QuaestBarth setzen sich aus fünf ineinander greifenden narrativen Einheiten zusammen, die in etwa der gängigen Kapiteleinteilung entsprechen: (1) Geschehen am Kreuz; (2) Mariens Empfängnis; (3) Schau der Abyssos; (4) Auftritt des Widersachers; (5) Belehrung über Sünden. Die Verlaufslinien der Handlung stellen sich wie folgt dar (auf der Basis der Synopse in AcA I/ 1): 16 (1) Das Geschehen am Kreuz: Schon zu Jesu Lebzeiten begehren seine Jünger die Geheimnisse des Himmels zu erfahren (V.1-2). Erst nach seiner Auferstehung tritt Bartholomäus an ihn heran mit der Bitte, die Begebenheiten während der Kreuzigung kundzutun (V.3-8). Das zeitweilige Verschwinden von Jesu Körper vom Kreuz wird daraufhin durch den Hinabstieg in den Hades zur Herausführung der Seelen der Gerechten erklärt (V.9-20). Anschließend 8 Močul’skij, Sledy, 231-243 (Einführung); S. 276-281 (Text). 9 Kozak, Übersicht, 152; Bonwetsch, Literatur, 912. 10 Bonwetsch, Fragen des Bartholomäus, 1-42. 11 Santos Otero, Überlieferung II, 56-59 (fünf Einträge). 12 Salmina, Art. „Voprosy“, 102-103. 13 Petkanova & Miltenova, Eschatologija, 212 (Übersetzung ins Bulgarische auf S. 79-83). 14 Anon, Homily of Adam, 244-252; Zenkovsky, Russland, 34-141; 580-581; Tvorogov, Slovo o sošestvii, 262-275, 398-400; Roždestvenskaja, Slovo na voskresenie, 256-261, 397- 398; Santos Otero, Überlieferung II, 61-98; Kobjak, Art. „Evangelie Nikodima“, 120-123; Miltenova, Art. „Nikodimovo evangelie“, 294-295. 15 Laurina, Ikona, 163-187. 16 Markschies et alii, Fragen, 710-850. Die Fragen des Bartholomäus 151 werden weitere Ereignisse am Kreuz erklärt: Der übergroße Mensch, den die Engel auf ihren Armen nach Golgota brachten, ist Adam, um dessen willen Jesus sich kreuzigen ließ. Das Zerreißen des Tempelvorhanges wird auf eine Stichflamme zurückgeführt, die aus Michaels Hand hervorging (V.21-27). Dann aber muss sich der Auferstandene von seinen Jüngern verabschieden, da ohne ihn keine einzige Seele in das Paradies eintreten kann (V.28-35). (2) Die Empfängnis Mariens: Vor der Kulisse eines Berges sind die Apostel und Maria versammelt. Bartholomäus tritt hervor und fragt Maria, wie sie mit Jesus schwanger geworden ist. (V.1-5). Maria spricht ein hebräisch anmutendes Gebet und lässt sich während ihrer Erzählung von Petrus, Andreas und Johannes festhalten (V.6-14). Die Ankündigung der Empfängnis findet im Tempel statt, die Herabkunft des Logos geschieht jedoch erst drei Jahre später (V. 15-21). Marias Erzählung endet abrupt, als Feuer aus ihrem Mund aufflammt, und nur das rechtzeitige Kommen des Auferstandenen wendet eine Katastrophe ab (V.22). (3) Die Abyssos: Sieben Tage vor Jesu Erhöhung versammeln sich die Junger auf dem Berg Moria und verlangen danach die Abyssos zu schauen (V.1-5). Ihrem Wunsch wird am „Ort der Wahrheit“ stattgegeben, indem vor ihren Augen der Engel des Westens die Erde wie ein Blatt Papier einrollt. Der Anblick löst Schrecken aus, und die Erde wird gleich wieder zurückgerollt (V.6- 9). (4) Der Auftritt des Widersachers: Auf dem Ölberg verlangt Petrus Einblick in die Geheimnisse des Himmels und bittet Maria um Vermittlung gegenüber Jesus. Schließlich wagt sich Bartholomäus den Auferstandenen nach dem Wesen und dem Wirken des Widersachers (V.1-7). Nach anfänglicher Zurückweisung willigt Jesus ein. Michael stößt in die Posaune und BEliar wird in Fesseln vorgeführt (V.8-13). Die Apostel, die bei Satans Anblick wie tot auf das Gesicht fielen, bekommen den Geist der Kraft (V.14-15); Bartholomäus stimmt eine Hymne auf Marias Mutterschoß an (V.17) und bittet Jesu um einen Zipfel von seinem Gewand, um seine Angst zu bändigen (V.20); hierauf verweist Jesus darauf, dass selbst Solomon die Geister untertan waren (V.21). Nun bekommt Bartholomäus die Erlaubnis, ihn zu befragen, den Fuß in Satans Nacken (V.21- 24). Themen des Verhörs sind der Wegfall des -el- Zusatzes in Satanaels Namen und die Rangordnung der Engel im Himmel; ferner die Bestrafung der Unwürdigen, gepaart mit einem Lasterkatalog (V.25-45.47). Es treten bekannte Motive auf. Der Sturz des ehemals höchsten Engels wird beispielsweise auf seine Weigerung zurückgeführt, den Urmenschen anzubeten. Darauf bricht eine Revolte aus, die zur Verbannung der Insurgenten aus dem Himmel führt. Überraschend wird vom vierzigjährigen Schlaf der rebellischen Engel berichtet. Kaum aufgewacht, schmiedet Satan zusammen mit seinem Sohn Salpsan Rachepläne und verführt Eva mittels seines Schweißes (V.52-59). Nach dreimaliger Unterbrechung (V.46.48.51) und einem Gebet an Jesus (V.49-50) schickt Bartholomäus BEliar zurück in den Hades (V.60). Es folgen etymologische Darlegungen in Griechisch über die Anfangsbuchstaben der vier Flüsse Altkirchliche Offenbarungsschriften 152 im Paradies und Jesu Namen (V.61-65). Zu guter Letzt erkundigt sich Bartholomäus nach dem Kreis der Berechtigten, denen das Geschaute und Gehörte anvertraut werden darf. Doxologien von ihm und von Jesus markieren den Schuss der Episode (V.66-71). (5) Belehrung über Sünden: Im Schlussteil wird Bartholomäus offenbart, dass Heuchelei und Verleumdung zu den schwersten Vergehen gehören; dass die Sünde wider den Heiligen Geist im Erlassen von Verordnungen gegen den Klerus bestehe; dass Schwören bei Gottes Haupt unzulässig sei, denn Gott habe zwölf Häupter; dass schließlich die Fleischeslust am besten in der Ehe auszuleben sei (V.1-5.7-8). Während die anderen Jünger mit der Verkündigung des Wortes der Wahrheit beauftragt werden, wird Bartholomäus die Weitergabe des Erlebten übertragen. All das wird mit der Verleihung des Heiligen Geistes besiegelt. Das Werk endet mit der üblichen Schlussdoxologie (V.6.9- 10). Der Aufbau des Textes ist durch ungewöhnliche Stilelemente geprägt. (1) Gebete treten in verschiedenen Zusammenhängen auf: (a) Marias Schutzgebet vor der Enthüllung des Empfängnisgeheimnisses hat die Schöpfungsordnung zum Thema mit dem Motiv der sieben Himmel (QuaestBarth 2,13); (b) Bartholomäus beschwört die Fleischwerdung und das Erlösungswerk von Jesus (QuaestBarth 4,9); (c) eine Mutterschoß-Hymne an Maria geht dem Verhör von Beliar voraus (QuaestBarht 4,18); (d) nach Beliars Abgang wirft sich Bartholomäus Jesus zu Füßen und fleht um Erbarmen (QuaestBarth 4,61-64). (2) Lasterkataloge werden wiederholt zu erbaulichen Zwecken herangezogen: (a) um die Züchtigung der Menschenseelen durch Satan zu verdeutlichen (QuaestBarth 4,38); (b) um den Wirkungsbereich seines Personals zu umreißen (4,44); (c) um gegenüber dem Kreis der Würdigen jene abzugrenzen, denen Bartholomäus’ Offenbarung nicht zuteil werden darf (4,67). (3) Dreimal versucht Bartholomäus ohne Erfolg, Beliars Erzählung zu unterbrechen bzw. ihn zum Schweigen zu bringen, was seine Schwäche in Sachen Exorzismus zeigt (QuaestBarth 4,46.48.51). Das Motiv des visionären Schreckens tritt mehrfach zutage: Bei der Schau des Abgrundes (3,8); beim Anblick des Widersachers (4,10.14); während Beliars Erzählung (4,49). Besonderheiten der slavischen Fassungen Das Profil der slavischen Überlieferung lässt sich derzeit nur in Bezug auf die veröffentlichten Textzeugen beurteilen. Fürs erste seien folgende Singularitäten gegenüber den griechischen und lateinischen Texten festgehalten: das Geschehen beginnt vor der Auferstehung Jesu (1,1) die Bitte an den Erzengel Michael zur Herausführung der Gerechten aus dem Hades fehlt (1,9) Die Fragen des Bartholomäus 153 statt „Schritte“ (lat. pedes) steht in P und V „Stufen“ (gr. ποῦς? ) das Auftreten von Henoch und Elija ist gemäß QuaestBarth sl 1,17 in 6.000 Jahren nach der Auferstehung zu erwarten (lat. C hat 7.000 Jahre) - Elija wird als „Rächer“ bezeichnet / fehlt in lat. C/ (1,17) - Hades wird mit „Fürchte dich nicht! “ angesprochen (1,18) - Bartholomäus wird gesegnet (1,26) - 30.000 Seelen scheiden an einem Tag aus dieser Welt, aber nur acht werden als gerecht befunden (1,30-33). der Berg der Versammlung wird unverständlich „Ritor“ (P) bzw. „Chritir“ (V) genannt. - Petrus, Andreas und Johannes werden von Bartholomäus angesprochen (2,2) der Berg der Versammlung heißt „Maurii“ (3,1) der Ort der Wahrheit heißt „Cheruktisii“ (3,6) der Widersacher wird von 600 Engeln festgehalten, seine Höhe beträgt 600 Ellen (4,12-13) die slavischen Fassungen (P und V) hören mit 4,13 auf und lassen den Rest von Kap. 4 sowie das ganze Kap. 5 aus Bedeutung Die Theologie von QuaestBarth ist außergewöhnlich, fremdartig und anstößig. Um den Befund von H. Weinel aus dem Jahre 1923 anzuführen: Es ist eine der wunderlichsten Schriften, die uns erhalten sind. Die Mischung von Gnostischem, abenteuerlichem Volksglauben, grotesker Spekulation und katholischen Gemeingedanken ist hier vollendet. Es ist eine Fundgrube für Engelnamen und späte Mythologie. Das gnostische und das apokalyptische Interesse an den Himmelsfragen laufen hier in der seltsamsten Weise durcheinander. 17 Nicht minder gewöhnungsbedürftig ist die Lesart von Apokalyptik, die wir in den QuaestBarth vorfinden. Herkömmliche Gattungsstrukturen und Stilelemente des Genres treten hier in völlig neuen Zusammenhängen auf. Nur um einige davon aufzugreifen: (1) Eine Jenseitsreise fehlt, die Handlung ist im Diesseits verortet. Die Seher müssen nicht „hinreisen“ und die himmlischen Geheimnisse „vor Ort“ erfahren, sondern sie werden ihnen von himmlischen Boten hingebracht und kundgetan. Beliar wird gefesselt vorgeführt (4,13). Selbst in Kap. 3 muss niemand 17 Weinel, Apokalyptik, 154. Altkirchliche Offenbarungsschriften 154 zum Abgrund wandern, dieser kommt unter der im Westen weggerollten Erde zum Vorschein (V.6-9). (2) Die Enthüllung apokalyptischer Geheimnisse erfolgt nicht individuell, von einem himmlischen Agenten an einen irdischen Auserwählten, sondern kollektiv: Einer Gruppe von Offenbarungsträgern (der Auferstandene, Maria, Beliar) steht eine Gruppe von Offenbarungsempfängern (Jesu Jüngern und deren Sprecher Bartholomäus) gegenüber. (3) Kulissenwechsel: Die Handlung findet an mehreren Schauplätzen statt, so dass sie sich ähnlich einem Theaterstück in mehrere Akte aufteilen lässt. Akt 1 wird nicht näher verortet (1,1ff.); in Akt 2 heißt die Bühne in den verschiedenen Fassungen abwechselnd Cherubim (G), Cheltura (H), Ritor (P) oder Chritir (V); Akt 3 spielt sich auf dem Berg Maurei (H), Mambre (C) resp. Maurii (P,V) ab; Kap. 4 spricht übereinstimmend vom Ölberg (V.1); Kap. 5 (nur G und C) übernimmt offensichtlich denselben Ort (cf.V.1). (4) Rollenwechsel: (a) Maria ist implizit (QuaestBarth 1,3.5) und explizit (Kap. 4) Empfängerin einer Offenbarung, in Kap. 2 selbst eine Offenbarungsträgerin; (b) der Auferstandene tritt zum einen als Mittler- und Belehrungsinstanz (QuaestBarth 1,3.5), zum anderen als Zeuge und Bürge von Beliars Ausführungen über das Jenseits (Kap. 4) auf. (5) Die eigentümlichste Offenbarungsfigur ist Beliar, der hier die sonst unübliche Aufgabe hat, in erster Person von urzeitlichen Vorgängen zu berichten und Einsicht in die himmlischen Dinge (Engelhierarchien, postmortale Justiz) zu gewähren (Kap. 4). Die paränetischen Schlussfolgerungen in der Form von Lasterkatalogen (Kap. 5) vervollständigen die Offenbarungen, die nicht allein jenseitige Geheimnisse vermitteln, sondern ein schlüssiges „program for life“ vorgeben sollen. 3. Die Paulus-Apokalypse Die sog. Paulus-Apokalypse gehört zu den bedeutendsten, wirkungsvollsten und meistverbreiteten christlichen Apokalypsen. Eine unüberschaubare Masse an Textzeugen dokumentiert ihre außerordentliche Popularität in Ost und West quer durch die Jahrhunderte. 1 Zu den spätantiken Versionen in Griechisch, Lateinisch, Koptisch, Syrisch, Arabisch, Äthiopisch, Georgisch, Armenisch und Kirchenslavisch treten zahlreiche mittelalterliche Bearbeitungen sowie Übersetzungen in verschiedene europäische Sprachen (Französisch, Deutsch, Englisch, Walisisch, Dänisch, Italienisch und Provençalisch) hinzu. 2 All diese Texte haben ein Eigenleben entwickelt und haben sowohl die Hochliteratur (Dante, Chaucer) als auch ganz besonders die Vorstellungen über Hölle und Jenseits im Mittelalter nachhaltig geprägt und beeinflusst. 3 „Text“ oder „Literatur“? Bei alledem gilt es beachten, dass es bei der sog. Apokalypse des Paulus einen nach außen und innen abgrenzbaren Text nicht gibt, sondern eine in vielen Sprachen über große Entfernungen und einen langen Zeitraum hinweg überlieferte Literatur über das Jenseits, insbesondere über das postmortale Ergehen der menschlichen Seele, die mit dem Namen des Paulus verbunden war. Diese apokalyptische Paulus-Literatur war in ständiger Entwicklung begriffen und erscheint im Rückblick teils als zusammenhängendes Netzwerk, teils als schwer entwirrbares Tradierungsgeflecht. 4 Die intensive Redaktionsarbeit an den weit verzweigten Texten der ApcPauli erstreckte sich über Jahrhundnerte und fand in sehr unterschiedlichen Kontexten statt, in der Regel unabhängig voneinander und mit verschiedener Motivation. Die Variabilität und der evolutive Charakter der Überlieferung werden indes als Leitmotiv in der Sekundärliteratur heraufbeschworen: „a small literature in itself rather than a single document“ (R.P Casey); 5 „yet no one version fournishes him [=the student of the Apocalypse of Paul] with the complete book in ist original form” (Th. Silverstein); 6 „die Unterschiede der verschiedenen Texte sind so groß, dass eine Zusammenarbeitung unmöglich ist“ (H. Duensing/ A. de Santos Otero); 7 Man kann mit Th. Silverstein schlussfolgern: „the history of 1 Bibiographien bei Jiroušková, Visio Pauli, 1001-1024 und Bremmer & Czachesz (ed.), Visio Pauli, 213-236. 2 Skizze der Diffusion bei Silverstein, Visio, 3-14. 3 Cf. Silverstein, Dante, 231-247 (Bezüge zu Dantes Divina commedia). 4 Stemma der Textversionen bei Geerard, Clavis, 205. 5 Casey, Apocalypse, 1-32, insb. S. 5. 6 Silverstein, Visio, 15. 7 Duensing & Santos Otero, Apokalypse, 644-645. Altkirchliche Offenbarungsschriften 156 the Apocalypse of Paul is essentially that of the continuous modification of its contents”. 8 Ursprung und Karriere der ApcPauli Die ApcPauli wurzelt unzweifelhaft in den rätselhaften Zeilen des Zweiten Korintherbriefes (12,2-4) sowie im „Image“ des Visionärs, welches Paulus insgesamt anhaftet. 9 Man würde allerdings vergeblich nach genaueren Entsprechungen zur paulinischen Theologie in den Texten der ihm zugeschriebenen Apokalypse suchen, die zunehmend eine eigene „Karriere“ entfaltet hat. 10 Doch Apokalypsen müssen nicht zwangsläufig die Theologie ihres Namensgebers fortschreiben (cf. pseudopatristische Werke), 11 ja sie können sich selbst von den pseudepigraphen Zuschreibungen loslösen, die für eine bestimmte apokalyptische Gattung charakteristisch sind. Dies ist beispielsweise der Fall beim kirchenslavischen Jesaja-Zyklus, welcher zwar an die politisch-eschatologischen Traditionen der Daniel-Apokalyptik anknüpft, sie jedoch unter einem anderen Namen neu auflegt und fortführt. 12 Die griechische Urfassung der kaum überschaubaren, lawinenartig angewachsenen Textvielfalt unter der Gesamtüberschrift „Apokalypse des Paulus“ ist dabei möglicherweise im Ägypten des 3. Jh.n.Chr. in einem monastischen Milieu zu verorten. Dies lässt sich zwar nicht eindeutig belegen, sondern an Hand von Indizien in etwa eingrenzen. Hierher zählt die Nähe zu den spätantiken Vorstellungen von Jenseits und Totenreich wie beispielsweise dem Feuerfluss, den die Toten zu überschreiten haben. 13 Auffallend ist die explizite Hochschätzung monastischen Lebensstils - Belege dafür finden sich u.a. in Kap.9 (Höhlenbewohner), Kap.22 (Keuschheit in der Ehe, jungfräuliches Leben, falsche Mönche); Kap.50 (Noah als Asket). Die patristische Bezeugung (Autgustin, Sozomenos) und der Eintrag im Decretum Gelasianum zollen zwar dem Einfluss der Schrift Tribut, sind aber für ihre Datierung wenig ertragreich; gerade das wichtige Origenes-Zitat, wiedergegeben im Nomokanon des Barhebraeus (VII 9), dürfte sich nicht auf unsere Schrift beziehen. 14 Aussagekräftig sind allerdings die klar erkennbaren Parallelen zur Petrus-Apokalypse, die im Ägypten des 2. Jh.n.Chr. anzusiedeln ist und in Mönchskreisen beheimatet war; ein Fragment hieraus wurde im Übrigen als Grabbeigabe eines ägyptischen Mönches aus dem 8. oder 9. Jh. entdeckt. 15 8 Silverstein, Visio, 19. 9 Cf. hierzu die exzellente Studie von Heininger, Paulus (1996). 10 Nicklas, Paulusrezeption, 150-169. 11 Petkov, Techniques of Disguise, 241-252. 12 Siehe Kap. VII.1-2. 13 Müller, Offenbarung, 569, Anm. 28. 14 Duensing & Santos Otero, Apokalypse, 644. 15 Cf. Müller, Offenbarung, 562-566, insb. S. 563. Die Paulus-Apokalypse 157 Sichere Anhaltspunkte zur näheren Datierung bietet jedoch die offenbar erst nachträglich an den Anfang des lateinischen und als Epilog des syrischen Textes angefügte Auffindungsgeschichte, die ans Ende des 4. Jh.n.Chr. verweist. Ihr zufolge lässt ein vornehmer Mann auf das wiederholte Drängen eines Engels, der ihm im Traum erschienen sei, die Fundamente seines Hauses in Tarsus aufbrechen. Dabei sei er auf ein Kästchen mit der Offenbarung des Paulus und seinen Schuhen gestoßen, die er dem Kaiser zugeleitet habe. All das habe sich im Jahre 388 während der Regentschaft des Theodosius und Cynegius zugetragen. 16 Dieser sog. Tarsus-Text, eindeutig durch Augustin und Sozomenos verbürgt, hat über eine Zwischenstufe des 6. Jh. als Vorlage der lateinischen Übersetzung gedient. 17 Ihr bester Vertreter ist ein Pariser Codex aus dem 8. Jh., dem zusammen mit der Gruppe der sog. „langen Versionen“ eine Schlüsselposition für das Verständnis der restlichen lateinischen Tradition zukommt. 18 Die Formierung der hieraus abgeleiteten Redaktionen ist zwischen das 10. und 12. Jh. zu datieren. Es sind in der Regel Textkürzungen, die die Paradiesschilderungen auslassen und das Augenmerk auf das postmortale Ergehen der Gottlosen richten. 19 Überlieferung Von der griechischen Fassung sind nur zwei fragmentarische Manuskripte aus dem 13. und 15. Jh. übrig geblieben; sie wurden zuletzt von K. von Tischendorf im Jahre 1863 publiziert. 20 Einzelne Textzeugen sind im Syrischen, Koptischen und Armenischen erhalten. 21 Geradezu ausufernd ist hingegen die lateinische Tradition, die neulich ausführlich beleuchtet worden ist. 22 Besonders reichhaltig, dafür aber nahezu unerforscht ist die kirchenslavische Überlieferung. Bezog sich E. Turdeanu im Jahre 1956 auf 40 ihm bekannte Abschriften, 23 erweiterte Santos Otero 1978 in seinem bekannten Katalog die Gesamtsumme auf 96 Einträge. 24 Wenige Jahre später erhöhte D. Petkanova den Bestand um ein Dutzend weiterer Kopien. 25 Von den insgesamt über hundert Handschriften aus dem Zeitraum vom 15. bis 19. Jh. ist allerdings nur ein Bruchteil ediert, sodass derzeit nur vorläufige Beobachtungen hierzu möglich sind. 16 Cf. Duensing & Santos Otero, Apokalypse, 645. 17 Cf. Casey, Apocalypse, 26-31 (Testimonia). 18 Silverstein, Visio, 20-39 (Long Latin Versions). 19 Ibid., S. 40-63 (Stemmata auf S. 60-63). 20 Tischendorf, Apocalypses apocryphae, 34-69. 21 Duensing & Santos Otero, Apokalypse, 644. 22 Cf. die umfangreiche Monographie von Jiroušková, Visio Pauli (2006). 23 Turdeanu, Vision, 407-408, Anm. 14. 24 Santos Otero, Überlieferung I, 170-187. 25 Petkanova, Apokrifi, 390. Altkirchliche Offenbarungsschriften 158 Die slavischen Texte Vorbehaltlich weiterer Textentdeckungen wäre die ursprüngliche Übersetzung in diesem Stadium wohl noch im 10. oder 11. Jh. in einem südslavischen Areal anzusetzen. 26 Die Nähe der slavischen Textzeugen zu den sog. langen lateinischen Texten ist in der Tat bemerkenswert, in Einzelfällen werden sogar bessere Lesarten bezeugt: „Seule la tradition slave corrobore d’une façon inattendue la forme latine du VIII e siècle“. 27 Hieraus ergibt sich im Rückschluss, dass mindestens bis zum 10. Jh. eine dem Tarsus-Text nahe griechische Fassung in Umlauf war, die dem albulgarischen Übersetzer als Vorlage gediEnt haben soll. Es ist im Übrigen offen, warum die ApcPauli in Byzanz an Bedeutung verlor und fast vollständig aus den Codices verschwand. Ein Grund könnte die starke Popularität zeitgenössischer Jenseitsvorstellungen sein wie in den Vitae des Andreas Salos und Basillius Novus dokumentiert. Möglicherweise wurde die ApcPauli in Byzanz seit dem 10. Jh. weniger durch obrigkeitliche Zensur denn durch neuere Entwürfe verdrängt, die nicht so fest auf das Bestrafungsszenario fixiert waren. Es fällt hingegen auf, dass im lateinischen Westen ein starkes Interesse an Folterdetails im Diesseits (Martyrien-Schilderungen der Legenda Aurea) und Jenseits vorherrschte (Fegefeuer). Recht früh erfolgte allerdings die Inkriminierung durch den sog. Pogodin’schen Index (11./ 14.Jh); dem Zugriff der Indices blieb der Text mitunter dank geschickter Mimikrie entzogen. Ein Teil der Überschriften verifizierte die Apokalypse als authentischen Paulus-Brief bzw. als einen Auszug aus dem Corpus Paulinum, 28 als Schutzschild gegen die Zensur musste in einigen Abschriften Chrysostomos’ Name herhalten. 29 Die Erstübersetzung, die trotz einiger Kürzungen („Tendenz zur Ökonoimisierung“) den Charakter ihrer Vorlage durchgängig wahrt, zerfällt in eine bulgarische, eine serbische und eine russische Redaktion. 30 Hinzu kommt eine kurze Fassung (die Auslassungen betreffen Kap.7-16), die womöglich im 15. Jh. in Westbulgarien entstand und ebenso eine bulgarische, eine serbische und eine russische Redaktion aufweist. 31 26 Mit Petkanova, Apokrifi, 390-391; Petkanova, Art. „Videnie“, 91-92, Petkanova & Miltenova, Eschatologija, 209 und Petkanova, Apokrifi, 390 sowie gegen Turdeanu, Vision, 405-407 (Datierung ins 13. Jh.). 27 Turdeanu, Vision, 407; Belege bei Silverstein, Visio, 22-31 und Casey, Apocalypse, 6-18. 28 Nr. 3, 5, 6, 7, 8, 13, 13, 15, 7, 19, 20, 22, 23, 24, 27, 28, 29, 2, 33, 34, 35, 36, 37, 40, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 58 in der Liste von Santors Otero, Überlieferung I. 29 Nr. 6, 7, 8, 13, 14, 17, 20, , 22, 23, 24, 27, 28, 29, 33, 34, 35, 44, 45, 52, 55, 58, 59, 63, 66, 72, 76 und 89 im Katalog von Santos Otero Abschriften in sog. Zlatoust-Sborniki (Codices unter Chrysostomos’ Namen). 30 Cf. Turdeanu, Vision, 408-417 („ … caractère conservatoire … valeur documentaire … la version slave supprime, sans jamais condenser … “). 31 Turdeanu, Vision, 423-427. Die Paulus-Apokalypse 159 In Russland erfuhr der Text eine Bearbeitung im 15. Jh., als Tradierungsvehikel dienten Sammlungen spiritueller Texte („Izmaragd“): Darin wird die Notwendigkeit ständigen Gebetes betont. 32 Auch ikonographische Zeugnisse gesellten sich hinzu. 33 Zwei glagolitische Codices aus dem 15. und 16. Jh. dokumentieren eine Übersetzung aus dem Lateinischen. 34 Eine weitere Stufe der Karriere der ApcPauli unter den Südslaven markierte ihre Aufnahme in die sog. Damaskini - eine seit dem 16. Jh. in Griechenland und auf dem Balkan sehr populäre Form erbaulicher Lektüre, die der Schrift zu neuer Beliebtheit verhalf. 35 Noch im 19. Jh. wurde der Text aktualisiert und erneut unters Volk gebracht. Diese moderne bulgarische Fassung stellt im Grunde ein Resümee der Damaskin-Fassung dar. 36 Die Kontextmanuskripte verraten den Wandel des Rezeptionshorizontes der ApcPauli als Anleitung zum Gebet, spirituelle Lektüre (Izmaragd-Codices) oder erbauliche Erzählung (Damaskini-Literatur). Besonders aufschlussreich sind die Hinweise auf den „Sitz im Leben“ in der Fastenzeit, so die Beheimatung in liturgischen Codices 37 oder präzise Instruktionen wie „zu verlesen am Donnerstag der fünften Woche der österlichen Fastenzeit“. 38 Inhalt Die ApcPauli repräsentiert in besonders hohem Maße ein apokalyptisches „work in progress“ und es wäre irreführend, einen gemeinsamen narrativen Nenner für all die zerstreuten Versionen künstlich zu rekonstruieren. Die zugrunde liegende Meta-Erzählung gehört jedoch eindeutig dem Genre der „Himmelsreise“, und sie wurde nach und nach zum Subgenre „tour of hell“ umgearbeitet. 39 Die reichhaltigen Inhalte der Texte umfassen in synoptischer Sicht folgende Sequenzen (unter besonderer Berücksichtigung der umfangreicheren koptischen Fassung): I. Auffindungsgeschichte (1-2): Ein Engel erscheint einem vornehmen Mann in Tarsus im Taume und gibt nicht auf, bis dieser die Fundamente seines Hauses ausgräbt und darin das Kästchen mit Paulus‘ Offenbarung findet. Der Fund wird einem Richter vorgelegt und anschließend an Kaiser Theodosius weitergeleitet. 32 Nr. 16, 21, 38, 41 und 62 im Katalog von Santos Otero. 33 Turdeanu, Vision, 427-429. 34 Nr. 91 und 92 im Katalog von Santos Otero. 35 Nr. 57, 78 und 84 im Katalog von Santos Otero; siehe ferner Turdeanu, Vision, 417-423 und Petkanova, Art. „Damaskini“, 119-121. 36 Turdeanu, Vision, 423. 37 Santos Otero, Überlieferung I, 70. 38 Turdeanu, Vision, 427. 39 Siehe zum Ganzen die Arbeiten von Himmelfarb, Tours of Hell (1983) und Himmelfarb, Ascent (1993). Altkirchliche Offenbarungsschriften 160 II. Die Klage der Elemente (3-6): Die Elemente des Himmels (Sonne-Mond- Sterne) und der Erde (Meer-Wasser-Erde) beklagen sich beim Herrn über die Sünden der Menschen (Lasterkataloge und Inzestschilderungen inbegriffen). Gottes Antwort stellt Strafen in Aussicht, falls die Buße ausbleibt. III. Überwachung der Menschen durch die Engel (7-10): Die Engel überwachen die Menschen tagsüber und berichtet jeden Abend über sie - cf. Hen(äth) 9,1ff.; 3 Bar 12, 1 ff.. Es werden zwei Klassen von Menschen erkennbar, über die die Engel lachen (Einsiedler und Höhlenbewohner) oder weinen - es sind diejenigen, die das Gebet vernachlässigen. IV. Die postmortale Justiz (11-18): Erst hier wird in Anlehnung an 2 Kor 12 von Paulus’ Entrückung durch einen anonymen angelus interpres berichtet. Er will ihm die Ruheorte der Gerechten und die Straforte der Ungerechten im Jenseits zeigen. Die Reise führt an den sublunaren Dämonen unterhalb des Firmamentes (AscIes 7,9) vorbei. „Engel der Gerechtigkeit“ kümmern sich um die Sterbenden (11-12). Ein Blick aus Vogelperspektive enthüllt die auf der Erde wandelnden Menschen als Ameisen. Über ihnen verdichtet sich als Feuerwolke die Ungerechtigkeit, die auf der Welt lastet, so weit jedenfalls die ersten Eindrücke von der Himmelsreise (13). Als Nächstes geht es zur Rechtsprechung über die Seelen Verstorbener. Nichts kann im Verborgenen geschehen, alles wird jeden Abend offenbar und hat Konsequenzen. Dies wird gleich anhand dreier Gerichtsfälle exemplifiziert (14-18). V. Das geteilte Paradies (19-30) A. Im Empfangsbereich (19-20): Etwas inkonsequent wird an dieser Stelle von einer zweiten Entrückung in den dritten Himmel berichtet. Ein anonymer Deuteengel nimmt Paulus zu den Stätten der Gerechten mit. Hinein geht es durch eine goldene Pforte, gesäumt von zwei goldenen Säulen. Zwei goldenen Tafeln sind mit den Namen der Gerechten verziert (3 Bar 11,1), eine Art Klingelschilder der Himmelsbewohner (19). An der himmlichen „Rezeption“ wird Paulus von Henoch, dem Schreiber der Gerechtigkeit, und Elija begrüßt (20). 40 B. Das Land der Verheißung (21-22): Von hier geht es hinab in die Gegend jenseits des Ozeans. Etwas zusammenhangslos wird eine Anmerkung des Deuteengels hineinglossiert. Was Paulus demnächst sieht, darf er keinem Menschen verraten. Gleich folgt eine Einblendung aus 2 Kor 12: „und er führte mich und zeigte mir, und ich hörte dort Worte, die ein Mensch nicht sagen darf.“ Wenig konsequent lautet der nächste Satz: „Und wiederum sagte er: Folge mir weiter, und ich werde dir sagen, was du öffentlich erzählen und berichten darfst.“ 41 Das Land der Verheißung soll bis zu seinem Offenbarwerden bei der 40 Einige Hss. lesen für Elijas „Helios“, in einigen lateinischen Mss. steht folgerichtig „sol“ (Duensing & Santos Otero, Apokalypse, Anm. zu Kap.20). 41 Möglicherweise war diese Fährte eine Motivation für die mittelalterlichen Redaktoren, die Paradies-Episoden auszulassen und sich auf die Höllenstrafen zu konzentrieren. Die Paulus-Apokalypse 161 Parusie als Wohnort der Gerechten dienen, dann werden die Heiligen mit ihm tausend Jahre regieren (21). 42 Die paradisiesche Fülle soll diejenigen zuteil werden, die keusch in der Ehe leben. Für die Jungfräulichen sind siebenmal größere Güter vorgesehen (22). C. Der Acherusische See (22): Der Acherusische See fungiert als Fegefeuer - darin sollen die reuigen Sünder auf Gottes Befehl durch Michael getauft werden, bevor sie die Stadt Christi betreten. D. Die Stadt Christi (23-30): Um hierher zu gelangen, setzt Paulus in hymnischer Begleitung durch dreitausend Engel in einem goldenen Schiff über den Acherusischen See über (23). Vor den Toren der Stadt müssen belaubte, jedoch fruchtlose Bäume Buße für all jene tun, die zwar gefastet haben, sich dennoch durch Stolz und Arroganz den Eintritt in Christi Stadt verbaut haben (24). Die Verteilung der Paradiesflüsse, die herumfließen (25-28), lässt sich den koptischen Texten entnehmen. Demnach unternimmt Paulus einen Rundgang um die himmlische Stadt (West-Süd-Ost-Nord). Die Doxa der Bewohner durch Verleumdung, Eifersucht oder Stolz gemindert wird. Unter den zwölf Thronen der Heiligen befindet sich eine Mehrzahl von Thronen, bezeichnenderweise für die Saloi, die Narren um Christi willen bestimmt. Abschließend begegnet Paulus an einem sehr großen Altar in der Mitte der Stadt David, der immer dann Gottesdienst (im siebten Himmel! ) hält, wenn auf der Erde Liturgie ist (29). Es wird die Bedeutung des Halleluja-Rufes hervorgehoben; wer ihn nicht anstimmt, begeht eine Sünde; ausgenommen davon sind lediglich Alte und Kinder (30). VI. Die Straforte der Sünder (31-44): Die Stätten des Strafvollzugs sind im Westen, jenseits des Ozeans gelegen und von ewiger Finsternis, Traurigkeit und Betrübnis bedeckt (31). Feuerflüsse, Gruben und Abyssos, Würmer und Frost, Haken und Folterinsrumente dienen den Dienstengeln zur Bestrafung der Sünder, die in Kategorien aufgeteilt sind und ihren Strafen zugeführt werden, die im Detail geschildert weren. VII. Zurück zum Paradies 45-51): Paulus kehrt zum Paradies zurück und begegnet den Himmelsbewohnern: Maria (46), den Stammvätern (47), Mose (48), den Propheten, Lot und Hiob (49), Noah (50), 43 Elija, Elisa und Henoch. Zacharias und Johannes der Täufer sind neben Maria die einzigen neutestamentlichen Gerechten. Die letzten, die Paulus erschaut, sind Abel und Adam, der alle an Größe übertrifft (51). Es wird betont, Paulus sei im Körper entrückt worden - wohl als Klärung der Aussage von 2 Kor 12,2-4 gedacht (46 und 47). Bedeutung Die Paulus-Apokalypse ist ein außerordentlich bedeutender Text, der eine Schnittstelle zwischen jüdischer und christlicher Apokalyptik markiert. Darin 42 Offb 20,2. 43 Als Asket porträtiert (Weinel, Apokalyptik, 149). Altkirchliche Offenbarungsschriften 162 überschneiden sich Grundmuster des Genres mit neuen Akzenten, Herkömmliches erhält sukzessive eine christliche Prägung. Es seien folgende Merkmale angerissen: Apokalyptische Zeit: Schon jetzt werden jenseits der sichtbaren Welt die verborgenen Taten der Menschen offenbar. Dies ist jedoch nur Gott, den Himmelsbewohnern (Engeln, Dämonen, Gerechten, Verurteilten) und dem apokalyptischen Seher zugänglich, während die noch lebenden Menschen im Dunkeln tappen müssen, die Auskunft der (Paulus-)Apokalypse jedoch zur rechtzeitigen „Kurskorrektur“ heranziehen können. Das endgültige Offebarwerden aller Dinge ist der Endzeit vorbehalten. Apokalyptischer Raum: Das Diesseits-Jenseits-Verhältnis ist maßgeblich für das Ergehen der Seele nach dem Tod. Im göttlichen Äon enthüllt sich die wahre Wirklichkeit aller Dinge, die im jetztigen nur bedingt erkennbar sind. Apokalyptische Theodizee: Der Tun-Ergehen-Zusammenhang erstreckt sich über den Tod hinaus und gelangt erst dann abschließend zur Geltung. Für alles gibt es eine Vergeltung, irdisches Tun bleibt nie ungesühnt und auch nicht ohne Lohn. Pseudepigraphie: Anders als die bisher behandelten Texte wird hier eine neutestamentliche Figur Namensgeber einer Apokalypse. Referenztext: In Anlehnung an alttestamentliche Muster (Gen 5,21-24) dient eine neutestamentliche Stelle (2 Kor 12) als Ausgangsbasis für einen christlichen „Midrasch“ apokalyptischer „Haggadah“. Pragmatik: Das Möchstum spielt innerhalb eines apokalyptischen Textes eine herausragende Rolle: Als Urheber des Textes und Figur im Text zugleich, als Träger und Adressat, Redaktor, Interpolator und Kopist in einem. Kirchenkritik: Der anonyme Autor geht ungewöhnlich hart man mit kirchlichen Amtsträgern ins Gericht geht. Die Missbilligung von Missständen jeder Art gilt allen hierarchischen Ebenen, ob Bischof, Priester, Diakon oder Lektor. Auch die Vergehen von Laien werden unter die Lupe genommen, innerhalb und außerhalb der Kirche. Es wird ein breites Spektrum trivialer und weniger trivialer Verfehlungen behandelt, das von Schminke in der Kirche bis hin zu Abtreibung reicht. Umgang mit Häresien: Erstmalig werden Ketzer im Jenseitigen sichtbar, eine wohl erst nachträglich ergänzte Besonderheit. Während kirchenkritische Akzente die falsche Glaubenspraxis betreffen, wird das falsche Verständnis der Lehre ungleich stärker gewichtet: Nestorianer und nicht treulose Hierarchen bewohnen die letzten Kreise der Paulus’schen Hölle. 4. Das Streitgespräch Christi mit dem Teufel Das sog. „Streitgespräch Christi mit dem Teufel“ (CertIesu) ist eine para-apokalyptische Schrift, in welcher Episoden und Motive aus den kanonischen Evangelien mit außerkanonischen Apokalypsen zu einer Erzählung vom Kampf Jesu mit dem Widersacher verflochten sind. Überlieferung Die griechische Tradition des Textes liegt in zwei Handschriften aus dem 12. und dem 13. Jh. vor, die unabhängig voneinander auf einer gemeinsamen, nicht näher bekannten Vorlage fußen. Sie wurden erstmals im Jahre 1893 unter den Bezeichnungen und von A. Vassiliev herausgegeben 1 und 1955 als A und B von R.P. Casey und R.W. Thomson neu aufgelegt. 2 Der slavische Bestand beläuft sich gegenwärtig auf fünfzehn Kopien aus der Zeit vom 13. bis 17. Jh., die größtenteils unediert sind und wohl auf verschiedene Übersetzungen zurückgehen. 3 Wenig lässt sich über die ursprüngliche Übertragung aus dem Griechischen ins Altbulgarische sagen. Sie müsste jedoch schon im 10. oder im 11. Jh. erfolgt sein, da der Nomokanon des Pogodin (14. Jh., Bestand aus dem 11. Jh.) einen Eintrag hierüber enthält. 4 Ganz entschieden muss der Annahme einer dualistischen (Manichäer? ) oder gar bogomilischen Tradentenschaft widersprochen werden, die sich nicht so pauschal behaupten lässt. 5 Abfassung Über die Entstehungszeit des griechischen Originals besteht Unklarheit. Die Erwähnung des Strafengels Temelouchos mag zwar auf die Paulus-Apokalypse verweisen, könnte aber auch eine spätere Entlehnung sein und ist für die Datierung kaum verwertbar; ebensowenig geben die apokryphen Johannes-Offenbarungen her, deren Einordnung strittig ist; die Erwähnung nicht näher identifizierbarer Ortschaften in Ägypten (Gouzé; Daphne) sagt kaum etwas über die Lokalisierung der Schrift aus. 6 1 Vasiliev, Anecdota, V-VII (Einordnung und Anmerkungen), 4-10 (Text). 2 Casey & Thomson, Dialogue, 49-65 (Text auf S. 50-55). 3 Einzelheiten zur Überlieferung bei Santos Otero, Überlieferung II, 156-160. 4 Petkanova, Art. „Prenie“, 363. 5 Mit Turdeanu, Apocryphes bogomiles, 194-199 (Nachdruck in Turdeanu, Apocryphes slaves, 50-55) und Santos Otero, Überlieferung II, 156; gegen Vasiliev, Anecdota, VI und Ivanov, Knigi, 254-257. 6 Gegen Vasiliev, Anecdota, VI-VII; cf. Casey & Thomson, Dialogue, 63-64. Altkirchliche Offenbarungsschriften 164 Inhalt Beide Versionen, griechisch und slavisch, beruhen auf dem gleichen Erzählgerüst. Für eine Beurteilung der Unterschiede bedarf es einer breiteren Textgrundlage, insbesondere einer Edition der noch unbekannten kirchenslavischen Texte. Die Gemeinsamkeiten lassen sich wie folgt wiedergeben: (1) Disput Jesu mit dem Teufel: In einer Kombination aus Versuchungs- und Verklärungsgeschichte lässt der Verfasser Jesus mit seinen Jüngern auf dem Ölberg fasten, um sich dem Satan zu stellen, der nach vierzig Tagen auch erscheint. Im darauf entstandenen Wortgefecht fordert er Jesus auf, auf seinen himmlischen Thron zurückzukehren, damit er weiter ungestört auf Erden regieren könne. Die hierfür stereotyp wiederholte Begründung lautet: „Denn die Himmel sind dein, die Erde aber mein“. Diesen Vorstoß erwidert Jesus mit einer Kampfansage: Er sei gekommen, um dem Teufel und seinen Komplizen ein Ende zu machen. Letztere werden in einem Lasterkatalog beschrieben. Davon unbeeindruckt beansprucht der Teufel weiterhin die Herrschaft über die Menschen. Demgegenüber hebt Jesus die Bedeutung von Buße und Mildtätigkeit zur Errettung von Sündern vom Bösen hervor und beteuert schließlich, der Teufel selbst werde dem Strafengel übergeben. (2) Kampf Jesu mit dem Teufel: Durch diese Androhung über alle Maße verärgert, rüstet sich Satan zur Schlacht. Er versammelt seine Truppen und erinnert in einer Ansprache an die Ursache für den Sturz aus dem Himmel - die Weigerung, den ersten Menschen anzubeten (cf. Hen(sl) 29,4; Koran, Sure 38,71- 77). 7 Beim Anblick der gegnerischen Armee bekommen es die Nachfolger Jesu mit der Angst zu tun, Petrus will desertieren und muss zurückgerufen wurden (cf. Mk 14,66-72 par). Die Kampfhandlungen dauern jedoch nicht lange. Der Teufel wird ergriffen und an einer Wolke aufgehängt, die Dämonen flüchten in die Höhlen der Erde. Satan kapituliert und bittet um Gnade. Als er jedoch befreit wird - i.e., „wie ein Blitz“ auf die Erde geschleudert wird (Lk 10,18, greift er Jesus an, droht ihm mit der Kreuzigung durch die Hohepriester und prahlt mit dem Mord an Johannes dem Täufer. Auf Jesu Hinweis, Johannes sei bis auf den heutigen Tag am Leben, folgen weitere Drohworte, so das Bedauern, Jesus nicht bei seiner Geburt umgebracht zu haben. (3) Eschatologischer Showdown: Nun tut sich aber in der Erde ein abgrundtiefer Spalt auf - es ist nichts anderes als die endzeitliche Adresse des Teufels. An dieser Stelle ist etwas unvermittelt die sonderbare Episode von der Geburt des Antichrist durch die Jungfrau Eudokia eingefügt (cf. 2 ApcIes 11,1-4; Narr Ant 3,1-9). Daraufhin wird ein Tagma der letzten drei Jahre entfaltet. Das erste wird noch fruchtbar ausfallen, im zweiten wird eine entsetzliche Hungersnot ausbrechen. Mitten im dritten wird die eschatologische Beschleunigung der Zeiten eintreten: Das Jahr wird zum Monat, der Monat zur Woche, die Woche zum Tag, der Tag zur Stunde schrumpfen (cf. 1 ApcIoh apocr 8). Dann werden 7 Belege aus dem slavischen Bereich bei Böttrich, Henochbuch, 911, Anm. d). zu 29,4. Das Streitgespräch Christi mit dem Teufel 165 sich die Himmel einrollen, der Weltbrand ausbrechen und die Meere austrocknen. Sodann wird sich der Herr zum Ort Chizi begeben, Johannes, Henoch und Elija und Maria treffen und daselbst den Teufel umbringen. Bedeutung Das CertIesu ist sicherlich kein Meisterwerk theologischer Hochliteratur, legt jedoch ein aussagekräftiges Zeugnis dafür ab, wie kanonische Schriften im Lichte außerkanonischer Quellen rezipiert wurden. In ihrem Plot werden zwei synoptische Erzählungen (Versuchungs- und Verklärungsgeschichte) mit Hilfe eines weiteren Schriftzitates (Lk 10,18) miteinander verknüpft und auf dem Hintergrund altkirchlicher Offenbarungsschriften (Paulus-Apokalypse, apokryphe Johannes-Offenbarungen) gelesen und interpretiert. Einen zentralen Erzählfaden bilden dabei die Niederwerfung des Teufels und die eschatologische Überwindung des Bösen. Zu Beginn der Zeit wurde Satan seines Ungehorsams wegen als Anführer der Revolte gegen Gott aus dem Himmel verbannt. In der Mitte der Zeit wird er von Jesus bezwungen, am Ende der Zeit wird er endgültig vernichtet werden. Die Schrift enthält im Übrigen einen interessanten Beleg über die exorzistische Bedeutung von Speichel und Pusten, die in der orthodoxen Taufe bis heute eine exponierte Funktion haben: Damit sagt sich der Täufling nach Aufforderung durch den Priester vom Teufel los. Im CertIesu verwendet der Teufel diese apotropäische Geste in diabolischer Verkehrung gegen Jesus selbst. Jesus weigert sich allerdings, gegen den Teufel zu spucken oder zu pusten, da sein Speichel heilig, sein Atem der Heilige Geist sei - eine der eigentümlichsten Aussagen der Schrift. Parallelen hierzu finden sich in den Wundergeschichten des Markusevangeliums, so bei der Heilung eines Taubstummen (Mk 7,31-37): „[Jesus] berührte die Zunge des Mannes mit Speichel“ (V.33) und bei der Heilung eines Blinden bei Bethsaida (Mk 8,22-26): „[Jesus] bestrich seine Augen mit Speichel“ (V.23). 5. Die Sibylla Tiburtina Die sog. Tiburtinische Sibylle ist eine Neuauflage der sibyllinischen Literatur aus dem 4. Jh., die in Griechisch, Lateinisch, Arabisch, Äthiopisch und Kirchenslavisch tradiert ist. Die Erzählung beinhaltet die eschatologische Deutung eines Traums, der gleichzeitig hundert Richter in Rom heimgesucht hat. Die Sibylle deutet die neun Sonnen aus dem Traum auf neun Generationen, die der Endzeit vorausgehen werden. 1 Bezeugung Der Text geht auf eine ursprünglich unter dem Kaiser Theodosius I. zwischen 378-390 auf Griechisch abgefasste Prophezeiung zurück, die nicht mehr handschriftlich bezeugt ist. Die Urfassung wurde jedoch bald darauf ins Lateinische übertragen - die Übersetzung ist mit über hundert Manuskripten sehr gut belegt. Die lateinische Fassung erfuhr im 10. oder 11. Jh. eine Überarbeitung, als die Namen deutscher und langobardischer Herrscher dem Text zugefügt wurden. 2 Die griechische Urfassung wurde im 6. Jh. unter dem Eindruck der von Kaiser Anastasios I. geführten Perserkriege (503-506) überarbeitet. Die erhaltenen drei byzantinischen Manuskripte stammen aus dem 12. Und dem Zeitraum zwischen dem 14. und dem 16. Jh. 3 Die slavischen Texte Die Sibylla Tiburtina ist in gut zwölf süd- und ostlavischen Codices aus dem 14. bis 18. Jh. enthalten. Die erhaltenen Handschriften zerfallen in zwei Redaktionsgruppen, die jeweils eine lange, vollständige Fassung und eine gekürzte Version beinhalten. 4 Die Vorlage der Tib Sib sl lässt sich nicht genau umreißen. Sie stammt wohl aus dem 11. oder 12. Jh. und wurde im 13. Jh. „aktualisiert“, wie aus dem Verweis auf die Tataren zu erschließen ist. 5 Der Entstehungsort ist im bulgarischen Reichsterritorium zu suchen. Die unmittelbare Umgebung in 1 Buitenwerf, Tiburtine Sibyl, 176-181 (Einführung), 182-188 (englische Übersetzung). 2 Ausführlich zur lateinischen Fassung Holdenried, Sibyl (2006). 3 Zur griechischen Fassung siehe Alexander, Oracle (1967). 4 Miltenova, Skazanie, 44-72; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 251-263 (Einführung), 264-276 (Texte); cf. eaedem, Apocalyptic literature, 469-506 (englische Fassung); Petkov, Voices, 521-525. 5 Cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Apocalyptic literature, 477. Die Sibylla Tiburtina 167 den Codices sind häufig alttestamtliche Apokryphen, darunter ein Erzählzyklus über David und Salomo. 6 Die Erzählung über die Sibylle wurde auf Grund des Einleitungsteils, der mit König David beginnt, hierher gerechtet. Eine der frühesten Abschriften der Sib Tib sl im Corpus von Cod. 52, Kloster Nikoljac, ist von eschatologischen Schriften umgeben: Die Himmelfahrt des Jesaja, die Paulus-Apokalypse, die Baruch-Apokalypse, eine apokryphe Johannes-Offenbarung, die sog. Abraham-Johannes-Fragen und die Vita des Basilius Novus. 7 Inhalt der slavischen Version Die Exposition der Erzählung enthält zahlreiche folkloreske Züge, so die Geburt der Sibylle aus der „Lust“ (pohot]) von König David. Sie übt ihre Herrschaft ursprünglich im Lande Ugr aus und regiert sodann in Rom. Sie prophezeit das Kommen von Christus und bleibt jungfräulich in der Hoffnung, ihn zu empfangen. In der Traumvision der hundert Richter erscheinen neun Sonnen verschiedener Farbe und Strahlung. In der anschließenden sibyllinischen Prophezeiung werden die Sonnen auf neun Völker bezogen. Die Orakel sind zweigliedrig und enthalten eine Schilderung des jeweiligen Volkes und eine Erklärung seiner Rolle in der Endzeit. Sonnen Ethnie Charakteristik Eschatologische Rolle (1) sehr schön, strahlt über die ganze Welt Slaven resp. Bulgaren Gutmütig, gastfreundlich, demütig Sie werden Gott den orthodoxen Glauben bezeugen (2) wie Donner und Flamme Georgier Sanftmütig und barmherzig Sie suchen Gott und erweisen den Priestern Ehrerbietung (3) blutfarben, wird dreimal finster Hellenen resp. Griechen Politisch unzuverlässig, überheblich, habgierig Sie bleiben der Kirche treu und werden Gott die irdische Macht übergeben. (4) blutfarben, Thron in der Mitte Juden Aus ihrer Mitte werden Jesus und seine Jünger hervorgehen. Von Gott zu vielem auserwählt. 6 Siehe zur kirchenslavischen Tradition über David und Salomo die Bibliographie von Orlov, Selected Studies, 267-273. 7 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 253; eaedem, Apocalyptic literature, 471. Altkirchliche Offenbarungsschriften 168 (5) blaurot, Donner Franken Drei Könige werden Heldentaten vollbringen. Sie werden sich in der Stadt der Sonne Schlachten liefern. (6) schneeweiß und besonders schön Syrier Zwei Könige werden viel Unheil stiften. Über sie wird Gericht gehalten und sie werden abgeurteilt. (7) blutig und furchtbar Arkadier (! ? ) Sie werden nach Rom strömen und den Franken zusetzen. Sie werden der Größe Roms keinen Abbruch tun. (8) bewölkt, streckt ihre Hand aus Barbaren resp. Sarazenen Ihr Auftreten geht mit Erdbeben, Hungersnot und Schlachten einher. Sie werden Jerusalem dreihundert Jahre lang beherrschen. (9) am furchtbarsten von allen, finster und umgeben von einem blauen Kreis. Tataren. „Blutiges Heulen“, Blut fließt wie Wasser. Sie werden die Erde leer fegen und durch einen Menschen mit dem Namen des Erzengels Michael umkommen. Tabelle 8: Orakel der Sib Tib sl Darüber hinaus gibt es eine ruthenische Übersetzung, die in einem Codex aus dem 16. Jh. zusammen mit einer Abschrift der Vision des Tungdal tradiert ist. Sie geht auf eine tschechische Vorlage aus dem 15. Jh. zurück und weicht von den bekannten süd- und ostlavischen Manuskripten ab. Der Text ist aus mehreren Apokryphen geformt, darunter die Sage vom Kreuzholz, Motive des Pseudo-Methodius und die „Fünfzehn Zeichen des Jüngsten Gerichtes“. Die Erzählung ist als Dialog aufgebaut: Auf die Fragen von König Salomon trägt die Sibylle Prophezeiungen über den Verlauf der Geschichte und die Endzeit vor. 8 8 Verkholantsev, Ruthenica Bohemica, 71-85 (Einführung), 183-190 (Text). 6. Apokryphe Johannes-Offenbarungen Eine jede der großen neutestamentlichen Gattungen - Evangelien, Apostelgeschichte, Briefliteratur und Offenbarung - hat zahlreiche außerbiblische Pendants, die mit den Namen der bedeutendsten Jünger und Mitstreiter Jesu überschrieben sind. Einige dieser Schriften sind „Dopplungen“ ihrer kanonischen Protagonisten wie das sog. Pseudo-Matthäus-Evangelium, 1 andere „vervollständigen“ die Schriftproduktion eines biblischen Namensgebers wie das Petrus-Evangelium und die Petrus-Apokalypse, die ergänzend zur kanonischen Petruskorrespondenz (1 und 2 Petr) hinzutreten. 2 Einige wiederum werden gleich zwei Gattungen zugerechnet wie jene „Novelle“ über die letzten Tage Jesu, die sowohl als „Nikodemusevangelium“ als auch „Acta Pilati“ betitelt wird. 3 Bestimmte „Urheber“ sind gleich in allen vier Großgattungen präsent wie Johannes, wenn man zu Joh, 1-3 Joh und Offb noch die apokryphen Johannesakten hinzunimmt. 4 Wie man sieht, bestanden im Urchristentum personalisierte „Meta-Kanone“, die unter dem Namen einer bestimmten Autorität in Umlauf waren, die sowohl „Autor“ im weiteren Sinne des Wortes als auch „Actor“ war, insoweit sie in der betreffenden Schrift selbst auftrat. 5 Der Johannes-Offenbarung wiederum steht eine ganze Gruppe außerkanonischer Apokalypsen unter dem Namen des Johannes gegenüber, die mitunter sehr weit von deren Inhalten abrücken und ganz eigene Themen erörtern: Die Frage der genauen Abfolge der endzeitlichen Ereignisse, das Schicksal der Seelen, Details der Buße und der Kirchendisziplin. Hierher gehört folgende Bibliothek eines apokryphen Corpus Iohanninum: (a) eine in Griechisch, Armenisch, Arabisch und Slavisch tradierte Johannes- Offenbarung, die ein ausführliches „Tagma“ (Anordnung) der Endereignisse enthält (1 ApcIoh apocr) 6 1 Ehlen, Pseudo-Matthäusevangelium, 983-1002; 2 Zu den beiden Schriften cf. Kraus, Petrusevangelium (2004); Bremmer & Czachesz (ed.), Apocalypse of Peter (2003); Buchholz, Apocalypse of Peter (1988); noch immer sehr lesenswert ist Dieterich, Nekyia (1893); über petrinische Traditionen und petrinisches Schrifttum im Urchristentum siehe Lapham, Peter (2003) 3 Schärtl, Nikodemusevangelium, 231-261. 4 Textedition von Junod & Kaestli, Acta Iohannis I und Junod & Kaestli, Acta Iohannis II (1983); cf. ferner Plümacher, Geschichte (2004); Lalleman, Acts of John (1998) und Sirker- Wicklaus, Untersuchungen (1988). 5 Siehe hierzu Petkov, Techniques of Disguise, 241-252, insb. S. 241-244. 6 Tischendorf, Apocalypses apocryphae, 70-94 (Erstausgabe des griechischen Textes); Court, Book of Revelation, 23-65 (Einführung, griechischer Text mit Übersetzung ins Englische und Anmerkungen); Rosenstiehl, Apocalypse apocryphe, 600 (Liste von sechs armenischen Mss. aus dem 16. und 17. Jh.; die angekündigte Edition des armenischen Altkirchliche Offenbarungsschriften 170 (b) eine offenbar ihr nahe stehende, griechische Johannes-Offenbarung (zugleich unter dem Namen von Johannes Chrysostomos), die Fragen der kirchlichen Ordnung thematisiert (2 ApcIoh apocr) 7 (c) eine griechische Johannes-Apokalypse, die sich mit dem künftigen Schicksal der Seelen und dem Thema der Buße befasst (3 ApcIoh apocr) 8 (d) eine koptische Johannes-Apokalypse in einer Handschrift aus dem Jahre 1006 (4 ApcIoh apocr) 9 (e) ein sog. Johannes-Apokryphon aus der Nag-Hammadi-Bibliothek (Apocr- Ioh) 10 ) (f) zwei erotapokritische Dialoge zwischen Abraham und Johannes, allein aus späteren slavischen Manuskripten bekannt (1 und 2 ErotIohAbr) 11 (g) das sog. Liber Sancti Iohannis, ein wohl auf (Alt-)Bulgarisch abgefasstes Kompendium bogomilischer Eschatologie, das in zwei lateinischen Handschriften vorliegt (LibIoh) 12 Im Folgenden wird zuerst auf die 1 ApcIoh apocr gr eingegengen, anschließend auf ihre slavische Überlieferung. Zum Schluss werden die slavischen Texte beleuchtet, die Dialoge zwischen Jesus und Abraham beinhalten (1 und 2 ErotIohAbr). Inhalt der 1 ApcIoh apocr gr Die Komposition der 1 ApcIoh apocr ist recht übersichtlich. Ihr Kernstück bildet eine Wechselrede zwischen Jesus und Johannes, die aus einer Aneinanderreihung stereotyp geformter Frage-und-Antwort-Sequenzen besteht, die nach demselben Muster geformt sind: Καὶ πάλιν εἶπον• Κύριε - Ἄκουσον δίκαιε Ἰωάννε. Die Handlung selbst nimmt sich denkbar knapp aus. Nach der Erhöhung Jesu bittet Johannes am Berg Tabor um die Enthüllung der letzten Dinge. Nach siebentägigem Gebet wird er auf einer Wolke zum Himmel emporgehoben. Textes in Series Apocryphorum steht meines Wissens noch aus); Graf, Geschichte I, 273 (arabisch); Santos Otero, Überlieferung I, 197-209 (kirchenslavische Textüberlieferung). 7 Nau, Apocalypse apocryphe, 209-221 (Einführung, Textausgabe, Übersetzung ins Französische); Court, Book of Revelation, 67-107 (Einführung, Text mit englischer Übersetzung, Anmerkungen; der Text wird hier allerdings als „Apocalypse of Saint John Chrysostom“ bezeichnet). 8 Vasiliev, Anecdota, LXI-LXII; 317-322 (lateinische Einführung und Erstausgabe unter dem Titel „Quaestiones Iacobi fratris Domini ad s. Iohannem Theologum“); Court, Book of Revelation, 109-131 (hier „Third Apocalypse of Saint John“). 9 Court, Book of Revelation, 132-163 (hier „Coptic Apocalypse of Saint John”). 10 Waldstein, Apocryphon (1995). 11 Siehe die Ausführungen hierzu unter („Tabor-, Eleon- und Abraham-Texte“). 12 Bozóky, Livre secret (1980); Ivanov, Knigi, 60-87. Apokryphe Johannes-Offenbarungen 171 Ein Spalt tut sich auf, und Wohlgeruch und Licht ergießen sich hieraus (1-2). Daraufhin schaut Johannes übergroße Bücher, die mit sieben Siegeln versiegelt sind (Offb 5,1-6,17; 8,1-5). Die himmlischen Register umfassen alles Wissen, die geschehenen und die kommenden Dinge (3-4). Auf seine abermalige Bitte um Kundgabe des Geschriebenen leitet eine Stimme den Offenbarungsdialog ein (5-27). Er endet mit dem Auftrag, das Anvertraute an die Treuen weiterzugeben; es soll jedoch den Unwürdigen vorenthalten bleiben. Daraufhin kehrt Johannes auf einer Wolke zum Berg Tabor zurück. Am Schluss werden die Häuser selig geheißen, in denen Abschriften des Textes aufbewahrt werden (28). Im Mittelpunkt der 1 ApcIoh apocr gr steht ein ausführlicher „Fahrplan“ der Endzeit. Eine derart detaillierte Aufzählung eschatologischer „Stationen“ wird in kaum einer anderen Offenbarungsschrift dargeboten. Es fällt umgekehrt auf, dass die politischen Apokalypsen in Byzanz (Pseudo-Methodius, Daniel-Apokalypsen) des Öfteren dort aufhören, wo die 1 ApcIoh apocr gr anfängt: Mit dem Wirken des Antichrist und dem Auftreten von Henoch und Elija. Es stellt sich daher die Frage, ob ihr „Tagma“ (= Abfolge der letzten Dinge) nicht in diesen Texten vorausgesetzt wird oder von anderen, politischen Themen (Endkaiser, Sieg über die Muslime) überlagert wird. Anordnung der Endereignisse im griechischen Text Im Text der 1 ApcIoh apocr gr wird der Ablauf der Parusie folgendermaßen dargestellt: Abfolge Station Kap. (1) Auf eine kurze Periode endzeitlicher Fruchtbarkeit folgt eine entsetzliche Hungersnot 5 (2) Erscheinung des Antichrist; Furcht erregendes Porträt 6-7 (3) Endzeitliche Dürre: Himmel verschießt sich (wird kupfern), Wolken werden verborgen, Winde werden gebannt (cf. Offb 7,1) ebd. (4) Akzeleration der Zeiten: Jahre werden zu Monaten, Monate zu Wochen ... (cf. Mk 13,20 par) 8 (5) Henoch und Elija treten als Überführer des Antichrist auf ebd. (6) Tod aller Menschen, niemand bleibt am Leben 9 (7) Michael und Gabriel blasen in das Hammelhorn ebd. (8) Auferstehung der Toten. Alle sehen gleich aus, im Alter von dreißig Jahren. Nur die Gerechten werden einander erkennen 10- 12 (9) Engel machen sich daran, alle Devotionalien einzusammeln: Ikonen, Kreuze, liturgische Bücher 13 (10) Erhöhung und Anbetung des Golgota-Kreuzes durch alle Engel ebd. Altkirchliche Offenbarungsschriften 172 (11) Emporhebung aller Auferstandenen auf Wolken in den Himmel (cf. 1 Thess 4: 17) ebd. (12) Dämonen kommen aus der Erde und der Abyssos hervor und vereinen sich mit Antichrist; Emporhebung auf Wolken ebd. (13) Weltbrand ebnet Landschaften und vertilgt alles Leben auf der Erde 14 (14) Die vier Winde erneuern die Erde. Sie wird flach wie eine Ebene, weiß wie Schnee und rein wie ein ungeschriebener Papyrus 15 (15) Endzeitliche Schlacht: Das ehrbare Zepter wird als Standarte erhoben, das Zeichen des Menschensohnes erscheint am Himmel (Mt 24,30), die Nachfolger des Antichrist setzen zum Angriff an, sehen jedoch ihre Machtlosigkeit ein und wenden sich gegen ihren Befehlshaber 16 (16) Parusie: EinEngel verkündet als Herold das Kommen des Herrn; die Engelhierarchien werden erschüttert; die Himmel zerreißen von Ost nach West; Jerusalem erscheint in Brauttracht; Engelscharen gehen vor dem Herrn her, tragen seinen Thron und stimmen das Sanctus an, alle verbeugen sich; die Himmel bleiben leer, da von ihrem Personal verlassen; Generalversammlung aller (einschließlich des Antichrist) auf der Erde 17 (17) Die Auflösung des Kosmos wird mit dem Aufbrechen der sieben Siegel des himmlischen Buches (Kap.3-4) 13 in Verbindung gebracht: 1. Siegel: Sterne fallen vom Firmament 2. Siegel: Mond schwindet und erlöscht 3. Siegel: Sonne hält Licht zurück 4. Siegel: Himmel lösen sich auf, Chaos in der Luft 5. Siegel: Erde reißt auf, Orte des Gerichtes tun sich auf 6. Siegel: Hälfte des Meeres vertrocknet 7. Siegel: Unterwelt kommt zum Vorschein 18- 19 (18) Endgericht und Vollstreckung der Urteile über den Antichrist und seine Dämonen (äußere Finsternis); pagane Völker und Häretiker (Unterwelt); Juden (Tartarus). Die Getauften werden unter den Sündern herausgesucht und zur Rechten des Herrn gesetzt. Sie scheinen wie die Sonne (Mt 13,43). Die sozialen Unterschiede werden aufgehoben. Die Hoffnung der Armen erfüllt sich (Ps 9,18), die Könige werden wie Sklaven abgeführt, der Klerus wird nach individuellen Vergehen bestraft 20- 24 13 Die Endzeichen weichen von der Schilderung in Offb 5,1-6,17; 8,1-5 ab. Die Öffnung der ersten vier Siegel, die in der kanonischen Johannes-Offenbarung mit dem Auftreten der vier Reiter einhergeht, knüpft in 1 ApcIoh apocr gr an Mk 13,24-25 par. an. Apokryphe Johannes-Offenbarungen 173 (19) Vereinigung von Erde und Paradies. Die Gerechten erben die Welt (Ps 37,29; Mt 5,10). Die Zahl der Engel und der Menschen ist gleich 25- 26 (20) Universelle Friedensvision. Das Unrecht ist restlos vergangen, es herrscht immerwährendes Tageslicht 27 Tabelle 9: Fahrplan der Endzeit nach 1 AcIoh apocr Einordnung des griechischen Textes Die 1 ApcIoh apocr gr entstammt offenbar einer Zeit, in der man sich weniger nach dem Wann, Ob oder Warum der Endzeit fragte, sondern hauptsächlich nach dem Wie. Sie setzt bereits feststehende kirchliche Strukturen voraus. Kanonische Schriftzitate werden als selbstverständliche Autorität angeführt. Die literarische Form der Erotapokrisis (Frage-und-Antwort-Literatur) wird wie selbstverständlich aufgegriffen. 14 Ihre Entstehungszeit ist indes vom 4. Jh. an zu veranschlagen und mit dem Zeugnis eines Scholion zur Grammatik von Dionysios Thrax aus dem 9. Jh. abzugrenzen. Externe Bezeugung erfährt die 1 ApcIoh apocr im Schlussteil des CertIesu („Streitgespräch/ Kampf Jesu mit dem Teufel“) - eine Schrift, die allerdings selbst nicht genau zu datieren ist. 15 Das darin ausgebreitete Tagma der Endzeit kennt folgende Abfolge: - Fruchtbarkeit - Hungersnot - Akzeleration der Zeiten - Auflösung des Kosmos - Versammlung am Gerichtsort. Es ist unklar, ob CertIesu unsere Schrift kennt und abkürzt oder ob 1 ApcIoh apocr gr umgekehrt das CertIesu aufgreift und ausbaut. Zu beachten ist überdies die von der 1 ApcIoh apocr abhängige 2 ApcIoh apocr, die wohl wie sie auf Zyprus verfasst wurde und möglicherweise zwischen dem 6. und 8. Jh. zu verorten ist. 16 Auch die slavischen Johannes-Abraham-Fragen (1 und 2 ErotIohAbr) greifen darauf zurück. 17 Es ist gut möglich, dass 1 ApcIoh apocr zwischen dem Ende des 4. und Anfang des 6. Jh. im östlichen Mittelmeerraum (Zypern/ Syrien) in griechischer Sprache abgefasst wurde ist und nicht allzu lange Zeit danach zum Mo- 14 Weinel, Apokalyptik, 149; Court, Book of Revelation, 25; cf. Bousset, Antichrist, 26. 15 Siehe Kap. IV.4. 16 Nau, Apocalypse apocryphe, 212-214. 17 Siehe die Ausführungen zu „Eleon- und Abraham-Texten“ weiter unten. Altkirchliche Offenbarungsschriften 174 dell für die eng verwandte 2 ApcIoh apocr wurde. Sie war jedenfalls im Byzanz des 10. Jh. bekannt genug, um die Aufmersamkeit der altbulgarischen Kopisten auf sich zu lenken und in ihren Übersetzungskanon aufgenommen zu werden. 18 Slavische Überlieferung Die slavische Überlieferung von 1 ApcIoh apocr umfasst an die 60 Handschriften (gegenüber nur sieben griechischen Kopien), die nahezu vollständig unerforscht sind. 19 Schwierigkeiten bereiten in diesem Stadium die uneinheitliche Kennzeichnung der Codices, die abweichende bzw. oft ausgebliebene Identifizierung der darin enthaltenen Texte sowie die Tatsache, dass nur ein Bruchteil davon in Druckeditionen vorliegt oder überhaupt zugänglich ist. Aus dem derzeit verfügbaren Textmaterial ist jedoch zu erkennen, dass wir es mindestens mit drei kirchenslavischen Apokalypsen zu tun haben, die mit dem Namen des Johannes überschrieben sind. 20 (a) 1 ApcIoh apocr sl Eine erste Gruppe von Texten umfasst die slavischen Versionen der 1 ApcIoh apocr, die unter verschiedenen Titeln begegnen: v]prosi/ v‘prosy (Fragen) oder v]prošeni9/ v‘prošenie (Befragung), slovo/ slovo (Homilie) oder skazni9/ skazanie (Sage, Erzählung), bes7da/ besĕda (Unterredung, Dialog) oder xteni9/ čtenie (Lektüre, Lesung). 21 Hierfür ist eine recht frühe Übersetzung in der Anfangszeit des slavischen Schrifttums (9. bis 10. Jh.) wohl in südlichem Areal (Bulgarien) anzunehmen. 22 Zur Unterscheidung von den anderen sei er zusätzlich als „Tabor-Text“ bezeichnet (Kürzel T1 bis T31). 18 Mit Močul’skij, Sledy, 173-195 und Court, Book of Revelation, 25-29; gegen Whealey, Apocryphal apocalypse, 533-540. 19 Santos Otero, Überlieferung I, 197-209. 20 Gegen Santos Otero, der von nur zwei apokryphen Johannes-Offenbarungen im Kirchenslavischen ausgeht (ibid., 197-198). 21 Močul’skij, Sledy, 173-195 („Apokrifičeskij apokalipsis Ioanna“, „Voprosy Ioanna Bogoslova Gospodu na gore Favorskoj“); Santos Otero, Überlieferung I, 197-209. 22 Petkanova & Miltenova, Eschatologija, 211. Apokryphe Johannes-Offenbarungen 175 Hss. Močul’skij Santos Otero T1 Cod. grec. 70 (Sinai-Palimpsest), Russische Nationalbibliothek Sankt Petersburg, 13.-14. Jh., fol.114 v23 7 T2 Cod. 54 (48), Staatsbibliothek zu Berlin, 14. Jh., fol.51-59 24 S 1 (6) 25 4 T3 Quaternion aus Sbornik des 14. Jh., Russische Nationalbibliothek Sankt Petersburg, Sammlung A.F. Byčkov 26 S 2 (6 2 ) 8 T4 Cod. 79, Bibliothek der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften Sofia, 14. Jh., fol.136-143 v 45 T5 Cod. 162, Staatliches Historisches Moskau, Sammlung A.I. Chludov, 14. Jh., fol.248-252 v27 S 3 (X) 21 T6 Cod. 104, Volksbibliothek Belgrad, 14. Jh., fol.136 ff. S 4 (6 3 ) T7 Cod. 196 (828), Volksbibliothek Belgrad, 1409, fol.75-86 v 2 T8 Cod. 681 (299), Nationalbibliothek Sofia, 15. Jh., fol.66 v 47 T9 Belgrad, Sammlung P.P. Srećković, 15. Jh., fol.14 ff. S 5 (C) T10 Cod. Q-1-32, Russische Nationalbibliothek Sankt Petersburg, 15. Jh., fol.241 ff. R 2 (II) T11 Cod. Nr. 415 (208), Bibliothek der Akademie der Wissenschaften Kiev, 1489, fol.372-375 6 T12 Cod. III.a.43, ehem. Jugoslavische Akademie, Zagreb, 16. Jh., fol.205-215 28 S 6 (3) 55 T13 Cod. 330 (682), Staatliches Historisches Museum Moskau, 16. Jh., fol.364-370 29 R 1 (C 2 ) 23 T14 Cod. 66, Russische Nationalbibliothek Moskau, Sammlung T.F. Bol’sakov, 16. Jh., fol.29 v -34 29 T15 Cod. 309 (68), Nationalbibliothek Sofia, 16. Jh., fol.140 v 50 23 Ibid., S. 66-72; 211 (Übersetzung ins Bulgarische, Anmerkungen). 24 Sreznevskij, Pamjatniki, 406-416; Jagić, Novi prilozi, 74-78; Angelov & Genov, Literatura ... v primeri, 239-249 (Text und Übersetzung ins Bulgarische). 25 „S“ kennzeichnet die südslavischen Hss., die V.N. Močul‘skij auflistet; „R“ die russischen in seiner Liste. 26 Sreznevskij, Pamjatniki, 185-188. 27 Popov, Opisanie, 339-344. 28 Čorović, Apokrifna apokalipsa, 4-51. 29 Tichonravov, Pamjatniki II, 174-181. Altkirchliche Offenbarungsschriften 176 T16 Cod. 329 (310), Bibliothek der Akademie der Wissenschaften Vilnius, 16. Jh., fol. 7 v -53 52 T17 Cod. 639, Staatliches Historisches Museum Moskau, 16. Jh., fol.375-385 30 S 3 25 T18 Cod. 542, Russische Staatsbibliothek Moskau, Sammlung V. M. Undol’skij, 16. Jh., fol.413-425 R 4 32 T19 Cod. Q-1-508, Russische Nationalbibliothek Sankt Petersburg, 16. Jh., fol.119 ff. R 5 T20 Cod. 519 (O.8.30), Museum der Geistlichen Akademie Kiev, 16. Jh., fol.1 ff. R 6 T21 Cod. VII 32 (glag.), ehem. Jugoslavische Akademie Zagreb, 16. Jh., fol.10-15 v 54 T22 Cod. 660 (1519), Russische Staatsbibliothek Moskau, 1640, fol.411 v -419 35 T23 Cod. 205 (I. 365), Volksbibliothek Belgrad, 16.-17. Jh., fol.8-15 3 T24 Cod. 108, Staatliches Historisches Museum Moskau, Sammlung A.I. Chludov, 17. Jh., fol.197-201 37 T25 Cod. 18, Russische Staatsbibliothek Moskau, Sammlung N.S. Tichonravov, fol.63 v -73 42 T26 Cod. 241, Staatliches Historisches Museum Moskau, 17. Jh., fol.39-46 R 7 34 T27 Cod. 889, Russische Nationalbibliothek Sankt Petersburg, 17. Jh., fol.165 v -166 31 S 8 17 T28 Cod. slav. 125, Österreichische Nationalbibliothek Wien, 17. Jh., fol.330 v -339 v S 7 (R? ) 53 T29 Sbornik 17.-18. Jh., Sammlung E.V. Barsov, Staatliches Historisches Museum Moskaj, fol.68-74 39 T30 Ispas’ka rukopis’, L’viv, 18. Jh., fol.12-22 32 20 Add. Cod. 52, Nikoljac-Kloster, Montenegro 33 - - Tabelle 10: Codex-Übersicht zu 1 ApcIoh apocr sl („Tabor-Text“) 30 Ibid., S. 182-192. 31 Porfir’ev, Skazanija, 326. 32 Franko, Apokrifi IV, 258-264. 33 Petkanova & Miltenova, Eschatologija, 211 (ohne nähere Angaben). Apokryphe Johannes-Offenbarungen 177 (b) Bei dieser Gruppe von Texten handelt es sich um eine Erotapokrisis, die aus Fragen des Johannes an Abraham zum Seelenleben im Jenseits besteht (1 ErotIohAbr). 34 Es handelt sich höchstwahrscheinlch um eine slavische Kompilation, die im 11. oder 12. Jh. enstanden ist. 35 Sie sei zur weiteren Abgrenzung als „Abraham-Text“ mit dem zusätzlichen Hss.-Kürzel „A“ eingeführt. A1 Cod. 79, Bulgarische Akademie der Wissenschaften Sofia, 14. Jh., fol.144-148 46 A2 Cod. 330 (682), Staatliches Historisches Museum Moskau, 16. Jh., fol.385 ff. 1 23, 24 36 A3 Cod. 166 (535), Russische Staatsbibliothek Moskau, 16. Jh., fol.115-118 v37 4 27 A4 Cod. 1529, Russische Nationalbibliothek Sankt Petersburg, 16. Jh., fol.70-73 3 11 A5 Cod. 54 (1594), Russische Nationalbibliothek Sankt Petersburg, 16. Jh., fol.175-176 12 A6 Cod. 105 (526), Russische Nationalbibliothek Sankt Petersbur, 16. Jh., fol.65 v -67 13 A7 Cod. 323 (826), Russische Staatsbibliothek Moskau, 16. Jh., fol.823 v -825 v38 2 33 A8 Cod. IV. a.120 (glag.), ehem. Jugoslavische Akademie Zagreb, 16. Jh., fol.27-40 57 A9 Cod. 87 (1615), Russische Nationalbibliothek Sankt Petersburg, 1632, fol.79 v ff. 6 A1 Cod. 824, Synodalbibliothek Moskau, 17. Jh., fol.149 v ff. 5 A11 Cod. 1828 (560), Staatliches Historisches Museum Moskau, Sammlung A.S. Uvarov, 17. Jh., fol.444- 447 38 A12 Cod. 6, Russische Staatsbibliothek Moskau, Sammlung N.S. Tichonravov, 17.Jh, fol.140-142 39 36 A13 Cod. 480, Russische Staatsbibliothek Moskau, Sammlung N.S. Tichonravov, 18.Jh, fol.189-193 44 34 Močul’skij, Sledy, 196-215 („Voprosy Ioanna Avraamu o pravednych dušach“); Santos Otero, Überlieferung I, 197-209. 35 Die Einordnung von V.N. Močul’skij auf russischem Boden im 15. Jh. ist angesichts der engen Verwandschaft mit E und des Vorhandenseins eines südslavischen Textzeugen aus dem 14. Jh. (A1) nicht haltbar. 36 Fol.-Nr. nach V.N. Močul’skij. gibt den Tabor-Text (Nr. 23: fol. 364-370) und den Eleon- Text (Nr. 24: fol. 330-330 v ; fragm.) an, nicht jedoch den Abraham-Text. Die Hs. enthält anscheinend alle drei apokryphen Johannes-Apokalypsen. 37 Tichonravov, Pamjatniki II, 193-196. 38 Varianten bei Tichonravon, Pamjatniki II, 193-196. 39 Tichonravov, Skazanija, 25-28. Altkirchliche Offenbarungsschriften 178 A14 Cod. 211, Russische Staatsbibliothek Moskau, 18. Jh., fol.14-16 40 A15 Cod. 659, Russische Staatsbibliothek Moskau, Sammlung V.M. Undol’skij, 18. Jh., fol.344 41 Tabelle 11: Codex-Übersicht zu 1 ErotIohAbr („Abraham-Text“) (c) Hinzu kommt ein weiteres kompilatives Werk slavischer Herkunft aus der Zeit um das 12. Jh. (2 ErotIohAbr), 40 das 1 ApcIoh apocr sl („Tabor-Text“), 1 ErotIohAbr („Abraham-Text“), 2 ApcIoh apocr sowie weitere biblische und patristische Quellen kombiniert („Eleon-Text“ mit dem Zusatzkürzel E). Das Geschehen ist nicht am Berg Tabor nach Christi Auferstehung und Himmelfahrt situiert, sondern wird am Ölberg als Erscheinung des Auferstandenen inszeniert. Adam wird in den Himmel hinaufgeführt, Abraham mit der Trennung der Seelen beauftragt. Die Eröffnungsfrage nach dem Weltende stellt Petrus als Sprecher und Stellvertreter der Jünger. Nach seiner Entrückung befragt Johannes Abraham und nicht den auferstandenen Jesus. Das Interesse verlagert sich von allgemein-eschatologischen Fragen nach dem Eintreffen der Endzeit hin zu Individualeschatologie, Problemen alltäglichen Umgangs und kirchlicher Disziplin. E1 Cod. 54, Staatsbibliothek zu Berlin, 14. Jh., fol.59 v - 69 1 5 E2 Cod. Sammlung P.S. Srećković, 14. Jh., fol.1-10 41 2 E3 Cod. Q-1-312, Russische Nationalbibliothek Sankt Petersburg, 15. Jh., fol.251 ff. 7 E4 Cod. 3 (387), Zentrales Staatsarchiv für alte Urkunden Moskau, 15. Jh., fol.205-208 42 8 22 E5 Cod. 242 (664), Bibliothek der Akademie der Wissenschaften Sankt Petersburg, 15.-16. Jh., fol.185 v - 193 v 10 E6 Cod. 96, Russische Staatsbibliothek Moskau, 16. Jh., fol.91-95 v43 11 31 E7 Cod. 157 (521), Russische Staatsbibliothek Moskau, 16. Jh., fol.69-75 v44 10 26 40 Močul’skij, Sledy, 216-230 („Voprosy Ioanna Avraamu na Eleonskoj gore“); Santos Otero, Überlieferung I, 197-209. 41 Die ersten fünf Folia dieser ansonsten nicht näher identifizierbaren Hs. sind verderbt - Močul’skij, Sledy, 197. 42 V.N. Močul’skij gibt hierfür die Nr. 1321 (439) an. Die weiteren Angaben (Mosk. Sin. Tipografija; Alter; Anfangsseite; Incipit) legen eine Identifizierung mit der von Santos Otero aufgeführten nahe. 43 Tichonravov, Pamjatniki II, 204-210; Pypin, Knigi III, 117 (nur Anfang der Hss.). 44 Tichonravov, Pamjatniki II, 197-204. Apokryphe Johannes-Offenbarungen 179 E8 Cod. 183 (566), Russische Staatsbibliothek Moskau, 16. Jh., fol.273 v -275 v45 12 28 E9 Cod. 1268, Russische Staatsbibliothek Moskau, Sammlung V.M. Undol’skij, 16. Jh., fol.82-92 9 30 E10 Cod. 330 (682), Staatliches Historisches Museum Moskau, 16. Jh., fol.330-330 v 24 E11 Cod. III.a.43, ehem. Juigoslavische Akademie Zagreb, 16. Jh., fol.176 v -186 3 56 E12 Cod. 326 (509), Nationalbibliothek Sofia, 16. Jh., fol.75-81 49 E13 Cod. 433 (629), Nationalbibliothek Sofia, Ende 16. Jh., fol.116 ff. 46 4 48 E14 Cod. 321, Voksbibliothek Belgrad, 16.-17. Jh., fol.261 v -268 47 5 1 E15 Cod. 637, Russische Staatsbibliothek Moskau, Sammlung V.M. Undol’skij, 17. Jh., fol.8 ff. 48 13 E16 Cod. F-1-258, Russische Nationalbibliothek Sankt Petersburg, 17. Jh., fol.217 v -224 49 14 15 E17 Cod. 889, Russische Nationalbibliothek Sankt Petersburg, 17. Jh., fol.159.160 v -165 v50 15; 16 16 E18 Cod. 108, Staatliches Historisches Museum Moskau, Sammlung A.I. Chludov, 17. Jh., fol.228 ff. 17 E19 Cod. 1056, Nationalbibliothek Sofi, 18. Jh., fol.6 v - 13 v 51 E20 Bosnisch-serbischer Sbornik aus dem 18. Jh., fol.106 v ff. 51 6 Tabelle 12: Codex-Übersicht zu 2 ErotIohAbr („Eleon-Text“) Bedeutung der 1 ApcIoh apocr Die 1 ApcIoh apocr ist eine Offenbarungsschrift, die sich einem zentralen Thema widmet - der Endzeit, ohne jedoch zeitgenössische Ereignisse in einem eschatologischen Lichte zu betrachten. Zu diesem Zweck wird der eigene 45 Ibid., S. 210-212. 46 Nach den Angaben von Močul’skij handelt es sich wohl um den Sbornik von Panagjurischte (Conev, Opis, 446), der auch CertIesu enthält. A. de Santos Otero gibt hierfür die Foliennummern 159 v -166 v .117-125 an. 47 Zerstört beim Brand der Belgrader Nationalbibliothek im Jahre 1941. 48 Vergleichsmanuskript zu Cod. 96, abgedruckt bei Tichonravov, Pamjatniki II, 204-210. 49 Pypin, Knigi III, 113-116. 50 Porfir’ev, Skazanija, 311-325 (hier befinden sich offenbar zwei verschiedene Fassungen des Textes). 51 Nach Angaben von M. Speranskij bei V.N. Močul’skij angeführt; nicht näher identifizierbar. Altkirchliche Offenbarungsschriften 180 Entwurf mit Schriftzitaten zu einer neuartigen apokalyptischen Entität verwoben. 52 Bereits durch die Titulierung mit „Johannes der Theologe“ wird explizit Anspruch auf die „Urheberrechte“ gemeldet. Die Kulissen der eröffnenden und abschießenden Offenbarungsszenerie sind der Verklärungsgeschichte (Mk 9,2-13par) entliehen, von allen Jüngern ist jedoch allein Johannes präsent. Die Porträtierung des Antichrist nimmt sich als illustrierende Interpretation zu 1 Joh 2,18.22; 4,3; 2 Joh 7 aus - den einzelnen neutestamentlichen Belegstellen, wo dieser Terminus überhaupt vorkommt. Die Referenzebene zur Offb ist bereits mit der Adoption der Gattung gegeben und setzt sich auch auf stilistischer Ebene mit der Übernahme motivischer Strukturen wie der Öffnung der sieben Siegel des himmlischen Buches (Offb 5,1-6,17; 8,1- 5 vs. 1 ApcIoh apocr 18) fort. Kernstück der 1 ApcIoh apocr ist die detaillierte Schilderung der letzten Dinge, die in ihrer Gesamtheit einen detaillierten Fahrplan der auf ihren Endpunkt zulaufenden Geschichte ergibt. Die einzelnen Stationen, schon in kanonischen Referenztexten der Offb, der synoptischen Apokalypse Mk 13par und des 2 Thess 2,1-12 genannt, erfahren hier weitere Entfaltung, Präzisierung und Konkretisierung. Das so gebildete umfassende Tagma der Endereignisse wird anscheinend in den byzantinischen Daniel-Apokalypsen, die mit dem Erscheinen von Henoch und Elija aufhören, vorausgesetzt; 53 es wird aber auch in einzelnen Entlehnungen direkt aufgegriffen (cf. 2 ApcIes 13,1-14,4; 18,3). 52 Court, Book of Revelation, 165-167 (Liste biblischer Zitate). 53 Siehe Kap. V.2-4; X.4-7. V. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik Die altslavische Eschatologie ging aus der byzantinischen hervor, so wie die frühen slavischen Literaturen größtenteils als Übersetzungen aus dem byzantinischen Griechisch entstanden. Nun ist die byzantinische Apokalyptik als Ganzes bislang nicht zusammenhängend untersucht worden, es fehlt ebenso eine systematische Zusammenstellung der Quellen und eine Auswertung ihrer Rolle innerhalb des Systems der byzantinischen Literatur. 1 Die behandelten Apokalypsen sind in diesem Zusammenhang in zweifacher Hinsicht interessant, da sie uns sowohl einen Einblick in die Mentalitätsgeschichte der Südslaven gewähren als auch Rückschlüsse auf die griechischen Vorlagen erlauben und belegen, wie sie in einem nicht-byzantinischen Kontext angeeignet wurde. Im Folgenden wird zuerst der „horizontale“ Typus von Eschatologie betrachtet, der sich Themen einer „politischen Mystik“ zuwendet. Ein zentraler Vertreter dieses Genres ist die „Offenbarung des Pseudo-Methodius“, die eine einschneidende Wende markiert und zur Blaupause für eine eigene Textform wird. Die zahlreichen kirchenslavischen Verästelungen des Pseudo-Methodius werden genauer beleuchtet, im Anhang wird eine davon in eigener Übersetzung beigefügt. Im Anschluss werden die politisch-eschatologischen Zeitkommentare beleuchtet, die unter dem Namen von Daniel verfasst wurden („politische Apokalyptik“). Sie waren ein Kristallisationspunkt sowohl biblischer Eschatolgie (Danielbuch) als auch der Geschichtstheologie des Pseudo-Methodius und verraten ein waches Interesse am Zeitgeschehen, das in ein endzeitliches Licht getaucht wird. Die Analyse der Texte liefert eine Reihen aufschlussreicher Dettails: (1) Die Evidenz für eine zusammenhänge Sammlung von Daniel- Apokalypsen in Byzanz wird dahingehend untersucht und positiv beschieden; (2) für einen der kirchenslavischen Texte („Deutung Daniels“) wird ausgeführt, dass er als Kommentar und „zweiter Band“ einer vorausgegangenen Daniel-Apokalypse entstanden ist; (3) eine Fassung der „letzten Vision Daniels“ (4 ApcDan sl Dr) wurde offenbar von einem Augenzeugen der Ereignisse von 1204 redigiert und erweitert, so dass sie nicht nur eine apokalyptische Reflexion über die Eroberung von Konstantinopel darstellt, sondern womöglich zu den „echten“ Quellen darüber zu zählen ist. 1 Einige Vorarbeit hierzu wurde schon geleistet; cf. Brandes, Endzeitvorstellungen, 9-62; Brandes, Apokalyptische Literatur, 305-322; 367-370; Brandes, Apokaliptičeskaja literatura, 116-122; ebenso Olster, Byzantine apocalypses, 48-73. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 182 Die fraglichen Offenbarungsschriften wurden nach ihrer Übersetzung im 10. Jh. überarbeitet und an die politische Wirklichkeit im bulgarischen Südwesten im 11. Jh. angepasst. 2 Ein geographischer Schwerpunkt bildete die Region zwischen Serdica und Thessaloniki, insbesondere die Ortschaften Strumica und Glavinica, die des Öfteren genannt werden. Ein starker Auslöser für die endzeitliche Phantasie war indes der Aufstand von Petăr Deljan gegen die byzantinische Herrschaft in den Jahren 1040-1041; wirtschaftliche Not und Einfälle fremder Ethnien taten ihr Übriges dazu. Diese traumatischen Erfahrungen wurden im Spiegel eines „apokalyptischen Formulars“ reflektiert und verarbeitet. Damit wären jene Offenbarungsschriften unter dem Namen von Daniel (Byzanz) und Jesaja (bulgarische Terrtitorien) treffend zusammengefasst, die ausgehend von einer schematischen Grundstruktur auf drängende Fragen der Gegenwart eigene Antworten formulieren. Abbildung 4: Bezugsebenen der byzantinisch-slavischen Daniel-Apokalypsen 2 Cf. Miltenova, Paratextual literature, 267-284; Miltenova, Historical apocalypses, 706-729 1. Offenbarungen des Pseudo-Methodius Die dem heiligen Methodius, Bischof von Patara (†311) zugeschriebene Offenbarungsschrift ist eine in apokalyptischen Bildern entfaltete Antwort auf die Verwerfungen und Existenzängste, die durch die Expansion des Islam im 7. Jh. unter orientalischen Christen hervorgerufen wurden. Der Text erlebte eine erstaunliche Karriere. Ursprünglich als pseudonymes Werk eines unbekannten syrischen Mönches abgefasst, wurde er recht bald ins Griechische und Lateinische, sodann in eine Vielzahl von Sprachen (Kirchenslavisch, Äthiopisch, Aramäisch, Arabisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Katalanisch und Niederländisch) übertragen und erfuhr eine immense Verbreitung in Nahost, Byzanz und dem okzidentalen Europa. 1 Die Offenbarung des Pseudo-Methodius gehört aber nicht nur dem Verbreitungsgrad nach, sondern vor allem inhaltlich zu den einflussreichsten apokalyptischen Texten der mittelalterlichen Literatur überhaupt. Das darin entfaltete weltgeschichtliche Modell umfasst Urzeit und Endzeit und verknüpft historische und mythische Ereignisse zu einer zusammenhängenden Erzählung, in welcher Vergangheit und Zukunft ineinander übergehen. Die historische Gegenwart, die im Zeichen des Islam steht, wird als eine von tiefen Krisen erschütterte Zeit erlebt. Sie wird jedoch als eine nur vorübergehende Episode im endzeitlichen Drama gedeutet, die mit dem siegreichen Auftritt des letzten christlichen Kaisers enden wird. Dadurch gehört der Text in den breiteren Kontext christlicher Zeugnisse, die die intensive theologische Auseinandersetzung mit dem frühen Islam widerspiegeln. 2 Inhalt In der syrischen Urfassung sowie im Großteil der frühen Übersetzungen zerfällt das Werk in zwei Erzähleinheiten, die sich klar voneinander abgrenzen, zugleich aber aufs engste aufeinander beziehen. 3 Das erste Teil ist retrospektiv der mythischen Vergangenheit zugewandt (1,1-10,6). Der zweite Abschnitt 1 Reinink, Apokalypse I (syrischer Text), Reinink, Apokalypse II (Übersetzung und Kommentar); Aerts & Kortekaas, Apokalypse I (griechischer und lateinischer Text); Aerts & Kortekaas, Apokalypse II (Kommentar); eine sehr gute Zusammensfassung liefert McGinn, Visions of the End, 70-76. 2 Zum Hintergrund siehe Hoyland (ed.), Early Islam (2015); Tolan, Saracens (2002); Lilie, Reaktion (1976); Constantelos, Conquests, 325-357; zum eschatologischen Kontext siehe Hoyland, Survey, 257-335 („apocalypses and visions“); 257-259 (Einführung); 263-267 (zum Pseudo-Methodius); 267-270 (edessenisches Fragment); 295-297 (RevPsMeth gr). 3 Gegen Alexander, Psevdo-Mefodii, 21 (Annahme eines dreigliedrigen Aufbaus); cf. Lolos, Apokalypse, 9 (Tempuswechsel in beiden Abschnitten von RevPsMeth gr: Praeteritum/ Perfekt im historischen Teil, Praesens/ Futur im prophetischen Teil). Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 184 ist eine prophetische Schau des endzeitlichen Entscheidungskampfes (11,1- 14,14). Der Übergang zwischen Geschichte und Eschatologie liegt mitten in der Erzählzeit des pseudonymen Verfassers. Sie liegt im ausgehenden siebten Jahrhundert, eine Periode drastischer Umbrüche im Mittelmeerraum, Balkan, Kleinasien und Europa, die aus christlicher Sicht gewiss die Zeichen der anbrechenden Endzeit verriet. Das so angelegte Erzählgerüst wird mit einer kunstvoll gewobenen Argumentation überzogen, für welche der Autor sowohl auf Chronologie, Genealogie und Typologie zurückgreift als auch eigene Schriftauslegung am syrischen Bibeltext betreibt. Die Erfolge des Islam erscheinen im Deutungssystem des Autors als eine Prüfung für den Glauben, die dem jüngsten Gericht vorausgeht. Grundlegend für die Argumentationsstruktur sind folgende Eckpunkte: Schriftzitate: Zentral in der Beweisführung des Pseudo-Methodius ist die Auslegung von Ps 68,31 in der Fassung der Pešitta: „Kusch wird die Macht Gott übergeben“ (8,1-9,9). Mittels einer Kette genealogischer Herleitungen wird dieser Vers auf das Königreich der Griechen bezogen (Kusch-Alexander der Große-Buz-Byzantia-Romulus). Die aufhaltende Größe von 2 Thess 2,2 (κατέχων resp. κατέχον) ist das Byzantinische Reich, welches siegreich ist und einzige legitime Macht bleibt. Der Sohn des Verderbens wird nicht offenbar werden, solange Priestertum, Königtum und das heilige Kreuz in Byzanz Bestand haben (10,1-6). Der syrische Begriff mardūta (gr. ἀποστασία) wird in der doppelten Bedeutung von „Kasteiung“ und „Abfall“ aufgegriffen. Chronologie: Pseudo-Methodius ordnet sein Werk unter Rückgriff auf das Schema der Weltwoche (Sieben-Tage-Modell der Weltgeschichte) und der Vier-Reiche-Abfolge nach dem Danielbuch 2 und 7 an. Typologien: Die Ismaeliten werden vom Endkaiser bezwungen werden (11,1- 18; 13,11-18) wie die Midianiter von Gideon (5,1-9); die unreinen Völker, die von Alexander dem Großen hinter den Toren des Nordens eingeschlossen wurden (8,3-10), sollen von Engeln vernichtend geschlagen werden (13,19-21) Dämonisierung des Fremden: Die Muslime werden in drastischen Bildern zum Abbild des Bösen stilisiert. Ein wiederkehrendes Motiv ist indes die Verletzung alttestamentlicher Tabus: „sie gingen nackt, und sie aßen Fleisch aus Fleischschalen und tranken Blut von Tieren mit Milch“ (5,3). Ihre Grausamkeit übersteigt alles Dagewesene: „Sie werden die schwangeren Frauen aufreißen und die Säuglinge den Armen ihrer Mütter entreißen und wie unreine Tiere an die Felsen schlagen“ (11,17). Damit knüpft er an seine Zeitgenossen an. In einer apokalyptischen Homilie aus dieser Zeit, die Ephraem Syrus zugeschrieben ist, wird über die Muslime berichtet: „Sie werfen das Kind weg von seiner Mutter und jagen seine Mutter in die Gefangenschaft. Und das Kind schreit vom Boden her, die Mutter hört es, doch was soll sie tun? Und es wird zertreten von den Hufen der Pferde und der Kamele … Sie trennen die Kinder von Offenbarungen des Pseudo-Methodius 185 der Mutter wie die Seele vom Leib, und sie muss zusehen, wie man ihre Geliebten aus ihrem Schoss entfernt und verteilt: Zwei ihrer Kinder für zwei Herren, und sie selber für einen anderen Herrn. Und sie und ihre Kinder werden verteilt, um für die Räuber Sklaven zu sein. Schluchzend klagen ihre Kinder und Tränen entzünden ihre Augen. Und sie wendet sich ihren Geliebten zu, und Milch fließt aus ihrer Brust … Auch die Mütter wird man töten, während sich ihre Kinder an ihre Brust klammern, und durchdringend wird die Stimme der Kinder sein in leidvollem Schluchzen.“ (aus „Rede des heiligen Mar Ephraem, des syrischen Lehrers, über das Ende und die Vollendung, das Gericht und die Vergeltung, und über Agog (sic! ) und Magog und über den falschen Messias“.) 4 Das urzeitliche Übel, das in der Endzeit aufsteht: Noch drastischer fällt die Porträtierung der „unreinen Völker“ in Pseudo-Methodius aus. Als Alexander der Große auf sie stößt, erlebt er, wie sie „das Gewürm der Erde aßen, Schlangen und Skorpione, Mäuse und Hunde und Katzen und Tiere und tote und unreine Körper und Fehlgeburten des Viehs zusammen mit unreinen Nachgeburten und toten Körpern der Tiere … und die Leibesfrüchte, die die Frauen abtrieben, wie eine Delikatesse aßen.“ (RevPsMeth syr 8,4). In der Endzeit steigert sich das ins Extreme: „ … und diese [Völker] werden Kinder vor den Augen ihrer Eltern essen, weil diese Völker, die vom Norden ausziehen werden, das Fleisch der Menschen essen und das Blut der Tiere wie Wasser trinken und das Gewürm der Erde und Mäuse und Schlangen und Skorpione und alle unreinen Reptilien, die auf der Erde kriechen, und die toten Körper von unreinen Tieren und die Fehlgeburten des Viehes essen. Und sie werden Kinder schlachten und (sie) ihren Müttern geben und sie dazu zwingen, die Körper ihrer Kinder zu essen. Und sie essen tote Hunde und Katzen und jede Unreinheit. Und sie werden die Erde verheeren, und keiner wird ihnen widerstehen können.“ (RevPsMeth syr 13,20). Damit beschwört Pseudo-Methodius eine klassische Gedankenfigur der Apokalyptik herauf, die sowohl im Neuen als auch im Alten Testament gegenwärtig ist. Die jetzigen Leiden sind erst der Auftakt, der „Anfang der (Geburts-) Wehen“ (Mk 13,8). Es ist also Ausharren angesagt: „Wer aber beharrt bis an das Ende, der wird selig“ (Mk 13,18), denn aus den Trümmern des Alten wird das Neue entstehen. Die Wende kommt jedoch „ohne Zutun von Menschenhand“ (Dan 2,34) - erst durch eine göttliche Intervention (Menschensohn-Endkaiser-Erzengel). Diejenigen, die sich bewährt haben, erhalten himmlischen Lohn, und die vom Glauben Abgefallenen werden ihrer gerechten Strafe zugeführt. 4 Cf. Beck, Sermones III,1 (Textausgabe); Beck, Sermones III,2 (Übersetzung des fraglichen Abschnittes auf S. 82-83); ferner Suermann, Reaktion, 16-18 (deutsche Übersetzung); Hoyland, Survey, 260-262 (englische Übersetzung). Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 186 Eine herausragende Rolle spielt im Pseudo-Methodius das Motiv der wiederholten Heimsuchung, die sich gewissermaßen „parallel“ in Urzeit, Jetztzeit und Endzeit ereignet. Die Funktion der Unheilsrhetorik ist allerdings nicht zu erschrecken, sondern Zuversicht und Trost zu vermitteln. Das Leid soll erst ähnlich einer Woge eine letzte Steigerung erreichen, bevor es abebbt, und dies wird auch jetzt geschehen, wie es schon geschehen ist. Eine Hauptsorge des Pseudo-Methodius besteht indes darin, der Konversion zum Islam vorzubeugen, die vielen Christen wegen der damit einhergehenden Befreiung von der Kopfsteuer durchaus verlockend erschien. 5 Enstehungsverhältnisse Die Offenbarung des Pseudo-Methodius ist tief in der syrischen Tradition verwurzelt. 