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Essen - Trinken - Liebe

2016
978-3-7720-5541-6
A. Francke Verlag 
Anna Kathrin Bleuler

Nahrungsaufnahme und Liebe sind menschliche Bedürfnisse, die in kulturellen Praktiken ebenso wie in Kunst und Literatur oftmals eine enge Verbindung eingehen. Das Buch behandelt diesen Bereich erstmals in Bezug auf die Literatur des Mittelalters. Im Zentrum steht Wolframs von Eschenbach 'Parzival', in dem sich die Nahrungsthematik wie ein Leitmotiv durch den Text zieht. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass Essens- und Trinkensdarstellungen in spezifischer Weise an der Konstituierung der literarischen Entwürfe von höfischer Minne mitwirken, indem sie als Vermittlungsformen fungieren, die die Semantik des höfischen Frauendiensts mit antagonistischen Tendenzen verbinden: mit Tod, Gewalt, Körper, Natur und Sexualität. Aus diesen semantischen Potenzialen wird im 'Parzival' poetisches Kapital geschlagen. Alimentäre Handlungen und Bildlichkeiten tragen zur Zeichnung von Figuren und ihren Beziehungen, von Orten und Handlungen bei. Darüber hinaus haben sie Effekte auf die Gestaltung des Erzählens von Minne, indem z. B. in Minnemahlszenen Sujet- und Handlungsoptionen entworfen werden, die sich retrospektiv entweder als symbolische Vorausdeutung oder als abgewiesene Erzählalternative erweisen. Die Untersuchung der Verbindung von Nahrungsaufnahme und Liebe verschafft Zugang zu Kompositionsprinzipien des Romans, die in der Forschung bislang nicht berücksichtigt wurden.

Anna Kathrin Bleuler Essen - Trinken - Liebe Kultursemiotische Untersuchung zur Poetik des Alimentären in Wolframs ‹Parzival› Bibliotheca Germanica HANDBÜCHER, TEXTE UND MONOGRAPHIEN AUS DEM GEBIETE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON BURKHARD HASEBRINK, SUSANNE KÖBELE UND URSULA PETERS 62 087515 Bibl. Germ. 62 - Bleuler.qxp_087515 Bibl. Germ. 62 - Bleuler Titelei 01.12.15 15: 32 Seite 1 087515 Bibl. Germ. 62 - Bleuler.qxp_087515 Bibl. Germ. 62 - Bleuler Titelei 01.12.15 15: 32 Seite 2 Anna Kathrin Bleuler Essen - Trinken - Liebe Kultursemiotische Untersuchung zur Poetik des Alimentären in Wolframs ‹Parzival› 087515 Bibl. Germ. 62 - Bleuler.qxp_087515 Bibl. Germ. 62 - Bleuler Titelei 01.12.15 15: 32 Seite 3 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT © 2016 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tu ̈ bingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschu ̈ tzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fu ̈ r Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0067-7477 ISBN 978-3-7720-8541-3 087515 Bibl. Germ. 62 - Bleuler.qxp_087515 Bibl. Germ. 62 - Bleuler Titelei 01.12.15 15: 32 Seite 4 Dank Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2013 von der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Paris Lodron Universität Salzburg als Habilitationsschrift angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet. Mein Dank gilt Manfred Kern, Jan-Dirk Müller, Peter Strohschneider, Oliver Primavesi und Annette Keck für die Unterstützung während der Habilitationszeit. Weiter danke ich den Gutachterinnen und Gutachtern Elke Koch, Christiane Witthöft und Andreas Kraß sowie Susanne Köbele, Ursula Peters und Burkhard Hasebrink für die Begutachtung und Aufnahme der Arbeit in die Reihe Bibliotheca Germanica. Ferner danke ich den Beteiligten des Salzburger Research Seminars, des Münchener Oberseminars von Jan-Dirk Müller und Peter Strohschneider und des Frankfurter Forschungskolloquiums Mediävistik, in deren Rahmen ich meine Thesen vorstellen und diskutieren durfte. Sie alle haben durch ihr Interesse, ihre Fragen und Anregungen zur Entstehung dieses Buches beigetragen. Ein weiterer Dank gilt der Verwertungsgesellschaft Wort für den großzügigen Druckkostenzuschuss. Tillmann Bub danke ich für die sachkundige Betreuung während der Drucklegung. Nicht zuletzt danke ich Otger, Marianne, Peter, Christoph und Marcel, die durch ihre Anteilnahme erheblichen Einfluss auf meine Arbeit haben. Ihre Nachfragen sind es, die mich immer wieder aufs Neue dazu herausfordern, eine Außenperspektive auf mein Tun einzunehmen, das Wesentliche zu benennen und komplexe Sachverhalte möglichst klar zu formulieren. Wenn mir das in diesem Buch auch nur ansatzweise gelungen ist, so ist das ihnen zu verdanken. Ihnen ist das Buch gewidmet. Salzburg, Oktober 2015 Anna Kathrin Bleuler Inhaltsverzeichnis I. Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären in der höfischen Minnedichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Theoretische Vorüberlegungen zu einem kultursemiotischen Interpretationsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.1 Analysekategorien: Beobachterposition, Zeichentypus, Textebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.2 Textexterne Faktoren der Zeichenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.3 Textinterne Verfahren der Zeichenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen . . . . . . . . 45 1. Kulinarische Objekte als Liebesgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Mahl und Minne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2.1 Teilen der Nahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.2 Anbieten der Nahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.3 Ausschluss auf der Essgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Nahrungsaufnahme und Minne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4. Nahrungsmittel und Minne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5. Jagd und Minne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 III. Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung . . . . . . . . . . 107 1.1 Exemplarische Analysen sprachlich-rhetorischer Verfahren der Zeichenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1.2 Exemplarische Analysen struktureller Verfahren der Zeichenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Semiotik II: Literarische Verarbeitung kultureller Deutungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2.1 Kulinarische Objekte als Liebesgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2.2 Mahl und Minne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2.2.1 Teilen der Nahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2.2.2 Anbieten der Nahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2.2.3 Ausschluss aus der Essgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2.3 Nahrungsaufnahme und Minne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2.4 Nahrungsmittel und Minne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2.5 Jagd und Minne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 3. Ergebnisse zum alimentären Liebescode im ‹ Parzival › . . . . . . . . . . . 175 IV. Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe von Minne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1.1 Minne im Spannungsfeld von Leben und Tod . . . . . . . . . . . . . 190 1.2 Minne im Spannungsfeld von Körper und Geist . . . . . . . . . . . 202 1.3 Minne im Spannungsfeld von Natur und Kultur . . . . . . . . . . 215 2. Poetische Funktionen des Alimentären, die über die Darstellung von Minne hinausgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2.1 Figurendarstellung: Konstruktion von Körperbildern . . . . . . 229 2.1.1 Hyperbolisierung: Parzivals Körper . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2.1.2 Authentifizierung, Kontrastierung: Der Körper des Erzählers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2.1.3 Poetologische Dimension der Verkörperung des Erzählers: Essen und Sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2.2 Handlungsaufbau: Entwurf von Sujet- und Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2.2.1 Mahlszenen als Orte symbolischer Vorausdeutung und abgewiesener Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2.2.2 Exkurs: Das Festmahl auf Glorjet in Wolframs ‹ Willehalm › . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2.3 Textkohärenz: Bildkoordinationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2.3.1 Verknüpfungen über das Bildfeld der Jagd . . . . . . . . . . . 281 2.3.2 Verknüpfungen über andere alimentäre Bildfelder . . . . 294 VIII Inhaltsverzeichnis V. Aspekte einer Poetik des Alimentären: Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 VI. Literaturverzeichnis / Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1. Textausgaben und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1.1 Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 1.2 Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 2. Nachschlagewerke, Lexika, Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 3. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 4. Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Register der untersuchten Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 IX Inhaltsverzeichnis I. Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären in der höfischen Minnedichtung Essen, Trinken und Liebe sind menschliche Bedürfnisse, die in kulturellen Praktiken, in sprachlichen Wortfeldern und im künstlerischen Bereich oftmals eine enge Verbindung eingehen. Das Buch behandelt diesen Zusammenhang erstmals in Bezug auf die Literatur des Mittelalters. Im Zentrum steht Wolframs von Eschenbach ‹ Parzival › (Anfang 13. Jahrhundert), durch den sich die Nahrungsthematik wie ein Leitmotiv zieht. Anhand dieses Textes werden Zeichenrelationen zwischen Nahrungs- und Minnethematik untersucht und anschließend nach Effekten gefragt, die die Darstellung des Alimentären 1 auf die Gestaltung des Erzählens von Minne hat. Die Arbeit setzt sich zum Ziel, nicht bei textimmanenten semiotisch-poetologischen Analysen stehen zu bleiben, sondern sich dem heiklen Problem des Zusammenhangs von Text und kulturellem Kontext zu stellen. Für die Untersuchung bedeutet das, dass Fragen der Textsemantik programmatisch auf kollektive kulturelle Semantiken bezogen werden. Die germanistische Mediävistik hat sich in jüngerer Zeit intensiv mit der Bedeutung von nonverbalen Phänomenen (u. a. der Inszenierung von Kleidern, Ritualen, Gesten, Körpern, Emotionen) in der höfischen Epik und Lyrik beschäftigt. 2 Alle diese Arbeiten haben es, ausgesprochen oder unausgespro- 1 Der Begriff ‹ das Alimentäre › (der nicht im Duden steht) hat sich in der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung, die sich mit Ernährung und damit zusammenhängenden Sachverhalten beschäftigt, eingebürgert. Er wird in der Bedeutung von ‹ das mit der Aufnahme von Nahrung in Verbindung stehende › gebraucht (Substantivbildung zum Adjektiv ‹ alimentär › [ ‹ die Ernährung betreffend › , von lat. alimentarius]). 2 Exemplarisch seien einige Arbeiten dazu genannt: Wenzel, Horst: Partizipation und Mimesis. Die Lesbarkeit der Körper am Hof und in der höfischen Literatur, in: Gumbrecht, Hans Ulrich/ Pfeiffer, K. Ludwig (Hgg.): Materialität der Kommunikation. Unter Mitarbeit v. Monika Elsner, Barbara Keller u. a., Frankfurt a. M. 1988, S. 178 - 202; Wenzel, Horst: Repräsentation und schöner Schein am Hof und in der höfischen Literatur, in: Ragotzky, Hedda/ Wenzel, Horst (Hgg.): Höfische Reprächen, mit grundsätzlich zwei Problemen zu tun: erstens, dass die Zeichenhaftigkeit von sprachlich vermittelten nonverbalen Erscheinungen in einem literarischen Text von unterschiedlichen Faktoren abhängt (grob gesagt: von sentation. Das Zeremoniell und die Zeichen, Tübingen 1990, S. 171 - 208; Peters, Ursula: Historische Anthropologie und mittelalterliche Literatur. Schwerpunkte einer interdisziplinären Forschungsdiskussion, in: Janota, Johannes/ Sappler, Paul u. a. (Hgg.): Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger. Bd. 1, Tübingen 1992, S. 63 - 86; Althoff, Gerd: Demonstration und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation in mittelalterlicher Öffentlichkeit, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), S. 27 - 50; Althoff, Gerd: Der König weint. Rituelle Tränen in öffentlicher Kommunikation, in: Müller, Jan-Dirk (Hg.): ‹ Aufführung › und ‹ Schrift › in Mittelalter und Früher Neuzeit, Stuttgart/ Weimar 1996 (Germanistische Symposien. Berichtsbände XVII), S. 239 - 252; Haug, Walter: Die Verwandlungen des Körpers zwischen ‹ Aufführung › und ‹ Schrift › , in: Müller, ‹ Aufführung › und ‹ Schrift › , S. 190 - 204; Kiening, Christian: Anthropologische Zugänge zur mittelalterlichen Literatur. Konzepte, Ansätze, Perspektiven, in: Schiewer, Hans-Jochen (Hg.): Forschungsberichte zur Germanistischen Mediävistik, Bern/ Frankfurt a. M. 1996 (Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe C, Bd. 5/ 1), S. 11 - 129; Müller, Jan-Dirk: Das Gedächtnis des gemarterten Körpers im spätmittelalterlichen Passionsspiel, in: Öhlschläger, Claudia/ Wiens, Brigit (Hgg.): Körper - Gedächtnis - Schrift. Der Körper als Medium kultureller Erinnerung, Berlin 1997 (Geschlechterdifferenz & Literatur 7), S. 75 - 92; Wenzel, Horst: Boten und Briefe. Zum Verhältnis körperlicher und nichtkörperlicher Nachrichtenträger, in: Wenzel, Horst (Hg.): Gespräche - Boten - Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter. In Zusammenarbeit mit Peter Göhler, Werner Röcke u. a., Berlin 1997 (Philologische Studien und Quellen 143), S. 86 - 105; Ehlert, Trude: Ein vrowe sol niht sprechen vil: Körpersprache und Geschlecht in der deutschen Literatur des Hochmittelalters, in: Ehlert, Trude (Hg.): Chevaliers errants, demoiselles et l ’ Autre: höfische und nachhöfische Literatur im europäischen Mittelalter. Festschrift für Xenja von Ertzdorff zum 65. Geburtstag, Göppingen 1998 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 644), S. 145 - 171; Kasten, Ingrid: Körperlichkeit und Performanz in der Frauenmystik, in: Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 7/ 1 (1998), S. 95 - 111; Feistner, Edith: Der Körper als Fluchtpunkt. Identifikationsprobleme in geistlichen Texten des Mittelalters, in: Bennewitz, Ingrid/ Tervooren, Helmut (Hgg.): Manlîchiu wîp, wîplîch man. Zur Konstruktion der Kategorien ‹ Körper › und ‹ Geschlecht › in der deutschen Literatur des Mittelalters. (Internationales Kolloquium der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft und der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg, Xanten 1997), Berlin 1999 (Beihefte zur ZfdPh 9), S. 131 - 142; Fritsch, Susanne: Körper - Korpus - Korporale. Zur Eucharistie bei Frauenlob, in: Brunner, Horst/ Tervooren, Helmut (Hgg.): Neue Forschungen zur mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung, Berlin 2000 (ZfdPh 119. Sonderheft), S. 222 - 236; Philipowski, Silke: Geste und Inszenierung. Wahrheit und Lesbarkeit von Körpern im höfischen Epos, in: PBB 122 (2000), S. 455 - 477; Lienert, 2 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären textinternen und -externen Faktoren) 3 und zweitens, dass bei der Beschreibung der Bedeutung von nonverbalen Phänomenen in einem Text zwischen unterschiedlichen Beobachterpositionen unterschieden werden muss (u. a. Figuren innerhalb der erzählten Welt, Erzähler, Rezipient des Textes). Diese Probleme wurden in der Forschung zwar reflektiert, 4 jedoch liegt bislang kein Interpretationsansatz vor, der es ermöglicht, die unterschiedlichen Formen Elisabeth: Der Körper des Kriegers. Erzählen von Helden in der ‹ Nibelungenklage › , in: ZfdA 130 (2001), S. 127 - 142; Müller, Jan-Dirk: Visualität, Geste, Schrift. Zu einem neuen Untersuchungsfeld der Mediävistik, in: ZfdPh 122 (2003), S. 118 - 132; Kellermann, Karina (Hg.): Der Körper. Realpräsenz und symbolische Ordnung, Berlin 2003 (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 8,1); Stollberg-Rilinger, Barbara: Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe - Forschungsperspektiven - Thesen, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 489 - 527; Wenzel, Horst: Höfische Repräsentation. Symbolische Kommunikation und Literatur im Mittelalter, Darmstadt 2005; Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel, Tübingen/ Basel 2006 (Bibliotheca Germanica 50); Eming, Jutta: Emotion und Expression. Untersuchungen zu deutschen und französischen Liebes- und Abenteuerromanen des 12. - 16. Jahrhunderts, Berlin 2006 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 39); Koch, Elke: Trauer und Identität. Inszenierungen von Emotionen in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin/ New York 2006 (Trends in Medieval Philology 8): speziell zu Wolframs Werk vgl. u. a.: Brüggen, Elke: Inszenierte Körperlichkeit. Formen höfischer Interaktion am Beispiel der Joflanze-Handlung in Wolframs ‹ Parzival › , in: Müller, ‹ Aufführung › und ‹ Schrift › , S. 205 - 221; Ernst, Ulrich: Differentielle Leiblichkeit. Zur Körpersemantik im epischen Werk Wolframs von Eschenbach, in: Wolfram-Studien 17 (2002), S. 182 - 222; Bumke, Joachim: Emotion und Körperzeichen. Beobachtungen zum ‹ Willehalm › Wolframs von Eschenbach, in: Kellermann, Der Körper, S. 13 - 32; Philipowski, Katharina: Erzählte Emotionen, vermittelte Gegenwart. Zeichen und Präsenz in der literaturwissenschaftlichen Emotionstheorie, in: PBB 130 (2008), S. 62 - 81. 3 Mir ist klar, dass in der Kultursemiotik alle Artefakte, die nicht nur eine Funktion haben, sondern auch Zeichen sind, als ‹ Texte › bezeichnet werden und sich daraus resultierend die Vorstellung von der ‹ Kultur als Text › entwickelt hat (vgl. Posner, Roland: Kultursemiotik, in: Nünning, Ansgar/ Nünning, Vera [Hgg.]: Einführung in die Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen. Ansätze. Perspektiven, Stuttgart 2008, S. 39 - 72, hier S. 51 - 53). Ohne dieser Definition uneingeschränkt folgen zu wollen, sei betont, dass wenn hier von ‹ textexternen Faktoren › gesprochen wird, nicht gesagt sein soll, dass es sich hierbei nicht um Elemente von Texten handle. Die Unterscheidung zwischen textinternen und -externen Faktoren soll vielmehr anzeigen, dass sowohl Aspekte innerhalb eines bestimmten Textes als auch solche, die außerhalb von eben diesem Text situiert sind, an der Steuerung der Semiose von nonverbalen Erscheinungen in diesem Text mitwirken. 4 Vgl. u. a. Philipowski, Geste und Inszenierung; Müller, Visualität; Koch, Trauer und Identität; Philipowski, Erzählte Emotionen. 3 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären und Ebenen der Zeichenbildung und -funktion bei der Untersuchung von nonverbalen Phänomenen in einem literarischen Text systematisch zusammenzudenken. 5 In diesem Problemfeld situiert sich die vorliegende Arbeit. Mit Rückgriff auf semiotische und erzähltheoretische Konzepte wird ein in dieser Hinsicht integrierender Ansatz für die Interpretation der Verbindung von Nahrungs- und Minnethematik in der höfischen Epik entwickelt (Kapitel I); anschließend wird dieser Ansatz in Bezug auf den ‹ Parzival › erprobt (Kapitel II - IV). Das Buch will damit einerseits einen Beitrag zu einer kultursemiotisch orientierten Literaturwissenschaft leisten. Andererseits hat es zum Ziel, mit Hilfe des entwickelten Analyseinstrumentariums Neues zur Poetik von Wolframs ‹ Parzival › herauszufinden. 1. Problemstellung ein hofschær solde selb ander an einem iungen galander ein wochen haben wirtschaft. hat sin minne so ganze chraft, im machet einer lerchen fuoz eines grozen hungers bu(o)z 6 Die Aussage aus des Strickers ‹ Minnesänger › , wonach ein höfischer Liebhaber, dessen Minne ihre ganze Kraft entfaltet, nicht mehr als einen Lerchenfuß braucht, um seinen Hunger zu stillen, ist symptomatisch für den Zusammenhang von Essen, Trinken und Liebe in der höfischen Minnedichtung des 12. und 13. Jahrhunderts. Untersucht man nämlich die höfische Epik und Lyrik in Hinblick auf das Verhältnis von Nahrungs- und Minnethematik, entdeckt man, dass Essen und Trinken in Liebesbeziehungen zumeist keine Rolle spielen. Weder werben die Minnediener des höfischen Minnesangs mit alimentären 5 Systematisches Zusammendenken setzt freilich die Unterscheidung der Phänomene voraus, da ohne diese jenes nicht möglich ist. 6 Der Stricker: Die Minnesänger, zitiert nach: Moelleken, Wolfgang Wilfried/ Agler- Beck, Gayle u. a. (Hgg.): Die Kleindichtung des Strickers. Bd. 5: Gedicht Nr. 139 - 167 und Nachwort, Göppingen 1978 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 107,5), S. 83 - 97, hier V. 287 - 292. 4 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Objekten um ihre vrouwe noch halten Paare wie Gottfrieds von Straßburg Tristan und Isolde gemeinsame Liebesmahle ab. Die häufige Absenz des Alimentären in Liebesdarstellungen ist eine spezifische Erscheinung der höfischen Epik und Lyrik des 12. und 13. Jahrhunderts, die durch die historisch-kulturellen Bedingungen, unter denen die Texte entstanden sind, zu erklären sein dürfte: Denn die Darstellung von Nahrungsakten in literarischen Texten verweist auf den Körper der Akteure und bringt sinnliche Aspekte der Interaktion ins Spiel, die im Situationsrahmen von Liebe erotischsexuelle Bedeutung annehmen können. Da in der Literatur des Mittelalters erotische Liebe aber von verschiedenen Seiten aus kritisch beurteilt wurde, mussten die ‹ höfischen › Dichter vorsichtig sein: Wollten sie die Liebe zwischen Mann und Frau als einen gesellschaftlichen Wert vorstellen, galt es, körperliche Aspekte der Liebe, das Triebhafte, die sexuelle Begierde bei der Darstellung von Minne und Minnebeziehungen auszuklammern bzw. zu marginalisieren. 7 Symptomatisch für diese Darstellungsform der Minne sind die Idolisierung der Frau bis hin zur Kultidee, die räumliche Entfernung der Liebenden (Zurückgezogenheit der Dame, Fernliebe, huote-Motiv), die breite Beschreibung der Reflexionsphase des Liebenden oder die Einschaltung einer überpersönlichen Macht (Amor / Minne), mittels derer die Liebenden miteinander verbunden sind. 8 Unter dem Gesichtspunkt solcher Distanzierung des Körperlichen erweist sich die Darstellung von essenden und trinkenden Liebespaaren als prekär. Umso beachtenswerter ist es daher, dass von den ca. 150 Stellen, an denen die Nahrungsthematik in Wolframs ‹ Parzival › vorkommt, knapp die Hälfte inhaltlich im Zusammenhang mit der Minnethematik steht und dass etliche weitere Stellen indirekt darauf bezogen sind. 9 Die Verwendungsbereiche sind 7 Vgl. u. a. Schnell, Rüdiger: Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern/ München 1985 (Bibliotheca Germanica 27), S. 137. 8 Vgl. Schnell, Causa amoris, S. 137. Gegen die Versuche einer Sublimierung und damit auch Idealisierung und Abstrahierung sexueller Liebe profiliert sich nach Ansicht der Forschung in den subversiven Genres dagegen wieder eine Freizügigkeit (vgl. u. a. Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt a. M. 2004 [Erstdruck 1982], S. 49 f.; ferner Schnell, Rüdiger: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe, Köln/ Weimar/ Wien 2002, S. 447 f.). 9 Zugrunde gelegt wird folgende Textausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausg. Karl Lachmanns. Rev. u. komm. v. Eberhard Nellmann. Übertr. v. Dieter Kühn. Bd. 1: Text. Bd. 2: Text und Kommentar, Frankfurt a. M. 2006. Weitere Textausgaben sowie die mittelalterlichen Überlieferungszeugen des Textes werden zum Vergleich herangezogen. 5 Problemstellung auf unterschiedlichen Textebenen angesiedelt: Sie umfassen alimentäre Handlungen innerhalb der erzählten Welt (z. B. Mahlszenen) sowie alimentäre Bildlichkeiten (u. a. Vergleiche, Metaphern) und Erzählerkommentare, die sich auf die Ernährung und damit zusammenhängende Sachverhalte beziehen. Thematisiert werden dabei ganz unterschiedliche Aspekte, angefangen bei der Vogel- und Wildjagd, dem Sammeln von Kräutern und Wurzeln, über höfische Festmähler, Liebesmähler in Zweisamkeit, Essstrafen, Hungersnöte, milte, Askese, Völlerei und Appetitlosigkeit bis hin zu diätetischen Kommentaren des Erzählers, Küchenhumor und schließlich ‹ essfeindlichen › Aussagen - wie der expliziten Abkehr von der Nahrungsthematik - Ermahnungen an das Einhalten des Gebots der mâze sowie der Verurteilung von Völlerei. 10 Um einen Eindruck von der Fülle und Vielfalt zu vermitteln, in der Nahrung in Wolframs ‹ Parzival › thematisiert wird, sei zunächst eine tabellarische Auflistung der Textstellen angefügt, wobei eine erste, grobgliedrige Ordnung des Materials vorgenommen wird: Zum einen wird unterschieden zwischen alimentären Handlungen, Objekten und Kommentaren, die innerhalb der erzählten Welt vorkommen (Ebene der histoire, in der folgenden Tabelle abgekürzt mit ‹ h › ), und solchen, die auf diskursiver Ebene des Textes situiert sind (in der Tabelle abgekürzt mit ‹ d › ). Zum anderen werden die unterschiedlichen Aspekte der Nahrungsthematik, die im Zusammenhang mit der Minnethematik stehen, thematisch geordnet und in folgende Bereiche eingeteilt: erstens kulinarische Gaben und Minne (in der Tabelle abgekürzt mit ‹ Gabe › ), zweitens Mahl und Minne (in der Tabelle abgekürzt mit ‹ Mahl › ), drittens Nahrungsaufnahme und Minne (in der Tabelle abgekürzt mit ‹ Nahrungsaufnahme › ), viertens Nahrungsmittel und Minne (in der Tabelle abgekürzt mit ‹ Nahrungsmittel › ) und fünftens Jagd und Minne (in der Tabelle abgekürzt mit ‹ Jagd › ). Der Überblick über das Textmaterial ist nach Büchern geordnet, wobei ausschließlich die Stellen angegeben werden, an denen die Nahrungsthematik inhaltlich in eindeutigem Zusammenhang mit der Minnethematik steht. 11 10 Erwähnt sei an dieser Stelle, dass der Bereich des Fäkalen im ‹ Parzival › an keiner Stelle vorkommt. 11 Eine Gesamtdarstellung der Nahrungsthematik in Wolframs ‹ Parzival › erfolgt in Kapitel IV. 2. 6 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Nahrungs- und Minnethematik in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Typ Beschreibung BUCH I 32,28 - 34,29 h Mahl Mahl Gahmuret/ Belakane 33,4 h Jagd Verknüpfung: Gahmuret/ Belakane - Reiher/ Fisch 35,30 - 36,1 d Jagd Vergleich: Gahmurets Brust - gespannte Sehne einer Armbrust 50,15 - 16 d Nahrungsmittel Vergleich: Siegreicher Held - Zucker für die Damen 57,10 - 14 d Jagd Vergleich: Belakane - Taube BUCH II 63,20 - 25 h Jagd Gahmurets Einzug in Toledo, Kleidung wie Jagdvogel 64,7 - 9 d Jagd Vergleich: Gahmuret - Jagdfalke auf Beutefang 80,1 - 2 d Nahrungsmittel Erzählerkommentar zu Kampfgeschehen und Birnensammeln 83,25 - 89,2 h Mahl Tischszene Gahmuret/ Herzeloyde 84,20 - 29 h Gabe Trinkgefäße als Liebesgaben Isenharts an Belakane 100,2 - 18 h Mahl Hochzeitsmahl - Liebesvereinigung Gahmuret/ Herzeloyde 104,8 - 17 d Jagd/ Nahrungsaufn. Jagdtiere (Gahmuret/ Parzival), die Herzeloyde ‹ ausweiden › 104,13 d Jagd/ Nahrungsaufn. Ernährung des Drachen an Herzeloydes Brust 113,5 - 16 h Nahrungsmittel Parzivals Ernährung an Herzeloydes Brust BUCH III 131,22 - 132,8 h Mahl/ Nahrungsaufn. Parzivals Völlerei in Jeschutes Zelt 131,24 h Nahrungsmittel Vergleich: Jeschute - unbekömmliche Speise 131,28 h Nahrungsmittel Verknüpfung: Mahl - Minne 136,26 - 28 h Mahl Orilus - Jeschute: Trennung von Tisch und Bett 146,20 - 147,8 h Mahl Ithêrs Vergehen an Artus ’ Tafel 176,13 - 27 h Mahl/ Nahrungsaufn. Drittes Mahl bei Gurnemanz/ Tochter Liaze 7 Problemstellung Textstelle Typ Beschreibung BUCH IV 190,3 - 8 h Mahl Fehlende Bewirtung bei Condwiramurs 191,5 - 6 h Mahl/ Nahrungsaufn. Parzival und Condwiramurs teilen ein Stück Brot 201,10 - 18 h Mahl/ Nahrungsaufn. Parzivals milte, alimentäre Bedürfnislosigkeit der Liebenden 204,8 - 12 h Mahl Clamides erzwingt mit Nahrungsentzug Condwiramurs Minne 206,29 - 207,2 h Gabe Keye/ Kingrun werben mit Krapfen um die Gunst von Cunneware BUCH V 244,11 - 25 h Gabe Bewirtung Parzivals im Schlafgemach auf der Gralsburg 273,26 - 30 h Mahl Liebesmahl Jeschute - Orilus 273,26 h Jagd Verknüpfung: Minnemahl - Jagd 278,28 - 279,26 h Mahl Mahl im Zelt von Cunneware, Liebesmahl Orilus - Jeschute BUCH VI - BUCH VII - BUCH VIII 400,1 - 401,2 h Jagd Falkenjagd Vergulahts in Ascalun 406,21 - 25 h Mahl Bewirtung Gawans durch Antikonies Hofdamen 406,28 - 407,1 d Jagd Vergleich: Gawan/ Antikonie - Adler/ Strauß 409,26 d Jagd Vergleich: Antikonie - Hase am Bratspieß 423,16 - 424,7 h Mahl Gawans/ Kingrimursels Bewirtung durch Antikonie 423,20 h Nahrungsmittel Verknüpfung: Mahl - Minne 424,3 - 6 d Jagd Vergleich: Mundschenken - Jagdvögel in der Mauser 427,16 d Jagd Vergleich: Antikonies guter Ruf - weit ragender Blick des Falken BUCH IX 449,19 - 451,2 h Mahl Parzivals Einladung zum Essen durch die Töchter des Pilgers 8 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Textstelle Typ Beschreibung 452,15 - 28 h Nahrungsaufn. Trevrizents Askese, Bußleistung für das Minnevergehen Anfortas ’ BUCH X 508,28 - 30 d Jagd Vergleich: Orgeluse - Köder/ Schleudersehne des Herzens 515,13 d Jagd Vergleich: Gawan - Gans (Beutetier) 524,17 - 18 h Mahl Urjans ’ Essstrafe, vier Wochen Ernährung aus dem Hundetrog 528,26 - 30 h Mahl Urjans ’ Essstrafe, vier Wochen Ernährung aus dem Hundetrog 531,19 - 23 d Nahrungsmittel Vergleich: Orgeluses Minnespott - eine scharfe Sauce 550,1 - 552,5 h Mahl Gawan Mahl beim Fährmann Plippalinot/ Tochter Bene 550,28 - 551,2 h Jagd Verknüpfung: Minnemahl - Jagd BUCH XI 581,23 - 582,28 h Mahl Gawan Bewirtung durch Arnive und ihre Hofdamen BUCH XII 605,3 - 7 h Jagd/ Gabe Sperber als Liebesgabe Itonjes an Gramoflanz 622,8 - 623,2 h Mahl Minnemahl Orgeluse/ Gawan 622,8 - 13 h Nahrungsmittel Verknüpfung: Minnemahl - Jagd BUCH XIII 636,15 - 639,2 h Mahl Festmahl auf Schastel marveile 643,28 - 30 d Nahrungsmittel Vergleich: Orgeluse - heilendes Hirschwurz- Kraut BUCH XIV 697,10 - 698,15 h Mahl Erstes Mahl im Zeltlager vor Jôflanze 698,1 - 14 h Nahrungsaufn. Itonjes Appetitlosigkeit aus Liebeskummer 721,18 - 28 h Jagd Verknüpfung: Gramoflanz ’ Beizjagd - minnegir 731,7 - 12 h Mahl Minnedarstellung anstelle der Schilderung des Hochzeitsmahls BUCH XV 776,16 - 24 h Mahl Frauen an Artus ’ Tafel nur in Begleitung ihrer Minneritter erlaubt 9 Problemstellung Textstelle Typ Beschreibung BUCH XVI 807,14 - 815,23 h Mahl Festmahl auf der Gralsburg 810,3 - 811,30 h Nahrungsaufn. Feirefiz ’ Appetitlosigkeit aus Liebeskummer Dass die poetische Verarbeitung der Nahrungsthematik, insbesondere die Verknüpfung von Nahrungshandeln und Minne, zu den spezifischen Eigenleistungen Wolframs gehört, zeigt sich nicht nur im Vergleich mit der sonstigen mittelhochdeutschen Epik seiner Zeit, die den Bereich des Essens und Trinkens zumeist ausspart bzw. nur punktuell thematisiert, 12 sondern auch im Vergleich mit der Hauptvorlage des ‹ Parzival › , Chrétiens unvollendetem ‹ Perceval › - Roman. Wolframs Eigenleistung diesbezüglich lässt sich allein schon quantitativ erfassen, wenn man nämlich die Anzahl der oben angeführten Textstellen aus dem ‹ Parzival › mit der Anzahl der Textstellen in Chrétiens ‹ Perceval › vergleicht, die Nahrungs- und Minnethematik zusammenschließen. Während in Wolframs ‹ Parzival › Nahrungshandeln und Minne an über 60 Stellen aufeinander bezogen sind, sind es in Chrétiens ‹ Perceval › gerade einmal sechs. 13 Bei den knapp 40 Stellen, an denen die Nahrungsthematik im ‹ Perceval › insgesamt vorkommt, 14 handelt es sich zumeist um Erwähnungen von alimentären Handlungen innerhalb der erzählten Welt, allen voran um die Einbringung von Jagd- und Mahlszenen. Alimentäre Bildlichkeiten (Vergleiche, Metaphern usw.) sowie Erzählerkommentare, die sich auf Essen und Trinken beziehen, finden sich dagegen nur vereinzelt. Auch wenn man berücksichtigt, dass Wolframs ‹ Parzival › Chrétiens Roman in seinem Umfang um mehr als 100 % übersteigt, zeigen die Zahlen, dass der Bereich des Alimentären im deutschsprachigen Text überproportional erweitert und ausgebaut ist. Der folgende Überblick über die Stellen im ‹ Perceval › , die Nahrungs- und Minnethematik miteinander verbinden, ist nach denselben Kriterien geordnet wie die oben angeführten ‹ Parzival › -Belege. 12 Vgl. auch Le Goff, Jacques: Kleidungs- und Nahrungskode und höfischer Kodex in ‹ Erec und Enide › , in: Le Goff, Jacques: Phantasie und Realität des Mittelalters. Aus dem Franz. übers. v. Rita Höner, Stuttgart 1990, S. 201 - 217. 13 Zugrunde gelegt wird folgende Ausgabe: Chrétien de Troyes: Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal. Der Percevalroman oder Die Erzählung vom Gral. Altfranzösisch/ Deutsch. Übers. u. hg. v. Felicitas Olef-Krafft, Stuttgart 2009. 14 Zur Gesamtdarstellung der Nahrungsthematik in Chrétiens ‹ Perceval › vgl. Kapitel IV. 2. 10 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Nahrungs- und Minnethematik in Chrétiens ‹ Perceval › Textstelle Typ Beschreibung 833 h Mahl Orgueilleux verstößt seine Frau, speist alleine 1795 - 1797 d Jagd Vergleich: Blancheflor - Sperber/ Papagei 2010 - 2020 h Mahl Clamadeu erzwingt mit Nahrungsentzug Blancheflors Minne 2360 - 2361 h Mahl/ Nahrungsaufn. Perceval/ Blancheflor: Alimentäre Bedürfnislosigkeit 2574 - 2575 h Mahl/ Nahrungsaufn. Perceval/ Blancheflor: Alimentäre Bedürfnislosigkeit 5675 - 5835 h Jagd Verknüpfung: Jagd - Minne Obwohl die Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik im ‹ Parzival › einen zentralen Stellenwert einnimmt, ist der Zusammenhang in der Forschung bisher nie umfassend behandelt worden, mehr noch: Er wurde zumeist gar nicht wahrgenommen. So geht z. B. Rüdiger Schnell in seiner Untersuchung der Darstellungsformen, mit denen Wolfram Minneverhältnisse beginnen lässt, 15 an keiner Stelle auf die alimentären Interaktionen der Figuren ein, obgleich diese - wie zu zeigen sein wird - für die Initiierung von Minne im ‹ Parzival › eine wichtige Rolle spielen. Die Abhandlungen, die sich explizit mit der Nahrungsthematik in der Literatur des Mittelalters beschäftigen, beziehen Wolframs ‹ Parzival › aufgrund seiner verhältnismäßig hohen Anzahl an Aussagen zu Essen und Trinken zwar zumeist mit ein; die Perspektiven auf das Material sind jedoch seit den Anfängen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema im 19. Jahrhundert andere. Während in der früheren Forschung hauptsächlich versucht wurde, realhistorische Informationen über höfische Festmähler, Tischsitten und Mentalitäten aus Wolframs Texten zu gewinnen, 16 sind in den letzten Jahrzehnten vermehrt Beiträge 15 Vgl. Schnell, Causa amoris, S. 219 - 224. 16 Allen voran sind hier die breit angelegten Arbeiten von Alwin Schultz (Schultz, Alwin: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger. Bd. I. 2., verm. u. verb. Aufl., Osnabrück 1965 [Neudr. der Ausg. 1889]) und Willy Pieth (Pieth, Willy: Essen und Trinken im mittelhochdeutschen Epos des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, Leipzig 1909) aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zu nennen, die für ihre Studien zu den höfischen Festmählern im Mittelalter Belegstellen aus der höfischen Epik (u. a. aus Wolframs ‹ Parzival › ) zusammentragen und die bis in die jüngste Zeit für kulturgeschichtliche Publikationen herangezogen werden (vgl. den Forschungsbericht bei Schulz, Anne: Essen und Trinken im Mittelalter [1000 - 1300]. Literarische, kunsthistorische und archäologische Quellen, Berlin 2011 [Ergänzungs- 11 Problemstellung entstanden, die das spezifisch Literarische der Nahrungsthematik in Wolframs Werk hervorheben. Das Augenmerk liegt dabei vor allem auf den Mahlszenen, die auf die Parzival-Figur bezogen sind. So hat Wolfgang Spiewok gezeigt, dass das Nahrungshandeln der wolframschen Parzival-Figur gegenüber den Darstellungen in Chrétiens ‹ Perceval › vielfach verändert und ausgebaut ist. Ausgehend von dieser Erkenntnis stellt er die These auf, dass die Mahlszenen im deutschsprachigen Text Elemente darstellen, an denen sich eine ‹ Entwicklung › des Helden ablesen lässt. 17 In der Folge wurde Parzivals Nahrungshandeln mehrfach nach Indikatoren für einen ‹ inneren › Wandel der Figur befragt. Für Waltraud Fritsch-Rößler besteht die ‹ Entwicklung › Parzivals in seinem Weg von der Natur (Mutterbrust / Einöde) zur Kultur (artifizielle Speisen / Hof), wobei seine zeitweilige Rückkehr zur Natur (Einsiedelei bei Trevrizent / Wurzelmahl) nicht als Regress aufzufassen sei, sondern als ein Gang, der gerade mit bände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 74], S. 9). Zwar wurde der positivistische Ansatz, dem die beiden folgen, schon vor Jahrzehnten als problematisch angesehen (vgl. Roos, Renate: Begrüßung, Abschied, Mahlzeit. Studien zur Darstellung höfischer Lebensweise in den Werken der Zeit von 1150 - 1320, Bonn 1975, S. 14). Kritisiert wird, dass Schultz und Pieth die in den literarischen Texten beschriebenen Szenen als Abbildung von Realität auffassen und dass sie oftmals der Versuchung unterliegen, gelegentlich Erwähntes und Einzelbelege als generell für alle Schichten der Gesellschaft und für das gesamte Mittelalter geltend zu machen (vgl. Roos, Begrüßung, Abschied, Mahlzeit, S. 16 f. u. S. 336 f., sowie Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, München 1997, S. 15). Wie zählebig sich das Verständnis von mittelalterlicher Dichtung als authentischem Zeugnis sozialer und gesellschaftlicher Strukturen dennoch bis in die jüngste Zeit hält, zeigt sich letztlich an Joachim Bumkes großer Studie zur höfischen Kultur (Bumke, Höfische Kultur). Denn obwohl er die Problematik von idealer und realer Darstellung in der höfischen Epik anspricht, passiert es ihm immer wieder, dass er den aufgenommenen Beispielen aus der höfischen Epik einen uneingeschränkten Zeugniswert zukommen lässt. Auf dieses Problem wird im Zusammenhang mit der Besprechung von Bumkes Aussagen über höfische Festmähler in Kapitel II.2 zurückzukommen sein. Den Versuch einer Relativierung des Bildes vom Essen und Trinken im Mittelalter, das literarische Quellen vermitteln, hat Anne Schulz in ihrer Untersuchung zu ‹ Essen und Trinken im Mittelalter (1000 - 1300) › vorgenommen, in der sie literarische Zeugnisse mit zeitgenössischen Illustrationen, Plastiken und archäologischen Funden vergleicht (vgl. Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter [1000 - 1300]). 17 Spiewok, Wolfgang: Wolfram von Eschenbach, maître queux aux visages de Janus ou faim et abondance dans le Parzival de Wolfram von Eschenbach, in: Banquets et manières de table au Moyen Âge. Centre Universitaire d ’ Etudes et de Recherches Médiévales d ’ Aix, Aix-en-Provence 1996 (Sénéfiance 38), S. 479 - 492. 12 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären einem Fortschritt an Kultur und Kultiviertheit verbunden sei. 18 Denn am Ende stehe kein Tier in Menschengestalt, kein Wilder ohne Tischzucht, kein Gottloser ohne Besteck, sondern die Anwendung einer neuen Erkenntnis: nämlich die, dass ein wirklich kultivierter Mensch das Wissen um die Natur und um seine Natur haben muss - das heißt, die Erkenntnis, dass Natur und Kultur im «Rahmen eines weithin binären, aber nicht zwingend oppositorischen Systems zu einer Synthese zu bringen sind». 19 Ludger Lieb wiederum interpretiert Parzivals Nahrungshandeln als Stationen im Text, an denen sich die Erziehung des unerfahrenen, tumben Knaben zum vollkommenen Ritter und Gralskönig ablesen lässt und die das Erlernen des Umgangs des Helden mit seiner «Erbmasse» veranschaulichen. 20 Eine umfassendere Betrachtung der Nahrungsthematik im ‹ Parzival › nimmt Barbara Nitsche vor, indem sie nach den spezifisch literarischen Aspekten von Essen und Trinken fragt. 21 Nitsches Arbeit bietet erstmals eine Typisierung der Mahlszenen im ‹ Parzival › , wobei es ihr zu zeigen gelingt, dass diese in den einzelnen Episoden unterschiedlich eingesetzt und konnotiert sind. Darüber hinaus zählt sie Speisemetaphern des Romans auf und bespricht die Selbststilisierungen des Erzählers zum Hungerleidenden. Auf die Frage, um die es eigentlich gehen müsste, wenn man die literarische Signifikanz eines solchen Themenkomplexes zu ermitteln sucht, nämlich auf die Frage nach dessen poetischen Funktionen, geht sie jedoch an keiner Stelle ihrer Untersuchung ein. Neben den Publikationen, die sich auf den ‹ Parzival › konzentrieren, liegen aus jüngerer Zeit zwei textübergreifende Untersuchungen zur Nahrungsthematik in der höfischen Epik vor, die einzelne Szenen aus dem ‹ Parzival › einbeziehen. Zum einen ist dies die Arbeit von Danielle Buschinger zum alimentären Code in den deutschsprachigen Artusromanen, die auf der Basis der von Claude Lévi-Strauss definierten Oppositionen ‹ roh › vs. ‹ gekocht › und 18 Fritsch-Rößler, Waltraud: Ritardando: Parzivals Weg zu den Wurzeln und die Sinnschicht des Essens in Wolframs Roman, in: Grewe-Volpp, Christa/ Reinhart, Werner (Hgg.): Erlesenes Essen. Literatur- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu Hunger, Sattheit und Genuss, Tübingen 2003 (Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft 55), S. 289 - 313; eine kritische Diskussion der These erfolgt in Kapitel IV. 2.1.1. 19 Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 311. 20 So Lieb, Ludger: Essen, Sex und Ritterschaft. Anthropologische Überlegungen zu Parzivals Erbmaße (unveröffentlichtes Manuskript), S. 2; zur Diskussion der These vgl. Kapitel IV. 2.1.1. 21 Vgl. Nitsche, Barbara: Die literarische Signifikanz des Essens und Trinkens im ‹ Parzival › Wolframs von Eschenbach. Historisch-anthropologische Zugänge zur mittelalterlichen Literatur, in: Euphorion 94 (2000), S. 245 - 270. 13 Problemstellung ‹ Natur › vs. ‹ Kultur › semiotische Aspekte des Alimentären aufzeigt, 22 zum anderen eine Untersuchung von Trude Ehlert zur Sozialfunktion des Teilens von Nahrung in der höfischen Epik. 23 Allen diesen Arbeiten ist gemeinsam, dass sie zwar die politischen, sozialen und religiösen Aspekte von Mahlszenen hervorheben, dass sie aber auf minnesymbolische Konnotationen der Nahrungsthematik lediglich vereinzelt hinweisen. Die Einzigen, die sich eingehender mit der Verbindung von Nahrungs- und Minnethematik beschäftigt haben, sind Rüdiger Schnell, der in einem 1974 erschienenen Beitrag das Verhältnis von Vogeljagd und Liebe im VIII. Buch des ‹ Parzival › untersucht; ferner Beatrice Trînca, die in ihrer Dissertation zu Wolframs ‹ Poetik des Heterogenen › Überlegungen zur Erotik von Mahlszenen und Jagdmotiven anstellt; 24 des Weiteren Dorothea Heinig, die in ihrem Stellenkommentar zur Jagd im ‹ Parzival › verschiedentlich auf die sexuellen Anspielungen der Jagdthematik aufmerksam macht, und schließlich Felix Louis, der in seiner Dissertation zur Metaphorik in Wolframs ‹ Parzival › auch sexuelle Implikationen von Speisemetaphern bespricht. 25 22 Vgl. Buschinger, Danielle: La nourriture dans les romans arthuriens allemands entre 1170 et 1210, in: Menjot, Denis (Hg.): Manger et boire au Moyen Âge. Actes du Colloque de Nice (15 - 17 octobre 1982). vol. 1: Aliments et société, Paris 1984 (Publications de la Faculté des Lettres et Sciences Humaines de Nice 27 - 28), S. 377 - 389; zu Claude Lévi-Strauß ’ ‹ Kulinarischem Dreieck › vgl. Kapitel IV. 1.3. 23 Vgl. Ehlert, Trude: Das Rohe und das Gebackene. Zur sozialisierenden Funktion des Teilens von Nahrung im ‹ Yvain › Chretiens de Troyes, im ‹ Iwein › Hartmanns von Aue und im ‹ Parzival › Wolframs von Eschenbach, in: Kolmer, Lothar/ Rohr, Christian (Hgg.): Mahl und Repräsentation. Der Kult ums Essen. Beiträge des internationalen Symposiums in Salzburg 29. April bis 1. Mai 1999, Paderborn/ München 2000, S. 23 - 40; zur Nahrungsthematik im ‹ Parzival › vgl. außerdem Schmidt, Siegrid: Die Speisung des Grals und Lämmerschlings Hochzeitsmahl. Varianten der Rhetorik des Genusses in mittelhochdeutscher Epik, in: Kolmer, Lothar (Hg.): Rhetorik des Genusses, Berlin/ Wien 2007 (Salzburger Beiträge zu Rhetorik und Argumentationstheorie 3), S. 124 - 141; Bleuler, Anna Kathrin: Einverleiben von Liebesgaben. Zum Verhältnis von Nahrungs- und Minnehandeln in der Literatur des Mittelalters, in: Egidi Margreth/ Lieb, Ludger u. a. (Hgg.): Liebesgaben. Kommunikative, performative und poetologische Dimensionen in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Berlin 2012 (Philologische Studien und Quellen 240), S. 141 - 161. 24 Vgl. Schnell, Rüdiger: Vogeljagd und Liebe im 8. Buch von Wolframs ‹ Parzival › , in: PBB 96 (1974), S. 246 - 269; Trînca, Beatrice: ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › . Wolframs Poetik des Heterogenen, Heidelberg 2008 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 46). 25 Vgl. Heinig, Dorothea: Die Jagd in Wolframs ‹ Parzival › . Stellenkommentar, Stuttgart 2012 (ZfdA-Beiheft 14), zugl. Diss. Univ. Marburg 2009; Louis, Felix: Metaphorik und Dunkelheit im ‹ Parzival › Wolframs von Eschenbach, Aachen 2012. 14 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Eine systematische Zusammenschau der Nahrungsthematik in Wolframs ‹ Parzival › , die Aspekte von Nahrungssuche (u. a. Jagd) und Nahrungsaufnahme (u. a. Mahl) gleichermaßen berücksichtigt, wurde bislang nicht vorgenommen. Auch wurde bislang nicht systematisch nach den Auswirkungen gefragt, die die Darstellung von alimentären Handlungen und Objekten auf die Gestaltung des Erzählens von Minne hat. Diesem Komplex widmet sich die vorliegende Arbeit. Ausgangspunkt der folgenden Vorüberlegungen zur Untersuchung der Poetik des Alimentären in der höfischen Minnedichtung ist eine im Prinzip unspektakuläre Beobachtung, die anhand des ‹ Parzival › gemacht wurde: Wenn die Nahrungsthematik inhaltlich im Zusammenhang mit Minne vorkommt, dann stehen die beiden Bereiche nicht unverbunden nebeneinander, sondern sie sind jeweils in spezifischer Weise aufeinander bezogen. Grundsätzlich lässt sich dabei zwischen zwei Arten des Bezugs unterscheiden. Zum einen können Nahrungsakte als Zeichen von Minne fungieren, und zwar indem die im Text dargestellten alimentären Handlungen und Objekte einen auf die Minne bezogenen Sinn vermitteln; indem sie also für etwas Anderes stehen als bloß für sie selbst, das an ihnen abgelesen werden kann. 26 Zum anderen können Nahrungsaspekte als Bildspender fungieren, die metaphorisch ( ‹ Istwie-Relation › ) auf das Minnegeschehen (Bildempfänger) bezogen sind. 27 In diesem Fall sind die alimentären Handlungen und Objekte nicht im oben genannten Sinn als Zeichen aufzufassen, sondern hier verhält es sich vielmehr so, dass die am Minnegeschehen beteiligten Handlungen und Personen (Verhalten des Minnedieners, Körper der Frau usw.) durch den Vergleich mit der Nahrungsthematik mit bestimmten Bedeutungspotenzialen versehen werden, wodurch sie ihrerseits Zeichencharakter annehmen. Zur Veranschaulichung des Befunds sei eine mehr oder weniger willkürlich gewählte Szene herangezogen, nämlich die, in der Parzivals Vater, Gahmuret, in der Stadt Patelamunt ankommt und auf die dortige Herrscherin Belakane trifft, die sich auf den ersten Blick unsterblich in Gahmuret verliebt hat (V. 23,20 - 24). 26 Grundsätzlich folge ich hier der in der Kultursemiotik üblichen Definition des Zeichens als «[Handlungen und] Gegenstände, die auf etwas (eine Botschaft) verweisen» (Posner, Kultursemiotik, S. 39). Dabei gilt es natürlich zu bedenken, dass man es im vorliegenden Fall mit sprachlich vermittelten Handlungen und Gegenständen zu tun hat, was bedeutet, dass die Korrelation von Signifikant, Signifikat und Zeichen nicht ohne Berücksichtigung des semiotischen Systems, dem sie aufruht (der Sprache), beschrieben werden kann (vgl. ausführlich zu diesem Problem Kapitel I.2). 27 Terminologie nach Weinrich, Harald: Semantik der kühnen Metapher, in: DVjs 37, S. 325 - 344. 15 Problemstellung Bei dem Gastmahl, das für Gahmuret und seine Gefolgsleute veranstaltet wird, bedient Belakane ihren Gast höchstpersönlich: Textbeispiel I ich muoz iu von ir spîse sagen. diu wart mit zühten für getragen: man diende in rîterlîche. diu küneginne rîche kom stolzlîch für sînen tisch. hie stuont der reiger, dort der visch. si was durch daz hinz im gevarn, si wolde selbe daz bewarn daz man sîn pflæge wol ze frumen: si was mit juncfrouwen kumen. si kniete nider (daz was im leit), mit ir selber hant si sneit dem rîter sîner spîse ein teil. diu frouwe was ir gastes geil. dô bôt si im sîn trinken dar und phlac sîn wol: och nam er war, wie was gebærde unde ir wort. zende an sînes tisches ort sâzen sîne spilman, und anderhalp sîn kappelân. al schemende er an die frouwen sach, (V. 32,29 - 33,19) Zunächst einmal zeigt sich, dass Nahrungs- und Minnethematik in dieser Szene innerhalb der erzählten Welt aufeinander bezogen sind. Die Königin bedient ihren Gast ganz persönlich, indem sie ihm, vor ihm kniend, Essen und Trinken anbietet: si kniete nider (daz was im leit), / mit ir selber hant si sneit / dem rîter sîner spîse ein teil (V. 33,9 - 11). Das Vorschneiden und Darreichen der erlesenen Speisen stellen hier keine bloßen Bekundungen von Gastfreundschaft und Ehrerbietung dar, sondern sie erscheinen als erotisch codierte Handlungen, und zwar deshalb, weil sie der Empfänger, Gahmuret, in dieser Hinsicht interpretiert. So erfüllt ihn Belakanes Tafeldienst, der sich vor den Augen seiner Dienstleute abspielt, einerseits mit Scham (al schemende er an die frouwen sach, V. 33,19) und andererseits weckt er seine Begierde (dâ was ze dræte sîn gelust, V. 36,1; auch: V. 34,16). Der Zusammenhang zwischen Nahrungs- und Minnethematik stellt sich in dieser Szene aber noch auf einer anderen Ebene her, nämlich auf der Darstellungsebene der Geschichte: 28 So fällt auf, dass die aufgetragenen Speisen, 28 Eine Definition des in dieser Arbeit verwendeten erzähltheoretischen Begriffinventars wird weiter unten in Kapitel I.2 vorgenommen. 16 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Reiherbraten und Fisch, die mittelalterlichen Speiseplänen zufolge eine ungewöhnliche Kombination darstellen, 29 durch die syntaktische Konstruktion des Satzes auf das sich anbahnende Minneverhältnis zwischen Gahmuret und Belakane bezogen werden können: diu küneginne rîche / kom stolzlîch für sînen tisch. / hie stuont der reiger, dort der visch (V. 33,2 - 33,4). Zum einen hat dies mit der metonymischen Nennung der Speisen zu tun. Denn es sind ja nicht wirklich Reiher und Fisch, die hier stehen, sondern auf einer Platte angerichtete, mittels kultureller Techniken und Geräte für den menschlichen Magen zubereitete Gerichte aus Reiher- und Fischfleisch. Zum anderen lassen sich die Lokaladverbien hie und dort inhaltlich zwar auf die Positionierung der Speisen auf dem Tisch beziehen. Durch ihre Mehrfachgerichtetheit verweisen sie zugleich aber auch auf die im vorausgehenden Satz benannten Akteure, Belakane und Gahmuret, wobei die Zuordnung offenbleibt: Das hie stuont der reiger kann syntaktisch gesehen sowohl auf den perspektivisch im Vordergrund platzierten Gahmuret bezogen werden als auch auf die auf Gahmuret zukommende Königin. Das Gleiche gilt für die Formulierung: dort der visch. Durch die bloße Aneinanderreihung der beiden Sätze stellt sich auf einer assoziativen Ebene ein Zusammenhang zwischen den Akteuren und den aufgetragenen Speisen her, der in dem sich anbahnenden Minneverhältnis eine naturhaft-animalische Dimension anklingen lässt. Denn Reiher und Fisch sind Jäger und Beute, womit ein Verhältnis umrissen ist, bei dem einer als Sieger hervorgeht, der andere dagegen mit dem Tod bezahlen muss. Das Beispiel zeigt: Alimentäre Handlungen und Objekte, die innerhalb der erzählten Welt situiert sind, können in zweifacher Hinsicht als auf die Minne bezogene Zeichen fungieren: einmal als Elemente von nonverbaler Kommunikation zwischen den Figuren des Textes und einmal als Elemente, die auf der Darstellungsebene der Geschichte einen auf die Minne bezogenen Verweischarakter annehmen. Der erste Fall liegt mit Belakanes Tafeldienst vor. Dieser ist hier insofern als ‹ Minnezeichen › aufzufassen, als er von einer Figur des Textes (Gahmuret) in Hinblick auf die Minnethematik interpretiert wird (nämlich als Zeichen des erotischen Interesses seitens der Königin) und damit als eine Handlung inszeniert ist, die innerhalb der erzählten Welt an der Vermittlung von Minne mitwirkt (s. o.: erstgenannte Art der Bezugnahme). Der zweite Fall liegt mit dem syntaktisch hergestellten Zusammenhang zwischen den Akteuren (Gahmuret / Belakane) und den beim Mahl aufgetragenen Speisen (Reiher / Fisch) vor. Hier ist die Sache komplizierter: Die punktuelle syntaktische Überblendung der beiden Bereiche kann beim Re- 29 Vgl. Schubert, Ernst: Essen und Trinken im Mittelalter, Darmstadt 2006. 17 Problemstellung zipienten des Textes eine Übertragung der Bedeutung in Gang setzen, wobei es zu einem ‹ Rückkoppelungseffekt › kommt: Die Überblendung profiliert Ähnlichkeitsrelationen zwischen den Paaren Gahmuret / Belakane und Reiher / Fisch (Vergleichspunkt ‹ sexuelles Begehren / gustatives Begehren › ), die das ‹ Aufscheinen › der Bedeutung ‹ Jäger / Beute › in der Nennung ‹ Reiher / Fisch › begünstigt. 30 Das auf dem Tisch stehende Essen wird so zum Zeichen von Jagd (s. o.: erstgenannte Art der Bezugnahme). Diese Bedeutung wiederum weist metaphorisch (ist-wie-Relation) auf das Verhältnis von Gahmuret und Belakane zurück und versieht es auf diese Weise implizit mit Bedeutung (s. o.: zweitgenannte Art der Bezugnahme). Um diese beiden Typen von Symbolisierung 31 (Belakanes Tafeldienst / syntaktisch hergestellter Zusammenhang zwischen Mahl und Minne) kategorial auseinander zu halten, ist die Unterscheidung von textinterner und -externer Beobachterposition von Belang: 32 Während für den textexternen Hörer oder Leser beide Typen von Zeichenbildung wahrnehmbar sind, fassen die Akteure der Geschichte lediglich den ersten Typus (Belakanes Tafeldienst) als Zeichen auf. In beiden Fällen verhält es sich aber so, dass die alimentären Handlungen und Objekte innerhalb der erzählten Welt, also auf der Ebene der erzählten Geschichte, situiert sind. Ein anderer Typus des Bezugs zwischen Nahrungs- und Minnethematik liegt dagegen vor, wenn die alimentären Handlungen und Objekte nicht Bestandteil der erzählten Geschichte sind, sondern wenn sie auf der Darstellungsebene des Textes vorkommen. Hier stehen sie nicht für etwas Anderes als sie selbst, haben also keine Stellvertreterfunktion, sondern sie fungieren als Bildspender, mittels derer das auf der Handlungsebene dargestellte Minnegeschehen mit zusätzlichen Bedeutungen versehen wird (s. o.: zweitgenannte Art der Bezugnahme). Ein Beispiel dafür ist die Schönheitsbeschreibung von Gawans Minnedame Antikonie durch den Erzähler: 30 Zu den Ähnlichkeitsrelationen zwischen gustativen und geschlechtlichen Akten, die die Zeichenbildung zwischen den Bereichen in Gang setzen vgl. Kapitel I.2.3. 31 Der Begriff des Symbols wird hier zunächst einmal in einem weiten Sinn für alle Zeichenrelationen gebraucht, in denen eine im Text dargestellte Handlung oder ein Objekt stellvertretend für einen Sinn oder eine Aussage steht. Eine Differenzierung des semiotischen Begriffinventars erfolgt in Kapitel I.2. 32 Jan-Dirk Müller schlägt die Unterscheidung zwischen textinterner und -externer Beobachterposition für die Analyse von semiotischen Aspekten sprachlich vermittelter nonverbaler Phänomene in literarischen Texten vor. Nähere Ausführungen hierzu sowie eine Differenzierung von Müllers Begrifflichkeit erfolgen weiter unten in Kapitel I.2. 18 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Textbeispiel II baz geschict an spizze hasen, ich wæne den gesâht ir nie, dan si was dort unde hie, zwischen der hüffe unde ir brust. minne gerende gelust kunde ir lîp vil wol gereizen. (V. 409,26 - 410,1) Das kulinarische Objekt - der Hase am Bratspieß - fungiert hier als Bild, welches dem Erzähler zur Beschreibung von Antikonies attraktiver Körpergestalt dient. Vergleichspunkt ist die schlanke Taille. Durch den Vergleich mit einem im Feuer schmorenden, erlegten Wild erscheint Antikonie zugleich aber auch als appetitliche Beute, womit auch hier ein impliziter Zusammenhang zwischen Minnebegehren und Jagd besteht, der in dem sich anbahnenden Minneverhältnis zwischen Gawan und Antikonie eine körperlich-animalische Dimension anklingen lässt (s. o.: zweitgenannte Art der Bezugnahme). Der Unterschied zum oben angeführten Beispiel ist jedoch, dass hier nicht ein innerhalb der erzählten Welt ‹ real › anwesendes kulinarisches Objekt zum Zeichen wird, 33 sondern dass das Minneverhältnis, von dem erzählt wird, durch den Vergleich von Antikonies Körpergestalt mit einem kulinarischen Objekt mit bestimmten Bedeutungspotenzialen versehen wird (Minne als Jäger-Beute- Relation, sexuelle Attraktivität des weiblichen Körpers). Die Beispiele zeigen, dass eine Systematisierung des Gegenstands sowohl unterschiedliche Arten der Zeichenrelation zwischen Nahrungs- und Minnethematik als auch verschiedene Ebenen der Zeichenbildung berücksichtigen muss. Diese an den Textbeispielen vorläufig vorgenommenen Differenzierungen werden im Folgenden mit Rückgriff auf semiotische und erzähltheoretische Konzepte spezifiziert und für die Untersuchung operationalisiert. 33 Wie es im oben angeführten Beispiel der Fall ist, wo das in der Geschichte ‹ real › anwesende Reiher- und Fischgericht durch die syntaktische Verknüpfung mit der Minnethematik zum Zeichen des Jäger-Beute-Schemas wird, das sich dann wiederum auf die Darstellung des Verhältnisses von Gahmuret und Belakane überträgt. 19 Problemstellung 2. Theoretische Vorüberlegungen zu einem kultursemiotischen Interpretationsansatz Wenn man die Semiotik des Alimentären in einem literarischen Text untersuchen will, dann stellt sich zunächst einmal die Frage, inwiefern sprachlich vermittelte nonverbale Erscheinungen - wie alimentäre Handlungen und Objekte - in einem literarischen Text überhaupt als Zeichen fungieren. Die germanistische Mediävistik hat sich in jüngerer Zeit intensiv mit dieser Frage in Bezug auf Phänomene wie Gesten, Körper oder Emotionen in der höfischen Epik auseinandergesetzt. 34 Eine radikale Position diesbezüglich hat Silke Philipowski in einem 2000 erschienenen Aufsatz zur Inszenierung von Gesten in der mittelalterlichen Literatur eingenommen. 35 Für sie stellen Gesten in literarischen Texten kein Medium der Zeichenproduktion dar, da sich in ihnen der Körper unmittelbar zur Geltung bringe. Gesten würden nicht als Zeichen für etwas Anderes gebraucht, sondern seien nichts als sie selbst, keine Repräsentation also, sondern reine Präsenz des Körperlichen. 36 Dieser Position wurde in der Forschung widersprochen, indem in Anschlag gebracht wurde, dass jedes sprachlich konstruierte Körperzeichen allein deshalb schon immer als codiert zu verstehen sei, weil es grundsätzlich der Dechiffrierung durch den textexternen Beobachter unterliege. 37 In der Tat überzeugt Philipowskis Behauptung nicht. Denn selbst wenn man mit einem fetischistischen Kunstverständnis, das in der Forschung für vormoderne Kulturen bisweilen angenommen wird, argumentieren würde, so ließe sich - anders als es z. B. bei einer antiken Götterstatue der Fall ist - nicht 34 Vgl. u. a. Philipowski, Geste und Inszenierung; Müller, Visualität; Kellermann, Der Körper; Eming, Emotion; Kraß, Geschriebene Kleider; Schnell, Rüdiger: Historische Emotionsforschung. Eine mediävistische Standortbestimmung, in: Frühmittelalterliche Studien 38 (2004), S. 173 - 276; Koch, Trauer und Identität; Philipowski, Erzählte Emotionen; Glauch, Sonja: Rezension zu Jutta Eming: Emotion und Expression, in: Arbitrium 25/ 3 (2007), S. 277 - 289. 35 Vgl. Philipowski, Geste und Inszenierung, S. 455 - 477. 36 Vgl. Philipowski, Geste und Inszenierung, S. 455 - 477. 37 Vgl. Müller, Visualität, S. 127; Kellermann, Der Körper; Glauch, Rezension zu Jutta Eming: Emotion. 20 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären von der Hand weisen, dass die Präsenz des Körpers in einem literarischen Text stets ein Effekt von literarischer Gestaltung ist, 38 und zwar in dem Sinne, dass etwas, was materiell nicht präsent ist, mit sprachlich-ästhetischen Mitteln zur Erscheinung gebracht wird. 39 Man kommt nicht umhin, dass sprachliches Handeln Zeichenproduktion ist und als solches stets Zeichenfunktion hat. Will man also Phänomene sprachlich erzeugter, visueller Welten untersuchen, muss man grundsätzlich davon ausgehen, dass es sich bei diesen um Träger von Bedeutung handelt, um Zeichen also, die Botschaften aussenden, Sinn vermitteln, für etwas Anderes stehen als sie selbst, und dass dieses Andere an ihnen abgelesen werden muss. 40 Das Verdienst von Philipowskis These, die jene später selbst revidiert hat (! ), 41 indes besteht darin, dass sie die Aufmerksamkeit für die Frage nach den Grenzen der Bestimmbarkeit solcher Bedeutungsgehalte geschärft und eine Forschungsdiskussion darüber in Gang gebracht hat. Um die Aufmerksamkeit für solche Grenzen zu schärfen, schlägt Jan-Dirk Müller in einem 2003 erschienenen Aufsatz zwei unterschiedliche Ordnungskategorien vor, die für die Analyse der Semiotik nonverbaler Erscheinungen in literarischen Texten geltend zu machen seien. 42 Zum einen ist dies die Unterscheidung zwischen textinternem und -externem Beobachter. Mit dieser Unterscheidung lässt sich erfassen, dass zwar die in Texten thematisierten nonverbalen Phänomene für den externen Rezipienten (Hörer / Leser) immer zeichenhaft sind, dass aber die Akteure der Geschichte lediglich einen Teil davon als Zeichen wahrnehmen. 43 Zum anderen schlägt er vor, die Unterscheidung zwischen intentionalen (signa data) und nicht-intentionalen (signa naturalia) Zeichen nach Augustinus einzuführen, 44 wobei er dafür plädiert, den Begriff der Codierung jenen Zeichen vorzubehalten, denen ein hohes Maß an Arbitrarität und Gerichtetheit zuzuerkennen ist (signa data). Dieser Kategorie stellt er die indexikalischen Zeichen (signa naturalia) gegenüber, die nicht per se bedeutsam sind, sondern deren Enbzw. Decodierung dem (internen bzw. externen) Betrachter obliegt. 45 Müllers Nomenklatur zufolge wäre eine Geste wie der Stratordienst Siegfrieds gegenüber Gunther bei dessen erster Begeg- 38 Dies räumt Philipowski später selbst ein (vgl. Philipowski, Erzählte Emotionen). 39 Wolfgang Iser verwendet für solche Phänomene den Begriff der literarischen Inszenierung (vgl. Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt a. M. 2007 [1991], S. 504 f.). 40 Vgl. Müller, Visualität, S. 119. 41 Vgl. Philipowski, Erzählte Emotionen. 42 Vgl. Müller, Visualität. 43 Vgl. Müller, Visualität, S. 127 - 130. 44 Vgl. Müller, Visualität, S. 122. 45 Vgl. Müller, Visualität, S. 122 - 124. 21 Theoretische Vorüberlegungen nung mit Brünhild im ‹ Nibelungenlied › als codiert zu bezeichnen, da es sich hierbei um eine in der mittelalterlichen Adelskultur konventionalisierte Geste handelt, die auf Figurenebene dazu eingesetzt wird, eine Botschaft zu vermitteln (Gunther und Siegfried wollen damit gegenüber Brünhild den Anschein der Untergebenheit Siegfrieds erwecken). Siegfrieds Körpergestalt dagegen wäre nicht als codiert zu bezeichnen, da es sich hierbei nicht um ein intentionales Zeichen handelt. Dennoch aber wäre Siegfrieds Körper als zeichenhaft aufzufassen, da Brünhild ihn als Ausdruck von Siegfrieds Stärke versteht. 46 Gegen Müllers Typologie der Körperzeichen in literarischen Texten wendet Elke Koch in ihrer Dissertation ‹ Trauer und Identität › ein, 47 dass, wenn der Codierungsbegriff arbiträren Zeichen vorbehalten werde, sich das Problem stelle, anhand welcher Kriterien diese Arbitrarität bzw. der Grad der Intentionalität und Geformtheit zu bestimmen ist. 48 Eine solche Bestimmung würde letztlich stets darauf hinauslaufen, dass der Zeichenstatus des dargestellten Körpers von der Frage nach Intentionen auf Figurenebene her konzeptualisiert und nicht auf die Selektion, die Perspektivierung und die bedeutungsstiftende Funktion literarischer Inszenierungen bezogen wird. 49 In Bezug auf Trauerdarstellungen in der höfischen Epik stellt Koch fest, dass oftmals nicht zu entscheiden ist, inwiefern die Körperzeichen intentional sind. Dennoch könne auch in solchen Fällen die Zeichenhaftigkeit des Emotionsausdrucks für den textexternen Beobachter expliziert und spezifiziert werden, indem er über die körperliche Manifestation hinaus auf die Zeichnung der Figuren und ihrer Relationen hin erweitert werde. 50 Daraus schließt Koch, dass «gerade auch solche Körperzeichen in literarischen Inszenierungen als codiert zu betrachten sind, deren Encodierung durch ihren Sender, d. h. die Figuren der Texte, nicht vorauszusetzen ist». 51 Es zeigt sich, dass mit Müllers und Kochs Ansätzen unterschiedliche Definitionen des Codierungsbegriffs vorliegen: Während er bei Müller auf die ‹ primäre › 52 Ebene der Ausbildung eines nonverbalen Zeichensystems (Strator- 46 Vgl. Müller, Visualität, S. 129 f. 47 Vgl. Koch, Trauer und Identität. 48 Vgl. Koch, Trauer und Identität, S. 52. 49 Vgl. Koch, Trauer und Identität, S. 53. 50 Vgl. Koch, Trauer und Identität, S. 52 f. 51 Koch, Trauer und Identität, S. 53. 52 Die Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Ebene der Ausbildung von nonverbalen Zeichensystemen geht auf Rüdiger Schnell zurück, der in Bezug auf die Codierung von Emotionen in literarischen Texten fordert, zwischen dem «alltagsweltlichen ‹ Ausdruck › » von Emotionen, der mittels Gebärden und Worten zeichenhaft vermittelt wird, und der «textuellen Repräsentation» dieser Zeichen zu 22 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären dienst als kulturspezifische, konventionalisierte Geste) und deren Funktionalisierung im Text (intentional/ nicht-intentional) begrenzt wird, verwendet Koch den Begriff der Codierung für textuelle Verfahren der Steuerung der Semiose und damit für die textuelle Erzeugung und Bearbeitung von Deutungsmustern. 53 Der Vorteil von Kochs Ansatz besteht darin, dass er nicht von der Frage nach - dem Einzeltext vorausgehenden - kulturellen Codes ausgeht, die die im Text dargestellte, visuelle Welt mit Bedeutung ‹ aufladen › , sondern von der Frage, wie nonverbale Erscheinungen in narrativen Prozessen zu Trägern von Bedeutung werden können. Die Codierung visueller Welten in narrativen Texten wird damit als eine Ebene der Diskursivierung dieser Erscheinungsformen aufgefasst. Aus dieser Perspektive gelangen textuelle Faktoren, strukturelle und sprachlich-rhetorische Verfahren der Zeichenbildung in den Blick. Im Gegensatz dazu besteht der Vorteil von Müllers Ansatz gerade darin, dass durch die Unterscheidung zwischen arbiträren und nicht-arbiträren Zeichen textexterne Faktoren der Zeichenbildung in den Blick gelangen. Zwar ist Koch darin zuzustimmen, dass in Müllers Abhandlung nicht immer klar benannt wird, von welcher Ebene her der Grad der Formung eines Zeichens zu bestimmen ist; unzweifelhaft ist jedoch, dass die Frage nach der Arbitrarität eines Zeichens in einem literarischen Text nicht allein eine Frage nach Setzungen auf der Textebene ( ‹ Figurenintentionen › ) ist, wie es Koch in ihrer Kritik an Müllers Ansatz unterstellt, 54 sondern auch eine Frage nach Setzungen auf kultureller Ebene. 55 Oder anders gesagt: Der Grad der Intentionalität und der Geformtheit z. B. eines Körperzeichens bemisst sich nicht allein an der Frage, inwiefern die handelnden Figuren ihren Körper - Gesten, Handlungen, Blicke usw. - ‹ bewusst › zur Übermittlung von Botschaften einsetzen, sondern es können auch solche Elemente im Text als arbiträre Zeichen aufgefasst werden, bei denen sich nicht entscheiden lässt, inwiefern sie von den Figuren als Übermittler von Botschaften eingesetzt werden. Gradmesser sind dann kulturelle Rahmungen. Illustrieren lässt sich dies am oben erwähnten Beispiel des Stratordiensts Siegfrieds gegenüber Gunther: Indem sich Siegfried ‹ bewusst › hinter Gunther stellt und dessen Pferd vom Schiff an den Strand führt, um Brünhild die Rangverhältnisse anzuzeigen, wird der Zügeldienst auf der Handlungsebene unterscheiden. Alltagsweltlicher Ausdruck sei als primäre Ebene und textuelle Repräsentation als sekundäre Ebene der Codierung auseinanderzuhalten (Schnell, Historische Emotionsforschung, S. 177). Schnells Unterscheidung entspricht in etwa Roland Barthes Unterscheidung zwischen primären und sekundären semiologischen Systemen, auf die in Kapitel I.2.2 eingegangen wird. 53 Vgl. Koch, Trauer und Identität, S. 55. 54 Vgl. Koch, Trauer und Identität, S. 52 f. 55 So auch Müller, Visualität, S. 132. 23 Theoretische Vorüberlegungen als intentionales, geformtes Zeichen inszeniert. Jedoch lässt sich Siegfrieds Zügeldienst gegenüber Gunther auch unabhängig von dessen Encodierung durch die Figuren des Textes als arbiträres Zeichen bestimmen, insofern nämlich, als in der mittelalterlichen Adelskultur Gesten des Vortritts - wie der Zügeldienst, den ein Mann einem anderen leistet - in Hinblick auf die Darstellung von Rangordnungen codiert sind. Das heißt, der Hörer des ‹ Nibelungenlieds › könnte Siegfrieds Stratordienst gegenüber Gunther auch dann als Darstellung von dessen Untergebenheit auffassen, wenn die Botschaft, die mit dieser Handlung gesendet wird, auf der Textebene nicht expliziert würde. 2.1 Analysekategorien: Beobachterposition, Zeichentypus, Textebene Als Konsequenz aus diesen Überlegungen ergibt sich ein semiotischer Ansatz, der Müllers und Kochs Ansätze miteinander verbindet. Denn wenn man mit Koch von der Frage ausgeht, wie nonverbale Erscheinungen in narrativen Prozessen zu Trägern von Bedeutung werden können, dann müssen neben textinternen Verfahren der Codierung auch textexterne Faktoren berücksichtigt werden, die an der Zeichenbildung beteiligt sind. Um diese beiden Ebenen zu erfassen und auseinanderzuhalten, ist es erforderlich, die von Müller vorgeschlagenen Kategorien ‹ Beobachterposition › und ‹ Zeichentypus › einzubeziehen, wobei einige Differenzierungen des Begriffinventars erforderlich sind. Hinzu kommt die Kategorie der ‹ Textebene › . Der Unterscheidung zwischen textinternem und -externem Beobachter, die Müller zur Verdeutlichung des Umstands dient, dass die Akteure der Geschichte zwar lediglich einen Teil des Erzählten als Zeichen wahrnehmen, dass aber für den Rezipienten des Textes (aufgrund der sprachlichen Vermittlung des Dargestellten) alles Zeichen ist, ist zwar grundsätzlich zuzustimmen, jedoch setzt sie (unausgesprochen) bestimmte Annahmen über den Rezipienten des Textes voraus, die in die Reflexion einbezogen werden müssen. Denn - um noch einmal auf das oben angeführte Beispiel aus dem ‹ Nibelungenlied › zurückzukommen - damit die Pointe der Szene für den textexternen Beobachter verstehbar ist, reicht es freilich nicht, dass dieser das linguistische System beherrscht, sondern er muss auch über ein kulturelles Wissen verfügen, das ihm ermöglicht, erstens die kulturelle Codiertheit der nonverbalen Phänomene im Text (Stratordienst / Siegfrieds Körpergestalt) zu erkennen und zweitens ihre Bedeutungsangebote zu realisieren, um drittens dann das Ineinandergreifen von Täuschungsversuch und ‹ Fehldeutung › auf Figurenebene zu begreifen. Müllers Aussage, wonach die Inszenierungen in dieser 24 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Szene für den textexternen Beobachter alle ‹ lesbar › sind, 56 setzt Annahmen über den Beobachter voraus, die sich mit Wolfgang Isers Konzept vom ‹ idealen Leser › fundieren lassen. 57 Der textexterne Beobachter wäre dann eine durch Abstraktion des empirischen Beobachters gewonnene Idealvorstellung eines Beobachters, der die kulturellen Codes so umfassend beherrscht, dass es ihm möglich ist, zu erkennen, inwiefern ein im Text dargestelltes nonverbales Phänomen (Geste, Körper, Kleidungsstück, Nahrungsmittel usw.) kulturell codiert ist und welcher Art diese Codes sind. In diesem Sinn wird die Kategorie des textexternen Beobachters in der vorliegenden Arbeit verwendet. Hinsichtlich Müllers Kategorie des textinternen Beobachters sind ebenfalls Differenzierungen erforderlich. Denn nicht alle textinternen Instanzen sind Beobachter gleicher Ordnung. Vielmehr muss unterschieden werden zwischen den Figuren, die an der dargestellten Handlung unmittelbar beteiligt sind - als den Beobachtern ersten Grades - , und z. B. textinternen Figurationen des Erzählers oder des Publikums - als den Beobachtern zweiten Grades - , die die Beobachter ersten Grades ihrerseits beobachten, indem sie die Handlung aus narrativer Distanz wiedergeben, sie kommentieren, bewerten usw. 58 Diese Perspektiven können insofern differieren, als der Beobachter zweiten Grades (z. B. der Erzähler) etwas in der erzählten Welt ‹ Gesehenes › als Zeichen interpretieren kann, ohne dass dies auf der Ebene der darin anwesenden, handelnden Figuren als Zeichen thematisiert wird. 59 Entsprechend dieser Aufspaltung der textinternen Beobachterposition in Beobachter ersten und zweiten Grades wird der textexterne Beobachter in der vorliegenden Arbeit als Beobachter dritten Grades bezeichnet. Für die Untersuchung der Zeichenhaftigkeit von nonverbalen Erscheinungen in literarischen Texten ist abgesehen von der Unterscheidung unterschiedlicher Beobachterpositionen die zwischen unterschiedlichen Zeichentypen von Belang. Müllers Vorschlag, mit Augustinus zwischen natürlichen, nicht-intentionalen und ‹ gegebenen › , intentionalen Zeichen (signa naturalia versus signa data) zu differenzieren, greift für die vorliegende Untersuchung zu kurz. Das zeigt bereits die oben angeführte Szene ‹ Minneanbahnung zwischen 56 Vgl. Müller, Visualität, S. 130. 57 Vgl. Iser, Wolfgang: Die Appellstruktur der Texte, in: Warning, Rainer (Hg.): Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München 1975, S. 228 - 252. 58 Zur Diskussion des Erzähler-Begriffs in Bezug auf Wolframs ‹ Parzival › vgl. Kapitel IV. 2.1.3. 59 Das ist z. B. im oben angeführten Textbeispiel II der Fall, wo der Erzähler Antikonies Körpergestalt mit einem Hasen am Bratspieß vergleicht und sie damit mit bestimmten Bedeutungspotenzialen versieht, die von den Figuren innerhalb der erzählten Welt (z. B. Gawan) nicht ‹ registriert › bzw. nicht thematisiert werden. 25 Theoretische Vorüberlegungen Gahmuret und Belakane › (Textbeispiel I) aus dem ‹ Parzival › , in der sich die Zeichenrelationen zwischen den an der Minnehandlung beteiligten Akteuren (Gahmuret / Belakane) und den aufgetragenen Speisen (Reiher / Fisch) beim besten Willen nicht mit den Kategorien intentional / nicht-intentional erfassen lassen. Vielmehr basieren sie auf Ähnlichkeitsrelationen, die im Geist des Betrachters analoge Empfindungen erregen und damit den Zeichenbildungsprozess in Gang setzen können. Um solche auf Abbildungsverhältnissen basierenden Zeichenrelationen erfassen zu können, wird auf die neuzeitliche Zeichentypologie Charles Sander Peirce ’ zurückgegriffen, deren analytischer Mehrwert darin besteht, dass sie, anders als die augustinische, nicht von zwei Zeichentypen ausgeht, sondern symbolische und indexikalische Zeichen von einer dritten Kategorie, den ikonischen Zeichen, abgrenzt. 60 Peirce ’ Kategorie der symbolischen Zeichen entspricht ihrer Definition nach weitgehend dem, was Augustinus als signa data bezeichnet, mit dem Unterschied allerdings, dass als Kriterien für das Symbol nicht nur Arbitrarität und Konventionalität gelten, sondern zusätzlich auch Gesetzmäßigkeit und Gewohnheit. 61 Beispiele dafür sind Wörter, Bilder oder gestische Ausdrucksformen. Die indexikalischen Zeichen wiederum weisen sich nach Peirce dadurch aus, dass sie auf etwas verweisen, das ihre Ursache bildet, wie z. B. ein Symptom auf eine Krankheit. Ihre Definition ist damit weitgehend deckungsgleich mit der augustinischen Kategorie der natürlichen Zeichen (signa naturalia). Auch für Peirce bilden Zeichen und Objekt beim Index ein organisches Paar, wobei der Interpret mit dieser Verbindung nichts zu tun hat, außer dass er sie bemerkt, nachdem sie hergestellt ist. 62 Anders als Augustinus betont Peirce jedoch, dass die Verbindung zwischen Zeichen und Objekt beim Index nicht immer natürlich sein muss, sondern auch künstlich oder bloß mental sein kein. 63 Bei den ikonischen Zeichen sodann handelt es sich weder in erster Linie um konventionalisierte Zeichen noch um willkürlich geschaffene, sondern um solche, die durch eine strukturelle Ähnlichkeit unmittelbar eine Relation zu einem Objekt herstellen. In diesem Fall repräsentiert das Zeichen das von ihm bezeichnete Objekt aufgrund der Gemeinsamkeit an Merkmalen, Formen oder Eigenschaften, aufgrund von Analogie, Isomorphie oder der Gleichheit des Eindrucks, den es 60 Vgl. grundsätzlich zu Peirce ’ Zeichentheorie: Peirce, Charles Sanders: Semiotische Schriften. Drei Bände. Übers. u. ed. v. Christian Kloesel u. Helmut Pape, Frankfurt a. M. 1986 - 1993; vgl. ferner Nöth, Handbuch der Semiotik, S. 178 - 198. Zur dreistelligen Relation zwischen Zeichen, Objekt und Interpretant vgl. Kapitel I.2.2. 61 Vgl. Nöth, Handbuch der Semiotik, S. 179 f. 62 Vgl. Nöth, Handbuch der Semiotik, S. 185. 63 Vgl. Nöth, Handbuch der Semiotik, S. 185. 26 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären beim Interpreten in Bezug auf das Objekt hervorruft. Hierzu zählen Gemälde, Photographien, Piktogramme, Grafiken, aber auch Metaphern. 64 Unter die auf Peirce zurückgehende Einteilung fallen Möglichkeiten der Bezeichnung, bei denen alimentäre Handlungen und Objekte als Verweisungszeichen von Minne fungieren. Dabei schließen sich die unterschiedlichen Zeichenarten gegenseitig nicht aus, sondern sie sind grundsätzlich an jedem Zeichenbildungsprozess beteiligt, wobei Peirce ’ Typologie darauf beruht, dass ein Zeichen jeweils nach seinem dominierenden Aspekt benannt wird. 65 Wie jede Theorie in gewisser Weise das beobachtete Phänomen unterbietet, so wird sich auch hier zeigen, dass mit Hilfe der peirceschen Kategorien nicht alle Zeichenrelationen zwischen Nahrungs- und Minnehandeln erfasst werden können. Die Kategorien dienen als Ausgangsbasis für weitere Differenzierungen. Gänzlich durch das Raster der peirceschen Zeichentypologie fällt allerdings eine Gruppe von Textphänomenen, nämlich Erscheinungen innerhalb der erzählten Welt (Gegenstände, Gesten, Handlungen), die für die Figuren des Textes gar nicht (oder nicht in erster Linie) als Verweisungszeichen fungieren, sondern in denen etwas Abwesendes ‹ anwesend › ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn ein kulinarisches Objekt (wie ein selbstgebackener Kuchen) für den textinternen Beobachter einen personalen Identifikationswert erlangt, indem es für ihn Aspekte des Minnegeschehens (z. B. den abwesenden Minnepartner oder ein vergangenes Ereignis) vergegenwärtigt. Dabei sind unterschiedliche Abstufungen zwischen einer bloßen Erinnerung und einer ‹ magischen › Präsenz des faktisch Abwesenden möglich. 66 Im ersten Fall kann man im peirceschen Sinne von einem Verweisungszeichen sprechen, im zweiten Fall aber, in dem das Anwesende das Abwesende quasi ‹ verkörpert › , wäre das Zeichen (als assoziative Gesamtheit von Signifikant und Signifikat) dagegen treffender als ‹ Anwesenheitszeichen › zu definieren. Solche Phänomene werden, der wissenschaftlichen Konvention folgend, als ‹ Präsenzsymbole › bezeichnet. 67 64 Vgl. Nöth, Handbuch der Semiotik, S. 195. 65 Oehler, Klaus: Charles Sander Peirce, München 1993, S. 87. 66 Vgl. zu diesem Aspekt in Bezug auf die Semiotik von Liebesgaben Lieb, Ludger: Kann denn Schenken Sünde sein? Liebesgaben in Literatur und Kunst von Ovid bis zum Gothaer Liebespaar (um 1480), in: Kehnel, Annette (Hg.): Geist und Geld, Frankfurt a. M. 2009 (Wirtschaft und Kultur im Gespräch 1), S. 185 - 218, hier S. 188. 67 Zur Gegenüberstellung der Begriffe ‹ Verweisungszeichen › und ‹ Präsenzsymbol › vgl. Gumbrecht, Hans-Ulrich: Ten Brief Reflections on Institutions and Re/ Presentation, in: Melville, Gert (Hg.): Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart. Hg. im Auftrag des Sonderforschungsbereichs 537, Köln/ Weimar u. a. 2001, S. 69 - 76, sowie Rehberg, Karl-Siegbert: Weltrepräsentanz und Verkörperung. Institutionelle Ana- 27 Theoretische Vorüberlegungen Die Unterscheidung schließlich zwischen unterschiedlichen Textebenen ist für die Untersuchung der Zeichenrelationen von Nahrungs- und Minnethematik in mehrfacher Hinsicht von Belang. Sie ermöglicht einerseits zu bestimmen, ‹ wo › der Beobachter und ‹ wo › das beobachtete Objekt situiert sind, und andererseits, von ‹ wo › aus der Grad der Intentionalität und Geformtheit eines Zeichens gemessen wird. Dabei muss innerhalb des Textes grundsätzlich zwischen der Ebene der histoire und der des discours unterschieden werden. Als Ebene der histoire wird mit Gérard Genette «die Abfolge der realen oder fiktiven Ereignisse, die den Gegenstand [der] Rede ausmachen, und ihre unterschiedlichen Beziehungen zueinander» aufgefasst. 68 Erzählanalyse, auf diese Ebene bezogen, bedeutet, «dass man einen Komplex von Handlungen und Situationen untersucht, die für sich selbst betrachtet werden, ohne Rückgriff auf das sprachliche oder sonstige Medium, das uns über sie unterrichtet». 69 Die Ebene des discours dagegen ist die Ebene der literarischen Vermittlung der Geschichte. 70 Hier geht es im Wesentlichen um die Untersuchung der Verknüpfungsformen zwischen histoire und discours sowie der sprachlichen und stilistischen Darstellungsmittel. 71 Hinzu kommt die textexterne Ebene, die insbesondere für die Frage nach dem Grad der Intentionalität und Geformtheit eines Zeichens im Text relevant ist. Dies ist die Ebene des kulturellen Kontexts, zu dem all jene Kategorien gehören, mit denen eine Gesellschaft sich selbst und die Wirklichkeit interpretiert, das heißt, ihre Werte, ihre Konventionen, ihre Normen, ihre Ideen. 72 lyse und Symboltheorien - Eine Einführung in systematischer Absicht, in: Melville, Institutionalität und Symbolisierung, S. 3 - 52. 68 Vgl. Genette, Gérard: Die Erzählung. 3., durchges. u. korr. Aufl. Übers. v. Andreas Knopp. Mit e. Nachwort v. Jochen Vogt. Überprüft u. berichtigt v. Isabel Kranz, München 2010, S. 11. Genette verwendet für diese Ebene des Textes auch die Begriffe ‹ Handlung › , ‹ Signifikat › sowie ‹ narrativer Inhalt › . Zur erzähltheoretischen Unterscheidung zwischen histoire und discours vgl. auch Martinez, Matias: Art. ‹ Plot › , in: Fricke, Harald (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Gemeinsam mit Georg Braungart, Klaus Grubmüller u. a. Bd. III. P-Z, Berlin/ New York 2003, S. 92 - 94. 69 Genette, Die Erzählung, S. 11. 70 Vgl. Genette, Die Erzählung, S. 11. Auch für diese Textebene verwendet Genette unterschiedliche Begriffe, neben discours auch ‹ Signifikant › , ‹ Aussage › sowie ‹ Erzählung › . 71 Vgl. Genette, Die Erzählung, S. 13. 72 Vgl. Posner, Kultursemiotik, S. 53. 28 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Diese Ebene wird, entsprechend der kultursemiotischen Ausrichtung der Arbeit, als Ebene der ‹ Mentefakte › bezeichnet. 73 Um die bisherigen Überlegungen für die Interpretation des ‹ Parzival › anwendbar zu machen, gilt es nun, zu klären, inwiefern textexterne und -interne Faktoren an der Zeichenbildung (sprachlich vermittelter) nonverbaler Phänomene, wie der Nahrungsthematik, in einem literarischen Text beteiligt sind, und was genau unter solchen Faktoren zu verstehen ist. 2.2 Textexterne Faktoren der Zeichenbildung Es gehört zu den Grundannahmen der Kulturanthropologie, dass die Welt nicht aus zwei sich wechselseitig ausschließenden Arten von Dingen besteht - aus Zeichen und Nichtzeichen - oder, anders gesagt, aus einer Art von Dingen, die eine Bedeutung haben, und einer Art von Dingen, die keine Bedeutung haben. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass es überhaupt keine bedeutungslosen Dinge gibt. 74 Eine zentrale Frage, die sich jedoch stellt, ist die nach den Bedingungen, unter denen nonverbale Phänomene der sozialen Wirklichkeit bedeutsam werden können. 75 Ausgangspunkt der jüngeren sprach- und kulturwissenschaftlichen Forschung ist die Erkenntnis, dass solche Erscheinungen nicht mit denselben semiotischen Verfahren zu analysieren sind wie Sprache, 76 da sich die beiden Bereiche in einem Punkt grundsätzlich 73 Im Gegensatz zum Artefakt, bei dem das physisch greifbare Objekt gemeint ist, steht beim Mentefakt der geistige Inhalt im Mittelpunkt. Mentefakte können ohne Informationsverlust reproduziert werden, da ihre Bedeutung nicht in der Materialität liegt, sondern in den enthaltenen Informationen (vgl. Posner, Kultursemiotik, S. 53). 74 Vgl. Oehler, Klaus: Idee und Grundriß der Peirceschen Semiotik, in: Zeitschrift für Semiotik 1 (1979), S. 9 - 22, hier S. 17. 75 Vgl. u. a. Enninger, Werner: Kulinarisches Verhalten als zeichenhaftes Handeln. Eine sozialsemiotische Fallstudie der Amischen, in: Zeitschrift für Semiotik 4 (1982), S. 385 - 422; Enninger, Werner: Auf der Suche nach einer Semiotik der Kulinarien. Ein Überblick über zeichenorientierte Studien kulinarischen Handelns, in: Zeitschrift für Semiotik 4 (1982), S. 319 - 335; ferner: Stollberg-Rilinger , Symbolische Kommunikation. 76 Vgl. Enninger, Kulinarisches Verhalten; Enninger wendet sich gegen die mageren semantischen Resultate der an der Linguistik orientierten Versuche der Erstellung eines semiotischen Modells für kulinarisches Handeln u. a. von Claude Lévi-Strauss (The culinary triangle, in: Partisan Review 33 [1966], S. 586 - 595) und Roland Barthes (Elemente der Semiologie. Aus dem Franz. v. Eva Moldenhauer, Frankfurt 29 Theoretische Vorüberlegungen unterscheiden: Während sprachliches Handeln immer Zeichenfunktion hat, fungieren soziale Handlungen und Objekte nur partiell als Zeichen. 77 Barbara Stollberg-Rilinger profiliert diesen Aspekt, indem sie soziales Handeln zunächst in Hinblick auf seine symbolisch-expressiven und instrumentellen Dimensionen beleuchtet und symbolische Kommunikation (Kommunikation anhand von Zeichen visueller, gegenständlicher, gestischer Art) anschließend in Abgrenzung zu begrifflich-abstrakter, diskursiver Kommunikation definiert. 78 Ihren Ausführungen zufolge weisen soziale Handlungen in der Regel sowohl eine symbolische als auch eine instrumentelle Dimension auf; wobei sich instrumentelles Handeln als ein Handeln definieren lässt, das einen bestimmten Zweck verfolgt, der außerhalb der Handlung selbst liegt und diese steuert, während symbolisches Handeln Sinn stiftet und sich nicht in der Erreichung eines bestimmten Zwecks erschöpft. Das heißt, der Sinn einer symbolisch-expressiven Handlung liegt schon im Vollzug der Handlung selbst. So dient z. B. das Tragen einer Waffe in instrumenteller Hinsicht der Möglichkeit, sich mit Gewalt zu verteidigen, und dieser Zweck steuert die Wahl des Mittels, indem er bestimmte instrumentelle Anforderungen an diese Waffe stellt. In symbolisch-expressiver Hinsicht hingegen dient das Tragen der Waffe der sozialen Identifikation ihres Trägers als Mitglied einer Gruppe oder Inhaber einer Rolle, dem Ausdruck eines bestimmten Habitus usw. 79 Der Sinn erfüllt sich dabei schon im Tragen der Waffe selbst und nicht erst dann, wenn sie tatsächlich zum Einsatz kommt. 80 An dem Beispiel ist zu sehen, dass es eine Frage der Einstellung ist, welche Dimension - die instrumentelle oder die symbolische - der Betrachter wahrnimmt. 81 Soziales Handeln, wie das Tragen einer Waffe, muss vom Betrachter nicht unbedingt als Zeichen für etwas Anderes wahrgenommen werden, da es außerhalb des Zeichenprozesses eine instrumentelle Funktion hat. Es trägt jedoch das Potenzial in sich, zeichenhaft über sich selbst hinauszuweisen. Dieses Potenzial schreibt sozialen Handlungen und Objekten einen Mitteilungscharakter ein und damit die Möglichkeit, kommunikativ zu werden. a. M. 1979 [Erstdruck 1965]). So auch Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation. 77 Vgl. Enninger, Kulinarisches Verhalten, S. 386 - 388; Enninger, Semiotik der Kulinarien, S. 322 - 325; Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 496 - 502. 78 Vgl. Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 496 - 500. 79 Vgl. Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 498. 80 Vgl. Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 498. 81 Die Möglichkeit, zwischen diesen Einstellungen frei zu wählen, stellt ein Problem dar, das nicht in die Semiotik fällt. Sie hängt von der konkreten Situation des Subjekts ab (vgl. Barthes, Roland: Mythen des Alltags, 2. Aufl., Berlin 2013 [Erstdruck unter dem Titel: Mythologies 1957]). 30 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Solche Kommunikation mittels Symbolen ist strukturell abzugrenzen von begrifflich-abstrakter Kommunikation, die an Sprache gebunden ist, denn: «Während begriffliche, diskursive Kommunikation sich in zeitlich aufeinanderfolgenden Aussagesequenzen vollzieht, also im wörtlichen Sinn ‹ prozeduralen › Charakter hat, aufgrund syntaktischer Verknüpfungsregeln hoch komplexe und abstrakte Aussagen ermöglicht und grundsätzlich auf Eindeutigkeit zielt, ist symbolische Kommunikation momenthaft-verdichtet, sinnfällig, mehrdeutig und unscharf, läßt also mehr Spielraum für unterschiedliche Assoziationen und Bedeutungszuschreibungen.» 82 Über die Frage nach den Voraussetzungen für das Bedeutsam-Werden nonverbaler Phänomene herrscht in der jüngeren Forschung Einigkeit darin, dass die Zeichenhaftigkeit pragmatisch organisiert ist, das heißt durch die Markiertheit in Bezug auf einen bestimmten Deutungsrahmen. 83 Solche Deutungsrahmen, die in den Bereich der Mentefakte gehören, können kulturspezifische Konventionen, Ideologien, diskursiv gesetzte Normen und Werte sein. So ist z. B. der Schweinefleischkonsum eines Christen nicht signifikant, weil hier keine Konvention gilt. Der explizite Verzicht eines Moslems auf Schweinefleisch dagegen ist signifikant, weil aufgrund des herrschenden Tabus damit seine Mitgliedschaftskategorie angezeigt wird. Voraussetzung für das Bedeutsam-Werden dieser (unterlassenen) Handlung ist, dass ein Beobachter vorhanden ist, der sie mit Rekurs auf dieselbe Konvention als Zeichenkörper rezipiert und interpretiert. 84 Das heißt: Damit nonverbale Phänomene wie alimentäre Handlungen und die darin einbezogenen Objekte und Personen als Zeichenträger fungieren können, müssen sie beim Beobachter eine Interpretation hervorbringen können. Dies ist nur möglich, wenn die nonverbale Erscheinung von einem dritten Element vermittelt wird, sodass sie für den Beobachter, wenn auch in momenthaft-verdichteter Form, tatsächlich etwas Anderes repräsentiert. Dieses dritte Element ist das System, in dem das Zeichen zu verstehen ist. 82 Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 499. 83 Vgl. Posner, Kultursemiotik, S. 39 - 43. Grundlage hierfür ist Peirce ’ Zeichentheorie. Denn anders als bei Ferdinand de Saussure, für den das Zeichen Element eines Systems ist, das sich durch seine bloße Opposition oder Differenz zu anderen Elementen des Zeichensystems konstituiert, ist das Zeichen bei Peirce nicht als ein statisches Objekt definiert, sondern als eine dreistellige Relation zwischen einem Mittel, also dem materiellen Zeichen, einem Objekt, auf das sich das Zeichen bezieht, und einem Interpretanten, als dem System, in dem das Zeichen zu verstehen ist. Die Theorie begreift das Zeichen somit als eine triadische Relation, die einen dynamischen Prozess der Interpretation auslöst (vgl. Nöth, Winfried: Handbuch der Semiotik. 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl., Stuttgart/ Weimar 2000, S. 62). 84 Vgl. Enninger, Kulinarisches Verhalten, S. 403. 31 Theoretische Vorüberlegungen «Es ist dasjenige Element des Zeichens, das das Zeichen [für den Interpreten] zu einem Phänomen der Konvention, der Auslegung, der Gesellschaftlichkeit macht». 85 Solche auf Konventionen beruhenden Systeme von Signifikant- Signifikat-Zuordnungen werden als kulturelle Codes bezeichnet. 86 Nonverbale Phänomene gewinnen demnach an Bedeutung, wenn ein Interpret vorhanden ist, der sie in Hinblick auf die kulturellen Codes, die die Mitglieder einer Gesellschaft miteinander gemeinsam haben, interpretiert. 87 Wie aber verhält es sich nun mit (sprachlich vermittelten) nonverbalen Erscheinungen, wie eben alimentären Handlungen und Objekten, in einem literarischen Text? - Darüber dass kulturelles Wissen an den Zeichenbildungs- 85 Oehler, Idee und Grundriß, S. 17. 86 Ich folge hier der in der Kultursemiotik üblichen Definition des Begriffs (vgl. Posner, Kultursemiotik, S. 53). 87 Wenn aber soziale Handlungen und Objekte vor dem Hintergrund kollektiver Werte- und Normsysteme zu Zeichenträgern werden, dann heißt das zugleich auch, dass solche Erscheinungen gesellschaftliche Werte und Normen für den Betrachter in momenthaft verdichteter und sinnlich wahrnehmbarer Form verkörpern und sichtbar machen, oder anders gesagt: präsent machen (vgl. Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 505). Und genau darin liegt die Leistungskraft des Symbolischen für die Ordnung der sozialen Welt. Symbolisierungen strukturieren die empirische Wahrnehmung der sozialen Welt, sie motivieren und orientieren das Handeln, stabilisieren normative Erwartungen und vergegenwärtigen kollektive Werte (vgl. Schütz, Alfred: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie, Frankfurt a. M. 6 1993; in dieser Tradition: Berger, Peter Ludwig/ Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a. M. 5 1977 [1966 engl./ 1969 dt.]). In vormodernen Gesellschaften, in denen die Integration des Gemeinwesens in einem hohen Maße durch Interaktion, das heißt durch persönliche Kommunikation unter Anwesenden, erfolgte, hatten solche Symbolisierungen einen ungleich höheren Stellenwert als in modernen Gesellschaften (vgl. Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 518 f.). In dem Maße, in dem es einen nur geringen formalen Organisationsgrad von Herrschaft gab, bedurfte die Verfasstheit des Ganzen der stets erneuten demonstrativen Aktualisierung (vgl. Wenzel, Höfische Repräsentation, S. 10 - 20, sowie Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 514). Neuere Ansätze zu einer Theorie des Hofs gehen davon aus, dass der mittelalterliche Hof, der sich rechtlich und personell als uneinheitliches, nicht scharf umreißbares Gebilde darstellt, seine Identität durch symbolische Vermittlung erlangte (vgl. ausführlich hierzu Kapitel II.2 Anm. 57 sowie Melville, Gert: Agonale Spiele in kontingenten Welten. Vorbemerkungen zu einer Theorie des mittelalterlichen Hofes als symbolischer Ordnung, in: Butz, Reinhardt/ Hierschbiegel, Jan u. a. [Hgg.]: Hof und Theorie. Annäherungen an ein historisches Phänomen, Köln/ Weimar u. a. 2004 [Norm und Struktur 22], S. 179 - 202). 32 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären prozessen in literarischen Texten mitwirkt, dass also die Generierung von Sinn immer auch pragmatisch organisiert ist, herrscht in der aktuellen fachinternen Debatte Einigkeit. 88 Dies gilt sowohl in produktionsästhetischer als auch in rezeptionstheoretischer Hinsicht. Denn einerseits verdanken sich die Darstellungen in literarischen Texten dem kulturellen Wissen und der kulturellen Praxis ihrer Verfasser, andererseits wird die Rezeption der Texte durch das Wissen und die praktische Erfahrung der Rezipienten gesteuert. 89 Einigkeit herrscht auch darüber, dass aus einer nachträglichen (Wissenschafts-)Perspektive zwar etwas über die sinnstiftende Funktion von (historischem) Wissen für literarische Darstellungen gesagt werden kann, nicht aber über die von kultureller Praxis, da Informationen über die kulturellen Kontexte eines mittelalterlichen Textes ihrerseits aus Texten gewonnen werden müssen (historiografische, didaktische Texte usw.) und Texte bekanntlich ‹ Realität › nie eins zu eins abbilden, sondern ausschließlich historische Vorstellungen davon vermitteln. 90 Die Frage, die sich für die vorliegende Untersuchung jedoch stellt, ist: Wie lässt sich erfassen, welches kulturelle Wissen an der Zeichenbildung eines nonverbalen Phänomens (Handlung / Objekt / Körper) in einem mittelalterlichen Erzähltext mitwirkt? Zur Veranschaulichung des Problems sei ein plakatives Beispiel herangezogen: Wenn in einem literarischen Text von ‹ Brot-Brechen › oder ‹ Brot-Teilen › die Rede ist, so ist es jedem Leser oder Hörer unbenommen, die Textstelle als Anspielung auf die Eucharistie aufzufassen und sie in Hinblick auf das christliche Abendmahl zu deuten. Nun gehört es aber zu den Grundregeln der Hermeneutik, dass eine Interpretation dann an Plausibilität gewinnt, wenn der Text Anhaltspunkte bietet, die diese Interpretation stützen. 91 Beim vorliegenden Beispiel wäre das dann der Fall, wenn die biblische Erzählung in irgendeiner Weise auf Textebene als Deutungsrahmen markiert wäre. Ist dies nicht der Fall, stellt sie lediglich einen möglichen 88 Vgl. zusammenfassend Mohr, Jan: Rezension zu Elke Koch, Trauer und Identität, in: Arbitrium 28/ 3 (2010), S. 275 - 278. 89 Vgl. Mohr, Rez. zu Koch, Trauer und Identität, S. 275 - 278. 90 Vgl. Mohr, Rez. zu Koch, Trauer und Identität, S. 275 - 278. Neben Texten liefern freilich auch archäologische Funde Informationen über die kulturellen Praktiken des Mittelalters. Für die Ess- und Trinkkultur des Mittelalters hat Anne Schulz den Versuch unternommen, das Verhältnis zwischen ‹ Idealität › und ‹ Realität › zu erkunden, indem sie literarische Zeugnisse mit zeitgenössischen Illustrationen, Plastiken und archäologischen Funden vergleicht (vgl. Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter [1000 - 1300]). Die Ergebnisse dieser Arbeit werden in die vorliegende Studie der Nahrungsthematik im ‹ Parzival › einbezogen. 91 Vgl. Weimar, Klaus: Art. ‹ Hermeneutik 1 › , in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. II. H-O, Berlin/ New York 2000, S. 25 - 29. 33 Theoretische Vorüberlegungen semantischen Rahmen dar, in Bezug auf den sich mögliche Interpretationen des Textes ergeben. Das heißt, die Frage nach kulturellen Codierungen von nonverbalen Erscheinungen verschiebt sich, wenn es um Phänomene in einem literarischen Text geht, auf die Ebene des Textes selbst. Denn sie läuft letztlich immer auf die Frage nach Markierungen von (kulturellen) Deutungsrahmen auf der Ebene des Textes hinaus. Die Intertextualitätsforschung spricht in diesem Zusammenhang von Systemreferenzen, wenn es um die Beziehung zwischen einem Text und allgemeinen Textsystemen geht, und von Einzeltextreferenzen, wenn es um den Bezug zu einem bestimmten Text geht. 92 Dabei verfügen Texte sowohl über explizite als auch über implizite Möglichkeiten der Markierung von semantischen Rahmen. Eine explizite Markierung liegt dann vor, wenn der Anspielungshorizont von den Figuren des Textes (Erzähler / Akteure innerhalb der erzählten Welt) direkt angesprochen wird; wenn also z. B. der Erzähler des ‹ Parzival › die Früchte, die Parzival auf der Gralsburg von einer Jungfrau serviert werden, als der art von pardîs (V. 244,16) bezeichnet. Die Sündenfallthematik und die damit verbundenen Codierungen von Sünde und Verführung, von Essen und Erkennen werden hier explizit als Deutungsrahmen aufgerufen. Um eine implizite Markierung handelt es sich dagegen, wenn kulturelles Wissen als Handlungswissen der Figuren des Textes entfaltet wird. Ein Beispiel dafür ist die Szene in Buch III des ‹ Parzival › , in der Orilus in das Zelt seiner Frau Jeschute zurückkehrt und dort die zerwühlten Bettlaken sieht. Er unterstellt Jeschute Ehebruch und verstößt sie von Tisch und Bett (V. 136,23 - 30). In dieser Szene wird eine mittelalterliche Rechtspraktik, die separatio quoad thorum et mensam, als Handlungswissen einer Figur innerhalb der erzählten Welt entfaltet und der Rechtsdiskurs damit implizit als Deutungsrahmen aufgerufen. Die Szene lässt sich mit Rekurs auf diesen Deutungsrahmen als Scheidung der Eheleute interpretieren. Eine andere Möglichkeit der impliziten Markierung besteht darin, dass die im Text dargestellten nonverbalen Erscheinungen in einen Erzählzusammenhang eingebunden sind, der einen bestimmten Deutungsrahmen evoziert. Dies ist z. B. bei Lârîes ‹ Wunderbrot › im ‹ Wigalois › der Fall. Nachdem der Gottesstreiter Wigalois in einer feierlichen Zeremonie von einem Priester für den Kampf gesegnet wurde, 93 lässt ihm seine Minnedame, Lâriê, zum Abschied ein Brot zukommen, dessen bloße Berührung den Appetit zügelt, während bereits 92 Vgl. Broich, Ulrich: Art. ‹ Intertextualität › , in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. II. H - O, S. 175 - 179, hier S. 176. 93 Vgl. ‹ Wigalois › , zitiert nach: Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text, Übersetzung, Stellenkommentar. Text der Ausg. von J. M. N. Kapteyn. Übers., erl. u. mit einem 34 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären ein kleiner Bissen davon den Hunger für mindestens sieben Nächte zu stillen vermag ( ‹ Wigalois › V. 4467 - 4474). Die Semiose dieser Liebesgabe wird hier durch den narrativen Aufbau gesteuert. 94 Denn dadurch, dass Wigalois die Brotgabe in unmittelbarem Anschluss an seine Einsegnung im Morgengottesdienst empfängt, bei der noch dazu die Überreichung einer Reliquiengabe durch den Priester in auffälliger Weise fehlt (! ), 95 tritt sie an die Stelle der (ausbleibenden) Hostien-Gabe durch den Priester. Die zuvor aufgebaute und nicht erfüllte Erwartung einer konsekrierten Gabe wird so in Form eines Gewürzbrots, das Leben schenkt und dauerhaft zu erhalten vermag, aus der Hand der Geliebten eingelöst. Wenn auch hier die Eucharistie als Deutungsrahmen auf Textebene nicht explizit markiert ist, so klingen in der Brot-Gabe durch ihre Einbettung in einen Handlungszusammenhang, der den religiösen Kontext aufruft, doch heilsgeschichtliche Bedeutungsdimensionen an. Ein weiterer Aspekt, über den in der Forschung Einigkeit herrscht und der für die Frage nach kulturellen Codierungen von nonverbalen Erscheinungen in der höfischen Epik berücksichtigt werden muss, ist, dass kulturelle Rahmungen der Schrift nicht einfach vorausgehen, sondern sich in Auseinandersetzung mit ihr ausbilden. 96 Dies betrifft nicht nur ihre Ausdifferenzierung in Konkurrenz zur überlegenen klerikalen Schriftkultur, die prinzipiell über einen reichhaltigeren Bestand an differenziellen Zeichenordnungen verfügte, 97 sondern dieser Prozess setzt sich in der im 12. Jahrhundert an den deutschen Adelshöfen aufkommenden volkssprachigen Schriftlichkeit fort. 98 Denn während sich die frühen Formen der Verwaltung, die Anwendung des Rechts und der Theologie auf die lateinische Schrift stützen, entwickelt sich im Unterricht der Nachwort vers. v. Sabine Seelbach u. Ulrich Seelbach, Berlin/ New York 2005, hier V. 4375 - 4430. 94 Zu strukturellen Verfahren der Steuerung der Semiose vgl. Kapitel III.1.2. 95 Vgl. Fasbender, Christoph: Der ‹ Wigalois › Wirnts von Grafenberg. Eine Einführung, Berlin/ New York 2010, S. 173. 96 Vgl. Müller, Visualität, S. 132; Müller, Jan-Dirk: Ritual, pararituelle Handlungen, Geistliches Spiel. Zum Verhältnis von Schrift und Performanz, in: Wenzel, Horst/ Seipel, Wilfried u. a. (Hgg.): Audiovisualität vor und nach Gutenberg. Zur Kulturgeschichte der medialen Umbrüche, Wien 2001 (Schriften des Kunsthistorischen Museums 6), S. 63 - 73; Wenzel, Höfische Repräsentation, S. 10. 97 So Müller, Visualität, S. 132. 98 Zur Fiktionalität höfischer Literatur des 12. Jahrhunderts vgl. Haug, Walter: Die Entdeckung der Fiktionalität, in: Haug, Walter: Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Tübingen 2003, S. 128 - 144; Haug, Walter: Literaturgeschichte und Triebkontrolle. Bemerkungen eines Mediävisten zum sogenannten Prozeß der Zivilisation, in: Haug, Walter: Wahrheit der Fiktion, S. 603 - 615, hier S. 612. 35 Theoretische Vorüberlegungen Laien und im öffentlichen Raum des Hofes zunehmend auch die Volkssprache zum Medium aristokratischer Selbstdeutung. 99 Die höfische Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts entwirft Modelle von Hof und Hofgesellschaft, sie reflektiert ihre Normen und Wertvorstellungen und wirkt damit ihrerseits an der Modellierung kollektiver Bedeutungssysteme mit. 100 Hypothetisch gesprochen heißt das, dass eine alimentäre Handlung, wie z. B. das Vorschneiden von Speisen beim höfischen Festmahl, im sozialen Zusammenhang ein Zeichen der Ehrerbietung sein kann, die die am Mahl beteiligten Personen einander entgegenbringen. 101 Solche Symbolisierungen, die schon im sozialen Zusammenhang vorliegen, können in literarischen Texten ‹ aufscheinen › . Dadurch aber, dass der Gegenstand mittels Sprachzeichen (Sprachcode) konstituiert und in Hinblick auf bestimmte Handlungszusammenhänge mittels literarisch-ästhetischer Verfahren strukturiert ist (ästhetischer Code), verhält es sich bei sprachlich vermittelten Nahrungsakten so, dass das ‹ Objekt der Darstellung › gewissermaßen auf eine Ebene oberhalb der außersprachlichen Nahrungshandlungen, die ihrerseits durch die Metasprache von Konventionen und Diskursen organisiert sind, gehoben wird, indem es in einer zweiten Metasprache, der Literatursprache, durchleuchtet und so zur Diskussion gestellt wird. 102 Roland Barthes bezeichnet Sprache in diesem Zusammenhang als ein «sekundäres semiologisches System», das sich dadurch auszeichnet, dass das, was im ersten System Zeichen ist (also assoziative Gesamtheit von Signifikant und Signifikat), im zweiten einfacher Signifikant wird. 103 99 Vgl. Bumke, Höfische Kultur, S. 617 - 637. 100 Vgl. Schreiner, Klaus: ‹ Hof › (curia) und ‹ höfische Lebensführung › (vita curialis) als Herausforderung an die christliche Theologie und Frömmigkeit, in: Kaiser, Gert/ Müller, Jan-Dirk (Hgg.): Höfische Literatur, Hofgesellschaft, höfische Lebensformen um 1200. Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (3. bis 5. November 1983), Düsseldorf 1986 (Studia humaniora 6), S. 67 - 139, hier S. 67; Müller, Jan-Dirk: Die Fiktion höfischer Liebe und die Fiktionalität des Minnesangs, in: Hausmann, Albrecht (Hg.): Text und Handeln. Zum kommunikativen Ort von Minnesang und antiker Lyrik, Heidelberg 2004, S. 47 - 64; Wenzel, Höfische Repräsentation, S. 10 f. 101 Vgl. Bumke, Höfische Kultur, S. 256 f. 102 Bei diesen Überlegungen beziehe ich mich auf die textsemiotischen Modelle Roland Barthes (vgl. Barthes, Mythen des Alltags; Barthes, Elemente der Semiologie) und Gerhard Neumanns (Umrisse einer Kulturwissenschaft des Essens, in: Wierlacher, Alois/ Neumann, Gerhard u. a. [Hgg.]: Kulturthema Essen. Ansichten und Problemfelder, Berlin 1993 [Kulturthema Band 1], S. 383 - 445, hier S. 421). 103 Barthes, Mythen des Alltags, S. 258. 36 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Darstellungen von nonverbalen Phänomenen in der Literatur, in diesem Sinne aufgefasst, thematisieren, überformen und widerrufen bisweilen jene Zeichenbildungen, die schon im sozialen Handlungszusammenhang vorliegen. Soziales Handeln, Bedeutungsorganisation und Kritik solcher Bedeutungsorganisation treten in literarischen Darstellungen auf komplizierte Weise in Zusammenhang und in Auseinandersetzung. 104 Um diesen Aspekt zu erfassen, schlägt Gerhard Neumann vor, künstlerische Darstellungen von Essen und Trinken als «Probehandeln» aufzufassen, deren Funktion eben gerade nicht - wie im sozialen Sprachhandeln - darin besteht, «Organisation sozialer Aporien» (Lévi-Strauss) zu leisten und damit soziales Leben zu ermöglichen, sondern vielmehr darin, «Experimente anzustellen, die den Charakter von Sozialisationsspielen gewinnen». 105 Demnach treiben literarische Darstellungen von Nahrungshandlungen ebenjene Modelle auf die Spitze kritischer Erprobung und Infragestellung, die vom alltäglichen Nahrungsverhalten vorgegeben werden, und verwickeln damit die Strukturen und Zeichen, die sich im Nahrungshandeln andeuten, in ein ästhetisches Spiel von Dekonstruktion und Rekonstruktion. 106 Für die Literatur des Mittelalters können solche ‹ Sozialisationsspiele › freilich nicht eins zu eins erfasst werden, da wir, wie schon gesagt, keinen direkten Einblick in die kulturellen Praktiken des Mittelalters haben und damit nur schwerlich Aussagen über das Verhältnis zwischen Text und sozialem Kontext treffen können. Jedoch können anhand von Texten (und Bildern, Plastiken usw.), die das kulturelle Wissen der höfischen Gesellschaft des 12. und 13. Jahrhunderts speichern, anthropologische Implikationen, kulturelle Imaginationen und diskursiv gesetzte Normen und Werte, die die Semiotik des Alimentären organisieren, als Deutungsrahmen erarbeitet werden, um ein Instrumentarium zu gewinnen, das es zum einen ermöglicht, Markierungen von semantischen Rahmen im literarischen Text zu erkennen. Zum anderen kann vor dem Hintergrund historischer Diskursivierungen des Alimentären etwas über den prozessualen Charakter seiner Bedeutungsorganisation ausgesagt werden, indem sich textuelle Verfahren der Codierung von Nahrungsakten in einem literarischen Text auch als Bearbeitungen kulturspezifischer Symbolsysteme beschreiben lassen. In den Blick kommen dann spezifisch lusorisch-simulative Verfahren der Doppelbzw. Umcodierung. 104 Neumann, Umrisse einer Kulturwissenschaft des Essens, S. 421. 105 Neumann, Umrisse einer Kulturwissenschaft des Essens, S. 421. 106 Neumann, Umrisse einer Kulturwissenschaft des Essens, S. 421. 