6 Sie gehört zu einem Zyklus verwandter Schriften, die sich in apokalyptischer Manier mit der Verbreitung des Islam auseinandersetzen. Das sind neben der bereits erwähnten Homilie Pseudo-Ephraems die sog. „Edessenische Apokalypse“, das „Evangelium der zwölf Apostel“, die „Disputation zwischen einem Mönch des Klosters von Bēt Hālē und einem arabischen Prominenten“ und die sog. „Bahira-Legende“. 7 Der unbekannte Verfasser schöpft mit beiden Händen aus der syrischen Überlieferung. 8 Zu seinen wichtigsten Quellen zählt die syrische Schatzhöhle, aus welcher das zentrale Schema der sieben Jahrtausende stammt. 9 Maßgeblich für die Enstehung der Endkaiserlegende sind syrische Überlieferungen um Alexander den Großen sowie der syrische Julian-Roman. 10 Die syrische mēmrā-Gattung (prosaische Homilie) verweist ebenfalls hierher. 11 Die Schriftzitate, ihre Umdeutung, und Auslegung erfolgen stets nach der Pešitta. 12 Der zentrale Anhaltspunkt zur Datierung des Textes ist die mit zehn Jahrwochen angegebene Dauer der muslimischen Heimsuchung (10,6; 13,2). Nimmt man an, dass diese Periode mit der hiğra als Ausgangspunkt der islamischen Zeitrechnung im Jahre 622 zu beginnen hat, lässt sich die Niederschrift auf die Jahre 691-692 eingrenzen. 13 Zur Lokalisierung der Abfassung 5 Reinink, Apokalypse II, XL. 6 Aerts & Kortekaas, Apokalypse I, 1-2. 7 Reinink, Apokalypse II, XLI-XLV. 8 Ibid., S. VIII; XXXIV-XXXVI. 9 Ri, Caverne I (Textausgabe); Ri, Caverne II (Übersetzung ins Französische); Ri, Commentaire (2000); cf. Kötting, Endzeitprognosen, 125-130 (apokalyptische Periodisierungssysteme und Berechnungen); Podskalsky, Reichseschatologie, 92-94 (Berechnungen der Weltdauer in Byzanz). 10 Reinink, Apokalypse II, XXIV-XXV, Anm. 127; 130; ausführlich zum Ganzen Möhring, Weltkaiser (2000). 11 Reinink, Apokalypse II, XXIX; 1, Anm. 2. 12 Ibid., S. XXXVII. 13 Ibid., S. XII-XIII; XV-XXV. Offenbarungen des Pseudo-Methodius 187 gibt die in der Überschrift erwähnte Ortschaft Sinğār Aufschluss. Dafür kommt eines der syrischen Klöster in der Nähe des Berges oder der nahe gelegenen gleichnamigen Stadt in Nordmesopotamien (heute Nordirak) in Frage. 14 Überlieferung Zugleich fällt die syrische Überlieferung weit hinter den anderen zurück, was Anzahl und Alter der Manuskripte betrifft. Die fünf erhaltenen Abschriften verteilen sich auf das 13., 14., 16., 19. und gar 20. Jh. und gehen auf zwei Rezensionen (V und M) zurück, die über Zwischenstufen zur nicht mehr greifbaren ursprünglichen Fassung hinaufführen. 15 Hiervon leitet sich über etwaige Vermittler hypothetischer Natur die griechische, davon dann die lateinische Übersetzungstradition ab, die in ständigem Fluss blieben und mehrere Textformen hervorbrachten. 16 Beides entstand bereits wenige Jahrzehnte nach dem syrischen Urtext. So stammt das früheste lateinische Manuskript aus dem Jahre 727, weitere Referenztexte ebenso aus dem 8. Jh., sodass für die vorausgegangene griechische Übersetzung in etwa das erste Dezennium desselben Jahrhunderts anzusetzen ist. 17 Hieraus verzweigten sich insgesamt vier griechische Rezensionen, derer erste auch die längste ist. Sie gibt bis auf einige Anpassungen an das griechische Publikum im prophetischen zweiten Tei durchaus getreu das syrische Original wieder. 18 Die restlichen Redaktionen sind mit etwa 70 Hss. vertreten. 19 Sie fallen kürzer aus und zeichnen sich dadurch aus, dass sie recht frei mit dem vorliegenden Material umgehen. Die letzte lässt beispielsweise die historische Introduktion komplett aus und enthält nur die apokalyptische Schau der letzten Dinge. 20 Die Liste der Epitomai umfasst an die fünfzehn Handschriften, hauptsächlich aus dem Athos und den Meteora-Klöstern, die den Text in erotapokritischer Form darbieten. 21 Die lateinische Übertragung folgt in nahezu sklavischer Manier und mit einigen Fehlübersetzungen der griechischen Vorlage, wodurch sie aber recht verlässlich eine frühe Textstufe wiedergibt. Sie war das Werk eines unbekannten Mönch - eines gewissen Petrus Monachus, der die Offenbarung wohl 14 Ibid., S. XXVII-XXIX. Heute ist das ein jessidisches Gebiet. 15 Reinink, Apokalypse I, XIV-XXI (Manuskriptenliste); XXI-XXIV und XXV-XXXI (Verhältnisbestimmung). 16 Ibid., S. XXXI (Stemma/ Stammbaum der Manuskripte und ihrer hypothetischen Vorlagen). 17 Aerts & Kortekaas, Apokalypse I, 16. 18 Ibid., S. 8; 11-14. 19 Ibid., S. 8, Anm. 22. 20 Lolos, Redaktion, 10-11. 21 Lolos, Apokalypse, 36. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 188 zwischen 710-720 in einem der Klöster im südfranzösischen oder norditalienischen Areal übertrug. 22 Die chronologische Verteilung der griechischen und lateinischen Manuskripte und ihre Zugehörigkeit zueinander stellen sich folgendermaßen dar: 23 Griechische Redaktionen Lateinische Texte 1. 24 2. 25 3. 4. Insgesamt 220 Hss. in vier Rezensionen. Ca. 50 davon entfallen auf die erste (Hss. PBGV stammen aus dem 8. Jh., der Rest aus dem 12.-13. Jh.). Die überwiegende Mehrheit der Textzeugen ist der zweiten Redaktion zuzurechnen. 26 14. Jh. G I 15. Jh. B R N V E T A U 16. Jh. M D O L X C H S 17. Jh. Q J F P K 18. Jh. W W 1 W 2 Y Z Tabelle 13: Griechische und lateinische Textüberlieferung des Pseudo-Methodius Die slavischen Texte Die kirchenslavische Überlieferung des Pseudo-Methodius ist außerordentlich reichhaltig, jedoch weitgehend unerforscht. Eine der wichtigsten Untersuchungen stammt noch immer aus dem Jahre 1897. 27 Neues Material 22 Ibid., S. 28-31. 23 Nach Lolos, Apokalypse und Lolos, Redaktion (W.J. Aerts und G.A.A. Kortekaas befassen sich nur mit der ersten Redaktion). 24 Hierher wären noch folgende Manuskripte aus den Athos-Klöstern zu zählen: Dochiariou 197 (Lambros 1871.2), 15. Jh.; Lavra 14 (Eustrat. 876), 16. Jh.; Kutlumusiou 251 (Lambros 3324.8), 17. Jh. - Lolos, Apokalypse, 32. 25 Wohl noch folgende Hss.: Cod. Cantabrig. Trin. O, fol. 28v-42, 15. Jh. (BHG Nr. 2036a); ibid., S. 35. 26 Aerts & Kortekaas, Apokalypse I, 19; 31-34; 48-57. 27 Bis heute grundlegend sind die Arbeiten von Istrin, Otkrovenie I, 5-250 (detaillierte Analyse der griechischen, lateinischen und slavischen Texte des Pseudo-Methodius) und Istrin, Otkrovenie II, 5-131 (griechische, lateinische und slavische Textausgaben). Offenbarungen des Pseudo-Methodius 189 hierzu wurde erst vor wenigen Jahren publiziert. 28 Bis heute fehlt eine umfassende Darlegung der vielfältigen Verzweigungen des Textes innerhalb der Slavia Orthodoxa. Nachfolgend wird daher eine Systematik der Textrezeption vorgeschlagen, die vorläufigen Charakter hat und weiter vervollständigt werden soll. (a) RevPsMeth sl 1 Presl: Die erste Übersetzung des Pseudo-Methodius wurde wohl schon im 10. Jh. in Bulgarien und zwar im Kreis der sog. Preslav-Schule angefertigt, wie dies aus slavistischen Studien neueren Datums hervorgeht. 29 Kennzeichnend hierfür ist der recht freie Umgang mit ihrer Vorlage, die sinngemäß und gewissermaßen „kreativ“ wiedergegeben wird. 30 Die griechische Vorlage ist zwar älter als die erhaltenen griechischen Texte, jedoch späteren Datums gegenüber der Vorlage der lateinischen Übersetzung. Sie ist der von V.M. Istrin umrissenen zweiten Hss.-Gruppe der ersten griechischen Redaktion zuzurechnen. 31 Während V.M. Istrin 38 Mss. auflistete, wurden 1983 weitere fünfzehn Kopien aus der Sammlung altrussischer Texte (Древлехранилище) des IRLI (Institut für russische Literatur, Sankt Petersburg) publik. 32 Wichtige Textzeugen sind: - Cod. 382 (453), Chilandar-Kloster, 13.-14. Jh. (= Chil 382) 33 - Cod. 54 (48), Berliner Staatsbibliothek, 13.-14. Jh. (= Berl 54) 34 - Cod. 591, Synodalsammlung Moskau, 15.-16. Jh. (= Syn 591) 35 - Cod. 149, Nationalbibliothek Belgrad, 17. Jh. (= Belgr 149) 36 - Cod. 64, Sammlung Bogoslovskij, IRLI, Ende 19. Jh., f 27v-33 (= Bogosl 64b). 37 28 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 162-181 (Ausgabe von RevPsMeth sl Dr); cf. eaedem, Apocalyptic literature, 218-256 (englische Fassung). 29 Jovčeva & Tasseva, Dvata prevoda, 22-45. 30 Ibid., S. 25-39; cf. Istrin, Otkrovenie I, 122-139 (Punkte I bis VII). 31 Istrin, Otkrovenija I, 44; 64; 69. 32 Litvinova, Spiski, 382-390. 33 Lavrov, Teksty, XXV-XXVI, 6-22 (Textausgabe). Die Handschrift wurde erstmalig 1894 beschrieben - Istrin, Otčet, 48-63; Deskription bei Chilendarec, Rukopisy, 20-21 (Chil 24); Matejć, Slavic Codices, 32 und Bogdanović, Katalog, 150-151; Datierung bei Ivanova, Prepis, 57-96, insb. S. 59. Cf. ferner Istrin, Otkrovenie I, 145-147 (Datierung ins 12.-13.Jh; Beurteilung als serbische Redaktion eines bulgarischen Originals) und Istrin, Otrkovenie II, 84-101 (Textausgabe). 34 Chil 382 (hier noch 24) bildet die Grundlage für die Textausgabe in Istrin, Otkrovenie II, 84-101 (Berl 54 unter der Zählung 48 wird im apparatus criticus zum Text von Chil 382 unter der Zählung 24 berücksichtigt). Cf. Miklas, Sbornik (Facsimile-Ausgabe des Berliner Codex). 35 Tichonravov, Pamjatniki II, 268-281 (Text); Istrin, Otkrovenie I, 147-148 (Analyse). 36 Istrin, Otkrovenie II, 84-101 (apparatus criticus). 37 Litvinova, Spiski, 383. Die Überschrift lautet „Kniga zerzalo duša zritel’naja. Skazanie Mefodija Patarskago o hodjaščich byti v poslednija dni vel’možach“ (in etwa „Buch des Seelenspiegels. Homilie des Mefodij von Patr von den Herrschern der letzten Tage“). Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 190 - AX-Fragment, Nationalbibliothek Belgrad 38 (b) RevPsMeth sl 2 Presl: Eine zweite, wortgetreue Übertragung fand im 10. Jh. auf bulgarischem Boden statt. Sie ist ebenso wie RevPsMeth sl 1 Presl der Produktion der Preslav-Schule zuzuordnen. 39 Zu diesem Schluss gelangte A.N. Šachmatov, der erkannte, dass Pseudo-Methodius in der Nestor-Chronik verarbeitet wurde (Kompilation vor 1116). 40 Aufbauend auf der Argumentation von P.I. Potapov, der in einigen Lesarten der interpolierten Redaktion mehr Nähe zur Nestor-Chronik sah denn in Istrins erster und zweiter Übersetzung, 41 verwies A.N. Šachmatov auf den Pseudo-Methodius-Text im Corpus des sog. „Voskresenskij Novojerusalimskij Chronograf“ (Cod. 154 des Neujerusalemer Auferstehungsklosters, f.730-742), den er als eine eigene Übertragung identifizierte. 42 P. Penkova addierte hierzu eine Abchrift aus Cod. 147 der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen aus dem Jahre 1676, f.575-586. 43 Fr.J. Thomson verglich den Text mit den beiden Übersetzungen, die V.M. Istrin rekonstruiert hatte, und konnte seine Existenz schon für das 11. Jh. belegen. 44 (c) RevPsMeth sl Fil: Eine dritte, wörtliche Übersetzung entstand noch vor dem Jahre 1345 auf bulgarischem Territorium. Frühester Textzeuge ist der vom Priester Filip in den Jahren 1344-1345 verfasste Sammelcodex, der im Auftrag des bulgarischen Königs Ivan Alexander (1331-1371) verfertigt wurde und ihm gewidmet ist. 45 Ob diese Übertragung tatsächlich aus der Feder von Priester Filip stammt, ist nicht erwiesen; über ihre Einordnung allerdings (südslavisch, 14. Jh.) besteht so weit Konsens. 46 Folgende Hss. gehören hierzu: 38 Erschienen in Russkij filologičeskij vestnik 1 (1882), 7. 39 Jovčeva & Tasseva, Dvata prevoda, 23ff.; cf. Slavova, Art. „Škola“, 367-368. 40 Šachmatov, Povest', 92-103 (Punkt 8: „Otkrovenie Mefodija Patarskogo“); gegen Istrin, Otkrovenie I, 142-145, der von nur einer Erstübersetzung ausging. 41 Potapov, K voprosu, 81 ff.; cf. Šachmatov, Povest‘,93ff. 42 Es handelt sich um eine unveröfentlichte Abschrift des sog. „Russischen Chronographen aus dem Jahre 1512“, die aus dem 16.-17. Jh. stammt; cf. Šachmatov, Povest‘, 94-97; 144- 145, Anm. 9. 43 Penkova, Prevodi, 102-113. 44 Thomson, Translations of Pseudo-Methodius, 143-173, insb. S. 145-150; Textedition S. 156-173. 45 Derzeit Cod. 38 des Staatlichen Historischen Museums Moskau. Cf. Joneva, Art. „Filip“, 486 (Inhalt des Sammelcodex) und Dujčev, Knižnina II, 129-130 (Text der Widmung). 46 Cf. Istrin, Otkrovenie I, 156-174 (zum Text); Istrin, Otkrovenie II, 102-114 (Ausgabe von Chil 179). Offenbarungen des Pseudo-Methodius 191 Istrin 47 Litvinova 48 14. Jh. Cod. aus der Sammlung AlI. Jacimirskij, 14.-15. Jh. (= Jac MB) 15. Jh. Cod. 682, Synodalsammlung, Moskau (= Syn 682) 49 16. Jh. Cod. 179, Athos-Kloster Chilendar (= Chil 179) Cod. 770, Troicko-Sergieva Lavra, Auslassungen (= TSL 770) Cod. 329 (1426), Kirchlich-Historisches Museum der Geistlichen Akademie Kiev (= Kiev 329) 17. Jh. 18. Jh. Cod. 448 (916), Archiv des russischen Außenministeriums, Moskau (= Arch 448) Cod. 410, Kirchlich-Historisches Museum der Geistlichen Akademie Kiev, f.118-123, fragmentarisch (= Kiev 410a) Cod. 2054 (nach Arch. Leonid), Sammlung Uvarov, f.116-122, Exzerpte (= Uv 2054) Cod. 48, Fonds „Sonderzugänge“ op.24, Titel „Des Mefodij aus Perm Rede / slovo/ von dem zweiten Kommen Chrisit, und vom Antichrist, und von seiner verderblichen Verführung, und von den fünfzehn Zeichen, die dem jüngsten Tage vorausgehen“ (= Op 24 Nr 48) Cod. 36, Ust’-Cilemsk-Sammlung, Ende 18. Jh., Titel „Homilie des heiligen Märtyrers Mefodij, Bischof von Patr“ (= UC 36) 19. Jh. Cod. 50, Sammlung Amosov- Bogdanova, Anfang 19. Jh., Titel „Aus unseres heiligen Vaters Mefodij, Bischof von Patr, Rede von der Herrschaft der Völker der letzten Zeiten“ (= AB 50) Cod. 67, Ust’-Cilemsk-Sammlung, 2. Hälfte 19. Jh., Titel „Buch des Mefodij von Patr: Rede von der Herrschaft der 47 Ibid., S. 156-157. 48 Litvinova, Spiski, 383 (Aufzählung der Hss.; Nähe von AB 50, AB 112 und Mez 24 zu Chil 179); 384-385 (Besonderheiten; Randglossen in AB 50). 49 Tichonravov, Pamjatniki II, 226-248 (Ausgabe zusammen mit dem Text aus dem Codex des Priesters Filip). Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 192 Völker der letzten Zeiten, bekannt als Sage vom ersten Menschen an hin zur Vollendung des Zeitalters“ (= UC 67) Cod. 112, Sammlung Amosov- Bogdanova, Ende 19. Jh., Überschrift identisch mit AB 50 Cod. 485, Severodvin-Sammlung, Ende 19. Jh., Titel „Aus der Rede unseres heiligen Vaters, Bischof von Patr“ (= Severodv 485) 20. Jh. Cod. 24, Mezen-Sammlung, Anfang 20. Jh., Titel „Übernommen <wurde> diese Homilie aus einem alten Papierbuch, das sich in Kiev befand. Unseres heiligen Vaters Mefodij, Bischof von Patr Homilie von der Herrschaft der Völker der letzten Zeiten, bekannt als Sage vom ersten Menschen bis zur Vollendung dieses Zeitalters“ (= Mez 24) 50 Leskov-Codex (undatiert) 51 Tabelle 14: Überlieferung von RevPsMeth sl Fil (d) RevPsMeth sl komp: Eine kompilative Bearbeitung, die wohl auf die zweite Preslav-Übersetzung (RevPsMeth sl 2 Presl) zurückgreift und auf die Tribut- Eintreibung von Toten und die konformistische Apostasie (PsMethApk (syr/ gr) 11, 14 und 12, 3) anspielt, ist in folgenden neun Handschriften enthalten: - Cod 193, Ust’-Cilemsk-Sammlung, Ende 18. Jh.: „Des Mefodij von Patr“ (= UC 193) - Cod 299, Ust’-Cilemsk-Sammlung, Ende 18. Jh.: „Des Mefodij von Patr“ (= UC 299) 50 Litvinova, Spiski, 384 (Glosse, die auf Syn 38 als Quelle von Mez 24 verweist). 51 Istrin, Otkrovenie I, 156 (Kopie des Leskov-Klosters in Istrins Privatbesitz, unklare Datierung, Verbleib ungewiss). Offenbarungen des Pseudo-Methodius 193 - Cod 42, Ust’-Cilemsk-Sammlung, Ende 18. Jh.: „Des Mefodij von Patr“ (= UC 42) - Cod. 550a, Karel’-Sammlung, Ende 18. Jh.: „Aus dem Buche des Heiligen Mefodij. Aus der sechzigsten Homilie von den letzten Zeiten und Tagen“ (= Kar 550a) - Cod. 123, Fonds Sonderzugänge, op. 24, 20er Jahre des 19. Jh.: „Des Mefodij von Patr“ (= Op 24 Nr 123) - Cod. 11, Sammlung A.I. Smirnov, Anfang 19. Jh.: „Im Buche des heiligen Märtyrers Mefodij, Bischof von Patr, aus der sechzigsten Homilie“ (= Sm 11) - Cod 94, Sammlung F.A. Kalikin, Anfang 19. Jh.: „Des Mefodij von Patr“ (= Kal 94) - Cod Q.I.489, Kaiserliche Öffentliche Bibliothek Stankt Petersburg (heute Russische Nationalbibliothek Saltykov-Ščedrin), Anfang 19. Jh. - Cod 24, Sammlung I.N. Zavoloko, Ende 19. Jh.: „Buch des Mefodij, Bischof von Patr, aus der vierhundertsten Homilie von den letzten Zeiten und Tagen“ (= Zavol 24) - Cod. 261, Geistliche Akademie Kiev, f.28, undatiert (= Kiev 261) 52 (e) RevPsMeth sl Syn: Der abweichende Anfang von Syn 591 gegenüber dem Kronzeugen der ersten Preslav-Übersetzung (RevPsMeth sl 1 Presl) Chil 382 bringt eine sonst nicht bezeugte Textfassung, die wohl aus der Einbeziehung aller drei Übersetzungen (RevPsMeth sl 1 Presl, 2 Presl + Fil) hervorgegangen ist. 53 (f) RevPsMeth sl Drag: Eine abgekürzte und interpolierte Fassung des Pseudo- Methodius liegt im wertvollen Cod. 651 (632) der Belgrader Nationalbibliothek - dem sog. „Dragol’schen Sbornik“ (= Drag 651). Diese in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verschollene und 1974 wieder aufgetauchte Anthologie der mittelalterlichen Eschatologie nahm ihre Gestalt in der zweiten Hälfte des 13. Jh. wohl auf serbischem Territorium innerhalb der sog. Svetosav-Schule an. Sie umfasst ein Corpus politisch-apokalyptischer Schriften, welche teils aus dem späten 11. Jh. stammen. Darunter befindet sich auch eine Version des Pseudo-Methodius (f.257v ff.), deren Schluss unvollständig ist. 54 Sie entspricht der ersten Preslav-Übersetzung und steht dem Text von Chil 382 nahe. Einen ungekürzten Paralleltext hierzu liefert der bislang unberücksichtigte Cod. 40 der Belgrader Nationalbibliothek. 55 Der Anfang entspricht der griechischen 52 Ibid., S. 247 (Auszug). 53 Mit Thomson, Translations of Pseudo-Methodius, 151-152 und gegen Penkova, Prevodi, 112, die ihn allein auf die zweite Übersetzung bezieht. 54 Miltenova, Cikălăt, 135-144; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 161-166 (Einleitendes); 167-173 (Drag 651 und Chil 382/ 24 im apparatus criticus); 174-182 (bulgarische Übersetzung mit Anmerkungen). 55 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 165. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 194 Daniel-Vision unter dem Namen des Johannes Chrysostomos, die A. Vassiliev in seiner Edition 1893 unter Nr. 6 herausgegeben hat. 56 Die Bearbeitung des Pseudo-Methodius stammt offenbar aus der Feder desselben Redaktors, der auch die Glossen in der Daniel-Apokalypse zwischen den Jahren 1079-1082 eingetragen hat, die de apokalyptischen Zyklus eröffnet (2 ApcDan sl). Er war bestrebt einen Bezug zur westbulgarischen Region zwischen Serdica und Thessaloniki herzustellen. 57 Der Wortlaut der Ergänzung in Pseudo-Methodius lautet: „Ein Mann wird aus Sredec losgehen und ein anderer aus Thessaloniki. In Vetren werden sie sich begegnen, Gold tragend, und einander fragen: „Bruder, wie komme ich nach Thessaloniki? “ und: „Wie komme ich nach Sredec? “ Und das Gold, das sie haben, werden sie auf die Erde ausschütten mit den Worten: „Weh uns, Bruder, die Erde blieb wüst. Ein Schaf wird den Preis eines Ochsen haben und ein Ochse den Preis eines Pferdes und ein Pferd wird dreißig Pfund 58 kosten; die Menschen aber werden sich selbst für drei oder vier Goldgroschen verkaufen und aus Hunger einander umbringen. Es werden große Niederträchtigkeit und Hass und Gesetzlosigkeit ausbrechen. Die ganze Erde wird der Ungerechtigkeit voll sein. Weh uns, Bruder, weh uns, wenn diese Tage anbrechen! “ (RevPsMeth sl Drag 4,3; cf. RevPsMeth syr 13,3 par) (g) RevPsMeth sl interp ist eine stark überabeitete, „interpolierte“ Fassung des Pseudo-Methodius, die zahlreiche Neuerungen aufweist. 59 Sie weist auch die meisten Textzeugen auf. V.M. Istrin listete zweiundzwanzig Handschriften aus dem 16.-19. Jh. auf. 60 A. Vollständiger Text: - Cod. 341 (721), Archiv des Außenministeriums, Moskau, 16.-17. Jh.: „Homilie unseres heiligen Vaters Mefodij von Tagan von den letzten Jahren (= Arch 341). Dies ist auch die bis heute einzige edierte Handschrift. 61 - Cod. Q.XVII, 82, 2. Abtl. Tolstoj, Nr. 229, derzeit in der Russischen Nationalbibliothek Saltykov-Ščedrin, Sankt Petersburg) „Homilie unseres heiligen Vaters, des Bischofs Mefodij von der Erschaffung Adams und vom zweiten Kommen und von des Michaels Herrschaft und vom Antichrist“ - Cod. Q.I.1030, Verbleib wie Cod. Q.XVII,82. - Cod. 394, Moskauer Synodaltypographie, 17. Jh. (= Syn Typ 394) 62 56 Vasiliev, Anecdota, 33-38. 57 Cf. Alexander, Interpolations, 23-38. 58 Griechisches Maß (λίτρα), das zwölf Unzen bzw. ein Pfund beträgt; cf. Tăpkova- Zaimova & Miltenova, Apocalyptic literature, 255, Anm. 48. 59 Istrin, Otkrovenie I, 175-232 (Untersuchung); Istrin, Otkrovenie II, 115-131 (Text). 60 Istrin, Otkrovenie I, 228-230. 61 Istrin, Otkrovenie II, 115-131. 62 Orlov, Biblioteka 1,1, 117 (Beschreibung). Offenbarungen des Pseudo-Methodius 195 - Cod. 250, Sammlung Tichonravov, 17. Jh.: „Homilie des Mefodij, Patriarch von Konstantinopel. Sage von Adam und von der Sintflut und von der Trennung der Völker und vom König Michail und vom Antichrist und vom zweiten Kommen Christi, da er kommt zu richten Lebende und Tote, um jedem nach seinem Tun zu vergelten“ (= Tich 250) zwei südrussische Hss. aus dem Privatbesitz des I. Franko 63 B. Fragmente - Cod. 1572, Rumjancev-Museum, Moskau (Sammlung Beljaev Nr. 63), 17. Jh. (= Rum 1572 - Cod. 643, Sammlung Undol’skij, 17. Jh.: „Homilie von den letzten Jahren des achten Jahrtausends, von der Gefangennahme der Ismaeliten“ (= Und 643) - Cod. 211, Moskauer Gesellschaft für Geschichte und russische Altertümer, 1.Abtl., 18. Jh. (= Mosk 211) - Cod. 300, Sammlung Tichonravov, 19. Jh.: „Aus den Büchern des Mefodij, Bischof von Patr, aus einer alten Handschrift“ (= Tich 300) Undatiert sind: - Cod. 548 (Sammlung Piskarev), Rumjancev-Museum, Moskau (= Rum 548) - Cod. 565, Sammlung Undol’skij: „Homilie von der letzten Zeit und der Herrschaft Michaels“ (= Und 565) - Cod. Q.I.XVII, 76 (2. Abtl. Tolstoj, Nr. 393), Bestand der Kaiserlichen Öffentlichen Bibliothek St. Petersburg - Cod. F.I.261, Verbleib wie Cod. Q.I.XVII,76 C. Paulus-Typ mit Akzentsetzung im letzten Millennium (Beginn mit dem Schriftzitat 1 Tim 4,1, i.e. RevPsMeth syr 12,4 ff.) - Cod. 208, Moskauer Gesellschaft für Geschichte und russische Altertümer, 1.Abtl. (= Mosk 208) - Cod. 749 (1278), Archiv des Außenministeriums, Moskau, 17. Jh. (= Arch 749) - Cod. 475 (955), Archiv des Außenministeriums, Moskau, 18. Jh. (= Arch 475) D. Philipp-Typ mit antik-historischer Eröffnung (Beginn mit der Philipp-Alexander-Genealogie, i.e. PsMethApk (syr) 8, 1 ff.) - Cod. 1906 (nach Arch. Leonid), Sammlung Uvarov, 17. Jh. (= Uv 1906) - Cod. 1894 (nach Arch. Leonid), Sammlung Uvarov, 18. Jh. (= Uv 1894) 63 Franko, Apokrifi I, 26-28; 34-35; 68-71; 74-77; 106-107; 268-270 (Auszüge aus der ersten südrussischen Handschrift). Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 196 Weitere sieben Hss. vom 17. bis Anfang des 20. Jh. förderte 1977 E.V. Litvinovas Recherche im IRLI-Bestand zutage: 64 - Cod. 11, Ust’-Cilemsk-Sammlung, Ende 17. Jh. (= UC 11) - Cod. 240, Sammlung V.N. Perec, Anfang 18. Jh.: „Homilie unseres heiligen Vaters Mefodij, Bischof von Patrikien, Sage vom menschlichen Schicksal und von der Endzeit“ (= Per 240) - Cod. 41, Karel’-Sammlung, erste Hälfte des 18. Jh.: „Homilie des heiligen Mefodij, Bischof, Papst von Rom. Sage von der Endzeit und von den Ismaeliten“ (= Kar 41) - Cod. 83, Sammlung F.A. Kalikin, zweite Hälfte des 18. Jh.: „Homilie … unseres Vaters Mefodij, Bischof von Aritoris. Sage vom menschlichen Schicksal und vom letzten … und vom Kommen Christi … und von der Herrschaft des Antichrist“ (= Kal 83) - Cod. 482, Sammlung V.N. Perec, Ende 18. Jh.: „Homilie unseres heiligen Vaters Mefodij, Patriarch von Konstantinopel, von Alexander, König von Mazedonien, und von den letzten Tagen, und von den Königen, die während der Vollendung des Zeitalters herrschen werden“ (= Per 482) - Cod. 64, Sammlung Bogoslovskij, IRLI, Ende 19. Jh., f. 20v-27: „Homilie unseres heiligen Vaters Mefodij des Patriarchen von Aexander dem König und den letzten Tagen und von den Königen“ (= Bogosl 64a) - Cod. 69, Latgal’-Sammlung, a.d.J.1907: „Homilie unseres heiligen Vaters Mefodij, Erzbischof von Jerusalem, von Alexander, dem König der Mazedonier, und von den letzten Tagen und von den Königen, die während der Vollendung des Zeitalters herrschen werden“ (= Latg 69) F. Hierher gehören noch die Kopien der interpolierten Redaktion in den Handschriften der ersten Preslav-Übersetzung (RevPsMeth sl 1 Presl) - Kop 147, f.586-599 und Voskr 154, f.743-766 65 G. Hinzu kommen Neubearbeitungen der interpolierten Redaktion in Kreisen russischer Altgläubiger seit dem 17. Jh. 66 - Cod Q.I.1081, Kaiserliche Öffentliche Bibliothek Sankt Petersburg (heute Russische Nationalbibliothek Saltykov-Ščedrin) - Kiev 410b, f.1-53 (410a, f.118-123 enthält RevPsMeth sl Fil): Antichrist-Kompilation mit Invektiven gegen den Papst und Apologie der Altgläubigen, an den Patriarchen Nikon (†1681) gerichtet - Cod. 1506, Sophien-Bibliothek, Geistliche Akademie Sankt-Petersburg, undatiert (= SPb 1506); identisch mit Uv 2054 64 Litvinova, Spiski, 385-386. 65 Penkova, Prevodi, 104. 66 Litvinova, Spiski, 387-390; cf. ferner Istrin, Otkrovenie I, 244-247. Offenbarungen des Pseudo-Methodius 197 - Cod. 1904 (nach Arch. Leonid), Sammlung Uvarov, 18. Jh. (= Uv 1904) Hier besteht allerdings generell erheblicher Klärungsbedarf hinsichtlich der genauen Quellenlage sowie überhaupt der polemischen Situation, in welche die Texte argumentativ eingreifen. V.M. Istrin zählt hierher die Schilderungen sittlichen Verfalls, die dem Empfinden der Bewegung entsprachen, sowie die akute Naherwartung des Antichrists. 67 Die apokalyptische Sicht der russischen Altgläubigen stellt auf Grund der umfangreichen, wenig erforschten Quellen jedoch einen eigenständigen Bereich dar, der hier nicht weiter verfolgt werden kann. 68 (h) RevPsMeth ukr: Eine späte ukrainische Fassung des Pseudo-Methodius gibt I. Franko in seiner umfangreichen Apokryphen-Sammlung wieder. 69 (i) RevPsMeth tschech: Eine tschechische Übersetzung, die an eine bereits bestehende Übertragung aus einer nicht näher bekannten lateinischen Vorlage anknüpft, erschien 1571 unter dem Titel „Knijka Swatého Methudya prewého Mučenijka Božijho“. Ein weiterer tschechischer Pseudo-Methodius-Text aus dem Jahre 1574, erwähnt von V.M. Istrin, bleibt dagegen unauffindbar. 70 (j) RevPsMeth poln: Eine polnische Übersetzung aus dem Lateinischen, für die ebenfalls keine Vorlage greifbar ist, findet sich in einem undatierten Druck aus dem 16. Jh. und in einer Abschrift aus dem 17. Jh. unter dem Titel „Proroctwo Methodiuszá S. Biskupá miast Tyrskich y męczenniká chwálebnego“. 71 Bezeugung in kirchenslavischen Quellen Die Rezeption der Offenbarung des Pseudo-Methodius in den kirchenslavichen Literaturen ist ein sehr weites Feld, das hier nicht abgesteckt werden kann. Einzelne Beispiele wären: (a) Die Nestorchronik (Anfang des 12. Jh. abgefasst) bezieht sich mindestens an zwei Stellen auf die RevPsMeth. Einmal werden zeitgenössische Stämme (търкмени/ Turkmenen; печенѣзи/ Pečenegen, търци/ Türken, половцы/ Polovcer) mit den Söhnen Ismaels gleichgesetzt, die aus der Yatrib-Wüste vertrieben wurden; eine Nachricht von nordischen Stämmen verweist auf die „unreinen Völker“ die von Alexander dem Großen hinter den Bergen des Nordens eingeschlossen wurden. 72 67 Istrin, Otkrovenie I, 244, Anm. 1 und 2. 68 Cf. Pesenson, Apocalyptic Discourse, 373-392, insb. S. 388-392 (zu Napoleon als Antichrist in der Sicht der Altgläubigen). 69 Franko, Apokrifi IV, 264-326. 70 Petrovskij, K istorii, 75-91. 71 Ibid., S. 91-92. 72 Šachmatov, Povest‘, 103; Thomson, Translations of Pseudo-Methodius, 152-154. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 198 (b) Die Mongolen resp. Tataren wurden in russischen Chronographen sowohl mit den Yatrib-Stämmen als auch mit den unreinen Völkern aus den Bergen des Nordens identifiziert. 73 (c) Eine sonst unbekannte Antichrist-Sage schöpft neben anderen Quellen (außerkanonischen Johannes-Offenbarungen, dem serbischen und dem chronographischen Alexander-Roman) auch aus der interpolierten Redaktion des Pseudo-Methodius: - Cod Q.I.108, Kaiserliche Öffentliche Bibliothek St. Petersburg (heute Russische Nationalbibliothek Saltykov-Ščedrin), 18. Jh., f.121r-143 - Cod 60, Pinež-Sammlung, erste Hälfte des 19. Jh., f.1-24 Es ist ferner zu prüfen, inwieweit altbulgarische Literaten wie Grigorij Camblak und Vladislav Gramatik die Offenbarungsschrift kannten und aufnahmen. 74 Ein eigenes Kapitel stellen die Verflechtungen mit den byzantinischen Daniel-Apokalypsen und den altbulgarischen Jesaja-Apokalypsen, die im Folgenden beleuchtet werden. Bezeichnenderweise wurde die Offenbarung des Pseudo-Methodius nicht in den slavischen Apokryphenindices inkriminiert, da sie anscheinend als ein völlig legitimes Werk des gleichnamigen Kirchenvaters galt. Die Schriften des Methodius von Olymp sind übrigens in der slavischen Tradition gut bewahrt, die ein wichtiges Korrektiv zur bruchstückhaften griechischen Überlieferung darstellt. 75 Die ersten Einträge finden sich erst in späten Fassungen russischer Indices seit dem 17. Jh. und dürften sich auf die interpolierte Redaktion der Offenbarung beziehen. 76 Sie dienten wohl zu polemischen Zwecken, um den ausgiebigen Gebrauch des Pseudo-Methodius durch die sog. Altgläubigen im Misskredit zu bringen. Bedeutung Die Bedeutung des Pseudo-Methodius als Wegmarke in der Evolution des Genres ist nicht hoch genug anzusetzen. Die durch den Text bewirkten Neuerungen sind einschneidend, und damit wurde eine neue Form von Apokalyptik begründet, die statt dem Jenseits („Himmelsreise“) weitaus stärker dem gegenwärtigen Geschehen zugewandt ist und einen apokalyptischen Kommentar zur Zeitgeschichte fortschreibt („politische Mystik“). 73 Cross, Allusion, 329-339. 74 Penkova, Prevodi, 113. 75 Vollständig erhalten im Griechischen ist nur sein Werk „Das Symposion“; cf. Musurillo & Debidour (éd.), Banquet (1963). Zu den Hintergründen seiner Theologie siehe Bracht, Anthropologie (1999). 76 Miltenova, Art. „Otkrovenie“, 305. Offenbarungen des Pseudo-Methodius 199 Die Urfassung der Offenbarung wurde als Antwort auf drängende Fragen existenzieller Natur für die syrischen Christen des siebten Jahrhunderts konzipiert. Sie liefert eine theologische Auseinandersetzung mit der muslimischen Kritik an Kreuz, Sakramenten und christlicher Lehre. Dem anonymen Autor geht es nicht um Annäherung, Versöhnung und Integration, sondern um die Aufrechterhaltung des Christentums angesichts der als existenziell empfundenen Gefahr der Konversion. Pseudo-Methodius befasst sich dabei nicht inhaltlich mit dem Koran, 77 sondern etabliert mit Hilfe von Gliederungsschemata, Typologien und Schriftzitaten eine symbolische Gegenwelt. Seine Hoffnungen projiziert er auf die Gestalt eines Heilbringers („Endkaiser“), der die abtrünnigen Christen bestrafen, die Muslime bestrafen und die Kirche restaurieren wird. 78 Umgekehrt lässt der Text klassische Themen der vorausgegangenen Apokalyptik aus. Ein Interesse an einer jenseitigen Welt fehlt durchweg; es findet sich keine Erwähnung des Seelenlebens Verstorbener; weder eine Engellehre noch eine Dämonologie sind vorhanden; selbst zentrale Kategorien apokalyptischer Theologie wie Auferstehung und die Thematik von finaler Justiz (Endgericht, Verurteilung, Vollstreckung) werden nur am Rande tangiert. Es sind auch keine Bilder der kommenden Welt vorhanden als Trost und Quelle einer transzendenten Hoffnung. Ganz besonders erstaunlich nimmt sich die Tatsache aus, dass im gesamten Verlauf der Apokalypse keine explizite Erwähnung Jesu stattfindet. Bis auf sein zweites Kommen spielt er auch keine Rolle in ihrem gesamtgeschichtlichen Heilsplan. In der Anlage der von Pseudo-Methodius entworfenen Weltgeschichte sind keine Bezüge auf die Zeit seines Wirkens vorhanden. Sie wird auch nicht als der natürliche Höhepunkt göttlicher Offenbarung thematisiert. Es kann natürlich sein, dass Pseudo-Methodius sich aus den chalzedonischen Streitigkeiten heraushält und innerkirchliche Debatten meidet, da es ihm um die „Einheit angesichts des gemeinsamen Feindes“ geht. 79 Ist es aber möglich, dass die Erlöserfigur des Endzeitkaisers messianische Züge bekommt und eine gewisse Bedeutungsverschiebung vom Soteriologischen hin zum Politischen stattfindet? 80 Hierzu sei angemerkt, dass Pseudo-Methodius keinen christologischen Traktat entwerfen will, sondern eine globale Vision der Geschichte vom Anfang bis zum Ende vorlegt, für welche er Schemata der Periodisierung und Typologie im Gefolge des Danielbuches weitaus stärker gewichtet als Fragen der Soteriologie. 77 Ibid., S. 91-92 („Unkenntnis des Koran“). 78 Cf. Möhring, Weltkaiser, 66, der vom „reinen Vernichtungskrieg“ spricht. 79 Reinink, Apokalypse II, 27-28, Anm. 2 zu IX, 3. 80 Alexander, Medieval Legend, 1-15 (These); Reinink, Legende, 82-111 (Kritik). Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 200 Kontextualisierung in der kirchenslavischen Tradition Die breite Wirkung der RevPsMeth wird im kirchenslavischen Bereich in mehrfacher Hinsicht greifbar. Die Offenbarung besaß offenbar für die altbulgarischen Literaten eine besondere Bedeutung. Sie wurde schon im 10. oder 11. Jh. gleich zweimal übertragen. Beide Übersetzungen erfolgten parallel und unabhängig voneinander im Kontext des sog. Preslav-Schule, einem der bedeutendsten Kulturzentren dieser Zeit. Hinzu kommt eine dritte Übersetzung aus dem 14. Jh. sowie eine überarbeite Fassung, die in Russland aus verschiedenen Quellen zusammensetzt wurde. Diese „interpolierte Redaktion“ (V.M. Istrin) stellt das interessanteste Zeugnis der Pseudo-Methodius-Rezeption dar. Sie stieg im 17. Jh. in der Bewegung der sog. Altgläubigen zum bedeutenden Referenzwerk auf, wo sie u.a. zur Polemik gegen den Papst als Antichrist besondere Verwendung fand. Zu ihren Besonderheiten zählen folgende Elemente: Urgeschichtliche Ausführungen zu alttestamentlichen Gestalten: Noah, Abraham, Ismael, Gedeon Ismaeliten im siebten Millennium: Versammlung auf dem Schafsfeld, Angeberei, Marsch zu den goldenen Toren, Vordringen bis zur Hagia Sophia Endkaiser: Erzengel Michael holt König Michael aus Rom und setzt ihn am Altar der Hagia Sophia ein. Öffentlicher Zuspruch und Zulauf werden ihm zuteil. Er wehrt die Ismaeliten ab und sein Reich währt dreiunddreißig Jahre Zeit des Verderbens: Kaiser Michael ist verborgen, Abfolge gottloser Könige: Ein erster aus den Söhnen Rahels zwingt zu Inzest, ein weiterer zu Götzenverehrung. Drei jugendliche Könige erheben sich und richten großes Gemetzel an. Herrschaft einer ruchlosen Königin namens Mondana von schweren Turbulenzen gezeichnet: Blutige Unruhen, Ausrufung zur Göttin, Verbrennung von Kirchen und Devotionalien, Gotteslästerungen. Eine Intervention des Erzengels Michael beendet ihr Wirken. „Die Stadt“ wird zugrunde gerichtet, zurück bleibt nur die Säule auf dem Forum Sohn des Verderbens: Geburt des Antichrist; Ankunft des Königs Michael in Jerusalem; Antichrist unterwirft sich ihm; nach zwölf Jahren wird Simon Magus offenbar. Endzeit: Antichrist-Portrait; Details zu Parusie und Endgericht RevPsMeth sl interp beruht im Grunde auf dem Text der ersten Preslav-Übersetzung und intergriert darin verschiedene Quellen: Daniel-Apokalypsen, die Andreas-Salos-Apokalypse, außerkanonische Johannes-Offenbarungen und Ephraems „Sermo in adventum Domini“. 81 81 Thomson, Translations of Pseudo-Methodius, 150. Offenbarungen des Pseudo-Methodius 201 Einige Motivkomplexe entwickelten indes ein Eigenleben, das noch nicht in allen Details nachgezeichnet ist. Das sind beispielsweise die Legende vom König Michael, die Liste der letzten Könige von der Vollendung de Welt und die verschiedenen Ausformungen der Antichrist-Sage. 82 Andere wurden in der ruthenischen Literatur des 17. Jh. aufgegriffen und fortgesponnen: „Geschichte von der gottlosen und bestialischen Königin Mondana“; „Sage von den drei jugendlichen Königen“; „Erzählung vom König Michael, wie er dreißig Jahre herrschen wird“ und eine „Novelle“ von der Herrschaft des Antichrist und den letzten Tagen. 83 Eine weitere, wichtige Bearbeitung findet sich im sog. Dragol’schen Sbornik (Codex des Priesters Dragol‘) - einem Sammelcodex aus dem 13. Jh., der eine apokalyptische Anthologie aus dem 11. Jh. beinhaltet. Sein Redaktor war offenbar weniger an welthistorischer Systematisierung interessiert denn an Abläufen „greifbarer“ Geschichte, die in seinem Erfahrungshorizont lagen. Dies kommt in der Auslassung des septimillennialen Schemas und der Betonung der Vier-Reiche-Abfolge zum Ausdruck. Eine Sonderform der Rezeption stellen Interpolationen und Referenzen in Chronographen und Chroniken dar, so im Zusammenhang der Invasion fremder Stämme wie des Anrückens der Mongolen im 13. Jh., die folgerichtig mit den aus der Yatrib-Wüste ausgeschwärmten Ismaeliten in Verbindung gebracht wurden. Die früheste Bezugnahme dieser Art findet sich im Eintrag zum Jahre 6604 (=1096) der russischen Nestor-Chronik (1116). Die Traditionslinie der RevPsMeth setzt sich bis in den westslavischen Bereich fort in der Gestalt einer tschechischen und einer polnischen Übersetzung, die aus nicht näher bekannten lateinischen Vorlagen herrühren. Die Offenbarung des Pseudo-Methodius stellt indes einen Schlüsseltext der apokalyptischen Literatur dar, der eine einschneidende Wende hin zu einer starken Politisierung der Eschatologie markiert. 82 Istrin, Otkrovenie I, 179 ff. 83 Kalitovskij, Materialy, 35-46 (nach der Handschrift Nr. 2189, Ossolinsk.-Bibliothek, Lemberg). 2. Die slavische Daniel-Diegese Δανιὴλ ὅρασις πρώτη. ὅρασις καὶ ἀποκάλυψις τοῦ προφήτου Δανιήλ Видђнїе и њткровенїе Дanіila prоrоka „Vision und Offenbarung des Propheten Daniel“ (1 ApcDan) DiTommaso: „The Vision and Revelation of the Prophet Daniel” Die sog. griechische Daniel-Diegese ist eine geschichtstheologische Offenbarungsschrift, die einen apokalyptischen Kommentar über das politische Geschehen im 8. Jh. in Konstantinopel und Byzanz liefert. 1 Die Apokalypse weist einen typischen Aufbau auf und besteht aus einem historischen Exkurs (1,1 bis 9,9), der die Vorzeichen des Endes Revue passieren lässt, und einem eschatologischen Schlussteil (10,1-14,15), der die letzten Dinge ausmalt. 2 Bezeugung Die Daniel-Diegese war bislang nur in ihrer griechischen Fassung geläufig, die in drei Hss. bezeugt ist und von K. Berger herausgegeben und kommentiert wurde (1976). In einem späten Chresmologion in der Edition von V.M.Istrin (1897) findet sich allerdings eine slavische Apokalypse (Sammlung der Tolstoj-Bibliothek I.56), die dem Text der sog. griechischen Diegese nahe kommt. 3 Sie spiegelt die in Cod. Marc. Grec. VII 22, fol.14-16 aus dem 14.-15.Jh enthaltene Version wider. 4 Bedeutung Der slavische Text ist bisher nicht untersucht worden und bedarf einer näheren historisch-philologischen Analyse. Erste Ansatzpunkte zum weiteren Vergleich gibt die im Anhang angefügte Übersetzung. In diesem Stadium lässt sich nur annehmen, dass die slavische Daniel-Diegese im Überlieferungszusammenhang der verwandten politisch-eschatologischen Offenbarungsschriften stand und womöglich zeitgleich mit ihnen im 10. Jh. in Bulgarien übersetzt wurde. Die griechischen Texte verweisen jedenfalls aufeinander. Die byzantinische Fassung der Daniel-Diegese trägt den Titel „erste Vision Daniels“ (Δανιὴλ ὅρασις πρώτη), und dem steht jene Daniel-Apokalypse gegenüber, 1 Zur Einführung siehe DiTommaso, Book of Daniel, 130-144. 2 Berger, Diegese; 30-31 (Inhaltsübersicht); Pertusi, Fine di Bisanzio, 81-89 (Übersetzung durch E. Folco: „Visione e rivelazione del profeta Daniele”). 3 Istrin, Otkrovenie II, 159-162 4 Berger, Diegese, 8-11, 24-26. Die slavische Daniel-Diegese 203 die als „letzte Vision Daniels“ (ἐσχάτη ὅρασις τοῦ προφήτου Δανιήλ) überschrieben ist. 5 Es ist nicht auszuschließen, dass sie sich nicht nur als Abschluss einer Reihe von Offenbarungen versteht, sondern als letzter Band einer byzantinischen Ausgabe von Daniel-Apokalypsen, die zusammengehörten und nacheinander betitelt waren. Ein weiteres Indiz einer möglichen Zusammengehörigkeit der griechischen Vorlage liefert der gemeinsame Horizont, den die Daniel-Diegese mit der im 10. Jhr. übersetzten Vision Daniels (2 ApcDan) teilt. Die im historischen Teil der Diegese erkennbaren Herrscher sind die Kaiser Leo III. (717-741), Konstantin V. (741-775), Leo IV. (775-780), Konstantin VI. (780-797) und Kaiserin Irene (Koregentin 780-797, Alleinherrscherin 797-802). Das ist genau die Herrscherliste, die in der Vision Daniels entfaltet wird (2 ApcDan 2,1-3,9); hier enthält sie allerdings fünf weitere Namen und wird bis in das Jahr 829 fortgesetzt. 6 Es ist also durchaus vorstellbar, dass beide Apokalypsen zusammenhängen; ferner, dass die Daniel-Vision die Daniel-Diegese aufgegriffen und fortgeschrieben hat; dass beide Texte in dem gleichen Milieu entstanden und zusammen (wenngleich nicht in denselben Codices) tradiert wurden; dass sie mit einiger Wahrscheinlichkeit in demselben Zeitraum ins Altbulgarische übersetzt wurden. In der Slavia Orthodoxa gingen sie allerdings getrennte Wege. Die Daniel-Vision wurde erfolgreich auf die historische Gegenwart bezogen, während die Motivation der Daniel-Diegese verblasste und die Bezüge zur erlebten Geschichte nicht mehr direkt erkennbar waren. 5 Siehe Kap. V.5. 6 Siehe Kap. V.3. 3. Die Vision des Propheten Daniel von den Königen „Vision des Propheten Daniel von den Königen und den letzten Tagen und der Vollendung des Zeitalters“ (2 ApcDan sl) vid7ni9 danila proroka w cr7h[ i posl7dnh[ dneh[ i w kon[xin7 v7ka DiTommaso: „Vision of the Prophet Daniel on the Emperors 1 Die sog. „Vision des Propheten Daniel von den Königen“ (2 ApcDan sl) ist eine bedeutende mittelalterliche Apokalypse, die nur im Kirchenslavischen auf uns gekommen ist; ihre byzantinische Vorlage ist verlorengegangen. 2 Der griechische Text wurde als Reaktion auf die Invasion der Muslime auf Sizilien in den Jahren 827-829 abgefasst und lässt sich u.U. etwas genauer auf den Herbst des Jahres 829 datieren. Er wurde vermutlich noch im 10. Jh. ins Altkirchenslavische übertragen. In der zweiten Hälfte des 11. Jh. unternahm ein unbekannter Redaktor eine Aktualisierung und lokalisierende Aneignung des Textes, indem er sizilianische Toponyme auf Ortsnamen im Südwesten Bulgariens bezog. Die flankierenden Glossen wurden in der Fassung des Codex des Priesters Dragol’ aus dem 13. Jh. in das Textcorpus aufgenommen. 3 Forschungsüberblick Der Text wurde erstmalig im Jahre 1890 publik dank der Edition des Codex des Priesters Dragol’ (13. Jh., Vorlage aus dem 11. Jh.) durch den serbischen Gelehrten P.S. Srećković. 4 Daran schloss sich im folgenden Jahrzehnt eine Reihe weiterer Studien an. In den Jahren 1892 und 1893 wurde die Apokalypse in den bibliographischen Übersichten Kozaks und Bonwetschs aufgenommen. Ende des 19. Jh. befassten sich P.A. Lavrov und insbesondere V.M. Istrin mit einer weiteren Kopie im sog. Chilendar-Codex (Wende 13.-14. Jh.), die sie unabhängig voneinander herausbrachten. 5 Auch W. Bousset war 1895 in seiner Monographie auf 2 ApcDan sl gestoßen, die er als Beleg für den von ihm postulierten Antichrist-Mythos heranzog. 6 1 Der Text wurde immer wieder anders bezeichnet; cf. DiTommaso, Book of Daniel, 145- 146 (Identifikationsabschnitt). 2 Literaturübersicht ibid., S. 145-151 („Vision of the Prophet Daniel on the Emperors”); S. 504-508 („Daniel apocrypha preserved primarily in the Slavonic Languages”); ältere Bibliographien bei Kozak, Übersicht, 139; Bonwetsch, Literatur, 916-917; Stegmüller, Repertorium I, 13-15 (Nr. 117); Haelewyck, Clavis, 210-211 (Nr. 265); DiTommaso, Bibliography, 332-333. 3 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 115 (Verlaufsschema). 4 Srećković, Zbornik, 10-11. 5 Lavrov, Teksty, 1-5; Istrin, Otkrovenie I, 260-268. 6 Bousset, Antichrist, 41-45. Die Vision des Propheten Daniel von den Königen 205 Daraufhin geriet die Daniel-Vision für mehrere Jahrzehnte in Vergessenheit, von gelegentlichen Referenzen in Fachbibliographien abgesehen. 7 Erst vor wenigen Jahrzehnten erkannte der amerikanische Byzantinist P.J. Alexander die Bedeutung der Apokalypse als byzantinische Quelle. 8 Er konnte sie im Zusammenhang der arabischen Invasion auf Sizilien Ende der 20er Jahre des 9. Jh. einordnen und umgekehrt hieraus historische Details über den Verlauf der Revolte erschließen. 9 In Bezug auf den Dragol’-Codex entzifferte P.J. Alexander eine Reihe von Fehldeutungen als Rand- oder Interlinearglossen, die unbekannte sizilianische Ortsnamen im 11. Jh. auf bulgarische Ortschaften übertrugen. Die Randvermerke wurden später in den Text aufgenommen. 10 Ihm ist auch die erste Übersetzung der Daniel-Vision aus dem Kirchenslavischen in eine moderne Sprache zu verdanken, 11 die einzige weitere Übertragung des Textes in eine westeuropäische Sprache brachte der italienische Byzantinist A. Pertusi 1988 heraus. 12 Parallel dazu verliefen die Forschungen der bulgarischen Slavistik, die im Westen so gut wie nicht zur Kenntnis genommen wurden. M. Kajmakamova unterzog beispielsweise die Interpolationen im Dragol’schen Codex einer näheren Untersuchung und schlug eine gegenüber P.J Alexanders Ansatz etwas frühere Datierung innerhalb des 11. Jh. vor 13 Bulgarische Historiker und Slavisten wiesen dem Text der Daniel-Vision einen eminenten Platz in ihren Quellensammlungen zu. 14 Ende der 80er Jahre förderte A. Miltenova drei weitere Handschriften zutage, die Kopien der Vision enthielten. 15 Sie wurden 1995 in eine Textedition eingearbeitet und eingehend erörtert. 16 Erst um die Wende des letzten Jahrhunderts bahnten sich einige dieser unbeachtet gebliebenen Publikationen den Weg in westeuropäische Referenzwerke, ohne dass die Fülle der darin beigebrachten Details und Einsichten zur Textklärung in vollem Umfang erschöpft wäre. 17 7 Stegmüller, Repertorium I, 13-15. 8 Alexander, Medieval apocalypses, 997-1018. 9 Alexander, Conquêtes arabes, Conquêtes arabes 7-35. 10 Alexander, Interpolations, 23-38. 11 Alexander, Apocalyptic tradition, 65-72. 12 Pertusi, Fine di Bisanzio, 95-102. 13 Kajmakamova, Săčinenija , 86-96; Kajmakamova, Tradicija, 321-322 und Kajmakamova, Letopis, 51-59. 14 Petrov & Gjuzelev, Christomatija I, 443-449; Angelov & Božilov, Literatura III, 65-68; 362- 363; Petkov, Voices, 199-203 (Nr. 115). 15 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Videnijata, 39-46, insb. S. 40-41; Miltenova, Cikălăt , 135-144, insb. S. 137-139. 16 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 118-124; 128-134; cf. eaedem, Apocalyptic literature, 141ff. 17 DiTommaso, Bibliography, 332-333; idem, Book of Daniel, 145-151; 504-508. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 206 Neuerdings grenzte W. Treadgold die Datierung von P.J. Alexander weiter ein und offerierte die Theorie, dass die Daniel-Vision im Frühjahr 829 vom Konstantinopler Patriarchen Methodius I. in der byzantinischen Hauptstadt abgefasst wurde. 18 Das setzt voraus, dass Methodius I. zugleich Autor der anonymen Vita Euthymii ist. 19 Darin ist von einem Pamphlet gegen Kaiser Michael II. (820-829) die Rede, in welchem sein nahe bevorstehender Tod vorhergesagt wird. Die wird aber in unserer Daniel-Vision über das siebte Horn geweissagt (2 ApcDAn sl 3,9), welches sich eindeutig auf Michael II. bezieht. Daraus folgert W. Treadgold, dass Methodios I. Autor der beiden Werke gewesen war. So lässt sich für die Abfassung der 2 ApcDan slav das Frühjahr 829 herleiten, da Michael II. im Herbst desselben Jahres eines natürlichen (und nicht, wie vorhergesagt, eines gewaltsamen) Todes gestorben war. 20 Diese Annahme ist in hohem Maße brisant, denn die Verbreitung derartiger Orakel war ein schweres Vergehen in Byzanz, das als Hochverrat ausgelegt wurde und mit der Todesstrafe geahndet wurde. 21 Wie konnte aber eine derart gefährliche Schrift, die den Lesern das Todesurteil einbringen konnte, in Konstantinopel die Runde machen und ungestraft die altbulgarischen Skriptorien erreichen? Dies würde eine monastische Opposition voraussetzen, die in Verbindung mit dem Patriarchen antikaiserliche Propaganda betrieb, über gut funktionierende Kanäle verfügte und womöglich Unterstützung am Hof erhielt. Auf dieser Wellenlänge liegt auch 2 ApcDan sl, in welcher Kaiser Michael II. die letzte identifizierbare historische Gestalt darstellt. Da der Text von 2 ApcDan sich stellenweise mit einer anderen Apokalypse des Daniel-Typus überschneidet, die zeitgleich unter dem Namen von Johannes Chrysostomos in Umlauf gebracht wurde, 22 stellt sich die Frage, ob nicht Patriarch Methodios I. letztere ebenso abgefasst hat. Dies würde bedeuten, dass er die Pseudo-Methodius-Traditionen aufgriff, um sie polemisch und in gewissermaßen makabrer Weise gegen Kaiser Michael II. in der Gestalt zweier Apokalypsen aufzulegen. 23 Dies gewährt uns im Übrigen einen Einblick in die Wirkweise und den Diffusionsmechanismen von Apokalypsen, die politisch riskante Botschaften verschlüsseln. Kaiser Michael II. wird in der Daniel-Vision nirgendwo explizit beim Namen genannt, und sein herbeigesehnter Tod wird hinter symbolischen Chiffren verklausuliert, um kein Misstrauen gegenüber Spionen und loyalen Beamten zu erwecken. Die passende Deutung dazu müsste aber von 18 Treadgold, Prophecies, 229-237, insb. S. 232ff. 19 Gouillard, Vie d'Euthyme, 1-101. 20 Treadgold, Prophecies, 232 ff. 21 Ausführlich dazu Brandes, Kaiserprophetien, 157-200. 22 Näheres zum Text bei DiTommaso, Book of Daniel, 155-158; 362-363 23 Cf. Petkov, Techniques of Disguise, 248-249. Die Vision des Propheten Daniel von den Königen 207 den Boten an einen vertrauenswürdigen Empfänger mündlich mitgeteilt worden sein, um niemand unnötig zu gefährden. Es ist gut möglich, dass die kanonische Johannes-Offenbarung in ähnlicher Weise von einem oralen „Entschlüsselungscode“ begleitet war, um die darin entfaltete, leidenschaftliche Kritik am römischen Kaisertum nur den Eingeweihten zugänglich zu machen: „Hier braucht man [geheime] Kenntnis. Wer Verstand hat [und die Deutung mündlich mitgeteilt bekommen hat], berechne den Zahlenwert des Tieres. Denn es ist die Zahl eines Menschennamens: Seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig“ (Offb 13,18). Überlieferung Die „Vision Daniels von den Königen“ liegt gegenwärtig in folgenden Handschriten vor: - Cod. 651 (Dragol’scher sbornik / Sammelcodex des Priesters Dragol’), Serbische Nationalbibliothek Belgrad, zweite Hälfte des 13. Jh., fol.234a-240a. 24 - Cod. 382, Chilendar-Kloster, Athos, Ende des 13. - Beginn des 14. Jh., Anfang fehlt; fol. 68a-69a. 25 Die Entstehung der Vorlage ist im 10. Jh. anzusezen; unter den Kontextmanuskripten sticht TestAbr hervor (fol.178a-185a). - Cod. 56, Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU) Belgrad, unklare Datierung (15.-17. Jh.), fol.185a-188a, 189a-189b. 26 - Cod. 309 (Beljakov’scher sbornik), Nationalbibliothek Sofia, 16. Jh. (fragmentarisch), fol.154a-155b, 90a-90b. 27 - Cod. 17, Zentrum für Slavisch-Byzantinische Studien Ivan Dujčev Sofia, 18. Jh. (wortgetreue Kopie der Abschrift im sog. Beljakov’schen sbornik), fol.15a- 110b. 28 24 Deskription bei Sokolov, Materialy I, 5-22 (Serbskij pergamennyj sbornik P. S. Srećkovića); Stojanović, Katalog IV, 290-294, insb. S. 293; Štavljanin-Đorđević, Grozdanović- Pajić & Cernić, Opis, 355-361 (Nr. 167); Božilov & Kožucharov, Literatura i knižnina, 260- 261; edidit Srećković, Zbornik, 10-11 und Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 118- 124. 25 Deskription bei Istrin, Otčt, 48-63; Chilendarec, Rukopisy, 86 (Nr. 24); Matejć, Slavic Codices, 32; Bogdanović, Katalog, 150-151; Ivanova., 59-70; Miltenova, Prevodi i redakcii, 309-332; edidit Istrin, Otkrovenie II, 156-158; Lavrov, Teksty, 1-5; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 118-124 (apparatus criticus). 26 Deskription bei Stojanović, Zbirka (Nr. 111); Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 109-110; Edition ibid., 118-124 (apparatus criticus). 27 Description bei Conev, Opis I,1, 254-257 (allerdings ohne die Kopie von 2 ApcDan sl); Christova, Karadžova & Ikonova, Răkopisi, 137 (Nr. 365). 28 Deskription bei Džurova & Stančev, Sbirkata, 9; Miltenova, „Bliznak", 61-73; Text bei Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 118-124 (apparatus criticus). Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 208 Inhalt und historische Bezüge Die Anlage des Textes ist klar erkennbar. Er umfasst einen Vision (Kap. 1), das Zeitalter des Ikonoklasmus in apokalyptischer Rückschau (Kap. 2), eschatologisch-politische Topoi aus dem Fundus des Pseudo-Methodius und weiterer Daniel-Apokalypsen (Kap. 4-9) und abschließend einen eschatologischen Ausblick (Kap. 10-11). Die Handlung beginnt mit der Erscheinung des Erzengels Gabriel, der Daniel auf einen hohen Berg entrückt und ihm die Schau von vier großen, aus dem Meer steigenden Tieren, zehn Hörnern und vier Winden zuteil werden lässt. Die Szenerie ist weitgehend an biblische Vorbilder angelehnt (Dan 7,2- 3.7). Das Geschaute bezieht sich, wie der Deuteengel einleitend zu verstehen gibt, auf die letzten Tage der Menschheit (1,1-3). Diese geschauten Symbole werden zuerst auf byzantinische Kaiser aus der Zeit des Bilderstreits bezogen, beginnend mit Leo III. (717-741) und endend mit Michael II. (820-829). Sie enthalten ferner Bezüge auf die Aufständischen auf Sizilien, Euphemios und Balata, und auf den Kriegsverlauf in den Jahren 827-829. 29 All diese historischen Figuren werden in apokalyptischer Manier nirgendwo namentlich genannt, sondern mit Hilfe einer Kombination aus Tiersymboliken, Wortspielen und gematrischen Chiffres verschlüselt: Vier Tiere (2,1-5), zehn Hörner (3,1-10) und vier Winde (4,1-6). Ihre Epitheta verweisen jedoch eindeutig auf reelle historische Figuren und Geschehnisse. Symbol Epitheta Identifizierung Erstes Tier (2,1) Löwe, Isaurier, Zerstörer der Altäre, zweiundzwanzigjährige Herrschaft Leo III. „Isaurier“ (717-741) Zweites Tier (2,2) Unverschämtes Gesicht, Gotteslästerung, Anschlag auf einen Patriarchen Konstantin V. (741- 775) Drittes Tier (2,3) Name eines Tieres, Frau aus hellenischen Gegenden Leo IV. (775-780) Viertes Tier (2,4) Name beginnt mit α resp. H, Mutter regiert mit und beseitigt ihn Konstantin VI. (780- 797, teils in Mitregentschaft) Erstes Horn (3,3) Herrschaft einer „Einbusigen“ (=Amazone) für fünf Jahre, die ihren Sohn beseitigt Irene (780-802, teils in Mitregentschaft) Zweites Horn (3,4) König aus dem Gafna-Clan, Gematrie, Kampf mit einem starken Volk (=Bulgaren unter Khan Krum), blamable Niederlage Nikephoros I. (802- 811) 29 Cf. Alexander, Conquêtes arabes, 7-35. Die Vision des Propheten Daniel von den Königen 209 Drittes Horn (3,5) Sohn des gefallenen Königs, von kurzer Dauer Staurakios (811) Viertes Horn (3,6) Name eines Engels Michael I. (811-813) Fünftes Horn (3,7) Sieben Zeiten werden vergehen Leo V. (813-820) Sechstes Horn (3,8) Erste königliche Buchstaben? ? Siebtes Horn (3,9) Gotteslästerung, Exekution auf dem Kynegion Michael II. (820-829) Achtes Horn (3,10) Zahlenspiel, Anfang der Übel Eschatologischer „Platzhalter“ (Nachfolger von Michael II.) Vier Winde (4,1-6) Vier Könige führen Krieg untereinander und werden von einem Herrscher aus der Stadt der Sonne bezwungen. Zwei Peiniger treten auf. Euphemios, Balata (=die beiden Peiniger) Neuntes Horn (6,1-7,5; 8,1-6) Idealer Endkaiser: Wird vom Volk ausgerufen, errichtet Friedensreich, beruft ikonenfreundliches Konzil ein Zehntes Horn (7,6) Einjährige Herrschaft, Niederlage und Tod im Krieg mit dem äthiopischen Kaiser Tabelle 15: Symbolik und historische Bezüge in 2 ApcDan In dieses Bild-Deutung-Schema ist der eschatologische Schlussteil eingewoben, welcher auf weiten Strecken auf die Offenbarung des Pseudo-Methodius zurückgreift. Die Muslime fallen in die christliche Welt ein (5,1-7), erfahren jedoch einen vernichtenden Gegenschlag durch einen siegreichen Kaiser aus dem Volke (6,1-6). Der Volkskaiser tritt einen Triumphzug nach Rom und in die siebenhügelige Stadt (Konstantinopel) an und schaltet unterwegs alle Widersacher aus (7,1-6). Ein christliches Idealreich wird ausgerufen, dass sich durch militärische Erfolge, inneren Frieden und soziale Gleichheit auszeichnet. Auf einem restaurativen Konzil wird die Erneuerung der Ikonenverehrung ausgerufen (8,1-6). Nach seinem Tod brechen die unreinen Völker in die zivilisierte Welt ein und bringen Chaos und Verwüstung herbei, bis sie von einem himmlischen Archistrategen vernichtet werden (9,1-4). Der letzte byzantinische Kaiser tritt auf Golgota ab (10,1.3) und überlässt die Bühne den endzeitlichen Akteuren. Die abschließende eschatologische Sektion fällt denkbar knapp aus: Der Antichrist tritt auf und wirkt Scheinwunder (10,2.4), wird jedoch von Henoch Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 210 und Elija überführt. Nach deren Ermordung und Auferstehung endet die Daniel-Vision mit einer kurzen Doxologie (11,1-4). Bezugsebenen des Textes Wie einleitend angedeutet, verweist der Text auf verschiedene Referenzebenen: Auf das Danielbuch selbst, auf die Offenbarung des Pseudo-Methodius, auf verwandte Daniel-Apokalypsen und auf zeitgenössische Ereignisse und Figuren. Was den ursprünglichen Kontext betrifft, gibt die Daniel-Vision in erster Linie Aufschluss über die Wahrnehmung der byzantinischen Kaiser des 8. und des beginnenden 9. Jh. (2 ApcDan 2,1-3,10). Ihre Charakterisierung erfolgt maßgeblich auf dem Hintergrund der in Dan 7 vorgegebenen Symbolik. So wie die Herrschaft paganer Machthaber über das Volk Israel von begrenzter Dauer ist und der Herrschaft Gottes weichen muss, wird auch der Zugriff des Kaisertums auf die Devotionalien der byzantinischen Kirche nur eine vorübergehende Episode bleiben. Die Kaiser Michael II. vorausgesagte Hinrichtung auf dem Kynegion (einem Gelände, das kriminellen Todesverurteilten vorbehalten war) ordnet sich in diese Sichtweise ein und bildet den unwürdigen Abschluss einer Periode blasphemischer Anmaßung (Dan 7,11-12): Ich sah immer noch hin, bis das Tier wegen der anmaßenden Worte, die das Horn redete, getötet wurde. Sein Körper wurde dem Feuer übergeben und vernichtet. Auch den anderen Tieren wurde die Herrschaft genommen. Doch ließ man ihnen das Leben bis zu einer bestimmen Frist. Die nächste historische Ebene, zu der die Daniel-Vision eine apokalyptische Lesart liefert, betrifft die Expansion der in Nordafrika ansässigen Muslime ins südliche Italien über Sizilien und insbesondere das militärische Intermezzo, das sich hier in den 20er Jahren des 9. Jh. abgespielt hat. Diesbezüglich wirft die Schrift ein gewisses Licht auf die sizilianische Revolte gegen die byzantinische Zentralregierung, die während des muslimischen Übergriffs ausbrach. Sie liefert Ansätze zur Lösung chronologischer Unklarheiten über den Ablauf der Ereignisse und bringt neue Daten toponymischer Art über den Verlauf der Kriegsroute der arabischen Armee. 30 Doch apokalyptische Symbole haben die Eigenschaft, die verschlüsselt abgebildete Gegenwart zu überdauern und ein Eigenleben zu entwickeln. So blieb der Text auch nach dem Tod von Michael II. und nach der Niederschlagung der sizilianischen Revolte weiter in Umlauf. Er war im 10. Jh. aktuell genug, um ein altbulgarisches Schriftzentrum zu erreichen, von welchem aus 30 Detailliert dazu Alexander, Conquêtes arabes, 7-35, insb. S. 14-17 (Erhebung der Sizilianer auf Grund neuer Abgaben), S. 17-21 (Chronologie der Revolte) und S. 21-33 (Toponymie und Verlauf der Kriegsroute). Die Vision des Propheten Daniel von den Königen 211 es sich weiter verbreitete. 31 In dieser Zeit standen die Daniel-Apokalypsen in Byzanz bekanntlich hoch im Kurs, wie man dem Zeugnis des Luidprand von Cremona entnehmen kann (Relatio de legatione, Kap. 39): Die Griechen und Sarazenen haben Bücher, die sie „visiones Danielis“ nennen, ich jedoch „sibyllinische Bücher“. In ihnen findet man beschrieben, von welchem Jahr bis zu welchem Jahr ein Kaiser lebt, wie die zukünftigen Zeiten seiner Regierung sein werden, ob Frieden oder das Gegenteil (also Krieg) in Bezug auf die Sarazenen sein wird. 32 Im bulgarischen Südwesten erfuhr der Text im 11. Jh. (der genaue Zeitraum is strittig) weitere Bearbeitung, die ihn aktuell, lebendig und relevant fürs neue Publikum machte. 33 Damit galten die Aussagen der Apokalypse keinesfalls einer fremden, entfernten Adresse oder einer vergangenen Periode, sondert ihrem unmittelbaren geschichtlichen Horizont. Es handelt sich um folgende Einträge im Dragol‘-Codex (2 ApcDan sl Dr): Zum vierten Tier der Vision / Kaiser Konstantin VI. (780-797)/ wird angemerkt „Herrschen wird er zusammen mit seiner Mutter Vasilia.“ (= Kaiserin Irene). 34 Dies ist jedoch eher ein Missverständnis denn eine Interpolation, insoweit hier das gr. τῂ βασιλείᾳ offensichtlich als Eigennamen aufgefasst wurde (2 ApcDan sl Dr 2,1). Kaiserin Irene hatte sich in Gesetzesakten tatsächlich als βασιλεῦς (sic! ) bezeichnet. 35 Eine indirekte Interpolation liegt zum zweiten Horn vor. Statt auf Nikephoros I. (802-811) deutet der Redaktor das Schwachwerden und den Tod in Schmach auf den bulgarischen König Samuel (997-1014), dies auf dem Hintergrund von V.5 (2 ApcDan sl Dr 3,4). Zum kurz währenden dritten Horn (in der Vorlage Staurakios, gestorben i.J. 811) ergänzt der Redaktor „sein Sohn Gavril“. Damit wird ein Bezug zum Nachfolger Samuels, seinem Sohn Gavril Radomir (1014-1015) hergestellt (2 ApcDan sl Dr 3,5). Zum vierten Horn (intendierte Bedeutung: Michael I., 811-813) kommt in Cod. 17 (18. Jh.) überraschend „Vladislav“. Damit kann nur der letzte König des Ersten Bulgarischen Reiches Ivan Vladislav (1015-1018) gemeint sein. Die 31 Miltenova, Videnijata, 40, Anm. 10. 32 Alexander, Apocalyptic tradition, 96-122 („visions of Daniel summarized by Liudprand of Cremona”); Brandes, Liutprand von Cremona, 435-463, insb. S. 439, Anm. 17. 33 Alexander, Interpolations, 23-38, insb. S. 37-38 (Zeit zwischen 1079-1082); Kajmakamova, Sačinenija, 86-96 (Aufstand des Petăr Deljan 1040-1041). 34 Istrin, Otkrovenie I, 262. 35 Ostrogorski, Geschichte, 146. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 212 Stelle gewinnt dadurch an Bedeutung, dass sie die einzige urkundliche Erwähnung des Zaren neben der sog. Bitola-Inschrift darstellt. 36 (2 ApcDan sl 3,6) Die Stadt, genannt Turinidi (wohl Syracus), 37 ) wird als Sredec (= Serdica, das heutige Sofia) bezeichnet (2 ApcDan sl Dr. 4,4). Die Peiniger (ursprünglich die beiden Rebellen Euphemios und Balata) erheben sich jeweils aus Ost und West derselben Stadt („Serdica“ statt „Syracus“). Der zweite Peiniger kommt dem Redaktor zufolge aus Glavinica, eine für den gesamten Textkomplex wichtige Ortschaft (cf. 2 ApcDan sl Dr 4,5). Die schwangere Frau, die extreme Notlage versinnbildlicht, kommt aus dem Umland einer Stadt, die der Redaktor Pernik nennt (2 ApcDan sl Dr 4,6). Das Auftreten der Ismaeliten wird „auf der letzten Insel der Donau“ lokalisiert. Damit setzt der Redaktor von Drag 651 die Muslime mit den Überfällen asiatischer Stämme auf bulgarisches Territorium im Verlaufe des 11. Jh. in Verbindung. 38 Die sizilianische Ortschaft Mariani 39 wird mit den Worten kommentiert „dies ist Mraka“ (2 ApcDan sl Dr 5,1). Die sizilianische Festung Enna 40 wird mit Velbăžd, dem heutigen Kjustendil gleichgesetzt (2 ApcDan sl Dr 5,2). Hier schließt Drag an 4,4 an und greift die Gleichung „Turinidi/ Syracus“ = „Sredec/ Sofia“ auf (2 ApcDan sl Dr 6,1). Den Ort Perton deutet Drag 651 als „zwei Hügel auf der anderen Seite von Sredec“ (2 ApcDan sl Dr 6,3). Eine längere Notiz ergänzt das Porträt des Endkaisers folgendermaßen: „Und wenn der Monat August kommt und der erste Tag beginnt, wird Michael die Herrschaft antreten. Und die Berge werden sich auftun, die Fische in den Flüssen werden umkommen; und der Herr wird immerdar mit ihm sein.“ (2 ApcDan sl Dr 8,1). Die apokalyptische Bezeichnung „Heptalophos/ Siebenhügelige [Stadt]“ bezieht Drag gleich doppelt auf Thessaloniki. Die Stadt betritt (auffallender Weise vom Westen her) der Idealherrscher aus dem Volke, darin wird er dreiunddreißig Jahre lang regieren (2 ApcDan sl Dr 8,2). 36 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Videnijata, 41, Anm. 13; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 132. Zur Bitola-Inschrift cf. Curta, Southeastern Europe, 245-246 und Gjuzelev, Hauptstädte, 82-105, insb. S. 94, Anm. 68. 37 Nach P. Alexanders Ansicht eine Fehlübersetzung aus πόλις τυραννίς. 38 Alexander, Interpolations, 30; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 133, Anm. 35. 39 Die Lokalisierung ist problematisch; Alexander, Conquêtes arabes, 13; 31-32. 40 In Drag 651 „Jen’nej“, in SANU 56 „Enie“. Die Vision des Propheten Daniel von den Königen 213 Der Antichrist erscheint in Sikhuz (= Chorazin) 41 , für den Interpolator ist dies die südwestliche bulgarische Ortschaft Strumica (2 ApcDan sl Dr 10,2). Bedeutung Die theologische Relevanz der Daniel-Vision wird zum Unterschied von ihrer Aussagekraft als lokale Quelle auch da ersichtlich, wo keine unmittelbaren historischen Bezüge erkennbar sind. Was hat die Schrift den Byzantinern nach dem 9. Jh. vermittelt, als sie sich vom ursprünglichen Kontext ihrer Ansagen gelöst hatte? Warum wurde sie unter den anderen Daniel-Apokalypsen von den altbulgarischen Literaten des 10. Jh. ausgewählt? Bestand ein Kompendium altslavischer Daniel-Apokalypsen, eine Art Anthologie, die den byzantinischen Bestand der Epoche reflektierte, wie Liutprand von Cremona behauptete? Zur Beantwortung dieser Fragen gibt die Offenbarung des Pseudo-Methodius erste Anhaltspunkte: Sie blieb weiter aktuell, da die durch die militärischen Erfolge des Islam und durch seine dauerhafte Präsenz heraufbeschworene Sinnkrise für die orientalischen Christen zwar vorerst abgemildert wurde, jedoch weiter im Verborgenen schwelte und immer wieder aufflackerte, sobald die muslimische Expansion ein Stück weiter vorgedrungen war. Die Reaktionsmuster dieses Modells wurden in den Daniel-Apokalypsen übernommen und in der Daniel-Vision für das muslimische Ausgreifen nach Süditalien erneut abgerufen (2 ApcDan sl 5,1-8,6). Wie aus den Glossen des Dragol’-Sbornik ersichtlich, wuchs die Bedeutung der antiislamischen Vorlage weit über den ursprünglichen christlich-muslimischen Konflikt hinaus und wurde im bulgarischen Südwesten im 11. Jh. auf all jene Einfälle von Pečenegen, Uzen und Magyaren übertragen, die einen Zustand existenzieller Bedrohung und ständiger Unsicherheit herbeigeführt hatten. 42 Für den polemischen Abschnitt, in welchem ein nahe bevorstehendes Ende des Ikonoklasmus und seiner Verfechter in Aussicht gestellt wird (2 ApcDan sl 2,1-4,6), ist vorauszusetzen, dass die unmittelbare Aussageabsicht bald verloren gegangen war. Die zahlreichen Missverständnisse beim Übertragen von Zahlenspielen und spezifisch byzantinischen Referenzen belegen, dass die darin verborgene Zeitkritik hinter den Symbolen verloren gegangen war. Selbst bedeutende Bezüge zur regionalen Geschichte wurden vom Interpolator entweder nicht erkannt oder im lokalen Zusammenhang gelesen. So gilt der Passus in 2 ApcDan 3,4 nicht der desaströsen Niederlage von Kaiser Nikephoros I. gegen den bulgarischen Khan Krum i.J. 811, sondern dem 41 So in Chil 382; Drag 651 liest „V’sikhuz“, wohl durch eine Dopplung der Präposition; SANU 56 ganz missverständlich „in ganz Chuza“. 42 Cf. Alexander, Historical Interpolations, 30; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 133, Anm. 35. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 214 Schicksal des bulgarischen Königs Samuel (997-1014) und somit dem Untergang des Ersten Bulgarischen Reiches. Die apokalyptische Verschlüsselung von Herrschaftsmerkmalen wandelte sich indessen zu einer diffusen Projektionsfläche, die offen für weitere Identifizierungen war. Daraus wird deutlich, dass die slavisch erhaltene Daniel-Vision einen weiteren Schritt nach der von Pseudo-Methodius gesetzten Zäsur markiert und die Genreentwicklung hin zum sog. apokalyptischen Formular illustriert. In historischer Sicht ermöglicht sie die Gewinnung neuer Daten in Ergänzung zu bestehenden Quellen und beleuchtet nicht nur faktische Unklarheiten, sondern auch die Wahrnehmung historischer Geschehnisse. Sie liefert ferner weiteres Material zur Frage, warum eine Apokalypse weit über ihren aktuellen Bezug hinaus Gültigkeit behielt. 4. Die Deutung Daniels a se tl[kovanie danilovo „Dies aber ist die Deutung Daniels“ (3 ApcDan sl) DiTommaso: „Interpretation of Daniel“ Die im Kirchenslavischen „Deutung Daniels“ betitelte Schrift (3 ApcDan sl) ist eine altbulgarische Apokalypse, die eine endzeitliche Lesart zu jenen Wirren des 11. Jh. liefert, die rasch nach dem Zusammenbruch des Ersten Bulgarischen Reiches einsetzten. Der Text hat zwar durchaus einen eigenständigen Charakter, steht jedoch nicht „für sich“ da, sonern repräsentiert einen apokalyptischen Kommentar zu der nur kirchenslavisch erhaltenen „Vision des Propheten Daniel von den Königen“, die vorausgehend betrachtet wurde (2 ApcDan sl). 1 Diese sizilianische Apokalypse wiederum, die auf einer verloren gegangenen griechischen Vorlage aus der ersten Hälfte des 9. Jh. (wohl um das Jahr 829) fußt, wurde im 10. Jh. ins Altbulgarische übersetzt und Mitte des 11. Jh. zusammen mit einer der slavischen Fassungen der Offenbarung des Pseudo- Methodius (RevPsMeth sl Dr) um Interpolationen ergänzt, die allesamt in den Südwesten der damals byzantinisch verwalteten bulgarischen Territorien (das sog. Θέμα Βουλγαρία) verweisen. 2 Überlieferung Der Text von 3 ApcDan sl ist in folgenden Codices überliefert: - Cod. 651 (Dragol’scher Sbornik / Sammelcodex des Priesters Dragol’), Serbische Voksbibliothek Belgrad, zweite Hälfte des 13. Jh., fol.234a-240a. 3 - Cod. 56, Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU) Belgrad, schwankende Datierung (15.-17. Jh.), fol.185a-188a, 189a-189b. 4 1 Cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 110-113; eaedem, Videnijata, 40-45; 138- 139; eaedem, Apocalyptic literature, 181-184; Kajmakamova, Istoriopis, 132-140; eadem, Săčinenija, 88-94; cf. Petkov, Voices, 203-207 (Nr. 116). 2 Alexander, Interpolations, 23-38, insb. S. 26 (Bezug der Interpolationen zur Balkan-Geschichte); Alexander, Conquêtes arabes, 7-35 (Bezug zur sizilianischen Geschichte). 3 Descripsit Sokolov, Materialy I, 5-22 („Serbskij pergamennyj sbornik P.S. Srećkovića”); Stojanović, Katalog IV, 290-294, insb. S. 293; Štavljanin-Đorđević, Grozdanović-Pajić & Cernić, Opis, 355-361 (Nr. 167); Božilov & Kožucharov, Literatura i knižnina, 260-261; edidit Srećković, Zbornik, 10-11 und Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 118-124. 4 Descripsit Stojanović, Zbirka (Nr. 111); Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 109- 110; Edition ibid., 118-124 (apparatus criticus). Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 216 Abfassung Es sind im Übrigen genau diese, wohl ursprünglich als interlineare oder marginale Glossen vermerkten Interpolationen in den Texten von 2 ApcDan sl Dr und RevPsMeth sl Dr, die zugleich erste Ansatzpunkte zur Eingrenzung der Entstehungsverhältnisse der altbulgarischen „Deutung Daniels“ (3 ApcDan sl) liefern. Die darin hastig skizzierten, in apokalyptischem Duktus interpretierten politischen und sozialen Erschütterungen des 11. Jh. gehören in denselben Zusammenhang. Alle drei Texte (RevPsMeth sl Dr, 2 ApcDan sl Dr und 3 ApcDan sl) teilen einen gemeinsamen historischen Horizont und nehmen auf die gleichen Akteure und Ereignisse Bezug. 5 Anders gesagt, erzählen sie die gleiche Erzählung auf unterschiedliche Art und Weise. Vieles spricht dafür, dass der Text der Deutung Daniels womöglich aus der Feder desselben Autors oder Kreises stammt, der die beiden byzantinischen Apokalypsen in den regionalen Zusammenhang seines historischen Standortes gerückt hatte und dies nun weiter zu untermauern suchte. Schon die Platzierung von 3 ApcDan unmittelbar hinter 2 ApcDan in beiden Mischcodices (Drag 651 und SANU 56) legt das nahe. Eine andere Frage lautet, als Deutung welcher Schrift sich der Text zu erkennen gibt. Eine explizite Verbindung zum Danielbuch fehlt, ebenso zu einer anderen Apokalypse Daniels. Die Bezüge zu 2 ApcDan sl liegen aber auf der Hand. Es ist also naheliegend anzunehmen, dass 3 ApcDan sich als Kommentar, Fortführung und Ergänzung von 2 ApcDan sl ausweist. In der Tat wird die Überschrift tl[kovanie danilovo/ tălkovanie danilovo erst dadurch verständlich und zwar, im Sinne von „Erläuterung, Kommentar, Interpretation zu Daniel/ Daniels [vorausgegangener Schrift]. Der Titel wäre also am treffendsten mit „Kommentar zur Vision Daniels betitelten Apokalypse“ wiedergeben. 3 ApcDan sl ist von 2 ApcDan abhängig und nicht umgekehrt. Die gemeinsamen Züge lassen sich jedenfalls nur erklären, wenn man 2 ApcDan als Bezugstext voraussetzt und 3 ApcDan als kommentierende Ergänzung betrachtet. 6 Das, was im ersten Text am Rande steht, wird im zweiten in den Mittelpunkt gestellt. Wörtliche Übereinstimmungen ließen sich ebenfalls nur von der vorliegenden Vision Daniels herleiten, die schon im 10.Jh übersetzt wurde. Die Anleihen beschränken sich dabei nicht nur auf geographische Hinweise, sondern umfassen darüber hinausgehende Details der apokalyptischen Geschichtsschau. 7 Der Redaktor von RevPsMeth sl Dr und 2 ApcDan sl Dr. ist demnach als Autor von 3 ApcDan anzusehen. Hierfür kommen die 40er Jahre des 11. Jh. in 5 Geschichtsabriss bei Zlatarski, Istorija II, 1-41; Ostrogorski, Geschichte, 252-263 (Karte auf S. 256-257); Döpmann, Kirche in Bulgarien, 29-31; Glykatzi-Ahrweiler, Recherches (zur administrativen Anordnung der byzantinischen Provinzen). 6 Gegen Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Videnijata, 40-41. 7 Auflistung der Übereinstimmungen weiter unten. Die Deutung Daniels 217 Betracht. Die Region um die Ortschaften Strumica und Glavinica, die einen geographischen Schwerpunkt des Textes bilden, hängt eng mit dem Abfassungsort der Deutung Daniels zusammen. Diese heute unbedeutenden Siedlungen werden in den Erlässen von Kaiser Basilios II. über die Bistümer des Erzbischoftums von Ochrid an dritter und sechster Stelle erwähnt 8 und bekommen auch im Text der Deutung besondere Beachtung. Inhalt Welche Geschichte erzählt die „Deutung Daniels“? Ein knapper Abriss mag einen Einblick in die Gedankenwelt unseres Textes vermitteln: Der narrative Rahmen ist schon im ersten Kapitel vorgegeben. Die Abfolge von Herrschern ist vorherbestimmt. Dies hat sich in der Vergangenheit bewahrheitet und gilt auch für die Zukunft (2 Apc Dan 1,1). Die Enthüllungen der Apokalypse werden gleich mit einem Geheimhaltungsgebot belegt (1,2). Die visionären Kulissen sind spärlich gehalten. Die Schau des Geheimnisses geschieht in der Nacht, die Niederschrift im Zeichen jenes Sterns, der die Huldigung der Könige ankündigen soll (1,3). Die eigentliche Erzählung wird mit einer meta-historischen Notiz eingeleitet: Sieben Könige erhalten sieben Herrschaftsgebiete zugewiesen: Assyrien, Rom, Babylon, Persien, Griechenland, erneut Rom, Byzanz/ Konstantinopel (2,1). Mit dem Verweis auf „Khagan Michael“ folgt ein abrupter Sprung zum Geschichtshorizont des Verfassers - dem Bulgarischen Reich des 9.-11. Jh. Dahinter verbirgt sich König Boris I. (852-889), der bei seiner Taufe, die symbolisch für die Christianisierung des Landes stand, den Namen Michael erhielt. Der Wechsel von der Universalzur Regionalgeschichte erhält mit Rückgriff auf Mk 13,8 par. eine eschatologische Gewichtung. Die Regierungszeit von König Boris-Michael ist nichts anderes als der Anfang der Übel, geprägt vom Zerfall herkömmlicher Strukturen und dem Krieg aller gegen alle (2,2-3). Denn es wurde den Bulgaren kein eigenes Reich zugeteilt, sie müssen es also mit Gewalt erlangen (2,2). Die historische Linie wird weiter gewahrt mit den Nachfolgern von Boris-Michael, den Königen Symeon (893-927) und Petăr (927-969); beide werden nicht verschlüsselt aufgeführt, sondern genreuntypisch beim Namen genannt. Die anknüpfende Periode, gekennzeichnet durch den Untergang des Nordens mit der Hauptstadt Preslav unter dem Ansturm der Russen, den Überlebenskampf des Südens bis hin zur Einverleibung ins Byzantinische Reich unter Kaiser Basilios II. und den Unruhen nach 1018, wird summarisch erfasst im Zeichen der zwölf Peiniger, die die Herrschaft im Land für sich beanspruchen (I2,). Auch der Einsatz normannischer Krieger als Söldner im byzantinischen Heer kommt an dieser Stelle zur Sprache (2,5). 8 Gelzer, Patriarchat von Achrida, 4. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 218 Vor diesem Hintergrund tritt in der „Stadt der Sonne“ ein rebellischer König auf. Er schmiedet eine Allianz mit asiatischen Stämmen und ist zuerst militärisch erfolgreich. Ihm gelingt es, die umliegenden Städte zu erobern. Er beschlagnahmt das Gold und setzt eigene Verwalter ein (3,1). Überraschend wird er auf dem Gipfel des Erfolges sieben (oder elf) Jahre lang für tot gehalten. Nach Ablauf dieser Frist wird er von einem Engel auferweckt und tritt unter dem Namen Michael die Herrschaft für dreiunddreißig Jahre an (3,2-3). Der auferweckte König zieht anonym und ohne Gefolge nach Rom, um dort die Legitimität als Herrscher zu beanspruchen (3,4). Dies wird ihm nicht gewährt, man erklärt ihn für einen Usurpator (3,5). Nach der Zerschlagung eines kupfernen Heiligtums betritt der Anwärter die Stadt und löst einen Disput unter dem Klerus aus (3,5-7). Nach einem Rückschlag geht die Kontroverse allerdings zu seinen Gunsten aus. Er erhält die königliche Würde durch die Aushändigung von Regalia (= Jesu Spottreliquien) und eine Tributzahlung in unermesslicher Höhe verliehen (3,8-9). Daraufhin wendet sich der König seinen militärischen Gegnern zu: Den blonden Söldnern (3,10), zwei Peinigern (4,1) und den ismaelitischen Horden (4,2). Das Geschehen ist im südwestlichen Balkan situiert: Glavinica, Ovče pole, Kičevo, Serdica (heute Sofia) und Bojana (eine Festung in der Nähe von Sofia). Nun muss er sich seinen vormaligen Alliierten stellen, den „Ugren“ (Magyaren), die ihn allerdings zurückwerfen. Daraufhin muss er nach Velbăžd (heute Kjustendil) fliehen (4,3-4). Erst eine Versammlung des Klerus auf dem Berg Vitoša bringt die Wende: Eine religiös-magische Prozession mit dem Patriarchen an der Spitze versetzt die „Ugren“ in Schrecken, sodass sie die geraubte Kriegsbeute auf ihrem Rückzug zurückzulassen (4,4-5). Kap. 5 schildert eine idyllische Friedenszeit unter dem erwählten König für dreizehn Jahre in Thessaloniki. Vorher muss jedoch ein letztes Mal die Magyaren-Gefahr gebannt werden: Der Großteil der Belagerer wird niedergemetzelt, das verbliebene Drittel christianisiert (5,1-3). Die Einmaligkeit und Unbeschwertheit der eschatologischen Ruhe wird mit Hilfe von Topoi betont (5,4- 8). Eigentümlich wirkt jedoch die Rückführung aller Gefangenen nach Strumica und Glavinica in V. 6; aller Wahrscheinlichkeit nach war dies auch der Abfassungsort des Textes. Der Endkaiser wird abweichend von der Traditionslinie porträtiert. Geboren von einer um ihren Bruder trauernden Frau und von griechisch-bulgarischer Herkunft lässt er sich in Pella nieder und regiert dort hundertachtzig Jahre, bevor er Gott die Herrschaft übergibt (6,1-3). Der Antichrist wird daraufhin offenbar, die Schilderung kehrt zu gängigen Motiven zurück: Geburt, Kindheit und Auftreten in Chorazin, Bethsaida und Kafarnaum (cf. Mt 11,21; Lk 10, 13; RevPsMeth syr 14, 1 par; 2 ApcDan 10,2). Er startet eine Verführungskampagne durch Scheinwunder (7,1-4) und übernimmt die Herrschaft in Jerusalem (8,5). Für die Sendung der beiden Zeugen lässt sich keine direkte Vorlage ermitteln (8,1-8), auffallend ist jedoch der enge Die Deutung Daniels 219 Bezug zur Johannes-Offenbarung bis in den Wortlaut hinein (Offb 11,3-14, insb. Verse 4.6-7.10-12). Der Text endet mit dem Bild von Gottesfurcht angesichts der Auferweckung von Henoch und Elija (8,9) und einer Schlussdoxologie (8,10), ohne ein Szenario von Auferstehung, Endgericht und neuer Welt zu entfalten oder auch nur anzudeuten. Historischer Hintergrund Es ist naheliegend, die Anspielungen im Text auf die Aufstände zu beziehen, die in byzantinisch annektierten bulgarischen Territorien ausbrachen. Der Blick fällt zunächst auf die Revolte von Petăr Deljan, der sich als Nachkomme von König Samuel († 1015) ausgab. Sie begann im Jahre 1040 in Belgrad und wurde nach anfänglichen Erfolgen im Jahre 1041 niedergeschlagen. Der Abschnitt in 3 ApcDan 3,2-3 bietet weitere Evidenz für diese Identifizierung und liefert zugleich einen Schlüssel zur Datierung der Apokalypse. Das Bild des Knaben mit einem blinden Auge (3,2) ließe sich gut deuten auf die Blendung des Petăr Deljan durch seinen Cousin Alusian und dessen Verrat, was letztendlich zum vorzeitigen Scheitern des Aufstands führte. Die Hoffnung, der Rebell werde nur für tot gehalten, nach sieben oder elf Jahren auferstehen und dann für dreiunddreißig Jahre herrschen, lässt sich gut mit dem allgemeinen Enthusiasmus in Verbindung bringen, der die ersten Monate des Aufruhrs begleitete und selbst nach dessen Scheitern immer wieder aufflammte. Die restaurative Idee der Aufrechterhaltung dynastischen Anspruches kommt indessen in der Chiffre „Khagan Michael“ zur Geltung, die sowohl auf den ersten christlichen König Boris-Michael als auch Petăr Deljan bezogen wird, der sich in seiner Nachfolge sah und wohl so auch wahrgenommen wurde. Damit wird eine historische Kontinuitätslinie zwischen den beiden hergestellt. Die variierenden Fristen von sieben in (3,2) bzw. von elf Jahren (3,3) verweisen übereinstimmend in die Mitte des 11. Jh., als nach dem erneuten Aufstand des Leon Tornikes asiatische Stämme über die Donau einfielen und jahrzehntelang plündernd durch das Land zogen. Die Sehnsucht nach der Rückkehr des anfangs so erfolgreichen Rebellenführers angesichts der ständigen Unruhen in der zweiten Hälfte des 11. Jh. kann die anhaltende Popularität der Deutung Daniels durchaus erklären. Parallel dazu spielte sich in Konstantinopel eine entfernt vergleichbare Entwicklung ab. Kaiser Michael V. (†1042) war im Jahre 1041 mit Hilfe seines Onkels Johannes Orphanotrophos auf den Thron gehievt worden. 9 Die Beziehung zu seiner Adoptivmutter Zoë verschlechterte sich zunehmend, bis er sie 9 Zum historischen Hintergrund siehe Ostrogorski, Geschichte; 269-272; Garland, Byzantine Empresses, 140ff. Zur Figur des Drahtziehers Johannes Orphanotrophos cf. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 220 1042 in ein Kloster auf den Prinzeninseln verbannte. Dies allerdings löste einen Aufstand in Konstantinopel aus, da man ihn zum Unterschied von der Kaiserin für illegitim, ja für einen Usurpator hielt: Er wurde abgesetzt, geblendet und in Klosterhaft gesetzt. Das apokalyptische Narrativ der Deutung Daniels gewinnt noch schärfere Konturen, wenn man es vor dem Hintergrund des historischen Gesamtzusammenhangs betrachtet. 10 Die Erzählung umfasst ein Jahrhundert bulgarischer Geschichte: Die Herrschaft der Könige Boris I. (852-889), Symeon (893- 927) und Petăr (927-969) bis zum Untergang der Hauptstadt Preslav unter dem russischen Ansturm, sodann die Periode des Widerstands der sog. „Komitopoulen“ im Süden gegen die byzantinische Eroberungskampagne, die von Kaiser Johannes I. (969-979) eingeleitet und von seinem Thronnachfolger, dem überaus bedeutenden Feldherrn Basilios II., genannt Bulgaroktónos (976- 1025), siegreich zum Abschluss geführt wurde. 11 Der Abschnitt historisch greifbarer Fakten endet mit dem Auftritt eines ursprünglich erfolgreichen Rebellen, der zahlreiche Städte einnimmt, ihre Goldreserven konfisziert und daraus eine Kriegskasse anlegt. Dies in Verbindung mit der Tatsache seiner Blindheit trifft nur auf die Person Petăr Deljans zu, der sich als direkter Nachkomme des vorletzten bulgarischen Königs Gavril Radomir (1014-1015) ausgab. 12 Er wurde im Jahre 1040 eilends zum „König der Bulgaren“ proklamiert, und führte einen in Belgrad ausgebrochenen Aufstand zu ersten Erfolgen führte. Dies änderte sich allerdings mit der Ankunft von Alusian, Sohn des letzten bulgarischen Königs Ivan Vladislav (1015-1018), der ebenfalls herrschaftlichen Anspruch meldete und fürs erste mit militärischer Verantwortung betraut wurde. Das Scheitern der Belagerung von Thessaloniki, die Alusian befehligte, und sein Verrat mitten in einer Schlacht (in der byzantinischen Chronographie unterschiedlich gedeutet) 13 besiegelten jedoch den Ausgang des Aufstandes. Alusian gelang es, in einem Anschlag Petăr Deljan zu blenden, der zwar vorerst an der Spitze der Rebellion blieb. Nach einer Serie von Niederlagen wurde er jedoch gefangen genommen und verstarb nach Folterungen in Konstantinopel. Eine entscheidende Rolle in der militärischen Kampagne gegen die Aufständischen Janin, Ministre byzantin, 431-443; zu Rolle und Einfluss von Eunuchen in Byzanz cf. Tougher, Byzantine Eunuchs, 168-184, insb. S. 179 und Ringrose, Perfect Servant (2003). 10 Zum historischen Hintergrund siehe Zlatarski, Istorija II, 41-88; Ostrogorski, Geschichte, 269-272; Delev, Angelov & Bakalov et alii, Istorija, 71-76; Božilov, Mutafčiëva & Kosev et alii, Istorija, 74-76; . 11 Cf. Ostrogorski, Geschichte, 269-272; Delev, Angelov & Bakalov et alii, Istorija, 71-76; Delev, Angelov & Bakalov et alii, Istorija, 74-76. 12 Cf. Zlatarski, Petăr Deljan, 354-363; Cankova-Petrova, Petăr Deljan, 97-106; Venediktov, Beležiti bălgari I, 155-162 (Petăr Deljan). 13 Zum Widerspruch zwischen den Berichten von Johannes Skylitzes und Kekaumenos cf. Zlatarrski, Istorija II, 65-68. Die Deutung Daniels 221 spielten normannische Söldner, wohl Waräger, die vom späteren König von Norwegen Harald Hardråde angeführt wurden, in nordischen Sagen auch als „Vernichter der Bulgaren“ besungen. 