37 Theoretische Vorüberlegungen 2.3 Textinterne Verfahren der Zeichenbildung Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass an der Codierung von Nahrungsakten in literarischen Texten kulturspezifische Imaginationen, Konventionen, Normen und Werte stets mitwirken, dass man aber - wenn es um die Untersuchung von alimentären Codes in einem literarischen Text geht - auf die Ebene des Textes selbst verwiesen wird. Denn untersucht werden müssen hierbei textinterne Verfahren der Markierung von semantischen Rahmen, die die Semiose der Nahrungsakte im literarischen Text steuern. Da es im Folgenden nun aber insbesondere um die Frage nach der Semiotik solcher alimentärer Handlungen und Objekte geht, die im Kontext von Minne stehen, kommt noch ein ganz anderer Typus von Zeichenbildung in den Blick, der im Zusammenhang mit den eingangs aufgeführten Beispielen aus dem ‹ Parzival › (vgl. Kapitel I.1) bereits ersichtlich wurde: Die Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik auf struktureller Ebene des Textes kann beim Rezipienten eine Übertragung zwischen den Bereichen in Gang setzen, die den Zeichenbildungsprozess der an den Vorgängen beteiligten Akteure, Handlungen und Objekte anstößt. So sind Reiher und Fisch zwar Gerichte, die Gahmuret beim Begrüßungsmahl in Patelamunt serviert werden (vgl. Kapitel I.1), durch die syntaktische Konstruktion der Passage verweisen sie zugleich aber auch auf die am Mahl beteiligten Akteure, Gahmuret und Belakane, und lassen in dem sich anbahnenden Minneverhältnis zwischen den beiden naturhaft-animalische Bedeutungsdimensionen anklingen. Die tiefstliegende Ebene, auf der sich solche kultur- und zeitübergreifend zu beobachtenden Verbindungen von Essen, Trinken und Liebe in kulturellen Praktiken, in sprachlichen Wortfeldern und im künstlerischen Bereich erklären lassen, ist die physiologische Dimension des Gegenstandes. Denn aus biologischer Perspektive sind Nahrungs- und Sexualtrieb eng miteinander verwandt. Beide sind körperliche Vorgänge, die dem Prinzip ‹ Begehren / Erfüllung › unterworfen sind, und die sich durch besondere Heftigkeit des Verlangens auszeichnen. 107 Der eine Vorgang dient, technisch gesprochen, der Reproduktion des Individuums, der andere der Reproduktion der Gattung. 108 Sowohl an gustativen als auch an geschlechtlichen Akten haben «Schleimhäute und verdickte Körpersäfte, Körperhöhlen und Nervenkonzentrationen, Reizverlangen und Empfindungsintensitäten, eindringende und 107 Vgl. Mattenklott, Gert: Geschmackssachen. Über den Zusammenhang von sinnlicher und geistiger Ernährung, in: Kamper, Dietmar/ Wulf, Christoph (Hgg.): Das Schwinden der Sinne, Frankfurt a. M. 1984, S. 179 - 190, hier S. 180. 108 Vgl. Neumann, Umrisse einer Kulturwissenschaft des Essens, S. 396. 38 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären überstülpende Bewegungen» gleichermaßen Anteil. 109 Diese physiologische Verwandtschaft, die für jedermann körperlich erfahrbar ist, schreibt den beiden Bereichen das Potenzial ein, unmittelbar aufeinander zu verweisen, einander zu vergegenwärtigen, einander zu stimulieren bzw. einander zu ersetzen. Grundsätzlich kann man also davon ausgehen, dass die Zeichenrelationen zwischen gustativen und geschlechtlichen Akten auf ihrer strukturellen Ähnlichkeit basieren; sie können im Geist des Betrachters analoge Empfindungen erregen. Die einzelnen Aspekte des Nahrungs- und Liebeshandelns lassen sich dabei den beiden Bereichen ‹ Begehren › und ‹ Erfüllung › zuordnen, die freilich keine voneinander getrennten Entitäten darstellen, sondern vielmehr zwei Seiten einer Differenz, deren Einheit ‹ Kupidität › heißt. 110 Auf die Seite des Begehrens gehören Aspekte der Nahrungssuche und -verteilung wie die Beschaffung, das Anbieten oder das Entwenden von alimentären Objekten, die zum Bild für das Minnebegehren werden können. Auf die Seite der Erfüllung gehören Aspekte der Nahrungsaufnahme wie das Teilen und das Einverleiben von Nahrung, aber auch die Nahrungsverweigerung, die zum Abbild der Minneerfüllung bzw. der Minneverweigerung werden können. Nahrungsmittel sind dabei insofern am Zeichenbildungsprozess beteiligt, als sie einen auf den Körper bezogenen Zeichencharakter haben. Aus naturwissenschaftlicher Sicht gehört der Mensch zwar zu den biologischen ‹ Allesfressern › , für den Früchte, Gemüse, Beeren, Getreide, Milchprodukte ebenso verdaulich sind wie Fisch und Fleisch, sei es, dass dieses von sogenannten ‹ Haustieren › stammt oder von Vögeln, Insekten, Reptilien oder gar von Mitmenschen. 111 Zugleich aber verhält es sich so, dass nicht für alle Menschen dieselben Substanzen als essbar gelten. Man denke an Insekten, die an einem Ort als Delikatessen gehandelt werden, andernorts dagegen Ekel erregen und für unverzehrbar gehalten werden. 112 Das heißt, ‹ Verdaubarkeit › ist nicht das allein entscheidende Kriterium dafür, dass eine Substanz zur Nahrung wird; Bedingung ist vielmehr, dass kulturelle Konventionen verdaulichen Substanzen die Qualität von Nahrung zuschreiben. 113 Durch ihre Bestimmung als ‹ essbar › nun aber, die Nahrungsmittel von allen anderen Dingen der sozialen Wirklichkeit unterscheidet, 114 lassen sie sich als Objekte ansehen, die grundsätzlich die Aufforderung in sich tragen, gegessen zu werden, und die damit von ihrer Anlage her das Potenzial haben, auf den Körper zu verweisen. 109 Mattenklott, Geschmackssachen, S. 180. 110 Für diesen Hinweis danke ich Christoph E. Bleuler. 111 Vgl. Enninger, Semiotik der Kulinarien, S. 320. 112 Vgl. Enninger, Semiotik der Kulinarien, S. 320. 113 Vgl. Enninger, Semiotik der Kulinarien, S. 320. 114 Vgl. Enninger, Semiotik der Kulinarien, S. 320. 39 Theoretische Vorüberlegungen Entscheidend für die Untersuchung des Zusammenhangs von Nahrungs- und Minnehandeln in einem literarischen Text ist dabei, dass das Gustative und das Geschlechtliche nicht per se als wechselseitige Vermittlungsformen fungieren. Erforderlich ist ein Stimulus, der die Ähnlichkeitsrelation zwischen den beiden Bereichen ins Bewusstsein des Rezipienten ruft und damit den Zeichenbildungsprozess der an den Vorgängen beteiligten Aktionen und Objekte in Gang setzt. 115 Als in der Form stimulierend, dies haben die oben angeführten Beispiele aus dem ‹ Parzival › gezeigt, erweisen sich Verknüpfungen von Nahrungs- und Minnethematik auf der Ebene der Textstruktur. Insgesamt heißt das, dass für die Untersuchung der Semiotik alimentärer Handlungen und Objekte im ‹ Parzival › , die im Kontext der Minnethematik stehen, zwei Typen von Zeichenbildung berücksichtigt werden müssen: zum einen textuelle Verfahren der Markierung von semantischen Rahmen, die die Semiose alimentärer Handlungen und Objekte im Text steuern; zum anderen textuelle Verfahren der Erzeugung von Abbildungsverhältnissen zwischen Nahrungs- und Minnehandeln, die beim Rezipienten des Textes eine mentale Übertragung der Bereiche anstoßen können. 3. Methodisches Vorgehen Da die verschiedenen Nahrungsaspekte im ‹ Parzival › in ganz unterschiedlicher Weise auf die Minne bezogen sein und ganz unterschiedliche Bedeutungen haben können, werden in der vorliegenden Arbeit verschiedene Diskurse des Alimentären voneinander abgegrenzt, um sie dann, wenn es um die Interpretation der Nahrungsthematik im ‹ Parzival › geht, aufeinander zu beziehen. Hierfür wurde das Material in fünf induktiv erschlossene thematische Bereiche eingeteilt: 1. Kulinarische Objekte als Liebesgaben 2. Mahl und Minne 3. Nahrungsaufnahme und Minne 4. Nahrungsmittel und Minne 5. Jagd und Minne 115 Vgl. Nöth, Handbuch der Semiotik, S. 195. 40 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Zur Kategorie der ‹ kulinarischen Objekte als Liebesgaben › zählen Textstellen, an denen Nahrungsmittel Bestandteile von Minnewerbung sind, das heißt, an denen sie als Geschenke, als Liebespfänder oder als Tauschobjekte, mit denen Liebe erkauft wird, fungieren. In die Kategorie ‹ Mahl und Minne › fallen höfische Festmähler, an denen Männer und Frauen teilnehmen, ferner Liebesmähler in Zweisamkeit sowie Szenen, in denen Liebende alleine speisen. Die Interaktionsformen, die im Rahmen von Mahlsszenen zur Darstellung kommen, lassen sich dabei grundsätzlich in drei Bereiche einteilen: erstens in das Teilen von Nahrung, zweitens in das Anbieten von solcher und drittens in den Ausschluss aus der Essgemeinschaft (Nahrungsverweigerung, Nahrungsentzug, Verbannung von der Tafel, ungeteilte Nahrung). Zur Kategorie ‹ Nahrungsaufnahme und Minne › wiederum zählen Textstellen, die das Verhalten der Akteure bei der Nahrungsaufnahme thematisieren. Hierzu gehören der Umgang des Ichs mit Nahrung, mit seinem Körper sowie mit den am Mahl beteiligten Personen. In die Kategorie ‹ Nahrungsmittel und Minne › fallen Speisen und Getränke, die im Zusammenhang mit der Minnethematik vorkommen, und zur Kategorie ‹ Jagd und Minne › schließlich zählen Jagdszenen und -motive, die auf die Minnethematik bezogen sind, wobei hier angemerkt werden muss, dass die Wahrnehmung des herrschaftlichen Jagdrechts im 12. und 13. Jahrhundert nicht nur versorgungstechnische Bedeutung hatte, sondern zum großen Teil auch ein Attribut adliger Lebensführung war. 116 Nichtsdestotrotz scheint es geboten, den Bereich der Jagd in die Untersuchung einzubeziehen, da sich zum einen zeigt, dass im ‹ Parzival › der Aspekt der Ernährung im Zusammenhang mit Jagdszenen häufig zur Sprache kommt, indem z. B. die Tiere, die erlegt werden, für den Verzehr präpariert und gegessen werden. Zum anderen bringt die Jagdthematik das Verhältnis von Jäger- und Beutetier ins Spiel und mit ihm Aspekte von Nahrungstrieb und Triebbefriedigung. Auf der Basis dieser Einteilung werden in Kapitel II kulturelle Deutungsrahmen für die Nahrungsthematik erarbeitet. Die semiorale Kultur des Mittelalters hat zahlreiche kollektive Bedeutungssysteme ausgebildet, die die Zeichenhaftigkeit des Alimentären organisieren; neben denen der höfischen Gesellschaft auch im Bereich der Politik, der Religion, des Rechts und der Ständeordnung. 117 Die Schwierigkeit bei der Erarbeitung von semantischen Rahmen der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts besteht jedoch darin, dass sich die Texte literaturgeschichtlich nicht eindeutig einordnen lassen. 116 Vgl. ausführlich zu diesem Aspekt Kapitel II.5. 117 Vgl. die Materialsammlungen bei Bumke, Höfische Kultur; Schubert, Essen und Trinken; Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter (1000 - 1300). 41 Methodisches Vorgehen Zumeist können weder gesicherte Angaben zur Datierung und zum Entstehungsort eines Textes gemacht werden noch zur Biografie des Verfassers oder zu seinem Mäzen. Dies gilt auch für Wolfram von Eschenbach und sein Werk. Nach Joachim Bumke gibt es in Bezug auf Wolfram nur eine biografische Angabe, deren Historizität nicht anzuzweifeln ist, nämlich der Ortsname Eschenbach, nach dem sich der Dichter genannt hat und über den in der Forschung Einigkeit herrscht, dass er sich auf das fränkische Ober-Eschenbach südöstlich von Ansbach in Oberfranken bezieht. 118 Daneben enthält Wolframs Werk zwei Stellen, die Hinweise auf die Datierung der Texte geben. 119 Zum einen ist dies die Anspielung auf die «noch heute sichtbare» Verwüstung der Erfurter Weingärten in Buch VII des ‹ Parzival › (V. 379,18 - 19), die in der Forschung auf die Auseinandersetzungen zwischen Philipp von Schwaben und Hermann von Thüringen 1203 bezogen wird und die eine Abfassung dieser Passage des ‹ Parzival › um 1204/ 1205 nahelegt. 120 Ferner finden sich im ‹ Willehalm › und im ‹ Titurel › Formulierungen, die darauf hindeuten, dass diese beiden Texte zu einer späteren Zeit, nämlich nach dem Tod Hermanns von Thüringen (1217), entstanden sind. 121 Wer Wolframs Gönner waren und wo er sich im Laufe der Zeit überall aufgehalten hat, gilt in der Forschung dagegen bis heute als ungesichert. 122 Anspielungen auf historische Personen, Orte und Ereignisse in den Texten lassen vermuten, dass er - ähnlich wie Heinrich von Veldeke und Rudolf von Ems - die ersten Förderer und Auftraggeber im Umkreis seiner engeren Heimat gefunden hat und erst später an die großen Höfe gelangt ist. 123 Als Ersteres kommt für Wolfram der fränkisch-bayerische Gönnerkreis um den Grafen Poppo von Wertheim in Frage, wobei unklar ist, ob es sich um Poppo I. (bezeugt bis 1212) oder um dessen Sohn Poppo II. (bezeugt bis 1238) handelt. 124 Einzelne Hinweise aus dem ‹ Parzival › deuten jedoch auch darauf hin, dass sich Wolfram bereits während der Arbeit an diesem - seinem frühesten - epischen Text an unterschiedlichen Höfen aufhielt und wechselnde Gönner hatte. 118 Vgl . Bumke, Joachim: Wolfram von Eschenbach. 8., völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart 2004, S. 1. 119 Vgl. Schirok, Bernd: Wolfram und seine Werke im Mittelalter, in: Heinzle, Joachim (Hg.): Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch. Bd. I: Autor, Werk, Wirkung, Berlin/ New York 2011, S. 1 - 82, hier S. 8. 120 Vgl . Schirok, Wolfram und seine Werke, S. 8. 121 Vgl. Schirok, Wolfram und seine Werke, S. 8. 122 Vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 19. 123 Vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 15; Schirok, Wolfram und seine Werke, S. 7. 124 Vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 15. 42 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären Auftraggeber des später zu datierenden ‹ Willehalm › dürfte Landgraf Herman von Thüringen gewesen sein. 125 Angesichts dessen, dass über Wolframs Gönner und seine Aufenthaltsorte während der Entstehungszeit des ‹ Parizval › bis heute nur gemutmaßt werden kann, 126 kann es bei der Erarbeitung von kulturellen Deutungsrahmen für den Text nicht um Spezifizierungen in Hinblick auf eine bestimmte Hofkultur gehen, sondern es sind Abstraktionen erforderlich. Ziel ist es, ein kulturelles Wissen ‹ mittlerer Reichweite › zu erarbeiten - anthropologische Implikationen, kulturelle Imaginationen und Codierungen, die, gemäß der Definition des textexternen Beobachters als eines Beobachters, der die kulturellen Codes umfassend beherrscht (s. o.), bekannt sein konnten und die damit als heuristische Basis für die Untersuchung der Verbindung von Nahrungs- und Minnethematik im ‹ Parzival › dienen können. Einbezogen werden hierfür Texte und Bilder, deren thematisches Bezugszentrum die höfische Gesellschaft des 12. und 13. Jahrhunderts ist bzw. die als Wissensbestände der Hofgesellschaft vorausgesetzt werden können oder aber solche, die zwar mit einiger Sicherheit später zu datieren sind als Wolframs ‹ Parzival › , die die Wissensbestände der höfischen Gesellschaft des 12. und 13. Jahrhunderts jedoch speichern. Zu Letzteren gehören zum Beispiel die Tischzucht aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin (um 1471), für die die Quellenforschung ergeben hat, dass sie auf eine Überlieferung aus dem 13. Jahrhundert zurückgeht, 127 oder Friedrichs II. Werk über die Beizjagd ‹ De arte venandi cum avibus › (um 1247/ 1248), das herkömmliches Jagdwissen thematisiert. 128 Um der Vielfalt an kollektiven Bedeutungssystemen, die die mittelalterliche Kultur in Hinblick auf die Nahrungsthematik ausgebildet hat, Rechnung zu tragen, wird ein breites Spektrum an Textsorten und Gattungen einbezogen. Zu den Texten, die insbesondere auch Aussagen über das Verhältnis von Nahrungs- und Liebesthematik enthalten, gehören höfische Tischzuchten und Manierschriften, Fürstenspiegel, Festprotokolle, minnedidaktische Texte, biblische Erzählungen, theologische Traktate, Predigten, Rechtstexte und nicht zuletzt die höfische Dichtung. Darüber hinaus werden Hofhaltungsbücher, Kochbücher, Jagdtraktate sowie Texte aus dem klerikalen Bereich (mittelalterliche Ordensregeln, Klosterberichte, klerikale Erziehungsschriften) he- 125 Wobei einzelne Anspielungen auf den Thüringer Hof im ‹ Parzival › nahelegen, dass Wolfram bereits während der Arbeit an diesem Text mit den dortigen Verhältnissen vertraut war (vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 14). 126 Vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 19. 127 Vgl. Thornton, Thomas Perry (Hg.): Höfische Tischzuchten. Nach den Vorarbeiten Arno Schirokauers, Berlin 1957 (Texte des späten Mittelalters 4), S. 76. 128 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe. 43 Methodisches Vorgehen rangezogen. Diese Texte, die in ihrer Summe den Wissenshorizont für die Interpretation der Nahrungsthematik im ‹ Parzival › ausmachen, stehen für sich genommen freilich in unterschiedlichen Relationen zum Untersuchungsgegenstand, die sich im Spektrum von System- und Einzeltextreferenzen bewegen. Um diesbezügliche Differenzierungen für die Interpretation der Nahrungsthematik im ‹ Parzival › nutzbar zu machen, werden die Textbezüge im Untersuchungsteil zum ‹ Parzival › (Kapitel III und IV) zu spezifizieren versucht. In Kapitel III wird sodann die Semiotik der alimentären Handlungen und Objekte im ‹ Parzival › untersucht, die inhaltlich im Zusammenhang mit der Minnethematik stehen. Dabei werden die beiden oben ermittelten Typen der Zeichenbildung getrennt voneinander behandelt. In Kapitel III.1 (Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung) werden anhand der Analyse einzelner Textstellen unterschiedliche textuelle Verfahren der Erzeugung von Abbildungsverhältnissen zwischen Nahrungs- und Minnehandeln aufgezeigt, die die Ähnlichkeitsrelationen zwischen den Bereichen aufrufen und damit den Zeichenbildungsprozess in Gang setzen können. In Kapitel III.2 (Semiotik II: Literarische Verarbeitung kultureller Deutungsmuster) wird dann das Mitwirken von textexternen Faktoren an den Zeichenbildungsprozessen im Text untersucht, indem zum einen nach Markierungen von semantischen Rahmen im Text gefragt wird, die die Semiose des Alimentären steuern. Zum anderen wird gefragt, inwiefern sich textuelle Verfahren der Codierung des Alimentären im ‹ Parzival › vor der Folie der erarbeiteten kulturellen Deutungsrahmen als Bearbeitungen kulturspezifischer Symbolsysteme begreifen lassen. In diesen beiden Kapiteln werden Wolframs Hauptquelle, Chrétiens ‹ Perceval › , sowie die deutschsprachigen Nebenquellen, die Epen Heinrichs von Veldeke und Hartmanns von Aue, zum Vergleich herangezogen, um spezifische Merkmale der Gestaltung der Nahrungsthematik bei Wolfram zu verdeutlichen. In Kapitel IV wird dann, ausgehend von der semiotischen Untersuchung, nach poetischen Funktionen des Alimentären im ‹ Parzival › gefragt. Im letzten Kapitel ( V.) schließlich werden die Untersuchungsergebnisse ‹ gebündelt › in Hinblick auf die Frage nach einer Poetik des Alimentären im ‹ Parzival › reflektiert und damit zusammenhängend nach ihrer Verallgemeinerbarkeit in Bezug auf die höfische Epik des 12. und 13. Jahrhunderts befragt. 44 Kultursemiotische Untersuchung des Alimentären II. Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Die folgenden Ausführungen zu den kulturellen Deutungsrahmen erheben nicht den Anspruch, eine möglichst umfassende kultursemiotische Rekonstruktion der einzelnen Bereiche des Alimentären (Gabe, Mahl, Nahrungsaufnahme, Nahrungsmittel, Jagd) zu leisten, sondern sie sind eng auf die im ‹ Parzival › zu interpretierenden Phänomene zugeschnitten. Selektive Darstellungen sind bisweilen unerlässlich, sie sind diesem Ziel geschuldet. Einbezogen werden Texte und Bilder, die im oben definierten Sinn dem Wissenshorizont des ‹ Parzival › zuzuordnen sind. Dabei wird sich zeigen, dass die einzelnen Gattungen und Genres keine homogenen Diskurse über Essen, Trinken und Liebe darstellen, sondern dass sich in ihnen jeweils ganz unterschiedliche Diskurstraditionen, Ordnungen des Wissens, überlagern. Um das Aufspüren solcher unterschiedlicher Sinngebungen und Deutungsmuster geht es in diesem Kapitel, wobei in einem ersten Schritt jeweils theoretisch ergründet wird, inwiefern die einzelnen Interaktionsformen und -bereiche überhaupt als Zeichen von Minne fungieren können. 1. Kulinarische Objekte als Liebesgaben Alimentäre Objekte können Mittel der Liebeswerbung sein, sie können aber auch in bereits etablierten Beziehungen zum Einsatz kommen. Sie können als Geschenke fungieren, aber auch als Tauschobjekte, mit denen Liebe erkauft wird. In jedem Fall aber sind sie Bestandteile ökonomischer Austauschprozesse, in dem Sinne nämlich, dass jede Gabe - auch eine solche, die in erster Linie ein Zeichen ist - letztlich eine Gegengabe fordert. 1 In Bezug auf 1 Zur grundsätzlichen Unerreichbarkeit der Anökonomie von Gaben vgl. Derrida, Jacques: Falschgeld. Zeit geben I, München 1993. diese Bereiche wird im Folgenden der Frage nachgegangen, wie Nahrungsmittelgaben in Beziehungen zwischen Mann und Frau Liebe bezeichnen können. Ludger Lieb, der die Semiotik von Liebesgaben systematisch untersucht hat, arbeitet am Beispiel des Rings die multifunktionale Zeichenhaftigkeit von Liebesgaben heraus. 2 Demnach können Gaben in Liebesbeziehungen insofern als Zeichen der Liebe des Gebenden fungieren als sie auf den Gebenden zurückweisen, seine Absichten, seine Gedanken und Hoffnungen symbolisieren und den Wert bezeichnen, den der Gebende jener Liebe beimisst. 3 Zeichencharakter haben dabei sowohl der Akt des Gebens als auch die Gabe selbst. So verknüpft der Empfangende das Geben, weil er die kulturelle Erfahrung hat, kausal mit der Ursache, dass der Gebende ihn liebt (indexikalisches Zeichen). 4 Die Gabe selbst kann, aufgrund ihrer Beschaffenheit, ihrer Farben und Formen, aber auch ihres materiellen Tauschwerts den Wert ausdrücken, den der Gebende der Liebesbeziehung beimisst (symbolisches bzw. ikonisches Zeichen). Weiter kann die Gabe einen personalen Identifikationswert erlangen, indem sie ein vergangenes Ereignis (z. B. die Situation des Schenkens) oder den abwesenden Gebenden in Erinnerung ruft. Sie kann aufgrund dieses personalen Identifikationswerts für den Empfänger aber auch zum Objekt ‹ magischer › Anwesenheit des abwesenden Schenkers werden (Präsenzsymbol). In Hinblick auf Liebs Typologie, in der alimentäre Objekte unberücksichtigt bleiben, stellen Nahrungsmittel einen Sonderfall unter den Liebesgaben dar. Dies zeigt sich bereits daran, dass sie mit einem Verfallsdatum versehen sind. Als verderbliche Gaben taugen sie nicht dazu, langfristige Verbundenheit zwischen den Liebenden auszudrücken oder die Erinnerung an den Gebenden bzw. an die herausgehobene Situation des Schenkens wachzuhalten. Der grundlegende Unterschied zu allen anderen Typen von Liebesgaben ist: Nahrungsmittelgaben tragen - allein schon aufgrund ihrer Bestimmtheit als ‹ essbar › 5 - die Aufforderung in sich, gegessen zu werden. Sie stehen für den Wunsch des Gebenden, dem Empfänger einen sinnlichen Genuss zu verschaffen und verweisen damit per se auf die körperliche Ebene der Interaktion. Die Entgegennahme und das Verspeisen der Gabe wiederum erfordern eine körperliche Öffnung seitens des Beschenkten in Richtung des 2 Vgl. Lieb, Kann denn Schenken Sünde sein? , S. 186 - 190. 3 Vgl. Lieb, Kann denn Schenken Sünden sein? , S. 187. 4 Vgl. Lieb, Kann denn Schenken Sünde sein? , S. 187 - 188. 5 Vgl. dazu Kapitel I.2. 46 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Schenkenden, mit der die Erwiderung der Zuneigung signalisiert wird. Geben, Annehmen und Verspeisen von Nahrungsmitteln sind somit körperhaftsinnliche Ausdrucksweisen der wechselseitigen Zuneigung zwischen den Liebenden. Abgesehen von diesem spezifischen Merkmal können Nahrungsmittel in Liebs Sinne als Liebessymbole fungieren, wobei die Beziehungen zwischen Zeichen und Bezeichnetem differieren. Wie bei anderen Liebesgaben, liegt auch hier zumeist eine Ähnlichkeitsrelation vor (ikonisches Zeichen). 6 So stehen schöne, wohlriechende, wohlschmeckende, kostbare oder schwer erhältliche Nahrungsmittel für das Bild, das der Gebende vom Empfänger hat. Sie sind Zeichen dafür, wie einzigartig, wie kostbar, wie attraktiv der Empfangende für den Gebenden ist. Neuzeitliche Beispiele dafür wären Konfekt oder spezielle Gewürze, die sich aufgrund ihrer Beschaffenheit ästhetisch und kulinarisch von alltäglichen Nahrungsmitteln abheben und damit auf die herausgehobene Position verweisen, die der Gebende dem Empfänger beimisst. Weiter kann die Zeichenhaftigkeit von Nahrungsmitteln auf kulturellen Konventionen beruhen (symbolisches Zeichen). Ein Beispiel hierfür ist Schokolade. In der aristokratischen Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts war der Verzehr von Schokolade gleichbedeutend mit Müßiggang, Nicht-Verantwortlich-Sein und Hingabe an die Leidenschaft. Und so galt es bis ins 20. Jahrhundert als erotische Einladung, wenn ein Mann einer Frau Pralinen schenkte. 7 Geschenkte Nahrungsmittel können aber auch als Zeichen fungieren, indem sie die Folge von etwas darstellen und damit auf eine Ursache verweisen (indexikalisches Zeichen). Dies ist z. B. bei einer aufwändig zubereiteten Speise der Fall. Die Mühe, mit der der Gebende die Speisen zubereitet hat, verweist kausal auf die Ursache, dass er dem Empfänger eine besondere Wertschätzung entgegenbringt. Neben diesen symbolischen Möglichkeiten der Bezeichnung können Nahrungsmittel z. B. durch die Geschichte ihres Erwerbs oder ihrer Herstellung einen personalen Identifikationswert erlangen, der den (abwesenden) Gebenden für den Empfänger in der Gabe metonymisch präsent machen kann (Präsenzsymbol). Deutungsrahmen Seit der Antike sind Geschenke in Liebesbeziehungen Gegenstand kritischer Reflexion, in deren Zentrum eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der 6 Vgl. Lieb, Kann denn Schenken Sünde sein? , S. 187. 7 Vgl. De Haan, Gerhard: Kann denn Zucker Sünde sein? Die Spur des Süßen in der Geschichte, in: Schuller, Alexander/ Kleber, Jutta Anna (Hgg.): Verschlemmte Welt. Essen und Trinken historisch-anthropologisch, Göttingen/ Zürich 1994, S. 171 - 195, hier S. 187. 47 Kulinarische Objekte als Liebesgaben Käuflichkeit von Liebe steht. 8 In Ovids Schriften ‹ Ars amatoria › 9 und ‹ Amores › 10 etwa gelten Liebesgaben zwar durchaus als empfehlenswerte Mittel der Liebeswerbung, jedoch lediglich solche, die einen geringen Tauschwert haben. So heißt es z. B. im zweiten Buch der ‹ Ars amatoria › (V. 261 - 262): nec dominam iubeo pretioso munere dones; parva, sed e parvis callidus apta dato («Ich befehle Dir nicht, die Geliebte mit teuren Gaben zu beschenken: Schenke kleine Dinge, aber suche schlau die passenden aus! »). Fragt man nun nach dem Stellenwert, den Ovid Nahrungsmitteln als Liebesgaben beimisst, so zeigt sich, dass diese ganz oben auf der Skala der empfohlenen Gaben stehen ( ‹ Ars amatoria › II,263 - 268; ‹ Amores › I,X,55 - 56), noch vor Gedichten, die zwar Lob und Ruhm einbringen, jedoch im Höchstfall bei gebildeten Mädchen auf Gehör stoßen würden ( ‹ Ars amatoria › II, 251 - 286; ‹ Amores › I,X,59 - 64). Mit Hilfe des Gebens, Teilens und gemeinsamen Verspeisens von Nahrungsmitteln lassen sich - so Ovid - die Botschaften der Liebe dagegen erfolgreich übermitteln ( ‹ Ars amatoria › I,565 - 584). 11 Die Kunst der Liebesgaben-Liebe besteht nach Ovid darin, Gaben mit einem niedrigen Tauschwert semiotisch zu Zeichen der Liebe aufzuladen. Nahrungsmittel scheinen ihm dafür gerade aufgrund ihrer Verweiskraft auf die körperlich-sinnliche Ebene besonders geeignet. In Hinblick auf das Schenken heißt es etwa: Wenn man z. B. Früchte schenkt, solle man diese nicht an der nächstbesten Straßenecke kaufen, sondern sie selbst pflücken. Hat man sie dennoch auf der Via Sacra gekauft, solle man der Geliebten sagen, man habe sie sich von einem Landgut vor der Stadt schicken lassen ( ‹ Ars amatoria › II,263 - 266). Das heißt, die Gaben werden - freilich in dem für Ovid kennzeichnenden Modus literarischer und rhetorischer Übercodierung - durch die Geschichte ihres Erwerbs mit einem persönlichen Identifikationswert aufgeladen. Sie verweisen damit auf den Gebenden und auf die Mühe, die sich jener bei der Beschaffung gemacht hat, und werden so zu Zeichen der Wertschätzung, die der Liebende der Geliebten entgegenbringt. Dabei belässt es Ovid nicht bei einer Propaganda, sondern er macht auch auf die Konflikte aufmerksam, die durch Liebesgaben verursacht werden können. So läuft eine Liebe, die auf materielle Zeichen der Liebesbekundung angewiesen ist, stets Gefahr, von Außenstehenden entdeckt zu werden. Denn was als Zeichen der Zuwendung für die Geliebte bestimmt ist, könnte auch von 8 Vgl. Lieb, Kann denn Schenken Sünde sein? , S. 185 - 186 u. S. 190 - 218. 9 Text und Übersetzung werden zitiert nach: Ovidius Naso, P.: Ars amatoria. Liebeskunst. Latenisch/ Deutsch. Übers. u. hg. v. Michael von Albrecht, Stuttgart 2003. 10 Text und Übersetzung werden zitiert nach: Ovidius Naso, P.: Amores. Liebesgedichte. Lateinisch/ Deutsch. Übers. u. hg. v. Michael von Albrecht, Stuttgart 1997. 11 Zum Teilen von Nahrung vgl. Kapitel II.2.1. 48 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen anderen ‹ gelesen › und richtig interpretiert werden ( ‹ Ars amatoria › I,565 - 602; ‹ Ars amatoria › II,389 - 394). Ähnliche Überlegungen finden sich im mittelalterlichen minnedidaktischen Epos ‹ Rosenroman › . 12 Auch hier werden kleine, bescheidene Geschenke für die Liebeswerbung empfohlen. An erster Stelle stehen wiederum Früchte, die man in einem schön hergerichteten Korb überreichen und - ganz im Sinne Ovids - durch eine (erfundene) Geschichte des Erwerbs mit einem persönlichen Identifikationswert aufladen solle ( ‹ Rosenroman › V. 8207 - 8222). Und auch hier wird auf die Gefahren einer solchen Liebeswerbung aufmerksam gemacht, indem von einer Frau erzählt wird, deren Ehemann den Ehebruch daran erkennt, dass er die Frau dabei ertappt, wie sie hingebungsvoll Kastanien schält (A cui parez vous ces chastaignes? / Qui me peut faire plus d ’ engaignes? , ‹ Rosenroman › V. 8509 - 8510). Die sorgfältig zubereiteten Kastanien sind für den Ehemann Hinweis auf ein außereheliches Liebesverhältnis (indexikalisches Zeichen). Einen ganz anderen Stellenwert dagegen erhalten Nahrungsmittel als Liebesgaben in dem mittelalterlichen Traktat ‹ De amore › 13 des Andreas Capellanus. Zwar wird auch hier empfohlen, der Geliebten kleine und bescheidene Geschenke zukommen zu lassen ( ‹ De amore › II,vii,49), Nahrungsmittel werden in diesem Zusammenhang jedoch nicht erwähnt. Für Andreas gelten vielmehr solche Geschenke als zulässig, die zur äußerlichen Pflege des Körpers dienen oder welche zur Erinnerung an den Geliebten beitragen, wie Taschentücher, Haarbänder, Spiegel, Gürtel, Kämme, Waschutensilien oder kleine Gefäße und Kästchen ( ‹ De amore › II,vii,49). Nahrungsmittel als Gaben finden lediglich im dritten Buch Erwähnung, in dem die Heilmittel gegen die Liebe behandelt werden: Et haec omnia possumus in Eva prima mulierum cognoscere, quae, licet manu divina sine hominis fuerit facto plasmata, nil tamen magis vetitum timuit assumere cibum, et pro ventris ingluvie de Paradisi meruit habitatione repelli. Si ergo illa femina, quae sine crimine fuit divina manu creata, vitia non potuit compescere gulae, quid erit in aliis, quas in peccatis mater concipit in alvo, nec unquam sine crimine vivunt? Sit ergo 12 Vgl. Guillaume de Lorris und Jean de Meun: ‹ Roman de la Rose › ; im Folgenden zitiert nach: Guillaume de Lorris und Jean de Meun: Der Rosenroman. Übers. u. eingel. v. Karl August Ott, Bd. I - III, München 1976 - 1979 (Klassische Texte des Romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben. Band 15,I - III) unter Verwendung des Kurztitels ‹ Rosenroman › . 13 Text und Übersetzung werden zitiert nach: Andreas Capellanus: Andreas aulae regiae capellanus / Andreas Capellanus. De amore / Von der Liebe. Libri tres / Drei Bücher. Text und Übersetzung. Text nach der Ausg. v. Emil Trojel, übers. u. mit Anm. u. einem Nachwort vers. v. Fritz Peter Knapp, Berlin/ New York 2006. 49 Kulinarische Objekte als Liebesgaben tibi pro generali regula definitum, quod [in] nihilo facile poteris in muliere carere, si saepius curaveris eam splendida mensa cibare. ( ‹ De amore › III,81 - 82) «Und das [die Schlemmerei] können wir alles bei Eva, der ersten der Frauen, kennenlernen, die, obwohl sie durch die Hand Gottes ohne Menschenwerk geformt wurde, sich um nichts mehr scheute, die verbotene Speise zu nehmen, und es wegen der Gefräßigkeit ihres Bauches verdient hat, aus der Wohnung des Paradieses vertrieben zu werden. Wenn also jene Frau, die ohne Schuld durch die Hand Gottes geschaffen worden ist, das Laster der Schlemmerei nicht unterdrücken konnte, was wird mit den anderen sein, die eine Mutter in Sünden in ihrem Leib empfängt und die niemals ohne Schuld leben? Für dich mag also als allgemeine Regel gelten, daß du alles bei einer Frau leicht bekommen kannst, wenn du darauf bedacht bist, sie des öftern mit köstlichen Mahlzeiten zu traktieren.» ( ‹ De amore › III,81 - 82) Nahrungsmittel-Geschenke für die Geliebte stehen hier in direktem Zusammenhang mit dem biblischen Sündenfall und dem daraus abgeleiteten moraltheologischen Diskurs über die Fresssucht und Unersättlichkeit der Frau. 14 In diesem Zusammenhang fungieren sie nicht als Zeichen der Liebe, wie es bei Ovid der Fall ist, und sie lassen sich daher auch nicht im eingangs definierten Sinn als Liebesgaben bezeichnen. Stattdessen werden Nahrungsmittel als ein Kapital veranschlagt, mit dem der Mann Macht über die Frau ausüben kann, da sich diese aufgrund ihrer naturgegebenen Gefräßigkeit durch Nahrungsmittel gefügig machen lässt. Vor dem Hintergrund des christlich-theologischen Diskurses sind Nahrungsmittel als Liebesgaben Symbole sündhafter Verführung. Sie stehen für eine ‹ unreine › Form der Minne, bei der die Gabe mit der Erwartung einer Gegengabe verknüpft ist, einer Minne also, die sich als Tauschgeschäft generiert. 15 Bei den deutschsprachigen Didaktikern, die sich insgesamt durch eine ablehnende Haltung gegenüber materiellen Liebesgaben auszeichnen, 16 wird 14 Weitere Stellen bei Andreas zur Schlemmerei der Frauen: I,vi,497 - 500; III,i,70; III,i,80; III,i,99 (vgl. dazu Thraede, Klaus: Art. ‹ Frau › , in: Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt. Bd. 8. Hg. v. Theodor Klauser u. a., Stuttgart 1972, Sp. 197 - 269, hier Sp. 227 - 269). 15 Als ‹ unreine › Minne wird bei den deutschsprachigen Minnedidaktikern eine Minne bezeichnet, die an materielle Austauschprozesse gebunden ist (vgl. Lieb, Kann denn Schenken Sünde sein? , S. 194). 16 Vgl. Thomasin von Zerklære: Der Welsche Gast. Text (Auswahl), Übersetzung, Stellenkommentar. Ausgew., eingel., übers. u. mit Anm. vers. v. Eva Willms, Berlin/ New York 2004, hier V. 1221 - 1226 (im Folgenden zitiert unter der Verwendung des Kurztitels ‹ Der Welsche Gast › ), sowie Ulrich von Liechtenstein: Frauenbuch. Hg. v. Franz Viktor Spechtler, Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 520), hier V. 555 - 592 (im Folgenden zitiert unter der Verwendung des Kurztitels ‹ Das Frauenbuch › ); dazu Lieb, Kann den Schenken Sünde sein? , S. 193 - 196. 50 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen zu diesem christlich-theologisch begründeten Aspekt von Nahrungsmittel- Geschenken keine Stellung bezogen. Thomasin von Zerklaere etwa lehnt Liebesgaben ab, da sie die Authentizität innerer Zustände verdecken würden. In seiner Hofzucht ‹ Der Welsche Gast › wird Minne als eine reine, innere Empfindung profiliert, die auf ethischen Wertzuschreibungen gründet und die materiellen Austauschprozessen enthoben ist. 17 Entsprechend kommen Nahrungsmittel als Liebesgaben nicht vor. Für Thomasin steht in Bezug auf Essen und Trinken ebenso wie in Bezug auf Sexualität die Macht des gelusts im Vordergrund, vor der er eindringlich warnt. 18 Dass die Vorstellung von der Gefräßigkeit der Frau und der Macht, die Männer dadurch über Frauen haben, auch bei deutschsprachigen Dichtern verbreitet ist, zeigen indes Beispiele aus der Minnelyrik. So heißt es z. B. beim Kürenberger: Wîp unde vederspil diu werdent lîhte zam. / swer sî ze rehte lucket, sô suochent sî den man (MF 10,17) 19 . Für sich genommen verweist die Verwendung des Begriffs lucken (nhd. ‹ anlocken › ) zur Umschreibung der Werbemethode des Mannes hier zwar nicht zwingend auf Nahrungsmittel als ‹ Minne-Köder › , sondern es können genauso gut andere Werbeobjekte (z. B. teure Geschenke) gemeint sein. Durch die Gleichsetzung von Frau und Jagdvogel kommt jedoch die in der Falknersprache gebräuchliche Bedeutung des ‹ Anlockens mit einer Lockspeise › ins Spiel, wodurch das Thema der Verführbarkeit der Frau durch kulinarische Objekte indirekt aufgerufen wird. Neben solchen Anspielungen in der Minnedichtung des 12. und 13. Jahrhunderts ist die angeblich notorische Nasch- und Fresssucht der Frauen auch (und vor allem) Stoff spätmittelalterlicher Mären. 20 Entscheidend für unseren Zusammenhang ist nun, dass kulinarische Gaben in Minnebeziehungen vor dem Hintergrund dieses Diskurses nicht nur als Verweisungszeichen auf das Körperlich-Sinnliche fungieren, sondern zudem 17 Vgl. ‹ Der Welsche Gast › V. 1221 - 1226; V. 1239 - 1242; V. 1304 - 1307. Gegen die Käuflichkeit von Liebe vgl. auch ‹ Das Frauenbuch › V. 555 - 570; V. 615 - 626; V. 671 - 674. 18 Vgl. ‹ Der Welsche Gast › V. 305 - 308; V. 2337 - 2348; V. 4283 - 4300. 19 Text zitiert nach: Des Minnesangs Frühling. Unter Benutzung der Ausg. v. Karl Lachmann u. Moriz Haupt, Friedrich Vogt u. Carl von Kraus, bearb. v. Hugo Moser u. Helmut Tervooren. 38. erneut rev. Aufl. Mit einem Anhang: Das Budapester und Kremsmünsterer Fragm. Hg. v. Hugo Moser, Stuttgart 1988 (im Folgenden zitiert unter der Verwendung der Abkürzung ‹ MF › ). 20 Vgl. u. a. Der Vriolsheimer: Der entlaufene Hasenbraten, in: Hagen, Friedrich Heinrich von der (Hg.): Gesamtabenteuer. Hundert altdeutsche Erzählungen. Bd. 2, Darmstadt 2 1961 [Erstdruck 1850], S. 145 - 152; Das Häselein, Gesamtabenteuer. Bd. 2, S. 1 - 18; Der Reiher, Gesamtabenteuer. Bd. 2, S. 153 - 170. 51 Kulinarische Objekte als Liebesgaben eine pejorative Bedeutung annehmen. Als Gaben des Mannes an die Frau stehen sie für die Käuflichkeit von Liebe. Als Gaben der Frau an den Mann sind sie Zeichen sündhafter Verführung. Entsprechend spielen alimentäre Liebesgaben in der hochhöfischen Minnedichtung des 12. und 13. Jahrhunderts zumeist keine Rolle. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist der Codex Manesse (Anfang 14. Jahrhundert), der Minnelyrik aus dem 12. und 13. Jahrhundert in großem Umfang überliefert. Alimentäre Liebesgaben kommen hier zwar gelegentlich in den ins 14. Jahrhundert zu datierenden ikonografischen Darstellungen vor, die den einzelnen Œ uvres vorangestellt sind, die Texte jedoch enthalten keinen einzigen Beleg dafür. 21 Ein Beispiel für die Diskrepanz zwischen ikongrafischer und poetischer Minnedarstellung findet sich bei dem von Buchheim (vgl. S. 53 Abb. 1: Codex Manesse 271 r ). 22 Auf dem Bild ist zu sehen wie der Liebende, der in der Bildmitte auf einer Sitzbank neben seiner Dame platziert ist, der Angebeteten einen weißen Weinkelch überreicht. 23 Sie hält ihm ihre Hände entgegen, eine zu dem Becher weisend, die andere im Redegestus erhoben. Zwischen ihnen, auf dem Fußpodest der gemeinsamen Bank, sitzt ein kleiner höfischer Knabe, der ein goldenes Psalterium spielt und seinen bekränzten Kopf zum Dichter aufwendet. Ein grüner Stamm wächst darüber empor, dessen Äste sich in der Mitte des Bildes gabeln und mit ihren Blütenranken das redende Wappen des Dichters mit der Inschrift MINNE - SINNE - TWINGET - STRALE - QUALE - BRINGET umschließen. Die Weingabe ist hier Bildzeichen für die in der Inschrift aufgerufenen Sinne, auf die die Minne mit der Gewalt ihrer Pfeile (strâle) zielt und die sie bezwingen möchte: Geben und Annehmen des Trinkbechers sind ikonografische Darstellungsweisen der wechselseitigen Zuneigung zwischen den Liebenden; der Wein im Becher ist Zeichen für die auf die Sinne wirkenden, magisch-zwingenden Kräfte der Minne. 24 Passend dazu erscheint ein Hahn, 21 Stattdessen wird in mehreren Liedern darauf hingewiesen, dass die Minne, von der die Rede ist, auf Hilfsmittel wie einen Zaubertrank, der zur Liebe zwingt, nicht angewiesen sei (vgl. Heinrich von Veldeke MF 57,10 und MF 58,35, sowie Bernger von Horheim MF 112,1). 22 Vgl. außerdem das Autorportrait des Herrn Günther von dem Vorste (Codex Manesse 314 v ). 23 Zur Bilddeutung vgl. Codex Manesse. Die Miniaturen der Großen Heidelberger Liederhandschrift. Hg. u. erl. v. Ingo F. Walther unter Mitarb. v. Gisela Siebert, Frankfurt a. M. 3 1988, S. 186. 24 Zur aphrodisierenden Wirkung des Weins vgl. Kapitel II.4; ferner kann die Darstellung als Anspielung auf das Motiv des Minnetranks aus dem ‹ Tristan › gedeutet werden (vgl. Walther, Codex Manesse, S. 186). 52 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen das Symbol der Wachsamkeit, versteckt im Rankegeäst über dem Paar. Auf diese Weise verleiht das Bild der Minneauffassung des von Buchheim eine körperhaft-sinnliche Komponente, die in den unter seinem Namen aufgeführten Minneliedern nicht thematisiert wird. 53 Kulinarische Objekte als Liebesgaben 2. Mahl und Minne «Von allem [. . .], was den Menschen gemeinsam ist, ist das Gemeinsamste: daß sie essen und trinken müssen.» Mit diesem Satz eröffnet Georg Simmel 1910 seinen Essay zur ‹ Soziologie der Mahlzeit › . 25 Im Kern geht es Simmel darum, zu zeigen, dass Essen und Trinken nicht lediglich Vorgänge im Leben eines jeden Menschen sind, die der Befriedigung leiblicher Bedürfnisse dienen, sondern dass das Geben, Teilen und gemeinsame Verspeisen von Nahrungsmitteln elementare Formen der Vergemeinschaftung darstellen. In Simmels Nachfolge sind in den letzten hundert Jahren unzählige anthropologische, sozial- und kulturwissenschaftliche Arbeiten entstanden, die sich mit der gemeinschafts- und identitätsbildenden Funktion des Essens und Trinkens auseinandersetzen. 26 25 Simmel, Georg: Soziologie der Mahlzeit, in: Simmel, Georg (Hg.): Soziologische Ästhetik. Hg. u. eingel. v. Klaus Lichtblau, Bodenheim 1998 (Kulturwissenschaftliche Studien 1) [Erstdruck 1910], S. 183 - 190, hier S. 183. 26 Vgl. u. a. Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Bd. 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, Amsterdam 1997 [Erstdruck 1939]; Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Bd. 2: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, Amsterdam 1997 [Erstdruck 1939]; Lévi-Strauss, Claude: Mythologica I. Das Rohe und das Gekochte. Aus dem Franz. v. Eva Moldenhauer, Frankfurt a. M. 1971; Lévi-Strauss, Claude: Mythologica III. Der Ursprung der Tischsitten. Aus dem Franz. v. Eva Moldenhauer, Frankfurt a. M. 1973; Teuteberg, Hans Jürgen: Die Ernährung als psychosoziales Phänomen. Überlegungen zu einem verhaltenstheoretischen Bezugsrahmen, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 14 (1979), S. 263 - 282; Barthes, Roland: Für eine Psycho- Soziologie der zeitgenössischen Ernährung, in: Freiburger Universitätsblätter 21 (1982), S. 65 - 74; Enninger, Semiotik der Kulinarien; Enninger, Kulinarisches Verhalten; Neumann, Gerhard: Tanja Blixen. ‹ Babettes Gastmahl › , in: Wierlacher/ Neumann, Kulturthema Essen, S. 289 - 318; Neumann, Umrisse einer Kulturwissenschaft des Essens; Schuller/ Kleber, Verschlemmte Welt; Zingerle, Arnold: Identitätsbildung bei Tische. Theoretische Vorüberlegungen aus kultursoziologischer Sicht, in: Teuteberg, Hans Jürgen/ Wierlacher, Alois u. a. (Hgg.): Essen und kulturelle Identität. Europäische Perspektiven, Berlin 1997 (Kulturthema Essen 2), S. 69 - 86; Kodisch, Tanja: Fremdheitserfahrungen am Tisch des europäischen Märchens. Ein Beitrag zur Kulturthemenforschung interkultureller Germanistik, Frankfurt 54 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Ausgangspunkt von Simmels Überlegungen zur Soziologie der Mahlzeit ist die Erkenntnis, dass Ess- und Trinkakte individuelle Akte sind, die an sich keinerlei sozialen Charakter haben. 27 Denn gerade dieses - den Menschen Gemeinsamste - sei zugleich auch das Egoistischste, das am unbedingtesten a. M./ Berlin u. a. 1997; Barlösius, Eva/ Manz, Wolfgang: Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung, Weinheim/ München 1999; Karmasin, Helene: Die geheime Botschaft unserer Speisen. Was Essen über uns aussagt, München 1999; speziell aufs Mittelalter bezogen: Müller, Jan-Dirk: Die ‹ hovezuht › und ihr Preis. Zum Problem höfischer Verhaltensregulierung in Ps.-Konrads ‹ Halber Birne › , in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 3 (1984/ 85), S. 281 - 311; Althoff, Gerd: Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftstiftende Charakter des Mahls im frühen Mittelalter, in: Bitsch, Irmgard/ Ehlert, Trude u. a. (Hgg.): Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit. Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 10. - 13. Juni 1987 an der Justus- Liebig-Universität Gießen, Sigmaringen 1987, S. 13 - 25; Düwel, Klaus: Über Nahrungsgewohnheiten und Tischzuchten des Mittelalters, in: Hermann, Bernd (Hg.): Umwelt in der Geschichte. Beiträge zur Umweltgeschichte, Göttingen 1989, S. 129 - 149; Haupt, Barbara: Das Fest in der Dichtung. Untersuchungen zur historischen Semantik eines literarischen Motivs in der mittelhochdeutschen Epik, Düsseldorf 1989 (Studia humaniora 14); Le Goff, Kleidungs- und Nahrungskode; Johanek, Peter: Fest und Integration, in: Altenburg, Detlef (Hg.): Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposium des Mediävistenverbandes, Sigmaringen 1991, S. 525 - 540; Brüggen, Elke: Von der Kunst, miteinander zu speisen. Kultur und Konflikt im Spiegel mittelalterlicher Vorstellungen von Verhalten bei Tisch, in: Gärtner, Kurt/ Kasten, Ingrid u. a. (Hgg.): Spannungen und Konflikte menschlichen Zusammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters. Bristoler Colloquium 1993, Tübingen 1996, S. 235 - 249; Ehlert, Das Rohe und das Gebackene; Feistner, Edith: Kulinarische Begegnungen. Konrad von Würzburg und ‹ Die halbe Birne › , in: Klein, Dorothea (Hg.): Vom Mittelalter zur Neuzeit. Festschrift für Horst Brunner, Wiesbaden 2000, S. 291 - 304; Lieb, Ludger: Essen und Erzählen. Zum Verhältnis zweier höfischer Interaktionsformen, in: Lieb, Ludger/ Müller, Stephan (Hgg.): Situationen des Erzählens. Aspekte narrativer Praxis im Mittelalter, Berlin/ New York 2002 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 20), S. 41 - 68; Schnell, Rüdiger (Hg.): Zivilisationsprozesse. Zu Erziehungsschriften in der Vormoderne, Köln/ Weimar u. a. 2004; Schnell, Rüdiger: Die höfische Kultur des Mittelalters zwischen Ekel und Ästhetik, in: Frühmittelalterliche Studien 39 (2005), S. 1 - 100; Schnell, Rüdiger: Gastmahl und Gespräch. Entwürfe idealer Konversation, von Plutarch zu Castiglione in: Hahn, Alois/ Melville, Gert (Hgg.): Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierungen literarischer und sozialer Interaktion im Mittelalter, Berlin/ Münster 2006 (Geschichte: Forschung und Wissenschaft 24), S. 73 - 90; Schubert, Essen und Trinken; Ehlert, Trude: Zur Semantisierung von Essen und Trinken in Wernhers des Gartenære ‹ Helmbrecht › , in: ZfdA 138 (2009), S. 1 - 16. 27 Vgl. Simmel, Soziologie der Mahlzeit, S. 183. 55 Mahl und Minne und unmittelbarsten auf das Individuum Beschränkte: «[W]as ich denke, kann ich andere wissen lassen; was ich sehe, kann ich sie sehen lassen; was ich rede, können Hunderte hören - aber was der einzelne isst [und trinkt], kann unter keinen Umständen ein anderer essen [und trinken].» 28 Nach Simmel ist es die absolute Exklusivität und Endgültigkeit der Nahrungsaufnahme, die diesen primitiv physiologischen Vorgang zum Inhalt gemeinsamer Aktionen macht, aus denen das soziologische Gebilde der Mahlzeit entsteht. 29 Dabei konstituiert sich, so Simmel, das Gemeinschaftliche der Mahlzeit über den formalen Akt des Teilens, der einen übersehen lässt, «dass man ja gar nicht wirklich ‹ dasselbe › , sondern völlig exklusive Portionen isst und trinkt und die primitive Vorstellung erzeugt, man stelle hiermit gemeinsames Fleisch und Blut her». 30 Aus dieser Sicht ist das Teilen von Nahrung ein bidirektionaler Vorgang, bei dem die am Mahl Beteiligten sich die Nahrung als solche einverleiben, was für den Einzelnen zugleich aber auch die Einverleibung in die Gemeinschaft mit den/ dem Anderen bedeutet. 31 Diese Überlegungen zur gemeinschafts- und identitätsbildenden Funktion der Mahlzeit sind in der Forschung vielfach aufgegriffen und weitergedacht worden. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Versuch Norbert Elias ’ , den Prozess der Zivilisation an der Entwicklung des Essverhaltens der westeuropäischen Oberschichten vom Mittelalter bis zur Neuzeit zu beschreiben. 32 Ein Aspekt wird dabei immer wieder diskutiert: Wenn man mit Simmel davon ausgeht, dass das Teilen von Nahrung die Vorstellung von sozialer Identität erzeugt, dann heißt das zugleich auch, dass die natürliche Individualität der Nahrungsaufnahme beim gemeinsamen Mahl nicht überwunden, sondern von den formal-verbindenden Strukturen des Teilens lediglich überlagert wird. 33 Gemeinschaftsbildung durch Essen und Trinken erweist sich damit per se als prekär. Denn das Teilen der Nahrung setzt Organisation bezüglich der Formen ihrer Konsumierung voraus sowie, nicht zuletzt, die Bereitschaft des Einzelnen zu teilen. Scheitert der Vorgang des Teilens, kann Gemeinschaft in Aggression und Gegnerschaft umschlagen, oder, um mit Norbert Elias zu sprechen, die am Mahl Beteiligten müssen über die Habitualisierung von Selbstkontrollmechanismen verfügen, um Eskalationen zu vermeiden. Insofern hat das gemeinsame Essen und Trinken nicht nur gemeinschaftsbildenden Charakter, sondern es ist 28 Simmel, Soziologie der Mahlzeit, S. 183. Ähnlich argumentiert auch Mattenklott, Geschmackssachen, S. 182. 29 Vgl. Simmel, Soziologie der Mahlzeit, S. 183. 30 Simmel, Soziologie der Mahlzeit, S. 184. 31 Vgl. Falk, Pasi: Essen und Sprechen. Über die Geschichte der Mahlzeit, in: Schuller/ Kleber, Verschlemmte Welt, S. 103 - 131, hier S. 104. 32 Vgl. Elias, Prozeß der Zivilisation. Bd. 1. 33 Vgl. Falk, Essen und Sprechen, S. 122. 56 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen zugleich ein Ort, an dem, wie vielleicht an keinem anderen, Selbstbezogenheit, Ablehnung, Verweigerung oder Ausschluss aus Gemeinschaft zum Ausdruck kommen bzw. gebracht werden können. Für die Frage nach der Zeichenhaftigkeit des gemeinsamen Speisens im Situationsrahmen von Liebe sind sowohl die verbindenden als auch die trennenden Aspekte des Mahls bedeutsam. Wenn Liebende gemeinsam speisen, kann das Mahl insofern zum Zeichen der Liebesvereinigung werden als das Teilen der Nahrung die Bereitschaft des Einzelnen signalisiert, in die Gemeinschaft mit dem Anderen ‹ inkorporiert › zu werden, womit die körperliche Liebesvereinigung symbolisch vollzogen wird. Scheitern hingegen die Ablaufsformen des Teilens, ist dies Ausdruck von gestörter Minnebeziehung. Wer nicht abgibt, schließt den Anderen aus, entlarvt Solipsismus und nur auf sich selbst bezogene Lust. 34 Wer dagegen die Nahrungsaufnahme verweigert, lehnt die Aufnahme in die Gemeinschaft mit dem Anderen ab. Neben dem Teilen bzw. Nicht-Teilen umfasst das gemeinsame Mahl aber noch einen anderen Handlungstypus, der im Situationsrahmen von Liebe Zeichencharakter annehmen kann, nämlich das Anbieten von Essen und Trinken. Solche Handlungen gehören dem Typus nach in den Bereich der alimentären Gaben (vgl. Kapitel II.1.). Wenn das Teilen von Nahrung Zeichen von körperlicher Liebesvereinigung sein kann, so kann das Anbieten von alimentären Objekten bei Tisch für den Wunsch stehen, in die Gemeinschaft mit dem anderen einverleibt zu werden. Die Entgegennahme und das Verspeisen der Gabe wiederum erfordern eine körperliche Öffnung seitens des Beschenkten in Richtung des Schenkenden, mit der die Erwiderung der Zuneigung signalisiert wird. Anbieten, Annehmen und Verzehren von Essen und Trinken bei Tisch können somit als körperhaft-sinnliche Ausdrucksweisen wechselseitigen erotischen Begehrens fungieren. Wie bei den Liebesgaben, sind auch beim gemeinsamen Mahl die Nahrungsmittel und Speisen selbst an der Zeichenbildung beteiligt: Die Speisen und Getränke können, aufgrund ihrer Beschaffenheit, ihrer Farben und Formen, aber auch ihres materiellen Tauschwerts den Wert ausdrücken, den die am Mahl Beteiligten ihrer Liebe beimessen (symbolisches bzw. ikonisches Zeichen), oder sie können durch die Geschichte ihres Erwerbs oder ihrer Herstellung kausal auf die Wertschätzung verweisen, die die Liebenden einander entgegenbringen (indexikalische Zeichen). Im Folgenden werden die drei Interaktionsformen, das Teilen, das Anbieten und der Ausschluss aus der Essgemeinschaft, getrennt voneinander betrachtet. 34 Vgl. Mattenklott, Geschmackssachen, S. 182. 57 Mahl und Minne 2.1 Teilen der Nahrung Das Mahl hatte in vormodernen Gesellschaften einen ungleich höheren sozialen Stellenwert als in modernen. 35 Dies gilt nicht nur für die westeuropäische christliche Kultur, sondern, wie dies Historiker, Ethnologen und Soziologen feststellen, für alle Gesellschaften, die als ‹ archaisch › bezeichnet werden. 36 Am deutlichsten offenbart sich die integrative, gesellschaftskonstitutive Bedeutung, die gemeinsames Essen und Trinken hatte, in den Verboten der Tischgemeinschaft. So wurde z. B. in England im 11. Jahrhundert von der Cambridge Guilde eine hohe Strafe für denjenigen bestimmt, der mit dem Mörder eines Gildenbruders isst und trinkt. 37 Aus dem deutschsprachigen Raum sind Verordnungen überliefert, nach denen Christen und Juden nicht gemeinsam an einer Tafel speisen sollten (Wiener Konzil 1267). 38 Und in Indien konnte das gemeinsame Speisen mit einem der Kaste nach Niederen tödliche Folgen haben. 39 Die Hindu aßen oft allein, um sicher zu gehen, dass die Tafel nicht mit verbotenen Tischgenossen geteilt wurde. 40 Die Beispiele legen nahe, dass die integrative Kraft des Teilens von Nahrung kein historisches, auf bestimmte Kulturen beschränktes Phänomen ist, sondern eine anthropologische Konstante darstellt. Wenn man sich mit der Frage nach der Funktion und Bedeutung des Mahls im europäischen Mittelalter beschäftigt, muss man allerdings berücksichtigen, dass das Christentum auf der Basis der theologischen Abendmahllehre eine einzigartige Verknüpfungsform unter den am Mahl Teilhabenden geschaffen hat. Das christliche Abendmahl, das zum Gedächtnis des letzten Abendmahls, das Jesus kurz vor seiner Gefangennahme mit seinen Jüngern abhält, gefeiert wurde, ging als gemeinschaftsstärkender Höhepunkt in den frühchristlichen Gottesdienst ein. 41 Ursprünglich wurden die Gottesgaben, Brot und Wein (z. T. 35 Vgl. Simmel, Soziologie der Mahlzeit, S. 184; ferner Falk, Essen und Sprechen. 36 Vgl. Simmel, Soziologie der Mahlzeit, S. 184, sowie Althoff, Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftstiftende Charakter des Mahls, S. 24. 37 Vgl. Simmel, Soziologie der Mahlzeit, S. 184. 38 Vgl. Simmel, Soziologie der Mahlzeit, S. 184. 39 Vgl. Simmel, Soziologie der Mahlzeit, S. 184. 40 Vgl. Simmel, Soziologie der Mahlzeit, S. 184. 41 Vgl. Lumpe, Adolf: Art. ‹ Essen › , in: Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt. Bd. VI. Hg. v. Theodor Klauser u. a., Stuttgart 1966, Sp. 612 - 635, hier Sp. 632 - 633. Es ist hier nicht der Ort, um die komplexe Eucharistiedebatte im Detail darzulegen, vgl. ausführlich zum Folgenden: Browe, Peter: Die Eucharistie im Mittelalter. Liturgiehistorische Forschungen in kulturwissenschaftlicher Absicht. Mit einer 58 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen ersetzt durch Wasser), 42 die nach Johannes 6,54 - 57 ewiges Leben im Jenseits verleihen, 43 den Gläubigen durch den Priester, als dem Stellvertreter Jesus Christus, gespendet. Der Wein wurde im Kelch herumgegeben, das Brot den Gläubigen auf die Hand gelegt. Dabei konnte das Brot gleich gegessen werden; Reste davon konnten aber auch mit nach Hause genommen werden, um die Eucharistie am Morgen als erste Speise zu sich zu nehmen. 44 Den nicht bei der Eucharistiefeier Anwesenden wurde ein Stück vom Brot zugeschickt; durch das Essen desselben brachten sie ihre Zugehörigkeit zum Gemeindeverband zum Ausdruck. 45 Vom 12. Jahrhundert an ging man vielerorts über zur Kommunion unter einer Gestalt, der sogenannten Hostien-Kommunion, wobei Priester die Eucharistie unter ihresgleichen weiterhin unter beiden Gestalten zelebrierten. 46 Die Neuordnung geschah vor allem unter dem Einfluss der Lehre von Alexander von Hales (engl. Scholastiker, † 1245), wonach der ganze Christus in jeder der beiden Spezies Brot und Wein anwesend ist. Weitere Festigung erhielt die Spendung des Sakraments unter einer Gestalt durch die Dogmatisierung der Transsubstantiationslehre auf dem IV. Laterankonzil (1215). 47 Ein grundsätzlicher Streitpunkt der abendländischen Christenheit war die Auffassung von der ‹ Wandlung › , der Umwandlung der Substanz des Brots und des Weins in die Substanz von Christi Leib und Blut im Sakrament des Abendmahls. Seit der Mitte des 9. Jahrhunderts standen sich die augustinische Auffassung von der Zeichenhaftigkeit des Sakraments und die Auffassung von der tatsächlichen Inkarnation Christi gegenüber. 48 So wurde z. B. Anstoß daran genommen, dass der in der Hostie in Realpräsenz enthaltene Christus ‹ von den Zähnen der Gläubigen zermalmt › und dem Verdauungsprozess unterworfen Einführung hg. v. Hubertus Lutterbach u. Thomas Flammer, Münster/ Berlin u. a. 2003 (Vergessene Theologen 1). 42 Vgl. Lumpe, Art. ‹ Essen › , Sp. 630. 43 Vgl. Joh. 6,54 - 57: «Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage. Denn mein Fleisch ist wahre Speise und mein Blut ist wahrer Trank. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich in ihm.» (zitiert nach: Die Heilige Schrift des Alten und des Neuen Testaments. Hg. v. Kirchenrat des Kantons Zürich, Zürich 1957, S. 128). 44 Vgl. Browe, Die Eucharistie im Mittelalter, S. 67 - 77, sowie Lumpe, Art. ‹ Essen › , Sp. 633. 45 Vgl. Lumpe, Art. ‹ Essen › , Sp. 633. 46 Browe, Die Eucharistie im Mittelalter, S. 157. 47 Vgl. Maleczek, Werner: Art. ‹ 4. Laterankonzil (1215) › , in: Lexikon des Mittelalters. Bd. V. Hg. v. Robert-Henri Bautier u. a., München/ Zürich 1991, Sp. 1742 - 1744, hier Sp. 1743. 48 Vgl. Hödl, Ludwig: Art. ‹ Abendmahl, Abendmahlsstreit › , in: Lexikon des Mittelalters. Bd. I. Hg. v. Robert-Henri Bautier u. a., München/ Zürich 1980, Sp. 22 - 27. 59 Mahl und Minne würde. 49 Die ‹ realistische › Auffassung von der substanzhaften Wandlung (Transsubstantiation) setzte sich dennoch durch; der anstößigen Vorstellung einer Vermengung von Göttlichem und Profanem beim Verzehr begegnete man mit Reinigungsriten (Fasten, Gebetsformeln). Insgesamt diente das Sakrament des Abendmahls in der mittelalterlichen Kultur nicht bloß der Erinnerung an Christi letztes Abendmahl mit seinen Jüngern, sondern die Eucharistie war ein Ritual, mit dessen Hilfe das ‹ wirkliche › Abendmahl und vor allem der ‹ wirkliche › Leib Christi und sein Blut wieder präsent gemacht werden konnten. 50 Mit anderen Worten: Für den mittelalterlichen Gläubigen waren der Leib Christi und sein Blut in den ‹ Formen › von Brot und Wein substanziell greifbar, der (abwesende) Gebende, Christus selbst, in der Gabe gegenwärtig. 51 Für die Frage nach dem gemeinschaftsbildenden Charakter heißt das, dass wenn der ganze Christus in den Gottesgaben, Brot und Wein, präsent ist, die Gläubigen nicht ein dem anderen versagtes Stück konsumieren, sondern jeder das Ganze in seiner geheiligten Ungeteiltheit zu sich nimmt. Dies wiederum bedeutet, dass das egoistisch Ausschließende jedes Essens und Trinkens, von dem bei Simmel die Rede ist, in diesem Ritual am vollständigsten überwunden ist. 52 Gerd Althoff hat gezeigt, dass das Mahl im europäischen Frühmittelalter ein konstitutives Element sehr vieler Sozialbeziehungen war. 53 Man hat Freundschaften, Bündnisse, Genossenschaften und Frieden durch ein Mahl geschlossen. Dabei war das Mahl, das in diesen Zusammenhängen stattfand, nicht einfach eine den Rechtsakt begleitende Konvention, wie man es heute noch kennt. Im Frühmittelalter hatte das Mahl insofern eine verbindlichere Bedeutung als es selbst Bestandteil des Akts war, mit dem Bündnisse geschlossen und Verträge besiegelt wurden. Es stellte eine rechtsrituelle Handlung dar, die nicht folgenlos war, sondern die den Einzelnen für die Zukunft zu einem bestimmten Verhalten gegenüber den Tischgenossen verpflichtete. 54 Dabei wurde die Bindung innerhalb der Gruppen und Gemeinschaften durch 49 Vgl. Flasch, Kurt: Kampfplätze der Philosophie. Große Kontroversen von Augustin bis Voltaire, Frankfurt a. M. 2008, S. 91 - 92. 50 Vgl. Gumbrecht, Hans Ulrich: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, Frankfurt a. M. 2004, S. 46 - 47. 51 Vgl. Hödl, Art. ‹ Abendmahl, Abendmahlsstreit › . 52 Vgl. So argumentiert auch Simmel selbst (vgl. Simmel, Soziologie der Mahlzeit, S. 184). 53 Vgl. Althoff, Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftstiftende Charakter des Mahls. 54 Vgl. Althoff, Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftstiftende Charakter des Mahls, S. 14. 60 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Wiederholung dieser Handlung von Zeit zu Zeit wiederbelebt und gestärkt. Nach Althoff ist die rechtssymbolische Funktion des Mahls in den frühmittelalterlichen historischen Quellen deutlicher zu fassen als in der höfischen Zeit, um die es hier geht. 55 Er vermutet, dass das Mahl im Rahmen der Hoffeste zwar Relikte des archaischen Mahlverständnisses transportiert, die rechtssymbolischen Handlungen jedoch zu Ritualen erstarrt sind, deren ursprünglicher Sinn nicht mehr bewusst war. 56 Jüngere Untersuchungen bestätigen Althoffs These, indem sie zeigen, dass das herrschaftlich organisierte Mahl im Rahmen von Hoffesten im Hoch- und Spätmittelalter in andere Funktionszusammenhänge eingebunden war als die von Althoff untersuchten frühmittelalterlichen, genossenschaftlich organisierten Mähler. Beim höfischen Festmahl spielt der gemeinschaftsbildende Aspekt zwar weiterhin eine zentrale Rolle, im Vordergrund steht hier aber nicht die rechtssymbolische Funktion, sondern die Repräsentation adligen Selbstbewusstseins und Selbstverständnisses sowie die Demonstration und Legitimation von Herrschaft. Mit anderen Worten: Das höfische Festmahl ist Ort der symbolischen Vermittlung von höfischer Gesellschaft. 57 55 Vgl. Althoff, Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftstiftende Charakter des Mahls, S. 24 - 25. 56 Vgl. Althoff, Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftstiftende Charakter des Mahls, S. 25. 57 Ausgangspunkt der jüngeren Forschung, die diese Perspektive auf höfische Feste, Rituale und Zeremonien zu profilieren sucht, war die Frage, was man sich unter einem mittelalterlichen Hof und der Hofgesellschaft überhaupt vorzustellen hat (vgl. zu diesem Abschnitt die Ausführungen zum Begriff des mittelalterlichen Hofes bei Schneider, Christian: ‹ Hovezuht › . Literarische Hofkultur und höfisches Lebensideal um Herzog Albrecht III. von Österreich und Erzbischof Pilgrim II. von Salzburg [1365 - 1396], Heidelberg 2008 [Beiträge zur älteren Literaturgeschichte], S. 39 - 40). Dabei hat sich in den letzten Jahren ein Hofbegriff herauskristallisiert, der nicht so sehr auf die institutionelle Ausformung des Hofes abhebt, sondern Höfe als «Konkretisierung bestimmter sozialer Beziehungen und Handlungen» begreift (Lutz, Eckart Conrad: Literatur der Höfe - Literatur der Führungsgruppen. Zu einer anderen Akzentuierung, in: Palmer, Nigel F./ Schiewer, Hans-Jochen [Hgg.]: Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster. Ergebnisse der Berliner Tagung, 9. - 11. Oktober 1997, Tübingen 1999, S. 29 - 51, hier S. 31). Hier liegt die Erkenntnis zugrunde, dass es sich beim Hof zwar einerseits um den «Motor des kulturellen, politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Geschehens» im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit handelt, andererseits jedoch um ein Phänomen, das als stabiles und kohärentes Ordnungsgefüge bis ins Spätmittelalter hinein kaum zu fassen ist (vgl. Paravicini, Werner: Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters, München 1994 [Enzyklopädie deutscher Geschichte 32], S. 71 u. 67 - 68). Im Reich kristallisierten sich zwar im 14. Jahrhundert allmählich diejenigen Orte heraus, die dann zu Landeshauptstädten und 61 Mahl und Minne Befragt man historiografische und lehrhafte Texte nach Strukturen des höfischen Festmahls, so zeigt sich, dass es eine komplexe Konstellation darstellt, die sich dadurch auszeichnet, dass die durch das Teilen der Nahrung und des Tafelgeschirrs hergestellte soziale Symmetrie und Homogenität zwischen den am Mahl Beteiligten von den streng hierarchisch organisierten Ablaufsformen, in denen sich Status und Rangrelationen abbilden, transfürstlichen Residenzen wurden. Aber neben dieser Tendenz zu einer lokalen und institutionellen Verstetigung der Hofhaltung, die den Prozess der Residenzbildung kennzeichnet, stand auch im Spätmittelalter noch die Praxis der Reiseherrschaft. Noch im 15. Jahrhundert reiste der Fürst von Ort zu Ort, um seiner Herrschaft Präsenz und Nachhaltigkeit zu verleihen. Der Hof war insofern weniger eine lokale als eine soziale Konstellation, die eine erhebliche personelle Instabilität aufweisen konnte (vgl. Paravicini, Die ritterlich-höfische Kultur, S. 68). Die Wechselhaftigkeit des Hofes erklärt sich aber nicht nur aus der Reiseherrschaft des Fürsten, sondern auch grundsätzlich aus seiner Zusammensetzung (vgl. Schneider, ‹ Hovezuht › , S. 40). Schon der Regensburger Domprobst Konrad von Megenberg unterschied in seiner, um die Mitte des 14. Jahrhunderts geschriebenen, Ökonomik zwischen ‹ curia minor › und ‹ curia maior › und weiter zwischen ‹ curia ordinaria › und ‹ curia plena › (vgl. Schreiner, ‹ Hof › [curia] und ‹ höfische Lebensführung › [vita curialis], S. 67 - 138). Konrads Differenzierung zwischen einem engeren und einem weiteren Hof macht deutlich, dass der mittelalterliche und der frühneuzeitliche Hof kleinere Haus- und größere Hofhaltung zugleich war (vgl. Schneider, ‹ Hovezuht › , S. 40). Während der engere Hof sich aus Personengruppen zusammensetzte, die in einem mehr oder weniger festen Abhängigkeitsverhältnis zum Fürsten standen, bestand der weitere Hof aus einem informellen Kreis höher- und hochrangiger geistlicher wie weltlicher Würdenträger, der sich von Zeit zu Zeit am Hof aufhielt und einem ständigen Wechsel unterlag (vgl. Schneider, ‹ Hovezuht › , S. 40). Die Tendenz ging zwar dahin, den «engeren Hof auf den weiteren übergreifen zu lassen und alle in den Rahmen des Dienstverhältnisses zu spannen» (Paravicini, Die ritterlich-höfische Kultur, S. 67 - 68). Dieser Prozess war jedoch in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts noch keineswegs abgeschlossen (vgl. Schneider, ‹ Hovezuht › , S. 40). Der Umstand, dass der mittelalterliche Hof ein potentiell uneinheitliches, rechtlich und personell nicht scharf umrissenes Gebilde darstellt, hat in der Forschung die Frage aufgeworfen, inwiefern Hof und Hofgesellschaft im Mittelalter überhaupt als kohärentes, stabiles Sozialgefüge wahrgenommen werden konnten. Und hier kommen nun die Feste, Rituale und Zeremonien ins Spiel. Neuere Ansätze zu einer Theorie des Hofes gehen nämlich davon aus, dass die Voraussetzung für die Wahrnehmung des Hofes als ein stabiles und kohärentes Sozialgefüge nicht so sehr das Vorhandensein tatsächlich bestehender Sozialordnungen war, sondern vielmehr die Darstellung dessen, was als Zeichen eines stabilen, kohärenten Sozialgefüges wahrgenommen werden konnte (vgl. u. a. Melville, Agonale Spiele). Anders gesagt: Man geht in der Forschung davon aus, dass die Identität des Hofes auf symbolischer Vermittlung beruht. Denn nur, wenn «der Hof als symbolische Ordnung vermittelt werden kann und damit ‹ institutionell › wird, vermag die Defizienz seiner organi- 62 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen zendiert werden. Das heißt, zu den Werten, die in diesem Symbolsystem des Mahls zum Ausdruck kommen, gehört einerseits das Prinzip der Ranghierarchie und andererseits das Prinzip der Egalität. 58 Deutlich wird dieser Aspekt z. B. in den Vorschriften für die Bedienung an der herrschaftlichen Tafel, die der englische Bischof und Theologe Robert Grosseteste von Lincoln in den ‹ Regeln › ( ‹ les reules › ) für die Hofhaltung der Gräfin Margaret von Lincoln niedergeschrieben hat (1240 - 1242): 59 satorischen Struktur ausgeglichen zu werden» (Melville, Agonale Spiele, S. 183). Hof und Hofgesellschaft wären aus dieser Sicht die symbolische Konstruktion einer Wirklichkeit, die nur durch Inszenierung des zu Erreichenden als bereits Erreichtes hergestellt werden konnte (vgl. Melville, Agonale Spiele, S. 183). Demzufolge hat eine Untersuchung der Identität der höfischen Gesellschaft bei einer Untersuchung ebensolcher Interaktionsformen anzusetzen, die es den Menschen am Hof ermöglichen, sich für eine bestimmte Zeitspanne als stabiles Interaktions- und Kommunikationsgefüge zu erleben (vgl. Melville, Agonale Spiele, S. 184). Der Historiker Gert Melville hat die These aufgestellt, dass sich solche Interaktionsformen vor allem durch zwei Aspekte auszeichnen: Zum einen durch die Fähigkeit, gleichförmig wiederholt zu werden, wodurch Stabilität des höfischen Geschehens suggeriert wird, und zum anderen durch eine stringente innere Ablaufsordnung, durch die sich eine wohlgeschichtete Kohärenz der höfischen Gesellschaft behaupten lässt (vgl. Melville, Agonale Spiele, S. 184). Interaktionsformen, die diese Bedingungen erfüllen, sind im Bereich des höfischen Zeremoniells zu suchen: wie etwa höfische Bankette, Feste, Festmähler, Audienzen und Empfänge, höfische Sitz- und Prozessionsordnungen, aber auch Spiele, wie der Turnierkampf, oder die performative Umsetzung von Bekleidungsregeln (vgl. Melville, Agonale Spiele , S. 184). 58 Aus diesen gegensätzlichen Idealen von hierarchischer und paritätischer Ordnung erwächst ein latenter Wertekonflikt, der für das vormoderne christliche Europa insgesamt prägend ist (vgl. Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 510). So waren - auf jeden Fall im Diesseits - soziale Harmonie, Einheit in der Vielfalt in der gesamten Schöpfung nur als Rangordnung vorstellbar. Und auch im Jenseits begegnet die kosmologische Verdoppelung dieser Ordnungsvorstellung als Hierarchie der himmlischen Heerscharen (vgl. Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 507). Dementgegen steht das christliche Ideal der humilitas, das sich in Wechselwirkung von Kathedralschule, Hofkapelle und Bischofshof in der höfischen Kultur in Form eines Verhaltensideals etabliert hat, in dessen Zentrum die elegantia morum steht: einem eleganten Auftreten, das Eigenschaften wie wechselseitige Rücksichtnahme, Sanftmut, Heiterkeit, Großzügigkeit und Bescheidenheit umfasst (vgl. Jaeger, Charles Stephen: Die Entstehung höfischer Kultur. Vom höfischen Bischof zum höfischen Ritter, Berlin 2001 [Philologische Studien und Quellen 167]). 59 Es gibt eine lateinische, eine französische und eine englische Fassung dieser Schrift, deren Verhältnis zueinander nicht endgültig geklärt ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Bischof zuerst für seinen eigenen Hof Regeln der Haushaltsführung in 63 Mahl und Minne Comaundez ke vostre mareschal ententif soyt de estre present sur la mesnee, a numeement en sale, de garder la mesnee dehors e dedenz nette, e saunz tencun u noyse u vileyne parole; e a chescun mes apele les serviturs de aler a la quisine, e il memes auge tute voye devaunt vostre seneschal deske a vus e deske vostre mes seyt devaunt vus asis, e puis auge ester en miliu de la sale al chef, e veye ke ordeneement e saunz noyse augent les seriaunz ove les mes, de une part e de autre de la sale, a cels ki serrunt assingne de asser les, mes issi ke lem ne asete, ne serve desordeneement par especialte, dunt vus meymes eyez le oyl al service deske les mes seyent assis en lostel. Pus entendez a vostre manger e comaundez ke vostre esquele seyt issi replenie e tassee, e numeement des entremes, ke curteysement puissez partir de vostre esquele a destre e a senestre par tute vostre haute table, e la vus plarra, tut eyent eus de mesmes co ke vus avez devaunt vus. (Robert Grosseteste von Lincoln: ‹ Rules › , S. 404) «Gebt Befehl, daß euer Marschall persönlich die Hofgesellschaft beaufsichtigt, insbesondere im Saal, und daß er die Leute draußen und drinnen höflich anhält, ohne Streit oder Lärm oder häßliche Worte. Bei jedem Gang soll er die Diener aufrufen, in die Küche zu gehen, und er selbst soll bis hin zu dem Truchseß vor eurem Platz gehen, bis euch euer Essen vorgesetzt ist; und dann soll er sich mitten im Saal an die Stirnwand stellen und soll darauf sehen, daß die Diener ordentlich und ohne Lärm mit dem Essen überall durch den Saal bis zu denen gehen, die dazu ernannt sind, das Essen auszuteilen, so daß niemand beim Austeilen und Bedienen gegen die Ordnung bevorzugt wird. Und ihr selbst sollt die Bedienung im Auge behalten, bis die Speisen im Saal verteilt sind. Dann widmet euch eurem Essen und veranlaßt, daß eure Schüssel wiedergefüllt und ganz voll gemacht werde, besonders bei den Zwischengängen, damit ihr auf höfische Weise aus eurer Schüssel nach rechts und links an eurem ganzen Herrentisch austeilen könnt und wo ihr sonst wollt. Alle sollen dasselbe bekommen, was ihr vor euch habt.» (Übersetzung nach: Bumke, Höfische Kultur, S. 266) Das Beispiel zeigt: Einerseits soll die Gräfin darauf achten, dass das Dienstpersonal die Speisen entsprechend dem Rang der Gäste der Reihe nach austeilt: Das heißt, Hierarchieverhältnisse werden abgebildet. Andererseits soll sie darauf achten, dass alle dasselbe bekommen, und von allem jeweils gleich viel, wodurch Gleichheit der Tischgenossen zum Ausdruck gebracht wird. Den historiografischen Berichten und dem Anweisungsschrifttum nach geurteilt, sind von solchen Reglementierungen bei Tisch die Arrangements lateinischer Sprache formuliert; wobei er später, in den Jahren 1240 - 1242, auf der Grundlage des lateinischen Texts, eine ausführlichere Version der Regeln für die Hofhaltung der Gräfin Margaret von Lincoln verfasst haben dürfte (vgl. Bumke, Höfische Kultur, S. 264 - 265). Im Folgenden wird die französische Fassung zitiert nach der Ausgabe von Dorothea Oschinsky (in: Oschinsky, Dorothea: Walter of Henley and other treatises on estate management and accounting, Oxford 1971, S. 389 - 409). 64 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen rund um die Nahrungsaufnahme (Sitzordnung, Bedienung, Auftakt und Beendigung des Mahls) sowie die Verhaltensformen beim Essen und Trinken (Umgang mit Speisen und Getränken, Verhalten gegenüber den Tischgenossen, Körperpflege, Gesprächsverhalten) betroffen. Hierarchisch gesehen, stand der Gastgeber an der Spitze der Tafelgesellschaft. Er war zuständig für das Wohl seiner Gäste. 60 Er wies die Sitzplätze an, 61 wobei er selbst zuoberst an der Tafel oder in der Mitte der einen Längsseite Platz nahm; 62 er eröffnete das Mahl, erhob als Erster das Wort, war zuständig für die Unterhaltung. 63 Es gibt Texte, die davon berichten, dass der Herrscher ganz allein an einem gesonderten Tisch saß oder dass nur die Herrin des Hofes zusammen mit ihm speiste. 64 Die zu Tisch geladenen Personen wurden in absteigender Rangfolge an der Seite bzw. gegenüber des Gastgebers platziert. 65 Für die Bedienung waren grundsätzlich die Truchsessen, Schenken, Vorschneider und Speisemeister zuständig, 66 wobei diese Ämter bei besonders feierlichen Anlässen auch von hochadligen Mitgliedern der Festgesellschaft wahrgenommen werden konnten. 67 Die am Mahl Beteiligten speisten paarweise, jeweils zu zweit 60 So ist der Gastgeber z. B. verantwortlich dafür, dass ausreichend Speisen und Getränke serviert werden (ein iegelîch biderb wirt, der tuo / war, ob si alle habent genuoc, Thomasin, ‹ Der Welsche Gast › V. 474 - 475), dass die aufgetragenen Speisen bekömmlich sind (der wirt sol ouch der spîse enpern, / der sîn geste niht engern, / diu in ist ungemeine, Thomasin, ‹ Der Welsche Gast › V. 511 - 513) und dass nach Beendigung des Mahls Wasser für die Reinigung von Händen und Gesicht gereicht wird (der wirt nâch dem ezzen sol / daz wazzer geben, daz stât wol, Thomasin, ‹ Der Welsche Gast › V. 519 - 520). 61 Vgl. ‹ Facetus › 63 w; ‹ Disch-zucht gemert und gebessert › V. 31 - 32; ‹ Ein spruch der ze tische kêrt › V. 253 - 256; ‹ Liederbuch der Clara Hätzlerin › V. 25 - 28 (die genannten Tischzuchten werden im Folgenden zitiert nach: Thornton, Höfische Tischzuchten). In der ‹ Thesmophagia › kommt die Anweisung hinzu, dass die geladenen Gäste sich erst dann setzen sollten, wenn der Gastgeber die Sitzplatzverteilung abgeschlossen und selbst Platz genommen hatte ( ‹ Thesmophagia › V. 93 - 100, im Folgenden ebenfalls zitiert nach Thornton, Höfische Tischzuchten). 62 Vgl. das ‹ Liederbuch der Clara Hätzlerin › V. 147 - 149; historiografische und bildkünstlerische Belege für die Sitzposition des Gastgebers bei Tisch führt Bumke auf in: Bumke, Höfische Kultur, S. 251. 63 Vgl. das ‹ Liederbuch der Clara Hätzlerin › V. 147 - 185. 64 Vgl. die historiografischen Belege bei Bumke, Höfische Kultur, S. 251. 65 Vgl. das ‹ Liederbuch der Clara Hätzlerin › V. 27 - 38; vgl. auch Bumke, Höfische Kultur, S. 251. 66 Vgl. Bumke, Höfische Kultur, S. 254 - 256. 67 Vgl. ‹ Facetus › 110 w: und ist der tisch mit leuten voll, / stee auf und tin, das stet dir woll.; weitere Belege bei Bumke, Höfische Kultur, S. 256 - 257. 65 Mahl und Minne von einem Tafelgeschirr. 68 Wer die Ehre hatte, Trinkbecher und Schüssel mit einer sozial höhergestellten Person zu teilen, war dazu angehalten, dieser stets den Vortritt zu lassen und ihr im Bedarfsfall die Speisen vorzuschneiden. 69 Aßen Gleichrangige zusammen, bedurfte es der wechselseitigen Rücksichtnahme und Zuvorkommenheit, was jedoch zu Normkonflikten führen konnte. 70 Fragt man nun nach der Stellung der Frau an der höfischen Tafel, so lässt das hier einbezogene Material keine eindeutigen Schlüsse zu. Den historiografischen Dokumenten zufolge war die Frau des Gastgebers bei höfischen Festmählern, gleichberechtigt mit ihrem Mann, zusammen mit den Hofdamen anwesend. 71 Zwar wird bis ins Spätmittelalter davon berichtet, dass die Frauen von den Männern getrennt aßen, entweder an verschiedenen Tischen 72 oder in verschiedenen Räumen 73 . Zugelassen waren sie aber auch an der Seite ihrer Ehemänner; insbesondere ist immer wieder die Rede davon, dass das Herrscherpaar zusammen speist. 74 Entscheidend für die Interpretation des ‹ Parzival › , in dem oftmals von unverheirateten Paaren, die bei Hof gemeinsam speisen, berichtet wird, ist, dass in den hier einbezogenen historiografischen Dokumenten solches an keiner Stelle erwähnt wird. Ähnlich verhält es sich mit dem lehrhaften Schrifttum. Zwar wird hier wiederholt darauf hingewiesen, dass sich Männer bei höfischen Festmählern gegenüber Frauen zuvorkommend verhalten sollen. 75 Jedoch 68 Vgl. u. a. Thomasin, ‹ Der Welsche Gast › V. 497 - 504; ‹ Thesmophagia › V. 97 - 118; ‹ Ein spruch der ze tische kêrt › V. 287 - 290. 69 Vgl. u. a. ‹ Facetus › 77 w und 81 w; ‹ Thesmophagia › V. 133 - 137 und V. 180 - 195; ‹ Liederbuch der Clara Hätzlerin › V. 151 - 155 und V. 180 - 185. 70 Zumeist vermitteln die höfischen Tischzuchten ganz elementare Anweisungen für das gemeinsame Mahl unter sozial Gleichgestellten, wie etwa, dass man sich gegenseitig nicht die besten Stücke wegnehmen soll (vgl.: ein man sol niht sîn ze snelle, / daz er neme von sîme gesellen, / daz im dâ gevellet wol, / wan man sînhalb ezzen sol, Thomasin, ‹ Der Welsche Gast › V. 497 - 500); z. T. enthalten sie aber auch differenziertere Anweisungen. So wird z. B. verschiedentlich darauf hingewiesen, dass man mit dem Essen innehalten soll während der Tischgenosse trinkt, um ihn nicht zu behindern (vgl. u. a. Wann dein gesell dann trincken sol, / So bis vngessen, das stat wol, ‹ Liederbuch der Clara Hätzlerin › V. 91 - 92). Zu den Normkonflikten, die die höfischen Verhaltensregeln provozieren können vgl. Schnell, Rüdiger: Mittelalterliche Tischzuchten als Zeugnisse für Elias ’ Zivilisationstheorie? , in: Schnell, Zivilisationsprozesse, S. 85 - 152. 71 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 276. 72 Vgl. den Bericht von Jean de Joinville bei Bumke, Höfische Kultur, S. 252 - 253. 73 Vgl. Bumke, Höfische Kultur, S. 254. 74 Vgl. Bumke, Höfische Kultur, S. 257; Schubert, Essen und Trinken, S. 276. 75 Vgl. die Belege in Kapitel II.2.2. 66 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen findet sich in dem gesamten Material lediglich ein einziger Hinweis darauf, dass auch nicht zusammengehörende Frauen und Männer zueinander gesetzt werden konnten. [. . .] fuget [es] also sich Das dir wirt zu gesetzt ein frow So lug vnnd sich fur dich genow Dann nit zehalten gliche wise Ist by in allenn ob der spise Dem herren soll man bieten ere Als dem der ist an wirden mer Dem gesellen fruntlich zeigen sich Als dem der dir ist eben glich Den frowen buit schimpf, hofzucht dar ( ‹ Thesmophagia › V. 100 - 109) 76 Die Formulierung fuget [es] also sich / Das dir wirt zu gesetzt ein frow (V. 100 - 101) weist hier auf eine Tischordnung hin, bei der unverheiratete Frauen und Männer paarweise speisen; wobei die Anweisung, man solle den Tischdamen schimpf biuten (V. 109), das Mahl überdies als Ort der Minnewerbung erscheinen lässt. Abgesehen von diesem Beleg stellt das Teilen von Nahrung und Tafelgeschirr zwischen Mann und Frau in den hier einbezogenen historiografischen und lehrhaften Texten stets eine Handlungsform dar, die Ausdruck von ehelicher Zusammengehörigkeit ist. Anders dagegen sieht es in der höfischen Epik aus: Insbesondere in den späthöfischen Texten des 13. Jahrhunderts finden sich etliche Stellen, die einen Zusammenhang zwischen Minnewerbung und Mahl schaffen, indem unverheiratete Männer und Frauen gemeinsam, oft auch an Zweiertischen, speisen; so z. B. in der ‹ Krone › Heinrichs von dem Türlin: mit einander dâ âzen ein ritter und ein vrouwe ie ( ‹ Die Krone › V. 29301 - 29302) oder im ‹ Lohengrin › : der bischof dâ den hovemeister hiez ez alsô ahten, daz ie ein ritter und ein magt mit einander æzen. der hovemeister sagt daz erz snelleclîchen wolde trahten ( ‹ Lohengrin › V. 947 ff.). 77 76 Der Text ist ursprünglich lateinisch und stammt aus dem 12. Jahrhundert. Er wird hier nach Thornton (Höfische Tischzuchten) in der freien Übersetzung Sebastian Brants wiedergegeben. 77 Die ‹ Krone › wird zitiert nach: Heinrich von dem Türlin: Die Krone (Verse 12282 - 30042). Nach der Handschrift Cod. Pal. germ. 374 der Universitätsbibliothek Heidelberg nach Vorarbeiten v. Fritz Peter Knapp u. Klaus Zatloukal. Hg. v. Alfred Ebenbauer und Florian Kragl, Tübingen 2005 (Altdeutsche Textbibliothek 118); der ‹ Lohengrin › wird zitiert nach: Lohengrin. Zum erstenmale kritisch hg. u. mit Anm. vers. v. Heinrich Rückert, Darmstadt 1970 [unveränd. Nachdr. der Ausg. Quedlinburg/ Leipzig 1848]. Vgl. ferner u. a. Der Pleier: Meleranz Hg. v. Karl Bartsch. Mit einem Nachwort von Alexander Hildebrand, Hildesheim/ New York 1974 [Erst- 67 Mahl und Minne Wenn Joachim Bumke von einer «neue[n] Sitte des paarweisen Speisens» an den hochmittelalterlichen Adelshöfen spricht, die «einen Zusammenhang zwischen höfischer Mahlzeit und höfischer Liebe» 78 geschaffen hätte, ist dies insofern mit Vorsicht aufzufassen als sich die Aussage ausschließlich auf Textstellen aus Wolframs ‹ Parzival › sowie auf ikonografische Darstellungen dazu (Münchener ‹ Parzival › -Codex [Cgm 19]) bezieht. Aus der hier eingenommenen Perspektive sieht es dagegen vielmehr danach aus, dass der ‹ Parzival › hier in literarischer Hinsicht traditionsbildend gewirkt hat. 2.2 Anbieten der Nahrung Auch in Ovids Schriften ‹ Ars Amatoria › und ‹ Amores › gehört das Teilen von Nahrung, Tafelgeschirr und Speisesofa beim Gastmahl zu den Handlungsformen, mit denen eheliche Zusammengehörigkeit bezeichnet wird ( ‹ Amores › I,IV,15 - 32). Insgesamt aber steht der Zusammenhang von Ehe und Mahl bei Ovid nicht im Zentrum der Betrachtung. Vielmehr wird das Mahl als ein Ort der Werbung um die/ den Angebeteten dargestellt, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass die Liebesbotschaften in aller Öffentlichkeit mittels erotisch codierter Handlungen heimlich übermittelt werden können. 79 Untersucht man solche bei Ovid aufgeführten Handlungen, zeigt sich indes, dass diese an einen anderen Interaktionstypus gebunden sind als die Bezeichnungsmöglichkeiten von ehelicher Gemeinschaft, nämlich nicht an den Typus des Teilens, sondern an den des Anbietens: auf der einen Seite an Formen des Sich-Selbst-Anbietens mittels heimlicher Blicke ( ‹ Ars amatoria › I,570 - 575; ‹ Amores › II,V,15 - 20), mittels Mimik und versteckter Hand- und Fußzeichen ( ‹ Amores › I,IV,15 - 20; ‹ Amores › II,V,15 - 20; ‹ Amores › III,XIa,20 - 25) oder mittels beiläufig wirkender Berührungen des/ der Angebeteten ( ‹ Ars amatoria › I,575 - 580); auf der anderen Seite an Formen des Anbietens von alimentären Objekten ( ‹ Amores › I,IV,30 - 35; ‹ Ars amatoria › I,575 - 580). So heißt es etwa in den ‹ Amores › , dass wenn eine Frau bei Tisch einem Mann ihr Begehren signalisieren wolle, sie ihm den Trinkbecher, von dem sie getrunken hat, druck 1861] (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 60), V. 1171 - 1189; Die Gedichte vom Rosengarten zu Worms. Hg. v. Georg Holz, Halle a. d. Saale 1893, V. 21 - 22; Biterolf und Dietleib. Mit Benutzung der von Franz Roth gesammelten Abschriften und Vergleichungen. Hg. v. Oskar Jänike, Berlin 1866 (Deutsches Heldenbuch 1), V. 7399 f. 78 Bumke, Höfische Kultur, S. 256. 79 Vgl. z. B.: hic tibi multa licet sermone latentia tecto / dicere, quae dici sentiat illa sibi («Hier darfst du vieles in geheimer Zeichensprache sagen, von dem sie spüren soll, dass es ihr gilt»), ‹ Ars amatoria › I,569 - 570. 68 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen darreichen soll und zwar auf die Weise, dass die Stelle, an der sie ihn mit ihren Lippen berührt hat, dem Empfänger zugewandt ist (quae tu reddideris, ego primus pocula sumam, / et, qua tu biberis, hac ego parte bibam, ‹ Amores › I, IV,31 - 32). Diese Anweisung ist symptomatisch für den bei Ovid entwickelten alimentären Liebescode, zu dessen Grundregeln es gehört, dass die Liebenden ihre Sehnsucht nach körperlicher Vereinigung im gemeinsamen Mahl abbilden, wodurch das Mahl zum ikonischen Zeichen des erotischen Begehrens wird. 80 Neben diesen nonverbalen Übermittlungsformen von Liebesbotschaften kommen bei Ovid aber auch verbale Ausdrucksmöglichkeiten vor. Allen voran wird empfohlen, mit Wein Schmeicheleien auf den Tisch zu schreiben, was gegenüber der Verwendung von anderen Tinkturen den Vorteil habe, dass die Schriftzeichen zwar lesbar, aber eben auch leicht abwischbar sind ( ‹ Ars amatoria › I,570 - 575; ‹ Amores › II,V,15 - 20). Außerdem wird der Gebrauch von verklausulierten Wörtern propagiert, deren Bedeutung auf zuvor getroffenen Absprachen basiert ( ‹ Amores › III,XIa,25 - 26). Angesichts der wichtigen Rolle, die das Mahl als Ort der Liebeswerbung bei Ovid spielt, fällt auf, dass der Zusammenhang von Minne und Mahl in der mittelalterlichen Minnedidaxe kaum thematisiert wird. Andreas Capellanus etwa geht in seinem Traktat ‹ De amore › , für den Ovids ‹ Ars amatoria › und ‹ Remedia amoris › immerhin eine Vorbildfunktion hatten, 81 an keiner Stelle auf die Funktion und Bedeutung des Mahls ein. Und der ‹ Rosenroman › enthält zwar eine Passage, in der das Gastmahl thematisiert wird, hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Minnelehre, sondern um Anweisungen für das richtige Benehmen der Frau bei Tisch ( ‹ Rosenroman › V. 13385 - 13474). Interessant an dieser Tischzucht-Episode ist, dass sie eine Empfehlung enthält, die auch bei Ovid vorkommt, die hier jedoch mit einem ganz anderen Kommentar versehen ist. So wird in beiden Texten dazu geraten, dass man als Frau seine Ankunft beim Gastmahl etwas verzögern solle. Ovid propagiert dies mit der Begründung, dass man sich durch verspätetes Eintreffen beim Mahl für die anwe- 80 Ein prägnantes Beispiel dafür ist folgende Empfehlung aus der ‹ Ars amatoria › : Wenn ein Mann gemeinsam mit seiner Angebeteten an einem Gastmahl teilnimmt, solle er sich darum bemühen, als erster den Trinkbecher an sich zu reißen, von dem sie getrunken hat, und genau jene Speisen zu kosten, bei denen sie sich gerade bedient. Dabei solle er den Trinkbecher mit den Lippen genau an der Stelle berühren, an der ihn die Lippen der Angebeteten berührt haben. Und beim Ergreifen der Speisen aus der Schüssel solle er - wie zufällig - mit den Fingern ihre Hand streifen; das alles begleitet von Blicken, die die Liebesglut erraten lassen (I,565 - 585). 81 Vgl. Andreas, königlicher Hofkapellan: Von der Liebe. Drei Bücher. Übersetzt u. m. Anmerkungen u. e. Nachwort vers. v. Fritz Peter Knapp, Berlin/ New York 2006, S. 309 - 311. 69 Mahl und Minne senden Gäste interessanter mache ( ‹ Ars amatoria › III,750 - 755). Im ‹ Rosenroman › dagegen richtet sich die Anweisung an die Frau des Gastgebers und wird damit begründet, dass diese durch eine kleine Verspätung sicherstellen könne, dass die Gäste bereits sitzen würden, wenn sie selbst den Raum betrete, was wiederum gewährleiste, dass sie den Tafeldienst angemessen leisten könne ( ‹ Rosenroman › V. 13393). Während sich Ovids Anweisung auf die sexuelle Anziehungskraft der Frau richtet, erscheint die Frau im ‹ Rosenroman › als Person, die für das Wohl der Gäste zuständig ist: die den Anwesenden das Brot reicht, die Speisen vorschneidet und in mundgerechten Portionen vorlegt ( ‹ Rosenroman › V. 13395 - 13407). Entsprechend ist der Interaktionstypus des Anbietens hier nicht erotisch codiert, sondern er ist Bestandteil eines (im Prinzip höfischen) ‹ Verhaltenscodex › , der sich dadurch auszeichnet, dass Interaktion auf wechselseitige Akkumulation von gesellschaftlicher Anerkennung ausgerichtet ist: 82 Indem nämlich - so expliziert der Text - die Frau die Gäste bei Tisch bedient, erweist sie ihnen Ehre, wodurch sie wiederum von den Bedienten mit Wohlwollen und Anerkennung bedacht wird ( ‹ Rosenroman › V. 13390 - 13407). In den deutschsprachigen Tischsittenlehren verhält es sich insofern ähnlich wie im ‹ Rosenroman › als sie in ihrer Ausrichtung auf die Institution des Hofes zwar über das höfische Festmahl schreiben, dieses jedoch nicht als Ort der Liebeswerbung behandeln, sondern als Ort der höfischen Erziehung. 83 Der Zusammenhang von Minne und Mahl kommt hier, wenn überhaupt, nur ex negativo zur Sprache, und zwar immer dann, wenn die herrschaftliche Tafel als Tabuzone für Minnewerbung ausgerufen wird. So heißt es etwa in Tannhäusers ‹ Tischzucht › : So si ezznt daz stet nicht wol / Dat man frawn dinen sol (V. 105 - 106). Und in Konrads von Haslau ‹ Jüngling › wird derjenige gescholten, der mit Wein geheime Zeichen auf den Tisch malt (V. 536 - 537), was vor dem Hintergrund von Ovids Liebeslehre als Anspielung auf eine (fingierte) Praxis der nonverbalen Übermittlung von Liebesbotschaften bei Tisch verstanden werden kann, gegen die sich Konrad hier wendet. Fragt man, welche Funktion und Bedeutung dem Interaktionstyp des Anbietens in diesen Texten stattdessen zukommt, dann zeigt sich zunächst einmal - und dies ist entscheidend in Hinblick auf die Interpretation des 82 Vgl. Schnell, Mittelalterliche Tischzuchten. 83 Mit Ausnahme der oben angeführten Stelle in der ‹ Thesmophagia › , die das Mahl als Ort der Minnewerbung behandelt (vgl. Kapitel II.2.1). 70 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen ‹ Parzival › , indem hochadlige Damen durchaus Tafeldienst leisten - , dass Frauen hier, anders als im ‹ Rosenroman › , als Dienende nicht vorkommen. Wenn die Interaktionsform des Anbietens thematisiert wird, dann ausschließlich in Bezug auf die männlichen Mahlteilnehmer, sei es in Bezug auf den Gastgeber, der durch das Anbieten bzw. Herumreichen von Waschutensilien (bei Auftakt und Ende des Mahls), von Speisen und Getränken seine Ehrerbietung gegenüber den Gästen zum Ausdruck bringen kann; 84 sei es in Bezug auf die geladenen Gäste, die mittels solcher Handlungen Ehrerbietung gegenüber sozial höhergestellten Personen ausdrücken bzw. ihre Zuvorkommenheit gegenüber Gleichrangigen. 85 Was hingegen die Stellung der Frauen betrifft, wird durchgehend gelehrt, dass diese an der herrschaftlich organisierten, höfischen Tafel wie höhergestellte Personen zu behandeln seien. 86 Ihnen gilt es, bei Tisch stets den Vorrang zu lassen, den Trinkbecher anzureichen, wenn nötig, die Speisen vorzuschneiden oder vorzulegen. So heißt es z. B. im ‹ Liederbuch der Clara Hätzlerin › : Er [der am Mahl Beteiligte] sol die cost auch greiffen an Zum ersten, es wär dann getân, Das erber frawen sässen mit Im, oder ain man, dem es zym, Die sol er lassen vahen an. (V. 151 - 155) Solche und ähnliche Anweisungen finden sich in nahezu allen höfischen Tischzuchten. Damit gerät ein Aspekt des höfischen Gastmahls in den Blick, der bislang noch nicht angesprochen wurde. Das Mahl ist nicht nur als Symbolsystem zu denken, in dem geltende hierarchische und paritätische Sozialordnungen abgebildet werden, sondern auch als ein Ort der Inszenierung von interessanten Werten und des Entwurfs bestimmter Vorstellungen von Gesellschaft. 87 Denn offenkundig werden mit der zuvorkommenden Behandlung der Frauen bei Tisch keine geltenden sozialen Hierarchieverhältnisse dargestellt, sondern Werte, die für die Qualifikation als Mitglied der höfischen Gesellschaft maßgebend waren: Selbstbescheidung, Zuvorkom- 84 Vgl. u. a. Thomasins ‹ Der Welsche Gast › V. 474 - 475; Tannhäusers ‹ Tischzucht › V. 206 - 212. Zur Zuvorkommenheit des Gastgebers gegenüber den Gästen, die mittels des Anbietens von Speisen und Getränken zum Ausdruck gebracht werden vgl. auch die historiografischen Belege bei Brüggen, Von der Kunst, S. 235 - 236. 85 Vgl. u. a. ‹ Facetus › 77 w; ‹ Thesmophagia › V. 105 - 106; ‹ Thesmophagia › V. 133 - 137; ‹ Ein spruch der ze tische kêrt › V. 283 - 284. 86 Eyn frau ist gar eyn edler nam. / Das dnichts args von in thust sagen, / Wiltu den weisen wol behagen. ( ‹ Disch-zucht gemert und gebessert › V. 123 - 125). 87 Vgl. zu diesem Aspekt auch Karmasin, Die geheime Botschaft, S. 94 - 97. 71 Mahl und Minne menheit und Dienstbereitschaft. 88 Das Mahl wird so zum Modell ‹ richtiger › sozialer Beziehungen. 89 Wenn Bumke postuliert, dass auch Frauen bei höfischen Festmählern für die Bedienung der Gäste zuständig gewesen seien, 90 ist dies wiederum mit einem Fragezeichen zu versehen, da sich seine Aussage ausschließlich auf literarische Texte und diese flankierende ikonografische Darstellungen stützt. In den hier gesichteten historiografischen und lehrhaften Texten dagegen ist, abgesehen von der oben angeführten Stelle im ‹ Rosenroman › , 91 an keiner Stelle die Rede davon, dass Frauen an der höfischen Tafel als Dienende auftreten. 2.3 Ausschluss auf der Essgemeinschaft Wenn das gemeinsame Speisen Zusammengehörigkeit, Verständigung und Friede zwischen den Mahlteilnehmern anzeigt, heißt das zugleich natürlich, dass das Nicht-Teilen Ausdruck einer Störung des sozialen Gefüges ist: Wer nicht abgibt, schließt den Anderen aus; wer dagegen die Nahrungsaufnahme verweigert, lehnt die Aufnahme in die Gemeinschaft mit dem Anderen ab. Nach Ovid bietet die Ablehnung gemeinsamer Speisen Ehepaaren im Rahmen von Fest- und Gastmählern die Möglichkeit, gegenüber Dritten ihre Bereitschaft zu sexuellen Eskapaden zu signalisieren. So wird z. B. in den ‹ Amores › empfohlen, dass wenn eine Frau im Beisein ihres Ehemannes beim Gastmahl dem Nebenbuhler heimlich ihr Begehren signalisieren wolle, sie die ihr und ihrem Mann vorgesetzten Speisen und Getränke unberührt lassen solle ( ‹ Amores › I,IV,25 - 32). Solche minnesymbolischen Codierungen des Nicht-Teilens von Nahrung und Tafelgeschirr sind in der mittelalterlichen Minnedidaxe und den Tischzuchten nicht zu finden. Wenn ungeteilte Nahrung dort angesprochen wird, dann generell in Hinblick auf die destabilisierende Wirkung, die sie für die Tafelgemeinschaft haben können; entsprechend sind Formen des Nicht- 88 Zu den Normen und Wertsetzungen, die dem höfischen Verhaltenscodex des 12. und 13. Jahrhunderts zugrunde liegen, vgl. Rüdiger Schnells ausführliche Auseinandersetzung mit C. Stephen Jaegers und Joachim Bumkes Thesen zum Begriff des ‹ Höfischen › in: Die höfische Kultur des Mittelalters. 89 Ähnlich argumentiert Müller, Die ‹ hovezuht › , S. 297. 90 Vgl. Bumke, Höfische Kultur, S. 256. 91 Wobei die Aussagekraft dieses Belegs für die Frage nach historischen Vorstellungen über die Stellung der Frau an der höfischen Festtafel insofern gemindert ist als sich die Stelle im Fortsetzungsteil des Jean de Meun befindet, der sich - wie die Forschung vermutet - an ein städtisches Lesepublikum richtet (vgl. Karl August Otts Einleitung zum ‹ Rosenroman › , S. 65 - 76). 72 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Teilens, aber auch der Verweigerung der Nahrungsaufnahme mit Ver- und Geboten belegt. 92 Ganz anders dagegen sieht es in der höfischen Epik des 12. und 13. Jahrhunderts aus, in der die symbolische Dimension scheiternder Ablaufsformen des höfischen Mahls und die soziale Sprengkraft, die sich daraus entwickeln kann, oft zentrale Themen darstellen. 93 Fragt man nach dem Stellenwert, der in diesen Texten dem Nicht-Teilen von Nahrung im Zusammenhang mit Minne zukommt, zeigt sich, dass dieses stets eine auf die Minnebeziehung bezogene Bedeutung hat: Wer die Nahrungsaufnahme verweigert, signalisiert seine Ablehnung gegenüber dem Partner; wer nicht abgibt, disqualifiziert sich als Mitglied der höfischen Gesellschaft und damit auch als Minnepartner. Ein Beispiel für die Verweigerung von Nahrungsaufnahme in einer Minnesituation findet sich in Hartmanns von Aue ‹ Erec › . 94 Beim Hochzeitsmahl mit dem Grafen Oringles, das kurz nach Erecs schwerem Sturz vom Pferd stattfindet (fünfte aventiure), weigert sich Enite zu essen. Es kommt zu einem Gespräch zwischen Enite und dem Grafen, an dessen Ende jener sich dazu bereit erklärt, sein Land und seinen Besitz, seinen Stand und seine Person sozusagen um ein Essen an Enite abzutreten: ich wil geben in iuwer hant mich unde mîn lant und sô kreftigez guot daz ir iuwer armuot und leides müget vergezzen. noch gât dan mit mir ezzen. ( ‹ Erec › V. 6406 - 6411) Als Enite auf die Forderung nicht eingeht, schlägt der Graf sie vor den Augen der Gäste mit der Faust blutig ( ‹ Erec › V. 6521 - 6523). Diese Szene ist im Zusammenhang zu sehen mit der im Text vorausgehenden Klage Enites um ihren totgeglaubten Ehemann Erec. 95 Während Enite nämlich in jener Szene die Gemeinschaft mit dem verlorenen Ehemann auf paradoxe Weise wieder herzustellen sucht, indem sie die wilden Tiere im Wald anruft, eines von ihnen möge sie beide auffressen, damit sich ihre Körper nicht trennen (wâ nû 92 Vgl. z. B. ‹ Der Welsche Gast › V. 497 - 500. 93 Vgl. die Belege bei Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter (1000 - 1300), S. 132 - 145. 94 Der Text wird zitiert nach: Hartmann von Aue: Erec. Übers. v. Susanne Held. Hg. v. Manfred Günther Scholz, Frankfurt a. M. 2004 (Bibliothek deutscher Klassiker 188; Bibliothek des Mittelalters 5). 95 Vgl. Fritsch-Rößler, Waltraud: ‹ Finis Amoris › . Ende, Gefährdung und Wandel von Liebe im hochmittelalterlichen deutschen Roman, Tübingen 1999 (Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft 42), S. 76 - 77. 73 Mahl und Minne hungerigiu tier, / beide wolf unde ber, / lewe, iuwer einez kome her / und ezze uns beide, / daz sich sô iht scheide / unser lîp mit zwein wegen! ‹ Erec › V. 5833 - 5838); während in jener Szene also Essen bzw. Gegessen-Werden in einer oralen Symbiose-Phantasie zum Indikator für Gemeinschaft wird, signalisiert Enites Nahrungsverweigerung in der Szene mit dem Grafen ihre Verweigerung des Eintritts in die Gemeinschaft mit diesem, mehr noch: Indem der Graf auf das gemeinsame Mahl besteht, erscheint dieses als Bedingung für die sexuelle Vereinigung des Paares und damit zugleich als öffentliche Repräsentation des nicht-öffentlichen Aktes der Eheschließung. 96 Der hohe soziale Stellenwert, der dem gemeinsamen Mahl in der Kultur des Mittelalters zukam, offenbart sich nun aber nicht nur in Texten, die von höfischen Fest- und Gastmählern handeln, sondern auch in solchen, die sich auf andere Bereiche des sozialen Lebens beziehen. Aufschlussreich in Hinblick auf die Interpretation des ‹ Parzival › , in dem dem Ausschluss aus der Essgemeinschaft über das Symbolisch-Expressive hinaus die handfeste Funktion einer Bestrafung des Minnepartners zukommen kann, sind dabei insbesondere Texte aus dem klerikalen Bereich, wie mittelalterliche Ordensregeln, Berichte über klösterliche Strafpraktiken oder moraltheologische Traktate. Hier nämlich fungiert die Verbannung einer einzelnen Person aus der Essgemeinschaft als Strafe für Unzucht und sonstige Ordnungswidrigkeiten. Solche Strafmaßnahmen werden bereits in der ‹ Regula Benedicti › empfohlen, auf die sämtliche Ordensregeln, die das klösterliche Leben im Hochmittelalter bestimmten, zurückgehen, und die Benedikt von Nursia Jahrhunderte zuvor aufstellte. 97 Demnach sollen Verfehlungen wie z. B. Bummelei oder Unpünktlichkeit im Erscheinen zum Gottesdienst oder bei Tisch mit einem temporären Ausschluss aus der Tafelgemeinschaft des Klosters geahndet werden. Bei Wiederholung kann auch die tägliche Weinration gestrichen 96 Vgl. Fritsch-Rößler, ‹ Finis Amoris › , S. 76 - 77. Ein weiteres Beispiel für die minnesymbolische Bedeutung von ungeteilter Nahrung in Minnesituationen findet sich in Konrads von Würzburg ‹ Die halbe Birne › . Als der Ritter Arnold, der um die Hand der Königstochter anhält, an der höfischen Tafel eine Birnenhälfte verschlingt, bevor er der Prinzessin einen Teil davon anbietet, wird er vom Hof gejagt (vgl. Konrad von Würzburg [? ]: ‹ Von dem Ritter mit der halben Birn › , in: Grubmüller, Klaus [Hg.]: Novellistik des Mittelalters. Märendichtung. Hg., übers. u. kommentiert v. Klaus Grubmüller, Frankfurt a. M. 1996 [Bibliothek deutscher Klassiker 138; Bibliothek des Mittelalters 23], S. 178 - 207, hier V. 67 - 121). Die ungeteilte Nahrung disqualifiziert den Ritter als Mitglied der höfischen Gesellschaft und damit zugleich auch als Ehemann für die Tochter des Königs (vgl. ausführlich zu diesem Text Kapitel V.). 97 Vgl. Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter (1000 - 1300), S. 302. 74 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen werden. Wer außerhalb der Essenszeiten beim Essen ‹ ertappt › wird oder wer die durch den Abt angebotenen Speisen zurückweist, dem soll die Nahrung komplett entzogen werden, bis er sich eines Besseren entsinnt oder sich entschuldigt: Ad mensam autem qui ante versum non occurrerit, ut simul omnes dicant versu et orent et sub uno omnes accedant ad mensam, qui per neglegentiam suam aut vitio non occurrerit, usque secunda vice pro hoc corripiatur. Si denuo non emendaverit, non permittatur ad mensae communis participationem, sed sequestratus a consortio omnium reficiat solus sublata ei portione sua vinum usque ad satisfactionem et emendationem. Similiter autem patiatur, qui et ad illum versum non fuerit praesens, qui post cibum dicitur. Et ne quis praesumat ante statutam horam vel postea quicquam cibi aut potus praesumere. Sed et cui offertur aliquid a priore et accipere rennuit, hora, qua desideraverit hoc, quod prius recusavit, aut aliud, omnino nihil percipiat usque ad emendationem congruam. ( ‹ Regula Benedicti › XLIII ’ 13 - 26) 98 «Kommt einer zu Tisch nicht vor dem Vers - denn alle sollen gemeinsam den Vers singen und beten und sich zusammen zu Tisch setzen - , werde er dafür bis zu zweimal gerügt, wenn er aus Nachlässigkeit oder eigener Schuld nicht pünktlich kommt. Bessert er sich wieder nicht, versage man ihm die Teilnahme am gemeinsamen Tisch. Getrennt von der Gemeinschaft aller Brüder, esse er allein. Auch sein Anteil an Wein werde ihm genommen, bis er Buße tut und sich bessert. Ebenso werde auch er bestraft, der beim Vers nach dem Essen nicht da ist.» ( ‹ Regula Benedicti › XLIII ’ 13 - 26) Solche Strafmaßnahmen, die der Kategorie der Ehrenstrafen zuzuordnen sind, 99 weisen sowohl eine instrumentelle als auch eine symbolisch-expressive Dimension auf. Zum einen verfolgen sie einen Zweck, der außerhalb der Handlung selbst liegt und diese steuert: nämlich die Bestrafung des Täters durch Zufügen von physischem Leid, indem man ihn hungern bzw. karge Nahrung abseits der Gemeinschaft zu sich nehmen lässt. In symbolischer Hinsicht hingegen hat der Ausschluss aus der Essgemeinschaft den Zweck, den Täter zu demütigen und ihn der Bloßstellung und der Spottlust der Gemeinschaft preiszugeben. Deutlich zu erkennen ist dieser Aspekt in der Verfassung des Templerordens, in der ebenfalls davon die Rede ist, dass einem Templer, der gegen die Ordnungsregeln verstößt, die Tischgemeinschaft verboten werden soll. 100 98 Text und Übersetzung zitiert nach: Die Benediktusregel. Regula Benedicti. Lateinisch/ Deutsch. Hg. im Auftrag der Salzburger Bischofskonferenz, Beuron 1992, S. 179. 99 Vgl. Conrad, Hermann: Deutsche Rechtsgeschichte. Ein Lehrbuch. Bd. 1: Frühzeit und Mittelalter. Unveränd. Nachdr. der 2. Aufl. 1962, Karlsruhe 2011, S. 440 - 441. 100 Quelle eingesehen bei Wilken, Friedrich: Geschichte der Kreuzzüge nach morgenländischen und abendländischen Berichten. Bd. 2: Das Königreich Jerusalem und 75 Mahl und Minne Dabei soll die Verbannung jedoch in einer Art und Weise durchgeführt werden, die die symbolische Dimension der Strafe verschärft: Der Täter soll nämlich nicht nur aus der Tafelgemeinschaft ausgeschlossen werden, sondern er muss die kärglichen Speisen, die man ihm zugesteht, solange es der Meister gebietet, auf dem Fußboden des Speisesaals zu sich nehmen und darf Hunde, die an ihn heran gelassen werden und die seine Nahrung verzehren, nicht wegjagen. 101 Ähnliches geht aus einem Bericht der Abtei St. Genoveva hervor, in dem es heißt, der Abt habe als Strafe der Unzucht einen Bruder acht Tage lang auf dem Boden mit den Hunden Essen lassen. 102 Ebenfalls die Funktion einer Strafe, allerdings einer besonderen Strafe, hatte der Ausschluss aus der Essgemeinschaft in ehelichen Verhältnissen. Nach mittelalterlichem kanonischen Recht galt die vollzogene sakramentale Ehe im Prinzip als unauflöslich. Jedoch gab es eine zugelassene Form, in der eine Scheidung der Eheleute durchgeführt werden konnte, nämlich die Trennung von Tisch und Bett (separatio quoad thorum et mensam), die auf Zeit oder auf Lebenszeit vorgenommen werden konnte. 103 Für eine solche Scheidung wurden nur Gründe anerkannt, aus denen sich für den die Scheidung beantragenden Gatten eine Gefährdung seines ewigen Seelenheils oder zeitlichen Wohls ergaben. Gründe für zeitweilige Scheidung waren Abfall vom Glauben, Verführung des anderen Gatten zu Lastern und Verbrechen sowie Misshandlung. 104 Zu lebenslänglicher Trennung von Tisch und Bett berechtigte ausschließlich der Ehebruch eines der Gatten. 105 Die Maßnahme der Separation von Tisch und Bett weist wiederum eine instrumentelle und eine symbolische Dimension auf: Einerseits hat sie den Zweck, den abtrünnigen Gatten zu bestrafen und zugleich den anderen von dessen Schuld zu befreien, 106 andererdie Kämpfe der Christen wider die Ungläubigen bis zu dem Verluste der Grafschaft Edessa und dem Kreuzzuge der Könige Conrad des III. und Ludwig des VII. im Jahre 1146, Leipzig 1813, S. 565. 101 Vgl. Wilken, Geschichte der Kreuzzüge. Bd. 2, S. 565. 102 Quelle eingesehen bei Schmidt, Karl: Dr. Karl Schmidt ’ s Geschichte der Pädagogik. Dargestellt in weltgeschichtlicher Entwicklung und im organischen Zusammenhange mit dem Culturleben der Völker. Hg. v. Wichard Lange. Bd. 2: Die Geschichte der Pädagogik von Christus bis zur Reformation, Cöthen 3 1874, S. 173. 103 Vgl. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 405; sowie ausführlich: Ziegler, Josef Georg: Die Ehelehre der Pönitentialsummen von 1200 - 1350. Eine Untersuchung zur Geschichte der Moral- und Pastoraltheologie, Regensburg 1956 (Studien zur Geschichte der katholischen Moraltheologie 4), S. 115 - 129. 104 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 405. 105 Vgl. Ziegler, Die Ehelehre, S. 127. 106 Vgl. Ziegler, Die Ehelehre, S. 115 - 129. 