14 Mit dem Tod des zum König ausgerufenen Rebellen ist auch die narrative Naht zum eschatologischen Schlussteil zu markieren. Was von hier aus erzählt wird, lässt sich schwerlich mit belegbaren Daten zur Deckung bringen. Die Auferweckung des blinden Insurgenten durch einen Engel und der Legitimationsakt in Rom gehören zum Ersehnten, nicht zum Erlebten. Ebenso illusionär blieb die Hoffnung, er werde Normannen, lokale Kriegsherren und asiatische Stämme vernichtend schlagen und darauf ein Friedensreich in Thessaloniki errichten. Die regionale Perspektive dominiert auch hier - der Endkaiser soll in mazedonischem Gebiet zur Welt kommen und in Pella seinen Regierungssitz innehaben, als zweiter Alexander gewissermaßen. Interessanterweise bleiben die lokalen Bezüge im Ausklang aus, der vorwiegend aus Allgemeinplätzen besteht. Das Geschehen um Antichrist, Henoch und Elija verlagert sich weg vom südlichen Balkan nach Jerusalem. Bezüge zur Offenbarung des Pseudo-Methodius Die Pseudo-Methodius-Fassung im Corpus des Dragol’-Sbornik enthält folgende Interpolation, die auf den gleichen historischen Kontext anspielt: Dann wird eine große Verwüstung die Erde heimsuchen. Ein Mann wird aus Sredec losgehen und ein anderer aus Thessaloniki, Gold tragend. In Vetren werden sie sich begegnen und einander sagen: „Bruder, wie komme ich nach Thessaloniki? “ und: „Wie komme ich nach Sredec? “ Und sie werden das Gold, das sie haben, auf die Erde ausschütten mit den Worten: „Weh uns, Bruder, die Erde blieb wüst. Ein Schaf wird den Preis eines Ochsen haben und ein Ochse den Preis eines Pferdes, und ein Pferd wird dreißig Pfund kosten; die Menschen aber werden sich selbst für drei oder vier Goldgroschen verkaufen und aus Hunger einander umbringen. Es werden große Niederträchtigkeit und Hass und Gesetzlosigkeit ausbrechen. Die ganze Erde wird der Ungerechtigkeit voll sein. Weh uns, Bruder, weh uns, wenn diese Tage anbrechen! Dann wird ein lautes und trostloses Wehgeschrei ob aller Ungerechtigkeit unter den Menschen zu hören sein und niemand wird sich erretten (RevPsMeth sl Dr 4,3; cf. RevPsMeth syr gr lat 13,3). Auffallend ist, dass in dieser Passage von dramatischen wirtschaftlichen Turbulenzen entlang der Verkehrsachse Serdica-Thessaloniki die Rede ist. Die Viehpreise werden ins Maßlose steigen, diejenigen für Sklaven dagegen abstürzen, bis Nutztiere ungleich kostbarer sind als Menschen. Die Folgen sind Hungersnöte, Entwurzelung und Verzweiflung. Ebenso auffallend ist jedoch, dass ausgerechnet da, wo Pseudo-Methodius ein düsteres Bild der Herrschaft 14 Ibid., S. 72-80, insb. Anm. 2 auf S. 80. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 222 Ismaels entfaltet und weitere lokalisierende Vermerke über ein Kriegsgeschehen, soziale Unruhen, Aufstände oder Überfälle fremder Völker in unmittelbarer Nähe zu erwarten wären, dies unterbleibt. Der Interpolator, der die Gegenwart durch das Prisma des Pseudo-Methodius sah und deutete, fühlte sich jedoch auf den Plan gerufen an dem Punkt, wo der Gegenwartsbezug sich förmlich aufdrängte, und stellte diesen Bezug in einer illustrierenden Notiz heraus. Es ist eine naheliegende Vermutung, dass der Eingriff zu einer Zeit erfolg, in der der Ausverkauf ländlicher Ressourcen zu Hungersnöten und Schuldsklaverei führt, während politische Turbulenzen sich zwar anbahnten, jedoch noch nicht gewaltsam entladen hatten. Für diese Konstellation kommt in der Tat ein bestimmter Zeitraum der bulgarischen Geschichte in Frage und zwar, die Verwandlung der Grundsteuer von einer Naturalabgabe in einen pekuniären Beitrag, die durch den Eunuchen Joannes Orphanotrophos im Jahre 1040 veranlasst worden war - dem eigentlichen Machthaber und „Strippenzieher“ im Imperium hinter seinem Bruder Kaiser Michael IV. (1034-1041). 15 Insbesondere für die ländliche Bevölkerung zeitigte diese fiskalische Reform verheerende Konsequenzen. Der Verkaufszwang für Nutzvieh und Getreide, um der Steuerpflicht nachzukommen, mag zwar kurzfristig zu spekulativem Preisverfall geführt haben. Verknappung, Verteuerung und Hungersnöte waren allerdings schnell an der Tagesordnung, und die Sklaverei blieb mitunter der einzige Ausweg aus der Schuldenspirale. Die eingefügte Passage schildert eine apokalyptisch zugespitzte Endphase dieser Entwicklung, als Nutztiere nicht mehr zu haben sind, der Sklavenmarkt dagegen bereits inflationär überschwemmt ist. Die massive Gefährdung der existenziellen Grundlagen der Landbevölkerung war tatsächlich ein zentraler Grund für den Ausbruch des Aufstandes. Die Glosse fängt diese Krisenstimmung ein, und es ist nicht auszuschließen, dass sie zeitnah, d.h. schon während der Erhebung in die Vorlage des Dragol’schen Sbornik aufgenommen wurde. Bezüge zur Vision Daniels Für die Vision Daniels (2 ApcDan sl Dr) in der Abschrift im Dragol’schen Sbornik bietet sich ein wesentlich komplexeres Bild. Statt sich mit einem punktuellen Eintrag zu begnügen hat der Interpolator eine Summe geographischer Anmerkungen in den Text gestreut. Da die sizilianischen Toponyme für ihn offenbar keine Bezugsfläche boten und ihm womöglich gänzlich unbekannt waren, bezog er sie hauptsächlich auf südwestbulgarische Ortschaften in der Region, die sich vom westlichen 15 Zlatarski, Istorija II, 50-51; Ostrogorsky, Geschichte, 270-271; Alexander, Interpolations, 25-26; 29. Die Deutung Daniels 223 Balkan nach Thessaloniki erstreckt. Eine längere Sequenz wurde von ihm in die Textpartie eingefügt, die vom Auftreten des Endkaisers handelt. Eine Reihe von Beobachtungen in Verbindung mit dem Detail, er würde Thessaloniki von Westen her (2 ApcDan sl Dr 8,2) betreten, veranlasste P. Alexander zu einer Datierung der Interpolationen zwischen den Jahren 1079-1082; er glaubte, darin den Vormarsch des vom normannischen Herzog Apuliens Robert Guiscard lancierten Thronprätendenten Rhaiktor erkennen zu können, der sich für den abgesetzten Kaiser Michael VII. ausgab. 16 Aus der Gegenüberstellung von Deutung und Vision Daniels ergeben sich jedoch gegenüber der Analyse von P. Alexander abweichende Schlüsse: Vision Daniels (2 ApcDan sl Dr) Deutung Daniels (3 ApcDan sl) Ursprünglicher Bezug Interpolationen in Drag 651 Kurzwährendes drittes Horn in 3,5 = Kaiser Staurakios † 811 Drittes Horn (= Gavril), wohl Gavril Radomir (1014- 1015); Petăr Deljan galt seinen Zeitgenossen als sein Sohn. Viertes Horn in 3,6 = Kaiser Michael I. (811-813) Einzige Interpolation in Cod. 56: Viertes Horn ist Vladisl; wohl Ivan Vladislav (1015- 1018), Vater Alusians König aus der Stadt der Sonne (4,3) = Heliopolis - Baalbek? König aus der Stadt der Sonne (3,1): Belgrad? Stadt Turinidi (4,4; 6,1) = Syracus Turinidi = Serdica Serdica (4,2) 16 Alexander, Interpolations, 34-38, insb. S. 36. Die Änderung bezieht sich darauf, dass die Siebenhügelige nicht Konstantinopel, sondern Thessaloniki ist; der Einzug von Westen her steht für ihn nicht im Mittelpunkt. Aber auch eine solche Route stünde nicht in Widerspruch dazu, sondern würde sich gut in den Verlauf der Kriegshandlungen Petăr Deljans einfügen. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 224 Zwei Peiniger (IV, 5) = Rebellenanführer Euphemios und Balata Westlich von Turinidi = Glavinica Zwei Peiniger: Bezwingung durch Khagan Michael in der Nähe von Skopje (4,1) Glavinica: (1) Schauplatz des Sieges über die blonden Krieger in 3,10 und (2) Ort der Rückkehr der Kriegsgefangenen in 5,6 Schwangere Frau trauert um ihren Bruder und bringt Sohn zur Welt (4,6) Pernik Dies ist der Endkaiser in Pella (6,1-3) Auftreten der Ismaeliten, Vorstoß bis Mariani (5,1) Donau; Mariani = Mraka Jeninej (5,2) = Festung Enna auf Sizilien Jeninej = Velbăžd (heute Kjustendil) Zufluchtsort von Khagan Michael (4,10) Geheimkönig bezwingt Ismaeliten bei Perton (6,3) Perton = Nähe Serdica Khagan Michael stellt Ismaeliten bei Serdica (4,2) Brunnen mit zwei Öffnungen (φρέαρ δίστομον) in 6,4 Nähe Sredec Brunnen mit zwei Öffnungen: Nähe Sredec/ Festung Bojana (4,2-3) Geheimkönig bezwingt blonde Krieger (6,5) Khagan Michael bezwingt die blonden Krieger (3,10) Kupfernes Heiligtum (7,2) Kupfernes Heiligtum (3,5) Die Deutung Daniels 225 Idealkönig regiert dreiunddreißig Jahre; Friedensreich, Vernichtung äußerer und innerer Feinde, allgemeiner Wohlstand (Gleichheit nach oben: Arme wie Reiche - und nicht umgekehrt), Wiederaufnahme des Ikonenkultes (7,2-6) Michael tritt unter gewaltigen Zeichen die Herrschaft in Thessaloniki an (8,1-3) Der wiedererwachte Khagan Michael herrscht dreiunddreißig Jahre (3,2); die letzten dreizehn davon in Thessaloniki (5,1-2); er wehrt äußere Feinde ab (V.2-3); noch nie dagewesener Friede (V.4); Erneuerung der Kirchen (V.5); Rückkehr der Gefangenen (V.6); ähnliches Bild allgemeinen Wohlstands (V.7) Antichrist erscheint in galiläischen Städten: Chorazin, Bethsaida, Kafarnaum. Wehrufe gegen diese Städte (10,2) Chorazin = Strumica Antichrist erscheint in galiläischen Städten: Chorazin, Bethsaida, Kafarnaum. Wehrufe gegen diese Städte (7,1) Rückkehr der Gefangenen nach Strumica und Glavinica (5,6) Tabelle 16: Gegenüberstellung von Vision (2 ApcDan) und Deutung Daniels (3 Apc Dan) Die Schnittmenge der beiden Apokalypsen lässt zwei miteinander verschränkte Haupttypen von Äquivalenz erkennbar werden: Inhaltlich und ortsbezogen. Ohne Ortsbezug finden sich parallel lediglich die Topoi des Sonnenstadt-Königs, des Normannen-Sieges und des kupfernen Heiligtums. Die von beiden Apokalypsen anvisierte Region entspricht größtenteils dem byzantinischen Thema Boulgaria: Es sind die Ortschaften Serdica, Glavinica, Strumica, Pernik, Mraka, Velbăžd, Skopje, Thessaloniki. Die meisten Übereinstimmungen sind jedoch kombinierte Anleihen: Inhaltliche Motive werden mit Toponymen in Verbindung gebracht. Zudem handeln beide Texte von Auseinandersetzungen mit Ismaeliten und Normannen, die sich im beschriebenen Raum abspielen, und erwarten die Etablierung eines Friedensreiches in Thessaloniki durch einen siegreichen König namens Michael. Wie ist also in Anbetracht dieses Befundes der Interpolationsprozess zeitlich zu terminieren, innerhalb welcher Zeitspanne lässt er sich rekonstruieren? Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 226 Wie einleitend festgehalten, setzt das Abhängigkeitsverhältnis der beiden Texte voraus, dass die Bearbeitung der Vision Daniels noch vor der Abfassung der Deutung Daniels vonstattenging. Es handelte sich dem Anschein nach um parallel verlaufende, gegenseitig bedingte Prozesse. Es ist hingegen recht unwahrscheinlich, dass der Verfasser(-kreis) zunächst die Deutung aus der Vision heraus entwarf und sich erst danach ans Interpolieren und Bearbeiten der Vorlage machte. Die Vision lag also mit relativer Gewissheit zusammen mit Pseudo-Methodius (sl Dr) der Deutung interpoliert vor. Die in den beiden Apokalypsen begonnene Aktualisierung wird in der Deutung aufgegriffen, fortgeführt und zu Ende gedacht. Alle drei Texte stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus demselben Zirkel, sind in derselben Region angesiedelt und reflektieren dieselben Ereignisse. Ertrag für die Datierung von 3 ApcDan sl Die Erwartung eines bulgarischen Friedensfürsten namens Michael würde wenig Sinn in den ersten zwei Jahrzehnten des 11. Jh. ergeben, als die Eroberungskampagne Basilios’ II. in vollem Gange war, zumal nirgendwo von Sieg über die Rhomäer die Rede ist. Auch die folgenden zwei Jahrzehnte verliefen dank der von ihm angelegten Themenverfassung in relativer Stabilität. Weder der Einsatz normannischer Söldner noch Überfälle asiatischer Stämme in bulgarischen Territorien kommen für diese Periode in Frage. Das Bild ändert sich mit dem Aufstand Petăr Deljans 1040-1041, der einer Serie von Erhebungen und um ein Jahrzehnt auch der massiven Turkvölkerinvasion auf den Balkan vorausging, derart tiefgreifend, dass es auszuschließen ist, dies hätte spurlos an RevPsMeth und 2 ApcDan sl Dr vorbeigehen und nur die davon abhängige 3 ApcDan sl und den Jesaja-Zyklus betreffen können. Es ist also P. Alexander zu widersprechen, erst spätere Ereignisse des 11. Jh. wären in den Interpolationen berücksichtigt worden. Es ist vielmehr anzunehmen, dass der erste Eintrag des Interpolators recht zeitnah in das Corpus des Pseudo-Methodius erfolgte, als die dramatischen Umwälzungen in der Landwirtschaft infolge der fiskalischen Reform von Johannes Orphanotrophos in lebendiger Erinnerung hatte und dies nun in apokalyptischen Bildern auszumalen suchte. Die Einschübe in die Fassung der Vision Daniels im Dragol’-Codex entlang des sizilianischen Kriegsverlaufs lesen sich ferner wie eine Chronik des bulgarischen Aufstandes und der von ihm angestoßenen Umwälzungen. Die ursprüngliche Konstellation im Sizilien des 9. Jh. nahm sich verblüffend ähnlich aus: Unruhen infolge einer neu eingeführten Steuerabgabe, eine dadurch ausgelöste Erhebung, fremde Invasion, Endkaiser-Erwartung. In der Deutung Daniels wiederum ist ein Aufständischer von vermeintlich königlicher Herkunft zentrale Projektionsfigur für Erlösungssehnsüchte und Die Deutung Daniels 227 endzeitlich interpretierte Hoffnungen. Die Parallelität der Ereignisse - 1041 verschwindet der geblendete Rebellenführer in den Kerkern Konstantinopels, 1042 wird der für Usurpator gehaltene Kaiser Michael V. abgesetzt und geblendet - hat womöglich die Imagination des Verfassers weiter beflügelt. Der entscheidende Anstoß für die Abfassung der Deutung Daniels wird das Auftreten der Pečenegen an der Donau in den Jahren 1048-49 gewesen sein, die unruhige Jahrzehnte in den Provinzen beiderseits des Balkan hereinbrechen ließen. Der diesbezügliche Vermerk in der Vision Daniels, die Ismaeliten würden an der Donau erscheinen (2 ApcDan sl Dr 5,1), düfte den Abschluss des Interpolationsprozesses markieren. Je nachdem, welche der beiden Fristen der Deutung Daniels (3 ApcDan sl 3,1 oder 3,2) zu Grunde gelegt wird, fällt ihre Abfassung in einem Kloster in der Nähe von Strumica oder Glavinica in die Zeit zwischen 1048 und 1052, sieben oder elf Jahre nach Ausbruch des Aufstandes. Bedeutung Die Entstehungssituation der Deutung Daniels ist insoweit einmalig, da sie sich „im Dialog“ mit zwei anderen Apokalypsen herausbildet, um einer aus den Fugen geratenen Gegenwart einen Sinn zu geben. Während Pseudo-Methodius ein monumentales Panorama der Weltgeschichte entwirft und davon ausgehend nach einer Antwort auf die quälende Frage nach Gründen für die erfolgreiche Expansion der Muslime und den rapiden Bedeutungsverlust der Christen in den okkupierten Gebieten im östlichen Mittelmeer des 7. Jh. sucht, befasst sich die Vision Daniels mit dem Eindringen arabischer Muslime auf Sizilien im beginnenden 9. Jh. und spiegelt den Verlauf einer parallel ausgebrochenen Revolte wider. Ausgangspunkt für die Deutung Daniels ist zunächst einmal die Lektüre von Zeitgeschichte durch die Folie der kirchenslavischen Fassungen der beiden byzantinischen Apokalypsen (RevPsMeth sl und 2 ApcDan sl). Die Parallelen zum Zeitgeschehen, die sich daraus ergaben, müssen einen Bearbeiter (oder einen Redaktoren-Kreis) zu ergänzenden und interpretierenden Glossen veranlasst haben - zunächst im Corpus des Pseudo-Methodius, dann nach und nach an den Rand der sizilianischen Daniel-Vision, um damit die Erfüllung des Vorausgesagten in seiner unmittelbaren Nähe festzuhalten. Da diese Vermerke noch immer nicht in aller Deutlichkeit dem Gegenwartsbezug entsprachen, ging der Interpolator (oder sein Kreis) dazu über, dies in einer gesonderten apokalyptischen Abhandlung festzuhalten. Das Ergebnis liegt in der sog. Deutung Daniels vor, die sich als ein Kommentar zur Vision ausweist und aus der Interpretationsarbeit an ihrem Text erwachsen war. Der Text weist Merkmale des apokalyptischen Formulars auf und ist Station einer Entwicklung, die die Entwürfe des Daniel-Typus umfasst und im Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 228 slavischen Kreis sich im Jesaja-Zyklus fortsetzt. Die Kürzung des Visionären und die Reduktion des Metahistorischen auf ein für die narrative Intention notwendiges Minimum sind in der gestrafften In-troduktion zu beobachten, wenngleich Pseudo-Methodius unstreitig den hauptsächlichen Referenzrahmen stellt. Im Mittelpunkt steht erneut der lokale Bezug. Ähnlich wie 2 ApcDan sl, die das ikonoklastische Zeitalter Revue passieren lässt, bevor sie zur endzeitlich gedeuteten Gegenwart übergeht, liefert 3 ApcDan sl eine apokalyptische Lesart zu einem Jahrhundert bulgarischer Geschichte und stellt dann das aktuelle Jahrzehnt in den Fokus ihrer Betrachtung. Die Regionalisierungstendenz macht sich selbst in der Gestalt des Endkaisers bemerkbar, der als zweiter Alexander auf mazedonischem Boden erwartet wird und in der Stadt Pella regieren soll, und bleibt auch im Schlussteil präsent. 5. Die letzte Vision des Propheten Daniel Ἡ ἐσχάτη ὅρασις τοῦ προφήτου Δανιήλ prrka danіila prozrýnіе o poslýdnihú vrýмеni, i o antіhrїstý „Des Propheten Daniel Gesicht von der Endzeit und dem Antichrist“ (4 ApcDan gr resp. sl) DiTommaso: „The Last Vision of the Prophet Daniel” Die sog. „letzte Vision des Propheten Daniel“ (4 ApcDan) ist eine apokalyptische Antwort auf die Eroberung Konstantinopels durch das Heer der Kreuzritter im Jahre 1204. 1 Die Überschrift weist die Schrift als Abschluss eschatologischer Daniel-Prophetie aus. Das Vorausgesagte ist eingetreten, und die Endzeit bricht herein, da mit dem Untergangs des Byzantinischen Reiches das entscheidende Hindernis für die letzten Dinge beseitigt worden ist (2 Thess 2,6-7). Die Überschrift ἐσχάτη ὅρασις dürfte ihr Gegenstück in der Überschrift ὅρασις πρώτη haben, die die sog. Daniel-Diegese trägt (8. Jh.). Damit wären beide Texte als Anfang und Abschluss einer Sammlung von Daniel-Apokalypsen ausgewiesen sein, deren Prophezeiungen in den Augen der Byzantiner im Jahre 1204 als erfüllt galten. Griechische Überlieferung Mit fünfundzwanzig Manuskripte (das älteste davon aus dem Jahre 1332- 1333) ist die „Letzte Vision“ die am besten bezeugte griechische Daniel-Apokalypse. Nichtsdestotrotz ist ihr Textbestand nicht entsprechend gesichert, und eine alle Textzeugen einbeziehende Edition steht nach wie vor aus. 2 Zwischen Apokalyptik und Geschichte Der griechische Text nimmt sich mehr als eine Anhäufung von Vaticinien aus denn als eine zusammenhängende Erzählung. Es sind folgende Orakel erkennbar, hinter denen sich reelle Figuren und Begebenheiten verbergen: 1 Bibliographie bei DiTommaso, Book of Daniel, 186-192 (Forschungsbilanz), 366-374 (Textzeugen und Literatur). Cf. ferner Bousset, Beiträge, 103-131, 261-290, insb. S. 261- 281 (byzantinische Weissagungen); 289-290 (Textsituation und Datierung) und Pertusi, Fine di Bisanzio, 77-81; 111-127. 2 Textausgaben von Tischendorf, Apocalypses apocryphae, XXX-XXXIII; Vasiliev, Anecdota, XX-XXV (praefatio), 43-47 (Visio Danielis); Klostermann, Analecta, 113-120; Istrin, Otkrovenie I, 268-287 (Einführung und Gegenüberstellung mit den slavischen Versionen); Istrin, Otkrovenie II, 135-162 (Textausgabe nach Cod. 217 des Athos-Klosters Koutloumusiou) und zuletzt Schmoldt, Schrift, 114-187 (Text und Kommentar). Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 230 Wehruf (V.1): οὐαί σο γῆ ὅταν τὸ ἀγγέλων σκῆπτρον βασιλεύσῃ ἐν σοί; offensichtlich eine Anspielung auf die Dynastie der Angeloi (1185-1205). 3 Aussendung von drei Strafengeln gegen die Erde zur Aussonderung von Treuen und Ungerechten (V.2-10). Der an die Johannes-Offenbarung anklingende Auftrag, eine bestimmte Zahl zu versiegeln, endet stereotyp mit τὸ μὲν δίμοιρον ῥῖψον καὶ τρίτον ἔασον (V.6.8.10). 4 Geographische Schwerpunkte ihrer Mission sind zum einen „die Vorgebirge und die Inseln“ (wohl die Ägäis), sodann „die westlichen Gegenden“ (! ? ) und schließlich Kleinasien, Syrien und Konstantinopel. Hinter τὴν μητέρα τῶν πόλεων dürfte sich die byzantinische Hauptstadt verbergen und nicht das Byzantinische Kaiserreich. 5 Es folgt eine Schilderung der ausgebrochenen Wehen (V.11-15): Die Lebenden werden achtzehn Monate heimgesucht werden, bis sie die Toten selig preisen (V.15). Sodann richtet sich das Augenmerk explizit auf Konstantinopel, im Text als „Heptalophos“ apostrophiert (V.16-18). 6 Drei Abschriften enthalten statt von V. 1-17 folgendes Stadtorakel: „In den letzten Tagen des siebenten Äons werden sich die Hagarener erheben und die Stadt Byzanz umringen. Und es werden sich in ihr viele Völker versammeln.“ 7 Eroberung: Nach einer Belagerung wird die Stadt (ἡ Ἑπτάλοφος) fallen (V.19- 20). Ein Jüngling (μειράκιον) tritt die Herrschaft in Konstantinopel an, bemächtigt sich der „Altäre“ und übergibt die „Heiligtümer“ den Söhnen des Verderbens (V.21-24). Aus Sicht von W. Bousset handelt es sich dabei um Kaiser Alexios IV. Angelos (1203-1204), der zusammen mit seinem Vater Isaak II. zum Kaiser eingesetzt wurde. 8 Gegen ihn erhebt sich eine schlafende Schlange und reißt sein Diadem an sich. Dies spielt den „Söhnen des Verderbens“ in die Hände, die erstarken und sich gegen den Westen wenden (V.25-28). Falls die Jüngling-Identifizierung zutrifft, würde sich das Bild der schlafenden Schlange auf Kaiser Alexios V. (1204) beziehen. Franken: Das blonde Geschlecht tritt auf den Plan und ergreift die Macht für eine gewisse Zeit: Fünf und sechs Jahre (V.29-30). Dies müsste auf die Ereignisse des Jahres 1204 verweisen. Mit τὸ ξανθὸν γένος dürften folgerichtig die Lateiner gemeint sein. Den rätselhaften Ausdruck ἔτη ἓξ και πέντε als 56 oder 3 Cf. Bousset, Beiträge, 290; Brandes, Konstantinopels Fall, 239-259, insb. S. 253. 4 Schmoldt, Schrift, 159-161 (Vergleich mit der Johannes-Offenbarung). 5 Gegen Schmold, Schrift, 157; cf. die Hyperbole „Königin aller Städte“ - Ostrogorsky, Geschichte, 358. 6 Brandes, Topographie; 58-71; Berger, Konstantinopel; 135-155, insb. S. 139-146 („Die sieben Hügel von Konstantinopel“). 7 Schmoldt, Schrift, 161-162. 8 Bousset, Beiträge, 290; cf. Schmoldt, Schrift, 163-164 und Brandes, Konstantinopels Fall, 254. Die letzte Vision des Propheten Daniel 231 65 zu interpretieren und auf die Restauration der byzantinischen Herrschaft im Jahre 1261 durch Michael VIII. zu beziehen ist nicht unproblematisch. 9 Denn (1) es ist recht unwahrscheinlich, dass die Apokalypse erst ein halbes Jahrhundert später entstanden wäre; (2) es bliebe unerklärlich, warum ein derart entscheidendes Ereignis nur durch ein dürftiges, missverständliches Zahlenspiel referiert und sonst nicht weiter ausgeführt wird. Selbst wenn diese Deutung zuträfe, muss die Lesart einer zweistelligen Zahl nicht zum ursprünglichen Text gehört haben. 10 Vier Verwalter werden eingesetzt, drei über den Osten, einer über den Westen - ein klarer Verweis auf die Aufteilung des Byzantinsichen Reiches unter den Lateinern. Zwei Feldherren gehen gegen die Ismaeliten vor (V.31-33). Die unreinen Nordvölker ziehen gegen den Süden und liefern sich eine gewaltige Schlacht in der Siebenhügeligen (V.34-45). Ein zeitgeschichtliches Indiz ist die Erwähnung eines bedeutenden Königs namens Philipp „mit achtzehn Zungen“: ὁ μέγας Φίλιππος (V.40). 11 Philipp I. von Frankreich (1052-1108) scheidet definitiv aus, der er nicht in die betreffende Zeit passt. 12 Ging es um den deutschen König Philipp von Schwaben (1198-1208), der durch seine Verbindung mit den Angeloi (die Heirat mit Irene, Tochter von Isaak II. und Schwester von Alexios IV.) in die Ereignisse involviert war? Oder um den französischen König Philipp II. August (1180-1223), dessen Schwester mit dem 1185 ermordeten Kaiser Andronikos I. Komnenos verheiratet war? Das rätselhafte Orakel τότε Βοῦς βοήσει καὶ Ξηρόλοφος θρηνήσει geht auf die Interpolation in den griechischen Text des Pseudo-Methodius 13,9 zurück. 13 Erlöserfigur: Eine Stimme verweist detailreich auf einen Hoffnungsträger von unscheinbarer Gestalt. Er soll in der Hagia Sophie von vier Engeln zum König eingesetzt werden und sich gegen alle Feinde des Imperiums wenden: Muslime, Äthiopier, Franken, Tataren (V.46-52). Die Ismaeliten werden teils vernichtet, teils bekehrt, teils bis zum „Monodendron“ verjagt (V.53-54). 14 Daraufhin öffnen sich die Schatzkammern der Erde, ein friedliches Reich allgemeinen Wohlstands bricht für zweiunddreißig Jahre an (V.55-59). Sind hier Erwartungen an den neu inthronisierten Balduin von Flandern geknüpft? 15 Ab hier leitet die Schrift ins Eschatologische über. 9 Brandes, Konstantinopels Fall, 255. 10 Mit Bousset, Beiträge, 290 und gegen Schmoldt, Schrift, 165-166. 11 Cf. Schmoldt, Schrift, 174-175 und Brandes, Konstantinopels Fall, 256. 12 Bousset, Beiträge, 290 und gegen DiTommaso, Book of Daniel, 192. 13 Brandes, Belagerung Konstantinopels, 65-91; Brandes, Konstantinopels Fall, 246, Anm. 26 und 28 (zur Verbindung mit dem Orakel des Joannes Tzetzes Βοῦς βοήσει καὶ ταῦρος θρηνήσει). 14 Brandes, Konstantinopels Fall, 256-258 (zur Vorstellung vom „dürren Baum“, die wohl hinter μονοδένδρον steckt). 15 Zum historischen Hintergrund siehe Ostrogorsky, Geschichte, 360ff. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 232 Endkaiser: Er ist Nachfolger und Sohn des siegreichen Retters von Byzanz. Den eigenen Tod voraussehend eilt er nach Jerusalem und übergibt Gott seine Herrschaft (V.60-61). Vier Nachkommen: Den Söhnen des letzten Kaisers fällt die Herrschaft über vier Machtzentren zu: Rom, Alexandria, Konstantinopel, Thessaloniki. Es bricht ein Bürgerkrieg ohne Gewinner aus, der den Klerus in Mitleidenschaft zieht (V.62-65). Die Vita des Andreas Salos liefert eine Parallele hierzu (3921- 3959): Den drei Kriegsherren, die darin geschildert werden, fallen folgende Herrschaftsgebiete zu: (1) Thessaloniki und Rom; (2) Mesopotamien, die Kykladeninseln, (3) Jerusalem; Kleinasien, Armenien, Arabien, „Sylaion“; nach 4048-4069 geht die Reichsgewalt nach Konstantinopels Untergang auf Rom, Thessaloniki und „Sylaion“ über, um allmählich zu zerfallen. Gottlose Kaiserin: Die fortschreitende Dekadenz manifestiert sich in der Gestalt einer blasphemischen Herrscherin, die die Altäre entweiht und sich gegen Gott erhebt (V.66-68); cf. Vita des Andreas Salos, 3960-3988 („die gottlose Herrscherin aus dem Pontus“). Untergang Konstantinopels: Die Stadt wird in den Meeresgrund versenkt, sodass nur die Xerolophos-Säule herausragt (V.68-71). 16 Es handelte sich offensichtlich um den siebten der Hügel Konstantinopels, der zusammen mit der Bedeutung „trocken“ die apokalyptische Wertung erhielt, er werde als letzter untergehen und aus dem Wasser ragen. 17 . Untergang aller Machtzentren: Thessaloniki, Smyrna und Zypern gehen im Meer unter (V.72-73) - cf. Vita des Andreas Salos, 4048-4069. Herrschaft des Antichrist: Er macht die Juden groß und errichtet den Tempel Salomos. Die Erde wird von Dürre geplagt, die Zeit der Not verkürzt sich jedoch der Auserwählten wegen (Mk 13,20 par). Nach dreiundeinhalb Jahren verbrennt ein feuriger Niederschlag den Boden dreißig Ellen tief. Die Himmel rollen sich ein wie ein Blatt Papyrus (V.74-82); cf. 1 ApcIoh apocr 6-8; 14. Auferstehung und Gericht: Auf den Trompetenschall der Engel hin wachen die Toten auf. Die Gerechten werden dem Bräutigam zur Rechten gestellt und erben das Paradies, den Sündern wird die Linke sowie ewige Qual zuteil (V.83- 85). Schlussdoxologie (V.85). 16 Brandes, Meer, 119-131 (Xerolophos). 17 Berger, Konstantinopel, 135-139 (zu Xylokerkos, Bus und Xerolophos); 142-146, insb. S. 144, Anm. 35 (Verweis auf die „Wunderbare Geschichte von der Säule des Xerolophos“ aus dem 16. Jh.). Die letzte Vision des Propheten Daniel 233 Historische Zusammenhänge Aus den aufgezählten Puzzle-Steinen lässt sich ein schlüssiges historisches Narrativ zusammensetzen. Die Dynastie der Angeloi wird mit einem Wehruf eingeführt. Merkmale ihrer Herrschaft sind Verwüstungen der byzantinischen Provinz, die nach und nach die Hauptstadt erreichen. Der Eroberung Konstantinopels durch die Lateiner geht eine heillose Schwächung des Kaisertums voraus, personifiziert an einem Jüngling und einer schlafenden Schlange. Auf den Zerfall des Kaiserreichs folgt ein Ausbruch der unreinen Völker aus dem Norden, die in Allianz mit Süd- und Westvölkern die „siebenhügelige Stadt“ erstürmen. In diesem Tiefpunkt der Not tritt eine Erlöserfigur auf den Plan, porträtiert als ein Bettlerkönig, der die Wende herbeiführt. Er soll die Feinde des Imperiums zerschlagen und ein friedliches Wohlstandsreich ausrufen. Dies ist aber nicht der Endkaiser, der erst nach ihm auf Golgota seine Macht Gott übereignet. Der Auftritt einer blasphemischen Kaiserin beschwört den Untergang Konstantinopels in den Fluten des Meeres herauf, ferner der lokalen Machtmetropolen. Die endzeitliche Bedrängnis erfährt eine letzte Steigerung im Wirken des Antichrist. Die Zeit der Prüfung soll allerdings der Auserwählten wegen verkürzt werden. Die Apokalypse schließt mit Auferstehung, Gericht und Vollzug der Jenseitsstrafen. Am Vorabend der Eroberung Die Jahrzehnte vor dem schicksalhaften Jahr 1204 waren gewiss keine ruhmreiche Periode der byzantinischen Geschichte. Das Reich war vielfach von einer schwachen Verwaltung und äußeren Bedrohungen gezeichnet. 18 Die Erosion herkömmlicher Strukturen machte sich auf nahezu allen Ebenen bemerkbar, von der Zentralgewalt bis in die Peripherie hinein. Bis auf Alexios III., der ins Exil flüchtete, wurden die Kaiser dieser Zeit gewaltsam abgesetzt, geblendet oder ermordert (sei es vergiftet, dem Mob zum Lynchmord übergeben oder mit dem Bogenstrick erwürgt). Statt dem Zerfall Einhalt zu gebieten, war der Hof in Konstantinopel zum Exponenten zentrifugaler Prozesse geworden. Die Bilanz der beiden Dynastien der späten Komnenoi und der Angeloi fällt recht ernüchternd aus: Letzte Komnenoi (1081-1185) Alexios II. (1180-1183) Thronbesteigung mit elf Jahren; Mitregentschaft seiner Mutter Maria von Antiochien, pro-lateinische Politik. Nach ihrer Absetzung wurden beide hingerichtet (wohl erwürgt). 18 Näheres zur Zeitgeschichte bei Ostrogorsky, Geschichte, 360-365; Norwich, Short History, 291-303; Treadgold, History, 710-715. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 234 Andronikos I. (1183- 1185) Machtergreifung und Beseitigung von Maria und Alexios II. Massaker an den Lateinern in Konstantinopel im Jahre 1182. Er wurde in einem Hofputsch abgesetzt und vom aufgebrachten Mob gelyncht. Dynastie der Angeloi (1185-1204) Isaak II. (1185-1195) Günstlingswirtschaft, territoriale Verluste, Rückschläge im Norden gegen Bulgaren und Normannen. Absetzung und Blendung. Alexios III. (1195- 1203) Finanzielle Verausgabung des Fiskus. Flucht in 1203. Alexios IV. (1203- 1204) Mitregentschaft mit seinem Vater Isaak II. während der Belagerung von Konstantinopel durch die Ritter des Vierten Kreuzzuges. Absetzung und Ermordung durch Gift und Strick. Alexios V. (1204) Vergeblicher Kampf gegen die Eroberung Konstantinopels in 1204. Hinrichtung durch die Kreuzritter in 1205. Tabelle 17: Historische Bezüge von 4 ApcDan (Dynastien der Komnenoi und der Angeloi) Eine korrupte Administration, politische Rivalitäten, steuerliche Überlastung und eine verantwortungslose Fiskalpolitik trugen nach und nach dazu bei, dass sich am Vorabend des Vierten Kreuzzugs eine weitgehende Handlungsunfähigkeit gegenüber den drängenden politischen Herausforderungen im Reichsinneren und den angrenzenden Territorien eingestellt hatte. Dieses politische Vacuum machten sich schließlich auch die Lateiner im Jahre 1204 zunutze. All das ergab ein Gesamtbild, das zu einer politisch-eschatologischen Interpretation geradezu einlud. Vor dieser Folie liest sich die „letzte Vision“ als ein apokalyptisches Zeitporträt, das eine krisenhafte Stimmung einfängt, die in der Erfahrung einer historischen Katastrophe einen Höhepunkt erreicht. Apokalyptische Reflexion Die „letzte Vision Daniels“ war in diesem Sinne aus der Krise heraus geboren. Die Herrschaft der Dynastie der Angeloi (1185-1204) wird darin als eine endzeitlich aufgeladene, durch schwere Not gezeichnete Periode vorgestellt: „Weh dir, Erde, wenn das Zepter der Engel (= Angeloi) in dir herrscht! “ (V.1). Die letzte Vision des Propheten Daniel 235 Damit stand unser Text nicht alleine da, sondern spiegelte gewissermaßen den Geist der Zeit wider. 19 Darauf folgt die Aussendung von Strafengeln, die zwei Drittel der Menschen dem Untergang weihen und die in drei Gruppen aufgeteilten byzantinischen Provinzen achtzehn Monate lang mit Qualen überziehen (V.2-10). Diese Schilderung, die mit den üblichen Sprachbildern illustriert wird (die Lebenden preisen die Toten V.15), ist ein apokalyptisches Summarium des schon Geschehenen und noch zu Geschehenden. Die Strafe wird diejenigen treffen, die nicht umkehren, sondern in ἀνομία und ἀδικία verharren (V.11- 20). Die Not erreicht einen Höhepunkt, als ein Jüngling sein Zepter aufrichtet und auf die Siebenhügelige tritt (V.21-22). Der Missbrauch der Heiligtümer und ihre Übergabe an die „Söhne des Verderbens“ passen gut auf die verzweifelten Versuche von Alexios IV. Angelos (1203), die finanziellen Forderungen der Kreuzritter durch Zugriff auf kirchliche Eigentümer zu erfüllen. Der Zugriff musste scheitern und lieferte stattdessen einen Vorwand zur Erstürmung der Stadt. Das Bild der „schlafenden Schlange“, die sein Diadem an sich reißt, gilt dem letzten Kaiser der Angeloi, Alexios V. Dukas (1204-1205), dessen Name für kurze Zeit Bedeutung erlangte (V.25-28). Aber auch die von ihm angefeuerte Gegenwehr war vergebens. Das blonde Geschlecht ergreift die Macht in der siebenhügeligen Stadt, das Reich wird aufgeteilt (V.29-31). Mit der nicht näher aufzulösenden Erwähnung zweier Verfolger der Ismaeliten (V.32-33) verlässt die Schrift den Bereich real erlebter und apokalyptisch erzählter Geschichte und leitet zum endzeitlichen Entscheidungskampf über. Die apokalyptische Reflexion über die Wende vom 12. auf das 13. Jh.vollzieht sich demnach in folgenden Schritten: Endzeitlich angehauchtes Porträt der letzten Angeloi und der Eroberung der Stadt im Jahre 1204. Diese kurze Zeitspanne von etwa zwei Jahren wird in V.1 bis 31 in den Begriffen politischer Eschatologie verschlüsselt. Die mittlere Textpartie beschäftigt sich mit dem Schicksal von Byzanz in kosmischen Dimensionen. Der Fall Konstantinopels ist eng mit dem Weltuntergang verknüpft, welcher im Schlussteil ausgemalt wird. Slavische Rezeption der „letzten Vision Daniels“ Der Fall Konstantinopel war ein folgeträchtiger Einschnitt für das Zweite Bulgarische Reich, und der Text der Vision wanderte nach Bulgarien schon im frühen 13. Jh. Es sind folgende Adaptationen überliefert: 19 Cf. Brandes, Konstantinopels Fall, 252-258; Külzer, Konstantinopel, 51-76; Külzer, Eroberung, 619-632. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 236 (1). Erste, bearbeitete und gekürzte Übersetzung: „Aus den heiligen [Büchern] Gesicht des Propheten Daniel” (4 ApcDan sl Dr). - Cod. 651 (Dragol’scher Sbornik, Sammelcodex des Priesters Dragol’), Volksbibliothek Belgrad, zweite Hälfte des 13. Jh. fol.240b-242a. Der in einem holprigen Kirchenslavisch verfertigte Text ist mit zahlreichen inhaltlichen Fehlern behaftet und stellenweise korrupt, die Gegenüberstellung mit der griechischen Vorlage offenbart zahlreiche Fehlübersetzungen. Dessen ungeachet stellt diese Apokalypse eine wertvolle Quelle zu den Ereignissen des Jahres 1204 dar. Sie stammt dem Anschein nach unmittelbar vom Schauplatz des Geschehens und ist in der vorliegenden Gestalt womöglich kurz der Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzritter von einem unmittelbaren Augenzeugen verfasst worden. Der Text beginnt mit der Eroberung Konstantinopels durch die Lateiner. Im Mittelpunkt steht eine epische Schlacht der Krieger des Balduin gegen die Völker des Nordens, die gemeinsam mit den Völkern des Südens und des Westens losziehen. Der Epilog umfasst eine surreale Sequenz, in der die Schrecken des Endes plastisch ausgemalt werden. Die ersten beiden Abschnitte geben den Inhalt der griechischen Vision verkürzt wieder, worauf auch die Überschrift hindeutet: „Aus den heiligen [Schriften] Vision des Propheten Daniel“. Dagegen nimmt sich der Schluss singulär und enigmatisch aus. Er wurde wohl auch erst im Kirchenslavischen abgefasst. Die Begleitumstände der Stadteroberung werden im kirchenslavischen Text ausgeblendet, das Augenmerk richtet sich ausschließlich auf den Wendepunkt, als Konstantinopel den Lateinern zufällt und mit Rom eine Einheit bildet; es ist eine Zäsur, die alles Bestehende umwirft (1,3). Die in Nord, Süd und West aufgestörten Völker sollen sich eine Schlacht mit „Balduin“ liefern (2,6) und nicht mit dem „großen Philippos“, wie der griechische Text in V.40 berichtet. Diese Notiz kann auf keine andere Person verweisen denn auf Balduin von Flandern, der am 16.05.1204 zum ersten Kaiser des Lateinischen Kaiserreiches gekrönt wurde. Der Verfasser verbindet mit ihm die Hoffnung, dass er an Stelle der korrupten byzantinischen Kaiser dem Ansturm der Nordvölker Einhalt gebieten und damit das drohende Weltende ein Stück weit hinauszögern wird. Da Balduins Ritter jedoch in der Schlacht von Adrianopel am 14. April 1205 vom Heer des bulgarischen Königs Kalojan vernichtend geschlagen wurden, er selbst in Gefangenschaft geriet und im Sommer des Jahres 1205 in der Haft in der bulgarischen Hauptstadt Tărnovo starb, zieht das enge zeitliche Grenzen für die Abfassung des kirchen-slavischen Textes. 20 20 Cf. Božilov, Mutafčiëva & Kosev et alii, Istorija, 80-95; Delev, Angelov & Bakalov et alii, Istorija, 77ff. Die letzte Vision des Propheten Daniel 237 Der Schlussteil stellt eine Verdichtung surrealer Sprachbilder dar. Der Fokus auf Konstantinopel ist viel direkter als in den vorausgegangenen Kapiteln (3,15). Die detaillierte Ortskenntnis (3,4.8) in Verbindung mit der Erzählperspektive lässt darauf schließen, dass hier jemand spricht, der sich zuverlässig in der byzantinischen Hauptstadt auskannte und sie nicht bloss als Topos seiner Erzählung einbezog. Sollte mit dem rätselhaften Pentakeonin in V.4 tatsächlich das Pentapyrgion gemeint sein, das sich, wie wir aus der Logothetenchronik 215.12-19 wissen, in der Chrysotriklinos befand - der goldenen Empfangshalle des Magnaura-Palastes, so würde dies der Erzählung die Authentizität einer nahezu filmisch wirkenden Echtzeit-Aufnahme verleihen. Die Pforten der Stadt werden mit Details genannt, die nur einem Bewohner Konstantinopels geläufig sein dürften. Sie werden aufgetan, damit das endzeitliche Gericht vollzogen wird (3,8) - so, als wäre der Verfasser unmittelbarer Augenzeuge der Plünderungen und Raubzüge der Kreuzritter gewesen. Gesetzt den Balduin-Bezug in 2,6 ist es wiederum weder denkbar noch vorstellbar, wie dies anders gewesen sein kann. Es wäre indes nicht übertrieben davon auszugehen, dass der in Kap.3 der beiliegenden Übersetzung gegenwärtigen Art des Erzählens persönliche Erfahrung zu Grunde liegen dürfte, dass sie also nur durch unmittelbar Erlebtes glaubwürdig zu erklären ist. Alles in allem lässt sich die Summe topographischer, historiographischer und stilistischer Indizien dahingehend auslegen, dass mit der Vision Daniels in der Fassung von Cod. 651 ein apokalyptisch versierter, slavischsprachiger Zeitzeuge in Konstantinopel um das Jahr 1204 eine eschatologische Deutung seiner Gegenwart hervorbrachte. Er hatte offenbar Zugriff auf eine Sammlung griechischer Daniel-Schriften, wie schon die Überschrift nahelegt („Auswahl aus den heiligen Büchern der Visionen des Propheten Daniels”). In der sog. „letzten Vision Daniels“ (ἡ ἐσχάτη ὅρασις τοῦ προφήτου Δανιήλ), die wohl schon gegen Ende der Angeloi-Dynastie in Umlauf war, muss er eine zuverlässige Prognose des Zeitgeschehens erkannt haben. Die Schwächung von Byzanz, den Ansturm des „blonden Geschlechtes”, das anbrechende Endgericht. So fertigte er hieraus hastig ein kirchenslavisches Übersetzungsexzerpt an, das in Kap.1 und 2 zu lesen ist. Zu diesem Zweck ließ er sowohl das Vorspiel als auch das Nachspiel der Einnahme von Konstantinopel aus. Alles, war ihn interessierte, war das endzeitlich aufgeladene Faktum der Eroberung von Konstantinopel und des damit eingeläuteten Untergangs von Byzanz, was in der reichhaltigen Deutungstradition von 2 Thes 2,6-7 den Eintritt in das letzte Zeitalter markiert. Um die eschatologische Bedeutung dieses einmaligen, unwiderruflichen Ereignisses herauszustreichen versah er seine Übertragung mit einer apokalyptischen Illustration, die er in Kirchenslavisch verfertigte und als Anhang anfügte (Kap.3). Eroberung, Not und Gericht bilden darin eine unauflösliche Sinneinheit. Byzantinische Eschatologie I: Politische Apokalyptik 238 (2). Zweite, wörtliche Übersetzung: „Des Propheten Daniel Gesicht von der Endzeit und dem Antichrist” (4 ApcDan sl 1 ) - Cod. 13.3.19, Bibliothek der Akademie der Wissenschaften Sankt Petersburg, kopiert vom Mönch Gavriil i. J. 1448 (moldauisch, mittelbulgarische Vorlage), fol.220b-224b 21 - Cod. 312, Nationalbibliothek Belgrad, 16.-17. Jh. (serbisch, verbrannt im Zweiten Weltkrieg), fol.68a-73b 22 - Cod. 313, Nationalbibliothek Belgrad, 16.-17. Jh. (serbisch, verbrannt im Zweiten Weltkrieg), fol.78a-83a 23 - Cod. 97 (50/ 3/ 308), Kloster Hagiou Panteleemonos, Athos, Mitte des 18. Jh. (russisch, nicht erfasst, unediert), fol.18a 24 Dies ist eine vollständige, wörtliche Übersetzung des griechischen Textes, die wohl gegen Ende des 13. Jh. im südslavischen Raum entstand (Cod. 13.3.19, Sprachmerkmale der Tărnovo-Schule) und später Verbreitung im serbischen (Cod. 312, 313) und russischen (Cod. 97) Sprachraum fand. 25 (3) Dritte, wörtliche Übersetzung: „Letzte Vision des heiligen Propheten Daniel“ (4 ApcDan sl 2 ) - Cod. 241, Sammlung Chludov, Staatliches Historisches Museum Moskau, Mitte des 15. Jh. (serbisch, bulgarische Vorlage, unediert), fol.132b-134b 26 - Cod. 1, Sammlung Undol’skij, Russische Staatsbibliothek Moskau, 15. Jh. (russisch), fol.422a 27 - Cod. „Svaričevski izmaragd“, Sammlung A.S. Petrušević, Nationalbibliothek L’viv, 16.Jh. 28 Diese weitere, wörtliche Übersetzung ist ebenso im 13. Jh. in einem südslavischen, wohl südwestbulgarischen Gebiet anzusiedeln (Cod. 241). Von da aus wanderte sie weiter ostwärts, wie russische und ukrainische Abschriften (Cod. 1, Izmaragd-Sbornik) belegen. Wertvoll ist das Zeugnis des Chludov- 21 Deskription bei Jacimirskij, Grigorij Camblak, 369-376; Popov, Opisanie, 486-488; Jacimirskij, K istorii, 93-97; Text bei Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 221-222 (apparatus criticus). 22 Deskription bei Stojanović, Katalog IV, 309-312 (Nr. 417); Text bei Makušev, O nekotorych rukopisjach, 23-26. 23 Deskription bei Stojanović, Katalog IV, 312-325 (Nr. 472). 24 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižninam, 221-222 (apparatus criticus). 25 Ibid., S. 209-210. 26 Deskription bei Popov, Opisanie, 486-488; Jacimirksij, K istorii, 93-97; Text bei Tăpkova- Zaimova & Miltenova, Knižnina, 221-222 (apparatus criticus). 27 Undol'skij, Rukopisi, 3-9; Text bei Speranskij, Materialy, 95-98. 28 Franko, Apokrifi IV, 255-258. Die letzte Vision des Propheten Daniel 239 Codex, in welchem die „letzte Vision“ von apokalyptischen Kontextmanuskripten umrahmt ist, darunter das Abraham-Testament und die Anastasija- Apokalypse. 29 (4). Vierte, russische Übersetzung: „Vision des Propheten Daniel darüber, was in den letzten Tagen während der Vollendung des Zeitalters geschehen wird” (4 ApcDan russ) - Cod. 62 (264), Čudov-Kloster, Mitte des 16. Jh. (russisch) 30 - Cod. IX.A 44, Nationalmuseum Prag, f.258a-b 31 Charakteristisch sind für diese russische Übersetzung erläuternde Einschübe. Der apokalyptische Terminus „Heptalophos“ wird mit Konstantinopel resp. Carigrad substituiert. Auch sie dürfte dem 13. Jh. zuzuordnen sein. 32 29 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 210-211. 30 Speranskij, Materialy, 58-64. 31 Deskription in Vašica & Vajs, Soupis, 28. 32 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 212. VI. Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen Ein bisher nicht hinreichend geklärtes Phänomen ist die Renaissance der byzantinischen Apokalyptik im 10. Jh., und damit, einhergehend, die eschatologischen Spannungen, die sich wohl in Verbindung mit der Mitte des siebten Jahrtausends seit der Erschaffung der Welt, die nach byzantinischer Zeitrechnung auf das Jahr 992 fiel, zuspitzten. 1 Diese Periode fällt mit der Blüte der altbulgarischen Literatur zusammen, und markiert einen verstärkten Import eschatologischer Themen und Motive. Da die meisten dieser Schriften textkritisch nicht aufgearbeitet worden sind, werden sie nur in kurzen Skizzen vorgestellt. Eine Ausnahme stellt die Vita des Andreas Salos, über welche sowohl auf byzantinistischer (L. Rydén) als auch auf slavistischer Seite (V. Moldovan) ein detailreiches Bild gezeichnet werden konnte. Nicht alle betreffenden Apokalypsen können berücksichtigt werden, so die „Chresmoi“ von Kaiser Leo VI. (886-912), die in den Orakeln des serbischen Fürsten Stefan Lazarević (1389-1427) rezipiert wurden. 2 1 Maßgeblich für die eschatologischen Ängste und für die Berechnungen des Weltendes in Byzanz war die Schöpfungschronologie (Sieben-Woche-Modell) und nicht die christliche Ära (Chrusto-natu-Chronologie); den Hinweis verdanke ich meinem Kollegen Dr. Ekkehard Kraft (mündliche Mitteilung); siehe zum Hintergrund Podskalsky, Reichseschatologie, 92-94 (byzantinische Berechnungen der Weltdauer). 2 Cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Apocalyptic literature, 450-468. 1. Die Wanderung unseres Vaters Agapius zum Paradies Die Erzählung von der Reise des Mönches Agapius zum Paradies gehört im weiteren Sinne der Gattung Himmelreise an, wobei sie einen besonderen Subtypus repräsentiert („the quest for the earthly paradise“). 1 Hiermit verwandt sind im lateinischen Westen die „Navigatio Sancti Brendani“ 2 , in der russischen Literatur die „Wanderung von Zosimus zum Land der [B]rachmanen“. 3 Bezeugung Der Text ist in einer einzigen, lückenhaften und fehlerhaften griechischen Handschrift aus dem 15. Jh. auf uns gekommen, die womöglich schon aus dem 6. Jh. stammt. 4 Die kirchenslavische Tradition hingegen ist sehr reichhaltig und umfasst an die achtzig Textzeugen. Rund ein Zehntel davon ist südslavisch (15.-17.Jh), der Rest ostslavisch (16.-19. Jh. bis auf die Abschrift im sog. „Uspenskij sbornik“, Ende 12.-Anfang 13.Jh). 5 Hinzu kommen die zahlreichen Kopien in den russischen Kurzvitae (Prolog-Literatur). 6 Die handschriftliche Masse ist größtenteils unediert und unerforscht. 7 Sie dürfte auf eine frühe Übersetzung im 10. Jh. zurückgehen, die wohl in glagolitischer Schrift angefertigt wurde. 8 Inhalt Der Text verknüpft in einzigartiger Weise visionäre und geographische Odyssee. Das Sujet der Erzählung ist denkbar einfach. Der Austritt des Mönches Agapius aus der Routine des Klosterlebens führt ihn auf der Suche nach dem Grund für alle Entbehrungen der Askese auf eine ausgedehnte Pilgerreise zum Paradies und zurück zur Wirklichkeit des Alltagslebens, das allerdings 1 Bibliographie bei Orlov, Selected Studies, 274-276; zum Ganzen siehe Eliade, Quest, 88- 111 („Paradise and Utopia: Mythical Geography and Eschatology”) und Scafi, Paradise (2006); siehe ferner Brouwer, Concepts of Paradise, 180-196 (russische Paradiesvorstellungen) und Pesenson, Visions, 190-207 („Visions of Heaven in Early Slavic Literature”). 2 Potthast (Hg.), Repertorium VIII, 133-139 (Literaturübersicht); Penskaja, Plavanie, 696- 716 (Verbindungen zwischen der „Navigatio“ und der Agapius-Sage). 3 Orlov, Selected Studies, 287-288 (Literaturübersicht). 4 Pope, Greek Text, 233-260 (Einordnung und Textausgabe). 5 Pope, Narration, 1-12; Knjaževskaja, Demjanov & Ljapov, Sbornik, 466-473 (Text nach dem Uspenskij Sbornik). 6 Pope, Narration, 11. 7 Bis auf einzelne Lexikon-Einträge und etliche Übersetzungen in Russisch und Bulgarisch: Petkanova, Apokrifi, 252-258; 395; Petkanova & Miltenova, Eschatologija, 56-61; 210; Petkanova, Art. „Videnie“, 82; Roždestvenskaja, Art. „Choždenie Agapija“, 462-463. 8 Pope, Narration, 2 (Übersetzung); cf. noch die Argumente von Petkanova, Apokrifi, 395. Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 242 dank der unterwegs neu erworbenen wunderwirkenden Kraft vollkommen anders bewältigt wird. Die Verschmelzung von Geographie, Mythologie und Ekstase wird narrativ durch eine breite Rezeption biblischer Stilistik verwirklicht, die auf der folienartigen Überlappung diverser Motive und Handlungsstrukturen basiert. Strenggenommen ist die Agapius-Sage sicherlich ein Grenzfall des Genres, andererseits erlaubt die besondere Polyvalenz der Apokalyptik als eine Meta- Gattung sui generis durchaus das Nebeneinander divergierender literarischer Stile und Ausdrucksmittel. Im vorliegenden Fall wird das narrative Gerüst einer mythologisch gefärbten Fahrt ins Unbekannte unter Gottes Führung mit auditiven, theophanen und visionären Erlebnissen bezogen, die schließlich in Agapius’ Wundertätigkeit resultieren. Agapius’ Wandel vom gewöhnlichen Mönch zum heilenden Einsiedler ist von Offenbarungen gesäumt: Audition (Kap. 1), Schau des Paradieses (Kap. 5-6), Lichtvision (Kap. 10). All das führt zum Erwerb heilender Kraft in einem himmlischen Initiationsritus unter Elijas Aufsicht (Kap. 9-12). Damit lässt die Agapius-Sage die Struktur eines komplexen „rite de passage“ erkennen. Auf der biographischen Ebene ist dies der Übergang aus dem aktiven sozialen Leben in die Kontemplativität des Anachoretentums; auf der Bewusstseinsebene vollzieht sich eine Erweiterung der Wahrnehmung hin zu höherer visionärer Sensibilität; auf der Ebene der Wunderheilung findet der Erwerb übernatürlicher Kräfte an Hand heilender Gegenstände (das nicht abnehmende Himmelsbrot) statt. Bedeutung Die komplexe Verflechtung biographischer Entwicklungen, die jedoch auf einen Endpunkt zulaufen, gibt gewiss authentische monastische Erfahrungen wieder, die in der Agapius-Sage ihren literarischen Ausdruck gefunden haben. In diesen Zusammenhang gehört ferner die exponierte Bedeutung von Segen und Gebet, die durchgängig in den meisten Kapiteln präsent sind. 2. Die Höllenwanderung Mariens Die sog. Theotokos-Apokalypse ist eine Offenbarungsschrift aus dem Genre der sog. tours of hell-Literatur. 1 Sie war in Byzanz, unter den orthodoxen Slaven auf dem Balkan und Russland sowie unter Armeniern, Georgiern und Rumänen außergewöhnlich beliebt und erfuhr zahlreiche Bearbeitungen, die sich nicht ohne weiteres auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. 2 Der Text wurde anscheinend gerade in monastischen Kreisen besonders gern gelesen und mit Vorliebe weitergegeben. Inhalt Der „Höllenwanderung Mariens“ stellt im Grunde eine mariologische Überarbeitung der Paulus-Apokalypse mit einer starken Betonung des Motivs der Interzession dar, in welche Marienhymnen sowie weitere liturgische Genres mit eingeflochten werden. 3 Der narrative Plan des Textes, der von Fassung zu Fassung stark variiert, beinhaltet zugleich ein Repertoire wiederkehrender Elemente. Am Ölberg erfleht Maria die Enthüllung der Höllenstrafen. Michael tritt als Deuteengel auf und führt sie durch die jenseitigen Straforte, in welchen verschiedene Klassen von Sündern ihre Strafen verbüßen. 4 Die Fürsprache der Gottesmutter erreicht in einem eindringlichen Gebet ihren Höhepunkt. Darauf hin bekommen die Insassen der Hölle „Urlaub“ von den Qualen, der je nach Fassung unterschiedlich lange angegeben wird. (beispielsweise „von Karfreitag bis Pfingsten“). Die Individualeschatologie der Theotokos-Apokalypse enthält hauptsächlich Entsprechungsschemen von diesseitigem Handeln und jenseitiger Vergeltung: [sio wird] der Gang durch die Hölle nach einem wohlerwogenen Prinzip - dem Prinzip der Rangordnung der Werte des mittelalterlichen Menschen - erzählt. 5 1 Siehe zum Begriff und zum literarischen Zusammenhang Himmelfarb, Tours of Hell (1983); Resümee der Diskussion zum Text bei Bauckham, Four Apocalypses, 332-363, insb. S. 333-338; zu slavischen Höllenvisionen siehe Pesenson, Visions, 174-190. 2 Ausführlich zu den Verwandlungen des Erzhälstoffes und den byzantinischen Hintergründen: Baun, Tales (2007). 3 Ibid., S. 11-12. 4 Matl, Hölle und Höllenstrafen, 169-171 (Unterscheidung von zwei Gruppen von Strafen, konfessionell und sozial). 5 Müller, Offenbarung der Gottesmutter, 26-39, insb. S. 38. Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 244 Slavische Tradition Die altslavische Überlieferung umfasst über vierzig Abschriften (12.-19. Jh.), die kaum erforscht und auch nicht über eine textkritische Ausgabe zugänglich sind. 6 Es sind drei Redaktionen erkennbar: Bulgarisch, Serbisch und Russisch. 7 Als Ausgangspunkt der handschriftlichen Diffusion wird eine frühe Übersetzung angenommen, die wohl schon im 10. Jh. stattgefunden hat. 8 Die Indizierung des Textes erfolgte recht früh, wie an der Aufnahme des Titels im sog. Pogodin’schen Index ersichtlich wird, der im 11. Jh. abgefasst und ab dem 14. Jh. bezeugt ist. 9 Die große Fastenzeit als Sitz im Leben der Höllenwanderung ist jedenfalls sehr wahrscheinlich. 10 Die ostslavischen Texte wurden von Ukrainern und Russen unterschiedlich rezipiert, indem jeweils das Strafmotiv oder das Versöhnungsmotiv stärker betont wurde; in manchen Fassungen wird gar auf eine Begnadigung komplett verzichtet, was eine rigoristische Sichtweise ihrer Bearbeiter verrät. 11 Wie sehr die Wanderung der Gottesmutter durch die Höllenqualen in Folklore und Volksfrömmigkeit nachwirkte, zeugt Fj.M. Dostojewskij Roman „Die Brüder Karamasow“ (1878-1880), in welchem einleitend zur Legende vom Großinquisitor auf die Höllenwanderung Mariens Bezug genommen wird (5. Buch, Kap. 5): Es gibt zum Beispiel ein klösterliches Gedichtchen (natürlich aus dem Griechischen): „Die Wanderung der Mutter Gottes durch die Stätten der Qual“, mit Schilderungen von einer Kühnheit, die der Danteschen nicht nachsteht. Die Mutter Gottes besucht die Hölle, und der Erzengel Michael führt sie durch die „Stätten der Qual“. Sie sieht die Sünder und ihre Martern. Da ist unter andern eine sehr interessante Gattung von Sündern in einem brennenden See: manche von ihnen versinken in diesen See so tief, dass sie nicht mehr an die Oberfläche heraufkommen können; diese „vergisst Gott schon“ - ein Ausdruck von außerordentlicher Tiefe und Kraft. Und da fällt denn die Mutter Gottes erschüttert und weinend vor dem Throne Gottes nieder und bittet für alle in der Hölle um Begnadigung, für alle, die sie dort gesehen hat, ohne Ausnahme. Ihr Gespräch mit Gott ist höchst interessant. Sie fleht, sie lässt nicht ab, und als Gott sie auf die von Nägeln durchbohrten Hände und Füße ihres Sohnes hinweist und sie fragt: Wie kann ich denn seinen Peinigern verzeihen? , da befiehlt sie 6 Übersicht bei Santos Otero, Überlieferung I, 188-195. 7 Schmücker-Breloer, Choždenie, 198-213; Petkanova, Art. „Chodene“, 494. 8 Petkanova & Miltenova, Eschatologija, 48-55, 209-210, insb. S. 209. 9 Petkanova, Apokrifi, 392-394, insb. S. 392; cf. Roždestvenskaja, Art. „Choždenie“, 463- 364. 10 Santos Otero, Überlieferung I, 188. 11 Syrtsova, Idée du purgatoire, 343-349, insb. S. 348-349; Syrtsova, Peculiarites, 72-79, insb. S. 77-78. Die Höllenwanderung Mariens 245 allen Heiligen, allen Märtyrern, allen Engeln und Erzengeln, mit ihr zusammen vor Gott niederzufallen und um die Begnadigung aller ohne Unterschied zu bitten. Es endet damit, dass sie von Gott durch ihre Bitten ein Aussetzen der Qualen alljährlich vom Karfreitag bis Pfingsten erreicht, und die Sünder aus der Hölle danken dem Herrn sogleich dafür und rufen: „Gerecht bist Du, o Herr, dass Du so gerichtet hast.“ 12 12 Zitiert nach der Taschenbuchausgabe (Dostojewskij, Großinquisitor, 6-7). 3. Himmelsreise der Nonne Anastasija Die sog. Anastasija-Apokalypse, in Griechisch und Kirchenslavisch bezeugt, berichtet von der Jenseitsreise der gleichnamigen Nonne. 1 Der Text zeugt von der Lebendigkeit des tour of hell-Genre in Byzanz und unter den Balkan-Slaven um die Wende des 10. Jh. zum 11. Jh. sowie in den folgenden Jahrhunderten. 2 Inhalt Der Aufbau des Textes ist dreigliedrig, die eigentliche Höllenwanderung ist von einer hagiographischen Exposition und einem paränetischen Schlussteil umrahmt. 3 Einen zentralen Platz nimmt neben der Schau des himmlischen Throns die Besichtigung der jenseitigen Straforte ein. Die Erwähnung der Kaiser Nikephoros II. (963-969) und Johannes I. (969-976) gibt den terminus post quem für die Abfassung des Textes an. Dafür kommt wohl die Spätzeit der Makedonischen Dynastie in Frau und zwar, die Herrschaft von Kaiser Basilios II. (976-1025). 4 Slavische Texte Die slavischen Fassungen, mitunter als „Vision“ (виденїе/ videnie, ὅρασις) der Nonne Anastasija betitelt, umfassen gegenwärtig mindestens vierzehn südslavische Textzeugen aus dem Zeitraum vom 1380 bis 1812. 5 Sie sind bislang nicht systematisch studiert worden, und eine Textedition fehlt noch immer. 6 Die slavische Texttradition weicht von der byzantinischen ab und stammt von einer verloren gegangenen Vorlage. 7 Die Abschriften zerfallen in drei Gruppen: (1) eine frühe, vollständige Übersetzung; (2) eine gekürzte und überarbeitete Fassung dieser Übertragung, die Kap.1 bis 6 des griechischen Textes auslässt; (3) eine späte serbische Redaktion in drei Handschriften aus 1 Griechischer Text bei Homburg, Apocalypsis Anastasiae (1903); cf. Baun, Moral apocalypse, 241-268; ausführlich dazu eadem, Tales (2007). 2 Cf. Himmelfarb, Tours of hell (1983). 3 Baun, Tales, 13-16. 4 Ibid., S. 17-18. 5 Miltenova, Neizvesten prevod, 237-257, insb. S. 238-242. 6 Einzelstudien von Speranskij, Videnie, 111-133; Angelov, Bălgarinăt, 185-186; Miltenova, Art. „Videnie“, 81; Übersetzung ins Bulgarische und Anmerkungen bei Petkanova, Apokrifi, 247-252; 394-395; Božilov & Kožucharov, Literatura, 163-167, 269-272; Petkanova & Miltenova, Eschatologija, 62-65, 210-211. 7 Speranskij, Videnie, 113. Himmelsreise der Nonne Anastasija 247 den Jahren 1750, 1752 und 1812, die auf die ursprüngliche Übersetzung zurückgeht. 8 Folgende Handschriften sind in Texteditionen zugänglich: (1) Ursprüngliche Übersetzung: Cod. 29, Savina-Kloster, aus dem Jahre 1380 9 und Cod. 241, Staatliches Historisches Museum Moskau (Госсударственный исторический музей), Sammlung Chludov, 15. Jh. 10 (2) Gekürzte Fassung: Cod. 629 (Panagjurište-Sbornik), Nationalbibliothek Sofia, 16.Jh; 11 Cod. 738 (Nr. 470 nach der Beschreibung Stojanovićs), Nationalbibliothek Belgrad, 17. Jh. 12 Die Übersetzung erfolgte vermutlich in der ersten Hälfte des 13. Jh. 13 Spuren der Aneignung sind Anpassungen an das Lokalkolorit. So wird der byzantinische „Protospatharios“ (πρωτοσπαθάριος) Petros aus der Stadt Korinth in die mazedonische Stadt Prosek verlegt und in Petăr umgetauft, was einen Ausgangspunkt für die Übersetzung und weitere Verbreitung der Apokalypse markieren kann. 14 Die ethische Belehrung im Schlussteil greift auf die sog. „Epistula de die dominica“ zurück, einem auch in der Slavia Orthodoxa populären moralischen Traktat, in welchem die Observanz kirchlicher Feste und Regeln angemahnt wird. 15 8 Mit Miltenova, Neizvesten prevod, 240-242 und gegen Speranskij, Videnie, 113-114. 9 Deskription bei Bogdanović & Miltenova, Apokrifnijat sbornik, 7-30; Text bei Miltenova, Neizvesten prevod, 245-257 (apparatus criticus). 10 Deskription bei Miltenova, Sbornik săs smeseno sădăržanie, 114-125, Text bei Miltenova, Neizvesten prevod, 245-257. 11 Deskription bei Buslaev, Sravnitel'noe izučenie III, 568-649, insb. S. 601; Conev, Opis I,1, 442-449; Text bei Speranskij, Videnie, 127-130. 12 Speranskij, Videnie, 130-131 (apparatus criticus). 13 Miltenova, Art. „Videnie”, 81; Miltenova & Petkanova, Eschatologija, S. 210. 14 Miltenova, Art. „Videnie“, 81. 15 Miltenova, Art. „Epistolija“, 148; Santos Otero, Überlieferung I, 158-169. 4. Die Vita des Andreas Salos Die Vita des Andreas Salos (VAS) ist ein schillerndes Zeugnis des byzantinischen Geisteslebens des 10. Jh. Der Text erfreute sich bei Griechen und Slaven einer bemerkenswerten Popularität. 1 Zentrales Thema ist der ereignisreiche Lebenswandel des Skythen Andreas, der als heiliger Narr porträtiert wird - als jemand, der Wahnsinn und höhere Existenz verbindet. 2 Die Vita verdient Beachtung auch dank der darin enthaltenen Apokalypse, welche ein wertvolles Zeugnis der Jenseitsvorstellungen ihrer Zeit ist. 3 Inhalt Der Skythe Andreas wird an einen vornehmen Herrn in Konstantinopel als Sklave verkauft, bei welchem er vorerst gut aufgehoben ist. Nach einem Traum wendet sich Andreas allerdings abrupt von seinem bisherigen Leben ab und fängt an, sich wie ein „Gottesnarr“ (gr. σαλός) zu gebärden. Seine zahlreichen „Abenteuer“ werden in lose miteinander verbundenen Kapiteln erzählt, die teils surreale Züge tragen und der Vita den Charakter von Unterhaltungsliteratur verleihen. Der Autor der Vita, Nikephoros, verrät dabei eine ausgesprochene Vorliebe fürs Skurrile bis hin zum Grotesken und reiht eine bizarre Episode an die andere an. Ein Beispiel mag in diesem Zusammenhang genügen (1858- 1918): Ein Grabräuber bricht in eine Gruft ein, in welcher eine adelige Jungfrau begraben liegt. Als er ihr das Leichenhemd vom Leib reißen will, kehrt sie zum Leben zurück. Die auferstandene junge Dame streckt den Räuber mit einem Schlag nieder und liest ihm die Leviten. Der blindgewordene Einbrecher wird von Andreas belehrt und zurechtgewiesen, bis er sich von seiner verbrecherischen Vergangenheit lossagt und zum Guten bekehrt. Abfassung Wie von L. Rydén nachgewiesen baut der Autor der Vita eine literarische Fiktion auf, die in der Zeit des Kaisers Leo I. (457-474) spielt. 4 Sie wurde im 10. 1 Wichtigstes Referenzwerk darüber ist die zweibändige Arbeit von L. Rydén, in welche die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Arbeit am Text der Vita des Andreas Salos eingeflossen sind: Rydén, Life I und Rydén, Life II (1995). 2 Cf. meinen Abriss über diesen religionspsychologischen Komplex: Petkov, Heilige und Narren, 169-187 3 Rydén, Apocalypse, 197-261. 4 Rydén, Style, 175-183. Die Vita des Andreas Salos 249 Jh. von einem gewissen Nikephoros abgefasst, der Priester an der Hagia Sophia in Konstantinopel war. 5 Für die inkorporierte Apokalypse hat seine Autorschaft zur Folge, dass wir ihren Verfasser zumindest namentlich kennen, was eine Abweichung von den pseudepigraphen Gepflogenheiten des Genres darstellt. Überlieferung Die griechische Vita ist reichlich bezeugt und liegt in über hundert griechischen Handschriften aus dem Zeitraum vom 11.bis zum 19. Jh. vor. 6 Eine seltene Ausnahme stellt die Tatsache dar, dass ein Originalmanuskript der Vita überlebt hat, welches allerdings nur 1/ 20 des Gesamttextes enthält. 7 Die darin enthaltene Apokalypse (3805-4131) war die meistkopierte Partie der Vita, und ihre Abschriften machen ein Viertel des Hss.-Bestandes aus. 8 In den Codices der Vita sind des Öfteren apokalyptische Kontextmanuskripte enthalten, u.a. die Offenbarung des Pseudo-Methodius, die Oracula Leonis, mehrere Daniel-Apokalypsen und die Theotokos-Apokalypse. 9 Der übergeordnete Überlieferungszusammenhang verweist ebenfalls in eine apokalyptische Richtung, da die Vita des Andreas Salos zusammen mit den Vitae des Basilios Novus und des Niphon von Armenopolis einer Gruppe hagiographischer Fiktionen angehört, die sich durch ein starkes Interesse für jenseitige Spekulationen und apokalyptische Fragen auszeichnen. 10 Die Vita als Apokalypse: Visionäre Sequenzen Ein Kernstück des Textes bildet eine eigenständige Apokalypse, die ein breites Panorama der byzantinischen Jenseitsvorstellungen entfaltet (3805- 4131). 11 Ihre herausragende Bedeutung geht u.a. aus ihrer separaten Überlieferung hervor. Die fraglichen Zusammenhänge sind jedoch noch immer nicht im Detail entschlüsselt: Absolute certainty … is not to be expected until the Middle-Byzantine eschatological tradition has been examined in its entirety. 12 5 Mit Rydén, Date, 127-155 und Rydén, Life I, 38-56; gegen Mango, Life, 297-314. 6 Ryden, Life I, 151-189 (Testimonies and Nachleben: Mss., Editions, Paraphrases, Translations). 7 Cod. gr. 443, Bayerische Staatsbibliothek, 14. Jh. - ibid, S. 72-81. 8 Ibid., S. 160. 9 Ibid., S. 161-162. 10 Ibid., S. 5354; 190-191. 11 Cf. Rydén, Apocalypse, 226-237 (Zusammenhang mit den byzantinischen Pseudo-Methodius- und Daniel-Apokalypsen). 12 Ibid., S. 237. Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 250 Der Aufbau ist von einem Lehrdialog geprägt: Der Schüler Epiphanios fragt, Andreas als Lehrmeister gibt die Antworten. 13 Nach einer Introduktion (852C- 853A; 3808-3810) kommen folgende Inhalte zum Ausdruck: Fragen des Epiphanios Antworten des Andreas (1) Wie des Endes (Mt 24,3) Vierzigtägige Trauer um Konstantinopel; Übergabe der Herrschaft an Rom, Sylaion, Thessalonike; Ausbruch der 72 Stämme des Nordens läuten eschatologischen Showdown ein (868C ff./ 4048 ff.) (2) Wann des Endes (Mt 24,3) Nach dem Untergang Konstantinopels (865B/ 4003) (3) Beginn der Wehen (Mt 24,8) Fällt in die Zeit zwischen dem auf den Endzeitfrieden folgenden gottlosen Kaiser und dem Untergang Konstantinopels (856C; 865A bzw. 3859; 4000-4002) (4) Ende vor der Tür Invasion der unreinen Völker (873A; 4125-4127) (5) Vorzeichen (Mt 24,32-33) Gesamtes eschatologisches Tagma (6) Untergang Konstantinopels Schilderung in 864D f./ 3989 f.: „In jener Zeit wird Gott, der allmächtige Herr den Bogen seines unvermischten Zornes spannen … “ (7) Kirchen und Devotionalien Schutz durch Gottes unsichtbare Kraft gegen Übergriffe der gottlosen Kaiserin (864B f./ 3970 f.) Tabelle 18: Aufbau der Apokalypse des Andreas Salos Konstantinopel als Weltregentin (853B; 3817-3822): Die Stadt liegt gegen das Ende hin auf dem Gipfel weltlicher Macht dank dem Schutz durch die Gottesmutter. 14 Folgende Herrscher werden vor dem Untergang auftreten: (a) Friedenskaiser (853B-856C; 3824-3858): Es wird ein utopisches Bild christlicher Idealherrschaft gezeichnet. Dieser Kaiser steigt aus Armut auf, regiert für 32 Jahre und führt soziale Gerechtigkeit, Wohlstand und Frieden herbei (cf. 1 Thess 5,13; Mt 24,37-38; Lk 17,26). Weitere Wegmarken sind die Erniedrigung und Vernichtung der Hagarener, die Verbrennung ihrer Kinder und die Folter 13 Cf. hierzu Rydén, Aufbau, 101-117. 14 Cf. Frolow, Dédicace, 61-127. Die Vita des Andreas Salos 251 der Gefangenen; die Wiederherstellung des Reichsterritoriums, eine Tributpflicht für angrenzende Gebiete (Ägypten), Seeherrschaft und „Zähmung der blonden Stämme“; generelle Steueramnestie im zwölften Regierungsjahr; Wiederaufbau der Kirchen; gerechte Justiz mit harten Strafen; Eintreibung und Verteilung des gesamten Goldes an alle („Sozialismus“); Judenverfolgung und Deportation aller Ismaeliten; Schauspiel und Musik werden untersagt; reiche Erträge aus Land und See. (b) 3½ Jahre-Kaiser (856D-857B; 3860-3884): Dessen unheilvolle Herrschaft läutet den Anfang der Wehen ein. Es entsteht ein Bild einmaliger Apostasie: Erlass einer Inzest-Verordnung unter Androhung der Todesstrafe; Zwang des Klerus zur Heirat und von Mutter und Tochter zur Prostitution. Gottes Zorn gegen dieses Handeln manifestiert sich in Naturkatastrophen und Kriegen, nur wenige Städte bleiben verschont. (c) Apostata-Kaiser von düsterer Erscheinung (857C-860B; 3885-3906): Die religiöse Dekadenz setzt sich fort, Blasphemie ist an der Tagesordnung. Der Kaiser verneint Jesus als Christus, leitet eine heidnische Restauration in die Wege, agiert gemeinsam mit dem Teufel, ordnet eine Verfolgung der Heiligen an, lässt Kirchen niederbrennen, nennt das Kreuz „Galgen“. Die Folgen sind allgemeiner Verrat, Krieg aller gegen alle, Rückfall in einen „Naturzustand“, in welchem sich die Märtyrer hervortun. Inseln und Täler werden zur Wohnstätte von Dämonen; Naturkataklysmen und Heimsuchungen sind allgegenwärtig; allerlei Getier und giftige Schlangen beherrschen die Landschaft. Dieses Gemisch aus religiöser Abkehr, sozialer Unruhe und Erschütterungen kosmischen Ausmaßes wird mit typisch apokalyptischer Ironie als „Anfang der Wehen“ bezeichnet. (d) Kaiser aus Äthiopien vom ersten Horn Dan 8, 8 (860B-C; 3907-3912): Positive Wertung dank des Wiederaufbaus der Kirchen; allgemeine Beliebtheit, Regiment für zwölf Jahre. (e) Arabisches Zepter für ein Jahr (860C; 3913-3920): Die Holzstücke des Kreuzes von Jesus werden zusammengetragen, und es wird auf Golgota aufgestellt. Dort wird die Herrschaft an Gott übergeben. (f) Drei verfeindete Kriegsherren kämpfen 150 Tage (860D-864A; 3921-3959): Drei junge Herrscher errichten eigene Machtbereiche und führen einen Krieg untereinander. Die Kämpfenden reißen einander die Glieder aus wie Schafen auf dem Fleischmarkt, das Blut fließt in Strömen, das Meer wird zwölf Stadien weit rot gefärbt). Dies endet mit dem Tod aller drei Kriegsherren. Die Zeit danach wird eschatologisch überhöht: Jede Frau wird zur Witwe, das Männer- Frauen-Verhältnis beträgt 1/ 7 mit der Folge, dass sich junge Männer vorzeitig in geschlechtlicher Liebe ergehen. Die Leistungen der Flüchtigen in Höhlen und Bergen werden hervorgehoben - sie machen sich verdient, da sie nicht mitmachen (861D; 3953-3959). Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 252 (g) Gottlose Herrscherin aus dem Pontus (864A-864D; 3960-3988): Diese letzte Kaiserin wird als Teufelsbrut, Hexe und bisexuelle Nymphomanin porträtiert. Orgien, Intrigen und Anschläge, Familienzwist und Brudermord sind an der Tagesordnung. Es werden Orgien, Inzest und Spektakel in den Kirchen veranstaltet. Auf dem Höhepunkt ihrer Exzesse ruft sie sich zur Göttin aus und beraubt die Kirchen ihrer Devotionalien. Nur die Entweihung der Reliquien schlägt fehl, da diese durch Gottes Eingreifen aus der Stadt entfernt werden. Ihre Blasphemie steigert sich schließlich zu einer unaussprechlichen Verfluchung und ruft Gott auf den Plan. Vernichtung Konstantinopels durch eine Überschwemmung. Die Stadt wird emporgehoben und dann herab geschleudert. Dies schließt den „Beginn der Wehen“ ab (864D-865A; 3989-3999). Versammlung und Herrschaft der Judendiaspora (865D-868A; 4003-4036): Epiphanios spricht die Vorstellung an, dass im siebten Millennium die Vereinigung der Judendiaspora und ihre Herrschaft anstehen (Jes 11,12.16; Röm 11,25 in freier Interpretation). Dies wird allerdings von Andreas mit folgenden Argumenten verworfen: (1) die Juden werden als erste betrogen werden (als Beleg dafür wird Joh 5,43 bemüht); (2) die Diaspora wird zwar in Jerusalem versammelt werden, dies geschieht jedoch (a) um ihr jegliche Ausrede zu nehmen und (b) zum Zwecke einer nur vorübergehenden Rettung aus Heimatlosigkeit und Verfolgung; (3) die eschatologische Rettung der Juden wird ausbleiben, da sie sich weigern zu konvertieren; (4) der Antichrist wird aus den Juden hervortreten und sie als erste verführen. Schicksal der Hagia Sophia (868B; 4037-4047): Hier wird die von Epiphanios angesprochene Vorstellung zurückgewiesen, dass die Heilige Sophia in die Luft entrückt wird, während Konstantinopel untergeht. Ihr wird das Schicksal der Stadt widerfahren, aus der Wasseroberfläche wird allein die Forum-Säule emporragen dank der darin verwahrten Nägel des Kreuzes Christi. Ansturm der unreinen Völker (868C-869A; 4048-4069): Nach vierzigtägiger Trauer geht die Reichsgewalt auf Rom, Thessaloniki und Sylaion über, um allmählich zu zerfallen. Der Ansturm der unreinen Stämme, 72 Könige an der Spitze, markiert diese endzeitliche Periode und zeitigt kosmische Auswirkungen: Die Sonne verwandelt sich in Blut, Mond und Gestirne verblassen. Erscheinung des Antichrist: Herkunft aus dem Stamme Dan, Überführung durch Henoch, Elija, Johannes. Kosmische Schlacht zwischen himmlischen Gewalten und Drachen, Lobpreis der Märtyrer (869B-872B; 4069-4101) Singuläre Glosse in zwei Hss. (C aus dem 12. Jh., K aus d.J. 1296). Besonders aufschlussreich ist die Unterscheidung von drei Zeitaltern gegenüber Gesetz und Gnade sowie die sonst singuläre Wiederbelebung durch eine Taube: „Then Enoch, who was before the law, and Elijah, who was in the law, and John, who was in the new grace, will come and proclaim the time of the end Die Vita des Andreas Salos 253 and the arrival of the deceiver. They will go about performing signs and wonders and announce the second coming of our Saviour Jesus Christ. If anyone tries to kill or otherwise injure them, a fire will appear and devour him. For they will walk in great authority. And having denounced Antichrist, they will be killed by him in the city of Jerusalem. Their bodies will be thrown in the middle of the city and people will gather around them and laugh at them as they have no protection. Their holy bodies will be lying in the street for three days. In the middle of the fourth day a dove will fly down from heaven and circling above them like a flash of lightning she will breathe life into them, and gathering strength they will arise in the presence of all, and trembling will come upon all who see them. Then there will be a voice from heaven saying to them: „Come up to me, my friends”. Immediately a cloud will descend and take them and make them a dwelling in Paradise. 15 Abschließende Fragen des Epiphanios (872B-873A; 4102-4127): Der Untergang der Menschheit geschieht durch die unreinen Völker, Kriegsgeschehen und den Antichrist. Die allgemeine Auferstehung wird von Trompetenschall angekündigt. Verwandlung von vergänglich in unvergänglich, Entrückung auf Wolken zum Herrn (vgl. 1 Kor 15, 51 ff; 1 Thess 4, 15-17) Schlussteil: Ende der nächtlichen Unterweisung als Gegenstück zu den eröffnenden Fragen (873A; 4128-4131) Neben der „Apokalypse“ (3805-4131) enthält die Vita zahlreiche weitere Partien visionärer Art, die Andreas zum Seher eschatologischer Geheimnisse machen und der Vita einen apokalyptischen Anstrich verleihen. Hierher wären folgende Sequenzen zu zählen. Traumvision: Christus weist Andreas den Weg zum heiligen Narren (34-88) Erscheinungen und Traumgesichte: Die Entscheidung Andreas’ bekommt himmlischen Zuspruch (113-217) Himmelsreise: Während eines Wintersturmes verfällt Andreas in einen kataleptischen Zustand und durchwandert die jenseitigen Gefilde (422-737) Epiphanios schaut Andreas’ Transfiguration (1597-1790) Traumvision des Epiphanios über das Schicksal der Sünder im Hades (2323- 2380) David-Vision in der Hagia Sophia (2648-2673) Erotapokrisis mit apokalyptischen Frage-und-Antwort-Sequenzen (2893-3460) Vision einer frommen Frau namens Barbara über Andreas als Feuersäule (3559-3614) 15 Rydén, Apocalypse, 223-224, Anm. 59. Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 254 Erscheinung der Muttergottes in Blachernae. Das Maphorion wird über betende Menge ausgebreitet (3732-3758) Kirchenslavische Rezeption der Vita des Andreas Salos Bis vor kurzem lag die Vita nur in der Ausgabe der Großen Lesemenäen für den Monat Oktober vor. 16 Glücklicherweise wurde der Text in den letzten Jahrzehnten durch den russischen Slavisten V.M. Moldovan einem intensiven Studium unterzogen, sodass sich nun ein viel genaueres Bild der Textrezeption abzeichnet. 17 Die kirchenslavische Überlieferung der Vita des Andreas Salos ist demnach außerordentlich reichhaltig und umfasst über 240 Handschriften aus dem Zeitraum vom 13. bis 19. Jh., ohne die Abschriften in der Prolog-Literatur mitzuzählen. 18 Es zeichnen sich folgende Adaptationsformen ab: (1) Altrussische Übersetzung Dies war die Hauptform der Textverbreitung, die sich hauptsächlich im ostslavischen Bereich vollzog. Dank V.M. Moldovan sind folgende Fakten hierzu bekannt: 19 Auf sie entfallen 200 der über 240 bekannten Abschriften (gegenüber nur drei südslavischen Kopien). Mehr als hundert russische Codices enthalten den vollständigen Text der Vita, der in der Regel als separates Buch tradiert wurde; der restliche Bestand ist fragmentarisch. Neun Hss. aus dem 18. und 19. Jh. sind mit zahlreichen Miniaturen verziert - es sind im Schnitt dreißig bis fünfzig pro Kopie, die Höchstzahl beträgt 134. Ein besonders erwähnenswertes Kontext-Manuskript ist die Vita des Basilius Novus, die in vier Hss. mit tradiert wird. Ansonsten besteht die Umgebung aus Vitae, Slovo, Paterika u.a., wobei der Umfang der Codices im Schnitt 200- 300 Folien beträgt. Vom 16. Jh. an begegnen Kapitelnummerierung und -überschriften. 16 Siehe die Sankt-Petersburger Ausgabe der Großen Lesemenäen aus den Jahren 1870 (1.- 3.Okt.), 1874 (4-18.Okt.) und 1880 (19.-31.Okt.); zum Ganzen siehe Hannick, Plank (Hg.) & Lutzka (Bearb.), Eigengut (2006). 17 Moldovan, Vizantijskij original, 786-787; Moldovan, Proložnaja redakcija, 335-349; Moldovan, Rukopisnaja tradicija, 83-107; Moldovan, Žitie (BLDR 2), 330-359 (Text mit russischer Übersetzung); 541-544 (Anmerkungen). 18 Moldovan, Žitie, 18-27; 31 (Stemma). 19 Ibid., S. 149-450 (Textausgabe). Die Vita des Andreas Salos 255 Die Einträge zu Eigentumsverhältnissen verweisen auf klösterliche und kirchliche Bibliotheken. Die ältesten Abschriften stammen aus dem Nord-Westen Russlands. Seit dem 15. und 16. Jh. wurde die Vita in den bischöflichen Četi-Minei aufgenommen. Mit dem russischen Schisma im 17. Jh. verlegt sich die Überlieferung in den russischen Norden und Nordwesten, wo die Altgläubigen bis ins 20. Jh. hinein ausgiebig illustrierte Hss. produzierten. Zur Kontextualisierung der Tradierung ist der Zusammenhang mit Orten des Auftretens von Gottesnarren beachten. 20 Die Entstehung dieser Übersetzung kann Ende des 11.-Anfang des 12. Jh. angesetzt werden. Neben der Einrichtung des Pokrov-Festes spricht die Prolog- Fassung der Vita dafür. Sie fand Eingang in die erste, kurze Redaktion, die auf russischem Boden Mitte des 12. Jh. enstand. 21 Dem Übersetzer ist allerdings eine gute Kenntnis des Griechischen und der entsprechenden kirchenslavischen Terminologie sowie Vertrautheit mit der Topographie und Architektur Konstantinopels zu bescheinigen. 22 Als Vorlage ist ein Text jener Redaktion anzusehen, die im griechischen Codex Mon. gr. 552 (14. Jh.) der Bayerischen Staatsbibliothek vertreten ist. 23 Mehrere Texte spiegeln die Wirkung dieser Übersetzung. 24 Die Vita des russischen Gottesnarren Prokopij von Ustjug (gest. 1302) enthält Entlehnungen aus der VAS. Sammelcodices gemischten Inhaltes enthalten dutzende Auszüge daraus, u.a. neue Übersetzungen aus dem Griechischen. Dieses beträchtliche Material harrt noch seiner Auswertung. Eine separate Überlieferung hat der Textzyklus zum Pokrov-Fest. Von Interesse ist die Erotapokrisis unter dem Namen „Fragen des Epiphanios und Antworten des seligen Andreas“ („Епифаниевы вопросы и ответы блаженного Андрея“) als eine der Quellen der kompilativen Novelle „Von der Erschaffung der sieben Tage und des gesamten Weltkreises“ („О сотворении седми днеи и всего мира“) 25 20 Ibid., S. 26-27. 21 Ibid., S. 16-17; cf. ferner Moldovan, Tradicija, 88, Anm. 20. 22 Moldovan, Žitie, 103-105. 23 Ibid., S. 12-15; S. 451, S. 451-630. 24 Ibid., S. 116-119. 25 Cf. Sreznevskij, Svedenija, 72-76. Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 256 Die erste Übersetzung der Vita wurde in der interpolierten Fassung der Offenbarung des Pseudo-Methodius (RevPsMeth sl interp) benutzt. 26 Seit dem 16. Jh. wird eine sonst nicht bekannte Episode als Bestandteil der Vita angefügt, die auch selbstständig in Umlauf war. Sie handelt vom Elternmord des Sophonios aus reiner Gier, sodann von dessen Reue, Flucht und Begegnungen mit Wüstenvätern, die selbst nichts ausrichten können und ihn an Andreas Salos verweisen. Dieser prügelt den Elternmörder wiederholt nahezu zu Tode, er nimmt es jedoch widerspruchslos hin. Diese Läuterung führt schließlich zur Begnadigung durch himmlische Scharen und zur Ablegung eines Mönchsgelübdes. 27 Für die breite Rezeption dieser ersten Übersetzung ist vorerst ihre literarische Qualität in Rechnung zu stellen, insoweit es ihr insgesamt gelingt, den lebendigen Duktus des griechischen Originals für russisches Publikum ansprechend wiederzugeben. Ganz besonders förderlich war der Umstand, dass die skythische Herkunft des Andreas von Anfang an als slavisch gelesen wurde. Spätere Codices gehen einen Schritt weiter und weisen ihn als Russen (gar aus Novgorod) aus. 28 In den Indices figurierte die Vita überraschend in den Rubriken empfehlenswerter Literatur. 29 Das auf Andreas’ Vision der Gottesmutter in Blachernae zurückgehende bedeutende orthodoxe Kirchenfest Mariä Schutzmantel strahlte auf die gesamte Vita aus und brachte zudem eine gewisse Institutionalisierung des Textes mit sich durch seine Aufnahme in gottesdienstliche Manuale, Vergegenwärtigung im liturgischen Ablauf und ikonographische Nacherzählung. 30 Das Phänomen des Christusnarrentums, das in Russland ungeahnte Dimensionen erreichte, trug weiter dazu bei. (2) Prolog-Redaktion Eine weitere Rezeptionsform der VAS findet sich im sog. Prolog, wie die slavische Entsprechung der byzantinischen Synaxarien bezeichnet wird. Es handelt sich dabei um skizzenhafte, besonders knapp gehaltene Vitae von recht nüchterner, nicht-metaphrastischer Darstellung in kalendarischer Reihenfolge; es sind in der Regel mehrere Tageseinträge. 31 Ihre früheste Übersetzung erfolgte aus einer Redaktion des Menologion von Kaiser Basilios II. (um 985). 32 Die Bezeichnung „Prolog“ wurde irrtümlicherweise vom „Vorwort“ 26 Istrin, Otkrovenie I, 186-188. 27 Moldovan, Žitie, 118-119. 28 Moldovan, Rukopisnaja tradicija, 83, Anm. 3 und 4. 29 Moldovan, Žitie, 117, Anm. 4; Moldovan, Rukopisnaja tradicija, 85, Anm. 9. 30 Moldovan, Žitie, 5. 31 Cf. Ivanova, Art. „Prolog“, 372-373. 32 D'Aiuto, Menologio de Basilio II (2008). Die Vita des Andreas Salos 257 (πρόλογος) des Mönches Ilias aus dem Studion-Kloster und des Metropoliten Konstantin abgeleitet. Dieses hagiographische Genre erreichte vom 12. Jh. an in Russland breite Kreise und fand im 14. Jh. auch im Balkanraum Zuspruch. Die heute vorhandenen über dreitausend Abschriften verteilen sich auf mehrere Redaktionen: (a) Slavisches Synaxarion (einzige russische Abschrift Ende 12. Jh., mehrere südslavische Kopien): Dies ist eine Übersetzung des Basilios-Menologions mit geringer Verbreitung; (b) Erste Prolog-Redaktion (12. Jh.): Sie kursierte nur in russischen Hss. und enthielt Synaxarion-Vitae, um erbauliche Ausführungen ergänzt, die ursprünglich am Schluss gebündelt waren, dann aber nach und nach auf die Kalendereinträge verteilt wurden; (c) Zweite Prolog-Redaktion wohl aus dem 13. Jh. (Turov? ): Eine vollständige, grundlegende Bearbeitung mit Ausrichtung nach den Menäen; (4) In einem Prolog in Versform („Stišnyj prolog“) wurden den Tageseinträgen Kurzzeiler vorangestellt. Er wurde Ende 14. Jh. in Serbien aus dem Griechischen übersetzt und weist später Spuren einer Vermischung mit den anderen Redaktionen auf. 33 In den slavischen Prolog-Fassungen erster und zweiter Redaktion wurden für den Monat Oktober elf Artikel aus der VAS vom Text der altrussischen Übersetzung aufgenommen, zusammen mit dem für die Textverbreitung so wichtigen Hinweis auf die slavische Herkunft des Andreas („словенинъ родъмь“). Die Prolog-Redaktion hat verschiedene Umgangsstrategien zum Text der Vita entwickelt, von unveränderter Aufnahme über die Umstellung einzelner Sequenzen bis hin zu einer grundlegenden Überarbeitung. Bestimmte Episoden lenkten die Aufmerksamkeit der Redaktoren stets auf sich. 34 Oktober Themen Griechischer Text 2 Im Hause des Theognost, Traum, Berufung 9-88 3 Zerreißen des Gewandes, Gebet in der Anastasia- Kirche, Prügel durch Dämonen 96-175 4 Im himmlischen Palast: Süße und bittere Kost 176-217 5 Vom bekehrten Grabräuber 1859-1918 8 Vom Diakon Raphael 2782-2868 9 Schau des Paradieses 500-602 12 Weitergabe von Almosen an Bettler 341-350 Tabelle 19: Aufnahme der VAS in der ersten Prolog-Redaktion 6 Ausführungen Satans über Sünder 1376-1396 33 Siehe zum Ganzen Petkov, Prolog (2000). 34 Nach Moldovan, Proložnaja redakcija, 335-349 und Moldovan, Žitie, 106-115. Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 258 7 Belehrung über die Seelen Verstorbener 2323-2380 15 Vom Tod eines Reichen 1498-1596 25 Vom Tod eines Lästerers 3461-3558 Tabelle 20: Aufnahme der VAS in der zweiten Prolog-Redaktion Der Transfer dieses Textmaterials erfolgte aus einer nicht mehr vorhandenen Handschrift der altrussischen Übersetzung und umfasste in etwa 15% des Gesamtumfanges der VAS. Auf diesem Wege setzte eine getrennte Überlieferung der VAS ein, die schon in frühen Prolog-Abschriften aus dem 13.-14. Jh. bezeugt ist. Die Prolog-Einträge im Oktober-Band der Großen Lesemenäen (Četi-Minei) wurden sowohl in Prosaals auch in Versform aufgelegt. Sie wurden ferner für die dritte Redaktion des „Izmaragd“ und in den bulgarischen „Damaskini“ verwertet. 35 (3) Zweite altrussische Übersetzung Bereits V.M. Istrin war vom Vorhandensein einer weiteren slavischen Übersetzung der VAS neben derjenigen in den Großen Lesemenäen ausgegangen, die er in folgender Handschrift ausmachte: Cod. 1469, Staatliches Historisches Museum Moskau (Nr. 38 der Sammlung Sevastjanov) aus der ersten Hälfte des 15. Jh. 36 V.M. Moldovan dagegen identifiziert sie in folgenden zwei Hss.: 37 - Cod. 154, Russische Staatsbibliothek Moskau, Sammlung der Geistlichen Akademie in Moskau Nr. 684 (РГБ МДА) Anfang 15. Jh., fragmentarisch - Cod. 621, Russische Staatsbibliothek Moskau, Sammlung des Josif-Volocky- Klosters, (ГБЛ, Иос.-Вол.), vor 1555 Der Anfang dieser wörtlichen Übertragung fehlt. Sie hört bei der Schau des Paradieses (500-602) auf und wird von da an von der altrussischen Übersetzung abgelöst. Charakteristisch für sie ist das Bestreben archaisierend vorzugehen, altertümliche Züge aufrechtzuerhalten und die Nähe zum griechischen Text zu suchen, der ihr in einer anderen Vorlage als derjenigen der altrussischen Übersetzung zugänglich war. (4) Südslavische Übersetzung Im 14. Jh. wurde in einer südslavischen Region (Serbien oder Bulgarien) eine zweite, vollständige Übersetzung der VAS gemacht, die keine Kenntnis der altrussischen Übertragung verrät und anders als diese nicht auf Redaktion E, 35 Moldovan, Žitie, 114-115. 36 Cf. Istrin, Otkrovenie I, 202-203; Deskripiton bei Viktorov, Sobranie, 60-61. 37 Moldovan, Žitie, 120-128. Die Vita des Andreas Salos 259 sondern auf Redaktion D des griechischen Textes zurück ging. 38 Zu ihren Besonderheiten zählen zusätzliche Fragmente, die im Altrussischen fehlen, sowie Lehnübersetzungen und nicht übersetzte griechische Begriffe, die als ein Hinweis auf regen kulturellen Austausch zu lesen sind, womöglich in einem griechisch-slavischen Zentrum wie beispielsweise Athos. 39 Der Hss.-Bestand reicht vom 14. bis in die Mitte des 16. Jh. und beläuft sich auf nur neun Kopien (zwei davon russisch), woraus auf eine eher moderate Diffusion zu schließen ist. 40 Im selben Zeitraum wurde auch die Vita des Symeon Salos im Süden übersetzt, wobei beides in Mischcodices weitergegeben wurde. 41 (5) Südslavische Übersetzung der Apokalypse des Andreas Salos Der Text dieser Übersetzung der sog. Andreas-Salos-Apokalypse (VAS 3805- 4131) erschien erstmalig im Jahre 1872 nach einer Kopie im Cod. 328 (513), spätes 14. oder frühes 15. Jh., Volksbibliothek Belgrad (im Zweiten Weltkrieg verbrannt). 42 Der Herausgeber L. Kovačević erkannte den Zusammenhang mit der Vita des Andreas Salos nicht und hielt den Text „für irgendein Apokryphon, welches der Homilie des Pseudo-Methodios recht nahe komme“; erst V.M Istrin erkannte seine Zugehörigkeit zur slavischen Vita. 43 Neuerdings wurde der Text vom A. Miltenova erneut ediert und mit einer kurzen Einleitung versehen. 44 Zu datieren wäre die Übersetzung ins 13. oder 14. Jh. Ein Anhaltspunkt dafür ist die Erwähnung der blonden Stämme, was eine Bekanntschaft mit den Kreuzzügen nahe legt und womöglich mit der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1204. 45 Ein Indiz zur Lokalisierung wäre das Toponym Illyrien, das als „die ganze Ökumene“ bezeichnet wird. 46 (6) Kurze Redaktionen und fragmentarische Übersetzungen In der Nähe der südslavischen Übersetzung befinden sich folgende Bearbeitungen: 38 Ibid., S. 124-134; Moldovan, Rukopisnaja tradicija, 89-90. 39 Moldovan, Žitie, 130-132. 40 Ibid., S. 133-134. 41 Lazarova, Holy Fools, 355-389, insb. S. 364-367. 42 Kovačević, Nekoliko priloga, 284-293; Deskription bei Stojanović, Katalog IV, 381 und Bogdanović, Inventar, 191. 43 Istrin, Otkrovenie I, 202-203. 44 Miltenova, Neproučen ... prevod, 105-119; cf. eadem, Apocalyptic literature, 365-404.. 45 Ibid., S. 110-111. 46 Moldovan, Žitie, 142-144. Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 260 (a) Die sog. „Kleine Auswahl“ („Izbranie malo“) stellt eine Überarbeitung der Vita dar, in deren Mittelpunkt Epiphanios steht. Es handelt sich um eine eigene Übersetzung der griechischen Kurzredaktion, die in acht teils unzugänglichen Hss. aus dem 14.-17. Jh. (vier davon aus dem 14. Jh.) vorliegt, 47 wobei u.U. etliche moldauische Hss. hinzuzuzählen sind. 48 In einem wichtigen Textzeugen, dem sog. Sammelcodex von Priester Filip aus dem Jahre 1345, ist auch die dritte Übersetzung der Pseudo-Methodius-Apokalypse (RevPsMeth sl Fil) enthalten. (b) Eine Auswahl aus sechs Episoden (darunter VAS 113-217; 1859-1918; 2425- 2647 erkennbar) war unter dem Titel „Aus dem Leben des heiligen Andreas, des Christusnarren“ in Umlauf. Es sind vierzehn Hss. aus 14.-17. Jh. vorhanden, fünf davon stammen aus dem 14. Jh. 49 Die Übersetzung ist in Bulgarien zu lokalisieren, von da aus gelangte sie in der Folgezeit nach Russland. (c) In der Dezember-Ausgabe der Četi-Minei steht unter dem 4. Dezember in den Kolumnen 94-101 der Text einer Homilie „Vom verlogenen Mönch“, der VAS 1952-2124. Der Text ist wohl eine eigene Übersetzung ohne erkennbare Einflüsse der anderen Übertragungen und stammt aus einer Vorlage, die derjenigen des südslavischen Textes nahekommt. 50 (7) Ukrainische Bearbeitung In einer 1884 von O. Kalitovskij publizierten Sammlung ukrainischer Apokryphen aus dem 17. Jh. begegnen zwei Texte, die im direkten Zusammenhang mit der Apokalypse des Andreas Salos stehen. 51 Die Erzählungen tragen die Überschriften „Erzählung vom Weibe Maidon, der gottlosen und bestialischen Königin“ und „Sage von den drei jugendlichen Königen, als Brüder geboren“ und entsprechen VAS gr 3960-3988 und 3921-3959. 52 Das Pokrov-Fest Die Vita des Andreas Salos erlangte hohe Anerkennung in Russland. Sie war über alle Zweifel erhaben, was ihre Inhalte anbelangte und gelangte dank der Prolog-Redaktion in den liturgischen Zyklus der russischen Kirche. Eine Episode daraus entfaltete jedoch eine besondere Wirkung. Die Erscheinung der Gottesmutter in der Blachernae-Kirche führte zur Gründung eines eigenständigen Festes namens „Pokrov“ (Schutzmantel der Gottesmutter), das bis heute noch in den orthodoxen Kirchen zelebriert wird. 53 47 Ibid., S. 135-137. 48 Miltenova, Prevod, 108; 112, Anm. 17. 49 Liste in Moldovan, Žitie, 139-141. 50 Ibid., S. 144-146; Moldovan, Rukopisnaja tradicija, 90-91. 51 Kalitovskij, Materialy, 35-46. 52 Istrin, Otkrovenie I, 198-203 (Vergleich mit RevPsMeth und ApcDan). 53 Rydén, Vision, 63-82. Die Vita des Andreas Salos 261 Die Marien-Erscheinung wird im byzantinischen Original folgendermaßen geschildert (VAS gr 3731-3758): Als die ganznächtliche Vigil in der Soros-Kirche in Blachernae zelebriert wurde, kam der selige Andreas und verhielt sich nach seiner Art. Auch Epiphanios war zugegen zusammen mit einem seiner Diener. Der selige Andreas hatte die Angewohnheit so lange zu bleiben wie ihm sein Eifer Kraft gab - manchmal bis Mitternacht, manchmal bis zur Morgendämmerung. Und als die vierte Stunde der Nacht vorrückte, sah er die allheilige Muttergottes in ganzer Gestalt, sehr groß, aus den königlichen Toren hervortreten, inmitten eines furchteinflößenden Gefolges, darunter der ehrwürdige Vorläufer und der Donnersohn, die sie an der Hand auf beiden Seiten stützten. Viele andere Heilige in weißen Gewändern leisteten ihr Gefolgschaft, einige vor ihr her, andere hinter ihr her schreitend, Hymnen und geistige Gesänge anstimmend. Als sie sie sich dem Ambo näherte, ging der Selige hinauf zu Epiphanios und sagte: „Siehst du die Herrscherin und Gebieterin der Welt? “ Dieser antwortete „Ja, mein geistlicher Vater! “ Vor ihren Augen kniete sie nieder und betete eine lange Zeit, während Tränen über ihr gottähnliches und allreines Gesicht flossen. Nach diesem Gebet trat sie zum Altar und betete dort für das umstehende Volk. Nachdem sie gebetet hatte, nahm sie mit majestätischer Anmut von ihrem überaus reinen Gesicht das Maphorion, das wie Lichtblitz erschien, hielt es in ihren unbefleckten Händen und breitete es - es war sehr weit und Furcht einflößend - über alle Menschen, die dort versammelt waren. Und eine lange Zeit sahen es die ehrwürdigen Männer über der Versammlung ausgebreitet, die Herrlichkeit des Herrn wie ein Bernstein ausstrahlen. So lange wie die überaus heilige Muttergottes blieb war das Maphorion auch sichtbar, als sie sich aber zurückgezogen hatte, konnten sie es nicht weiter sehen. Gewiss hatte sie es mit sich genommen, ihre Gnade aber ließ sie denjenigen angedeihen, die dort versammelt waren. Epiphanios sah dies dank der Vermittlung des Gotttragenden Vaters, denn dieser war immer für ihn da und ließ ihm das Geschaute zuteil werden, indem er wie ein Vermittler für ihn handelte. Er geleitete ihn überall und brachte ihm die glorreiche Herrlichkeit nahe. In dieser schlichten Erzählung gelingt es Nikephoros, auf engstem Platz symbolische Bezugsgrößen von mythologischer Tragweite zu einem schlüssigen Ganzen zu verweben. Die archaische Geste von Protektion und Nostrifizierung durch das Überwerfen oder Ausbreiten eines Mantels, einer Bedeckung des Schützlings wird darin eindrücklich ausgemalt. 54 Im Mittelpunkt der Episode steht Maria, die unsichtbar dem irdischen Gottesdienst beiwohnt. Ihr Gesicht ist von Tränen überströmt angesichts des drohenden Untergangs von Konstantinopel - der Stadt, die unter ihrem Schutz steht und nun höchster Gefahr entgegenblickt, wie in der nachfolgenden apokalyptischen Vision angekündigt wird (VAS 3805-4131). Für sie tritt 54 Siehe zum Ganzen Belting-Ihm, Untersuchungen (1976). Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 262 sie betend ein; es verbinden sich darin die Motive mütterlicher Fürsorge und der Interzession von Heiligen angesichts einer akuten Bedrohungssituation. The Virgin’s tears at the ambo seem to refer directly to the prophecies on the end of the world. 55 Schauplatz des Geschehens ist die der Hagia Sophia unmittelbar im Rang folgende Marien-Kirche im kaiserlichen Stadtviertel Blachernae, genauer die als Hagia Soros bekannte Rotunde, in welcher die Reliquie des sog. „Maphorion“ (μαφόριον, abgekürzt von ὠμοφόριον - „Schleier, Schal, Mantelkopftuch“, in Syrien landestypisch) aufbewahrt wurde. Der Legende nach wurde die Reliquie im 5. Jh. von den griechischen Pilgern Galbius und Candidus aus dem Besitz ihrer jüdischen Gastgeberin im Heiligen Land entwendet wurde und nach Konstantinopel gebracht. 56 Das altslavische Äquivalent „Pokrov“ (покровЪ) ist indessen von besonderer semantischer Polyvalenz und bringt den Gedanken von „Mantel, Bedeckung“, aber auch „Decke, Schutz“ zum Ausdruck. 57 Die Ursprünge des diesem visionären Erlebnis gewidmeten orthodoxen Feiertags, der am 1. Oktober zelebriert wird, sind nicht hinreichend geklärt; 58 Die Provenienz des gleichnamigen griechischen Festes ist ebenso offen. 59 Eine Stiftung durch Fürst Andrej Bogoljubski (1157-1174), wie üblich angenommen, 60 ist schwierig zu belegen; keine zeitgenössische Quelle gibt das her, auch ein ursprüngliches Patrocinium der Nerl-Kirche hierher ist nicht urkundlich bezeugt. 61 Das neu eingerichtete Fest wurde mit einem eigenen Textzyklus bedacht, der sich aus der sog. Prolog-Sage, der gottesdienstlichen Ordnung und fünf Homilien zusammensetzt. 62 (a) Die sog. „Prolog-Sage“ („Proložnoe skazanie“) ist eine kurze Glosse zur Blachernen-Vision des Andreas und zur Einrichtung des Pokrov-Festes auf den Befehl eines nicht namentlich genannten Fürsten zum 1.Oktober, die gegen Ende des 12. Jh. in den Prolog eingetragen und von da aus in die Lese- Menäen übernommen wurde. (b) Die liturgische Festordnung („Služba na Pokrov“) beschreibt den Ablauf der vorzutragenden Lesungen und Gesänge und ist für die zweite Hälfte des 14. Jh. bezeugt. 55 Rydén, Vision, 68. 56 Wortley, Relics, 171-187 (ebenso zur Hodegetria-Ikone (Όδηγήτρια) und zum Gürtel (ζώνη) Mariens). 57 Vgl. die griechischen Begriffe σκέπη und ἐπίσκεψις- Rydén, Vision, 75. 58 Unkritisch dazu Sergij, Svjatoj Andrej (1898). 59 Mit Ryden, Vision, 77-82 und gegen Wortley, Coincidence, 149-154. 60 Voronin, Prazdnik Pokrova, 208-218. 61 Cf. Rydén, Vision, 81-82; Gębarowicz, Mater misericordiae, 201-204. 62 Nach Fet, Art. „Slova na Pokrov“, 421-423; siehe ferner Jusov, Gimnografija (2008). Die Vita des Andreas Salos 263 (c) Die Homilie „Lobpreis des ehrbaren Schutzmantels der allheiligen Gottesmutter“ („Slovo pochval’noe čestnomu Pokrovu presvjatyja Bogoridica“) wurde in den 60er Jahren des 14. Jh. von Pachomij Serb auf der Basis der Prolog-Sage und der Služba für den Novgoroder Bischof Jona angefertigt; Eintrag in den Lese-Menäen auf den 1.Oktober. (d) Die Homilie „Lobpreis des heiligen Schutzmantels der reinen Gottesmutter“ („Slovo pochval’no na svjatyj Pokrov prečistyja Bogorodica“) ist eine umfangreiche, schablonenhafte Kompilation wohl aus dem frühen 16. Jh., die in der Komposition dem Lobpreis von Pachomij folgt und zahlreiche Entlehnungen aus der Služba und der Prolog-Sage beinhaltet. Sie kommt in Handschriften aus dem 16.-18. Jh. vor, Aufnahme in die Lese-Menäen zum 1.Oktober. (e) Die Homilie „Unterweisung zum Schutzmantelfest der Gottesmutter“ („Poučenie na Pokrov Bogorodicy“) ist ein Text erbaulichen Inhaltes, der im 15. Jh. von einem anonymen Mönch abgefasst wurde. (f) Die Homilie „Lobpreis des Schutzmantels“ („Slovo pochval’noe na Pokrov“) ist eine Kompilation, die aus der Pokrov-Sage schöpft. (g) Die „Homilie zum Pokrov“ („Slovo na Pokrov“) ist ein homiletischer Lobpreis, bekannt aus Hss. des 18. und 19. Jh. Neben dieser literarischen Produktion vollzog sich die ikonographische Erschließung des Pokrov-Themas, die sehr früh einsetzte. 63 Eines der Beispiele ist eine westgalizische Ikone (gegenwärtig im Nationalen Kunstmuseum der Ukraine), die in die vormongolische Periode verweist. 64 Ein anderes altes Zeugnis des Pokrov-Festes ist das Westtor deKathedrale in Suzdal aus der ersten Hälfte des 13. Jh.. 65 Vom 14. Jh. an begegnen die ersten Ikonen zu diesem Sujet, das zu den beliebtesten in der orthodoxen Kunst zählt: In Russland entstand eine neue, als Festbild streng fixierte Ikone, deren Gegenstand eine längst Geschichte gewordene Vision war“. 66 Das ikonographische Material verteilt sich auf zwei Bildertypen, benannt nach Novgorod und Moskau je nachdem, ob das Maphorion von einer Engelschar oder von Maria selbst ausgebreitet wird. 67 Die bedeutendsten Pokrov-Zeugnisse der russischen Kultur finden sich in der Architektur, in einer langen Reihe eindrucksvoller Bauten. Zwei davon gehören zum Weltkulturerbe - die bereits erwähnte Nerl-Kirche und die berühmte Pokrov-Kirche am Roten Platz, die den Namen des heiligen Narren 63 Lathoud, Thème iconographique, 302-314. 64 Aleksandrovič, Ikonografija, 125-135. 65 Rydén, Vision, 75-76, Anm. 3; Abbildung bei Gębarowicz, Mater misericordiae, Abb. 74 und Belting-Ihm, Untersuchungen, Tafel XII b). 66 Belting-Ihm, Untersuchungen, 89-80 (Resümee); Gębarowicz, Mater misericordiae, Abb. 72.77.81.86-87.89.92-95 (ikonographische Beispiele); Rydén, Life I, 196-202 (Auflistung). 67 Cf. Belting-Ihm, Untersuchungen, Tafel XIII a). und b). Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 264 Vasilij Blaženyj („dem Seligen“) trägt. Sie verbindet damit auf symbolische Art und Weise die beiden Themen, die für die russische Rezeption der VAS zentral sind: „Pokrov“ (Schutz der Gottesmutter) und „Jurodstvo“ (russisches Gottesnarrentum). Eine letzte, wenig greifbare Spur der Rezeption der Schutzmantel-Vorstellung findet sich in Bauernkalendern und Orakelpraktiken, denen bisher wenig Beachtung geschenkt wurde. 68 Eine Bauernregel deutet den Schneefall am 1. Oktober als Bedeckung der Mutter Erde: „Am Pokrov-Fest deckt sich die Erde mit Schnee zu und kleidet sich in Frost ein“; an diesem Tag wird der Einbruch des Winters erwartet: „Am Pokrov-Tag ist bis Mittag noch Herbst, und am Nachmittag zieht der Winter ein“. Mittels der Formel „Bedecke die Erde mit Schnee und mich mit dem Bräutigam“ wünschten sich junge Frauen eine Erscheinung des künftigen Ehemanns im Traum herbei. Bedeutung der byzantinischen Vita Im byzantinischen Text der VAS manifestieren sich zahlreiche neue Entwicklungsmomente des Genres. Darin sind eine eigenständige Apokalypse sowie mehrere eschatologische Exkurse beheimatet, die organisch mit der Biographie des Andreas Salos verbunden sind. Mit ihm tritt ein Gottesnarr als apokalyptischer Seher auf, der ein breites Spektrum an visionären Erlebnissen durchschreitet. Die Vita stammt entsprechend der Autorenangabe (4392-4400) von einem Priester an der Hagiaa Sophia, der sich Nikephoros nennt und offenbar nicht incognito oder pseudonym, sondern im eigenen Namen schreibt - eine Ausnahme innerhalb des apokalyptischen Genres. Nikephoros legt eine literarische Fiktion vor, in der fünf Jahrhunderte zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit liegen. Eine vergleichbare literarische Technik ist die apokalyptische Geschichtsdeutung in Zukunftsform, die sich stets auf die Gegenwart bezieht, aber aus der Vergangenheit abgeleitet wird. Elemente dieser rhetorischen Konstruktion scheinen in der Vision in Blachernae durch, die sich im Blick auf die durch das Maphorion-Wunder abgewehrte Invasion der Russen im Jahre 860 wie ein vaticinium ex eventu ausnimmt. Neu ist allerdings, dass Nikephoros nicht auf bestehende Vorbilder oder biblische Figuren zurückgreift, sondern aus dem Nullpunkt heraus, gewissermaßen ex nihilo seinen Protagonisten ins Leben ruft, ihn zum Abenteurer und Apokalyptiker macht, der all das verkörpert und auslebt, was für seine Zeitgenossen von Interesse war - in der Regel Dinge, die außerhalb der Reichweite der „offiziellen“ Theologie lagen. Es handelt sich sozusagen um eine besonders erfolgreiche literarische Produktion, die Inhalte von sehr großer Reichweite integrierte, hohe Verbreitung erreichte und Andreas zum Salos 68 Beispiele nach Voronin, Prazdnik Pokrova, 217-218. Die Vita des Andreas Salos 265 und Seher per se stilisierte. Seine höhere visionäre Begabung geht nicht verloren, sondern wird im Rahmen einer Lehrtradition weitergegeben und somit erhalten. Dass sein Schüler Epiphanios übrigens zum „späteren“ Patriarchen von Konstantinopel aufsteigt, wertet das Christusnarrentum theologisch auf und verlagert die Begabung zu apokalyptischen Visionen vom Rand der Gesellschaft in das höchste Kirchenamt. Auch die Art der Überlieferung gibt Aufschluss über die apokalyptische Dimension der Vita. Die handschriftliche Ausgangssituation nimmt sich dank der hohen Anzahl vorhandener Hss. und des überraschenden Erhalts eines Teils des Originalmanuskripts recht günstig aus. Von hier aus zeigt sich das selektive Interesse von Kopisten und Rezipienten in der bevorzugten Behandlung der Apokalypse (VAS 3805-4131), die gesondert abgeschrieben wurde und rund ein Viertel des Hss.-Bestandes ausmacht. Es wäre daher nicht übertrieben, die Apokalypse als das Herzstück der Vita zu betrachten, die zahlreiche neue Züge an den Tag legt. Eine eröffnende Vision und das daran anknüpfende Bild-Deutungs-Modell sind nicht vorhanden. Der Aufbau ist hingegen durch ein Dialog-Schema geprägt, wobei die Fragen am Anfang gebündelt werden. Der Fokus Konstantinopel führt zu einer weitgehenden Parallelität von kosmischer und politischer Eschatologie. Die Reihe der letzten Herrscher ist singulär. Sie ist anders als bei Pseudo- Methodius nicht auf eine endzeitliche Idealfigur ausgerichtet, sondern von zunehmendem Verfall gekennzeichnet. Die Herrschaft der gegen Gott rebellierenden Kaiserin als Vorläuferin des Antichrist weist soweit bekannt keine Parallelen in den verwandten Texten auf. Die Stellung des Textes gegen den Schluss hin markiert ihn als theologisches Testament des Andreas, das innerhalb der Vita von weiteren Apokalypsen vorweg genommen wird und gelegentlich von eschatologischen Kontext- Manuskripten flankiert wird. Darunter befindet sich auch die Vita des Basilius Novus, ein zentrales Zeugnis byzantinischer und slavischer Individualeschatologie. 69 Slavische Rezeption der byzantinischen Vita Ungewöhnlich ist der Umstand, dass der Text der VAS ursprünglich den Balkan-Raum überging und in Russland übersetzt und tradiert wurde, dies allerdings mit nachhaltigem Erfolg. Die Vita wurde nicht nur adaptiert, sondern auch adoptiert; der Skythe Andreas wurde als Slave aufgefasst, als Russe, als Bürger von Novgorod. Vertraut wirkte auch die Namensgleichheit mit dem Russenapostel Andreas und dem Fürsten Andrej Bogoljubskij (1157-1174), der nach russischer Kirchentradition das Pokrov-Fest initiiert und die Prolog- Sage abgefasst haben soll. 69 Siehe Kap. VI.5. Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 266 Alleine der Hss.-Bestand der ersten russischen Übersetzung übersteigt die byzantinische Tradition um das Doppelte. Hinzu kommt eine Reihe weiterer Rezeptionsformen. Die Vita wurde sowohl als Ganzes kolportiert (oft als selbstständiges, reich bebildertes Buch) als auch in Exzerpten und Bearbeitungen, die teilweise auf einer eigenen Übersetzung fußten. Die Auszüge in Mischcodices bilden eine umfangreiche, noch unerforschte Gruppe davon. Es folgten eine zweite russische und eine südslavische Übersetzung des ganzen Textes. Die Apokalypse (3805-4131) wurde im südslavischen Sprachraum gesondert übertragen. Zusätzlichen Auftrieb erhielt die Textüberlieferung durch die Einrichtung des Pokrov-Festes und die Aufnahme in hagiographische Sammlungen (Prolog, später Lese-Menäen). Damit wurde der offiziellen kirchlichen Kodifizierung der Weg gebahnt. In den Apokryphenindices wurde die VAS unter „empfehlenswerter Lektüre“ aufgeführt. Auch die Altgläubigen nahmen sich des Textes an und tradierten ihn mit reicher Bebilderung weiter. Für die Rezeption des Textes in Russland sind zwei kulturelle Kontexte besonders zu beachten. Zum einen stand das sog. Jurodstvo (Gottesnarrentum) als ein spezifisch russisches Phänomen in enger Verbindung mit der Vita. Der Text kursierte verstärkt an Orten des Auftretens von Christusnarren. 70 In Rechnung zu stellen ist ferner die fruchtbare Wirkung des Pokrov- Motivs auf Liturgie, Literatur, Kunst, Architektur und Folklore, die noch heute in Zentrum und Peripherie des Landes nachwirkt. Dies bildete eine liturgische Folie für die Wahrnehmung von Andreas, dessen Gedenktag im Kirchenjahr auf den Festtag folgt (2. Oktober). Es kann indessen nur als eine Ironie der Geschichte bezeichnet werden, wenn das Maphorion Mariens als Kristallisationspunkt für ein bedeutendes russisches orthodoxes Fest und als Namensgeber für Kirchen von nationalem Rang erscheint, soll doch ein von ihm ausgelöster Sturm 860 die russische Flotte nahezu vollständig ausgelöscht und Konstantinopel vor ihrem Angriff gerettet haben, wie im Eintrag der Nestor-Chronik zum Jahre 6374 berichtet wird - ein in Vergessenheit geratener Vorfall aus grauer heidnischer Vorzeit. 71 Durch zahlreiche günstige Umstände wurde die Verbreitung der Vita des Andreas Salos entscheidend gefördert und ihre herausragende Stellung besiegelt. Ihr fiktionaler Protagonist hatte seine reellen Repräsentanten in der Gestalt der allseits beliebten russischen Gottesnarren. Er erlangte überdies eine sinnlich erlebbare Präsenz, indem die Erscheinung der Gottesmutter in Blachernae zu einem archetypischen Erlebnis überhöht wurde, das alljährlich im Gottesdienst vergegenwärtigt wurde. 70 Ryden, Life I, 26-27. 71 Müller, Taufe Russlands, 32-43 (zum Überfall der „Russen“ auf Konstantinopel im Jahre 860). Die Vita des Andreas Salos 267 Die südslavische Orthodoxie, der eine derart förderliche Konstellation nicht gegeben war, entdeckte die Vita vom 14. Jh. an für sich und zollte ihr gebührende Anerkennung in der Gestalt zweier Übersetzungen. Dies blieb jedoch weit hinter der russischen Rezeption zurück. Somit gehört die in der VAS enthaltene Apokalypse zu den am besten bezeugten apokalyptischen Texten im byzantinischen und ganz besonders im slavischen Kulturraum. Die Vita stieg bald nach ihrer Übersetzung zu einer festen kulturellen Größe in Russland auf und entfaltete weit über die eigentliche Zirkulation in Mischcodices hinaus eine fruchtbare Wirkung auf Literatur, Bilderkunst, Architektur und soziales Leben. 5. Die Vita des Basilius Novus Die Vita des Basilius Novus ist ein kostbares Dokument der apokalyptischen Literatur aus dem Byzanz des 10. Jh., das sowohl unter Ostslaven (Russland) als auch unter Südslaven (Bulgarien) sehr verbreitet war. Der Text reiht sich unter die Zeugnisse eines erstarkten Interesses der Menschen aus dieser Zeit am Jenseits und am postmortalen Geschick ein. Zusammen mit der Theotokos-Apokalypse, der Vita des Andreas Salos und der Höllenwanderung der Nonne Anastasia gehört die Vita des Basilius Novus zu einem Textkomplex, der im Zusammenhang einer „Renaissance“ der byzantinischen Apokalyptik im 10. Jh. zu betrachten ist. 1 Forschungsstand Die Texttradition der Vita bedarf dringend weiterer Erforschung. Maßgeblich darüber waren bis vor kurzem die Monographie und die Textausgaben des russischen Gelehrten S.G. Vilinskij, die ein Jahrhundert zurückliegen und heute eine bibliographische Rarität darstellen. 2 Erst vor kurzem wurde eine Neuauflage des griechischen Textes vorgelegt. 3 Eine kirchenslavische Edition ist derzeit in Vorbereitung. 4 Apokalyptische Sequenzen Die Vita enthält zwei ausgedehnte Passagen, die dem Jenseits gewidmet sind. Neben einer Vision der Endzeit, die dem Basilius-Schüler Gregorios widerfährt, sind vor allem die Abschnitte über die Prüfungen, denen die Seele des Verstorbenen unterliegt, von besonderer Bedeutung. 5 Die Erzählung hierüber wird kunstvoll eingeleitet. Gregorios wünscht sich zu erfahren, was der Schülerin des Basilius Theodora im Jenseits an Lohn für ihren rechtschaffenen Lebenswandel zuteil wurde. Hierauf erscheint ihm ein Knabe im Traum und ruft ihn im Auftrag des Basilios an das Todeslager der Theodora. Daselbst versammeln sich die Dämonen und die Schutzengel, die die Seele der Verstorbenen begleiten. Sie durchläuft eine Reihe jenseitiger Stationen, die wie Zollschranken geschildert werden (τελώνια). An jeder Zollstation erheben die Wärter auf Grund detaillierter Aufzeichnungen (κώδικες) 1 Cf. Magdalino, History of the Future, 3-34; Magdalino, Year 1000, 233-270; Landes, Gow & Van Meter (ed.), Apocalyptic Year (2003). 2 Vilinskij, Žitie I (1913) und Vilinskij, Žitie II (1911). 3 Sullivan, Talbot & McGrath, Life of St Basil (2014). 4 Angekündigt von T.V. Pentkovskaja (grant RGNF 11-04-00099 а). 5 Cf. Sullivan, Talbot & McGrath, Life of St Basil, 39-48; zum kirchenslavischen Hintergrund siehe Pesenson, Visions, 127-145.. Die Vita des Basilius Novus 269 Anklage. Gegen eine Bestechung durch die Begleitengel lassen sie jedoch die Seele von Theodora weiterziehen. Das betreffende Sündenregister der Zollwächter umfasst folgende Einträge: Verleumdung, Neid, Lüge, Wut und Zorn, Stolz und Arroganz, sinnloses Gerede, Wucher und Heimtücke, unrechtes Tun und Eitelkeit, Habgier, Trunksucht, Zauberei und Vergiftung, Völlerei, Idololatrie, Sodomie und Pädophilie, Ehebruch, Räuberei, Diebstahl, Lüsternheit, Mitleidlosigkeit und Grausamkeit. 6 Die Aufzählung nimmt sich indes nicht nur wie ein Sittengemälde aus, sondern porträtiert im Negativbild auch die sozialen und politischen Zustände, die aus Sicht des anonymen Verfassers im 10. Jh. in Byzanz allgegenwärtig waren: The burden of the imperial bureaucracy and the fear of the tax-collector could not have been represented more graphically. 7 Slavische Rezeption Die Textgeschichte der Vita ist sehr komplex, und eine Orientierungshilfe liefert das monumentale Werk von S.G. Vilinskij vom Anfang des 20. Jh. Er ging von vier griechischen Redaktionen aus, die er mit griechischen Buchstaben bezeichnete (α, β, γ und δ) bezeichnete. Innerhalb der slavischen Tradition unterschied er drei russische Textgruppen, die daran anknüpfen. Die erste russische Redaktion, die in den großen Lesemenäen des Metropoliten Makarij (1529-1554) unter dem 26. März abgedruckt war, setzte er mit der griechischen α-Gruppe in Verbindung. Dahinter vermutete er eine frühere, womöglich südslavische Übersetzung, die er noch vor dem 14. Jh. ansetzte. 8 Die zweite russische Fassung, die für ihn mit der griechischen β-Familie korrelierte, führe er auf eine südslavische Übersetzung im 14. Jh. zurück 9 . Die dritte russische Redaktion war für S.G. Vilinskij ein Werk des heiligen Dimitrij von Rostow (†1709). 10 Darüber hinaus beleuchtete er die Verflechtungen der Vita innerhalb der russischen Literatur und Folklore, die ein eigenes kulturgeschichtliches Kapitel darstellen. Wenngleich heute ein etwas detaillierteres Bild der Interdependenzen zwischen byzantinischen Vorlagen und slavischen Übersetzungen gezeichnet werden kann, 11 werden die Arbeiten von G.S. Vilinskij weiterhin ein Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit dem Text bleiben. Wichtig ist in unserem Zusammenhang, dass die eschatologischen Partien der Vita auch lösgelöst vom Textcorpus zirkulierten. Sie flossen in Bearbeitungen ein, die sich 6 Vilinskij, Žitie I, 34-35 (Liste der τειλώνια). 7 Mango, Byzantium, 151-165 („the invisible world of good and evil”), insb. S. 164. 8 Vilinskij, Žitie I, 129-187. 9 Ibid., S. 188-263. 10 Ibid., S. 264-274. 11 Pentkovskaja, Drevnejšij slavjanskij perevod, 114-128. Byzantinische Eschatologie II: Jenseitsreisen und Höllenwanderungen 270 mit der Trennung von Seele und Körper und mit dem Leben „danach“ befassten („Homilie von den himmlischen Mächten“, 12.-13. Jh.). 12 Der Stellenwert der VBN geht aus den Manualen hervor, die ihre Ikonographie vorgeben. 13 Auch heute wird die Vita in Druckfassungen verbreitet; eine mir zugängliche Ausgabe stammt beispielsweise vom russischen Pantelejmon-Kloster auf dem Athos (1995). Im modernen Bulgarisch hat der Begriff „Zollpassagen“ (митарства/ mitarstva), dessen lexikalische Motivation längst verblasst ist, noch immer die Bedeutung einer Odyssee, während derer einem Menschen zahlreiche Widrigkeiten zustoßen. 12 Tvorogov, Art. „Žitie“, 142. 13 Bratčikova, Sbornik obrazcov, 549-559. VII. Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen Auf slavischem Boden artikulierte sich eine eigene Form apokalyptischer Literatur, die in Anlehnung an die byzantinischen Vorbilder vergleichbare Modelle entwickelte. Eine populäre Gattung waren eschatologisch-chronographische Texte, die Themen der politischen Mystik aufgriffen und ein eigenes „apokalyptisches Formular“ herausbildeten, welches sie aber nicht unter Daniels Namen herausbrachten, sondern dem Propheten Jesaja zuschrieben. Die ersten zwei Jesaja-Apokalypsen (1 und 2 ApcIes) entstanden unter dem Eindruck politischer Umwälzungen und sozialer Unruhen in der Mitte des 11. Jh. Beide Texte gehören indes nicht nur thematisch, sondern auch inhaltlich zusammen, und bildeten offenbar die beiden Bände eines zusammenhängenden eschatologischen Traktates. Sie teilen denselben geographischen Horizont wie Fassungen von Pseudo-Methodius und die beiden Daniel-Apokalypsen, die im Codex des Priesters Dragol‘ überliefert sind (RevPsMeth sl Dr, 2 ApcDan sl Dr und 3 ApcDan). Damit vervollständigt sich das Bild einer apokalyptischen Aktivität im Südwesten der bulgarischen Territorien in der Mitte des 11. Jh. Die häufige Erwähnung der Ortschaften Strumica und Glavinica gibt Aufschluss über ihre geographischen Schwerpunkte. Es handelt sich um zwei wichtige Bischofstümer des Erzbischofstums von Ochrid, das mit der kirchlichen Verwaltung der im Byzantinischen Reich eingegliederten bulgarischen Provinzen betraut war. 1 Die dritte der behandelten Jesaja-Apokalypsen (3 ApcIes) gehört ebenso in einen politischen Kontext, entsammt jedoch späterer Zeit (wohl 13. Jh.) und lässt sich nicht ohne weiteres historisch einordnen. Die vierte Jesaja-Apokalypse (4 ApcIes) hat hingegen nichts mit Geschichtstheologie zu tun, sondern repräsentiert eine moralisch-eschatologische Homilie, die bislang unbeachtet geblieben ist und nun näherer Erforschung bedarf. Die anderen kirchenslavischen Texte sind in verschiedenem Umfang untersucht worden. Die sog. Orakel des Pandech wurden bisher haupt sächlich mit Blick auf ihren historischen Gehalt diskutiert, wobei hier noch einige inhaltliche Details sowie die genaue Datierung nicht restlos geklärt sind. Die letzten zwei Schriften („Kampf Michaels mit dem Teufel“ und eine Antichrist- Sage) verdienen Beachtung als Zeugnisse einer eigenständigen Form von Apokalyptik, die sich im 12. und 13. Jh. unter den Südslaven herausgebildet hat. Auf Grund der zahlreichen noch offenen Fragen werden sie nur skizzenhaft erwähnt und sollen in künftigen Studien genauer beleuchtet werden. 1 Gelzer, Patriarchat von Achrida, 4. Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen 272 Abbildung 5: Geographische Schwerpunkte der kirchenslavischen Daniel- und Jesaja-Apokalypsen auf dem Hintergrund der heutigen Staatsgrenzen 1. Die Sage des Jesaja (Bd. 1) Sage des Propheten Jesaja, wie er von einem Engel in den siebten Himmel entrückt wurde (1 ApcIes) Сkazanïe Isaïе пррка. kako v[znesen[ b[jst[ agglom[ do z,go nebes[j (Българска апокрифна летопис) In einer Jesaja-Vision, die in einer einzigen Kopie aus dem Anfang des 17. Jh. vorliegt, ist eine apokalyptische Chronik des Ersten Bulgarischen Reiches enthalten. 1 Der Text galt über ein Jahrhundert als verschollen und wurde erst vor kurzem wieder augefunden. 2 Von den Inhalten leitet sich die slavistische Bezeichnung „apokryphe Bulgarenchronik“ („Апокрифна българска летопис“) ab, die allerdings nicht dem Selbstverständnis des Textes als Offenbarungsschrift Rechnung trägt. Die geschichtliche Rückschau wird aus der Sicht eines anonymen Verfassers gehalten, der um die Mitte des 11. Jh. in den byzantinisch verwalteten bulgarischen Gebieten lebte. Inhalt Die „apokryphe Bulgarenchronik“ gehört zu einem größeren Zyklus apokalyptischer Schriften aus dieser Epoche. 3 Sie weist zugleich eine Reihe von Besonderheiten auf, die sich auf ebendiesem Hintergrund zum Teil als singulär ausnehmen. Anders als das Textumfeld der weiteren Jesajasowie Daniel- Apokalypsen, die im Allgemeinen auf das zweistufige Modell des Pseudo- Methodius aus Historie und Prophetie zurückgreifen, beginnt 1 ApcIes davon abweichend mit einer Schau der sieben Himmel (1,1-15), die einen eigenständigen Charakter hat und unmittelbar in die apokalyptisch erzählte Geschichte mündet. Inhaltlichen Schwerpunkt des Werkes bilden episodenhafte Skizzen zu bulgarischen und byzantinischen Herrschern und Abrisse historischer Begebenheiten bis in die Mitte des 11. Jh. hinein (Kap. 3 bis zum Schluss). Ein 1 Kirchenslavischer Text bei Stojanović, Stari srpski hrisovuli, 190-193 und Ivanov, Knigi, 280-287; cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, (Überlieferung), 195-198 (Text), 199-206 (Übersetzung und Anmerkungen); die Übersetzung ins Bulgarische von Dujčev, Knižnina I, 154-161; 237-240 findet sich noch bei Dinekov, Kuev & Petkanova (red.), Christomatija, 291-295; Petkanova, Apokrifi, 294-299, 400-401; Angelov & Božilov, Literatura III, 60-65, 360-362; Petkov, Voices, 194-199 (Nr. 14); Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 199-202; cf. eaedem, Apocalyptic literature, 274-300 (englische Fassung). 2 Turilov, Kičevskij sbornik, 2-39. 3 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 109-206; eaedem, Apocalyptic literature, 141- 300. Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen 274 endzeitlicher Passus („Tagma“) fehlt allerdings, ebenso die üblicherweise davor geschaltete Fassung der Endkaiserlegende; die Chronik endet abrupt mit dem Überfall feindlicher Ethnien auf die bulgarischen Territorien (Kap.20). Historische Bezüge Im Fokus des Werkes steht somit die Balkan-Geschichte aus einem Zeitraum von vier Jahrhunderten, der mit der Gründung des Ersten Bulgarischen Reiches im 8. Jh. einsetzt. 4 Der Text hört abrupt mit der Gegenwart des Verfassers in der Mitte des 11. Jh. auf. 5 Neben den bulgarischen Herrschern werden in die Erzählung auch byzantinische Kaiser, Provinzverwalter und mythisch zu deutende Eponyme mit einbezogen. 6 Königsliste und Herrschaftsdauer Historisches Pendant Portraitierung Entrückung Jesajas und Reise durch die sieben Himmel (1,1-15) König Slav, 119 Jahre (2,1-8), Eponym für die slavische Bevölkerung In einer Audition wird Jesaja kundgetan, ein Drittel der Kumanen, genannt Bulgaren, im seit 130 Jahren verödeten Lande Karvun (= Süddobrudža) ansiedeln und über ihnen König Slav einzusetzen. Landstriche und Städte werden bevölkert, Überfluss und „hundert Grabhügel“ werden zum Markenzeichen seiner Herrschaft Ispor, 172 Jahre (3,1-5) Khan Asparuch (668-700) Er tut sich als Erbauer von Städten und Befestigungsanlagen hervor, führt erfolgreich Krieg gegen die Ismaeliten und fällt im Kampf gegen sie; erst danach bekommen den Bulgaren ihren Namen 4 Ibid., S. 192-194; 202-206; cf. zum Hintergrund Zlatarski, Istorija I,1 (1918); Zlatarski, Istorija I,2 (1924); Zlatarski, Istorija II (1934); Runciman, History (1930). 5 Eine eschatologische Zukunftsprophetie fehlt, der Text verbleibt gänzlich im vaticiniaex-eventu-Modus; gegen Ivanov, Letopis, 70-77, insb. S. 75-76 6 Cf. Podskalsky, Literatur des Mittelalters, 479-480. Die Sage des Jesaja (Bd. 1) 275 Izot, 100 Jahre und drei Monate (4,1-5) Khan Omurtag (814-831) Ispors Sohn und Nachfolger; bekriegt den Ost-König Osija und den Frankenkönig Goliath Boris, 16 Jahre (5,1-5) König Boris-Michael (852-889) Izots Sohn und Nachfolger zeichnet sich durch Frömmigkeit und seinen Glauben aus. Er vollzieht die Taufe der Bulgaren, errichtet „weiße Kirchen“ und stirbt in Ehelosigkeit nach sechzehn Jahren Symeon, 130 Jahre (6,1-8) König Symeon (893-927) Der Bruder (! ) von König Boris verlagert die Hauptstadt von Pliska nach Preslav, erweitert die Reichsterritorien und erhebt symbolische Naturalabgaben von seinen Untertanen. Zeichen begleiten seine Herrschaft Petăr, 16 Jahre (7,1-4.13-14) König Petăr (927-969) König über Griechen und Bulgaren, lebt in Ehelosigkeit. Überfluss, Sättigung, Fülle sind allgegenwärtig. Er stirbt in Rom. Eingewoben in diese Episode sind Legenden über die Auffindung des Kreuzes und über die Gründung von Konstantinopel (7,5-13) Seleukia-Symeklit, 37 Jahre (8,1-5) König Samuil (997-1014) Er tritt aus dem Berg Vitoša hervor, gründet fünf Städte, herrscht in Serdica und stirbt in der Nähe von Breznik Kaiser Konstantin, 72 Jahre (8,6-8.13- 17) Konstantin der Große (306-337) Auffindung des Kreuzes, Gründung von Konstantinopel, B’din (die heutige Stadt Vidin im Nordwesten) und siebzehn weiteren Städten, Besiedelung des bulgarischen Landes „vom Westen her“ Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen 276 Ein „schmählicher Verwalter“, drei Jahre (8,8-12) Romanos Lakapenos, de facto- Kaiser zwischen 920-944 Er soll im Auftrag von Kaiser Konstantin die römischen Krieger aus Konstantinopel verbannen, betreibt aber eine Verschwörung gegen ihn mit dem Ziel eines Anschlags. Er stirbt „ohne Frau und ohne Kinder“ Symeon, zwölf Jahre (9,1) Wiederholung von Symeon? Nur Herrschaft und Tod finden Erwähnung Nikephor, 43 Jahre (10,1-4) Nikephor II. Phokas (963-969) Er erhält die Reichsherrschaft verliehen und gründet die Städte Demotikon, Morunec, Serres, im Westen Belgrad und Kastoria, an der Donau Nikopolis Symeon der Weise (11,1-4), vier Jahre Negative Wertung von Symeon? In seiner Ehrlosigkeit und Bosheit ruiniert er Bulgarien, Byzanz und das Heilige Land. Basileios (12,1-4), 30 Jahre Kaiser Basilios II. (976-1025) Er bekämpft alle Feinde, sorgt für Wohlstand und stirbt ehelos. Mose, Aron, Samuil, Augustinian und ein anonymer Bruder, 37 + 3 Jahre (Kap. 13-14) Die Brüder von König Samuil DiewSöhne einer Witwe, einer Prophetin, herrschen sie über das bulgarische und über das griechische Reich. Roman, neun Jahre (15,1-4) Romanos II. (1028-1034) Er kämpft erfolglos gegen einen König im Osten und zwei im Westen, kehrt sodann nach Preslav zurück. Ein Sohn der rechtschaffenen Theodora, 23 Jahre (16,1-3) Es ist ein frommer König, der große Klöster bauen und seinen Untertanen Wohlstand angedeihen lässt. Gagan Odoljan ,28 Jahre (17,1-5) Petăr Deljan, Anführer eines Aufstandes 1040-1041 Sehr schön von Gestalt; erhält die Herrschaft über das bulgarische und das griechische Reich verliehen; verwüstet zwei Städte jenseits des Meeres und gründet drei in Bulgarien; wird von einem Fremden mit dem Schwert umgebracht. Areb (18,1) ? Herrscht in Konstantinopel. Die Sage des Jesaja (Bd. 1) 277 Turgios, 17 Jahre (19,1-4) Magyaren? Erhebt sich aus den südlichen Ländern und empfängt das bulgarische und das griechische Reich. Auftreten der Pečenegen - „Gewalttäter und Verführer, ungläubig und gesetzlos“ (20,1) Tabelle 21: Historische Bezüge in 1 ApcIes Literarische Zusammenhänge Der Text stellt in der vorliegenden Fassung eine Verbindung des Genres Himmelreise mit den Apokalypsen des historischen Typus her, sodass im Ergebnis eine konvergente Gattung entsteht. Sie verhält sich im Vergleich reziprok zum Aufbau der verwandten 2 ApcIes, die ohne revelatorischen Auftakt unmittelbar mit politisch-eschatologischen Darlegungen eröffnet, dafür aber ein ausgedehntes Tagma der letzten Dinge entfaltet. Beide Texte teilen somit gleichermaßen das Interesse an der Eschatologisierung von politischer Geschichte im 11. Jh. in den byzantinisch verwalteten bulgarischen Provinzen, unterscheiden sich jedoch in ihrer Gewichtung. Abfassung Die Fragen nach Chronologie, Autorschaft und Quellen der apokryphen Bulgarenchronik sind bislang nur annähernd beantwortet worden. Wenn man die Angaben des letzten Kapitels mit den Pečenegen-Angriffen im Jahre 1048 in Verbindung setzt, wäre die Entstehungszeit auf das dritte Viertel des 11. Jh. zu terminieren. 7 Als Urheber kommt aller Wahrscheinlichkeit nach ein Mönch in Frage, wie mehrere Indizien nahelegen: Hierher gehören die Ablehnung der Ehe resp. das Lob der Ehelosigkeit (5,4; 7,2), die Akzentuierung der Taufe der Bulgaren, die Hervorhebung von Kirchen- und Klosterbau (5,2-3; 16,2) und der Lobpreis auf Frömmigkeit und Heiligkeit (5,1; 6,6; 7,3.5; 12,1; 16,1). 8 Es lassen sich keine direkten Vorlagen anführen, und die literarischen Beziehungen zu byzantinischen Chroniken und zum sog. Imennik der altbulgarischen Khans (eine mythische Genealogie der protobulgarischen Herrscher) bleiben noch zu klären. 9 7 Gegen Dimitrov, Chronicle, 97-109, insb. S. 100-103 (Datierung ins 12.Jh). 8 Erneut gegen Dimitrov, Chronicle, 103, der sich für ein bulgarisches, turksprachiges Milieu ausspricht. 9 Cf. Dujčev, Svedenie, 122-133, insb. S. 123; 131 und Beševliëv, Načaloto, 39-45, insb. S. 41-42. Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen 278 Unsicher ist ferner die Annahme zweier Überlieferungsstränge, wie V. Beševliëv zuletzt vorschlug - eines slavischen, recht verblasst, und eines altbulgarischen, der im 11. Jh. noch immer gegenwärtig geblieben war. Die Argumente dafür findet er in der Formulierung der Nachfolge der Herrscher, die einmal neutral („fand sich ein König“ 2,5 und 3,1), einmal konsekutiv („die Reichsgewalt ging an den Sohn von … über“) ausgedrückt wird. 10 König Slav und Ispor als Eponyme wären aber nur scheinbar eine treffende Metapher für die beiden ethnischen Gruppen, die im Ersten Bulgarischen Reich aufgingen; es sind vielmehr Anachronismen für eine moderne Konstruktion, die im historischen Gedächtnis des anonymen Autor nicht zu belegen ist: Urbulgarische Nomaden vs. sesshaft gewordene Slaven. Es ist gewiss nicht ein Anliegen des Textes, eine Abgrenzung herauszuarbeiten, sondern vielmehr die Einheit des Balkanraumes gegenüber gemeinsamen Gegnern hervorzuheben. 11 Eine „türkische“ Prägung ist wohl anders als im „Imennik“ nicht zu erkennen. Kein Herrscher wird als Khan oder Khagan angesprochen, und Deljans Rufname „Gagen“ galt dem Autor offenbar nicht als (altbulgarischer) Herrschaftstitel. Die Bulgaren werden nicht als isolierte Entität, sondern als slavische Ethnie wahrgenommen. 12 Wurden verschiedene Erzählstränge verarbeitet, so geschah das innerhalb einer Tendenz hin zur Vereinheitlichung und Zusammenführung. Geschichtliche Deutungsmuster Die Deutung der Bulgaren an sich ist im Übrigen widersprüchlich. Es bleibt unklar, ob sie schon ursprünglich (2,1-2) oder erst nach Ispors Tod (3,5) so hießen. Da die Taufe der Bulgaren erst in Kap.5 zur Sprache kommt, blieben sie für den Chronisten „pagan“ auch unter Ispor und Izot. Das von den Bulgaren besetzte Land soll für hundertdreißig Jahre von den Hellenen verlassen sein (2,4); die kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Byzantinischen Reich werden elegant übergangen, ja gar nicht erwähnt. Die Widersprüche wären aufzulösen, wenn man S.A. Ivanovs Vorschlag folgt, dass der Begriff „Bulgaren“ für den Autor vielschichtig war: Einmal ist es ein Name (Kap. 2), einmal eine „Qualität“ (Kap. 3). Darin spiegelt sich wohl die historische Doppeldeutigkeit des Ethnonyms wider: Im 7. Jh. bezeichnete es eingewanderte Nomaden, im 10. Jh. ein slavisches Volk, in welchem die Urbulgaren aufgegangen waren. 13 So zeichnet die Chronik eine Art Volkswerdung nach: Die paganen Einwanderer lassen sich nieder, kämpfen mit den Ismaeliten, schließen Frieden mit den christlichen Hellenen, werden getauft und erlangen einen Platz in der Geschichte. Die Jesaja-Mose-Parallele ist in 10 Beševliëv, Načaloto, 40-42. 11 Cf. Ivanov, Letopis, 72. 12 Ibid. 13 Ibid. Die Sage des Jesaja (Bd. 1) 279 diesem Zusammenhang bezeichnend, die Ansiedlung im zugeteilten Land geschieht vor diesem Hintergrund. Ein weiteres Merkmal des Textes ist die besondere Loyalität gegenüber der byzantinischen Herrschaft. 14 Es ist stets ein Anliegen des apokryphen Chronisten, den Zusammenhang beider Staaten zu betonen, und im Allgemeinen von einem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Griechen und Bulgaren auszugehen. 15 Zugleich ist er danach bestrebt, jeglichen Antagonismus von vorneherein zu bannen. Die Idee der Einheitlichkeit der Bulgaren koexistiert mit der loyalen Zugehörigkeit zum Byzantinischen Reich. Ein gewisser Stolz über die eigene Geschichte geht mit dem Bewusstsein des Vorrangs des religiösen gegenüber dem ethnischen Prinzip einher. 16 Von einer „Abgrenzung gegenüber der byzantinischen ethnischen Gemeinschaft“ kann indessen keine Rede sein. 17 Noch spekulativer ist die Idee einer byzantinischen Angst vor der militärischen Macht der Kumanen. 18 Es liegt auch keinerlei Idealisierung der bulgarischen Könige Boris, Symeon und Petăr vor. 19 Ganz im Gegenteil wird eine negative Wertung gerade von König Symeon deutlich. Zudem werden die byzantinischen Herrscher stark hervorgehoben - einschließlich Kaiser Basilios II (976-1025), der den Untergang des Ersten Bulgarischen Reiches herbeiführte. Von der Hand zu weisen sind ferner die immer wieder behaupteten angeblichen Parallelen zur „Istorija slavjanobolgarskaja“ des Mönches Paissij (1762). Mag zwar beides in Situationen fremder Herrschaft im Angesicht drängender Identitätszweifel entstanden sein, ist es keinesfalls ein erklärtes Ziel unserer „Chronik“, die eigenständige Geschichte beziehungsweise die historische Bedeutung der Bulgaren und ihrer Reichsgründungen in Bezug auf die Herausbildung eines wie auch immer gearteten „nationalen Selbstbewusstseins“ in Erinnerung zu rufen. 20 Umgekehrt trägt die „Geschichte“ des Paisij keinerlei apokalyptische Züge, Zwischen Offenbarung und Geschichte Die Aussagekraft von 1 ApcIes als historischer Quelle wurde von Anfang an überaus kritisch beurteilt. Gegen Ende des 19. Jh. sah der namhafte Historiker K. Jireček, der sich übrigens als erster der Verortung der Schrift angenommen 14 Beševliëv, Načaloto, 39; Dimitrov, Chronicle, 100-101; Ivanov, Letopis, 74. 15 Beševliëv, Načaloto, 42. 16 Ivanov, Letopis, 75-76. 17 Gegen Angelov, Obrazuvaneto, 352 (Annahme einer „patriotischen“ Bestrebung). 18 Gegen Kajmakamova, Letopis, 51-59, insb. S. 54-55. 19 Gegen Kajmakamova, ibid., S. 56-57. 20 Mit Dimitrov, Chronicle, 101 und gegen Beševliëv, Načaloto, 44. Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen 280 hatte, darin nichts weiter denn „eine confuse Mischung bulgarischer, byzantinischer und römischer Geschichte“, die „historisch ganz werthlos“ sei. 21 Ähnlich urteilte drei Jahrzehnte später J. Ivanov, der eine geschichtliche Glaubwürdigkeit und eine chronologische Konsistenz vermisste. 22 Die kritische Haltung blieb auch in der Folgezeit erhalten: [the Chronicle] has no value as a source on the history of the First Bulgarian Empire … even the last passages are as full of fantastic fabrications about people and events as are the first ones. 23 Man sprach von einer Mischung aus legendenhaften und märchenhaften Motiven mit historischen Begebenheiten, die in den Nebel vergangener Zeit getaucht wären oder sich im Zuge der Überlieferung stark gewandelt hätten; 24 von einem eigentümlichen Gemenge aus chronologischen, apokryphen und apokalyptischen Elementen. 25 Zugleich aber wurde konzediert, in der apokryphen Chronik sei eine beträchtliche Anzahl historischer Nachrichten verborgen, die als durchaus glaubwürdig zu erachten sei. 26 Inwieweit wird aber eine „historisierende“ Betrachtungsweise der Apokalypse überhaupt gerecht? Es ist keinesfalls Anspruch und auch nicht Aussageabsicht des Textes, einen „reinen“ Faktenbericht zu liefern - eine Darstellung geschehener Dinge, deren historischer Gehalt auf seine wie auch immer definierte „Glaubwürdigkeit“ zu hinterfragen wäre. Es gilt hingegen, bei der Beurteilung der „apokryphen Chronik“ Anachronismen zu vermeiden: Dies heißt nicht, dass den Sujets der Schrift nichts in der „realen“ Geschichte entspricht, sondern dass es vielmehr unmöglich ist, jene Sujets zu identifizieren, über die keine unabhängigen Quellen berichten … ob Izot mit Khan Krum oder Khan Omurtag zu identifizieren ist, stellt eine moderne Frage dar; der Verfasser kannte womöglich weder Krum noch Omurtag - er kannte Izot. 27 Der Autor stellte sich gewissermaßen „die“ Geschichte so vor, wie er sie darlegte. Es ist mit S.A. Ivanov anzunehmen, dass der Chronist sehr wahrscheinlich nicht wusste, dass die sog. „Riesen“, die das bulgarische Land plünderten, die russische Schar des Svjatoslav war. Von Bedeutung ist hingegen, dass die Intervention der Russen in den Jahren 968-971 sich auf diese Art und Weise in der kollektiven Wahrnehmung der Bulgaren einprägte. Die positive Beurteilung von Kaiser Basilios II. lässt sich nicht in „ethnische“ Kategorien 21 Jireček, Element, 1-98, insb. S. 86-93 (geographische Namen in der bulgarischen Visio des Propheten Isaias), Zitat auf S. 86. 22 Ivanov, Knigi, 273-280, insb. S. 279. 23 Dimitrov, Chronicle, 99. 24 Beševliëv, Načaloto, 39. 25 Dujčev, Svedenie, 123. 26 Ibid., S. 124-125; S. 130-133 (Auswertung der Angaben insb. über Khan Asparuch). 27 Ivanov, Letopis‘, 71 (eigene Paraphrase aus dem Russischen). Die Sage des Jesaja (Bd. 1) 281 einordnen, sondern wäre als eine zustimmende Reaktion auf die gemäßigte Politik des Kaisers in den eroberten bulgarischen Territorien zu werten. So liefert die „Chronik“ einen Einblick in die Mentalität des 11. Jh. und gibt Aufschluss darüber, wie Vergangenheit aus apokalyptischer Sicht vergegenwärtigt wurde. Sie ist also nicht als eine faktische Darstellung von „Geschichte“ zu betrachten, sondern als ein Dokument ihrer ganz spezifischen Wahrnehmung. 2. Die Sage des Jesaja (Bd. 2) „Des heiligen Propheten Jesaja Sage vom kommenden Zeitalter und von den Königen und vom Antichrist, wie er sein wird“ (2 ApcIes) Стго Isaïе пррка w бùдùщи лђтђ и w црђмь сказанїе и w антихрта иже хоще бůіти Der in der slavistischen Literatur „Sage des Jesaja“ („Сказание Исаево“) betitelte Text stellt eine eigentümliche apokalyptische Kompilation aus dem 11. Jh. dar, die ursprünglich auf Altbulgarisch abgefasst worden ist. Eine byzantinische Vorlage scheidet mit Sicherheit aus, vielmehr spiegelt die Schrift aus unmittelbarer Nähe historische Ereignisse wieder, die sich auf südwestbulgarischem und mazedonischem Territorium zugetragen haben. Einordnung Bekannt wurde die Offenbarungsschrift erstmalig im Jahre 1961 aus einer Deskription von Vl. Mošin, in der er auf das handschriftliche Erbe des montenegrinischen Klosters Nikoljac einging, darunter auch Cod. 52 (39) aus dem 15. Jh. erwähnte und allgemein beschrieb. 1 Zwei Jahrzehnte später wurde der Text auf der Basis der in diesem Sammelcodex enthaltenen Abschrift durch A. Miltenova erstmalig ediert und zusammen mit M. Kajmakamova einleitend kommentiert und eingeordnet. 2 Zuletzt erweiterte eine Kopie aus dem Jahre 1839 den Textbestand der Apokalypse: Es handelt sich um ein Fragment, das in einen sog. „ewigen Kalender“ von Todor Pirdopski aufgenommen wurde. 3 Der Text liegt nun einer einer kommentierten Textausgabe vor. 4 Überlieferung Aufschlussreich sind unter anderem Überlieferungsmedium und -kontext der Jesaja-Sage. Die Zusammensetzung von Cod. 52 des Nikoljac-Klosters ist außerordentlich reichhaltig und vielfältig: Es ist ein sog. Codex gemischten Inhaltes, der verschiedene Gattungen und Themenakzente umfasst - darunter Paränese, Paterika, Predigten zur Großen Fastenzeit, Triodion- und Menäentexte. 5 Darin finden sich auch mehrere Apokryphen apokalyptischen Inhal- 1 Mošin, Ćirilski rukopisi, 681-708, insb. S. 697-698. 2 Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 52-73. 3 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 139. 4 Ibid., S. 139-149 (Einführung); 150-160 (Text); eaedem, Apocalyptic Literature, 186-217 (englische Fassung); Petkov, Voices, 207-212 (Nr. 117). 5 Cf. Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 53 Die Sage des Jesaja (Bd. 2) 283 tes: Außerbiblische Johannes-Offenbarungen, das Streitgespräch Jesu mit Satan, die Himmelfahrt Jesajas, das Kindheitsevangelium des Thomas, Erotapokriseis, Sibyllina, die Vita des Basilius Novus, die Paulus-Apokalypse und die griechisch-slavische Baruch-Apokalypse. Einige dieser Texte sind wiederum in einem Typus von Sammelcodices gut belegt, der womöglich einen frühbulgarischen Kern aus dem 11.-12. Jh. enthält (Cod. 677, Nationalbibliothek Sofia, Ende 15. Jh.; Cod. 740, Staatsarchiv Bucarest, 16. Jh.; Cod. 13.2.25, Sammlung A.I. Jacimirskij, Bibliothek der Akademie der Wissenschaften Sankt Petersburg, 16. Jh.; Cod. 1161, Kirchliches Institut für Archäologie und Geschichte Sofia, 16. Jh.; Cod. Sammlung P. Sirku, Bibliothek der Akademie der Wissenschaften Sankt Petersburg, 16. Jh.). 6 Inhalt Grundlegend für den Textaufbau ist die bereits in Pseudo-Methodius vorgegebene Doppelmatrix aus Historiographie und Eschatologie, die aufs Engste miteinander verknüpft sind. Die erste Partie, eine Art apokalyptische Chronik des 11. Jh. (Kap.1 bis 7), spricht in verschlüsselter Form von drei der Endzeit vorausgehenden Figuren, die das Geschehen bestimmen: Das Auftreten der Zaren Gordie-Čigočin, Gagen-Odolen und Symeon des Weisen ist von Leid und Krieg gesäumt. Als Gegenentwurf dazu wird im Mittelteil detailreich eine Periode eschatologischer Ruhe geschildert, in welcher mit dem gottgesandten König Michael ein Friedensreich anbricht (Kap.8-10). Der Schlussteil handelt von Geburt und Wirken des Antichrists, bis er von Henoch und Elija überführt wird. Nach ihrer Tötung - eine Auferweckung wird nicht berichtet - werden alle Devotionalien in die Luft entrückt. Sodann entfacht sich der Weltbrand. Darauf folgen Parusie, Auferstehung der Toten, Weltgericht und die ewige Herrschaft Gottes (Kap.11-18). Besonderheiten Im Einzelnen ist dieses Grundgerüst mit weiteren eigentümlichen Details und sich überlappenden „Illustrationen“ ausgestaltet, die sich in ihrer Gesamtheit zu einem schillernden, mosaikartigen Bild zusammensetzen. (1) Apokalyptische Chronik: Die Erzählung beginnt recht unvermittelt mit dem „siebenunddreißigsten Zaren“ - einem König namens Gordie, dem Rufnamen nach Čigočin, der das bulgarische und das griechische Land erobern wird. Unter seiner Herrschaft werden die Ismaeliten Fuß fassen und Sredec/ Serdica (das heutige Sofia) zum Ausgangspunkt ihrer Raubzüge machen. In jener Zeit werden Vitoša und der Heilige Berg Athos von einer Wolke umhüllt sein, Carigrad/ Konstantinopel wird im Brand aufflammen (Kap. 1). 6 Miltenova & Kajmakamova, Neizvestno ... săčinenie, 54-55. Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen 284 Eine Wendung im Geschehen markiert der nächste, achtunddreißigste König Gagen, genannt auch Odoljan. Er wird die Krieger im Westen um sich scharen und die „blonden Bärte“ bändigen. Ihnen soll er auf dem Ovče pole (wörtlich „auf dem Schafsfeld“) innerhalb des Herrschaftsgebietes von König Čigočin begegnen, sodann sie schlagen und entwaffnen (Kap. 2). Die Ismaeliten allerdings werden ihm auf dem Grachovo pole (wörtlich „auf dem Erbsenfeld“) eine Niederlage beibringen und in die Flucht zur Stadt Zemen schlagen. In der Folge werden sie sich zerstreuen und plündernd durch das gesamte bulgarische Land ziehen. Daraufhin ergeht ein Ultimatum von Gagen-Odoljan an König Čigočin, die Raubzüge einzustellen und mit den Ismaeliten abzuziehen. Als dies wirkungslos verhallt, zieht Gagens Heer in die Schlacht. Es wird aber vernichtet, er selbst muss nach Pernik fliehen (Kap. 3). Nach dieser abermaligen Niederlage und Flucht tritt der bulgarische Klerus auf den Plan: Auf dem Berg Vitoša wird eine Versammlung einberufen, der Patriarchen, Bischöfe und Priester beiwohnen. Eine junge Schönheit soll in Erscheinung treten, Gagen an der rechten Hand nehmen und ihn segnen. Damit wendet sich vorerst das Blatt. Mit der Hilfe des Kreuzes gelingt es ihm, die Ismaeliten vernichtend schlagen und König Čigočin mit dem Schwert umbringen (Kap. 4). Nun treten aus dem Westen neue Gewalttäter auf, die sich auf Ovče pole („auf dem Schafsfeld“) mit König Gagen eine blutige Entscheidungsschlacht liefern und ihn zusammen mit seiner verbliebenen Eskorte auf dem Edrilofeld umbringen (Kap. 5). Erneut treten die Ismaeliten in Erscheinung: Aus dem Norden kommend belagern sie Thessaloniki, die Stadtbewohner allerdings bekriegen erfolgreich die „Ugren“ (Magyaren) und taufen ein Drittel von ihnen. Der Rest wird vernichtet, die eingezogenen Waffen werden drei Jahre lang als Brennmaterial verwendet (Kap. 6). Der neununddreißigste König Symeon der Weise steuert das bulgarische Land auf dem Meeresweg an, betritt das Neue Jerusalem und hält sich bei den Goldenen Toren auf. Er raubt die Lagerkammern der Stadt aus, seine Krieger lassen sich taufen. Dessen ungeachtet werden Hochmut und Unverstand der Eroberer mit Plagen bestraft und nach sechs Jahren endet Symeons Herrschaft mit seinem Tod (Kap. 7). (2) Zwischenzeitliches Friedensreich: Mit dem Machtsantritt des vierzigsten, gottgesandten Königs Michael bricht ein neues Zeitalter an. Frieden, Wohlstand und Jubel werden für dreiundfünfzig Jahre herrschen. Die Kirchen werden mit silbernen Altären ausgestattet, Fruchtbarkeit und eine allgemeine soziale Aufwertung sind allgegenwärtig (Kap. 8). Zwei alte Frauen, die sich in Likica begegnen, beweinen die Toten, die nicht an dieser Fülle teilhaben können - eine Umkehrung der apokalyptischen Seligpreisung der Toten (Kap. 9). Die Sage des Jesaja (Bd. 2) 285 Ein Legitimationsbegehren in Rom bringt zunächst nicht das erwünschte Ergebnis, König Michael wird vom römischen Klerus zurückgewiesen. Ein Diakon widerlegt allerdings in einem Disput die Prälaten, die einen Anschlag mit einem Buch auf ihn verüben. Er wird von Gott wieder belebt und setzt dem Prätendenten einen Purpurkranz auf. Reichlich beschenkt von den Römern, wandelt König Michael als Garant der Gerechtigkeit durch die Welt und tritt mit dem Schwert für den Glauben und die Gesetze ein, bis er ins Neue Jerusalem zurückkehrt (Kap. 10). (3) Eschatologischer Epilog: Durch einen schönen Vögel, der an den Festungsmauern Konstantinopels erscheint, wird eine Nonne schwanger und bringt den Antichrist zur Welt. Er wird sehr verschlagen sein, Augen haben wie Sterne und hübscher sein als das ganze Menschengeschlecht. König Michael dankt daraufhin ab und wird von Engeln in den Himmel emporgetragen. Damit beginnt das Wüten des Antichrist, der die Christen furchtbaren Folterungen unterwirft (Kap. 11). Als Elija und Henoch ihn als Betrüger überführen, ergreift er sie und schlachtet sie an einem eigens dafür errichteten Altar (Kap. 12). Nachdem die noch lebenden Auserwählten, alle Kirchen und Devotionalien in die Luft entrückt worden sind, setzt der Weltenbrand ein, der alles bis auf das Heilige Land hinwegfegt. Die so geläuterte Erde („wie eine Jungfrau“) ruft den Herrn an (Kap. 13-14). Gott kommt zum Endgericht hernieder und beruft eine Versammlung aller Gerechten und Engel ein (Kap. 15). Auf den Trompetenschall des Erzengels Michael hin stehen die Toten „wie vom Schlaf“ auf und erkennen einander (Kap.16). Im Gerichtsspruch werden die Gesegneten zur Rechten, die Verdammten zur Linken abgeführt: Hierzu zählen der Antichrist und die Juden, die ohne Erbarmen in die äußere Finsternis verjagt werden (Kap. 17). Damit bricht die ewige Herrschaft Gottes über die Auserwählten an, die alle gleich aussehen werden, alle im Alter von dreißig Jahren. Es soll fortan weder Heirat noch Tod sein, weder Eifersucht noch Neid, sondern nur vollkommene Liebe und Freude im Herrn, unserem Erlöser (Kap. 18). Historische Bezüge Aus der Inhaltsübersicht geht hervor, dass der einleitende Abschnitt, eine Art „apokalyptische Chronik“ (Kap.1-7), als vaticinium ex eventu auf eine historisch greifbare Wirklichkeit anspielt und einen konkreten geographischen Bezug aufweist. Der Vergleich mit verwandten Schriften (2 und 3 ApcDan, 1 ApcIes) und ein Abgleich mit zeitgenössischen Quellen machen es möglich, den geschichtlichen Referenzrahmen weiter einzugrenzen: Es geht um die Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen 286 südwestlichen Provinzen der damals unter byzantinischer Verwaltung stehenden bulgarischen Territorien (das sog. Θέμα Βουλγαρία) in einer Zeitspanne, die in etwa die Mitte des 11. Jh. einschließt. 7 Einschneidende Ereignisse aus dieser Epoche hallten tatsächlich in der Erinnerung der Zeitgenossen nach und beschäftigen die byzantinischen Chronisten gleichermaßen: Der Aufstand von Petăr Deljan in den Jahren 1040 und 1041 und die in den folgenden Jahrzehnten einsetzenden Überfälle feindlicher Stämme aus dem Norden auf bulgarische Gebiete, so von Pečenegen, Uzen, Magyaren und Kumanen. 8 Eine Reihe von Anhaltspunkten sprechen dafür, die Jesaja-Sage als eine neue Quelle für die bulgarische Geschichte des 11. Jh. einzustufen. Zuerst ist König Gagen-Odoljan ohne weiteres mit Petăr Deljan zu identifizieren, der sich als Enkelsohn von König Samuil und Sohn seines Nachfolgers Gavril Radomir ausgab und als Anführer der größten Erhebung während der byzantinischen Herrschaft im 11.-12. Jh. hervortat. 9 Sein Portrait in 1 und 2 ApcIes sowie in 3 ApcDan fällt ähnlich aus. Übereinstimmend wird der Beiname „Odoljan“ (gr. ὁ Δελεανός) als Rufnamen genannt; so hieß der Rebelle wohl im Volksmund, zusätzlich zum Taufnamen „Petăr“. 10 König Gagen-Odoljan soll von Skopje aus kommend dem ersten (byzantinischen) Heer auf dem Schafsfeld begegnen und es dort schlagen. In der Tat war Skopje ein Ausgangspunkt für die Rebellen, wo sie auf ihrem Vormarsch nach Thessaloniki auf die heftige Gegenwehr der byzantinischen Truppen stießen. 11 Der historische Horizont lässt sich indes geographisch und chronologisch weiter einschränken: Die Hervorhebung der Region um Sofia und die wiederholte Erwähnung von Pernik und Serdica als Schauplätze bedeutender Schlachten geben Anlass zu der Annahme, dass die Jesaja-Sage vornehmlich von der blutigen Beendigung des Aufstandes im Jahre 1041 handelt. Es ist gut belegt, dass die Region die letzte Bastion der Aufständischen blieb, wo erbitterter Widerstand geleistet wurde. 12 Hinter König Gordie-Čigočin wiederum, der mit Gagen-Odoljan ringt (1,1- 4,6), ist Kaiser Michael IV. (1034-41) zu vermuten, der sich an prominenter Stelle an der Niederschlagung der Erhebung beteiligt hat. Die byzantinischen Chronisten halten fest, dass er bis nach Serdica vorgedrungen hat, was 7 Mit Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 62-66 und Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 139-145. 8 Zlatarski, Istorija II, 88-119, insb. S. 92-94; Stanescu, Crise, 49-73; Diaconu, Petchénègues, 1-158. 9 Zlatarski, Petăr Deljan; 354-363; Venediktov, Beležiti bălgari I, 155-162; Cankova-Petrova, Petăr Deljan, 97-106. 10 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 159, Anm. 10. 11 Ibid., 139-145; cf. Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 62-66. 12 Ibid., S. 63-64. Die Sage des Jesaja (Bd. 2) 287 sich mit unserem Text deckt (Kap. 1,3-4; 4, 7). 13 Andererseits ließen sich die Angaben in der Jesaja-Sage über die sog. „Blondbärtigen“ (Kap. 2,5; 10,10) auf den normannischen Kriegsführer Harald Hardråde beziehen, der als byzantinischer Söldner gegen die Aufständischen kämpfte. Dass er jenseits des Meeres kommt, trifft auf seine skandinavische Truppe ebenfalls zu. Man kann also an dieser Stelle von einer Verschmelzung der beiden historischen Figuren ausgehen: Kaiser Michael IV. und Harald Hardråde, die der anonyme Apokalyptiker zu jener feindlichen Größe machte, die der Rebellion das Ende bereitete. 14 Die Aufmerksamkeit des Verfassers der Jesaja-Sage wendet sich sodann der Invasion der Ismaeliten zu, die beim Angriff auf Thessaloniki eine Niederlage erfuhren (6,1-3). Beachtung verdient neben dem Begriff „Ugren“ die Mitteilung, dass sie teilweise getauft wurden - ein Umstand, der auch in 3 ApcDan 5,2 berichtet wird. Im Berichtszeitraum fielen wiederholt asiatische Stämme aus dem Norden in bulgarische Gebiete ein, darunter Magyaren, Kumanen, Pečenegen und Uzen. Der Bezug auf Thessaloniki legt nahe, dass es sich womöglich um die Übergriffe der Uzen handelt, die im Jahre 1064 die Balkan-Halbinsel erschütterten. 15 Der letzte historische Eintrag des historiographischen Textabschnittes bezieht sich auf den neununddreißigsten König namens Symeon den Weisen, der die bulgarischen Lande erobern und das Neue Jerusalem betreten wird. Durch nicht näher erläuterte „Gesetze“ kann er jedoch nicht über die „Goldenen Pforten“ hinausgelangen. Diese Darstellung lässt sich gut auf die Angriffe der Rus‘ auf Byzanz im Jahre 1043 übertragen. Da sich die russischen Händler benachteiligt sahen und ihre Kompensationsforderungen an Kaiser Konstantin IX. (1042-1055) ausblieben, bewaffnete Fürst Jaroslav (1019-1054) eine Armee aus Russen und Warjägern mit seinem Sohn Vladimir aus Novgorod an der Spitze und ließ sie auf Kähnen über das Schwarze Meer übersetzen (eine Episode, die in der Nestorchronik unter dem Jahr für 1043 ausführlich erzählt wird). Die militärische Kampagne endete allerdings im Fiasko, da die russische Flotte im Bosporus Schiffbruch erlitt und die versprengten Truppen, die auf dem Landesweg nach Hause marschierten, von den Donau-Bulgaren abgefangen wurden. 16 Verwandte Apokalypsen Der Text reiht sich in einen kirchenslavischen Zyklus ein, der in apokalyptischer Manier die Turbulenzen des 11. Jh. verarbeitet. Hierher gehören eine 13 Ibid., S. 63. 14 Cf. Zlatarski, Istorija II, 72-80. 15 Cf. Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 65 (Summarium der geschichtlichen Nachrichten). 16 Ibid., S. 66. Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen 288 weitere Jesaja-Apokalypse (1 ApcIes) sowie zwei Daniel-Texte (2 und 3 ApcDan), die die gleiche Bezugsfläche spiegeln. Die größte Nähe ergibt sich indes zur Jesaja-Apokalypse, die in der slavistischen Literatur auch als „apokryphe bulgarische Chronik“ („Българска апокрифна летопис“) angeführt wird (1 ApcIes). Neben der gemeinsamen Zuschreibung an den Propheten Jesaja begegnen in beiden Schriften die Könige Gagen-Odoljan und Symeon der Weise, die in 1 ApcIes knapper abgehandelt werden, dafür aber vor dem Hintergrund einer längeren historischen Exposition zum Ersten Bulgarischen Reich angesiedelt sind. 17 Die Nähe der beiden Texte zueinander drängt sich förmlich auf, und es erscheint berechtigt, sie als die beiden Bände desselben eschatologischen Traktates zu betrachten. Sage/ Homilie des Propheten Jesaja … “ „ … von seiner Entrückung in den dritten Himmel“ (1 ApcIes) „ … von den kommenden Zeiten und Königen und vom Antichrist“ (2 ApcIes) visionäre Introduktion + ausführlicher Rückblick Überschneidung [Aufstand des Petăr Deljan] [Eröffnung fehlt; beginnt mitten im 11. Jh.] [endet mitten im 11. Jh.; Fortsetzung fehlt] kurzer Geschichtsabriss + Endzeitlicher Showdown Tabelle 22: Verhältnisbestimmung der beiden „Sagen/ Homilien des Jesaja“ (1 und 2 ApcIes) Auffällig ist ferner die geographische Übereinstimmung zwischen der Jesaja- Sage (Bd. 2) und der sog. „Daniel-Vision von den Königen“ in ihrer interpolierten Fassung (2 ApcDan interp). 18 Neben gemeinsamen apokalyptischen Topoi verweisen beide Texte auf den gleichen geographischen Horizont: 2 ApcDan 2 ApcIes Sredec (= Serdica), Glavinica, Pernik, Donau, Mraka, Velbăžd (= Kjiustendil), Solun (= Thessaloniki), Strumica Sredec, Vitoša, Ovče pole, Grachovo pole, Zemlen, Pernik, Edilo pole, Solun, Neues Jerusalem (= Konstantinopel), Likica 17 Ibid., S. 55-56; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 139-140. 18 Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 56-58 (Umriss des geographischen Areals auf S. 57); Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 140-142. Tabelle 23: Gegenüberstellung von 2 ApcDan und 2 ApcIes Die Sage des Jesaja (Bd. 2) 289 Auch in einem apokalyptischen Kommentar zu dieser Daniel-Vision, der sog. „Deutung Daniels“ (3 ApcDan), liegen die Akzente in thematischer Nähe zur Jesaja-Sage (2 ApcIes). 19 Beides sind eigentümliche Kompilationen aus historischen und eschatologischen Vorlagen, die sich auf die Mitte des 11. Jh. beziehen. Ähnlich wie übrigens in 1 ApcIes wird in 3 ApcDan eine Abfolge irdischer Königreiche ausgebreitet, die die Geschichtstheologie des Danielbuches auf das Bulgarische Reich überträgt. Der historische Exkurs in 3 ApcDan beginnt allerdings mit dem mythischen Khagan Michael, der mit König Boris-Michael (852-889), dem legendarischen Missionar Bulgariens identifiziert wird. Seine heidnischen Vorfahren werden ausgeblendet zugunsten seiner Nachfolger, die das ausgehende 9. und das 10. Jh. geprägt haben: Die christlichen Könige Symeon (893-927) und Petăr (927-969). Der Mittelteil handelt von der Rebellion des Petăr Deljan und von deren Niederschlagung, sodann von Übergriffen durch Nachbarvölker, das Schlussteil von der Endkaiserlegende, vom Kommen des Antichrist und der Endzeit. Die Parallelen zur Jesaja-Sage zeigen sich an demselben geographischen Bezugsrahmen im Umkreis von Sofia. 20 Beide Schriften berichten von einem Siegerkönig namens Michael, der sich nach Rom begibt und sodann „die blonden Bärte“ bändigt. Ungeachtet der Ähnlichkeiten im Aufbau unterscheidet sich die Darlegung in beiden Texten in stilistischer Hinsicht, was auf je eigene Urheber hinweist: 2 ApcIes ist detailreich, ausladend, durchstrukturiert und verständlich aufgebaut. Der Verfasser ist bestrebt, eine gewisse chronologische Übersicht zu wahren und seiner Erzählung einen historiographischen Anstrich zu verleihen. Der Verfasser von 3 ApcDan erzählt dagegen gedrängt und verdichtet; er tendiert dazu, Historisches mit Folklore und eschatologischen Elementen zu überlagern. 21 Dieser Befund ist unterschiedlich zu deuten. Die Argumente für die zeitliche Priorität von 2 ApcIes gegenüber 3 ApcDan stützen sich auf eine gewisse Distanz in der letzteren Schrift zu den geschilderten Ereignissen sowie auf ihr Bestreben, eine umfassendere Darstellung der bulgarischen Geschichte bis zur Mitte des 11. Jh. unter Rückgriff auf weitere Quellen vorzulegen. 22 Wenn aber der historiographische Exkurs in 3 ApcDan mit dem Auftreten der Pečenegen an der Donau 1048-49 aufhört, 2 ApcIes vom Einfall der Ugren im 19 Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 58-61; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 142-145. 20 Textbeispiele und Gegenüberstellung in Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 59-60; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 143. 21 Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 60; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 144. 22 Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 60; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 145. Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen 290 Jahre 1063 und ihrem Vorstoß bis nach Thessaloniki handeln soll, wird ein umgekehrtes chronologisches Verhältnis anzunehmen sein. Da allerdings 3 ApcDan in ähnlicher Weise von einer Belagerung Thessalonikis berichtet, kann es auch nachträglich zu einer Angleichung der beiden Schriften gekommen sein. Was die Quellen der Jesaja-Sage für den eschatologischen Schlussteil betrifft, sind zum einen die apokryphen Johannes-Offenbarungen zu nennen, die ein genaues Itinerar der Endzeit vorlegen. Offen ist hingegen, auf welche der slavischen Fassungen dieser Überlieferung sich der Autor von 2 ApcIes in seiner Darstellung gestützt hat. Gegenüber der RevPsMeth interp zeigen sich jedenfalls Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Legende vom Endkaiser Michael und von der Empfängnis des Antichrist. Eine ähnliche Variante dieser Erzählung ist in einer slavischen Sage vom Antichrist enthalten, die besondere Beachtung verdient. 23 Bedeutung Die „Sage des Jesaja“ (Bd. 2) steht nicht für sich allein, sondert gehört in den größeren Zusammenhang eines übergreifenden literarischen Zyklus, der eine Wendezeit der bulgarischen Geschichte von apokalyptischer Warte aus beleuchtet. Damit verdeutlicht die Schrift ein zentrales Merkmal von Apokalyptik, die in der Gestalt von Krisenliteratur in Zeiten des Umbruchs aufflackert und nach einer Sinndeutung für katastrophenträchtige Gegenwart sucht. In der Mitte des 11. Jh. folgte auf den gescheiterten Aufstand des Rebellen Petăr Deljan eine Serie von Überfällen asiatischer Eindringlinge, die vor allem auf südwestlichem Gebiet eine Spur der Verwüstung hinterließen. Jeweils zwei Daniel- und zwei Jesaja-Apokalypsen ringen auf eigene Weise darum, der Erfahrung des Ausgeliefertseins ein Stück Hoffnung entgegenzusetzen: Die Wiederkehr des auferweckten Rebellen und das Friedensreich des siegreichen Kaisers Michael gehören hiermit zu einem politisch-eschatologischen Gegenentwurf. Somit bezeugt 2 ApcIes die Kontinuität der apokalyptischen Literatur in der bulgarischen schriftlichen Tradition des 11. Jh. Sie ist ein Beispiel für die literarische Verarbeitung des gescheiterten Aufstandes unter Rückgriff auf das Genre der politischen Apokalyptik, das mit Hilfe legendenhaft-volkstümlicher Ausdrucksmittel aktualisiert und zur Geltung gebracht wird. Den Thesen einer „Demokratisierung“ der Apokalyptik und einer Gewichtung der fraglichen Offenbarungsschriften als „Trivialliteratur“ kann indessen nicht zugestimmt werden. 24 Die Abfassung der Jesaja-Sage wird vielmehr in einem gelehrten Zirkel zu verorten sein, der die apokalyptische 23 Siehe Kap. VII.7 und X.15. 24 Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 68. Die Sage des Jesaja (Bd. 2) 291 Tradition kennt und bewahrt und sich auf die Produktion politisch-eschatologischer Traktate spezialisiert hat. Vieles deutet darauf hin, dass diese literarische Werkstatt in Serdica selbst oder in einem der umliegenden Klöster zu suchen ist. Dazu zählt die exponierte Bedeutung der Stadt als byzantinische Verwaltungszentrale und privilegierter Bischofssitz, aber auch als klösterliches und literarisches Zentrum und ganz besonders als entscheidungsträchtiger Schauplatz des Geschehens im Verlauf der Erhebung 1040-41. Die verkehrsgünstige Lage auf der Route nach Thessaloniki machte Serdica ferner zu einem exponierten Ziel für die Überfälle aus dem Norden, die sich in den folgenden Jahrzehnten zutrugen. Die Eingrenzung der Entstehungssituation auf dieses GEbiet und diesen Zeitraum markieren somit einen Referenzrahmen, den es auch für die verwandten Apokalypsen zu beachten gilt. 3. Die Vision des Propheten Jesaja vom letzten Zeitalter Vision des Propheten Jesaja vom letzten Zeitalter, wie es dem Menschengeschlecht in der letzten Generation ergehen wird (3 ApcIes) Видђнí Isaie пррка w poslýdnem[ vrýmenp xto hoqet[ бůіти rodu xlovxô poslědnemu kolěnu Im Codex des Priesters Dragol’ ist eine dem Propheten Jesaja zugeschriebene Offenbarungsschrift aus dem 13. Jh. kopiert, die keine direkte griechische Vorlage kennt. Zwei Abschriften aus dem 15. und 16. Jh. geben den Text mit teilweisen Korrumpelen und Verlesungen wieder. 1 Inhalt Das erste Kapitel ist nahezu deckungsgleich mit der Eröffnung der zweiten Jesaja-Sage (2 ApcIes) und handelt von der Entrückung und der Himmelsreise des Propheten Jesaja, der des göttlichen Hofstaates ansichtig wird. In einer Audition wird ihm aufgetragen, die Kunde vom letzten Zeitalter unter die Menschen zu bringen. Es folgt eine politisch-eschatologische Sequenz, die mit dem Untergang Konstantinopels und einer frevelhaften Braut eröffnet (2,1-5). Zoomorphe Chiffren prägen ein verworrenes Sprachbild im Anschluss, das von einer Schlange beherrscht wird (3,1-7). Zwei Könige aus Ost und West sorgen sodann für eine gewisse Stabilität (4,1-5). Zwei Männer, der eine von ihnen Michael, treten aus der Hagia Sophia hervor und bezwingen die „Frevelschlange“. Bittere Not bricht herein (5,1-10). Michaels Herrschaft wird in idyllischen Tönen geschildert (6,1-5). Sie markiert allerdings den Übergang zur Endzeit. Der Widersacher Gottes kommt in seinen Tagen zur Welt und setzt sich nach seiner Abdankung auf den Thron. Furchtbare Folterungen und Verhöhnung der Christen setzen ein (7,1-9). Gott erhört aber die Rufe der Treuen und sendet seinen Sohn, der den Teufel mit Stricken bindet (8,1-6). Der Text endet mit dem Aufruf zum Martyrium „Selig, die im Glauben sterben (V.5). 1 Text bei Srećković, Zbornik, 15-16; Tichonravov, Skazanija, 29-31; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 227-231 (Einführung), 232-236 (Text), 237-240 (Übersetzung und Anmerkungen); eaedem, Apocalyptic literature, 332-352 (englische Fassung); cf. Petkanova, Apokrifi, 64-67, 352-353; Božilov & Kožucharov, Literatura i knižnina, 159- 162, 263-266; Petkov, Voices, 527-530 (Nr. 250). Die Vision des Propheten Jesaja vom letzten Zeitalter 293 Abfassung Die Verschlüsselung zeitgenössischer Figuren und Ereignisse fällt weitaus abstrakter aus als in den vergleichbaren Apokalypsen und lässt es nicht zu, konkrete zeitgeschichtliche Zuweisungen vorzunehmen. Die Referenzgröße, die eine endzeitliche Deutung erfährt, ist womöglich tatsächlich das Lateinische Kaiserreich (1204-1261). 2 Der einzig greifbare terminus ante quem wäre dann die Abfassung des Sammelcodex des Dragol’ selbst in den 70er Jahren des 13. Jh. 3 Es bedarf jedoch weiterer philologisch-historischer Analyse, um den Text angemessen auf dem Hintergrund des Zeitgeschehens einzuordnen. Bedeutung Es ist bemerkenswert, dass sich mit den drei Jesaja-Apokalypsen (1 bis 3 ApcIes) eine Gattung auf bulgarischem Boden etabliert hat, die die Deutungsmuster der byzantinischen Daniel-Apokalypsen auf kreative Art und Weise adaptiert. Statt einer Schau der Geschichte, die in die Endereignisse mündet, wird darin zuerst eine revelatorische Vorschau eingeblendet, die die Basis für die endzeitlich beleuchtete Geschichte bildet. Sie ist nicht in einen weit umspannenden Entwurf eingebettet, sondern auf das Wesentliche fokussiert - auf das, was den Verfasser und seine Leser unmittelbar betrifft: Die Umwälzungen, die das Geschehen auf dem Balkan im 11. sowie im 13. Jh. prägen. Die „Vision Jesajas“ (3 ApcIes) schreibt die Konvergenz des Genres fort, die in zweibändigen Sage des Jesaja vorgegeben wurde. Es handelt sich um eine eigentümliche Neubildung aus politischer Eschatologie und prophetischer Offenbarung, die Besonderheiten des „vertikalen“ und „horizontalen“ Typus von Apokalyptik verbindet. Die Jesaja-Texte setzen regional bedeutende Schwerpunkte und bewegen sich in einem für Leser und Verfasser überschaubaren, „aktuellen“ zeitlichen Rahmen. Dafür beziehen sie gleichermaßen byzantinische und slavische Quellen ein, die sie in einem neuen Entwurf miteinander verweben. Sie belegen, dass Apokalyptik nicht bloß „epigonale“ Literatur ist, sondern ein waches Interesse am Zeitgeschehen hegt, indem Herkömmliches auf das Neue übertragen wird. Dies dient der Verarbeitung von Erfahrungen, die das Gewöhnliche sprengen und anders nicht zu integrieren sind. 2 Miltenova, Videnie na prorok Isajja, 77-81, insb. S. 79. 3 Ibid., S. 81; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 227-231, 229-230. 4. Russische Jesaja-Homilie Homilie des heiligen Propheten Isaja, Sohn des Amos, in Trauer und in Tränen, durch den Heiligen Geist von den letzten Tagen, wie sie sein werden (4 ApcIes) Слово stgo Prrka Isaiя sna Amosowa sъ rіьdanїїеmъ. i sъ slezami. providevъ Dhmъ stьіmъ њ poslýdnihъ dnehъ hotящihъ bьіti na nihъ In späten russischen Manuskripten (16. bis 18. Jh.) findet sich der Text einer Homilie, die als Jesaja-Apokalypse eingeleitet wird. 1 Es handelt sich dabei allerdings weniger um eine Offenbarungsschrift als vielmehr um eine eschatologisch gefärbte Moralpredigt, die zahlreiche biblische Passagen paraphrasiert und zugleich sich einiger Entlehnungen aus unserem Genre bedient. Der Aufbau ist zweidimensional: Auf einem apokalyptischen Erzählgerüst wird ein ausgedehnter Lasterkatalog ausgebreitet, der aus parallel gedoppelten Unheilsansagen besteht. Die anfängliche Spannung verliert sich indes bald in tautologischen Gedankengängen, der drohende Unterton verliert zunehmend an Schärfe. Der geradlinige Erzähllauf verdüstert sich nach und nach und mündet schließlich in die Androhung allgemeiner Vergeltung, ohne eine hoffnungsverheißende Perspektive auf die kommende „neue Welt“ zu eröffnen oder auch nur anzudeuten. 1 Porfir’ev, Skazanija I, 263-268. 5. Prophetische Sage des Pandech Pan[dehovo pr(o)rčskoje skazanie Unter dem Titel „Prophetische Sage des Pandech“ ist eine kirchenslavische Sammlung von Orakelsprüchen überliefert, die im 13. Jh. entstanden ist. Der Text liegt in nur einer Kopie im vielfach erwähnten Sammelcodex des Priesters Dragol‘ vor. Die einzig bekannte andere Abschrift wurde beim Brand der Nationalbibliothek Belgrad im Zweiten Weltkrieg verbrannt (Cod. 149, 17. Jh.). 1 Inhalt Der Text besteht aus einer Abfolge politischer Vaticinia, die historische Begebenheiten im geographischen und chronologischen Horizont des unbekannten Autors verschlüsseln. Vermeintliche Ähnlichkeiten zu historisch-eschatologischen Apokalypsen erschließen sich nicht unmittelbar, da hier ein übergeordneter visionärer und metahistorischer Plan nicht vorhanden ist. 2 Auch die Idee eines endzeitlichen „Showdowns“ und einer „neuen, schönen Welt“ sind nicht einmal im Ansatz vorhanden. Die Orakel betreffen das Schicksal von Königreichen, Städten, Fürstentümern, Stämmen und Herrschern aus dem Vorderen Orient, Byzanz und dem Balkan. Es begegenen folgende Typen von Aussagen: Orakel über Städte (1 bis 6): beziehen sich auf bedeutende Schauplätze: Rom, Byzantion, Jerusalem, Dyrrhachion, Damascus und „Vavr“. Die geographische Blickrichtung verläuft ostwärts (mit Ausnahme von Dyrrhachion). Orakel über Länder und Regionen (7 bis 10): Idumäa, Ägypten, Iber, Palinien, Zacharien, Ugadanien, Kalabrien. Orakel über Stämme und Völker (11 bis 17): Tartaren (sic! ), Kumanen, Russen, Ugren, Serben und Bulgaren (außerhalb der Aufzählung liegen Orakel 14 und 18 über Adrianopolis und Thessaloniki). Orakel über Herrscher (19 bis 20): Die letzten zwei Orakel betreffen die Figuren von Joan/ Joanitz und Micho/ Michael sowie dessen Sohn Michalec. 1 Srećković, Zbornik, 14-15 (Text); Jovanović, Skazanie, 139-149 (Text mit serbischer Übersetzung) Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 241-245 (Einführung), 246-250 (Text mit bulgarischer Übersetzung und Kommentar); cf. eaedem, Apocalyptic literature, 353- 364; Petkov, Voices, 531-532 (Nr. 251). 2 Gegen Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 243. Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen 296 Abfassung Der Name „Pandech“ (womöglich altbulgarischer Herkunft) ist sonst nirgendwo bezeugt und lässt sich auch nicht auf eine bekannte historische Persönlichkeit beziehen. 3 Wenig plausibel ist die Vermutung, die Endung -ech würde auf einen Hofbeamten in herausragender Position hinweisen. 4 Eine Ausgangsbasis für die Datierung bieten jedenfalls die in Sprüchen 2 und 15 vorgegebenen Eckpunkte. Hinter „Car Manuil“ dürfte sich Kaiser Emanuel I. Komnenos (1143-1180) verbergen; hinter dem zweiten Orakel der Sieg der Serben bei Prilep gegen den nikäischen Heerführer Xileas i. J. 1258. 5 Der endgültige terminus ante quem kann nicht allzulange danach liegen, zumal die Niederschrift des Dragolschen Sbornik in etwa Ende des 13.-Anfang des 14. Jh. angesetzt werden kann. 6 Sprachliche Indizien verweisen zudem auf südwestbulgarisches Territorium. 7 Diese Annahme lässt sich von geographischer Warte aus durch die Verdichtung und Konkretisierung der Orakel um diese Region durchaus belegen. 3 Gegen Radoićić, Skazanie, 161-166, insb. S. 163 / Bezüge auf Khan Vinech (756-761) und Georgi Voitech (1072-1073)/ 4 Georgiev, Literaturata I, 244-254, insb. S. 244. 5 Mit Radoićić, Skazanie, 163-165 und gegen Lazarov, Skazanie, 310-317, insb. S. 316-317 (vermeintliche Bezug von Spruch 17 auf die Thronbesteigung der Asseniden im Jahre 1185). 6 Radoićić, Skazanie, 162-163. 7 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 110. 6. Der Kampf Michaels mit Satanael Die Johannes Chrysostomos zugeschriebene Schrift stellt eine spätere, kirchenslavische Fassung des „combat myth“ dar, für welche bislang keine griechische Vorlage bekannt ist. 1 Überlieferung Die Abfassung der Schrift ist für das 12. oder 13. Jh. auf bulgarischem Territorium anzunehmen. Ob die im Text enthaltenen, klar erkennbaren dualistischen Züge auf die Aktivitäten von Häresien im Zeitraum der vermutlichen Entstehung gehen, ist im Blick auf die zuletzt deutlich geäußerte Skepsis bezüglich der bogomilischen Prägung kirchenslavischer Apokrypha mit Vorsicht zu beantworten. Die altbulgarische Rezension (A) enthält wohl den ursprünglichen Wortlaut des Textes und geht auf das 13. Jh. zurück. Ihr Hauptvertreter ist der Sammelcodex 1161 aus dem 16. Jh. Die neubulgarische Rezension (B) enthält etliche Texterweiterungen, die sich ohne besondere Schwierigkeiten als spätere Interpolationen ausweisen lassen. 2 Textzeugen sind für A: Cod. 29, Savina-Kloster, Montenegro, 14. Jh.; Cod. 1161, Kirchenmuseum für Geschichte und Archäologie Sofia, 16. Jh. und Cod. 82, Nikoljac-Kloster, Montenegro, 16. Jh.; für B: Cod. 693, Nationalbibliothek Sofia, kopiert von Priester Punčo i.J. 1796; Cod. 232, Nationalbibliothek Sofia, kopiert. von Părvan Vălčov i.J. 1820. 3 Inhalt Exposition: Zusammengefasster Schöpfungsbericht. Satanael verweigert dem Urmenschen die Ehrerbietung und sinnt auf Ergreifung der göttlichen Macht und Erhöhung gleich Gott. Errichtung eines eigenen Reiches: Satanael verlockt durch eine List eine Engelschar ins eigene Lager, verlässt die sieben Himmel und verursacht eine Sintflut. Daraufhin erschafft er finstere Himmel, Sonne, Mond und Sterne und regiert von seinem Thron aus, umgeben von 40 000 Dämonen. 1 Miltenova, Apokrifăt, 98-113 (Einführung und Text); bulg. Übersetzung bei Ivanov, Razkazi, 18-25; Petkanova, Apokrifi, 41-48, 349-350; Božilov & Kožucharov, Literatura i knižnina, 151-156 (A. Miltenova, „Slovo na Ioan Zlatoust za tova, kak Michail pobedi Satanail”); cf. ferner Angelov, Iz starata ... literatura II, 47-49 und Miltenova, Neizvestna redakcija, 121-128. 2 Miltenova, Apokrifăt, 98-99. 