76 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen seits kommt der Maßnahme eine minnesymbolische Bedeutung zu, indem sie die Entzweiung der Ehepartner anzeigt. Dass solche Strafpraktiken und Rechtsbräuche bei den deutschsprachigen Dichtern bekannt waren, lässt sich nicht nur am ‹ Parzival › erweisen (vgl. Kapitel III.2.3.3), sondern auch an anderen Texten. Im ‹ Erec › etwa greift der Protagonist gegenüber seiner Ehefrau Enite zur Maßnahme der Trennung von Tisch und Bett, um jene für ihren Verstoß gegen das durch ihn auferlegte Schweigegelöbnis zu bestrafen (vgl. ‹ Erec › V. 3661 - 3664; V. 3952 - 3953). Ein anderes Beispiel sind die Fastnachtsspiele, in denen der Ehebrecher dazu verurteilt wird, am Fußboden aus einem Schweinetrog zu essen, was an die oben geschilderte Strafmassnahme des Templerordens erinnert: Das er sol fürpas von der erden essen, Sein schüssel sol sein ain seutrok, Sein löffel sol sein ain fauler stok, Sein speis sol sein ain wagenschmir, Sein trinken sei ain verdorbens pier, Ein spülnapf sei sein trinkfas. 107 3. Nahrungsaufnahme und Minne Im Unterschied zu den bislang behandelten alimentären Handlungen (Liebesgaben, Interaktionen beim Mahl), die im Situationsrahmen von Liebe zwar nicht zwangsläufig, aber auf jeden Fall auch als intentionale Zeichen der Liebe fungieren können - als Zeichen also, mit denen Botschaften gesendet werden, die darauf abzielen, gelesen zu werden - gehört die Nahrungsaufnahme zu den Handlungsformen, mit deren Encodierung durch den Sender kaum zu rechnen ist. Die Art und Weise wie jemand mit Nahrung umgeht, sei es, dass er maßvoll isst und trinkt, sei es, dass er genussvoll schlemmt oder sich in Enthaltsamkeit übt, wird zum Zeichen, indem ein Beobachter vorhanden ist, der das Nahrungsverhalten in der einen oder anderen Hinsicht deutet. 107 Des Baurn Flaischgaden Vasnacht, in: Keller, Adelbert von (Hg.): Fastnachtspiele aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Zweiter Teil, Darmstadt 1965 [Erstdruck 1853], S. 709 - 714, hier S. 711. 77 Nahrungsaufnahme und Minne Dabei beruht die Zeichenhaftigkeit von körperlichen Verrichtungen, wie der Nahrungsaufnahme, im Wesentlichen auf kulturellen Konventionen. Denn für alle menschlichen Gemeinschaften, unabhängig von Zeiten und Räumen, ist seit je das Vorhandensein von Normen und Wertsetzungen, die den Umgang damit regeln, charakteristisch. Die Herausbildung von derartigen Normen und Wertsetzungen ist jedoch in höherem Maße durch die jeweiligen Gesellschaftssysteme und sozialen Ordnungen beeinflusst oder gar bedingt als es etwa bei der Interaktionsform des Teilens der Fall zu sein scheint, deren gemeinschaftsstiftender Charakter sich zeit- und kulturübergreifend beobachten lässt (vgl. Kapitel II.2.1). 108 Zu sehen ist dies z. B. an der Völlerei. Während im Mittelalter - wie zu zeigen sein wird - der maßlosen, genussvollen Nahrungsaufnahme das Stigma des Götzendiensts und der Sündhaftigkeit anhaftet, wird sie zu anderen Zeiten geradezu stolz zur Schau getragen. 109 So galten z. B. Substanz und Gewicht der Speisen und vor allem das Vermögen, sich die Tafelfreuden leisten zu können, im Zeitalter der industriellen Revolution und im Rahmen der Rationalisierungstendenzen des 18. Jahrhunderts als Ausdruck von Lebendigkeit, Wohlstand und diesseitigem Erfolg. 110 Heutzutage wiederum stellt die Völlerei zwar keine Beleidigung Gottes mehr dar, dafür aber ein Affront gegen die herrschenden Schönheits- und Gesundheitsstandards. Unbeherrschter Nahrungskonsum und Fettleibigkeit können beim Betrachter Ekel, Mitleid oder gar Verachtung hervorrufen. 111 Wie nun aber kann die Darstellung des Nahrungsverhaltens einer Figur in einem literarischen Text oder einer bildkünstlerischen Darstellung für den Betrachter zum Zeichen von dessen Liebesverhalten werden? Nehmen wir ein Beispiel: Wenn Don Juan, der erotisch maßlose Näscher, den Komtur erwartet, seinen Tod, dann sitzt er als einsamer Völler an einer reich gedeckten Tafel. Die Darstellung Don Juans als einsamer Völler hat im Grunde nichts mit der Liebesthematik zu tun. Weder ist sein Essverhalten Bestandteil einer Liebeshandlung noch ist es intentional darauf bezogen. Dennoch trägt die Darstellung zur Zeichnung Don Juans als Liebendem bei, wobei an der Zeichenhaftigkeit des Bildes unterschiedliche Zeichenarten beteiligt sind. 108 Vgl. Masser, Achim: Art. ‹ Tischzuchten › , in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. IV. Hg. v. Klaus Kanzog, Berlin/ New York 1984, Sp. 436 - 439, hier Sp. 436. 109 Zur Geschichte der Völlerei vgl. Prose, Francine: Völlerei. Die köstlichste Todsünde. Aus dem Amerik. v. Friederike Meltendorf, Berlin 2009, S. 9. 110 Vgl. Prose, Völlerei, S. 10. 111 Vgl. Prose, Völlerei, S. 11. 78 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Die theoretischen Vorüberlegungen haben ergeben, dass die Zeichenrelationen zwischen Nahrungsaufnahme und Liebesverhalten auf den physiologischen Ähnlichkeitsrelationen zwischen Nahrungs- und Geschlechtstrieb basieren, die im Geist des Betrachters analoge Empfindungen erregen und damit den Zeichenbildungsprozess in Gang setzen können (ikonisches Zeichen). Erforderlich ist dabei ein Stimulus, der die Ähnlichkeit zwischen den beiden Bereichen ins Bewusstsein des Rezipienten ruft. Im Fall von Don Juan kann, vor der Folie seines Liebesverhaltens, um das es in der Geschichte geht, das abschließende Bild seiner Völlerei aufgrund der Ähnlichkeit des Eindrucks, den es beim Betrachter hervorruft, eine Übertragung der Bereiche in Gang kommen. 112 Das Essverhalten sagt dann implizit etwas über die Qualität der Figur als Liebende aus, sei es - wie im Fall von Don Juan - , dass die einsame Völlerei als Bild für seine selbstbezogene, unersättliche sexuelle Lust erscheint, sei es, dass alimentäre Enthaltsamkeit für sexuelle Enthaltsamkeit steht oder maßvolles Essverhalten für gemäßigtes Liebesverhalten. Neben solchen ikonischen Zeichenrelationen wirken kulturelle Codierungen an der Zeichenbildung mit. So erscheint Don Juans einsame Völlerei im Angesicht des Todes vor dem Hintergrund des christlich-theologischen Deutungsrahmens als Sinnbild für seine Sündhaftigkeit. Deutungsrahmen Befragt man das lehrhafte, höfische Schrifttum nach Normen und Wertsetzungen, die die Nahrungsaufnahme betreffen, stößt man auf eine Fülle an Belegen, die alle ein gemeinsames Anliegen haben: Warnung vor der Macht des gelusts (Swer dem geluost volgen wil, / [. . .] wie wil der ein herre sin, ‹ Der Welsche Gast › V. 4283 - 4289), Verurteilung der Völlerei (Ouch haltest du ere, sydtt, vnnd masz / Das man nit sprech du sigst ein frasz, ‹ Thesmophagia › V. 705 - 706) 113 und Ermahnung zu einem maßvollen Umgang mit Nahrung (Mit grosser zucht nymbt er das masz, ‹ Thesmophagia › V. 39) 114 . Wer an einem höfischen Fest- oder Gastmahl teilnimmt, soll sich nicht wie ein Tier gierig über die Speisen und Getränke hermachen, sondern sich in Maße üben: In dem der mensch kein viech ist nicht Dan er mit fridlichem angesicht Maszlich die spise angriffen pfligt 112 Ähnlich argumentiert Mattenklott, Geschmackssachen, S. 182. 113 Vgl. ferner ‹ Thesmophagia › V. 232 - 241; Tannhäusers ‹ Tischzucht › V. 33 - 48; ‹ Dischzucht gemert und gebessert › V. 37. 114 Vgl. u. a. auch ‹ Thesmophagia › V. 196 - 201; V. 295 - 300; V. 448 - 454; V. 693 - 706; ‹ Der Welsche Gast › V. 472 - 478; Tannhäusers ‹ Tischzucht › V. 33 - 49. 79 Nahrungsaufnahme und Minne scham vnd ouch zucht er eben wigt Als ob er der spis schonet gern. ( ‹ Thesmophagia › V. 31 - 35) Was Maßhalten heißt, wird dabei vielfach erörtert. Die Regeln und Gebote zielen allesamt auf das Treffen einer Mitte zwischen den Extremen des Zuviel und Zuwenig, wobei sie sich im Wesentlichen auf drei Bereiche der Nahrungsaufnahme beziehen: erstens die Auswahl der Speisen und Getränke, zweitens die Menge der Nahrungsaufnahme und drittens den Stellenwert, der dem Essen und Trinken im Rahmen eines höfischen Mahls eingeräumt wird. Hinsichtlich der Auswahl der Speisen und Getränke richtet sich das Gebot der mâze darauf, dass man sich nicht einseitig auf ein oder zwei Gerichte beschränken, sondern von allen ein wenig zu sich nehmen solle (Ysz aller cost gemain, / Nit von ainer oder zwain, ‹ Von tisch zucht › V. 199 - 200). Bezüglich der Menge der Nahrungsaufnahme geht es darum, einerseits nicht zu viel zu sich zu nehmen (Doch vast schantlich ist aller meist / Die backen spannen als ein leist / Vnd fullen den mundt vber al, ‹ Thesmophagia › V. 232 - 234), andererseits aber auch keinesfalls zu wenig zu: Darumb sag ich fürwar er sol Nit vil vor im lassen vinden, Weder prosem, noch die rinden, Noch chainer cost sunst vil, ( ‹ Von tisch zucht › V. 160 - 163) Vielmehr soll man von den Gerichten, die vor einem auf dem Teller liegen, genau soviel zu sich nehmen, dass am Schluss ein kleiner Rest übrig bleibt: Ob du mich furter frogst alsus Ob du solt essen alles vsz Das dir kumpt vff din teller gon Oder ob ein teil solt ligen lon Sprich ich das sig die groste ere Das dir din teller nit standt ler Vnnd das du schonst eins teils der spisz Die von dir kum nach disches wise ( ‹ Thesmophagia › V. 693 - 700) Was den Stellenwert betrifft, der dem Kulinarischen an der höfischen Tafel eingeräumt werden soll, zielt das Gebot der mâze auf eine Wahrnehmungs- und Blickkontrolle. So wird in den Texten wiederholt gelehrt, dass wenn einem Gerichte und Getränke angeboten werden, man sie zwar nicht unbeachtet lassen solle, man aber auch keinesfalls zu intensiv darauf starren solle. Vielmehr gilt es, den Blick ‹ locker › über die Speisen und Getränke schweifen zu lassen, um nicht den Eindruck von Gier und Lust zu erwecken: Du solt ouch vff die spisen niht Stets slagen an din angesicht 80 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Das man dich nit halt fur ein frosz Sunder losz in solicher mosz Die ougen frolich vmbhar gon Losz sie nit an der platten ston ( ‹ Thesmophagia › V. 196 - 201) Die Mäßigung beim Essen und Trinken gehört zu den Verhaltensidealen, die bis in die griechische Antike zurückreichen. Während für Platon, Aristoteles und selbst noch für Seneca Nahrungsaufnahme zwar ein minderwertiger, aber nichtsdestotrotz ein natürlicher und für die physische Selbsterhaltung notwendiger Aspekt des Menschseins darstellt, 115 problematisiert das Christentum die menschliche Esslust im Kontext eines sündhaften Begehrens. 116 Mit der augustinischen Anthropologie beginnt sich im 4. Jahrhundert ein Weltbild durchzusetzen, das im Nahrungstrieb eine gefährliche Lust sieht, gegenüber deren vernunftswidrigen Versuchungen es weniger ein gesundes Mittelmaß zwischen einem Zuviel und Zuwenig herzustellen gilt, sondern die insgesamt bekämpft werden muss. 117 Analog zum Geschlechtstrieb ontologisiert Augustinus den Nahrungstrieb zu einer Quelle allen Übels und verurteilt kulinarische Lüste und Aktivitäten als Sünde. 118 Im Zentrum dieses asketischen Ideals steht das Gebot: das Hungern und das Hungerleiden zu lieben. 119 Entsprechend besagt die augustinische Klosterregel: «Bezwingt euren Leib durch Fasten und Enthaltung von Speise und Trank, soweit es eure Gesundheit zulässt [. . .]. Nicht bloß mit dem Mund sollt ihr Nahrung zu euch nehmen, sondern auch eure Ohren sollen hungrig sein nach dem Worte Gottes.» 120 115 Aristoteles etwa rät zu einem maßvollen Umgang mit Nahrung aus Gesundheitsgründen: «Ebenso zerstören ein Zuviel oder Zuwenig an Speise und Trank die Gesundheit, das Angemessene dagegen schafft die Gesundheit, mehrt sie und erhält sie. So verhält es sich also auch bei der Besonnenheit, Tapferkeit und den übrigen Tugenden. Wer alles flieht und fürchtet und nichts aushält, der wird feige, wer aber vor gar nichts Angst hat, sondern auf alles losgeht, der wird tollkühn; und wer jede Lust auskostet und sich keiner enthält, wird zügellos, wer aber alle Lust meidet, wird Stumpf wie ein Tölpel. So gehen also Besonnenheit und Tapferkeit durch Übermaß und Mangel zugrunde, werden aber durch das Mittelmaß bewahrt» (Aristoteles: Die Nikomachische Ethik. Hg. u. übers. v. Olof Gigon, München 2 1972, S. 83 - 84). 116 Vgl. die umfassende Abhandlung zur westlichen Ethik des Essens und Trinkens von Harald Lemke (Lemke, Harald: Ethik des Essens. Eine Einführung in die Gastrosophie, Berlin 2007). 117 Vgl. Lemke, Ethik des Essens, S. 136 - 139. 118 Vgl. Lemke, Ethik des Essens, S. 136. 119 Vgl. Lemke, Ethik des Essens, S. 139 - 140. 120 Vgl. Die Regeln des Heiligen Augustinus, in: Balthasar, Hans Urs von: Die großen Ordensregeln. Basilius, Augustinus, Benedikt, Franziskus, Ignatius von Loyola, Trier 6 1988 (Lectio spiritualis 12), S. 158 - 171, hier III,1. 81 Nahrungsaufnahme und Minne Solche und ähnliche Anweisungen finden sich auch in den Regeln des Heiligen Benedikt aus dem 6. Jahrhundert. 121 Seit dem 4. Jahrhundert ist die Völlerei dann auch fester Bestandteil von Lasterkatalogen, wie denen von Euagrios Pontikos (um 345 - 399), Johannes Cassian (um 360 - 435) und Papst Gregor dem Großen (um 540 - 604). 122 Und seit dem 12. Jahrhundert zählt sie, wenn auch primär in populären Medien wie Traktaten, Predigten, Katechismen und bildkünstlerischen Darstellungen, die sich an Laien adressierten, zu den sieben Todsünden. 123 Von den monastischen Idealen der Askese und des Maßhaltens beeinflusst, avanciert die mâze in der höfischen Kultur des 12. und 13. Jahrhunderts zur ‹ Mutter aller Tugenden › . 124 Stephen Jaeger hat gezeigt, dass bereits im 10. und 11. Jahrhundert, besonders in den Kreisen der deutschen Hofkapelle und der Bischofskirchen, Vorstellungen und Begriffe, die zum großen Teil auf die römische Moralphilosophie und Gesellschaftslehre zurückgehen, zu einem Programm der feinen Hofsitte ausgearbeitet wurden, das in der Folgezeit eine große Ausstrahlungskraft auch auf die adlige Laiengesellschaft entfaltete. 125 Zu den Eigenschaften, die diesem Verhaltensideal zugerechnet wurden, gehören neben Umgänglichkeit, Sanftmut, Heiterkeit, Liebenswürdigkeit und Großzügigkeit auch Selbstbescheidung und Bescheidenheit. 126 Im Unterschied jedoch zur Antike, in der mit der elegantia morum eine Disziplinierung von Affekten gemeint gewesen sei, wird mit den Begriffen - so Jaeger - im Hochmittelalter eine Ästhetisierung des sittlichen Benehmens angezeigt. 127 Dabei verdankt sich die Vorstellung, wonach sittlich gutes Handeln zugleich schönes Handeln ist, der bis in die Antike zurückreichenden Idee, dass 121 Vgl. u. a. ‹ Regula Benedicti › IV,13. 122 Vgl. Müller, Barbara: Die sieben Todsünden: Von der frühmonastischen Psychologie zur hochmittelalterlichen Volkstheologie, in: Lust und Laster. Die 7 Todsünden von Dürer bis Naumann. Ausstellungskatalog. Hg. v. Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee, Bern/ Ostfildern 2010, S. 16 - 28. 123 Vgl. Müller, Die sieben Todsünden, S. 22. 124 Vgl. Gerwing, Manfred/ Knoch, Wendelin: Art. ‹ Mäßigkeit › , in: Lexikon des Mittelalters. Bd. VI. Hg. v. Robert-Henri Bautier u. a., München/ Zürich 1993, Sp. 371 - 372, hier Sp. 371. 125 Im Zentrum der Kultur, die sich im 12. Jahrhundert an den deutschen Fürstenhöfen ausbildete, stand ein höfisches Verhaltensideal, das eine lange Vorgeschichte hat, deren Aufhellung vor allem C. Stephen Jaeger zu verdanken ist (vgl. Jaeger, Entstehung der höfischen Kultur). Eine ausführliche Diskussion von Jaegers Thesen nimmt Rüdiger Schnell vor (Schnell, Die höfische Kultur des Mittelalters). 126 Vgl. Jaeger, Entstehung der höfischen Kultur. 127 Den Aspekt der Ästhetisierung profiliert Rüdiger Schnell in: Die höfische Kultur des Mittelalters. 82 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Schönheit und Tugend übereinstimmende Größen sind und dass Inneres an Äußerem abzulesen ist. 128 Fragt man nach dem Stellenwert und der Bedeutung, die dem Maßhalten im Umgang mit Essen und Trinken in den deutschsprachigen, höfischen Tischsittenlehren zukommen, zeigt sich, dass es ein soziales Distinktionsmerkmal darstellt, mit dem sich die Mahlteilnehmer als Mitglieder der höfischen Gesellschaft qualifizieren. Negativbeispiele verdeutlichen dies: Wer sich an der höfischen Tafel maßlos verhält, wird mit Bauern oder Tieren auf eine Stufe gestellt. 129 Dabei haben die Gebote sowohl ethisch-moralische als auch ästhetische Dimensionen. Zum einen ist das Maßhalten bei Tisch Ausdruck von Wohlerzogenheit und Tugendhaftigkeit, die zu ewigem Seelenheil verhilft: 130 Verloren wirt kain wolgzogen man Kain ungezogen man der kann Ze himlreich nymmer komen Also han ich vernomen Chain slunt wirt nymm weise gar Des nempt an mangen frazz war Nicht guts sinns hat der slauch Der nicht acht wan auf den pauch [. . .] Von frazz vil sünden geschicht (Tannhäusers ‹ Tischzucht › V. 232 - 239; V. 166) 131 Zum anderen aber tragen die Aufforderungen zur mâze dem ästhetischen Empfinden der Mahlteilnehmer Rechnung. Man soll Maßhalten, um bei den Anwesenden keinen Ekel zu erregen (Nimm auf den löffel nit zu vil, [. . .] / Und bring in gar schön auß dem mund, ‹ Disch-zucht gemert › V. 106 - 108) und insbesondere dem Gastgeber kein grusz und leid zu bescheren: [damit] die wirtschaft dem herren [niht] leid [wirt] Vnd im sein angesicht betrieb Das er sin ougen von dir schieb, [. . .] [daz] macht villicht dem herren grusz, ( ‹ Thesmophagia › V. 215 - 217; V. 227) 128 Vgl. Jaeger, Entstehung der höfischen Kultur; dazu Schnell, Die höfische Kultur des Mittelalters, S. 50. 129 Vgl. u. a. ‹ Thesmophagia › V. 13 - 35; Tannhäusers ‹ Tischzucht › V. 33 - 49. 130 Vgl. Bumke, Joachim: Höfischer Körper - Höfische Kultur, in: Heinzle, Joachim (Hg.): Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche, Frankfurt a. M./ Leipzig 1994, S. 67 - 102. 131 Vgl. auch das ‹ Liederbuch der Clara Hätzlerin › V. 215 - 218. 83 Nahrungsaufnahme und Minne Auffallend ist, dass sich das Gebot der mâze in den hier gesichteten Texten zwar auf den Bereich des Körpers und der körperlichen Verrichtungen bezieht, nicht aber auf die anderen Bereiche des höfischen Mahls, wie die Raumausstattung, das Tafelgeschirr, die Speisen und Getränke oder die vestimentäre Aufmachung der Mahlteilnehmer. Von den geladenen Gästen wird das Tragen von kostbarer, schöner Kleidung ebenso gefordert wie vom Gastgeber, dass er teures Tafelgeschirr ( ‹ Thesmophagia › V. 413) und ein Übermaß an Speisen und Getränken bereitstellt ( ‹ Liederbuch der Clara Hätzlerin › V. 38 - 44). Symptomatisch für dieses Phänomen ist folgende Stelle aus dem ‹ Welschen Gast › : ein ieglich biderb wirt der tuo war ob si alle habent genuoc. der gast der sî sô gevuoc daz er tuo diu glîche gar sam er dâ nihtes neme war ( ‹ Der Welsche Gast › V. 474 - 478) Die Diskrepanz zwischen materieller Prachtentfaltung, der Demonstration von Opulenz, Übermaß und Reichtum einerseits und der Selbstbescheidung und Affektkontrolle der Mahlteilnehmer andererseits kann als Ausdruck dessen gedeutet werden, dass der Körper im Prozess der kulturellen Überformung einer verschärften Reglementierung unterworfen war. 132 Befragt man das lehrhafte Schrifttum nun nach auf die Minne bezogenen Codierungen von Nahrungsaufnahme (Umgang mit Nahrung / Körper), zeigt sich, dass das Gebot der mâze auch in diesem Bereich zu den sinnstiftenden Wertvorstellungen gehört; und zwar nicht erst in den mittelalterlichen Texten, sondern bereits bei Ovid, der in der ‹ Ars amatoria › und den ‹ Amores › gemäßigtes Ess- und Trinkverhalten mehrfach mit sexueller Attraktivität in Verbindung bringt. Drastisch ausgerückt wird dieser Zusammenhang am Beispiel der schönen Helena: Priamides Helenen avide si spectet edentem, / oderit et dicat ‹ stulta rapina mea est › («Sähe Priamus ’ Sohn Helena gierig essen, / würde er voll Abscheu sagen: ‹ Es war eine Dummheit, sie zu rauben › », ‹ Ars Amatoria › III,759 - 760). In eine ähnliche Richtung zielen die Aussagen im ‹ Rosenroman › , wenn es heißt, gute Liebhaber seien an ihrem feinschmeckerischen, gemäßigten Essverhalten zu erkennen ( ‹ Rosenroman › V. 21550 - 21561). Andreas Capellanus wiederum stellt in seinem Traktat ‹ De amore › Bezüge zwischen Fresslust und sexueller Unersättlichkeit her, die ihn dazu bewegen, den Völler als schlechten Liebhaber zu brandmarken ( ‹ De amore › I,vi,490 - 491). 133 132 Ähnlich argumentiert Elke Brüggen (vgl. Brüggen, Von der Kunst, S. 240). 133 Vgl. grundsätzlich zur Verbindung von gula und luxuria in der christlich abendländischen Kultur Prose, Völlerei. 84 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen So sehr das Gebot der mâze und die Verurteilung von Völlerei in die liebesdidaktischen Überlegungen antiker und mittelalterlicher Dichter hineinspielen, so sehr fällt auf, dass die hauptsächlichen Themen, wenn es um den Zusammenhang von Nahrungsaufnahme und Minne geht, dennoch andere sind: Im Zentrum der Betrachtung stehen zum einen nämlich die Appetitlosigkeit von Liebenden, zum anderen ihre alimentäre Bedürfnislosigkeit. Nach Ovid führen Liebessehnsucht und unerfüllte Liebe zu Verdauungsproblemen, fehlendem Appetit, Gewichtsverlust und Verwahrlosung ( ‹ Amores › I,VI,1 - 12; ‹ Amores › III,I,15 - 20). Liebende seien daher an ihrem verlotterten Äußeren, ihrem bleichen Teint und ihrer Magerkeit zu erkennen (indexikalische Zeichen). 134 Diese Darstellung verweist auf den Topos der Liebeskrankheit, der in der antiken Liebesdichtung verbreitet ist und auf dessen Formelschatz die mittelalterlichen Dichter vielfach zurückgreifen. 135 In der höfischen Minnedichtung des 12. und 13. Jahrhunderts haben sich körperliche Erscheinungen wie Appetitlosigkeit, Magerkeit und Bleichheit zu konventionellen Zeichen verfestigt, die von den textinternen Beobachtern (den die Minnepaare flankierenden Figuren) wahrgenommen und zumeist auch ‹ richtig › als Zeichen von minnenôt und swærem kumber interpretiert werden. 136 Als Kehrseite der Vorstellung, wonach Liebessehnsucht und Liebeskummer die Liebenden körperlich ‹ dahinschwinden › lassen, findet sich bei Ovid die Metapher von der Liebe als Nahrung, derzufolge sexuelle Erfüllung, der Körper der Angebeteten, Nahrung für den Liebenden ist (et lateri dabit in vires alimenta voluptas, ‹ Amores › II,X,25), ihm Kraft verleiht und ihn von der Notwendigkeit stofflicher Nahrungsaufnahme enthebt ( ‹ Amores › II,X,23 - 30). Auch der mittelalterliche ‹ Rosenroman › und der Traktat ‹ De amore › des Andreas Capellanus kennen die Metapher der Minne als Nahrung. In Hinblick auf die Interpretation des ‹ Parzival › (sowie auch anderer höfischer Dichtungen) 134 Vgl. u. a. ‹ Ars amatoria › I,723 - 738. 135 Zu den Quellen, aus denen sich der mittelalterliche Topos der Minne als Krankheit speist vgl. Philipowski, Katharina: Minne als Krankheit, in: Neophilologus 87 (2003), S. 411 - 433. 136 Als Beispiele aus der Minnedidaxe vgl. u. a.: ‹ De amore › II,viii,45; III,i,57; ‹ Rosenroman › V. 2547 - 2554; V. 4606 - 4607; aus der höfischen Epik vgl. u. a.: Partonopier und Meliur. Aus dem Nachlass von Franz Pfeiffer. Hg. v. Karl Bartsch. Mit einem Nachw. v. Rainer Gruenter, Berlin 1970, V. 6624 - 6627; Wolfram von Eschenbach: Willehalm. 3., durchges. Aufl. Text der Ausg. v. Werner Schröder. Übersetzung, Vorwort u. Register v. Dieter Kartschoke, Berlin/ New York 2003, V. 134,1 - 135,7; Fleck, Konrad: Flore und Blanscheflur. Hg. v. Wolfgang Golther, Berlin/ Stuttgart 1889, V. 1431; V. 1850 - 58; V. 3406 - 3416; ‹ Meleranz › V. 10705 - 10720. 85 Nahrungsaufnahme und Minne ist von Bedeutung, dass die beiden Texte damit jedoch unterschiedliche Vorstellungen von Liebe verbinden. Während im ‹ Rosenroman › mit Hilfe der Nahrungsmetapher - ganz im Sinne Ovids - körperliche Aspekte von Liebe propagiert werden, indem es die sexuelle Erfüllung ist, die als Nahrung der Liebenden gepriesen wird ( ‹ Rosenroman › V. 4307), werden bei Andreas geistige Aspekte thematisiert. In seiner Beschreibung der vollkommenen Minnedame ist es nämlich nicht deren Körper, sondern ihr ‹ innerer Wert › , ihre Tugend, die den Liebenden und mit ihm die höfische Gesellschaft metaphorisch ernährt: Nec est mirum, si vos videndi tam magno agebar affectu et tam grandi voluntate angebar, quia vestri decoris ac sapientiae laudes mundus universus attollit, et per infinitas mundi partes curiae probitatis vestrae relatione quasi cibo quodam corporali pascuntur. ( ‹ De amore › I,vi,323) «Und es ist nicht verwunderlich, wenn ich von so großem Verlangen aufgewühlt und so großem Wunsch gequält wurde, Euch zu sehen, denn die ganze Welt preist Eure Schönheit und Klugheit, und in unzähligen Teilen der Welt ernähren sich die Höfe von der Erzählung Eures inneren Wertes wie von einer wirklichen Speise. ( ‹ De amore › I,vi,323) Nicht nur verweist Andreas an dieser Stelle auf die Vorstellung von Minne als ein Zustand innerer Erfüllung bzw. Erfülltheit, sondern er wendet sich im Folgenden explizit gegen das körperbezogene Liebeskonzept, das die sexuelle Vereinigung als Nahrung für die Liebenden propagiert, und zwar mit der Begründung, dass es sich hierbei um eine Speise handle, die niemals den Appetit auf das Essen vertreibe, sondern den Körper ersichtlich ohne Nährkraft anfülle und seine Eingeweide in übler Weise okkupiere ( ‹ De amore › I,vi,542). Dass die Metapher der Minne als Nahrung auch bei den deutschsprachigen Dichtern des 12. und 13. Jahrhunderts bekannt war, wird die Interpretation des ‹ Parzival › zeigen (vgl. Kapitel IV. 1.2). Ein weiteres prominenteste Beispiel dafür ist die - in literarischer Nachfolge des ‹ Parzival › stehende - Minnegrottendarstellung Gottfrieds von Straßburg, deren Pointe, vor dem Hintergrund der Tradition des Motivs gesehen, gerade darin besteht, dass sie sich sowohl in Hinblick auf das geistige Liebeskonzept als auch auf das körperbezogene auslegen lässt. Denn Tristan und Isolde ernähren sich von nichts anderem als vom Anblick des jeweils anderen (si sâhen beide ein ander an, / dâ generten sî sich van, V. 16815 - 16816) 137 . Das heißt, hier wird vom Blick und 137 Text zitiert nach Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text v. Friedrich Ranke. Neu hg., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar u. einem Nachwort v. Rüdiger Krohn. Drei Bände. Bd. 1: Text. Mhd./ Nhd. Verse 1 - 9982. Bd. 2: Text. Mhd./ Nhd. Verse 9983 - 19548. Bd. 3: Kommentar, Nachwort u. Register, 6 Stuttgart 1999. Hier Band 2: Text, V. 9983 - 19548. 86 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen damit von der sinnlichen Anziehung ausgegangen, 138 was sich grundsätzlich sowohl auf die inneren Werte des jeweils anderen beziehen kann, die durch den wechselseitigen Anblick erkannt werden, als auch auf die körperlich-erotische Attraktivität des Gegenübers. Entsprechend ambig sind die Auskünfte darüber, worin die Nahrung der Liebenden besteht: Es ist nämlich das - so heißt es im Text - , was sie verborgen unter ihrer Kleidung tragen: muot, reine triuwe und nach Balsam duftende minne (V. 16824 - 16835). Vor allem im späthöfischen Minnesang, vereinzelt aber auch in der Epik des 13. Jahrhunderts, wird die Metapher der Minnespeise weiter ausspekuliert und vielfältig variiert. 139 Als Nahrung des/ der Liebenden erscheinen hier die Tugenden, das Aussehen, der Körper, ein Kuss oder der Atem des/ der Angebeteten. Die Minne kann als geistige Speise bezeichnet werden, aber auch als physisches Genussmittel (z. B. als Apfel oder als Birne). Stets bleibt es jedoch so, dass die Formulierungen darauf zielen, die Liebe als einen Zustand der Erfüllung bzw. der Erfülltheit darzustellen, der die Liebenden von stofflich-materiellen Austauschprozessen enthebt. 138 Vgl. Huber, Christoph: Gottfried von Straßburg: Tristan, Berlin 2000 (Klassiker- Lektüren 3), S. 101. 139 Beispiele dafür finden sich vor allem im späthöfischen Minnesang (im Folgenden zitiert nach: Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts. Hg. v. Carl von Kraus. Bd. I: Text. Zweite Aufl., durchges. v. Gisela Kornrumpf, Tübingen 1978 [abgekürzt zitiert als KLD], sowie nach: Die Schweizer Minnesänger. Nach der Ausg. v. Karl Bartsch. Neu bearb. u. hg. v. Max Schiendorfer. Bd. I: Text, Tübingen 1990 [abgekürzt zitiert als SMS]): Ulrich von Liechtenstein KLD XLVII,4,1 - 3: Minne als Nahrung; KLD LV,7,1 - 3: Leben von Luft und Liebe; Grâve Kraft von Toggenburg SMS 6,I,8 - 9: Minnedame als Ernährerin; Der von Gliers SMS 3, II,25 - 30: Die Tugend der Minnedame ist die Nahrung des Liebenden / Minne als Apfel; Schenk Konrad von Landeck SMS 2,IV,6: Frau als Frucht; SMS 15,II,7 - 8: Der Sänger lässt seine Augen an der Dame weiden; SMS 19,III,7 - 8: Die Tugend der Dame als Nahrung des Sängers; Ulrich von Baumburg 1,II,13: Das Herz ernährt / Minne als Nahrung; Der von Trostberg SMS 1,II,3 - 4: Minnedame als Frucht; Graf Wernher von Hohenberg SMS 2,II,6: Die Frau als Frucht; Meister Johannes Hadlaub SMS 39,IV,44: Die Frau als Frucht; SMS 46,II,3: Die Frau als Frucht; SMS 52,VII,8: Die Tugend der Frau als Frucht; Ott zum Turm SMS 2,III,1: Die Frau als Frucht; (Heinrich der) Rost, Kirchherr zu Sarnen SMS 2,I,1 - 2: Der Mund der Dame soll den Sänger erfrischen; SMS 8,I,8 - 10: Ein Kuss der Frau als Imbiss für den Sänger. Beispiele aus der höfischen Epik: Gottfrieds von Straßburg ‹ Tristan › V. 12038 - 12043: Küsse als Nahrung der Liebenden; V. 16815 - 16827: Tristan und Isolde ‹ essen einander › mit den Augen; ‹ Meleranz › V. 4016: Dame als sældenrîchiu reine fruht; ‹ Flore und Blanscheflur › V. 3014 - 3021; V. 3416; V. 3953: Minne als Nahrung; Der Pleier: Tandareis und Flordibel. Ein höfischer Roman. Hg. v. Ferdiand Khull, Graz 1885, V. 3165; V. 3210; V. 3215: Minne als Nahrung. 87 Nahrungsaufnahme und Minne Für die Interpretation des ‹ Parzival › ist des Weiteren von Belang, dass die Metapher der Minne als Nahrung nicht nur im profanen, sondern auch im geistlichen Schrifttum begegnet. Im Hohelied etwa preist der Bräutigam die Schönheit seiner Braut als Nahrung, 140 was im Mittelalter allegorisch in Hinblick auf das Verhältnis von Christus und Mensch bzw. Kirchengemeinde, in der Marienfrömmigkeit von Christus und Jungfrau Maria, ausgelegt wurde. 141 Ein Beispiel dafür ist die 71. Hohelied-Predigt, Bernhards von Clairvaux, in der die mystische Vereinigung der Seele mit ihrem Bräutigam Christus als wechselseitige Kommunion gesehen wird: «Wundert euch nicht, er genießt uns und wird von uns genossen, damit wir umso inniger mit ihm verbunden würden.» 142 4. Nahrungsmittel und Minne Im Rahmen von Nahrungsakten - dies haben die bisherigen Ausführungen gezeigt - sind es nicht nur die alimentären Handlungen, die als Zeichen von Liebe fungieren können, sondern auch die darin einbezogenen alimentären Objekte. Wenn z. B. eine Frau ihren Geliebten zu sich zum Essen einlädt und ihm als Hauptgang einen Brokkoliauflauf mit Tomatensoße serviert, wird sich der Gast insgeheim etwa folgende Fragen stellen: «Kann es sein, dass meine Herzensdame Vegetarierin ist? », oder: «Die ist aber sparsam. Kann es sein, dass sie so wenig Geld hat, dass sie sich nicht einmal ein Stück Fleisch leisten kann? » Es kann aber auch sein, dass er enttäuscht oder gar verärgert ist und sich fragt, ob seine Geliebte ihn so gering schätzt, dass sie es nicht der Mühe wert findet, eine richtige Mahlzeit mit ein bisschen Fleisch zu servieren. 143 - Hätte es einen Rinderbraten gegeben, hätte sich der Gast gar nichts gedacht. 140 Vgl.: Von Honigseim triefen / deine Lippen, Braut, / unter deiner Zunge / ist Honig und Milch, [. . .] Ich kam in den Garten meiner / Schwester und Braut, / pflückte meine Myrrhe / und meinen Balsam, / ich ass meine Wabe / und meinen Honig, / trank meinen Wein und meine Milch. ( ‹ Hoheslied › 4,11 - 5,7). 141 Kaiser, Otto: Einleitung in das Alte Testament. Eine Einführung in ihre Ergebnisse und Probleme. 2. Aufl., Gütersloh 1970, S. 286. 142 Zitiert nach Huber, Gottfried von Straßburg, S. 100. 143 Das Beispiel ist Karmasin, Die geheime Botschaft, S. 25, entnommen. 88 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Ob ein Gericht Fleisch enthält oder nicht, ist nur ein Aspekt von vielen, an dem sich zeigen lässt, dass es sich bei Nahrung um Träger von Bedeutung handelt, um Zeichen, die Sinn vermitteln, der an ihnen abgelesen werden kann. In Kapitel II.1. wurde bereits gezeigt, dass alimentäre Objekte durch ihre Beschaffenheit, ihre Farben und Formen, aber auch aufgrund ihres materiellen Tauschwerts, der Geschichte ihres Erwerbs oder ihrer Herstellung auf den Grad an Wertschätzung verweisen können, den Liebende einander entgegenbringen (ikonische / indexikalische Zeichen). Hinzu kommen kulturelle Konventionen, die an der Zeichenbildung beteiligt sind. Im oben genannten Fall ist dies die in den meisten Kulturen geltende Norm, dass bei einem Gastmahl Fleisch serviert wird. 144 Vor dem Hintergrund dieser Norm wird das Fehlen von Fleisch bei Tisch zu einem Zeichen, das von den am Mahl beteiligten Personen in der einen oder anderen Hinsicht gedeutet werden kann. Ähnlich wie für den Umgang mit Nahrung (vgl. Kapitel II.3.), ist die Herausbildung von derartigen Normen und Wertsetzungen in hohem Maß durch die jeweiligen Gesellschaftssysteme und sozialen Ordnungen beeinflusst oder gar bedingt. 145 Im Folgenden werden kulturelle Deutungsrahmen erarbeitet, die die Semiotik von Nahrungsmitteln in der höfischen Epik organisieren. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Thematisierung von Nahrung im Zusammenhang mit Minne gelegt. Deutungsrahmen Ein Faktor, den man berücksichtigen muss, wenn man sich mit der Bedeutung und dem Stellenwert von Nahrungsmitteln im 12. und 13. Jahrhundert beschäftigt, ist, dass die Geschichte von Essen und Trinken im Mittelalter eine Geschichte des Mangels ist. Studien zu den europäischen Hungersnöten im Früh- und Hochmittelalter zeigen, dass zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert jede Generation von mindestens einer längeren Hungersperiode betroffen war; 146 wobei der Nahrungsmangel in Europa nicht infolge von Regenmangel und anhaltender Dürre entstand, sondern infolge von anhaltender Nässe, langem Winterfrost und stark verregneten Sommern. 147 Gott, so begründet Ludwig der Fromme im Jahr 828 das Hungerleid, sei durch die Sünden der Menschen so erzürnt worden, dass er sie strafe. Die Vorstellung, 144 Vgl. Karmasin, Die geheime Botschaft, S. 25 - 36. 145 Vgl. Enninger, Semiotik der Kulinarien. 146 Hungersnöte gab es demzufolge seit karolingischer Zeit bis zum Hochmittelalter in den Jahren: 779/ 80, 792/ 93, 805 - 809, 843, 868, 873/ 74, 941, 1005/ 6, 1031, 1043 - 45, 1095, 1099 - 1101, 1124 - 26, 1145 - 47, 1150/ 51, 1161/ 1162, 1195 - 98, 1225/ 26 (vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 34). 147 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 33 - 34. 89 Nahrungsmittel und Minne wonach dauernder Hunger (fames continua), Viehsterben und Seuchen eine Strafe des Herrn sind, war auch im 12. und 13. Jahrhundert verbreitet. 148 Ein zweiter Faktor, der berücksichtigt werden muss, ist, dass das Vorhandensein von Lebensmitteln saisonal bedingt war. Konserven, das Einmachen von Erbsen, Bohnen, Obst und Gemüse, wurde erst im frühen 19. Jahrhundert entwickelt. 149 Auch frisches Fleisch war nicht zu jeder Zeit verfügbar, sondern lediglich in den Schlachtmonaten November und Dezember, wobei vor allem im Dezember, der auch ‹ Schweinemonat › heißen kann, geschlachtet wurde. 150 Das in diesen Wochen gedörrte oder eingepökelte Fleisch musste mindestens bis Ostern halten. Zwischen Ostern und Pfingsten herrschte die Zeit der Eierspeisen und für die Wohlhabenden die Zeit des Lammfleisches. 151 Im Sommer und im Herbst gab es Gerichte, die allenfalls mit untergekochtem Speck angereichert werden konnten. 152 Dass im Mittelalter jeder Mensch, unabhängig von seinem Stand, Zeiten des Heißhungers erlebt hat, ist ein Befund, der oft übersehen wird, da sich die Darstellungen von Mahlzeiten in mittelalterlichen Texten und Bildern zumeist auf den Ausnahmezustand von Festen beziehen, bei denen alles aufgetragen wurde, was es zu bieten gab. 153 Entsprechend hoch war der soziale Stellenwert von Nahrung. Vor allem schwer erhältliche, teure Nahrungsmittel galten als Statussymbole, als Distinktionsmerkmale zwischen Arm und Reich, mit denen - ähnlich wie mit feiner Kleidung - soziale Unterschiede zur Geltung gebracht wurden. 154 Im Zentrum solcher Zeichensetzung, darin ist sich die Forschung einig, steht weniger die Geschichte des Getreides als die des Fleisches. 155 Denn das rigorose Jagdrecht verschloss die Wälder und Gewässer praktisch für alle, die keine Herrschaftsrechte ausübten. Jagdbares Wild und Fische gehörten daher, neben dem Hausgeflügel, zu den charakteristischen Speisen des Adels. 156 Die Küche der Bauern dagegen war durch Fleischarmut bestimmt. Chronikalen Berichten zufolge bildeten Roggenbrot, Haferbrei, gekochte Bohnen, Erbsen und Linsen sowie Wasser und Molke ihre Ernährungsgrundlage. 157 148 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 39 - 40. 149 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 96. 150 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 97. 151 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 97. 152 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 97. 153 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 11 - 15. 154 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 249 - 251. 155 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 97 und S. 249 - 251; Bumke, Höfische Kultur, S. 242 - 243. 156 Zur mittelalterlichen Jagd vgl. Kapitel II.5. 157 Vgl. die historiografischen Quellen bei Schubert, Essen und Trinken, S. 97 und S. 250 - 251. 90 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Obwohl die Herrenspeise mittelalterlichen Texten nach geurteilt für die adlige Gesellschaft des hohen Mittelalters ein wichtiges Standes- und Herrschaftsattribut war, enthalten diese zumeist keine detaillierten Darstellungen des Kulinarischen, sondern lediglich stereotype Aufzählungen. 158 Mittelalterliche Hof- und Tischzuchten etwa berichten zwar über die festliche Ausgestaltung der höfischen Mahlzeit und darüber, wie man sich bei Tisch verhalten soll; Aussagen zum alimentären Bereich beschränken sich jedoch auf die Nennung einiger weniger Nahrungsmittel, wie Brot, Ei, Apfel, Birne, Schnittlauch, Salz und Wein. Nicht viel anders verhält es sich mit der höfischen Epik. Hier finden sich zwar formelhafte Wendungen, wie der spîse guot, der spîse unt des wînes genuoc, der spîse warm unt kalt oder wilt unt zam, die die Vielfalt, Fülle und Exklusivität höfischer Speisen und Getränke andeuten, spezifische Speise- und Getränkebeschreibungen sind jedoch eher die Ausnahme. 159 Im Zentrum solcher Darstellungen stehen die Fleischgerichte: neben Schlachtfleisch (u. a. Lamm, Schaf, Schwein) und Wildtierprodukten (u. a. Hase, Pfau, Kapaun, Fasan, Rebhuhn, Reiher) auch Fisch (u. a. Hecht, Lachs, Lachsforelle, Störe, Neunaugen), der in den literarischen Mahlszenen keineswegs nur zur Fastenzeit aufgetragen wird. 160 Erwähnung finden ferner verschiedene Saucen (salse, agraz), Salz, Pfeffer, Käse und Brot, das sowohl als Unterlage für die Speisen als auch als ‹ Hilfsmittel › zum Aufgreifen derselben verwendet wird, sowie unterschiedliche Weinsorten (lûtertranc / clâret [ ‹ Weißwein › ], sinôpel [ ‹ Rotwein › ], met / lît [ ‹ Fruchtwein › ], môraz [ ‹ Maulbeerwein › ]) 161 . Wasser dagegen, dies wird mehrfach betont, gilt als minderwertiges Getränk (frou, tragt in diu wîn! / lât wazzer trinken diu swîn! ‹ Seifried Helbling › I,345 - 346) 162 158 In der Zeit zwischen dem 4. und 13. Jahrhundert ist die gesamte kulinarische Literatur aus Europa verschwunden. In der Forschung wird dieser Befund dahingehend gedeutet, dass es als unfein galt, allzu detailliert übers Essen und Trinken zu berichten (vgl. Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter (1000 - 1300), S. 82 - 83). 159 Vgl. die Zusammenstellung literarischer Belege bei Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter (1000 - 1300), S. 82 - 112. 160 Vgl. die Zusammenstellung literarischer Belege bei Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter (1000 - 1300), S. 82 - 112. 161 Hohes Ansehen besaßen die Südweine, vor allem der Zypernwein; die heimischen Weine waren meist sauer und wurden deswegen gesüßt und gewürzt (vgl. Bumke, Höfische Kultur, S. 244 - 245). 162 Zitiert nach: Seifried Helbling. Hg. u. erkl. v. Joseph Seemüller, Halle a. d. Saale 1886. Das Wassertrinken wurde im Hochmittelalter u. a. deshalb vermieden, weil die Wasserqualität oft zu wünschen übrig ließ (vgl. Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter [1000 - 1300], S. 719 - 735). 91 Nahrungsmittel und Minne ebenso wie Bier (man sach da nieman trinken pier / man trank da win und claret, ‹ Rennewart › V. 32230 - 32231) 163 . Eines der wenigen Dokumente aus dem Hochmittelalter, das eine detaillierte Darstellung höfischer Kulinarien enthält, ist ‹ Daz buoch von guoter spîse › , das im ‹ Hausbuch › des bischöflich-Würzburgischen Protonotar Michael de Leone ( † 1355) eingetragen ist und das als ältestes deutschsprachiges Kochbuch gilt. 164 Bei den Speisen, die darin vorkommen, handelt es sich nicht um Alltagskost (wie einfache Gemüsegerichte oder Getreidebrei), sondern um Luxusgerichte, die die höfische Lebensweise und den gesellschaftlichen Anspruch der Familie demonstrieren. 165 Diesem Buch zufolge zeichnet sich die höfische Küche vor allem durch folgende Aspekte aus: erstens durch aromareiche Gewürze (u. a. Nelken, Ingwer, Muskatblüte, Pfeffer, Safran, Galgantwurzel und Zimt), pikante Saucen, Parfümierungen und Färbungen, die die natürliche Konsistenz der Zutaten in ihrem Geruch, ihrem Geschmack und ihrer Farbe überdecken bzw. künstlich (bis zur Unkenntlichkeit) verändern; 166 zweitens durch eine Vorliebe für weiße Zutaten, wie Milch, Mandelmilch, (Rohr-)Zucker, Hühner- und Fischfleisch, mit denen der so genannte blamesir (frz. blanc-manger) zubereitet wird, eine fleischhaltige Süßspeise, die in ihrer fleischlosen Variante eine gehobene Fastenspeise darstellt; 167 und drittens durch eine Vorliebe für ‹ Showeffekte › , die durch aufwändige Präsentationsformen (z. B. Verzierung mit Blattgold) erzielt werden. 163 Zitiert nach: Ulrich von Türheim: Rennewart. Aus der Berliner und Heidelberger Handschrift. Hg. v. Alfred Hübner, Berlin 1938 (Deutsche Textes des Mittelalters 39). Was im Mittelalter als ‹ Bier › bezeichnet wurde, besaß überwiegend eine ausgesprochen mäßige Qualität (vgl. Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter [1000 - 1300], S. 107). 164 Solche Rezeptsammlungen kommen aus der mündlichen Tradition. Sie sind mehr Gedächtnisstütze denn präzise Anleitung zum Kochen, da sie die Kenntnis der Gerichte bereits voraussetzen. Im 15. Jahrhundert, etwa 100 Jahre nach der Aufzeichnung des buochs von guoter spîse, setzt eine breite Überlieferung von Kochbüchern ein, die Beweis einer hoch entwickelten Kochkunst sind, einer Kunstfertigkeit, die im scholastischen Artes-System den artes mechanicae zugeordnet wurde (vgl. Hayer, Gerold [Hg.]: Daz buoch von guoter spîse. Abbildungen zur Überlieferung des ältesten deutschen Kochbuchs, Göppingen 1976 [Litterae 45], S. 3 - 5). 165 Vgl. Hayer, Daz buoch von guoter spîse, S. 9. 166 Vgl. Hayer, Daz buoch von guoter spîse, S. 9. Zu diesem Merkmal der höfischen Küche vgl. auch Schubert, Essen und Trinken, S. 163; Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter (1000 - 1300), S. 95. 167 Zu diesem Merkmal der höfischen Küche vgl. Davidson, Alan: The Oxford Companion to Food, Oxford/ New York 2 2006, S. 82. 92 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Der Anzahl der Rezepte nach geurteilt, stehen auch hier die Fleisch- und Fischgerichte im Vordergrund, und zwar wiederum Schlachtfleisch (u. a. Schwein, Huhn), Fisch (u. a. Barsch, Brasse, Aal, Hecht, Stockfisch) und Wildprodukte (u. a. Fasan, Hasel- und Rebhuhn, Hirsch, Wildschwein, Reiherbraten); speziell behandelt wird die Zubreitung von Innereien (u. a. Hirschleber, Lungenbraten). Hinzukommen Süßspeisen (u. a. Eierkuchen, Krapfen mit Obst / Nussfüllung, Äpfel in Honigwasser, Pflaumenschlehe, aus dem Orient eingeführte Feigen, Datteln und Rosinen), Fastenspeisen (u. a. Reis- und Mandelgerichte), Saucenrezepte (u. a. Pfeffer- und Weinsaucen) und Schaugerichte (z. B. das Anrichten ‹ ganzer › Tiere auf großen Platten). Auffallend ist die häufige Verwendung von französischen Lehnwörtern zur Bezeichnung von Mahlzeiten und Gerichten (z. B. petit mangir [ ‹ Frühstück › ], gramangir [ ‹ Hauptmahlzeit › ], agraz [provenzal. agras: ‹ saure Brühe aus unreifen Beeren oder Obst › ]), 168 was als Indiz dafür angesehen werden kann, dass die gesellschaftlichen Praktiken des französischen Adels auch im Bereich der Mahlzeit auf die deutsche Adelskultur ‹ ausgestrahlt › haben. Fragt man nun nach Verbindungen zwischen Nahrungsmitteln und Minne im mittelalterlichen höfischen Schrifttum, dann rückt ein Gericht aus dem buoch von guoter spîse in den Blick, das die Überschrift Ein guot gerihte, der ez gern izzet (Nr. 54) trägt. 169 Hier heißt es nämlich, dass wenn man eine gute Beilage zubereiten wolle, die den Magen erhitzt und die ‹ hüftlahmen › Mädchen in Bewegung versetzt, man siedenden Schweiß, Schmalz von Kieselsteinen, Brombeeren, Gartenbeeren, Laubstückchen von einer Weinrebe, Binsen und Minze nehmen und diese miteinander vermischen solle. - Gewiss, dabei handelt es sich um eine Spaßeinlage, die der Kategorie ‹ Küchenhumor › zuzuordnen ist, nichtsdestotrotz ist das Rezept für die Frage nach auf Minne bezogenen Codierungen von Nahrungsmitteln interessant, denn es verweist auf die historische Vorstellung, wonach verdauliche Substanzen eine den Geschlechtstrieb stimulierende Wirkung haben können. Zwar besitzen Naturprodukte nach Ansicht der neuzeitlichen Schulmedizin keine nachweisbaren Stoffe, die direkt zum Beischlaf anregen, doch ist der Gebrauch zahlreicher Aphrodisiaka schon seit ältester Zeit verbreitet. 170 Ovids Schriften etwa widmen sich dem Thema ausführlich. In der ‹ Ars amatoria › 168 Vgl. die Worterklärungen bei Hayer, Daz buoch von guoter spîse, S. 13 - 15. 169 Rezept Nr. 54 (vgl. Hayer, Daz buoch von guoter spîse, S. 35). 170 Bereits in der Bibel ist von der aphrodisierenden Wirkung von Dudaim (Alraune) die Rede (Genesis 30,14, vgl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hg. v. Hanns Bächtold-Stäubli und Eduard Hoffmann-Krayer. Bd. I, Berlin/ New York 3 2000, hier Sp. 524). 93 Nahrungsmittel und Minne werden unterschiedliche Anregungsmittel gegeneinander abgewogen und schließlich ein Gemisch aus weißen Zwiebeln, Gartenkräutern, Eiern, Honig und Pinienkernen empfohlen (II,415 - 424); an anderen Stellen wird die die Leidenschaft anregende Wirkung von Wein diskutiert (u. a. ‹ Amores › I,VI,37). Dass solche Vorstellungen auch in der höfischen Kultur des Mittelalters verbreitet gewesen sein müssen, zeigt nicht nur die Spaßeinlage im buoch von guoter spîse, sondern vor allem auch die Medizinalverordnung Friedrichs II. aus dem Jahr 1224, die die Herstellung und Verwendung von amatoria pocula anprangert und in Strafe nimmt. 171 Vor dem Hintergrund der rigiden höfischen Sexualmoral verwundert es denn auch nicht, dass in der höfischen Minnedidaxe und -dichtung solche Praktiken kaum thematisiert werden. Zu den Ausnahmen gehört ein Lied des späthöfischen Minnesängers Neidhart, in dem ein Mädchen seiner Mutter von einem Ritter berichtet, der, als er es küsste, eine wurzn im Mund hatte, die es besinnungslos gemacht habe (SNE I: R 22, VII). Kategorial zu unterscheiden von solchen Anregungsmitteln ist der Minnetrank, der in der höfischen Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts vielfach vorkommt. 172 Zwar enthält auch dieser (neben anderen) eine instrumentelle Dimension, indem die Verabreichung des Tranks einen Zweck verfolgt, der außerhalb der Handlung liegt und diese steuert. Seine intendierte Wirkung besteht jedoch nicht in der sexuellen Stimulation der Minnepartner, sondern in der Herstellung und qualitativen Gestaltung von dauerhafter Minne bzw. in der Auflösung von Minnebindungen. So sollen Marke und Isolde in Gottfrieds ‹ Tristan › den Trank denn auch nicht vor, sondern explizit nach dem Geschlechtsverkehr zu sich nehmen: swenne Îsôt unde Marke in ein der minne komen sîn, sô schenke in disen tranc vür wîn und lâ si ’ n trinken ûz in ein. ( ‹ Tristan › V. 11459 - 11463) 171 Vgl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band I, hier Sp. 523. Zu entsprechenden Verboten im mittelalterlichen Rechtsdiskurs vgl. Müller, Wolfgang P.: Die Abtreibung. Anfänge der Kriminalisierung 1140 - 1650, Köln/ Weimar u. a. 2000 (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 24), S. 130. 172 Vgl. z. B. Hartmann von Aue: Das Büchlein. Nach den Vorarbeiten von Arno Schirokauer. Zu Ende geführt und hg. v. Petrus W. Tax, Berlin 1979; Gottfried von Straßburg: ‹ Tristan › ; Konrad von Würzburg: ‹ Partonopier und Meliur › V. 6885 - 7099; Heinrich von Veldeke MF 57,10; MF 58,35; Bernger von Horheim MF 112,1. 94 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen Durch ihn soll das Paar auf die höchste Stufe exklusiver Minne gehoben werden, indem der Trank die Minnepartner dazu veranlasst, sich, ohne es zu wollen, vollkommen wechselseitig zu lieben, sodass ihnen ihre Liebe mehr gilt als alles andere in der Welt und sowohl Freude und Leid als auch Leben und Tod umfasst: mit solher crefte vollebrâht: mit sweme sîn ieman getranc, den muose er âne sînen danc vor allen dingen meinen und er dâ wider in einen. in was ein tôt unde ein leben, ein triure, ein vröude samet gegeben. ( ‹ Tristan › V. 11438 - 11444) Abgesehen vom Minnetrank sind konkrete Benennungen von Speisen und Getränken in den literarischen Minnedarstellungen des 12. und 13. Jahrhunderts selten. Wenn Spezifizierungen erfolgen, dann handelt es sich nicht, wie in den oben genannten Fällen, um alimentäre Objekte, die in instrumenteller Hinsicht auf die Minne bezogen sind, sondern um solche, deren symbolisch-expressive Dimension im Vordergrund steht. Ein plakatives Beispiel dafür ist in der französischen Minneerzählung ‹ Floire et Blanceflor › zu finden, in der beim Festmahl, das am Hof zur Feier des glücklich wiedervereinten Liebespaars abgehalten wird, eine mit lebendigen Vögeln gefüllte Pastete aufgetragen wird, aus der, als man sie bei Tisch aufbricht, Vögel herausfliegen; zuerst kleinere, anschließend Jagdvögel, die die kleineren Vögel jagen. 173 Dieses Gericht hat in doppelter Hinsicht minnesymbolische Bedeutung. Zum einen verweist der Aufwand, den es fraglos bedeutet, ein solch effektvolles Schaumahl herzustellen, kausal auf die Ursache, dass die Hofgesellschaft dem Liebespaar Zustimmung und besondere Wertschätzung entgegenbringt (wahrnehmbar für textinterne und -externe Beobachter); zum anderen lässt die mit dem Mahl verbundene Jagdszene in der Darstellung der Minne zwischen Floire und Blanceflor erotisch-sexuelle Bedeutungsdimensionen anklingen (wahrnehmbar für den textexternen Beobachter). Denn in der (französischen und deutschen) höfischen Minnedichtung des 12. und 13. Jahrhunderts hat sich das Motiv der Vogeljagd zu einem konventionellen Zeichen für Minnebegehren verfestigt (vgl. Kapitel II.5). Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass im deutschsprachigen ‹ Flore und Blanscheflur › Konrad Flecks von einer solchen Pastete nicht die Rede ist. Stattdessen verhält es sich hier so, dass die Liebenden bei dem zu ihren Ehren veranstalteten Festmahl nicht voneinander lassen können und, alle 173 Vgl. Floire et Blanceflor. Hg. v. M. Edélstand de Méril, Paris 1856, V. 2876 f. 95 Nahrungsmittel und Minne Aufforderungen zum Essen überhörend, sich langanhaltend küssen ( ‹ Flore und Blanscheflur › V. 7566 - 7603). Während also im französischen Text mit der Vogeljagd ein erotisches Motiv eingeflochten ist, wird im deutschen Text auf das Motiv der Minne als Nahrung angespielt (vgl. Kapitel II.3) und die Liebe zwischen Flore und Blanscheflur damit als Zustand der Erfüllung inszeniert, die die Liebenden von der Notwendigkeit materiell-stofflicher Nahrungsaufnahme enthebt. Ebenso wie in der hochhöfischen Epik und Lyrik des 12. und 13. Jahrhunderts eine Konventionalisierung erotischer Anspielungen im Bedeutungsfeld der (Vogel-)Jagd zu beobachten ist (vgl. dazu Kapitel II.5), finden sich in der späthöfischen Lyrik des 13. Jahrhunderts bestimmte Nahrungsmittel, die unverkennbar als erotische Metaphern fungieren. Bei Neidhart etwa werden Birnen und Nüsse gegessen und Birnen- und Apfelmost getrunken; 174 beim Taler geht es um den Verzehr von Äpfeln und Pflaumen, bei dem von Gliers ebenfalls um Äpfel, bei Oswald von Wolkenstein und im Königsteiner Liederbuch wiederum um Birnen. 175 All dies sind Sexualmetaphern, deren erotische Konnotationen durch die Handlungen (braten, kochen, verspeisen usw.), an die sie gekoppelt sind, noch pointiert werden können. Solche metaphorische Verwendung unterscheidet sie von den bekannteren Ess- und Trinkbeschreibungen u. a. bei Steinmar und Hadloub. Während dort nämlich das männliche Liedpersonal isst anstatt zu lieben, finden die Nahrungsakte hier im Situationsrahmen der Minnewerbung statt. 176 Angesichts der Fülle an Belegen, die im späten Minnesang vor allem für erotisch codierte Birnen, Äpfel und Nüsse gefunden werden können, kann von einer poetischen Traditionsbildung gesprochen werden, zumal - dies zeigen 174 Vgl. Neidharts Lieder (zitiert nach: Neidhart-Lieder. Texte und Melodien sämtlicher Handschriften und Drucke. Hg. v. Ulrich Müller, Ingrid Bennewitz u. a. Bd. 1: Neidhart-Lieder der Pergament-Handschriften mit ihrer Parallelüberlieferung. Bd. 2: Neidhart-Lieder der Papier-Handschriften mit ihrer Parallelüberlieferung. Bd. 3: Kommentare zur Überlieferung und Edition der Texte und Melodien in Band 1 und 2, Erläuterungen zur Überlieferung und Edition, Bibliographien, Diskographie, Verzeichnisse und Konkordanzen, Berlin/ New York 2007): SNE I: R 31: Birnenmahl; SNE I: C 198 - 200: Birnen/ Nüsse; SNE I: C 227 - 231: Birnenmost/ Birnen; vgl. grundsätzlich hierzu Tervooren, Helmut: Flachsdreschen und Birnenessen. Zu Neidharts Winterlied 8: ‹ Wie sol ich die bluomen überwinden › , in: Lindemann, Dorothee/ Volkmann, Berndt u. a. (Hgg.): ‹ bickelwort › und ‹ wildiu maere › . Festschrift für Eberhard Nellmann zum 65. Geburtstag, Göppingen 1995 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 618), S. 272 - 293. 175 Vgl. die Belege bei Tervooren, Flachsdreschen und Birnenessen. 176 So auch Tervooren, Flachsdreschen und Birnenessen, S. 274. 96 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen volksetymologische Untersuchungen - sich solche Zuschreibungen ‹ außerhalb › des poetisch-literarischen Diskurses etwa in der Volkssprache und im Brauchtum nicht, oder zumindest nicht in derselben Prägnanz, nachweisen lassen. 177 Interessant ist, dass insbesondere die Birne auch in die Epik des 13. Jahrhunderts Einzug hält (u. a. Wolframs ‹ Parzival › , Konrads von Würzburg ‹ Die halbe Birne › ), mit dem Unterschied allerdings, dass die erotischen Bedeutungsgehalte hier auf Textebene nicht spezifiziert und expliziert werden. Denkt man jedoch die lyrische Traditionsbildung als Deutungsrahmen hinzu, ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten der Interpretation, wie am Beispiel des ‹ Parzival › zu zeigen sein wird. 5. Jagd und Minne In einer Arbeit, in der es um den Zusammenhang von Nahrungs- und Minnethematik geht, könnte man sich fragen, was die Jagd darin zu suchen hat. Man könnte einwenden, dass das herrschaftliche Privileg der Jagd in mittelalterlichen Texten (Jagdtraktaten, Fürstenspiegeln, der höfischen Epik und Lyrik) zwar als eine Beschäftigung genannt wird, die der körperlichen Ertüchtigung dient, die Müßiggang und andere Laster verhindert, die die Selbstdisziplin fördert und die auch die Möglichkeit zur Entspannung vom umtriebigen Hofleben bietet, dass aber die Funktion der Jagd als Möglichkeit zur Beschaffung von Nahrung kaum je erwähnt wird. 178 Daraus könnte man schließen, dass sich die Jagd in der höfischen Kultur des Mittelalters von ihrer ursprünglichen Funktion, der Nahrungssuche, entkoppelt hat. Einer solchen Ansicht widerspricht jedoch, dass in mittelalterlichen Beschreibungen von höfischen Mahlzeiten Wildprodukte zum festen Bestandteil gehören, und zwar nicht nur in der höfischen Epik, sondern auch im pragmatischen Schrifttum, wie etwa dem buoch von guoter spîse (vgl. Kapi- 177 Vgl. die volkskundliche Untersuchung bei Tervooren, Flachsdreschen und Birnenessen, S. 275 - 276. 178 Zu Stellenwert und Bedeutung der Jagd in der feudaladligen Gesellschaft des 12. und 13. Jahrhunderts vgl. die ausführliche Abhandlung von Dorothea Heinig (Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 2 - 38 sowie S. 171 - 208). 97 Jagd und Minne tel II.4.). 179 Entsprechend wird in der Ernährungswissenschaft davon ausgegangen, dass die höfische Jagd nicht nur sportive Aspekte hatte, sondern zugleich auch das lieferte, woran die mittelalterliche Küche so arm war, nämlich frisches Fleisch. 180 Auf der Basis der Auswertung von Wildknochenfunden auf mittelalterlichen Burgen und deren Umgebung, die aus dem 12. bis 14. Jahrhundert stammen, stellt Ernst Schubert die These auf, dass die erlegten Tiere nicht nur in die Kochtöpfe oder auf die Bratspieße der Hofküche gelangt seien, sondern dass es auch üblich gewesen sei, sie direkt an Ort und Stelle, das heißt, im Jagdrevier selbst, auszunehmen, zuzubereiten und zu verzehren. 181 Der Widerspruch zwischen diesem Befund und dem ‹ Schweigen › des höfischen Schrifttums über die Bedeutung der Jagd für die Ernährung der höfischen Gesellschaft könnte damit zu erklären sein, dass solche Hervorhebungen zur idealisierten Darstellung der höfischen Lebensweise nicht gepasst hätten, zumal in den Texten ohnehin zumeist betont wird, es gebe der spîse genuoc. 182 Lassen sich auch mögliche Einwände gegen die Annahme einer Funktion der Jagd für die Ernährung der feudalhöfischen Gesellschaft des 12. und 13. Jahrhunderts entkräften, so ließe sich immer noch einwenden, dass das Jagen einen Bereich des höfischen Lebens darstellte, der zwar in einem engen Zusammenhang mit Herrschaftsansprüchen, mit Machtausübung und mit höfischer Erziehung stand, jedoch nicht mit Minne. Dem wiederum muss entgegengehalten werden, dass die Jagd zumindest im minnedidaktischen und poetischen Diskurs des 12. und 13. Jahrhunderts vielfach und in vielfältiger Weise auf die Minnethematik bezogen ist. Man denke nur an Heinrichs von Veldeke ‹ Eneasroman › , in dem Didos Minnebegehren nach Eneas, endlich, auf einem Jagdausflug zur Erfüllung gelangt; 183 man denke an Hartmans von Aue ‹ Erec › (bzw. an Chrétiens ‹ Erec et Enide › ), die mit der Schilderung der von König Artus veranstalteten Hirschjagd einsetzen, bei der der Jäger, der den weißen Hirsch erbeutet, die schönste Frau am Hof küssen darf; man denke ferner an das auf der Burg Tulmein ver- 179 Auf diesen Widerspruch macht bereits Anne Schulz (Essen und Trinken im Mittelalter [1000 - 1300], S. 83) aufmerksam. 180 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 103. 181 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 103. In Ulrichs von Liechtenstein ‹ Frauenbuch › ist davon die Rede, dass die Jäger am Liebsten ohne Begleitung zur Jagd gehen, damit sie die Nahrung (das erlegte Wild, Brot und Wein) nicht mit Anderen teilen müssen ( ‹ Das Frauenbuch › V. 1345 - 1364). 182 Vgl. Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter (1000 - 1300), S. 83. 183 Vgl. Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mittelhochdeutsch/ Neuhochdeutsch. Nach dem Text v. Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übers. Hg. mit einem Stellenkommentar u. einem Nachwort v. Dieter Kartschoke, Stuttgart 1986, V. 59,5 - 64,4. 98 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen anstaltete Fest der Sperberjagd im ‹ Erec › , bei dem ein Sperber, also ein klassischer Beizvogel, als Siegpreis im Kampf um die schönste Frau ausgesetzt wird ( ‹ Erec › V. 451 - 510); und man denke an die unzähligen Vergleiche und Gleichsetzungen des Minnepersonals in der höfischen Epik und Lyrik mit Jägern, mit Jagdtieren und mit Jagdutensilien. Die Jagd kann, dies lassen die genannten Beispiele erkennen, in instrumenteller Hinsicht auf Minne bezogen sein, indem mit ihr ein auf die Liebe bezogener Zweck verfolgt wird, der außerhalb der Jagdhandlung selbst liegt und diese steuert: der Erwerb des Anspruchs auf die schönste Frau, die Auszeichnung der eigenen Frau als die Schönste usw. Die Beziehung zwischen den Bereichen kann aber auch auf semiotischer Ebene liegen, wobei die Zeichenrelationen zwischen Jagd und Minne wiederum auf den Ähnlichkeitsrelationen zwischen Nahrungs- und Geschlechtstrieb basieren, die im Geist des Betrachters analoge Empfindungen erregen und damit den Zeichenbildungsprozess anstoßen können (ikonisches Zeichen). Vergleichspunkte sind einerseits das Jagen und das sexuelle Begehren, andererseits das Erbeuten und die sexuelle Bemächtigung, über die sich die mit der Jagd aufgerufene Beziehungskonstellation von Jäger und Beute, in deren Fluchtpunkt das ‹ Fressen › und ‹ Gefressen-Werden › stehen, auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau übertragen und in der Minnedarstellung triebhaft-sexuelle Bedeutungsdimensionen anklingen lassen kann. Neben solchen ikonischen Zeichenrelationen wirken kulturelle Codierungen an den Zeichenbildungen mit: Vor dem Hintergrund der in der Stauferzeit herrschenden Vorstellung, wonach ein idealer Falkner zugleich ein idealer Mensch ist (s. u.), erweist sich z. B. König Artus mit seinem Hirschfang nicht nur als der beste Jäger und Kämpfer, dem die schönste Frau zusteht, sondern zugleich auch als vorbildlicher Herrscher. Deutungsrahmen Im hohen Mittelalter war die Jagd, wie gesagt, eine dem Adel vorbehaltene Tätigkeit. Das strenge Jagdrecht verschloss die Wälder und Gewässer praktisch für alle, die keine Herrschaftsrechte ausübten. 184 Dem gemeinen Mann war zumeist nur das Fangen von Vögeln, seltener schon die niedere Jagd auf Hasen und Kleinwild erlaubt. 185 Zum Jagdbetrieb im engeren Sinn gehörten Jäger und 184 Zur Entstehung der ‹ Hohen Jagd › als reservierte Tätigkeit (zunächst nur des Königs) und zur ‹ Einforstung › von Waldgebieten seit dem frühen Mittelalter vgl. die ausführliche Darstellung bei Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 2 - 38. 185 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 103; Heinz-Christian Hafke weist ferner darauf hin, dass es in verschiedenen Regionen z. B. auf dem Terrain der dörflichen Allmende wohl durchaus Jagdrechte für die ländliche Bevölkerung gegeben hat (Hafke, Heinz-Christian: Art. ‹ Jagd- und Fischereirecht › , in: Handwörterbuch zur 99 Jagd und Minne Falkner, 186 wobei die Teilnahme von Frauen an der Jagd, dem höfischen Schrifttum nach geurteilt, nichts Ungewöhnliches war. 187 Der Jagdschutz dagegen, die Pflege der Hunde, die Beschaffung von Beizvögeln und alle anderen Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Beaufsichtigung von königlichen Bannforsten und Wildgärten anfielen, oblag den Förstern, 188 die den Beamten der königlichen Güter unterstellt und streng getrennt von den königlichen Jägern waren. Die Förster standen auf einer Stufe mit den übrigen Hörigen und Knechten und waren als solche nur als Jagdgehilfen zur Jagd zugelassen. 189 Ebenfalls von der Jagd ausgeschlossen waren die Angehörigen des Klerus, auch dann, wenn sie dem Adel entstammten. 190 Das kanonische Recht ging von der Ansicht aus, dass die Tätigkeit der Jagd eines Klerikers nicht würdig sei und dem ihm vorgeschriebenen kontemplativen Leben zuwiderlaufe. 191 Ein weiteres Argument gegen jagende Geistliche war die Kostenfrage. Denn von den Klerikern wurde eher erwartet, dass sie Mittel für die Armenfürsorge bereitstellen als dass sie in den Unterhalt von Jagdpersonal, Hunden, Beizvögeln und sonstigen Jagdutensilien investieren. 192 Kulturgeschichtliche Untersuchungen zur Bedeutung und dem Stellenwert der Jagd im Hochmittelalter zeigen, dass diese in engem Zusammenhang mit Herrschaftsansprüchen, Machtausübung und höfischer Erziehung stand. Schon seit der merowingischen Zeit war die Jagd Mittel und Ziel herrschaftlicher Bestrebungen. Denn das Jagdrecht und die Einrichtung von Forsten wurden dazu benutzt, das Herrschaftsrecht von Kaisern und Königen oder die Machtansprüche von Territorialfürsten sichtbar zu machen und zu deutschen Rechtsgeschichte. HRG. Bd. 2. Hg. v. Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, Berlin 1978, Sp. 281 - 288). 186 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 35 - 36. 187 Vgl. die Belege bei Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 228 - 231. 188 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 36. 189 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 36. 190 vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 26. Nach Dorothea Heinig wurde das allgemeine Jagdverbot für die Geistlichkeit zum ersten Mal auf der Synode von Agde (506) ausgesprochen und auf dem Mainzer Konzil (852) bestätigt (vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 26). Nach diesem Beschluss war es Bischöfen, Priestern und Diakonen untersagt, Jagdhunde oder Beizvögel zu halten. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift hatte zur Folge, dass ein Bischof drei Monate, ein Priester zwei Monate und ein Diakon einen Monat lang vom Kirchendienst und der Kommunion ausgeschlossen waren. Auch die Konzilien der folgenden Jahre (u. a. Epaône 517, Lyon 670, Mainz 713) wiederholten das Jagdverbot (vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 26). 191 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 26. 192 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 26. 100 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen festigen. 193 Entsprechend positiv ist die Bewertung der Jagd in der Fachliteratur, den Jagdbüchern und Jagdtraktaten, in denen sie grundsätzlich als eine Tätigkeit beschrieben wird, durch die der Mensch Disziplin, Beharrlichkeit, körperliche Gewandtheit und Übung erlangt, was sich auch im sonstigen Leben positiv auf ihn auswirken und ihm helfen soll, seine Aufgaben zu erfüllen. 194 Dies gilt nicht nur für die Ritter, die sich in Friedenszeiten mit der Jagd in Form halten und sich im Gebrauch von Pferd und Waffen üben sollen, sondern in besonderem Maße auch für den Herrscher; 195 wobei die Engführung von Jagd, Herrschaft und Krieg bereits in der Bibel zu finden ist. So etwa legitimiert sich David in der alttestamentarischen Erzählung von den konkurrierenden Herrschaftsansprüchen Sauls und Davids über Israel deshalb als würdiger Herrscher, weil er als Hirte Löwen und Bären erschlagen hat (1. Sam 17,34 - 36). Eine positive Bewertung der Jagd findet sich insbesondere auch in Friedrichs II. Werk über die Beizjagd ‹ De arte venandi cum avibus › (um 1247/ 48). 196 Das Bild, das darin vom Jäger entworfen wird, ist letztlich nichts anderes als das Idealbild eines vollkommenen Menschen, und so verwundert es denn auch nicht, dass Friedrich II. die Ansicht vertrat, dass, wer sich zum Falkner eigne, für jegliches andere Amt tauglich sei. 197 Der hohe Wert, der der Beizjagd in ‹ De arte venandi cum avibus › zugeschrieben wird, wird dadurch unterstrichen, dass sie als ars bezeichnet wird; als eine Kunst, die Anstrengung und Mühe verlangt, wenn man es zur Meisterschaft bringen will. 198 Denn nur durch den Scharfsinn des Menschen, durch seine Disziplin und Beharrlichkeit - so heißt es im Text - können die Vögel gefangen und abgerichtet werden ( ‹ De arte › I, S. 9). 193 Vgl. Dasler, Clemens: Grundelemente der mittelalterlichen Jagd in einer quellenkritischen Perspektive. Naturräumliche Voraussetzungen, herrschaftliche Bezüge, Funktionen, in: Das Mittelalter 13/ 2 (2008), S. 107 - 121, hier S. 111. 194 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 181 - 182. 195 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 182. 196 So heißt es z. B. an einer Stelle: «Denn die Edlen und Mächtigen dieser Erde, mit den Pflichten der Herrschaft belastet, können durch die Ausübung dieser Kunst wohltuende Ablenkung von ihren Sorgen finden. Die Armen aber und weniger Vornehmen werden, indem sie jenen dabei dienen, ihren Lebensunterhalt finden, und allen wird bei der Ausübung dieser Kunst das Wirken der Natur in den Vögeln offenbar werden.» (zitiert nach: Kaiser Friedrich II.: Über die Kunst mit Vögeln zu jagen. Unter Mitarbeit v. Dagmar Odenthal übertragen u. hg. v. Carl Arnold Willemsen. 2 Bde. u. Kommentarband, Frankfurt a. M. 1964/ 1969, hier Bd. I, S. 7). 197 Vgl. Kantorowicz, Ernst: Kaiser Friedrich der Zweite. Ergänzungsband. Quellennachweise und Exkurse, Berlin 1931 (Werke aus dem Kreis der Blätter für die Kunst: Geschichtliche Reihe), S. 140. 198 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 184. 101 Jagd und Minne Dies alles zeigt, dass der Wert und der Nutzen, der der theoretischen und praktischen Beschäftigung mit der Jagd in Friedrichs Traktat zuerkannt wird, weit über den Anspruch bloßen adligen Zeitvertreibs hinaus auf die Vermittlung und Anerziehung von grundlegenden höfischen Idealen weist, wobei in deren Zentrum die Vorstellung steht, dass nur der über andere herrschen darf, der sich selbst beherrscht. 199 Wie schon gesagt, von einem Zusammenhang zwischen Jagd und Minne ist in der hier gesichteten mittelalterlichen Fachliteratur zur Jagd nicht die Rede. Ganz anders dagegen sieht es im minnedidaktischen Schrifttum aus. Bereits in Ovids ‹ Ars amatoria › sind Bezüge zwischen Jagd und Liebe zu finden, und zwar nicht in dem Sinne, dass den Liebenden dazu geraten würde, gemeinsame Jagdausflüge zu unternehmen. Vielmehr werden die Techniken und Fertigkeiten, die für das Jagen erforderlich sind, als Vorbilder eingebracht, die einen Leitfaden für das Erlernen der Liebeskunst darstellen. Ein plakatives Beispiel dafür ist die Behandlung der Frage, wie ein Mann, der sich nach Liebe sehnt, überhaupt an ein Mädchen herankommen kann ( ‹ Ars amatoria › I,41 - 66). Da Frauen, wie es im Text heißt, nicht einfach vom Himmel fallen, solle man sich ein Beispiel an den Jägern nehmen, die ganz genau wissen, wo die Hirsche grasen, in welchem Tal sich der Eber aufhält, in welchem Gebüsch sich die Vögel verstecken oder in welchem Gewässer die Fische schwimmen, und als 199 Vgl. Schnell, Rüdiger: Unterwerfung und Herrschaft. Zum Liebesdiskurs im Hochmittelalter, in: Heinzle, Modernes Mittelalter, S. 103 - 133, hier S. 115 - 116 und S. 119 - 120. Den idealisierenden Jagddarstellungen des Mittelalters stehen kritische Beurteilungen gegenüber. So wurde z. B. die Jagdleidenschaft Kaiser Friedrichs II. von päpstlicher Seite polemisch verspottet: «Er verwandelte den Titel der Majestät in ein Jagdamt und wurde, statt mit Waffen und Gesetzen geschmückt, von Hunden und schreienden Vögeln umgeben, vom Kaiser zum Jäger; er vertauschte das Zepter seiner Erhabenheit mit dem Jagdspeer und ließ, die Rache an seinen Feinden hintansetzend, die Adler des Triumphs auf den Vogelfang los» (Kantorowicz, Ernst: Kaiser Friedrich der Zweite. Bd. 1, Berlin 1927 [Werke aus dem Kreis der Blätter für die Kunst: Geschichtliche Reihe], S. 290 - 291). Spätantike und frühmittelalterliche Autoren wie Bischof Maximus von Turin (um 400) kritisieren die Jagd in der Fastenzeit und die übertriebene Liebe zu den Hunden, die angeblich besser gehalten werden als die Dienerschaft, die zu allem Überfluss auch noch vor dem Gottesdienst abgehalten wird (vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 189 - 190). Auch Bischof Jonas von Orléans (vor 780 - 843) kritisiert die übertriebene Hundeliebe, mahnt die Reichen zur Unterstützung der Armen und wendet sich gegen die Jagdgesetze und Einhegungen mit dem Argument, dass Gott das Wild allen Menschen zur Nutzung überlassen habe (vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 190). Daneben erregt auch die Jagd an Sonn- und Festtagen und zur Fastenzeit seinen Unwillen (vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 190). 102 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen allererstes einmal lernen, wo Mädchen in großer Zahl zu finden sind ( ‹ Ars amatoria › I,45 - 50). Solche und ähnliche Empfehlungen kommen insbesondere in der ‹ Ars amatoria › häufig vor, wobei die Rollenzuweisungen changieren: Einmal fungieren die Jagdregeln als Vorbild für die Liebeswerbung des Mannes, wodurch die Frau indirekt in die Position des Beutetiers rückt ( ‹ Ars amatoria › I,391 - 398), dann wieder werden Verbindungen zwischen Jagd und weiblichem Liebesverhalten hergestellt, wodurch der Mann in die Opferposition gerät (z. B. ‹ Ars amatoria › III,419 - 430); stets bleibt es jedoch so, dass die Kunst des Jagens Exempelfunktion für den Entwurf der ars amatoria hat. Auch bei den mittelalterlichen Didaktikern kommt es vor, dass Jagdregeln als ‹ Orientierungstafeln › für die Festlegung von Normen und Verhaltensweisen fungieren, die das Minnehandeln anleiten. Die Frage etwa, wem eine Frau zusteht, um die zwei Männer gleichzeitig werben, wird im Traktat ‹ De amore › des Andreas Capellanus mit einer Jagdregel beantwortet, der Zufolge das Wild stets dem zustehe, der es als erster aus seinem Versteck getrieben hat, auch wenn es später von einem anderen Jäger erlegt wird ( ‹ De amore › I,vi,316). An anderer Stelle fungiert die (postulierte) Gesetzmäßigkeit der Jagd, wonach Kleinfalken (lacertiva avis) niemals in der Lage seien, große Vögel wie Rebhühner oder Fasane zu besiegen, als Argument für das Einhalten der Ständeordnung bei der Liebeswerbung ( ‹ De amore › I,vi,82). Neben Stellen, an denen die Jagd eine Vorbildfunktion für die Festlegung von Minneregeln hat, enthält die mittelalterliche Minnedidaxe Passagen, in denen sich die Bezüge zwischen Jagd und Minne intensivieren, indem Begriffe, Motive und semantische Wortfelder der Jagd auf die Minnethematik übertragen werden; sei es, dass amors Pfeile als ‹ Jagdspieße › bezeichnet werden ( ‹ De amore › I,vi,377), sei es, dass die Augen einer begehrenswerten Frau mit dem wachen, schillernden Blick eines Falken verglichen werden ( ‹ Rosenroman › V. 533 - 534) oder sei es, dass Bezüge zwischen der an ein Minneverhältnis gebundenen Frau und einem Raubvogel in Gefangenschaft hergestellt werden ( ‹ Rosenroman › V. 13941 - 13966). Auch in der höfischen Minnedichtung des 12. und 13. Jahrhunderts finden sich unzählige Verknüpfungen von Jagd und Minne, und zwar nicht nur auf der Handlungsebene, wo die Jagd instrumentelle Funktion für die Minnewerbung haben kann (vgl. die Beispiele oben), sondern auch auf metaphorischer Ebene. Solche Anspielungen können im Bedeutungsfeld der Hetzjagd angesiedelt sein, wie etwa bei Burkhart von Hohenfels, von dem ein Lied überliefert ist, in dem die minne als wilt bezeichnet wird, das snel, wîs unde starc ist und das deshalb nicht gefangen werden kann. 200 Zumeist vollziehen sich die Vergleiche, 200 Vgl. Burkhart von Hohenfels KLD IX,1 - 2. 103 Jagd und Minne Metaphern und Allegorien jedoch im semantischen Feld der Beizjagd, der Jagd also mit Vögeln nach Feder- und Felltieren, wobei auch hier die Rollenzuweisungen changieren. Sowohl das weibliche als auch das männliche Minnepersonal kann mit Jägern, Jagdvögeln und Jagdutensilien assoziiert werden, 201 die wechselseitige Identifikation der Bereiche geht dabei soweit, dass der Jagdvogel in einem französischen Gedicht als ein Tier beschrieben wird, das sich von der Schönheit von Frauen angezogen fühlt und auf sie zuschwebt, wenn er sie sieht: Le noble espervier gracieux Est un oyseau de grand courage Qui prend un plaisir merveilleux A regarder un beau visage. 202 Angesichts der Fülle an Belegen kann die Beizjagd als eines der größeren metaphorischen Felder von erotisch codierten Motiven und Begriffen des höfischen Bereichs angesehen werden, 203 wobei sich die Bezüge nicht auf den poetisch-literarischen Diskurs beschränken, sondern sich auch auf den bildkünstlerischen Bereich erstrecken. So z. B. werden Liebende in den Autorenbilder des Codex Manesse wiederholt in Begleitung eines Beizvogels dargestellt. 204 201 Vgl. die Belege bei Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 228 - 245, sowie bei Schnell, Vogeljagd und Liebe. 202 Zitiert nach Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 267 Anm. 69. 203 Vgl. Schmolke-Hasselmann, Beate: Accipiter et chirotheca. Die Artusepisode des Andreas Capellanus - eine Liebesallegorie? , in: GRM 63 (1982), S. 387 - 417, hier S. 394, sowie Döffinger-Lange, Erdmuthe: Der Gauvain-Teil in Chrétiens ‹ Conte du Graal › (Forschungsbericht und Episodenkommentar), Heidelberg 1998 (Studia Romanica 95), S. 294. 204 Vgl. die Belege bei Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 243 Anm. 40. 104 Essen - Trinken - Liebe: Kulturelle Deutungsrahmen III. Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Nachdem in Kapitel II kulturelle Deutungsrahmen für die einzelnen Bereiche der Nahrungsthematik (Gabe, Mahl, Nahrungsaufnahme, Nahrungsmittel, Jagd) erarbeitet wurden, wende ich mich nun der Darstellung von Essen und Trinken in Wolframs ‹ Parzival › zu. Zunächst (Kapitel III) wird die Semiotik alimentärer Handlungen und Objekte, die inhaltlich im Zusammenhang mit der Minnethematik stehen, untersucht und nach deren Auswirkungen auf die Gestaltung des Erzählens von Minne gefragt. Ausgehend von den gewonnenen Erkenntnissen werden dann (Kapitel IV) die poetischen Funktionen des Alimentären im ‹ Parzival › systematisch untersucht. Die semiotische Untersuchung in Kapitel III erfolgt, ausgehend von den theoretischen Vorüberlegungen (vgl. Kapitel I.2), in zwei Schritten. In Kapitel III.1 werden anhand der Analyse einzelner Textstellen textinterne Verfahren der Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik aufgezeigt, die die Ähnlichkeitsrelationen zwischen den Bereichen aufrufen und damit den Zeichenbildungsprozess in Gang setzen können. In Kapitel III.2 wird dann, vor der Folie der in Kapitel II erarbeiteten kulturellen Deutungsrahmen, das Mitwirken textexterner Faktoren an den Zeichenbildungsprozessen studiert. Im Einleitungskapitel wurde anhand einer tabellarischen Übersicht dargestellt, dass die Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik im ‹ Parzival › gegenüber der Hauptvorlage, Chrétiens ‹ Perceval › , überproportional erweitert und ausgebaut ist (vgl. Kapitel I.1). Über eines darf dieser Befund allerdings nicht hinwegtäuschen: Bei den zahlreichen Textstellen, die zwar bei Wolfram, nicht aber Chrétien vorkommen, handelt es sich zumeist nicht um reine Neuschöpfungen bzw. Eigenkreationen Wolframs, sondern der Textvergleich zeigt, dass alimentäre Handlungen und Objekte, die im ‹ Perceval › eher beiläufig erwähnt werden, im deutschsprachigen ‹ Parzival › aufgegriffen, bearbeitet und ausgebaut sind. Hierbei sind unterschiedliche Verfahren zu beobachten: Erstens: Chrétiensche Begriffe, Motive und Sujets können in Wolframs ‹ Parzival › zwar auftreten, häufig sind sie jedoch in andere Handlungszusammenhänge eingefügt. Ein Beispiel dafür ist der Begriff pardrîse, eine vor Wolfram im Deutschen nicht belegte Bezeichnung für das ‹ Rebhuhn › (afrz. perdriz), 1 die im ‹ Parzival › zweimal vorkommt, und zwar beide Male im Zusammenhang mit Minne-Mahlszenen ( ‹ Parzival › V. 423,20; V. 131,28). Jürgen Vorderstemann gibt an, der Begriff sei bei Chrétien nicht belegt, weshalb es sehr wahrscheinlich sei, dass Wolfram ihn nicht aus dem Französischen, sondern aus dem Flämisch-Niederdeutschen entlehnt habe. 2 Dies stimmt so nicht. Zwar kommt der Begriff bei Chrétien an den entsprechenden Stellen seines ‹ Perceval › -Romans nicht vor - was kaum verwundert, da diese, anders als der deutschsprachige Text, keine Mahlszenen enthalten. Im ‹ Perceval › erscheint der Begriff perdriz jedoch an einer anderen Stelle, nämlich in der Szene, die als einzige des überlieferten Textes eine Aufzählung von höfischen Gerichten enthält ( ‹ Perceval › V. 7481 - 7485). Das heißt, Wolfram könnte, durch Chrétiens Speiseplan inspiriert, den Begriff perdriz sehr wohl aus der französischen Vorlage übernommen und ihn in eingedeutschter Form in die eigens geschaffenen Minnemahlszenen integriert haben. Damit wäre man beim zweiten Punkt: Während alimentäre Handlungen (höfische Mähler, die Jagd, die milte des Herrschers usw.) bei Chrétien hauptsächlich als Vermittlungsformen von feudalhöfischen Werten und Normen fungieren, ist der Bereich des Alimentären bei Wolfram mittels textueller Verfahren der Steuerung der Semiose in Hinblick auf die Minnethematik codiert. Dies lässt sich wiederum am Beispiel des Begriffs pardrîse illustrieren. Einerseits trägt die fremdartige Bezeichnung zur Inszenierung der Exklusivität der aufgetragenen Speise bei; andererseits aber weist das Lexem deutliche Lautähnlichkeiten zu einem Wort des mittelhochdeutschen Wortschatzes auf: dem pardîs (nhd. ‹ Paradies › ). Durch diese Lautähnlichkeit erhält der Begriff das Potenzial zu semantischer Aufladung. Für den Rezipienten des Textes können die mit der Sündenfall-Thematik verbundenen semantischen Potenziale von Essen und Sünde bzw. Essen und Verführung aufscheinen. 3 Solche ‹ redenden › Bezeichnungen von alimentären Objekten, die, wie zu zeigen sein wird, zu den poetischen Stilmitteln Wolframs gehören, erweisen sich als äußerst ökonomisches Mittel zur Gestaltung des Zusammenhangs von Nahrungshandeln und Minne. Drittens: Kurze, summarische Erwähnungen von alimentären Handlungen und Objekten sind in Wolframs ‹ Parzival › narrativ entfaltet, um zusätzliche Handlungsträger und -sequenzen erweitert und z. T. zu eigenständigen Szenen 1 Vgl. Vorderstemann, Jürgen: Die Fremdwörter im ‹ Willehalm › Wolframs von Eschenbach, Göppingen 1974 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 127), S. 213. 2 Vgl. Vorderstemann, Fremdwörter, S. 213. 3 Zur Sündenfall-Thematik vgl. Kapitel II.1. 106 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären ausgebaut. Wenn im Folgenden textuelle Verfahren der Codierung des Alimentären untersucht werden, wird Chrétiens ‹ Perceval › zum Vergleich herangezogen, um die spezifische Gestaltung des Sprachmaterials bei Wolfram zu verdeutlichen. 1. Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung Die theoretischen Vorüberlegungen (vgl. Kapitel I.2.3) haben ergeben, dass die Zeichenrelationen zwischen gustativen und geschlechtlichen Akten auf den physiologischen Ähnlichkeiten basieren, die im Geist des Betrachters analoge Empfindungen erregen können. Alimentäre Objekte sind insofern am Zeichenbildungsprozess beteiligt als sie - aufgrund ihrer Bestimmung als ‹ essbar › - Verweisungszeichen auf den Körper sind. Entscheidend für die Untersuchung von solchen Zeichenbildungsprozessen in literarischen Texten ist, dass ein Stimulus erforderlich ist, der die Ähnlichkeitsrelationen zwischen den beiden Bereichen ins Bewusstsein des Rezipienten ruft und damit den Zeichenbildungsprozess der an den Vorgängen beteiligten Akteure, Handlungen und Objekte in Gang setzt. Als in der Form stimulierend erweisen sich Verknüpfungen von Nahrungs- und Minnethematik auf der Ebene der Textstruktur, wobei hier zwei unterschiedliche Typen ermittelt wurden (vgl. Kapitel I.1): Zum einen können alimentäre Handlungen und Objekte auf der Ebene des Erzählens, der literarischen Vermittlung (discours), situiert sein, wo sie mittels sprachlichrhetorischer Verfahren mit dem auf der Handlungsebene situierten Minnegeschehen verknüpft sind und als Bildspender fungieren, die das dargestellte Minnegeschehen mit Bedeutung versehen. Zum anderen können sie auf der Ebene der histoire angesiedelt sein, wo sie mittels textueller Verfahren der Verknüpfung mit der Minnethematik auf diskursiver Ebene des Textes zu Zeichen der Minne werden. Im Folgenden werden solche, für Wolframs Erzählstil kennzeichnende Verfahren der Semantisierung des Nahrungs- und Minnehandelns exemplarisch vorgestellt. 107 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung 1.1 Exemplarische Analysen sprachlich-rhetorischer Verfahren der Zeichenbildung In einem ersten Schritt behandle ich Textstellen im ‹ Parzival › , an denen die Nahrungsthematik nicht Bestandteil der dargestellten Handlung ist, sondern alimentäre Bildlichkeiten (Vergleiche, Metaphern, Allegorien) auf der Ebene des Erzählens von Minne durch den Erzähler bzw. auf der Ebene des Sprechens über die Minne durch die Figuren des Textes eingebracht werden. Solche Formen der Semantisierung des Minnegeschehens anhand von alimentären Bildern werden im Folgenden als ‹ sprachlich-rhetorische Verfahren › der Zeichenbildung bezeichnet. Sie kommen im ‹ Parzival › lediglich vereinzelt vor. Zur Veranschaulichung des Befunds sei zunächst ein nach Büchern geordneter Überblick über die Textstellen gegeben: Nahrungsthematik auf der Ebene des Erzählens von Minne (discours) Textstelle Typ Beschreibung BUCH I 35,30 - 36,1 d Jagd Vergleich: Gahmurets Brust - gespannte Sehne einer Armbrust 50,15 - 16 d Nahrungsmittel Metapher: Siegreicher Held - Zucker für die Damen 57,10 - 14 d Jagd Metapher: Belakane - Taube BUCH II 64,7 - 9 d Jagd Vergleich: Gahmuret - Jagdfalke auf Beutefang 80,1 - 2 d Nahrungsmittel Vergleich: Kampfgeschehen und Birnensammeln 104,8 - 17 d Jagd Allegorie: Jagdtiere, die Herzeloyde ‹ ausweiden › 104,13 d Jagd Allegorie: Ernährung des Drachen an Herzeloydes Brust BUCH III - BUCH IV - BUCH V - BUCH VI - BUCH VII - 108 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Textstelle Typ Beschreibung BUCH VIII 406,28 - 407,1 d Jagd Vergleich: Gawan/ Antikonie - Adler/ Strauß 409,26 d Jagd Vergleich: Antikonie - Hase am Bratspieß 424,3 - 6 d Jagd Vergleich: Mundschenken - Jagdvögel in der Mauser 427,16 d Jagd Vergleich: Antikonies guter Ruf - weitragender Blick des Falken BUCH IX - BUCH X 508,28 - 30 d Jagd Metapher: Orgeluse - Köder/ Schleudersehne des Herzens 515,13 d Jagd Metapher: Gawan - Gans (Beutetier) 531,19 - 23 d Nahrungsmittel Metapher: Orgeluses Minnespott - eine scharfe Sauce BUCH XI - BUCH XII - BUCH XIII 643,28 - 30 d Nahrungsmittel Metapher: Orgeluse - heilendes Hirschwurz-Kraut BUCH XIV - BUCH XV - BUCH XVI - Die tabellarische Übersicht zeigt, dass alimentäre Bildlichkeiten auf der Ebene des Erzählens von Minne ausschließlich in der Gahmuret- und der Gawan- Handlung vorkommen. 4 Weiter ist zu sehen, dass solche Verbindungen von Nahrungs- und Minnethematik lediglich zwei der oben definierten thematischen Bereiche umfassen: zum einen die Verbindung von Minne und Jagd, zum anderen die Verbindung von Minne und Nahrungsmitteln. 4 Zur Interpretation des Befunds vgl. Kapitel IV. 2.3. 109 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung Zum erstgenannten Bereich gehören all jene Stellen, an denen das dargestellte Minnegeschehen durch die Erzählbzw. die Sprechinstanz mit der Jagdthematik assoziiert wird. Bei diesen Stellen fällt auf, dass - abgesehen von einem Fall, nämlich Herzeloydes ‹ Drachentraum › , der am Schluss dieses Abschnitts besprochen wird - stets ein ganz bestimmter Typus von Jagd thematisiert wird, nämlich die Vogeljagd, das heißt die Jagd mit Vögeln nach Feder- und Felltieren bzw. die Jagd nach Federtieren mit Vogelfallen. In diesem Bildfeld finden sich Vergleiche bzw. Gleichsetzungen der männlichen Akteure mit Greifvögeln, mit Vogelfängern oder mit Jagdutensilien ebenso wie Verbindungen der weiblichen Akteure mit Jagdtieren. So wird z. B. Antikonies stæte mit dem klaren, weithin reichenden Blick eines Falken verglichen (V. 427,16) und ihre Hofdamen erscheinen als junge Falken in der Mauser (V. 424,1 - 6). Zumeist jedoch werden die weiblichen Figuren als Beutetiere imaginiert, als Strauß, der vom Adler überwältigt wird (V. 406,28 - 407,1), als Hase am Bratspieß (V. 409,26) 5 oder als Lockspeise in der Vogelfalle (V. 508,28). Für männliche Akteure, die im Zusammenhang mit der Minnethematik als Beutetiere imaginiert werden, findet sich dagegen nur ein einziger Beleg, nämlich Gawan, der an einer Stelle von Orgeluse als gans bezeichnet wird (V. 515,13). Beim zweiten Bildbereich, der Einbringung von Nahrungsmitteln und Speisen in die Erzählerbzw. Figurenrede über Minne, handelt es sich um Stellen, an denen die bzw. der Geliebte mit einem Nahrungsmittel verglichen oder gleichgesetzt wird, wie etwa mit Zucker (V. 50,15 - 16), mit einem heilenden Hirschwurz-Kraut (V. 643,28 - 30) oder mit einer scharfen Soße (V. 531,19 - 23). Bei dieser Form der Einbringung des Alimentären erfolgt die Verknüpfung mit der Minnethematik über sprachlich-rhetorische Verfahren. Hierzu gehören Vergleiche im Sinne von expliziten Verbindungen einzelner Aspekte der Nahrungs- und Minnethematik, die zwar nicht identisch sind, die aber in einer oder mehrerer Hinsicht eine Ähnlichkeit aufweisen ( ‹ A › ist wie ‹ B › ), sowie Metaphern im Sinne von rhetorischen Figuren, bei denen die Nahrungsthematik nach den Regeln der Analogie implizit auf die Minnethematik übertragen wird. 6 Hinzu kommt der oben bereits erwähnte Sonderfall von Herzeloydes Traum, bei dem sich die Verbindung von Nahrungs- und Minnethematik einerseits allegorisch konstituiert, andererseits durch die 5 Hier wird das Motiv der Vogeljagd indirekt aufgerufen, da Hasen zur Beute von Jagdvögeln des niederen Flugs gehören (zur Interpretation der Jagdthematik in Buch VIII vgl. Kapitel IV. 1.1). 6 Zur Definition von Metaphern und Vergleichen vgl. grundsätzlich Kohl, Katrin: Metapher, Stuttgart/ Weimar 2007, S. 19 - 64 sowie S. 73. 110 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Übertragung von Minnebegriffen auf das Jagdgeschehen. Da anhand der Bildbereiche Jagd / Minne und Nahrungsmittel / Minne ganz unterschiedliche Bedeutungspotenziale evoziert werden, werden die beiden Bildfelder im Folgenden getrennt voneinander vorgestellt. Zunächst zum Bildbereich der Jagd: Auf der Ebene des Erzählens von Minne wirkt die Jagdthematik insofern an der Semantisierung des Minnegeschehens mit, als mit ihr über die Vergleichspunkte Jagen / sexuell Begehren und Erbeuten / sexuell Bemächtigen in den dargestellten Minnehandlungen Vorstellungen von körperlichem Begehren, von Gewalt und Zerstörung evoziert werden. 7 Ein Beispiel dafür findet sich in der Eingangsszene des zweiten ‹ Parzival › - Buchs. Als Gahmuret in Kanvoleis eintrifft und die dortige Herrscherin Herzeloyde zum ersten Mal sieht, richtet er sich, von ihrem Glanz geblendet, im Sattel auf wie - so der Erzählerkommentar - ein Jagdvogel, der Beute wittert: von dem liehten schîne, der von der künegîn erschein, derzuct im neben sich sîn bein: ûf rihte sich der degen wert, als ein vederspil, daz gert. (V. 64,4 - 8) Durch den Vergleich Gahmurets mit einem Falken auf Nahrungssuche wird der Bildbereich der Jagd aufgerufen und auf das Verhältnis von Mann und Frau (Gahmuret erblickt Herzeloyde) übertragen. Dies lässt Gahmurets Hochschnellen im Sattel als Bild für sein Minnebegehren erscheinen und, als Konsequenz daraus, die von ihm erspähte Dame als Objekt der Minnebegierde. Vergleichspunkt für die Übertragung ist das gustative / sexuelle Begehren. Der Jagdvergleich fungiert hier einerseits als Mittel zur Darstellung der körperlichsexuellen Anziehungskraft, die Herzeloyde von Beginn an auf Gahmuret ausübt. Andererseits wird mit ihm eine spezifische Beziehungskonstellation aufgerufen und auf das Minneverhältnis projiziert: das Verhältnis nämlich von Jäger und Beute als ein Verhältnis, bei dem einer als Sieger hervorgeht, der andere jedoch mit dem Tod bezahlen muss. Dabei ist die viel besprochene Ambivalenz von Wolframs Bildsprache auch hier wirksam: 8 Denn wer von 7 Vgl. zu diesem Aspekt Kapitel IV. 1. 8 Zur Ambivalenz von Wolframs Bildsprache seien exemplarisch die Beiträge von Manfred Kern zur Bildallegorie im ‹ Willehalm › (Kern, Manfred: Amors schneidende Lanze. Zur Bildallegorie im ‹ Willehalm › 25,12 ff., zu ihrer Lesbarkeit und ihrer Rezeption im späthöfischen Roman, in: DVjs 73 [1999], S. 567 - 591) sowie von Susanne Köbele und Christian Kiening zur Metaphorik im ‹ Titurel › genannt 111 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung beiden, Jäger (Gahmuret) oder Beute (Herzloyde), mit dem Tod bezahlen muss, ist alles andere als ausgemacht: Fängt der Jäger seine Beute, dann endet das Leben des Beutetiers. Ist der Jäger jedoch nicht im Stande, seine Beute zu erlegen, dann endet sein eigenes Leben. Das heißt, mit dem Jagdvergleich werden Sujet- und Handlungsoptionen entworfen. 9 Ein weiteres Beispiel für die Semantisierung des Minnegeschehens anhand des Bildbereichs der Jagd findet sich in Buch VIII in der Szene, in der Gawan im Land Ascalun auf Antikonie, König Vergulahts Schwester, trifft und dieser gleich bei der ersten Begegnung auf der Burg Schanpfanzun mit unverblümten sexuellen Avancen aufwartet. Hier erfolgt die Verknüpfung von Jagd und Minne über einen Vergleich, der auf Figurenebene eingebracht ist: Als Gawan im Begriff ist, die Königsschwester körperlich anzugehen, fällt ihm plötzlich das Bild eines geschwächten, hungrigen Adlers ein, der einen Vogel Strauß fängt: Gâwân des gedâhte, do si alle von im kômen ûz, daz dicke den grôzen strûz væhet ein vil kranker ar. er greif ir undern mantel dar: ich wæne, er ruort irz hüffelîn. (V. 406,28 - 407,3) Die auf Figurenebene imaginierte Jagdszene fungiert hier als handlungsleitendes Bild für Gawans Annäherungsversuch. Wie der Adler seine Beute ergreift, greift Gawan Antikonie an, indem er ihr beherzt unter den Mantel an die Hüfte fasst. Dabei stellt sich über den Vergleichspunkt Erbeuten / sexuell Bemächtigen auf assoziativer Ebene ein Zusammenhang zwischen Gawan - Adler und Antikonie - Strauß her, der wiederum in dem sich anbahnenden Minneverhältnis eine körperlich-animalische Ebene anklingen lässt. Zugleich erfolgt auch hier eine Übertragung des Jäger-Beute-Schemas auf das Minneverhältnis, wobei dieses in besonderer Weise ausgestaltet ist, was mit der kulturspezifischen Codierung der bildspendenden Jagdszene (Adler erbeutet Strauß) zu tun hat. Denn mittelalterlichen Jagdvorstellungen zufolge war der Adler, als ein Greifvogel des niederen Flugs, der leichterreichbare Beute bevorzugt (z. B. Hasen) und diese nicht - wie es der Falke tut - ‹ schlägt › , sondern ‹ fängt › , ungeeignet für die höfische Beizjagd. 10 Der Adler galt als wildes, unbezähm- (Kiening, Christian/ Köbele, Susanne: Wilde Minne. Metapher und Erzählwelt in Wolframs ‹ Titurel › , in: PBB 120 [1998], S. 234 - 265). 9 Vgl. hierzu Kapitel IV. 1.1. 10 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 253 f. 112 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären bares Tier, das sich den höfischen Jagdregeln nicht unterordnen ließ. 11 Vom Vogel Strauß wiederum war im Mittelalter bekannt, dass er zwar Federn besaß, jedoch nicht fliegen konnte. 12 Durch den Vergleich mit dem Jagdgeschehen übertragen sich diese Qualitäten auf das sich anbahnende Minneverhältnis zwischen Gawan und Antikonie. Die bildliche Zusammenführung zweier Tiere, die auf unterschiedlichen Erdteilen beheimatet sind, zeigt einerseits die unüberbrückbare Distanz zwischen dem (angeblichen) Mörder des Königs von Ascalun, Gawan, und dessen Tochter Antikonie an. Andererseits evoziert das Jagdgeschehen die Vorstellung einer, im wahrsten Sinne des Wortes, niederen Beziehungskonstellation (tief fliegender Jagdvogel / am Boden verhaftetes Beutetier), die, übertragen auf das Minneverhältnis, dieses als nieder bzw. unhöfisch erscheinen lässt. Als weiteres Beispiel für die Semantisierung des Minnegeschehens anhand des Bildbereichs der Jagd sei noch die erste Begegnung zwischen einem weiteren Liebespaar angeführt, nämlich die zwischen Gawan und Orgeluse (Buch X). Als Gawan zum ersten Mal auf Orgeluse trifft und angesichts ihrer Schönheit seinen Blick nicht von ihr abwenden kann (V. 508,17 - 20), folgt eine Schönheitsbeschreibung durch den Erzähler, in der Orgeluse als Köder der Liebe bezeichnet wird: si hiez Orgelûse de Lôgroys. och sagt uns d ’ âventiur von ir, si wære ein reizel minnen gir (V. 508,26 - 28). Durch die Gleichsetzung Orgeluses mit einem reizel, also einer Lockspeise in der Vogelfalle (dem klobn), 13 scheint wiederum der Bildbereich der Jagd auf, der - übertragen auf die dargestellte Situation (Gawan erblickt Orgeluse) - den Beobachter (Gawan) in die Position des Jägers und das Objekt der Betrachtung (Orgeluse als reizel) in die Position der anvisierten Beute rückt. Zwar wird die Vorstellung von Minnebegierde auch hier über den Vergleichspunkt von gustativem und sexuellem Begehren evoziert, die Beziehungskonstellation, die mit dem Bild der Vogeljagd mit Klemmfalle umrissen wird, weicht jedoch von den in den oben angeführten Textstellen imaginierten Jäger-Beute-Konstellationen ab. Um dies zu verdeutlichen, sind ein paar Erläuterungen zu dieser Jagdtechnik erforderlich: Beim Vogelfang mit Klemmfalle handelt es sich um eine aufwändige Fangtechnik, bei der eine Lockspeise zwischen zwei mit einem 11 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 253 f. 12 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 255. 13 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 265. 113 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung Faden verbundene Hölzer gelegt wird. Sobald sich der Vogel auf das Holz setzt, um nach der Speise zu greifen, werden die Hölzer zusammengezogen, sodass der Vogel mit den Beinen oder einer Schwinge eingeklemmt und auf diese Weise gefangen wird. Diese Jagdmethode setzt das Mitwirken eines Vogelfängers voraus, der im richtigen Augenblick die Klemmfalle zuschnappen lässt. 14 Die Ausführungen zeigen, dass die Beziehungskonstellation, die in der durch den Begriff reizel evozierten Jagdszenerie entworfen wird und die über die Gleichsetzung Orgeluses mit ebendiesem reizel auf das sich anbahnende Minneverhältnis zwischen ihr und Gawan hindeutet, einen anderen Akzent setzt als die oben genannten Jagdszenen. Während dort das Verhältnis von Jäger und Beute umrissen wird, erscheint hier das gejagte Tier (der Vogel) seinerseits als Jäger, der, von der Lockspeise angelockt, in die Falle gerät. Der Fokus liegt damit auf dem Aspekt des Begehrens, das in unentrinnbare Gefangenschaft des Begehrenden (des Vogels) führt und mit dessen Tod endet. Insofern erscheint Orgeluse durch die Bezeichnung als reizel nicht nur als attraktive Beute für den Minnejäger Gawan, sondern angezeigt wird zugleich das Gefahrenpotenzial, das von ihrer Attraktivität für den Begehrenden ausgeht: Wer diese Frau begehrt, verfängt sich in unentrinnbarem Leid. Auch hier also deuten sich in der Jagdmetapher, die zur Umschreibung der Schönheit der Minnedame eingebracht ist, auf das sich anbahnende Minneverhältnis bezogene Sujet- und Handlungsoptionen an. Anders als in den bislang besprochenen Szenen verhält es sich nun, wie bereits erwähnt, in der Szene, in der Herzeloyde kurz vor Parzivals Geburt (und kurz bevor die Nachricht von Gahmurets Tod eintrifft) von schrecklichen Albträumen geplagt wird (V. 103,25 - 104,19). Der Traum steht an bedeutender Stelle des Textes, indem er das Eingangsgeschehen um Gahmuret abschließt und zugleich zur Parzival-Handlung überleitet. 15 Er enthält drei gänzlich verschiedene Traumbilder, von denen das letzte für den vorliegenden Zusammenhang von Interesse ist, da mit ihm die Jagd- und Nahrungsthematik aufscheint. So träumt Herzeloyde unter anderem davon, dass sie einen wurm, also einen Drachen oder eine Schlange, gebiert, der sie regelrecht ausweidet: der 14 Vgl. Lindner, Kurt: Die Jagd im frühen Mittelalter, Berlin 1940 (Geschichte des deutschen Weidwerks 2), S. 306 f. 15 Zur Interpretation von Herzeloydes Traum vgl. zuletzt ausführlich Speckenbach, Klaus: Von den troimen. Über den Traum in Theorie und Dichtung, in: Rücker, Helmut/ Seidel, Kurt Otto (Hgg.): «Sagen mit sinne». Festschrift für Marie-Luise Dittrich zum 65. Geburtstag, Göppingen 1976 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 180), S. 169 - 204, hier S. 181 - 192, sowie in diesem Buch Kapitel III.2.4 und IV. 2.3.1. Weitere Forschungsliteratur vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 52. 114 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären ihr den Bauch zerreißt, ihr die Brüste aussaugt, dann plötzlich davonfliegt und ihr dabei das Herz aus der Brust reißt: si dûhte wunderlîcher site, wie sie wære eins wurmes amme, der sît zerfuorte ir wamme, und wie ein trache ir brüste süge, und daz der gâhes von ir flüge, sô daz sin nimmer mêr gesach. daz herze err ûzem lîbe brach: die vorhte muose ir ougen sehen. (V. 104,10 - 104,17) Auch hier fungiert die Jagdthematik als Bildspender für die Minnethematik, jedoch ist die alimentäre Bildlichkeit nicht auf der Ebene des Erzählens von Minne situiert, sondern sie ist Bestandteil des Traums einer Figur innerhalb der erzählten Welt, der aus Erzählerperspektive wiedergegeben wird. Anders auch als in den sonstigen Fällen, steht die Minnethematik hier nicht in Verbindung mit der Vogeljagd, sondern mit dem Angriff eines wilden, gefährlichen Reptils auf einen Menschen. Dieser Traum ist vieldeutig. Er lässt sich in unterschiedlicher Weise in Hinblick auf die Minnethematik auslegen. Nach Auffassung der Forschung handelt es sich um einen allegorischen Traum, auf den im Text zwar an drei Stellen Bezug genommen wird, der jedoch an keiner Stelle ganzheitlich ausgedeutet wird. 16 Dennoch ist er nicht völlig unverständlich, da er sich, als dichterisches Kunstmittel angewandt, zumindest teilweise durch die Handlungsführung enträtseln lässt. Hinsichtlich des dritten Traumbilds, Herzeloydes Zerstörung durch den neugeborenen wurm, herrscht in der Forschung Einigkeit, dass diese Traumsequenz prophetischen Charakter hat, da sie auf Parzivals Geburt und Herzeloydes Tod bei Parzivals Aufbruch in die Welt hindeutet. 17 Demnach wird mit diesem Teil des Traums auf die Minne- / Tod- Thematik, die ein dominantes Thema des Parzival-Romans darstellt, 18 angespielt, wobei mit ‹ Minne › hier nicht die erotische Liebe zwischen Mann und Frau gemeint ist, sondern die der Mutter zu ihrem Kind. Was in der Forschung bislang jedoch nicht berücksichtigt wurde, ist, dass sich der Zusammenhang zwischen alimentärer Bildlichkeit (Jagd / Nahrungsaufnahme des Neugeborenen) und Minnethematik nicht nur dann herstellt, wenn man das Traumbild in Hinblick auf die anschließende Parzival-Hand- 16 Vgl. die Bezüge auf den Traum in den Versen 245,7 - 8; 337,11 - 12 und 476,25 - 30; dazu Speckenbach, Von den troimen, S. 182. 17 Vgl. Speckenbach, Von den troimen, S. 182. Zur kulturellen Codierung des Traumbilds und der sich daraus ergebenden Ambivalenz des entworfenen Herrscherbilds vgl. Kapitel III.2.3 und IV. 2.1.1. 18 Vgl. zu diesem Aspekt Kapitel IV. 1.1. 115 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung lung auslegt, sondern der Zusammenhang stellt sich noch auf einer anderen Ebene her: nämlich innerhalb des Traumbilds selbst. Denn hier wird die Sprache der Minne durch die Stimme des Erzählers, aus dessen Perspektive der Traum geschildert wird, auf die Traumszene übertragen, wodurch das Traumbild per se eine auf die Minne bezogene Bedeutung annimmt. Dies sei kurz erläutert: Der Traum bringt das Themenfeld Essen in seiner ursprünglichsten Form als der Ernährung des Kindes bzw. hier: als der Ernährung eines Ungeheuers ein. 19 Dabei erscheint die Nahrungsaufnahme als gewaltsame, zerstörerische, triebhaft-animalische Aktion - als ein ‹ Verzehren › und damit als ein Akt, der die Identität des Anderen auslöscht. Das Sujet ist das eines Albtraums (V. 103,26), der zunächst einmal nichts mit Minne zu tun hat. Mit dem letzten Traumbild jedoch kommt ein Motiv und mit ihm eine Sprache hinein, die auf den Bereich der zwischenmenschlichen Liebe verweist: Der Drache flog davon und brach Herzeloyde das herze aus dem Leib (V. 104,14 - 16). Die Minnethematik wird hier durch die Engführung der Begriffe herze und brechen aufgerufen. Die Geburt des Drachen erscheint damit nicht nur als ein Akt physischer Vernichtung der Gebärenden, sondern - markiert durch das Herausreißen des Herzens als dem Zentrum geistiger und seelischer Kräfte - auch als ein Akt der geistig-emotionalen Zerstörung. Zugleich aber evoziert das Bild vom Herausreißen des Herzens die Vorstellung einer Aneignung des Herzens durch den Drachen, mithin also einer Vereinigung des Neugeborenen mit seiner Mutter. Das animalisch-monströse Verzehren wird so zum Zeichen von unbändiger Minnegier; das Verzehrt- Werden zu dem des Zerstört-Werdens durch die Minne. Bezogen auf Parzival, bringt die Traumszene Parzivals gewaltige Disposition zu minne und strît zum Vorschein. 20 Ich komme nun zum zweiten Bildbereich, dem Vergleich bzw. der Gleichsetzung von Figuren des Textes mit Nahrungsmitteln. Wenn eine Figur im Kontext von Minne mit einem appetitlichen Nahrungsmittel in Beziehung gesetzt wird, kann dies grundsätzlich als Anspielung auf die sexuelle Attraktivität aufgefasst werden, die von dieser Figur ausgeht. Vergleichspunkt ist das körperliche Begehren, das durch den Anblick des Objekts (Nahrungsmittel / Mensch) beim Betrachter ausgelöst wird. Am Zeichenbildungsprozess beteiligt sind kulturelle Codierungen des bildspendenden Nahrungsmittels, die sich auf die Figur, mit der das Nahrungsmittel verglichen bzw. gleichgesetzt wird, übertragen. 19 Vgl. Lieb, Essen, Sex und Ritterschaft, S. 6. 20 Zur Konstituierung des literarischen Entwurfs von Parzivals Körperlichkeit anhand der Nahrungsthematik vgl. Kapitel IV. 2.1.1. 116 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Der ‹ Parzival › weist nur ein paar wenige Stellen auf, die solche Vergleiche und Metaphern enthalten (s. Tabelle oben). Ein Beispiel dafür findet sich am Anfang des Romans. Nachdem Gahmuret die Stadt Patelamunt im Kampf gegen die Belagerer befreit und die dortige Herrscherin Belakane zur Frau gewonnen hat (Buch I), trifft er auf seinen Cousin Kaylet, der seinerseits am Kampfgeschehen beteiligt war, der von Gahmuret jedoch verschont wurde. Es kommt zu einem Gespräch zwischen den beiden, in dem Kaylet ein Lob über Gahmuret ausspricht: ‹ [. . .] ich muoz des eime tiuvel jehen, des fuor ich nimmer wirde vrô: het er den prîs behalten sô an vrävelen helden sô dîn lîp, für zucker gæzen in diu wîp. › (V. 50,12 - 16) Paraphrasieren lässt sich die Aussage folgendermaßen: ‹ Wenn der Teufel den Helden so besiegt hätte wie du, dann hätten die Frauen selbst ihn wie Zucker vernascht. › Das heißt, ein siegreicher Held wird mit Zucker verglichen, der von den Frauen gegessen wird, wobei das Bild der gustativen Erfüllung, übertragen auf das Verhältnis von Mann und Frau, die Vorstellung von sexueller Erfüllung evoziert. Einerseits spielt der Vergleich somit auf die sexuelle Attraktivität an, die von einem kampfestüchtigen Helden ausgeht, andererseits aber enthält er eine abwertende Komponente: Denn, wie Kapitel II.1 gezeigt hat, zeichnen sich Frauen nach mittelalterlicher Vorstellung durch eine naturgegebene Gefräßigkeit aus, aufgrund derer sie sich Süßem nicht erwehren können. Wenn man diesen semantischen Rahmen als möglichen Deutungsrahmen ansetzt, dann gewinnt die Aussage, wonach ein siegreicher Held einen ‹ Zuckereffekt › auf Frauen ausübt, eine pejorative Bedeutung. Denn dann heißt das, dass das Minnerittertum eine ‹ billige › Methode ist, eine Frau zu gewinnen - eine Methode nämlich, mit der die Liebe von Frauen erkauft wird und die, dies zeigt die Anspielung auf den Teufel, ‹ unreine › Minne stiftet, nämlich solche, die gerade nicht auf ethischen Wertvorstellungen und der Authentizität innerer Empfindungen gründet. Insofern wird der Glorifizierung des gewalttätigen Minneritters, wie sie Walther Haug völlig zu Recht im ‹ Parzival › sieht, an dieser Stelle durch eine Figur des Textes (Kaylet) eine Absage erteilt. 21 Diese implizite Kritik am Minnerittertum wird jedoch sogleich wieder 21 Vgl. Haug, Walter: Parzival ohne Illusionen, in: Haug, Walter: Brechungen auf dem Weg zur Individualität. Kleine Schriften zur Literatur des Mittelalters, Tübingen 1995, S. 125 - 149. Die genannte Stelle steht nicht allein. An späteren Stellen im Roman folgen weitere implizite Kritiken am Minnerittertum, vorgebracht jeweils aus Figurenperspektive: So beschimpfen etwa Orgeluse und Obie den Artusritter 117 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung abgemildert, indem sich Kaylet für seine Bemerkung mit dem Argument entschuldigt, keine Begabung für Lob und Schmeichelei zu haben ( ‹ nein, in kan gesmeichen niht [. . .] › , V. 50,18). Insgesamt zeigen die bisherigen Ausführungen, dass die Semantisierung des auf der Handlungsebene dargestellten Minnegeschehens anhand von alimentären Vergleichen, Metaphern und Allegorien zur Konstituierung der literarischen Entwürfe von Minne im ‹ Parzival › beiträgt. Solche sprachlich-rhetorischen Verfahren der Codierung von Minnebeziehungen anhand des Alimentären konnten in Chrétiens ‹ Perceval › nicht gefunden werden. 1.2 Exemplarische Analysen struktureller Verfahren der Zeichenbildung Nachdem alimentäre Bildlichkeiten, die auf der Ebene des Erzählens von Minne (discours) vorkommen, in Hinblick auf Verfahren der Zeichenbildung untersucht wurden, geht es nun um Textstellen, an denen alimentäre Handlungen und Objekte Bestandteil der erzählten Handlung sind (histoire). Die Beispiele in Kapitel I.1 haben gezeigt, dass bei dieser Ebene des Textes grundsätzlich zwischen zwei Typen der Zeichenbildung unterschieden werden muss: Zum einen kann die Codierung von Nahrungshandlungen innerhalb der erzählten Welt durch die Figuren des Textes erfolgen. Hierbei erfolgt die textuelle Erzeugung von Deutungsmustern dadurch, dass die semantischen Potenziale als Handlungswissen der Figuren entfaltet bzw. expliziert werden. 22 In diesen Fällen ist die Zeichenhaftigkeit des Alimentären sowohl für die Figuren des Textes (die an den Handlungen beteiligten Akteure / den Erzähler) als auch für den Rezipienten des Textes wahrnehmbar. Zum anderen kann die Steuerung der Semiose durch den narrativen Aufbau des Textes (das heißt, durch inhaltliche und / oder grammatische Verknüpfungen von Nahrungshandeln und Minne) erfolgen, die beim Rezipienten eine mentale Übertragung der beiden Bereiche bewirken und damit den Zeichenbildungsprozess der an den Vorgängen beteiligten Aktionen und Objekte in Gang setzen können. Solche Formen der Verknüpfung, die zwar für den textexternen Rezipienten (Beobachter dritten Grades), nicht aber für die Figuren des Textes wahrnehmbar sind, bezeichne ich im Folgenden als ‹ strukturelle Verfahren der Zeichen- Gawan unter anderem als ‹ Händler › (vgl. dazu Richter, Julia: Spiegelungen. Paradigmatisches Erzählen in Wolframs ‹ Parzival › [unveröffentlichtes Manuskript], S. 162). 22 Solche Verfahren der Zeichenbildung werden in Kapitel III.2 vorgestellt. 118 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären bildung › ; wobei ich die Struktur eines Textes als Gefüge von Relationen auffasse, die zwischen den Sätzen bzw. den Propositionen als den unmittelbaren Strukturelementen des Textes bestehen und die den inneren Zusammenhang, die Kohärenz des Textes, bewirken. 23 Um diesen zweiten Typus der Zeichenbildung geht es im Folgenden. Zur Veranschaulichung des Materials wird zunächst ein (nach Büchern geordneter) Überblick über die Textstellen angeführt, der auch solche Stellen verzeichnet, an denen Nahrungs- und Minnethematik inhaltlich nicht direkt aufeinander bezogen sind, die aber durch die Strukturierung des Textes in einem Zusammenhang stehen. Strukturelle Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Typ Beschreibung BUCH I 32,28 - 34,29 h Mahl Mahl Gahmuret/ Belakane 33,4 h Jagd Verknüpfung: Gahmuret/ Belakane - Reiher/ Fisch 44,27 - 45,2 h (Opfer) Verknüpfung: Liebesvereinigung - Opfergaben der Städter BUCH II 63,20 - 25 h Jagd Gahmurets Einzug in Toledo, Kleidung wie Jagdvogel 83,25 - 89,2 h Mahl Tischszene Gahmuret/ Herzeloyde 99,30 - 100,15 h Mahl Verknüpfung: Liebesvereinigung - Festmahl der Hofgesellschaft 100,2 - 18 h Mahl Hochzeitsmahl - Liebesvereinigung Gahmuret/ Herzeloyde BUCH III 118,4 - 10 h Jagd Parzival auf Vogeljagd 131,22 - 132,8 h Mahl/ Nahrungsaufn. Parzivals Völlerei in Jeschutes Zelt 131,28 h Nahrungsmittel Verknüpfung: Mahl - Minne 23 Ich gehe dabei von einem linguistisch begründeten Textbegriff aus, wie ihn z. B. Klaus Brinker definiert (vgl. Brinker, Klaus: Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden, Berlin 7 2010 [Grundlagen der Germanistik 29], S. 17 - 20). 119 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung Textstelle Typ Beschreibung 176,13 - 27 h Mahl/ Nahrungsaufn. Drittes Mahl bei Gurnemanz/ Tochter Liaze BUCH IV 190,3 - 8 h Mahl Fehlende Bewirtung bei Condwiramurs 191,5 - 6 h Mahl/ Nahrungsaufn. Parzival und Condwiramurs teilen ein Stück Brot 201,8 - 19 h Mahl/ Nahrungsaufn. Parzivals milte, alimentäre Bedürfnislosigkeit der Liebenden BUCH V 244,11 - 25 h Gabe Bewirtung Parzivals im Schlafgemach auf der Gralsburg 273,26 - 30 h Mahl Liebesmahl Jeschute - Orilus 273,26 h Jagd Verknüpfung: Minnemahl - Jagd BUCH VI - BUCH VII - BUCH VIII 400,1 - 401,2 h Jagd Falkenjagd Vergulahts in Ascalun 406,21 - 25 h Mahl Bewirtung Gawans durch Antikonies Hofdamen 423,16 - 424,7 h Mahl Gawans/ Kingrimursels Bewirtung durch Antikonie 423,20 h Nahrungsmittel Verknüpfung: Mahl - Minne BUCH IX 449,19 - 451,2 h Mahl Parzivals Einladung zum Essen durch die Töchter des Pilgers BUCH X 550,1 - 552,5 h Mahl Gawans Mahl beim Fährmann Plippalinot/ Tochter Bene 550,28 - 551,2 h Jagd Verknüpfung: Minnemahl - Jagd BUCH XI 581,23 - 582,28 h Mahl Gawans Bewirtung durch Arnive und ihre Hofdamen BUCH XII 622,8 - 623,2 h Mahl Minnemahl Orgeluse/ Gawan 120 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Textstelle Typ Beschreibung 622,8 - 13 h Nahrungsmittel Verknüpfung: Minnemahl - Jagd BUCH XIII 636,15 - 639,2 h Mahl Festmahl auf Schastel marveile BUCH XIV 721,18 - 28 h Jagd Verknüpfung: Gramoflanz ’ Beizjagd - minnegir 731,7 - 12 h Mahl Minnedarstellung anstelle der Schilderung des Hochzeitsmahls BUCH XV - BUCH XVI 803,24 - 27 h Mahl Mahl Parzival/ Condwiramurs 807,14 - 815,23 h Mahl Festmahl auf der Gralsburg Die Übersicht zeigt, dass Verknüpfungen von Nahrungs- und Minnehandeln auf der Ebene der Textstruktur im gesamten Text immer wieder vorkommen und alle in Kapitel I.1 definierten thematischen Bereiche betreffen. Solche Verknüpfungen umfassen syntagmatische und paradigmatische Formen der Kohärenzbildung, 24 die auf zwei eng miteinander verbundenen Ebenen beschrieben werden können: der grammatischen und der thematischen Ebene. 25 Auf der grammatischen Beschreibungsebene geht es um die Analyse der für den Textzusammenhang relevanten syntaktisch-semantischen Beziehungen zwischen aufeinanderfolgenden sprachlichen Einheiten. Auf der thematischen Ebene geht es um die Analyse des kognitiven Zusammenhangs, den der Text zwischen den in den Sätzen ausgedrückten Sachverhalten (Satzinhalten, Propositionen) herstellt. Solche syntagmatischen und paradigmatischen Verfahren der Kohärenzbildung werden im Folgenden anhand von einzelnen Textbeispielen vorgestellt. 24 Die Unterscheidung von syntagmatischer (Kombinations-) und paradigmatischer (Selektions-)Achse der Textstruktur ist im Grunde der Ausdruck dessen, dass «der Sprecher bei der Generierung eines korrekten Satzes irgendeiner natürlichen Sprache zwei verschiedene Operationen ausführt: a) er verbindet Wörter so, dass sie in semantischer und grammatischer Beziehung richtige (positiv merkmalhaltige) Ketten bilden; b) er wählt aus einer gegebenen Menge von Elementen das in diesem Satz zu Verwendende aus» (Lotman, Jurij Michailowitsch: Die Struktur literarischer Texte, München 1972, S. 125). 25 Zur Analyse der Textstruktur vgl. grundsätzlich Brinker, Linguistische Textanalyse, S. 21 f. 121 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung Syntagmatische Verknüpfungen Im ‹ Parzival › finden sich zwei unterschiedliche Verfahren der syntagmatischen Verknüpfung von Nahrungs- und Minnehandeln, die hier getrennt voneinander vorgestellt werden. In beiden Fällen handelt es sich um Verfahren, die im Text gehäuft auftreten und die daher als kennzeichnend für Wolframs Erzählstil erachtet werden können. Die basalere der beiden Verknüpfungsformen besteht darin, dass Nahrungs- und Minnehandlungen auf der Ebene des Erzählens formal aneinandergereiht sind, wodurch sie Elemente eines durch den narrativen Fortlauf bestimmten Kontinuums darstellen. Gemeint sind damit Fälle, in denen in einem Abschnitt, in einem Satz oder in einem Satzteil von Minne die Rede ist und in der darauffolgenden sprachlichen Einheit plötzlich ein Themenwechsel hin zu alimentären Sachverhalten erfolgt - oder umgekehrt. In solchen Fällen stellt sich der Zusammenhang zwischen Nahrungs- und Minnethematik auf einer assoziativen Ebene her, der mit dem linearen Charakter der Sprache zu tun hat. Denn der lineare Charakter von Sprache baut beim Rezipienten des Textes Kohärenzerwartungen zwischen aufeinanderfolgenden Wörtern, Satzgliedern und Sätzen auf. Aufgrund dieser Kohärenzerwartungen setzen aneinandergereihte sprachliche Einheiten (Sätze, Satzglieder usw.) beim Rezipienten Sinnbildungsprozesse in Gang, auch wenn diese sprachlichen Einheiten syntaktisch-semantisch nicht miteinander verknüpft sind. 26 Solche Verknüpfungen, die weder auf grammatischer noch auf thematischer Ebene zu verorten sind, die jedoch durch die textuelle Gegebenheit der formalen Aneinanderreihung hervorgerufen werden, werden im Folgenden als ‹ assoziative Verknüpfungen › bezeichnet. Das Prinzip lässt sich anhand der bereits in der Einleitung vorgestellten Szene (vgl. Kapitel I.1) veranschaulichen, in der Gahmuret in Patelamunt eintrifft, wo er und seine Gefolgsleute von der heidnischen Königin Belakane, die sich auf den ersten Blick unsterblich in Gahmuret verliebt hat (V. 23,22 - 24), fürstlich bewirtet werden: ich muoz iu von ir spîse sagen. diu wart mit zühten für getragen: man diende in rîterlîche. diu küneginne rîche kom stolzlîch für sînen tisch. hie stuont der reiger, dort der visch. si was durch daz hinz im gevarn, 26 Vgl. Saussure, Ferdinand de: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Übers. v. Herman Lommel. Hg. v. Charles Bally, Berlin/ New York 3 2001 [Erstdruck 1931], S. 147 - 152. 122 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären si wolde selbe daz bewarn daz man sîn pflæge wol ze frumen: (V. 32,29 - 33,7) In diesem Abschnitt sind Minne und Nahrungsaufnahme rein formal aufeinander bezogen: So kündigt der Erzähler an, die aufgetragenen Speisen aufzuzählen (V. 32,29), berichtet dann aber erst einmal von der Art und Weise, wie Gahmuret und seine Gefolgsleute bedient werden: vom höfischen Verhalten des Dienstpersonals (V. 32,30 - 33,1) und von der Königin, die sich zum Tisch des Gastes begibt (V. 33,2 - 3). Dann erst erfolgt die Aufzählung der Gerichte: Es gibt Reiherbraten und Fisch (V. 33,4). Die anschließenden Verse (33,5 - 6) beziehen sich thematisch dann wieder auf die vorausgehenden Verse 33,2 - 3, indem sie das Verhalten der Königin kommentieren: Belakane begibt sich zu Gahmurets Tisch (V. 33,2 - 3), weil sie sich persönlich um ihren Gast kümmern will (V. 33,5 - 6). Der thematische Aufbau des Abschnitts bewirkt, dass die Aussage über das sich anbahnende Minneverhältnis zwischen Belakane und Gahmuret formal in unmittelbare Nachbarschaft zur Aufzählung der aufgetragenen Speisen rückt: diu küneginne rîche / kom stolzlîch für sînen tisch. / hie stuont der reiger, dort der visch (V. 33,2 - 4). Durch diese formale Angliederung entstehen Verweiszusammenhänge zwischen den beiden Bereichen, die den Sinnbildungsprozess anstoßen können (vgl. Kapitel I.1). Solche formalen Angliederungen von Nahrungs- und Minnehandlungen treten im ‹ Parzival › gehäuft auf. Ein weiteres Beispiel dafür enthält Buch XIII, in der Szene, in der die Hofgesellschaft von Schastel marveile - nachdem Gawan sie aus Klinschors Zauberbann befreit hat - ein Festmahl abhält (V. 638,1 - 639,3). 27 Es ist seit der Gefangennahme durch Klinschor die erste Begegnung der Männer und Frauen des Hofes, wobei auch hier auf die Schilderung ihrer Annäherung ein unvermittelter Themenwechsel hin zu alimentären Sachverhalten folgt: alsus mit freudehafter ger, die rîter dar, die frouwen her, dicke an ein ander blicten. die von der vremde erschricten, werdents iemmer heinlîcher baz, daz sol ich lâzen âne haz. ezn sî denne gar ein vrâz, welt ir, si habent genuoc dâ gâz. (V. 638,25 - 639,2) Die Darstellung des Minnegeschehens, der Art und Weise, wie sich die Männer und Frauen über den Austausch von Blicken bei Tisch langsam näher kommen, 27 Vgl. ferner V. 44,27 - 45,2; V. 99,30 - 100,15; V. 201,8 - 19; V. 731,2 - 10. 123 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung mündet ganz unvermittelt in einer Publikumsanrede, in der der Erzähler so tut, als würde er die Hörer darüber bestimmen lassen, dass die Gesellschaft nun satt sei (ezn sî denne gar ein vrâz, / welt ir, si habent genuoc dâ gâz. V. 639,1 - 2). 28 Durch diesen narrativen Aufbau rücken Essens- und Liebesthematik formal in unmittelbare Nachbarschaft zueinander, wodurch Verweiszusammenhänge zwischen den Bereichen entstehen, die die aufs Essen bezogenen Begriffe (vrâz / genuoc gâz) mit erotisch-sexuellen Konnotationen versehen. Die zweite, erzähltechnisch komplexere Variante der syntagmatischen Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik besteht in der temporalen Verknüpfung der Bereiche auf der Zeitachse der erzählten Handlung. In solchen Fällen stellen Minne- und Nahrungshandeln im dargestellten Handlungsgang zeitlich aufeinanderfolgende Vorgänge dar. Dies allein kann die strukturelle Ähnlichkeit der beiden Bereiche ins Bewusstsein des Rezipienten rufen und damit den Zeichenbildungsprozess in Gang setzen. Im ‹ Parzival › ist nun aber eine textuelle Strategie erkennbar, die die mentale Übertragung temporal aufeinander bezogener Nahrungs- und Minnehandlungen zusätzlich stimuliert und den Zeichenbildungsprozess damit explizit anstößt: nämlich der Aufbau von Erwartungshaltungen. Hierbei ist das Erzählen von Minne so gestaltet, dass erzähltechnisch die Erwartung einer Sexualhandlung aufgebaut wird, die sich dann aber nicht einlöst, sondern die in einer Esshandlung mündet. Ein solcher Aufbau bewirkt semantische Ambiguität: Einerseits ist die Esshandlung eine konkrete Esshandlung; dadurch, dass sie an die Stelle der Minnehandlung tritt, steht sie jedoch zugleich für sie und wird so zu ihrem Zeichen. Der entgegengesetzte Ablauf ist ebenfalls zu finden: In diesen Fällen geht es um das Erzählen von Hunger und Nahrungssuche, das so gestaltet ist, dass die Erwartung einer Esshandlung aufgebaut wird, die sich nicht einlöst, sondern die in einer Minnehandlung mündet. Auch hier ist die Minnehandlung zwar konkrete Minnehandlung, dadurch aber, dass sie an die Stelle der Esshandlung tritt, wird sie zu ihrem Zeichen, das heißt, Minne wird zum Zeichen innerer Erfüllung bzw. Erfülltheit. 29 Ein Beispiel für eine Szene, die die Erwartung einer Sexualhandlung aufbaut, die dann aber in einer Esshandlung mündet, ist jene, in der Parzival, mit zweifelhaften Ratschlägen seiner Mutter bedacht (V. 127,25 - 128,10), aus der Einöde von Soltane in Richtung Artushof aufgebrochen ist und auf Jeschute trifft, die in einem Zelt anmutig hindrapiert schläft (Buch III). 28 Die Verse 639,1 - 2 lassen unterschiedliche Übersetzungen zu, die sich jeweils in unterschiedlicher Weise auf die Interpretation dieser Szene auswirken. Dies wird in Kapitel IV. 2.1.3 diskutiert. 29 Zur Metapher der Minne als Nahrung vgl. Kapitel II.3. 124 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Parzival, der unwiderstehlich vom Ring an ihrer Hand angezogen wird, beginnt mit ihr zu ‹ kämpfen › : Er springt zu ihr aufs Bett, wirft sich auf sie, presst seinen Mund auf ihre Lippen, reißt sie an sich (V. 130,28 - 131,15). Jeschute ist entsetzt darüber, sieht sich entehrt ([. . .] ‹ wer hât mich entêret? [. . .] › , V. 131,8); doch der Ringkampf geht weiter, bis sich Parzival plötzlich über Hunger beklagt. Er wendet sich ab von Jeschute und verschlingt die neben dem Bett bereitstehenden Speisen (V. 131,22 - 132,2). Was geschieht hier eigentlich? - Jeschutes Mann Orilus wird, als er zurückkommt und die zerwühlten Bettlaken sieht, Ehebruch unterstellen (V. 133,8 - 10), Parzival wird an späterer Stelle im Text seine Unschuld beteuern (V. 258,20 - 23), der Erzähler wiederum wird Parzivals Jungfräulichkeit bestätigen (V. 193,2 - 4). Diese Szene spielt mit der Imagination des Rezipienten. Dies geschieht, indem auf der Ebene des Erzählens die Erwartung einer Sexualhandlung aufgebaut wird, aber das auf der Handlungsebene situierte Geschehen dieser Erwartung entgegenwirkt. Der Text evoziert damit das Bild einer Sexualhandlung gerade dadurch, dass er die Wunscherfüllung des Bildes verweigert: So tritt Parzival ins Zelt und sieht, wie Jeschute dort alleine schläft (V. 129,28). Was er sieht, wird jedoch durch die Perspektive des Erzählers vermittelt: Jeschute ist schön, halb nackt, hat einen brennendroten Mund, halb geöffnete, von heißer Liebesglut gezeichnete Lippen, einen unbedeckten, nur mit einem Hemd bekleideten Körper; Hitze befindet sich im Raum (V. 129,29 - 130,25). Der Erzähler betont mehrfach die Wirkung, die Jeschutes Schönheit auf Männer hat: Sie ist das Traumbild eines jeden Ritters, der sich auf âventiure befindet (V. 130,1; 130,10). Auf diese Weise wird die Erwartung einer Sexualhandlung aufgebaut, dennoch aber ahnt der Rezipient des Textes, dass dies gerade nicht eintreten wird, da Parzival eben kein edler Ritter auf Aventiurefahrt ist, sondern ein in Minne und Ritterschaft unerfahrener, tölpelhafter Junge. Die anschließende Schilderung von Parzivals Überfall auf Jeschute spielt mit der zuvor aufgebauten Erwartung einer sexuellen Gewalttat, indem sie von Vokabeln der sexuellen Gewalt durchzogen ist: Begriffe wie twanc, ranc, unsamfte, erschrac, mit schame al sunder lachen, entêret, klagte, druct, ungefuoge, brach (V. 130,27 - 131,18) wecken die Vorstellung eines sexuellen Übergriffs. 30 Im entscheidenden Moment jedoch, auf dem Höhepunkt des Ringkampfs, erfolgt dies gerade nicht, sondern Parzival beklagt sich über Hunger, lässt ab von Jeschute und macht sich über die neben dem Bett stehenden Speisen und Getränke her: der knappe klagete ’ n hunger sân. diu frouwe was ir lîbes lieht: 30 So auch Nitsche, Die Literarische Signifikanz, S. 256. 125 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung si sprach ‹ ir solt mîn ezzen nieht. wært ir ze frumen wîse, ir næmt iu ander spîse. dort stêt brôt unde wîn, und ouch zwei pardrîsekîn, alss ein juncfrouwe brâhte, dius wênec iu gedâhte. › ern ruochte wâ diu wirtin saz: einen guoten kropf er az, dar nâch er swære trünke tranc. (V. 131,22 - 132,3) An dieser Stelle wird der Text symbolisch: Parzivals Völlerei ist einerseits konkretes Element der Handlung, das seine mangelnde höfische Erziehung zum Ausdruck bringt, durch den erzähltechnischen Aufbau rückt sie jedoch in die Position der (ausbleibenden) Sexualhandlung. Die gustative Erfüllung tritt an die Stelle der sexuellen Erfüllung und wird so zu ihrem Zeichen. Dieser strukturelle Aufbau bewirkt ein Changieren zwischen wörtlicher und übertragener Bedeutung. Einerseits erscheint Parzival als unkultivierter Tölpel, der die Gunst der Stunde nicht erkennt, sich anstatt für Jeschute lediglich für deren Ring und Brosche interessiert, und der im entscheidenden Moment nicht sexuellen, sondern gustativen Appetit bekundet. Andererseits versinnbildlicht Parzivals maßloses, asoziales Verhalten bei der Nahrungsaufnahme seine unbändige Minnegier. Die in der Struktur des Textes angelegte Zweideutigkeit manifestiert sich auf der Handlungsebene in der Figurenrede: Als Parzival über Hunger klagt, entgegnet Jeschute, er solle bloß nicht sie aufessen ([. . .] ‹ ir solt mîn ezzen nieht. [. . .] › , V. 131,24). Das heißt, Jeschute deutet Parzivals hunger (V. 131,22) als sexuellen Hunger, wodurch die mentale Übertragung der beiden Bereiche auf der Handlungsebene vorgeführt wird. Zum Schluss des Abschnitts zu den syntagmatischen Verknüpfungen von Nahrungs- und Minnehandeln sei nun noch eine Szene angeführt, in der die beiden vorgestellten Verknüpfungsformen, die formale Aneinanderreihung und die temporale Verknüpfung von Nahrungs- und Minnehandeln, kombiniert sind. Hierbei handelt es sich um die Szene, in der Parzival die nach seinem Sieg über Kingrun auf dem Seeweg nach Pelrapaire gelangten Nahrungsmittel an die hungernden Burgbewohner verteilt (Buch IV, V. 200,1 - 18). Die Szene greift das Motiv von Parzivals Mildtätigkeit gegenüber den Burgbewohnern auf, das bereits in der Eingangsszene des vierten Buches vorkommt, in der sich Parzival und Condwiramurs unter den Bedingungen des alimentären Mangels zum ersten Mal begegnen und die von den Onkeln gespendeten Nahrungsmittel an die Stadtbewohner verteilen (V. 190,7 - 126 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären 191,6). 31 Während Parzival und Condwiramurs in der Eingangsszene, nachdem sie für die Hungerleidenden gesorgt haben, ein Stück Brot miteinander teilen, wird in der zweiten Essszene des vierten Buchs zwar erzähltechnisch die Erwartung einer Speisung des Liebespaars aufgebaut, diese jedoch nicht erfüllt. So kümmert sich der vom Kampf gegen die Belagerer der Stadt und vom Hunger geschwächte Parzival (V. 200,1 - 2) den ganzen Tag bis zum Abend um das leibliche Wohl der Burgbewohner (V. 201,8 - 18), indem er die Nahrung in wohl rationierten Portionen austeilt: Parzivâl der reine. von êrst die spîse kleine teilter mit sîn selbes hant. er sazt die werden dier dâ vant. er wolde niht ir læren magn überkrüpfe lâzen tragn: er gab in rehter mâze teil. si wurden sînes râtes geil. hin ze naht schuof er in mêr, der unlôse niht ze hêr. bî ligens wart gevrâget dâ. er unt diu küngîn sprâchen jâ. (V. 201,9 - 20) Anders als in der Eingangsszene des vierten Buches, in der Parzival als Gast auf Pelrapaire Condwiramurs zur milte gegenüber den Stadtbewohnern zwar anhält (V. 191,4), jedoch keine eigene Verfügungsgewalt über die Güter der Stadt besitzt, tritt er nun, nachdem Condwiramurs ihn zur Heirat aufgefordert hat (V. 199,26 - 28), als Herrscher auf, der eigenmächtig über die empfangenen Nahrungsmittel verfügt (V. 200,30 - 201,1) und seine Fürsorglichkeit dem Volk gegenüber unter Beweis stellt. Diese Szene mündet nun nicht, wie es die Verweise auf Parzivals und Condwiramurs Hunger erwarten lassen, in einer Speisung des Paars. Vielmehr folgt auf die erste Versorgung der Bewohner (V. 201,9 - 16) eine zweite (V. 201,17 - 18) und auf diese wiederum folgt ein unvermittelter Sujetwechsel, der von der Nahrungsthematik weg hin zur Minnethematik führt, indem die Frage nach der Bereitschaft des Herrscherpaars zum Vollzug der Eheschließung vorgebracht wird (bî ligens wart gevrâget dâ. / er unt diu küngîn sprâchen jâ., V. 201,19 - 20). Dieser thematische Aufbau bewirkt einerseits eine formale Angliederung der Minnethematik an die Nahrungsthematik, durch die Verweiszusammenhänge zwischen den Bereichen entstehen, die beim Rezipienten den Sinnbildungsprozess in Gang setzen können. Andererseits baut er eine Erwartungshaltung auf, die nicht erfüllt wird: Denn an die Stelle der (zu erwartenden) 31 Zur Interpretation von Nahrungs- und Minnehandeln in Buch IV vgl. Kapitel IV. 1. 127 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung Darstellung eines Nahrungsaktes tritt die körperliche Liebesvereinigung des Paares, die ihrerseits noch einmal zwei Tage und drei Nächte aufgeschoben wird (V. 203,1). Dabei gilt auch hier: Die sexuelle Erfüllung ist konkretes Element der Handlung, dadurch aber, dass sie erzähltechnisch in die Position der (ausbleibenden) Esshandlung gerückt ist, wird sie zugleich zu ihrem Zeichen. Damit zeigt sich, dass die Szene komplementär zur oben angeführten Jeschute-Szene entworfen ist, in der an die Stelle der sprachlich aufgebauten Erwartung einer Sexualhandlung Parzivals Nahrungsaufnahme tritt (V. 130,2 - 132,7). Zwar fungieren Minne- und Nahrungshandeln in beiden Szenen als wechselseitige Vermittlungsformen. Während jedoch in der Jeschute-Szene der in der Liebe zurückgewiesene Parzival im Essen Erfüllung sucht, rückt in der Condwiramurs-Szene die Minne in die Position der stofflichen Nahrung der Liebenden. Die Ausführungen zeigen, dass die Semantisierung des auf der Handlungsebene dargestellten Minnegeschehens in Wolframs ‹ Parzival › über die syntagmatische Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik erfolgen kann. Zu den Strategien der Steuerung des Zeichenbildungsprozesses gehört zum einen die formale Aneinanderreihung von Minne- und Nahrungsthematik auf der Ebene des Erzählens (assoziative Verknüpfung), zum anderen die temporale Verknüpfung der Bereiche auf der Zeitachse der erzählten Handlung, bei der Nahrungshandlungen stattfinden, wenn Minnehandlungen zu erwarten wären - oder umgekehrt. Solche Gestaltung des narrativen Aufbaus trägt, wie es bereits für die Einbringung von alimentären Vergleichen, Metaphern und Allegorien festgestellt wurde (vgl. Kapitel III.1.1), zur Konstituierung der literarischen Entwürfe von Minne bei. Durch die syntagmatische Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik werden die dargestellten Nahrungshandlungen zu Zeichenträgern, die implizit etwas über die Qualität der Figuren als Liebende (Parzivals Völlerei als Zeichen von minnegir) bzw. über die Qualität ihrer Minnebeziehungen (Parzivals / Condwiramurs innere Erfülltheit durch die Minne) aussagen. Vergleicht man Wolframs ‹ Parzival › nun mit Chrétiens ‹ Perceval › , lässt sich eine interessante Beobachtung machen: Zwar sind in Chrétiens Text solche strukturellen Verfahren der Semantisierung des dargestellten Minnegeschehens nicht zu finden, dennoch scheint es, als sei der ‹ Perceval › in dieser Hinsicht Inspirationsquelle für Wolframs Erzählstil gewesen. Dies lässt sich an der oben behandelten Szene illustrieren, in der Parzival nach seinem Sieg über Kingrun zu Condwiramurs zurückkehrt (Buch IV). Denn obgleich bei Chrétien an 128 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären dieser Stelle weder von einem mit Nahrungsmitteln beladenen Schiff die Rede ist, das in Blancheflors Herrschaftsgebiet landet, noch von einer Güterverteilung an die Bevölkerung durch Perceval (die Szene folgt im ‹ Perceval › an späterer Stelle), weisen die beiden Texte an dieser Stelle hinsichtlich des Verhältnisses von Nahrungs- und Minnethematik dennoch eine Motivparallele auf: Während in Wolframs ‹ Parzival › über den erzähltechnischen Aufbau der Szene auf die alimentäre Bedürfnislosigkeit des Paares angespielt wird, wird bei Chrétien explizit gesagt, dass die Liebenden, anstatt zu trinken und zu essen, beieinander liegen und sich der Liebe hingeben würden: En liu de boire et de mengier Jüent et baisent et acolent Et debonairement parolent. (V. 2360 - 2363) Das heißt, die explizite Darstellung des Minneverhältnisses von Perceval und Blancheflor als Zustand innerer Erfüllung, der die Liebenden von der Notwendigkeit stofflicher Nahrungsaufnahme enthebt, ist bei Wolfram ihrer Explizitheit beraubt. Stattdessen sind solche Zuschreibungen in den Bereich des Anspielungshaften, Uneindeutigen verschoben. Paradigmatische Verknüpfungen Neben den syntagmatischen Anbindungen enthält der ‹ Parzival › auch paradigmatische Formen der Verknüpfung von Nahrungs- und Minnehandeln. Hierbei handelt es sich um unterschiedliche Formen der Parallelisierung von Nahrungs- und Minnehandlungen auf der Ebene der Textstruktur, die die Ähnlichkeitsrelationen zwischen gustativen und geschlechtlichen Akten aufrufen. Eine dieser Verknüpfungsformen besteht darin, einzelne Szenen oder ganze Szenenfolgen thematisch so aufzubauen, dass Minne- und Nahrungshandeln auf der Zeitachse der erzählten Handlung nacheinander ablaufende Vorgänge darstellen, die sich in ihren Interaktionsstrukturen entsprechen. Durch derartige Parallelisierung entstehen Verweiszusammenhänge zwischen den am Nahrungs- und Minnehandeln beteiligten Akteuren, Handlungen und Objekten, die die Zeichenbildungsprozesse in Gang setzen können. Ein Beispiel dafür ist die Versöhnungsszene zwischen Jeschute und Orilus in Buch V. Nachdem Parzival die schlafende Jeschute in ihrem Zelt überfallen, sie gegen ihren Willen geküsst und ihr Ring und Brosche geraubt hat (Buch III), wird sie von ihrem Ehemann Orilus hart bestraft. Orilus, der Jeschute ein außereheliches Liebesverhältnis unterstellt (V. 133,10), verbannt sie von seinem Tisch und aus seinem Bett (V. 136,24 - 136,28, vgl. dazu Kapitel III.2.2.3). Alles, was Jeschute bleibt, ist das Gewand, das sie am Leib trägt, und ein schlecht ausgestatteter, hungernder Gaul, auf dem sie fortan reiten muss 129 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung (V. 136,29 - 137,12). Als Parzival Orilus und Jeschute eines Tages begegnet (Buch V), besiegt er Orilus im Zweikampf und überzeugt ihn von Jeschutes Unschuld, indem er gelobt, kein Liebesverhältnis mit ihr gehabt zu haben (V. 269,4 - 270,13). Orilus erkennt das Unrecht, das er seiner Frau angetan hat, und zieht sich zur Versöhnung mit ihr in sein Zelt zurück (V. 272,1 - 273,30). Die beiden schlafen miteinander und nehmen anschließend, auf ihrer Lagerstatt sitzend, ein gemeinsames Mahl ein: dô fuorn si sunder baden sich. zwelf clâre juncfrouwen man mohte bî ir schouwen: [. . .] die batten dô mit freuden sie. [. . .] dô gâhte vaste ûzem bade der herzoge Orilus. Jeschûte und er gewurben sus. diu senfte süeze wol getân gieng ouch ûz ir bade sân an sîn bette: dâ wart trûrens rât. ir lide gedienden bezzer wât dan si dâ vor truoc lange. mit nâhem umbevange behielt ir minne freuden prîs, der fürstîn und des fürsten wîs. juncfrouwen kleitn ir frouwen sân. sîn harnasch truoc man dar dem man. Jeschûten wât man muose lobn. vogele gevangen ûf dem klobn si mit freuden âzen, dâ se an ir bette sâzen. frou Jeschûte etslîchen kus enpfienc: den gab ir Orilus. (V. 272,20 - 273,30) Die in dieser Szene geschilderten Vorgänge lassen sich in zwei Sequenzen einteilen, die sich in ihrem thematischen Aufbau genau entsprechen. Erstens: Orilus und Jeschute machen sich füreinander schön, indem sie sich entkleiden und ein Bad nehmen; anschließend begeben sie sich zum Lager und schlafen miteinander (V. 272,20 - 273,22). Zweitens: Orilus und Jeschute machen sich füreinander schön, indem sie sich einkleiden; anschließend begeben sie sich zum Lager und speisen gemeinsam (V. 273,23 - 30). Durch die Paradigmatisierung der zeitlich aufeinanderfolgenden Vorgänge rückt das Mahl in die Position des Sexualakts, wodurch die Äquivalenzbeziehung zwischen den beiden Bereichen ausgestellt wird. Damit ist es zwar weiterhin ein konkretes 130 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Element der Handlung - Jeschute und Orilus sitzen auf dem Bett und essen - , zugleich aber wird das Teilen der Nahrung zum Zeichen der zuvor angedeuteten sexuellen Vereinigung. 32 Vergleichspunkt ist die gustative / sexuelle Erfüllung. Damit zeigt sich, dass die bei der Verstoßung Jeschutes vollzogene Trennung von Tisch und Bett in dieser Szene stufenweise rückgängig gemacht wird. 33 Das Mahl hat einerseits die Funktion, die Wiedervereinigung der Liebenden zu bekräftigen, andererseits aber nimmt es den Charakter einer öffentlichen Repräsentation (markiert durch die Einkleidung der Liebenden) des nichtöffentlichen Akts der sexuellen (Wieder-)Vereinigung (markiert durch die Nacktheit der Liebenden) an. Eine andere Form der paradigmatischen Verknüpfung von Nahrungsaufnahme und Minne besteht darin, dass die Nahrungs- und Minnehandlungen auf der Zeitachse der erzählten Handlung gleichzeitig ablaufende Aktionen darstellen. Während der eine Bereich Hintergrundgeschehen ist, macht der andere die Vordergrundszene aus. Solch eine Synchronisierung von Minne- und Nahrungshandeln kann genügen, um beim Rezipienten die Ähnlichkeitsrelationen zwischen den Bereichen zu vergegenwärtigen. Beispiele dafür sind die Jagdszenen, die im ‹ Parzival › wiederholt im Hintergrund von Minnesituationen ablaufen. 34 So z. B. macht sich Gramoflanz in der Hoffnung darauf, Itonjes Minne zu erwerben, in Begleitung seiner valkenære zum Artushof auf (V. 721,1 - 28). Die Gesellschaft bewegt sich jagend auf das Objekt der Begierde (Itonje) zu, wodurch die Jagd semiotisch gesehen den Charakter einer Vermittlungsform von Gramoflanz minnegir annimmt. 35 Diese Art der Verknüpfung kann im ‹ Parzival › nun dadurch spezifiziert sein, dass die Handlungsverläufe von Vorder- und Hintergrundgeschehen ähnlich gestaltet sind, wodurch Abbildungsverhältnisse entstehen, die den Zeichenbildungsprozess zusätzlich stimulieren. Dies lässt sich anhand einer Episode illustrieren, in der Minne und Jagd paradigmatisch auf komplexe Weise miteinander verknüpft sind, nämlich durch Parallelisierung sowohl auf syn- 32 Zur minnesymbolischen Bedeutung des Teilens von Nahrung vgl. grundsätzlich Kapitel II.2.1. 33 So auch Hirschberg, Dagmar: Untersuchungen zur Erzählstruktur von Wolframs ‹ Parzival › . Die Funktion von erzählter Szene und Station für den doppelten Kursus, Göppingen 1976 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 139), S. 153. 34 Zur Verknüpfung von Jagd und Minne im ‹ Parzival › vgl. die ausführliche Darstellung in Kapitel IV. 1.1. 35 Dieser Aspekt wird auf Textebene expliziert, indem gesagt wird, Gramoflanz ’ Beizjagd sei Ausdruck seiner Jagdlust auf die minne (V. 721,26 - 28). 131 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung chroner als auch auf diachroner Ebene der erzählten Handlung. Es handelt sich um die Episode, in der Gawan auf seinem Weg durch das Land Ascalun auf König Vergulaht und dessen Schwester Antikonie trifft (Buch VIII): 36 Nachdem Gawans Rittertaten im Dienste Obilots auf Bearosche zur Versöhnung zwischen Obie und Meljanz geführt haben, macht er sich auf den Weg nach Schanpfanzun, um sich dort zum festgesetzten Termin (40 Tage nach Pfingsten, V. 281,18; 321,17 - 18) wegen angeblichen Mordes am König von Ascalun (Vergulahts Vater) zu verantworten. Bei seiner Ankunft in Schanpfanzun trifft er auf König Vergulaht und dessen Gefolge, die sich auf Vogeljagd befinden (V. 399,25 - 401,5). Vergulaht betreibt die Jagd mit solcher Leidenschaft, dass er sich durch die Ankunft des Gastes nicht davon abbringen lässt, sondern diesen in Begleitung eines einzigen Boten zur Burg in die Obhut seiner Schwester Antikonie schickt, um ungestört weiterjagen zu können (V. 402,7 - 402,30). Auf der Burg angekommen wird Gawan von Antikonie mit einem Begrüßungskuss empfangen, der ungastlîch gerät (V. 405,16 - 21) und der sogleich Gawans Begierde weckt. Er startet eine offensive Minnewerbung, bei der er sein sexuelles Interesse an der Prinzessin unverhüllt zeigt (V. 405,21 - 407,10). Sowohl Vergulahts Jagd als auch Gawans Minneoffensive münden dabei in Zwischenfällen, die zeitlich nacheinander ablaufende Handlungen darstellen und die in ihren Interaktionsformen auffallende Ähnlichkeiten aufweisen: Zuerst (zum Zeitpunkt von Gawans Ankunft im Land Ascalun) betreibt Vergulaht die Jagd mit solcher Hingabe, dass er gegen die höfischen Jagdregeln verstößt und seine Falken im Sumpfgebiet Reiher und Kraniche jagen lässt, 37 was dazu führt, dass er ihnen zu Hilfe eilen muss, damit sie nicht selbst im Sumpf umkommen. Dabei verfehlt er in der Eile den rechten Weg, versinkt 36 Eine ausführliche Interpretation des Zusammenhangs von Jagd und Minne im achten Buch des ‹ Parzival › hat Rüdiger Schnell vorgenommen (vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe). Seine Überlegungen werden hier aufgegriffen und in Hinblick auf die Semiotik von Minne- und Nahrungshandeln in diesem Buch weitergedacht. 37 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 246 - 249. Rüdiger Schnell zeigt, dass Vergulaht als schlechter Jäger erscheint, der die höfischen Jagdregeln gleich in zweifacher Hinsicht missachtet: Zum einen lässt er Falken, deren Gefieder sehr wasserempfindlich ist und deren Krallen weich werden können, im Sumpfgebiet Reiher und Kraniche jagen, was ein Vorgehen ist, vor dem in höfischen Jagdtrakten und Habichtslehren eindringlich gewarnt wird (vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 247 - 249). Zum anderen - diese Deutung ergibt sich, wenn man reale und metaphorische Jagd aufeinander bezieht - widmet er sich der Beizjagd, während sich ein Adler in der Luft befindet. Friedrich II. jedoch rät explizit davon ab, sich auf Beizjagd zu begeben, wenn Adler unterwegs sind (vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 259). 132 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären selbst in der Furt und verliert Pferd und Kleidung (V. 400,19 - 26). Anschließend missachtet Gawan, in Erwartung des ‹ Schäferstündchens › mit Antikonie, das ihm Vergulaht in Aussicht stellt (V. 402,20 - 26), jegliche höfisch-ritterlichen Verhaltensregeln. Er lässt sich ungeachtet der Gefahr, der er sich auf der feindlichen Burg Schanpfanzun aussetzt, unbewaffnet bei Antikonie nieder, 38 um dann einen Verführungsversuch zu starten, der gegen alle höfischen Konventionen verstößt, indem er mit der Hand unter Antikonies Mantel greift und ihre Hüfte berührt (V. 407,2 - 4). 39 Hierbei wird er von einem Ritter heimlich beobachtet, der sofort Alarm schlägt und die Stadtmannschaft gegen Gawan aufhetzt. Gawan flüchtet zusammen mit Antikonie in einen Turm und verteidigt sich von dort aus mit einem Schachbrett als Schild und einem herausgerissenen Türriegel als Waffe gegen die Angriffe. Der Vergleich zeigt: In beiden Fällen verstoßen die ‹ Jagenden › (Vergulaht / Gawan) gegen die höfischen Verhaltensregeln, wobei das Unterfangen jeweils scheitert und die Jagenden selbst zu Gejagten werden. 40 Solche Analogisierung kann freilich als rhetorische Spielerei aufgefasst werden, und zwar insofern als ein bestimmtes Motiv in unterschiedlicher Weise - einmal als Metapher, dann konkretisiert in Handlung überführt - durchgespielt wird, was dem Aufbau der Episode eine bestimmte Struktur verleiht. Es muss aber bedacht werden, dass derartige rhetorische Kunstgriffe Sinnfiguren erzeugen, die semantische Effekte auf die Aussagen des Textes haben. So erscheint Vergulahts Jagd durch die paradigmatische Verknüpfung mit der anschließenden Szene (Gawans Minneoffensive) retrospektiv im Licht scheiternder Minnewerbung, was einerseits zur Zeichnung dieser Figur beiträgt und andererseits als metaphorische Vorausdeutung auf die Minnebegegnung zwischen Gawan und Antikonie gedeutet werden kann. Nun aber stellen Jagd und Minne im achten Buch nicht nur zeitlich nacheinander, sondern auch gleichzeitig ablaufende Geschehnisse dar. Zum einen nämlich schickt Vergulaht Gawan, wie schon gesagt, bei dessen Ankunft in Schanpfanzun zur Burg, um sich selbst weiter der Jagd widmen zu können (V. 402,7 - 13). Das heißt, Vergulaht befindet sich zum Zeitpunkt von Antikonies und Gawans Stelldichein auf Beizjagd. Zum anderen - dies erfährt man gegen Ende von Buch VIII - machen Gawans Knappen, während jener bei Antikonie weilt, Jagd auf ihr entlaufenes mûzersprinzelîn (nhd. ‹ Merlin › / ‹ Sperbermännchen › 41 ), und zwar so lange, bis sie selbst von einem einflussreichen Bürger der Stadt gefangen genommen werden (V. 429,1 - 430,16). 38 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 252. 39 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 251. 40 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 247 - 249 sowie S. 268. 41 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 266 f. 133 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung Diese Szene greift das Motiv ‹ verunglückte Jagd / Jagende werden zu Gejagten › auf. Vergulahts Jagd sowie die Jagd der Knappen nach dem entflogenen mûzersprinzelîn, die das Hintergrundgeschehen ausmachen, stehen damit in einem Abbildungsverhältnis zu der im Vordergrund ausagierten Minnebegegnung zwischen Gawan und Antikonie. 42 Durch diese paradigmatische Verknüpfung von Vorder- und Hintergrundhandlung entstehen Verweiszusammenhänge, die alternierend Bedeutung hervorbringen: Einerseits akzentuieren die im Hintergrund ablaufenden, geradezu grotesk anmutenden Jagdszenen den Normbruch, durch den sich die im Vordergrund situierte Minnebegegnung zwischen Gawan und Antikonie auszeichnet. Andererseits nehmen die im Hintergrund situierten Jagdszenen auf die Minne bezogene Bedeutung an. Dies gilt nicht nur für Vergulahts Beizjagd, sondern auch für die seltsam unmotiviert anmutende Jagd von Gawans Gefolgsleuten auf das entflogene mûzersprinzelîn. Wenn auch unterschwellig und andeutungsweise, evoziert diese Szene die Vorstellung, dass sich Gawans Knappen, während jener bei Antikonie ist, im feindlichen Gebiet auf ‹ Damenjagd › begeben. Diese Deutung gewinnt an Plausibilität, wenn man die in Kapitel II.5 aufgeführten Belege aus der mittelalterlichen Literatur hinzuzieht, die von der Anziehungskraft handeln, die schöne Frauen auf Jagdvögel ausüben. Vor diesem Hintergrund kann die Flucht des mûzersprinzelîns als Hinweis auf die Anwesenheit schöner Frauen im Land Ascalun gedeutet werden und als Konsequenz daraus die Verfolgung des Jagdvogels durch die Knappen als deren Annäherungsversuch an ebendiese Damen. Hierbei werden sie ertappt und gefangen genommen - gerade so, wie es ihrem Herren Gawan auf der Burg ergeht. Damit zeigt sich, dass das Hintergrundgeschehen des achten Buchs in spezifischer Weise auf die Vordergrundhandlung zugeschnitten ist und als 42 Die so gestaltete Verknüpfung von Jagd auf Minne wird durch einen Vergleich gestützt, der in die Minneszene eingebracht ist und der in Kapitel III.1.1 bereits besprochen wurde. So denkt Gawan, als er im Begriff ist, die Königstochter körperlich anzugehen, plötzlich an einen geschwächten, hungrigen Adler, der einen Vogel Strauß fängt (V. 406,30 - 407,1). Wie jener seine Beute ergreift, greift Gawan die Königsschwester an, indem er ihr beherzt an die Hüfte fasst. Die Engführung von Gawan mit einem Adler und Antikonie mit einem Vogel Strauß geht an späterer Stelle in ein anderes Bild über: Als Gawan sich im Turm zusammen mit Antikonie gegen die angreifende Stadtmannschaft wehrt, erinnert ihn die begehrenswerte, schlanke Gestalt seiner Mitstreiterin an die Gestalt eines Hasen am Bratspieß (V. 409,26). Dieser Vergleich greift die zuvor angedeutete Jagdatmosphäre insofern auf, als für die Erlegung des Hasen ausgerechnet Vögel des niederen Flugs, wie eben der Adler, geeignet sind (vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 260). 134 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären symbolische Vollzugsform der im Vordergrund ausagierten Minnehandlung gedeutet werden kann. 43 Bei den bislang besprochenen Formen der paradigmatischen Verknüpfung von Minne- und Nahrungsthematik werden über den strukturellen Aufbau des Textes Abbildungsverhältnisse zwischen Minne- und Nahrungshandlungen erzeugt, die die Ähnlichkeitsrelationen zwischen den Bereichen aufrufen und den Zeichenbildungsprozess damit anstoßen können. Der ‹ Parzival › enthält nun aber noch eine ganz andere Form der Erzeugung von Abbildungsverhältnissen zwischen Nahrungs- und Minnethematik: die Abbildung nämlich von Minneverhältnissen in Mahlszenen über das Bildfeld der Jagd. 44 In diesen Fällen werden anhand der Jagdthematik, die im Zusammenhang mit der Aufzählung von Fleisch- und Fischgerichten vorkommt, Beziehungskonstellationen entworfen, die spezifisch auf die jeweiligen Minnesituationen zugeschnitten sind, wodurch sie auf diese ‹ ausstrahlen › und zu ihrer Konstituierung beitragen. Umgekehrt betrachtet heißt das, dass das Mahl zum Ort der Reflexion des Minnegeschehens wird, innerhalb dessen es situiert ist. Diese Form der Verknüpfung wurde bereits anhand der in Kapitel I.1 interpretierten Mahlszene von Gahmuret und Belakane sichtbar. Der Zusammenhang zwischen den Akteuren (Gahmuret / Belakane) und den Speisen (Reiher / Fisch) ist durch die formale Angliederung der Bereiche explizit ausgestellt: Reiher und Fisch umreißen das Verhältnis von Jäger und Beute, welches, auf das sich anbahnende Verhältnis der Akteure projiziert, eine körperlich-triebhafte Dimension aufscheinen lässt. Ein weiteres Beispiel für die Verknüpfung von Minne und Mahl über das Bildfeld der Jagd ist die Szene, in der Gawan beim ritterlichen Fährmann Plippalinot zu Gast ist (V. 550,2 - 552,5). Bei Tisch bittet Gawan um Erlaubnis, an der Seite von dessen Tochter Bene zu speisen (V. 550,15). Der Gastgeber willigt ein und ergreift sogleich die Gelegenheit, seine Tochter dem Gast näherzubringen, indem er sie dazu anweist, ihm das Essen vorzuschneiden und in kleinen, mundgerechten Portionen anzureichen (V. 551,3 - 7). Ungeachtet der sozialen Differenz zwischen Gast und Gastgeber, fasst Gawan Benes Tafeldienst, den diese mit Schamesröte im Gesicht leistet (V. 550,23), als 43 Eine auf den gesamten Roman bezogene Interpretation der Jagdszenen, die im ‹ Parzival › im Hintergrund der Minnehandlungen ablaufen, erfolgt in Kapitel IV. 1.1. 44 Vgl. Belakane / Gahmuret (V. 33,4); Parzival / Jeschute (V. 131,20 - 132,2); Antikonie / Gawan (V. 423,16 - 424,6); Bene / Gawan (V. 550,25 - 551,2); Gawan / Orgeluse (V. 622,5 - 30). 135 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung Minnewerbung auf, auf die er allerdings nicht eingehen will (V. 552,26 - 28). 45 Das Mahl besteht aus einer einfachen Brühe (salse, V. 551,2), Weißbrot (blankiu wastel, V. 551,6), Lattichsalat (purzeln unde lâtûn / gebrochen in den vînæger, V. 551,20 - 21) und einer Portion Vogelfleisch: nämlich drei gebratenen galandern (V. 550,29), von denen es heißt, sie seien am selben Abend vom sprinzelîn erbeutet worden (V. 550,28). Bei der galander handelt es sich um eine Ringellerche, die deutlich größer ist als die sonstigen Lerchen, 46 beim sprinzelîn dagegen um den kleinsten aller Jagdvögel, um ein ‹ Merlin › bzw. um einen ‹ Sperber › . 47 In der Forschung wurde darauf hingewiesen, dass in dieser Mahlszene die ärmlichen Verhältnisse, in denen Plippalinot mit seiner Familie lebt, dargestellt werden. 48 Diese Interpretation leuchtet zwar ein, sie lässt jedoch einen Aspekt unberücksichtigt, der für den vorliegenden Zusammenhang relevant ist. Die Aufzählung der Speisen bringt nämlich eine Jagdszene ein, deren Pointe gerade darin besteht, dass sie in spezifischer Weise auf das Verhältnis der am Mahl beteiligten Akteure zugeschnitten ist, indem sie das in dieser Beziehungskonstellation enthaltene Missverhältnis von ‹ Klein begehrt Groß › aufgreift: So ist das hauseigene sprinzelîn als der kleinste, zierlichste aller Jagdvögel offenbar in der selben Weise darauf abgerichtet, nach großen Ringellerchen (galandern) zu jagen, wie die Tochter des Hausherren von diesem dazu gebracht wird, ‹ Jagd › auf den glorreichen Artusritter Gawan zu machen. Zum einen konturiert hier das Abbildungsverhältnis von Minne und Mahl die soziale Asymmetrie, die zwischen dem aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Mädchen Bene und dem ritterlichen Gast Gawan besteht, zum anderen bewirkt die Parallelisierung eine ironische Brechung des dargestellten Minnegeschehens. Als letztes Beispiel für die paradigmatische Verknüpfung von Minne und Mahl über das Bildfeld der Jagd sei die oben bereits angesprochene Szene, in der Jeschute und Orilus ihre Wiedervereinigung feiern (Buch V), erwähnt. Auch hier besteht das Mahl, das die beiden gemeinsam auf ihrer Lagerstatt sitzend einnehmen, aus gebratenen Vögeln. Im Unterschied zu den sonstigen Mahlszenen im ‹ Parzival › handelt es sich hier jedoch um Vögel, die mit einer 45 Zum weiblichen Tafeldienst als erotische Einladung vgl. Kapitel III.2.2.2. 46 Bei der galander (afrz. calandre) handelt es sich nicht, wie zumeist angenommen, um die Haubenlerche, sondern um die große Ringellerche (vgl. Nellmann, Eberhard: Kommentar, in: Wolfram von Eschenbach: ‹ Parzival › II. Text und Kommentar, S. 411 - 790, hier S. 716). 47 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 266 f. 48 Zur sozialen Codierung der Nahrungsmittel vgl. Kapitel III.2.4. 136 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären besonders aufwändigen Technik gefangen wurden, nämlich mit Spaltholz und Lockspeise (vogele gevangen ûf dem klobn, V. 273,26). 49 Die Speise steht hier insofern in einem Abbildungsverhältnis zur Minne von Jeschute und Orilus, als sie aufgrund der Geschichte ihres Erwerbs den hohen Wert widerspiegelt, den die Liebenden ihrer wiedererlangten Minne beimessen. 50 Zugleich aber spielt das Bild des Vogelfangs mit Lockspeise und Klemmfalle auf das Gefahrenpotenzial an, das das Begehren mit sich bringt. 51 Denn bei der Beziehungskonstellation, die mit diesem Jagdbild entworfen wird, liegt der Fokus auf dem Aspekt des Begehrens, das in unentrinnbare Gefangenschaft des Begehrenden (des Vogels) führt und mit dessen Tod endet. Übertragen auf das Minneverhältnis setzt das Jagdbild Vorstellungen der Minnegefahren frei, die das Begehren mit sich bringt, und unterlegt das auf der Handlungsebene dargestellte Minneglück von Jeschute und Orilus so mit negativen Vorahnungen. 52 Die Ausführungen zeigen, dass die Semantisierung des dargestellten Minnegeschehens im ‹ Parzival › über paradigmatische Verknüpfungen von Nahrungs- und Minnethematik erfolgen kann, wobei zwei unterschiedliche Typen der Codierung eruiert wurden, die kennzeichnend für Wolframs Erzählstil sind: zum einen die Paradigmatisierung von Nahrungs- und Minnehandlungen, die auf der Zeitachse der erzählten Geschichte nacheinander bzw. gleichzeitig ablaufen; zum anderen die Paradigmatisierung von Minne und Mahl über das Bildfeld der Jagd. Solche Gestaltung des Sprachmaterials trägt, wie es bereits für die oben vorgestellten syntagmatischen Verknüpfungen festgestellt wurde, zur Konstituierung der literarischen Entwürfe von Minne bei, indem sie Verweiszusammenhänge generiert, die alternierend Bedeutung hervorbringen: Auf der einen Seite nimmt das Nahrungshandeln auf die Minne bezogene Bedeutung an (z. B. Vergulahts Jagd als Zeichen für scheiternde Minnewerbung); auf der anderen Seite gewinnen die Minnehandlungen durch den Bezug zur Nahrungsthematik spezifische Konturen (z. B. Profilierung der sozialen Asymmetrie im Verhältnis von Bene und Gawan). Vergleicht man Wolframs ‹ Parzival › wiederum mit Chrétiens ‹ Perceval › , zeigt sich, dass bei Chrétien zwar die für Wolfram kennzeichnenden syntagmati- 49 Vgl. die Ausführungen zu dieser Jagdmethode in Kapitel III.1.1. 50 Zur minnesymbolischen Bedeutung von alimentären Objekten vgl. grundsätzlich Kapitel II.1. und II.4. 51 Zur minnesymbolischen Bedeutung dieses Jagdbilds vgl. grundsätzlich Kapitel III.1.1. 52 Zur Interpretation von Mahlszenen im ‹ Parzival › als Orte der symbolischen Vorausdeutung und der abgewiesenen Erzählalternativen vgl. Kapitel IV. 2.2.1. 137 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung schen Verknüpfungsformen von Nahrungs- und Minnethematik fehlen, der Text jedoch einen Handlungsteil enthält, in dem Nahrungs- und Minnethematik paradigmatisch aufeinander bezogen sind. Hierbei handelt es sich um die chrétiensche Version der oben vorgestellten Episode, in der Gawan im Land Ascalun auf König Vergulaht und dessen Schwester Antikonie trifft (Buch - VIII). Zwar enthält Chrétiens Text weder den Jagdunfall des Königs noch die Jagd der Knappen nach dem entlaufenen Jagdvogel. Dennoch weist die Episode eine Jagdszene auf, und zwar eine, die - ebenso wie es für Wolframs Text festgestellt wurde - in spezifischer Weise auf die Minnebegegnung zwischen Gauvain und der Schwester des Königs zugeschnitten ist. Gauvain nämlich begibt sich auf seinem Weg ins Land Escavalon auf die Jagd nach einer weißen Hirschkuh, die jedoch erfolglos bleibt, da sein Pferd im Moment des Zugriffs ein Eisen am Vorderhuf verliert und zu lahmen beginnt (V. 5660 - 5690). Dieser Jagdunfall steht in einem Abbildungsverhältnis zur anschließenden Minnebegegnung zwischen Gauvain und der Königsschwester, die durch den Auftritt eines Vasallen, der Gauvain als (angeblichen) Mörder des Königsvaters entlarvt, ein vorzeitiges, jähes Ende nimmt (V. 5824 - 5865). Der Vergleich zeigt, dass die Verknüpfung von Jagd und Minne durch die Einbindung der Bereiche in Wiederholungsstrukturen dem Prinzip nach bei Chrétien angelegt ist. Wolfram greift die chrétiensche Verknüpfungstechnik auf, er nimmt jedoch inhaltliche Änderungen vor, die eine Komplexisierung der Aussagestrukturen zur Folge haben. Dies betrifft nicht so sehr die Tatsache, dass der Jagdbereich bei Wolfram gegenüber der französischen Vorlage verändert ist, denn beide Jagdtypen, sowohl die Hetzjagd auf den weißen Hirsch als auch die Jagd mit Greifvögeln nach Federtieren, stellen zur Entstehungszeit der beiden Romane konventionalisierte Bedeutungsfelder erotischer Anspielungen dar. 53 Vielmehr betrifft es den Umstand, dass Wolfram die beiden ‹ Jagdunfälle › nicht ein und derselben Figur zuordnet, sondern sie auf zwei Figuren verteilt. Während im ‹ Perceval › Gauvains missglückte Jagd quasi monokausal auf seine zum Scheitern verurteilte Minnewerbung im feindlichen Land Escavalon hindeutet, erzeugt die im deutschen Text enthaltene Aufteilung der Ereignisse auf König Vergulaht und Gawan semantische Ambiguität: Auch hier kann der Jagdunfall des Königs zwar retrospektiv als symbolische Vorausdeutung auf die Minnebegegnung zwischen Gawan und Antikonie interpretiert werden, zugleich aber trägt er zur Zeichnung dieser Figur bei. Denn das fahrlässige Jagdverhalten Vergulahts lässt diesen, wenn auch unterschwellig, im Licht erfolgloser Minnewerbung erscheinen (s. o.). Und bedenkt man überdies, dass in der Stauferzeit in einem idealen 53 Vgl. Kapitel II.5. Zur erotischen Konnotation der beiden Jagdszenen vgl. auch Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 172. 138 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Falkner zugleich der ideale Herrscher gesehen wurde (vgl. Kapitel II.5), dann kann die Szene noch dazu als Vorankündigung des späteren Versagens Vergulahts in den politischen Auseinandersetzungen gesehen werden. 54 Auf den ganzen Text hin besehen zeigt sich, dass im ‹ Parzival › das Verfahren der paradigmatischen Verknüpfung von Nahrungs- und Minnehandeln im Vergleich mit Chrétiens Text vielfältig ausgebaut und erweitert ist. Denn einerseits sind hier nicht nur die Bereiche Jagd und Minne von solchen Verknüpfungen betroffen: Die Analyse einzelner Textstellen hat deutlich gemacht, dass auch andere Aspekte des Alimentären (z. B. Mahl, Nahrungsaufnahme) paradigmatisch auf die Minnethematik bezogen sein können. Andererseits erstrecken sich solche Wiederholungsmuster im ‹ Parzival › oftmals nicht nur auf zwei oder drei, sondern auf eine Vielzahl von Textelementen, wodurch sich semiotisch kohärente Reihen ausbilden, die - wie in Kapitel IV zu zeigen sein wird - großräumig über ganze Handlungsstränge hinweg interferierende Sinnpotenziale erzeugen. Hinsichtlich der Frage nach textinternen Codierungsverfahren im ‹ Parzival › sei, das Kapitel abschließend, noch Folgendes angemerkt: Durch die wiederholte Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik prägt der Text Deutungsmuster aus, die semiotische Effekte auch auf solche Textstellen haben, an denen die Darstellung von Nahrungsakten inhaltlich nicht im Zusammenhang mit der Minnethematik steht. Ein Beispiel dafür ist Parzivals Vogeljagd, der er während seines Aufenthalts im Ödland von Soltane nachgeht (Buch II, V. 118,1 - 10). Zwar ist Parzival zu diesem Zeitpunkt der Erzählung ein Kind, das von Minne und Ritterschaft nichts weiß, vor dem Hintergrund des in den Gahmuret-Büchern (Buch I - II) etablierten Musters erotischer Anspielungen im Bedeutungsfeld der Vogeljagd (s. o.) gewinnt Parzivals Jagd jedoch einen auf die Minne bezogenen Zeichencharakter, aufgrund dessen sie als unterschwellige Andeutung seiner Minnebereitschaft verstanden werden kann. 55 54 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 249. 55 Ähnlich argumentiert Lieb, Essen, Sex und Ritterschaft. 139 Semiotik I: Textinterne Verfahren der Zeichenbildung 2. Semiotik II: Literarische Verarbeitung kultureller Deutungsmuster Nachdem in Kapitel III.1 textinterne Verfahren der Codierung von Nahrungs- und Minnethematik im ‹ Parzival › aufgezeigt wurden, geht es im Folgenden um das Mitwirken von textexternen Faktoren an den Zeichenbildungen. Da die Semiotik der einzelnen Bereiche der Nahrungsthematik (Gabe, Mahl, Nahrungsaufnahme, Nahrungsmittel, Jagd) durch je spezifische Norm- und Bedeutungssysteme organisiert ist (vgl. Kapitel II), werden diese im Folgenden getrennt voneinander behandelt. Zum einen werden die im Text dargestellten Nahrungsakte in Hinblick auf textuelle Markierungen von semantischen Rahmen befragt, die die Zeichenbildung steuern. Zum anderen wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich die textinternen Codierungen des Alimentären vor dem Hintergrund der in Kapitel II erarbeiteten Deutungsrahmen als Bearbeitungen kulturspezifischer Symbolsysteme beschreiben lassen. Ebenso wie im vorausgehenden Kapitel wird auch bei der folgenden Analyse einzelner Szenen jeweils nach den Auswirkungen gefragt, die die Zeichenhaftigkeit der alimentären Handlungen und Objekte auf die Gestaltung des Erzählens von Minne hat, um unterschiedliche poetische Aspekte zu profilieren, die in Kapitel IV dann in Hinblick auf den gesamten Text systematisch untersucht werden. 2.1 Kulinarische Objekte als Liebesgaben Liebesgaben ziehen sich wie ein Leitmotiv durch den ‹ Parzival › . 56 Sei es, dass die Damen ihre Minneritter mit kostbaren Kleinodien ausstatten, welche diese wiederum als Trophäen mit sich führen (u. a. V. 12,3 - 14; 736,1 - 5), sei es, dass die Liebenden ihre wechselseitige Verbundenheit mittels des Tauschs von Gaben zum Ausdruck bringen (V. 101,9 - 16). Dabei wird die Liebesgabenminne nicht nur vorgeführt, sondern auch das Konfliktpotenzial, das in ihr 56 Vgl. Lieb, Kann den Schenken Sünde sein? , S. 198 - 201. 140 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären steckt - ihre Gebundenheit an das Materielle, die Skepsis gegenüber der Käuflichkeit von Minne - , verhandelt. 57 Während im ‹ Parzival › Objekte wie Schmuck, Kleidungsstücke, Briefe, kostbare Trinkgefässe bis hin zu Jagdvögeln als Liebesgaben fungieren, kommen kulinarische Gaben im Kontext von Minne lediglich zweimal vor: einmal am Artushof, wo Keye und Kingrun mit Krapfen um die Gunst von Frau Cunneware werben (V. 206,29 - 207,2), und einmal auf der Gralsburg, wo eine schöne Jungfrau Parzival Obst schenkt (V. 244,11 - 25). Fragt man nach der sinnstiftenden Funktion, die die in Kapitel II.1 ermittelten kulturspezifischen semantischen Rahmen für diese alimentären Gaben haben, zeigt sich, dass der Sündenfall als christliche ‹ Urszene › einer alimentären Liebesgabe bzw. der daraus abgeleitete moraltheologische Diskurs über die Unersättlichkeit und kulinarische Verführbarkeit der Frau in beiden Fällen auf Textebene als Deutungsrahmen markiert ist. Die dadurch freigesetzten semantischen Potenziale weisen auf die Akteure zurück und tragen zu ihrer Zeichnung bei. Im vierten Buch ist die Vorstellung von der Gefräßigkeit der Frau und die damit verbundene pejorative Bedeutung alimentärer Liebesgaben insofern als Deutungsrahmen auf Textebene markiert, als eine Süßspeise von zwei Figuren als Werbemittel eingesetzt wird, mit der die verlorene Gunst einer Frau zurückerobert werden soll. Das heißt, das kulturelle Wissen wird hier als Handlungswissen der Figuren entfaltet, und zwar auf der einen Seite von Keye, der Cunneware am Artushof aufs Gröbste misshandelt hat, weil sie ihr Schweigegelöbnis gebrochen und hell aufgelacht hat, als sie Parzival am Hof erblickte (Buch III); und auf der anderen Seite von Kingrun, dem Seneschall König Clamides, der den Bewohnern der Stadt Pelrapaire im Auftrag seines Fürsten die Nahrungszufuhr abgeschnitten hat, um die dortige Herrscherin Condwiramurs zur Ehe mit Clamide zu zwingen (Buch IV, V. 184,19 - 21; 204,5 - 12). Als Parzival die Stadt Pelrapaire befreit, schickt er Kingrun zur Strafe an den Artushof, wo er sich der durch Keye gedemütigten Cunneware unterwerfen soll (V. 198,23 - 199,12). Dort angekommen, verbünden sich Keye und Kingrun miteinander, wobei Keye kraft seines Amtes als Küchenmeister Kingrun zum Vorsteher der Küche in Brandigan ernennt. Fortan nutzen die beiden ihre Position, um mit dicken Krapfen um die Gunst von Cunneware zu werben (V. 206,5 - 207,2). Die Krapfen aus der Hand von zwei Männern, die Frauen demütigen, fungieren hier nicht als Zeichen von Liebe, sondern als Lockmittel, mit dem die verlorene Gunst der Umworbenen erködert werden soll. In dieser Funktion 57 Vgl. Lieb, Kann den Schenken Sünde sein? , S. 198 - 201. 141 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster verweisen sie implizit auf die Vorstellung von der Verführbarkeit der Frauen durch Nahrungsmittel und die damit verbundene Käuflichkeit von Minne, wodurch sie zur Zeichnung Keyes und Kingruns als defizitäre Minnediener beitragen. Diese pejorative Bedeutung von Keyes und Kingruns Dienst wird auf der Handlungsebene thematisiert und spezifiziert: Im fünften Buch nämlich heißt es, Cunneware habe Keye, ungeachtet seiner Bemühungen um sie, nicht verziehen (V. 279,7 - 8). Bezogen auf die im vierten Buch geschilderten Werbemethoden, wirft diese Aussage nun vice versa ein positives Licht auf Cunneware: Denn ihre Resistenz gegenüber Keyes unlauteren Werbemethoden lässt sie als Antitypus des durch die Sündenfall-Thematik aufgerufenen Frauenbilds erscheinen. Wesentlich komplexer und schwieriger zu deuten ist die Szene des fünften Buches, in der Parzival auf der Gralsburg von einer Jungfrau eine kulinarische Gabe empfängt (V. 244,11 - 26). Die Sündenfall-Thematik ist hier explizit durch einen Erzählerkommentar als Deutungsrahmen markiert. Bekanntlich versäumt es Parzival, nach der Bedeutung des prozessionsähnlichen Empfangs zu fragen, der ihm bei seiner Ankunft auf Munsalvæsche geboten wird. Anstatt zu fragen, befolgt er stur den von Gurnemanz empfangenen höfischen Lehrsatz, keine unnützen Fragen zu stellen (V. 239,10 - 17). Das hat fatale Folgen für die Gralsgesellschaft, da diese durch Parzivals Frage von ihrem Leid hätte erlöst werden können. In der Forschung wird Parzivals Verhalten als Unvermögen gedeutet, einen empfangenen Lehrsatz in einer konkreten Situation richtig anzuwenden. 58 Fragt man nach der Ursache dafür, zeigt sich, dass Parzival zwar sehr wohl in der Lage ist, das Wunderbare und die außergewöhnliche Pracht des dargebotenen Zeremoniells zu erkennen (V. 239,8 - 9). Er ist jedoch nicht imstande, zu sehen, dass die Aktionen - allen voran der Auftritt des Knappen mit der blutenden Lanze sowie die Übergabe des Königsmantels und -schwerts - darauf ausgerichtet sind, bei ihm einen Erkenntnisprozess in Gang zu setzen (dô was er vrâgens mit ermant, V. 240,6): die Erkenntnis, dass er sich nach dem Leid des Gralsherrschers erkundigen muss (V. 240,7 - 9). Parzivals mangelnde Erkenntnisfähigkeit, seine Unfähigkeit, die Zeichenhaftigkeit visueller Welten zu sehen bzw. zu deuten, ist eines der übergreifenden Themen des Romans. 59 Was in der Forschung bislang jedoch nicht gesehen wurde, ist, dass seine Bedeutung für die Empfangsszene auf der Gralsburg im Text eigens hervorgehoben wird, indem eine Szene nachgeschaltet ist, in der Parzivals Nicht-Erkennen paradigmatisch, in metaphorischer 58 Vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 147 - 149. 59 Vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 213 - 215. 142 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Verdichtung, re-inszeniert wird (V. 242,12 - 244,30): Nach Beendigung des Mahls nämlich wird Parzival in ein Schlafgemach geführt, in dem ihn hochgeborene junchêrren und juncvrouwen hingebungsvoll umsorgen. Die Edelknaben entkleiden ihn; die Jungfrauen decken unterschiedliche Weine auf; eine von ihnen kniet vor ihm nieder und bietet ihm Obst an (V. 244,16). In dieser Szene wird mit Hilfe der Erzählerkommentare ein erotischer Subtext aufgebaut, in dessen Zentrum Parzival als Objekt der Begierde steht. Ausführlich wird die betörende Wirkung geschildert, die sein entblößter Körper und seine roten Lippen auf die Jungfrauen haben (V. 244,4 - 10), und der Glanz der Seidendecke, mit der er sich eilends bedeckt, mit loderndem Feuer verglichen (V. 243,2 - 3). Auffallend dabei ist die Verwendung der Formulierung der art von pardîs zur Umschreibung des Obsts (V. 244,16), das Parzival angeboten wird. Mit ihr wird der Sündenfall auf diskursiver Ebene als Deutungsrahmen aufgerufen, wodurch die damit verbundenen semantischen Potenziale von Sünde und Verführung für den textexternen Rezipienten aufscheinen - aber nicht nur das. Das Attribut der art von pardîs weist hier nämlich außerdem auf den für den Sündenfall konstitutiven Zusammenhang von Essen und Erkennen hin. 60 Es weckt die Assoziation, dass sich durch das Verspeisen des Obsts eine Erkenntnis einstellt, was im Fall von Parzival jedoch ausbleibt. Dies sei kurz erläutert: Anders als in der Jeschute-Szene (Buch III, vgl. dazu Kapitel III.1.2) reagiert Parzival hier zwar auf die erotisch aufgeladene Atmosphäre im Raum, jedoch weiß er nicht damit umzugehen. Als die Jungfrauen ihn nackt erblicken, springt er mit einem Satz unter die Decke, was in der Forschung als humoristischer Hinweis auf Parzivals Unreife gedeutet wird. 61 Aus der vorliegenden Perspektive kann der Zusammenhang von Nacktheit und Scham, der sich hier andeutet, jedoch als weitere Anspielung auf den Sündenfall gesehen werden: Parzival ist sich seiner Nacktheit zwar bewusst, mehr aber nicht, wie der Ausgang der Szene eindrücklich zeigt. Denn als er das Obst entgegennimmt, bittet er die Jungfrau sich zu setzen, wodurch diese in Verlegenheit gerät (V. 244,20 - 22); anschließend schäkert er ein wenig mit den Anwesenden (V. 244,23), isst von dem Obst, legt sich aufs Bett - und schläft ein (V. 244,24 - 28). Vor dem Hintergrund des Sündenfalls, der im Text durch explizite Erwähnung als Assoziationsrahmen aufgerufen wird, wird der auf der Handlungsebene hergestellte Konnex von Essen und Schlafen zum Symbol der 60 Vgl. Buch Mose (3,4 - 6): «Da sprach die Schlange zum Weibe: Mitnichten werdet ihr sterben, sondern Gott weiss, dass, sobald ihr davon esset, euch die Augen aufgehen werden und ihr wie Gott sein und wissen werdet, was gut und böse ist.» 61 Vgl. Nellmann, Kommentar, S. 588. 143 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster mangelnden Erkenntnisfähigkeit Parzivals. Wenn auch der textexterne Rezipient an dieser Stelle des Romans noch nicht wissen kann, was es mit der Gralsgesellschaft auf sich hat, so ist er der Erkenntnis des Helden doch insofern einen Schritt voraus, als ihm hier in metaphorischer Verdichtung Parzivals Nicht-Erkennen vor Augen geführt wird. Die auf diskursiver Ebene freigesetzten semantischen Potenziale tragen - ebenso wie es für die oben besprochene Szene festgestellt wurde - einerseits zur Zeichnung der Figuren bei; andererseits haben sie einen Effekt auf die Gestaltung des erzähltechnischen Aufbaus der Geschichte, indem sie das zentrale Motiv der Empfangsszene, die Episode abschließend, noch einmal fokussieren. Zieht man die französische Vorlage zum Vergleich heran, zeigt sich, dass die metaphorische Ausgestaltung der Szene zu Wolframs Eigenleistungen gehört. Denn die Obstgaben-Szene im Schlafgemach der Gralsburg kommt bei Chrétien zwar vor ( ‹ Perceval › V. 3320 - 3341), jedoch wird hier weder ein erotischer Subtext aufgebaut noch sind Anspielungen auf die Sündenthematik zu finden. Im Unterschied zum Parzival wird Perceval von männlichem Dienstpersonal betreut; von Nacktheit, erotischer Attraktivität und Scham ist nicht die Rede. Stattdessen steht bei Chrétien die Darstellung des Überflusses und Reichtums, der auf der Gralsburg herrscht, im Vordergrund, indem detailliert von den exquisiten Früchten, Konfitüren, Digestives und Weinen berichtet wird, die dem Gast vor dem Zu-Bett-Gehen serviert werden ( ‹ Perceval › V. 3323 - 3335). 2.2 Mahl und Minne Anders als alimentäre Liebesgaben, die im ‹ Parzival › lediglich zweimal vorkommen, sind Mahlszenen fester Bestandteil der Darstellung von Minnebeziehungen, die in die Handlung integriert sind, 62 wobei alle in Kapitel II definierten Interaktionsformen (Teilen / Anbieten von Nahrung bei Tisch, Ausschluss aus der Essgemeinschaft) vertreten sind. Um die je spezifischen Codierungen dieser Handlungsformen zu eruieren, werden sie im Folgenden getrennt voneinander behandelt; zur Veranschaulichung des Materials sei zunächst eine tabellarische Übersicht gegeben: 62 Neben den Minnebeziehungen, die in die Handlung integriert sind, ist im ‹ Parzival › mehrfach von Minneverhältnissen die Rede, deren Geschichte nicht als Handlung entfaltet wird, sondern die lediglich in Erzählerkommentaren oder Figurenreden zur Sprache kommt. In diesen Fällen spielt der Bereich des Alimentären eine untergeordnete Rolle. Eine Gesamtübersicht über die Minnedarstellungen im ‹ Parzival › und deren Verknüpfungen mit alimentären Aspekten wird in Kapitel IV. 1 gegeben. 144 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Mahl und Minne in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Typ Beschreibung 32,28 - 34,29 Anbieten Mahl Gahmuret/ Belakane 83,25 - 89,2 Anbieten Mahl Gahmuret/ Herzeloyde 136,26 - 27 Ausschluss a. Essgemeinschaft Orilus/ Jeschute: Trennung von Tisch und Bett 176,13 - 27 Anbieten Mahl Parzival/ Liaze 190,3 - 8 Anbieten Parzival/ Condwiramurs: Fehlende Bewirtung 191,5 - 6 Teilen Parzival/ Condwiramurs: Teilen des Brots 244,11 - 25 Anbieten Parzival/ Hofdamen der Gralsburg 273,26 - 30 Teilen Mahl Jeschute/ Orilus 278,28 - 279,26 Teilen Mahl Jeschute/ Orilus 406,21 - 29 Anbieten Gawan/ Antikonies Hofdamen 423,16 - 424,7 Anbieten Gawan/ Antikonie 449,19 - 451,2 Anbieten Parzivals/ Töchter des Pilgers: Essenseinladung 524,17 - 18 Ausschluss a. Essgemeinschaft Urians ’ Essstrafe 528,26 - 30 Ausschluss a. Essgemeinschaft Urians ’ Essstrafe 550,1 - 552,5 Anbieten Mahl Gawan/ Bene 581,23 - 582,28 Anbieten Gawan/ Hofdamen von Schastel marveile 622,8 - 623,2 Teilen Mahl Orgeluse/ Gawan 697,11 - 698,15 Ausschluss a. Essgemeinschaft Parzival/ Orgeluse 776,16 - 24 Teilen Ritter/ Damen an Artus ’ Tafel 807,14 - 815,23 Anbieten Feirefiz/ Repanse de Schoye 2.2.1 Teilen der Nahrung Betrachtet man die Szenen im ‹ Parzival › , in denen Minnepaare Nahrung teilen, und fragt, inwiefern die in Kapitel II.2 ermittelten semantischen Rahmen (feudalhöfische / christlich-theologische Codierungen) eine sinnstiftende Funktion haben, dann zeigt sich, dass die Normen höfischen Speisens, wie sie das historiografische und lehrhafte Schrifttum vermitteln, allein schon durch die soziale Kennzeichnung der dargestellten Milieus als ‹ höfisch › bei jeder alimentären Begegnung zwischen Mann und Frau implizit vergegen- 145 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster wärtigt werden. Denn die meisten Minnemahlszenen des ‹ Parzival › sind im Rahmen höfischer Gastbzw. Festmähler situiert, und wo dies nicht der Fall ist, sind sie zumindest an höfisches Personal gebunden. Fragt man des Weiteren nach der Bedeutung, die dem Teilen von Nahrung zwischen Mann und Frau in diesen Szenen zukommt, zeigt sich, dass es übereinstimmend mit den Beobachtungen, die in Bezug auf das historiografische und lehrhafte Schrifttum gemacht wurden, keine kontingente Handlungsform darstellt, sondern jeweils an einen bestimmten Beziehungstypus gekoppelt ist: nämlich an den der ehelichen Zusammengehörigkeit. Sei es im öffentlichen Raum des herrschaftlichen Mahls (V. 278,28 - 279,26; 776,16 - 24) oder in intimer Zweisamkeit (V. 191,5 - 6; 273,26 - 30; 622,8 - 623,2), wenn Paare im ‹ Parzival › Nahrung teilen, dann gehören sie zusammen. 63 Die kulturelle Codierung des Teilens von Nahrung trägt somit, als Handlungswissen der Figuren entfaltet, zur Konstituierung der literarischen Entwürfe von Minne bei, indem es die Zusammengehörigkeit von Minnepaaren anzeigt. Für die Artusgesellschaft werden Stellenwert und Bedeutung des Teilens von Nahrung in Minnebeziehungen im Text eigens thematisiert und expliziert, indem der Erzähler darauf hinweist, dass Damen an der runden Tafel nur dann zugelassen sind, wenn sie in Begleitung eines Ritters erscheinen, dessen Dienste sie angenommen und dem sie Liebeslohn zugesichert haben: swelch frowe was sunder âmîs, diu getorste niht decheinen wîs über tavelrunder komn. het si dienst ûf ir lôn genomn und gap si lônes sicherheit, an tavelrunder rinc si reit. (V. 776,17 - 22) Entsprechend speisen Männer und Frauen an der arturischen Tafel paarweise (V. 778,1 - 2; 216 - 219), wodurch die intime Situation des Liebesmahls in den öffentlichen Rahmen des höfischen Festessens integriert ist. Daneben ist das Teilen von Nahrung aber auch Bestandteil von symbolischer Minnekommunikation innerhalb der erzählten Welt, deren Bedeutung auf der Handlungsebene expliziert wird. Zu sehen ist dies z. B. im Zusammenhang mit Gawan und Orgeluse (Buch XII): Nachdem Orgeluse ihre Feindseligkeit gegenüber Gawan aufgegeben und seinen lange währenden 63 Gezeigt hat dies auch die bereits besprochene Versöhnungsszene zwischen Jeschute und Orilus (vgl. Kapitel III.1.2). Durch den strukturellen Aufbau der Szene rückt das Mahl hier in die Position der sexuellen Liebesvereinigung und wird so zu seinem Zeichen; wobei das Teilen der Nahrung insofern zur Inszenierung der Wiedervereinigung des Paares beiträgt, als es den Charakter einer öffentlichen Repräsentation des nicht-öffentlichen Akts der sexuellen Wiedervereinigung annimmt. 146 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Minnedienst angenommen hat, reiten die beiden nach Schastel marveile zurück, wo sie ihre Minne öffentlich demonstrieren, indem sie vor den Augen der versammelten Hofgesellschaft gemeinsam im Freien speisen: alrêrst diu herzoginne clâr nam sîns antlützes war, dâ si sâzen bî ein ander. zwêne gebrâten gâlander, mit wîn ein glesîn barel unt zwei blankiu wastel diu süeze maget dar nâher truoc ûf einer tweheln wîz genuoc. die spîse ervloug ein sprinzelîn. [. . .] mit freude er was berâten, daz er mit ir ezzen solde, durch die er lîden wolde beidiu freude unde nôt. swenn siz parel im gebôt, daz gerüeret het ir munt, sô wart im niwe freude kunt daz er dâ nâch solt trinken. [. . .] von der burc die frouwen dise wirtschaft mohten schouwen. (V. 622,5 - 623,2) Der Akt der Vergemeinschaftung erfolgt hier zum einen über das Teilen des Weins, den die Liebenden aus einem Trinkgefäß abwechselnd zu sich nehmen; zum anderen über das Verspeisen von zwei, zwar von vornherein getrennten, jedoch aber identischen Essrationen (je eine gebratene Lerche und ein Weißbrot). Der ikonische Zeichenwert des Mahls wird dabei - ganz im Sinne Ovids - durch die Figuren des Textes eigens markiert, indem sie darauf bedacht sind, beim Trinken den Becher jeweils an der Stelle zu berühren, an der ihn zuvor der Partner berührt hat (V. 622,22 - 25). Die körperliche Liebesvereinigung wird im Akt des gemeinsamen Trinkens abgebildet. Neben den Szenen, in denen das Teilen von Nahrung in Minnesituationen höfisch codiert ist, enthält der ‹ Parzival › eine Mahlszene zwischen Mann und Frau, die in ihrer Bedeutung von den sonstigen Szenen abweicht, nämlich das Mahl zwischen Parzival und Condwiramurs auf Pelrapaire (Buch IV, V. 191,1 - 6). Denn hier sind es nicht nur die Normen und Wertsetzungen höfischen Speisens, die an der Semantisierung des im höfischen Milieu situierten Mahls mitwirken, sondern die Szene ist darüber hinaus in einen Erzählzusammenhang eingebunden, der implizit christlich-theologische Bedeutungsdimensio- 147 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster nen evoziert: Das erste Treffen zwischen Parzival und Condwiramurs, die sich in der durch Clamides feindliche Heere belagerten Stadt Pelrapaire kennenlernen, in der es gar nichts mehr zu essen gibt (V. 183,3 - 184,18), findet zunächst ohne Bewirtung statt (V. 190,4 - 8). Als Condwiramurs jedoch auf die in Pelrapaire herrschende Hungersnot zu sprechen kommt, bieten die beim Gespräch anwesenden Onkel, Kyot und Manpfilijot, plötzlich an, etwas zu essen und zu trinken zu besorgen (V. 190,7 - 19). Warum die beiden Onkel ihre Vorräte nicht schon vor Parzivals Ankunft auf Pelrapaire zur Versorgung der Hungernden eingesetzt haben, bleibt merkwürdig unklar. 64 Parzival und Condwiramurs indes behalten die eilends zugesandten Nahrungsmittel - Brot, Fleisch, Käse und Wein - nicht etwa für sich selbst, sondern Parzival, der als Gast auf Pelrapaire keine Verfügungsgewalt über die Güter der Stadt hat, veranlasst Condwiramurs dazu, sie an die hungernden Burgbewohner zu verteilen (V. 190,25 - 191,6). Ihnen selbst bleibt lediglich ein Stück Brot, das sie miteinander teilen: teiln ez hiez diu künegîn, dar zuo die kæse, dez vleisch, den wîn, dirre kreftelôsen diet: Parzivâl ir gast daz riet. des bleip in zwein vil kûme ein snite: die teiltens âne bâgens site. (V. 191,1 - 6) Das Teilen des Brots erinnert hier an die Eucharistie, an die Einverleibung der am Mahl Beteiligten in die christliche Gemeinschaft. Interessanterweise ist das christliche Abendmahl zwar nicht explizit als Deutungsrahmen markiert, dafür aber ist die Szene in einen Handlungszusammenhang eingefügt, der frappante Ähnlichkeiten mit einer biblischen Erzählung aufweist: der Erzählung von der Speisung der Fünftausend (Mark. 6,31 - 44; Mat. 14,13 - 21; Luk. 9,10 - 17; Joh. 6,1 - 15). 65 Über diese Strukturanalogie wird der heilsgeschichtliche Kontext implizit aufgerufen. Ebenso wie Jesus am Ufer des Sees von Tiberias von einer hungernden Volksmenge umgeben ist, trifft Parzival in der am Wasser gelegenen Stadt Pelrapaire auf eine große Ansammlung hungerleidender Menschen (u. a. V. 183,5; 183,19). Ebenso wie in der biblischen Erzählung eine Figur erscheint, die über spärliche Lebensmittel verfügt - nämlich über fünf Gerstenbrote und zwei Fische, die der Menge zum Verzehr angeboten werden (Joh. 6,9) - , treten hier die beiden Onkel der Königin Condwiramurs auf, die ihre in einem Jagdhaus außerhalb der Stadt lagernden Vorräte zur Verfügung 64 Vgl. Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 305. 65 Auf diesen Bezug hat in der Forschung soweit ich sehe bislang lediglich Siegrid Schmidt hingewiesen (vgl. Schmidt, Die Speisung des Grals, S. 138). 148 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären stellen (V. 190,9 - 24). Ebenso wie in der biblischen Erzählung Jesus seine Jünger dazu auffordert, die Nahrung an die Hungernden auszuteilen (Mat. 14,19; Luk. 9,16; Mark. 6,41), 66 veranlasst Parzival die Königin dazu, die Güter an die Burgbewohner zu spenden (V. 191,4). Und ebenso, wie die Menschenmenge durch die aus Jesu Hand empfangenen spärlichen Speisen gesättigt zu werden vermag, werden die Bewohner Pelrapaires durch die Nahrungsmittelgaben vor dem Hungertod bewahrt (V. 191,8). Die Ausführungen zeigen: Wenn auch das Abendmahl als Deutungsahmen für die Mahlszene bei der ersten Begegnung zwischen Parzival und Condwiramurs auf Textebene nicht explizit markiert ist, so klingen im Akt des Brotteilens durch die Einbettung der Szene in einen Handlungszusammenhang, der den biblischen Kontext aufruft, doch heilsgeschichtliche Bedeutungsdimensionen an. Der Vergleich legt nahe, dass der handlungslogisch unmotiviert wirkende Auftritt der beiden Onkel von Condwiramurs bzw. deren Nahrungsmittelspende der Parallelisierung der Szene mit der biblischen Erzählung geschuldet ist. 67 Entscheidend für den vorliegenden Zusammenhang ist, dass die durch diese Strukturanalogie freigesetzten semantischen Potenziale zur Zeichnung der Figuren und ihrer Minnebeziehung beitragen. Sie lassen Parzival, wenn auch unterschwellig und andeutungsweise, im Licht des Heilsbringers erscheinen und deuten eine Sakralisierung der Gemeinschaft zwischen Parzival und Condwiramurs an. 68 Die kontroverse Diskussion der Frage nach Parzivals Schuld und damit verbunden nach einer möglichen Entwicklung des Helden hat die Forschung so intensiv beschäftigt, dass der Blick für die Darstellung der Figur lange Zeit getrübt war. 69 In den 1990er-Jahren hat Harald Haferland aufgrund eines Rekonstruktionsversuchs des zeitlichen Ablaufs der Parzival-Handlung festgestellt, dass die Lebensgeschichte des Protagonisten punktuell mit der Lebensgeschichte Christi in Beziehung gesetzt ist. 70 Darüber, dass der Karfreitag (Tod Christi) als Termin (V. 449,14 - 18), an dem Parzival seine Schuld 66 Im Unterschied zu den Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas sind es bei Johannes nicht die Jünger, die die Nahrung austeilen, sondern Jesus selbst (Joh. 6,11). 67 An dieser Stelle weicht Wolframs Erzählung erheblich von der altfranzösischen Vorlage ab; ein Vergleich zwischen den beiden Versionen wird in Kapitel IV. 1.3 vorgenommen. 68 Zur Interpretation des Befunds vgl. Kapitel IV. 1 sowie IV. 2.1.1. 69 Vgl. Bumke, Joachim: Die Wolfram von Eschenbach Forschung seit 1945. Bericht und Bibliographie, München 1970, insbesondere ab S. 139. 70 Vgl. Haferland, Harald: Parzivals Pfingsten. Heilsgeschichte im Parzival Wolframs von Eschenbach, in: Euphorion 88 (1994), S. 263 - 301. 149 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster von Trevrizent bewusst gemacht wird, von Wolfram im Anschluss an Chrétien nicht unbedacht gewählt worden ist, herrscht in der Forschung schon lange Einigkeit. 71 Haferlands Rekonstruktion einer impliziten Chronologie der Parzival-Handlung deckt jedoch einen weiteren Bezugspunkt auf, indem sie zeigt, dass der Termin der Gralberufung Parzivals exakt auf den Pfingstsonntag (Entsendung des Heiligen Geistes) fällt. 72 Die hier gemachten Beobachtungen zeigen nun, dass die Engführung mit Christi Lebensgeschichte schon früher im Roman einsetzt, indem Parzivals Errettung der Bewohner von Pelrapaire in Buch IV über Strukturanalogien in Beziehung zu Jesu Wundertat der Speisung der Fünftausend vor dessen Aufbruch nach Jerusalem gesetzt ist. 73 Ein weiterer Bereich, der in Buch IV an der Konstituierung eines göttlichen Körperbilds mitwirkt, ist die Lichtmetaphorik, die in Bezug auf Parzival über den gesamten Roman verteilt immer wieder vorkommt, die sich in Buch IV jedoch verdichtet und Parzivals Körper als Lichtquelle erscheinen lässt, die die Dunkelheit erhellt und den Glanz der Sonne in den Schatten stellt (u. a. V. 186,4 - 5). 74 Dass indes die Konstruktion dieses Herrscherbilds Hand in Hand geht mit seiner Dekonstruktion, wird in den Kapiteln IV. 1.2 und IV. 2.1.1 darzulegen sein. 2.2.2 Anbieten der Nahrung Nimmt man nun den Interaktionstyp des Anbietens von Nahrung bei Tisch im ‹ Parzival › in den Blick und fragt, inwiefern die in Kapitel II.2.2 ermittelten semantischen Rahmen an der Zeichenbildung beteiligt sind, dann zeigt sich, dass die Normen höfischen Speisens auch hier eine sinnstiftende Funktion haben, und zwar wiederum deshalb, weil die entsprechenden Mahlszenen jeweils im Rahmen höfischer Fest- und Gastmähler situiert bzw. an höfisches 71 Vgl. Haferland, Parzivals Pfingsten, S. 272. 72 Vgl. Haferland, Parzivals Pfingsten, S. 270 - 277. 73 Weitere Bezugspunkte zur Vita Christi werden in Kapitel III.2.3 aufgezeigt. 74 Zur Glanzschönheit als Inbegriff von göttlicher Schönheit vgl. Hahn, Ingrid: Parzivals Schönheit. Zum Problem des Erkennens und Verkennens im ‹ Parzival › , in: Fromm, Hans/ Wolfgang, Harms u. a. (Hgg.): Verbum et Signum. Festschrift für Friedrich Ohly zum 60. Geburtstag. Zweiter Band: Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung, Studien zu Semantik und Sinntradition im Mittelalter, München 1975, S. 203 - 232, bes. S. 210 - 217; ferner Ernst, Differentielle Leiblichkeit, S. 196; zur Lichtmetaphorik im ‹ Parzival › vgl. Cessari, Michela Fabrizia: Der Erwählte, das Licht und der Teufel. Eine literarhistorisch-philosophische Studie zur Lichtmetaphorik in Wolframs ‹ Parzival › , Heidelberg 2000 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 32); ferner Louis, Metaphorik und Dunkelheit, S. 78 - 102. 150 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Personal gebunden sind, wodurch der höfische Verhaltenscodex implizit als Deutungsrahmen markiert ist. Anders als beim Teilen von Nahrung, für das die Untersuchung ergeben hat, dass der Stellenwert, der diesem Handlungstyp im ‹ Parzival › zukommt, demjenigen im lehrhaften Schrifttum entspricht (Handlungstyp, der ehelichen Gemeinschaften vorbehalten ist, s. o.), weicht der Interaktionstyp des Anbietens von Nahrung im ‹ Parzival › von den feudalhöfischen Codierungen, wie sie anhand historiografischer und lehrhafter Texte ermittelt wurden, ab. Zwar kann das Anbieten im ‹ Parzival › genauso wie in diesen Texten eine Handlungsform darstellen, mit der unter sozial gleichgestellten bzw. in Bezug auf ranghöhere Personen Ehrerbietung zum Ausdruck gebracht wird, vor der Folie des höfischen Verhaltenscodex zeigt sich jedoch, dass sich bei Wolfram eine Umcodierung in Hinblick auf die Minnethematik vollzieht. Während das Teilen von Nahrung und Tafelgeschirr die Zusammengehörigkeit von Mann und Frau anzeigt, fungiert das Anbieten nämlich als Zeichen erotischen Begehrens. Entsprechend kommen solche Handlungsformen ausschließlich in den Minnemahlszenen vor, in denen eine erste Annäherung zwischen Mann und Frau stattfindet (s. o. Tabelle). Die erotische Codierung dieser Interaktionsform erinnert an Ovids Liebeslehre, konkrete Bezüge darauf können allerdings nicht ausgemacht werden. 75 Anders als bei Ovid indes stellt im ‹ Parzival › das Anbieten von alimentären Objekten bei Tisch keine ‹ geschlechtsneutrale › Form der Liebeswerbung dar, sondern eine, die durchwegs von Frauen ausgeht. Das heißt, durch die Darstellung von Gesten des Anbietens wird im ‹ Parzival › ein Textraum geschaffen, in dem sich weibliches Begehren äußern kann. Ein Beispiel dafür ist die bereits behandelte Szene, in der Gawan im Land Ascalun bei Antikonie, der Schwester des Königs Vergulaht, zu Gast ist (Buch VIII, vgl. dazu Kapitel III.1.2). Bei der ersten Begegnung schon sind die beiden unwiderstehlich voneinander angezogen, was dazu führt, dass es in Antikonies Kemenate zu einer körperlichen Annäherung kommt: Gawan greift Antikonie mit der Hand unter den Mantel und berührt ihre Hüfte (V. 407,2 - 3). Dies wird von einem Ritter heimlich beobachtet. Er schlägt sofort Alarm und löst damit in der ganzen Stadt einen Tumult aus, der sich - vom Erzähler nicht ohne Ironie geschildert - zu einem Kampfgeschehen ausweitet, an dem selbst der König beteiligt ist (V. 407,11 - 409,12). Erst als der Landgraf Kingrimursel auf den Plan tritt, der Gawan freies Geleit durch das Land 75 Andererseits kann eine direkte Kenntnis Ovids für Wolfram nicht ausgeschlossen werden, zumal Chrétien de Troyes die ‹ Ars amatoria › ins Altfranzösische übertrug (vgl. Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 158). 151 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster Ascalun gelobt hat und sich nun gezwungen sieht, seinen Gast gegen seinen König zu verteidigen, bricht Vergulaht den Kampf ab (V. 410,13 - 412,30). Es kommt zu langwierigen Beratungen darüber, was mit Gawan geschehen soll. Als der König die Diskussion, an der auch Gawan und Kingrimursel teilnehmen, unterbricht, um sich mit seinem Rat zu besprechen (V. 422,19), ergreift Antikonie die Gelegenheit und führt Gawan, der diesmal nicht allein, sondern in Begleitung Kingrimursels ist, erneut in ihre Kemenate (V. 423,1 - 2). Dort bewirtet die Prinzessin die beiden Männer zusammen mit ihren Hofdamen fürstlich (V. 423,16 - 424,6). Während Antikonie und Gawan bei ihrer ersten Begegnung das sexuelle Interesse, das sie aneinander haben, offensiv zum Ausdruck bringen (V. 405,1 - 407,9), spielt dieser Aspekt beim zweiten Treffen zwar weiterhin eine Rolle, jedoch treten die beiden einander nun mit größerer Zurückhaltung entgegen (V. 423,7 - 8; 423,27 - 28). In der Gestaltung des Minnegeschehens weisen die beiden Szenen aber dennoch Parallelen auf, die darin gründen, dass der erotische Diskurs jeweils über Gesten des Anbietens etabliert wird, die von Antikonie ausgehen. Bei der ersten Begegnung sind dies Formen des Sich-selbst-Anbietens: Antikonie bietet Gawan einen Begrüßungskuss an und drückt ihre heißen, vollen Lippen auf seinen Mund, was dessen Begehren weckt (V. 405,10 - 21). Bei der zweiten Begegnung sind es Formen des Anbietens von alimentären Objekten bei Tisch, deren Encodierung auf diskursiver Ebene des Textes mittels der Erzählerkommentare erfolgt: diu naht kom: dô was ezzens zît. môraz, wîn, lûtertranc, brâhten juncfrowen dâ mitten kranc, und ander guote spîse. fasân, pardrîse, guote vische und blankiu wastel. Gâwân und Kyngrimursel wâren komn ûz grôzer nôt. sît ez diu künegin gebôt, si âzen als si solten, unt ander dies iht wolten. Antikonîe in selbe sneit: daz was durch zuht in bêden leit. swaz man dâ kniender schenken sach, ir deheim diu hosennestel brach: ez wâren meide, als von der zît, den man diu besten jâr noch gît. ich pin des unerværet, heten si geschæret 152 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären als ein valke sîn gevidere: dâ rede ich niht widere. (V. 423,16 - 424,6) Die Anmerkung des Erzählers, wonach den Schenken beim Bedienen der Gäste die Strumpfbänder nicht reißen, 76 weil es eben keine Knaben, sondern Mädchen sind, die hier kniend die Getränke darreichen (V. 423,29 - 424,2), ist zunächst einmal insofern interessant, als die explizite Benennung des Geschlechts der Dienenden ein Hinweis darauf ist, dass es für den mittelalterlichen Rezipienten keine Selbstverständlichkeit war, dass Frauen an der höfischen Tafel den Tafeldienst übernahmen. 77 Die erotische Codierung der alimentären Handlung indes erfolgt ex negativo über den Hinweis auf das Nicht-Reißen der Strumpfbänder, der mit der Vorstellung spielt, dass den Dienenden beim Bedienen der Gäste durchaus auch die Kleidung aufreißen könnte. Der Tafeldienst ist damit zwar konkretes Element der Handlung, zugleich aber wird er durch den Kommentar des Erzählers zur alimentären Metapher des Sich-selbst-Darbietens. Diese körperlich-erotische Bedeutungsdimension wird in den anschließenden Versen ausgesponnen, indem der Erzähler süffisant erklärt, er hätte nichts dagegen, wenn sich die Mädchen - wie es Falken tun - schæren, also ihre Federn wechseln bzw. sich mausern würden. 78 Der Begriff schæren spielt hier nicht nur metaphorisch auf das Erlangen der Geschlechtsreife der Mädchen an, wie es Eberhard Nellmann anmerkt, sondern er stößt die zuvor evozierte Vorstellung, wonach die Schenken beim Anreichen der Getränke die ‹ Hüllen fallen lassen › könnten, erneut an. Die bei Tisch Gebenden erscheinen als sich potenziell selbst Darbietende, was zugleich aber auch bedeutet, dass sie - dies wird durch die Perspektive des Erzählers vermittelt - für den Betrachter zum Objekt der Begierde werden können. Die Szene zeigt weiter, dass die auf diskursiver Ebene des Textes erfolgte erotische Codierung des Anbietens von Nahrung bei Tisch auf der Handlungsebene eine Entsprechung findet. So lässt die Scham, die Gawan und Kingrimursel angesichts von Antikonies Tafeldiensts empfinden (V. 423,27 - 28), erkennen, dass das Vorschneiden der Speisen durch die Gastgeberin für die beiden Gäste vor dem Hintergrund ihrer höfischen Erziehung (daz was durch zuht in bêden leit, V. 423,28) nicht nur eine gewöhnliche Bekundung von 76 Mhd. hosennestel: Zur Männerbekleidung gehörendes Band, mit dem die Strümpfe an der Hose befestigt wurden und das beim Knien stark beansprucht wurde (vgl. Nellmann, Kommentar, S. 655). 77 Vgl. die Diskussion dazu in Kapitel II.2.2. 78 Vgl. Nellmann, Kommentar, S. 655. 153 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster Gastfreundschaft darstellt, sondern dass diese Handlung für sie mit einem ‹ Mehr › an Bedeutung belegt ist. Zieht man die anderen Szenen aus dem ‹ Parzival › heran, in denen Frauen Männer bei Tisch bedienen (s. o. Tabelle), zeigt sich, dass dieser semantische Überschuss auf Textebene spezifiziert und expliziert wird. Der Fall ist dies z. B. in der bereits untersuchten Szene, in der Parzivals Vater Gahmuret bei seinem Eintreffen in Patelamunt von der heidnischen Königin Belakane bewirtet wird (V. 32,29 - 33,19, vgl. Kapitel III.1.2). Auch hier ruft der Tafeldienst der Gastgeberin, der sich in aller Öffentlichkeit abspielt, beim Umsorgten zwar Scham hervor (V. 33,19), zugleich aber weckt er dessen Begierde (V. 34,16; 36,1). Was in der Antikonie-Szene auf metaphorischer Ebene durchgespielt wird, ist hier an eine konkrete Esshandlung zurückgebunden: Die Dienende erscheint als sich selbst Anbietende, wodurch sie für den Empfänger zum Objekt der Begierde wird. Der Tafeldienst ist zwar einerseits Ausdruck der Gastfreundschaft, die Belakane Gahmuret entgegenbringt, andererseits aber stellt er eine erotisch codierte Handlung dar, die Gahmuret mühelos zu interpretieren weiß. Fragt man nun, wie dieses Bedeutungspotenzial im Text geschaffen wird, und zieht hierfür das Wissen heran, das auf Textebene als Handlungswissen der Figuren entfaltet wird, nämlich die Normen höfischen Speisens, dann zeigt sich, dass Voraussetzung für die Generierung dieser Bedeutungsebene ein Normbruch ist; das heißt ein Bruch mit den streng hierarchisch organisierten Ablaufsformen des Gastmahls, bei denen es ein wesentlicher Punkt ist, dass Frauen bei Tisch wie höhergestellte Personen zu behandeln sind (vgl. Kapitel II.2.1 und II.2.2). Vor diesem Hintergrund erweist sich der im ‹ Parzival › häufig vorkommende weibliche Tafeldienst insofern als Normbruch, als hier die bei Tisch geltenden Hierarchieverhältnisse verkehrt sind: Nicht der Mann dient der Frau, sondern die Frau dem Mann. Dieser Normbruch ist Voraussetzung dafür, dass die Handlung von der umsorgten Person als ‹ mehr › oder als etwas ‹ Anderes › denn als bloße Bekundung von Ehre verstanden wird. In den beiden vorliegenden Szenen verkompliziert sich die Situation jedoch noch einmal dadurch, dass es sich bei den Dienenden nicht um irgendwelche Hofdamen handelt, sondern um die Gastgeberinnen höchstpersönlich, die noch dazu hochadliger Abstammung sind, 79 das heißt, die im sozialen Zusammenhang höhergestellt sind als ihre Gäste. Hier gerät das Gebot des Frauendiensts, das auch durch die soziale Stellung der Gastgeberinnen gefordert ist, in Konflikt mit dem Gebot, wonach der Gastgeber seine Gäste zu umsorgen hat. Und es ist dieser Normkonflikt, der die semantische Ambiguität der alimentären Handlung hervortreibt: Einerseits ist der Tafeldienst der 79 Belakane ist Königin von Zazamanc, Antikonie die Schwester des Königs Vergulaht. 154 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Gastgeberin Ausdruck von Gastfreundschaft, andererseits erzeugt die Unterwerfung der Frau, die im Fall von Belakane bildlich dargestellt ist (si kniete nider [daz was im leit], / mit ir selber hant si sneit / dem rîter sîner spîse ein teil, V. 33,9 - 11), beim (textinternen wie -externen) Betrachter ein Irritationsmoment, das bei Wolfram in Hinblick auf die Minnethematik erotisch codiert ist. Die feudalhöfischen Codierungen sind hier insofern am Zeichenbildungsprozess beteiligt, als sie das Spiel mit der Doppelcodierung des Anbietens von alimentären Handlungen bei Tisch allererst ermöglichen. 2.2.3 Ausschluss aus der Essgemeinschaft Neben den Szenen, in denen das gemeinsame Mahl im ‹ Parzival › die Zusammengehörigkeit von Mann und Frau anzeigt (vgl. Kapitel 2.2.1), wird die symbolische Bedeutung des Teilens in einem Fall ex negativo aufgerufen: Nachdem Parzival Gawan im Kampf verschont hat, lädt ihn Gawan im Zeltlager vor Joflanze zu einem Mahl ein, bei dem ihm Orgeluse als Tischdame zugewiesen wird (Buch XIV). Diese jedoch weigert sich, an der Seite von Parzival zu speisen, und gibt auch die Begründung dafür: Jener hat sie in der Liebe zurückgewiesen (V. 697,10 - 20). Das Nicht-Teilen von Nahrung und Tafelgeschirr ist hier Ausdruck von Orgeluses Ablehnung gegenüber Parzival, wobei die Codierung der alimentären Handlung durch den Sender, die Figur des Textes, erfolgt. Neben dieser Begebenheit enthält der ‹ Parzival › zwei weitere Szenen, in denen einzelne Akteure im Zusammenhang mit der Minnethematik aus der Essgemeinschaft ausgeschlossen werden (s. o. Tabelle): Zum einen verstößt Orilus seine Frau Jeschute von Tisch und Bett aufgrund des Ehebruchverdachts, den er gegen sie hegt (Buch III, V. 136,26 - 27). Zum anderen verurteilt König Artus den Fürsten Urians wegen einer Vergewaltigung zum Tod; auf Gawans Bitte hin wird Urians jedoch verschont und muss stattdessen vier Wochen lang mit den Hofhunden aus einem Trog essen (Buch X, V. 528,26 - 30). 80 Diese Handlungen weichen in ihrer Funktion, die sie im Zusammenhang mit der Minnethematik haben, insofern von den bislang vorgestellten Nahrungshandlungen im ‹ Parzival › ab, als hier statt der symbolisch-expressiven Dimension die instrumentelle im Vordergrund steht: Der Ausschluss aus der Essgemeinschaft fungiert als Strafe für ein Minnevergehen. Mittelalterliche Strafpraktiken und Rechtsbräuche, wie sie in Kapitel II.2.3 vorgestellt wurden, sind hier Bestandteil der erzählten Handlung, wobei sich ihre Funktion und 80 Zur Interpretation der Szene vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Rechtsdiskurse vgl. Matthias, Anna-Susanna: Ein Handhaftverfahren aus dem Perceval/ Parzivalroman (Der Prozeß des Urjans), in: GRM 34 (1984), S. 29 - 43. 155 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster Bedeutung für die Minnehandlung jeweils aus dem Handlungszusammenhang erschließen lässt. Für die Frage nach dem Mitwirken textexterner Faktoren an den Zeichenbildungen von alimentären Handlungen und Objekten im ‹ Parzival › und nach deren Auswirkungen auf die Gestaltung der erzählten Welt ist vor allem die Jeschute / Orilus-Szene (Buch III, V. 136,24 - 28) interessant: Die Forschung hat Orilus ’ Maßnahme der Separation von Tisch und Bett, die er ergreift, als er den vermeintlichen Ehebruch seiner Frau Jeschute entdeckt, 81 vor dem Hintergrund des mittelalterlichen kanonischen Rechts betrachtet und sie als Scheidung der Eheleute interpretiert, bei der Orilus unmittelbar von seiner Stellung als ‹ Muntwalt › Jeschutes Gebrauch macht. 82 Diese Interpretation leuchtet zwar ein, sie greift jedoch zu kurz. Denn es ist keine allgemeine Rechtsordnung, die hier durch Markierungen auf Textebene als Deutungsrahmen aufgerufen wird, sondern ein ganz bestimmter Fall: So häufen sich ausgerechnet im Umfeld dieser Szene, in den Versen 121,26 - 136,28, intertextuelle Verweise auf die Geschichte von Erec und Enite als ein Paar der Artusepik, das die Trennung von Tisch und Bett mit all seinen Konsequenzen durchlebt. 83 Das heißt, die Folie, vor der die Trennung von Orilus und Jeschute 81 Vgl.: ‹ frouwe, ir wert mir gar ze hêr: / des sol ich an iu mâzen: / geselleschaft wirt lâzen / mit trinken und mit ezzen: / bî ligens wirt vergezzen. [. . .] › (V. 136,24 - 28). 82 So der allgemeine Forschungskonsens (vgl. die Zusammenfassung der Forschungsergebnisse zu dieser Szene bei Yeandle, David Nicholas: Commentary on the Soltane and Jeschute Episodes in Book III of Wolfram von Eschenbach ’ s ‹ Parzival › [116,5 - 138,8], Heidelberg 1984, S. 405 - 407). 83 Die Häufung der intertextuellen Verweise auf den ‹ Erec › -Roman in dieser Szene ist in der Forschung erkannt und vielfach besprochen worden (vgl. Draesner, Ulrike: Wege durch erzählte Welten. Intertextuelle Verweise als Mittel der Bedeutungskonstitution in Wolframs ‹ Parzival › , Frankfurt a. M. u. a. 1993 [Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 36], S. 200 - 217). Die Bezüge stellen sich über Anspielungen auf Orts- und Personennamen her (Ortsnamen: Karnahkarnaz [V. 121,26], Karnant [V. 134,15]; Personennamen: Imâne [V. 125,15], duc Orilus de Lalander [V. 129,27]); des Weiteren über Motivparallelen (Sperberkampf [V. 135,11]; Schweigegebot, das im ‹ Parzival › auf Cunneware bezogen ist [V. 135,16 - 18]; Ehebruchsverdacht [V. 133,21 - 22]; Trennung von Tisch und Bett [V. 136,23 - 136,28]) und nicht zuletzt durch die Verschwisterung von Jeschute und Erec (als einer Erfindung Wolframs! ) [V. 134,6] (zu den Anspielungen auf den ‹ Erec › vgl. Yeandle, Commentary, S. 142 - 378, sowie Draesner, Wege durch erzählte Welten, S. 200 - 217). Ob sich Wolfram konkret auf Hartmanns ‹ Erec › oder auf eine breitere Tradition bezieht, lässt sich nicht sicher sagen. Festzustellen ist jedoch, dass der subtile Umgang mit den französischen und deutschen Eigennamensformen eine genaue Kenntnis sowohl des hartmannschen als auch des 156 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären inszeniert wird, ist die separatio quoad thorum et mensam im ‹ Erec › -Roman. Im Unterschied zu den bislang vorgestellten Szenen sind es hier somit keine Systemreferenzen, die an der Semantisierung des erzählten Minnegeschehens mitwirken, sondern eine Einzeltextreferenz. 84 Entscheidend dabei ist, dass dem Motiv der separatio mensae im ‹ Erec › erzähltechnisch eine wichtige Funktion zukommt, denn das Getrennt-Essen der Eheleute schafft eine Sujetkonstellation, die den weiteren Handlungsverlauf bestimmt. Dies wiederum wirkt sich indirekt auf die Erzählung von Orilus und Jeschute aus. Die durch die Bezüge zum Protagonistenpaar des ‹ Erec › freigesetzten semantischen Potenziale weisen auf die Geschichte von Orilus und Jeschute zurück und tragen zur Gestaltung des Erzählens von dieser Minnebeziehung bei. Um dies darzustellen, ist ein Exkurs auf die entsprechende Szene im ‹ Erec › erforderlich. Als Erec und Enite nach einem nächtlichen Ritt müde und hungrig (V. 3481 - 3482) an eine Waldlichtung gelangen, begegnet ihnen ein Knappe des Landesherren, der mit Schinken, Brot und Wein ausgerüstet ist. Dieser bietet den beiden seine mitgeführte Ware an und lädt sie außerdem ins gräfliche Schloss ein. Erstere wird ohne Weiteres angenommen: Erec und Enite speisen gemeinsam, vom Knappen umsorgt, im Freien (V. 3548 - 3555). Die Einladung ins Schloss hingegen wird mit dem Hinweis darauf, dass es Enite beschieden sei, in Jammer zu leben (V. 3590 - 3593), ausgeschlagen. Der Knappe kehrt zurück zum Grafenschloss, erzählt seinem Herren von seiner Begegnung mit Erec und Enite und ermahnt ihn zur Gastfreundschaft. Daraufhin passt der Graf Enite und Erec ab und wiederholt sein Einkehr-Angebot, welches Erec jedoch erneut ablehnt. Stattdessen lässt er sich das beste Gasthaus der Stadt weisen. Dort angekommen nehmen Erec und Enite ein Bad. Als das Essen fertig ist, befiehlt Erec, den Tisch zu decken, und zwar so, dass Enite nicht neben ihm, sondern ihm gegenüber am anderen Tischende sitzt: vrouwen Enîten er niht enliez ensament mit im ezzen, wan er was gesezzen besunder hie und si dort von im an der tweheln ort. (V. 3663 - 3667) chrétienschen ‹ Erec › -Romans voraussetzt (vgl. Draesner, Wege durch erzählte Welten, S. 202). 84 Dass die intertextuellen Verweise auf den ‹ Erec › in Wolframs ‹ Parzival › für das Erzählen von Orilus nutzbar gemacht werden, wurde von Ulrike Draesner ausführlich dargelegt (Draesner, Wege durch erzählte Welten, S. 200 - 217). Die Konsequenzen, die die intertextuellen Bezüge zum Protagonistenpaar des ‹ Erec › für die Darstellung der Minne zwischen Orilus und Jeschute haben, sind in der Forschung bislang jedoch nicht gesehen worden. 157 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster Unter handlungslogischen Gesichtspunkten ist Waltraud Fritsch-Rößler darin zuzustimmen, dass diese Essensszene merkwürdig unmotiviert ist. 85 Denn erstens sind Erec und Enite ja bereits kurz zuvor durch den Knappen des Landgrafen verköstigt worden, ein weiteres Mahl ist somit physiologisch gesehen nicht notwendig, und zweitens war in ebendieser Knappenszene von einer Trennung des Tischs nicht die Rede. 86 Die Begründung für Erecs Verhalten durch den Erzähler, Erec sei über Enites ersten Bruch des Schweigegelöbnisses so erzürnt, dass er daraufhin Tisch und Bett nicht mehr mit ihr teile (V. 3954 - 3971), wirft die Frage auf, warum ihn dieser Zorn erst im Wirtshaus erfasst und noch nicht bei der Begegnung mit dem Knappen. 87 Aus der hier eingenommenen Perspektive auf die symbolischen Bedeutungsgehalte alimentärer Minnehandlungen lässt sich die Einbringung der Mahlszene an dieser Stelle deuten. Sie entspringt, wenn auch keiner handlungslogischen, so doch einer erzähltechnischen Motivierung. Denn die Szene schafft einen Textraum, in dem Sujet- und Handlungsoptionen entworfen werden, die den weiteren Handlungsverlauf bestimmen und vorantreiben. So zeigt die Trennung des Tischs, vor dem Hintergrund des mittelalterlichen kanonischen Rechts, das als Deutungsrahmen auf der Textebene markiert ist (s. u.), die Scheidung der Eheleute an. Das Motiv fungiert damit als Mittel zur Re-Inszenierung von Erecs und Enites Entzweiung auf der Ebene der histoire (wahrnehmbar für die Beobachter ersten, zweiten und dritten Grades), wobei durch die Darstellung des Getrennt-Sitzens ein konkreter Raum für das Eintreten Dritter geschaffen wird. Hinzu kommt, dass der latente Ehebruchsverdacht gegen Enite, den Hartmann ansonsten nur noch rudimentär belässt, 88 durch die Strafmaßnahme Erecs der separatio mensae, die zwar nicht nur, hauptsächlich aber als Strafe für Ehebruch gedacht war (vgl. Kapitel II.2.3), evoziert wird. Die so geschaffene Sujetkonstellation wird im Weiteren narrativ entfaltet. Während Erec und Enite essen, tritt nämlich der Graf auf, der sich bei der Begegnung mit Enite vor dem Grafenschloss unsterblich in sie verliebt hat (V. 3692) und der den beiden unbemerkt ins Wirtshaus gefolgt ist. Als der Graf die beiden sieht, erkundigt er sich nach dem Grund für die Sitzordnung (V. 3730 - 3737) und weiter nach dem Beziehungsstatus der beiden (ist disiu vrouwe iuwer wîp? , V. 3788). Wobei die letztere Frage sowohl auf die rechtssymbolische Dimension der Trennung des Tischs abhebt, die hier somit als Handlungswissen einer Figur eingebracht wird, als auch die minnesymbolische Bedeutung thematisiert und expliziert: Denn die Nachfrage des Grafen 85 Vgl. Fritsch-Rößler, ‹ Finis Amoris › , S. 75. 86 Vgl. Fritsch-Rößler, ‹ Finis Amoris › , S. 75. 87 Vgl. Fritsch-Rößler, ‹ Finis Amoris › , S. 75. 88 Vgl. ‹ Erec › V. 3045 - 3046, dazu: Fritsch-Rößler, ‹ Finis Amoris › , S. 76 Anm. 41. 158 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären zeigt, dass die Sitzordnung für ihn eine Störung dieser Beziehung anzeigt. 89 Durch Erecs Reaktion wiederum, seine barsche Antwort ( ‹ herre, mîn gemüete stât alsô › , V. 3745) sowie seine Gewährung der Bitte des Grafen, sich neben Enite zu setzen (V. 3746 - 3751), nimmt das Schicksal seinen Lauf. Denn die Einladung des Grafen, neben Enite Platz zu nehmen, ist natürlich keine bloße Bekundung von Gastfreundschaft, sondern eine symbolische Geste des Abtretens Enites an den Grafen, wodurch jene zur amîe, zur sexuell verfügbaren Frau, degradiert wird. 90 Der Graf wiederum nutzt seine Chance, indem er Enite seine Liebe anträgt und ihr einen Heiratsantrag macht (V. 3753 - 3796). Diese wiederum reagiert mit einer List: Sie vertröstet den Grafen auf die Nacht. Er solle kommen, wenn Erec schläft, damit er sie sorglos und ohne Kampf nehmen könne (V. 3915 - 3918). Nach Beendigung des Mahls begeben sich Erec und Enite ins Schlafgemach, wo Erec als Konsequenz der Trennung des Tischs die Trennung des Bettes vollzieht (V. 3948 - 3958). Im Weiteren bricht Enite abermals ihr Schweigegelöbnis, warnt Erec vor dem Grafen, die beiden fliehen. Später wird der Graf von Erec im Zweikampf besiegt. Insgesamt zeigt sich, dass mit der Mahlszene im Wirtshaus eine Sujetkonstellation geschaffen wird, die einen ganzen Handlungsstrang in Gang bringt. Im ‹ Parzival › nun wird weder die symbolisch-expressive Bedeutung des Getrennt-Essens von Jeschute und Orilus (Störung der Minnebeziehung, sexuelle Verfügbarkeit der Eheleute) thematisiert noch werden die narrativen Möglichkeiten, die eine solche Sujetkonstellation bietet (das Eintreten Dritter), ausgeschöpft. Nach vollzogener Scheidung gerät das Paar aus dem Fokus der Erzählung und tritt erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Erscheinung (Buch V, V. 256,11). Jedoch werden durch die Anspielung auf die Geschichte von Erec und Enite die Konsequenzen, die die Separation des Tisches haben kann, aufgerufen und als möglicher Handlungsverlauf angedeutet. Damit gerät ein Aspekt in den Blick, der im Zusammenhang mit den Minnemahlszenen im ‹ Parzival › wiederholt zu beobachten ist: Die Mahlszenen stellen Texträume dar, in denen implizit Sujet- und Handlungsoptionen angedeutet werden, die sich retrospektiv als Vorausdeutungen der erzählten Handlung erweisen können oder aber als abgewiesene Erzählalternativen. Dieser Aspekt wird in Kapitel IV. 2.2.1 ausführlich erörtert. Insgesamt zeigen die Ausführungen, dass das Teilen, das Anbieten und der Ausschluss aus der Essgemeinschaft bei Wolfram im Zusammenhang mit 89 Die Nachfrage kann zugleich als Absicherung des Grafen gegen einen möglichen Ehebruch aufgefasst werden, wie es Fritsch-Rößler ( ‹ Finis Amoris › , S. 76 Anm. 41) anmerkt. 90 Vgl. Fritsch-Rößler, ‹ Finis Amoris › , S. 75. 