3 Ibid. Kirchenslavisch abgefasste Apokalypsen 298 Reaktion Gottes auf Satanaels Verrat: Beratung Gottes mit den vier Erzengeln Michael, Gabriel, Uriel und Raphael. Plan zum Handeln durch Auserwählte- Apostel, Propheten und Märtyrer, die an die Stelle der gefallenen Engel treten sollen. Vision über die Herrschaft Satanaels vor dem „Neuen Reich“ der Gerechten. Beauftragung Gabriels: Gabriel wird aufgerufen, gegen Satanael aufzutreten, aber er weigert sich aus Angst und begründet dies mit einer furchteinflößenden Schilderung des „unreinen Geistes“. Beauftragung Michaels: Michael wird der Auftrag anvertraut, sich in das Reich des Antichrist zu begeben und die gestohlenen Insignien der göttlichen Macht zurückzugewinnen - das Kleid, den Kranz und das Zepter. Dazu erfleht er Gottes Hilfe. Antritt zum Kampf: Michael rüstet sich und begibt sich ins Gefecht. Himmel, Erde, Meer und Abgrund werden vom Posaunenschall erschüttert. Das Dämonenheer Satanaels wird zurückgeworfen. Betrug des Satanael durch Michael: Michael gibt vor, Satanaels Taten zu bewundern und zu ihm übergehen zu wollen. Dafür wird er vom Teufel belohnt: Er darf sich auf dem „zweiten Thron“ niederlassen und mitregieren. Die Plage der Sonne: Auf Gottes Anordnung setzt die brennende Sonne das Reich des Antichrist in Brand, Michael wird aber durch eine unsichtbare Wolke beschützt. Beide sehen sich zum fluchtartigen Rücktzug zu einem kühlen See gezwungen. Satanael und der Leviathan: Michael versichert Satanael abermals seine Treue, muß jedoch bei Gott schwören. Satanael verschwört sich auf dem Meeresgrund mit dem Leviathan. Arrest des Teufels: Satanael wird mit Hilfe einer Eisdecke gefangengenommen Bitte um Hilfe: Michael erbittet in einem Gebet Gottes Zuwendung, lässt eine Eisdecke über dem See erscheinen und bringt Gott die gestohlenen Insignien zurück. Ausgang des Kampfes: Satanael wirft die Eisdecke ab und holt Michael ein. Dennoch erlaubt Gott Michael nicht, den Satan zu töten, sondern ihm „nur fünf Kräfte wegzunehmen, die anderen sieben zurückzulassen“. Überreichung der Insignien an Gott, Lobpreis auf Michael. Schlussdoxologie. 7. Die Sage vom Antichrist Die „Sage“ oder „Homilie vom Antichrist“ (slovo/ slovo) ist eine kirchenslavische Apokalypse, über welche wenig bekannt ist (Narr Ant sl). Sie ist in nur drei Manuskripten bewahrt: 1 - Cod. 29, Savina Kloster, Montenegro, 14. Jh., f.164a-168a 2 - Cod. 241 (Chludov-Codex), Staatliches Historisches Museum Moskau, 15. Jh., f.23b-27a 3 - Cod. 492 (273 (Novaković-Sbornik), Nationalbibliothek Belgrad, 17. Jh., zerstört im Zweiten Weltkrieg Über Umstände und Hintergründe der Abfassung kann nur gemutmaßt werden (12. oder 13. Jh., südslavische Herkunft). 4 Der Text verrät jedenfalls eine intime Kenntnis der Antichrist-Literatur, so des Prinzips der diabolischen Verkehrung bei der Porträtierung des Widersachers (Narr Ant sl 3,1-9). Die Episode von der Geburt des Antichrist ist womöglich der interpolierten Fassung des Pseudo-Methodius entliehen, verrät aber Gemeinsamkeiten mit der sog. „Apokryphen Bulgarenchronik“ (1 ApcIes 11,1-4). Das Wirken von Johannes Theologus als endzeitlicher Zeuge (Hom Ant sl 4,1ff.) ist sonst selten bezeugt (cf. die neutestamentlichen Bezugstexte Joh 21,21-23; cf. Mt 16,28; Lk 9,27), der Topos betrifft traditionell Henoch und Elija. 5 Der Kampf Elijas als Donnerwerfer gegen den in eine Schlange verwandelten Antichrist wirft Fragen nach dem religionsgeschichtlichen Zusammenhang auf, ebenso nach synkretistischer Übertragung (Helios-Elijas-Zeus), die womöglich im Volksgut zu suchen wäre (Griechenland: Gewitter als Ausritt des Elijas auf seinem Feuerwagen). Die Auslösung des Weltbrandes durch Elijas Blut (Narr Ant sl 7,4-8,1) ist sonst nur im altgermanischen Muspilli-Epos belegt, was eine singuläre Parallele darstellt. 6 1 Miltenova, Slovo za Antichrista, 59-67 (Überlieferung und Hintergründe); idem, Apocalyptic literature, 405-426. 2 Text bei Novaković, Priča, 82-85; Miltenova, op.cit., 67-71 (apparatus criticus). 3 Text bei Miltenova, op.cit., 67-71. 4 Zu den Hintergründen siehe Pesenson, Visions, 71-123. 5 Witte, Elias und Henoch (1987). 6 Den Hinweis darauf verdanke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. K. Berger. VIII. Jenseits des byzantinisch-slavischen Horizontes Abschließend werden zwei Textbeispiele angefügt, die einen Literaturimport ohne byzantinische Vermittlung belegen - einmal aus dem Nahen Osten, einmal aus dem lateinischen Westen. Die beiden Texte sind insoweit von Bedeutung, da die altslavische Literatur sich größtenteils aus Übersetzungen aus dem byzantinischen Griechisch konstituierte. Die Frage nicht-byzantinsicher Vermittlung ist hingegen nicht eingehend diskutiert worden. Einzelne Details wie die Muspilli-Parallele in Narr Ant legen jedoch nahe, dass es unbekannte Kanäle literarischer Kommunikation gab, über die bislang recht wenig bekannt ist. 1. Die Deutung der zwölf Träume von König Šachinšach In späten altslavischen und rumänischen Handschriften ist die Erzählung von den zwölf Träumen des Königs Šachaiši bzw. Šachinšach überliefert, die durch den Hofexperten Mamer eine apokalyptische Deutung erfahren. Die Einordnung der Traumdeutung bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Hierfür lässt sich weder eine byzantinische Vorlage anführen noch eine Abfassung im Kirchenslavischen belegen. Die Spurensuche in den orientalischen Literaturen (indisch, syrisch, iranisch) bewegt sich indes in hypothetischen Bahnen und bedarf weiterer Indizien. Bezeugung und Herkunft Der Text wurde erstmalig Mitte des 19. Jh. endeckt und liegt gegenwärtig in acht kirchenslavischen Manuskripten vor, deren das älteste aus dem Jahr 1380 stammt. 1 Sie lassen sich in zwei Redaktionen aufteilen, die auf eine frühe südslavische Übersetzung zurückgehen. Parallel dazu verlaufen die rumänischen Rezensionen, die ebenso zwei Textfamilien bilden. 2 Bislang sind nur einzelne Handschriften aus diesem Fundus ediert. Wenig lässt sich über die Herkunft der rumänischen und kirchenslavischen Texte sagen. 3 Neuerdings offerierte B. Lourié die Hypothese orientalischer Wurzeln der Traumdeutung und argumentierte zugunsten einer syrischen Vorlage, die indische und persische Wurzeln aufweist. 4 Inhalt Ausgangspunkt der Apokalypse sind zwölf Träume eines orientalischen Königs, die er innerhalb einer einzigen Nacht schaut. Niemand vermag sie zu entschlüsseln außer dem Weisen Mamer, ein Traumexperte, der an seinem Hofe residiert (cf. Gen 41,1-36; Dan 2,1-49). Hierfür liefert er eine in sich geschlossene eschatologische Interpretation: Die herannahende Endzeit ist am voranschreitenden Werteverfall der Menschen abzulesen. Folglich manifestiert sich in den Erosionsserscheinungen traditioneller Lebensformen die Symptomatik einer allumfassenden Degeneration. Der Zerfall religiöser, moralischer und sozialer Ordnung ist nach Mamers Deutung ein 1 Angelov, Iz starata ... literatura I, 145-151; Miltenova, Erotapokriseis, 265-270, insb. S. 266; Bogdanović & Miltenova, Apokrifnijat sbornik, 7-30, insb. S. 11; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Apocalyptic literature, 427-449. 2 Gaster, Twelve Dreams, 623-635. 3 Entschieden von der Hand zu weisen sind die Spekulationen von Kuznecov, Slovo, 272- 278 und Kuznecov, Art. „Skazanie“, 408-409. 4 Lourié, Skazanie, 5-45 und Lourié, Twelve Dreams, 481-507. Jenseits des byzantinisch-slavischen Horizontes 302 zusammenhängender Prozess, der, einmal in Gang gesetzt, gleichermaßen Natur und Menschen umfasst und erst am Ende der Zeiten zum Abschluss gelangen wird. Der Ablauf dieses Vorgangs ist an der unaufhaltsamen Auflösung des herkömmlichen Gesellschaftssystems abzulesen, die als eine Art Weltuhr die verbleibende weltgeschichtliche Zeit anzeigt. Folgende soziale Phänomene werden aus der Sicht des anonymen Verfassers als Signale der Endzeit gedeutet: (1) Niedergang der herkömmlichen Sinnordnung: Mangelnder Respekt der Familienangehörigen voreinander (1,13) bis zum gegenseitigen Hass (11,4); Freizügigkeit von Sippe zu Sippe (1,14); Handel über die Grenzen hinweg (1,15); Austritt aus der eigenen Sippe und Übertritt zu einer anderen aus materiellen Gründen (2,4) (2) Auseinanderbrechen der Eheordnung: Heirat mit Frauen, die nicht mehr jungfräulich sind (1,14), Heirat ohne Kenntnis des Stammbaums der Gattin (3,5); sexuelle Emanzipation von Frauen (3,6-7); Betätigung von Verwandten als Zuhälter, folglich Verlust von Jungfräulichkeit und Ehefähigkeit (4,3-6) (3) Traditionsbrüche und Diskontinuitäten: Die Nachkommen weigern sich, die moralische Unterweisung der Älteren zu akzeptieren (5,3); Korruption des Klerus (6,3-5) und der Richter (7,3-4), sodann der anderen Menschen (11,3) (4) Kluft zwischen Arm und Reich (3,3): Verwahrlosung der Armen (8,3), Vorzugsstellung der Reichen (11,5); Gewinnsucht und Bereicherung führen ins Verderben (8,4); die Pfandhäuser geben die anvertrauten Güter nicht mehr heraus (9,3-4) Die sozialen Gegensätze führen zu einem großen Aufruhr und werden erst durch die Neuordnung der bestehenden Verhältnisse aufgehoben (12,3-8). Wenig lässt sich über die Tradentenkreise der Schrift sagen. Bezeichnenderweise fand die Traumdeutung des Šachaiši bis in die Neuzeit hinein Zuspruch bei den russischen Altgläubigen. 5 5 Lourié, Twelve Dreams, 481, Anm. 3. 2. Die Vision des Tungdal Die Vision des Tungdal (auch Tundal, Tondal, Tnugdal) ist eine populäre mittelalterliche Erzählung, die wahrscheinlich um das Jahr 1148 im Kloster der irischen Benediktiner in Regensburg abgefasst wurde. 1 Sie handelt von einem irischen Ritter gleichen Namens, der einen lasterhaften Lebenswandel führte, bis er in einen kataleptischen Zustand verfiel, der mehrere Tage andauerte („von Mittwoch bis Sonnabend“). Währenddessen bereiste er in Begleitung eines angelus interpres die jenseitigen Bestrafungs- und Belohnungsorte; sein Körper, der nicht ganz erkaltet war, wurde zwischenzeitlich nicht beerdigt. Als er wieder zu sich kam, rückte er von seiner Vergangenheit ab und erneuerte von Grund auf sein Leben. Seine Erlebnisse im Jenseits erzählte der Ritter einem gewissen Bruder Marcus. Den Rest seiner Tage verbrachte Tungdal in Frömigkeit, nachdem er seinen Besitz unter die Armen verteilt hatte. Verbreitung Die lateinische Urfassung der Visio verbreitete sich rasch und erfuhr zahlreiche Übersetzungen und Bearbeitungen in nahezu allen europäischen Sprachen einschließlich okzitanisch, provençalisch und isländisch. Neun deutsche Prosa-Ausgaben allein aus dem Zeitraum 1475-1521 spiegeln die herausragende Bedeutung, die man ihr auch nach wie vor beimaß. 2 Um das Jahr 1500 wurde der Text von Hieronymos Bosch oder einem seiner Schüler mit einem eigenen Gemälde bedacht („Visio Tondali“, Stiftungsmuseum Lázaro Galdiano, Madrid). Slavische Tradition Die Rezeption der Schrift im slavischen Schrifttum vollzog sich in mehreren Schritten, die in jeweils einer Handschrift dokumentiert sind. 3 Ein Überlieferungszweig wird durch eine Fassung in Ruthenisch (dem ostslavischen Idiom des Großfürstentums Litauen) mit dem Titel „Buch des Ritters Taudal“ (Anfang 16. Jh.) repräsentiert. Sie rührt von einer böhmischen, vermutlich tschechischen Vorlage her, die aus dem Lateinischen übertragen wurde und nur 1 Brückner, Visio Tundali, 199-212; Spilling, Visio Tnugdali (1975); Palmer, Tondolus (1980); Palmer, Visio Tnugdali (1982); Carozzi, Structure, 223-234; Eichberger, Image, 129-140; Pfeil, Vision des Tnugdalus (1999). 2 Brückner, Visio Tundali, 200; ausführlich zu den deutschen und niederländischen Fassungen Palmer, Vision Thungdali (1982). 3 Verkholantsev, Ruthenica Bohemica, 52-70 (Stemma auf S. 70). Jenseits des byzantinisch-slavischen Horizontes 304 hypothetisch zu rekonstruieren ist. 4 Eine weitere Rezeptionsstufe unter katholischen Slaven markiert die glagolitisch-kroatische „Erzählung vom guten Ritter Dundul“ (1468), die allerdings direkt auf einer lateinischen Vorlage fußt. 5 Unter den orthodoxen Slaven kursierte eine kirchenslavische Übersetzung mit der Überschrift „Erbauliche Novelle, die vom Krieger Faudal berichtet wurde“ (um 1500), die womöglich von der Vorlag der ruthenischen Fassung abzuleiten ist. 6 Bedeutung Die slavischen Bearbeitungen der Vision sind insoweit aufschlussreich, da sie einen Import apokrypher Apokalypsen aus dem lateinischen Westen dokumentieren, wobei die genaue Route und die einzelnen Stationen nur annähernd nachzuzeichnen sind. 4 Ibid., S. 56-57 (Überlieferung); S. 174-178 (Text). 5 Ibid., S. 57-59. 6 Ibid., S. 59-60 (Überlieferung); S. 175-179 (Text). IX. Zwischenbilanz 1. Ertrag Die gebotene Quellensynopse kirchenslavischer Apokalypsen ist zwar nur ein erster Schritt zur zusammenhängenden Erforschung ihrer Überlieferung. Dennoch werden schon durch die Zusammenstellung der Quellen, durch die Suche nach ihren Wurzeln und das Aufspüren ihrer Verästelungen bestimmte Zusammenhänge deutlich, die sich sonst nicht unmittelbar erschließen würden. Folgende Beobachtungen, aber auch offene Fragen seien an dieser Stelle aufgezählt: Das altslavische Schrifttum spiegelt nahezu repräsentativ die wichtigsten Etappen der Entwicklung der apokalyptischen Literatur wider. Die Übersetzung der meisten Texte fand schon in der Frühzeit der altbulgarischen Literatur (9.-10. Jh.) statt. Sie wurden von hier aus in die Kiever Rus‘ transferiert, die allerdings über eine eigene apokalyptische Tradition verfügte (cf. die Vita des Andreas Salos und die russische Jesaja-Homilie). Damit prägten die aus dem byzantinischen Griechisch übersetzten Apokalypsen von Anbeginn die Vorstellungen von Süd- und Ostslaven über Jenseits, Individualeschatologie und Weltgeschichte Die initiale Periode der Aneignung fiel mit einer Renaissance der byzantinischen Apokalyptik zusammen, die sich im 10. und 11. Jh. vollzog und in einer neuen „Welle“ apokalyptischer Schriftproduktion vorliegt (Apokalypsen der Theotokos und Anastasia, Vitae des Andreas Salos und Basilius Novus, zeitgenössische Berechnungen des Weltendes). Die handschriftliche Tradition der kirchenslavischen Apokalypsen reicht bis in das 19. Jh. hinein und war lange nach der Einführung des Buchdruckes lebendig, die gerade in Russland auf erheblichen Widerstand stieß. Es drängt sich der Eindruck eines reziproken Verhältnis von Kanonizität auf: Im kirchenslavischen Schrifttum besaßen die sog. Apokryphen eine nahezu kanonische Geltung, während der biblische Kanon im Grunde ein apokryphes Dasein hatte. Die aus der byzantinischen Literatur übernommenen und auf slavischem Boden fortgeführten Listen verbotener Schriften („Indices“) erwiesen sich in alledem als wenig wirksam. Zur Aneignung frühjüdischer Apokalypsen spielte eine eigene Literaturform eine Hauptrolle. Die verschiedenen Redaktionen der slavischen Palaea überlieferten in einem neuen Kontext die Texte der Abraham-Apokalypse, der Lei- Zwischenbilanz 306 ter Jakobs und der Patriarchentestamente, die im Sinne der typologischen Exese umgedeutet wurden und zur apologetischen Polemik gegen jüdische Gegner Verwendung fanden. Auch außerhalb der Palaea wurden bedeutende frühjüdische Apokalypsen tradiert. Die umfangreichste und wichtigste davon dürfte das slavische Henochbuch sein. Die Durchsicht der kirchenslavischen Adam-und-Eva-Literatur verdeutlicht das große Spektrum an Wandlungen, denen „apokryphe“ Schriften unterworfen waren, und zeigt das assoziative Netz auf, welches sich um die Texte spannt. Der Vergleich der Abraham-Apokalypse und der Leiter Jakobs ergibt zahlreiche Gemeinsamkeiten, die den Schluss nahelegen, dass die beiden Texte nicht nur im slavischen und wohl auch in dem byzantinischen Schrifttum zusammengehörten, sondern einen gemeinsamen Enstehungskontext teilen. In Bezug auf das Testament-Abrahams wird die Vermutung geäßert, dass es ursrpünglich eine Trilogie mit den Testamenten von Isaak und Jakob gebildet haben kann. Beobachtungen zu den Bedeutungsnuancen von שׁאר im Textgefüge der Leiter Jakobs legen nahe, dass das Bild der von Büsten gesäumten Himmelsleiter in einem Wortspiel um dieses Lexem liegt, das von den Statuen hellenistischer und römischer Herrscher in Syrophönizien inspiriert wurde. Die hebräisch klingenden Gottesnamen in den Offenbarungsgebeten von ApcAbr 17,4-8 und ClimIac 2-5-18 stehen in der slavischen Tradition nicht alleine da, sondern haben Parallelen in Listen von Gottesnamen, die als Amulette getragen wurden. Die Testamente der zwölf Patriarchen erfordern weitere Erforschung sowohl in Bezug auf das integrierte apokalyptische Material als auch hinsichtlich dessen Aneignung in den kirchenslavischen Texten. Die Himmelfahrt des Jesaja verdient Beachtung als authentischer Beleg einer frühchristlichen Trance-Schilderung. Die Schrift war bezeichnenderweise sowohl bei Orthodoxen als auch bei Häretikern gleichermaßen beliebt und dürfte zu den wenigen Texten gehören, die tatsächlich von den Bogomilen rezipiert und tradiert wurden. Der Vergleich der griechischen und slavischen Fassungen von 3 Bar soll in Bezug auf die Motivation der Wandlungen näher untersucht werden. Die untersuchten pseudopatristischen Fragmente tangieren mehrere Problembereiche: Die Zuschreibung von Apokalypsen an Kirchenväter; die Berechnungen des Weltendes im ausgehenden 10. Jh. in Byzanz; ihre Relevanz in den byzantinisch besetzten bulgarischen Provinzen um die Mitte des 11. Jh. Ertrag 307 Die Apokalypsen aus dem altkirchlichen Bereich sind nur teilweise katalogisiert und ediert. Aus der Durchsicht des handschriftlichen Materials der außerkanonischen Johannes-Offenbarungen wird erkennbar, dass wir es mit drei statt nur mit zwei Texten zu tun haben („Tabor-, Eleon- und Abraham-Text“). Die Tagmata der Endzeit in CertIesu und 1 ApcIoh apocr weisen Übereinstimmungen auf, die einer Klärung bedürfen. Sie sind deswegen wichtig, da sie anscheinend in den politischen Apokalypsen des Daniel-Typus vorausgesetzt werden, die mit Henoch und Elija aufhören. Es wurde die Existenz einer byzantinischen Sammlung von Daniel-Apokalypsen nachgewiesen, die eine zusammenhängende Einheit bildete. Der erste Text darin war die sog. Daniel-Diegese (1 ApcDan), ihr Abschluss die letzte Vision Daniels (4 ApcDan). Dazwischen lagen die Texte der „Vision Daniels von den Königen“ (2 ApcDan) sowie jene Pseudo-Chrysostomos-Apokalypse, die zeitgleich mit letzterer im Jahre 829 entstand. Als ihr Autor dürfte Patriarch Methodios I. gelten, der beide Schriften gegen Kaiser Michael II. (820-829) richtete. Sie stellte einen fortlaufenden apokalyptischen Kommentar zur byzantinischen Zeitgeschichte dar. Der Titel von 3 ApcDan „Deutung Daniels“ bezieht sich offensichtlich auf die „Vision Daniels von den Königen“ (2 ApcDan), da sich der Text „Deutung“ als Fortführung und Verdichtung des in der „Vision“ Gesagten versteht. In einer Abschrift der „letzten Vision Daniels“ (4 ApcDan sl Drag) dürfte eine authentische Quelle über die Zerstörung von Konstantinopel im Jahre 1204 vorliegen. Der als „byzantinische Eschatologie II“ überschriebene Bereich kirchenslavischer Überlieferung erfordert dringend nähere Erforschung, vor allem was die Ebene der Texterschließung (Katalogisierung, Edition und Kommentierung der krichenslavischen Tradition) anbetrifft. Das häufige Auftreten der Ortschaften Strumica und Glavinica in den kirchenslavischen Apokalypsen unter den Namen Daniels und Jesajas gibt Aufschluss über den geographischen Horizont ihrer Bearbeiter und Verfasser und erhellt zugleich die Geschichte der beiden Orte, die an promintenter Stelle in den Erlässen von Basilios II. (976-1025) über das Erzbischofstum von Ochrid erwähnt werden. Die beiden „Sagen“ bzw. „Homilien“ des Propheten Jesaja (1 und 2 ApcIes) werden als die beiden Bände desselben eschatologischen Traktates erwiesen. Eine wenig bekannte russische Jesaja-Homilie wird in der Sammlung als 4 ApcIes aufgenommen. Unter den kirchenslavisch abgefassten Apokalypsen sind nur die politisch-eschatologischen Texte besser erforscht; Beachtung verdienen auch die unbekannteren Offenbarungsschriften, die sich singulär ausnehmen („Kampf Michaels mit Satanael“, „Sage vom Antichrist“). Zwischenbilanz 308 Die Frage nach einer nicht-byzantinischen Vermittlung erfordert weitere Studien auf der Basis der noch zu edierenden Texte der erörterten Fallbeispiele („Traumdeutung des Šachinšach“, „Vision des Tungdal“). 2. Abschließende Bemerkungen Die vorausgegangene Zusammentragung und zusammenhängende Betrachtung apokalyptischer Quellen aus dem kirchenslavischen Bereich macht deutlich, dass wir es mit einem wenig erforschten handschriftlichen Fundus zu tun haben, welcher weitere intensive Studien erfordert. Der Bedarf nach einer eingehenden Katalogisierung der Textbestände ist offenkundig, ebenso die Notwendigkeit von Texteditionen und einer genaueren Gegenübersellung der einzelnen Texte. Doch schon die vergleichende Zusammenstellung des in Druckeditionen so weit vorliegenden Materials liefert wertvolle Einblicke in die Literaturgeschichte der Apokalyptik und beleuchtet zugleich die Mentalitätsgeschichte ihrer Tradenten über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg. Dadurch werden zum einen die Hintergründe der überlieferten Texte besser erkennbar, zum anderen treten Verbindungslinien und Zusammenhäge zutage, die sich bei der isolierten Betrachtung einzelner Quellen nicht unmittelbar erschließen. In Bezug auf die frühen Apokalypsen zeichnet sich ab, dass bereits die altbulgarische Literatur über eine reichhaltige „Auswahl“ frühjüdischer Pseudepigraphen verfügte, die noch vor der endgültigen Übersetzung des biblischen Kanons aus den byzantinischen Bibliotheken „importiert“ wurde. Dieser Sachverhalt ist umso bedeutender, da wir damit im 10. Jh. im südslavischen Raum eine mit der Epoche des Urchristentums vergleichbare Konstellation vorfinden, wo der Kanon noch im Enstehen begriffen ist und in der Form von nebeneinander her kursierenden Gelegeheitsschriften existiert, während zahlreiche Erzählungen über alt- und neutestamentliche Begebenheiten aus verschiedenen Quellen frei in Umlauf sind. Bezüglich der frühjüdischen Apokalypsen wurde ausgeführt, dass ein Teil davon (Abraham-Apokalypse, Leiter Jakobs, Patriarchentestamente) in einer eigenständigen Überlieferungsform verankert war, die gewissermaßen „stellvertretend“ für das Alte Testament stand - der sog. Palaea-Literatur. Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn die Texte waren von polemischen Kommentaren mit nachdrücklich antijüdischer Ausrichtung begleitet, die die bereits christlich überbeiteten Apokalypsen im Sinne der typologischen Exegese explizit auf Jesus und auf neutestamentliche Ereignisse bezog. Hierbei fallen bestimmte Gemeinsamkeiten auf, die einzelne Apokalypsen verbinden. Vor allem die Abraham-Apokalypse und die Leiter Jakobs scheinen nicht nur einen gemeinsamen Ursprung, sondern auch einen gemeinsamen Überlieferungsweg geteilt zu haben, bis sie zusammen mit dem slavischen Henochbuch die slavischen Skriptorien erreichten. Ebenso ist zu fragen, ob nicht das Testament Abrahams anfangs zu einer Trilogie gehörte, die noch Zwischenbilanz 310 die Testamente Jakobs und Isaaks einschloss. Im System der slavischen Literaturen wiederum wurden die Apokalypse Abrahams und das Testament Abrahams zu einem Erzählzyklus über den Patriarchen verbunden, der noch Erzählungen beinhaltete, die Berührungen zu einzelnen Qumran-Texten aufweisen. In alledem drängt sich der Eindruck auf, dass der slavische Apokryphenindex vielmehr eine deskriptive denn eine präventive Funktion innehatte, und nicht zu einer Zurückdrängung der inkriminierten Schriften zu führen vermochte. Selsbt Apokalypsen, die in Byzanz untergegangen waren und unter Südslaven nachweislich die Gunst häretischer Kreise genossen wie die Himmelfahrt Jesajas, waren als liturgische Lektüre gleichermaßen beliebt. Im Zuge ihrer Überstetzungstätigkeit verfertigten die altbulgarischen Literaten Sicherheitskopien nicht nur der byzantinischen, sondert auch der altkirchlichen Apokalyptik, insoweit sie im 9. und den nachfolgenden Jahrhunderten noch zuganglich war. Neben recht bekannten Offenbarungschriften wie die Paulus-Apokalypse, den Fragen des Bartholomäus und der apokryphen Johannes-Offenbarung wurden dadurch auch selten anzutreffende Schriften erhalten wie das sog. Streitgespräch Jesu mit dem Teufel. Der Adaptierungsprozess verlief indes recht zwanglos und brachte durchaus eigenwillige Kompositionen hervor wie die slavischen Deutungen der Tiburtinischen Sibylle. Aus der Hss.-Analyse ging ferner hervor, dass die apokryphen Johannes-Offenbarungen neue, bislang kaum bekannte altslavische Texte beinhalten. In der byzantinischen eschatologischen Literatur traten bestimmte Entwicklungen hervor, die gegenüber den vorhin entstandenen Apokalypsen neu waren und auch in ihren slavischen Pendants reflektiert wurden. Eines ihrer Merkmale ist die intensive theologische Auseinandersetzung mit dem Islam. Die sog. Offenbarung des Pseudo-Methodius ist ein Text von herausragender Bedeutung, der dem Genre der Apokalyptik eine eigene Prägung verlieh. Es schlug sich vor allem in den griechischen Daniel-Apokalypsen nieder, für welche die Existenz einer eigenen Sammlung belegt wurde. Die in den byzantinischen Texten artikulierte spezifische Form von politischer Apokalyptik wurde im kirchenslavischen Schrifttum auf vielfache Art und Weise angeeignet. 1 Erhalten sind sowohl Übersetzungen, die parallel zr griechischen Tradition verlaufen (die sog. letzte Vision Daniels) als auch Übertragungen verschollener griechischer Texte („Vision Daniels von den Königen und den letzten Tagen und der Vollendung des Zeitalters“). Es gibt aber auch kompilative Adaptionen, die von altbulgarischen Literaten angefertigt wurden („Deutung Daniels“). Einige dieser Schriften haben einen recht schematischen Charakter und nehmen sich wie ein „apokalyptisches Formular“ 1 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina (1996; 2011 in Englisch erschienen) sowie die untenstehend zitierten Aufsätze und Monographien der beiden Forscherinnen. Abschließende Bemerkungen 311 aus, welches in Bezug auf gegenwärtiges Geschehen neu ausgefüllt wird. Für das gesamte Corpus hat die Offenbarung des Pseudo-Methodius einen Modellcharakter, sowohl was die Struktur anbetrifft (Doppelmatrix aus geschichtlicher Rückschau und apokalyptischer Prophetie) als auch mit Blick auf einzelne Motivkomplexe (abgekürzter Schluss) und Gestalten (Figur des Endkaisers). Ganz im Sinne der Pseudo-Methodius-Tradition wird den Existenzängsten, die durch akute Bedrohungen hervorgerufenen wurden, ein endzeitliches Szenario gegenübergestellt, in welchem die Figur des Erlöserkaisers eine zentrale Rolle innehat. Die Endereignisse dagegen werden höchst skizzenhaft markiert, der Auftritt der beiden Zeugen Henoch und Elija zur Schmähung des Antichristen ist dabei ein durchaus üblicher Abschluss. Die „apokopierten“ Daniel-Apokalypsen zeichnen sich durch eine Reihe von Kürzungen aus: Visionäre Elemente in Form einer vorangestellten Schau apokalyptischer Symbole gehen stark zurück - sie werden entweder reduziert oder fallen ganz weg. Metahistorische Spekulationen und mythische Exkurse werden ausgelassen, und das Augenmerk wird auf bekannte, für Verfasser und Tradenten greifbare Geschehnisse im näheren zeitlichen und räumlichen Horizont gerichtet. An die Stelle des weltgeschichtlichen Prisma tritt der lokale Bezug, der in Form von Glossen, historiographischen und toponymischen Verweisen herausgestellt wird. Die Spekulationen über das Schicksal von Kaisern, Königen und Städten sowie die endzeitliche Reflexion gegenwärtiger Ereignisse lassen sich daher treffend im Begriff einer „politischen Mystik“ zusammenfassen. In Anbetracht dieser Merkmale ließe sich für den Genretypus dieser Form endzeitlich zugespitzter Historiographie der Begriff „apokalyptisches Formular“ verwenden. Es geht um eine schematische Grundstruktur, welches vom geschichtlichen Standort des Verfassers aus vermittels der Anwendung eines symbolischen Codes verschiedentlich ausgefüllt und erneut zur Geltung gebracht wird mit stets der gleichen Intention - Sinngebung inmitten der Krise und Bewältigung einer hoffnungslos erscheinenden Gegenwart. Als Zeugnisse „politischer Mystik“ lassen sich die kirchenslavischen Jesaja-Apokalypsen betrachten (1 bis 3 ApcIes), die das Genre des „politischen Formulars“ mit Anleihen aus der Gattung „Himmelsreise“ anreichern und damit einen konvergenten Typus von Apokalyptik schaffen, der auf südslavischem Boden beheimatet ist. Hierfür wurde der Beweis angetreten, dass die lange Zeit isoliert nebeneinander her betrachteten „Sagen“ des Jesaja (1 und 2 ApcIes) sehr wahrscheinlich die beiden „Bände“ eines ursprünglich zusammengehörigen Traktates darstellen. Neben der damit verwandten 3 ApcIes wurde eine weitere, wenig bekannte Jesaja-Apokalypse zutage gefördert (4 ApcIes), die eine genauere Untersuchung erfordert. Dies trifft für eine Reihe von Texten zu, die vollständigkeitshalber aufgenommen wurden und nur höchst bruchtstückhaft erwähnt werden: Kampf Michaels mit Satanael und die altbulgarische Antichrist-Sage. Die am Ende der Quellensynopse nur am Zwischenbilanz 312 Rande besprochenen Textimporte „jenseits von Byzanz“ (Traumdeutung von Šachinšach, Vision des Tungdal) verweisen schließlich auf Vermittlungswege, Zum Schluss sei noch ein eigentümlicher Zusammenhang angesprochen, der zweifelsohne hohe Aufmerksamkeit verdient. Das 10. Jh. war die Zeit einer außegewöhnlichen Renaissance der Apokalyptik in Byzanz, die mit der frühen Blüte der altbulgarischen Literatur zusammenfiel. Dies wird an einer Reihe von Texten deutlich, die nahezu zeitgleich entstanden oder neu aufgelegt wurden (Theotokos-Apokalypse, Anastasia-Apokalypse, die Wanderung des Zosimus, Vitae des Basiulus Novus, des Niphon und des Andreas Salos, u.v.m); allein für letztere Schrift haben wir ein deutlicheres Bild sowohl für die byzantinischen als auch für die slavischen Texte. Die Aktualisierung patristischer Texte in der Gestalt von Zeitberechnungen, die die Mitte des siebten Millenniums, die Geburtsdaten Jesu zusammenführen, dürfte in diesen Zusammenhang gehören (Die Gründe und die Hintergründe dieser Entwicklung sind nicht hinreichend erforscht, es steht nur fest, dass die altslavischen Apokryphen manch einen wertvollen Hinweis auf Geistesleben und Mentalitätsgeschichte jener Zeit enhalten mögen. 3. Chronologische Prismen (Abfassung, Übersetzung, Überlieferung) Die untenstehend beigefügte Tabelle fasst den literaturgeschichtlichen Ertrag der Quellensynopse zusammen. Daran sind die drei chronologischen Prismen abzulesen, die eingangs festgehalten wurden (Enstehung, Übersetzung und Überlieferung). Die Begriffe „Bulgarien“, „Russland“, „Palästina“ und „Ägypten“ werden nicht anachronistisch verwendet, sondern als Chiffre für die geographische Region, in welcher die Texte zu verorten wären („südslavisch“, „ostlavisch“, „östliches Mittelmeer“ und „ägyptische Territorien des römisch verwalteten Nordafrika“). Die Sparte über die vermutliche Abfassung der betreffenden Apokalypsen liefert rämliche und zeitliche Anhaltspunkte für die nähere Bestimmung der Literaturgeschichte des Genres. Sie lässt sich losgelöst von der slavischen Überlieferung betrachten und gibt Aufschluss über die Entwickung der apokalyptischen Literatur sowohl in historisch-philologischer Hinsicht als auch was die Taxonomie der Gattung betrifft. Die Chronologie der Übersetzungen ist von besonderer Bedeutung, da sie im Rückschluss die frühe Zeit der süd- und ostslavischen Literaturen beleuchtet und eine Neubewertung der Bibliotheken der damaligen Skriptorien erfordert. Sie ist sowohl literaturgeschichtlich als auch kultur-geschichtlich von besonderem Interesse, da sie einen authentischen Katalog der byzantinischen Apokalyptik aus ebendieser Zeit repräsentiert und eigene literarische Beziehungen zwischen Byzanz und der Slavia Orthodoxa voraussetzt. Die letzte Sparte wiederum, die bis in die moderne Zeit hineinreicht, belegt sowohl die Vitalität von Apokalyptik in all ihren facettenreichen Ausprägungen als auch die Mentalitätsgeschichte der Süd- und Ostlaven im Verlaufe von nahezu einem Jahrtausend. Die Motivation der Tradenten hinter der Abwandlung von Apokalypsen, die zahlreichen Verflechtungen mit der Geschichte und der Folklore der Balkanvölker und die Bezüge zu Ikonographie und Kirchenarchitektur ergeben eigene Frageperspektiven und Zugänge zur Kulturgeschichte der Slavenvölker, die zu weiterer Erforschung einladen. Die Hinweise zum Transfer von Texten, Themen und Motiven aus der syrischen, irischen und altgermanischen Literatur deuten schließlich bisher unbekannte Vermittlungskanäle an und eröffnen neue Horizonte, die es zu erkunden gilt. Kürzel Abfassung Übersetzung Überlieferung Zeit Raum Zeit Raum Palaea Historica Ältere Materialien; Kompilation vor 9. Jh. Byzanz Verschiedene Quellen; wohl frühbulgarische Übersetzung im 10. Jh. 15. bis 17. Jh. Palaea Interpretata Ältere Materialien; Kompilation im 10. Oder im 13. Jh. Bulgarien / Russland 14. bis 18. Jh. Palaea Chronographica Ältere Materialien; Kompilation im 13. Jh. Russland Ab 14. Jh. ClimIac 1. v.Chr. bis 2. Jh.n.Chr. Palästina 10. Jh. Bulgarien 14. bis 18. Jh. Hen (sl) 1. Jh.n.Chr. Ägypten (Alexandrien) 10. Jh. Bulgarien ApcAbr 1. oder 2. Jh.n.Chr. Palästina 10. Jh. (cf. Palaea) Bulgarien 14. bis 18. Jh. (cf. Palaea) TestAbr 1. Jh.v.Chr. bis 2. Jh.n.Chr. Ägypten 10. Jh. Bulgarien 13. bis 18. Jh. TestPatr 2. Jh.v.Chr bis 2. Jh.n.Chr. Mittelmeerraum 10. Jh. Bulgarien 14. bis 18. Jh. (cf. Palaea) AscIes Spätes 1. Jh.n.Chr oder frühes 2. Jh.n.Chr. Ostmittelmeerraum 10. oder 11. Jh. Westmazedonisches Gebiet 12. bis 16. Jh. 3 Bar Innerhalb von 50 Jahren nach dem Jahre 70 Ostmittelmeerraum 10. oder 11. Jh. Bulgarien 13. bis 18. Jh. Hipp Fragm I und II 3. Jh. sowie Aktualisierung im 10. Jh. Die genauen Umstände bedürfen näherer Überprüfung. 13, bis 16. Jh. Quast- Barth 2.-4. Jh. Ostmittelmeerraum 10. oder 11. Jh. Bulgarien 14. sowie 16. bis 18. Jh. Apc Pauli 3. Jh. Ägypten 10. oder 11. Jh. Bulgarien 15. bis 19. Jh. SibTib 4. Jh. sowie Bearbeitung im 6. Jh. Ostrom 13. Jh. Bulgarien 14. bis 18. Jh. Zwischenbilanz 314 Chronologische Prismen (Abfassung, Übersetzung, Überlieferung) 315 CertIes 4. bis 6. Jh. Ägypten 10. oder 11. Jh. Bulgarien 13. bis 17. Jh. PerAgap 6. Jh. ? unklar 10. Jh. Bulgarien 15. bis 17. Jh. (südsl.); 12. sowie 16. bis 19. Jh. (ostsl.) ApcIoh apocr 4. bis 6. Jh. Ostmittelmeerraum 9. oder 10. Jh. Bulgarien 13. bis 18. Jh. RevPs- Meth Spätes 7. Jh. Syrien (Sinğār) Mehrfache Übersetzungen seit dem 10. Jh. Bulgarien; interpolierte Fassung in Russland Ab dem 13. Jh. Šach 7. Jh.? Syrien Direktübersetzung aus dem Syrischen Ab 1380 1 Apc Dan 8. Jh. Konstantinopel ungeklärt Undatierte Handschrift 2 Apc Dan 829 Konstantinopel 10. Jh. Bulgarien 13. bis 18. Jh. ApcMariae 9. Jh. Byzanz 10. Jh. Bulgarien 12. bis 19. Jh. VBN 10. Jh. Byzanz Komplexe Übersetzungs- und Überlieferungsgeschichte, viele Details offen. VAS 10. Jh. Konstantinopel Spätes 11. oder frühes 12. Jh. Russland 13. bis 19. Jh. (ostslavisch) Weitere Übersetzungen Ost- und südslavischer Raum 14. bis 16. Jh. ApcAnast Spätes 10. Jh. Byzanz 10. Jh. Bulgarien 1380 bis 1812 3 Apc Dan 11. Jh. Bulgarien (Südwesten) 13. sowie 15. bis 17. Jh. 1 ApcIes Mitte des 11. Jh. (wohl 1042 bis 1043) Bulgarien (Südwesten). 16. Jh. 2 ApcIes Mitte des 11. Jh. (wohl 1042 bis 1043) Bulgarien (Südwesten) 15. sowie 18. Jh. Zwischenbilanz 316 ErotIoh Abr Altkirchliche Quellen, kompiliert im 11. oder 12. Jh. Bulgarien (genauere Umstände unklar) 14. bis 18. Jh Vis- Tungdali 1148 Regensburg 1468 (kroatisch); um 1500 (südslavisich) 16. Jh. (ruthenisch) Narr Ant 12. Jh. Bulgarien 14. sowie 15. bis 17. Jh. Cert- Mich 12. bis 13. Jh. Bulgarien 14. sowie 16. Jh. (altbulg. Fassung); 1796 und 1820 (neubulg. Fassung) 4 Apc Dan Nach 1204 Konstantinopel Frühes 13. Jh Bulgarien 13. sowie 15. bis 17. Jh. Or Pand 13. Jh. Bulgarien (Südwesten) 13. Jh. 3 ApcIes Mitte des 13. Jh. Bulgarien 13. sowie 15. bis 16. Jh. 4 ApcIes unklar Russland? 16. bis 18. Jh. Tabelle 24: Chronologische Prismen Teil C: Anhang X. Quellentexte Im Folgenden werden achtzehn Quellentexte seltener oder schwer zugänglicher Apokalypsen aus der kirchenslavischen Tradition in deutscher Übersetzung abgedruckt. Die Trennung in Verse und Kapitel dient der besseren Lesbarkeit und soll die Zitation daraus ermöglichen. Übersichtshalber werden Überschriften eingeführt, um die thematische Orientierung innerhalb der Texte zu erleichtern. „Kurzportraits“ der einzelnen Schriften verweisen auf die Ausführungen in der Quellensynopse. Eine durchgehende, ausführliche Kommentierung der Arbeitsübersetzungen würde den Rahmen des Quellenanhangs sprengen; stattdessen werden ausgesuchte Texte in verschiedenem Umfang etwas genauer erörtert. 1. Leiter Jakobs Die sog. „Leiter Jakobs“ ist nur kirchenslavisch bezeugt. Eine Ausnahme bildet nur das Gebet des Patriarchen (2,5-18), das unter den Manuskripten aus der Kairoer Geniza in Hebräisch entdeckt wurde. 1 Der Text wurde nicht als separate Handschrift tradiert, sondern nur im integralen Zusammenhang der Palaea-Literatur weitergegeben. Ihre reichhaltige Überlieferung ist bislang nicht als Ganzes erfasst worden, und es fehlt noch immer eine zuverlässige Textausgabe. 2 Für die Übersetzung wurden folgende Textausgaben herangezogen: Lange Fassung A: Rumjancev-Palaea aus dem Jahre 1494 (Rum) 3 und Krehiv- Palaea aus dem 16. Jh. (Kr) 4 Kurze Fassung B: Kolomna-Palaea aus dem Jahre 1406 (Kol) 5 und Solowetzki- Palaea aus dem 17. Jh. (Sol) 6 Die Einteilung in Kapitel und Verse folgt in der Regel der Übersetzung von H.G. Lunt (1-2; 5; 7), 7 wird aber nach Sinneinheiten vervollständigt (Zusammenführung von Kap. 3 und 4 nach Lunt, Neuarrangement von Kap. 6). 8 Die Überschriften sind nicht dem Text entnommen, sondern werden aus dem Zusammenhang erschlossen und übersichtshalber eingefügt. Es werden nur diejenigen Abschnitte der Palaea berücksichtigt, die den Text der „Leiter Jakobs“ beinhalten; die begleitenden polemischen Kommentare, die sich deutlich davon abheben, werden ausgelassen (bis auf ein Beispiel). Die beiden Fassungen werden zusammengeführt, und die betreffenden Unterschiede nur am Rande verzeichnet, obwohl gute Gründe für eine Trennung sprechen würden; die Anmerkungen beschränken sich auf ein Mindestmaß. 9 1 Schäfer & Shaked (Hg.), Magische Texte II, 27-78 (Text); Leicht., 140-176. 2 Slavova, Paleja, 27-37 zählt über dreißig Handschriften (14.-18. Jh.) plus gleich so viele Fragmente der Palaea Interpretata; ediert ist nur ein Bruchteil davon. 3 Pypin, Knigi, 27-32. 4 Franko, Apokrifi I, 108-120. 5 Tichonravov, Pamjatniki I, 89-95. 6 Porfir’ev, Skazanija I, 138-149. 7 Lunt, Ladder, 407-411. 8 Uneinheitlich gegliedert sind im Übrigen die englischen Übersetzungen von James, Lost Apocrypha, 102-103 und Pennington, Ladder, 455-459 (A); 459-463 (B). Gänzlich auf eine nummerierte Gliederung verzichtet Bonwetsch, Leiter Jakobs, 76-87, was den Text allerdings so gut wie unzitierbar macht. 9 Die Übersetzung von Fahl, Böttrich & Fahl, Leiter Jakobs (2015) und die Textausgabe von Fal' & Fal'. (2015) konnten nicht mehr berücksichtigt werden. Quellentexte 320 Text der „Leiter Jakobs“ 10 I. [Jakobs Traum und Gottes Segen] 1. Jakob machte sich auf den Weg zu Laban, seinem Onkel. Und er fand einen Ort und schlief da ein, nachdem er einen Kopf auf einen Stein gelegt hatte, denn die Sonne war untergegangen. 11 2. Da hatte er einen Traum: Und siehe, eine Leiter war auf der Erde aufgestellt, deren Spitze 12 bis zum Himmel reichte. 3. Und die Spitze 13 der Leiter war ein Antlitz 14 wie eines Menschen, aus Feuer behauen. 4. Bis zur Spitze der Leiter waren aber zwölf Stufen, und an jeder Stufe bis zur Spitze 15 waren zwei menschliche Gesichter, zur Rechten und zur Linken: Vierundzwanzig Gesichter, die bis zur Brust reichten. 16 5. Das mittlere Antlitz aber, das ich sah, 17 war viel höher 18 als jene, aus Feuer bis zur Schulter und bis zum Arm, 19 viel schrecklicher als alle anderen vierundzwanzig Gesichter. 6. Während ich noch schaute, siehe: Die Engel Gottes gingen auf ihr hoch und hinab. 20 Der Herr aber hatte sich auf sie gestellt. 21 [So ist es zu verstehen wie wenn man sich auf ein Zepter stützt. Was die Engel betrifft, die hinaufstiegen: Diese sind ein Urbild darauf, wie das Holz des Kreuzes in die Erde gestoßen wurde, zum Leiden des Herrn eben wie damals bei Jakob die Leiter aufgestellt wurde. Die getauften Heiden nahmen den Herrn an und stiegen sogleich in den Himmel hinauf. Die aber hinabgehen sind die Ungehorsamen, die Verderbten. 22 Dies vorausschauend sprach Mose: 10 Eine Überschrift wird in den Textausgaben nicht angeführt. 11 Cf. Gen 28,10-22. 12 Rum und Kr verwenden das untypische глава/ glava („Kopf“); cf. Gen 28,12 ( שׁאר ). 13 Rum Kr: верхь/ verch’ („Gipfel, Spitze“). 14 Rum Kr Kol Sol (übereinstimmend): „wie das Gesicht eines Menschen“; „ähnelte einem menschlichen Gesicht“; H.G. Lunt vermutet in der griechischen Vorlage πρόσωπον im Sinne von „Büste, Portrait“ - Ladder, 407, Anm. 1b. 15 Kol Sol: „bis zur Spitze“ fehlt. 16 Kol Sol: Die Schilderung der Gesichter als Büsten fehlt hier. 17 Wechsel zur ersten Pers.sg. bis zum Schluss (bis auf 2,2 nach B). 18 Kol: preже/ preže („vor, vorangestellt“); Rum Kr Sol. haben првьїше/ prevyse („um ein Vielfaches höher“). 19 Die B-Fassung bezieht das Büstenbild nur auf das obere Gesicht. 20 Cf. diesen Passus im Midrasch Kohen: „Die Seelen der Frommen steigen am Baum des Lebens hinauf und herab nach den Himmeln und von den Himmeln nach dem Gan Eden, wie ein Mensch an einer Leiter herauf- und herabsteigt“ - Wünsche, Lehrhallen III, 181. 21 Cf. Gen 28,12-13. 22 Kol Sol: „Die aber hinabgehen sind das ungehorsame, verderbte Geschlecht der Juden“. Leiter Jakobs 321 „Ihr störrisches und verdorbenes Geschlecht! Ist das euer Dank an Gott? “ Daher, also, sehen wir die Heiden hinaufgehen, die Juden aber herunterkommen...]. 23 Gott stand also über dem höchsten Antlitz. 7. Und sodann rief er mich mit den Worten: „Jakob, Jakob! “ Ich aber sagte: „Hier bin ich, Herr! “ 8. Da sprach er zu mir: „Die Erde, 24 auf der du schläfst, werde ich dir und deinem Samen nach dir geben! 25 9. Und deinen Stamm 26 werde ich so zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meer. 10. Durch deinen Samen wird die ganze Erde gesegnet werden auch diejenigen, die sie in den letzten Zeiten, ja in den Jahren des Endes bewohnen werden! 27 11. Mein Segen, mit dem ich dich gesegnet habe, wird sich aus dir bis zum letzten Geschlecht ergießen. 12. Ganz Ost und ganz West werden voll deines Stammes sein! “ 28 II. [Jakobs Gebet] 1. Als ich dies aus der Höhe hörte, ergriffen mich Schreck und Zittern. 2. Und ich erhob mich von meinem Schlafe; 29 die Stimme und Gottes Wort klangen jedoch in meinen Ohren nach. 3. Da sagte ich zu mir: „Wie furchtbar ist dieser Ort! Nichts Anderes ist das als das Haus Gottes und das Tor zum Himmel! “ 4. Und ich stellte den Stein, der mein Kissen 30 war, als Säule auf, und goss Öl auf seine Spitze, 31 und nannte jenen Ort „Haus Gottes“. 32 23 Dies ist ein Beispiel für einen der Einschübe in der Palaea, belegt in allen vier Referenztexten (Rum Kr Kol Sol). 24 Genauso gut auch „das Land“ (земля/ zemlja hat beiderlei Bedeutungen: „Erde, Boden“ sowie „Land, Gegend, Region“); cf. Bonwetsch, Leiter, 78. 25 Kol Sol: „...werde ich dir geben, damit sie sich mit deinem Samen erfülle! “ (Gen. 28, 13- 14. 26 Sol: „Samen“ (cf. Lunt, Ladder, 407). 27 Kol Sol lässt V.9-10 aus; sie weichen vom Wortlaut von Gen 28,14 ab („zahlreich wie der Staub der Erde“) und stehen der Verheißung an Abraham nahe (Gen 22,17-18); cf. Gen 32,13 („Sand am Meer“). 28 Cf. Gen 28,14. 29 Сонъ/ son (nach Gen 28,16) bedeutet gleichermaßen „Schlaf“ (cf. Pennington, Ladder, 456 und Lunt, Ladder, 408) und „Traum“ (cf. Bonwetsch, Leiter, 78) 30 Hier klingt auch in den slavischen Fassungen die Wurzel „Kopf-“ (глав-/ glav-) an: възглавїе/ v’zglavie (Kr), возглавїе/ vozglavie (Sol) - wörtlich „worauf man den Kopf legt“. 31 Hier klingt das semitische Wortspiel von Gen 28 wieder an (V.18): Jakob nimmt den Stein, der unter seinem Kopf war ( ויתשארמםש רשא ןבאה תא חקיו ), stellt ihn als Mazzebe auf ( הבצמ ) und gießt Öl auf dessen „Kopf“: השאר לע ןמש הציו . 32 Kol Sol lassen V.3-4 aus - cf. Gen 28,17-19. Quellentexte 322 5. Und ich erhob mich und sang mit den Worten: 33 „Herr, Gott Adams, deiner Kreatur! 6. Herr, Gott Abrahams und Isaaks, meiner Väter, und aller, die in Gerechtigkeit vor dir gewandelt sind! 34 7. Der fest auf den Cherubim und auf dem Feuerthron 35 der Herrlichkeit voller Augen 36 sitzt, wie ich in meinem Traume schaute, der die viergesichtigen Cherubim hält und die vieläugigen Seraphim trägt, der den ganzen Äon in seinem Arme trägt 37 , selbst aber von nichts getragen wird! 8. Du hast die Himmel zur Herrlichkeit deines Namens befestigt, du hast über den Wolken des Himmels den unter dir glimmernden 38 Himmel ausgebreitet! 39 9. Darunter bewegst du die Sonne und verbirgst sie in der Nacht, 40 damit sie nicht als Gott erscheint. 10. Du hast darauf die Bahn von Mond und Gestirnen festgelegt: Den ersten lässt du abnehmen und zunehmen, die Sterne lässt du vorübergehen, damit nicht auch sie als Götter gelten können. 41 11. Vor dem Angesicht deiner Herrlichkeit fürchten sich die sechsflügeligen Seraphim und decken Füße und Antlitz mit ihren Flügeln zu und stimmen mit den anderen geflügelten Wesen unaufhörlich den Gesang an: 42 33 Kol Sol lesen: „und ich stellte mich auf die Beine und betete zum Herrn“ - cf ApcAbr 17,8-18, hier insb. die Epitheta-Reihen V.8-12. In beiden Texten geht es um eine Bitte um die Enthüllung himmlischer Geheimnisse (Offenbarungsgebet). Der Wortlaut des Gebetes variiert in Kol Sol: „Herr, Schöpfer aller Kreatur“ und wieder „Gott Abrahams und Isaaks, meiner Väter, und Gott aller, die in Gerechtigkeit vor dir gewandelt sind! Siehe, ich habe ein schreckliches Gesicht gesehen und Zittern befiel mich. Erinnere dich aber, Herr, an Abraham, meinen Vorvater, der in Unschuld (wörtlich „Arglosigkeit“) vor dir wandelte und alle Wege deiner Gebote zu Ende ging, und auch an meinen Vater und deinen Knecht Isaak, der deine Gebote nicht überhörte. So siehe gnädig auf mich, deinen Knecht, herab und erläutere mir das Gesicht, so schrecklich, das ich sah! “. 34 Anstelle von hodiвшиhъ/ chodivšich („derjenigen, die gewandelt sind“) hat Rum hodoвъ иhъ/ chodov ich („ihrer Schritte“); cf. Bonwetsch, Leiter, 78. 35 Cf. Dan 7,9; ApcAbr 18,2. 36 Cf. Ez 1,15-21; 10,8-17; ApcAbr 18,2.10; Hen(sl) 19,3; 20,1; 21,1; 22,2. 37 Verlesung in Rum: кося/ kosja („mähend“) statt нося/ nosja („tragend“). 38 Die Stelle ist unklar: „glänzend“ (Rum); „unter dir liegend“ (Kr); „fliegend(d)“ resp „liegen(d)“ (Bonwetsch, Leiter Jakobs, 78); „glimmernd“ (Lunt, Ladder, 408); „shining“ (Pennington, Ladder, 457). 39 Cf. Ps 104, 2; Ijob 9,8; Jes. 40,22; 44,24 (Himmelsgewölbe als Zelt aufgespannt). 40 Ijob 9,7. 41 Cf. Bar 3,33-36. 42 Cf. Jes 6,2-3; AbrApc 18,7; AscIes 8 17.22; 9,29-31.40-42; 10,19. Leiter Jakobs 323 12. „Höchster, 43 Zwölfgesichtiger, Vielnamiger, Feuriger, Blitzäugiger, 44 Heiliger! 13. Heilig, heilig, heilig! Jao, Jaova, Jaoil, 45 14. Kados, 46 Chavod, 47 Omlelech, 48 Sabaoth, Ilavir, 49 Amis’mi, 50 Varich 51 ! 15. Ewiger König, Mächtiger, Starker, Übergroßer, Geduldiger, Gesegneter! 16. Himmel und Erde und Meer und Abgrund und alle Zeiten mit deiner Herrlichkeit Erfüllender! “ 52 17. Erhöre meinen Gesang, mit dem ich dich gepriesen habe, und erfülle mir meine Bitte, um die ich bei dir ersuche! 18. Tue mir die Bedeutung meines Traumes Kund, da du ein kräftiger und mächtiger und herrlicher Gott bist, heiliger Gott, Herr mein und meiner Väter! “ 53 III. [Auftritt des Erzengels Sariel] 54 1. Während ich noch mein Gebet sprach, kam eine Stimme vor mein Angesicht mit den Worten: 2. „Sariel, 55 Ältester der Frohlockenden, 56 mit Träumen Betrauter! Geh hin und lass Jakob die Bedeutung seines Traumes wissen, den er geschaut hat, und verkünde ihm alles, was er sah. Zuerst aber segne ihn! “ 43 Kr Sol: „zwölfgipfelig/ twelve-topped“; cf. Lunt, Ladder, 408. 44 ApcAbr 17,12 („feuerstrahlend“, „dessen Blick wie der Blitz ist“); Dan 10,6 (Augen des Engels „wie brennende Fackeln“). 45 ApcAbr 17,11 (als Gottesname); ApcAbr 10,4ff. (als Deuteengel). 46 Wohl aus hebr. שדק (Lunt, Ladder, 408, Anm. 2h). Rum: Savakdos (Zusammenfügung mit hebr. תואבצ ? ), Kr: Jaokados (Kontamination mit Jaoel? ). 47 Rum liest Xă vo d , Kr Xsavod (hebr. דבכ ) 48 Möglicherweise hebr. ךלמ (Lunt, Ladder, 408, Anm. 2j). 49 Ursprünglich wohl „der Starke Jakobs bzw. Israels“. 50 Kr: Amimis’ (hebr. ץימא „stark, kräftig, mächtig“ - Lunt, Ladder. 408, Anm. 2l. 51 Kr Rum: Barich (hebr. ךרב - ibid., S. 408, Anm. 2m). 52 Cf. Jes 6,2-3; ApcAbr 12,8 („ … um dir das zu zeigen, was im Himmel und auf der Erde ist, im Meere und in den Abgründen ... und in der Fülle der Welt“). 53 Cf. ApcAbr 17,18. 54 Kap. 3 lautet in der Fassung von Kol Sol: „Während diese Worte und das Gebet noch aus Jakobs Mund klangen, siehe: Ein Engel des Herrn stand vor mir (sic! ) und sprach: “Jakob, ich bin zu dir gesandt vom Schöpfer aller [Kreatur], um dir die Bedeutung deines Traumes zu künden. Lege die Deutung deines Traume in dein Herz! “. 55 Rum liest Sarikl (Verwechslung von i/ i und k/ k). Zum Namen siehe Vermes, Sariel, 159- 166. 56 Im Griechischen wohl καταθέλγω für услааждаемыхъ/ uslazždaëmych; Lunt, Ladder, 457. Quellentexte 324 3. Und der Erzengel Sariel trat zu mir, und ich sah: Seine Erscheinung war überaus anmutig und schrecklich. 4. Ich jedoch erschrak nicht bei seinem Anblick, denn das Gesicht, das ich in meinem Traume erschaut hatte, war Furcht erregender als dies; des Engels Anblick erschreckte mich also nicht. 5. Und der Engel sagte zu mir: „Was ist dein Name? “ Und ich sagte: „Jakob.“ 6. „Dein Name wird nicht künftig nicht Jakob sein, sondern wird meinem Namen ähnlich sein: Israel! “ 57 7. Und als ich auf dem Weg von Fandana in Syrien 58 meinem Bruder Esau entgegenging, kam er zu mir und segnete mich, und gab mir den Namen Israel; seinen Namen aber nannte er mir nicht, bis ich ihn beschworen hatte. 59 8. Dann ließ er mich wissen: Da du Kopzul warst... 60 IV. [Traumdeutung des Erzengels Sariel] 1. Dies sagte er zu mir: „Die Leiter, die du geschaut hast, die zwölf Stufen hatte, jede Stufe mit zwei menschlichen Gesichtern, die ihre Gestalt änderten: 61 2. Die Leiter ist dieser Äon; 62 die zwölf Stufen sind die Zeitalter dieses Äons; 63 die vierundzwanzig Gesichter sind die Könige der gottlosen Heiden dieses Äons. 64 57 Ein weiteres semitisches Wortspiel: לאירש wird durch einfache Inversion zu לארשי - Lunt, Ladder, 409, Anm. 4a; Fossum, Image, 146, Anm. 50. 58 Die Stadt Paddan-Aram begegnet mehrmals in Jakobs Itinerar (Gen 28,2.5-7; 35,9; cf. ApcAbr 2,3); Pennington, Ladder, 458, Anm. 4; Lunt, Ladder, 409, Anm 4b). 59 V.5-7 verbinden die apokalyptische Deutung von Jakobs Traumvision in Gen 28,10-22 mit den Geschehnissen am Jabok (Gen 32,23-33), insbesondere (a) mit Jakobs Umbenennung V.28-30 und (b) mit der ätiologischen Etymologie von Penuel (Angesicht Gottes) in V.31: „Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen“ (in Abweichung von Ex 33,20 und Hen(sl) 221,5ff.). 60 Kr: Kep’zul. Die Stelle bleibt rätselhaft. 61 Auch die Feuergesichter in AbrApc 15,6 wechseln stetig ihr Aussehen. 62 Dem obersten Antlitz wird im historisch-eschatologischen Deutungsschema zu Jakobs Traum keine Sonderrolle zugewiesen. 63 Der ganze Passus (V.1-2b) ist in Kol möglicherweise durch ein Homoioteleuton zusammengekürzt worden zu „Die Leiter, die du geschaut hast, sind die zwölf Zeitalter dieses Äon.“ 64 Sol Kol: „die Könige der Heiden dieses gottlosen Äons“. Leiter Jakobs 325 3. Unter diesen Königen 65 werden deine Kindeskinder und das Geschlecht deiner Söhne 66 gepeinigt werden. 67 4. Jene werden sich also gegen die Gesetzlosigkeit deiner Enkel erheben und diesen Ort durch die vier Ausgänge 68 der Sünden deiner Enkel verwüsten. 5. Und aus der Habe der Vorfahren werden sie ihren Palast im Tempel des Namens deines Gottes und deiner Väter errichten. 6. Und wegen des Ärgernisses 69 deiner Kinder wird er bis zum Ausgang 70 dieses vierten Zeitalters verwüstet werden. 7. Denn du hast ja vier Gesichter gesehen: Das erste, das die Stufe berührte, als die Engel hinaufstiegen und hinab gingen, auch die Gesichter in der Mitte der Stufen. 8. Der Höchste wird einen König von den Enkeln deines Bruders Esau erheben, 71 und sie werden alle Machthaber der irdischen Völker anziehen, die deinem Samen Schaden angetan haben. 9. Und sie 72 werden seiner Hand ausgeliefert werden und er wird ihnen schwer zusetzen. 10. Er wird also eine Gewaltherrschaft über sie errichten und sie niederwerfen, sie aber werden sich ihm nicht widersetzen können bis zu dem Tag, 73 an welchem sein Sinn sich gegen sie richten wird und zwar, , sie am Heiligtum der Götzen dienen und Totenkult verrichten zu lassen. 11. Not wird er allen antun, die in seinem Reiche sind, die sich in dieser Schuld finden werden. Einige aus deinem Stamme werden dem Höchsten, einige dem Falkongargail 74 (dienen). 65 Sol: „unter diesen Völkern/ Heiden“. 66 Die pleonastische Dopplung „und das Geschlecht deiner Söhne“ fehlt in Sol. 67 Die Übersetzungen hiervon variieren: „geprüft“ (Bonwetsch, Leiter, 80), „interrogated“ (Lunt, Ladder, 409), „tested“ (Kugel, Ladder, 210, Anm. 5). 68 Von den befremdlichen „vier Ausgängen“ (in etwa Hinabkünfte, Niedergänge) - spricht auch ApcAbr 27,3; 28,4. (cf Kugel, Ladder, 212-213, Anm. 9). 69 Rum Kr Kol sol: прогневанїе/ prognevanie - „Erzürnung“, „Verärgerung“ (wohl gr. σκάνδαλον). 70 Cf. ApcAbr 18,5. 71 Kol Sol kürzen V. 7-8a: „Das erste Gesicht, das die Stufen berührte, wird ein König aus deinen Nächsten sein“. Die Ägypten-Rom-Typologie die römische Herrschaft Syrophönizien mit der Sklaverei Ägypten mit Blick auf einen neuen „Exodus“. 72 Kol: „dein Same“. 73 Kol Sol: „bis zu dem Tag“ fehlt. 74 Die Stelle ist verderbt. Rum: kfalkonagargailjujaved; Sol Kol: Falkonagargailju (cf. die Gottheit Falkon in ClimIac 6,5). Quellentexte 326 V. [Das Schicksal von Jakobs Nachkommen] 1. Und du sollst es wissen, Jakob: Wie Fremdlinge wird dein Same sein, in fremdem Land. Man wird sie durch Knechtschaft erniedrigen und ihnen Wunden beibringen alle Tage. 2. Dann aber wird der Herr das Volk richten, dem sie als Knechte dienen. 75 3. Wenn dieser König sich erhebt, wird ein Gericht über diesen Ort abgehalten. 4. Dann wird dein Same herausgehen, Israel, aus der Knechtschaft der Heiden, die ihn mit Gewalt beherrscht hatten, und allem Tadel ihrer Feinde entrinnen. 5. Dieser König wird das Haupt aller Rache 76 und Vergeltung derjenigen sein, die euch, Israel, Gewalt angetan haben. 6. Und am Ende dieses Zeitalters werden die Leidgeprüften aufstehen und ihre Stimme erheben. 7. Der Herr wird sie aber erhören und sich milde stimmen lassen; es wird ihn ob ihrer Leiden gereuen, denn Engel und Erzengel werden ihm ihre Gebete 77 zur Errettung deines Stammes vorbringen. Und er wird sich erbarmen. 78 8. Dann werden ihre Frauen zahlreiche Geburten haben. 9. Und der Herr wird für deinen Stamm eintreten. VI. [Die Errettung von Jakobs Nachkommen] 79 1. Der Herr wird große und schreckliche Zeichen gegen ihre Unterwerfer [wirken]: 2. Ihre vollen Lagerräume werden leer 80 befunden werden. Kriechtiere und Tod bringendes Getier werden ihr Land überziehen. Zahlreiche Erdbeben und Verwüstungen werden sich zutragen. 3. Dann wird der Höchste diesen Ort dem Gerichte weihen und deinen Samen herausführen aus der Knechtschaft der Heiden, die ihn unterworfen haben. Und sie werden dem Hohn ihrer Feinde entrinnen. 75 Cf. Gen 15,13.14; V.7-21 sind Bezugstext für den zweiten, visionären Teil der Abraham- Apokalypse (Kap. 9-31). Der Auszug von Abrahams Nachkommen wird ihm nach seinem Tieropfer in einer Traumvision für die vierte Generation angekündigt (Gen 15,16). 76 Rum Kr: „Taufe“. 77 Rum Kr: „Blitz“ (cf. Lunt, Ladder, 410). 78 V.3-7 lauten in Kol Sol knapp: „Es wird den Starken gereuen ob der Leiden, denn Engel und Erzengel ihm ihre Gebete um der Errettung deines Stammes willen vorbringen werden; der Höchste wird sich also erbarmen“. 79 Ab setzen verstärkt polemische Kommentare in Rum, Kr und Sol ein. 80 Kol und Sol ergänzen „an Wein und Getreide jeder Sorte“. Leiter Jakobs 327 4. Der König aber wird die Vergeltung an ihnen anführen und erbittert über sie herfallen. 5. Sie werden aber ihre Stimme erheben und der Herr wird sie erhören. 81 6. Er wird seinen Zorn über den Leviathan 82 , die Meeresschlange, ergehen lassen, und den gottlosen Falkon mit dem Schwert umbringen, da er in seinem Hochmut seinen Zorn gegen den Gott der Götter 83 richtet. 7. Dann wird deine Gerechtigkeit, Jakob, und die deiner Vorfahren den kommenden Geschlechtern und den Wandelnden in ihr erscheinen. 84 8. Dann wird dein Same in das Horn stoßen und das ganze Reich Edom wird mit allen moabitischen Völkern umkommen. 85 VII. [Das Kommen des Ersehnten] 1. Und die Engel, die auf der Leiter hinabkamen und hinaufgingen: 86 2. In den letzten Zeiten wird ein Mensch vom Höchsten kommen. Er wird das Obere und das Untere verbinden. 87 3. Von seinem Kommen aber werden eure Söhne und eure Töchter künden. Eure Kinder werden Gesichter von ihm sehen. 88 4. Es werden Zeichen bei seinem Kommen erscheinen: Beim Fällen eines Baumes wird Blut fließen. Dreimonatige Kinder werden reden. 89 Ein Kind im Bauch der Mutter wird seinen Weg verkünden. 90 Junge werden wie Alte sein. 5. Dann wird der Ersehnte kommen, dessen Pfade niemand merken wird. 91 81 V. 1-4 greifen V.3-7 auf. 82 Vgl. Ijob 3,8; Ps 74,14; 104,26; Jes 27,1. 83 Kol: „Gott der Völker“. 84 Kol Sol: „Deine Nachkommen werden in deiner Gerechtigkeit wandeln“. 85 Wohl eine Typologie: Rom und seine Verbündeten, die auf ein Trompetensignal hin untergehen werden. 86 Zu beachten ist die Inversion; anders als in Gen 28,12 steigen die Engel zunächst hinab und dann hinauf. 87 Ab hier beginnen die Bezüge zur sog. „Erzählung des Aphroditian“ - cf. Bratke, Religionsgespräch (1899); Heyden, Erzählung (2009). Zur Oben-Unten-Typologie cf. Ode Sal 34,4-5. 88 Joel 3,1-5; Apg 2,17-21. 89 Cf. 4 Esdr 5,5; Barn 12,1 (nach Bonwetsch, Leiter, 84; Weinel, Apokalyptik, 173) 90 Die Palaea bezieht den Vers auf Lk 1,41. 91 Cf. Jes 42,1-4; Mt 12,18-21. Quellentexte 328 6. Die Erde wird lobpreisen, da sie die Herrlichkeit des Himmels empfangen wird. 92 Was oben war, wird unten sein. 93 7. Aus deinem Samen wird eine königliche Wurzel erblühen, 94 sich verzweigen und die Macht des Bösen brechen. 8. Allen Ländern wird er ein Erlöser sein und den Geplagten Frieden bringen. 95 9. Eine Wolke, die alle Welt vor der Hitze schützt. 96 10. Wie wäre sonst das Geordnete geordnet worden, wäre er nicht gekommen? Wie wäre sonst das Untere mit dem Oberen verbunden? 97 11. Bei seinem Kommen werden die kupfernen und steinernen Kälber 98 drei Tage lang ihre Stimme erheben. 99 12. Diese werden den Weisen die Kunde von ihm überbringen und sie werden sich durch den Stern den Weg zu ihm bahnen, 100 damit sie den Kommenden auf der Erde erkennen, den die Engel in der Höhe nicht gesehen haben. 101 13. Dann wird der Allmächtige 102 im Leib auf der Erde erscheinen und leibliche Hände werden ihn umarmen. 103 14. Er wird die menschliche Natur erneuern und Eva 104 auferwecken, die durch die Frucht des Baumes starb. 105 15. Dann wird die Lüge der Verderbten und Gottlosen offenbar werden und alle Idole werden hinfallen. 106 16. Sie werden durch einen Würdenträger überführt werden, da sie sich Lug und Trug hingaben. 17. Sie werden fortan weder herrschen noch prophezeien können.. 18. Ihre Würde wird ihnen genommen werden und sie werden zu Schanden kommen. 107 92 Ščegolev, Skazanie, 182; Mil’kov, Apokrify, 188. 93 Der slavische Aphroditian-Text besagt das Gegenteil: „Was oben nicht geschehen war, geschah unten“ (Ščegolev, Skazanie, 182; Mil’kov, Apokrify, 188). 94 Jes 11,10. 95 Jes 61,1ff.; Lk 4,18-19. 96 Cf. Ode Sal 35, 1-2; Ščegolev, Skazanie, 182; Mil’kov, Apokrify, 188. 97 Ščegolev, Skazanie, 184; Mil’kov, Apokrify, 189. 98 Kol Sol: „und alle behauenen Idole“. 99 Ščegolev, Skazanie, S. 180-181; Mil’kov, Apokrify, S. 186-187. 100 Mt 2,1-12. 101 Zu dieser Tradition siehe AscIes 10, 11 f.; 20-31; Ščegolev, Skazanie, 182; Mil’kov, Apokrify, 188. 102 Kol Sol: „der Höchste“. 103 Ščegolev, Skazanie, 184; Mil’kov, Apokrify, 189. 104 Sol: „Adam und Eva“. 105 Cf. Röm 5,17-19; 1 Kor 15,21-22. 106 Ščegolev, Skazanie, 181; Mil’kov, Apokrify, 187; Heyden, Erzählung, 1.3. 107 Ščegolev, Skazanie, 182; Mil’kov, Apokrify, 188. Leiter Jakobs 329 19. Der Kommende wird ihre Herrschaft und Macht erlangen, 108 und die Wahrheit Abraham übergeben, wie er vorhersagte. 20. Er wird alles Scharfe glätten und das Rauhe ebnen. 109 21. Alle Ungerechtigkeit wird er in die Tiefen des Meeres werfen und Wunder im Himmel und auf der Erde wirken. 110 22. Und er wird inmitten des Hauses des Geliebten verwundet werden. Wenn er aber verwundet ist, dann ist das Heil nahe gekommen und das Ende aller Zerstörung. 111 23. Die ihn verwundeten werden aber einen Schaden auf sich nehmen, von welchem sie in aller Ewigkeit nicht ausheilen werden. 24. Die ganze Kreatur wird sich vor dem Verwundeten verbeugen und viele werden ihre Hoffnung auf ihn setzen. 112 25. In allen Ländern wird er kundgetan werden. Wer seinen Namen erkannt hat, wird nicht zu Schanden kommen. 26. Seine Macht und seine Jahre werden in aller Ewigkeit nicht nachlassen. 113 108 Mt 28,18. 109 Jes 40,4; Lk 3,4-6. 110 Joel 3,3; Apg 2,19. 111 Ščegolev, Skazanie, 181; Mil’kov, Apokrify, 187. 112 Röm 15,12. 113 Mt 28,16-20. 2. Pseudopatristische Fragmente Die apokalyptischen Exkurse, die namhaften Kirchenvätern zugeschrieben wurden, sind nicht in höherem Maße „pseudepigraph“ als die verwandten außerbiblischen Offenbarungsschriften, ja sie knüpfen teilweise an „echte“ Originalwerke an und führen schon bestehende, vorgezeichnete Argumentationslinien weiter. Die Texte sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Sie belegen die noch immer gültige Autorität altkirchlicher Schriftsteller in Byzanz und in der Slavia Orthodoxa und vermitteln eine intime Kenntnis ihrer theologischen Ansätze. Zum anderen bezeugen sie das wenig studierte Phänomen pseudopatristischer Apokalypsen - die Heranziehung genuin christlicher Autoritäten für die ständig voranschreitende Produktion eschatologischer Literatur. 1 Für die Autorschaft von Offenbarungsschriften wurde eine Reihe von „Altvorderen“ reklamiert. Der bekannteste Name in diesem Kontext ist Methodius von Patara (†311); obwohl sein Bischofsamt in der Stadt nicht sicher verbürgt ist, wurden ihm in den wechselnden Überschriften der ihm zugedachten „Offenbarungen“ aus dem 7. Jh. weitere Bischofssitze angetragen (Olympos und gar Rom). Zeitgleich wurde eine andere „anti-islamische“ (denn das ist ja die Intention dieser Texte) Apokalypse dem Kirchenvater Ephraem Syrer (306-373) zugeschrieben, einer der bedeutendsten Autoritäten der syrischen Kirche, was die drängende Priorität der Auseinandersetzung mit dem expandierenden Islam offenlegt. 2 Das Corpus der „Pseudo-Chrysostomica“ ist nicht abschließend beschrieben, vor allem was die slavische Tradition betrifft. 3 Dem wären aber diejenigen Apokalypsen hinzuzufügen, die Johannes Chrysostomus (†407) als ihren Autor nennen. 4 Im konkreten Fall handelt es sich um eine Aktualisierung von „Komputationen“ (Berechnungen des Endzeittermines) im Zusammenhang einer starken Wiederbelebung der byzantinischen Apokalyptik des 10. Jh. Dabei ging ew wohl weniger um das Jahr 1000 als um die Mitte des siebten Millenniums 1 Petkov, Techniques of Disguise, 241-252. 2 Siehe Kap. V.1 („Offenbarungen des Pseudo-Methodius“). 3 Uthemann (ed.), Homiliae Pseudo-Chrysostomicae I (1994); Lunde, Pseudo- Chrysostomica Slavica, 5. 4 Erwähnt wurden bereits zwei pseudo-chrysostomische Apokalypsen in byzantinischer Überlieferung (2 ApcIoh apocr; eine Daniel-Apokalypse) und die dualistische Schrift vom Kampf Michaels mit Satanael, die ebenfalls Johannes Chrysostomus als Autor nennt. Pseudopatristische Fragmente 331 seit der Erschaffung der Welt, die auf das Jahr 992 fiel und in Byzanz die endzeitliche Phantasie beflügelte. 5 Das „komputistische“ Genre wurde auch in der altslavischen Literatur aufgenommen und fortgeführt. 6 Ein Beleg dafür sind die drei Fragmente, die den Parusie-Termin im Zusammenhang der Weltwoche auszurechnen suchen. 7 Der erste Text wird explizit Hippolyt von Rom (†235) zugedacht (Hipp Fragm I sl). Er wird als „Homilie über den Daniel-Kommentar“ bezeihnet und verrät tatsächlich eine Nähe zum Originalwerk (Hipp Dan IV, 23, 2-5). Das zweite Fragment wird in zwei der insgesamt drei Abschriften ebenfalls ihm zugeschrieben (Hipp Fragm II sl). Der letzte Extrakt nennt Hypatius von Ephessos (†540) als Autor (Hyp Fragm sl) und bezieht sich auf die Johannes-Offenbarung 20,6-10. 8 Die Auszüge wurden wohl schon gegen Ende des 9. Jh. ins Altbulgarische übersetzt und im Verlaufe des 11. Jh. aktualisiert, jeweils mit Bezug auf das Jahr 1042 und 1092. 9 Die Textzeugen sind: - Hipp Fragm I sl: Cod. 651, 13. Jh. (=Drag 651), f.247b; Cod. 382, Ende 13.- Anfang 14. Jh. (= Chil 382), f.36a-36b; 10 Cod. 74 („Scaliger Peterikon“), Universitätsbibliothek Leiden, 13. Jh., fragmentarisch 11 - Hipp Fragm II sl: Sammelcodex des Čudov-Kloster, Weißrussland, 15. Jh. 12 ; Synodalsammlung, Moskau, Lesemenäen für den Monat September, 16. Jh. 13 ; ukrainische Abschrift aus dem 16. Jh. aus der Sammlung von Iv.Franko 14 - Hypatius-Fragment (wie Hipp Fragm I sl): Cod. 651, 13. Jh. (=Drag 651), f.248b; Cod. 382, Ende 13.-Anfang 14. Jh. (= Chil 382), f.35b-36a; 15 Cod. 74 („Scaliger Peterikon“), Universitätsbibliothek Leiden, 13. Jh. 16 5 Cf. Landes, Gow & van Meter (ed.), Apocalyptic Year (2003) und insb. Magdalino, Year 1000, 233-270 in Bezug auf Byzanz; die Unterscheidung der eschatologischen Bedeutung von Christo-natu-Chronologie und Anno-mundi-Zeitrechnung verdanke ich Dr. Ekkehard Kraft (mündliche Mitteilung). 6 Ausführlich dazu Turilov, O datirovke, 27-38. 7 Zur Kategorie der Weltwoche siehe Wilkenhauser, Herkunft, 1-24; idem, Weltwoche, 399-417; Daniélou, Typologie, 1-16; Wolfson, Arguments, 351-368; Kötting & Geerlings, Art. „Aetas“, 457-479; Podskalsky, Herleitung, 455-458; Podskalsky, Représentation, 439-450. 8 Zu den griechischen Vorlagen siehe Podskalsky, Reichseschatologie, 96-98. 9 Cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 184 und die hier genannte Literatur. 10 Textausgabe ibid., S. 187 (Drag 651 und Chil 382). 11 Veder, Paterikon II, 139-141. 12 Text bei Speranskij., 31-32. 13 Text bei Sreznevskij, Svedenija i zametki, 506-514 und Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 184-185. 14 Text bei Franko, Apokrifi IV, 356-357. 15 Text von Drag 651 und Chil 382 bei Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 190. 16 Veder, op.cit., 139-141. Quellentexte 332 Homilie des Hippolyt von Rom über den Danielkommentar 17 1. Und Gott sagte vom Antichrist: „Wenn ihr das Gräuelbild der Verwüstung am heiligen Ort stehen seht: Der Lesende möge verstehen! “ 18 2. Auch der Apostel sagte : „Lasst euch von niemandem verführen, auf keine Weise, denn zuvor soll die Apostasie kommen, sodann der Sohn der Gesetzlosigkeit, der Sohn des Verderbens, der sich widersetzt und erhebt gegen alles, was Gott oder Heiligtum ist, der sich in die Kirche Gottes setzt und vorgibt, er sei Gott.“ 19 3. Denn es wird ihn der Herr bei seinem Kommen mit dem Hauch seines Mundes umbringen. 20 4. Welches Reich hat [die Herrschaft] inne? Sie ist nicht jedem gegeben, sondern dem griechischen Reich, dem vierten Tier. 21 Wenn es erobert ist, wird daraus der Betrüger hervorgehen, der mitten darin verweilte. 22 5. So wie in Sodom und Gomorra: Als sich ihre [Übel-]Taten vermehrten, fuhr Feuer auf sie hernieder und vernichtete sie. 23 6. So wird es nun kommen: Wenn sich die Gesetzlosigkeit in der Welt vermehrt, wird das derzeit eiserne [Reich] in zehn Reiche zerfallen. 24 Es wird Aufruhr und Zwietracht geben, 25 andere werden von tödlichen Seuchen heimgesucht werden. 7. Dann wird dies [Reich] zu Ende gehen, nicht der Bosheit wegen, sondern weil die Vollendung kommt. 26 8. Es herrschten als erste die Babylonier, nach ihnen die Perser, sodann die Hellenen, nach ihnen die Griechen, deren Jahre nun dem Ende zugehen. 27 17 Übersetzung des kirchenslavischen Textes nach Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 187. 18 Dan 9,27; 11, 31; 12,11; Mk 13,14 par. 19 2 Thess 2,3-4 (im angepassten Wortlaut). 20 2 Thess 2,8; Offb 19,15. 21 Dan 7,7-11. 22 Die Auffassung, dass der Antichrist nach dem Untergang von Byzanz zu erwarten ist, ist z.B. in der Andreas-Salos-Apokalypse bezeugt. Nach VAS 3989-3999 leitet die Vernichtung von Konstantinopel in den Meereswogen „den Anfang der Wehen“ ein. 23 Gen 19,23-25 par. 24 Dan 7,7-8.20-28. 25 Mk 13,7. 26 Diese Auffassung grenzt sich von moralistischen Deutungsmustern ab. Die Vollendung kommt unabwendbar, „ohne Zutun von Menschenhand“ (Dan 2,34). 27 Die Herrschaftsabfolge nach Dan 2 ist bei Hippolyt ist in Wirklichkeit anders (Babylonier, Perser, Griechen, Römer); cf. Podskalsky, Reichseschatologie, 9-10. Zur Sukzession der Großreiche cf. Koch, Rezeption (hier insb. das Schema auf S. 43); zum breiteren Hintergrund cf. Delgado, Koch & Marsch (Hg.), Europa (2003). Pseudopatristische Fragmente 333 9. Auch die tausend Jahre seit der Menschwerdung Christi gehen nach der Offenbarung des Johannes dem Ende zu, zuletzt auch die zehn Reiche. 28 10. Aus diesem Reiche sich erhebend wird der Antichrist auftreten: Er wird einen Krieg führen und die Heiligen verfolgen. 29 11. Dann nämlich gilt es der Ankunft des Herrn zu harren - in der Mitte des siebten Jahrtausends, 30 denn der Sabbat ist ein Vorbild für alle Kreaturen. 12. Und nach den heiligen [Schriften] ist er ein Ebenbild des kommenden Reiches der Heiligen, wenn sie alle mit Christus herrschen werden, der vom Himmel herabkommt, wie Johannes in der Offenbarung sagte. 31 13. [Denn] „Ein Tag des Herrn ist wie tausend Jahre“. 32 28 Offb 13,1-10; 17,3-18. 29 Offb 13, 7. 30 Wörtlich „wenn das siebte Jahrtausend halbiert ist“. 31 Offb 19,11-16; 20,4. 32 Ps 90,4; 2 Petr 3,8. Quellentexte 334 Erklärung der verborgenen Worte 33 in der Offenbarung Johannes’ des Theologen, da es um Vollendung des Zeitalters geht. 34 Hippolyt von Rom 35 1. Es steht also in der Offenbarung Johannes’ des Theologen folgendermaßen geschrieben: „Ich sah einen Engel vom Himmel herabkommen, der den Schlüssel zum Abgrund und ein großes ehernes Seil in seinen Händen hatte, und die alte Schlange, dies ist der Teufel Satanael. Und er fesselte ihn für tausend Jahre und warf ihn in den Abgrund, verschloss und versiegelte ihn dort, auf dass er die Völker nicht verführe, bevor die ihm zugewiesenen tausend Jahre erfüllt sind. Und danach soll er für wenige Jahre losgelassen werden.“ 36 2. Lasst uns über die vorhergesagte Loslassung nachdenken. Mit dem Evangelisten: Wann ist wohl seine Fesselung anzusetzen? [Bestimmt] mit der Höllenfahrt unseres Herrn Jesus Christus im Jahre 5533. 37 Das ergibt das Jahr 6533, da die tausend Jahre erfüllt sind. Darnach wird Satan nach dem gerechten Gerichtsurteil Gottes losgelassen werden, um die Welt zu verführen gemäß der ihm bestimmten Zeit, dies sind dreiundeinhalb Jahre. 38 Und dann wird die Vollendung sein. 3. Von Adam bis Noah sind es 2240 Jahre, von Noah bis Abraham 1170 Jahre, von Abraham bis Mose 444 Jahre, von Mose bis König David 519, und von David bis Christus 1045 Jahre. Die Summe ergibt 5500 Jahre. 39 4. Im Jahre 42, 40 am 25. Dezember um die siebte Stunde wurde unser Herr Jesus Christus im Fleisch von der Gottesmutter, der immerwährenden Jungfrau Maria geboren. 33 Wörtlich „des nicht Ausgesprochenen“ (neizrexenago). 34 Die Übersetzung von Hipp Fragm II sl erfolgt nach einem Paschale aus dem 16. Jh., Sammlung des Čudov-Kloster; Text bei Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 184-185 (Wiedergabe der Edition von Speranskij, Materialy, 31-32). 35 Die Zuschreibung an Hippolyt erfolgt in den Lesemenäen (15. Jh.) und der ukrainischen Übersetzung (16. Jh.). 36 Offb 20,2-3 (Zitat nach der Einheitsübersetzung angepasst). 37 Zum descensus-Motiv siehe die sog. Fragen des Bartholomäus (1,28-35) und das Nikodemus-Evangelium (Kap. 17-27). Im Prolog hierzu wird die Kreuzigung Jesu in das 19. Regierungsjahr von Kaiser Tiberius datiert; cf. Klauck, Evangelien, 119-120. 38 Erneut Offb 20,3. 39 Der Komputator folgt damit einer wohlbekannten Tradition, die auf Julius Africanus und Hippolyt von Rom zurückgeht. Allerdings unterläuft ihm hierbei eine Abweichung: Die Summe der von ihm genannten Teilwerte beträgt nicht 5.500, sondern 5.418 Jahre. Wie kam es dazu? Denkbar wäre einmal eine Verschreibung beim Diktat, so bei der Zeitspanne von Mose bis David (519-591). Eingerechnet einer Verwechslung des kyrillischen Kopisten von n (50) zu m (40) jeweils bei der Zeitspanne von Noah bis Abraham (2240- 2250) oder von Abraham bis Mose (444-454) würde dies genau die Summe 5.500 ergeben. 40 Wohl eine Verwechslung kyrillischer Zahlenwerte. Pseudopatristische Fragmente 335 5. Nun sind seit der Erschaffung der Welt 6550 Jahre vergangen, der Indiktion nach [geschah dies] im sechsundzwanzigsten Sonnenzyklus, im vierzehnten Mondzyklus. 41 41 Diese Zeitangabe entspricht dem Jahre 1042; cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 184. Quellentexte 336 Homilie des heiligen Hypatius von Ephesos darüber, wann die Vollendung dieses Zeitalters sein wird 42 1. Der große Petrus sprach von einigen Herumirrenden[, die fragten]: „Was ist mit der Verheißung seiner Ankunft? Seit unsere Väter starben, bleibt alles so wie seit Anfang der Schöpfung.“ 43 2. Zu den Gehorsamen und Treuen sprach er hierüber [allerdings folgendermaßen]: „All das soll nicht verborgen bleiben, liebe Brüder, dass bei dem Herrn ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag sind.“ 44 So währt also ein [Schöpfungs-]Tag tausend Jahre. 45 3. Die künftige Vollendung wird aber die Geheimnisse der ersten Ankunft offenbaren. 4. Und von diesem Offenbarwerden sprach er wiederum, mahnend: „Dieser Tag wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Die Himmel werden krachend vergehen. Die Elemente werden aufflammen und auseinander fallen. Die Erde wird verbrennen, und alles, was auf ihr liegt.“ 46 5. In sechs Tagen schuf Gott alles, was seins ist; sein letztes Werk waren die ersten unseres Geschlechts, die er am sechsten Tag, am Mittag gleich schuf. Am siebten Tag ruhte er. 6. Daraufhin beschloss Gott, den Menschen nach Ablauf der ersten Hälfte des sechsten Jahrtausends zu erneuern. So geschah die Menschwerdung und so wurde er geboren. 47 7. So wurde auch die Vollendung nach Ablauf der ersten Hälfte des siebten Jahrtausends angesetzt. 48 8. So sprach auch Johannes in seiner Offenbarung: „Selig, wer an der ersten Auferstehung teilhat, dies ist die erste Ankunft Christi. Über sie wird der zweite Tod keine Macht mehr haben. Sie werden Heilige Gottes, Jesu Christi sein. Und sie werden mit ihm tausend Jahre herrschen. 49 42 Übersetzung von Hyp Fragm sl nach Drag 651 und Chil 382; Text bei nach Tăpkova- Zaimova & Miltenova, op.cit., 190. 43 2 Petr 3,3-4. 44 2 Petr 3,8; cf. Ps 90,4. 45 Wörtlich „Dieser eine [gegenwärtige] Tag also währt tausend Jahre”. 46 2 Petr 3,10. 47 „So wurde [Jesus] geboren“ oder „so wurde [der Mensch neu-] geboren“? Zur Datierung von Jesu Geburt im Jahre 5500 durch Hippolyt und Julius Africanus siehe die unter den Hippolyt-Fragmenten genannte Literatur; Zusammenfassung bei Brandes., 24-63, insb. S. 29; Magdalino, End of time, 119-133, insb. S. 120. 48 Zur Vollendung des Zeitalters um das Schöpfungsjahr 6.500 resp. um das Christusjahr 1.000 siehe ferner Magdalino, History of the Future, 3-34. 49 Offb 20,6. Pseudopatristische Fragmente 337 9. Und nach den tausend Jahren wird Satan aus seinem Gefängnis freigelassen werden. 50 10. Er wird heraustreten, um Gog und Magog an den vier Ecken der Erde zu verführen und zur Schlacht mit den Brüdern zu versammeln. Ihre Zahl ist wie die Sandkörner am Meer. 51 11. Sie werden über die weite Erde hinausströmen und die Schar der Heiligen gefangennehmen, auch die geliebte Stadt. Und es wird Feuer vom Himmel auf Gog und Magog herabkommen und sie verzehren. 52 12. Und der Teufel, der Verführer, wird in den See des lodernden Feuers geworfen, wo das Tier und die falschen Propheten sind. Und sie werden Tag und Nacht gefoltert werden, in alle Ewigkeit.“ 53 13. Jenen Tag und jene Stunde kennt aber niemand, denn Gott hielt sie verborgen. 54 14. Jene Zeit wurde niemandem offenbart außer im Gleichnis des Herrn: „Die siebte Tausend wird die letzte sein.“ Es wurde [darin] kundgetan, dass der letzte Tag der siebte ist. 55 15. So sollen wir wachsam bleiben, ohne zu wissen, ob seine Ankunft morgens, abends oder mitternachts geschehen wird, nach dem Gleichnis, welches jener, der die Menschen lieb gewonnen hat, von den Jungfrauen erzählte: „Um Mitternacht erhob sich laut der Schrei: „Siehe, der Bräutigam kommt! “ 56 50 Offb 20,7. 51 Offb 20,8. 52 Offb 20,9. 53 Offb 20 10. 54 Mk 13,32 par. 55 Dies ist im Grunde die zu beweisende These des Fragments. 56 Mt 25,6. 3. Tiburtinische Sibylle Die traditionsreiche Sibyllinen-Literatur wurde im späten 4. Jh. in der Gestalt der sog. Tiburtinischen Sibylle in apokalyptischer Lesart neu aufgelegt. Der Text wurde ursprünglich in griechischer Sprache in der Gestalt einer Tramvision mit anschließender eschatologischer Deutung niedergeschrieben (Constans-Vaticinium). Die verlorengegangene Urfassung, die den Titel „Heliopolis-Orakel“ (P. Alexander: „Oracle of Baalbek“) trug, wurde ins Lateinische übertragen. Die lateinische Version wurde im Anschluss an die antike Tradition der Sibylle von Tibur (heute Tivoli, Italien) zugeschrieben und ausgiebig rezipiert (über 100 Abschriften). Um die Wende des 10.-11. Jh. wurde der lateinische Text um die Namen deutscher und langobardischer Herrscher erweitert. Die griechische Tradition ist durch nur drei Manuskripte vertreten (12., 14. und 15.-16. Jh.) und überliefert eine Bearbeitung des Baalbek-Orakels zu Beginn des 6. Jh. 1 Von einer nicht näher bekannten byzantinischen Vorlage verzweigen sich die slavischen Textzeugen, die in gut einem Dutzend Handschriften aus der Zeit vom 14. bis 18. Jh. enthalten sind. Daran wird die Verbreitung der „Sage von der Sibylle“ (slovo kann auch „Homile“ bedeuten) in bulgarischen, serbischen und russischen Codices vom 15. bis 18. Jh. erkennbar; der Text gelangte von den Südzu den Ostslaven wohl über moldauische bzw. walachische Vermittlung. 2 Die anschließend dargebotene deutsche Übersetzung gibt unkommentiert die lange Textfassung nach Cod. 433 (Panagjurište-Sbornik), Nationalbibliothek Kyrill-und-Method, Sofia, f.616b ff. wieder. 3 Deutlich wird beim Durchgang durch den Text die folkloreske Färbung in der Exposition sowie die Auslassung des eschatologischen Schlussteils (Kampf des Endkaisers mit dem Antichrist, Besiegung durch Erzengel Michael). 1 Cf. Buitenwerf, Tiburtine Sibyl, 176-181; Holdenried, Sibyl (lateinische Tradition); Alexander, Oracle („Orakel von Baalbek“). 2 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 251-253. 3 Ibid., S. 264-268. Tiburtinische Sibylle 339 Sage von der Sibylle 4 I. [Werden und Wirken der Sibylle] 1. König David, der Prophet, hatte große Begierde in sich. Wenn er saß, strömte seine Manneskraft von ihm aus. Man legte ein Gefäß unter ihn und seine Manneskraft kam hinein. Eines Tages einer seiner Diener wischte das Gefäß mit Gras ab und warf es weg. 2. Eine Gans nahm es, fraß es und legte ein Ei. Aus diesem Ei schlüpfte ein Kind, es war weiblich, mit Füßen wie eine Gans. 5 3. Insgeheim wurde dies König David gemeldet. König David aber, als er in Erfahrung brachte, wie dies geschehen war, befahl: „Bringt es in das Land Ugr! “ 4. Man gab ihr den Namen Maria, da sie sehr schön und weise war, mehr als alles andere auf der Welt. 5. Daher nannte sie sich Sibylle, die weiseste von allen Herrschern. Sie bemächtigte sich des ganzen Landes Ugr und herrschte in Rom. 6. Sie prophezeite von Christus, wie Gott zu David sprach: „Den Spross deiner Lenden werde ich auf deinen Thron setzen“. 7. Sie war in aller prophetischen Rede bewandert. So hoffte sie sehr, dass aus ihr der Christus geboren werden wird, und bewahrte ihre Jungfräulichkeit, bis hundert Richter den gleichen Traum hatten. 8. Dann sah die Sibylle ein, dass jenes nicht in Erfüllung gehen wird, worauf sie ihre Hoffnung gerichtet hatte. II. [Der Traum der hundert Richter] 1. Die Richter aber sprachen zu ihr: „Herrin, wir werden dir von einem Traum berichten, den wir gesehen haben, damit du ihn für uns auslegst.“ 2. Da sprach die Sibylle: „Berichtet, was ihr gesehen habt, damit wir aus dieser Rede Einsicht gewinnen können! “ 3. Die hundert Richter antworteten ihr folgendermaßen: „Unsere Herrin, wir sahen im Traum ein Gesicht. An jenem Tag sahen wir neun Sonnen über die Welt strahlen.“ 4. Die Sibylle fragte: „Schildert mir, wie ihr die neun Sonnen gesehen habt.“ 4 Slovo w Sivil7 („Sage, Erzählung, Homilie“). 5 Der Gänsefuß beruht auf einer Kontamination mit der Königin von Saba (= „Sibylle“) und der Legende vom Kreuzholz. Das Motiv ist weit verbreitet; cf. Götz, Sibylle von der Teck, 118 (Abbildung von 1520). Quellentexte 340 5. Und die hundert Richter sprachen zu ihr: „Die erste Sonne hatte viele Strahlen und schien sanft, schien wunderschön und strahlte über die Welt. 6. Die zweite Sonne war schön wie ein Blitz, hatte eine Flamme. 7. Die dritte Sonne war blutstrahlig, verfinsterte sich dreimal und trug eine wundersame Flamme. 8. Die vierte Sonne war gleich blutstrahlig, glühte stark und mitten darin erschien ein königlicher Thron. 9. Die fünfte Sonne strahlte mit blaurotem Schein und flößte uns Angst wie bei einem Donner ein. 10. Die sechste Sonne strahlte wie Schnee, es war uns angenehm, sie anzuschauen. 11. Die siebte Sonne war heiß und blutig, es wurde uns bange bei diesem Anblick. 12. Die achte Sonne war wolkig, eine Hand aus ihrer Mitte streckte sich über die Welt. 13. Die neunte Sonne war die furchtbarste von allen, schwarzstrahlig und von einem blauen Ring umschlossen.“ III. [Bulgaren-Orakel] 1. Da antwortete ihnen die Sibylle: „Die neun Sonnen sind neun Völker. 2. Das erste Volk sind die Slaven, das heißt die Bulgaren: Gutmütig, gastfreundlich, demütig, wahrhaftig und barmherzig, die Fremden und das Christentum liebend. Diese werden Gott den orthodoxen Glauben bezeugen, die Kirche liebend. IV. [Orakel über die Georgier] 1. Das zweite Volk sind die Georgier: Sanftmütig, die Fremden liebend, barmherzig, lieb, den Priestern Ehrerbietung erweisend, nach Gott fragend. V. [Griechen-Orakel] 1. Das dritte Volk sind die Hellenen, das heißt die Griechen. Sie setzen ihre Könige ab, vermischen sich mit allen Völkern, prahlen, legen falsches Zeugnis ab, sind überheblich, goldgierig und bestechlich in ihrer Rechtsprechung. 2. Dreimal werden sie in ihrem Glauben schwanken, dann allerdings Gott die Herrschaft übergeben, da sie die Kirche lieben. Tiburtinische Sibylle 341 VI. [Juden-Orakel] 1. Das vierte Volk sind die Juden, von Gott zu vielem auserwählt. 2. Aus den Juden aber wird eine Frau hervorgehen - die Gottesgebärerin Maria. Sie wird ein Kind gebären und man wird ihm den Namen Jesus geben. 3. Er wird den jüdischen Glauben niederlegen und das wahre Gesetz aufrichten. Herrschen wird er ewiglich vom Osten bis hin zum Westen. Ihm werden sich die Himmel öffnen und seine Worte werden auf der Erde festbleiben. 4. Aus dem Himmel wird eine Stimme erschallen und eine Engelschar wird seinen Thron tragen, sechsflügelige Cherubim werden sich ihm zu Füßen verbeugen. 5. Zwölf Männer werden aus Galiläa hervorgehen und sein Gesetz fest aufstellen. Aus dem Himmel wird seine Stimme erschallen und zu ihnen reden: „Was ihr von mir empfangen habt, gebt es allen zweiundsiebzig Völkern.“ 6. Dann sagten die jüdischen Hohepriester zur Sibylle: „Genug der Orakel, Herrin, hör auf! Etwas anderes erfragen wir bei dir! “ 7. Da sprach die Sibylle zu ihnen: „Was wollt ihr [damit] sagen? Aus der Heiligen Schrift haben wir gehört, dass Gott auf der Erde sichtbar werden wird! “ 8. Sie entgegneten: „Herrin, glaubst du, das es so sein wird? “ 9. Die Königin fragte sie: „Glaubt ihr das etwa nicht? “ 10. Die Juden aber entgegneten: „Wahrhaftig, wir glauben es nicht. Wie soll das sein, dass er auf die Erde herabkommt und von einer Jungfrau geboren wird? Wahrhaftig, dem wird so nicht sein! “ 11. Darauf erwiderte die Sibylle: „Weh euch, mein Volk, das Gesetz wird euch nichts nutzen! So spreche ich zu euch: Gott wird auf die Erde herabkommen. Er wird zugleich wahrer Vater und wahrer Sohn sein. 12. Die Könige aber werden sich gegen ihn erheben und ihn umzubringen suchen. Diese Könige werden allerdings zugrunde gehen, und viel anderes wird noch um seinetwillen geschehen.“ 13. Jene aber sagten: „Wahrhaftig, Sibylle, du sagst die Wahrheit! Groß werden seine Taten auf der Erde sein: Um seinetwillen wird man Kinder mit ihren Müttern umbringen, und Blut wird wie Flüsse vergossen werden. Diese Könige werden wie Eis zergehen, die aber an ihn glauben werden am Leben bleiben. Mit Galle werden sie ihn tränken und an einem Holz aufhängen. Danach werden sie von vielen Zeichen hören, die er auf der Erde tat. Dann wird das heilige Kreuz erscheinen, an welchem Christus gekreuzigt werden wird. Vor diesem Holz wird sich die ganze Welt verbeugen.“ Quellentexte 342 14. Die Juden aber sagten: „Lass uns wissen, woher wird das Holz des Kreuzes genommen werden? “ 15. Die Sibylle sagte: „Dieses ist das Holz, weswegen Adam aus dem Paradies vertrieben wurde. Dann werden alle Menschen zusammenkommen und ihn kreuzigen. Große Wunder werden durch ihn geschehen! Vielen wird er zu trinken geben. Weh denen, die nicht an ihn glauben! “ VII. [Franken-Orakel] 1. Das fünfte Volk ist das fränkische. 2. Drei Könige werden sich erheben und viele Taten im Namen Gottes vollbringen. 3. In der Stadt der Sonne und an den Kirchen in den Bergen werden sie viele Schlachten liefern und ihren Mut als Erbe hinterlassen. VIII. [Orakel über die Syrier] 1. Das sechste Volk ist das syrische. 