159 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster Minnemahlszenen keine kontingenten Handlungsformen darstellen, sondern dass sie in spezifischer Weise codiert sind. Dies ist bereits daran zu sehen, dass sie jeweils an bestimmte Beziehungskonstellationen gekoppelt sind: das Teilen von Nahrung an bestehende Minnebeziehungen, das Anbieten an die Situation des Kennenlernens der Minnepartner, der Ausschluss aus der Essgemeinschaft an Krisensituationen. Während das Teilen und der Ausschluss aus der Essgemeinschaft, übereinstimmend mit den Beobachtungen, die in Bezug auf das historiografische und lehrhafte höfische Schrifttum gemacht wurden (vgl. Kapitel II.2.), bei Wolfram die Zusammengehörigkeit bzw. die Trennung von Minnepartnern anzeigen, stellt das Anbieten von Nahrung bei Tisch im ‹ Parzival › eine Handlungsform dar, die, vor der Folie des im Text aufgerufenen höfischen Verhaltenscodex betrachtet, in Hinblick auf die Minnethematik umcodiert ist. Anders als es das pragmatische höfische Schrifttum vermuten ließe, sind es hier nämlich nicht die Männer, die bei Tisch den Frauen dienen, sondern die Frauen den Männern. Dieser Normbruch treibt semantische Ambiguitäten hervor: Zwar ist der weibliche Tafeldienst im ‹ Parzival › Zeichen der Ehrerbietung und Wertschätzung, die die hochadligen Damen ihren Gästen entgegenbringen, zugleich aber nimmt er erotische Bedeutung an. Vergleicht man diesen Befund mit Chrétiens ‹ Perceval › , zeigt sich, dass solche minnesymbolischen Codierungen von Mahlszenen dort nicht vorkommen. Nachdem z. B. Orgueilleux das vermeintliche Liebesverhältnis seiner Freundin aufgedeckt hat, bestraft er sie zwar, indem er ihr jeglichen Reisekomfort (Wechselkleidung / Pferdepflege) fortan versagt, von Nahrungsentzug oder einer Trennung bei Tisch ist jedoch nicht die Rede. Nach Abschluss von Orgueilleux ’ Strafrede heißt es lediglich, er habe sich hingesetzt und angefangen zu essen ( ‹ Perceval › V. 833). Anders dagegen sieht es in der deutschsprachigen höfischen Epik des 13. Jahrhunderts aus, in der erotische Codierungen von Mahlszenen vielfach zu finden sind. 91 Dabei kann die Evokation solcher semantischen Potenziale auch ohne Rollentausch zwischen Mann und Frau, wenn also der Mann in seiner angestammten Rolle als dienstman auftritt, erfolgen. In diesen Fällen ist es nicht die Verkehrung der bei Tisch geltenden Hierarchieverhältnisse, die die 91 Vgl. u. a. ‹ Meleranz › V. 1171 - 1200; V. 5313 - 5373; V. 7811 - 7840.; V. 8758 - 8806; Mai und Beaflor. Hg., übersetzt, kommentiert u. m. e. Einleitung von Albrecht Classen, Frankfurt a. M./ Berlin u. a. 2006, V. 185,9 - 10; V. 218,35 ff.; V. 227,26 ff.; ‹ Willehalm › V. 274,1 - 17; ‹ Der keiser und der kunige buoch › oder die sogenannte Kaiserchronik. Gedicht des zwölften Jahrhunderts von 18578 Reimzeilen. Zum ersten Mal hg. v. Hans Ferdinand Massmann. Drei Bände, Quedlinburg/ Leipzig 1849 - 1854 (im Folgenden abgekürzt zitiert als ‹ Kaiserchronik › ), hier V. 4500 - 4525; V. 4754 - 4791; ‹ Die Krone › V. 2471 - 2492. 160 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären alimentären Handlungen mit einem ‹ Mehr › an Bedeutung belegt, sondern der Fauxpas. Ein Beispiel dafür ist Engelhard aus der gleichnamigen Verserzählung Konrads von Würzburg, der sich als Diener am Königshof heimlich in die Prinzessin verliebt. Erst als er eines Tages beim Vorschneiden ihres Essens versehentlich das Messer fallen lässt, erkennt diese daran seine Liebe zu ihr: nû kam ez zeiner zît alsô daz er solte snîden der klâren und der blîden über tische, sô man saget. er kniete für die sch œ nen maget und diente ir nâch gewonheit. nû daz er iezuo alsô sneit, dô dâhte er an ir minne sô verre in sînem sinne daz er sîn selbes dô vergaz unde er niht enweste waz er solte schaffen unde tuon. er liez alsam ein toubez huon daz mezzer vallen von der hant. daz im von minne niht geswant, daz was ein grôzez wunder. iedoch wart im hier under sîn varwe sô verwandelt und alsô missehandelt daz sîn diu sch œ ne wart gewar, daz im von rehter minne gar diz dinc geschehen wære. diu süeze sældenbære begunde aleine merken daz, wan si gegen im kûme saz, sô balde und alsô dicke ir spilende ougen blicke enflügen ûf in alzehant. 92 92 Vgl. Konrad von Würzburg: Engelhard. Nach dem Text v. Ingo Reiffenstein ins Neuhochdeutsche übertragen, mit einem Stellenkommentar u. einem Nachwort hg. v. Klaus Jörg Schmitz, Göppingen 1989 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 501), V. 1966 - 1993; ähnlich verhält es sich mit Tandareis und Flordibel (vgl. ‹ Tandareis und Flordibel › V. 1050 - 1051). 161 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster Angesichts der Fülle an Belegen für erotisch codierte Mahlszenen in der höfischen Epik, die zeitlich nach Wolframs ‹ Parzival › einzuordnen sind, gewinnt man den Eindruck, dass der Text in dieser Hinsicht eine Vorbildfunktion hatte. Oder genauer gesagt: Dadurch, dass im ‹ Parzival › alimentäre Handlungen, wie eben die Interaktionsformen beim höfischen Festmahl, vielfach als ‹ bedeutsam › markiert sind, kommt dem, was im außersprachlichen, sozialen Zusammenhang vielleicht nur ‹ schwach › codiert ist, eine erhöhte Aufmerksamkeit zu. Dieses ‹ Schenken von Aufmerksamkeit › in einem literarischen Text könnte man als eine Form der simulativ-lusorischen Übercodierung bezeichnen, die die semiotische Traditionsbildung des Motivs begünstigt haben könnte. 2.3 Nahrungsaufnahme und Minne Obwohl Nahrungs- und Minnethematik im ‹ Parzival › vielfach und in unterschiedlicher Weise aufeinander bezogen sind, werden im Situationsrahmen von Minne lediglich drei Figuren in ihrem Nahrungsverhalten (Umgang mit Nahrung / Art der Nahrungsaufnahme) gezeichnet, nämlich Parzival, Itonje und Trevrizent. Während Itonjes und Trevrizents Nahrungsverhalten punktuell, in einzelnen Szenen, zur Darstellung kommt, ist bei Parzival nahezu jede Station seines Weges mit einer Mahlszene verbunden, die sein Nahrungsverhalten veranschaulicht. 93 Zu den Mahlszenen, die auf die Minnethematik bezogen sind, gehören die Szene in Jeschutes Zelt, in der sich Parzival nach seinem Überfall auf Jeschute die neben dem Bett stehenden Speisen und Getränke einverleibt (V. 131,22 - 132,8); des Weiteren die Mahlszene an Gurnemanz ’ Hof mit dessen Tochter Liaze, die den Abschluss seiner Ausbildung darstellt (V. 176,13 - 27); und ferner die beiden Mahlszenen auf Pelrapaire, in denen die Freigiebigkeit des Herrscherpaars Parzival und Condwiramurs gegenüber der Bevölkerung demonstriert wird (V. 191,5 - 6; 201,10 - 18). Hinzu kommt die Szene von Herzeloydes Drachentraum, die auf Parzival bezogen im Verhältnis von Verheißung und Erfüllung steht (V. 104,10 - 17): 94 Zur Veranschaulichung sei eine tabellarische Übersicht über die Textstellen angeführt, an denen die Darstellung von Ess- und Trinkakten auf die Minnethematik bezogen ist: 93 Zur Interpretation des Befunds vgl. Kapitel IV. 2.1.1. 94 Vgl. dazu Kapitel IV. 2.1.1. 162 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Nahrungsaufnahme und Minne in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Typ Beschreibung 104,13 Maßlosigkeit Ernährung des Drachen an Herzeloydes Brust 131,22 - 132,8 Maßlosigkeit Parzivals Völlerei in Jeschutes Zelt 176,13 - 27 Gemäßigtes Essverhalten Parzivals drittes Mahl bei Gurnemanz/ Tochter Liaze 191,5 - 6 Enthaltsamkeit Parzivals erstes Mahl auf Pelrapaire 201,10 - 18 Alimentäre Bedürfnislosigkeit Parzivals zweites Mahl auf Pelrapaire 452,15 - 28 Askese Trevrizents Askese 698,1 - 14 Appetitlosigkeit Itonjes Appetitlosigkeit aus Liebeskummer Fragt man nun, inwiefern die in Kapitel II.3 ermittelten semantischen Rahmen an den Zeichenbildungen im Text mitwirken, zeigt sich, dass die auf die Minnethematik bezogenen Darstellungen von Ess- und Trinkakten im ‹ Parzival › ganz unterschiedlich codiert sein können. Bei Itonje und Trevrizent sind die Konnotationen eindeutig: Die Schilderung von Itonjes Appetitlosigkeit an der höfischen Tafel trägt zu ihrer Darstellung als Liebeskranke bei (V. 698,1 - 14) und in Bezug auf Trevrizent wird der Zusammenhang von Askese, sexueller Enthaltsamkeit und Buße entfaltet (V. 480,10 - 14). Schwieriger zu deuten ist dagegen Parzivals Nahrungsverhalten. Denn zum einen verändert sich dieses von Szene zu Szene, zum anderen evozieren die Mahlszenen jeweils unterschiedliche Deutungsrahmen, was zur Folge hat, dass die Codierungen changieren und damit jeweils unterschiedliche Qualitäten der Figur zum Vorschein bringen. Dies sei im Folgenden erläutert. In Herzeloydes Drachentraum (Buch II), der Szene, in welcher der Zusammenhang zwischen Nahrungsaufnahme und Minne in Bezug auf Parzival zum ersten Mal vorkommt, 95 ist es der heilsgeschichtliche Kontext, der durch Markierungen auf Textebene als Deutungsrahmen aufgerufen wird, wobei die Anspielungen darauf semantische Ambiguitäten erzeugen. Zwar legen die motivgeschichtlichen Untersuchungen Wilhelm Deinerts, Arthur Hattos und Klaus Speckenbachs eine positive Deutung nahe, da sie zum Ergebnis kommen, dass das Traumbild an eine Szene aus der ‹ Apokalypse › des Neuen Testaments erinnert, nämlich an die Vision von der sonnenumhüllten Frau auf dem großen 95 Herzeloydes Traum von der Zerstörung durch einen wurm/ trachen ist mittels sprachlich-rhetorischer Verfahren auf die Minnethematik bezogen, wodurch das animalisch-monströse Verzehren des Ungeheuers zum Zeichen seiner unbändigen Minnegier wird und das Verzehrt-Werden durch es zu dem des Zerstört-Werdens durch die Minne (vgl. Kapitel III.1.1). 163 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster Drachen, die im Mittelalter in Hinblick auf Maria als Gottesgebärerin gedeutet wurde. 96 Aus dieser Sicht kündigt Herzeloydes Traum aufgrund seiner Motivparallelen zur biblischen Erzählung die Geburt eines großen Herrschers an, indem Parzivals Lebensgeschichte, wenn auch unterschwellig und andeutungsweise, in Beziehung zur Vita Christi gesetzt ist. Zugleich aber, und dies wurde in der Forschung bislang kaum berücksichtigt, weckt das triebhaftanimalische Verhalten des Wesens, das als wurm (V. 104,11) bzw. als trache (V. 104,13) bezeichnet wird, auch negative Assoziationen: Denn wurm (nhd. ‹ Drache › / ‹ Schlange › ) und trache sind im heilsgeschichtlichen Kontext Synonyme für das Böse, den Teufel. Eingefügt in einen Zusammenhang, der über Begriffe (wurm / trache) und Motive (Drachentraum einer Schwangeren) den heilsgeschichtlichen Kontext aufruft, klingt im animalisch-monströsen Nahrungsverhalten des Ungeheuers die Sündenthematik an. Das Traumbild bringt damit nicht nur, wie in Kapitel III.1.1 gezeigt, Parzivals gewaltige Disposition zu minne und strît zum Vorschein, sondern es versieht dieses zugleich mit ambivalenten Wertungen, indem es einerseits das Bild eines großen Herrschers und mächtigen Kriegers aufbaut, andererseits aber auch das eines weltverhafteten Sünders. Anders verhält es sich in der Jeschute-Szene (Buch III). Zwar geht es auch hier, diesmal direkt auf Parzival bezogen, um die Darstellung von triebhaftaffektivem Nahrungsverhalten. Die Formulierung einen guoten kropf er az (V. 132,2), die Parzivals Physis implizit mit der eines Tieres gleichsetzt, 97 verdeutlicht dies. Doch ist die Darstellung des Nahrungsverhaltens hier nicht auf den heilsgeschichtlichen Kontext bezogen, sondern in einen Zusammenhang eingefügt, der den höfischen Verhaltenscodex als Deutungsrahmen aufruft. Denn Parzivals Überfall auf die schlafende Jeschute markiert seinen Einbruch in die Sphäre des Hofes, was bedeutet, dass sich sein Verhalten fortan an den Normen und Wertsetzungen dieses Milieus bemisst. Vor der Folie des höfischen Verhaltenscodex nun aber kann unmäßiger Nahrungskonsum zwar ebenfalls als Ausdruck von Sündhaftigkeit interpretiert werden, in erster Linie aber zeigt er fehlende höfische Erziehung an (vgl. Kapitel II.3.). Parzivals Nahrungsverhalten ist in dieser Szene somit doppelt codiert: Während es auf diskursiver Ebene des Textes durch die strukturelle Verknüpfung mit der Minnethematik (vgl. Kapitel III.1.2) symbolhaft auf 96 Vgl. zusammenfassend Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 52. Daneben weist die Traumvision Parallelen zur antiken Traumliteratur auf, in der der Drachentraum einer Schwangeren die Geburt eines großen Herrschers ankündigt (vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 52). 97 Der kropf der Vögel ist die Stelle des Verdauungstrakts, in den die verschluckten Körner gelangen, ehe sie in den Magen übergehen (vgl. Nellmann, Kommentar, S. 526). 164 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären seine unbändige Minnegier verweist (wahrnehmbar für den Beobachter dritten Grades), ist es für die Figuren innerhalb der erzählten Welt Ausdruck seiner tumpheit (wahrnehmbar für Beobachter ersten, zweiten und dritten Grades). 98 Ebenfalls im höfischen Milieu angesiedelt, jedoch wiederum mit anderen Konnotationen versehen, ist Parzivals Nahrungsverhalten beim Mahl mit Liaze, der Tochter des Fürsten Gurnemanz (Buch III): Nachdem Parzival das gurnemanzsche Erziehungsprogramm durchlaufen hat, das von zwei Mahlszenen unterbrochen wird, die zeigen, dass Parzival weder über die Fähigkeit verfügt, die symbolischen Bedeutungsgehalte eines höfischen Gastmahls zu erfassen, noch sich an der höfischen Tafel angemessen zu verhalten (V. 165,15 - 166,5; 169,21 - 170,7); und nachdem Parzival endlich seine Befähigung zum Ritter auf dem Turnierplatz unter Beweis gestellt hat (V. 174,14 - 175,3), drängt die Hofgesellschaft auf eine Vermählung Parzivals mit Gurnemanz ’ einzigem Kind Liaze (V. 175,7 - 189). Gurnemanz reagiert auf die Forderung, indem er ein Mahl für Liaze und Parzival arrangiert: sus kom der fürste sâbents în. der tisch gedecket muose sîn. [. . .] der tisch was nider unde lanc. der wirt mit niemen sich dâ dranc. er saz al eine an den ort. sînen gast hiez er sitzen dort zwischen im unt sîme kinde. ir blanken hende linde muosen snîden, sô der wirt gebôt, den man dâ hiez den ritter rôt, swaz der ezzen wolde. nieman si wenden solde, sine gebârten heinlîche. diu magt mit zühten rîche leist ir vater willen gar. si unt der gast wârn wol gevar. dar nâch schier gienc diu maget widr. (V. 175,19 - 176,27) Durch die Position, die dem Minnemahl innerhalb der Gurnemanz-Episode zukommt, erscheint es einerseits als höchste Stufe von dessen Erziehungsprogramm, das dieses zugleich abschließt; andererseits aber als ein Ort, an dem Parzivals Qualitäten als höfischer Geliebter auf die Probe gestellt werden. Parzivals Nahrungsverhalten bemisst sich damit wiederum an den höfischen Verhaltensnormen, zugleich aber wird hier die Vorstellung, wonach sich ein 98 Vgl. Jeschutes Reaktion auf Parzivals Völlerei, die sie zu dem Schluss kommen lässt, der Eindringling sei ein garzûn gescheiden von den witzen (V. 132,6 - 7), 165 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster idealer höfischer Geliebter durch Beherrschung von Tischmanieren auszeichnet (vgl. Kapitel II.3), als Handlungswissen der Figuren entfaltet. Das Setting des Mahls verdeutlicht dies: Gurnemanz nämlich nimmt allein am oberen Tischende Platz (V. 176,15), um das an der Längsseite des Tisches tafelnde Paar aus einiger Entfernung zu beobachten und im Bedarfsfall einzugreifen, indem er Liaze mittels Handzeichen Verhaltensanweisungen erteilt (V. 176,15 - 26). Nachdem Liaze sich auf Geheiß des Vaters von Parzival zur Begrüßung hat küssen lassen, schneidet sie ihm - wiederum auf Anweisung des Vaters - das Essen vor. Anders als in den vorausgehenden Mahlszenen, erweist sich Parzival nun als ‹ gemäßigt › : Der Begrüßungskuss gelingt trotz der Scham, die ihn dabei überkommt (V. 176,8 - 9); ebenso verschlingt er die Speisen nicht mehr ungebremst, sondern lässt sich die von Liaze mit zarter Hand zurechtgeschnittenen Leckerbissen anreichen (V. 176,18 - 21). Anders auch als in den vorausgehenden Mahlszenen, verfügt Parzival nun über die Fähigkeit, die symbolischen Bedeutungsgehalte der alimentären Handlungen zu erfassen: So fasst er Liazes Tafeldienst sogleich als Zeichen ihrer Liebe auf, was kumber bei ihm auslöst, da er sich für die Minne nicht bereit fühlt (V. 177,1 - 4). Dass Parzival die Probe, auf die er gestellt wurde, bestanden hat, zeigt sich an Gurnemanz ’ Verhalten am Schluss des Mahls. Als Parzival nämlich nach Beendigung des Mahls seinen Abschied vom Hof ankündigt, fasst Gurnemanz dies als Verschmähung seiner Tochter und damit als Absage an die Übernahme der Landesherrschaft auf (sît Lîâz diu sch œ ne magt / und ouch mîn lant iu niht behagt, V. 178,9 - 10). Bei den letzten beiden Szenen, die Parzivals Nahrungsverhalten im Situationsrahmen von Minne darstellen, handelt es sich um die beiden Szenen auf Pelrapaire, in denen es um die Freigiebigkeit Parzivals und Condwiramurs ’ gegenüber den Burgbewohnern sowie um ihre eigene alimentäre Enthaltsamkeit geht (Buch IV). In diesen Szenen wirken sowohl feudalhöfische als auch christlich-theologische Codierungen an den Zeichenbildungen der im Text dargestellten Ess- und Trinkakte mit. Für die erste Szene (V. 190,7 - 191,9) wurde dies bereits dargelegt (vgl. Kapitel III.2.2.1): Einerseits ist es der höfische Verhaltenscodex, der durch die Situierung der Handlung im höfischen Milieu implizit als Deutungsrahmen markiert ist, und vor dessen Folie Parzivals milte gegenüber den Hungerleidenden als Ausdruck seiner bei Gurnemanz erlernten Herrschertugenden erscheint. 99 Andererseits aber spielt die Szene implizit (durch ihre Analogie zur biblischen Erzählung der Speisung der Fünftausend) auf den 99 Vgl. Gephart, Irmgard: Geben und Nehmen im ‹ Nibelungenlied › und in Wolframs von Eschenbach ‹ Parzival › , Bonn 1994 (Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 122), S. 138 - 141. 166 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären heilsgeschichtlichen Kontext an, vor dessen Hintergrund Parzivals Nahrungshandeln diesen ins Licht des Heilsbringers rückt. Anders jedoch als in Herzeloydes Drachentraum ist das so aufgebaute Herrscherbild nicht negativ, sondern positiv besetzt, Anspielungen auf die Sündenthematik fehlen. Die zweite Speisung der Burgbewohner (V. 200,10 - 201,19) enthält ebenfalls Anklänge an ein Speisewunder: Durch göttliche Gnade landen zwei mit Nahrungsmitteln beladene Schiffe am Hafen der belagerten Stadt (V. 200,10 - 16). Gott erweist sich hier als Ernährer und Parzival, wenn er die zur Verfügung gestellte Nahrung persönlich verteilt, gewissermaßen als dessen Stellvertreter. 100 Die Speiseszene selbst lässt wiederum biblische Bezüge erkennen, diesmal auf das letzte Abendmahl (Mat. 26,20 - 30): 101 von êrst die spîse kleine teilter mit sîn selbes hant. er sazt die werden dier dâ vant. [. . .] hin ze naht schuof er in mêr, der unlôse niht ze hêr. (V. 201,10 - 18) Die Anspielungen auf das letzte Abendmahl werden vor allem dann deutlich, wenn man die Szene mit der ersten Speiseszene vergleicht. Während es in der ersten Szene, ebenso wie bei der Speisung der Fünftausend, die gesamte Bevölkerung ist, die ernährt wird (V. 190,27), sind es hier die werden, die Edlen, die Parzival an den Tisch setzt, geradeso wie Jesus beim letzten Abendmahl seine werden, die zwölf Apostel, an den Tisch lädt (Mat. 26,20). Zudem wird explizit darauf hingewiesen, dass Parzival die Nahrung mit sîn selbes hant verteilt, wohingegen er bei der ersten Speisung austeilen lässt. Analog dazu lässt Jesus bei der Speisung der Fünftausend das Brot austeilen, während er es beim Abendmahl selbst bricht und an die Jünger verteilt (Mat. 26,26). Bezüglich der Nahrungsmittel ist im ‹ Parzival › diesmal zwar nur von spîse und nicht von Brot die Rede, sehr wohl aber von Wein, wenn der Erzähler einige Verse vorher einwirft, das Bier sei ihnen zu bitter, da sie ja nun Wein hätten (V. 201,6 - 7). Der Umstand schließlich, dass Parzival die Edelleute am Abend noch einmal essen lässt (V. 201,17), kann als weitere Anspielung auf das biblische Abendmahl gesehen werden, da damit zum einen an die Tageszeit des letzten Mahls (Abend) erinnert wird und zum anderen ein Bezug zu der in der biblischen Erzählung angesprochenen zweiten Speisung der Jünger (Speisung im Himmelreich, Mat. 26,29) entsteht. Die Anklänge der Mahlszene vor Parzivals Weggang aus Pelrapaire an das letzte Abendmahl, das Jesus kurz vor seiner Gefangennahme mit den Jüngern 100 Vgl. Nitsche, Die literarische Signifikanz, S. 261. 101 Für diesen Hinweis danke ich Michaela Lassacher. 167 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster abhält (Mat. 26,20 - 29), setzen die Lebensgeschichte des Helden abermals in Beziehung zur der Jesu Christi. Zugleich evoziert die in dieser Szene angedeutete alimentäre Bedürfnislosigkeit von Parzival und Condwiramurs die Vorstellung, wonach Minne Nahrung für die Liebenden ist, und lässt die Liebe zwischen den beiden damit als Zustand innerer Erfüllung erscheinen (vgl. Kapitel III.1.2). Die Untersuchung einzelner Szenen in Kapitel III.1.1 und III.1.2 hat gezeigt, dass die Darstellungen von Parzivals Nahrungsverhalten mittels textueller Verknüpfungen auf die Minnehandlung bezogen sein können, wodurch sie implizit an der Zeichnung der Figur als Liebender mitwirken. Bei der hier vorgenommenen Untersuchung textexterner Faktoren, die an der Codierung von Ess- und Trinkakten im ‹ Parzival › beteiligt sind, stand wiederum Parzival im Vordergrund, da es sich hierbei um die einzige Figur des Textes handelt, deren Umgang mit Nahrung im Zusammenhang mit der Minnethematik wiederholt thematisiert wird. Parzivals Nahrungsverhalten verändert sich nicht nur von Szene zu Szene; die Mahlszenen evozieren überdies unterschiedliche Deutungsrahmen, was zur Folge hat, dass die Codierungen changieren und vielgestaltige Bilder der Parzival-Figur hervorbringen. Solche Figurendarstellung anhand von Nahrungsakten ist bei Chrétien angelegt, sowohl die Völlerei bei der Dame im Zelt ( ‹ Perceval › V. 735 - 766) als auch die alimentäre Bedürfnislosigkeit der Liebenden im Reich Blancheflors ( ‹ Perceval › V. 2360 - 2361; 2574 - 2575) kommen vor, jedoch ist diese Darstellungsebene bei Wolfram auf andere Szenen erweitert. Die Konsequenzen, die die hier gemachten Beobachtungen insgesamt für die Darstellung der Parzival- Figur haben, werden im Zusammenhang mit den sonstigen, nicht auf die Minne bezogenen Mahlszenen, an denen Parzival beteiligt ist, in Kapitel IV. 2.1.1 beleuchtet. 2.4 Nahrungsmittel und Minne Der ‹ Parzival › enthält mehrere Szenen, in denen alimentäre Objekte in den Mittelpunkt der Darstellung rücken, so etwa im Zusammenhang mit der Beschreibung des alimentären Überflusses auf der Gralsburg (Buch V) oder der Hungersnot auf Pelrapaire (Buch IV). Auch im Rahmen der Minnethematik werden Nahrungsmittel immer wieder konkret benannt, sei es durch die Aufzählung von Speisen und Getränken in Minnemahl- und Werbungsszenen (Ebene der histoire), sei es durch die Einbringung von alimentären Objekten in Form von Vergleichen und Metaphern (Ebene des discours). Zur Veranschaulichung des Materials sei eine tabellarische Übersicht angefügt: 168 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Nahrungsmittel und Minne in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Typ Beschreibung 33,4 Mahl reiger, visch 50,16 Vergleich Siegreicher Held - zucker 131,27 - 30 Mahl brôt, wîn, zwei pardrîsekîn 190,10 - 13 Mahl prôt, schultern, hammen, kæse, wîn 206,29 - 207,2 Gabe Krapfen 244,11 - 25 Gabe môraz, wîn, lûtertranc, obz der art von pardîs 273,26 - 30 Mahl vogele gevangen ûf dem klobn 423,16 - 424,7 Mahl môraz, wîn, lûtertranc, fasân, pardrîse, vische, blankiu wastel 531,19 - 23 Metapher Minnespott - scharpfiu salliure 550,1 - 552,5 Mahl drî galander (von sprinzelîn erflogn), salse, blankiu wastel, purzeln, lâtûn, vînæger 622,8 - 623,2 Mahl gebrâten gâlander (von sprinzelîn erflogn), wîn, blankiu wastel 643,28 - 30 Metapher Orgeluse - hirzwurz Bei den Nahrungsmitteln, die im Kontext von Minne vorkommen, handelt es sich zumeist um typische Herrenspeisen und -getränke wie Vogelfleisch (reiger, pardrîsekîn, fasân, gâlander), Schinken und Schulterstücke vom Schwein (schultern, hammen), Fisch, weißes Fladenbrot (blankiu wastel), Süßspeisen (krapfen), Zucker und verschiedene Weinsorten (môraz, wîn, lûtertranc), deren soziale Codierung zur Zeichnung der dargestellten Milieus als ‹ höfisch › beiträgt. Eine Ausnahme bilden die Gerichte, die beim Mahl aufgetragen werden, das der Fährmann Plippalinot zu Ehren des ritterlichen Gastes Gawan ausrichtet (V. 550,1 - 552,5), und die Ausdruck der ärmlichen Verhältnisse sind, in denen der Fährmann mit seiner Familie lebt. 102 Zwar geht es hier nicht primär um die Darstellung von Armut, sondern um die Darstellung von Plippalinots Bemühen um eine standesgemäße Bewirtung seines Gastes; diese scheitert jedoch daran, dass die edlen Speisen, über die der Haushalt verfügt, nicht ausreichen: So handelt es sich beim Vogelfleisch (drei galander, nhd. ‹ Ringellerche › ) und dem weißen Fladenbrot (blankiu wastel), die Gawan serviert werden, zwar um typisch höfische Speisen, 103 jedoch ist die galander, obwohl sie größer ist als eine gewöhnliche Lerche, ein Vogel, von dem 102 Vgl. Nellmann, Kommentar, S. 716 f. 103 Zur galander vgl. zuletzt Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 135; zu den blanken wasteln vgl. Schulz, Essen und Trinken im Mittelalter, S. 97. 169 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster man keinesfalls satt werden kann. 104 Benes Bitte, Gawan möge einen der drei Vögel an die Mutter abgeben (V. 551,8 - 11), verdeutlicht die Mangelsituation. Beim grünen Salat (Portulak und Lattich), der von den Söhnen zur Sättigung der Gesellschaft aufgetragen wird (V. 551,19 - 26), handelt es sich dagegen explizit nicht um eine gehobene Speise. 105 Die bisherige Untersuchung hat nun aber gezeigt, dass die Nahrungsmittel, die im ‹ Parzival › im Zusammenhang mit der Minnethematik vorkommen, nicht nur sozial codiert sind, sondern zugleich auch einen auf die Minne bezogenen Zeichencharakter haben, wobei textexterne Faktoren an den Zeichenbildungen stets beteiligt sind. Als in der Weise sinnstiftend hat sich vor allem die Sündenfall-Thematik erwiesen: Sei es durch explizite Kennzeichnung von Nahrungsmitteln als der art von pardîs (V. 244,16, vgl. Kapitel III.2.1) oder durch implizite Anspielungen mittels ‹ redender › Bezeichnungen, etwa der Bezeichnung pardrîse (V. 423,20) bzw. pardrîsekîn (V. 131,28) für das ‹ Rebhuhn › (vgl. Kapitel III), immer wieder scheinen in den aufgeführten Nahrungsmitteln die mit der Sündenfall-Thematik verbundenen semantischen Potenziale von Essen und Sünde bzw. Essen und Verführung auf, wodurch die alimentären Objekte zur Evokation eines erotischen Subtexts beitragen. In anderen Fällen ist es der aus dem Sündenfall abgeleitete moraltheologische Diskurs über die Unersättlichkeit und mangelnde Trieb- und Affektkontrolle von Frauen, der durch Markierungen auf Textebene als Deutungsrahmen aufgerufen wird. So etwa verweisen die krapfen, mit denen Keye und Kingrun um die verlorene Gunst von Cunneware werben (V. 207,1 - 2), auf die Vorstellung, wonach sich die Liebe einer Frau mit kulinarischen Objekten ‹ erkaufen › lässt, und tragen damit zur Zeichnung der beiden Figuren als defizitäre Minnediener bei (vgl. Kapitel III.2.1). In dieselbe Richtung weist auch der auf Figurenebene eingebrachte Vergleich des siegreichen Helden Gahmuret mit Zucker, der von Frauen verschlungen wird (V. 50,16). Einerseits spielt der Zucker-Vergleich auf die sexuelle Attraktivität Gahmurets an, andererseits disqualifiziert er das Minnerittertum als billige Methode, eine Frau zu gewinnen (vgl. Kapitel III.1.1). Andere Konnotationen dagegen evozieren Anspielungen auf den heilsgeschichtlichen Kontext, wie sie die Szene, in der Parzival und Condwiramurs ein Stück Brot miteinander teilen (V. 191,5 - 6), aufweist. Das Brot-Teilen erinnert hier an die Eucharistie und versieht das dargestellte Minneverhältnis mit sakralen Konnotationen (vgl. Kapitel III.2.2.1). 104 Weick, Reiner: Ornithologie und Philologie: Am Beispiel von ‹ mûzersprinzelîn › und ‹ galander › in Wolframs Parzival, in: Mediävistik 2 (1989), S. 255 - 269, hier S. 258 - 260. 105 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 157 - 159. 170 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Neben Szenen, in denen Nahrungsmittel im Kontext von Minne liebessymbolische Bedeutung annehmen, kommen im ‹ Parzival › auch alimentäre Objekte vor, die inhaltlich nicht auf die Minnethematik bezogen sind, die aber aufgrund ihrer kulturellen Codierung erotische Bedeutungsgehalte transportieren. Ein Beispiel dafür findet sich in Buch II. Angesichts des Erfolgs, den Gahmuret auf dem Kampfplatz vor Kanvoleis hat, wirft der Erzähler ein, er selbst würde lieber süße Birnen aufsammeln als die Ehrenworte der vom Pferd gestürzten Gegner: in stach der künec von Zazamanc hinderz ors, wol spers lanc, daz in ein rôr geschiftet was. sîne sicherheit er an sich las. doch læse ich samfter süeze birn, swie die ritter vor im nider rirn. (V. 79,27 - 80,2) Zwar werden die erotischen Bedeutungsgehalte des Birnensammelns hier auf Textebene nicht expliziert, denkt man jedoch die lyrische Tradition des 13. Jahrhunderts als möglichen Deutungsrahmen hinzu, in der das Birnenmahl eine konventionalisierte Sexualmetapher ist (vgl. Kapitel II.4), dann erhält die Aussage des Erzählers eine zusätzliche Nuance. Sie lässt ihn dann nämlich nicht bloß als jemanden erscheinen, der nicht über den Heldenmut des Protagonisten verfügt und sich lieber mit ‹ harmlosen › Tätigkeiten wie dem Sammeln von Obst abgibt, auch verweist sie nicht nur auf seinen gustativen Appetit, sondern sie nimmt erotisch-sexuelle Bedeutung an, wodurch sie zur Stilisierung des Erzählers als gustativ und sexuell Begehrender beiträgt (vgl. hierzu Kapitel IV. 2.1.2). Insgesamt zeigt sich, dass Nahrungsmittel im ‹ Parzival › spezifische Funktionen in Hinblick auf die Minnethematik haben können, wobei dies zumeist keine instrumentellen Funktionen sind - weder spielen Aphrodisiaka für die Minnehandlung eine Rolle noch alimentäre Objekte, die, wie etwa in Gottfrieds von Straßburg ‹ Tristan › , magische Kräfte besitzen - , 106 sondern symbolisch-expressive, insofern nämlich als sie als Vermittlungsformen von Minne fungieren. Solche Konnotationen des Alimentären konnten in Chrétiens ‹ Perceval › nicht gefunden werden. 106 Eine Ausnahme stellen die krapfen dar, die Kingrun und Keye einsetzen, um die verlorene Gunst Cunnewares zurückzuerobern. 171 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster 2.5 Jagd und Minne Die Jagd gehört mit über 70 Belegstellen zu den zentralen Motiven des ‹ Parzival › . 107 Entsprechend häufig kommt sie im Zusammenhang mit der Minnethematik vor, wobei auffällt, dass sich solche Minne-Jagdmotive auf einen bestimmten Typus beschränken, nämlich auf die Vogeljagd, das heißt die Jagd mit Vögeln nach Feder- und Felltieren bzw. die Jagd nach Federtieren mit Vogelfallen. 108 Dabei können Jagd und Minne in ganz unterschiedlicher Weise aufeinander bezogen sein: auf der Handlungsebene, wenn Jagdvögel als Siegpreis im Kampf um die schönste Frau (V. 135,11; 178,12 - 13; 401,18 - 19) oder als Liebesgaben (V. 605,3 - 7; 722,19) fungieren; auf struktureller Ebene, wenn Jagd- und Minnehandlungen in Abbildungsverhältnissen zueinander stehen; auf der Ebene der Bildsprache, wenn die Figuren des Textes mit Greifvögeln, mit Vogelfängern oder mit Jagdutensilien verglichen bzw. gleichgesetzt werden. 109 Zur Veranschaulichung des Befunds sei eine tabellarische Übersicht angefügt. 110 Jagd und Minne in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Typ Beschreibung 33,4 d Metapher Gahmuret/ Belakane - Reiher/ Fisch 35,30 - 36,1 d Vergleich Gahmurets Brust - Sehne einer Armbrust 57,10 - 14 d Metapher Belakane - Turteltaube (Beutetier) 63,20 - 25 d Metapher Gahmurets Einzug in Toledo, Kleidung wie Jagdvogel 64,7 - 9 d Vergleich Gahmuret - Jagdfalke auf Beutefang 104,8 - 17 h Allegorie Jagdtiere, die Herzeloyde ‹ ausweiden › 135,11 h Jagdvogel als Siegpreis Sperber als Preis im Kampf um die schönste Frau 107 Eine tabellarische Übersicht über die Jagdmotive im ‹ Parzival › wird in Kapitel IV. 2.3 gegeben; vgl. ferner den Stellenkommentar zur Jagd im ‹ Parzival › von Heinig (Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › ). 108 Mit Ausnahme von Herzeloydes Drachentraum (vgl. dazu Kapitel III.1.1). 109 Vgl. Kapitel III.1.1 und III.1.2. 110 Angegeben werden nur die Textstellen, an denen Jagd- und Minnethematik aufgrund textinterner Verknüpfungen direkt aufeinander bezogen sind. Nicht aufgeführt werden dagegen Szenen wie Parzivals Vogeljagd, die zwar als metaphorische Andeutung seiner Disposition zur Minne aufgefasst werden kann, jedoch weder thematisch noch grammatikalisch direkt auf die Minne bezogen ist. 172 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Textstelle Typ Beschreibung 178,12 - 13 h Jagvogel als Siegpreis Sperber als Preis im Kampf um die schönste Frau 273,26 d Metapher Minnemahl - Jagd (Klemmfalle) 400,1 - 401,2 h Jagd Vergulahts Jagd - Minnejagd 401,18 - 19 h Jagdvogel als Siegpreis Sperber als Preis im Kampf um die schönste Frau 406,28 - 407,1 d Vergleich Gawan/ Antikonie - Adler/ Strauß 409,26 d Vergleich Antikonie - Hase am Bratspieß 424,3 - 6 d Vergleich Mundschenken - Jagdvögel in der Mauser 427,16 d Vergleich Antikonies guter Ruf - weitragender Blick des Falken 429,1 - 430,16 d Metapher Gawans Knappen jagen mûzersprinzelîn 508,28 - 30 d Metapher Orgeluse - Köder/ Schleudersehne des Herzens 515,13 d Metapher Gawan - Gans (Beutetier) 550,28 - 551,2 d Metapher Minnemahl - Jagd 605,3 - 7 h Jagdvogel als Liebesgabe Sperber als Liebesgabe Itonjes an Gramoflanz 622,8 - 13 d Metapher Minnemahl - Jagd 721,18 - 28 h Jagd Gramoflanz ’ Beizjagd - minne ger 722,19 h Jagdvogel als Liebesgabe Sperber als Liebesgabe Itonjes an Gramoflanz Fragt man nun, inwiefern kulturelle Codierungen an der Zeichenbildung der Jagd mitwirken, zeigt sich - ähnlich wie es bereits für die oben diskutierten Bereiche festgestellt wurde - , dass, dadurch dass die Jagdhandlungen und -bilder durchwegs an höfisches Personal bzw. an das soziale Milieu des Hofes gekoppelt sind, die höfischen Jagdregeln, wie sie mittelalterliche Jagdtraktate und Habichtslehren vermitteln (vgl. Kapitel II.5), implizit als Deutungsrahmen evoziert werden. Vor dem Hintergrund des kulturellen Wissens über die Jagd, ihre Normen, Regeln und Wertsetzungen, erhalten die Jagdmotive im Text spezifische Bedeutungen, die auf die an den Handlungen beteiligten Akteure ‹ ausstrahlen › und zu ihrer Zeichnung beitragen. Die bisherige Untersuchung hat dies bereits mehrfach gezeigt: Als in dieser Hinsicht sinnstiftend hat sich die in der Stauferzeit herrschende Vorstellung erwiesen, wonach die Fähigkeiten, die ein Jäger bei der Beizjagd unter Beweis stellt, auf seine Qualitäten als Ritter und als Herrscher schließen lassen (vgl. Kapitel II.5). Mit diesen Vorkenntnissen lässt sich z. B. König Vergulahts 173 Semiotik II: Verarbeitung kultureller Deutungsmuster Jagdunfall (Buch VIII) als metaphorische Vorausdeutung auf sein späteres Versagen in den politischen Auseinandersetzungen interpretieren (vgl. Kapitel III.1.2). Als sinnstiftend haben sich ferner der Stellenwert und die Bedeutung, die den einzelnen Jagd- und Beutetieren zugeschrieben werden, gezeigt. So z. B. tragen die wiederholten Vergleiche und Gleichsetzungen Gahmurets mit dem edelsten aller Jagdvögel, dem Falken, zur Inszenierung seines hohen Ansehens bei (vgl. Kapitel III.1.1); die Assoziation Gawans mit einem als ‹ unhöfisch › geltenden Adler dagegen versieht diese Figur mit pejorativen Konnotationen (vgl. Kapitel III.1.1). Sinnstiftende Funktionen haben außerdem die kulturellen Codierungen der Jagdmethoden, die im Text vorkommen. So z. B. kann das Bild der Jagd mit Lockspeise und Klemmfalle zur sozialen Kennzeichnung bzw. zur qualitativen Abwertung von Figuren und deren Minnebeziehung beitragen. Denn hierbei handelt es sich zwar um eine aufwändige Fangtechnik, die Geduld und Mühe seitens des Vogelfängers erfordert, 111 jedoch galt die Jagd mit Lockspeise gegenüber der Beizjagd, der Königsdisziplin aller mittelalterlichen Jagdarten, als primitiv und gehörte nicht zum Unterhaltungsprogramm der Adelsgesellschaft, sondern wurde von den wenig geachteten Leimstenglern ausgeführt. 112 Das heißt, wenn z. B. Orgeluse in dem Moment, wo Gawan sie zum ersten Mal sieht, als reizel minnen gir (V. 508,28) bezeichnet wird, wodurch die Vorstellung der Jagdmethode mit Lockspeise evoziert wird, 113 übertragen sich die damit verbundenen sozio-kulturellen Codierungen implizit auf die dargestellte Minnehandlung und versehen diese unterschwellig, spielerisch mit dem Stigma des ‹ Unhöfischen › . Heinigs Stellenkommentar zur Jagd in Wolframs ‹ Parzival › legt dar, dass dieser Bereich gegenüber Chrétiens ‹ Perceval › vielfältig ausgebaut, abgewandelt und um naturkundliches Wissen erweitert ist. 114 Solche Aspekte werden im Rahmen der Untersuchung der poetischen Funktionen der parzivalschen Jagdmotive in Kapitel IV ausführlich erörtert. 111 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 123; ebenso Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 264. 112 Vgl. Schubert, Essen und Trinken, S. 123. 113 Vgl. hierzu auch Kapitel III.1.1. 114 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › bes. S. 155 - 161; ferner Schnell, Vogeljagd und Liebe, sowie Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › . 174 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären 3. Ergebnisse zum alimentären Liebescode im ‹ Parzival › In Wolframs ‹ Parzival › sind alimentäre Bilder nie reine Verzierungen der Rede, diätetische Kommentare keine bloßen Zur-Schau-Stellungen von Wissen, Mahlszenen nie nur Repräsentationsformen des Höfischen. Die semiotische Untersuchung hat gezeigt, dass alimentäre Handlungen und Objekte, die inhaltlich im Zusammenhang mit der Minnethematik stehen, mittels textinterner Verfahren der Steuerung der Semiose in Hinblick darauf codiert sind bzw. als Bildspender fungieren, die an der Semantisierung des dargestellten Minnegeschehens mitwirken. Das heißt: Auf die Minne bezogene Darstellungen von Nahrungsakten fungieren stets (auch) als deren Vermittlungsformen, wobei sowohl die Verwendungsbereiche als auch die Zeichenhaftigkeit des Alimentären auf unterschiedlichen Textebenen angesiedelt und die Relationen zwischen Nahrungs- und Minneakten zudem unterschiedlich gestaltet sind. Zum einen sind Nahrungshandlungen Bestandteil von symbolischer Minnekommunikation innerhalb der erzählten Welt. 115 In diesen Fällen erfolgt die Codierung der alimentären Handlungen und Objekte durch die Figuren des Textes, und zwar dadurch, dass ein textinterner Beobachter (ersten oder zweiten Grades) vorhanden ist, der sie dechiffriert und in einer bestimmten Hinsicht deutet. Die Kategorie der Intentionalität, die Müller zur Unterscheidung von intendierten und nicht-intendierten Zeichen in literarischen Texten vorschlägt (vgl. Kapitel I.2), erweist sich hier insofern als problematisch, als der Text zumeist keine Auskunft über die Handlungsmotivation der Sender, das heißt, der Figuren, die die Handlungen ausführen, gibt. Auffallend ist jedoch, dass in den unterschiedlichen Minnesituationen immer wieder dieselben alimentären Handlungen, Gesten und Objekte auftreten, die von den textinternen Beobachtern immer wieder in derselben Weise gedeutet werden. Betroffen davon sind vor allem die Interaktionsformen beim höfischen Mahl: 115 Der Begriff der ‹ symbolischen Kommunikation › wird hier in der in der Kultursemiotik üblichen Bedeutung als Kommunikation mittels Handlungen, Gesten und Gegenständen, bei der diese stellvertretend für einen Sinn oder eine Aussage stehen, verwendet (vgl. zu dieser Definition Kapitel I.1. Anm. 26). 175 Ergebnisse zum alimentären Liebescode im ‹ Parzival › Der weibliche Tafeldienst ist erotisch codiert, das Teilen von Nahrung zeigt die eheliche Zusammengehörigkeit von Mann und Frau an, ungeteilte Nahrung indiziert eine Störung der Minnebeziehung (vgl. Kapitel III.2.2). Auf den ganzen Text hin besehen, zeigt sich somit, dass die Nahrungshandlungen innerhalb der erzählten Welt keine kontingenten Handlungen darstellen, die von den Beobachtern willkürlich und nach eigenem Gutdünken in Hinblick auf die Minnethematik als Zeichen interpretiert würden, sondern dass sie als konventionalisierte Zeichen inszeniert werden, das heißt als Zeichen, die Botschaften aussenden, die darauf zielen, gelesen zu werden. Auf diese Weise entwickelt der Text einen alimentären Liebescode, dessen Grad an Geformtheit und Gerichtetheit sich nicht an der Frage nach ‹ Figurenintentionen › bemisst und auch nicht primär an der nach Setzungen auf kultureller Ebene, sondern vielmehr an der Frage nach szenenübergreifenden Inszenierungen von Konventionalität innerhalb des Textes selbst. Anders als in außertextuellen, sozialen Zusammenhängen, wo der Mitteilungscharakter von nonverbalen Erscheinungen auf kulturspezifischen Konventionen und Gesetzmäßigkeiten beruht (vgl. Kapitel I.2), reicht im literarischen Text die bloße Behauptung von Konventionalität aus. Und genau darin liegt das Potenzial literarischer Texte, an der Modellierung kollektiver Bedeutungssysteme mitzuwirken. Hinzu kommt, dass, dadurch dass im ‹ Parzival › alimentäre Interaktionen wiederholt als ‹ bedeutsam › markiert sind, sozialen Handlungen, die im außersprachlichen Kontext vielleicht nur ‹ schwach › codiert sind, eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommt. Dieses ‹ Schenken von Aufmerksamkeit › in einem literarischen Text könnte man als eine Form der simulativ-lusorischen Übercodierung bezeichnen, die die semiotische Traditionsbildung von Nahrungshandlungen begünstigt haben könnte (vgl. Kapitel III.2.2.3). Im ‹ Parzival › nun aber wird nicht nur die Codiertheit von alimentären Handlungen und Objekten, die auf die Minne bezogen sind, inszeniert, sondern auch deren (intendierte) semantische Unschärfe und Mehrdeutigkeit. Belakanes Tafeldienst etwa, den sie für Gahmuret in aller Öffentlichkeit leistet, stellt keine eindeutige erotische Einladung dar, sondern ist zunächst einmal Ausdruck ihrer Gastfreundschaft. Voraussetzung dafür, dass die Handlung von der umsorgten Person als ‹ mehr › oder als etwas ‹ Anderes › denn als bloße Bekundung von Ehrerbietung verstanden wird, ist eine marginale Übertretung des höfischen Verhaltenscodex (vgl. Kapitel III.2.2.2). Die symbolische Übermittlung von Liebesbotschaften im Rahmen höfischer Interaktion erweist sich damit als ein Spiel mit Doppel- und Mehrfachcodierungen. 116 116 Weiterführende Überlegungen dazu folgen in Kapitel IV. 1.2. 176 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären Und schließlich legt der Text durch die Darstellung von symbolischen Kommunikationsakten innerhalb der erzählten Welt die Voraussetzungen für die Lesbarkeit von nonverbalen Handlungen und Objekten offen. Übereinstimmend lässt sich nämlich feststellen, dass die Nahrungshandlungen, ungeachtet ihrer inszenierten Konventionalität, von den textinternen Beobachtern (den Figuren) jeweils als Anzeichen interpretiert werden, die sie auf eine innere Empfindung bzw. Einstellung des Senders oder der Sender schließen lassen: Gahmuret etwa interpretiert Belakanes Tafeldienst als Anzeichen dafür, dass jene ihn begehrt (vgl. Kapitel I.1), oder die Hofgesellschaft von Schastel marveile Gawans und Orgeluses gemeinsames Mahl als Anzeichen dafür, dass die beiden einander lieben (vgl. Kapitel III.2.2.1). Harald Haferlands These, wonach der höfischen Interaktion grundsätzlich eine indexikalische Zeichenhaftigkeit zugrunde liegt, deren Bedingung es ist, dass Konventionalisierung des Zeichens und ‹ Authentizität › des Ausdrucks nicht als Gegensätze gelten, 117 bestätigt sich anhand des ‹ Parzival › , wenn man den Blick auf die Darstellung von symbolischer Minnekommunikation innerhalb der erzählten Welt richtet. Insgesamt erweist sich Indexikalität allerdings nicht als unhintergehbare historische ‹ Denkweise › des Textes, sondern als eine, die insofern symbolisch verfügbar ist, als sie poetisch verwendet und funktionalisiert wird. 118 Neben Symbolisierungen auf der Handlungsebene enthält der ‹ Parzival › auch Nahrungsakte innerhalb der erzählten Welt, die von den Figuren nicht in Hinblick auf die Minnethematik ausgelegt werden, die jedoch auf diskursiver Ebene des Textes einen auf die Minne bezogenen Sinn annehmen. In diesen Fällen erfolgt die Codierung des Alimentären über die Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik auf der Ebene der Textstruktur, die die Ähnlichkeitsrelationen zwischen gustativen und geschlechtlichen Akten ins Bewusstsein des Rezipienten rufen und damit die mentale Übertragung der an den Vorgängen beteiligten Akteure, Handlungen und Objekte anstoßen können (wahrnehmbar für den externen Rezipienten). Hierbei handelt es sich um unterschiedliche Formen der syntagmatischen und paradigmatischen Kohärenzbildung (vgl. Kapitel III.1.2), deren basalste syntagmatische Ausprägung darin besteht, dass Nahrungs- und Minnehandeln auf der Ebene des Erzählens formal aneinandergereiht sind, wodurch sie Elemente eines durch die Erzählung bestimmten Kontinuums darstellen. Durch die bloße Aneinanderreihung von Wörtern, Satzgliedern und Sätzen, 117 Vgl. Haferland, Harald: Höfische Interaktion. Interpretationen zur höfischen Epik und Didaktik um 1200, München 1988, S. 61. 118 Ähnlich argumentiert Koch in: Trauer und Identität, S. 54. 177 Ergebnisse zum alimentären Liebescode im ‹ Parzival › die sich einerseits auf alimentäre Sachverhalte, andererseits auf die Minnethematik beziehen, stellt sich auf assoziativer Ebene ein Zusammenhang zwischen den Bereichen her, der den Sinnbildungsprozess in Gang setzen kann (z. B. Engführung von Belakane / Gahmuret und Reiher- / Fischbraten, Buch II, V. 32,29 - 33,4). Eine erzähltechnisch komplexere Variante syntagmatischer Verknüpfung besteht darin, dass Nahrungs- und Minnehandeln auf der Zeitachse der erzählten Geschichte aufeinander bezogen sind, wobei Nahrungshandlungen in solchen Momenten stattfinden, in denen Minnehandlungen zu erwarten wären - oder umgekehrt. Ein solches Spiel mit dem Aufbau von Erwartungshaltungen war in der Jeschute-Szene zu sehen (Buch III, V. 130,2 - 132,7), in der an die Stelle der sprachlich aufgebauten Erwartung einer Sexualhandlung (Parzival überwältigt Jeschute) eine Nahrungshandlung tritt (Parzival verschlingt die neben dem Bett stehenden Speisen und Getränke), und komplementär dazu in der Szene auf Pelrapaire, in der die Freigiebigkeit und Enthaltsamkeit von Parzival und Condwiramurs nicht - wie es zu erwarten wäre - in einer Esshandlung, sondern in der körperlichen Liebesvereinigung des Paars münden (Buch IV, V. 201,8 - 19). Zu den paradigmatischen Formen der Verknüpfung wiederum gehören zwei Typen, die kennzeichnend für Wolframs Erzählstil sind: zum einen die Paradigmatisierung von Nahrungs- und Minnehandlungen, die auf der Zeitachse der erzählten Geschichte nacheinander bzw. gleichzeitig ablaufen (z. B. Vergulahts Jagd / Gawans Annäherung an Antikonie, Buch VIII); zum anderen die Paradigmatisierung von Minne und Mahl über das Bildfeld der Jagd (z. B. Benes Werbung um Gawan / die Jagd des sprinzelîn nach der galander, Buch X, V. 550,28 - 551,2). Durch die paradigmatische Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik entstehen Verweiszusammenhänge, die alternierend Bedeutung hervorbringen: Das Nahrungshandeln nimmt auf die Minne bezogene Bedeutung an (z. B. Vergulahts Jagd als Zeichen scheiternder Minnewerbung), die Minnehandlungen wiederum gewinnen durch den Bezug zur Nahrungsthematik spezifische Konturen (z. B. Akzentuierung des Normbruchs, durch den sich die Minnebegegnung zwischen Gawan und Antikonie auszeichnet). Insgesamt verhält es sich bei den strukturellen Verknüpfungen von Nahrungs- und Minnethematik so, dass die Beziehungen zwischen Zeichen und Bezeichnetem auf den Ähnlichkeitsrelationen zwischen gustativen und geschlechtlichen Akten basieren (ikonische Zeichen), wobei die Bezüge semantische Ambiguitäten des dargestellten Geschehens hervortreiben. Denn einerseits stellen die Nahrungsakte konkrete Handlungen dar; durch die Überblendung mit der Minnethematik bzw. dadurch, dass sie an die Stelle einer Minnehandlung treten, stehen sie andererseits aber auch dafür und 178 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären werden so zu ihrem Zeichen. Solche, auf der Ebene der histoire situierten Codierungen von alimentären Handlungen und Objekten umfassen alle Bereiche der Nahrungsthematik (Gabe, Mahl, Nahrungsaufnahme, Nahrungsmittel, Jagd). Anders verhält es sich, wenn alimentäre Handlungen und Objekte auf der Ebene des Erzählens von Minne (discours) situiert sind (vgl. Kapitel III.1.1). Hier fungieren sie nicht als Minnesymbole, sondern als Bildspender, deren Strukturen und Semantiken sich auf das dargestellte Minnegeschehen übertragen, wodurch sie an der Konstituierung der literarischen Entwürfe von Minne mitwirken (z. B. Übertragung des Jäger-Beute-Schemas auf das dargestellte Minneverhältnis). Bei dieser Form der Einbringung des Alimentären erfolgt die Verknüpfung mit der Minnethematik über sprachlich-rhetorische Verfahren. Hierzu gehören Vergleiche im Sinne von expliziten Verbindungen einzelner Aspekte der Nahrungs- und Minnethematik, die zwar nicht identisch sind, die aber in einer oder mehrerer Hinsicht eine Ähnlichkeit aufweisen, sowie Metaphern im Sinne von rhetorischen Figuren, bei denen die Nahrungsthematik nach den Regeln der Analogie implizit auf die Minnethematik übertragen wird. Hinzu kommt der Sonderfall von Herzeloydes Traum (Buch II, V. 104,10 - 17), bei dem sich die Verbindung von Nahrungs- und Minnethematik einerseits allegorisch konstituiert, andererseits durch die Übertragung von Minnebegriffen auf das Jagdgeschehen. Solche Verbindungen umfassen lediglich zwei der eingangs definierten thematischen Bereiche, nämlich die Jagd und Nahrungsmittel. Die Untersuchung textinterner Verfahren der Codierung des Alimentären hat gezeigt, dass textexterne Faktoren an den Zeichenbildungen stets beteiligt sind, wobei der Text über unterschiedliche Arten der Markierung von semantischen Rahmen verfügt (vgl. Kapitel III.2). Die basalste Ebene, auf der sich das Mitwirken von kulturellem Wissen an der Semiose sprachlich erzeugter alimentärer Handlungen und Objekte im ‹ Parzival › beschreiben lässt, ergibt sich daraus, dass der Text von Hof und Hofgesellschaft erzählt. Ungeachtet dessen, dass die dargestellten höfischen Milieus durch Selektionen, Stilisierungen, Pointierungen konstituiert und in Blick auf bestimmte Bedeutungen und Interessen strukturiert sind, bauen sie durch ihre Kennzeichnung als ‹ höfisch › Beziehungen zu den textexternen höfischen Symbolsystemen auf (Systemreferenzen). Kulturspezifische Mentefakte, die die Semiotik höfischer Interaktion organisieren, werden dadurch implizit als Deutungsrahmen aufgerufen. Für die Frage nach der Semiotik alimentärer Handlungen und Objekte heißt das, dass die Darstellung einer sozialen Handlung - wie z. B. des Tafeldiensts beim höfischen Festmahl, der in der mittelalterlichen Adelskultur 179 Ergebnisse zum alimentären Liebescode im ‹ Parzival › als Zeichen von Ehrerbietung fungiert, die die am Mahl beteiligten Personen einander entgegenbringen (vgl. Kapitel II.2.2) - vom textexternen Rezipienten als eben solches Zeichen gedeutet werden kann, auch wenn die Botschaft, die mit dieser Handlung gesendet wird, auf Textebene nicht expliziert wird. Zugleich aber, und hierin liegt die semiotische Wechselwirkung des Gegenstands, trägt die kulturelle Codiertheit von alimentären Handlungen und Objekten zur Kennzeichnung der im Text dargestellten Milieus als ‹ höfisch › bei. Neben solchen sozialen Kennzeichnungen weist der Text noch andere Arten der impliziten Markierung von kulturellen Deutungsrahmen auf, wie etwa die, dass kulturelles Wissen als Handlungswissen der Figuren entfaltet wird. Ein prägnantes Beispiel dafür ist die Szene, in der Orilus Jeschute Ehebruch unterstellt und eine Trennung von Tisch und Bett vollzieht (Buch III, V. 136,23 - 28), wodurch der mittelalterliche Rechtsbrauch der separatio quoad thorum et mensam implizit als Deutungsrahmen aufgerufen wird. Eine weitere Art der impliziten Markierung besteht darin, dass die im Text dargestellten Nahrungsakte in einen Erzählzusammenhang eingebunden sind, der einen bestimmten Anspielungshorizont evoziert (z. B. den heilsgeschichtlichen Kontext in Buch IV über die Strukturanalogien einzelner Szenen mit biblischen Erzählungen). Hinzu kommen explizite Markierungen durch die Figuren des Textes, wie etwa, wenn der Erzähler zur Beschreibung des Obsts, das Parzival auf der Gralsburg angeboten wird, das Attribut der art von pardîs verwendet (Buch V, V. 244,16), wodurch die Sündenfallthematik und die damit verbundenen Codierungen explizit als Deutungsrahmen evoziert werden. In einigen Fällen hat die semiotische Untersuchung auch den prozessualen Charakter der Bedeutungsorganisation von Nahrungsakten sichtbar gemacht, und zwar stets dann, wenn sich textinterne Codierungen von alimentären Handlungen und Objekten vor dem Hintergrund der im Text markierten kulturellen Deutungsrahmen als Bearbeitungen kulturspezifischer Symbolsysteme begreifen lassen. Betroffen von solcher Umbzw. Doppelcodierung ist einerseits der höfische Tafeldienst, der bei Wolfram in Minnesituationen erotisch codiert ist (vgl. Kapitel III.2.2.2); andererseits die in den Minnemahlszenen aufgetragenen höfischen Speisen (v. a. Fleisch- und Fischgerichte), die einen auf die Minne bezogenen Zeichencharakter annehmen (vgl. Kapitel III.2.4). Des Weiteren hat die Untersuchung gezeigt, dass durch Markierungen auf Textebene auch unterschiedliche Anspielungshorizonte, die die Semiose der dargestellten alimentären Handlungen und Objekte steuern, gleichzeitig aufgerufen werden können. So z. B. wirken an der Codierung des Nahrungs- 180 Essen - Trinken - Liebe: Semiotik des Alimentären handelns Parzivals auf Pelrapaire (Buch IV) nicht nur höfische Verhaltensideale mit, sondern zugleich auch heilsgeschichtliche Bedeutungsdimensionen, die über Strukturanalogien zu biblischen Erzählungen evoziert werden (vgl. Kapitel III.2.3); wobei sich solche Doppel- und Mehrfachcodierungen des Alimentären durch die Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik indirekt auf die Semantik des dargestellten Minnegeschehens auswirken. Der Vergleich mit Chrétiens ‹ Perceval › hat gezeigt, dass das Prinzip der Verknüpfung von Nahrungshandeln und Minne im altfranzösischen Text angelegt ist (Minne und Jagd / Minne und Nahrungsaufnahme), dass es sich bei Wolfram jedoch auf zusätzliche Bereiche des Alimentären erstreckt (Mahl, Gabe, Nahrungsmittel) und oftmals nicht nur zwei oder drei Textelemente in Beziehung zueinander setzt, sondern eine Vielzahl, wodurch sich semiotisch kohärente Reihen ausbilden, die großräumig über ganze Handlungsstränge hinweg Sinnpotenziale erzeugen. Dabei handelt es sich bei den zahlreichen Textstellen, die zwar bei Wolfram, nicht aber Chrétien vorkommen, zumeist nicht um Neuschöpfungen. Vielmehr werden im altfranzösischen Text eher beiläufig erwähnte alimentäre Handlungen und Objekte von Wolfram aufgegriffen und auf unterschiedliche Weise bearbeitet: Sie können adaptiert und in andere Handlungszusammenhänge eingefügt sein (z. B. afrz. pertris [ ‹ Perceval › V. 7482] / mhd. pardrîse [ ‹ Parzival › V. 423,20; 131,28]) oder mittels textinterner Verfahren in Hinblick auf die Minnethematik umcodiert sein (z. B. Percevals Mahl in Blancheflors Burg [ ‹ Perceval › V. 1905 - 1922] / Parzivals Mahl auf Pelrapaire [ ‹ Parzival › V. 190,9 - 191,6]). Des Weiteren können kurze, summarische Erwähnungen von Nahrungsaspekten im ‹ Parzival › narrativ entfaltet, um zusätzliche Handlungsträger und -sequenzen erweitert und zu eigenständigen Szenen ausgebaut sein (z. B. Orgueilleux verstößt seine Geliebte, speist allein [ ‹ Perceval › V. 833] / Orilus - Jeschute: Trennung von Tisch und Bett [ ‹ Parzival › V. 136,26 - 27]). Ausgehend von der These, dass sich poetische Aspekte des Alimentären in einem literarischen Text mittels semiotischer Analysen erschließen lassen, ging es bei den hier vorgenommenen Untersuchungen einzelner Textstellen stets auch darum, nach Auswirkungen zu fragen, die die Darstellung von alimentären Handlungen und Objekten auf die Gestaltung des Erzählens von Minne hat. Die diesbezüglich gewonnenen Erkenntnisse werden im Folgenden reflektiert und geordnet, um dann, darauf aufbauend, poetische Funktionen der Nahrungsthematik in Hinblick auf den gesamten Text zu untersuchen. 181 Ergebnisse zum alimentären Liebescode im ‹ Parzival › IV. Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Die Zeichenrelationen zwischen Nahrungs- und Minnethematik erzeugen Sinneffekte, die sich - dies hat die bisherige Untersuchung gezeigt - auf die Gestaltung des Erzählens auswirken. Wenn man die diesbezüglichen Beobachtungen ordnet, ergeben sich grundsätzlich zwei Untersuchungsfelder: Zum einen haben die Nahrungsdarstellungen Auswirkungen auf die Konstituierung der literarischen Entwürfe von Minne (z. B. pejorative Konnotationen kulinarischer Liebesgaben, erotisch-sexuelle Konnotationen der Jagd). Zum anderen haben sie Effekte, die die Minnedarstellungen zwar betreffen, die aber darüber hinausgehen, indem sie Aspekte der Figurendarstellung (z. B. Christus-Analogien der Parzival-Figur), des Handlungsaufbaus (z. B. Entwurf von Sujet- und Handlungsoptionen in Mahlszenen) sowie der Textkohärenz (Verknüpfung von Textelementen über alimentäre Wörter, Motive) tangieren. Solche poetischen Funktionen 1 werden im Folgenden in Hinblick auf den gesamten Text untersucht, wobei in zwei Schritten vorgegangen wird. In 1 Die poetische Funktion, die in der Forschung bisweilen auch als ‹ ästhetische Funktion › bezeichnet wird, betrifft jene Aspekte einer Äußerung, «die auf der Inhalts- oder Ausdrucksebene auf das Zeichengebilde selbst, seine interne Konstruktion und Organisation, seinen systematischen Zustand aufmerksam machen und diesen so ‹ in den Vordergrund rücken › » (Fleischer, Michael: Art. ‹ Poetische Funktion › , in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Band III. P - Z, S. 105 f.). Roman Jakobson unterscheidet in seinem Sprachmodell zwischen emotiver, konativer, referentieller, phatischer, metasprachlicher und poetischer Sprachfunktion. Ihm zufolge ist die poetische Funktion der Sprache die «Ausrichtung auf die Botschaft um ihrer selbst willen» (Jakobson, Roman: Linguistik und Poetik [1960], in: Jakobson, Roman: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921 - 1971, hg. von Elmar Holenstein und Tarcisius Schelbert, S. 83 - 119, bes. S. 88 - 94). Wenn im Folgenden von ‹ poetischen Funktionen des Alimentären › gesprochen wird, dann soll damit angezeigt werden, dass alimentäre Aussagen im Text nicht primär in Hinblick auf ihren ‹ begrifflichen Inhalt › , ihre referentielle oder denotative Funktion untersucht werden, sondern in Bezug auf gestalterische Aspekte, also in Bezug auf Verfahren der Selektion, der Kombination oder auf Merkmale der Äquivalenz und deren Auswirkungen auf die Gestaltung des Erzählens. Kapitel IV. 1 werden, unter Einbezug aller Minnepaare des Textes, poetische Funktionen des Alimentären für die Darstellung von Minne beleuchtet. In Kapitel IV. 2 wird dann nach darüber hinausgehenden poetischen Funktionen gefragt. Hierfür wird die Materialbasis erweitert und alle - auch die nicht auf Minne bezogenen - Textstellen des ‹ Parzival › , an denen Nahrungsaspekte vorkommen, werden einbezogen. 1. Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe von Minne Vor allem Rüdiger Schnell wandte sich, angesichts der Unterschiedlichkeit und Vielfalt höfischer Liebesdarstellungen, bereits in frühen Arbeiten gegen die weit verbreitete Ansicht, wonach ‹ die › höfische Minne als ein Set fest umreißbarer, vorkonstruierter Minnekonzeptionen ( ‹ ehebrecherische Liebe › , ‹ Entsagungsliebe › , ‹ unerfüllte Liebe › usw.) beschreibbar ist. 2 Vor allem ihm ist es zu verdanken, dass in der jüngeren Forschung die Auffassung vertreten wird, höfische Liebe lasse sich gerade nicht als feste Größe ante rem begreifen, das heißt als mehr oder weniger vollständig vorab definiertes Konzept, welches die Texte gleichsam generiert, oder als ein der literarischen Gestaltung vorausliegender ‹ Erfahrungsinhalt › , der in den Texten ‹ bewältigt › würde. Stattdessen wird heute davon ausgegangen, dass die höfische Liebe als genuin literarisches Phänomen in ihren spezifischen Sinnakzentuierungen in den Einzeltexten jeweils neu entworfen wird und ihre spezifische Kontur erst durch die konkrete Sprachgestalt erhält. 3 Diese Auffassung hat wesentlich dazu beigetragen, dass 2 Vgl. Schnell, Rüdiger: Die ‹ höfische › Liebe als ‹ höfischer › Diskurs über die Liebe, in: Fleckenstein, Josef (Hg.): Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, Göttingen 1990, S. 231 - 301. 3 Vgl. Egidi, Margreth: Höfische Liebe. Entwürfe der Sangspruchdichtung. Literarische Verfahrensweisen von Reinmar von Zweter bis Frauenlob, Heidelberg 2002 (Germanisch-romanische Monatsschrift, Beiheft 17), S. 31; ferner Mertens, Volker: Autor, Text und Performanz. Überlegungen zu Liedern Walthers von der Vogelweide, in: Dauven-Van Knippenberg, Carla/ Birkhan, Helmut (Hgg.): Sô wold ich in fröiden singen. Festgabe für Antonius H. Touber zum 65. Geburtstag, Amsterdam 1995 (Amsterdamer Beiträge zur Älteren Germanistik 43 - 44), S. 379 - 397, hier 184 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › sich in der Forschung in den letzten Jahrzehnten ein Perspektivenwechsel vollzogen hat, weg von der Frage nach Liebeskonzeptionen, hin zur Frage nach der sprachlich-ästhetischen Gestalt höfischer Minnedichtung. 4 Dieser Wechsel ist auch in der ‹ Parzival › -Forschung spürbar. Zwar sind die Untersuchungen zur Minnethematik bis heute z. T. von der früheren Forschung beeinflusst, die die vielfältigen Minnedarstellungen im ‹ Parzival › auf einzelne, dem Text vorausgehende Liebeskonzepte ( ‹ hohe Minne › , ‹ höfische Minne › , ‹ Minne als Dienst › , ‹ Minne als Genuss › usw.) zurückzuführen suchte. 5 Doch heute diskutiert man Wolframs Paar-Beziehungen verstärkt unter den Vorzeichen ihrer sprachlichen Verfasstheit, indem die poetischen Mittel der Darstellung, die Art und Weise, wie von Minne erzählt wird, in Hinblick auf ihren Anteil an der Konstituierung der im Text entworfenen Liebesauffassungen untersucht werden. 6 Hierzu gehören auch die bereits erwähnten Arbeiten von Rüdiger Schnell, Beatrice Trînca und Dorothea Heinig, die sich mit den Jagdmotiven im ‹ Parzival › beschäftigen und nach deren Auswirkungen auf die Figuren- und Minnedarstellungen fragen. 7 Für die anderen Bereiche der Nahrungsthematik liegen keine entsprechenden Untersuchungen vor. 8 Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung ist die in Kapitel III gewonnene Einsicht, dass, wenn man sich mit dem Kulturthema Essen und Trinken S. 383 - 386 u. S. 396 f. Egidi weist darauf hin, dass ‹ neu › nicht im Sinne einer emphatischen Abkehr vom Tradierten gemeint sein kann, da die einzelnen Liebesentwürfe stets auf einen verbindlichen Rahmen und über diesen hinaus auch auf die Entwürfe vorausgehender Texte bezogen sind (vgl. Egidi, Höfische Liebe, S. 31). 4 Vgl. den Forschungsüberblick bei Schnell, Causa amoris, S. 15; ferner: Eikelmann, Manfred: Denkformen im Minnesang. Untersuchungen zu Aufbau, Erkenntnisleistung und Anwendungsgeschichte konditionaler Strukturmuster des Minnesangs bis um 1300, Tübingen 1988 (Hermaea 54), S. 1 f. 5 Zur älteren Forschung und deren Auswirkungen auf die späteren Forschergenerationen vgl. Karg, Ina: . . . sîn süeze sûrez ungemach . . . Erzählen von der Minne in Wolframs ‹ Parzival › , Göppingen 1993 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 591), S. 6 - 9. 6 Vgl. den Forschungsüberblick bei Karg, sîn süeze sûrez ungemach, sowie bei Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 161; zur strukturellen Funktion der Minnethematik im ‹ Parzival › vgl. den Forschungsüberblick bei Richter, Spiegelungen, S. 141 f. Anm. 623. 7 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe; Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 228 - 246; Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 157 - 183. 8 Mit Ausnahme von Trîncas Arbeit, die einen Abschnitt zur Erotik des Mahls enthält, in dem einige solche Aspekte zur Sprache kommen (vgl. Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 173 - 183). 185 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe beschäftigt und anfängt, Sinnschichten freizulegen, man unweigerlich auf andere Kulturthemen stößt: auf Themen wie Leben und Tod, Körper und Geist, Natur und Kultur. Dieser Befund erweckt den Eindruck, die fundamentalen Themen einer jeden Kultur stünden letztlich alle miteinander in Verbindung. Für die Frage nach der Poetik des Alimentären in der höfischen Minnedichtung heißt das, dass die Nahrungsthematik an der Konstituierung der literarischen Entwürfe von Minne beteiligt ist, und zwar insofern als die Gestaltung des Sprachmaterials, das Zusammenwirken von eigentlicher und uneigentlicher Rede, den Effekt einer Ambiguisierung der Minnedarstellungen hat. Die alimentären Handlungen und Bildlichkeiten fungieren als Vermittlungsformen von Minne, die die Semantik des höfischen Frauendiensts mit antagonistischen Tendenzen verbinden: mit Tod, Gewalt, Körper, Natur und Sexualität. Solche semantischen Ambiguisierungen werden im Folgenden anhand der Minnepaare im ‹ Parzival › aufgezeigt, wobei sich auch die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Minnedarstellungen abzeichnen wird. Auffallend ist vor allem die von den alimentären Inszenierungsformen der anderen Minnepaare grundsätzlich abweichende Darstellung der Liebe zwischen Parzival und Condwiramurs. Die Untersuchung der Minnedarstellungen im ‹ Parzival › erfolgt auf der Basis der Aufstellung von Ina Karg, wobei gegenüber Karg einzelne Änderungen vorgenommen werden. 9 Im Vergleich zu anderen Aufstellungen setzt Karg einen weiten Definitionsrahmen für eine Minnekonstellation an, was für die hier verfolgte Fragestellung den Vorteil hat, dass die Minnethematik im ‹ Parzival › umfassend betrachtet werden kann. 10 Zu den Minnepaaren zählt 9 Vgl. Karg, sîn süeze sûrez ungemach, S. 17 - 31. Die Liebesthematik nimmt im ‹ Parzival › einen derart ausgeprägten Raum ein, dass in der jüngeren Forschung immer häufiger Zweifel am Postulat des vormals einseitig religiös bestimmten Romanentwurfs laut werden (vgl. Richter, Spiegelungen, S. 142). Nicht eine einzige Episode bleibt von der Minnethematik unberührt. Selbst in den Passagen, in denen der theologische Diskurs dominiert, wie etwa in Buch IX (Parzivals Aufenthalt bei Trevrizent), ist die Minnethematik vertreten (vgl. Richter, Spiegelungen, S. 142). Darüber hinaus enthält der ‹ Parzival › mehrere äußerst komplexe Minnereflexionen und -exkurse. 10 Weitere Aufstellungen der Minneverhältnisse haben Helmut Brackert (Brackert, Helmut: «der lac an riterschefte tôt.» Parzival und das Leid der Frauen, in: Krüger, Rüdiger/ Kühnel, Jürgen u. a. [Hgg.]: «Ist zwîvel herzen nâchgebûr». Günther Schweikle zum 60.Geburtstag, Stuttgart 1989 [Helfant-Studien 5], S. 143 - 163) und Julia Richter (Spiegelungen) vorgenommen. Während Brackert lediglich die vom Minneschmerz betroffenen Frauen in seiner Auflistung anführt, beschränkt Richter ihre Darstellung auf Minnepaarkonstellationen, die durch den ritterlichen Minnedienst, ein Eheverhältnis, ein Eheversprechen oder eine sexuelle Verbindung 186 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › sie vier Gruppen von Beziehungen zwischen Mann und Frau: erstens zustande gekommene Minnebeziehungen (z. B. Gandin / Schoette), zweitens sich anbahnende Minnebeziehungen, die nicht zustande kommen (z. B. Parzival / Repanse de Schoye), drittens abgewiesene Minneangebote (z. B. Parzival / Orgeluse) und viertens erzwungene Minnebegegnungen (z. B. Parzival / Jeschute). Bei Karg nicht aufgeführt, jedoch hier aufgenommen, werden folgende Paare: Urians und die Jungfrau (erzwungene Minnebegegnung), Parzival und die Hofdamen der Gralsburg (abgewiesenes Minneangebot), Gawan und die Hofdamen von Schastel marveile (abgewiesenes Minneangebot) sowie Keye / Kingrun und Cunneware (abgewiesenes Minneangebot). Dagegen wird das Verhältnis zwischen Orgeluse und Gramoflanz hier nicht als Paarbeziehung aufgeführt, da die beiden von Beginn an eine Feindschaft hegen und eine Minnebeziehung weder jemals bestand noch sich jemals anbahnte. In der folgenden tabellarischen Auflistung werden die Paarbeziehungen in zwei Gruppen eingeteilt: zum einen in Minnebeziehungen, die in die Handlung integriert sind (Tabelle I); zum anderen in Minnebeziehungen, deren Geschichte nicht als Handlung entfaltet wird, sondern die lediglich in Erzählerkommentaren oder Figurenreden zur Sprache kommt (Tabelle II). Vom Gegenwartszeitpunkt der erzählten Geschichte aus gesehen, liegen diese Beziehungen häufig in der Vergangenheit, da einer der Partner oder beide bereits tot sind (z. B. Sigune / Schionatulander). In anderen Fällen handelt es sich um Paare, bei denen zwar einer der Minnepartner in den Erzählzusammenhang eingebunden ist, der andere aber nicht in Erscheinung tritt (z. B. Feirefiz / Sekundille). Wieder in anderen Fällen treten zwar beide Minnepartner als handelnde Figuren auf, jedoch wird ihr Minneverhältnis lediglich angedeutet und ist nicht Gegenstand der erzählten Geschichte (z. B. Lischoys Gwelljus / Cundrie). In der zweiten Spalte der Tabelle wird angegeben, bei welchen Minnepaaren die Nahrungsthematik vorkommt ( ‹ + › : Nahrungsthematik kommt vor; ‹ - › : Nahrungsthematik kommt nicht vor), wobei hier nicht eigens zwischen den einzelnen Bereichen der Nahrungsthematik (Gabe, Mahl, Nahrungsaufnahme, Nahrungsmittel, Jagd) unterschieden wird. gekennzeichnet sind. Sich anbahnende Minnebeziehungen zwischen Mann und Frau, die nicht zustande kommen, werden bei Richter nicht berücksichtigt (vgl. Richter, Spiegelungen, S. 142 Anm. 625). 187 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe Tabelle I: In die Handlung integrierte Minnebeziehungen Minnepaar Nahrungsthematik Gahmuret/ Belakane + Gahmuret/ Herzeloyde + Parzival/ Jeschute + Parzival/ Liaze + Parzival/ Condwiramurs + Parzival/ Hofdamen der Gralsburg + Condwiramurs/ Clamide + Jeschute/ Orilus + Gawan/ Obilot - Obie/ Meljanz - Gawan/ Antikonie + Gawan/ Orgeluse + Gawan/ Bene + Gawan/ Hofdamen von Schastel marveile + Orgeluse/ Parzival + Gramoflanz/ Itonje + Feirefiz/ Repanse de Schoye + Tabelle II: In Erzählerkommentaren und Figurenreden erwähnte Minnebeziehungen Minnepaar Nahrungsthematik Gandin/ Schoette - Galoes/ Annore - Belakane/ Isenhart + Gahmuret/ Ampflise - Herzeloyde/ Castis - Condwiramurs/ Schenteflurs - Keye/ Kingrun/ Cunneware + Parzival/ Repanse de Schoye - Clamide/ Cunneware - Orgeluse/ Cidegast - Orgeluse/ Anfortas - 188 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Minnepaar Nahrungsthematik Lischoys Gwelljus/ Cundrie - Sangive/ Florand - Feirefiz/ Sekundille - Sigune/ Schionatulander - Feirefiz/ Clauditte - Feirefiz/ Olimpia - Ilynot/ Florie - Frimutel/ X (Geliebte unbenannt) - Kaylet/ Rischoyde - Klinschor/ Iblis - Iblis/ Gibert - Trevrizent/ X (Geliebte unbenannt) - Schoysiane/ Kyot von Katalonien - Urians/ Jungfrau + Loherangrin/ Fürstin von Brabant - Die Übersicht zeigt, dass die Nahrungsthematik in Bezug auf alle Minnepaare, die in die Handlung integriert sind, vorkommt, mit Ausnahme von Gawan / Obilot und Obie / Meljanz. Dieser Befund muss im Zusammenhang damit gesehen werden, dass der Bereich des Alimentären in der Episode von Gawans Aufenthalt auf Bearosche (Buch VII) insgesamt schwach vertreten ist und lediglich in der Bildsprache, die sich auf Kampfhandlungen bezieht, erscheint. 11 Angesichts der Durchgängigkeit, mit der Nahrungsaspekte an der Inszenierung von Minne im ‹ Parzival › mitwirken, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen das Fehlen der Nahrungsthematik auf die Konstituierung dieser beiden Entwürfe von Minne hat (vgl. Kapitel IV. 1.3). In Bezug auf die Minnebeziehungen, die in Erzählerkommentaren und Figurenreden thematisiert werden, kommt die Nahrungsthematik dagegen nur vereinzelt vor, was nicht verwundert, da es sich bei diesen Darstellungen zumeist nur um kurze, summarische Erwähnungen handelt. Eine Ausnahme bilden folgende Paare: Isenhart / Belakane (Trinkgefäße als Liebesgaben Isenharts an Belakane, V. 84,20 - 29), Keye / Kingrun / Cunneware (Minnedienst mit krapfen, V. 206,29 - 207,2) sowie Urians / Jungfrau (Urians ’ Essstrafe für die Vergewaltigung der Jungfrau, V. 524,17 - 18; 528,26 - 30). 11 Vgl. die tabellarische Übersicht über die Nahrungsthematik im ‹ Parzival › in Kapitel IV. 2. Eine Interpretation des Befunds erfolgt in Kapitel IV. 2.3. 189 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe 1.1 Minne im Spannungsfeld von Leben und Tod Befragt man die Entwürfe von höfischer Minne, wie sie in der höfischen Epik und Lyrik des 12. und 13. Jahrhunderts entfaltet werden, in Hinblick auf ihr Verhältnis zu Gewalt und Tod, stößt man auf eine grundlegende Aporie der mittelalterlichen Liebeskonzeptionen. 12 Denn einerseits stellt die höfische Minne - darüber herrscht in der Forschung seit Norbert Elias ’ Studie zum «Prozeß der Zivilisation» Einigkeit - ein kulturelles Medium zur Eindämmung und Kontrolle von affekt- und triebgesteuertem Handeln dar, indem sie Modelle für die Verbalisierung und psychische Gestaltung eigener Empfindungen, der Hinauszögerung oder gar der Versagung von Sexualhandlungen bietet und damit dem Ausbruch von Gewalt entgegenwirkt - der sexuellen Gewalt gegen Frauen sowie der Gewalt zwischen rivalisierenden Männern. 13 Andererseits aber sind Minne und Gewalt in der kulturellen Semantik des Frauendienstes unauflösbar miteinander verbunden. Wurde die gesellschaftliche Funktion der literarischen Liebesentwürfe in der früheren Forschung vordringlich im Bereich des Didaktischen verortet und Minne als eine Art Erziehungsmodell angesehen, das den affektiv handelnden Kriegeradligen von einer archaischen Stufe gesellschaftlich-zivilisatorischen Daseins auf eine höhere zu heben sucht, 14 wird sie heute eher im Bereich der Selbstbeschreibung der ‹ höfischen Gesellschaft › gesehen, die mittels der Leitdifferenz höfisch / unhöfisch um die Abgrenzung der höfischen gesellschaftlichen Sphäre gegenüber anderen Bereichen der mittelalterlichen Gesellschaft bemüht war. 15 Aus dieser Sicht kann Minne und das mit ihr assoziierte Inventar kultureller Techniken als ein Konstrukt aufgefasst werden, das für die höfische Kultur des Mittelalters insofern gesellschaftskonstitutitv war, 16 als sich die höfische Gesellschaft mit ihm in ihrem Selbstverständnis durch die Ideale der Selbstbeherrschung und Triebkontrolle von gesellschaftlichen 12 Vgl. Brackert, Parzival und das Leid der Frauen; Richter, Spiegelungen. 13 Vgl. Haug, Walter: Die höfische Liebe im Horizont der erotischen Diskurse des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Berlin 2004, S. 12; ferner Schweikle, Günther: Minnesang. 2., korrig. Aufl., Stuttgart 1995, S. 76 f. 14 Vgl. u. a. Schröter, Michael: Wildheit und Zähmung des erotischen Blicks bei deutschen Adelsgruppen im 13. Jahrhundert, in: Schröter, Michael: Erfahrungen mit Norbert Elias. Gesammelte Aufsätze, Frankfurt a. M. 1997 [Erstdruck 1987], S. 49 - 70. 15 Egidi, Höfische Liebe, S. 31. 16 Bumke, Höfische Kultur, S. 522 - 529; Schnell, Unterwerfung und Herrschaft, S. 117 f. 190 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Gruppen abgrenzte, die zu einer solchen Beherrschung von Affekten nicht in der Lage waren. 17 Dieses Erklärungsmodell verortet den Zusammenhang zwischen den literarischen Entwürfen von höfischer Minne und ihrem gesellschaftlichen Bezugsrahmen einerseits auf der Ebene der symbolischen Instituierung 18 der höfischen Gesellschaft, 19 wobei Minne zu denjenigen Imaginationen gehört, die es im höfisch-kulturellen Raum ermöglichen, qua gesellschaftliches Ideal Trieb- und Affekthandeln und in deren Folge Gewaltausübung zu kontrollieren. 20 Denn elementarer Bestandteil des Dienstes an der Geliebten ist es, sich im Kampf als der Beste, der Hervorragendste aller Ritter zu erweisen. 21 Die höfische Epik ist durchzogen von solchen Begebenheiten: Die Männer kämpfen für die Frauen als deren Minneritter, sie spornen sich in diesem Dienst zu ungeheuren kämpferischen Leistungen an, um das Gefallen der Frauen und deren Lohn zu erringen. Die Frauen wiederum verlangen von den Männern immer neue Proben der Bewährung, weil sich dadurch ihr Selbstwertgefühl steigert oder weil sie als Gebieterinnen den Schutz starker Männer brauchen. 22 Diese Koppelung von Minne und Gewalt bedeutet Gefährdung für die Liebenden: Der Mann ist durch seine Integration in die Welt des Kampfes der Gefahr ausgesetzt, sein Leben zu verlieren und damit das Wohlergehen seiner Dame aufs Spiel zu setzen. 23 Sie bedeutet darüber hinaus Gefährdung für den Erhalt von menschlicher Gesellschaft und Kultur insgesamt: Denn Ziel der kriegerischen Auseinandersetzungen ist letztlich die Vernichtung der gegnerischen Partei, die Auslöschung ihrer jeweiligen kulturellen Merkmale. 24 Das heißt, die Aporie höfischer Minne resultiert aus der Entmarkierung der Opposition von geschlechtlicher Liebe als der basalsten Form von mensch- 17 Vgl. Schnell, Unterwerfung und Herrschaft, S. 108 f. 18 Begriff nach: Castoriadis, Cornelius: Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie, Frankfurt a. M. 1990 [Erstdruck 1975]. 19 Vgl. Müller, Die Fiktion höfischer Liebe. 20 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 144. 21 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 146. 22 Brackert, Parzival und das Leid der Frauen, S. 153. 23 Richter, Spiegelungen, S. 146 f.; Brackert, Parzival und das Leid der Frauen, S. 147. 24 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 147. Zwar ist das Tjost- und Turnierwesen in der feudalen Kriegergesellschaft idealiter eine den regulativen Vorstellungen und Faktoren der Gesellschaft unterworfene Institution und kann, ebenso wie der Frauendienst, als Mittel zur kontrollierten Ausübung von Gewalt der um Frauen konkurrierenden Männer gedeutet werden (vgl. Richter, Spiegelungen, S. 147). Dies funktioniert aber nicht immer: Egal wie restriktiv sie angewandt wird, Gewalt tendiert dazu auszuufern (vgl. Richter, Spiegelungen, S. 147; ebenso: Girard, René: Das Heilige und die Gewalt, Düsseldorf 2006 [Erstdruck 1972], S. 15). 191 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe licher Gemeinschaft und ihrem Gegenteil: Gegnerschaft, Gewalt und Tötung als deren Bedingungen. Dass Liebe in ihrer höfischen Form stets auch das Moment des Todes beinhaltet, dass Minne und Gewalt aufeinander bezogen sind, ist in der literarischen Tradition des Artusromans verankert. 25 Julia Richter hat in ihrer Untersuchung zur Erzählweise des ‹ Parzival › , die sie unter Hinzuziehung theoretischer Ansätze zum paradigmatischen Erzählen vornimmt, gezeigt, dass die Problematik von Minne und Gewalt bei Wolfram in spezifischer Weise ausgestaltet ist. 26 Sie stellt ein dominantes Erzählparadigma des ‹ Parzival › dar, das sich in den variierenden Geschichten der Minnepaare konstituiert und sich wie ein Netz über den gesamten Roman legt. 27 Von den ca. 40 verschiedenen Minnebeziehungen im ‹ Parzival › 28 enden insgesamt 15 mit dem Tod eines oder beider Minnepartner, zwei mit Kastration und vier mit Krieg. 29 Die Ritter des Romans werden in Tjosten getötet, im Kampf um die Ehre ihrer Geliebten, im Kampf mit Heiden und in Kriegen. 30 Die Frauen wiederum erliegen zumeist dem Leid, das auf den Verlust durch die Trennung bzw. den Tod des Minnepartners oder des Sohnes folgt. In manchen Fällen überleben sie und wenden sich einem anderen Minnepartner zu. 31 In wieder anderen Fällen werden die Minnedamen durch einen Liebeskrieg bedroht oder die Minnebeziehungen führen zur Kastration des männlichen Geliebten. 32 Das Minne-Gewalt / Tod-Paradigma beschränkt sich dabei nicht auf einen bestimmten Raum. Zwar erscheint das Gralsgeschlecht in einem erhöhten Maße vom desaströsen Ausgang der Minnebeziehungen betroffen, es spielt aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, wie dem Artushof, eine entscheidende Rolle. 33 Anders als in den sonstigen Artusromanen, in denen die Gegner der Helden zumeist dem Bereich des Nicht-Höfischen angehören, wodurch die Gefahr 25 Vgl. Brackert, Parzival und das Leid der Frauen, S. 150 f. 26 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 141 - 169. 27 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 142; ihre Ausführungen zum Thema Minne und Gewalt bauen auf den Überlegungen Helmut Brackerts (Parzival und das Leid der Frauen) auf. 28 Die Zahl ist wie oben bereits dargelegt Definitionssache. 29 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 165. 30 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 141. 31 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 161. 32 Richter definiert den Begriff des Minnekampfs als «kriegerische Handlungen, die mit dem Frauendienst in Zusammenhang stehen» und grenzt ihn von anderen kriegerischen Handlungen ab, bei denen Minne keine Rolle spielt (Richter, Spiegelungen, S. 151 Anm. 669). 33 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 141 - 169. 192 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › gebannt ist, ausufernde Gewalttaten im eigenen Kulturraum darstellen und rechtfertigen zu müssen, gehören die Ritter im ‹ Parzival › zwar unterschiedlichen Welten an, sie sind aber fast alle dem höfischen Kulturraum zugehörig und überdies durch ein Netz von Verwandtschaftsbeziehungen miteinander verbunden. Dadurch wird das ethische Konfliktpotenzial, das in Ritterkämpfen enthalten ist, die Sünde, die das Töten im christlichen Kontext darstellt, anders als in den hartmannschen Romanen und deren Nachfolgern, nicht ausgeblendet, sondern noch verschärft. 34 Nach Richter besteht zwischen Hartmanns Romanen und Wolframs ‹ Parzival › ein grundlegender Unterschied: Während bei Hartmann und seinen Nachfolgern Minne und Gewalt / Tod im Text als oppositive Größen gesetzt sind, die dann sukzessive dekonstruiert werden, vermeidet Wolfram nicht nur die Setzung einer für die Dekonstruktion anfälligen Opposition, sondern lässt die Opposition von Minne und Gewalt / Tod von vornherein als aufgelöst erscheinen. 35 Dies zeigt Richter anhand einzelner Sujet- und Handlungskonstellationen im ‹ Parzival › auf; so etwa anhand der Klagerede Schoettes beim Abschied von ihrem Sohn Gahmuret (V. 10,15 - 25), in der die für den Text zentralen Motive erstmals vorkommen: der Tod des Ritters bzw. Herrschers im (Minne-)Kampf, die Notwendigkeit der gewalttätigen Auseinandersetzung sowie das daraus resultierende (tödliche) Leid der betroffenen Frau. 36 Entscheidend dabei ist - und dies gehört zu den eindrücklichsten Ergebnissen von Richters Studie - , dass eine solche Konstellation eine andere Textbewegung zur Folge hat als eine durch den Text erst zu dekonstruierende Opposition. 37 Durch die von vornherein gegebene Entmarkierung der Opposition von Minne und Gewalt wird die Darstellung der höfischen Gemeinschaft temporalisiert, da eine Ordnung, die den Minnepaaren in Hinblick auf ihren gesellschaftlichen Status Stabilität gewährleisten könnte, dispensiert ist. 38 Stattdessen ruft das System der höfischen Minne, das eine solche Ordnung eigentlich herstellen sollte, die Verunsicherung und das Chaos im kulturellen Raum selbst hervor. 39 Dadurch ist die gesellschaftliche Struktur, die im ‹ Parzival › dargestellt wird, beständig in einem Prozess des Zerfalls begriffen, der aber gerade durch die immer wieder erneute Bestätigung des Systems arretiert und in einem Zustand der Schwebe gehalten wird. 40 34 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 149. 35 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 149. 36 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 150 f. 37 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 149 Anm. 661. 38 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 163. 39 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 163. 40 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 162 f. 193 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe Mit anderen Worten: Der gewaltbedingte Tod erscheint als Kontingenzphänomen, das in alle Minnebeziehungen zu jeder Zeit einbrechen kann, zugleich bleibt jedoch stets die Möglichkeit bestehen, dass gerade dies nicht geschieht, wie sich an der Liebe Parzivals zu Condwiramurs und der Gawans zu Orgeluse zeigt. 41 Stellt man nun die Frage nach der je spezifischen Kontur, die die Minnedarstellungen im ‹ Parzival › durch die Nahrungsthematik gewinnen, dann zeigt sich, dass sich die Entmarkierung von Minne und Gewalt / Tod, wie sie Richter für das auf der Handlungsebene dargestellte Minnegeschehen feststellt, nicht auf die Strukturierung der Elemente auf dieser Textebene beschränkt, sondern bis in die Verknüpfungsformen zwischen Erzählen und Erzähltem hineingetrieben ist. Durch das Zusammenwirken von Ausdrucksebene und dem, was auf der Handlungsebene situiert ist, werden Minne und Gewalt / Tod immer wieder aufs Neue zu einer Denkfigur zusammengeschlossen, mit dem Effekt, dass den Minnedarstellungen das Moment von Gewalt, Zerstörung und Tod auch in Situationen eingeschrieben ist, in denen die Handlung selbst (noch) nichts von einem solchen Ausgang ahnen lässt. Das Motiv, anhand dessen sich solche semantischen Komplexisierungen vollziehen, ist die (Vogel-)Jagd, 42 die sich wie ein Leitmotiv durch den ‹ Parzival › zieht und die in unterschiedlicher Weise als Vermittlungsform von Minne fungiert (vgl. Kapitel III.2.5). Dass die Verbindung von Jagd und Minne kein Spezifikum von Wolframs ‹ Parzival › ist, wurde bereits dargelegt. 43 Chrétien kennt sie, Wolfram baut sie aus, fügt naturkundliches Wissen ein und stellt - wie kein anderer mittelhochdeutscher Dichter - ein komplexes Geflecht von Bezügen zwischen Jägern und Beutetieren her, sowohl auf der Handlungsebene als auch in Metaphern und Vergleichen. 44 In der Forschung wurde der Zusammenhang von Jagd und Minne erkannt, die entsprechenden Textstellen wurden in Hinblick auf das Jagdwissen der Zeit dechiffriert sowie die sexuellen Anspielungen im Bedeutungsfeld der Jagd aufgezeigt. 45 Dass das Motiv der Jagd in der höfischen Epik des 12. und 41 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 163. 42 Die Untersuchungen in Kapitel III.2.5 haben gezeigt, dass es sich bei der Verbindung von Jagd und Minne im ‹ Parzival › zumeist um einen bestimmten Typus von Jagd handelt, nämlich um die Jagd mit Vögeln nach Feder- und Felltieren bzw. die Jagd nach Federtieren mit Vogelfallen. 43 Vgl. Kapitel III.1.2 und III.2.5. 44 Vgl. Kapitel III.1.2 und III.2.5; ferner Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 157 - 172. 45 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe; Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 157 - 172; Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 228 - 246. 194 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › 13. Jahrhunderts für erotisches Begehren und Sexualität stehen kann, ist mittlerweile opinio communis. Die vorliegende Untersuchung hat nun aber gezeigt, dass Erotik und Sexualität nicht alle für die Darstellung von Minne relevanten Aspekte des Bildfelds der Jagd ausmachen, sondern dass ein anderer hinzu kommt, der in der Forschung bislang nicht berücksichtigt wurde: Mit der Jagd wird eine bestimmte Beziehungskonstellation aufgerufen, die durch die Verknüpfung von Jagd und Minne auf das Minneverhältnis projiziert wird: das Verhältnis nämlich von Jäger und Beute als ein Verhältnis, bei dem einer als Sieger hervorgeht, der andere jedoch mit dem Tod bezahlen muss - ein Verhältnis also, das unweigerlich auf Tod und Zerstörung hinausläuft. 46 Wer von beiden, Jäger oder Beute, mit dem Tod bezahlen muss, ist dabei alles andere als ausgemacht. Fängt der Jäger seine Beute, dann endet das Leben des Beutetiers. Ist der Jäger jedoch nicht im Stande, seine Beute zu erlegen, dann endet sein eigenes Leben. Durch die Übertragung dieser Konstellation auf das Minnegeschehen erfolgt eine Entmarkierung der Opposition von Liebe und Tod, und zwar insofern als die Beziehung zwischen Mann und Frau als eine erscheint, die unweigerlich auf die Zerstörung eines der Minnepartner hinausläuft. Aber damit nicht genug: Das Bildfeld des Jagens und Gejagt-Werdens, in dessen Fluchtpunkt Fressen und Gefressen-Werden stehen, hat auch einen symbiotischen Aspekt. Denn das Aufessen des Opfertiers bedeutet zugleich auch seine totale Aneignung. In der Metapher der Minne als Jagd sind die semantischen Potenziale von totaler Zerstörung und totaler Vereinigung unauflöslich ineinander verschränkt. Betrachtet man die Stellen im ‹ Parzival › , an denen (Vogel-)Jagd und Minne aufeinander bezogen sind, fällt zum einen auf, dass die Jagdthematik in Bezug auf alle Minnebeziehungen, die in die Handlung integriert sind, vorkommt, 47 46 Vgl. Kapitel III.1.1. Die Jagd kommt in der höfischen Epik freilich nicht nur im Zusammenhang mit Minne vor, sondern vielfach auch in Verbindung mit der Darstellung von kriegerischen Handlungen und Absichten (vgl. z. B. den Kommentar von Joachim Heinzle in: Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Nach der Handschrift 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen. Mittelhochdeutscher Text, Übersetzung, Kommentar. Hg. v. Joachim Heinzle. Mit den Miniaturen aus der Wolfenbütteler Handschrift u. einem Aufsatz v. Peter u. Dorothea Diemer, Frankfurt a. M. 1991 [Bibliothek des Mittelalters 9; Bibliothek deutscher Klassiker 69], S. 1005). 47 Vgl. Gahmuret / Belakane: V. 33,4; 35,30 - 36,1; 57,10 - 14; Gahmuret / Herzeloyde: V. 63,20 - 25; 64,7 - 9; 104,8 - 17; Parzival / Jeschute: V. 132,2; Jeschute / Orilus: V. 135,11; 273,26; Gawan / Antikonie: V. 406,28 - 407,1; 409,26; 424,3 - 6; 425,21; 427,16; Gawan / Orgeluse: V. 508,28 - 30; 515,13; 622,8 - 13; Gawan / Bene: V. 550,28 - 551,2; Gramoflanz / Itonje: V. 605,3 - 7; 721,18 - 28; 722,19. Vgl. die tabel- 195 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe mit Ausnahme von Parzival / Condwiramurs und Feirefiz / Repanse de Schoye. 48 Zum anderen fällt auf, dass die Bezüge nicht willkürlich auftreten, sondern dass sie an bestimmte Situationstypen gekoppelt sind. Die Jagdthematik erscheint nämlich zumeist nicht an Stellen, an denen es um die Trennung der Liebenden, den Verlust oder den Tod eines der Minnepartner geht, sondern an solchen, an denen sich Minneverhältnisse anbahnen bzw. an denen die Liebenden glücklich vereint sind. 49 Eröffnet wird das Minne- / Jagd-Paradigma mit Gahmuret und Belakane, die beim Begrüßungsmahl, das Belakane für Gahmuret und dessen Gefolge ausrichtet, mit einem Reiher und einem Fisch assoziiert werden (V. 33,4; dazu Kapitel I.1). Es tritt erneut auf, als Gahmuret bei seiner Ankunft in Toledo auf die dortige Herrscherin Herzeloyde trifft, deren Glanz und Schönheit ihn im Sattel hochschnellen lassen (V. 64,4 - 8). Der Zusammenhang zwischen Jagd und Minne wird in dieser Szene subtil, zunächst durch die Beschreibung von Gahmurets Kleidung, die er beim Einzug in die Stadt trägt, aufgebaut: So erinnert bereits der grüne Samtumhang mit dem schwarz schimmernden Zobelbesatz, unter dem die Spitze des weißen Hemdes hervorschaut, an die Farben des Gefieders eines Jagdvogels (V. 63,23 - 25). 50 Entsprechend vergleicht der Erzähler Gahmuret in dem Augenblick, in dem jener Herzeloyde zum ersten Mal sieht, mit einem Falken, der Beute wittert (V. 64,7 - 8; dazu: Kapitel III.1.1). Des Weiteren ist das Minne- / Jagd-Paradigma in Bezug auf Parzival wirksam, und zwar bei dessen erster Begegnung mit Jeschute in deren Zelt: larische Übersicht über die Textstellen, an denen Minne und Jagd inhaltlich in direktem Zusammenhang stehen in Kapitel III.2.5; eine Gesamtübersicht über die Jagd- und Vogelthematik im ‹ Parzival › wird in Kapitel IV. 2.3.1 gegeben. 48 Und mit Ausnahme auch von Gawan / Obilot und Obie / Meljanz, in Bezug auf die die Nahrungsthematik insgesamt nicht vorkommt (vgl. zu diesem Befund Kapitel IV. 1.3). 49 Eine Ausnahme bildet zum einen Herzeloydes Traum, in welchem ein Greifvogel vorkommt, der ihre rechte Hand an sich reißt (V. 104,8), was sich in Hinblick auf den zerstörerischen Drang Gahmurets auslegen lässt (vgl. Kapitel III.1.1); zum anderen der Vergleich zwischen der von Gahmuret verlassenen Belakane mit einer Turteltaube, die auf einem dürren Zweig Zuflucht sucht (vgl. dazu weiter unten in diesem Kapitel). 50 Ähnliches stellt Franziska Wessel für Isoldes Kleidung, die jene bei ihrem ersten Auftritt im ‹ Tristan › -Roman trägt ( ‹ Tristan › V. 10902 f.), fest: Der Mantel aus violettem Stoff, der mit weißem Hermelin gefüttert und von schwarz und grau gesprenkeltem Zobel eingefasst ist, erweckt - so Wessel - durch seine Tönung den Eindruck eines Federkleides (vgl. Wessel, Franziska: Probleme der Metaphorik und die Minnemetaphorik in Gottfrieds von Straßburg ‹ Tristan und Isolde › , München 1984 [Münstersche Mittelalter-Schriften 54], S. 304 f.). 196 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Die Formulierung einen guoten kropf er az (V. 132,2) spielt nämlich nicht nur auf die Gier an, mit der sich Parzival über die neben dem Bett stehenden Speisen hermacht, 51 sondern der Begriff kropf als einer «Ausstülpung der Speiseröhre bei Vögeln, in der die Nahrung aufbewahrt und vorverdaut wird, bevor sie in den Magen gelangt», 52 evoziert zugleich auch das Bild eines Vogelkörpers. Jeschutes Reaktion auf Parzivals Hunger wiederum: ir solt mîn ezzen nieht (V. 131,24) rückt jene in die Position des Beutetiers, was zur Folge hat, dass Parzival indirekt als Raubvogel erscheint - als Raubvogel allerdings, der nicht ‹ zuschlägt › , sondern der sich mit dem Verzehr von Gebackenem (brôt, V. 131,27) und Gebratenem (pardrîsekîn, V. 131,28) begnügt, das heißt mit Nahrung, die für einen Raubvogel nur zum Teil interessant ist. 53 Die Ausführungen zeigen, dass die Bildsprache der Jagd an dieser Stelle das auf der Handlungsebene dargestellte Geschehen, die falsche Ausrichtung von Parzivals Handeln in Jeschutes Zelt, reflektiert. 54 Ähnlich verhält es sich auch bei der Darstellung von Gawans Minnebegegnungen: Sowohl seine Annäherung an Antikonie als auch seine Begegnungen mit Orgeluse und Bene sind von der Bildsprache der Jagd geprägt. 55 Und schließlich erscheint die Jagdthematik im Zusammenhang mit Gramoflanz ’ Werbung um Itonje. 56 Neben Szenen, in denen es um die erste Annäherung zwischen Mann und Frau geht, kommt die Verbindung von (Vogel-)Jagd und Minne auch in Szenen vor, in denen die Liebenden glücklich vereint sind. Hierzu gehören die Minnedarstellungen von Orilus / Jeschute und Orgeluse / Gawan. 57 Dass die Jagdthematik im ‹ Parzival › an Werbe- und Minneglücksituationen gekoppelt ist, mag mit den erotisch-sexuellen Konnotationen des Motivs zu erklären sein. Solche Verknüpfungen haben neben den erotischen Bedeutungspotenzialen, die das Motiv transportiert, jedoch - wie schon gesagt - noch einen anderen Effekt auf die Minnedarstellungen. Durch das Zusammenspiel von eigentlicher und uneigentlicher Rede werden Minne und Gewalt / Tod in eine korrelative Struktur eingebunden, in welcher der eine Pol den anderen bereits im Kern beinhaltet. Das heißt, den Minnedarstellungen ist das semantische 51 So Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 57. 52 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 57. 53 Ähnliches stellt Trînca für die auf Gawan bezogene Jagdmetaphorik in Buch VIII fest (vgl. Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 168). 54 Zur Interpretation des Handlungsverlaufs vgl. Kapitel III.1.2. 55 Zur Antikonie-Szene (V. 404,21 - 407,19) vgl. Kapitel III.1.1 und III.1.2; zur Begegnung mit Orgeluse (V. 508,26 - 28) vgl. Kapitel III.1.1; zur Begegnung mit Bene (V. 550,2 - 552,5) vgl. Kapitel III.1.2. 56 Vgl. V. 721,18 - 28, dazu Kapitel III.1.2. 57 Zu Orilus- / Jeschute-Szene (V. 273,12 - 30) vgl. Kapitel III.1.2; zur Orgeluse- / Gawan-Szene (V. 621,20 - 622,30) vgl. Kapitel III.2.2.1. 197 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe Potenzial von gewaltsamer Zerstörung und Tod bereits da inhärent, wo der Handlungsverlauf (noch) in entgegengesetzte Richtung verweist: wo er auf Vergemeinschaftung der Liebenden zusteuert bzw. wo der Höhepunkt des Minneglücks erreicht ist. Richters Beobachtung, wonach in den Minnesujets des ‹ Parzival › die Opposition von Minne und Gewalt / Tod von vornherein aufgelöst ist, kommt in der Metapher der Minne als Jagd, mit der die Darstellung vieler Paarbeziehungen im ‹ Parzival › eröffnet wird, in kondensierter Form zum Ausdruck. Die Ambivalenz der Bildsprache lässt dabei keine eindeutigen Schlüsse zu, welcher der Akteure als Sieger, welcher als Verlierer hervorgehen wird. Dies gilt bereits für Paare, bei denen die Rollenverteilung von Beginn an festgelegt ist, wie es bei Gahmuret und Herzeloyde der Fall ist (Buch I). Die Darstellung dieser Minnebeziehung zeichnet sich dadurch aus, dass Gahmuret wiederholt mit einem Jagdvogel assoziiert wird (V. 63,20 - 25; 64,7 - 9; 71,15 - 21; 104,8 - 17), wodurch Herzeloyde in die Position des Beutetiers rückt. 58 Damit ist aber noch lange nicht klar, wer von den beiden leben und wer sterben wird. Denn wer sagt denn, dass Gahmuret, der bei der ersten Begegnung mit Herzeloyde wie ein Beute witternder Falke im Sattel hochschnellt (V. 64,3 - 8), das anvisierte Objekt der Begierde tatsächlich erwischen wird? Das heißt, das Jagdbild setzt die Kontingenz des minnebedingten Todes auf metaphorischer Ebene in Szene. Solche Ambivalenz der Bildsprache erfährt eine weitere Ausgestaltung bei den Paaren, bei denen eindeutige Zuordnungen der Positionen nicht möglich sind. Im Fall von Gahmuret und Belakane etwa verhält es sich so, dass zunächst beide Minnepartner sowohl als Jäger als auch als Beute imaginierbar sind, wodurch sich unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten abzeichnen (Reiher- / Fisch-Metapher, V. 33,4). 59 Diese Offenheit der Rollenzuteilung weicht im Laufe der Erzählung einer Vereindeutigung der Positionen: Gahmuret rückt durch entsprechende Vergleiche in die Position des Jägers (V. 35,30 - 36,1; 40,26), Belakane in die des Beutetiers. Konkrete Gestalt nimmt diese Vorstellung am Schluss der Episode an, wo Belakane mit einer Turteltaube verglichen wird, die aus Treue und Kummer um den verlorenen Partner Zuflucht auf einem dürren Zweig sucht (V. 57,10 - 14). In der Forschung ist sicher zu Recht angemerkt worden, dieses Bild verweise auf die mittelalterliche Vorstellung, nach der Turteltauben monogam sind und nach dem Verlust des Partners allein bleiben. 60 Im Bildfeld der Jagd aber, das den metaphorischen 58 Konkrete Gestalt nimmt diese Vorstellung in Herzeloydes Traum kurz vor Gahmurets Tod an, in dem ein Greifvogel erscheint, der Herzeloyde attackiert (V. 104,8). 59 Vgl. dazu Kapitel I.1. 60 Vgl. Nellmann, Kommentar, S. 486. 198 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Hintergrund dieser Episode ausmacht, stellt die Turteltaube zugleich auch ein Beutetier dar. Denn Gahmuret erscheint, anders als in den sonstigen Handlungsteilen (! ), in der Belakane-Episode nicht als Jagdvogel. Stattdessen wird er wiederholt mit Jagdutensilien assoziiert, die für den Vogelfang, ja insbesondere für den Fang von Tauben, vorgesehen waren: zum einen mit einer Armbrust (V. 35,30 - 36,1), zum anderen mit einem Vogelnetz (V. 40,26). 61 Einmal mehr zeigt sich, dass die Jagdmotive innerhalb der einzelnen Episoden des ‹ Parzival › genauestens aufeinander abgestimmt sind. 62 Die Episode schließt somit mit einem Jagdbild, das Belakanes existenzielle Bedrohung durch die Minne metaphorisch in Szene setzt, indem sie als exponierte Beute (Positionierung auf einem dürren Ast) für den Vogelfänger Gahmuret inszeniert wird. Inwiefern allerdings der Jäger seine Beute erlegen bzw. inwiefern Belakane ihre Liebe zu Gahmuret mit dem Tod bezahlen wird, bleibt an dieser Stelle wiederum offen. Erst aus nachträglicher Perspektive, wenn man von Belakanes traurigem Schicksal erfährt (V. 750,24 - 26), erscheint das Bild der Turteltaube auf dem dürren Zweig als metaphorische Vorausdeutung auf ihren Tod durch die Minne. Bei anderen Minnepaaren im ‹ Parzival › erfährt die Ambivalenz der Bildsprache der Jagd dadurch eine weitere Ausgestaltung, dass die Zuordnung der Rollen im Laufe der Erzählung changiert. Dies ist bei Gawan und Antikonie der Fall (Buch VIII): 63 Gawan, der bei seiner Begegnung mit Antikonie als Adler - das heißt, als wilder, unbezähmbarer Jagdvogel - imaginiert wird, der Jagd auf einen Vogel Strauß (Antikonie) macht (V. 406,28 - 407,1), erscheint an späterer Stelle seinerseits als Gejagter, der Zuflucht bei Antikonie sucht (V. 415,6 - 8) und der schließlich, von einer Lockspeise angelockt, in die Vogelfalle gerät (V. 425,21). Antikonie wiederum, zunächst als Vogel Strauß und damit als leichte Beute für den Adler (Gawan) imaginiert, wird an späterer Stelle, als Gawan beim Verteidigungskampf im Turm einen begehrlichen Blick auf sie wirft, mit einem Hasen am Bratspieß verglichen (V. 409,26). Dieser Vergleich passt in das zuvor im Text etablierte Bildfeld der Adlerjagd, denn Hasen gehören tatsächlich ins Beuteschema des Adlers. 64 Allerdings handelt es sich hier nicht um einen lebenden, sondern um einen gebratenen, das heißt für den menschlichen Magen präparierten Hasen. Dies könnte man so deuten, dass Antikonie auf metaphorischer Ebene zu einer Beute mutiert, die für Gawan 61 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 43 f. sowie S. 298 f. 62 Ähnliches stellen Susanne Köbele und Christian Kiening für Wolframs ‹ Titurel › fest (vgl. Köbele/ Kiening, Wilde Minne). Vgl. ausführlich zu diesem Aspekt Kapitel IV. 2.3.1. 63 Zur Semiotik der Jagdmotive in Buch VIII vgl. Kapitel III.1.1 und III.1.2. 64 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 260; Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 167. 199 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe (den Adler) an Reiz verliert. An späterer Stelle erscheint sie dann indirekt als Lockspeise, die Gawan auf den klobn gelockt hat (V. 425,21). Und schließlich verwandelt sie sich ihrerseits vom Objekt der Jagd in deren Subjekt. Dieser Wechsel bahnt sich bereits in der Mahlszene auf Schanpfanzun an, in der Antikonies weibliche Schenken mit Falken in der Mauser verglichen werden (V. 424,3 - 6), und er vollzieht sich schließlich gegen Ende der Episode in einem ironischen Lob des Erzählers auf Antikonie, 65 als er Antikonies guten Ruf mit dem weit ragenden Blick eines Falken vergleicht (V. 427,16). Bedenkt man, dass der Falkenblick in der höfischen Epik und Lyrik des 12. und 13. Jahrhunderts vielfach für die Minnebegierde steht, 66 dann wird die Statusänderung vom Objekt zum Subjekt einer Jagd offensichtlich: 67 Nun ist es Antikonie, die als Jägerin erscheint, während Gawan der Vogel ist, der - auf dem klobn gefangen - um sein Leben kämpft. Dieser Rollentausch ist insofern auf das auf der Handlungsebene dargestellte Geschehen abgestimmt, als er die sich in der Geschichte vollziehende Verschiebung der Machtverhältnisse auf metaphorischer Ebene reflektiert. Wer indes als Sieger und wer als Verlierer aus der Geschichte hervorgehen wird, bleibt abermals offen. Denn wer sagt denn, dass Antikonie das anvisierte Objekt der Begierde tatsächlich fangen wird? Und wer sagt, dass es für Gawan kein Entkommen gibt? Insgesamt zeigt sich, dass die Jagdmotive im Text semantische Potenziale enthalten, die sich zumeist nicht im Sinne eindeutiger Sinnstrukturen auslegen lassen, sondern unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eröffnen. Häufig ist eine dieser Auslegungsmöglichkeiten mit dem, was auf der Handlungsebene tatsächlich eintritt, in Einklang zu bringen, wodurch sie sich retrospektiv als die ‹ richtige › Deutung bzw. als metaphorische Vorausdeutung erweist (z. B. das Bild der Turteltaube auf dem dürren Zweig als Vorausdeutung auf Belakanes Minnetod). Es kommt aber auch vor, dass keine der Auslegungsmöglichkeiten, die sich auf metaphorischer Ebene ergeben, mit dem, was auf der Handlungs- 65 Zu den ironischen Aspekten dieses Lobs vgl. Curschmann, Michael: Das Abenteuer des Erzählens. Über den Erzähler in Wolframs ‹ Parzival › , in: DVjs 45 (1971), S. 627 - 667, hier S. 664, sowie Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 170 Anm. 528. 66 Vgl. die Belege bei Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 263 f., sowie bei Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 170 Anm. 530. 67 So auch Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 170. Trînca macht darauf aufmerksam, dass der Wechsel vom Subjekt zum Objekt der Jagd bereits bei Chrétien angelegt ist. So wird Gauvain, der im ‹ Perceval › als Jäger einer Hirschkuh auftritt (vgl. zu dieser Szene Kapitel III.1.2), in der wutentbrannten Rede des Burgfräuleins auf der Vergleichsebene zu einem mit tollwütigen Hunden gejagten, wilden Tier (vgl. Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 172). 200 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › ebene geschieht, in Einklang zu bringen ist. Eine solche Konstellation liegt z. B. dann vor, wenn beide Minnepartner mit dem Tod bezahlen. Dies lässt sich am Beispiel von Gahmuret und Herzeloyde veranschaulichen: Oben wurde gezeigt, dass das Verhältnis der beiden mehrfach als Verhältnis von Jäger und Beute umrissen wird, wodurch, wenn auch nur unterschwellig und andeutungsweise, die Vorstellung evoziert wird, aus dieser Beziehung werde einer von beiden als Sieger hervorgehen und der andere mit dem Tod bezahlen müssen. Doch es kommt anders: Gahmuret stirbt bei einem Kampf für seinen Dienstherren, den Baruk (V. 105,1 - 5), und Herzeloyde erliegt, wenn auch nicht sofort, sondern erst nach der Trennung von ihrem Sohn Parzival, dem Leid, das auf den Verlust von Mann und Sohn folgt (V. 128,16 - 24). Der Tod beider Minnepartner, der im ‹ Parzival › häufig vorkommt, übersteigt nun aber den Auslegungsrahmen der Metapher des Jagens und Gejagt-Werdens bzw. des Fressens und Gefressen-Werdens. Das beidseitige Gefressen-Werden ist darin nicht vorgesehen. Angesichts der Häufigkeit, in der Jagdmotive bei der Darstellung von Minnebeziehungen vorkommen, fällt deren Fehlen in Bezug auf Parzival / Condwiramurs und Feirefiz / Repanse de Schoye auf. Zwar wird Parzival in der Pelrapaire-Episode (Buch IV) durch die metaphorische Verwendung des Begriffs überkrüpfen (V. 191,13; 201,14) als Jäger vorgestellt, der bei der Versorgung der hungernden Bevölkerung, die dadurch ihrerseits als Meute begieriger Jagdvögel erscheint, streng darauf achtet, diese nicht zu überfüttern. 68 Hinsichtlich der Verknüpfung von Jagd und Minne verhält es sich jedoch so, dass die Jäger-Beute-Konstellation an keiner Stelle auf die Beziehung zwischen Parzival und Condwiramurs projiziert ist. Dies ist umso bemerkenswerter, als sich hier ein Gegensatz zum Vorbild der Vorlage abzeichnet. Bei Chrétien nämlich heißt es, Blancheflor würde «eleganter, geputzter und munterer» auf ihren Gast zugehen als ein Sperber oder Papagei ( ‹ Perceval › V. 1795 - 1797). Während Chrétien also seine Blancheflor-Figur durch den Vergleich mit einem Beizvogel (Sperber) als (Männer-)Jägerin inszeniert, lässt Wolfram den Bezug weg. 69 Dieser Befund ist signifikant in Hinblick auf die Darstellung der Liebe zwischen Parzival und Condwiramurs. Denn Wolfram klammert mit dem Bildbereich der Jagd gerade den Aspekt aus, der das destruktive Potenzial von Minne ins Spiel bringt. Das heißt aber nicht, dass die Todesthematik in der Pelrapaire-Epsiode nicht enthalten wäre. Ganz im Gegenteil: Das sich im Hintergrund der Episode entfaltende Jagdgeschehen zeichnet sich nämlich 68 Zur Bildsprache der Jagd in Buch IV vgl. auch Kapitel IV. 2.3.1. 69 Vgl. auch Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 174. 201 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe dadurch aus, dass zwar ein Jäger (Parzival) und hungrige Jagdvögel (die Burgbewohner) vorkommen, aber an keiner Stelle Beutetiere; mehr noch: das Vorhandensein von Beutetieren wird explizit negiert (der zadel hüener abe in schôz, V. 194,8). Berücksichtigt man das oben Festgestellte, nämlich dass die Jagdmotive innerhalb der einzelnen Episoden aufeinander abgestimmt sind und das auf der Handlungsebene dargestellte Geschehen punktuell nachvollziehen, dann ist dieser Befund wenig überraschend. Denn in der Pelrapaire- Episode geht es bekanntlich darum, dass die Bevölkerung vom Hungertod bedroht wird, weil der vergeblich um die Gunst Condwiramurs ’ werbende König Clamide der Stadt die Nahrungszufuhr abgeschnitten hat. Offensichtlich also reflektiert hier die spezifische Ausgestaltung des Jagdgeschehens (Vielzahl an Jägern, keine Beutetiere) das Sujet des drohenden Hungertods. Für die Darstellung der Minne zwischen Parzival und Condwiramurs heißt das, dass sich diese insofern von den oben vorgestellten Minnedarstellungen unterscheidet, als auf der Ebene der Bildsprache die Todesgefahr nicht als etwas aus der Dynamik der Minnebeziehung selbst Resultierendes erscheint, sondern als etwas, das von außen auf die Liebenden einwirkt. Dieser Befund verweist auf einen abweichenden Minneentwurf, was sich in den folgenden Kapiteln unter Einbezug der sonstigen Nahrungsaspekte bestätigen wird. Ähnliches gilt für Feirefiz / Repanse de Schoye, deren Minnedarstellung im Zusammenhang mit den anderen Nahrungsaspekten in Kapitel IV. 1.2 vorgestellt wird. 1.2 Minne im Spannungsfeld von Körper und Geist So variantenreich die Minnekonzepte in der höfischen Epik und Lyrik des 12. und 13. Jahrhunderts sind, eines ist ihnen gemeinsam: Minne wird verstanden als die Erfüllung des Lebens in einer personalen Beziehung zwischen Mann und Frau, die auf nicht-materiellen Werten gründet. 70 Eine solche Vorstellung von Liebe mag für den neuzeitlichen Westeuropäer selbstverständlich sein. In einer patriarchalisch geprägten Kultur, in der die Ehepraxis der adligen Führungsschicht auch im 13. Jahrhundert noch weitgehend an politisch-ökonomischen Interessen ausgerichtet ist, 71 ist sie eine radikal neue Idee, die sich als Denkmodell, als neue Codierung von Intimität, allererst durchsetzen und etablieren musste. 72 70 Vgl. z. B. Haug, Die höfische Liebe, S. 34; Lieb, Kann denn Schenken Sünde sein? , S. 193 - 198. 71 Vgl. z. B. Haug, Die höfische Liebe, S. 22. 72 Vgl. z. B. Haug, Die höfische Liebe, S. 34; Lieb, Kann den Schenken Sünde sein? , S. 194. 202 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Dieses literarische Modell der personalen Geschlechterbeziehung schließt, anders als es Bezeichnungen wie ‹ hohe › Minne vielleicht suggerieren, körperliche Aspekte keinesfalls aus. Höfische Minne ist von ihrem Antrieb her stets sexuell begehrende Liebe. 73 Zwar sind es häufig ethische Werte, die als Faktoren für das ‹ Verlieben › genannt werden (die Minnedame ist gut, tugendhaft usw.), der erhoffte Lohn für den Minnedienst, darüber lassen die Texte keinen Zweifel, ist jedoch die sexuelle Erfüllung. 74 Zugleich ist es aber so, dass erotische Liebe in der Literatur des Mittelalters unter den verschiedensten Aspekten und von den unterschiedlichsten Positionen aus beurteilt wurde. Deshalb mussten die ‹ höfischen › Dichter, wollten sie heterosexuelle Liebe als einen gesellschaftlichen Wert vorstellen, behutsam vorgehen. Körperliche Aspekte der Liebe, das Triebhafte, die sexuelle Begierde galt es bei der Darstellung von Minne und Minnebeziehungen, auszuklammern bzw. zu marginalisieren. 75 Dies wird durch ein ganzes Bündel von Darstellungsmitteln und konzeptionellen Elementen erreicht, die allesamt zum Ziel haben, zwischen Liebendem und Geliebter Schranken und Hindernisse zu errichten und damit dem Weg zwischen Entstehen der Liebe und Liebeserfüllung selbst einen Wert zuzuerkennen: als eine Voraussetzung für die ethische Vervollkommnung des Menschen (vgl. hierzu Kapitel I.1). Die Forschung nun aber ist sich einig darin, dass Wolfram, anders als andere höfische Dichter, die erotisch-körperlichen Aspekte von Liebe nicht verdeckt. 76 Rüdiger Schnell etwa vermerkt, dass während es in der konventionellen Minnedichtung zumeist Amor oder Minne - als die abstracta agentia des Geschehensablaufs - seien, die erotische Beziehungen herstellen und regeln, Wolfram schlichtweg von Lust und Begierde spreche, die Mann und Frau 73 Die Minnepartner stellen füreinander geistige und sinnliche Anziehungspunkte dar. Sie werden voneinander als guot und schön beschrieben (vgl. Schnell, Causa amoris, S. 137). 74 Vgl. u. a. Schnell, Die ‹ höfische › Liebe als ‹ höfischer › Diskurs, S. 263 f. So sehr die Forschung immer wieder das aus heutiger Sicht Fremdartige an der höfischen Minnekonzeption herausstellt und zu erklären sucht - der dienst-lôn-Gedanke gilt bis heute als mentalitätsgeschichtlich ungeklärtes Phänomen (vgl. Schweikle, Minnesang, S. 73 - 79) - , so gibt es doch auch Aspekte an dieser Auffassung von Liebe, die, wenn man so will, ganz modern sind: Erstens wird Liebe als Zustand innerlicher, emotionaler Erfülltheit aufgefasst (so Haug, Die höfische Liebe, S. 34; Lieb, Kann denn Schenken Sünde sein? , S. 194); zweitens werden Liebe und sexuelles Begehren nicht als voneinander getrennte, unvereinbare Bereiche angesehen, sondern sie richten sich auf einen einzigen, als ideal vorgestellten Minnepartner (so Luhmann, Liebe als Passion, S. 49 f.; ferner Schnell, Rüdiger: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe, Köln/ Weimar u. a. 2002, S. 447 f.). 75 Vgl. Schnell, Causa amoris, S. 137; ferner Luhmann, Liebe als Passion, S. 50. 76 Vgl. u. a. Schnell, Causa amoris, S. 219 - 224. 203 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe aneinander binden. 77 So etwa sind es Gahmurets gelust und gir, die ihn vom Hof seines Bruders weg in die Ferne treiben: mîn herze iedoch nâch h œ he strebet: ine weiz war umbez alsus lebet, daz mir swillet sus mîn winster brust. ôwê war jaget mich mîn gelust? [. . .] sîns herzen gir nâch prîse greif: (V. 9,23 - 26 / V. 15,25) Und nach seiner ersten Begegnung mit der heidnischen Königin Belakane raubt ihm sîn ger nach strît und minne (V. 35,25) den Schlaf. 78 In der Forschung wurde immer wieder betont, dass Wolfram die höfische Stilisierung, die idealisierte Darstellung von Liebe, entlarvt, indem er zeigt, dass diese «nur eine unzulängliche Drapierung der sinnlichen Lust ist». 79 Fragt man nach der spezifischen Kontur, die die Nahrungsthematik den Minnedarstellungen in Hinblick auf das Verhältnis von Körper und Geist verleiht, so hat die Untersuchung einzelner Szenen in den Kapiteln III.1 und III.2 bereits gezeigt, dass Körper und Körperlichkeit in Wolframs Minnedarstellungen nicht nur auf der Ebene der wörtlichen Rede, der direkten Benennung von sexuellem Begehren (z. B. V. 406,6 - 11) oder der Darstellung von Sexualhandlungen (z. B. V. 407,2 - 4) thematisiert werden, sondern auch auf der symbolisch-expressiven Ebene des Textes. Anders nämlich als bei Chrétien kommunizieren Wolframs Figuren erotisches Begehren, Zusammengehörigkeit, Ablehnung des Partners und Trennung stellvertretend anhand von alimentären Handlungen, 80 wobei sich die auf die Minne bezogenen Nahrungsakte grundsätzlich in drei Typen einteilen lassen: Das Teilen von Nahrung zeigt eheliche Zusammengehörigkeit an, ungeteilte Nahrung indiziert eine Störung der Minnebeziehung, und das Schenken bzw. das Anbieten von alimentären Objekten bei Tisch ist erotisch codiert (vgl. Kapitel III.2). Insbesondere mit den Formen des erotisch codierten Anbietens von alimentären Objekten (Liebesgaben / Tafeldienst) schafft Wolfram eine Kommunikationsebene, die eine Ambiguisierung der literarischen Entwürfe von Minne zur Folge hat, da die Figuren innerhalb der erzählten Welt mit ihnen konventionalisierte 77 Vgl. Schnell, Causa amoris, S. 219 f. 78 Weitere Belegstellen bei Schnell, Causa amoris, S. 220. 79 Huth, Lutz: Dichterische Wahrheit als Thematisierung der Sprache in poetischer Kommunikation. Untersucht an der Funktion des Höfischen in Wolframs ‹ Parzival › , Hamburg 1972 (Hamburger philologische Studien 28), S. 80; Schnell, Causa amoris, S. 219. 80 Vgl. zusammenfassend Kapitel III.3. 204 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Formen der höfischen Interaktion zwischen Mann und Frau außer Kraft setzen. Dies ist ein äußerst ökonomisches Mittel zur Inszenierung einer ‹ Entlarvung › des höfischen Repräsentationsmodells bzw. zur Inszenierung der höfischen Umgangsformen zwischen Mann und Frau als bloße ‹ Drapierung › von körperlich-sinnlicher Lust. Denn solche symbolischen Kommunikationsakte haben den Charakter von inoffiziellen Liebesbotschaften, die dem Beobachter den Eindruck vermitteln, das Ich (die Figur des Textes) würde sich hier unmittelbar offenbaren. 81 Sie stellen damit ein Mittel zur Inszenierung von Authentizität der Figuren dar, oder anders gesagt: ein Mittel zur Inszenierung gesellschaftlich nicht anerkannter, nicht eingestandener Bedürfnisse und Emotionen der Figuren, die die Ebene der höfischen Repräsentation als Hülle erscheinen lässt, hinter der sich die sinnliche Lust verbirgt. Eingeführt wird die erotische Minnekommunikation anhand von alimentären Handlungen, als Gahmuret in Patelamunt eintrifft, wo er von der dortigen Herrscherin Belakane persönlich bedient wird, indem sie ihm, vor ihm kniend, Essen und Trinken anbietet (si kniete nider [daz was im leit], / mit ir selber hant si sneit / dem rîter sîner spîse ein teil. / diu frouwe was ir gastes geil. / dô bôt si im sîn trinken dar / und phlac sîn wol, V. 33,9 - 14). Wie in Kapitel III.2.2.2 bereits gezeigt wurde, erweisen sich Belakanes Handlungen als Spiel mit Doppelcodierungen: Das Niederknien, das Vorschneiden und das Darreichen der Speisen bringen einerseits ihre Gastfreundschaft zum Ausdruck, andererseits stellen sie erotisch codierte Handlungen dar, die der Empfänger Gahmuret mühelos zu interpretieren weiß (och nam er war, / wie was gebærde unde ir wort, V. 33,14 - 15). Für ihn ist Belakanes Tafeldienst, der sich vor den Augen seiner Dienstleute abspielt (V. 33,16 - 18), beschämend (al schemende er an die frouwen sach, V. 33, 19), zugleich weckt er seine Begierde (V. 36,2; 34,16). Die Szene zeigt, dass unter dem Deckmantel der offiziellen Botschaft (Bekundung von Gastfreundschaft) eine inoffizielle Botschaft (erotisches Begehren) übermittelt wird, wobei es der mehrdeutige Charakter der symbolischen Handlungen ist, der es Belakane erlaubt, solche Botschaften in aller Öffentlichkeit kundzutun. Ähnliches widerfährt Parzival am Hofe Gurnemanz ’ (Buch III). Zur höfischen Erziehung, die Parzival von Gurnemanz empfängt, gehören 81 Zum Charakter von symbolischer Liebeskommunikation in der Literatur vgl. Hausmann, Frank-Rutger : Seufzer, Tränen und Erbleichen - nicht-verbale Aspekte der Liebessprache in der französischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, in : Kapp, Volker (Hg.): Die Sprache der Zeichen und Bilder. Rhetorik und nonverbale Kommunikation in der frühen Neuzeit, Marburg 1990 (Ars rhetorica 1), S. 102 - 117, hier S. 105. 205 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe auch Anweisungen zum rechten Verhalten gegenüber Frauen: Gurnemanz spricht den Minnedienst an, den Männer gegenüber Frauen zu leisten haben (V. 164,28), propagiert dessen Werte und Normen (êre, triuwe, stæte, V. 172,11 - 173,3). Dann aber, nach Abschluss der Lehre, als Parzival sich beim Tjost als siegreicher Held hervortut und damit als Ehemann für die Tochter des Fürsten, Liaze, infrage kommt (V. 173,27 - 175,18), arrangiert Gurnemanz ein Mahl für die beiden, bei dem er seine Tochter persönlich dazu anhält, sich dem Gast mit heinlîchem gebâren (V. 176,23) anzunähern: 82 Auf Anweisung des Vaters setzt sie sich nahe zu Parzival und schneidet ihm mit zarter Hand das Essen vor (V. 176,15 - 21), was jener sogleich als Zeichen ihres Minnebegehrens auffasst (V. 177,1 - 4) und was kumber bei ihm auslöst, da er sich für die Minne nicht bereit fühlt (V. 177,25 - 179,6). Die Doppelbödigkeit höfischer Minne äußert sich hier an Gurnemanz ’ Verhalten. Einerseits propagiert er den konventionellen höfischen Minnedienst gegenüber Frauen, andererseits stiftet er seine eigene Tochter dazu an, den begehrenswerten Gast mit erotischen Signalen um den Finger zu wickeln. Selbiges widerfährt auch Gawan auf einer der Stationen seiner Gralssuche. Als er vom ritterlichen Fährmann Plippalinot beherbergt wird, bittet er um Erlaubnis, an der Seite von dessen Tochter Bene zu speisen (Buch X, V. 550,15). 83 Plippalinot verweist zwar zunächst auf den höfischen Sittencodex, der es dem Mädchen verbietet, nahe bei einem hêrren zu sitzen und mit ihm zu speisen (V. 550,16 - 19), um dann aber sogleich die Gelegenheit zu ergreifen, seine Tochter dem Gast näher zu bringen, indem er sie dazu anweist, ihm das Essen in mundgerechte Portionen vorzuschneiden und anzureichen (V. 551,3 - 7). Ungeachtet der sozialen Differenz zwischen Gast und Gastgeber, fasst Gawan Benes Tafeldienst als Minnewerbung auf, auf die er allerdings nicht eingehen will (V. 552,26 - 28). Der Vorgang wiederholt sich noch einmal, als Gawan den Zauberbann auf Schastel marveile gebrochen hat und dort von der Königin Arnive und deren Hofdamen umsorgt wird (Buch XI). Die Damen reichen ihm stehend die Speisen dar, was Gawan wiederum als Minnewerbung auslegt. Da keine der Damen sein Herz zu fesseln vermag, bittet er die Königin, ihre Hofdamen Platz nehmen zu lassen (V. 582,1 - 14). Die Szenen zeigen, dass im ‹ Parzival › mittels alimentärer Handlungen ein erotischer Kryptodiskurs etabliert wird, mit dem weibliches Begehren geäußert und Minnebeziehungen initiiert werden. Dabei fungiert die Praxis des Anbietens von alimentären Objekten bei Tisch nicht nur als Vermittlungsform weiblichen Begehrens, sondern wird zugleich problematisiert. Insgesamt verhält es sich nämlich so, dass Minne, die auf solche materiellen Formen 82 Zur Semiotik der alimentären Handlungen in dieser Szene vgl. Kapitel III.2.3. 83 Zur Semiotik der alimentären Handlungen in dieser Szene vgl. Kapitel III.1.2. 206 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › der Übermittlung bzw. Hervorbringung von erotischem Begehren angewiesen ist, keinen Erfolg hat. So lassen sowohl Parzival als auch Gawan ihre Tischdamen ‹ abblitzen › , und Belakanes Ehe mit Gahmuret währt gerade einmal drei Monate, bevor sich jener unter fadenscheinigen Vorwänden davonmacht. 84 Wolfram belässt es jedoch nicht bei der Thematisierung körperlicher Aspekte von Minne anhand von alimentären Handlungen der Figuren, sondern er zeigt auch die mit dieser inoffiziellen Form der Übermittlung von Minnebotschaften verbundenen Risiken auf. Ein wiederholt dargestelltes Problem ist, dass die symbolische Kommunikation aufgrund ihres mehrdeutigen, unscharfen Charakters Gefahr läuft, zu misslingen, nicht verstanden oder missverstanden zu werden, was gravierende Folgen für den Handlungsverlauf haben kann. Erstmals tritt im Text eine solche Konfusion auf, als Gahmuret, der am Abend vor dem Turnier, das vor Kanvoleiz stattfinden soll, die Herrscherin des Landes, Herzeloyde, in seinem Zelt empfängt (Buch II). Bei Tisch signalisiert Herzeloyde, die bereits in Minne entbrannt ist (V. 84,2), Gahmuret ihr Begehren, indem sie ihn anfasst und näher an sich heranzieht: er [Gahmuret] bat sitzen die künegîn. mîn hêr Brandelidelîn mit zühten zuo der frouwen saz. grüene binz, von touwe naz, dünne ûf die tepch geströut, dâ saz ûf des sich hie fröut diu werde Wâleisinne: si twanc iedoch sîn minne. er saz für si sô nâhe nidr, daz sin begreif und zôch in widr anderhalp vast an ir lîp. (V. 83,25 - 84,5) Jener jedoch ist nicht in der Lage, die Avancen der Königin zu erkennen, da ihn seine emotionalen Verstrickungen, seine Trauer um die verstorbenen Verwandten, die Affäre mit Ampflîse, für diese Ebene der Kommunikation blind sein lassen. Andernfalls wäre, dies merkt der Erzähler etwas später im Text an, seine Liebe zu Herzeloyde an dieser Stelle erwacht (V. 84,16 - 18). Wie schon in Bezug auf andere Szenen festgestellt wurde, schafft auch hier die Mahlszene einen Textraum, in dem eine Handlungsoption entworfen wird, die sich retrospektiv als abgewiesene Erzählalternative erweist. 85 Eine andere Szene, in der symbolische Kommunikation scheitert, ist Ithers Auftritt am Artushof (Buch III). Hier allerdings bleibt nicht, wie im oben 84 Letztlich stirbt Belakane aus Liebeskummer (vgl. V. 750,24 - 26). 85 Vgl. ausführlich zu diesem Aspekt Kapitel IV. 2.2. 207 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe geschilderten Fall, eine symbolisch übermittelte Minnebotschaft unverstanden, sondern eine (fiktive) rechtssymbolische Geste misslingt, wodurch sie fatalerweise den Charakter einer minnesymbolischen Handlung annimmt: Ither erscheint am Artushof, um Rechtsanspruch auf sein Erbland zu erheben, indem er an Artus ’ Tafel tritt und den goldenen Becher des Königs ergreift. 86 Die Botschaft jedoch kommt nicht an, weil Ither beim Erheben des Pokals versehentlich den Schoß der Königin mit Wein besudelt (V. 146,20 - 30). Diese Handlung stürzt Ither unmittelbar in Ungnade am Artushof, und zwar nicht, weil er sein Erbe symbolisch einfordert, sondern weil er eine Ungeschicklichkeit begeht, die von den Beteiligten als sexuelle Entehrung der Königin und damit als tiefe Demütigung des Königs gedeutet wird (V. 146,28 - 147,8). 87 Die Szene zeigt, dass sich symbolische Handlungen mit all ihren voluntativen und unabsichtlichen Schattierungen zu Sprengsätzen entwickeln können, die die soziale Ordnung des Hofes aus den Fugen geraten lassen und in einer Katastrophe enden können - hier in der Ermordung Ithers durch Parzival. Der Körperdiskurs, der sich im ‹ Parzival › innerhalb der erzählten Welt etabliert, wird von alimentären Symbolisierungen des Körpers und der Körperlichkeit auf diskursiver Ebene des Textes überlagert: Maßloses Essverhalten etwa kann für Minnegier stehen, das Liebesmahl für sexuelle Vereinigung, die Jagd für erotisches Begehren (vgl. Kapitel III). Das Zusammenwirken von Handlungs- und Darstellungsebene erzeugt eine Komplexisierung der Aussagestrukturen, und zwar insofern als das, was innerhalb der erzählten Welt vorgeführt wird, nämlich dass die Figuren des Textes die höfisch-distanzierten Umgangsformen mittels symbolischer Handlungen hintergehen, auf diskursiver Ebene des Textes reproduziert wird: Zwar wird von höfischer Minne erzählt, ihre spezifischen Rollenmuster, Interaktionsformen und Semantiken werden eingebracht, dies jedoch, um das mit der Minne assoziierte kulturelle Inventar auf metaphorischer Ebene durch die Gestaltung des Sprachmaterials immer wieder aufs Neue zu unterlaufen, als Schein zu entlarven. Dabei ist die Thematisierung des Körpers auf diskursiver Ebene des Textes vielschichtiger als auf der Ebene der Symbolisierungen innerhalb der erzählten Welt: Zwar versieht die Nahrungsthematik die Minnedarstellungen auch auf der Darstellungsebene mit erotischen Implikationen, die sich über den Text 86 Ither erklärt die Wegnahme des Pokals als «symbolische Inbesitznahme seines Erbes» (Eichholz, Birgit: Kommentar zur Sigune- und Ither-Szene im 3. Buch von Wolframs ‹ Parzival › [138,9 - 161,8], Stuttgart 1987 [Helfant-Studien 3], S. 123). «Wolfram hat damit den Becherraub der Vorlage (Perc. 895 ff.) in eine - sonst nicht belegte - Rechtsgeste umgedeutet» (Nellmann, Kommentar, S. 536). 87 Vgl. Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 301 f. 208 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › erstreckende Verknüpfung von Jagd und Minne, deren auf die Minne bezogene Bedeutung für den textexternen Rezipienten, nicht aber für die Figuren des Textes wahrnehmbar ist (vgl. Kapitel III.1), evoziert aber noch eine andere Dimension des Körperlichen. Denn durch die wiederholte Assoziation der Liebenden mit Jäger- und Beutetieren wird die höfische Interaktion zwischen Mann und Frau als Jagdgeschehen imaginierbar, wodurch in den dargestellten Minneverhältnissen nicht nur (konventionalisierte) erotische Bedeutungsgehalte anklingen, sondern zudem etwas Rohes, Naturhaft-Animalisches. 88 Angesichts der vielfältigen Effekte, die die Nahrungsthematik auf die Minnedarstellungen hat, fällt auf, dass die Einbringung des Alimentären in Bezug auf Parzival und Condwiramurs von den sonstigen Minnedarstellungen des Romans grundsätzlich abweicht. Dass Jagdmotive hier nicht nur generell fehlen, sondern im Vergleich mit Wolframs Vorlage, Chrétiens ‹ Perceval › , sogar getilgt wurden, wurde bereits dargelegt (vgl. Kapitel IV. 1.1). Hinzu kommt, dass die erste Begegnung zwischen Parzival und Condwiramurs auf Pelrapaire (Buch IV) nicht unter den Bedingungen der alimentären Fülle stattfindet, wie es bei den anderen Minnebegegnungen im ‹ Parzival › der Fall ist, 89 sondern unter denen des Mangels. Für die Akteure innerhalb der erzählten Welt steht hier nicht, wie in den sonstigen Handlungsteilen, die symbolische Dimension des Alimentären im Vordergrund, sondern die existenzielle: Nahrung fehlt, daher droht der Hungertod. Entsprechend ist der alimentäre Austausch zwischen Parzival und Condwiramurs gegenüber den anderen Protagonistenpaaren reduziert. Diese spezifische Ausprägung der Nahrungsthematik wirkt sich auf die Konstituierung der Minnebeziehung aus. Während der alimentäre Bereich bei den anderen Paaren als Vermittlungsform von körperlicher Minne fungiert, liegt hier das Gegenteil vor: Die Nahrungsthematik erweist sich als Mittel zur Inszenierung einer Reduktion des Körperlichen und damit einhergehend zur Profilierung der innerlichen Dimension von Minne. Dies sei im Folgenden dargelegt. Die Untersuchung einzelner Szenen aus dem vierten Buch in Kapitel III hat deutlich gemacht, dass Essen und Trinken in der Pelrapaire-Episode gerade deshalb ein zentrales Thema darstellen, weil es in der durch Clamides feindliche Heere belagerten Stadt keine Nahrung mehr gibt (V. 183,3 - 184,18). Das erste 88 Dieser Aspekt wurde bereits im Zusammenhang mit der Untersuchung einzelner Szenen in den Kapitel III.1 und II.2 sichtbar. 89 Mahlszenen kommen im ‹ Parzival › in Bezug auf alle Protagonistenpaare vor, mit Ausnahme von Gawan / Obilot und Obie / Meljanz (vgl. die tabellarische Übersicht in Kapitel III.2.2). 209 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe Treffen zwischen Parzival und Condwiramurs findet sodann auch ohne Bewirtung statt: Als Parzival der Königin vorgeführt wird, gibt ihm diese einen Willkommenskuss und geleitet ihn zu einem Sitzplatz (V. 187,2 - 6). Anschließend bittet sie ihn, den Mangel an Speisen und Getränken zu entschuldigen (V. 190,4 - 5). Der Austausch zwischen den beiden findet sodann auf verbaler Ebene statt, wobei Condwiramurs das Gespräch anleitet. 90 Im weiteren Verlauf der Handlung zeichnet sich ihr Umgang mit Nahrung durch Freigiebigkeit und Verzicht aus: 91 Als die beiden Onkel von Condwiramurs, Kyot und Manpfilijot, noch am selben Tag Nahrungsmittel nach Pelrapaire senden, veranlasst Parzival, der selbst keine Verfügungsmacht über die Güter der Stadt hat, Condwiramurs dazu, die Speisen an die Burgbewohner zu verteilen (V. 190,25 - 191,6). Für sich selbst behalten die beiden lediglich ein Stück Brot, das sie miteinander teilen (V. 191,5 - 6, vgl. dazu Kapitel III.2.2.1). Ähnliches wiederholt sich am darauffolgenden Tag, als nach Parzivals Sieg über Kingrun ein mit Nahrungsmitteln beladenes Schiff auf Pelrapaire landet: Parzival, der inzwischen von Condwiramurs zur Heirat aufgefordert wurde (V. 199,26 - 28), tritt nun als Herrscher auf, der die Güter eigenhändig an die hungernden Stadtbewohner verteilt (V. 201,8 - 19, vgl. Kapitel III.1.2). Nach Irmgard Gephart werden in der Pelrapaire-Episode Parzivals Herrschertugenden der mâze und der milte unter Beweis gestellt, die er bei Gurnemanz erlernt hat. 92 Diese Interpretation überzeugt - zumindest was den Aspekt der mâze betrifft - nicht, denn bei Parzivals Nahrungshandeln auf Pelrapaire geht es weniger um die Darstellung von mâze als vielmehr um die von Verzicht und Askese. Darüber hinaus greift Gepharts Interpretation zu kurz. Angesichts der im Text wiederholt auftretenden erotisch codierten Nahrungshandlungen, mit denen Minnebeziehungen initiiert werden (s. o.), provoziert die Inszenierung des Zusammentreffens von Parzival und Condwiramurs unter den Bedingungen des alimentären Mangels nämlich die Frage, worüber sich diese Beziehung eigentlich konstituiert. An die Stelle des gemeinsamen Mahls treten der Austausch von Blicken (V. 189,1 - 2), Gedanken (V. 188,1 - 19; 188,25 - 189,5), Schweigen (V. 188,21; 189,4) und die wechselseitige Erwartung, der andere möge das Gespräch eröffnen (V. 188 - 189,5). Entsprechend fehlen auch die erotischen Signale, über die sich die anderen Beziehungen zwischen Mann und Frau im ‹ Parzival › konstituieren. Die explizite Ausklammerung des Nahrungshandelns weist zunächst einmal darauf hin, dass es gerade nicht das erotische Begehren ist, das die beiden zusammenbringt. Unterstrichen wird dies durch den anfänglichen 90 Vgl. Gephart, Geben und Nehmen, S. 140. 91 Zur Semiotik des Alimentären in dieser Szene vgl. Kapitel III.1.2 und III.2.2.1. 92 Gephart, Geben und Nehmen, S. 138 - 141. 210 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Verzicht des Paares auf Geschlechtsverkehr. So hält sich Condwiramurs bereits für Parzivals Frau, bevor sie je mit ihm geschlafen hat (V. 202,21 - 28). 93 Zum Geschlechtsakt kommt es erst, als sich Parzival an die Ratschläge seiner Mutter und von Gurnemanz erinnert: Frau und Mann hätten eins zu sein (V. 203,2 - 203,5). Worüber etabliert sich diese Beziehung dann? - Rüdiger Schnell weist darauf hin, dass alle Darstellungsformen, mit denen Wolfram Minneverhältnisse beginnen lässt, bei Parzival und Condwiramurs fehlen. 94 So wird auch die Wirkung der äußeren Schönheit Condwiramurs ’ auf ihren Gast lediglich angedeutet. 95 Die Frage ist daher weniger, was zwischen den beiden bei ihrer ersten Begegnung stattfindet, als vielmehr, wie es zu deuten ist, dass auf konventionelle Darstellungsformen der Hervorbringung und der Vermittlung von Minne verzichtet wird. Vor dem Hintergrund der oben vorgestellten Szenen lässt sich diese Leerstelle deuten: Während jene Szenen zeigen, dass Minne, die auf materielle Übermittlungsformen wie das Anbieten von Nahrung bei Tisch angewiesen ist, keinen Erfolg hat, wird hier offenbar im Umkehrschluss vorgeführt, dass die Etablierung dieser Beziehung auf solche äußerlichen Gesten nicht angewiesen ist. Oder anders gesagt: Die explizite Ausklammerung erotisch codierter Handlungen in der Werbungsphase indiziert, dass die Annäherung zwischen den beiden auf einer anderen Ebene stattfindet - einer Ebene, die sich dem Blick des Rezipienten entzieht. So gesehen ist die Askese des Paares, die zunächst durch die äußere Not bedingt, aber bereits am ersten Tag nach Ankunft der Nahrungsmittel-Geschenke Kyots und Manpfilijots selbst gewählt ist, auf der Handlungsebene Ausdruck der Herrschertugenden des Paares; auf diskursiver Ebene aber ist sie Ausdruck eines abweichenden literarischen Entwurfs von Minne. Die Andersartigkeit des Minneentwurfs wird anhand der weiteren Szenen des vierten Buchs, in denen die Sozialfunktion von Essen und Trinken aufgerufen wird, profiliert. Nachdem Parzival und Condwiramurs die von den Onkeln zugesandten Nahrungsmittel - Brot, Schinken, Käse und Wein - an die hungernde Bevölkerung gespendet haben, verspeisen sie, wie schon gesagt, ein Stück Brot miteinander (V. 190,25 - 191,6). 93 Der anfängliche Verzicht des Paars auf Geschlechtsverkehr ist in der Forschung als Ausdruck seiner kindlichen Unschuld oder als Vorausdeutung auf seine spätere Gralsherrschaft interpretiert worden. Diese handlungslogischen Deutungen widersprechen der vorliegenden Sichtweise nicht (vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 64). 94 Schnell geht nicht weiter auf den Befund ein (vgl. Schnell, Causa amoris, S. 219). 95 Parzival setzt sie gleich mit Liaze, obgleich sie dem Erzähler zufolge schöner ist als diese (V. 187,25 - 188,8). 211 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe An dieser Szene fällt auf, dass, während der alimentäre Austausch in der Situation des Kennenlernens sonst jeweils über Formen des Anbietens erfolgt, Nahrung hier gleich bei der ersten Begegnung der Liebenden geteilt wird. Dabei deutet das Teilen des Brots den Akt der Vergemeinschaftung zwar an, es zeigt zugleich aber auch, dass zur Etablierung dieser Beziehung ein Minimum an stofflichem Austausch erforderlich ist. An die Stelle der erotischen Implikation, durch die sich die sonstigen Liebesmahle im ‹ Parzival › auszeichnen, tritt eine sakrale Konnotation. 96 Bezogen auf den Handlungsverlauf lassen sich die Zurückdrängung körperlicher Aspekte und die Sakralisierung der Gemeinschaft, die sich in dieser Szene andeuten, als Vorausdeutungen auf die spätere Gralsherrschaft des Paares interpretieren. Oder anders gesagt: Die Möglichkeit eines solchen Handlungsverlaufs wird über die semiotische Konstruktion des Textes evoziert. Damit aber nicht genug. Die Anspielung auf die Eucharistie ist signifikant in Hinblick auf die Zeichnung der Figuren und ihrer Minnebeziehung. Denn zum einen lässt sie Parzival im Licht des Heilsbringers erscheinen (vgl. Kapitel III.2.2.1); zum anderen zeigt das Teilen des Brots hier nicht nur die Zusammengehörigkeit der Liebenden an, sondern ist Ausdruck einer totalen Vereinigung, einer unio carnis. 97 Eine weitere Profilierung erfährt die Darstellung des Minneverhältnisses zwischen Parzival und Condwiramurs anhand von Essen und Trinken in der Szene, in der Parzival die über den Seeweg nach Pelrapaire gelangten Nahrungsmittel in wohlproportionierten Rationen an die Burgbewohner verteilt (V. 201,8 - 19). Wie Kapitel III.1.2 gezeigt hat, wird in dieser Szene erzähltechnisch die Erwartung einer Speisung des Liebespaars aufgebaut - um sie nicht zu erfüllen. Denn als der durch den Kampf geschwächte Parzival (V. 200,1 - 2) abends, nach getaner Arbeit, im palas auf Condwiramurs trifft, begeben sich die beiden nicht etwa, wie zu erwarten wäre, zu Tisch, sondern sie werden von den Bediensteten gefragt, ob sie Beilager halten wollen, was beide bejahen (V. 201,19 - 20). Der strukturelle Aufbau der Szene bewirkt hier, dass die körperliche Liebesvereinigung, die ihrerseits noch einmal zwei Tage und drei Nächte aufgeschoben wird (V. 203,1), an die Stelle des gemeinsamen Mahls tritt, was sich wiederum auf die Darstellung dieser Minnebeziehung auswirkt. 96 Durch die Einbettung der Szene in einen Handlungszusammenhang, der Strukturanalogien zur biblischen Erzählung der Speisung der Fünftausend aufweist, wird die Eucharistie, die Einverleibung der am Mahl Beteiligten in die christliche Gemeinschaft, als Deutungsrahmen aufgerufen (vgl. Kapitel III.2.2.1). 97 Vgl. die Überlegungen zur Eucharistie in Kapitel II.2.1, wonach das egoistisch Ausschließende jedes Essens und Trinkens im christlichen Abendmahl überwunden wird. 212 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Denn die Metapher der Minne als Nahrung stellt diese bildhaft als einen Zustand der Erfüllung dar. 98 Die Szene ist komplementär zur Jeschute-Szene (Buch III, V. 130,2 - 132,7) entworfen, in der an die Stelle der sprachlich aufgebauten Erwartung einer Sexualhandlung Parzivals Nahrungsaufnahme tritt (vgl. Kapitel III.1.2). 99 Während dort anhand von Essen und Trinken körperliche Aspekte von Minne thematisiert werden (der gustative Appetit symbolisiert den sexuellen Appetit), ist es hier deren innerliche Dimension. Aus dieser Perspektive erscheint Wolframs Ausklammerung der Jagdthematik in Bezug auf Parzival und Condwiramurs nicht anders als konsequent. Auf der Ebene der Bildsprache sind damit all jene Aspekte entfernt, die einerseits erotische Implikationen enthalten und andererseits das destruktive Potenzial von Minne ins Spiel bringen. 100 Anders als Chrétien, der seine Blancheflor-Figur von Beginn an mit erotischem Begehren in Verbindung bringt, 101 inszeniert Wolfram die Liebe zwischen Parzival und Condwiramurs dezidiert als ein Verhältnis, das auf einer innerlichen Verbindung der Liebenden gründet. Diese Minne wird in Buch IV auf der Ebene der Bildsprache an keiner Stelle mit Gewalt und Tod in Verbindung gebracht, sondern im Gegenteil durch die Metapher der Minne als Nahrung, die sonst im ‹ Parzival › nirgendwo vorkommt, als lebensspendende Kraft inszeniert. Handelt es sich bei der Darstellung der Liebe zwischen Parzival und Condwiramurs somit um die Darstellung von idealer höfischer Minne? - In der Tat ist auf der Ebene der Bildsprache eine Harmonisierung antagonistischer Tendenzen festzustellen: Körper, Sexualität, Gewalt und Tod sind ausgeblendet; an deren Stelle treten die Sakralisierung von Gemeinschaft, die Reduktion des Körperlichen sowie die Profilierung von Innerlichkeit. Dennoch aber ist die Harmonisierung nur eine Scheinbare. Denn die Bildsprache enthält zugleich Aspekte, die der idealisierenden Darstellung dieser Minne entgegenwirken. So erscheint Parzival in Buch IV zwar im Licht des Heilsbringers (s. o.), zugleich aber wird das über die Strukturanalogie zur biblischen Erzählung der Speisung der Fünftausend evozierte Herrscherbild auch wieder abgeschwächt, indem nämlich der Aspekt des Wundertäterischen, der für die biblische Geschichte konstitutiv ist, im ‹ Parzival › zurückgenommen ist. Denn während dort fünf Gerstenbrote und zwei Fische ausreichen, um fünftausend 98 Zur Metapher der Minne als Nahrung vgl. Kapitel II.3. 99 Wolfram scheint sich hierbei an Chrétien zu orientieren. 100 Zum destruktiven Potenzial, das die Jagdmetaphorik transportiert vgl. Kapitel IV. 1.1. 101 Vgl. Trinca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 174. 213 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe Menschen zu sättigen, sind es hier, worauf explizit hingewiesen wird, doch immerhin vierundzwanzig Brote, sechs Schulterstücke, sechs Schinken, sechzehn Käse sowie vier Behälter Wein (V. 190,10 - 17), mit denen die Stadtbewohner versorgt werden - eine Mengenangabe also, die einer realistischen Zahl schon näher kommt. Das heißt, die Christusanalogie wird aufgebaut, um sie im gleichen Zug in ironischer Brechung zu dekonstruieren. Ähnlich verhält es sich mit der Lichtmetaphorik, die sich in Bezug auf die Parzival-Figur in Buch IV verdichtet und die an der Konstituierung eines göttlichen Körperbilds mitwirkt (vgl. Kapitel III.2.2.1). Auch das so aufgebaute Herrscherbild bleibt nicht ohne ironische Brechung: So heißt es etwa in den Versen 192,28 - 29, dass von dem Bett, in dem Parzival in seiner ersten Nacht auf Pelrapaire schläft, ein helles Licht ausgeht; dieses Licht jedoch stammt nicht etwa - wie man meinen könnte - von Parzival, sondern, wie sich durch einen Einwurf des Erzählers herausstellt, vom Schein der vielen Kerzen an seinem Bett (V. 192,28 - 29). Dieses Verfahren, bei dem Konstruktion und Destruktion von Idealbildern Hand in Hand gehen, setzt sich in der Metapher der Minne als Nahrung fort: Denn mit ihr wird Minne zwar als Zustand der Erfüllung inszeniert, anders aber, als es z. B. in der Beschreibung von vollkommener höfischer Minne durch Andreas Capellanus der Fall ist, ist es hier nicht die Tugend der Dame, die die Nahrung der Liebenden darstellt, sondern letztlich doch wieder ihr Körper. Denn wie schon erwähnt, an die Stelle des Mahls tritt, wenn auch verzögert, die körperliche Vereinigung der Liebenden (V. 203,1 - 10). Solchen Brechungen entspricht auf der Ebene der histoire, dass der vermeintlich vorbildliche Herrscher und Ehemann Parzival Condwiramurs und mit ihr seinen Herrschaftsbereich Pelrapaire schon nach kurzer Zeit wieder verlässt, um nach seiner Mutter zu suchen und sich anschließend auf aventiure- Fahrt zu begeben (V. 223,17 - 25). Der Held irrt danach jahrelang herum, bevor er durch den Einbruch göttlicher Gnade die Gralsherrschaft erlangt und es zu einem positiven Ausgang dieser Liebesgeschichte kommt. Angesichts der Sonderstellung, die die Darstellung der Liebe zwischen Parzival Condwiramurs im ‹ Parzival › einnimmt, darf nicht übersehen werden, dass der Text eine Minnedarstellung enthält, die hinsichtlich der alimentären Ausgestaltung auffallende Ähnlichkeiten dazu aufweist, nämlich die von Parzivals Halbbruder Feirefiz und der Gralträgerin Repanse de Schoye (Buch XVI). Anders als bei den anderen in die Handlung integrierten Minnepaaren fehlen hier - wie bei Parzival und Condwiramurs - genau die Nahrungsaspekte, die erotische Implikationen enthalten (Jagdmetaphern, wild als Nahrung). Hinzu kommt, dass sich auch dieses Paar zwar bei einem Mahl begegnet, jedoch auch hier die Annäherung nicht über erotisch codierte Nahrungshandlungen 214 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › erfolgt. Grund dafür ist in diesem Fall kein alimentärer Mangel, sondern der Umstand, dass Feirefiz als Heide den Tafeldienst, den Repanse de Schoye ihm beim Grals-Mahl leistet, schlicht nicht sehen kann (V. 810,3 - 14; 814,9 - 29). Auch wenn man es hier in gewisser Weise mit zwei konträren Kennenlern- Situationen zu tun hat (Begegnung unter den Bedingungen des Mangels vs. Begegnung unter den Bedingungen der Fülle), erzeugt die symmetrische Kombination von alimentären Darstellungsmitteln Verweiszusammenhänge, die - wiederum in ironischer Brechung - semantische Nähe zwischen den beiden Minnepaaren herstellen. 1.3 Minne im Spannungsfeld von Natur und Kultur Wir haben gesehen, dass die Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik die Minnedarstellungen im ‹ Parzival › mit antagonistischen Tendenzen verbindet: mit Gewalt, Tod, Körper und Sexualität. Angesichts dieses Befundes drängt sich die Frage nach der je spezifischen Kontur, die die Nahrungsthematik den Minnedarstellungen in Hinblick auf das Verhältnis von Natur und Kultur verleiht, geradezu auf. Geht man dabei von Claude Lévi-Strauss aus, der das universale Phänomen der menschlichen Nahrung mit Hilfe der Oppositionen ‹ elaboriert › vs. ‹ unelaboriert › und ‹ Kultur › vs. ‹ Natur › in einem kulinarischen Dreieck zu strukturieren versucht, 102 kommen folgende Beschreibungskategorien ins Spiel: Das Rohe als der (normale) unmarkierte Pol, das Gekochte als das Ergebnis einer kulturellen Transformation und das Verfaulte als das Ergebnis einer natürlichen Transformation. Hinzu kommen Garungsverfahren wie das Rösten und Räuchern, die nach Lévi-Strauss im Gegensatz zur ‹ Kulturtechnik › des Kochens natürliche Garungsweisen darstellen, da sie weder (kulturelle) Kochgeräte noch Wasser erfordern, sondern in direktem Kontakt zur Hitzequelle stehen. 103 102 Ausgehend von der Annahme, dass der menschliche Verstand die Welt in Oppositionspaaren organisiert und dass von diesem Startpunkt aus zusammenhängende Systeme von Beziehungen entwickelt werden, hat Claude Lévi-Strauss das universelle Phänomen der menschlichen Nahrung, in Anlehnung an Modelle der strukturalistischen Phonologie, mit Hilfe der Oppositionen elaboriert vs. unelaboriert und Kultur vs. Natur in einem kulinarischen Dreieck zu strukturieren versucht. Davon ausgehend, stellt er die allgemeine Hypothese auf, dass Oppositionen von Garungsverfahren Oppositionen in der Sozialstruktur reflektieren (vgl. Lévi-Strauss, Mythologica I.; ferner: Lévi-Strauss, The culinary triangle). 103 Keine andere Publikation zu den Kulinarien hat eine umfassendere Forschungsdiskussion ausgelöst als Lévi-Strauss ’ ‹ Kulinarisches Dreieck › , wobei in unter- 215 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe Befragt man das Verhältnis von Nahrungs- und Minnethematik im ‹ Parzival › in Hinblick auf die von Lévi-Strauss definierten Oppositionen, muss man zunächst einmal berücksichtigen, dass Nahrungsmittel in vielen Fällen gar nicht konkret benannt werden. 104 Und wenn dies der Fall ist, dann handelt es sich um Speisen und Getränke, die zwar Vorstellungen von Kultur evozieren, nicht aber von Natur. 105 Denn die vorkommenden Nahrungsmittel sind in keinem Fall roh, sondern stets gekocht (scharpfiu salliure, salse), gebacken (brot, blankiu wastel), gebraten und gesotten (krapfen, Fisch- und Fleischgerichte) oder gekeltert (moraz, win, lutertranc); das heißt, mittels kultureller Techniken und Geräte für den menschlichen Magen zubereitet. 106 Dieser Befund überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass es sich hierbei stets um typische Herrenspeisen handelt, die im Kulturraum des Hofes für die Mitglieder des Hofes zubereitet wurden. 107 Dennoch aber wäre es falsch zu schiedlicher Hinsicht scharfe Kritik daran geübt wurde: So werden die Behauptungen, das kulinarische und das sprachliche Dreieck umschrieben je ein semantisches Feld und das linguistische Prinzip der doppelten Opposition gelte sowohl im kulinarischen als auch im sprachlichen Dreieck, von Seiten der Linguistik als falsch erachtet, da sie unhaltbare Annahmen über die Ähnlichkeit von bedeutungstragenden und nicht-bedeutungstragenden Ebenen implizieren (vgl. den Forschungsbericht bei Enninger, Semiotik der Kulinarien, S. 326). Des Weiteren wurde kritisiert, dass es sich bei Lévi-Strauss ’ Darstellung um eine unzulängliche Vereinfachung handle, da es, abgesehen vom Rösten, Räuchern, Braten und Kochen, noch andere Garungsarten gebe, wie z. B. das Backen, das Pulverisieren, das Einmachen oder das Trocknen von Nahrung, die nicht berücksichtigt werden (vgl. Enninger, Semiotik der Kulinarien, S. 326). Und schließlich haben anthropologische Studien bezüglich der Verteilung des Kochens und Röstens in unterschiedlichen Kulturen Lévi-Strauss ’ Hypothese, wonach Oppositionen von Garungsverfahren Oppositionen in der Sozialstruktur reflektieren, nicht bestätigt (vgl. Enninger, Semiotik der Kulinarien, S. 326). 104 Vgl. die tabellarische Übersicht über die Nahrungsmittel, die im Zusammenhang mit der Minnethematik vorkommen, in Kapitel III.2.4. 105 So bei Gahmuret / Belakane (V. 33,4), Parzival / Jeschute (V. 131,27 - 30), Parzival / Condwiramurs (V. 190,10 - 191,6), Keye / Kingrun / Cunneware (V. 206,29 - 207,2), Parzival / Hofdamen der Gralsburg (V. 244,11 - 25), Jeschute / Orilus (V. 273,26 - 30), Gawan / Antikonie (V. 423,16 - 424,7), Gawan / Orgeluse (V. 531,19 - 23; 622,8 - 623,2) und Gawan / Bene (V. 550,1 - 552,5). 106 Ausnahmen bilden der Portulak und der Lattich, die bei Plippalinot zu Hause serviert werden (V. 551,20 - 21) und die auf die ärmlichen Verhältnisse verweisen, in denen der Fährmann mit seiner Familie lebt, sowie die Früchte, die Parzival auf der Gralsburg serviert werden (V. 244,16). 107 Zur sozialen Codierung der Nahrungsmittel vgl. Kapitel III.2.4. Anders dagegen verhält es sich in der Trevrizent-Episode (Buch IX), in der Parzivals und des Einsiedlers Mahl ausschließlich aus Rohkost besteht (vgl. Kapitel IV. 2.1.1). 216 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › behaupten, die Nahrungsthematik würde die Minnedarstellungen nicht mit Aspekten von Natur verbinden. Das tut sie nämlich schon, nur eben nicht über die von Lévi-Strauss veranschlagten Oppositionen, sondern über eine andere Unterscheidung. So fällt auf, dass sich die Fleisch- und Fischgerichte, die im Rahmen von Minnemahlszenen vorkommen, in zwei Gruppen einteilen lassen: Auf der einen Seite stehen Paare wie Gahmuret / Belakane (V. 33,4), Parzival / Jeschute (V. 131,27 - 30), Jeschute / Orilus (V. 273,26 - 30), Gawan / Antikonie (V. 423,16 - 424,7), Gawan / Bene (V. 550,1 - 552,5) und Gawan / Orgeluse (V. 622,8 - 623,2), bei denen Fleisch von Tieren aufgetragen wird, die in der freien Natur leben und die erjagt wurden (Reiher, Fisch, Rebhühner, Fasan, Ringellerchen); auf der anderen Seite stehen Parzival und Condwiramurs, die von den beiden Onkeln auf Pelrapaire mit schultern und hammen (V. 190,11) versorgt werden. Die Forschung ist sich einig darin, dass es sich hierbei um geräucherte Schulterstücke und Schinken von gezüchteten Tieren aus Stallhaltung handelt, 108 zumal in den Versen 190,20 - 22 erwähnt wird, die Onkel wohnten in der Nähe einer Alm, und Almen bereits im Mittelalter Orte waren, an denen Viehwirtschaft betrieben wurde. 109 Im Ganzen gesehen heißt das, dass es nicht die Opposition von roher und gekochter Nahrung ist, über die Wolframs Minnedarstellungen ins Spannungsverhältnis von Natur und Kultur versetzt werden, sondern die von wild und zam; 110 wobei die Nahrungsthematik in Bezug auf Parzival und Condwira- 108 Vgl. Buschinger, La nourriture, S. 381; Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 174. 109 Vgl. Nellmann, Kommentar, S. 557; ausführlich hierzu Schubert, Essen und Trinken, S. 98 - 104. 110 Die Unterscheidung zwischen wild (Fleisch vom Wild) und zam (Fleisch von Tieren aus der Stallhaltung) wird im ‹ Parzival › im Zusammenhang mit der Aufzählung der Speisen, die der Gral hervorbringt, explizit vorgenommen (Buch V, V. 238,17; Buch XVI, V. 809,26). Dieses Oppositionspaar wirkt dabei noch in anderer Hinsicht an der Konstituierung der literarischen Entwürfe von Minne im ‹ Parzival › mit. Denn die Tiere, mit denen die Liebenden auf metaphorischer Ebene immer wieder assoziiert werden (vgl. Kapitel IV. 1.1 und III.2.5), lassen sich ebenfalls in wild und zam einteilen. Man denke nur an den Vergleich Gawans mit einem Adler, das heißt mit einem unbezähmbaren Raubvogel, der in der freien Natur lebt, und dagegen die wiederholt vorkommenden Vergleiche Gahmurets mit einem Jagdfalken, das heißt mit einem Tier, das abgerichtet wurde und im Kulturraum des Hofes angesiedelt ist. Es wäre eine lohnende Aufgabe, die Tiermetaphern und -vergleiche des ‹ Parzival › in Hinblick auf das Verhältnis von ‹ wild › und ‹ zahm › zu untersuchen und davon ausgehend nach deren Auswirkungen auf Figuren- und Minnedarstellungen zu fragen. Dies allerdings würde den Rahmen der Untersuchung von Nahrungsdarstellungen im ‹ Parzival › sprengen. 217 Minnedarstellung: Ambiguisierung der literarischen Entwürfe murs auch in diesem Punkt von den sonstigen Minnedarstellungen des Romans abweicht. Diese Abweichung ist umso auffallender, als sich hier erneut eine Veränderung gegenüber der Vorlage abzeichnet: Denn das kärgliche Abendessen, an dem Chrétiens Perceval auf der belagerten Burg in Blancheflors Reich teilnimmt, besteht keineswegs aus Fleisch von gezüchteten Tieren, sondern aus fünf Broten und Fleisch von einem am selben Tag erlegten Rehbock: 111 «[. . .] Mais n ’ a chaiens que sol cinc miches, Que uns miens oncles qui ’ st prïeus, Molt sains hom et religïeus, M ’ envoia por souper anuit, Et un bouchel plain de vin cuit. De vitaille n ’ a plus çaiens, Fors c ’ un chievrol c ’ uns miens serjans Ocist hui main d ’ une saiete.» ( ‹ Perceval › V. 1910 - 1917) «[. . .] Hier in diesem Haus dagegen gibt es nur fünf Brote, die mir ein Onkel, ein Prior, ein sehr heiliger und frommer Mann, zum Abendessen geschickt hat, außerdem ein Fässchen voll Likörwein. Mehr Nahrung ist nicht vorhanden, bis auf einen Rehbock, den einer meiner Diener heute Morgen mit einem Pfeil erlegt hat.» Bedenkt man, dass das Motiv der Jagd sowohl im französischen als auch im deutschen Text an etlichen Stellen erotisch codiert ist (vgl. u. a. Kapitel III.1.1), lässt sich folgender Schluss aus diesem Befund ziehen: Offenbar klammert Wolfram die Nahrungsaspekte, die erotische Implikationen enthalten (Jagdmetapher / weiblicher Tafeldienst / Wild als Nahrung), in Bezug auf Parzival und Condwiramurs nicht nur aus, wie oben festgestellt wurde, sondern er geht noch einen Schritt weiter: Indem er das erotisch codierte Wild durch Fleisch von gezüchteten Tieren aus Stallhaltung ersetzt, verknüpft er die zu Beginn des IV. Buches inszenierte Keuschheit des Paars implizit mit der Kultur, die sexuelle Begierde dagegen mit der Natur. 112 Insgesamt zeigt sich, dass die Nahrungsthematik im ‹ Parzival › an der Konstituierung der literarischen Entwürfe von Minne mitwirkt, indem die Gestaltung des Sprachmaterials den Effekt einer Ambiguisierung der Minnedar- 111 Geht man mit Ernst Schubert davon aus, dass es im Mittelalter üblich war, Wild auch frisch zu essen (vgl. Kapitel II.5), dann ist die chrétiensche Mahldarstellung nicht, wie in der Forschung angenommen wird (vgl. Buschinger, La nourriture, S. 381), als expliziter Hinweis auf die Mangelsituation, die auf der Burg in Blancheflors Reich herrscht, zu verstehen. 112 Vgl. Trînca, ‹ Parrieren › und ‹ undersnîden › , S. 174. 218 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › stellungen hat. Der Bereich des Alimentären verbindet die Semantik des höfischen Frauendiensts mit antagonistischen Tendenzen und versetzt die Minnedarstellungen in vielgestaltige Spannungsverhältnisse: in das von Leben und Tod (Bildsprache der Jagd), von Körper und Geist (erotische Codierung alimentärer Handlungen, Bildsprache der Jagd, Metapher der Minne als Nahrung) und von Natur und Kultur (Opposition: wild und zam). Solche Darstellungsformen beziehen sich auf alle Minnepaare, die in die Handlung integriert sind, mit Ausnahme von Gawan / Obilot und Obie / Meljanz. Auffallend ist jedoch, dass die Minnedarstellung von Parzival und Condwiramurs und parallel dazu die von Feirefiz und Repanse de Schoye grundsätzlich von den Darstellungsformen der sonstigen Protagonistenpaare abweicht. Dass die Funktionalisierung der Nahrungsthematik für die Darstellung von Minne zu den spezifischen Eigenleistungen von Wolframs ‹ Parzival › gehört, hat sich an den vielfältigen, z. T. subtilen Änderungen gezeigt, die diesbezüglich gegenüber Chrétiens ‹ Perceval › zu verzeichnen sind. Angesichts der Detailliertheit, mit der alimentäre Bilder und Motive auf das dargestellte Minnegeschehen abgestimmt sind, erscheint es als konsequent, dass die Nahrungsthematik in der Darstellung der beiden Minnepaare Gawan / Obilot und Obie / Meljanz (Bearosche-Episode, Buch VII) fehlt - sie zeichnen sich dadurch aus, dass es sich bei den beiden ‹ Damen › Obilot und Obie im Grunde noch um Kinder handelt. Ausgespart werden somit all jene Aspekte, die den spielerischen, kindlichen Charakter dieser Minnebeziehungen unterminieren würden. 2. Poetische Funktionen des Alimentären, die über die Darstellung von Minne hinausgehen Nachdem in Kapitel IV. 1 Effekte untersucht wurden, die die Semiotik des Alimentären auf Wolframs Minnedarstellungen hat, wird im Folgenden nach poetischen Funktionen gefragt, die die Minnedarstellungen zwar mitgestalten, die aber darüber hinausgehen, indem sie Aspekte der Figurendarstellung, des Handlungsaufbaus sowie der Textkohärenz betreffen. Für die Untersuchung solcher Phänomene ist es erforderlich, alle Stellen des ‹ Parzival › einzubeziehen, die Nahrungsaspekte enthalten, auch solche, die inhaltlich nicht auf die Minnethematik bezogen sind. Damit steht die folgende 219 Poetische Funktionen des Alimentären Betrachtung auf einer breiteren Textbasis als die bisherige, was zur Folge hat, dass manche Aspekte, die bereits zur Sprache kamen, in einem größeren Zusammenhang noch einmal beleuchtet werden, wodurch sich für einzelne Textstellen zusätzliche Interpretationsmöglichkeiten ergeben können. Um eine Übersicht über das Material zu verschaffen, wird auch hier zunächst eine nach Büchern geordnete tabellarische Auflistung der Textstellen geboten, in der, wie bereits für die Tabelle zur Verbindung von Nahrungs- und Minnethematik im ‹ Parzival › gehandhabt (vgl. Kapitel I.1), zum einen zwischen innerhalb der erzählten Welt vorkommenden alimentären Handlungen, Objekten und Kommentaren (Ebene der histoire, in der folgenden Tabelle abgekürzt mit ‹ h › ) und solchen, die auf diskursiver Ebene des Textes situiert sind (in der Tabelle abgekürzt mit ‹ d › ), unterschieden wird. Zum anderen werden die unterschiedlichen Aspekte der Nahrungsthematik den im Einleitungskapitel definierten thematischen Bereichen zugewiesen (Gabe, Mahl, Nahrungsaufnahme [abgekürzt als ‹ Nahrungsaufn. › ], Nahrungsmittel [abgekürzt als ‹ Nahrungsm. › ], Jagd). Hinzugefügt ist jeweils in der zweiten Spalte in Klammern ein ‹ M › , wenn die entsprechende Stelle inhaltlich im Zusammenhang mit der Minnethematik steht, um einen Eindruck über deren quantitatives Verhältnis zu den nicht auf Minne bezogenen Nahrungsaspekten im Text zu vermitteln. Gesamtübersicht über die Nahrungsthematik in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Typ Beschreibung BUCH I 1,15 - 19 d Jagd Vergleich: Erzählung - fliehender Vogel/ Hase auf der Flucht 20,27 h Mahl Begrüßungsmahl bei Gahmurets Ankunft in Patelamunt 29,9 h Mahl Abschiedstrunk Gahmuret/ Belakane 32,28 - 34,29 h Mahl (M) Mahl Gahmuret/ Belakane 33,4 d Jagd (M) Vergleich: Gahmuret/ Belakane - Reiher/ Fisch 35,30 - 36,1 d Jagd (M) Vergleich: Gahmurets Brust - gespannte Sehne einer Armbrust 39,16 h Jagd Kaylet: Vogel Strauß als Wappentier (Beutetier) 40,26 d Jagd Vergleich: Gahmuret - Vogelnetz (Jäger) 42,8 - 12 d Jagd Vergleich: Gaschier - Strauß, der Eisen und Kiesel frisst (Beutetier) 220 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Typ Beschreibung 45,1 h Mahl Opfergaben der Städter 45,20 h Mahl Gahmurets Imbiss nach dem Kampf 50,15 - 16 d Nahrungsm. (M) Vergleich: Siegreicher Held - Zucker für die Damen 57,10 - 14 d Jagd (M) Vergleich: Belakane - Turteltaube BUCH II 63,20 - 25 h Jagd (M) Gahmurets Einzug in Toledo, Kleidung wie Jagdvogel 64,7 - 9 d Jagd (M) Vergleich: Gahmuret - Jagdfalke auf Beutefang 68,7 h Jagd Kaylet: Vogel Strauß als Wappentier (Beutetier) 71,15 - 21 h Jagd Goldbesatz auf Gahmurets Rüstung von Greifvögeln erbeutet 72,21 h Jagd Jagdvögel als Wappentiere der Krieger 80,1 - 2 d Nahrungsm. (M) Erzählerkommentar zu Kampfgeschehen und Birnensammeln 83,25 - 89,2 h Mahl (M) Tischszene Gahmuret/ Herzeloyde 84,20 - 29 h Gabe (M) Trinkgefäße als Liebesgaben Isenharts an Belakane 100,2 - 18 h Mahl (M) Hochzeitsmahl - Liebesvereinigung Gahmuret/ Herzeloyde 101,7 h Jagd Panther als Wappentier von Gahmurets Vater 104,8 - 17 d Jagd (M) Jagdtiere (Gahmuret/ Parzival), die Herzeloyde ‹ ausweiden › 104,13 d Nahrungsaufn. (M) Ernährung des Drachen an Herzeloydes Brust 113,5 - 16 h Nahrungsaufn. Parzivals Ernährung an Herzeloydes Brust BUCH III 118,4 - 10 h Jagd (M) Parzival auf Vogeljagd 119,1 - 8 h Jagd Herzeloydes Knappen auf Vogeljagd 120,2 - 3 h Jagd Parzival mit Wurfspieß auf Wildjagd 124,11 - 14 d Jagd Vergleich: Waffenrock - Hirschfell 131,22 - 132,8 h Mahl/ Nafn. (M) Parzivals Völlerei in Jeschutes Zelt 131,24 d Nahrungsm. (M) Vergleich: Jeschute - unbekömmliche Speise 131,28 d Mahl (M) Vergleich: Mahl - Minne 136,26 - 28 h Mahl (M) Orilus/ Jeschute: Trennung von Tisch und Bett 221 Poetische Funktionen des Alimentären Textstelle Typ Beschreibung 142,19 h Nahrungsaufn. Parzivals Hunger 142,20 - 143,11 h Mahl Parzivals Einkehr beim geizigen Fischer 145,30 - 146,2 h Mahl Artus ’ Trinkbecher in Ithers Hand 146,20 - 147,8 h Mahl (M) Ithers Vergehen an Artus ’ Tafel 155,7 - 11 h Jagd Parzival tötet Ither mit dem Wurfspieß 163,8 h Jagd Gurnemanz mit Sperber 165,15 - 166,5 h Mahl Parzivals erstes Mahl bei Gurnemanz 165,24 - 25 h Hunger Hinweis auf fehlende Bewirtung Parzivals am Artushof 169,21 - 170,7 h Mahl Parzivals zweites Mahl bei Gurnemanz 170,17 - 20 d Jagd Vergleich Schamlosigkeit mit der Mauser des Jagdfalken 176,13 - 27 h Mahl (M) Drittes Mahl bei Gurnemanz/ Tochter Liaze BUCH IV 184,1 - 28 h Hunger (M) Hungersnot auf Pelrapaire 184,4 - 6 d Hunger Erzählerk.: Graf von Wertheim als kulinarisch motivierter Soldritter 184,24 - 25 d Essen Trüdingens Pfanne ist verstummt 184,29 - 185,9 d Hunger Erzähler zu seiner Armut und seinem Hunger 190,3 - 8 h Mahl (M) Fehlende Bewirtung bei Condwiramurs 190,25 - 191,4 h Mahl Erste Speisung der Burgbewohner, Parzivals milte 191,5 - 6 h Mahl (M) Parzival und Condwiramurs teilen ein Stück Brot 191,12 - 13 d Jagd Vergleich: Bewohner Pelrapaires - hungernde Jagdvögel 194,8 d Nahrungsaufn. Hunger schießt die Hühner von den Balken 200,1 - 2 h Mahl Parzivals karges Mahl nach dem Kampf gegen Kingrun 200,10 - 16 h Nahrungsmittel Schiff mit Nahrung landet auf Pelrapaire 201,5 - 7 d Nahrungsaufn. Erzählerkommentar: Erzähler als kulinarisch motivierter Soldritter 201,10 - 18 h Mahl (M) Zweite Speisung der Burgbewohner, Parzivals milte 201,14 d Jagd «Kröpfen» der Stadtbewohner 222 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Typ Beschreibung 204,8 - 12 h Nahrungsaufn. (M) Clamides erzwingt mit Nahrungsentzug Condwiramurs Minne 206,29 - 207,2 h Gabe (M) Keye/ Kingrun werben mit Krapfen um die Gunst von Cunneware 208,23 - 25 h Mahl Parzival verköstigt die Gefangenen auf Pelrapaire 217,10 - 222,9 h Mahl Pfingstmahl am Artushof BUCH V 224,24 - 25 d Jagd Vergleich: Parzivals Reisegeschwindigkeit - Vogelflug 225,2 - 12 h Jagd Anfortas als Fischer mit Pfauenfeder-Hut 228,25 h Mahl Parzivals Begrüßungstrunk auf der Gralsburg 235,21 - 239,7 h Mahl Speisung durch den Gral 242,29 - 30 d Nahrungsaufn. Erzähler zu seinem Hunger 244,11 - 25 h Mahl (M) Bewirtung Parzivals im Schlafgemach auf der Gralsburg 256,25 - 28 h Nahrungsaufn. Jeschutes Pferd hungert 273,26 - 30 h Mahl (M) Liebesmahl Jeschute/ Orilus 273,26 d Jagd (M) Vergleich: Minnemahl - Jagd 278,28 - 279,26 h Mahl (M) Mahl im Zelt von Cunneware, Liebesmahl Orilus/ Jeschute BUCH VI 281,2 - 4 d Jagd Vergleich: Ritter von der Tafelrunde - Meute Jagdhunde 281,23 - 30 h Jagd Artus ’ Falkner auf Beizjagd 282,12 - 21 h Jagd Falkenjagd auf Gänse 286,28 - 287,4 d Jagd Vergleich: Segramors Kampfausrüstung - Schmuck Jagdvogel 309,6 - 9 h Mahl Mahlzeiten am Artushof erfolgen erst nach erfolgreicher aventiure 309,12 - 331,2 h Mahl Mahl am Artushof zu Ehren von Parzival 317,24 d Jagd Vergleich: Gahmuret - Jagdvogel BUCH VII 359,12 d Nahrungsm. Vergleich: Kampf als Nahrung 378,15 - 17 d Nahrungsm. Vergleich: Turnierkampf - Kastanienbraterei 379,18 - 20 d Nahrungsm. Erfurter Weingarten beklagt seinen Schaden 223 Poetische Funktionen des Alimentären Textstelle Typ Beschreibung 385,16 - 18 d Nahrungsm. Vergleich: Turnierkampf - Getreidedreschen BUCH VIII 400,1 - 401,2 h Jagd (M) Falkenjagd Vergulahts in Ascalun 402,7 - 13 h Jagd Vergulahts Jagdbesessenheit 406,21 h Mahl (M) Bewirtung Gawans durch Antikonies Hofdamen 406,28 - 407,1 d Jagd (M) Vergleich: Gawan/ Antikonie - Adler/ Strauß 409,26 d Jagd (M) Vergleich: Antikonie - Hase am Bratspieß 420,24 d Jagd Vergleich: Ritterkampf - Jagd 423,16 - 424,7 h Mahl (M) Gawans/ Kingrimursels Bewirtung durch Antikonie 423,20 d Mahl (M) Vergleich: Mahl - Minne 424,3 - 6 d Jagd (M) Vergleich: Mundschenken - Jagdvögel in der Mauser 425,21 d Jagd Vergleich: Gawan - Vogel in der Klemmfalle 427,16 d Jagd (M) Vergleich: Antikonies guter Ruf - weitragender Blick des Falken 430,14 - 16 h Jagd Gawans Knappen jagen einen kleinen Jagdvogel BUCH IX 438,29 - 30 h Mahl Sigunes Speisung durch den Gral 449,19 - 451,2 h Mahl (M) Parzivals Einladung zum Essen durch die Töchter des Pilgers 452,15 - 28 h Nahrungsaufn. (M) Trevrizents Askese, Bußleistung für das Minnevergehen Anfortas ’ 470,1 - 19 h Mahl Speisewunder des Grals 485,19 - 486,8 h Mahl Erste Versorgung des Pferds durch Parzival und Trevrizent 486,9 - 30 h Mahl Trevrizents und Parzivals Wurzelmahl 486,13 - 20 h Mahl Parzivals positive Beurteilung des Mahls bei Trevrizent 487,1 - 4 d Nahrungsaufn. Erzählerkommentar zu Parzivals und Trevrizents Askese 487,5 - 12 d Jagd Vergleich: Erzähler - Jagdfalke 487,26 - 488,1 h Mahl Zweite Versorgung des Pferds durch Trevrizent und Parzival 491,6 - 14 h Jagd Anfortas als Fischer/ Jäger 224 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Typ Beschreibung 501,11 - 14 h Nahrungsaufn. Parzivals 14-tägige Fastenzeit bei Trevrizent BUCH X 508,28 d Jagd (M) Vergleich: Orgeluse - Köder/ Schleudersehne des Herzens 515,13 d Jagd (M) Vergleich: Gawan - Gans (Beutetier) 524,17 - 18 h Mahl (M) Urians ’ Essstrafe, vier Wochen Ernährung aus dem Hundetrog 528,26 - 30 h Mahl (M) Urians ’ Essstrafe, vier Wochen Ernährung aus dem Hundetrog 531,19 - 23 d Nahrungsmittel Vergleich: Orgeluses Spott - eine scharfe Sauce 550,1 - 552,5 h Mahl (M) Gawans Mahl beim Fährmann Plippalinot/ Tochter Bene 550,28 - 551,2 d Jagd (M) Vergleich: Minnemahl - Jagd 551,22 - 26 d Nahrungsaufn. Diätetische Anmerkungen des Erzählers BUCH XI 580,22 - 26 h Mahl Gawans Verpflegung nach der Befreiung von Schastel marveile 581,23 - 582,28 h Mahl (M) Gawans Bewirtung durch Arnive und ihre Hofdamen BUCH XII 605,3 - 7 h Jagd (M) Sperber als Liebesgabe Itonjes an Gramoflanz 622,8 - 623,2 h Mahl (M) Minnemahl Orgeluse/ Gawan 622,8 - 13 d Jagd (M) Vergleich: Minnemahl - Jagd BUCH XIII 636,15 - 639,2 h Mahl (M) Festmahl auf Schastel marveile 637,1 - 3 d Nahrungsmittel Weigerung des Erzählers, die Speisen aufzuzählen 639,1 - 2 h Nahrungsaufn. Anprangerung der Maßlosigkeit durch den Erzähler 641,9 - 15 h Mahl Abendtrunk auf Schastel marveile 643,28 - 30 d Nahrungsm. (M) Vergleich: Orgeluse - heilendes Hirschwurz- Kraut 648,19 - 22 h Mahl Mahlzeiten am Artushof erfolgen erst nach erfolgreicher aventiure BUCH XIV 697,11 - 698,15 h Mahl (M) Erstes Mahl im Zeltlager vor Joflanze 225 Poetische Funktionen des Alimentären Textstelle Typ Beschreibung 698,1 - 14 h Nahrungsaufn. (M) Itonjes Appetitlosigkeit aus Liebeskummer 702,4 - 10 h Mahl Abendtrunk im Zeltlager von Joflanze 721,18 - 28 d Jagd (M) Vergleich: Gramoflanz ’ Beizjagd - minnegir 726,1 - 6 h Mahl Begrüßungstrank auf Joflanze 731,7 - 12 d Mahl (M) Minnedarstellung anstelle der Schilderung des Hochzeitsmahls BUCH XV 760,7 - 764,7 h Mahl Zweites Mahl im Zeltlager vor Joflanze 774,27 h Mahl Abendtrunk am Artushof 775,1 - 784,23 h Mahl Hoffest von Joflanze 776,17 - 24 h Mahl (M) Frauen an Artus ’ Tafel nur in Begleitung ihrer Minneritter erlaubt BUCH XVI 794,22 - 26 h Mahl Begrüßungstrank für Parzival und Feirefiz, Gralsburg 803,24 - 27 h Mahl Zwischenmahlzeit auf der Wiese am Plimizol 807,14 - 815,23 h Mahl (M) Festmahl auf der Gralsburg 810,3 - 811,30 h Nahrungsaufn. (M) Feirefiz ’ Appetitlosigkeit aus Liebeskummer 809,24 d Mahl Erzähler kürzt die Darstellung des Mahls ab 815,21 d Mahl Erzähler kürzt die Darstellung des Mahls ab Was bereits für die Textstellen, an denen Nahrungs- und Minnethematik inhaltlich aufeinander bezogen sind, festgestellt wurde (vgl. Kapitel I.1), zeigt sich nun auch in Hinblick auf den gesamten Text, nämlich dass Nahrungsaspekte im ‹ Parzival › auf unterschiedlichen Ebenen vorkommen: auf der Darstellungsebene im Zusammenhang mit Erzählerkommentaren (z. B. diätetische Kommentare, Küchenhumor, ‹ essfeindliche › Aussagen) sowie als Bildspender für das auf der Handlungsebene situierte Geschehen (Vergleiche, Metaphern, Allegorien) und innerhalb der erzählten Welt als Elemente der Handlung (u. a. höfische Festmähler, Liebesmähler, Vogel- und Wildjagd, Sammeln von Kräutern und Wurzeln, Essstrafen, Hungersnöte, milte, Askese, Völlerei, Appetitlosigkeit). Weiter ist zu sehen, dass die Nahrungsthematik zwar oftmals an Minnesituationen gekoppelt ist, sich daneben aber auch im Zusammenhang mit anderen Bereichen findet, etwa dem des Kampfs (z. B. alimentäre Kampfmetaphern u. a. V. 378,15 - 17), der Erziehung (z. B. Parzivals Nahrungsverhalten u. a. V. 165,15 - 166,5), der höfischen Repräsentation und Machtaus- 226 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › übung (z. B. Überfluss auf der Gralsburg V. 235,21 - 239,7; Festivitäten am Artushof u. a. V. 760,7 - 764,7), der Religion (z. B. Trevrizents Askese V. 452,15 - 28) der Krise, des Konflikts oder der Rechtspraxis (z. B. Ithers Vergehen an König Artus ’ Tafel V. 146,20 - 147,8). Diesem Befund sei nun eine Gesamtübersicht über die Nahrungsthematik in Chrétiens ‹ Perceval › gegenübergestellt: Gesamtübersicht über die Nahrungsthematik in Chrétiens ‹ Perceval › Textstelle Typ Beschreibung 1 - 10 d Nahrungsaufn. Vergleich: Textproduktion - Säen/ Rezeption - Ernte 28 - 46 d milte milte des Grafen Philipp von Flandern 74 - 99 h Jagd Perceval auf Jagd mit Wurfspeeren 200 - 205 h Jagd Perceval über den Nutzen der Jagd 491 h Nahrungsaufn. Percevals Hunger 644 d Jagd Dame im Zelt: Adler als Emblem auf dem Zeltdach 660 - 666 h Nahrungsaufn. Percevals Hunger 735 - 766 h Mahl/ Nahrgsafn. Percevals Völlerei im Zelt der Dame 789 - 795 h Mahl (Minne) Erklärungsnot der Zeltdame gegenüber Orgueilleux 833 h Mahl (Minne) Orgueilleux verstößt seine Geliebte, speist allein 867 h Mahl Roter Ritter mit Trinkschale in der Hand 895 - 897 h Mahl Raub der Trinkschale durch den roten Ritter 900 - 902 h Mahl Bei Percevals Ankunft am Artushof tafelt die Gesellschaft 956 - 965 h Mahl Vergehen des roten Ritters an Artus ’ Tafel 1556 - 1570 h Mahl Percevals Mahl bei Gornemanz 1566 - 1570 d Mahl Weigerung des Erzählers über das Essen Auskunft zu geben 1745 - 1750 h Nahrungsaufn. Hungersnot im Reich Blancheflors 1765 - 1775 h Nahrungsaufn. Hungersnot im Reich Blancheflors 1795 - 1797 d Jagd (Minne) Vergleich: Blancheflor - Sperber/ Papagei 1905 - 1922 h Mahl Mahl Perceval/ Blancheflor 2018 - 2020 h Nahrungsaufn. (M) Engygerons/ Clamadeus erzwingen mit Nahrungsentzug B.s Minne 227 Poetische Funktionen des Alimentären Textstelle Typ Beschreibung 2360 - 2361 h Nahrungsaufn. (M) Perceval/ Blancheflor: Alimentäre Bedürfnislosigkeit 2525 - 2585 h Mahl Verköstigung der hungernden Bevölkerung 2574 - 2575 h Nahrungsaufn. (M) Perceval/ Blancheflor: Alimentäre Bedürfnislosigkeit 2786 - 2826 h Mahl Mahlzeiten am Artushof erfolgen erst nach erfolgreicher aventiure 3005 - 3010 h Jagd Gralsherrscher als Fischer 3254 - 3320 h Mahl Mahl auf der Gralsburg, Gral als Hostienbehälter 3322 - 3335 h Mahl Bewirtung Percevals im Schlafgemach auf der Gralsburg 3516 - 3529 h Jagd Gralsherrscher als Fischer/ unfähig zur Wild- und Vogeljagd 4174 - 4183 h Jagd Falken jagen Wildgänse im Schnee 5660 - 5685 h Jagd (Minne) Gauvains vergebliche Hirschjagd 5705 - 5725 h Jagd Des Burgherren Aufbruch zur Jagd 6476 - 6480 h Mahl Eremit/ Perceval: Teilen der Nahrung 6499 - 6506 h Nahrungsaufn. Percevals Askese/ Buße 7480 - 7487 h Mahl Mahl: Gauvain/ Fährmann 8050 - 8060 h Nahrungsaufn. Gauvains Nahrungsverweigerung 8225 - 8255 h Mahl Gauvains Mahl mit 250 Hofdamen (Bewirtung durch Knappen) Die Darstellung zeigt, dass Nahrung auch bei Chrétien auf unterschiedlichen Ebenen des Textes thematisiert wird: wiederum im Zusammenhang mit Erzählerkommentaren (z. B. zur milte des Grafen Philipp von Flandern V. 28 - 46), als Bildspender für das auf der Handlungsebene dargestellte Geschehen (Jagdmetaphern und -vergleiche), als Element der Handlung (höfische Festmähler, Vogel- und Wildjagd, Hungersnot, milte, Askese, Völlerei, Appetitlosigkeit) sowie - und dies fehlt bei Wolfram (! ) - als poetologische Metapher (Vergleich: Textproduktion - Säen / Rezeption - Ernte). Weiter ist zu sehen, dass die Nahrungsthematik auch hier in unterschiedliche Situationszusammenhänge eingebunden ist: neben Minnesituationen kommt sie vor im Zusammenhang mit Erziehung (Percevals Nahrungsverhalten u. a. V. 735 - 766), mit höfischer Repräsentation und Machtausübung (z. B. Überfluss auf der Gralsburg u. a. V. 3322 - 3335, Festivitäten am Artushof u. a. V. 900 - 902), mit Religion (Zusammenhang von Askese und Buße V. 6499 - 228 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › 6506) sowie wiederum mit Krisen und Konflikten (Vergehen des roten Ritters an Artus ’ Tafel V. 956 - 965). Insgesamt jedoch bestätigt die Übersicht, was anhand des Vergleichs einzelner Textstellen bereits deutlich wurde, nämlich dass Wolfram den Bereich des Alimentären gegenüber seiner französischen Vorlage vielfältig ausbaut und erweitert. 2.1 Figurendarstellung: Konstruktion von Körperbildern Die Untersuchung einzelner Textstellen in Kapitel III hat gezeigt, dass alimentäre Handlungen nicht nur als Verweisungszeichen auf körperliche Aspekte von Liebe fungieren können, sondern zugleich auch Ort der Konstruktion von Körpermodellen und -bildern sind (vgl. u. a. Kapitel III.2.2.1). Dies gilt für die Darstellung von Essen und Trinken in Minnesituationen ebenso wie für alle anderen sozialen Konstellationen, in denen Nahrungsaspekte vorkommen. Durch die Thematisierung von körperlichen Bedürfnissen und Verrichtungen, wie dem Umgang des Ichs mit Nahrung, kommen die Körper der Akteure ins Spiel, oder anders gesagt: Sie werden sichtbar gemacht, und zwar ohne konkret beschrieben werden zu müssen. 113 Mit anderen Worten: Essens- und Trinkensdarstellungen in literarischen Texten treiben Vorstellungen vom Körper und von Körperlichkeit hervor, die ungeachtet des flüchtigen Charakters, den sie haben, mit all ihren voluntativen Schattierungen eine Ebene der Figurendarstellung ausmachen, die die konkreten Beschreibungen des Körpers einer Figur überlagern. 114 Dies sei kurz erläutert. 113 Angesichts der kontroversen Diskussion, die der Begriff der Visualisierung und seine Anwendbarkeit für literaturwissenschaftliche Analysen in jüngerer Zeit entfacht hat (vgl. dazu Koch, Trauer und Identität, S. 47 - 78; ferner Wenzel, Horst/ Jaeger, Stephen Charles [Hgg.]: Visualisierungsstrategien in mittelalterlichen Bildern und Texten, Berlin 2006 [Philologische Studien und Quellen 195]), sei betont, dass die Visualisierung des Körpers in einem literarischen Text freilich ein Effekt von literarisch-ästhetischen Strategien ist, die darauf zielen, etwas, das keine reale Existenz hat, in einem symbolischen Zeichensystem zur Erscheinung zu bringen. Das heißt, bei der Visualisierung von Körpern in literarischen Texten handelt es sich um sprachzeichenhaft konstruierte Körper, die nie einfach bloß die unmittelbare Erscheinung eines Körpers sind, sondern die allein deshalb schon als codiert verstanden werden müssen, da sie grundsätzlich der Dechiffrierung durch den textexternen Beobachter unterliegen (vgl. hierzu die Forschungsdiskussion in Kapitel I.1). 114 Diesen Aspekt der Nahrungsthematik habe ich in einem 2013 erschienenen Aufsatz erörtert (vgl. Bleuler, Anna Kathrin: Körperdramen. Wolframs Inszenierung der 229 Poetische Funktionen des Alimentären Ein basales Verfahren der Konstruktion von Körperbildern in einem literarischen Text besteht in der descriptio von Körpern: Die Körper der Akteure können aus Erzähler- oder Figurenperspektive konkret beschrieben werden, was beim Rezipienten des Textes entsprechende Vorstellungen wecken kann. 115 Dabei wirken die mit der Beschreibung von körperlichen Merkmalen und Attributen verbundenen Codierungen an der Evokation von Körperbildern mit: Weiße Haut etwa ist ein soziales Distinktionsmerkmal, das die Vorstellung eines höfischen Körpers aufruft. 116 Anders jedoch verhält es sich bei der Konstruktion von Körperbildern anhand der Nahrungsthematik. Hier ist es nicht die konkrete Beschreibung des Körpers, sondern die Darstellung von körperlichen Vorgängen und Verrichtungen, die im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme stehen, sowie die damit verbundene Darstellung der Art und Weise, wie diese Tätigkeiten ausgeführt werden, über die Körperbilder evoziert werden. Ein plakatives Beispiel dafür ist die Figur des erfolglosen Minnedieners, die im Fressen und Saufen Erfüllung sucht, wie sie in der späthöfischen Lyrik und Kleinepik häufig auftritt (vgl. Kapitel II.4). Die maßlose Nahrungsaufnahme, die Sitzbänke zum Bersten (dô huob er ûf unde tranc: / daz diu banc begunde crachen, ‹ Weinschwelg › V. 278 - 279) 117 , Gürtel zum Aufplatzen (daz im diu gürtel zerbarst, ‹ Weinschwelg › V. 349) und Hemden zum Zerreißen (daz sich das hemde zarte, ‹ Weinschwelg › V. 400) bringt, treibt Vorstellungen von raumgreifender Körperlichkeit hervor, ohne dass der Körper des Akteurs konkret beschrieben werden muss. Dabei wirken auch hier mit der Nahrungsthematik verbundene Codierungen an der Evokation des Körperbilds mit; im vorliegenden Fall wäre dies die mittelalterliche Vorstellung, wonach maßloser Nahrungsaufnahme das Stigma des Götzendiensts und der Sündhaftigkeit anhaftet (vgl. Kapitel II.3). Die unterschiedlichen Arten des Nahrungsverhaltens - Völlerei, Askese oder gemäßigtes Essverhalten - evozieren indes keine stereotypen, immerfort Parzival-Figur anhand von Essen und Trinken, in: Kern, Manfred [Hg.]: Imaginative Theatralität. Szenische Verfahren und kulturelle Potenziale in mittelalterlicher Dichtung, Kunst und Historiographie, Heidelberg 2013 [Salzburger Beiträge zur Interdisziplinären Mediävistik 2], S. 101 - 128.). Die folgenden Ausführungen zur Parzival-Figur überschneiden sich partiell mit den Ausführungen darin. 115 Zur Theorie der Descriptio im Mittelalter vgl. Halsall, Albert W.: Art. ‹ Descriptio › , in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 2. Hg. v. Gert Ueding, Tübingen 1994, Sp. 549 - 553. 116 Vgl. Ernst, Differentielle Leiblichkeit, hier S. 195. 117 Der Stricker: ‹ Der Weinschwelg › , zitiert nach: Der Stricker. Verserzählungen II. Mit einem Anhang: Der Weinschwelg. Hg. v. Hanns Fischer. 3., rev. Aufl. besorgt v. Johannes Janota, Tübingen 1984 (Altdeutsche Textbibliothek 68), S. 42 - 58. 230 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › gleichbleibenden Körperbilder, sondern sie sind als ‹ lebendige › , historisch variable Figurationen zu begreifen, die jeweils kulturspezifische Vorstellungen wecken. 118 Der gegenwärtige Trend hin zu den Themen ‹ Körper › und ‹ Körpersemantik › hat auch die Wolfram-Forschung erfasst. Zu sehen ist dies an dem 2009 erschienenen Einführungsband zum ‹ Parzival › von Michael Dallapiazza, der, anders als die vorgängigen Einführungen, dem Thema einen eigenen Abschnitt widmet. Dallapiazza verzeichnet eine ansteigende Zahl an Untersuchungen zur Körperthematik in Wolframs Werk, wobei er darauf hinweist, dass unter dem Begriff des Körpers ganz unterschiedliche Aspekte behandelt werden (Formen der höfischen Interaktion, Geschlechterbeziehungen, Gewalt, Individualität, die Darstellung von Emotionen). 119 Was die Untersuchung von Körperbildern und -modellen im ‹ Parzival › betrifft, so liegen einzelne Arbeiten vor, die sich mit Phänomenen der descriptio von Körpern beschäftigen. 120 Körperbilder dagegen, die über die Darstellung körperlicher Verrichtungen, wie der Nahrungsaufnahme oder anderer körperlicher Tätigkeiten (z. B. Kampf oder Fortbewegung im Raum), evoziert werden, wurden in der Forschung bislang nicht diskutiert. Dieser Ansatz wird im Folgenden anhand der Nahrungsthematik erprobt. Im ‹ Parzival › werden etliche Figuren in ihrem Nahrungsverhalten gezeichnet: als Jäger, als Sammler, als maßlose Näscher, als disziplinierte Esser, als Hungernde oder als Asketen. 121 Thematisiert werden außerdem Aspekte wie alimentäre Bedürfnislosigkeit, Appetitlosigkeit oder Unersättlichkeit (vgl. Kapitel III.2.3). Während das Nahrungsverhalten der meisten Figuren nur punktuell, in einzelnen Szenen, angesprochen wird, kommt es in Bezug auf zwei Figuren über den gesamten Roman hinweg immer wieder vor, nämlich in Bezug auf Parzival und den Erzähler. Ihr Nahrungsverhalten wird im Folgenden in Hinblick auf die Konstruktion von Körperbildern untersucht und, davon ausgehend, nach deren poetischen Funktionen gefragt. Hierfür werden alle Textstellen einbezogen, an denen Essen und Trinken vorkommen, auch die, die inhaltlich nicht im Zusammenhang mit Minne stehen. 118 Vgl. hierzu die Überlegungen zur Zeichenhaftigkeit von Nahrungsaufnahme in Kapitel II.3. 119 Vgl. Dallapiazza, Michael: Wolfram von Eschenbach: Parzival, Berlin 2009 (Klassiker-Lektüren 12), S. 125. 120 Vgl. Hahn, Parzivals Schönheit; Ernst, Differentielle Leiblichkeit, S. 182 - 222. 121 Vgl. die tabellarische Übersicht über die Nahrungsthematik im ‹ Parzival › in Kapitel IV. 2. 231 Poetische Funktionen des Alimentären 2.1.1 Hyperbolisierung: Parzivals Körper Wie stellt man eine Figur dar, die zwar tölpelhaft ist und von ihrer Herkunft nichts weiß, die aber einer Dynastie entstammt, deren Spitzenahn eine Fee ist und die durch göttliche Gnade zur Weltherrschaft bestimmt ist? 122 - Schön, übermäßig schön: so ist es bei Parzival. Die Beschreibungen von Parzivals Aussehen durch den Erzähler bzw. durch die Figuren des Textes zeichnen sich vor allem durch eines aus: durch emphatischen Preis seiner Schönheit. 123 Beschrieben werden seine idealen Körpermaße (V. 118,11; 123,13 - 17; 124,18 - 19), seine ebenmäßigen Gesichtszüge (V. 139,27), seine schönen, weißen Hände, seine glühend roten Lippen (V. 168,20; 244,8), seine weiße Haut (V. 170,21; 186,4 - 5; 244,4) sowie der strahlende Glanz, der von ihm ausgeht (u. a. V. 167,18 - 20). 124 Dies sind Merkmale, die ungeachtet der kindlichen Naivität, durch die sich Parzival auszeichnet, und der Narrenkleidung, mit der ihn Herzeloyde für seinen Gang in die Welt ausrüstet, jeden, der ihm begegnet, unmittelbar auf seine hochadlige Abstammung schließen lassen (u. a. V. 123,11; 146,5 - 12). Die Beschreibungen dienen der Inszenierung einer ungewöhnlichen, enormen Erscheinung - einer Erscheinung, die ich, komplementär zu dem in der Forschung eingebürgerten Begrifft der heroischen Exorbitanz, als höfisch exorbitant bezeichnen möchte. 125 Es ist die Erscheinung des idealen höfischen Ritters, des idealen höfischen Geliebten und des idealen Herrschers: 122 Wie bei anderen Dynastien ist der Spitzenahn der von Anjou ein Wesen, das nur halb zur Menschenwelt gehört, nämlich eine Fee (V. 56,1 - 22) (vgl. zu diesem Aspekt Kellner, Beate: Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter, München 2004, bes. S. 397 - 402). Die Abstammung von einer Fee ist Begründungsformel für die einzigartige Erbmasse, die dieses Geschlecht determiniert. Dominantes Merkmal dieses Geschlechts ist eine gewaltige und gefährliche Disposition zu minne und strît, die zwar Glanz und Ruhm begründet, die aber zugleich schwer zu handhaben ist und bei den meisten Mitgliedern dieses Geschlechts tödlich endet (vgl. Lieb, Essen, Sex und Ritterschaft). 123 Vgl. z. B. V. 118,11; 123,10 - 17; 124,15 - 21; 126,19 - 29, 129,5; 139,25 - 140,5; 143,12; 146,5; 148,24 - 25; 149,19 - 21; 158,13 - 16; 164,10 - 13; 166,16; 168,1 - 30; 170,21 - 22; 174,20 - 22; 186,1 - 5; 244,4 - 10. Zu Parzivals Schönheit vgl. Johnson, Leslie Peter: Parzival ’ s beauty, in: Green, Dennis Howard/ Johnson, Leslie Peter (Hgg.): Approaches to Wolfram von Eschenbach. Five essays, Bern 1978 (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 5), S. 273 - 291, hier S. 273 f.; ferner: Hahn, Parzivals Schönheit, S. 203 - 232, sowie Ernst, Differentielle Leiblichkeit, S. 196 f. 124 Zum Thema der Glanzschönheit vgl. Hahn, Parzivals Schönheit. 125 Zum Begriff der heroischen Exorbitanz vgl. zuerst See, Klaus von: Was ist Heldendichtung? , in: See, Klaus von (Hg.): Europäische Heldendichtung, Darmstadt 1978, S. 1 - 38, hier S. 31; ferner Müller, Jan-Dirk: Höfische Kompromisse. 232 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › als uns diu âventiure gieht, von Kölne noch von Mâstrieht kein schiltære entwürfe in baz denn alser ûfem orse saz. (V. 158,13 - 16) der ritter îeslicher sprach, sine gesæhen nie sô schoenen lîp. [. . .] si jâhen ‹ er wirt wol gewert, swâ sîn dienst genâden gert: im ist minne und gruoz bereit, mager geniezen werdekeit. › (V. 168,24 - 169,2) der wirt sprach zem gaste sîn [. . .] ir tragt geschickede unde schîn, ir mugt wol volkes hêrre sîn. (V. 170,9 - 22) Dabei ist das Maß, an dem sich Parzivals Schönheit bemisst, die mâze selbst. Seine Körpergestalt entspricht in jedem Detail dem Ideal eines harmonischen Körpers, dessen Ästhetik sich aus der Symmetrie und der Geordnetheit der Gliedmaßen und Gesichtszüge ergibt. Nichts an ihm ist ungeordnet: nichts steht ab, ragt hervor, nichts ist zu groß, zu klein, zu lang oder zu kurz (vgl. u. a. V. 167,21 - 29). Es ist die Beschreibung einer außerordentlichen, extremen Erscheinung, deren Außerordentlichkeit gerade darin besteht, dass sie unmäßig mäßig ist. Woran es hingegen fehlt, ist die Harmonie von Innen und Außen: Parzivals äußere Erscheinung korrespondiert nicht mit einem wohlgeordneten Geist, sondern, auch dies stellt jeder fest, der ihm begegnet: Er ist ein Junge âne witze (V. 124,19 - 20). 126 Befragt man nun die Szenen, in denen Parzivals Nahrungsverhalten geschildert wird, in Hinblick auf die Konstruktion von Bildern seines Körpers, tut sich eine merkwürdige Diskrepanz auf. Denn während es auf der Ebene der descriptio um die Darstellung von absoluten höfischen Idealmaßen geht, bewegt sich die Darstellung von Parzivals Nahrungsverhalten über weite Strecken des Romans in den Extrembereichen des ‹ Zuviels › bzw. des ‹ Zuwenigs › . Das heißt, die intra- und heterodiegetische Wahrnehmung von Parzivals Körper (durch die Akteure innerhalb der erzählten Welt / durch den Erzähler) wird von Symbolisierungen seines Körpers anhand der Nahrungs- Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007, S. 76 f. In die Kategorie der höfischen Exorbitanz würde z. B. auch die Tristan-Figur Gottfrieds von Straßburg fallen. 126 Vgl. Ernst, Differentielle Leiblichkeit, S. 196 f. 233 Poetische Funktionen des Alimentären thematik überlagert, die der Hyperbolisierung der Figur zwar zuarbeiten, jedoch nicht indem sie auf die Darstellung von mâze zielen, sondern indem sie den Richtwert der mâze unablässig überbzw. unterschreiten (wahrnehmbar für textexterne Rezipienten). Um dies aufzuzeigen, wird zunächst ein Überblick über alle Szenen gegeben, in denen die Nahrungsthematik in Bezug auf Parzival vorkommt. Szenen, in denen Nahrung in Bezug auf die Parzival-Figur vorkommt Nummerierung Beschreibung Textstelle 1. Szene Herzeloydes Traum: Ernährung eines wurms Buch II, 104,10 - 19 2. Szene Parzivals Ernährung an Herzeloydes Brust Buch II, 113,9 - 12 3. Szene Parzivals Völlerei in Jeschutes Zelt Buch III, 131,22 - 132,8 4. Szene Einkehr beim geizigen Fischer Buch III, 142,11 - 143,14 5. Szene Einkehr am Artushof Buch III, 147,11 - 161,8 6. Szene Erstes Mahl bei Gurnemanz Buch III, 165,15 - 166,5 7. Szene Zweites Mahl bei Gurnemanz Buch III, 169,21 - 170,8 8. Szene Drittes Mahl bei Gurnemanz Buch III, 175,19 - 176,26 9. Szene Erste Essszene auf Pelrapaire Buch IV, 187,1 - 191,6 10. Szene Zweite Essszene auf Pelrapaire Buch IV, 200,10 - 201,19 11. Szene Erstes Mahl auf der Gralsburg Buch V, 229,23 - 240,23 12. Szene Zweite Essszene auf der Gralsburg Buch V, 243,20 - 244,26 13. Szene Erste Essszene bei Trevrizent Buch IX, 485,1 - 487,10 14. Szene Zweite Essszene bei Trevrizent Buch IX, 501,11 - 14 15. Szene Erste Mahlszene im Zeltlager vor Joflanze Buch XIV, 697,10 - 698,15 16. Szene Zweite Mahlszene im Zeltlager vor Joflanze Buch XIV, 762,6 - 764,7 17. Szene Hoffest von Joflanze Buch XV, 774,13 - 785,23 18. Szene Fest auf der Gralsburg Buch XVI, 807,14 - 815,25 Da ist zuerst einmal Parzivals Ernährung als Kleinkind an Herzeloydes Brust (1. und 2. Szene), dann die Völlerei in Jeschutes Zelt (3. Szene); da ist das Abendessen, das er gegen die von Jeschute erbeutete Kleiderspange vom geizigen Fischer erhält (4. Szene), dann die explizit fehlende Bewirtung bei seiner Einkehr am Artushof (5. Szene), die höfischen Mahlzeiten an Gurnemanz ’ Hof (6.-8. Szene), der alimentäre Mangel bzw. Verzicht auf Pelrapaire (9. 234 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › und 10. Szene), der Überfluss, der ihm als Gast auf der Gralsburg geboten wird (11. und 12. Szene), das frugale Mahl, das er bei Trevrizent einnimmt (13. und 14. Szene), und im Weiteren die Hoffeste, denen er am Artushof sowie auf der Gralsburg beiwohnt (15.-18. Szene). Die Forschung hat die Verknüpfung der Parzival-Handlung mit der Nahrungsthematik gesehen und die Essszenen in Hinblick auf die Darstellung der Lebensgeschichte Parzivals (Kindheit, Adoleszenz, Landesvaterschaft, leibliche Vaterschaft, metaphorische Vaterschaft der Gralsherrschaft) als Elemente im Text interpretiert, die eine ‹ Entwicklung › des Protagonisten anzeigen (vgl. hierzu Kapitel I.1). Die Essszenen laden zu solchen Interpretationen ein, da sie, sofern man sie nicht isoliert betrachtet, sondern als Elemente eines durch den Handlungsgang bestimmten Kontinuums, Veränderungen in Parzivals Umgang mit Nahrung, mit seinem Körper und mit den am Mahl beteiligten Personen anzeigen. - Worin aber besteht diese Entwicklung? - In der Erziehung des unerfahrenen, tumben Knaben im Wald zum vollkommenen Ritter und Gralskönig? 127 - Im Erlernen des Umgang mit seiner «Erbmasse»? 128 - In seiner Entwicklung von «der Natur (Mutterbrust / Einöde) zur Kultur (artifizielle Speisen / Hof)»? 129 - All diesen Interpretationen ist gemein, dass sie nicht den gesamten Roman erfassen, sondern lediglich die Essszenen bis zu Parzivals Aufenthalt auf Pelrapaire (10. Szene). Dies liegt daran, dass die Mahlszenen der restlichen Romanhandlung für die Frage nach einer Entwicklung der Parzival-Figur nicht mehr viel hergeben, da sich Parzivals Nahrungsverhalten nach seinem Aufenthalt auf Pelrapaire nicht mehr ändert (Szenen 11 - 14) bzw. nicht mehr dargestellt wird (Szenen 15 - 18). Auf den ganzen Roman hin gesehen, ist es somit nicht eine ‹ Veränderung von Szenen zu Szene › , durch die sich Parzivals Umgang mit Nahrung auszeichnet, sondern etwas Anderes: Versucht man nämlich eine Ordnung aller Mahlszenen, an denen Parzival beteiligt ist, fällt auf, dass sie sich in zwei einander linear zugeordnete Gruppen einteilen lassen: Während Parzival in den Szenen 1 - 7 im Modus des Nehmens agiert und Nahrungsaufnahme der unmittelbaren Befriedigung des Nahrungstriebs dient, agiert er in den Szenen 9 - 14 im Modus des Gebens und Teilens, der mit einem persönlichen Verzicht auf Nahrung einhergeht. 130 Einen maßvollen Umgang mit Essen und Trinken 127 So Lieb, Essen, Sex und Ritterschaft, S. 2. 128 Vgl. Lieb, Essen, Sex und Ritterschaft, S. 2. 129 So Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 310. 130 Waltraud Fritsch-Rößler, die bislang als einzige eine systematische Zusammenschau von Parzivals Mahlszenen vorgenommen hat, erkennt dies, wenn sie sagt, dass sich Parzivals Essverhalten auf Pelrapaire insofern verändere, als aus «Essen als Haben [. . .] Essen als Teil-Haben» werde (Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 306 sowie S. 310). 235 Poetische Funktionen des Alimentären zeigt Parzival lediglich in der achten Szene, dem dritten Mahl bei Gurnemanz, welches den Übergang vom einen zum anderen Handlungsmodus markiert. Die Szenen 15 - 18 schließlich zeigen Parzival zwar im Rahmen höfischer Festmähler, im Unterschied zu den vorausgehenden Mahlszenen enthalten diese jedoch keine Aussagen über sein Nahrungsverhalten. Dieser Befund ist signifikant für die Frage nach der Konstruktion von Körperbildern, denn die beiden Handlungstypen (Nehmen vs. Geben / Teilen) bringen Bilder von Parzivals Körper hervor, die jeweils in ganz unterschiedlicher Art und Weise an der Hyperbolisierung der Figur mitwirken. Um dies darzulegen, wird auf Ergebnisse zurückgegriffen, die in Kapitel III aus der semiotischen Untersuchung der einzelnen Mahlszenen gewonnen wurden. Die Inszenierung der Nahrungsaufnahme Parzivals als unmittelbare Befriedigung von Hunger erscheint zum ersten Mal in Herzeloydes Traum kurz vor dessen Geburt (Buch II, V. 104,10 - 19). Die im Traumbild dargestellte Ernährung eines Ungeheuers an Herzeloydes Brust markiert den Bereich der Nahrungsaufnahme als triebhaft-animalische, zerstörerische Aktion; als ein ‹ Ver-zehren › und damit als einen Akt, der die Identität des Anderen auslöscht (vgl. Kapitel III.1.1). Bezogen auf Parzivals Handeln stehen Traum und Wirklichkeit im Verhältnis von Prophezeiung und Erfüllung: Sein Wirken in der Welt folgt in den ersten drei Büchern dem Muster triebgesteuerten, solipsistischen Handelns, das Tod und Zerstörung nach sich zieht. 131 Nicht nur stirbt Herzeloyde aus Kummer, als Parzival in die Welt hinauszieht - worauf sich Trevrizents Auslegung des Drachentraums bezieht (V. 476,25 - 30) - , auch seine erste Begegnung mit Jeschute (Buch III, V. 131,22 - 132,8) ist von solchem Handeln geprägt. Denn nachdem Parzival die schlafende Jeschute überfallen, ihr einen Kuss geraubt, Ring und Brosche erbeutet und sich anschließend über die neben dem Bett stehenden Speisen hergemacht hat, wird jene von Orilus des Ehebruchs bezichtigt und verstoßen (V. 136,24 - 30). Hinsichtlich der Essszene nimmt Wolfram gegenüber Chrétien hier eine Änderung vor, die signifikant ist. Perceval nämlich fordert das Zeltfräulein dazu auf, mitzuessen: Et dist: «Pucele, cist pasté N ’ estroient hui par moi gasté. Venez mengier, qu ’ il sont molt buen, Assez avra chascuns del suen, S ’ en i remandra uns entiers.» ( ‹ Perceval › V. 751 - 755) Ihre Interpretation des Befundes in Hinblick auf die Darstellung einer Entwicklung der Parzival-Figur über den gesamten Roman hinweg erscheint aus den oben genannten Gründen allerdings forciert. 131 Vgl. Lieb, Essen, Sex und Ritterschaft, S. 5 - 9. 236 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › «Fräulein», so sagt er, «ich kann heute wohl kaum (all) diese Pasteten verzehren. Kommt auch essen, sie sind sehr gut. Jeder (von uns) wird mit der seinen satt werden, und dann bleibt noch eine ganze übrig.» ( ‹ Perceval › V. 751 - 755) Dagegen ist Wolframs Parzival ganz mit der Befriedigung der eigenen Lust beschäftigt (ern ruochte wâ diu wirtin saz: / einen guoten kropf er az, / dar nâch er swære trünke tranc, ‹ Parzival › V. 132,1 - 3). Diese Änderung ist insofern konsequent, als das Teilen von Nahrung bei Wolfram eine höfische Form der Vergemeinschaftung darstellt, die Parzival erst nach Absolvierung des Erziehungsprogramms bei Gurnemanz beherrscht. 132 Parzivals Trieb- und Affekthaftigkeit scheint im Folgenden stets dann auf, wenn von seinem grôzen hunger (u. a. V. 142,19) die Rede ist, der ihn - und damit die Handlung - vorantreibt, zunächst in den außerhöfischen Raum zu einem geizigen Fischer, bei dem er Jeschutes Brosche gegen ein karges Mahl eintauscht (V. 142,20 - 143,11); später an den Artushof, an dem man ihn, was explizit gesagt wird, hungern lässt (V. 165,24 - 25). Zwar schlägt Parzivals «maßloses Nehmen» in «maßloses Geben» um, wenn er dem Fischer in völliger Verkennung des Werts der Brosche diese als Gegenleistung für ein einfaches Abendessen abtritt, 133 doch steht auch dieses Geben im Zeichen unmittelbarer Triebbefriedigung: Denn es dient einzig und allein dem Stillen seines Hungers. Gir und gelust schließlich sind es, die zur brutalen Ermordung Ithers vor den Toren des Artushofs führen. Die Tat - Parzival wirft dem roten Ritter einen Wurfspieß ins Auge, so, dass er hinten durch den Nacken wieder austritt - zielt auf die bloße Aneignung dessen, was dem Anderen gehört: nämlich Ithers rote Rüstung. Sie erscheint als gewaltsam zerstörerischer Akt, wiederum als ein Verzehren, das die Identität des Anderen auslöscht. 134 Dieses Handlungsmuster wird in der Episode, in der Parzival bei Gurnemanz, einem hochkarätigen Mitglied der adligen Gesellschaft, einkehrt und sich von ihm in ritterlichem Benehmen erziehen lässt (Szenen 6 - 8), sukzessive abgebaut. Die Episode enthält drei Mahlszenen, die die Verhaltensänderung anzeigen. 132 Vgl. Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 302. 133 So Gephart, Geben und Nehmen, S. 131. 134 Vgl. Lieb, Essen, Sex und Ritterschaft. 237 Poetische Funktionen des Alimentären In Gurnemanz ’ Burg angelangt, weigert sich Parzival zunächst, von seinem Pferd abzusteigen, sich entrüsten und entkleiden zu lassen, wodurch er die Regeln verletzt, die im Rahmen einer gastlichen Aufnahme zu befolgen sind. 135 Er ist müde und hungrig; der Hausherr lässt ein Mahl bereiten und begibt sich mit seinem Gast zur Tafel (V. 165,15 - 166,5). Diese Mahlszene führt narrativ eine Situation herbei, in der Parzivals mangelnde höfische Erziehung auf humoristische Weise und in expliziter Anspielung auf die höfischen Tischzuchten vorgeführt wird. Gurnemanz lässt, ganz wie es sich für einen guten Gastgeber gehört, reichlich Speisen auftragen (V. 165,15) und fordert seinen Gast dazu auf, sich zu bedienen. Parzival jedoch, der nichts von den Regeln höfischer Interaktion bei Tisch weiß, ist nicht in der Lage, Gurnemanz ’ Aufforderung als symbolische Geste der Gastfreundschaft zu deuten, der der Gast - gemäß dem Gebot der mâze - zwar mit Dankbarkeit, jedoch auch mit Zurückhaltung zu begegnen hat (vgl. Kapitel II.3). Stattdessen gleicht Parzivals Essverhalten dem eines Tieres, das sich gierig über den Futtertrog hermacht, wodurch er den Paradefall eines Negativbeispiels bietet, wie es in nahezu jeder höfischen Tischzucht zu finden ist. Zur Veranschaulichung sei ein Zitat aus der ‹ Rossauertischzucht › der besagten ‹ Parzival › -Stelle gegenübergestellt: swer sich über die schüzzel habt und gar unsûberlichen snabt mit dem munde rehte als ein swîn; der schol bî anderm vihe sîn ( ‹ Die Rossauertischzucht › V. 31 - 34) 136 der wirt in mit im ezzen hiez: der gast sich dâ gelabte. in den barn er sich sô habte, daz er der spîse swande vil. ( ‹ Parzival › V. 165,26 - 29) Gurnemanz wiederum greift nicht erzieherisch ein, sondern ergötzt sich an Parzivals Fehlverhalten (V. 165,30) und spornt diesen sogar noch an, indem er ihn wiederholt dazu auffordert, noch mehr zu essen (V. 166,2 - 4). Es folgen die Szenen, in denen Parzival gebadet, höfisch eingekleidet und anschließend von der ritterlichen Gefolgschaft empfangen wird. Erste erzieherische Anweisungen erhält er von Gurnemanz beim gemeinsamen Gang zur Messe (V. 169,15 - 20). Auf den Messgang folgt die zweite Mahlszene (V. 169,21 - 170,7), die im Prinzip ähnlich abläuft wie die erste: Wiederum befinden sich Gurnemanz und 135 Vgl. Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 302. 136 Zitiert nach: Thornton, Höfische Tischzuchten, S. 46 - 48. 238 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Parzival zu zweit an der Tafel und wiederum füllt sich Parzival tüchtig den Magen, ohne dass Gurnemanz erzieherisch eingreift. Im Unterschied zur ersten Mahlszene widmet sich Parzival jedoch nicht mehr nur der Nahrungsaufnahme, sondern er wird durch Gurnemanz dazu aufgefordert, von seiner Herkunft zu erzählen, was er sogleich auch tut: Dô giengens ûf den palas, aldâ der tisch gedecket was. der gast ze sîme wirte saz, die spîser ungesmæhet az. der wirt sprach durch höfscheit ‹ hêrre, iu sol niht wesen leit, ob ich iuch vrâge mære, wannen iwer reise wære. › er saget im gar die underscheit, wier von sîner muoter reit, umbez vingerl unde umbz fürspan, und wie erz harnasch gewan. [. . .] dô man den tisch hin dan genam, dar nâch wart wilder muot vil zam. der wirt sprach zem gaste sîn ‹ ir redet als ein kindelîn. wan geswîgt ir iwerr muoter gar und nemet anderr mære war? habt iuch an mînen rât: der scheidet iuch von missetât. sus heb ich an: lâts iuch gezemn. ir sult niemer iuch verschemn › . (V. 169,21 - 170,16) Dabei schlägt maßloses Essen in maßloses Sprechen um: Parzivals Schilderungen sind so detailliert, dass Gurnemanz eingreift und ihn für seine Geschwätzigkeit rügt (V. 170,10 - 12). Essen und Sprechen sind hier auf komplexe Weise miteinander verknüpft: Das Tischgespräch bewirkt nämlich nicht nur einen Aufschub der unmittelbaren Triebbefriedigung, wie es Fritsch- Rößler postuliert, 137 sondern es tritt zugleich an die Stelle der Befriedigung des Nahrungstriebs, wodurch der Eindruck entsteht, diese werde durch das unmittelbare Sprechen ersetzt. Was hier zur Darstellung kommt, wäre damit aus psychoanalytischer Sicht als eine Form der Sublimierung des Nahrungstriebs zu werten. 138 Insgesamt zeigt sich ein besonderer Stellenwert der beiden Mahlszenen innerhalb der Gurnemanz-Episode: Während die sonstigen sozialen Räume 137 So Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 302 - 304. 138 Zum Begriff der Sublimierung vgl. Das Vokabular der Psychoanalyse. Bd. 2. Hg. v. Jean Laplanche u. Jean-Bertrand Pontalis, Frankfurt a. M. 1977, S. 478 - 481. 239 Poetische Funktionen des Alimentären und Konstellationen als Bereiche der praktischen Vermittlung von Wissen fungieren (u. a. Messe: Ort der religiösen Erziehung / Turnierplatz: Ort der Erziehung in Waffen- und Kampftechnik), stellt das höfische Mahl nämlich explizit keinen Ort der Erziehung dar, sondern einen, an dem Gurnemanz seinen Schüler in dessen Verhalten beobachtet und studiert. Das heißt: Das Mahl fungiert als Gradmesser des Akkulturations- und Sozialisationsstands Parzivals. Dem entspricht auf Diskursebene der Stellenwert, den Tischzuchten im Rahmen der höfischen Erziehungslehren einnehmen: So wird das Mahl auch in Hugos von St. Viktor Schrift De institutione novitiorum weniger als Ort der Erziehung angesehen, als vielmehr als ein Ort, an dem sich höfische Erziehung zu erweisen hat. Hugos Erklärung dafür ist, dass das Benehmen bei Tisch alle anderen Disziplinen (die Disziplin des Schweigens, des Blickes, des kontrollierten Verhaltens) umfasse und daher als Quintessenz der gesamten Erziehungslehre zu erachten sei. 139 Umso abrupter fällt das Ende des zweiten Mahls aus, an das sich nahtlos Parzivals explizite Erziehung durch Gurnemanz schließt, eingeleitet durch dessen Bemerkung: ich pin wol innen worden daz ir râtes dürftic sît: nu lât der unfuoge ir strît. (V. 171,14 - 16) Es folgen Gurnemanz ’ Herrscher- und Minnelehre sowie die ritterliche Ausbildung auf dem Turnierplatz, die in einer Tjost gipfelt, bei der Parzival fünf Ritter mühelos vom Pferd stößt (V. 175,3). Seine kämpferischen Fähigkeiten qualifizieren ihn als Minneritter, was zur Folge hat, dass die umstehenden Zuschauer einstimmig fordern, Gurnemanz möge Parzival seine Tochter Liaze zur Frau geben (V. 175,12). Hierauf folgt die dritte Mahlszene (V. 175,19 - 176,27), in der der Fürst sein nach dem Verlust dreier Söhne einziges Kind, Liaze, mit Parzival zusammenführt. Diese Mahlszene nun zeigt eine Verhaltensänderung des Protagonisten an, die mit Norbert Elias als Verinnerlichung von Selbstkontrollmechanismen zu bezeichnen wäre: 140 er [Gurnemanz] saz al eine an den ort. sînen gast hiez er sitzen dort zwischen im unt sîme kinde. ir blanken hende linde muosen snîden, sô der wirt gebôt, 139 Vgl. Bumke, Höfischer Körper, S. 91 f. 140 Vgl. Elias, Prozeß der Zivilisation. Bd. 1, S. 266 - 356. 240 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › den man dâ hiez den ritter rôt, swaz der ezzen wolde. nieman si wenden solde, sine gebârten heinlîche. diu magt mit zühten rîche leist ir vater willen gar. si unt der gast wârn wol gevar. (V. 176,15 - 26) Zu sehen ist hier, dass Parzival nicht mehr - wie es in den ersten beiden Mahlszenen der Fall ist - einfach zugreift, sondern sich die Speisen anreichen lässt (V. 176,18 - 21). Auf Anweisung des Vaters schneidet ihm Liaze das Essen mit zarter Hand vor und reicht es ihm in mundgerechten Portionen (V. 176,15 - 27). Hier kommt nun die soziale Komponente des Mahls ins Spiel: Liazes Tafeldienst ist eine minnesymbolische Handlung, die Parzival als solche zu deuten weiß und die kumber bei ihm auslöst, da er für die Minne nicht bereit ist (vgl. Kapitel III.2.3). Zwar ist der Aktionsmodus Hunger / Sättigung / Zerstörung auch in der Gurnemanz-Episode noch wirksam. Denn anstatt auf Liazes Minnewerbung einzugehen, verkündet Parzival seinen Weggang vom Hof, wodurch er seinen Gastgeber Gurnemanz in Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit stürzt (V. 178,6 - 179,12). Jedoch markiert die Minnemahlszene als Höhepunkt und gleichzeitiger Abschluss von Gurnemanz ’ Erziehungsprogramm einen Wendepunkt in der Figurendarstellung: Denn von nun an agiert Parzival nicht mehr im Modus unmittelbarer Befriedigung eigener körperlicher Bedürfnisse, sondern in dem von Geben und Teilen. 141 Anders als in den vorausgehenden Szenen steht Parzivals Nahrungsverhalten auf Pelrapaire (Szenen 9 - 10), auf der Gralsburg (Szenen 11 - 12) sowie während seines Aufenthalts bei Trevrizent (Szene 13) im Zeichen der Konstituierung von Gemeinschaft, 142 wobei die Darstellung seines Konsumverhaltens nicht - wie in den Szenen 15 - 18 - unkommentiert bleibt, sondern explizit als Verzicht inszeniert wird. Dies geschieht stets nach demselben Muster, indem nämlich narrativ die Erwartung einer Esshandlung aufgebaut wird, um sie dann nicht zu erfüllen. Von Hunger indes ist in Bezug auf die Parzival-Figur in diesen Handlungsteilen nicht mehr die Rede. Für die Pelrapaire-Episode wurde dies bereits dargelegt (vgl. Kapitel III.2.2.1 und III.2.3). Zunächst spenden Parzival und Condwiramurs die ihnen zugedachten Nahrungsmittel den hungernden Stadtbewohnern und behalten für sich selbst lediglich ein Stück Brot, das sie miteinander 141 So auch Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 310. 142 Vgl. Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 310. 241 Poetische Funktionen des Alimentären teilen (V. 191,5 - 6). Anschließend begibt sich Parzival - explizit ohne Stärkung durch ein Mahl (V. 196,15 - 197,1) - in den Kampf gegen die Belagerer der Stadt. 143 Nachdem er Kingrun besiegt hat, kehrt er zu Condwiramurs zurück (V. 199,22 - 23), wo ihn, aufgrund des herrschenden Mangels, abermals keine angemessene Bewirtung erwartet (V. 200,1 - 2). Und als dann ein mit Lebensmitteln vollgeladenes Schiff nach Pelrapaire gelangt, verteilt Parzival die Nahrungsmittel erneut an die Stadtbewohner; für sich selbst behält er diesmal gar nichts (V. 200,8 - 19). Ähnlich verhält es sich in der Episode auf der Gralsburg (Buch V), in der für Parzival ein glanzvoller Empfang bereitet wird. In einer beispiellosen Choreografie bringen nach und nach 24 hierarchisch auftretende Frauen (Gräfin, Herzogin, Fürstin), die dann die Gralskönigin symmetrisch flankieren, Leuchter, Elfenbeinstützen, Kerzen, Messer, eine Steinplatte als Tisch und schließlich den Gral. Anschließend tragen 100 Knappen ebenso viele goldene Becken mit Waschwasser, Handtüchern, Tischtafeln, Tischdecken und das Tafelgeschirr für 400 Personen und Brot auf. Als sich die Tafel dann endlich durch die Wunderkraft des Grals mit allen erdenklichen Speisen und Getränken deckt, greift Parzival nicht - wie zu erwarten wäre - zu, sondern beginnt nachzudenken (V. 239,8 - 17). Davon, dass er an der reichgedeckten Tafel auch nur das Geringste zu sich nimmt, ist an keiner Stelle die Rede. 144 Zur Nahrungsaufnahme kommt es erst, als Parzival in seinem Schlafgemach von vier Jungfrauen mit Obst und verschiedenen Weinen versorgt wird (V. 244,11 - 24). Ganz im Modus des Gebens und Teilens verhaftet, bittet Parzival das dienende Mädchen, sich zu ihm zu setzen, was jene jedoch ablehnt, worauf er etwas von den Früchten kostet (V. 244,19 - 24). 145 Freigiebigkeit und Verzicht sind es schließlich, durch die sich Parzivals Nahrungsverhalten in der Trevrizent-Episode auszeichnen (Buch IX). Als 143 Zwar ist gemäßigtes Essverhalten kennzeichnend für die Helden der Artusromane, nicht aber totaler Verzicht. So z. B. stärkt sich Erec mit ein paar Bissen von einem Huhn für den Kampf (vgl. ‹ Erec › V. 8648 - 8650). 144 Im Gegensatz zu Fritsch-Rößler (Ritardando, S. 309) lese ich die Stelle in dûhte er hete baz genuoc / dan dô sîn pflac Gurnemanz, / und dô sô maneger frouwen varwe glanz / ze Munsalvæsche für in gienc, / da er wirtschaft vome grâle enpfienc (V. 486,16 - 20) nicht als nachträglichen Hinweis darauf, dass Parzival an der Tafel des Grals tatsächlich auch gegessen hat. 145 Fritsch-Rößler weist zu Recht darauf hin, dass das explizite Ausbleiben des Teilens von Nahrung auf der Gralsburg von Bedeutung für die Interpretation von Parzivals Schuldfrage ist. Es zeigt nämlich, dass nicht nur Parzival versagt, indem er keine Frage stellt, sondern auch die Gralsgesellschaft selbst, und zwar dramaturgisch. Denn die stundenlange Zeremonie verdrängt das Wesentliche: die Vergemeinschaftung durch das gemeinsame Mahl (vgl. Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 308). 242 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › wäre die strenge Askese, die sich der Einsiedler auferlegt hat (Trevrizent hat Wein, Brot und allem, was Blut in sich trägt, abgeschworen, V. 452,18 - 23), 146 nicht genug, sorgen sich die beiden bei Parzivals Ankunft in der Klause erst einmal um dessen Pferd, sammeln Efeusprossen für dieses, bevor sie einige Wurzeln und Kräuter, die Trevrizent dem vereisten Waldboden entzieht, roh, in der schwachbeheizten Hütte, miteinander verspeisen (V. 458,16 - 19; 485,3 - 486,9). 147 Es folgen 14 weitere Fastentage für Parzival als Bußleistung für seine Sünden (V. 501,11 - 14). Die Ausführungen zeigen: Beide Aktionsmodi, sowohl der des unmittelbaren Nehmens (1.-7. Szene) als auch der des selbstlosen Gebens und Teilens (9. - 14. Szene), wirken auf diskursiver Ebene des Textes an der Hyperbolisierung der Parzival-Figur mit, indem sie Bilder eines potenten, übermächtigen Körpers produzieren. Die Qualität der Körperbilder, die die beiden - als Gegensätze inszenierten - Handlungstypen hervorbringen, weichen jedoch kategorial voneinander ab. So spielen die Szenen 1 - 7, in denen es um Parzivals Hunger und seine Sättigung geht, seine materielle Leiblichkeit in den Vordergrund. Sie produzieren Bilder eines überdimensionalen, raumgreifenden Körpers, der sich durch physische Stärke auszeichnet. Dies beginnt mit dem Traumbild des wurmes, der wie ein trache (V. 104,13) Herzeloyde den Schoß zerreißt, ihre Brüste aussaugt, dann plötzlich davonfliegt und ihr dabei das Herz aus der Brust reißt (1. Szene). Bezogen auf Parzival, baut dieses Bild die Vorstellung von animalisch-triebhafter, ja geradezu monströser Körperlichkeit auf. 148 Die mit dem Traumbild 146 Allerdings wird das Bild des vorbildlichen Asketen Trevrizent - in der für Wolfram typischen ironischen Brechung - entkräftet, indem dessen Enthaltsamkeit nicht allein auf seinen Glauben zurückgeführt wird, sondern auch auf seine Vergesslichkeit: der wirt gruop im würzelîn: / das muose ir beste spîse sîn. / der wirt sînr orden niht vergaz: / swie vil er gruop, decheine er az / der würze vor der nône: / an die stûden schône / hienc ers und suochte mêre. / durch die gotes êre / manegen tac ungâz er gienc, / so er vermiste dâ sîn spîse hienc. (V. 485,21 - 30). Louis interpretiert diese Stelle, durchaus nachvollziehbar, als boshaften Seitenhieb auf den zeitgenössischen ‹ Weg zu Gott über Askese › (vgl. Louis, Metaphorik und Dunkelheit, S. 138). 147 Natürlich kann Parzivals Pferd nicht mit den hungernden Menschen auf Pelrapaire gleichgesetzt werden, dennoch ist Fritsch-Rößler darin zuzustimmen, dass hier wie dort Parzivals milte und seine (auf Munsalvæsche fehlgeschlagene) Empathie zum Ausdruck kommen (vgl. Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 309). 148 So auch Lieb, Essen, Sex und Ritterschaft, S. 6. Dieses Körperbild wird auf der Handlungsebene explizit angesprochen, und zwar in der Szene, in der Cundrie am Artushof erscheint und Parzival verflucht, weil er es bei seiner Einkehr auf Munsalvæsche versäumt hat, sich nach dem Leid des Herrschers zu erkundigen (ich dunke iuch ungehiure, / und bin gehiurer doch dann ir, V. 315,24 - 25). 243 Poetische Funktionen des Alimentären verbundenen Codierungen arbeiten der Evokation dieses Körperbilds zu: Der Drachentraum der Schwangeren, der eine Überblendung der Lebensgeschichte Parzivals mit der Vita Christi zum ersten Mal andeutet und der grundsätzlich zwar ein positives Herrschaftsbild aufbaut, das aber auch negative Konnotationen enthält (Bezeichnung wurm: Synonym für den Teufel; animalischmonströses Nahrungsverhalten des Ungeheuers), konstituiert ein heroisches Körperbild, das Bild eines gewaltigen Kriegers, eines großen Herrschers, aber eben auch das eines Sünders (vgl. Kapitel III.2.3). Diese Körperbilder wirken in den an den Traum anschließenden Beschreibungen von Herzeloydes Schwangerschaft und von Parzivals Geburt nach. So sind seine Bewegungen im Bauch so extrem und seine Gliedmaßen so voluminös, dass Herzeloyde bei der Geburt beinahe stirbt: dann übr den vierzehenden tac diu frouwe eins kindelîns gelac, eins suns, der sölher lide was daz si vil kûme dran genas. (V. 112,5 - 8) Und als die Hofdamen das neugeborene Kind zum ersten Mal sehen, fallen ihnen an dieser Stelle nicht, wie sonst üblich, die Idealmaße seines Körpers oder gar das Süße, Kleine, Feine an ihm auf, sondern sîniu mânlichiu lit (V. 112,27). Die Vorstellung von übermächtiger, physischer Körperlichkeit scheint im weiteren Verlauf der ersten drei Bücher stets dann auf, wenn von Parzivals Hunger und seiner Sättigung die Rede ist. In der Jeschute-Episode etwa evoziert die metaphorische Verwendung des Begriffs kropf in Bezug auf Parzival (einen guoten kropf er az, V. 132,2) die Vorstellung eines animalischen Körpers, der über (nahezu) unbegrenzte Möglichkeiten der Nahrungsaufnahme verfügt. 149 Die Darstellung anderer körperlicher Fähigkeiten, wie seine unmäßige Kampfeskraft oder seine enorme Reisegeschwindigkeit, wirken an der Evokation dieses Körperbilds mit. Dieser Darstellungsmodus ändert sich in Buch IV ab dem Zeitpunkt, an dem Parzival nach Pelrapaire gelangt und seiner zukünftigen Frau Condwiramurs begegnet. Zwar wird auch hier das Bild eines übermächtigen, potenten Körpers aufgerufen; doch während die Darstellung von alimentärer Erfüllung Bilder materieller Leiblichkeit erzeugt, produziert die Darstellung von Verzicht und Askese Bilder immaterieller, metaphysischer Leibeskraft. Für den Rezipienten des Textes erscheint Parzival nun nämlich gerade deshalb als eine Figur, die über unerschöpfliche Kraft verfügt, weil sie ihre Kraft explizit nicht 149 Zum Begriff kropf vgl. Kapitel III.2.3. 244 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › aus dem Stofflich-Materiellen bezieht. Dieser Darstellungsmodus bewirkt eine Sublimierung von Körper und Körperlichkeit. 150 Dass die Nahrungsthematik Parzivals Entwicklung vom Körperlichen zum Geistlichen anzeigt, lässt sich durch eine Beobachtung stützen, die Felix Louis in Bezug auf die Speisemetaphorik im ‹ Parzival › gemacht hat. Louis zeigt nämlich, dass Parzivals Wurzelmahl bei Trevrizent, welches jenem als das beste Mahl erscheint, das er je genossen hat (V. 486,27 - 30), geistliche Konnotationen aufweist. Denn die ‹ Wurzel › ist im ‹ Parzival › Metapher für den Gral. 151 Der Gral wiederum wird seinerseits von Gott gespeist, wobei die Symbole der Taube und der Oblate zu erkennen geben, dass hier der Eucharistiegedanke und damit die Erinnerung an die Passion Christi im Hintergrund mitwirken. 152 Damit wird die irdische Speisung durch den Gral letztlich auf die geistliche Speisung durch Gott zurückgeführt, was bedeutet, dass die Gral-Speisen bei Wolfram Metaphern der Medialität zwischen Himmel und Erde sind. 153 Insofern ließen sich mit Louis die auf die Parzival-Figur bezogenen Nahrungsdarstellungen als metaphorische Darstellung seines Weges zu Gott begreifen. 154 Dabei fällt auf, dass der Wechsel des Darstellungsmodus in Buch IV mit einer Umcodierung des Körperbilds Parzivals einhergeht: Während der Aktionsmodus Hunger / Sättigung, der mit Herzeloydes Drachentraum eingeführt wird, von Beginn an mit einem ambivalenten Herrscherbild verbunden ist, wird der Aktionsmodus des Gebens und Teilens mit einem durchweg positiven Herrscherbild assoziiert: Denn die über die Strukturanalogie zu biblischen Erzählungen (Speisung der Fünftausend / letztes Abendmahl) evozierten semantischen Potenziale lassen Parzival in den beiden Mahlszenen 150 Wobei die Evokation von Körperbildern über die maximale Reduktion des Physischen innerhalb der erzählten Welt eigens vorgeführt wird: In der Blutstropfen-Szene (Buch VI) nämlich sind es gerade einmal drei Blutstropfen im Schnee, die genügen, um für Parzival das Bild seiner geliebten Frau entstehen zu lassen (V. 282,21 - 283,17). Vgl. hierzu Hasebrink, Burkhard: Gawans Mantel. Effekte der Evidenz in der Blutstropfensezene, in: Andersen, Elisabeth/ Eikelmann, Manfred (Hgg.): Texttyp und Textproduktion in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin/ New York 2005, S. 237 - 247. 151 Vgl. die Textstellen bei Louis, Metaphorik und Dunkelheit, S. 139. 152 Vgl. Louis, Metaphorik und Dunkelheit, S. 139. 153 Louis bezieht diesen Aspekt auf die wolframschen Speisedarstellungen insgesamt (vgl.: «Speise ist also bei Wolfram eine Metapher der Medialität zwischen Himmel und Erde», Louis, Metaphorik und Dunkelheit, S. 148). Ich dagegen würde diesen Aspekt nicht generalisieren, sondern auf die Speisen des Grals beschränken. 154 Vgl. Louis, Metaphorik und Dunkelheit, S. 140. 245 Poetische Funktionen des Alimentären auf Pelrapaire (Szene 9 und 10) im Licht des Heilsbringers erscheinen (vgl. Kapitel III.2.2.1). 155 Zusammenfassend lässt sich sagen: Sowohl die descriptio von Parzivals Körper durch die Figuren des Textes (Akteure innerhalb der erzählten Welt / Erzähler) als auch die Konstruktion von Körperbildern anhand der Nahrungsthematik arbeiten der Inszenierung einer extremen Erscheinung zu. Während sich jedoch Parzivals Körper für die Figuren des Textes durch absolute Schönheit und höfische Idealmaße auszeichnet, bringt die Darstellung seines Nahrungshandelns Körperbilder hervor, die den Richtwert der mâze unablässig überbzw. unterschreiten (wahrnehmbar für Beobachter dritten Grades). Für diese Ebene des Textes ist entscheidend, dass Parzivals Nahrungshandeln, beginnend mit dem Moment, in dem er seinen Dienst auf Pelrapaire antritt (Buch IV), von Solipsismus in Altruismus umschlägt und dass dieser Wechsel des Handlungsmodus mit Umcodierungen des Körperbilds einhergeht. Zwar wirken beide Aktionsmodi an der Hyperbolisierung der Parzival-Figur mit, indem sie Bilder eines potenten, übermächtigen Körpers produzieren; während der Modus des unmittelbaren Nehmens jedoch stets mit ambivalenten Konnotationen verbunden ist (Christusanalogien, Sündenthematik), geht der des Gebens und Teilens mit einer Sublimierung des Körperlichen (Verzicht, Askese) und einer Positivierung des etablierten Herrscherbilds (Christusanalogien) einher. Wenn die Forschung Parzivals Nahrungshandlungen als Textelemente interpretiert, an denen sich eine ‹ Entwicklung › des Protagonisten vom tumben, unkultivierten Knaben im Wald zum vollkommenen Ritter und Gralsherrscher ablesen lässt, dann richtet sie den Blick auf die Darstellung der Figur innerhalb der erzählten Welt. Auf metaphorischer Ebene jedoch trägt Parzivals Nahrungshandeln von Beginn an zur Inszenierung seiner einzigartigen Abstammung und Prädestination zur Gralsherrschaft bei, wobei der Einbruch der göttlichen Gnade durch den Wechsel des Handlungsmodus in Buch IV und die damit verbundenen Umcodierungen des Körperbilds auf dieser Ebene des Textes vorbereitet wird (wahrnehmbar für den Beobachter dritten Grades). 155 Ein weiterer Bildbereich, der in Buch IV an der Konstituierung eines göttlichen Körperbilds mitwirkt, ist die Lichtmetaphorik, die in Bezug auf Parzival vorkommt. Dabei werden die so aufgebauten Christusanalogien zugleich aber immer wieder aufs Neue dekonstruiert (vgl. Kapitel IV. 1.2). 246 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › 2.1.2 Authentifizierung, Kontrastierung: Der Körper des Erzählers Es gibt neben Parzival eine weitere Figur, auf die die Nahrungsthematik wie ein Leitmotiv den gesamten Text hindurch bezogen ist: den Erzähler. 156 Der Erzähler nutzt die Szenen, in denen es um Essen und Trinken geht, zu alimentären Erläuterungen und Kommentaren; er gibt Auskünfte über die Lebensumstände der Figuren und macht bisweilen auch Witze darüber; er verweist auf historische Begebenheiten und stilisiert sich - nicht zuletzt - selbst zum Nahrungshandelnden. Zur Veranschaulichung des Befunds sei zunächst ein Überblick über die Textstellen gegeben: Szenen, in denen Nahrung im Zusammenhang mit der Erzähler-Figur vorkommt Nummerierung Beschreibung Textstelle 1. Szene Kommentar: Der Erzähler möchte lieber Birnen vom Boden sammeln als die Ehrenworte seiner besiegten Gegner. Buch II, 80,1 - 2 2. Szene Kommentar und Scherz zur Hungersnot auf Pelrapaire; Einbringung persönlicher Erfahrungen Buch IV, 184,4 - 18 3. Szene Einbringung persönlicher Erfahrungen zu Armut und Hunger Buch IV, 184,27 - 185,10 4. Szene Kommentar: Nachdem nun in Pelrapaire wieder Überfluss herrscht, will der Erzähler dort Söldner sein. Buch IV, 201,5 - 7 5. Szene Kommentar: Der Erzähler beteuert die Wahrheit der Geschichte vom Speisen spendenden Gral. Buch V, 238,8 - 17 6. Szene Kommentar: Angesichts des Reichtums, der auf der Gralsburg herrscht, wird der Erzähler seiner Armut müde. Buch V, 242,29 - 30 7. Szene Kommentar: Der Erzähler will nicht für den Rasen am Kampfplatz verantwortlich sein und verweist auf den verwüsteten Erfurter Weingarten. Buch VII, 379,16 - 20 156 Vgl. das Kapitel zur Erzählerfigur bei Nitsche, Die literarische Signifikanz, S. 263 - 266. 247 Poetische Funktionen des Alimentären Nummerierung Beschreibung Textstelle 8. Szene Anzügliche Bemerkungen des Erzählers über die an Antikonies Tafel dienenden Mädchen Buch VIII, 423,29 - 424,6 9. Szene Vergleich: Antikonies Körpergestalt - Hase am Bratspieß Buch VIII, 409,25 - 26 10. Szene Kommentar und Scherz zu Trevrizents und Parzivals Askese Buch IX, 487,1 - 12 11. Szene Diätetische Überlegungen Buch X, 551,20 - 30 12. Szene Kommentar: Der Erzähler möchte nicht mit dem Löwen zusammen speisen, gegen den Gawan kämpft. Buch XI, 572,8 - 12 13. Szene Absage an die Nahrungsthematik: Da der Erzähler kein Küchenmeister ist, kann er die Speisen an König Artus ’ Tafel nicht beschreiben. Buch XIII, 637,1 - 4 14. Szene Absage an die Nahrungsthematik: Wer mehr übers Essen wissen will, ist ein vrâz. Buch XIII, 639,1 - 2 15. Szene Absage an die Nahrungsthematik: Übers Essen braucht nicht geredet zu werden. Buch XIV, 731,2 - 10 16. Szene Absage an die Nahrungsthematik: Vom Mahl auf Munsalvæsche wird in aller Kürze berichtet. Buch XVI, 809,8 - 29 Die Art und Weise, in der sich der Erzähler mit Nahrung auseinandersetzt, ist divergent. Einmal gibt er sich als Kenner im Bereich des Alimentären und bringt diätetische Überlegungen ein (10. und 11. Szene). Dann wieder stilisiert er sich zum Unwissenden, der nichts von der Kochkunst weiß und daher keine Auskünfte über die Speisen an König Artus ’ Tafel geben kann (13. Szene). Mehrmals unterbricht er die Erzählung, um auf seine ärmlichen Lebensverhältnisse zu verweisen bzw. auf die Situation seines Dienstherren, des Grafen von Wertheim (1.-4. Szene; 6. und 7. Szene). An anderen Stellen wiederum weigert er sich, über Essen und Trinken zu sprechen (13.-15. Szene). So unterschiedlich die alimentären Äußerungen des Erzählers sind, so fällt doch auf, dass sie sich - ebenso wie für die auf Parzival bezogenen Nahrungsszenen festgestellt (vgl. Kapitel IV. 2.1.1) - kategorial in zwei Gruppen einteilen lassen, die einander linear zugeordnet sind. Jedoch sind die Einteilungskategorien andere und der Umbruch vollzieht sich an anderer Stelle: Während 248 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Parzival in den Büchern II - III im Modus des unmittelbaren Nehmens agiert und ab Buch IV in dem des Gebens, Teilens und Verzichtens, äußert sich der Erzähler zu alimentären Sachverhalten in den Büchern I - XII (Szenen 1 - 12) aus der Position des Hungerleidenden, in den Büchern XIII - XVI (13.-16. Szene) dagegen aus der der Essensfeindlichkeit. Den Ausgangspunkt nimmt die Stilisierung des Erzählers zur gustativ begehrenden Figur in einer Szene, in der es nicht um Essen und Trinken geht, sondern um einen Turnierkampf: Als Gahmuret im Kampf vor Kanvoleiz einen Ritter nach dem anderen besiegt, wirft der Erzähler unvermittelt ein, ihm selbst würde es leichter fallen, süße Birnen aufzusammeln als die Ehrenworte der vom Pferd gestürzten, besiegten Gegner (Buch II, V. 80,1 - 2). Zum einen spielt der Vergleich auf die Leichtigkeit an, mit der Gahmuret das Kampfgeschehen dominiert, indem die Vorstellung erzeugt wird, die besiegten Ritter würden vor ihm wie Fallobst von den Pferderücken auf den Boden fallen. Zum anderen aber trägt die Aussage zur Selbststilisierung der Erzählerfigur bei: Denn sie lässt den Erzähler als jemanden erscheinen, der nicht ohne Spott bekennt, nicht über den Heldenmut des Protagonisten zu verfügen, sondern sich lieber mit ‹ harmlosen › Tätigkeiten wie dem Sammeln von Obst abzugeben. Dieses Bild wiederum verweist auf den gustativen Appetit des Erzählers. Berücksichtigt man überdies die literarisch konventionalisierte erotische Bedeutung des Birnenmahls, nimmt die Stelle zusätzlich erotisch-sexuelle Konnotationen an (vgl. Kapitel III.2.4). Solche Stilisierungen des Erzählers zum gustativ und sexuell Begehrenden kommen an etlichen Stellen des Romans vor. So verkündet er z. B. in Buch VIII, er würde gerne selbst an Antikonies Tafel Platz nehmen, wobei er nichts dagegen hätte, wenn die Bedienenden ihre Hüllen fallen lassen würden (V. 423,29 - 424,6). An anderer Stelle vergleicht er Antikonies Schönheit mit einer kulinarischen Köstlichkeit (Buch VIII, V. 409,25 - 26). Die alimentäre Bedürftigkeit des Erzählers scheint des Weiteren stets dann auf, wenn von seiner Armut und seinem Hunger die Rede ist, wobei vor drastischen Schilderungen nicht Halt gemacht wird: Im Zusammenhang mit der Darstellung der katastrophalen Verhältnisse auf Pelrapaire etwa verweist er auf seine eigene Versorgungslage und stellt diese als so trostlos dar, dass nicht einmal die Mäuse etwas vor ihm zu verstecken bräuchten, da es in seinem Haushalt ohnehin gar nichts gäbe (Buch IV, V. 184,27 - 185,10). Und als er von der Ankunft eines mit Nahrungsmitteln voll beladenen Schiffs auf Pelrapaire erzählt, verkündet er, am liebsten selbst als Soldritter auf Pelrapaire dienen zu wollen (Buch IV, V. 201,5 - 7). Angesichts der Kargheit des Mahls bei Trevrizent dagegen wirft er ein, dass er sich in einer solchen Situation unverzüglich davonmachen würde (Buch IX, V. 487,1 - 12). 249 Poetische Funktionen des Alimentären Dieses Bild des alimentär bedürftigen Erzählers schlägt in Buch XIII um in das Bild eines Erzählers, der eine ablehnende Haltung gegenüber Essen und Trinken einnimmt. Von nun an weigert er sich, Auskünfte darüber zu geben, und unterstellt demjenigen, der mehr von kulinarischen Genüssen hören wolle, ein vrâz zu sein (Buch XIII, V. 639,1 - 2). Fragt man nun nach der poetischen Funktion der alimentären Äußerungen des Erzählers, muss man berücksichtigen, dass es sich beim Erzähler nicht um eine Figur innerhalb der erzählten Welt handelt, sondern um die Instanz des Erzählens. 157 Als solche hat der Erzähler ganz spezifische Textfunktionen, die für die Untersuchung der Nahrungsthematik auf dieser Ebene des Textes berücksichtigt werden müssen. Was dabei unmittelbar auffällt, ist, dass der Erzähler des ‹ Parzival › , der sich an drei Stellen Wolfram von Eschenbach nennt (V. 114,12; 185,7; 827,13), in überaus dominierender Weise hervortritt. Wie kein anderer Epiker des Mittelalters hat Wolfram die Erzählerrolle im ‹ Parzival › plastisch ausgestaltet, ihr ein eigenes Leben und einen eigenen Handlungsraum verschrieben, sie zu einer komplexen, ja uneinheitlichen Figur ausgebaut. 158 Die jüngere Forschung hat gezeigt, dass die Ausgestaltung der Erzählerrolle, wie sie bei Chrétien und in dessen Nachfolge bei Hartmann von Aue 157 Zu Wolframs Figuration des Erzählers gehört allerdings, dass dieser stellenweise, für kurze Momente in die Handlung ‹ hineinkippt › und als Figur innerhalb der dargestellten Welt agiert. Solche Vermittlung des Erzählten durch einen anwesenden Erzähler erzeugt die Vorstellung von Unmittelbarkeit und Präsenz des dargestellten Geschehens (vgl. Richter, Spiegelungen, S. 231 - 233). 158 So kann der Erzähler feige sein und im nächsten Moment mutig; er kann prahlerisch sein und dann wieder verhalten. Er ist der Liebe verfallen und warnt zugleich vor ihr; er gibt unpassende und manchmal schon fast unverschämte Kommentare zur Handlung ab, die ihm bisweilen auch entgleiten: Dann verschwindet er von der Bildfläche und lässt die Geschichte aus sich selbst heraus zur Sprache kommen, vgl. dazu Reuvekamp-Felber, Timo: Autorschaft als Textfunktion. Zur Interdependenz von Erzählstilisierung, Stoff und Gattung in der Epik des 12. und 13. Jahrhunderts, in: ZfdPh 120 (2001), S. 1 - 23, hier S. 11; ferner: Curschmann, Michael: Der Erzähler auf dem Weg zur Literatur, in: Haubrichs, Wolfgang/ Lutz, Eckart Conrad u. a. (Hgg.): Erzähltechnik und Erzählstrategien in der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloquium 2002, Berlin 2004 (Wolfram-Studien XVIII), S. 11 - 32; Mertens, Volker: Geschichte und Geschichten um den Gral, in: Groos, Arthur/ Schiewer, Hans-Jochen (Hgg.): Kulturen des Manuskriptzeitalters. Ergebnisse der Amerikanisch-Deutschen Arbeitstagung an der Georg-August-Universität Göttingen vom 17. - 20. Oktober 2002, Göttingen 2004 (Transatlantische Studien zu Mittelalter und Früher Neuzeit 1), S. 237 - 258, bes. 239 - 245; Richter, Spiegelungen, S. 224 - 247. 250 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › und bei Wolfram von Eschenbach vorzufinden ist, nicht uneingeschränkt in Hinblick auf biografische Selbstaussagen des Autors gedeutet werden darf, 159 sondern dass die Erzähler-Figurationen eine spezifische Textfunktion haben: nämlich die der Authentifizierung des Erzählten, der Verbürgung von historischer Wahrheit. 160 Um dem schriftlich konzipierten, volkssprachigen Text Legitimation zu verschaffen, tritt zwischen Autor und erzählte Geschichte einerseits sowie zwischen Publikum und erzählte Geschichte andererseits der Erzähler als Mittler, der mit seinem eigenen Status, mit seiner Lebenserfahrung und mit seiner (fiktiven) Biografie für das Erzählte einsteht. 161 Das Konzept, das hinter diesem Entwurf steht, ist das der Augenzeugenschaft oder der Selbsterfahrung: Etwas gesehen oder erlebt zu haben, legitimiert, über den Gegenstand zu sprechen. 162 Damit erklärt sich, dass die Erzählerfiguren in Chrétiens, Hartmanns und Wolframs Erzählungen ‹ persönliche › Erfahrungen einbringen und das Erzählte mit ihrer eigenen Erfahrungswelt vergleichen. 163 Die Ebenen des Erzählten und des Erzählens 159 Die ältere Forschung hat die Selbstaussagen des Erzählers häufig als verklausulierte biografische Aussagen des Autors Wolfram von Eschenbach aufgefasst und sie in dieser Hinsicht zu interpretieren versucht (vgl. den Forschungsbericht bei Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion, S. 1 - 6). Dies wurde in jüngerer Zeit kritisiert. Dass es aber - als anderes Extrem der Auslegung - auch nicht gerechtfertigt ist, für die höfische Epik des 12. und 13. Jahrhunderts eine grundsätzliche, prinzipielle Differenz zwischen Autor und Erzählerstimme zu postulieren, wie es im Anschluss an die Kritik der älteren Forschung geschehen ist, hat Sonja Glauch ausführlich dargelegt (vgl. Glauch, Sonja: An der Schwelle zur Literatur. Elemente einer Poetik des höfischen Erzählens, Heidelberg 2009, bes. S. 77 - 136). Denn anders als in modernen narrativen Ich-Erzählungen, in denen zwischen Erzähler und Autor die «solide Wand» des Fiktionalitätsaktes steht (Glauch, An der Schwelle zur Literatur, S. 81), sind solche Grenzen in der mittelalterlicher Erzählliteratur alles andere als eindeutig bestimmbar. Im Gegenteil: Wenn im Text ein Bild des Erzählers entworfen wird, stellt sich unweigerlich die Frage, ob es sich hierbei um das Bild des Autors oder um das Bild einer Figur handelt. Die anhand der modernen Erzählliteratur entwickelten Begriffe ‹ Erzähler › und ‹ Erzählerfigur › sind, angewendet auf die mittelalterliche Erzählliteratur, insofern nicht unproblematisch, als sie irreführende Konnotationen transportieren können (vgl. Glauch, An der Schwelle zur Literatur, S. 81). Deshalb sei betont: Wenn hier vom ‹ Erzähler › des ‹ Parzival › gesprochen wird, ist die im Text vorkommende Gestaltung eines Mittlers der Erzählung gemeint, ohne dass damit eine prinzipielle Differenz zwischen Autor und Erzählerstimme postuliert werden will. 160 Zur Gesamtthematik vgl. Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion, S. 1 - 23; ferner Richter, Spiegelungen, S. 224 - 227. 161 Vgl. Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion, S. 3. 162 Vgl. Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion, S. 7. 163 Vgl. Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion, S. 13. 251 Poetische Funktionen des Alimentären können dabei miteinander konform gehen. In diesem Fall kommentiert der Erzähler die Handlung zuverlässig, ohne beim Leser Irritationen zu hinterlassen. 164 Doch die Figur des Erzählers kann auch bewusst konträr zum Erzählten entworfen sein: Dann werden Erzählerkommentare unpassend und sind mit der Handlung nicht in Einklang zu bringen, was ein kontrastreiches, ironisches Zusammenspiel der Aussageebenen des Textes ermöglicht. 165 Wenn im Folgenden die Textstellen, an denen sich der Erzähler des ‹ Parzival › zu alimentären Sachverhalten äußert, in Hinblick auf ihre poetische Funktion untersucht werden, muss die spezifische Poetik der Erzählerrolle berücksichtigt werden. Ebenso wie die Darstellung von Nahrungshandlungen an der Konstituierung von Körperbildern der Figuren innerhalb der erzählten Welt mitwirkt, tragen die alimentären Äußerungen des Erzählers zur Konstruktion seines Körperbildes bei. Dadurch, dass er wiederholt auf seine Armut (u. a. V. 242,29 - 243,1), seinen Hunger (V. 184,29 - 185,8), seine kulinarischen Gelüste und Vorlieben (V. 80,1 - 2; 201,5 - 7) oder aber auf seine ablehnende Haltung gegenüber allem Kulinarischen (u. a. V. 639,1 - 2) verweist, ist er im Text nicht nur als Stimme präsent, sondern auch als Körper. Das heißt, die alimentären Äußerungen des Erzählers arbeiten der für Wolframs Dichtung kennzeichnenden Personalisierung der Erzählerfigur zu. Dabei konstituieren die Aussagen in den Büchern I - XII das Bild eines bedürftigen, begehrenden Körpers, der weltlichen Genüssen gegenüber aufgeschlossen ist; die ablehnende Haltung gegenüber dem Kulinarischen in den Büchern XIII - XVI dagegen evoziert die Vorstellung von Genussfeindlichkeit und damit eines Körpers, der sich der sinnlichen Erfahrbarkeit der Umwelt gegenüber verschließt. Diese Körperbilder werden durch andere Textstellen, an denen sich der Erzähler zu Phänomenen der sinnlich wahrnehmbaren Welt äußert, gestützt: Während er in den Büchern I - XII seinen Blick verschiedentlich auf die Sinnesfreuden der dargestellten Welt lenkt, wie etwa auf die Schönheit von Frauen, auf prächtige Kleider, auf Raumausstattungen, auf den Ablauf prunkvoller Festmähler oder auf erotische Begegnungen der Akteure, und diese beschreibt, häufen sich in den Büchern XIII - XVI Aussagen, in denen er sich von solchen Phänomenen explizit abwendet. 166 Die auf diese Weise etablierte Verkörperung des Erzählers geschieht nicht um ihrer selbst willen, sondern hat spezifische Funktionen für das Erzählen. 164 Vgl. Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion, S. 13. 165 Vgl. Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion, S. 13. 166 Vgl. V. 515,7 - 10; 642,10 - 12; 643,1 - 8; 676,3 - 10; 735,28 - 30; 760,30 - 761,1; 773,18 - 30; 809,8 - 30. 252 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Zunächst einmal zeigt sich, dass die Verkörperung der Erzählerfigur Bestandteil der oben angesprochenen Beglaubigungsstrategie des Textes ist, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen nämlich können die Selbstaussagen des Erzählers bezüglich seiner eigenen Lebenssituation und seiner physischen Verfassung mit den Lebensumständen der Figuren innerhalb der erzählten Welt korrespondieren, wodurch eine Beschreibung ihrer Lage aus ‹ eigener Erfahrung › möglich wird. In diesen Fällen bürgt der Erzähler mit seinem Körper für das Erzählte. Eindrücklich zu sehen ist dies in der Szene, in der die Hungersnot auf Pelrapaire geschildert wird (Buch IV). Der Erzähler setzt sich hier in Beziehung zu den dargestellten Figuren, indem er eindringlich auf seinen persönlichen Notstand verweist (3. Szene): wolt ich nu daz wîzen in, sô het ich harte kranken sin. wan dâ ich dicke bin erbeizet und dâ man mich hêrre heizet, dâ heime in mîn selbes hûs, dâ wirt gevreut vil selten mûs. wan diu müese ir spîse steln. die dörfte niemen vor mir heln: ine vinde ir offenlîche niht. alze dicke daz geschiht mir Wolfram von Eschenbach, daz ich dulte alsoch gemach. (V. 184,27 - 185,8) Die Interpretation dieser Stelle als versteckte Bitte um mehr Lohn für die dichterische Arbeit, wie sie in der Forschung gang und gäbe ist, greift zu kurz. 167 Übersehen wird dabei nämlich, dass der Erzähler hier eine Rolle einnimmt, die seine Lebenswelt und die der Figuren miteinander verschmelzen lässt. Das heißt, der Erzähler solidarisiert sich mit den Bewohnern von Pelrapaire und vermittelt damit implizit die Botschaft, dass er, wenn es um Hunger geht, ganz genau weiß, wovon er spricht. Entsprechend erreicht die descriptio der Hungerleidenden einen Detailliertheitsgrad, der die meisten anderen Figurendarstellungen im ‹ Parzival › übertrifft: 168 aschfahle Gesichter (V. 184,2); Haut, schrumpelig und gelb wie Leim (V. 184,3; 184,14); trockene Lippen (V. 184,11); eingefallene Bäuche (V. 184,12) und hervortretende Hüftknochen (V. 184,13) sind nur einige der Merkmale, die zur Sprache kommen. 167 Vgl. zu dieser Interpretation und zur Kritik daran Louis, Metaphorik und Dunkelheit, S. 147. 168 Vgl. Nitsche, Die literarische Signifikanz, S. 259 f. 253 Poetische Funktionen des Alimentären Zum anderen können die Selbstaussagen des Erzählers bezüglich seiner Versorgungslage aber auch einen Kontrast zu den Lebensumständen der Figuren innerhalb der erzählten Welt aufbauen. Dies ist z. B. der Fall, wenn es um die Darstellung der Opulenz und des Überflusses auf der Gralsburg geht (Buch V). Auch hier trägt die Verkörperung des Erzählers zur Beglaubigung des Erzählten bei, jedoch nicht, indem aus der Position der eigenen Erfahrung heraus berichtet wird, sondern indem die Erzählung aus Mangel an eigener Erfahrung ins Stocken gerät: Wenn es um den Überfluss an Speisen und Getränken geht, den der Gral hervorbringt, gibt der Erzähler vor, nichts Genaues berichten zu können, da er das alles nur vom Hörensagen kenne (V. 238,8 - 17). An solchen Stellen wird auf ein in der deutschsprachigen höfischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts verbreitetes rhetorisches Konzept zurückgegriffen: die Authentizität des Erzählten wird gerade dadurch bekräftigt, dass die Nicht-Erzählbarkeit von Ereignissen und Sachverhalten betont wird, die nicht selbst erlebt, erfahren oder gesehen wurden. 169 Wie es für Wolfram nicht anders zu erwarten ist, enthält die Beglaubigung des Erzählten durch die Verkörperung des Erzählers aber auch Momente ironischer Distanzierung. Zu sehen ist dies wiederum in der Szene, in der die Hungersnot auf Pelrapaire beschrieben wird (Buch IV). Die descriptio der Hungerleidenden wird nämlich mit Anmerkungen zu ihrem Essverhalten eingeleitet, die sie als Vorbilder in Sachen höfischer Tischmanieren erscheinen lassen: si liezen zenstüren sîn, und smalzten ouch deheinen wîn mit ir munde, sô si trunken. (V. 184,9 - 11) Keiner stochert hier beim Essen in seinen Zähnen, keiner macht beim Trinken den Wein fettig mit den Lippen - nur: Dies geschieht nicht, wie sich im Laufe der Darstellung nach und nach herausstellt, weil die Menschen auf Pelrapaire so wohlerzogen wären, sondern weil sie schlicht und ergreifend keine Nahrung haben. Wird also die Darstellung der Hungersnot in Buch IV durch die Einbringung der eigenen Erfahrung des Erzählers mit Mangel und Entbehrung in ihrer Glaubwürdigkeit bekräftigt, entlarvt sie sich zugleich durch das Spiel mit höfischen Normen und Verhaltensregeln als Fiktion. 170 Konstruktion und Destruktion des Erzählten als historisch verbürgte Wahrheit stellen Tendenzen des narrativen Aufbaus dieser Szene dar, die sich gegenseitig konterkarieren. 169 Vgl. Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion, S. 7 f. 170 Ähnlich gestaltete Anspielungen auf die höfischen Tischzuchten finden sich auch in der Trevrizent-Episode (Buch IX, V. 487,1 - 12). 254 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Die Verkörperung des Erzählers anhand der Nahrungsthematik, insbesondere seine Stilisierung zur gustativ begehrenden Figur in den Büchern I - XII, hat aber noch eine andere Wirkung auf die Erzählgestaltung. In mehreren Fällen verhält es sich nämlich so, dass die Körperbilder, die die alimentären Selbstaussagen des Erzählers hervorbringen, im Kontrast zur Körperlichkeit der Figuren innerhalb der erzählten Welt stehen, mit dem Effekt hat, dass die die Figuren kennzeichnenden Merkmale und Eigenschaften umso deutlicher hervortreten. Auffallend ist, dass es sich hierbei um einen gender-spezifischen Aspekt der Figurendarstellung handelt, der in Bezug auf das männliche, nicht aber das weibliche Personal vorkommt. Ein Beispiel dafür ist die Darstellung des Wandels Parzivals von einer egoistisch zu einer altruistisch handelnden Figur in Buch IV. Auffallend ist hier, dass sich im Umfeld dieser Figurendarstellung die Selbstaussagen des Erzählers verdichten, die von seiner Armut, seinem quälenden Hunger und seiner unbändigen Esslust handeln (Szenen 2 - 4). Zum einen sind diese Aussagen, wie oben gezeigt, Bestandteil der Beglaubigungsstrategie des Textes, indem sie dem Erzähler Legitimation für das Erzählen von Hungersnot verschaffen. Zum anderen aber tritt die Darstellung des selbstlosen Nahrungshandelns Parzivals auf Pelrapaire (seiner Dienstbereitschaft im Hungergebiet, seines persönlichen Verzichts, seiner milte gegenüber den Burgbewohnern) in ein Spannungsverhältnis zur Inszenierung der auf sich selbst bezogenen alimentären Begierde des Erzählers (2.-4. Szenen), was den Effekt hat, dass Parzivals Wandel vom Nehmenden zum Gebenden pointiert wird. Solche Kontrastierung beschränkt sich nicht auf Szenen, in denen es um Essen und Trinken geht, sondern sie kommt auch im Zusammenhang mit der Minnethematik vor. Sowohl in der Szene, in der Parzival der im Zelt schlafenden Jeschute begegnet (Buch III, V. 129,27 - 130,25), als auch in der Szene, in der Condwiramurs in der ersten gemeinsamen Nacht auf Pelrapaire zu Parzival ins Bett steigt (Buch IV, V. 192,1 - 193,14), wird Parzivals sexuelle Unbedarftheit, seine kindliche Unschuld, profiliert, indem zwar er es ist, der die Damen sieht, das, was er sieht, jedoch über den erotisch begehrenden Blick des Erzählers vermittelt wird. Der Körper des Erzählers erscheint hier gewissermaßen als Epiphänomen der Parzival-Figur - als Kontrastfolie, vor der deren Körperlichkeit profiliert wird. Dieses poetische Verfahren der Figurendarstellung kommt auch bei den anderen männlichen Protagonisten des Romans vor. So etwa ist Gawans Zurückhaltung gegenüber den Damen auf Schanpfanzun, die er an den Tag legt, nachdem sein sexueller Annäherungsversuch an Antikonie kläglich gescheitert ist, kontrastiv gegen die Selbststilisierung des Erzählers zum erotisch Begehrenden gesetzt (Buch VIII, V. 423,29 - 424,6); oder auch dessen Heldenmut auf 255 Poetische Funktionen des Alimentären Schastel marveile, wo er gegen einen Löwen kämpft, gegen die Darstellung des Erzählers als Angsthasen (Buch XI, V. 572,8 - 12). Insgesamt zeigt sich, dass die für Wolframs ‹ Parzival › kennzeichnende Verkörperung der Erzählerfigur anhand der Nahrungsthematik unterschiedliche Textfunktionen hat: Zum einen kann sie Bestandteil der Beglaubigungsstrategie des Textes sein, indem sich der Erzähler durch die Einbringung eigener Erfahrungen mit Essen und Trinken Legitimation für das Erzählen alimentärer Sachverhalte verschafft oder zumindest die Aufmerksamkeit dafür herstellt und schärft. Zum anderen fungiert der Körper des Erzählers für die Figurendarstellung als Kontrastfolie, vor der die Körperlichkeit der (männlichen! ) Akteure innerhalb der erzählten Welt profiliert werden kann. 2.1.3 Poetologische Dimension der Verkörperung des Erzählers: Essen und Sprechen Die Ausführungen in Kapitel IV. 2.1.2 haben gezeigt, dass der Hunger des Erzählers, sein gustatives Begehren, von dem in den Büchern I - XII wiederholt die Rede ist, den Blick auf die sinnlichen Aspekte der dargestellten Welt lenkt. Diese Form der Blickregie bringt Beschreibungen des Alimentären hervor, die es dem Rezipienten (Hörer / Leser) in einem erhöhten Maße ermöglichen, Essens- und Trinkensdarstellungen nicht nur kognitiv als Sinn vermittelnde Zeichen zu verstehen, sondern sie auch wörtlich zu nehmen, oder anders gesagt: sie als körperlich-sinnlich erfahrbare Objekte aufzufassen: sie zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken und zu fühlen. Dies ist insofern der Fall, als an den Stellen, an denen das gustative Begehren des Erzählers die ‹ Oberhand › über das Erzählen gewinnt, die Essens- und Trinkensdarstellungen vermehrt mit Attributen versehen sind, die ihre sinnliche Erfahrbarkeit betreffen. Dies kann das Aussehen sein, wenn z. B. Krapfen als ‹ dick › bezeichnet werden (V. 207,2), die Leckerbissen beim höfischen Festmahl als ‹ fein geschnitten › (V. 551,5) oder der Wein als ‹ klar fließend › (V. 184,22). Dies kann aber auch die auditive und olfaktorische Wahrnehmbarkeit sein, wenn z. B. die Geräusche, die das Zubereiten von Speisen und Getränken erzeugt, angesprochen werden (z. B. das Zischen von Fett, das beim Braten fettiger Speisen in die Holzkohlen trieft, V. 184,18; 184,26; 201,4); oder die gustatorische Wahrnehmbarkeit, wenn der Geschmack von Nahrungsmitteln beschrieben wird (süße Birnen V. 80,1 - 2; süße Leckerbissen V. 551,5; wohlschmeckender Fisch V. 423,21), und schließlich die taktile Erfahrbarkeit, wenn etwa vom Fett der Speisen die Rede ist, das am Weinkelch klebt (V. 184,10 - 11), oder vom Fischsalz an den Fingern (V. 487,4). 256 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Ähnlich verhält es sich mit Textpassagen, an denen das erotische Begehren des Erzählers in den Vordergrund tritt. Hier nämlich ist es der Detailliertheitsgrad der Beschreibung von Figuren, der zunimmt, indem Merkmale aufgeführt werden, die die sinnliche Erfahrbarkeit ihrer Anziehungskraft betreffen. Ein Beispiel dafür ist die descriptio der schlafenden Jeschute (V. 130,1 - 25), 171 die neben visuell wahrnehmbaren Merkmalen (leuchtend rote Lippen V. 130,5; schneeweiße Haut V. 130,11; schöne, eng stehende Zähne V. 130,12 - 13; lange, schlanke Arme V. 130,21 - 25) auch Aspekte enthält, die die auditive (Atmung durch den leicht geöffneten Mund V. 130,7 - 8) sowie die taktile Erfahrbarkeit ihrer Schönheit betreffen (erhitzter Körper V. 130,19; Hitze im Raum V. 130,9). Die figurative, sinnliche Wahrnehmbarkeit von Essens- und Trinkensdarstellungen wird im ‹ Parzival › eigens angesprochen, und zwar in einem Erzählerkommentar, mit dem eine Mahlszene auf Schastel marveile beendet wird und der wie folgt lautet: ezn sî denne gar ein vrâz, / welt ir, si habent genuoc dâ gâz (Buch XIII, V. 639,1 - 2). Dieter Kühn übersetzt die Stelle folgendermaßen: «Falls dort nicht ein Vielfraß sitzt - / bitteschön, dann sind sie satt . . .»; dem Sinn nach ähnlich übersetzt auch Peter Knecht: «Wenn ihr einverstanden seid, dann haben sie jetzt fertig gegessen - es wird ja wohl kein gar zu gieriger Fresser dabeisein.» 172 Zweifellos tut der Erzähler hier so, als würde er die Hörer darüber bestimmen lassen, dass beim Festmahl auf Schastel marveile nun genug gegessen worden sei. 173 - Aber: Der Vers 639,1 ezn sî denne gar ein vrâz lässt sich auch anders verstehen, als es Kühn und Knecht tun, nämlich nicht auf das fiktionsimmanente Personal (die Hofgesellschaft von Schastel marveile) bezogen, sondern gleichfalls auf das textexterne Publikum (die Hörer des Textes). Sinngemäß ließe er sich dann so übersetzen: «Wenn unter euch kein Vielfraß sitzt, dann seid ihr ja wohl einverstanden damit, dass sie (die Tafelteilnehmer von Schastel marveile) nun satt sind.» Versteht man den Vers auf diese Weise, dann verhält es sich so, dass hier die figurative, sinnliche Wahrnehmbarkeit von literarischen Essens- und Trinkensdarstellungen zur Sprache kommt, indem unterstellt wird, dass der, der mehr 171 Es handelt sich dabei um eine der wenigen ausführlichen Figurenbeschreibungen des Romans (vgl. Hahn, Parzivals Schönheit, S. 205 f. 172 Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mittelhochdeutscher Text n. d. sechsten Ausg. v. Karl Lachmann. Übersetzung v. Peter Knecht. Einführung zum Text von Bernd Schirok, Berlin/ New York 1998, S. 643. 173 Dieses Verfahren der Beteiligung des Publikums am Erzählvorgang gehört zu den spezifischen Erzählmitteln Wolframs (vgl. Nellmann, Eberhard: Wolframs Erzähltechnik. Untersuchungen zur Funktion des Erzählers, Wiesbaden 1973, S. 35 - 50). 257 Poetische Funktionen des Alimentären von Essen und Trinken hören will, ein vrâz ist. Diese Lesart gewinnt an Plausibilität, wenn man berücksichtigt, dass sich in der höfischen Epik mehrfach derartige formelhafte Wendungen finden, mit denen derjenige, der gerne von Essen und Trinken hört bzw. erzählt, als ‹ Fresssack › angeprangert wird. Ein Beispiel dafür ist Rudolfs von Ems ‹ Wilhelm von Orlens › (Minneroman, Mitte 13. Jahrhundert), in dem es heißt, es sei ein Fresser, wer von vielem Essen rede (Von vil ezzens sage ain vraz) 174 , oder: Johanns von Würzburg ‹ Wilhelm von Österreich › (Minneroman, Anfang 14. Jahrhundert), in dem der Erzähler anmerkt, dass der, der wissen wolle, wann sie (die Figuren des Textes) etwas essen würden, sich zu den Fressern gesellen solle, um dort den Erzählungen vom Essen zu lauschen (ob mich nu ainer vragt wenne si iht æzzen, der ge zu andern vræzzen und la von spise im sagen). 175 Auch hier zeigt sich, dass die literarischen Essens- und Trinkensdarstellungen nicht als bloße Zeichen aufgefasst werden, sondern als Textelemente, die beim Rezipienten die Vorstellung von wirklichem Essen und Trinken aufrufen und damit Appetit erzeugen können, weshalb sowohl der, der viel von Essen und Trinken hören will, als auch derjenige, der von vielem Essen erzählt, sich also an seiner eigenen Erzählung vom Kulinarischen delektiert, als Fresser gelten. Angesichts der Häufigkeit, in der solche Aussagen in der höfischen Epik auftreten, kann die Engführung von erzählter Nahrung und echter Nahrung, von geistiger und körperlicher Erfüllung, als eine konventionalisierte Vorstellung betrachtet werden, die auf den prekären Status von literarischen Essens- und Trinkensdarstellungen verweist. Vor dem Hintergrund des moraltheologischen Diskurses über die Völlerei stellt ihre Rezeption dann nämlich genauso eine Sünde dar wie der übermäßige Konsum von echten Nahrungsmitteln. Die oben genannte Stelle im ‹ Parzival › spielt auf diese Vorstellung an, sofern man den Vers ezn sî denne gar ein vrâz (V. 639,1) nicht auf die Hofgesellschaft von Schastel marveile bezieht, wie es Kühn und Knecht tun, sondern auf das textexterne Publikum. Die Stelle muss im Zusammenhang mit den gehäuften Anmerkungen des Erzählers im letzten Teil des Romans (Bücher XIII - XVI) gesehen werden, mit denen er sich gegenüber den Sinnesfreuden der dargestellten Welt verschließt. Betroffen von solcher Abkehr ist nicht nur der Bereich des Alimentären, verweigert wird überdies die Beschreibung von Kleidern und Accessoires 174 Rudolf von Ems: Willehalm von Orlens. Hg. v. Victor Junk aus dem Wasserburger Codex der fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek in Donaueschingen, Berlin 1905 (Deutsche Texte des Mittelalters 2), V. 14760. 175 Johann von Würzburg: Wilhelm von Österreich. Aus der Gothaer Handschrift. Hg. v. Ernst Regel, Berlin 1906 (Deutsche Texte des Mittelalters 3), V. 15176 - 15179. 258 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › (Buch X, V. 515,7 - 10), von Schmuck (Buch XV, V. 735,28 - 30; Buch XV, V. 773,18 - 30), von Raumausstattungen (Buch XIII, V. 642,10 - 12; Buch XV, V. 760,30 - 761,1) sowie von höfischen Festivitäten (Buch XIII, V. 676,3 - 10; Buch XVI, V. 809,8 - 30) und Minnebegegnungen (Buch XIII, V. 643,1 - 8). In der Forschung ist dies unterschiedlich gedeutet worden: 176 Während solche brevitas-Topoi in der höfischen Epik früher als Indizien dafür gesehen wurden, dass das Publikum an bestimmten Themenkomplexen (wie Mahlzeiten, Reisen, Kleidung) kein Interesse hatte, werden sie in jüngerer Zeit unter erzählstrategischen Gesichtspunkten als Formulierungen gedeutet, die es den Autoren zum einen ermöglichten, Wiederholungen zu vermeiden und das Erzähltempo zu beschleunigen; zum anderen Steigerungseffekte zu erzielen, indem die Pracht der zu beschreibenden Welt gerade dadurch erhöht wird, dass der Erzähler sagt, er vermöge sie nicht darzustellen. Dem ‹ Parzival › allerdings wird in der Forschung ein Übermaß des Gebrauchs solcher Formulierungen attestiert, das ermüdend wirke. 177 Für die Frage nach einer Poetik des Alimentären in der höfischen Dichtung sind Aussagen wie die vom vrâz im ‹ Parzival › (V. 639,1 - 2) vor allem deshalb interessant, weil sie eine historische Vorstellung über einen Rezeptionsmodus von literarischen Essens- und Trinkensdarstellungen transportieren, die im Widerspruch zu den Beobachtungen zu stehen scheint, die bislang in Bezug auf die Nahrungsthematik im ‹ Parzival › gemacht wurden. Denn indem unterstellt wird, derjenige sei ein vrâz, der mehr von Essen und Trinken hören wolle, wird implizit davon ausgegangen, dass die im Text evozierten Speisen und Getränke vom Rezipienten nicht als bloße Codierungen oder als imaginäre ‹ Bilder › aufgefasst werden (wie es der bislang aufgezeigte, vielschichtige Zeichencharakter des Alimentären im ‹ Parzival › vermuten ließe), sondern dass sie zugleich einen alltäglichen Vorstellungsbereich aufrufen, der den Rezipienten dazu verleitet, sie wörtlich zu nehmen, oder anders gesagt: sie körperlichsinnlich als Figurationen von Essen und Trinken aufzufassen. 176 Vgl. hierzu Nellmann, Wolframs Erzähltechnik, S. 163 f. In ihrem 2012 erschienenen Kommentar zum ‹ Parzival › -Schluss erwähnt Michaela Schmitz zwar die sich in dieser Textpartie häufenden brevitas-Formeln. Obwohl sie sich zum Ziel setzt, spezifische «narrative, formal-rhetorische und stilistisch-sprachliche» Gestaltungsmittel im Kommentar zu diskutieren (Schmitz, Michaela: Der Schluss des ‹ Parzival › Wolframs von Eschenbach. Kommentar zum 16. Buch, Berlin 2012, S. 22), geht sie jedoch an keiner Stelle auf deren Bedeutung für das Gesamtkonzept des Textes ein (zur Kritik an Schmitz ’ Kommentar vgl. Bleuler, Anna Kathrin: Rezension zu Michaela Schmitz, Der Schluss des ‹ Parzival › , in: Arbitrium [31] 2013, S. 290 f.). 177 Vgl. Nellmann, Wolframs Erzähltechnik, S. 164. 259 Poetische Funktionen des Alimentären Im Ganzen gesehen heißt das, dass die Texte unterschiedliche Rezeptionsmöglichkeiten von literarischen Essens- und Trinkensdarstellungen thematisieren. Angesichts dieses Befunds scheint es mir nicht gerechtfertigt, Essens- und Trinkensdarstellungen in der höfischen Dichtung als nichts Anderes denn als Zeichen anzusehen. Genauso verfehlt wäre es allerdings, ins gegenteilige Extrem zu verfallen, ihren Zeichencharakter zu negieren und zu behaupten, literarische Essens- und Trinkensdarstellungen seien nichts als sie selbst, keine Repräsentation also, sondern reine ‹ Präsenz › des Alimentären. Entscheidend scheint mir vielmehr, dass sich in den Texten unterschiedliche Vorstellungen über die Rezeptionsmöglichkeiten von Essen und Trinken überlagern. Nimmt man nämlich ernst, dass alimentäre Objekte auf diskursiver Ebene mittelalterlicher Erzähltexte einmal als Zeichen (Codierungen), einmal als imaginäre Gegenstände ( ‹ Bilder › ) und einmal als echte Objekte (wörtliche Bedeutung) inszeniert werden, dann verweist das darauf, dass das spezifisch Poetische an literarischen Essens- und Trinkensdarstellungen gerade darin besteht, dass sie den Rezipienten zu einem Gleiten zwischen unterschiedlichen Rezeptionsmodi anzuregen vermögen, nämlich zwischen einer auf Erkenntnisgewinn ausgerichteten Rezeption und einer affektiv-sinnlichen Teilhabe am Rezeptionsvorgang. Damit wäre ein Merkmal für eine Poetik des Alimentären in der höfischen Minnedichtung benannt, das die kategoriale Unterscheidung zwischen referenziellem, figurativem und imaginärem Sinn, wie sie in der Forschung oftmals vorgenommen wird, zum Kollabieren bringt. Für den ‹ Parzival › bedeutet das, dass sowohl die Passagen, in denen der Erzähler als gustativ begehrende Figur inszeniert wird (Buch I - XII), als auch jene, in denen er eine essensfeindliche Haltung einnimmt (Buch XIII - XVI), vor dem Hintergrund dieser Überlegungen eine poetologische Dimension gewinnen. Denn der Hunger des Erzählers, der den Blick auf die sinnlich wahrnehmbaren Aspekte der erzählten Welt lenkt und der ‹ volle › Sprachbilder hervorbringt, die zu einem ebensolchen Gleiten zwischen unterschiedlichen Rezeptionsmöglichkeiten anregen, erscheint dann als Metapher für eine Poetik der ‹ Fülle › . Das wiederum heißt, dass die explizite Abkehr vom Bereich des Kulinarischen im letzten Teil des Romans nicht nur als Abbau der semiotischen Produktivität alimentärer Motive aufzufassen ist, wie es Fritsch-Rößler postuliert, 178 sondern als ein Eindämmen der Rezeptionsmöglichkeiten in einem weiter gefassten Sinn, indem mit ihr nämlich gerade die Beschreibungen weggelassen werden, die die körperlich-sinnliche Teilhabe des Rezipienten am Rezeptionsvorgang begünstigen und ein Oszillieren zwischen figurativem, imaginärem und referenziellem Sinn provozieren. Berücksichtigt man über- 178 Vgl. Fritsch-Rößler, Ritardando, S. 311. 260 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › dies, dass Formulierungen, mit denen sich der Erzähler von den sinnlichen Aspekten der dargestellten Welt abwendet, gegen Ende des Romans gehäuft auftreten, könnte man den Befund so deuten, dass die Erzählung über solche Negationen einen Abbau ihrer sprachlichen Valenzen bewirkt und damit auf diskursiver Ebene des Textes auf ein Ende zusteuert. 2.2 Handlungsaufbau: Entwurf von Sujet- und Handlungsoptionen Bislang war mehrfach zu beobachten, dass Minnemahlszenen im ‹ Parzival › Texträume schaffen, in denen die Zeichenhaftigkeit alimentärer Handlungen und Objekte Sujet- und Handlungsoptionen generiert. Solche Andeutungen können mit dem, was auf der Handlungsebene tatsächlich eintritt, in Einklang zu bringen sein, wodurch sie sich aus nachträglicher Perspektive als symbolische Vorausdeutungen interpretieren lassen. Es kommt aber auch vor, dass Mahlszenen Sujet- und Handlungsoptionen evozieren, die im weiteren Verlauf der Erzählung nicht aufgegriffen, sondern ignoriert und somit schlicht ‹ vergessen › werden. Solche ‹ blinden › oder ‹ stumpfen › Motive sind in der Forschung bislang hauptsächlich in Bezug auf die Heldenepik diskutiert worden; und wenn sie über Wolframs Werk zur Sprache kamen, dann im Zusammenhang mit dem ‹ Titurel › . 179 In jüngster Zeit haben Stephan Fuchs-Jolie und Philipp Giller gezeigt, dass der ‹ Titurel › das Erzählen als ‹ Nicht-Erzählen › zum produktiven Prinzip erhebt, das in großer rhetorischer Geste auf der Ebene der Handlung diverse Figuren des Abbruchs und des Neueinsatzes hervorbringt, die allesamt ins 179 Zur Heldenepik vgl. Schulz, Armin: Fragile Harmonie. «Dietrichs Flucht» und die Poetik der ‹ abgewiesenen Alternative › , in: ZfdPh 121 (2002), S. 390 - 407; Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen 1998; Strohschneider, Peter: Einfache Regeln - komplexe Strukturen. Ein strukturanalytisches Experiment zum ‹ Nibelungenlied › , in: Harms, Wolfgang/ Müller, Jan-Dirk (Hgg.): Mediävistische Komparatistik. Festschrift für Franz Josef Worstbrock zum 60. Geburtstag, Stuttgart/ Leipzig 1997, S. 43 - 75. Zu Wolframs ‹ Titurel › vgl. Wyss, Ulrich: Selbstkritik des Erzählers. Ein Versuch über Wolframs ‹ Titurelfragment › , in: ZfdA 103 (1974), S. 249 - 289; Mertens, Volker: Konstruktion und Dekonstruktion heldenepischen Erzählens, ‹ Nibelungenlied › - ‹ Klage › - ‹ Titurel › , in: PBB 118 (1996), S. 358 - 378; Glauch, An der Schwelle zur Literatur, S. 205 - 243; sowie künftig: Fuchs-Jolie, Stephan/ Giller, Philipp: ‹ wie Gahmuret schiet von Belakânen › . ‹ Titurel › und die Tragödie des Erzählens, in: Töpfer, Regina/ Radtke-Uhlmann, Gyburg (Hgg.): Tragik vor der Moderne, Heidelberg vorauss. 2015 (Studien zur Literatur und Erkenntnis); Fuchs-Jolie, Stephan: Die Gleich-Gültigkeit des Möglichen. Wege zu einer nichtfragmentarischen Poetik von Wolframs ‹ Titurel › , Heidelberg vorauss. 2015 (Studien zur historischen Poetik 3). 261 Poetische Funktionen des Alimentären Leere laufen. 180 Diese Art des Erzählens hat Effekte auf das, was erzählt wird: Denn - so Fuchs-Jolie und Giller - das permanente Aufrufen und Dementieren von Assoziationen, Parallelen, Spiegelungen, Vorgeschichten und Prätexten stellt immer wieder aufs Neue heraus, dass das Syntagma der Erzählung durch nichts anderes als durch Setzungen des Erzählers geschaffen ist, also durch die Verbindung möglicher, aber nicht thematisch oder sprachlich privilegierter Erzählfäden, wodurch das Erzählte letztlich als kontingent markiert wird. 181 Für die Heldenepik haben vor allem Peter Strohschneider, Jan-Dirk Müller und Armin Schulz gezeigt, dass es zu den Merkmalen des stark intertextuell bestimmten heldenepischen Erzählens gehört, potenzielle Abweichungen von rekurrenten Erzählschemata zu markieren, um sie dann jedoch nicht zu realisieren. 182 Für solche Phänomene hat Strohschneider den Begriff der ‹ abgewiesenen Alternative › entwickelt. 183 Daran anschließend, haben Müller und Schulz die Funktionen solcher ‹ Störungen › im Text herausgearbeitet. Ihrer Meinung nach eröffnet die Einspielung von Motiven, die Alternativen zum final determinierten Ablauf andeuten, die jedoch im Handlungsfortgang nicht mehr aufgegriffen und so als ‹ abgewiesen › kenntlich gemacht werden, eine implizite Kommentarebene, über die sich im Heldenepos (das - anders als der höfische Roman - keine personal kenntliche Erzählerfigur enthält) Wertungen des Erzählten erschließen lassen. 184 Zudem zeugen sie von der Auseinandersetzung mit einem kollektiven Sagenwissen, und zwar insofern als gleichermaßen mit der und gegen die Tradition erzählt wird. 185 Natürlich können Sujet- und Handlungsoptionen, die in den Minnemahlszenen des ‹ Parzival › entworfen und dann wieder vergessen werden, nicht mit dem für die Heldenepik beschriebenen Phänomen der abgewiesenen Alternative gleichgesetzt werden. Denn beim ‹ Parzival › hat man es mit einem ganz anderen Typus von Erzählen zu tun, was sich allein schon daran zeigt, dass der Erzähler in überaus dominierender Weise hervortritt und das Geschehen wertet, kommentiert und Alternativen diskutiert. 186 Dennoch aber scheint mir der Begriff der ‹ abgewiesenen Alternative › eine nützliche Ergänzung des erzähltheoretischen Begriffinventars für die Beschreibung der oben angesprochenen Phänomene zu sein. Dabei muss man zum einen berücksichtigen, dass solche Sujet- und Handlungsoptionen im ‹ Parzival › mit ganz anderen Mitteln erzeugt werden als in der Heldenepik, nämlich nicht durch die Andeutung von 180 Vgl. u. a. Fuchs-Jolie/ Giller, ‹ wie Gahmuret schiet von Belakânen › . 181 Vgl. Fuchs-Jolie/ Giller, ‹ wie Gahmuret schiet von Belakânen › . 182 Vgl. zusammenfassend: Schulz, Fragile Harmonie, S. 392 f. 183 Vgl. Strohschneider, Einfache Regeln, S. 49 f. und S. 58. 184 Vgl. Schulz, Fragile Harmonie, S. 390. 185 Vgl. Müller, Spielregeln, S. 73 f. 186 Vgl. hierzu Kapitel IV. 2.1.2. 262 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Abweichungen von rekurrenten Strukturschemata, die dann nicht realisiert werden, sondern über textinterne Verfahren der Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik (alimentäre Metaphern, Vergleiche, Allegorien) und der Markierung von Deutungsrahmen (System- und Einzeltextreferenzen). Zum anderen muss man davon ausgehen, dass solche Entwürfe von Sujet- und Handlungsoptionen andere Textfunktionen haben als im heldenepischen Erzählen. Im Folgenden werden die Mahlszenen des ‹ Parzival › in Hinblick auf den Entwurf von Sujet- und Handlungsoptionen untersucht und nach deren p œ tischen Funktionen gefragt, wobei Fuchs-Jolies und Gillers Thesen, die sie hierzu in Bezug auf den ‹ Titurel › entwickelt haben, in die Überlegungen einbezogen werden (Kapitel IV. 2.2.1). Anschließend wird ein Exkurs auf eine Festmahlszene in Wolframs ‹ Willehalm › unternommen, mit deren Deutung sich die Forschung schwertut. Hierbei handelt es sich um die Szene, in der Willehalm und Gyburc inmitten der vom Krieg gegen die Heiden zerstörten, brennenden Stadt Orangis ein Festessen für die zu Hilfe geeilten Verwandten und die französischen Fürsten veranstalten ( ‹ Willehalm › V. 234,13 - 277,11, vgl. Kapitel IV. 2.2.2). Dabei soll zum einen das in Kapitel IV. 2.2.1 vorgestellte Interpretament erprobt werden: Begreift man diese Mahlszene als Ort symbolischer Vorausdeutung bzw. der abgewiesenen Alternative, eröffnen sich neue Deutungsmöglichkeiten. Zum anderen soll anhand dieser Szene veranschaulicht werden, dass das p œ tische Verfahren des Entwurfs von Sujet- und Handlungsoptionen im Rahmen von Mahldarstellungen bei Wolfram textübergreifend Anwendung findet, und zwar nicht nur - wie es im ‹ Parzival › der Fall ist - im Zusammenhang mit Minnemahlszenen. 2.2.1 Mahlszenen als Orte symbolischer Vorausdeutung und abgewiesener Alternativen Beginnen wir mit der Szene, in der Orilus seine Frau Jeschute aufgrund des Ehebruchverdachts, den er gegen sie hegt, von Tisch und Bett verstößt (Buch III, V. 136,26 - 27). Kapitel III.2.2.3 hat gezeigt, dass hier mittels intertextueller Verweise, die sich im Umfeld dieser Szene auffällig häufen, auf die Trennung von Tisch und Bett im ‹ Erec › angespielt wird, die Erec durchführt, nachdem Enite das Schweigegelöbnis gebrochen hat ( ‹ Erec › V. 3663 - 3667; 3954 - 3971). Damit ist es nicht - wie in der Forschung bislang postuliert - eine allgemeine Rechtsordnung, vor deren Folie die Trennung von Orilus und Jeschute inszeniert wird, sondern ein ganz bestimmter Fall (Einzeltextreferenz), wobei entscheidend ist, dass diesem Motiv im ‹ Erec › erzähltechnisch eine wichtige Funktion zukommt. Denn das Getrennt-Essen von Erec und Enite bestimmt 263 Poetische Funktionen des Alimentären den weiteren Handlungsverlauf, indem es das Eintreten eines Dritten (des Grafen) in die Minnebeziehung ermöglicht und eine Kette von Ereignissen in Gang setzt: Auf den Heiratsantrag des Grafen reagiert Enite mit einer List; sie warnt Erec; die beiden fliehen. Später wird der Graf im Zweikampf von Erec besiegt (vgl. Kapitel III.2.2.3). Im ‹ Parzival › nun wird weder die minnesymbolische Bedeutung des Getrennt-Essens von Jeschute und Orilus (Störung der Minnebeziehung, sexuelle Verfügbarkeit der Eheleute) thematisiert noch werden die narrativen Möglichkeiten ausgeschöpft, die eine solche Sujetkonstellation bietet (das Eintreten Dritter). Nach vollzogener Scheidung gerät das Paar aus dem Fokus der Erzählung und tritt erst wieder zu einem späteren Zeitpunkt in Erscheinung (Buch V, V. 256,11). Jedoch werden durch die Anspielung auf die Geschichte Erecs und Enites die Konsequenzen, die die Separation des Tisches haben kann, aufgerufen und als möglicher Handlungsverlauf angedeutet. Diese Handlungsoption wiederum wird beim erneuten Auftritt des Paars in Buch V nicht aufgegriffen: Denn hier wird lediglich gesagt, dass die beiden nach wie vor gemeinsam unterwegs sind (V. 256,11 - 260,23); von einem Nebenbuhler, von Flucht oder von Verfolgung indes ist nicht die Rede. Das heißt, das in Buch III über die intertextuellen Verweise auf die Geschichte von Erec und Enite eingespielte Sujet (das Eintreten eines Dritten in die Minnebeziehung) erweist sich beim zweiten Auftritt des Paars in Buch V als eine abgewiesene Erzählalternative. Wozu dieser Aufwand? - Offensichtlich verhält es sich hier nicht so wie in der Heldenepik, in der über das Andeuten einer potenziellen Abweichung vom rekurrenten Erzählschema, die dann nicht realisiert wird, auf eine Störung verwiesen wird, die es dann gar nicht gibt, was wiederum zur Folge hat, dass die ‹ Idealität › der dargestellten Welt, des heroic age, implizit profiliert wird. 187 Zwar hat auch hier das Andeuten einer Erzählalternative Effekte auf die Gestaltung des Erzählens, diese sind jedoch andere. Zunächst einmal zeigt sich, dass die Inszenierung der Trennung von Orilus und Jeschute vor der Folie der separatio quoad thorum et mensam im ‹ Erec › eine Semantisierung des Nicht-Erzählten bewirkt, und zwar insofern als der Bezug zu Erecs und Enites Schicksal beim Rezipienten, der diese Geschichte kennt, eine Vorstellung davon evoziert, was in der Zeit mit Jeschute und Orilus passieren könnte, in der nicht von ihnen erzählt wird: Jeschute könnte Orilus abgeworben werden; es könnte zu einer Flucht und schließlich zum Kampf zwischen den rivalisierenden Männern kommen. Das Andeuten von Sujet- und Handlungsoptionen, unmittelbar bevor ein Paar aus dem Erzählkosmos austritt, erweist sich damit als äußerst ökonomisches Mittel zur Gestaltung 187 Vgl. Schulz, Fragile Harmonie, S. 393. 264 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › des Erzählens von einer Minnebeziehung, denn es verschafft dem Rezipienten (Hörer / Leser) Anreize, eigene Vorstellungen davon zu entwickeln, wie die Geschichte weitergehen könnte. Ein anderer Aspekt kommt hinzu: Dadurch, dass sich die in Buch III angedeuteten Handlungsoptionen bei Jeschutes und Orilus ’ Wiedereintritt in die Geschichte (Buch V) als abgewiesene Alternativen erweisen, was - wie gesagt - eine Vorstellung davon erzeugt, was alles hätte passieren können, jedoch nicht passiert ist, erscheint ihre Liebesbzw. Leidensgeschichte nicht als alternativlos, sondern als eine eher zufällige Begebenheit, als ein möglicher Verlauf unter anderen. Damit aber nicht genug: Die Andeutung von Sujet- und Handlungsoptionen in Mahlszenen kommt in Bezug auf Orilus und Jeschute noch einmal vor, und zwar in der Szene, in der die beiden nach ihrer Versöhnung, auf der Lagerstatt sitzend, ein gemeinsames Mahl einnehmen (V. 272,4 - 273,30). Die Untersuchung dieser Szene hat gezeigt, dass das Mahl hier zwar den Status einer öffentlichen Repräsentation der Wiedervereinigung des Paars hat, dass es auf der Ebene der Bildsprache jedoch zugleich einen ‹ Störkeim › enthält: Denn die Szene weist ein Jagdbild auf (Vogeljagd mit Klemmfalle), dessen Fokus auf dem Aspekt des Begehrens liegt, das in unentrinnbare Gefangenschaft des Begehrenden (des Vogels) führt und mit dessen Tod endet (vgl. Kapitel III.1.2). Übertragen auf das Minneverhältnis, setzt das Jagdbild Vorstellungen der Minnegefahren frei, die das Begehren mit sich bringt, und unterlegt das auf der Handlungsebene dargestellte Minneglück von Jeschute und Orilus auf diese Weise mit negativen Vorahnungen. Auch hier also deutet sich in der Mahlszene eine Handlungsoption an und auch hier verschwinden die Akteure unmittelbar danach aus dem Erzählkosmos. Im Unterschied zum erstgenannten Fall treten die beiden jedoch schon wenig später wieder auf, nämlich am Artushof, wo sie im Rahmen eines Festmahls ihr wiedererlangtes Minneglück abermals öffentlich demonstrieren (ebenfalls Buch V, V. 278,28 - 279,30). Mit diesem Auftritt wird die zuvor angedeutete potenzielle Störung des Minneglücks explizit nicht aufgegriffen und erweist sich damit wiederum als abgewiesene Alternative. Aber anders als im ersten Fall, kommen Jeschute und Orilus an späterer Stelle des Romans nicht mehr vor; das Erzählen von dieser Minne endet hiermit. Dadurch bleibt die in der Mahlszene über das Bild des Vogels in der Klemmfalle evozierte Dissonanz letztlich unaufgelöst, was, wenn auch unterschwellig, Anreize für das Weitererzählen von dieser Minnebeziehung schafft. Das Beispiel von Orilus und Jeschute zeigt, dass der Entwurf von Sujet- und Handlungsoptionen in Mahlszenen unterschiedliche Effekte auf die Gestaltung des Erzählens hat: Wenn solche Andeutungen unmittelbar vor dem Austritt eines Paares aus dem Erzählkosmos situiert sind - sei es, dass das Paar 265 Poetische Funktionen des Alimentären zu einem späteren Zeitpunkt der Erzählung wieder auftritt oder dass seine Geschichte nicht mehr aufgegriffen wird - , verschaffen sie dem Rezipienten Ansatzpunkte dafür, die Geschichte selbstständig weiterzuentwickeln, indem sie über die Textgrenze hinaus in den Raum des Nicht-Erzählten verweisen und diesen semantisieren. Entscheidend für die Interpretation solcher Phänomene ist dabei weniger die Frage, ob Wolfram mit solchen Andeutungen konkrete Anschlussstellen für das Weitererzählen schaffen wollte, 188 als vielmehr die Tatsache, dass sie Effekte auf die p œ tische Konzeption des Erzählens von Minne haben. Zwar ist das Phänomen der angedeuteten Alternative, die dann ins Leere läuft, nicht in derselben Weise prägend für den ‹ Parzival › wie für den ‹ Titurel › , 189 dennoch lässt sich in Bezug darauf Ähnliches beobachten, wie es Fuchs-Jolie und Giller für jenen Text getan haben. In beiden Fällen verhält es sich nämlich so, dass Andeutungen auf das, was auch noch passieren könnte, dann aber nicht eintritt, bzw. auf das, was auch noch erzählt werden könnte, dann aber nicht erzählt wird, die erzählte Minnehandlung in Hinblick auf Alternativen transparent halten, wodurch sie lediglich als ein möglicher Handlungsverlauf unter anderen erscheint. Folglich wird das tatsächlich Erzählte weniger als ein kausallogischer Zusammenhang vorgestellt, der mit einiger Zwangsläufigkeit so und nicht anders verlaufen muss, sondern vielmehr als eine Demonstration davon, wie die Signifikanten und Bausteine des Erzählten ein unübersehbar verzweigtes Netz möglicher Beziehungen und Anknüpfungspunkte, ein nicht auszuschöpfendes Reservoir möglicher Geschichten und simultan gültiger Sinnsetzungen bilden. 190 188 Dies gilt, obgleich natürlich angemerkt werden muss, dass es (wohl durch Wolfram selbst) zur Realisierung solcher Anschlussmöglichkeiten gekommen ist. So setzt der ‹ Titurel › die Kenntnis des ‹ Parzival › voraus, indem er die Geschichte von Sigune und Schionatulander, die im ‹ Parzival › angedeutet wird, erzählt und dabei wiederholt auf Aspekte im ‹ Parzival › verweist, ohne diese noch einmal zu wiederholen (vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 417). Entsprechend wird der ‹ Titurel › in der Forschung als nachträgliche Vorgeschichte zu den vier Sigune-Szenen im ‹ Parzival › gelesen (vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 417 f.; Glauch, An der Schwelle zur Literatur, S. 207). 189 Zurecht weisen Fuchs-Jolie und Giller darauf hin, dass der ‹ Titurel › in gewisser Weise insgesamt eine solche Andeutung darstellt, die nicht erfüllt wird (vgl. Fuchs- Jolie/ Giller, ‹ wie Gahmuret schiet von Belakânen › ). 190 Vgl. Fuchs-Jolie/ Giller, ‹ wie Gahmuret schiet von Belakânen › ; umfangreich ausgearbeitet findet sich diese These in Fuchs-Jolie, Die Gleich-Gültigkeit des Möglichen. 266 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Der Entwurf von Sujet- und Handlungsoptionen in Minnemahlszenen kommt im ‹ Parzival › in Bezug auf etliche Minnepaare vor, deren Geschichte in die Handlung integriert ist. Anders als bei Orilus und Jeschute sind solche Andeutungen zumeist jedoch nicht am Ende einer Episode, unmittelbar bevor ein Wechsel der Erzählperspektive erfolgt, situiert, sondern an Stellen, an denen sich Mann und Frau zum ersten Mal begegnen und die Erzählung von dieser Minne gerade erst anhebt bzw. anheben könnte. Dabei können sie auf ganz unterschiedliche Art und Weise evoziert werden: Neben System- und Einzeltextreferenzen, die, wie am Beispiel von Orilus und Jeschute gezeigt, eine bestimmte Sujetkonstellation aufrufen, können sie durch das Einbringen alimentärer Metaphern und Vergleiche evoziert werden. Dies ist z. B. bei Gahmuret und Belakane der Fall, bei deren Begrüßungsmahl sich durch die Assoziation der Akteure mit Reiher- und Fischbraten unterschiedliche Handlungsoptionen andeuten (vgl. V. 33,4; dazu Kapitel I.1). In anderen Fällen sind es erotisch codierte alimentäre Handlungen, die die Möglichkeit einer Liaison zwischen Mann und Frau andeuten, die dann entweder nicht zustande kommt (Parzival / Liaze V. 176,13 - 27; Gawan / Bene V. 550,1 - 552,5) oder die im weiteren Verlauf der Erzählung nicht mehr thematisiert wird (Hofdamen der Gralsburg / Parzival V. 244,11 - 25; Hofdamen von Schastel marveile / Gawan V. 581,23 - 582,28). In wieder anderen Fällen werden Alternativen zur erzählten Handlung über den Erzählerkommentar eingespielt und dann explizit als abgewiesen kommentiert (Herzeloyde / Gahmuret V. 83,25 - 84,18). Ungeachtet der Art und Weise, wie solche Sujet- und Handlungsoptionen in Minnemahlszenen entworfen werden, stets verhält es sich so, dass das implizite Verweisen auf Alternativen, die im Text nicht realisiert, sondern ignoriert und vergessen werden, darauf hindeutet, dass alles auch hätte anders kommen können. Dies hat den Effekt, dass die gesellschaftliche Struktur, die im ‹ Parzival › über die vielfältigen Minnebindungen konstituiert wird, als eine fragile, kontingente Ordnung erscheint. Anders jedoch verhält es sich wiederum bei Parzival und Condwiramurs. Zwar enthält auch die Minnemahlszene dieses Paars (Brotteilen auf Pelrapaire) semantische Implikationen, die einen möglichen Handlungsverlauf andeuten, indem sie auf die spätere Gralsherrschaft des Paares hindeuten und damit beim Rezipienten des Textes die Vorstellung der Möglichkeit eines solchen Ausgangs der Geschichte evozieren können (vgl. Kapitel III.2.2.1). Im Unterschied zu den meisten anderen Minnedarstellungen stellt sich die im Mahl entworfene Sujet- und Handlungsoption hier jedoch im Nachhinein nicht als abgewiesene Alternative heraus, sondern als symbolische Vorausdeutung auf das, was tatsächlich eintritt. Damit zeichnet sich ein weiterer Unterscheid zwischen 267 Poetische Funktionen des Alimentären der Darstellung dieser Minne und der der anderen Paare des Romans ab: Während die anderen Liebesgeschichten, die im ‹ Parzival › als Handlung entfaltet und narrativiert werden, eher den Eindruck von zufälligen Begebenheiten erwecken, erscheint die Liebesgeschichte von Parzival und Condwiramurs als von vornherein bestimmt. Es gehört zu den p œ tischen Kunstgriffen Wolframs, in Minnemahlszenen Sujet- und Handlungsoptionen zu entwerfen, die sich retrospektiv als symbolische Vorausdeutungen bzw. als abgewiesene Alternativen herausstellen. Dass dieses p œ tische Verfahren bei Wolfram textübergreifend vorkommt, und zwar nicht nur - wie es im ‹ Parzival › der Fall ist - im Zusammenhang mit Minnemahlszenen, wird im Folgenden anhand einer Festmahlszene in Wolframs ‹ Willehalm › aufgezeigt. 2.2.2 Exkurs: Das Festmahl auf Glorjet in Wolframs ‹ Willehalm › Mit der Festmahlszene auf Glorjet aus dem ‹ Willehalm › (V. 234,13 - 277,11) wird eine Episode aus Wolframs Werk einbezogen, in der nicht die Minnethematik im Vordergrund steht, sondern die politische Dimension des Mahls. 191 Ich unternehme diesen Exkurs, um zu zeigen, dass, wenn man die Szene in Hinblick auf das oben beschriebene p œ tische Verfahren des Entwurfs von Sujet- und Handlungsoptionen in Mahlszenen interpretiert, sich Vieles sinnvoll erklären lässt, was die Forschung in Bezug auf diese Szene bislang für unschlüssig und erklärungsbedürftig befunden hat. Die langatmige Beschreibung der Vorbereitung und Durchführung des Festmahls, des Weiteren die Brüche und Widersprüchlichkeiten, die die Szene aufweist, und nicht zuletzt der rätselhafte Schluss wirken aus dieser Perspektive nicht mehr länger unmotiviert, wie in der Forschung moniert wurde. 192 Vielmehr lässt sich die Szene als ein Ort im Text beschreiben, an dem eine Sujetkonstellation entworfen wird, die die späteren Ereignisse auf dem Schlachtfeld präfiguriert, 191 Die folgenden Ausführungen zur Festmahlszene auf Glorjet im ‹ Willehalm › (V. 234,13 - 277,11) beziehen sich auf meine Interpretation der Szene in: Bleuler, Anna Kathrin: Identitätsbildung bei Tisch. Das Festmahl als symbolische Ordnung am Beispiel des ‹ Willehalm › Wolframs von Eschenbach, in: Bleuler, Anna Kathrin (Hg.): Welterfahrung und Welterschließung in Mittelalter und Früher Neuzeit, vorauss. Heidelberg 2015 (Interdisziplinäre Beiträge zu Mittelalter und Früher Neuzeit 5), S. 155 - 177. 192 Einen Forschungsüberblick bieten Greenfield, John R./ Miklautsch, Lydia (Hgg.): Der ‹ Willehalm › Wolframs von Eschenbach. Eine Einführung, Berlin/ New York 2010, S. 121. 268 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › wodurch sie sich retrospektiv als symbolische Vorausdeutung dieser Ereignisse erweist. Im Mittelpunkt der figurenreichen, auf französische Quellen zurückgehenden Handlung des ‹ Willehalm › stehen die beiden Schlachten auf Alischanz, in denen die Christen unter der Führung des Markgrafen Willehalm gegen die Heiden kämpfen. Die erste Schlacht geht zugunsten der Heiden aus; die zweite zugunsten der Christen. Diese Schlachten sind nicht nur religiös und politisch motiviert, in ihnen geht es auch um persönliche Rache. Denn der Heidenkönig, Terramer, will seine Tochter Arabel zurückgewinnen. Diese hatte sich zum christlichen Glauben bekehrt, sich auf den Namen Gyburc taufen lassen und einen Christen geheiratet, nämlich den Markgrafen Willehalm. Der Handlungsverlauf bis zu der Szene, die ich besprechen möchte, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Nach der verlorenen Schlacht auf Alischanz reitet Willehalm nach Munleun, wo er seine königlichen Verwandten und die französischen Fürsten um Hilfe im Kampf gegen die Heiden ersucht. Als er die Hilfezusage erhalten hat, reitet er zurück auf seine Burg in Orangis, die von den Feinden belagert und von seiner Frau Gyburc und deren Hofdamen mit Müh und Not verteidigt wird. Dort angekommen, beschließen Willehalm und Gyburc inmitten der vom Krieg gegen die Heiden zerstörten, brennenden Stadt Orangis, in der es kaum Überlebende gibt und in der es bestialisch nach Tod und Verwesung stinkt (V. 222,10 - 13), in ihrem palas Glorjet ein Festessen für den zu Hilfe geeilten Vater Willehalms, seine Brüder und die französischen Fürsten zu veranstalten (V. 234,13 - 234,28). 193 Der Anlass für die Einladung zum Festmahl wird explizit benannt: Willehalm will die vor der Stadt lagernden Truppen - insbesondere die französischen Fürsten - für den Kampf gegen die Heiden motivieren, da er auf ihren Zusammenhalt angewiesen ist (V. 234,14 - 19). 194 Die Forschung ist sich einig darin, dass Willehalms Einladung zum Festessen eine politische Handlung darstellt, durch die sich der Markgraf, vor allem gegenüber den Franzosen, als vorbildlicher Landesfürst und Heeresführer zeigen will und durch die die zu Hilfe geeilten Heeresführer in ihrem guten Willen bestärkt werden sollen. 195 Darüber hinaus tut sich die Forschung jedoch schwer mit der Deutung dieser Szene. Denn angesichts der desolaten und 193 Strukturell gesehen weist die Szene Parallelen auf zu dem in V. 126,7 - 184,30 geschilderten Hoftag zu Munleun (vgl. Haupt, Das Fest in der Dichtung, S. 218 - 248). 194 Anders als in der französischen Vorlage ‹ Aliscans › , in der die Bewirtung in Orangis kurz abgehandelt wird, ist diese Szene bei Wolfram umfangreich ausgestaltet (vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 300). 195 Vgl. Greenfield/ Miklautsch, Der ‹ Willehalm › Wolframs von Eschenbach, S. 121. 269 Poetische Funktionen des Alimentären bedrohlichen Lage in Orangis wirkt die im Festmahl errichtete ‹ schöne › Welt seltsam einstudiert und künstlich. Schließlich befürchten die Burgbewohner, dass die Feinde jederzeit wieder angreifen könnten (V. 236,15 - 22). Joachim Bumke ist der Ansicht, dass die beim Mahl zur Schau gestellte höfische Etikette durch die kontrastive Entgegensetzung zur herrschenden Not in Orangis der Sinnentleerung preisgegeben und als bloße Äußerlichkeit kritisiert werde. 196 Nach Bumke wird das Befolgen der höfischen Etikette als eine Haltung dargestellt, wie sie die französischen Fürsten repräsentieren, die in der anschließenden Schlacht vor dem Kampf gegen die Heiden flüchten. 197 Im Gegensatz dazu ist Barbara Haupt der Meinung, dass mit dem Festmahl auf Glorjet ein Ort des Friedens konstruiert wird und damit gerade die Gültigkeit der höfischen Ideale und die Wichtigkeit des Festes für die Hofgesellschaft angesichts der prekären Lage betont werden. 198 In der Tat überzeugt Bumkes Interpretation bei näherem Hinsehen nicht. Das zeigt sich bereits daran, dass das Einhalten der höfischen Etikette beim Festmahl nicht in erster Linie eine Angelegenheit der eingeladenen französischen Fürsten ist, sondern von den Gastgebern Willehalm und Gyburc selbst explizit bejaht und eingefordert wird. 199 Greift man die in Kapitel II.2 angesprochenen neueren Forschungsansätze zu einer Theorie des Hofes als symbolischer Ordnung auf, die davon ausgehen, dass die Identität des mittelalterlichen Hofes primär auf symbolischer Vermittlung beruhte und denen zufolge das höfische Festmahl stets (auch) ein Ort der symbolischen Instituierung höfischer Gesellschaft war, 200 dann eröffnet sich eine Perspektive auf die Szene, die Haupts Interpretation stützt. Denn aus dieser Sicht erscheint das Festmahl auf Orangis als ein den destabilisierenden Kriegsgeschehnissen entgegengesetzter Raum, in dem Willehalm und Gyburc die Kontingenz des Außenraums für die Zeitspanne des Mahls als bewältigt darzustellen suchen, indem sie eine Welt des Scheins kreieren, die eine Realität erzielen soll, nämlich die Realität einer intakten, in sich geschlossenen Gesellschaft. Mit anderen Worten: Willehalm und Gyburc schaffen mit dem Festmahl einen Raum, in dem sich die Anwesenden als kohärentes, stabiles Sozialgefüge erleben sollen, was den Einzelnen wiederum zu einem bestimmten Verhalten in der Zukunft motivieren, vielleicht sogar verpflichten soll, nämlich zur Unterstützung Willehalms im Krieg gegen die Heiden. 196 Vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 300 f. 197 Vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 300 f. 198 Vgl. Haupt, Das Fest in der Dichtung, S. 238 - 248. 199 Dies moniert auch Haupt, Das Fest in der Dichtung, S. 238 - 248. 200 Vgl. Melville, Agonale Spiele, S. 179 - 202. 270 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Interessant dabei ist, dass die Konstruktion dieser Wirklichkeit nicht nur vorgeführt, sondern durch den Auftritt einer Figur, die nicht zur Festgemeinschaft gehört, auch wieder destruiert wird. Das Mahl endet nämlich mit der Flucht der Gäste und des Dienstpersonals; zurückbleibt die unaufgeräumte Tafel (V. 277,5 - 10). Interpretiert man diesen Befund nun in Hinblick auf das für Wolfram kennzeichnende Verfahren des Entwurfs von Sujet- und Handlungsoptionen in Mahlszenen, dann lässt sich das hier angedeutete Scheitern des Integrationsversuchs der heterogenen Gruppen und Einzelpersonen als symbolische Vorausdeutung auf die späteren Geschehnisse auf dem Schlachtfeld begreifen, wo die französischen Fürsten Willehalm ihre Unterstützung im Kampf gegen die Heiden plötzlich verweigern und gewaltsam zur Beteiligung gezwungen werden müssen. So gesehen erfolgt die Andeutung von Sujet- und Handlungsoptionen auch hier - ähnlich wie es für die Minnemahlszenen im ‹ Parzival › festgestellt wurde (vgl. Kapitel IV. 2.2.1) - über das Inserieren von ‹ Störkeimen › in die Mahldarstellung, die die im Mahl errichtete Wirklichkeit einer stabilen höfischen Gesellschaft hybrid und fragil erscheinen lassen und die damit als ‹ Vorboten › der Krise, des Konflikts und des Zerfalls der höfischen Ordnung angesehen werden können. Dies wird im Folgenden dargelegt, indem zum einen die unterschiedlichen Mittel aufgezeigt werden, mit denen die Akteure innerhalb der erzählen Welt die Vorstellung einer intakten, in sich geschlossenen Hofgesellschaft zu erzeugen suchen, und indem zum anderen Störfaktoren herauspräpariert werden, die die Inszenierung von höfischer Ordnung unablässig unterminieren und konterkarieren. Befragt man die Festmahlszene, mit welchen Mitteln die Vorstellung einer intakten, in sich geschlossenen Hofgesellschaft hergestellt wird, dann zeigt sich, dass die Konstruktion einer solchen Wirklichkeit als Prozess erscheint, der mit den Vorbereitungen zum Mahl beginnt, während des Mahls andauert und der mit dem Einbruch von Gewalt endet. Sie gründet auf dem Bemühen der Akteure um die Darstellung einer die Außenwelt ausgrenzenden inneren Ordnung. So bedeuten die Vorbereitung und die Durchführung dieses Mahls für Willehalm und Gyburc einen großen Aufwand. Sie lassen den ganzen Palast mit kostbaren, aus bunt leuchtender Seide gewirkten Sitzkissen, Teppichen und Decken auslegen (V. 244,10 - 17). Anschließend reitet Willehalm los, um jedem der auf den umliegenden Feldern lagernden Heeresführer die Einladung persönlich zu überbringen (V. 245,1 - 246,5). Jene wiederum wägen ihre Beteiligung am Festmahl aus Rücksichtnahme auf die schlechte Versorgungssituation in Orangis untereinander sorgfältig ab und beschränken sie auf die ranghöchsten Mitglieder (V. 246,6 - 12). Unterdessen weist Gyburc ihre 271 Poetische Funktionen des Alimentären Hofdamen an, sich für den bevorstehenden Anlass schön zu machen (V. 247,1 - 5) und erteilt ihnen Anweisungen für das Benehmen bei Tisch. Oberstes Gebot ist es, kein Wort über die Kriegsgeschehnisse zu verlieren und sich die Trauer nicht anmerken zu lassen (V. 247,11 - 13). Stattdessen gilt es, Fragen zum geschehenen Unglück auszuweichen (V. 247,14 - 22), sich den Rittern gegenüber gesellecliche zu geben (V. 247,23), ihnen durch wipliche güete (V. 248,1) und hövescheit (V. 247,11) hochgemüete (V. 248,2) zu verschaffen. Als die Gäste im palas eintreffen, wird ein Empfang ausgerichtet, bei dem die Königin jeden Gast persönlich mit einem Kuss begrüßt (V. 249,28 - 250,19). Anschließend werden die Ritter auf Sitzkissen zwischen den Hofdamen platziert (V. 250,20 - 251,2); wobei sich je eine Hofdame um einen geladenen Ritter kümmert (V. 250,30 - 251,1). Unterdessen werden die Tische für das Mahl vorbereitet (V. 259,22). Dabei bittet Willehalm seinen Vater, Heimrich, die Führung zu übernehmen und das fehlende Dienstpersonal durch seine Gefolgsleute zu ersetzen. Denn die hauseigenen Schenken, Marschälle und Kämmerer sind alle im Krieg gefallen (V. 261,15 - 30). Und so ist es Heimrich, der an diesem Abend anstelle seines Sohnes die Rolle des Hausherren übernimmt, wobei sein Wirken auf Figurenebene als ‹ Als-ob › -Handlung markiert wird: Gegenüber seinen liuten verkündet er, er werde heute Abend den Gastgeber spielen (lat mich hiute wirt hie sin, V. 263,10), und fordert sie dazu auf, die Gäste zu bedienen, als ob sie zu Hause seien (gebietet als wir da heime sin, V. 262,9). Fortan trägt er einen Stab in der Hand, empfängt die Gäste, weist die Sitzplätze an, nimmt Platz an der Seite der Hausherrin und eröffnet das Mahl (V. 263,13 - 29). Bei Tisch nun sind Männer und Frauen in absteigender Rangfolge an der Seite des Herrscherpaars bzw. diesem gegenüber platziert. Als Heimrichs amtliute die Getränke und Speisen auftragen, weist Heimrich feierlich darauf hin, dass es sich dabei um Hinterlassenschaften der gefallenen Bewohner Orangis handelt, die vor der Übermacht der Feinde gerettet werden konnten (V. 264,1 - 22). Die Szene zeigt: Die Herstellung einer inneren Ordnung basiert im Wesentlichen auf zwei Aspekten: zum einen auf der Raumgestaltung und zum anderen auf der Kanalisierung der Geschehensabläufe. 201 Beides wird mit einem Aufwand betrieben, der an die Inszenierung eines Theaterstücks erinnert: Willehalms Vater übernimmt die Regie, gibt Handlungsanweisungen, koordiniert das Geschehen. Diese Rolle ergreift er im Übrigen nicht erst, als Willehalm ihn explizit dazu auffordert, sondern bereits bei der Ankunft der Gäste. Beim Empfang 201 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Gert Melville in seiner Untersuchung von symbolischen Strukturen höfischer Turnierkämpfe (vgl. Melville, Agonale Spiele, S. 186 - 202). 272 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › unterläuft der Gastgeberin, Gyburc, nämlich beinahe ein Formfehler: Sie wendet sich den Verwandten Willehalms zu, um sie mit einem Kuss zu begrüßen, bevor sie die fremden Gäste, die französischen Fürsten, willkommen heißt. Willehalms Vater, Heimrich, kann dies gerade noch verhindern, indem er sie zurechtweist: ‹ Vrouwe, des sul wir noch niht tuon, ich noch dehein min sun, e die vürsten, die iu vremeder sint danne ich und miniu kint, den kus von iu enphahen. [. . .] › (V. 250,5 - 9) Im Weiteren greift Heimrich helfend ein. Er richtet den Empfang persönlich aus, indem er die Gäste in der Reihenfolge ihres Ranges und ihrer Herkunft vor die Königin führt, wo sie den Begrüßungskuss empfangen dürfen (V. 249,28 - 250,1). Die übrigen Burgbewohner, die am Fest teilnehmen, allen voran Gyburcs Hofdamen, verfügen über ein Handlungswissen, das im Vorfeld minutiös einstudiert wurde. Wie bereits erwähnt, wissen sie genau, wie sie sich den geladenen Rittern gegenüber zu verhalten haben. Die beim Festmahl unbesetzten Positionen, das Dienstpersonal, werden mit Stellvertretern aus Heimrichs Gefolge besetzt. Wenn in diesem Setting jemand aus der Rolle fällt - dies zeigt Gyburcs Fauxpas beim Empfang - , dann wird er durch die anderen Festteilnehmer zurechtgewiesen. Insofern lässt sich der Festsaal als ein Raum erhöhter Aufmerksamkeit beschreiben, in dem nichts übersehen wird (dane wart nu niht vergezzen, V. 251,2). Entscheidend dafür, dass sich die im Raum anwesenden Personen für die Zeitspanne des Empfangs und des Mahls als kohärentes, stabiles Sozialgefüge erleben können, ist nun aber, dass die inszenierten Aktionen nicht willkürlich, zufällig und verzichtbar erscheinen. Vielmehr werden mit ihnen grundlegende, dauerhafte Ordnungs- und Wertemuster zum Ausdruck gebracht, die der Repräsentation adliger Exklusivität sowie der internen Strukturierung der Gruppe dienen. 202 Dabei beginnt die soziale Abgrenzung nach außen bereits mit der Einladung zum Festmahl. Denn diese erfolgt auf Zuruf durch den Gastgeber Willehalm, der den Truppenplatz abschreitet und jeden Edelmann (V. 246,1) persönlich einlädt. Unfreie dagegen werden lediglich begrüßt. Wer zur Tafel geladen ist, gehört damit zur ‹ besseren › Gesellschaft. Allerdings erweist sich Willehalm nicht als besonders wählerisch, explizit heißt es, jeder werde [man] 202 Auch in diesem Punkt gelangt Gert Melville in seiner Untersuchung der Symbolizität von höfischen Turnierkämpfen zu ähnlichen Ergebnissen (vgl. Melville, Agonale Spiele, S. 186 - 202). 273 Poetische Funktionen des Alimentären sei eingeladen, denn schließlich geht es Willehalm darum, die Soldaten möglichst geschlossen hinter sich zu scharen. In diesem Punkt machen ihm die Franzosen allerdings einen Strich durch die Rechnung. Aus Rücksicht auf die miserable Versorgungslage in Orangis beschließen sie untereinander, die Heeresführer mit jeweils drei Begleitpersonen hinzuschicken, die übrigen Barone und Grafen mit jeweils einer Begleitperson. Die restlichen Ritter sollen auf die Teilnahme am Fest verzichten (V. 246,1 - 12). Später, beim Mahl, bedauert Willehalm, dass nicht mehr der geladenen Gäste seiner Einladung gefolgt sind (V. 261,1 - 3). Der Abgrenzung vom Außenraum dienen des Weiteren die opulente Dekoration des Festsaals sowie die Kleider und der Schmuck, den die Gastgeber und die Gäste tragen. Die Schönheit und Kostbarkeit der Stoffe, aus denen Sitzkissen, Decken, Polster, Wandbehänge, aber auch die Kleider der Hofdamen gefertigt sind, erzeugen das Bild einer bunten, leuchtenden Welt, die in krassem Gegensatz zur Düsternis des kriegerischen Außenraums steht (u. a. V. 244,15 - 17). Ebenfalls im Kontrast zum kriegerischen Außenraum steht der Verhaltenskodex, der beim Fest gilt. Oberstes Gebot für die Beteiligten ist nämlich, sich freudig und zuversichtlich zu geben und kein Wort über den Krieg zu verlieren (V. 268,28 - 30). Außerdem gilt es, sich maßvoll zu verhalten. So verlangt etwa Gyburc von ihren Hofdamen, dass sie gegenüber den Gästen nicht zu redselig sein sollen, andererseits aber auch nicht zu schweigsam (V. 247,14 - 22.). Bei Tisch zügeln die Gäste ihren Appetit ungeachtet des großen Hungers, der sie plagt. Auffallend ist dabei, dass sich das Gebot der mâze ausschließlich auf den affektiv-körperlichen Bereich bezieht, nicht aber auf das Materielle: Zwar zeigen die Festteilnehmer Zurückhaltung und Bescheidenheit in ihrem Auftreten und in ihrem Verhalten, mit der Kleidung, der Raumausstattung, den dargebotenen Speisen und dem Tafelgeschirr werden jedoch Überfluss und Opulenz demonstriert. Was die interne Strukturierung der Gruppe betrifft, ist zu sehen, dass im Verlauf des Festes unterschiedliche Sozialmodelle aufgerufen und durchgespielt werden. Wie bereits angedeutet, besteht der Anlass aus zwei Programmpunkten: dem Empfang und dem Mahl. Nach der Begrüßung durch die Königin, die streng hierarchisch organisiert ist, werden die Gäste in eine im Prinzip egalitäre Sozialordnung eingegliedert, indem sich nämlich je eine Hofdame eines geladenen Ritters annimmt. Hier ist es die Minne, mit der die Kampfbereitschaft der Ritter befeuert werden soll: nie vürste wart so riche, erne h œ re wol einer meide wort. (V. 247,24 - 25) 274 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Etwas weiter unten im Text heißt es: bi vriundinne vriunt ie ellen vant: diu wipliche güete git dem man hochgemüete. (V. 247,30 - 248,2) Diese intimen Zweierbeziehungen werden in dem Moment aufgelöst, in dem die Gäste zur Tafel gebeten werden. Denn nun erfolgt die Einbindung des Einzelnen in die Gemeinschaft wieder - wie in der Empfangsszene - durch Eingliederung in ein übergreifendes Ranggefüge. Männer und Frauen sitzen getrennt voneinander, in absteigender Rangfolge neben dem (fingierten) Herrscherpaar Gyburc und Heimrich bzw. diesem gegenüber. Es sind somit zwei unterschiedliche Ordnungssysteme, ein paritätisches und ein hierarchisches, durch die die Zugehörigkeit des Einzelnen zur Festgemeinschaft inszeniert wird. Ein drittes kommt hinzu: Bemerkenswert ist nämlich Heimrichs Tischrede zu Beginn des Mahls, in der er darauf hinweist, dass es sich bei den aufgetragenen Speisen und Getränken um Hinterlassenschaften der im Krieg gefallenen Burgbewohner handelt: Er bat siz willeclichen nemen: swaz wurde alda von in verzert, daz heten vrouwen hende erwert gein starker viende überlast. [. . .] ‹ Oransche ist wol beraten von den die ez vor uns taten. die sint uf Aliscanz beliben. ir tot uns hat dar zuo getriben: nu zeren daz si uns liezen. ir vart sul wir geniezen [. . .]. › (V. 263,30 - 264,20) Der Tischsegen gerät zu einem Segensspruch für die Kriegsopfer, wodurch das Mahl Züge eines Totenmahls annimmt. Dadurch dass die Speisen und Getränke als Eigentum der Toten bezeichnet werden, erscheint der Verzehr als ein Akt der Vergemeinschaftung mit den Verstorbenen. Das heißt: Zugehörigkeit wird in dieser Festmahlszene nicht nur auf synchroner Ebene inszeniert, sondern durch den symbolischen Akt der Verbrüderung mit den Verstorbenen auch auf diachroner Ebene. So viel zum Prozess höfischer Identitätsbildung, der sich anhand dieser Szene beschreiben lässt. Fragt man nun nach ‹ Störkeimen › , die in die Darstellung inseriert sind, dann muss man beachten, dass der Erzähler keinen reibungslosen Ablauf des Mahls schildert, sondern immer wieder auf Missachtung und Verstöße aufmerksam macht. Während die gesellschaft tafelt, werden Klagen 275 Poetische Funktionen des Alimentären unterdrückt, Tränen verdrängt, Münder zum Lachen gezwungen, der Kummer - so gut es geht - mit Anstand getragen. Heimrich etwa ermahnt seine Tischdame Gyburc wiederholt, ihren Kummer zu verbergen: Sus saz diu klagende vrouwe mit dem herzen touwe, daz uzer brust durh diu ougen vloz, ir liehten blicke ein teil begoz. do sprach ir gedienter vater hin ze ir alsus mit zühten bater daz si ir weinen lieze sin verholen: da solten kurzwile dolen der wirt und sine geste ane jamers überleste. si sprach ‹ swenne ir gebietet, min munt sich lachens nietet; wirt aber hie schimpf von mir getan, so muoz doch daz herze jamer han. › er sprach ‹ nu nemt so jamers war daz iuwer site rehte var, und daz niemen drab erschrecke. [. . .] wir sulen hohen muotes rat den liuten künden unde sagen. guot trost erküenet manigen zagen. › (V. 268,3 - 30) Insgesamt zeigt sich, dass in dieser Festmahlszene der Prozess höfischer Identitätsbildung nicht nur thematisiert und vorgeführt wird, sondern die im Mahl errichtete Wirklichkeit einer stabilen höfischen Gesellschaft zugleich als hybrid und fragil dargestellt ist. Dabei wird narrativ eine Situation herbeigeführt, in der das Stabilisierungs- und Integrationspotenzial höfischer Formen an die Grenzen ihrer Leistungskraft getrieben werden, und zwar durch den Auftritt einer Figur, die nicht in das Geschehen hineinpasst: Rennewart. Rennewart ist der Knecht Willehalms, der in Wahrheit ein heidnischer Königssohn ist, nämlich der Bruder Gyburcs, was zu diesem Zeitpunkt jedoch noch niemand weiß. In der vorliegenden Szene wird er als ambivalente Figur gezeichnet. Er ist nicht zum Festmahl eingeladen und trägt alle Insignien des auszuschließenden Außenraums: Während die Gesellschaft speist, betritt er den Festsaal mit einer Waffe in der Hand, einer langen, schweren Stange, die er an einer Säule deponiert. Er ist schmutzig, verwildert, hat schwarzleuchtende Augen wie ein Drache und beherrscht die Normen des Innenraums nicht: Er ist laut, renomiersüchtig, ungefüege. Zugleich aber weist er ein Merkmal von Zugehörigkeit auf: seine enorme Schönheit, die unter dem Schmutz durchschimmert (V. 269,20 - 271,2). Rennewarts Auftritt löst Schauer und Faszina- 276 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › tion zugleich aus: Heimrich weiß nicht, was er tun soll. Willehalm, der seinen Knecht schätzt, ordnet an, ihn in die Tafelgemeinschaft zu integrieren. Er wird neben Königin Gyburc auf einen Teppich gesetzt. Dass dieser Integrationsversuch zum Scheitern verurteilt ist, wird bereits auf visueller Ebene antizipiert: Diu tavel was kurz und breit: Heimrich durh gesellekeit bat Rennewarten sitzen dort uf den teppich an der tavelen ort, bi der küneginne nahen. [. . .] swie diu küneginne ob im saz, sin houbet was vil h œ her baz: daz muose von siner gr œ ze sin. (V. 274,1 - 17) Obwohl Rennewart niedriger sitzt als die Königin, überragt er sie aufgrund seiner Körpergröße. Eine Störung des Ordnungsgefüges kündigt sich an und bewahrheitet sich auch sogleich. Denn Rennewart macht sich vor den Augen der staunenden Tafelgemeinschaft über die Speisen und Getränke her, betrinkt sich und vertilgt das Essen ungebremst (V. 274,27 - 276,14). Als sich dann ein Edelknappe an seiner Waffe zu schaffen macht, gerät er außer Kontrolle. Er verfolgt den Jüngling durch den Saal, schlägt mit seiner Stange wild um sich. Das Dienstpersonal und die Gäste, vom Schrecken gepackt, flüchten von der Tafel, die unaufgeräumt zurückbleibt (V. 276,15 - 277,10). Der Vorfall bleibt merkwürdig folgenlos. Betrachtet man diesen Befund nun in Hinblick auf die weitere Handlung, dann lässt sich die Festmahlszene als ein Ort im Text beschreiben, an dem eine Sujetkonstellation entworfen wird, die das Geschehen der zweiten Schlacht auf Alischanz präfiguriert und damit symbolhaft auf die späteren Ereignisse hindeutet. Fassen wir die zentralen Aspekte dieser Konstellation zusammen, um dies zu veranschaulichen: Grundsätzlich ist das Festmahl auf Glorjet ein Anlass, mit dem Willehalm und Gyburc die vor der Stadt lagernden, heterogenen Gruppen und Einzelpersonen in die Hofgemeinschaft integrieren und sie damit in ihrem Willen zur Beteiligung am Kampf gegen die Heiden bestärken wollen. Die Konstruktion einer intakten Hofgesellschaft gründet dabei auf dem Bemühen der Akteure, eine die Außenwelt ausgrenzende innere Ordnung herzustellen, die an grundlegenden höfischen Werten und Normen orientiert ist und die diese zugleich zur Anschauung bringt. Die Herstellung einer solchen Ordnung basiert im Wesentlichen auf der Raumgestaltung sowie auf der Kanalisierung der Geschehensabläufe. Das Mahl wird so zum Modell für richtiges soziales Verhalten. Dieser Integrationsversuch jedoch scheitert daran, dass die im Mahl 277 Poetische Funktionen des Alimentären errichtete Welt des schönen Scheins mit einer Figur konfrontiert wird, die die Kontingenz des auszuschließenden Außenraums ins Geschehen hineinträgt und, anstatt sich anzupassen, sich den Normen des Innenraums widersetzt, wodurch das symbolisch konstruierte Ordnungsgefüge kollabiert. Die höfischen Formen stellen in dieser Szene somit keine bloßen Äußerlichkeiten dar, die der Kritik preisgegeben werden, und sie lassen sich auch nicht als eine Haltung ansehen, die von den französischen Fürsten repräsentiert wird, wie es Bumke postuliert, sondern sie werden explizit den Gastgebern Willehalm und Gyburc zugeschrieben, wobei narrativ eine Situation herbeigeführt wird, in der sie an die Grenzen ihrer Leistungskraft gelangen. An den Punkt nämlich, an dem sie als symbolische Vermittlungsformen der höfischen Gesellschaft versagen. Dabei gewinnt das affektiv-kriegerische Verhalten Rennewarts mehr und mehr die Oberhand über den Schauplatz des Mahls, indem es die Anwesenden in Angst und Schrecken versetzt und das Geschehen letztlich total dominiert. Auffallend ist nun, dass sich die Sujet- und Handlungskonstellation, die sich in der Festmahlszene abzeichnet, im anschließenden Handlungsteil, der Vorbereitung und Durchführung der zweiten Schlacht auf Alischanz, exakt wiederholt: angefangen bei der Fürstenratszene, in der Willehalm die französischen Fürsten argumentativ zur Beteiligung am Krieg zu verpflichten sucht (V. 296,25 - 311,6), über die Szene, in der diese angesichts der Übermacht der Heiden ihre Truppen bereits vor dem Kriegseinsatz wieder abziehen, das heißt, in der Willehalms Integrationsversuch scheitert und sich sein höfisches Verhalten, sein Verhandlungsgeschick, als wirkungslos erweist, bis hin zu der Szene, in der Rennewart gewaltsam ins Geschehen eingreift und die Franzosen zur Teilnahme am Krieg zwingt, indem er jeden erschlägt, der sich widersetzt (u. a. V. 324,11), als dem Moment, in dem wiederum das affektiv-kriegerische Verhalten die Dominanz über das Geschehen gewinnt. Der Vergleich zeigt, dass Mahl- und Kriegsgeschehen hier paradigmatisch aufeinander bezogen sind, mit dem Effekt, dass sich die der Darstellung des Krieges vorgeschaltete Festmahlszene retrospektiv als Vorausdeutung auf den späteren Handlungsverlauf interpretieren lässt. Aus dieser Sicht erscheinen die in der Forschung für unschlüssig und erklärungsbedürftig befundenen Aspekte dieser Szene (langatmige Beschreibung der Vorbereitung und Durchführung des Mahls; rätselhaftes Ende des Mahls; Brüche und Widersprüchlichkeiten im Verhalten und in der Emotionalität der dargestellten Figuren) nicht mehr länger unmotiviert, sondern als wohl kalkulierte Bestandteile des poetischen Konzepts des Textes. 278 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › 2.3 Textkohärenz: Bildkoordinationen Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass der Bereich des Alimentären unterschiedliche Motivkomplexe umfasst, die auf unterschiedlichen Textebenen angesiedelt sind und die sich in unterschiedlicher Weise auf die Minnethematik beziehen. Einige alimentäre Motive und damit in Verbindung stehende Wörter und Wortfelder treten lediglich ein einziges Mal auf, andere zwei- oder dreimal, wieder andere ziehen sich leitmotivisch durch den gesamten Text. Bei zwei- oder mehrfachem Vorkommen gewinnen die entsprechenden Textelemente einen Verweischarakter, durch den einzelne Figuren, Handlungen oder auch ganze Handlungsstränge rückverweisend in Beziehung zueinander treten. Solche Verknüpfungen von Figuren und Elementen der Handlung über Einzelheiten des Textes sind in der Forschung erkannt worden. Wolfgang Mohr stellte bereits 1954 fest, dass sich die Wörter helfe und helfen, die von einer Reihe synonymer und sinnverwandter Wörter umstellt werden, im ‹ Parzival › zu einem dichten und differenzierten Wortfeld zusammenordnen, das die Handlung des ‹ Parzival › durchgehend begleitet. 203 Ausgehend von dieser Beobachtung kommt er zum Schluss, dass Leitmotive im ‹ Parzival › «Alles mit Allem» in Beziehung setzen und den Bau des Textes weitgehend zu bestimmen scheinen. 204 Nach Joachim Bumke äußert sich diese «auffällige Verknüpfungstechnik» 205 in semantischen Bezügen zwischen Details im Text: «Indem eine Einzelheit der Handlung (ein Name, eine Person, ein Ort, ein Motiv, eine Szene oder ein Wort) mit einer anderen Einzelheit in Verbindung gebracht wird, entsteht ein Zusammenhang, der eine Bedeutung hat. Wolframs Dichtung ist von einem dichten Geflecht solcher Verbindungsfäden durchzogen.» 206 Obwohl seit Mohrs Untersuchung in der Forschung Einigkeit darüber herrscht, dass diese Verknüpfungstechnik die verschlungene Erzählweise des ‹ Parzival › dominiert und zentral ist für den poetischen Entwurf des Textes, 207 ist das 203 Mohr, Wolfgang: Hilfe und Rat in Wolframs ‹ Parzival › , in: Mohr, Wofgang: Wolfram von Eschenbach. Aufsätze, Göppingen 1979 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 275; Gesammelte Aufsätze 1), S. 173 - 197 [Erstdruck 1954], hier S. 195 f. 204 Mohr, Hilfe und Rat, S. 195. 205 Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 229. 206 Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 210 f. 207 Vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 210 f. 279 Poetische Funktionen des Alimentären Phänomen bislang nicht systematisch untersucht worden. 208 Arbeiten zum Erzählstil des ‹ Parzival › streifen den Aspekt zwar immer wieder, 209 sie beschränken sich jedoch auf die Darstellung von Verknüpfungen einzelner Elemente der Handlung und stellen die Frage nach der Bedeutung, die diese Verknüpfungen für die Interpretation des Textes haben. 210 So etwa gelangt Rüdiger Schnell in seiner Untersuchung des Zusammenhangs von Vogeljagd und Minne im achten Buch des ‹ Parzival › zur Ansicht, dass das Motiv der Vogeljagd, das in diesem Buch an mehreren Stellen vorkommt, einen «inneren Zusammenhang» zwischen der Vordergrundhandlung, der erotischen Annäherung zwischen Gawan und Antikonie, und dem Hintergrundgeschehen, König Vergulahts Jagd, herstellt. 211 Effekt dieser Verknüpfung sei, dass die minnesymbolische Bedeutung, die dem Jagd-Motiv in der Vordergrundhandlung zukomme, auf das Hintergrundgeschehen projiziert werde, wodurch Vergulahts Jagd im Licht einer Minnejagd erscheine. 212 Julia Richter wiederum, die anhand des ‹ Parzival › Merkmale einer spezifischen Poetik des ‹ Erzählens im Paradigma › herausarbeitet, 213 zeigt, dass durch die Erwähnung des Planeten Saturn in der Episode auf der Gralsburg (Buch V) sowie an späterer Stelle in der Li gweiz prelljûz-Âventiure (Buch XII) ein Konnex zwischen den Figuren Cidegast, Anfortas und Parzival entsteht, der allerdings weder die Geschichte der Figuren in einen kausallogischen Zusammenhang bringt noch eine eindeutige Semantik transportiert. 214 Nach 208 Julia Richter kündigt in ihrer Arbeit zum paradigmatischen Erzählen in Wolframs ‹ Parzival › zwar an, die Wiederholung von solchen Einzelheiten des Textes in Hinblick auf ihre spezifische poetische Funktion zu untersuchen (vgl. Richter, Spiegelungen, S. 7), de facto konzentriert sie sich in ihrer Untersuchung aber weitgehend auf Wiederholungsstrukturen, die nicht auf sprachlich-motivischer Ebene liegen, sondern auf inhaltlich-thematischer, indem sie Zeit- und Raumentwürfe (Kapitel 3), Sujet- und Handlungskonstellationen (Kapitel 4) sowie poetologische Aspekte des Textes (Kapitel 5) nach paradigmatischen Strukturen befragt. 209 Vgl. den Forschungsüberblick bei Richter, Spiegelungen, S. 4 - 7. 210 Schnell, Vogeljagd und Liebe, sowie Heinz Rupp, der exemplarisch einige Leitmotive und -wörter (z. B. den Begriff zuht oder das Motiv des Fragens) im ‹ Parzival › in Hinblick auf die Verknüpfung einzelner Szenen untersucht und nach der spezifischen Textfunktion solcher Verknüpfungen fragt (vgl. Rupp, Heinz: Zu einigen ‹ Leitmotiven › in Wolframs ‹ Parzival › , in: Der Deutschunterricht. Beiträge zu seiner Praxis und wissenschaftlichen Grundlegung 37,4 [1985], S. 87 - 99). 211 Schnell, Vogeljagd und Liebe. 212 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe; zur Interpretation dieser Szene vgl. Kapitel III.1.2. 213 Vgl. Richter, Spiegelungen. 214 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 3 f. 280 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Richter baut der Text über die Wiederholung von Einzelheiten der Handlung anaphorische Relationen auf, die zwar Sinnpotenziale erzeugen, jedoch keine, die sich in eindeutigen Sinnstrukturen auslegen ließen. Vielmehr würden sich über die Verknüpfung von Elementen der Handlung paradigmatische Reihungen ausbilden, die durch den gesamten Text hindurch immer wieder aufs Neue semantische Ambiguitäten erzeugen. 215 Im Folgenden geht es nun nicht darum, die Nahrungsthematik in Hinblick auf die Verknüpfung einzelner Details der Handlung zu durchforsten, um solche Verknüpfungen dann nach ihrer Bedeutung für die Interpretation des Textes zu befragen, sondern es wird eine Untersuchung vorgenommen, die seit Mohrs Aussage, wonach Leitmotive den Bau des ‹ Parzival › bestimmen, längst überfällig ist: Wenn man annimmt, dass einzelne Motive und semantische Wortfelder für die Komposition des Textes bestimmend sind, muss man das Auftreten solcher Phänomene im Text gesamtheitlich betrachten und danach fragen, inwiefern sie als Strukturierungselemente des Textes fungieren. Entsprechend wird im Folgenden eine übergreifende Betrachtung der einzelnen Nahrungsaspekte im ‹ Parzival › vorgenommen und nach deren Auswirkungen auf die strukturelle Organisation des Erzählens gefragt. Hierfür werden die alimentären Motive und die damit in Verbindung stehenden semantischen Wortfelder in Beziehung gesetzt zum basalsten Kompositionsprinzip des Textes: dem Wechsel der Handlungsträger. 216 Von Interesse ist dabei, ob Ordnungen des Sprachmaterials zu erkennen sind oder ob Leitmotive im ‹ Parzival › tatsächlich «Alles mit Allem» verbinden, wie es Mohr postuliert. Die Untersuchung solcher sprachlich-motivischer Responsionsphänomene setzt bei dem Bereich des Alimentären an, der im Text quantitativ am häufigsten vertreten ist: der Jagd. 2.3.1 Verknüpfungen über das Bildfeld der Jagd Die Jagd - dies hat Kapitel III.2.5 gezeigt - gehört zu den zentralen Motiven des ‹ Parzival › , das auch im Zusammenhang mit der Minnethematik häufig vorkommt, wobei es sich hier zumeist um einen bestimmten Typus von Jagd handelt, nämlich die Vogeljagd. 217 Angesichts der umfangreichen Forschungsliteratur zu Wolframs ‹ Parzival › fällt auf, dass eine umfassende Untersuchung 215 Vgl. Richter, Spiegelungen, S. 7 f. 216 Zum Wechsel der Handlungsträger als dem basalsten Kompositionsprinzip des Textes vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 194 f. 217 Das heißt, die Jagd mit Vögeln nach Feder- und Felltieren bzw. die Jagd nach Federtieren mit Vogelfallen. 281 Poetische Funktionen des Alimentären der Jagdthematik ein Forschungsdesiderat darstellte, das erst durch die 2012 erschienene Doktorarbeit von Dorothea Heinig behoben wurde. 218 Heinig liefert einen ausführlichen Stellenkommentar zur Jagd im ‹ Parzival › sowie eine Untersuchung der Motive in Hinblick auf ihre Bedeutung für die Darstellung von Herrschaft, höfischer Erziehung und Minne. So erhellend die Arbeit in vieler Hinsicht ist - ein Aspekt, der für das Verständnis der Jagd im ‹ Parzival › von grundlegender Bedeutung ist, entgeht Heinig völlig: Die mit der Jagd- und Vogelthematik verbundenen Motive und Wörter (die Nennung von Tierarten, Jagdmethoden usw.) treten im ‹ Parzival › nicht willkürlich auf, sondern sind jeweils an bestimmte Handlungsträger sowie an die damit verbundenen Handlungsteile gekoppelt. Das deutet darauf hin, dass die Bildsprache der Jagd im ‹ Parzival › Bestandteil eines übergreifenden Kompositionsprinzips des Textes ist, das die Funktion hat, die Handlung zu strukturieren; indem nämlich die Bildsprache einerseits den Zusammenhang innerhalb der einzelnen Handlungsteile verstärkt und andererseits verschiedene Handlungsteile miteinander verbindet bzw. sie voneinander abhebt. Um dies im Folgenden darzulegen, wird als Erstes ein Überblick über alle Stellen im ‹ Parzival › gegeben, an denen die Jagd- und Vogelthematik vorkommt. 219 Jagd- und Vogelthematik im ‹ Parzival › Textstelle Figuren Beschreibung BUCH I 1,6 Mensch Vergleich: Elster 1,1 - 19 Erzählung Vergleich: fliehender Vogel - Hase auf der Flucht 33,4 Gahmuret/ Belakane Vergleich: Gahmuret/ Belakane - Reiher/ Fisch 35,30 - 36,1 Gahmuret Vergleich: Gahmurets Brust - gespannte Sehne einer Armbrust 39,16 Kaylet Kaylet: Vogel Strauß als Wappentier (Beutetier) 40,26 Gahmuret Vergleich: Gahmuret - Vogelnetz (Jäger) 42,8 - 12 Gaschier Vergleich: Gaschier - Strauß, der Eisen und Kiesel frisst 50,4 Kaylet Kaylet: Vogel Strauß als Wappentier 218 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › . 219 Die tabellarische Übersicht führt neben den (Vogel-)Jagd-Belegen im ‹ Parzival › auch die ornithologischen Motive auf, die inhaltlich nicht im Zusammenhang mit der Jagd stehen, da diese häufig mit Motiven der Vogeljagd korrespondieren. 282 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Figuren Beschreibung 57,10 - 14 Belakane Vergleich: Belakane - Turteltaube (Beutetier) 57,27 Feirefiz Vergleich: Feirefiz - Elster BUCH II 63,20 - 25 Gahmuret Gahmurets Einzug in Toledo, Kleidung wie Jagdvogel 64,7 - 9 Gahmuret Vergleich: Gahmuret - Jagdfalke auf Beutefang 68,7 Kaylet Kaylet: Vogel Strauß als Wappentier 71,15 - 21 Gahmuret Goldbesatz auf Gahmurets Rüstung von Greifvögeln erbeutet 72,8 Kaylet Kaylet: Vogel Strauß als Wappentier 72,21 Krieger Jagdvögel als Wappentiere der Krieger 72,30 Kaylet Kaylet: Vogel Strauß als Wappentier 101,7 Gahmurets Vater Panther als Wappentier von Gahmurets Vater 104,8 - 17 Traumgestalt Jagdtiere (Drachen/ Greif/ Schlange), die Herzeloyde ‹ ausweiden › BUCH III 118,4 - 10 Parzival Parzival jagt Singvögel 119,1 - 8 Knappen Herzeloydes Knappen jagen Singvögel 120,2 - 3 Parzival Parzival mit Wurfspieß auf Wildjagd 124,11 - 14 Ritter Vergleich: Waffenrock - Hirschfell 129,8 Parzival Vergleich: Parzival - Hahn 131,28 Parzival/ Jeschute Vergleich: Mahl - Jagd 132,2 Parzival Vergleich: Parzivals Physis - kropf 135,11 Orilus Sperber als Preis im Kampf um die schönste Frau 137,18 - 19 Parzival Vergleich: Parzivals Atem - Feuer eines wilden Drachen 155,7 - 11 Parzival Parzival tötet Ither mit dem Wurfspieß 163,8 Gurnemanz Gurnemanz mit Sperber 170,17 - 20 Parzival Vergleich: Schamlosigkeit - Mauser des Jagdfalken 178,12 - 13 Comte Lascoyt Sperber als Preis im Kampf um die schönste Frau BUCH IV 183,17 Bewohner P. Bewaffnung mit Jagdspießen 283 Poetische Funktionen des Alimentären Textstelle Figuren Beschreibung 191,12 - 13 Bewohner P. Vergleich: Bewohner Pelrapaires - hungernde Jagdvögel 190,21 C.s Onkel Jagdhaus von Kyot und Manpfiljot 201,14 Bewohner P. «Kröpfen» der Stadtbewohner BUCH V 224,24 - 25 Parzival Vergleich: Parzivals Reisegeschwindigkeit - Vogelflug 225,2 - 12 Anfortas Anfortas als Fischer mit Pfauenfeder-Hut 241,8 - 29 Erzählung Vergleich: Erzählung - mit der Sehne eines Pfeilbogens 247,27 Parzival Von Knappen auf der Gralsburg als ‹ Gans › bezeichnet 273,26 Jeschute/ Orilus Vergleich: Minnemahl - Jagd (Klemmfalle) BUCH VI 281,2 - 4 Ritter Tafelrunde Vergleich: Ritter von der Tafelrunde - Meute Jagdhunde 281,23 - 30 Artus ’ Falkner Artus ’ Falkner auf Beizjagd 282,12 - 21 Falke/ Parzival Falkenjagd auf Gänse 286,28 - 287,4 Segremors Vergleich: Segramors Kampfausrüstung - Schmuck Jagdvogel 295,19 - 20 Keye Vergleich: Keye - Gans auf der Flucht 313,10 Cundrîe Cundrîe mit Pfauenfeder-Hut 317,24 Gahmuret Vergleich: Gahmuret - Jagdvogel BUCH VII 378,7 Kampfgeschehen Vergleich: Waffenklingen - Lerchengesang BUCH VIII 400,1 - 401,2 Vergulaht Falkenjagd Vergulahts in Ascalun 401,18 - 19 Erec Sperber als Preis im Kampf um die Schönste Frau 402,7 - 13 Vergulaht Vergulahts Jagdbesessenheit 406,28 - 407,1 Gawan/ Antikonie Vergleich: Gawan/ Antikonie - Adler/ Strauß 409,26 Antikonie Vergleich: Antikonie - Hase am Bratspieß 415,3 - 8 Parzival Parzival als Gejagter 420,24 Ritterkampf Vergleich: Ritterkampf - Jagd 423,20 Gawan/ Antikonie Vergleich: Mahl - Jagd 424,3 - 6 Mundschenk Vergleich: Schenken - Jagdvögel in der Mauser 284 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Textstelle Figuren Beschreibung 425,21 Gawan Vergleich: Gawan - Vogel in der Klemmfalle 427,16 Antikonie Vergleich: Antikonies guter Ruf - weitragender Blick des Falken 430,14 - 16 Gawans Knappen Gawans Knappen jagen einen kleinen Jagdvogel BUCH IX 469,8 Gralstein Gralstein, Phönix 476,27 - 28 Parzival Vergleich: Parzival - Drache/ Schlange 482,12 - 17 Pelikan Blut des Pelikan 487,5 - 12 Erzähler Vergleich: Erzähler - gerndes verderspil 491,6 - 14 Anfortas Anfortas als Fischer/ Jäger BUCH X 508,28 Orgeluse Vergleich: Orgeluse - Köder/ Schleudersehne des Herzens 515,13 Gawan Vergleich: Gawan - Gans (Beutetier) 528,26 - 29 Urians Urians Essstrafe: Nahrungsaufnahme mit Jagdhunden 550,28 - 551,2 Gawan/ Bene Vergleich: Minnemahl - Jagd BUCH XI 565,9 Schastel marveile Vergleich: Dach des Palasts - Pfauengefieder BUCH XII 605,3 - 7 Itonje/ Gramoflanz Sperber als Liebesgabe Itonjes an Gramoflanz 622,8 - 13 Orgeluse/ Gawan Vergleich: Minnemahl - Jagd BUCH XIII - BUCH XIV 721,18 - 28 Gramoflanz Gramoflanz ’ Beizjagd - minnegir 722,19 Itonje/ Gramoflanz Sperber als Liebesgabe Itonjes an Gramoflanz BUCH XV - BUCH XVI 805,14 Erzählung Vergleich: Erzählung - Pfeilbogen Der Überblick zeigt, dass die Jagd- und Vogelthematik auf unterschiedlichen Ebenen des Textes vorkommt: als poetologische Metapher, wenn etwa die Erzählung mit einem fliehenden Vogel oder einem fliehenden Hasen verglichen 285 Poetische Funktionen des Alimentären wird (V. 1,15 - 19); als Bildspender für das auf der Handlungsebene situierte Geschehen, wenn etwa Gahmuret bei seinem Einzug in Toledo mit einem Jagdvogel auf Beutefang assoziiert wird (V. 64,7 - 9); als Handlung innerhalb der erzählten Welt, wenn sich die Figuren auf Jagd begeben oder mit Jagdutensilien auftreten wie etwa Anfortas (V. 225,2 - 12), Vergulaht (V. 400,1 - 401,2) oder Gramoflanz (V. 721,18 - 28). Des Weiteren wird die Jagdthematik im Zusammenhang mit Speisen (V. 33,4; V. 273,26; V. 550,28 - 551,2; V. 622,8 - 13), mit Turnierpreisen (V. 135,11; V. 178,13; V. 277,26; V. 401,19) oder mit Wappenbildern (V. 39,16; V. 50,4; V. 68,7; V. 72,8; V. 72,30) erwähnt. Der Überblick zeigt weiter, dass manche Wörter und Motive - wie vliegen, vogel oder valke - über den gesamten Roman verteilt immer wieder auftreten. Andere wiederum kommen lediglich vereinzelt vor. Hierzu gehören bestimmte Tierarten (z. B. der Hase, der Reiher, der Fisch, der Kranich oder der Adler), bestimmte Jagdmethoden (z. B. Jagen mit dem gabylôt [kleiner Wurfspieß]; Jagen mit dem kleinsten aller Beizvögel, dem mûzersprinzelîn; Jagen mit Pfeil und Bogen) sowie Motive, wie das des hungrigen Jagdvogels. Dieser Befund wird nun in einer tabellarischen Übersicht in Beziehung gesetzt zum Wechsel der Handlungsträger als dem Merkmal, das die Komposition des ‹ Parzival › grundsätzlich bestimmt. 220 Dabei werden Wörter, die zwei- oder mehrmals auftreten und dadurch einen Verweischarakter annehmen, farbig markiert. Unmarkiert bleiben einerseits Wörter, die nur einmal vorkommen, andererseits solche, die über den gesamten Text verteilt gehäuft auftreten. Jagd- und Vogelthematik im Verhältnis zum Wechsel der Handlungsträger Gahmuret Buch I - II BUCH I agelstern 1,6; vliegen 1,15; hase 1,19; reiger 33,4; visch 33,4; strûz 39,16; armbrust 36,1; netz 40,26; strûz 42,10; strûz 50,4; turteltûbe 57,11; agelstern 57,27 220 Die Handlungsfolge zeichnet sich bekanntlich dadurch aus, dass die Geschichte von Parzival zum einen von der Geschichte von Gahmuret und Feirefiz eingerahmt ist, und zum anderen dadurch, dass sie durch zwei eingeschobene Gawan-Partien in drei Teile geteilt ist. Die übliche Einteilung des ‹ Parzival › in 16 Bücher stammt von Karl Lachmann, der sie in seiner kritischen ‹ Parzival › -Ausgabe von 1833 eingeführt hat (vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 195). Diese Einteilung berücksichtigt den Wechsel der Handlungsträger insofern, als überall dort, wo die Hauptperson wechselt, auch eine Buchgrenze liegt. Darüber hinaus gibt es bei Lachmann jedoch neun Buchgrenzen an Stellen, an denen kein Wechsel des Handlungsträgers vorliegt (vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 195). 286 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › BUCH II vederspil 64,8; gern 64,8; strûz 68,7; nest 68,7; grîfe 71,20; klâ 71,20; strûz 72,8; grîfe 72,21; zagel 72,21; strûz 72,30; pantel 101,7; wurm 104,11; grîfe 104,8 Parzival I Buch II - VI BUCH II trache 104,13 BUCH III vogele 118,6; vogele 119,4; vahen/ würgen 119,4; gabilôt 120,2; hirz 120,3; hirz 124,12; vel 124,12; gabylôt 124,13; han 129,8; pardrîsekîn 131,28; kropf 132,2; spärwær 135,11; gabylôt 155,6; zuht 162,23; mûzerspärwær 163,8; swingen 163,9; mûzen 170,18; spärwær 178,13 BUCH IV gabilôt 183,17; vederspil 191,12; überkrüpfen 191,13; überkrüpfen 201,14 BUCH V vogel 224,24; erfliegen 224,25; weideman 225,3; pfâwîn 225,12; sene 241,8/ 9; bogen 241,8; jagen 241,11; gans 247,27; vogele 273,26; klobn 273,26 BUCH VI valkenær 281,23; rüden 281,3; peizen 281,25; valken 281,26; überkrüpfen 281,29; valke 282,12; gense 282,13; valke 282,16; vliegen 282,19; slagen 282,16; fasân 287,1; gans 295,19; pfæwîn 313,10; wîtvengec 317,24 Gawan I Buch VII - VIII BUCH VII lerchen sanc 378,7 BUCH VIII vederspil 400,2; kranch 400,3; reiger 400,19; valken 400,21; valken 400,23; valken 400,26; valknære 400,27; spärwær 401,19; strûz 406,30; kranker ar 407,1; hase 409,26; fasân 423,20; pardrîse 423,20; vische 423,21; schæren 424,4; valke 424,5; gevidere 424,5; vederslag 425,21; klobn 425,21; valkensehe 427,16; mûzersprinzelîn 430,14 Parzival II Buch IX BUCH IX fênix 469,8; trache 476,28 pellicânus 482,12; beizen 487,6; vederspil 487,7; gern 487,8; kröpfen 487,9; fliegen 487,10 287 Poetische Funktionen des Alimentären Gawan II Buch X - XIV BUCH X reizel 508,28; spansenwe 508,30; gans 515,13; vorlouft 528,27; leithunt 528,27; sprinzelîn 550,28; erfliegen 550,28; galander 550,29 BUCH XI pfâwîn gevider 565,9 BUCH XII mûzersperwære 605,4; gâlander 622,8; sprinzelîn 622,13; erfliegen 622,13 BUCH XIII - BUCH XIV valkenære 721,18; peizen 721,19; peizen 721,27; spärwær 722,19 Parzival III Buch XIV - XVI BUCH XIV (valknære 721,18; peizen 721,19; peizen 721,27; spärwær 722,19) BUCH XV - BUCH XVI bogen 805,14 Feirefiz Buch XVI BUCH XVI - Die Übersicht zeigt, dass wenn man die Jagd- und Vogelthematik mit der Gliederung des Textes durch den Wechsel der Handlungsträger in Beziehung setzt, eine Ordnung der Bildsprache erkennbar wird. Einerseits nämlich ist die Gahmuret-Handlung (Buch I - II) von einer Bildlichkeit geprägt, die in der Parzival-Handlung nicht vorkommt, die jedoch in der ersten Gawan-Handlung (Buch VII - VIII) aufgegriffen wird. Andererseits ist die erste Parzival- Handlung (Ende von Buch II-Buch VI) von einer Bildsprache durchzogen, die weder in der Gahmuret-Handlung (Buch I - II) noch in den beiden Gawan- Partien (Buch VII - VIII; Buch X - XIV) auftritt, jedoch in der zweiten Parzival- Partie (Parzivals Aufenthalt bei Trevrizent, Buch IX) aufgegriffen wird. Des Weiteren ist zu sehen, dass die Jagdthematik in der zweiten Gawan- Handlung (Buch X - XIV), der dritten Parzival-Handlung (Buch XIV - XVI) und der abschließenden Feirefiz-Handlung (Buch XVI) deutlich abnimmt. Hier werden zwar vereinzelt Jagdbegriffe und -motive aus den vorhergehenden Handlungsteilen aufgegriffen (gans, pfâwîn gevider, bogen), neu hinzu kommt jedoch lediglich das Motiv des sprinzelîn, das die gâlander (Ringellerche) jagt. 288 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Das heißt: Die Jagdthematik im ‹ Parzival › fungiert als Mittel der Verknüpfung von Figuren und Handlungssträngen. Dieses Verfahren der paradigmatischen Kohärenzbildung ist bis einschließlich des Schlusses der Trevrizent-Episode (Buch IX) wirksam und nimmt dann in den anschließenden Handlungsteilen ab. Im ‹ Parzival › ist somit nicht «Alles mit Allem» verknüpft, wie es Mohr 1954 postuliert hat (s. o.), sondern es ist eine Koordination der Bildsprache des Textes erkennbar: Über Korrespondenzen der Bildsprache kann erstens die innere Kohärenz eines Handlungsteils verstärkt werden (z. B. die Gahmuret-Episoden, Buch I - II), zweitens können einzelne Handlungsstränge miteinander in Beziehung gesetzt werden (Gahmuret- / Gawan-Handlung; erste / zweite Parzival-Handlung) und drittens, dies ist die Kehrseite von Punkt zwei, können einzelne Handlungsteile durch abweichende Bildsprache voneinander abgehoben bzw. in Kontrast zueinander gesetzt werden (z. B. die Gahmuret- / Gawan-Handlung von der ersten / zweiten Parzival-Handlung). Um welche spezifischen Bereiche der Jagd handelt es sich nun aber? - Auffallend an der Gahmuret-Partie (Buch I - II) ist, dass in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen Jagd- und Beutetiere vorkommen, die im jeweiligen Kontext ungewöhnlich und gesucht wirken. Dass im Prolog erklärt wird, die Erzählung schlage vor ihren Hörern Haken wie ein Hase auf der Flucht (V. 1,15 - 19), ist nur ein Beispiel dafür, dem weitere folgen: Beim Gastmahl, das Belakane für Gahmuret und seine Gefolgsleute ausrichtet, werden Reiher und Fisch aufgetragen (V. 33,4), was mittelalterlichen Speiseplänen zufolge eine ungewöhnliche Kombination darstellt. 221 Gahmurets Cousin Kaylet wiederum trägt ein exotisches Tier im Wappen: einen Vogel Strauß, der nicht nur bei jedem Auftritt des Emblem-Trägers eigens wieder erwähnt wird (V. 39,16; V. 50,4; V. 68,7; V. 72,8; V. 72,30), sondern der zudem in einem anderen Zusammenhang aufgegriffen wird, nämlich in der Bildsprache, mit der der Zustand eines von Gahmuret besiegten Kämpfers beschrieben wird: Gaschier, so heißt es nämlich, sei vor lauter Wut über seine Niederlage drauf und dran gewesen, wie ein Vogel Strauß Eisen und Kieselsteine zu fressen (V. 42,8 - 12). Auffallend ist weiter, dass die genannten Jäger- und Beutetiere (Hase, Reiher, Fisch und Strauß) in der anschließenden Parzival-Partie (Buch II - VI), obwohl auch hier die Jagthematik prominent vertreten ist, kein einziges Mal vorkommen. Man könnte nun annehmen, der Wechsel der Bildsprache sei damit zu erklären, dass der Parzival-Teil von anderen Figuren und Orten handelt und andere Sujets enthält als die Gahmuret-Partie. - Weshalb auch sollte z. B. der Vogel Strauß in den Parzival-Partien auftreten, wenn dort 221 Vgl. Kapitel I.1. 289 Poetische Funktionen des Alimentären Kaylet, der Träger des Strauß-Emblems, gar nicht vorkommt? - Dagegen jedoch ist einzuwenden, dass, obwohl z. B. Kaylet auch in der ersten Gawan- Partie (Buch VII - VIII) nicht auftritt, der Vogel Strauß in diesem Handlungsteil dennoch wieder vertreten ist. Und dies gilt nicht nur für den Strauß, sondern auch für alle anderen genannten Tiere: Hase, Reiher, Fisch und Strauß bevölkern nicht nur den Gahmuret-Teil (Buch I - II), sondern auch die erste Gawan-Partie (Buch VII - VIII), wobei sie hier in Zusammenhänge eingefügt sind, die mit denjenigen der Gahmuret-Handlung nur eines gemeinsam haben, nämlich dass die Einbringung der Tiere gesucht wirkt: So etwa denkt Gawan, als er im Begriff ist Antikonie zu verführen, plötzlich an einen schwachen, hungrigen Adler, der einen Strauß überwältigt (V. 406,28 - 407,1). Und an späterer Stelle, beim Verteidigungskampf auf der Burg gegen die aufgebrachte Stadtmannschaft, erinnert ihn Antikonies Körpergestalt an die eines Hasen am Bratspieß (V. 409,26). 222 Anders als Strauß und Hase, die auf metaphorischer Ebene eingebracht sind, treten Reiher und Fisch als Elemente der Handlung auf. Als Gawan im Land Ascalun auf König Vergulaht trifft, befindet sich dieser mit seinen Falken - obgleich Falken im Allgemeinen das Wasser fürchten (! ) 223 - in sumpfigem Gelände auf Reiher- und Kranichjagd (V. 400,1 - 401,2). Und als Antikonie Gawan und Kingrimursel in ihrer Kemenate bewirtet, wird unter anderem Fisch aufgetragen (V. 423,21). Die Ausführungen zeigen, dass die Gahmuret-Handlung (Buch I - II) und die erste Gawan-Partie (Buch VII - VIII) auffällige Korrespondenzen in der Bildsprache aufweisen. Die Jagdthematik ist dahingehend spezifiziert, dass sie an bestimmte Tierarten gebunden ist, deren Einbringung gesucht, ja irritierend wirkt. Warum ausgerechnet diese Tiere? - So fragt Schnell in seinem Beitrag zur Jagdthematik in Buch VIII. 224 Mit Blick auf den gesamten Text lässt sich diese Frage beantworten. Die Wahl der Tierarten ist der Koordination der Bildsprache geschuldet: Reiher, Fisch, Hase und Vogel Strauß fungieren als Signalwörter, die die beiden Handlungsstränge miteinander verknüpfen und damit auf assoziativer Ebene des Textes Nähe zwischen den beiden Figuren Gahmuret und Gawan herstellen. Ohne eine Erklärung dafür zu liefern, registriert Wolfgang Mohr in einem seiner wegweisenden Aufsätze zum Erzählstil des ‹ Parzival › , man könne, wenn man den ‹ Parzival › laut liest oder vorliest, merken, dass man für Gawan und Gahmuret einen anderen 222 Die Auffälligkeit der Bildsprache ist in der Forschung vielfach diskutiert worden (vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 252 - 256). 223 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 249. 224 Vgl. Schnell, Vogeljagd und Liebe, S. 247. 290 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Tonfall brauche als für Parzival. 225 Die Erklärung dafür liegt - das legt die hier vorgenommene Untersuchung nahe - auf der Ebene der Bildsprache. 226 Aber was für eine Bildsprache kommt in der Parzival-Handlung vor? - Hier ist eine auffällige Häufung von Wörtern zu verzeichnen, die dem semantischen Feld der Abrichtung des Jagdvogels zur Beizjagd zuzuordnen sind; des Jagdvogels also, der über Rationierung der Nahrung gefügig gemacht wird. Termini technici der mittelalterlichen Beizjagd sind Begriffe wie zuht, krüpfen, überkrüpfen oder gern. 227 Ein Jagdvogel darf keinesfalls überkrüpft - überfüttert - werden, da er sonst für die Jagd nicht mehr zu gebrauchen ist. 228 Andererseits aber darf man einen Jagdvogel auch nicht zu sehr hungern lassen, da er sonst die Flucht ergreift. 229 Stattdessen muss er mit kleinen Happen immer wieder aufs Neue angelockt und für die Jagd ‹ scharf gemacht › werden. 230 Grundsätzlich geht es bei der Abrichtung des Jagdvogels also um das Austarieren der Mitte zwischen einem ‹ Zuviel › und einem ‹ Zuwenig › , um das Treffen des Richtwerts der mâze. 231 Und genau dieses Motiv zieht sich durch die erste und zweite Parzival- Partie (Buch II - VI / Buch IX), wobei es in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, sowohl als Metapher als auch als Element der Handlung, vorkommt. Zum ersten Mal erscheint es, als Parzival auf den Fürsten Gurnemanz trifft, der, als er Parzival erblickt, einen gezähmten Jagdvogel (mûzerspärwære, V. 163,8), den er auf dem Arm trägt, als Boten zur Burg sendet. Die nächste Erwähnung findet sich in einem Erzählerkommentar zur hungernden Bevölkerung auf Pelrapaire: Wenn die Städter Falken wären (vederspil, V. 191,12) - so 225 Vgl. Mohr, Wolfgang: Parzival und Gawan, in: Mohr, Wolfram von Eschenbach. Aufsätze, S. 62 - 93 [Erstdruck 1958]. 226 Ähnlich argumentiert Heinz Rupp, der der Ansicht ist, dass Leitmotive und -wörter in Wolframs ‹ Parzival › eine akustische Funktion haben, indem sie den Hörer an bestimmten Stellen des Geschehens an bereits Geschehenes und Gehörtes erinnern, also Verbindungen zwischen einzelnen Textelementen schaffen und damit gewissermaßen als «Interpretationshilfen» fungieren (Rupp, Zu einigen ‹ Leitmotiven › in Wolframs ‹ Parzival › , S. 87). 227 Zum Begriff zuht vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 73 f.; zu krüpfen: Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 73; zu überkrüpfen: Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 73 und S. 94; zu gern: Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 45 f. 228 Vgl. Nellmann, Kommentar, S. 557; Lindner, Kurt: Die deutsche Habichtslehre. Das Beizbüchlein und seine Quellen. 2., erw. Ausg., Berlin 1964 (Quellen und Studien zur Geschichte der Jagd 2), S. 154. Ferner Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 73 f. 229 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 73 f. 230 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 73 f. 231 Zum Verhältnis von höfischen Jagdtraktaten und Tugendlehren vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 209 - 227. 291 Poetische Funktionen des Alimentären die zynische Bemerkung des Erzählers - , könnte man nicht gerade behaupten, sie seien überkrüpfet (V. 191,12 - 13). Die Gleichsetzung der Hungerleidenden mit begierigen Jagdvögeln wird an späterer Stelle aufgegriffen: Als der mildtätige Parzival die über den Seeweg nach Pelrapaire gelangten Nahrungsmittel an die Stadtbewohner verteilt, achtet er streng darauf, sie nicht zu überkrüpfen (V. 201,14). Die metaphorische Verwendung des Begriffs überkrüpfen verweist hier auf die mittelalterliche Vorstellung, wonach ein guter Jäger ein guter Herrscher ist (vgl. Kapitel II.5), und trägt damit zur Inszenierung der Herrscherqualitäten Parzivals bei. Erneut klingt das Motiv im Zusammenhang mit Parzivals Weggang von Pelrapaire an, wo es heißt, seine Reisegeschwindigkeit übertreffe selbst die eines Vogels auf der Flucht (V. 224,23 - 25); und es kehrt wieder - diesmal als Element der Handlung - im Zusammenhang mit König Artus ’ Falknern, denen der beste Jagdfalke entflogen ist, wobei jene an ihrem Unglück nicht unschuldig sind: Sie haben ihn überkrüpfet (V. 281,23 - 30). Artus ’ herrschaftliche Defizite werden hier in einem Jagdbild in Szene gesetzt, das der jagdmetaphorischen Inszenierung von Parzivals Herrscherqualitäten kontrastiv entgegengesetzt ist. 232 Diese Motivreihe bricht mit Einsetzen der Gawan-Handlung ab (Buch VII) und wird erst wieder in der zweiten Parzival-Partie (Buch IX) aufgegriffen. Hier setzt sich der Erzähler im Zuge seiner Schilderung von Parzivals Aufenthalt bei Trevrizent selbst mit einem Jagdvogel gleich, der angesichts des alimentären Mangels, der beim Einsiedler herrscht, unverzüglich die Flucht ergreifen würde (V. 487,5 - 10). Die Einspielung der aus der ersten Parzival- Partie bekannten Wörter gern, kröpfen und vederspil erfolgt hier über die Kommentarebene. Der Durchgang zeigt: Während die Gahmuret- und Gawan-Handlung von einer Reihe spezifischer Jäger- und Beutetiere durchzogen ist, sind es in der ersten und zweiten Parzival-Partie Wörter, die sich dem Bereich der Abrichtung von Jagdvögeln für die Beizjagd zuordnen lassen (wie zuht, krüpfen, überkrüpfen, gern oder erfliegen). Diese fungieren als Signalwörter, die einerseits den inneren Zusammenhang der ersten Parzival-Partie (Buch II - VI) intensivieren, andererseits die zweite Parzival-Partie rückverweisend mit der ersten in Verbindung setzen. Auffallend ist dabei, dass die Jagd zu Beginn der ersten Gawan-Partie, Gawans Aufenthalt auf Bearosche (Buch VII), nicht vorkommt, und ferner, dass die Jagdmotive in den Büchern X - XVI gegenüber den vorherigen Büchern deutlich abnehmen. Folglich sind die Bücher VII sowie X - XVI weder in sich selbst im selben Maße verklammert wie die vorhergehenden Handlungsstränge noch in demselben Maße an diese rückgebunden wie etwa die zweite Parzival-Partie an die erste oder die erste Gawan- 232 Vgl. Heinig, Die Jagd im ‹ Parzival › , S. 203. 292 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Handlung an die Gahmuret-Handlung. Es ist zu prüfen, ob in diesen Teilen andere Bildkoordinationen wirksam sind (vgl. dazu Kapitel IV. 2.3.2). Neben der Verknüpfung bzw. Abgrenzung der Haupthandlungen über die Jagd- und Vogelmotivik sind auch Verknüpfungen einzelner Szenen und Figuren eines Handlungsteils mit Szenen und Figuren eines anderen Handlungsteils zu beobachten. Einen solchen Verweischarakter gewinnen Wörter, die im gesamten Text lediglich vereinzelt auftreten, wie z. B. das Wort pfâwîn, das insgesamt dreimal vorkommt (V. 225,12; V. 313,10; V. 565,9). 233 Zum ersten Mal erscheint es im Zusammenhang mit Parzivals erster Begegnung mit dem Gralskönig, dem traurigen Fischer auf dem See Brumbane, von dem es heißt, er trage nebst vornehmer Kleidung einen Pfauenfedern-Hut (sîn huot was pfâwîn, V. 225,12); zum zweiten Mal kommt es im Zusammenhang mit der Gralbotin Cundrîe vor, die ebenfalls einen Pfauenfedern-Hut trägt (von Lunders ein pfæwîn huot, V. 313,10). Das Attribut pfâwîn hat an diesen Stellen nichts Auffälliges, denn mit Pfauenfedern geschmückte Hüte gehörten zur Mode des Adels. 234 Anders dagegen sieht es bei der dritten Nennung des Wortes aus, die im Zusammenhang mit Gawans Ankunft auf Schastel marveile steht. Als Gawan die Burg zum ersten Mal erblickt, heißt es nämlich, es komme ihm vor, als gleiche das Dach des Palastes auf allen Seiten dem Gefieder eines Pfauen (dem was alumbe sîn dach / reht als pfâwîn gevider gar, V. 565,8 - 9). Es ist klar, dass dieser unkonventionelle Vergleich die Frage aufwirft, aus welchem Material das Dach gefertigt ist, 235 doch entscheidend ist an dieser Stelle etwas Anderes: Durch die Einbringung des Attributs pfâwîn entsteht ein impliziter Zusammenhang zwischen Gawans Ankunft auf Schastel marveile und Parzivals Ankunft auf Munsalvæsche, der auf konnotativer Ebene Nähe zwischen den beiden als Gegenwelten inszenierten Herrschaftsbereichen herstellt. Die Wortresponsion schafft eine Ebene der Vergleichbarkeit - das Attribut pfâwîn evoziert jeweils die Vorstellung von schillernder Pracht - , 233 Weitere Beispiele: gans: Parzival (V. 247,27) / Keye (V. 295,19) / Gawan (V. 515,13); pardrîse: Parzivals Übergriff auf Jeschute (V. 131,28) / Gawans Attacke auf Antikonie (V. 423,20); mûzersprinzelîn, das galander jagt: Gawan / Bene (V. 550,28 - 29) / Gawan / Orgeluse (V. 662,8 - 13). Hinzu kommt, dass durch den Wechsel der Bildsprache bisweilen auch Kontraste zwischen der Parzival- und der Gawan- Handlung aufgebaut werden. Dies geschieht z. B. über das Bildfeld ‹ Abrichtung des Jagdvogels für die Beizjagd › , das in Bezug auf Parzival häufig vorkommt und dem der Vergleich Gawans mit einem kranken ar, als einem unbezähmbaren, unhöfischen Tier (vgl. Kapitel III.1.1), entgegensteht. 234 Vgl. Nellmann, Kommentar, S. 567. 235 Vgl. hierzu den Kommentar von Nellmann (Kommentar, S. 721). 293 Poetische Funktionen des Alimentären auf deren Basis die in der Erzählung schrittweise enthüllten Gegensätze zwischen den beiden Sphären umso deutlicher hervortreten. Die Beobachtungen zur Koordination der Bildsprache im ‹ Parzival › haben Konsequenzen für die Interpretation des Textes. Erstens: Wenn z. B. Parzival mit einer gans (V. 247,27) assoziiert wird und wenig später im Text mit einem valken (V. 282,1 - 14), geht es nicht so sehr darum, diesen Konnotationen einen logischen Sinn abzugewinnen, da sie als Bestandteile einer szenenübergeordneten Bildregie zunächst einmal nur aussagen, dass man sich gerade im Bildbereich der Beizjagd befindet. Jagd- und Vogelmotive tragen zwar zur Zeichnung von Figuren, Orten und Handlungen bei und sie können, wie Kapitel IV. 1.1 gezeigt hat, das auf der Handlungsebene dargestellte Geschehen punktuell nachvollziehen, jedoch nicht indem sie eindeutige Sinnstrukturen erzeugen, sondern indem sie die Phänomene der dargestellten Welt mit bestimmten Qualitäten versehen oder, um auf Mohr zurückzukommen, ihnen bestimmte Tonarten verleihen. Zweitens: Durch die Verknüpfung von Figuren, Orten und Handlungen über Motive und damit in Verbindung stehende semantische Wortfelder wird der inhaltliche Zusammenhang zwischen einzelnen Handlungssträngen und Szenen intensiviert; bzw. durch abweichende Bildsprache werden einzelne Handlungsteile voneinander abgehoben. Das heißt, solche Textelemente fungieren als implizite Marker, die Orientierung bieten auf dem Weg durch die erzählte Welt. 2.3.2 Verknüpfungen über andere alimentäre Bildfelder Wie sieht es nun aber mit den anderen Bereichen der Nahrungsthematik (Mahl, alimentäre Gabe, Nahrungsaufnahme, Nahrungsmittel) aus? - Die Untersuchung zeigt, dass der Fall hier anders gelagert ist als bei der Jagd- und Vogelthematik. Das Auffallende an jenem Bereich ist ja gerade, dass einzelne Motive und damit in Verbindung stehende Wörter und Wortfelder unabhängig von Figuren, Sujet- und Handlungskonstellationen und unabhängig von der Textebene (histoire, discours) über den gesamten Roman verteilt immer wieder auftreten und auf diese Weise den Charakter von Textsignalen annehmen, die den einzelnen Handlungssträngen ein bestimmtes Profil verleihen, ihren inneren Zusammenhang intensivieren und sie dadurch von Handlungsteilen mit abweichender Bildsprache abheben bzw. sie mit Handlungsteilen, die eine korrespondierende Bildsprache aufweisen, verbinden. Solche textübergreifenden Bildkoordinationen können für die sonstigen alimentären Bereiche nicht festgestellt werden. Stattdessen lässt sich eine andere interessante Beobachtung machen: Es fällt auf, dass einzelne Nahrungsaspekte genau solche Handlungsteile in Beziehung zueinander setzen, für die 294 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › oben festgestellt wurde, dass sie nicht über den Bildbereich der Jagd verklammert sind. Dieser Befund deutet darauf hin, dass in Episoden, in denen die Jagd- und Vogelthematik schwach ausgebildet ist bzw. gar nicht vorkommt, andere Bildkoordinationen wirksam sind. Um dies aufzuzeigen, wird exemplarisch ein Bereich herausgegriffen, nämlich der der Nahrungsmittel, und zunächst eine tabellarische Übersicht über die Textstellen gegeben, an denen Nahrungsmittel im ‹ Parzival › konkret benannt werden. Szenen im ‹ Parzival › , in denen Nahrungsmittel konkret benannt werden Textstelle Typ Beschreibung BUCH I 32,28 - 34,29 h Mahl (Minne) Mahl Gahmuret/ Belakane 50,15 - 16 d Essen (Minne) Vergleich: siegreicher Held - Zucker für die Damen BUCH II - BUCH III 131,22 - 132,8 h Mahl (Minne) Parzivals Völlerei in Jeschutes Zelt 142,20 - 143,11 h Mahl Parzivals Einkehr beim geizigen Fischer 146,20 - 147,8 h Trank (Minne) Ithers Vergehen an Artus ’ Tafel 165,15 - 166,5 h Mahl Parzivals erstes Mahl bei Gurnemanz BUCH IV 184,1 - 28 h Hunger (Minne) Hungersnot auf Pelrapaire 190,3 - 8 h Mahl (Minne) Fehlende Bewirtung bei Condwiramurs 190,10 - 191,4 h Mahl Erste Speisung der Burgbewohner, Parzivals milte 201,5 - 7 d Hunger Erzählerkommentar: Erzähler als kulinarisch motivierter Soldritter 206,29 - 207,2 h Gabe (Minne) Keye/ Kingrun werben mit Krapfen um die Gunst von Cunneware BUCH V 235,21 - 239,7 h Mahl Speisung durch den Gral 244,11 - 25 h Mahl (Minne) Bewirtung Parzivals im Schlafgemach auf der Gralsburg 273,26 - 30 h Mahl (Minne) Liebesmahl Jeschute/ Orilus 295 Poetische Funktionen des Alimentären Textstelle Typ Beschreibung BUCH VI - BUCH VII 378,15 - 17 d Essen Vergleich: Turnierkampf - Kastanienbraterei BUCH VIII 409,26 d Mahl (Minne) Vergleich: Antikonie - Hase am Bratspieß 423,16 - 424,7 h Mahl (Minne) Gawans/ Kingrimursels Bewirtung durch Antikonie Buch IX 452,15 - 28 h Essen (Minne) Trevrizents Askese, Bußleistung für das Minnevergehen Anfortas ’ 458,17 h Essen Nahrung für Parzivals Pferd 486,9 - 30 h Mahl Trevrizents und Parzivals Wurzelmahl 487,1 - 4 d Essen Erzählerkommentar zu Parzivals und Trevrizents Askese BUCH X 531,19 - 23 d Essen Vergleich: Orgeluses Spott - eine scharfe Sauce 550,1 - 552,5 h Mahl (Minne) Gawans Mahl beim Fährmann Plippalinot/ Tochter Bene BUCH XI - BUCH XII 622,8 - 623,2 h Mahl (Minne) Minnemahl Orgeluse/ Gawan BUCH XIII 636,15 - 639,2 h Mahl (Minne) Festmahl auf Schastel marveile 643,28 - 30 d Essen (Minne) Vergleich: Orgeluse - heilendes Hirschwurz- Kraut BUCH XIV - BUCH XV - BUCH XVI 807,14 - 815,23 h Mahl (Minne) Festmahl auf der Gralsburg 296 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Diesen Befund setze ich nun, wie ich es oben für die Jagd- und Vogelmotive getan habe, in Beziehung zum Wechsel der Handlungsträger. Wiederum werden dabei Wörter, die zwei- oder mehrmals auftreten und dadurch einen Verweischarakter annehmen, farbig markiert. Unmarkiert bleiben dagegen solche, die nur einmal vorkommen, sowie solche, die über den gesamten Text verteilt gehäuft auftreten. Nahrungsmittel im Verhältnis zum Wechsel der Handlungsträger Gahmuret Buch I - II BUCH I reiger 33,4; visch 33,4; zucker 50,16 BUCH II birne 80,1 Parzival I Buch II - VI BUCH II - BUCH III brôt 131,27; wîn 131,27; pardrîsekîn 131,28; brôt 142,22; wîn 146,23; prôt 165,15 BUCH IV kæse 184,8; vleisch 184,8; prôt 184,8; wîn 184,10; met 184,22; kraphen 184,25; prôt 190,10; schultern/ hammen 190,11; kæse 190,12; wîn 190,13; brôt 190,30; kæse 191,2; vleisch 191,2; wîn 191,2; bier 201,6; wîn 201,7; krapfen 207,2 BUCH V brôt 238,4; zam/ wilde 238,17; salssen 238,27; pfeffer 238,27; agraz 238,27; môraz 239,1; wîn 239,1; sinopel rôt 239,1; môraz 244,13; wîn 244,13; lûtertranc 244,13; obz der art von pardîs 244,16; vogele gevangen ûf dem klobn 273,26 BUCH VI - Gawan I Buch VII - VIII BUCH VII castâne 378,17 BUCH VIII spizze hasen 409,26; môraz 423,17; wîn 423,17; lûtertranc 423,17; fasân 423,20; pardrîse 423,20; vische 423,21; blankiu wastel 423,21 Parzival II Buch IX BUCH IX môraz 452,19; wîn 452,19; prôt 452,19; vische 452,22; fleisch 452,22; grazzach 458,17; varm 458,17; wild 470,17; würzelîn 485,21; fischegen 487,4 297 Poetische Funktionen des Alimentären Gawan II Buch X - XIV BUCH X scharpfiu salliure 531,19; brôt 550,3; gebrâten galander vom sprinzelîn erflogn 550,28 - 29; salsen 551,2; blankiu wastel 551,6; purzeln 551,20; lâtûn 551,20; vînæger 551,21 BUCH XI - BUCH XII gebrâten gâlander vom sprinzelîn erflogn 622,8 - 13; wîn 622,9; blankiu wastel 622,10 BUCH XIII prôt 636,17; wîn 637,13; hirzwurz 643,28 BUCH XIV - Parzival III Buch XIV - XVI BUCH XIV - BUCH XV - BUCH XVI brôte 803,26 Feirefiz Buch XVI BUCH XVI wilde/ zam 809,26; met 809,27; wîn 809,27; môraz 809,29; sinôpel 809,29; clâret 809,29 Der Überblick zeigt, dass manche Speisen und Getränke - wie brôt, wîn oder bier - über den gesamten Roman verteilt immer wieder auftreten. Andere - wie zucker, birn, fasân, purzeln oder lâtûn - dagegen kommen lediglich ein einziges Mal vor. Wieder andere - wie pardrîse, visch oder gebrâtene gâlander - treten zwei- oder dreimal auf (z. B. Mahlszene: Jeschute / Parzival [Wort: pardrîsekîn V. 131,28] - Mahlszene: Gawan, Kingrimursel, Antikonie [Wort: pardrîse V. 423,20]). Zugleich aber zeigt sich, dass solche zwei- oder dreifach auftretenden Nahrungsmittel keine übergreifende Ordnung des Bildmaterials in Hinblick auf den Wechsel der Handlungsträger ausbilden, wie es für die Jagd- und Vogelthematik festgestellt wurde. Denn anders als bei jenem Bereich, lassen sich die Haupthandlungsträger (Gahmuret, Parzival, Gawan, Feirefiz) sowie die auf sie bezogenen Handlungsteile nicht mit je spezifischen Speisen und Getränken in Verbindung bringen. Dasselbe gilt auch für die alimentären Wörter und Wortfelder, die den Bereichen Mahl, Gabe und Nahrungsaufnahme zuzuordnen sind, was hier nicht eigens ausgeführt werden muss. 298 Poetische Funktionen des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › Stattdessen fällt wie gesagt auf, dass einzelne Nahrungsaspekte genau solche Handlungsteile in Beziehung zueinander setzen, für die in Kapitel IV. 2.3.1 festgestellt wurde, dass sie nicht über den Bildbereich der Jagd verklammert sind, was darauf hindeutet, dass in Episoden, in denen die Jagd- und Vogelthematik schwach ausgebildet ist bzw. gar nicht vorkommt, andere Bildkoordinationen wirksam sind. Ein Beispiel dafür ist der Beginn der ersten Gawan-Partie, Gawans Aufenthalt auf Bearosche (Buch VII). Für diesen Teil wurde oben festgestellt, dass er - im Unterschied zum restlichen Teil der ersten Gawan-Handlung (Buch VIII) - nicht über Jagd- und Vogelmotive an die Gahmuret-Handlung (Buch I - II) rückgebunden ist. Nun aber zeigt sich, dass diese Episode von einer anderen Bildlichkeit geprägt ist, die ansonsten nur noch in einem einzigen Handlungsteil des ‹ Parzival › vorkommt, nämlich wiederum in der Gahmuret-Partie (Buch I - II). Hierbei handelt es sich um den Bildbereich ‹ Nahrungsaufnahme und Kampf › , zu dem das Bild des siegreichen Helden gehört, der von den Damen wie Zucker verschlungen wird (V. 50,15 - 16), aber auch Vergleiche, wie der des Kampfgeschehens mit Birnensammeln (V. 79,30 - 80,2), des Turnierkampfs mit einer Kastanienbraterei (V. 378,15 - 17) oder des Kämpfens mit Getreidedreschen (V. 385,16 - 18); des Weiteren ordnen sich dem Bereich Formulierungen zu wie die des ‹ Sich-satt-Kämpfens › (ine mache uns alle strîtes sat, V. 359,12), ferner ein Kommentar zur Zerstörung von Getreidefeldern durch den Kampf (V. 379,16 - 17) und - in anthropomorphisierendem Sprechgestus - die lautstarke Klage des Erfurter Weingartens über seine Zerstörung durch die Kämpfer und ihre Pferde (V. 379,18 - 19). Solche Engführungen von Nahrungs- und Kampfthematik bilden eine semiotisch kohärente Reihe aus, die sich über die Bücher I, II und VII erstreckt und die auf konnotativer Ebene Nähe zwischen der Gahmuret-Handlung (Buch I - II) und dem ersten Teil der Gawan-Handlung (Buch VII) erzeugt. Das heißt: Die beiden Episoden der ersten Gawan-Partie (Buch VII - VIII) sind beide, wenn auch über unterschiedliche Bildkomplexe, mit der Gahmuret- Handlung (Buch I - II) verklammert: Gawans Aufenthalt auf Bearosche (Buch VII) über alimentäre Kampfmotive, sein Aufenthalt im Land Ascalun (Buch VIII) über spezifische Jagd- und Vogelmotive. Insgesamt zeigt sich, dass Leitmotive und damit in Verbindung stehende Wörter und Wortfelder im ‹ Parzival › als Strukturierungselemente fungieren und dass das Verfahren einer szenenübergeordneten Bildregie zentral ist für den poetischen Entwurf des Textes. Aus der hier eingenommenen Perspektive auf den Bereich des Alimentären erweist sich die Jagd- und Vogelthematik als dominantes Paradigma, wobei andere Bildbereiche (z. B. ‹ Nahrungsaufnahme und Kampf › ) an der strukturellen Organisation des Erzählens mitwirken. 299 Poetische Funktionen des Alimentären Fragt man nach Vorbildern für dieses poetische Verfahren, ist es nicht Wolframs Hauptvorlage, Chrétiens ‹ Perceval › , die in den Blick gerät, sondern eine Nebenquelle: Hartmanns von Aue ‹ Erec › . Schon öfter wurde in der Forschung konstatiert, Hartmann löse mit seinen breit durchgeführten Vergleichen und Gleichnissen, die bei Chrétien und Heinrich von Veldeke fehlen, die knappen Vergleiche der vorhöfischen Literatur ab. 236 Uwe Ruberg gelangt in seiner Untersuchung zum bildhaften Sprechen in Hartmanns ‹ Erec › zu einem Ergebnis, das für unseren Zusammenhang insofern signifikant ist, als es den Beobachtungen entspricht, die im vorliegenden Kapitel in Bezug auf den ‹ Parzival › gemacht wurden. Ruberg stellt nämlich fest, dass der ‹ Erec › , anders als dessen Vorlage ‹ Erec et Enide › , Leitmotive und -begriffe ausprägt, die auf der Ebene der Bildsprache ebenso wie als Elemente der Handlung auftreten, wobei sich die einzelnen Motivkomplexe jeweils szenisch geschlossenen Einheiten zuordnen lassen. 237 Nach Ruberg haben solche Bildkoordinationen - gerade so, wie es hier für den ‹ Parzival › festgestellt wurde - die Funktion, den inneren Zusammenhang einzelner Szenen zu intensivieren und darüber hinaus einzelne Szenen mit anderen, die eine korrespondierende Bildsprache aufweisen, zu verknüpfen. 238 Das Material hierfür sind Jagdmotive, Würfel- und Spielmotive, der Bildkomplex ‹ Sturm im Wald › , die ‹ Glas- und Spiegelthematik › sowie Bergmetaphern und -vergleiche. 239 Rubergs Befund lässt es denkbar erscheinen, dass Hartmanns ‹ Erec › nicht nur auf die Handlungsführung der letzten ‹ Parzival › -Bücher eingewirkt hat, wie es in der Forschung bislang angenommen wurde, 240 sondern auch eine Vorbildfunktion für das poetische Verfahren der Bildkoordination hatte. 236 Vgl. Ruberg, Uwe: Bildkoordinationen im ‹ Erec › Hartmanns von Aue, in: Hofmann, Dietrich/ Sanders, Willy (Hgg.): Gedenkschrift für William Foerste, Köln 1970 (Niederdeutsche Studien 18), S. 477 - 501, hier S. 480. 237 Vgl. Ruberg, Bildkoordinationen, S. 483. 238 Vgl. Ruberg, Bildkoordinationen, S. 501. 239 Vgl. Ruberg, Bildkoordinationen, S. 480 - 500. 240 Vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 244. V. Aspekte einer Poetik des Alimentären: Zusammenfassung und Ausblick In der vorliegenden Studie ging es darum, Aspekte einer Poetik des Alimentären in Wolframs ‹ Parzival › zu erarbeiten, wobei die Prämisse war, solche ließen sich über eine semiotische Untersuchung des Gegenstands erschließen. Wenn die Untersuchungsergebnisse im Folgenden bilanzierend zusammengefasst und in Hinblick auf solche Aspekte reflektiert werden, so wird freilich nicht davon ausgegangen, dass Wolfram den Vorgaben eines explizit normierenden Systems poetischer Regeln gefolgt wäre. Mit dem Begriff ‹ Poetik › sind vielmehr jene induktiv rekonstruierbaren semantischen Effekte gemeint, die Essens- und Trinkensdarstellungen auf das Erzählen (hier vor allem von Minne) haben, sowie die dichterischen Verfahrensweisen, die der Gestaltung der Nahrungsthematik im ‹ Parzival › zugrunde liegen. 1 Die folgenden Ausführungen beziehen die weitere mittelhochdeutsche Dichtung in die Überlegungen mit ein, zum einen, um spezifisch Wolframsches zu verdeutlichen, und zum anderen, um einige Linien zu ziehen und abzuwägen, inwiefern sich die Erkenntnisse verallgemeinern lassen, bzw. um zu eruieren, inwiefern Wolfram womöglich traditionsbildend gewirkt hat. Prekärer Zeichenstatus: Interferenz von Zeichen, Bild und ‹ Realität › Wir sind von der Annahme ausgegangen, dass es sich bei nonverbalen Phänomenen in einem literarischen Text, wie alimentären Handlungen und Objekten, um Zeichen handelt, die Sinn vermitteln, das heißt, für etwas Anderes stehen als sich selbst, und dass dieses Andere an ihnen abgelesen werden kann; und wir sind im Laufe der Beschäftigung mit dem ‹ Parzival › eines Besseren, oder sagen wir: eines Anderen belehrt worden. Denn die Untersuchung hat gezeigt, dass der Text selbst in ganz unterschiedlicher Art und Weise historische Vorstellungen über die Rezeptionsmöglichkeiten literarischer Essens- und Trinkensdarstellungen vermittelt und dass diesen Vorstellungen zufolge Nahrungsakte in der Literatur keineswegs 1 Insofern wäre es wohl korrekter von einer impliziten Poetik des Alimentären zu sprechen (vgl. zu dieser Begriffspezifizierung Fricke, Harald: Art. ‹ Poetik › , in: Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft. Band III. P - Z, S. 101). als bloße Codierungen aufzufassen sind. Einerseits nämlich inszeniert der Text alimentäre Handlungen und Objekte durchaus als Zeichen, mit denen Botschaften gesendet werden, die darauf zielen, gelesen zu werden: zum einen, indem er einen alimentären Liebescode entwickelt, anhand dessen Minnebeziehungen innerhalb der erzählten Welt kommuniziert, initiiert und ausgehandelt werden; zum anderen, indem er die Essens- und Trinkensdarstellungen mittels textueller Verfahren der Steuerung der Semiose auf diskursiver Ebene des Textes zu Trägern von Bedeutung macht. Andererseits aber unterbindet der Erzähler allzu ausführliche Aufzählungen von Speisen und Getränken mit der Begründung, dass der, der mehr von Essen und Trinken hören wolle, ein vrâz sei (V. 639,1 - 2). Dies wiederum ist eine Unterstellung, die die Annahme voraussetzt, die im Text evozierten Speisen und Getränke würden vom Rezipienten eben gerade nicht als bloße Codierungen oder als imaginäre ‹ Bilder › aufgefasst, sondern sie riefen zugleich einen alltäglichen Vorstellungsbereich auf, der den Rezipienten dazu verleitet, sie wörtlich zu nehmen, oder anders gesagt: sie körperlich-sinnlich als Figurationen von Essen und Trinken aufzufassen. Das heißt, es kommt hier eine Vorstellung zum Ausdruck, nach der literarische Essens- und Trinkensdarstellungen beim Rezipienten des Textes körperlich erfahrbare Lust erzeugen und ihn damit in einen Zustand des Schwelgens in kulinarischen Erfüllungsphantasien versetzen können (vgl. Kapitel IV. 2.1.3). Diesem Aspekt kommt im ‹ Parzival › eine poetologische Dimension zu (vgl. Kapitel IV. 2.1.3). Es hat sich nämlich gezeigt, dass das gustative (und erotische) Begehren des Erzählers, von dem in den Büchern I - XII wiederholt die Rede ist, dessen Blick verstärkt auf die sinnlich wahrnehmbaren Aspekte der erzählten Welt lenkt. Diese Form der Blickregie hat zur Folge, dass die Stellen, an denen der Hunger des Erzählers ‹ Oberhand › über das Erzählen gewinnt, ‹ volle › Sprachbilder hervorbringen, die den Rezipienten zu ebensolchem Gleiten zwischen figurativem, imaginärem und referenziellem Sinn anregen. Der Hunger des Erzählers lässt sich damit als Metapher für eine Poetik der ‹ Fülle › begreifen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die explizite Abkehr des Erzählers vom Bereich des Kulinarischen (sowie von anderen Bereichen wie Kleidung, Raumausstattung, höfischen Festivitäten), die im letzten Teil des Romans (Bücher XIII - XVI) zu verzeichnen ist, als ein Eindämmen der Rezeptionsmöglichkeiten des Erzählten begriffen werden kann, da mit solcher Abkehr gerade die Beschreibungen weggelassen werden, die die körperlichsinnliche Teilhabe des Rezipienten am Rezeptionsvorgang begünstigen und ein Oszillieren zwischen figurativem, imaginärem und referenziellem Sinn provozieren. Diesen Befund könnte man so deuten, dass die Erzählung über die Inszenierung der Abkehr des Erzählers von den sinnlichen Aspekten der 302 Aspekte einer Poetik des Alimentären dargestellten Welt einen Abbau ihrer sprachlichen Valenzen bewirkt und damit auf diskursiver Ebene des Textes auf ein Ende zusteuert. Die sich gegen Ende des Romans häufenden brevitas-Formeln wären damit Bestandteil einer Poetik des Mangels, der Abkehr, der Armut. Wolframs ‹ Parzival › ist nicht die einzige mittelhochdeutsche Dichtung, in der die Vorstellung zum Ausdruck kommt, dass literarische Essens- und Trinkensdarstellungen beim Rezipienten körperlich erfahrbare Lust erzeugen können. Die Suche nach entsprechenden Angaben in der höfischen Epik brachte weitere Belegstellen hervor (vgl. Kapitel IV. 2.1.3). Angesichts dessen kann die Engführung von erzählter und echter Nahrung, von geistiger und körperlicher Erfüllung, als eine konventionalisierte Vorstellung betrachtet werden, für die das Besondere und eigentlich Interessante gerade die Interferenz von Zeichen, Bild und ‹ Realität › ist. 2 Die Nahrungsthematik als Medium der Reflexion von Liebe im Spannungsfeld von Leben und Tod, Körper und Geist, Natur und Kultur Ein weiterer Aspekt einer Poetik des Alimentären betrifft die semiotische Dimension des Gegenstands. Wenn man den Blick auf die Zeichenhaftigkeit von Nahrungsdarstellungen in einem literarischen Text richtet und anfängt, Sinnschichten freizulegen, stößt man - dies wurde anhand des ‹ Parzival › gezeigt - unweigerlich auf andere Kulturthemen: auf Themen wie Leben und Tod, Körper und Geist, Natur und Kultur. Für die Frage nach der Funktion der Nahrungsthematik für die Konstituierung der literarischen Entwürfe von Minne heißt das, dass sie erheblichen Anteil daran hat, denn sie verbindet die Minnedarstellungen mit 2 Dass es sich bei dem fragilen semiotischen Status von literarischen Essens- und Trinkensdarstellungen nicht um ein spezifisch mittelalterliches Phänomen handelt, zeigt die Studie von Christine Ott zur Nahrungsthematik bei Jean-Jacques Rousseau (1712 - 1778), Gustave Flaubert (1821 - 1880), Joris-Karl Huysmans (1848 - 1907) und Marcel Proust (1871 - 1922), in der sie zum Schluss kommt, dass sich in den Essensdarstellungen bei diesen Autoren eine «semiotische Irritation» manifestiert, aufgrund derer ihnen die Klassifizierung als Motive, Symbole oder Metaphern nicht gerecht wird (Ott, Christine: Feinschmecker und Bücherfresser. Esskultur und literarische Einverleibung als Mythen der Moderne, München 2011, S. 29). Nach Ott verhält es sich vielmehr so - und darin besteht die Übereinstimmung mit den hier gemachten Beobachtungen - , dass die von den Autoren evozierten Speisen (z. B. Milch, Kuchen, Käse) einen alltäglichen Vorstellungsbereich evozieren, der den Rezipienten ständig dazu animiert, sie (auch) ‹ wörtlich › zu nehmen (vgl. Ott, Feinschmecker und Bücherfresser, S. 29). 303 Aspekte einer Poetik des Alimentären antagonistischen Tendenzen und versetzt sie in vielgestaltige Spannungsverhältnisse. In Bezug auf den ‹ Parzival › war zu sehen, dass die Bildsprache der Jagd (Assoziation der Akteure mit Jägern, Jagd- und Beutetieren, Jagdutensilien), die im Zusammenhang mit den meisten Minnepaaren vorkommt, die in die Handlung integriert sind, die Minnedarstellungen ins Spannungsverhältnis von Leben und Tod versetzt. Denn die Jagdmotive rufen das Verhältnis von Jäger und Beute auf, das aufgrund der textuellen Verknüpfung mit der Minnethematik auf die Darstellung der Beziehung zwischen Mann und Frau projiziert wird, wodurch diese als eine erscheint, die unweigerlich auf die Zerstörung eines der Minnepartner hinausläuft. Zugleich jedoch war zu sehen, dass das Bildfeld des Jagens und Gejagt-Werdens, in dessen Fluchtpunkt das Fressen und Gefressen-Werden steht, einen symbiotischen Aspekt hat. Denn das Aufessen des Beutetiers bedeutet auch seine totale Aneignung, was bedeutet, dass in der Metapher der Minne als Jagd die semantischen Potenziale von totaler Zerstörung und totaler Vereinigung unauflöslich miteinander verschränkt sind. Die Untersuchung der Verbindung von Minne und Jagd im ‹ Parzival › hat unterschiedliche poetische Funktionen dieses Bildfelds für die Darstellung von Minne sichtbar gemacht. Erstens: Es fiel auf, dass Jagdmotive zumeist nicht an Stellen vorkommen, an denen es um die Trennung der Liebenden, den Verlust oder den Tod eines der Minnepartner geht, sondern an solchen, an denen sich die Minneverhältnisse anbahnen bzw. die Liebenden glücklich vereint sind. Damit ist den Minnedarstellungen das semantische Potenzial von gewaltsamer Zerstörung und Tod bereits da inhärent, wo der Handlungsverlauf (noch) in entgegengesetzte Richtung verweist: wo er auf Vergemeinschaftung der Liebenden zusteuert bzw. wo der Höhepunkt des Minneglücks erreicht ist. Julia Richters Beobachtung, wonach in den Minnesujets des ‹ Parzival › die Opposition von Minne und Gewalt / Tod von vornherein aufgelöst ist, kommt in der Metapher der Minne als Jagd in kondensierter Form zum Ausdruck. Zweitens: Die Bildsprache der Jagd lässt oftmals keine eindeutigen Schlüsse zu, welcher der Akteure als Sieger und welcher als Verlierer hervorgehen wird. Denn sie sagt zumeist nichts darüber aus, ob der Jäger seine Beute tatsächlich fangen wird, was in letzter Konsequenz hieße, dass das Leben des Beutetiers endet, oder ob er scheitern wird, was hieße, dass sein eigenes Leben endet. Insofern setzen die Jagdbilder die auf der Handlungsebene zu beobachtende Kontingenz des minnebedingten Todes auf metaphorischer Ebene in Szene, wobei die Ambivalenz der Bildsprache eine Zuspitzung erfährt, wenn eindeutige Zuordnungen der Positionen fehlen (z. B. Gahmuret / Herzeloyde) oder wenn die Rollen im Laufe der Erzählung changieren (z. B. Gawan / Antikonie). 304 Aspekte einer Poetik des Alimentären Drittens: Die Jagdmotive sind innerhalb der einzelnen Episoden (z. B. Gahmuret im Orient [Buch I]; Gahmuret auf Kanvoleiz [Buch II]; Parzival auf Pelrapaire [Buch IV]; Gawan im Land Ascalun [Buch VIII]) aufeinander abgestimmt und zeichnen das auf der Handlungsebene dargestellte Geschehen punktuell nach. Für die Interpretation des Textes heißt das, dass sie nicht isoliert zu betrachten sind, sondern als Elemente einer szenenübergreifenden Bildregie. Viertens: Im Vergleich mit der altfranzösischen Vorlage fällt auf, dass die Darstellung der Minne zwischen Parzival und Condwiramurs, anders als bei Chrétien, bei Wolfram keine Jagdmotive aufweist. Dadurch fehlt genau der Aspekt, der das destruktive Potenzial von Liebe auf metaphorischer Ebene ins Spiel bringt. Ähnliches gilt für die Darstellung der Liebe von Feirefiz und Repanse de Schoye, die hinsichtlich der Einbringung des Alimentären ähnliche Gestaltungsmerkmale aufweist wie die von Parzival / Condwiramurs, sowie für Gawan / Obilot und Obie / Meljanz, in Bezug auf die die Nahrungsthematik insgesamt fehlt. Des Weiteren war zu sehen, dass der Bereich des Alimentären die Minnedarstellungen ins Spannungsverhältnis von Körper und Geist versetzt, und zwar einmal, indem die Figuren innerhalb der erzählten Welt anhand von Nahrungsakten einen erotischen ‹ Kryptodiskurs › etablieren, der die konventionalisierten Formen der höfischen Interaktion unterläuft und außer Kraft setzt. Die höfischen Umgangsformen zwischen Mann und Frau erscheinen dadurch letztlich als bloße Drapierungen von körperlich-sinnlicher Lust. Dabei stellen insbesondere die erotisch codierten Gesten des Anbietens von Nahrung bei Tisch (Vorschneiden der Speisen, Darreichen des Trinkbechers usw.) Handlungsweisen dar, die im ‹ Parzival › durchweg von den Frauen ausgehen. Wolfram schafft damit eine Kommunikationsebene, auf der sich weibliches Begehren äußert und zugleich problematisiert wird. Denn insgesamt verhält es sich so, dass Minne, die auf solche materiellen Formen der Übermittlung bzw. der Hervorbringung von erotischem Begehren angewiesen ist, keinen Erfolg hat (vgl. u. a. Gahmuret / Belakane; Parzival / Liaze; Gawan / Bene). Dem steht die Darstellung der Begegnung von Parzival und Condwiramurs auf Pelrapaire gegenüber, bei der Nahrungshandlungen explizit ausgeklammert (V. 201,8 - 19) bzw. auf ein Minimum reduziert sind (V. 191,5 - 6). Dieser Befund lässt sich folgendermaßen interpretieren: Während die sonstigen Minnemahlszenen im ‹ Parzival › zeigen, dass Minne, die auf materielle Übermittlungsformen wie das Anbieten von Nahrung bei Tisch angewiesen ist, keinen Erfolg hat, wird hier offenbar im Umkehrschluss vorgeführt, dass die Etablierung dieser Beziehung auf solche äußerlichen Gesten nicht angewiesen ist. An die Stelle erotisch codierter Nahrungshandlungen treten die 305 Aspekte einer Poetik des Alimentären Sakralisierung von Gemeinschaft (eucharistischer Bezug des Brot-Teilens), die Marginalisierung des Körperlichen (Verzicht, Askese) sowie die Profilierung von Innerlichkeit (Metapher der Minne als Nahrung). Zugleich jedoch hat sich gezeigt, dass die Harmonisierung nur eine scheinbare ist, denn die Bildsprache enthält stets auch Aspekte, die der idealisierenden Darstellung dieser Minne entgegenwirken. Des Weiteren war zu sehen, dass die Merkmale, durch die sich die Minne von Parzival und Condwiramurs auszeichnet, in Bezug auf Feirefiz und Repanse de Schoye wiederkehren, wodurch ein Verweiszusammenhang entsteht, der auf konnotativer Ebene semantische Nähe zwischen diesen beiden Paaren herstellt. Der Körperdiskurs, der sich im ‹ Parzival › innerhalb der erzählten Welt etabliert, wird von alimentären Symbolisierungen des Körpers und der Körperlichkeit auf diskursiver Ebene des Textes überlagert, wobei die Thematisierung des Körpers hier vielschichtiger ist als die innerhalb der erzählten Welt: Zwar versieht die Nahrungsthematik die Minnedarstellungen auch auf dieser Ebene des Textes mit erotischen Implikationen; die sich über den Text erstreckende Verknüpfung von Minne und Jagd, deren metaphorische Bedeutung für den textexternen Rezipienten, nicht aber für die Figuren des Textes wahrnehmbar ist (vgl. Kapitel IV. 1.1), evoziert aber noch eine andere Dimension des Körperlichen. Denn durch die wiederholt vorkommende Assoziation der Liebenden mit Jäger- und Beutetieren wird die höfische Interaktion zwischen Mann und Frau als Jagdgeschehen imaginierbar, was zur Folge hat, dass in den dargestellten Minneverhältnissen (neben dem destruktiven Aspekt) zwar konventionalisierte erotische Bedeutungsgehalte anklingen, zugleich aber auch etwas Rohes, Naturhaft-Animalisches. Schließlich war zu sehen, dass die Nahrungsthematik die Minnedarstellungen ins Spannungsverhältnis von Natur und Kultur versetzt, wobei dies nicht über die von Lévi-Strauss veranschlagte Opposition von roher und gekochter Nahrung erfolgt, sondern über die von wild und zam. Dabei weicht die Einbringung des Alimentären in Bezug auf Parzival und Condwiramurs abermals von den sonstigen Minnedarstellungen des Romans ab, was umso auffallender ist, als sich hier erneut eine Veränderung gegenüber der Vorlage abzeichnet: Denn während das Mahl, an dem Chrétiens Perceval auf der belagerten Burg in Blancheflors Reich teilnimmt, aus fünf Broten und Fleisch von einem frisch erlegten Rehbock besteht ( ‹ Perceval › V. 1910 - 1917), handelt es sich im ‹ Parzival › bei dem dem Paar von Condwiramurs Onkeln zugedachten Fleisch explizit um das gezüchteter Tiere aus der Stallhaltung. Das deutet darauf hin, dass Wolfram die Nahrungsaspekte, die erotische Implikationen enthalten (Jagdmetapher / weiblicher Tafeldienst / Wild als 306 Aspekte einer Poetik des Alimentären Nahrung) und die das destruktive Potenzial von Minne ins Spiel bringen (Jagdmetaphern), in Bezug auf dieses Paar nicht nur ausklammert: Indem er das erotisch codierte Wild durch Fleisch von gezüchteten Tieren aus der Stallhaltung ersetzt, verknüpft er vielmehr die zu Beginn des IV. Buches inszenierte Keuschheit des Paars implizit mit Kultur, die sexuelle Begierde dagegen mit Natur. Dass solche Funktionalisierung der Nahrungsthematik für die Darstellung von Minne zu den spezifischen Eigenleistungen Wolframs gehört, hat sich an den vielfältigen, z. T. subtilen Änderungen gezeigt, die diesbezüglich gegenüber Chrétiens ‹ Perceval › zu verzeichnen sind. Angesichts der Detailliertheit, mit der Nahrungsdarstellungen im ‹ Parzival › auf das Minnegeschehen abgestimmt sind, erscheint das Fehlen dieser, wenn es um die Darstellung der Minne zwischen Gawan / Obilot und Obie / Meljanz geht (Bearosche-Episode, Buch VII), geradezu als konsequent. Ausgespart werden damit nämlich all jene Aspekte, die den spielerischen, kindlichen Charakter dieser Minnebeziehungen unterminieren würden. Dass Nahrungsdarstellungen Ambiguisierungseffekte auf die literarischen Entwürfe von höfischer Minne haben, ließe sich über den ‹ Parzival › hinaus in Bezug auf die hochhöfische Dichtung zeigen. Zieht man z. B. den ‹ Tristan › Gottfrieds von Straßburg (entstanden ca. 1210) heran, ist zu sehen, dass die Nahrungsthematik hier zwar nicht in derselben Ausgeprägtheit auftritt wie im ‹ Parzival › , dass sie aber dennoch zentral ist für die Darstellung der Liebe des Protagonistenpaars. Dies beginnt mit der Brot-Metapher im Prolog, mit der die Liebe von Tristan und Isolde als Nahrung für die edelen herzen veranschlagt wird ( ‹ Tristan › V. 233 - 240); es geht weiter mit der Minnetrankszene, die den Beginn dieser Liebe markiert (V. 11663 - 11706), und es endet mit der Darstellung der alimentären Bedürfnislosigkeit des Paars in der Minnegrotte als Höhe- und in gewisser Weise auch Endpunkt dieser Beziehung (V. 16807 - 16865). Hinzu kommen zahllose Assoziationen Tristans und Isoldes mit Elementen der Jagd (Jagd- / Beutetiere, Jagdutensilien) sowie Nahrungs-Motive, etwa die alimentäre Bedürfnislosigkeit des Hündchens Petitcriu (V. 15889) oder das Weintrinken Markes und Isoldes in der Hochzeitsnacht (V. 12636 - 12646). Ein grundsätzlicher Unterschied zum ‹ Parzival › indes besteht darin, dass, während die Nahrungsthematik dort zumeist ans Konkrete zurückgebunden ist und die Figuren des Textes ‹ wirklich › essen und trinken (Parzival und Condwiramurs immerhin ein Stück Brot), sie bei Gottfried in den Bereich des Metaphorisch-Abstrakten verschoben ist: Abgesehen von der Minnetrankszene und der Szene, in der Marke und Isolde Wein trinken, kommen konkrete 307 Aspekte einer Poetik des Alimentären Darstellungen von Nahrungsaufnahme nämlich nicht vor. 3 Nichtsdestoweniger können die anhand des ‹ Parzival › ermittelten Effekte, die die Nahrungsthematik auf die Darstellung von Minne hat, auch für den ‹ Tristan › festgestellt werden. Dies sei kurz erläutert. Zunächst zeigt sich, dass die Nahrungsthematik die Minnedarstellungen auch hier ins Spannungsverhältnis von Leben und Tod versetzt, und zwar ebenfalls über das Motiv der Jagd, das sowohl als Element der Handlung als auch auf der Ebene der Bildsprache vorkommt. 4 Anders als im ‹ Parzival › , wo fast alle Minnepaare, die in die Handlung integriert sind, mit Jagdmotiven in Verbindung stehen, erscheint die Jagd im ‹ Tristan › jedoch ausschließlich in Bezug auf die Protagonistenpaare Blanscheflur / Riwalin, Tristan / Isolde und Tristan / Isolde Weißhand. Und anders auch als im ‹ Parzival › , wo die Bildsprache der Jagd vornehmlich an Stellen auftritt, an denen sich Mann und Frau zum ersten Mal begegnen, wird die Darstellung der genannten Minnebeziehungen im ‹ Tristan › durchgehend von Jagdmotiven begleitet. Dabei trägt die Jagdthematik auch hier zur Zeichnung der Minnebeziehungen bei, indem sie Minne als etwas erscheinen lässt, das unweigerlich auf Tod und Zerstörung hinausläuft und zugleich die Vorstellung einer totalen Vereinigung der Liebenden evoziert (Bildfeld: Fressen - Gefressen-Werden). 5 Ebenso wie im ‹ Parzival › sind die Jagdvergleiche im ‹ Tristan › nicht geschlechtsspezifisch determiniert. So z. B. wird nicht nur Tristan, sondern auch Isolde mehrfach mit einem abgerichteten Beizvogel in Verbindung gebracht (u. a. ‹ Tristan › V. 10896 - 10934; V. 10992 - 11005; V. 10957 - 10961), wodurch einerseits ihre Anziehungskraft auf die Hofgesellschaft angedeutet wird, 6 3 Vgl. Neubauer, Christa: rât von spîse. Metaphern der Enthaltsamkeit bei Gottfried von Straßburg, in: Kleber, Jutta Anna (Hg.): Die Äpfel der Erkenntnis. Zur historischen Soziologie des Essens, Pfaffenweiler 1995 (Schnittpunkt Zivilisationsprozess), S. 71 - 81, hier S. 79. 4 Zur Jagdthematik im ‹ Tristan › vgl. u. a. Hatto, Arthur Thomas: Der minnen vederspil Isot, in: Wolf, Alois (Hg.): Gottfried von Straßburg, Darmstadt 1973 (Wege der Forschung 320), S. 209 - 217; Lewis, Gertrud Jaron: Das Tier und seine dichterische Funktion in Erec, Iwein, Parzival und Tristan, Bern/ Frankfurt a. M. 1974 (Kanadische Studien zur deutschen Sprache und Literatur 11); Wessel, Probleme der Metaphorik; Glogau, Dirk R.: Untersuchungen zu einer konstruktivistischen Mediävistik. Tiere und Pflanzen im ‹ Tristan › Gottfrieds von Straßburg und im ‹ Nibelungenlied › , Essen 1993; Schmid, Elisabeth: Natur und Kultur in der Jagdszene von Gottfrieds ‹ Tristan › , in: Huber, Christoph/ Millet, Victor (Hgg.): Der ‹ Tristan › Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000, Tübingen 2002, S. 153 - 166. 5 Vgl. die ausführliche Abhandlung der Jagdmetaphern im ‹ Tristan › bei Wessel, Probleme der Metaphorik, S. 304 - 316 und S. 378 - 398. 6 Vgl. Wessel, Probleme der Metaphorik, S. 307. 308 Aspekte einer Poetik des Alimentären wodurch sie andererseits aber als Jägerin erscheint, die sich ihre (Minne-)Opfer beliebig aussuchen kann. 7 Dass die Bildsprache der Jagd dabei nicht willkürlich eingesetzt ist, sondern konzeptionelle Züge aufweist, zeigt sich u. a. daran, dass Isolde in der Szene, in der sie und Tristan (unwissentlich) den Minnetrank einnehmen, zum letzten Mal als Jägerin erscheint und noch dazu als eine, die den Blick nicht mehr frei schweifen lässt, sondern ihn auf ein ganz bestimmtes Opfer richtet, nämlich auf Tristan: 8 ir herze unde ir ougen diu schâcheten vil tougen und lieplîch an den man. (V. 11845 - 11847) Neben der Jagd enthält der ‹ Tristan › noch andere Nahrungsaspekte, die die Liebe des Protagonistenpaars ins Spannungsfeld von Leben und Tod versetzen. Zum einen ist dies die alimentäre Bedürfnislosigkeit von Tristan und Isolde während ihres Aufenthalts in der Minnegrotte (V. 16807 - 16865), die die Minne als Nahrung, das heißt als lebensspendende Kraft, erscheinen lässt und die damit auf die existenzielle Dimension dieser Beziehung verweist (vgl. Kapitel II.3). Zum anderen ist dies der Minnetrank, der als Legitimationsmittel dafür interpretiert werden kann, 9 der darüber hinaus jedoch Chiffre für die - diese Liebe kennzeichnende - Leben / Tod-Dialektik ist. Denn einerseits wird der Trank im Erzählerkommentar metonymisch mit seinen Folgen, dem andauernden Leid, der endlosen Herzensnot und dem Tod der Liebenden, gleichgesetzt und damit als Todestrank profiliert: nein, ezn was niht mit wîne, doch ez ime gelîch wære. ez was diu wernde swære, diu endelôse herzenôt, von der si beide lâgen tôt. (V. 11673 - 11676) 10 Andererseits aber wird ihm durch Tristans indirekt angedeuteten, spontan auftretenden Durst, der ihn nach dem Trank verlangen lässt, 11 eine lebenswichtige Funktion zuerkannt, die, übertragen auf die Minne, als Zeichen für die 7 Vgl. Wessel, Probleme der Metaphorik, S. 305 - 307. 8 Vgl. Hatto, Der minnen vederspil, S. 217; Lewis, Das Tier und seine dichterische Funktion, S. 151; Wessel, Probleme der Metaphorik, S. 314. 9 Vgl. Huber, Gottfried von Straßburg, S. 73 - 82. 10 Vgl. Huber, Gottfried von Straßburg, S. 75. 11 Zwar ist in der Forschung zu Recht darauf hingewiesen worden, dass im Text nicht explizit von Durst die Rede ist (vgl. Huber, Gottfried von Straßburg, S. 77). Der Umstand, dass niemand auf Tristans Wunsch vorbereitet ist, weist jedoch darauf hin, dass es sich um ein spontan auftretendes Bedürfnis des Helden handelt. 309 Aspekte einer Poetik des Alimentären existenzielle Bedeutung, die die Liebe für Tristan und Isolde hat, interpretiert werden kann. 12 Dies wird umso deutlicher, wenn man die Szene dagegenhält, in der Marke und Isolde in der Hochzeitsnacht Wein trinken. Hier nämlich wird explizit gesagt, dass es sich beim gemeinsamen Weintrinken von Eheleuten nach dem Vollzug der Ehe um einen Brauch handle, dem die beiden hier folgen würden (V. 12636 - 12646). Auf diese Weise wird im Kontext zweier, inhaltlich aufs Engste miteinander verknüpfter, 13 alimentärer Handlungen ein wesentlicher Unterschied zwischen der Liebe von Tristan und Isolde und den anderen Minneverhältnissen des Romans verdeutlicht, nämlich dass diese Liebe weder auf Konventionen und Bräuchen beruht noch auf solche angewiesen ist, sondern einer anderen Dimension angehört. Die Nahrungsthematik verbindet die Minnedarstellung von Tristan und Isolde nicht nur mit Aspekten von Leben und Tod, sondern auch mit solchen von Körper und Geist. Zum einen geschieht dies wiederum über das Bildfeld der Jagd, denn durch die wiederholt vorkommenden Vergleiche und Gleichsetzungen der Liebenden mit Jägern und Beutetieren wird ihre Interaktion als Jagdgeschehen vorstellbar, wodurch nicht nur das destruktive Potenzial dieser Minne anklingt, sondern auch (konventionalisierte) erotisch-sexuelle Bedeutungsdimensionen. 14 Zum anderen ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der alimentären Bedürfnislosigkeit von Tristan und Isolde während ihres Aufenthaltes in der Minnegrotte von Belang. Denn deren Pointe besteht, vor dem Hintergrund der Tradition des Motivs gesehen, gerade in ihrer semantischen Ambiguität, aufgrund derer als Nahrung der Liebenden sowohl der Körper des je anderen als auch dessen innere Werte infrage kommen, oder anders gesagt: aufgrund derer die Minnedarstellung sowohl in Hinblick auf geistige als auch auf körperbezogene Liebeskonzeptionen transparent gehalten wird (vgl. hierzu Kapitel II.3). Und schließlich wird die Tristanminne über die Nahrungsthematik ins Spannungsverhältnis von Natur und Kultur versetzt. Zwar kommen in Bezug 12 Hinzu kommt, dass der Durst und die Hitze, von denen in dieser Szene die Rede ist, traditionelle Chiffren erotischen Begehrens sind (vgl. Huber, Gottfried von Straßburg, S. 77). 13 Der Minnetrank, den Isoldes Mutter für die Hochzeitsnacht ihrer Tochter mit König Marke herstellt, wird von Tristan und Isolde auf dem Schiff versehentlich konsumiert, wobei Brangæne, als sie das Unglück entdeckt, den Rest des Tranks ins Meer gießt. Dies hat zur Folge, dass Isolde und Marke in der Hochzeitsnacht lediglich Wein und eben kein Getränk mit magischer Wirkung bekommen. 14 Vgl. u. a. Lewis, Das Tier und seine dichterische Funktion, S. 151. 310 Aspekte einer Poetik des Alimentären auf Tristan und Isolde, abgesehen von Wein, Brot und Zaubertrank, keine konkreten Nahrungsmittel vor, was zur Folge hat, dass weder die Opposition von ‹ roh › und ‹ gekocht › noch die von wild und zam als Beschreibungskategorie brauchbar ist. Von Bedeutung ist jedoch, dass die Minne der beiden in der Minnegrottenszene als erbepfluoc bezeichnet wird (V. 16842), der ihnen auf jedem Schritt und in jedem Augenblick zur Seite steht und in Fülle all das gibt, was man für ein Wunschleben braucht (V. 16842 - 16844). Unabhängig davon, ob man das Wort erbepfluoc, dessen Bedeutung letztlich ungeklärt ist, mit ‹ ererbte Gewohnheit › bzw. ‹ ererbte Lebensform › übersetzt oder es ganz konkret als das ‹ ererbte Arbeitsgerät › (den Pflug) auffasst, 15 in jedem Fall verhält es sich so, dass die mhd. Wörter pfluoc (u. a. nhd. ‹ Pflug › , ‹ Pflüger › , ‹ Gewerbe › , ‹ Geschäft › ), pflüegen (nhd. ‹ pflügen › ) und pflegen (u. a. nhd. ‹ pflegen › , ‹ sorgen für › , ‹ Verantwortung übernehmen › ), 16 die sich damit in Verbindung bringen lassen, in den Bereich des Kultivierens und des Kultivierten verweisen. Verstanden als Arbeitsgerät wäre der erbepfluoc das Signum des Lebens nach dem Sündenfall, wobei die Minne, die Erb- und Schutzherrin des Paares, dieses Gesetz gleichsam aufhöbe, indem ihre ‹ Arbeit › das Paradies zurückschenkt. 17 Verstanden als ererbte ‹ Gewohnheit › oder ‹ Lebensform › verweist das Wort erbepfluoc auf die Konventionalisierung und Traditionsbildung von Handlungs- und Verhaltensweisen. Das heißt, unabhängig davon, für welche der Übersetzungsmöglichkeiten man sich entscheidet, das Wunder des Ernährt-Werdens durch die Minne, das in der Metapher der Minne als erbepfluoc zum Ausdruck kommt, steht in Verbindung mit dem Bereich der Kultur und verknüpft die Minnedarstellung von Tristan und Isolde mit demselben, wodurch diese wiederum implizit ins Spannungsverhältnis von Natur und Kultur versetzt wird - gerade so, wie es für die Minnedarstellung von Parzival und Condwiramurs festgestellt wurde (vgl. Kapitel IV. 1.3). Dass die Nahrungsthematik als Medium der Reflexion von Liebe im Spannungsfeld von Leben und Tod, Körper und Geist, Natur und Kultur kein spezifisch mittelalterliches Merkmal einer Poetik des Alimentären ist, liegt auf der Hand. Dennoch wäre es falsch, die ubiquitäre Verbindung von Essen, Trinken und Liebe in kulturellen Praktiken, in sprachlichen Wortfeldern und im künstlerischen Bereich als ahistorischen Archetypus oder als ‹ toten › Topos 15 Zur Interpretationsproblematik dieser Stelle vgl. Huber, Gottfried von Straßburg, S. 101; Köbele, Susanne: Mythos und Metapher. Die Kunst der Anspielung in Gottfrieds ‹ Tristan › , in: Friedrich, Udo/ Quast, Bruno (Hgg.): Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin/ New York 2004 (Trends in Medieval Philology 2), S. 219 - 246, hier S. 229 - 237. 16 Vgl. Lexer. 17 Vgl. Huber, Gottfried von Straßburg, S. 101. 311 Aspekte einer Poetik des Alimentären zu begreifen. Denn - dies hat die vorliegende Studie gezeigt - ihre jeweilige Bedeutung hängt eng mit den Vorstellungen zusammen, die sich zeitgenössische (literarische, didaktische, theologische usw.) Diskurse jeweils von Nahrungsaufnahme, von Liebe und nicht zuletzt von Literatur machen. Zwar kann die Verbindung von Nahrungs- und Liebeshandeln als überzeitlich erfahrbare Gegebenheit angesehen werden, dennoch aber ist sie als eine ‹ lebendige › , historisch variable Figuration zu begreifen. Imaginäre Körperbilder: Hyperbolisierung, Entgrenzung des männlichen Körpers Ein weiterer Aspekt einer Poetik des Alimentären, der anhand des ‹ Parzival › ersichtlich wurde, betrifft die Konstruktion von Körperbildern. Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Darstellung von körperlichen Bedürfnissen und Verrichtungen der Akteure, wie ihres Umgangs mit Nahrung, deren Körper ‹ sichtbar › macht (vgl. Kapitel IV. 2.1). Im Unterschied zur Konstruktion von Körperbildern anhand der descriptio von Körpern ist es hier jedoch nicht die Nennung konkreter körperlicher Merkmale, die imaginäre Körperbilder hervorbringt, sondern die Darstellung von Vorgängen, die im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme stehen, sowie der Art und Weise, wie diese ausgeführt werden. Das heißt, die Schilderung der Nahrungsaufnahme einer Figur kann beim Rezipienten des Textes Vorstellungen von deren Körper evozieren, ohne dass dieser konkret beschrieben wird. Dieses Verfahren eröffnet unterschiedliche Ebenen der Figurendarstellung, denn das Nahrungshandeln bringt Körperbilder hervor, die nicht von allen Beobachterpositionen aus in derselben Art und Weise wahrnehmbar sind. Während die Figuren des Textes (Beobachter ersten Grades) ‹ sehen › , dass bzw. wie die betreffende Figur Nahrung zu sich nimmt, kann die Beschreibung einer solchen Tätigkeit beim Rezipienten des Textes (Beobachter dritten Grades) Vorstellungen von deren Körper aufbauen, die das dargestellte Geschehen ‹ überlagern › und die dem Erscheinungsbild der Figur innerhalb der erzählten Welt sogar widersprechen können. Diese Art der Figurendarstellung kommt im ‹ Parzival › insbesondere in Bezug auf Parzival und den Erzähler vor, was damit zusammenhängt, dass das Nahrungsverhalten der beiden - anders als bei den anderen Figuren - über den gesamten Roman hinweg immer wieder thematisiert wird. Für Parzival wurde gezeigt, dass sowohl die descriptio seines Körpers durch die Figuren des Textes als auch die Konstruktion von Körperbildern anhand der Nahrungsthematik zwar der Inszenierung einer extremen Erscheinung zuarbeiten (vgl. Kapitel IV. 2.1.1). Während sich sein Körper jedoch für die Figuren des Textes durch absolute Schönheit und höfische Idealmaße auszeichnet, bringt die Darstellung seines Nahrungshandelns Körperbilder her- 312 Aspekte einer Poetik des Alimentären vor, die den Richtwert der mâze unablässig überbzw. unterschreiten (wahrnehmbar für den Beobachter dritten Grades). Entscheidend für die Figurendarstellung ist dabei, dass Parzivals Nahrungshandeln von dem Moment an, in dem er seinen Dienst auf Pelrapaire antritt (Buch IV), von Solipsismus in Altruismus umschlägt und dass dieser Wechsel des Handlungsmodus mit Umcodierungen des Körperbilds einhergeht. Denn es wirken zwar beide Aktionsmodi an der Hyperbolisierung der Parzival-Figur mit, indem sie Bilder eines potenten, übermächtigen Körpers produzieren; während der Modus des unmittelbaren Nehmens jedoch mit ambivalenten Konnotationen verbunden ist (Christusanalogien, Sündenthematik), geht der des Gebens und Teilens mit einer Sublimierung des Körperlichen (Verzicht, Askese) und einer Positivierung des etablierten Herrscherbilds (Christusanalogien) einher. Parzivals Nahrungshandeln trägt somit von Beginn an zur Inszenierung seiner einzigartigen Abstammung und, damit verbunden, seiner Prädestination zum Gralsherrscher bei, wobei der Einbruch der göttlichen Gnade durch den Wechsel des Handlungsmodus in Buch IV auf symbolischer Ebene des Textes vorbereitet wird (wahrnehmbar für den Beobachter dritten Grades). Es wäre Aufgabe zukünftiger Forschung, zu prüfen, inwiefern sich anhand anderer körperlicher Tätigkeiten und Verrichtungen der Parzival-Figur (z. B. Kampf, Fortbewegung im Raum) ähnliche Beobachtungen machen lassen. Was den Erzähler betrifft, so war zu sehen, dass seine Verkörperung anhand der Nahrungsthematik unterschiedliche Textfunktionen hat (vgl. Kapitel IV. 2.1.2). Zum einen kann sie Bestandteil der Beglaubigungsstrategie des Textes sein, indem sich der Erzähler durch die Einbringung eigener Erfahrungen mit Essen und Trinken Legitimation für das Erzählen alimentärer Sachverhalte verschafft. Zum anderen fungiert sein Körper als ‹ Kontrastfolie › für die Figurendarstellung, vor der die Körperlichkeit der männlichen Akteure innerhalb der erzählten Welt profiliert wird. Insofern hat man es hier mit einem genderspezifischen Aspekt der Figurendarstellung zu tun, der den Erzähler als Epiphänomen der (durch ihn) vermittelten Figuren zu erkennen gibt. Dass die Darstellung von Nahrungshandlungen in einem literarischen Text imaginäre Körperbilder hervorbringen kann, ohne dass die Körper der Figuren konkret beschrieben werden, ist ein Phänomen, das sich nicht auf den ‹ Parzival › beschränkt. Die Suche nach entsprechenden Belegstellen in der höfischen Dichtung zeigt jedoch, dass, obwohl Mahlszenen relativ häufig vorkommen, diese zumeist keine konkreten Beschreibungen des Nahrungsverhaltens der Figuren enthalten, was bedeutet, dass solche Potenziale kaum angelegt sind. Zu den Ausnahmen gehört die Darstellung Rennewarts in Wolframs ‹ Willehalm › , anhand derer sich Ähnliches beobachten lässt wie für die Parzival-Figur: Auf der einen Seite stehen die konkreten Beschreibungen des 313 Aspekte einer Poetik des Alimentären Äußeren Rennewarts durch die Figuren des Textes, die sich allesamt durch emphatischen Preis seiner Schönheit auszeichnen ( ‹ Willehalm › u. a. V. 271,10 - 14): seiner idealen Körpermaße (u. a. V. 271,9), seiner ebenmäßigen Gesichtszüge (u. a. V. 271,8 - 9), seiner großen, leuchtenden Augen (u. a. V. 270,25 - 27), seiner hellen Haut (u. a. V. 270,15 - 24) sowie des strahlenden Glanzes, der von ihm ausgeht und der an den Körperstellen, an denen der Schweiß den Schmutz weggewaschen hat, sichtbar wird (V. 270,15 - 24). 18 Dies wiederum sind Merkmale, die ungeachtet seiner ungepflegten äußeren Erscheinung und seines niedrigen gesellschaftlichen Status jeden, der ihm begegnet, unmittelbar auf seine hochadlige Abstammung schließen lassen. Auf der anderen Seite steht die Darstellung körperlicher Aktivitäten Rennewarts (neben der Nahrungsaufnahme ist dies u. a. sein Kampfverhalten), die Vorstellungen seines Körpers evozieren, die der Beschreibung seiner Schönheit durch die Figuren des Textes diametral entgegenstehen. So etwa enthält die Festmahlszene auf Orangis mehrere Stellen, an denen zwar aus der Figurenperspektive Rennewarts ideale Körpergestalt gepriesen und die besänftigende Wirkung, die diese auf die besorgte Festgemeinschaft hat, betont wird (V. 271,10); zugleich aber produziert die Darstellung seines Verhaltens im Festsaal, seines aggressiven Renommiergehabes mit der Eisenstange (V. 269,20 - 270,5) und seines maßlosen Essens und Trinkens (V. 275,1 - 6; V. 276,3 - 14), Bilder eines übermächtigen, raumgreifenden Körpers. Auch hier also wird die Darstellung des durch Idealmaße gekennzeichneten höfischen Körpers des Helden (Ebene der descriptio) auf diskursiver Ebene von Körperbildern überlagert, die der Hyperbolisierung der Figur zwar gleichsam zuarbeiten, aber eben gerade nicht indem sie auf die Darstellung von mâze zielen, sondern indem sie den Richtwert der mâze unablässig ins Extreme übersteigern. Solche Hyperbolisierungen des männlichen Körpers anhand der Nahrungsthematik, wie sie in Bezug auf Parzival und Rennewart vorkommen, finden sich in der späthöfischen Lyrik und Kleinepik im Zusammenhang mit der Figur des erfolglosen Minnedieners, die im Essen und Trinken Erfüllung sucht, in zugespitzter Form. 19 Das maßlose Begehren des höfischen Minnedieners, dem die sexuelle Befriedigung versagt bleibt, schlägt hier gewissermaßen in exzessive gustative Erfüllung um. Dabei wird der Körper des Mannes, der im ‹ klassischen › Minnesang nahezu inexistent ist, 20 auf drastische Weise zur 18 Zum Thema der Glanzschönheit vgl. Hahn, Parzivals Schönheit. 19 So z. B. bei Steinmar, Hadlaub, Neidhart oder dem Stricker. 20 Der männliche Geliebte ist zumeist nur als pronominale Leerform ‹ ich › im Text ‹ präsent › (vgl. Bennewitz, Ingrid: Die obszöne weibliche Stimme. Erotik und 314 Aspekte einer Poetik des Alimentären Erscheinung gebracht. Denn die Darstellung unmäßiger Nahrungsaufnahme lenkt die Aufmerksamkeit auf die sinnlich wahrnehmbaren Aspekte von Körper und Körperlichkeit (das Aussehen, den Geruch, die taktile Erfahrbarkeit usw.) und evoziert Vorstellungen von ‹ offenen › , raumgreifenden Körpern; von Körpern, die jegliche Begrenzungen sprengen: dô huob er ûf unde tranc: daz diu banc begunde crachen, [. . .] daz im diu gürtel zerbarst, [. . .] daz sich das hemde zarte (Weinschwelg V. 278 - 400), von Körpern, die über ein unbegrenztes Fassungsvermögen verfügen: Wirt, durh mich ein strâze gât [. . .] mich würget niht ein grôziu gans so ichs slinde (Steinmar I,41 - 47), von Körpern, die schwitzen und stinken: der man erswitze [. . .] der munt uns als ein apotêke smecke (Steinmar I,36 - 38). Was hier zur Darstellung kommt, ist das, was Michail Bachtin als den grotesken Körper beschrieben hat, zu dessen Kennzeichen der Mund gehört als das Organ, in das die zu verschlingende Welt eingeführt wird. 21 Obszönität in den Frauenstrophen der deutschen Literatur des Mittelalters, in: Cramer, Thomas/ Greenfield, John u. a. [Hgg.]: Frauenlieder - Cantigas de Amigo. Internationale Kolloquien des Centro de Estudos Humanísticos [Universidade do Minho], der Faculdade de Letras [Universidade do Porto] und des Fachbereichs Germanistik [Freie Universität Berlin], Berlin, 6. 11. 1998, Apúlia, 28. - 30. 3. 1999, Stuttgart/ Leipzig 2000, S. 69 - 84, hier S. 84). 21 Vgl. Bachtin, Michail M.: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Aus dem Russ. übers. u. mit einem Nachwort v. Alexander Kaempfe, München 1969. Diese Art der Inszenierung eines Hervortretens, eines Greif- und Spürbar-Werdens des männlichen Körpers geht oftmals mit Entgrenzungen auf rhythmischer Ebene der Texte einher, indem bei der Darstellung von Fress- und Sauforgien die vorgegebenen Versmaße und Reimschemata durch den Einsatz von Kurzzeilen und Enjambements, die das Sprachtempo erhöhen und so die Gier der Schlemmer akustisch wahrnehmbar machen, durchbrochen werden. Dies lässt sich an einer dem Minnesänger Neidhart zugeschriebenen Strophe aus einem späthöfischen Sauf- und Fresslied illustrieren (vgl. hierzu Grunewald, Eckhard: Die Zecher- und Schlemmerliteratur des deutschen Spätmittelalters. Mit einem Anhang: ‹ Der Minner und der Luderer › . Edition, Köln 1976, S. 83): 315 Aspekte einer Poetik des Alimentären Mit dem höfischen, dem heroischen und dem grotesken Körper sind freilich nicht alle Körpermodelle benannt, die sich in der höfischen Dichtung des 12. und 13. Jahrhunderts anhand der Nahrungsthematik konstituieren. Andere kämen hinzu; man denke z. B. an die Darstellung von Askese in legendarischen Erzähltexten und die damit einhergehenden Körperbilder oder an die Darstellung von nasch- und fresssüchtigen Frauen in der späthöfischen Kleinepik. Dabei gilt auch hier - wie es bereits für die Semantisierung der literarischen Entwürfe von Minne anhand von Essen und Trinken festgestellt wurde (s. o.) - , dass das jeweilige Körperbild eng mit den Vorstellungen zusammenhängt, die sich die zeitgenössischen Diskurse von Nahrung, von Nahrungsaufnahme, von Körpern und von Literatur machen. Das aber bedeutet, dass die unterschiedlichen Arten des Nahrungsverhaltens (Völlerei, Askese, gemäßigtes Essverhalten usw.) keine stereotypen, immerfort gleichbleibenden Körperbilder evozieren, sondern als historisch variable Figurationen zu begreifen sind, die jeweils kulturspezifische Imaginationen hervortreiben. 22 Mahlszenen: Orte der Konstruktion von Sujet- und Handlungsoptionen Es gehört zu den Kunstgriffen Wolframs, in Minnemahlszenen Sujet- und Handlungsoptionen zu entwerfen, die sich retrospektiv entweder als sym- [. . .] so siczen wir wyder zu dem tisch. Frisch visch, karpfen, hechte, husen busen wir vß einem pfeffer heyß. weyß ich gut gerete von wilbrete, hirß vnd hinden woll wir slinden, su vnd beren han wir geren, die vns wol gevallen. hasen und fuchse, rech und luchse, vnser buchse die ist so wyt vnd mag das wol verzeren. Saff vnde rynder, ire kinder mögent nynder sich vor vns an keiner stat erneren. (Dyß ist herrn Nytharcz ffrass I, IV,8 - 22, zitiert nach: Boueke, Dietrich: Materialien zur Neidhart-Überlieferung, München 1967 [Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 16], S. 179). 22 Zum Vergleich hierzu siehe Christine Otts Arbeit zur Nahrungsthematik bei Rousseau, Flaubert, Huysmans und Proust, in der eine Fülle an Körpermodellen herausgearbeitet wird, die für die Moderne als kennzeichnend erachtet werden können (Ott, Feinschmecker und Bücherfresser). 316 Aspekte einer Poetik des Alimentären bolische Vorausdeutung der Handlung oder als abgewiesene Erzählalternativen herausstellen. Der Begriff der ‹ abgewiesenen Alternative › (nach Strohschneider / Müller / Schulz), der der Heldenepik-Forschung entlehnt wurde, hat sich für die Untersuchung der Minnemahlszenen im ‹ Parzival › als nützliche Ergänzung des erzähltheoretischen Begriffinventars erwiesen, wobei freilich zu berücksichtigen war, dass solche Sujet- und Handlungsoptionen hier mit ganz anderen Mitteln erzeugt werden und andere Textfunktionen haben als in der Heldenepik (vgl. Kapitel IV. 2.2). Über textinterne Verfahren der Verknüpfung von Nahrungs- und Minnethematik (alimentäre Metaphern, Vergleiche, Allegorien) und / oder die Markierung von Deutungsrahmen (System- und Einzeltextreferenzen) werden in den Minnemahlszenen des ‹ Parzival › Sujet- und Handlungsoptionen entworfen, die unterschiedliche Effekte auf die Gestaltung des Erzählens von Minne haben. So war zu sehen, dass Anspielungen auf das, was noch passieren könnte, dann aber nicht eintritt, bzw. auf das, was noch erzählt werden könnte, dann aber nicht erzählt wird, die erzählte Minnehandlung in Hinblick auf Alternativen transparent halten, wodurch diese nicht als einzig denkbarer, sondern lediglich als einer von mehreren möglichen Handlungsverläufen erscheint. Dies hat zur Folge, dass das tatsächlich Erzählte weniger als ein kausallogischer Zusammenhang vorgestellt wird, der eben so und nicht anders verlaufen muss, sondern vielmehr als eine Demonstration davon, dass die Signifikanten und Bausteine des Erzählten ein unüberschaubar verzweigtes Netz möglicher Beziehungen und Anknüpfungspunkte bilden. Dadurch dass der Entwurf solcher Alternativen, die dann ins ‹ Leere › laufen, im ‹ Parzival › in Bezug auf die meisten Minnepaare vorkommt, deren Geschichte in die Handlung integriert ist, erscheint die gesellschaftliche Struktur, die über die vielfältigen Minnebindungen konstituiert wird, als eine fragile, kontingente Ordnung. Anders allerdings sieht es wieder bei Parzival und Condwiramurs aus. Denn im Unterschied zu den anderen Minnedarstellungen des Romans stellt sich die im Mahl entworfene Sujet- und Handlungsoption hier retrospektiv nicht als abgewiesene Alternative heraus, sondern erweist sich als symbolische Vorausdeutung auf das, was dann tatsächlich eintritt, nämlich die Erlangung der Gralsherrschaft des Paars. Das heißt: Während die sonstigen Liebesgeschichten, die im ‹ Parzival › als Handlung entfaltet werden, eher als zufällige Begebenheiten erscheinen, wird die Liebesgeschichte von Parzival und Condwiramurs dezidiert als eine figuriert, die vorbestimmt ist. Das poetische Verfahren des Entwurfs von Sujet- und Handlungsoptionen kommt bei Wolfram nicht nur, wie es im ‹ Parzival › der Fall ist, im Zusammenhang mit Minnemahlszenen vor, sondern auch in solchen, in denen die Liebesthematik nicht im Vordergrund steht. Dies wurde anhand eines Exkurses zur Festmahlszene auf Glorjet in Wolframs ‹ Willehalm › dargestellt, die 317 Aspekte einer Poetik des Alimentären sich als ein Ort im Text beschreiben lässt, an dem auf der Ebene der symbolischen Instituierung der höfischen Gesellschaft eine Sujetkonstellation entworfen wird, die paradigmatisch auf das anschließende Kriegsgeschehen (zweite Schlacht bei Alischanz) bezogen ist und es damit gewissermaßen präfiguriert. Dies wiederum hat den Effekt, dass sich die Mahlszene retrospektiv als metaphorische Vorausdeutung auf den späteren Handlungsverlauf interpretieren lässt (vgl. Kapitel IV. 2.2.2). Dieser Aspekt tritt in der weiteren mittelhochdeutschen Dichtung nicht bzw. nicht in der Profiliertheit auf, wie es bei Wolfram der Fall ist. Wenn Mahlszenen dort vorkommen, dann deuten diese mögliche Konflikt- und Krisensituationen zumeist nicht bloß an, sondern es handelt sich oftmals gerade um die Stellen im Text, an denen Konflikte zwischen den Akteuren tatsächlich ausbrechen und eskalieren. 23 Hinsichtlich solcher Szenen lässt sich das Mahl als Einfallstor der Krise, des Konflikts und des Exzesses beschreiben, das einen (oder den) Wendepunkt in der Handlung markiert. 24 Ein drastisches Beispiel dafür ist Konrads von Würzburg Verserzählung ‹ Heinrich von Kempten › (zweite Hälfte 13. Jahrhundert), deren erster Teil von der Verbannung des Ritters Heinrich vom Hof Kaiser Ottos handelt. Der Auslöser des Konflikts besteht darin, dass der Sohn des Herzogs von Schwaben während des Osterfestes in der Burg zu Bamberg ein Stück Brot von der Festmahltafel nimmt und es isst, bevor die Gerichte aufgetragen und alle Gäste anwesend sind: der selbe knabe reine des tages dâ ze hove gie vor den tischen unde lie dar ûf die blanken hende sîn: ein lindez brôt nam er dar în, des brach der hôchgeborene knabe ein lützel unde ein wênic abe und wolte ez ezzen sam diu kint, 23 Diesen Aspekt findet man auch im ‹ Parzival › (so z. B. bricht der Konflikt zwischen Ither und König Artus bei einem Mahl aus [V. 146,20 - 147,8]; Parzivals Verdammung durch Cundrie findet ebenfalls im Rahmen eines Mahls am Artushof statt [V. 314,19 - 318,4]). 24 Vgl. hierzu Haupt, Das Fest in der Dichtung; Bleuler, Identitätsbildung bei Tisch; Kern, Manfred: Von Sälen, Grälen und Kränzen - Imaginierte Ritualität und Festlichkeit in der mittelalterlichen Literatur, in: Bleuler, Anna Kathrin (Hg.): Welterfahrung und Welterschließung in Mittelalter und Früher Neuzeit, vorauss. Heidelberg 2015 (Interdisziplinäre Beiträge zu Mittelalter und Früher Neuzeit 5), S. 155 - 177. 318 Aspekte einer Poetik des Alimentären diu des sites elliu sint und in der wille stât dar zuo daz si gerne enbîzen fruo. 25 Dieser Verstoß gegen die höfische Sitte provoziert beim Truchsess des Kaisers rohe Gewalt. Er schlägt den Jüngling blutig ( ‹ Heinrich von Kempten › V. 78 - 92), was zur Folge hat, dass sich Heinrich von Kempten, der Erzieher des Jungen, am Truchsess rächt, indem er diesen mit einem Knüppel erschlägt (V. 93 - 155). Als der Kaiser davon erfährt, ist er so erzürnt über den Tod seines Truchsesses, dass er Heinrich zum Tode verurteilt, wobei er ihm keine Möglichkeit gibt, seine Position darzustellen (V. 234 - 249). Dies wiederum versetzt Heinrich in Rage; er zieht den Kaiser am Bart über den Tisch und setzt ihm ein Messer an die Kehle (V. 264 - 323). Notgedrungen muss der Kaiser das Todesurteil zurücknehmen; jedoch untersagt er Heinrich, jemals wieder an den Hof zu kommen, woraufhin Heinrich nach Schwaben zurückkehrt. Der zweite Teil der Geschichte handelt dann von Heinrichs Zurückgewinnung der kaiserlichen Gnade. Die Ausführungen zeigen, wie hier im Zusammenhang mit der Festmahlszene narrativ eine Situation geschaffen wird, anhand derer sich beobachten lässt, was passiert, wenn die Tafelgemeinschaft mit einer Figur konfrontiert wird, die die streng regulierten Ablaufformen des höfischen Mahls nicht einhält, nämlich dies: Die im Mahl errichtete Wirklichkeit einer intakten Hofgesellschaft kollabiert und schlägt in Aggression und Gegnerschaft um, die eine Kette von Gewalttaten in Gang setzt. Der Text provoziert damit ein Nachdenken über das Verhältnis von ritualisierter Handlung, sozialer Ordnung und Gewaltregulierung. 26 Solche und ähnliche Begebenheiten sind in den Mahlszenen der mittelhochdeutschen Epik häufig zu beobachten. Die Texte schaffen damit eine metanarrative Ebene, auf der die Konstitutionsbedingungen höfischer Gesellschaft, ihre Labilität und Fragilität thematisiert und reflektiert werden. 27 Dabei können so gestaltete Mahlszenen zwar im lotmanschen Sinne als sujetträchtige Textelemente bezeichnet werden, ihre Funktion ist jedoch nicht zu ver- 25 Vgl. Konrad von Würzburg: Heinrich von Kempten. Der Welt Lohn. Das Herzmære. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausg. v. Edward Schröder. Übers., mit Anm. u. einem Nachwort vers. v. Heinz Rölleke, Stuttgart 1968, V. 60 - 70. Im Folgenden abgekürzt zitiert als ‹ Heinrich von Kempten › . 26 Vgl. Kellner, Beate: Der Ritter und die nackte Gewalt. Rollenentwürfe in Konrads von Würzburg ‹ Heinrich von Kempten › , in: Meyer, Matthias/ Schiewer, Hans- Jochen (Hgg.): Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag, Tübingen 2002, S. 361 - 384, hier S. 78 f. 27 Vgl. zu diesem Aspekt Bleuler, Identitätsbildung bei Tisch. 319 Aspekte einer Poetik des Alimentären wechseln mit Wolframs poetischem Verfahren der metaphorischen Andeutung von Sujet- und Handlungskonstellation in Mahlszenen. Auch wenn in der höfischen Epik jenseits von Wolframs Werk die Konstruktion von Sujet- und Handlungsoptionen in Mahlszenen nicht in der Profiliertheit auftritt, wie es z. B. bei der auf Gahmuret und Belakane verweisenden Reiher-Fisch-Metapher ( ‹ Parzival › V. 33,4) der Fall ist, zeigt sich dennoch, dass, wenn man diesen Aspekt einer Poetik des Alimentären als Interpretament der Texte hinzudenkt, sich oftmals interessante Interpretationsmöglichkeiten ergeben. Man denke z. B. an Konrads von Würzburg Verserzählung ‹ Die halbe Birne › (zweite Hälfte 13. Jahrhundert), in der sich das zu Beginn der Geschichte geschilderte Festessen zunächst im oben beschriebenen Sinn als der Ort wahrnehmen lässt, an dem die Krise des Helden ausgelöst wird. Denn der Anwärter auf die Braut, der Ritter Arnolt, begeht beim gemeinsamen Mahl mit der Königsfamilie einen Fauxpas, der schwerwiegende Folgen hat: nu h œ rent wie diu frische bire dô geteilet wart nâch gebiureschlîcher art, diu für den ritter wart geleit und für die juncfrouwen gemeit. die nam der unbedâhte helt und sneit die biren ungeschelt enzwei mit sînem mezzer. des wart im vil gehezzer des rîchen küniges tohter. erbeiten niht enmohter, biz er si schône besnite. er tat nach eines vrâzes site und warf si halben in den munt. die ander leite er ze stunt hin für die junkfrouwen. ( ‹ Die halbe Birne › V. 84 - 99) Nicht nur zerteilt Arnolt die Birne, die ihm und der Königstochter zur Nachspeise serviert wird, ohne sie zu schälen, sondern zu allem Übel wirft er sich auch noch einen Teil davon in den Mund, bevor er seine Tischdame kosten lässt ( ‹ Die halbe Birne › V. 96 - 99). Arnolt entpuppt sich damit als vrâz (V. 96), der keinen Anstand gegenüber Frauen besitzt. Es folgt seine öffentliche Verspottung durch die Prinzessin und sein Weggang vom Hof (V. 100 - 127). Der zweite Teil der Geschichte handelt dann von Arnolts Rückkehr an den Hof und seiner Rache an der Königstochter. 320 Aspekte einer Poetik des Alimentären Zwar ist das Mahl hier - ähnlich wie im oben beschriebenen Fall - der Ort, an dem der zentrale, die weitere Handlung bestimmende Konflikt zwischen den Akteuren ausbricht. Zugleich aber hat die Szene den Charakter einer metaphorischen Vorausdeutung der Handlung. Denn denkt man die in der zeitgenössischen Dichtung gehäuft auftretende, konventionalisierte erotischsexuelle Bedeutung des Birnenmahls als Deutungsrahmen hinzu (vgl. Kapitel II.4), dann nimmt Arnolts Fehlverhalten an der höfischen Tafel einen auf die Minne bezogenen Zeichencharakter an, aufgrund dessen die Darstellung seiner solipsistischen, gustativen Erfüllung zum Zeichen von selbstbezogener, unersättlicher sexueller Begierde wird. Das wiederum heißt, dass die Szene auf metaphorischer Ebene durchspielt, was beim zweiten Hofgang des Ritters, wenn auch mit vertauschten Rollen, in Handlung überführt und narrativiert wird. Denn im zweiten Teil der Geschichte geht es gerade darum, dass sich die Königstochter des als Toren verkleideten Ritters bemächtigt, um gegen dessen Willen ihre unbändige sexuelle Lust zu befriedigen, was zur Folge hat, dass sie nun diejenige ist, die anderntags (durch Arnolt, der als Ritter gekleidet auf den Turnierplatz zurückkehrt) öffentlich bloßgestellt wird (V. 290 - 397). Zwar ist Rüdiger Schnell darin zuzustimmen, dass der Text - ähnlich wie es für ‹ Heinrich von Kempten › festgestellt wurde - einen metanarrativen Diskurs zu den höfischen Benimmregeln inszeniert, indem die Handlungsstruktur die Frage provoziert, welche Personen mit welcher Berechtigung auf der Einhaltung einer bestimmten Tischregel bestehen dürfen, und damit einhergehend die Vorstellung hinterfragt wird, nach der feines Tischverhalten Ausdruck moralischer Exklusivität ist (vgl. Kapitel II.2). 28 Denkt man jedoch die metaphorische Lesart der Mahlszene hinzu, dann eröffnet sich eine zusätzliche Perspektive auf den Text. Dann nämlich nivelliert sich das vermeintliche Gefälle von ‹ kleinem › Fehltritt (Missachtung der höfischen Benimmregeln) versus ‹ großem › Vergehen (sexueller Missbrauch eines Toren), da dem auf der Handlungsebene dargestellten Missbrauch des vermeintlichen Toren durch die Prinzessin nun dessen eigene, im Birnenmahl metaphorisch angedeutete, selbstbezogene sexuelle Begierde spiegelbildlich gegenübersteht. So gesehen erweist sich an diesem Text, was Udo Friedrich als poetisches Merkmal spätmittelalterlicher Mären zu profilieren suchte, nämlich: dass sich die Texte über die symmetrische Kombination von topischen Figuren organisieren, die einmal in Metaphern übersetzt, dann wieder konkretisiert, in Handlung überführt, auftreten. Das Resultat dieses rhetorischen Verfahrens ist - so Friedrich - ein Wechselspiel von topischen, metaphorischen und narrativen Prozessen, das das auf der Handlungsebene dargestellte, oftmals 28 Vgl. Schnell, Mittelalterliche Tischzuchten, S. 147 - 149. 321 Aspekte einer Poetik des Alimentären tragische Geschehen unterminiert. 29 Dabei entstehen semiotisch kohärente Reihen, die ana- und kataphorische Relationen aufbauen, wie im vorliegenden Fall, wo die Mahlszene retrospektiv als metaphorische Vorausdeutung der anschließenden Sexualhandlung erscheint, gerade so, wie es für einzelne Episoden im ‹ Parzival › festgestellt wurde. Bildkoordinationen Die Frage nach poetischen Funktionen des Alimentären hat ein Spezifikum von Wolframs ‹ Parzival › sichtbar gemacht, das die Textkohärenz betrifft: nämlich dass alimentäre Motive und diese konstituierende semantische Wortfelder als Strukturierungselemente des Textes fungieren. Dieses Verfahren einer szenenübergeordneten Bildregie ist zentral für den poetischen Entwurf des Textes (vgl. Kapitel IV. 2.3). Aus der hier eingenommenen Perspektive auf die Nahrungsthematik hat sich das Bildfeld der Jagd als dominantes Paradigma erwiesen. So war zu sehen, dass die mit der Jagd- und Vogelthematik verbundenen Wörter und Wortfelder (die Nennung von Tierarten, Jagdmethoden usw.) im Text nicht willkürlich auftreten, sondern jeweils an bestimmte Haupthandlungsteile (Gahmuret-, Parzival-, Gawan- oder Feirefiz-Handlung) gekoppelt sind, wo sie unabhängig von Figuren, Sujet- und Handlungskonstellationen und unabhängig von der Textebene (histoire, discours) immer wieder auftreten. Auf diese Weise nehmen sie den Charakter von Textsignalen an, die den einzelnen Handlungssträngen ein bestimmtes Profil verleihen, ihren inneren Zusammenhang intensivieren und sie dadurch von Handlungsteilen mit abweichender Bildsprache abheben bzw. sie mit Handlungsteilen, die eine korrespondierende Bildsprache aufweisen, verbinden (vgl. Kapitel IV. 2.3.1). Solche textübergreifenden Bildkoordinationen konnten für die sonstigen alimentären Bereiche nicht entdeckt werden. Stattdessen fiel auf, dass einzelne Nahrungsaspekte genau solche Handlungsteile in Beziehung zueinander setzen, die nicht über den Bildbereich der Jagd verklammert sind. So z. B. ist die Gahmuret-Handlung (Buch I - II) mit dem ersten Teil der Gawan- Handlung (Buch VII), die im Unterschied zur Gawan-Handlung aus Buch - VIII nicht über Jagd- und Vogelmotive an die Gahmuret-Handlung (Buch I - II) rückgebunden ist, über das Bildfeld ‹ Nahrungsaufnahme und Kampf › verbunden (vgl. Kapitel IV. 2.3.2). 29 Vgl. Friedrich, Udo: Zur Poetik des Liebestods im ‹ Schüler von Paris (B) › und in der ‹ Frauentreue › , in: Egidi, Margreth/ Lieb, Ludger u. a. (Hgg.): Liebesgaben. Kommunikative, performative und poetologische Dimensionen in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Berlin 2012 (Philologische Studien und Quellen 240), S. 239 - 254. 322 Aspekte einer Poetik des Alimentären Dieser Befund deutet darauf hin, dass in Episoden, in denen die Jagd- und Vogelthematik schwach ausgebildet ist bzw. gar nicht vorkommt, andere Bildkoordinationen wirksam sind. Es wäre daher Aufgabe zukünftiger Forschung, andere Motivkomplexe im ‹ Parzival › (z. B. die Würfel- und Spielthematik, Aspekte der belebten und unbelebten Natur, kosmische Erscheinungen) in Hinblick auf solche Verknüpfungen zu untersuchen. Als Vorbild für das poetische Verfahren der Bildkoordination kommt nicht Wolframs Hauptvorlage, Chrétiens ‹ Perceval › , infrage, sondern die Nebenquelle des ‹ Erec › Hartmanns von Aue. Für diesen Text hat die Forschung festgestellt, dass er, anders als seine altfranzösische Vorlage ‹ Erec et Enide › , Leitmotive und -begriffe ausprägt, die auf der Ebene der Bildsprache ebenso wie als Elemente der Handlung auftreten, wobei sich die einzelnen Motivkomplexe jeweils szenisch geschlossenen Einheiten zuordnen lassen. 30 Dieser Befund lässt es denkbar erscheinen, dass der ‹ Erec › nicht nur auf die Handlungsführung der letzten ‹ Parzival › -Bücher eingewirkt hat, wie in der Forschung angenommen wird, 31 sondern auch eine Vorbildfunktion für dieses poetische Verfahren hatte. 30 Vgl. Ruberg, Bildkoordinationen. 31 Vgl. Bumke, Wolfram von Eschenbach, S. 246. 323 Aspekte einer Poetik des Alimentären VI. Literaturverzeichnis / Abbildungsnachweise 1. Textausgaben und Quellen 1.1 Antike Aristoteles : Die Nikomachische Ethik. Hg. u. übers. v. Olof Gigon , München 2 1972. Athenaios : Deipnosophistae. Das Gelehrtenmahl. 5 Bde. Eingel. u. übers. v. Claus Friedrich . Komm. v. 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Fritz Peter Knapp , Berlin/ New York 2006. Balthasar, Hans Urs von : Die großen Ordensregeln. Basilius, Augustinus, Benedikt, Franziskus, Ignatius von Loyola, Trier 6 1988 (Lectio spiritualis 12). Benedictus de Nursia : Die Benediktusregel. Regula Benedicti. Lateinisch/ Deutsch. Hg. im Auftrag der Salzburger Bischofskonferenz, Beuron 1992. Biterolf und Dietleib. Mit Benutzung der von Franz Roth gesammelten Abschriften und Vergleichungen. Hg. v. Oskar Jänike, Berlin 1866 ( Deutsches Heldenbuch 1 ). Chrétien de Troyes : Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal. Der Percevalroman oder Die Erzählung vom Gral. Altfranzösisch/ Deutsch. Übers. u. hg. v. Felicitas Olef-Krafft , Stuttgart 2009. Daz Buoch von guoter Spise. Aus der Würzburg-Münchener Handschrift. Hg. v. Hans Hajek , Berlin 1958 (Texte des späten Mittelalters 8). Daz buoch von guoter spîse. Abbildungen zur Überlieferung des ältesten deutschen Kochbuchs. Hg. v. Gerold Hayer , Göppingen 1976 (Litterae 45). 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Pal. germ. 848; Persistente URL: http: / / digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/ cpg848 URN: urn: nbn: de: bsz: 16diglit-22223. 347 Abbildungsnachweise Register der untersuchten Texte Antike Aristoteles : Die Nikomachische Ethik 81 Die Heilige Schrift des Alten und des Neuen Testaments 58 - 59, 101, 148 - 149, 167 Ovidius Naso, P. : Amores 48, 68 - 69, 72, 84 - 85, 94 Ovidius Naso, P. : Ars amatoria 48 - 49, 68 - 70, 84 - 85, 93 - 94, 102 - 103, 151 Mittelalter Andreas Capellanus : De amore 49 - 50, 69, 84 - 86, 103 Die Regeln des Heiligen Augustinus 81 Benedictus de Nursia : Die Benediktusregel 75 Biterolf und Dietleib 68 Chrétien de Troyes : Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal 10 - 12, 105 - 107, 118, 128 - 129, 137 - 138, 144, 160, 168, 171, 174, 181, 200 - 201, 209, 218 - 219, 227 - 228, 236 - 237, 300, 306 - 307, 323 Daz Buoch von guoter Spise 92 - 94, 97 Das Häselein 51 ‚ Der keiser und der kunige buoch ‘ oder die sogenannte Kaiserchronik 160 Der Kürenberger 51 Der Reiher 51 Des Baurn Flaischgaden Vasnacht 77 Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts 87 Die Gedichte vom Rosengarten zu Worms 67 - 68 Die Rossauertischzucht 238 Die Schweizer Minnesänger 87 Die Tischzucht aus dem Liederbuch der Clara Hätzlerin 43, 65 - 66, 71, 83 - 84 Disch-zucht gemert und gebessert 65, 71, 79, 83 Ein spruch der ze tische kêrt 65 - 66, 71 Facetus 65 - 66, 71 Fleck, Konrad : Flore und Blanscheflur 85, 87, 95 - 96 Gottfried von Straßburg : Tristan 5, 52, 86 - 87, 94 - 95, 171, 196, 233, 307 - 311 Guillaume de Lorris/ Jean de Meun : Der Rosenroman 49, 69 - 72, 84 - 86, 103 Grosseteste, Robert : Rules 64 Hartmann von Aue : Das Büchlein 94 Hartmann von Aue : Erec 73 - 74, 77, 98 - 99, 156 - 159, 242, 263 - 264, 300, 323 Heinrich von dem Türlin : Die Krone 67, 160 Heinrich von Veldeke : Eneasroman 98 Johan Hadloub 96 Johann von Würzburg : Wilhelm von Österreich 258 Kaiser Friedrich II.: Über die Kunst mit Vögeln zu jagen 43, 101 - 102, 132 Konrad von Haslau : Der Jüngling 70 Konrad von würzburg : Heinrich von Kempten 318 - 321 Konrad von Würzburg: Partonopier und Meliur 85, 94 Konrad von Würzburg : Engelhard 161 Konrad von Würzburg [? ]: Von dem Ritter mit der halben Birn 74, 97, 320 - 321 Lohengrin 67 Mai und Beaflor 160 Neidhart 94, 96, 314 - 316 Partonopier und Meliur 85, 94 Pleier, Der: Meleranz 67, 85, 87, 160 Pleier, Der : Tandareis und Flordibel 87, 161 Rudolf von Ems : Willehalm von Orlens 258 Seifried Helbling 91 Steinmar 96, 314 - 315 Stricker, Der : Die Minnesänger 4 Stricker, Der : Der Weinschwelg 230, 314 Tannhäuser : Tischzucht 70 - 71, 79, 83 Thesmophagia 65 - 67, 70 - 71, 79 - 81, 83 - 84 Thomasin von Zerklaere : Der Welsche Gast 50 - 51, 65 - 66, 71, 73, 79, 84 Titurel 42, 261, 263, 266 Ulrich von Liechtenstein : Frauenbuch 50 - 51, 98 Ulrich von Türheim : Rennewart 92 Vriolsheimer, Der : Der entlaufene Hasenbraten 51 Wirnt von Grafenberg : Wigalois 34 - 35 Wolfram von Eschenbach : Parzival Buch I: 15 - 18, 117 - 118, 122 - 123, 198 - 199, 205, 289 - 291, 299, Buch II: 111 - 112, 114 - 116, 163 - 164, 171, 196, 201, 207, 236, 243 - 244, 249, 299, Buch III: 34, 124 - 126, 156 - 159, 164 - 166, 196 - 197, 205 - 208, 236 - 241, 244, 263 - 266, 291 - 293, Buch IV: 126 - 128, 141 - 142, 147 - 150, 166 - 168, 201 - 202, 209 - 214, 217 - 218, 244 - 245, 253 - 255, 267 - 268, 291 - 293, Buch V: 129 - 131, 136 - 137, 142 - 144, 242, 265 - 266, 291 - 294, Buch VI: 291 - 294, Buch VII: 299, Buch VIII: 18 - 19, 112 - 113, 131 - 135, 151 - 155, 199 - 200, 289 - 291, Buch IX: 242 - 243, 245, 291 - 293, Buch X: 113 - 114, 135 - 136, 206, Buch XI: 350 Register der untersuchten Texte 206, 293 - 294, Buch XII: 146 - 147, Buch XIII: 123 - 124, 257 - 259, Buch XIV: - , Buch XV: 146, Buch XVI: 214 - 215 Wolfram von Eschenbach : Willehalm 42 - 43, 85, 160, 263, 268 - 278, 313 - 314, 317 - 318 351 Register der untersuchten Texte Bibliotheca Germanica Handbücher, Texte und Monographien aus dem Gebiete der germanischen Philologie herausgegeben von Burkhard Hasebrink, Susanne Köbele und Ursula Peters Aktuelle Bände: Frühere Bände finden Sie unter: http: / / www.narr-shop.de/ reihen/ b/ bibliothecagermanica.html 35 Christine Ruhrberg Der literarische Körper der Heiligen Leben und Viten der Christina von Stommeln (1242-1312) 1995, X, 488 Seiten €[D] 60,- ISBN 978-3-7720-2026-1 36 Michael Stolz ‹Tum› - Studien Zur dichterischen Gestaltung im Marienpreis Heinrichs von Mügeln 1996, XII, 522 Seiten €[D] 60,- ISBN 978-3-7720-2027-8 37 Joachim Theisen Arigos Decameron Übersetzungsstrategie und poetologisches Konzept 1996, IV, 670 Seiten €[D] 99,- ISBN 978-3-7720-2028-5 38 Susanne Bürkle Literatur im Kloster Historische Funktion und rhetorische Legitimation frauenmystischer Texte des 14. Jahrhunderts 1998, VIII, 368 Seiten €[D] 69,- ISBN 978-3-7720-2029-2 39 Henrike Lähnemann Der ‹Renner› des Johannes Vorster Untersuchungen und Edition des cpg 471 1998, X, 532 Seiten €[D] 93,- ISBN 978-3-7720-2030-8 40 Albrecht Hausmann Reinmar der Alte als Autor Untersuchungen zur Überlieferung und zur programmatischen Identität 1999, X, 371 Seiten €[D] 89,- ISBN 978-3-7720-2031-5 41 Gert Hübner Lobblumen Studien zur Genese und Funktion der «Geblümten Rede» 2000, X, 504 Seiten €[D] 89,- ISBN 978-3-7720-2032-2 42 Johanna Thali Beten - Schreiben - Lesen Literarisches Leben und Marienspiritualität im Kloster Engelthal 2003, X, 385 Seiten €[D] 72,- ISBN 978-3-7720-2033-9 43 Susanne Köbele Frauenlobs Lieder Parameter einer literarhistorischen Standortbestimmung 2003, VIII, 286 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-2034-6 44 Gert Hübner Erzählform im höfischen Roman Studien zur Fokalisierung im «Eneas», im «Iwein» und im «Tristan» 2003, X, 458 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-2035-3 45 André Schnyder Das geistliche Tagelied des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit Textsammlung, Kommentar und Umrisse einer Gattungsgeschichte 2004, XIV, 832 Seiten €[D] 124,- ISBN 978-3-7720-2036-0 46 Jörg Seelhorst Autoreferentialität und Transformation Zur Funktion mystischen Sprechens bei Mechthild von Magdeburg, Meister Eckhart und Heinrich Seuse 2003, 410 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-2037-7 47 Michael Stolz Artes-liberales-Zyklen Formationen des Wissens im Mittelalter (2 Bände) 2003, XX, 992 Seiten €[D] 248,- ISBN 978-3-7720-2038-4 48 Bruno Quast Vom Kult zur Kunst Öffnungen des rituellen Textes in Mittelalter und Früher Neuzeit 2003, 237 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8019-7 49 Sandra Linden Kundschafter der Kommunikation Modelle höfischer Kommunikation im ‹Frauendienst› Ulrichs von Lichtenstein 2004, X, 451 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8045-6 50 Andreas Kraß Geschriebene Kleider Höfisches Identität als literarisches Spiel 2006, X, 421 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8129-3 51 Annette Gerok-Reiter Individualität Studien zu einem umstrittenen Phänomen mittelhochdeutscher Epik 2006, X, 350 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8169-9 52 Henrike Manuwald Medialer Dialog Die «Große Bilderhandschrift» des Willehalm Wolframs von Eschenbach und ihre Kontexte 2008, X, 638 Seiten €[D] 148,- ISBN 978-3-7720-8260-3 53 Justin Vollmann Das Ideal des irrenden Lesers Ein Wegweiser durch die ‹Krone› Heinrichs von dem Türlin 2008, X, 272 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8311-2 54 Bernd Bastert Helden als Heilige Chanson de geste-Rezeption im deutschsprachigen Raum 2010, X, 492 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8356-3 55 Balázs J. Nemes Von der Schrift zum Buch - vom Ich zum Autor Zur Text- und Autorkonstitution in Überlieferung und Rezeption des ›Fließenden Lichts der Gottheit‹ Mechthilds von Magdeburg 2010, X, 555 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8362-4 56 Tanja Mattern Literatur der Zisterzienserinnen Edition und Untersuchung einer Wienhäuser Legendenhandschrift 2011, X, 446 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8375-4 57 Rachel Raumann Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im «Prosa-Lancelot» 2010, X, 330 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8376-1 58 Christiane Krusenbaum-Verheugen Figuren der Referenz Untersuchungen zu Überlieferung und Komposition der ‹Gottesfreundliteratur› in der Straßburger Johanniterkomturei zum ‹Grünen Wörth› 2013, X, 685 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8476-8 59 Stefan Matter Reden von der Minne Untersuchungen zu Spielformen literarischer Bildung zwischen verbaler und visueller Vergegenwärtigung anhand von Minnereden und Minnebildern des deutschsprachigen Spätmittelalters 2013, XII, 569 Seiten, 48 Farbtafeln €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8477-5 60 Astrid Lembke Dämonische Allianzen Jüdische Mahrtenehenerzählungen der europäischen Vormoderne 2013, 400 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8498-0 61 Coralie Rippl Erzählen als Argumentationsspiel Heinrich Kaufringers Fallkonstruktionen zwischen Rhetorik, Recht und literarischer Stofftradition 2014, XII, 390 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8528-4 62 Anna Kathrin Bleuler Essen - Trinken - Liebe Kultursemiotische Untersuchung zur Poetik des Alimentären in Wolframs ‹Parzival› 2016, X, 351 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8541-3 Nahrungsaufnahme und Liebe sind menschliche Bedürfnisse, die in kulturellen Praktiken ebenso wie in Kunst und Literatur oftmals eine enge Verbindung eingehen. Das Buch behandelt diesen Bereich erstmals in Bezug auf die Literatur des Mittelalters. Im Zentrum steht Wolframs von Eschenbach ‹Parzival›, in dem sich die Nahrungsthematik wie ein Leitmotiv durch den Text zieht. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass Essens- und Trinkensdarstellungen in spezifischer Weise an der Konstituierung der literarischen Entwürfe von höfischer Minne mitwirken, indem sie als Vermittlungsformen fungieren, die die Semantik des höfischen Frauendiensts mit antagonistischen Tendenzen verbinden: mit Tod, Gewalt, Körper, Natur und Sexualität. Aus diesen semantischen Potenzialen wird im ‹Parzival› poetisches Kapital geschlagen. Alimentäre Handlungen und Bildlichkeiten tragen zur Zeichnung von Figuren und ihren Beziehungen, von Orten und Handlungen bei. Darüber hinaus haben sie Effekte auf die Gestaltung des Erzählens von Minne, indem z. B. in Minnemahlszenen Sujet- und Handlungsoptionen entworfen werden, die sich retrospektiv entweder als symbolische Vorausdeutung oder als abgewiesene Erzählalternative erweisen. Die Untersuchung der Verbindung von Nahrungsaufnahme und Liebe verschafft Zugang zu Kompositionsprinzipien des Romans, die in der Forschung bislang nicht berücksichtigt wurden.