2. Aus ihm werden sich zwei Könige erheben und viel Unruhe unter den Menschen in all den Jahren ihrer Herrschaft stiften. 3. Könige werden hier zusammentreffen. Ein Gericht wird über sie gehalten werden und man wird ihre Krieger im Namen Jesu Christi niedermetzeln. 4. Alsbald wird sich ein König aus zwei Geschlechtern erheben, sein Name Konstantin. Aus Rom wird er hervortreten und als Krieger dienen, von Gott auserwählt. Die Kirchen der Untreuen wird er zerstören und den Hellenen Demut zuteil werden lassen. Ein großes Opfer wird er Gott darbieten, und ein Zeichen wird ihm am Himmel erscheinen. 5. Seine Mutter wird hervortreten, die ruhmreiche Helena, und das Kreuz auffinden, an welchem Christus, der Sohn des lebendigen Gottes gekreuzigt wurde. 6. Und eine große Stadt wird er errichten: Dies wird das Neue Jerusalem sein, den Griechen eine Festung, den Heiligen ein Ruheort, den Königen eine Zierde. 7. Man wird ihr den Namen „Stadt der Könige“ geben. IX. [Orakel über die Arkadier] 1. Das siebte Volk ist das arkadische. Sie werden Rom in ein Getümmel verwandeln, und trotzdem wird Rom groß bleiben. 2. Unter den Franken werden sie Blut vergießen. Tiburtinische Sibylle 343 X. [Sarazenen-Orakel] 1. Das achte Volk sind die Barbaren, d.h., die Sarazenen. 2. Ein König wird sich erheben, sein Name Löwe der Vater des Kyrill Philosoph. 3. In diesen Tagen werden Erdbeben und Hungersnot in den Städten geschehen. Große Schlachten werden stattfinden und viele werden umkommen. 4. Eine Hündin, die Frau dieses Königs, wird sich erheben. Sie wird einen Sohn gebären und ihm den Namen Löwen Konstantin geben. 5. Dieser wird Syrien verwüsten und Jerusalem belagern. 6. Diese Frau wird fünfzig Jahre leben. 7. Die Sarazenen aber werden Jerusalem dreihundert Jahre beherrschen. XI. [Tataren-Orakel] 1. Das neunte Volk sind die Tataren. 2. In diesen Zeiten werden sich die Jahre, die Tage und die Stunden verwandeln. 3. Krieger aus dem Osten werden sich erheben und vor ihnen werden Gegenden und Städte erzittern, blutiges Heulen wird aus ihnen aufsteigen. Da, wo sie Krieg führen, wird das Blut wie Wasser fließen. Die ganze Erde werden sie zerfressen. 4. Umkommen werden sie aber durch einen Menschen mit dem Namen des Erzengels Michael. 4. Offenbarung des Pseudo-Methodius Die Offenbarung des Pseudo-Methodius ist eine der meistverbreiteten und wirkungsvollsten Apokalypsen, die eine neue Ausrichtung des Genres markiert. Der ursprünglich syrische Text wurde bald nach seiner Entstehung im späten 7. Jh. ins Griechische und Lateinische übersetzt. Hieraus gingen zahlreiche Fassungen in anderen Sprachen hervor. Eine Besonderheit des Pseudomethodius ist seine Rezeption in anderen Apokalypsen, die noch nicht genau nachgezeichnet worden ist. Auch in den slavischen Literaturen wurde der Text wiederholt übersetzt und vor allem in den Daniel- und Jesaja-Apokalypsen ausgiebig rezipiert. Die erste, altbulgarische Übertragung aus dem 10. Jh. wurde indes im 11. Jh. neu aufgelegt und zusammen mit anderen geschichtstheologischen Offenbarungsschriften auf die politische Situation im bulgarischen Südwesten während der byzantinischen Herrschaft (1018-1085) bezogen. Untenstehend wird eine Übersetzung nach der Bearbeitung in Cod. 651 (632) der Belgrader Volksbibliothek aus der zweiten Hälfte des 13. Jh. (RevPs- Meth sl Drag) geboten. 1 Die Kapitel- und Verszählung wird auf die syrischen, griechischen und lateinischen Texte des Pseudo-Methodius bezogen [in eckigen Klammern]. Anstatt eigener Anmerkungen sei auf deren ausführlich kommentierten Textausgaben verwiesen. 2 1 Text nach Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 167-173. 2 Reinink, Apokalypse I und Reinink, Apokalypse II (1993); Aerts & Kortekaas, Apokalypse I und Aerts & Kortekaas, Apokalypse II (1998). Offenbarung des Pseudo-Methodius 345 Des heiligen Methodius, Bischofs von Patara, wahre Weisung von den Königen und den letzten Tagen und Jahren I. [„Die unreinen Völker“ = RevPsMeth syr gr lat 8,1-10] 1. Höre also nun wie es in Erfüllung ging - wie sich vier Reiche zu einem zusammenschlossen: Äthiopien und Mazedonien, die Römer und die Griechen. Diese sind die vier Winde, die Daniel das große Meer aufwirbeln sah. 2. Philipp aber war Mazedonier und nahm sich zur Frau Chusita, die Tochter des Pholos, des äthiopischen Königs. Von ihr wurde der Grieche Alexander geboren. 3. Er war tapfer und gründete eine große Stadt, nannte sie Alexandria und herrschte darin neunzehn Jahre. Dann ging er nach Osten, tötete Darius den Meder, eroberte das Land und die Städte und vereinte das Land. Dann führte er Krieg und zog an das Meer [an das Land] mit dem Namen „Land der Sonne“. Dort stieß er auf unreine und stinkende Menschen diese sind sie Enkelsöhne des Japhet. 4. Als er ihre Unreinheit sah, wunderte er sich sehr, da diese Menschen alles summende Insekt und allerlei abscheuliche, übelriechende, abstoßende Tiere aßen: Mücken, Mäuse, Katzen, Schlangen, totes Fleisch, blinde Föten - Frühgeburten und allerlei Getier, kriechendes und unreines Vieh; die Toten begruben sie aber nicht, sondern aßen sie. 5. Als Alexander all die Widerwärtigkeit sah, die bei ihnen geschah, fürchtete er sich und sagte: „Wenn sie das heilige Land erreichen, werden sie es durch ihre üble Nahrung verunreinigen“. Da betete er zu Gott und ließ all die Männer, Frauen und Kinder und ihr ganzes Geschlecht versammeln, um sie aus den abscheulichen Ländern der Erde herauszuführen. 6. So trieb er sie in den Norden und ging hinter ihnen her, bis sie sich dem Norden näherten. Und man konnte weder zu ihnen kommen noch von ihnen gehen von Osten bis West. 7. Dann rief er im Gebet in Ehrfurcht mit lauter Stimme zu Gott. Gott aber erhörte den Betenden, Gott der Herr gebot den Ländern des Nordens, sie zu umschließen, sodass nur zwölf Ellen offenblieben. 8. So riegelte er sie mit einem Eisentor ab und mauerte es mit Asynketos zu, aus Glas, sodass es ihnen nicht möglich war, es zu zerschneiden, selbst wenn sie dies beabsichtigten. Denn der Asynketos ist so ein Stoff, den weder Eisen schneidet noch Feuer verbrennt, da er es gleich erlöscht, Quellentexte 346 9. damit alle List des Teufels behindert würde und keine böswilligen Zaubertaten diesen unreinen, widerwärtigen, abscheulichen Völkern gelängen. 10. So trieb er sie hinein, aber selbst wenn sie sich keiner List entsinnen, so wird [doch] in den letzten Tagen nach der Prophetie Ezekiels [geschehen], der sagte: „Bei der Vollendung der Welt werden Gog und Magog gegen das Land Israel losziehen“. Dies sind die heidnischen Könige, die Alexander jenseits des Nordens einschloss: Gog und Magog, Anug und Sanog, Achinaz und Dit, Totin, Oatin, Jeun, Tan, Zadeklem, Razmat, Tobelij, Febluj, Rezmatian, Chachon, Jarazmat und Garmind; Menschenfresser, genannt „Hundsköpfige“, Tarv, Alan, Tisolonoz, Arian, Saltarija diese vierundzwanzig Könige, die Alexander in den Zaun trieb und hinter denen er das Tor schloss. II. [„Die Söhne Ismaels“ = RevPsMeth syr gr lat 11,1-19] 1. An ihrer Statt werden sich die Söhne Ismaels, Hagars Enkelsöhne, gegen die Griechen erheben, wie der Prophet Daniel sagte: „Der Arm des Südens wird nicht widerstehen“. Sie werden im siebten Jahr der siebentausend Jahre in den Krieg ziehen. Und das Zeitalter wird nach ihnen nicht mehr währen, da die Vollendung der Welt nahekommt. Am Ende der siebentausend Jahre wird das Persische Reich zu Grunde gehen und der Stamm Ismaels aus der Etribischen Wüste herausströmen, alle werden sich im großen Gabaon versammeln. 2. Und hier wird das durch den Propheten Ezekiel Gesagte in Erfüllung gehen: „Du Menschensohn, ruf die Tiere der Wüste und die Vögel des Himmels und sag ihnen: Sammelt euch und kommet herbei, denn ich habe euch ein großes Opfer bereitet: Ihr werdet das Fleisch der Menschensöhne fressen und das Blut der Hofleute trinken“. 3. In diesem Gabaon werden alle hellenischen das heißt griechischen - Hofleute fallen, da sie niedergemetzelt werden vom Stamm der Ismaeliten, welche „wilde Esel“ heißen, denn sie wurden in Zorn und Wut auf die Erde losgelassen gegen die Menschen und gegen das Vieh, gegen die Tiere und gegen den Wald, und gegen die Früchte und gegen das Gebüsch. 4. Und die Ankunft wird eine gnadenlose Strafe sein, und davor werden vier Plagen hergehen: Tod, Verderbnis, Verwesung und Verheerung. 5. Denn Gott sagte zu Israel: „Siehe, nicht weil ich dich liebgewonnen habe werde ich dich in das Land der Verheißung führen, sondern wegen der Sünde seiner Bewohner“. So auch [geschieht es mit] den Söhnen Ismaels: Nicht weil er sie liebt hat er ihnen Kraft gegeben, das Offenbarung des Pseudo-Methodius 347 christliche Land einzunehmen, sondern der Sünde und der Gesetzlosigkeit wegen, darum tut er dies. In den Sünden aber kommt ihnen niemand gleich, weder in den Geschlechtern zuvor noch danach. 6. Denn die Männer kleiden sich in verführerische Weiberkleider, die Begierde erwecken, und wie Frauen zieren sie sich und wandeln über die Plätze und Märkte der Städte und verwandeln den natürlichen Brauch in einen widernatürlichen, wie der heilige Apostel sagte. So betragen sich auch ihre Frauen wie Männer. 7. So legten sich zu einer Frau Vater, Sohn und Bruder, ohne es zu wissen wegen der Vielzahl der Inzeste. Darum sagte der weise Paulus von ihnen, da er es vor vielen Jahren voraussah: „So hat Gott sie schändlicher Begierde ausgeliefert: Ihre Frauen verwandelten den natürlichen Brauch in einen widernatürlichen. So haben auch ihre Männer das natürliche Verlangen nach der Frau aufgegeben und verlangten einander und trieben Schändliches, Männer mit Männern. So wird ihnen eine Rache widerfahren, die ihrem Irrtum entspricht. 8. Darum wird Gott sie in die Hände der Heiden geben, damit ihre Frauen in Sünden und Gestank von den schändlichen Söhnen Ismaels geschändet würden. 9. Und das persische Land wird der Verderbnis und der Verheerung preisgegeben werden, und seine Bewohner werden gefangengenommen werden und durch das Schwert umkommen. 10. Sizilien wird verwüstet und seine Bewohner werden niedergemetzelt. Das syrische Land wird veröden und seine Bewohner werden niedergemetzelt. 11. So wird es auch Hellas ergehen: Die Griechen werden in Gefangenschaft oder auf der Flucht sein, und die Meeresinseln werden veröden, ihre Bewohner werden gefangengenommen oder niedergemetzelt. 12. Die Länder des Ostens - Ägypten und Syrien werden ohne Schonung unter das Joch der Fronarbeit und in maßloses Leid geraten. Dadurch wird man für einen Menschen nach seiner Kraft ein Maß Gold verlangen. Und die Bewohner Ägyptens und Syriens werden siebenmal mehr trauern als die Gefangenen. 13. Und die bewohnte Erde wird von den vier Winden des Himmels erfüllt und von Heuschrecken heimgesucht, die von den Winden eingefangen wurden. Es werden Hunger und Tod wüten. Und dann wird sich das Reich der Mörder erheben. Sie werden voller Hochmut sein und während der ihnen bestimmten Zeit großspurig daherreden. Sie werden bis zum Eingang und Ausgang des Nordens und bis Ost und West regieren. Alle werden unter ihrer Herrschaft sein: Menschen und Tiere, die Vögel des Himmels und die Meereswesen werden von ihnen unterjocht sein. Quellentexte 348 14. Selbst die Wüsten, die keine Bewohner haben, werden ihnen gehören. So werden sie über die Wälder und die Einöden, über die Fische des Meeres und die Tiere des Feldes, über die Bäume und das Land und die Steine gebieten. Der Überfluss der Erde wird in ihren Häusern sein, und die Mühe und der Schweiß der Landarbeiter. Die Häuser der Reichen und die Abgaben an die Heiligen ob Gold oder Silber, ob Edelsteine, ob Kupfer oder Eisen, ob kirchliche Gewänder oder Brote werden in jenen Jahren ihnen gehören. Und ihr Reich wird erhöht werden. Sie aber werden so unerbittlich sein, dass sie Tribut von den Toten fordern werden. 15. Die Witwen und die Waisen, die Mönche und die Greise werden sie in Verwahrlosung stürzen, die Bedürftigen schmähen, den Kranken nicht zur Seite stehen, sondern sie beschimpfen. Die im Gesetz Gottes Verankerten und die Gottesnarren und die von Sinnen sind werden nicht prophezeien können und in Angst und Stillschweigen werden sie sich nicht trauen zu antworten oder zu sagen, wie es sich damit oder damit verhält. Und alle Bewohner der Erde werden entsetzt sein, ihre Weisheit und ihre Weisung werden hinfällig und machtlos sein wie tot. Und es wird sich niemand finden, der ihnen entgegnen oder sie mit einem Wort schmähen könnte. 16. Und ihre Wege werden sich von Meer zu Meer und vom Norden bis zum Etribäischen Berg erstrecken. Ihr Weg heißt „Leid“ und auf diesem werden Greise und Greisinnen, Arme und Reiche, Hungrige und Durstige gehen und gefesselt sein. Und dann werden sie die Toten beneiden, denn diese Plage ist von Gott. 17. Wie der Apostel sagte: „Wenn die erste Plage kommt, wird der Mensch der Gesetzlosigkeit, der Sohn des Verderbens erscheinen. Diese Plage ist aber eine Strafe, und diese Strafe werden alle Bewohner der Erde auf sich nehmen. Denn Gott nannte sie „wilde Esel“ um Ismael ihres Vaters willen. Wilde Esel und Rehe und allerlei Getier werden aus der Wüste hervortreten. Und die Tiere werden umgebracht, die Waldbäume gefällt werden, und der schöne Wald wird zu Grunde gehen. Die Städte werden veröden, und die Erde wird menschenleer sein und nicht mehr begehbar; da verunreinigt durch das Blut wird sie ihre Frucht nicht mehr hervorbringen. Nicht weil Heer und Krieg toben, sondern weil sie Kinder der Wüste sind und zur Verwüstung kamen. Sie sind Verwüstung und zur Verwüstung sind sie gesandt worden. Widerwärtig sind sie und Widerwärtigkeit wird ihnen widerfahren. Aus der Wüste ziehend werden sie ihre Waffen an schwangeren Frauen erproben; die Kinder aus den Händen ihrer Mütter entreißen und totschlagen 18. und an heiligen Stätten werden sie sich zu ihren Frauen hinlegen. 19. […] Heuchler und Lügner. Offenbarung des Pseudo-Methodius 349 III. [„Der Abfall vom Glauben“ = RevPsMeth syr gr lat 12,4.7-8] 1. Dann werden die Jahre der Bosheit kommen. 2. Die Menschen aber werden geldgierig, überheblich, hochmütig, den Eltern gegenüber ungehorsam, unrein, gesetzlos, wild, voneinander wegblickend, unruhig, Verleumder, raffgierig, gnadenlos, Diebe, Denunzianten, Säufer, Lügner, Übeltäter, unverschämte Verräter sein, die eher die Begierde begehren denn Gott lieben und die zwar die Frömmigkeit zum Vorbild haben, von ihrer Kraft jedoch abgekommen sind. 3. Diese werden Diener ihrer Tage sein. Deshalb werden sie ohnmächtig im Glauben sein und in diesen Zeiten ihrer Strafe [würdig] sein; sie werden selbst die heiligen Kirchen nach ihrem [eigenen] Willen verlassen. Und in dieser Zeit werden sich die Verführer zusammentun. Sie werden Gold einsammeln und alles, was sie wollen, mühelos vollbringen. Die Gottesfürchtigen aber, die Demütigen, die in der Wahrheit leben, die freien, weisen Christen, die werden in ihren Augen nichts wert sein und in Schande in Lästerungen leben durch ihresgleichen. IV. [„Die große Bedrängnis“ = RevPsMeth syr gr lat 13,1-21] 1. Denn die Söhne Ismaels werden in jener Zeit, im siebten Zeitalter gebieten. Und derartige Übel werden die Menschen heimsuchen, dass sie alle Hoffnung aufgeben werden. Den Priestern wird die Würde genommen und sie werden den Laien gleich sein. Der Gottesdienst und die kirchlichen Gesänge werden aufhören, bis die Zahl der Herrschaft derer erfüllt ist, die die ganze Erde eroberten. Dann wird das Leid der Menschen und der Tiere zu Ende sein. 2. Und es werden Hunger und Tod unter den Menschen toben. Und sie werden sich auf der ganzen Erde zerstreuen wie Erdklumpen an allen Tagen jener Zeit. 3. Ein anderes Übel wird den Menschen heimsuchen: Einer legt sich abends hin und wenn er morgens aufsteht, findet er ein Maß Gold vor seiner Türschwelle […] Es wird aber an Gold und Silber mangeln und dieser Mensch wird alle seine Habe für Gold verkaufen und für die Bestattungskleider, auch für seine Kinder [...] Dann wird eine große Verwüstung die Erde heimsuchen. Ein Mann wird aus Sredec 3 losgehen und ein anderer aus Thessaloniki, Gold tragend. In Vetren 4 werden sie sich begegnen und einander sagen: „Bruder, wie komme ich nach Thessaloniki? “ und: „Wie komme ich nach Sredec? “ Und sie werden das Gold, 3 Serdica, heute Sofia. 4 Mehrere Ortschaften tragen heutzutage diesen Namen. Quellentexte 350 das sie haben, auf die Erde ausschütten mit den Worten: „Weh uns, Bruder, die Erde blieb wüst. Ein Schaf wird den Preis eines Ochsen haben und ein Ochse den Preis eines Pferdes, und ein Pferd wird dreißig Pfund kosten; die Menschen aber werden sich selbst für drei oder vier Goldgroschen verkaufen und aus Hunger einander umbringen. 5 Es werden große Niederträchtigkeit und Hass und Gesetzlosigkeit ausbrechen. Die ganze Erde wird der Ungerechtigkeit voll sein. Weh uns, Bruder, weh uns, wenn diese Tage anbrechen! “Dann wird ein lautes und trostloses Wehgeschrei ob aller Ungerechtigkeit unter den Menschen zu hören sein und niemand wird sich erretten. 6 4. Weshalb will denn Gott, dass die Treuen so viel Leid ertragen? Nicht etwa deshalb, dass sich Treue von Untreuen scheiden und das Unkraut aus ihnen ausgesondert wird? Denn dies ist das Feuer der Versuchung. 5. Diese Heimsuchung der Gerechten und der Treuen duldet ja Gott, damit sich die Auserwählten hervortun, wie er sagte: „Selig seid ihr, wenn ihr beschimpft, verstoßen und verleumdet werdet um meinetwillen. Freuet euch und seid fröhlich, denn groß ist euer Lohn im Himmel“ auch nach dem Leid unter den Ismaeliten. 6. Denn so eine Rache wird über den Menschen hereinbrechen, dass sie keine Errettung finden werden von der Hand der Ismaeliten auf der Flucht vor ihrem Siegesmarsch. Veröden wird Persien, das persische Land und das griechische, Kilikien und Phrygien, Syrien und Seleukis. Die Griechen im Umland werden umkommen. Diese aber [=die Ismaeliten] werden hervortreten, sich wie Schwiegersöhne schmücken und prahlen mit den Worten: „Die Christen sind durch unsere Hand umgekommen“. ______ 11. Dann wird sich der hellenische König mit gewaltiger Wut gegen sie erheben. Er wird nüchtern werden wie ein Mensch, der geschlafen hat [trunken] vom Wein. Er, der Totgeglaubte, wird gegen sie aus dem äthiopischen Meer hervortreten und mit dem Schwert auf die Kinder der Etribischen Wüste einschlagen das ist das Land ihres Vaters. Und er wird ihre Macht zerschlagen und ihre Frauen und Kinder gefangen nehmen. Gegen die im Land der Verheißung lebenden [Ismaeliten] aber werden die Söhne des Königs losziehen und mit Waffen sie niedermetzeln. 12. Angst wird sie von allen Seiten ergreifen, sie und ihre Frauen, ihre Kinder und ihr ganzes Geschlecht, welches auf der Erde weilt. Ihr 5 Offensichtlich geht es um eine massive Geldentwertung, die auf Grund einer Steuerreform eingetreten war (Umstellung von Naturalabgaben auf einen pekuniären Beitrag). 6 Die Glosse, wohl zuerst als Randvermerk verzeichnet, wurde von späteren Kopisten in den Text aufgenommen. Offenbarung des Pseudo-Methodius 351 Vater wird in die Hand des griechischen Königs zur Folter und zum Tode übergeben werden. 13. Und das griechische Joch wird hundertfach größer sein und große Übel und Durst und Leid werden ihnen widerfahren. Sie werden dann für jene arbeiten, die früher für sie gearbeitet hatten, und ihre Arbeit wird hundertfach bitterer und qualvoller sein. 14. Und es werden sich die Bewohner der Erde versammeln, die von ihnen verwüstet wurde, und jeder wird auf sein Stück Land und in die Dörfer seiner Väter zurückkehren. Armenien und Kilikien, Syrien, Afrika, Hellas und Sizilien, die von der Gefangenschaft geplagten Menschen: Jeder wird in sein Stammland zurückkehren. 15. Die Menschen im verwüsteten Land werden sich vermehren wie Heuschrecken, Ägypten aber wird veröden; die Küste wird sich befrieden. Die Wut und der Zorn des griechischen Königs aber werden sich gegen jene richten, die von unserem Herrn Jesus Christus abgefallen sind. 16. So wird auf der Erde ein großer Friede herrschen, der noch nie da gewesen ist und auch nicht mehr sein wird, denn dies ist die letzte Zeit und das Ende des Zeitalters. Es wird große Freude auf der Erde sein. Die Menschen werden friedlich leben und Städte bauen. Die Priester werden ihre Leiden vergessen 17. und die Menschen werden sich von ihrer Trauer erholen. 18. Es ist der Frieden, den der heilige Apostel einst vorausschaute und [von dem er] sagte: „Während sie sagen: „Frieden und Sicherheit! “, kommt plötzlich Verderben und Zerstörung über sie“. Wie der Herr im Evangelium sagte: „Wie in den Tagen Noahs werden die Menschen fressen und saufen, heiraten und sich vermählen. So wird in den letzten Tagen sein“. 19. In diesen Tagen werden die Menschen friedlich die Erde bewohnen und weder Angst noch Leid in ihren Herzen haben. 20. Dann werden sich die Tore des Westens auftun, und die Völker hervorströmen, die dahinter eingesperrt waren. Die ganze Erde wird vor ihrem Antlitz erbeben. Die Menschen aber werden in Verwirrung geraten und die Flucht ergreifen, sie werden sich in den Wäldern und in den Höhlen verschanzen, aus Angst sterben und in den Gräbern verwesen, und es wird niemand da sein, der sie begräbt. 21. Die aus dem Norden hervorströmenden Völker werden aber das Fleisch der Menschen fressen und das Blut der Tiere wie Wasser trinken. Und alles Abscheuliche und Widerwärtige werden sie fressen: Schlangen, Skorpione und anderes kriechendes Getier, unreine Tiere, Aas, Föten von Frauen. Sie werden auch die Kinder schlachten, sie Quellentexte 352 braten und den Müttern zur Nahrung geben. Die Erde wird verderben, denn sie werden sie verunreinigen und verwüsten. Kein Mensch wird im Land bleiben und ausharren. 22. Und in diesen Jahren werden sie die Stadt Jop einnehmen. Gott der Herr aber wird einen seiner Erzengel gegen die Stadt senden und er wird sie innerhalb einer Stunde vernichten. V. [„Endkaiser und Antichrist“ = ApcPs Meth syr gr lat 14,1-14] 1. Dann wird sich der griechische König nach Jerusalem begeben und dort siebenundhalb Jahre leben. Zwanzig Jahre nach seinem Tod wird der Sohn des Verderbens erscheinen: Im Land Sin wird er zur Welt kommen, in Bethsaida wird er großwerden, in Kafarnaum wird er herrschen. Das Land Sin wurde erhöht, da er dort geboren wurde. Auch Bethsaida, da er dort groß wurde. Auch Kafarnaum, da er dort herrschte. Daher sagte der Herr dreifach: „Weh dir, Land Sin! Weh dir, Bethsaida! Weh dir, Kafarnaum! Wirst du etwa zum Himmel erhoben werden? Nein, in die Hölle wirst du gestoßen werden! “ 2. Wenn der Sohn des Verderbens offenbar wird, wird der griechische König auf Golgota steigen, wo das Holz des Kreuzes aufgerichtet wurde. An dieser Stätte wurde Gott, unser Herr festgenagelt. Für uns nahm er aus eigenem Willen den Tod auf sich. 3. Da wird er die Krone von seinem Haupt nehmen und sie auf das Kreuz legen. 4. Das Kreuz mit der Krone aber wird zum Himmel hinauffahren. Es ist dieses Kreuz, das bei seinem Kommen vor Ihm zur Überführung der Untreuen erscheinen wird. An ihm wurde Gott, unser Herr, zur Errettung aller aufgehängt. 5. Dadurch wird sich die Prophezeiung Davids erfüllen, der sagte: „In den letzten Tagen wird Äthiopien seine Hand zu Gott ausstrecken“. Diese Äthiopier nannte Gott Griechen, da sie aus dem Stamm des Sohnes der Chusita, der Tochter des äthiopischen Königs Pholos hervorgingen. Daher sagte er: „In den letzten Tagen wird Äthiopien seine Hand zu Gott ausstrecken“. 6. Wenn das Kreuz mit der Krone zum Himmel erhoben wird, wird der griechische König seine Seele aushauchen. Es werden sich alle Macht und Gewalt auflösen und daraufhin wird der Sohn des Verderbens offenbar. Er wird aus dem Stamme Dan hervorgehen, nach der Prophezeiung des Patriarchen Jakob, der sagte: „Ich sah eine Schlange auf dem Weg liegen; sie biss das Pferd in die Ferse und es setzte sich auf die hinteren Beine, um der Errettung Gottes zu harren.“ 7. Was ist das Pferd? - Die Wahrheit und der Glaube der Treuen. Die Ferse? - Der letzte Tag. Die Heiligen, die sind es, die auf dem Pferd Offenbarung des Pseudo-Methodius 353 sitzen werden auf dem Glauben; sie werden gegen den Sohn des Verderbens auftreten. Er aber wird das Pferd beißen er wird in den letzten Tagen die Treuen mit Lügen, mit seinen Wundern und Zeichen, mit bloßem Schein verführen. 8. Er wird viele Zeichen und Wunder auf Erden wirken: Blinde werden sehen, Lahme werden heilen, Taube werden hören, Besessene werden heilen. Die Sonne wird er in Finsternis verwandeln und den Mond in Blut. Und mit diesen trügerischen Zeichen und Scheinwundern will er die Auserwählten verführen. 9. Wie einst der Patriarch Jakob sagte, als er mit seinen geistigen Augen erschaute und verstand, was durch diese verführerische Schlange, den Sohn des Verderbens, den Menschen zum Leid und zur Trauer gereichen wird: „Auf dein Antlitz, Herr, und das Heil der Menschen schaue ich! “ Der Herr aber entgegnete ihm gleich: „Wenn er könnte, würde er auch die Auserwählten verführen“. 10. Der Sohn des Verderbens aber wird Jerusalem betreten und sich in die Kirche Gottes setzen wie Gott der Mensch aus Fleisch, aus dem Samen eines Mannes und aus dem Bauch einer Mutter geboren, aus dem Stamme Dan. Auch Judas, der aus Karivien kam, der den Herrn verraten hat, war aus dem Stamm Dan. 11. Wenn aber das Leid sich in jenen Tagen vermehrt, wird der Herr nicht mehr das Verderben der Menschensöhne zu sehen vermögen, die er mit seinem Blut erkauft hat, sondern seine nächsten Diener Henoch und Elija zur Überführung des Widersachers aussenden. Sie werden seinen Betrug vor allen Völkern schmähen und seine Lüge vor allen Menschen bloß stellen, die einzig zur Verführung und zum Verderben vieler diente. 12. Die Menschen, da sie ihn geschmäht und der Lüge überführt sehen, werden ihn verlassen und zu diesen Heiligen hinzutreten. Wenn er sieht, wie er verhasst und allein dasteht, wird er außer sich geraten vor Wut und Zorn und sie niedermetzeln. 13. Dann wird das Zeichen des Menschensohnes erscheinen und er wird auf den Wolken des Himmels in unendlicher Herrlichkeit erscheinen. Und der Herr wird ihn mit dem Hauch seines Mundes umbringen, wie der Apostel sagte. 14. Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne, da das Wort des Lebens ihnen zuteil wurde. Die Sünder aber, die überführt wurden, werden in die Finsternis hineingehen. Sie hätten sich errettet, wenn sie die Gnade und die Menschenliebe unseres Herrn Jesu Christi angerufen hätten, ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen. 5. Slavische Daniel-Diegese Jene Vision Daniels, die dank der Ausgabe von K. Berger als „griechische Daniel-Diegese“ bekannt ist (hier 1 ApcDan), liefert eine apokalyptische Lesart des achten byzantinischen Jahrhunderts. 1 Die griechische Überschrift ist zweiteilig: „Δανιὴλ ὅρασις πρώτη. ὅρασις καὶ ἀποκάλυψις τοῦ προφήτου Δανιηλ“. Sie lässt sich entschlüsseln, wenn man annnimmt, dass der erste Teil den Gesamttitel einer Sammlung angibt („Die erste aus einer Reihe von Daniel-Visionen“), während der zweite Teil ein Titel für den Text der Apokalypse selbst ist („Vision und Offenbarung“). Genau so wurde auch der hier übersetzte russische Text betitelt (Видђнїе и њткровенїе Дanіila prоrоka), was für den Doppelaufbau der Überschrift spricht. In der vermutlichen byzantinischen Sammlung stand der „ersten Vision Daniels“ (hier 1 ApcDan) die sog. „letzte Vision Daniels“ (4 ApcDan) gegenüber, die die vermutliche Sammlung abschloss (ἐσχάτη ὅρασις τοῦ προφήτου Δανιήλ). In der kirchenslavischen Tradition wurde aber die byzantinische Sammlung aufgelöst, und die einzelnen Schriften wurden getrennt weitergegeben. Dies wird deutlich an den Kopien der slavischen Übersetzung von 4 ApcDan, die sich nicht als Abschluss der Sammlung versteht, sondern (ebenso wie 1 ApcDan sl) eine eigene und eigenständige Überschrift tragen: „Des Propheten Daniel Vision [resp. Eingebung] von den letzten Zeiten, und vom Antichrist“ (prrrka danjila prozr7nje o posl7dnih] vr7meni i o antihrїst7). 2 Zugleich erhielt sich die Überschrift „letzte Vision“ in einzelnen Handschriften der zweiten und dritten kirchenslavischen Übersetzung des Textes, wobei ihre Bedeutung als Abschluss einer Sammlung nicht mehr ersichtlich war. 3 Die Chronologie der Daniel-Apokalypsen würde ebenso für die konsekutive Aufnahme in eine Sammlung sprechen, die ständig fortgeschrieben wird. Die Daniel-Diegese (1 ApcDan) hört gegen Ende des 8. Jh. auf. Die „Vision von den Königen“ (hier 2 ApcDan) ist zusammen mit einer Johannes Chrysostomus zugeschriebenen Daniel-Apokalypse in das Jahr 829 zu datieren. Die „letzte Vision Daniels“ (4 ApcDan) enstand in unmittelbarer Verbindung mit der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1204. Ein slavistisches Argument hierfür wäre die Überschrift der Bearbeitung von 4 ApcDan im Dragol-Sbornik, die sich als „Abschrift aus den [apokalyptischen Büchern] des Daniel“ übertragen lässt. 1 Berger, Diegese (1976). 2 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 219-222. 3 Ibid., S. 209-210. Slavische Daniel-Diegese 355 Die Übersetzung folgt der Ausgabe von Cod. I.56, Sammlung Tolstij, durch V.M. Istrin (1897). 4 Auf Anmerkungen wird verzichtet, stattdessen sei auf die ausführliche Kommentierung durch K. Berger verwiesen. 5 4 Istrin, Otkrovenie II, 159-162. 5 Berger, op.cit., 43-150. Quellentexte 356 Vision und Offenbarung des Propheten Daniel I. [Sendung Gabriels] Im dritten Jahr der Herrschaft des Kyros über die Perser wurde der Engel Gabriel zu Daniel gesandt. Und er sprach zu ihm: „Geliebter Mann, sei verständig und neige dein Ohr und öffne dein Herz. Und ich werde dir eröffnen, wie es in den letzten Zeiten, an jenem Tage ergehen wird. Siehe, ich bin es, Gabriel, der der Jungfrau die gute Nachricht übermitteln wird, die über jeden Verstand hinausgeht, die übernatürliche Kunde. Denn der Herr, unser Gott, wird viele in Israel erretten. Öffne dein Herz und merke auf, was in jeder Stadt und in jedem Land sich zutragen wird.“ II. [Länderorakel] Als das geschah, sprach er in prophetischer Weise von Asien, Pontus, Phrygien, Galatien, Kappadozien, Kampanien, Smyrna, Antiochien, Alexandrien, Ägypten, Nikomedien, Chalkedon, Byzantion und Rom: „Geheul und Hungersnot, Flehen nach Brot, der Ernteertrag wird [vernichtet], der Nil erbebt, die Töchter werden wehklagen. Nikomedien wird das Blut der gerechten Männer vergießen und veröden; die letzten werden den ersten verjagen und der Name des Herrn wird geschmäht werden und sie werden ihren Ruhm verlieren … “ III. [Anbruch einer Friedenszeit] Und danach wird sich das Zepter der Frömmigkeit erheben und sein Reich wird frohlocken. Und danach werden sich zwei Zepter erheben und lange Jahre in Frieden und Eintracht herrschen. Sie werden Städte und zahlreiche Altäre errichten. IV. [Zehn Hörner und ein Zepter] Und nach ihnen werden sich zehn Hörner erheben und in dir herrschen, siebenhügeliges Babylon. Und danach wird sich ein [anderes] Zepter erheben und lange herrschen, indem es drei Könige befriedet. Und es wird ihm ein Jüngling geboren, der für ihn eintritt, und ein Zepter wird nach einem großen Tiere heißen … V. [Der häretische Kaiser] Und seine Fürsten werden in Frieden verweilen und es wird Ruhe herrschen. Und vier Regimenter werden auf ihn zugehen und er wird nicht der Hand Slavische Daniel-Diegese 357 von Menschen ausgeliefert, und die Hand seiner Vasallen wird ihm nicht zusetzen. Und obwohl er in vielerlei Schriften liest, wird er dadurch nicht weise werden, sondern viele Häresien erfinden, die seinem Namen huldigen. VI. [Verbreitung der Häresie] Und in jener Zeit wird man weder nach Brot hungern noch nach Wein dursten, sondern wahrhaftig dem Gotteswort lauschen. Er aber wird die Häresie zum Glauben erheben und die Altäre niederreißen. Und die Kirchen werden wie Witwen genötigt werden, und dieses Zepter wird nach Krieg trachten und Liebe zu Christus bekunden. VII. [Zeichen der Unruhe] Und in jener Zeit werden sich Erdbeben ereignen und Zeichen im Meer und Schlachten und Aufruhr unter den Kriegern. Und er wird von den Geringsten seiner Vasallen verhöhnt werden, wird jedoch nicht der Hand von Menschen preisgegeben werden. Und es wird die Kunde von einem Jüngling umgehen. In jenen Tagen werden die Altäre Gottes wie Witwen genötigt werden und ungehorsame Söhne werden seiner höhnen. VIII. [Die schlafende Schlange] Und die schlafende Schlange wird sich gegen den Jüngling erheben, dessen Name „Arta“ heißt, und der Jüngling wird sein Gesicht gegen das unverständige Volk wenden, darunter viele Fürsten, und wird durch Kleinigkeiten die Oberhand gewinnen. Und der Jüngling wird die Schlange niederkämpfen und dem Löwenjungen Einhalt gebieten. IX. [Aufhebung des Friedens] Dann wird der Herr dem Engel des Friedens künden: „Geh hinab und nimm den Frieden von der Erde, damit die Menschen einander umbringen.“ Die Sonne wird sich verfinstern und am Himmel werden Zeichen erscheinen, 7.600 Jahre lang, und Gott der Allmächtige wird seinen Zorn bändigen. X. [Das Offenbarwerden des totgeglaubten Kaisers] Und nach ihm wird ein Zepter sich erheben wie einer aus tiefem Schlaf, der tot geglaubt wurde. Und er wird sich aus dem Westen erheben und sein Schwert in den Osten stoßen, und seine Hand gegen den Norden. Und er wird langlebig sein, und man wird in jenen Tagen frohlocken. Er wird die Menschen wieder auferwecken und viele Altäre auf der ganzen Welt errichten. Und mit Gold und mit Silber wird er die gesamte Oikoumene füllen. Und die Quellentexte 358 fruchtbare Erde wird ihre Frucht siebenfach, gar zehnfach abwerfen, und der Wein und die Butter werden sich vermehren. Und dieses Zepter wird jedweden Krieg auf der Erde einstellen, und die Kriegswaffen werden zu Sicheln, wie auch die scharfen Klingen. Und die Menschen werden nach Krieg trachten, es wird aber keinen Krieg in jenen Tagen geben. XI. [Steueramnestie] Und dieser König wird sich dem himmlischen Gott hingeben und ihm zuwenden, da er ihm alle Güter weihte, die es sonst nicht gegeben hatte. Im zwölften Jahre seiner Herrschaft werden die Menschen keine Abgaben mehr leisten. Sie werden weder erniedrigen noch erniedrigt werden. Und es wird Jubel in jener Zeit herrschen, und in Frieden wird er sterben. XII. [Das Zepter Äthiopiens] Danach wird sich das Zepter Äthiopiens erheben und eine starke Herrschaft errichten. Und alle Großen der Erde werden es fürchten, den Untertanen wird es verhasst sein, und vor ihm werden die Bewohner der umliegenden Inseln erzittern. XIII. [Das Zepter vom Westen] Und es wird sich ein Zepter vom Westen her erheben, und die Menschen werden sagen „Wahrhaftig, der Hund verjagt den Löwen“. Und der Äthiopier wird sich gegen die umliegenden Inseln wenden und alle erniedrigen und ihnen Frieden auferlegen, bis zum letzten Hauch, und er wird durch Menschenhand umkommen. Und der [Herrscher] aus dem Westen wird verenden. XIV. [Das Zepter aus Kappadokien] Und nach ihm wird sich ein anderer aus Kappadokien erheben und das Blut der Priester und vieler weiser Männer vergießen. Er wird das große Heiligtum entweihen. Und es werden Zeichen am Himmel erscheinen, die Sonne wird sich verfinstern und der Mond in Blut getaucht sein, und die fruchtbare Erde wird ihre Frucht nicht abwerfen. Die Menschen werden unvermittelt sterben, und des Öfteren umfallen, und am Tische werden viele erkranken. XV. [Die Herrschaft der drei Zepter] Drei Zepter werden sich erheben. Das erste wird in der Siebenhügeligen herrschen, der zweite in Rom, der dritte in Sylaion. Und Ismael wird die Siebenhügelige betreten, ohne über die umliegenden Inseln herzufallen. Seine Flotte Slavische Daniel-Diegese 359 wird siebzigtausend Schiffe umfassen. Und am dritten [Tage] wird er in die Stadt hineinfallen und viel Blut vergießen. Er wird seine Stimme erheben und rufen: „Wo sind die Helfer der Siebenhügeligen? “ XVI. [Die Niederlage der Muslime] Und im Himmel wird ein lautes Rasseln zu hören sein, die Erde wird im Gleichklang erbeben. Und dann wird sich das erfüllen, was eine Stimme kündet: „Einer wird Tausend verjagen, und zwei werden Abertausende erschrecken.“ Und sie werden eine nie dagewesene Schlacht austragen, und es wird von diesem Volke nicht mehr bleiben als die Bewohner eines Hauses. Und der Geist wird die Ismaeliten entmutigen. Und sie werden in den Bädern der Siebenhügeligen arbeiten all die Jahre. Und die Griechen werden die Spuren Ismaels suchen und nicht finden können. XVII. [Bruderkrieg] Danach werden drei Zepter einander eine gewaltige Schlacht liefern. Und die Menschen werden die Priester und die Bischöfe und die Äbte aufteilen, und die Heiligtümer bewaffnen und in Kriegsmontur werfen. Und es wird ein Bruderkrieg ausbrechen und ein großen Blutvergießen, das noch nie dagewesen war. Und das Blut wird das Meer auf zwölf Meilen hin färben. XVIII. [Die Not greift um sich] Und es werden sich die Menschen erheben, die noch nicht leidgeprüft sind. Und die an der Küste geblieben sind, werden sich auf die benachbarten Inseln flüchten. Mit Handspannen werden sie die Erde abmessen. Und die Hofdamen werden sich von Anfang an abmühen. Und es werden Zeichen am Himmel erscheinen, auf der Erde Hungersnot und Erdbeben, und plötzlich wird Tod eintreten. XIX. [Die Herrschaft der Frevlerin] Und es werden sich Fremdstämmige erheben. Und eine niederträchtige Frau aus anderer Sippe wird in der Siebenhügeligen die Herrschaft an sich reißen. Weh dir, siebenhügeliges Babylon, wenn sie in dir herrscht! Dann wird dir der Glanz genommen und deine Heiligtümer werden entweiht. Weh dir, siebenhügeliges Babylon, denn erbärmlich werden dein Reichtum und dein Ruhm erscheinen! Wie du sprachst: „Denn ich bin in ein purpurnes Dornengewand und in einen königlichen Mantel gekleidet, und meinetwegen sind die Könige geknechtet, und in mir wohnen die Fürsten und alle Nachkommen des Adels.“ Weh dir, siebenhügeliges Babylon, und abermals weh, wenn Gott über dich den Pokal voller Feuer und Zeichen erhebt, und wenn er in den Quellentexte 360 Wasserfluten deine hohen Mauern versenkt und nicht einmal eine Säule aus dem Meer ragt, damit die seefahrenden Könige deiner klagen! Arme und Kaufleute werden dich verlassen, und jede Stadt und jedes Land werden wehklagen. XX. [Die Verwüstung von Byzanz] Und das römische Reich wird veröden. Und ihm wird das Zepter genommen und den Juden in Jerusalem übergeben werden, und die Bewohner der umliegenden Inseln werden der Gewalt anheimfallen. XXI. [Der Antichrist] Und aus dem Reiche Dan wird sich der Antichrist erheben, aus einer schmählichen Jungfrau. Und wie ein [unschuldiges] Kind wird er Gesetzlosigkeit verbreiten, und er wird allseits beliebt und ohne Arglist sein. Zwölf Ellen lang werden seine Haare unter seinen Füßen sein, er wird übergroß sein, und seine Zähne werden oben aus Eisen sein, seine Rechte aus Kupfer, seine Nägel und seine Linke zwei Ellen lang sein. Er wird langnasig sein, die Augen wie der Morgenstern. Und auf seiner Stirn werden drei Verse stehen, die den Christus schmähen. XXII. [Die Entfesselung der Übel] Und wenn die Herrschaft von Dan dem Ende zugeht, wird eine Hungersnot ausbrechen, die seit alters noch nie gewesen ist, und die Erde wird unter dem kommenden Hunger zusammenbrechen, und in den Gesichtern der Menschen wird der Tod stehen. Und dämonische Geister werden über die ganze Welt wandern. Weh den schwangeren Frauen in jenen Tagen! Und bittere Not wird über die Menschen hereinbrechen, die Gerechten werden sich kaum erretten können. Die unreinen Geister werden zahlreich wie der Meeressand hervortreten und die Menschen peinigen, und die Kinder werden sie der Brust der Mütter entreißen, während sie gestillt werden. Und sie werden die Menschen umbringen und die Menschen werden den Tod anrufen, sie werden sich in die Gräber flüchten und die Toten beneiden und rufen: „Selig und abermals selig seid ihr, da ihr nicht diese Tage erlebt! “ Und sie werden in die Berge flüchten, das Meer wird sie verschlingen. Weh den Stillenden und den Schwangeren in jenen Tagen! Dann wird alles Fleisch wehklagen. Die Juden aber werden sagen: „Lasst uns die festsetzen, die die Schriften des Christuskönigs besitzen! “ Slavische Daniel-Diegese 361 XXIII. [Die täuschende Fruchtbarkeit] Und während der Herrschaft des Antichrist in jener Zeit wird die Erde fruchtbar sein, und ein Weinberg von der Länge einer Elle wird tausend Trauben abwerfen und die Ernte tausend Ähren. In der kommenden Zeit aber wird sich nichts denn ein Maß Weizen auf der ganzen Erde finden. Und die Erde wird erschüttert werden und erbeben und zusammenbrechen vom kommenden Hunger, und der Himmel wird kupfern werden. Die Gewässer der Erde werden austrocknen, trocken werden die Häfen und die Flüsse sein. XXIV. [Die beiden Zeugen] Und da wird der Antichrist in seine Hände Steine nehmen, rufend und schreiend: „Wenn ihr an mich glaubt, werde ich die Steine in Brot verwandeln! “ Und die Juden in Jerusalem werden sich vor ihm verbeugen und sagen: „Du bist der Christus, den wir erwarteten! Und um deinetwillen hat uns Rom zugesetzt.“ Und der Antichrist wird zum Eckstein sprechen: „Ich habe den Himmel und die Erde erschaffen! Ich spreche zu dir, Eckstein, verwandle dich in Brot! “ Der Stein wird sich aber in eine Schlange verwandeln und zum Antichrist sprechen: „Wo du voll aller Gesetzlosigkeit bist - da du dies nicht vollbringen konntest, warum bist du aufgetreten? “ Da werden zwei Männer aus den Wolken hervortreten und ein dritter aus der Erde und werden zum Antichrist herzutreten und ihn schmähen und immer wieder rufen „Weh dir, Gesetzloser! “ Und er wird Henoch und Elija und denjenigen, der aus der Erde hervortrat, umbringen. Und die Jahre und die Monate werden aufhören, damit sich die Erwählten erretten. Und alles Fleisch wird sich dann dem Herrn anvertrauen. 6. Vision des Propheten Daniel von den Königen Die „Vision des Propheten Daniel“ (2 ApcDan) ist eine byzantinische Apokalypse, die Anfang des 9. Jh. (wohl im Jahre 829) abgefasst wurde. Sie spiegelt tatsächliche historische Begebenheiten wider (den Aufstand auf Sizilien in den Jahren 827-829) und beinhaltet eine durchweg negative Wertung von Kaisern, denen eine ikonenfeindliche Politik unterstellt wurde. Der griechische Text ist heute verschollen. Erhalten ist nur seine frühbulgarische Übersetzung, die in folgenden Codices vorliegt: 1 - Cod. 651 (Dragol’scher Sbornik / Sammelcodex des Priesters Dragol’), Serbische Nationalbibliothek Belgrad, zweite Hälfte des 13. Jh., fol.234a-240 (= Drag 651) - Cod. 382 (453/ 24), Chilendar-Kloster, Athos, Ende des 13.-Beginn des 14. Jh., Anfang fehlt; fol. 68a-69a (= Chil 382) - Cod. 56, Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU) Belgrad, unklare Datierung (15.-17. Jh.), fol.185a-188a, 189a-189b. (SANU 56) - Cod. 309 (Beljakov’scher Sbornik), Nationalbibliothek Kyrill und Method Sofia, 16. Jh. (fragmentarisch), fol.154a-155b, 90a-90b (= Bel 309 = Bel) - Cod. 17, Zentrum für Slavisch-Byzantinische Studien Ivan Dujčev Sofia, 18. Jh. (wortgetreue Kopie der Abschrift im sog. Beljakov’schen sbornik), fol.15a- 110b (CSVI 17 = Bel) Der deutschen Übersetzung liegt die Textausgabe nach diesen Codices (1996) zugrunde. 2 1 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 109-117. 2 Ibid., S. 118-127. Vision des Propheten Daniel von den Königen 363 Vision des Propheten Daniel von den Königen und von den letzten Tagen und von der Vollendung des Zeitalters 3 I. [Die Tiervision Daniels] 1. Als der Erzengel Gabriel zu Daniel kam, 4 sprach er zu ihm folgendermaßen: „Daniel, geliebter Mann, ich bin zu dir gesandt, 5 um dir die letzten Tage zu verkünden und zu offenbaren. Bewahre dies in deinem Herzen und höre, was dem Menschengeschlecht widerfahren wird um der Sünden willen, in denen die noch lebenden Menschen weiter verharren.“ 6 2. Der Engel nahm mich und brachte mich auf einen hohen Berg, auf den noch nie ein Mensch seinen Fuß gesetzt hatte. Da sprach er zu mir: „Höre und bewahre dies in deinem Herzen! “ 3. Und siehe, 7 vier große Tiere stiegen aus dem Meer auf, zehn Hörner 8 und vier Winde. 9 II. [Die Deutung der Tiervision] 1. Da sprach ich zum Engel: „Mein Herr, was sind diese Tiere, die aus dem Meer aufstiegen? “ 2. Der Engel aber antwortete mir: „Das sind die großen Reiche der letzten Tage. Das erste Tier also, das wie ein Löwe aussah, 10 das ist das Saurische 11 Reich. Es wird sich gegen den Altar 12 erheben und ihn zerstören und seine Herrschaft mit Härte und Gewalt zweiundzwanzig 13 Jahre ausüben. 14 3 Überschrift nach Drag 651; Bel stellt die Reihenfolge um „… von den letzten Tagen, der Vollendung und den Königen“. 4 Gabriel fungiert als angelus interpres und Vermittler von Offenbarungen (Lk 1,19ff.; 28ff.), Daniel als deren Empfänger (Dan 9,22). 5 Schriftzitate: „Daniel, du von Gott Geliebter“ (Dan 10,11.19); „denn ich bin zu dir gesandt“ (Dan 10,11). 6 Bel: „um der Sünden derer willen, die auf Erden leben werden“. 7 Bel ergänzt: „Ich, Daniel, erschaute“. 8 Drag 651 lässt „Hörner“ aus. 9 Die Szenerie setzt sich aus gängigen visionären Elementen zusammen: Dan 7,2-3.7 (vier Winde, vier Tiere, zehn Hörner); Offb 7,1 (vier Winde); 13,1: „Und ich sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte zehn Hörner...und auf seinen Hörnern zehn Kronen“. 10 Dan 7,4: „Das erste Tier war wie ein Löwe ... “ 11 SANU 56, Bel: „Isaurisch“. 12 SANU 56: „gegen die Altäre“. 13 Drag 651 und Bel: „zweiundzwanzig“; SANU 54: „zweiundsiebzig“. 14 Leo III. Isaurier (717-741) - cf. Istrin, Otkrovenie I, 265; Alexander, Conquêtes arabes, 12, Anm. 14; Alexander, Apocalyptic tradition, 63; 65, Anm. 16; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 131, Anm. 7. Dafür spricht in der Tat eine Summe von Indizien: Das Quellentexte 364 3. Und nach seinem Tod wird ein anderer kommen, mit unverschämtem Gesicht. Er wird sich anschicken gegen Gott, den Höchsten zu lästern. Einen Priester wird er vom [Patriarchen-] Thron stürzen und seiner Gotteslästerung wegen wird er sich vom Reich und vom [Kaiser-] Thron für drei Jahre zurückziehen. Danach wird dieser König zurückkehren und [den Priester] töten, und Furcht wird alle seine Hofangestellten ergreifen. 15 4. Und ein anderes Zepter 16 wird sich von der Wurzel seines Throns erheben. Man wird ihm den Namen Firnonum geben, das heißt „der Name des Tieres“. 17 Und er wird sich eine Frau aus einer griechischen Gegend nehmen. 5. Und ein anderes Zepter 18 wird sich aus seinen Lenden erheben. 19 Sein Name beginnt mit dem ersten Buchstaben der griechischen Schrift, und nach der römischen [beginnt er] mit dem achten Buchstaben. Herrschen wird er zusammen mit seiner Mutter Vasilia 20 und Abfall Worspiel Leo-Löwe, das Attribut „Isaurisch“, die mit „Zerstörung der Altäre“ ihm zugeschriebenen Aktivitäten sowie die relativ genau angegebene Dauer seiner Herrschaft (22 gegenüber 24 Jahren). 15 Die Textstelle ist obskur. Für die gelieferte Übersetzung (Rückzug des Kaisers und nicht des Patriarchen, wie Miltenova in Knižnina, 128 übersetzt) sprechen der Kontext (Kaiser kehrt zurück) und SANU 54: „Und er wird sich aus seinem Geschlecht und aus seinem Reich für drei Jahre erheben“. Cf. ferner die Bezüge zu Kaiser Konstantin V. (Mitregent 720-741; Alleinherrscher 741-745), Sohn Leo des III. Auf ihn trifft eine Reihe von Merkmalen zu: Nachfolger von Leo III.; Blasphemie, unterstellte Fortführung des Bilderstreits, Verfolgung des Klerus. Die dreijährige Abwesenheit des blasphemischen Kaisers deutet P. Alexander auf den coup d’etat seines Schwägers Artavasdos (742-743) und Konstantins Gegenreaktion; idem, Apocalyptic tradition, 65, Anm. 16; ebenso Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 131, Anm. 9-11. 16 Bel: „ein anderes Reich“. 17 SANU 56: Pirionum = θηρίου νόμον [φέρων] als Verschlüsselung für Leo IV. (775-780), Sohn Konstantins V. und Gatte der späteren Kaiserin Irene von Athen (ab 780 Mitregentin; 797-802 Autokratin; cf. Alexander, Apocalyptic tradition, 65, Anm. 17; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 131, 131, Anm. 12. V.M. Istrin irrt, wenn er stattdessen von Θηρνονύμος auf Κοπρονύμος (= Konstantin V. „Kopronymos“) schließt, denn das würde aus dem chronologischen Rahmen fallen; idem, Otkrovenie I, 265). 18 Bel: ein anderes Reich. 19 Ab hier beginnt Chil 382. 20 Drag 651 interpoliert „Vasilija“, das gr. τῂ βασιλείᾳ als Eigennamen missverstehend; cf. Istrin, Otkrovenie I, 262. Kaiserin Irene hat sich in der Tat in Gesetzesakten stets als βασιλεύς bezeichnet; cf. Ostrogorsky, Geschichte, 146. Vision des Propheten Daniel von den Königen 365 vom Glauben bewirken. 21 Und noch in seiner Regierungszeit wird die mitregierende Mutter ihn durch eine List in ihre Gewalt bringen. 22 III. [Die Deutung der Hörner] 1. Und ich, Daniel, fragte den Engel: „Mein Herr, Fürst der Engel, was sind 23 die Hörner, die ich schaute? “ 2. Er antwortete mir folgendermaßen: „Das ist das Römische Reich. Und Königreiche werden sich in den letzten Tagen erheben. 3. Das erste [Reich] ist, wenn eine Frau ihren Sohn in ihre Gewalt bringt und danach fünf Jahre herrscht. Weh dir, siebenhügeliges 24 Babylon, wenn eine Einbusige in dir mit regiert! “ 25 4. Ein anderes Horn 26 wird sich erheben ein König aus dem gothischen 27 Geschlecht. Seine Zahl ist zehn, zwei, eins, fünfzig 28 und seine Herrschaft ist kräftig und machtvoll. 29 In seinen Tagen wird ein starkes Volk hervortreten und den Kampf mit ihm aufnehmen. Und dieses Volk wird vor seinem Angesicht vorerst fliehen, dann aber wird dieses Volk zum Kampf zurückkehren. Und dieser König wird im Kampf schwach werden und in jämmerlicher Kraftlosigkeit seine Seele aushauchen. 30 21 Irreführend „Tote wird er auferwecken“, wohl eine Verwechslung von ἀναστασία / ἀνάστασις und ἀποστασία/ ἀπόστασις. Drag 651: „Tote“ fehlt; SANU 56 ergänzt „und Heilige“; Bel weiß nichts von einer Totenauferweckung. 22 Wörtlich „die Hände auf ihn legen“, „auf ihn zugreifen“. Die Verschlüsselung des Namens führt nicht weiter. Die sonstigen Indizien verweisen auf den minderjährigen Kaiser Konstantin VI. (780-797), der auf Befehl seiner Mutter Irene 797 geblendet wurde- Alexander, Apocalyptic tradition, 66, Anm. 19; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 131, Anm. 13-14; Anm. 16. Zur negativen Wertung der beiden in einer unveröffentlichten Apokalypse, die den Daniel-Visionen zugerechnet wird, siehe Schmoldt, Schrift, 243-244; 315, Anm. 349 (es geht um ein Cambridger Manuskript im Besitz des Trinity College aus dem 16. Jh.). 23 Drag 651 liest lediglich „Hörner“. 24 Gr. Heptalophos („siebenhügelig“) ist eine Standard-Bezeichnung für Konstantinopel in apokalyptischen Texten; cf. Brandes, Topographie, 58-71. 25 Damit wird Kaiserin Irene (797-802) als Amazone versinnbildlicht: Tötung des männlichen Kindes, Abschneiden der Brust zum Bogenschießen; cf. Alexander, Apocalyptic tradition, 66, Anm. 20; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 131, Anm. 18. 26 Drag 651: „Zepter“. 27 SANU 56: „aus einem anderen gopischen“; Chil 382: „aus dem gofischen“. 28 SANU 56: „sein Name ist die Zahl“. Die Zahlangaben differieren: 10, 2, 1, 8 (Chil 382); „zweiundsiebzig“ (SANU 56). Die Buchstaben für diese Zahlenwerte in Drag 651 und Chil 382 ergeben den Namen „Ivan“ mit einem vorangestellten ῶ. 29 Dieselbe Bezeichnung findet sich in 2,2. 30 Unter Annahme der bisherigen Einordnung wäre dies Kaiser Nikephoros I. (802-811), der im Feldzug gegen den bulgarischen Khan Krum (803-814) nach anfänglichen Erfolgen auf dem Rückzug in einem Pass des Balkan mit einem Großteil seines Heeres fiel. - Quellentexte 366 5. Und es wird sich ein anderes Horn 31 aus seinem Samen 32 erheben, sein Sohn Gavril, 33 der von allen am kürzesten währen wird. 34 6. Ein anderes Horn 35 wird sich erheben, sein Thron trägt den Namen eines Engels. 36 7. Das fünfte Horn wird kommen, es werden sieben Zeiten vergehen. 37 8. Und danach wird sich ein anderes Horn 38 von den ersten königlichen Buchstaben erheben und den Thron innehaben. 39 Božilov & Mutafčiëva et alii, Istorija, 34-35; Delev & Angelov et alii, Istorija 37-38. Im rätselhaften „aus dem gothischen Geschlecht“ glaubt P. Alexander einen Beleg für arabische Herkunft von Nikephoros I. aus dem Gafna-Haus erkennen zu können - Apocalyptic Tradition, 66, Anm. 21. Das Schwachwerden bezieht sich m.E. auf den Kaiser und nicht auf das zurückkehrende Volk; anders die Übersetzungen von P. Alexander (op.cit., 66) und A. Miltenova (op.cit., 128), die es inkonsequenter Weise auf das Volk beziehen. Dies erstaunt, denn der Zusammenhang mit dem Wiedererstarken des von Khan Krums angeführten Heer und mit Nikephoros’ I. katastrophaler Niederlage ist offenkundig. Dafür trifft es zu, dass der Interpolator von Drag 651 die Ereignisse auf den bulgarischen König Samuel (997-1014) bezieht (Miltenova, op.cit., 113; S. 131, Anm. 19-21). Dies kann aus der nächsten Interpolation in V.4 abgeleitet werden, in welcher von Samuels Sohn die Rede ist. Der Bezug ist nahe liegend, wenn man die tragischen Umstände von Samuels Tod berücksichtigt - Božilov et alii, op.cit., 61-62; Delev et alii, op.cit., 67-73. 31 Drag 651: „Zepter“. 32 SANU 56: „Stamm“. 33 Drag 651 interpoliert „Gavril“, vermutlich eine Anspielung auf Gavril Radomir (1014- 1015), Samuels Sohn und Nachfolger auf den Thron - Tăpkova-Zaimova/ Miltenova, op.cit., 131, Anm. 21. 34 Nikephoros’ Sohn Staurakios erliegt in der Tat wenige Monate nach seiner Krönung im Jahre 811 einer Wunde, die ihm während der Balkan-Schlacht zugefügt wurde; Alexander, op.cit., 67; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 132, Anm. 21. 35 Drag 651: „Zepter“. 36 Bel ergänzt „Vladislav“. Dies ist neben der sog. Bitola-Inschrift die einzige urkundliche Erwähnung des bulgarischen Königs Ivan Vladislav in Quellen bulgarischer Provenienz (1015 - 1018), letzter Herrscher vor dem Untergang des Ersten Bulgarischen Reiches - Miltenova, Videnijata, 41, Anm. 13; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 132, Anm. 22. Zur Inschrift siehe cf. Curta, Southeastern Europes, 245-246; Literaturangaben unter Anm. 116. Die byzantinische Vorlage dürfte sich auf Kaiser Michael I. Rangabe (811-813) beziehen, Nachfolger des Staurakios und Schwiegersohn Nikephoros’ I.; Alexander, Apocalyptic tradition, 67, Anm. 23. 37 Für eine Deutung auf Leo V. Armenier (813-820), der in einem Putsch gegen Michael I. Rangabe die Macht ergreift, spricht auch die genaue Angabe des Zeitraums seiner Herrschaft; Alexander, op.cit., 67, Anm. 24; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 132, Anm. 23. 38 Drag 651: „Zepter“. 39 Für dieses „Horn“ findet sich kein zeitgenössisches Äquivalent. Vision des Propheten Daniel von den Königen 367 9. Und danach ein anderes Horn. 40 Er wird eine Lästerung gegen den Höchsten 41 aussprechen und um dieser seiner Lästerung willen wird er kläglich enden: Man wird ihn zum Gipfel 42 hinaufführen. 43 10. Sodann wird sich ein anderes Horn 44 erheben, sein Name ist in [der Zahl] fünf, sechs, dreißig, eins: 45 Sein Thron ist der Anfang der Übel für das Land seiner Herrschaft, ja für die ganze Welt. 46 IV. [Die Deutung der vier Winde] 1. In seinen Tagen werden sich vier Könige erheben, zwei vom Osten und zwei vom Westen. Die sind es, was du in der Gestalt der vier Winde schautest, die aus dem Meer kamen und es aufwühlten. 47 2. Und sie werden sich eine schwere Schlacht liefern und einander wie Gras auf dem Feld niedermähen. Und eine große Unruhe wird auf der Erde herrschen. 3. Und es wird sich ein König aus der Stadt der Sonne erheben, 48 sie vernichten und einen großen Sieg 49 davontragen. Und er wird in die 40 Drag 651: „Zepter“. 41 Bel: „gegen Gott, den Höchsten“. 42 Das verderbte к лов'цџ (zum Jäger? ) ist unklar; Miltenova mutmaßt hierfür gr. λόφος = Gipfel - op.cit., 132, Anm. 26. P. Alexander geht von Κυνηγός bzw. Κυνήγιον aus, einem Hinrichtungsort nahe des Mangana-Palastes aus - op.cit, 67, Anm. 25. 43 Zur Deutung dieser Textstelle auf Kaiser Michael II. (820-829) siehe die Erläuterungen in der Einführung. P. Alexander betrachtet sie als ein ausgebliebenes Vaticinium auf seine Exekution auf dem Kynegion, ebenso Treadgold, Prophecies, 232-233. Damit sind in Verbindung mit dem großen Araber-Überfall auf Sizilien seit 827 die Anhaltspunkte einer Datierung der byzantinischen Vorlage auf den Zeitraum 827-829 gegeben, zumal Michael II. in der bisher aufgezählten Reihe von Kaisern die letzte plausibel identifizierbare historische Gestalt darstellt; Alexander, Medieval apocalypses, 999; Alexander, Conquêtes arabes, 12, Anm. 19; Alexander, Apocalyptic tradition, 64; 67, Anm. 25. W. Treadgold plädiert für eine Abfassung durch Patriarch Methodios I. im Herbst des Jahres 829 (cf. den Abschnitt zur Datierung in Kap. V.3). 44 Drag 651: „Zepter“. 45 Bel missverständlich „im fünften Kopf“; SANU 56 „zweihundertköpfig“, offensichtlich ein Missverständnis des gr. κεφάλαιον („Großbuchstabe“). Das Zahlenspiel bleibt obskur. 46 P. Alexanders Vermutung eines Missverständnisses von ἀρχή als Beginn und nicht als Herrschaft ist nahe liegend; idem, Apocalyptic tradition, 67, Anm. 27. 47 Dan 7,2. 48 Ab Kap. 4 lassen sich keine weiteren zeitgeschichtlichen Anspielungen erkennen, dagegen überwiegen gängige Topoi, wie besagte Tetrarchie und die Stadt der Sonne (Heliopolis), die vermutlich auf die Tiburtinische Sibylle hinweisen - Alexander, op.cit, 67-68, Anm. 29; cf. 2 ApcDan 3,1-3. 49 Bel (Cod. 17) leistet sich ungewollt ein Wortspiel durch Auslassung der ersten zwei Buchstaben in pobэdu („Sieg“): Daraus wird бэдџ („Übel, Schaden“) so dass der Vers einen ganz anderen Sinn erhält („er wird ein großes Übel herbeiführen“). Quellentexte 368 Siebenhügelige einziehen, den Menschen Frieden stiften und danach ein Gemetzel [anrichten]. Selig sind, die am Glauben festhalten! 4. Dann wird er seine Boten in die Gebiete westlich der Stadt namens Turinidi (dies ist Sredec) schicken. 50 Und sie werden aufbrechen und Lästerungen aussprechen. Darauf werden die Bewohner dieser Gegend rebellieren und sie mit dem Schwert umbringen, sie werden sich gegeneinander erheben und unter sich ein Gefecht austragen. 51 5. Dann werden sich zwei Peiniger erheben der eine aus dem Osten, aus derselben Stadt, der andere aus dem Westen, aus Glavinica. 52 Und sie werden aufeinander stoßen an einem Ort, genannt Akroduni, 53 und einander niedermetzeln, so dass von ihrem Blut das Meer aufbrausen wird. 6. Und es wird eine schwangere Frau aus dem Umland dieser Stadt kommen, in der das Zeichen 54 geschehen - Pernik. 55 Und wenn sie ihren Bruder tot sieht, wird sie sich an die Brust schlagen und ihren Sohn 56 zur Welt bringen; und Trauer wird sie ergreifen für lange Zeit. 57 50 Die Bedeutung des ganzen Satzes ist nur annähernd zu entschlüsseln. Der Name der Stadt variiert: „Tyinaridi“ (Chil 382); „Tunaridi“ (SANU 56); Thinaridi (Bel). Drag 651 interpoliert „Sredec“ (= Serdica/ Sofia). P. Alexander geht von πόλις τυραννίς im Sinne von „rebellierender Stadt“ aus und identifiziert sie mit Syracus; idem, Apocalyptic tradition, 68, Anm. 31 und idem, Medieval apocalypses, 1012ff. 51 Der Lauf der Ereignisse wäre mit P. Alexander so zu rekonstruieren: Die kaiserlichen Gesandten kommen in Syracus an und fordern neue, von Michael II. dringend benötigte Abgaben, da der in Kleinasien rebellierende Thomas der Slave die Steuereinnahmen an sich genommen hatte. Sie werden ermordet und daraufhin spaltet sich die Stadt in eine loyale und eine aufständische Partei; idem, Medieval apocalypses, 1012ff. und idem, Conquêtes arabes, 15-17. 52 Drag 651 interpoliert „Glavinica“. Die beiden Rebellen wären der aufständische Euphemios und sein Gefährte Balata, der sich dann gegen ihn wendet - Alexander, Medieval Apocalypses, 1014-1017; idem, Conquêtes arabes, 14-15. 53 Achradine ist ein Vorort von Syracus, wo sich die beiden Rebellen Euphemios und Balata sich Gefechte geliefert haben sollen - Alexander, Apocalyptic tradition, 68, Anm. 34; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 132, Anm. 31. 54 P. Alexander plädiert für gr. σῆμα bzw. σημεῖον im Sinne von Grabmal; idem, Apocalyptic tradition, S. 68, Anm. 35. 55 Drag 651 interpoliert „Pernik“. 56 SANU 56: „weinend“. 57 Cf. 2 ApcDan 6,1. Vision des Propheten Daniel von den Königen 369 V. [Aufstieg und Niedergang der Ismaeliten] 1. Und wenn die Ismaeliten auf der letzten Insel der Donau 58 erscheinen, werden sie viele gefangen nehmen, zu einem Ort namens Mariani (dies ist Mraka) 59 vorstoßen und einen Peiniger an diesem Ort aufstellen. 2. Und wenn sie an dem Ort genannt Jeninej (dies ist Velbăžd) 60 angelangen, werden sie sich abmühen und es doch nicht erobern können.“ 3. Daniel aber fragte den Engel: „Sag mir, mein Herr, weshalb werden diese Bedrängnisse in die ganze Welt eingehen? “ 61 4. Und der Engel sagte mir: „Nicht weil Gott der Herr Ismael liebt gibt er ihm die Macht, das römische Land zu erobern, sondern um der Sünden der dort Lebenden willen. 62 5. Den Priestern wird die Würde genommen und das Opfer in der Kirche wird nachlassen. Und die Priester werden den einfachen Menschen gleichen in dieser Zeit, im siebten Zeitalter. 6. Wenn aber die Zahl der Ismaeliten und ihre Macht, die sie ausübten, zu Ende gehen, werden Persien und Romania und die anderen Inseln veröden und die Bewohner von Jerusalem, Calabria 63 und Sicilia [wegziehen]. 7. Darauf werden die Lästerer sagen: „Die Römer entkommen unserer Hand.“ 64 58 D interpoliert „Donau“, wohl bezogen auf Überfälle asiatisch-altaischer Stämme (Uzen, Pečenegen, Magyaren) auf bulgarische Territorien im 11. Jh. - Alexander, Historical Interpolations, 30; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 133, Anm. 35. 59 SANU 56: „Arijano“. Drag 651 interpoliert „Mraka“ (im Südwesten Bulgariens, nahe Radomir) und liest den Nebensatz kausal mit der Bedeutung „Gefangene machen, um zu … vorzustoßen“. Der Ort (Marianopolis? Marianum? Mariana? ) lässt sich nicht ausmachen - Alexander, Conquêtes arabe, 13; 31-32. 60 SANU 56: „Enie“. Drag 651 interpoliert „Velbăžd“ (das heutige Kjustendil). Der ursprüngliche Bezug gilt der Stadt Enna auf Sizilien - Alexander, op.cit., S. 13. 61 Der Passus 5,3 bis 7,5 verläuft parallel zu der von Vasiliev, Anecdota, 36-38 abgedruckten, Johannes Chrysostomos zugeschriebenen Daniel-Vision. Neuausgabe und Übersetzung bei Schmoldt, Schrift, 221-237 („Logos unseres heiligen Vaters Johannes Chrysostomos aus den Visionen Daniels“ 4,6- 5,18). Übersicht bei DiTommaso, Book of Daniel, 155-158 („Discourses of John Chrysostom Concerning the Vision of Daniel”); 362-363 (Greek §15). 62 Zu diesem Argumentationsaufbau sieh RevPsMeth syr gr 11,5. 63 Chil 382 und Bel: „Lavrija“. 64 Cf. RevPsMeth syr gr 13,6. Quellentexte 370 VI. [Der siegreiche Kaiser] 1. Sie werden klammheimlich aus der Stadt ziehen, genannt Turnaida (dies ist Sredec) 65 und dort auf jemand stoßen, von Gott gesandt, der zwei Kupfermünzen trägt, um ein Stückchen Brot zu bekommen. 66 2. Sie werden ihn festnehmen sein Name ist Stolkofaleou 67 - und nach Akrodun 68 bringen. Und dort werden sie ihn sogleich zum König salben ihn, den die Menschen für tot hielten. 3. Dann wird er mit einer Menschenmenge in großer Wut gegen die Ismaeliten 69 zu Felde ziehen und den Ismaeliten an einem Ort genannt Perton (zwei Hügel auf der anderen Seite von Sredec) entgegentreten. Und er wird sich eine schwere Schlacht mit ihnen liefern. 4. Und an diesem Ort steht ein Brunnen mit zwei Öffnungen, so dass sich das Blut der Römer und der Ismaeliten vermischen wird. Und Gott der Herr wird die Ismaeliten in die Hände des Königs geben. 5. Danach wird er seine Krieger rufen und Kriegsschiffe bauen. Er wird seine Streitkräfte in das Innere der römischen Länder schicken und die blonden Bärte bändigen. 70 6. So wird er Ismael vertreiben. Und dann wird sich das Gesagte erfüllen, dass sich der Löwe und sein Junges auf das Feld begeben werden. 71 VII. [Der Siegeszug nach Rom und in die Siebenhügelige] 1. Und wenn der König nach Rom zieht, wird er an einem Ort namens Lombardia 72 angelangen; die Langobarden aber, die an diesem Ort leben, werden sich wehren. 65 Zu den Verlesungen cf. die Anmerkungen zu 4,4. 66 Zum Passus 6,1-6 vgl. die Parallelen in der „Vision Daniels über die letzte Zeit und über das Ende der Welt“ betitelten Apokalypse 2,1-13 (Schmold, Schrift, 203-219, insb. S. 204- 207; cf. DiTommaso, Book of Daniel, 158-162 („Vision of Daniel on the Last Times and the End of the World”); 364-365 (= Greek §16). 67 Die Kopisten haben das Zahlenspiel nicht erkannt: „Stonepanei” (SANU 56); „Toli Kefaleju” (Chil 382), wohl verzerrt aus dem gr. εἰς τὸ … κεφάλαιον plus einer Zahlenangabe. Im Paralleltext von A. Vasiliev begegnen „dreißig und zweihundert“ (Anecdota, 37); cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 133, Anm. 42. Zum Motiv des verborgenen Königs im syrischen Julian-Roman siehe Suermann, Reaktion, 202-203. 68 Chil 382: „Askrodun“; SANU 56: „Akrud“. 69 SANU 56: „Ismael“. 70 Verwechslung von γένη und γένεια, sodass aus „blonde Völker“ wohl nicht ganz unzutreffend „blonde Bärte“ werden (Alexander, Apocalyptic tradition, 70, Anm. 49). 71 Cf. Vasiliev, Anecdota, 36. 72 Drag 651 und Chil 382: „Ivardija“; SANU 56: „Lombardia”; Bel: „Lagovardia”. Vision des Propheten Daniel von den Königen 371 2. Nach dessen Einnahme wird er in Rom einziehen und zu einem Ort gehen, wo ein verborgenes Gefäß 73 liegt. Und er wird mit seinem Schwert auf das kupferne Heiligtum 74 hauen, wo das verborgene Gefäß liegt; und es wird sich auf Gottes Befehl hin auftun. Und er wird alle am Gold teilhaben lassen. 3. Dann wird er aus Rom mit einer Menschenmenge ziehen und sich auf den Weg in die Siebenhügelige machen. 4. Und keiner auf der Erde wird sich ihm widersetzen, da Gott der Herr mit ihm ist. Und überall wird sich Angst vor diesem König breit machen. Sein Name ist Dreihundert, er beginnt mit dem Buchstaben T. 5. Und wenn derjenige namens Zweihundert, mit dem Buchstaben S 75 von seiner Gewalt hört, wird er aus der Siebenhügeligen in die inneren Gegenden fliehen, in die östlichen Länder der Erde. Und jämmerlich wird er dort umkommen. 6. Und es wird sich das zehnte Horn erheben, kurz während, für ein Jahr. Und es wird mit dem äthiopischen 76 König Krieg führen, und viele seiner Vasallen werden zu ihm flüchten. Und es wird durch den äthiopischen König vernichtet werden. VIII. [Das endzeitliche Friedensreich] 1. Und wenn der Monat August kommt und der erste Tag beginnt, wird Michael die Herrschaft antreten. Und die Berge werden sich auftun, die Fische in den Flüssen werden umkommen; und der Herr wird immerdar mit ihm sein. 77 2. Und er wird die Siebenhügelige (dies ist Thessaloniki) 78 vom Westen her betreten, sein Reich mit gewaltiger Macht regieren und seine Feinde unter seinen Füßen befrieden. Sein Zepter wird in Thessaloniki dreiunddreißig 79 Jahre lang regieren und sein ganzer Zorn und seine Wut werden sich gegen diejenigen richten, die von Gott abgefallen sind. 3. Das ganze Land wird befriedet werden und es wird eine große Freude auf der Erde herrschen, wie sie nie zuvor gewesen ist noch 73 Bel: „Brunnen“. 74 Cf. 2 ApcDan 3,5. Die Stelle bleibt obskur. 75 Wohl die Zahlenwerte der griechischen Buchstaben Τ und Σ. Die Übersetzung „dreihundert Köpfe“ und „zweihundert Köpfe“ trifft nicht zu (Miltenova, Knižnina, 129). 76 SANU 56: „ägyptisch“ 77 Drag 651 interpoliert diesen Passus. 78 Drag 651 ergänzt „Thessaloniki“ und betont erneut den lokalen Bezug zum Südwesten der Balkan-Halbinsel; Istrin, Otkrovenie I, 262. 79 Chil 382: „zweiunddreißig“. Quellentexte 372 sein wird. Und die Hofanbediensteten werden den Königen, die Armen den Reichen gleich sein. 4. Und er wird ein Schreiben an die vier Enden der Welt senden. Darauf hin werden sich fromme Männer versammeln, die Gott fürchten, um das unschuldige Blut und die der Schande preisgegebene Kirche zu rächen. Zum Konzil werden sie zahlreich erscheinen. Der König wird sich zu ihnen setzen und sie werden gemeinsam beraten. 5. Sie werden die Kirchen der Heiligen erneuern, durch Bilder werden sie sie erneuern und die heruntergekommenen Altäre wieder aufrichten. 80 6. Keiner wird andere schmähen noch wird jemand geschmäht werden. So wird dieser Herrscher in Frieden sterben und Gott der Herr wird ihn bei sich ruhen lassen. IX. [Die unreinen Völker] 1. Nach ihm wird sich ein anderes Zepter 81 erheben. In seiner Zeit werden sich die zwölf Könige der Schlangentore 82 erheben, die Erde wird bei ihrem Anblick erbeben. 2. Die Menschen aber werden erschrecken und in die Berge und in die Höhlen flüchten. 83 Viele werden umkommen und keiner wird da sein, der sie begräbt. 3. Diese unreinen Völker aber, die aus den Bergen hervorströmen, werden die Körper der Toten essen und das Blut der Tiere trinken. 84 Die Erde wird durch sie entweiht werden. 4. Niemand wird ihnen entgegenzutreten vermögen während der Zeit, die ihnen beschieden ist. Und wenn ihre Zeit verstrichen ist, wird Gott einen seiner Archistrategen entsenden, um zu vernichten. 85 X. [Endkaiser und Antichrist] 1. Und dann wird sich der rhomäische Kaiser erheben und in Jerusalem für zwölf Jahre niederlassen. 80 Es geht um die Restauration der der Ikonenverehrung. In einem anderen Kontext jedoch ist in RevPsMeth syr 13,16 par. von Erneuerung der Kirchen die Rede. Hier geht es um die Behauptung des christlichen Glaubens gegenüber der muslimischen „Kasteiung“. Cf. 3 ApcDan 8,5 (Kirchenbau als Merkmal des Idealherrschers). 81 Bel: „Reich“. 82 Bel ergänzt: „der Riesen“. 83 Offb 6,15 84 Chil. 382 lässt diesen Nebensatz aus. 85 Schluss von SANU 56. Vision des Propheten Daniel von den Königen 373 2. Und dann wird der Sohn des Verderbens erscheinen. In Sikhuz 86 (dies ist Strumica) 87 wird er zur Welt kommen, in Bethsaida wird er groß werden, in Kafarnaum wird er herrschen. Weh dir, Khuzin, 88 da er in dir zur Welt kam! Weh dir, Bethsaida, da er in dir groß geworden ist! Weh dir, Kafarnaum, da er in dir herrschen wird! 89 3. Und wenn der Sohn des Verderbens kommt, wird der rhomäische Kaiser auf die Schädelstätte steigen und seine Krone auf das Kreuz niederlegen. Dann wird er zu Gott beten, die Hände zum Himmel erheben und das christliche Reich Gott dem Vater übergeben. 4. Danach wird der Sohn des Verderbens Zeichen und Wunder wirken. Die Quellen werden versiegen und die ägyptische Sonne wird sich in Blut verwandeln. 90 XI. [Die zwei Zeugen] 1. Es werden zwei Männer auftreten, die den Tod nicht geschmeckt haben: Henoch und Elija. 91 2. Der Fürst 92 des Verderbens wird gegen sie kämpfen und sie töten am Holz, an dem unser Herr Jesus gekreuzigt wurde. Die Seele wird er ihnen aus dem Mund nehmen. 93 3. Und nach drei Tagen werden sie auferstehen und erhöht werden. 94 4. Ehre sei unserem Gott in aller Ewigkeit. Amen. 86 Drag 651: В’sihuzђ (V’sichuz, wohl durch eine Dopplung der Präposition); Chil 382: vь Сihuzђ (Sichuz). 87 Drag interpoliert „Strumica“. 88 An Stelle von „Chorazin“. 89 Bezug der drei galiläischen Städte auf den Antichrist wohl in Anlehnung an Jesu Fluch gegen sie (Mt 11,21ff.; Lk 10,13 ff.); cf. RevPsMeth syr 14,1 par.; 3 ApcDan 7,1. 90 RevPsMeth syr 14,8; 3 ApcDan 7,4. 91 Offb 11, 3-14; 3 ApcDan 8,1-10. 92 Bel und Chil 382: „Sohn“. 93 Schluss von Drag 651. 94 Die Auferstehung der beiden Zeugen fehlt in Chil 382. 7. Deutung Daniels Als Anhang zur „Vision Daniels von den Königen“ (2 ApcDan) wird eine Offenbarungsschrift mitüberliefert, die den Titel „Deutung Daniels“ (3 ApcDan) trägt. Dafür gibt es kein direktes byzantinisches Pendant, die Abfassung erfolgte in einem altbulgarischen Milieu. Aus der näheren Analyse des Textes ergibt sich, dass er ursprünglich als Ergänzung, Kommentar und Fortführung der vorangehenden Apokalypse (2 ApcDan) konzipiert wurde. Nur so kann die Überschrift als „Deutung“ plausibel erklärt werden. Der Autor von 3 ApcDan war mit großer Sicherheit in demselben Zirkel beheimatet, der eine Reihe lokalisierender Glossen in den Texten von 2 ApcDan und RevPsMeth sl Drag um die Mitte des 11. Jh. eintrug; ja es ist nicht auszuschließen, dass es derselbe Redaktor war, der auch die „Deutung Daniels“ anfertigte, um die verstreuten Einträge in den beiden Apokalypsen zu verdichten und in einem eigenständigen Text den regionalen Bezug zu vertiefen. Der Verfasser verspricht sich eine Restauration des Bulgarischen Reiches und hofft, dass der Insurgent Petăr Deljan wiederkehren wird und in Konstantinopel die Herrschaft verliehen bekommen wird (3 ApcDan 3,1-10). Die kirchenslavische Fassung ist folgendermaßen bezeugt: 1 - Cod. 651 (Dragol’scher Sbornik, Sammelcodex des Priesters Dragol’), Serbische Nationalbibliothek Belgrad, zweite Hälfte des 13. Jh., fol. 242r-247r 2 Zwischen 2 und 3 ApcDan wurde der Text der sog. „Letzten Vision des Propheten Daniel eingeschoben“ (= Drag 651). - Cod. 56, Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste (Srpska akademija nauka i umetnosti/ SANU) Belgrad, unklare Datierung (15. - 17. Jh.), fol. 189r; 188r-188v; 190r-191v (= SANU 56) Die deutsche Übersetzung folgt der Ausgabe von 1996. 3 Sie wird etwas ausführlicher kommentiert, da es sich um einen recht unbekannten Text handelt, der zahlreiche Querverweise enthält. 1 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 109-117. 2 DiTommaso gibt abweichend fol. 251r-256v an (idem, Book of Daniel, 508). 3 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 125-127 (Text), 135-138 (bulgarische Übersetzung, Anmerkungen). Dies aber ist die Deutung Daniels 1 I. [Die Enthüllung des Geheimnisses] 1. Wie vom Anfang bis zur Vollendung, bis zum Kommen des Antichrist vorherbestimmt, so lösten sich die Herrscher auf der Erde ab. 2 Und dies wird [weiter] in Erfüllung gehen. 3 2. Dies Geheimnis soll nicht vielen Menschen anvertraut werden, da derjenige, der es nicht zu wahren weiß, deswegen 4 umkommen 5 wird. 3. Denn all dies ließ der Herr Daniel wissen, in einer Wolke, 6 des Nachts. 7 Und er schrieb unter dem Stern, 8 als der Stern, vom Osten 1 Titel nach Drag 651: a se tl[kovanie danilovo 2 Drag 651 wörtlich: „so herrschte man auf Erden“. 3 Drag 651 wörtlich „und so wird es in Erfüllung gehen“. Diese „einleitende prophetische Formel“ (so Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 137, Anm. 1) greift auf die spezifisch apokalyptische Erzähltechnik einer „Geschichtsschreibung in Futurform” zurück: Was sich in der Verangenheit erfüllte, wird auch für die künftigen Dinge gelten. Beides wurde in einem Zug dem Propheten Daniel angekündigt. 4 SANU 56 ergänzt „übel“. 5 Ein apokalyptisches Geheimhaltungsgebot bereits in der eröffnenden Partie ist ungewöhnlich. Dies verweist indes auf eine Zirkulation in geschlossenen Kreisen, andererseits wirkt er sich als ein psychologisch geschickter Ansporn zur Verbreitung aus. 6 Für die Wolke als traditionelles Element theophaner Szenerie (Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, S. 137, Anm. 2: Ex. 19,9) spricht eine Vielzahl von Belegen: die Wolkensäule in der Wüste Ex (13,21); die Kulisse des Bundessschlusses (Ex 19,16ff.); die Erneuerung des Bundes (Ex 34,5). Das Wolkenmotiv begegnet häufig in visionärem Kontext, so in der Feuerwagenvision (Ez 1,4); als Verklärungskulisse (Mk 9,7 par); die Erhöhung Jesu geschieht auf einer Wolke (Apg 1,9); das Kommen des Menschensohns (Dan 7,13; Mk 13,26 par; 14,62 par); Thron des Menschensohns (Offb 14,14). Das Wolkenbild wirkte übrigens stark in der mittelalterlichen Literatur nach - vgl. die mittelenglische Schrift „The Cloud of Unknowing“ („Die Wolke des Nichtwissens“, um 1390 entstanden), die es als zentrale Metapher der mystischen Gottesschau aufgreift; cf. Hodgson, Cloud of Unknowing I (1944); Hodgson, Cloud of Unknowing II (1982), Clark, Cloud of Unknowing I (1995); Clark, Cloud of Unknowing II (1996); Massa, Wolke des Nichtwissens (1974); Steinmetz, Mystische Erfahrung (2005). 7 Daniels Tiervision zum großen Thema „Periodisierung der Weltgeschichte“ ereignet sich ebenfalls des Nachts (Dan 7,2). 8 Drag 651 wörtlich „während des Sterns“. Quellentexte 376 aufgehend und in den Westen wandernd, 9 in Herrlichkeit die Huldigung 10 der Könige kundtat. 11 II. [Die Abfolge der Königreiche] 1. Denn Gott krönte sieben Könige und wies ihren Reichen [Herrschafts-]Gebiete zu. Als erster [herrschte] Senil 12 unter den Assyrern, als zweiter Avarak 13 in Rom, 14 als dritter Navuchodonosor 15 in Babylon, als vierter Kyr 16 unter den Persern, als fünfter Alexander unter den Griechen, als sechster Romul 17 in Rom, als siebter Konstantin in Konstantinopel. 18 2. Und wenn der Anfang der Übel 19 die ganze Welt heimsucht, wird sich Khagan Michael 20 unter den Bulgaren erheben. Denn es wurde 9 Drag 651 wörtlich „vom Mittag … bis nach Mitternacht“. Die auf den ersten Blick recht deplatziert wirkende Einbeziehung dieses Schlüsselelements aus der Sterndeuter-Episode (Mt 2,1-12) verleiht Daniels Vision eine neue Qualität. Was nach Matthäus zum Kommen Jesu gehört, wird an dieser Stelle auf die Endzeit bezogen. Eine Anspielung auf Mt 24,27 kommt jedoch nicht in Frage (Stern statt Blitz, Ehrerweis der Könige) - gegen Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 137, Anm. 3). 10 Drag 651 wörtlich „Ehre“. 11 V.3 liest sich als eine Kombination aus mehreren sich überlappenden Folien: (a) Wolke als theophane Verzierung; (b) nächtliche Vision als Merkmal der periodisierenden Geschichtstheologie von Dan 7; (c) von Ost nach West wandernder Stern als astrologisches Signal der Geburt Jesu (Mt 2,1-12). 12 SANU 56: „Selin“, Herkunft fragwürdig; Salmanassar V. (726-722 v Chr.)? Sanherib (705- 681 v.Chr.)? 13 SANU 56: „Arvak“, Herkunft fragwürdig. 14 Ab hier Folienumstellung in SANU 56. 15 Gedoppelt „Navuchodonososor“: Nebukadnezar (604-562 v.Chr.). 16 Drag 651: „Čjur”; SANU 56: „Kur”, wohl Kyros (559-529 v.Chr.), was die Reihe fortsetzen würde. 17 Drag 651: „Rumel’ ”; SANU 56: „Romen”, wohl Romulus. 18 Während zwar die Siebener-Zahl einleuchtet, bleibt die Logik von V.1 unklar. 19 Standardmäßig Mk 13,8. 20 Die Verwendung des von den Protobulgaren adaptierten, unter Turkvölkern verbreiteten Titel des „Khagan“ zusammen mit dem Namen Michael (dem Namen, den König Boris (852-889) bei seiner Taufe bekam) kommt in die Nähe eines restaurativen Gedankens, der mit der Figur des Aufständischen Petăr Deljan 1040-1041 als zweitem Michael in Verbindung gebracht werden kann - mit Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 137, Anm. 5. Es spricht einiges dafür, dass der Rebelle in der Tat altbulgarische Herrschaftstitel vergab und sich womöglich selbst verlieh - Zlatarski, Istorija II, 56, Anm. 2.; 745- 755. Zu altbulgarischen Titeln (darunter zur Bezeichnung kavkhan) siehe Runciman, History, 284-288. Deutung Daniels 377 den Bulgaren kein Reich zugewiesen, sondern sie haben es mit Gewalt erlangt. 21 3. Dann wird ein Bruder gegen den anderen aufbegehren, und eine Stadt gegen die andere, und ein Land gegen das andere. 22 4. Und Simeon wird dreißig Jahre herrschen, 23 und nach ihm Petăr. 24 Und nach ihnen werden sich zwölf Könige erheben und von sich behaupten: „Ich bin es“, und die anderen „Ich bin es“. Diese aber sind Peiniger. 25 5. Und sie werden sich mitten im Land, in einer allbekannten Stadt 26 Krieger holen: Ihr Name ist „die blonden Bärte“. Sie werden sich bekriegen und viel Blut vergießen, und es wird eine große Unrast eintreten. 27 21 Dies unterstreicht die restaurative Idee der gewaltsamen Errichtung eines bulgarischen Reiches: Das Volk, welches bei der Zuweisung von Königreichen leer ausging, muss dies selbst in die Hand nehmen - dies wird für das Präludium der Endzeit angesetzt. 22 Die apokalyptische Rhetorik von Mk 13,8 par (Aufstände und Naturkataklysmen sind erst eine Ankündigung des globalen Zusammenbruchs) wird aus V.2 illustrativ zum endzeitlichen Geschehen wieder aufgenommen. 23 Die Herrschaftszeit von Boris‘ I. Nachfolger Symeon (893-927) ist nur annähernd angegeben. 24 Petăr I. (927-969) wird nicht näher charakterisiert. 25 Damit wird die Zeit des sich anbahnenden Niedergangs des Ersten Bulgarischen Reiches bis hin zum Jahre 1018 treffend erfasst. 26 Serdica? Thessaloniki? 27 Zur Verwechslung von γένη und γένεια siehe die Anmerkung zu 2 ApcDan 6,5. Zum Einsatz normannischer Krieger in Byzanz siehe Wolfram, Xantha Ethne, 237-246. Dass es sich hier unter anderem um die Waräger-Truppe des byzantinischen Söldners und späteren norwegischen Königs Harald Hardråde gehandelt haben soll (so Kajmakamova, Săčinenija, 91), ist wiederum recht wahrscheinlich, da er in der fraglichen Periode zwischen 1033 und 1044 an prominenter Stelle im Einsatz war - Zlatarski, Istorija II, 72ff. Quellentexte 378 III. [Der Herrschaftsantritt des Königs Michael] 1. Dann wird sich ein König aus der Stadt der Sonne 28 unter den Ugren 29 erheben und mit ihnen ziehen. Er wird alle Städte erobern, das Gold von ihnen plündern und [eigene] Verwalter einsetzen. 30 2. Und er wird für sieben Jahre sterben und nach Gottes Willen bis zu diesem [siebten] Jahr [begraben] liegen. Und dann wird er aus dem Grab aufstehen, als ob er [bloß] geschlafen hätte. Er wird sich in einen Knaben mit einem blinden Auge verwandeln, 31 einen, den man für hielt. Er wird die Königsherrschaft dreiunddreißig Jahre ausüben, sein Name ist Michael. 32 3. Er wird sich also von der Stadt der Sonne erheben. Das elfte Jahr 33 wird beginnen und Gott wird einen 34 Engel senden, um ihn aufzuwecken, der ihm sagen wird: „Steh auf! Dir hat Gott die Herrschaft über alle Völker gegeben, soweit der Sonnenschein reicht.“ 35 28 Cf. 2 ApcDan 4,3. Eine Verbindung zur Tiburtinischen Sibylle (Heliopolis/ Baalbek) liegt womöglich nahe (Sib Tib 78; 205); cf. Alexander, Oracle (1967). Weg und Sinn der Übertragung wären jedoch weiter zu klären. Falls es sich um Petăr Deljan handeln soll: Die Stadt wäre Belgrad, wo er zum König ausgerufen wird und seine militärischen Operationen beginnt; cf.. Zlatarski, Istorija II, 51. 29 Die wiederholten Einfälle von Ugren, Magyaren und Pečenegen auf bulgarisches Territorium das ganze 11. Jh. hindurch, bisweilen unter dem Begriff einer sog. „zweiten Turkvölker-Invasion“ erfasst, setzten der einheimischen Bevölkerung schwer zu; cf. vgl. Alexander, Interpolations, 29-31; Delev, Angelov & Bakalov et alii, Istorija, 73-74. 30 Ist der Sonnenstadt-König tatsächlich der aufständische Petăr Deljan (1040-1041)? Ihm werden jedenfalls die Konfiskation von Gold und die Einsetzung loyaler Verwalter zugeschrieben, was zutreffend erscheint. Probleme bereitet allerdings das diplomatische Zweckbündnis mit den Ugren. 31 Petăr Deljan wurde nach einer Streitigkeit von Alusian geblendet. Er war Enkelsohn von Samuils Bruder Aron und Sohn des letzten Königs des Ersten Bulgarischen Reiches Joan Vladislav (1015-1018), der Gavril Radomir i.J. 1015 ermordet hatte; cf. Delev, Angelov & Bakalov et alii, Istorija, 62.73. 32 Cf. die Interpolation in RevPsMeth sl Drag. Da der Aufstand nach knapp einem Jahr blutig scheiterte und sein Anführer nach Folterungen in Konstantinopel verstarb, müsste diese Stelle dann als eine auf Petăr Deljans Wiederkehr gerichtete Hoffnung gelesen werden. 33 Diese Angabe, die mit der siebenjährigen Frist im vorausgegangen Vers kollidiert, resultiert möglicherweise aus einer Verwechslung von ž für 7 und ja für 11. 34 SANU 56 ergänzt „seiner“. 35 Die Kombination aus Auferstehung und Weltherrschaft ist m.E. singulär. Das Motiv der Herrschaft über alle Völker bis ans Ende der Welt begegnet jedoch separat in Ps 2,8 (Hymne auf den Thronnachfolger nach instabiler Interimszeit); Ps 72,8; Sach 9,10 (kommender Friedenskönig); Bezugnahme im endzeitlichen Kontext (Offb 2,26) Deutung Daniels 379 4. Und er wird auf sein Pferd steigen und mit einem einzigen Schwert [bewaffnet] aufbrechen. Wenn er nach Rom gelangt wird man ihm nicht aufmachen, sondern sagen: „Er ist ein Betrüger.“ 36 5. Er aber wird auf das kupferne Heiligtum hauen und es zu Staub schlagen. 37 Und er wird in die Stadt einziehen. 6. Die Patriarchen aber und die Bischöfe und die Diakone, die die Bücher verfassen, werden sich versammeln und über die Krone 38 streiten. 39 7. Dann wird ein einfacher Diakon hervortreten und sie im Streit widerlegen. Sagen wird er: „Dieser ist der König“. Sie aber werden Bücher ergreifen und ihn damit erschlagen: Drei Tage wird er tot liegen. 8. Und wenn er aufsteht, wird er in die Petruskirche gehen, wo die Krone und der Purpurmantel 40 verborgen liegen. Da wird sich nach Gottes Willen das Grab auftun und er wird, so heißt es, das falsche Gewand und das königliche Zepter an sich nehmen [und die Krone] aufsetzen. 41 9. Die Römer aber, da sie seine große Wut sehen, werden Gold in Höhe einer aufgerichteten Peitsche und einer stehenden Lanze anhäufen und Säcke damit befüllen. Und aus Rom werden fünfzig Männer mit fünfzig Traglasten ziehen. 42 36 Rom ist offensichtlich eine Chiffre für Konstantinopel. Womöglich war der Verfasser bestrebt, einen direkten Konstantinopel-Bezug zu vermeiden, um keinen Verdacht zu erwähnen. Damit würde er von der gleichen literarischen Geheimhaltungstechnik Gebrauch machen wie der Autor der Johannes-Offenbarung (Rom-Babylon). 37 Das kupferne Heiligtum bleibt rätselhaft; 2 ApcDan 7,2 lässt sich ggf. dahingehend rekonstruieren. Völlig spekulativ sind an dieser Stelle die Überlegungen von Venediktov, Gumno, 95ff. Von einem wie auch immer gearteten altbulgarischen kupfernen Heiligtum kann an dieser Stelle nicht die Rede sein. 38 Drag 651: Dopplung von „Krone“. 39 I.e. über die Herrschaftsnachfolge - dies wird von der kirchlichen Obrigkeit entschieden! 40 Drag 651 wörtlich „das Porphyr“; SANU 56: „Phorpyr“; im Griechischen πόρφυρα (Mk 15,17.20); ἱμάτιον πορφυροῦν (Joh 19,2); χλαμύδα κόκκινον (Mt 27,28). Die Spurensuche nach den Spottreliquien Jesu (Mk 15,16-20a par), den „Arma Christi“, übersteigt bei weitem den Umfang einer Fußnote. Wichtig ist, dass sie in der byzantinischen Hauptstadt aufbewahrt wurden und der Verfasser für Konstantinopel den Codenamen „Rom“ wählt. Die Reliquien Jesu wurden nach dem Fall Konstantinopels im Jahre 1204 von Balduin II., der an permanenter Geldnot litt, an König Ludwig IX. nach Frankreich verkauft; cf. Górny & Rosikon, Svideteli, 265-281 (nach Górny & Rosikon, Tajemnicy); Ringleben, Dornenkrone (zur Rezeption in der bildenden Kunst). 41 Die Stelle ist durch Omission oder Verderbnis obskur. Der als Usurpator angesehene Wiedergänger soll sich durch die Beilegung der Spottreliquien als Regalia herrschaftliche Legitimität verleihen. 42 Siehe dazu die Mitteilungen des byzantinischen Lexikons Suda (um 970) zur Beschenkung von Khan Tervel (700-720) durch Kaiser Justinian II. Rhinotmetos (685-695; 705- 711): Anhäufen von Geld über Schild und Peitsche, Stapeln von seidenen Gewändern Quellentexte 380 10. Er aber wird nach Süden ziehen, nach Glavinica, und daselbst die blonden Bärte bändigen. 43 IV. [Die kriegerischen Auseinandersetzungen von König Michael] 1. Und zwei Peiniger aus dem Osten werden sich erheben. 44 Dem ersten wird er auf Ovčepole entgegentreten und die Krieger aus Skopie beim Kiëv-Brunnen vernichten 45 . Sodann wird er zurückkehren. 2. Und abermals werden zwei Horden Ismaeliten heraufziehen und das ganze bulgarische Land erobern. Der Khagan aber wird zu Felde ziehen und sie bei Sredec stellen. Dort wird er zweimal ein Gemetzel anrichten. Und bei Bojana wird er sagen: „Lasst hier die Beute! Geht heim! “ Die Ismaeliten aber werden erwidern: „Wir werden sie nicht hergeben, sondern kämpfen! “ 46 3. Und da wird sich ein großes Gefecht ereignen. An diesem Ort ist ein Brunnen mit zwei Öffnungen. 47 Es wird aber ein solches Blutvergießen sein, dass ein dreijähriger Hengst im Blut versinken wird. Dort werden ihm die Ugren beikommen und seine Krieger umbringen. 48 neben einer aufgerichteten Lanze, Befüllen von Kästen mit Gold und Silber und Austeilen an die Soldaten (Textausgabe von A. Adler (Hg.), Suidae lexicon I-V, 1928-1938). Tăpkova-Zaimova & Miltenova haben zwar Recht mit ihrer Quellenannahme (op.cit., 137, Anm. 10), periphrasieren jedoch etwas ungenau. Die Stelle lautet (β’ 423): ὅτι ἐπὶ Ἰουστινιανοῦ τοῦ Ῥινοτμήτου ἤκμαζεν ὁ Τέρβελις, ὁ τῶν Βουλγάρων ἀρχηγός: καὶ ὁ αὐτὸς Ἰουστινιανὸς καὶ Κωνσταντῖνος, ὁ Ἡρακλείου υἱὸς, ὑπόφοροι τούτῳ ἦσαν. τὴν γὰρ ἀσπίδα, ἣν εἶχεν ἐν πολέμῳ, ὑπτίαν ἔθηκε καὶ τὴν ἑαυτοῦ μάστιγα, ᾗ ἐχρῆτο ἐπὶ τοῦ ἵππου, καὶ ἕως οὗ ἐσκέπασεν ἀμφότερα, χρήματα ἐνετίθει. καὶ τὸ δόρυ ἐν τῇ γῇ παρεκτείνας μέχρι τῶν περάτων καὶ ἐς ὕψος πολὺ σηρικὴν ἐσθῆτα ἐτίθει, καὶ κιβώτια πλήσας χρυσοῦ καὶ ἀργύρου τοῖς στρατιώταις ἐδίδου, τὴν μὲν δεξιὰν χρυσίου πληρῶν, τὴν δὲ λαιὰν ἀργυρίου. 43 Mit der Ortschaft Glavinica betritt der Text die in 2 ApcDan umrissene geographische Region (Interpolation in 4,5 zu Achradine). 44 Hier klingt erneut der Duktus von 2 ApcDan an (4,5). 45 Es sind allesamt Orschaften im südwestlichen Balkan-Gebiet: Ovče pole (wörtl. „Schafsfeld“), Skopje und hinter dem Brunnen wohl Kičevo im heutigen Mazedonien; cf. Petkanova & Miltenova, Eschatologija, 217, Anm. 11. Zur Ortschaft Kievo/ Kij cf. Kovačev, Kiëvo, 125-134. 46 Sredec/ Serdica und das nahe gelegene Bojana gehören ebenfalls zum geographischen Horizont der Interpolationen in 2 ApcDan (4,4; 6,1.3). 47 Cf. 2 ApcDan 6,4 (Brunnen mit zwei Öffnungen). 48 Während in 2 ApcDan 3,1 von einer Allianz mit den Ugren die Rede war, wird diese nun aufgelöst. Deutung Daniels 381 4. Er selber wird nach Velbăžd 49 flüchten. Dort wird er die Waisen und die Priester, die Diakone und die Mönche auf dem Berg Vitoša versammeln, wo viele Heilige [Reliquien] aus allen Landen versammelt sind. 50 5. Sie alle werden mit dem Kreuz gegen Ismael losziehen, der Patriarch wird vor ihnen hertreten. 51 Die Ugren aber werden erschrecken und die Beute da lassen. 52 V. [König Michael in Thessaloniki] 1. Und der Khagan wird sich in Thessaloniki 53 für dreizehn Jahre niederlassen. 2. Die Ugren aber werden ihre gesamte Macht gegen Thessaloniki aufbieten. Und ein Drittel von ihnen wird zur Taufe zurückbleiben, da der Herr Ismael liebt und ihm Kraft gibt. 54 3. Die Thessaloniker aber werden gegen die Ugren zu Felde ziehen, sie niedermetzeln und drei Jahre lang ihre Waffen verbrennen. 4. Es werden gute Jahre unter diesem König kommen, und es wird so ein Leben sein, das nicht gewesen ist noch sein wird. 55 5. Und er wird sich anschicken, die heiligen Kirchen zu erneuern: Silberne Altäre wird er errichten lassen. 56 49 Cf. 2 ApcDan 5,2 (Velbăžd/ Kjustendil). 50 Wohl eine Anspielung auf die Klosterlandschaft um Sofia und zu Fuß des Berges Vitoša. 51 Das bulgarische Patriarchenamt war von Basilios II. abgeschafft worden, er übertrug die kirchliche Verwaltung der bulgarischen Gebiete dem „Archiepiskopat“ (Erzbischoftum) von Ochrid. Der Verfasser geht davon aus, dass die Autokephalie wiederhergestellt wird. 52 Der religiös-magische Feldzug bewirkt das, was die militärische Kampagne nicht vermochte. 53 Cf. 2 ApcDan 8,2 (Thessaloniki). 54 Zur Christianisierung von Turkvölkern nach dem fehlgeschlagenen Angriff auf Thessaloniki i.J. 1064 siehe Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 138, Anm. 13. 55 Unter Fortsetzung der Lesart auf Petăr Deljan wäre dies eine Prognose auf die Etablierung eines stabilen Regiments unter ihm nach der Zerschlagung der asiatischen Invasion. 56 Die Formel „Erneuerung der Kirchen“ begegnet in verschiedenen Kontexten mit je anderer Bedeutung (a) in RevPsMeth syr 13,16 par geht es um die Behauptung des christlichen Glaubens gegenüber der muslimischen „Kasteiung“; (b) in 2 ApcDan 8,5 geht es um das Ende des Bilderstreites und die Wiederaufnahme der Ikonenverehrung; (c) hier geht es um die Wiederaufnahme der Herrschaft durch Petăr Deljan als Idealkönig, der den Kirchen sein Wohlwollen angedeihen lässt. Quellentexte 382 6. Alle Gefangenen werden nach Strumica 57 zurückkehren, und andere nach Glavinica, denn dieses Land wird die Mutter aller Landen genannt werden. Und von da aus werden sich alle Völker auf die gesamte Erde zerstreuen. 58 7. Es wird Freude herrschen: Der Arme wird wie ein Herrscher sein, und der Herrscher wie ein König, der König aber wird seinen Ruhm vermehren und in Gottes Bild drei Jahre währen. So wird Gott das Land befreien. 8. „Und wenn sie Gott aus ihrem ganzen Glauben fürchten, dann werden ihre Tage vermehrt werden; wenn sie aber böse sind, dann werde ich ihre Tage verkürzen“, spricht der Herr, „sodass nur einer vom ganzen Geschlecht übrig bleibt.“ 59 So wird das Land befriedet werden. 60 VI.[Der König in Pella] 1. Eine schwangere Frau wird aus der Stadt auf das Feld wandeln, um ihren Bruder zu betrauern und hier wird sie weinend einen Sohn gebären. 61 2. Und er wird die Königsherrschaft hundertachtzig Jahre ausüben. Sein Vater wird bulgarischer Herkunft sein, seine Mutter griechischer Abstammung. Und in Pella 62 wird er die Königsherrschaft innehaben. 63 3. Dreimal wird er sich verbeugen, die Krone auflegen und sagen: „Dir, Herr, überlasse ich die irdische Herrschaft! “ Dann wird er in Frieden sterben. 64 57 SANU 56: „zum Struma-Fluss“; cf. 2 ApcDan 10,2. 58 Mit der Referenz auf Gen 11,9 wird der Region eine zentrale Bedeutung zugesprochen. Strumica war zeitweilig Sitz des Erzbischoftums von Ochrid. 59 Wohl eine freie Interpretation von Mk 13,20 par (Verkürzung der Tage um der Auserwählten willen). 60 Es folgt eine unübersetzbare Passage. 61 Cf. 2 ApcDan 4,6. 62 SANU 56 (missverständlich): Polý („Feld“). 63 Mit der Nennung Pellas wird zum einen eine Verbindung zu Alexander dem Großen hergestellt, zum anderen der lokale Bezug gewahrt. 64 Cf. RevPsMeth syr 14,2-6 par; 2 ApcDan 10,3. Deutung Daniels 383 VII. [Der Antichrist] 1. Und es wird der Sohn des Verderbens in Sichuza zur Welt kommen, in Bethsaida aufgezogen werden, in Kafarnaum die Herrschaft antreten. Weh dir, Land Sin, ganz Chuza, weil er in dir geboren wurde! Weh dir, Bethsaida, da er in dir aufgezogen wurde! “ 65 2. Und sobald der Sohn des Verderbens in Pella 66 erscheint und die Herrschaft antritt, wird [der Kaiser] auf die Schädelstätte steigen und seine Krone auf das Kreuz legen und Gott und den Vater anbeten. 3. Daraufhin wird der Sohn des Verderbens die Herrschaft antreten: Zeichen und Wunder wird er wirken: Die Quellen [des Lichtes] wird er in Finsternis verwandeln. 67 VIII. [Henoch und Elija] 1. Es werden dann zwei Männer erscheinen - Henoch und Elija: Wenn der Antichrist kommt, dann werden auch sie kommen in grobem Kleid, barfüßig. Sie kamen aber nicht, um zu leben, sondern um den Betrüger zu überführen. 68 2. Und in der Zeit ihrer Prophetie wird sich der Himmel verschließen, es wird nicht mehr regnen, wie einst in den Tagen Elijas. Die Flüsse werden sich in Blut verwandeln und alle Plage wird die Erde heimsuchen, da sie es gebieten. 69 3. Wenn aber jemand auf sie nicht hört, wird er mit einem Lehrwort getötet werden: Des Abfalls von Gott wegen werden sie Wunden zufügen. 70 4. Und wenn sie ihre Prophetie beendet haben, wird der Sohn des Verderbens sie aufsuchen und töten. 71 5. Sie werden in Jerusalem sterben, wo ihr Herr gelitten hat. Da wird der Antichrist herrschen. Herrschen wird er vierzig 72 Monate und [noch] drei, indem er viele umbringt. 65 Die Verbindung der drei galiläischen Städte mit dem Offenbarwerden des Antichrist (wohl auf dem Hintergrund von Jesu Fluch gegen sie Mt 11,21ff.; Lk 10,13ff.) begegnet in RevPsMeth syr 14,1 par; 2 ApcDan 10,2. 66 SANU 56 (erneut): Polý. Die Verbindung des Wirkens des Antichrist zur Geburtsstadt Alexander des Großen ist singulär; ebenso ihre Erwähnung als Herrschaftssitz des Endkönigs. 67 RevPsMeth syr 14,8 par; 2 ApcDan 10,4. 68 Offb 11,3-14; 2 ApcDan 11,1-3. 69 Offb 11,6 (Macht, den Himmel zu verschließen). 70 Offb 11,7 (Schaden an allen, die sich den beiden Propheten widersetzen). 71 Offb 11,7 (Tier aus dem Abgrund). 72 SANU 56: „vierzig“; Drag 651: „vier“. Zu erwarten wären zweiundvierzig Monate resp. zwölfhundertsechzig Tage gleich dreieinhalb Jahre nach Offb 11,4 (Zeit des Wirkens der beiden Zeugen). Quellentexte 384 6. Und nachdem er sie getötet hat, werden sich alle Völker 73 mit großer Freude freuen und sagen, dass sie die ganze Welt 74 durcheinander gebracht haben. 75 7. Ihre Körper werden dreiundeinhalb Tage unbegraben liegen, damit alle sie sehen. Und Gott wird ihnen den Hauch des Lebens einhauchen und sie werden auf die Beine kommen, damit ihre Feinde sie sehen. 76 8. Sie aber werden eine Stimme vom Himmel hören, die zu ihnen spricht: „Kommt herauf! “ Und sie werden zum Himmel hinauffahren auf einer Wolke wie der Herr. 77 9. Und Gottesfurcht wird alle Lebenden überkommen, in alle Ewigkeit. 78 10. Ehre 79 sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen. 73 SANU 56: „Menschen“. 74 SANU 56: „Erde“. 75 Die Schadenfreude der Menschen wird in großer Nähe zu Offb 11,10 geschildert: „Und die Bewohner der Erde freuen sich darüber, beglückwünschen sich und schicken sich gegenseitig Geschenke; denn die beiden Propheten hatten die Bewohner der Erde gequält.“ 76 Offb 11,8.11. 77 Apg. 1,9; Offb 11,12. 78 Die Apokalypse schließt mit der Blamage des Antichrist und der Rehabilitierung der beiden Zeugen. Ein weiteres Szenario des Endgerichtes und der Welt danach ist nicht enthalten und womöglich auch nicht beabsichtigt. 79 SANU 56 endet mit „Ehre“. 8. Letzte Vision des Propheten Daniel Die Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1204 war nicht nur politisch, sondern auch in kultureller und religiöser Hinsicht eine gewaltige Erschütterung für das Reich und beschäftigte die kommenden Generationen nachhaltig. Die apokalyptische Literatur des 13. Jh. war ein eigenes und eigentümliches Feld der Auseinandersetzung mit der historischen Zäsur. 1 Ein Zeugnis hiervon ist die sog. „letzte Vision des Propheten Daniel“, die im Griechischen mit ca. 25 Manuskripten recht gut bezeugt ist. Der Text erreichte unmittelbar nach seiner Abfassung die Südslaven und wurde in Bulgarien mindestens dreimal unabhängig voneinander übersetzt. Unter den Ostslaven wurde eine unabhängige Übertragung angefertigt. Die untenstehend dargebotene Übersetzung basiert auf dem Text im bereits vielfach erwähnten Codex des Priesters Dragol (13. Jh.), fol.240b-242a (Drag 651). 2 Für die byzantinischen Pendants wird als Sammelkürzel Gr verwendet (Versangaben nach Schmoldts Zählung). 3 Es handelt sich um eine abgekürzte Fassung, die im zweiten Teil eine nirgendwo bezeugte apokalyptische Sequenz beinhaltet. Sie steht auch inhaltlich singulär da. Die hastige Erzählweise im Jetzt-Ton, die dramatischen Bilder, die heraufbeschworen werden, und die detaillierte Ortskenntnis legen die Vermutung nahe, dass wir es hier mit einem Zeugen zu tun haben, der die Geschehnisse aus unmittelbarer Nähe miterlebt. Falls dies zutrifft, hätten wir mit dem Text eine unbekannte Quelle der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1204 vorliegen. Sie ist ziemlich genau zwischen Balduins Krönung und Tod zu datieren, also zwischen dem 16.Mai 1204 und seinem Tod im Sommer 1205 (cf. 4 ApcDan 2,6). Dies würde unter Umständen bedeuten, dass der Bote, der den griechischen Text mitgenommen und übersetzt hat, ihn um eigene Erfahrungen ergänzt hat, die er in apokalyptische Töne taucht. Die Überschrift „Aus den heiligen [Büchern] Gesicht des Propheten Daniel“ verweist auf eine bestehende Sammlung von Daniel-Apokalypsen, derer erste die sog. „griechische Daniel-Diegese“ war (im Griechischen als „erste Vision des Propheten Daniel“ überschrieben). Unser Text dürfte sie als „letzte Vision Daniels“ (griechische Überschrift) abgeschlossen haben. 1 Tăpkova-Zaimova, Évènements, 207-215; Külzer, Eroberung, 619-632; Brandes, Konstantinopels Fall, 239-259. 2 Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 214. 3 Schmoldt, Schrift, 123-145. Quellentexte 386 Aus den heiligen [Büchern] Gesicht des Propheten Daniel 4 I. [Die Eroberung der Siebenhügeligen] 1. Weh dir, siebenhügeliges Babylon, 5 wenn du dem einsamen Zepter 6 der Engel 7 standhältst und den Weg berechnest! 8 Denn die Alleinherrschaft 9 ist eine Schlange, die gegen den mörderischen Löwen 10 zischt. 11 4 Drag 651: stih[ vid7nií danila prrka. 5 Das negativ besetzte Bedeutungsfeld „Babylon-siebenhügelige Stadt-Rom“ in Offb 17,1-18 („die große Hure“) wird an dieser Stelle auf Konstantinopel übertragen; cf, Brandes, Topographie, 58-71. 6 Wörtl. ídinoskůifetrЬі („Einzeptertum“). 7 Der slavische Übersetzer hat die Chiffre τὸ τῶν ἀγγέλων σκῆπτρον in Gr V.1 nicht auf die Dynastie der Angeloi (1185-1204) bezogen, sondern als „Engel“ wörtlich übertragen. Zur Aufschlüsselung siehe Bousset, Beiträge, 261-290, insb. S. 290 und Brandes, Konstantinopels Fall, 239-259, insb. S. 253. 8 Die Stelle ist obskur, die Bedeutung von putů sůxistůі (wörtlich „den Weg berechnen“) unklar. Geht es womöglich um sog. βασιλογραφεῖα antikaiserliche Schriften, in denen Berechnungen (wohl ex eventu) über die Herrschaftszeit byzantinischer Kaiser angestellt wurden (ausführlich dazu Brandes, Kaiserprophetien, 157-200). 9 Wörtl. ídinodrůжavií („Alleinherrschaft“). 10 Zu dieser Tiersymbolik verweisen Tăpkova-Zaimova & Miltenova auf eine treffende Parallele in der Schrift Razumnik-Ukaz: „Der Franke ist ein Löwe.“ (op.cit., 216, Anm. 2). 11 Wörtlich zmi8 sviщéщa, womöglich eine Verschreibung beim Diktat von zmi8 sпéщa (ὁ ὄφις ὁ κοιμώμενος) - Gr V.25; 28. Mit diesem Ausspruch greift der Apokalyptiker das geläufige Orakel „Der Löwe und sein Junges werden zusammen den Wildesel verjagen“ auf: Der alte Löwe stand für „Imperator Romanorum sive Graecorum“, das Löwenjunge für „rex Francorum“, der Wildesel bekanntlich für Ismael; cf. Brandes, Liutprand von Cremona, 435-463, insb. S. 446-450. Durch den Austausch der Bildsymbolik („Löwe“ für „Schlange“) wird die abschätzige Wertung der Angeloi-Dynastie hervorgehoben. Der fränkische Kaiser wird den geschwächten byzantinischen Kaiser bedrängen, anstatt dass beide im Einvernehmen die Muslime besiegen. Mit dieser symbolhaften Gegenüberstellung wird ein reichhaltiges Bildareal aufgegriffen (vgl. Ps 91,13). Die Zweiheit aus Löwe und Schlange ist reichlich bezeugt und begegnet beispielsweise in Darstellungen aus Ravenna, 5. Jh. (Belege bei Merkelbach, Philologica, 373-374); zum weiteren Hintergrund siehe Quacquarelli, Leone (1975). Eine Schale aus dem 13. Jh. nimmt sich wie eine direkte Illustration dieser Stelle aus. Sie zeigt einen geharnischten Löwen, der eine gewundene Schlange in die Ecke drängt (National Preserve of Tauric Chersonesos, Sevastopol, Ukraine). Letzte Vision des Propheten Daniel 387 2. Und das blonde Geschlecht 12 wird über dich herrschen, Siebenhügelige, seinen Wegen und den ebenen Straßen 13 folgend. 14 3. Dieses Reich kannte nicht die Lateiner. So wird Konstantinopel Rom gehören und Rom wird Konstantinopel gehören. 15 4. Und sie werden die Herrschaft über drei östliche Länder und vier westliche Länder in den hellenischen Gebieten ausüben. 16 5. Ihre Herrscher über die östlichen Länder werden die Ismaeliten bis zum neunten Geschlecht zerschlagen. 17 II. [Die große Schlacht] 1. Und es werden die Völker aufgestört werden, die im Norden leben, die nie Brot geschmeckt haben, sondern nur Fleisch und Gekochtes. 18 2. Sie werden sich in vier Horden erheben und mit großer Wut ihre Gesichter gegen Westen und die Siebenhügelige wenden. Zum großen Fluss werden sie herabwandern. Da werden sie nicht übersetzen können und daher stehen bleiben. 19 3. Die ersten werden in Ephessos überwintern, die zweiten in Maginien, die dritten in Damalien, die vierten an der Mündung des Flusses und am Feldrand, genannt Iphegam. 20 12 Im Text etwas undeutlich русмо. Zu den „blonden Völkern“ vgl. Wolfram, Xantha Gene, 237-246. 13 Sehr plausibel ist Miltenovas Annahme von einer Verlesung/ Verschreibung beim Diktat aus dem bereits im Griechischen missverständlichen ἓξ καὶ πέντε (ἔτη) in Gr V.29: шest(v)i0 puti ihů statt шesti0 p1ti ihů; cf. eadem, Knižnina, 216, Anm. 4. 14 Gr V.2-28 werden übersprungen. Somit wird ein direkter Bezug zur Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzritter hergestellt. 15 Die Eroberung des Neuen Rom wird damit als eine Verschmelzung mit dem Alten Rom aufgefasst. 16 Erneut eine Fehlinterpretation. Gr V.31 berichtet zur Aufteilung der Herrschaft unter den Kreuzrittern. Drei Verwalter im Osten, ein vierter im Westen. Hingegen wird in Drag 651 das letzte Zahlwort als Grundzahl und nicht als Ordnungszahl übertragen. 17 Gr V.33: „Sie werden die Ismaeliten bis Kolonia verfolgen“. ἕως Κολωνίας interpretiert Drag 651 irrtümlich als vů koleniі (klingt wie altbulgarisch „Knie“), das an поколенїе („Geschlecht“) anklingt; mit Miltenova, op.cit., 216, Anm. 8. 18 Die kulinarische Ausschmückung über die Kochsitten der Nordvölker fehlt in Gr V.34. 19 Gr V.35-36 siedelt die Vierer-Teilung erst nach der Ankunft am „großen Fluss“ an. 20 In Gr V.37 werden die Ortschaften Ephessus, Malagina, Akra kampu (gleichgesetzt mit Pergamon) und Bithynien genannt. Dies geht zurück auf die Interpolation in den griechischen Text des Pseudo-Methodius 13, 7. Ismael wird sich demnach in drei Herrschaften teilen: „Der eine Teil wird in Ephesos überwintern, der andere in Pergamon, der dritte in Malagina“; cf. Brandes, Belagerung Konstantinopels, 65-91, insb. S. 73 ff. Womöglich handelt es sich dabei um die erste Erwähnung Malaginas überhaupt (ibid., S. 76, Anm. 55). Das griechische Pendant von „Iphegam“ bleibt dabei obskur. Quellentexte 388 4. Sie werden viel Holz sammeln, eine Brücke bauen und die Siebenhügelige belagern. Und sie werden sieben Einheiten aufstellen. 21 5. Sodann werden sich die Stämme erheben, die im Westen und am südlichen Ende leben [dergestalt], als ob sich ein großer Wald erheben würde. 22 6. Der Stamm des Balduin wird siebzehn feindliche Einheiten niederkämpfen, jeder wird einen anderen besiegen. 23 7. Es wird eine große Schlacht sein, die noch nie gewesen ist, und es werden siebenmal siebentausend 24 rechtschaffene Männer fallen, alle nicht vom einfachen Volke stammend. 25 8. Alles sodomitische Fleisch wird niedergemetzelt werden, in der Stadt und auf den Plätzen werden Flüsse aus Blut strömen und das Meer wird vom Menschenblut getrübt werden. 26 9. Sodann wird ein Ochse brüllen und ein Stier schreien. 27 21 Die erneute Aufteilung in sieben Einheiten fehlt in Gr V.38. 22 Gr V.39 hat nur die Südvölker, die parallel zu den Nordvölkern aufgestört werden. Die Westvölker und der Wald-Vergleich gehen auf die Rechnung des slavischen Übersetzers. 23 In Gr V.40 ist vom „großen Philippos“ die Rede. Es ist unklar, ob damit der deutsche König Philipp von Schwaben (1198-1208) oder der französische König Philipp II. August (1180-1223) gemeint ist. Beide waren durch Heirat mit dem byzantinischen Hof verbunden. In Drag 651 wird „Philippos“ von „Balduin“ ersetzt, der siebzehn Einheiten bezwingt; offenbar Balduin von Flandern, erster Kaiser des Lateinischen Kaiserreiches - cf. Ostrogorsky, Geschichte, 360-365; Treadgold, History, 710-715. Der Zweikampf „Mann gegen Mann“ passt zudem gut zur Kampftaktik der Kreuzritter. Diese historische Notiz ist indes von besonderer Bedeutung für die Textdatierung. Das Lateiner-Heer wurde am 14.04.1205 bei Adrianopel vom bulgarischen König Kalojan vernichtend geschlagen. Balduin I. geriet in Gefangenschaft und kam wenig später in der Haft um (nach der Überlieferung im sog. Balduin-Turm in Veliko Tărnovo) - vgl. Božilov, Mutafčiëva & Kosev et alii, Istorija, 80-95 und Delev, Angelov & Bakalov et alii, Istorija, 77ff. Somit kann die Apokalypse in der Fassung von Drag 651 nur in den Jahren 1204-1205 Aktualität besessen haben. Sie ist folglich zwischen Balduins Krönung und Tod einzuordnen, also zwischen dem 16.05.1204 und seinem Tod im Sommer 1205. 24 Das ungewöhnliche Zahlwort ist wohl durch eine Dopplung oder Verschreibung von z zu erklären; cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 217, Anm. 14. 25 In Gr V.41 fehlt der Verweis auf Anzahl und adelige Abstammung der Krieger. 26 Gr V.43-44 lässt die moralisierende Deutung vermissen, in der Schlacht geschehe eine Läuterung von „Sodomiten“. 27 Das Tierorakel begegnet erstmalig in einer bedeutenden Interpolation im griechischen Text des Pseudo-Methodius 13,7-10, die auf die Belagerung Konstantinopels durch die arabischen Muslime im Winter 717-718 Bezug nimmt (ausführliche Analyse bei Brandes, Belagerung Konstantinopels, 65-91): τότε Βοῦς βοήσει σφόδρα καὶ Ξηρόλαφος κραυγάσει (V.9). Die Hintergründe dieser in der Folgezeit vielfach abgewandelten Bildmetapher sind mittlerweile gut beleuchtet. Es handelt sich um Toponyme in der Hauptstadt, die die Stationen des Vordringens der Muslime in das Stadtinnere markieren. Die in Pseudo-Methodius vorausgesagte Kriegsroute der Muslime war: Einfall durch das Xerokerkos-Tor und Vormarsch bis zum Platz Bus (forum Bovis) und dem Xerolophos- Letzte Vision des Propheten Daniel 389 10. Eine Stimme wird vom Himmel erschallen, die spricht: „Diese Rache wird euch überwältigen, ich habe Rache genommen der Ungehorsamen wegen, die meine Gebote nicht gehalten haben! “ 28 11. Und es wird ein Engel des Herrn vom Himmel herabkommen und wird die Stadtgrenzen der Siebenhügeligen segnen und sprechen: „Friede mit euch! “ 29 12. Und dann wird sich die Dreißigzahl des Gesetzes 30 erheben, die Gott salbte. 31 Amen. 32 III. [Die Schrecken des Endes] 1. Siehe, die Greisin mit dem Sack sammelt Weizen, das Unkraut mit der Gerste; den Weizen werden fortan Heuschrecken raffen. 33 2. Drei blutige Gefäße [sind angefüllt] mit allem, aus allem gemischt, mit der Wurzel ausgerissen und auf einem Schild liegend. 34 3. Das Heu vermehrt sich, die Knollen werden herausgewühlt. 35 4. Das zwölfte Geschlecht erscheint am Ort Pentakeonin. 36 5. Ein Schiff wird herbeieilen. 6. Der Thron Gottes wartet. 7. Die geschorenen Bärte ergreifen die Flucht. 8. Die Goldenen Pforten werden aufgetan, die Tore des heiligen Romanos werden aufgetan, und die des heiligen Nikolaos Krotopholes. 37 Hügel, der nach und nach vom Tauros-Platz ersetzt wurde. Der toponymische Bezug verblasste in der späteren Überlieferung, übrig blieb nur das Brüllen von Ochse und Stier; cf. Berger, Konstantinopel, 135-155, insb. S. 135-139; zu den tiernamigen Plätzen siehe Janin, Forum Bovis, 85-108. 28 Pendant ist Gr V.45-46. In historischen Apokalypsen leitet dieser Ausspruch eine Wende der Geschehnisse ein: Die Kasteiung durch die Ismaeliten hat ihren Höhepunkt erreicht und ist nun vorbei, es folgen der militärische Rückschlag durch den byzantinischen Endkaiser und die Abfolge der Endereignisse; cf. RevPsMeth syr 13, 11-14,14 par. 29 Gr V.46 ist entsprechend lückenhaft, eine Segnung der Stadtgrenzen wird nicht erwähnt. Die Reihenfolge ist umgekehrt: Zuerst kommt „Friede euch“, dann „Die Rache ist genug“. 30 Anzunehmen ist eine fehlerhafte Übersetzung von ὄνομα zu νόμος. 31 Unklare Bedeutung, wahrscheinlich eine gematrische Chiffre auf den ersten Buchstaben des Namens, im Griechischen wäre dies ein Τ. 32 Damit endet die abgekürzte Fassung der „Letzten Vision des Daniel“ unter Weglassung der Textpartien von V.47 bis zum Schluss (Auffindung des siegreichen Kaisers, letzte Herrscher, endzeitlicher Showdown). Der folgende Textabschnitt aus orakelhaften Aussprüchen ist in der vorliegenden Form singulär. 33 Das Sprachbild zeichnet anbrechende Hungersnot. 34 Kriegsgeschirr, das zur Nahrungsaufbewahrung genutzt wird? 35 Nicht Essbares nimmt zu, Essbares wird knapp. 36 Die Vorlage für den griechischen Begriff bleibt zu klären. 37 Zu Landmauern und Toren Konstantinopels siehe Asutay-Effenberger, Landmauer (2007). Während das Goldene Tor und das sog. Romanos-Tor zentrale Zufahrten der Quellentexte 390 9. Es kommt die Ernte zur Freude. Garben liegen zur Verbrennung bereit, Schilde zum Rasseln. 10. Die Zeit des Herrn kommt, da die Hörner in die vier Himmelsrichtungen geblasen werden. 11. Seid wachsam, damit ihr nicht verführt werdet! 12. Bleib fest, Erde, bleib fest und erbebe nicht! 13. Gott kommt, viel Holz schleppend, und alles wird verbrannt werden. 14. Geht und kehrt nicht wieder zurück! 15. Maria schleppt Garben nach Konstantinopel, den oberen Teil nach unten. 16. König Avron beschlägt seinen Hengst mit neuen Hufeisen. 38 17. Bündel, vom Weinberg der Reihe nach geholt. 39 18. Selig, wer eine Höhle hat, er wird gerettet werden! byzantinischen Hauptstadt bezeichnen, bereitet die Identifizierung des Nikolaos-Krotopholes-Tores Schwierigkeiten. Der Erklärungsversuch von Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 217, Anm. 21 über eine Nikolaos-Festung nordwestlich von den Blachernen bleibt zu ungenau. Meinte der Verfasser ein nahegelegenes Kloster oder eine Kirche unter diesem Namen? R. Janin verzeichnet jedenfalls keinen ähnlich klingenden Nachnamen des sonst weit bezeugten heiligen Nikolaos in seiner Auflistung. 38 Die Bedeutung dieser Sequenz sowie von Avron (αὔριον? ) bleibt unklar. 39 Die Textstelle ist verderbt. 9. Agapius-Sage Die ungewöhnliche Erzählung vom Vater Agapius, der aus dem Kloster auszog, um das Paradies zu finden, ist in der griechischen Tradition bis auf eine einzige Kopie aus dem 15. Jh. verloren gegangen. Die ausgiebige slavische Überlieferung, die aus einer frühen Übersetzung im 10. Jh. hervorging, umfasst über achtzig Handschriften und zahlreiche Prolog-Bearbeitungen, die nicht ausgewertet worden sind. Bedauerlicherweise war R. Pope, der das griechische Original identifizierte und die kirchenslavischen Textzeugen erfasste, nicht mehr in der Lage seine Arbeit abzuschließen. 1 Es wird ein Desideratum bleiben, die Textkarriere der byzantinisch-slavischen Suche nach dem irdischen Paradies genauer zu beleuchten. Die folgende Übersetzung folgt dem frühesten slavischen Text im sog. Uspenskij sbornik (Cod. 4, Staatliches Historisches Museum, 12.-13. Jh.). 2 Hierher zu zählen wären noch folgende Textzeugen: 3 - Cod. 105 (222), Ivan-Vazov-Bibliothek, Plovdiv, 15. Jh. 4 - Cod. 433 (Sbornik aus Panagjurište), Nationalbibliothek Kyrill-und-Method, Sofia, Ende des 16. Jh. 5 - Cod. 326, Nationalbibliothek Kyrill-und-Method, Sofia, 17. Jh. 6 - Cod. Nr. 684, Nationalbibliothek Kyrill-und-Method, Sofia, 17. Jh. 7 1 Pope, Narration, 1-12; Pope, Greek Text, 233-260. 2 Knjaževskaja, Demjanov & Ljapov, Sbornik, 466-473 (hier Usp 4). 3 Nach Petkanova, Apokrifi, 395. 4 Descripsit Conev, Opis II, 108. 5 Descripsit Conev, Opis I,1, 446. 6 Descripsit Conev, Opis I,1, 318. 7 Descripsit Conev, Opis I,2, 228. Quellentexte 392 Sage 8 unseres Vaters Agapius, weswegen der Mensch Haus und Familie, Frau und Kind verlässt und sein Kreuz nimmt und dem Herrn nachfolgt, so wie es das Evangelium gebietet. 9 Herr Vater, segne uns 10 I. [Agapius’ Audition] Agapius aber, unser Vater, war von Kind auf gottesfürchtig und bewahrte die Gebote des Herrn. In seinem Hause verlebte er sechzehn Jahre und begab dann sich ins Kloster. Da verblieb er sechzehn Jahre, indem er zum Herrn Tag und Nacht betete folgendermaßen: „Herr, tue mir kund, weswegen die Menschen Haus und Familie verlassen und dir nachfolgen! “ In der neunten Stunde der Nacht wurde sein Gebet erhört und eine Stimme sprach zu ihm mit den Worten: „Agapius, mein Knecht, dein Gebet stieg zu mir auf und wurde angenommen. Und siehe, ich werde dich aus dem Kloster herausführen und dich auf meinem Weg führen. Wenn du aber aus dem Kloster gehst und einen Adler erblickst: Dieser wird dich also geleiten, ihm sollst du folgen! “ Agapius antwortete: „Der Name des Herrn sei gesegnet nun und in aller Ewigkeit! “ 11 II. [Regelung der Nachfolge] Da stand er auf und ging aus der Kirche, sammelte alle Mönche und wies sie an: „Brüder, wen wollt ihr zum Abt 12 einsetzen an meiner Statt? “ Die Brüder erwiderten ihm: „Weswegen gehst du denn von uns? “ Agapius entgegnete: „Gott der Herr führt mich weg von euch, ich werde nun auf seinem Weg wandeln. Wen wollt ihr jetzt euch zum Ältesten einsetzen? “ Die Mönche antworteten: „Denjenigen, den du bestimmst und uns zum Abt einsetzt! “ So setzte ihnen Agapius den ältesten Bruder zum Abt. Nachdem er alles geregelt und sie geküsst hatte, begab er sich aus dem Kloster und sprach: „Friede mit euch, der Herr sei mit euch! “ III. [Der Adler und das Meer] Und als er sich auf den Weg machte, erblickte er einen Adler, der vom Himmel her auf ihn zuflog. Da erfüllte sich Agapius mit dem Heiligen Geist. 13 Der 8 Usp 4: s]kazani9 („Sage, Erzählung, Novelle“). 9 Cf. Mk 1,16-20 („Loslösung von sozialen Bindungen“), Mk 8,34 par („Selbstverleugnung“). 10 Segensbitten als Erweiterung von Überschriften sind in der altslavischen Überlieferung geläufig - cf. die nachfolgende Antichrist-Sage. 11 Von visionärem Schrecken keine Spur - Agapius freut sich und zieht los. 12 Usp 4: igumen]/ ἥγούμενος („Klostervorsteher“). 13 Cf. Mk. 1,10 par (Adler + Heiliger Geist). Agapius-Sage 393 Adler näherte sich und flog vor ihm her, ihm den Weg weisend. Agapius folgte ihm inständig auf dem Weg und so führte ihn der Adler zu den Tiefen des Meers und ging da von ihm. Agapius aber stand am Meer und grübelte nach, wie er denn über die Meerestiefe hinwegkäme. Denn es war darinnen das unerbittliche Ungeheuer, welches Menschen fraß. 14 Agapius erschrak sehr, da der Adler von ihm gewichen war, und wusste nicht mehr wohin. IV. [Das Schiff, die Zwölfer-Besatzung und das Kind] Während er da stand, erschaute er ein vorbeiziehendes Schiff und freute sich ungemein. Er näherte sich dem Meer und sah im Schiff ein Kind und zwölf Männer von großer Gestalt. Und als er sich verbeugen wollte, um sie willkommen zu heißen und ihnen gutes Gelingen auf dem Wege zu wünschen, 15 kam ihm das Kind zuvor und sprach zu Agapius: „Agapius, bist du wohlauf, und was suchst du hier an den Küsten des Meeres? Weißt du etwa nichts vom unerbittlichen Ungeheuer, das sich deiner bemächtigen kann? “ Agapius aber sprach zum kleinen Kind: „Wer hat dir meinen Namen preisgegeben und woher kennst du mich? “ Das kleine Kind erwiderte: „Agapius, kennst du mich nicht? Verweilte ich etwa nicht nahe dem Kloster, inmitten deiner Nachbarn? Ist mein Vater nicht derjenige, dessen Namen du anrufst? Und weißt du nicht, dass meine Brüder bei dir im Kloster in die Lehre gehen? “ Da zählte es die Namen aller auf. 16 Agapius aber erhob die Hände und betete zum Herrn mit den Worten: „Ich preise dich, Herr, dass du es mir zuteil werden ließest, einen Menschen aus meiner Sippe hier in dieser Ödnis, im Angesicht der Meerestiefe zu finden! “ Das kleine Kind aber sprach: „Agapius, wie ist dein Weg, und wo willst du dich hin begeben? “ Da antwortete Agapius: „Ich kenne weder den Ort noch die Richtung, wo ich hingehen will, aber Gott der Herr ist mein Weg! “ Das kleine Kind sagte: „Agapius, steig zu uns auf das Schiff und wir werden dich hin bringen, wo du hingehen willst.“ Agapius stieg auf das Schiff und setzte sich kurz hin. Nach dem anstrengenden Weg schlief er ein. Als er schlief, wies das kleine Kind die großwüchsigen Männer an, ihn dorthin zu tragen und über das Meer zu setzen. Da legten sie ihn hin und gingen von ihm. 14 Cf. die Gegenüberstellung von geflügeltem Wesen vs. Meeresungeheuer („combat myth“). 15 Mk 4,36-41 par; Mk 6,47-51 par („Meer, Schiff, Jesus & Jünger“); Mt 14,28-32 („Überwindung des Meeres durch Glauben an Jesus“). 16 Cf. Kindheitsevangelium des Thomas, Kap. 6-7 („das allwissende Kind). Das war eines der beliebtesten Texte der altslavischen Literatur; cf. Santos Otero, Evangelium des Thomas (1967). Quellentexte 394 V. [Im paradiesischen Garten jeneits des Meeres] Als Agapius aufwachte, sah er weder das Schiff noch das kleine Kind. Er stand auf und ging von dannen zu einem vollends unbekannten Ort: Da fand er verschiedene Bäume und blühende Blumen und allerlei Früchte, die kein Mensch je gesehen hat. An den Bäumen standen Vögel, davon jeder ein anderes Gefieder hatte: Die einen waren goldgefiedert, die anderen bunt; wiederum andere scharlach, andere dagegen blau und grün, mit mannigfaltiger Pracht und Schönheit geschmückt, und andere waren so weiß wie Schnee. Alle hatten verschiedene Stimmen und zwitscherten, nebeneinander stehend und sangen andere Lieder die einen mit lauter Stimme, die anderen ganz leise, die dritten ganz hoch singend, die anderen mit wunderbarer Stimme so wie ihre Art war. Ähnlich wie ihre Lieder war auch ihr Lob so herrlich wie es kein Mensch auf dieser Welt gehört hat noch erleben wird. VI. [Theophanie in Eden] Agapius aber, nachdem er sich an ihrem Gesang sattgehört, an den Früchten sattgegessen und von der Mühe erholt hatte, sagte zu sich: „Deswegen also hat mich Gott der Herr hierher geführt! So werde ich nicht von hinnen gehen, sondern ich will einen ebensolchen Ort finden, wo ich mir einen Garten einrichte und mein Leben verbringe.“ Und während er Ausschau hielt, wo er seinen Garten einrichten könne, erblickte er einen Weg unterhalb der Fruchtbäume, ließ sich an diesem Weg nieder und sprach vor sich hin: „Es geziemt sich, dass einer hier vorbeikommt, um mir zu künden, wo denn diese Gegend liegt.“ Nachdem er kurz verharrt hatte, sah er zwölf Männer in weißen Hemden, die unterwegs zu ihm waren. Da erfreute er sich mit großer Freude, und als sie sich näherten, schaute er Jesus in großer Herrlichkeit. Agapius stand auf und trat zu ihm herzu. Und als er sich verbeugen und ihnen „Guten Tag! “ sagen wollte, da sagte der Herr: „Bist du wohlauf, Agapius? Wie ist dein Weg? “ Agapius antwortete: „Gott der Herr ist mein Weg.“ VII. [Rückblick auf Agapius’ Abenteuer] Nach kurzer Weile schaute Agapius viele Menschengesichter ringsherum, und gefiederte Vögel, und Gesang, und große Herrlichkeit. Und er warf sich vor ihnen nieder und verbeugte sich, indem er sprach: „Mein Herr, wer bist du und wer sind die zwölf Männer, und die vielen Menschengesichter um dich herum, und die gefiederten Vögel, und die große Herrlichkeit? Und was ist diese Gegend, wo ich mich befinde? “ Der Herr sagte: „Oh Agapius, da du dich traust und mich fragst, werde ich dir alles kundtun, damit du nicht irrst! “ Ich bin die Stimme, die zu dir im Kloster sprach „Wandle auf meinem Wege! “, ich bin der Adler, der dir mit Agapius-Sage 395 seinem Schatten den Weg wies, ich bin das kleine Kind, das dich über das Meer setzte, ich bin der Herr, dein Gott, der Schöpfer von Himmel und Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Diese zwölf Männer aber sind die Apostel. Die Gesichter, die du siehst, sind Cherubim und Seraphim. Und die Herrlichkeit, die du siehst, gilt demjenigen, der im siebten Himmel sitzt. Diese Gegend ist das Paradies, die Früchte sind die Nahrung der Apostel und der Seelen der Gerechten. Die Vögel, die du hörst, sind himmlisch, und ihr Lobpreis und ihr Gesang steigt in die Himmel, zu demjenigen, der auf dem Thron der Cherubim 17 sitzt.“ Agapius sagte: „Herr, erbarme dich meiner und gewähre mir, dass ich nicht von diesen Bäumen gehe, sondern hier mein Leben verbringe! “ Der Herr aber erwiderte ihm: „Nicht alleine deswegen habe ich dich hierher geführt, sondern weil du sagtest „Wir ließen alles und folgten dir nach, was auch immer uns widerfahren mag.“ Gehe also und du wirst Gottes Herrlichkeit ansichtig werden.“ VIII. [Ausblick auf Agapius’ nächste Route] Agapius aber antwortete: „Herr, wohin gebietest du mir zu gehen? “ Und der Herr sprach: „Du sollst auf dem Weg wandeln, den wir zurückgelegt haben. Auf deinem Marsch wirst du dann ein Mauerwerk erreichen, das reicht von der Erde bis zum Himmel. Da wirst du einen kleinen Pfad erblicken: Diesem Pfad sollst du folgen, so wirst du ein kleines Fenster in der Mauer sehen. Wenn du daran klopfst, wird ein Greis zu dir heraustreten, dich holen und hinter die Mauer geleiten, wo er dir alles verkünden wird. Wenn du heraustrittst und wieder den Pfad betritts, wirst du die Meeresküste erreichen sowie ein Schiff. Auf dem Meer wirst du ein kleines Schiff erblicken, mit zwölf Männern darinnen. Du sollst zu ihnen hinaufsteigen und ihr werdet zu der Stadt gelangen, da sie hineinziehen wollen. Und wenn die Stadtbewohner euch entgegenströmen, wird auch eine Frau in dreckigem Kleid mit losen Haaren mit gehen; und wie ihr Wille ist, so sollst du ihr tun.“ IX. [Die himmelshohe Mauer] Agapius verbeugte sich und wandelte auf dem Weg, den ihm der Herr gewiesen hatte. Nach langem Marsch fand er die Mauer, die bis zum Himmel emporragte. Da trat er heran und fand den kleinen Pfad, und den Pfad abschreitend fand er das kleine Fenster in der Mauer. Daran klopfte er und rief. Zu ihm trat ein Mann hinaus und sagte zu ihm: „Was ist dein Weg? “ Und Agapius antwortete: „Gott, er ist mein Weg! “ Und der Mann sagte zu ihm: 17 Ez 10,8-17. Quellentexte 396 „Kein Mensch ist hierher im Fleische gekommen; weder vor dir noch nachher wird einer kommen.“ Agapius berichtete ihm alles, was der Herr zu ihm gesprochen hatte, und wie er aus dem Kloster herausgeführt wurde und der Adler ihm den Weg mit dem Schatten wies, und er über das Meer gesetzt wurde, und wie der Herr und die zwölf Apostel ihm in großer Herrlichkeit erschienen waren. „Von dannen schickte mich Gott hierher, indem er mich anwies: „Gehe diesen Weg, du wirst ein großes Mauerwerk finden und einen kleinen Pfad finden, wenn du diesen abschreitest, wirst du in der Mauer ein kleines Fenster finden. Und wenn du daran klopfst und rufst, wird ein alter Mann zu dir kommen, der dich hineinführt und dir alles zeigt. Daraufhin sagte der alte Mann: „Es geschehe Gottes Wille! “, nahm Agapius an der Hand und führte ihn durch die Mauer. X. [Lichtvisionen] Als Agapius hineinging, erschaute er ein Licht, siebenmal heller als das diesseitige Licht, sodass seine Augen dieses Licht nicht ertragen konnten. Und er fiel auf sein Antlitz zu Boden. Der alte Mann aber nahm sich seiner an und brachte ihn zu einem Kreuz, das bis zum Himmel emporragte und heller als die Sonne leuchtete. Sie verbeugten sich vor dem Kreuz und beteten. So ging es Agapius besser und er ertrug das Licht. Er nahm sich seiner an und führte ihn an eine Pritsche und an einen Tisch, die mit Edelsteinen geschmückt war. Darauf lag Brot, weißer als Schnee. Neben der Pritsche war ein Brunnen, weißer als Schnee und süßer als Honig. Da war auch ein Weinberg mit vielerlei Weintrauben, die einen mannigfarbig, die anderen rot, die anderen weiß, und ihre Früchte waren sehr farbenreich. Sein Verweilen fiel nicht auf. XI. [Elijas Erläuterungen] Und Agapius bat den alten Mann: „Herr, tue mir kund, was ich hier sehe.“ Und dieser antwortete: „O mein Bruder, Agapius, weshalb sagst du „Herr“? Die Jüden haben unseren Gott nicht als Gott anerkannt, sondern bezichtigten ihn als Lügner und Übeltäter, sie ergriffen ihn, schlugen ihn und kreuzigten ihn. Wieso nennst du mich dann „Herr“, der doch sterben und sich mit Erde vermischen wird? Ich aber sage es dir, damit du nicht irrst: Ich bin Elija der Thesbiter, den ein Feuerwagen und Feuerpferde emportrugen. 18 Gott segnete mich unter dem Himmel, kam hernieder und setzte mich hier ein. Und da werde ich bis zum zweiten Kommen des Herrn verweilen. 19 18 2 Kön 2,1-19. 19 Siehe zum Ganzen Berger, Auferstehung des Propheten (1976); Witte, Elias und Henoch (1987). Agapius-Sage 397 Und all jene, die du hier siehst, sind Seelen von Menschen, die dir als Weintrauben erschienen, da kein lebendiger Mensch der Menschenseelen ansichtig werden darf. Dieser Brunnen heißt Paradies und mündet in die Bäume des Paradieses, dies Licht ist das Licht der Engel und der Seelen der Gerechten, diese Pritsche und dieser Tisch sind ein Werk von Gottes Hand, dieses Brot ist vom Himmel, für die Seelen der Gerechten. Aus diesem Brunnen trinken die Engel und die Seelen der Gerechten. XII. [Das Brotwunder] Ich schaute auch andere Nahrungen, deren Süßigkeit unsagbar ist, da auf dieser Welt nichts ihresgleichen ist. 20 Ihre Süßigkeit und Duft kann der Menschenmund nicht besagen, und die einfachste Nahrung ist wie Milch und Honig. Und er schöpfte aus dem Brunnen und gab mir zu kosten. Mein Verstand wurde erhellt. Und er ergriff mich und führte mich an den Tisch. Und nach dem Gebet nahm er das Brot, schnitt ein Viertel davon und gab es mir. Ich ging ein wenig umher und als ich mich umblickte, merkte ich, wie das Brot wieder heil war, als ob keiner etwas davon abgebrochen hätte. 21 Elija erklärte mir alles, was kein Mensch wissen darf. Er brachte mich zurück zum Kreuz und wir verrichteten da ein Gebet. Danach führte er mich aus dem Fenster hinaus. Und nachdem wir uns voreinander verbeugt und einander geküsst hatten, sagte Elijas zu mir: „Wandele auf dem Wege des Herrn und Gott der Herr sei mit dir! “ Ich verbeugte mich abermals und schlug den Weg ein, den Elijas mir gewiesen hatte. XIII. [Schifffahrt ins Unbekannte] Nach tagelangem Marsch erreichte ich das Meer. Als ich auf das Meer schaute, sah ich ein Schiff auf mich zutreiben, darinnen zwölf Männer. Als sie mir nahekamen, sprach ich zu ihnen: „Wohlergehen und gut Glück! “ Sie antworteten mir mit den Worten „Gott erhöre dich, Alter! “ Agapius sprach zu ihnen: „Nehmt mich mit auf euer Schiff! Ich werde in die Stadt mitkommen, wo ihr hin wollt.“ Sie entgegneten ihm: „Schon seit drei Jahren irren wir auf dem Meer umher und wissen nicht wohin. Unsere Brüder kamen um durch Hunger, Kälte und Seesturm und wir selber sind kaum noch am Leben, da wir weder Brot aßen noch Wasser tranken. Wenn nicht heute, dann werden wir in dieser Nacht sterben. Und wenn wir dich aufnehmen, wirst du auch mit uns sterben und uns eine noch größere Wunde auferlegen.“ Agapius redete 20 Der Rest der Erzählung ist im Ich-Ton gehalten. 21 Cf. 1 Kön 17,10-16 („Mehl- und Ölvermehrung“); 2 Kön 4,1-7 („Ölvermehrung“); 2 Kön 5,42-44 („Speisung vieler Menschen mit zwanzig Gerstenbroten“); Mk 6,31-44 par; Mk 8,1-9 par („Vermehrungswunder“); ApcBar syr / 2 Bar 29,5-8; Iren Adv Haer V 33,3ff. („himmlischer Überfluss“). Quellentexte 398 abermals zu ihnen: „Nehmt mich mit, Gott der Herr wird sich unserer annehmen.“ Die Seeleute sprachen zu ihm: „Tritt zu uns herein, Diener Gottes! Solltest du Nahrung bei dir haben, dann wirst wenigstens du gerettet sein.“ XIV. [Brot- und Windwunder] Agapius trat zu ihnen hinein. Als er merkte, dass sie überaus kraftlos waren, erbarmte er sich ihrer und betete. Er setzte sich hin, holte das Stück Brot, das ihm Elija im Paradies gegeben hatte, brach es und teilte es. Mit Dank und Lob teilte er es an die zwölf Männer aus. Diese aber aßen und wurden satt; das Viertel, das sie gelassen hatten, wurde wieder ganz, als ob davon nichts abgebrochen worden wäre. Und die Seeleute sahen die Herrlichkeit Gottes und riefen zu Agapius folgendermaßen: „Diener Gottes, erbarme dich unser und gehe nicht von uns, damit wir mit Hilfe dieses Brotes über die Meerestiefe hinwegsegeln.“ Agapius antwortete: „Es geschehe Gottes Wille! “ Und er forderte die Seeleute auf, die Segel zu hissen, und sie taten so. Und es zog ein Wind nach Gottes Willen auf und brachte sie in einer Stunde in die Stadt, da sie in See gestochen waren, ohne zu wissen, wo sie hin segeln. 22 Als sie bei der Stadt anlegten, strömten ihnen alle Stadtbewohner entgegen und riefen: „Tretet heraus, da unsere Brüder zurückgekommen sind! Drei Jahre lang hatten wir keine Kunde von ihnen.“ Und als sie kamen, küssten sie sie und die Seeleute redeten zu ihnen: „Immer noch hättet ihr keine Kunde von uns gehabt, wenn Gott seinen Knecht nicht gesandt hätte zu uns. Seinetwegen sind wir in der Stadt.“ Und die Stadtbewohner priesen Gott. XV. [Die Auferweckung des toten Jünglings] Aus der Stadt kam eine Frau in dreckigem Hemd, mit unbedeckten Haaren. Als sie kam, verbeugte sie sich vor Agapius, weinte und redete: „Diener Gottes Agapius, erbarme dich meiner! “ Agapius sprach zu ihr: „Was ... “ 23 „ Die Frau aber rief vor dem ganzen Volk: „Komm, Diener Gottes, denn mein Sohn liegt schon seit fünfzehn Tagen tot! Gott ließ es nicht zu, dass ich ihn begrabe. „Harre aus“, sprach er zu mir, „drei Tage, bis ein Schiff kommt, mit zwölf Männern und einem Mönch darinnen, sein Name Agapius. Diesen wirst du aufnehmen und hinführen, damit er deinen Sohn auferweckt.“ Agapius gedachte dessen, was Jesus zu ihm gesprochen hatte, stand auf und folgte der Frau in ihr Haus mitsamt den zwölf Seeleuten und allen Stadtbewohnern. Agapius betrat die Wohnung, wo ihr Sohn auf einer Pritsche lag; da betete er, nahm das Stück Brot, welches Elija ihm gegeben hatte und legte es auf 22 Cf. Jona 1,3-16 als Gegenfolie. 23 Usp 4: Verderbte Textstelle. Agapius-Sage 399 dessen Angesicht. Der Jüngling setzte sich auf die Pritsche. 24 Er nahm ihn an der Hand und übergab ihn seiner Mutter. Seine Mutter aber pries Gott und die Stadtbewohner sprachen zu Agapius: „Diener Gottes, gehe nicht von uns; wir haben nämlich die Sitte, die Toten zu begraben, du hast aber die Sitte, die Toten wieder zu erwecken.“ Und sie ließen ihn nicht aus der Stadt gehen. Die Seeleute wollten ihn auch nicht gehen lassen und redeten: „Wir gehen auch mit, ob auf dem Land oder auf der See, wohin du gehen willst.“ XVI. [Niederschrift von Agapius’ Abenteuern in einer Einsiedelei] Er verweilte dort sieben Tage. Eines Nachts suchte ihn ein Engel Gottes heim. Er führte ihn aus der Stadt heraus und sprach zu ihm: „Gehe die Meeresküste entlang, sobald du den Ort findest, der dir bereitet wurde. Lass dich daselbst nieder und schreib alles auf, was dir Gott offenbarte und auch die Gegenden Gottes, die du abgeschritten hast.“ Nach diesen Worten ging der Engel Gottes von ihm. Agapius ging tagelang das Meer entlang, bis er hohe Mauern fand und ein Türlein sah. Er ging hindurch und stieg eine Treppe hinauf, wo er eine eingerichtete Zelle und eine Pritsche mit einer Decke darinnen sah. Er betrat die Zelle und betete. Danach setzte er sich hin und schrieb diese Offenbarung. Als Gottes Wille vollendet war, wurde ein Schiff durch den Wind zu ihm getrieben. Agapius trat heraus und überreichte den Seeleuten diese Offenbarung mit den Worten: „Überreicht es dem Patriarchen zu Jerusalem, damit er es an alle Kirchen zum Vorlesen weitergibt.“ Der selige Agapius verweilte in dieser Zelle 40 Jahre, lebte bis zu seinem Tode mit dem Stück Brot, welches ihm Elija gegeben hatte und gab seinen Geist auf. Ehre sei der Heiligen Dreifaltigkeit, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geiste, nun und in aller Ewigkeit. Amen 24 Cf. 2 Kön 4,32-37 Wohl Verbindung aus Erzählungen von Brotvermehrungs- und Auferweckungswundern; cf. 1 Kön 17,10-24 (Nahrungsvermehrung + Erweckung eines toten Kindes durch Elija); 2 Kön. 4, 1-7.17-37 (Ölmehrung + Auferweckung eines Kindes durch Elischa); Lk 7,11-16 (Wiederbelebung des einzigen Nachkommen einer Witwe in Naïn); Mk 5, 22-24.35-43 (Auferweckung der Tochter des Synagogenvorstehers Jairus). 10. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 1) In der altslavischen Literatur wurden mehrere Offenbarungsschriften unter dem Namen des Jesaja tradiert, die unterschiedlichen Genres angehören. Die einleitend behandelte „Himmelfahrt des Jesaja“ ist eine frühjüdisch-urchristliche Apokalypse des Typus „Himmelsreise“. Davon zu unterscheiden ist die „spätere“ Jesaja-Literatur, die erst auf bulgarischem Boden entstand. Sie ist im weitesten Sinne der politischen Apokalyptik zuzurechnen, wie sie uns in den Daniel-Apokalypsen begegnet. Zwei dieser Texte stammen aus dem 11. Jh. (1 und 2 ApcIes). Sie wurden jeweils als „Homilie“ bzw. „Sage“ betitelt (slovo/ slovo kann beides bedeuten) und setzen sich inhaltlich mit den Umwälzungen auseinander, die im 11. Jh. in den byzantinisch regierten bulgarischen Territorien erfolgten. Der dritte Text (3 ApcIes) beschäftigt sich mit den Nachwirkungen, die nach der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1204 das Zweite Bulgarische Reich heimsuchten. Der vierte Text (4 ApcIes) hat mit alledem nichts zu tun, sondern repräsentiert eine russische Homilie, die in moralisierendem Ton und unter Androhung jenseitiger Strafen eine tugendhafte Lebensführung propagiert. Die erste Jesaja-Apokalypse. (1 ApcIes) hat einen Titel, der ähnlich wie die verwandte 2 ApcIes anfängt („Sage/ Homilie des Propheten Jesaja …“), nur anders endet „ … wie er von einem Engel in den dritten Himmel entrückt wurde“. Der Text beginnt mit einer visionären Sequenz, die in eine apokalyptische Schau des Ersten Bulgarischen Reiches mündet. Sie hört allerdings abrupt in der Mitte des 11. Jh. mit dem Aufstand des Petăr Deljan auf. Genau dort beginnt die zweite Jesaja-Apokalypse, die das Erzählte aufgreift und in eine ausführliche Schilderung der Endereignisse münden lässt. Dies zusammen mit dem gleichlautenden ersten Teil des Titels legt die Vermutung nahe, dass wir es mit den zwei „Bänden“ ein und derselben politischen Apokalypse haben, die bald nach ihrer Abfassung getrennt wurden und in verschiedenen Codices tradiert wurden. Der erste Band des apokalyptischen Jesaja-Doppelwerkes ist in nur einer einzigen Abschrift auf uns gekommen: Cod. 123, Sammlung A.I. Chludov, Staatliches Historisches Museum Moskau, 16.Jh, f.400b-403a. 1 Das Manuskript wurde über ein Jahrhundert verschollen geglaubt und erst vor wenigen Jahrzehnten von A. Turilov zutage gefördert. 2 Aufgrund der zahlreichen wenig bekannten Realia und der teilweise nur in bulgarischer Sprache stattfindenden Fachdiskussion werden detailliertere Anmerkungen angefügt. 1 Erstausgabe von Stojanović, Stari srpski hrisovuli, 190-193; Ivanov, Knigi, 273-287; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 195-198. 2 Turilov., Kičevskij sbornik, 2-39. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 1) 401 In meiner Übersetzung folge ich der Kapiteleinteilung in der Textausgabe von J. Ivanov (1925). 3 Kap.20 wurde allerdings als neuer Sinnabschnitt neu eingeführt. In Sachen Identifizierung von Toponymen, Ethnonymen und prosopographischen Hinweisen hat sich ein gewisser Konsens etabliert, welcher im Folgenden geteilt wird. 4 3 Ivanov, op.cit. 4 Jireček, Element, 1-98, insb. S. 86-93 (die geographischen Namen in der bulgarischen Visio des Propheten Isaias); Ivanov, Knigi, 273-280; Dujčev, Knižnina I, 237-240; Dujčev, Svedenie, 122-133; Beševliëv, Načaloto, 39-45; Kajmakamova, Letopis, 51-59; Tăpkova- Zaimova & Miltenova, Knižnina, 192-194. Quellentexte 402 Sage des Propheten Jesaja, wie er von einem Engel in den dritten Himmel entrückt wurde I. [Die Entrückung Jesajas] 1. Siehe, ich, der Prophet Jesaja, der von Gott und von Jesus Christus lieb gewonnen wurde, kam, dem Ratschluss Gottes folgend, um zu verkünden, was in den letzten Tagen dem Menschengeschlecht auf der ganzen Erde geschehen wird. 2. Nicht ich tue das kund, Brüder, sondern der himmlische Vater durch seinen heiligen Geist offenbarte es mir, und nun tue ich es euch kund. 3. Dies geschah, als Gott mir seine Barmherzigkeit erwies. So sandte er seinen heiligen Engel zu mir und entrückte mich von der Erde in die Höhe des Himmels. 4. [Von da aus] schaute ich viel Zwietracht; und ich freute mich sehr über das Geschaute, meine Knochen aber erzitterten. 5. Der Engel aber, der mich geleitete, sprach zu mir: „Sei beständig, Jesaja, damit du die Herrlichkeit Gottes schaust, groß und unaussprechlich.“ 6. Von da aus hob er mich in den dritten Himmel empor, und danach in den vierten, und in den fünften, und in den sechsten, und auch zum siebten Himmel gelangten wir. 7. Da sah ich den Richter auf einem großen und sehr hohen Thron sitzen. Um ihn herum schaute ich einen Feuerfluss, heiß und schwelend. 8. Tausende und tausendmal tausende Engel dienten ihm, und Unzählige leisteten ihm Gehorsam. 9. Abermals schaute ich zu seiner Rechten Engel singen, zu seiner Linken aber das Heulen der Sündigen. 10. Da fragte ich den Engel, der mich geleitete, und sprach zu ihm: „Mein Herr, zeig mir meinen Herrn, der mich im Leib meiner Mutter berief! “ 11. Der Engel der Kraft Gottes aber erwiderte mir: „Höre nun, Gottes auserwählter Prophet Jesaja: Es ist unmöglich, im Leibe deinen Herrn zu erschauen. Du aber wirst seine Stimme hören, die zu dir redet.“ 12. Da hörte ich die Stimme Gottes, meines Herrn, die zu mir redete: „Jesaja, du Prophet, den ich liebgewonnen habe! Geh und verkünde dem Menschengeschlecht auf der Erde all das, was du hier geschaut und gehört hast, wie es dem letzten Geschlecht in der letzten Zeit ergehen wird.“ 13. Ich aber sprach zu ihm: „Herr, es ist für mich schön, hier zu sein. Sende mich nicht dorthin zurück, wo ich herkam! “ Sage des Propheten Jesaja (Bd. 1) 403 14. Da hörte ich die Stimme meines Herrn, die zu mir redete: „Jesaja, du bist der Prophet, den ich lieb gewonnen habe! Wie sollen die Menschen es erfahren, die auf der Erde leben? Nach dir wird er keinen anderen Propheten geben, auch danach nicht; niemand wird in den Himmel entrückt werden, um das von mir Gesagte zu verkünden.“ 15. Da holte mich der Engel sogleich vom Himmel und brachte mich auf die Erde herab. II. [Landnahme und Einsetzung von König Slav] 1. Alsdann hörte ich eine andere Stimme, die zu mir redete und sprach: „Jesaja, du Prophet, den ich liebgewonnen habe! Geh nach Westen, in die oberen Gebiete Roms, 5 und versammle jenes Drittel der Kumanen, die Bulgaren heißen. 6 Besiedele das Land Karvun, 7 welches die Römer und die Hellenen verwüsteten.“ 2. Da ging ich, Brüder, auf die linke Seite Roms, 8 und versammelte jenes Drittel der Kumanen und führte es an, indem ich mit einem Rohrstock den Weg wies. 3. Ich brachte sie zum Fluss namens Zatius, und zu einem anderen namens Ereus. Da waren drei große Ströme. 9 5 Beševliëv verweist auf die Regionen nördlich des Schwarzen und des Azov’schen Meeres am unteren Lauf der Ströme Volga, Dnjestr, Dnjepr und Prut (entspricht dem heutigen Südrussland) - idem, Načaloto, 39. 6 „Kumanen“ fungiert hier als Sammelbezeichnung mittelasiatischer Stämme, denen die Bulgaren zugerechnet werden: Die gemeinsame türkische Herkunft wird damit hervorgehoben, der Chronist wusste um diese Zugehörigkeit; cf. Dujčev, Svedenie, 125. Bemerkenswert ist der von Beševliëv erkannte Zusammenhang mit der syrischen Chronik des Patriarchen von Antiochien Michael: Darin wird berichtet, wie 30.000 Skythen unter der Führung dreier Bruder aufbrachen. Ein Drittel davon, angeführt von Bulgar, begab sich ins heutige Bulgarien; cf. Altheim & Stiehl, Michael der Syrer, 105-118, insb. S. 110. Auf diese in Byzanz geläufige Legende nimmt der anonyme Autor Bezug; cf. Ivanov, Letopis’, 71. 7 „Karvun“ ist Süd-Dobrudža resp. Kleinskythien, die westliche Ebene zwischen Donau und Balkan-Gebirge. Der Name wird in der Dubrovnik-Urkunde von König Ivan Assen II. als Кaрвùn[skyě hwry erwähnt; cf. Iljinskij, Gramoty, 13. In Byzanz nannte man das Gebiet Καρβουνᾶ oder Καρβωνᾶ. In italienischen Seekarten des 14. Jh. wurde der Name Carbona auf die Stadt Balčik in der südlichen Dobrudža übertragen - Ivanov, Knigi, 281, Anm. 1. Weiter steht der Name in Verbindung mit der Holzkohleproduktion in dieser Gegen - Beševliëv, Bemerkungen, 69-78, insb. S. 75-78. 8 Zu übertragen mit „nördlich von Neu-Rom/ Konstantinoppel“ - mit Dujčev, Svedenie, 125, Amn. 14; cf. ferner Stürenburg, Ortsbezeichnung, 37-39. 9 Dujčev geht von den drei großen Strömen Dnjepr, Dnestr und Donau aus, die die Urbulgaren auf ihrem Weg in die Ongelos-Region überquerten - idem, Svedenie, 125-126; Beševliëv verweist auf die drei Ärmel der Donau-Delta als alternative Deutung - idem, Načaloto, 41. Quellentexte 404 4. So besiedelte ich das Land Karvun, welches den Bulgaren gehörte, da es nach dem Abzug der Hellenen vor hundertdreißig Jahren verödet war. 5. Ich besiedelte es aber mit vielen Menschen von der Donau bis hin zum Meer 10 und setzte ihnen einen König ein, sein Name war König Slav. 11 Dieser König besiedelte ganze Gebiete und Städte. 6. Einige dieser Menschen aber waren Heiden; dieser König errichtete ihnen hundert Grabhügel im bulgarischen Land. Daher gab man ihm den Namen „König der hundert Grabhügel“. 12 7. In diesen Jahren herrschte Überfluss an allem; es waren auch hundert Grabhügel in seinem Reich. 8. Dieser war der erste König im bulgarischen Land. Er herrschte hundertneunzehn Jahre und starb. 13 III. [Die Herrschaft von König Ispor] 1. Da fand sich ein anderer König im bulgarischen Land, ein Kind, das drei Jahre in einem Korb getragen wurde; 14 sein Name war König Ispor er empfing das bulgarische Reich. 15 10 Eine zutreffende Angabe über die territoriale Ausdehnung des Ersten Bulgarischen Reiches; mit Dujčev, Knižnina, 238. 11 Wohl ein Eponym: „König Slav“ als mythischer Repräsentant der Slaven. Beševliëv vermutet eine Reminiszenz des Severen-Anführers Sklavun - idem, Načaloto, 42. Es ist aber ein Anachronismus anzunehmen, dass für den anonymen Chronisten das slavische Prinzip im urbulgarischen Staat dem asiatisch-türkischen vorausging; ihm ging es vielmehr um gemeinsame Geschichte als um eine Abgrenzung gegen Ivanov, Letopis’, 72. 12 Zu den „Hundert Grabhügeln“ vgl. die Angaben byzantinischer Chronisten über die gleichnamige Gegend in Dobrudža (ἑκατὸν βουνοί); cf. übereinstimmend Jireček u.a. Weiterführende Literatur bei Tăpkova-Zaimova, Dolni Dunav, 78, Anm. 31. 13 Die mythischen Angaben der Herrschaftsdauer korrespondieren mit dem sog. Immennik der bulgarischen Herrscher; cf. Dujčev, Svedenie, 123; 131; Beševliëv, Načaloto, 42; 44. 14 Dieses Motiv begegnet in volkstümlichem Liedergut - cf. Beševliëv, Načaloto, 43, Anm. 19. 15 Dies wäre der altbulgarische Khan Asparuch als Begründer des Ersten Bulgarischen Reiches; cf. Dujčev, Svedenie, 122-133, insb. S. 130-133. Sein Name begegnet nicht in seiner altbulgarischen Form Isperich, wie sie aus dem Imennik bekannt ist, sondern in slavischer Aussprache; cf. Beševliëv, Načaloto, 42. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 1) 405 2. Dieser König erbaute große Städte: An der Donau errichtete er die Stadt Durostorum, 16 ein großes Präsidium 17 schuf er von der Donau bis hin zum Meer. Auch die Stadt Pliska erbaute er. 18 3. Dieser König brachte viele Ismaeliten um 19 und besiedelte das Land Karvun, wo früher die Äthiopier lebten. 20 4. Ispor zeugte einen Sohn und gab ihm den Namen Izot. König Ispor herrschte hundertzweiundsiebzig Jahre im bulgarischen Land und dann brachten ihn die Ismaeliten an der Donau um. 21 5. Nach dem Tod des bulgarischen Königs Ispor nannte man die Ismaeliten Bulgaren, denn früher waren sie unter dem König Ispor wahrhaftig heidnisch und gottlos und blieben in großer Schande; allemal waren sie Feinde des griechischen Reiches viele Jahre. 22 IV. [Die Herrschaft von König Izot] 1. Darnach ging die Herrschaft über das bulgarische Reich an den Sohn von König Ispor, sein Name war Izot. 23 16 Das heutige Silistra an der Donau. Khan Asparuch hat anscheinend einen Überbau der alten römischen Mauer veranlasst; Belege bei Beševliëv, op.cit., 43. 17 Die Meinungen gehen in dieser Frage auseinander. Geht es um die Nutzung oder Verstärkung des Trajan-Walls in der Dobrudža durch Khan Asparuch (Ivanov, Knigi, 282, Anm. 4; Dujčev, Svedenie, 130-131, Anm. 35)? Oder ist jener Graben im Norden der Dobrudža gemeint, der auf seine Anordnung ausgehoben wurde und bis heute noch Bestand hat (Beševliëv, Načaloto, 43, Belege in Anm. 17)? 18 Bemerkenswert ist die vom Autor hergestellte Verbindung zwischen Asparuch und der ersten bulgarischen Hauptstadt Pliska. 19 Ging es um die Chazaren, deren Angriffen die Söhne von Khan Kubrat weichen mussten? Dujčev erörtet diese Frage in Svedenie, 132-132. Beševliëv hingegen geht von den Kämpfen Khan Asparuchs mit den Avaren aus - Načaloto, 42-43. 20 Die ungewöhnliche Bezeichnung wäre wohl auf die Byzantiner zu beziehen; cf. Beševliëv, Načaloto, 42. 21 Dujčev und Beševliëv plädieren bei der zweiten Ismaeliten-Erwähnung (wie bei der ersten) abwechselnd für Chazaren und Avaren, gegen die Khan Asparuch gefallen sein soll. 22 Darin erblickt Beševliëv zu Recht einen weiteren Beleg für die Loyalität des Chronisten zu Byzanz - idem, Načaloto, 43. 23 Jireček hielt Izot für eine rein mythische Gestalt, während Dujčev dahinter Khan Krum (802-814) vermutete (idem, Knižnina, 238; Svedenie, 126-127). Auf dem Hintergrund der allgemein byzanzfreundlichen Einstellung des Chronisten lehnt Beševliëv dies ab und plädiert für Khan Omurtag (814-831), der bekanntlich ein gutes Verhältnis zum mächtigen Nachbarn im Süden pflegte (idem, Načaloto, 43). Quellentexte 406 2. Dieser König brachte mit seinen Kriegern König Osija aus dem Osten um, 24 auch Goliat, den Franken, den Küstenbewohner. 25 3. In den Jahren des bulgarischen Königs Izot waren viele würdige Städte. 4. Und König Izot gebar zwei Söhne, den einen nannte er Boris, den anderen Symeon. 5. König Izot herrschte hundert Jahre und drei Monate und starb in der Stadt namens Pliska. 26 V. [Die Herrschaft von König Boris] 1. Nach dem Tod des Königs Izot ging das Reich an seinen Sohn Boris; er war fromm und von Herzen gläubig. 27 2. Dieser König taufte das bulgarische Land und errichtete Kirchen im Land der Bulgaren, auch am Fluss Bregalnica. 28 3. Daselbst erhielt er die Herrschaft über das Reich, erbaute er auf dem Ovče pole 29 weiße Kirchen und kam nach Dobrič, wo er starb. 4. So herrschte er sechzehn Jahre, ohne eine Sünde zu begehen oder eine Frau zu haben. 5. Sein Königreich war gesegnet, und in Frieden verschied er im Herrn. VI. [Die Herrschaft von König Symeon] 1. Danach ging die Herrschaft über das Reich der Bulgaren an König Symeon, seinen Bruder. 30 24 Womöglich nicht eindeutig zuzuordnen. Beševliëv erblickt dahinter den Aufständischen Thomas den Slaven, dessen Belagerungsring um Konstantinopel von Khan Omurtag zerschlagen wurde - op.cit., 43-44. 25 Eine Reminiszenz von Auseinandersetzungen mit den Franken mag nachklingen (Dujčev, Knižnina, 238), das Epitheton „Küstenbewohner“ bleibt allerdings unklar. Mit Beševliëv ist eine Verlesung zu vermuten (nicht „am Meer“, sondern „neben Mähren“). Dies würde gut auf die Kriege Omurtags mit Ludwig den Frommen und den Franken passen (idem, Načaloto, 44). 26 Damit unterstreicht der Chronist die Bindung der altbulgarischen Khans an die erste, heidnische Hauptstadt des Reiches Pliska. 27 König Boris-Michaels (852-889) Porträt entspricht der Christianisierungslegende der Bulgaren; sein Mönchsgelübde findet entsprechend Erwähnung. 28 Zum Fluss Bregalnitza und zu seiner Bedeutung als kirchliches und literarisches Zentrum unter König Boris und Konstantin Philosoph vgl. die Belege bei Ivanov, Knigi, 283, Anm. 1. 29 Zu den auf dem Ovče pole errichteten Kirchen cf. ibid., Anm. 2. 30 König Symeon (893-927), Boris’ Nachfolger, war allerdings sein Sohn und nicht sein Bruder. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 1) 407 2. Er errichtete bedeutende Städte am Meer, auch die große Stadt Preslav ließ er erbauen. 31 3. Darin empfing er ein Reich bis zur Stadt genannt Zvečan und bis nach Thessaloniki. 32 4. Und an der Stadt Preslav baute er, in achtundzwanzig Jahren erbaute er sie. 33 5. Und viele Zeichen tat König Symeon. 6. Er herrschte hundertdreißig Jahre und zeugte den heiligen Petăr, König der Bulgaren, einen heiligen und überaus rechtschaffenen Mann. 7. Damals, in jener Zeit, als König Symeon herrschte, nahm er in all seinen Landen, in allen Provinzen des Reiches an Abgaben dies: Ein Spindel Garn, einen Löffel Butter und ein Ei im Jahr. Das war die Abgabe von seinem Land, von seinen Untertanen, und nichts weiter gehörte ihm. 34 8. Es herrschte großer Überfluss in jener Zeit, unter König Symeon. VII. [Die Herrschaft von König Petăr] 1. Nach seinem Tod ging das bulgarische Reich an seinen Sohn, König Petăr. 35 Er war gleichermaßen König über Bulgaren und Griechen. 36 2. Und er herrschte im bulgarischen Land zwölf Jahre, ohne eine Sünde zu begehen oder eine Frau zu haben. 3. Dann nämlich, in den Tagen und Jahren des heiligen Petăr, des bulgarischen Königs, war Überfluss an allem, also an Weizen und Butter, an Honig und Milch und Wein. 4. Und es kochte und brodelte von allerlei Gaben Gottes. An nichts mangelte es, sondern es herrschte Sättigung und übergroße Fülle an allem nach Gottes Ratschluss. 31 Auch darin beweist der apokryphe Chronist historische Kenntnis, indem er die Verlagerung der Hauptstadt von Pliska nach Preslav durch König Symeon hervorhebt. 32 Zur Grenzziehung des Ersten Bulgarischen Reiches etwa 20km nördlich von Thessaloniki cf. Tăpkova-Zaimova, Byzance et les Balkans, 162, Anm. 32 (La ville de Salonique et son hinterland slave). 33 Zwar war schon eine Siedlung vor Ort, die Symeon eher „ausbaute“ denn „erbaute“, nichtsdestotrotz liegt der Verfasser mit seiner Aussage im Grunde richtig; cf. Dujčev, Svedenie, 127, Anm. 20 und 21. 34 Die Idealisierung der Naturalabgaben unter Zar Symeon ist wohl als Abgrenzung und implizite Kritik an der pekuniären Steuer zu sehen, die die bulgarischen Bauern in die Reihen des aufständischen Petăr Deljan trieb; cf. Ivanov, Letopis’, 71. 35 Auch darin hält sich der Verfasser an die historischen Abläufe soweit aus den Quellen bekannt; cf. Dujčev, Svedenie, 127, Anm. 22. 36 Es war Symeon, der sich diesen Titel beigelegt hatte, und nicht sein Sohn Petăr; cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 204, Anm. 22. Quellentexte 408 5. Und dann fand sich in den Tagen des heiligen Petăr, des bulgarischen Königs, eine Frau eine Witwe, junge und weise, sehr gerecht, mit dem Namen Helena im bulgarischen Land. 6. Sie gebar König Konstantin, den heiligen und gerechten Mann. Er war Sohn des Konstantin Chlor, 37 seine Mutter war Helena. Dieser Konstantin, genannt Porphyrogenet, war römischer König. 38 7. Und des Neides wegen flüchtete seine Mutter in die Stadt Byza vor den römischen Hellenen, da sie schwanger war. Daselbst gebar sie König Konstantin. 39 8. Da erschien ihm ein Engel des Herrn und verkündete ihm das heilige Kreuz im Osten. 9. König Petăr und König Konstantin aber waren einander zugetan. 40 10. Er aber versammelte seine Krieger und nahm seine Mutter und ging in den Osten übers Meer zur Schädelstätte. 11. Dort, wo Konstantin lebte, war eine kleine Stadt namens Byzantion. König Konstantin kam zu dieser Stätte und sah einen öden Ort zwischen den Meeren. 12. Er dachte sich: „Wenn ich mich zur Schädelstätte begebe und dort das heilige Kreuz Christi auffinde, an dem Christus gekreuzigt wurde, werde ich wiederum an diesen öden Ort zurückkehren und eine Stadt errichten und ihr den Namen „Neues Jerusalem“ geben, den Heiligen ein Ruheort, den Königen aber ein eine Zierde.“ 13. Als sich König Konstantin zur Schädelstätte begab, kamen sogleich gewalttätige Riesen übers Meer und verwüsteten das bulgarische Land. 41 14. König Petăr aber ließ sein Königreich zurück und flüchtete westwärts nach Rom, wo sein Leben endete. 42 37 Constantius I. (293-306) - Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 205, Anm. 25. 38 Die Verschmelzung von Konstantin dem Großen und Konstantin VII. (913-959) war wohl durch den Umstand begünstigt, dass beider Ehefrauen Helena hießen - mit Jireček, Ivanov und Dujčev; cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 205, Anm 26. 39 Zur späteren Legendenbildung um Konstantin den Großen cf. Kazhdan, Constantin imaginaire,. 40 Auch darin ist ein Stück verlässlicher Bericht über die insgesamt stabilen und friedlichen politischen Verhältnisse zwischen Bulgarien und Byzanz in der Regierungszeit der beiden zu erkennen. 41 Nach mehrheitlicher Meinung geht es um den Überfall der Russen unter Fürst Svjatoslav auf das Bulgarische Reich im Jahre 968; cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 205, Anm 30. 42 Die Legende ist noch für das 16. Jh. belegt; cf. Ivanov, Knigi, 285, Anm. 1. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 1) 409 VIII. [König Seleukia] 1. Danach erhob sich ein anderer König namens Seleukia, sein Rufname Symeklit. 43 2. Er trat also aus den Bergen namens Vitoša hervor und ging auf ein Feld namens Romania. Da empfing er das Königreich. 3. Er errichtete fünf Städte im bulgarischen Land: Die erste Plovdiv, die zweite Srem, die dritte Breznik, die vierte Sredec, die fünfte Niš. 4. König Seleukia herrschte in der Stadt Sredec und im bulgarischen Land siebenunddreißig Jahre. 5. Da verschied Seleukia, unterhalb der Stadt Breznik. 6. Während Seleukia die fünf Städte im bulgarischen Land schuf, fand König Konstantin das heilige Kreuz Christi. 7. Abermals kehrte er um und ging in die Stadt Byzantion. Und nachdem er in sich gegangen war, sagte er: „Wo ist dieser öde Ort? Ich werde eine Stadt errichten und ihr den Namen Stadt Konstantins geben.“ 8. Da entsandte König Konstantin nach Rom einen schändlichen Verwalter. 44 „Geh“, sagte er, „vertreibe die römischen Krieger für drei Jahre.“ 9. Dieser Kurator war aber böse und hielt Rat mit den Hellenen, um König Konstantin und seine Mutter umzubringen. 10. Da erblickte Gott ihren Hochmut und strafte sie mit unsichtbarem Stab, so dass sie nicht mehr zu sehen waren. 11. Dieser Kurator aber hatte weder Frau noch Kinder. 12. So wurden die Römer im Neuen Jerusalem empfangen. 13. Dann errichtete König Konstantin das ganze Reich Jerusalems und die königlichen Paläste. 14. Und er begab sich mit seinem Heer an die Donau und erbaute eine Stadt, genannt B’din, 45 mit Rufnamen Siebenhügeliges Babylon. 15. Abermals besiedelte Konstantin das bulgarische Land von den westlichen Gebieten her. 16. Und König Konstantin erbaute siebzehn Städte, da er all diese Länder beherrschte. 17. Zweiundsiebzig Jahre blieb er in seinem Reich und danach verschied er. 46 43 Wohl der bulgarische König Samuil (997-1014) - mit Dujčev, Knižnina, 240. 44 Womöglich Romanos I. (920-944) - ibid. 45 Das heutige Vidin. 46 Kaiser Konstantin? Quellentexte 410 IX. [König Symeon] 1. Darnach erhob sich ein anderer König im bulgarischen Land, sein Name war Symeon. Er herrschte zwölf Jahre und verschied. 47 X. [König Nikephor] 1. Danach fand sich ein anderer König namens Nikephor. Und er erhielt die Herrschaft über das bulgarische Reich. 48 2. Er brachte den gesetzlosen König Maximian und seine Krieger um. 3. Dieser errichtete Demotikon und Morunec 49 und Serres, und im Westen Belgrad und Kastoria, an der Donau Nikopolis. 4. Er herrschte dreiundvierzig Jahre und verschied. XI. [König Symeon] 1. Er hatte einen Sohn, sein Name war Symeon der Weise; er erhielt die Herrschaft über das bulgarische Reich. 50 2. Er war ehrlos und boshaft den Menschen gegenüber und ruinierte das bulgarische Land, und das von Jerusalem, und das römische, die Gebiete von König Konstantin. 3. Und es erhoben gegen König Simeon alle Menschen ihre Stimme: „Weh uns, Brüder, mit diesem König! “ 4. König Simeon blieb vier Jahre in seinem Reich und verschied. 51 XII. [König Basileios] 1. Danach fand sich aus einem anderen Schoss ein König namens Basilios, die Krone des frommen und christusliebenden Königs Konstantin fiel auf sein Haupt. 52 2. So erhielt Basilios die Herrschaft über das Reich und verwüstete alle feindlichen Landen und heidnischen Völker wie ein kühner Mann. 3. In den Tagen von König Basileios gab es unter den Menschen viele Güter. 47 Womöglich Roman-Symeon, Sohn von König Petăr; cf. Dujčev, Svedenie, 129. 48 Wohl Kaiser Nikephoros II. (963-969); Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 206, Anm. 38. 49 Das heutige Kavalla; Dujčev, Knižnina, 240. 50 Der Name begegnet in 1 ApcJes 7,1-7; eine genauere Zuordnung ist schwierig. 51 Diese Figur bleibt ohne ein historisches Pendant. 52 Nach mehrheitlicher Meinung Kaiser Basilios II. (976-1025); cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 206, Anm. 38. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 1) 411 4. So blieb Basileios in seinem Reich dreißig Jahre, ohne Sünde und ohne Frau; gesegnet war sein Reich. 53 XIII. [Die Könige Mose, Aron, Samuel und ihre Nachkommen] 1. Und in den Tagen von König Basileios fanden sich drei Brüder von einer Witwe, einer Prophetin: Mose, Aron, Samuel. 54 2. Und ein Sohn Samuels namens Augustinian empfing das bulgarische und das griechische Reich und herrschte siebenunddreißig Jahre. 55 XIV. [Der Sohn der Witwe] 1. Nach ihm erhob sich ein anderer [Sohn] derselben Witwe und empfing das Reich und herrschte drei Jahre und verschied. XV. [König Roman] 1. Nach ihm erhob sich ein anderer König namens Roman, abermals aus diesem Schoss, und empfing das bulgarische Reich. 56 2. Dieser versammelte seine Krieger und erzürnte gegen einen östlichen König. 3. Er ging übers Meer westwärts, um zwei Könige zu erzürnen, so verlor er aber all seine Krieger. So kehrte er aus dem Osten in die Stadt Preslav zurück. 4. König Roman blieb in seinem Reich neun Jahre und verschied. XVI. [Der Sohn der rechtschaffenen Theodora] 1. Danach fand sich ein anderer König, Sohn der rechtschaffenen Theodora, ein frommer und von Herzen gläubiger König. 57 53 Die positive Darstellung der Herrschaftszeit von Kaiser Basilios II. gerade aus bulgarischer Sicht erstaunt. War er nicht grausam gegen die gefangenen bulgarischen Krieger vorgegangen, was ihm schließlich den Beinamen „ὁ Βουλγαροκτόνος“ („der Bulgarentöter“) einbrachte? Für den Autor zählte offenbar die etablierte Ordnung aus staatlicher und religiöser Einheit mehr als der Preis, der dafür zu entrichten war. 54 Samuils Brüder werden genauer Übereinstimmung mit den historischen Fakten genannt - Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 206, Anm. 39. 55 Dujčev und Ivanov verweisen auf Alussian, Neffe von Samuil, der eine verhängnisvolle Rolle im Aufstand von Petăr Deljan spielte. 56 Jireček, Ivanov und Dujčev deuten den Namen auf Kaiser Romanos Argyrios (1028- 1034); Tăpkova-Zaimova & Miltenova tendieren zu Bavril Radomir (1014-1015), der den- Beinamen „Roman“ hatte. 57 Nach mehrheitlicher Meinung geht es an dieser Stelle um Kaiserin Theodora und Kaiser Konstantin IX. (1052-1055). Quellentexte 412 2. Dieser errichtete große Klöster im bulgarischen und griechischen Land, und in seinem Reich fanden sich allerlei Güter. 3. Dieser König blieb in seinem Reich dreiundzwanzig Jahre und verschied. XVII. [König Gagan] 1. Danach trat ein anderer König hervor, sein Name war Gagan, sein Rufname Odejan, sehr schön von Gestalt. 58 2. An ihn gingen das bulgarische und das griechische Reich. 3. In Kumida verwüstete er zwei Städte, die jenseits des Meeres lagen. 4. Er errichtete drei Städte im bulgarischen Land: Die erste Stadt Červen, die zweite Nessebar, die dritte Sip. 5. Dort herrschte er achtundzwanzig Jahre und wurde von einem Andersstämmigen auf dem Ovče pole mit dem Schwert erlegt. 59 XVIII. [König Areb] 1. Nach ihm erhob sich ein anderer König aus Konstantinopel namens Areb. 60 2. Er setzte sich auf den Thron des Königs Konstantin und verschied. XIX. [Konig Turgios] 1. Nach ihm erhob sich ein anderer König aus den südlichen Ländern namens Turgios. 61 2. Dieser wird die Krone des Königs Konstantin empfangen und das ganze bulgarische und griechische Land empfangen. 3. Herrschen wird er siebzehn Jahre und danach verscheiden. 58 Eindeutig auf Petăr Deljan (ksl Odelýn[/ gr. ὁ Δελιανός + χαγάνος) zu beziehen, Anführer des größten Aufstandes während der byzantinischen Herrschaft. Vgl. seine Darstellung in 1 ApcIes2,1 bis 5,7. Bemerkenswert ist, dass die Erhebung an sich keine Erwähnung findet; cf. Ivanov, Letopis’, 74. 59 Zum Tod Petăr Deljans auf dem sog. Schafsfeld (Ovče pole) siehe 2 ApcIes 5,1-7. Der Tod durch die Hand eines Andersstämmigen wird sich wohl auf den skandinavischen Söldner Harald Hardråde beziehen, der sich mit seinen Kriegern an der Niederschlagung des Aufstandes beteiligte; cf. Zlatarski, Istorija II, 72-78, insb. S. 77-78, Anm. 1, der allerdings die anderen Angaben als ahistorisch betrachtet. 60 Nicht weiter zu identifizieren. 61 Es ist schwierig, hierfür ein historisches Pendant zu nennen. S. Ivanov deutet den Namen auf die byzantinische Bezeichnung der Magyaren (τοῦρκοι); idem, Letopis’, 74. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 1) 413 XX. [Das Hervortreten der gesetzlosen Stämme] 1. Nach ihm traten abermals Gewalttäter und Verführer hervor, genannt Pečenegen, ungläubig und gesetzlos. 62 62 Bezogen auf die Angriffe asiatischer Stämme in der Mitte des 11. Jh.; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 206, Anm. 45; cf. ferner Tăpkova-Zaimova, Dolni Dunav, 71ff. 11. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 2) Die sog. „Sage“ oder „Homilie des Jesaja“ (2 ApcIes), die sich als zweiter Band eines eschatologisches Doppelwerkes unter dem Namen Jesajas ausnimmt, stellt eine apokalyptische Revue des 11. Jh. dar. In ihrem Mittelpunkt stehen die Ereignisse um den Aufstand des Petăr Deljan (1040-41), der in Folge einer fiskalischen Reform im Südwesten Bulgariens ausbrach, damals unter byzantinischer Verwaltung. Der Verfasser hat das Scheitern der Erhebung und die danach einsetzenden Wirren miterlebt, ebenso die Raubzüge und die Plünderungen fremder Stämme, die bis nach Thessaloniki ausgriffen. Er verspricht sich eine Befriedung und einen endzeitlichen Wohlstand unter dem König Michael, der dreiunddreißig Jahre währen soll. Dann aber soll der Antichrist auf den Plan treten und die endzeitlichen Wehen auslösen. Der Text entfaltet ein genaues Tagma der letzten Dinge, die mit dem Jüngsten Gericht und der ewigen Herrschaft Gottes enden. Die slavische Fassung ist in zwei Handschriften überliefert, die die Grundlage der anschließenden Übersetzung bilden: Cod. 52 (39), Nikoljac-Kloster, Montenegro, spätes 15. Jh., fol.58b-66a (= Nik 52); 1 Cod. 1348, Nationalbibliothek Sofia, sog. „ewiger Kalender“, abgefasst vom Lehrer Todor Pirdopski im Jahre 1839, fol.136b (= NBKM 1348), fragmentarisch (Beginn und Schlussteil fehlen); incipit „ … in jener Zeit werden aus dem Westen Gewalttäter aufkommen … “ (entspricht 2 ApcIes 5,1) 2 1 Textausgabe von Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 52-73, insb. S. 68-73; Angelov, Za dva prepisa, 9-18, insb. S. 18-19 (Textextrakt); Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 150-154. 2 Cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 139 (Deskription). Sage des Propheten Jesaja (Bd. 2) 415 Des heiligen Propheten Jesaja Sage von den kommenden Zeiten und Königen und vom Antichrist, wie er sein wird 3 I. [Der Überfall der Ismaeliten unter König Gordie] 1. Es wird sich der siebenunddreißigste König erheben, dem Namen nach Gordie, 4 dem Rufnamen nach Čigočin: 5 Er wird aus der Stadt der Sonne heraustreten, halb Christ, halb Heide. 6 2. Er wird das ganze Land Ismaels versammeln. Die Leute aus dem Land drüben heißen Fuskarier, 7 mit Rufnamen „wilde Esel“ die berühmten Enkel Hagars, das jüdische Geschlecht Moses. 3. Und sie werden das ganze Land und die Städte erobern, eine Ebene namens Sredec erreichen und auf einen Brunnen mit zwei Öffnungen stoßen. 4. Und von der Stadt Sredec 8 aus werden sie die Länder im Osten und im Westen, im Norden und im Süden plündern. Und niemand wird ihnen entgegentreten können. 5. Und Čigočin wird das griechische Land, das griechische und das bulgarische wie ein Peiniger für sieben Jahre schinden. 6. Dann werden die Griechen jenseits des Meeres und die Bulgaren im Westen umkommen; sie werden sich nur in den namhaften Städten, in den Bergen, den Tälern und den Höhlen aufhalten. 7. Und in diesen Tagen werden Vitoša und alle bekannten Berge von Nebel umwoben sein: der Heilige Berg wird mit einer Wolke überzogen sein, und Konstantinopel wird wie ein Feuer aufflammen. 8. So wird Čigočin die ganze Erde peinigen und die Leute in diesen Ländern werden wehklagen und rufen: „Weh uns, Brüder, da wir eines bitteren Todes sterben! “ 3 Der Titel lautet Стго Isaïе пррка w бùдùщи лђтђ и w црђмь сказанїе и w антихрта иже хоще бůіти. 4 Womöglich „der Überhebliche“ (sl. gord]). 5 „Čigočin“ wohl vom altbulg. чиготъ/ čigot, gr. σπαθάριος (Interpretationsvorschlag von Miltenova & Tăpkova-Zaimova, op.cit., 158-159, Anm. 1). 6 Von der Hand zu weisen ist die Annahme einer Verschmelzung zweier Figuren in der Gestalt von Gordie-Čigočin (Kaiser Michael IV. und Harald Hardråda) - Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 63. 7 Cf. gr. φουσκάριος (lat. fuscus, dunkelbraun) als Anspielung auf die Hautfarbe der Araber (Interpretationsvorschlag von Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., S. 159, Anm. 3). 8 Serdica/ Sofia. Quellentexte 416 II. [Die Gegenwehr der Christen unter König Gagen] 1. Und im [letzten] Jahr von König Čigočin wird vom Abendland, aus dem sarischen Land der achtunddreißigste König auftreten - dem Namen nach Gagen, 9 dem Rufnamen nach Odolæn. 10 2. Er wird fünf Jahre herrschen und sanftmütig, kühn und ein großer Krieger sein; an ihn werden die Christen mit ihren Klagen herantreten. 3. Er wird aufstehen wie ein aus dem Grab Geborener und einäugig sein. 4. Und er wird die Bewohner des Abendlandes und der Küsten versammeln und siebenunddreißig Säcke Gold und einen Purpurmantel, den Sternen ähnlich, mit sich tragen. 5. Gleich nach seiner Ankunft wird er die Blondbärtigen bändigen. 6. Und er wird sich in das bulgarische Land begeben und dem ersten Heer von Skopje aus 11 auf dem Ovče pole, das in der Gegend des Čigočin liegt, entgegentreten. Er wird es zerschlagen und seine Waffen an sich nehmen. 7. So wird König Gagen sein Heer bewaffnen und wieder gegen Čigočin losziehen. III. [Die Niederlagen von König Gagen] 1. Es werden ihm aber die Ismaeliten auf Grahovo pole begegnen und ihn bezwingen und wie Feldheu verbrennen; er selbst aber wird in die Stadt Zemen flüchten. 2. Und die Ismaeliten werden auseinander gehen und das ganze bulgarische Land plündern. 3. Sodann wird König Gagen an König Čigočin [eine Botschaft] senden: „Lass das Plündern und ziehe fort mit den Ismaeliten, damit wir es mit euch nicht aufnehmen müssen! “ 4. Und König Gagen wird in Zemen drei Monate bleiben, zu Gott betend, bis er 40 000 seiner Krieger versammelt. 5. Und er wird gegen die Ismaeliten an einen Ort namens Fünf Hügel ziehen. 6. Und da wird viel Blut vergossen werden, und sie werden das Heer von König Gagen vernichten. 9 Wohl aus dem altbulgarischen Titel Khagan (gaganъ, gagenъ) - ibid., S. 159, Anm. 9. 10 Damit wird die griechische Form von Petăr Deljan wiedergegeben (ὁ Δελεανός) - ibid., S. 159, Anm. 10. 11 Skopie war in der Tat ein Ausgangspunkt für die Kriegsführung der Rebellen um Petăr Deljan; cf. Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 63. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 2) 417 7. Er selbst wird nach Pernik flüchten. Und in Pernik wird König Gagen vierzig Tage bleiben, zu Gott betend und wehklagend. IV. [Rückschlag von König Gagen mit Hilfe einer Jungfrau] 1. Und Gott wird ihm Krieger zur Seite stellen: Patriarchen und Bischöfe, Mönche und Priester. 2. Und sie werden mit ihm auf den Berg namens Vitoša gehen, wo die heiligen Väter der bulgarischen Lande sind. 3. Dann wird eine Jungfrau hervortreten, heilig und schön von Gestalt, die dreihundert heilige Vater anführt. Und sie wird König Gagen an der rechten Hand nehmen und ihn segnen. 4. Und sie wird mit dem heiligen Kreuz gegen die Ismaeliten ziehen und eine sehr große Schlacht ausfechten. Und am Ort, wo der Brunnen mit den zwei Öffnungen liegt, wird viel Blut vergossen werden. 5. Und König Gagen wird die Ismaeliten zerschlagen [dergestalt], als ob Gott sie mit einem unsichtbaren Stab vernichten würde. 6. Und er wird König Čigočin zerhauen und viel Beute erringen, so dass ein dreijähriges Ross in Blut versinken wird. 7. Früher war er aber in Sredec drei Jahre und vier Monate. V. [Die Gewalttäter aus dem Westen] 1. Es werden aber Gewalttäter aus dem Westen wie schamlose Schlangen hervortreten und zum Ovče pole 12 mit einem großen Heeresaufgebot ziehen. 2. König Gagen wird selbst zum Ovče pole ziehen, indem er das ganze bulgarische Land versammelt. Auch die Krieger von König Gagen werden zum Ovče pole strömen. 3. Und wenn sich eine weise Mutter findet, wird sie ihren Sohn aufhalten, da diese Leute zerhauen werden wie Feldheu. 4. Und die Menschen werden einander sagen: „Weh uns, Brüder, da das bulgarische Land restlos erlag! “ 5. Und es werden nur so viele Menschen übrig bleiben wie den Schatten einer Eiche umfassen können. 6. Daraufhin wird er sich vom Ovče pole zum Edrilofeld 13 begeben. Und dort wird König Gagen fallen und mit ihm mehr als tausend Leute. 7. Und die Menschen werden sagen. „Weh uns, da die ganze Welt unterging! “ 12 Wörtlich „das Schafsfeld“. 13 Wohl Odrino pole (die Ebene von Adrianopel); cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit, 159, Anm. 21. Quellentexte 418 VI. [Die Ismaeliten aus den nördlichen Ländern] 1. Und in diesen Jahren werden die Ismaeliten aus den nördlichen Ländern hervorströmen. 2. Zwei Drittel davon werden nach Thessaloniki kommen, ein Drittel wird im Land bleiben, um sich taufen zu lassen, da Gott die Ismaeliten lieb gewonnen hat. 3. Sie werden Thessaloniki belagern. Die Thessalonicher aber werden gegen die Ugren ausziehen, sie niederwerfen und ihre Waffen statt Holz drei Jahre verbrennen. VII. [Die Herrschaft von König Symeon des Weisen] 1. Darnach wird sich der neununddreißigste König namens Symeon der Weise erheben. 14 2. Auf dem Meeresweg, mit Schiffen [kommend] wird er das bulgarische Land erobern und in das Neue Jerusalem einziehen. 3. Er wird bis zu den Goldenen Toren vordringen und einziehen. Und hier wird er sich aufhalten, bei den Goldenen Toren. 4. Und er wird in die Lagerkammer eindringen und ganz Jerusalem wird sich erheben. 5. Und sie werden sich taufen lassen. Gott aber wird ihre Hochmut und ihren Unverstand sehen und sie mit Plagen heimsuchen. 6. Und der weise Symeon wird mit den Worten sterben: „Neues Jerusalem, wie haben sich ihre Gesetze um dich vermehrt! “ 7. Und Symeon wird sechs Jahre die Königsherrschaft ausüben. VIII. [Das Friedensreich des König Michael] 1. Und der Herr wird einen König senden, und dieser wird der vierzigste gottgesandte König sein, sein Name Michael. Und er wird die Herrschaft über die ganze [bewohnte] Welt antreten. 2. Er wird sich erheben und zum Thron herzutreten, da eine Jungfrau den Kranz des frommen und gläubigen König Konstantin hält. 3. Und Michael wird den Kranz auf sein Haupt legen und Gott wird ihm fünfunddreißig Jahre geben. 4. Unter diesem König werden Freude und Jubel und Wohlergehen herrschen wie sie vom Anbeginn dieser Welt nicht gewesen sind. 5. In jenen Tagen wird er kommen, um die heiligen Kirchen einzuweihen; silberne Altäre wird er errichten. 14 Zur Deutung auf Vladimir, Sohn des Großfürsten von Kiev Jaroslav (1019-1054) und Fürst von Novgorod (1034-1052) und seine gescheiterte Expedition gegen Konstantinopel im Jahre 1043 siehe die Argumentation von Miltenova & Kajmakamova, Săčinenie, 66. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 2) 419 6. Und den Menschen wird er Messer statt Waffen geben. Er wird die Waffen zu Werkzeugen umschmieden und die Schwerter zu Sicheln. 7. Und die einfachen Leute werden wie Boljaren, die Boljaren wie Herzöge, und die Herzöge wie Könige sein. 8. Dann werden sich die Menschen auf der ganzen Erde zerstreuen. 9. Und in jenen Tagen wird nur den Toten nichts [von alledem] zukommen. 10. Und in jenen Jahren unter König Michael wird ein Weinberg ein Maß Wein hervorbringen und eine Garbe einen Haufen Weizen, und von einem Schaf wird man einen Haufen Wolle scheren. Honig und Butter werden in Überfluss da sein. 11. Und in jenen Jahren werden sich Menschen und Vieh vermehren und es wird weder Tod noch Krieg noch Raub sein. IX. [Die zwei alten Frauen] 1. Und in jenen Jahren wird sich eine alte Frau vom Osten her auf den Weg machen und eine andere vom Westen her, und in Likica werden sie zusammenkommen. 2. Und sie werden den Schädel eines Menschen finden und kauernd ihn drei Tage und drei Nächte beweinen, sagend: „O Schädel, steh auf, da der Güter des Lebens viele sind, und es ist niemand, der da lebt! “ 3. Und sie werden aufstehen, fünf Meilen 15 zurücklegen und dort angelangen, wo die Erde ihre Frucht gebracht hat. 4. Und wieder werden sie sieben Tage lang sitzend wehklagen und sagen: „Ihr geliebten Kinder, wie habt ihr einander in eurer Herzlosigkeit umgebracht! Es ist viel Leben da, und niemand kann es leben! Das Menschengeschlecht ging zurück.“ 5. Und in jenen Jahren wird der Überfluss für alle da sein; Freude und Jubel werden obwalten. X. [Die Auseinandersetzung mit den Römern] 1. Und in jenen Tagen wird König Michael auf ein Pferd steigen, über das Meer nach Rom mit einem Schwert ziehen und zu den Römern rufen: „Macht mir die Tore auf! “ 2. Sie aber werden ihm antworten: „Wir wollen dir die Tore nicht aufmachen, da du ein Betrüger bist! “ 3. Da wird er mit dem Schwert ausholen und die kupfernen Tore werden wie Pulver zusammenbrechen, ohne dass er zugeschlagen hat. 15 K.sl. popriqe/ poprište. Quellentexte 420 4. So werden die römischen Bischöfe und Mönche und Patriarchen und Priester zusammenkommen, die die Bücher verfassen und sich für die königlichen Kränze bekreuzigen. 5. Es wird sich ein einfacher Diakon finden und ihnen im Streit überlegen sein; sich auf die Bücher berufend wird er ihnen sagen: „Diesem steht es zu, die Herrschaft innezuhaben [bis zu dem Ort], wo die Sonne um die Erde kreist! “ 6. Sie aber werden ein Buch hervorholen und ihm auf den Kopf schlagen; er wird sterben und drei Tage daliegen. 7. Am dritten Tag aber wird Gott dem Diakon die Seele einhauchen und der Herr wird zu ihm sprechen: „Steh auf und geh in das Kloster des heiligen Apostels Paulus; im Grab wirst du einen Porphyrkranz und ein reines Hemd finden. Den Kranz aber setze König Michael auf den Kopf! “ 8. Die große Angst und die große Ehrerbietung ihm gegenüber sehend werden die Römer sprechen und Gold anhäufen wie Getreide auf der Tenne, so dass ein ganzer Hügel entsteht. 9. Und es wird sich Michael auf sein Pferd setzen und über die ganze Welt wandeln; allein mit seinem Schwert wird er den Glauben und das Gesetz elf Jahre lang bewahren. 10. Sodann wird er in sein Herrschaftsgebiet mit dem Namen Neues Jerusalem zurückkehren und die blonden Bärte bändigen. Und dieser Jahre werden dreiundfünfzig sein. XI. [Geburt und Wirken des Antichrist] 1. Und zur Zeit von König Michael wird ein sehr hübscher Vogel kommen und an den Festungsmauern Konstantinopels erscheinen. 2. Und er wird in einer Nonne Fleisch werden. 3. Und unter der Herrschaft von König Michael wird der gottesfeindliche Antichrist zur Welt kommen. 4. Und er wird hübscher sein als das ganze Menschengeschlecht und sehr verschlagen und seine Augen werden wie Sterne sein. 5. Da wird Michael zu seinem Thron herzutreten und seine Krone auf das Kreuz niederlegen und seinen Geist Gott befehlen. 6. Die Engel werden seinen Leib unsichtbar nehmen und zum Himmel emportragen. 7. Der Antichrist aber wird aufs furchtbarste die Christen foltern. Ihre Därme wird er um die Bäume wickeln, sie in Dornen werfen, andere im Feuer verbrennen und ihnen [höhnisch] sagen: „Wo sind diejenigen, die an die Bücher und an das Kreuz geglaubt haben? “ Sage des Propheten Jesaja (Bd. 2) 421 XII. [Die beiden Überführer] 1. Und es wird alles Fleisch zu Gott wehklagen. 2. Gott aber wird die Klagen seiner Treuen erhören und den Propheten Elija und Henoch senden, um gegen den Antichrist zu kämpfen, da er die ganze Welt verführt hat. 3. Und in jenen Tagen wird sich das jüdische Reich erheben, die Zahl der Christen aber wird zurückgehen. 4. Dann werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. 5. So wird Elija mit dem Antichrist streiten und zu ihm sagen: „Du bist der Verführer.“ 6. Dieser aber wird vor Jähzorn wütend werden, einen kupfernen Altar errichten, Elija und Henoch darauf legen und schlachten, wie König David gesprochen hat: „Man wird Stiere auf deinem Altar opfern.“ XIII. [Der Weltbrand] 1. Und Gott wird das Kreuz und die Apostel und die Evangelien und alle Auserwählten, die gottgefällig sind, und die heiligen Kirchen, und die getauften Gräber auf der ganzen Erde anrufen. 2. Gott wird sie in die Luft entrücken, die Erde aber wird er in Brand setzen. 3. Und die Erde wird brennen wie die Berge, und die Berge wie die Häuser, wie König David geredet hat: „Rühre die Berge an, dass sie rauchen.“ 4. Das Meer wird kochen wie in einem Topf, und wie das stürmische Meer verbrennt, so auch alles innerhalb drei Jahren. 5. Allein das Land wird bleiben, wo der Jordan entspringt. XIV. [Die Neuschöpfung der Erde] 1. Daraufhin wird Gott die vier großen Winde senden, die den Staub weit und breit auf der [trockenen] Erde aufwirbeln. 2. Sodann wird Gott zwei Quellen schaffen, die weißer sind als Schnee: Eine im Osten und eine andere im Westen. Sie werden die gesamte Erde umfließen. 3. Die Erde aber wird sich einebnen wie Papier und schöner sein als diese Welt und siebenfach weißer. So wird die Erde drei Jahre daliegen. 4. Und die Erde wird zu Gott rufen und sagen: „Nimm dich meiner an, Herr, da ich viele Jahre daliege und wie eine siebenjährige Jungfrau bin, reiner als die ganze Schöpfung; rein habe ich mich von aller Befleckung gemacht.“ Quellentexte 422 XV. [Parusie und Angelophanie] 1. Und Gott wird mit großer Kraft und Herrlichkeit auf den Wolken von den Himmeln hernieder kommen zu dem Ort namens Chuki. 2. Die Heiligen werden sich in den Kirchen versammeln und wie Sterne leuchten, jeder an seinem Platz. 3. Und es werden sich viele Engel und Erzengel versammeln, Tausende und abermals Tausende, zwölf Legionen, die Gottes Thron tragen; leuchten werden sie siebenfach stärker als die Sonne. 4. Und selbst Gott wird aus den Himmeln erscheinen, um alleine die Toten und die Lebendigen zu richten. XVII. [Die Auferstehung der Toten] 1. Erzengel Michael wird sodann in ein Widderhorn blasen und mit ihm die zwölf Erzengel. 2. Und die seit alters Schlafenden werden aufwachen, wie der Prophet gesagt hat: „Du sendest aus deinen Odem so werden sie geschaffen, und du machst neu die Gestalt der Erde.“ 3. Und sie werden aufstehen wie vom Schlaf und auf der Erde wandeln und einander erkennen. XVII. [Vollzug des Gerichts] 1. Und es werden die [Gerichts-]Engel kommen, um die Guten von den Bösen zu scheiden: Die Guten werden sie zur Rechten, die Bösen aber zur Linken stellen. 2. Der König wird zu denen zur Rechten sagen: „Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Himmelreich, das euch bereitet ist! “ 3. Und abermals wird er sagen zu denen zur Linken: „Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer.“ 4. Und der Antichrist wird sich mit gewaltiger Wut zur Linken stellen zusammen mit den Juden, die erzittern werden, da sie gesagt haben: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder! “ 5. Und die Engel werden sie gnadenlos und grausam in die äußere Finsternis verjagen, wie der Prophet gesprochen hat: „Jedes Gedenken an sie ist vergangen, der Herr aber bleibt ewiglich! “ 6. Und Gott wird zu den Sündern sagen: „O ihr Erbärmlichen, wie habt ihr die satanischen Jahre nicht erkannt und meinen Propheten nicht geglaubt? Im ersten Jahr viel Wein und Getreide, im zweiten Jahr findet ihr nicht einmal eine Handvoll Getreide noch einen Becher Wein auf der ganzen Erde. Sage des Propheten Jesaja (Bd. 2) 423 7. Seine Jahre werden um der Auserwählten willen verkürzt werden. Drei Jahre dauert seine Herrschaft. Die drei Jahre macht er zu drei Monaten, die Monate zu drei Wochen und die Wochen zu drei Tagen und die Tage zu drei Stunden und die Stunden zu drei Minuten und die Minuten zu einem Augenblick. Habt ihr denn nicht verstanden, ihr gesetzlosen Feinde, dass ihr verführt wurdet und euch von Gott abgewendet habt? “ 8. So wird Gott das Kreuz und das Evangelium und den Apostolos nehmen 16 und über die zwölf Stämme Gericht halten. XVIII. [Die ewige Herrschaft Gottes] 1. Gott aber wird ewiglich herrschen. 2. Es werden weder Tod noch Heirat noch Ehe da sein. 3. Es wird weder betagte noch junge Menschen geben; alle werden gleich aussehen und gleichaltrig sein, alle dreißig Jahre alt. 4. Es werden weder Eifersucht noch Neid da sein, sondern vollkommene Liebe und Freude im Namen Gottes, unseres Erlösers. 16 Die Rede ist vom liturgischen Kreuz und den gottesdienstlichen Manuale (Evangeliar und die Textausgzüge aus den Apostelbriefen). 12. Vision des Propheten Jesaja vom letzten Zeitalter In drei kirchenslavischen Handschriften (13., 15. und 16. Jh.) findet sich eine „Vision Jesajas“ (3 ApcIes), die wohl als geschichtstheologische Reaktion auf die Eroberung Konstantinopels im Jahre 1204 und auf das Lateinische Kaiserreich konzipiert worden war (cf. Anm. zu 2,3). Der Text ist ein in sich geschlossener eschatologischer Entwurf, der aus einer visionären Einleitung, einer symbolischen Geschichtsschau und einem eschatologischen Schlussteil besteht. Er lässt sich lesen als eine Neuauflage der kirchenslavischen Jesaja-Apokalypsen aus dem 11. Jh. (1 und 2 ApcIes) und repräsentiert eine Aktualisierung ihrer Geschichtstheologie in einem neuen politischen Zusammenhang. Daran wird erneut die Konvergenz der beiden Genretypen erkennbar an Hand der Verbindung aus Himmelsreise und politischer Eschatologie. Der Duktus ist allerdings wesentlich abstrakter als in den Vorgängertexten, und ein direkter Bezug zu zeitgenössischen Begebenheiten lässt sich nicht ohne weiteres herstellen. Textzeugen sind: - Cod. 651 (Sammelcodex des Priesters Dragol), Volksbibliothek Belgrad, zweite Hälfte des 13. Jh. fol.252a 1 - Cod. 43 (1472), Sammlung P.I. Sevastjanov, Staatliches Historisches Museum, Moskau, 15. Jh., fol. 83a (= Sev 43) 2 - Cod. 1161, Kirchenmuseum für Geschichte und Archäologie Sofia, 16. Jh. fol.136a (= KMGA 1161) 3 1 Edidit Srećković, Zbornik, 15-16 und Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 232-236. 2 Edidit Tichonravov, Skazanija, 29-31 (A. Miltenova gibt in ihrer Studie abweichend „Tichonravov, Apokrifičeskie teksty, 1895“ an) und Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 232-236 (apparatus criticus). 3 Die Institution heißt gegenwärtig „Национален църковен историко-археологически музей при Св. Синод“, Kürzel „НЦИАМ“; A. Miltenova gibt in ihrer Kürzelliste abweichend „Instiut“ statt „Museum“ an); Text bei Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 232-236 (apparatus criticus). Vision des Propheten Jesaja vom letzten Zeitalter, wie es dem Menschengeschlecht in der letzten Generation ergehen wird 1 I. [Entrückung und Beauftragung Jesajas] 1. Siehe, ich [bin] Jesaja, ein Auserwählter Gottes, durch unseren Herrn Jesus Christus zum Propheten auserwählt. 2. Der Engel Gottes trat zu mir und entrückte mich auf eine hohe Feste. Alle Verirrung erschaute ich von droben. 3. Abermals entrückte er mich in die Höhe. Daselbst schaute ich einen Engel, sitzend und singend. 4. Da fragte ich den Engel, der mich geleitete: „Was ist das für ein Gesang, Herr? “ 5. Der Engel aber sprach zu mir: „Sei beständig, Jesaja, um der Herrlichkeit Gottes ansichtig zu werden, die dessen größer ist.“ 6. Abermals entrückte er mich in den vierten und in den fünften Himmel. Da hörte ich Engelgesang. Und ich freute mich in meinem Geiste, meine Knochen aber erzitterten. 7. Da sagte ich zum Engel, der mich geleitete: „Beeil dich, mein Herr, und bring mich schnell vor meinen Herrn, der mich im Leibe meiner Mutter berief, um mir seine Geheimnisse kundzutun.“ 8. Und er entrückte mich in den siebten Himmel. Daselbst schaute ich den Richter auf dem Thron sitzen, einen Feuerfluss um ihn herum. Unzählige Scharen dienten ihm, Tausende und abermals Tausende leisteten ihm Gehorsam. Ihm zur Rechten vernahm ich Engelgesang, ihm zur Linken das Heulen und den Jammer der Sündigen. 9. Da sprach ich zum Engel: „Lass mich des Herrn ansichtig werden, der mich berief! “ 10. Der Engel aber antwortete mir: „Es ist unmöglich, deinen Herrn zu schauen, es sei denn, du hörst seine Stimme, die zu dir redet.“ 11. Sogleich hörte ich eine Stimme, die zu mir redete: „Geh hin, Jesaja, und tue kund, was dem letzten Geschlecht widerfahren wird! “ 12. Ich aber sagte: „Herr, es ist gut, hier zu sein. Lass mich nicht dorthin zurückkehren, wo ich herkam! “ 13. Der Engel aber sprach zu mir: „Jesaja, wie sollen die Erdenbewohner erfahren, wann die Vollendung geschehen wird, das Zeichen der 1 Drag 651: „Vision … “ (videni9/ ὅρασις); Sev 43: „Vision des Propheten Jesaja vom letzten Zeitalter“; KMGA 1161: „Lesung (xatenje) des heiligen Propheten Jesaja vom letzten Zeitalter, wie es dem Menschengeschlecht ergehen wird“. Quellentexte 426 Vollendung? Nach dir werden sie keinen Propheten mehr haben, der sich zur Prophetie erheben wird! “ 2 II. [Die letzten Kaiser Konstantinopels] 1. So kam ich, Gottes Ratschluss folgend, und nun tue ich euch kund, was dem letzten Geschlecht widerfahren wird. Gedenkt meiner! 2. Wenn ihr das Neue Jerusalem erblickt, das sich Konstantinopel nennt: In dieser Stadt werden sich die zwei letzten Kaiser erheben, sodann wird sich kein anderer Kaiser erheben. 3 3. An diesem Ort namens Romania werden sie in ihrer Grausamkeit all ihre Würdenträger umbringen und Romania in Gestank versenken. 4 4. Und aus ihrem Schoß wird die südliche Königin namens Anna hervorgehen, die man „mordende Braut“ nennen wird. 5. Oh Wunder! Wenn diese Kaiser dies wüssten, würden sie sie nicht der Schlange zur Braut geben! III. [Das Wirken der Schlange] 1. Es ist geschrieben vom Westen, es steht geschrieben: Wenn das Zicklein bei dem Luchs liegen wird, wird der Luchs ihm ins Ohr flüstern, indem er spricht: „Steh auf, wach auf! Der Frevel sitzt auf dem goldenen Thron und in den Palästen aus Silber, wo eine kostbare Perle liegt! “ 2. Es steht ja geschrieben: „Wenn der Löwe mit dem Lamm Stroh fressen wird, wenn der Bär mit dem Ochsen wiederkäut, wenn das Evangelium unter Kinderfressern und Blutsaugern gepredigt wird...“ 3. Oh Wunder! Wüssten dies die beiden Jerusalemer Könige, würden sie mit den westlichen [Königen] Frieden schließen, um sich der Frevelschlange zu widersetzen. 4. Es steht ja geschrieben nicht ich, sondern der Heilige Geist spricht so: „Diese Schlange wird sich erheben, ihre Würdenträger mitnehmen und sich auf ein Floss aus Holz setzen. Beim Fluss werden sie ankommen, welcher „das verborgene Paradies“ heißt. Dieser Fluss fließt über das Land Israel, dies ist das Land Moësien. Da wird das Zepter aus der Wurzel Jesse blühen.“ Dies aber rede ich in Wahrheit, wie es geschehen wird, im letzten Zeitalter! 2 Das erste Kapitel ähnelt stark 2 ApcIes1,1-15. 3 Damit ist wohl Konstantinopels Fall im Jahre 1204 und die Ausrufung des Lateinischen Kaiserreiches gemeint, die für den Verfasser als Zeichen der Endzeit gedeutet werden. 4 Die lateinischen Kreuzfahrer werden offenkundig durchweg negativ gesehen. Vision des Propheten Jesaja vom letzten Zeitalter 427 5. Nicht ich spreche, sondern der Heilige Geist spricht: „Vom Holzfloß wird diese Schlange absteigen und sich in Pernatica absetzen und sich an einem Ort namens Ovče pole niederlassen. 6. Daraufhin wird sie alle Völker ringsum besiegen: Große Schlachten werden geschehen, wie Feldgras werden sie einander niedermetzeln; der Brunnen wird voll sein ihres Blutes. Oh unerforschliches Wunder! 7. Wüsste dies der König des Westens, würde er sich nicht mit der Schlange verbünden. Es steht ja geschrieben: „Der kleine Löwe wird nicht mit der Löwin weiden! “ IV. [Der König des Ostens] 1. Siehe, ich gebe euch ein Zeichen nicht ich, sondern der Heilige Geist: „Wenn ihr die Vollendung des Reiches im Lande Moesien seht, wird sich kein König aus diesem Geschlecht erheben.“ 2. Es werden sich aber zwei Könige erheben: der eine aus dem Osten, der andere aus dem Westen. 3. Der Westliche wird voller Wut herrschen, der Östliche mit Frieden: die Zerstreuten wird er versammeln, wie die Henne ihre Küken unter ihre Flügel versammelt. 4. In seinen Jahren werden die Würdenträger wie Könige sein und die Armen wie Herrscher. 5. Sie werden ihre Jahre ohne Leiden verleben gemäß der ihnen bestimmten Zeit. V. [Bezwingung der Schlange] 1. Dann wird sich diese Frevelschlange vom Ovče pole erheben, von allen Seiten, und sie mit Freuden anführen, wie der Bräutigam seine Freunde auf die Hochzeit bringt. 2. Sie wird zu ihnen sagen: „Kommt mit mir zur Hochzeit, um meinen Ruhm zu sehen! “ Es steht ja geschrieben: „An das Ende der Erde gehen, um die Weisheit Salomos zu sehen! “ 3. Und sie wird in das Neue Jerusalem einziehen, welches Konstantinopel heißt. Auf ihr Klopfen wird man ihr die Tür aufmachen. Am Ort namens Tabor wird sie ankommen. 4. Sodann werden aus der heiligen Weisheit, aus der heiligen Sofia, zwei Männer hervortreten: Der eine mit dem Namen des Erzengels Michael, mit der Krone, wird sie voller Wut anschauen. 5. So werden sie erschrecken und durcheinander geraten, wie Feldgras werden alle einander niedermetzeln, so dass sich das Meer mit dem Blut von allen Landen füllen wird. Oh unerforschliches Wunder! Quellentexte 428 6. Und es wird eine solche Not herrschen wie sie seit der Erschaffung dieser Welt nicht gewesen ist noch sein wird. 7. Selig der Mensch, der jener bitteren Stunde, jenem Gemetzel entrinnen wird! 8. Es steht ja geschrieben: „Diese Schlange wird an dem Ort namens Hadrians Feld fallen. Das Feld Gig wird aber berühmt werden, es wird nicht mehr als Hadrians Feld bekannt sein. 9. Jerusalem, Jerusalem, da sich in dir die Gesetzlosigkeit vermehrt hat, wird viel Blut an dir gerächt werden! 10. Und es wird das Gesagte in Erfüllung gehen: „Die Vögel des Himmels werden herbeieilen und sich an Menschenblut satt trinken die Tiere der Erde werden sich an ihrem Fleisch satt fressen, denn das Blut der Gerechten wird gerächt.“ VI. [Die Herrschaft Michaels] 1. Und Michael wird zu den übrig gebliebenen Völkern sagen: „Ihr seht, dass ich der Fürst aller Völker bin! Kehrt zu den Eurigen zurück, in ihr Haus, und lebt in Frieden! Messer werde ich euch zur Waffe geben.“ 2. So werden alle Völker in Frieden leben: Der tote Weinberg wird aufgehen und alle Feldäcker werden sich mit Getreide füllen. 3. Und es wird sich eine Greisin auf den Weg machen, sich mit einem Stock abstützend. Gehend wird sie bloße Menschenknochen finden, weinend bei ihrem Anblick wird sie reden: „Liebe Kinder, warum seid ihr durch euch selbst umgekommen? Wäret ihr lebendig, hätte sich nicht die Frucht der Menschen gemindert! “ 4. Und es wird das Neue Jerusalem mit Waffen anstatt Holz sieben Jahre zubringen. 5. Es wird Michael im Neuen Jerusalem leben gemäß der ihm bestimmten Zeit. VII. [Das Wirken des Antichrist] 1. In den Tagen seiner Jahre wird der Widersacher Gottes in einem Kloster zur Welt kommen. 2. Im Kloster wird er gestillt werden und schöner als alle Menschen wird er sein, aber mit Zuwendung wird er verführen. 3. In allem wird er dem Fürsten Michael Genüge leisten und unter seiner Herrschaft wird er groß werden. 4. Und wenn die Tage des Fürsten Michael vollendet sind, wird er sich zum Kreuz begeben und sich vor ihm verbeugen und seine Krone auf das Kreuz niederlegen. So wird er Gott seinen Geist befehlen. Vision des Propheten Jesaja vom letzten Zeitalter 429 5. An seiner Statt wird sich sodann der Widersacher Gottes setzen, auf seinen Thron. 6. Leiden wird er [zufügen] und in den Augen der Menschen Wunder wirken. 7. Die an Gott Glaubenden aber wird er foltern. 8. Diejenigen, die auf der Gegenseite sind, wird er erkennen und die Christen foltern, ihnen befehlend: „Wo sind die, die an die christlichen Bücher glaubten? “ 9. Die Christen wird er in Dornen werfen und anderen die Därme um Eichen wickeln. VIII. [Die Überwindung des Antichrist] 1. Sodann werden die Treuen ihre Stimme zu Gott erheben. 2. Gott der Herr wird sie erhören, wie die Mutter die Stimme ihrer weinenden Kinder erhört. 3. Senden wird er seinen eingeborenen Sohn mit seinen Engeln, den Teufel zu binden mit unlösbaren Stricken. 4. Dort aber wird Heulen und Zähneklappern sein. 5. Selig sind die, die im Glauben sterben. 6. Unserem Herrn Ehre in Ewigkeit. Amen. 13. Homilie des Propheten Jesaja über die letzten Tage Unter jenen „apokryphen Sagen über alttestamentliche Gestalten und Begebenheiten“, die I.Ja. Porfir’ev aus den Manuskripten des Solovki-Klosters im Jahre 1877 herausbrachte, findet sich eine „Homilie/ Sage des Jesaja über die letzten Tage“, die eine Drohrede des Herrn mit einem eschatologischen Epilog enthält (4 ApcIes). 1 Darin sind biblische Paraphrasen und Entlehnungen aus der außerkanonischen Johannes-Offenbarung in paralleler Dopplung zu einer langen Aneinanderreihung von Unheilsansagen zusammengestellt, am Schluss wird eine allgemeine Vergeltung angedroht. Da die trostreiche Vision einer „schönen neuen Welt“ ausbleibt, wirkt die Homilie insgesamt düster und wenig verheißungsvoll. Die Übersetzung erfolgt nach Cod. 803 der Solovki-Bibliothek, 17.-18. Jh., fol.67-72. 2 Es werden nur einige wenige Anmerkungen eingestreut, der nähere Hintergrund bleibt zu klären; die Homilie eignet sich gut als „Bibelquiz“. 1 Porfir’ev, Skazanija I, 263-268. 2 Hier werden weitere Textzeugen aufgezählt, die einer näheren Deskription bedürfen: Cod. 230 („Izmaragd”), Synodalbibliothek, Moskau; Cod. 364 (16. Jh.) und Cod. 14 (17.- 18. Jh.), beide aus Abtl. II der Sammlung Tolstoj; Cod. 1013 und 1085 („Zlatoustnik/ Chrysostomicum“), beide aus der Sammlung Undol’skij, 16.-17. Jh.; Cod. 803, 889 und 913 aus dem Bestand der Solovki-Bibliothek. Homilie des Propheten Jesaja über die letzten Tage 431 Homilie des heiligen Propheten Jesaja, Sohn des Amos, in Trauer und in Tränen, durch den Heiligen Geist von den letzten Tagen, wie sie sein werden. Vater segne uns 1. So spricht der Herr: „Höret her, ihr Menschenskinder, und merkt auf die Worte meines Mundes. Neigt die Ohren ins Licht meiner Zunge. 3 2. Ihr seid mein Volk, und ich bin der Herr, euer Gott. Ich habe euch durch mein Blut aus den Nachstellungen eurer Feinde losgekauft und habe euch daher als eigene Söhne aufgenommen. 4 3. Doch habt ihr mir nicht gedient wie man einem Vater dient, und habt mir nicht zugearbeitet wie man einem Herrn zuarbeitet. So seid ihr meiner Herrlichkeit fremd geblieben, und meinen Wundern habt ihr nicht geglaubt; all meine Gebote habt ihr nicht beachtet. 4. So wird meine Hand sich gegen euch wenden, 5 in den letzten Tagen, mein Zorn wird sich über euch ergießen. 6 Ich werde euch von meinem Herzen fortreißen, da die Erde voll ist des Frevels. 5. Die Demut ließ nach, und die Überheblichkeit stand in Ehren. Neid und Trug grassieren unter uns, und die Ungerechtigkeit mehrt sich. Die Wahrheit wird untergehen und mit Lüge wird die Erde bedeckt sein. 6. Die Nachkommen werden ihre Väter verhöhnen, und die Väter werden sich vor ihren Nachkommen ekeln. Und der Bruder wird seinen Bruder verachten und der Freund seinem Freund neiden. 7 Und die Mütter werden ihre Kinder der Hurerei ausliefern 8 und die Kinder werden keine Scham ihren Eltern gegenüber empfinden. 7. Und ihre Lehrer werden die Heuchelei preisen und ihre Mönche werden Übeltäter und Lästerer sein. Und ihre Fürsten werden erbarmungslos sein, die Richter ungerecht. 8. Niemand wird ihre Schwachen aus der Hand des Mächtigen erlösen. Und die Waisen und die Witwen werden wehklagen, da sie weder einen Helfer noch einen Fürsprecher haben. 9 3 Der semitische Ausdruck „das Ohr neigen“ ist eine feste Redewendung im Alten Testament. Sie begegnet oft als Ausruf des Bittstellers (insb. in den Psalmen); in der Bedeutung von „einer Unterweisung lauschen“ (Spr 4,20; 5,1; 22, 17); als Aufforderung Jahwes (Ps 78,1; Jes 28,23; 55,3). 4 Offb 5,9 („Erkaufen durch Blut“). 5 Jes 1,25 („Hand wenden“). 6 Ps 78,11; Jer 7,20; 42,18 („Zorn ergießen“) 7 Mk 13,12 („Familienangehörige wenden sich gegeneinander“). 8 Cf. RevPsMeth syr 13,4 par (Kinder zur Prostitution gezwungen). 9 Jes 1,23 (Korruption und Willkür der Mächtigen gegenüber den Schwachen). Quellentexte 432 9. So werden die Fürsten die Machthaber nicht besänftigen und die Machthaber werden kein Mitleid empfinden, wenn sie die Schwachen peinigen. Und sie werden begehren und sich vergreifen an der Ehefrau des Mannes, der sie nicht mehr hat. 10. Und es werden Zeichen an der Sonne und am Mond zu sehen sein, 10 häufig wird Hungersnot all unsere Länder heimsuchen. Und es werden sich Erhebungen und Drangsal der Völker ereignen, Gerüchte werden sich in den Städten breit machen. 11 11. Und ich werde Zorn in die Herzen eurer Fürsten legen und Kriegsgeschehen wird sich in euren Ländern ereignen. Und der Krieg der Großfamilien untereinander wird nicht aufhören, und die Erhebung der Völker und der Städte gegeneinander wird nicht nachlassen. 12 12. Und der Vater wird mit der Waffe seinen Sohn anfallen und der Sohn wird gegen seinen Vater das Schwert ziehen. Und der Nächste wird seinem Nächsten Pfeile bereiten, und die Feldarbeiter werden den freien Mann verlachen, und der Lebendige wird die Toten beneiden. 13 Weh den Wöchnerinnen und den Stillenden in jener Zeit! 14 13. Ich werde fremde Heerscharen in euer Land stürmen lassen, und eure Feinde werden über euch jubeln. Und ich werde euch der Gier eurer Hasser ausliefern und in die Gefangenschaft abführen lassen durch Völker, die Gott nicht kennen. 14. Und heidnische Stämme werden eure Töchter entführen, zur Vermehrung eures Grams, und sie werden eure Jungfrauen schänden. Und die heidnischen Völker werden eure Söhne und eure Töchter versklaven, und sie werden euer Blut vergießen wie strömende Gewässer. 15. Die Starken unter euch werden dem Schwert anheimfallen und ihr werdet vor euren Feinden fliehen. Und flüchten werdet ihr vor meiner Furcht, ohne verfolgt zu sein. Ihr werdet erschrecken, ohne dass euch jemand erschreckt. 16. Ein einziger wird Hundert von euch niedermetzeln, und durch Hundert werden Tausende von euch umkommen. So werde ich Angst und Schrecken in eure Herzen pflanzen, und euer Fleisch wird den 10 Jes 13,10 par; Mk 13,24 par („Zeichen am Himmel“); Offb 6,12. 11 Mk 13,8 („endzeitliches Kriegsgeschehen“). 12 Mk 13,8.12 (Verbindung aus beiden Versen). 13 Zum Motiv „die Toten beneiden/ selig preisen“ siehe den ausführlichen Exkurs bei Berger, Diegese, 128-130.k 14 Mk 13,17 par („Wehe aber den Frauen, die in jenen Tagen schwanger sind oder ein Kind stillen! “). Homilie des Propheten Jesaja über die letzten Tage 433 Vögeln des Himmels und den Tieren der Erde zum Fraß [vorgeworfen werden]. 15 Und eure Knochen werden allen Lebewesen zur Schau [ausgestellt werden]. 17. Und statt Holz statt werdet ihr eure Waffen verbrennen. 16 Und siehe, da war eine Stadt - morgen ist sie menschenleer, während ein anderer von [fremden] Stamm bewohnt wird. Und die Menschen aus sieben Städten werden sich in einer einzigen Stadt niederlassen. Weh euch, beklagenswertes Menschengeschlecht! 18. So sprach ich zu euch, doch habt ihr mir nicht geglaubt. Ihr wart wie eine taube Otter, die ihre Ohren zuhält, um den Beschwörer nicht zu hören. 17 19. Daher werde ich meine Hand mit Zorn gegen euch richten und mein Angesicht werde ich frostig gegen euch wenden. Mein linkes Auge werde ich auf euch mit Zorn richten, und ich werde euch von meinem Herzen fortreißen und meinen Zorn gegen euch wenden. 20. Und meine Wut wird sich über euch ergießen, ich werde mich eurer nicht erbarmen. Und von den Übeln, die euch heimsuchen, werde ich euch nicht erlösen. Ihr werdet zu mir wehklagen, doch werde ich mich eurer nicht erbarmen, euren Jammer werde ich überhören. 21. Und ich werde die Weisheit von euren Herzen wegnehmen, und kein Verstand wird mehr in euch wohnen. Sodann werdet ihr daherreden wie ein kleines Kind und taumeln wie betrunken. 22. Mein Geist wird nicht auf euch ruhen, und mein Jähzorn wird nicht von euch weichen. Ich werde nicht mehr euer Gott sein, sondern ich werde euch Böses zufügen wie ein Feind, da ihr euch von meinem Namen abgewendet habt. So werde ich mich auch von euch abwenden, spricht der Herr. 23. Denn ihr habt die Heuchelei vermehrt, und die Ungerechtigkeit habt ihr lieb gewonnen. Daher werde ich den Himmel kupfern machen, und die Erde eisern. 18 Und der Himmel wird keinen Tau mehr herabregnen lassen, die Erde wird ihre Frucht nicht mehr hergeben. 24. Und eure Felder werden sich in Ödland verwandeln, wie der gerechte David sprach. Die Ölbäume werden verwelken und die Feldäcker werden nichts Essbares hervorbringen. Wer hundert Maß Weizen sät, wird ein Maß von alledem ernten. So werdet ihr umsonst euren Weizen und euren Samen aussäen. Umsonst arbeiteten jene, die eure Äcker abmähten. 15 Ez 33,27 („den Tieren zum Fraß“). 16 Ez 39,9-10 („Waffen statt Holz verbrennen“). 17 Ps 58,5-6 („Gift der tauben Otter, die den Beschwörer nicht hört“). 18 Cf. ApcIoh apocr 6-7 („kupferner Himmel“). Quellentexte 434 25. Die Schönheit eurer Dörfer wird veröden, und auf eure Felder werde ich Scharen von Raupen herabregnen lassen, die die Reste eurer Früchte verzehren. Die Städtebewohner werde ich durch Hunger ausmerzen, die Reisenden dem Schwert weihen. Und ihr werdet eure öden Städte fliehen. 19 Da ihr gegen mich zu Felde gezogen seid, werde auch ich gegen euch zu Felde ziehen. 26. Und ich werde eure Gehöfte heimsuchen und Ungeheuer aus dem Meer aufstellen. Ich werde wilde Tiere auf euch hetzen, und sie werden euer Vieh verzehren. Ihr werdet eure Herden nicht mehr sehen, die im Gebirge weiden, und eure Knechte auf dem Acker werden nicht mehr Gesänge anstimmen. 27. Kein Ochse mehr wird das Joch schultern, kein Getreide wird auf euren Äckern zu sehen sein. Und eure Äcker werden Unkraut hervorbringen, eure Wege werden veröden und Dornen hervorbringen. 28. Und ich werde auf euch entsetzliche Ungeheuer hetzen, die euer Land entweihen. Ich werde euch mit Hundefliegen plagen, die euer Fleisch verzehren und das Blut eurer Kinder trinken, die die Iris eurer Säuglinge quälen. Und unter euch wird Heulen und Wehklage sein, dass es den Toten und Ungeborenen besser erginge! 20 29. Und ich werde die Fische in den Gewässern ausmerzen, und kein Vogel mehr wird durch die Lüfte schweben, kein Getier mehr wird eure Wälder durchwandern. 30. So wird eure Erde wie eine Witwe sein und ihre Frucht nicht mehr bringen. Und das Gehölz eurer Dörfer werde ich der Hitze weihen, eure Weinberge und eure Flüsse werde ich durch die Sonnenhitze austrocknen und eure Sümpfe werden aufqualmen. 31. Während ich gnädig war und immerdar euch bescherte, habt ihr gesündigt und gefrevelt ohne Unterlass. So werdet ihr die bewohnte Erde abschreiten wie grasendes Vieh und werdet euch am seelenlosen Baum sättigen wollen. 32. Keine Regenwolke mehr wird über euer Land wandeln und eure Füße werdet ihr nicht mehr im Tau nässen. 21 Eure Felder werden vertrocknen und unfruchtbar werden ob eurer üblen Verfehlungen, spricht der allmächtige Herr. Weh allen, die in jener Zeit leben! 33. Allen, die dies hören, werden meine Worte in den Ohren erklingen, da ihr mich verlassen und für fremd gehalten habt. Dann wird alle Heuchelei wegfallen, und ihre werdet eurem Gott erzürnen, da er den Hunger in euer Gehirn und das Siechtum in eure Glieder hineingelassen hat. 19 Jer 51,43 („öde Städte“). 20 Cf. die Variationen des „die Toten beneiden“-Motivs bei Berger, op.cit. 21 Cf. 1 Kön 17,1ff.; Jer 14,4; Ez 22,24 („kein Regen“). Homilie des Propheten Jesaja über die letzten Tage 435 34. Ich werde euch den Tag des Untergangs offenbaren, und eure Festlichkeiten in Jammer, eure Spielplätze in Wehklagen verwandeln. Und ich werde eure Städte verwüsten, eure Kirchen werden menschenleer sein. 35. Es wird keine Kirchgänger mehr geben, auch nicht Bettler vor den Toren der Kirche. Und ich werde eure Häuser der Vernichtung weihen, da alle Vorbeigehenden erschaudern und bedrückt bleiben. So wie der Wind den Staub zerstreut, 22 so werde ich auch euch in die Länder eurer Feinde zerstreuen. 36. Und ihr werdet den Kopf senken, die Schönheit eurer Körper wird dahinschwinden. Und euer Fleisch wird vor Hunger schwarz werden. Gold und Silber und kostbare Gewänder werden an den Wegen liegen blieben, es wird aber niemand da sein, der sie aufliest und sie gar anrührt. 37. Die Jungfräulichkeit wird nichts mehr wert sein, und jeder wird das Fleisch seines Nächsten begehren. Und die Väter werden ihre Kinder essen, und die Kinder werden ihre Eltern nicht verschonen. 38. Die Erde ist voll des Frevels, man hat die Lüge lieb gewonnen anstatt der Wahrheit. Dem Licht weicht man aus, und wendet sich der Finsternis zu. All die Jahre verlebt man in Schande und in der Wüste und in verlassenen Orten. 39. Hört, ihr Menschenkinder, und merkt auf die Worte meines Mundes! Verdreht nicht Gottes Worte, ändert nicht die Sprüche des Herrn. In allen Kirchen werden Verstorbene liegen, aber keiner wird die Leichname eures Fleisches begraben. 40. Ich werde euch eines bitteren Todes sterben lassen, und der König wird nicht für seine Leute eintreten noch die Untertanen für den König. Der Vater wird sich nicht des Sohnes erbarmen, und auch der Sohn nicht des Vaters. 41. Es wird nirgendwo ein Ort zu finden sein, an dem Freude herrscht, sondern ihr werdet Wehklage erheben und blutige Tränen vom Gesicht wischen. Sodann werden die Könige und die Fürsten wehklagen, schreiend und rufend: „Weh uns, Brüder, was haben wir denn getan? Wir sterben und sind schon gestorben! “ 42. Eure Münder werde ich nicht mehr lachen, sondern nur noch schreien hören, und keiner sich freuen, sondern nur noch schreien. Und unter euch weder kein Lachen und kein Hohn, keine Dämonenspiele sein, und es wird keine schnellen Hengste mehr geben, keine hellen Gewänder. 43. Und ihr werdet dem Tod verfallen, Freunde und Brüder werden aneinander beißen. Und der Säugling wird auf den Knien seiner Mutter 22 Ps 18,42 („Staub und Wind“). Quellentexte 436 sterben, und die Mutter wird mit ihrer Tochter umkommen. Und es wird sich bitteres Seufzen erheben, und vom Geschrei eurer Stimmen wird die Erde erbeben. 44. Die Sonne wird sich verfinstern und der Mond sich in Blut verwandeln. Sodann wird die Erde wie eine schöne Jungfrau über den Verderb der Menschen wehklagen. Und das Meer und die Flüsse und die Untiefe und der Abgrund werden aufheulen. 45. Auch die Abyssos wird aufheulen, mit lauter Stimme, wie aus einem goldgeschmiedeten Horn. Und alle Engel werden wehklagen, ob des Verderbens des Menschengeschlechts und ob der Vermehrung der Übel. 46. Sodann wird der Antichrist mit seinen Dämonen losziehen, um die Menschheit zu verführen und zu verderben, bis Gott Sabaoth vom Himmel hernieder kommt, um jedem nach seinem Tun zu vergelten. 47. Lasst uns ihm, dem Vater, unsere Ehrerbietung erweisen. 14. Pandech-Orakel Die sog. „Orakel des Pandech“ sind eine kirchenslavische Ansammlung von Vaticinia, die aus einer einzigen Abschrift aus dem späten 13. Jh. bekannt ist (dem vielfach erwähnten Dragol-Codex). 1 Die einzige andere Handschrift, die den Text enthielt (Cod.149, Volksbibliothek Belgrad, 17. Jh.), wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. 2 Die Sprüche wurden wohl um die Mitte des 13. Jh. zusammengestellt, und ein Zusammenhang mit den sog. Chresmoi von Kaiser Leo VI. erscheint recht wahrscheinlich. 3 Die genaue Datierung hängt von der Auflösung des Byzantion-Orakels abund zwar, davon, ob sich die Chiffre „König Manuel“ auf Manuel I. Komnenos (1238 bis 1263) oder auf Manuel Komnenos Dukas Angelos, der sich mit Rückendeckung des bulgarischen Königs Ivan Asen II. (1218-1241) als Regent in Thessaloniki hielt und ebenfalls den Kaisertitel für sich in Anspruch nahm. Es kann gut sein, dass unsere Schrift, aus welchen Gründen auch immer, sich mehr für den nahe der bulgarischen Grenze herrschenden Prätendenten interessierte oder gar für ihn eintrat als für den im entfernten Trapezunt residierenden Komnenen. Eine lineare Geschichtstheologie im Sinne des Danielbuches oder einer byzantinischen „Reichseschatologie“, die die einzelnen Sprüche verbinden würde, ist nicht erkennbar; ebensowenig die Idee, dass alle menschliche Macht dem ewigen Reich Gottes weichen wird. Stattdessen wird ein Auf und Ab von Reichen, Städten und Ethnien in kryptisch-prophetischem Ton entfaltet, welches sich einer näheren Einordnung entzieht. Übersichtshalber werden einzelne Deutungsvorschläge in den Anmerkungen aufgeführt. 1 Texte bei Srećković., Zbornik, 14-15; Jovanović., Skazanie, 139-149; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, Knižnina, 246. 2 Zur Textgeschichte und deren Erforschung siehe Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 241-245. 3 Ibid., S. 242-243. Quellentexte 438 Prophetische Sage des Pandech 4 1. Rom ist reif. Und sein Reifwerden ist sein Fall. Sein Fall aber ist seine Verwüstung. 5 2. Die Stadt Byzantion besteht fort. Aus Rom kam Konstantin und eroberte Byzantion, zerstörte es und riß es ab. An seiner Stelle schuf er eine Stadt und nannte seine Gründung „Stadt Konstantins“. 6 Darin herrschten die Rhomäer bis zum Herrn König Manuel. 7 Danach werden sie nicht mehr herschen, bis sich die Zahl des Zorns nach Ablauf der Jahre erfüllt. 8 3. Jerusalem, die heilige Stadt, ist kurzlebig. Vor allen Städten wird sie zugrunde gehen und nicht mehr bestehen. 9 4. Dyrrhachion gehört den Schlangen und ist ein Schlangennest. 10 Die Einäscherung der Schlangen wird an dieser Stadt nicht vorbeiziehen, auch wenn selbst der Märtyrer Saur 11 für sie beten wird. Wehe und abermals wehe, 12 Hunger und abermals Hunger! 5. Damaskus und Vavr 13 werden miteinander zusammenschrumpfen. Und die Menschen darinnen werden barmherzig und demütig werden. 6. Babylon, die Versammlung der Völker, wird sich sehnen und trauern, da Leid und Schmach es heimsuchen werden. 7. Idumäa aber ist ein barbarisches Volk, es wird weder bleiben noch bestehen. 8. Ägypten: die Wüste brennt; sie wird verwitwen und verbrennen. 14 4 Drag 651: Pan[dehovo pr(o)rčskoje skazanie (im Sinne von „Sage“). 5 Roms Übermacht birgt in sich die Ursachen für dessen Niedergang. 6 Beck, Konstantinopel, 166-174 („neues Rom“). 7 Laut Radojćić, Skazanie, 163 ist damit Kaiser Emanuel I. Komnenos (1143-1180) gemeint. Andererseits könnte sich der Passus auf den Bruder des Despoten von epirus Theodor Komnenos Manuel beziehen, der nach seiner Niederlage 1230 bei Klokotnica durch den bulgarischen König Ivan Asen II. in Thessaloniki eingesetzte; cf. Delev, Angelov & Bakalov et alii, Istorija, 88-89. 8 Anspielung auf die Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzritter 1204 und ihre Herrschaft bis 1261, die als eine Strafe der Byzantiner angesehen wird. 9 Drei Monate nach dem vernichtenden Schlag des ägyptischen Sultans Saladin gegen das Kreuzritterheer bei Qarne Hittim beim See Genezareth wird auch Jerusalem von ihm erobert (1187). 10 Gr. Δυρράχιον (lat. Dyrrhachium), heute Durrës an der Adriatischen Küste. 11 Der Diakon Saur bzw. Isaurus ist ein lokaler Märtyrer, der das Martyrium unter Kaiser Numerian (253-284) erlitten haben soll; cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 248, Anm. 8. 12 Mt 3,7.10 („Schlangenbrut“ + „ins Feuer werfen“). 13 „Vavr“ bleibt unidentifizierbar. 14 RevPsMeth 3,5; 6,7; 2 ApcDan 11,6 („Plagen über Ägypten“). Pandech-Orakel 439 9. Und Iber, Palinien und Zacharien, Ugadanien, Calabrien: All jene Länder werden mit Feuer verbrannt werden und zugrunde gehen. 15 Indien aber wird sich vereinen und berühmt werden. 10. Tarta ist ein großer Strom gegenüber der gleichen Stadt, daher heißt ihr Name Tarta. Daher nennen sich auch die chaldäischen Völker Tartaren. Die beiden Schwerter werden zweimal über die Erde ziehen, da sie zweimal über die Erde mit Zorn ziehen sollen. 16 11. Die Kumanen werden nicht bestehen und zu Grunde gehen. 17 12. Die Russen werden heulen wie Wölfe und auseinander gehen. Einer bitteren Strafe werden sie anheim fallen und wie Wachs im Angesicht des Feuers verschmelzen. 18 13. Odrin wird den Hungerstod erleiden und ergrimmen. 19 14. Die Ugren werden kurzlebig sein. 20 15. Der Serbe ist geringen Maßes. Und abermals wird er berufen werden. 21 Zuerst wird er sich mit dem großen König versöhnen und alsdann Waffen gegen ihn erheben. 22 Siegen wird er wie Iesus Amalik und die Gabaoniten. 23 Sein Name wird unter den um ihn Lebenden erhöht werden. 15 Iber = Georgien, Palinien = Palästina, Ugadanien = Katanien? Cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 248, Anm. 13. 16 Cf. Sib Tib sl 11,1-4: „Das neunte Volk sind die Tataren. In diesen Zeiten werden sich die Jahre, die Tage und die Stunden verwandeln. Krieger aus dem Osten werden sich erheben und vor ihnen werden Gegenden und Städte erzittern, blutiges Heulen wird aus ihnen aufsteigen. Da, wo sie Krieg führen, wird das Blut wie Wasser fließen. Die ganze Erde werden sie zerfressen. Umkommen werden sie aber durch einen Menschen mit dem Namen des Erzengels Michael.“ 17 Cf. Radojćić, Skazanie, 164 (Bezwingung der Kumanen durch die Tataren? ). 18 Die tatarische Eroberung Russlands setzte im Jahre 1237 ein. Der Ausdruck „im Angesicht des Feuers verschmelzen“ ist in der zeitgenössischen byzantinischen Historiographie geläufig; Lazarov, Skazanie, 312, Anm. 16. 19 Verbündete Angriffe von Bulgaren und Kumanen gegen Adrianopel finden in den 50er Jahren des 13. Jh. statt - cf. Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 248-249, Anm. 17. 20 Die Ugren (Hungarn bwz. Magyaren) sind 1241-1242 von Überfällen der Tataren betroffen - Radojćić, Skazanie, 163; Tăpkova-Zaimova & Miltenova, op.cit., 249, Anm. 18. 21 Hierfür schlägt Lazarov eine Übersetzungsalternative vor: „Der Serbe ist nicht friedlich“ - Skazanie, 317. 22 Die Entschlüsselung dieser Stelle durch Radojćić basiert auf der Aufkündigung des Bündnisses mit dem nikäischen Kaiser und der Besiegung seines Heerführers Xileas bei Prilep 1258 (Skazanie, 163). Das ergibt ihm zu Folge einen Anhaltspunkt für die Datierung der Sage. Zur Chronik des Georgios Akropolites hierzu siehe Lazarov, Skazanie, 313, Anm. 22, der allerdings das Orakel nicht auf das Jahr 1258 datiert, sondern auf Serbiens Verselbständigung gegen Ende des 12. Jh. 23 Ex. 17, 8-16 und Jos 10,1-11 (hier ist allerdings von einem Sieg nicht gegen, sondern mit den Gabaonitern gegen ihre Belagerer die Rede). Gabaon ist nach RevPsMeth 2,4-5 der Schauplatz eines Sieges der Ismaeliten über das byzantinische Heer. Quellentexte 440 16. Der Bulgare ist jung. Während zwei kämpfen, wird der dritte der erste sein. Das Jungsein ist aber eine Wandlung des Reiches. 24 17. Thessaloniki wird in Unzucht verkommen und dem letzten Leid anheimfallen. 25 18. Joan - Joanitz - wird erniedrigt werden - in indischer Weise - Micho und Michael - nicht - Michael -Sohn von ihm - Michalitz - ein wenig - wird erhöht werden - und wieder erhöht werden. 26 24 Das Jungsein bezieht Radojćić auf die minderjährigen Thronnachfolger von König Ivan Asen II. (1218-1241), Koloman I). Asen (1241-1246) und Michael II. Asen (1246-1256). Nach Kolomans Mord an Michael schaltet sich der Schwiegersohn von Ivan Asen II. namens Mitzo in den Konflikt um die Thronnachfolge ein. Als Sieger ging jedoch der dritte Rivale Konstantin Asen (1257-1277) hervor. Der Ausdruck „Wenn zwei streiten, profitiert der dritte“, in der zeitgenössischen Literatur bezeugt, ist auch als modernes Idiom geläufig. Lazarov übersetzt „pr7menenie“ (= Wandlung) im Zusammenhang mit dem Jungsein als Erneuerung (Skazanie, 315-317) und fasst hierfür den Aufstand der beiden Brüder Ivan und Asen 1185 und die Ausrufung des Zweiten Bulgarischen Reiches in den Blick. 25 Unter dem Despoten Demetrios Angelos Komnenos (1244-1246) begehrt Thessalonikis Bevölkerung auf und übergibt die Stadt seinem Rivalen Johannes Vatatzes i. J. 1246 (Radojćić, Skazanie, 165). Lazarov hingegen zieht zwei andere Ereignisse als zeitgeschichtlichen Hintergrund dieses Orakels in Betracht: die Eroberung Thessalonikis durch die Normanen 1185 und die Niederlassung der latinischen Gefolgschaft des Bonifatius aus Montferrat 1205 (Skazanie, 316). 26 Das letzte Orakel ist nicht eindeutig und bietet mehrere Übersetzungsmöglichkeiten. 15. Sage vom Antichrist Der Text dieses nur auf kirchenslavisch überlieferten Apokryphons wurde im Jahre 1884 erstmalig vom serbischen Slavisten St. Novaković ans Tageslicht gebracht, der die damals einzige bekannte Abschrift im Codex 492 (273) aus dem 17. Jh. edierte und mit Anmerkungen versah. 1 Die Entdeckung von weiteren Hss. der slavischen Antichrist-Sage durch A. Miltenova erweitert nun die Textgrundlage. Die in Sammelcodices jeweils aus dem 14. und 15. Jh. befindlichen Abschriften gewährten zugleich einen Einblick in die apokryphen Stoffe, in deren kontextueller „Umgebung“ die Sage überliefert wurde - einer davon ist der bereits vielfach erwähnte Savina- Codex aus dem Jahre 1380. 2 Eine unkommentierte Arbeitsübersetzung des Textes mag zu weiterer Auseinandersetzung mit den angerissenen Fragen anregen. 3 1 Novaković, Priča, 81-85. 2 Miltenova, Slovo za Antichrista, 59-71; eadem, Apocalyptic literature, 405-426. 3 Deutscher Text nach Miltenova, Slovo za Antichrista, 67-71. Quellentexte 442 Sage vom Antichrist, wie er sein wird. Vater segne uns I. [Der Antichrist] 1. Wie (er) sein wird: Wenn er eine Marmorsäule am Ende der Erde aufstellt und uns sagt: "Folgt mir nach". 2. Und dort, wo das Meeresparadies ist, wird er uns in eine Höhle verschleppen. II. [Die letzten Könige] 1. In den letzten Tagen werden [die Menschen folgende] Könige ehren: Den ersten für fünfzehn Jahre, den zweiten für sieben Jahre, den dritten für acht Jahre. 2. Dann wird jener König sterben und seine Königin wird ihm ein Kind im Bauch tragen. 3. Dann wird ein Übel dieses Kind in seiner Mutter heimsuchen, aber es wird am Leben bleiben. 4. Und in diesen Jahren wird es zu herrschen anfangen, und keine Frucht wird kommen, außer Weizen. 5. Und dann wird jener König sterben. III. [Geburt des Antichrist von einer Jungfrau] 1. Und eine Jungfrau wird fünf Jahre herrschen. 2. Dann wird ein sehr hübscher Vogel erscheinen, kein anderer auf dieser Welt wird hübscher sein; und er wird in allen Sprachen zu singen anfangen in Vogel-, Tier- und Menschenstimme. 3. Dann wird die Jungfrau sagen: „Findet sich ein geschickter Mann, der dieses hübschen Vogels habhaft wird? Ich werde ihm eine schöne Gabe schenken! " 4. Dann wird der Vogel wunderschön singen, und viele Menschen werden daran Gefallen finden, diesen hübschen Vogel zu besitzen. 5. Und der Vogel wird noch schöner singen, und die Jungfrau wird sagen: „Bringt mir einen Stuhl, damit ich im Sitzen diesem wunderschönen Lied zuhören kann". 6. Schaum wird aus dem Schnabel des Vogels fließen, und die Jungfrau wird sagen: „Bringt mir eine goldene Schale, und lasst den Schaum darauf tropfen". Und sie werden die Schale vor ihn legen, und auf der Schale werden die allerschönsten Blumen aufblühen. 7. Und die Jungfrau wird sagen: „Bringt mir die goldene Schale, auf dass ich die Blumen darauf schmecke." Und sie wird die Blumen küssen, und der Antichrist wird in sie hineinfahren. Sage vom Antichrist 443 8. Und er wird wie ein fünfzehnjähriger Junge sein. Und so wird sie ihn drei Jahre in ihrem Bauch tragen. Und sie wird dann auseinander gehen. 9. Und der Antichrist wird wie ein fünfzehnjähriger Junge sein. Und er wird viele Wunder zu wirken anfangen: Tote wird er auferwecken, bei seinem Anblick werden Lahme gehen und Blinde sehen. Und er wird dann viele verführen. IV. [Kampf Johannes des Theologen mit dem Antichrist] 1. Dann wird Johannes der Theologe vom Himmel auf die Erde herabsteigen und ihm sagen: „Ich will wissen, Teufel, woher du deine Gewalt über die Erde und über das Geschlecht der Menschen hast." 2. Der Teufel wird antworten: „Warum? Bin ich nicht Gott? Und wirke ich nicht Wunder, wie ich will? " Und wird ihm (noch) sagen: „Johannes, ich bin es. Hat dir Gott wohl nicht gesagt, dass jenem Ehre gebührt, der dies wirkt? " 3. Und Johannes wird ihm sagen: „Kannst du so tun, dass die Steine wie lebendig gehen? Dann werde ich auch an dich glauben." 4. Er wird ihm antworten: „Niemand kann das tun." Und der Antichrist wird zu Johannes sagen: „Kannst du das tun, was du von mir verlangst? " 5. Und dann wird ihm Johannes antworten: „Ich kann das tun." Und nachdem er das Wort Gottes anruft, wird er sagen: „Mein Christus, lass Deine Stimme hören, damit der Feind sieht, dass Du der allmächtige Gott, Christus bist." 6. Dann werden die Engel rufen: „Ehre sei Dir, Gott! " Und die Steine werden wie lebendig gehen. V. [Die Verfolgung Johannes des Theologen durch den Antichrist] 1. Der Theologe aber wird sich wenden und zum Himmel begeben. 2. Und der Antichrist wird ihn sehen und ihm nachgehen. 3. Und der Theologe wird ihn auch sehen und sagen: "Herr, kannst du dich beeilen, weil der Teufel zu dir eingehen will? " 4. Und Gott der Herr wird sagen: „Tut diesem nichts an! Lasst ihn zu mir heraufgehen. Je höher er kommt, umso tiefer wird er fallen! " 5. Und an einem Tag wird der Teufel zu den Toren (des Himmels) gelangen, und zehn Engel werden ihm entgegentreten, und sie werden den Teufel vom Himmel auf die Erde herniederwerfen. Quellentexte 444 VI. [Belagerung der Stadt durch den Antichrist] 1. Und er wird vor die Sonne und vor eine Stadt fallen. Die Stadt wird ganz aus Gold sein. 2. Er wird auf der Erde gehen und alle Frucht auf der Erde auffressen. 3. Er wird sich in eine große Schlange verwandeln, die ganze Stadt umschließen und die Tore der Stadt mit seinem Schwanz festhalten. Das Maul der Schlange wird Verderbnis speien, zwanzig mal sieben Fuß 4 und vierzig Ellen groß sein und gegenüber der Stadt liegen; die Stadt aber wird acht Maße breit sein; die Länge wird der Breite gleichkommen. VII. [Der Kampf Elijas mit der Schlange] 1. Dann wird Elija einen Donner auf ihn werfen und wird ihn in zwei Teile zerhauen: Die eine Hälfte wird sterben, die andere aber wird lebendig werden. 2. Dann wird diese Hälfte aufspringen, Elija ergreifen und ihn dorthin bringen, wo das Feuer der Hölle ist und ihn dort schlachten. 3. Elija aber wird umkommen: Er wird nach Jerusalem flüchten. 4. Und in Jerusalem wird er ihn fassen, ihn dorthin bringen, wo das Haupt Adams begraben liegt, und dort wird er ihn schlachten, so dass sein Blut auf die Erde fließen wird. VIII. [Weltbrand] 1. So wird die Erde an allen Enden aufflammen; das Feuer wird dann aus der Stadt schnell herbeieilen. 2. Pflüger werden in der Ferne Feuer sehen, fünf Tage entfernt, und sie werden losrennen, um die Ochsen auszuspannen; das Feuer wird aber in dieser Stunde herbeifliegen und die ganze Erde und alles Geschöpf niederbrennen. 3. So wird das Feuer bis zum Abend brennen: Die ganze Erde wird zu Asche werden. IX. [Das Weltgericht] 1. Gott wird kommen und sich auf den Thron in Jerusalem niedersetzen. 2. Dann wird der Engel in die Posaune blasen, welche Johannes von Abraham in Empfang nahm. Sage vom Antichrist 445 3. Dann werden alle Kräfte des Himmels erbeben, und alles Geschöpf wird erschrecken, und die Sterne werden fallen, und die Sonne wird finster werden. 4. Danach werden alle Knochen der Menschen aus der Erde hervortreten: Alle, die gestorben sind, oder im Meer ertrunken sind, oder ein Raubtier gefressen hat, oder die, die der Tod getroffen hat: Alle werden vor den Richterstuhl Christi treten. 5. Und ein Feuerfluss wird vom Thron fließen, 5 und alle werden über diesen Fluss gehen und vor Gott treten. X. [Lob an die Gerechten und Fluch gegen die Sünder] 1. Und Gott wird sich denjenigen, die Ihm zur Rechten sind, den Gerechten, mit den Worten zuwenden: „Kommt her, ihr Gesegnete meines Vaters, ererbt das euch bereitete Himmelreich; denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, und desgleichen (getan).“ 2. Und wieder wird er sich denjenigen zur Linken zuwenden und ihnen sagen: „Woher seid ihr? Ich kenne euch nicht! Seid verflucht, da ihr mir weder zu trinken noch zu essen gegeben habt und mich nicht gekleidet habt, und mir keine Wohltat erwiesen habt. 3. Diese werden ihm antworten: „Herr, Gott, wann haben wir dich erkannt und dich nicht gekleidet, dir nicht zu essen und trinken gegeben? “ 4. Und dann wird er die Blinden, die Lahmen, die Bedürftigen, und die Heimatlosen, und die Kranken und die Aussätzigen hervorführen und sagen: „Habt ihr sie nicht gesehen? Siehe, ich war hier, und ihr Verfluchten, habe ich euch nicht Macht auf der Erde und alles, was ihr wolltet, gegeben? Warum habt ihr dem Teufel gedient und mich verlassen? Geht weg von mir und von meinem Angesicht in das ewige Feuer, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist! “ 6 XI. [Deesis] 1. Dann wird er die Gerechten von den Sündern scheiden. 2. Der Teufel wird dann die Sünder ergreifen und sie in das ewige Leid führen. 3. Dann wird Gott in einen solchen Zorn ausbrechen, den es nie gegeben hat: Sein Zorn entbrannte, weil er den Teufel seine Geschöpfe in das ewige Leid führen sah. 5 Dan 7,10. 6 Mt 25,34-41. Quellentexte 446 4. Dann wird Gott zu Johannes dem Täufer sagen: „Warum erbittest du nichts von mir? Ich werde dir deine Bitte erfüllen, wie ich sie den Aposteln, und den Propheten, und den Märtyrern, und den Gerechten erfüllt habe. Und du willst nichts von mir erbitten? " 5. Dann wird Johannes der Täufer sagen: „Herr, gib mir das, was ich von dir erbitte! " 6. Dann wird Gott sagen: „Wahrlich, ich werde deine Bitte erfüllen! " 7. Wenn Johannes Gott in Zorn sieht, wird er zur Mutter Gottes treten und sagen: „Der Herr sagte zu mir: Was du erbittest, das werde ich dir geben! “ 8. Dann wird Johannes sagen: „Gib mir das Werk Deiner Hand, die Sünder, die du dem Teufel gegeben hast! “ 9. Dann wird Gott ihm sagen: „Nimm sie von ihm! “ 10. Die heilige Mutter Gottes wird zu Johannes dem Täufer sagen: „Freue dich, Johannes, Gott ist mit dir! “ 11. Dann wird sie die Mutter Gottes mit ihren Flügeln zudecken. 7 Dann aber werden die Häretiker nicht zugedeckt werden, und die Nonnen nicht, die Unzucht getrieben haben; all diese sind Übeltäter und werden nicht unter dem Flügel der heiligen Mutter Gottes unterkommen. 12. Dann wird sich das ganze Geschöpf in das unendliche und wahre Licht begeben, das nie dämmert. XII. [Aufruf zum Gebet] 1. Demnach betet, Junge und Alte, zu Gott und Johannes dem Täufer, uns von aller Plage und ewigem Leid zu erlösen, weil dort weder Kummer noch Seufzer ist. 2. Und wenn jemand sich mit fünf Jahren schämt, wird er in jener Welt wie ein Engel sein. Wenn jemand aber in hohem Alter Buße tut, wird er auch wie ein Engel und Gerechter sein. Wenn jemand noch mit fünf Jahren Buße tut, wird er wie ein Apostel sein. 3. Wenn er aber nicht Buße tut, so wird sein Leid weder Anfang noch Ende haben. Daher wird sich derjenige, der nicht Buße getan hat, nicht retten und durch die breite Pforte in das Leid gehen. Die enge Pforte aber führt zu Gott. Ehre sei unserem Gott in Ewigkeit. Amen. 7 Siehe die Ausführungen zum Pokrov-Fest („Schutzmantel der Gottesmutter“). 16. Deutung der zwölf Träume von Šachinšach Die Erzählung von der Traumdeutung des Šachinšach ist eine kirchenslavische Apokalypse, die keine direkte Vorlage erkennen lässt (Šach). Einige Indizien (so schon der Titel „Šachinšach“, den der persische Schah noch im 20. Jh. trug) verweisen auf die iranische Apokalyptik. Als Vermittler lässt sich jedoch auf Grund sprachlicher Signale ein syrischer Text vermuten. 1 Die Traumdeutung wurde zweimal übersetzt und war sowohl unter Ostslaven als auch unter Südslaven (über zehn Kopien) in Umlauf. 2 Da mir zum Zeitpunkt der Übersetzung die kirchenslavischen Texte nicht zugänglich waren, richte ich mich im Folgenden nach der neubulgarischen Fassung, die aus folgenden Handschriften übertragen wurde: Cod. 309, Natinalbibliothek Sofia, 16. Jh. und Cod. 101, Ivan-Vazov-Bibliothek, Plovdiv, 16.-17. Jh. 3 1 Siehe die Überlegungen von Lourié, Skazanie, 5-45; Lourié, Apocalypse, 481-507. 2 Petkanova & Miltenova, Eschatologija, 224. 3 Ibid., S. 129-132. Quellentexte 448 Deutung der zwölf Träume von König Šachinšach 4 I. [Die zwölf Träume] 1. In der Stadt Jericho lebte ein König namens Šachinšachi. 5 2. Er hatte zwölf Träume geschaut und war äußerst betrübt deswegen, da sich keiner fand, der seine Träume deuten konnte. 6 3. Und man fand einen Mann namens Mamer 7 und führte ihn dem Königen vor. 1. Und der König fragte ihn: „Wird es dir gelingen, die zwölf Träume zu deuten, die ich geschaut habe? “ 2. Dieser erwiderte ihm: „Allein Gott dem Herrn wird es gelingen, diese Träume zu deuten. 8 Was war der erste Traum, den du geschaut hast, König? “ 3. Der König sagte: „Ich sah eine Säule aus Gold, die von der Erde bis zum Himmel emporragte.“ 9 4. Mamer sprach: „Höre, König, ich werde dir alles enthüllen, was du erschaut hast. 5. Die goldene Säule, die sich von der Erde bis zum Himmel erstreckte, ist jene üble Zeit, die das siebte Zeitalter heißt, die letzten Tage. 6. Dann wird es viel Übel geben vom Osten bis zum Westen, in Dörfern und Städten. 7. Kriege werden unter den Menschen ausbrechen und kein Mensch wird rein befunden werden, kein Gedanke in den Herzen der Menschen wird rein sein. Und niemand wird Gottes Gebote einhalten, sondern alle werden einander befehden. 10 8. Die Königen werden einander gefangen nehmen und die Feinde der Getauften werden sich vermehren, die ihnen Böses und nicht im Geringsten Gutes tun werden. 11 4 Die Erzählung wird sowohl „Homilie“ (slovvo) als auch „Sage“ (skazani9) betitelt; cf. Kuznecov, Art. „Skazanie“, 409. 5 Die persische Bedeutung „Herrscher“ (Šāh) ist bis heute erhalten. Es ist eine Art Superlativ („König der Könige“); Kuznecov, Slovo, 272-273. 6 Gen 41,8; Dan 2,1 („Beunruhigung in Folge eines verstörenden Traums + anschließende Expertenbefragung“). 7 Die Etymologie von „Mamer“ ist schleierhaft (jedoch keinesfalls „Mitra“; gegen Kuznecov, op.cit., 273). 8 Gen 41,16; Dan 2,13-23 (nur Gott vermag den Traum zu entschlüsseln; die Deutung ist eine Eingebung und nicht menschliche Leistung). 9 Narr Ant sl 1,1-2 („himmelshohe Statue“). 10 Mk 13,8.12 par. 11 Mk 13,13 par. Deutung der zwölf Träume von Šachinšach 449 9. Die Lehrer des guten Gesetzes selbst werden ihre Lehre nicht einhalten 12 und Hungersnöte werden aufkommen. 13 10. Der Winter wird im Sommer Einzug halten und mitten im Sommer wird Winter herrschen. 11. Die Menschen werden sich an die Saat machen und verführt werden, ohne es zu durchschauen. Sie werden viel säen, aber gar nichts ernten, da die Erde ihre Früchte nicht hervorbringen wird. Ohne Wärme wird sie keine Früchte gebären ob der menschlichen Raffgier. 12. Dann werden die Menschen einander nicht lieben noch Vater und Mutter ehren noch ihre Verwandten achten. 14 13. Der Mann wird seine Sippe verlassen und wie ein Neuankömmling in einer anderen Sippe sein. Er wird eine Hure zur Frau nehmen, ohne sich vor Vater und Mutter zu schämen. 14. Dann werden Fürsten und Richter, Knechte und alle Menschen zu Händlern werden. Die weiten Wege werden sich verkürzen und dadurch werden sich die Sitten verschlechtern. 15 15. In dieser Zeit wird der geschweifte Stern heraufziehen und dann wird die Welt einschrumpfen.“ 16 II. [Die himmelshohe Sichel] 1. Der König sagte: „Ich sah eine Sichel, die vom Himmel bis zur Erde herunterhing. Was wird geschehen? “ 2. Mamer entgegnete ihm: „Höre, König, ich werde dir alles enthüllen. 3. Wenn diese üble Zeit eintrifft, da das alte Gericht in dieser Welt erneuert wird, werden alle Völker [von Gott] abfallen und nichts Gutes [in jenen Zeiten] tun. 4. Des Mehlmangels wegen wird man aus seiner Sippe austreten und sich von seinen Freunden lösen, um Fremden anzuhängen; die Fremden wird er liebgewinnen und die Seinigen vergessen.“ 17 III. [Die drei siedenden Kessel] 1. Der König sagte: „Ich sah drei siedende Kessel: Im ersten war Öl, im zweiten Fett, im dritten Wasser. Das Öl fiel beim Sieden ins Fett und das Fett ins Öl. Was wird das sein? 12 Narr Šach 6,3-5; 7,3-4. 13 Mk 13,8 par. 14 Erneut Anklänge an Mk 13,12 par. 15 Das alles klingt wie spätantike „Globalisierungskritik“. 16 Die Angst vor Kometen und die Angst vor der Auflösung der herkömmlichen Strukturen gehen hier Hand in Hand. 17 Die Loyalität gegenüber der Familie kommt noch vor der Existenzsicherung. Quellentexte 450 2. Mamer antwortete: „Höre, König, ich werde dir alles enthüllen! 3. Wenn diese üble Zeit eintrifft, werden die Reichen hier und die Armen da leben. Und die Reichen werden von Reichen eingeladen, nach dem Armen wird aber niemand rufen und er wird alleine für sich leiden, weil er nichts hat. 4. Die Menschen werden heuchlerisch sein; alle werden kärglich leben und die eigene Sippe des Mangels wegen nicht aufsuchen. 18 5. Sie werden Mutter und Vater verachten, nur die eigene Frau begehren und ihre Herkunft nicht mehr wissen. 6. Die Frauen werden jungen Männern anhängen, sich von Vater und Mutter abwenden und diesen Männern hinterherlaufen. Sie werden neue Männer finden und die ersten um der letzteren willen in ihren Gedanken aufgeben. 7. Um eines Mannes willen werden sie Vater und Mutter, Tochter und Sohn vergessen und diesem Manne anhängen. Dann wird sich unter viertausend Frauen keine einzige finden, die vor ihrem Manne rein sei. 19 IV. [Die Stute und das Fohlen] 1. Der König sagte: „Ich sah eine alte Stute mit einem Fohlen, und das Fohlen rupfte Gras und gab es der Stute zum Fraß, und das Fohlen wieherte. Was wird geschehen? “ 2. Mamer sprach: „Höre, König, ich werde dir alles enthüllen. 3. Wenn jene üble Zeit kommt, in den letzten Tagen, wird die Mutter ihre Tochter um des eigenen Rachens willen der Unzucht preisgeben, damit sie selber an Nahrung satt wird. 4. Und die Schwester wird ihre Schwester um des gleichen willen verkaufen, und die Mutter wird sich aus Scham vor dem Blick der anderen hüten. 5. Die Schwiegertochter wird sich vor ihren Schwiegereltern nicht schämen. 6. Keine Jungfrau wird in diesen Zeiten zu finden sein, noch wird sie rein sein von siebenjährig an. 20 18 Narr Šach 2,4. 19 Heirat auf eigene Faust und ohne das Einverständnis der Eltern wird als Zeichen der Endzeit aufgefasst. 20 Die Zuhälterei von Verwandten führt zum Verlust von Jungfräulichkeit und Ehefähigkeit. Deutung der zwölf Träume von Šachinšach 451 V. [Die Hündin und die Rüden] 1. Und der König sagte: „Ich sah eine Hündin, die lag, und ihre Rüden bellten sie an. Was wird geschehen? “ 2. Mamer sprach: „Höre, König, ich werde dir alles enthüllen! 3. Wenn diese böse Zeit kommt, wird der Vater seine Kinder das gute und fromme Gesetz lehren. Sie werden in keiner Weise auf ihn hören, sondern ihm sagen: „Du Besserwisser! “ So werden sie ihn tadeln, sodass dieser aus Scham verstummen wird.“ 21 VI. [Die Priesterschar im Morast] 1. Der König sagte: „Ich sah eine Schar Priester, die im Matsch standen, und hörte sie bitterlich klagen, denn sie konnten sich nicht befreien.“ 2. Mamer sprach: „Höre, König, ich werde dir alles enthüllen! 3. Wenn diese böse Zeit kommt, werden die Priester die Menschen im guten und frommen Gesetz unterweisen, ohne dieses zu beachten. 4. Andere wiederum werden, obschon das Gute lehrend, die Gesetze missachten, indem sie ihren Verstand verderben um des Reichtums und der Nahrung willen, indem sie ihre Seele dem ewigen Feuer weihen. 5. Diese, die aus Ruhmsucht die Gesetze Gottes übertreten, vor dem Altar sich aber vom Ruhm und vom Leben in dieser eitlen Welt losgesagt haben, diese, die des Reichtums wegen goldgierig werden, und [schließlich auch] jene, die geschworen haben, nichts zu übertreten, da in Engelgestalt, werden ihre Seele dem ewigen Feuer weihen, da sie auf ewige Nahrung im ewigen Zeitalter um des Besitzes willen verzichten. VII. [Der doppelköpfige Ross] 1. Und der König sagte: „Ich sah ein wunderschönes Ross, das Gras mit zwei Köpfen fraß; den einen hatte er hinten, den anderen vorne. Was wird geschehen? “ 2. Mamer sprach: „Höre, König, ich werde dir alles enthüllen! 3. Die Fürsten und die Richter mitsamt den Bischöfen werden nicht gerecht richten, sondern nach dem Geld, ohne Gottesfurcht, ohne des Todes oder ihrer Sünden zu gedenken. 4. Sie werden das Recht ins Unrecht verkehren und bestechlich sein, indem sie ihre Seele um des Reichtums willen in das ewige Feuer werfen, ohne diesen mit ins Grab nehmen zu können.“ 21 Was würde Mamer wohl über die Jugend von heute sagen? Quellentexte 452 VIII. [Edelsteine und Kronjuwelen] 1. Der König sagte: „Ich sah Edelsteine in der ganzen Welt und königliche Kränze aus Perlen. Und Feuer fiel vom Himmel und verbrannte alles, und alles zerfiel zu Staub. Was wird geschehen? “ 2. Mamer sprach: „Höre, König, ich werde dir alles enthüllen! 3. Die Menschen werden Händler sein. Ob Arm oder Reich, alle werden mit Lug und Trug ihren Reichtum hüten. Damit werden sie weder Gott noch ihren Seelen dienen. In diesen Zeiten werden sie die Bettelarmen nicht erfreuen. 4. Wenn sie aber vom vergoldeten, in Sünden eingestrichenen Reichtum ins Verderben gestürzt werden, werden sie zum Himmel klagen und sagen: „Wir haben gesündigt beim Sammeln dieses Reichtums! “ IX. [Die untreuen Diener] 1. Der König sagte: „Ich sah viele Hofleute, die ihre Knechten belohnten: Die einen mit Gold, die anderen mit Silber, die dritten mit Kleidung. Und als sie zu diesen gingen, um das Pfand zurück zu bekommen, fanden sie nichts. Was wird geschehen? “ 2. Mamer sprach: „Höre, König, ich werde dir alles enthüllen! 3. Die reichen Menschen werden jenen Leuten ihr Hab und Gut zur Aufbewahrung aufgeben. Diese aber werden frohlocken, dass sie ihren Besitz erhalten. 4. Wenn sie aber wieder kommen und ihr Pfand haben wollen, werden jene es nicht zurückgeben und damit ihre Seele dem ewigen Feuer weihen, indem sie schwören und beteuern: „Wir wissen nichts von ihrem Besitz, wovon ihr redet, ihr seid Betrüger und lügt uns an! “ 22 X. [Die Mauern des Bösen] 1. Der König sagte: „Ich sah sehr hohe Mauern, die steil herabhingen, und alle Übel der Erde liefen darauf umher. Was wird geschehen? “ 2. Mamer sprach: „Höre, König, ich werde dir alles enthüllen! 3. Die ganze Welt wird irrsinnig werden und mit Lug und Trug auffallen.“ 23 22 Die allgemeine sittliche Dekadenz wird Mamer zufolge auch die Pfandhäuser erfassen. 23 Die „Welt als Tollhaus“ war übrigens im 16. Jh. ein Lieblingsthema des Humanismus und schlug sich in einigen der bekanntesten Werke der Zeit nieder; u.a. Sebastian Brant, Das Narrenschiff (1494); Erasmus von Rotterdam, Lob der Narrheit (1511); cf. ferner das (Sitten-)Gemälde von P. Bruegel „Niederländische Sprichwörter“ (1559). Zum anthropologischen Hintergrund siehe Petkov, Heilige und Narren, 169-187. Deutung der zwölf Träume von Šachinšach 453 XI. [Die drei Jungfrauen] 1. Der König sagte: „Ich sah drei Jungfrauen im gleichen Alter: Sie trugen große Kränze auf ihren Häuptern und hielten Düfte in ihren Händen, und Gottes Wohlgeruch und Herrlichkeit gingen daraus hervor. Was wird geschehen? “ 2. Mamer sprach: „Höre, König, ich werde dir alles enthüllen! 3. Alle Menschen werden in diesen Zeiten entweiht werden; sie werden bestechlich und lügnerisch sein, nie die Wahrheit sagen. 4. Die Tochter wird ihre Mutter verachten und sich nicht einmal wundern, wenn diese tot liegt; die Brüder werden einander hassen. 24 5. Wenn ein Armer weise redet, wird der Rest nicht auf ihn hören, wenn aber ein Reicher ein irres Wort sagt, werden alle aufmerken und sagen: „Seid jetzt still, der Hofmann redet! “ So werden sie diesen um seines Reichtums willen weise erklären und zu diesem reden: „Richtig so, du bist ein Edelmann! “ XII. [Die beängstigende Menschenmenge] 1. Der König sagte: „Ich sah eine Menschenmenge: Alle hatten enge Augen, ihre Haare waren spitz, ihre Nägel scharf: Sie dienten nämlich dem Teufel. Was wird geschehen? “ 2. Mamer sprach: „Höre, König, alles werde ich dir enthüllen! 3. Die Reichen werden die Armen mit Gewalt zertreten und ein großer Aufruhr wird ausbrechen. 4. Dann wird man sagen: „Warum starben wir nicht vor diesen Zeiten, damit wir nicht die letzten Tage erleben! “ 25 5. Sie werden so sprechen: „Die Armen, die vor geraumer Zeit gestorben sind, deren Seelen werden gerettet werden, da sie wohltätig waren. Uns aber wird man zum ewigen Feuer hinführen, das den Sündern bereitet ist uns, die mit unserem Reichtum weder Gott noch unseren Seelen dienten, da wir kein Mitleid mit den Armen hatten und nach Reichtum gierig waren. 6. Diejenigen, die vor uns lebten, taten so, dass sie im kommenden Zeitalter das Heil finden. Wohl dienten sie mit ihrem Besitz nach den Geboten. Wir aber dienten mit unserem Reichtum niemandem, da wir uns sagten: „Lass uns reich sein! “ 7. Auch die Worte Gottes erwähnten wir nicht. Es hieß beim Propheten David: „Es wird gesammelt und keiner weiß, wem es zufällt.“ 26 24 Mk 13,12 par. 25 Siehe darüber den Exkurs bei Berger, Diegese, 128-130. 26 Ps 39,7 („Er rafft zusammen und weiß nicht, wer es einheimst.“) Quellentexte 454 8. Du wirst deinen Besitz nicht mit ins Grab nehmen! Sie werden einander fragen: „Drüben werden wir keines Reichtums bedürfen - hätten wir es hier gelassen! “ 27 XIII. [Die Wahrhaftigkeit der Traumdeutung] 1. Dann verbeugte sich der weise Mann, der Philosoph Mamer, und sagte: „Weiser König Šachinšach, diese Traumdeutung wird in den letzten Tagen in Erfüllung gehen.“ 2. Dies ist das Ende der zwölf Träume, die enthüllen, was uns in diesem Zeitalter heimsuchen wird, am Ende des siebten Jahrtausends. 27 Ijob 1,21. XI. Bibliographie Im nachfolgenden Titelverzeichniss wird auf die übliche Trennung von Quellen und Sekundärliteratur verzichtet, da sie in diesem Zusammenhang nicht aufrechtzuerhalten ist. Ebenso werden Journale und Periodika ausgeschrieben, um die Auffindung vor allem älterer Publikationen zu erleichtern. Die Wiedergabe kyrillischer Schriftzeichen folgt den gängigen Regeln wissenschaftlicher Transliteration (cf. P.G. Geiß, Transliterationstabellen, in Th.M. Bohn & D. Neutatz (Hg.), Studienhandbuch östliches Europa. Bd. 2: Geschichte des russischen Reiches und der Sowjetunion. Köln; Weimar; Wien 2 2009, 494-500). 1 -, Tolkovaja Paleja 1477 goda. Vosproizvedenie Sinodal’noj rukopisi Nr. 210 (Obščestvo ljubitelej drevnerusskoj pis'mennosti 93). Sankt Petersburg 1893. 2 A. Adler (Hg.), Suidae Lexicon. Bd. 1-5 (Lexicographi Graeci). Leipzig 1928-1938. 3 W. Adler, Palaea Historica („The Old Testament History“). A New Translation and Introduction, in R. Bauckham, J.R. Davial & A. 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Aufl. 1996, VIII, 422 Seiten, €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-1860-2 Band 2 Berthold Lannert Die Wiederentdeckung der neutestamentlichen Eschatologie durch Johannes Weiß 1989, XIV, 304 Seiten, €[D] 34,- ISBN 978-3-7720-1881-7 Band 3 Wilfried Lechner-Schmidt Wortindex der lateinisch erhaltenen Pseudepigraphen zum Alten Testament 1990, XIV, 241 Seiten, geb. €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-1882-4 Band 4 Gunnar Sinn Christologie und Existenz Rudolf Bultmanns Interpretation des paulinischen Christuszeugnisses 1991, XIV, 306 Seiten, €[D] 42,- ISBN 978-3-7720-1883-1 Band 5 Henning Pleitner Das Ende der liberalen Hermeneutik am Beispiel Albert Schweitzers 1992, XII, 281 Seiten, €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-1884-8 Band 6 Roman Heiligenthal Zwischen Henoch und Paulus Studien zum theologiegeschichtichen Ort des Judasbriefes 1992, X, 196 Seiten, €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-1885-5 Band 7 Klaus Berger Unter Mitarbeit von Francois Vouga, Michael Wolter und Dieter Zeller Studien und Texte zur Formgeschichte 1992, VIII, 233 Seiten, €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-1886-2 Band 8 Klaus Berger Unter Mitarbeit von Gabriele Faßbeck und Heiner Reinhard Synopse des Vierten Buches Esra und der Syrischen Baruch-Apokalypse 1992, VIII, 287 Seiten, €[D] 34,- ISBN 978-3-7720-1861-9 Band 9 Klaus-Stefan Krieger Geschichtsschreibung als Apologetik bei Flavius Josephus 1994, X, 366 Seiten, €[D] 60,- ISBN 978-3-7720-1888-6 Band 10 Jens Schröter Der versöhnte Versöhner Paulus als unentbehrlicher Mittler im Heilsvorgang zwischen Gott und Gemeinde nach 2 Kor 2,14-7,4 1993, XIV, 378 Seiten, €[D] 43,- ISBN 978-3-7720-1889-3 herausgegeben von Klaus Berger, Matthias Klinghardt, Günter Röhser, Stefan Schreiber und Manuel Vogel Band 11 Bärbel Bosenius Die Abwesenheit des Apostels als theologisches Programm Der zweite Korintherbrief als Beispiel für die Brieflichkeit der paulinischen Theologie 1994, XIV, 231 Seiten, €[D] 42,- ISBN 978-3-7720-1862-6 Band 12 Werner Thiessen Christen in Ephesus Die historische und theologische Situation in vorpaulinischer und paulinischer Zeit und zur Zeit der Apostelgeschichte und der Pastoralbriefe 1995, 410 Seiten, €[D] 47,- ISBN 978-3-7720-1863-3 Band 13 Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie frühchristlicher Mahlfeiern 1996, XII, 633 Seiten, geb. €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-1879-4 Band 14 Günter Röhser Prädestination und Verstockung Untersuchungen zur frühjüdischen, paulinischen und johanneischen Theologie 1994, XIV, 279 Seiten, €[D] 43,- ISBN 978-3-7720-1865-7 Band 15 Jürgen Zangenberg ΣΑΜΑΡΕΙΑ Antike Quellen zur Geschichte und Kultur der Samaritaner in deutscher Übersetzung 1994, XXVIII, 344 Seiten, €[D] 47,- ISBN 978-3-7720-1866-4 Band 16 Bernd Wander Trennungsprozesse zwischen Frühem Christentum und Judentum im 1. Jahrhundert nach Christus Datierbare Abfolgen zwischen der Hinrichtung Jesu und der Zerstörung des Jerusalemer Tempels 2. durchges. u. verb. Aufl. 1997, X, 315 Seiten, €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-1867-1 Band 17 Kurt Erlemann Naherwartung und Parusieverzögerung im Neuen Testament Ein Beitrag zur Frage religiöser Zeiterfahrung 1995, XVI, 511 Seiten, geb. €[D] 60,- ISBN 978-3-7720-1868-8 Band 18 Manuel Vogel Das Heil des Bundes Bundestheologie im Frühjudentum und im frühen Christentum 1996, 392 Seiten, €[D] 43,- ISBN 978-3-7720-1869-5 Band 19 Peter Busch Der gefallene Drache Mythenexegese am Beispiel von Apokalypse 12 1996, XII, 276 Seiten, €[D] 34,- ISBN 978-3-7720-1870-1 Band 20 Gerhard Sellin/ François Vouga Unter Mitarbeit von Stefan Alkier, Anja Cornils und Krischan Heineman (Hrsg.) Logos und Buchstabe Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Judentum und Christentum der Antike 1997, 269 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-1871-8 Band 21 Harald Ulland Die Vision als Radikalisierung der Wirklichkeit in der Apokalypse des Johannes Das Verhältnis der sieben Sendschreiben zu Apokalypse 12-13 1997, X, 369 Seiten, €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-1872-5 Band 22 Dirk Frickenschmidt Evangelium als Biographie Die vier Evangelien im Rahmen antiker Erzählkunst 1998, XVI, 549 Seiten, €[D] 79,- ISBN 978-3-7720-1873-2 Band 23 Stefan Alkier/ Ralph Brucker (Hrsg.) Exegese und Methodendiskussion 1998, XX, 302 Seiten, €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-1874-9 n Band 24 Heinz Martin Döpp Die Deutung der Zerstörung Jerusalems und des Zweiten Tempels im Jahre 70 in den ersten drei Jahrhunderten n. Chr. 1998, XVI, 364 Seiten, €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-1875-6 Band 25 Peter Söllner Jerusalem, die hochgebaute Stadt Eschatologisches und Himmlisches Jerusalem im Frühjudentum und im frühen Christentum 1998, XII, 348 Seiten, €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-1876-3 Band 26 Hans Christoph Meier Mystik bei Paulus Zur Phänomenologie religiöser Erfahrung im Neuen Testament 1998, X, 352 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-1877-0 Band 27 Jürgen Zangenberg Frühes Christentum in Samarien Topographische und traditionsgeschichtliche Studien zu den Samarientexten im Johannesevangelium 1998, XIV, 291 Seiten, €[D] 44,- ISBN 978-3-7720-1878-7 Band 28 Andreas Blaschke Beschneidung Zeugnisse der Bibel und verwandter Texte 1998, X, 567 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-2820-5 Band 29 Hartmut G. Lang Christologie und Ostern Untersuchungen im Grenzgebiet von Exegese und Systematik 1999, X, 464 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-2821-2 Band 30 Axel von Dobbeler Der Evangelist Philippus in der Geschichte des Urchristentums Eine prosopographische Skizze 1999, 335 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-2822-9 Band 31 Dieter Massa Verstehensbedingungen von Gleichnissen Prozesse und Voraussetzungen der Rezeption aus kognitiver Sicht 1999, 389 Seiten, €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-2823-6 Band 32 Hanna Roose Das Zeugnis Jesu Seine Bedeutung für die Christologie, Eschatologie und Prophetie in der Offenbarung des Johannes 1999, 252 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2824-3 Band 33 Gabriele Faßbeck Der Tempel der Christen Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Aufnahme des Tempelkonzepts im frühen Christentum 2000, XII, 317 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2825-0 Band 34 Holger Sonntag Zur politischen Theologie des Gesetzes bei Paulus und im antiken Kontext 2000, XII, 376 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2826-7 Band 35 Markus Sasse Der Menschensohn im Evangelium nach Johannes 2001, XIV, 337 Seiten, €[D] 43,- ISBN 978-3-7720-2827-4 Band 36 Michael Labahn/ Jürgen Zangenberg (Hrsg.) Zwischen den Reichen: Neues Testament und Römische Herrschaft Vorträge auf der ersten Konferenz der European Association for Biblestudies 2002, VIII, 286 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2828-1 Band 37 Johannes Krug Die Kraft des Schwachen Ein Beitrag zur paulinischen Apostolatstheorie 2001, 350 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2829-8 Band 38 Byung-Mo Kim Die paulinische Kollekte 2002, 220 Seiten, €[D] 44,- ISBN 978-3-7720-2830-4 Band 39 Vincenzo Petracca Gott oder das Geld Die Besitzethik des Lukas 2003, XIV, 410 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2831-1 Band 40 Jürg Buchegger Erneuerung des Menschen Exegetische Studien zu Paulus 2003, XIV, 409 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2832-8 Band 41 Claudia Losekam Die Sünde der Engel Die Engelfalltradition in frühjüdischen und gnostischen Texten 2010, VI, 407 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8001-2 Band 42 Stefan Alkier/ Jürgen Zangenberg (Hrsg.) Unter Mitarbeit von C. Dronsch und M. Schneider Zeichen aus Text und Stein Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments 2003, 540 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8007-4 Band 43 Alexander Mittelstaedt Lukas als Historiker Zur Datierung des lukanischen Doppelwerks 2005, 271 Seiten, €[D] 59,- ISBN 978-3-7720-8140-8 Band 44 Anja Cornils Vom Geist Gottes erzählen Analysen zur Apostelgeschichte 2006, VIII, 283 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8156-9 Band 45 Joel White Die Erstlingsgabe im Neuen Testament 2007, 374 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8210-8 Band 46 Jörg Michael Bohnet Die Berichte über die Himmelfahrt Jesu 2015, ca. 430 Seiten, ca. €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8216-0 Band 47 Renate Banschbach Eggen Gleichnis, Allegorie, Metapher Zur Theorie und Praxis der Gleichnisauslegung 2007, XII, 312 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-8238-2 Band 48 Frank Holzbrecher Paulus und der historische Jesus Darstellung und Analyse der bisherigen Forschungsgeschichte 2007, X, 200 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8242-9 Band 49 Armin D. Baum Der mündliche Faktor Analogien zur synoptischen Frage aus der antiken Literatur, der Experimentalpsychologie, der Oral poetry-Forschung und dem rabbinischen Traditionswesen 2008, XVIII, 526 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8266-5 Band 50 Christian Kurzewitz Weisheit und Tod Die Ätiologie des Todes in der Sapientia Salomonis 2010, 194 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8349-5 Band 51 Sascha Flüchter Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit Auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur 2010, XIV, 385 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8373-0 Band 52 Philipp Kurowski Der menschliche Gott aus Levi und Juda Die Testamente der zwölf Patriarchen als Quelle judenchristlicher Theologie 2010, VI, 195 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8384-6 Band 53 Jochen Wagner Die Anfänge des Amtes in der Kirche Presbyter und Episkopen in der frühchristlichen Literatur 2011, 358 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8411-9 Band 54 Stephan Hagenow Heilige Gemeinde - Sündige Christen Zum Umgang mit postkonversionaler Sünde bei Paulus und in weiteren Texten des Urchristentums 2011, 370 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8419-5 Band 55 Soham Al-Suadi Essen als Christusgläubige 2011, 347 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8421-8 Band 56 Matthias Klinghardt/ Hal Taussig (Hrsg.) Mahl und religiöse Identität im frühen Christentum Meals and eligious dentity in arly hristianity 2012, 372 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8446-1 Band 57 Philipp F. Bartholomä The Johannine Discourses and the Teaching of Jesus in the Synoptics A Contribution to the Discussion Concerning the Authenticity of Jesus’ Words in the Fourth Gospel 2012, XIV, 491 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8457-7 Band 58 Wichard von Heyden Doketismus und Inkarnation Die Entstehung zweier gegensätzlicher Modelle von Christologie 2014, XIV, 567 Seiten, €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8524-6 Band 59 Julian Petkov Altslavische Eschatologie Texte und Studien zur apokalyptischen Literatur in kirchenslavischer Überlieferung 201 , 4 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8531-4 Band 60 Matthias Klinghardt Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien Band I: Untersuchung | Band II: Rekonstruktion, Übersetzung, Varianten 2015, 2 Bände zus. XVI, 1280 Seiten, €[D] 198,- ISBN 978-3-7720-8549-9 6 Die Identifizierung und Erschließung des umfangreichen Quellenmaterials bleibt ein zentrales Problem auf dem Weg zu einem besseren Verständnis der Vitalität von Apokalyptik in ihren vielfältigen Erscheinungsformen. Die Studie stellt einen Beitrag zur Klärung der diffizilen Quellenfrage dar. Sie ist dem Zweck gewidmet, den Verästelungen der apokalyptischen Literatur nachzuspüren, die im kirchenslavischen Schrifttum erhalten sind. Es handelt sich hierbei um eine außerordentlich reichhaltige und nur ansatzweise erforschte Überlieferung, die nahezu lückenlos die wichtigsten Etappen der apokalyptischen Literaturgeschichte dokumentiert. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht daher eine ausführliche Analyse des gesamten in Kirchenslavisch erhaltenen apokalyptischen Textmaterials. Ein Textanhang mit Übersetzungen schwer zugänglicher und kaum bekannter Apokalypsen lädt zu weiterer Forschung auf diesem Gebiet ein. Damit liefert die Arbeit erstmalig eine systematische Darstellung der in kirchenslavischer Überlieferung enthaltenen Apokalypsen und präsentiert wertvolles, bislang nicht verfügbares Quellenmaterial. TANZ 59 Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter