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Scurrilitas

2017
978-3-7720-5543-0
A. Francke Verlag 
Hans Rudolf Velten

Die interdisziplinäre Studie befasst sich mit komischen Inszenierungen des menschlichen Körpers in der Vormoderne. Sie beschreibt Ansätze zu einer Theorie des Lachens über körperliche Komik; sie zeichnet Aufgaben und Funktionen von Possenreißern (scurrae) im Übergang von der antiken zur christlich-mittelalterlichen Kultur nach; sie arbeitet verschiedene Handlungsmuster körperlicher Komik in theatralen Gattungen wie Neidhart- und Fastnachtspiel, Geistlichem Spiel, Farce und Commedia dell'arte sowie in Erzähltexten der deutschen und europäischen Schwank- und Novellenliteratur des Spätmittelalters heraus. Im Zentrum steht ein performatives Verständnis dieser historischen Komikformen, das die Wechselbeziehung des komischen Vorgangs mit dem gemeinschaftlichen Lachen der Rezipienten profiliert und die grundlegende Verkörperung komischer Semantik in Aufführungen und Texten aufzeigt. Forschungsgeschichtlich erweitert sie das bislang geltende Paradigma sprachlicher Komik auf den Körper und macht seine Bedeutung für die Literatur- und Theatergeschichte in der Epoche zwischen 1300 und 1550 greifbar.

ISBN978-3-7720-8543-7 Die interdisziplinäre Studie befasst sich mit komischen Inszenierungen des menschlichen Körpers in der Vormoderne. Sie beschreibt Ansätze zu einer Theorie des Lachens über körperliche Komik; sie zeichnet Aufgaben und Funktionen von Possenreißern (scurrae) im Übergang von der antiken zur christlich-mittelalterlichen Kultur nach; sie arbeitet verschiedene Handlungsmuster körperlicher Komik in theatralen Gattungen wie Neidhart- und Fastnachtspiel, Geistlichem Spiel, Farce und Commedia dell’arte sowie in Erzähltexten der deutschen und europäischen Schwank- und Novellenliteratur des Spätmittelalters heraus. Im Zentrum steht ein performatives Verständnis dieser historischen Komikformen, das die Wechselbeziehung des komischen Vorgangs mit dem gemeinschaftlichen Lachen der Rezipienten profiliert und die grundlegende Verkörperung komischer Semantik in Aufführungen und Texten aufzeigt. Forschungsgeschichtlich erweitert sie das bislang geltende Paradigma sprachlicher Komik auf den Körper und macht seine Bedeutung für die Literatur- und Theatergeschichte in der Epoche zwischen 1300 und 1550 greifbar. Velten Scurrilitas BIBL. GERM. 63 Hans Rudolf Velten Scurrilitas Das Lachen, die Komik und der Körper in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit Bibliotheca Germanica HANDBÜCHER, TEXTE UND MONOGRAPHIEN AUS DEM GEBIETE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON UDO FRIEDRICH, BURKHARD HASEBRINK UND SUSANNE KÖBELE 63 Hans Rudolf Velten Scurrilitas Das Lachen, die Komik und der Körper in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. 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Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper . . . . . Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit: historische und kulturelle Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturwissenschaftliche Positionen: Komik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturwissenschaftliche Positionen: Lachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die doppelte Leerstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bachtins ‚grotesker Körper‘ als Textmetapher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rituelles Lachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. ‚Scurrilitas‘: Transgressionen des Possenreißers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. ‚Scurra‘ und ‚scurrilitas‘: Begriffs- und diskursgeschichtliche Aspekte . . . . . . . . Das Lachen und der Körper in der theologischen Literatur . . . . . . . . . . . . Scurra und scurrilitas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gefahr des Lachens und die Macht des Diskurses im Mittelalter . . . . 4. ‚Ioculatores‘ und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter . . . . . . . 4.1. Der ‚ioculator‘ als Unterhalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Körperinszenierungen als Lachanlässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hofnarren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schalksnarren als städtische Unterhalter: Spottturniere und Pritschmeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers im Schauspiel . . . . . . . Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität . . Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel . . . . . . Neidharts Rache: der Possenreißer und die Freude am Tanzen und Prügeln 5.4. Farce und Sottie: Körper, Sprache und Lachen in der ‚actio‘ . . . . . . . . . . . Narren im Fastnachtspiel: Grotesksprünge als Grotesksprüche . . . . . . . . 5.6. Die lazzi der ‚Commedia dell’arte‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 326 6.1. 326 6.2. 346 6.3. 380 404 436 469 7.1. 473 488 I. 488 II. 495 534 Erzählung, Imagination und Lachen - Die Literarisierung des komischen Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers: Performance, Imagination und Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur . . . . . . . . . . . . . . Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im ‚Neithart Fuchs‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5. Der Schwankheld als ‚scurra‘: Körperkomik und Ritual im ‚Pfaffen vom Kalenberg‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. ‚Scurrilitas‘ im 16. Jahrhundert: ein Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tendenzen der Diskursivierung und Semantisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen und Zeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 6 Vorwort Diese Studie wurde im Wintersemester 2008 / 2009 von der Philosophischen Fakultät II der Humboldt-Universität zu Berlin als Habilitationsschrift angenommen. Sie wurde 2016 / 17 für den Druck grundlegend überarbeitet. Wichtige theoretische und methodische Anstöße verdankt sie dem Berliner DFG -Sonderforschungsbereich Kulturen des Performativen. Die mehrjährige interdisziplinäre Zusammenarbeit dort prägte sie nachdrücklich. Fachliche Anregungen erfuhr sie insbesondere durch die Mitarbeit im mediävistischen Projekt zum Lachen in Mittelalter und Früher Neuzeit, das von Werner Röcke und Hans-Jürgen Ba‐ chorski geleitet wurde. Ihnen möchte ich an erster Stelle danken: Werner Röcke, der die Studie von Beginn an unterstützt und sie gegen immer wieder aufkommende Zweifel verteidigt hat, Hans-Jürgen Bachorski, leider viel zu früh verstorben, der für den „Körper“ in dieser Arbeit verantwort‐ lich ist, und Katja Gvozdeva, die den germanisch-romanischen Austausch der Untersu‐ chung beförderte. Weitere Berliner Kolleginnen und Kollegen haben in unterschiedlicher Weise zur Entstehung der Studie beigetragen: Erika Fischer-Lichte, Sprecherin von Kulturen des Performativen, mit ihren Überlegungen zu Begriff und Methode der Performativität, Jens Roselt, Doris Kolesch und Clemens Risi in Gesprächen zu aufführungs- und theaterhisto‐ rischen Zusammenhängen, Gernot F. Müller mit Hinweisen auf die Romania, Ekkehard König und Christoph Wulf in Debatten um Begriffe und Theorien. Ihnen danke ich ebenso wie den Freunden und Kollegen aus der germanistischen Mediävistik, die meine Arbeit über die Jahre hinweg begleitet und sie in vielfacher Hinsicht angeregt haben: Sebastian Coxon und Stefan Seeber in Diskussionen über das Lachen der Vormoderne, Regina Toepfer und Cornelia Herberichs im Austausch über das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Schauspiel, Jan-Dirk Müller und Gerhard Wolf in frühen Debatten über Lachgemein‐ schaften, Christian Kiening für methodische Ratschläge zur Komik im Rahmen des SFB , Dietmar Peschel, Florian Kragl, Christiane Witthöft und Frimi Dimpel für ihre Anmer‐ kungen anlässlich eines Erlanger Vortrags zur Komik des Körpers, Ruth von Bernuth für den Austausch zu Fragen der Narrheit. Mit einigen an Lachen und Komik interessierten Neugermanisten und Historikern habe ich ebenfalls gern diskutiert: mit Uwe Wirth als Gast in meiner Kölner Forschungsklasse zur performativen Komik, mit Tom Kindt in einer lei‐ denschaftlichen Debatte über Humour Research auf dem Freiburger Germanistentag, mit Gerd Althoff und Jean-Claude Schmitt auf den Berliner Tagungen Lachgemeinschaften und Medialität der Prozession, mit Claudia Benthien und Doerte Bischoff in wiederkehrenden Tagungs- und Cafégesprächen. Großer Dank gebührt jenen, die sich mit der Studie selbst beschäftigt, sie gelesen und begutachtet und mir Ratschläge für die Überarbeitung gegeben haben. Dazu gehören in erster Linie Ursula Peters und Susanne Köbele, denen ich nicht allein für eine akribische und kritische Lektüre, sondern auch für die Aufnahme in die Reihe Bibliotheca Germanica herzlich danke. Auch bedanke ich mich den beiden anderen Reihenherausgebern, Hubert Herkommer und Udo Friedrich, dessen Mahnung, das Buch müsse jetzt endlich auf den Markt, zur rechten Zeit kam. Weitere Leser und Leserinnen, denen ich danken möchte, sind Thomas Hack, dessen Nachfragen zur Einleitung mir unvergesslich bleiben, Antonio Piras, der mit seiner großen Kenntnis der patristischen Literatur das dritte Kapitel Korrektur gelesen hat, und Anna Campanile, die mich bei allen schwierigen Fragen beraten hat. Dank auch an meine Siegener Korrekturleser/ innen, Nathanael Busch und Anna Campanile. Ka‐ tharina Goubeaud, Theresa Specht und Monika Traut. Ein steter Begleiter dieser Studie war mein kürzlich verstorbener Doktorvater Helmut Brackert. Ferner möchte ich den Mitarbeitern der Staatsbibliothek zu Berlin (Ost und West) sowie der Herzog August-Bibliothek Wolfenbüttel für ihre Hilfsbereitschaft danken; ebenso Justus Wittich für die Bereitstellung eines Arbeitszimmers in der Niederurseler Begegnungsstätte „Der Hof “ in Frankfurt, wo 2007 das Kapitel 6.4. entstanden ist. Schließlich danke ich dem Francke Verlag und Lektor Tilmann Bub für seine unendliche Geduld bei der Fertigstellung des Manuskripts sowie für die immer freundliche und hilfs‐ bereite Kommunikation mit ihm. Der Geschwister Boehringer Stiftung Ingelheim danke ich für die großzügige Unterstützung der Drucklegung. Siegen und Frankfurt a. M., im April 2017 Hans Rudolf Velten Vorwort 8 Für Anna und Carlo 1 Homer: Ilias, V. 578-79 u. 597-600. Zit. nach der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel. Einleitung Das Hinken des Hephaistos Am Ende des ersten Gesanges der Ilias, an prominenter Stelle, erschallt das „unauslöschliche Gelächter“ (asbestos gelos) der Götter auf dem Olymp. Diese hatten sich - zum ersten Mal im homerischen Epos - versammelt, um das gemeinsame Mahl einzunehmen. Doch gibt es einen Anlass zum Streit: alle warten auf Zeus, der sich wegen eines Stelldicheins mit Thetis verspätet und von der eifersüchtigen Hera deswegen bei seiner Ankunft zur Rede gestellt wird. Zeus erwidert, sie müsse nicht alles wissen. Als sie widerspricht - es geht in Wirk‐ lichkeit um das Schicksal der Griechen und Troer - gemahnt er sie mit offener Drohung zum Schweigen. Alle sind betroffen; man hat noch nichts gegessen und muss diese peinliche Situation über sich ergehen lassen. In diesem Moment erhebt sich Hephaistos, Gott der Schmiedekunst und Sohn der Hera, und hält eine kleine Rede, halb zur Mutter, halb zu den Anwesenden gewandt, über die Unberechenbarkeit des Zeus, die er am eigenen Leib hatte spüren müssen. Er mahnt Hera zur Nachsicht, mit dem Hinweis auf die geringe Bedeutung der Menschendinge, und beschwört die Eintracht im Olymp: „Nichts ja geneußt man mehr von der Freude des Mahls, denn es wird je länger je ärger.“ Daraufhin beginnt er, der ganzen Götterversammlung reihum Nektar auszuschenken, was diese mit dem bekannten home‐ rischen Lachen quittiert: Jener schenkte nunmehr auch der übrigen Götterversammlung Rechts herum, dem Kruge den süßen Nektar entschöpfend Doch unermessliches Lachen erscholl den seligen Göttern Als sie sahn, wie Hephästos in emsiger Eil‘ umherging. 1 Worüber lachen die Götter hier? Ist es die Erleichterung über den beendeten Zank und den Beginn des Mahls, ein - mit Bachtin gesprochen - festliches Lachen, das Hierarchien löst? Ist es der Kontrast zwischen dem jetzigen, friedensstiftenden, und dem vergangenen Han‐ deln des Schmiedes, als er sich auf die Seite seiner Mutter geschlagen hatte und dafür - was allen bekannt ist - von Zeus fürchterlich bestraft wurde, gewissermaßen eine Hand‐ lungs-Inkongruenz, die seine Angst vor dem Göttervater offen legt? Oder ist das Lachen hier ambivalentes Zeichen für das weitere Schicksal der Akteure auf Erden? Sicherlich sind solche Vermutungen nicht falsch. Doch bei näherer Betrachtung des Verses wird deutlich, dass zunächst etwas anderes im Vordergrund steht, nämlich die Wahrnehmung einer körperlichen Szene: die Götter sahen, wie Hephaistos in emsiger Eil umherging. Sie lachen somit über den motorischen Vorgang des eilfertigen Ausschenkens durch den Schmied, der für diese Aufgabe denkbar schlecht gerüstet ist: er hinkt nämlich. Und wie der Hinkende rechts herum geht und dabei Nektar schöpft, zu schnell für seine körperliche Behinderung, löst sich die gereizte Spannung auf dem Olymp schlagartig auf 2 In Übertragung des Modells der performativen Herstellung von Geschlecht ließe sich auch für kör‐ perliche Behinderungen sagen, dass sie als ein „Prozeß der Materialisierung, der im Laufe der Zeit stabil wird, so daß sich die Wirkung von Begrenzung, Festigkeit und Oberfläche herstellt, den wir Materie nennen“, zu betrachten wären. Unter Materialisierung versteht Butler die sedimentierte Wirkung einer andauernd wiederholenden oder rituellen Praxis. Vgl. Butler, Judith: Körper von Ge‐ wicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt a. M. 1997, S. 32. 3 Vgl. Garland, Robert: The Mockery of the Deformed and Disabled in Graeco-Roman Culture. In: Laughter down the centuries. Vol. I. Hg. von Siegfried Jäkel u. Asko Timonen. Turku 1994, S. 71-84. Garland führt eine Reihe griechischer und römischer Autoren und Textstellen an, um zu belegen, dass Gelächter über Verkrüppelung und Hässlichkeit sowohl in Alltagspraktiken als auch in der Komödie als üblich und zulässig beurteilt wurde. und schlägt in asbestos gelos um, ein unvorhersehbares Lachen aller, das zum Mahl überleitet und Gemeinschaft unter den Göttern stiftet: „Also den ganzen Tag bis spät zur sinkenden Sonne, schmausten sie, und nicht mangelt ihr Herz des gemeinsamen Mahles …“. Auch Musik hören die Götter und den Gesang der Musen, und als es Nacht wird, legt sich Zeus sogar zu seiner Gattin schlafen. Das von Hephaistos ausgelöste Lachen hat obsiegt, es hat Wirklichkeit verändert. Das Verlachen des Hinkenden zieht die gesamte negative Energie der vorherigen Szene auf sich und lässt sie sich entladen. Doch die sozialen Bedingungen des gemeinschaftlichen Auslachens stehen bei dieser Szene nicht im Vordergrund: Hephaistos ist fest in die Ge‐ meinschaft der Götter integriert. Die Frage lautet deshalb: wie ist das Lachen über seinen Körper zu verstehen? Wird der Schmied im Moment unvorsichtiger Bewegung Opfer von Schadenfreude, einer Schadenfreude, welcher der deformierte und defizitäre Körper als ein performativer Effekt sich wiederholender Normzuschreibungen zugrunde liegt (wie Judith Butler sagen würde), 2 oder hat Hephaistos die körperliche Materialisierung des Hinkens mit seinem Auftritt erst in Szene gesetzt? Ist er unfreiwilliger Sündenbock oder listiger Spaßmacher? Die Frage umfasst das weite Spannungsfeld von körperlicher Komik und kann wegen der unklaren Vorgeschichte der Figur des Gottes nicht vollständig beantwortet werden. In jedem Fall knüpft das Gelächter an die soziale Praxis im Altertum an, behinderte und kör‐ perlich entstellte Personen als Zielscheibe der Verspottung zu gebrauchen und dies mit der Hinführung zu einem sozialen Nutzen zu rechtfertigen. 3 Es wären somit die anwesenden Götter, die bei ihrer Wahrnehmung des hinkenden Schmiedes das Ritual des Verlachens als Ausweg aus der Situation gewählt hätten. Vieles spricht aber dafür, dass es sich hier um ein kunstfertiges Verfahren handelt, die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper zu lenken, eine Fähigkeit zur Herstellung einer lächerlichen Szene mit theatralen Mitteln, die dem strategischen Ziel dient, die peinliche Situation zu entschärfen und Frieden herzustellen. Das bringt Hephaistos in die Rolle des Possenreißers, desjenigen, der absichtlich mit seinen körperlichen Mängeln ‚auftritt‘ und somit Gelächter hervorrufen kann - was den kalku‐ lierten Nutzen der Schadenfreude nicht ausschließt. Hephaistos wird schließlich als der hinkende Künstler bezeichnet, der mit erfindungsreichem Verstande auch die Paläste der Götter gebaut hat. Einleitung 12 4 Nach Helmuth Plessner gehört zum Lachen ein Anlass: „Zum Lachen (…) gehört (…) die sinnvolle und sinnbewußte Beziehung der eruptiv ausbrechenden, zwangshaft abrollenden, symbolisch un‐ geprägten Äußerung auf einen Anlass.“ Plessner, Hellmuth: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens. (1941). In: H. P.: Ausdruck und menschliche Natur. Gesammelte Schriften VII. Hg. von Günter Dux, Odo Marquard u. Elisabeth Stöker. Frankfurt a. M. 2003, S. 201-388, hier S. 227. 5 Die geschicht des pfarrers vom Kalenberg. In: Narrenbuch. Hg. von Felix Bobertag. Berlin / Stuttgart 1884, S. 7-86. (V. 1697-1708). Der Ausgabe liegt der Augsburger Druck von 1473 zu Grunde. 6 Und dies, obschon die symbolische Mischung und Umkehrung der Stände auf dem Mistwagen, da nicht der Adel, sondern der Klerus obenauf sitzt, scheinbar kein Missvergnügen auslöst. Dass damit tatsächlich auch die Verkehrung der Stände gemeint ist, zeigen das „Übersehen“ und von oben He‐ rabschauen. Der Körper als „Lachanlass“ - Helmuth Plessner hat diesen salienten Begriff geprägt 4 - schließt jedoch die Anlagerung von kognitiven und sozialen Widersprüchen nicht aus: Körper und Lachen, Konflikt und Macht, Vergangenheit und Zukunft sind in dieser Passage aufs engste miteinander verbunden. Hephaistos trägt die Wirkung der Gewalt des Zeus als bleibenden körperlichen Makel, ist somit Sinnbild für die strafende Macht des Göttervaters, welcher die anderen noch nicht ausgeliefert waren, aber die Angst davor gleichwohl kennen. Er verhindert die Eskalation der Situation - bei der seine Mutter sicherlich die Leidtragende gewesen wäre - indem er die eigene Erniedrigung in mahnender, doch spie‐ lerischer Distanzierung vorführt, und zeigt somit die Labilität der Machtverhältnisse auf dem Olymp und in der Menschenwelt auf. Und weiter noch: der Hinkende erscheint hier als Sinnbild für den Dichter, welcher die Gesellschaft der Hörer zum Lachen bringen kann, indem er seine leiblichen Schwächen als Anlass zu ritueller Freude aufführt. Der Auftritt des seltzam hoffmann Ähnlich und doch ganz anders hat einer der bekanntesten literarischen Possenreißer des Spätmittelalters, der Pfarrer vom Kalenberg (Erstdruck Augsburg 1473), eine adlige Gesell‐ schaft zum Lachen gebracht, als er, eingeladen zur höfischen Jagd, wie folgt in den Hof des Herzogspalastes einfährt: Der pfarrer nam do zu der frist sein roß vnd setzt das auff den mist, das gleubet sicher ane Hass, vnd selber er auf das roß do saß, es würd im sawer oder süeß, zwen holtzschuch legt er an die füeß (…) sein füeß die thet er recken auff den mist wagen also geil, er wünscht im selber glück vnd heil. 5 Dieses sprachliche Bild von einem närrischen Auftritt, einer semantisch ebenso uneindeu‐ tigen Körperinszenierung, die zwischen Provokation und fastnächtlicher Belustigung steht, wird vom Fürstenpaar als bizarre Extravaganz, nämlich als „seltzam hoffweis“ goutiert. 6 Der Auftritt des „seltzam hoffmann“ 13 7 Baudelaire, Charles: Vom Wesen des Lachens. Einige französische Karikaturisten. Einige ausländi‐ sche Karikaturisten. In: C. B.: Sämtliche Werke / Briefe. Bd. 1. Hg. von Friedhelm Kemp u. Claude Pi‐ chois. München / Wien 1977, S. 301 f. 8 Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften Bd. II,3.: Aufsätze, Essays, Vorträge. Hg. von Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt a. M. 1991, S. 956. Selbst als der Pfarrer zu einem viel späteren Zeitpunkt die Fürstin begrüßt und sich dafür entschuldigt, er habe sie von seiner hohen Position aus „vber sehen“, lacht die Angespro‐ chene: „Die fraw die sprach vnd lacht in an: / Ir seidt ein seltzam hoffman“. (1739 f.) Hier spielt der Pfarrer einmal keinen Streich, sondern er agiert einzig und allein als Unterhalter der fürstlichen Gesellschaft, deren Freude er durch sein Kommen deutlich erhöht hat. Wie bei Hephaistos weisen auch hier die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz, die sich aus den verschiedenen Möglichkeiten einer Semantisierung des körperlichen Lachanlasses ergeben, wiederum auf dessen Wirkungsmacht als theatrale Szene zurück, als komische Aufführung, welche sich der Wahrnehmung der Anwesenden in beweglichen Bildern vom Körper präsentiert. Lachanlass und Lachen entsprechen sich dabei in eigentümlicher Weise, sie sind direkt aufeinander bezogen. Die Wahrnehmung des Hinkenden im Zusammenhang mit seiner Ansprache und der gespannten Situation, sowie die Aufmerksamkeit für das seltsame Vehikel des Pfarrers sind es, die das Lachen unabhängig von seinem semantischen Verständnis auslösen. Diese Direktheit von körperlichen Lachanlässen beobachtete bereits Charles Baudelaire: Leander, Pierrot, Kassander vollführen die seltsamsten Gebärden (…) sie wirbeln mit den Armen umher, sie gleichen Windmühlen, die der Sturmwind umtreibt. (…) Dies alles geschieht unter schallendem Gelächter, in welchem eine ungeheure Zufriedenheit zum Ausdruck kommt. (…) Ihre Gebärden, ihr Geschrei, ihre Mienen, alles spricht. 7 Das Lachen als ein „Chaos der Artikulation“ (W. Benjamin) 8 ist eng mit der Aufmerksamkeit für und der Wahrnehmung von körperlichen Widerfahrnissen verbunden, mit dem Fallen und Stürzen, dem Hinken und Stolpern, dem Stottern, aber auch mit exaltierten und hy‐ pertrophen Formen der Gestik und Mimik. Phänomene der Desorganisation (Plessner), des Kontrollverlustes des Körpers setzen seine Beherrschung durch die Haltung, den Geist, die Vernunft temporär aus - ein Chaos der physiologischen Artikulation. Es ist das Potential dieser unfreiwilligen Aufführungen des aus der Rolle fallenden Körpers, welches für die künstlerische Inszenierung in mimetischem Spiel, in Tanz und Theater, aber auch für lite‐ rarische Texte in der Literatur der Vormoderne bedeutsam war. Fragestellung und Gegenstand Diese Studie hat die Komik des menschlichen Körpers als Lachanlass in Spätmittelalter und Früher Neuzeit zum Gegenstand. Sie geht davon aus, dass der Körper zwischen 1300 und 1550 zu den wichtigsten und am häufigsten verbreiteten Ursachen für Gelächter gehörte, bisher aber nur in Ansätzen und nicht übergreifend untersucht worden ist. In den histori‐ schen Wissenschaften wurde, vereinfacht gesagt, diese Art von Komik bislang als Situa‐ tions- oder Bewegungskomik, als „niedere“ (skatologisch-obszöne) bzw. pauschal als Einleitung 14 schwankhafte Komik, oder als Ausdruck einer vitalistisch-karnevalistischen Weltsicht ab‐ gehandelt. Mit Ausnahme der Arbeiten von Michail Bachtin (und einigen seiner Nachfolger) spielt der Körper hierbei immer nur eine marginale Rolle; er wird von den jeweiligen the‐ oretisch-methodischen Ansätzen zur Funktionsweise der Komik vereinnahmt und in seiner Wirkungsweise verdeckt. Dass der Körper in den letzten beiden Jahrzehnten im Zentrum der historisch-anthropologischen Forschung stand (was angesichts einer jahrzehntelangen lacune nur folgerichtig erscheint), hat bislang jedoch kaum zu einer vertieften Beschäfti‐ gung mit seiner Rolle für Lachen und Komik in den Kultur- und Literaturwissenschaften geführt. In einer Epoche, in der sich nicht nur der technische Übergang von der Manuskriptzur Druckkultur, sondern auch der mediale Wandel von einer maßgeblich performativen zu einer maßgeblich textgestützten Kultur vollzieht, ist der menschliche Körper als Lachanlass Dreh- und Angelpunkt komischer Aufführungen. Nicht nur in Fastnachts- und Neidhart‐ spielen, sondern auch an den Rändern des geistlichen Spiels sowie in zahllosen Zwischen‐ spielen, Solo- und Gruppenauftritten, vor allem aber in den omnipräsenten, doch denkbar schlecht belegten Aufführungen der Spielleute und Gaukler erscheint der Körper noch vor der Sprache als Zentrum der Komik und als Auslöser des Lachens. Doch war es fast aus‐ schließlich die Sprachkomik, die von der Forschung bisher untersucht wurde, während der Körper hinter der Schrift und den Texten verschwand; dennoch spielte er für die Entwick‐ lung einer textuellen „Lachkultur“, die in der monastischen Exempelliteratur, in epischen Randerscheinungen und höfischen Kurzerzählungen ihren Anfang nahm, eine entschei‐ dende Rolle. Die Arbeit stellt sich drei miteinander zusammenhängende Aufgaben: Erstens, den menschlichen Körper als komischen Lachanlass in rituellen und theatralen Praktiken sowie in literarischen Texten zunächst einmal nachzuweisen; zweitens, die Funktionsweise seiner spezifischen Komik systematisch und typologisch zu beschreiben; und drittens zu fragen, ob und inwiefern diese Komik als charakteristisch für die Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit bezeichnet werden kann. Diese Aufgaben bedürfen ausführlicher the‐ oretisch-methodischer Begründung und den Nachweis am literarischen und historischen Textmaterial. Sie sind mit einer Reihe von Problemen verbunden, deren Diskussion dieser Untersuchung als roter Faden dient: (1) Zunächst müssen die Begriffe Lachen und Komik (die bis heute in der Forschung immer wieder gleichgesetzt werden) in ihrer Funktion bestimmt und voneinander ge‐ schieden, sowie auf die historischen Gegebenheiten hin definiert werden. (2) Ferner muss anhand von Lach- und Wahrnehmungstheorien geklärt werden, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise Körper Lachen auslösen können und welche physiologischen und psychologischen Prozesse dabei wirksam werden. (3) Drittens sind die Körpertechniken (Gesten, Stimme, Motorik) der professionellen Unterhalter des Mittelalters, sowie Spieltechniken in Spätmittelalter und Früher Neuzeit zu untersuchen, da sie als kulturelles Substrat für literarische Inszenierungen von komischen Körpern von historischer Relevanz sind. (4) Dies sind unabdingbare Vorarbeiten zum wichtigsten Fragekomplex der Untersu‐ chung: wie lassen sich körperliche Lachanlässe in theatralen Aufführungen und narrativen Texten des Untersuchungszeitraums nachweisen und welche Bedeutung haben sie für diese Fragestellung und Gegenstand 15 9 Bisher wurde scurrilitas im theologischen Diskurs des Mittelalters als Zungensünde, für obszönes, vulgäres Sprechen, üble Nachrede, usw. verstanden. Ich werde hier zu beweisen suchen, dass ent‐ gegen bisheriger Annahmen es die Körperlichkeit und Normtransgression des scurra waren, die die scharfe Kritik von Rhetorik und Theologie dem Lachen gegenüber insgesamt ausgelöst hat. Dazu werde ich zunächst die Relationen zwischen Lachen und Körper in der theologischen Literatur seit den Kirchenvätern herausarbeiten, im zweiten Teil die Begriffs- und Diskursgeschichte von scurra und scurrilitas referieren und im dritten die Wirkungen der diskursiven Transformationen für die moralischen Verurteilungen der Unterhaltungsberufe analysieren. Aufführungen und Texte? Und weiter: Wie gelingt es dem Text, komische Körper zu in‐ szenieren, und welche performativen Strategien liegen dieser Inszenierung zugrunde? Das Hauptaugenmerk wird hier weniger auf deren Möglichkeiten zur Semantisierung und Symbolisierung, als mehr auf Apperzeption, Effekten der Präsenz und emotionaler Affi‐ zierung durch Bewegung und Gestik liegen. Lachen und Komik in Aufführung und Text: methodische Überlegungen Diese verschiedenen Aufgaben erfordern einen differenzierten methodischen Zugriff auf jedes einzelne Kapitel. So fragt das erste Kapitel nach den Voraussetzungen und Bedin‐ gungen für das Lachen über Körperliches anhand von historisch invarianten theoretischen Ansätzen, um in neunzehn abschließenden Paragraphen Ansätze zu einer performativen Theorie der Komik zu formulieren, mit Hilfe derer das Material untersucht werden soll. Nach dem zweiten Kapitel zum Stand der literatur- und kulturwissenschaftlichen For‐ schung zu Lachen und Komik in Mittelalter und Früher Neuzeit folgt im dritten Kapitel die Untersuchung der Diskursgeschichte des komischen Körpers von der Antike bis ins späte Mittelalter anhand des Begriffsfeldes der scurrilitas. 9 Im vierten Kapitel werden historische Zeugnisse zu Techniken und Verfahren der komischen Körperinszenierung, ihren Lizenzen, Protagonisten, Räumen und Zeiten, Formen und Repertoires zusammengefasst, um eine historische ‚Grammatik‘ von Bewegungen, Gesten und Lauten aufzustellen. Das fünfte Kapitel gilt der Rolle und der Bedeutung des Lachens über Körperliches in rituell-theatralen Rahmungen des weltlichen Spiels bis zur Commedia dell’arte. Hier geht es um die verschiedenen motorischen und proxemischen, gestischen und mimischen, stimmlichen und energetischen Mittel, mit welchen Körper in Aufführungen Lachen aus‐ gelöst haben, sowie die Art und Weise, mit der diese Mittel in den einzelnen historischen Spielformen je verschieden eingesetzt wurden. Das sechste Kapitel geht schließlich einlei‐ tend der Frage nach, ob und wie Texte ihren häufig selbst formulierten Anspruch, Lachen zu erregen, einlösen können, indem die Ergebnisse aus Kap. 1 zusammen mit einer Dis‐ kussion des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen imaginatio-Begriffes zu einem analy‐ tischen Instrumentarium der Wahrnehmung von Lachanlässen in Erzählungen zusammen‐ geführt werden. Damit kann dann in vier ausführlichen Fallstudien zu narrativen Texten des 15. Jahrhunderts, nämlich zum Salomon und Markolf-Komplex, zu Sacchettis Novellen, zur Schwankkompilation Neithart Fuchs’ und zu Philipp Frankfurters Pfaffe Kalenberg, die literarische Bedeutung von Körperinszenierungen für diese Texte untersucht werden. Im Einleitung 16 10 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt a. M. 2005. 11 Vgl. Zumthor, Paul: La lettre et la voix. De la „littérature“ médiévale. Paris 1987; ders.: Körper und Performanz. In: Materialität der Kommunikation. Hg. von Hans Ulrich Gumbrecht und Karl Ludwig Pfeiffer. Frankfurt a. M. 1988, S. 703-713. 12 Maaßen, Irmgard: Text und / als / in der Performanz in der frühen Neuzeit: Thesen und Überlegungen. In: Theorien des Performativen. Hg. von Erika Fischer-Lichte u. Christoph Wulf. Paragrana. Interna‐ tionale Zeitschrift für Historische Anthropologie 10 (2001), S. 285-301, hier S. 287. 13 Vgl. Velten, Hans Rudolf: Performativitätsforschung. In: Methodengeschichte der Germanistik. Hg. von Jost Schneider. Berlin / New York 2009, S. 549-572, hier S. 550. siebten und letzten Kapitel versuche ich anhand einiger Texte der ‚Narrenliteratur‘ des 16. Jahrhunderts in Form eines Ausblicks zu zeigen, wie körperliche Lachanlässe und die spe‐ zifische ‚Verkörperung‘ von Sprache durch Prozesse der Diskursivierung und Semantisie‐ rung zugunsten sprachlich-textueller Komikformen an Gewicht verlieren. Die Anlage dieser Studie lässt unschwer erkennen, dass ihr methodischer Schwerpunkt darin liegt, das in der Theaterwissenschaft entwickelte Performance-Modell für die Unter‐ suchung von Spielen und Texten der Vergangenheit fruchtbar zu machen, 10 denn ihre wich‐ tigsten Fragestellungen betreffen die Dynamik und Prozessualität von komischen Hand‐ lungen und Aufführungen (einschließlich Sprechhandlungen), ihre spezifische Materialität (Körperlichkeit, Stimmen), ihre Medialität (Rezipientenbezug, soziale Kontexte) und per‐ formative Ästhetik (Ereignischarakter, Emergenz). Dass mit dem Performance-Modell nicht nur Aufführungen, sondern auch Texte unter‐ sucht werden können, hat Paul Zumthor in seinen Arbeiten zur Theatralität und Vokalität der mittelalterlichen Dichtung seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts gezeigt. 11 Er sieht das Potential des performativen Zugangs in der Erarbeitung der Bezüge des Textes auf seine Aufführung, in dem Sinne, dass am Text selbst Spuren für vorherige (und künftige) Aufführungen entdeckt werden können. Performativität erscheint hier als relationale Ka‐ tegorie, die nur in den Interaktionen mit, in den Übergängen und Bezugnahmen zur Tex‐ tualität zu fassen ist. Dadurch wird es möglich, textuelle und materielle kulturelle Praktiken, und nicht nur diejenigen der gleichen Sprache und Kultur, in einem methodischen und systematischen Zusammenhang zu analysieren. 12 So wegweisend dieser Ansatz insbesondere für die Erforschung des Aufführungsaspektes mittelalterlicher Dichtung ist, so deutlich liegen auch seine Grenzen zutage. Erkennt man wie Zumthor im (überlieferten) Text nur eine Reduktionsform eines durch die Aufführung gekennzeichneten ‚Werkes‘, lässt sich ihm kaum mehr als eine Dokumentations- und Quel‐ lenfunktion attestieren. Daher hat sich in den letzten Jahren ein Performativitätsbegriff herauskristallisiert, der die pragmatischen und aisthetischen Inszenierungs- und Vollzugs‐ dimensionen der Texte selbst in den Mittelpunkt stellt. Performativität erscheint so als eine besondere Qualität von Texten, die wie folgt beschreibbar ist: (1) als Manifestation von Präsenzeffekten, (2) als Auslösung affektiver und sozialer Wirkungen, und (3) als Zeigen ihrer je besonderen Medialität und deren Reflexion. 13 Es geht bei dieser Perspektive jedoch nicht einfach darum, dass in Texten Sprache zur Aufführung gebracht wird, oder dass Texte vorführen, wovon sie sprechen. Im dem Maße, wie Texte nicht mehr auf etwas Abwesendes verweisen, sondern es gegenwärtig, sinnlich wahrnehmbar machen können, gewinnen sie Attribute, die nicht mehr ihrem Zeichencha‐ Lachen und Komik in Aufführung und Text: methodische Überlegungen 17 14 Vgl. dazu Müller, Jan-Dirk (Hg.): Aufführung und Schrift in Mittelalter und früher Neuzeit. DFG-Sym‐ posion 1994. Stuttgart / Weimar 1996, S. XIV. 15 Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, S. 263, s. auch S. 244-247. Fischer-Lichte stützt sich hier auf Seel, Martin: Ästhetik des Erscheinens. München 2000. rakter geschuldet sind und hermeneutischer Auslegung zuarbeiten, sondern als Teil einer somatisch-sinnlichen Praxis zu betrachten sind. Diese in den Text eingeschriebene und je‐ derzeit wieder erfahrbare ästhetische Praxis zu analysieren, steht im Mittelpunkt einer per‐ formativen Perspektive auf Literatur. Wissenschaftsgeschichtlich ist sie wie folgt zu begründen: Hermeneutische und zei‐ chentheoretische Ansätze haben sowohl für die Theaterästhetik, als auch für die literarische Ästhetik alles am Material Wahrnehmbare zum Zeichen erklärt und gedeutet. In dieser Perspektive von „Kultur als Text“ gibt es nichts im Kunstwerk, was jenseits der Signifi‐ kant-Signifikat-Relation existieren würde. 14 Problematisch daran ist, dass in Zeichenrela‐ tionen Handlungen immerzu etwas bedeuten. Dies ist gerade für das Verständnis von ko‐ mischen Aufführungen, wie ich zeigen werde, nicht zutreffend. Das Prügeln auf der Bühne, welches Gelächter auslöst, ist vielmehr aus seiner körperlichen Dynamik, seiner Präsenz und aus seinem theatralen Rahmen heraus zu verstehen, als über eine Zeichenbedeutung. Gerade das in einer Zeichenrelation Inkommensurable kann aus performativer Perspektive greifbar gemacht werden; dazu gehören die nicht-referentiellen Aspekte von Aufführungen wie motorische und proxemische Präsenz, Atmosphären sowie die Anwesenheit der an‐ deren Teilnehmer am Interaktionsprozess. Die Erscheinungsweise des Körpers selbst ist Bedeuten, und dieses Bedeuten wird in der Aufführung und durch die Aufführung als Er‐ eignis hervorgebracht. Auch bei der Rezeption eines Textes zeigt das Beispiel des komischen Körpers, dass dieser etwas vermittelt, was nicht eindeutig decodiert werden kann: häufig setzt er nämlich nur eine Aufführung, und nicht eine Aufführung von etwas in Szene. Die über die Zeichenbe‐ deutung hinausgehende Wahrnehmung seines phänomenalen Seins und seiner spezifischen Materialität, bzw. seiner Selbstreferentialität ist somit in einer semiotischen Analyse, die auf die Kommunikation von Bedeutung abzielt, schwer einzuholen. Wenn wir einem per‐ formativen Verständnis von Bedeutung folgen, sind Bedeutungen außerhalb von Zeichen‐ relationen zu verorten. Fischer-Lichte etwa definiert Empfindungen und Gefühle als Be‐ deutungen, da sie Bedeutungen als Bewusstseinszustände bestimmt: Ich gehe (…) davon aus, daß Gefühle körperlich hervorgebracht werden und nur als diese körper‐ lichen Artikulationen bewusst zu werden vermögen. Gefühle sind also Bedeutungen, die wegen dieser körperlichen Artikulationen von anderen wahrnehmbar und in diesem Sinne durchaus an‐ deren zu übermitteln sind, auch ohne daß sie in Worte ‚übersetzt‘ würden. 15 Wenn demnach Bedeutung in Aufführungen aus Wahrnehmungsprozessen emergiert, bleibt zu fragen, ob dieses Modell auch für Texte Gültigkeit besitzt. Was mich in dieser Annahme bestärkt, ist, dass alle Rezeptionsformen von Literatur an die auditive und visuelle sinnliche Wahrnehmung von Sprache gebunden sind. Denn auch ein Text wird durch den Vortrag, das Vorlesen und selbst noch das stille Lesen, welches Zumthor als „degré zero de Einleitung 18 16 Zumthor, Paul: Performance et lecture. In: P. Z.: Performance, réception, lecture. Québec 1990, S. 67-80. 17 „Es erfährt sie vielmehr in ihrem phänomenalen Sein, das sich ihm im Akt der Wahrnehmung ereignet. Der Zuschauer ist in seiner Wahrnehmung, und das heißt, vom Wahrgenommenen, leiblich affiziert. Aber er ‚versteht‘ es nicht.“ Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 271. 18 Althoff, Gerd: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter. Darmstadt 2003. 19 Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt a. M. 1991, S. 511. 20 Huber, Martin: Der Text als Bühne. Theatrales Erzählen um 1800. Göttingen 2003, S. 85. la performance“ bestimmte, gewissermaßen aufgeführt. 16 Insofern gilt auch für das Hören eines Textes - und das ist die vorrangige Rezeptionssituation von narrativen Texten in Spätmittelalter und Früher Neuzeit -, dass die Bewusstwerdung sinnlicher Eindrücke, und seien es diejenigen, die sich aus Imaginationen ergeben, Bedeutung erzeugt. Das wahrneh‐ mende Subjekt kann im Moment der Wahrnehmung noch nicht kognitiv ‚verstehen‘, was es wahrnimmt, es nimmt zunächst eine Selbstreferentialität der Sinneseindrücke wahr. 17 Sprachliche Inszenierungen In den letzten Jahren hat der Begriff der ‚Inszenierung‘ als methodisches Konzept deshalb Karriere gemacht, weil er sowohl in historischen wie in literarischen Kontexten anwendbar ist, nämlich überall dort, wo ein Material von einer planenden, ordnenden Instanz abhängig ist, von einem Regisseur oder einem Autor. Gerd Althoff hat in seinen Studien zur Insze‐ nierung politischer Rituale überzeugend dargelegt, dass komplexe Strategien und Pläne der Realisierung mittelalterlicher Rituale und politischer Ereignisse zugrunde liegen. 18 Insze‐ nierung meint hier ebenfalls Plan und Ordnung, das Arrangement von Körpern und Ma‐ terial und den zeit-räumlichen Ablauf eines Rituals, also um bestimmte Kulturtechniken und -praktiken, mit denen etwas aufgeführt, zur Erscheinung gebracht wird. Dabei wirkt die Inszenierung häufig darüber, dass sie nicht als solche wahrgenommen wird, unterliegt also komplexen Steuerungs- und auch Täuschungsstrategien. Wenn der Inszenierungsbegriff für Aufführungen, Rituale oder auch Texte verwendet werden soll, wird er zu einer anthropologischen Kategorie, zu einem „Vorgang, der durch eine je spezifische Auswahl, Organisation und Strukturierung von Personen und Materia‐ lien etwas zur Erscheinung bringt, das seiner Natur nach nicht gegenständlich zu werden vermag“. 19 Nach Iser muss der Inszenierung etwas vorausliegen, welches durch sie zur Er‐ scheinung kommt. Daher definiert er die Inszenierung auch als „Institution menschlicher Selbstauslegung“ und unterstreicht damit die anthropologische Dimension des ästhetischen Begriffes. Übertragen auf Texte heißt dies, dass sie Aufführungen, und somit auch komische Lachvorgänge, narrativ inszenieren und damit den Versuch machen, Körperlichkeit, Ma‐ terialität und Sinnlichkeit in Sprache und Schrift zu übertragen. Das in der Performance unmittelbar rezipierte Wechselverhältnis zwischen Wahrnehmung, Bewegung und Sprache wird in der Literatur bewusst aufgenommen, reflektiert und kommuniziert. 20 Inszenie‐ rungen komischer Körper sind in Texten somit auf die Erzeugung bestimmter Wahrneh‐ mungs- und Vorstellungspotentiale ausgerichtet, die beim Leser die Teilhabe an einem Lachvorgang evozieren sollen. Sprachliche Inszenierungen 19 21 Krämer, Sibylle: Sprache - Stimme - Schrift. Sieben Thesen über Performativität als Medialität. In: Kulturen des Performativen. Hg. von Erika Fischer-Lichte u. Doris Kolesch. Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 7 (1998), H. 1. S. 33-57, hier S. 42. Es ist demnach wichtig, bei der Analyse von Texten auch die Handlungskontexte zu berücksichtigen, in denen die Sprache steht, und welche körperlichen und sinnlichen As‐ pekte sie transportiert. Diese können sowohl in diskursiven Beschreibungen von Körper‐ lichkeit enthalten sein, als auch in metakommunikativen oder selbstreferentiellen Aus‐ sagen. Das ist etwa an den verschiedenen mimikologischen Relationen zwischen Körper und Sprache abzulesen, insofern die als komisch ‚aufgeführte‘ Sprache körperliche Über‐ schüsse aufweist, mit denen Sprachnormen variiert, konterkariert und damit spielerisch destabilisiert und verunreinigt werden. Neben den deiktischen Funktionen (Bühler) und ihren mimikologischen Relationen (Genette) umfasst die Sprache auch klangliche und stimmliche Aspekte, an welchen ihr mimetisches Potential erkennbar ist. Die Verwendung der Sprache, mit welcher komische Körper inszeniert werden, ist somit unter der Maßgabe ihrer körperlichen Gegenwärtigkeit zu analysieren. Wenn die Sprache des Possenreißers sich als komisch, obszön, lächerlich „gebärdet“, dann ist sie gänzlich an den unmittelbaren Körper des Sprechenden und die Körperlichkeit und Materialität der Kommunikation ge‐ bunden, nicht als Signifikant, sondern als Bezug zur körperlichen Gegenwart dessen, der diese Worte ausspricht. Das heißt konsequenterweise, Sprache und auch ihre Bedeutungen als verkörperte zu begreifen. Damit wird der Aspekt des Vollziehens, der Leiblichkeit und Materialität von Sprache hervorgehoben, die Frage nach den stummen, vorprädikativen Formgebungen von Sinn. ‚Verkörperung‘ kennzeichnet dabei die Nahtstelle der Entstehung von Sinn aus nicht-sinnhaften Phänomenen. „Es ist die Medialität der Sprache, die alle Vorstellungen, das Sprechen sei ein intentionales, intersubjektiv kontrollierbares Zeichenhandeln, zu kurz greifen läßt. ‚Verkörperte Sprache‘ wird so zu einem Suchbegriff nach den materialen, den vorprädikativen Formgebungen unserer Sprachlichkeit“. 21 Die sprachliche Inszenierung von komischer Körperlichkeit ist auch deshalb eine so wichtige Kategorie, weil Aspekte der Performance wie materielle Kopräsenz, sinnliche Wahrnehmung von Emotionalität und körperliche Übertragung bei der Rezeption von Texten nur in reduzierter und medial veränderter Form gegeben sind. Dennoch tragen sprachliche Inszenierungen in Texten nicht ausschließlich semiotischen Charakter: auch sie können Präsenz erzeugende performative Strategien verwenden. Einleitung 20 1 Plessner, Helmuth: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens (1941). In: H. P.: Ausdruck und menschliche Natur. Gesammelte Schriften VII. Hg. von Günter Dux, Odo Marquard u. Elisabeth Stöker. Frankfurt a. M. 2003, S. 201-388, hier S. 274. 2 Aus diesen Gründen wird Lachen in der Medizin heute wieder als therapeutisch wirkungsvolle Maß‐ nahme angesehen: es erhöht die Herzfrequenz und den Blutdruck, bringt den Kreislauf in Gang, erhöht die Sauerstoffzufuhr zu allen Organen, verursacht leichte Muskelanspannungen und -ent‐ spannungen. Dadurch regt es die Verdauung an, stimuliert das zentrale Nervensystem und entspannt die wichtigsten Lachmuskeln: Bauch, Zwerchfell, Schultern, Hals, Gesicht. Die mit Lachen verbun‐ dene progressive Muskelrelaxation hat deutliche Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden, wie physiologische Studien belegen. Vgl. Karren, Keith J., Hafen, Brent Q., Smith, N. Lee, u. Frandsen, Kathryn J.: The Healing Power of Humor and Laughter. In: Mind / Body / Health. The Effects of Atti‐ tudes, Emotions, and Relationships. 3. Aufl. San Francisco 2005, S. 559-582, hier S. 570. 1. Der Körper als Lachanlass „Man teilt sich nie Gedanken mit: man teilt sich Bewegungen mit, mimische Zeichen, welche von uns auf Gedanken hin zurückgelesen werden.“ Nietzsche, Aphorismus aus Menschlich-Allzumenschliches 1.1. Lachtheorien ohne Körper? Das Lachen ist ein Phänomen körperlicher Eigenaktivität. Es gehört zu den unwillkürlichen körperlichen Vorgängen, die weder steuerbar noch völlig kontrollierbar sind, die, einmal in Gang gesetzt, eine der rationalen Kontrolle enteignete Dynamik entfalten, die bis zum Verlust der Selbstbeherrschung reicht: „Körperliche Vorgänge emanzipieren sich. Der Mensch wird von ihnen geschüttelt, gestoßen, außer Atem gebracht. Er hat das Verhältnis zu seiner physischen Existenz verloren, sie entzieht sich ihm und macht gewissermaßen mit ihm, was sie will“. 1 So formuliert Plessner anthropologisch als „körperliches Geschüt‐ teltwerden“ einen Sachverhalt, der sich physiologisch wie folgt beschreiben ließe: klonische Spasmen des Zwerchfells, Unterbrechung des Atems bis zur Atemnot - beides unterscheidet das Lachen vom Lächeln - Weitung der Arterien durch den Anstieg der Atemfrequenz und erhöhte Sauerstoffzufuhr, Kontraktionen der Gesichts- und Halsmuskulatur, Erröten des Gesichts, Anheben der Lider und Brauen, Runzeln der Haut an den äußeren Augenwinkeln, Heraustreten der Augen und Tränenfluss, erweiterte Nüstern und geblähte Wangen, Zu‐ rückwerfen des Kopfes und Biegen des Oberkörpers. 2 Gesten der Selbstberührung versu‐ chen die der Kontrolle entzogenen Vorgänge einzudämmen: man hält sich den Bauch, schlägt sich auf die Schenkel, krümmt den Oberkörper nach vorn oder hinten. Das Lachen als Grenzreaktion des Körpers hält auch die Sprache fest: sich vor Lachen biegen, krümmen, 3 Vgl. dazu Jurzik, Renate: Die zweideutige Lust am Lachen. Eine Symptomanalyse. In: Lachen-Ge‐ lächter-Lächeln. Reflexionen in drei Spiegeln. Hg. von Dietmar Kamper u. Christoph Wulf, Frankfurt a. M. 1986, S. 39-51, hier S. 42 f. 4 Vgl. Barkhaus, Annette: Lachende Körper. Überlegungen zu einer Theorie des eigensinnigen Körpers. In: Der Körper in der Philosophie / Le corps dans la philosophie. Hg. von der Schweizerischen Philoso‐ phischen Gesellschaft. Bern 2003, S. 181-196. Barkhaus argumentiert, dass das Subjekt das Lachen als „körperliche Widerfahrnis“ erlebe. Die Widerfahrnis ist ein von Wilhelm Kamlah geprägter Be‐ griff, der in der philosophischen Anthropologie als Gegenbegriff zur Handlung dient. 5 Lachen zählt zwar zu den emotionalen Ausdrucksbewegungen, es ist von ihnen aber auch in cha‐ rakteristischer Weise getrennt: „Während Zorn oder Freude, Liebe und Haß, Mitleid und Neid usw. am Körper eine symbolische Ausprägung gewinnen, welche den Affekt in der Ausdrucksbewegung erscheinen läßt, bleibt die Äußerungsform des Lachens und Weinens undurchsichtig und bei aller Modulationsfähigkeit weitgehend in ihrem Ablauf festgelegt.“ Plessner, Lachen und Weinen, S. 225. 6 Die These, dass das Lachen symbolisch ungeprägt sei, ist für ein performatives Verständnis des La‐ chens wichtig, denn es vollzieht sich, ohne gleich Zeichen zu sein, ohne für etwas anderes zu stehen. Die Möglichkeit der semantischen Deutung besteht natürlich immediat. 7 Plessner, Lachen und Weinen, S. 368. wälzen, schütteln, platzen, zerbersten, zusammenbrechen, sich krank- oder totlachen usw. 3 Dabei macht sich der Körper visuell und akustisch für andere bemerkbar: Das Lachen kommt aus seinem Inneren, es kann als eine Art energetische Ausschüttung bezeichnet werden, als ein Prozess, in dem etwas von innen nach außen gelangt. Dieses ‚etwas‘ besteht jedoch nicht aus materiellen Körperflüssigkeiten wie etwa beim Niesen, sondern aus einem teils lautstarken rhythmischen Herauspressen von Luft, bei dem sich Energie von innen nach außen entlädt. Dieser energetische Prozess kann mit Lustempfinden einhergehen, in das sich bei anhaltendem starkem Lachen auch Schmerzen mischen können. Daher ist das Lachen auch anderen „Ausschüttungen“ des Körpers vergleichbar, die Lustempfinden be‐ wirken, wie das sich Entledigen von verbrauchten Substanzen, von Körperflüssigkeiten wie beim Spucken oder beim sexuellen Höhepunkt. Das Lachen und seine Wirkungen erfassen somit den gesamten Körper in unvermittelter und eruptiver Weise, das Lachen nimmt den Körper in Besitz, man könnte auch sagen, es widerfährt ihm. 4 Daraus folgt, dass es weder als instrumentelles Selbstverhältnis angesehen werden kann, noch als Emotion im klassischen Sinne. Der Körper fungiert beim Lachen nicht als Ausdrucksmedium für Gefühle wie Liebe, Zorn oder Trauer, sondern er ist es selbst, der agiert: Es liegt ein Prozess körperlicher Verselbständigung vor, der sich von jenem der körperlichen Symbolisierung deutlich unterscheidet. 5 Dieser autonomistische und emer‐ gente Charakter des Lachens verleiht ihm auch die charakteristische Gefühllosigkeit, welche häufig als Voraussetzung für seine Realisierung genannt wird (etwa der bekannte Bergsonsche Begriff der „Anästhesie des Herzens“). 6 Daraus folgt auch, dass Lachen kein Ausdruck einer inneren (Gemüts-)Verfassung ist, wie der Ausdruck von Emotionen etwa beim trällernden Pfeifen, sondern dass es einen äußeren Anlass, einen Lachanlass benötigt; niemand kann sich selbst zum Lachen bringen. Es ist somit in einen kommunikativen Akt eingebunden, auf den es gerichtet ist und aus dem es seine Legitimität bezieht. Das Lachen öffnet den Körper zur Welt, es ist Teil eines sozialen Vorgangs, wie Freud sagt, ein kommunikatives Geschehen: „Volle Entfaltung des Lachens gedeiht nur in Gemeinschaft mit Mitlachenden“, formuliert Plessner. 7 1. Der Körper als Lachanlass 22 8 “When we hear laughter, we tend to laugh in turn, producing a behavioural chain reaction that sweeps through a group, creating a crescendo of jocularity or ridicule.“ Vgl. Provine, Robert R.: Laughter. A Scientific Investigation. London / New York 2000, S. 129. Provine widmet der Ansteckung ein ganzes Kapitel („Contagious Laughter and the Brain“, S. 129-151), in welchem er allerdings zu belegen ver‐ sucht, dass sich die Ansteckung einer Verhaltensreaktion des Gehirns verdankt. Seine sonst nicht belegte, von der Neurobiologie inspirierte These, dass der Mensch einen „laugh-detector“, einen neuralen Kreislauf im Gehirn besitzt, der bei der akustischen Wahrnehmung von Lachen seinerseits einen Lachen produzierenden „laugh-generator“ in Bewegung setzt, ist hoch spekulativ und zeigt die Einengung des Problems auf kognitive Prozesse. 9 Vor allem die Theorien des Komischen gehen kaum auf Körper und Körperlichkeit ein: „ (…) das Lachen in seiner Körperlichkeit kommt nicht vor, auch nicht in den zahlreichen Theorien des Ko‐ mischen. Diese interessieren sich mehr für die logische Struktur des komischen Stimulus und die psychologischen Mechanismen der Reaktion darauf als für das Lachen selbst“. Pfister, Manfred: ‚An Argument of Laughter‘: Lachkultur und Theater im England der Frühen Neuzeit. In: Semiotik, Rhe‐ torik und Soziologie des Lachens. Hg. von Lothar Fietz, Joerg O. Fichte u. Hans-Werner Ludwig. Tü‐ bingen 1996, S. 203-227, hier S. 204. Lachen ist Teil einer Kommunikationssituation, Teil der Interaktion mit anderen. Dass der Körper im Zentrum dieses Geschehens steht, ist am deutlichsten an der Tatsache zu erkennen, dass Lachen ansteckend ist: Wenn wir über Körperliches lachen, dann kommu‐ nizieren unsere Körper physiologisch, sie nehmen sich wahr und ‚stecken sich an‘. Diese Ansteckung erfolgt unwillkürlich, sie wurde auch als „Kettenreaktion“ bezeichnet, die eine Gruppe erfasst. 8 Schon allein der Blick auf das lächerliche Objekt (den Körper des Clowns etwa), verbindet uns mit diesem, denn der Blick fesselt und steigert die Aufmerksamkeit. Durch Blick und Gegenblick entsteht eine „interkorporelle“ (Merleau-Ponty) Verbindung, eine zwischenleibliche Kommunikation, die über die bloße sinnliche Wahrnehmung hi‐ nausgeht. Wie aber ist diese körperliche Kommunikation, in die das Lachen eingebunden ist und in der es sich im gemeinsamen Gelächter fortpflanzt, zu denken und zu beschreiben? Welche körperlichen Lachanlässe können unterschieden werden, und wie werden sie nicht nur sinnlich, sondern auch körperlich wahrgenommen? Am Beispiel des Blickes etwa sind in der Psychologie und in der Medientheorie Modelle entwickelt worden, wie Hypothesen über die Bewegungen des Körpers der anderen im Raum über die visuelle Wahrnehmung entstehen, die dann Reaktionen auf den eigenen Körper zur Folge haben (Innervations‐ theorien). Dabei wurde aber meist die akustische Wahrnehmung vernachlässigt, die im Falle des Lachens von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Das Lachen sowie die lächerli‐ chen Bewegungen und Laute, die mit ihm verbunden sind, werden körperlich übertragen und lösen ihrerseits Lachen aus. Wenn Lachen aus dieser Perspektive als eine mimetisch bestimmte körperliche Antwort auf lächerliche Situationen, die ihrerseits körperlich be‐ stimmt sind, gesehen werden kann, dann ist in Zweifel zu ziehen, ob die kognitive Wahr‐ nehmung bei Lachanlässen tatsächlich eine solch dominante Rolle spielt, wie von den Stu‐ dien zur Semantik des Lachens behauptet wird. Es ist daher auch wenig überraschend, dass die bisherigen ‚klassischen‘ Lachtheorien weitestgehend ohne den Körper ausgekommen sind; wenn sie ihn behandeln, dann spielt er eine untergeordnete Rolle. 9 Blickt man auf die Theorien der Antike, dann erkennt man hier bereits Fälle, in denen die Verdrängung der Körperlichkeit ein Phänomen der Rezeption ist. Ein berühmtes Beispiel 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 23 10 Obwohl Aristoteles bestimmte anthropologische Voraussetzungen für das Lachen definiert hatte, die mit Einschränkungen heute noch gültig sind (Lachen als proprium hominum, Lachen als Antwort auf einen Anlass), werden diese in den wenigen Sätzen zur Komödie nicht aufgenommen bzw. dis‐ kutiert. Es ist wahrscheinlich, dass sie im verloren gegangenen zweiten Buch der Poetik Eingang gefunden haben. 11 Aristoteles: Poetik. Griech./ Dt. Übers. u. hg. von Manfred Fuhrmann. Stuttgart 1994, S. 17. 12 Noch Fuhrmann versteht unter dem „Hässlichen“ nichts Körperliches, sondern das „sinnlich wahr‐ nehmbare Schlechte“. Aristoteles: Poetik, Kommentar S. 108. 13 Für Platon legt das Verlachen soziale Positionen fest, besonders dann, wenn lächerliche Menschen gleichzeitig sozial schwache Menschen sind, solche, die sich gegen das Lachen nicht wehren können. Vgl. Platon: Philebos. In: Werke. Im Auftr. der Kommission für Klassische Philologie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz hg. von Ernst Heitsch. Bd. 3,2. Übers. u. Kommentar von Dorothea Frede. Göttingen 1997, 49c. 14 Aristoteles mag hier von den Spaßmachern des griechischen Theaters beeinflusst sein, die vor allem mit gestischen und mimischen Deformationen das Publikum zum Lachen brachten. Vgl. dazu näher Kap. 3.2. hierfür ist die skizzenhafte Andeutung einer Komödientheorie in der aristotelischen Po‐ etik. 10 Aristoteles sieht im Hässlichen den wichtigsten Anlass des Lachens (5.1449a), was uns schlagartig das Hinken des Hephaistos ins Gedächtnis zurückruft, dessen körperliche Missbildung bereits Homer als lächerlich darstellte. Doch Aristoteles sieht im Hässlichen weniger eine soziale und anthropologische, als vielmehr eine ästhetische Kategorie: Die Komödie ist (…) Nachahmung von schlechteren Menschen, aber nicht im Anblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit, als das Lächerliche am Häßlichen teilhat. Das Lächer‐ liche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske häßlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz. 11 Auch wenn immer wieder betont worden ist, dass hier mit Hässlichkeit auch moralische und charakterliche Fehler gemeint sind, die keinen Schaden verursachen, 12 so ist doch am Beispiel der hässlichen und verzerrten Maske unschwer zu erkennen, dass Aristoteles das Lächerliche als Form innerhalb eines theatralen Als-ob-Rahmens denkt, in welchem die aufgeführte Lächerlichkeit keine Folgen hat. Fände das Lachen im sozialen Leben statt, wäre durchaus mit sozialen Veränderungen (Ehrverlust, Erniedrigung usw.) aufgrund des Ver‐ lachens von Hässlichkeit zu rechnen. Dies hatte Platon im Dialog Philebos deutlich gemacht, wo er das Lachen gerade wegen der negativen sozialen Implikationen (Freude am Verlachen bzw. an der eigenen Überlegenheit) ablehnt. 13 Auf dem Theater jedoch, in der Komödie, kann das Hässliche, das keinen Schaden anrichtet, nur körperlich dargestellt werden: Die „lächerliche Maske“ ist verzerrt und hässlich, d. h. die Fratze, das deformierte Gesicht des Lachenden wirkt auch als mimetischer Lachanlass. 14 Es geht Aristoteles um den Wahrneh‐ mungs- und Bildeindruck des Lächerlichen, den er in der Maske und im lächerlichen Körper erkennt. Sind bei Aristoteles theatrale Kategorien zu ästhetischen geworden, so wird das Lachen in Ciceros De oratore vor allem von rhetorischen Kategorien bestimmt. Seine Erörterungen, die ganz der Frage gewidmet sind, inwieweit der Redner das Lächerliche behandeln soll, haben folgerichtig die Rede und den Scherz in der Rede zum Thema; zwar werden wie in den Degradationsmodellen der Griechen auch körperliche Fehler und Gebrechen als Lach‐ 1. Der Körper als Lachanlass 24 15 Cicero, M. Tullius: De oratore. Über den Redner. Lateinisch / Deutsch. Übers. u. hg. von Harald Merklin, Stuttgart 1976, II. Buch 239, S. 361: „Est etiam deformitatis et corporis vitiorum ridentur“. 16 „Vsus autem maxime triplex: aut enim ex aliis risum petimus aut ex nobis aut ex rebus mediis. Aliena aut reprendimus aut refutamus aut elevamus aut repercutimus aut eludimus. Nostra ridicule indi‐ camus et, ut verbo Ciceronis utar, dicimus aliqua subabsurda. Namque eadem quae si inprudentibus excidant stulta sunt, si simulamus venusta creduntur. XXIV. Tertium est genus, ut idem dicit, in decipiendis exspectationibus, dictis aliter accipiendis, ceteris, quae neutram personam contingunt ideoque a me media dicuntur“. Quintilian, Institutio oratoria. Buch 6, Kap. 3, 22 f. 17 Vgl. dazu ausführlich Kap. 3.2 18 „Es geziemt sich für den Redner keineswegs sein Gesicht zu verzerren und unsittliche Gesten zu machen, welche im Mimus Lachen zu erregen pflegen. Genauso wenig opportun sind unflätige Späße und solche, die auf den Theaterbühnen aufgeführt werden. Was das Obszöne angeht, muss es nicht nur aus seiner Sprache getilgt werden, sondern sollte noch nicht einmal angedeutet werden. Selbst wenn unser Gegner es verdient hätte, sollte unser Verhalten es [das Obszöne] auch als Spiel meiden.“ Quintilian, Inst. Orat. 6,3,29 (Übers. HRV). anlass genannt, doch geht es hier in der Hauptsache um die Lizenzen des Sprechens darüber bzw. die Grenzen der witzigen (verbalen) Verspottung. Die aristotelische Bestimmung des Lächerlichen als die Aufführung des Gemeinen und Hässlichen bezieht er auf den Witz und das Scherzen: „Einen recht hübschen Stoff zum Scherzen bieten auch Missgestalt und kör‐ perliche Gebrechen.“ 15 Es ist hier nicht der Körper selbst, der als Lachanlass fungiert, son‐ dern er liefert lediglich den „Stoff “ für verbale, rhetorisch mehr oder weniger kunstvolle Scherzreden und witzige Aussprüche. Ganz ähnlich liegen die Dinge bei der zweiten einflussreichen rhetorisch bestimmten Theorie des Lachens in der Antike, Quintilians Institutio oratoria. Im Anschluss an Cicero macht Quintilian deutlich, wie sehr seine Überlegungen auf das Erregen von Lachen durch den Redner bezogen sind. Er unterscheidet drei Weisen, um Lachen zu erregen: (1) das Verspotten anderer bzw. der Worte anderer, (2) die Selbstironie, (3) die Täuschung von Erwartungshaltungen. 16 Körperliche Lachanlässe werden ganz ähnlich wie bei Cicero zwar genannt („Item ridicula aut facimus aut dicimus“) doch als unangemessen abgelehnt. 17 Quintilian ist noch rigoroser in Bezug auf die Grenzen des Witzes und der Komik: Alles, was nur in die Nähe von Bühnenkomik oder gestischer Komik führt, soll vermieden werden: Oratori minime convenit distortus vultus gestusque, quae in mimis rideri solent. Dicacitas etiam scurrilis et scaenica huic personae alienissima est: obscenitas vero non a verbis tantum abesse debet, sed etiam a significatione. Nam si quando obici potest, non in ioco expro‐ branda est. 18 Quintilian lehnt es aus leicht verständlichen Gründen ab, über obszöne und theatrale Komik zu handeln, weil diese in ihrer Körperlichkeit kein angemessenes Thema sei. Die Verzer‐ rungen des Körpers und die dicacitas scurrilis werden dem Theater zugeschrieben und somit einem sozialen Ort, der außerhalb der Grenzen rhetorischer (und theoretischer) Zustän‐ digkeit liegt und in der Folge nicht zu behandeln sei. In gewisser Weise übernehmen die meisten philosophischen Lachtheorien bis ins 20. Jahrhundert hinein Quintilians Auslas‐ sung des Körpers und konzentrieren sich auf die Sprache, den verbalen Scherz und Witz, oder auf das Lächerliche und Komische allgemein. 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 25 19 Hobbes, Thomas: On the Human Being (1658). In: Th.H.: The English Works. Vol. 4. Part 1. Chapter 12: “Affections or disturbances of the mind“. Dt.: Vom Menschen. Vom Bürger. Eingel. u. hg. von Günter Gawlick. Hamburg 1959, S. 33. 20 Thomas Hobbes, Leviathan 6.21. Hervorh. H.R.V. 21 Abgesehen davon, dass die Überlegenheitstheorie Hobbes’ bereits im 18. Jahrhundert starker Kritik ausgesetzt war - Francis Hutcheson stellte klar, dass nicht jedes Gefühl der Überlegenheit sich im Lachen äußert - wird das Überlegenheitsgefühl heute als eine von vielen Reaktionen auf Lachanlässe verstanden. Hutcheson, Francis: Reflexions upon Laughter, Glasgow 1750. 22 In der Tat ist der Begriff „Vergleichstheorie“ besser als „Überlegenheitstheorie“ für den Hobbesschen Ansatz geeignet, da es sich immer um eine Vergleichung des Lächerlichen mit der eigenen Erfahrung bzw. dem eigenen Ich handelt. Überlegenheits- und Inkongruenztheorien Thomas Hobbes erklärt in seinem Traktat über den Menschen die Entstehung des Lachens aus einer plötzlichen Überlegenheit heraus: „Laughter is nothing else but a sudden glory arising from some sudden conception of some eminency in ourselves by comparison with the infirmity of others.“ 19 Er formuliert damit die erste Superioritätstheorie des Lachens und verlegt so den Fokus vom lächerlichen Objekt in das wahrnehmende Subjekt und vom Theater bzw. der Rede in den Bereich der Affekte und des gesellschaftlichen Konflikts. Mit dieser Position verlässt Hobbes die Ebene des Körpers vollkommen und behandelt das La‐ chen als (negativ bewertete) soziale Funktion: Es soll andere einschüchtern, indem es sie erniedrigt. Der Körper ist zwar als Lachanlass noch spürbar, auch das Lachen selbst wird mit der Metapher der Grimasse bezeichnet, doch beides wird gewissermaßen entmaterial‐ isiert. Im Leviathan schreibt Hobbes zusammenfassend: Sudden glory is the passion which maketh those grimaces called laughter; and is caused either by some sudden act of their own that pleaseth them; or by the apprehension of some deformed thing in another, by comparison whereof they suddenly applaud themselves; who are forced to keep themselves in their own favour by observing the imperfections of other men. And therefore much laughter at the defects of others is a sign of pusillanimity. 20 Das Lachen ist hier zur Grimasse geworden und der Lachanlass die Wahrnehmung einer Deformation; welche Art Deformation jedoch gemeint ist, wird nicht gesagt. Hobbes be‐ dient sich zwar Körpermetaphern, um das Lachen zu beschreiben, diese zielen in ihrer abstrakten Anwendung jedoch auf eine Generalisierung: Mit „some deformed thing“ scheinen viele Arten des Normfernen und Minderen gemeint zu sein. 21 Hobbes’ Ausfüh‐ rungen beruhen im Grunde auf der Wahrnehmung eines Vergleichs im sozialen Leben. 22 Sie gehen nicht auf die Wurzeln dieser Wahrnehmung ein, sie unterscheiden auch nicht zwischen Körper und Aussehen, Geist und sozialer oder ethnischer Herkunft des lächerli‐ chen Gegenübers, sie rechnen nicht mit seiner Täuschung und Verstellung (im Falle des Possenreißers), sondern sind ganz auf den lustvollen Affekt des Lachens selbst bezogen. Im Körper erkennt Hobbes keinen eigenständigen Lachanlass. Ganz ähnlich verhält es sich mit einer anderen Variante des Vergleichs, den sogenannten Katastrophentheorien, bei denen das Lachen nicht aus Überlegenheit, sondern aus über‐ 1. Der Körper als Lachanlass 26 23 Das Lachen ist in diesen Modellen der Ausdruck für die Erleichterung, der Katastrophe entronnen zu sein: „Die Lust des Lachens resultiert also nicht aus Überlegenheit, sondern daher, dass wir von einem Abgrund mit heiler Haut davongekommen sind. (…) Phylowie Ontogenese des Lachens können deutlich machen, dass das Lachen seine Kehrseite in Bedrohungen hat. Es steht mit den die Zivilisation prägenden Triebkonflikten in enger Beziehung.“ Jurzik, Die zweideutige Lust am Lachen, S. 44. 24 Baudelaire, Charles: Vom Wesen des Lachens. Einige französische Karikaturisten. Einige ausländi‐ sche Karikaturisten. In: C. B.: Sämtliche Werke / Briefe. Bd. 1. Hg. von Friedhelm Kemp u. Claude Pi‐ chois. München / Wien 1977, S. 284-305, S. 286. 25 Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung. 2 Bde. Zürich 1977, hier 2. Bd. Kap. 8. 26 Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. Werkausgabe Band X. Hg. von Wilhelm Weischedel. Frank‐ furt a. M. 1974. Paragraph 54, S. 270-276. 27 Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 271. Zur Bisoziation Koestlers s.unten Kap. 1.2 28 Als ein Beispiel zitiert Kant den Witz über den Indianer, der sich nicht über den Schaum des Bieres wundert, der aus der Flasche dringt, sondern darüber, wie er in die Flasche hineingekommen sei. wundener Angst resultiert. 23 So formuliert Charles Baudelaire in seinem Essay Vom Wesen des Lachens (1855): „Fest steht (…), daß das menschliche Lachen aufs engste mit der Kata‐ strophe eines frühen Falles, einer physischen und moralischen Erniedrigung verknüpft ist.“ 24 Am Beispiel des Sturzes veranschaulicht Baudelaire, dass Lachen nicht nur der Scha‐ denfreude, sondern der Freude an der eigenen Vermeidung des Sturzes entspringe. Auch bei dieser subjektbezogenen Theorie geht es um die Verarbeitung einer sinnlichen Wahr‐ nehmung, bei der die somatischen Bezüge des Vorgangs nicht in Erscheinung treten. Hierzu gehört schließlich auch die These, dass Lachen aus einem Gefühl der Unterlegenheit heraus entsteht (Verlegenheitslachen), ein Versuch, Lachen über die Selbstwahrnehmung (und hier wiederum nicht über den eigenen Leib) zu erklären. Das wahrnehmende Subjekt steht auch bei den Inkongruenztheorien im Mittelpunkt. Die erste Inkongruenztheorie wurde von Schopenhauer formuliert: Das Lachen entstehe plötzlich in der Wahrnehmung einer „Inkongruenz zwischen einem solchen Begriff und dem durch denselben gedachten realen Gegenstand, also zwischen dem Abstrakten und dem Anschaulichen.“ 25 Mit diesem Konflikt zwischen Verstand und Intuition schließt Scho‐ penhauer indirekt an Kants berühmte Definition des Lachens als eines Affektes, der aus der „plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts“ entstehe, an. 26 Kant hatte im Lachanlass etwas „Widersinniges“ bemerkt, eine Inkongruenz von Erwartung und ihrer Enttäuschung. Kants und Schopenhauers Inkongruenzthesen machten deshalb Karriere, weil sie sich auch zur Bestimmung des Komischen als einer plötzlichen Nebeneinander‐ stellung oder „Bisoziation“ (Koestler) inkompatibler Regeln, Codes oder Logiken eigneten, deren Erscheinen eine anfängliche Verwirrung auslösten, gefolgt von einer raschen An‐ passungsleistung und einer Auflösung des Problems. Es handelt sich dabei um einen zwei‐ stufigen kognitiven Wahrnehmungsprozess, der über die Erkenntnis eines Widerspruchs als Spiel mit der Vorstellung (Kant) verläuft und gerade durch seine Absorption von Auf‐ merksamkeit Lachen hervorruft. Dabei spielt der Körper, bei Kant etwa eine bedeutende Rolle als Resonanzboden, wenn die Belebung durch das Lachen als eine körperliche und als „Spiel von der Empfindung des Körpers zu ästhetischen Ideen“ bezeichnet wird. 27 An Körperliches als Lachanlass jedoch scheint Kant weniger gedacht zu haben; auch ihm schwebt das Komische einer heiter gestimmten Konversation als Idealfall für das Lachen vor, wie sein Beispiel eines witzigen Missverständnisses zeigt. 28 Inkongruenztheorien 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 27 29 James English macht darauf aufmerksam, dass lächerliche Inkongruenzen ihr Fundament in sozialen Inkongruenzen haben; Lachen benötige den Konflikt, was man daran erkennen könne, dass weder im Paradies noch in utopischen Gesellschaften gelacht werde. English, James F.: Comic Transactions. Literature, Humor, and the Politics of Community in Twentieth-Century Britain. Cornell 1994, S. 9. 30 Ewald Hecker: Die Physiologie und Psychologie des Lachens und des Komischen. Ein Beitrag zur expe‐ rimentellen Psychologie für Naturforscher, Philosophen und gebildete Laien. Berlin 1873, S. 241 ff. 31 Schon Plessner weist auf die Mängel des Heckerschen Ansatzes hin: „Es bietet heute keine Schwie‐ rigkeiten mehr, die Unhaltbarkeit der physiologischen und psychologischen Stützen an Heckers Theorie nachzuweisen.“ Plessner, Lachen und Weinen, S. 284. 32 Spencer, Herbert: The physiology of laughter. In: Essays: Scientific, Political and Speculative. Vol. II. New York 1891, S. 452-466. Spencer nennt drei Hauptwege, auf die sich die nervöse Energie verteilt: Innervation der Gefäßverengung (daher Erröten und Erbleichen), Innervation des motorischen Sys‐ tems und drittens Assoziation von der Emotion verwandten Ideen und Gefühlen. Für das Lachen ist der zweite Weg entscheidend. nennen zwar hin und wieder auch Körperliches als gegensätzlich, doch der eigentliche Auslöser des Lachens ist eine Vorstellungsleistung bei der Wahrnehmung der Inkongruenz. Kritiker haben angemerkt, dass die Inkongruenzthese nicht mehr als ein Aspekt des komi‐ schen Vorgangs ist, eine bindende Spannung, die auf einen Widerspruch im Sozialen hin‐ deutet, und der für die Situation konstitutiv ist. 29 Auch vor diesem Hintergrund ist es er‐ klärlich, dass keine Überlegenheits- oder Inkongruenztheorie ein methodisch brauchbares Instrument für die Untersuchung körperlicher Lachanlässe enthält. Psychologische Entlastungstheorien In weiten Bereichen stimmen die Entlastungsmodelle des Lachens mit den Inkongruenz‐ theorien überein (Lachen als Reaktion eines wahrnehmenden Subjekts, kognitive Verar‐ beitung des Anlasses), sie konzentrieren sich aber vornehmlich auf die psychologischen Prozesse des Lustgewinns bzw. der Unlustvermeidung beim Lachen. So erkennt Ewald He‐ cker - im Anschluss an Kants und Vischers ontologische Auffassungen vom Lächerlichen als eines Hin- und Herschwankens zwischen Lust und Unlust - das Lachen als eine inter‐ mittierende, rhythmisch unterbrochene, freudige Gefühlserregung, der eine intermittie‐ rende Sympathicusreizung zugrunde liegt. 30 Lachen erscheint so als ein Reflex, ein Schutz‐ mechanismus des Körpers bei ambivalenten Situationen, die gleichzeitig angenehme und unangenehme Gefühle provozieren. 31 Auch wenn Hecker damit das Lachen als Reaktion auf physische Reize wie den Kitzel und auf das Komische als analoge Strukturen mitei‐ nander in Verbindung bringen kann, und somit das Augenmerk auf den auslösenden Mo‐ ment legt, so hat er keinerlei Versuche unternommen, den Lachreiz des fremden Körpers in sein System einzubeziehen. Schon vor Hecker hatte Herbert Spencer die wichtigen Zusammenhänge von Physiologie und Psychologie beim Lachen erkannt. In seinem kurzen doch sehr einflussreichen Essay The Physiology of Laughter (1860) erscheint das Lachen als Phänomen psychischer Entlas‐ tung im Sinne der Entladung einer zuvor akkumulierten übergroßen psychischen Spannung bzw. eine Abfuhr nervöser Energie. 32 Spencer geht davon aus, dass starke Emotionen wie Angst und Aggression „nervöse Energie“ produzieren, welche akkumuliert wird und in der Lachsituation abgeführt werden kann. Das Lachen stellt sich ein, wenn die Aufmerksamkeit eines emotional „aufgeladenen“ Organismus durch einen wenig bedeutenden Vorfall ab‐ 1. Der Körper als Lachanlass 28 33 „Laughter naturally results only when consciousness is unawares transferred from great things to small - only when there is what we may call a descending incongruity“. Spencer: The physiology of laughter, S. 463. 34 Als ebenfalls von Spencer und von Kant beeinflusst gilt der Ansatz von Theodor Lipps, dessen Aufsatz Komik und Humor von 1898 häufig zu den psychologischen Lachtheorien gerechnet wird, weil er psychologische mit ästhetischen Elementen verbindet und einen beträchtlichen Einfluss auf Freud ausübte. Allerdings streift Lipps das Lachen nur am Rande und trennt es, ungleich vielen seiner Vorgänger, deutlich von der Komik. S. unten die Diskussion der Komiktheorien. Lipps, Theodor: Komik und Humor. Eine psychologisch-aesthetische Untersuchung. Hamburg / Leipzig 1898. 35 Bliss, Sylvia H.: The Origin of Laughter. The American Journal of Psychology 26 (1915), S. 236-246, S. 239. gelenkt wird, der weniger emotionalen Aufwand benötigt („descending incongruity“). 33 Spencer erklärt dies mit Hilfe von energetischen Metaphern des Strom- und Wasserkreis‐ laufes, die den emotionalen „Stau“ und nachfolgende Entladung von Spannung plausibel machen können. Der Lachanlass erhält in dieser Perspektive die Funktion eines Reizes für die Öffnung eines muskulär-motorischen Ventils, durch welches überschüssige Energie entweichen kann. Das energetische Modell Spencers ist zwar stark kritisiert worden, hat als Denkmodell für die Relation von nervösen, motorischen und energetischen Aspekten des Lachens jedoch seine Berechtigung. Leider ist das Prinzip des energetischen Ausgleichs nur auf die einzel‐ menschliche Psyche anwendbar, und nicht auf die energetischen Prozesse zwischen anwe‐ senden Körpern, was es für unsere Zwecke nur wenig brauchbar macht. Trotzdem muss sein Einfluss auf die nachfolgenden psychologischen Erklärungsmodelle des Lachens bis zu Freud konstatiert werden. 34 Etwas anders als Spencer versteht Sylvia H. Bliss in ihrem Aufsatz mit dem vielsagenden Titel The Origin of Laughter die psychologischen Mechanismen des Lachens. Ausgehend vom Konflikt zwischen natürlichen und sozialen Trieben sieht sie im Lachen das Ergebnis einer plötzlich aufgehobenen Repression: „Laughter is the result of suddenly released re‐ pression, the physical sign of subconscious satisfaction.“ 35 Diese Aufhebung der Triebun‐ terdrückung stellt sie in einen an Darwin angelehnten phylogenetischen Rahmen, in wel‐ chem der Mensch schrittweise seine Triebe und Instinkte verdrängt hat. Bei Bliss wird eine Schwäche vieler psychologischer Ansätze deutlich, dass nämlich das Lachen lediglich als ein „physisches Zeichen“ innerpsychischer Vorgänge gewertet wird. Die sichtbaren phy‐ siologischen Phänomene sind nur ein Ausdruck der dahinter liegenden seelischen Vor‐ gänge, welche jedoch nur skizzenhaft beschrieben werden können. Verhaltens- und Sozialmodelle Während bei Bliss phylogenetische Aspekte des Lachens eher angedeutet bleiben, spielen sie bei biologisch und ethologisch motivierten Untersuchungen eine größere Rolle. Die dabei analysierten Zusammenhänge von tierischem und menschlichem Verhalten sind in Bezug auf die Körperlichkeit des Lachens insofern von Bedeutung, als entwicklungsbiolo‐ gische Modelle eventuell Hinweise auf historische Prozesse der sozialen Bedeutung des Lachens geben können. 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 29 36 Dies ist bei Pferden, Graugänsen, Enten und Gimpeln beobachtet worden. Bei den Gänsen führt im Werbezeremoniell das Männchen eine Performance auf, bei der es einen vermeintlichen Angreifer in die Flucht schlägt (um seine Kraft zu zeigen). Dabei lässt es ein Triumphgeschnatter verlauten. Vgl. im Anschluss an Konrad, Lorenz u. Eibl-Eibesfeldt, Irenäus: Grundriß der vergleichenden Ver‐ haltensforschung. Ethologie. 8. Aufl. München 1999, S. 242-255. 37 Eibl-Eibesfeldt, Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung, S. 249. 38 Grammer, Karl u. Eibl-Eibesfeldt, Irenäus: The Ritualisation of Laughter. In: Natürlichkeit der Sprache und der Kultur. Acta Colloquii. Hg. von Walter A. Koch. Bochum 1990. Bochumer Beitr. zur Semiotik (18), S. 192-214, hier S. 195. 39 Jefferson hat die in der Komik- und Humorforschung vorherrschende Ansicht korrigiert, Lachen folge immer auf einen humoristischen Stimulus. Jefferson, Gail: A Technique for Inviting Laughter and its Subsequent Acceptance / Declination. In: Everyday Language. Studies in Ethnomethodology. Hg. von George Psathas. New York 1979, S. 79-96. Die Ethologen Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeld deuten das Lachen als ein ins‐ tinktives „ritualisiertes Verhalten“, das einer ursprünglichen Drohbewegung (etwa dem Zähnezeigen) die Aggression nimmt und sie in ein spielerisches Necken (spielerisches Zu‐ beißen) oder in Grußgebärden verwandelt. Solchen Gebärden liegen ethologisch aggressive Verhaltensweisen zugrunde, die aber mit Spielsignalen gekoppelt und somit entschärft werden. 36 So Eibl-Eibesfeld: Es ist ziemlich sicher, dass im Lachen Aggression steckt. Die rhythmische Lautäußerung erinnert an ähnliche Lautäußerungen, mit denen viele Primaten einer Gruppe gemeinsam gegen einen Feind drohen (‚hassen‘). Ein solches gemeinsames Drohen verbindet die Mitglieder einer Gruppe. (…)Außerhalb der Gruppe Stehende berührt ein solches Lachen eher unangenehm, ja, wenn es den Charakter des Auslachens trägt, wirkt es ausgesprochen aggressiv, herausfordernd. Lachen scheint in seiner ursprünglichen Funktion gegen Dritte zu verbinden. 37 Zum Gruppendrohen kommt in der Entwicklung des Lachens ein körperliches Merkmal hinzu, das sogenannte ‚entspannte Mundoffengesicht‘ („relaxed open mouth display“), dem eine spielerische Beißintention zugrunde liegt. Es ist bei jungen Primaten häufig anzu‐ treffen und hier ein metakommunikatives Signal, welches das mit ihm verbundene Ver‐ halten als Spottaggression oder Spiel kennzeichnet: „(…) a common pattern during play among primate infants, which is a metacommunicative signal, designating the behaviour with which it is associated as mock aggression or play.“ 38 Das entspannte Mundoffengesicht ist ein Merkmal ritualisierten Verhaltens, dessen Funktionen Vereinfachung, Wiederer‐ kennbarkeit und Eindeutigkeit des Signals sind. Auch beim Menschen können solche ritu‐ alisierten Merkmale beobachtet werden: Neben dem gesprächsbegleitenden Lachen als Sti‐ mulus können auch bestimmte mimische und gestische Verhaltensweisen eine spielerische / scherzhafte Situation signalisieren (Zwinkern, Brauenziehen), wie etwa beim ironischen Sprechen. Initiallachen etwa evoziert in der Regel Reaktionslachen, und Lach‐ partikel in Äußerungen sind oft Lachsignale: was jetzt kommt, ist spielerisch gemeint, es darf gelacht werden. 39 Der soziale Sinn einer spielerischen Markierung liegt vor allem in der Vermeidung eines Gesichtsverlustes: Gerade in Begegnungen mit Unbekannten und dominanten Partnern (auch in Geschlechterbeziehungen) können risikoreiche Handlungen als scherzhaft ausge‐ geben werden, um im Fall der Ablehnung Frustration und Rangminderung zu verhin‐ 1. Der Körper als Lachanlass 30 40 Zahlreiche Studien untersuchen die Geschlechterunterschiede beim Lachen; immer wieder wird be‐ tont, dass in gemischten Gruppen Frauen häufiger lachen als Männer, vor allem beim punktuellen Lachen, wohingegen Männer häufiger den Lachanlass liefern. Lachen wird als Indikator für Interesse gesehen, hat bei risikoreichen geschlechtlichen Begegnungen auch taktische Funktionen. Vgl. Grammer u. Eibl-Eibesfeld, The Ritualisation of Laughter, S. 212; Kotthoff, Helga: Das Gelächter der Geschlechter. Humor und Macht in Gesprächen von Frauen und Männern. Frankfurt a. M. 1988; sowie weitere Untersuchungen zum Thema. 41 Provine, Laughter. A Scientific Investigation, a. a. O. Provine wird auf dem Klappentext als „the world’s leading scientific expert on laughter“ beschrieben. Das Buch fasst mehr als 40 Beiträge aus zehnjäh‐ riger Arbeit zusammen. 42 „Laughter, I found, is an ancient vocal relic that coexists with modern speech - a psychological and biological act that predates humor and speech and is shared with our primate cousins, the great apes“. Provine, Laughter, S. 2. 43 Provine, Laughter, S. 2. Vgl. sein Kap. „Tickling Relationships“, S. 99-128. dern. 40 In allen Fällen trägt das Lachen zum Abbau von Aggression bei. Das Lachen als körperliches, ritualisiertes Markierungssignal bei der Interaktion dient somit der Festigung der Gemeinschaftskohäsion durch Korrektur und Anpassung normüberschreitenden Ver‐ haltens. Die wichtige Rolle des Lachens als Mittel der Kohäsionssteigerung von Gemein‐ schaften werde ich weiter unten noch genauer betrachten, und zwar im Zusammenhang mit Gemeinschaften der Vormoderne. Dort diskutiere ich auch die wichtigsten sozial aus‐ gerichteten Theorien von Lachen und Komik. Festzuhalten ist einstweilen, dass die etho‐ logische Lachforschung zwar anderen Erkenntnisinteressen als unseren nachgeht, ihre Be‐ funde zur Rolle körperlichen Verhaltens in der Interaktion aber genutzt werden können. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang noch die Arbeit des Psychologen und Verhaltensforschers Robert Provine. 41 Mit Hilfe neurobiologischer Modelle und soziologi‐ scher Feldforschung versucht er, das Lachen als Verhaltens- und Kommunikationsform au‐ ßerhalb gängiger Schemata wie Witz, Komik und Humor zu bestimmen: Lachen als lautli‐ cher Bestandteil der Rede, der älter als die Sprache selbst ist und auf ritualisierte Kommunikationsformen verweist. 42 Im Anschluss an die Ethologie (v. a. van Hooff) erklärt Provine dies entwicklungsbiologisch: Erst der aufrechte Gang habe den Thorax befreit und es möglich gemacht, die für den Menschen typischen Lachlaute auszustoßen. Damit erklärt Provine auch den Kitzel als ältesten Lachstimulus: „From tickling, an ancient stimulus for laughter, we learn of laughters‘ descent from the ritualized panting of rough-and-tumble play“ 43 Die Ergebnisse von Provines Feldforschung bestätigen, dass Lachen ein vorprogram‐ mierter Marker für Spiel und die Bestätigung sozialer Bindung ist: In Gesprächen konnte häufiger als reaktionsförmiges das redebegleitende Lachen und Lach-Sprechen (laugh-speak) festgestellt werden. Zahlreiche Formen des Lachens ohne Komik wurden identifiziert, bei denen Lachen als ungeplant, emergent und nicht zensierbar erscheint. Weitere Aspekte des Lachens als menschliches Sozialverhalten sind seine ansteckende Wirkung sowie seine therapeutische Funktion. Provine hat sich mit seiner Anti-Humor-These zwar ein ergiebiges Terrain erarbeitet, indem er das Lachen als Phänomen ernst nimmt und es sehr weitläufig definiert (so ist auch ein einzelner Lacher „ha“ als Lachen zu bezeichnen). Andererseits bedeutet dies auch, dass der gesamte Sektor der professionellen Unterhaltung (der für unser Thema entscheidend ist) ausgeklammert werden muss: Das geplante, intentionale Erregen von Lachen, das Lä‐ 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 31 44 Einen Überblick über die Forschung gibt Attardo, Salvatore: Linguistic Theories of Humor. Berlin / New York 1994; sowie Raskin, Victor (Hg.): The primer of Humor Research. Berlin / New York 2008. 45 Schon im 18. Jh. war die Sprache ins Zentrum der Lachtheorien gerückt: Hutcheson: Reflexions upon Laughter, S. 50; Beattie, James: An Essay on Laughter and Ludicrous Composition. In: J. B.: The Phi‐ losophical and critical works of Sir James Beattie. Vol. 1: Essays (1776). Hg. von Bernhard Fabian. ND Hildesheim 1975. 46 Raskin, Victor: Semantic Mechanisms of Humor. Dordrecht / Boston / Lancaster 1985, S. 99 ff. cherlichmachen hat hier keinen Ort. Was die Übertragung des Lachens angeht, argumen‐ tiert er rein neurobiologisch und beachtet die psychosozialen Implikationen der Kommu‐ nikation zwischen Körpern kaum. Humor Research: Skriptsemantische Theorien und ihre Varianten Ein Großteil der heutigen Forschung zum Lachen und zur Komik findet im Rahmen se‐ mantischer Modelle der Sprache statt. Hier hat sich sogar ein eigenes Forschungsfeld kon‐ stituiert, die Humorforschung (Humor Research) um die Zeitschrift Humor. International Journal of Humor Research, deren wichtigste Vertreter die Gründer und ehemaligen He‐ rausgeber Victor Raskin und Salvatore Attardo sind. Der Humorforschung und den mit ihr verbundenen linguistisch-semantischen Theorien (zunächst die SSTH - Semantic Script Theory of Humor, dann die GTVH - General Theory of Verbal Humor) liegen zwei Prä‐ missen zugrunde: (1) Sie gehen von der Annahme aus, dass Lachen immer einen Akt der Erkenntnis vo‐ raussetzt: Erkenntnis über Situationen, über andere, über sich selbst. Lachen hängt somit von einer vorangehenden kognitiven Operation ab. So verstanden erschließt sich das Lachen über komische Strukturen (semantischer Kontrast, semantische In‐ kongruenz), und die „Skripts“ (als kognitive Organisationsformen von Wissen) von Witz und Komik sind die Hauptgegenstände der Humorforschung. 44 (2) In untrennbarem Zusammenhang mit der ersten Prämisse steht die zweite: Witz und Komik sind sprachliche Phänomene. Die Linguistik liefert operationalisierbare Mo‐ delle, 45 mit denen das spezifische Arrangement syntaktischer und semantischer Ele‐ mente als Kontrast, Überlappung oder Inkongruenz beschreibbar ist. Raskin und Attardo stellen ihre Humortheorie auf der Basis von semantischen Textstruk‐ turen schriftlicher Witze auf. Sie erstellen sogenannte skriptsemantische Humormodelle, bei denen die Überlappung (oder Bisoziation) von zwei oder mehreren kognitiven Mustern (bzw. „Skripts“, „Rahmen“ oder „Schemata“) im Mittelpunkt steht. Die Skripts stellen meist große Gegensätze dar, sie müssen in einem Oppositionsverhältnis, dem des Widerspruchs oder dem der Uneindeutigkeit zueinander stehen. Das Entscheidende ist, wie das Switching, der Übergang von einem Skript zum anderen, erfolgt. In jedem Fall kommt es zu einer „komischen Überlappung der Deutungsrahmen.“ 46 Dieser Ansatz kann heute als der international bekannteste innerhalb der Erforschung von Witz und Komik bezeichnet werden. Obwohl er im angloamerikanischen Sprachraum über die Zeitschrift Humor weit verbreitet und anerkannt ist, wurde er in Deutschland spät 1. Der Körper als Lachanlass 32 47 Etwa durch Helga Kotthoff und durch Kindt, Tom: Literatur und Komik: Zur Theorie literarischer Komik und zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert (Deutsche Literatur. Studien und Quellen, 1). Berlin / New York 2011. 48 Vgl. die Kritik bei Kotthoff, Helga: Spaß verstehen. Zur Pragmatik von konversationellem Humor. Tü‐ bingen 1998, S. 50. 49 Vgl. Oring, Elliott: Parsing the joke. The General Theory of Verbal Humor and appropriate incon‐ gruity. In: Humor. International Journal of Humor Research 24.2 (2011), S. 203-222, hier S. 218. 50 Vgl. z. B. Ritchie, Graeme D.: The Linguistic Analysis of Jokes. London 2004, S. 69-75. 51 Vgl. dazu Apte, Mahadev L.: Disciplinary boundaries in humorology: an anthropologist’s rumina‐ tions. In: Humor: International Journal of Humor Research 1 (1988), S. 5-25. Humor als interdiszipli‐ näres Forschungsfeld verlangt nach Apte die Einrichtung einer eigenen akademischen Disziplin oder einer Forschungsrichtung „Humorologie“. 52 Beispielsweise: „Humor (…) depends on the perception of an appropriate incongruity; that is the perception of an appropriate relationship between categories that would ordinarily be regarded as incongruous“. Oring, Elliott: Engaging Humor. Urbana / Chicago 2003, S. 2. Viele englische und ame‐ rikanische Humorstudien leiden auch darunter, dass ihre Verfasser keine fremdsprachlichen Texte zu lesen in der Lage sind. Nicht-englischsprachige Literatur wird immer nur in Übersetzung zitiert und zeitgenössische Arbeiten nicht zur Kenntnis genommen. Ärgerlich wird es, wenn gerade fremd‐ sprachliche Ansätze falsch und unzureichend dargestellt werden, um sie umso besser widerlegen zu können. 53 Glenn, Phillip: Laughter in Interaction. Cambridge 2003, S. 23. und nur wenig rezipiert, 47 was nicht auf Desinteresse oder Rückständigkeit zurückzuführen ist, sondern auf die Skepsis gegenüber dezidiert universalistischen Modellen. Dies hatte bereits in den 1990er Jahren zu Kritik geführt: Abgesehen davon, dass hier das Lachen auf Effekte der Sprache und ihrer Semantik verkürzt wird, ist auch die sprachliche Analyse einseitig auf schriftliches Material bezogen, wohingegen die pragmatischen Dimensionen der Sprache (Gebrauch, soziale Funktion, Wirkung, redebegleitende Gesten) kaum berück‐ sichtigt werden. Deshalb kommt es zu „einer klaren Beschneidung des Kreativen“ (Kot‐ thoff), indem etwa der für Witze zentrale Aspekt des Überraschungseffekts bei der Poin‐ tenanalyse kaum eine Rolle spielt. 48 Weitere Kritikpunkte betreffen den Skriptbegriff, die Konsistenz von Oppositionsverhältnissen, die Tauglichkeit abstrakter Witzmodelle 49 und - für unsere Fragestellung bedeutsam - die Übertragbarkeit der Modelle auf frühere histori‐ sche Epochen und Texte. 50 Allerdings sind die Ergebnisse zur Funktionsweise von Witzen und Sprachkomik aus linguistischer Sicht durchaus beachtlich, nur können sie keinen An‐ spruch auf Komik und Lachen insgesamt erheben. Durch die Etablierung eines interdisziplinären Forschungsfeldes „Humor“ hat der Begriff selbst eine ungeheure Ausdehnung erfahren, der seine ursprüngliche, aus der Säftelehre entstandene Bedeutung einer erbaulichen, subjektiven Fähigkeit der scherzhaften Kom‐ munikation weit überschritten hat. 51 Die Humor Studies folgen einem problematischen Hu‐ morbegriff, der als gemeinsamer Nenner Lachen, Komik, Witz und Humor in einer Art anthropologischer Superstruktur („humor as a cultural universal“) zusammenfasst, wo je‐ weils nach Blickwinkel der Untersuchung sprachlich-semantische, psychologische oder kognitionstheoretische Prämissen vorherrschen. 52 Oder es kommt zu Hybridisierungen, wie in einer interaktionstheoretischen Studie zum Lachen: „Humor may be better under‐ stood as a complex response to stimuli - internal and external - combining elements of superiority, incongruity, or release.“ 53 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 33 54 Kipf, Johannes Klaus: Mittelalterliches Lachen über semantische Inkongruenz. Zur Identifizierung komischer Strukturen in mittelalterlichen Texten am Beispiel mittelhochdeutscher Schwankmären. In: Komik und Sakralität. Aspekte einer ästhetischen Paradoxie in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Anja Grebe und Nikolaus Staubach. Frankfurt a. M. u. a. 2005, S. 104-128; kritisch dazu auch: Hamilton, Theresa: Der Mechanismus des Humors. Eine linguistisch-narratologische Schnittstelle von Vormoderne und Moderne. In: Valenzen des Lachens in der Vormoderne (1250-1750). Hg. von Stefan Biessenecker u. Christian Kuhn. Bamberg 2012, S. 71-98, hier S. 84-86. 55 „Humor ist eine Praxis, eine existierende lebensweltliche Praxis, und er ist eine Praxis, die vollzogen, performed wird, sowohl in alltäglichen Witzen als auch anspruchsvoller und theatralischer in stand up comedies oder anderen Formen öffentlich ausgeübter Komik“. Critchley, Simon: Der Humor - Ein herrlich unmögliches Thema. In: Performativität und Praxis. Hg. von Jens Kertscher u. Dieter Mersch. München 2003, S. 141-152, hier S. 142. Der Aufsatz ist eine Zusammenfassung seines Bandes On Humour. London 2002, einer divulgativen Arbeit, die dem Laien das Thema näher bringen soll. Dem‐ entsprechend kann man hier nicht von neuen Ergebnissen, sondern von einer Aneinanderreihung bekannter vereinfachter Thesen sprechen. Die wenigen eigenständigen Gedanken werden nicht ausgeführt; etwa: „the root of comic (is) a person acting like a person“. 56 Wirth, Uwe: Vorbemerkungen zu einer performativen Theorie des Komischen. In: Performativität und Praxis. Hg. von Jens Kertscher u. Dieter Mersch. München 2003, S. 153-174, hier S. 172. 57 Dagegen wäre mit James English einzuwenden, dass Humor nicht von geglückter oder gescheiterter Kommunikation abhängt, sondern eine soziale Praxis ist, die die „ausgeklügelte Idiotie“ (Lacan) des Kommunikationsparadigmas unterbricht und problematisiert. English, Comic Transactions, S. 14. Es ist kaum zu übersehen, dass solche unscharfen methodischen Konzeptualisierungen für die Fragestellung dieser Arbeit kaum zweckdienlich sind. Ein semantisch-sprachlicher Humorbegriff ist eventuell für frühneuzeitliche Formen des Witzes, für Facetien zumal fruchtbar zu machen, wie dies Johannes Kipf angedeutet hat. 54 Die Tatsache jedoch, dass es sich hier um immer neue Varianten der Kontrast- und Inkongruitätstheorie der Komik handelt, dass weiterhin kaum zwischen Komik und Lachen getrennt wird, und dass es hier nicht oder nur äußerst marginal um den Körper geht, machen solche Ansätze kaum brauchbar für eine historische Anthropologie der Körperkomik. Dasselbe gilt für Versuche, die Searlesche Sprachakttheorie für sprachliche Komik zu nutzen. So versuchen Simon Critchley und Uwe Wirth jeweils eine performative Theorie des Humors vorzulegen: Während Critchley den Humor als aufgeführte Praxis sieht, die zum Lachen bringt, 55 versucht Wirth durch die Verbindung von sprechakttheoretischen Überlegungen und der Freudschen Theorie der Aufwanddifferenz die Skizze einer Poin‐ tentheorie zu entwerfen: „Komik entsteht, sobald sich konventionale Unglücksfälle und performative Aufwandsdifferenz überlappen.“ 56 Wirth erkennt in der Mehrdeutigkeit der tonalen Aspekte von Wort-Token (Pierce) und der Überlappung von propositionaler und pragmatischer Ebene („performativer Widerspruch“) die Möglichkeit des komischen Rah‐ menbruchs, und bezieht somit die tonalen und phatischen Elemente der sprachlichen Am‐ bivalenz mit ein. Auch wenn dies in die Richtung einer Einbeziehung des Körpers in Scherzverhältnisse geht, so verharrt die Theorie doch im sprachlich-semantischen Feld, ähnelt somit den bisherigen Konvergenztheorien und ist selbstverständlich ontologisch: Für Wirth funktioniert das Komische so und nicht anders. 57 Freilich sind die Humorstudien nicht nur auf skriptsemantische Analysen beschränkt. Für Arbeiten, die Witze und Scherzen in mündlicher Kommunikation untersuchen, sind das Lachen und seine sozialen Funktionen im Gespräch die wichtigsten Untersuchungsgegen‐ stände. Chapman und Foot konnten zeigen, dass Lachen durch das Lachen anderer deutlich 1. Der Körper als Lachanlass 34 58 Vgl. Foot, Hugh C. u. Chapman, Antony: The Social Responsiveness of Young Children in Humorous Situations. In: Humour and Laughter: Theory, Research and Applications. Hg. von Anthony J. Chapman u. Hugh C. Foot. London u. a. 1976, S. 187-214, hier S. 188. 59 Kotthoff, Helga: Konversationelle Karikaturen. Über Selbst- und Fremdstilisierungen in Alltagsge‐ sprächen. In: Lachgemeinschaften. Hg. von Werner Röcke und Hans Rudolf Velten. Berlin / New York 2005, S. 331-351. 60 Kotthoff, Spaß verstehen, S. 105. 61 Vgl. Partington, Alan: The linguistics of laughter: a corpus-assisted study of laughter-talk. London 2006, S. 82-110. verstärkt wird und dass Lachanlässe effektiver wirken, wenn mehrere Personen anwesend sind; dagegen kann eine nicht lachende Person im Raum dazu beitragen, dass Lachen un‐ terdrückt wird. 58 Sie schließen damit an ethologische Ergebnisse zum Sozialverhalten des Lachens an und bestätigen die Bedeutung von gruppendynamischer Präsenz bei Lachvor‐ gängen, ein Aspekt, auf den ich später noch zurückkommen werde. In Deutschland hat vor allem Helga Kotthoff in ihren Arbeiten zur Scherzkommunikation verschiedene sprachliche Formate des ‚Humors‘ untersucht. Ihr geht es um die gruppen‐ dynamischen Effekte von scherzhafter Rede: „Formate wie Frotzeln und Necken, sich Mo‐ kieren, spaßiges Lästern und Spotten, witzige Bemerkungen, Situationsparodien oder wit‐ zige Fiktionalisierungen sind dialogisch.“ 59 Kotthoffs Material sind Tonbandmitschnitte von Gesprächen, anhand derer sie unter Anwendung der Griceschen Konversationsmaximen plausibel macht, dass das Gelingen konversationeller Komik hochgradig von geteilten Wis‐ sensbeständen und Intimität abhängig ist und dass soziale Typisierungen und die Kommu‐ nikation von Wertungen eine große Rolle in der Scherzkommunikation spielen. Lachen sei auf Grund seiner Multifunktionalität jedoch kein verlässlicher Gradmesser für Komik. 60 Die Ergebnisse der Gesprächsforschung sind zwar wenig kompatibel mit der historische Kör‐ perforschung, zeigen aber nicht nur, dass das Lachen in komplexe verbale und nonverbale Interaktionsprozesse eingebunden ist, sondern auch, dass in der scherzhaften Kommuni‐ kation über ironische und parodistische Sprechweisen lächerliche Karikaturen verbal und imaginativ aufgeladen werden. Die linguistische Gesprächsforschung zeigt, dass es außerordentlich schwierig ist, Sprachkomik innerhalb struktureller semantischer Modelle zu bestimmen. Das Lachen in‐ nerhalb der konversationellen Interaktion entzieht sich einer semiotischen Bestimmung weitgehend, denn die Phoneme des Lachens kann man eben nicht als bedeutungsdifferen‐ zierende Elemente definieren, sie bleiben hoch ambivalent und unbestimmt. Betrachtet man das Lachen unter dem Signans-Aspekt, so besitzt es eine komplexe Struktur: Es hat nicht nur akustische Qualität, sondern manifestiert sich als ein Zusammenspiel von sprachlichen und parasprachlichen Zeichen, wobei vor allem dem Gesichtsausdruck eine besondere Be‐ deutung zukommt. 61 Fietz machte schon vor längerer Zeit auf die Schwierigkeit auf‐ merksam, das Zusammenspiel von akustischen und körpersprachlichen Elementen des La‐ chens im Rahmen eines verifizierbaren kommunikativen Codes in den Blick zu nehmen. Dies gilt auch für das Lachen in schriftlichen Texten, auch wenn die semantische Band‐ breite des Wortfeldes Lachen den Eindruck vermittelt, es folge festgelegten Konventionen: „So lassen sich zwar die sprachlichen Bezeichnungen für ‚lachen‘ phonologisch und se‐ mantisch analysieren als referentielles Sprechen über das Lachen, aber diese Analyse leistet 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 35 62 Fietz, Lothar: Möglichkeiten und Grenzen einer Semiotik des Lachens. In: Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter zur Gegenwart. Hg. von Lothar Fietz, Joerg O. Fichte u. Hans-Werner Ludwig. Tübingen 1996, S. 8. Davon sind semiotische Erklärungsmodelle der Komik bzw. der Komödie zu unterscheiden. Vgl. etwa Warning, Rainer: Elemente einer Pragmasemiotik der Komödie. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz u. Rainer Warning. München 1976, S. 279-333. Jauß lehnt eine semiotische Interpreta‐ tion der Komödie ab: Jauß, Hans Robert: Das lebensweltliche und das fiktionale Komische. In: Das Komische. Hg. Von Wolfgang Preisendanz u. Rainer Warning. München 1976, S. 361-372, hier S. 362 f. 63 Fietz, Möglichkeiten und Grenzen einer Semiotik des Lachens, S. 9 f. Fietz verweist auf die Vielfalt möglicher Wirkungen im Kommunikationsprozess, was durch die Bandbreite der Verben bereits veranschaulicht wird: anlachen, auslachen, verlachen, lachen mit, lachen über usw. 64 Ebd., S. 14 f. nur mittelbar etwas zur Decodierung des Lachens als symptomatisches Zeichen.“ 62 In diesem Sinne hatten sowohl Bühler als auch Jakobson das Lachen als emotives Zeichen verstanden, das auf die Innerlichkeit des Lachenden hinweist. Damit ist jedoch über seine wichtige Funktion im Kommunikationsprozess noch nicht genügend gesagt: Als Zeichen verstanden, verweist das Lachen nicht nur zurück auf eine Emotion oder Haltung des Lachenden, sondern spielt eine eminente Rolle im Kommunikationsprozess zwischen Individuen im Sinne eines Zeichens, das zwischenmenschliche Beziehungen anbahnen, stiften, aber auch stören oder (…) unterbrechen kann. 63 Diese Rolle von Lachen (und Komik) im Kommunikationsprozess umfasst somit die gesamte sprachlich vermittelte Interaktion der Beteiligten, und nicht nur dies: Eine semiotische Signifikat-Analyse des Lachens muss also notwendigerweise neben den inner‐ subjektiven Emotionen die sie stimulierenden extrasubjektiven Ridicula umfassen, die historisch jeweilig sind und die allein über die kulturellen, gesellschaftlichen und moralischen Konventionen erschließbar werden, aufgrund derer Lachen erlaubt, diszipliniert oder gar verboten ist. 64 Eine genaue semiotische Analyse von Lachvorgängen und den sie auslösenden Lachan‐ lässen in Texten kann daher Aufschluss über die komplexe Zeichenbedeutung des Zusam‐ menspiels von Sprache und Körper beim Lachen geben. Das semiotische Modell ist somit als Untersuchungsinstrument wichtig wie gleichzeitig unzureichend; mit ihm lassen sich Lachvorgänge und ihre Anlässe im Rahmen einer Kommunikationssituation als sprach‐ lich-körperliche Zeichenprozesse beschreiben, jedoch werden durch die Polyvalenz der Lachsignale bestimmte Analyse-Axiome dieser Situation (wie das Sender-Emp‐ fänger-Schema oder der Decodierungsprozess) mehr oder weniger deutlich gestört und sind somit keine zuverlässigen Instrumente mehr. Bergson Einer der wichtigsten theoretischen Texte zum Lachen, die den Körper maßgeblich behan‐ deln, ist Henri Bergsons Essay Le rire von 1900 (auch wenn Bergson das Lachen aus der Perspektive des Komischen untersucht, s. u.). Bergson definiert: „Stellungen, Gebärden und Bewegungen des menschlichen Körpers sind in dem Maße komisch, als uns dieser Körper 1. Der Körper als Lachanlass 36 65 Bergson, Henri: Le rire. Essais sur la signification du comique [1900]. Dt. Das Lachen. Meisenheim a.G. 1948, S. 21. Viele übergreifende und einleitende Beispiele Bergsons sind aus dem Bereich der kör‐ perlichen Komik genommen: der fallende Fußgänger, Wiederholung einer sinnlosen Geste, Maske‐ rade, Grimassen, die sinnlosen Handlungen des Buchhalters usw. 66 Ebd., S. 11 u. 14. Sein zentrales Bild ist dabei der Mensch als Gliederpuppe. Das Lachen über sie ist ein Lachen über ihre Bewegungen, welche eine Mechanisierung des Lebendigen zeigen: der Körper wird zur Maschine (Wiederholungskomik, Marionettenkomik, Automatismus der Abläufe). 67 Ebd., S. 14-18. 68 Ebd., S. 32 f. 69 Bergson stellt sich etwa das Komische im Gesichtsausdruck als Grimasse, als Erstarrtes, Masken‐ haftes vor. „So sind Automatismus, Starrheit, angewöhnter und beibehaltener Tick die letzten Ursa‐ chen, die eine Gesichtsbildung lächerlich erscheinen lassen.“ Ebd., S. 19. dabei an einen bloßen Mechanismus erinnert.“ 65 Die folgende berühmte Definition des Ko‐ mischen als eines „méchanisme plaqué sur le vivant“ stützt sich in ihren Exempeln vor allem auf die komische Bildersprache des Körpers: Als Urszene des Lachens dient Bergson der Stolpernde, Stürzende. Lächerlich an ihm ist die mechanische Steifheit, eine Trägheit, wo wir Geschmeidigkeit und vitale Spannung fordern. Für Bergson liegt der das Lachen erregende Moment in einer Art Erstarrung, einem Automatismus. 66 Diese bis heute einsichtigen und erfolgreichen Formulierungen beziehen ihre Schlagkraft aus ihrer eigentümlichen Mischung von Metaphern, die gleichermaßen anthropologische, physikalische und ästhetische Wertigkeit besitzen, und jeweils auf Körperliches bezogen sind (Steifheit / Elastizität, Mechanisches / Lebendiges, Spannung / Starrheit, Trägheit / Rüh‐ rigkeit, Automatismus / Flexibilität). Ein großer Vorteil dieser Mischung ist es, dass sie so‐ wohl für den Körper, als auch für den Geist und das soziale Leben verwendet werden kann. So werden die Dummheit oder die Zerstreuung als mangelnde mentale bzw. interaktive Geschmeidigkeit, übertriebener Individualismus in der Gruppe als Automatismus inter‐ pretiert. 67 Das Lachen ist dann jeweils die soziale Geste, mit der die individuelle Unvoll‐ kommenheit oder Abweichung korrigiert wird. Dabei ist der menschliche Körper bei Bergson Ausgangspunkt und gewissermaßen Ur‐ stoff des Lachens. Deutlich wird dies an einer psychologischen Bedingung für das Lachen, die Bergson erwähnt: der abrupte Wechsel der Aufmerksamkeit, der an den komischen Rahmenbruch der semantischen Lachtheorien erinnert. Die Aufmerksamkeit wird dabei plötzlich vom Seelischen auf das Körperliche verlagert. „Wir lachen somit über einen Men‐ schen, den sein Körper belästigt“, so Bergson. Er und die Sorge um ihn stören das Ernsthafte und Tragische und können es zu Fall bringen. „Deshalb trinken und essen die Helden der Tragödie nicht. Ja, wenn möglich, setzen sie sich auch nicht. Sich mitten in einer patheti‐ schen Rede setzen, hieße sich daran erinnern, dass man einen Körper hat.“ 68 So verbirgt sich der Körper für Bergson auch hinter Handlungs- und Sprachkomik, er ist ein ständiger Gefahrenherd für ernsthafte Rede, für zeremonielles und rituelles Handeln. Doch ist es nicht das Hässliche des Körpers, wie in den antiken Theorien, woraus sich das Komische speist, sondern seine Disproportionen und Deformationen, die auf Steifheit und Automatismus hindeuten, d. h. auf die unwillkürlich scheinende Ausführung von Bewe‐ gungen, die von der Norm der Lebendigkeit abweichen. 69 Bergson fragt dann, warum gewisse Missbildungen (etwa der Buckel) lächerlich sind und andere nicht und gibt folgende Antwort: „Jede Abnormität kann komisch werden, die von 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 37 70 Ebd., S. 18. 71 Auch wenn Bergson hier die Vorstellung als Fähigkeit des Geistes nicht behandelt, so wird dies an seinen gewählten Formulierungen deutlich: „wir sehen dann vor uns“, „stellen wir uns vor“ usw. 72 Ähnlich noch bei Stierle, der sich in seinem Modell der Komik der Fremdbestimmtheit stark an Bergson anlehnt; auch hier soll das Komische ontologisch („Systematik des Komischen“) bestimmt werden, auch Stierle geht es um einen umfassenden, definitorischen Begriff von Komik, der auf jede Form der Komik, im Leben und in der Kunst, übertragbar ist. Vgl. Stierle, Karl-Heinz: Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz u. Rainer Warning. München 1976, S. 237-268. 73 Vgl. dazu meinen Beitrag zur Komik der sich verselbständigenden Sexualorgane in der mittelalter‐ lichen Märenliteratur: Velten, Hans Rudolf: Groteske Organe. Zusammenhänge von Obszönität und Gelächter bei spätmittelalterlichen profanen Insignien im Vergleich zur Märenliteratur. In: Erotik, aus dem Dreck gezogen. Hg. von Winkelman u. Wolf. Amsterdamer Beiträge für Ältere Germanistik 59 (2004), S. 235-263. 74 Vgl. dazu Mongin, Olivier: Éclats de rire. Variations sur le corps comique. Charlie Chaplin, Buster Keaton, Jacques Tati, Les Marx Brothers, Laurel et Hardy, Jerry Lewis, Louis de Funès Raymond Devos, Rufus, Pierre Desprogues, Philippe Caubère et quelques autres. Paris 2002, S. 319 ff. einem Menschen mit normalen Gliedern allenfalls nachgeahmt werden könnte.“ 70 Dies ist ein entscheidender Punkt von Bergsons Theorie, denn nicht der körperliche Makel selbst ist es, der das Lachen erzwingt, sondern die in ihm liegende Möglichkeit zur Nachahmung, d. h. die Fähigkeit, menschliche Bewegungen und Formen aufzuführen, wird zur Bedingung für das Lachen über Abnormitäten. Bergson nennt das, in Bezug auf die Nachahmung und die Vorstellung des Buckligen, „mit dem Körper Grimassen schneiden“. Entscheidend ist also in der Wahrnehmung des Buckligen die Vorstellung von seiner Imitation. 71 Dieser As‐ pekt erscheint sehr wichtig für ein performatives Verständnis von körperbestimmten Lach‐ vorgängen, wie ich es weiter unten genauer entwickeln werde. Ansonsten erscheint Bergsons Theorie in vielen Aspekten zwar interessant, doch ins‐ gesamt definitorisch zu eng und begrifflich zu unscharf. Das Mechanische, was sich über Lebendiges legt, als archetypische Funktion des Komischen anzusehen, ist, wie alle Onto‐ logien des Komischen, schlichtweg zu generalisierend. 72 Aber es funktioniert schon deshalb nicht, da auch Unbelebtes, was belebt wird, komisch wirken kann: zum Beispiel sich ver‐ selbständigende Körperteile, die sprechen und tanzen, oder Gegenstände, die beginnen, menschliche Bewegungen und Handlungen auszuführen. 73 Dazu kommen deutliche kultur- und gegenwartsbezogene Momente, wenn als Modell für seine Theorie ein anthropomor‐ phisiertes Marionettentheater erscheint, ein literarisches Motiv aus der Literatur der Ro‐ mantik; auch der um 1900 aufkommende komische Stummfilm mit seinen schnellen, stakkatoförmigen Bewegungen hat vermutlich als Muster gedient. 74 Freud Sigmund Freud hat in seinem berühmten Buch über den Witz (Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, 1905) die psychologischen Ansätze weitergeführt und sie mit psycho‐ 1. Der Körper als Lachanlass 38 75 Der Traum arbeitet mit ähnlichen Mitteln wie der Witz: Verdichtung und Verschiebung. Die Traum‐ arbeit hat ihre Entsprechung in der „Witzarbeit“, die psychische Verarbeitung des komischen An‐ lasses. Für Freud ist der Witz eine kulturell erlaubte Möglichkeit, wie im Traum die (Angst-)Barriere zum „Es“ zu überwinden: Witze befriedigen den „Spieltrieb“ (sogenannte ‚harmlose‘ Witze); sie ge‐ horchen dem Sexualtrieb oder dem Aggressionstrieb („tendenziöse“ Witze). Vgl. dazu das Kapitel „Die Beziehung des Witzes zum Traum und zum Unbewussten“. Freud, Sigmund: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (1940). Gesammelte Werke Bd. 6. Frankfurt a. M. 1999, S. 181-205. Aus heutiger Sicht vgl. dazu Armonies, Wilfried u. Kupke, Christian: Jenseits des binaristischen Prinzips. Zur psychoanalytischen Theorie des Witzes. Fragmente 46 (1994), S. 91 ff. 76 Dies findet auch die Zustimmung Plessners; er sieht Freuds Theorie aber nur im Fall des tendenziösen Witzes angebracht, denn nur hier ist von einem großen Hemmungsaufwand die Rede. Auch meint er, dass sich der Witz seine Spannung selbst schafft. Vgl. Plessner, Lachen und Weinen, S. 321. 77 In keinem der drei Hauptkapitel des Witzbuches steht der Körper im Vordergrund, auch wenn einige paradigmatische Beispiele aus der Situationskomik gewählt sind. 78 „Wir haben ohne Schwierigkeiten gefunden, daß das Komische sich sozial anders verhält als der Witz. Es kann sich mit nur zwei Personen begnügen. (...) Der Witz wird gemacht, die Komik wird gefunden, und zwar zu allererst an Personen, erst in weiterer Übertragung auch an Objekten, Situationen u. dgl.“. Weiter unten wird diese Unterscheidung noch erweitert: „Der Witz ist sozusagen der Beitrag zur Komik aus dem Bereich des Unbewußten“. Freud, Der Witz, S. 206 u. 237. 79 „An das Problem des Komischen selbst wagen wir uns nur mit Bangen heran“. Ebd., S. 215. analytischen Erfahrungen sowie Ergebnissen seiner Traumdeutung verbunden. 75 Stärker als auf das Lachen konzentriert sich Freud jedoch auf Witz und Komik. Dabei erkennt auch er im menschlichen Geist ein Depot psychischer Energie, mit einem entscheidenden Un‐ terschied zu Spencer: Die Abfuhr seelischer Erregung resultiert nicht aus einem Surplus an Energie, sondern aus der plötzlichen Aufhebung einer Hemmung. Denn um Hemmungen aufrechtzuerhalten, ist ein großer Energieaufwand nötig, welcher plötzlich entlastet wird, wenn wir einen Witz hören. Komik und Witz eröffnen einen Lustgewinn, der aus dem ersparten Aufwand resultiert, unsere Lust und unsere Triebe zu unterdrücken. Freud geht davon aus, dass Triebunterdrückung und Körperdisziplinierung einen kontinuierlichen Aufwand an psychischer Energie erfordern, die wir im Moment des Lachens nicht mehr benötigen. Wir können diese Energie ablachen und uns für kurze Zeit vom Zwang erleich‐ tern, die Unterdrückung ersparen (ersparter Hemmungsaufwand). 76 Freilich ist für Freud die Rolle des Körpers bei Witz und Komik begrenzt; es geht ihm vor allem um die psychologischen Reaktionsmechanismen auf einen komischen Reiz und somit um kognitive und seelische Vorgänge. 77 Doch im letzten Kapitel „Der Witz und die Arten des Komischen“ sind zwei Aspekte seiner Theorie zu finden, die für das Körperthema von nicht zu unterschätzender Relevanz sind: die Beschreibung der physiologischen In‐ nervationsleistung bei der Aufwandersparnis und die ontogenetisch verstandene Thematik der Disziplinierung des Körpers, die bei Freud mit der Triebunterdrückung und der Lust zur Kindlichkeit einhergeht. Entscheidendes Kriterium für eine vom Körper ausgehende Komik ist für Freud die The‐ orie der „Aufwanddifferenz“. Er rechnet sie dem Komischen zu, das er deutlich vom Witz unterscheidet. 78 Sie ist der Versuch, den Lustgewinn aus der Wahrnehmung anderer Körper als lächerliche Körper mit Hilfe des Vergleichs zwischen wahrgenommenem Subjekt und Ich zu erklären. Beim Komischen, dem sich Freud nach eigenen Angaben nur mit Bangen annähert, 79 unterscheidet er zunächst zwei Arten, die Bewegungskomik und die „geistige“ 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 39 80 Ebd., S. 216 f. 81 Bei der „geistigen Komik“ ist es genau umgekehrt. Hier ist der Aufwand zu gering im Vergleich zu dem, was von uns erwartet wurde. 82 Freud, Der Witz, S. 219. 83 Ebd., S. 221. Komik. Uns interessiert vor allem seine Position zur ersteren, die er folgendermaßen ein‐ leitet: Wir wählen die Komik der Bewegungen, weil wir uns erinnern, daß die primitivste Bühnendar‐ stellung, die der Pantomime, sich dieses Mittels bedient, um uns lachen zu machen. Die Antwort, warum wir über die Bewegungen der Clowns lachen, würde lauten, weil sie uns übermäßig und unzweckmäßig erscheinen. Wir lachen über einen allzu großen Aufwand. (...) Auf welche Weise gelangen wir aber zum Lachen, wenn wir die Bewegungen eines anderen als übermäßig und un‐ zweckmäßig erkannt haben? Auf dem Wege der Vergleichung, meine ich, zwischen der am anderen beobachteten Bewegung und jener, die ich selbst an ihrer Statt ausgeführt hätte. 80 Die Lust an der Bewegungskomik geht demnach aus der Differenz zwischen wahrgenom‐ mener Bewegung und der als angemessen geltenden Vorstellung bei uns selbst, kurz, aus der Vergleichsdifferenz zweier Aufwandseinschätzungen hervor. 81 An Freuds Argumenta‐ tion ist bemerkenswert, dass hier eine physiologische Reaktion, das Lachen, sich aus dem Vergleich zwischen sinnlicher Wahrnehmung und einer kognitiven Operation ergibt, die er nicht klar festlegt: Erfolgt der Vergleich mit einer verinnerlichten leiblichen Norm oder mit der an Stelle des lächerlichen Körpers ausgeführten imaginierten Bewegung? Und mehr noch: Führen wir die Bewegung dann tatsächlich ansatzweise aus, als eine physiologische Reaktion, oder bleibt der Vergleich völlig auf der Vorstellungsebene? Freud versucht, auf diese Fragen mit der physiologischen Theorie der Innervation zu antworten: Hier weist uns die Physiologie den Weg, indem sie uns lehrt, daß auch während des Vorstellens Innervationen zu den Muskeln ablaufen, die freilich nur einem bescheidenen Aufwand entspre‐ chen. Es liegt aber jetzt sehr nahe anzunehmen, daß dieser das Vorstellen begleitende Innervati‐ onsaufwand zur Darstellung des quantitativen Faktors der Vorstellung verwendet wird, daß er größer ist, wenn eine große Bewegung vorgestellt wird, als wenn es sich um eine kleine handelt. Die Vorstellung der größeren Bewegung wäre also hier wirklich die größere, d. h. von größerem Aufwand begleitete Vorstellung. 82 Bei der Apperzeption einer fremden Bewegung wird somit ein gewisser Aufwand benötigt, um sie zu verstehen: Ich (...) verhalte mich bei diesem Stück des seelischen Vorganges ganz so, als ob ich mich an die Stelle der beobachteten Person versetzte. Wahrscheinlich gleichzeitig fasse ich aber das Ziel dieser Bewegung ins Auge und kann durch frühere Erfahrung das Maß von Aufwand abschätzen, welches zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. (...) Bei einer übermäßigen und unzweckmäßigen Bewegung des anderen wird mein Mehraufwand fürs Verständnis in statu nascendi, gleichsam in der Mobilmachung gehemmt, als überflüssig erklärt und ist für weitere Verwendung, eventuell für die Abfuhr durch Lachen frei. 83 1. Der Körper als Lachanlass 40 84 Darauf hat bereits Karl-Heinz Stierle hingewiesen: „Durch meinen Innervationsaufwand kontrolliere ich gleichsam an meiner durch Erfahrung gewonnenen Norm den Verlauf und das Gelingen einer fremden Handlung.“ Stierle, Komik der Handlung, S. 248. 85 Vgl. dazu English: Comic in Transaction, S. 15 ff. 86 Plessner, Helmuth: Laughing and Crying: A Study of the Limits of Human Behaviour. Übers. von J. S. Churchill u. Marjorie Grene. Evanston 1970; frz. 1995, ital. 2000. Einzig die span. u. die niederl. Übers. erfolgten bereits 1960 u. 1965. Nach Freud ist es also die Hemmung einer Einschätzung des Innervationsaufwands, die das Lachen auslöst, eine komplizierte wie interessante Theorie der konsensuellen Körperin‐ nervation durch imaginierten Mitvollzug. Dennoch bleiben viele Fragen offen: Die gleich‐ zeitige Erfassung des Zieles der fremden Bewegung bleibt ohne weitere Analyse eine Hy‐ pothese, das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele wird nicht in Einzelheiten erläutert. Ferner sind noch die Bedingungen für die Abfuhr des Überschusses unklar, und ebenso dunkel ist, was mit „früherer Erfahrung“ gemeint ist. Wenn die Erfahrung als Wert ins Spiel kommt, dann müsste auch eine durch sie gewonnene Norm existieren. 84 Trotzdem liefert diese psychoanalytische Anwendung physiologischer Vorgänge ein methodisches Instrumentarium, um die Wirkung körperlicher Komik, zumindest im wahrnehmenden Subjekt, zu beschreiben. Noch aus einem anderen Grund, der für das performative Verständnis von Lachvor‐ gängen bedeutsam ist, ist Freuds Witztheorie interessant: Sie ist prozessual organisiert, indem sie anerkennt, dass Witze und Komik etwas tun (Witzarbeit) und nicht einfach etwas „sagen“, also etwas bedeuten. Sie verändern soziale Situationen, sie manipulieren, sie re‐ organisieren menschliche Beziehungen. Für Freud ist die Witzarbeit ein interaktiver sozi‐ aler Prozess, der nicht von den Bedürfnissen oder Intentionen irgendeiner Person gesteuert wird, sondern durch die Relationen aller Teilnehmer bzw. Gruppen des komischen Aus‐ tauschs zueinander. 85 Plessner Von den Lachtheorien ist Hellmuth Plessners 1941 entstandener Essay Lachen und Weinen diejenige, die dem Körper den breitesten Raum widmet. Aus diesem Grunde ist sie für meine Überlegungen von überragender Bedeutung und verdanken dem Essay viel. Plessners The‐ orie unterscheidet sich fundamental von den vorangegangenen theoretischen Entwürfen zum Lachen, weil seine anthropologische Perspektive tatsächlich interdisziplinär angelegt ist. So nimmt er nicht nur ästhetische und philosophische Studien auf, sondern auch psy‐ chologische, entwicklungsbiologische und phänomenologische. Es gibt bis heute keinen weiter reichenden Versuch, das Lachen in seiner ganzen phänomenalen Breite zu untersu‐ chen. Leider hat die relativ späte und wenig erfolgreiche englische Übersetzung nicht aus‐ gereicht, um Plessner im angloamerikanischen Sprachraum und somit weltweit bekannter zu machen. 86 Trotz seiner Wichtigkeit soll hier der Essay nicht referiert werden, sondern es sollen kurz diejenigen Aspekte herausgestellt werden, die für die vorliegende Studie von Bedeutung sind. Plessner sieht die Ursache des Lachens nicht allein in seinen Anlässen, sondern „ebenso sehr in dem Verhältnis des Menschen zu seinem Körper, das seine Existenz in der 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 41 87 „Die seltsam undurchsichtige Äußerungsweise des menschlichen Körpers muß aus dem Verhältnis des Menschen zu seinem Körper (nicht etwa aus dem problematischen ‚Verhältnis‘ des Geistes zum Körper, der Seele zum Leib, also isolierter Entitäten) begriffen werden. Natürlich verlangt diese Auf‐ gabe ebenso eine besondere Fassung menschlichen Wesens wie eine besondere Kennzeichnung seiner körperlichen Situation.“ Plessner, Lachen und Weinen, S. 228 u. 240. 88 Ebd., S. 273. 89 Ebd., S. 276. 90 Ebd., S. 36. 91 „Nur solche Grenzlagen reizen zum Lachen, die, ohne bedrohend zu sein, durch ihre Nichtbeant‐ wortbarkeit es dem Menschen zugleich verwehren, ihrer Herr zu werden und mit ihnen etwas an‐ zufangen.“ Ebd., S. 328. 92 Denn der Mensch habe kein eindeutiges Verhältnis zu seinem Körper, sondern ein doppeldeutiges, er ist gleichzeitig „leibhaftes Wesen“ und „Wesen im Körper“. In der Gebrochenheit („Bruch zwischen sich und sich“) und Unergründlichkeit im Verhältnis des Menschen zu seinem Körper liegt, so Plessner, die Ursache des Lachens. Ebd., S. 235. 93 „Der Körper als Schauplatz physiologischer Mechanismen wird nicht von Witz oder Reue getroffen und in Erregung versetzt, sondern auch wieder nur von physischen ‚Reizen‘, die (...) akustischer oder optischer Art sind.“ Ebd., S. 231. Welt nun einmal bestimmt.“ 87 Plessner sieht im Lachen eine Grenzerfahrung des Menschen, bei der der Lachende sich seinem Körper überlässt und somit auf die Einheit mit ihm, die Herrschaft über ihn verzichtet. Das unwillkürliche Ins-Lachen-Geraten sei ein „eigentüm‐ lich selbständiger Prozess, der (...) sich häufig der Dämpfung und Steuerung bis zur völligen Erschöpfung entzieht, ein Verlust der Beherrschung, ein Zerbrechen der Ausgewogenheit zwischen Mensch und physischer Existenz.“ 88 So verstanden erscheint Lachen als Kontroll‐ verlust, bei dem gewissermaßen der Körper die Antwort für den außer sich geratenen Menschen übernimmt, „nicht mehr als Instrument von Handlung, Sprache, Geste, Gebärde, sondern als Körper.“ 89 Folgerichtig widerspricht Plessner der These, das Lachen habe symbolische Prägung; vielmehr trete es als „unbeherrschte und ungeformte Eruption(en) des gleichsam verselbs‐ tändigten Körpers in Erscheinung.“ 90 Die auf der Unwillkürlichkeit des Lachens gründende Emanzipiertheit des Körpers bezeichnet Plessner als Exzentrik. Im Gegensatz zum Sprechen und zum Handeln als kontrollierte Akte verliere die Person beim Lachen ihre Beherrschung, sie antworte damit auf eine eigentlich unbeantwortbare, doch nie bedrohliche Situation. 91 Die exzentrische Position des Menschen im Lachen charakterisiert Plessner mit dem Span‐ nungsverhältnis zweier Körperordnungen, dem „Leib sein“ und dem „Körper haben“, zwi‐ schen denen kontinuierlich vermittelt werden muss. 92 Mit der berühmt gewordenen Un‐ terscheidung gelingt es Plessner, phänomenologische Modelle der Zwischenleiblichkeit (Merleau-Ponty, Waldenfels) anschließbar zu machen, ein wichtiger Aspekt für die Trag‐ weite seiner Theorie. Plessners Studie enthält vier zentrale Thesen, die für die Untersuchung des Körpers als Lachanlass grundlegend sind: (1) Der Mensch lacht nicht in erster Linie, weil er Personen, Dinge, Handlungen und Sätze lächerlich findet, 93 sondern weil ihm die Herrschaft über den Körper verloren geht, weil das Verhältnis zu seinem Körper nicht eindeutig und ungebrochen ist. Den Gedanken des Verlusts der Körperbeherrschung beim Lachen lässt Plessner bei der Untersuchung der Lachanlässe jedoch fallen. Wenn zahlreiche Lachanlässe direkt oder in‐ 1. Der Körper als Lachanlass 42 94 „Unsere Untersuchung liegt in der Linie einer Theorie des menschlichen Ausdrucks.“ Ebd., S. 213. Und weiter: „Lachen und Weinen als Ausdrucksformen begreifen heißt, vom Menschen als Ganzes ausgehen, nicht vom Partikularen, das sich quasi selbständig aus dem Ganzen loslösen lässt wie Körper, Seele, Geist, Sozialverband. (...) Ausdrucksformen sind demnach Formen des Verhaltens zu anderen, zu sich, zu Dingen und Ereignissen, zu allem was Menschen begegnen kann.“ Ebd., S. 223 f. 95 Ebd., S. 249. 96 Ebd., S. 225. 97 Vgl. dazu einerseits die mediävistische Gestenforschung, wie sie etwa in dem Band: Gestik. Figuren des Körpers in Text und Bild. Hg. von Margreth Egidi u. a. Tübingen 2000 oder in Jean-Claude Schmitts schon zum Klassiker gewordenen Die Logik der Gesten. Stuttgart 1992 zum Ausdruck kommt; ande‐ rerseits die mediävistische Emotionenforschung, wie z. B. Kasten, Ingrid u. Jaeger, Stephen C. (Hg.): Codierungen von Emotionen im Mittelalter - Emotions and Sensibilities in the Middle Ages. Selected Papers from the International Conference, September 6-8, 2002. Red. Mitarbeit: Hendrikje Haufe und Andrea Sieber. Trends in Medieval Philology 1. Berlin 2003. direkt körperlicher Natur sind (wie Bergson feststellte), liegt es nahe, auch bei ihnen eine Entsprechung des Kontrollverlusts zu indizieren. Aus dieser Perspektive wäre die Desor‐ ganisation des eigenen Körpers im Lachen die Reaktion auf den wahrgenommenen Kon‐ trollverlust des anderen Körpers durch fremde Ursachen. Körperliche Lachanlässe gleichen dem Lachen sehr: Ihr Außer-Sich-Geraten ohne Gefährdung, ein Schütteln und eine De‐ formation, ein Verlust bzw. Verzicht der Herrschaft über den Körper. Das Modell der Des‐ organisation lässt sich gar auf die Sprache übertragen: Stottern, Stammeln, Wort- und Satz‐ verdrehungen produzieren, Versprecher usw. sind sprachliche Formen des Kontrollverlustes. Zwischen Lachanlässen und dem Lachen als Überforderungen des Kör‐ pers bzw. Scheitern der Körperhaltung scheinen somit engere Zusammenhänge als bisher angenommen zu bestehen. Gerade dies erscheint für professionelle Lustigmacher ein fruchtbares Feld zu sein, denn sie nutzen diese körperlichen Formen des Kontrollverlustes in der Imitation, um absichtlich Lachen zu erregen. (2) Plessner zählt das Lachen weder zu den Gesten noch zu den Emotionen, sondern bezeichnet es als kommunikative Ausdrucksbewegung. 94 Dem Lachen eigne ein rein ex‐ pressiv-reaktiver Charakter, der auf das Verhältnis des Menschen zu seinem Körper hin‐ deutet: „Expressivität ist eine ursprüngliche Weise, damit fertig zu werden, daß man einen Leib bewohnt und zugleich ein Leib ist.“ 95 Insofern steht das Lachen zwar in der Nähe der emotionalen Ausdrucksbewegungen, ist von ihnen aber auch in charakteristischer Weise getrennt: Während Zorn oder Freude, Liebe und Haß, Mitleid und Neid usw. am Körper eine symbolische Ausprägung gewinnen, welche den Affekt in der Ausdrucksbewegung erscheinen läßt, bleibt die Äußerungsform des Lachens und Weinens undurchsichtig und bei aller Modulationsfähigkeit weitgehend in ihrem Ablauf festgelegt. 96 Die These, dass das Lachen symbolisch ungeprägt ist, bedeutet einen wichtigen Schritt zu einem performativen Verständnis des Lachens: Lachen vollzieht sich, ohne gleich Zeichen oder Geste zu sein, ohne für etwas anderes zu stehen. Dagegen sind Gesten und Emotionen codierbar, lassen sich eindeutig signifizieren, unterliegen der Steuerung und der Kontrolle. Während die Codierung und Disziplinierung von Gesten und von Emotionalität schon im Mittelalter deutlich erkennbar ist, 97 entzieht sich das Lachen jedoch solchen Prozessen der Steuerung aus den genannten Gründen. Allerdings kann Lachen als körperliche Aus‐ 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 43 98 Vgl. dazu Krüger, Reinhard (Hg.): Drei Untersuchungen zur Körpersprache im französischen Mittel‐ alter. Berlin 2003, S. 7 (Einleitung). 99 Plessner, Lachen und Weinen, S. 262. 100 Ebd., S. 333. 101 Ebd., S. 297 (Hervorh. HRV). drucksreaktion vom Menschen simuliert und in Abwesenheit seiner üblichen Ursachen hervorgebracht und gezeigt werden. Es handelt sich dabei um eine „Inszenierung körper‐ licher Artikulationen und damit um die Transformation einer Körperreaktion in ein kör‐ persprachliches Zeichen.“ 98 Hat die Körperreaktion einmal den Status eines Zeichens er‐ halten, dann unterliegt sie als simulierte physiologische Körperreaktion allen Verfahren der sozialen Kodifizierung. So können körpersprachliche Äußerungen in der Literatur durchaus kulturellen Ursprung haben und müssen mit dem Lachen als Ausdrucksbewegung nicht unbedingt korrelieren. Hier gilt es genau zwischen alltäglicher Praxis und ihrer Diskursi‐ vierung in den literarischen Repräsentationssystemen zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang kommt noch ein weiterer Aspekt zum Vorschein, den Plessner nicht berührt: Lachen ist trotzdem häufig mit der Äußerung anderer Emotionen verbunden (Freude, Jubel, Hass, Neid, Liebe usw.) und hat dann jeweils unterschiedliche Funktionen. Da sich diese Emotionen ebenfalls körperlich zeigen, ist der Zusammenhang mit den Emo‐ tionen, den Plessner angerissen hat, weiterzuverfolgen. (3) Als echte Ausdrucksgebärde ist das Lachen ansteckend; es zieht uns in seiner Un‐ mittelbarkeit, seiner Unwillkürlichkeit in Bann: Wir können echtem Lachen und Weinen gegenüber nur mit Überwindung unbeteiligte Zuschauer bleiben. Stärker als jedes andere mimische Ausdrucksbild ergreifen uns Lachen und Weinen der Mitmenschen und machen uns zu Partnern ihrer Erregung, ohne dass wir wissen, warum. 99 Es ist der akustische Eindruck, dem sich der Körper nicht entziehen kann, sodass er ebenso ins Lachen fallen muss, an der Erregung teilhaben muss. Die ansteckende Wirkung des Lachens beschreibt Plessner ebenso körperlich; sie ist eine der stärksten Argumente für eine Kommunikation der Körper beim Lachen. Leider geht Plessner über die Konstatierung dieses wichtigen Sachverhaltes nicht hinaus, sodass er uns später noch weiter beschäftigen wird. (4) Normbruch, komischer Konflikt und situative Überforderung. Plessner bestimmt das Verhältnis zwischen Lachen und Komik situativ; es gibt keine generischen komischen Lachanlässe, sondern der Mensch lacht, wenn er mit einer Situation nicht fertig wird: Im Lachen quittiert der Mensch eine Situation. Er beantwortet sie mit ihm direkt und unpersönlich. Er gerät in einen anonymen Automatismus. Er selbst lacht eigentlich nicht, es lacht in ihm, und er ist gewissermaßen nur Schauplatz und Gefäß für diesen Vorgang. 100 Hier ist das Komische eine Qualität seiner Erscheinung, es entsteht sozusagen aus der Si‐ tuation heraus. Es ist keine Frage, dass nicht jede Situation, die den Menschen überfordert, zum Lachen oder Weinen führt. Entscheidend für das Lachen ist der „komische Konflikt“, der überall dort entstehen kann, „wo eine Norm durch die Erscheinung, die ihr gleichwohl offensichtlich gehorcht verletzt wird.“ 101 Das Lachen sei nicht, wie Bergson vermutet hatte, 1. Der Körper als Lachanlass 44 102 Ebd., S. 299. Hier knüpft Plessner an Friedrich Georg Jünger an: „Nur durch die Beziehung auf eine Regel, der es widerstreitend gegenübertritt, ergibt sich das Komische.“ Jünger, Friedrich Georg: Über das Komische (1936). Zürich 1948. 103 Plessner, Lachen und Weinen, S. 297. 104 So kann man Plessner vorwerfen, dem Zusammenhang von Anlass und Form des Lachens nicht genügend nachgegangen zu sein, die (häufig negative) Wirkung des Verlachens anderer ausgelassen, den Aspekt der Überraschung bei der Komik sowie die kathartische Funktion des Lachens unter‐ schlagen zu haben usw. Auch verfällt er in eine Theorie, die dezidiert anthropologisch ausgerichtet ist, von Zeit zu Zeit in ontologische Argumentationen und dies in einer teils essentialistisch anmu‐ tenden Sprache: „Exzentrisch zur Umwelt, im Durchblick auf eine Welt, steht der Mensch zwischen Ernst und Unernst, Sinn und Sinnlosigkeit …“ Ebd., S. 299. eine Strafe für soziale Devianz, sondern „eine elementare Reaktion gegen das Bedrängende des komischen Konflikts.“ 102 Weil Normverletzungen, so Plessner, sich im Laufe der Geschichte mit den Normen wandeln, so wechselt auch das, was eine Gesellschaft komisch findet. Während Lachen von Plessner als anthropologisch universal gedacht wird, ist Komik historisch und kulturell variabel. Allerdings versäumt er es zu sagen, warum die Verletzung einer Norm komisch sei. Die Formulierung des Verletzens bei gleichzeitiger Zugehörigkeit erklärt hier nichts, die Wirkung der Gegensinnigkeit wird nicht erläutert. Nur an einer Stelle, wenn er über die Komik von Tieren spricht, unterscheidet Plessner zwischen der tierischen Erscheinung und „einer Idee oder Norm, die wir in unserer Einbildungskraft (aus Gründen der Gewohn‐ heit und ästhetischer Vorurteile) an die Erscheinung herantragen.“ 103 Der Aspekt der sub‐ jektiven Wahrnehmung von Komik und ihren Funktionsweisen, auf welchen sowohl se‐ mantische Inkongruenztheorien wie auch psychologische Theorien so viel Wert legen, wird nicht weiter behandelt. Plessner wagt sich an eine Differenzierung zwischen kognitiver Verarbeitung und körperlicher Übertragung bei der Komik nicht heran. Richtig bleibt je‐ doch, dass der Mensch als komisch wahrgenommenen Situationen gegenüber nicht unbe‐ teiligt bleiben kann: Sie bedrängen, überfordern ihn, versetzen ihn in eine Grenzlage und machen ihn unfähig zur Antwort. Ausgehend von dem, was Plessner erreicht hat, kann die Frage der Wahrnehmung von körperlicher Komik angegangen werden, nicht mehr und nicht weniger. Selbstverständlich ist Plessners Theorie auch nicht frei von Fehlern und Unstimmigkeiten, die hier nicht einzeln aufgezählt werden müssen. 104 Trotzdem kann sie für sich das Verdienst reklamieren, in der Untersuchung der Relation von Lachen und Körper am weitesten vorgedrungen zu sein und wichtige Ergebnisse geliefert zu haben. In den Analyseteilen werde ich an verschiedenen Stellen Plessners und Freuds Thesen auf‐ greifen und mit ihnen arbeiten. Plessners Studien verdeutlichen noch einmal die Schwierigkeiten, das Lachen in einem übergreifenden und alle Aspekte einschließenden Ansatz zu erfassen. Deshalb ist es auch nicht der Anspruch und das Ziel dieser Arbeit, eine neue körperzentrierte Lachtheorie zu formulieren; vielmehr ist es nur möglich, die Bedingungen und Voraussetzungen zu be‐ schreiben, die die tragende Rolle des Körpers im komischen Vorgang betonen. Was keine der bislang diskutierten Theorien tatsächlich erörtert, ist die Tatsache, dass der Körper als Lachanlass immer auch ein theatraler und ereignishafter Körper ist. Er wird im Moment seiner Lächerlichkeit (also im Moment des Lachens der Anderen) zum theatralen Ereignis, zur Aufführung. Und das aus mehreren Gründen: erstens durch die Anwesenheit der Lach‐ 1.1. Lachtheorien ohne Körper? 45 105 So resümiert Elisabeth Arend in ihrer Studie zum Lachen in Boccaccios Dekameron: „Aus der Sicht der modernen Erzählforschung hat sich die Trennung der Untersuchungsgegenstände Lachen und Komik also als äußerst fruchtbar erwiesen.“ Arend, Elisabeth: Lachen und Komik in Giovanni Boccacios Decameron, Frankfurt a. M. 2004, S. 423. 106 In sozialpsychologischen Untersuchungen wird zwischen „humorous laughter“ und „social laughter“ unterschieden, wobei Lachen kein Indikator mehr für Komik ist, sondern Komik nur einer von vielen Lachstimuli. Vgl. Chapman u. Foot: Humour and Laughter, S. 1-10. Zum „non-humorous laughter“ zählen auch pathologische Formen des Lachens, die auf Gehirnschäden zurückzuführen sind. enden, denn sie sind Zuschauer und Zuhörer, zweitens durch die Emergenz des Lachens selbst, die - wie bei der Aufführung eines Musikstücks - unmittelbaren Einfluss auf die Performance hat und sie verändern kann, und drittens durch die Tatsache, dass ein lächer‐ liches Ereignis sofort versprachlicht und weitererzählt wird. Beim Weitererzählen wird vielfach vom Erzähler gelacht, da er den komischen Vorgang beim Erzählen ins Gedächtnis zurückruft und nochmals lebhaft vorstellt. Diese Mediatisierung erster Ordnung könnte bereits bedeuten, dass der lächerliche Körper semiotisiert worden ist, d. h. ein Gegenstand der kulturellen Codierung geworden ist. Auf diese Fragen werde ich im Folgenden näher eingehen. Zuvor muss aber noch eine wichtige Unterscheidung, nämlich die zwischen La‐ chen und Komik, wie bei Plessner eben angedeutet, behandelt werden. 1.2. Lachen und Komik - Unterscheidung und Verhältnis Komik, Lachen und Humor sind in der Theorie immer wieder vermischt und häufig meta‐ phorisch oder je nach Bedarf verwendet worden. So heißt die Studie Bergsons zwar „Das Lachen“, doch vom ersten Moment an handelt sie vom Komischen: „Vom Komischen im Allgemeinen“; „Komische Formen und Bewegungen“; „Umfang des Komischen“; „Situations- und Wortkomik“; „Charakterkomik“. Für Bergson, und das gilt in hohem Maß für die philosophisch-ästhetische Tradition insgesamt, bilden Lachen und Komik eine untrennbare Einheit; wer über das Lachen schreibt, hat die Komik im Sinn. Nicht viel anders verhält es sich in der Literaturwissenschaft, die sich allermeist mit der Verwendung einsinniger Strukturverhältnisse (Komik erzeugt und ist die Ursache von Lachen) zufrieden gibt und auf eine methodische Trennung der Begriffe verzichtet. Indessen deutet alles darauf hin, dass Lachen und Komik trotz ihrer komplexen Zusam‐ menhänge unterscheidbare Phänomene und methodisch folglich als zwei unterschiedliche Untersuchungsgegenstände anzusehen sind. 105 Wie verhalten sich Lachen und Komik zu‐ einander? Zunächst ist hier festzustellen, dass das Lachen der primordiale Begriff ist, und das aus mehreren Gründen: Komische Vorgänge und Handlungen werden mit Lachen quit‐ tiert, das Lachen ist notwendige Antwort für das Komische und geradezu sein Maßstab, doch wurde neben dem Komischen eine Vielzahl anderer Lachanlässe festgestellt und un‐ tersucht. Neben verwandten Phänomenen wie Witz und Humor auch Freude und Spiel (etwa bei Kindern), Verlegenheit und Verzweiflung, Kitzel, Nervosität und Entlastung nach einer Anspannung usw. 106 Die Konversationsanalyse hat ergeben, dass Lachen Sprechakte wie Angeberei, Herausforderungen, anzügliche und emotionsgeladene Äußerungen be‐ gleitet, dass es bei Fragen, unterstützenden Aussagen, oder Bemerkungen zum Gruppen‐ 1. Der Körper als Lachanlass 46 107 Glenn, Laughter in Interaction, S. 25. 108 Vgl. dazu Haug, Walter: Das Komische und das Heilige. In: Strukturen als Schlüssel zur Welt. Hg. von Walter Haug. Tübingen 1987, S. 257-74, hier S. 258ff und Haug, Walter: Schwarzes Lachen. In: Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hg. von Walter Haug. Tübingen 2003, S. 357-369, hier S. 358. 109 „Überhaupt läßt sich nichts Entgegengesetzteres auffinden als die Dinge worüber die Menschen lachen.“ Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Ästhetik. Bd. II, S. 552. 110 Schmidt, Siegfried J.: Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele. In: Das Ko‐ mische, Hg. von Wolfgang Preisendanz u. Rainer Warning. München 1976, S. 165-190. verhalten vorkommt. „There appears to be growing acknowledgement that many factors, internal and external, affect or stimulate laughter. Treating it solely as a response to a stimulus produces only incomplete understandings.“ 107 Lachen ist der Komik auch deshalb vorgeordnet, weil es zu den transhistorischen und transkulturellen anthropologischen Ausdrucksformen des menschlichen Körpers gehört; die Komik dagegen ist historisch und kulturell gebunden und stark variabel. Daraus folgt als methodische Konsequenz, dass einerseits Lachtheorien, die nur die Komik betrachten, unvollständig sind, und andererseits Komiktheorien nicht ohne das Lachen, ihren Refe‐ renzpunkt, auskommen. Walter Haug hat es mehrfach in Bezug auf Literatur und Kultur des Mittelalters betont: Die Voraussetzung für eine Theorie des Komischen ist eine Theorie des Lachens. 108 Daran ändert auch nichts, dass Komik zuweilen auch nur ein Lächeln, Schmunzeln oder Freude / Amüsiertheit auslöst, und kein Lachen. Denn dies sind schwä‐ chere Varianten des Lachens, die von der subjektiven Wahrnehmung des Komischen ab‐ hängen (ich komme später darauf zurück). Wenn wir über das Komische und sein Verhältnis zum Körper sprechen, tun wir das immer in Abhängigkeit der Bedingungen des Lachens, und somit der kulturellen, histori‐ schen und vor allem situativen Kontexte, in welchen dieses erscheint. Daher ist das Komi‐ sche auch nicht objektivierbar, sondern als Referent einer lachenden Antwort ein stark relationales Phänomen. Dass es keine identischen Strukturmuster der Komik geben kann und somit auch keine objektiven ästhetischen Voraussetzungen für ontologisch ausgerich‐ tete Komiktheorien, 109 hatte schon Siegfried J. Schmidt bemängelt, der es als obsolet ansah, eine übergreifende Komiktheorie zu erstellen. Denn diese sei nur möglich, wenn es gelänge, anthropologische, psychologische und soziologische Gesetzmäßigkeiten zu finden, die eine ahistorische Personen- und Konstellationstypik aufzustellen erlaubten, welche zeitlos gül‐ tige Strukturen komischer Gegebenheiten und Wirkungen darstellen könnte. Stattdessen verweist auch Schmidt auf die Relevanz kultureller Kontexte und mahnt die historische, soziokulturelle Relativität des Komischen an. Ein kontextdeterminierter Begriff wie Komik sei aus logischen Gründen nicht ahistorisch definierbar. Man könne höchstens Struktur‐ muster erarbeiten, mit deren Hilfe komische Kommunikationsprozesse analysiert werden können. 110 Es ist also keineswegs so, dass Lachen nur als einfacher Indikator von Witz oder Komik angesehen werden darf (wie in ästhetisch ausgerichteten Komiktheorien häufig der Fall) 1.2. Lachen und Komik - Unterscheidung und Verhältnis 47 111 Schon Plessner stellte fest, dass die Theorien zum Lachen in Philosophie, Ästhetik und Psychologie sich auf das Lachen als Anlass bezogen, nicht auf das Lachen selbst. „Lachen und Weinen spielen in ihren Studien die Rolle von Indikatoren, die den Ablauf einer Reaktion anzeigen.“ Plessner, Lachen und Weinen, S. 212 f. 112 Vgl. dazu Bachorski, Hans-Jürgen, Röcke, Werner, Velten, Hans Rudolf u. Wittchow, Frank: Perfor‐ mativität und Lachkultur in Mittelalter und früher Neuzeit. Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 10 (2001), S. 157-190, hier S. 157 ff. 113 Ein Beispiel für die Tilgung performativer Elemente in Theatertexten ist die Abänderung des lang‐ gezogenen Stöhnens am Schluss von Shakespeares Hamlet zugunsten des Sinnspruches „and the rest is silence“ in der Druckfassung von 1823. Vgl. dazu Pfister, Manfred: An Argument of Laughter: Lachkultur und Theater im England der Frühen Neuzeit. In: Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Hg. von Lothar Fietz, Joerg O. Fichte u. Hans-Werner Ludwig. Tübingen 1996, S. 203-227. 114 „Die Dissoziierung von Kunst und Leben erweist sich angesichts des Komischen als besonders prob‐ lematisch.“ Stierle, Komik der Handlung, S. 373. und somit als quantité negligeable, als Neben- oder Zusatzprodukt des Komischen. 111 Lachen und Komik (als Lachanlass) gehören in einen interaktiven Zusammenhang, in eine die Komik erst konstituierende Kommunikationssituation. 112 Diese „Kommunikationssituation des Komischen“ ist nicht nur durch das Lachen als Antwort auf das Komische charakter‐ isiert, und insofern als Vorgang und prozesshafte Abfolge, sondern sie wird vom Lachen geradezu bestimmt und eingerahmt. Das Lachen in seinen verschiedenen Ausprägungen ist gewissermaßen nicht nur der Respons, sondern auch der Ton der Komik, ihre Modula‐ tion. Komik kann somit immer nur über ihre kulturellen und historischen, vor allem aber über ihre situationalen und okkasionalen Bedingungen definiert werden. Das Lachen ist hierbei die wichtigste, sodass sich für jede Frage nach dem Komischen zunächst die Frage nach seiner Einbettung in Lachkontexte stellt. Dagegen setzen die meisten ästhetischen Komik‐ theorien das Lachen voraus, ohne die jeweilige Relation des Komischen zu ihm zu unter‐ suchen: Indem sie auf das literarische Kunstwerk, hauptsächlich auf die schriftliterarischen Formen der Komödie, den komischen Roman bzw. kürzere Prosaformen (Schwank, Novelle, Anekdote, Witz usw.) bezogen sind, thematisieren sie das Lachen, wenn überhaupt, nur am Rande. Häufig ist es auch der Schriftfassung zum Opfer gefallen. 113 Keine Frage, dass mit dem Lachen als körperliche Ausdrucksform auch der menschliche Körper selbst stark ver‐ nachlässigt wird; an seiner Stelle geht es um Handlungs-, Situations- und Figurenkomik usw., also um Unterformen eines ontologisch gefassten Komischen. So spielt der Körper auch in den vielleicht elaboriertesten komiktheoretischen Ansätzen des Bandes VII der Konstanzer Forschergruppe Poetik und Hermeneutik mit dem Titel Das Komische kaum eine Rolle. Dies hat auch damit zu tun, dass im Vorwort trotz aller Vorbe‐ halte die explizite Frage nach dem „Generalisierungspotential des Komischen“ noch immer im Fokus steht. Karl-Heinz Stierle versucht etwa, die Struktur des Komischen aus der Struktur der Handlung zu entwickeln, indem er zunächst Komik der Handlung und Komik des Sprachhandelns als eine spezifische Form des Handelns miteinander in Beziehung setzt. Damit ist er zwar ein Wegbereiter eines performativen Verständnisses von Komik, doch auch dieser Ansatz bleibt einem übergeordneten Strukturbegriff von Komik verhaftet. Die Schwierigkeiten, Komik strukturell zu fassen, beginnen bereits mit der wichtigen Frage nach dem Verhältnis von lebensweltlicher und ästhetischer Komik. 114 In Anknüpfung an Étienne Souriaus Vorschlag, das Lächerliche der Lebenswelt und das Komische der Kunst 1. Der Körper als Lachanlass 48 115 Souriau, Étienne: Le risible et le comique. Journal de psychologie normale et pathologique 41 (1948), S. 142-169; vgl. auch Dupréel, Etienne: Le problème sociologique du rire. Revue philosophique de la France et de l’Étranger 106 (1928), S. 213-260. 116 Jauß, Hans Robert: Zum Problem der Grenzziehung zwischen dem Lächerlichen und dem Komischen. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz u. Rainer Warning. München 1976, S. 361-372, hier S. 366. 117 Jauß, Zum Problem der Grenzziehung, S. 369. 118 „Das Komische vermag zu erheitern, ohne dass darüber gelacht werden muß.“ Jauß, Zum Problem der Grenzziehung, S. 369. 119 Dies ist ein Versuch von Jauß, Ritter gegen Plessner einerseits und gegen die französischen Komik‐ theorien von Souriau und Dupréel andererseits in Stellung zu bringen, indem deren Annahmen auf die Lebenswelt reduziert werden. Beide hatten sich für eine Definition des Komischen aus dem La‐ chen ausgesprochen, Dupréel aus soziologischer, Souriau aus ästhetischer Perspektive. Vgl. dazu Ritter, Joachim: Über das Lachen (1940). In: J. R.: Subjektivität. Sechs Aufsätze. Frankfurt a. M. 1974, S. 62-92. 120 Souriau, Le risible et le comique. Zit. nach Jauß, S. 370. zuzurechnen, 115 betont Hans Robert Jauß die „ästhetische Einstellung“ als rezeptionsästhe‐ tisches Mittel, das für die Komik zum definiens wird, indem „das lebensweltlich Lächer‐ liche (...) der ästhetischen Einstellung ans Licht der Komik treten kann.“ 116 Komik liegt nach Jauß also immer dann vor, wenn die ästhetische Einstellung in der „Gegensinnigkeit einer Situation“ einen komischen Konflikt zwischen zwei verschiedenen Daseinsebenen ent‐ deckt. Dadurch gewinne die ästhetische Einstellung „die Freiheit eines Abstands, der uns mit der bedrohlichen Situation wenigstens auf der ästhetischen Ebene fertig werden läßt.“ 117 Eine überlange Nase, eine zufällige Ähnlichkeit, oder die fremde Kleidung eines Außenseiters sind demnach nicht komisch, sondern nur lächerlich, sie rufen ein soziales Lachen, ein Verlachen hervor. Komisch ist eine Situation nach Jauß aber erst dann, wenn die ästhetische Einstellung eine zufällige oder geheime Gegensinnigkeit an ihr entdeckt, was auch zur Folge hat, dass sie nicht unbedingt mit Lachen, bzw. mit dem Lachen aller quittiert werden muss. 118 Eine auf solche Weise vom Lachen entkoppelte Komik kann auch die soziale Schärfe des Lachens nicht mehr besitzen, denn sie wird durch die ästhetische Einstellung quasi herausgefiltert. Dies erklärt Jauß mit Hilfe der Komiktheorie Joachim Ritters: Die Gegensinnigkeit einer Situation beruht darauf, dass am Konflikt der verschie‐ denen Daseinsebenen das „Nichtige im offiziell Geltenden“ teilhat. Das Nichtige sorgt dafür, dass der Konflikt nicht mehr ernsthaft und somit entschärft ist. Damit entkoppelt Jauß nicht nur das Komische vom Antwortcharakter des Lachens, sondern er schlägt das performative Element der Komik, welches bei Aristoteles noch the‐ atral gefasst war, existenzphilosophisch dem Nichtigen zu. 119 Abgesehen davon, dass Jauß den logischen und kommunikativen Status der „ästhetischen Einstellung“ und wer sie wann besitzt nicht näher erläutert (außer der Erwartung der Gegensinnigkeit), möchte ich am Beispiel des klassischen körperlichen Lachanlasses, nämlich des Sturzes zeigen, dass der Versuch, die Komik als ästhetisches Phänomen sozusagen heilig zu sprechen, zum Scheitern verurteilt ist. Wann ist der Sturz eines ungeschickten Menschen komisch? , fragt Jauß im Hinblick auf Souriaus Einschätzung, dass ein Sturz an sich nicht genügt, um Lachen auszulösen, sondern dass es der Interferenz mit einer zweiten Ebene bedarf, nämlich der Wahrnehmung als einer Form von „unwillentlicher Akrobatik“ oder inszeniertem Missgeschick etwa beim Clown. 120 1.2. Lachen und Komik - Unterscheidung und Verhältnis 49 121 Jauß, Zum Problem der Grenzziehung, S. 370. 122 Vgl. dazu Kap. 5.2. Jauß fragt zunächst mit Recht nach der Instanz, die solche Interferenzen perzipiert und aufdeckt, kümmert sich dann aber nicht um die Probleme der Wahrnehmung. Stattdessen bestimmt er mit der ästhetischen Einstellung eine Instanz, die Vorleistungen für die Wahr‐ nehmung des Komischen erbringt, „damit im Verhalten des Stürzenden oder in der Um‐ ständlichkeit des Clowns das Komische aufscheinen kann.“ 121 Warum soll aber die komische Wahrnehmung eines Sturzes einer „ästhetischen Einstel‐ lung“ und nicht einer allgemein perzeptiven, mimetischen oder praktischen Einstellung geschuldet sein? Jauß gibt darauf keine Antwort, schlimmer noch, weder erläutert er seinen Begriff (wer besitzt wann und in welchem Rahmen eine ästhetische Einstellung, und was heißt das? ), noch diskutiert er ihn im Licht des Wahrnehmungsproblems. Jauß überträgt lediglich das Rezeptionsmodell der Komödie auf alle komischen Situationen: In der Ko‐ mödie kann durchaus von einer „ästhetischen Einstellung“ als Rahmungsfaktor der Rezep‐ tion gesprochen werden, wohingegen es bei textferneren Formen wie etwa bei den Ver‐ körperungen und Aufführungen von Gauklern und Possenreißern im Mittelalter schon durch die fehlende Illusionsbildung problematisch werden dürfte. Auch deshalb ist ein on‐ tologischer Komikbegriff für jene zahlreichen, zwischen Lebenswelt und Kunst angesie‐ delten Performances gerade im Mittelalter ungeeignet. Noch im Stegreiftheater gehören inszenierte Stürze zum Programm: In Perruccis Kompendium über die lazzi der Commedia dell’arte kann man nachlesen, wie intensiv sie geübt und ausgespielt wurden. 122 Denn Stürze gehören zu den ältesten Lachanlässen des mimischen Theaters, sie werden um des Lachens willen inszeniert. Hier greifen die Jaußschen Kategorien nicht: Sind solche inszenierten Stürze noch Lebenswelt oder schon Kunst? Nur wenn das Letztere zutrifft, könnte man nach Jauß von Komik sprechen, und dann müsste ein Sturz nicht nur Gegen‐ sinnigkeit ausdrücken, sondern auch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Daseinsbereichen (was im Witz durchaus funktioniert, nicht aber bei körperlicher Komik). Zudem ist in Commedia-Aufführungen die ästhetische Rahmung kaum oder nur schwach ausgebildet, zumindest schwächer als in der klassischen Komödie. Für vormoderne (und genauso wenig für postmoderne) Aufführungen ist Jauß’ Konzept der ästhetischen Einstellung auf gar keinen Fall zu gebrauchen; inszenierte Stürze sind vielmehr performative als ästhetische Mittel der Aufführung. Ohne den ästhetischen Rahmen der Komödie taugen sie nicht zur Illusionsbildung. Und schließlich: Wenn Jauß’ Vorschläge triftig wären, dann dürften wir über die Komik der Komödie gar nicht lachen, sondern nur schmunzeln, da wir „auf der ästhetischen Ebene mit ihr fertig werden“. Es ist deshalb auch nicht überraschend, wenn der menschliche Körper in seiner anthropologi‐ schen Kontingenz in Jauß’ Konzept nicht vorkommt und gewissermaßen als Kategorie ausgeschlossen wird. Wie wir am Beispiel des Sturzes gesehen haben, geht er völlig in Handlungs- und Situationskomik auf, er wird Komiktheorien unterworfen, die von der 1. Der Körper als Lachanlass 50 123 Ein grundsätzlicher Fehler der Jaußschen Überlegungen ist, dass er Ritters Definitionen, die für sprachliche Komik gedacht sind, auf die Komik im Ganzen überträgt. Ritter sagt nämlich zur Relation zwischen dem Ausgegrenzten und der Lebensordnung: „Aller Witz, alle auf das Komische und das Lachen abzielende Rede sind in diesem Sinn gleichsam das grobe oder kunstvoll feine Mittel, durch das diese geheime Beziehung herausgearbeitet und sichtbar gemacht wird.“ Ritter, Über das Lachen, S. 77. 124 Beim Komischen geht es vielmehr um ganze Szenen und Systeme symbolischen Austauschs, deren bestimmendes Merkmal die Verbindung zum Lachen ist. Gesprochene Worte oder gemachte Gesten sind an und für sich noch keine Komik und kein Witz, wenn sie nicht mit Lachen verbunden sind. Vgl. English: Comic Transactions, S. 5 ff. sprachlichen Semantik ausgehen (Ritters „geheime Zugehörigkeit des Nichtigen zum Da‐ sein“). 123 Für Jauß entstammt das Komische dem Bereich der Kunst und setzt ästhetische Einstel‐ lung voraus; es ist gewissermaßen ein rezeptionsästhetischer Effekt. Damit hat er das Ko‐ mische von aller sozialen Verantwortung enthoben, es kann mit dem Verlachen nicht mehr in Verbindung gebracht werden, es erscheint restlos entschärft, unterhaltend und erbaulich, idealisiert. Es ist auch nicht vom Lachen oder seinen situativen Kontexten abhängig, son‐ dern erscheint wesenhaft an eine Art Ästhetisierung durch einen unspezifisch bleibenden Betrachter gebunden - die ästhetische Rahmung des Lächerlichen macht es zur Komik. Dagegen muss auch grundsätzlich eingewandt werden, dass der Rückgriff auf ästhetische Systeme keine ausreichende Klärung erbringt, weil sie zumeist aus Prämissen abgeleitet sind, deren generelle und ausnahmslose Geltung selten zweifelsfrei angenommen werden kann und deren Überschreitung oder Verletzung das Phänomen des Komischen zu einem guten Teil überhaupt erst konstituiert. Was die Diskussion der Jaußschen Komiktheorie immerhin zeigt, ist zweifelsfrei die Tatsache, dass bei der Bestimmung von Komik ihre Wahrnehmung die entscheidende Rolle spielt. Der komische Vorgang ist nicht an sich komisch, sondern erst in der Wahrnehmung der Anwesenden und Beteiligten. Hier stellt sich nun die Frage, ob nach Jauß und Stierle das Komische nicht die Erfahrung des Handelnden, sondern die des Betrachters betrifft, oder ob die Wahrnehmung des Komischen nicht den Betrachter sozusagen zum Handelnden oder zumindest zum Teilhaber macht. Zweifel an der Jaußschen These sind zumindest an‐ gebracht; für Plessner etwa ist das Komische eine Qualität seiner Erscheinung, es ist also etwas, das im Kommunikationsprozess emergiert. Komik ist auch keine Äußerung, wie in semantisch orientierten Arbeiten vielfach behauptet, sondern ein Ereignis, das sich in seiner Gegensinnigkeit als prozesshaft und kontingent herausstellt. Daher ist es so labil und lässt sich strukturell nur sehr schwer fassen. Die Wahrnehmung des Komischen muss ebenfalls der Differenz von Lebenswelt und Kunst Rechnung tragen, denn es ist etwas anderes, ob ich über „vorgefundene Komik“ (Freud), eine komische Performance oder einen (ge‐ machten) komischen Text lache. 124 Und die Frage nach der Wahrnehmung muss bezüglich eines Vorgangs, eines Ereignisses gestellt werden, in dem sich semantische und performa‐ tive Elemente überlagern können, um Ambivalenz oder Widersprüchlichkeit auszulösen. Wahrnehmung des Komischen „A jest’s prosperity lies in the ear 1.2. Lachen und Komik - Unterscheidung und Verhältnis 51 125 Genette, Gérard: Morts de rire. In: G. G.: Figures V. Paris 2002, S. 146. 126 So Rainer Warning: „Es ist, als ob Strukturen allein noch keine Komik, noch kein Lachen begründen oder genauer: als ob es keine Struktur eines komischen Gegenstandes an sich gebe, als ob vielmehr der Gegenstand sich erst jenseits seiner Struktur, nämlich in seiner jeweiligen Wahrnehmung als ‚lächerlich‘ erweise.“ Warning, Rainer: Funktion und Struktur. Die Ambivalenzen des geistlichen Spiels. München 1974, S. 115. 127 Genette, Morts de rire, S. 157. 128 Ebd. of him that hears it, never in the tongue of him that makes it (…)“ Shakespeare: Love’s Labour’s Lost V, 2 Die These, dass das Komische nicht an sich existiert, sondern in der Wahrnehmung derer, die es hören und sehen, zieht sich von Shakespeare über Jean Pauls Vorschule der Ästhetik („das Komische wohnt nie im Objekt, sondern im Subjekte“) und Charles Baudelaire („Le comique, la puissance du rire, est dans le rieur et nullement dans l’objet du rire“) bis zu Gérard Genette: „insister sur le caractère subjectif de l’effet du comique (...), un caractère que chacun éprouve tous les jours et que la plupart des théories du comique oublient tout aussi souvent“. 125 Danach gibt es keine komischen Objekte oder Strukturen, sondern es gibt nur komische Relationen, in denen die Wirkung des Komischen allein am lachenden Subjekt erfasst werden kann. 126 Derjenige, der auf der Bananenschale ausrutscht, nimmt das Ereignis meist keineswegs komisch, nur derjenige, der anwesend ist und es wahrnimmt. Das Komische ergibt sich hier nicht einfach aus der Betrachtung, sondern aus einem Akt der Aufmerk‐ samkeit, es ist „purement attentionel“, wie Genette es ausdrückt. 127 Auch in dem Falle, dass wir es mit einer geplanten Inszenierung, dem willentlich Komischen, zu tun haben (comique intentionnel) muss die Aufmerksamkeit beim Adressaten gegeben sein, um sein Ziel, das Lachen, zu erreichen: „Le comique volontaire, lui, est évidemment intentionnel - mais, pour atteindre son but, il doit aussi devenir attentionnel chez son destinataire.“ 128 Genette relativiert damit die alte Trennung zwischen willentlicher und unfreiwilliger Komik, indem beide, das Inszenierte wie das Ungeplante, erst durch die Aufmerksamkeit des wahrnehmenden Rezipienten zur Komik werden. Diese eher banale Feststellung hat jedoch weit tragende Konsequenzen für unseren Gegenstand, denn die Komik des seinen Körper benutzenden professionellen Possenreißers oder Schauspielers ergibt sich in diesem Verständnis aus dem Zusammenspiel von Inszenierung und Emergenz. Er benutzt seinen Körper als Werkzeug, um das Lachen des Rezipienten zu erregen, d. h. sein Körper fungiert als eine Art physiologisches, psychologisches und kognitiv wirkendes Ansteckungsorgan. Am Grunde des komischen Lachanlasses liegt eine Art Wahrnehmungsstimulus des an‐ deren, dessen Aufmerksamkeit gebannt und dessen Wahrnehmung so motiviert werden soll, damit er lacht. Wir können den komischen Vorgang deshalb auch als eine kommuni‐ kative Handlung bezeichnen, die in dem Moment gelingt, wenn sie Lachen auslöst. Ein wichtiger Aspekt dieser Wahrnehmung des komischen Vorgangs ist der Überraschungsef‐ 1. Der Körper als Lachanlass 52 129 Vgl. Iser, Wolfgang: Das Komische: Ein Kipp-Phänomen. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preis‐ endanz und Rainer Warning. München 1976, S. 399-402. 130 Haug, Das Komische und das Heilige, S. 260. Haug setzt hinzu: „Nur das terroristische System ist ohne Komik, weil es das, was es ausschließt, radikal unterdrückt; es verhindert die Selbstrelativierung mit Gewalt, es muss deshalb alles tun, um die prekärste Einbruchstelle, die Komik, zu vermauern.“ fekt, die Verblüffung. Sie ist kein Bestandteil des Vorgangs selbst, sondern ein von ihr aus‐ gelöster Effekt im Rezipienten. 129 Dieser Zusammenhang macht deutlich, dass das Komische als isoliertes Phänomen nicht zugänglich ist. Es wird allein vom jeweiligen Horizont der Lachenden her verständlich: Sie und ihre Relationen zum komischen Vorgang müssen stärker in die Untersuchungen zur Komik einbezogen, wenn nicht zum zentralen Gegenstand der Komikforschung werden. Deshalb sind Plessners Überlegungen zum Lachen und zur Desorganisation des Körpers im Lachen so wichtig für die Erfassung von körperlich motivierter Komik. Es reicht hier auch nicht aus, wie Walter Haug vorschlägt, die Kollision von Normen oder die Unvollkommen‐ heit des Daseins vom Objekt ins Subjekt zu verlagern: Im Komischen gewinnt der Mensch Distanz zu seiner eigenen Unvollkommenheit. Er kann lachend mit ihr fertig werden. Das Komische ist also nicht etwas objektiv Gegebenes, sondern es ist eine subjektive Möglichkeit, sich der wesensmäßigen Unvollkommenheit des Menschen zu stellen. 130 So richtig dieser aus einer Plessnerschen Perspektive heraus formulierte (gewissermaßen vom Lachen zur Komik verschobene) Satz auch sein mag, er besagt noch nicht sehr viel. Es fehlt ihm der Aspekt der Übertragung der komischen Handlung, des komischen Gedankens, vor allem fehlt ihm der Bezug zum Lachen. Haug hätte auch erwähnen müssen, dass das Komische zumindest eine subjektive Möglichkeit ist, mit dem Gegebenen etwas anzu‐ fangen, mit ihm zu arbeiten, es zu bearbeiten (das was Freud in Bezug auf den Witz als Witzarbeit bezeichnet hat). Was passiert mit dem von der Wahrnehmung komisierten Körper im Akt der Wahrnehmung? Wird er, wie Freud vermutet hat, objektiviert und somit zu einem verkehrten Körper? Und entsteht die Komik gar aus dieser Objektivierung des Verkehrten? Dieses sind nur einige Fragen, die sich stellen, wenn man der Prämisse der Komik als Resultat von aufmerksamer Wahrnehmung folgt. Bevor ich mich mit ihnen beschäftige, muss noch eine wichtige Unterscheidung des Komischen angesprochen werden: die zwi‐ schen körperlicher und sprachlicher Komik. Komik und Sprache Von allen Formen der Komik ist die Sprachkomik - vielleicht weil sie dem Witz besonders nahesteht - am eingehendsten untersucht worden. Disziplinen wie die Humorlinguistik oder die interaktionale Linguistik widmen sich in hohem Maße der syntaktischen Poin‐ tenstruktur und dem sprachlichen Humor. Auch die literaturwissenschaftlichen Untersu‐ chungen zu Komik und Humor bei einzelnen Autoren oder in den Gattungen konzentrieren 1.2. Lachen und Komik - Unterscheidung und Verhältnis 53 131 Olbrechts-Tyteca, Lucie: Le comique du discours. Brüssel 1974; Kohlmayer, Rainer: Sprachkomik bei Wilde und seinen deutschen Übersetzern. In: Europäische Komödie im übersetzerischen Transfer. Hg. von Fritz Paul u. a. Tübingen 1993, S. 345-384. 132 Mit wenigen Ausnahmen, wie etwa Benz, Lore: Zur Verquickung von Sprachkomik, Körperwitz und Körperaktion im antiken Mimus. Zeitschrift für Germanistik N. F. 11 (2001), S. 261-273. sich vorwiegend auf die sprachliche Komik. 131 Es sind mannigfaltige Kategorien des Komi‐ schen in der Sprache aufgestellt worden: semantische und syntagmatische Interferenzen, Phraseologien, Wortspiele, Wörtlich-Nehmen, Ironie, dialektale und soziolektale Komik, Wiederholungen, Automatismen, Klischees und viele andere mehr. Dabei ist das Körperliche an der Sprache geflissentlich übersehen worden. Ähnlich der Komik des Körpers, der Gebärden und der Gestik im Allgemeinen, haben die Zusammen‐ hänge von Sprache und Körper im Komischen bislang nur wenig Interesse seitens der For‐ schung gefunden. 132 Dies liegt vermutlich daran, dass man Körper- und Sprachkomik bisher aus heuristischen Gründen strikt getrennt hat und ihre Verquickung wenig beachtete. Die Trennung macht nur dann Sinn, wenn aus thematischen Gründen eines der beiden Systeme im Vordergrund steht (wie bei dieser Arbeit), doch ist bei der Wahrnehmung des komischen Vorgangs der Körper häufig nicht von der Sprache zu trennen: Komische Sprache kann nicht nur durch Sprachartistik, Klangphantasie und semantische Inkongruenz Lachen aus‐ lösen, sie löst dadurch Lachen aus, indem sie körperlich hervorgebracht wird. Der komische Effekt der klassischen Redekomik in der Komödie resultiert nicht selten aus dem körperli‐ chen Substrat einer sprachlichen Semantik, die den menschlichen Leib, seine Triebe und Begierden, Bedürfnisse und Schamzonen betrifft. Mehr noch als die Körpersemantik sind es allerdings in der sprachlichen Kommunikation enthaltene materiale, phonetische und phatische Effekte, die direkt vom Körper her‐ kommen und die Verankerung der Sprache im Körper, jenseits von aller Semantik, deutlich machen. So weist etwa das Stottern, ein klassischer Topos der Situationskomik, auf die Produktion und Materialität der Sprache hin, auf ihre Artikulation als einen leiblichen Vor‐ gang. Stottern ist ein physischer Mangel, der im Kommunikationsprozess der Sprache, wo es auf die Übertragung von Semantik ankommt, die Aufmerksamkeit weg von der Nachricht und hin zum Körper lenkt. Der Körper bricht in die Sprache ein; nicht Syntax und Semantik stehen mehr im Vordergrund, sondern der Akt des Sprechens selbst. Das Stottern wird somit zum Störfaktor der Nachrichtenübermittlung, ebenso wie andere Ausdrucksweisen und -gebärden des Sprechens, wie eine außergewöhnliche Stimme oder Stimmlage, das Schreien, Stöhnen, Schluchzen, Lachen und Weinen dieser Stimme. Sie alle verweisen uns auf den Körper, und was diese Stimme äußert wird daher weniger Gewicht haben, als die Art, wie sie es äußert, da die Aufmerksamkeit auf die Stimme selbst gerichtet ist. Das Stottern oder eine komische Stimme sind somit Körperphänomene der Sprache. Man kann sie auch als performative Phänomene bezeichnen. Dazu gehören auch Ausrufe, In‐ terjektionen, unartikuliertes Sprechen wie Stammeln oder Nuscheln sowie alles, was Bergson mit „Rhythmus der Rede“ bezeichnet: das abgehackte oder mit Pausen versehene statt flüssige Sprechen, die aus der Reihe fallende Prosodie, die unübliche Betonung. Diese Körperlichkeit der Sprache wird umso gravierender, wenn es sich um zeremonielle oder rituelle Sprechakte handelt, die dadurch beeinträchtigt werden oder sogar scheitern können. Wichtig für den Umgang mit diesen phatischen und phonetischen Dimensionen 1. Der Körper als Lachanlass 54 133 Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Aus dem Frz. übers. u. eingeführt durch e. Vorrede von Rudolf Boehm. Berlin 1966, S. 217. Vgl. dazu auch Braungart, Georg: Leibhafter Sinn. Der andere Diskurs der Moderne. Tübingen 1995, S. 36 ff. Merleau-Ponty schließt hier an die Unter‐ suchungen Wilhelm Wundts an, der den Ursprung der Sprache aus der Gebärde abgeleitet und eine Theorie der Gebärdensprache als Vorstufe der Lautsprache entwickelt hatte. Wundt, Wilhelm: Völ‐ kerpsychologie. Bd. 1: Die Sprache. Berlin 1857. 134 Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, S. 218 f. 135 Vgl. Butler, Judith: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Frankfurt a. M. 2000. (Engl. Orig.: Excitable Speech, New York / London 1997). der Sprache ist ihre Flüchtigkeit und Spurenlosigkeit. Selbst wenn sie in Texten teils mar‐ kiert werden (etwa Ausrufe oder stockendes Sprechen), sind sie in der Regel dort nicht mehr aufzufinden, sondern Teil der Aufführung oder des Ereignisses. Dass es sie gibt, und dass sie auf das körperliche Substrat der Sprache verweisen, muss jedenfalls auch bei der Analyse komischer Vorgänge in Texten immer einkalkuliert werden. Die Beziehung zwischen Sprache und Körperlichkeit ist auch phänomenologisch unter‐ sucht worden, und zwar im Kapitel über Sprache als leibliche Gebärde in Maurice Mer‐ leau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung; hier stellt sie sich jedoch als wesentlich elementarer dar. Für Merleau-Ponty ist das Wort eine körperliche Erscheinung. Vorausset‐ zung dafür ist, dass das Sprechen eine Möglichkeit unter anderen ist, den Leib zu modifi‐ zieren. Es ist die Verlängerung des Armes, der Gestik, eine Erweiterung der Leibessynthese. Die Sprache ruht auf der unmittelbaren Leiblichkeit und ist ihre Entfaltung, nicht ihre Depravation: „In Wahrheit ist das Wort Geste, und es trägt seinen Sinn in sich wie die Geste den ihren.“ 133 Im Wort wie in der Geste ist der Sinn „inkarniert“. Somit ist auch Kommuni‐ kation für Merleau-Ponty keine Übertragung, also En- und Decodierung von Informati‐ onen, sondern die Übernahme der in der Gebärde realisierten Intention des Gegenübers, der Nachvollzug. Merleau-Ponty erläutert das am Beispiel der Drohgebärde: Um etwa eine zornige oder drohende Gebärde zu verstehen, muss ich mir nicht erst die Gefühle in die Erinnerung rufen, die ich selbst einmal hatte, als ich dieselben Gebärden machte. (...) Fremd‐ psychisches wird nicht durch Analogieschlüsse verstanden, sondern unmittelbar, und das heißt, von Körper zu Körper, durch Übernahme der Intention des anderen. Dann ist es, als wohnten seine Intentionen meinem Leibe inne und die meinigen seinem Leibe. 134 Da die Sprache ähnlich wie die Gebärde den Körper und seine Grenzen überschreitet, kann sie auch unmittelbar körperlich wirken. Es gibt zahlreiche Beispiele von Auseinanderset‐ zungen, wo sich verbale und körperliche Ebene miteinander verbinden, wo Sprache nicht nur Handlung ist, sondern auch körperliche Wirkung zeitigt. So ist beispielsweise der kör‐ perliche Effekt von hasserfülltem Sprechen („hate speech“) gut belegt; hier ist es vor allem die Intensität von Lautstärke und Sprechgebärde, die körperlich wirkt und die nicht selten körperliche Reaktionen hervorruft (körperliche Gewalt auf Grund von sprachlicher Ge‐ walt). 135 Austin hat solche Wirkungen von Sprache als „perlokutive Sprechakte“ bezeichnet, doch wurden sie immer nur in Bezug auf ihre Semantik interpretiert, weniger auf ihre performativen, körperlichen Effekte. In der Leiblichkeit der Rede und der Leiblichkeit ihrer Wirkungen treffen sich die Theorien Austins und Merleau-Pontys. Nicht zuletzt deshalb rekurriert Butler in hohem Maß auf phänomenologische Ansätze. Gemeinsam ist diesen Perspektiven, dass sie in der Analyse von Kommunikation weit über den Austausch von 1.2. Lachen und Komik - Unterscheidung und Verhältnis 55 136 Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, S. 220 u. 233. 137 Plessner, Lachen und Weinen, S. 305. 138 Vgl. Bachorski / Röcke / Velten / Wittchow, Performativität und Lachkultur, S. 182. 139 Jauß, Zum Problem der Grenzziehung, S. 363. Zeichen bzw. die Übermittlung von Nachrichten hinausgehen, dass der direkte Bezug von Handlung und Effekt wichtiger ist als die Suche nach einer vermittelnden Instanz wie dem Denken oder dem Verstand. „Durch meinen Leib verstehe ich den anderen“, sagt Mer‐ leau-Ponty, und fügt hinzu: „Man sah nicht, dass letzten Endes der Leib selbst das Denken, die Intention werden muß, die er uns je bedeutet, soll er sie ausdrücken können. Er ist es, der zeigt, er ist es, der spricht.“ 136 Zurück zur Komik: Wenn das gewalttätige Wort nur dann wirkt, wenn es „verkörpert“ wird, muss dies auch für das komische Wort gelten. Plessner hat dies bei der Untersuchung des Witzes als Ausdrucksform der Sprache bereits angedeutet: „Im Flusse der Rede tritt unversehens ihre gewissermaßen körperliche Außenseite hervor. Man zerkaut die Worte, spielt mit ihnen wie mit Fremdkörpern: das Phänomen des komischen Wettstreites ist da.“ 137 Selbst der Witz, der in hohem Maß auf seinen semantischen Begleittext rekurrieren muss, besitzt demnach eine körperliche Grundlage: Es ist das Spiel mit den Wortkörpern der Sprache, die semantisch nicht fassbare Mehrsinnigkeit, die Verballhornung von Worten, der Nonsense und künstliche Wortbildungen. Die Körper der Worte werden deformiert, umgestellt, wirken somit grotesk und fremd, ergeben neue und Mehrfachbedeutungen. Se‐ mantische Aspekte sind somit selbst bei Witzen nicht so dominant, wie man landläufig annimmt. Komische Wirkung hingegen, so Plessner, braucht keine Erläuterung: Sie spricht durch sich selbst, sie gibt nichts zu verstehen. Methodisch ergibt sich daraus eine stärkere Beachtung des Körpersubstrats bei der Sprachkomik; es geht darum, die Austauschprozesse, die das Komische als Semantisches mit dem Komischen als Performativem unterhält, näher zu analysieren oder, da diese Tren‐ nung eine künstliche ist, wie semantische und performative Elemente das Komische be‐ stimmen. 138 Semantik Zur Semantik im komischen Vorgang schreibt selbst Jauß (in Bezug auf die Komödie), die Semantik sei überfordert. Denn die „komische Botschaft“ sei keine Botschaft mit decodier‐ barem Inhalt. Was das Publikum lachend beantworte sei „die komische Kollision als solche“, womit Jauß den Zusammenbruch des normativen Weltverständnisses bei der Berührung mit der nichtigen Gegenwelt der Komödie meint. Die „lachende Antwort“ des Publikums sei auch kein eigentliches Decodieren einer Botschaft, geschweige denn deren Interpreta‐ tion, sondern etwas semantisch nur sehr schwer Greifbares: (...) wer nur mehr lachend ‚quittiert‘, erteilt dem ‚Sender‘ (wie gerade das so prägnante Bild des ‚Quittierens‘ verrät) keine eigene Antwort, unbeschadet dessen, daß er im Nachhinein darüber reflektieren kann, ob ihm der komische Anlaß seines Lachens wohl auch eine praktische Einsicht eröffnet hat. Das spezifische Vergnügen am komischen Vorgang läßt sich denn auch nicht mehr semiotisch erklären (...). 139 1. Der Körper als Lachanlass 56 140 Iser, Das Komische: Ein Kipp-Phänomen, S. 399. 141 Ebd. 142 Bedeutung entsteht in Kommunikationsprozessen aus den Beziehungen zwischen Zeichen(mittel) und Zeichenbenutzern und dem (Zeichen-)Objekt, also dem, was sie für den jeweiligen Benutzer bezeichnen. 143 Vgl. etwa Könneker, Barbara: Wesen und Wandlung der Narrenidee. Heidelberg 1969 und Mezger, Werner (Hg.): Narren, Schellen und Marotten. Elf Beiträge zur Narrenidee. Kulturgeschichtliche For‐ schungen 3. Remscheid 1984. 144 Die logisch einsichtigste Definition von Sinn gibt Gilles Deleuze, der ich mich hier anschließe: „Der Sinn ist das Ausdrückbare oder das Ausgedrückte des Satzes und untrennbar damit das Attribut des Dingzustandes. Eine Seite wendet er den Dingen zu, eine andere den Sätzen. (…) Er ist genau die Grenze zwischen den Sätzen und den Dingen.“ Deleuze, Gilles: Logik des Sinns. Aus dem Frz. von Bernhard Dieckmann. Frankfurt a. M. 1993, S. 41. (Frz. Orig.: Logique du sens. Paris 1969). Diese Auffassung scheint auch Wolfgang Iser zu teilen, wenn er grundsätzliche Zweifel an der gängigen Praxis anmeldet, Komik über Oppositionsverhältnisse zu erklären. Dies setze das Interesse an der Bedeutung absolut. Ganz ähnlich wie Jauß merkt er an: Vielleicht aber ist das Komische durch semantische Bestimmungen gar nicht einzufangen; und wenn wir heute über so viele Bedeutungen des Komischen verfügen, so liegt der Verdacht nahe, dass sich in ihnen nur historisch bedingte Füllungen einer vorwiegend pragmatisch funktionier‐ enden Struktur spiegeln. 140 Als methodische Konsequenz schlägt er vor: „Daher empfiehlt es sich, Konstellationen des Komischen weniger von ihren Positionen, sondern mehr von dem Geschehenscharakter her zu denken, der sich durch die aufeinander bezogenen Positionen ergibt.“ 141 Mit dem Verweis auf den Geschehenscharakter des Komischen macht Iser schon in den siebziger Jahren auf die Notwendigkeit einer performativen Theorie des Komischen auf‐ merksam, die den Prozess der Bedeutungsübertragung zunächst unberücksichtigt lässt. Wie marginal diese Position vor dreißig Jahren war, zeigt, dass sie bis heute kaum Nachfolger gefunden hat. Noch immer gehen die meisten Analysen literarischer und theatraler Komik vom Primat der Semantik aus, wo komische Handlungen immer in ihrer kulturellen, sym‐ bolischen, religiösen, mythologischen, sozialen usw. Bedeutung untersucht werden, sich gegen andere Bedeutungen stellen, sie in sinnreichen Anspielungen, Witzen, bedeutungs‐ vollen Gesten usw. unterlaufen. 142 Im Übrigen wird häufig übersehen, dass auch ein Zeichen für unterschiedliche Benutzer unterschiedliche Bedeutung haben kann; nichts ist ein Zei‐ chen, wenn es nicht von jemandem als solches verstanden wird. Die Bedeutung an sich, die einem Zeichen beigegeben ist, gibt es nicht; Bedeutung konstituiert sich in diesem dyna‐ mischen Prozess nur im jeweiligen Rezipienten, den das Zeichenmittel findet. Dies gilt auch für die älteren Epochen, in denen gerade der Narrenfigur immer wieder die Gegenläufigkeit und Gegensinnigkeit von Bedeutungen attestiert wurden. 143 Viel mehr als Widerspruch und Opposition verkörpert der Narr den närrischen, d. h. sinnzerstöreri‐ schen Umgang mit Bedeutungen, er ist derjenige, der das Komische als Geschehen insze‐ niert und es dabei ambiguisiert und dekonstruiert. Gegen Sinn und Bedeutung wird nicht angegangen, sie werden spielerisch zersetzt und entwertet, Sinnangebote werden im Spiel unterlaufen. 144 Dies alles geschieht in komischen Vorgängen, bei denen Körper und Sprache in der Leiblichkeit des Sprechens eine eigentümliche, enge Beziehung eingehen. 1.2. Lachen und Komik - Unterscheidung und Verhältnis 57 145 Derrida, Jacques: L’écriture et la différence. Paris 1967, S. 376. 146 Douglas, Mary: The social control of cognition: some factors in joke perception. Man 3 (1968), S. 364-381: „All jokes have this subversive effect on the dominant structure of ideas. (...) The joke is an image of the relaxation of conscious control in favour of the subconscious. (...) This joke pattern needs two elements: the juxtaposition of a control against that which is controlled, this juxtaposition being such that the latter triumphs“. S. 364. Es scheint deshalb so, dass sich das Semantische bei der Komik nicht nur nicht vom Performativen separieren lässt, mehr noch, es geht vollkommen im Performativen auf. Die Mehrdeutigkeit des Komischen ist eine Rezeptionsleistung der Anwesenden, sie entsteht im Geschehen, im Vorgang, in der Situation selbst, an der diese teilhaben, und ist somit niemals strukturell greifbar. Greifbar ist nur der vom Körper ausgehende spielerische Um‐ gang mit Sinn und Bedeutung in der Komik, bei der auf sprachliche Signifikanz verzichtet wird, wie Jacques Derrida es formuliert: Le rire seul (…) n’éclate que depuis le renoncement absolu au sens, depuis le risque absolu de la mort, depuis ce que Hegel appelle négativité abstraite. Négativité qui n’a jamais lieu, qui ne se présente jamais puisqu’à le faire elle réamorcerait le travail. Rire qui à la lettre n’apparaît jamais puisqu’il excède la phénoménalité en général, la possibilité absolue du sens. 145 Das Lachen ist aus postmoderner Perspektive nicht mit der Negativität gleichzusetzen, die ihm Hegel noch zugeschrieben hat, aber auch nicht mit dessen Variation, dem Nichtigen, dem „der Lebensordnung schlechthin Entgegenstehenden“, als das es Ritter identifiziert hat. Das Lachen ist vielmehr gar kein Teil diskursiver Ordnungen, es erscheint dort nicht, es steht außerhalb von Zeichen- und Diskurssystemen als Reaktion des Körpers auf deren Verwirrungen, Verknotungen und Unzulänglichkeiten im komischen Vorgang, aber auch den Sieg des Körpers über die Sprache, das Wort, die Bedeutung, den Sinn. Konstitutiv für das Lachen sind die Triebe und Begierden des Körpers, deren Artikulation es beantwortet und vor denen der Körper des Lachenden kapituliert, weil er sich selbst darin erkennt. Denn der Körper hat sich im Komischen mit den Zeichenprozessen des Dis‐ kurses verbunden, ohne jedoch Bedeutung zu erzeugen wie die Sprache, die den Körper im Augenblick der Bedeutungserzeugung abgeschüttelt hat und deren Botschaften körperlos sind. Der Körper spricht im Komischen ohne Bedeutung, er ist die Botschaft selbst. Mary Douglas hat das anhand der skatologischen Komik gezeigt: Sie erreicht ihre Wirkung da‐ durch, dass der Bezug eines Ereignisses zu einem körperlichen Muster die Würde seines moralischen Musters zerstört, und somit Bedeutung zunichte gemacht wird, damit der Körper im Vordergrund stehen kann. 146 Was resultiert daraus für die Bestimmung von Sprachkomik? Prinzipiell lässt sich sagen, dass das Ambivalente, Widersprüchliche und Absurde im Sprachspiel letztlich auf den Körper und seine Widerständigkeit verweisen. De- und Rekomposition von Worten, ihre Mischung und Verrätselung, die syntagmatischen Deformationen, asyndetischen Phonemf‐ ragmente und ihre lautlichen Dissonanzen in der komischen Rede tendieren zur Streichung sprachlicher Signifikanz und verweisen auf den Ort ihrer Artikulation, den menschlichen Körper. Sie sind insofern Indikatoren für sprachliche scurrilitas. Dass die körperliche scur‐ rilitas ebenso bedeutungszersetzend ist, hat am eindrücklichsten Alfred Polgar angesichts der körperlichen Komik Charlie Chaplins beschrieben: 1. Der Körper als Lachanlass 58 147 Polgar, Alfred: Chaplin. Der neue Chaplin. In: Charlie Chaplin. Eine Ikone der Moderne. Hg. von Dorothee Kimmich. Frankfurt a. M. 2003, S. 33-40, hier S. 34. Vgl. auch Clayton, Alex: The body in Hollywood slapstick, Jefferson (N. C.) 2007. 148 Die Bisoziationstheorie ist Teil einer größer angelegten Theorie der Kreativität, die nach Koestler ähnlichen Bedingungen folgt wie das Lachen. Koestler, Arthur: Der göttliche Funke. Der schöpferische Akt in Kunst und Wissenschaft. Bern / München 1966 (Engl. Orig.: The act of creation, New York 1964), v.a. Kap. 1. 149 Vgl. dazu überblickend Ceccarelli, Fabio: Sorriso e riso. Saggio di antropologia biosociale. Torino 1988, S. 300-338. Ein Beispiel aus der interaktionalen Linguistik: Helga Kotthoff formuliert im An‐ schluss an Koestler und Goffman, dass die Semantik der Witzpointe „auf der Herstellung einer spe‐ zifischen, überraschenden Bisoziation von aufgerufenen Rahmen (basiert)“, wobei ein Rahmen etab‐ liert wird, „der mittels eines Triggers überraschend gewechselt werden kann“. Kotthoff, Spaß verstehen, S.148. Und hier steckt der eigentlichste Kern von Chaplins sieghafter Komik. Seine Schlapfen, sein Wat‐ schelgang, sein viel zu kleiner Hut, sein Schnurrbart, der nur die Oberlippe deckt … welche Be‐ deutung haben sie? - Meiner bescheidenen Meinung nach: gar keine. Das ist ihre tiefe Bedeutung. In ihrer Sinnlosigkeit ruht ihr Sinn. 147 Eine Rahmentheorie des Komischen: der komische Modus Wenn Komik demnach weder ontologisch und strukturell, noch historisch und kulturell definiert werden kann, wie ist dann der Gebrauch des kategorialen Begriffs zu rechtfer‐ tigen? Kann nicht alles (jeder Satz, jede Geste) komisch werden, wenn es in einer be‐ stimmten Situation die Logik des Sinns überschreitet und daher von Lachen quittiert bzw. begleitet wird? Aber wo liegt hier genau die Abhängigkeit der Komik vom Lachen? Ich mache den Versuch, diese Frage zu beantworten, indem ich auf einen Aspekt der Lach- und Komiktheorie zurückgreife, den ich bisher nur am Rande erwähnt habe: die Rahmentheorie. Verbunden sind damit Namen wie Gregory Bateson und Erving Goffman, bezogen auf das Lachen auch Arthur Koestler und Mary Douglas. Koestler hatte bereits in den 1960er Jahren mit seiner (in Deutschland wenig beachteten) Bisoziationstheorie Lachen und Humor einem Wechsel zwischen zwei kommunikativen Rahmen zugeschrieben, dem „serious mode“ und dem „humorous mode“. Beides wurde im Hinblick auf die Pointenstruktur des Witzes formuliert, indem sich während des Erzählens eines Witzes eine Erwartung aufbaut, die in der Pointe dann plötzlich enttäuscht wird, indem der ernsthafte Rahmen in einen unernsten umschlägt. 148 Freilich ist bei Koestler dieser Umschlag einer kognitiven Operation geschuldet, ein Ansatz, dem bis heute viele semantische Lachtheorien folgen. 149 Daher betrachtet die Bisoziationstheorie und ihre Va‐ rianten Witz und Komik unabhängig von ihrem sozialen Vorgang; sie nimmt an, dass La‐ chen lediglich eine manifeste Antwort auf die psychologische Erfahrung von „Humor“ ist. Erweitert man jedoch die Rahmentheorie auf menschliche Interaktion insgesamt, so wird der Rahmenwechsel - und nicht nur in Bezug auf die Untersuchung der sozialen Effekte des Lachens - wesentlich ergiebiger. Lachen wird dabei nicht mehr nur als Reaktion auf Komik und Witz angesehen, sondern als eine Markierung seiner Referenten als Spiel und Nicht-Ernst. Komik würde auf diese Weise mit Lachen nicht nur beantwortet, sondern markiert, das Lachen hätte die Funktion eines frame-markers. Es sind die Rahmentheorien 1.2. Lachen und Komik - Unterscheidung und Verhältnis 59 150 Bateson, Gregory: A Theory of Play and Fantasy. In: G.B.: Steps to an Ecology of Mind. Chicago 1972. Zit. nach Glenn, Laughter in interaction S. 28. 151 Glenn, Laughter in interaction, S. 28. 152 In seiner Rahmenanalyse (1977) beschreibt Goffman soziale Darstellungsformen, mit deren Hilfe die Gesellschaftsmitglieder sich gegenseitig anzeigen, in welchen erkennbaren, weil typisierbaren Hand‐ lungszusammenhängen sie sich gemeinsam mit ihren jeweiligen Interaktionspartnern zu befinden glauben. Sie rekurrieren dabei ganz selbstverständlich auf ein zwar individuell erworbenes, aber immer schon als kollektiv verfügbar und wirksam unterstelltes „implizites Wissen“ über das, was „man“ wann, wo, mit wem tut, reden und verabreden kann oder nicht kann. Vgl. Goffman, Erving: Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. Frankfurt a. M. 1977. von Bateson (1972) und Goffman (1974), die einer solchen Perspektive vorgearbeitet haben. Der englische Anthropologe und Biologe Bateson hatte herausgefunden, dass es für Men‐ schen und Tiere einen „Spielrahmen“ mit speziellen Signalen (framing markers) geben müsse, die den anderen bedeuteten „das ist Spiel“. Spiel wiederum wird von Bateson als ein inhärent paradoxer Rahmen angesehen, der gleichzeitig ernsthafte und nicht-ernste Inter‐ pretation verlange. 150 Wie erkennen die Teilnehmer einer Interaktion aber den Spielrahmen? Nach Bateson wird er vor allem mit Hilfe metakommunikativer Signale angezeigt: Gesten, Bewegungen, aber auch Stimmungszeichen wie Augenzwinkern, Lächeln und Lachen. Dabei können sich auch Widersprüche und Paradoxien zwischen den metakommunikativen Signalen und dem Kommunizierten selbst ergeben, die Bestandteile des Spiels, aber nur innerhalb des Spiel‐ rahmens möglich sind. Lachen als Markierung für den Spielrahmen wurde im Anschluss an Bateson in mehreren Studien belegt (Metakommunikation durch Lachen): Lachsignale können von allen Teilnehmern ausgesendet werden, müssen allerdings von den anderen akzeptiert werden: „One may laugh not only to ratify an ongoing comic frame, but also to help bring one about“. 151 Das gut funktionierende Lach-Signal hat die Wirkung, dass beide Interaktionspartner bereit sind, mit Normen, Rollen und Beziehungen zu experimentieren. Auch für Goffman sind die Batesonschen Begriffe der Metakommunikation und der Rahmung in seiner Sozialtheorie der Alltagserfahrung zentral. 152 Er ist der Auffassung, dass jede Kommunikation in mehreren Existenzschichten verwirklicht wird. In Gesprächen werde grundsätzlich mitkommuniziert, welcher Status der eigenen Rede zukommt; so werde in der scherzhaften Kommunikation ein Theaterrahmen erzeugt, innerhalb dessen ein Spiel mit Inkongruenzen stattfinden kann. Alle Handlungen in diesem Spiel verweisen auf ihren Kontext, den Rahmen, aus dem sie erst verständlich werden, selbst wenn sie widersprüchlich bzw. sinnlos sein sollten: Widersprüchlichkeit und Sinnlosigkeit (der Komik etwa) werden durch den Rahmen perspektiviert und enthebbar gemacht, denn der Rahmen wertet Sinnlosigkeit als Spiel. Der Rahmen ist in der Interaktion immer schon beigegeben, seine Leistungsfähigkeit besteht hauptsächlich in der Identifizierung, Differenzierung und Relationierung von Kon‐ texten und Kontextebenen. Somit sind nach Goffman Rahmen als Sinnträger des Gesche‐ hens bedeutsam. Der Handelnde bedient sich des Rahmens als einer mehr oder weniger komplexen generellen (Meta)-Verstehensanweisung. Sie konstituiert einen Wirklichkeits‐ 1. Der Körper als Lachanlass 60 153 Vgl. Goffman, Rahmen-Analyse, S. 49 ff. Goffman unterscheidet aber Rahmen (frame) von Rahmung (framing). Das Begriffspaar steht für die Differenz von sozialem Sinn und sinnaktualisierender Praxis: Rahmen sind relativ stabile Erzeugungsstrukturen von Sinn, sie sind autonom und immun gegenüber der faktischen Interaktion. Dagegen dienen Rahmungen der Umsetzung von Sinn, die gegenüber den Primärrahmen kontingent, subjektiv anforderungsreich, offen und anfällig sind. 154 Zur Rolle von Goffmans Rahmentheorie in der Gesprächsanalytik vgl. Kotthoff, Spaß verstehen, S. 161 ff. 155 An die Stelle von Austins Unterscheidung zwischen ernsthaften und nicht-ernsthaften Sprechakten tritt bei Goffman der Begriff des Rahmenwechsels, der sich auf die Transformationsmöglichkeiten von institutionellen Rahmenbedingungen, Inszenierungsrahmen und Interpretationsrahmen be‐ zieht. 156 Vgl. Kotthoff, Spaß verstehen, S. 39. 157 Goffman, Rahmen-Analyse, S. 55. raum als Möglichkeitsraum, der in jeder Situation schrittweise abzuarbeiten ist. 153 Die Grundidee der Rahmentheorie besteht somit darin, dass Handlungen nicht isoliert, sondern im Zusammenhang ihrer Wahrnehmungsgeschichte verstanden und bewertet werden. 154 Im Falle inszenierter Körper- oder Sprachkomik würde ein Primärrahmen (Menschen verhalten sich körperlich und sprachlich situationsangemessen, d. h. Normen und Konven‐ tionen entsprechend) und seine gewöhnlichen Bedeutungen durch die Vereinbarung „das ist Spiel“ außer Kraft gesetzt, eine spielerische Rahmung tritt ein. 155 Dies geschieht mit Hilfe von Rahmungssignalen, wie etwa dem offenen Spielgesicht bei Tieren (Lorenz) oder dem redebegleitenden Lachen im scherzhaften Gespräch. Aus dieser Perspektive wäre das La‐ chen des Sprechers ein Signal dafür, dass seine Äußerung spielerisch aufgefasst werden soll, denn ihr ernsthafter Sinn wird durch das Sprecher-Lachen unterlaufen; Sprecher-Lachen fungiert so „auch als Einladung, ins Spiel einzusteigen.“ 156 Noch ist die Vereinbarung des Rahmenwechsels unter der Devise „das ist Spiel“ allerdings keine zwingende Voraussetzung für die Möglichkeit von Komik. Sie muss noch spezifiziert werden, damit etwas als komisch wahrgenommen werden kann, es fehlt eine Vereinbarung: „das ist zum Lachen“. Für solche Fälle der mehrfachen Rahmentransformation führt Goffman den Begriff des Moduls (key) ein: Darunter verstehe ich das System von Konventionen, wodurch eine bestimmte Tätigkeit, die be‐ reits im Rahmen eines primären Rahmens sinnvoll ist, in etwas transformiert wird, das dieser Tätigkeit nachgebildet ist, von den Beteiligten aber als etwas ganz anderes gesehen wird. Den entsprechenden Vorgang nennen wir Modulation. 157 Dieses rahmentheoretische Schlüsselkonzept umfasst die ganze Fülle von Möglichkeiten, primär sinnvolle Aktivitäten gemeinsam „als etwas ganz anderes“ zu betrachten und ent‐ sprechend zu handeln. Der Rahmen und die ihm zugrunde liegenden Vereinbarungen erlauben demnach dem Komischen als etwas dem Primärrahmen Angehöriges, doch Modifiziertes aufzutreten bzw. zu emergieren. Etwas wird als komisch wahrgenommen, wenn es beiden Rahmen angehört, und somit zunächst Wiederholung und Variation, dann aber auch Devianz, Abweichung ist. Schon Plessner hatte angenommen, dass die Wahrnehmung einer Abweichung von der Regel durchaus zur Wahrnehmungsstruktur des Komischen gehöre: „Nur durch die Bezie‐ hung auf eine Regel, der es widerstreitend gegenübertritt, ergibt sich das Komische.“ Dabei 1.2. Lachen und Komik - Unterscheidung und Verhältnis 61 158 Plessner, Lachen und Weinen, S. 302. 159 Douglas, The social control of cognition, S. 365. 160 Ontologisch formuliert hat diesen Sachverhalt Odo Marquard: Komisch sei und zum Lachen bringe, „was im offiziell Geltenden das Nichtige und im offiziell Nichtigen das Geltende sichtbar werden läßt“; in gewisser Weise schließt dies an Ritters Theorie von der „geheimen Zugehörigkeit des Nich‐ tigen zum Dasein im Lachen“ an. Marquard, Odo: Exile der Heiterkeit. In: Das Komische. Hg. von Wolfgang Preisendanz u. Rainer Warning. München 1976, S. 133-152, hier S. 144. 161 Kotthoff hat dies anhand von konversationellen Karikaturen gezeigt: Nicht echte Personen werden verlacht, sondern die Karikaturen, die sich eine Lachgemeinschaft von ihnen macht. Die Erzeugung der Karikaturen erfolgt in der Konversation. Vgl. Kotthoff, Konversationelle Karikaturen, S. 334. übernimmt der Zuschauer die Rolle desjenigen ein, der die Norm verkörpert: „Der Zu‐ schauer ist hier nicht nur das bloße Auge, das fertige Bilder aufnimmt, sondern das Maß und die Regel, die Vergegenwärtigung der Norm, vor der allein das Schiefe schief, das Krumme krumm erscheint.“ 158 Wenn Plessner in diesem Beispiel mit der Wahrnehmung von regelabweichenden Formen argumentiert, hat er einen Begriff gewählt, der sich für viele Arten der Komik anbietet, die Sprach- und Körperkomik, aber auch für die emergente Komik von Situationen und Hand‐ lungen. So versteht auch die Anthropologin Mary Douglas in ihrer Untersuchung von Scherzhandlungen (jokes) das Komische als ein Spiel mit (wahrgenommenen) Formen: „By this stage we seem to have a formula for identifying jokes. A joke is a play upon form. It brings into relation disparate elements in such a way that one accepted pattern is challenged by the appearance of another which in some way was hidden in the first.“ 159 Halten wir fest: Das Lachen erscheint in zwei Modulationen; als Markierung der Spiel-Rahmung und als übergeordnetes Ziel der komischen Rahmung. Es ist nicht mehr nur als Reaktion auf komische Vorgänge zu verstehen, sondern es „regiert“ einen spezifischen spielerischen Modus des Seins, den lächerlichen oder komischen Modus. Im komischen Modus ist alles aufgehoben, was auch dem Primärrahmen der Welt der Norm und des Ernstes angehört; die soziale, religiöse und verwandtschaftliche Zugehörigkeit, Verhaltens- und Bewegungsregeln, die zahlreichen Formen der Anpassung an Gegebenes oder Gebo‐ tenes einschließlich der Unterdrückung der Triebe. Der komische Modus ist ein durch Rah‐ mentransformation etablierter Spielrahmen, in welchem Formen, die auch dem Primärrahmen angehören, durch ihre Wahrnehmung als Wiederholung, mimetische Nach‐ ahmung und Normabweichung komisch werden können. Dies wird durch die Konsequenz‐ losigkeit des Spielrahmens erreicht: ein „als-ob“-Tun ohne Folgen, bei dem kategoriale Festlegungen und klare Bedeutungsverhältnisse ambivalent geworden sind, weil alles in Frage steht und nichts mehr gilt. 160 Deshalb sind Hyperbeln elementarer Bestandteil des Komischen: Sie entstehen aus der Lust an der Provokation als Konsequenz der garantierten Folgenlosigkeit des Spielrahmens. Ähnlich verhält es sich mit Karikaturen: Sie werden im komischen Modus wahrgenommen, und daher können sie mit den gröbsten Deformationen und Übertreibungen versehen werden; das Lachen bezieht sich dann auf diese Modulation des Primärrahmens wie auf „echte Personen“, welche von ihren diskursiven oder imagi‐ nären Wiederholungen überwuchert werden. 161 Es löst dabei die Ambivalenz auf und sig‐ nalisiert, dass es nicht um Angriff geht, sondern nur um Spiel. Komik führt so gesehen eine modale Existenz, es muss keine wesenhaft oder essentiell komischen Handlungen und Äußerungen geben, Handlungen und Äußerungen sind dann 1. Der Körper als Lachanlass 62 162 Hegel hatte das Lächerliche noch ganz in die Verfügungsgewalt des Individuums gelegt: „Diesem Standpunkte gemäß stellt sich ein Individuum nur dann als lächerlich dar, wenn sich zeigt, es sei ihm in dem Ernste seines Zwecks und Willens selber nicht Ernst; so dass dieser Ernst immer für das Subjekt selbst seine eigene Zerstörung mit sich führt…“ Hegel, Georg Friedrich Wilhelm: Vorlesungen über die Ästhetik. Dritter Teil: Die Poesie. Hg. von Rüdiger Bubner. Stuttgart 1971, S. 339. 163 Dieser Spielcharakter kann etwa auch durch den performativen Widerspruch signalisiert werden, wenn der Inhalt eines Sprechaktes nicht mit seiner Performanz übereinstimmt. 164 Bergson, Das Lachen, S. 78. Die komischen Figuren dürfen das Gemüt nicht bewegen, sondern müssen Kühlheit ausstrahlen; dies tun sie nach Bergson, indem sie eine Starrheit und Steifheit transportieren. 165 Goffman, Rahmen-Analyse, S. 36. 166 Bergson, Das Lachen, S. 78 f. komisch, wenn sie aus der Perspektive der Rahmung „zum Lachen“ wahrgenommen werden. 162 Dass dies so ist, können wir daran erkennen, dass ein kulturell Außenstehender deshalb nicht über komische Vorgänge lachen kann, weil er den komischen Modus nicht wahrgenommen hat. Dadurch wird Komik nicht strukturell oder ontologisch beschreibbar, sondern modal, kontext- und situationsbezogen, aufführungsbezogen, wie eine Rahmung, eine Klammer, die sich im Alltag auftut und dann wieder schließt. Insofern als er eine in ihrer Dauer und Zusammensetzung kontingente Spiel- und Auf‐ führungsrahmung bezeichnet, ist der komische Modus performativ. Er setzt mit Spielsig‐ nalen (wie den von Bateson genannten) ein, die den anderen Beteiligten den Spielcharakter des Gesagten und Getanen mitteilen 163 und endet erst dann, wenn diese Spielsignale aus‐ bleiben oder konterkariert werden. Ein komischer Modus ist deshalb immer ein Spiel-Modus, bei dem allerdings die Ambivalenz zum ernsthaften Rahmen beibehalten wird. So kann es auch zu der Bergsonschen Beobachtung der „Anästhesie der Herzen“ kommen, die Stillstellung oder Ausklammerung anderer Gefühle. Der komische Modus erlaubt kein Mitleid, keine Trauer, keinen Ärger. Bergson nennt das „unser Gefühl einschläfern“, und er sieht den Grund dafür in ästhetischen Strategien, der Isolierung einer bestimmten Emp‐ findung in einer Person und die Zuweisung einer „parasitären, selbständigen Existenz.“ 164 Wenn aber eine Situation im komischen Modus wahrgenommen wird, sind alle Emotionen der Wirklichkeit, wie auch die ihrer Wirkungen automatisch ausgeschlossen, ohne dass eine ästhetische Isolierung des komischen Objekts stattfinden muss. Entscheidend für die Ausschließung von Emotionen im komischen Modus ist dessen Zentriertheit. Goffman unterscheidet zwischen unzentrierten und zentrierten Interakti‐ onen; nur bei letzteren kämen die Teilnehmer überein, ihre Aufmerksamkeit für eine ge‐ wisse Zeit auf einen bestimmten Brennpunkt zu richten. 165 Im komischen Modus ist dieser Brennpunkt das komische Ereignis oder der komische Vorgang. Dass die visuelle Wahr‐ nehmung des Körpers und seiner Gesten leicht zu einem Anziehungspunkt der Aufmerk‐ samkeit werden können, hatte bereits Bergson erkannt. 166 Der Körper ist deshalb ein Agent des komischen Modus, weil er wegen seines ständigen Vorhandenseins nicht in einem ein‐ zigen Rahmen behandelt werden kann, deshalb immer den Primärrahmen mit sich führt und damit ein systematisches Interaktionsrisiko, einen Unsicherheitsfaktor darstellt. Als solcher zieht er sofort die Aufmerksamkeit auf sich, sobald seine Bewegungen, sein Habitus oder seine akustische Wahrnehmbarkeit vom primären Rahmen abweichen. Häufig ist der komische Modus mit einem spontanen, vielfach überraschenden Rah‐ menbruch verbunden. So hatte Stierle in seiner Handlungstheorie der Komik die komische 1.2. Lachen und Komik - Unterscheidung und Verhältnis 63 167 Stierle, Komik der Handlung, S. 246. 168 Ebd., S. 251 f. 169 Jauß, Zum Problem der Grenzziehung, S. 366. 170 So geschehen 1836 in einem Petersburger Theater. Als hinter den Kulissen ein Feuer ausbricht, stürmt ein Schauspieler auf die Bühne, um die Zuschauer zu warnen und zum Verlassen des Hauses aufzu‐ fordern. Unglücklicherweise handelt es sich um die komische Figur der Truppe, und die Alarmierung wird von den Zuschauern mit schallendem Gelächter quittiert. Kostbare Minuten vergehen und Hunderte von Zuschauern werden Opfer der Flammen. Vgl. Roselt, Jens: Chips und Schiller. Lach‐ gemeinschaften im zeitgenössischen Theater und ihre historischen Voraussetzungen. In: Lachge‐ meinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter in Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. von Werner Röcke u. Hans Rudolf Velten. Berlin / New York 2005, S. 225-241, hier S. 241. Situation als Konsequenz des Zusammenbruchs einer kommunikativen Situation interpre‐ tiert: Durch einen „komischen Umschlag“ treten zwei Aufmerksamkeitsfelder zueinander in Beziehung, die die beobachtende Person überfordern und sie vor ein Paradox stellen (Paradoxie der Aufmerksamkeit). 167 Die „Enthebbarkeit“ des Komischen, also seine Scha‐ denlosigkeit, sei ein Resultat dieses Paradoxes und somit eine „elementare Ästhetisierung“; „durch Enthebung wird das komische Faktum irrealisiert, insofern als es in die Perspektive bloßer Betrachtung gebracht wird.“ 168 Dieser aus der Perspektive der Komödientheorie heraus formulierte Gedanke macht den komischen Modus zu einem ästhetischen Vorgang. Dies trifft dann zu, wenn es um den Rezipienten als Zuschauer einer Bühnensituation geht, die dieser betrachten und sich von ihr distanzieren kann. Der komische Modus hingegen ist nicht auf Theatersituationen be‐ schränkt, sondern wird ebenso in Performances und alltäglichen Kommunikations- und Handlungssituationen wirksam. Was Stierle als Ästhetisierung des Betrachters bezeichnet, ist im komischen Modus die von Aufmerksamkeit begleitete Wahrnehmung der Modulation oder des Rahmenbruchs. Der komische Modus allein kann - ganz ohne Ästhetisierung - den „Unernst des komischen Konflikts“, wie Jauß sagt, verbürgen, d. h. der Ernst all dessen, was Mitleid, Verachtung oder Ekel auslösen könnte, ist aus dem Spielraum des Lachens verbannt. 169 Es ist durchaus nicht leicht, gegen die Vereinbarungen des komischen Modus zu ver‐ stoßen. Wenn die lustige Person einer Komödie auf einmal „Feuer, Feuer“ ruft, und die Zuschauer dazu anhält, das Theater zu verlassen, wird ihr niemand Glauben schenken. Sie kann die Zuschauer nicht davon überzeugen, dass sie den Rahmen gewechselt hat, und jetzt auf einmal ernsthaft spricht, denn die Signale des komischen Modus sind zu stark. 170 Statt sich in Sicherheit zu bringen, werden die Zuschauer vom Lachen beherrscht: Das Lachen bestimmt die Szene, und die Warnung wird als komische Interferenz mit der Grausamkeit der Wirklichkeit aufgefasst. Herstellung von Gemeinschaft im Lachen Noch vom heutigen Standpunkt betrachtet ist das Lachen weit mehr als ein subjektiver Gefühlsausdruck bzw. ein individuelles Verhalten. Es ist ebenso sehr eine Form der (sozi‐ alen) Kommunikation. Deshalb erscheinen mir, wie oben (1.2.) ausgeführt, ontologische und essentialistische Versuche, das Lachen vornehmlich als eine Funktion komischer Vor‐ gänge zu beschreiben (wie sie vor allem in der Philosophie und der Psychologie, aber auch 1. Der Körper als Lachanlass 64 171 Ich habe 2005 zusammen mit Werner Röcke „Lachgemeinschaften“ als Arbeitsbegriff für das ge‐ meinsame, identitätsstiftende Gelächter im Rahmen eines interdisziplinären Sammelbandes vorge‐ schlagen. Vgl. Röcke / Velten (Hg.): Lachgemeinschaften, Einleitung. Seitdem fand der Begriff in den historischen Disziplinen vielfach als Grundlage für die Analyse der Sozialität des Lachens und der Rezeptionsforschung Verwendung. Vgl. z. B. den Band Valenzen des Lachens in der Vormoderne (1250-1750). Hg. von Stefan Biessenecker und Christian Kuhn. Bamberg 2012. 172 Douglas, The social control of cognition, S. 365 ff. Diesen Sonderfall beschreibt der Schriftsteller Ro‐ bert Gernhardt: „Das Auflachen des Einsamen ist ein so unheimliches wie zweideutiges Hohnlachen, bei welchem nicht auszumachen ist, wen es auslacht“. Gernhardt, Robert: Was gibt’s denn da zu lachen? Kritik der Komiker, Kritik der Kritiker, Kritik der Komik. Zürich 2000, S. 463. 173 Für Bergson hat das Lachen einen sozialen Sinn: Es ist Korrektiv und Strafe für die menschliche Vorliebe, aus der Reihe zu tanzen und die Konventionen und Regeln der Gemeinschaft zu missachten. Lachen ist eine „soziale Geste“, bei der die mangelnde Anpassung verlacht wird. Bergson, Das La‐ chen, S. 36. 174 Die sozialpsychologische Lachforschung hatte schon in den 70er Jahren des 20. Jhs. die Bedeutung der Präsenz von Anderen als Lachstimulus und Einflussfaktor für das Lachen belegen können. So formulierten Osborne, Kate A. u. Chapman, Antony J. in ihrer Studie: Suppression of Adult Laughter: An Experimental Approach. In: It’s a Funny Thing, Humour. Hg. von Antony J. Chapman u. Hugh Foot. New York 1977, S. 429-32, hier S. 426: „Subjects paired with a cooperative confederate who laughed when subjects did and was generally responsive, provided by far the greatest amount of laughter. Subjects exposed to the same humor stimulus materials who were alone laughed less often“. Diese Aussagen werden auch von der Wirksamkeit jener Praxis gestützt, mit Hilfe von eingespielten Lachsalven in den Aufnahmestudios der Radio- und Fernsehsender (canned laughter) das Publikum zum Mitlachen zu bewegen. 175 Bergson, Das Lachen, S. 10. der Linguistik anzutreffen sind), als unzureichend, um die komplexen sozialen Funktions- und Wirkungsweisen des Phänomens zu erfassen. Voraussetzung für die Annahme von „Lachgemeinschaften“ 171 ist die Auffassung, dass fast alles Lachen gemeinsames Lachen - oder, um mit Douglas zu sprechen, „social response“ ist, während „private laughing“ den Status eines Sonderfalls haben dürfte. 172 Wenn das Lachen weniger eine individuelle Ausdrucksreaktion bzw. das Resultat einer rein subjektiven Wahrnehmung komischer Sachverhalte, sondern ein „sozialer Vorgang“ (Freud), ein Gruppenphänomen ist (Bergson), 173 das ursächlich der Gegenwart des Anderen bedarf (niemand kann sich selbst zum Lachen bringen), 174 dann muss es auch im Hinblick auf Fragen untersucht werden, die weniger seine symbolischen und kognitiven Dynamiken betreffen, sondern vor allem die Kontexte und interaktionalen Prozesse (Situationen, Orte, Okkasionen), in welche es eingebettet ist. „Das freieste Lachen“, schrieb Bergson, „setzt immer ein Gefühl der Gemeinsamkeit, fast möchte ich sagen, der Hehlerschaft mit anderen Lachern, wirklichen oder auch nur vorgestellten, voraus.“ 175 Der Sozialpsychologe Phillip Glenn nimmt diese von Bergson hervorgehobene gemeinschaftsbildende Funktion des La‐ chens zum Anlass für weitere Forschungen: Laughter proves important socially as a means to show affiliation with others. (...) One of laughter’s most important features lies in its shared nature: that it is produced primarily in the presence of and for the benefit of other persons. (...) Shared laughter serves some important functions: it provides, at least temporarily, a group unity or awareness, a psychic connection of all the laughers. It can be induced as a means of displaying this group togetherness. It allows for the expression and maintenance of group values and standards, via the subjects and situations to which it refers. 1.2. Lachen und Komik - Unterscheidung und Verhältnis 65 176 Glenn, Laughter in interaction, S. 29 f. Nach Glenn ist gemeinsames Lachen nicht gleichbedeutend mit unisono-Lachen: Es gibt dabei keinen Einsatz, keinen Rhythmus, keine Abstimmung untereinander. Sobald jemand lacht, können die anderen wie und wann sie wollen mitlachen, ohne als asynchron oder herausfordernd wahrgenommen zu werden. Vgl. ebd., S. 53 f. 177 Ebd., S. 84. 178 Jefferson, A Technique for Inviting Laughter, S. 80. 179 Vgl. Kotthoff, Spaß Verstehen, S. 212. 180 Plessner, Lachen und Weinen, S. 262. Vgl. auch Freud, Der Witz, S. 169: „Das Lachen gehört zu den im hohen Grade ansteckenden Äußerungen psychischer Zustände; wenn ich den anderen durch die Mitteilung meines Witzes zum Lachen bringe, bediene ich mich seiner eigentlich, um mein eigenes Lachen zu erwecken.“ 181 Plessner, Lachen und Weinen, S. 332 f. It can boost morale and ease internal hostilities and differences. Laughing at people or things external to the group can strengthen boundaries, solidifying members in their group identity against outsiders. 176 Durch gemeinsames Lachen entsteht für Glenn eine gemeinsame, ähnliche Wahrnehmung der komischen Situation. „Shared laughter can display co-orientation or alignment of laug‐ hers, remedy interactional offenses, and provide a sequential basis for displays of conver‐ sational intimacy. Extended shared laughter marks an episode of celebration in talk.“ 177 Dabei ist es wichtig zu betonen, dass das gemeinsame Lachen nicht immer auf einen ko‐ mischen Stimulus folgt; schon Jefferson hatte darauf hingewiesen, dass Lachen mitunter selbst als Stimulus für Gelächter fungiert. 178 Initiallachen evoziert dann in der Regel Reak‐ tionslachen. Lachpartikel in Äußerungen sind oft Lachsignale, die das Folgende in einen lächerlichen bzw. komischen Modus setzen. 179 Daher auch die ansteckende Wirkung des Lachens, die gerade für die Funktionsweisen des gemeinsamen Lachens bedeutungsvoll ist. Dass Lachen ansteckend ist, bedeutet, dass es uns in seinen Bann zieht. Plessner: „Wir können echtem Lachen und Weinen gegenüber nur mit Überwindung unbeteiligte Zuschauer bleiben. Stärker als jedes andere mimische Ausdrucksbild ergreifen uns Lachen und Weinen der Mitmenschen und machen uns zu Partnern ihrer Erregung, ohne dass wir wissen, warum.“ 180 Deshalb muss die psychophy‐ sische Übertragbarkeit des Lachens, seine Ansteckungskraft, als einer der wichtigsten As‐ pekte des gemeinschaftlichen und somit auch des rituellen Lachens angesehen werden. Das Lachen als Antwort, so Plessner, löst sich in gewisser Weise vom Menschen als Person. Es ist dann nicht mehr „mein Lachen“, vielleicht ausgenommen die Klangfarbe, die zu mir als Person, aber auch zu meinem Geschlecht, zu meinem Alter, zu meiner Stimmung passen kann, sondern es löst sich von mir, um sich mit dem Lachen der anderen zu vereinigen, es wird zu einem anonymen Lachen, was ein Grund für seine Ansteckung ist: Im Lachen wird er (der Mensch) gewissermaßen anonym - ein Grund für die ansteckende Kraft, die ihm innewohnt. (...) Im Lachen quittiert der Mensch eine Situation. Er beantwortet sie mit ihm direkt und unpersönlich. Er gerät in einen anonymen Automatismus. Er selbst lacht eigentlich nicht, es lacht in ihm, und er ist gewissermaßen nur Schauplatz und Gefäß für diesen Vorgang. 181 Plessner formuliert hier Mechanismen des gemeinsamen Lachens, die tief im kulturellen Gedächtnis des Menschen verwurzelt sind. Denn die Teilhabe des Individuums an der im Lachen erzeugten Gemeinschaft schafft ein akustisch und körperlich erfahrenes, psycho‐ 1. Der Körper als Lachanlass 66 182 Röcke / Velten, Lachgemeinschaften, Einleitung, S. XIII-XXI. Vgl. auch Fietz, Möglichkeiten und Grenzen einer Semiotik des Lachens, S. 11: „Indem mehrere Personen über etwas lachen, versichern sie sich gegenseitig der Akzeptanz des jeweiligen gemeinsamen Systems von Wertsetzungen. Mit diesem Akt wird nicht nur festgestellt, was ‚lachhaft‘ ist und was nicht, sondern vielmehr ein ge‐ meinsamer Bezugspunkt zu einem kulturellen Code geschaffen, mittels dessen eine verbale Kom‐ munikation erfolgreich ablaufen kann.“ 183 Seit den Arbeiten Michel Foucaults, der den Körper als Schnittpunkt gesellschaftlicher Repräsenta‐ tionen und repressiver Diskurse massiv aufgewertet hatte, ist er immer stärker zum Thema kultur‐ wissenschaftlicher Untersuchungen in Literatur-, Theater-, Kunst- und Filmwissenschaft sowie in Gender- und Postcolonial-Studies geworden; hier nur eine kleine Auswahl aus den zahlreichen Ver‐ öffentlichungen: Fischer-Lichte, Erika u. Fleig, Anne (Hg.): Körper-Inszenierungen: Präsenz und kul‐ tureller Wandel. Tübingen 2000; Genge, Gabriele (Hg.): Sprachformen des Körpers in Kunst und Wis‐ senschaft. Tübingen / Basel 2002; Nöth, Wilfried u. Hertling, Anke (Hg.): Körper-Verkörperung-Entkörperung. Kassel 2005; Buchheim, Thomas u. a. (Hg.): Sōma. Körperkonzepte und körperliche Existenz in der antiken Philosophie und Literatur, Hamburg 2013; Antunes, Gabriela u. Reich, Björn (Hg.): (De)formierte Körper: die Wahrnehmung und das Andere im Mittelalter, Göttingen 2012. Weitere Arbeiten im Überblick über die historisch-anthropologischen Studien zum Körper im Mittelalter in Kap. 1.4. physisches Gemeinschaftsgefühl, in dem bleibende Überzeugungen verortet, Gegner und normferne Verhaltensweisen ausgegrenzt und soziale Positionen bestimmt werden können. 182 1.3. Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper Bisher habe ich einfach von ‚dem Körper‘ gesprochen, ohne näher zu bestimmen, was ich darunter verstehe. Während der Arbeit an dieser Studie ist immer deutlicher geworden, dass der menschliche Körper als Lachanlass eine theoretisch-methodologische Diskussion der Begrifflichkeit und der damit zusammenhängenden Vorannahmen erfordert, damit die Begriffe als Instrumentarien der Untersuchung fundiert und arbeitstauglich sind. Ohne Umschweife weiterhin von ‚dem Körper‘ zu sprechen, wäre weder systematisch noch his‐ torisch angemessen. Gerade bei einem sogenannten ‚Modebegriff ‘ scheint dies mehr als notwendig zu sein: zu groß sind noch die Vorurteile gegenüber seiner Untersuchung, auch auf Seiten von Philologen, Sprachwissenschaftlern und Historikern. Der menschliche Körper, um es gleich ohne Umschweife zu sagen, ist nicht nur ein seriöses Untersuchungs‐ feld auch für historisch arbeitende Disziplinen, sondern er steht geradezu im Zentrum kul‐ turwissenschaftlicher Analysen. 183 Um die Vielfalt der disziplinären Zugänge zum Körper einzuschränken, bedarf es meh‐ rerer methodologischer und begrifflicher Entscheidungen. Vor allem müssen die sozialen und kulturellen Bedingungen für körperliche Aufführungen in der Vormoderne diskutiert werden, denn Körperkonzepte sind diskursive, imaginäre Konstruktionen, die historischer 1.3. Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper 67 184 „Car le corps a une histoire. La conception du corps, sa place dans la société, sa présence dans l’i‐ maginaire et dans la réalité, dans la vie quotidienne et dans les moments exceptionnels ont changé dans toutes les sociétés historiques.“ Le Goff, Jacques u. Truong, Nicolas: Une Histoire du Corps au Moyen Âge. Paris 2003, S. 5. Ähnlich auch Vigarello, Georges: Histoire du corps. Vol. 1: De la Renaissance aux Lumières. Paris 2005: „Une attention historique au corps restitue d’abord le coeur de la civilisation matérielle, modes de faire et de sentir, investissements techniques, confrontation aux éléments (…).“ S. 7. 185 Der Topos von der inflationären Rede über den Körper existiert mindestens schon seit Beginn der 1980er Jahre, wenn Starobinski in seiner Konstanzer lecture anmerkt, dass überall nur noch vom Körper die Rede sei, „als hätte man ihn nach langem Vergessen wieder entdeckt: Körperschema, Körpersprache, Körpergefühl, Befreiung des Körpers sind zu Schlagworten geworden.“ Starobinski, Jean: Kleine Geschichte des Körpergefühls. Konstanz 1987, S. 3; vgl. dazu auch Jan-Dirk Müller, der den Grund für die Aufmerksamkeit für das Körperthema im Verschwinden des Körpers sieht: „Die Konjunktur, die gegenwärtig das Thema Körper genießt, ist unter mediengeschichtlichem Aspekt Kompensation der durch die neuen Technologien noch weiter fortgeschrittenen Verdrängung des Körpers.“ Müller, Jan-Dirk: Medialität. Frühe Neuzeit und Medienwandel. In: Kulturwissenschaftliche Frühneuzeitforschung. Beiträge zur Identität der Germanistik. Hg. von Kathrin Stegbauer, Herfried Vögel u. Michael Waltenberger. Berlin 2004, S. 49-70, hier S. 51. Dass das Körperthema inzwischen eine breitere Resonanz erfahren hat, zeigt das Thema des 15. Jahrestreffens des Wolfenbütteler Ar‐ beitskreises für Barockforschung 2016: „Der Körper in der frühen Neuzeit: Praktiken - Rituale - Performanz“. 186 Ich gebrauche den Begriff im weiteren Sinne als Oberbegriff für diejenigen Geistes- und Sozialwis‐ senschaften, die die Untersuchung ihrer Gegenstände in Fragen der Gesamtkultur einbetten. Vgl. dazu meinen zus. mit Claudia Benthien hg. Band: Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte. Reinbek bei Hamburg 2002, S. 14-22. Veränderung unterliegen: Der Körper hat eine Geschichte. 184 Daher ist auch die aus einem logozentrischen Wissenschaftsverständnis heraus geäußerte Polemik, die die ‚Wiederent‐ deckung‘ des Körpers immer noch hervorruft, einigermaßen fehl am Platz, denn sie ver‐ kennt seine fundamentale Bedeutung in den jeweiligen Disziplinen, deren Erkenntnis einer jahrhundertelangen Verdrängung und Vernachlässigung in den Wissenschaften ein Ende gesetzt hat. 185 Dabei wird der Körper ganz unterschiedlich in Fachperspektiven einge‐ bunden: als Kommunikationsmedium und Träger von Zeichensystemen, als rituelles Me‐ dium symbolischer Bedeutungen, als soziales Medium in den verschiedensten Handlungs‐ vollzügen, als diskursive oder repräsentative Größe wie als leibliches Phänomen. In den Kulturwissenschaften 186 hat sich im Anschluss an Foucault ein Körperbegriff he‐ rausgebildet, der nicht ‚den Körper‘ an sich, sondern seine diskursiven Praktiken und In‐ szenierungen in den Mittelpunkt des Interesses stellt. Für Forschungsfelder wie Geschlech‐ terdifferenz, den historischen Wandel von Subjekt- und Identitätsvorstellungen, die Emotionengeschichte, wie überhaupt für die an anthropologischen Theorien orientierte Erforschung von Religion, Politik, Literatur und Kunst im Mittelalter und früher Neuzeit ist die kulturelle Konstruktion des Körpers in schriftlichen Texten bedeutsam geworden. Körper erscheinen hier als Produkte und Effekte diskursiver Praktiken und semantischer Prozesse: Die Aufmerksamkeit liegt dabei nicht auf der Frage, wie der Körper in der Ver‐ gangenheit tatsächlich beschaffen war - sie wird als methodisch nicht lösbar bewertet -, sondern wie Menschen in verschiedenen historischen Perioden und verschiedenen Gesell‐ schaften sich sprachlich über ihn verständigten. Der Körper wird somit über diskursive Körperbilder wahrgenommen, die an phantasmatischen Idealisierungen ausgerichtet sind 1. Der Körper als Lachanlass 68 187 So die einflussreichste Theoretikerin für die Konstruktion von Geschlecht, Judith Butler: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt a. M. 1997 (Engl. Orig.: Bodies That Matter. New York 1993), hier S. 19-49. 188 Zum Verhältnis Körper und Schrift vgl. Peters, Ursula: Historische Anthropologie und mittelalter‐ liche Literatur. Schwerpunkte einer interdisziplinären Forschungsdiskussion. In: Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger, Tübingen 1992, S. 63-86; Wenzel, Horst (Hg.): Gespräche - Boten - Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter. Berlin 1997. Zu jenem von Psyche und Körper: Roper, Lyndal: Ödipus und der Teufel. Körper und Psyche in der frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 1995 (Engl. Orig.: Oedipus and the devil: witchcraft, sexuality and religion in Early Modern Europe. London 1994) sowie Kiening, Christian: Zwischen Körper und Schrift. Texte vor dem Zeitalter der Literatur. Frankfurt a. M. 2003. 189 Dies unterstreicht Carolyn Walker-Bynum in ihrem Beitrag: Warum das ganze Theater mit dem Körper? Die Sicht einer Mediävistin. Historische Anthropologie 4 (1996), H. 1, S. 1-33, hier S. 6 f. Vgl. auch Coupland, Justine u. Gwyn, Richard (Hg.): Discourse, the Body, and Identity. Basingstoke / New York 2003. 190 Ich gebrauche den Begriff der Inszenierung im literarisch-anthropologischen Sinne nach Iser, der sich seinerseits auf Plessner stützt. Vgl. Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven einer literarischen Anthropologie. Frankfurt a. M. 1991, S. 504-515; zum Inszenierungsbegriff als sol‐ chem vgl. Fischer-Lichte, Erika: Inszenierung. In: Metzler Lexikon Theatertheorie. Hg. von Erika Fi‐ scher-Lichte, Doris Kolesch u. Matthias Warstat. Stuttgart / Weimar 2005, S. 146-153. 191 Vgl. z. B. Althoff, Gerd: Spielregeln des Politischen: Kommunikation in Frieden und Fehde. Darmstadt 1997. und über normative kulturelle Praktiken produziert werden. 187 Darin spielen die Erfahrung und das Wissen vom Körper (Körpergedächtnis) nicht nur zur Decodierung der Bilder von ihm, sondern auch als psychisches Reservoir für die Geschichte der Wahrnehmung eine wichtige Rolle. 188 Demnach gibt es auch nicht ‚den Körper‘ im Mittelalter, sondern an bestimmte Textgat‐ tungen und historische Praktiken gebundene Körperdiskurse. 189 Diese Diskurse „insze‐ nieren“ ihren Gegenstand auf verschiedene Weise: 190 etwa als leidenden und gemarterten Körper des Heiligen, als Medium der Gotteserfahrung, als höfisch schönen Leib der Dame und des Helden oder auch als sterbenden Körper. Das gilt besonders für historische Ana‐ lysen, wo nicht nur nach den Funktionsweisen des Körpereinsatzes in menschlichen In‐ teraktionen, sondern gerade nach dem Symbolgehalt ihrer Kommunikation gefragt wird. 191 In dieser Perspektive werden kulturelle Praktiken, Situationen der Aufführung von Kör‐ perlichkeit (Rituale, höfisches Zeremonialhandeln, Herrschaftsgesten, Spiele) gesehen: Auch hier steht der Körper nicht einfach für sich, sondern seine Präsenz ist sichtbares und erfahrbares Zeichen innerhalb der symbolischen Repräsentationen der jeweiligen sozialen Situation, des jeweiligen kulturellen Zusammenhangs. Die Textwissenschaften unterscheiden sich hier von anthropologischen und theaterwis‐ senschaftlichen Zugängen zum Körper, die empirisch beobachtbare Interaktionen unter‐ suchen. Während der Text alleine aus sprachlichen Zeichen (‚Textwelt‘) besteht, die im Akt des Hörens oder Lesens durch die Rezipienten verarbeitet werden, kommen bei face-to-face-Interaktionen bzw. (theatralen) Aufführungen zur auditiven auch die visuelle, teils sogar olfaktorische und taktile Wahrnehmungsqualität des menschlichen Körpers hinzu. Darüber hinaus bestehen größere Unterschiede in der Situationalität von Textre‐ zeption und Aufführungsrezeption, wie etwa die Anwesenheit und die Teilhabe anderer Körper und habitualisierte Praktiken gemeinsamen Vollzugs. In der Aufführung sind es 1.3. Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper 69 192 Vgl. dazu Fischer-Lichte, Erika, Ästhethik des Performativen, Frankfurt a. M. 2007, S. 19-30. Kritik am semiotischen Körperkonzept äußerte Fischer-Lichte auch schon vorher: „In der Welt als Text ver‐ schiebt sich die Bedeutung des Körpers hingegen regelmäßig auf die Ebene des Signifikanten, wo‐ durch ihm letztlich nur die Materialität eines beliebigen Zeichens zugebilligt wird. Als Träger von Sinn ist er zwar bedeutend, steht aber zugleich immer für etwas anderes. In diesen Prozessen ist der Körper Instrument.“ Fischer-Lichte, Erika u. Fleig, Anne (Hg.): Körper-Inszenierungen: Präsenz und kultureller Wandel. Tübingen 2000, Einleitung, S. 11. Dass die Semiotik heute noch einem völlig se‐ miotisierten Körperbegriff folgt, zeigt der letzte Internationale Semiotik-Kongress, der sich mit der Körperlichkeit der Zeichen beschäftigte. Vgl. dazu Nöth u. Hertling, Körper - Verkörperung - Ent‐ körperung, S. 10-13. 193 Csordas stützt sich dabei auf die Phänomenologie und ihre Begrifflichkeit: “It will not do to identify what we are getting at with a negative term, as something non-representational. We require a term that is complementary as subject to object, and for that purpose suggest ‚being in the world‘, a term from the phenomenological tradition that captures precisely the sense of existential immediacy to which we have already alluded.“ Csordas, Thomas (Hg.): Embodiment and Experience. The existential ground of culture and self. Cambridge 1994, S. 10. In der angloamerikanischen Philosophie gibt es im Anschluss daran und an den Pragmatismus Deweys eine lebhafte Debatte zur Bedeutung (meaning), die erst durch körperliche Interaktion und geteilte Sprache hervorgebracht werde; vgl. Johnson, The Meaning of the Body, S. 266 ff. 194 Ganz ähnlich ist die Kritik von soziologischer Seite, nämlich von Pierre Bourdieu formuliert worden. Er hat mit seinem Konzept des Habitus den Körper zur Grundlage der Welterschließung in Form von Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen gemacht. Er zeigt, wie das Subjekt sich gesellschaft‐ liche Strukturen einverleibt und welche Bedingungen dafür erfüllt sein müssen. Die Individuen ent‐ wickeln subjektive Entsprechungen zu den gesellschaftlichen Strukturen, indem sie soziale Fähig‐ keiten, praktisches Wissen und Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster im Habitus amalgamieren und mit diesem verkörpern. Der Körper erscheint so immer als Teil der sozialen Welt, und diese ist in ihm körperlich geworden. Daraus ist auch die Bedeutung performativer Vollzüge für das Gelingen kultureller Kommunikation abzuleiten. Vgl. Bourdieu, Pierre: Einsetzungsriten. In: P. B.: Was heißt sprechen? Die Ökonomie des sprachlichen Tausches. Aus dem Frz. von Hella Beister. Wien 1990, S. 84-94. nicht allein Zeichen, die wahrgenommen werden, sondern auch die Präsenz und Energetik des Körpers, seine Unverfügbarkeit, durch die er sich einer klaren semiotischen Bestim‐ mung entzieht. Dies veranlasste die jüngere theatergeschichtliche Forschung bei ihren Aufführungsanalysen nicht allein von Semiotik, sondern auch von der Performativität des Körpers zu sprechen. 192 Die theaterwissenschaftliche Position Fischer-Lichtes stützt sich dabei auch auf Arbeiten der kritischen Kulturanthropologie, die schon seit längerem Zweifel an der Textmetapher hegten, die durch Clifford Geertz („Kultur als Text“) in die Anthropologie eingeführt worden war. Wenn Geertz die Lesbarkeit des Körpers unter‐ streicht, rückt dadurch seine Performativität - das in der Aufführung Erfahrene, nicht in Bedeutungen Aufgehende - in den Hintergrund. Seit den 1990er Jahren ist in der Anthropologie eine Gegenbewegung zum Geertzschen Modell, aber auch zur klassischen Ethnographie entstanden, die sich auf phänomenologi‐ sche Ansätze beruft. Während im semiotischen Körperverständnis der Körper als Objekt oder Medium von Symbolbildungsprozessen, als Oberfläche für und Produkt von kultur‐ ellen Einschreibungen verstanden wird, forderte der US -amerikanische Anthropologe Thomas Csordas einen Zugang zum Körper, der ihm das Recht auf Handlungsfähigkeit und leibliches „In-der-Welt-Sein“ nicht abspricht. 193 Er kann damit als Agens, wenn nicht sogar als Akteur berücksichtigt werden, als „Agent produktiver Körper-Inszenierungen.“ 194 Csordas kritisiert in erster Linie den repräsentationalen Charakter des wissenschaftlichen 1. Der Körper als Lachanlass 70 195 „Already the human science literature is replete with references to the body as a kind of readable text upon which social reality is ‚inscribed‘. In such accounts the body is a creature of representation, as in the work of Foucault, whose primary concern is to establish the discursive conditions of pos‐ sibility for the body as an object of domination. What about the body as a function of being-in-the-world, as in the work of Merleau-Ponty, for whom embodiment is the existential of possibility for culture and self ? “ Csordas, Embodiment, S. 12. 196 Fischer-Lichte, Verkörperung, S. 20. 197 Vgl. Butler, Judith: Performative Acts and Gender Constitution. In: Performing Feminism. Feminist Critical Theory and Theatre. Hg. von Sue-Ellen Case. Baltimore / London 1990, S. 270-282. 198 Vgl. Fischer-Lichte u. Fleig, Körper-Inszenierungen, S. 11. 199 Vgl. ebd., S. 12 f. Körperbegriffs, der den empirischen und phänomenalen Körper perspektivisch aus‐ blende. 195 Repräsentation sei als nominaler Terminus immer die Repräsentation von etwas (anderem), während das In-der-Welt-Sein einen Zustand beschreibe, der auf Existenz und gelebte Erfahrung zurückgeht. Für alle Repräsentationen, die von diesem Körper bestehen, schlägt Csordas dagegen den Begriff der Verkörperung (embodiment) vor, der den mensch‐ lichen Körper als kulturellen Körper bezeichnet. Verkörperung meint ein methodologisches Feld, „(which is) defined by perceptual experience and mode of presence and engagement in the world.“ Komplementär zum Text stehe dem Körper eine vergleichbare paradigmati‐ sche Position in der Kulturtheorie zu, die ihn aus der Unterordnung vom Paradigma des Textes lösen kann. 196 Damit ist im Begriff des embodiment ein performatives Verständnis von Kultur angelegt, wie es beginnend mit Butlers Performative Acts and Gender Constitution (1988) in den 1990er Jahren in verschiedenen Disziplinen entwickelt wurde. Gegenüber der semiotischen Behandlung des Körpers beachtet eine performative das Wechselverhältnis zwischen Ein‐ schreibung und Konstruktion und beschreibt Identität als eine durch wiederholte körper‐ liche Handlungen und Zeichen performativ hergestellte Konstruktion. 197 Bestimmte Kör‐ perhaltungen und Körperbewegungen sind nicht Ausdruck von vorgängigen Gefühlen und Vorstellungen, sondern sie erzeugen diese und bringen ihre Bedeutung allererst hervor. Somit ist der performative Körper weder der biologische, noch der existenzielle Körper, aber auch nicht der diskursive, sondern einer, der in der Aufführung erscheint und das Imaginäre des diskursiven Körpers in sich trägt. 198 Jede Aufführung des Körpers hat dem‐ zufolge mit dessen spezifischer performativen Leiblichkeit, mit seiner Präsenz und Leben‐ digkeit zu rechnen; der performative Körper ist derjenige, der dem zeichenhaften, diskur‐ siven widersteht: „Die Eigendynamik körperlicher Prozesse in der kulturellen Praxis zu betonen bedeutet, sie tatsächlich als Gewicht zu verstehen, das die Einschreibung, Diszip‐ linierung und Fragmentierung des Körpers durch die Macht der Diskurse erschwert.“ 199 Ein auf soziale Interaktion und theatrale Aufführungen gründendes performatives Kör‐ perverständnis ist jedoch für die auf Textüberlieferung und -analyse basierende (ältere) Literatur- und Geschichtswissenschaft allem Augenschein nach von geringem Nutzen. Es ist kaum zweifelhaft, dass literarische und Gebrauchstexte keine phänomenalen, sondern diskursiv geschaffene Zeichen-Körper zum Gegenstand haben, da die Textwelt zunächst allein aus sprachlichen Zeichen besteht. Daher muss jede Rede über Präsenz oder embodi‐ 1.3. Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper 71 200 Es ist daher nicht sinnvoll, in den Literaturwissenschaften Performativität gegen Zeichenhaftigkeit auszuspielen, da sie auf sprachlichen Zeichen gründet. Vgl. dazu Schulz, Armin: Die Verlockungen der Referenz. Bemerkungen zur aktuellen Emotionalitätsdebatte. Beiträge zur Geschichte der deut‐ schen Sprache und Literatur 128, H. 3, S. 472-495. 201 Gumbrecht, Hans Ulrich: The Body versus the Printing Press. Media in the Early Modern Period. Poetics 14 (1985), S. 209-227, hier S. 215. Ähnlich auch: Beginn von Literatur / Abschied vom Körper? In: Der Ursprung von Literatur. Medien, Rollen, Kommunikationssituationen 1450-1650. Hg. von Gisela Schmolka-Koerdt. München 1988, S. 15-50. 202 Vgl. zu den verschiedenen Ansätzen, der Präsenz- und Emotionalitätsdebatte überblickend Peters, Ursula: ‚Texte vor der Literatur‘. Zur Problematik neuerer Alteritätsparadigmen der Mittelalter-Phi‐ lologie. Poetica 39 (2007) S. 59-88; zur Zeichenhaftigkeit von Emotionen Philipowski, Katharina: Erzählte Emotionen, vermittelte Gegenwart. Zeichen und Präsenz in der literaturwissenschaftlichen Emotionstheorie. PBB 130.1 (2008), S. 62-81. 203 Vgl. Rhetorica ad Herennium III, 16-24 (28-40). Die Neurowissenschaft benutzt den Begriff anders, vgl. Hüther, Gerald: Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern, Göttingen 2004. ment in Texten von der sprachlichen Zeichenstruktur ausgehen. 200 Wie kann man in Texten (genauer: in Texten der Vergangenheit) die Präsenz oder das „In-der-Welt-Sein“ des Körpers nachvollziehen oder gar belegen? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Literaturwissen‐ schaft seit mindestens drei Jahrzehnten, seit Hans Ulrich Gumbrecht den Körper in vor‐ modernen Texten als „vehicle for the condition of meaning“ gekennzeichnet hat. 201 Sie ist seither in vielfacher Weise innerhalb der Debatte um die Alterität vormoderner Literatur diskutiert und auf unterschiedliche Gegenstände und Gattungen angewandt worden: auf die geistliche Literatur mit dem zentralen Stichwort der „Realpräsenz“ des Christuskörpers, auf die Liedlyrik (Kopräsenz von Körpern in der Aufführungssituation), auf die doppelte Bezugnahme von Körper und Schrift in rituellen und zeremoniellen Akten allgemein und insbesondere prominent auf das Thema der Emotionalität. 202 Dabei geht es allerdings in erster Linie um Bedingungen und Funktionen einer vormodernen Zeichenpraxis, ihre spe‐ zifischen Möglichkeiten der (auch auratischen) Re-Präsentation durch Schrift, und weniger um die Rezeption und Wahrnehmung von Texten beim Hören und Lesen. Die Prozesse der neuronalen Verarbeitung von Bildern und Tönen sind freilich auch keine Aufgabe der Me‐ diävistik, dennoch sind sie für die hier ausgelegte Fragestellung besonders bedeutsam. Denn „Präsenz des Körpers“ verstehe ich bezogen auf körperliche Lachanlässe auf zwei verschie‐ dene Weisen: (1) Auf eine physische Kopräsenz von Darstellern und Zuschauern von Lach‐ vorgängen in solchen Aufführungen, die gemeinsam vollzogen werden, und (2) auf die Vorstellung dieser Kopräsenz bei der Rezeption von in Schriftsprache gefassten Repräsen‐ tationen solcher Lachvorgänge in literarischen Aufführungs- oder Lektüresituationen. Im Prozess der Rezeption von Zeichen und ihrer Verarbeitung im Gehirn scheint nämlich nicht nur der Informationsgehalt dieser Zeichen eine Rolle zu spielen, sondern auch die in den Zeichen verkörperten Imaginationen. Das Konzept der Bilderzeugung durch Vorstellungs‐ kraft ist bereits in der Antike bekannt, etwa im Rahmen der ars memorativa, wenn die wahrgenommenen Bilder sich mit gespeicherten zu inneren Bildern (imagines) ver‐ binden. 203 Wenn nun die Zeichenstruktur von Texten nicht allein die Bedeutung von Zei‐ chen, sondern auch die repräsentierten Körper, ihre Bewegungen in Form von anschauli‐ chen Bildern und Handlungen „verlebendigt“, dann sind sie auch in der Lage, beim Hörer / Leser Emotionen zu evozieren, Sympathien zu steuern, Gelächter auszulösen. 1. Der Körper als Lachanlass 72 204 Vgl. dazu Suerbaum, Almut u. Gragnolati, Manuele (Hg.): Aspects of the Performative in Medieval Culture (Trends in Medieval Philology 18). Berlin / New York 2010, S. 6-8. 205 Und auf meinen Aufsatz: Performativitätsforschung. In: Methodengeschichte der Germanistik. Hg. von Jost Schneider. Berlin / New York 2009, S. 549-572. 206 Ebd., S. 551. 207 Zu diesem Problemkomplex genauer dann in Kap. 6. 208 Mellmann, Katja: Emotionalisierung. Von der Nebenstundenpoesie zum Buch als Freund. Eine emoti‐ onspsychologische Analyse der Literatur der Aufklärungsepoche. Paderborn 2006, S. 42-78, hier S. 78. 209 Vgl. dazu Reichold, Anne: Die vergessene Leiblichkeit. Zur Rolle des Körpers in ontologischen und ethi‐ schen Personentheorien. Paderborn 2004, S. 194 ff. Eine solche Qualität von Texten nenne ich „Performativität“. Ich beziehe mich dabei auf eine Definition, die ich vor einigen Jahren als Ergebnis aus der Methodendiskussion in Theaterwissenschaft und Philosophie speziell in Bezug auf literarische Texte (des Mittel‐ alters) formuliert habe. Performativität von Texten heißt: (1) dass sie Effekte von Präsenz zeitigen und vollziehen, 204 (2) dass sie affektive und soziale Wirkungen auslösen und (3) dass sich an ihnen eine je besondere Medialität zeigt, die zwischen Schrift und der Vokalität und Körperlichkeit der Aufführung oszilliert. 205 Texte sind demnach dann performativ, wenn sie „Teil einer somatisch-sinnlichen Praxis“ sind, 206 wenn ihre sprachlichen Reprä‐ sentationen auf die emotionale Teilhabe am Gehörten und die Imagination seiner Gesche‐ hensstruktur (Performanz) abzielen, wobei auch das Gegenwärtigwerden von Atmo‐ sphären und Stimmungen einzuschließen ist. Sprachliche Zeichen gehen im Kommunikationsprozess nicht in Informationen und Bedeutungen auf, sondern können über die Imagination der Rezipienten bestimmte Wirkungen - etwa Lachen - in ihnen auslösen. 207 Dies wird seit einiger Zeit auch von Seiten der emotionspsychologisch arbei‐ tenden Literaturwissenschaft bezüglich der Stimulierung von Emotionen durch Texte be‐ stätigt. So hat etwa Katja Mellmann in ihrer Studie zur Auslösung emotionaler Programme durch literarische Texte im Akt der Rezeption zeigen können, dass fiktionalen Handlungen eine Attrappenwirkung zugeschrieben werden kann, dergestalt, dass durch textuelle Sti‐ muli und „lektürebegleitende (...) Imaginationsbildung“ Emotionsprogramme beim Leser ausgelöst werden können. 208 Körper und Leib Den terminologischen Unterschied zwischen Leib und Körper kennen weder die englische noch die romanischen Sprachen. Es ist zwar auch in diesen Sprachen immer wieder versucht worden, die Differenz nachzuvollziehen - das bekannteste Beispiel dafür ist vermutlich Sartres Unterscheidung zwischen corps-pour-soi (Leib als lebendige Einheit) und corps-pour-autrui (Körper als physikalisch-chemischer Organkomplex) 209 - doch kommen diese Sprachen mit dem Einheitsbegriff des Körpers recht gut aus, ohne dass dieser auf physikalische Kategorien allein beschränkt wäre. Der Leibbegriff, das zeigt Sartres Beispiel, hat vor allen Dingen in der philosophischen Phänomenologie und der philosophischen Anthropologie seinen Ort und ist dort auch entwickelt worden (Husserl, Scheler, Gehlen). Doch schon für Merleau-Ponty, einen der wichtigsten Wahrnehmungstheoretiker, existiert 1.3. Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper 73 210 Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung. Der in der deutschen Übersetzung gebrauchte (und von M.-P. autorisierte) Leibbegriff ist somit das Pendant zu corps, ohne dessen Semantik von Körper mitzutragen. 211 So erkennt Reichold die Differenz von Leib und Körper folgendermaßen: „Körper bezeichnet den physikalisch-chemischen Organkomplex des Menschen, der in einer anatomischen Sichtweise ana‐ lysiert werden kann. Leib ist die lebendige Einheit, die sich als Subjektivität erlebt und von anderen als Subjektivität erlebt wird. Der Körper kann mit den Kategorien der Physik vollständig erfasst werden, während der Leib sowohl aus der Innen-, als auch aus der Außenperspektive nur als leben‐ dige Einheit eines Subjekts erfasst werden kann.“ Reichold, Die vergessene Leiblichkeit, S. 195. 212 Böhme, Gernot: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Darmstädter Vorlesungen. Frankfurt a. M. 1985, S. 114. 213 Für Sartre ist der Körper des anderen ein „Körper in Situation“. Sartre, Jean-Paul: Das Imaginäre. Phänomenologische Psychologie der Einbildungskraft. Aus dem Frz. übers. von Hans Schöneberg. Reinbek 1971 (Frz. Orig.: L’imaginaire. Paris 1940), S. 608. 214 Merleau-Ponty nennt diesen Prozess einen „Akt der Wiedererinnerung“. Phänomenologie der Wahr‐ nehmung, S. 42 ff. 215 Wahrnehmen ist nach Merleau-Ponty kein Urteilen, sondern das „Erfassen eines dem Sinnlichen eigenen Sinnes, das vor dem Urteilen liegt.“ Das Bewusstsein findet im Wahrnehmen Objekte, Hand‐ lungen, Vorgänge bereits vor („Beisein bei den Dingen“). Ebd., S. 57. 216 Husserl, Edmund: Arbeit an den Phänomenen. Ausgewählte Schriften. Hg. von Bernhard Waldenfels. S. 149-160, hier S. 149. nur der Begriff corps, der damit auch alles, was ‚Leib‘ im Deutschen meint, umfasst. 210 Insofern ist nicht einzusehen, warum im Deutschen außerhalb phänomenologischer Stu‐ dien - wo er genau umrissene Funktionen hat 211 - der Leibbegriff verwendet werden soll. Dennoch ist es erhellend, die Begriffsdichotomie Körper / Leib im Deutschen näher zu betrachten, damit möglichst viele Perspektiven auf den Körper und seine Funktionen zur Sprache kommen, die für die hier verfolgte Fragestellung weiterführend sind. Gernot Böhme macht in seinen Vorlesungen zur Anthropologie folgende Unterscheidung: „Leib beschreibt gegenüber dem Körper ein Surplus, das sich durch Selbstwahrnehmungserleb‐ nisse auszeichnet. Körper, das ist auch der Körper des anderen, hingegen ist Leib primär mein eigener.“ 212 Böhme schließt an die Tradition der Phänomenologie an, wo „Leib“ immer zuerst auf den eigenen Leib bezogen ist, während mit Körper der „andere Körper“ als Bezugs‐ zentrum einer Situation, 213 als Körper der Fremderfahrung gemeint ist. Die Wahrnehmung des „anderen Körpers“ jedoch erwächst nicht nur aus der Situation, in der sich die Körper befinden: Diese sind bereits in einem „Horizont“ von Erinnertem zu verorten. 214 Sie ist demnach keine objektiv-photographische Aufnahme eines Gegebenen, sondern vollzieht sich bereits in einem Bedeutungs-Kontext. 215 Beide, Leib und Körper, sind nach Edmund Husserl durch eine Ähnlichkeitsrelation ver‐ bunden, die eine „apperzeptive Übertragung“ zur Folge hat: „Grundlegend ist hier die Ähn‐ lichkeit, die ein wahrgenommener äußerer Körper mit meinem Leib aufweist. Motiviert durch diese Ähnlichkeit vollziehe ich eine apperzeptive Übertragung, in der ich den äußeren Körper in Analogie zum eigenen Leib als Leib, d. h. als empfindenden und wahrnehmenden Körper auffasse.“ 216 Wahrnehmungstheoretisch gesprochen ist somit der empfindende und erlebende eigene Leib eine Apperzeption, eine bewusste Verarbeitung der Wahrnehmung des fremden Kör‐ 1. Der Körper als Lachanlass 74 217 Der Begriff der Apperzeption bei Husserl ist sehr komplex. Schon Leibniz hatte die Apperzeption als eine „perceptio melior, cum attentione et memoria coniuncta“ bezeichnet; Husserl verbindet sie mit dem Erleben: er versteht sie als „Überschuß, der im Erlebnis selbst, in seinem descriptiven Inhalt gegenüber dem rohen Dasein der Empfindung besteht“ (Log. Unt. II, 363). Vgl. Eisler, Rudolf: Wör‐ terbuch der philosophischen Begriffe. Berlin 1904, S. 46. 218 Husserl, Edmund: Cartesianische Meditationen. Eine Einleitung in die Phänomenologie. Hg. u. eingel. von Elisabeth Ströker. 3. Aufl. Hamburg 1995. Paragraphen 50-55, S. 126 ff. pers. 217 Husserl beschreibt diesen Vorgang folgendermaßen: Wir sehen bei der Wahrneh‐ mung des Anderen zunächst seinen Körper, denn seinen Leib (als beseelten Körper) können wir nicht unmittelbar wahrnehmen. Unmittelbar präsent ist nicht der Leib, sondern der Körper, dessen Ausdruck bloßes Indiz für Subjektivität ist, das Subjekt nur andeutet, aber selbst nicht mit ihm identisch ist. Erst durch Analogiebildung, sozusagen in einer sekun‐ dären Verweisung, erkenne ich den Anderen als Leib. Diese sekundäre Verweisung ist nicht nur ein Akt der Sinnlichkeit, der sinnlichen Wahrnehmung, wie das bei der primären Ver‐ weisung des Körpers der Fall ist, sondern ein Akt der Vermittlung, der Übertragung des Beseeltseins von meiner auf die andere Person. 218 Aus dieser Differenzierung Husserls ergibt sich, dass ‚Leib‘ immer auf Subjektivität hinter dem Körper verweist. Dies ist für die Theorie des Lachens ein eher sekundärer und ver‐ mutlich sogar hinderlicher Aspekt. Denn wenn der komische Körper auf die Subjektivität seiner Person hinweisen würde, könnte er kaum zum Lachen sein, da er seine ganze Emo‐ tionalität und Beseeltheit des Körper-Ichs zu erkennen geben würde, was dem Aufbau einer für das Lachen notwendigen, distanzierten Haltung zuwiderläuft. Der komische Körper, der Körper, über den wir lachen, ist jedoch immer der Körper eines anderen, und fällt daher eindeutig unter Husserls Körperbergriff. ‚Mein Leib‘ kann nicht komisch sein für mich, sondern nur als Körper für die anderen, er kann schmerzen, sich freuen, doch kann er nicht komisch sein. Trotz alledem hat die Leibdimension wichtige Aspekte für das Problem der Übertragung von Körperwahrnehmung auf den eigenen Körper, bzw. das eigene Ich, welches im Rahmen der psychologischen Innervationsleistungen angesprochen worden war. Husserl greift in seiner Analyse der Fremderfahrung auf die Assoziationstheorie zurück, indem er darauf verweist, dass die körperlichen Gebärden des Anderen an die eigenen erinnern und so die Existenz eines anderen, fremden Ich erfahrbar machen. Die Wahrnehmung des Anderen ist eine Analogieapperzeption, die Fremderfahrung am eigenen Leib vermittelt. Ich übertrage meine Körperwahrnehmung aufgrund der Ähnlichkeit auf meinen Leib und ‚verleibe‘ mir so den Körper des Anderen ein. Das Lachen über Körperliches würde, wenn wir diese Überlegungen Husserls zugrunde legen, durch eine spezifische Analogieleistung, eine Übertragung auf und Rück-Erinnerung an den eigenen Leib voraussetzen, die diesem nicht nur Aufwand erspart (Freud), sondern auch den ‚anderen Körper‘ in den eigenen hineinholt, sodass das Lachen als Körperreaktion dessen Komik nicht nur beantwortet, sondern ge‐ wissermaßen nachahmt. Der Vorgang der Apperzeption führt somit zu einer engen körperlich-kommunikativen Relation von fremdem Körper und eigenem Leib, so dass es zu einem Schwellenbereich kommt, in welchem beide sich berühren und sogar vermischen. Dieser Gedanke ist im Begriff des ‚Leibkörpers‘ sowohl bei Phänomenologen wie Merleau-Ponty und Waldenfels 1.3. Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper 75 219 Plessner, Lachen und Weinen, S. 239. 220 Vgl. dazu Meyer-Drawe, Käte: Leiblichkeit und Sozialität: phänomenologische Beiträge zu einer päda‐ gogischen Theorie der Intersubjektivität. München 1987, S. 37. 221 Waldenfels, Bernhard: Sinnesschwellen. Frankfurt a. M. 1999, S. 12. 222 Waldenfels, Bernhard: Bodily experience between selfhood and otherness. In: Phenomenology and the Cognitive Science 3 (2004), S. 235-248, hier S. 246. Waldenfels geht aber noch weiter: Er erkennt in der Zwischenkörperlichkeit auch die Instanz für ein „leibhaftiges Denken“, einer Form des „ein‐ gefleischten Denkens“ (incarnate thinking), welche direkt auf die spezifische Verfasstheit des Kör‐ perleibs zurückgeführt werden kann. als auch bei Anthropologen wie Plessner und Scheler ausgearbeitet worden. Der ‚Leib‐ körper‘ bezeichnet zunächst ganz allgemein die eigentümliche Doppelgestalt des Körpers, wie sie etwa Plessner in seiner Dichotomie des Leib-Seins und Körper-Habens beschreibt: Plessner geht von der Doppeldeutigkeit der menschlichen Existenz aus, in welcher der Körper gleichzeitig präsent und distanziert ist („exzentrische Position“). Das körperleibliche Dasein ist für den Menschen ein nicht eindeutiges Verhältnis zwischen „ihm“ und „sich“, 219 zwischen subjektiv erlebbarem Leib und distanziert zu beschreibendem Körper. Während Plessner es bei der Koppelung von zwei unterschiedlichen heuristischen Kon‐ zepten belässt - gewissermaßen ist das noch halb cartesianisch gedacht - sind Leib und Körper bei Merleau-Ponty und Waldenfels stärker verflochten. Hier ist der Körper als Leibkörper eine Zwiegestalt, eine Art „Umschlagstelle zwischen dem Selbst und dem An‐ deren“ (Waldenfels), zwischen außen und innen, Subjekt und Objekt, dem Heteronomen und dem Autonomen, ein Ort, an dem sich diese Kategorien durchdringen und vermischen. Aufgrund dieser Vermischung ist der Leibkörper immer gleichzeitig Eigenes und Anderes, er ist gleichzeitig aktiv und seiner Umwelt gegenüber responsiv, er handelt und erleidet, ist unverfügbar. 220 Als solcher zeigt er eine eigene Sprache, ein „enaisthetisches Sprechen“, wie Waldenfels sagt, 221 das sich von der uns verfügbaren Sprache unterscheidet und auf fremde Dimensionen der Sinnproduktion verweist. So erscheint der Leibkörper beispielsweise in seiner stimmlichen Prosodie, Intonation und klanglicher Färbung, aber auch etwa in rede‐ begleitenden Bewegungen und Gesten, niemals als ganz eigener, sondern als ein der auto‐ nomen Verfügbarkeit entzogenes ‚interkorporelles‘ Zwischen, in dem sich eine mimetische Anverwandlung mit dem Körper des anderen Gegenübers vollzieht. Waldenfels macht dies am Beispiel der ersten Lebensjahre deutlich: Von Kind auf ist der Andere in uns implantiert; wir sind bei und nach der Geburt noch eins mit der Mutter, wir lernen vom Hörensagen die Sprache sprechen, die nicht unsere eigene, sondern die unserer Mutter ist, wir hören auf Namen, die wir uns nicht selbst gegeben haben usw. Deshalb ist der Andere immer zuerst da, wir können den Anderen nicht erreichen, ohne von ihm aus‐ zugehen: Intercorporeity implies that the own and the alien are entangled, that everybody is inserted into an interlacing, into a Geflecht or entrelacs as Norbert Elias, Merleau-Ponty and sometimes even Husserl put it. (...) What we feel, perceive, do or say is interwoven with what others feel, perceive, do or say. 222 Waldenfels macht diese Verwobenheit von (Fremd-)Körper und (Eigen-)Leib anhand des Beispiels eines Orchesters deutlich: 1. Der Körper als Lachanlass 76 223 Waldenfels, Bodily experience, S. 242. 224 Hermann Schmitz hat, einem ähnlichen Konzept des Leibkörpers folgend, dieses Geflecht von ei‐ genem und anderem Körper in Rahmen einer „leiblichen Kommunikation“ verfolgt: „Der Einzelleib des Individuums ist von vorn herein eingebettet in leibliche Kommunikation.“ Schmitz, Herrmann: Spüren und Sehen als Zugänge zum Leib. In: Quel Corps? Eine Frage der Repräsentation. Hg. von Hans Belting, Dietmar Kamper u. Martin Schulz. Paderborn 2002, S. 429-438, hier S. 433. Vgl. auch Schmitz, Herrmann: Über leibliche Kommunikation. In: H. S.: Leib und Gefühl. Materialien zu einer philoso‐ phischen Therapeutik. Hg. von Hermann Gausebeck u. Gerhard Risch. Paderborn 1989, S. 175-217. 225 Bereits in Waldenfels, Bernhard: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes. Hg. von Regula Giuliani. Frankfurt a. M. 2000. Every player of a musical instrument knows that his or her fingers are quicker and more sensitive than any rational control could be. We are carried away (mitgerissen, emportés) by our own words and actions as well as by those of others, so that we are neither reduced to merely moved objects nor to simple active subjects. 223 Wir intervenieren in eine bereits laufende Bewegung, die unserer Initiative vorangeht. Diese Bewegung ist das leibliche Zusammenspiel gegenseitiger Leib-Wahrnehmung - was mit Metaphern wie Stimmung, Atmosphäre, Raumgefühl usw. beschreibbar ist -, die dem Verstehen vorausgeht. 224 Lachen zwischen ‚Widerfahrnis‘ und ‚Einleibung‘ Wir haben zu Beginn des Kapitels festgestellt, dass die zentrierte Aufmerksamkeit eine wichtige Voraussetzung für die Wahrnehmung des komischen Körper ist, damit sie zum Lachen führt. Die eben skizzierten phänomenologischen und anthropologischen Körperbzw. Leibtheorien erlauben uns, die spezifischen Bedingungen und Funktionsweisen der ‚leiblichen‘ Wahrnehmung als apperzeptive Übertragung, als Zwischenleiblichkeit oder Einleibung des anderen Körpers als Voraussetzung für das Lachen über Körperliches ge‐ nauer zu bestimmen, ohne zunächst auf semiotische und Verstehensprozesse zu rekur‐ rieren. Wenn wir lachen, so lacht unser Körper. Wenn wir das Lachen anderer wahrnehmen und mitlachen, dann überträgt sich dieses Lachen als ein wahrgenommener Ausdruck vom anderen Körper in unseren Körper (die Problematik der Ansteckung sei zunächst bei Seite gelassen). Ebenso verhält es sich mit den anderen Ausdrucksgesten des wahrgenommenen fremden Körpers: Wir lachen dann über Körperliches, wenn wir den anderen Körper mittels einer von der Aufmerksamkeit ermöglichten leiblichen Übertragung in unseren Körper einleiben. So werden durch den gespannten Blick auf ein lächerliches Objekt (den Körper des Clowns etwa), dessen Gang, Körperhaltung, Bewegungen, Gesten usw. in unserem Körperleib, als einem Feld des Zwischen, spürbar und nachvollziehbar, wir werden von diesen Bewegungen berührt, ergriffen, angesteckt (was die medizinische Forschung zur Innervation auch neurologisch belegt hat). Das bedeutet, dass dem Lachen über komische Körperlichkeit keine Bewusstseinsstufe oder kognitive Schranke vorgeschaltet sein muss: Es kann sich - den Spielrahmen und die komische Ambivalenz vorausgesetzt - aus der Einleibung selbst ergeben. Wie geht das aber? Die Kernthese von Waldenfels ist, dass unser körperliches Selbst Teile des Anderen enthält. 225 Wir werden durch das, was uns widerfährt, berührt, noch bevor wir 1.3. Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper 77 226 „Being affected by and exposed to what is alien to myself (Ichfremdes), depends neither on our knowing nor on our willing, i.e. on our consciousness; it is related to our body“. Waldenfels, Bodily experience, S. 239. 227 „In sum, everything that appears as something has to be described not simply as something which receives a sense, but as something which provokes sense without being meaningful itself, but still something by which we are touched, affected, stimulated, surprised and so some extent violated. (...) From the very beginning I am involved, but not under the title of a responsible author or agent“. Waldenfels, Bodily experience, S. 238. 228 Schmitz, Spüren und Sehen, S. 434. darauf handelnd reagieren können. Dies geht über die psychologischen Reiz-Reaktions-Mo‐ delle oder die für viele Lachtheorien grundlegende Annahme der kognitiven Erkenntnis des Komischen weit hinaus. Folgt man Merleau-Ponty und Waldenfels, wird das Lachen dagegen zunächst von einer Art körperlichen Empfindung, einer körperlichen Teilhabe am Lächerlichen, also am wahrgenommenen Vorgang oder Modus, bestimmt. Dies lässt sich nach Waldenfels mit dem Begriff der „Widerfahrnis“ beschreiben: Das, was uns widerfährt, was uns als Fremdes begegnet, hängt weder von unserem Wissen noch von unserem Willen bzw. unserem Bewusstsein ab, es hat zuallererst mit unserem Körper zu tun. 226 Widerfahrnis bezeichnet demnach eine Form des körperlichen Erlebens, der kör‐ perlichen Wahrnehmung. Die Widerfahrnis von etwas nimmt den Körper in Beschlag, in‐ volviert ihn, ohne dass dieses Etwas einen Sinn erhält; es löst Sinn aus, ohne selbst bedeu‐ tungsvoll zu sein. 227 Waldenfels betont dabei die Vorgängigkeit der Widerfahrnis: Etwas widerfährt uns, bevor wir noch reagieren, geschweige denn handeln können. Unser prak‐ tisches Verhalten beginnt wie alle Formen des Verhaltens damit, affiziert zu werden und setzt sich fort damit, darauf zu antworten. Auf das Lachen übertragen bedeutet dies: Damit wir antwortend lachen, muss uns etwas widerfahren, wir werden in etwas hineingezogen, ohne es gleich schon mit Sinn belegen zu können. So erscheint Plessners Antwort-These in einem veränderten Licht: Das Lachen als eine elementare Reaktion gegen das Bedrän‐ gende des komischen Konflikts muss nicht das Resultat einer kognitiven Operation sein, sondern ist zunächst als eine Kapitulation der Autonomie des Körpers zu bezeichnen. Wir lachen nicht, weil wir als Menschen mit einer Situation nicht fertig werden, sondern weil die Situation unseren Körper überfordert, nachdem sie ihn affiziert und involviert hat. Der Nach- und Mitvollzug komischer Bewegungen wird auch von Schmitz’ Theorie der leiblichen Kommunikation gestützt. Die spezifische Kommunikation zwischen Körpern (Einleibung) kann am Beispiel von Blick und Gegenblick veranschaulicht werden: Der Blick als leibliche Regung gehört dem motorischen Körperschema an. Er eröffnet Hypothesen über die Bewegungen der anderen Körper im Raum, um etwa ein Zusammenstoßen zu vermeiden. Dies geschieht, indem der Blick die durch den anderen Körper ausgelöste Be‐ wegungssuggestion in das motorische Körperschema überträgt. Schmitz spricht in diesem Fall vom „motorischen Sehen“, wozu er das Ausweichen rechnet, aber auch das Greifen, Gehen, Springen und Ausüben aller anderen optisch gesteuerten motorischen Kompe‐ tenzen. Dieses motorische Sehen ist eine „Einleibung mit dem Blick, der über das motorische Körperschema die Glieder führt.“ 228 Schmitz macht dies am Beispiel des Seiltänzers in der Zirkuskuppel deutlich. Anschlie‐ ßend an Lipps’ Theorie der sympathetischen Einfühlung bestimmt er die leibliche Relation zwischen Zuschauer und Artist als Nachahmung. Doch während bei Lipps der Zuschauer 1. Der Körper als Lachanlass 78 229 Schmitz, Über leibliche Kommunikation, S. 189. 230 Ebd. 231 Auf das Ästhetische übertragen, staunen wir über den übermäßig schönen oder wohlgeformten Körper, und wir lachen über den übermäßig hässlichen, den deformierten und grotesken Körper. im Zirkus sich in den Seiltänzer hineinversetzt und somit körperlich „bei ihm“ in der Kuppel ist, wird er in Schmitz’ Theorie durch Aufmerksamkeit und Faszination in Bann gezogen und ahmt die faszinierenden Bewegungen des Seiltänzers körperlich nach. Zur Nachahmung gehört die Verdopplung des Vorbildes durch ein Nachbild. Wenn der Betrachter im Zirkus gebannt an den Bewegungen des Seiltänzers hängt, ist aber keine Rede davon, dass da oben, wohin der Betrachter sich versetzt fühlen soll, auch nur in dessen Phantasie zwei Akrobaten herumtanzten, nämlich der echte und der ihn nachahmende, durch Einfühlung dorthin versetzte Zuschauer. Vielmehr werden die faszinierenden Bewegungen des Akrobaten auch dann, wenn niemand sie nachahmt, aufgrund der Faszination vom Beobachter übernommen, in dem Sinn, dass er sie nicht mehr als Bewegungen eines fremden Wesens von seinem eigenen Verhalten unter‐ scheiden kann. 229 Faszination ist eine Form der gesteigerten Aufmerksamkeit, ein visuelles Gebanntsein am faszinierenden Objekt, die ihr körperliches Ausdrucksmuster in geweiteten Augen und dem geöffneten Mund findet. In Schmitz’ Perspektive wird sie zum Ausgangspunkt der leibli‐ chen Nachahmung, der Einleibung: „Gleichwohl ist für sie eine Distanzlosigkeit charakte‐ ristisch, die (...) so weit geht, dass der Faszinierte, indem er gebannt an seinem Objekt hängt, dessen Schicksal und Verhalten nicht mehr als etwas Fremdes von seinem eigenen unter‐ scheiden kann.“ 230 Vergleichen wir diese Konstellation nun mit einer anderen „theatralen“ Blickrelation im Zirkus, der zwischen Zuschauer und Clown, kommen wir zu überraschenden Parallelen: Es liegt zunächst eine ähnlich gesteigerte Aufmerksamkeit vor, doch hier ist es nicht die Faszination, die uns an die wahrgenommenen Bewegungen bannt, sondern die Erwartung des Komischen als Anomales und Unbestimmtes, die Erwartung des Unvorhersehbaren und nicht Kontrollierbaren. Dabei heben wir die Distanz zwischen dem Körper des Clowns und unserem eigenen auf, indem die Körper kommunizieren: Wir „leiben“ uns den Clown „ein“, unser Körperleib wird zur Umschlagstelle zwischen uns und dem Anderen. Gleichzeitig wissen wir aber körperlich von der anomalen und spielerischen Art der Einleibung und stehen ihr ratlos und hilflos gegenüber: wir lachen. Lachen hat übrigens nicht wenig mit dem faszinierten Staunen zu tun: Beide Reaktions‐ weisen sind gegenüberliegende Pole der Körperwahrnehmung. Das Staunen bezieht sich auf den herausragenden, vollkommen beherrschten Körper, das Lachen auf den herausra‐ genden, vollkommen unbeherrschten Körper des Spielrahmens. 231 Beide Körper wider‐ fahren uns zunächst in einem Zustand der Spannung und Aufmerksamkeit; über den Blick wird die wahrgenommene, außergewöhnliche Motorik in den eigenen Körper übertragen und von ihm nachempfunden bzw. nachgeahmt. Diese Einleibung des fremden Körpers in unseren hat in dem Moment, wenn sie über unsere Fähigkeiten hinausgeht, wenn sie also wie beim Akrobaten einen perfekt kontrollierten Körper vor sich hat, fasziniertes Staunen zum Resultat. Wenn sie es allerdings mit einem sich im spielerischen Rahmen präsentier‐ enden, scheinbar unkontrollierbaren Körper zu tun hat, bricht unser Körper in Lachen aus, 1.3. Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper 79 weil er diese ambivalente Situation zwischen Spiel und Ungenügen im Eigenen nicht er‐ tragen kann, denn sie stellt unser körperliches Selbstverhältnis in Frage. Das Lachen befreit unseren Körper von der gespannten Nachahmung des anderen Körpers, diesem spieler‐ ischen Zwang zur komischen Anomalität in ihm, und stellt den Ausgangszustand wieder her. Techniken und Kontrolle des Körpers „Lachen überhaupt ist der Ausdruck des Herausplatzens, das jedoch nicht haltungslos bleiben darf, wenn nicht das Ideal verloren gehen soll.“ Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. Bd. 13, S. 210 Schmitz’ Begriffe des motorischen Sehens und der Einleibung können somit auch die Un‐ verfügbarkeit, von der Waldenfels bei der Charakterisierung des Eigenleibs als interkor‐ porelles Zwischen spricht, plausibel machen. Sie weisen auf einen Aspekt hin, der bereits bei Plessner angesprochen wurde und der für das Lachen über Körperliches zentral ist: den der Kontrolle. In ihm kommen phänomenologische, psychologische und soziale Aspekte zusammen. Wenn das Lachen mit Plessner als Antwort auf eine Krise, eine Desorganisation der Person bezeichnet und als körperlicher Ausdruck dieser Desorganisation bezeichnet werden kann, insofern, als der Körper im Lachen seine Haltung und Contenance verliert, und wenn weiterhin die Wahrnehmung des Verlustes der Selbstkontrolle (als einem be‐ herrschten Verhältnis zum eigenen Leib) im eben besprochenen Beispiel des Clowns zum Lachen führt, weil sie den Körper des Wahrnehmenden durch komische Anomalität in seinem Verhältnis zum Selbst gefährdet, dann muss der auch nur temporäre Verlust der Beherrschung des wahrgenommenen anderen Körpers zu den wichtigsten Lachanlässen überhaupt gerechnet werden. Daraus folgt wiederum, dass derjenige, der überzeugend seinen Körper aus der Rolle fallen lassen kann (also der Clown oder der Possenreißer), beste Chancen auf einen Lacherfolg bei seinem Publikum hat. Er benötigt dazu Techniken des Körpers, die nicht nur die eigene Körperbeherrschung betreffen, sondern auch kulturelle und soziale Codes (von Körperhaltungen und -bewegungen, von Gesten und Gebärden, von körperlichen Habitus der Anderen) genauestens kennen und nachahmen können. Der erwachsene Mensch hat im Laufe seines Lebens einen ungeheuren Aufwand ge‐ braucht, um seinen Körper zu beherrschen und ihn als Werkzeug zu gebrauchen. Dies gilt - mit großen Unterschieden in der Art und Weise der Körperkontrolle - für alle Kulturen. Dass Körperkontrolle ein Ausdruck sozialer Kontrolle sei, hat Douglas unterstrichen: There can be no natural way of considering the body that does not involve at the same time a social dimension. (...) The relation of head to feet, of brain and sexual organs, of mouth and anus are 1. Der Körper als Lachanlass 80 232 Douglas, Mary: Natural Symbols. Explorations in Cosmology. New York 1996, S. 74. (Dt.: Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschhaft und Stammeskultur. Frankfurt a. M. 1986). 233 Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M. 1982, S. 739. 234 Vgl. dazu Röcke u. Velten (Hg.), Lachgemeinschaften, S. Vff. commonly treated so that they express the relevant patterns of hierarchy. Consequently I now advance the hypothesis that bodily control is an expression of social control. 232 Douglas knüpft hier an die These Foucaults an, Körper würden durch die Gesellschaft und die soziale Ordnung gestaltet und reguliert. Gegen diese repräsentationale Sichtweise hat Pierre Bourdieu sein an Norbert Elias anschließendes performatives Habitus-Konzept ge‐ setzt. Die sozialen Verhältnisse schreiben zwar das Verhältnis des Menschen zum eigenen Leibe fest, doch kommt es nicht zu einer „Repräsentation“ sozialer Hierarchien, sondern der Habitus ergibt sich aus ganz bestimmten Weisen, seinen Körper zu halten und zu be‐ wegen, ihn vorzuzeigen, ihm Platz zu schaffen, kurz: ihm soziales Profil zu verleihen. Als notwendige Anpassungsleistung an die soziale Umwelt wird die gesellschaftliche Ordnung inkorporiert und erst durch den körperlich bestimmten Habitus erzeugt. 233 Als ein System inkorporierter Muster hat der Habitus einen besonderen Stellenwert für das Individuum: Er zeigt den anderen seine soziale Rolle und Zugehörigkeit nicht nur an, sondern er ver‐ körpert sie in dem Maße, als seine körperliche Erscheinung und ihre Handlungen diese Zugehörigkeit erst glaubhaft machen. Dieses Glaubhaft-Machen ist besonders wichtig in vormodernen Gesellschaften, in denen die soziale Position und Geltung des Individuums von seinem körperlichen Er‐ scheinen abhängen. Und das Glaubhaft-Machen der sozialen Zugehörigkeit durch den Ha‐ bitus ist hier vorrangig abhängig von den Techniken der Körperbeherrschung, die der Mensch im Laufe seines Lebens und seiner Erziehung innerhalb einer bestimmten Kultur erwirbt. Kann er diesen Anforderungen nicht folgen, kann er seinen Körper nicht nach habituellen Vorgaben und eigenen Zielen modellieren und deshalb, mit Bourdieu gespro‐ chen, kein „soziales Kapital“ erwerben, dann wird er keinen sozialen Erfolg haben bzw. soziales Ansehen einbüßen. Dies kann vor allem durch zwei Faktoren geschehen: erstens durch körperliche Behinderungen und ästhetische Mängel, und zweitens durch geltungs‐ schädigende Verhaltensweisen, die Verlachen, Verachtung, Missbilligung usw. zur Folge haben. Unter diesen Folgen ist das Verlachen die weitaus gefährlichste: Ein von einer Gruppe aufgrund des Verlusts der Körperbeherrschung Verlachter kann sich nur schwer davon erholen. 234 Das Lachen ist somit der größte situative Feind des körperlichen Habitus: Die Körperkontrolle dient im Prinzip dazu, Verlachen zu verhindern, und jeder Einzelne ist darum bemüht, den Eindruck, den er vor anderen aufgebaut hat, eine Identität im Körper‐ lichen zu sichern. Die sozialen und kulturellen Codes der Körperkontrolle zu brechen bzw. zu überschreiten muss demnach als prioritäre Aufgabe eines Possenreißers gelten; wie bedeutsam das En‐ semble von Körpertechniken für die soziale Position eines Menschen ist, so bedeutsam sind die Körpertechniken seiner Subversion. Der französische Soziologe und Durkheim-Schüler Marcel Mauss hatte in seinem Aufsatz über menschliche Körpertechniken (Les techniques 1.3. Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper 81 235 Mauss, Marcel: Die Techniken des Körpers. In: M. M.: Soziologie und Anthropologie 2. Frankfurt a. M. 1989, S. 191-222, hier S. 205. (Frz. Orig.: Les techniques du corps. Zuerst erschienen in: Journal de Psychologie Normale et Pathologique 32 (1935). Zum Unterschied heißt es dort: „Der Unterschied ist der, dass der Handelnde sie als eine Handlung mechanisch-physischer oder physisch-chemischer Ordnung wahrnimmt und sie zu diesem Zwecke durchführt“. 236 Mauss, Techniken des Körpers, S. 214. 237 Vgl. zu diesem Komplex die Studie von Wenzel, Horst: Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München 1995, S. 128-191. 238 So etwa in Tannhäusers Hofzucht aus dem 13. Jh. Vgl. dazu Elias, Norbert: Über den Prozess der Zi‐ vilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bde. (1936). 8. Aufl. Frankfurt a. M. 1981, Bd. 1, S. 110 ff. du corps, 1935) Körperbewegungen und Bewegungsabläufe als der Erziehung geschuldete Nachahmungen gedeutet, die nicht zu den traditionellen Riten gehören, aber die die gleiche Funktion haben: „Ich bezeichne mit Technik eine traditionelle, wirksame Handlung (und Sie sehen, dass sich dies nicht von der magischen, religiösen, symbolischen Handlung un‐ terscheidet). Es ist notwendig, dass sie traditionell und wirksam ist.“ 235 Mauss differenziert bei diesen wiederholten und performativ wirksamen Handlungen, die zu einem sozial an‐ erkannten, körperlich bestimmten Habitus führen, zwischen zahlreichen unterschiedlichen Techniken des Körpers. Von diesen interessieren im Zusammenhang mit dem Lachen vor allem drei: (1) die Techniken der Aktivität, der Bewegung, (2) die Techniken des Verzehrs und (3) die Techniken der Körperpflege. Vor allem die ersten beiden Bereiche spielen sich öffentlich ab und können somit auch öffentlich nachgeahmt, parodiert und karikiert werden. Dazu gehört vor allem der „Habitus des aufrechten Körpers beim Gehen, Atmung, Schrittrhythmus, Hin- und Herbewegen der Fäuste, der Ellbogen, Vorbeugen des Oberkör‐ pers oder abwechselndes Vorschieben jeweils einer Körperseite“. 236 In fast gleich starkem Ausmaß auch das Sitzen, Stehen, Laufen, Tanzen, Springen, Klettern, Absteigen, Schwimmen, Stoßen, Ziehen, Heben, Werfen, Halten usw. Bei den Techniken des Verzehrs sind es vor allem das Essen, Trinken, der Gebrauch von Besteck, Serviette, Körper- und Handhaltung usw.; bei den Techniken der Körperpflege nennt Mauss das Waschen, Ein‐ seifen, Abreiben und weitere hygienische Techniken. Das Erlernen und Beherrschen dieser Techniken macht in vielen Gesellschaften einen großen Teil der kulturellen Erziehung aus; in den europäischen Kulturen des Spätmittelal‐ ters und der Frühen Neuzeit sind sie auf Grund ihrer semi-oralen Organisation und der Zentralität ihres an den Körper gebundenen Ehrbegriffs sicherlich noch wichtiger als in den heutigen postmodernen Kulturen. In körperlichen Verhaltensweisen wurde der soziale Rang eines Individuums zur Anschauung gebracht. Dem Adligen, der seine soziale Herkunft und Zugehörigkeit durch entsprechendes Auftreten und Erscheinen auszudrücken vermag, ist sein Adel förmlich in den Körper eingeschrieben: Texte zur Hofkritik, Adels- und Fürs‐ tenspiegel unterstrichen seit dem 12. Jahrhundert die grundlegende Bedeutung standesge‐ mäßer Bewegungs- und Verhaltensformen, um die dem gesellschaftlichen Rang zukom‐ mende Ehre zu erwirken. 237 Herrschaftsträger sollten sich eines gemessenen Ganges befleißigen und sich beim Gehen nicht umdrehen. In Gesprächen mit anderen sollten sie sich weder an den Ohren kneifen noch in schallendes, undiszipliniertes Gelächter ausbre‐ chen. Bei Tisch sollten sie den Körper ruhig halten und jegliche Körpergeräusche unter‐ drücken. 238 Die Grundlage höfischen Verhaltens war die Disziplin und Kontrolle des Kör‐ 1. Der Körper als Lachanlass 82 239 Lévi-Strauss, Claude, Das Rohe und das Gekochte, S. 109, S. 120-32. 240 Jurzik, Die zweideutige Lust am Lachen, S. 45. 241 Goffman hat ein ausgeprägtes Interesse an derartigen Störungen indiziert: „Es werden Streiche verübt und Gesellschaftsspiele gespielt, in denen nicht ernst zu nehmende peinliche Situationen absichtlich herbeigeführt werden. Es werden Phantastereien erdacht, in denen sich überwältigende Bloßstellungen abspielen. (...) Es scheint keine Gesellschaft zu geben, die nicht über einen Vorrat derartiger Spiele, Vorstellungen und warnender Erzählungen verfügt - als Quelle des Spaßes, Aus‐ druck der Befürchtungen und als Mittel, um jemanden zur Bescheidenheit in seinen Ansprüchen und zum Maßhalten in den von ihm projizierten Erwartungen zu veranlassen.“ Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag (1959). München 1983, S. 17. pers, sein ethischer Zentralbegriff war die zuht. Dazu gehörten nicht nur die Kontrolle der Körperhaltung und der Körperbewegungen, sondern auch die Blickkontrolle, die Affekt- und die Sprachkontrolle. Antike, Mittelalter und Frühe Neuzeit kannten das pädagogische Programm der Kör‐ perdisziplinierung und legten - mit Unterschieden - viel Wert darauf. Die Kontrolle des Lachens spielt dabei eine wichtige Rolle, doch nicht nur in der westlichen Zivilisation: Lévi-Strauss verkürzt es auf den bemerkenswerten Satz: „Zivilisation beginnt dort, wo La‐ chen kontrolliert wird.“ 239 Jede Gesellschaft unterhält demnach Lachverbote, und ich werde auf die für die der Arbeit zugrunde liegende Fragestellung bedeutsamen in Kapitel 2 aus‐ führlich zu sprechen kommen. Hier bleibt noch zu erwähnen, dass auch die kindliche Phase des Erlernens der Körper‐ techniken als Selbstbeherrschung von Lachen begleitet ist: In kinderpsychologischen Un‐ tersuchungen konnte festgestellt werden, dass Lachen mit dem Erlernen der Körperbewe‐ gung und Körperbeherrschung einsetzt. Übertriebene Bewegungen (in die Luft werfen, im Kreis herumwirbeln) wie die Beobachtung fremder übertriebener und ungewohnter Be‐ wegung führen bei Kindern zum Lachen. Kinder, die gelernt haben, ihren Körper zu be‐ herrschen, lachen über andere, die das noch nicht können. „Als Reaktion auf den Drill der Körperbeherrschung lebt Komik von der Darstellung all jener Situationen, die sich der Beherrschung entziehen.“ 240 Die Freude am Scheitern der Körperkontrolle, an peinlichen Situationen, in denen der Körper aus der Rolle fällt, setzt sich im sozialen Leben der Gruppe fort. 241 Auch am be‐ wussten Angriff auf das Körperschema (wie bei der Parodie des Ganges), an inszenierten Späßen, den gespielten Prügeleien und Raufereien, obszönen Handlungen, Entblößungen und gespielten Behinderungen (Hephaistos), sowie bei allen anderen Techniken, bei denen der Körper außer Fassung gerät, wird gelacht. Übrigens ebenso im umgekehrten Falle, wenn der Körper besonders kontrolliert erscheint, sodass seine Haltung als gespielt supereroga‐ torisch erkannt wird; also auch ein Zuviel an Körperkontrolle löst Lachen aus. Das Spiel mit dem aus der Rolle fallenden Körper ist somit nicht nur ein Spiel mit den sozialen und kulturellen Codes und Regeln, die invertiert oder unterlaufen werden. Es ist vor allem ein Spiel mit den Formen der leiblichen Kommunikation, ein Wissen um das Auslösen von Gelächter, und es beruht auf der spielerischen, doch hochprofessionellen Nachahmung von Körpertechniken, die zugleich soziale Bedeutung und individuelle Referenz besitzen. 1.3. Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper 83 Ansätze zu einer Theorie der Körperkomik Die folgenden neunzehn Paragraphen fassen das bislang Gesagte zusammen und machen den Versuch, einige theoretische Prämissen für das Feld körperlicher Lachanlässe aufzu‐ stellen. Sie formulieren gleichzeitig eine methodische Basis für die folgenden Kapitel, in welchen es um historische und mediale, vor allem textuelle Übermittlung von Körperkomik gehen wird. § 1 Lachen ist ein Phänomen körperlicher Eigenaktivität und als solches Teil einer Kom‐ munikationssituation. Es ist nicht vorrangig Ausdrucksphänomen anderer Gefühle, sondern ein schwer kontrollierbarer, mehrdeutiger leiblicher Vollzug. § 2 Während das Lachen zahlreiche Anlässe kennt, wird die Komik vom Lachen regiert und bestimmt. Lachen ist somit nicht nur die Antwort auf komische Anlässe, sondern auch deren Maßstab, ein sie als Spiel markierender Rahmen in einer historisch jeweils neu zu definierenden Kommunikationssituation. § 3 Wenn Komik und Lachen in einem Interaktionszusammenhang stehen, stellt sich das Komische als ‚sozialer Vorgang‘ dar, der mindestens einen Akteur und mindestens einen Zuschauer benötigt. Das Verhältnis zwischen Akteuren und Zuschauern os‐ zilliert zwischen Inszenierung und Emergenz und ‚bearbeitet‘ eine soziale Situation. Komische Vorgänge sind performative Prozesse: Sie entstehen aus dem Zusammen‐ spiel von intentionalen und attentionalen Elementen, sie tragen Geschehenscha‐ rakter, sie sind kontext-, situations- und aufführungsbezogen. § 4 Komik und Lachen sind in soziale Beziehungen eingebettet: man lacht gemeinsam, man lacht in Gemeinschaft. Diese affiliative Funktion weist auf geteilte kulturelle Hintergründe und ähnliche Erwartungshaltungen der Teilnehmer am komischen Vorgang hin. Darüber hinaus verweist sie auf historisch, kulturell und sozial unter‐ schiedliche Bestimmungen des Komischen. § 5 Komik ist ein relationaler Begriff: es gibt keine komischen Objekte oder Strukturen, sondern komische Relationen, deren Wirkung nur am lachenden Subjekt erfasst werden kann. Komik ist somit nicht essentiell zu definieren, sondern modal. § 6 Ich unterscheide zwischen komischem Vorgang und komischem Modus. Komische Vorgänge entwickeln und spielen sich immer im komischen Modus ab; sie sind nicht an sich komisch, sondern vollziehen sich innerhalb der komischen modalen Rah‐ mung, die wiederum vom Lachen bestimmt ist. Der komische Modus kann als Se‐ kundärrahmen begriffen werden, welcher Primärrahmen spielerisch - und häufig überraschend - verändert (‚modifiziert‘). Er wird über situative Vereinbarungen (Wiederholungen, mimetische Nachahmungen, Normabweichungen) hergestellt, schafft eine Eigenwelt und setzt Emotionen vorläufig außer Kraft - daher auch seine Enthebbarkeit. § 7 Komische Vorgänge können daher nicht ausreichend erklärt werden, wenn man nur ihre symbolischen Zeichenbedeutungen betrachtet. Sie müssen vielmehr innerhalb des komischen Modus als eines performativen Prozesses analysiert werden, in wel‐ chen sie eingebettet sind. Lachen und andere metakommunikative Signale können als Marker des komischen Modus gewertet werden. 1. Der Körper als Lachanlass 84 242 Ich spreche hier von Transgressionen des Körpers. Bergson hatte sie noch unter dem Abnormen gefasst und formuliert: „Jede Abnormität kann komisch werden, die von einem Menschen mit nor‐ malen Gliedern allenfalls nachgeahmt werden könnte.“ Bergson, Das Lachen, S. 18. § 8 Der menschliche Körper ist zentrales Bezugsfeld und Agens komischer Vorgänge. Komische Vorgänge sind somit als ‚verkörperte‘ Vorgänge zu betrachten, d. h. sie haben gleichzeitig repräsentationalen und selbstreferentiellen Charakter. Daraus er‐ gibt sich, dass der Körper im komischen Vorgang sowohl semiotische als auch per‐ formative Qualitäten aufweist. § 9 Unter ‚Körper‘ verstehe ich den situativ wahrgenommenen, präsenten Körper des Anderen. Er geht im Prozess der Wahrnehmung komischer Vorgänge mit dem Ei‐ genleib (dem spürbaren Leib des Selbst) eine enge Verbindung ein, die zu einem interkorporellen Zwischen, einem ‚Leibkörper‘ als Umschlagstelle zwischen Selbst und Anderem führt. Dieser Leibkörper ist die Voraussetzung für die ‚Einleibung‘ des anderen Körpers, die mittels gesteigerter Aufmerksamkeit als Widerfahrnis erlebt wird. Sie hat Distanzlosigkeit und Unverfügbarkeit des Leibkörpers zur Folge. Die Einleibung wiederum ist entscheidendes Merkmal für die Erfahrung des Komischen, indem der Körper des anderen über seine komischen Abweichungen den Eigenleib ‚infiziert‘ und es zu einer Reaktion der ‚Auswerfung‘ im Lachen kommt. § 10 Komische Vorgänge als Lachanlässe sind weniger als kognitive Stimuli anzusehen, die Lachen auslösen, sondern als körperliche Apperzeptionen. Das Lachen über Kör‐ perliches ist nicht ausreichend mit dem Stimulus-Response-Schema zu fassen, son‐ dern muss als leibliche Kommunikation, als apperzeptive Aufnahme des anderen Körpers in den eigenen verstanden werden. Voraussetzung dafür ist die Annahme, dass der lachende Körper ein ‚Leibkörper‘ ist, der als Umschlagstelle zwischen dem Selbst und dem Anderen fungiert. § 11 Komischer Vorgang und Lachen gehören demnach in einen Zusammenhang der Wi‐ derfahrnis und Einleibung. Auf dieser Ebene der Übertragung körperlicher Komik im Erleben ergibt sich noch kein Sinn, sondern allein ein Nach- und Mitvollzug ko‐ mischer Bewegung. Da dieser Moment des Mitvollzugs das eigene leibliche Selbst‐ verhältnis in Frage stellt, und es zur kognitiven Erkenntnis des komischen Vorgangs kommt, lacht der Körper als Akt der Distanzierung vom körperlichen Nachvollzug. § 12 Dieser Akt der Distanzierung macht noch einmal die Bedeutung der Wahrnehmung komischer Vorgänge und ihren Performance- und Spielcharakter deutlich. Damit kommt sie der ästhetischen Wahrnehmung nahe, die ebenfalls als ein Distanzie‐ rungsprozess beschrieben werden kann, ohne mit dieser jedoch identisch zu sein. § 13 Komische Rede ist als Sprechhandlung ursächlich an den Körper, seine Zeigegesten und seine Vokalität gebunden, sie erscheint als körperlich eingebettet. Sprachliche Äußerungen im komischen Modus sind somit nicht allein semantisch zu analysieren, sondern auch in ihrer materiellen und performativen Erscheinung. § 14 Es ist daher unzutreffend, dass in komischen Vorgängen Körper und Sprache die Unangemessenheit einer Situation (Normkonflikt, Normtransgression) repräsen‐ tierten, sondern sie erzeugen sie allererst, indem Normverletzungen und -transgres‐ sionen durch Akte der Verkörperung aufgeführt werden. 242 1.3. Körper - Leib - Verkörperung: methodische Zugänge zum Körper 85 243 Zu den Einzelheiten dieser Übermittlung vgl. Kap. 6. § 15 Körperliche Unangemessenheit kann in der doppelten Struktur körperlichen Zeigens gefasst werden: einerseits als ‚Zeigen-als‘ und andererseits als ein nicht-gerichtetes ‚Sich-Zeigen‘. Die Bedeutung des Zeigens ist daher als verkörperte aufzufassen. § 16 Die Wahrnehmung einer körperlichen Unangemessenheit, eines (tatsächlichen oder gespielten) Kontrollverlustes beim Anderen kann als der wichtigste körperliche Lachanlass bezeichnet werden. Komische Vorgänge des Kontrollverlustes beziehen sich jeweils auf Transformationen kultureller Codierungen der Körperhaltung, der Körperbewegung, der Gestik und Mimik, der Stimme und des Blickes, der Hexis, der Kleidung und Haartracht, des gesamten körperlichen Habitus. § 17 Lächerlicher und komischer Körper unterscheiden sich nicht in ihrer Zugehörigkeit zur lebensweltlichen und ästhetischen Sphäre. Ist der komische Körper der absichts‐ voll komisch inszenierte Körper (etwa eines Clowns oder Possenreißers), so verstehe ich unter einem lächerlichen Körper den unfreiwillig lächerlich gemachten Körper des anderen. Beide, komischer und lächerlicher Körper, haben semiotische und per‐ formative Anteile. Sie wirken zunächst über ihre Phänomenalität und ihre Präsenz, können aber dennoch zum Zeichen oder Zeichenträger werden. § 18 Ein professioneller Spaßmacher verfügt demnach über Techniken, mit Hilfe derer die verschiedenen Formen des Kontrollverlustes inszeniert werden können. Be‐ wusste Angriffe auf das Körperschema, wie etwa die Nachahmung eines bestimmten Ganges, aber auch ein Zuviel oder Zuwenig an Bewegung, an Gestik und Mimik, körperlichen Expressiva, das reine Zeigen von Nacktheit, Verkleidung, Maskerade oder der Vorgang der Nahrungsaufnahme und der Ausscheidung können somit Ge‐ lächter auslösen, ohne dass es noch zu einer Decodierung der Zeichenbedeutung gekommen wäre. § 19 Während in theatralen Aufführungen Possenreißer und andere Lachfiguren über die Präsenz ihres phänomenalen Körpers als einer nicht allein expressiven, sondern per‐ formativen Qualität wirken, werden in schriftlich überlieferten Texten Präsenz und Performativität eines komischen Vorgangs in Form von sprachlichen Zeichen über‐ mittelt. Sie gehen dabei nicht verloren, sondern werden medial verändert und im Akt der Rezeption imaginativ reproduziert. 243 1. Der Körper als Lachanlass 86 1 „Parce qu’il constitue l’une des grandes lacunes de l’histoire, un grand oubli de l’historien. L’histoire traditionnelle était en effet désincarnée. Elle s’intéressait à des hommes et, accessoirement, à des femmes. Mais presque toujours sans corps. Comme si la vie de celui-ci se situait en dehors du temps et de l’espace, recluse dans l’immobilité présumée de l’espèce“. Le Goff, Jacques u. Truong, Nicolas: Une Histoire du Corps au Moyen Âge. Paris 2003, S. 5. 2 Schmitt, Jean-Claude: Le corps, les rites, les rêves, le temps. Essais d’anthropologie médiévale. Paris 2001, S. 351. 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit: historische und kulturelle Differenzierungen Jacques Le Goff und Nicolas Truong sprechen in ihrer 2003 erschienenen Histoire du Corps au Moyen Âge davon, dass der Körper eine der großen Auslassungen der Geschichte sei, ein „vergessenes“ Thema der Geschichtsschreibung. Sie formulieren dies vor dem Hinter‐ grund einer über 300jährigen Historiographie, in welcher der menschliche Körper weitge‐ hend unsichtbar geblieben war. Erst seit den 1970er Jahren ist er zunächst punktuell, dann ab der Mitte der 1980er Jahre im Zuge des anthropologischen Wandels in den historischen Wissenschaften stärker in den Blick getreten, um in disziplinären und interdisziplinären Perspektiven Bilder und Repräsentationen von ihm stärker als nur in Umrissen herauszu‐ arbeiten. 1 Dass auch vorher in den historischen Wissenschaften eine Vorstellung darüber, welche Diskurse und Praktiken vom Körper im Mittelalter vorherrschten, existierte, soll nicht in Abrede gestellt werden. Dies war allerdings eine Vorstellung, die in hohem Maß von the‐ ologischen Auffassungen und Klassifikationsversuchen bestimmt wurde, auch wenn diese selbst hochgradig ambivalent waren. Denn auf der einen Seite - in der asketischen und moraltheologischen Tradition - war der Körper ein Gefängnis der Seele, der herausgeho‐ bene Ort für die Sünde, insbesondere die fleischliche Sünde, der Ort der Erbsünde, und somit bevorzugtes Angriffsziel des Teufels. Daher war es aus christlicher Sicht geboten, dem Körper zu misstrauen, wenn nicht ihn zu verachten, und ihn auf Grund seiner Expo‐ niertheit dem Bösen gegenüber durch Buße, Meditation und Erniedrigung zu disziplinieren. Der Körper spielt daher auch im christlichen Schöpfungsmythos eine mindere Rolle als die Seele des Menschen, den Gott „nach seinem Abbild“ geschaffen hat (Gen. I, 26). Andererseits erwarb der Körper im Christentum eine Würde, die er vordem nie besessen hatte: Diesen sündhaften, vergänglichen menschlichen Körper hatte nämlich der Gottes‐ sohn selbst angenommen, um die Menschheit zu erlösen. Der Körper begleitet den Men‐ schen ins Jenseits, er ist Ort seiner Qualen in der Hölle und seiner glanzvollen Wiederau‐ ferstehung nach dem jüngsten Gericht, wenn die bislang getrennte Seele sich mit ihm wiedervereint: „Au XII e siècle, le corps humain semble devenir la mesure idéale de toutes choses, quand l’image du microcosme organise la représentation du macrocosme tout en‐ tier“. 2 Der Befund Jean-Claude Schmitts macht deutlich, dass das lange vorherrschende Bild des Körpers als Seelengefängnis im Mittelalter schon für das theologische Schrifttum als einseitig, ja monolithisch angesehen werden muss. Er macht weiterhin deutlich, dass der 3 In Deutschland wurde man sich dessen erst zu Beginn der 1980er Jahre mit dem von Dietmar Kamper und Christoph Wulf herausgegebenen Band Die Wiederkehr des Körpers. Berlin 1982 bewusst, welcher auch an die Körperstudien amerikanischer Historiker (Walker-Bynum) anschließt. 4 Interdisziplinäre Sammelbände sind: Le Corps et ses énigmes au Moyen Âge. Actes du Colloque Orléans 15-16 mai 1992, sous la direction de Bernard Ribémont. Caen 1993; Grantley, Darryl u. Taunton, Nina (Hg.): The body in late medieval and early modern culture. Ashgate 2000; Vigarello, Georges (Hg.): Histoire du corps. Vol. I: De la Renaissance aux Lumières. Paris 2005; Robb, John u. Harris, Oliver J. T. (Hg.): The body in history: Europe from the Paleolithic to the future. Cambridge 2013. Einen repräsen‐ tativen Ausschnitt zur deutschen Literatur des Mittelalters bieten Ridder, Klaus u. Langer, Otto (Hg.): Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur. Kolloquium am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld 18.-20. März 1999. Berlin 2002; Kellermann, Karina (Hg.): Der Körper. Realpräsenz und symbolische Ordnung. Sonderbd. der Zs. Das Mittelalter. Perspektiven medi‐ ävistischer Forschung 8 (2003); Antunes, Gabriela, Reich, Björn u. Stange, Carmen (Hg.): (De)formierte Körper: die Wahrnehmung und das Andere im Mittelalter. Göttingen 2012. 5 Vgl. Benthien / Velten (Hg.): Germanistik als Kulturwissenschaft, S. 13 ff. menschliche Körper zwar erst mit der Renaissance zum Fluchtpunkt der Weltauffassung wurde, dass diese Bedeutung jedoch keineswegs gegen mittelalterliche Vorstellungen ein‐ trat, sondern dass sie spätestens seit dem 12. Jahrhundert vorbereitet worden war. Im Christentum selbst waren seitdem verschiedene Diskurse und Auffassungen vom Körper entstanden, wie etwa in der Mystik und der Visionsliteratur, aber auch in Hagiographie und Bußbüchern, die den Körper als vieldeutiges und für diese Bereiche elementares Phä‐ nomen erscheinen lassen. Dazu kommt, dass der theologische Diskurs nur einen Ausschnitt aus der Gegenwart und Gesamtheit des Mittelalters darstellt, sozusagen den der Wissens‐ kultur. Daneben haben etwa höfische oder urbane, bäuerliche und magische, technische und künstlerische Auffassungen vom Körper ebenso existiert, und sie sind deshalb zu Recht von der Forschung in den letzten beiden Jahrzehnten in den Blick genommen worden. Nicht nur begrifflich, sondern auch thematisch wurde die Körperrenaissance von Michel Foucault eingeleitet: In den 1960er Jahren entstanden die wegweisenden Arbeiten zur Re‐ lation von Körper und Macht, Körper und Sexualität, Körper und Wahnsinn; anthropolo‐ gische Themen, in denen der Körper als Gegenstand der Reflexion wieder eine Rolle spielt. 3 Neben Foucault war es vor allem die feministische Literaturwissenschaft, die den Blick sehr früh auf den (weiblichen) Körper richtete, sodass nicht nur das Feld der Gender-Studies, sondern auch der Körpergeschichte von ihr mit-inauguriert wurde. Heute kann man mit Recht sagen, dass das Diktum Le Goffs und Truongs nicht mehr zutrifft. In der letzten Dekade ist der menschliche Körper in einem Ausmaß in den Blick‐ punkt verschiedenster disziplinärer und interdisziplinärer Forschungsgebiete und -themen gerückt, dass sich das breite Feld der Körperstudien kaum mehr überblicken lässt. 4 Nicht nur hat sich gezeigt, dass dem Körper innerhalb der kulturwissenschaftlich sich neu ori‐ entierenden Philologien eine zentrale Rolle zukommt, 5 denn er liegt im Schnittpunkt in‐ terdisziplinärer Fragestellungen. Auch ist ein starkes Interesse am Körper in Disziplinen zu erkennen, die außerhalb der Geisteswissenschaften liegen, mit ihnen jedoch Schnittmengen teilen: Ich spreche vom neuen Forschungsfeld des embodiment/ Verkörperung in den Neu‐ 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 88 6 Vgl. dazu z. B. Gibbs, Raymond W: Embodiment and cognitive science. New York 2006; Koch, Sabine C.: Embodiment: der Einfluss von Eigenbewegung auf Affekt, Einstellung und Kognition. Empirische Grundlagen und klinische Anwendungen. Berlin 2011; Alloa, E., Bedorf, T. u. a.: Leiblichkeit: Geschichte und Aktualität eines Konzepts. Tübingen 2012; Blum, André u. a. (Hg.): Verkörperungen. Berlin / Boston 2012; Fingerhut, Joerg u. a. (Hg.): Philosophie der Verkörperung: Grundlagentexte zu einer aktuellen Debatte. Berlin 2013. 7 Diese Kategorien haben überblickende Funktion, sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit; selbstverständlich gibt es an mehreren Stellen Überschneidungen und Mehrfachzugehörigkeiten. Zur angegebenen Literatur: Es ist unmöglich, die gesamte Forschung zum Körper hier zusammenzu‐ fassen; deshalb wird hier nur eine repräsentative Auswahl gegeben. 8 Zu Gesten allg. im Mittelalter vgl. das Standardwerk von Schmitt, Jean-Claude: Die Logik der Ge‐ sten. Stuttgart 1992; zur Untersuchung von Gesten im Mittelalter aus semiotischer Perspektive Ha‐ ferland, Harald u. Müller, Harald: Gefesselte Hände. Zur Semiose performativer Gesten. In: Mitt. des dt. Germanistenverbandes 3 (1997), S. 29-53, sowie Burrow, John A.: Gestures and Looks in Medieval Narrative, (= Cambridge Studies in Medieval Literature 48). Cambridge 2002; zu verschiedenen As‐ pekten der Gestik vgl. Egidi, Margreth u. a. (Hg.): Gestik. Figuren des Körpers in Text und Bild. Tübingen 2000; zur Stimme vor allem die Arbeiten von Paul Zumthor, wie Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft. Aus dem Frz. von Klaus Thieme. München 1994 (Frz. Orig.: La poésie et la voix dans la civilisation médiévale. Paris 1984) u. Göttert, Karl-Heinz: Geschichte der Stimme. Mün‐ chen 1998; Krüger, Reinhard (Hg.): Drei Untersuchungen zur Körpersprache im französischen Mittel‐ alter. Berlin 2003; Schnyder, Mireille: Gefangene Stimmen - geordnete Körper: die Stimme in Texten des Mittelalters; eine Skizze. In: Balladen-Stimmen: Vokalität als theoretisches und historisches Phä‐ nomen in der skandinavischen Balladentradition. Hg. von Jürg Glauser (= Beiträge zur Nordischen Philologie, 40). Tübingen / Basel 2012, S. 21-39. rowissenschaften, der Psychologie und der Linguistik, der Philosophie und der Theory of Mind. 6 Besonders die volkssprachigen Kulturen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit sind durch ihren Umbruchcharakter zwischen einem vornehmlich körper- und aufführungszentrierten skriptographischen System und einem vornehmlich textzentrierten typographischen System eine Nahtstelle für die Untersuchung historischer Dynamiken des Körperverständ‐ nisses und den sprachlichen Wandel von Körpermetaphern. Im Zuge der wachsenden An‐ erkennung anthropologischer und performativer Perspektiven erkennt inzwischen auch die Mediävistik zunehmend das Potential eines Gegenstandes, des Körpers, dessen Relevanz sich nicht allein auf Themen der historischen Anthropologie (wie Geburt und Tod, Ge‐ schlecht, Sexualität und Liebe, Ernährung, Krankheit und Alter, Kindheit und Erziehung usw.) beschränken lässt, sondern sich auch auf Probleme des medialen Umbruchs und des Kommunikationswandels, auf Fragen nach Formen und Funktionen von Ritualen und Auf‐ führungen sowie gesellschaftlichen Spielregeln richtet. Ich möchte im Folgenden skizzenhaft zwölf Ordnungskategorien nennen, unter die sich die gegenwärtige Forschung zum Körper in Mittelalter und Früher Neuzeit subsumieren lässt: 7 1. Der Körper als Kommunikationsträger: Dazu gehören Arbeiten zu Gestik, Mimik, Stimme und Körpersprache, zu Boten und Botschaften. 8 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 89 9 Sehr früh zum Verhältnis Körper und Schrift Gumbrecht, Hans Ulrich: Beginn von Literatur / Ab‐ schied vom Körper? In: Der Ursprung von Literatur. Medien, Rollen, Kommunikationssituationen 1450-1650. Hg. von Gisela Schmolka-Koerdt. München 1988, S. 15-50; in der Mediävistik zahlr. Bei‐ träge, z. B. Haferland, Harald: Die Peinigung des Körpers und seine „Schrift“: zur Dynamik von Hei‐ ligkeit in der deutschen Mystik. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 54 (2007), H. 2, S. 166-200; allg. auch Krause, Günter (Hg.): Literalität und Körperlichkeit = Littéralité et corporalité. Tübingen 1997; zu sozialen und religiösen Symbolisierungen des Körpers Schreiner, Klaus u. Schnitzler, Norbert (Hg.): Gepeinigt, begehrt, vergessen: Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. München 1992; Kay, Sarah u. Rubin, Miri (Hg.): Framing medieval bodies. Manchester / New York 1994. 10 Vgl. die Beiträge zu Körperzeichen wie Narben und Kleidung Moos, Peter von (Hg.): Unverwechsel‐ barkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft. Köln u. a. 2004; Hahn, Alois: Konstruktion des Selbst, der Welt und der Geschichte. Aufsätze zur Kultursoziologie. Frankfurt 2000; Crane, Susan: The Performance of Self. Ritual, Clothing, and Identity During the Hundred Years War. Philadelphia 2002; Kraß, Andreas: Geschriebene Kleider: höfische Identität als literarisches Spiel. Tübingen 2006; zur Heraldik Wandhoff, Haiko: Das Wappen der Liebe. Heraldische Körperzeichen und Zeichenkörper in mittelalterlicher Literatur. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissen‐ schaft und Geistesgeschichte 83 (2009), H. 1, S. 70-87. Die Emotionenforschung ist inzwischen selbst zu einem breiten Forschungsfeld geworden. Vgl. Bumke, Joachim: Emotion und Körperzeichen. Be‐ obachtungen zum ‚Willehalm‘ Wolframs von Eschenbach. Das Mittelalter 8 (2003) H. 1., S. 13-32; Jaeger, Stephen u. Kasten, Ingrid (Hg.): Codierungen von Emotionen im Mittelalter. Berlin / New York 2003; Koch, Elke: Trauer und Identität: Inszenierungen von Emotionen in der deutschen Literatur des Mittelalters. Berlin / New York 2006; kritisch dazu u. zu Eming, Jutta: Emotion und Expression. Berlin 2006, die Rezension von Rüdiger Schnell in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 140 (2011), H. 2, S. 227-243; Eming, Jutta: Emotionen im ‚Tristan‘. Untersuchungen zu ihrer Paradig‐ matik. Göttingen 2015. 11 Einen umfangreichen Überblick gibt: Klinger, Judith: Gender-Theorien. Ältere deutsche Literatur. In: Benthien / Velten (Hg.), Germanistik als Kulturwissenschaft, S. 267-297. Wichtige Arbeiten sind etwa Bynum, Carolyn Walker: Fragmentation and Redemption. Essays on Gender and the Human Body in Medieval Religion. New York 1991; Bennewitz, Ingrid u. Tervooren, Helmut (Hg.): Manlîchiu wîp, wîplîch man. Zur Konstruktion der Kategorien ‚Körper‘ und ‚Geschlecht‘ in der deutschen Literatur des Mittelalters. Berlin 1999; Bennewitz, Ingrid u. Kasten, Ingrid (Hg.): Genderdiskurse und Körperbilder im Mittelalter. Eine Bilanzierung nach Butler und Lacqueur. Hamburg 2001; Peters, Ursula: Gender trouble in der mittelalterlichen Literatur? Mediävistische Genderforschung und Crossdressing-Ge‐ schichten. In: dies.: Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft. Tübingen 2004, S. 281-299; Schultz, James: Courtly love, the love of courtliness, and the history of sexuality. Chicago 2006; Mos‐ hövel, Andrea: wîplîch man: Formen und Funktionen von „Effemination“ in deutschsprachigen Erzähl‐ texten des 13. Jahrhunderts. Göttingen 2009; Dinges, Martin (Hg.): Hausväter, Priester, Kastraten. Zur Konstruktion von Männlichkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Göttingen 1998; Bachorski, Hans-Jürgen: Das aggressive Geschlecht. Verlachte Männlichkeit in Mären aus dem 15. Jahrhundert. Zeitschrift für Germanistik N. F. 8 (1998), S. 263-281. 2. Der Körper als Medium und Einschreibefläche symbolischer Repräsentation: Stu‐ dien zum Körper als Symbol, Körper und Schrift, Körpereinschreibungen und Mark‐ ierungen (Tätowierungen, Narben, Verstümmelungen, gemarterte Körper usw.). 9 3. Der Körper als Medium und Träger gesellschaftlich geprägter Codes: Bekleidung und äußere Attribute (Tragezeichen, Heraldik), Nacktheit und Entblößung, vor allem aber auch „verkörperte“ Emotionen. 10 4. Der geschlechtlich codierte Körper in verschiedenen Wirklichkeitsbereichen: Ar‐ beiten zum Körper in der Frauenmystik, zur Sexualität, zur Konstruktion des Frau‐ enkörpers, seiner Erotik und objektivierendem Begehren, zu Geschlechtsteilen, sowie Männlichkeitsstudien. 11 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 90 12 Auch hier sind Arbeiten der amerikanischen Mediävistin Carolyn Walker Bynum zu nennen, die sich als eine der ersten mit dem Körper beschäftigt hat: Jesus as Mother. Studies in the Spirituality of the High Middle Ages. Berkeley 1982 und Holy Feast and Holy Fast. Berkeley 1987; im dt.sprachigen Raum vgl. Keller, Hildegard E.: Wort und Fleisch. Körperallegorien, mystische Spiritualität und Dichtung des St. Trudperter Hoheliedes im Horizont der Inkarnation. Bern 1993; Ruhrberg, Christine: Der literarische Körper der Heiligen. Leben und Viten der Christina von Stommeln. Tübingen / Basel 1995; Kasten, Ingrid: Körperlichkeit und Performanz in der Frauenmystik. In: Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 7 (1998), S. 95-111. 13 Vgl. dazu Bumke, Joachim: Höfische Körper - Höfische Kultur. In: Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche. Hg. von Joachim Heinzle. Frankfurt a. M. 1994, S. 67-102; Czerwinski, Peter: Kampf als ‚Materiale Kommunikation‘. Zur Logik edler Körper im Mittelalter. Mediävistik 9 (1996), S. 39-76. 14 Früh zu diesem Thema bereits Schreiner, Klaus u. Schnitzler, Norbert (Hg.): Gepeinigt, begehrt, ver‐ gessen. München 1992; ferner Kiening, Christian: Der Autor als Leibeigener der Dame - oder des Textes? Das Erzählsubjekt und sein Körper im Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein. In: Autor und Autorschaft im Mittelalter. Hg. von Elizabeth Andersen u. a. Tübingen 1998, S. 211-238; Groebner, Valentin: Ungestalten: die visuelle Kultur der Gewalt im Mittelalter. München 2003; Röcke, Werner: Gewaltmarkierungen. Formen persönlicher Identifikation durch Gewalt im komischen und An‐ tiken-Roman des Mittelalters. In: Unverwechselbarkeit. Hg. von Peter von Moos. Köln / Weimar / Wien 2004, S. 147-161 u. Die Gewalt des Narren. Rituale von Gewalt und Gewaltvermeidungen in der Narrenkultur des späten Mittelalters. In: Die Kultur des Rituals - Inszenierungen. Praktiken. Sym‐ bole. Hg. von Christoph Wulf u. Jörg Zirfas. München 2004, S. 110-128. 15 Zum Körper in der politischen Geschichte sind schon sehr frühe historische Klassiker entstanden: etwa Kantorowicz, Ernst: Die zwei Körper des Königs, oder Bloch, Marc: Die wundertätigen Könige; vgl. auch etwa Althoff, Gerd: Der König weint. Rituelle Tränen in öffentlicher Kommunikation. In: Aufführung und Schrift. Hg. von Jan-Dirk Müller. Stuttgart 1996, S. 239-252; Mourey, Marie-Thérèse: Körperbilder und habitus corporis: nationale und soziale Stereotype in der frühen Neuzeit. In: Früh‐ neuzeitliche Stereotype: zur Produktivität und Restriktivität sozialer Vorstellungsmuster. Hg. von Czar‐ necka, Mirosława. Bern u. a. 2010, S. 243-257. 16 Vgl. etwa Fritsch-Rösler, Waltraud: Pathos und Sympathie. Zur Erfahrung und Überwindung von Fremdheit in Gottfrieds Tristan. In: Fremdkörper - Fremde Körper - Körperfremde. Hg. von Kerstin Gernig u. Burckhardt Krause. S. 167-205; Scholz Williams, Gerhild: Cross-dressing and magic. Dia‐ lects of the body in late medieval and early modern narratives (Silence, Mélusine). In: Körper - Kultur - Kommunikation. Hg. von Alexander Schwarz. Bern u. a. 2014, S. 221-230. 5. Der Körper als religiöses Medium: Marienkörper, Jesuskörper, Körper der Heiligen, mystischer und Seelenkörper, Realpräsenz des Körpers. 12 6. Der ästhetisch codierte Körper in der höfischen Kultur: Schönheit, Kraft, höfische Idealität des Körpers. 13 7. Der Körper als Objekt und Subjekt von Gewalt und Gewaltinszenierungen: Stigma‐ tisierungen des Körpers durch soziale Ausgrenzung, körperliche Strafen (Marter, Folter, Schandbilder), Studien zu Schmerz und Scham. 14 8. Der Körper als Symbol und Metapher für kollektive bzw. gesellschaftliche Organi‐ sationsformen; politische Körperlichkeit. 15 9. Der fremde bzw. andere Körper: Körperdifferenz, Wahrnehmung des fremden Kör‐ pers aus europäischer Sicht, zum kolonisierten Körper im 16. Jh. 16 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 91 17 Alt, Peter-André: Der fragile Leib: Körperbilder in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit. Stuttgart 1996; Stukenbrock, Karin: Der zerstückte Cörper: zur Sozialgeschichte der anatomischen Sektionen in der frühen Neuzeit. Stuttgart 2001; Zwierlein, Anne-Julia u. Heid, Iris M. (Hg.): Gender and disease in literary and medical cultures. Heidelberg 2014; Grafetstätter, Andrea (Hg.): Nahrung, Notdurft und Obszönität in Mittelalter und Früher Neuzeit: Akten der Tagung Bamberg 2011. Bamberg 2014. 18 Kröll, Katrin: Mein ganzer Körper ist Gesicht. Groteske Darstellungen in der europäischen Kunst und Literatur des Mittelalters. Freiburg 1997; Camille, Michael: Image on the Edge. Chicago 2000. 19 Hier waren neben Hugo Kuhns frühem Aufsatz Minnesang als Aufführungsform. In: ders.: Text und Theorie. Stuttgart 1969, S. 182-190, vor allem die Arbeiten Paul Zumthors innovativ: Essai de poétique médiévale. Paris 1972; Körper und Performanz. In: Materialität der Kommunikation. Hg. von Hans Ulrich Gumbrecht und Karl Ludwig Pfeiffer. Frankfurt a. M. 1988. S. 703-713; in Deutschland vor allem Müller, Jan-Dirk (Hg.): „Aufführung“ und „Schrift“ in Mittelalter und früher Neuzeit. DFG-Sym‐ posion 1994. Stuttgart 1996, darin etwa: Haug, Walter: Die Verwandlung des Körpers zwischen ‚Auf‐ führung‘ und ‚Schrift‘, S. 190-204 u. Brüggen, Elke: Inszenierte Körperlichkeit. Formen höfischer Interaktion am Beispiel der Joflanze-Handlung in Wolframs ‚Parzival‘, S. 205-221; zur Performanz der Hohen Minne vgl. Haferland, Harald: Hohe Minne. Zur Beschreibung der Minnekanzone. Berlin 2000. Einen Überblick über das neue Forschungsfeld der Performativität gibt: Velten, Hans Rudolf: Performativität. Ältere deutsche Literatur. In: Benthien / Velten (Hg.): Germanistik als Kulturwissen‐ schaft, S. 217-241; zur Performanz des Rituals vgl. Müller, Jan-Dirk: Kulturwissenschaft historisch. Zum Verhältnis von Ritual und Theater im späten Mittelalter. In: Lesbarkeit der Kultur. Literaturwis‐ senschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie. Hg. von Gerhard Neumann u. Sigrid Weigel. München 2000, S. 53-77; zum performative turn in der Geschichtswissenschaft vgl. Martschukat, Jürgen u. Patzold, Steffen (Hg.): Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Köln u. a. 2003; zu Ritualen in der politischen Geschichte Althoff, Gerd: Die Macht der Rituale. Sym‐ bolik und Herrschaft im Mittelalter. Darmstadt 2003; zu Ritualen in der Literatur Dörrich, Corinna: Poetik des Rituals. Konstruktion und Funktion politischen Handelns in mittelalterlicher Literatur. Darm‐ stadt 2002; Quast, Bruno: Vom Kult zur Kunst. Öffnungen des rituellen Textes in Mittelalter und Früher Neuzeit. Tübingen 2005; Grafetstätter, Andrea: Ludus compleatur. Theatralisierungsstrategien epischer Stoffe im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spiel (= Imagines Medii Aevi, 33). Wiesbaden 2013. 10. Der vitale, kranke und tote Körper: medizinisch-anatomische Körperauffassungen (Anatomie und Sektion, öffentliche Präsentation von Skelett und Leiche, Körper als Material), Ernährung und Diätetik, Heilung und Medikalisierung des Körpers. 17 11. Der Körper in der Kunst: ikonographische Inszenierung von Körperlichkeit, der Körper in Text-Bild-Relationen. 18 12. Der Körper in Ritual und Aufführung: rituelle Präsenz und Repräsentation (Liturgie, Prozessionen, kirchliche Feste), Theatralität der Körper; performative Körperlich‐ keit. 19 Es ist auffallend, dass in diesen zwölf Kategorien der lächerliche Körper, der Körper, über den man lacht, sei er missgestaltet, Furcht erregend, bäurisch-täppisch oder närrisch, kaum präsent ist. Es scheint, als sei die Geschichte der Inszenierungen des Körpers in der Vor‐ moderne bislang weitgehend ohne das Lachen geschrieben worden. Tatsächlich gibt es zu diesem Thema nur wenige Studien. Die wichtigste von ihnen ist sicherlich Michail Bachtins Rabelais-Buch, in welchem der ‚groteske Körper‘ zur zentralen Chiffre für eine ganze Epoche und eine gesamte Theorie wird; ich gehe weiter unten ausführlich darauf ein. Frei‐ lich sind auch in der Nachfolge Bachtins zahlreiche literaturwissenschaftliche und histori‐ sche Studien vor allem zur europäischen Karnevalskultur entstanden, doch haben sie trotz der gängigen Verwendung der Metapher vom ‚grotesken Körper‘ meist nicht den Körper 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 92 20 Arbeiten zur Fastnachts- und Lachkultur sind beispielsweise Heers, Jacques: Vom Mummenschanz zum Machttheater. Europäische Festkultur im Mittelalter. Frankfurt a. M. 1986; Schindler, Norbert: Karneval, Kirche und die verkehrte Welt. Zur Funktion der Lachkultur im 16. Jahrhundert. Jahrbuch für Volkskunde. NF 17 (1985), S. 9-57; eine wegweisende Ausnahme ist die Studie von Teuber, Bern‐ hard: Sprache - Körper - Traum. Zur karnevalesken Tradition in der romanischen Literatur aus der frühen Neuzeit. Tübingen 1989. 21 Hier ist etwa die überzogene Kritik Mosers und deren Korrektur durch Gurjewitsch zu nennen: Moser, Dietz-Rüdiger: Lachkultur des Mittelalters? Michael (sic! ) Bachtin und die Folgen seiner The‐ orie. Euphorion 80 (1990), S. 89-104. 22 Eine der wenigen Ausnahmen sei hier genannt: Müller, Jan-Dirk: Strukturen gegenhöfischer Welt. Höfisches und Nicht-höfisches Sprechen bei Neidhart. In: Höfische Literatur - Hofgesellschaft - Hö‐ fische Lebensformen. Hg. von Gert Kaiser. Düsseldorf 1986, S. 409-451, v. a. S. 441 ff. 23 Übergreifende Sammelbände der letzten Jahre sind etwa Fietz, Lothar, Fichte, Joerg O. u. Ludwig, Hans-Werner (Hg.): Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens; Bremmer, Jan u. Roodenburg, Herman (Hg.): Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute. Darmstadt 1999; Röcke, Werner u. Neumann, Helga (Hg.): Komische Gegenwelten. Lachen und Literatur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Paderborn 1999; Braet, Herman, Latré, Guido und Verbeke, Werner (Hg.): Risus Mediaevalis. Laughter in Medieval Literature and Art. Leuven 2003; Gvozdeva, Katja u. Röcke, Werner (Hg.): risus sacer - sacrum risibile. Interaktionsfelder von Sakralität und Gelächter im kulturellen und historischen Wandel. Berlin 2009; Grebe, Anja u. Staubach, Nikolaus (Hg.): Komik und Sakralität. Aspekte einer ästhetischen Paradoxie in Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankfurt a. M. u. a. 2005; Classen, Albrecht (Hg.): Laughter in the Middle Ages and Early Modern times: epistemology of a fundamental human behavior, its meaning, and consequences. Berlin u. a. 2010; Biessenecker, Stefan u. Kuhn, Christian (Hg.): Valenzen des Lachens in der Vormoderne (1250-1750). Bamberg 2012. 24 Ein Einzelfall ist die Diskussion zur Semiotik des Lachens im Mittelalter in Fietz et al. (Hg.): Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens, in der es allerdings um die grundsätzliche Frage geht, ob Lachen als anthropologische Universalie oder als historisch determiniertes Phänomen behandelt werden solle. 25 Erste Ansätze dazu leisten die Studie Seebers zum Lachen im Höfischen Roman und das Buch Coxons zum Lachen in Schwankmären. Vgl. Seeber, Stefan: Poetik des Lachens. Untersuchungen zum mittel‐ hochdeutschen Roman um 1200 (= MTU 140). Berlin / New York 2010; Coxon, Sebastian: Laughter and Narrative in the Later Middle Ages. German Comic Tales 1350-1525. Oxford 2008. zum Hauptthema. 20 Auch zahlreiche Arbeiten zum Lachen und zur Komik in der Vormo‐ derne setzen sich mit Bachtins Thesen auseinander, aber hier spielen die Probleme der Volkskultur, der Ritualität, wie auch die vitalistischen Thesen des festtäglichen Lachens eine wichtigere Rolle als der Körper selbst. 21 Bei den Arbeiten außerhalb der Bachtin-Re‐ zeption dominieren entweder die Thematik des Komischen oder die des Körpers, selten werden ihre Konvergenzen behandelt. 22 Wir haben es beim lächerlichen Körper quasi mit einer doppelten Leerstelle zu tun: kaum sichtbar in den Körperstudien, und nur in Umrissen in den Studien zum Lachen erkennbar. Letztere sind in den vergangenen Jahren für Mittelalter und Frühe Neuzeit nicht in dem Maße wie Körperstudien, aber doch beträchtlich angewachsen. Zum gegenwärtigen Zeit‐ punkt erweist sich der Forschungsstand zum Lachen in der Vormoderne als methodisch uneinheitlich: Zwar werden immer wieder interdisziplinäre Sammelbände veröffentlicht, 23 doch vereinen sie meist heterogene Studien zu Einzelphänomenen, folgen daher nur selten methodischen und theoretischen Vorgaben und bieten ebenso selten zusammenfassende Ergebnisse. 24 Großangelegte Studien zur Geschichte des Lachens im Mittelalter stehen noch aus, 25 und die jüngste deutschsprachige Veröffentlichung von Le Goffs Das Lachen im Mit‐ telalter zeigt, dass sein Plan einer umfassenden Lach- und Komikgeschichte sich bisher in 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 93 26 „Jede Gesellschaft und jede Kultur hat explizite und implizite Regeln entwickelt, wo, wann, wie, von wem und warum gelacht oder auch nicht gelacht werden darf “. Le Goff, Jacques : Das Lachen im Mittelalter. Stuttgart 2004, S. 122. Allerdings hatte es Plessner bereits ähnlich formuliert: „Was eine Gesellschaft komisch findet, worüber sie lacht, das wechselt im Lauf der Geschichte, weil es zum Wandel des Normenbewusstseins gehört.“ Plessner, Lachen und Weinen, S. 116. 27 So etwa Verberckmoes, Johan: Schertsen, schimpen en schateren. Geschiedenis van het lachen in de Zuidelijke Nederlanden, zestiende en zeventiende eeuw. Nijmegen 1998. Vgl. auch Seeber, Poetik des Lachens, S. 1-12, wenn auch über das Ziel hinausschießend, da er im Gegenzug die Komik gänzlich ignoriert. 28 Beispiele sind Wolf, Leo: Der groteske und hyperbolische Stil des mittelhochdeutschen Volksepos. Berlin 1903; Curtius, Ernst Robert: Scherz und Ernst in mittelalterlicher Dichtung. Romanische Forschungen 53 (1939), S. 1-26; wieder abgedr. in: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern / München 1948, S. 419-435; Auerbach, Erich: Frate Alberto; Die Welt in Pantagruels Mund; Der müde Prinz; Die verzauberte Dulcinea. In: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. Bern 1946, S. 195-221; 250-271; 297-318; 319-342; Gurjewitsch, Aaron R.: Le comique et le sérieux dans la littérature religieuse du Moyen Age. Diogène 89 (1975), S. 67-89; sowie Haug, Das Komische und das Heilige, a. a. O. 29 Vgl. den Abschnitt „Küchenhumor und andere Ridicula“ in Curtius, Scherz und Ernst, S. 22 ff. einigen Vorüberlegungen und allgemeinen Aussagen erschöpft hatte. Diese allerdings for‐ mulieren einige wichtige Bedingungen für die Untersuchung des Lachens im Mittelalter: Vor allem weist Le Goff auf seine historische und gesellschaftliche Variabilität hin, nennt seine Sozialität als Untersuchungsfeld, unterstreicht seine spezifischen rituellen und kör‐ perlichen Aspekte. 26 Die entwicklungsgeschichtliche These Bachtins des Übergangs vom „insulären Lachen“ im Hochmittelalter zur „Ubiquität des Lachens“ im 15. und 16. Jahr‐ hundert und seinem anschließenden Niedergang bleibt im Augenblick noch unwiderspro‐ chen. 2.1. Literaturwissenschaftliche Positionen: Komik Auch wenn sich insgesamt in den historischen Wissenschaften eine Verschiebung des Schwerpunktes der Forschung von der Komik zum Lachen andeutet, 27 bleibt erstere doch in der Literaturwissenschaft wichtiger methodischer Fokus. Dort wird das Lachen meist im Rahmen von ästhetischen Fragestellungen zur Komik behandelt, wo der Körper in Unter‐ kategorien wie Handlungs- oder Situationskomik aufgeht (s. o.). Früh hatte man sich Stil- und Gattungsfragen der Komik im Mittelalter gewidmet und vor allem ihr Verhältnis zum Ernst, zur religiösen Literatur herausgearbeitet. 28 Ein für leibliche Vorgänge zentrales Motiv ist für die lateinische Literatur der so genannte Küchenhumor, auf dessen häufige Vermi‐ schung mit ernsten bzw. religiösen Themen bereits Curtius aufmerksam machte. 29 Im Span‐ nungsfeld von Sakralität und Profanität kommt es immer wieder zu Komik als Schwellen‐ phänomen, wie in Legende, Predigtexempel und geistlichem Spiel, wo durchaus auch körperliche Motive zur Sprache kommen, die mit der Heiligkeit von Personen kontras‐ 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 94 30 So wird in der Gongolphus-Legende die Ehebrecherin mit der grotesken Strafe lebenslänglicher, dröhnender Flatulenz belegt: „Sit risus causa omnibus inmodica“. Zit. nach Wehrli, Max: Christliches Lachen, Christliche Komik? In: From Wolfram and Petrarch to Goethe and Grass. Hg. von Dennis H. Green u. a. Baden-Baden 1982, S. 17-31, hier S. 21. Zum Themenkomplex des Lachens in sakralen Bezügen vgl. auch Grebe, Anja u. Staubach, Nikolaus (Hg.), Komik und Sakralität. u. Gvoz‐ deva, Katja u. Röcke, Werner (Hg.), Risus sacer - sacrum risibile. 31 Curtius, Scherz und Ernst, S. 11. 32 Ménard, Philippe: Le rire et le sourire dans le roman courtois en France au Moyen Âge (1150-1250). Genève 1969. 33 Curtius, Scherz und Ernst, S. 16. 34 Vgl. dazu Resnick, Irven M.: Risus monasticus. Revue bénédictine 97 (1987), H. 2, S. 90-100; Lehmann, Paul: Die Parodie im Mittelalter. Die lateinische Parodie des 11.-15. Jahrhunderts. 2. Aufl. Stuttgart 1963; wesentlich differenzierter Bayless, Martha: Parody in the Middle Ages. The Latin Tradition. Ann Arbor 1996. Hier wären die Verse des Archipoeta zu nennen, die aus einem studentischen Umfeld stammen: „Meum est propositum in taberna mori, ut sint vina proxima morientis ori. Tunc cantabunt letius angelorum chori: Sit Deus propitius huic potatori.“ Zit. aus Kusch, Horst: Einführung in das lateinische Mittelalter I: Dichtung. Darmstadt 1957, S. 545 ff. 35 Vgl. dazu auch Minois, Georges: Histoire du rire et de la dérision. Paris 2000, S. 123 ff. Zu Transgres‐ sionen von Heiligem und Profanem vgl. Röcke, Werner: „Johannes isst vom Kopf, Petrus vom Ohr des Kalbes“. Transgressionen des Heiligen und Profanen in der Cena Cypriani (5. Jh.). In: Transgres‐ sion - Hybridisierung - Differenzierung. Zur Performativität von Grenzen in Sprache, Kultur und Ge‐ sellschaft. Hg. von Kathrin Audehm und Hans Rudolf Velten. Freiburg i. B. 2007, S. 173-184. tieren. 30 Sie sind nicht selten an Figuren niederen Standes gebunden (Knechte, Küchen‐ jungen, Bauern, Tagelöhner), deren Körperlichkeit meist als zeichenhaft und sozial deter‐ miniert interpretiert wird. Die Einmischung komischer Züge in das ernste lateinische Epos wurde durch die spät‐ antike Literaturtheorie bereits gerechtfertigt. Curtius bringt mehrere Beispiele für das Früh- und Hochmittelalter, wo nach dem Grundsatz „ludicra seriis miscere“ verfahren wurde. 31 Dieses Prinzip wird in den altfranzösischen Chansons de geste durchaus übernommen, wie Ménard ausführlich gezeigt hat. Da erscheinen Kleriker als Krieger, im Rolandslied etwa Turpin, um dessen Figur zahlreiche ludicra eingemischt sind, wie überhaupt die Karlsepik und das Herrscherlob Karls die meisten komischen Einwürfe haben. 32 Hier ist auch Curtius’ Formulierung: „ein komischer Einschlag (hat) von jeher zum Bestande des mittelalterlichen Epos gehört“ einzuordnen. 33 Neben der komischen (Stil-)Mischung sind Parodien und Travestien für die lateinische Dichtung des Mittelalters charakteristisch: Zu nennen sind hier die ioca monachorum, die lateinische Vagantenlyrik, Säufer- und Trinkermessen, in welcher liturgische Formeln und Abläufe parodiert und verspottet werden. 34 Dass die parodistische Sprachkomik in ihrer Subversion nicht nur provoziert hat, sondern einen gewissen Unterhaltungswert auch für den hohen Klerus besaß, beweist die Cena Cypriani, eine Bibelparodie aus der Spätantike, die im 9. Jh. (855) von Rhabanus Maurus für den Karolinger Lothar II . wieder aufgenommen, von einem römischen Diakon namens Johannes Immonidis (877) umgedichtet und mit einer Widmung an Papst Johannes VIII . versehen worden war. 35 Auch in den Parodien ist Kör‐ perliches tendenziell vorhanden (Festmahlmotive, Beginn der Sauf- und Fressdichtung), und sie kommen insbesondere bei der Aufführung solcher Texte im Rahmen von Spott‐ praktiken zur Geltung, was bislang aber nur vereinzelt untersucht wurde. Ein bedeutendes Körpersubstrat haben sicherlich auch die (vornehmlich französischen) Klerikerfeste des 2.1. Literaturwissenschaftliche Positionen: Komik 95 36 Vgl. dazu meinen Aufsatz Einsetzungsrituale als Rituale der Statusumkehr: Narrenbischöfe und Nar‐ renkönige in den mittelalterlichen Klerikerfesten (1200-1500). In: Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich. Hg. von Marion Steinicke und Stefan Weinfurter. Köln u. a. 2005, S. 201-221. Hier auch weiterführende Literatur zum Thema. 37 Genannt seien hier nur die wichtigsten: Suchomski, Joachim: „Delectatio“ und „Utilitas“. Ein Beitrag zum Verständnis mittelalterlicher komischer Literatur. Bern / München 1975; Ueding, Gert: Rhetorik des Lachens. In: Vom Lachen. Einem Phänomen auf der Spur. Hg. von Thomas Vogel. Tübingen 1992, S. 24-44; vgl. auch Steinmetz, Ralf-Henning: Komik in mittelalterlicher Literatur. Überlegungen zu einem methodischen Problem am Beispiel des Helmbrecht. Germanisch-Romanische Monats‐ schrift N. F. 49 (1999), H. 3, S. 255-73. 38 So etwa in Interpretationen zu Wittenwilers Ring, wie etwa: Lutz, Eckart Conrad: Spiritualis forni‐ catio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein „Ring“. Sigmaringen 1990. Vgl. zu diesem Thema auch Schwitzgebel, Bärbel: Noch nicht genug der Vorrede: zur Vorrede volkssprachiger Sammlungen von Exempeln, Fabeln, Sprichwörtern und Schwänken des 16. Jahrhunderts. Tübingen 1996. 39 Kipf, Johannes Klaus: Mittelalterliches Lachen über semantische Inkongruenz. Zur Identifizierung komischer Strukturen in mittelalterlichen Texten am Beispiel mittelhochdeutscher Schwankmären. In: Komik und Sakralität. Aspekte einer ästhetischen Paradoxie in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Anja Grebe u. Nikolaus Staubach. Frankfurt a. M. u. a. 2005, S. 104-128. Jahreswechsels und die in ihnen eingebetteten Lieder, Tropen und Formeln, bei denen die rituelle und die Aufführungsdimension bislang weniger Beachtung fanden als die sprach‐ lich-symbolische Ebene. 36 Die Komik von literarischen Werken insgesamt ist für die Forschung somit fast immer sprachliche Komik, was einerseits bei der Analyse von Sprachkunstwerken auch nicht überrascht. Die sprachliche Komik kann mit dem traditionellen Instrumentarium der Rhe‐ torik sehr gut erklärt und ausgelegt werden, was zahlreiche Studien zu diesem Thema be‐ zeugen: Komik ergibt sich hier aus einer kontrollierten aptum-Verletzung, wie Ueding be‐ tont. 37 So kann die Horazsche Dichotomie von delectatio und utilitas als rhetorisch-theologische Handlungsanleitung für die Komik im Mittelalter und ihre Funk‐ tion gelesen werden. Die Belehrung durch komische Literatur erfolgt in dieser Perspektive mittels negativer Didaxe, doch allzu oft hat die Aufmerksamkeit auf die moralischen As‐ pekte der Komik den Blick für ihre subversive Kraft verstellt. Bis heute werden Hinweise auf diese Funktion der Komik (wie in Prologen, Vorreden und Epimythien) bis ins 16. Jh. allzu wörtlich genommen, ohne ihre topische Qualität zu berücksichtigen. 38 Die Komik, die gleichzeitig unterhalten und belehren soll, hat ein gedämpftes, moderates Lachen zum Ziel, ein Rahmen, in welchen die grellen Inszenierungen des Körpers beispielsweise in Witten‐ wilers Ring oder in den Neidhart- und Fastnachstpielen des 15. Jahrhunderts nicht so recht zu passen scheinen. So wird die delectatio-utilitas-Dichotomie immer dort bestätigt, wo es um sprachliche Komik geht, wenn man annimmt, dass nur von ihr eine „kognitive Ebene“ abgeleitet werden kann, die charakteristisch für die Komik insgesamt sei: „Das Wesen der Komik (ist)… im Bereich der Semantik zu suchen“, so noch unlängst das Urteil von Johannes Klaus Kipf zur Mären-, Schwank- und Fazetiendichtung. 39 Untersuchungsgegenstände sind hier vor allem Wort- und Sprachspiele, Verhüllungsmetaphern, Überlagerungen von Be‐ deutungen usw., oder verkürzte komische Situationen. Der „semantische Kontrast“, die Inkongruenz und die „Logik des Widerspruchs“ dienen so als probate Schlüsselkonzepte nicht nur für die Rezeption von komischer Literatur, son‐ dern auch für ihre Produktion, wobei das Lachen immer mitgedacht, als Phänomen jedoch 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 96 40 Haug, Walter: Die Lust am Widersinn. Chaos und Komik in der mittelalterlichen Kurzerzählung. In: bickelwort und wildiu maere. Festschrift für Eberhard Nellmann zum 65. Geburtstag. Hg. von Dorothee Lindemann, Berndt Volkmann u. Klaus-Peter Wegera, Göppingen 1995, S. 354-65, S. 357 f. Haug be‐ tont hier den Status der Fiktionalität des Komischen, womit er zweifellos Recht hat. An seinem Beispiel ist aber erkennbar, dass es nicht leicht ist, Kategorien wie Komik und Lachen, Widerspruch und Widersinn auseinander zu halten. 41 Brewer, Derek: Medieval comic tales. Woodbridge 1996; Hamilton, Theresa: Der Mechanismus des Humors. Eine linguistisch-narratologische Diskussion humoristischer Erzählungen an der Schnitt‐ stelle von Vormoderne und Moderne. In: Valenzen des Lachens in der Vormoderne (1250-1750). Hg. von Stefan Biessenecker u. Christian Kuhn. Bamberg 2012, S. 71-98. 42 Knühl, Birgit: Die Komik in Heinrich Wittenwilers ‚Der Ring‘ im Vergleich zu den Fastnachtspielen des 15. Jahrhunderts. Göppingen 1981; Bastian, Hagen: Sinneslust und Gefühlsbeherrschung im Fastnacht‐ spiel des 15. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1983; ders.: Linguaggio comico e triviale: il pubblico e il Fastnachtspiel. In: Il teatro medievale. Hg. von Johann Drumbl. Bologna 1989, S. 295-315; Müller, Johannes: Schwert und Scheide: der sexuelle und skatologische Wortschatz im Nürnberger Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts. Bern / Frankfurt a. M. 1988; Röcke, Werner: Gebrauchsformen des Schwanks in deutschen Erzählsammlungen des 16. Jahrhunderts. In: Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahr‐ hunderts. Hg. von Walter Haug u. Burghart Wachinger. Tübingen 1993, S. 106-129. ausgeblendet wird. Dass Komik erst in der Wahrnehmung entsteht, dass sie stark kontext‐ determiniert ist und vom Lachen abhängt, kommt dabei nur selten in den Blick. Der Körper, sei es der lebensweltliche oder der imaginäre, spielt hier schließlich fast gar keine Rolle, die wichtige Spannung zwischen Wortsemantik und Körperlichem wird nicht gesehen. 40 Am ehesten noch wird ein solches einseitiges Komikverständnis Witzen und ihrer Frühform, den Fazetien gerecht, da Erzähl- und Schriftform des Witzes tatsächlich auf kognitiven Operationen und semantischen Bisoziationen beruhen. Sie hat man auch schon gewinn‐ bringend mit semantischen Humortheorien untersuchen können. 41 Weniger effektiv sind semantische Theorien bereits im Bereich der von der älteren For‐ schung so genannten ‚niederen Komik‘: Derbe Schwänke, zotige Witze und grobe Mären thematisieren den Körper in seiner elementaren Leiblichkeit, seiner Sexualität und Trieb‐ haftigkeit, mit seinen Ausscheidungen und Bedürfnissen. Diese Komik ist in der älteren Forschung als ‚niedere‘ und ‚schwankhafte‘ Komik oder auch als ‚volkstümliche Komik‘ bezeichnet worden, ihr wurde mangelnde Tiefe bescheinigt und der literarische Status oft abgesprochen. Hier hat der Körper - ex negativo - das bisher stärkste Interesse von Seiten der Forschung gefunden, wenn er als Material von obszönen Handlungen und profanier‐ enden Verkehrungen zum Lachanlass für ‚das Volk‘ und für seine Belustigungen wie in fastnächtlichen Aufführungen und Schwankerzählungen gesehen wurde. 42 Auch wenn die jüngere Forschung moralische Verurteilungen hinter sich gelassen hat, hat sie bislang kein schlüssiges Konzept gefunden, um die Zusammenhänge von Körperlichkeit und sprachli‐ 2.1. Literaturwissenschaftliche Positionen: Komik 97 43 Zum Obszönen in der Dichtung des Mittelalters gibt es inzwischen eine breite internationale For‐ schung, vor allem zur Kurzprosa und zum Spiel, allerdings weniger im Hinblick auf Komik und Lachen. Überblickend Ziolkowski, Jan M. (Hg.): Obscenity: social control and artistic creation in the European Middle Ages. Leiden u. a. 1998. Zum Verhältnis Lachen-Obszönität nur ansatzweise Beutin, Wolfgang: Das Lachen über das Obszöne in der Dichtung. In: Sprachspiel und Lachkultur. Festschrift für Rolf Bräuer zum 60. Geburtstag. Hg. von Angela Bader. Stuttgart 1994, S. 246-260; Haug, Walter: Die niederländischen erotischen Tragzeichen und das Problem des Obszönen im Mittelalter. In: Erotik, aus dem Dreck gezogen. Hg. von Johan Winkelman u. Gerhard Wolf. Amsterdamer Beiträge für Ältere Germanistik 59 (2004), S. 67-90; Velten, Hans Rudolf: Groteske Organe. Zusammenhänge von Obszönität und Gelächter bei spätmittelalterlichen profanen Insignien im Vergleich zur Märenlite‐ ratur. In: Erotik, aus dem Dreck gezogen. Hg. von Winkelman u. Wolf., S. 235-263. Vgl. auch die Beiträge zum Thema in Grafetstätter, Nahrung, Notdurft, Obszönität in Mittelalter und Früher Neu‐ zeit, S. 77-154. 44 Vgl. Stempel, Wolf-Dieter: Mittelalterliche Obszönität als literar-ästhetisches Problem. In: Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen (= Poetik und Hermeneutik, 3). München 1968, S. 187-205 und die anschließende Diskussion. Vgl. auch McDonald, Nicola (Hg.): Medieval Obscenities. York 2006. 45 Diese Unterscheidung nimmt Ridder in seinem Aufsatz: Erlösendes Lachen. Teufelskomik - Götter‐ komik - Endzeitkomik. In: Ritual und Inszenierung. Hg. von Ziegeler, S. 195-206, hier S. 205, vor. 46 Vgl. das klare Plädoyer Bernd Neumanns für die Kategorie der Aufführung beim Geistlichen Spiel, dem sich später auch etwa Eckehard Simon angeschlossen hat. Neumann, Bernd u. Trauden, Dieter: Überlegungen zu einer Neubewertung des spätmittelalterlichen religiösen Schauspiels. In: Ritual und Inszenierung. Hg. von Ziegeler, S. 31-48, hier S. 35 f. cher Derbheit - etwa im Rahmen des Obszönen - zu greifen; hier liegen lediglich erste Versuch dazu vor. 43 Gerade der Begriff des Obszönen bindet die literarische Repräsentation von Sexuellem und Skatologischem immer wieder an die Lebenswelt und ihre Normativität zurück; das hat bereits die Debatte über seinen Status und seine Möglichkeiten zur ästhetischen Dar‐ stellung gezeigt. 44 Schon allein deshalb erscheint Komik als Leitbegriff nicht geeignet, um obszöne Phänomene in Texten des Mittelalters, vor allem in ihrer Wirkungsdimension zu untersuchen. Denn für die Aufführungsgattungen (und dazu zählen nicht nur Spiele, son‐ dern auch Epenvortrag, Dichtung und mündliche Erzählungen), in denen mit der öffentli‐ chen Wirkung von Sprache und Stimme gerechnet werden muss, ist das Lachen als rahm‐ ender Erwartungshorizont und Rezeptionssignal entscheidend: Nur im Rahmen des Lachens kann sich Komisches manifestieren. Das Lachen ist auch als kommunikatives Signal intratextuell identifizierbar, und hat für den Entwurf literarischer Spielwelten ganz spezifische Funktionen, die weit über jene der Komik hinausgehen. Dies wird besonders an den theatralen Textgattungen deutlich, vor allem am Geistlichen Spiel. Während hier vormals von ‚komischen Szenen‘ gesprochen wurde, hat sich spätes‐ tens seit Rainer Warnings grundlegender Studie Funktion und Struktur eingebürgert, statt von Komik vom Lachen und seinen Aufführungen zu sprechen, ganz unabhängig davon, ob man nun dieses Lachen als rituelles (Warning) oder als inszeniertes ansehen möchte. 45 In dem Moment, wo geistliche Spiele konsequent als Aufführungen angesehen werden, deren Überlieferungsmedium der Text ist, 46 kann eine literaturästhetische Kategorie wie die Komik nicht ausreichen, um das Lachen und seine ambivalenten Funktionen in Ritualen 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 98 47 Vgl. Ridders These, das ganz Andere bedürfe der Komik, um erträglich zu sein. Ridder, Erlösendes Lachen, S. 198, sowie noch Haug in Formulierungen zum Osterfest als „Einbruchstelle des Komi‐ schen“. Haug, Das Komische und das Heilige, S. 18. 48 „(...) ridere and its derivatives, whether they indicate laughing or smiling, are signs of a very large number of mental states, of which amusement is only one.“ Sargent, Barbara Nelson: Medieval Rire / Ridere: A Laughing Matter? Medium Aevum 43.2 (1974), S. 116-132, hier S. 128. Sargent weist auf das methodische Problem hin, dass ridere und subridere in lateinischen Texten nicht immer das gleiche bezeichnen. und Aufführungen methodisch in den Griff zu bekommen. 47 Aus diesen und anderen Gründen hat sich das Interesse für strukturell-ästhetische Fragestellungen im Rahmen der Komik in Mittelalter und früher Neuzeit insgesamt zugunsten eines erhöhten Aufmerk‐ samkeit für die Zusammenhänge von literarischem Text und Lachen hin verschoben, um den formalistischen, ontologischen Blickwinkel der Komik zu überwinden und zu neuen Ergebnissen zu kommen. 2.2. Literaturwissenschaftliche Positionen: Lachen ouch mohte si ein lachen vil lihte an in gemachen. Hartmann von Aue: Iwein, Vv. 6459-60 Das Phänomen des Lachens in der mittelalterlichen Literatur tritt zumindest seit dem 12. Jahrhundert in zahlreichen Gattungen und Schreibweisen auf, von der klerikalen und antiklerikalen Dichtung an über die spielmännische, die Heldenepik und klassische höfische Epik, über Minnesang und Spruchdichtung bis zur städtisch-bürgerlichen Kurzerzählung und dem weltlichen und geistlichen Spiel. Gleichzeitig gibt es in der deutschen Literatur eigene Gattungsformen und Schreibweisen, die dem Lachen in besonderer Weise ver‐ pflichtet sind. Dazu gehören kurze Zwischenspiele, Fastnachts- und Neidhartspiele, Faze‐ tien und Mären, Schwänke und Schwankromane, in der europäischen Literatur etwa die Ritterepik der Spätzeit, Fabliaux und die Novellistik, Sottie und Farce, Posse, Bauernspiel und Klucht. In allen diesen literarischen Formen und Schreibweisen wird das Lachen der Lebens‐ welten literarisch codiert und durch seine Fiktionalisierung auch teilweise verschärft; diese Codierungen des Lachens sind mannigfaltig und heterofunktional, sie stellen aber, allge‐ mein gesprochen, rituelle und symbolische Ordnungen der mittelalterlichen Gesellschaft zur Disposition, und bestätigen oder subvertieren sie. Dass die Komik oder überhaupt un‐ terhaltende Anlässe nur einen Teil des Lachens in der Literatur erklären können, hatte bereits Sargent betont: Auch schon im Mittelalter umfasste das Lachen ein umfangreiches semantisches Feld, das vom äußeren Zeichen für eine innere Emotion (Freude, Schaden‐ freude, Genugtuung) bis zum Signal für Überlegenheit und Sieg reicht (Sieger- und Hohn‐ lachen) reicht, darüber hinaus aber auch für Überraschung, Verlegenheit, Aggressivität und Feindschaft, Spott- und Neckabsichten stehen kann. 48 2.2. Literaturwissenschaftliche Positionen: Lachen 99 49 Zu den ersten Formen des symbolischen Lachens Einzelner zählt das Lachen der Heiligen und Mär‐ tyrer in der spätantiken und mittelalterlichen Hagiographie. Diese können angesichts der schlimmsten Torturen über ihre Peiniger und über ihr Leid lachen, da sie sich der Freuden des Him‐ mels gewiss sind. Vgl. dazu Fichte, Joerg O.: Lachen und komplexe narrative Strukturen in der mit‐ telenglischen höfischen Romanze. In: Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Hg. von Lothar Fietz et al. Tübingen 1996, S, 97-116, S. 98. 50 Vgl. Kremer, Karl Richard: Das Lachen in der deutschen Sprache und Literatur des Mittelalters. Diss. Bonn, 1961. 51 Vgl. Müller, Jan-Dirk: Lachen - Spiel - Fiktion. Zum Verhältnis von literarischem Diskurs und his‐ torischer Realität im Frauendienst Ulrichs von Lichtenstein. DVjs 58 (1984), S. 38-73; hierher gehört auch, wenn auch mit ganz anderer Ausrichtung Bertau, Karl: Versuch über tote Witze bei Wolfram. In: ders.: Wolfram von Eschenbach. Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Ge‐ schichte. München 1983, S. 60-109. Vgl. auch die Rede von einer Poetik des Lachens über rhetorische Ironiesignale und anthropologische Einbettung bei Seeber, Poetik des Lachens, zusammenfassend S. 263-281. 52 „In den je neu aufgelegten Spielsituationen entwickelt die Karte immer wieder spontan und überra‐ schend ihr proteisches Potential.“ Huber, Christoph: Lachen im höfischen Roman. Zu einigen kom‐ plexen Episoden im literarischen Transfer. In: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mit‐ telalter. Transferts culturels et histoire littéraire au moyen âge. Kolloquium im Deutschen Historischen Institut Paris. Hg. von Ingrid Kasten, Werner Paravicini, René Perennec. Sigmaringen 1998, S. 345-358. Vgl. zum Lachen in der höfischen Epik auch Coxon, Sebastian: do lachete die gote: Zur literarischen Inszenierung des Lachens in der höfischen Epik. Wolfram-Studien 18 (2004), S. 189-210. Neben den symbolischen Codierungen 49 zeigt das Lachen aber auch emotionale Stim‐ mungen und Atmosphären an, wie etwa am Beispiel des erotischen Lachens und Lächelns zwischen Liebespaaren oder an der höfischen vreude zu erkennen, die es in der Erzählung auslösen und bewirken kann. Lachen erscheint in den unterschiedlichsten Ausprägungen, als Lachen Einzelner, als Gemeinschafts- oder Gruppenlachen, als geschlechtsspezifisches Lachen, als sozial oder konfessionell bestimmtes Lachen, als Lachen der Wissenden und der Narren, der Heiligen und Teufel, als Lachen des Hofes und der Bauern. 50 Diese Aufzäh‐ lung ist nicht vollständig, doch gibt sie bereits Einblick in die unterschiedlichen Textfunk‐ tionen des Lachens, die von Aspekten der Gruppendynamik und des Außenseitertums (freudiges Lachen als Bestätigung einer gemeinschaftlichen Identität, Verlachen als Ehr‐ verlust und Exklusion), über das Verhältnis von Geschlechtern (geschlechtsspezifisches Lachen, verlachte Weiblichkeit und verlachte Männlichkeit in Mären und Schwänken) bis zu Text- und Aufführungsstrategien (Poetik des Lachens) und zum Selbstverständnis von Autor und Publikum reichen (Lachen als Rollen- und Selbstdistanz). 51 So wird Lachen so‐ wohl im höfischen Roman als auch in anderen Erzählformen gern als „Joker im Kartenspiel“ (Huber) gesehen, der die Handlung in- und subvertieren kann, die Spielwelt auf den Kopf zu stellen vermag oder auf die Selbstreferentialität dieser Welt verweist. 52 Lachen als innertextuelles Motiv ist allerdings auch gattungsspezifisch codiert. So er‐ scheint es in der höfischen Literatur häufig als schwer deutbares, polyvalentes Zeichen, das verbirgt und enthüllt bzw. auf Künftiges vorausweist (etwa das Lachen der Cunnewâre in 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 100 53 Zum wohl prominentesten Lachen in der mittelalterlichen Epik gibt es mehrere Studien; hier sei hingewiesen auf Fritsch-Rößler, Waltraud: Lachen und Schlagen. Reden als Kulturtechnik in Wolf‐ rams ‚Parzival‘. In: Verstehen durch Vernunft. Fs. für Werner Hoffmann. Hg. von Burkhardt Krause. Wien 1997, S. 75-98 sowie auf meine eigene Arbeit, die dieses Lachen in einen größeren Erzählzu‐ sammenhang stellt: Velten, Hans Rudolf: Komik im Transfer. Zu Chrétiens ‚Le Conte du Graal‘ und Wolframs ‚Parzival‘. In: Wolframs Parzival-Roman im europäischen Kontext: Tübinger Kolloqium 2012. Hg. von Klaus Ridder (= Wolfram-Studien 23). Berlin 2014, S. 411-430. Zum Lachen in der Kudrun vgl. Stefan Seeber: Totlachen. Komik und Ironie im ‚Nibelungenlied‘ und in der ‚Kudrun‘. PBB 136 (2014), S. 244 ff. 54 Ebd., S. 424 ff. Ebenso Ginovers Lachen über den frierenden Artus in Heinrichs von dem Türlin Diu Crône; vgl. dazu Gutwald, Thomas: Schwank und Artushof. Komik unter den Bedingungen höfischer Interaktion in der ‚Crône‘ des Heinrich von dem Türlin. Frankfurt a. M. u. a. 2000; zugl. Diss. München 1999. 55 Scholz Williams, Gerhild: Das Fremde erkennen: Zur Erzählfunktion des Lachens im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Hg. von Fietz et al. Tübingen 1996, S. 82-97. 56 Vgl. Kremer, Das Lachen, S. 120: „In diesen frühhöfischen Werken wird also gelacht über Nichtwissen, Anmaßung, Narrheit, Liebeskrankheit, Pessimismus, und durchschautes Doppelspiel …“. Zur Narr‐ heit Parzivals vgl. Ridder, Klaus: Narrheit und Heiligkeit. Komik im Parzival Wolframs von Eschen‐ bach. In: Wolfram-Studien Bd. XVII. Wolfram von Eschenbach - Bilanzen und Perspektiven. Eichstätter Kolloquium 2000. Hg. von Wolfgang Haubrichs, Eckart Conrad Lutz u. a. Berlin 2002, S. 136-156. Wolframs Parzival oder Kudruns kryptisches Lachen). 53 Lachen steht - wie übrigens auch das Schweigen - häufig als symbolische Leerstelle im Text (es ermöglicht zuweilen Kom‐ munikation, wo Sprache versagt), die eine noch nicht bekannte Bedeutung für die Inter‐ aktion zwischen Erzählfiguren besitzt. 54 Es treibt den Erzählfortgang voran, verbindet und trennt, steigert die Spannung und die Bereitschaft für Ungewöhnliches und Bedrohliches. 55 Es sind immer wieder fünf Themenkomplexe, mit denen sich das Lachen in der höfischen Literatur verbindet: (1) Freude, (2) Unvernunft, (3) Sexualität, (4) Überraschung, (5) Gewalt und Bedrohung. (1) Die höfische Freude und Hochgestimmtheit wird häufig durch ein gemeinschaftliches, affirmatives Gelächter ausgedrückt, das die harmonische Stimmung anzeigt und sich an scherzhaften Anlässen, Neckereien oder inszenierten Normüberschreitungen manifestiert (etwa in den Rollenbrüchen des Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein). Selbst das hart an der Grenze des Peinlichen ertönende schadenfrohe Lachen über die Tugendproben in der Crône Heinrichs von dem Türlin gehört in diesen Zusammenhang. Zwar müssen gewisse Spielregeln eingehalten werden, wenn etwa das laute, lärmende Lachen auch bei Hofe nur in Ausnahmefällen (etwa der Wolfseisenepisode in Eilharts von Oberg Tristrant) erlaubt ist, gemäß den rhetorischen und christlichen Limitierungen des cachinnus. Sicherlich sollte auch der ideale Ritter schon vor Castiglione lachen können, aber auch genau wissen, wann und in welchem Maß gelacht werden darf. (2) Über Unvernunft und unangemessene Anmaßungen lachen sowohl Gruppen wie auch Einzelne (die Ritter über Parzivals tumpheit oder Keies Stürze, die Teilnehmer an Ulrichs Turnierfahrt als Frau Venus über den podestà von Treviso). Über Torheit und Nicht‐ wissen wird schon in den Spielmannsepen ausgiebig gelacht, 56 unangemessene Prahlereien findet man nicht nur bei der Keie-Figur, sondern auch in der Karlsepik und der Helden‐ 2.2. Literaturwissenschaftliche Positionen: Lachen 101 57 Etwa in Biterolf und Dietleib, Virginal, Laurin und Der Rosengarten Fassung A u. D. Vgl. dazu Braun, Manuel: Mitlachen oder verlachen? Zum Verhältnis von Komik und Gewalt in der Heldenepik. In: Gewalt im Mittelalter: Realitäten - Imaginationen. Hg. von dems. u. Cornelia Herberichs. München 2006, S. 381-409. Vgl. auch Coxon, Sebastian: Komik und Gelächter und in der Wolfdietrich-Epik. In: 7. Pöchlarner Heldenliedgespräch. Mittelhochdeutsche Heldendichtung ausserhalb des Nibelungen- und Dietrichkreises (Kudrun, Ortnit, Waltharius, Wolfdietriche). Hg. von Klaus Zatloukal. Wien 2003 (= Philologica Germanica, 25), S. 57-76. 58 So das erotisch-anstößige Lachen Isaldes, als Tristrant in Verkleidung eines Aussätzigen unter Schlägen vom Hof vertrieben wird (alte Bruchstücke, Vers 188 f.). 59 Zu den Textfunktionen des weiblichen Lachens und seinen genderspezifischen Implikationen vgl.: Trokhimenko, Olga V.: Constructing virtue and vice: femininity and laughter in courtly society (ca. 1150-1300). Göttingen 2014. 60 Vgl. Fritsch-Rößler, Lachen und Schlagen, S. 86. 61 Vgl. Röcke, Werner: Provokation und Ritual. Das Spiel mit der Gewalt und die soziale Funktion des Seneschall Keie im arthurischen Roman. In: Der Fehltritt. Vergehen und Versehen in der Vormoderne. Hg. von Peter von Moos. Köln 2001, S. 343-361. epik. 57 Eine wichtige Rolle spielen auch die spielerischen Selbstanklagen (etwa Gaweins), wenn eigenes Fehlverhalten in Selbstdistanz thematisiert wird, damit darüber gelacht werden kann (was auch schon in den Liedern Neidharts anklingt). (3) Ähnlich verbreitet ist die erotisch-sexuelle Konnotation des Lachens; hier ist vor allem seine Anbahnungsfunktion im Flirt, im Kuss (symbolisch auch der geöffnete Mund) oder in der gegenseitigen Verfallenheit wie im Tristanstoff und in der Artusepik zu sehen. 58 Lachen zirkuliert zwischen Erzähler und Rezipienten bei der ambivalenten, meist verhül‐ lenden Rede über Sexualität und Erotik, bei der es häufig zu anzüglichen Anspielungen kommt (wie bei Wolfram von Eschenbach und Heinrich von dem Türlin). 59 (4) Anders gelagert ist das Lachen aus Überraschung, wenn bestimmte Figuren bislang verborgene Handlungen entdecken oder mit unvorhergesehenen Wendungen konfrontiert werden; auch listenreiches Verhalten oder durchschautes Doppelspiel sind häufig mit Überraschung verbunden und können (im Text) mit Lachen - jeweils aus Verlegenheit oder Überlegenheit - quittiert werden. Ein Beispiel ist das mehrdeutige Lachen der Königs‐ tochter bei ihrer Befreiung durch Rother im König Rother. Davon abzugrenzen ist das Lachen der Rezipienten aus Überraschung über den Verlauf der Erzählung - ich komme später darauf zurück. (5) Lachen kann auch Verunsicherung, Angst vor der Gefährdung von Normen des ge‐ sellschaftlichen Umgangs oder der geschlechtlichen Identität signalisieren: Merlin und Cunneware lachen als wissende Außenseiter, und deshalb ist ihr Lachen bedrohlich. Beide verweigern die im gemeinsamen Lachen angelegten Integrationsmöglichkeiten und ge‐ fährden so die höfische Ordnung. Geschlechterspezifisch gesehen erkennen Männer Lachen eher als Spott und somit aggressiven Akt der Degradierung und Gefahr für ihre Ehre, wäh‐ rend Frauen Lachen als Beweis für den pris auffassen und somit als freundlichen Akt der Hochschätzung und Affirmation. 60 In beiden Fällen ist das Lachen nicht selten mit verbaler und körperlicher Aggressivität verbunden, wie etwa an den Handlungen des Seneschalls Keie in der Artusepik zu erkennen: Er übt Gewalt in vielfacher Weise, als Spott und Hohn, Zurechtweisung und körperliche Züchtigung gegen jeden aus, der ihm dazu Anlass gibt. Dabei spielt er den agent provocateur, der Konflikte zur Sprache bringt und sie so im Ge‐ lächter lösen kann. 61 Hier zeigt sich ein besonderer Zug des Lachens im Mittelalter, das 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 102 62 Vgl. dazu meinen mit Werner Röcke hgg. Band Lachgemeinschaften. Berlin 2005, Einleitung S. 20 ff. 63 Vgl. den Band von Seeber, Stefan u. Coxon, Sebastian (Hg.): Spott und Verlachen im späten Mittelalter zwischen Spiel und Gewalt. Mitteilungen des deutschen Germanistenverbandes (2010). H. 1. 64 So etwa im bereits erwähnten Aufsatz „Lachen und Schlagen“ von Waltraud Fritsch-Rößler, in wel‐ chem sie die Reaktion des Schlagens durch Keie auf das Lachen der Cunnewâre im Parzival genauer untersucht. Dabei zeigt sie, wie Cunnewares Lachen, Antanors Sprechen und Keies Schlagen unter‐ schiedliche Varianten des Codes „Rede“ sind, die den Übergang vom Körperhandeln zur Rede als Zivilisationsform markieren: „Alles in allem ein Siegeszug des Wortes, ein zivilisatorischer Akt und Kultivierungsprozess.“ (S. 96 f.). Obwohl sie Lachen und Schlagen als kommunikatives Körperhandeln bestimmt hat, entgeht ihr der wichtige anthropologische und theatrale Zusammenhang von Körper- und Sprechhandeln. Zu diesem Aspekt vgl. auch unten, Kap. 5.1. 65 Zur Begriffsdiskussion verweise ich auf Müller, Jan-Dirk: Noch einmal: Maere und Novelle. Zu den Versionen des Maere von den Drei listigen Frauen. In: Philologische Untersuchungen. Gewidmet Elfriede Stutz zum 65. Geburtstag. Hg. von Alfred Ebenbauer. Wien 1984, S. 289-311. 66 So erneut Coxon, Laughter and Narrative in the Later Middle Ages, S. 178. stärker als in der Neuzeit ein gesellschaftliches Korrektiv und Mittel zur Normerhaltung gegen Abweichungen war. In einer Gesellschaft, in der soziale Positionen durch Ehre zu‐ gewiesen werden, kommt dem Auslachen als Verkörperung des Ehrverlustes eine eminent wichtige Bedeutung zu. 62 Dieses negative Lachen folgt häufig auf Spott, welcher rituellen, aber auch rhetorischen Charakter haben kann und daher kulturell und sozial sehr unter‐ schiedlich ausfällt. 63 In diesen fünf Themenkomplexen steht der Körper niemals am Rande, häufig sogar im Zentrum, entweder in seiner Gestik, Mimik und komplexen Inszenierungen, oder auch als Objekt für Züchtigung und Schläge, über die gelacht werden kann. Diese Rollen des Körpers bei Lachen und Komik sind in der höfischen Epik noch kaum untersucht worden; wenn Körper in den Blick kommen, bleiben sie meist in andere Fragestellungen eingebunden und unterliegen semantischen oder diskursiven Ausdeutungen von Situationen, Figuren, schriftlichen Inszenierungen usw. 64 Gerade auch bei offensichtlichen Körperinszenie‐ rungen wie Stürzen, kläglichen Niederlagen im Kampf, unangemessenem Prahlen, Ver‐ kleidungen, wo der Körper selbst der Anlass zum Lachen ist, steht meist der zugehörige Wortwechsel im Mittelpunkt der Betrachtung. Dabei zeigt sich an vielen Stellen, dass Wort, Körper und Bild untrennbar miteinander in ihrer Funktion verbunden sind, Lachen auszu‐ lösen. Etwas anders liegt der Fall bei der Mären-, Schwank- und Fazetienliteratur. Im 13. Jahr‐ hundert kommt es offensichtlich zu einer deutlichen Erweiterung der Textfunktionen des Lachens, was sich nicht nur in neuartigen und unterschiedlichen Texttypen wie dem Frau‐ endienst Ulrichs von Lichtenstein und etwa dem Mauricius von Craûn bemerkbar macht, sondern vor allem in der nun anwachsenden Märenliteratur. 65 In den schwankhaften Mären, welche die ernsthaften zahlenmäßig bei weitem übertreffen, 66 ist das Lachen nicht allein vieldeutiges Zeichen, Merkmal von Rollendistanz oder innertextueller Katalysator, sondern es wird nun auch zum Rezeptionssignal, zum Verbindungsglied zwischen Text und Rezip‐ ienten, indem es schlechterdings als Motto oder paratextueller Rahmen über vielen Texten steht. Denn viele von ihnen dienen dem Zweck, bei ihrem Publikum Lachen auszulösen 2.2. Literaturwissenschaftliche Positionen: Lachen 103 67 Dass auch die deutsche Mären- und Schwankliteratur „zum Lachen“ sei, analog zu den „contes à rire“, wie Bédier die Fabliaux bezeichnet hat, ist bis heute umstritten. Vgl. dazu jetzt eine Zusammenfassung bei Grubmüller, Klaus: Die Ordnung, der Witz und das Chaos. Eine Geschichte der europäischen No‐ vellistik im Mittelalter: Fabliau - Märe - Novelle. Tübingen 2006, S. 67-76; 137-152; 241-247. Vgl. überblickend auch Classen, Albrecht: Laughing in late-medieval verse (mæren) and prose (Schwänke) narratives: epistemological strategies and hermeneutic explorations. In: ders., Laughter in the Middle Ages and Early Modern times, S. 547-585. 68 Vgl. Coxon, Laughter and Narrative in the Later Middle Ages, S. 177-185. 69 Vgl. Bachorski, Das aggressive Geschlecht, S. 263-81. 70 Zum Lachen bei Boccaccio Arend, Elisabeth: Lachen und Komik in Giovanni Boccaccios Decameron (= Analecta Romanica 68). Frankfurt a. M. 2004. Vgl. auch Neumeister, Sebastian: Die Praxis des Lachens im Decameron. In: Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Hg. von Lothar Fietz u. a., S. 65-81. und es dadurch zu unterhalten und Modelle falschen, lächerlichen Handelns aufzuzeigen. 67 Dadurch, dass die Zirkulation von Lachen im Text und vom Text zum Publikum ästhetische Distanz auslöst und somit selbstreflexiven Charakter besitzt, ermöglicht sie auch, die Kom‐ plexität und Unterschiedlichkeit von Lachanlässen und Lachen im Text nachzuvollziehen - den verschiedenen Anlässen können verschiedene Arten des Lachens folgen. 68 Spöttisches Verlachen und bewunderndes Lachen über gelungene List und Schlagfertigkeit ist nun keine Angelegenheit mehr zwischen höfischen oder nicht-höfischen Figuren auf der Text‐ ebene, sondern zwischen literarischen Figuren und Publikum. Die ‚harten‘ Effekte des La‐ chens - Ehrverlust, Degradierung, Scham und Züchtigung - werden durch die Erzähl‐ schwelle und die Zentralfunktion der List gemindert und können so vom Publikum mit Vergnügen aufgenommen werden. Es gibt dabei jedoch große Unterschiede bei den Modi des Lachens: Humorvolles und gutmütiges Lachen stehen dem bösen und sogar zynischen und schwarzen Lachen gegenüber. Deshalb erscheint der Körper in einer Fülle von Insze‐ nierungsvarianten: als Mittel der List in Verkleidungen und Verstellungen, als Objekt der Bloßstellung und der Beschämung (Nacktheit, Schlagen, Zerstückeln) oder als Zeuge von Machtverhältnissen (Einschreibungen, Narben). Dabei hängen Körperdarstellung und La‐ chen aufs engste miteinander zusammen, gerade wenn es um tabuisierte Körperzonen wie Geschlechtsteile geht. 69 Das Lachen auf der Textebene vermag eine große Bandbreite an Bedeutungen einzu‐ nehmen und verschiedene Zwecksetzungen zu erfüllen. So kontrastiert das schwarze, ag‐ gressive Lachen beim Geschlechterwitz der Mären mit dem pädagogischen Kultivierungs‐ konzept, das etwa in Boccaccios Decameron mit dem Lachen verfolgt wird. Elisabeth Arend hat den hohen Stellenwert des Lachens in seiner therapeutischen und diätetischen Funktion bei Boccaccio herausgearbeitet; 70 im Decameron wird hier eine Entwicklung angelegt, die dann im 14. und 15. Jahrhundert noch wesentlich an Bedeutung gewinnt, wie die zahlrei‐ chen Hinweise auf die kultivierende und gesundheitsfördernde Wirkung von gemein‐ samem Lachen (und Scherzen) zeigt. Gerade im letzteren Fall wird der enge Zusammenhang von Textualität und performativer Wirkung ersichtlich: Wenn Texte Lachen erzeugen sollen, damit dieses Lachen gesundheits- und gemeinschaftsstiftend wirkt, dann muss von einem direkten Bezug zwischen Text und Rezeptionsgruppe ausgegangen werden; mit an‐ 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 104 71 Vgl. meinen Aufsatz: Text und Lachgemeinschaft. Zur Funktion des Gruppenlachens bei Hofe in der Schwankliteratur. In: Lachgemeinschaften. Hg. von Röcke u. Velten, S. 125-143. 72 Die strikt christliche Haltung des Strickers gegenüber dem Lachen hat Sieglinde Hartmann gezeigt: Lachen beim Stricker. Mediaevistik 3 (1990), S. 107-129. 73 Beispiele sind „Die eingemauerte Frau“ oder „Das heiße Eisen“. Vgl dazu Grubmüller, Klaus: Das Groteske im Märe als Element seiner Geschichte. Skizzen zu einer historischen Gattungspoetik. In: Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger. Tübingen 1993, S. 37-54. Noch deutlicher wird dies in den Mären Heinrich Kaufringers, bei denen es fraglich ist, ob Lachen überhaupt ein Rezeptionsziel war. Dazu Zotz, Nicola: Grauzonen. Moral und Lachen bei Heinrich Kaufringer. In: „Texte zum Sprechen bringen“. Philologie und Interpretation. Festschrift für Paul Sappler. Hg. von Christiane Ackermann u. Ulrich Barton. Tübingen 2009, S. 195-208. 74 Vgl. Kugler, Hartmut: Grenzen des Komischen in der deutschen und französischen Novellistik des Spätmittelalters. In: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter. Transferts culturels et histoire littéraire au moyen âge. Hg. von Ingrid Kasten, Werner Paravicini u. René Perennec. Sig‐ maringen 1998, S. 359-71, S. 360 f. 75 Drei buhlerische Frauen. Zit. aus: Neues Gesamtabenteuer. Hg. von Friedrich Heinrich von der Hagen. Berlin 1937. Nr. 173, S. 19-20. 76 Vgl. Velten Text und Lachgemeinschaft, S. 142. deren Worten, Lachen kann durch innertextuelle Strategien für die Rezipienten modelliert werden. 71 Allerdings machen sich in Mären auch die Lachverbote mit Macht bemerkbar, denkt man etwa an die moralischen und das Lachen geradezu reglementierenden frühen Texte des Strickers. Lachen wird hier häufig negativ codiert und markiert symbolisch sündhaftes, unchristliches Verhalten, in den meisten Fällen Torheit, Geilheit und Habgier. 72 Physische und moralische Grausamkeiten, Zynismus und ein destruktiver Zug in den Strickerschen Mären folgen eher der Logik des Ordnungsverstoßes und seiner körperlichen Bestrafung, sodass es fraglich erscheint, dass sie in ihrer Härte Gelächter ausgelöst haben. 73 Andererseits werden einige von Strickers Mären durchaus vom Lachen „regiert“, und es sind immer diejenigen, die den Übergangsbereich von Norm und Normlosigkeit, von Ordnung und Unordnung betreffen. Im Nackten Boten etwa betritt ein nackter Mann, da er sich im Bade wähnt, rückwärts eine Wohnstube, in der gerade eine ganze (bekleidete) Hausgemeinschaft versammelt ist. Es folgen turbulente Szenen mit zahlreichen komischen Effekten um den nackten Körper des Fremden, in denen dieser nur mit Mühe die Kontrolle behalten kann und knapp dem Tod entgeht. Körperliche Merkmale verbinden sich mit sozialer, ge‐ schlechtsspezifischer und moralischer Symbolik, ihre szenische Darstellung im Zeichen des Lachens erlaubt die Entlarvung falscher Sicht- und Verhaltensweisen. 74 Hier werden textuelle Strategien erprobt, die bei den potentiellen Hörern Lachen aus‐ gelöst haben. Aufforderungen zum Lachen sind nicht selten, wie etwa in dem Märe Drei buhlerische Frauen, wo es heißt: „nu will ich beginnen/ sagen seltsaeniu maere. nu si iu niht swaere, wan wir mugen ir wol lachen.“ 75 Der Erzähler bildet mit den Hörern eine ‚Lachge‐ meinschaft‘, die in gewisser Weise als ideale Rezeptionsgemeinschaft fungiert. 76 Doch das Lachen im Märe und im Schwank ist keineswegs immer affirmativ. Vielmehr ist es gna‐ denlos in seiner Bloßstellung menschlicher Schwächen und gesellschaftlicher Missstände, es kann als distanzierende Replik auf eine erstarrte, leblose Ordnung verstanden werden, 2.2. Literaturwissenschaftliche Positionen: Lachen 105 77 Haug, Schwarzes Lachen, S. 365. 78 Dies gilt auch für gattungsüberblickende Sammelbände wie z. B. Mittelalterliche Novellistik im euro‐ päischen Kontext. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Hg. von Mark Chinca, Timo Reuve‐ kamp-Felber u. Christopher Young (= Beihefte zur Zeitschrift für deutsche Philologie, 13). Berlin 2006, hier etwa Friedrich, Udo: Trieb und Ökonomie. Serialität und Kombinatorik in mittelalterlichen Kurzerzählungen, S. 48-75. 79 Was nicht heißt, dass das Lachen alleine als gattungsbestimmendes Merkmal der Fabliaux gelten kann, wie Bédier dies ursprünglich wollte; Bitterkeit und Bissigkeit sind ebenso herausstechende Merkmale vieler Fabliaux. Vgl. Rocher, Daniel: Inwiefern sind Strickers ‚Maeren‘ echte ‚contes à rire‘? Wolfram-Studien 7 (1982), S. 132-143. 80 Vgl. Ménard, Philippe: Les fabliaux: contes à rire du moyen âge. Paris 1983; Bloch, Howard: The scandal of the fabliaux. Chicago 1986. 81 Aubailly, Jean-Claude: Le fabliau et les sources inconscientes du rire médiéval. Cahiers de civilisation médiévale 30 (1987). H. 2, S. 105-118, S. 107-109. 82 Ebd., S. 117. wie Haug unterstreicht. 77 Er erkennt das der Kurzerzählung eigene Lachen als Ausdruck der Vitalität und Erneuerung des Lebens, als Anlachen gegen den Tod. Vor diesem Hintergrund überrascht an der jüngeren Mären- und Schwankforschung, wie wenig sie das Lachen, seine Anlässe und Funktionen in ihre Analysen einbezieht; List, narrative Komplexität, Gattungs- und Genderfragen, mediale Implikationen, narratologi‐ sche Fragen etwa nach rhetorischer Ausgestaltung, Serialität und Kombinatorik, Realitäts‐ bezüge und soziale Symbolik, selbst Körperlichkeit und Sexualität scheinen weitgehend unabhängig vom Lachen beschreibbar und lösbar zu sein. 78 Dabei hatte sich gerade die Fabliaux-Forschung schon sehr früh dem Lachen innerhalb und außerhalb der Texte ge‐ widmet. Bédiers berühmte Definition der Fabliaux als contes à rire hatte bereits in den 1960er Jahren eine lebhafte Diskussion über den Status des Lachens ausgelöst, die heute jedoch weitgehend abgeschlossen ist. 79 Die Fabliaux sind nicht nur bezüglich ihres Rezept‐ ionskontextes ( Jongleure und Goliarden als Autoren, höfisches und städtisches Publikum), sondern auch auf Grund ihrer zahlreichen Texthinweise zum Lachen als Wirkungsintention sowie durch ihre spezifischen provokatorischen Mischungen und Kontrastbildungen deut‐ lich auf das Hervorrufen von Lachen ausgerichtet. 80 Jean-Claude Aubailly hat darüber hi‐ naus in seinen psychohistorischen Untersuchungen der sexuellen und skatologischen Ele‐ mente der Fabliaux die rituellen und symbolischen Funktionen des Lachens herausgearbeitet, indem er sich vor allem auf die Lächerlichmachung des menschlichen Körpers bezieht: „Le principal objet comique du fabliau reste donc le corps, ce corps vis-à-vis duquel on se distancie par le rire“. 81 Der Körper erscheint hier als das verdrängte Andere, das im magisch-rituellen Akt des Lachens gelöst und befreit werden kann, um die Furcht zu bezwingen. Das Lachen ist The‐ rapie für existentielle Ängste, es hat die Funktion eines wiederkehrenden Rituals der Ini‐ tiation. Die zahlreichen sexuellen Handlungen und Metaphern in den Kurzerzählungen legen nach Aubailly Zeugnis für die magische Kraft der Worte und ihren immanten Körper- und Ritualbezug ab; das Lachen über die desakralisierten (nackten, unbeholfenen, unkon‐ trollierten, zerstückelten) Körper triumphiert über die Furcht des Todes, die Furcht vor dem Teufel und vor dem anderen Geschlecht. 82 Aubailly geht bei seinem Befund eines rituellen Lachens bei den Fabliaux wie selbstverständlich von dessen Performanz aus: gelacht wird zwar auch im Text, doch vor allem außerhalb des Textes, in der Situation seines Gebrauchs. 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 106 83 Röcke, Werner: Lizenzen des Witzes. Institutionen und Funktionsweisen der Fazetie im Spätmittel‐ alter. In: Komische Gegenwelten. Hg. von dems. u. Neumann, S. 79-102; Bachorski, Hans-Jürgen: Poggios Facetien und das Problem der Performativität des toten Witzes. Zeitschrift für Germa‐ nistik N. F. Jg. XI (2001). H. 2, S. 274-291. Beide Arbeiten führen Ansätze Barners weiter: Barner, Wil‐ fried: Überlegungen zur Funktionsgeschichte der Fazetien. In: Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Hg. von Walter Haug u. Burghart Wachinger. Tübingen 1993, S. 287-310. 84 So ist etwa in einer Fazetie Frischlins zu erkennen, wie ein situativer, allgemeiner Lachanlass in das Lachen der sodales, der humanistischen Lesergruppe der Fazetien, umgeleitet wird. Vgl. Bachorski u. a., Performativität und Lachkultur, S. 176 ff. 85 So hatte Wilfried Barner über die Fazetien gesagt: „Das intellektuelle, ja disputatorische Vergnügen ist spürbar, aber als eines, das Reflexion anstößt, jedenfalls anstoßen kann“. Barner, Wilfried: Legi‐ timierung des Anstößigen. Über Poggios und Bebels Fazetien. In: Sinnlichkeit in Bild und Klang. FS Paul Hoffmann. Stuttgart 1978, S. 101-137, hier 113. Zum ethisch-ästhetischen Programm der Faze‐ tien vgl. Dicke, Gerd: Homo facetus. Vom Mittelalter eines humanistischen Ideals. In: Humanismus in der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hg. von Nicola McLelland u. a. Tübingen 2008, S. 299-332. Erst hier kann das ausgesprochene Wort seine magische Kraft entfalten, kann die gestisch unterstützte Dramatisierung der narrativen Re-Inszenierung von Körperhandlungen als Distanz schaffende Therapie gegen die Angst wirken. Verdrängte Leiblichkeit kommt im Modus des Vortrags zum Vorschein und löst in seiner stimmlich-gestischen Präsenz ent‐ lastendes Lachen aus. Aubaillys ritualistisch anmutende Überlegungen in der Nachfolge Bachtins verlagern die Wirkung von Literatur in ihren soziokulturellen Kontext, in ihre Performanz. Ihre wichtige Rolle bei der Analyse des Lachens haben Werner Röcke und Hans-Jürgen Bachorski in ihren Studien zu einer anderen schwankhaften Kurzform des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, der neulateinischen Fazetienliteratur unterstri‐ chen. 83 Die seit Poggio Bracciolinis Liber facetiarium bekannte Gattung des frühen intel‐ lektuell-rhetorischen Witzes ist ein Paradebeispiel für die situative und kontextuelle Ein‐ bettung des Schrifttextes in die Praktiken seiner ‚Aufführung‘ im Gespräch. Witze werden zunächst mündlich erzählt - Poggio nennt sie confabulationes - und nach mehrfachem Erfolg schriftlich fixiert. Auch bei der Aufzeichnung von einmal Gehörtem bleibt die grund‐ legende Dialogizität der Witzstruktur im Bereich der (wie auch immer fingierten) mündli‐ chen Kommunikation angesiedelt. An sie will das in den Text hineingeholte Lachen der Zuhörer erinnern, selbst wenn es Umbesetzungen und Verschiebungen unterliegt, die der Rezeptionssituation des Schrifttextes geschuldet sind. 84 Lachen zirkuliert in den Fazetien somit zwischen drei Ebenen: der ursprünglichen Gesprächssituation, sodann in dem sie fingierenden Schrifttext und schließlich in seiner Rezeption im Hören oder (Vor-)Lesen. Jede Ebene hat ihren eigenen situativen Kontext, was die Umarbeitung des Lachanlasses und folglich die Art und Weise des Lachens variant erscheinen lässt. Lachen kann so als instabile Größe beschrieben werden, die je anderen Repräsentationen und Stilisierungen unterliegen kann. Der Fazetientext selbst ist nicht nur Anstoß zur Reflexion, 85 sondern auch Anlass zum Weitererzählen und zum produktiven Weitergebrauch. Obzwar die Aufarbeitung der lateinischen Fazetiencorpora des 15. und 16. Jahrhunderts (Bebels, Frischlins, Mulings, Nachtigals, Tüngers, Melanders usw.) mit den Arbeiten von 2.2. Literaturwissenschaftliche Positionen: Lachen 107 86 Vgl. Kipfs Monographie zur Gattung der lateinischen und deutschsprachigen Fazetie: Kipf, Johannes Klaus: Cluoge Geschichten. Humanistische Fazetienliteratur im deutschen Sprachraum. Stuttgart 2010 sowie Altrocks Studie zu Erzählstrategien in Bebels Fazetien und zu ihrer Überlieferung: Altrock, Stephanie: Gewitztes Erzählen. Heinrich Bebels Fazetien und ihre deutsche Übersetzung. Köln 2009; daneben auch Wittchow, Frank: Eine Frage der Ehre: Das Problem des aggressiven Sprechakts in den Facetien Bebels, Mulings, Frischlins und Melanders. Zeitschrift für Germanistik N. F. XI (2001). H. 2, S. 336-360; Bachorski, Hans-Jürgen: Ersticktes Lachen. Johann Sommers ‚Emplastrum Cornelianum‘. In: Komische Gegenwelten. Hg. von Röcke u. Neumann, S. 103-122. 87 Zum Thema des Lachens in ihnen sind bisher erschienen (Auswahl): Takahashi, Yumiko: Die Komik der ‚Schimpf ‘-Exempeln in Johannes Pauli. Freiburg 1994; Kartschoke, Dieter: Vom erzeugten zum erzählten Lachen. Die Auflösung der Pointenstruktur in Jörg Wickrams Rollwagenbüchlein. In: Klei‐ nere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Hg. von Haug u. Wachinger, S. 71-105; Bachorski, Hans-Jürgen: Ein Diskurs von Begehren und Versagen. Obszönität in den Schwanksammlungen des 16. Jhs. In: Eros - Macht - Askese. Geschlechterspannungen als Dialogstrukturen in der Kunst. Hg. von Helga Möbius-Sciurie u. Hans-Jürgen Bachorski. Köln 1992, S. 305-341; Waltenberger, Michael: „Nihil præter sales“. Zur erzähltherapeutischen Poetik des Johannes Sommer. In: Ordentliche Unord‐ nung. Metamorphosen des Schwanks vom Mittelalter bis zur Moderne. Festschrift für Michael Schilling. Hg. von Bernhard Jahn u. a. Heidelberg 2014, S. 93-108; Unger, Thorsten: Frühneuzeitliche Lachan‐ lässe in Johannes Sommers Schwanksammlung ‚Emplastrum Cornelianum‘ (1605). In: Literatur in der Stadt. Magdeburg in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Michael Schilling. Heidelberg 2012, S. 219-243. 88 Röcke, Werner: Die Freude am Bösen. Studien zu einer Poetik des deutschen Schwankromans im Spät‐ mittelalter. München 1987, S. 154 f., 275 ff. 89 Ebd., S. 242-251, 278 f. Klaus Kipf und Stephanie Altrock große Fortschritte gemacht hat, 86 ist die Rolle des Körpers bzw. von Verkörperungen in diesen vor allem vom rhetorisch-pointierten Sprachwitz ge‐ tragenen Texten noch wenig erforscht. Ähnliches gilt für die zahlreichen Schwanksamm‐ lungen des 16. Jahrhunderts, angefangen von Johannes Paulis noch stark an mittelalterliche Exempla-Sammlungen angelegtem Schimpf und Ernst (1519), über Jörg Wickrams Rollwa‐ genbüchlein (1555), Jacob Freys Gartengesellschaft (1556), Martin Montanus’ Wegkürtzer (1557) und Der ander theil der Gartengesellschaft (1560), Michael Lindeners Rastbüchlein und Katzipori (1558), Valentin Schumanns Nachtbüchlein bis zum Wendunmuth (1563) des Bebel-Übersetzers Hans Wilhelm Kirchhof. 87 Ungleich besser erschlossen sind aus der Perspektive des Lachens die Schwankromane des 15. und 16. Jahrhunderts. In seiner Studie Die Freude am Bösen hat Werner Röcke wich‐ tige Aspekte dieser Gattung aufgezeigt: die „widersprüchliche Einheit von Bedrohung und Affirmation, Angriff und Versöhnung“, wie sie im aggressiven Lachen zum Ausdruck kommt, die narrative Engführung von ästhetischen und sozialen Aspekten in den ‚hässli‐ chen‘ Schwankhelden, sowie die „Abschwächung des Gemeinen und Niedrigen“ durch das Lachen, das somit eine Gewalt vermeidende und gesellschaftlich entlastende Funktion er‐ hält. 88 Mit der Ostentation des Leiblichen, des obszönen Körpers im Sexuellen und Skato‐ logischen wird im Schwankroman jedoch eine rituelle Tiefenschicht des Lachens abgerufen, die Röcke sozialhistorisch als Ausdruck von Negativität und bedrohlichem Außenseitertum interpretiert. 89 Ich werde auf dieses Thema in Kap. 6 auch anhand der einzelnen Schwank‐ romane ausführlich zurückkommen; ebenso auf die zugehörige Literatur. Eng verwandt mit den Schwankhelden sind die spätmittelalterlichen Narrenfiguren aus Novellen, Prosaerzählungen, Schwänken und dem komisch-ernsten Epos Der Ring von Heinrich Wittenwiler. Gerade sie zeigen über pointierte und ausgefeilte Körperinszenie‐ 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 108 90 Vgl. zum Spott als Medium zwischen Sprach- und Körperkomik Velten, Hans Rudolf: Spott und La‐ chen im Ring Heinrich Wittenwilers. In: Spott und Verlachen im späten Mittelalter zwischen Spiel und Gewalt. Hg. von Stefan Seeber u. Sebastian Coxon, Mitteilungen des deutschen Germanistenverbandes (2010), H. 1, S. 67-79. 91 Vgl. Bachorski, Hans-Jürgen: Irrsinn und Kolportage - Studien zum Ring, zum Lalebuch und zur Geschichtklitterung. Trier 2007. 92 Schmidt-Wiegand, Ruth: Heinrich Wittenwilers Ring zwischen Schwank und Fastnachtspiel. In: Sagen mit sinne. FS für Marie-Luise Dittrich zum 65. Geburtstag. Hg. von Helmut Rücker u. Otto Seidl. Göppingen 1976, S. 245-261; Ruh, Kurt: Ein Laiendoktrinal in Unterhaltung verpackt, Wittenwilers ‚Ring‘. In: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Hg. von Ludger Grenzmann u. Karl Stackmann. Stuttgart 1984, S. 344-355; Herrmann, Petra: Karnevaleske Strukturen, a.a.O. Göppingen 1984. 93 Zur grotesken Leiblichkeit, allerdings ohne Bezug zur Komik, jetzt Frömming, Götz: Die Ästhetik des Leibes. Eine Studie zur Poetik des Körpers in Heinrich Wittenwilers Ring. Trier 2015. 94 Vgl. Velten, Hans Rudolf: Narren im weltlichen Spiel in Deutschland und in den Niederlanden (1400-1600). In: Schnittpunkte. Deutsch-Niederländische Literaturbeziehungen im späten Mittelalter. Hg. von Angelika Lehmann-Benz, Ulrike Zellmann u. Urban Küsters. Münster 2003, S. 331-52. rungen (der eigenen wie der fremden lächerlichen Körper), wie Performativität im schrift‐ lichen Text inszeniert werden kann. Ihr die Ordnungsverhältnisse destruierendes und zer‐ setzendes Potential, das in Gesten, Haltungen und vor allem in Sprechweisen des Alltags und des Familiären zum Ausdruck kommt, ist kaum je augenfälliger und szenischer gestaltet worden als in Wittenwilers Ring. 90 Hier geht es - weit über das ständesatirische Potential des Werks hinaus - um Inversionen von symbolischer Ordnung durch Differenzierung, Dialogisierung und sprachliche Zersetzung, die zunächst in ein befreiendes, schließlich aber in ein schwarzes Lachen mündet. 91 Im Ring nimmt die Kommunikationsform des Spottes eine Zentralstellung ein. Bereits in der Narrenparade des Turniers wird ein Rahmen für das gegenseitige Verspotten in den Scherzreden Neitharts und der Bauern geschaffen. Sie sind in ihrer Sprechweise eng gebunden an andere Formen der körperlichen Komik, der Komik des Stürzens und Stolperns, des Stotterns, des gegenseitigen Prügelns und Schlagens und der daraus folgenden Schäden am Körper, welche das Turnier mit sich bringt. Der im ko‐ mischen Modus geäußerte Spott freilich markiert die Fiktionalität des Geschehens, sodass zwar körperliche und sprachliche Gewalt erzählt werden, sie jedoch keine sozialen Wir‐ kungen zeitigen. Der Zusammenhang des Ring mit theatralen Gattungen wie Fastnachtspiel und Schwank ist schon früh gesehen worden. 92 Karnevaleske Profanierungen und Dekonstruktionen konnten in der Selbstreferentialität der Sprache, aber auch in der grotesken Körperlichkeit (sprechende Namen, Obszönität) der Protagonisten nachgewiesen werden. 93 Hier wie in den weltlichen Schauspielen des 15. und 16. Jahrhunderts folgt das Lachen nicht nur der Herstellung eines ‚Gegensinns‘ durch semantische Inversionen und Störungen (wie etwa bei den Fazetien), sondern die sprachlichen Äußerungen zersetzen Sinn, was zur Folge hat, dass Lachen durch die Wahrnehmung von Performativa - der Materialität des Sprechens, Gebärden, Lärm und Bewegung - ausgelöst wird. 94 Daher sind die jüngeren Untersu‐ chungen zur Ritualität des weltlichen Spiels wichtige Vorarbeiten für eine genauere Analyse der verschiedenen Funktionen des Lachens. Denn in den vielen Spielen zugrunde liegenden rituellen Praktiken - Einjahresrituale der Fastnacht wie die Wahl zum Jugendbzw. Fest‐ könig oder die Maibuhlenschaft, das Hahnenschlagen usw., rituelle Tänze wie Schwert- und 2.2. Literaturwissenschaftliche Positionen: Lachen 109 95 Zur Herausbildung des weltlichen Schauspiels aus Performances und rituellen Praktiken der Fast‐ nacht vgl. die Studien von Eckehard Simon, die er zusammengefasst hat in: Simon, Eckehard: Die Anfänge des weltlichen deutschen Schauspiels 1370-1530. Untersuchung und Dokumentation. Tübingen 2003. 96 Vgl. im Anschluss an Bachtin bereits Schindler: Karneval, Kirche und die verkehrte Welt, S. 9-57; Simon, Eckehard: Carnival Obscenities in German Towns. In: Obscenity. Social Control and Artistic Creation in the European Middle Ages. Hg. von Ziolkowski, S. 193-213. 97 Vgl. Röcke, Text und Ritual, S. 83-100; ders.: Literarische Gegenwelten. Fastnachtspiele und karne‐ valeske Festkultur. In: Die Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (Hansers Sozialge‐ schichte der deutschen Literatur 1). Hg. von dems. u. Marina Münkler. München 2004, S. 420-445. 98 Warning, Rainer: Funktion und Struktur. Die Ambivalenzen des geistlichen Spiels. München 1974. Warnings Thesen waren zunächst allerdings sehr umstritten; vgl. die ablehnende Rezension Friedrich Ohlys in Romanische Forschungen 9 (1976), S. 111-141; zu der Kontroverse aus zeitlicher Distanz vermittelnd Haug, Walter: Rainer Warning, Friedrich Ohly und die Wiederkehr des Bösen im geist‐ lichen Schauspiel des Mittelalters. In: Ritual und Inszenierung. Hg. von Ziegeler, S. 361-374. Moriskentänze, rituelle Rügebräuche wie Blochziehen und Charivari 95 - sind nicht nur gruppenspezifische Exklusions- und Identifikationsmechanismen durch aggressives Ver‐ lachen zu erkennen, sondern das Lachen markiert auch ambivalente Situationen und Hand‐ lungen, die im Übergangsbereich von Ritual und Spiel angesiedelt sind. Dass diese Praktiken vor allem der Fastnachtskultur zuzurechnen sind, und dass diese Fastnachtskultur als eine über die engere Bestimmung der Tage vor Aschermittwoch bzw. Invocavit hinausgehende liminale Schwellenzeit anzusehen ist, zeigt sich inzwischen immer deutlicher. 96 Es geht bei solchen Praktiken meist um geschlechtliche, soziale und ethnische Codierungen des Kör‐ pers, die ganz unterschiedlich in den Texten verhandelt werden. So wird das aggressive Lachen in einem dem Heiratsmarkt dienenden Ritual wie dem Blochziehen im Fastnacht‐ spiel(text) deutlich verschoben und entschärft, wenn statt der Verhöhnung der Frauen das cross-dressing und das mit ihm zusammenhängende theatrale Rollenspiel zum komischen Lachanlass wird. 97 Die in diesem Rollenspiel auftretenden Transformationen von körper‐ licher Gewalt in sprachliche Gewalt, und von gezüchtigten Körpern zu lächerlich-grotesken Körpern sind entscheidende Fragen zum Funktionswandel des Lachens zwischen Ritual, theatraler Aufführung und Text. Die Inszenierungen und die Formen lächerlicher Körper‐ lichkeit im weltlichen Schauspiel werden eine wichtige Voraussetzung für die Performati‐ vität des Körpers in literarischen Texten überhaupt sein (vgl. Kap. 6). Die Ausarbeitung einer Funktionsgeschichte des Lachens im Beziehungsfeld zwischen Ritualität und Textualität hat auch für die Erforschung des geistlichen Spiels Gestalt ange‐ nommen. Hier hatte Rainer Warning bereits 1974 leitende und bis heute noch aktuelle Er‐ kenntnisse formuliert, die das Lachen über die burlesken Szenen im volkssprachigen Os‐ terspiel als Überwindung der Teufelsfurcht und als rituelle Entlastungsfunktion erklären, eine Funktion, welche die kerygmatische Heilsvermittlung nicht leisten konnte. 98 Seit dem 13. Jahrhundert gehören ‚komische‘ Szenen (Mercator- und Grabwächterszenen, die Höl‐ lenfahrt Jesu mit den dazugehörigen Teufelsdarstellungen sowie die Hortulanusszenen) zum festen Bestandteil geistlicher Osterspiele. Warning hatte diese von der Liturgie (noch in den Osterfeiern) ausgegrenzten Szenen als Wiedereinholung des Mythos (und damit ist das heidnisch-rituelle Substrat des vorchristlichen ostârûns gemeint) und somit eines ago‐ nalen Kampfes zwischen Gott und Dämon gesehen. Interessant für unseren Zusammen‐ hang ist die Frage des Gelächters des Publikums über die Teufel. Warning geht von einem 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 110 99 So nennt Warning die Reaktualisierung seiner Thesen „Auf der Suche nach dem Körper“, bzw. spricht bisweilen von „praller Körperlichkeit“, ohne dies näher auszuführen. Der Versuch Vollmanns, Warn‐ ings These zu entdifferenzieren und die Teufelsszenen als „krude Volksbelustigung“ aufzufassen, geht zwar in diese Richtung, ist jedoch wesentlich zu unterkomplex. Vgl. Vollmann, Benedikt Konrad: Lateinisches Schauspiel des Spätmittelalters? In: Ritual und Inszenierung. Hg. von Ziegeler, S. 1-9. 100 Müller, Jan-Dirk: Realpräsenz und Repräsentation. Theatrale Frömmigkeit und Geistliches Spiel. In: Ritual und Inszenierung. Hg. von Ziegeler, S. 113-133, hier S. 131. Vgl. auch Gumbrecht, Hans-Ulrich: Für eine Erfindung des mittelalterlichen Theaters aus der Perspektive der frühen Neuzeit. In: Fest‐ schrift für Walter Haug und Burghart Wachinger, S. 830. 101 Ridder, Erlösendes Lachen, S. 203. Auch Begriffe wie „Komik des Numinosen“, mit dem Ridder die Widersprüche zwischen Gelächter und Sakralem aufzulösen versucht, stellen kein triftiges Instru‐ mentarium dar, um diese Probleme aufzuschlüsseln. 102 Vgl. Berger, Peter L.: Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Erfahrung. Berlin / New York 1998. Die Unauflöslichkeit der Spannung zwischen Sakralität und Gelächter hat Walter Haug auf eine „neue, polar gespannte, subjektive Gotteserfahrung, die sich einer Harmonisierung verwei‐ gert“ zurückgeführt. Walter Haug in Ritual und Inszenierung. Hg. von Ziegeler, S. 373. 103 Wolf, Gerhard: O du fröhliche. Zum Hessischen Weihnachtsspiel. In: Komische Gegenwelten. Hg. von Röcke u. Neumann, S. 155-174; Quast, Bruno: Vom Kult zur Kunst, vor allem das Kap. „Soteriologie des Lachens“; Keller, Hildegard Elisabeth: Lachen und Lachresistenz. Noahs Söhne in der Genesisepik, der Biblia Pauperum und dem Donaueschinger Passionsspiel. In: Lachgemeinschaften. Hg. von Röcke u. Velten, S. 33-59; s.a. Gvozdeva / Röcke, Risus sacer, S. 11 ff. Lachen aus, das von der Spannung zwischen „ritueller Performanz“ und „theatralischer repraesentatio“ geprägt ist, also zwischen einer rahmenden rituellen Situation und einem von der theatralen Darstellung ausgehenden Anlass. Während erstere die überwundene Furcht vor dem Bösen rituell wiederholt, ist der in die Situation eingebettete, konkrete Lachanlass auf die Lächerlichkeit der mimetisch aufgeführten Teufelsfiguren bezogen. Diese hochinteressante These wird von Warning zwar des Öfteren formuliert, eine Be‐ weisführung - gerade was den Lachanlass angeht - jedoch kaum je in Angriff genommen, sodass der Eindruck entsteht, die Funktionsmechanismen von grotesker Körperlichkeit lägen auf der Hand und müssten nicht mehr nachgewiesen werden. 99 Jan-Dirk Müller hat unlängst darauf aufmerksam gemacht, dass dem nicht so ist, indem er die Körperlichkeit der Teufel als Kontrapunkt der heilsgeschichtlichen Botschaft verstanden wissen will: „In solchen Szenen drängt sich eine jede höhere Bedeutung abweisende, in der schieren Präsenz sich erschöpfende Körperhaftigkeit in den Vordergrund und blockiert und erschwert das heilsgeschichtliche Verständnis“. 100 Diese im Anschluss an Warning formulierte Funktion des Körperlichen in den komischen Szenen ist kaum hinreichend mit der christlich-apokryphen Herkunft der Szenen erklärbar. Die Vermutung Ridders, man verlache nicht mehr den Teufel, „sondern über die Unzuläng‐ lichkeit der Sünder“ ist kaum stichhaltig, da hier zwei verschiedene Lachanlässe gemeint sind. 101 Überhaupt sind Versuche, das Lachen im Kontext des Sakralen erlösungstheologisch zu fassen, mit Bedacht zu lesen, denn sie führen sämtlich von dem von Warning ausgear‐ beiteten Körperlichen weg; auch verwischen sie in ihrem integrativen und essentialisti‐ schen Impetus vorsätzlich Grenzen zwischen Sakralem und Gelächter und nehmen dem Verhältnis so seine wichtige Spannung. 102 Schlüssigere Antworten auf die Frage, wie das Lachen zum Sakralen des geistlichen Spiels steht, haben etwa Gerhard Wolf, Bruno Quast und Hildegard Keller gegeben. 103 Sie greifen den Gedanken Warnings wieder auf, dass das 2.2. Literaturwissenschaftliche Positionen: Lachen 111 104 Vgl. etwa Krohn, Rüdiger: Der unanständige Bürger. Untersuchungen zum Obszönen in den Nürnberger Fastnachtspielen des 15. Jahrhunderts. Kronberg 1974; Herrmann, Karnevaleske Strukturen in der Neidhart-Tradition 105 Die sogen. Narrendichtung zeigt den Narren lediglich als Objekt des Spotts und des Verlachens, ohne dieses selbst mehr zu inszenieren: „Nur der Narr erhebt im Lachen seine Stimme, und auch der Narr ist eine traurige Gestalt und nicht zum Lachen.“ Schmitz, Gerhard: Ein Narr, der da lacht… Überle‐ gungen zu einer mittelalterlichen Verhaltensnorm. In: Vom Lachen. Einem Phänomen auf der Spur. Hg. von Vogel, S. 129-154, hier S. 136. Hierin folgt Schmitz den volkskundlichen Studien Werner Mezgers, der die Narrenfigur rein nach ihrer ikonographischen Symbolik interpretiert: Mezger, Werner: Bemerkungen zum mittelalterlichen Narrentum. In: Narrenfreiheit. Beiträge zur Fastnachts‐ forschung. Hg. von Hermann Bausinger u. a. Tübingen 1980, S. 43-65 sowie den Artikel „Narr“. In: Lexikon des Mittelalters. Hg. von Robert-Henri Bauthier u. a. Zürich 1980 f., Sp. 1023-1026. Lachen im geistlichen Spiel ambivalent oszillierend ist: Es gilt dem überwundenen Bösen, das trotzdem noch furchtbar ist und als ein Teil der Wirklichkeit seine Anerkennung fordert. 2.3. Die doppelte Leerstelle Die weitgehende Abwesenheit des lächerlichen Körpers in der Forschung bezieht sich auf alle bisher untersuchten Arbeitsfelder. In den Theorien des Lachens und der Komik spielt er, bis auf Bergson und Plessner, nur eine untergeordnete Rolle; in den jüngst stark und zu Recht angewachsenen Körperstudien, welche in hohem Maß interdisziplinär angelegt sind, wird er ebenso ausgeklammert. Die Gründe dafür sind vielfältig: Er entzieht sich struktu‐ rellen und diskursiven Konstruktionen, welche die Forschung dominieren, er wird kaum mit Lachen und Komik in Verbindung gebracht. Andererseits wurde er auch in der Komik- und Lachforschung als Untersuchungsgegenstand nicht recht ernst genommen, sondern immer wieder semantisch-ontologischen Fragestellungen untergeordnet. Dies ist paradig‐ matisch erkennbar an einem weiteren Forschungsfeld, der Narrenfigur des späten Mittel‐ alters und der Frühen Neuzeit. Die Theaterfigur des Narren hat lediglich in Untersuchungen zum spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen weltlichen Spiel eine gewisse Aufmerksamkeit erlangt, doch ist es hier vor allem die sprachliche Komik und die allgegenwärtige skatologische Komik, die im Mittelpunkt der Analysen stand. 104 In der Prosa haben an der Narrenfigur ihre satirischen und politischen Zwecksetzungen mehr interessiert als ihre Unterhaltungsfunktion, da die Narrenliteratur des 16. Jahrhunderts insgesamt weniger im Zeichen des Lachens, sondern der moraldidaktischen Satire steht. 105 Durch die Konzentration auf die satirisch-semanti‐ sche Komik sind die performativen und körperlichen Aspekte an der Narrenfigur zugunsten ihrer vielfachen symbolischen und zeichenhaften Ausprägungen weitgehend vernachläs‐ sigt worden. Ausgehend von den großen Werken der Narrenliteratur seit Sebastian Brants Narrenschiff wurde der Narr als Stände übergreifender Träger von Sünden und falschem Handeln, als bildkräftiges Medium reformatorischer und antireformatorischer Propaganda, aber auch als Metapher für die diskursive Schwelle zwischen Vernunft und Unvernunft, 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 112 106 Vgl. Swain, Barbara: Fools and Folly during the Middle Ages and the Renaissance. Diss. Columbia Univ. New York 1932; Lefebvre, Joel: Les fols et la folie. Étude sur les genres du comique et la création littéraire en Allemagne pendant la Renaissance. Paris 1968; Könneker, Barbara: Wesen und Wandlung der Nar‐ renidee. Heidelberg 1969; dies.: Satire im 16. Jahrhundert. Epoche - Werke - Wirkung. München 1991; Groß, Angelika: „La Folie“. Wahnsinn und Narrheit im spätmittelalterlichen Text und Bild. Hei‐ delberg 1990. 107 Dies ist auch noch an den Themen eines vor einigen Jahren publizierten, interdisziplinären Bandes zur Narrenfigur zu erkennen: Schillinger, Jean (Hg.): Der Narr in der deutschen Literatur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 2009. Hier geht es um den Narrenbegriff, seine Funktion in der konfessionellen Polemik, das Motiv der Torheit und der vanitas mundi, die Rolle des närrischen Erzählers und Ironie, den Narren als didaktisches Instrument usw. 108 Bynum, Warum das ganze Theater mit dem Körper? , S. 8. 109 Entscheidende Vorarbeiten dafür in Röcke: Die Freude am Bösen, sowie ders.: Die Gewalt des Narren. In: Die Kultur des Rituals. Hg. von Christoph Wulf u. Jörg Zirfas, S. 110-128, sowie ders.: Die ge‐ täuschten Blinden. Gelächter und Gewalt gegen Randgruppen in der Literatur des Mittelalters. In: Lachgemeinschaften. Hg. von Röcke u. Velten, S. 61-82. Narrheit und Weisheit behandelt. 106 Dabei schien der Körper des Narren weniger lebendiger Akteur und Handlungszentrum, sondern eher Einschreibefläche semantischer Ambiva‐ lenz. 107 Ein Blick auf die breite diskursive, theatrale und ikonographische Adaption der Narren‐ figur im 16. Jahrhundert durch die konfessionelle und stadtbürgerliche Literatur macht deutlich, in welch hohem Maße der lächerliche Körper in verschiedenen Lebens- und Dis‐ kurszusammenhängen verwendet wurde. Dies gilt bereits für Hoch- und Spätmittelalter, führt man sich das Auftreten von Narrenfiguren in so unterschiedlichen Gattungen wie der Märenliteratur, der höfischen Literatur oder der Schauspieltexte vor Augen. Im Anschluss an Bynums Formulierung, den Körper im Mittelalter habe es nicht gegeben, 108 muss die Annahme erlaubt sein, den lächerlichen Körper in Mittelalter und früher Neuzeit habe es ebenso wenig gegeben. So betrachtet, erscheint auch er in mindestens acht verschiedenen Diskursen, bei denen er jeweils verschiedenen Formen des Lachens zugeordnet werden kann: (1) Der Diskurs der sozialen Ausgrenzung (Lachen über Verkrüppelte, Deformierte, Blinde, Arme, Narren usw.): hier geht es um böses, überlegenes oder gewalttätiges, in jedem Fall exkludierendes Lachen. 109 Das ästhetische Pendant dazu ist (2) Der Diskurs des Hässlichen und Grotesken (Lachen über menschliche Disproporti‐ onen und Deformationen, Tier-Mensch-Verbindungen, schließt an die antike defor‐ 2.3. Die doppelte Leerstelle 113 110 Vgl. dazu Jauß, Hans Robert: Die klassische und die christliche Rechtfertigung des Hässlichen. In: Die nicht mehr schönen Künste. Hg. von dems. (= Poetik und Hermeneutik, III). München 1968, S. 143-168; Michel, Paul: ‚Formosa Deformitas‘. Bewältigungsformen des Hässlichen in mittelalterlicher Literatur. Bonn 1976, der allerdings kaum auf das Lachen eingeht. 111 Vorarbeiten hierzu v. a. Velten, Hans Rudolf: Komische Körper. Zur Funktion von Hofnarren und zur Dramaturgie des Lachens im Spätmittelalter. Zeitschrift für Germanistik N. F. Jg. XI (2001). H. 2, S. 292-317. 112 Zum Themenkomplex der therapeutischen Funktion des Lachens, allerdings ohne Berücksichtigung der Körperlichkeit vgl. die Arbeiten von Schmitz, Heinz-Günther: Physiologie des Scherzes. Bedeutung und Rechtfertigung der Ars Iocandi im 16. Jahrhundert. Hildesheim / New York 1972 sowie „Claus Narr und seine Zunft. Erscheinungsformen und Funktionen des Hofnarren im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit.“ In: Mein ganzer Körper ist Gesicht. Groteske Darstellungen in der europäischen Kunst und Literatur des Mittelalters. Hg. von Katrin Kröll u. Hugo Steger. Freiburg 1994, S. 279-291. 113 Die Beiträge in Antunes, (De)formierte Körper: die Wahrnehmung und das Andere im Mittelalter, aber auch die Studien zu Narren und Teufeln im spätmittelalterlichen geistlichen und weltlichen Spiel. 114 Hier sind vor allem die Arbeiten Bachtins und seiner Nachfolger zu nennen. Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Hg. von Renate Lachmann. Frankfurt a. M. 1987; Herr‐ mann, Karnevaleske Strukturen. 115 Bereits in Arbeiten zum Märe „Diu halbe birne“ (Pseudo-Konrad von Würzburg); etwa: Müller, Jan-Dirk: Die ‚hovezuht‘ und ihr Preis: zum Problem höfischer Verhaltensregulierung in Ps.-Konrads ‚Halber Birne‘. In: Jahrbuch der Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft 3 (1984 / 85), S. 281-311; Schnyder, Mireille: Die Entdeckung des Begehrens: das Märe von der halben Birne. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 122 (2000). H. 2, S. 263-278; zu Ulrich von Liechtenstein vgl. Velten, Hans Rudolf: Der Text als Spiel-Raum von Transgression und Hybridisierung: Perfor‐ mative Strategien im Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein. In: Transgression - Hybridisierung - Differenzierung. Hg. von Audehm u. Velten, S. 185-224. 116 Ansätze dazu finden sich in der Analyse der Lachanlässe in der Zimmerschen Chronik. Vgl. Wolf, Gerhard: ‚das die Herren was zu lachen hetten‘. Lachgemeinschaften im südwestdeutschen Adel? In: Lachgemeinschaften. Hg. von Röcke u. Velten, S. 145-172, hier S. 164 ff. mitas-Debatte an): 110 genüssliches und seit Aristoteles enthebbares, aber auch Ekel abwehrendes Lachen. (3) Der Diskurs der Unterhaltung (akrobatische und imitative Körperkomik bei Festen und Feiern): gründet sich in der Regel auf lautes fröhliches, unbeschwertes Lachen. 111 (4) Der Diskurs der Diätetik (Körperinszenierungen und Streiche von Hofnarren, unfrei‐ willige Körperkomik): bestimmt herzhaftes Lachen als Therapie zur Gesundung, als Mittel gegen die Melancholie, als Form der Reinigung des Körpers. 112 (5) Der Diskurs des Anderen (Lachen über die Körperlichkeit von Teufeln, Fremden, Heiden, Narren, Riesen): Lachen ist hier höchst ambivalent, aber entlastend und ge‐ meinschaftsbildend. 113 (6) Der Diskurs der Freiheit (der triebenthemmte Körper, körperliche Subversionen, Ska‐ tologie): hier geht es um das rituelle und vitale, befreiende Lachen nicht nur des Kar‐ nevals. 114 (7) Der Diskurs der spielerischen Provokation (transgressives Zeigen von Körperlichkeit, Verkleidung): geselliges und distanzierendes, aber auch spöttisches und strafendes Lachen, teils verbunden mit Scham. 115 (8) Der Diskurs des Scheiterns (der unfreiwillig komische Körper): schadenfrohes, aber auch erleichtertes Lachen. 116 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 114 117 Einen ersten Überblick über diese Frage gibt der von Eva Erdmann herausgegebene Sammelband, der zeigt, dass Lachen über Lachfiguren weit verbreitet war. Erdmann, Eva (Hg.): Der komische Körper. Szenen - Figuren - Formen. Bielefeld 2003. 118 Zum Inszenierungsbegriff weiter unten. Diese Zusammenstellung ist als heuristischer Vorschlag anzusehen und erhebt weder An‐ spruch auf Endgültigkeit noch auf Vollständigkeit. Sie steht nicht am Ende der Untersu‐ chung, sondern am Anfang, und soll daher zunächst vor Augen führen, wie differenziert im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit der lächerliche Körper diskursiv ausgestaltet werden konnte. Sie soll aber vor allem Anlass für Fragestellungen sein, die sich aus ihr unweigerlich ergeben: Wie wird der lächerliche Körper jeweils konstruiert, wie wird er diskursiv und imaginär codiert? Und darüber hinausgehend: In welche Praxiszusammen‐ hänge und Aufführungen ist er eingebunden, auf die diese Diskurse rekurrieren, wie wird er ver-körpert? Jedenfalls ist zum jetzigen Zeitpunkt schon zu vermuten, dass die vorlie‐ gende Untersuchung das Ineinanderspiel von diskursiven und praktischen Inszenierungen des lächerlichen Körpers behandeln muss, um überhaupt einen methodischen Zugriff auf seine Performativität zu erhalten. Weitere Fragen können entwickelt werden: Inwieweit sind lächerliche Körper Phäno‐ mene der Liminalität und / oder der Normtransgression? In welchem Umfang hängen sie mit dem Schwellenalter der Jugend zusammen? Wie sind sie geschlechtlich codiert? Mar‐ kiert das Lachen über Körperliches soziale Unterschiede? Auch geht es immer noch um Grundsätzliches: Welche Personen und Figuren erregen in Mittelalter und früher Neuzeit überhaupt Lachen auf Grund ihrer Körperlichkeit? 117 Diese Fragen sind allerdings nur auf der Basis einer Mediendifferenzierung zu beant‐ worten, die die spezifische Textualität (Schriftlichkeit / Mündlichkeit, Gattungsbindung) und die ihr zugrunde liegende Diskursivität (narrative und rhetorische Formen) mit dem ‚Sitz im Leben‘ des lächerlichen Körpers, seinen theatralen und rituellen Inszenierungs‐ formen sowie seinen Orten (theatrales Spiel und Spektakel, Feste und Karneval, Rituale, höfische Jagd und Mahl, Geselligkeit usw.) verbindet. Erst dann lässt sich effektiv von ‚Körperinszenierungen‘ in Texten des Mittelalters und der frühen Neuzeit sprechen. 118 Die wichtigsten Vorarbeiten für diesen Fragekomplex sind unabweislich - ich habe es oben bereits erwähnt - in der Monographie Rabelais und seine Welt von Bachtin geleistet worden. Deshalb muss jede nachfolgende Arbeit dazu sich zunächst mit seinen Thesen auseinan‐ dersetzen. 2.4. Bachtins ‚grotesker Körper‘ als Textmetapher Im Mittelpunkt von Bachtins Konzeption des ‚grotesken Körpers‘ steht der Aspekt der Durchlässigkeit und des Austauschs. Beständige Ströme in Form von Nahrung, Exkre‐ menten, Blut und Schleim durchqueren ihn von innen nach außen und umgekehrt, machen aus ihm einen Ort der kontinuierlichen Aufnahme und Ausscheidung. Das spezifisch Gro‐ teske entsteht jedoch nicht allein aus der Wahrnehmung der Wechselstoffvorgänge des Körpers, sondern auch der Transgression von Normen der Verhüllung und des Verbergens der körperlichen pudenda sowie seiner wandelbaren und hyperbolischen Anatomie (Größe, 2.4. Bachtins ‚grotesker Körper‘ als Textmetapher 115 119 Vgl. v. a. Dietz-Rüdiger Moser in verschiedenen Arbeiten zu Bachtins Karnevalsbegriff. Mosers Kritik ist begrifflich und historisch motiviert; bei Bachtins Theorie der Lachkultur handele es sich um ein „Konstrukt“, „durch das der Zugang zu den wirklichen Tatbeständen verstellt wird“. Moser, Dietz-R.: Lachkultur des Mittelalters? In: Euphorion 84 (1990), S. 89. Moser unterstellt Bachtin politische Motive für seine Theorie, „unkritische Verwendung definierter Begriffe“, und ahistorisches Vorgehen, das den Karneval als brauchtümliches Phänomen, das unter der Organisation und Leitung der Kirche stand, in den Rahmen einer diffusen Lachkultur des Volkes stelle. Moser lehnt das rituelle Lachen als Wesenszug des Karnevals ab (S. 96) und erklärt die Paradoxie der Zusammengehörigkeit des Gegensätzlichen aus dem augustinischen Zwei-Staaten-Modell. Er stützt sich dabei fast ausschließ‐ lich auf theologische Quellen. Neben Moser besonders kritisch auch Horst Fuhrmann in seiner Einladung ins Mittelalter. München 1987, S. 295, der Bachtin vorwirft, er „streife den Unsinn“ und arbeite ohne wirkliche Quellenbasis, sowie Aaron Gurjewitsch, der die starre Opposition von Hoch‐ kultur und Volkskultur, von Heiligem und Profanem in Frage stellt. Gurjewitsch, Aaron: Bachtin und seine Theorie des Karnevals. In: Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute. Hg. von Jan Bremmer u. Herman Roodenburg. Darmstadt 1999, S. 57. 120 Bachtin, Michail, Rabelais und seine Welt, S. 76. 121 Ebd., S. 360. Form, Gestalt). Dieser organisch-leiblich gefasste Körperkonzeption eignet auf politisch-ge‐ sellschaftlicher Ebene ein subversives und utopisches Potential: Der groteske Körper steht symbolisch für die Befreiung von Ordnungskonventionen, er ist Zentrum der „Lachkultur des Volkes“. Dieser Aspekt, der für Bachtin offensichtlich auch aus politischen Gründen wichtig war (Widerstand gegen den Terror der Stalinzeit), und der in der Bachtin-Rezeption besonders stark kritisiert wurde (vor allem der Zusammenhang Karneval-Lachkultur), 119 interessiert in unserem Zusammenhang jedoch nur in untergeordneter Hinsicht. Wichtiger dagegen ist, was der ‚groteske Körper‘ als methodischer Terminus für unsere Fragestellung leisten kann. Bachtin konzeptionalisiert ihn zunächst als polyvalente Meta‐ pher, die zwischen Motiven der Literatur, der Kunst und dem Imaginären oszilliert. Sie dient ihm als universelle Chiffre einer popularen Lachkultur, die gleichzeitig sprachlich-literari‐ sche Körperkonzepte, aufgeführte Körper und imaginäre Körper vereinigt. Der ‚groteske Körper‘ manifestiert sich beispielsweise in Bildern wie dem der schwangeren Alten: Das Groteske vereint den verfallenden, schon deformierten Körper mit dem noch nicht entwi‐ ckelten, gerade gezeugten, neuen Leben. Hier wird das Leben in seiner ambivalenten, innerlich widersprüchlichen Prozesshaftigkeit gezeigt, nichts ist fertig, die Unabgeschlossenheit selbst steht vor uns. Genau darin besteht die groteske Körperkonzeption. 120 Der Darstellungmodus des gleichzeitig werdenden und sterbenden Körpers, der durch seine Ausstülpungen (Nase, Phallus, weibliche Brüste, Hintern usw.) und seine Öffnungen (Mund, Ausscheidungsorgane usw.) mit der Welt verbunden ist und in einer Art Austauschbezie‐ hung zu ihr steht, gehört nach Bachtin als „grotesker Realismus“, der „mehrere Jahrtausende lang maßgebend für Kunst und Literatur (...) war, der volkstümlichen Lachkultur an.“ 121 Zu seinen Charakteristika zählen auch mit ihm verbundene groteske Motive wie das nach außen gekehrte Körperinnere, das übermäßige Essen und Trinken, die Ausscheidungspro‐ zesse usw., Motive, die sich durch stilistische Merkmale wie Übertreibung und Hyperbolik auszeichnen. Bachtin beschreibt diese Körperauffassung als charakteristisch für das Mit‐ telalter und die Frühe Neuzeit. Erst im Lauf der Neuzeit sei dieses Konzept demjenigen des fertigen, streng begrenzten, nach außen verschlossenen, individuell ausdrucksvollen Kör‐ 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 116 122 Ebd., S. 394 ff. 123 Vgl. Gumbrecht, Literarische Gegenwelten, S. 95-144, hier S. 136 f. Gumbrecht sagt zur Konzepthaf‐ tigkeit des Bachtinschen grotesken Körpers: „Konzepte blenden als Normal-Gestalten alle sie über‐ schreitenden Wahrnehmungsgegenstände … als Objekte unserer Alltagserfahrung aus und habitu‐ alisieren kategoriale Oppositionen wie Tod / Geburt oder Welt / Leib als Grundschema unserer Welterfahrung.“ S. 136. 124 Lachmann, Renate: Vorwort. In Bachtin, Rabelais und seine Welt, S. 7-47. 125 Bachtin, Rabelais und seine Welt, S. 138. 126 Vgl. Lachmann: Vorwort, S. 16. 127 Bachtin hält offensichtlich die Tatsache, dass der groteske Körper Lachen auslöst, für umstandslos gegeben. Bindeglied ist eine kosmische Heiterkeit, die in der Sprache deutlich wird (heitere Ver‐ wünschungen usw.) Für Bachtin ist Lachen eine Kultur, eine Welt, ein System. Lachen wird auch in keiner Weise als ein Effekt einer Inszenierung, als physiologisches Phänomen der Rezipienten oder Zuschauer thematisiert. Lachen wird auch nicht als „soziale Waffe“ der Exklusion oder der Gemein‐ schaftsbildung angesehen. Lachen hat bei Bachtin überhaupt keine soziale Wirkung, wenn nicht die des Verlachens der ernsthaften, „offiziellen“ Kultur durch die Volkskultur. 128 Vgl. Gurjewitsch, Bachtin und seine Theorie des Karnevals, S. 57. pers gewichen. Bachtin sieht die Manifestationen des ‚grotesker Körpers‘ vor allem in der Literatur, und hier speziell in der Sprache Rabelais’ gegeben. Es ist die volkstümliche Sprache des Marktplatzes, 122 das familiäre Schimpfrepertoire wie Schwüre, Flüche und Schimpfworte, die gemeinsam mit der transgressiven Sprachartistik des Dichters, die aus Elementen der Sprachmischung, imkompatiblen Sprachhandlungen und Stilmischung be‐ steht, das ‚Fleisch‘ des grotesken Körpers ausmachen. 123 Insofern ist der groteske Körper ein semiotisches Konstrukt, eine „somatische Semiotik“, wie es Renate Lachmann im Vor‐ wort zur deutschen Ausgabe ausdrückt, 124 ein Körper, der sich in Sprachbildern und sprach‐ lichen Effekten wie Familiarisierung, Degradierung und Profanierung konstituiert. Die relative Unabhängigkeit des ‚grotesken Körpers‘ von historischen, sozialen und kul‐ turellen Koordinaten macht es nicht nur möglich, dass Bachtin sein Konzept zur ideologi‐ schen Chiffre ausweitet, wenn der groteske Körper zum Volkskörper wird: Er ist der große kollektive Volkskörper, für den Geburt und Tod nicht Anfang und Ende im abso‐ luten Sinne, sondern bloß Momente des permanenten Wachsens und der Erneuerung sind. Der große Körper des mittelalterlichen Satyrspiels ist von der Welt nicht zu trennen, er (...) bildet ein gemeinsames Ganzes mit der verschlingenden und gebärenden Erde. 125 Damit wird dem ‚grotesken Körper‘ überdies ein utopisches Potential eingeschrieben, das in der Unsterblichkeit der Materie und der Befreiung durch den Karneval seine Erfüllung findet. 126 Der groteske Körper Bachtins ist somit nicht Lachanlass, er ist Welt, Volk, Utopie, Lachen an sich. Insofern ist er von einem umfassenden Wesen her bestimmt, eine festste‐ hende Größe, unabhängig von Zeit und Raum, von Texten und Gattungen. Diese Bestim‐ mungen ziehen die Frage nach sich, wie das Adjektiv ‚grotesk‘ in Bachtins Konzeption noch seine Berechtigung als Kennzeichen einer Lachkultur findet. Denn seine Argumentation in diesem Aspekt ist äußerst schwach. 127 Das Groteske ist ja keineswegs identisch mit dem Komischen oder dem Burlesken, es enthält neben seiner Tendenz zur Inversion und zur Chimäre auch starke Elemente des Schreckens und der Angst; diesen Punkt erwähnt etwa Gurjewitsch, wenn er kritisiert, Bachtin spreche kaum von Furcht und Schrecken des Volkes, wo diese mit Lachen und Freude doch Hand in Hand gingen. 128 Das Furchterregende 2.4. Bachtins ‚grotesker Körper‘ als Textmetapher 117 129 Vgl. dazu auch Fuß, Peter: Das Groteske. Ein Medium des kulturellen Wandels. Köln / Weimar / Wien 2001, S. 79: „Die Ähnlichkeit des Grotesken verschiedener Epochen beruht darauf, dass es in jedem Fall die Dekomposition einer kulturellen Ordnungsstruktur darstellt.“ 130 Vgl. Kröll, Katrin: Die Komik des grotesken Körpers in der christlichen Bildkunst des Mittelalters. In: Mein ganzer Körper ist Gesicht. Groteske Darstellungen in der europäischen Kunst und Literatur des Mittelalters. Hg. von ders. u. Hugo Steger. Freiburg 1994, S. 11-105, hier S. 11 ff. 131 Vgl. dazu meine Ausführungen in Velten, Der komische Körper, S. 293 f. und Velten, Grotesker und komischer Körper, S. 147 ff. 132 Vgl. dazu im Allgemeinen die Prämissen des Sonderforschungsbereiches 447: Theorien des Perfor‐ mativen. In: Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 10 (2001) und im Be‐ sonderen: Bachorski u. a., Performativität und Lachkultur in Mittelalter und früher Neuzeit, S. 161 ff. ist mithin in anderen Theorien des Grotesken thematisiert worden, etwa als unheimliche Verfremdung der Wirklichkeit (Kayser) oder in der Inszenierung grotesker Körper als Tier, Teufel oder Monstrum, schließlich als von Alterität bestimmter Körper des Fremden seit St. Brendan und Mandeville bis zu den Entdeckungsreisen der Neuen Welt. Auch ist die Volkskultur als einziger Referent des Grotesken abzulehnen: Allein der Hinweis auf die Mischkultur der Renaissance-Groteske in höfischer Architektur und Gartenkunst oder die Hybridisierung der lateinischen Sprache durch die Humanisten genügt, um dies zu bestä‐ tigen. 129 Es stellt sich die Frage, ob Bachtins Groteske-Konzept zur Beschreibung des lächerlichen menschlichen Körpers im engeren und von Lachvorgängen im weiteren Sinne geeignet ist. Als übergreifendes Diskursmodell karnevalesker (hyperbolischer, familiärer und hybrider) sprachlicher Formen, die die Körperfunktionen des Menschen betreffen, mag es eventuell hilfreich sein. Als Kern eines speziell volkstümlichen Motivsystems, das jedoch weit über das Lachen hinausgeht, kann es - mit Einschränkungen - für Untersuchungen in Literatur und Kunst ebenfalls relevant sein. 130 Nur eine unzureichende Antwort jedoch kann es auf die Fragen nach den Aufführungsformen des Körpers in Lachzusammenhängen geben: Über welche Körperdarstellungen wird in welcher Situation und sozialen Konstellation gelacht? Wie sehen die Diskurse und Bilder des aufgeführten lächerlichen Körpers aus und auf welche möglichen Interaktions- und Praxisformen weisen sie hin? Um diese Fragen zu beantworten, ist es angeraten, den metaphorisch vieldeutigen und mittlerweile vollkommen mit Bachtin identifizierten ‚grotesken Körper‘ als methodischen Begriff im Hintergrund zu halten und stattdessen mit dem einfacheren, doch auf vielen Ebenen praktikableren Begriff des „komischen Körpers“ zu arbeiten. 131 Damit können die performativen Akte körperlicher Lachanlässe, wie sie in Spielen und vor allem in textuellen Inszenierungen greifbar werden, genauer analysiert werden. Er ist auch gegenüber dem „lächerlichen Körper“ besser geeignet, weil er auf die Aufführungsbedingungen beim La‐ chen über Körperliches verweist: Es ist der für eine Gruppe von Lachenden inszenierte und dramatisierte, sich bewegende und stimmlich vernehmbare Körper in Aufführungen und ihren medialen Re-Inszenierungen. Gegenüber dem „lächerlichen Körper“, der eher unfrei‐ willig verlacht wird, ohne sich planvoll in Szene gesetzt zu haben, ist der komische Körper von Beginn an gänzlich auf das Lachen ausgerichtet und von ihm abhängig. Er wird durch das Lachen der Anderen erst zum komischen Körper, ist in dem Maße als performativ zu kennzeichnen, als er nicht konstativ Bedeutungen aussagt, sondern in der Interaktion mit Anwesenden Wirklichkeit in actu konstituiert. 132 Das Lachen bindet ihn auch an bestimmte 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 118 133 Vgl. Gumbrecht: Literarische Gegenwelten zum von Bachtin übernommenen Begriff der ‚Gegen‐ kultur‘ (S. 96 ff.) Einschränkend ist dazu zu sagen, dass alle Metaphern zur Erklärung des Lachens, die mit dem Präfix „Gegen-“ gebildet werden, meiner Ansicht nach Ausdruck eines Versuchs sind, das Lachen für politische oder utopische Zwecke in Dienst zu nehmen. Gegenwelt, Gegenkultur, Gegenbewegung, all das meint eine Feindschaft zu geltenden Normen, und nicht etwa, wie bei Joa‐ chim Ritters „Nichtigem“, das durch Transgression Ausgegrenzte wieder hereinzuholen. 134 Vgl. Fuß, Das Groteske, S. 81. soziale Kontexte (höfische, volkstümliche, städtische oder klerikale Unterhaltungsokkasi‐ onen wie gemeinsames Essen, Jahrmarkt, Karneval, Posse oder Narrenfest), das Lachen bestimmt die mit ihm verbundenen histrionischen Techniken der Mimesis und Transfor‐ mation. In den meisten dieser Situationen ist er tatsächlich von einer Unabhängigkeit von Konventionen der Haltung und der Disziplin charakterisiert, was seine Inanspruchnahme durch „Gegenkulturen“ und seine hohe Ambivalenz erklärt. Die bereits von Gumbrecht gesehene Zugehörigkeit des komischen Körpers zu „Spiel- und Gegenwelten“, seine „asym‐ metrische Negation“ 133 muss somit auch lebensweltlich erweitert werden, indem er auf die Profession und die spezifische Rechtsposition der professionellen Körperdarsteller (Gaukler, künstlichen Narren, Tänzer, Bühnendarsteller) hinweist. Die Frage, ob ein komischer Körper grotesk sein kann, muss demnach entschieden af‐ firmativ beantwortet werden: Bachtins Verdienst ist es ja gerade, das Groteske als Form des Lächerlichen wieder brauchbar gemacht zu haben. Im Anschluss an die Arbeit von Peter Fuß lässt sich der groteske Körper als metaphorisches Gegenbild zum klassisch schönen Körper definieren und meint die Auflösung der Allgemeinverbindlichkeit konventioneller Normen und die Tendenz zu ihrer Destabilisierung: Die groteske Struktur ist Produkt der Dekomposition der Relationen und der Permutation der durch die Dekomposition (...) freigesetzten Elemente einer (...) kulturellen Ordnungsstruktur und ihrer modifizierten Rekombination. Wird sie mit jener Ordnung konfrontiert, deren virtuelle Ana‐ morphose sie darstellt, forciert diese Kollision die Liquidation der Ordnung und erhöht die Wahr‐ scheinlichkeit ihrer realen Transformation. 134 In anderen Worten, groteske Körper (als theatrale und künstlerische Figurationen) können in ihrer Tendenz zur Destabilisierung und Auflösung kultureller Strukturen und Ord‐ nungen beschrieben werden, sie sind hybride und transformative Erscheinungen. Ihr se‐ mantisches Potential kann erst in der Aufführung wirksam werden; das Lachen, welches die Wahrnehmung des grotesken Körpers auslöst, ist damit auch kein kosmisches, kollek‐ tives und universales Festtagslachen, sondern an bestimmte historische und rituelle Auf‐ führungskontexte gebunden. Es kann heiter und lustvoll, aber auch ausgrenzend, spöttisch oder erniedrigend sein. Noch ist weitgehend nicht erforscht, welche Rolle der Körper als semiotisches und per‐ formativ-materiales Phänomen in den Aufführungen und Texten der Vormoderne spielte, wie seine Präsenz bei komischen Szenen gewirkt hat und mit welchen gestischen und mi‐ 2.4. Bachtins ‚grotesker Körper‘ als Textmetapher 119 135 Ansätze dazu bieten einige Beiträge des Bandes Anthropologie und Medialität des Komischen im 17. Jahrhundert (1580-1730). Hg. von Stefanie Arend, Thomas Borgstedt, Nicola Kaminski u. Dirk Niefanger. (= Chloe. Beihefte zum Daphnis 40). Amsterdam / New York 2008, vor allem jene zur ko‐ mischen Körperlichkeit auf der Bühne: Fulda, Daniel: Komik des Sichtbarmachens. Zu Körper und Verkleidung als Medien des Wanderschauspiels, mit einer Wendung von der Medialität des Komischen zur Komik als Medium, S. 71-104; Mourey, Marie-Thérèse: Körperrhetorik und -semiotik der volks‐ tümlichen Figuren auf der Bühne, S. 105-141; sowie Wirths Beitrag zu Grimmelshausen: Wirth ‚… habt ihr denn keine Mäuler mehr? ‘ Die Performanz des komischen Körpers in Grimmelshausens Simp‐ licissimus, S. 171-188. 136 Bachtin, Rabelais und seine Welt, S. 53. mischen Codes genau gearbeitet wurde. 135 Dass der Körper als Lachender, aber auch als Lachanlass in vielfältiger Weise, und nicht nur innerhalb einer wie auch immer konstru‐ ierten popularen Kultur gegenwärtig war, dürfte inzwischen unstrittig sein, und dies ist nicht zuletzt trotz aller Einschränkungen das Verdienst Bachtins. Denn er war der erste, der den Körper als zentralen Aspekt des Lachens als einer rituellen Handlung erfasst hat, als einen in zyklische Feste eingebundenen Zeit-Ort, der nur in und durch Gemeinschaft entstehen und wahrgenommen werden kann. Dass dieser Körper noch genauerer Konkre‐ tisierung bedarf, dürfte ebenso deutlich geworden sein. Vor allem die Frage, wie die Rituale und Praktiken beschaffen sind, an denen er teilhat bzw. in denen er Lachen hervorruft, ist hier von Interesse. 2.5. Rituelles Lachen Bachtins Studien haben die Frage nach dem lächerlichen Körper in einen rituellen Rahmen gesetzt. Sein ‚grotesker Körper‘ ist die metaphorische Umschreibung für eine spezifisch vormoderne Volkskultur, die durch ‚rituelles Lachen‘ gekennzeichnet ist. Dieses Lachen hat wenig vom modernen Verständnis des Lachens als Auflachen über komische Inkongru‐ enzen oder die Pointe eines Witzes, denn es ist nicht in erster Linie über mediale Instanzen vermittelt. Es ist vielmehr ein direktes, lautes, gemeinschaftliches, körperbetontes und dauerhaftes Lachen, das bestimmte populare Rituale und Aufführungen des Mittelalters begleitet und sie konstituiert, in einigen Fällen sogar regiert. Es wird über rituelle Zusam‐ menhänge gestiftet und bestimmt ihre Dynamik in hohem Maße mit. Welche Rituale sind hier aber gemeint? Aufgrund der dichotomischen Struktur, die Bachtin der mittelalterlichen Welt zuweist, zieht er eine scharfe Grenze zwischen weltlichen und religiösen Ritualen, wobei das rituelle Lachen nur ersteren zugerechnet werden könne: Lachen begleitete gewöhnlich die profanen und häuslichen Zeremonien und Riten: Possenreißer und Narren waren ständige Teilnehmer, die auf parodistische Art die verschiedenen Momente des seriösen Zeremoniells (z. B. Siegerehrungen auf Turnieren, Zeremonien zur Übergabe der Lehns‐ rechte, Erhebungen in den Ritterstand) nachahmten. 136 Zu den profanen Ritualen zählt Bachtin sowohl häusliche Feste, bei denen Narrenkönige und -königinnen gewählt wurden, als auch alle Feste mit Karnevalscharakter, wie etwa Kirchweihfeste mit ihrem „reichhaltigen Repertoire an Belustigungen“, Mysterienspiele 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 120 137 Ebd., S. 54. 138 Vgl. Schindler, Karneval, Kirche und verkehrte Welt; Pleij, Herman: Het gilde van de Blauwe Schuit. Literatuur, volksfeest en burgermoraal in de late middeleeuwen. Amsterdam 1979; Retemeyer, Kerstin: Vom Turnier zur Parodie. Spätmittelalterliche Ritterspiele in Sachsen als theatrale Ereignisse. Berlin 1995; Althoff, Gerd: Vom Lächeln zum Verlachen. In: Lachgemeinschaften. Hg. von Röcke u. Velten, S. 3-16. 139 Vgl. Rooijakkers, Gerard: Charivari in de Nederlanden: rituele sancties op deviant gedrag. Amsterdam 1989; aus historischer Sicht die Arbeiten Martin Ingrams, etwa: Charivari and Shame Punishments. Folk Justice and State Justice in Early Modern England. In: Social Control in Europe: 1500-1800. Hg. von Herman Roodenburg u. Pieter Spierenburg. Columbus 2004, S. 288-308; aus literaturwissen‐ schaftlicher Sicht v. a. die Arbeiten Katja Gvozdevas: Hobbyhorse performances: A ritual attribute of carnivalesque traditions and its literary appropriation in Sottie Theatre. In: Genre and Ritual. Hg. von Eyolf Østrem u. a. Copenhagen 2005, S. 65-86, Rituale des Doppelsinns. Zur Ikonologie der Chari‐ vari-Kultur im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: Ikonologie des Performativen. Hg. von Christoph Wulf u. Jörg Zirfas. München 2005, S. 133-150 und Burleske Statuten im Spätmittelalter und Früher Neuzeit. In: Von der Ordnung zur Norm. Statuten in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Gisela Drossbach u. Claudia Märtl. Paderborn 2008. 140 Vgl. Bergson, Das Lachen, S. 107 f. oder Sottien, bei denen „Karnevalsatmosphäre“ herrschte. 137 Auch wenn es sich hier um allgemeine und pauschale Angaben handelt, so hat die historische Forschung in den letzten Jahren doch die Thesen Bachtins im Ansatz präzisieren können, indem sie die in der mit‐ telalterlichen Kultur weit verbreitete Praxis von (parodistisch-mimetischen) Spott- und Rügeritualen näher untersucht hat. 138 Vor allem die Arbeiten zu Status und Funktion brauchtümlicher Charivaris haben hier wichtige Ergebnisse zutage gefördert, die die soziale Kontrolle und Wirksamkeit des gemeinsamen Gelächters bei solchen rituellen Rügebrüchen betreffen. 139 Die bessere Erforschung ritueller Fastnachtspiele wie den Nürnberger Schem‐ bartlauf (wie des Narrenlaufens überhaupt), das fastnächtliche Blochziehen, die Inszenie‐ rung von Weibermühlen und Jungbrunnen oder das Tragen und Zeigen von Spott-Insignien gehören ebenfalls in diesen Zusammenhang. Wird das Lachen in der historischen For‐ schung als ein Nebeneffekt der populären Bestrafung gewertet, so zeigen literatur- und kulturwissenschaftliche Ansätze seine wichtige Rolle bei der Umsetzung und beim Gelingen dieser Rügemaßnahmen, sowie als wirksames Mittel zur Konstitution von Gemeinschaft qua sozialer Zugehörigkeit und Ausgrenzung. 140 Allerdings ist Bachtins strikte und folgenschwere Differenzierung zwischen profanen Ritualen der ‚Volkskultur‘ einerseits und der ‚offiziellen Kultur‘ zugehörigen religiösen Ri‐ tualen andererseits nicht haltbar. Nicht nur, dass zahlreiche der von ihm genannten pro‐ fanen Rituale in religiöse Feste eingebunden sind, sondern auch die Tatsache, dass sich gerade im Rahmen religiöser Rituale wie z. B. dem Osterlachen, dem risus paschalis, den Jahresendfesten des niederen Klerus (festa stultorum) oder den komischen Szenen im Os‐ terspiel rituelles Lachen entfalten kann, spricht gegen eine Trennung von sakral und profan. Gerade die Präsenz des Sakralen macht durch Inversionen und Parodien von Lachen be‐ 2.5. Rituelles Lachen 121 141 Auf die Frage nach der Funktion des Lächerlichen und Grotesken in seiner unmittelbaren Nähe zum Sakralen hat Aaron Gurjewitsch in einem Aufsatz von 1975 eine klare Antwort gegeben: Ausgehend von der dualistischen Weltsicht, in der das Sakrale und das Groteske zwei Komplementärformen sind, formulierte er: „Le grotesque médiéval ne s’oppose pas au sacré et ne nous éloigne pas de lui; peut-être représente-t-il, au contraire, l’une des formes que revêt l’approche du sacré. Il profane et affirme le sacré en même temps“. Gurjewitsch bestimmt damit die Funktion des Groteskkomischen nicht als deformierende, subversive, im Bachtinschen Sinn das Hohe erniedrigende Kraft, die die bestehende religiöse oder ästhetische Ordnung herausfordert und sich ihr entgegenstellt, sondern im Gegensatz dazu als Mittel der Affirmation und der Erkenntnis des Sakralen: „Dans ce système, le sacré n’est pas mis en doute par le rire; au contraire, il est renforcé par l’élément comique qui est son double et son compagnon, son écho permanent.“ Gurjewitsch, Aaron R.: Le comique et le sérieux dans la littérature religieuse du Moyen Age. Diogène 89 (1975), S. 67-89, hier S. 87-89. Dazu auch Gvozdeva u. Röcke: Risus sacer - sacrum risibile, S. 11-18. 142 Damit sind auch die von Bachtin erstellten spezifischen Merkmale der „rituell-szenischen Lach‐ formen“ mit Skepsis zu betrachten: Lachrituale seien keine religiösen Riten, sie hätten keinen ma‐ gischen oder Andachtscharakter, und einige seien Parodien auf den kirchlichen Kult. 143 Isolde Stark vertritt in ihrer Untersuchung zum Lachen in der Antike die These, dass das Lachen ursprünglich rituellen Charakter hatte; die griechische Komödie entstand nicht aus dem Kult, aus kultisch-religiösen Wurzeln und Vorläufern, wie man bisher angenommen hatte, sondern aus dem Lachen über die Possenreißerei von Bettlern und anderen sozial Inferioren. Stark, Isolde: Die hämi‐ sche Muse. Spott als soziale und mentale Kontrolle in der griechischen Komödie. (= Zetemata 121). München 2004, S. 98-101 u. 322-325. stimmte Gegenrituale erst möglich, und diese stehen zu jenen nicht im Widerspruch. 141 Das Grotesk-Komische ist im Mittelalter dem Sakralen nicht entgegengesetzt; im Gegenteil, es repräsentiert vielleicht eine derjenigen Formen, die den Zugang zum Sakralen ermöglichen, indem es das Sakrale zugleich profaniert und affirmiert, wie eine Grenzüberschreitung die Norm bestätigt. 142 Die Formen und Funktionen des rituellen Lachens sind unserer kulturellen Erfahrung heute nur noch schattenhaft zugänglich, wenn wir nicht auf den methodisch nie ganz ope‐ rationalisierbaren Vergleich mit außereuropäischen Kulturen rekurrieren wollen. 143 Sie ge‐ hören jedoch zu einer spezifischen Kultur der europäischen Vormoderne, da sie in der Mo‐ derne in dieser Form nur noch atavistisch auftreten. Ihre Existenz in den vergangenen Epochen der europäischen Kulturen bedeutet nicht, dass das Lachen schlechthin rituell gewesen sei, wie das Händeklatschen oder Kniebeugen nicht schlechthin rituell sind. Es nimmt nur eine rituelle Signifikanz in vormodernen Kulturen ein, die wir vom heutigen Standpunkt nicht voraussetzen können. Es ist deshalb nötig, dem zu Beginn dieser Arbeit formulierten methodischen Weg zu folgen, das Lachen nicht nur paradigmatisch und als universales Merkmal des Menschlichen, sondern zunächst einmal von der Kultur und ihrer Zeit her zu bestimmen, in der es auftritt. Nur auf diese Weise lassen sich Lachen und Komik auch in den Schriftzeugnissen der älteren Epochen in ihrem historischen Kontext verorten. Lachen sollte auch nicht einfach als zeichenhafter Ausdruck für bestimmte Kommunikati‐ onsverhältnisse gewertet, sondern muss vor allem in Bezug auf die Bedingungen seiner historischen Vollzugsmöglichkeiten, auf seine rituellen und sozialen Voraussetzungen un‐ tersucht werden. Gerade das Lachen als Körperreaktion, und der Körper als Lachanlass müssen stärker von der Warte ihrer performativen Bezüge her gesehen werden. 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 122 144 Bereits früh Reinach, Salomon: Le rire rituel. In: ders.: Cultes, Mythes et Religions. Bd. IV. Paris 1912; vor Kurzem erst wieder Halliwell, Stephen: Ritual laughter and the renewal of life. In: ders.: Greek laughter. A Study of Cultural Psychology from Homer to Early Christianity. Cambridge 2008, S. 155-214. 145 Warning, Funktion und Struktur, S. 113. 146 Ebd., S. 111. 147 Vgl. zur Weiterschreibung der Warningschen Definition des rituellen Lachens im geistlichen Spiel Quast, Vom Kult zur Kunst, S. 124-126, der das rituelle Lachen auf seine soteriologische Funktion (im Sinne Bergers) zurückführt. Abgesehen von anthropologischen und mythologischen Forschungen zum rituellen La‐ chen im Rahmen griechischer mythischer Erzählungen von Fruchtbarkeitskulten 144 war es für die Literatur- und Theaterwissenschaft Rainer Warning, der diesem Aspekt der mittel‐ alterlichen Kultur m. W. zum ersten Mal ernsthaft nachgegangen ist, indem er das rituelle Lachen der komischen Szenen im geistlichen Spiel untersuchte (s. o.). Warning bezeichnet die Höllenfahrt (mit Seelenfangspielen), das Krämerspiel, die hortulanus-Erscheinung und den Jüngerlauf als „Lach-Rituale“, die sich durch magische und reinigende Kraft auszeich‐ neten und die wiederkehrende Lebenskraft und Fruchtbarkeit feierten. 145 Die von Teufels‐ komik bestimmten Lachrituale stützten sich auf die Tatsache, dass der Teufel in der ge‐ spielten Aufführung als lächerlich wahrgenommen werden und somit im Lachen gebannt werden könne: „Denn diese Komik kristallisiert sich um ein (...) gespieltes Ritual, sie ist Modellen und Theorien literarischer Komik wesentlich nicht zugänglich, sie ist eine rituelle und in diesem Sinn archaische Komik.“ 146 Warning entwickelt hier den Begriff der „rituellen Komik“ in Abgrenzung zu Modellen der literarischen Komik als Komik der Aufführung, der als-ob-Situation, in der das Dämonische mit theatralen Mitteln verfremdet werden kann. Die rituelle Komik entspricht dem rituellen Lachen als strukturelles Pendant, sie wird von diesem modal eingebunden. Diese rituelle Komik kann als modale Komik im Sinne der in Kap. 1.3. theoretisch beschriebenen Relation verstanden werden, insofern als sie vom rituellen Lachen bestimmt und eingerahmt wird. Sie ist auch auf den lächerlichen Körper (der Teufel) beziehbar, indem sie weniger auf das kognitive Verstehen (wie das bei litera‐ rischer, textuell fixierter Komik meist vorausgesetzt wird) als auf die sinnliche Wahrneh‐ mung der Körperlichkeit und den gemeinschaftlichen Vollzug des Lachens abhebt. Denn Verstehbarkeit im Sinne hodogetischer Sinnhaftigkeit ist dem Ritual eine eher fremde Ka‐ tegorie. Als festliches Ereignis setzt es von vornherein die Kontingenzen des Alltags mit den ihnen notwendig zugehörigen Elementen der Körperdisziplin und Selbstbeherrschung außer Kraft und bietet Freiraum für die Inszenierung gegenweltlicher Provokation und Ambivalenz. Diese Ambivalenz wird auch durch die Widersprüchlichkeit und Referenzlo‐ sigkeit von Rede und Körperinszenierung gestaltet, sodass solche uneindeutigen, krisen‐ haften Situationen nur mit rituellem Lachen gelöst werden können. Die heilende bzw. er‐ lösende Wirkung des rituellen Lachens wird hier deutlich: Das Lachen erreicht eine Versöhnung von Gegensätzen nach der Krise, der vom Wissen verdrängte Körper gerät zum Fokus der rituellen Präsenz. 147 Somit kann der komische Körper der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kulturen gerade auch über die Einbindung in rituelle Dimensionen, und hier vor allem das rituelle Lachen greifbar werden. Wenn wir unter Ritualen Aufführungen verstehen, in denen Ge‐ 2.5. Rituelles Lachen 123 148 Verberckmoes, Johan: Laughter, jestbooks and society in Spanish Netherlands. Basingstoke 1999, S. 5. 149 Douglas, The social control of cognition, S. 362. 150 Turner, Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur. Frankfurt a. M. 1989. 151 Douglas, The social control of cognition, S. 370. meinschaft gestiftet wird und die zu einer Transformation der Teilnehmer führen, können wir für das rituelle Lachen vier Bedingungen festlegen: (1) Rituelles Lachen ist ein gemeinschaftliches Lachen der Teilnehmer und Zuschauer in einem Ritual, es ist in hohem Maße gemeinschaftsbildend. (2) Rituelles Lachen folgt performativen Aspekten, es ist ein an die Aufführung / das Ritual gebundenes Lachen, ein für andere aufgeführtes Lachen. (3) Rituelles Lachen erfüllt soziale, magische, heilende oder soteriologische Funktionen, indem es die inszenierten Provokationen des Tabuisierten und Bösen bzw. Fremden abwehrt, seine Figurationen ridikülisiert und somit überwinden kann. (4) Die durch rituelles Lachen hervorgerufene Transformation ist nicht mit progressivem Wandel gleichzusetzen. Der lächerliche, und ebenso wenig der lachende Körper ist ein Agent des Wandels, sondern er schafft einen liminalen (Zeit-)Raum, in dem soziale Kontrolle aufgehoben ist. Die innerhalb dieses Raumes sozusagen probeweise durch‐ gespielten Veränderungen können auch nach Rückkehr in die Alltäglichkeit wirksam bleiben, doch können sie ebenso gut auch die bestehenden Muster und Normen be‐ stätigen. Dies ist von den jeweiligen Bedingungen des Rituals abhängig. Bedeutsam ist deshalb beim rituellen Lachen die Tatsache, dass es stattgefunden hat, das Ereignis des Lachens selbst ist vorrangig. Der belgische Humorforscher Johan Verberckmoes drückt dies folgendermaßen aus: „The fact that laughing bodies physically fill space with their spasms and implicate the eyes and the ears of the laughers and beholders alike, is therefore a social event of the first importance.“ 148 Diese vier Aspekte des rituellen Lachens in der Vormoderne können im Übrigen auch aus ethnologischer Perspektive gegengelesen werden. Wie in Kap. 1.3 beschrieben, vertritt Mary Douglas die These, dass in afrikanischen Gemeinschaften das Lachen auch über Witze als rituell und diese selbst als ritualisierte symbolische Handlungen angesehen werden können. Ausgehend von der Beobachtung des „ritual joking“ stellte sie fest, dass es familien- und clanbezogene institutionelle Scherzverhältnisse (joking relations) gibt, die bestimmte soziale Funktionen haben und häufig mit anderen sozialen Ausdrucksformen verbunden sind. Diese Scherzverhältnisse weisen ähnliche Elemente wie die europäischen Lachrituale der Vormoderne auf: bestimmte rituelle Anlässe und bestimmte soziale und symbolische Beziehungen, eine krude Skatologie, sowie das Element der spielerisch-provokativen He‐ rausforderung. 149 Douglas stellt ihre anthropologische Witz- und Lachtheorie in den Rahmen von Victor Turners Konzept der communitas, der sich in liminalen Perioden (Ritual, Fest) konstitu‐ tierenden Gemeinschaft. 150 Hier sind die Rollen und Beziehungen der Mitglieder einer Ge‐ meinschaft temporär offen und frei für Statusveränderungen, da soziale Strukturen (Hie‐ rarchien, Herrschaft und Autorität) ausgesetzt sind. „Laughter and jokes, since they attack classification and hierarchy, are obviously apt symbols for expressing community in this sense of unhierarchised, undifferentiated social relations“. 151 Mit Douglas hätte das rituelle 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 124 152 Als ein Beispiel kann das rituelle Verlachen von Krüppeln und Narren als geistig Behinderten genannt werden, von dem Ménard in seiner Untersuchung zum Narren in der Literatur spricht. Es ist ein von Furcht und Abscheu, von Überlegenheit und Fremdheit gekennzeichneter ritueller Spott, der den Narren trifft, gleichzeitig aber auch die Gemeinschaft der Lacher herstellt. Vgl. Ménard, Philippe: Les Fous dans la Société médiévale. Le Témoignage de la Littérature au XIIe et au XIIIe Siècle. Romania 98 (1977), S. 433-459. 153 Dazu Handelman, Don: The Ritual-Clown. Attributes and Affinities. Anthropos 76 (1981), S. 321-370. Vgl. auch Makarius, Laura: Ritual clowns and symbolic behavior. Diogenes 69 (1970), S. 44-73. 154 Handelman, The Ritual-Clown, S. 344. Lachen seine feste soziale Funktion, auch außerhalb der von Turner beschriebenen, an be‐ stimmte Zeiten und Räume gebundenen communitas. Allerdings ist es, wie das rituelle La‐ chen in Mittelalter und Früher Neuzeit auch, an einen liminalen Rahmen gebunden, in dem es sich entfalten kann und dessen Kennzeichen es quasi ist. Es wäre interessant zu zeigen, wie sich diese theoretischen Überlegungen im Einzelnen für die Analyse ritueller Auffüh‐ rungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit nutzbar machen lassen, bei denen mensch‐ liche Körper auf verschiedenste Weise als komische Körper inszeniert werden. Prinzipiell gibt es hier zwei Möglichkeiten: den im rituellen Vollzug lächerlich gemachten passiven Körper (etwa bei den Teufelsfiguren im geistlichen Spiel oder den Bauern im Neidhartspiel), und den aktiven, sich als komisch inszenierenden Körper der rituellen Lachfigur bzw. des rituellen Spaßmachers (ritual clown, Possenreißer, komischer Mime, Narr). Häufig sind auch beide Formen des lächerlichen Körpers miteinander verbunden. Beide werden über das rituelle Lachen und die hierbei entstehenden Lachgemeinschaften definiert. 152 Was den aktiven Körper der rituellen Lachfigur angeht, gibt es in der Ethnologie ver‐ schiedene Beispiele des ritual clowning, welche von Nordamerika bis Ozeanien reichen. Rituelle Clowns haben die Aufgabe, innerhalb bzw. am Rand von rituellen Vollzügen Tabu- und Normgrenzen zu verletzen, das Heilige zu profanieren, Groteskes und Obszönes auf‐ zuführen (Phallus-Symbolik) und den Ablauf der rituellen Handlungen zu verkehren und lächerlich zu machen. Dazu gehören etwa derbe Späße, körperliche Exaltationen, Verstel‐ lungen, das Werfen mit Unrat, die Imitation sakraler Figuren und sakraler Sprache. Wie der Trickster kann der rituelle Clown als widersprüchliche und inkonsistente Figur mit exzes‐ siver und proteischer Körperlichkeit bestimmt werden. Beide sind „Gegenteiler“ zu den Stammesheiligen und Schamanen, sie sind als Ausgegrenzte dennoch Teil des Geltenden. Das Handeln der Clowns ist jedoch nicht allein von Ambiguität gekennzeichnet, sondern auch von einem „mechanism of reflexivity“ (Handelman), welcher Grenzüberschreitungen als Verwandlungen seiner Person sichtbar macht. 153 Somit erfüllt der rituelle Clown eine metakommunikative Funktion und trägt dazu bei, die Reflexivität eines Rituals zu erhöhen. Gegenüber älteren Deutungen der Funktionen von rituellen Clowns, welche in ihnen Aus‐ gleichsfiguren sozialer Spannungen durch komische Entlastung sahen, unterstreicht Han‐ delman ihre wichtige Rolle für das Gelingen des rituellen Prozesses: ihr symbolisches Han‐ deln evoziere eine Anti-Struktur, die durch Lachen bewältigt werden kann und somit dazu beiträgt, das Ritual performativ zu vollziehen. 154 Dieser letzte Aspekt zeigt klar, wie wichtig die Komik des Clowns für seine symbolische und rituelle Funktion war. Diese Komik ist grundsätzlich metakommunikativ und geht von Körper, Stimme, Bewegungen und Kör‐ perfunktionen aus, weniger von sprachlichen Ambivalenzen. Sie ist mit der Komik der 2.5. Rituelles Lachen 125 155 Castiglione, Baldesar: Il libro del Cortegiano. Buch II, 36. Hg. von Walter Barberis. Torino 1998, S. 171 f. „Häufig stoßen sie sich gegenseitig die Treppe hinab, schlagen sich mit Prügeln und Ziegeln auf die Lenden, werfen sich Hände voll Pulver in die Augen, reiten die Pferde in Gräben oder in hügeligem Gelände zuschanden; bei Tisch dann werfen sie sich Suppen, Soßen, Gelatinen ins Gesicht, und dann lachen sie (...). Einige wetten gegeneinander und setzen einen Preis für denjenigen aus, der die furchtbarsten und ekelhaftesten Dinge essen und trinken könne. Und sie machen solche für die menschliche Wahrnehmung widerwärtigen Dinge, dass es unmöglich ist, sie ohne sehr großen Ab‐ scheu an sie zu denken“. (Übers. HRV) 156 Zum Stilideal des homo facetus im Humanismus und schon zuvor vgl. den umfassenden Beitrag von Dicke, Gerd: Homo facetus. Vom Mittelalter eines humanistischen Ideals. In: Humanismus in der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hg. von Nicola McLelland u. a., Tübingen 2008, S. 299-332. 157 „e di questo non ne darò esempio alcuno, perché ogni dí in esso tutti ne vedemo infiniti.“ Ebd., S. 191. historischen und literarischen Possenreißer, welche ich im folgenden Kapitel behandeln will, durchaus vergleichbar. 2.6. Scurrilitas: Transgressionen des Possenreißers Im zweiten Buch von Baldesar Castigliones Hauptwerk Il libro del cortigiano (Das Buch vom Hofmann, publ. 1528) geht es um die gesellschaftliche und moralische Aufwertung des La‐ chens und seiner zugehörigen Inszenierungstechniken. Dabei wird mit einem Gegenmodell gearbeitet, gegen das der Hofmann abgegrenzt und seine Konturen herausgearbeitet werden können. Nicht zufällig entspricht dieses Gegenmodell auch jenem, das auch schon Cicero für seinen orator gebraucht hat: Es ist der Possenreißer. Spesso s’urtano giù per le scale, si dan de’legni e de’mattoni l’un l’altro nelle reni, mettonsi pugni di polvere negli occhi, fannosi ruinare e cavalli addosso ne’ fossi o giù di qualche poggio; a tavola poi, minestre, sapori, gelatine, tutte si danno nel volto, e poi ridono (...). Sono alcuni che contrastano e mettono il prezio a chi può mangiare e bere più stomacose e fetide cose; e trovanle tanto aborrenti dai sensi umani, che impossibil è ricordarle senza grandissimo fastidio. 155 Der Possenreißer, bei Castiglione buffone genannt, verhält sich zum gewitzten Hofmann, zum homo facetus, wie die Transgression zur Norm. 156 Er ist notwendigerweise konstru‐ iertes Negativbild einer idealen Figur, an der die Normativität erkennbar wird. Die ihm zugeschriebenen Handlungen, die buffonerie, können jedoch von jedermann nachgeahmt werden, und darin liegt die Gefahr seines Verhaltens, denn wenn man etwa Imitationen körperlicher Defekte anwesender Personen zu offensichtlich zur Schau stellt, um Lachen zu erregen, kann dies sehr schnell zu Beleidigung und Ehrverletzung führen und furchtbare Konsequenzen auslösen. Dafür will Castiglione kein Beispiel geben, da man von solchen Dingen jeden Tag unendlich viele sehen könne. 157 Überträgt Castiglione damit nicht nur einen literarischen Topos falschen und daher zu verurteilenden Verhaltens in seine Zeit? Einerseits kann man diese Frage sicherlich bejahen, andererseits aber stammen die Beispiele, die im Text angeführt werden, aus der Hof‐ narren-Kultur der italienischen Renaissance, seien sie nun theatral oder narrativ vermittelt. Wenn wir diese Beispiele näher betrachten, erkennen wir, worin die Hauptunterschiede 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 126 158 Castiglione lässt seinen Bernardo sagen, dass es sich nicht gezieme, sich auf das Niveau der Possen‐ reißerei herabzubegeben („non discendere alla buffoneria“). Kap. L., S. 190f 159 Aristoteles, Nikomachische Ethik 4, 14 (Witz und Gewandtheit). 160 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Lemma ‚Possenreiszer‘. Bd. 13, Sp. 2015. zwischen Possenreißer und Hofmann bestehen: es ist die übertriebene, grobe und unflätige Inszenierung des lächerlichen Körpers, das Abgleiten ins sprachliche und gestisch Zotige und Obszöne, die Kunst der Nachahmung und üblen Nachrede, die der Hofmann in jedem Fall vermeiden soll: Ché in vero ad un gentilomo non si converria fare i volti, piangere e ridere, far le voci, lottare da sé e sé, come fa Berto, verstirsi da contadino in presenza d’ognuno, come Strascino; e tai cose, che in essi son convenientissime, per esser quella la lor professione. 158 Definitorisch ist der Possenreißer Castigliones also jemand, der seinen eigenen Körper und den der anderen dergestalt in Szene setzt, dass Zuschauer bzw. Zuhörer zum Lachen ge‐ bracht werden Dabei bedient er sich aller denkbaren Möglichkeiten, um gegen die Normen der Körper- und Sprachdisziplin zu verstoßen. Es handelt sich demnach um intentional durchgeführte Techniken eines professionellen Lachkünstlers oder Lustigmachers, der sich dabei über die Grenzen des Erlaubten hinaus begibt. Bereits Aristoteles hatte in der Niko‐ machischen Ethik über das Scherzen die Komik des Possenreißers mit übertriebenen Kör‐ perbewegungen beschrieben. 159 Im Deutschen geht der Begriff des Possenreißers nach Grimms Deutschen Wörterbuch etymologisch bis ins 16. Jahrhundert zurück und meint dort eine Person, die „durch geberde oder wort zum lachen“ reizt und „belustigt“. Fischart, der den Begriff verwendet, setzt ihm mit ‚abenthewrer‘ gleich, ein Wort, das häufig auch für die Helden von Schwankgeschichten und -romanen verwendet wurde. Das Wörterbuch unterscheidet zwei Haupttypen des Pos‐ senreißers: den höfischen Possenreißer oder Hofnarren, und den städtischen Possenreißer, den Vaganten oder Gaukler. 160 Die frühneuhochdeutsche Literatur hat beide Typen mitei‐ nander verschmolzen, wohl weil ihr Publikum sozial nicht mehr eindeutig zu fixieren war. Der Begriff des Possenreißers eignet sich deshalb für die Zwecke dieser Studie, weil er einen Typus des professionellen Unterhalters beschreibt, der Lachen vor allem mit Hilfe seiner Körpertechniken erregt, meist auf Kosten anderer. Denn ‚Possen‘ sind mit schädli‐ chen Handlungen, die gleichwohl lächerlich sind und daher auch als Spott zu klassifizieren wären, zu definieren. Demnach wären die Schwankhelden des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, der Pfaffe vom Kalenberg, Neithart Fuchs, Ulenspiegel, aber auch Markolf und Bertoldo, sowie die literarischen Hofnarrenfiguren Possenreißer. Denn im Unterschied zum Narren, dessen Bedeutungsspektrum ungleich weiträumiger ist, kann der Possenreißer klar auf das Lachen bezogen und somit auf den Lachvorgang selbst beschränkt werden. Er ist somit mehr über seine Tätigkeit, seine Handlungen und Aufführungen als über sein Amt, seine institutionelle Zugehörigkeit oder seine symbolische Bedeutung bestimmbar. Der Narrenbegriff bezeichnete bereits im Spätmittelalter mehr als einen Possenreißer: Der Narr war eine vielschichtige Figur der Differenz, die verschiedenen Diskursen zuge‐ hörte. Narrheit konnte als Gottesleugnung verstanden werden (Bibel, Psalmen), als Wahn‐ sinn (geisteskranke Menschen; ein Diskurs, den Foucault verfolgt hat), als das Fremde und Andere (wilde Männer), seit Sebastian Brants Narrenschiff auch als Sünd- und Lasterhaf‐ 2.6. Scurrilitas: Transgressionen des Possenreißers 127 161 Vgl. dazu Velten, Hans Rudolf: Hofnarren. In: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe. Hg. von Werner Paravicini. 2 Bde. Bd. 1: Begriffe. Wiesbaden 2005, S. 65-69. 162 Burke, Peter: Grenzen des Komischen im Italien der Frühen Neuzeit. In: ders.: Eleganz und Haltung. Berlin 1998, S. 107-128. (Engl. Orig.: Varieties of Cultural History. Cambridge 1997). 163 Die Definition von Mauss lautet: „Ich bezeichne mit Technik eine traditionelle, wirksame Handlung (und Sie sehen, dass sich dies nicht von der magischen, religiösen, symbolischen Handlung unter‐ scheidet). Es ist notwendig, dass sie traditionell und wirksam ist.“ Mauss, Marcel: Die Techniken des Körpers. In: ders.: Soziologie und Anthropologie 2. Frankfurt a. M. 1989, S. 191-222, hier S. 199 u. 205. („Les techniques du corps“. Zuerst erschienen in: Journal de Psychologie Normale et Pathologique 32 (1934). Dem Konzept liegt ein Körperverständnis zugrunde, das Plessners Begriff des „Körper-Ha‐ bens“ weitgehend entspricht. 164 Ebd., S. 202. Mauss unterstreicht - ähnlich wie auch Plessner - dass der Körper einerseits ein In‐ strument der Welterzeugung und andererseits gleichzeitig die Substanz ist, aus der die menschliche Welt geschaffen wird. tigkeit, als Dummheit und Einfältigkeit, als tierisches Verhalten oder als fastnächtliche Maske. 161 Der Körper dieser Differenzfigur des Narren in all jenen bereits im Mittelalter bestehenden Diskursen konnte daher krank, hässlich oder gewalttätig, er konnte trieb‐ haft-animalisch oder auch nur allgemein-menschlich sein. Immer verstieß der Narr gegen Normen des Mensch-Seins und der wesenhaften Normalität des Menschen: Seine Gegen‐ sätze sind je nach Diskurs der gläubige, der gesunde, der zivilisierte, der tugendhafte, der weise und kluge Mensch. Dagegen ist der Körper des Possenreißers immer ein aufgeführter, ein performativer Körper. Er lebt nur in dieser Aufführung, lebt über die Transgressivität seiner Handlungen und Reden. Er verkörpert die jahrhundertealte Tradition der mimischen Alleinunterhalter, die sich in verschiedenen Transformationen von den antiken Schauspie‐ lern und professionellen Spöttern und Witzeerzählern über die mittelalterlichen Spielleute und Aufführungskünstler zu den ‚künstlichen Narren‘ der Höfe des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit erstreckt. Daher sind die Hofnarren dieser Zeit auch gleichzeitig die größten Possenreißer; sie entwickeln eine ‚cultura della beffa‘, wie Peter Burke es ausdrückt, eine Kultur des Streiches oder der Posse, bei der ihr Körper das wichtigste Werkzeug ist. 162 Worin bestehen nun diese Körpertechniken des Lachens - oder besser Lachenmachens - die den Possenreißer auszeichnen? Der französische Soziologe Marcel Mauss hat den Be‐ griff der ‚Techniken des Körpers‘ geprägt. Er versteht darunter „die Weisen, in der sich die Menschen in der einen wie der anderen Gesellschaft traditionsgemäß ihres Körpers be‐ dienen.“ 163 Körpertechniken können als kulturell bestimmte, sozial anerkannte Gewohn‐ heiten im Sinne von Habitus verstanden werden, die ein spezielles Wissen erfordern und sozial wirksam werden. Entscheidend für die Anwendung des Konzepts im Bereich des Komischen ist nun die Tatsache, dass die Körpertechniken des Lachens sich dadurch aus‐ zeichnen, dass sie sich von den sozial normierten und gewussten Techniken unterscheiden, sozusagen als Abweichungen davon zu klassifizieren sind: Mauss berichtet, dass sein Kol‐ lege Curt Sachs auf große Entfernung den Gang eines Engländers und eines Franzosen unterscheiden konnte. Aus diesen Beobachtungen schlussfolgert er, dass es eine Erziehung zum Gehen gebe. Abweichungen werden als „komisch“ gekennzeichnet: „Du komische Kreatur, was läßt du beim Gehen immer Deine großen Hände geöffnet! “, sagte ein Lehrer zu Mauss. 164 Dieses Beispiel für eine unfreiwillige Komisierung der Gestalt zeigt, wie schmal die Grenze zwischen ‚natürlicher‘ und ‚lächerlicher‘ Körperbewegung ist. Sie ist so schmal, 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 128 165 Vgl. dazu das Kapitel zur Mimikry bei Bhabha, Homi K.: The location of culture. London 1994, S. 127 ff. (dt.: Die Verortung der Kultur. Mit einem Vorwort von Elisabeth Bronfen. Tübingen 2000). dass mit ihrer Übertretung gespielt werden kann und jede Wahrnehmung des lächerlichen Körpers eine Wahrnehmung eines Auftritts, einer Inszenierung ist. In dem Moment, wo ein Körper aus der Rolle fällt, wird er zum theatralen, aufgeführten Körper, denn er zieht Blicke und damit Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich. Im Moment seiner Lächerlichma‐ chung wird er zum theatralen Ereignis. Diese Anfälligkeit von Körperbewegungen und Körperlichkeit allgemein für das Lächerliche macht ihr Potential zur Ambivalenz deutlich: Sie sind offen für Imitationen und Mimikry, mit Hilfe deren die vom Körper repräsentierten Habitus und Differenzen umgekehrt oder subvertiert werden können. Mit Mimikry bezeichnet man etwa in der postkolonialen Theorie Verhaltensweisen, bei denen nicht mehr zwischen Herrschaftsanspruch und Unterwerfung unterschieden werden kann und mit denen Autorität gekonnt unterlaufen wird. Die Mimikry gehört somit in das Gebiet zwischen Ernst und Posse, sie ist die Domäne der mimic men, der ‚Chamäleon-Men‐ schen‘. 165 Die ihr zugehörigen Techniken der Assimilation, Verstellung, Hyperbolisierung, Trans‐ formation und Subversion körperlicher und sprachlicher Muster gehören zum Repertoire des Possenreißers. Er führt sie mit Hilfe der eigenen Beherrschung von Gesicht und Mimik, Gestik und Stimme auf, also der professionellen Verstellung seiner Ausdrucksorgane, und verwischt im Akt dieser Nachahmung die Grenzen zwischen sich und dem Anderen. Wie könnte man einem Possenreißer glauben? Man kann es nicht, weil er keine stabile Identität hat, weil man sein ‚wahres Ich‘ nicht kennt, weil er von der Aufführung von Ambivalenzen lebt. Wenn wir von Körpertechniken des Lachens in einem anthropologischen und sozialen Sinn sprechen, und weiterhin postulieren, dass es gerade professionelle Possenreißer sind, die diese Körpertechniken am effektivsten beherrschen, setzen wir voraus, dass es zu ver‐ schiedenen Zeiten unserer (europäischen) Vergangenheit und in verschiedenen Kulturen so etwas wie ‚Possenreißer‘ gibt bzw. gegeben hat. Dies gewissermaßen als eine Arbeits‐ hypothese aufzustellen ist deshalb unverzichtbar, weil nur so die Untersuchung von Kör‐ perinszenierungen und -techniken des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in den Folge‐ kapiteln modernen Theorien und Methoden schlüssig geöffnet wird. Der Vorteil eines einheitlichen Begriffs für literarische und dramatische Figuren, die gleichzeitig auch ihren Sitz im kulturellen Leben der Zeit hatten, muss darin liegen darin, dass dieser Begriff auch auf andere Zeiten und Kulturen übertragbar ist und bestimmten Grundmerkmalen folgt, die auch heute noch gelten können. Handelt es sich beim Lachen und beim Lachenmachen ja nicht um ein rein kulturell gebundenes Phänomen, sondern um ein anthropologisch beobachtbares Verhalten, das in seiner Funktionalität auch heute noch bestimmten trans‐ historischen Invarianten folgt. Ein Blick auf die Verwendung des Begriffs ‚Possenreißer‘ in außereuropäischen Kultur‐ kreisen kann dies bestätigen; dieser Blick dient dazu, bestimmte Mechanismen des Lache‐ nmachens durch professionelle Lustigmacher aus einer ganz anderen Perspektive zu be‐ trachten und ihr Potential auf die dieser Studie zugrunde liegende Materialien anzuwenden. Figurationen des Possenreißers (engl. joker, buffoon, ritual clown) sind in zahlreichen Kul‐ 2.6. Scurrilitas: Transgressionen des Possenreißers 129 166 Douglas, The social cognition, S. 373. Douglas sieht den Spaßmacher als eine Art minderen Mystiker an: „Perhaps the joker should be classed as a kind of minor mystic.“ Ebd. 167 Vgl. zur Ambivalenz der Sakralität Gvozdeva u. Röcke, risus sacer - sacrum risibile, S. 9-30. 168 Dass dabei der Körper die wichtigste Rolle spielt, ist für Camporesi offenkundig: „Ma, più che alla parola, era al corpo che si affidava quando voleva abolire le distanze, ridimensionare i potenti, scon‐ sacrare autorità e regalità.“ Camporesi: Rustici e Buffoni. Cultura popolare e cultura d’élite fra Medioevo ed età moderna. Torino 1999, S. 105. turen bekannt (s. o. Kap. 2.5); sie wirken als aktive Teilnehmer in verschiedenen Ritualen mit, tauchen, etwa als trickster, in zahlreichen altamerikanischen und asiatischen mythi‐ schen Erzählungen auf, sind als ein institutioneller Habitus mit verschiedenen Funktionen in verwandtschaftlichen Beziehungen (joking relationship) bekannt. Die ethnologische und anthropologische Forschung zu diesen Figurationen hat ihre verschiedenen Rollen und Funktionen beleuchtet: So ist es in zahlreichen afrikanischen Kulturen, bei denen er in institutionalisierten, rituellen Rahmungen auftritt, Aufgabe des rituellen Clowns, durch das Erregen von (rituellem) Lachen reinigende Wirkung auf die Teilnehmer am Ritual auszu‐ üben und ihnen dabei zu helfen, diese Reinigung zu vollziehen. Dazu gehört, dass Lachen selbst auf der emotionalen Ebene kathartisch wirkt. „The joker who provokes the laughter is chosen to challenge the relevance of the dominant structure and to perform with immu‐ nity the act which wipes out the venial offence“. 166 Douglas stellt die Scherzverhältnisse in einen Rahmen der sozialen Kontrolle der Erfahrung. Ihre These ist, dass das Erreichen von Konsens zwischen verschiedenen Erfahrungsbereichen eine Quelle tiefer Befriedigung ist. Von dieser Perspektive aus gesehen ist der Spaßmacher als „ritual purifier“ anzusehen, eine Funktion, die auch für die Possenreißer der europäischen Vormoderne interessant sein könnte. So hat etwa Piero Camporesi in seinem Buch Rustici e Buffoni (1991) die Körperkunst der mittelalterlichen Possenreißer im Rahmen magisch-ritueller Funktionen beschrieben. Die Körperlichkeit der Hofnarren verweise auf ein vorchristliches Substrat des magischen Priesters, sie enthalte ein dämonisches Potential im doppelten Sinne des heiligen Sakralen und des profanen Sakralen. 167 Die meisterhafte Körperkontrolle des Possenreißers und seine gleichzeitige Fähigkeit, anderen diese Kontrolle zu entziehen und sie lächerlich zu machen, zeigt diese Macht des Anderen, die die Angst einjagt, nicht mehr Herr über seinen Körper zu sein. 168 Der Possenreißer verkörpere somit nicht nur die symbolische Bedeutung seiner Transgressionen, sondern auch die Vorstellung, wie die Opfer seiner Streiche der Narrheit körperlich verfallen können. Wichtig sind dabei vor allem seine Fähigkeiten zur Metamor‐ phose, zur Verstellung und Verkleidung, zur Dekomposition und Vermischung von sprach‐ lichen Strukturen und sein Spiel mit dem Tabuisierten, insbesondere den menschlichen Ausscheidungen. Gerade die Zurschaustellung skatologischer Vorgänge verweise auf die Relation des rituellen Lachens mit der Trias Nahrung-Ausscheidung-Fruchtbarkeit, ein na‐ turmagisches Verhältnis, das im Mittelalter noch vorhanden war. Eng gekoppelt an diese rituellen und magischen Funktionen des Possenreißers ist die Vorstellung vom Lachen als Heilmittel. Hofnarren etwa werden in Mittelalter und Früher Neuzeit für ihre Fähigkeiten und Eigenschaften geschätzt, Lachen zu erregen und somit zur Freude (iocunditas) und zum Wohlbefinden des Hofes beizutragen. So ist etwa in der Zimmerschen Chronik zu lesen, dass man auf die Kunst eines professionellen Alleinunterhalters vertraute, damit „die herren was 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 130 169 Vgl. Wolf, ‚das die herren was zu lachen hetten‘, S. 148 ff. 170 Ueding, Rhetorik des Lachens, S. 32. 171 So formuliert etwa auch Ritter: „Das Komische fällt aus einer Übereinkunft heraus.“ Vgl. Ritter, Über das Lachen, S. 65. Hellmuth Plessner stellt in Lachen und Weinen eine wichtige Frage zur Transgres‐ sion von Normen im komischen Vorgang: warum erscheint ein Nilpferd komisch? Warum lachen Kinder darüber? Hier sei nichts Menschliches im Spiel, so Plessner: „Wir tragen nun einmal, sicher durch unseren Erfahrungskreis bedingt und oft zu Unrecht, eine Art Idee oder Schema von Tier in uns, der die bekanntesten Arten entsprechen: nicht zu groß, nicht zu dick, nicht zu unproportioniert. Das Nilpferd erscheint dagegen als groteske Übertreibung einer Form, als Witz der Schöpfung. Der entscheidende Punkt für die Wahrnehmung des Nilpferds als komisch ist nicht nur die Übertreibung einer Idee vom Vierbeiner; sondern auch die Bewegungen und das Verhalten des Tieres: sein kör‐ perliches Erscheinungsbild. Durch die Bewegung der Tiere, ihren Habitus, kommt in ihre Erschei‐ nung eine Perspektive auf Normierbarkeit. Denn wo immer uns ein Verhalten entgegentritt, prä‐ sentiert es sich im Licht von Normen, die - wie Geschicklichkeit, Schnelligkeit, Aggressivität - zwar auch auf den Menschen passen, aber nicht vom Menschen hergeholt sind. (...) Komik an Tieren beruht nicht auf mehr oder weniger bewussten Analogien zum Menschen, sondern auf einem Konflikt zwi‐ schen einer Idee oder Norm, die wir in unserer Einbildungskraft (aus Gründen der Gewohnheit und ästhetischer Vorurteile) an die Erscheinung herantragen - in deren Licht uns die tierische form unmittelbar erscheint - und der jeweiligen Art des Tieres.“ Plessner, Lachen und Weinen, S. 296-297. 172 Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode, 4. Aufl. Tübingen 1974, S. 18. zu lachen hetten“, d. h. um eine gewünschte gelöste Stimmung zu erzeugen. Hofnarren waren sowohl verantwortlich für das Gelingen von festlichen Ritualen, wie auch für in‐ szenierte Zwischenfälle bei höfischen Zeremonien, bei denen sie wie ‚Störfaktoren‘ wirken sollten und wirkten. 169 Ich kehre zu den spezifischen Körpertechniken zurück, mit denen Possenreißer in Mit‐ telalter und der Frühen Neuzeit gearbeitet haben. Hier sind zunächst Hinweise aus der rhetorischen Tradition nützlich, die den Possenreißer als einen Feind des aptum, der An‐ gemessenheit sprachlichen und körperlichen Verhaltens sieht; „das kann ein unangemes‐ sener Körperbau, eine unangemessene Haltung oder Geistestätigkeit sein.“ 170 Eine solche kontrollierte aptum-Verletzung setzt einen sozial und kulturell bestimmten Maßstab für das Unangemessene voraus, dessen Grenzen der Possenreißer überschreitet und überschreiten darf (dies setzt das Einverständnis der Lachenden voraus). Für viele kommunikative Komik-Theorien gilt gerade diese Maßstabsverletzung als ein Strukturmerkmal von Witz und Komik. 171 Denn der Maßstab, der verletzt wird, ist durch gesellschaftliche Konvention und Konsens zustande gekommen und nun das eigentlich Erwartete und Erwartbare. Für Gadamer wird bei der Komik deshalb der sensus communis verletzt. Die Komik gewinne ihr Profil „aus diesem gemeinsamen Sinn für das Wahre und das Rechte, der kein Wissen aus Gründen ist, aber das Einleuchtende zu finden gestattet.“ 172 Transgressionen dieses sensus communis, wie sie der Possenreißer vornimmt - und wir befinden uns immer noch in der rhetorischen Tradition - können deshalb toleriert werden, weil sie sich erstens auf ein praktisches, nicht auf ein von Gesetzen normiertes, theoreti‐ sches Wissen beziehen und zweitens als spielerisch angesehen werden können. So stellte schon Hans Fromm in einem frühen Aufsatz zur performativen Komik der Spielleute, jo‐ culatores und Narren fest: Der homo comicus, welcher der Norm nach Unbeziehbares aufeinander bezieht oder provoziert wird, bestimmte Verhältnisse der Wirklichkeit in ihrer Disproportion und Unangemessenheit auch 2.6. Scurrilitas: Transgressionen des Possenreißers 131 173 Fromm, Hans: Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters. DVjS 36 (1962), S. 321-339, hier S. 326. 174 Aus rhetorischer Perspektive wird dies so formuliert: „Denn das Lachen ist nicht nur Folge eines am konkreten Detail gewonnenen überraschenden Einblicks in die als unangemessen empfundene Ab‐ weichung des Charakters von dem gemeinsamen Sinn für das Wahre und Rechte, der doch gerade die menschlich-allzumenschliche Abirrung in sein praktisches Wissen aufgenommen hat, das Lachen schafft auch diese Gemeinsamkeit, übt sie und bildet sie aus, es ist nicht nur, wie uns die Verhal‐ tenspsychologen glauben machen wollen, instinktgeleitete Reaktion, sondern ebenso eine Aktion, eine produktive Kraft.“ Ueding, Rhetorik des Lachens, S. 36. 175 Gumbrecht hatte schon vor längerer Zeit einmal den Begriff der Transgression zur Erklärung für den spielerischen Umgang mit Sprachnormen bei Rabelais gebraucht: „Überschreitung der Sprach‐ norm und Überschreitung des Sprachsystems oder: die Negierung der Norm und System konstitu‐ ierenden Negationen ist das Grundprinzip der auf den verschiedenen Norm- und Systemebenen angesiedelten ‚Sprachspiele‘ Rabelais’. Darin liegt der Grundunterschied zwischen seinem Werk und den bisher interpretierten Texten, in denen Sprache Mittel zur Überschreitung außersprachlicher Sinnsysteme war, ohne selbst zum Gegenstand von Negationen zu werden“. Gumbrecht, Literarische Gegenwelten, S. 137. Rabelais gebraucht sprachliche Verfahren wie die Sprachmischung, die Zu‐ ordnung von Sprachhandlungen auf inadäquate Funktionen, die Reihung inkompatibler Sprach‐ handlungen im Diskurs, die Stilmischung, usw. Gumbrecht bezeichnet solche Überschreitungen von Sprachsystem und Sprachnorm als „Störungen einheitlicher sprachlicher Kontexte“. Allerdings geht er zu stark von der „Negativität“ solcher Überschreitungen aus: „Die Transgression ist Teil der Auf‐ hebung ihrer gesellschaftlich fixierten Verwendungsbereiche.“ Ebd., S. 138. 176 Vgl. dazu Audehm u. Velten (Hg.), Transgression - Hybridisierung - Differenzierung, S. 24-30. 177 Vgl. dazu de Certau, Michel: Kunst des Handelns. Berlin 1988, S. 234 ff. (Frz. Orig.: L’invention du quotidien. Paris 1980). der Werte in überraschender Weise aufzudecken, handelt als homo ludens - und zwar unter allen Aspekten, die das Spiel bietet. 173 Dazu braucht es ein Publikum, das mit seinem Lachen mit den spielerischen Transgressi‐ onen des Possenreißers einverstanden ist und sein Einverständnis mit dem Tabubruch durch Gelächter signalisiert. Doch ist das Lachen nicht nur eine Bestätigung der Verletzung des Gemeinsinns, es schafft auch diesen Gemeinsinn. 174 Es scheint so, dass der Begriff der inszenierten, ernsthaft-spielerischen Transgression (des praktischen Wissens, der Alltagserfahrung) sich als Oberbegriff für die Körpertechniken der Possenreißer, die auf Lachen zielen, auch für Mittelalter und Frühe Neuzeit eignen könnte. 175 Die Transgression (von lat. transgredi = überschreiten, überqueren) bezeichnet eine Bewegung über Grenzen hinweg. Die Übertretung der Grenzen von Normen, Codes und sozial verbindlichen Handlungsmustern ist eine zwar erwartbare, doch mehr oder we‐ niger kontingente Größe, die herkömmlich unter der Rubrik des Devianten und des Regel‐ verstoßes gefasst wird. So wird die Überschreitung von Regeln als Störung und Provokation aufgefasst und mit Sanktionen bedroht. 176 Spielerische Transgressionen, die nur probeweise oder experimentell in Kraft gesetzt werden, wie dies etwa in Narrationen der Fall ist, können auch sanktionslos bleiben, durch die Aufführung einer möglichen Provokation jedoch den unterliegenden Normverstoß trotzdem thematisieren. 177 In diesem Rahmen sind die Aktionen des Possenreißers, seine obszönen Gesten und Reden zu sehen: Dadurch, dass er als Possenreißer die Lizenz zum Spott besitzt, sind seine Transgressionen sozusagen spielerischer Art, und führen in der Regel nicht zu einem bleib‐ enden Ehrverlust der Geschädigten. Dies ist auch deshalb der Fall, weil die soziale und 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 132 178 Bereits Friedrich Georg Jünger interpretierte das Komische als einen Fall von Regelwidrigkeit, der den komischen Konflikt auslöse. Dabei dürften die Konfliktparteien nicht ebenbürtig sein. Die un‐ angemessene, widersprüchliche und regelwidrige Provokation durch den Unterlegenen löst eine angemessene, den Widerspruch aufhebende und das Recht der Regel wiederherstellende Replik des Überlegenen aus. Durch die Replik wird die Norm wieder zur Geltung gebracht. Vgl. Jünger, Friedrich Georg: Über das Komische. Zürich 1948, S. 24. 179 Hahn, Alois: Transgression und Innovation. In: Poetologische Umbrüche. Romanistische Studien zu Ehren von Ulrich Schulz-Buschhaus. Hg. von Werner Helmich, Helmut Meter u. Astrid Poier-Bern‐ hard. München 2002, S. 452-465, hier S. 452. 180 Diese Frage der Veränderung bzw. Stabilisierung der Norm diskutiert auch Warning angesichts der Komik im geistlichen Spiel in Bezug auf Ritters Komiktheorie. Vgl. Warning, Funktion und Struktur, S. 115 ff. 181 Nach Foucault überwindet die Transgression die Grenze nicht, sondern macht sie nur sichtbar. rechtliche Stellung des Possenreißers meist eine inferiore oder zumindest rituell besondere ist. 178 Allerdings kann durch das gemeinsame Gelächter durchaus ein temporärer Gesichts‐ verlust eintreten. Ist diese Gefahr beim professionellen Lustigmacher schon gegeben, so ist sie beim Scherzen des Hofmanns, wie Castiglione betont hat, oder für den Redner (Cicero) aufgrund seiner sozialen Stellung ungleich größer und das Risiko höher als für den Pos‐ senreißer, gegen die Grenzen der Angemessenheit zu verstoßen und Ehrverletzungen zu provozieren. Aus diesen Gründen ist es auch schwieriger, die Wirkungen der Streiche von Possenreißern einzuschätzen. Leichter ist es bei unflätigen Scherzen von Hofleuten. Wenn ihr Verhalten sanktioniert wird, war ihre Transgression, wie bereits Durkheim feststellte, für die Aufrechterhaltung der Norm wichtig, ja sogar notwendig und unvermeidlich. Ohne Übertretung müsse die Norm schließlich verblassen, so der Soziologe Alois Hahn im An‐ schluss an Durkheim, insofern stärke jede Übertretung die Normierung: „Die Transgression folgt der Norm wie ein Schatten.“ 179 Wie sich allerdings ‚spielerische‘ Transgressionen auf die von ihnen übertretenen Normierungen und Codierungen auswirken, muss zunächst offen bleiben und am Material untersucht werden. 180 Was ist aber das Lachen in diesen Zusammenhängen? Nicht nur ist es das Signal des Einverständnisses der Überschreitung einer Alltagserfahrung; es ist selbst Überschreitung kontrollierter Körperlichkeit und reagiert körperlich auf Körperliches (s. o. Kap. 1.3). Nicht die Transgression selbst macht die Grenze sichtbar, die sie überschreitet, wie Foucault ver‐ mutet hatte, sondern es ist das gemeinschaftliche (öffentliche) Lachen als Antwort auf diese Überschreitung, das die Grenzüberschreitung markiert und so die Grenze sichtbar werden lässt. 181 Wie Plessner bemerkt hatte (s. o.), ist die Situation, die den Menschen vor dem Lachen überfordert, die seine Person desorganisiert, nicht selten körperlich bestimmt. Die Possen‐ reißer als Agenten des lächerlichen Vorgangs wissen von diesem engen Zusammenhang von inszeniertem Kontrollverlust des Körpers und dem Lachen. In ihren Aufführungen wird eine Präsenz des Körperlichen geschaffen, die bereits affin zum Lachen als körperliche Antwort ist und somit dieses auslösen kann, eine Art Ansteckung mit analogen Mitteln. Das Lachen selbst funktioniert ebenso; als Ausdrucksphänomen des Körpers ist es körper‐ lich ansteckend. Der komische Körper des Possenreißers ist somit ein aufgeführter Körper, der sich an bestimmten Normen orientiert und diese überschreitet. Er ist jeweils als Transgression des 2.6. Scurrilitas: Transgressionen des Possenreißers 133 182 Vgl. dazu Egginton, William: How the world became a stage. Presence, Theatricality, and the Question of Modernity. Albany 2003, S. 13 ff. konstruierten normativen Körpers anzusehen, der an Geschlecht, Stand, Herkunft, Beruf usw. gebunden ist. Er manifestiert sich als Überschreitung des männlichen Körpers im cross-dressing und im Verstellen der Stimme (wie im Fastnachtspiel), als Überschreitung des gesunden Körpers in den Imitationen von Lahmen, Buckligen, geistig Kranken, als Über‐ schreitung des standesgemäßen Körpers in Maskerade und Verstellung, als Überschreitung des menschlichen Körpers hin zu tierischen Ausdrucksformen, als Überschreitung des ei‐ genen Körpers gegenüber dem des Anderen, als Überschreitung des kontrollierten Körpers in allen übertriebenen Bewegungen wie im Moriskentanz, als Überschreitung des heiligen Körpers in parodistischen und profanierenden Kontexten wie Spottlegenden, Spottliturgien und Narrenliteratur. Und diese Transgressionen werden zu einer Zeit vollführt, in der der repräsentierte Körper noch immer ein präsenter Körper des Anderen ist. Dem grotesk-komischen Körper wohnt somit Theatralität inne. Er überschreitet die räumliche agency, die einem menschlichen Körper zugestanden wird, indem er Körpernormen außer Kraft setzt. Er weicht die Grenze zwischen Mensch und Tier, zwischen Erwachsenem und Kind, zwischen Mann und Frau, Mensch und Maschine auf. Er übersteigt Form-Grenzen und Bewegungsgrenzen und macht sie dadurch lächerlich („a joke is a play upon form“, wie Douglas sagt). Er ist ein Grenz-Körper, und deshalb macht er uns lachen, denn er tut das, was wir auch könnten, aber auf Grund unserer speziellen Bindung unseres Körpers an Räumlichkeit und soziale Lizenzen nicht tun. Denn davon hängt alles ab, was wir sind: Könige, Höflinge, Hofdamen, Ritter, Bischöfe, selbst Mägde, Bauern und Bettler - der komische Körper würde uns zu einem Schauspieler machen, und wir hätten unsere Würde und unsere Identität verloren. Denn diese ist ursächlich an unsere Körperpräsenz gebunden. Gleichzeitig ist der komische Körper derjenige, der dem mittelalterlichen Zuschauer eine gewisse ästhetische Erfahrung ermöglicht, denn in ihm kann er Distanz nehmen. Wenn der komische Körper auftritt, lachen wir, und können dabei Distanz nehmen, wie wir es auch im Staunen tun. Ästhetische und komische Erfahrung sind hier noch auf der gleichen Linie. 182 2. Lachen und Körperlichkeit in Mittelalter und Früher Neuzeit 134 1 Ps 59,8; Ps 37,13; 2,4; vgl. Resnick, Irven M.: ‚Risus Monasticus‘. Laughter and Medieval Monastic Culture. Revue Bénédictine XCVII (1987), 1-2, S. 90-100, hier S. 91. Dass Gott in allen monotheisti‐ schen Religionen nicht lacht, zeigt auch die Untersuchung Ammans zum Lachen im Islam: Ammann, Ludwig: Vorbild und Vernunft. Die Regelung von Lachen und Scherzen im mittelalterlichen Islam. Hildesheim 1993. (Diss. Freiburg 1993). 2 Neben Chrysostomos wird seit dem Spätmittelalter auch immer wieder der Lentulus-Brief als Beleg angeführt, ein bruchstückhaft erhaltenes apokryphes Evangelium, das behauptet, Jesus habe nie gelacht. Vgl. dazu Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern 1948, S. 422. Resnick hält es für eine Fälschung, da vor Chrysostomos niemals die Behauptung auf‐ gestellt wurde, Christus habe nie gelacht. Vgl. Resnick, Risus Monasticus, S. 96. 3 In den Apokryphen waren neben zahlreichen Lachverboten allerdings durchaus Tendenzen vor‐ handen, Jesus auch als Lachenden festzulegen, etwa als Lachen der Befreiung oder als Lachen des Wissenden, der überlegen ist (Acta Thomae, 3. Jh.) Doch dieses Bild des lachenden Jesus, oder des komischen Jesus, wurde seit den Kirchenvätern unterdrückt, wie überhaupt das Körperlich-Vegeta‐ tive der Jesusfigur. Vgl. dazu Minois, Georges: Histoire du rire et de la dérision. Paris 2000, S. 107-112. 4 Gérard Genette macht auf die Tilgung dieser Körperfunktionen aufmerksam: „selon le même prin‐ cipe, on pourrait dire qu’il ( Jesus) n’a jamais éternué, toussé, ni même respiré.“ Genette, Morts de rire, S. 135. 3. Scurra und scurrilitas: Begriffs- und diskursgeschichtliche Aspekte 3.1. Das Lachen und der Körper in der theologischen Literatur Während die griechischen Götter Homers herzhaft lachen können, stand der strenge Mo‐ notheismus des Christentums dem Lachen skeptisch gegenüber. Gott lacht im Alten Tes‐ tament mit wenigen Ausnahmen nicht - und wenn er es tut, dann hat sein Lachen einen hoch symbolischen Wert: die Antizipation des Spotts über die Gottlosen und das frohe Lachen über die irdischen Leiden der Unschuldigen, beides gerecht und angemessen. 1 Im Neuen Testament gibt es dann kein Lachen Gottes mehr. Der Mensch gewordene Gottes‐ sohn könnte zwar lachen, hat es als Mensch wohl auch getan, doch seit dem berühmten Diktum des Johannes Chrysostomos (344-407) wird das Nicht-Lachen Jesus zu einem locus communis der klassischen Theologie. 2 Denn die Menschwerdung Christi wird mit der Ausbreitung des Christentums immer stärker in eine Logik von Leiden und Erlösung gestellt. Die in den Apokryphen noch vor‐ handenen Tendenzen, Jesus auch als Lachenden zu beschreiben, 3 werden nun im Rahmen einer Sakralisierung des Christuskörpers getilgt. Dieser sakralisierte Christuskörper hat kein Geschlecht, er hat keinen Stoffwechsel und die damit verbundenen Bedürfnisse, er wird nicht krank, er tanzt nicht, er hustet nicht, ja man könnte sogar sagen, er atmet nicht. 4 Das Nicht-Lachen gehört also zu einer ganzen Reihe von Auslassungen der Körper‐ lichkeit des Mensch Gewordenen, der zwar einen menschlichen Körper besitzt, von dessen Emotionen und Bedürfnissen wir jedoch nur wenig erfahren. Diese werden auch deshalb unterdrückt, damit der gemarterte, der leidende Körper Christi in den Vordergrund treten kann. 5 Basilius verurteilt das Lachen in seinen Längeren und Kürzeren Regeln (357-59) als grundsätzlich sündhaft und der Verdammung preisgegeben; Johannes Chrysostomos sieht es als Ausdruck des Satanischen, von Dämonen eingeflüstert. Für ihn ist das Lachen unkontrollierbar, unsinnig, ver‐ schließt sich jeder Vernunft und Logik, es überwindet die Angst und den heiligen Furor. Chrysosto‐ mos’ Betrachtungen hatten noch Einfluss auf das Decretum Gratiani (1140), in welchem das Lachen und seine Erregung als Todsünde angesehen werden. Vgl. dazu Le Goff, Jacques: Le rire dans les règles monastiques du haut moyen âge. In: Haut Moyen Âge. Éducation et Société. Études offertes à P. Riché. Hg. von Michel Sot. Paris 1990, S. 93-103; dt. in J. L. G.: Das Lachen im Mittelalter, S. 45-68, S. 49 ff. 6 Die Bedeutung und Bewertung des Lachens in der theologischen Literatur von den Kirchenvätern über das monastische Schrifttum bis zur Scholastik sind inzwischen gut erforscht: Suchomski, Joa‐ chim: „Delectatio“ und „Utilitas“. Ein Beitrag zum Verständnis mittelalterlicher komischer Literatur. Bern / München 1975; s. auch Minois, George. Histoire du rire. Paris 2003, S. 95-243. 7 „Durch diese Negierung gerät das Lachen zudem in eine gefährliche Nähe zur Sünde.“ Suchomski, Delectatio und utilitas, S. 13. 8 Suchomski sieht die Umkehr und Neudefinition der christlichen Lachverbote in der Wiederaufnahme antiker Ideen über das Lächerliche begründet. Scherz und Witz schöpfen rein aus antikem Material: „In je stärkerem Maß ein Autor oder eine Zeit der Antike zugeneigt ist, desto mehr Toleranz und Billigung findet der Scherz.“ Ebd., S. 66. 9 Clemens von Alexandreia: Der Erzieher. Buch II-III. Welcher Reiche wird gerettet werden? Aus dem Griechischen von Otto Stählin (Bibliothek der Kirchenväter II. Reihe Bd. VIII). München 1934, S. 45-49. 10 „Als vernünftiges Wesen müssen wir aber selbst das richtige Maß für uns finden, indem wir das Herbe und Übertriebene unseres Ernstes in maßvoller Weise mildern… Wenn man die Spannung des Gesichts wie die eines Instruments zu harmonischer Wirkung ein wenig nachlässt, so heißt das Lächeln (…) und so breitet sich Erheiterung über das Gesicht aus.“ Ebd., 46.1, S. 57. Jesus lacht auch nicht, weil er selbst Opferlamm und Sündenbock ist, der vom Teufel und seinen Bundesgenossen verlacht wird: zur körperlicher Züchtigung und zum Spott gehört das Lachen der Folterknechte. Unterliegt im Vergleich zur Mehrdeutigkeit und Rätselhaf‐ tigkeit des Lachens im Alten Testament das Lachen im Neuen Testament einer Entdiffe‐ renzierung, dergestalt dass es fast ausschließlich den Feinden Jesus zugeschrieben wird, so verschärft sich diese Entdifferenzierung nochmals mit den Regeln des heiligen Basilius und mit Johannes Chrysostomos, der das Lachen in toto der societas diaboli zurechnet. 5 Zwar dämonisieren die anderen frühchristlichen Texte das Lachen nicht in dieser radikalen Form, es wird aber überwiegend abgelehnt und in der großen Mehrzahl der Texte als deviantes Verhalten denunziert, 6 in seiner Phänomenalität dem sündhaften Verhalten zugeordnet und so theologisch als nicht zu rechtfertigen bestimmt. 7 Die Sanktionierung, Verurteilung oder Verdammung des Lachens - entsprechend dem jeweiligen Autor - hat allerdings zahlreiche Facetten, unterliegt Differenzierungen und ist nicht selten funktional in gezielte mora‐ lisch-theologische Argumentationen eingebunden. Dabei genügt es nicht - wie Suchomski es tut - das Lachen allein auf die schriftliche Auseinandersetzung mit den Themen Scherz und Witz zu beschränken. 8 Der erste frühchristliche Autor, der sich dem Lachen widmet, Clemens von Alexandrien erwähnt in seinem kurzen Überblick im Paidagogos 9 sechs ver‐ schiedene Formen und Anlässe des Lachens: (1) das maßvolle Lachen des vernünftigen Menschen, das Lächeln, 10 (2) das maßlose Gekicher der Frauen als das Lachen der Dirnen, 3. Scurra und scurrilitas 136 11 Hier folgt Clemens der Kategorisierung der Lachverbote in Ciceros De oratore, s. u. 12 Noch bei Hildegard von Bingen ist diese Konnotation erkennbar: Sie erkennt im Lachen und Kichern eine Umwandlung der Stimme Adams und setzt beides mit der fleischlichen Begierde in Beziehung: „und so erschüttert denn auch jeder Wind, der das Gelächter erregt, vom Mark des Menschen aus‐ gehend, seine Schenkel und Eingeweide.“ Hildegard von Bingen: Heilkunde. Salzburg 1989, S. 224. 13 Clemens, Der Erzieher, 45.1, S. 55. Mit dem Thema der Verbannung des Possenreißers schließt Cle‐ mens direkt an Aristoteles an, welcher fordert, dass unanständige Unterhalter aus dem Staat verbannt werden (Politeia 7,15,7). 14 Vorbild ist Platon, für den das Lachen zur Sphäre des Niedrigen, Hässlichen, Deformen gehört und die Prostituierten auszeichnet. (3) analog dazu das Gelächter der Männer als Zeichen des Übermuts und der Zuchtlo‐ sigkeit, (4) das laute Lachen der Toren, mit Hinweis auf Eccl. XXI , 23: „Fatuus in risu exaltat vocem suam, vir autem sapiens vix tacite ridebit“, (5) unangemessenes (übermäßiges, respektloses, ungebührliches) Lachen, 11 (6) das Lachen über den Spott der Possenreißer bzw. durch Possenreißerei Lachen zu erregen oder sich selbst lächerlich zu machen. Lachen bei Clemens ist somit nicht in erster Linie an Lachanlässe wie Scherz und Witz gebunden, sondern es ist eine im aristotelischen Sinn dem Menschen eigene körperliche Ausdrucksweise (homo risibilis), die seine innere Verfasstheit anzeigt, welche von feinem Anstand bis zur Zuchtlosigkeit bzw. Torheit reicht (46.1). Interessant sind an Clemens’ auf antike Auffassungen beruhender Argumentation drei Aspekte: a. das Lachen wird bis auf ein Normverhalten, das das rechte Maß (im Sinne des Modus) und die rechte Zeit berücksichtigt (1), und fast ein Lächeln ist, als dem Christen nicht angemessen abgelehnt (2-6). Die Ablehnung erfolgt auf Grund von moralischen, ethi‐ schen und theologischen Einwänden, und ihre didaktische Konsequenz ist die Diszip‐ linierung des Lachens als ein modus, der nicht gegen das ethische Ideal der metriotis (μετριότης) verstößt. b. es gibt eine klare Hierarchie, das Maß der Verwerflichkeit des Lachens betreffend: Weit schlimmer als das sexuell konnotierte Gekicher der Frauen 12 und übermütige Gelächter der Männer, weit negativer als das biblische Lachen der Toren und das situativ falsche Lachen ist das Gelächter über die Possenreißer, die professionellen Meister des Spotts: „Leute, die darin geschickt sind, lächerliche oder vielmehr zu verlachende Stimmungen nachzuahmen, müssen wir aus unserem Staat ausweisen.“ 13 c. das schlechte, normferne Lachen und seine Anlässe sind in vielfältiger Weise mit De‐ formationen des Körpers verbunden: wenn bei lachenden Frauen sich „die Haltung des Gesichts in maßloser Weise völlig auflöst“ und das sexuell anstößige Lachen zweideu‐ tige Gesten einschließt, 14 wenn beim Toren die Lautstärke hervorstechendes Kennzei‐ chen seines Lachens ist, wenn das „weichliche Lachen“ mit dem Tanz, und mithin mit unsittlicher Bewegung gleichgesetzt wird. Damit ist Clemens für die christliche Haltung dem Lachen gegenüber bis ins hohe Mittel‐ alter hinein wegweisend: Körper und Stimme sind die eigentlichen Objekte einer christli‐ 3.1. Das Lachen und der Körper in der theologischen Literatur 137 15 Dies wird auch deutlich, wenn man sich die erlaubten Äußerungsformen des Lachens vergegenwär‐ tigt, wie das Lachen der Seligen (gaudium spirituale), das als rire d’acceuil zu bezeichnende Lachen Marias mit dem Jesuskind oder das Lachen über maßvolle Scherze (ioci). All diese Formen sind nicht körperlich, sondern geistig oder symbolisch codiert, das Lachen wird jeweils als Ausdruck der vom Körper unabhängigen Freude der Seele verstanden. Insofern stützen die Belege von To‐ bias A. Kemper: Iesus Christus risus noster. Bemerkungen zur Bewertung des Lachens im Mittelalter“. Komik und Sakralität. Hg. von Anja Grebe u. Nikloaus Staubach. Frankfurt a. M. 2005, S. 16-31 die These von der Verurteilung des körperlichen Lachens. 16 Hieronymus: Kommentar über den Epheserbrief 5.4., in Migne: PL 26, 520a; vgl. dazu auch Minois, Histoire du rire, S. 110. 17 Vgl. Minois, Histoire du rire, S. 109. 18 Vgl. die Bedeutung des Lachens in den Kommentaren des Chrysostomos, ausgew. bei Minois, Histoire du rire, S. 111-114. chen Disziplinierung des Lachens, wie sie bei Clemens in Umrissen bereits erkennbar ist. 15 Seine Mahnungen an einen vernünftigen, maßvollen Gebrauch können zwar bei seinen Adressaten auf fruchtbaren Boden fallen, doch die „Possenreißer“, denen hier die schärfsten Sanktionen drohen, werden von solchen Ermahnungen wohl kaum erreicht, womit ihre Verbannung schließlich erklärt sein dürfte. Der heilige Hieronymus folgt Clemens in den Grundlinien: er unterscheidet zwischen zwei Formen des Lachens: das exzessive, laute, den ganzen Körper erfassende Lachen, er‐ kennbar im Lachen der Juden, der Schüler (bei denen es wohl mit Nachsicht zu behandeln ist), der Betrunkenen, der Barbaren und der Zuschauer von Komödien; all dieses Lachen ist verdammenswert. Dagegen kann das maßvolle Lachen um der Erziehung der Jugend willen toleriert werden. 16 Ähnlich argumentiert auch Augustinus in den Drei Büchern für Marcel‐ linus über die Mühe und die Vergebung der Sünden: er verurteilt im Besonderen das Lachen der Spaßmacher (moriones), weil es die Schadenfreude der Lachenden erwecke. Sie seien die teuersten Sklaven, doch sie verspotten die vernünftigen Leute. 17 Auch hier wird wie‐ derum deutlich, dass das Engagement gegen das Lachen viel mit den (professionellen) Lachpraktiken der Spätantike zu tun hat. Die negative Bewertung des Lachens im frühen Christentum erschöpft sich somit nicht nur mit dem Hinweis darauf, dass es ein symbolisches, äußerliches Zeichen für Gottferne, Dummheit oder Überheblichkeit sei. Als sozialer und ethisch bestimmter Vorgang ist es vielfach mit dem Körper verbunden: einerseits erscheint es als eine Funktion des Körpers, der seinen Wirkungen ausgesetzt ist und durch Lachen erschüttert wird; hierzu zählt der cachinnus oder risus immoderatus der Toren und Narren, aber auch die Deformationen von Gestalt und Gesicht beim Lachen. Andererseits wird das Lachen von Körperlichem ausge‐ löst, es ist eine Konsequenz der devianten Körperlichkeit und des Sprechens von professi‐ onellen Possenreißern und Schauspielern. Chrysostomos identifiziert das Lachen mit den Aufführungen der Mimen, die um des Lachens willen ihren Leib aufs schändlichste ent‐ stellten, ihren Kopf kahl rasierten und ihre Wangen den Ohrfeigen preisgäben. 18 An der radikalen Verurteilung der obszönen Körperdarstellung in Mimus und Panto‐ mimus lässt sich erkennen, dass die Feindschaft zum Lachen bei den Kirchenvätern theo‐ logisch aus der Nähe des Lachens zu sündhaftem, exzessivem Verhalten, letztendlich aus dem Sündenfall des Menschen und dem Verlust der Gottesebenbildlichkeit ergibt. Lachen ist hier ein Epiphänomen der Erbsünde, wie Minois darlegt. Ideologisch ist diese Feindschaft 3. Scurra und scurrilitas 138 19 Vgl. dazu Minois, Histoire du rire, S. 116. Dass diese Angst nicht unbegründet war, zeigt die Existenz spätantiker Spottschriften gegen das Christentum, die die Bibel als Ammenmärchen abtun und das Christentum als Religion für geistig Minderbemittelte bezeichnen (Celsus, Porphyrius, Lukian). In diesen Zusammenhang gehört auch das in Pompei gefundene Graffiti eines Mannes, der den Ge‐ kreuzigten mit Eselsmaske anbetet. Unabhängig von der Stimmigkeit von Minois’ These ist das La‐ chen als Waffe im Kampf der Glaubensformen noch nicht hinlänglich untersucht. Vgl. dazu Wilken, Robert Louis: Die frühen Christen: Wie die Römer sie sahen. Graz u. a. 1986, S. 54-58. 20 So auch Ambrosius in seinem Anleitungsbuch für angehende Priester und Bischöfe: De officiis mi‐ nistrorum (389-390), worin er dem jungen Kleriker empfiehlt, „in seinen Bewegungen, seinen Gesten und seinem Gang“ schamhaft zu sein. Schmitt, Die Logik der Gesten, S. 67. 21 Cicero: De officiis, zit. nach Schmitt, Die Logik der Gesten, S. 40. Ähnliche Beschreibungen finden sich bei Seneca, wenn er das Ideal stoischen Verhaltens bestimmt: „Omnis in modo est virtus“. Seneca: Briefe an Lucilius 66,5. 22 Petrus Cantor, Verbum abbreviatum, 255. Zit aus Casagrande, Carla u. Vecchio, Silvana: I peccati della lingua. Disciplina ed etica della Parola nella Cultura Medievale. Roma 1987, S. 329. jedoch viel stärker durch den Kampf gegen die römische Religion und ihre kultischen Spiele, und somit aus der Auseinandersetzung mit religiösen Gegnern und Häretikern motiviert. Minois schreibt die Gegnerschaft zum Lachen den psychosozialen Konsequenzen der ei‐ genen Verfolgung zu: Selbst tausendfach verlacht und verspottet, sahen sie das Lachen als Form der Demütigung und fürchteten sich vor ihm. Sie wähnten jedoch nicht allein den Satan hinter den römischen Aufführungen 19 , sondern vor allem auch die Gefahr der Apos‐ tasie, die durch die Verspottung der christlichen Symbole und Rituale sowie das Lachen über sie befördert würde. Wenn körperliches Gebaren als Anlass für Gelächter so gefährlich werden konnte, dann wird offenkundig, warum die christlichen Autoren in ihren Lehren so viel Wert auf die Disziplinierung des Körpers und die damit verbundene Mäßigung des Lachens legten. 20 Doch ist dies nichts genuin Christliches: die Kirchenväter knüpften, wie bei Clemens zu sehen war, in vielfältiger Weise an die Körperzucht bei den antiken Schriftstellern an. Es ist erstaunlich, in welch hohem Maße die christlichen Lachverbote antike Verhaltensvor‐ schriften tradieren: Wie in Ciceros durch das gesamte Mittelalter hindurch rezipierten Schrift De officiis Ordnung und Mäßigung als oberste Maxime für den jungen Erwachsenen festgelegt wird, wird in De oratore dem Redner temperantia in den Körperbewegungen, Gesten und mimischen Ausdrucksformen zugeschrieben. Die Bewegungen und Haltungen des Körpers, „die Haltung, der Gang, die Art, sich zu setzen, sich zu Tisch zu legen, das Gesicht, die Augen, die Bewegung der Hände, die Bewegung und die Gesten“, zeigen vor der römischen Öffentlichkeit die Tugenden und die Trefflichkeit des einzelnen. 21 Gesten und Gang dürfen dabei weder zu heftig noch zu weich oder „weibisch“ sein. Es sind gerade die “weibischen Bewegungen“, die auch die Kirchenväter verurteilen. So verbindet Clemens Gelächter mit Schwäche und Weiblichkeit. Später wird das Thema der Weiblichkeit noch stärker mit weiblicher Verführung und Laszivität assoziiert werden; so kommt es auch dazu, dass Petrus Cantor die Gaukler als „weibisch“ bezeichnet. 22 Ich will das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen und stattdessen danach fragen, wie sich die Kritik (aus der christlichen Wahrnehmung) am lauten, unanständigen Lachen sowie an seinen Anlässen, den nicht minder unanständigen Handlungen und Worten diskursge‐ schichtlich beschreiben lässt. Bevor diese Studie mit den Termini scurra und scurrilitas als historischen Begriffen arbeiten kann, muss ihre effektive Verwendung im Diskurs des La‐ 3.1. Das Lachen und der Körper in der theologischen Literatur 139 23 Vermutlich aus dem Etruskischen, wohl weniger aus dem Griech. skairó (springe, hüpfe, tanze), vgl. Walde, Alois u. Hofmann, Johann Baptist: Lateinisches etymologisches Wörterbuch, 3 Bde. Heidelberg 1982 5 , s.v. scurra, Bd. 2, S. 502 f. 24 Vgl. Freund, Wilhelm: Wörterbuch der lateinischen Sprache. Vierter Bd., Leipzig 1840, S. 302. 25 Vgl. Georges: Deutsch-Lateinisches Handwörterbuch, ebd., u. Oxford Latin Dictionary, Hg. von P. G. W. Glare, Oxford 1982. S. 1713. 26 Cicero, De orat. II, 60, 247; II, 59, 239. 27 Vgl. Philip Corbett: The Scurra. Edinburgh 1986, S. 1-4. 28 Alle zit. Belege bei Du Cange: Glossarium Mediae et Infimae Latinitatis. Tomus VI. Paris 1846, s.v. scurra, scurrilitas. chens der Spätantike und des Mittelalters untersucht und ihre Funktion in diesem Diskurs bestimmt werden. Auch wenn hier Widersprüche und Verwerfungen in den Zuordnungen aufscheinen mögen, wie ich in der Einleitung bereits erwähnt habe, möchte ich dennoch im Folgenden versuchen, die scurrilitas konsequent von der Aufführung und vom Körper her zu denken. 3.2. Scurra und scurrilitas Scurra, ein etymologisch nicht restlos geklärter Begriff, 23 bezeichnete im römischen Al‐ tertum einerseits einen feinen, witzigen Mann, einen urban-galanten Herren (hier ist noch die Wurzel des vir urbanus atque facetus der Renaissance-Humanisten zu erkennen); die zweite und wichtigere Bedeutung des Begriffs ist jedoch, vor allem seit augusteischer Zeit, die des professionellen Possenreißers oder städtischen Lustigmachers, gewöhnlich ein pa‐ rasitus im Gefolge der Wohlhabenden. 24 In diesem Sinn erscheint der Begriff auch bei Plautus in verschiedenen Stücken (Mostellaria, Epidicus, Poenulus und im Trinummus), 25 sowie bei Cicero in De oratore. 26 Ein scurra ist somit vornehmlich ein Unterhalter, der sich auf mimisch-gestische und sprachliche Aufführungen, Gesang und Tanz versteht, gleich‐ zeitig aber auch ein gefährlicher Spötter und Imitator. 27 Dass der Begriff dabei eher negativ besetzt war, zeigt Zenos sarkastische Bezeichnung des Sokrates als scurra atticus. In der Spätantike und in den frühchristlichen Schriften erscheint scurra noch in einer weiteren Bedeutung, nämlich als Mitglied der kaiserlichen Garde, als Diener und Wächter, aber auch, gerade in den Märtyrerakten, als Henker (Martyrol. S. Victor: „amputatum est caput ejus ab scurrone“). Daneben aber auch noch im antiken Sinn als Parasit, Possenreißer, oder Schauspieler (Athanasius nennt die Histrionen scurrones). Häufig wird der scurra als irrisor und parasitus vorgestellt, vermutlich auch aufgrund seiner Rolle in der römischen Komödie. Du Cange resümiert: „scurrae (...) sunt parasiti. Denique cum non dictis tantum, sed et gestu risum divitibus movere satagerent, scurrae nomen ad mimos transiit“. 28 Die Vulgata verstärkt den negativen Gebrauch des Begriffs noch, wenn der nackt vor der Bundeslade tanzende David in 2 Sam. 6,20 in den Worten Michals, der Tochter Sauls, spöt‐ tisch mit einem Possenreißer verglichen wird: „et egressa Michol filia Saul in occursum David ait quam gloriosus fuit hodie rex Israhel discoperiens se ante ancillas servorum 3. Scurra und scurrilitas 140 29 „(…) ging Michal, die Tochter Sauls, heraus ihm entgegen und sprach: Wie herrlich ist heute der König von Israel gewesen, als er sich vor den Mägden seiner Männer entblößt hat, wie sich die Possenreißer entblößen! “ 30 Die griechische Übersetzung basiert auf einer vermuteten, doch nicht belegten paläografischen Va‐ riante des Verbs raqad, welches „springen, tanzen, tanzend laufen“ bedeutet. Den Hinweis verdanke ich Antonio Piras, Cagliari. 31 Corbett formuliert es in seiner wichtigen Studie zum antiken scurra so: „The most striking fact about the scurra ist his longevity - the persistent recurrence of a name of wich the derivation is unknown and the precise meaning obscure“. The scurra, S. 70. 32 So bereits in der Aufforderung des Konzils von Karthago (436): „Clericum scurrilem et verbis turpibus iocularem ab officio retrahendum“. Vgl. Mansi, Concilia 3.956, erscheint ähnlich in den Acta Hiber‐ nienses (um 710): „Clericus scurrilis et verbis turpibus iocularis degradetur“ u. ähnlich wiederholt bis ins 13. Jh. Zit. aus Suchomski, Delectatio und utilitas, S. 22 f. 33 Vgl. Corbett, The scurra, S. 78. 34 So etwa bei Thomas von Chobham als: „Qui nihil operantur sed criminose agunt, non habentes certum domicilium“. suorum et nudatus est quasi si nudetur unus de scurris.“ 29 Die Bezeichnung unus de scurris bezieht sich einerseits auf die soziale Entgleisung (nackt vor Dienerinnen zu tanzen), an‐ dererseits aber auch auf die Unangemessenheit und Lächerlichkeit des Tanzes selbst. Scurrae sind in dieser Lesart dem König in Status, Auftreten und Verhalten diametral ent‐ gegenstehende Personen, die die Würde des Königtums herabsetzen. Interessant ist dabei die Übersetzungsgeschichte der Stelle: in der Septuaguinta heiß es: εἷς τῶν ὀρχουμένων (einer der Tänzer), was in der Vetus Latina wörtlich mit „unus de saltatoribus“ wiederge‐ geben, jedoch von Hieronymus durch „unus de scurris“ ersetzt worden war. Hier wird der enge Zusammenhang zwischen saltatores und scurrae als Schausteller des Körpers beson‐ ders deutlich. 30 Bis ins Spätmittelalter bleibt der scurra dann ein häufig gebrauchter pejorativ belegter Begriff; auch wenn seine präzise Bedeutung im Dunkeln bleibt, 31 scheinen die Zeitgenossen damit jeweils unterschiedlich betonte Typen des Possenreißers verbunden zu haben. Dass scurra mit dem Begriff mimi häufig gemeinsam auftaucht, läßt auf vagierende Schauspieler schließen, die durch körperliche und sprachliche Provokationen eine Gefahr für Sitten und Moral darstellten. Dabei unterscheidet sich der Scurra vom Mimus immer durch seine Possen und Späße, die iocularia. Er ist also bis zur frühen Neuzeit ein komischer Darsteller mit breitem Repertoire, dessen Aufgabe es ist, Lachen zu erregen. Zu seinen Techniken gehören die umfassende Beherrschung der Mimik, der Gestik und der Stimme, dazu gesellt sich eine hohe Improvisationsfähigkeit, Schlagfertigkeit und Wortwitz. Dass die christliche Kirche den Begriff auch für undisziplinierte Kleriker gebrauchte, die sich der Disziplin und Ernsthaftigkeit des Dienstes für Gott nicht beugen wollten oder konnten, ist weit in die Canones-Sammlungen hinein vielfach belegt (clerici scurriles). 32 Ab dem 9. Jh. kommt es zu einer Überlagerung mit dem Begriff des ioculator, der ebenso wie scurra im Verein mit mimus auftritt und aufgrund seiner direkten semantischen Ver‐ bindung mit den mittelalterlichen Spielleuten schließlich den älteren Begriff langsam er‐ setzt. 33 Scurra wird dann nur noch sehr negativ für vagierende Schmarotzer und Begleiter von Prostituierten (meretrices) verwendet. 34 Das zugehörige Substantiv scurrilitas wird im Altertum für das Handeln und Sprechen in der Art und Weise eines scurra verwendet und ist im Deutschen folglich mit Possenrei‐ 3.2. „Scurra“ und „scurrilitas“ 141 35 Cicero, De oratore, III, 60, S. 482. 36 C. Sollius Apollinaris Sidonius: Briefe Buch I. Einleitung - Text - Übersetzung - Kommentar. Hg. von Helga Köhler. Heidelberg 1995. Epistula 5: Reisebeschreibung von Lyon nach Rom, gerichtet an He‐ renius. Datierbarkeit des Briefes auf das Jahr 467 wegen der Hochzeit des Ricimer mit der Tochter des Kaisers Anthemius. Dort beschreibt er das Stadt- und Straßenleben, unter anderem auch die Theater, mit folgenden Worten: “et inter scurrilitates histrionicas totus actionum seriarum status peregrinetur.“ S. 58 („und unter den Possen der Mimen der Zustand von ernsthaftem Verhandeln überhaupt vollständig fremd ist“). 37 Quintilian, De inst. orat. 11, 1, 30. 38 Vgl. Grande Dizionario della Lingua Italiana. Vol. XVIII SCHO-SIK. Hg. von Salvatore Battaglia. Torino 1996, S. 353. 39 Aus: J. Bouchet: Ep. mor. I,1 in Dictionnaire de la Langue Francaise du 16e siècle. T. VI. Hg. von Edmond Huguet. Paris : Didier 1965, s.v. scurrile. 40 Trésor de la langue francaise. T. 15. Hg. vom CNRS. Paris 1992. ßerei wiedergegeben worden (deutlicher noch weist das Adjektiv scurrilis auf Possen und Witze hin; allgemein wird es für „spaßhaft“ bzw. „scherzhaft“ gebraucht, im Besonderen aber ist es dem Tun des Possenreißers gewidmet - possenreißerartig, possenhaft.) Vor allem Ciceros Gebrauch ist hier sehr aufschlussreich: „Visum est totum scurrile ridiculum“, wie es im dritten Buch von De Oratore heißt. 35 Während der Begriff scurrilitas meist in Beziehung zum Theaterleben gebraucht wird - so erwähnt C. Sollius Apollinaris Sidonius in einem Brief an Herenius die scurrilitates hist‐ rionicas des Stadt- und Straßenleben Roms 36 - überwiegt in den rhetorischen Werken der mimisch-gestische und sprachliche Spott - Quintilian spricht von der „adfectata scurrilitas, in rebus ac verbis parum modestis ac pudicis vilis pudor“. 37 Interessant ist dann die Über‐ nahme des Substantivs als Pejorativum in den kirchlich-theologischen Bereich und seine Prägung als Zungensünde, wovon weiter unten ausführlich die Rede sein wird. Hier sei nur soviel gesagt, dass der Begriff im Mittelalter für die lasterhaften Reden und Possen der Spielleute und derer, die sich wie Spielleute verhalten, gebraucht wird. In den Volkssprachen der Frühen Neuzeit bleibt die Verbindung der Bedeutung von kör‐ perlich-gestischer Semantik und unverschämter und loser, aber auch witzig-unterhaltender Rede des Skurrilen erhalten, ja sie verstärkt sich zugunsten der ersteren; der Begriff ist im Übrigen eng an die Tätigkeit des „buffone“, des höfischen Possenreißers geknüpft. So wird im neuzeitlichen Italienisch „scurrilità“ als „atteggiamento, comportamento, gesto o es‐ pressione volgare“ bezeichnet. 38 Auch im Französischen der Frühen Neuzeit steht die actio im Vordergrund: in Edmond Huguets Dictionnaire de la Langue Française du 16e siècle wird unter dem Lemma „scurrile“ ein Zitat von J. Bouchet angeführt: „Vous les verrez en nopces et banquetz Danser, saulter et porter les bouquetz, Baiser, taster, et faire actes scurriles Oultrepassans follies puerilles.“ 39 Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wird der Begriff „scurri‐ lité“ dann wieder stärker im Bezug auf sprachliche Vulgarismen, Übertreibungen und Witze bezogen. Insofern ist es konsequent, wenn im Trésor de la langue française des CNRS zwei Bedeutungensvarianten von scurrilité angegeben werden: der schlüpfrige, obszöne Witz, etwas, das von schlechtem Geschmack, vulgär ist, und zweitens die grotesken Gesten in der Art der „bouffons bavards (...) amusant les passants par leur gestes scurriles“. 40 Im Eng‐ lischen erscheint der Begriff eng an die „jester“ gebunden, sowohl sprachlich als auch kör‐ perlich. In Shakespeares Troilus and Cressida ist die Rede von „scurril jests“. Während viele Belege im 17. Jh. die „scurrility“ mit „bad language“ im Sinne von Beschimpfungen, Ver‐ 3. Scurra und scurrilitas 142 41 Vgl. dazu auch Cavanagh, Dermot u. Kirk, Tim: Subversion and Scurrility: Popular Discourse in Europe from 1500 to the Present. Aldershot u. a. 2000, S. 5-9. Unter „scurrility“ verstehen die Verfasser üble Nachrede, Verleumdung und Geschwätz, die eng an populäre Diskurse gebunden sind. 42 Johann Heinrich Zedler: Großes vollständiges Universal-Lexicon (...) Bd. 36, Leipzig / Halle 1743, s.v. Scurrilität, Sp. 774 f. 43 Vgl. Grimm, Jacob u. Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 16 Seeleben -Sprechen. München 1991, s.v. skurril, seit dem 18. Jh. in dieser Bedeutung. 44 Corbett, The scurra, S. 5. leumdungen und übler Nachrede („scurillous language“) verbinden, 41 ist auch die Bedeu‐ tung von „buffoon-like behaviour“ durchaus verbreitet. Im Deutschen scheint mit dem Aufkommen des Adjektivs „scurril“ im späten 16. Jahr‐ hundert das Körperlich-Burleske zu dominieren, wie der Eintrag in Zedlers Universalwör‐ terbuch zeigt: Scurrilität, Scurrilitas, heist man denjenigen Fehler, wenn ein Mensch in solchen Dingen, die ein Vernünfftiger im Ernst zu tractieren hat, mit lächerlichen Possen aufgezogen kommt, dahin z. B. sonderlich gehöret, wenn man mit geistlichen und andern ernsthafften Dingen ein Gespötte treibet, welches ein sehr grosser und närrischer Fehler ist, der im gleichen Grad mit demjenigen stehet, wenn einer auf der Gasse gehet, und an statt daß er gehen solte, einher tantzet, auch sich wohl dazu pfeiffet. Und wenn man dergleichen lächerlicher Possen in allen Gesellschafften zu viel macht, mithin seinen Respect auf die Seite setzet, so heist man dergleichen Leute Pickelheringe, oder wenn man es gelinder geben will, artige, poßirliche Köpffe, lustige Räthe. 42 Die Beschreibung des Spotts über Geistliche wird im ‚Zedler‘ nicht genauer, doch können wir annehmen, dass hier Sprachliches und Mimisches eine Verbindung eingehen; das Tanzen und Pfeifen des zweiten Beispiels ist vollständig der gestisch-körperlichen Kom‐ ponente zuzuschlagen, wie auch der spätere hochdeutsche Gebrauch von „skurril“ als „ab‐ sonderlich“ und „befremdlich-grotesk“ bestätigt. 43 Dass sich die ältere, Zedlersche Auffas‐ sung heute vor der romantischen durchgesetzt hat, zeigt die heutige Dominanz des gestisch-mimischen Sinnes von skurril (eine skurrile Person, skurrile Handlungen). Für eine genauere Bestimmung der semantischen Wertigkeit des Begriffes, seiner historischen Wandlung in Mittelalter und früher Neuzeit sowie seiner Relation zum Lachen ist es not‐ wendig, die wichtigsten Differenzierungen, auch in der früheren Bedeutungsgeschichte etwas näher zu betrachten. Plautus und Cicero sind im Altertum die wichtigsten Gewährsleute für die Anwendung des Begriffs in verschiedenen Kontexten, Paulus (bzw. der Verfasser des Epheserbriefes) wird diese Rolle für das christliche Mittelalter übernehmen. Der scurra bei Plautus Der komische Typus des ‚parasitären‘ Possenreißers ist bereits in der griechischen Komödie ausgebildet worden, „obviously designed to provoke amusement“, wie Corbett es formu‐ liert. 44 In Xenophons Symposion (nach 380) etwa wird der Possenreißer (gelotopoios / γελωτοποιός) Philippos als ein Spaßmacher vorgestellt, dessen Lacherfolge nicht in seinen Witzen, sondern in seiner unnachahmlichen Körperkomik liegen: Nach der Aufführung 3.2. „Scurra“ und „scurrilitas“ 143 45 Xenophon, Symposion 2, 21-23. Zit. nach Bremmer, Jan: Witze, Spaßmacher und Witzbücher in der antiken griechischen Kultur. In: Kulturgeschichte des Humors. S. 18-31, hier S. 19. 46 Vgl. ebd., S. 21 f. 47 „Der laute italische Spaß (...), der risus mimicus“. Benz, Lore: Zur Metaphorik der Captivi. In: Maccus barbarus. Sechs Kapitel zur Originalität der Captivi des Plautus. Tübingen 1998, S. 101-126. 48 Corbett, The scurra, S. 27-42. 49 Trin. 205ff; vgl. Corbett, The scurra, S. 29. 50 „Tu urbanus scurra, deliciae populi, rus mihi tu obiectas? “ (Most. 15-16); so kann Tranio als servus scurrae bezeichnet werden. Ähnlich wie Tranio ist Epidicus in der gleichnamigen Komödie gekenn‐ zeichnet. Corbett, The scurra, S. 36 f. 51 Corbett, The scurra, S. 40. einer akrobatisch geschulten Tanzgruppe parodierte Philippos deren Tanz, dass „jeder Teil seines Körpers, den er bewegte, noch lächerlicher wirkte als er ohnehin schon war.“ Wenn die körperliche Imitation von Personen hier Lachen hervorruft, so werden am Ende des Symposiums auch Grenzen erkennbar, als Philippos das Nachäffen der Anwesenden von Sokrates aus ethischen Gründen versagt wird. 45 Xenophons Beispiel betont besonders zwei Elemente: erstens ist es die Hauptaufgabe des Possenreißers, Lachen zu erregen; wenn dies nicht gelingt, hat er seine Funktion verfehlt. Zweitens verfügt der Possenreißer sowohl über sprachliche als auch körperlich-gestische Mittel, um Lachen zu erregen; letztere sind erst‐ eren unter Umständen überlegen, aber auch deutlicheren Grenzziehungen unterworfen. Unterdessen ist Philippos nicht der einzige Lustigmacher Griechenlands, der sich paro‐ dierender Imitationen von Körperbewegungen bedient: Eudikos ahmte Boxer und Ringer nach, Agathokles, der Tyrann von Syrakus, übte sich selbst in dieser Kunst, wenn er bei den Volksversammlungen Anwesende nachahmte. 46 In der römischen Komödie, die stark von der Stegreifspieltradition beeinflusst ist, hat der Possenreißer die Aufgabe, sein Publikum mit einer von übermütigem, vitalem Lachen gekennzeichneten Komik zu unterhalten. 47 Die Possenreißer der Komödien des Plautus gehen einerseits auf die theatralen Wurzeln des scurra als saltator und ioculator zurück, 48 sind andererseits aber stärker urban und sozial gezeichnet. Corbett unterscheidet in seiner Arbeit zum scurra bei Plautus typologisch zwischen „theatrical scurra“ und „professional jester“. Der erste ist ein professioneller Unterhalter im Sinne von Xenophons Philippos, ein Possenreißer, der im Theater und bei privaten Festen auftritt, um die Anwesenden zum Lachen zu bringen. Der zweite ist eher ein urbanus assiduus civis, ein geistreich-urbaner, witziger, aber auch bösartiger Spötter, der sich in die Angelegenheiten anderer einmischt, alles durcheinanderbringt, und durch seine üble Nachrede rechtschaffene Leute in Verruf bringt - bestens geeignet als Katalysator für die Intrigenstruktur der plautinischen Komö‐ dien. Dazu gehört etwa der Typus des aufgeblasenen Schwätzers und Gerüchteverbreiters im Trinummus, dessen falsa verba die anderen Figuren zu unsinnigen Handlungen ver‐ führen, 49 oder der römische Sklave Tranio in der Mostellaria, welcher aufgrund seiner Nei‐ gung zum Verprassen der Mittel seines Herrn und seines bösen Mundwerks als „urbanus vero scurra“ bezeichnet wird, 50 vor allem aber der Typus des wohlhabenden iuventus, der seine Sklaven bzw. parasiti selbst nachahmt und übertreffen will und somit zu einem „cons‐ tant practinioner of the iocularia“ wird. 51 Allerdings überlagern sich in den Komödien des Plautus beide Typen häufig, sodass der skandallüsterne Spötter und arrogante Angeber auch Entertainer-Qualitäten aufweist, wie 3. Scurra und scurrilitas 144 52 Vgl. ebd., S. 38 ff. 53 „Temporis igitur ratio et ipsius dicacitatis moderatio et temperantia et raritas dictorum distinguent oratorem a scurra; et quod nos cum causa dicimus, ut non ridicoli videamur, sed ut proficiamus aliquid, illi totum diem et sine causa.“ Cicero, De oratore. II. Buch, 247. 54 Mit der Kategorie des „erlaubten Spotts“ schließt Cicero an Diskurse des Panaitios von Rhodos und Aristoteles an. Ein Witz oder komischer Vorgang kann von daher urbanus, ingeniosus, facetus oder elegans sein, aber auch obscenus, petulans (unverschämt) oder flagitiosus (schändlich). Vgl. Graf, Fritz: Cicero, Plautus und das römische Lachen. In: Kulturgeschichte des Humors. Von der Antike bis heute. Hg. von Jan Bremmer u. Herman Roodenburg. Darmstadt 1999. S. 32-42, hier S. 33. etwa Tranio, dessen Aktivitäten deutlich theatral konnotiert sind, wenn sie als „deliciae populi“ und er damit als Publikumsliebling charakterisiert wird. 52 Selbst die Nachahmer der professionellen scurrae, die wohlhabenden jungen Städter Roms (circulatores), die mit ri‐ tuellem Tanz und Gesang vertraut sind, befleißigen sich theatraler und körperlicher Komik, vor allem der imitatorischen Komik, um ihre Widersacher zu verspotten und zu erniedrigen. Sie sind auch das Verbindungsglied zu Ciceros Auffassung des scurra, denn die Komödien des Plautus waren die entscheidenden Prätexte für Ciceros Rhetorik, wo der scurra eine wichtige Figur darstellt. Orator und scurra bei Cicero Im zweiten Buch seines De oratore führt Cicero bei der Behandlung des Lächerlichen in der Rede die Figur des Possenreißers (den er mit dem Begriff scurra, teils auch mit mimus und sannio belegt) ein. Er gebraucht diese Figur als eine Art Anti-Orator, um mit ihrer Hilfe als Negativ-Folie das ideale Verhalten des Redners herauszustellen. Denn die Frage, wann und inwieweit der Redner das Lächerliche und den Spott als rhetorische Mittel einsetzen soll, ist durchaus prekär: Wer darf überhaupt verspottet werden und warum? (Die) Berücksichtigung der Zeit also, Mäßigung und Beschränkung des Spottes und seltene An‐ wendung witziger Einfälle wird den Redner vom Possenreißer unterscheiden und dann der Um‐ stand, dass wir uns des Spottes nur zu einem Zweck bedienen, nicht um für Witzlinge zu gelten, sondern um dadurch einen Vorteil zu gewinnen; das tun jene den ganzen Tag und ohne Zweck. 53 Im Unterschied zum Witz des Redners agiert der Possenreißer offensiv und verletzend: seine Witze sind nicht moderat, sie wollen treffen. Ein Grund dafür ist, dass der professionelle Spaßmacher aus seinen Possen einen pekuniären Vorteil zieht. Doch diese moralische Ka‐ tegorie ist für Cicero nicht die entscheidende: er fragt, wie später dann wieder (in dem im Mittelalter bekannteren Werk) De officiis, nach den Grenzen des Erlaubten und Angemes‐ senen beim rhetorischen Witz und Spott. Beide müssen sich, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden, innerhalb bestimmter Grenzen der Sittlichkeit und Ehrbarkeit bewegen. 54 Wie werden diese Grenzen aber definiert? Wenn wir die Vergleiche zum Possenreißer genauer betrachten, fallen zwei Dinge sofort ins Auge: erstens überschreitet der Possenreißer in allen behandelten Kategorien die Grenzen des Erlaubten, ist also schlechthin eine negativ codierte transgressive Figur. Zwei‐ tens ist diese Figur nicht mit dem Hinweis auf ihre dicacitas, die scharfzüngige Bosheit, 3.2. „Scurra“ und „scurrilitas“ 145 55 Wie dies später bei Quintilian der Fall sein wird: dieser bestimmt den “sermonem cum risu aliquos incessentem“ als Redeweise aggressiven Spottes zum Zwecke des gemeinsamen Lachens. Quintilian, De Inst.Orat. 6. 3. 21. 56 Obschon Cicero das facete factum ebenso wie das facete dictum dem Rhetorischen zurechnet („Duo sunt enim genera facetiarum, quorum re tractatur alterum dicto“, De orat. II, 242, bestreitet er die Nachahmung menschlicher Defekte und körperlicher Missbildungen als komische Gegenstände nicht. 57 Cicero, De orat. II, 242, 252. 58 Cicero, De orat. II, 237. 59 Cicero, De orat. II, 245. 60 „Quid enim potest tam ridiculum quam sannio est? sed ore, voltu, imitandis moribus, voce, denique corpore ridetur ipso. Salsum hunc possum dicere atque ita, non ut eius modi oratorem esse velim, sed ut mimum.“ erledigt, 55 sondern sie ist im Gegenteil stark auf (redebegleitende) Gestik, Mimik und Kör‐ perlichkeit, im Gegensatz zum Sprachlich-Rhetorischen zugeschnitten. 56 So heißt es, dass der Redner in jedem Fall die Ähnlichkeit mit den nachäffenden Gebärdenspielern ver‐ meiden solle, auch wenn die gestische und mimische Nachahmung effektvoller zum Lachen und somit zur Einnahme des Publikums führt als die bloße Rede. 57 Der Possenreißer wird also mit Hilfe von Theatermetaphern als Schauspieler vorgestellt: der die Grenzen des Anstands überschreitende Scherz wird als „scurrilis“ oder „mimicus“ bezeichnet, er gehört also den Mimen und Scurrae an: „ne aut scurrilis iocus sit aut mi‐ micus“. 58 Der Begriff „scurrilis“ wird noch an anderer Stelle gebraucht: „… omnis est risus in iudicem conversus; visum est totum scurrile ridiculum. „Also das, was eine Person treffen kann, die wir nicht getroffen wissen wollen, gehört, mag es auch noch so hübsch sein, seinem Wesen nach in das Gebiet des Possenhaften.“ 59 Cicero spricht hier über einen die körperlichen Gebrechen eines Menschen, die Kleinwüchsigkeit des Richters, verspottenden Witz - und wieder ist das Possenhafte Ausdruck des unerlaubten Spottes über körperliche Mängel. Das Ganze kulminiert in der Diskussion, welche Lachanlässe witzig und geistreich sind; auch hier wird der Witz des Rhetors den Possen des Schauspielers gegenübergestellt: Was kann zum Beispiel so lächerlich sein wie ein Hanswurst (sannio)? Aber man lacht nur über sein Gesicht, über seine Mienen, über sein Nachäffen der Eigenheiten anderer Menschen, über seine Stimme, kurz über seine ganze Figur (denique corpore ridetur ipse). Einen solchen Menschen kann ich allerdings einen Spaßmacher nennen; doch ich kann nur wünschen, dass ein Possenreißer so beschaffen sei, aber nicht ein Redner. 60 Die römische Komödie und die Meister professioneller Unterhaltung geben die Folie für Ciceros Anti-Orator ab. Freilich konnte diese Methode auf eine gewisse Tradition zurück‐ greifen: Platon hatte in der Politeia den Possenreißer in ähnlicher Weise verurteilt wie das homerische Gelächter der Götter, Aristoteles stellte ihn in der Rhetorik dem „freien Mann“ gegenüber, der Ironie und Komik zu seinem eigenen Vergnügen benutze statt für das Ver‐ gnügen anderer. In der Nikomachischen Ethik wird dem angemessenen, richtigen Verhalten jenes des Possenreißers entgegengestellt, der die von Aristoteles propagierte Mitte nicht 3. Scurra und scurrilitas 146 61 Platon, Politeia, 10,606c; Aristoteles, Rhetorik 1419b. 62 “Scurra exhausto rubore, qui se putaret nihil habere quod de existimatione perderet, ut omnia sine famae detrimento facere posset“. Rhet. Her. 4,10,14. 63 „Qua re primum genus hoc, quod risum vel maxime movet, non est nostrum: morosum, superstiti‐ osum, suspiciosum, gloriosum, stultum: naturae ridentur ipsae, quas personas agitare solemus, non sustinere. alterum genus est ‚in‘ imitatione, admodum ridiculum; sed nobis tantum licet furtim, si quando, et cursim. aliter minime est liberale; tertium oris depravatio, non digna nobis; quartum, obscenitas, non modo non foro digna, sed vix convivio liberorum.“ Cicero, De orat. II, 251-52. 64 Deshalb ist es kaum wahrscheinlich, die Abgrenzung zum Possenreißer allein auf den sozialen Status zurückzuführen, wie Graf dies tut. Vgl. Graf, Cicero, Plautus und das römische Lachen, S. 34. einhält. 61 In der Rhetorica ac Herreniam schließlich werden die Späße des scurra als para‐ digmatisch für ehrverletzenden Spott dargestellt. 62 Wenn es darum geht, genau zu beschreiben, mit welchen Techniken Schauspieler und Unterhalter Lachen hervorrufen, so kann Cicero deutliche Grenzen ziehen: komische Rollen, die spöttische Nachahmung von Gestalt und Stimme, die Verzerrung des Gesichts, sowie jede Form von Obszönität sind daher vom Orator zu meiden: Demnach geziemt sich diese erste Art, die ganz besonders Lachen erregt, für uns nicht, ich meine das Mürrische, Abergläubische, Argwöhnische, Prahlsüchtige, Alberne. Solche Charaktere sind an und für sich lächerlich, und Persönlichkeiten dieser Art pflegen wir durchzuziehen, aber nicht darzustellen. Die zweite Art ist durch die Nachahmung recht sehr geeignet, Lachen zu erregen; aber, wenn wir einmal von ihr Gebrauch machen wollen, so dürfen wir sie nur verstohlen und flüchtig anwenden, denn sonst ist sie keineswegs anständig; die dritte aber, die Verzerrung des Gesichtes, ist unser nicht würdig; die vierte, der zotige Scherz, ist nicht allein des Forums unwürdig, sondern kaum bei einem Gastmahl freier Männer zulässig. 63 Alle diese Arten Lachen zu erregen gehen vom Körper aus oder beziehen sich auf Körper‐ liches in der actio, woraus sich ihre moralische Anstößigkeit ergibt. 64 Was übrig bleibt, das facete dictum und das facete factum, letzteres freilich als rhetorisch geübte Erzählung, steht dem orator in gemäßigter Form zur Verfügung. Durch die Abgrenzung von Maßlosigkeit und moralischer Zweideutigkeit erreicht die Kunst des Spaßens bei Cicero den Stand einer Tugend, die sich rein diskursiv äußert und auf der Ausschließung des Körpers beruht. Doch die von Cicero für den orator abzulehnenden Techniken der Albernheit, der gespielten Dummheit, der spöttischen Nachahmung und der Obszönität werden mehreren Akteuren zugewiesen, wie oben angeführt. Auch die von Cicero verwandten Begriffe sind nicht ein‐ heitlich, sondern deuten einmal auf das Theater als Schauplatz hin, andererseits auf den Spötter als „Schmarotzer“, der für Geld die Gesellschaft in Privathäusern unterhält. Deshalb scheint es, dass die Figur des Possenreißers vor allem ihre Berechtigung als imaginäres Gegenbild des Orators erhält: dieses Gegenbild vereint alle denkbaren transgressiven Akte des Redners in sich und trägt so exempelhafte Züge einer Negativfigur. Cicero legt so nicht nur einen Grundstein für die pejorative Bedeutung der Theater-Be‐ griffe bei den Kirchenvätern, sondern gibt auch die Ausschließung des Körpers als Lach‐ anlass vor. Schon bei Cicero ist der Körperwitz unsittlich, normverletzend und ‚theatra‐ lisch‘, sein Gegenbild ist der Sprachwitz des Redners, der mit seiner Ehrbarkeit, seiner raffinierten urbanitas und seiner Beherrschung sprachlicher und gesellschaftlicher Regeln 3.2. „Scurra“ und „scurrilitas“ 147 65 Auch Quintilian übernimmt diese Gegenbildlichkeit Redner-Possenreißer, und er schließt sich Cicero auch bei der Exklusion des Körperlichen an: „Oratori minime convenit distortus vultus gestusque, quae in mimis rideri solent. Dicacitas etiam scurrilis et scaenica huic personae alienissima est: obs‐ cenitas vero non a verbis tantum abesse debet, sed etiam a significatione. Nam si quando obici potest, non in ioco exprobranda est.“ De inst. orat. Lib.VI, XXIX. 66 Vgl. Corbett, The scurra, S. 68. 67 “Profert enim mores plerumque oratio et animi secreta detegit: nec sine causa Graeci prodiderunt ut vivat quemque etiam dicere. humiliora illa vitia: summissa adulatio, adfectata scurrilitas, in rebus ac verbis parum modestis ac pudicis vilis pudor, in omni negotio neglecta auctoritas. Quae fere accidunt eis qui nimium aut blandi esse aut ridiculi volunt.“ Quintilian, De inst. orat. 11,1,30. 68 Nik.Eth. II,7. 69 Mit einem bomolochos bezeichnete man einen Spaßmacher, der „bei Altären einen Hinterhalt legt“, d. h. bei der Opferung von Tieren um Fleisch bettelt. Dass der Tausch von Späßen um Fleisch archaisch war, ist belegt bei Bremmer, Witze, Spaßmacher und Witzbücher, S. 21. 70 Vgl. dazu van der Horst, P. W.: Is Wittiness Unchristian? A Note on εύτραπελία in Eph. v 4. In: Miscellanea Neotestamentica. Hg. von T. Baarda, A. F. J. Kleijn u. W. C. van Unnik. Vol. II. Leiden: Brill 1978, S. 163-177, der den Begriff eindeutig dem Bereich des Komischen, dem Lachen und dem Humor im Altertum zuordnet (163 f.) der einzig legitime ist. 65 Ironischerweise wurde Cicero in den Saturnalia des Macrobius selbst mit dem Spitznamen „scurra“ belegt: „Eum scurram ab inimicis appellari solitum“. 66 Die scurrilitas in der christlichen Ethik: vom Epheserbrief zu den monastischen Regeln Für die christliche Ethik ist seit dem Epheserbrief das von scurra abgeleitete Substantiv scurrilitas bedeutungsvoll geworden. In der Spätantike wenig in Gebrauch, war es jedoch nicht nur auf theatrale Aufführungen begrenzt, sondern wurde auch außerhalb des Theaters schon pejorativ für Handeln und Sprechen „in der Art eines Komödianten“ verwendet, wie etwa bei Quintilian bei der Erörterung der Angemessenheit der sprachlichen Performanz: adfectata scurrilitas. 67 Durch die Vulgata-Übersetzung des Epheserbriefes wurde dann scurrilitas als Begriff in die christliche Ethik eingeführt, allerdings nicht mit Bezug auf die Rhetorik, sondern auf das aristotelische eutrapelia-Konzept. Die eutrapelia 68 bezeichnet gewandte Unterhaltsam‐ keit im geselligen Verkehr, und sie eignet dem guten Gesellschafter, der in der Lage ist, zwischen den beiden Extremen Albernheit und Possenreißerei (bômolochia) einerseits sowie bäurischer Unbeholfenheit und Grobheit (agroikia) andererseits die rechte Mitte zu halten. Für Aristoteles ist die eutrapelia eine Tugend, die dem Geist des freien Mannes angemessen ist und sich positiv von der bômolochia absetzt; 69 er kennzeichnet hier die Tu‐ gend des geselligen Menschen, der es versteht, sich und andere humorvoll zu unterhalten, ohne dabei grob oder zotenhaft zu werden. Dass der Begriff für das griechische Verständnis für Komik und Lachen zentral ist, muss hier nicht eigens erwähnt werden. 70 Der Autor des Briefes an die Epheser nimmt den aristotelischen eutrapelia-Begriff im Rahmen seiner Anweisungen für ein gottgefälliges christliches Leben wieder auf (5.4), doch mit gänzlich anderen Vorzeichen: sie steht hier, thematisch der Unreinheit zugeordnet, zwischen Schändlichkeit bzw. Sittenlosigkeit (aiscroths / turpitudo) und törichter, zügelloser Rede (mwrologia / stultiloquium), und wie diese beiden geziemt sie sich nicht. Im Gegenteil - 3. Scurra und scurrilitas 148 71 Vgl. dazu Schnackenburg, Rudolf: Der Brief an die Epheser. (= Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament Bd. X). Zürich / Einsiedeln / Köln 1982, S. 222-25. 72 „Die Lastertriade des V 4 zeichnet sich dadruch aus, dass sie drei hapax legomena des NT biete. Das bereitet ihrem Verständnis Schwierigkeiten.“ Gnilka, Joachim: Der Epheserbrief. Freiburg / Basel / Wien 1971, S. 246. Die Unsicherheit ist den Kommentaren bis heute anzumerken: so formuliert bei‐ spielsweise Schneckenburg: “Da dann ‚dummes Geschwätz‘ (mwrologia) und ‚witzige Rede‘ (eutra‐ pelia) genannt werden, wird auch beim ersten Ausdruck an unanständiges Sprechen gedacht sein.“ Schnackenburg, Der Brief an die Epheser, S. 223. Der Kommentator sucht auch mit einigen Schwie‐ rigkeiten zu begründen, warum das „zweideutige Sprechen“ nun so sündhaft sein solle. 73 Handbuch zum Neuen Testament. Begr. von Hans Lietzmann. Hg. von Andreas Lindemann. Bd. 12: An Philemon. An die Kolosser [u. a.]. Hg. von Hans Hübner. Tübingen 1997, S. 224-227. 74 Gnilka, Der Epheserbrief, S. 247. 75 Dass hier soziale Unterschiede zwischen heidnischer Oberschicht und frühen Christen eine Rolle gespielt haben mögen, vermutet van der Horst: er sieht den Begriff als sozial zugehörig zur Ober‐ schicht, im Rahmen des Amusements und des passe-temps, als Gegengewicht zum ernsthaften Alltag des Berufs oder des Lebens. Von daher konnte diese „Tugend“ im christlichen Verständnis der frühen Gemeinden auf kein Verständnis stoßen. Vgl. van der Horst, Is Wittiness Unchristian? , S. 177. ihre Sündhaftigkeit wird noch deutlicher durch den weiteren Kontext, der auf die Verfüh‐ rung mit Worten hinweist, in dem sich jedoch auch schwerwiegende Sünden wie ge‐ schlechtliche Unmoral und Habsucht (5.3) sowie Götzendienst (5.5) finden, die in jedem Fall zu unterlassen sind. 71 Damit ist der aristotelische Begriff einer starken Transformation un‐ terzogen worden: aus dem geistreichen, gemäßigten und somit erlaubten Scherzen ist ein offenkundiges Fehlverhalten geworden, das auf einer Stufe mit obszönen, schamlosen Handlungen und Gemeinheiten sowie närrischem, losem Sprechen steht. Was bedeutet aber diese eutrapelia im neutestamentarischen Kontext? Die Auslegung der Stelle hat den Kommentatoren einige Schwierigkeiten bereitet, vor allem deswegen, als es sich hier um Begriffe handelt, die nur an dieser Stelle im NT vorkommen. 72 So gibt Hübner im Handbuch zum Neuen Testament eutrapelia (im Rückgriff auf Hoppe, K70) mit „leicht‐ fertiges, vielleicht auch schlüpfriges, vor der geschlechtlichen Würde des Menschen ach‐ tungsloses Gerede“ wieder. Die Etymologie des Begriffes und seine Verwendung bei Aris‐ toteles will er in der Auslegung nicht gelten lassen: „Der Hinweis auf den Profangebrauch des Begriffes ergibt aber keine neue Bedeutung für das, was der AuctEph mit eutrapelia hatte sagen wollen.“ 73 Der katholische Theologe Joachim Gnilka verweist jedoch auf das theatrale Substrat des Terms: „Eutrapelos aber kann auch einer genannt werden, der es aus Liebe zum Scherz nicht so genau nimmt, der Possenreißer, der auf seinen Gewinn bedachte Schmeichler. In diesem abwertenden Sinn hat der Verf. die eutrapelia aufgefasst.“ 74 Hier werden Differenzen darüber deutlich, inwieweit profane Bedeutungen des Begriffes für den Verfasser des Epheserbriefes überhaupt eine Rolle gespielt haben, und wenn ja, welche. Sicher scheint zumindest, dass damit ein heidnisches Verhalten ausgedrückt werden soll, das sich für die christliche Frühkirche nicht ziemte. 75 Die Lage wird aber noch komplizierter, wenn für diese negativ gewendete neutesta‐ mentliche eutrapelia in der Vulgata-Übersetzung die scurrilitas gewählt wird: „aut turpitudo aut stultiloquium aut scurrilitas quae ad rem non pertinent (sed magis gratiarum actio)“. Denn auch dieser Begriff ist nicht eindeutig: ist hiermit eine besondere Form der abschät‐ 3.2. „Scurra“ und „scurrilitas“ 149 76 In der Antike, so van der Horst, ist εύτραπελία nicht unbedingt auf Sprache bezogen: „In several texts εύτραπελία is not said of any kind of speech but simply denotes great adaptability and adroitness, and also changeableness.“ van der Horst, Is Wittiness Unchristian? , S. 176. 77 Dass dies schwierig ist, lässt sich sogar der Übersetzung des Marius Victorinus entnehmen, die für die weitere Begriffsgeschichte wichtig ist (s. u.): „turpitudo enim iam ipsum est facinus atque pec‐ catum.“ (die Schamlosigkeit nämlich ist selbst Handlung und Sünde). Marius Victorinus Afer: Com‐ mentarii in Epistulas Pauli. Ad Galatas. Ad Philippenses. Ad Ephesios. Hg. von Albrecht Locher. Leipzig 1972, S. 191. 78 Fast alle englischen Bibelversionen übersetzen “jesting“ oder „coarse jesting“. (Am. Standard Version, King James Version, New King James Version, Webster’s Bible u. a. m.) Damit sind sowohl Sprachwie Handlungswitze gemeint, die Lachen auslösen. Entsprechend ist die Übertragung in der nieder‐ ländischen Statenvertaling von 1750, die mit gekkernij das gesamte Verhalten betont, oder die spa‐ nische Übertragung truhaneria (Gaunerei, Possenreißerei) in den Sagradas Escrituras; dagegen unterstreicht die frz. (Louis II.) Übertragung den Gebrauch der Rede stärker: plaisanterie. Die deut‐ schen Übersetzungen legen sich kaum fest: die Elberfelder Bibel spricht von „Witzelei“, die ökume‐ nische Übersetzung wählt „leichtfertige Witzelei“, die Lutherbibel „Scherze“ bzw. „lose Reden“ (Bi‐ belgesellschaft). zigen Rede gemeint, und wenn ja, welche, ist ein gesamtes Verhalten intendiert, 76 wie nah steht das Ausgangsnomen scurra und welche seiner verschiedenen Bedeutungsvarianten liegt hier zu Grunde? Dass scurrilitas die Negativität von eutrapelia übernimmt, ergibt sich aus dem semanti‐ schen Umfeld von Eph. 5. Blickt man auf die weitere Begriffsgeschichte über das frühe ins hohe Mittelalter, setzt sich die Zuordnung zum sündhaften Sprechen deutlich durch: aus‐ gehend von stultiloquium wird auch der nachfolgende Begriff den Wortsünden zugeordnet. Diese Interpretation geht so weit, auch den Leitbegriff der Triade, turpitudo, in diesem Sinne (als unanständige Rede) zu fassen, obwohl er normalerweise für schamloses, sexuell unanständiges Handeln und Denken gebraucht wird. 77 So verstehen die meisten Kommen‐ tatoren bis zu Luther unter eutrapelia / scurrilitas Zungensünden („schandbare, närrische und lose Reden“), mit jeweils stärkerer Betonung auf dem sexuellen bzw. dem witzig-am‐ bivalenten Konnotat. Zu konstatieren ist hier eine Vereindeutigung der Begrifflichkeit, bei der die rezidiven Bedeutungskomponenten sukzessive unterschlagen werden. Denn von Beginn an überla‐ gern sich mehrere semantische Ebenen, wie ich im Folgenden an zwei prägnanten Bei‐ spielen zeigen möchte (dass sich diese Ebenen auch in den Übersetzungen in die Volks‐ sprachen überlagern, sei nur nebenbei vermerkt). 78 Beide Beispiele stammen aus dem 4. Jahrhundert, einer für das Verhältnis von griechischer und lateinischer Begrifflichkeit entscheidende Periode. Im 4. Jahrhundert kam es zur Rezeption und Modifikation griechi‐ scher Begriffe in der lateinischen Theologie und Philosophie, in welcher der römische Rhetor und Neuplatoniker Marius Victorinus Afer eine zentrale Figur darstellte, weil er der erste Pauluskommentator im lateinischen Bereich war, Schriften Plotins übersetzt und in 3. Scurra und scurrilitas 150 79 Vgl. Erdt, Werner: Marius Victorinus Afer, der erste lateinische Pauluskommentator. Studien zu seinen Pauluskommentaren im Zusammenhang der Wiederentdeckung des Paulus in der abendländischen Theologie des 4. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. / Bern / Cirencester 1980. Marius verfasste den Kom‐ mentar zu den Paulusbriefen in den 60er Jahren des 4. Jhs.; Hieronymus kannte ihn gut und verweist zweimal auf ihn. Vgl. S. 26 f. Leider ist Erdts Studie kein Gewinn für die Frage der Übersetzertätigkeit des Marius Victorinus. 80 Marius Victorinus Afer: Commentarii in Epistulas Pauli, S. 191. 81 „Zwischen der Narrenrede und der Possenreißerei besteht somit der Unterschied, dass die Narrenrede niemals die Würde des weisen Menschen in sich trägt. Dagegen kommt die Possenreißerei von klugen Köpfen her, und sie sucht absichtlich affektierte oder unmanierliche, zotige oder witzige Worte, die wir auch unter einem anderen Begriff kennen, der Lustigmacherei“ [Übers. HRV]. Hieronymus Stri‐ donensis: Commentaria in Epistolam ad Ephesios. In: PL 26, 519b seinen trinitätstheologischen Schriften die griechische Theologie seiner Zeit rezipiert hat. 79 In seinem Kommentar In epistolam Pauli ad Ephesios gibt Victorinus folgende Erläuterung für scurrilitas: „item scurrilitas iocosa oratio, et alterum laedens ioci causa ac propterea contumeliosa. quae ad rem non pertinet. potest enim et scurrilitas increpationis poni modo ex stultiloquio.“ 80 Wenn die scurrilitas hier als „scherzhafte Rede“ bezeichnet wird, die „schmähend und verletzend ist“, und wenn sie weiterhin in Abhängigkeit von stultiloquium gebracht wird, dann ist der Grundstein für das rein sprachliche Verständnis der Epheser-Stelle gelegt, das sich dann, wie sich zeigen wird, im Mittelalter durchsetzen wird. Anders dagegen der Schöpfer der lateinischen Bibel, Hieronymus Stridonensis (ca. 347-419). Er gibt in seinem Epheserkommentar eine ganze Reihe von Bezügen von scurri‐ litas auf der Grundlage ihrer profanen Bedeutungsvarianten an: Inter stultiloquium autem et scurrilitatem hoc interest, quod stultiloquium nihil in se sapiens et corde hominis dignum habet. Scurrilitas vero de prudenti mente descendit, et consulto appetit quaedam vel urbana verba, vel rustica, vel turpia vel faceta, quam nos jocularitatem alio verbo possumus appellare, ut risum moveat audientibus“. 81 Hier werden mehrere Dinge deutlich: zunächst wird eine klare Zurücknahme der Abwer‐ tung der scurrilitas formuliert („de prudenti mente descendit“), vor allem im Gegensatz zu ihrem deutlich negativeren Gegenstück, dem stultiloquium. Zweitens läßt Hieronymus auch die Qualität der Kommunikationsform offen: sie kann entweder geistreich-affektiert („urbana“), grobdrastisch („rustica“) oder zotig-obszön („turpia“) sein. Am bedeutungsvollsten erscheint jedoch die Tatsache, dass mit diesen unterschiedlichen Kommunikationsformen Lachen erregt wird, das Lachen der Zuhörer, der Anwesenden, die mit scurrilitas konfroniert werden („ut risum moveat audientibus“). Das Erregen von La‐ chen, das Lächerlich-Machen ist somit das Verbindende an der scurrilitas, wobei es wohl unerheblich ist, ob es sich um Lachen über Witzeleien, über Zoten oder ungebührliche Gesten und Handlungen handelt. Hieronymus arbeitet somit in seinem Kommentar etwas an dem Epheserbrief heraus, was die Exegeten bis heute übersehen haben: dass nämlich die Klammer für die so unterschiedlichen Begriffe turpitudo, stultiloquium und scurrilitas in den Vorbehalten der Christen dem Lachen, und vor allem dem Lächerlich-Machen gegen‐ über zu sehen ist. Nicht das törichte Wort oder die Obszönität, sondern beides und noch mehr können Lachen erregen, was dem Verfasser des Epheserbriefes für die frühchristliche 3.2. „Scurra“ und „scurrilitas“ 151 82 Chrysostomos, Epist. ad Eph. Hom. XVII. PG 62, S. 119. 83 „ (…) närrisch Reden nämlich und der Possenreißer geziemen sich nicht für den Christen. Reden jedoch, die mit Humor gewürzt sind, haben durchaus den Zuspruch der Zuhörer.“ (Übers. HRV) Hieronymus Stridonensis, Comment. in Epist. ad Eph., 520C. Scurra taucht dann nochmals in 521A auf. Im an Demetrias adressierten Brief (Hier. epist. 130,13) zeigt sich der Übergang der mündlichen in die körperliche Dimension etwa an der engen Verbindung von Sprache und (un)sittlichem Ver‐ halten: „perditae mentes hominum uno frequenter levique sermone temptant claustra pudicitiae“. PL 30, 130,13. Gemeinde unangemessen scheint. Dies wird auch von Chrysostomos in seinem Kommentar zum Epheserbrief bestätigt, wenn er sagt: „Ubi est turpitudo, illic est etiam scurrilitas, ubi est risus importunus, illic est etiam scurrilitas.“ 82 Auch am weiteren Fortgang des Kommentars ist die Bedeutung des Lachens zu erkennen: Hieronymus gemahnt nämlich an das Gebot der Heiligen, dass es sich geziemt zu weinen und zu trauern („magis convenit flere atque lugere“), und nicht leichtfertig fröhlich zu sein. Dies schließt dann an die Aufforderung, Dankbarkeit zu zeigen, in Eph. 5.5 an. Dass Hie‐ ronymus den Begriff der scurrilitas stärker als seine Nachfolger an Figur und Beruf des scurra bindet, zeigt sich im Kommentar zum Epheserbrief ebenfalls: weiter unten heißt es: „stultiloquium enim et scurram non decet esse Christianum. Decet autem sermones ejus sale esse conditum, ut gratiam apud audientes habeat“. 83 Angesichts des Hieronymus-Kommentars muss man von verschiedenen Auslegungst‐ raditionen der Epheser-Stelle sprechen, und die ausschließliche Zuordnung der scurrilitas zu den Zungensünden, wie sie zuerst bei Marius erscheint, in Frage stellen. Gestützt auf Hieronymus soll im Folgenden der Versuch gemacht werden, den bisher der schlechten Rede zugeordneten Begriff auf seine im Epheserkommentar genannte Zielrichtung, dem unangemessenen Erregen von Lachen, zurückzuführen, und damit die Semantik der scur‐ rilitas nicht nur sprachlich, sondern auch - bezogen auf das Lachen - gestisch-körperlich und in Handlungen zu lesen. Scurrilitas weist etymologisch auf ein körperlich-szenisches Substrat hin, das auch bei der sprachlichen Semantik des Begriffes noch immer mitschwingt. Was der Verfasser des Epheserbriefes ursprünglich mit eutrapelia intendiert hatte, ist nicht mehr nachzuweisen; vermutlich wollte er eine Verbindung zur professionellen Unterhal‐ tung der (heidnischen) Antike herstellen, denn nur hier kommen (obszöne) Gesten, Körper- und Sprachwitze sowie närrische Reden und Handlungen zueinander. Eindeutig ist zumin‐ dest, dass die lateinische Übersetzung scurrilitas in Abhängigkeit von scurra gebraucht wird und somit dessen negative semantische Entwicklung nachvollzieht. Über das gesamte Mittelalter hinweg bleibt die enge Auslegung der scurrilitas als ‚schlechte Rede‘ dominant, bis Thomas von Aquin sie wieder auf die aristotelische eutrapelia zurückführen, dem maßvollen Scherzen in Gesellschaft zuschreiben und das antike Tu‐ gendideal für die christliche Moralethik wiedergewinnen wird. Bis dahin gibt es allerdings noch andere Lesarten der scurrilitas, die hier nicht unterschlagen werden sollen, und die die These von ihrer Funktion als Lachanlass unterstützen. Sehr früh wird scurrilitas im frühmittelalterlichen Mönchstum übernommen und als Leitbegriff für falsche Verhaltensformen herausgestellt. In der Formula vitae honestae des Martin von Braga (ca. 515-579), einer der wichtigsten Gestalten für die Entwicklung des Mönchstums auf der iberischen Halbinsel, wird in einem Passus zum Reglement des La‐ 3. Scurra und scurrilitas 152 84 Martin von Braga: Formula vitae honestae (4). In: Martini episcopi Bracarensis opera omnia. Hg. von C. W. Barlow (= Papers and Monographs of the American Academy in Rome 12), New Haven 1950, S. 49. 85 Die Benediktusregel (lateinisch / deutsch), hg. im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, Beuron 1980, Kap. VI, 5. (Leichtfertige Späße aber und albernes oder zum Lachen reizendes Geschwätz ver‐ dammen wir allezeit und überall). 86 Zit. aus Gindele, Corbinian: Das scurrile in der Benediktus- und der Magisterregel. Studien und Mit‐ teilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 81 (1970), S. 480-481. Vgl. auch Geisel, Sieglinde: Zum Verbot des Lachens in der Benediktsregel. Erbe und Auftrag 67 (1991) S. 28-34. 87 Gindele, Das scurrile in der Benediktus- und der Magisterregel, S. 480. chens die scurrilitas der ciceronischen urbanitas als Gegenbegriff gegenübergestellt: „Non erat tibi scurrilitas sed grata urbanitas. Sales tui sine dente sint, ioci sine vilitate, risus sine cachinno, vox sine clamore, incessus sine tumultu.“ 84 Während das Scherzen ohne Scha‐ denfreude, das Lächeln und maßvolle (leise) Lachen ohne Zähnezeigen sowie eine diszip‐ linierte Körperhaltung erlaubt sind, erscheint scurrilitas als Leitbegriff für Spott und böse Witze, lautes Lachen, bei dem die Zähne zu sehen sind, sowie undiszipliniertes, vermutlich Gelächter provozierendes Auftreten. Martin folgt hier demnach der von Hieronymus ge‐ prägten Bedeutung von scurrilitas als übergeordnetem Begriff für falsches Scherzen und Lachen, die sich, und das ist interessant, beide durch körperliche Merkmale von der er‐ laubten Scherzkommunikation unterscheiden: durch Mimik, Stimme, Lautstärke des La‐ chens und Körperhaltung. Ähnlich liegt der Fall in der Benediktusregel, die direkt an die Paulus-Stelle anschließt, um leichtfertiges Scherzen bzw. obszönes Gebaren zu reglementieren: „Scurrilitates vero vel verba otiosa et risum moventia aeterna clausura in omnibus locis damnamus“. 85 Dar‐ überhinaus wird scurrilitas in der Benediktusregel auch im Rahmen desselben Verhaltens‐ dispositivs wie bei Martin benutzt: im Kapitel über den richtigen Gang zum Gottesdienst bezeichnet es die falsche Haltung, nämlich unnötige Eile, während gravitas die richtige ist („ad horam divini officii (...) summa cum festinatione curratur cum gravitate tamen, ut non scurrilitas inveniat fomitem“). 86 Die Regel verwendet scurrilitas hier anstelle der in der Ma‐ gisterregel erscheinende lascivia: es darf zum Gottesdienst nur so geeilt werden, dass scur‐ rilitas vermieden wird. Wenn nun statt der lascivia, was man mit Zügellosigkeit oder gar Wollust übersetzen mag, die scurrilitas vermieden werden soll, dann kann dies nur auf die unangemessene, Gelächter hervorrufende körperliche Bewegung bezogen sein. Der Aus‐ gangspunkt ist, wie Gindele vermutet, in beiden Regeln offenbar der gleiche: „ungehemmter Lauf mit Hochnehmen der Tunika.“ 87 Das Hochziehen der Tunika zum Springen und Hüpfen war der vorgeschriebenen gravitas des Mönches nicht angemessen: es ist lächerlich und hat gleichzeitig laszive Wirkungen. Wichtig für unseren Zusammenhang ist hierbei vor allem, dass diese Bedeutung der scurrilitas wenig mit Witzen und Scherzen zu tun hat, sondern eindeutig auf mangelnde Körperbeherrschung hindeutet, die den Körper des Mönchs lächerlich macht. Dass im monastischen Bereich unter scurrilitas das gesamte äußere Verhalten, und nicht nur gemeines Geschwätz und Spott verstanden wurde, zeigt die Verurteilung des Lachens in Bernhards von Clairvaux Traktat De gradibus humilitatis et superbiae: Der Mönch, der von der laetitia saecularis erfüllt ist, trauert nicht mehr und gibt sich weltlichen Freuden hin: „In signis scurrilitas, in fronte hilaritas, vanitas apparet in incessu.“ Hinter den äußeren 3.2. „Scurra“ und „scurrilitas“ 153 88 „Wenn selbst das Lachen in seiner gemäßigten Form doppeldeutig ist und die innere Haltung des Menschen nicht klar erkennen läßt, so bleibt nur die eine Konsequenz, das körperliche Lachen gänz‐ lich als Ausdruck der Freude der geistlichen Gerechten abzulehnen.“ Suchomski, Delectatio und uti‐ litas, S. 19. 89 Gregor I. noch hatte das binäre System der Entgegensetzung von Innen und Außen favorisiert, auch wenn er Unterabteilungen beider Bereiche zulässt. Zungensünden werden in dieser dichotomischen Systematik teils dem Bereich der cogitatio zugeschlagen, weil sie als unvollendete Werke gelten, teils aber auch als Manifestationen des Äußerern gewertet. Die scurrilitas wird hier von der superbia abhängig und findet sich unter der Rubrik „De ventris ingluvie“. Gregor I, Moralia in Hiob XXXI, XLV, S. 87 f. In: CCSL 143 B,1610. 90 Carla Casagrande und Silvana Vecchio haben die scholastischen Systematiken zum Thema der Zun‐ gensünden in ihrer Studie I peccati della lingua gründlich untersucht; hier und im folgenden stütze ich mich auf ihre Ergebnisse, auch wenn ich einige ihrer Definitionen als zu eng empfinde. „La definizione agostiniana del peccato (...) diventa la definizione classica, il punto di riferimento obbli‐ gato di ogni discussione scolastica sul peccato.“ Ebd., S. 180. Vgl. auch Landgraf, Artur Michael: Dogmengeschichte der Frühscholastik. 8 Bde. Bd. 4.1. Regensburg 1952. Zeichen, dem Geschehenlassen der Possenreißerei taucht die vanitas auf. Bernhards Vor‐ wurf bezieht sich deutlich auf das Vermeiden von zügellosem Lachen und Scherzen in einer monastischen Gemeinschaft, er erkennt vor allem im körperlichen Lachen („risus corporis“, „risus integer“) einen Verstoß gegen die Regel aus Mangel an christlicher Demut. 88 Scurrilitas als Zungensünde in der Früh- und Hochscholastik In den theoretischen und moralischen Texten der Scholastik kommt das Verständnis von scurrilitas immer stärker unter den Einfluss der Typologie der Wort- oder Zungensünden, deren Bedeutung im Verlauf des 12. Jahrhunderts und dann besonders im 13. Jahrhundert, mit der Entstehung von Sündenkatalogen und Predigerhandbüchern stark anwächst: zu‐ nächst sporadische Hinweise werden zu Kapiteln erweitert, aus denen schließlich Bücher und systematische Abhandlungen werden, welche dem Prediger Anleitungen zum richtigen Sprechen geben sollten. Zwischen 1180 und 1250 war die Aufmerksamkeit für die Sünden der Sprache am größten; weder vorher noch später hat die christliche moralische Reflexion wieder eine so systematische Erörterung hervorgebracht. In diesen Schriften spielt das sündhafte Wort nun eine größere Rolle als der sündhafte Gedanke oder die sündhafte Handlung. In der Frühscholastik setzt sich gegen die im Früh‐ mittelalter geläufige cor / opus-Dichotomie 89 nun immer stärker die augustinische Dreitei‐ lung der Sünden in „dictum vel factum vel concupitum contra legem Dei“ durch. 90 Lagen die Wortsünden im binären System auf der Grenze von Innen und Außen und hatten so keinen rechten eigenen Platz, so ist in dem von Augustinus und Hieronymus geprägten System mit dem dictum eine Kategorie geschaffen worden, die ihnen voll und ganz ent‐ sprach. Leitend wird das Dreierschema mit den Sententiae des Petrus Lombardus (2. Hälfte 12. Jh.), und zwar mit der Zentralstellung der Zungensünde. Denn das sündhafte Sprechen ist nun nicht mehr Ausfluss des Mundes und so mit dem Essen verbunden (Essen und Sprechen waren seit Isidors Etymologiae Tätigkeiten des Mundes), sondern das sündhafte Sprechen löst sich in der Scholastik von der Körperlichkeit der Sprechwerkzeuge und wird als ein actus, gewissermaßen als ein Sprechakt angesehen. Somit übernimmt das sündhafte Sprechen als performativer Akt gleichzeitig auch die Funktion sündhaften Handelns: das 3. Scurra und scurrilitas 154 91 Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 44. 92 „Per la prima volta peccati della lingua, modi della comunicazione, regole della parola, discorsi sul silenzio si unificano in un’unico oggetto di analisi, disponendosi sui livelli diversi, ma tra loro collegati, di un sistema, a sua volta collocato nel piano ordinato di una summa, che si presenta come un’enciclopedia dell’etica cristiana.“ Zit. aus Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 36. 93 Vgl. dazu Althoff, Spielregeln, S. 12. 94 Gregor I. hatte die scurrilitas als Tochter der ventris ingluvies verstanden. 95 Dass die auf den Körper hinweisenden semantische Varianten des scurrrilitas-Begriffes zwar mar‐ ginalisiert werden, dennoch weiter existieren, zeigt eine Aussage von Gilbert von Tournai († 1284), der in seinem Sermo ad virgines et puellas den Mädchen nahe legt, skurrile Gesten (gesti scurrili) zu vermeiden. Gilbert von Tournai: Sermones. Sermo I: Ad virgines et puellas, f. 146 v., Lugdunum 1511, zit. in Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 339. ausgesprochene Wort ist die Schnittstelle, wo die Sünde zuerst sichtbar wird. Grundlegend ist dabei das theologische Verständnis des Mittelalters, dass das Wort in der Lage dazu ist, tugendhafte oder sündhafte Handlungen zu produzieren: „Fondamentale per entrambi è il rapporto con i pensieri e con le azioni: (...) la parola ha la capacità di produrre azioni oneste o turpi.“ 91 Dabei ist wichtig, dass das Wort zwischen innen und außen, zwischen Denken und Tun steht, und somit eine Mittlerrolle beider Bereiche einnimmt. Zentral für diese Entwicklung ist der Speculum Universale (1193-1200) des französischen Theologen Raoul Ardent (Ra‐ dulfus Ardens, † 1200), in welchem zum erstenmal Zungensünden, Kommunikations‐ formen und monastische Regeln über das Sprechen einer zusammenfassenden Reflexion unterworfen werden, um eine Neubestimmung der christlichen Ethik vorzunehmen. 92 Raouls Welt ist eine Welt der Worte: sein Rezipient ist der Kleriker, der viel spricht, der das Wort quasi beruflich benutzt, in der Predigt, bei der Beichte, beim Lob Gottes, im Unterricht, beim Glaubensbekenntnis, beim Gebet. Ihm wird eine komplexe Differenzierung der beiden Pole sermo honestus - sermo turpis gewidmet. Darin ist sowohl die Kommunikation mit Gott als auch die mit den Menschen eingeschlossen. Die große Aufmerksamkeit, die dem Spre‐ chen - und vor allem dem Aussprechen - hier im klerikalen Bereich zukommt, hat sein weltliches Pendant in der Performativität des rituellen Sprechens im Mittelalter: Abspra‐ chen und Garantien, politische Bünde, Schwüre, Pakte zur gegenseitigen Unterstützung, also alle denkbaren sozialen Verträge, die die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen unter Menschen und Gruppen in einer von der Oralität beherrschten Welt regeln, waren dem Aussprechen von Worten und Formeln unterworfen. 93 Es ist somit kaum verwunderlich, wenn ein aus der Spätantike stammender Begriff wie die scurrilitas, die eine große Spanne von Bedeutungen umfasste, von welchen einige bereits in Vergessenheit geraten waren, 94 weitgehend als sprachlicher Akt aufgefasst wurde. 95 Es ist der Sprechakt der geistreichen Ambiguität, der witzig-überheblichen Rede, des Lächer‐ lich-Machens, der häufig mit der Provokation von Gelächter einhergeht. Allerdings hat die Verortung der scurrilitas im Dreiersystem einige Schwierigkeiten bereitet, was ein Hinweis auf ihren labilen semantischen Status sein dürfte. So wird etwa in dem Konrad von Hirsau zugeschriebenen De fructibus carnis et spiritus die scurrilitas aus den Zungensünden he‐ rausgestrichen, bei Alanus von Lille wird sie in seinem 1160 entstandenen Traktat De vir‐ tutibus et vitiis in inverecundia (Schamlosigkeit) umgeformt, und in Vinzenz von Beauvais’ 3.2. „Scurra“ und „scurrilitas“ 155 96 In Guillaume Perraults (Guglielmus Peraldus) Summa de vitiis erscheint sie mit anderen Zungen‐ sünden als Tochter der Todsünde fornicatio. 97 Casagrande / Vecchio geben diese Ambiguität auch offen zu: (La derisio) … entra, non senza contrasti e incertezze, nei sistemi di peccati della lingua del sec. XIII. (...)„… particolarmente ambiguo ed accidentato“, ziehen daraus aber keine Konsequenzen. Casagrande / Vecchio: I peccati della lingua, S. 383. Leider fällt Casagrande in einem späteren Beitrag zum Lachen von dieser Position zurück in eine der Ausschließlichkeit, wo derisio und scurrilitas reine Zungensünden sind. Vgl. Casagrande, Carla: Il peccato di far ridere. Derisione, turpiloquio, stultiloquio, scurrilità nei testi teologici e pas‐ torali del secolo XIII. In: Riso e comicità nella cultura religiosa dell’Occidente. Hg. von R. Alessandrini e M. Corsari. Modena 2000. S. 77-105. 98 Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 385. 99 Speculum doctrinale IV, CLXXII, 399: Procacitas est importuna quaedam impudentis frontis audacia, qua quis humanae verecundiae cum irrisione insultat“. Stephane de Borbon (De diversis mat. praed. 419-420) behandelt die derisio wiederum als Spielart der invidia, und im Traktat De Lingua findet sie sich als Annex der dissolucio. Vgl. dazu Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 386. 100 Alexander von Hales: Summa Theologica. Tomus 3. Ad Claras Acquas 1924-1979, S. 470 ff.: „Peccatum autem quod est in gestu vel nutu corporis quoddam attenditur in se, quoddam respectu proximi. Peccatum in se dicitur peccatum ioculationis aut risus (...) subsannatio autem et derisio quantum ad proximum.“ Speculum doctrinale, der kurz nach Perraults Summa verfasst wurde, wird die scurrilitas durch garrulitas (Schwatzhaftigkeit) ersetzt. 96 Dem Bestreben vieler Autoren der Scholastik, eine vollständige Systematik der Sündhaftigkeit im Hochmittelalter zu geben, fällt nicht selten ein semantisch nur schwer zu bestimmender Begriff wie die scurrilitas zum Opfer. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem ebenfalls dem Lachen zugeordneten Begriff de‐ risio, dem öffentlichen Spott, dessen Ambiguität auf der Hand liegt. 97 Auch hier müssen wir von einem Bündel von Bedeutungen ausgehen, in dem verschiedene verbale und nonver‐ bale Handlungen zusammengefasst sind: der Begriff schwankt nach Casagrande / Vecchio zwischen einer verächtlichen Haltung und einer erniedrigenden Beleidigung: „atteggia‐ mento dispregiativo“ und „sprezzante insulto veicolato da parole indebitamente liete“. 98 Interessant ist hier, dass derisio trotz offensichtlicher Schwierigkeiten, in ihm einen Sprechakt zu sehen, im scholastischen Schrifttum vielfach als Wortsünde behandelt wird. Das Hineinzwängen von derisio in das Kostüm der Wortsünde erhellt schlaglichtartig, dass es hier in einem hohen Maß zu einer begrifflichen Entdifferenzierung zugunsten der Sprache gekommen ist. Dies ist einigen Autoren aufgefallen: etwa Vinzenz von Beauvais, der bei der Diskussion von derisio nicht von Sünde an sich, sondern von einer Art Sünde spricht, die er procacitas nennt, und die in einer schamlosen Beleidigung der menschlichen Würde durch Verlachen besteht. 99 Die Summa Halensis spricht schließlich überhaupt nicht von Wortsünde, sondern von Werksünde. Derisio scheint hier ein umfassendes Handlungs‐ muster zu sein, das verächtlich gegen Gott und den Nächsten gerichtet ist, unabhängig davon, ob sich dieses Muster sprachlich, in Gesten oder in Handlungen vollzieht. Die Summa behandelt die derisio innerhalb der Gesten und Gebärden des Körpers, in der zu den Werksünden zählenden „Quaestio de risu et ioculatione“. 100 Dass die Kategorisierung von derisio - ähnlich wie bei scurrilitas - unter die Wortsünden einer Verkürzung gleichkommt, wird nicht nur von der widersprüchlichen Beleglage der Schriften, sondern auch durch die offensichtliche Unterschlagung ihrer Zwischenposition, in der Worte (Schmähungen, Spott), Gesten (Spottgebärden), Haltungen (Verachtung) und Handlungen (Verlachen) in einem Tätigkeitsfeld derisio zusammengefasst sind, deutlich. 3. Scurra und scurrilitas 156 101 Da die scurrilitas in den Quellen sehr häufig gemeinsam mit turpiloquium auftritt, nehmen in ihrer Diskussion der scholastischen Sündensystematik Casagrande / Vecchio eine Gleichsetzung der beiden Begriffe vor: „Qui gioca un ruolo decisivo l’identità, parziale o totale, tra turpiloquium e scurrilitas. Le parole turpi sono infatti considerate una componente fondamentale della scurri‐ lità. (...) … indissolubile legame tra parole turpi e scurrili.“ (396 f.) Diese Auffassung wird dadurch bestärkt, dass kaum ein Autor die Begriffe genauer erläutert - was seinen Grund offensichtlich in der Furcht hat, sich schreibend selbst zu versündigen. Allein der Verweis auf andere Sünden oder die Zuordnung zu diesen (lascivitas, superbia, gula) reicht nicht aus, um turpiloquium und scurrilitas effektiv zu unterscheiden. 102 “Inoltre, nella dinamica pensieri / parole / opere, il turpiloquio non si limita a spaziare dal pensiero alla parola e dalla parola al pensiero, rivelando e incrementando le turpitudini interiori, ma è capace di arrivare fino alle opere, trasformando in fatti le turpitudini che nomina.“ Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 394. 103 Vgl. zum wirklichkeitskonstitutierenden Aspekt des Performativen Bohle, Ulrike u. König, Ekkehard: Zum Begriff des Performativen in der Sprachwissenschaft. In: Theorien des Performativen. Hg. von Erika Fischer-Lichte u. Christoph Wulf. Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthro‐ pologie 10 (2001). H. 1. S. 13-34. 104 Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 395: „La trasformazione delle parole turpi in azioni turpi è (...) insistita in tutta la tradizione.“ Scurrilitas, turpiloquium, stultiloquium In Anlehnung an den Epheserbrief erscheint scurrilitas meist gemeinsam mit turpiloquium und stultiloquium. 101 Mit turpiloquium, das die Stelle der biblischen turpitudo einnimmt, werden vulgäre, obszöne, laszive, schamlose, und unreine Worte bezeichnet. Dabei ist es nicht die Stimme als Träger der Worte sündhaft, sondern das, was die Worte bezeichnen. So würde etwa vom Inzest oder von Sodomie zu sprechen als turpiloquium angesehen, und diese Rede ist deshalb sündhaft, weil sie ihre Sprecher und Hörer befleckt, korrumpiert, besudelt und entehrt. Die Sündhaftigkeit beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Wort, wie wir oben gesehen haben: sie oszilliert zwischen Geist / Denken, Sprache / Wort und Körper / Handlung. Es ist von einem fließenden Übergang vom sündhaften Gedanken auf das sündhafte Wort, und vom Wort auf die sündhafte Handlung auszugehen. Das Wort macht nicht nur die innere Schamlosigkeit (turpitudo) im Denken offenbar und verstärkt sie, sondern hat eine regelrechte Handlungsfunktion inne, indem es die Schändlichkeiten in Sprechakten benennt und sie in Realtität und somit in Handlungen verwandelt. 102 Das ist grundlegend performativ gedacht: welche Zungensünden auch immer behandelt werden, das Aussprechen schließt das Denken und das tatsächliche Handeln immer mit ein, es ist wirklichkeitskonstituierend. 103 Der Handlungscharakter der Sprache und der Sym‐ bolcharakter von Handlungen sind hier evident; so kann turpiloquium die Schamschwelle überschreiten und den Weg für „schmutzige“ Werke und Handlungen bereiten. Schon Isidor hatte einen starken Bezug zwischen dem libenter audire und dem facile agere hergestellt: lose und schmutzige Worte haben die Kraft, an verbotene Begierden zu erinnern bzw. sie zu evozieren und an den Wunsch, diese zu erfüllen (Ägidius Romanus). Raoul Ardent be‐ schreibt den Prozess des Übergangs von der Lust am Wort zur Tat selbst ausführlich. Kurz, die Transformation der sündhaften Worte in sündhafte Handlungen ist im gesamten Dis‐ kurs der Zungensünden insistent. 104 Bei der scurrilitas wird die Verbindung von Wort und Handlung allein schon dadurch deutlich, dass Lachen ausgelöst wird: ganz gleich, ob mit Worten oder Handlungen, der 3.2. „Scurra“ und „scurrilitas“ 157 105 Petr. Lombard.: Collect. in Epist. PL 192, 209; Hieron. Epist. ad Eph. PL 26, 520. 106 Vgl. hierzu Schmidt, Paul Gerhard: Curia und curialitas. Wort und Bedeutung im Spiegel der latein‐ ischen Quellen. In: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur. Hg. von Josef Fleckenstein. Göttingen 1990, S. 15-26 mit Verweis auf Nigel von Longchamps: Tractatus contra cu‐ riales et officiales clericos. 107 Dass die meisten Arten des Lachens auch in der Scholastik eindeutig sündhaft sind, zeigt Perrault, der an sein Kapitel über die scurrilitas die Ausarbeitung einer Typologie des Lachens anfügt, in der er vier Arten des sündhaften Lachens unterscheidet: risus invidiae, risus perfidiae, risus insaniae, risus vanitatis purae. Nur ein Typ des guten Lachens wird angeführt, der risus prudentiae, aber er ist rarus und tacitus. Vgl. Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 396. 108 Epist. ad Eph. Hom. XVII, PG 62, 119. 109 Nach Hieronymus fehlt ihm der präzise Wille zur Sünde, die Intentionalität und Entschiedenheit. Stultiloquium gehört zum stultus, zum Narr, es ist eine närrische Rede, die gar nicht weiß, dass sie sündhaft ist. (Vgl. oben: „Inter stultiloquium autem et scurrilitatem hoc interest, quod stultiloquium nihil in se sapiens et corde hominis dignum habet.“ Epist. ad Eph. PL 26, 552). wichtigste gemeinsame Bezugspunkt der verschiedenen semantischen Bereiche der scur‐ rilitas ist ihre Wirkung, das Lachen. Und gerade dadurch erwirbt sie auch ihre spezifische Sündhaftigkeit. Durch den Nexus zum Lachen wird die semantische Einordnung deutlicher erkennbar; alle scholastischen Definitionen der scurrilitas halten sich an den Kommentar von Petrus Lombardus zu Eph. 5, 3-4, 105 der seinerseits die Auslegung des Hieronymus wieder aufnimmt, in der der Begriff scurrilitas ein Synomym für die aus dem theatralen Kontext stammende iocularitas ist: „scurrilitas, quae a stultis curialitas dicitur, id est jocu‐ laritas quae solet risum movere.“ Bei Petrus nun verweisen die iocularitas und das Lachen eindeutig auf den Kontext der professionellen Unterhalter, der Schauspieler und Spielleute (ioculatores, mimi, histriones). Interessant ist die Bemerkung „quae a stultis curialitas di‐ citur“. Mit dem abschätzigen Begriff curialitas ist sehr wahrscheinlich der aristokratische höfische Lebensstil gemeint, dem Attribute wie Verworfenheit, Geldgier, Ehrgeiz und Lüge zugewiesen werden, 106 und die dem Bereich des Närrischen (stultis) zugehören. Während die paulinische Triade für Hieronymus noch im Zeichen des unstatthaften Lachens stand, hat sich das sündhafte Erregen von Lachen in der Scholastik auf die scurri‐ litas zurückgezogen, was sie von stultiloquium und turpiloquium, das mehr eine Spott- oder Hassrede bezeichnet, unterscheidet. 107 Zur Provokation von Gelächter gehören Überlegung, Mühe und Vorbereitung, wie Petrus Lombardus und Raoul Ardent betonen. Welches Lachen ist hier nun gemeint? Wohl kaum der „risus modestus“ oder „risus iocundus“, Arten des Lachens, die Petrus Lombardus nicht völlig verdammen will. Eher doch ein unstatthaftes, wie in den monastischen Regeln beschriebenes lautes, den ganzen Körper erfassendes La‐ chen („cachinnus“), bei dem die Zähne zu sehen sind. Die Sündhaftigkeit der scurrilitas ergibt sich demnach aus ihrer Wirkung, nämlich unstattgemäßes, körperbetontes Lachen zu provozieren. Um den Zusammenhang mit turpiloquium deutlich zu machen, setzen die meisten scho‐ lastischen Autoren, wie Casagrande / Vecchio herausarbeiten, die verba risum moventia mit den verba turpia gleich, indem sie turpiloquium und scurrilitas gemeinsam diskutieren. Schon Chrysostomos hatte diesen paulinischen Bezug betont: „Ubi est turpitudo, illic est etiam scurrilitas, ubi est risus importunus, illic est etiam scurrilitas.“ 108 Danach ist jede Art des Scherzes, auch der nicht-obszöne, als sündhaft einzuschätzen und der scurrilitas zuge‐ hörig. Die Abgrenzung zum dritten Begriff, dem stultiloquium, scheint leichter zu sein: 109 3. Scurra und scurrilitas 158 110 De Lingua, Ms. Oxford, f. 195r. Zit. nach Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 405. 111 Peraldo: Summa, Vincentius: Speculum Morale, S. 405. Sh. dazu auch weiter unten. 112 Burcardo, Decretum, PL 140, 654. Ähnlich auch Gratianus, Decretum, I, d. XLVI c.VI 168: „Clericum scurrilem et verbis turpibus ioculatorem ab officio esse retrahendum.“ 113 Dies zeigen die Ordensregeln mit ihren zahlreichen Redevorschriften und -verboten sowie den im Mittelpunkt stehenden Schweigegeboten sehr genau. dieses löst ebenso wie die scurrilitas Lachen aus, doch geht dieses nicht auf verba turpia zurück, sondern auf die närrische Rede des Unwissenden. In den scholastischen Diskussionen und Bestimmungsversuchen fällt vor allem eines auf: Je stärker die Autoren die scurrilitas ausschließlich als Wortsünde behandeln, desto mehr kommen sie in Definitions- und Abgrenzungsschwierigkeiten zu den beiden anderen pau‐ linischen Termini. Tatsächlich entstehen so zahllose theoretische Differenzierungskriterien zwischen den Begriffen, und eine einheitliche Linie ist kaum erkennbar. So wird in dem anonymen Traktat De Lingua mit Metaphern gearbeitet, die die Begriffe erläutern; die scurrilitas wird hier mit dem Gebaren der Affen verglichen: „isti scurre videntur esse simie diaboli, simia enim est animal turpe ac deforme, a rectore suo circumducitur ad cuius nutum et imperium ludit et homines ridere facit.“ 110 Das Bild des Affen als Symboltier der scurrilitas ist weit verbreitet. 111 Weist dies wiederum auf zugrunde liegende Körperlichkeit hin, so wird die scholastische Diskussion der paulinischen Termini auch dadurch in ihrer Bedeutung eingeschränkt, dass sie nur zwei Zielgruppen hat, die beide anfällig für Zungensünden und weniger anfällig für Handlungssünden sind: die Mönche und die Prediger. Die Kommuni‐ kationszusammenhänge sind eindeutig: Mönche warnen Mönche, Prediger warnen Pre‐ diger, und sie sind alle Feinde des Lachens und seiner Träger, der Vaganten und Spielleute, der Goliarden und Possenreißer: „Si quis clericus aut monachus verba scurrilia, jocularia, risumque moventia loquitur, accerrime corripiatur.“ 112 Dass das Lachen (und seine verschiedenen Anlässe) bei den Klerikern des Mittelalters vor allem als Folge falschen und sündhaften Wortgebrauchs gesehen wurde, kommt nicht von ungefähr. Stehen doch Kleriker kaum im Verdacht, ihren Körper parodistisch zur Schau zu stellen oder außer Kontrolle geraten zu lassen. Im Gegenteil: die Körperkontrolle zählt zu den wichtigsten Elementen des klerikalen Habitus, und hier lauert kaum eine Sünden‐ gefahr, wenn nicht für entlaufene Mönche und Priester (Goliarden). Jedoch sind Kleriker Meister der Rede, und sie sind es immer mehr seit dem 12. Jahrhundert mit dem Ansteigen der Predigertätigkeit und dem Heraustreten des Klerus aus den Klöstern. Waren die Exis‐ tenz von sprachlichen Normen und die Diskursregulierung bereits ein oberstes Gebot für jede Klerikergemeinschaft, wo sie ethischen und sozialen Regulierung im Innern der Ge‐ meinschaft dienten, 113 so wurden sie noch bedeutender in dem Moment, als die Prediger‐ orden entstehen, die Beichte institutionalisiert wird und immer mehr Kleriker in den de‐ mographisch stark wachsenden Städten leben. Dies machte sozusagen eine Systematisierung und doktrinäre Kasuistik der Sprachsünden (custodia linguae) schon allein als ethisch-soziales Fundament und deontologisches Modell für die Predigerausbildung notwendig. Daher sind die Kleriker, sozusagen als soziale Kategorie, mit Sprachnormen und -transgressionen bestens vertraut. Jemand, der beruflich so sehr mit Sprache und mit der Pflege der Sprache zu tun hat, für den muss die Sprache in der Frage der Sündhaftigkeit eine große Rolle spielen. Denn mit und in der Sprache kann der Kleriker sündigen, er kann 3.2. „Scurra“ und „scurrilitas“ 159 114 Dafür spricht etwa Folgendes: Während Hieronymus bei Michals Beschuldigung des nackt tanzenden Davids den griechischen Begriff des Tänzers lateinisch mit „unus de scurris“ wiedergibt, und somit die Wurzel des rituellen Tanzes beim scurra betont, erläutert der Bearbeiter der Reichenauer Glossen im 8. Jh. den Begriff so: scurris (= ioculator). Vgl. Klein, Hans-Wilhelm: Die Reichenauer Glossen. Teil 1. München 1968, S. 97. 115 Dies ist qualitativ different zur gregorianischen Tradition, welche die scurrilitas als Manifestation der Völlerei (gula) und somit als angesehen hatte, bzw. zur Cassianus-Tradition, wo sie wie die an‐ deren beiden Zungensünden zur fornicatio / superbia, allerdings mit dem Zusatz „inhonestas in verbo“ gehört. 116 : „(...) che i giullari si identifichino quasi con la scurrilitas, occorre appena accennarlo“. Casa‐ grande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 125. dies in der Predigt tun, beim Aussprechen der Sakramentsformeln, im sozialen Umgang im Kloster, bei der Beichte usw. Die Gelegenheiten zur Wortsünde sind groß, und dies ist der wichtigste Grund für ihre starke Regulierung. Wenn die scurrilitas in den Kommentaren und Katalogen des 12. und 13. Jahrhunderts als Zungensünde geführt wird, so ist dies nicht nur der Anknüpfung an die sprachbestimmte Auslegung von Eph. 5,4 geschuldet, sondern auch der überragenden Bedeutung der Sprache im scholastischen System. Als zentraler Begriff für die Provokation von unstatthaftem Ge‐ lächter kann scurrilitas in der Scholastik nicht anders als sprachlich gedacht werden, auch wenn ihr Ausgangsnomen, scurra, und seine Herkunft aus dem theatral-körperlichen Be‐ reich auch hier nicht ganz verdrängt werden kann. 114 Doch durch die besondere, abstrakte Auffassung der Sprache als Sprechen und als performativer Sprechakt im scholastischen Diskurssystem, sind auch Denken und Handeln im Sprechen enthalten. 115 Was durchgängig auffällt, ist die bereits bei Hieronymus für das effektive Auslösen von Lachen notwendige Kombination von Wort und Haltung bei der scurrilitas. Sie ist gewis‐ sermaßen eine Redeweise, die nur in Verbindung mit körperlichen Ausdrucksmitteln, also mit Mimik, Gestik und närrischen Possen funktioniert, und diese Ausdrucksmittel sind in an ihr immer schon beteiligt, und sei es an ihrer imaginären Qualität. Ihr komisch-groteskes Körpersubstrat ist bei Gelegenheiten der Feier, der Feste und des gemeinsamen Mahls, und hier vor allem an den Tafeln der Fürsten und Adligen (vgl. curialitas) besonders spürbar. Feiern und Feste sind für die Prediger Augenblicke der Unordnung, der Unübersichtlichkeit, wo die Sprache zum Instrument der Zweideutigkeit und der Intrige, aber auch der Belei‐ digung, des Streits und der Prügelei wird. Wenn man Gebärde und Sprache nicht klar von‐ einander trennen kann, dann ist die scurrilitas genau jenes Zwischen von Sprache und Körper, das die performative Komik konstituiert. Daher wurde sie auch im 12. und 13. Jahrhundert im Sinne der iocularitas immer mit dem Gaukler- und Schauspielerwesen verbunden. So etwa bei dem Dominikaner Guillaume Perrault, der rumor und murmur den Klerikern, mendacium den Kaufleuten, und scurrilitas den Gauklern zuweist. Sie ist - zu‐ sammen mit der adulatio - die Sünde der Spielleute schlechthin. 116 Die Kategorisierung der scurrilitas als Zungensünde legt eine weitere Entwicklung in der christlichen Ethik offen: die Entwicklung nämlich, dass der Bereich des Lachens und seiner Auslöser, der Scherze, Witze und Possen, immer stärker sprachlich-gesellig und immer weniger körperlich-gestisch gedacht wird. Das entscheidende Diskurssystem der Scholastik ist die Sprache, die vor dem Körper die Oberhand behält und alle Lachanlässe 3. Scurra und scurrilitas 160 117 Thomas von Aquin: Summa Theologica, IIa-IIae , q.168. 118 „Manifestum est autem quod exteriores motus hominis sunt per rationem ordinabiles, quia ad im‐ perium rationis exteriora membra moventur.“ (Ohne Zweifel können nun die äußeren Bewegungen des Menschen von der Vernunft geregelt werden, auf Befehl der Vernunft setzen sie sich ja in Be‐ wegung.) Thomas von Aquin: Summa Theologica, [45 721] IIª-IIae, q. 168 a. 1 co. auf sich zieht. Die schrift- und textfixierten Kleriker verdrängten das Körperliche am La‐ chen und bezogen es vor allem auf Sprache: Sie diskursivierten körperliche Lachanlässe. Thomas von Aquin: De modestia secundum quod consistit in exterioribus motibus corporis Es ist Thomas von Aquin (1224/ 25-1274), der diese scholastischen Definitionen und Zuord‐ nungen der scurrilitas einer kritischen Prüfung unterzieht und sie von Grund auf revidiert. Im Rückgriff auf die aristotelische eutrapelia wertet Thomas die scurrilitas als Kern einer neuen, positiven Haltung dem Lachen gegenüber, die der negativen Begriffsdefinition von über tausend Jahren einen vorläufigen Schlusspunkt setzt. Gleichzeitig ordnet er sie und den gesamten Bereich des Lachens dem Spiel und somit den äußeren Körperbewegungen zu, wenn er die Thematik in seiner Summa Theologica (1266-73) unter der Fragestellung: „De modestia secundum quod consistit in exterioribus motibus corporis“ diskutiert. 117 Die Übersetzung der deutsch-lateinischen Ausgabe der Summa gibt die genannte quaestio mit „Die Bescheidenheit im äußeren Verhalten“ wieder, eine theologisch determinierte Übersetzung des Kapitels; ein schönes Beispiel für den Versuch von Kommentatoren und Exegeten, bis in unsere Zeit den Körper aus den theologischen Systematiken herauszu‐ halten. Und dies, als es Thomas explizit darum geht, festzustellen, ob Körperbewegungen und die darunter gefassten Spiel- und Lachanlässe mit der modestia vereinbar sind, also ob sie tugendhaft sein können oder als sündhaft betrachtet werden müssen. Im ersten Artikel erörtert Thomas die Frage, ob man hinsichtlich der Körperbewegungen von Tugend reden könne. Da jede Tugend den „spiritualem animae decorem“ betrifft, scheinen die Körperbewegungen wegen ihrer Äußerlichkeit zunächst keinen Anspruch auf Tugendhaftigkeit erheben zu können, so Thomas. Dagegen kann man aber die mangel‐ haften natürlichen Anlagen zu den Körperbewegungen durch Vernunft verbessern: 118 man muss sein Verhalten nach der Angemessenheit anderer Personen, der Beschäftigungen und der Orte regeln. Die vernunftmäßige Regelung der Körperbewegungen ist insofern eine Tugend, als das sichtbare Verhalten eines Menschen Anzeichen für seine seelische Verfas‐ sung ist und hilft, die Leidenschaften zu zügeln. Das Spiel als der wichtigste Bestandteil der äußeren Körperbewegungen, und mit ihm Scherz und Lachen, kann somit dann tugendhaft sein, wenn sie der Entspannung des Men‐ schen dienen. Der Mensch habe wie den Schlaf auch die seelische Entspannung, die quies animae nötig: 3.2. „Scurra“ und „scurrilitas“ 161 119 „Sicut autem fatigatio corporalis solvitur per corporis quietem, ita etiam oportet quod fatigatio ani‐ malis solvatur per animae quietem. Quies autem animae est delectatio, ut supra habitum est, cum de passionibus ageretur. … Huiusmodi autem dicta vel facta, in quibus non quaeritur nisi delectatio animalis, vocantur ludicra vel iocosa“. Thomas von Aquin: Summa Theologica, [45 729] IIª-IIae, q. 168 a. 2 s. c. 120 „Sed contra est quod Augustinus dicit, in II musicae, volo tandem tibi parcas, nam sapientem decet interdum remittere aciem rebus agendis intentam. Sed ista remissio animi a rebus agendis fit per ludicra verba et facta. Ergo his uti interdum ad sapientem et virtuosum pertinet. Philosophus etiam ponit virtutem eutrapeliae circa ludos, quam nos possumus dicere iucunditatem“. [45 729] IIª-IIae, q. 168 a. 2 s. c. 121 S. T. I-II 47, 3, 3 (Rechtfertigung der Kurzweil). Wie nun aber körperliche Ermüdung durch körperliche Ruhe schwindet, so muss auch die seelische Ermüdung durch seelische Ruhe behoben werden. Seelische Ruhe aber ist gleichbedeutend mit Vergnügen, wie im Abschnitt über die Leidenschaften dargelegt wurde. 119 Die delectatio animae, und damit das Spielen und das Scherzen, die an dieser Stelle nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich als notwendig für den Menschen betrachtet werden, rechtfertigt Thomas im Rückgriff auf Augustinus remissio-Lehre und Aristoteles’ eutra‐ pelia: Aber: Augustinus macht darauf aufmerksam, dass auch der Weise sich einmal abwenden soll vom Ernst und den Geschäften (remittere). Diese Unterbrechung oder Entspannung (remissio) erfolgt durch spielerische Worte und Dinge. ‚Dies geziemt sich also bisweilen für den Weisen und Tu‐ gendhaften‘. Aristoteles setzt für die Spiele auch die Tugend der Eutrapelie ein, die wir Vergnüg‐ lichkeit - iucunditas - nennen können. 120 Der Verweis auf den aristotelischen eutrapelia-Begriff schließt an das antike Verständnis von scurrilitas als Haltung an, und bindet diese wiederum an eine Ethik der geistreichen Geselligkeit und des maßvollen Lachens. Unanständiges darf es in diesem Rahmen nicht geben, denn „maßloses Spiel ist mit unangebrachtem Lachen und ungehörigem Vergnügen verbunden“, und das sei schwere Sünde; hingegen muss die iocunditas als ein Mittelmaß zwischen Zuviel und Zuwenig an Scherz und Spiel angesehen werden. Damit kann Thomas auch ludicra und iocosa in Wort und Handlung der weisen Männer rechtfertigen: „Sed Phi‐ losophus dicit, in ii rhetoric., quod in ludo, in risu, in festo, in prosperitate, in consumma‐ tione operum, in delectatione non turpi, et in spe optima, homines non irascuntur“. 121 Beide Abweichungen von der tugendhaften Mitte sind also fehlerhaft; doch ist das Zuviel we‐ sentlich tadelnswerter als das Zuwenig. Thomas warnt davor, das Vergnügen in „operati‐ onibus vel verbis turpibus vel nocivis“ zu suchen, also in schmutzigen oder schadenstif‐ tenden Handlungen oder Worten. Er beruft sich auf Cicero: „Es gibt eine Art zu scherzen, die grob, frech, entehrend und obszön ist.“ Stattdessen soll das Vergnügen darin liegen, dass wir uns an einem brillanten Geist erfreuen. „Daher kann es auf dem Gebiet des Spiels eine Tugend geben, die Aristoteles ‚Eutrapelie‘ nennt.“ So bezeichne Aristoteles jemanden, der 3. Scurra und scurrilitas 162 122 „Huiusmodi autem secundum regulam rationis ordinantur. Habitus autem secundum rationem ope‐ rans est virtus moralis. Et ideo circa ludos potest esse aliqua virtus, quam philosophus eutrapeliam nominat. Et dicitur aliquis eutrapelus a bona versione, quia scilicet bene convertit aliqua dicta vel facta in solatium. Et inquantum per hanc virtutem homo refrenatur ab immoderantia ludorum, sub modestia continetur“. S. T. [45 730] IIª-IIae, q. 168 a. 2 co. 123 Mit einer Ausnahme: nur dort, wo sich Lachen mit Schmerz und extremer Freude mischt, wo das Lachen und die Freude ungezügelt sind, kann von Sünde gesprochen werden: „Sed contra est quod, super illud Prov. XIV, risus dolori miscebitur et extrema gaudii luctus occupat, dicit Glossa, luctus perpetuus. Sed in superfluitate ludi est inordinatus risus et inordinatum gaudium. Ergo est ibi pec‐ catum mortale, cui soli debetur luctus perpetuus“. S. T. [45 737] IIª-IIae, q. 168 a. 3 s. c. Mit der Zü‐ gellosigkeit des Lachens und der Freude sind vermutlich wieder körperliche Ausdrucksformen ge‐ meint. 124 Thomas nennt zwei Arten der Transgression: „Uno modo, ex ipsa specie actionum quae assumuntur in ludum“; die andere bezieht sich auf die Nichtbeachtung gebührender Umstände. S. T. [45 738] II ª-IIae, q. 168 a. 3 co. sich „geschickt zu wenden weiß und bestimmte Wörter und Dinge in Heiterkeit zu ver‐ wandeln versteht.“ 122 Obwohl Thomas hier erneut von eutrapelia spricht, und mit den Gewährsleuten Aristo‐ teles und Cicero sich im Rahmen antiker Theorie bewegt, zielt er weniger auf die Witzigkeit des Redners oder die gesellige Heiterkeit, sondern auf das, was zu seiner Zeit unter scurri‐ litas verstanden wurde, die Unterhaltung durch professionelle performer. Denn im nächsten Augenblick kommt er auf eine Personengruppe zu sprechen, die Meister des Spiels und des Vergnügens sind: Schauspieler und Spielleute, histriones und ioculatores. Ihr Tun wird kei‐ neswegs, wie man das erwarten könnte, als sündhaft eingeschätzt, sondern ganz im Ge‐ genteil: ein Übermaß an Spiel, so Thomas eindeutig, ist keine Sünde. 123 Obwohl Thomas noch in Artikel 2 von der Sündhaftigkeit derer gesprochen hatte, die die Grenzen der Ver‐ nunft „durch die Art der Handlungen, die beim Scherz in Erscheinung tritt“ über‐ schreiten, 124 erkennt er bei den Histrionen keine Sünde, sofern sie davon Abstand nehmen, schmutzige und unehrenhafte Handlungen und Worte zu benutzen („non utendo aliquibus illicitis verbis vel factis ad ludum“) und die Regeln des Anstands einhalten. Spielleute können also nicht qua Beruf, sondern nur wegen bestimmter transgressiver Handlungen sündigen. 3.3. Die Gefahr des Lachens und die Macht des Diskurses im Mittelalter Thomas steht mit seiner Rehabilitation des Berufsstands der Schauspieler und Fahrenden in der Summa Theologica am Ende einer langen Periode der Diffamation und am Beginn eines allmählichen Diskurswandels zum Lachen und seiner gesellschaftlichen Funktion. Davon sind auch die mimi, histriones und scurrae betroffen, deren Aufführungen, wie wir gesehen haben, sich in den Verurteilungen der Kleriker nicht vom Lachen trennen lassen. Allerdings ist die Frage noch offen, auf welche Weise diese Körperkünstler Lachen ausgelöst haben, und was sich darüber in den klerikalen Quellen finden lässt. Über den Berufsstand, die Tätigkeiten und die Wirkungen von professionellen Unterhaltern im Mittelalter be‐ sitzen wir nicht sehr viele Informationen. Der Großteil davon stammt aus klerikalen Schriften, deren Urteile jedoch durchgängig stark moralisch gefärbt und abwertend sind; 3.3. Die Gefahr des Lachens und die Macht des Diskurses im Mittelalter 163 125 In welch beschämender Weise die Spielleute von der Germanistik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts dequalifiziert wurden, ist hinlänglich bekannt. Sozial emarginierte Künstler und Schausteller wurden als „armseliges“ oder „liederliches Gesindel“ der Spielleute bezeichnet, ihre Kunst, vor allem die Kunst, Lachen zu erregen, als niedrig und gemein angesehen: „primitive Spaßmacher“, die „grob‐ sinnige Erlustigungen“ darbieten. Zusammenfassung bei Hartung, Wolfgang: Die Spielleute im Mit‐ telalter. Gaukler, Dichter, Musikanten. Düsseldorf / Zürich 2003, S. 20 f. 126 Die Anlässe für Feste waren zahlreich: Thronerhebungen, Schwertleiten, Hochzeiten, Heimkehr von Reise und Kriegszug, Ritterschlag und die damit verbundenen Rituale und Spiele usw. Bei all diesen Anlässen konnten Spielleute aller Art auftreten. doch auch innerhalb des lateinischen Überlieferungsbereichs nehmen die professionellen Unterhalter eine marginale Position ein, vergleichbar ihrer Stellung in der mittelalterlichen Gesellschaft. Für die Kirche existierten sie nicht als Menschen oder als Berufsgruppe (etwa bei seelsorgerischen Themen), sondern fast ausschließlich als negatives Zerrbild christli‐ chen Verhaltens. Daher ist es geboten, die Quellen mit äußerster Vorsicht auszuwerten. Auf keinen Fall sollte der Fehler der älteren Forschung gemacht werden, die negativen Werturteile über die Unterhalter in den Quellen zu übernehmen. 125 Sie sind vielmehr Teil eines klerikalen Dis‐ kurses, der in sich durchaus differenzierbar und trotz seiner Dominanz in der mittelalter‐ lichen Kultur nicht allein bestimmend war. Der höfisch-literarische Diskurs über performer etwa folgt anderen Regeln und grenzt die Gültigkeit der christlich-klerikalen Sichtweise ein. Er ist in literarischen Quellen recht gut fassbar: in zahlreichen Texten erkannte die höfische Welt, die sich zumindest seit dem 12. Jahrhundert selbst im Fest und als Festge‐ sellschaft präsentierte, die Spielleute als wichtigen Teil der Erzeugung höfischer Freude an. Ihre Vorführungen erregten Staunen, Bewunderung und Freude, häufig wird die Kunst von Musikern, Sängern, Akrobaten und Spaßmachern gelobt. 126 Hinter die Diskurse auf den „Sitz des Lebens“ der Spielleute zu blicken, ist nicht Gegen‐ stand dieser Überlegungen. Vielmehr interessieren die Aus- und Einschließungen, die Dif‐ ferenzierungen und die emotionale Appellstruktur dieser Diskurse. Was die Diskursge‐ schichte leistet, ist die Möglichkeit der Freilegung der kommunikativen Selbstverständigung einer Gesellschaft und Kultur in einer bestimmten historischen Epoche. Daher ist es auch unwichtig für eine Begriffsgeschichte körperlicher Lachanlässe, ob diese tatsächlich obszön waren oder nicht. Bedeutsamer ist vielmehr die Frage: woher kommt die Negativität der Beschreibungen, welche Begriffe werden dafür verwendet und wozu dienen sie? Noch heute, im 21. Jahrhundert wissen wir, dass nach außen hin ge‐ schlossene religiöse Systeme wie etwa der Islam dazu tendieren, moralische Ansprüche auf Bild- und Wortikonen zu projizieren, und zwar gerade in Fragen der Satire und des Lachens. Wie der islamische Fundamentalismus war auch das christliche Mittelalter kaum zu Selbst‐ reflexion fähig. Gerade deshalb sind die wütenden Diskurse über Handlungen und Reden der Unterhalter so interessant: nicht weil sie eine Wahrheit sagen, sondern weil sie die Verletzung und die Wut ihrer Urheber deutlich machen, und somit auf die Wucht von Provokationen verweisen. Ich möchte im Folgenden den Diskurs über performer aus theo‐ logisch-klerikaler Perspektive zusammenfassen, „hinter seine Kulissen“ blicken und daran meine begriffsgeschichtlichen Thesen zum Lachen überprüfen. 3. Scurra und scurrilitas 164 127 Casagrande, Carla u. Vecchio, Silvana: Clercs et jongleurs dans la société médiévale. In : An‐ nales E. S. C. 34 (1979), S. 913-28. Casagrande / Vecchio sehen die Zeugnisse über die Jongleure als „descriptions hâtives et imprécises des clercs hostiles“ an. An anderer Stelle wird gesagt, dass die Gaukler im mittelalterlichen Kosmos ‚abwesend“ seien; S. 914. 128 „On ne trouve dans ces textes aucun conseil destiné a modifier leur conduite, mais une seule exigence péremptoire: cesser d’être jongleur“. Casagrande / Vecchio: Clercs et jongleurs, S. 914. 129 Thomas von Chobham bezeichnete diejenigen Gaukler, die den Höfen nachzogen, als “ad nihil utiles“. Faral zitiert einen anomymen Text aus dem 13. Jh., in dem es heißt: “nihil prosunt humanae vitae, sed obsunt.“ Faral, Edmond: Les jongleurs en France au moyen-âge. Paris 1910, S. 924. 130 „… ne joue ici que le rôle rhétorique d’une référence négative qui permet de construire le model positif de la vie religieuse.“ Casagrande / Vecchio, Clercs et jongleurs, S. 917. 131 „… expression limite du monde profane, il n’entre dans le discours du clerc que pour confirmer la valeur du sacré“. Ebd. Die Beschreibungen der performer in den christlich-klerikalen Quellen sind eher flüchtig, skizzenhaft und repetitiv. 127 Die Kommentare sind meist diffamierend; sie unterstreichen und wiederholen die Unbestimmtheit und die Unordnung der Rollen der Fahrenden. Für die Beschreibung der performer bevorzugen sie polyseme und generalisierende Begriffe wie ioculator und histrio. Die Kleriker geben sich keine Mühe, die Fähigkeiten und professio‐ nellen Handlungen der performer zu beschreiben, auch ihr Seelenheil interessiert sie nicht. 128 Sie werden generalisierend als Schausteller präsentiert, als vagantes, die ihren nackten bzw. deformierten Körper auf irgendeine Weise in Szene setzen. Am deutlichsten ist das bei Akrobaten, Seiltänzern, Tänzern und Possenreißern, aber auch bei Musikern und Erzählern der Fall, sowie bei solchen, die mit Tieren arbeiten. Für die Kleriker ging es niemals darum, die performer vom Glauben zu überzeugen. Dies war nicht nötig, denn sie gehörten nicht zur Gemeinschaft der Gläubigen. Der Vorwurf der sozialen Nutzlosigkeit genügte, um ihren Ausschluss aus den menschlichen Gemein‐ schaften zu rechtfertigen. 129 In der Gesellschaft der Bauern, Krieger und Kleriker, in welcher jedes Mitglied einen bestimmten Nutzen hatte, galten die performer als nutzlos, da sie nur zur Befriedigung verbotener, sündhafter Bedürfnisse beitrugen (gula, luxuria, gesticulatio). Es gibt zum Beispiel in den Predigthandbüchern des 12. und 13. Jahrhunderts keine Pre‐ digten, die sich an Jongleure oder Fahrende wenden würden, um deren Seelenheil zu retten; immerhin wurde dies anderen Randgruppen nicht verwehrt, wie den Armen, den Kranken, den Pilgern, den armen Handwerkern und selbst den Prostituierten. Die Adressaten der klerikalen Warnungen und Drohungen sind daher keineswegs die Fahrenden, sondern die Kleriker selbst, und unter ihnen vor allem die Mönche. Sie verkör‐ pern das Idealbild des Christen und dieses Bild muss geschützt werden. 130 Daher sind die meisten Hinweise auf sie als didaktische Handlungsanweisungen, Verhaltensregeln und Vorschriften für Kleriker zu lesen. Der histrio diente als Negativfolie für das richtige Ver‐ halten des Mönches oder Priesters, als sein Gegen- und Zerrbild. Der kontinuierliche, im‐ plizite Vergleich zum Spielmann erlaubt eine minutiöse Elaboration der Regeln, die das Leben der Kleriker bestimmen. Je stärker der Gaukler - häufig dem Teuflischen zugesellt - mit Epitheta wie turpis, obscoenus usw. bedacht wird, desto leichter kann sein Gegenbild würdig, ehrlich und heilig sein. Der Gaukler selbst aber bleibt abwesend, er wird in den klerikalen Diskurs nur aufgenommen, um den Wert des Sakralen zu bestätigen. 131 3.3. Die Gefahr des Lachens und die Macht des Diskurses im Mittelalter 165 132 Vgl. Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. Bd. 1. München 1986, S. 307. Allerdings dürfen diese Überlagerungen spätantiker Begriffe und mittelalterlicher Phä‐ nomene nicht zu dem Schluss führen, es habe die Verletzung von Schamschwellen durch die Aufführung obszöner Gesten und Handlungen, durch Nachahmung und Parodie, sowie durch transgressive und verhöhnende Reden nicht gegeben. Von einem relativ normkon‐ formen Verhalten der Spielleute spricht indirekt Bumke, wenn er einen Passus des Albertus Magnus über die „nackten Schauspieler“ als Topos der Theaterkritik auffasst und nicht als Beobachtung der phänomenalen Gegenwart. 132 Nacktheit und das Zeigen von Geschlechts‐ teilen gehörten nicht nur zu rituellen und fastnächtlichen Praktiken, sondern auch zum Repertoire bestimmter Körperkünstler unter den Spielleuten. Zurück zur Begriffsgeschichte: Die lateinischen Begriffe histrio, mimus, scurra usw., die aus der Spätantike stammen und über die Schriften der Kirchenväter ins Mittelalter ge‐ kommen sind, werden auf Tätigkeiten und Berufe übertragen, die mit ihrer ursprünglichen Bedeutung nur noch wenig zu tun hatten. Es gab keinen römischen Mimus im Mittelalter, und auch keinen römischen histrio: es gab Unterhalter und Schauspieler, die vielleicht von diesen Berufen abstammten, aber andere Aufführungsformen, andere Repertoires, andere Kombinationen mit anderen Künstlern und andere Tätigkeitsfelder hatten. Doch welches war dann die Funktion der Übertragung spätantiker Begriffe auf zeitgenössische Unter‐ halter? Die Transformation spätantiker Begriffe Im frühen Christentum waren die Begriffe histrio, mimus, scurra, sannio und ihre qualita‐ tiven Ableitungen scurrilitas und iocularitas Kampfbegriffe der Kirche gegen falsches Ver‐ halten im Rahmen des Lächerlichen und Obszönen. Warum aber ist die Kritik an theatralen Darstellern wie Spaßmachern und Komödianten bei den Kirchenvätern so radikal, und warum bleibt sie es bis zu Thomas fast über das gesamte Mittelalter hinweg? Für die erste Frage hat die Forschung verschiedene Antworten gegeben, die für den Problemzusammen‐ hang Lachen und Körper nicht unwichtig sind: 3. Scurra und scurrilitas 166 133 Vgl. Jürgens, Heiko: Pompa Diaboli. Die lateinischen Kirchenväter und das antike Theater. Stuttgart u. a. 1972, S. 32 ff.; s.a. Kap. III: 172 ff. 134 „Der Mimus hielt sich von allen Gattungen des Dramas am längsten: er überdauerte das weströmische Reich und beherrschte die Bühnen Ostroms.“ Benz, Lore: Zur Verquickung von Sprachkomik, Kör‐ perwitz und Körperaktion im antiken Mimus. ZfG N. F. 11 (2001), S. 261-73, hier S. 261. 135 Vgl. Reich, Hermann: Der Mimus. Berlin 1903. ND Hildesheim 1974, S. 80 ff. 136 Tertullian: Liber de spectaculis, PL 4, 782 ff.: Idolatria … ludorum omnium mater. Ähnlich auch im zweiten Buch von Augustinus’ De civitate dei. 137 Tertullian verbindet das Theater mit seinen heidnischen (römischen) Ursprüngen und seiner Ein‐ bindung in zirzensische Aufführungen (pompa), welche deutlich die Vielgötterei und die Bilder dieser Götter zeigen: „pompa praecedit, quorum sit in semetipsa probans de simulacrorum serie, de ima‐ ginum agmine, de tensis, de armamaxis, de sedibus, de coronis, de exuviis. Quanta praeterea sacra, quanta sacrificia praecedant, intercedant, succedant, quot collegia, quot sacerdotia, quot officia mo‐ veantur“. De spect. Cap. 7. 2-3. 138 Dies ist bei Reich ausreichend belegt: Vgl. Reich, Der Mimus, S. 81 ff. 139 Vgl. Reich, Der Mimus, S. 86. Es hat sogar die Form des christologischen, das Christentum verhöhn‐ enden Mimus gegeben; der berühmte Mime Genesius trat vor Diokletian in einem solchen Stück auf, um getauft zu werden. Als Spottritual wird die Taufe vollzogen, doch als Genesius wirklich zum Christen geworden ist, wird er verurteilt und muss den Märtyrertod sterben. Chrysostomos hingegen wurde zum rührigsten Feind der Mimen, wie an seinen überlieferten Predigten und Kommentaren abzulesen ist. Vgl. Minois, Histoire du rire, S. 111 ff. (1) rezeptionsgeschichtliche Ursachen: die Geschichte des griechischen und römischen Theaters war den Kirchenvätern mit der Ausnahme Tertullians nur fragmentarisch bekannt. Sie kannten aber viele Schauspieler und Stücke ihrer Gegenwart. 133 Im vierten nachchristlichen Jahrhundert war das römische Volkstheater jedoch vor allem von Mimus und Pantomimus beherrscht. 134 In den Quellen wird immer wieder deutlich, dass sich die Kirchenväter vor allem auf Komödien und aufgeführte Possen beziehen, nicht auf Tragödien. 135 (2) ideologische Ursachen: das römische Theater sahen die Kirchenväter als zugehörig zum heidnischen Kult (und insofern als Verbreiter von idolatria und superstitio). 136 In einer breiten Beweisführung legten Tertullian und Augustinus den kultischen Ur‐ sprung aller antiken Feste und Spiele dar. 137 Die Präsenz der Gläubigen bei Schau‐ spielen aller Art ist aus dieser Perspektive Götzendienst, und dieser ist teuflisch. Die Gleichsetzung heidnisch und teuflisch kehrt in allen Polemiken leitmotivisch wieder. (3) Erniedrigung und verletzte Gefühle durch Gelächter, Spott und Verhöhnung des Christentums im Theater: Wichtiger als die generische Zuordnung des Theaters zur heidnischen Götzenverehrung waren ganz spezifische Züge am spätantiken Volks‐ theater. In Mimus und Pantomimus sind, wie Reich zeigt, Christen und Christentum stark karikiert und verhöhnt worden. Auch Kirchenfürsten wurden von den Mimen auf der Bühne verspottet. Dies wird an den insistenten Klagen von Gregor von Nazianz über Parodien von Taufritualen und Märtyrertode, oder an der Nachahmung seiner Person als Patriarch von Konstantinopel deutlich. 138 Chrysostomos als Nachfolger Gregors beschwerte sich ebenfalls bitter darüber, dass die Mimen seinen Streit mit den Bischöfen Severianus und Antiochus auf die Bühne brachten, und beklagte, dass seine Gemeinde die Kirche leer stehen lasse, um zu den Mimen zu laufen. 139 (4) Konkurrenz zum Christentum: dass Chrysostomos die Aufmerksamkeit seiner Ge‐ meinde mit den Mimen teilen muss, zeigt die hohe Konkurrenzsituation zu den Resten 3.3. Die Gefahr des Lachens und die Macht des Diskurses im Mittelalter 167 140 Der (wenn auch wenig repräsentative, weil radikale) Höhepunkt einer langen Reihe von Verdam‐ mungen der Körperkünste, auf die ich weiter unten noch genauer eingehen werde, ist der Satz Ter‐ tullians am Ende des Kapitels 17 über die szenischen Darbietungen (Atellane, Mimus, Pantomimus, Comoedia, Tragoedia): „Habes igitur et theatri interdictionem de interdictione impudicitiae.“ De spect. XVII, S. 276. In diesem Kapitel geht es um die Unreinheit im Theater: die obszönen Gesten des Atellane-Schauspielers, die Frauenkleider des Mimus, die Annullierung der sexuellen Differenz und die Schamhaftigkeit. Es kommt zur Gleichsetzung der Schauspieler mit den Prostituierten: hier erei‐ fert sich Tertullian in einer Wutrede über die Schamlosigkeiten im Theater. - Dass Tertullian aller‐ dings eine enkratische Extremposition vertrat, zeigen Werke wie Ad uxorem und De exhortatione castitatis (Hinweis A. Piras). 141 Schon um die Jahrtausendwende kann keine der vorher gängigen Differenzierungen für die Begriffe scurra, histrio, ioculator / joculator und mimus festgestellt werden; im 12. Jh. war die begriffliche Differenzierung am schwächsten. Vgl. Ogilvy, J. D.: Mimi, Scurrae, Histriones: Entertainers of the Early Middle Ages. Speculum 38 (1963). S. 614. 142 So etwa in Alkuins Briefen (um 800), wo der Gebrauch der Begriffe histriones, mimi, saltatores in‐ nerhalb der Augustinusüberlieferung zu den Schauspielern geschieht und nichts über die zeitgenös‐ sische Verwendung der Begriffe aussagt. Vgl. Ogilvy, Mimi, scurrae, histriones, S. 609. der römischen Mythologie und anderer Religionen aus dem Osten, in der sich das frühe Christentum befand. (5) Körperfeindschaft: Der menschliche Körper ist in christlicher Anschauung dem Bösen besonders ausgesetzt. Dies gilt vor allem für den Bereich des Geschlechtlichen, aber auch für die Ausstellung und Aufführung des Körpers zum Zwecke der Unterhaltung und des Gelächters. Als besonders provokativ müssen die frühen Christen die freizü‐ gigen Körperdarstellungen von Mimen, Pantomimen und Lustigmachern aufge‐ nommen haben, was die Wut und den Abscheu erklärt, mit denen sie auch begrifflich diesem Phänomen begegnen: fornicatio, turpitudo, immunditia, impudicitia usw. Darin begriffen waren auch alle äußeren Veränderungen des Körpers: Verkleidung, Masken, Tanz, Akrobatik, Entblößung, unsittliche Worte und Gesten, lachenerregende Possen. Diese Körperfeindschaft des Christentums ist Ausdruck einer scharfen Trennung von Reinheit und Unreinheit. 140 Histrio turpis, scurra und ioculator im Zentrum christlicher Verhaltenskritik Die Übernahme der spätantiken Theaterbegriffe für die mittelalterlichen Unterhaltungs‐ berufe folgt einer Logik der kontinuierlichen und zunehmend pauschalisierenden Diffa‐ mierung, 141 in der das Lachen und der Körper der performer eine zentrale Rolle spielten. Indem die Theologen weiter mit den negativen Theaterbegriffen der Kirchenväter arbei‐ teten, konnten sie auch die professionellen Unterhalter der Gegenwart in die Tradition heidnischer, moralisch anstößiger und unchristlicher Aufführungen stellen, obwohl die kultischen Spiele der Antike überhaupt nicht mehr existierten. Andererseits war es für jeden christlichen Schriftsteller nötig, sich den tradierten auctores anzuschließen und in ihrem Argumentationsrahmen zu bleiben. Dies führte manchmal dazu, dass ganze Passagen von den Kirchenvätern übernommen wurden, ohne Referenten zur zeitgenössischen Situ‐ ation einzufügen. 142 Gleichwohl benutzt der größte Teil der Kleriker die Begriffe mit Bezug 3. Scurra und scurrilitas 168 143 „Dieser Versuch mit all seinen Konsequenzen, Erfolgen und Fehlschlägen läßt sich an der Polemik ablesen, die durch Jahrhunderte gegen die bunte Berufsgruppe geführt wurde, welche in den Quellen unter den Oberbegriffen mimi, histriones, scurrae und joculatores erscheint.“ Suchomski belegt den manipulativen Umgang mit den Zitaten der Kirchenväter durch die mittelalterlichen auctores mit zahlreichen Textstellen. Suchomski, Delectatio et utilitas, S. 26. 144 Ogilvy stellt die Belege von Heinrich Alt (Theater und Kirche) 1846 und Jules de Douhet (Dictionnaire des mystères, moralités, rites figurés et cérémonies singulières) 1845, sowie Hermann Reichs Der Mimus und E. K. Chambers: The medieval stage zusammen. Ogilvy, Mimi, scurrae, histriones, S. 603. 145 Vgl. Faral, Les jongleurs en France, S. 318. 146 In: PL 104, 249. 147 Vgl. Allen, Philip Schuyler: The Mediaeval Mimus. Modern Philology 7 (1910), H. 3, S. 329-344 sowie Modern Philology 8 (1910), H. 1, S. 1-44. „… we cannot ever judge from one of these decrees just what the status or occupation of the mimus was at any given time.“ Teil 2, S. 38. 148 Abälard, Theologia christiana II. PL 178, 1210-1211. 149 Elucidarium, PL 172,1148 f.: „Habent spem ioculatores? Nullam: tota namque intentione sunt ministri Satanae, de his dicitur: Deum non cognoverunt ideo Deus sprevit eos, et Dominus subsannabit eos, quia derisores deridentur.“ [„Haben die Spielleute Hoffnung? Nicht die geringste. Denn sie sind voll und ganz Diener des Teufels, von denen gesagt wird: Sie glauben nicht an Gott und deshalb wird sie Gott verachten, und der Herr wird sie verhöhnen, weil Spötter verlacht werden.“] 150 „Goliardic habits (...) seem to have been fairly common in the tenth century“. Ogilvy, Mimi, scurrae, histriones, S. 613. auf die professionellen Unterhalter ihrer Zeit, was ohne Zweifel als polemische Manipula‐ tion zu werten ist. 143 Was waren die Gründe dafür? Zunächst ist festzuhalten, dass die Existenz von professionellen Unterhaltern im Früh‐ mittelalter gut belegt ist. 144 Schon Faral hatte eingehende Wort- und Begriffsstudien be‐ trieben, deren Ergebnisse noch immer maßgeblich sind. Seine mit Alkuin beginnende Quel‐ lenrecherche belegt von 810 an professionelle Unterhalter. Als erster weist er die Begriffe istriones / histriones und mimos nach, und schon in karolingischer Zeit thymelici und scurrae. 145 Der Begriff ioculatores („vanissimos joculatores“) erscheint zum erstenmal 836 im Liber de dispensatione rerum ecclesiasticarum des Bischofs Agobard von Lyon. 146 Auf welche Tätigkeiten und welche Berufsgruppe diese Bezeichnungen im Mittelalter genau verweisen, liegt leider im Dunkeln. Die Begriffe werden oft akkumulativ verwendet, kaum je definiert, sind austauschbar und mehrdeutig. 147 Der Zweck allerdings ist bei aller Ver‐ schiedenheit der Darbietung der gleiche: Unterhaltung und Zerstreuung der Zuschauer und Zuhörer. Und es waren offensichtlich bestimmte Formen dieser Unterhaltung, die die Kle‐ riker so gegen die performer aufbrachten. Vergleiche mit dem Teufel sind gängig: So sieht Abälard in ihren Aufführungen eine diabolica praedicatio und spricht sogar von curia dae‐ monum und vom conventis histrionum. 148 Ohne ihren Beruf aufzugeben, dürfen die Spiel‐ leute nicht in die christliche Gemeinschaft zurückkehren, ansonsten bleiben sie Ausge‐ schlossene. Ebenso nennt Honorius Augustoduniensis die Spielleute ministri Satanae, die keine Hoffnung auf das Seelenheil haben. 149 Man wird solche Härte kaum noch nachvollziehen können, es sei denn, es handelt sich um Angehörige des Klerus, um abtrünnige Priester und Mönche, die sich den Fahrenden angeschlossen haben und nun ihr rituelles und konfessionelles Wissen für die Verfertigung parodistischer und profanierender Verse oder ritualverkehrende Possen ausnutzten. 150 Die entlaufenen Kleriker und fahrende Scholaren, besser unter dem Namen Goliarden bekannt, tauchen sogar manchmal in schriftlichen Quellen auf, auch wenn dieses Thema meist ver‐ 3.3. Die Gefahr des Lachens und die Macht des Diskurses im Mittelalter 169 151 Konzil von Châlons, in Mansi: Concilia, cap. 9. Fast wörtlich ist die Wiederholung im Capitulum VII des Konzils von Tours (813). Ogilvy legt dar, dass es falsch wäre, die Patrone professioneller Unter‐ halter nur im Rahmen der Kirche zu suchen; Laien unterstützten die performer ebenso wie Kirchen‐ leute. Ogilvy, Mimi, scurrae, histriones, S. 606. 152 In seiner gleichnamigen Studie sieht Hermann Reich im Mimus eine Art anthropologisches Univer‐ salprinzip der komischen Figur, die er mit dem Volkstheater aller Zeiten und Länder verbindet. Diese hätten die „primitive Sphäre der menschlichen Verhältnisse“ zum Thema: „Aus dieser Armseligkeit hilft dem Volke überall der gleiche Humor heraus, der es lehrt, die gleichen, göttlichen, burlesken Typen zu schaffen, seine lieben Narren, die ihm sein Leben erheitern.“ (S. 47) Reich konstruiert dem‐ entsprechend eine zusammenhängende Entwicklungsgeschichte des Mimus als Gattung über die Spätantike und das Mittelalter bis zur Commedia dell’arte und den Karagöz. Dies wurde von Thea‐ terhistorikern zu Recht bemängelt; Max Herrmann etwa übte scharfe Kritik an Reichs überschwäng‐ lichem Pathos, seiner generalisierenden Überlieferungshypothese des Mimus, in der alle erdenkli‐ chen komischen Figuren auf die Figur des Mimus in der Antike zurückgeführt werden. Vgl. Herrmann, Max: Die Entstehung der berufsmässigen Schauspielkunst im Altertum und in der Neuzeit. Hg. und mit einem Nachruf versehen von Dr. Ruth Mövius. Berlin 1962, S. 180 ff. Herrmann kritisiert auch, dass Reich den byzantinischen Mimusautor Philistion zum Shakespeare des Altertums erhebt (S. 182). Für Herrmann ist der Mimus nichts literarisches, sondern eine szenische Aufführung von Spruchweisheiten und anderen Handlungsanlässen („geschriebene Aufführungstexte“), ein „bloßes Bühnenspiel“ (S. 185). Allerdings schreibt Ernst Robert Curtius Reichs Buch Beweiskraft zu. 153 Ogilvy interpretiert wie Reich in diese Stellen, die Aufführungen andeuten, dramatisches Theater hinein. Doch es geht hier nicht um Bühnenhandlungen, sondern mit joca, jocationes und ludi sind die Handlungen der Spielleute gemeint. Dies weist jedoch auf den hohen Anteil an Körperinszenie‐ rungen in den Monologen, Dialogen und Pantomimen der Spielleute hin, auf einen hohen Anteil der Körperkunst. Vgl. Ogilvy, Mimi, scurrae, histriones, S. 610. Glock und Allen machen dagegen deutlich, dass die Performer nicht mit Bühnenschauspielern wie in der Antike zu verwechseln sind (gegen Reich). Vgl. Allen, The Mediaeval Mimus, S. 12 u. ff.; Glock, Anton: Über den Zusammenhang des römischen Mimus und einer dramatischen Tätigkeit mittelalterlicher Spielleute mit dem neueren komischen Drama. Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte N. F. XVI (1906), S. 24-45 u. 172-187, hier 173-182. schwiegen wurde. Viel häufiger wird erwähnt, dass Kirchenleute nicht nur Schauspieler und Possenreißer und ihre Sitte, niedrige und schamlose Possen vorzuführen, verachten sollten, sondern sie sollten sie auch für Laien als unangemessen ablehnen: „histrionum sive scurrarum, et turpium seu obscoenorum jocorum insolentiam, non solum [clerici] ipse re‐ spuant, verum etiam fidelibus respuenda percenseant.“ 151 Man hat solche Stellen bisweilen so interpretiert, dass mit „turpium seu obscoenorum jocorum insolentiam“ Theateraufführungen gemeint sind. 152 Dies ist allerdings vor dem Hintergrund der Abwesenheit dramatischer Bühnenspiele im Mittelalter theatergeschicht‐ lich hoch spekulativ. 153 Wenn es hier um Theater gehen würde, dann doch um Komödien, denn das Lachen ist, wie oben gezeigt, wichtiger Eckstein und Anstoß für die kirchliche Kritik. Doch von Terenz und Plautus wissen wir mit Ausnahme von Hrotsvit von Ganders‐ heim nichts. Es geht deshalb zwar um Aufführungen, das heisst um die Verbindung von unflätiger Sprache und körperliche Aktion, wobei letztere mehr Möglichkeiten des Obs‐ zönen und Unanständigen bereitstellt, das in den Quellen so sehr im Vordergrund steht. Offensichtlich ist es die Wahrnehmung der transgressiven Körperbewegungen bei den Unterhaltern, die die Kleriker verunsichern. Den Körper lasziv oder obszön zur Schau zu stellen, mit ihm Lachen zu erregen, muss dem auf körperliche Repression fundierten Chris‐ tentum eine ebenso körperlich negative Reaktion hervorgerufen haben. Casagrande und Vecchio vergleichen diese Reaktion mit derjenigen auf den Epileptiker, dem Besessenen par 3. Scurra und scurrilitas 170 154 Casagrande, Carla u. Vecchio, Silvana: L’interdizione del giullare nel vocabolario clericale del XII e del XIII secolo. In: Il teatro medievale. Hg. von Johann Drumbl, Bologna 1989, S. 317-367, hier S. 334: Vor allem in den Texten der Kanoniker müssen Unterhaltungsberufe und Geisteskranke die gleichen Vorwürfe und Verdammungsurteile ertragen: so werden im Dekret des Gratian (I, 23,2,123) Schau‐ spieler in die Nähe der „furia“ des Wahnsinns gerückt; beide Gruppen werden von den Sakramenten ausgeschlossen. 155 „Histriones sunt, qui muliebri indumentuo gestus impudicarum feminarum exprimebant; hi autem saltando etiam historias et res gestas demonstrabant.“ Isidor von Sevilla: Originum seu etymologiarum libri XX. Hg. von W. M. Lindsay. Oxford 1911. Bd. XVIII, S. 48. Vgl dazu auch Ogilvy, Mimi, Scurrae, Histriones, S. 604. 156 Vgl. Glock, Über den Zusammenhang, S. 43. 157 „Zunächst denkt man dabei an Themen und Worte, die den sexuellen Bereich berühren, oder an Gesten wie etwa die Entblößung des Gesäßes. Aber auch der Tanz, die weltliche Musik, die Erregung der Affekte, die effeminatio - die Verweichlichung und Auflösung seelischer und geistiger Kraft -, all dies gehört aus geistlicher Sicht zu den impudicitia der verfemten Berufe.“ Suchomski, Delectatio et utilitas, S. 27. excellence im Mittelalter: „Di fronte ai movimenti inconsulti e alle grida dell’epilettico e di fonte ai gesti scenici e alle cantilene dei giullari, il chierico prova la stessa ansia e lo stesso turbamento.“ 154 In beiden Fällen ist die Reaktion nicht Verständnis oder Normalisierung, sondern Isolation und Ausschluss. Transgressive Körperbewegungen wurden sofort mit Sünde assoziiert und dem Teufel zugeordnet. Dies gilt besonders auch für die Darstellung von Frauen durch Männer, die Isidor von Sevilla am histrio verurteilt: in seinem Liber ety‐ mologiarum (um 630) definiert er: „Histrionen sind diejenige, welche in Frauenkleidern unzüchtige weibische Gesten vorführen, und auch jene, die tanzend Erzählungen und Hel‐ dentaten vorführen.“ 155 Der Satz macht deutlich, dass die Sündhaftigkeit des histrio aus einer Transgression zweier Normen hervorgeht: der effiminierten Geste, die die Norm der He‐ terosexualität missachtet, und der (sexuell) 156 anstößigen (auf Prostitution hinweisenden) Geste, die im Tanz und den Bewegungen des histrio erkennbar ist. Obszöne Gesten und Tanz, beides Körperbewegungen und körperliche Handlungen, sind für Isidor demnach zu verurteilen. Die Gleichsetzung des histrio turpis mit der Prostituierten ist dann im Mittelalter fast ein Topos geworden: es geht dabei um die moralische Unsittlichkeit beider Berufsgruppen, weniger um geselligen Scherz oder Witz, sondern um die Erregung unangemessenen La‐ chens durch die Darstellung von Themen, die den sexuellen Bereich berühren, Entblö‐ ßungsgesten, Nacktheit, Tanz, effeminatio und anderes mehr, was aus geistlicher Sicht zu den impudicitia der verfemten Berufe gehört. 157 Der histrio turpis erscheint so als Zerr- und Gegenbild des gottesfürchtigen Klerikers, sein Widerpart, der ihm in allem diametral entgegengesetzt ist. Und er ist dies zunächst körperlich. Das ist am Wortfeld turpis, turpitudo, turpiter, dem am häufigsten gebrauchten Begriffen für die Tätigkeit von Unterhaltern, deutlich erkennbar. Die klassische Bedeutung von turpis fokussiert leibliche Deformationen: entstellt, verzerrt, hässlich, monströs, tie‐ risch. Semantik und Etymologie des Wortfeldes sind auf den Körper, auf Haltung, Aussehen und Gestik, auf Gesichtsfeld und Mimik bezogen (erkennbar in dem Ausdruck „histrionum 3.3. Die Gefahr des Lachens und die Macht des Diskurses im Mittelalter 171 158 Konzil von Paris, 829, I, Cap. 38. William of Malmesbury spricht ebenfalls von Körperinszenierungen: „quendam ephoebum qui motibus histrionicis victum exigeret“ (ein gewisser junger Mann, der seinen Unterhalt durch histrionische Bewegungen verdiente). Ich glaube nicht, dass hier dramatische Hand‐ lungen gemeint sind, wie Ogilvy vermutet, sondern eher pantomimische bzw. tänzerische Bewe‐ gungen. 159 „Turpe è il corpo deforme e l’animo disonesto. È esattamente il contrario (...) del pulcher et honestus dei Latini.“ Casagrande / Vecchio, L’interdizione del giullare, S. 327. Casagrande / Vecchio sehen hier auch den physischen Anteil an der ‚deformen‘ Aktivität des Schaustellers; bisher wurde dieser vor allem ethisch-moralisch interpretiert. 160 Johannes von Salisbury und Thomas von Chobham behandeln sie in einem Atemzug, s. u. 161 Vgl. Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 340: „Tanto frequente e commune è l’associazione giullare-oscenità che il Penitenziale di Roberto di Flamborough può codificare la scurrilitas come una delle manifestazioni della lussuria“. 162 “Scurra, qui sectari quempiam solet cibi gratia“. Isidor von Sevilla: Etymologiae X, 255. obscoenas jocationes“), 158 und erst in zweiter Linie auf Worte und die Handlungen, die ebenfalls damit beschrieben werden. So glossiert etwa Notker den Begriff histrio auch als uuephare (von uuephen: springen, hüpfen). Das Wortfeld wird allerdings ethisch vergößert, es beinhaltet auch Eigenschaften wie schamlos, schmählich, unehrlich, unsittlich, liederlich, obszön, weibisch etc. Mit turpis ist somit sowohl das Aussehen des Histrionen als auch seine Moral, sein Charakter negativ bezeichnet. 159 Diese Deformationen sind verschiedener Art: der histrio turpis ist einerseits der physisch entstellte Mensch, der mit seinem Makel ein theatrales Aufsehen treibt (der Einäugige, der Krüppel, der Hässliche, der Bucklige, der Zwerg etc.) Er ist aber auch jemand, der seinen Körper zum Werkzeug obszöner Semantik macht. Deshalb wird er häufig zusammen mit der meretrix, der Hetäre oder Dirne, genannt, die ebenfalls schauspielerisch tätig sein kann. Bei beiden gehen Ostentation und Verkäuflichkeit des Körpers Hand in Hand, sie treten an den gleichen Orten auf, sind auf die Annahme von Geschenken für ihre Dienste ange‐ wiesen. 160 So wird der histrio auch dadurch gefährlich und sündhaft, dass er sich ständig in Begleitung von Prostituierten, im Bannkreis des bösen weiblichen Universums aufhält. Wie die meretrix verkleidet und schminkt er sich, färbt sich die Haare, verändert sein Aussehen und bietet ein Schauspiel der Verführung. Der Zusammenhang von schauspierischer bzw. possenreißerischer Aktivität und Prostitution verstärkt sich, wenn man die Analogien des sündhaften Sehens betrachtet, die zwischen Schauspiel und weiblicher Schönheit bzw. Ge‐ schlechtsorgane oder Koitus bestehen. Die Adjektive obscaenus und lascivus werden glei‐ chermaßen auf sexuelle Praktiken wie auf die Körperkünste und körperlichen Tätigkeiten der Gaukler angewandt. 161 Der Begriff des scurra schließlich changiert im Mittelalter wie schon in der Spätantike zwischen einem professionellen Spaßmacher und der plautinisch-rhetorischen Tradition des homo urbanus als scharfsinnigen bzw. ehrverletzenden Spötters und Parasiten. Letztere Auffassung war noch bei Isidor von Sevilla in seiner Definition des scurra in den Etymologiae leitend: als unterhaltender Begleiter wohlhabender Herren und parasitus. 162 Im 8. Jahrhun‐ dert scheint diese Bedeutung gegenüber dem scurra als Possenreißer und theatralem per‐ former in den Hintergrund zu treten. So etwa in den Canones der Synode von Clovesho (747), oder bei Aldhelm, der um 700 unter scurra einen Spaßmacher oder Spötter ver‐ 3. Scurra und scurrilitas 172 163 Darunter fasst Aldhelm auch die biblischen Spötter (Cham im A. T. und die Peiniger Jesu im N. T.) sowie diejenigen, die sein Werk lächerlich machen („who would criticize Aldhelm’s work by making fun of it“). Vgl. Ogilvy, Mimi, scurrae, histriones, S. 607. 164 MGH, Epistolae Selectae, I, no.92, S. 211. Zit. bei Ogilvy, Mimi, scurrae, histriones, S. 608. 165 Ogilvy formuliert es so: „It implies raucous, slap-stick and indecent humor“. Ogilvy, Mimi, scurrae, histriones, S. 608. 166 Vgl. Petrus Cantor: Summa de sacramentis et animae consiliis. 2.1. Pierre le Chantre. Texte inédit et annoté par Jean-Albert Dugauquier. S. 343. 167 Thomas von Chobham: Summa Confessorum. Hg. von F. Broomfield. Louvain / Paris 1968 (= Analecta Mediaevalia Namurcensis 25). Questio IIa: De histrionibus. S. 135. 168 [Zu beachten ist, dass es drei Arten von Spielleuten gibt. Solche, die mit unzüchtigen Sprüngen und unkeuschen Gesten ihren Körper verändern und verdrehen, sich schändlichst entblößen und ab‐ scheuliche Masken aufsetzen, und diese alle sind verdammenswürdig, wenn sie ihren Beruf nicht aufgeben.] Ich lasse das lateinische Original im Fließtext, weil das Zitat wichtig ist. stand. 163 Um 750 reiht Lullus den Begriff scurra in einem Brief an Gregor von Utrecht unter die nutzlosen Freuden dieser Welt ein, womit er auf Unterhaltungen und Beschäftigungen des Adels abzielt (Falken, Pferde Hunde, kostbare Gewänder etc.): mit „scurrarum baccha‐ tiones“, was man mit „ausgelassene Unterhaltung“ bzw. Aufführungen übersetzen kann, und was auf professionelle Unterhalter am Hof hindeutet. 164 Scurra wird hier wie in vielen späteren Quellen alternativ zu ioculator gebraucht, der grobe, körperbetonte und unan‐ ständige Possen treibt. 165 Im 12. Jahrhundert gibt es die ersten Differenzierungsversuche für die performer, die meist mit einer Aufwertung einer Gruppe, der ioculatores, verbunden sind. In seiner Summa de Sacramentis et animae consiliis unterscheidet Petrus Cantor (1120 / 30-1197) zwischen zwei Arten von Schaustellern: die ioculatores, die „alte Geschichten besingen“, seien ak‐ zeptabel, aber die Histrionen, Seiltänzer, Mimen und Zauberer sind abzulehnen. 166 Ganz ähnlich ist die viel zitierte Kategorisierung von professionellen Unterhaltern des Thomas von Chobham (≈1160-1233) in seiner Summa Confessorum, im Kapitel De histriones gelaa‐ gert. 167 Wie Petrus teilt auch er die Spielleute in Gruppen ein: die ioculatores werden tole‐ riert, während die anderen, histriones, mimi und scurrae weiterhin verdammenswürdig sind: Sed notandum quod histrionum tria sunt genera. Quidam enim transformant et transfigurant cor‐ pora sua per turpes saltus vel per turpes gestus, vel denudando corpora turpiter, vel induendo horribiles loricas vel larvas, et omnes tales damnabiles sunt nisi relinquant officia sua. 168 Die zweite Gruppe betreibt Verleumdung und üble Nachrede, mischen sich in fremde An‐ gelegenheiten ein. Sie besitzen keinen festen Wohnsitz, sondern ziehen an die Höfe der Fürsten und verbreiten Schimpf und Schande über Abwesende. Auch diese Gruppe ist der Verdammung anheimgegeben; sie werden scurrae vagi genannt, weil sie nach Thomas zu nichts taugen als zum Prassen und Schmähen. Die dritte Kategorie sind die Spielleute, die Musikinstrumente besitzen und spielen, um die Menschen zu unterhalten; Thomas teilt sie in zwei Untergruppen: die einen sind ebenso verdammenswert wie die vorigen, da sie bei öffentlichen Gelage und Festen singen und damit die Menschen zur Unkeuschheit anstiften. Nur die letzte Gruppe, die ioculatores genannt werden, singen von den Taten der Könige und vom Leben der Heiligen, und diese trösten mit ihren Liedern und Gesängen. Sie können gerettet werden. 3.3. Die Gefahr des Lachens und die Macht des Diskurses im Mittelalter 173 169 „Das theologische Verwerfungsurteil über einen Gaukler lautet auch um so drastischer, je stärker seine Tätigkeit mit körperlicher Aktivität verbunden ist“. Zimmermann, Julia: gestus histrionici. Zur Darstellung gauklerischer Tanzformen in Texten und Bildern des Mittelalters. In: Gestik. Figuren des Körpers in Text und Bild. Hg. von Margreth Egidi u. a. Tübingen 2000. S. 71-85, hier 75. 170 (...) und dass sie niemals Schändlichkeiten begehen wie die Tänzer und Tänzerinnen und diejenigen, die unmoralische Bilder zeigen und die fast jede Phantasterei mit ihren Gebärden und anderem mehr verkörpern können. Thomas von Chobham, Summa Confessorum, S. 134. 171 Alexander Halensis: Summa Theologica. Tomus 3, Ad Claras Acquas 1924-1979, S. 470 ff. An dieser Dreiteilung in histriones / mimi, scurrae und ioculatores wird deutlich erkennbar, dass es die Körperinszenierungen sind, die Thomas am stärksten provozieren und die er am heftigsten ablehnt und als sündhaft einstuft. 169 Die herumziehenden Spielleute sind vor allem deshalb schamlos, weil sie ihren Körper histrionisch verändern und deformieren, und weil sie „schmutzige“, also zumindest normferne Gesten und Handlungen aufführen, die der Ordnung zuwiderlaufen. Erst in zweiter Linie sind sie zu verurteilen, wenn sie andere Menschen verleumden oder verspotten. Dass es bei Thomas diese Reihenfolge der Sünd‐ haftigkeit gibt, ist wiederum in der Charakterisierung der ioculatores, die ja akzeptiert werden und deren Seelenheil gerettet werden kann, erkennbar, denn hier fallen wiederum Vergleiche zu den Histrionen: (...) et non faciunt nimias turpitudines sicut faciunt saltatores et saltatrices et alii qui ludunt in imaginibus inhonestis et faciunt videri quasi quedam phantasmata per incantationes vel altro modo.“ 170 Überträgt man diese Einteilung Thomas’ von Chobham auf die Rahmung und zugrunde liegenden Wirkungsabsichten der Unterhaltung, so wird schnell deutlich, dass die „zucht‐ losen“ Körperkünste und vermutlich auch der Spott der scurrae eher mit einer Art erotisch, obszön oder skatologisch aufgeladenen Form der Unterhaltung zu verbinden sind, die of‐ fensichtlich Lachen hervorrufen sollte. Hingegen steht zu vermuten, dass die Aufführung von Musik und Gesang die Ernsthaftigkeit und die Bewunderung des Publikums voraus‐ setzt. Mit seiner Unterscheidung betont Thomas allerdings weiterhin, wie wichtig das Kri‐ terium der Unbehaustheit in der Differenzierung und Ausgrenzung der performer ist (er bestätigt damit die These, dass es zu Beginn des 13. Jahrhunderts bereits an den Höfen fest angestellte Unterhalter, meist Musiker und Sänger, gegeben hat). Mit der Aufwertung der ioculatores bei Thomas gibt es nun immer häufiger Texte, in denen einzelne Aufführungs‐ formen von der Sünde freigesprochen werden. So nimmt Alexander von Hales (1185-1245) in seiner Summa theologica eine Unterscheidung von drei Kategorien von Sünden vor: die Sünden des Herzens (peccata cordis), die des Mundes (peccata oris), und die der Werke oder Handlungen (peccata operis). Die letzteren sind von zweierlei Art, die den ornatus (Klei‐ dung) betreffen und die die Geste und die Zeichen des Körpers betreffen („quae pertinent ad gestum vel nubtum corporis“). Bei diesen muss zwischen Sünden, die anderen Unrecht zufügen (derisio usw.) und Sünden an sich unterschieden werden. Die Sünden an sich wie‐ derum umfassen zwei Unterkategorien: das Lachen (risus), das als Bewegung des Mundes bestimmt ist, und die ioculatio, die eine Bewegung des ganzen Körpers bezeichnet. Alexan‐ ders Argumentation läuft auf die Rehabilitierung der ioculatio wie auch des Lachens hinaus. Nach einer Diskussion aller Meinungen spricht er das Lachen von der Sünde frei, sofern die Absicht eine gute war, also wenn die Notwendigkeit der Natur es erforderte, und wenn es der professionellen Übung diente. 171 Hier wie in der oben besprochenen Summa Theolo‐ 3. Scurra und scurrilitas 174 172 Schmitt, Die Logik der Gesten, S. 256. Schmitt gibt dafür drei Gründe an: erstens die wiederaufge‐ nommene Lehre der artes liberales, zweitens das kanonische Recht, und drittens die scholastische Theologie (Thomas). Hugo von St. Viktor rechtfertigt in seinem Didascalicon die theatrica als zuge‐ hörig zu den legitimen Betätigungen: die Zerstreuungen dienten der Körpergesundheit und halten das Volk davon ab, Verbrechen zu begehen. Stephan von Tournai wertet die Histrionen etymologisch auf: als Geschichtenerzähler können die Histrionen mit gestus in Zusammenhang gebracht werden, denn Histrionen stellten, so Stephan, durch ihre Körperbewegungen und ihre Gesichtsmimik die Gesten anderer dar (aliorum gestus representabant). - Das kanonisches Recht hatte es verboten, den Schauspielern etwas für ihre Darbietungen zu geben. Rufin von Bologna und Stephan von Tournai weichen dieses kanonische Recht im 12. Jh. auf, da sie feststellen, man dürfe den Gauklern aus Nächstenliebe etwas geben. Vgl. Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 255. 173 Der Begriff stammt von Casagrande / Vecchio, L’interdizione, S. 346. gica des Thomas von Aquin geht es um eine langsame Rehabilitierung und Anerkennung der Kunst des Lustigmachens der komischen Unterhaltung. Die Spielleute sind keine mi‐ nistri satanae mehr, sondern professionelle Schausteller, die für ihre Arbeit einen rechtmä‐ ßigen Lohn verdient haben, und deren Nutzen, die Freude und die Entspannung ihres Pub‐ likums, anerkannt wird. Diese Transformation im klerikalen Diskurs gegenüber den Spielleuten im 13. Jahrhundert beschreibt Schmitt wie folgt: „Die Zeit bedingungsloser Ver‐ urteilung ist vorbei, aber für die volle Anerkennung ist es noch zu früh.“ 172 Zusammenfassend läßt sich über das Bild, das die Kleriker bis ins Hochmittelalter von den professionellen Unterhaltern zeichnen, Folgendes sagen: es handelt sich hier weder um eine historisch genaue Bewertung zeitgenössischer Praktiken, noch um eine begriffsge‐ schichtliche Fortführung der theologischen Tradition, auch wenn die Autoren den Versuch machen, beides zu vereinbaren. Was daraus entsteht, ist die diskursive Konstruktion eines eigenen Anderen, eines alteritären Zerrbildes, das der Normvorstellung der eigenen Le‐ bens- und Verhaltensweise diametral entgegensteht. Dieser Konstruktion liegt die Absicht zugrunde, die performer in ihrer unwiderruflichen Andersheit und Abnormität zu treffen und sie im dualistischen Weltbild dem Bösen und dem Teufel zuzuordnen. Im Vordergrund der diskursiven Konstruktion von eigener Alterität stehen Inszenierungen des Körpers und ihr Ziel, das laute Lachen, beides ist gleichzeitig abstoßend und falsch. Histrio, mimus und scurra stören zuallererst durch ihre physische Präsenz: dem Teufel ähnlich, werden sie in ihrer körperlichen Erscheinung verdammt, bevor sie anfangen zu sprechen. Die performer erscheinen in den Quellen der Kleriker auch nicht als Menschen (mit einem echten Be‐ dürfnis nach Seelsorge), sondern sie befinden sich in einer Art Schwellenzustand zwischen wirklichen Personen und Symbolfiguren. Nur in diesem Schwellenzustand ist ihre völlige Negation möglich, nur hier ist eine totale Marginalisierung und Isolation erreichbar. Erst als diskursive Konstruktion können die Theologen die Unterhalter zum „Priester des Pro‐ fanen“ und Negativfolie ihres idealisierten Selbstbildes machen. 173 So wird auch verständ‐ lich, dass die Zielgruppe der klerikalen Schriften ja nicht die Fahrenden sind, sondern der gesamte geweihte Klerus. An ihnen sollen alle Zeichen des Lachens, der frechen Freude und der zügellosen Unterhaltung getilgt werden, ihnen soll der Umgang mit Spielleuten in seinem ganzen Ausmaß vor Augen geführt werden. Abaelard hat dies in seiner Theologia Christiana auf den Punkt gebracht, wenn er die Inkonsequenz hoher Kleriker beschreibt, an hohen Festtagen Gaukler, Tänzer, Zauberer und „unkeusche“ Sänger einzuladen, um mit ihnen nächtelange „dämonische“ Ausschwei‐ 3.3. Die Gefahr des Lachens und die Macht des Diskurses im Mittelalter 175 fungen zu veranstalten. Auch geißelt Abaelard die teuflischen Verführungskünste der Schausteller, die die Gläubigen von der Messe ablenken und sie in den Kirchen selbst un‐ terhalten. Hier werden sakrale Räume von den Spielleuten, aus der Sicht Abaelards, pro‐ faniert. Der in die sakralen Räume einbrechende Gaukler macht die Differenz Sakral - Profan zunichte und gefährdet das Heilige in seiner Existenz. Der Gaukler bringt durch seine Nicht-Anerkennung von Hierarchien und Werten die Existenz des Klerikers in Gefahr, wenn er mühelos von Heiligenlegenden zu Spottlegenden überwechselt, wenn er Märtyrer und den Wein in einem Atemzug besingt. Jede der (theatralen) Aufführung für andere nahe kommende Haltung bzw. Art sich zu bewegen oder zu sprechen soll ausgelöscht werden. Sicherlich hat dies auch mit den rituellen Handlungen der Kleriker selbst zu tun: sie wissen um den rituellen Charakter der religiösen Zeremonien. Auch sie handeln vor einer Menge anderer Menschen, auch sie singen und sprechen, machen Gesten und Handlungen und bewegen sich im Raum. Diese rituelle Aktivität liegt oft an der Grenze zur Theatralität, auch wenn mit äußerster Disziplin, Würde und Demut aufgeführt wird, d. h. diametral ent‐ gegengesetzt zum Handeln der Spielleute. Deshalb müssen ihre Gesten unzweideutig sein, nur über die Eindeutigkeit können sie Ernsthaftigkeit herstellen und den Vergleich zu den Imitationen der Gaukler vermeiden. 3. Scurra und scurrilitas 176 1 Ich gebrauche den Begriff ‚performer‘ im Sinne von ‚Aufführende‘ als Oberbegriff für die Unterhal‐ tungsberufe des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im Anschluss an Richter, Michael: The oral tradition in the early middle ages. (= Typologie des Sources du Moyen Âge Occidental. Fasc. 71). Turnhout 1994. Dementsprechend vermeide ich den älteren deutschen Begriff Spielmann / Spielleute auf Grund seiner Nähe zum musikalischen Vortrag und auf Grund der historischen Diskussion. 2 Vgl. dazu Hartung, Wolfgang: Die Spielleute im Mittelalter. Gaukler, Dichter, Musikanten. Düssel‐ dorf / Zürich 2003, S. 121 ff. 3 Faral, Edmond: Les jongleurs en France, Paris 1910, S. 2: „Nous considérons comme des jongleurs tous ceux qui faisaient profession de divertir les hommes.“ Ich übernehme diese Definition Farals der Spielleute als „unterhaltende Berufe“. Faral stützt sich dabei wie Hertz auf Quellen des gesamten Mittelalters seit Alkuin, so etwa auch auf das Buoch der Tugenden aus dem ausgehenden 14. Jh.: „der spillûten ampt, das da geordent ist ze einer kurtzwile oder ze einer lichtegkeit, wol mit gotte mag gesin ane sünde.“ Zit. aus Hertz, Wilhelm (Hg.): Spielmanns-Buch. Novellen in Versen aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Stuttgart 1886, S. 317. 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 4.1. Der ioculator als Unterhalter Im vorangegangenen Kapitel habe ich mich darauf konzentriert, die enge Verbindung von Lachen und histrionischen Körperinszenierungen begriffs- und diskursgeschichtlich, hauptsächlich im Spiegel von Aussagen klerikaler Schriftsteller in Spätantike und Mittel‐ alter herauszuarbeiten. Wegen der starken theologischen Ausrichtung vieler Quellen sind die daraus hervorgehenden Daten zur historischen, sozialen und rechtlichen Stellung der Aufführenden (performer) 1 sowie zu ihrem Tätigkeitsfeld das Resultat klerikaler Diskurse. Aus diesem Grund versucht die historische Forschung zu den Unterhaltungsberufen heute die klerikalen Quellen vorsichtiger zu verwenden und sie als eine Sicht kirchlicher Eliten auf das Phänomen der Unterhaltungsberufe zu beschreiben. 2 Somit stellt sich die Frage, auf welche Weise die performer ihr Publikum zum Lachen gebracht haben, aus historischem Blickwinkel neu. Wer waren sie und ihr Publikum, welche Okkasionen und Situationen, in denen ihre Aufführungen Lachen ausgelöst haben, lassen sich unterscheiden und schließlich: welche Rolle spielte dabei der Körper? Wenn diese Fragen beantwortet werden können, dann ist es auch möglich, den Hiatus zwischen dem literarischen Zerrbild, das die klerikalen Quellen von den Unterhaltern zeigen, und den Aussagen anderer Dokumente über ihre Aufführungen und Lachanlässe zu schließen. Dass die professionellen Agenten des Lachens im Mittelalter vor allem Fahrende waren, und dass sie den Unterhaltungsberufen angehörten, haben bereits Faral und Hertz in aller Deutlichkeit an den Quellen gezeigt. 3 Die in der älteren Forschung vehement geführte Dis‐ kussion, ob die Spielleute in Europa historische Nachfahren der römischen Unterhaltungs‐ künstler mimus, histrio und scurra waren, oder germanisch-keltische Ursprünge ihrer Exis‐ tenz zu Grunde liegen, ist bis heute nicht restlos entschieden und muss hier nicht weiter 4 Vgl. die Diskussion bei Glock, Über den Zusammenhang, S. 24-45 u. S. 172-187 und Allen, Philip Schuyler: The Mediaeval Mimus. Modern Philology 7 (1910). H. 3, S. 329-344 sowie Modern Philology 8 (1910), H. 1, S. 1-44. 5 Das dt. Wort Gaukler stammt zwar von lat. ioculator ab (ahd. gougulâri, coucalâri, gouggilâri u. ähnl., von v. gougolon: ‚spielen, sinnlose oder spielerische Bewegungen machen‘; an. kuklari; mdh. gouge‐ lære, goukelær, goggeler bzw. v. goug(g)eln, mnd. gokeler), verweist etymologisch aber auf die ältere Wurzel von Zauberer, kultisch Bewanderter. Vgl. Lemma gaukler, in: Grimm, Jacob u. Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 4, Sp. 1563-66. 6 Vgl. dazu Hartung, Die Spielleute, S. 94 ff. 7 Dass sich die Funktion des Spielmanns mit seinem Publikum differenziert, zeigte bereits Norbert Elias in Über den Prozess der Zivilisation, S. 102. 8 Vgl. dazu ausführlich Danckert, Werner: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. 2. Aufl. Bern / Mün‐ chen 1979, S. 8 ff. Danckert sieht in der Überlagerung von germanisch-heidnischen Kulturen und Christentum die Ursache für die rechtliche Außenseiterstellung der Infamierten. Die Grundzüge der Verfemung seien auf vorchristliche Kultbräuche gegründet, in den sakralen und magischen Funkti‐ onen des germanischen Spielmanns und Zaubersängers, die von der christlichen Kirche als heidnisch und teuflisch verfemt wurden. Zur Diskursgeschichte der Infamität vgl. Foucault, Michel: Das Leben der infamen Menschen. Hg. u. übers. von Walter Seitter. Berlin 2001. verfolgt werden. 4 Voraussetzung für die Frage nach Tätigkeiten und Funktionen dieser Be‐ rufe ist vielmehr, dass sie im Mittelalter (seit dem 9. Jahrhundert) unter dem lateinischen Begriff der ioculatores (im Folgenden auch ‚Gaukler‘) 5 zusammengefasst wurden und somit eine genuin mittelalterliche Erscheinung sind. Auch wenn wir nur verstreute und nicht sehr viele Hinweise besitzen, so ist doch anzunehmen, dass das vermehrte Auftreten von Aufführenden in den Quellen ab dem 9. Jahrhundert nicht nur mit der Schriftlichkeit im Allgemeinen, sondern auch mit historischen Entwicklungen in Zusammenhang zu sehen ist. Dies betrifft in erster Linie die langsame Ausbildung höfischer und urbaner Zentren im Frühmittelalter, da nur dort ein (zahlungskräftiges) Publikum für ihre Aufführungen be‐ stand. So erklärt sich auch die Phasenverschiebung ihres Auftretens zunächst in Italien und Südfrankreich, dann im Westen und erst im 11. und 12. Jahrhundert im mittel- und nord‐ europäischen Raum. 6 Die Sozialität kann somit als wichtigste Bedingung der Ausbildung der Berufsgruppe der professionellen performer genannt werden, doch ebenso wichtig ist ihre Mobilität. Bei gleich bleibendem Repertoire war es nötig, herumzuziehen, um an anderen Orten und zu be‐ stimmten Anlässen ein immer neues Publikum zu finden. Dies zog zwei Konsequenzen nach sich: die Anpassung der Aufführung an das jeweilige Publikum, 7 und die Ausbildung zum verschiedene Tätigkeiten beherrschenden Einzeldarsteller und Improvisator, der sowohl in Gruppen als auch alleine auftreten konnte. Auf Grund der Notwendigkeit des ständigen Ortswechsels war der performer ein homo viator, ein Fahrender und Unbehauster, was sich deutlich in seiner marginalen Rechtsstellung, vor allem in Deutschland, niederschlägt. In den beiden wichtigsten deutschen Rechtsquellen, Sachsenspiegel und Schwabenspiegel, aber auch in zahlreichen Stadtrechten war Leben, Unversehrtheit und Eigentum der Un‐ terhalter nicht geschützt; sie wurden als rechtlose Außenseiter, als outcasts und Infame angesehen und zu den ehrlosen Berufen gezählt. 8 Dies bedeutete im Grunde, dass sie weder lehensnoch zunftfähig waren, keine städtischen Ämter bekleiden und nicht an der Recht‐ sprechung beteiligt (also nicht Richter, Urteiler, Eidhelfer oder Zeuge) sein durften. Mit dieser niedrigen und durch das gesamte Mittelalter hindurch labilen Rechtsposition der 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 178 9 Bereits in den capitularia Karls des Großen (789) werden histriones mit Sklaven und Juden auf eine Stufe gestellt, ein Merkmal für den marginalen sozialen Status, der ihnen zugemessen wurde. Vgl. Mansi, Johannes Domenicus: Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, Bd. XVII, Supple‐ mentum: Capitulare Aquisgrandis, Sive Capitularum Primum Anni 789, cap. 44, col. 229. An dieser Stelle öffnet sich auch das Betätigungsfeld für den scurra, zu welchem ebenfalls Verspottung und Verleumdung gehörten: Als Ehr- und Rechtloser konnte der Possenreißer bestimmte Menschen spie‐ lerisch mit infamia belegen, ohne dafür geahndet zu werden. 10 Bernhard von Clairvaux: Epistula de cura et modo rei familiaris. In: PL 182, 650. (Der Mensch, der sich den Gauklern anschließt, wird eine Frau haben, die Armut heißt, und einen Sohn, der Spott heißt.) 11 Vgl. Saffioti, Tito: I Giullari in Italia. La storia, lo spettacolo, i testi. Mailand 1990, S. 40 ff. Rupertus, Spielmann Kaiser Heinrichs VI., unterzeichnete ebenfalls offizielle Urkunden als Zeuge. 12 Es gibt auch Beispiele von Reisepässen für performer, wie ein 1272 ausgestelltes Dokument an einen gewissen Raynaldus ioculator de Parisius zeigt, in welchem um die Erleichterung von Reisewegen für ihn, seine Familie und seine Pferde gebeten wird: „cum familia & equitaturis suis“. Saffioti, I Giullari, S. 41. Zu Spielfrauen vgl. Rieger, Angelica: Beruf: Joglaressa. Die Spielfrau im okzitanischen Mittelalter. In: Feste und Feiern im Mittelalter. Hg. von Detlef Altenburg, Jörg Jarnut und Hans-Hugo Steinhoff. Sigmaringen 1991, S. 229-242. 13 „Die Abwertung und Verdammung der Spielleute durch die Theologien stand also im Widerspruch zur Darstellung der höfischen Welt, die sich selbst im Fest und als Festgesellschaft präsentierte.“ Hartung, Die Spielleute, S. 181. performer korrespondiert eine dementsprechend niedrige soziale Geltung, welche wie‐ derum Vertreibung, körperliche Züchtigung und Diffamation zur Folge haben konnte. 9 So ist etwa das Bernhard von Clairvaux zugeschriebene Diktum: „Homo joculatoribus in‐ tentus, cito habebit uxorem, cui nomen erit paupertas, ex qua generabitur filius, cui nomen erit derisio“ 10 zu erklären. Allerdings kann diese pauschale Beschreibung der sozialen Position der performer nicht durchgängig und nicht für ganz Europa behauptet werden. In italienischen Notariatsakten tauchen ioculatores nicht selten als Haus- und Grundstücksbesitzer oder als Besitzer von Pferden auf. In einigen Fällen konnten sie einen bescheidenen Wohlstand erreichen, wie etwa in Verona, wo sie auch als Pfandleiher und Wucherer erschienen. Sie konnten sogar notarielle Akte unterzeichnen, wie ein gewisser Homodeus joculator, der als Zeuge in einer Schenkungsurkunde des Klosters Farfa im Jahre 1060 auftrat. 11 Saffioti zeigt für Italien und Südfrankreich, dass ioculatores auch häufig Ehen führten und Kinder hatten. Während sie auf Wanderschaft waren, blieb die Familie an ihrem Wohnort, oder sie begleitete den Jong‐ leur auf seinen Reisen und nahm an den Aufführungen teil; daher auch die häufige Erwäh‐ nung von Spielfrauen. 12 Saffioti stellt als Ergebnis seiner sehr gut belegten Studie zu den Gauklern in Italien fest, dass diese weniger marginalisiert waren, als man von den Verdammungen der Theologen her hätte erwarten können. Dies bestätigt auch ihre Wahrnehmung innerhalb der höfischen Kultur, wie sie sich in den Quellen, insbesondere zu Fest und Festgesellschaft seit dem 12. Jahrhundert selbst präsentiert. 13 Feste anlässlich von Thronerhebungen, Schwertleiten, Hochzeiten, Heimkehr von Reise und Kriegszug, Ritterschlag und den damit verbundenen Ritualen und Spielen waren die Haupteinnahmequelle der performer. Nicht nur konnten sie hier genügend Nahrung finden, sondern auch wichtige Kleidungsstücke des Adels zum Lohn für ihre Tätigkeit erhalten, die dann wieder gewinnbringend weiterverkauft werden konnten. Daher kam auch das rekurrente moralische Vorurteil, welches in einer Predigt 4.1. Der ioculator als Unterhalter 179 14 Berthold von Regensburg unterscheidet zehn weltliche Klassen. Die Spielleute gehören der untersten Klasse an. Berthold von Regensburg: Predigten. Hg. von F. Pfeiffer und J. Strobl (=Texte des Mittel‐ alters. 1). Berlin 1965, S. 155. 15 Vgl. dazu Hartung, Die Spielleute, S. 66-79. 16 Aus der Literatur lässt sich folgendes Spektrum der Tätigkeiten von Spielleuten zusammenstellen: Tanzen und springen, singen, Musikinstrumente spielen (Flöte, Harfe, Trommel, Tambour, Horn, Zither, Geige), Dichtung oder Sprüche vortragen, scherzen und spotten, akrobatische Kunststücke vorführen, dressierte Tiere (Bären, Affen, Hunde) vorführen, zaubern und Geister beschwören, Stimmen imitieren, Würfel spielen, jonglieren, Messer werfen, ringen, Feuer schlucken. Vgl. etwa die Aufzählungen in Artusepen wie Chrétiens Erec et Enide (und Hartmanns von Aue Erec), Gottfrieds Tristan, oder Justinus’ von Lippstadt Lippiflorium. Vgl. dazu Bumke, Joachim: Höfische Kultur. Lite‐ ratur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. Bd. 1. München 1986, v. a. das Kapitel „Höfische Unter‐ haltung“, S. 301-313. Im Buoch der Tugenden aus dem ausgehenden 14. Jh. heißt es: „der spillûten ampt, das da geordent ist ze einer kurtzwile oder ze einer lichtegkeit, wol mit gotte mag gesin ane sünde.“ Zit. aus Hertz: Spielmannsbuch, S. 317. Vgl. auch die Angaben bei Kindermann, Heinz: Das Theaterpublikum des Mittelalters. Salzburg 1980, S. 120-131. Bertholds von Regensburg griffig überliefert ist: „Daz sint die gumpelliute, gîger und tam‐ bûrer, swie die geheizen sîn, alle die guot für êre nement.“ 14 In ihrer reisenden Existenz lag sowohl Reiz wie auch Gefahr der performer wie auch für ihr Publikum. Einerseits waren sie wertvolle politische Informationsträger, die Nachrichten inoffiziell von Hof zu Hof, von Stadt zu Stadt trugen; dies machte sie prinzipiell auch ge‐ fährlich, gerade in Verbindung mit ihrer Lizenz zum Spotten. Andererseits waren sie auch Vermittler von Ereignissen, Krönungen, Turnieren und Festen, Schlachten und Kriegen, Verschwörungen und Plänen an anderen, mitunter weit entfernten Orten. Sie waren dem‐ nach nicht nur für die Erzeugung der höfischen Freude zuständig, sondern waren auch ein politischer Faktor. Als eigene (Berufs-)Gruppe unterschieden sie sich von anderen seit dem 12. Jahrhundert auch durch ihre auffällige Kleidung und Haartracht. Sie waren oft an Haupt und Bart rasiert und folgten bestimmten Kleiderordnungen (mi-parti Kleidung, kurze Mäntel, oft mit Kapuzen versehen, bunte Farben, häufig rot und gelb); typische Spiel‐ mannskleidung ist aber auch getragene, für den Stand oft zu aufwendige Kleidung, wie etwa Helmbrechts Haube. 15 4.2. Körperinszenierungen als Lachanlässe Für ihren Lebensunterhalt sorgten die performer mit ihren von Spektakel und Spiel ge‐ rahmten künstlerischen Darbietungen, die von der körperlichen und stimmlichen Imitation über Maskierungen und Verkleidungen bis zum Gesangs- und Erzählvortrag reichen. 16 Die Unterhaltung ist die große Klammer zwischen Seiltänzern, Akrobaten, Tierbändigern, Sän‐ gern, Spöttern und Dichtern, deren unterschiedliche Tätigkeiten und Kombinationen von Fertigkeiten nicht immer genau in mimi, scurrae und ioculatores getrennt werden können. Die Aufgabe der performer ist es, mit ihren körperlichen, sprachlichen und stimmlichen Darbietungen vor einem Publikum aufzutreten. Die professionellen Possenreißer standen so auf einer Stufe mit den übrigen Aufführenden, Tänzern, Musikern, Gauklern und Narren. Die übliche Reaktion auf Performance war nach Michael Richter lautes Gelächter: „The appropriate manner of reception of the performance, as is also mentioned more than once 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 180 17 Richter, The oral tradition, S. 72. Vgl. auch Ogilvy, Mimi, Scurrae, Histriones, S. 603 ff. sowie Kotte, Andreas: Theatralität im Mittelalter. Das Halberstädter Adamsspiel. Tübingen / Basel 1994, S. 149-151. 18 [Der Gaukler / Spielmann ist jemand, der für Lachen und Spiel unter die Leute geht und sich über sich selbst, über seine Frau und seine Kinder lustig macht und über alle anderen auch]. Brunetto Latini, Florentiner Kaufmann und Notar in seinem enzyklopädischen Werk Li livres dou Tresor, Paris 1250. Zit. bei Hartung, Die Spielleute, S. 13. 19 Vgl. Elias, Über den Prozess der Zivilisation, S. 102. 20 Bis ins Hochmittelalter konnten vermutlich nur vereinzelte Fahrende eine dauerhafte Anstellung an einem Adelshof erreichen und damit sesshaft werden, wie dies etwa für angestellte Musiker und Narren ab Mitte des 13. Jh. belegt ist. Die Stadt und der Bedarf an Unterhaltung bei Hochzeiten und Festen war vermutlich bis weit in die Frühe Neuzeit wichtigster Arbeitsort für die Performer. So schreibt noch Guarinonius: „Die Schalcksnarren und Klaffer … (sind) zu denen zeiten so gemein geworden, dass man deren etliche in vilen Städten und Hochzeiten beruffen“ lasse. Zit. aus: Bücking, Jürgen: Kultur und Gesellschaft in Tirol um 1600. Des Hippolytus Guarinonius’ „Grewel der Verwüstung Menschlichen Geschlechts“ (1610) als kulturgeschichtliche Quelle des frühen 17. Jahrhunderts (= His‐ torische Studien 401). Lübeck / Hamburg 1968, S. 167. (and in a way that emphasizes the normative element) was that of laughter, loud laughter at that.“ 17 Dies wird auch von einer Definition des Jongleurs bestätigt, die um 1250 in Bru‐ netto Latinis enzyklopädischem Werk Livre du trésor zu finden ist: „Jugleor est cil qui con‐ verse entre la gent a ris et a geu, et moque soi et sa femme et ses enfans, et touz autres.“ 18 Der Gaukler wird hier vor allem anderen als Lustigmacher bezeichnet, dessen vorrangige Aufgabe es ist, zu unterhalten, und das heißt, sein Publikum zum Lachen zu bringen. Doch genau dies ist der entscheidende Punkt: Lässt sich genauer beschreiben, über welche Art der Vorführung ein Publikum gelacht hat? Sicherlich darf die iocunditas, die freudige Erregung, nicht mit Lachen verwechselt werden; dass bei ihr jedoch das Lachen eine wichtige (wenn nicht gar die wichtigste) Rolle spielt, dürfte ebenso unstrittig sein. Es stellt sich nun die Frage, wie sich die verschiedenen Aufführungen der performer dem La‐ chen zuordnen lassen. Welche von ihnen sahen ihr Ziel darin, ihre Zuschauer und Zuhörer zum Lachen zu bringen, welche von ihnen legten es eher auf Staunen und Bewunderung, Befremden und Angst, innere Freude oder Rührung an? Diese Differenzierungen kann der Begriff des ioculator in seiner breiten Anlage nicht leisten; er umfasst alle Musiker, Instru‐ mentalspieler, Sänger, Akrobaten und Schauspieler / Alleinunterhalter. Es gilt daher, die überlieferten Tätigkeiten selbst und ihre Wirkungen analysieren, um dem Problem des Auslösens von Gelächter durch den Körper der performer näher zu kommen. Zum Lachen wird eine Gruppe von Menschen, ein Publikum, Öffentlichkeit benötigt: Das Publikum ist somit Voraussetzung für den Auftritt der Unterhalter, ihre Funktion dif‐ ferenziert sich mit ihrem Publikum, wie Norbert Elias feststellt. 19 Denn selbst wenn Ort und Zeit der Aufführung sozial determiniert sind, hat das Publikum doch keinen statischen Charakter; es ist sozial und kulturell oftmals nicht homogen, fluide, unvorhersehbar, schwillt an und flaut ab, reagiert jeweils unterschiedlich. Ihr Publikum finden die Unter‐ halter des Mittelalters an Höfen und in Städten. 20 Der Bedarf an professioneller Unterhal‐ tung war durch die verschiedenen rituellen Okkasionen in Städten ganzjährig höher. Be‐ deutsam ist die Stadt auch als Arbeitsort: Wo viele Menschen auf engem Raum wohnen, 4.2. Körperinszenierungen als Lachanlässe 181 21 Städte waren zudem auf Grund ihrer Lage an Handelswegen geeignet für das Zusammentreffen mit fremden performern und den Austausch von Körpertechniken. Näheres in Kap. 4.4. 22 Eine Ausnahme waren Lachanlässe mit politischer Bedeutung, die teils inszeniert waren, sich teils aber auch spontan ergaben. Vgl. dazu Althoff, Gerd: Vom Lächeln zum Verlachen. In: Lachgemein‐ schaften. Hg. von Röcke u. Velten, S. 3-16. 23 „Numquam in risum exaltavit vocem suam, nec quando in summis festivitatibus ad laetitiam populi procedebant themilici, scurri et mimi cum coraulis et citharistis ad mensam coram eo, tunc ad men‐ suram ridebat populus coram eo, ille numquam nec dentes candidos suos in risu ostendit.“ Theganus: Vita Hludovici imperatoris. Hg. von G. Pertz. In: Mon. Ger. Hist. Scriptores, Vol. II. Kap. 19. Die weißen Zähne verweisen dabei symbolisch auf den Adel des Königs. 24 „Raro fidicines admittebat, quos tamen propter alleviandas anxietatum curas aliquando censuit esse necessarios. Ceterum pantomimos, qui obscenis corporum motibus oblectare vulgus solent, a suo conspectu prorsus eiecit.“ Adam von Bremen: Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum. In: Ausgew. Quellen zur dt. Gesch. des Mittelalters und der Neuzeit 11. Berlin u. a. 1956 ff., S. 379. Dies gilt allerdings nur für seinen Bischofssitz; für seinen sozialen Aufstieg scheute Adalbert keine Kosten für Schauspieler und Gaukler. Vgl. dazu Schmitz, Gerhard: Ein Narr, der da lacht. In: Vom Lachen. Einem Phänomen auf der Spur. Hg. von Thomas Vogel. Tübingen 1992, S. 129-153, hier S. 140 f. 25 Dies wird seitens einer Vorschrift des Konzils von Paris 829 bestätigt: „Magis convenit lugere quam ad scurrilitates et stultiloquia et histrionum obscoenas jocationes et ceteras vanitates (…) in cachinnos ora dissolvere.“ Konzil von Paris 829, cap.38. In: Mansi, Gian Domenico: Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, T. XXIV, S. 529. wo sich schnell Zuschauer und Zuhörer zusammenfinden, können Spielleute ihrer Profes‐ sion erfolgreich nachgehen. 21 Dass Aufführungen durch professionelle Unterhalter in der Regel schon im Frühmittel‐ alter mit dem Lachen verbunden waren, ist keineswegs selbstverständlich. Im Gegenteil: Es ist äußerst schwierig, Lachen als Antwort auf unterhaltende Anlässe nachzuweisen, sowohl in literarischen als auch in historischen (Quellen-)Texten. 22 Von den wenigen über‐ lieferten Belegen zum Lachen während der Aufführung durch performer will ich zunächst zwei nennen: In Thegans Biographie Ludwigs des Frommen (Vita Hludowici, um 835) wird der König als vorbildlich dargestellt, eben weil er das Lachen vermeidet, und sich so von den anderen am Hof abgrenzt: „Niemals erhob er seine Stimme zum Gelächter, und selbst wenn bei den höchsten Festen, zur Freude des Volks, Schauspieler, Possenreißer und Mimen mit Flötenbläsern und Zitherspielern bei Tisch vor ihm erschienen, und das Volk in seiner Gegenwart maßvoll lachte, zeigte er nicht einmal seine weißen Zähne zum Lachen.“ 23 Er‐ wartbar war, dass der Geistliche Thegan das Lachen des Publikums nur „ad mensuram“ der Nachwelt überliefern wollte: Inwieweit das Gelächter am Hof Thegans die Grenzen des Anstandes überschritt, kann man bei den Auftritten von Schauspielern und Possenreißern nur ahnen. Die Frage, wie solche Auftritte geartet waren, und worüber die Anwesenden denn lachten, beantwortet teilweise der folgende Beleg: Der Geschichtsschreiber Adam von Bremen beschreibt im ausgehenden 11. Jahrhundert den Erzbischof Adalbert von Ham‐ burg-Bremen, ganz ähnlich wie Thegan Ludwig, als einen dem Spiel und der Unterhaltung fern stehenden Mann. Selten ließ er Musiker kommen, und Possenreißer (pantomimi), „wie sie das Volk gewöhnlich mit unflätigen Gebärden vergnügen, verwies er ganz aus seiner Gegenwart.“ 24 Dieser Hinweis auf die „obscenis corporum motibus“ zeigt nicht nur, wie üblich es war, dass unstatthafte Gesten und Körperbewegungen der Unterhaltung dienten, sondern deutet auch auf die zwingende Präsenz von Gelächter bei solchen Aufführungen hin. 25 Hier werden 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 182 26 So Gianni Celati in seiner Studie zum Komischen: „A partire dal mimo classico, per tutto il Medioevo, fino alle festività carnevalesche del Rinascimento e alla pratica teatrale della commedia dell’improv‐ viso, la costante risorsa del riso sta nella trivialità, nei termini sboccati e nella tematica dell’osceno.“ Celati, Gianni: Finzioni occidentali. Fabulazione, comicità e scrittura. 3. überarb. Aufl. Torino 2001, S. 56. 27 „Ai giullari si rimprovera soprattutto il carattere osceno dei loro spettacoli, il fatto che essi facciano un uso improprio del loro corpo, denudandosi in pubblico, travestendosi in abiti femminili o in sem‐ bianze da religiosi, e in quest’ultimo caso naturalmente le interdizioni sono numerosissime e parti‐ colarmente frementi di sdegno“. Saffioti stützt sich dabei auf eine Hs. vom Ende des 12. Jhs. Saffioti, I giullari, S. 60 f. 28 „Nec plausus et risus inconditos et fabulas inanes ibi referre aut cantare praesumat, nec turpia ioca com urso vel tornacibus ante se facere permittat, nec larvas daemonum, quas vulgo talamascas dicunt, ibi anteferre consentiat: quia hoc diabolicum est, et a sacris canonibus prohibitum.“ Hincmar: Capitula synodica I, 14; In: PL 125, 776 ( Jahr 852). Das Zitat zeigt, dass Hinkmar wie die meisten der christlichen Beobachter solcher Aufführungen diese als „teuflisch“ verdammten (vgl. dazu auch Kap. 3). So richtig dies ist, soll es um Wertungen hier gerade nicht gehen. Julia Zimmermann hat dies bereits in einem Aufsatz zum Tanz sehr detailliert dargelegt: J. Z.: histrio fit David. König Davids Tanz vor der Bun‐ deslade in der Ikonographie und Literatur des Mittelalters. In: König David - biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt. Hg. von Walter Dietrich, Fribourg 2003, S. 531-561. Amüsement und Kurzweil deutlich an das laute Lachen (cachinnos) geknüpft, das aus scur‐ rilitates, stultiloquia und den obszönen Handlungen und Spielen der Gaukler herrührt. Es geht also schon zu diesem frühen Zeitpunkt um öffentliche Ostentationen des Obszönen und Vulgären, aber auch des Einfältigen und Banalen, um lautes Gelächter auszulösen. 26 Saffioti unterstreicht im entsprechenden Kapitel seiner Studie, dass die Verdammung der performer durch die Kleriker ganz besonders auf Grund ihrer unangemessenen Körperins‐ zenierungen erfolgte, indem sie sich vor ihrem Publikum entkleideten, als Frauen oder Priester auftraten und deren Gesten und Rituale parodierten. 27 Wenig später nach Thegans Aussage knüpft auch Hinkmar von Reims (um 810-882) eine Reihe von üblichen mittelalterlichen Unterhaltungsformen an lautes Klatschen und Lachen; den Auftritt von Bärenführern, Tänzerinnen und Maskierten: „Es wird erwartet, dass weder Klatschen noch rohes Gelächter noch nichtiges Geschwätz die Aufführungenj und den Ge‐ sang begleiten soll, noch soll es erlaubt sein, unziemliche Spiele mit dem Bären oder den Auftritt von Tänzerinnen zu erlauben, noch dämonische Masken zu tragen; dies ist als teuflisch anzusehen und in den heiligen Schriften verboten.“ 28 Diese Belege aus dem Frühmittelalter zeigen, dass gauklerische Vorführungen auch dann von Lachen begleitet werden konnten, wenn sie in der Wahrnehmung des Publikums un‐ angemessene und unübliche Körperinszenierungen evozierten. Die Auffassung, dass ein „unzüchtiger“, nicht beherrschter Körper zum Lachen und eine Angelegenheit von Gauk‐ lern sei, lässt sich dann auch im Hohen Mittelalter antreffen. Wenn etwa Konrad von Haslau in seiner Hofzucht Der Jüngling (um 1270) die Körperkontrolle bei Tisch betont und als Negativbeispiel die Possenreißer anführt, welche das körperliche „stôzen und dringen“ mit dem sprachlichen „spotten“ und dem Lachen verbinden, dann ist hier ein Beispiel für den engen Zusammenhang jongleuresker Techniken mit dem Lachen zu erkennen: „Maneger vor dem tische stât / der anders niht ze schaffen hât / denne stôzen dringen spotten la‐ 4.2. Körperinszenierungen als Lachanlässe 183 29 Konrad von Haslau: Der Jüngling. Nach der Heidelberger Hs. Cpg. 341 mit den Lesarten der Leipziger Hs. 946 und der Kalocsaer Hs. (Cod. Bodmer 72) hg. von Walter Tauber. (= ATB, 97). Tübingen 1984, Vv. 139-142. Überhaupt ist der Zusammenhang von „spotten“ mit der Tradition der Unterhalter etymologisch nahe liegend. Vgl. dazu Grimm: Deutsches Wörterbuch, s.v. spotten: „ausge‐ schlossppllen ist nicht, dasz wir es mit einem technischen ausdruck der alten gaukler und spielleute für ihre erheiternden und neckischen darbietungen zu thun haben, der in die allgemeine sprache der Hoch- und Niederdeutschen in gleicher form überging.“ Bd. 16, Sp. 2689. 30 Darauf weisen die häufigen Ermahnungen an Bischöfe und Äbte auf den Konzilien in karolingischer Zeit hin: von der Sitte, Spielleute zu fördern, Abstand zu nehmen. Vgl. Ogilvy, Mimi, Scurrae, Hist‐ riones, S. 612-614. 31 Zit. nach der Übers. von Bumke, Höfische Kultur Bd. 1., S. 305. 32 Faral, Les jongleurs en France, S. 170-172. Tiere werden oft zu Kennzeichen und Symbolen der Sünden von Fahrenden: Guillaume de Bar vergleicht die Jongleure mit Schweinen, Cuonrad mit Aasfliegen, doch meist wird der Vergleich zum Affen benutzt. Neben seiner tatsächlichen Rolle als Tier des Spektakels, symbolisiert der Affe wie kein anderes Tier mit seinen Fähigkeiten der Verstellung und Gestikulation den Teufel. Der Affe ist das Bindeglied zwischen der Welt des Jongleurs und der dä‐ monischen Welt. Vgl. die Arbeiten von Janson, Horst W.: Apes and Ape Lore in the Middle Ages and the Renaissance. London 1952. chen. / daz sollten gumpelliute machen. 29 Die Stelle verdeutlicht erneut, dass für eine an körperlichen Normen ausgerichteten Hofkultur körperliche Transgressionen in be‐ stimmten Situationen als anstößig galten, und wie eng sie mit Lachen verbunden waren. Mit der Zunahme an Belegstellen in literarischen Texten nahmen auch die positiven Urteile über die professionellen Unterhalter zu; so erklärt sich auch die Beobachtung ihrer nie zum Stillstand gekommenen Beliebtheit an den Adels- und Bischofshöfen, was schon im Frühmittelalter gut belegt ist. 30 In Berichten von höfischen Festen wird zunächst deut‐ lich, welch hoher Stellenwert dem menschlichen (und tierischen) Körper bei den Auffüh‐ rungen eingeräumt wurde: Im Lippiflorium, einer lateinischen Dichtung über das Leben des Freiherrn Bernhard II . zur Lippe, finden sich solche Gaukler, die mit ihren Händen Zau‐ berkunststücke vorführen, andere, die mit ihren Tieren gemeinsam auftreten und die glei‐ chen Gebärden machen, Jongleure, Tänzer, Akrobaten: „Der eine springt und vollführt mit seinen Gliedern verschiedene Bewegungen, beugt sich vor und zurück, bewegt sich im Zurückbeugen nach vorn, lässt die Hände anstelle der Füße gehen, streckt die Füße in die Höhe und heißt den Kopf unten zu sein, wie eine Chimäre.“ 31 Auch wenn Körperinszenierungen im Zentrum der unterhaltenden Aktivitäten der per‐ former standen, wurden die Künste der Possenreißer und Lustigmacher in der Forschung gerade nicht dem Körper, sondern der Fähigkeit zum Sprachspiel und zur linguistischen Ambiguität zugerechnet. Die Rolle des Körpers wurde in diesem Zusammenhang des Spottes und der Ridikülisierung bislang als marginal betrachtet. Dabei wird der Topos des „bloßen Körperkünstlers“ gegenüber dem eigentlichen Sprachkünstler, der schon im Mit‐ telalter selbst Bestand hatte, in die Neuzeit transponiert. Bereits in der Klage des Trouba‐ dours Guiraut Riquier in seinem Bittschreiben an König Alfons X. von Kastilien (1275) liegt diese moralische und ästhetische Differenz offen zutage: Man möge doch unterscheiden zwischen dem ehrlosen Volk jener, „die sich überschlagen, Affen tanzen lassen und einen sittenlosen Lebenswandel führen“, und den kreativen, werkschaffenden Troubadours, die ebenso Jongleure genannt werden. Der fingierte Alfons im Brief gibt den Rat, diejenigen, die sich niederer Unterhaltung abgeben, ab sofort bufos zu nennen. 32 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 184 33 Gerade die Histrionen definieren sich als diejenigen, welche mit den Bewegungen des Körpers und den Veränderungen des Gesichts die Gesten der anderen nachahmen. Dies behauptet Tornacensis, Stephanus: Die Summe des Stephanus Tornacensis über das Decretum Gratiani. Hg. von J. F. von Schulte. Gießen 1891, S. 107. 34 „In recitante sonent tres linguae: prima sit oris, altera rhetorici vultus, et tertia gestus.“ In: Geoffroy de Vinsauf: Poetria Nova. Zit. in: Faral, Edmond: Les arts poétiques du XIIe et du XIIIe siècle. Recherches et documents sur la technique littéraire du moyen âge. Paris 1971, S. 259. 35 „Utilizzando con tecnica consumata tutti gli strumenti espressivi della sua arte, il giullare disegna con gesto sapiente fughe e inseguimenti, tenere scene d’amore e drammi d’abbandono, tornei, nauf‐ ragi, incantesimi, cruente uccisioni ed epiche battaglie“ Saffioti, I Giullari, S. 117. 36 Zimmerische Chronik. Nach der von Karl Barack besorgten 2. Ausg. neu hg. von P. Hermann. Bd. 3. Meersburg / Leipzig 1932, S. 574 f. Man sieht, wie hier innerhalb der Gruppe der Unterhalter die Troubadours versuchten, Differenzen zu etablieren und sich gegen die Körperkünstler - wie immer berechtigt dies auch gewesen sein mochte - abzugrenzen. Dennoch ist es nach dem Stand der heutigen Forschung plausibel, dass die performer, um Lachen zu erregen, in entscheidender Weise ihre sprachlichen Äußerungen in Verbindung mit ihren Körpern eingesetzt haben. Es geht hier um Deformationen und Veränderungen des Gesichts, der Haltung und Bewegung, des Ganges, der Mimik und Stimme, der Gestik und der Kleidung. 33 Für Geoffroy de Vinsauf muss ein Jongleur um 1200 über drei Sprachen verfügen: die des Mundes, des Gesichtes und der Hände. 34 Die mimische und gestische Begleitung der Rede, der imitatorische Akt, das Nachäffen und die Mimikry, aber auch apotropäische Gebärden und die verschiedenen Formen der theatralen Verkörperung spielen hierbei die größte Rolle. Sie sind Teil jener sehr alten Tradition komischer Stegreiftechniken, die schon in der Antike greifbar sind und in zahllosen Varianten bis in die Neuzeit hinein tradiert wurden. Solche die Rede oder den Gesang begleitenden und den Ausdruck verstärkenden mimischen und gestischen Reper‐ toires schreibt Saffioti den ioculatores in Italien zu. Wenn der Sänger verschiedene Stimmen zu rezitieren hatte, konnte er dies tun, indem er Stimmlage, Timbre und mimischen bzw. auch den gesamten körperlichen Ausdruck der Rolle gemäß jeweils variierte. 35 Zu diesen Repertoires gehören auch rein performative Elemente, die keine direkte se‐ mantische Bedeutung transportieren, sondern sich durch Intensität auszeichnen, wie schnelle Bewegungen, Schreien und Lärmen, Springen und Rennen, Furzen und Rülpsen usw. So ist noch in der Zimmerschen Chronik von 1540 / 58-1566 von den Kunststücken des „Junker Wolf “ zu lesen: Also ist auch junker Wolf von Wissbaden ainer gewest. Der war in der jugendt ein schmidtknecht zu Wissbaden und nam sich solcher schalksnarrei an, ließ sich fatzen, und da etwa einer mit einem finger gegen im stupfet, so fiel er nider uf den boden; zu zeiten auch, so er uf einem ross saße, ließ er hendt und fieß geen und fiel herab, ob es gleich in einem waser were. Dergleichen dorheiten simulirt er vil und ganz maisterlichen. Mit solcher angenommener narrei kam er zu Pfalzgrave ludwigen, dem churfürsten an hof. Do hielt in menigclich für ein natürlichen rechten thoren. 36 Was hier von einem Schalksnarren des 16. Jahrhunderts vorgeführt wird, gehört zu jenem alten Stegreifrepertoire der Solokünstler, deren historische Invarianz zum ersten Mal der Schauspieler Luigi Riccoboni im ersten Band seiner Histoire du théâtre italien behauptet hatte. Riccoboni vertritt die Tse, das italienische Volkstheater habe seit der Antike nicht 4.2. Körperinszenierungen als Lachanlässe 185 37 „Car si on ne doit pas donner le nom de Comédie aux insipides et indécentes boufonneries qui étoient representées de la sorte, on y démêlot du moins la semence de cette mauvaise plante que la Religion avoit arrachée.“ Riccoboni, Luigi: Histoire du théâtre italien. Vol. 1, Paris 1728 (ND Bologna 1969), S. 1. Dem folgte Flögel, Karl-Friedrich: Geschichte der komischen Litteratur: Mit Kupfern, Teil 4, Lieg‐ nitz / Leipzig 1787, S. 284. 38 Benz, Lore, Zur Verquickung von Sprachkomik, Körperwitz und Körperaktion, S. 270; Creizenach, Wilhelm: Geschichte des Neueren Dramas. Bd. 1: Mittelalter und Frührenaissance. 2. Aufl. Halle a. S. 1911, S. 383 f. und Kindermann, Heinz: Das Theaterpublikum des Mittelalters, Salzburg 1980, S. 128 f. 39 Aus der anonymen Dominikanerhandschrift Compilatio singularis exemplorum (1270-97): „Histrio quidam, incedens totus nudus exceptis brach(i)is, obviavit cuidam querenti si frigus haberet. Res‐ pondit: Non. - Immo ad visagium? - Certe, inquit, ego sum totus visagium.“ Zit. aus Hilka, Alfons: Vermischtes zu den mittelalterlichen Vaganten, Gauklern und Gelegenheitsdichtern. Studi medievali N. S. 2 (1929). S. 417-424, hier S. 419. Das Zitat wird von Katrin Kröll in ihrer originellen Studie zur grotesken Darstellung in der mittelalterlichen Kunst (Mein ganzer Körper ist Gesicht. Freiburg 1994) programmatisch verwendet. 40 Petrus Cantor: Verbum abbreviatum. In: PL CCV, 255. Vgl. hierzu zwei thematisch passende Illumi‐ nationen: Abb. 1 u. 2 aus dem Roman de Fauvel (1317), ms. BN fr. 146, fol. 34 u. 36. aufgehört zu existieren, habe nur im Verborgenen und auf den Plätzen des Volkes über‐ lebt. 37 Er zieht dafür mehrere Vergleiche zwischen den Masken der commedia dell’arte und den antiken Mimen und Possenreißern. Diese Ansicht Riccobonis, der sich für die europä‐ ische und deutsche Tradition der Aufführungen von Alleinunterhaltern Creizenach und Kindermann angeschlossen haben, wird auch heute noch allgemein akzeptiert: „An der Beliebtheit der mimischen Soloszenen, der einstimmigen wie der mehrstimmigen, änderte sich durch die Jahrhunderte nichts. Noch im Mittelalter sorgte man im Rahmen der Jocu‐ latoren- und Spielleute-Darbietungen mit solchen Auftritten für ausgelassene Heiterkeit.“ 38 In welchem Ausmaß die professionellen Unterhalter sich der Körperkunst bedienten, zeigt ein kurzer Dialog in einer anonymen Exempelsammlung vom Ende des 13. Jahrhun‐ derts. Ein als histrio bezeichneter, nur wenig bekleideter Gaukler wird gefragt, ob ihm denn nicht kalt sei; als er verneint, wird die Frage konkreter: auch nicht im Gesicht? Nein, auch nicht im Gesicht, denn „ego sum totus visagium“ (mein ganzer Körper ist Gesicht). 39 Diese Antwort kann als Hinweis darauf dienen, wie mittelalterliche performer den ganzen Körper als Erweiterung des Gesichtssinnes in seiner Funktion als Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und Kommunikationsmittel begreifen konnten. Der ganze Körper wird zur Projektions‐ fläche von Emotionen und triebhaften Bedürfnissen, aber auch von semantischen Projek‐ tionen. Diese durch Körperinszenierungen hergestellten Projektionen sind dann in hohem Maße transgressiv, wenn sie die Grenze zur Norm und zu der sie tragenden kulturellen Ordnung performativ überschreiten. Dies geschieht vor allem durch imitatorische Akte und Akte der Verstellung, denen ein subversives Potential innewohnt, und durch hybridisie‐ rende Akte, wenn Geschlechtergrenzen überschritten und aufgehoben werden, wenn die Grenze zum Tierischen bzw. zum Monströsen sich in einen hybriden Raum auflöst. Dies ist etwa der Fall bei den Körpertransformationen der scurrae und ioculatores, deren Tierfelle, Masken, falsche Bärte, und allerlei Verkleidungen Petrus Cantor in einem Negativurteil erwähnt: „His pellibus, et aliis animantium, nobis barbas atificiales, tu larvati incedamus, comparamus, abrasis naturalibus, propter mollitiem, effeminationem, et luxuriam, cum meretricibus nitor, habitus histrionicus vel regius apparatus, non deceat humilitatem, non congruat Christiano.“ 40 Oft wird auch starke, die Gesichtszüge entstellende Schminke für 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 186 41 Etienne de Bourbon, Tractatus de diversis materiis praedicalibus. Zit. in Casagrande / Vecchio, L’in‐ terdizione del giullare, S. 308 f. die Auftritte der Gaukler benutzt: „ad similitudinem illorum joculatorum qui ferunt facies depictas, quae dicuntur artificia gallice, cum quibus ludunt et homines deludunt.“ 41 Abb. 1: Maskierte bei Charivari. Aus: Roman de Fauvel (1317), ms. BN fr. 146, fol. 34 4.2. Körperinszenierungen als Lachanlässe 187 Abb. 2: Maskierte ioculatores. Aus: Roman de Fauvel (1317), ms. BN fr. 146, fol. 36 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 188 42 Im 13. Jh. werden ausgeschnittene Röcke sowohl für Narren als auch für Musiker verwendet, jeweils in Kombination mit einem zweifarbigen Gewand. Beides waren Kennzeichen für niedrigen Stand. Vgl. Mellinkoff, Ruth: Outcasts: Signs of Otherness in Northern European Art of the Late Middle Ages. Berkeley / Los Angeles / Oxford 1993, S. 8. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Narren und Unter‐ halter auffällige und farbige Kleidung trugen, denn abschätzige Bemerkungen über allzu modisches Auftreten bei Hof wurden im 12. und 13. Jh. häufig mit der Kleidung von Narren und Unterhaltern verbunden. Ebd., S. 12. Ein Beispiel zeigt die Abb. 3 aus dem Hausbuch von Schloß Wolfegg (1480), fol 3r (Meister der Gauklerszene im Hausbuch). Mittelalterliches Hausbuch. Bilderhandschrift des 15. Jahrhunderts mit vollständigem Text und facsimilierten Abbildungen. Hg. vom Germanischen Na‐ tionalmuseum Nürnberg. Leipzig 1867, ND Olms, Hildesheim 1986. Was die Kleidung der ioculatores angeht, so unterstützte sie über ihre soziale und rechtliche Bedeutung hinaus Aufführungen und Handlungen. Sternförmige Rockzipfel als Zeichen der Dienerschaft, Schellen bzw. Narrenkappe als Kennzeichen der Narrheit und zweifarbige, bunte Kleidung mit engen Hosen und Schnabelschuhen als Merkmal der Abhängigkeit sind allgemein bekannte Aspekte des jongleuresken Auftritts. 42 Doch sie hatten auch ihre Funk‐ tion in der Wahrnehmung der Unterhalter: So unterstützten ausgefranste Röcke, Schellen und lange Hemdsärmel beim Springen und Tanzen durch den Eindruck der Leichtigkeit und Flüchtigkeit den unterhaltenden, teils auch lächerlichen Effekt der Bewegungsformen. Körperinszenierungen beschränken sich somit nicht allein auf redebegleitende Mimik und Gestik, oder auf tänzerische und gauklerische Einlagen, sondern sie bezogen sich auf die Wahrnehmung des gesamten Auftritts der Unterhalter: Und hier ging es nicht immer um die Repräsentation von Handlungsfolgen, sondern auch um das Erleben überschwänglicher Motorik und einem kinästhetischen Surplus, das sowohl Staunen als auch Lachen auszu‐ lösen vermochte. 4.2. Körperinszenierungen als Lachanlässe 189 Abb. 3: Performance von Gauklern in mi-parti- Kleidung. Hausbuch von Schloss Wolfegg fol. 3r (nach 1480) 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 190 43 Zur Präsenz von Tieren vgl. Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 176-186. Die Tiere haben meist keine besondere Funktion: ihre Präsenz reicht aus, es genügt, wenn sie anwesend sind und ihre Unverfügbarkeit zeigen. „Der Auftritt von Tieren lagert der Inszenierung ein subversives Mo‐ ment ein, das sie zu sprengen droht, gleichwohl für die Zuschauer jedoch eine große Faszination bereithält“, S. 186. 44 Den Zusammenhang mit dem Lachen etwa zeigt Hertz sehr schön an einer Quelle aus Arras, die mit den Worten schließt: „ (...)und trieben alle jene tollen und derben Possen, an denen sich einst der kranke liebe Gott in Arras gesund gelacht hat.“ Hertz, Spielmannsbuch, S. 216. 45 So werden im Karlmeinet Gaukler beschrieben, „de ouch konden / Dantzen mit den hunden.“ (V. 287 ff.) Meist wurden die Hunde durch Dressur dazu gebracht, sich auf die Hinterbeine zu stellen und dann drehende oder tanzähnliche Bewegungen zu vollführen. Die Zuschaustellung von Tanz‐ bären durch Gaukler kann bis ins 7. Jh. zurückverfolgt werden (unter den Vaganten werden mehr‐ heitlich Ungarn, Zigeuner, Böhmen und Juden genannt). Im 13. Jh. war es so sehr üblich geworden, dass aus fast allen Ländern Europas Zeugnisse für das Bärenführen vorliegen. Die Bärenführer (ur‐ sarii) zogen den Bären an einem Seil oder tanzten mit ihm: „mit ainem pern vnd (sind) gesprungen.“ Hartung, Die Spielleute, S. 63 f. Selbst bei den Aufführungen mit Tieren kann in dem Moment gelacht werden, wenn die unheimliche Präsenz des lebendigen (wilden) Tieres - etwa beim Bären -, seine Unverfüg‐ barkeit und Unkontrollierbarkeit durch Zähmung und die Nachahmung menschlicher Handlungen und Bewegungen durch das Tier aufgehoben wird: das Tanzen, im Kreis laufen, Männchen machen usw. vermindern die Unverfügbarkeit und lassen das Tier als Popanz, als manipulierte Puppe erscheinen. 43 Die mit Risiko und Faszination verbundene Vorstel‐ lung, dass die Präsenz des Tieres statt einer geplanten Aktion etwas Unvorhergesehenes auslöst, wird durch die Anthropomorphisierung des Tieres konterkariert und entschärft; aus dieser Ambivalenz von Gefahr und ihrer Überwindung kann Lachen als Antwort auf rituelle Entlastung auftreten. Ich fasse nun die bei Faral und Hertz zusammengestellten Körperbilder von Unterhaltern im Mittelalter zusammen, die im weitesten Sinne Lachen ausgelöst haben können: 44 (1) Akte, die den ganzen Körper betreffen: tanzen, springen, hüpfen, luftspringen, Pur‐ zelbäume und Räder schlagen, mit Tiermasken auftreten, obszöne Gesten aufführen (die jeweils Phallus oder Anus fokussieren), den Betrunkenen oder Dummen spielen, ringen, Haltungscodes von bestimmten Ständen oder Herkunftsorten (Ländern) pa‐ rodieren. (2) Akte, die das Gesicht betreffen: Fratzen machen, Gesichtsausdrücke parodieren, zannen, Zunge zeigen, die Nahrungsaufnahme imitieren, mit übertriebener Mimik sprechen. (3) Akte, die mit der Stimme vollführt werden: mit veränderter Stimme sprechen und singen, Vogel- und Tierstimmen nachahmen, ausrufen, schreien, übertrieben weinen und lachen, weltliche und geistliche Stände stimmlich und körperlich parodieren. (4) Akte, die die Arbeit mit Händen und Geräten betreffen: mit dem Kolben / der Pritsche schlagen, auf dem Seil tanzen, mit Bällen und Hölzern (Lodder) jonglieren, Messer werfen, Feuer schlucken, Taschenspielertricks mit Kleidungsstücken, Bechern und Ketten vorführen, Puppenspiele aufführen. (5) Akte, die die Arbeit mit Tieren betreffen: Bären, Hunden, Ziegen u. a. dressieren, mit ihnen tanzen und sie Kunststücke machen lassen. 45 4.2. Körperinszenierungen als Lachanlässe 191 46 Plessner, Helmuth: Der imitatorische Akt (1961). In: H. P.: Ausdruck und menschliche Natur. Gesam‐ melte Schriften VII. Hg. von Günter Dux, Odo Marquard u. Elisabeth Stöker. Frankfurt a. M. 2003, S. 446-458, hier S. 453. 47 Plessner, Helmuth: Zur Anthropologie der Nachahmung (1948). In: H. P.: Ausdruck und menschliche Natur. Gesammelte Schriften VII. Hg. von Günter Dux, Odo Marquard u. Elisabeth Stöker. Frankfurt a. M. 2003. S. 389-398, hier S. 398. 48 Ebd., S. 393. 49 Ebd., S. 396 f. 50 Vgl. dazu etwa Althoff, Gerd: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter. Darmstadt 2003. Althoff zeigt etwa auch, dass histrionische Fertigkeiten in bestimmten Fällen politisch benutzt wurden, und zwar von den Akteuren selbst. So galt der Erzbischof von Mainz, Albero, wegen seiner Listen, Verkleidungen und Verstellungen allen als Sehenswürdigkeit, als spectaculum. (Balderici Gesta Alberonis. Hg. von Waitz, MGH SS 8. Hannover 1848, S. 243-260). Die Mehrheit dieser Körpertechniken der Spielleute beruhen im Grunde auf zwei Basisfel‐ dern der Selbstdistanzierung: auf Nachahmung und auf Bewegung. Beide Felder über‐ schneiden und überlagern sich. So ist jeder Akt der Verstellung, Verkleidung und Mimikry im Grunde die Nachahmung eines Anderen. Die mimische Verstellung in der Fratze, die stimmliche Verstellung beim Bauchreden und bei der Stimmimitation, die Verstellung des Körpers bei der Nachahmung von Tieren, die Verkleidung und Maskierung - überall werden Andere imitiert, andere Menschen, aber auch Dämonen, Geister, Tiere. Dieses In-Dis‐ tanz-Treten zu sich selbst, mit dem Körper ein Anderer werden, ist der Grundzug der Nachahmung und wichtigste Basis der histrionischen Körpertechniken. Helmuth Plessner hat solche Akte des Sich Verstellens und des Imitierens auf seine The‐ orie des menschlichen Körper bezogen: „Nachahmung und Sichverstellen müssen von der körperlichen Situation des Menschen her gesehen werden, seinem Verhältnis zum eigenen Leib, zu sich und den anderen.“ 46 Die Möglichkeit der Nachahmung, die der Mensch allein besitzt, so Plessner, „gründet in der unaufhebbaren Fernstellung des Menschen zu sich, welche in Verkleidung, Verstellung wie überhaupt in dem Grundzug seines Wesens: eine Rolle zu spielen sich kundgibt.“ 47 Plessner begreift die Nachahmung als „Problem der (...) präzisen Entsprechung zwischen dem bewegten Bilde (des Anderen) und meinen leibhaften Bewegungen…“. Das nennt er den „gemeinsamen Ausdruckssinn.“ 48 Die dem Menschen vorbehaltene „echte Nachahmung“ sei nur aus der exzentrischen Position des Menschen möglich und bilde „insofern als Distanz zum eigenen und fremden Gebaren ihre Basis (...). Nachäffen kann nur der Mensch, nicht der Affe“ (…). Auf der Exzentrizität beruht das Ver‐ ständnis für die Reziprozität des Körperschemas und des Blicks.“ 49 In Plessners Reflexionen zur Nachahmung anderer wird die Sprengkraft des imitatori‐ schen Auftritts deutlich. In einer Kultur, in welcher die schriftliche Verfasstheit von Regeln, Normen und Verhaltensweisen nur eine untergeordnete Rolle spielt, und stattdessen die performative Präsenz des Körpers solche Regeln, Normen und Verhaltensweisen vollzieht, in einer solchen Kultur kommt es unter allen Umständen auf die Einhaltung körperlicher und sprachlicher Verhaltensmuster an. In zahlreichen Studien hat die historische Mediä‐ vistik der letzten Jahre den demonstrativen Charakter menschlichen Verhaltens im Mittel‐ alter herausgearbeitet: Eine Fülle von Ritualen, zeremoniellen Handlungen, Gesten und Gebärden, Sitten und Gebräuchen regulierten die kommunikativen Abläufe des Zusam‐ menlebens, vor allem aber die sozialen Positionen. 50 Wenn nun diese körperzentrierten 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 192 51 Plessner, Helmuth: Zur Anthropologie des Schauspielers (1948). In: H. P.: Ausdruck und menschliche Natur. Gesammelte Schriften VII. Hg. von Günter Dux, Odo Marquard u. Elisabeth Stöker. Frankfurt a. M. 2003. S. 403-418, hier S. 404. 52 Plessner Der imitatorische Akt, S. 452. Regulatoren, die Rituale und demonstrativen Handlungen, in einem spielerischen Rahmen verdoppelt bzw. verzerrt werden, durch Imitation und Nachahmung verletzt oder gar ne‐ giert werden, dann ist auch ihre Gültigkeit in Gefahr. Der Possenreißer, welcher mit seinem Körper die Distanz zwischen eigenem und fremdem Gebaren, eigener und fremder Stimm‐ lichkeit und Mimik aufführt, gefährdet somit in hohem Maß die Grundsätze eines auf der zeichenhaften Geltung dieses Gebarens, dieser Stimmlichkeit und Mimik beruhenden Ver‐ trags. Doch hat er die Lizenz zur Aufführung dieser Gefährdung, weil er sie spielerisch, in einem spielerischen Rahmen in Szene setzt, sodass jeder weiß: Dies ist nur Spiel. Was Plessner über den Schauspieler sagt, gilt auch für die performer des Mittelalters, die andere Menschen verkörpern: „Menschen lösen sich von sich ab, verwandeln sich in andere. Sie spielen ein anderes Sein.“ 51 Der Hiatus zwischen fremdem und eigenem Körper, das Risiko, das zwischen dem aufgeführten Geltenden und dem aufgeführten Spiel liegt, das das Gel‐ tende imitiert, verdoppelt und vernichtet, führt zum Lachen: Lachen über den Rahmen des Spiels, Lachen über die unmögliche, doch stattfindende Verdopplung und Lachen über die Komik des Vorgangs. Diese drei Grundbedingungen der modalen Komik müssen auch hier vorhanden sein: das Rahmensignal, das aus Überlagerungen zusammengesetzte komische Bild und der komische Vorgang. Die Wahrnehmung des imitatorischen Aktes macht dabei genauso viel Freude wie seine Inszenierung. Nochmals Plessner: Das Schauspielern als solches macht Spaß, einfach weil es dabei um Verkörperung geht. Sich be‐ nehmen wie (…) tun als ob (…) macht dem Menschen sein Verhältnis zum eigenen Leib erst ge‐ genständlich. Normalerweise hat das Verhältnis instrumentalen Charakter, im praktischen Um‐ gang, im expressiv vermittelten Kontakt zu anderen. Die Imitation dagegen wirft uns auf unseren Leib als solchen, auf unser Gesicht, unsere Haltung, unsere Art zu sprechen zurück. Sie entdeckt die Maske an unserer Art zu sein. Deshalb schneiden Kinder so gern Gesichter und sind für jede Clownerie das dankbarste Publikum. Wir stecken eben ‚in‘ uns und sind ‚hinter‘ unserer eigenen Oberfläche. Die Freude am Sichverstecken, an der Verstellung und an der Verkleidung haben also die gleiche Wurzel wie der Drang zur Imitation.“ 52 Über Imitation und Parodie kann jeder lachen, der die Maskenhaftigkeit des Geltenden durchschaut hat; wer sie jedoch als ungeteilt und als unteilbar Geltendes ansieht, wird über die Possen eines scurra nicht lachen können. Denn mit der Imitation wird nicht nur das Geltende gefährdet, sondern auch das Bild des einheitlichen Körperschemas des Menschen, so wie es etwa in der christlichen Vorstellung als Abbild Gottes geschaffen wurde. Jede Veränderung dieses menschlichen, als Ebenbild Gottes geschaffenen Körpers - wie etwa in der Transgression der Körpergrenzen in der Imitation von tierischen Lauten und Bewe‐ gungen - wird als Eingriff des Teufels wahrgenommen, und dies nicht nur semiotisch, sondern auch affektiv. Dass Emotionen wie Abscheu, Verachtung, Angst und Hass hier im Spiel sind, wird beim Lesen der theologischen Quellen und ihrer Formulierungen immer wieder deutlich. 4.2. Körperinszenierungen als Lachanlässe 193 53 Der folgende Abschnitt zu Hofnarren rekurriert hauptsächlich auf zwei bereits publizierte Beiträge von mir: Komische Körper. Zur Funktion von Hofnarren und zur Dramaturgie des Lachens im Spät‐ mittelalter. Zeitschrift für Germanistik N. F. Jg. XI (2001) H. 2, S. 292-317; Art. „Hofnarren“. In: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe. Hg. von Werner Paravicini. Bd. 1: Begriffe. Wiesbaden 2005, S. 65-69. 54 Vgl. zu Geschichte und Funktion von Hofnarren Welsford, Enid: The Fool. His Social and Literary History. London 1935; Lever, Maurice: Zepter und Schellenkappe. Geschichte des Hofnarren. München 1983 (Frz. Orig.: Le sceptre et la marotte. Paris 1983); Mezger, Werner: Hofnarren im Mittelalter. Vom tieferen Sinn eines seltsamen Amts. Konstanz 1981. 55 Der Psalmnarr, der alttestamentarische insipiens, stultus oder fatuus, dessen Torheit und Gottesleug‐ nung in den Kontext von Sünde und Tod gestellt wird, ist ikonographisch im Anfangsbuchstaben D des Psalms 52 „Dixit insipiens: Non est Deus“ überliefert. 4.3. Hofnarren 53 Stultitiam simulare loco prudentia summa est. Seneca, Disticha Catonis, II,19 Auch wenn Hofnarren in Spätmittelalter und Früher Neuzeit in ganz Europa verbreitet und bekannt waren, ist ihre Erscheinung weder an diese Epoche noch an das christliche Abend‐ land gebunden. Hofnarren sind bereits im 6. Jahrhundert v. C. an den chinesischen Kaiser‐ höfen, an den Höfen der ägyptischen Pharaonen, jenen des Vorderen Orients und Grie‐ chenlands sowie an römischen Kaiserhöfen bekannt. Gemeinsam ist ihnen die Zuordnung zum Sozialsystem „Hof “ als Lebens- und Wirkungsfeld, wobei sie direkt dem Herrscher oder der Herrscherin unterstellt sind, mit denen sie häufig über ein Scherzverhältnis ver‐ traut sind und nach außen hin symbolisch als ihr Negativbzw. Abbild, manchmal als ihr Doppelgänger fungieren. Ihre transhistorisch invariante Hauptaufgabe ist es, über die Li‐ zenz zu normabweichendem Körper- und Sprachverhalten (Narrenfreiheit) auf vielfältige Weise den Hof zu unterhalten und Lachen zu erregen. Daneben spielen auch jeweils kultur- und epochenspezifisch codierte Funktionen eine Rolle, wenn Hofnarren zur höfischen Prachtentfaltung, als Fürstenberater, Glücksbringer oder lebende Zeichen christlicher ca‐ ritas gehalten werden. 54 Zeit und Ort ihres Aufkommens in Europa sind ungeklärt: möglich ist sowohl eine Ein‐ führung aus dem Orient im Gefolge der Kreuzzüge oder über den byzantinischen Einfluss in Italien, als auch die innereuropäische Herausbildung aus griechisch-römischen, kelti‐ schen und fränkischen Unterhaltern. In Europa werden sie im 13. Jahrhundert aktenkundig, doch einzelne Belege von west- und südeuropäischen Königs- und Fürstenhöfen machen ihre Existenz bereits seit dem 10. Jahrhundert wahrscheinlich. Insgesamt ist das gesicherte historische Wissen über Hofnarren vor dem 13. Jahrhundert gering, und auch später sind literarische und ikonologische Quellen am reichhaltigsten überliefert, deren Semantik je‐ doch nicht ohne weiteres auf historische und soziale Bedingungen übertragen werden kann. So unterscheiden sich historische Hofnarren in Aussehen und Funktion z. T. erheblich von anderen Narrentypen wie den ikonologischen (Psalmnarr, insipiens) 55 und literarischen Fi‐ gurationen (etwa den „wilden“ Narren der höfischen Literatur, den seit Brants Narrenschiff vorherrschenden universalen Sünder-Narren bzw. den Narren im weltlichen Spiel) oder den volkstümlichen Narren (Fest- und Karnevalsnarren). Man unterscheidet schon im 12. Jahr‐ 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 194 56 Vgl. für das Spätmittelalter Konrads von Megenberg Buch der Natur (1349 / 50). Conradus de Megen‐ berg: Das Buch der Natur. Bd. 2: Kritischer Text nach den Handschriften. Hg. von Robert Luff und Georg Steer. Tübingen 2003 (Buch VIII: Von den wunderleichen prunnen, Vv. 19 ff.). 57 Vgl. Schmitz, Heinz-Günther: Das Hofnarrenwesen der frühen Neuzeit: Claus Narr von Torgau und seine Geschichten. Münster 2004. hundert zwischen natürlichen und künstlichen Narren): als natürliche Narren (stulti, fatui, moriones) gelten geistig und körperlich Geschwächte, die an den Höfen einen relativ gesi‐ cherten Ort der Existenz fanden, auch wenn ihre Duldung oft mit Prügel und Spott und somit mit Gelächter verbunden war, dem Grund ihres Aufenthalts. Der Wahnsinn als ge‐ nuine Form menschlicher Alterität war so von Beginn an Teil der Faszination am Narren, da er die Unvernunft nicht nur symbolisch darstellte, sondern sie verkörperte. 56 Die Nach‐ ahmung der Geisteskranken und Naiven durch professionelle Spaßmacher war Anlass für die Herausbildung der künstlichen Narren (scurrae, buffones), die wohl schon im 14. Jahr‐ hundert die Mehrheit der Hofnarren darstellten und sich aus der Gruppe der Fahrenden rekrutierten. Allerdings wirken an vielen Höfen beide Narrentypen gemeinsam. Zudem lassen sich fest angestellte Hofnarren, die zur familia des Herrschers zählen und meist mit Namen überliefert sind, von temporär beschäftigten Narren seiner weiteren Entourage un‐ terscheiden. Die höfische Unterhaltung mit ihrem wichtigsten Aspekt, dem Auslösen von Lachen war somit das verbindende Element der verschiedenen Hofnarren: Während bei den natürlichen Narren ein teratophiles Interesse des Hofes und die Lust an kindlich wirkenden Verhal‐ tensweisen im Vordergrund stand, war es bei den Spaßmachern und Buffonen eher die schauspielerisch-komödiantische Interpretation von transgressiven Verhaltensweisen. Zu ihrem vielgestaltigen Tätigkeitsbild gehörten daher neben körperlich-mimetischen Fähig‐ keiten wie der Gestalt- und Stimmimitation oder Tänzen, Sprüngen und Grimassen auch musikalische Darbietungen wie das Singen und das (falsche) Spielen verschiedener Instru‐ mente. Später zählten auch mehr und mehr erzählerisch-sprachliche Fertigkeiten beim Vortrag von lustigen Geschichten und Anekdoten, von selbst verfassten Liedern oder Rät‐ seln und dem Abhalten von Spottpredigten, bzw. konversationelle Fähigkeiten wie das An‐ bringen von Ironie und Bonmots sowie schlagfertige Bemerkungen zu ihrem Arbeitsbe‐ reich, woraus sich die heutige Perspektive auf die „Narrenfreiheit“ vor allem speiste. Entscheidend für den Erfolg und die Unbeschadetheit der Hofnarren war es, die Balance zwischen Ehrerbietung und Respektlosigkeit zu halten. Spezifische Anlässe ihres Wirkens waren vor allem die tägliche Mahlzeit, sowie Ausfahrten, Jagd, Feste, Sieges- und Trauer‐ umzüge. Hofnarren waren somit Verbreiter höfischer Freude (iocunditas), was nicht allein bedeu‐ tete, dass sie wichtig für den Vertreib der Langeweile und später der Melancholie am Hof, 57 sondern auch für die Entschärfung von Konflikten bzw. die Regulierung höfischen Kon‐ kurrenzverhaltens durch die Möglichkeit des Ablachens von Spannung und Aggressionen bedeutsam waren. Die ständige Anwesenheit in der Nähe des Fürsten trug zu einem spe‐ ziellen Scherz- und Vertrauensverhältnis zu diesem bei. Zudem gehörten sie mehr und mehr zu seinem repräsentativen Erscheinungsbild, dessen Präsenz und Ehre sie, wie andere mi‐ rabilia und Exotismen (Zwerge, Mohren, Affen, Raubvögel und -katzen), im Sinne der Prachtentfaltung stärken und vermehren halfen. Allerdings waren sie durch ihre niedrige 4.3. Hofnarren 195 58 Vgl. Barwig, Edgar u. Schmitz, Ralf: Narren - Geisteskranke und Hofleute. In: Randgruppen der spät‐ mittelalterlichen Gesellschaft. Ein Hand- und Studienbuch. Hg. von Bernd-Ulrich Hergemöller. 2. Aufl. Warendorf 1994, S. 220-252, hier S. 221. 59 Ménard, Philippe: Les Fous dans la Société médiévale. La Témoignage da la Litterature au XIIe et au XIIIe Siècle. Romania 98 (1977), S. 433-459, hier S. 449. 60 Lever, Zepter und Schellenkappe, S. 112 f. 61 Villani, Filippo: Liber de Civitatis Florentiae famosis civibus (1390-1405). Hg. von G. C. Galletti. Flo‐ rentiae 1847, S. 36. soziale Stellung auch vielfältigen Demütigungen und Züchtigungen von Seiten der Herren und der Hofgesellschaft unterworfen. 58 Die Berichte über das Aussehen der Hofnarren im 13. und 14. Jahrhundert sind sehr unterschiedlich: Fraglich ist, ob Hofnarren tatsächlich das literarisch überlieferte Äußere von Narren (Kahlkopf, Kreuztonus oder zerzauste Haare als Kennzeichen der Narrheit, meist verbunden mit einem sehr einfachen Gewand minderer Qualität und dem Narren‐ kolben zur Abwehr von Hunden und spottenden Jugendlichen) 59 oder des ikonographisch überlieferten Narrenkostüms aufwiesen (Haube mit Eselsohren, Schellen, Flickengewand, Marotte als Szepterimitation). Eine mögliche Hypothese zur Erklärung der Unterschiede ist auch hier die Trennung zwischen natürlichen und künstlichen Narren. Sicher wissen wir, dass (künstliche) Hofnarren an Königshöfen schon im 14. Jahrhundert reich belohnt und ausgestattet wurden (mi-parti-Kleidung, Reitpferd, Diener), sei es für Repräsentations‐ zwecke oder aus Gründen der sichtbaren Zugehörigkeit zum Fürsten. 60 Letztere teilten die Hofnarren mit den Herolden, mit denen sie noch weitere Gemeinsamkeiten verbindet: Beide Gruppen erfahren einen Aufstieg im 14. Jahrhundert, der Herold hat ebenso zeremo‐ nielle Aufgaben, was sich etymologisch in der ml. Bedeutung des Wortes buffo(ne) und dem heraldische Funktionen ausübenden Buffone di Palagio (14. Jahrhundert) widerspiegelt. Dass frühe professionelle Hofnarren des 13. und 14. Jahrhunderts bereits Kennzeichen des (humanistischen) vir facetus trugen, zeigt der Eintrag in Villanis Florentiner Chronik zum berühmten ferraresischen Hofnarren Gonnella: „Petrus Gonnella, qui Opizzo Marchioni Estensi iucundissima familiaritate adhaesit, homo sane industriosus et diligens facetiarum multarum inventor, quae artem histrionicam venustarent.“ 61 (Abb. 4) Die Tatsache, dass Gonnella mehrere Nachfolger gleichen Namens hatte, zeigt, dass diese oft nicht an Personen gebunden waren, sondern Rollennamen darstellten. 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 196 Abb. 4: Jean Fouquet (1442): Der ferraresische Hofnarr Gonnella (Kunsthistor. Museum Wien) 4.3. Hofnarren 197 62 Zuerst Foucault, Michel: Wahnsinn und Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1981, Kap. 1 (Frz. Orig.: Histoire de la folie à l’âge classique. Paris 1972). Dann Fritz, Jean-Marie: Le discours du fou au Moyen Age. Paris 1992, S. 165-91, sowie Groß, Angelika: La Folie. Wahnsinn und Narrheit im spätmittelalterlichen Text und Bild. Heidelberg 1990 und Matejovski, Dirk: Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung. Frankfurt a. M. 1996. 63 Vgl. Swain, Barbara: Fools and Folly during the Middle Ages and the Renissance. Diss. Columbia Univ. New York 1932, S. 54 ff. 64 Vgl. Willeford, William: The Fool and His Scepter. A Study in Clowns and Jesters and Their Audience. Chicago 1969, S. 14. 65 Sachsenspiegel. Landrecht. Hg. von K. A. Eckhardt. 2. neubearb. Aufl. Göttingen u. a. 1955, S. 195. 66 Zur Unterscheidung „natürliche“ und „künstliche“ Narren vgl. Schmitz, Das Hofnarrenwesen der frühen Neuzeit, S. 24 ff. 67 Lever, Zepter und Schellenkappe, S. 106 f. Anderen Auffassungen zufolge geht die Einrichtung des Hofnarrentums als eines höfischen Amtes auf Karl V. von Frankreich zurück, der den ersten Narren en titre d’office einsetzt. Vgl. Santucci, Monique: Le fou dans les lettres francaises médiévales. Les lettres Romanes 36 (1982), S. 203. Zuvor sind Narren zwar in der Umgebung der meisten europäischen Fürsten zu finden, jedoch noch mit ungefestigter Rechtsstellung. Amelunxen stellt für den deutsch‐ sprachigen Raum fest, dass es sich dabei meist um Ehrlose, also Fahrende handelte, die zu Narren werden. Der Sachsenspiegel nennt Schalksnarren im Zusammenhang mit unehrlichen Leuten wie Henkern, Schindern und Vaganten. Vgl. Amelunxen, Clemens: Zur Rechtsgeschichte der Hofnarren. Berlin 1991, S. 11. ‚Natürliche‘ und ‚künstliche‘ Narren am Hof Das Bild vom Narren der Vormoderne wurde in den letzten Jahrzehnten im Gefolge von Michel Foucaults Studie Wahnsinn und Gesellschaft stark von pathologischen Aspekten be‐ stimmt. 62 Die mittelalterliche Wahrnehmungsweise von Geisteskranken unterscheidet sich von der modernen jedoch fundamental; noch waren kaum ethisch-moralische oder rituelle Tabus in Kraft, die das Lachen über geistig und körperlich Geschwächte einschränkten. Wie auch in der Antike dominierten die Freude an der Wahrnehmung menschlicher Defekte sowie die Gewalt gegenüber ihren Trägern. Seit dem 12. Jahrhundert liegen Belege darüber vor, dass die „natürlichen“ Narren meist noch im Kindesalter an die Höfe gebracht wurden, wo sie zusammen mit körperlich Verwachsenen (Krüppeln und Zwergen) der Zerstreuung dienten. 63 Zwerge waren schon seit dem 10. Jahrhundert bekannt: Der erste dokumentierte Hofzwerg in England war Xit am Hof Edwards VI . 64 Überall in Europa unterlagen geistig und körperlich Deformierte der Vormundschaft und besaßen keinen Rechtsanspruch (im Sachsenspiegel heißt es: „Over rechte doren unde sinnelose man ne scal nen ok nicht richten“) 65 und konnten für ihr Tun daher auch nicht haftbar gemacht werden. Sie wurden von „künstlichen Narren“ unterschieden, professionellen Spaßmachern, Gauklern und Possenreißern, die aus der Nachahmung der natürlichen Narren hervor‐ gingen und mit großer Wahrscheinlichkeit den Fahrenden zugehörten. 66 Maurice Lever sieht gar den Beginn des rechtlichen Status der Hofnarren im Bestreben der Fürsten, fah‐ rende Unterhalter und Possenreißer dauerhaft an den Hof zu binden. 1316 verleiht deshalb Philipp V. von Frankreich seinem Narren Geoffroy ein höfisches Narrenamt (titre d’office), was der Institutionalisierung des professionellen Hofnarrentums gleichkommt, gebräuch‐ lich auch für alle folgenden Narren am französischen Königshof. 67 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 198 68 So bezeichnet sie: Lanza, Diego: Lo stolto. Di Socrate, Eulenspiegel, Pinocchio e altri trasgressori del senso comune. Torino 1997, S. 60. 69 Diese Bezahlung in Geld oder Naturalien (Kleidung vor allem) ist in vielen Quellen der einzige Hin‐ weis auf die Existenz von Hofnarren. 70 So am Hofe Kaiser Maximilians I., wo die Trennung in natürliche und künstliche Narren besonders evident wird. Vgl. die Holzschnittfolge „Triumph Maximilians“ (1516-1519) von Hans Burgkmair. Wien: Albertina, Graphische Sammlung. 71 Zu „Schalksnarr“ vgl. Grimm, Jacob u. Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. Band 8. Leipzig 1893, Sp. 2085f: „falscher narr, schein-narr, einer, der ein narr zu sein vorgibt, sich als narr geberdet“; zu buffone: dieser Begriff taucht 1266 erstmals bei Giacomino da Verona in der Wendung „homini de curte vel buffoni“ auf. Vgl. Cortelazzo, Manlio u. Zolli, Paolo (Hg.): Dizionario etimologico della lingua italiana. Bd. 1. Bologna 1979, S. 174; zu fol-sage: am Hofe Philipps des Kühnen sind vier Hofidioten und ein Spaßmacher nachgewiesen, der als fol-sage bezeichnet wurde, vgl. Lanza: Lo stolto, S. 62; zum Begriff jester: „Jester (...) can be any kind of merrymaker but is usually one maintained in a prince’s court or nobleman’s household.“ Southworth, Fools and Jesters, S. 13. 72 Welsford, The fool, S. 3 und 314. Zweifellos war es die Hauptaufgabe dieser „Meister der professionellen Unvernunft“ 68 durch ihre Tätigkeiten Lachen zu erzeugen, wofür sie auch entlohnt wurden. 69 Oft fanden sich natürliche und künstliche Narren gemeinsam an den Höfen, und nicht selten wurden die Deformierten in die närrischen Inszenierungen der professionellen Lustigmacher ein‐ gespannt. 70 Ihren wortgeschichtlichen Niederschlag findet diese Gruppe der künstlichen Narren in Bildungen wie „Schalksnarr“ im Deutschen, buffone (bufo) im Italienischen (Mit‐ tellateinischen), fol-sage im Französischen oder jester im Englischen, von denen keine mehr mit dem des mental oder körperlich behinderten Narren zu tun hat. 71 Diese künstlichen Narren sind es, die für das Problem der komischen Inszenierung des Körpers von Belang sind, da sie mittels ihrer schauspielerischen Fertigkeiten ihre Hand‐ lungen in vollem Bewusstsein ausführen und kalkuliert dramatisieren. Deshalb beein‐ flussen sie die zeitgenössischen Bilder und Diskurse vom Hofnarren maßgeblich, vermut‐ lich sogar stärker als die natürlichen Narren. Dies erreichen sie durch ihre Erscheinung, ihr Auftreten und die Inszenierung von komischen performances. Die Erforschung ihres kon‐ kreten Tätigkeitsfeldes, mit welchen Mitteln und in welchem Interaktionsrahmen, zu wel‐ chen Gelegenheiten sie das Publikum am Hof zum Lachen brachten, ist erst in Grundzügen skizziert. Bei den folgenden Überlegungen gehe ich von der These aus, dass die professionellen Spaßmacher unter den Hofnarren ihren Körper bewusst einsetzten, um Lachen zu erzeugen, zunächst als Medium der Imitation von Verwachsenen und geistig Geschwächten, ab dem 15. Jahrhundert dann immer mehr als funktionales Medium des witzigen Streiches. Bei den höfischen Unterhaltungsokkasionen Fest, Mahlzeiten, Jagd, Ausfahrten sind es vor allem die Körperinszenierungen, die die Erwartungen seitens eines lachfreudigen Publikums an den Hofnarren erfüllen konnten. Erst in zweiter Linie sind sein „unsinniges Geschwätz“ oder seine treffenden Antworten zum Tragen gekommen. Innerhalb der Erforschung des historischen Hofnarrentums hat die angloamerikanische Kulturgeschichte im 20. Jahrhundert die umfangreichsten Studien geliefert. Unter ihnen bezeichnet etwa Enid Welsford den professionellen Narren als „talentierten Unterhalter“, sie nennt seine Tätigkeit eine „Berufung.“ 72 Swain wiederum formuliert es so: „The fool’s prattle was his chief means of amusing his employers, aside form awkward acrobatics and 4.3. Hofnarren 199 73 Swain, Fools and Folly, S. 59. 74 Southworth, Fools and jesters, S. 9. 75 Groß, La folie, S. 106. 76 Vgl. Radcliffe-Brown, Albert R.: On joking relationships [1940]. In: The Social Anthropology of Radc‐ liffe Brown. Hg. von Adam Kemper. London 1977, S. 174-188. 77 So konnte der Körper des Narren im doppelten Sinne Lachen auslösen: als lächerlicher und als ge‐ demütigter: „Infatti il buffone in genere era più spesso oggetto delle battute e degli scherzi più feroci piuttosto che soggetto creatore di umorismo.“ Saffioti, Tito: … E il Signor Duca ne rise di buona ma‐ niera. Vita privata di un buffone di corte nella Urbino del Cinquecento. Mailand 1997, S. 95. practical jokes“ 73 , und auch Southworth sieht darin die Aufgaben der Narren: „The delicate and often dangerous task of the court fools was to supply that humour in the place where (...) it was most needed: the centre and hub of supreme political power, the court of the king.“ 74 Auch Angelika Groß kommt in ihrer auf Bild- und Textmaterial beruhenden Studie zu dem Ergebnis, „daß unter Hofnarren Menschen zu verstehen sind (...), deren körperliche Gestalt in erster Linie Anlass ihres Amtes als höfische Unterhalter ist. Erst in zweiter Linie dürfte das Gewand zum maßgeblichen Erkennungszeichen geworden sein.“ 75 Der Begriff „Hofnarr“ beinhaltet demnach mehrere Bezeichnungen und Tätigkeiten von Menschen, denen die Zugehörigkeit zum soziographischen System „Hof “ in Mittelalter und früher Neuzeit gemeinsam ist, wobei ihre Unterhaltungsfunktion deutlich im Vordergrund steht. Die Unterscheidung von natürlichen und künstlichen Narren ist aus methodischen Gründen hilfreich, auch wenn sie sich anhand der einzelnen Dokumente nicht immer auf‐ rechterhalten lässt. Denn sie macht es möglich, zwischen unfreiwilligen, emergenten Akten der Körperkomik und inszenierten, geplanten Akten zu unterscheiden. Dem Lachen über die Verwachsenheit oder Einfältigkeit von natürlichen Narren liegt die Wahrnehmung einer Komik zugrunde, die von ihrem Anlass kaum gesteuert werden kann. Sie ist vielmehr einer Relation inhärent, die ich im Folgenden näher zu beschreiben versuche: der Relation von Lachen und Gewalt in der höfischen Kultur des 14. bis 16. Jahrhunderts. Sozialsystem Hof: Fürst und Narr - Lachen und Gewalt Die Funktion des Narren am Hof beschränkt sich nicht auf die einfache Aufgabe der kör‐ perlich und sprachlich vermittelten Unterhaltung und des Amüsements. Narr und Hof gehen im Spätmittelalter ein besonderes Verhältnis ein, zu dem einerseits die spezifische Lizenz des Narren zur Transgression als eines permitted disrespect gehört, 76 andererseits auch seine niedrige Position als Prell- und Sündenbock innerhalb der sich im 14. Jahrhun‐ dert immer stärker ausbildenden höfischen Konkurrenzgesellschaft. Gemeinsamer Nenner beider Aspekte ist der Körper des Hofnarren: als Erzeuger und Medium für komische Vor‐ gänge und als Objekt für Späße und Prügel. 77 Für die meisten der körperlichen und sprachlichen Interaktionen der Narren mit der Hofgesellschaft ist die Figur des Fürsten unverzichtbar, da er wichtigster Ansprechpartner und Schutzherr der Narren ist. Wenn Tomaso Garzoni im 99. Kapitel seiner Piazza Univer‐ sale di tutte le professioni del mondo (1585) davon spricht, dass die Narren ihre Herren keine Sekunde alleine lassen („sempre gli sono alla coda, mai si parton dal suo conspetto“), un‐ terstreicht er die gegenseitige Angewiesenheit von Narr und Fürst: „non si trova il signor 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 200 78 Garzoni, Tomaso: Discorso CXIX: De’ buffoni o mimi o istrioni. In: La Piazza Universale di tutte le professioni del mondo [1586]. Hg. von Paolo Cerchi u. Beatrice Collina. Bd. 2. Torino 1996, S. 1303-1307, hier S. 1306. Die 1626 erfolgte Übertragung bzw. Neuschöpfung durch Messerschmid, Johann Georg: Piazza Universale, Das ist: Allgemeiner Schawplatz / oder Marckt / vnd Zusammenkunfft aller Professionen / Künsten / Geschäfften / Händeln / vnnd Handtwercken / so in der gantzen Welt geübet werden (...). Frankfurt a. M. 1626 entspricht dem Original nicht vollständig und hat ihre eigene Prä‐ gung. 79 Vgl. Lanza, Lo stolto, S. 63. 80 Radcliffe-Brown, On joking relationships, S. 174. 81 Somers nannte den König „Harry“ und improvisierte Verse mit ihm. Vgl. Otto, Beatrice: Fools are Everywhere. The Court Jester Around the World. Chicago / London 2001, S. 178. 82 Für England vgl. z. B. die Stellung Blondels de Nesle, Lehensmann von Richard I, der gleichzeitig Minstrel und Hofnarr war; in Les soirées de Guillaume Bouchet wird Blondel als „ce boufon de mé‐ nestrier“ bezeichnet. Vgl. Doran, John: The history of court fools. London 1858, S. 86; ebenso bei Lever, Zepter und Schellenkappe, S. 98ff u. für Italien s. u. bei Gonnella. senza il buffone, né il buffon senza il signore.“ 78 Der Narr braucht den Fürsten und seinen Hof als Habitat und als Publikum, um zu existieren; er lebt im Hof und vom Hof. Erst der Hof garantiert ihm die Freiheit, seine Worte und Gesten in die Tat umzusetzen, aus denen er seine Legitimität schöpft. 79 Um eine solche Sonderstellung am Hofe einzunehmen, musste ein Hofnarr eine große Vertrautheit zum Fürsten pflegen. Ein solches vertrauliches Ver‐ hältnis zwischen Narr und Fürst lässt sich näher als joking relationship, als Scherzverhältnis bezeichnen. Der von dem Ethnologen Alfred Radcliffe-Brown für afrikanische Verwandt‐ schaftsverhältnisse geprägte Begriff kann, wie ethnologische Studien gezeigt haben, auch auf soziale Verhältnisse allgemein angewandt werden: The joking relationship is a peculiar combination of friendliness and antagonism. The behaviour is such that in any other social context it would express and arouse hostility; but it is not meant seriously and must not be taken seriously. (...) To put it in another way, the relationship is one of permitted disrespect. 80 Scherzverhältnisse sind somit als institutionalisierte und ritualisierte Formen des Verhal‐ tens zu verstehen. Das Verhältnis von Narr und Fürst ist von einem starken rituellen Rahmen bestimmt, innerhalb dessen die Formel vom permitted disrespect herrscht. Dies konnte in bestimmten Fällen - ein berühmtes Beispiel ist der englische König Hein‐ rich VIII und sein Hofnarr Will Somers 81 - zu einem festen Vertrauensverhältnis führen, welches der Fürst in einer für ihn potentiell gefährlichen Umgebung am Hof durchaus auch politisch nutzen konnte. Daher sind im Frühmittelalter auch, wie oben erwähnt, dem Fürsten vertraute Personen als „Narren“ belegt, die in einem engen freundschaftlichen oder verwandtschaftlichen Verhältnis zu ihm standen. Tatsächlich ist dies in einigen Fällen für die früheste Zeit nachgewiesen: die Hofnarren der normannischen Könige, etwa Blondel, kamen meist aus dem familiären Umfeld der Fürsten, bei den Narren am burgundischen Hof gibt es Hinweise darauf, und auch für die Fürstenhöfe im Italien des 14. Jahrhunderts sind solche Fälle bekannt. 82 Diese Vertrautheit, die freilich nur in Einzelfällen nachzuweisen ist, war auch der Grund dafür, warum pro‐ fessionelle Lustigmacher am Hofe von anderen Höflingen häufig angefeindet wurden. Gar‐ zoni beschreibt die Hofnarren nicht ohne Neid und Groll, da sie bei den Mahlzeiten auf‐ trumpfen dürften, während gelehrte Poeten, Redner und Philosophen sich mit einem Platz 4.3. Hofnarren 201 83 „trionfano ai pasti de’ prencipi, mentre il dotto poeta, il facondo oratore e l’arguto filosofo fa la sua residenza nel vilissimo tinello“. Garzoni, La Piazza Universale, S. 1307. Auch wenn dieses Zitat vom Ende des 16. Jhs. stammt, scheint es doch auf Grund der Kontinuität sozialer Verhältnisse in den höfischen Gesellschaften der Vormoderne Gültigkeit zu besitzen. 84 „A unire buffone e pubblico e dunque la derisione e lo scherno, e l’attor comico ne è sulla scena il sapiente ministro.“ Lanza, Lo stolto, S. 203. 85 Vgl. dazu Röcke / Velten, Lachgemeinschaften, Einleitung S. IXff. 86 Lever, Zepter und Schellenkappe, S. 144 f. Triboulet (gest. 1538? ) war einer der begabtesten Unterhalter seines Jhs. In seinem Nachruf ist davon die Rede, dass er verschiedene Instrumente spielte, tanzte, jeden nachahmen konnte, predigte und in prächtiger Kleidung auftrat. 87 Erythraei Pinacotheca. I. p. 296. Zit. aus Flögel, Geschichte der Hofnarren, S. 316. im Vorzimmer begnügen müssten. 83 Der Kampf um Einfluss, um Sprechzeit und Anwesen‐ heit beim Fürsten sei zugunsten der Hofnarren und Schmarotzer entschieden, so sieht es zumindest der gelehrte Garzoni. Die Funktion der Narren am Hof jedoch alleine auf das Verhältnis zum Fürsten zu be‐ schränken, würde der Struktur der komischen Interaktion zuwiderlaufen. Denn diese ist eindeutig auf ein Publikum ausgerichtet, vor welchem die Narrenspäße und -streiche auf‐ geführt werden, und welches mit dem Narren durch Spott und Schadenfreude verbunden ist: Der Narr ist sein komischer Akteur, er führt ein komisches Spektakel auf, in welchem sich das Abgründige des Verlachens zu seinem Vergnügen, aber jederzeit auch zu seinem Schaden manifestieren kann. 84 Die Beziehung zwischen diesem Publikum als einer „höfi‐ schen Lachgemeinschaft“ 85 und dem Narren selbst ist somit nicht unproblematisch: Der Narr kann ihr je nach Situation gegenüberstehen oder ihr zugehören, seine Späße können zu Entlastung und zum Ablachen aggressiver Spannungen führen, aber auch zu Bloßstel‐ lung und Ehrverlust. Allerdings schützt das Spielerische der Narrenspäße und die man‐ gelnde Satisfaktionsfähigkeit des Narren seine Opfer vor dem Schlimmsten: Ein vom Narren Gefoppter konnte, und sei er noch so lächerlich gemacht worden, den Scherz nicht als echte Beleidigung mit Konsequenzen auffassen, wie dies bei Ehrhändeln zwischen Gleichwer‐ tigen der Fall war. Im umgekehrten Falle gilt das nicht: Wie der Narr die Lizenz zum Spotten besaß, durfte die Hofgesellschaft den Narren straflos verlachen und züchtigen. Von Triboulet, dem (na‐ türlichen) Narren Ludwigs II . und Franz I. von Frankreich wird berichtet, dass er als Bau‐ ernsohn mit schwächlicher Konstitution die Prügel der Lakaien und Pagen ertragen mußte. 86 Flögel erwähnt Raffaele Menicucci, den Possenreißer am Hof Großherzogs Ferdi‐ nands I. in Florenz, der einmal auf einen sehr hohen Schrank stieg mit der Begründung, dies sei der Ort, der seiner hohen Würde angemessen sei, und befahl, ihm einen Tisch und Stuhl hinaufzustellen. Man bewirthete ihn herrlich, und er aß und trank nach Herzenslust. Endlich zogen die Pagen die Leitern weg, und und brachten einen Haufen nasses Stroh herbei, welches sie anzündeten, und durch dessen Dampf Menicucci beinahe erstickt wurde, ob er gleich himmelhoch bath, sie möchten ihn doch herablassen. Endlich kam der Großherzog selbst in das Zimmer, und befahl, den armen Narren von der Quaal zu befreien. 87 Berichte von Prügel und Züchtigungen der Narren sind zahlreich. Sie wurden Opfer der Quälereien von Fürst und Hofstaat und waren oft der Sündenbock für gewalttätige Späße. 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 202 88 Vgl. Luzio, Alessandro u. Roberto Renier: Buffoni, nani e schiavi dei Gonzaga ai tempi di Isabella d’Este. Nuova Antologia ser. 3, XXXIV (1891). S. 618-650, hier S. 635. 89 Cellius, Erhard: Beschreibung zweier Reisen, welche Friedrich Herzog von Württemberg im Jahre 1592, 1599 und 1600 verrichtet [1604]. Zit. nach Flögel, Geschichte der Hofnarren, S. 318 f. 90 Das beste Beispiel hierfür ist die Geschichte vom Tode Gonnellas, die Bandello und Hans Sachs überliefern. Während der Narr seinen Fürsten mit Gewalt von einem melancholischen Leiden erlöst, wird der Vergeltungsstreich des Fürsten an Gonnella zu dessen Verhängnis: Er stirbt bei der spaß‐ haften Inszenierung seiner Hinrichtung vor Schreck auf dem Schafott. Vgl. dazu Starobinski, Jean: Bandello e Baudelaire (Il principe e il suo Buffone). Paragone. Rivista mensile di arte figurativa e letteratura 364 (1980), S. 3-15. 91 Es handelt sich um eine minutiöse Rekonstruktion des Alltags und der Tätigkeiten des buffone aus seinen Tagebüchern zwischen 1539 und 1549, welche handschriftlich überliefert sind (Vatikanische Bibliothek und Stadtbibliothek von Urbino). Tito Saffioti hat sie durchgesehen und eine Darstellung mit zahlreichen Zitaten aus diesen Quellen verfasst. Saffioti betont in der Einleitung, dass der Ver‐ fasser weniger historisch wichtige Ereignisse oder Besprechungen festhält, sondern die Darstellung eines privaten Lebens in der Öffentlichkeit des Hofes wiedergibt, wie es sich später in der Gattung der Memoiren materialisieren sollte. Der Blick bleibt auf das Oberflächliche gerichtet, auf Zeremo‐ nielle und Feste, auf Unterhaltung, die ein gewisses Gegenprogramm zur Regierungstätigkeit des Fürsten bildeten. Vgl. Saffioti, Tito, E il Signor Duca ne rise di buona maniera, S. 6 f. So wurden bei dem (natürlichen) Narren Mattello am Mantuaner Hof Isabellas d’Este (1474-1539) bei einer kurz vor seinem Tod stattfindenden ärztlichen Untersuchung schwere Verletzungen, die offensichtlich von kontinuierlichem Prügeln herrührten, festgestellt. Er hatte sich immer wieder darüber beschwert, nicht genügend zu Essen zu bekommen und geschlagen zu werden. 88 Ein anderes Beispiel ist Erhard Cellius’ Beschreibung zweier Reisen, welche Friedrich Herzog von Württemberg im Jahre 1592, 1599 und 1600 verrichtet von 1604 entnommen: Anlässlich einer Jagd wurde ein Narr des Herzogs Vincentius I. von Mantua zusammen mit einem jungen Wildschwein in Tücher gewickelt mit der Absicht, dass sie gegeneinander kämpfen sollten. Die Jagdgesellschaft ergötzte sich an dem kurzweiligen Schauspiel: „Es war über die Maassen lächerlich anzusehn, indem bald der Narr den Frisch‐ ling, bald der Frischling den Narren in den Tüchern hin- und her jagte.“ Ein anderer Narr in derselben Reisebeschreibung „wurde damals im Schloßhofe von Fürsten und Herren herumgejagt, mit frischen Eiern beworfen, und sehr übel bekleistert. Er hatte einen kleinen Helm auf dem Haupt, und einen Stecken in der Hand, und stellte sich so ungebehrdig und wunderlich, dass man nicht genug über ihn lachen konnte.“ 89 An diesen Beispielen ist er‐ kennbar, wie sehr die Funktion der Hofnarren, und hier sind wiederum beide, natürliche und falsche Narren gemeint, auf ihren Körper gerichtet war. Wir können annehmen, dass die von Cellius angeführten Episoden auf aggressive Gewalt gegen geistig und / oder kör‐ perlich Geschwächte hindeuten, die sich dagegen kaum zur Wehr setzen konnten oder durften, ohne ihr Leben zu riskieren. Die Freiheit der Körperdarstellung und die Verfüg‐ barkeit als Prügelknabe bedingten einander gegenseitig. Dies galt generell auch für die künstlichen Narren. 90 So etwa für den Hofnarren Guidobaldos II . della Rovere von Urbino (Herzog von 1538-1574), Atanasio, über dessen Leben wir durch ein einzigartiges Dokument, sein Ta‐ gebuch, sehr gut informiert sind. 91 Zum breiten Aufgabenfeld Atanasios, der ohne festes 4.3. Hofnarren 203 92 Immer wieder taucht im Tagebuch der Wunsch nach einem festen Einkommen, einer festen Anstel‐ lung auf, am liebsten bei einem Herren fern vom Hof. Die Selbstwahrnehmung des Narren ist nach Saffiotis Auskunft durchgängig sehr gering: Er erachtete sich selbst als auf der untersten Stufe einer sozialen Hierarchie stehend. Vgl. ebd., S. 84. 93 Eine seiner Hauptaufgaben war es, den Herren beim Kartenspiel als Diener und Unterhalter zur Verfügung zu stehen; worin genau seine Aufgabe bestand, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Ob er Karten mischte und ausgab, oder nur scherzhafte Reden und Bemerkungen machte, bleibt im Dun‐ keln. Er wirkte auch bei anderen Gesellschaftsspielen, sportlichen Spielen, Gruppenspielen, wie etwa an rituellen Nachlauf- und Wettlaufspiele mit vielen Teilnehmern an Neujahr oder an Karneval mit. Interessant ist die Beschreibung eines Spott-Turniers mit einer drehbaren Vogelscheuche als Gegner, die als Sarazene ausstaffiert ist (Giostra della Quintana in Pesaro). Vgl. Saffioti, … E il Signor Duca ne rise di buona maniera, S. 83 f., S. 109 u. S. 111. 94 Vgl. ebd., S. 55. 95 Atanasio steht schon auf dem Schafott und wird erst in letzter Minute begnadigt. Das Lachen über seine Angst ist unbändig. Vgl. ebd., S. 56 f. 96 Ebd., S. 108 u. 109. Einkommen über Jahrzehnte am Hof tätig war, 92 gehörten neben der Unterhaltung der Herrschaft und ihrer Gäste auch Reisen an andere Höfe (als Narr), die Teilnahme an Ge‐ sellschaftsspielen, der Auftritt als komischer Sänger oder Tänzer bei Festen und besonderen Ereignissen und vieles mehr. 93 Der buffone, den man sicherlich nicht zu den natürlichen Narren zählen kann, berichtet häufig von Strafen, Quälereien und Vexationen körperlicher und psychischer Art durch Herrschaft und Hofleute: Als Strafen für wenig erfolgreiche Unterhaltungsversuche oder faux pas werden er und die anderen Narren am Hof häufig zu tagelangem Fasten gezwungen, sowie durch Schläge, Auspeitschen, oder andere Körper‐ strafen gezüchtigt. Als der Fürst einmal befahl, ihm als Strafe acht Tage lang nichts mehr zu essen zu geben, lachten die andere Bediensteten, sodass sich, wie Atanasio schreibt, ihr Lachen und sein Weinen miteinander mischten. 94 Beliebt ist auch psychischer Terror durch die Androhung von Schlägen, des Stricks oder gar der Exekution. 95 Am 1. Januar 1552 notiert er, dass ein gewisser Isacco da Montebello ihm fast beide Augen ausgestochen hätte, im Juli 1556 wird er vor dem Herzog von einem anderen Spaßmacher brutal ins Gesicht geschlagen. Im November 1556 erhält er von der Fürstin eine Schüssel Apfelmilch zum Lohn für seine Unterhaltung, doch der Diener Ottavio nimmt die Schüssel und wirft sie Atanasio ins Gesicht, sodass sie zu Bruch geht („che mi ruppe quel piatto nella bocca“). Atanasio erzählt noch, wie seine ganze Kleidung von der Milch durchnässt wurde. Am 23. Februar 1557 erhält er von einem gewissen Aurelio Fre‐ goroso einen Schlag in den Bauch, und einen weiteren von Raniero. Wenig später schlägt Aurelio ihn erneut, und zwar völlig grundlos: „di suo cappriccio, doi aver tre pugni senza averlo offeso in modo alcuno (...).“ 96 Was aus den Aufzeichnungen hervorgeht, ist die prekäre Doppelrolle des buffone als Dauer-Possenreißer und als Sündenbock, oft für völlig mutwillige Aggressionen. Lachen und Gewalt gehen hier eine enge Beziehung ein: Der Narr ist nicht nur Spaßmacher, sondern in hohem Maße auch Opfer der Späße anderer (höherer und gleichrangiger) Mitglieder des Hofes, über das ohne Lizenz gelacht werden kann. Atanasio kann sich auf Grund seiner schwachen Konstitution weder gegen die Züchtigungen, noch gegen den Zwang zu dichten und tanzen, damit sich sein „Publikum“ auf seine Kosten amüsieren kann, wehren. Freilich gibt es auch gelungene Streiche und Körperinszenierungen (s. u.), die dem Hofnarren ein 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 204 97 Verachtung ergibt sich dabei aus der Entlarvung hoher Ansprüche der höheren Schichten: „The lower (...) need not hold himself superior in some respect to the higher person to experience contempt for him. He only needs to discern that the higher is lower than the level the higher claims for him‐ self. (...) The contempt of the low for the high (...) will often be coupled by Schadenfreude. (...) The pleasure of upward contempt is seldom separable from the knowledge that the superior you hold in contempt is humiliating himself, is, in short, looking foolish.“ Miller, William Ian: The anatomy of disgust. Cambridge (Mass.) 1997, S. 220 u. 222. 98 Vgl. Welsford, The Fool, S. 114. Lachen eintragen, das weniger schadenfroh als affirmativ ist, bzw. sich auf den Schaden anderer richtet. Auch wenn Atanasios Tagebuch aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammt und insofern auf eine mindestens 250jährige Tradition höfischer Unterhaltung durch das Narreninstitut zurückgreifen kann, so lässt sich seine Position am Hof doch im Schnittpunkt von Lachen und Macht bestimmen. Er ist Medium des Gelächters, stellt es her und wird von ihm be‐ stimmt, indem er zum Objekt des Lachens (engl.: butt) gemacht wird. Das Lachen dient als Regulativ zwischen denjenigen, die die Nähe des Fürsten suchen und um Einfluss ringen, sei es aus politischen oder persönlichen Gründen. Der Narr ist jeweils Auslöser oder Opfer dieses regulativen Lachens, aber immer im Hinblick auf das Einverständnis des Fürsten. Wenn dieser selbst einmal zur Zielscheibe werden konnte, hatte dies jedoch kaum Konse‐ quenzen, da der Fürst alle Macht auf sich vereinte und somit frei von Ehrverlust bzw. Scham war. Mit seinem Publikum ist der Hofnarr durch eine eigentümliche doppelte Verwandtschaft verbunden: Er braucht es als (wechselnde) Gruppe von Lachern, damit seine Späße gelingen und sein Spott Wirkung zeigt, und er fürchtet es als Gruppe von Gegnern, die ihn jederzeit im Dienste des Gelächters körperlich züchtigen können. Umgekehrt brauchen die Höflinge den Hofnarren nicht nur, um lachen zu können, sondern auch, weil er seine verborgenen Wünsche in die Tat umsetzen bzw. versprachlichen darf. Als jemand, der die strengen hö‐ fischen Vorschriften für den Ablauf von Rituale und Körperhaltungen als lächerlich ent‐ larven darf, schafft er die Möglichkeit der Verachtung des Höheren durch die Niedrigen und Abhängigen. 97 Er trifft dabei den Geschmack des Publikums und wird von diesem ver‐ standen, denn beide sind am Hof in derselben Situation, beide wissen um die normierten und geläufigen Gesten und Redeweisen. Dabei zeigt sich der Narr als Herrscher einer Scheinwelt, die die Ängste und Aggressionen, Wünsche und Leidenschaften, Mängel und Fehler sichtbar und wahrnehmbar machen kann. Hier hat er noch etwas von jenem Ar‐ chaisch-Bedrohlichen, das die Ängste und Aggressionen des Kollektivs polarisiert. Nicht zuletzt dadurch zieht der Narr Aggressionen auf sich, um sie entweder zu entschärfen (durch Lachen und Schlagen), oder im inszenierten Streich, im gestischen und witzigen Spott weiterzugeben. Diese Funktion des Narren als Spielball psychischer Energien hat rituelle Wurzeln: Welsford nimmt an, dass im Mittelalter gerade natürliche Narren auch aus apotropäischen Gründen zur Verspottung angestellt wurden, da man Spott als Schutz vor Unglück sah. Diese ursprüngliche Schutzfunktion, wenn es sie denn gab, hat sich in‐ nerhalb der Lachgemeinschaft am Hof der frühen Neuzeit und ihres Konkurrenzdrucks in aggressive schadenfrohe Komik verwandelt. 98 4.3. Hofnarren 205 99 Wie z. B. in Southworth, Fools and jesters, S. 1-6. 100 Dabei stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang die joking relationships des Narren mit dem sozialen Aufstieg am Hof und dem Erwerb von politischer Macht stehen. Dazu Althoff, Gerd: Ver‐ wandte, Freunde und Getreue: zum politischen Stellenwert der Gruppenbindung im Mittelalter. Darm‐ stadt 1990. 101 Vgl. Zumthor, Körper und Performanz, S. 707. 102 „Mimesis ist ursprünglich eine körperliche Handlung, die sich zuerst in oralen Kulturen entfaltet. Sie hat den Charakter des Zeigens; in ihrer Geschichte kommt sie immer wieder auf das Gestische zurück. Selbst als versprachlichte Mimesis ist sie ein ‚zeigendes Sprechen‘. Der Rezipient nimmt das Zeigen so wahr, daß er aufgefordert wird, bestimmte Dinge oder Vorgänge als etwas zu sehen. In dieser Wechselwirkung liegt eine Komponente der Mimesis, die das Gezeigte oder Dargestellte zum Spektakel macht.“ Gebauer, Gunter u. Wulf, Christoph: Mimesis. Kultur- Kunst - Gesellschaft. Reinbek b. Hamburg 1992, S. 14. Es ist deshalb nicht ganz unproblematisch, wenn die Narren als Außenseiter am Hof dargestellt werden. 99 Freilich war ihr Platz in der feudalen Hierarchie niedrig und sie lebten in einer Art sozialem Vakuum, gehörten keiner Gruppe am Hof an, da sie als Mitglieder der familia des Herrschers diesem direkt unterstellt waren. Doch weder lässt sich daran eine „separierte“ oder „körperlose“ soziale Existenz festmachen, noch eine besondere Tendenz zur Individualisierung. Gerade die Einbindung des Narren in die Lachgemeinschaft macht ihn zu einem interaktiven Knotenpunkt der Stimmungen und Befindlichkeiten am Hof, und sein häufig zu beobachtendes spezielles Verhältnis zum Fürsten (z. B. als Berater) zeigt diese Zwischenstellung deutlich. 100 Aufgabenfeld: Körperliche Lachanlässe Der Körper ist für die Hauptaufgabe des Narren, Lachen auszulösen, schlichtweg unver‐ zichtbar. Präsenz und Materialität seines Körpers determinieren sein Verhältnis zur Lach‐ gemeinschaft am Hof, wir können auch von einer „soziokorporellen Form“ seiner Auffüh‐ rungen und Handlungen sprechen. 101 Das variable Element dieser Performanz besteht dann im Einsatz von Körperenergien, die in bestimmten Situationen in verschiedener Intensität zum Tragen kommen. Bisher hat die Forschung weitgehend darauf verzichtet, das mime‐ tische Potential von Körperbewegungen zu untersuchen, denn es sind vor allem mimetische Fähigkeiten, die den komischen Körper konstituieren: die Fähigkeit, Herrschaftsgesten zu parodieren, eine andere Person bis zur Identifikation nachzuahmen, fremde Körper und Stimmen mit dem Ziel der Verspottung und Degradierung zu imitieren. Forschungen zur sozialen und anthropologischen Bedeutung der Mimesis betonen ihren ursprünglich kör‐ perlichen und gestischen Charakter, 102 sodass die komischen Körperinszenierungen von höfischen Possenreißern als mimetische Gesten angesehen werden, denen performative Charakteristika zuzuschreiben sind: Sie sind situationsgebunden und okkasionell, flüchtig und kontingent, erlebnishaft und innovativ, eine Vermittlung zwischen Tun und Wissen, die immer wiederholt wird und doch immer wieder neu gestaltbar ist. Dass die korporellen und oralen Dimensionen des Narrenauftritts in ihrer Flüchtigkeit nur wenige Spuren in den überlieferten Texten hinterlassen haben, liegt auf der Hand. Dennoch gibt es für körperliche Akte, Mimik, oder Gestik von Narren schon frühe Zeug‐ nisse: Johann der Gute hatte um 1350 einen Narren, der als „Grimassenschneider“ und 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 206 103 Vgl. Lever, Zepter und Schellenkappe, S. 128. 104 Der Name des Narren war Le Glorieux. Vgl. Amelunxen, Zur Rechtsgeschichte der Hofnarren, S. 14. Wie oft macht Amelunxen keine Quellenangabe. 105 Graf, Arturo: Un buffone alla corte di Leone X. In: A. G.: Attraverso il Cinquecento. Torino 1888, S. 369-394, hier S. 375-389. Fra Mariano war auch eine Art Maître d’entretiens am Hofe Leos. Zu seinen organisatorischen Aufgaben zählten etwa die Vorbereitung von Trionfi, Komödien und Mo‐ riskentänzen in der Karnevalszeit. 106 Mariano organisierte regelrechte Schlachten mit Essensresten wie Knochen und Gemüseschalen, Tellern und Tassen, allen Arten von Tongefäßen und sogar Waschzubern, die durch den Saal flogen. Ebd., S. 388. 107 Levi, Ezio: L’ultimo Re dei Giullari. Studi Medievali I (1928), S. 173-180. 108 „Francesco Tapone era uno scroccone dall’appetito insaziabile, una vera voragine vivente, le cui buffonerie consistevano in pappare, in far male, in dir bugie, e de cui istinti bestiali ride sganghera‐ tamente messer Bermardo. Di questi parassiti avrà riso anche lo Sforza… “. (Francesco Tapone war ein Vielfraß und Parasit von unstillbarem Appetit, ein echter, lebendiger Schlund, dessen Streiche darin bestanden, einfach zu fressen, anderen weh zu tun, Lügen zu erzählen, und über dessen be‐ stialische Instinkte Messer Bernardo unbändig lachte, sie auch der Herzog darüber gelacht haben mag…“). Luzio / Renier, Buffoni, Nani e Schiavi, S. 648. „Zähnefletscher“ bezeichnet wurde; 103 der Narr Karls des Kühnen durfte bei den Mahlzeiten alle Vorschriften durchbrechen und Wasser verspritzen, mit Äpfeln um sich werfen und die Tischgäste verspotten. 104 Von Fra Mariano, mit bürgerlichem Namen Mariano Fetti, einem berühmten Narren am Hofe des Papstes Leo X., den dieser wohl schon am Florentiner Hof der Medici beschäftigt hatte, wird berichtet, dass er bei Banketten auf die Tische gesp‐ rungen, darauf herumgerannt sei, obszöne Gesten gemacht und den Gästen Ohrfeigen aus‐ geteilt habe. 105 Aus einem Brief des Stazio Gaddio an den Marchese oder die Marchesa von Mantua wird über ein Abendessen am 11. Januar 1513 beim Papst berichtet, an dem auch Fra Mariano teilnahm: Kaum dass man sich zu Tisch gesetzt hatte, begann der Bruder ge‐ bratene Hähnchen über den Tisch zu werfen, was zu einer Ausgelassenheit am Tisch führte, dass sich auch die anderen Gäste - darunter zahlreiche Kleriker - gegenseitig mit Soßen und Suppen Kleider und Gesichter bestrichen. 106 Mariano war auch für seine ungeheure Gefräßigkeit bekannt; es wurde über ihn gesagt, dass er ganze gebratene Tauben ver‐ schlingen, zwanzig Rebhühner zu Mittag essen oder vierhundert Eier aussaugen konnte. 107 Die übermäßige Völlerei gehörte anscheinend zu denjenigen Transgressionen beim Mahl, die größtes Amüsement auslösten. So wird von zwei Hofnarren Ludovico Sforzas (il Moro) von Mailand (1452-1508) berichtet, die bei Tisch ihre ungeheure Fresslust gewis‐ sermaßen vor der zuschauenden Hofgesellschaft ‚aufführten‘, ein Vorgang, über den der Fürst unbändig lachen konnte. 108 Freilich hat hier das Überlegenheitsgefühl der Herren über die inszenierten „animalischen Instinkte“ der Possenreißer, wie der Berichterstatter be‐ merkt, Anteil am Lachanlass. Der entscheidende Punkt ist jedoch - wie auch bei den an‐ deren Formen der Situationskomik bei Tisch - der performative Prozess: Im Rahmen eines spielerischen agon wird ein Wettbewerb um maximale Fresslust vor den Augen aller auf‐ geführt, zu dem eine ganze Reihe von denkbaren Entgleisungen gehört: die Prahlerei, die Verkehrung von Mäßigungsgeboten bezüglich der gula, die Art und Weise der Nahrungs‐ aufnahme, die Wirkung der Ansteckung des „Fressens“ auf die Zuschauer, die Konfusion, 4.3. Hofnarren 207 109 Dass die Verbindung Nahrungsaufnahme - Lachen auch in anderer Hinsicht relevant war, zeigt ein Brief des Mantuaner Hofnarren Scocola an seine Herrschaft, als er von den Gonzaga den Sforza in Mailand ausgeliehen wurde: er berichtet von guter Behandlung, und davon, dass er mit seinen Scherzen die dortigen Herren so sehr zum Lachen bringe, dass diese sich häufiger erbrechen mussten: „ch’io li fatio ridere in forma tale che molte volte perdeno il mangiare, sichè tanto ch’io starò qui me sforzarò di darli piacere per qualuncha via mi serrà possiblile.“ Ebd., S. 629 f. 110 Garzoni, La Piazza Universale. Discorso CXIX, S. 1303-1307. „Quindi il buffone (...) fa del Bergamasco a spada tratta, come se fusse il primo della vallata; è Magnifico nel sporgere, è Spagnolo nel gestire, è Todesco nel caminare, è Fiorentino nel gorgheggiare, è Napolitano nel fiorire, è Modenese in fare il gonzo, è Piemontese nel languire; è la simia di tutto il mondo nel parlare e nel vestire. Ora si vede il buffone con le ciglia degli occhi dentro ascose, e gli occhi sbardellati che par guerzo; ora con le labbra torte che par un mascherone contrafatto; ora con un palmo di lingua fuori che par un cagnazzo morto dal caldo e dalla sete; ora col collo teso che pare un impiccato; ora con le fauci ingrossate che fa mostra d’aver mille diavoli adosso; ora con le spalle, ingobbate che pare il Babuino da Milano; ora con le braccia rivoltate, che pare un guido propriamente; ora con le mani e con le dita fa gesti tali che pare il bagatella de’ trionfi. Col moversi finge il poltrone eccellentemente; col passeggiare fa del fachino raramente; col volgersi indietro contrafa un bravo stupendamente; col suono della voce imita l’asino per spasso; con le parole i balbi e i cocoglieri per trastullo; col gesto le bertuccie per diletto; col riso fa creppar di riso ogn’uno che lo vede.“ (Übers. HRV). die etwa durch das Werfen von Essensresten und das Besudeln der Umstehenden durch sie erzeugt werden kann. 109 Das ausführlichste Beispiel über die breite Palette der Tätigkeiten, Streiche und komi‐ schen Handlungsabläufe von höfischen Possenreißern hat uns Tomaso Garzoni in seiner Piazza Universale di tutte le professioni hinterlassen: Und so macht der Hofnarr den Bergamasker mit gezücktem Schwert, als ob er der bedeutendste seines Tals wäre; er macht den Rector Magnificus mit geschwellter Brust, den Spanier in höflicher Gestik, den Deutschen im Gange, den Florentiner im Reden und Schnarren, den Neapolitaner im Präsentieren, den tölpelhaften Modeneser, den Piemonteser im Lamentieren. Mit einem Wort, er kann der ganzen Welt in Reden, Gebärden und Kleidern nachäffen. Bald sieht man den Hofnarren, wie er die Augenbrauen hochzieht und die Augen verdreht, als wenn er einäugig wäre. Bald zieht er die Lippen so seltsam zusammen, daß man glaubt, er habe eine Maske vor sein Gesicht gezogen, bald reckt er die Zunge spannenlang heraus, als wenn er ein vor Hitze und Durst verendender Köter wäre; bald streckt er den Hals, als wenn er am Galgen hinge, bald zieht er ihn wieder ein und biegt den ganzen Leib zusammen, als wenn er den Teufel auf den Schultern hätte. Bald macht er einen krummen Rücken wie der Mailänder Trottel, bald kehrt er die Arme nach außen wie ein Landstreicher, bald gehen ihm die Hände und die Finger wie einem Gaukler bei Würfelspiel und Zauberei der Festumzüge. Bald streckt er sich wie ein fauler Schlingel, und er macht dies täuschend echt, bald geht er einher wie ein Lastträger, bald imitiert er bewundernswürdig einen Mörder in der schnellen Körperdrehung, und mit dem Klang seiner Stimme imitiert er den Esel aus Jux, aus Spaß ahmt er den Stotterer und den Stummen nach, zum Vergnügen äfft er jeden beliebigen in seinen Gesten nach. Und wenn er anfängt zu lachen, so muss jedermann, der ihn ansieht, mitla‐ chen. 110 Dieses laute, unbändige Lachen wird wenig später noch ausführlicher beschrieben; und wieder ist es der ‚Auftritt‘ des Buffonen, der es auslöst: 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 208 111 Ebd. S. 1311 f.: „Ove nel cerchio loro come pavone scioccamente d’aggira, si guarda intorno, che par un’occha; ride come un Margute a vedere un stivale in mezzo a tutti; sgrigna come un’asino mirando che stronzo (per così dire) in cimo d’un bastone ha partorito la fortuna, e quando è ritirato alquanto coi suoi pari, s’allarga come un cavallozzo all’aria, tenendos buono di essere il maggior uomo sopra tutti, e qui tutti i buffoni a ridere a creppare, a schioppar delle risa, e far ganzegha, e con un stolto applauso a metterlo sui balzi d’esser un’Elefante, mentre ch’è un’asino e col dito li vanno stuzzichando sotto per far lo trar de’ salti.“ (Übers. HRV). 112 Der Auftritt geschah „mentre un gruppo di violinisti si esibisce davanti a tutta la compagnia“. Saffioti, E il Signor Duca ne rise di buona maniera, S. 54 f. 113 Saffioti, E il Signor Duca ne rise di buona maniera, S. 100. Verkleidungen gehörten nicht nur an Kar‐ neval zum festen Repertoire von Hofnarren: Eine Spezialität des Narren Mattello der Isabella d’Este war es, sich als Mönch zu verkleiden und die liturgischen Zeremonien nachzuahmen und zu paro‐ dieren. Aus diesem Grund nannte ihn Isabella auch „venerabile padre Bernardino Mattello“. Vgl. Luzio / Renier: Buffoni, Nani e Schiavi, S. 633. Dort, wo er unter seinen Anhängern ist, stolziert er stupide wie ein Pfau herum, blickt um sich, als wenn er eine Gans wäre; er lacht laut wie Morgante, wenn er einen Stiefel unter allen Schuhen sieht, schreit wie ein Esel, der auf seinen Kot blickt und meint, er habe das Glück gerade ge‐ boren (...); und wenn er sich mit seinesgleichen zurückzieht, bläht er sich wie ein Pferd in der Luft, indem er sich als Leithammel aufführt; und wenn dann alle Narren lachen, sich vor Lachen schüt‐ teln, vor Lachen platzen, sich vor Lachen krümmen und biegen, und ihn mit einem blöden Applaus dermaßen aufblähen, dass er einem Elefanten gleicht, während er doch ein Esel ist, stoßen sie ihn mit dem unten an, damit er Sprünge und Salti macht. 111 In Garzonis Beschreibung wird der enge Zusammenhang von Körperkomik und Lachen deutlich: Der Narr verfügt über eine Reihe von Techniken der Körperbeherrschung, um in actu mit der Verstellung und Deformation des eigenen Leibes, sowie der spöttischen Imi‐ tation anderer Körper Lachen zu erregen. Auch obszöne Gebärden, Akrobatik und körper‐ liche Täuschungen gehören zu den Fertigkeiten, mit denen er die Umstehenden unterhalten oder verspotten kann. All dies gehörte auch zum Repertoire des Urbinatischen Hofnarren Atanasio, von dem bereits die Rede war. In seinem Tagebuch berichtet er häufig von komischen Vorträgen und Tänzen, mit denen er sein Publikum zum Lachen brachte. Seinen Angaben ist zu entnehmen, dass es sich dabei um groteske Bewegungen, cross-dressing und groteskkomische Reden handelte, bei deren Aufführung besonders die eigenwillige Stimme, die Mimik und die Gestik eine wichtige Rolle spielten. So konnte er stunden- und tagelang eine alleinstehende Dame mit seinem Singen, Tanzen und seinen komischen Erzählungen zum Lachen bringen. Ferner berichtet er von einem burlesken Solotanz als Begleitung einer Musikvorführung, 112 von Verkleidungen und Inszenierungen, wie etwa einer närrischen Hochzeit, bei welcher er den Bräutigam spielte, oder von einem weihnachtlichen Krippenspiel, bei welchem er als Hirte eine scherzhafte Wache improvisierte und aus diesem Anlass in Narrenmanier (d. h. falsch und laut) sang und betete. 113 Zu den körperlichen Lachanlässen gehörten nicht allein Verkleidung und Rollenspiel, Tanz und stimmliche Imitation. Auch schnelle Bewegungssequenzen anlässlich närrischer Wettbewerbe, oder die Veranlassung von Stürzen, Würfen und scherzhafte Prügel gehören in diesen Bereich. So stiehlt Atanasio bei einem Aufenthalt am Ferrareser Hof Ercoles II . einem gewissen Cavalier Sacco einen Teller Lasagne und flieht damit durch den ganzen 4.3. Hofnarren 209 114 Saffioti, E il Signor Duca ne rise di buona maniera, S. 104. Jagden durch den Palast waren willkommene Unterbrechungen der höfisch codierten Bewegungslogik in den Palästen, indem sie durch ihre mo‐ torische Intensität Entlastung von Normen der Körperkontrolle boten. So musste ein Hofnarr der Sforza, Mariolo, einmal auf Geheiß seiner Herren ein Schwein durch den Palast jagen. Vgl. dazu Luzio / Renier: Buffoni, Nani e Schiavi, S. 649. 115 Saffioti, E il Signor Duca ne rise di buona maniera, S. 103. Wie der Possenreißer durch Verstellung und Verzerrung der Stimme verschiedene Sprecher und Stimmtypen imitieren kann, zeigt anschaulich Garzoni, La Piazza Universale: „Quivi il buffone recita i testamenti villaneschi di barba Mangone e di Pedrazzo; adorna l’instromento che fa sere Cecco di parole più grosse che quelle del Cocai; narra le fuse torte che fece la moglie del medico la notte di carnevale; racconta il dialogo di mastro Agreste con la Togna di S. Germano; discorre di legge come un Grazian da Bologna; parla di medicina come un mastro Grillo; favella da pedante come un Fidenzio Glottocrisio.“ S. 1302 f. 116 Saffioti, E il Signor Duca ne rise di buona maniera, S. 108, 118. 117 „… e gionto che fommo in detto luogo ne fu gettato una ingrestana d’acqua nel viso e poi una ricotta, dove se ce rise di bona maniera.“ Ebd., S. 153. 118 Vgl. Kap. 6.3. Palast, verfolgt von seinem zornigen Opfer, der ihn jedoch nicht einholen kann: Der ganze Hofstaat verfolgt die spaßhafte Inszenierung mit großem Gelächter. 114 Die Stimme Atana‐ sios musste schnarrend und zuweilen unangenehm laut gewesen sein: Bei einem Aufenthalt am Hofe Ercole II . in Ferrara 1552 musste er dem Grafen Giulio di Scandiano immer wieder laut in die Ohren singen, auch wenn dieser „Abscheu darüber empfand“. Denn jedes Mal, wenn er sich dem Grafen näherte, begann der Herzog in lautes Lachen auszubrechen: „il duca … che ogni volta che si sganascia dalle risate nell’osservare la scena.“ 115 Häufig verbinden sich die Performances des Narren auch mit Vexationen: Anlässlich eines kleinen Festes der Fürstin trägt Atanasio scherzhafte „ragionamenti“ vor und singt. Daraufhin erhält er als Geschenk eine Apfel-Sahnetorte, die ihm der Trinceur des Grafen anschließend ins Gesicht wirft. Als er an einer Vorstellung reisender Komödianten die Rolle des Küchenjungen übernimmt, erhält er einen Ricotta-Käse ins Gesicht geworfen und wird geprügelt. 116 Als Atanasio ein vom Fürsten überreichtes, neues Narrengewand zum ersten Mal anzieht, lacht jedermann über die zu langen Ärmel und Beinlinge. Dann muss Atanasio es zu einer Ausfahrt anlegen, und als man am Ziel angekommen war, schüttet man ihm zunächst eine Kanne Wasser ins Gesicht, bevor man noch, wie gehabt, eine Ricotta - of‐ fenbar der Vorläufer unserer Sahnetorten - hinterherschickt. 117 Auch wenn im 16. Jahrhundert Atanasios Performances schon deutlich weniger trans‐ gressiv und obszön waren als noch ein Jahrhundert vor ihm die Scherze eines Dolcibene und Gonnella, wie sie von der Literatur überliefert werden, 118 so ist doch den privaten Auf‐ zeichnungen, welchen, wie der Herausgeber betont, ein hoher historischer Dokumentati‐ onswert zukommt, zu entnehmen, dass die höfische Lachgemeinschaft selbst in dieser Epoche einen hohen Anteil des Körpers an den unterhaltenden Performances des Hofnarren erwartete. Hofnarren als Erzähler der eigenen Possen Freilich ist den Aufzeichnungen Atanasios ein grundlegender Medienwechsel deutlich an‐ zumerken: Häufig wird vom Hofnarren nicht die Inszenierung eigener Streiche und Witze verlangt, sondern die Erzählung von Ereignissen, die in der Vergangenheit lagen oder au‐ 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 210 119 Welsford, The fool, S. 13. 120 Garzoni, La Piazza Universale, S. 1307. 121 Zit. aus: Schizzerotto, Giancarlo: Gonnella il mito del buffone. Pisa 2000, S. 256. 122 Saffioti, E il Signor Duca ne rise di buona maniera, S. 106. ßerhalb des Hofes passierten. An Karneval führt Atanasio häufig die Einfälle des Herzogs aus und tritt in verschiedenen cross-dressings auf: als Bäuerin, als junge Frau usw. Er durch‐ lebt in der jeweiligen Verkleidung die fröhlichen Tage, indem er tanzt, singt, mit den an‐ deren durch die Straßen läuft und mit seiner Verkleidung scherzt; all dies, um es am Abend detailliert seinem Herrn wiederzugeben. Diese Aufgabe, durch lebendige Erzählung seine eigenen Streiche oder lächerlicher Szenen an anderen Orten wieder in Erinnerung zu rufen bzw. als kurzweilige Nachrichten zu präsentieren, gehörte sicherlich ab dem 14. Jahrhundert zum Repertoire des Possenreißers. So schreibt Welsford über die italienischen Buffonen: An important part of the stock-in-trade of successful buffoons was a talent for telling good stories about themselves. To increase their repertoire they would play comic and sometimes very dishonest tricks on the various people they met on their journeys, and they would then hasten to the nearest court to tell the story and get a handsome tip as a reward for their roguery. Often, I imagine, they must have invented the incidents or grossly exaggerated them. It would be interesting to know whether they sometimes modelled their conduct on jest-books; certainly, unless human nature has completely changed since then, they must often have appropriated one another’s anecdotes, and told ‚chestnuts‘ as if they were the result of first-hand experience. 119 Die Funktion des Hofnarren als Erzähler seiner eigenen Handlungen wird auch in kultur‐ historischen Quellen fassbar: Garzoni schreibt 1585 über die Tätigkeit des Hofnarren, dass er zur Unterhaltung Anlaß gebe, „mit seinen Erzählungen, Possen, Gesichterschneiden und Späßen, wenn ein ehrenvolles Publikum am Hofe sich um ihn herumgesetzt hat.“ 120 Über den ferraresischen Hofnarren Gonnella heißt es in der Biographie von Bandini, dass er ein Meister im Verfertigen von Späßen und Streichen war, die er dann dem Publikum zur Er‐ heiterung vorgetragen hat: „Ridenda siquidem per iocum multa mirabili callidate confecit, que natura audientum letificant recitata.“ 121 Zur Kunst des Possenreißers gehörte es dem‐ nach in zunehmendem Maße, nicht nur transgressive, unverantwortliche bzw. närrische Handlungen auszuführen, sondern vor allem von solchen mündlich zu berichten. Dies er‐ fordert teilweise andere Fähigkeiten, die Zuhörer zum Lachen zu bringen, als die perfor‐ mance selbst. Sie waren vor allem an rhetorischen Witz und redebegleitende Gestik und Mimik gebunden, die etwa ein natürlicher Narr im Regelfall nicht effektiv beherrschte. So interpretiert Saffioti die im Tagebuch Atanasios befindlichen Witze und Schwänke dahin‐ gehend, dass der Possenreißer eine ganze Reihe zusätzlicher performativer Leistungen er‐ bracht haben muss, um beim Vortragen oder Vorlesen aus dem Buch seine Zuhörer zum Lachen zu bringen. 122 Denn sein Tagebuch diente Atanasio auch als Ressource für solche Gelegenheiten, an denen keine neuen Einfälle vorhanden waren. Er las dann daraus wie aus einer Chronik des Hoflebens vor, und erinnerte sein Publikum an denkwürdige Ereignisse. Vor allem der Fürst selbst wünschte zu Zeiten, dass der Narr ihm jeden Abend aus seinem Tagebuch vorlas: „facendomi legger ogni sera il signor duca un mio libro novamente ritrovato che 4.3. Hofnarren 211 123 Ebd., S. 53. Es war für Atanasio wichtig, immer ein paar gute Geschichten, Anekdoten und Erzäh‐ lungen von tatsächlich geschehenen Ereignissen auf Lager zu haben, sodass er manchmal sogar das, was passierte, in sein Notizbuch schrieb, um es später, während des Banketts, erzählen zu können. 124 Vgl. zum Begriff der „zerdehnten Kommunikation“ Ehlich, Konrad: Zum Textbegriff. In: : Text - Text‐ sorten - Semantik. Linguistische Modelle und maschinelle Verfahren. Hg. von Annely Rothkegel u. Barbara Sandig. Hamburg 1984, S. 9-25 sowie ders.: Funktion und Struktur schriftlicher Kommuni‐ kation. In: Handbuch Schrift und Schriftlichkeit. Bd. 1. Hg. von Hartmut Günther u. Otto Ludwig. Berlin / New York 1994, S. 18-41. 125 Saffioti, E il Signor Duca ne rise di buona maniera, S. 59. sette anni innanzi l’avevo perduto.“ 123 Hier werden mehrere Funktionen des Tagebuchs greifbar: erstens die Auffrischung der Erinnerung des Fürsten an vergangene Ereignisse des Hoflebens - vergleichbar mit einem heutigen Fotoalbum; zweitens die Befriedigung der Lust am genauen Hergang bestimmter lächerlicher Vorfälle und Denkwürdigkeiten der Vergangenheit, damit sie vor dem geistigen Auge wieder aufscheinen und erneut über sie gelacht werden kann - ähnlich wie beim Vortrag von unterhaltsamen Novellen; und drit‐ tens die ebenfalls mit Lachen verbundene Kurzweil und Freude am eigentlichen stimm‐ lich-mimischen Vortrag Atanasios. Das Tagebuch übernimmt dabei die Rolle eines unter‐ haltenden Mediums, und ‚ersetzt‘ gewissermaßen gegenwärtige Handlung durch die mediale Reproduktion von vergangener Handlung. Die übermittelnden Medien - Körper, Stimme und Sprache des Possenreißers - bleiben jedoch dieselben, sie verdoppeln sich gewissermaßen nur und schließen den bei der „zerdehnten Kommunikation“ aufgetretenen raumzeitlichen Hiatus. 124 Im Verlauf dieser Verschiebung von Handlungen und Sprechakten hin zur Erzählung dieser Handlungen und Sprechakte im mimisch-gestischen Vortrag verändern sich auch körperliche und sprachliche Komik: Alle motorischen und körperlich aufgeführten Akte werden auf die ebenfalls körperlichen, doch weit weniger aktive Ebene des stimmlichen und fazialen Ausdrucks reduziert. Überraschende und schlagfertige Antworten, Bonmots und Motti, spöttische Bemerkungen können im Verlauf der Verschriftung und erneuten Wiedergabe verändert, erweitert und mit einer Spannungskomponente versehen werden. Die Verschiebung hin zum Tagebuch bedeutete demnach nicht nur eine Erweiterung und Verlagerung der kurzweiligen Formen, die der Possenreißer anbot, sondern auch eine Ver‐ änderung der Komik selbst. Dies geht so weit, dass die Unterhaltung des Fürsten durch Atanasio eine ganz neue Qualität erlangt: Der Primat des Schrifttextes beim Vorlesen stärkt die Tätigkeit des buffone als Chronist. Dem Fürsten geht es im Umgang mit den Tagebüchern seines Narren nicht mehr so sehr um die Wiederholung komischer Sequenzen, sondern um die Aufzeichnung denkwürdiger Ereignisse und „weiser“ Reden seines Narren. Immer wieder sieht sich Ata‐ nasio mit der Aufforderung konfrontiert, weise zu sprechen und dies dann im Tagebuch festzuhalten: „Sua eccellenza disse ch’io avevo detto una cosa molto da savio en che non mancasse di metter tal cosa a libro.“ 125 In den Anforderungen des Herzogs werden, um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Italien, neue Prioritäten der komischen Unterhaltung er‐ kennbar: Erwartet werden von Atanasio weniger transgressive, obszöne Späße, als eher kluge, witzige Reden, ganz im Sinne von Castigliones „Der Hofmann“. Der Maßstab ist der 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 212 126 Diese Entwicklung lässt sich anhand der Stadtnarren in Flandern ebenso erkennen: 1548 wurde der Stadtnarr von Oudenaarde auf einmal „fol saige“ genannt, während er in den Jahren zuvor nur „sot“ hieß. Vgl. Verberckmoes, Johan: Schertsen, schimpen en schateren. Geschiedenis van het lachen in de Zuidelijke Nederlanden, zestiende en zeventiende eeuw. Nijmegen 1998, S. 20 f. 127 Levi, L’ultimo Re dei Giullari, S. 176. 128 So etwa hatte die Stadt Lille einen Schalksnarren in ihrem Dienst, der bei öffentlichen Prozessionen und Festen mitwirkte. Vgl. Welsford, The fool, S. 121. 129 Vgl. Verberckmoes, Schertsen, schimpen en schateren, S. 22. In Flandern waren Schalksnarren unter den Rhetorikerkammern der rivalisierenden Städte, wie Verberckmoes zeigen kann. Dass sie oft spektakuläre Streiche mit geistreichem Witz verbunden haben, zeigen die von Erasmus festgehal‐ tenen Geschichten des Löwener Narren Anthonis van der Phalisen, genannt Pape Theun, der 1487 gestorben war, über den aber noch zahlreiche Anekdoten kursierten. Zit. bei Verberckmoes, ebd. schriftliche Text, dessen erbauliche Funktion immer mehr seine kurzweilige verdrängt. 126 Mit dem neuen Maßstab verändern sich auch die Anforderungen an die Performance: Der Text bestimmt von nun an die Handlungen, das Lachen hat aufgehört, sie zu regieren. 4.4. Schalksnarren als städtische Unterhalter: Spottturniere und Pritschmeister Neben den Höfen waren vor allem die Städte der Ort, wo Possenreißer ein Publikum für ihre Inszenierungen finden konnten. Im Mittelalter waren Hof und Stadt allerdings nicht immer voneinander klar abzutrennen: So wird aus einer Mailänder Chronik aus dem 14. Jahrhundert berichtet, dass am Hof der Visconti zur Zeit Bernabòs gegenüber dem Adelspalast ein Haus gab, wo „histrionibus sive bufonibus suis“ lebten; diese führten öf‐ fentlich verschiedene Kampfspiele auf. Sie duellierten sich im Werfen von Messern und Schwertern, oder sie praktizierten den Zweikampf mit langen Holzschwertern und großen runden Schilden aus Holz (duelli giullareschi). 127 Interessant ist dabei die Zwischenstellung dieser Possenreißer. Sie wurden am Hof zu bestimmten Gelegenheiten gebraucht und wohl auch von ihm unterhalten, doch konnten sie auch eigenständig für andere arbeiten, wie etwa verschiedene Unterhaltungsaufgaben zu städtischen Festen und Ereignissen über‐ nehmen. Hier gab es bei öffentlichen und privaten Festen und Umzügen, bei Turnieren und Spielen ein reiches Betätigungsfeld für Schalksnarren, die gelegentlich auch im Dienst der Städte selbst standen. 128 Diese trugen dann auch Kleider in den Farben der Stadt, wie etwa Joos, der Stadtnarr von Oudenaarde, im Jahre 1512 zwei Kleider mit schwarzen Linien, Socken, Schuhe, ein hölzernes Schwert und eine Hellebarde aus Holz. In dieser Kleidung stand er dem dem Maler Jan Spierinc Modell, der sein Porträt malte. 129 Gerade bei städtisch ausgerichteten Turnieren fanden sich reichhaltige Möglichkeiten der Mitwirkung: So existierten innerhalb der breiten Turnierpraxis des Spätmittelalters, die bis zu den großen Turnierveranstaltungen unter Maximilian reichten, schon früh parodie‐ rende Zwischenspiele oder Einlagen als kurzweilige Unterbrechung oder als Abschluss des Rituals. Hier konnte sich die Spannung, die den Schauturnieren trotz aller Vorsicht und Beherzigung ritterlicher Codes auf Grund ihres Risikos für die Teilnehmer eigen war, im Gelächter über performances entladen, in denen professionelle Stocknarren die rituellen Abläufe und Bewegungen der Turnierteilnehmer nachahmten, Stürze imitierten und sich 4.4. Schalksnarren als städtische Unterhalter: Spottturniere und Pritschmeister 213 130 Dass es sich bei diesen Tätigkeiten nicht um natürliche Narren handelte, sondern um Possen‐ reißer / Schalksnarren, dürfte zweifelsfrei sein. Vgl. auch Verberckmoes zu den Stadtnarren der Nie‐ derlande im 16. Jh., der belegt, dass viele der Stadtnarren geachtete Mitglieder der Reederijker-Kam‐ mern waren und ein intelligentes Rollenspiel aufführten. Verberckmoes, Schertsen, schimpen en schateren, S. 18. 131 Vgl. dazu auch Malke, Lutz S.: Narren. Porträts, Feste, Sinnbilder, Schwankbücher und Spielkarten aus dem 15.-17. Jahrhundert. Ausstellung der Kunstbibliothek Staatl. Museen zu Berlin 2001, S. 17 f. gegenseitig mit Spottgesten und -reden anstachelten. 130 Flögel hat die ausgesprochene Kör‐ perkomik der Narren bei Turnieren gestützt auf spätmittelalterliche Belege wie folgt be‐ schrieben: „Diese Narren liefen, hüpften und sprangen mit lächerlichen Bewegungen und Geberden um die Reiter, munterten sie auf, trieben die Pferde an, leisteten indeß auch bei Unglücksfällen ihren Herren Beistand.“ Diese Tätigkeiten sind auch auf verschiedenen bildlichen Zeugnissen festgehalten; so auf einer Lucas Cranach dem Jüngeren zugeschrie‐ benen kolorierten Zeichnung (1550? ) eines Turniers mit Narren. Auf der linken Seite er‐ kennt man im Hintergrund die mit Spottgesten und Prügeln aufeinander los gehenden Narren, im Vordergrund verhöhnt ein dritter Narr den gestürzten Ritter mit einer Spottgeste (Feige). Die Narren tragen die zweifarbige Kleidung, es sind die Farben des gestürzten Rit‐ ters, in dessen Dienst sie offensichtlich stehen. 131 (Abb. 5) Abb. 5: Lucas Cranach d. J. (1550? ): Turnier mit spottenden Narren (Kupferstichkabinett Berlin) Auch auf einem Kupferstich des Meisters MZ (Matthäus Zasinger? ), das ein Turnier am Hof Albrechts IV . von Bayern darstellt, sind in der Peripherie des Kampfgeschehens - welches durch Chaos und Unordnung gekennzeichnet ist - neben Musikern auch Narren in Aktion zu sehen: während in der Mitte des Bildes ein Narr auf einem Esel die Tjost imitiert, bückt 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 214 132 Feyerabend, S. XVIII, zit. bei Retemeyer, Vom Turnier zur Parodie, S. 105. Dass Schalksnarren zur Belustigung auf Eseln ritten, ist mehrfach belegt. So ritt der Narr Namen Omcken anlässlich des großen Narrenfestes 1551 in Brüssel, das von Jan Colyns organisiert wurde, rückwärts auf einem Esel herum. Bei diesem Narrenfest, von dem Verberckmoes berichtet, gab es eine Narrenmesse, ein Narrengericht, ein Narrenbankett und ein Narrenturnier mit hölzernen Waffen und Pferden. Eine große Menschenmenge schaute zu und begleitete die Aufführungen mit nicht enden wollendem Lachen. Vgl. Verberckmoes, Schertsen, schimpen en schateren, S. 21. sich der Narr im Vordergrund um seinen Stock (oder Lotterholz), mit dem er vermutlich die Kämpfer angestachelt oder mit entsprechenden Gebärden den Verlust der Lanze eines un‐ terlegenen Ritters nachgeäfft und ihn so verspottet hat. (Abb. 6) Eine ausführliche Beschreibung eines Schalksnarrenauftritts als Zwischenspiel besitzen wir von einem gewissen „kurtzweiligen Marcolfus (! ) auff einem ungesattelten Esel“ an‐ lässlich eines Turniers in Wien 1566: In dem aber dises alles geschacht / ist dieser dieweil komen auff einem ungesattelten Esel / welcher Esel hat grosse lange gezottete Hosen / auff Landsknechtische weiß angehabt an allen vieren / von gelb und blaw farben / und auff dem kopff ein schoenen grossen Federbusch / von Hanenfedern gemacht / Der aber so auff im gesessen ist / war dieser theurer Marcolfus / welcher auch nit weniger gestaffiert gewesen ist als sein gewaltiger Hengst / u. Dann sein kleidung war allenthalben gruen und rot / mit wollen oder Rosszhar außgefüllt / damit wann er gefallen im kein schad moecht widerfaren / zu vor auß auff der brust / an armen / und auff dem rucken / und hette auff dem kopf ein rot Paret auff Schweizerisch art / ist also auff dem Esel hinderwertz gesessen / und den schwanz in die hend gefasst / hin und her geritten in der Schrancken / und under dem volck platz ge‐ macht / auß disen ursachen / wann er den Esel anstach / da fieng er dann an gumpen und zu springen / und wurff in ab. Trib in summa vil gauckeley / daß sein sehr gut / zu lachen was / treib es auch so lang fuer und fuer biß zu end deß Thurniers. 132 Die Körperinszenierungen des Possenreißers sind hier eindeutig auf das Lachen des Pub‐ likums fokussiert. Schnitt und Farben der Kleidung unterstützen die Bewegungs- und Ver‐ laufskomik, indem sie den Eindruck des Konfusen, Ungeordneten, aus dem Ruder Lau‐ fenden unterstreichen. Der Spaß kommt völlig ohne sprachliche Anteile aus, auch wenn angenommen werden kann, dass bestimmte witzige Bemerkungen hier die Wirkung noch‐ mals steigern konnten. Der Sturz vom Esel als das Zentrum der komischen performance wird gezielt provoziert und vorbereitet, wodurch eine komische Spannung erzeugt wird, die sich bereits im Lachen über das „gumpen und springen“ des Tieres und dann schließlich im schadlosen Fall entlädt. Die Symbole der Narrheit (Federbusch aus Hahnenfedern, roter Hut als Hahnenkamm, mi-parti-Kleidung, das rückwärts Reiten) sind als Rahmungssignal des Lächerlichen bedeutsam, die Nähe zum Publikum steht in der Tradition des Narren‐ auftritts im weltlichen Spiel. 4.4. Schalksnarren als städtische Unterhalter: Spottturniere und Pritschmeister 215 133 Abb. 5, S. 158v / 159r des Nürnberger Schembart-, Turnier- und Wappenbuches (Ms. Germ. fol. 442 der Staatsbibliothek Preuß. Kulturbesitz Berlin, Handschriftenabteilung. Repr. In: Malke, Narren, S. 27). Abb. 6: Meister MZ (Matthäus Zasinger? ) Turnier am Hof Albrechts IV. von Bayern. Kupferstich, 1500 (Kupferstichkabinett Berlin) An einer Abbildung im Nürnberger Schembart-, Turnier- und Wappenbuch wird ersichtlich, dass Narren innerhalb ernsthafter Turniere Hilfsdienste für die turnierenden Ritter leis‐ teten, vor allem aber für die Unterhaltung des Publikums zuständig waren. 133 Gelegentlich übernahmen die adligen Turnierteilnehmer auch selbst die Narrenrollen in solchen spöt‐ tisch-parodistischen Aufzügen: Ein prägnantes Beispiel hat uns Hans Folz in seinem Lob‐ gedicht auf Maximilian hinterlassen, in welchem er die Ereignisse anlässlich des Kaiserbe‐ suchs zur Reichsversammlung in Nürnberg 1491 detailgenau festhielt. Nachdem das eigentliche Stechen und Rennen, an dem der Kaiser persönlich teilgenommen hatte, beendet war, traten 24 in grünem Filz gekleidete Männer von Adel auf, die auf dem Kopf Strohhelme und am ganzen Körper Wollknäuel unter der Kleidung trugen, um gegen Schläge mit Holz‐ krücken gewappnet zu sein, mit welchen sie sich gegenseitig traktierten sollten. „Die hielten 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 216 134 Folz, Hans: König Maximilian in Nürnberg (38). In: Die Reimpaarsprüche. Hg. von Hanns Fischer. München 1961, S. 321-324. zusammen viele Treffen mit Krücken, ritten auf Sätteln ohne Gurt, fielen oft herab ohne getroffen zu sein, und wenn sie trafen, blieb keiner sitzen, was lächerlich zu sehen war.“ 134 Do der schimpf auch gelag, Hup sich ein ander art, Ich glaub, das auff die fart, Kemen die wilden zwerg Auß einem holen perg In einer grün mießfarb. (…) Ir helm woren von stro, Die schilt fast auch also, Ir pfert der settel ploß. Es waren man und roß Auff einander getruckt, Die man recht sam gepuckt Oben geschwoln und dick Mit manchem ungeschick. Kurz leib und lange pein Tauchten sie han gemein; Am rück und um den pauch Gefüllet wie ein schlauch, Der auffgeplasen ist. Ich sach nie in der frist selczamer kuntter zwar. Etlichen waren dort Die meüler auffgespert Und von einander zert, Als vor gelechter groß Von diser sach ich loß. (V. 94-172) Noch im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurden im ganzen Land, vor allem zu Fastnacht Spott-Turniere veranstaltet. Es waren meist als Bauern oder Narren verkleidete und aus‐ staffierte Gruppen junger Adliger oder Bürger, manchmal auch Gesellen (‚Gesellenstechen‘) und Bedienstete, die im Rahmen der fastnächtlichen Aufführungen zum Spaß gegenei‐ nander antraten (auch ‚Kübelstechen‘). Dazu bemerkt Kerstin Retemeyer in ihrer Untersu‐ chung zu Turnierparodien: Die verkehrte und parodierte Ausrüstung erforderte natürlich auch veränderte Bewegungen. (...) Waren bei den üblichen Rennen und Stechen die Form und das Maß gefragt, interessierte, wie der Kämpfer die Regeln einhielt, so verlangten diese Possen das Gegenteil - Flexibilität und Ungestüm. Die Form zerbrach. Nicht das Erwartete geschah, sondern das Unerwartete, Extravagante. (...) In 4.4. Schalksnarren als städtische Unterhalter: Spottturniere und Pritschmeister 217 135 Retemeyer, Vom Turnier zur Parodie, S. 103. 136 Ebd., S. 104. 137 Ebd., S. 113; ganz ähnlich war die Belustigung bei den in Leipzig und Nürnberg stattfindenden Fi‐ scher-Stechen, bei welchen sich gegnerische Parteien gegenseitig von Booten ins Wasser stießen. Ebd., S. 114 f. diesen Spottturnieren wurden, wie im Karneval, Standesgrenzen scheinbar verschoben und auf‐ gehoben; scheinbar, weil Spiel, Fastnacht und die beteiligten Personen die Grenzen setzten. 135 Die Bewegungen und Aktionen der Beteiligten an scherzhaften Turnieren stellten vor allem das Scheitern normierter bzw. idealer Körperbewegungen dar, sie stellten das Misslingen aus. Neben den theatralen Aufführungen der performer war die Inszenierung des Sturzes und seine Begleiterscheinungen (simulierte Lanzenstöße, simulierte Hiebe, Fall vom Pferd, halbe Stürze aus dem Pferd, Stürze zu Fuß, Landung im Schmutz oder auf dem Pflaster) eine übliche und beliebte Attraktion der Possenreißer. Diese Inszenierungen des Misslingens sind auf semiotischer Ebene völlig zu Recht als karnevaleske „Verkehrungen“ von Turnierordnungen und höfischer Körpernorm interpre‐ tiert worden, im Sinne eines Selbstbewusstseins städtischer Identität gegenüber überkom‐ menen Adelsritualen. Der dabei auftretende temporäre Austausch von sozialen Positionen macht die liminale Situation des Spiels nochmals deutlich. Dennoch liegt die Komik nicht allein in diesen spöttischen Parodien überkommener Rituale, die von einem sich überlegen fühlenden Bürgertum verlacht werden können, wie Retemeyer annimmt, sondern wie‐ derum in der lächerlichen Inszenierung der Vorgänge selbst: Motorik, Kinesik, Gestik, Mimik, Intensität in Bewegung und Stimme sind die entscheidenden Lachen auslösenden Merkmale. Man verlachte nicht in erster Linie den Repräsentanten eines Standes oder einer Gruppe, sondern die Körperaktion, die er vorstellte bzw. nachahmte: „die Kämpfer stürzten oft vom Pferd, jeder rannte wider alle Regeln gegen jeden, das Stechen insgesamt verlief chaotisch.“ 136 Ob ein Ritter oder ein als Bauer verkleideter Ritter oder ein als Narr auftretender Geselle vom Pferd fiel und unsanft aufkam, der komische Sturz an sich bleibt das Ereignis, was zur „Einleibung“ durch innervativen Nachvollzug und somit zum Lachen führt. Freilich kommen die anderen Elemente der komischen Inszenierung insgesamt hinzu, wenn etwa unstandesgemäße Kleidung vorgeführt bzw. einander ausschließende Standeszeichen zu‐ sammengefasst werden. Schließlich ist das Lachen auch ein Medium des Spottes, wenn Standesmerkmale gezielt parodiert und lächerlich gemacht werden. Ein sehr früher Beleg dafür, dass solches Lachen nicht von sozialer Verachtung, sondern von körperlichem ‚Fehlverhalten‘ regiert wird, ist das schon im 12. Jahrhundert stattfin‐ dende Fischerstechen der Bürgersöhne vor den Toren Londons. Als ständeübergreifendes Ereignis lachte man hier in sicherer Entfernung am Ufer über den Verlust der Balance der Teilnehmer und die anschließenden Stürze ins Wasser bei einer Geschicklichkeitsübung auf der Themse. 137 Das Beispiel ist auch ein guter Nachweis dafür, dass das Lachen über den Körper in rituellen Spielen nicht an das Spätmittelalter gebunden ist, sondern auch schon vorher rekurrentes Phänomen war, auch wenn die Belege hier wesentlich weniger zahlreich sind. 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 218 138 Vgl. Kap. 1.1 zur Einleibung. 139 Vgl. Werner Röcke: Die getäuschten Blinden. Gelächter und Gewalt gegen Randgruppen in der Li‐ teratur des Mittelalters. In: Lachgemeinschaften. Hg. von Röcke / Velten, S. 61-82, hier S. 68. 140 Die Tatsache, dass es sich hier um die Randgruppe der Blinden handelt, ist noch für die Frühe Neuzeit nicht ehrenrührig, da Gewalt und Spott gegen Minderheiten zur Normalität des Alltags gehörte. Dass im Blinden-Schweine-Spiel die Gewalt gegen Randgruppen aus apotropäisch-ritueller Motivation heraus inszeniert wird, wie Röcke vermutet, mag durchaus zutreffen. Das Lachen betrifft jedoch weniger die Blinden als Randgruppe, sondern ihre defizitäre Motorik und die närrische Verfolgungs‐ jagd insgesamt in einer Rahmung der komischen Situationsspaltung, in welcher die außerhalb der Situation Stehenden mehr wissen (und sehen) als die innerhalb der Situation Befindlichen (vgl. Kap. 6.4.). 141 Vgl. zu den Schützenfesten und zur Figur des Pritschmeisters Bachler, Karl: Der Pritschmeister Wolf‐ gang Ferber d.Ä. (1586-1657) und seine Stellung in der deutschen Literaturentwicklung. Ohlau 1929 und Retemeyer, Vom Turnier zur Parodie, S. 119-129 u. S. 146-170 genauer zum Status des Pritschmeisters. Der inszenierte Sturz gehört wie auch spielerische Verfolgungsjagden, wie wir sie am Hof in Urbino gesehen haben, und scherzhafte Prügelszenen zu denjenigen komischen Performances, die allein durch ihre überraschende und überbordende Motorik faszinieren und zum Lachen bringen. Denn bei alle diesen Inszenierungen fällt der Körper aus der Rolle, entledigt sich seiner Haltungsaufgaben, die an kulturelle und ethische Werte gebunden sind, überträgt sich ein spezifischer Körperimpuls der verkehrten und überraschend falschen Motorik an die Zuschauer und Teilhabenden, der durch die ausbleibende Realisierung am eigenen Körper stattdessen Lachen auslöst. 138 Ein weiteres Beispiel dafür ist der in der Lü‐ becker Chronik für das Jahr 1386 festgehaltene Bericht eines scherzhaften Turniers bzw. Rituals mit Blinden, was zur Fastnacht stattfand. Der Junker der Stadt wählte zwölf kräftige Blinde aus, welche als Ritter mit alten Harnischen und Panzern ausstaffiert und mit Keulen bewaffnet wurden, und führte sie in einen abgezäunten Platz auf den Markt, wo sie ein Schwein jagen, töten und im Anschluss daran verzehren durften. Die wilde Jagd der Blinden nach dem Ferkel, die fehlgehenden Schläge und diejenigen, die nicht das Schwein, sondern die anderen Blinden trafen, die Stürze der Blinden und die Agilität des Schweines waren Anlässe für das Gelächter der Zuschauer, sodass das Spektakel besonders populär war, wie wir aus Berichten aus Köln, Brüssel, Nürnberg und anderen Städten wissen. 139 Auch hier geht es um die Inszenierung von Konfusion und Misslingen, um die Lust an fehl gehendem motorischen Aufwand, die Differenz zwischen erkennbarem Kampfeswillen und körper‐ lichem Ungenügen, welche für das Gelächter verantwortlich sind. 140 Auch die rituellen, jährlich wiederkehrenden Schützenfeste boten viel Raum für Kör‐ perinszenierungen professioneller Possenreißer, hier Pritschmeister genannt. Als Ausrufer und Festordner, Spielmeister und Unterhalter hatten die Pritschmeister eine wichtige Funk‐ tion für den Erfolg des Schützenfestes. Sie traten selbst als Schalksnarren oder Narren‐ meister in Begleitung von Narrengehilfen auf, teilten mit ihrer Pritsche Hiebe und Schläge aus, griffen in die einzelnen Teile des Programmablaufs (musikalische Darbietungen, Bau‐ erntänze, Bauernstechen) mit närrischen Possen ein und hielten Spottreden. 141 Wie einige Hofnarren des 16. Jahrhunderts waren die Pritschmeister auch Chronisten der Ereignisse, 4.4. Schalksnarren als städtische Unterhalter: Spottturniere und Pritschmeister 219 142 Der Pritschmeister ging im Gegensatz zu den fahrenden Possenreißern einem bürgerlichen Beruf nach, übte diesen jedoch auch auf Wanderschaft aus. Er gehörte den Schalksnarren zu, und nahm als eine Art Zeremonienmeister an den Festen verschiedener Städte teil und berichtete später in gereimten Versen über die Geschehnisse. Beispielhaft steht Heinrich Wirre oder Wirrich, der über die Münchner Hochzeit (1568) und über die Wiener Hochzeit (1571) Beschreibungen verfaßte. Vgl. Retemeyer, Vom Turnier zur Parodie, S. 117 ff. 143 Staatsarchiv Dresden, OHMA Lit. G. Nr. 1 Bl.45-105a. Zit aus Retemeyer, Vom Turnier zur Parodie, S. 119. 144 Retemeyer, Vom Turnier zur Parodie, S. 124. 145 Ebd., S. 130. 146 Fastnachtsturnier in Dresden, 1554. Zit. aus Retemeyer, Vom Turnier zur Parodie, S. 139. an denen sie teilnahmen bzw. die sie organisiert hatten. 142 In einer solchen Chronik eines Pritschmeisters des Großen Armbrustschießens zu Dresden 1554 wird von einem grotesken Tanz zweier maskierter und als Narren ausstaffierter Männer und einer hinkenden Narren-Braut berichtet, die vor dem Pritschmeister, der ebenso den Hinkenden gab, einen Tanz mit brennenden Kerzen aufführten, zu dem zwei Sackpfeifer spielten: „So hetten die baide mitt denn kertzenn Ime furtantzenn wollen Wann sie dann also baide gehunckenn Sollte der Pritz=scher die braut gepritzscht habenn vndd als ain gelechter doraus wordenn sein.“ 143 Teil des Schießens war ein Bauernstechen am zweiten Tag, bei welchem sich die Teilnehmer gegenseitig mehr oder weniger ungeschickt von den Ackergäulen zu stoßen versuchten. 144 Bauernstechen wurden in Städten und Dörfern abgehalten, waren aber auch häufig Be‐ standteil von Schützenfesten und dienten als kurzweilige Unterbrechung des Schießwett‐ bewerbs vor allem der Unterhaltung. Bauernstechen waren Parodien von üblichen Tur‐ nieren, es wurden (Spott-)Preise ausgesetzt und die Teilnehmer rekrutierten sich aus der Bauernschaft. Die vielleicht berühmteste Beschreibung eines Bauernstechens ist das Bau‐ ernturnier in Heinrich Wittenwilers Der Ring, in welchem der Ritter Neithart gegen die Bauern antritt und ihnen empfindliche Verletzungen zufügt. Was hier in grotesker Über‐ treibung geschildert wird, waren vermutlich auch in Wirklichkeit derbe Vergnügungen, die auch in Gewaltorgien ausarten konnten. Ihre Hauptaufgabe lag jedoch in der „kurtzweil“: „Der einzige Zweck lag darin zu unterhalten, Lachen zu erwirken; nicht Geschicklichkeit auszustellen, sondern Ungeschicklichkeit. Der Unterhaltungswert erhöhte sich mit zuneh‐ mendem Widerspruch zu einem normalen Turnier“, so Retemeyer. 145 Die Bauern stachen zumeist in Strohharnischen, was sie zwar vor schlimmeren Verletzungen schützte, doch die Bewegungsfreiheit einschränkte und auch dadurch einen lächerlichen Effekt hatte. Über‐ haupt wurde bei Bauernturnieren durch Ausrüstung und übertriebene Bewegungen ein grotesker Eindruck der gesamten Motorik angestrebt. Ziel der Pritschmeister war es, vor allem für die Zuschauer ein Bild höchster Unordnung und Verwirrung zu inszenieren, was sich teilweise durch unfreiwillige Stürze und Missgeschicke, teilweise durch simulierte Be‐ wegungen erreichen ließ. Dennoch blieb es beim Stechen der Bauern nicht immer beim Scherz, sondern es kam auch häufig zu Verletzungen und Unfällen. Dies scheint jedoch einkalkuliert worden zu sein; so kommentiert der Chronist, Pritschmeister Pezold, solche gefahrvollen Stürze kaum mit Mitleid, sondern lakonisch mit Schadenfreude, ein Hinweis auf die Wahrnehmung des Publikums: „vnnd ist lustig antzusehenn gewesenn.“ 146 4. Ioculatores und Hofnarren: Professionelle Possenreißer im Mittelalter 220 Den Kontrast zwischen dörperlichem und höfischem Milieu, den Retemeyer als Grund für das Verlachen der Bauern als Narren angibt, sehe ich im Gegenteil als inszenierten an: Weder dörperliches noch höfisches Milieu waren in der frühneuzeitlichen Stadt Dresden noch vollständig vorhanden; man spielte mit ständisch-literarischen Hypostasierungen, um ein ständeübergreifendes Lachen auszulösen. 4.4. Schalksnarren als städtische Unterhalter: Spottturniere und Pritschmeister 221 1 Vgl. die Zusammenfassung der Forschung zu dieser These bei Katritzky, M. A.: Women, Medicine and Theatre 1500-1750. Literary Mountebanks and Performing Quacks. Aldershot / Burlington Vt. 2007, S. 15 ff. 2 Auch wenn ich mir über die methodische Unschärfe dieser Differenzierung bewusst bin, ist sie doch für das Folgende leitend gewesen. Sicherlich ließen sich von diesem Gesichtspunkt her die in Kap. 4.4. genannten Schalksnarren in den Städten auch unter „theatrale Aufführungen“ subsumieren, doch ist dort m. E. die Zugehörigkeit zur Narrentradition wichtiger. 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers im Schauspiel 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität Im vierten Teil dieser Arbeit habe ich zu zeigen versucht, dass die Wahrnehmung von be‐ stimmten Körperinszenierungen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher professioneller Performer (ioculatores, Hof- und Schalksnarren) Lachen ausgelöst hat. Als wesentliche Ba‐ sisfelder einer Komik der „obscenis corporum motibus“, wie sie in den Schriften der Kleriker bezeichnet wurde, konnten anhand von kulturhistorischen Quellen körperliche, sprach‐ liche und stimmliche Nachahmung sowie Bewegung identifiziert werden. Zum ersten Feld gehörte die Verdopplung / Wiederholung, Verzerrung, Umkehrung und Variation von ritu‐ ellen und sozialen Regulatoren wie etwa in Spottgesten und -handlungen, Stimmenver‐ stellungen, Überschreitungen der Grenzen zwischen Geschlechtern, zwischen sozialen Gruppen und deren Habitus, sowie zwischen Mensch und Tier. Das zweite Basisfeld kann mit der Aufführung von Unordnung und Verwirrung, die bis zur Erzeugung komischer Gegenwelten reichen kann, umschrieben werden; dazu gehören tänzerische und motorisch exzessive Bewegungen (wie inszenierte Stürze, Verfolgungsjagden oder Störmanöver), oft in Kombination mit der Aufführung lautlicher Intensität. Es stellt sich nun die Frage, ob dieser noch recht allgemeine Befund auch auf die seit dem späten Mittelalter sich immer weiter ausbildenden und sich verfestigenden theatralen Spielformen übertragen werden kann. Wie werden die Körper von Akteuren im weltlichen und geistlichen Spielen, wie auch in anderen städtischen performances - Tänze und Läufe der Karnevalszeit etwa - inszeniert, um Lachen zu erregen? Der Übergang von den Auf‐ führungen der Gaukler und Narren zu stärker institutionell organisierten theatralen Formen ist dabei fließend: Die These des Mitwirkung professioneller Schauspieler scheint hier - gerade bei den komischen Szenen des geistlichen Spiels - zumindest nicht generell ausschließbar. 1 Dennoch ist gerade das Kriterium professionelle Schauspieler oder Laien‐ darsteller bisher dazu benutzt worden, um zwischen den Solo-performances der ioculatores und den stark gruppen- und gemeinschaftsbezogenen theatralen Aufführungen in den Städten andererseits zu unterscheiden. 2 Die einzelnen Spielgattungen wie Neidhart- und Fastnachtspiel, Farce, Sottie und Com‐ media dell’arte, sowie geistliche Spiele sind zwar gattungsgeschichtlich nicht problemlos 3 Insofern gilt auch hier bereits - wenn auch mit Abstrichen - die Minimalformel für Theater: a spielt b und c schaut zu: „Es ist die besondere Leiblichkeit des Schauspielers, sind seine performativen Akte wie Gesten, Bewegungen im Raum, Sprechakte, welche die Identität einer Rollenfigur konstituieren.“ Vgl. Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, S. 19. 4 Hier weise ich nochmals auf meine Unterscheidung zwischen lächerlichem und komischem Körper hin: Sie unterscheiden sich nicht in ihrer Zugehörigkeit zur lebensweltlichen bzw. ästhetischen Sphäre. Ist der komische Körper der absichtsvoll komisch inszenierte Körper des Schauspielers oder Possenreißers, so verstehe ich unter lächerlichem Körper die unfreiwillig lächerlich gemachten Körper der anderen (vgl. Kap. 1.3. § 17). zu umreißen, doch sind sie geeignete Felder des Theatralen, um das Potential und die Formen komischer Körperinszenierungen präziser als in Teil 4 herauszuarbeiten. Denn bisher ging es mir vor allem um den Nachweis dieser Inszenierungen und ihren Zusam‐ menhang mit dem Lachen seit dem frühen Mittelalter; im Folgenden wird es zwar auch noch darum, aber mehr um den Versuch der Beschreibung einer historischen ‚Grammatik‘ von Körperbewegungen und -inszenierungen gehen, deren Wahrnehmung Lachen ausge‐ löst hat. Zu den Besonderheiten des frühen Theaters im christlichen Abendland zählen sicherlich sein enger Bezug zum Ritual sowie seine offene Form als Spiel, welches man deshalb auch mit gutem Recht als performance bezeichnen kann. Als performances können zwischen 1300 und 1600 nicht nur Spiele, sondern auch Umzüge, Prozessionen, Tänze und Aufführungen jeder Art beschrieben werden. Sie gehören somit zum Bereich des dem Rituellen entwach‐ senen Theatralen, meist auch Szenischen, und man kann sie auch als rituell-theatrale Formen ansehen. Rituell sind sie, weil sie an Rituale des religiösen, agrarischen und sozialen Lebens anknüpfen und Gemeinschaft herstellen, sowie deren symbolische Bedeutungen bearbeiten. Performativ sind sie, weil sie diese Gemeinschafts- und Bedeutungsherstellung aufführen und vollziehen, und weil sie ihre Akteure im Raum ordnen; theatral sind sie, weil die Akteure ihr Spiel vor Zuschauern aufführen, und die Zuschauer Möglichkeiten der Intervention und somit Bewusstsein von ‚Spiel‘ besitzen. Dieser performativ-rituell-theat‐ rale Rahmen ist es, der Spiele und andere dramatische Aufführungen grundsätzlich von den Solodarbietungen der ioculatores und den Possen der Narren unterscheidet, und der auch den komischen Inszenierungen, die innerhalb seiner Grenzen stattfinden, eine besondere historische Prägung verleiht. Wie lassen sich die Formen von scurrilitas in diesem Rahmen beschreiben, was ist die Rolle von Possenreißern darin? Hier ist zunächst nach ihrem Einsatz zu fragen, zu unter‐ scheiden, ob sie in die Aufführungen integriert sind - als komische Figuren im Spiel oder in Zwischenspielen, als Mitwirkende bei Umzügen und Läufen - oder eher am Rand von Aufführungen zu finden sind, als Ausschreier und Platzschaffer bzw. als Spaßmacher an der Grenze zwischen Akteuren und Publikum. In jedem Fall gilt für die rituell-theatralen Aufführungen, dass die komischen Akteure Schauspieler sind, denn sie spielen eine wie immer geartete Rolle, sie inszenieren ihren Körper, damit er einen Effekt zeitigt: das Lachen des Publikums. 3 Es ist somit wiederum ein komischer Körper, der andere Körper zum Lachen bringt. Auf der anderen Seite ist die Frage von Bedeutung, in welchen Aufführungsformen Possenreißer in die Rolle des jesters einnehmen, desjenigen, der die Körper der anderen Mitspieler lächerlich macht, damit über sie gelacht werden kann. 4 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 223 5 Dass es sich dabei um eine Skizze der verlorenen Komödientheorie des Aristoteles handelt, hat Janko vermutet. Vgl. dazu Janko, Richard: Aristotle on Comedy. Towards a Reconstruction of Poetics II. 2. Aufl. London 2004, S. 52-62. Vgl. auch: Fuhrmann, Manfred: Einführung in die antike Dichtungstheorie. Darmstadt 1973. 6 Vgl. Aristoteles: Poetik, 9, 1448a. 7 Zu den Einzeltechniken der Redekomik gehören: Homonymie, Synonymie, Geschwätzigkeit, Paro‐ nomasie, unpassende Diminutivbildung, Verfremdung durch Stimme, Syntax. Vgl. Janko: Aristotle on Comedy, S. 25-34. 8 Vgl. Tractatus Coislinianus, in: Janko: Aristotle on Comedy, S. 35-37 (Übers. HRV). Vor diesem Hintergrund sind die aristotelischen Theoriesätze zur Poetik der Komödie, wie sie in seiner Poetik und im anonym überlieferten, doch stark aristotelischen hellenis‐ tischen Tractatus Coislinianus (Handschrift aus dem 10. Jh.) 5 formuliert sind, nur in Aus‐ nahmefällen auf rituell-theatrale Aufführungen zwischen 1300 und 1550 zu übertragen. Aristoteles hatte in seiner Poetik nur wenige Sätze zur Komödie formuliert: ihre Grund‐ prinzipien basierten demnach auf der Darstellung von mit Hässlichkeit verbundenen Feh‐ lern des Menschen, die jedoch enthebbar sind, also keinen Schmerz verursachen. Sie sollen in einer „zusammenhängenden Handlung von allgemeiner Bedeutung“ dargestellt werden. 6 Aristoteles bezieht sich damit auf das von ihm präzise definierte Genre der Ko‐ mödie, deren Entstehung er auch gattungshistorisch begründet. Das Lächerliche ist dem‐ nach auf dramatische Handlungs- und Ereignisfolgen bezogen, in welche die komischen Darsteller eingebunden sind. Von hier geht der kurze Tractatus Coislinianus aus, wenn er die Hauptquellen der Bühnenkomik, die Rede- und die Handlungskomik etwas näher be‐ schreibt. Nach den verschiedenen Lachanlässen der Redekomik 7 wird das Lachen über ko‐ mische Handlungen beschrieben, bei welchen der Traktat wiederum neun Anlässe unter‐ scheidet: Lachen entsteht (1) aus der Täuschung, (2) aus der Verwechslung bzw. Verkleidung, (3) aus dem Unmöglichen und (4) dem Möglichen, doch Verkehrten, (5) aus dem Unerwarteten, (6) aus der Bildung ‚niedriger‘ Charaktere, (7) aus der Anwendung des groben Tanzes, (8) aus der Bevorzugung des Wertlosen statt des Wertvollen, und (9) aus einer unzusammenhängenden, sinnlosen Rede. 8 Hier haben wir es mit einer Mischung verschiedener Kategorien zu tun: Während die Lachanlässe 1 bis 5 sowie 8 kognitiven Operationen unterliegen und sich auf den Hand‐ lungsverlauf beziehen, sind die Punkte 6 bis 9 auf die Aufführung und ihre Akteure bezogen. Dieses Schema ist aus leicht ersichtlichen Gründen für eine Analyse des Lachens und des Komischen in Mittelalter und Früher Neuzeit unbrauchbar. Es setzt eine fest umrissene Gattung, die klassische Komödie, und eine logisch-konsequentielle Handlung voraus. Ein körperlicher Lachanlass ist nur unter (8) zu erkennen, ansonsten werden die Körpertech‐ niken des Lachens nicht weiter beschrieben. Auch die Provokation durch Obszönität und Skatologie, die etwa in Neidhart- und Fastnachtspielen so deutlich im Zentrum steht, fällt hier völlig weg. Es bleibt die Kategorie der Darstellung „schlechterer“ Menschen sowie diejenige der Enthebbarkeit, welche auch für die Komik in unserem Untersuchungsfeld gelten. Für die komischen Vorgänge in rituell-theatralen Aufführungen ist es demnach not‐ wendig, nicht von ästhetischen Kategorien wie Genre, Handlung oder Darstellungsabsicht auszugehen, sondern vom inszenierten Körper. Denn der biologische, soziale und sinn‐ 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 224 9 Fischer-Lichte, Erika: Theatergeschichte als Körpergeschichte. Einl. zu Verkörperung, S. 11. 10 Abbé d’Aubignac, Francois Hedelin: La pratique de théâtre. Amsterdam 1715, S. 262. lich-wahrnehmbare Körper steht im Zentrum einer Theatergeschichte, die sich als Ge‐ schichte der Aufführungen versteht, wie Erika Fischer-Lichte deutlich gemacht hat: Diesen multidimensionalen Körper setzt der Schauspieler mittels einer Reihe von sich im Laufe der Geschichte wandelnden Techniken der Körper- und Stimmverwendung, Darstellungscodes und Aufführungskonventionen in Szene. Alle Aktionen des Körpers, Bewegungen und Gesten im Raum, Lautstärke, Klangfarbe und Modulation der Stimme sind ebenso wie das durch Kostüm und Maske bzw. Schminke erzeugte Erscheinungsbild inszeniert. 9 Die Wahrnehmung dieser actio des inszenierten Körpers und seiner Sprache ist es, die die Lachanlässe auch im Rahmen theatraler Bühnenkomik bestimmen. Diese dürfte sich weit mehr als in Sprachhandlungen in körperlichen Handlungen manifestiert haben, wenn noch D’Aubignac die Bühnenkomik in seiner Praxis des Theaters von 1715 als „beaucoup plus dans les actions, que dans les discours“ charakterisiert. 10 (Weitere Belege für diese These weiter unten.) Deshalb gilt hier ebenso, was wir für komische Vorgänge als Lachanlässe (modale Komik) in Kap. 1.3. festgelegt hatten: Dass nämlich die Wahrnehmung des lächerlichen Körpers mit dem wahrnehmenden Eigenleib (dem spürbaren Leib des Selbst) eine enge Verbindung eingeht, die zur temporären Konstitution eines interkorporellen Zwischen, eines Leibkör‐ pers führt. Diese „Einleibung“ ist entscheidendes Merkmal für die Erfahrung des Komischen (1.3., § 9 u. § 10). Komischer Vorgang und Lachen gehören demnach in einen Zusammen‐ hang der Widerfahrnis und Einleibung. Auf dieser Ebene der Übertragung körperlicher Komik im Erleben ergibt sich noch kein Sinn, sondern allein ein Nach- und Mitvollzug komischer Bewegung. Da dieser Moment des Mitvollzugs das eigene leibliche Selbstver‐ hältnis in Frage stellt, und es zur kognitiven Erkenntnis des komischen Vorgangs kommt, lacht der Körper als Akt der Distanzierung vom körperlichen Nachvollzug (§ 11 u. § 12). Das Lachen als Desorganisation des eigenen Körpers (Plessner) ist so die Reaktion auf den wahrgenommenen Kontrollverlust des anderen Körpers durch fremde Ursachen. Dieser Akt der Distanzierung durch Einleibung im Lachen macht noch einmal die Bedeutung der Wahrnehmung komischer Vorgänge und ihren Performance- und Spielcharakter deutlich. Damit kommt sie der ästhetischen Wahrnehmung nahe, die ebenfalls als ein Distanzie‐ rungsprozess beschrieben werden kann, ohne mit dieser jedoch identisch zu sein. Die Wahrnehmung des (tatsächlichen oder gespielten) körperlichen Kontrollverlustes (des Anderen) kann als der wichtigste körperliche Lachanlass bezeichnet werden. Komische Vorgänge des Kontrollverlustes beziehen sich jeweils auf Transformationen kultureller Codierungen der Hexis, d. h. der Körperhaltung, der Körperbewegung, der Gestik und Mimik, der Stimme und des Blickes, der Kleidung und Haartracht, des gesamten körperli‐ chen Habitus (§ 16). Ein professioneller Spaßmacher verfügt über Techniken, mit Hilfe derer er die verschiedenen Formen des Kontrollverlustes inszenieren kann. Bewusste Angriffe auf das Körperschema, wie etwa die Nachahmung eines bestimmten Ganges, aber auch ein Zuviel oder Zuwenig an Bewegung, an Gestik und Mimik, körperlichen Expressiva, das reine Zeigen von Nacktheit, Verkleidung, Maskerade oder der Vorgang der Nahrungsauf‐ 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 225 11 Vgl. dazu Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 165. 12 Fischer-Lichte, Theatergeschichte als Körpergeschichte, S. 11. 13 Denn auf der Grundlage von Codes werden Bedeutungen erzeugt, werden Botschaften formuliert. Vgl. Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, S. 11. 14 Vgl. zu dieser Diskussion auch Philipowski, Silke: Geste und Inszenierung. Wahrheit und Lesbarkeit von Körpern im höfischen Epos. PBB 122 (2000), S. 455-477 und dazu Müller, Jan-Dirk: Visualität, Geste, Schrift. Zeitschrift für dt. Philologie 122 (2003), H. 1., S. 118-132. nahme und der Ausscheidung können somit Gelächter auslösen, ohne dass es noch zu einer Decodierung einer Zeichenbedeutung gekommen wäre (§ 18). Komische Vorgänge sind somit als „verkörperte“ zu betrachten, d. h. sie haben gleichzeitig repräsentationalen und selbstreferentiellen Charakter. Daraus ergibt sich, dass der Körper im komischen Vorgang sowohl semiotische als auch performative Qualitäten aufweist (§ 8). Er wirkt zunächst über seine Phänomenalität und seine Präsenz. Diese wird durch Prozesse der Verkörperung er‐ zeugt, mit denen der Possenreißer seinen phänomenalen Körper als einen raumbeherrsch‐ enden und die Aufmerksamkeit des Zuschauers erzwingenden hervorbringt. 11 Komple‐ mentär zu diesem performativen Effekt des komischen Körpers eignet ihm auch ein semiotischer Effekt, d. h. er kann auch zum Zeichen oder Zeichenträger werden (§ 17). Für die Untersuchung historischer Konstellationen der Wahrnehmung theatraler komi‐ scher Vorgänge bedeutet dies, dass der Körper nicht nur als Träger von Bedeutungen ge‐ sehen wird, sondern in seiner ganzen sinnlichen Präsenz, die das Publikum wahrnimmt. In der Forschung ist in den letzten Jahren eine Abkehr von rein semiotischen Analysen des Körpers in der Aufführung allgemein zu erkennen. So konstatierte Erika Fischer-Lichte schon 1999: „Denn auf der Bühne produziert der Körper Zeichen und ist Zeichen; er ist ein Zeichen-Körper, ein semiotischer Körper. Zugleich aber geht er niemals in seiner Zeichen‐ funktion auf.“ 12 Die spezifische Leiblichkeit, seine Ausstrahlung, sein In-der-Welt-Sein, seine Faszination und Sensation hat der reinen Zeichenfunktion des Körpers Widerstände entgegengesetzt. Dies hängt einerseits mit den Schwierigkeiten der Erstellung eines semi‐ otischen Beschreibungssystems für alle möglichen Bewegungs- und Erscheinungsvari‐ anten des Körpers zusammen, zweitens mit der Tatsache, dass den Zeichen des theatrali‐ schen Codes auf der Ebene des Systems lediglich eine Bedeutung zugeordnet werden kann, und drittens mit den stärkeren Zweifeln an den Prinzipien der kommunikationstheoretisch gefassten Bedeutungsübertragung von Zeichen überhaupt. 13 Insbesondere der bewegte, komische Körper mit seinen zahlreichen Gebärden, seiner mimischen Verzerrung, seiner Energetik, Proxemik sowie seinen phonetischen und paralingualen Äußerungen ist ein umfassendes Phänomen, das in seiner Unbestimmbarkeit kaum zu systematisieren ist. 14 Schon Barthes hatte darauf hingewiesen, dass das Theater eine hohe Dichte an Zeichen aufweise („polyphonie informationelle“). Zusätzlich zur Zeichendichte kommt noch die Vieldeutigkeit der Zeichen, ihre Polysemie: Es gibt nicht nur einen theatralischen Code, sondern viele: Codes der Sprache und des Sprechens, der Gestik und Mimik, der Stimme und der Bewegung, kulturelle, soziale und epochale Codes, die nur über Kontextanalysen zu erschließen sind. Entsprechend schwierig ist der semiotische Ansatz für das Phänomen des Komischen, das ja gerade mit der Viel- und Mehrdeutigkeit von Zeichen, überhaupt mit den Möglichkeiten der Konstruktion und Dekonstruktion von Sinn spielt. Doch gilt dies auch in umgekehrter Hinsicht: Gerade theatrale Rahmungen eröffnen durch ihr inhärentes 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 226 15 So etwa Lohr, Günter: Körpertext. Historische Semiotik der komischen Praxis. Opladen 1987. 16 Ebd., S. 69. 17 Die Zeichen, die durch die Tätigkeit eines Schauspielers hervorgebracht werden, sind eindeutig auf entsprechende kulturelle Systeme zu beziehen, deren Zeichen sie denotieren. Vgl. Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, S. 30. Überangebot an Zeichen (welches sich durch den Entwurf einer Spielwelt ergibt) auch die Möglichkeit zum kreativen Umgang mit den Zeichen, zur Kombination und zur Zersetzung von Zeichen, was deren methodischen Status wiederum schwächt. Es ist daher kaum überraschend, wenn Versuche, den theatralen komischen Körper se‐ miotisch zu fassen, nicht gänzlich überzeugen konnten. 15 So erkennt Günther Lohr im Körper des Harlekin ein „ästhetisches Ausdruckssystem“, das sich in der „komischen Praxis“ realisiert: „Das Ziel der komischen Praxis ist (...) die Auflösung der realen Handlungsfelder und ihre Recodierung innerhalb des komischen Raums.“ 16 Der körperliche Habitus, d. h. der Flickenkittel des Harlekin, seine äußere Zerzaustheit, die physiologische Lockerheit der komischen Figur sind körperliche Ausdruckssymbole, die nach Lohr den Bruch mit der Ordnung, die Auflösung der dominanten Strukturen der communitas anzeigen. Wie richtig dies auch sein mag, vergegenwärtigt man sich die symbolischen Kleidungsstücke und Ac‐ cessoires von Narrenfiguren auf der Bühne - buntes Flickenkleid, Schellen, Narrenkappe, Marotte / Kolben - mit denen lesbare soziale Gesten demonstrativ vorgeführt werden (mit dem Kolben schlagen, an die Ohren fassen), so ungenügend ist diese Symbolik im Ergebnis, wenn sie sich mit der Konstatierung von gesellschaftlichen Mangel- und Zersetzungser‐ scheinungen bzw. der Kritik an ihnen begnügt. Sie hat dann nämlich nichts über die Wir‐ kung dieser semantisch codierten Komik ausgesagt - das Lachen. Und sie hat auch nichts über jene Bewegungslogik, Akrobatik, Mimik und Variabilität des Narrenkörpers und die Wahrnehmung ihrer Präsenz ausgesagt. Was die Semiotik für eine Analyse komischer Vorgänge in theatralen Rahmungen, auch für die Vormoderne, leisten kann, dürfte unbestritten sein: Die körperlichen Inszenierungen und Bewegungen von komischen Figuren - die aufgeführten Zeichen der Schauspieler - können bekannte und herrschende kulturelle Codes intentional parodieren, unterlaufen, kombinieren und verdoppeln, und somit ihre semantische Bedeutung pragmatisch verän‐ dern. 17 Gängige kulturelle Codes der Sprache und des Körpers, wie Bewegungscodes, Hal‐ tungscodes, Sprechcodes, Kleidungscodes, Verhaltenscodes werden so in der Aufführung Gegenstand von Übertragungen und semantischen Veränderungen (Umkehrungen, Kom‐ binationen, Subversionen, Negationen usw.). Beim Decodieren dieser Veränderungen muss freilich beachtet werden, dass die theatrale Rahmung selbst bestimmten Codes - etwa des karnevalesken Festes - folgt, die die Verhandlung kultureller Codes erst möglich macht. So müsste für jede einzelne Aufführung der Vergangenheit nicht nur jeweils entschieden werden, welche Codes bei der Aufführung vorliegen, sondern auch, welche kulturellen Codes mit ihnen bearbeitet werden. Dass dies ein fast nicht zu leistendes Unterfangen ist, dürfte einsichtig sein. Dennoch: Heuristisch ist der semiotische Zugang hilfreich, bietet er doch ein Beschrei‐ bungsinventar, mit Hilfe dessen Körperinszenierungen besser als zuvor beschrieben werden können. Er reicht jedoch nicht aus, da gerade die intendierte Wirkung, das Lachen, weniger über Zeichenfunktionen als über performative Funktionen erklärt werden kann. Denn kör‐ 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 227 18 „All jokes have this subversive effect on the dominant structure of ideas. (...) The joke is an image of the relaxation of conscious control in favour of the subconscious. This joke pattern needs two ele‐ ments: the juxtaposition of a control against that which is controlled, this juxtaposition being such that the latter triumphs“. Douglas, Mary: The social control of cognition: some factors in joke per‐ ception. Man 3 (1968), S. 364. perliche Lachanlässe gleichen dem Lachen selbst: Wie das Lachen ein körperliches, para‐ linguistisches Zeichen ist, das vielfältige Bedeutungen erzeugen kann, in jedem Fall aber die Aufmerksamkeit auf den lachenden Körper selbst und sein Außer-Sich-Geraten, seine Deformationen und dem mit ihnen verbundenen Kontrollverlust lenkt, so folgen auch die körperlichen Lachanlässe dem Modell der körperlichen Desorganisation und dem Verzicht auf die Herrschaft über den Körper. Dieses Modell ist auch auf die Sprache anwendbar: Stottern, Stammeln, Wort- und Satzverdrehungen, Versprecher usw. sind sprachliche Formen des Kontrollverlustes. Lachen vollzieht sich hier selbstreferentiell, ohne gleich Zei‐ chen oder Geste zu sein, ohne für etwas anderes zu stehen. Konstitutiv für das Lachen über den Körper ist deshalb auch die Inszenierung leiblicher Triebe, Begierden und Ausscheidungen, vor denen der Körper des Lachenden kapituliert, weil er keine semantische, sondern eine somatische Beziehung zu ihnen unterhält. Denn der Körper verbindet sich im Komischen mit den Zeichenprozessen des Diskurses, ohne jedoch Bedeutung zu erzeugen wie die Sprache, die den Körper im Augenblick der Bedeu‐ tungserzeugung abgeschüttelt hat und deren Botschaften körperlos sind. Der Körper aber spricht im Komischen ohne Bedeutung, er ist die Botschaft selbst. Mary Douglas hat das anhand der skatologischen Komik treffend gezeigt. Sie erreicht ihre Wirkung dadurch, dass der Bezug eines Ereignisses zu einem körperlichen Muster die Würde seines moralischen Musters zerstört, und somit Bedeutung zunichte gemacht wird, damit der Körper im Vor‐ dergrund stehen kann. 18 Was resultiert daraus für die Bestimmung der Relation von Körper- und Sprachkomik? Meine These dazu ist, dass das Ambivalente, Widersprüchliche und Absurde im Sprachspiel letztlich auf den Körper und seine Widerständigkeit verweisen. Dass De- und Rekomposi‐ tion von Worten, ihre Mischung und Verrätselung, dass syntagmatische Deformationen, asyndetische Phonemfragmente und ihre lautlichen Dissonanzen in der komischen Rede zur Streichung sprachlicher Signifikanz tendieren und somit auf den Ort ihrer Artikulation, den menschlichen Körper verweisen und Indikatoren für sprachliche scurrilitas sind. Somit liefert die Sprache in den uns überlieferten Zeugnissen einen Zugang zum Körperlichen, den wir sonst nicht mehr finden könnten. Da die Sprache von Texten - und somit auch von historischen Aufführungen - an Gattungsbedingungen gebunden ist, will ich im zweiten Kapitel dieses Teiles die verschiedenen Gattungen des weltlichen Spiels auf scurrilitas hin untersuchen; zuvor scheint es mir jedoch angebracht, die verschiedenen Wahrnehmungs‐ felder komischer Körperlichkeit in theatralen Rahmungen zu beschreiben, um damit ein geeignetes Analyseinventar zu entwickeln. 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 228 19 La première fois, les clowns allaient, venaient, se cognaient, tombaient et rebondissaient selon un rythme uniformément accéléré, avec la visible préoccupation de ménager un crescendo. Et de plus en plus, c’était sur le rebondissement que l’attention du public était attirée. Peu à peu on perdait de vue qu’on eût affaire à des hommes en chair et en os. On pensait à des paquets quelconques qui se laisseraient choir et s’entrechoqueraient. Puis la vision se précisait. Les formes paraissaient s’arrondir, les corps se rouler et comme se ramasser en boule. Enfin apparaissait l’image vers laquelle toute cette scène évoluait sans doute inconsciemment : des ballons de caoutchouc, lancés en tous sens les uns contre les autres. Bergson, Henri: Das Lachen, S. 36 (Übers. fehlerhaft, Überarb.: HRV). 20 Ebd. Bewegung im Raum: Motorik und Proxemik In einer entscheidenden Passage von Henri Bergsons berühmter Theorie über das Lachen erklärt er als das Charakteristische an der Kunst des Clowns dessen „Haltungen, Sprünge und Bewegungen“: Beim ersten Mal kamen und gingen die Clowns, prallten aneinander, fielen nieder und sprangen wieder auf, nach einem gleichmäßig beschleunigten Rhythmus, in der deutlichen Absicht, ein Crescendo herzustellen. Und mehr und mehr richtete sich die Aufmerksamkeit des Publikums auf das Wiederaufspringen. Allmählich vergaß man, dass man es mit Menschen von Fleisch und Blut zu tun hatte. Man dachte an irgendwelche Pakete, die sich fallen ließen und aneinander stießen. Dann wurde das Bild bestimmter. Die Formen schienen sich zu runden, die Körper zu Kugeln zusammenzurollen. Schließlich erschien das Bild, auf welches die ganze Szene - zweifellos unbe‐ wusst - sich hin entwickelte: Gummibälle, die in alle Richtungen gegeneinander geworfen werden. 19 Diese Erfahrung nahm Bergson als drittes Beispiel, um sein berühmt gewordenes Bild vom Komischen als eines „méchanique plaqué sur du vivant“, ein das Lebendige überziehendes mechanisches Moment, zu erläutern. Wir lachen nach Bergson in diesem Fall, weil lebende Menschen, die Clowns, in der Wahrnehmung des Zuschauers zu mechanischen Dingen werden, also immer dann, wenn uns dieser Körper an einen bloßen Mechanismus oder an ein Ding erinnert. 20 Ich bezweifle, dass Bergsons Beobachtung hier zutrifft. Denn er versucht, das Lachen, das mit einer Bewegung, der Bewegung der Sprünge, des Zusammenprallens und des wieder Aufstehens einsetzt und diese Bewegung begleitet, völlig ohne jene Bewegung zu erklären, wie eine Art still gestelltes Bild, das durch immerwährende Wiederholung zur Ruhe kommt und sich dadurch langsam verformt. Es ist erstaunlich, dass er die fast maschinelle Regel‐ mäßigkeit zum Anlass nimmt, in ihr den ‚Urgrund‘ des Lachens zu sehen. Diese Ansicht Bergsons kann nur mit der kulturellen und historischen Varianz der komischen Wahrneh‐ mung erklärt werden. Denn seine Beobachtung fällt mitten in das Maschinenzeitalter, als Maschinen und Automaten auf dem Höhepunkt der industriellen Revolution um 1890 zur Leitfigur einer Epoche wurden. Nur zwei Jahrzehnte nach dem Erscheinen von Bergsons Le rire drehte Charles Chaplin Modern Times, denjenigen Stummfilm, der Bergsons Be‐ obachtungen in die Wirklichkeit umsetzte und die Komik der Wiederholung an die Vor‐ stellung einer maschinellen Massenfertigung knüpfte. Auch wenn es im Mittelalter bereits Automaten und Maschinen gab, war die Vorstellung, sie könnten das Lebendige mechanisch überlagern, nicht denkbar und daher auch keines‐ 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 229 21 „Das hervorstechendste Merkmal der komischen Praxis ist das extensive wie intensive Gebaren und Gebärden der komischen Figur.“ Lohr, Körpertext, S. 74. 22 Mazouer, Charles: Der badin der Farce. In: Der komische Körper. Szenen - Figuren - Formen. Hg. von Eva Erdmann. Bielefeld 2003, S. 83-88, hier S. 85. 23 Koestler, Arthur: Der göttliche Funke. Der schöpferische Akt in Kunst und Wissenschaft. Bern / München 1966, S. 74. Ähnlich neuerdings wieder Katja Mellmann, die bemerkt, dass noch die „mutwillig-über‐ mütige Bewegtheit“ in literarischen Texten des Barock und der Frühaufklärung „in entsprechender Weise den Körperausdruck von Fröhlichkeit und kindlichem Spielverhalten nach[ahme].“ Mellmann, Katja: Emotionalisierung. Von der Nebenstundenpoesie zum Buch als Freund. Eine emotionspsychologi‐ sche Analyse der Literatur der Aufklärungsepoche. Paderborn 2006, S. 341 f. Zusammenfassend u. ak‐ tualisiert Mellmann, Katja: Emotionale Wirkungen des Erzählens. In: Handbuch Erzählliteratur. The‐ orie, Analyse, Geschichte. Hg. von Matías Martínez, Stuttgart / Weimar 2011, S. 68-74. 24 Vgl. ebd., S. 342. wegs auf Lachen oder Komik beziehbar. Stattdessen aber waren rasche, abrupte und mit übermäßigem Aufwand vorgenommene Bewegungen, motorische und proxemische Be‐ wegungen von menschlichen Körpern im Raum, durchaus mit Lachen verbunden. Zahl‐ reiche Texte und Quellen weisen auf die motorische Hyperagilität von lächerlichen Figuren in komischen Aufführungen und auf das sie begleitende Lachen hin. 21 Schnelles Gehen und Springen war bereits die Gangart der Knechte und komischen Teufel in den geistlichen Spielen, groteske Tänze und wildes Rennen ein Markenzeichen der Neidhart-Bauern. Der badin, der Narr der französischen Farce, zeichnet sich durch dynamische und überraschende Ortswechsel aus, und Jenin macht in der Farce Jenin, fils de rien ganz ohne Anlass große Sprünge auf der Bühne, aus natürlicher Übertreibung, während sein Publikum vor Lachen brüllt, wie Charles Mazouer unterstreicht: „Zu behaupten, der Körper des badin sei sehr beweglich, das bedeutet noch nicht viel: Alles, was mit seinem Körper auf der Bühne ge‐ macht werden kann, macht der badin - und er macht es mit Überschwang und Übermut.“ 22 Es war Arthur Koestler, der die motorische und proxemische Hyperaktivität von Narren und Possenreißern mit dem Lachen selbst verglichen hat, nämlich als mimetischen Nach‐ vollzug des Lachens als körperliche Desorganisation: „Die Körperfiguren und Sprünge der komischen Figuren können zunächst als mimetischer Nachvollzug des physiologischen Habitus eines Lachenden gedeutet werden.“ 23 Diese Beobachtung weist auf die Funktion körperlicher Lachanlässe als Apperzeptionen hin, wie im ersten Teil dieser Arbeit be‐ schrieben: Komischer Vorgang und Lachen gehören demnach in einen Zusammenhang der Widerfahrnis und Einleibung. Auf der Ebene der Übertragung körperlicher Komik im Er‐ leben ergibt sich noch kein Sinn, sondern allein ein Nach- und Mitvollzug komischer Be‐ wegung. Da dieser Moment des Mitvollzugs das eigene leibliche Selbstverhältnis in Frage stellt, und es zur kognitiven Erkenntnis des komischen Vorgangs kommt, lacht der Körper als Akt der Distanzierung vom körperlichen Nachvollzug. Der Konnex schnelle Bewegung-Lachen bzw. auch Freude ist in zahlreichen Kunst‐ formen manifest. So hat man anhand von psychologischen Studien mit Animationskurz‐ filmen herausgefunden, dass schnelle Bewegungen Fröhlichkeit bewirken und das Signal von Freude und spielerischer Betätigung aussandten. 24 Die Stimuli initialisieren „ein auf Ansteckung und Teilnahme ausgerichtetes Emotionsprogramm (scherzhaftes Lachen, Fröhlichkeit des Spiels) und evozieren über einen psychopoetischen Effekt ein virtuelles 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 230 25 Ebd., S. 343. 26 In der Semiotik zählen solche Bewegungen zur nonvokalen und nonverbalen Kommunikation, wie auch die Körpersprache, die Mimik, und die Gestik; allerdings überlagert ihre mimetische Funktion und deren Selbstreferentialität die kommunikative Ausrichtung, sodass hier zumindest kaum Bot‐ schaften übertragen werden. 27 Allerdings arbeitet die Pantomime weniger mit motorischen und proxemischen Mitteln, sondern mehr mit einem Repertoire an konventionalisierten und dem Publikum verständlichen Gesten. Diese wiederum sind nicht in erster Linie auf lächerliche Wirkung, sondern auf die Darstellung von Emp‐ findungen, Leidenschaften oder ganzen Handlungen durch Gesten als Zeichen ausgerichtet. Vgl. Lukian von Samosata: Dialog von der Tanzkunst. In: Sämtliche Werke, Bd. 4, übers. von Christoph Martin Wieland. München 1911, S. 101-198, hier S. 155. Von den zahlreichen Unterschieden zur an‐ tiken Pantomime sind zu nennen: der Pantomimus hatte einen Sänger bzw. Sprecher, die Tänzer trugen Masken, mit „Tanz“ war rhythmisiertes Gehen bzw. Schreiten gemeint. 28 Auch als Zwischenakt-Einlage (Spiel im Spiel), wie etwa die dumb show im Hamlet, später dann im Jahrmarkts- und Volkstheater, bis zum Vaudeville des 19. Jhs. und dem Stummfilm, in welchem sich Komik nur als Komik des Körpers äußern kann. Vgl. Eilert, Heide: Art. Pantomime, RL, Bd. 3, S. 8-11. 29 Nach Birdwhistell soll die Präkinesik die minimalen Elemente des nonverbalen Verhaltens, die klein‐ sten differenzierenden Einheiten, die Kineme bestimmen. Gegenüber als gesellige Einladung zur sozialen Interaktion.“ 25 Diese Ergebnisse der neueren emotionspsychologischen Forschung müssen hier nicht weiter vertieft werden; auch in der Musikwissenschaft etwa ist bekannt, dass bei der Charakterbezeichnung von schnell zu spielenden Musikstücken gerne heiter-scherzhafte Metaphern verwendet werden (Scherzo, Allegretto usw.) Wenn in der Vormoderne einfaches Hüpfen, Springen, Laufen und Tanzen, eventuell mit Stürzen, Hinken und Zusammenstoßen verbunden, bereits Lachen ausgelöst hat, wie sehr mussten dann Bewegungsmuster, die auf den Verlust der Körperkontrolle geradezu hinar‐ beiteten, Wahrnehmungen von Komik evoziert haben: so etwa die lazzi der Commedia dell’arte mit ihren komischen Bewegungsabläufen wie Stolpern, Hinfallen, Fliegen jagen und ihren akrobatischen Einlagen wie auf Händen oder Stelzen gehen, Balancieren oder Jonglieren, die vor allem in der Aufführung nonverbaler und nonvokaler Bewegungen be‐ standen. 26 Sie gehören zum alten Bewegungsrepertoire der komischen Pantomime, welche Komik allein mit mimischen, gestischen und tänzerischen Ausdrucksmitteln erreicht. 27 Auch wenn hier kaum mehr Gemeinsamkeiten mit dem antiken Pantomimus festgestellt werden können, spielt die Pantomime im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit vor allem als komisches Genre eine wichtige Rolle: in den Darbietungen der Gaukler, in den Mas‐ kenzügen des Karnevals, den Zwischenspielen und Entrées der höfischen Feste sowie den lazzi der italienischen Komödie. 28 Wie aber können wir die Bewegungslogik von Körpern, die Lachen auslöst, genauer beschreiben? Voraussetzung ist dafür, dass sowohl die physiologischen Charakteristika ko‐ mischer Bewegungen selbst wie auch ihre Wahrnehmung im Raum untersucht werden: die Motorik und die Proxemik des komischen Körpers. Die Motorik (oder Präkinesik, je nach wissenschaftlicher Betrachtungsweise) 29 untersucht die Physiologie der Körperbewe‐ gungen ohne Berücksichtigung ihrer Semantik unter etischen (bzw. transkulturellen) Ge‐ sichtspunkten. Über motorische Beschreibungen erhalten wir gewissermaßen eine ‚Gram‐ matik‘ der Bewegungsphysiologie. Doch in theatralen Rahmungen ist der menschliche Körper und seine Bewegungen ein für andere, für die Zuschauer inszenierter Körper, sodass 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 231 30 Vgl. dazu Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters, S. 87 ff. 31 So sind in Spieltexten mit nicht vorhandenen Regieanweisungen manchmal Aussagen zur Position und Bewegung im Raum durch die Personen selbst vorhanden. Ich nenne diese performativen räum‐ lichen Indikatoren in Anlehnung an die Commedia dell’arte „aktionistisches Sprechen“ (azione par‐ lata). 32 Im Untersuchungszeitraum hat sich noch keine klassische theatrale Bühnensituation etabliert; je nach Kontext werden verschieden hohe und große Bretterbühnen auf öffentlichen Plätzen aufgebaut. Ein wichtiger Rahmungsfaktor ist somit Fest und Festzeit der Aufführung, meist der Karneval. Auch gibt es noch keine typische „lustige Person“ bzw. „komische Figur“, wie das in der englischen und italienischen Komödie des späten 16. Jhs. der Fall ist (Pickelhering, Hanswurst, Harlekin usw.). 33 Die Proxemik gehört nach Birdwhistell nicht zur Kinesik als der Gesamtheit der nonverbalen Kom‐ munikation mit dem Körper. In anderen Ansätzen wird sie jedoch hinzugezählt; vgl. Nöth: Handbuch der Semiotik, S. 316-319. motorische Aspekte im Feld der Proxemik aufgehen, bei welchen sie eine wie auch immer intensive kommunikative und mimetische Funktion haben. Die Proxemik untersucht das Bewegungsverhalten und den Abstand menschlicher Körper im Raum: wie ein Körper in dem für die Aufführung vorgesehenen Raum sich bewegt, welche Positionen er zu den anderen Akteuren und zum Publikum einnimmt, in welchen Richtungen und Abständen zu den anderen er seine Bewegungen ausführt. Präkinesik und Proxemik sind in Räumen mit mehreren Akteuren semiotisch nur schwer zu systematisieren; auch kann ihnen nicht immer ein kommunikativer Wert zugewiesen werden, wie dies bei der Kinesik (Gebärden, Gesten) der Fall ist. 30 Es steht auch außer Frage, dass mit den Untersuchungsinstrumenten von Motorik und Proxemik eine Rekonstruktion vergangener Aufführungen kaum geleistet werden kann; dies soll hier auch nicht verfolgt werden. Es geht um etwas anderes, nämlich um die Bedeutung des Körpers und seiner Bewegungsabläufe für das Lachen in Aufführungen, von denen wir meist nur skriptförmige Texte mit wenigen Regieanweisungen und anderen Hinweisen auf die Realisierung der Aufführung besitzen. 31 Die Bearbeitung dieser wenigen Zeugnisse mit den Mitteln der se‐ miotischen und performativen Analyse lässt zumindest eine präzisere begriffliche Be‐ schreibung der Bedingungen und Möglichkeiten für die Aufführung von körperlicher Komik und ihrer Wahrnehmung erwarten. Eine dieser Möglichkeiten dafür ist zunächst die Feststellung der je unterschiedlichen Situationalität der Aufführung: Wo und wann findet sie statt, welche Bühne bzw. welcher Bretterboden wird benutzt oder arbeitet man mit Schranken, damit der Raum für die Her‐ stellung von proxemischen Zeichen und Wirkungen definiert werden kann? 32 Dazu gehört auch, dass Narren und Possenreißer die zum Spielen verwendeten Raumgrenzen verlassen dürfen oder sich an ihren Rändern aufhalten. In diesem Fall werden die Codes des ange‐ messenen körperlichen Abstands gebrochen, wenn die komischen Akteure entweder zu nah oder zu weit weg von den anderen entfernt sind. 33 Sie transgredieren somit die der proxemischen Aktivität gesetzten Grenzen im Spiel und distanzieren sich körperlich von ihm; so kann allein die proxemische Positionsveränderung Möglichkeiten der Identifikation der Zuschauer mit solchen Lachfiguren herstellen. Zur Proxemik gehören auch Auftritt und Abgang dieser Figuren, was meist mit einer noch höheren Bewegungsintensität in Verbindung steht. Meist ist dann keine Zweckset‐ zung in der Bewegung zu erkennen; sie vollzieht sich in Sprüngen und Hüpfen durch den 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 232 34 Vgl. zur metakommunikativen Struktur komischer Bewegungen Lohr: Körpertext, S. 63-72. Aller‐ dings ist Lohrs Versuch, den als sinnlos wahrgenommenen körperlichen Gesten der komischen Figur eine semiotische Reflexionsebene im Sinne der marxistischen Produktionstheorie (Geste als mate‐ riale Reflexion, Körper der komischen Figur als Ware) zuzuschreiben, letztlich nicht überzeugend und verharrt in ideologiekritischer Selbstreflexion. Ebd., S. 76. 35 Nach Barbara Korte ist die Körpersprache auf der Bühne das wichtigste Element für Komik und Karikatur. Ihre Aussagekraft liegt nicht in der Art der sprachlichen Vermittlung, sondern im Vollzug der Bewegungen durch eine Figur. Korte, Barbara: Körpersprache. Körpersprache in der Literatur. Theorie und Geschichte am Beispiel englischer Erzählprosa. Tübingen / Basel 1993, S. 157 ff. 36 Vgl. Schramm, Christine: Die Komik der Chaplin-Filme. München 2012, S. 70-84. gesamten zur Verfügung stehenden Raum, richtet sich oft scheinbar auf eine andere Person, ohne jedoch einer kommunikativen Intention zu folgen. Die hyperaktiven Bewegungen beim Auftritt und Abgang von Lachfiguren sind daher ‚überflüssig‘, semantisch ‚sinn-los‘, doch nicht ohne Funktion. Ihre Funktion ist es, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen und ein metakommunikatives Signal im Sinne von „Achtung, das ist Komik“ zu senden. 34 Die metakommunikative Funktion dieser Narrenproxemik kann sich auf die sprachlichen und lautlichen Äußerungen der Figur ausdehnen; das typische Brabbeln und Vielreden des Narren, einschließlich des Vorwurfs, er schwätze unsinniges und unnützes Zeug, hat ähnlich attentionale Gründe. Wie seine Bewegungen dient auch seine Sprache nicht der Kommunikation, sondern ist reine sprachlich-lautliche Intensität, sprachliche Hyperagilität, in deren Rahmen es jedoch zu subtilen Sprachspielen, Parodien, Verdop‐ plungen und Stottern kommen kann (dazu mehr s. u.). 35 Ein wichtiges motorisches und proxemisches Instrument von Lustigmachern in ri‐ tuell-theatralen Aufführungen ist der inszenierte Sturz. Er ist gewissermaßen der Basis‐ typus der Körper- und Bewegungskomik, der in unzähligen Variationen und Bewegungs‐ folgen inszeniert werden kann. Er gehört zu den angeblich unfreiwilligen Unterbrechungen koordinierter Bewegungsabläufe, wie das Stolpern, das Straucheln, das Ausweichen und beinahe Stürzen, usw. Bisher hat man Stürze - etwa von Narren- oder Bauernfiguren - gerne als äußeres Zeichen geistigen oder moralischen Ungenügens interpretiert: Es ist der Dumme, der Einfältige, der Gierige, der Geizige, der gerne stürzt. Schon im Tractatus Co‐ islinianus wurden diese semantischen Aspekte als eigentliche Lachanlässe gesehen, und die Körperbewegungen in das Korsett der komischen Handlung gezwängt. Dabei wurde oft übersehen, dass Lachfiguren mit niedrigem sozialen und mentalen Status eine Funktion der Bewegungskomik sind: Gerade sie sind auf Grund der Enthebbarkeit ihrer Komik besonders gut für inszenierte Stürze geeignet, da sie auch auf der sozialen und moralischen Ebene verlacht werden können; so droht von einer komischen Darstellung eines Narren keinerlei Gefahr. Noch im Stummfilm ist dies evident: Charles Chaplins komische Helden stürzen häufig, meist nach hinten und auf den Hintern, sie sind jedoch die Hauptfiguren und somit keine Personen, die verlacht, d. h. durch Lachen ausgeschlossen werden, sondern über deren in‐ szeniert unfreiwilligen Stürze gelacht werden kann. Hier steht die mangelnde motorische Koordination als eigentlicher Lachanlass noch klarer vor Augen als im Fastnachtspiel oder der Sottie, denn Chaplin braucht keine sozialen, moralischen oder geistigen Abweichungen von der Norm, um Lachen auszulösen. Die Bewegungskomik genügt ihm, um sein Publikum zum Lachen zu bringen. 36 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 233 37 Auch von semiotischer Seite ist der Rekurs auf gespeicherte Körperbewegungen erfolgt; so sieht Lohr den Sturz auch als „komischen Destruktionsprozess“, der den Lachenden in einer Regression der Erinnerung an sein erstes Lachen zurückverweist. Vgl. Lohr, Körpertext, S. 79. 38 Die Forschung zu den lazzi der Commedia dell’arte zeigt, wie intensiv solche Stürze trainiert und ihr gesamtes Bewegungspotential ausgespielt wurde. Vgl. Capozza, Nicoletta: Tutti i lazzi della Com‐ media dell’arte. Un catalogo ragionato del patrimonio dei Comici. Roma 2006. 39 So etwa Souriau, der Bergsons Beispiel des Sturzes differenziert und im Fall des inszenierten Sturzes das Lachen, wenn es denn überhaupt auftauche, als Lachen über ein „curieux numéro acrobatique“ gekennzeichnet hat. Vgl. Souriau, Émile: Le risible et le comique. Journal de psychologie normale et pathologique 41 (1948), S. 145-183, hier S. 169. 40 Warning, Rainer: Vom Scheitern und vom Gelingen komischer Handlungen. In: Das Komische. Hg. von Preisendanz u. Warning, S. 376-379. Auch hier ist es die Innervation beim Zuschauen, die die Teilhabe am schnellen motor‐ ischen und proxemischen Ablauf herstellt, welche dann durch die Wahrnehmung der über‐ raschenden Unterbrechung (des Sturzes) über Distanzierungsleistungen von der Teilhabe zum Lachen führt. Enthebbar wird diese Komik dann dadurch, dass Chaplins Helden, nachdem sie nachdenklich auf dem Boden sitzen, über eine Rückwärtsrolle sofort wieder aufstehen. Diese Art des Fallens und wieder Aufstehens deutet weniger auf die Bergson‐ schen Pakete oder andere mechanische „Dinge“ hin, als vielmehr auf unsere ontogenetische Entwicklung. Ein solches Verhalten kennen wir von Babys und Kleinkindern, welche beim Laufen- und Sitzenlernen Techniken anwenden, um sich aus Sicherheitsgründen fallen zu lassen. Dabei krümmt sich der Rücken des Kindes, weil der aufrechte Gang noch zu unge‐ wohnt ist. Chaplins Verkörperung des Man-Child, des Mannes, der gleichzeitig Kind ist, lässt uns wohlwollend über seine fehlgehenden Bemühungen lachen, weil wir diese Bewe‐ gungen in unserem Körpergedächtnis noch gespeichert haben. 37 Es ist die Virtuosität der Clowns und Possenreißers, die ihren eigenen Körper motorisch so beherrschen, dass sie Stürze, Stolpern und Straucheln simulieren können, ohne dabei zu Schaden zu kommen. 38 Wenn Lachfiguren ihren eigenen Körper lächerlich machen, zum Scheitern bringen, sind dies Effekte ihrer Virtuosität. Bergson bezeichnete diese Effekte als fremdbestimmt, da sie den Eindruck erwecken, der Clown sei fremdgesteuert, ohne Willen. Bei einem inszenierten Sturz jedoch wissen wir, dass er inszeniert ist, durch bestimmte Rahmen- und Komiksignale. Dennoch lachen wir. Der Begriff der Fremdsteuerung wird von Bergson also in dem Moment eingeführt, wo das Argument der Schadenfreude, der sozialen Ausgrenzung über den Stürzenden nicht mehr gilt, da der Sturz ja als inszeniert erkannt ist. Wird also über das Zeigen des Sturzes, seine Virtuosität gelacht? Ist es dann ein wohlwollendes Lachen über das Gelingen eines Scheiterns, das uns ergreift? 39 Warning spricht in diesem Zusammenhang in Weiterführung von Karlheinz Stierles These der Fremdbestimmtheit von der „unaufhebbaren Ambivalenz von Fremd- und Selbst‐ bestimmtheit als Ursache einer spezifisch komischen Wirkung“, die wir nicht anders als mit Lachen beantworten können. 40 Doch auch diese sehr subtile Erklärung klammert sich noch zu sehr an die Wahrnehmung der Komik als eines Kommunikationsaktes und seiner entsprechend hohen semantischen Anteile. Er beachtet die motorischen und proxemischen Aspekte des Sturzes nicht, und die durch die Aufmerksamkeit angespannte Innervation unserer zuschauenden Teilhabe am Sturz. Wir kollabieren nicht vor einem kognitiv ge‐ setzten Gegensatz von Selbst- und Fremdbestimmung in der Grenzreaktion des Lachens, 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 234 41 Lohr hat versucht, die Semiotik des Sturzes mit Hilfe psychoanalytischer Mittel herauszuarbeiten. Er sieht in ihm einen abrupten Wechsel des Körpers von einer starren Oberflächennorm in einen tabuisierten Ort des Verdrängten, einen Ort des „Untersinns“ (Deleuze). „Das Lachen zeugt vom semiotischen Prozess der Praxis, von der Durchquerung eines semantischen Nullraumes im Prozess der Symbolbildung.“ Lohr, Körpertext, S. 63. 42 Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, S. 171. wir kollabieren über den Zusammenfall unseres (eigenen) Beinahe-Sturzes, den wir gerade wahrgenommen haben und den unser Körpergedächtnis problemlos aktivieren konnte, und die glückliche Vermeidung dieses Sturzes im letzten Moment: die kognitive Realisation der Tatsache, dass nicht wir stürzen, sondern der Clown. 41 Motorik und Proxemik eines menschlichen Körpers in einem Aufführungskontext können, wie am Beispiel des Sturzes zu sehen ist, Lachen auslösen, ohne gleich eine be‐ stimmte Bedeutung zu übermitteln. Genauer, die Bedeutung liegt in der Bewegung selbst, motorische und proxemische Handlungen an sich sind bereits bedeutungsvoll: die Bedeu‐ tung ist eine „verkörperte“. Diesen Gedanken hat Merleau-Ponty in seinen Reflexionen zur leiblichen Nachahmung entwickelt. Am Beispiel des leiblichen Lernens erläutert er, dass schon die reine Motorik elementare Sinngebung besitze; 42 man lerne nicht durch Training und auch nicht durch Kenntnis, sondern durch die kontinuierliche Wiederholung einer Gewohnheit, die auf der leiblichen Erfassung einer Bedeutung beruht. Beim Tanz etwa sei dies die motorische Erfassung einer Bewegungsbedeutung. Die professionelle und virtuose Bewegungskomik ist es, die diese „eingefleischten“ Muster zum Scheitern bringt, indem sie Haltungs- und Bewegungsschemata der Hexis nachahmt und intentional zum Kollabieren bringt. Solche Feuerwerke körperlicher Missgeschicke vollzieht der wahrnehmende Körper mit und beantwortet sie mit Lachen; sie verweisen auf dieser Ebene des sinnlichen Mit‐ vollzugs auf nichts anderes als auf sich selbst, auf die Eigenmotorik des sich bewegenden Körpers. Wenn aber die Bedeutung für das Lachen schon in einer basalen motorischen Bewegung liegen kann, d. h. in der Ortsveränderung einer körperlichen Haltung oder Position, und wenn diese spezifische Ortsveränderung, die Lachen auslöst, deshalb als komisch be‐ zeichnet werden muss, weil sie scheitert, dieses Scheitern aber keinen Schmerz verursacht, dann können nicht nur Stürze, Stolpern und groteske Sprünge, sondern auch komplexere Formen von scheiternden Bewegungen, wie gestische und mimische Parodien, Stammeln und Stottern, unlogisches Sprechen, aber auch auf eine überraschende Pointe zulaufende Sprüche, Sentenzen und Schwänke, ja sogar Witze so erklärt werden. Beim Witz läge die Bewegung in der Vorstellung der szenischen Abfolge, eine imaginierte Bewegung des Ver‐ laufs und der Kontraktion des Witzes (Freud); wir machen in unserer Vorstellung die über‐ raschende Bewegung des Witzes mit, wenn wir verstanden haben. Wir lachen ja teilweise sogar, wenn wir nicht verstanden haben, einfach weil wir die zeigende Bewegung des Witzes gemeinschaftlich mitvollziehen. Hier schließt sich eine weitere Frage an, die für die komischen Aufführungen in Spät‐ mittelalter und früher Neuzeit von besonderer Bedeutung ist: die Frage, warum inszeniertes Prügeln und Schlagen Lachen ausgelöst hat. Auch hier sehe ich Motorik und Proxemik als geeignete Felder einer eingehenderen Analyse an. Denn es ist nicht der einzelne Schlag, der Lachen auslöst, außer wenn er überraschend kommt. Es ist vielmehr das gegenseitige, 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 235 43 Vgl. dazu Kindermann: Das Theaterpublikum des Mittelalters, S. 133 u. 196 mit zahlreichen Belegen. 44 Meier, Christel: Prügel und Performanz. Ästhetik und Funktion der Gewalt im Theater des Spätmit‐ telalters und der Frühen Neuzeit. In: Zeichen - Rituale - Werte. Hg. von Gert Althoff. Münster 2004, S. 327-362. 45 Bachtin: Rabelais und seine Welt, S. 246. Bachtin verdeutlicht dies am Beispiel des Narrenkönigs: Wurde der Narr zuerst als König ausstaffiert, so zieht man ihn nach Ablauf der Herrschaftszeit erneut um, travestiert ihn in ein Narrenkleid. Beschimpfungen und Schläge entsprechen dieser Umkleidung oder Metamorphose, sie zeigen uns das andere, das wahre Gesicht des Beschimpften.“ Ebd., S. 239. 46 Vgl. Schmitt, Die Logik der Gesten, S. 30 ff. 47 Danach setzte nach Schmitt ein Wandel ein: Bewegung und Mobilität waren nun nicht mehr wie bisher ausschließlich pejorativ konnotiert. Ebd., S. 31. wiederholte, kontinuierliche freudige Prügeln, ob mit Stöcken oder Kolben oder in Form von Ohrfeigen, über das ein mittelalterliches Publikum schallend lachen konnte. 43 In der Vergangenheit hat man hier wiederum mit semantischen Erklärungsversuchen gearbeitet: Prügel wurden als spielerische (und enthebbare) Strafe für Vergehen verstanden, die auf diese Weise geahndet werden konnte, ohne dass jemand dafür Schmerzen litt. 44 Auch die metaphorische Lesart Bachtins, Prügel seien ein rituelles Symbol für den kosmische Zyklus von Fruchtbarkeit, Leben und Tod, und riefen daher ein lebensbejahendes Lachen hervor, ist zu allgemein, um sie für theatrale Szenen der Komik zu verwenden: „Prügelszenen sind rituell und lösen ein heiteres Lachen aus. Sie haben einen festlichen, triumphalen Cha‐ rakter, (…) sie vernichten und geben neues Leben, beenden das Alte und säen das Neue“. 45 Stattdessen plädiere ich dafür, Prügel und Schläge im Rahmen bewegungslogischer Fra‐ gestellungen zu erörtern. Das Lachen über sie kann dann zunächst ganz simpel - wie auch das Lachen über hyperaktive oder scheiternde Bewegungen - als eine (körperliche) Reak‐ tion auf eine (körperliche) Bewegung gesehen werden, die in einem Spiel-Rahmen statt‐ findet. Die Bedeutung des Prügelns liegt auch hier in seiner Praxis selbst, und nicht außer‐ halb von ihr. Schlagen wäre dann eine im weitesten Sinne schnelle, ‚unnütze‘, selbstreferentielle Bewegung und kann aus den gleichen Gründen Lachen auslösen wie die bisher erörterten motorischen Vorgänge. Auch wenn heute noch im Puppen- und Kasperletheater Reste der vormodernen Prüge‐ lorgien vorhanden sind, so ist das Lachen über Prügel und Schlagen doch kulturell codiert und in heutigen theatralen Rahmungen nicht mehr leitend. Ähnlich steht es mit der sozialen und Codierung von schnellen Bewegungen allgemein. Im Mittelalter gilt rasche Bewegung (motus) als Kennzeichen der Vergänglichkeit und Unbeständigkeit, aber auch als Indikator für Unverstand (Narrheit) und Fremdheit, was sich manchmal gegenseitig ergänzt. Dagegen sind Langsamkeit und Gemessenheit nicht allein Merkmale für Majestät und königliche oder göttliche Würde, sondern allgemeine Bewegungscodes für den Adel und den hohen Klerus (gemessenes Schreiten, hieratisches Verharren, Gesten der Regungslosigkeit). 46 Das Mittelalter war bei der Frage der Motorik im öffentlichen Raum dem Gedanken vom Primat der Unbewegtheit verpflichtet; Bewegung als Antipode des Verharrens konnte nur sünd‐ haft, falsch und unchristlich sein. Bis zum 13. Jahrhundert wurden in der Beurteilung von Gesten diejenigen der Bewegung des gesamten Körpers am stärksten lizenziert, vor allem im klösterlichen und höfischen Bereich. 47 Für die Skepsis der schnellen Bewegung gegenüber lassen sich jedoch nicht nur symbo‐ lisch-ideologische Gründe erkennen, sondern auch pragmatische: Bewegungen im öffent‐ 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 236 48 Vgl. dazu Althoff: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde. Darm‐ stadt 1997, S. 11 ff. 49 Der proxemisch unkontrollierte Körper ist ein Körper, der sich nicht in der Gewalt zu haben scheint: er ist daher nah an der Krankheit. „Because the body is the most potent metaphor of society, it is not surprising that disease is the most salient metaphor of structural crisis. All disease is disorder - metaphorically, literally, socially and politically.“ Vgl. dazu Turner, Bryan S.: The body and society: explorations in social theory. 2. Aufl. London 1996, S. 125. 50 Vgl. auch Gugutzer, Robert: Soziologie des Körpers. Bielefeld 2004. Vgl. die Theorien von Turner, S. 86 und Frank, S. 112. lichen Raum mussten strengen rituellen Regeln und Maßstäben genügen, damit die Sicher‐ heit der Akteure und das Gelingen der rituellen Prozesse gewährleistet war. Die im sozialen Prozess beteiligten Körper und ihre Gesten müssen sich in Kulturen, deren Kommunikation nur teilweise über schriftliche und vornehmlich über rituelle Vollzüge abläuft, streng an vorgegebene Praktiken des Ablaufs und der Inszenierung halten, damit Vorhersehbarkeit in einer ungesicherten Interaktion wie dem Ritual auch gewährleistet war. Denn Gesten und Körperbewegungen sind immer auch bedeutungstragende Zeichen, deren Kontingenz beherrscht werden wollte, wenn sie im öffentlichen Raum wirkten. 48 Gegenüber diesen Ordnungen der Körper im Raum führt ein hyperaktiver, in rascher und unvorhersehbarer Bewegung befindlicher Körper (des Possenreißers oder des Narren) die Unordnung auf. Allein durch seine motorische und proxemische Agilität wirkt er be‐ drohlich, da er Ordnungsvorstellungen durchkreuzt und stattdessen das Chaos feiert. Durch seine Unberechenbarkeit stellt er eine potentielle Gefahr dar, weil er mit dem Unkontroll‐ ierten auch verdrängte und tabuisierte Bewegungen aufführen kann - und zahlreiche Quellen belegen, dass er es auch getan hat. Dadurch vermag er wie kein anderer die herr‐ schende Ordnung leiblich und semantisch zu zersetzen und die Unordnung präsent zu ma‐ chen. 49 Aus soziologischer Sicht ist der komische Körper in seiner Motorik und Proxemik dem‐ nach ein Körper, der die Unordnung repräsentiert und sie darüber hinaus mit seinen Akti‐ onen auch präsent, nachvollziehbar macht; da er sie jedoch in einem Spielrahmen aufführt, wird ihre Gefahr entschärft. Ganz ähnlich steht es mit den Gesten des Possenreißers. Auch sie sind nicht erlaubt, es sind Gesten der Unordnung und des Obszönen. Wenn sie aber von einer Lachfigur aufgeführt werden, können sie verlacht und damit bewältigt werden. 50 Dies führt zu einem weiteren wichtigen Aspekt der komischen Figuren in weltlichen und geistlichen Spielen: ihre Kontinuität. Narren, Possenreißer und Teufel können nicht zu an‐ deren Figuren werden, können sich nicht entwickeln; sie sind auf die Dauer der komischen Aufführung hin an ihre Rolle gebunden. Das macht sie zu den fiktionalsten Figuren im frühen Spiel. Denn in ihrer monadischen, dem Lachen verpflichteten Isolation können sie nicht mit anderen Darstellern verwechselt werden, und ihre Rollen lassen sich nur kaum auf die Realitätsebene übertragen. Dies, wie übrigens ihre Unverletzlichkeit, mag ebenfalls zur komischen Enthobenheit dieser Figuren beigetragen haben. 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 237 51 Fo, Dario: Kleines Handbuch des Schauspielers, Frankfurt a. M. 1997, S. 52 (Ital. Orig.: Manuale minimo dell’attore, Torino 1987). 52 Kendon, Adam: Gesture. In: Folklore, Cultural Performances, and Popular Entertainment. Hg. von Richard Bauman. New York / Oxford 1992, S. 179-190. 53 Vgl. Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik. München 1972 (Ital. Orig.: La struttura assente), S. 22. Eco unterstreicht, dass Gesten und Körperbewegungen nicht als instinktive menschliche Hand‐ lungen zu deuten seien, sondern als erlernbares Verhalten, das kulturell codiert und somit von Kultur zu Kultur unterschiedlich ist. Allerdings reicht Ecos Definition der Geste von der stummen Sprache religiöser Gemeinschaften „bis zum Stil der Gehweise und zu den verschiedenen Körperstellungen.“ 54 Ray L. Birdwhistell vertritt diese radikal kontextuelle Sicht kinesischer Bedeutung. Sie setzt voraus, dass der Versuch, das Zeichenrepertoire der Gesten als einen kinesischen Code oder als ein einziges Gestenlexikon zu beschreiben, zum Scheitern verurteilt ist. Birdwhistell gilt als Begründer der Ki‐ nesik als Wissenschaft von den Körperbewegungen (Gestik und Mimik); seine Forschungen gelten der differenzierten Analyse aller impliziten Codes der non-verbalen Kommunikation. Nach dem Modell der Prinzipien der strukturalen Linguistik unterschied Birdwhistell sogen. Kineme als kleinste bedeutungstragende Einheiten der Gestik. Vgl. dazu Nöth, Wilfried: Nonverbale Kommunikation. Kap. 5 aus: Handbuch der Semiotik. 2., vollst. neu bearb. und erw. Aufl. Stuttgart 2000, S. 293-322, hier S. 305. 55 Zit. aus Nöth, Handbuch der Semiotik, ebd. Bewegung am Ort: Gestik und Mimik „Woher diese Geistesabwesenheit? Weil wir glauben, die Gestik, die Körpersprache, sei der Salat, die Beilage, während das Hauptgericht das Fleisch, das Wort wäre. Diese Ansicht hat man uns seit der Schulzeit eingeimpft.“ Dario Fo 51 Stärker als die Bewegung komischer Figuren im Raum ist ihr gestisches und mimisches Ausdrucksverhalten an die Position des Körpers und an die Zeichenhaftigkeit der Bewe‐ gung gebunden. Als Gestik bezeichnet man daher zu Recht die nonverbale Kommunikation durch Hände, Arme und Kopfbewegungen, als Mimik die Bewegungen des Gesichts, die etwas zum Ausdruck bringen sollen. 52 Gesten haben somit bestimmte Funktionen in Kom‐ munikations- und Interaktionsprozessen. Entweder können sie die Rede begleiten oder sie als körperliches Zeichen ersetzen. In jedem Fall sollen Bedeutungen übermittelt bzw. vari‐ iert werden. Gesten stellen eine Vielzahl fester symbolischer Systeme im sozialen Leben der verschiedenen Kulturen und Gesellschaften dar. Da jede Kultur ihre eigenen gestischen und mimischen Codes entwickelt, 53 können diese auch nur im Kontext dieser Kultur und ihrer jeweiligen Systeme untersucht werden. 54 So kann nach Ray L. Birdwhistell, dem Be‐ gründer der Kinesik, kein Kinem ohne seinen Kontext in seiner Bedeutung bestimmt werden. „Nur der soziale Kontext kann entscheiden, ob z. B. die Geste einer geballten Faust Zorn bedeutet, ob sie vielleicht ironisch das Gegenteil meint oder ob sie gar nur das Ver‐ halten eines anderen nur schauspielerisch nachahmt“. 55 Dadurch wird deutlich, dass die in theatralen Kontexten bzw. Rahmungen wahrgenom‐ menen Gesten als inszenierte Gesten zu gelten haben, die einerseits einer spezifisch theat‐ ralen Codierung unterliegen, andererseits aber auch auf die außerhalb des Theaterrahmens liegenden (politischen, religiösen, rituellen Kontexte) verweisen. Dadurch unterliegen die 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 238 56 Vgl. ebd., S. 304. Folgende Typen von theatralischen Gesten können unterschieden werden: indexi‐ kalische (= zeigende), ikonische (= pantomimisch charakterisierende) und symbolische (= auf arbit‐ rären Konventionen beruhende) Gesten. Birdwhistell entwickelte ein Notationsverfahren, das es erlaubt, jede einzelne Bewegungsveränderung in graphischen Zeichen zu fixieren. Sein Ansatz ist aus methodologischer und auch aus semiotischer Sicht aber stark kritisiert worden. 57 Vgl. Plessner, Lachen und Weinen, S. 255 ff. 58 Mersch, Dieter: Körper zeigen. In: Verkörperung. Hg. von Erika Fischer-Lichte, Tübingen 2001, S. 75-89, hier S. 83. 59 Ebd., S. 84. Vgl. dazu auch Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, S. 219: „Alles kommt darauf an, diesen Akt [die Gebärden] nicht zu verwechseln mit einer Erkenntnisleistung, sondern in seinem Eigenen zu begreifen. Die Kommunikation, das Verstehen von Gesten gründet sich auf die wechselseitige Entsprechung meiner Intentionen und der Gebärden des Anderen, meiner Gebärden und der im Verhalten des Anderen sich bekundenden Intentionen. Dann ist es, als wohnten seine Intentionen meinem Leibe inne und die meinigen seinem Leibe. Die Gebärde, deren Zeuge ich bin, zeichnet umrißhaft einen intentionalen Gegenstand vor. Dieser gelangt zur Aktualität und zu vollem Verständnis, wenn die Vermöglichkeit meines Leibes sich ihm anmißt und mit ihm sich deckt.“ in theatralen Rahmungen geäußerten Gesten Mehrfachcodierungen, die das Spiel mit ko‐ mischen Veränderungen leichter zulassen als außerhalb dieser Rahmen. Gesten haben im Theater einen zweifachen Zeichencharakter: Einerseits sind sie Embleme, Illustratoren oder Regulatoren, die innerhalb des Dramas ähnliche semiotische Funktionen erfüllen wie Ge‐ sten im Alltagsleben, andererseits sind sie ikonische Zeichen für die Gesten von Personen, die nur schauspielerisch dargestellt sind. Für die Theatersemiotik sind theatralische Gesten somit permanent zeichenhaft. 56 Gegen die semiotische Funktionalisierung von Gesten und ihre kommunikationstheo‐ retische Diskursivierung ist eingewandt worden, dass der Körper nur als soziales Konstrukt und semiotisches System greifbar wird. Der materielle Körper ‚an sich‘, seine Leiblichkeit verschwinde hinter diesen Codes. So steckt nach Plessner in jeder Geste ein mimisches, ein emotional-expressives Element, das über die reine Zeichenfunktion hinausgeht. 57 Darauf aufbauend unterscheidet Dieter Mersch zwischen dem Etwas-Zeigen oder Zeigen-als ei‐ nerseits und dem Sich-zeigen andererseits. 58 Zur Vorrangstellung einer semiotischen Auf‐ fassung der Gesten (die er Gebärden nennt) äußert er sich ebenso skeptisch: Zweifellos sind sie kulturell determiniert und kontextuell entzifferbar; sie mögen auch, je nach Situation etwas Bestimmtes zum Ausdruck bringen, partiell übersetzbar, oder lexikalisch rubri‐ zierbar sein. Dennoch bleiben sie an die Eigenwilligkeit der Leiblichkeit gebunden, ihrem beson‐ deren Temperament, ihrer unverwechselbaren Note: keine Gebärde, der so nicht die Einzigkeit ihres Bedeutens zukäme, das damit auch nicht mehr im eigentlichen Sinne als ein Bedeuten an‐ gesprochen werden darf. 59 Hier spricht Mersch etwas an, das wir bereits bei der Motorik und Proxemik, dort aber in weit höherem Maße festgehalten haben: dass die Bedeutungsübermittlung gestischen Han‐ delns nicht die Wahrnehmung der Körperlichkeit der Geste überdecken darf. Andererseits konzediert auch Mersch, dass die Wahrnehmung des Gestischen und Mimischen nicht ohne Bedeutungsvermittlung auskommen kann: „Doch gibt es offenbar keine Performanz der 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 239 60 Ebd. Die Dichotomie, die in der Einleitung des von Margreth Egidi hg. Gestenbandes benutzt wird, nämlich Geste als affektives Symptom oder konventionelle Vokabel, entspricht in ihrer Stoßrichtung der Konzeption Merschs. Vgl. Egidi, Margreth u. a. (Hg.): Gestik. Figuren des Körpers in Text und Bild. Tübingen 2000, S. 11. 61 Vgl. Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, S. 61. 62 Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, S. 220 u. 223. Vgl. auch Bühler, Karl: Sprachthe‐ orie. Die Darstellungsfunktion der Sprache (1934). 2. Aufl. Stuttgart 1982. 63 Vgl. dazu Kap. 2.4. Akte ohne Symbolisierung, wie es umgekehrt keine Symbolisation ohne die Unmittelbar‐ keit der Vollzüge, d. h. ohne deren Präsenz bzw. des Mediums (der Körper) gibt.“ 60 Es ist also ratsam, bei der Analyse von Gestik und Mimik im Zusammenhang mit dem Lachen jene Zwischenleiblichkeit zu berücksichtigen, die bei der Wahrnehmung von Be‐ wegungsmustern schon so bedeutsam war. Neben der Kognition von Codes ist somit auch die Analyse der Intensität des wahrgenommenen Ereignisses relevant. Dies kann dann ef‐ fektiv erfolgen, wenn Gestik und Mimik konsequent vom Schauspieler, im vorliegenden Untersuchungszusammenhang vom Schauspieler des Narren, der komischen Figur oder des Possenreißers her, untersucht wird. Vom Schauspieler her betrachtet sind Gesten neben der Stimme sein wichtigstes körperliches Ausdrucksmittel. Die Gestik steht gewissermaßen im Zentrum der Körperlichkeit eines Schauspielers: Alle Normen der Theatergeschichte sind auf den körperlich anwesenden Schauspieler und seine Gesten, seine von ihm hervorgeb‐ rachten gestischen Zeichen, zurückzuführen. 61 Der Schauspieler ist die Schaltstelle, wo sich körperliches Bewegungsverhalten mit Sprache, gestische Handlungen mit Sprechhand‐ lungen vereinen. So sind auch die Worte und Sätze, die der Schauspieler spricht, nicht nur Kommunikation im theatralen Raum und zum Zuschauer, sondern sie sind auch mimischer Ausdruck mit einer Darstellungsfunktion, die auf sich selbst zeigt. Merleau-Ponty hat im Anschluss an Karl Bühlers Sprachtheorie auf diese deiktische Funktion der Sprache hin‐ gewiesen: „Die sprachliche Geste bringt, wie jede andere Gebärde, ihren Sinn selber hervor.“ Dieser „Sinn“ wird wie bei der Gestik leiblich erfahren, bevor er kognitiv verarbeitet wird. Somit eigne auch sprachlichen Gesten eine immanente Bedeutung, sodass „auch die Sprache nichts sagt als sich selbst und ihr Sinn von ihr selbst nicht trennbar ist.“ 62 Es sind gerade die sprachlichen Zeigegesten, die phonetischen Gesten, die in den aus Spätmittelalter und Früher Neuzeit überlieferten Texten uns wichtige Hinweise auf den engen Zusammenhang von Körperlichkeit, Sprache und Lachen geben können. So hat schon Bachtin gezeigt, wie direkt Flüche, groteske und skatologische Worte und Reden mit der Inszenierung des gro‐ tesken Körpers und mit Körperlichkeit selbst verbunden sind. 63 Wenn wir uns im nächsten Kapitel der Analyse des gestischen und mimischen Körper‐ verhaltens in Spiel-Aufführungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zuwenden, muss bei der Frage nach dem Lachen immer das Moment der schauspielerischen Inszenierung sowie der zeichenhaft-leibliche Doppelcharakter von Gestik und Mimik beachtet werden. Dabei ist die gestisch-mimische Komik weniger von Rahmungsfaktoren wie Räumlichkeit oder Ritualität abhängig als die Motorik und Proxemik. Umso mehr ist sie abhängig von einer normativen Gestik, deren Gültigkeit sie durch Nachahmung und Dekontextualisie‐ rung verändert und meist zerstört. Denn das Mittelalter ist zumindest seit dem 12. Jahr‐ hundert eine Epoche hoher gestischer Dichte, die auch zahlreiche neue Gesten und Gruppen 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 240 64 Vgl. Schmitt, Die Logik der Gesten, S. 128. 65 Hugo von St. Viktor beschreibt in De institutione novitiorum (1140) den ordnungsfeindlichen Cha‐ rakter von gesticulatio sehr deutlich: Diese Gesten stören die natürliche Beziehung zwischen den verschiedenen Teilen des Körpers bzw. ihren Bewegungen. Kein Körperteil vollführt mehr die Be‐ wegung, für die es im Grunde geschaffen worden war, sondern erfährt in der Schamlosigkeit / Zucht‐ losigkeit und Übertreibung eine Mischung, die von der ursprünglichen Funktion wegführt. Diese Vermischung und Unordnung der natürlichen Körperteile und ihrer Bewegungen repräsentiert der Gaukler am besten; die Perversion des Gebrauchs der Geste ist auf ihrer Grenze angekommen, über‐ schreitet eine Grenze, um nur eines zu erreichen: das Lachen. Vgl. dazu auch Casagrande / Vecchio, Clercs et jongleurs, S. 916. 66 Zit. aus Schmitt, Die Logik der Gesten, S. 255. von Gesten hervorgebracht hat, und dies in allen gesellschaftlichen Bereichen. 64 Gerade aus dem liturgischen und paraliturgischen Bereich kommen zahlreiche Gesten, sodass wir hier ein hohes parodistisches Potential des Religiösen haben. Andere Gesten kommen aus dem weltlichen, politischen Bereich. Sie sind Teil der symbolischen Kommunikation und struk‐ turieren Hierarchien, Positionen und künftiges Handeln. Auch hier gilt das gleiche: Durch ihren allgemeinen Bekanntheitsgrad können sie zu Objekten theatraler Nachahmung und komischer Bearbeitung werden. Schließlich gibt es Gesten, die einem Code des Lachens und Verlachens verpflichtet sind: Spottgesten, Verhöhnungs- und Verachtungsgesten, Ge‐ sten der rituellen Abwehr und der rituellen Störung, die von Personen ausgeführt werden, die dafür eine bestimmte Lizenz besitzen (natürliche und künstliche Narren, Teufel im Spiel, Pritschmeister, usw.) Der lateinische Begriff gestus erscheint in den Quellen als eine Unterform von motus, gehört demnach zur Bewegung, zur Motilität des menschlichen Körpers. Der Gegenbegriff von gestus ist gesticulatio, der entsprechend dem Verhältnis von Ordnung und Unordnung Gesten bezeichnet, die als ausschweifend, regellos, eitel, lasterhaft wahrgenommen werden. Diese Differenz wird in klerikalen Quellen so deutlich umrissen, weil die rituell und litur‐ gisch codierten Gesten ab dem 12. Jahrhundert immer mehr an Bedeutung gewinnen und keinesfalls profaniert werden sollten. So verhält sich nach Hugo von St. Viktor der ca‐ chinnus zum risus wie gesticulatio zu gestus, wobei erstere jeweils die übertriebene Form des letzteren bezeichnen. 65 Der Zusammenhang von Lachen und Gestik ergibt sich in den klerikalen Quellen zu‐ nächst aus der Parodie. Denn mit der Ausbildung komplexer Ordnungen von Gesten ge‐ winnt auch ihre körperliche und sprachliche Nachahmung durch Goliarden und Gaukler an Bedeutung, wie viele Quellen belegen. Dass gerade das Prinzip der mimetischen Nach‐ ahmung von Gesten gefürchtet und verurteilt wurde, zeigt die Aussage Stephans von Tournai, die Histrionen stellten „durch ihre Körperbewegungen und ihre Gesichtsmimik die Gesten anderer dar.“ 66 Wie sehr die imitative und übertriebene Mimik und Gestik im Mittelalter als Feld der Gaukler und Histrionen bezeichnet und dem Lachen und dem Lächerlichen zugeordnet wird, ist häufig bezeugt. Autoren wie Ailred de Rielvaux, Alanus von Lille, Petrus Cantor und Giraldus Cambrensis benutzen die Begriffe gesticulatio, gestus histrionici, turpes gestus gleichermaßen, um exzessive, unzusammenhängende und obszön-lächerliche Gesten und Körperbewegungen auszudrücken: genannt werden u. a. die Verzerrung des Mundes und des Gesichts, das Rollen mit den Augen, das Zucken und Rollen der Schultern, das Gesti‐ 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 241 67 „Interim histrionicis quibusdam gestibus totum corpus agitatur, torquentur labia, rotant oculi, ludunt humeri; et ad singulas quasque notas digitorum flexus respondet.“ Aus: Aelredo de Rielvaux: De speculo caritatis, II, 23; wiederaufgenommen bei Gilbert de Tournai: Sermones ad omnes status: Ad monacos nigros, sermo 1; bei Petrus Cantor: Verbum abbreviatum, V., De modo disputandi; bei Giraldus Cambrensis: De regus a se gestis; alle zit. bei Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 229 ff. 68 Thomasin von Zirklaere: Der welsche Gast. 4 Bde. Hg. von Friedrich Wilhelm von Kries. Göppingen 1984-85, V. 683 ff. 69 Vgl. Ekman, Paul u. Friesen, Wallace V.: The repertoire of nonverbal behavior: categories, origins, usage, and coding. Semiotica 1 (1969). S. 49-98, hier S. 63. 70 Hugo von St. Viktor zählt diese „schlechten Gesten“ auf: beim Zuhören den Mund aufsperren, die Zunge herausstrecken und rollen, beim Sprechen den Finger ausstrecken, die Augenbrauen hoch‐ ziehen, mit den Augen rollen, das Haar schütteln, den Hals verdrehen, beim Gehen mit den Armen schlenkern. Vgl. Schmitt, Die Logik der Gesten, S. 176. kulieren mit den Händen und Fingern, das Aufstampfen mit den Füßen, die Bewegung und Zuckung des ganzen Körpers. 67 Die Beherrschung gestischer Zeichen macht auch ihre Ma‐ nipulierbarkeit möglich. Gerade die Possenreißer beherrschen die verschiedenen gestischen Zeichen besser als andere und können sie zum Spaß manipulieren. In Der Wälsche Gast von Thomasin von Zirklaere wird die Möglichkeit der Täuschung durch Gebärden ausdrücklich thematisiert: so können etwa Hass und Zorn verborgen werden, sodass man sie nicht er‐ kennt und an den ihnen eigenen Gesten („krumbe blicke, unnütze rede, dwerhen ganc, seltsaene gebaerde“) ablesen kann. 68 Ich habe hier noch einmal die theologischen Bestimmungen von gestus und gesticulatio wiederholt, um die Tradition, in denen komische Gesten im spätmittelalterlichen und früh‐ neuzeitlichen Spiel stehen, zu unterstreichen. Wie Körperbewegungen insgesamt, stellen auch Gesten zentrale körperliche Ausdrucksmittel für Schauspieler dar, um soziale und rituelle Ordnungsmuster, die damit in der Regel ausgedrückt werden, nachzuahmen und damit zu parodieren, umzukehren, komisch zu modifizieren oder einfach nur zu dekontex‐ tualisieren. Diese Gesten der Possenreißer sind meist nicht redebegleitend. Es sind daher weniger „Illustratoren“, welche in Verbindung mit gesprochener Sprache auftreten, um das Gesagte hervorzuheben, sondern eher „Embleme“, die für sich stehen und eine lexikalische Bedeutung haben, Affektäußerungen oder „Körpermanipulatoren“ (sich am Kopf kratzen, die Lippe spitzen), die in der Kommunikation bestimmte Funktionen haben. 69 All diese Gesten können im Aufführungsrahmen in den komischen Modus gesetzt werden, d. h. sie können durch die Kombination mit anderen Gesten oder Worten, durch Isolation oder erkennbar falsche Anwendung komisiert werden. Überhaupt ist es ein Kenn‐ zeichen von gestischer Komik, wenn normative Gesten absichtlich falsch verwendet werden: im falschen Kontext, in der falschen (sozialen) Rolle, vom falschen Geschlecht, im falschen Alter. Je stärker eine Gesellschaft Gesten sozial hierarchisiert und ihren Teil‐ gruppen streng zuordnet, umso mehr Möglichkeiten ihrer „falschen“ Verwendung gibt es. Dazu kommen ungehörige Gesten, die in bestimmten sozialen Kontexten (Adel, Klerus) unterdrückt werden (wie ungehörige Gesten während der Predigt, 70 zuchtlose Gesten bei Tisch, in Anwesenheit von Damen, bei Zeremonien und Ritualen), welche sich durch ihre 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 242 71 Nach Barbara Korte ist die Gestik als Teil der Körpersprache ist auf der Bühne das wichtigste Element für Komik und Karikatur, weil sich nonverbales Verhalten dank seiner Anschaulichkeit für eine verzerrende Darstellung in besonderer Weise anbietet. Korte, Körpersprache in der Literatur, S. 157 ff. 72 Die zur „Feige“ zusammengekniffene Hand stellt eine neuzeitliche Schwundform des im Altertum geübten „Schamweisens“ dar. Vgl. dazu Schindler, Norbert: „Vnformliche zeichen“ und „freche Vngeberden“. Zur Ikonographie der Schande in spätmittelalterlichen Passionsdarstellungen. In: Körper-Geschichten. Studien zur historischen Kulturforschung. Hg. von Richard van Dülmen. Frankfurt a. M. 1996, S. 13-70. 73 Der gereckte Mittelfinger ist ab dem 15. Jh. als Spottfinger belegt, bekannt als Geste des Bohrens und Schneidens: einem den gecken schneiden, bohren, stechen, „durch eine handbewegung dieses ste‐ chen miene machen und damit ihn für einen narren erklären, verhöhnen…“ Grimm, Jacob u. Wilhelm. Lemma: Feige. In: Deutsches Wörterbuch. Dritter Band: E - Forsche. Leipzig 1862. ND München 1991, Sp. 1444. eingeschränkte Lizenz bestens für die provokative Nachahmung zur Erregung von Ge‐ lächter eignen. 71 Neben diesen beiden Typen, der komischen Veränderung normierter Gesten und der provokativen Verwendung von unterdrückten Gesten gibt es noch die den Emblemen zu‐ gehörigen Zeige- und Spottgesten, die typisch für den scurra sind. Einige von ihnen sind auf dem Hans Burgkmair zugeschriebenen Holzschnitt aus dem Triumphzugs für Maximi‐ lian, der den Wagen mit natürlichen und den mit Schalksnarren zeigt (ab 1509), gut zu erkennen. (Abb. 7) Als typische (Spott-)Gesten von Narren und Possenreißern können folgende mit der Hand ausgeführte Gesten gelten: (1) die Satyrgeste (Zeigefinger und kleiner Finger gereckt, Hörner nachbildend) (2) die Feige (ficam facere; Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger, obszöne Spottgeste, elementare Schandgebärde in der Passion) 72 (Abb. 8) (3) der Spottfinger (digitus infamus; gereckter Mittelfinger, Geste des Bohrens und Schnei‐ dens) 73 (4) das Fingerkreuzen: Rüben oder Möhrchen schaben (mit den Fingern die Handlung simulieren), wird auch als Spottgeste in der Passion gebraucht (crucifige); (5) die Hand vors Gesicht halten und durch die Finger blicken (6) eine lange Nase drehen (7) die Augen aufreißen und rollen (oculos distorquere; Unglücksgestus) 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 243 Abb. 7: Hans Burgkmair: Triumphzug Maximilians I.: Wagen der Schalksnarren (Holzschnitt 1517) 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 244 Abb. 8: Albrecht Dürer: Handgesten (Federzeichnung, 1494) 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 245 74 Vgl. dazu Kröll, Katrin: Der schalkhaft beredtsame Leib als Medium verborgener Wahrheit. In: Mein ganzer Körper ist Gesicht. Groteske Darstellungen in der europäischen Kunst und Literatur des Mittel‐ alters. Hg. von K. K. Freiburg 1994, S. 239-294. - Die Bildformel der Zanner und Blecker lässt sich als Marginaldrôlerie seit dem 12. Jh. von der romanischen Bauplastik bis zu den spätmittelalterlichen Chorgestühlen in ganz Europa nachweisen. Die Zanner sind meist als Maske dargestellt; viele von ihnen spreizen die Beine und strecken die Zunge heraus. In ihrer Untersuchung leister Kröll eine Zusammenschau von Bildmedien und Bildformeln (Handschriften, Bauplastik, Chorgestühle, Wand‐ malerei) unter dem gemeinsamen Begriff der „Drôlerien“. Dies ist Voraussetzung für ihre semiotische Analyse. 75 Vgl. ebd., S. 37. 76 Vgl. Schmitt, Die Logik der Gesten, S. 15. 77 Impulsive Körperbewegungen wurden grundsätzlich als Symptom innerer Störungen angesehen. So stellte Hildegard von Bingen bereits einen Bezug zwischen unkontrollierten Körperbewegungen und Krankheitssymptomen her. Zit. und Quellenangabe bei Schindler, Vnformliche zeichen, S. 41. Klassische Spottgesten waren außerdem das Zannen (Gähnmaul, Maulaufreißen), welches ein groteskes Lachen imitiert, sodann das Blecken (entblößter Hintern, beide in den Mar‐ ginalia der christlichen Bildkunst sehr verbreitet, 74 und die Zunge recken; sie wurden auch in christlichen Bildprogrammen, wie bei den Passionsszenen als Gesten der Spötter und Schergen verwendet. 75 Dabei werden häufig mehrere Spottgesten miteinander verbunden. Im Rahmen der Passionsdarstellungen sind einige der Zanner auch als Narren gekleidet. Das Vorzeigen der Geschlechtsteile, vor allem der weiblichen Scham, findet sich nur selten auf Abbildungen, ist jedoch auch als extrem obszöne Spottgebärde mit apotropäischem Hintergrund nachgewiesen. Bei all diesen Gesten handelt es sich um maßlose, teils obszöne Gesten, die in einem Rahmen ‚ernsthafter‘ Kommunikation nicht erlaubt waren. Seit den rhetorischen Schriften der Antike waren solche Gesten der moralischen Kontrolle unterworfen, vor allem galten sie als maßlos und unsittlich, da sie denjenigen, der sie ausführt, auf die symbolisierten Handlungen selbst zurückverweisen und ihn somit dem Bereich der Geschlechtlichkeit bzw. der Skatologie zuordnen oder ihn gar der Gruppe der geistig nicht für sich selbst Verant‐ wortlichen zurechnen - beides disqualifizierend für einen Redner. 76 Dies ist ein Punkt, an welchem die Präsenz von Gesten, vor allem von obszönen Gesten, bedeutsam wird. Über ihren näheren Symbolgehalt hinaus präsentieren diese Gesten in ihrem indefiniten Zeigegestus die Anwesenheit einer bösen, fremden Macht dämonischer oder teuflischer Herkunft. So repräsentiert das Gestikulieren der Besessenen im Mittelalter nicht nur den Teufel, im Moment des offenkundigen Kontrollverlusts über den Körper hat der Teufel diesen Körper in Besitz, zur Wohnstatt genommen und ist somit leiblich anwe‐ send. 77 Diese Dimension der Furcht und Alterität ist latent in allen Spottgesten vorhanden und kann ihre starke Wirkung erklären. Die Grenzfälle des Außer-sich-Geratens, die mit geistiger Schwäche, Wahnsinn und Raserei verbunden sind, können vom Schauspieler ebenso nachgeahmt werden wie die geregelten, gemessenen Gesten eines Priesters. Auf‐ grund ihrer Ambivalenz und ihrer starken Zeigewirkung sind sie aber für komische Insze‐ nierungen sehr gut geeignet, vor allem um gemeinsam mit motorischen und proxemischen Bewegungen Unordnung, Verwirrung und Ambivalenz zu stiften. 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 246 78 Vgl. Löffler, Petra: Affektbilder. Eine Mediengeschichte der Mimik. Bielefeld 2006, S. 10. 79 Vgl. Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, S. 52. Dies bedeutet auch, dass mimische Zeichen keine „natürlichen Zeichen“ für Emotionen sein können, wie man bis ins 19. Jh. noch angenommen hatte. 80 Ekman, Paul: Telling Lies: Clues to Deceit in the Marketplace, Politics, and Marriage. New York 1985. 81 Denn es ist der mimische Ausdruck, wie Wundt, Bühler und Plessner gezeigt haben, der eine affektive Wirkung besitzt, und in dessen Rahmen auch komische Mimik beschrieben werden kann. Vgl. dazu Wundt, Wilhelm: Grundzüge der physiologischen Psychologie. 5. Aufl. Leipzig 1874; Bühler, Karl: Ausdruckstheorie: das System an der Geschichte aufgezeigt. Stuttgart 1968, S. 88 ff.; Buitendijk, Fre‐ derik J. J. u. Plessner, Helmuth: Die Deutung des mimischen Ausdrucks. Bonn 1925. Auch für die Mimik gilt, dass sich Körperbewegungen trotz ihrer Sichtbarkeit nur schwer kategorisieren lassen. 78 Denn ihr kommunikativer Wert ist nicht immer klar definierbar, ihre Zuverlässigkeit als Medium der semantisch eindeutigen Zuschreibung einer Bedeu‐ tung wird von zahlreichen Forschern angezweifelt. Gerade mimische Bewegungen sind Indikatoren für Emotionen, können jedoch mittels der Fähigkeit des Gesichts, den Ausdruck eines überhaupt nicht verspürten Gefühls zu nachzuahmen, auch simuliert bzw. gefälscht werden. 79 So ist das zur Mimik gehörende Lächeln vieldeutig und ein Beispiel des nonver‐ balen Maskierens und der Täuschung durch Mimik. 80 Mimische Mehrdeutigkeit und mimische Intensität sind somit die beiden Grenzlinien eines Bewegungs- und Ausdrucksverhaltens des Gesichts, zwischen denen sich die Expres‐ sivität der einzelnen mimischen Geste jeweils realisiert. Was bedeutet das für die Analyse von mimischer Komik? Wir können mimische Bewegungen nur sehr allgemein be‐ schreiben, und keinesfalls klare semiotische Zuordnungen festlegen. Mimik ist für die Un‐ tersuchung körperlicher Lachanlässe eine kaum nachweisbare Variable, mit der jedoch immer gerechnet werden muss. In den meisten Fällen wird sie erst in Kombination mit Gesten bzw. mit Sprache und Stimme wirksam. Auch hier sind die Zeugnisse, die zur Mimik vorliegen, Beschreibungen mimischer Wahrnehmung, sodass wir am ehesten den mimi‐ schen Ausdruck bzw. die mimische Intensität belegen können. 81 (Abb. 9). Somit ist die Mimik ein Einsatzfeld komischer Inszenierungen, dessen Umrisse und Funktionen am besten über das Verhältnis von Ausdruck, Intensität und Wahrnehmung darstellbar sind. Mimische Komik steht als eine inszenierte Deformation der Gesichtszüge zunächst, wie Bewegungsabläufe und Gestik auch, im Dienste einer spielerischen (nach‐ ahmenden, verzerrenden, variierenden) Bearbeitung der Grundemotionen. Es kann davon ausgegangen werden, dass komische Mimik auch in theatralen Aufführungen der Vormo‐ derne mit starker Übertreibung oder starker Maskierung mimischer Ausdruckszeichen ar‐ beitet. In jedem Fall soll mit komischer Mimik keine subjektive Emotion ausgedrückt, son‐ dern die mimische Konvention für eine bestimmte Emotion karikiert werden. Emotionen sollen nicht geglaubt, sondern als gespielte, als nur vorgebliche erkannt werden. Dies ist übrigens bei komischer Proxemik und Gestik ebenso: Codes werden übertrieben, hyper‐ bolisiert, und können so in ihrer Funktion karikiert werden. Andererseits ist das Verhältnis von als „normal“ wahrgenommenen mimischen Aus‐ drucksmustern und ihrer physiognomischen bzw. pathologischen Devianz für die mimische Ausdruckswahrnehmung maßgeblich. So sind etwa die physiognomischen Merkmale der körperlichen oder geistigen Schwächung bei natürlichen Narren (etwa an den Bildzeug‐ nissen Triboulets oder Claus Narr von Ranstedt, Abb. 10 u. 11) zu erkennen, Anlass für komische Parodien künstlicher Narren gewesen. Die Deformationen des Gesichts und der 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 247 Kopfhaltung stehen auch bei den durch apotropäischen Ursprung gekennzeichneten Gri‐ massen (Zähnefletschen, Mundaufreißen) im Vordergrund. Abb. 9: Matthias Quad: Si credere fas est (Kupferstich 1588, Staatsbibliothek zu Berlin) 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 248 Abb. 10: Francesco Laurana: Der französische Hofnarr Triboulet I. (Marmorrelief, 1460) 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 249 Abb. 11: Hans Lautensack: Der sächsische Hofnarr Claus Narr von Ranstedt (1533) Wichtig für den Erfolg mimischer Komik ist die Glaubwürdigkeit, aber auch die Durch‐ schaubarkeit (und somit die Enthebbarkeit) dieser grotesken Grimassen. Die Verschiebung der Gesichtszüge ins Groteske, so, dass man das Bildschema eines menschlichen Gesichts kaum mehr erkennen kann, muss wie die obszöne und skatologische Geste auch, eine Art Schockwirkung entfalten, die im gleichen Moment aber als solche zu erkennen ist, sodass 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 250 82 Der ästhetisch-anthropologische Doppelcharakter der Grimasse entgeht Paul Michel in seiner Studie zum Hässlichen in der mittelalterlichen Kunst und Literatur. Michel ist der Auffassung, dass das Hässliche in der Literatur „bewältigt“ wird, und versucht im Licht der mittelalterlichen Schönheits- und Hässlichkeitstheorien die Schönheit des Hässlichen herauszuarbeiten. Das Schreckliche und Komische im Hässlichen beachtet er dabei nicht. Er begründet dies damit, dass es in der Literatur zu schwer zu fassen sei, denn es „expliziert sich nicht selbst“. Die Untersuchung widmet sich nur solchen Formen der Auseinandersetzung mit dem Hässlichen, „die den Anspruch des Rationalen haben, nicht spontanen Formen des Hässlichen wie die Nase rümpfen, den Mund verziehen, lachen, erbrechen. Michel, Paul: ‚Formosa Deformitas‘. Bewältigungsformen der Hässlichen in mittelalterlicher Literatur. Bonn 1976, S. 249. 83 Für Wundt bezeichnet die Grimasse eine „ausdruckslose Intensität“ des Affekts. Die Affektintensität ist eine physiologische Größe und seit Mareys Sphygmograph messbar. Vgl. Löffler, Affektbilder, S. 24. 84 Grimm, Jacob u. Wilhelm: Lemma: Fratze. In: Deutsches Wörterbuch. Vierter Band: Forschel - Ge‐ folgsmann, Sp. 69 f. die Gefahr der zwischenleiblichen Übertragung einer Emotion (etwa Furcht) abgewendet und im Lachen gebannt werden kann. Denn der Grimasse liegt eine widersprüchliche Ex‐ pressivität zu Grunde: sie ist - ästhetisch betrachtet - ein hässliches, verzerrtes Gesicht, das Gegenteil eines schönen Gesichts mit gleichmäßigen Zügen. Gleichzeitig kann sie Schmerz oder große Angst, sogar Todesangst ausdrücken, sodass sie weniger physiogno‐ mische Hässlichkeit, als eine situative Verformtheit durch Emotionen zeigt. 82 Daraus resultiert, dass die Wahrnehmung einer Grimasse ebenso verschiedene Affekte auslösen kann: Abscheu und Ekel vor der grotesken Deformation, oder auch Furcht vor einer Übertragung des der Grimasse zugrunde liegenden Affekts. Die Wirkung einer Gri‐ masse hängt daher weniger von der spezifischen Zeichenkombination, die ihr zugrunde liegt, sondern mehr von ihrer Intensität ab. 83 Diese Intensität kann nur vom Schauspieler durch seine mimische und gestische Expressivität hergestellt werden. Wenn er die Grimasse aber in einer entsprechenden Rahmung, bzw. in Kombination mit anderen komischen Sig‐ nalen ausdrückt, verliert sie ihre Gefahr und wird zum lächerlichen Objekt. Dabei ist der Übergang von der furchterregenden Grimasse zur groteskkomischen Grimasse nur mi‐ nimal, mimisch vielleicht kaum erkennbar. Somit bestimmt nicht nur die Intensität, sondern vor allem Kontext und Verlauf der Grimasse ihre Wirkung. Das Grimassen oder Fratzen „schneiden“ an sich gilt schon sehr früh als von professionellen Schauspielern praktizierter körperlicher Lachanlass. Darauf weist etwa die etymologische Herkunft von ‚Fratze‘ hin (von ital. frasca, im übertragenen Sinn „laffe, unnützer, possenhafter kerl, lat. gerro, nu‐ gator“). Der Begriff wird im 16. Jahrhundert für Possen allgemein bzw. auch für das Erzählen von Possen gebraucht (Fischart: „fratzen und fabeln“). 84 Auch das in der Vulgata für das Fratzen und Grimassen schneiden gebräuchliche subsannaverunt (Psalm 35) weist etymo‐ logisch auf den sannio, den römischen Possenreißer hin. Es ist somit kaum verwunderlich, wenn die Deformation des Gesichts in Grimassen und Fratzen schon früh von den Klerikern verurteilt wurde. Hugo von St. Viktor wusste um die Möglichkeiten, mit mimischen Mitteln Gelächter zu erregen, und wies seine Novizen an, dies zu unterlassen: „Es gibt in der Tat tausend Masken, tausend Grimassen, tausenderlei Art und Weise, die Nase zu rümpfen und die Lippen umzustülpen und zu verziehen, die der 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 251 85 Hugo von St. Viktor: De institutione novitiorum. II. Disciplina in gestu (cap. 12). In: PL, 176, 943: „Sunt praeterea mille larvae, mille subsannationes et corrugationes narium, mille valgia et contortiones labiorum, quae pulchritudinem faciei et decorem disciplinae deformant.“ (Übers. HRV) Vgl. zu Gestik und Mimik der Histrionen auch Zimmermann, Julia: gestus histrionici. Zur Darstellung gauklerischer Tanzformen in Texten und Bildern des Mittelalters. In: Gestik. Figuren des Körpers in Text und Bild. Hg. von Margreth Egidi u. a. Tübingen 2000, S. 71-85. 86 „Die Maske macht den kultisch Handelnden zum Vertreter. (...) Als Stellvertreter verschwinden die Menschen hinter dem in Maske und zeremoniöser Bewegung festgelegten Schauspiel.“ Plessner, Helmuth: Zur Anthropologie des Schauspielers (1948). In: H. P.: Ausdruck und menschliche Natur. Gesammelte Schriften VII. Hg. von Günter Dux, Odo Marquard u. Elisabeth Stöker. Frankfurt a. M. 2003. S. 403-418, hier S. 405. 87 Vgl. Weihe, Richard: Die Paradoxie der Maske. Geschichte einer Form. München 2004, S. 14. Schönheit des Gesichts und ehrbarer Zucht abträglich sind.“ 85 Im Sinne dieser moralisch und ästhetisch motivierten Kritik Hugos sind Grimassen deshalb schädlich, weil sie der Würde des Menschen, der ‚zum Bilde Gottes‘ geschaffen ist, abträglich sind und somit den göttlichen Schöpfungsplan in Frage stellen. In einer lasterhaften Gesichtsbewegung wird das göttliche Antlitz des Menschen von einer Maske des teuflischen Äußeren überdeckt. Dass sich die Verzerrungen des Gesichts bei der Grimasse auch beim übermäßigen Lachen, dem cachinnus, einstellen, wird aus dieser Perspektive nochmals unterstrichen. Verwandlungen des Körpers: Maske und Verkleidung Maske und (Ver-)Kleidung, Schminke, Frisur und Accessoires gehören zur nonverbalen Kommunikation im weiteren Sinn. Sie wurden in den einzelnen theatralen Kontexten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit in unterschiedlicher Weise gebraucht; in einigen performances, wie etwa fastnächtlichen Schauläufen und Spielen, waren sie rituelles Sub‐ strat der theatralen Aufführung und dienten der Übernahme und Symbolisierung von so‐ zialen Rollen, bzw. der Verwandlung in Tier- und Dämonengestalten. In der Commedia dell’arte waren sie fester Bestandteil der Aufführung und kennzeichneten in ihrer Typik die Figuren (theatrale Rollen- oder Charaktermasken). Der Begriff ‚Maske‘ (von arab.: maskharat = Narr, Verspottung, Posse, aber auch verkleidete Person) bezeichnet eine Ver‐ kleidung des Gesichts. Verkleidungen und Masken gehören somit zu einem einzigen ri‐ tuell-theatralen Komplex, der Verwandlung des Darstellers in einen Anderen, seine Ver‐ körperung einer Rollenfigur bzw. eines anderen Wesens. Jede Körperbewegung und jede Geste des Darstellers wird somit gleichzeitig von seinem Körper und vom Körper des Anderen ausgeführt; es ergibt sich - vor allem in rituellen Kontexten - ein magischer Effekt der Doppelheit. 86 Diese kommt insbesondere im Spiel der Gleichsetzung und Kontrastierung von Gesicht und Maske zum Vorschein, weist die Maske doch auf die charakteristische Doppelung von Zeigen und Verhüllen hin. Die Maske zeigt, indem sie verbirgt. Im Theater gehören dann Masken und Verkleidungen, Schminke und Frisur zu einem Illusionsapparat, der die Verhüllung und im Spiel die Enthüllung be‐ werkstelligt. 87 Im christlichen Mittelalter galt die Verkleidung, Vermummung und die Maskerade als besonders anrüchig: eine Maske tragen, sich verkleiden, bedeutete etwas vorzugaukeln, die eigene Identität zu verschleiern, um seine wahren Beweggründe und Handlungen zu ver‐ 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 252 88 Vgl. Minois, Histoire du rire, S. 117. 89 Hinkmar von Reims: Capitula ad presbyteros parochiae suae. I, 14. In: PL 125, 776. („…weder ein‐ willigen, dass dämonische Larven, die das Volk Masken nennt, vorgeführt werden, denn diese sind des Teufels und von den heiligen Gesetzen verboten“). 90 Ebd. 91 Vgl. Meuli, Karl: Maske, Maskereien. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Bd. 5. Hg. von Hanns Bächtold-Stäubli, Berlin / New York 1987, Sp. 1744-1852. 92 Plessner, Zur Anthropologie der Nachahmung, S. 455. 93 Ebd. bergen. Sich maskieren bedeutete daher, den Einflüsterungen des Satans zu folgen, aber auch den Schöpfer nachzuäffen, und den Körper, der uns von der Schöpfung gegeben wurde, damit wir Gott gleichen, zu verstellen und einen anderen vorzutäuschen. 88 Deshalb war das Tragen von Masken für das Christentum und seine Glaubensvorstellungen inakzeptabel und verboten; so heißt es etwa in den Capitula des Hinkmar von Reims (um 860), dass Geistliche es unter anderem unterlassen sollten, bestimmte Personen zu Armenspeisungen zuzulassen, etwa diejenigen, die Masken tragen: „(...) nec larvas demonum, quas vulgo ta‐ lamascas dicunt, ibi ante ferre consentiat, quia hoc diabolicum est, et a sacris canonibus prohibitum.“ 89 Interessant ist, dass dieses Verbot in direktem Zusammenhang mit anderen Unterhaltungen steht; mit den Aufführungen von Tänzern und Mimen, mit den Vorfüh‐ rungen von Bären, mit obszönen Witzen, unanständigen Erzählungen und vor allem Ap‐ plaus und Lachen: „nec plausus et risus inconditos et fabulas inanes ibi referre aut cantare presumat; vel turpia ioca vel urso vel tornatricibus ante se fieri patiantur“. 90 Hier wird das Tragen von Masken zu den Aktivitäten von Performern gezählt und direkt mit dem Lachen verbunden. Denn einerseits richteten sich die Verbote des Maskentragens immer noch gegen heidnische Praktiken und Feste, 91 wo das Lachen einen prominenten Platz einnahm, andererseits war die Maske von Beginn an die Aufführung als ein als-ob-Ge‐ schehen geknüpft. Denn Verkleidung wirkt nur da, wo „der Rollenträger seine Beziehung zur Rollenfigur immer noch erkennen läßt und mit zur Darstellung bringt.“ 92 Plessner be‐ hauptet, dass dies schon in den archaischen Theaterformen der Fall war: „Selbst Gesichts‐ maske oder Vermummung der ganzen Gestalt in vorgeschriebenen Figuren von Tieren und Dämonen etwa schließt solche Erwartung bekanntlich nicht aus, weder bei den klassischen Theatern archaischer Prägung noch bei den kultischen Spielen der Primitiven.“ 93 In dem Moment, wo die christliche Religion die rituellen heidnischen Masken verdammt, können sie zum Anlass für schauspielerische Provokationen werden, wo gleichsam die alte kultische Praxis wie auch die Angst vor ihr verlacht werden kann. Das Spiel mit der Dop‐ pelung, die Maske als Zeichen der Differenz zwischen dem Sichtbaren und dem Nicht-Sicht‐ baren, das die Täuschung vorführt, und zugleich die darunter liegende Wahrheit entlarvt, musste ein hervorragendes Mittel für Komik, Karikatur und Parodie gewesen sein. Das Wissen um die Maskierung und Verkleidung zieht den Zuschauer in ein aufgeführtes Täu‐ schungsmanöver hinein und macht ihn zum Komplizen der Verkleidung. Dies ist auch der Grund, warum Maskierungen und Mummereien noch im Karneval des späten Mittelalters so populär waren. Die Stadtbürger, von deren fastnächtlichen Aktivi‐ täten wir mindestens seit dem 13. Jahrhundert wissen, feierten mit Straßentänzen und -läufen Maskierter, kostümierten Umzügen und Verkleidungen als Bauern, Teufel, Mohren und Wilde Männer. Gerade rituelle Spiele und ihre literarischen Adaptationen sahen das 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 253 94 Simon, Die Anfänge, S. 21. 95 Das cross-dressing führte bisweilen auch zur Manifestation erotischer Praktiken zwischen den Ver‐ kleideten; dies konnte in Ausnahmefällen bis zur simulierten Kopulation reichen: 1491 zitierte der Nördlinger Rat zwei auswärtige Hutmacher, Hans Geyr aus Kemnaten und Michel Geissler aus Augsburg vor Gericht, die sich an Fastnacht als Mann und Frau verkleidet hatten und von ihren Freunden geführt durch die Straßen gingen und öffentlich den Sexualakt simulierten, „sich zu un‐ küschen wercken vor dem volck erzaigt und bewysen haben (...) als ettlich gesellen ainen knecht und ain gestalt ainer frawen zu unfur anrichten und in der stadt umfürtten.“ Zit. aus Simon, Eckehard: Carnival Obscenities in German Towns. In: Obscenity. Social Control and Artistic Creation in the Eu‐ ropean Middle Ages. Hg. von Jan M. Ziolkowski. Leiden u. a. 1998, S. 193-213, hier S. 200. 96 Ebd., S. 198 ff. 97 In der christlichen Bildkunst wurde versucht, die Entblößungen durch Einbindung als Marginalie des Heiligen und somit des an den Rand gedrängten Bösen zu beherrschen. So finden wir in Ran‐ kenfiguren der gotischen Gewölbekunst, in Zwickelgemälden und an Außenwänden von Sakral‐ bauten lachende Maulaufreißer (auch mit entblößtem Phallus, etwa in einem Rankenfries des 12. Jhs. der Krypta des Basler Großmünsters), Figuren, die Spottgebärden mit den Armen und Fingern aus‐ führen, häufig als Kommentar zum Text oder zum sakralen Bildprogramm, Tänzer und Tänzerinnen mit entblößtem Körper usw. Vgl. dazu Kröll, Mein ganzer Körper, S. 25. rottenweise Auftreten von hinlänglich Maskierten bzw. Verkleideten vor. So jagten ver‐ kleidete Narren und Holzfäller einen ganz mit Zweigen und Blättern bzw. mit Fellen ver‐ kleideten Wilden Mann durch die Stadt, ein vor allem in Süddeutschland praktiziertes Spiel „zwischen mimiertem Brauch und textiertem Spiel“. 94 Als eine der beliebtesten Formen der Verkleidung ist das cross-dressing zu nennen; vor allem Männer verkleideten sich als Frauen und imitierten weibliche Verhaltensweisen und Tätigkeiten, oder mischten sich unter die Frauen bei inszenierten Rügebräuchen. 95 Die Komik des cross-dressings ist auch einer der wichtigsten Lachanlässe im Fastnachtspiel (s. u.). Eine Sonderform von Maskierung und Verkleidung ist die völlige Negation der Körper‐ bedeckung: die Entblößung. Als eine Spezialform der Exhibition zog sie dieselbe Kritik kirchlicher und städtischer Autoritäten auf sich wie Vermummungen und Verkleidungen. Wie auch Entblößungsgesten wie Blecken und das Spiel mit dem Vorzeigen der natürlichen pudenda oder ihren künstlichen Nachbildungen ist die Nacktheit sowohl als gauklerische Auftrittsform (vorwiegend bei Tänzern und Tänzerinnen und bei Artisten) als auch als karnevaleske Praxis überliefert. Nackt durch die Gassen laufen oder nackt zu Musik tanzen, junge Frauen ins Wasser werfen, sodass sie anschließend entkleidet werden mussten, oder in Kombination mit Narrenmasken und bei der Jagd nach dem Wilden Mann, dies waren ostentative Praktiken der Entblößung. 96 Dass diese Praktiken spöttischer Natur waren, und ihre Provokationen Gelächter ausgelöst haben, ist ebenfalls bezeugt. Inwieweit Nacktheit bei weltlichen und geistlichen Spielen als Lachanlass fungiert haben mag, muss weiter unten diskutiert werden. Interessante Parallelen eröffnen sich bei der vergleichenden Analyse von Verkleidung und Entblößung in Bildern und plastischen künstlerischen Darstellungen. Auch wenn die Nacktheit in den Bildformeln als Kennzeichen des Sündenfalls und der Vertreibung aus dem Paradies verwendet wurde, vermuten Kröll und Camille jedoch, dass die zahlreichen bildlich überlieferten Entblößungsgesten und Darstellungen nackter Körper (halbanimalische Fi‐ guren, Teufelsfiguren, Tänzer) auf theatrale und künstlerische Praktiken (etwa von iocu‐ latores und Akrobaten) zurückgeführt werden können. 97 So sind bestimmte Bildformeln der 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 254 98 Vgl. ebd., S. 51; Camille, Michael: Image on the edge. The margins of medieval art. London 1992. 99 Zwei Beispiele für Gelächter, das von den Darstellungen in Bildwerken verursacht wurde, sind: Il‐ lustrationen der Fabeln Äsops im Refektorium des Klosters von Fleurie wurden im 11. Jh. beanstandet, weil sie unziemliches, schallendes Gelächter (cachinos) provozierten. Vgl. Schmitt, Die Logik der Ge‐ sten, S. 137. 100 Vgl. dazu Schmidt, Leopold: Dämonische Lustigmachergestalten im deutschen Puppenspiel des Mit‐ telalters und der Frühen Neuzeit. Zeitschrift für Volkskunde 56 (1960), S. 226-235, hier S. 229; Simon, Eckehard, Carnival Obscenities in German Towns, S. 199 f. Vgl. auch Kap. 5.2. Drôlerien auch außerhalb der sakralen Kunst überliefert: in Abbildungen von Mummereien bei unterschiedlichen Festen sowie in populären Erzählungen und rituellen Praktiken. 98 Das Lachen stellt wiederum ein mögliches Verbindungsglied zwischen Bild und Praktik dar; als Reaktion auf Spott und Provokation, aber auch auf groteske Darstellungsintentionen, die Furcht auslösen sollten. 99 Zur Verkleidung gehören auch die Prügel- und Zeigeaccessoires von Narren und Pos‐ senreißern: der Kolben, der Stock, die Pritsche, die Marotte. Sie waren nicht nur das Kenn‐ zeichen des natürlichen Narren am Hof im Mittelalter, sondern auch Requisit aller theat‐ ralen Possenreißer bis zum 18. Jahrhundert, vom Hanswurst zum Puppenspiel. Im weltlichen Spiel tragen Narrenfiguren als Platzmacher und Ausschreier, ähnlich wie die Pritschenmeister, einen Kolben oder ein Prügelholz, um Platz zu schaffen und die Menge zurückzudrängen. Von seinem Ursprung her hat das Schlaggerät von Narren nicht nur pragmatische Gründe zur Selbstverteidigung, sondern besitzt auch ein mythisch-anthro‐ pologisches Potential als Phallussymbol, wie die Phallusattrappen der Nürnberger Fast‐ nacht noch belegen. 100 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 255 101 Barthes, Roland: Le grain de la voix. In: Œuvres complètes. Tome II. 1966-1973. Hg. von Éric Marty. Paris 1994, S. 1436-43, hier S. 1448 u. 1441. 102 Zu den einzelnen suprasegmentalen Elementen vgl. Nöth, Handbuch der Semiotik, S. 366. 103 Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, S. 38. Sie sind durch das Verhältnis von auditiven Merkmalen (Tonhöhe, Tonstärke, Höhen- und Frequenzverlauf, Dauer, Artikulation, Betonung, Qualität, Rhythmus, Resonanz, Tempo) und Substanzmerkmalen (Intensität, Zeit, Frequenz) charakterisiert. Die Bedeutung von paralinguistischen Zeichen ist weniger festgelegt wie bei anderen Zeichen; vor allem die Zuordnung zu den linguistischen Zeichen ist nicht immer deutlich. Stimme, Prosodie, Parasprache, Körpergeräusche „Le grain, ce serait cela: la matérialité du corps parlant sa langue maternelle (...) Le grain, c’est le corps dans la voix qui chante.“ Roland Barthes 101 Die bisher skizzierten Lachanlässe der motorischen und proxemischen Bewegung, der Gestik und Mimik sowie der Maskierung sind visueller Art. Doch auch akustische Komik ruft und rief in rituell-theatralen Rahmungen Lachen hervor. Zur Lautlichkeit zählt die gesamte vokale (verbale und nonverbale) menschliche Kommunikation. Das sind erstens alle Stimmartikulationen: die sprachlichen, wie Prosodie und andere suprasegmentale Ele‐ mente der Sprache, die Stimmqualität und Stimmfärbung, zweitens die nichtphonetische, vokale Artikulation wie Parasprache und schließlich nichtphonetische, teilweise auch Kör‐ pergeräusche wie Schmatzen, Niesen, Spucken oder Schnarchen (diese werden auch als vokale Reflexe bezeichnet). Suprasegmentale Elemente der Sprache, also alle nicht bedeutungsdifferenzierenden au‐ ditiven Merkmale, sind fester Bestandteil komischer Kommunikation. Bei stimmlicher Pa‐ rodie und Karikatur bleiben die Sprechakte semantisch unverändert und werden nur mit Hilfe des Wortakzents, der Satzbetonung, der Intonation, der Tonhöhe und -stärke, der Junktur und der Tonlänge, der Dauer und des Tempos, der Artikulation und des Rhythmus verändert und deformiert. 102 Durch solche prosodischen Möglichkeiten des Sprechens kann etwa ein Spottgedicht durchaus einen geringen Anteil semantischer Komik aufzeigen, sein stimmlicher Vortrag dagegen großes Gelächter auslösen. Semiotisch gesehen handelt es sich bei diesen Elementen um „alle vokal erzeugten Laute, die weder als linguistische Zei‐ chen noch als musikalische Zeichen noch als ikonische vokale Zeichen (...) hervorgebracht werden.“ 103 Zu diesen paralinguistischen Elementen zählen auch Merkmale wie Flüstern, undeutliche Aussprache, Nasalierung, heisere Phonation, sich Räuspern oder gespielte Stimmqualität. Parasprache erfolgt immer parallel mit den verbalen Botschaften, während die letzte Gruppe von Lauten, die nichtsprachlichen Lautproduktionen, wie akustische Sig‐ nale (oder vokale Reflexe) wie Niesen, Gähnen, Husten, und Schnarchen unabhängig von den sprachlichen Äußerungen auftreten können, bzw. sie unterbrechen und somit auch modifizieren können. Gerade solche Reflexe, die üblicherweise unfreiwillig auftreten, können in theatraler Komik gezielt eingesetzt werden, um semantische Inhalte zu konterkarieren, ihr Gelingen zu stören und sogar Sprechakte zum Scheitern bringen. Wir kennen dies aus der Darstellung zeremonieller Praktiken im komischen Film, die von einem wiederholten Rülpser, Pfeifen 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 256 104 Paul Zumthor formuliert es in seinem Buch über die Stimme im Mittelalter folgendermaßen: „Die Stimme verbirgt und enthüllt unaufhörlich einen Sinn, den sie überschreitet, den sie versinken läßt, den sie überschwemmt und ertränkt, den sie von sich entfernt, und der noch ihrer größten Macht parasitär innewohnt“. Zumthor, Paul: Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft. Aus dem Frz. von Klaus Thieme, München 1994, S. 65. 105 Ebd., S. 39. 106 Peirce, Charles S.: Collected Papers of Charles Sanders Peirce. Vol. V: Pragmatism and Pragmaticism. Cambridge (Mass.) 1934, S. 568. 107 Bachtin, Michail: Methodology for the Human Science. In: Speech Genres & other late Essays. Hg. von Caryl Emerson und Michael Holquist. Austin 1992, S. 159-172, hier S. 164. 108 Vgl. zur funktionalen Performativität Velten, Hans Rudolf: Performativität. Ältere Deutsche Literatur. In: Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte. Hg. von Claudia Benthien u. H. R. V. Reinbek 2002, S. 217-242. oder spezifischer Zungengeräusche gestört und schließlich zu Fall gebracht werden. Solche Körpergeräusche, die auch obszöne Körperhandlungen imitieren können (Flatulenz, Defä‐ kation, Sexualakt usw.), oder mit körperlichen Handlungen verbunden sind - in die Hände klatschen, mit dem Fuß aufstampfen, Zähneknirschen, Ohrfeigen geben oder Spucken usw. - gehören zum Standard-Repertoire komischer performances von Possenreißern und Narren im Spiel. Abgesehen von solchen nichtvokalen Lauten und Körpergeräuschen ist die menschliche Stimme somit das entscheidende Medium komischer linguistischer Performanz. Dabei ist sie hier nicht in erster Linie Medium der Informationsübertragung, sondern vor allem ein wirkmächtiger Modus der Produktion von Emotionen und Wirkungen in einer Situation der Kopräsenz zwischen Akteuren und Zuschauern. Wer jemals ein Theaterstück in einer ihm unbekannten Sprache erlebt hat, der weiß, dass es bei einem völligen Ausbleiben sprachlich-semantischer Informationen neben der Gestik vor allem auf die Stimme, ihre Qualitäten und ihre hohe Ausdrucksfähigkeit ankommt, um Bedeutung zu vermitteln. 104 Die Stimme kann durch Intensität, Stimmhöhe, Resonanz und Tempo etwa Aggressivität oder Sanftheit, emotionale Erregung oder Unbeteiligtsein, Parodie und Ironie, selbst Bes‐ tialität („Bellen der Aufseher“) und Zivilisiertheit ausdrücken. Hier handelt es sich nicht um Zeichen, die zum Zweck der Kommunikation verwendet werden, sondern um Quali‐ täten, die „ähnlich wie Gestalt und Gesicht - von Natur aus oder aufgrund spezifischer Bedingungen in ihrer jeweiligen Verfasstheit gegeben sind.“ 105 Charles S. Peirce bezeichnete in seiner Untersuchung der tonalen und korporalen As‐ pekte von Sprechakten den Ton der Stimme als wichtigstes Element: „Ein Ton oder eine Geste sind meist der bestimmteste Teil dessen, was gesagt wird.“ 106 Die Relevanz des tonalen Aspekts von Sprechakten wird auch von Bachtin in seiner Untersuchung des Gelingens von Befehlen, Drohungen oder Flüchen unterstrichen. Sie seien alle mit einer scharf ausge‐ drückten Intonation verbunden, der das Gelingen garantiere. 107 Der Intonation kommt dabei auch für die Semantik eine wichtige Bedeutung zu, denn die Prosodie kann Bedeutungen hervorheben, mindern oder sogar streichen. Auf Grund der Bedeutung der stimmlichen Aspekte des Sprechakts muss in den theatralen Aufführungen auf die Emphase des Spre‐ chens geachtet werden: So sind vor allem Ausrufe und Klagelaute, Befehle, Drohungen, Verwünschungen und Flüche, Parodien heiliger oder ritueller Sprechhandlungen, atemloses Sprechen und andere Merkmale von funktionaler Performativität zu beachten. 108 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 257 109 Vgl. dazu Trager, George L.: Paralanguage. A first approximation. Studies in Linguistics 13 (1958), S. 1-12, hier S. 5. 110 Die schnarrende Stimme wurde so sehr zum komischen Merkmal, dass sie etwa im Puppentheater auch mechanisch erzeugt wurde. Puppenspieler der russischen Petruschka konnten mit Hilfe einer Pfeife auch besonders hohe und winselnde Stimmen erzeugen, wie kein Mensch zu sprechen ver‐ mochte. Vgl. Ramm-Bonwitt, Ingrid: Die komische Tragödie. Bd. 2: Possenreißer im Puppentheater. Die Traditionen der komischen Theaterfiguren. Frankfurt a. M. 1999, S. 39. 111 Quintilian, De inst. orat., XI, 3, 75-94. 112 Aristoteles, Nik. Eth., 88. Bei der Analyse der Stimme muss zwischen persönlichen, unveränderlichen Stimm‐ merkmalen, die durch die Physiologie des Sprechers bedingt sind (Stimmlage, Klangfarbe, Klangfülle) und veränderlichen Stimmmerkmalen (Stimmqualität, Stimmhöhe, Stimmkon‐ trolle, Rhythmuskontrolle) bzw. Stimmmodifikationen durch Lachen oder Weinen unter‐ schieden werden. 109 Für den komischen Einsatz der Stimme sind vor allem letztere ent‐ scheidend. Dient die Stimme als physiologisches Element der Identifikation des Schauspielers mit seiner Rolle innerhalb einer dramatischen Handlung, so sind es die ver‐ änderlichen Merkmale der Stimme, die Möglichkeiten der intentionalen Modulation, der Variation und der inszenierten Verstellung, die für das Erzielen eines komischen Effekts durch Lachfiguren wie Possenreißer oder Narren entscheidend sind. Freilich kann eine Figur wie der dottore in der Commedia dell’arte die ganze Zeit mit schnarrender Stimme sprechen; diese ist jedoch kein physiologisches, sondern ein theatrales Merkmal der Stimme, das ihn als Lachfigur auszeichnet. 110 Die Beherrschung der veränderlichen Merkmale der Stimme ist es auch, die schon in der Antike zum Fach des komischen Schauspielers gehörten. So ist es nach Quintilian schon dem Rhetorik-Schüler nicht gestattet, extreme Stimmen nachzuahmen, wie besonders hohe, schrille oder besonders tiefe, beide sind der stimmlichen Klarheit des Redners nicht ange‐ messen. Auch die exaltierte weibliche Stimme oder die zittrige, schwankende Stimme eines Betrunkenen, wie es Komödianten beherrschen, oder das singende Sprechen soll der Redner meiden. 111 Im pseudo-aristotelischen Traktat Physiognomica wird mit Hilfe von Natur- und Tiervergleichen versucht, den verschiedenen Stimmhöhen Charaktereigenschaften zuzu‐ weisen. Diese klare Codierung der Stimmhöhen wirkte über die Spätantike ins Mittelalter hinein: Die hohe Männerstimme stand für Feigheit, Angst und Zorn, die tiefe für Würde und Mut. Als Medium der Verkörperung des Wortes Gottes war die Stimme des Predigers wichtiges Modell für stimmliche Angemessenheit. Sie sollte nicht zu laut, doch gut ver‐ nehmbar sein, eine mittlere Tonlage haben und angenehm klingen. Dies war im Prinzip eine Fortsetzung des aristotelischen Musters in der Nikomachischen Ethik: Der große Mann, der Hochgesinnte, habe eine tiefe Stimme, er spreche ruhig und langsam, nicht eil‐ fertig, keineswegs laut und nicht hastig. 112 Schauspieler und Komödianten dagegen besaßen nicht nur die Fähigkeit, jede beliebige Stimme nachzuahmen, sie brachten auch Stimmen zu Gehör, die als unangemessen und ungehörig empfunden wurden. Am wenigsten geachtet waren Stimmenimitatoren, die die Naturlaute von Tieren nachahmen konnten. Schon Platon berichtet von Spaßmachern, die in mimischer Weise die Stimmen von Tieren nachahmten (Wiehern der Pferde, Brüllen der 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 258 113 Reich gibt zahlreiche Beispiele der Unterhaltung durch Lautnachahmung an. Vgl. Reich, Der Mimus, S. 419. 114 Scurra et Rusticus / venere artifices laudis ad certamina, / quos inter scurra, notus urbano sale. / (…) ille in sinum repente demisit caput, / et sic porcelli vocem imitatus sua, / verum ut subesse pallio contenderent / et excuti iuberent [sc. spectatores]. [Schausteller kamen herbei zu dem Wettbewerb, unter ihnen ein scurra, für seinen urbanen Witz bekannt, … der plötzlich seinen Kopf unter seinen Mantel steckte und mit seiner Stimme ein schwein imitierte, dass die Zuschauer glaubten, er habe ein echtes Schwein unter seinem Kleid und ihn aufforderten, es herauszulassen]. Zit. aus Corbett: The scurra, S. 68 (Übers. HRV). 115 So tadeln die Kirchenväter gerade die Fähigkeit der Tragöden, ihre Stimme auf Grund von hoher Emotionalitätsdarstellung zu verstellen, womit sie die Zuschauer tief beeindrucken konnten (Amb‐ rosius etwa spricht von den „tragicae vocis insaniae“. Vgl. Jürgens, Heiko: Pompa Diaboli. Die latein‐ ischen Kirchenväter und das antike Theater. Stuttgart u. a. 1972, S. 225. Ein zeitgenössisches Beispiel für das Sprechen „gegen die Natur“ ist die Rolle der Mutter Cohen in Terry Jones’ Film Das Leben des Brian (Monthy Python, 1979), verkörpert durch Terry Jones. 116 Vgl. zum römischen Mimus Benz, Lore: Zur Verquickung von Sprachkomik, Körperwitz und Kör‐ peraktion im antiken Mimus. In: Zeitschrift für Germanistik N. F. 11 (2001), S. 261-273, hier S. 265-268. Auch die Kombination von Männer- und Frauenstimmen im Minnesang bot diese Mög‐ lichkeit der komischen Transgression. Stiere). Besonders beliebt war das Imitieren des Grunzens der Schweine; 113 wenn solche Stimmen in einem Kontext menschlicher Kommunikation vorgebracht wurden, wirkten sie grotesk und lächerlich. In den Kontext der Imitation fremder Stimmen und Laute bzw. ihrer Verstellung gehört auch der Ventriloquismus, der bereits der Antike bekannt ist. In den Fabeln des Phaedrus wird dem scurra das Bauchreden und die Imitation von Tierstimmen zugeschrieben. 114 Ein imitatorischer Akt von hoher Tragweite für das frühneuzeitliche Theater war die Transgression geschlechtsspezifisch codierter Stimmen im cross-dressing des Fastnachts‐ piels. Ein Großteil der Komik dieser Spiele ergab sich aus der Tatsache, dass Frauenrollen von Männern gespielt wurden, die im Diskant sprachen. Freilich war dies bis weit ins 17. Jahrhundert gängige Theaterpraxis. Doch die Differenz zwischen männlich und weib‐ lich codierter Stimme erweitert die Möglichkeiten für die komische Parodie in hohem Maß. Hier handelt es sich nicht allein um eine Nachahmung der weiblichen Stimme, sondern die Stimmgewalt des Schauspielers als theatrales Mittel wird karikiert, da er „gegen seine Natur“ sprechen muss. 115 Ganz ähnlich verhielt es sich bei der Aufführung von Dialogen und anderen mehrstimmigen Werken, welche von Dichtern und Sängern als Solokünstler vorgetragen wurden, indem jeder Figur eine besondere, kontinuierliche und wiederer‐ kennbare Stimmhöhe, -färbung und -modulation zugeordnet wurde (Rollensplitting im Einzelvortrag). Auch solche Vortragsformen waren stimmlicher Komik weit geöffnet, ohne dass semantische Inhalte verändert oder variiert werden mussten. 116 Historisch ist es nur sehr schwer nachzuweisen, ob und in welchem Maß stimmliche Komik zur Anwendung gekommen ist. Doch die Messung und Beschreibung stimmlicher Abweichung ist selbst in Aufführungen der Gegenwart methodisch nicht einwandfrei durchzuführen, sodass es immer auf die Wahrnehmung des Publikums ankommt, ob und wie sich Komik aus der Stimme ergibt. Prinzipiell muss jedoch davon ausgegangen werden, dass auch in den Spielformen des Untersuchungszeitraumes stimmliche Komik zur An‐ wendung gebracht wurde. Es wird darum gehen, Hinweise zu sammeln, die zu einer Stär‐ kung dieser These beitragen und sie historisch genauer bestimmen können. 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 259 117 Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 161. 118 Dieter Mersch hat es ganz ähnlich konzipiert. Er versucht, die Präsenz des Leiblichen in Auffüh‐ rungen aus der doppelten Struktur körperlichen Zeigens zu erklären. Das Zeigen impliziere einerseits ein intentionales ‚Zeigen-als‘, ein Andeuten, Hinweisen, Zum-Ausdruck-bringen usw., andererseits immer auch ein nichtintentionales ‚Sich-Zeigen‘. In diesem Sich-Zeigen „geschieht“ die spezifische Leiblichkeit des Leibes, es ist weder gerichtet noch folgt es einer Transitivität. Vgl. Mersch, Dieter: Körper zeigen. In: Verkörperung. Hg. von E. Fischer-Lichte, S. 75-89. 119 Energetik, von gr. enérgeia: wirkende Kraft, Wirksamkeit: „Die Kategorie Energie betont, dass Ma‐ terialien, Körper, Praktiken oder Prozesse insbesondere in den Künsten nicht allein in ihrer Funktion als Zeichen oder als Medium von Bedeutung aufgehen, sondern über eine eigenständige sinnliche Wirklichkeit und Wirksamkeit verfügen. Mit Energie ist vor allem eine eindringliche Spannung oder Dynamik zwischen Wahrnehmbaren und Wahrnehmenden gemeint, ein Austausch zwischen ihnen, der mit einer hohen Intensität des Erlebens und Empfindens für den Wahrnehmenden einhergeht.“ Schrödl, Jenny: Art.: Energie. In: Metzler Lexikon Theatertheorie. Hg. von Erika Fischer-Lichte, Doris Kolesch u. Matthias Warstat. Stuttgart 2005, S. 87-90, hier S. 87. Präsenz und Energetik Ein wichtiger Aspekt des Theaters und theatraler Aufführungen insgesamt ist die Unmit‐ telbarkeit und die Gegenwärtigkeit der Geschehnisse, die Tatsache, dass sie sich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit ereignen und von den Zuschauern wahrge‐ nommen werden. Mit den Worten Erika Fischer-Lichtes: „Eine Aufführung wird erlebt als Vollzug, Darbietung, und zugleich Vergehen von Gegenwart.“ 117 Dieser etwas lapidar scheinende Satz zielt jedoch auf den Akt des Wahrnehmens theatraler Vorgänge, ja ihrer Erfahrung und ihres Erlebnisses, als einer Gesamtheit seiner semiotischen und performa‐ tiven Dynamik. Dieser Akt des Erlebens entsteht aus dem Zusammenspiel von theatralen Zeichen im Sinne von Repräsentationsprozessen und ihrer Verkörperung durch die Schau‐ spieler und seiner Präsenz. 118 Die von mir bisher für die Untersuchung körperlicher Komik in theatralen Aufführungen gebrauchten Kategorien der räumlichen und gestisch-mimischen Bewegung, der Verklei‐ dung und der Stimmlichkeit, zielen innerhalb dieses dichotomischen Verhältnisses von Zeichenverstehen und körperlichem Nachvollzug stärker auf letztere Kategorie, welche auf der semiotischen Ebene kaum erfasst werden kann. Sie ist am besten mit den Begriffen Präsenz und Energetik 119 zu bezeichnen. Zwei wichtige Gründe sind es, die dazu führen, gerade diese beiden Begriffe als deskriptive Schlüssel für das Material in den folgenden Kapiteln hier abschließend zu diskutieren. (1) Mit ihnen lässt sich treffend eine Aufführungssituation wie im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit beschreiben, in welcher rituelle und theatrale Welt noch nicht vollständig „gegeneinander abgedichtet sind“, wie Jan-Dirk Müller einmal treffend formuliert hat, eine Situation, in der das „als-ob“ theatraler Mimesis sich noch nicht durchgängig konstituiert hat. Die Körper der Schauspieler sind nicht durch einen Vorhang und eine Tiefraumbühne von jenen der Zuschauer getrennt, die Funktion ihres Auftretens ist es nicht, in der Repräsentation eines Geschehens einen komplexen Sinn vorzugeben, den die Zuschauer decodieren sollen. Vielmehr war die gemeinsame 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 260 120 Vgl. dazu zusammenfassend Müller, Jan-Dirk: Realpräsenz und Repräsentation. Theatrale Frömmig‐ keit und Geistliches Spiel. In: Ritual und Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hg. von Hans-Jochim Ziegeler. Tübingen 2004, S. 113-133 und Gumbrecht, Hans-Ulrich: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz. Frankfurt a. M. 2004, S. 49. 121 Im Gegensatz zu Lyotard, der in den 70er Jahren des 20. Jhs. eine Ästhetik des Energetischen ent‐ wickelt hatte, die ganz auf die Materialität der energetischen Beziehung ausgerichtet war: Lyotard, Jean-Francois: Essays zu einer affirmativen Ästhetik. Berlin 1982, S. 45-92. Vgl. dazu Schrödl, Energie, S. 88 f. 122 Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 165. Anhand der in zahlreichen Rezensionen und Kri‐ tiken attestierten „Magie“ des Schauspielers Gustaf Gründgens zeigt Fischer-Lichte die Bedeutung der Gegenwärtigkeit des Schauspielers im Raum. Präsenz von Schauspielern und Zuschauern in der mittelalterlichen Kultur eine ‚reale‘ Gemeinschaftspräsenz mit der Möglichkeit wechselseitigen physischen Kontakts, in der jeder Kommunikationsakt auf körperlichen Vollzügen basierte. 120 (2) Mit der Verwendung von Präsenz und Energetik kann gerade die körperliche Komik in der Aufführung und ihre Evokation von Gelächter präziser erfasst werden, weil sie auf das performative Surplus von motorischen und gestischen, stimmlichen und pro‐ xemischen Intensitäten gerichtet sind. Theatrale Genres des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, wie Neidhart- und Fastnachtspiel, Farce und Sottie, Markolfspiele und Commedia dell’arte, aber auch Oster- und Mysterienspiele bieten sich somit in dop‐ pelter Weise für eine Analyse von Präsenz und Energetik der Aufführung an. Es kann nicht verschwiegen werden, dass es dabei beträchtliche methodische Schwierigkeiten gibt, da die Überlieferungssituation häufig kaum mehr als die Texte selbst bietet. Und in diesen sind meist nur wenige Hinweise auf die Aufführung und ihre Wirkung ent‐ halten. Zudem bringt die Textüberlieferung eine nicht zu leugnende Entkörperlichung des Lachens mit sich. Sie verengt das Schauspiel auf seine sprachlichen Zeichen, alles andere der Inszenierung bleibt in kaum lesbaren Spuren angedeutet und muss vom Text her imaginiert werden. Gegenwärtigkeit in Aufführungen der Vergangenheit ist nur anhand von Zeugnissen der Zuschauer, die überliefert sind, nachzuweisen, und davon besitzen wir nur sehr wenige. Dennoch halte ich eine solche (deskriptive) Analyse für lohnenswert, um sich dem Phä‐ nomen der körperlichen Komik im Spiel, die bisher nur wenig ernst genommen wurde, zu nähern. Was heißt nun Präsenz im Theater? Fischer-Lichte, deren Argumentation ich hier folge, untersucht den Präsenzbegriff auf den Körpers des Schauspielers bezogen. 121 Sie ver‐ steht Präsenz deshalb nicht schon als ästhetische, sondern als performative Qualität, als Qualität der Aufführung: Der Schauspieler macht sich den Zuschauern gegenwärtig, erscheint ihnen als unabweisbar prä‐ sent aufgrund seiner besonderen Fähigkeit den Raum zu besetzen und zu beherrschen, noch ehe er Gelegenheit hat, seine expressiven Qualitäten zur Darstellung einer bestimmten Figur auszu‐ spielen. 122 Der Schauspieler zwingt den Zuschauer quasi, seine ganze Aufmerksamkeit auf ihn zu richten; die Raumbeherrschung und die Fokussierung der Konzentration beim Zuschauer auf sich sind die beiden wichtigsten Kategorien für die Präsenz des Schauspielers. Und es 5.1. Wahrnehmung des komischen Auftritts: Semiotik und Performativität 261 123 Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik, S. 49. 124 Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, S. 165. 125 Ebd., S. 168 f. 126 Ebd., S. 169. 127 Ebd., S. 169 f. sind die beiden Kategorien, in welchen der komische Darsteller sein Spiel realisiert. Nach Gumbrecht gibt es zwei wichtige Situationen, für die die Manuskripte in frühneuzeitlichen Lustspielen eine Choreographie liefern: (...) den Eintritt des Körpers des Schauspielers (bzw. eines Hanswurstes oder eines Kaspers) in einen Raum, den er mit den Körpern der Zuschauer teilen wird. Der Hanswurst fragt dann beispielsweise, ob er ‚hereinkommen darf ‘ und nach einer vermeintlich bejahenden Antwort seitens des Publi‐ kums fragt er vielleicht noch einmal, wobei er hinzufügt, dass seine Präsenz den Zuschauern kei‐ neswegs angenehm sein wird. 123 Diese Lenkung der Aufmerksamkeit auf den (noch nicht ganz anwesenden) Körper des Possenreißers ist charakteristisch für die komische Rahmung: jeder weiß nun, dass bald gelacht werden darf. Und in einer Aufführung, die zum Lachen ist (bzw. in einer komischen Szene) ist die komische Figur die wichtigste Figur. Alle anderen Figuren sind nur dazu da, ihr Raum zu geben. Wenn es mehrere komische Figuren gibt, wie etwa in Reihenspielen der Fastnacht, ordnen sich die anderen Darsteller ebenso unter, indem sie beim Auftritt der anderen entweder im Hintergrund bleiben oder diesen Auftritt, etwa mit Gesten oder Zwi‐ schenrufen, unterstützen. Wenn die Aufmerksamkeit auf den Körper des Possenreißers gerichtet ist, kann dieser seine Präsenz beim Auftritt voll ausspielen, indem er die Blicke auf seinen Körper und dessen Leiblichkeit fokussiert. Gerade die komischen Darsteller sind zunächst durch ihre Hyperaktivität und ihre körperliche Devianz von semantischer Kommunikation weitge‐ hend enthoben. Die Präsenz wird „durch Prozesse der Verkörperung erzeugt, mit denen der Schauspieler nicht seinen semiotischen Körper, sondern seinen phänomenalen Leib auf spezifische Weise hervorbringt.“ 124 Präsenz ist daher keine expressive, sondern eine per‐ formative Qualität und beruht auf der Beherrschung bestimmter Techniken der Erzeugung von Energie, um „den eigenen Leib als einen energetischen hervorzubringen“. 125 Dabei ist das erste Erscheinen auf der Bühne, der Auftritt, sehr wichtig, denn hier muss der Zuschauer den Schauspieler bereits als eine Art „Kraftquelle“ wahrnehmen. Doch wie geht das von‐ statten? Um die Produktion von Präsenz zu erläutern, greift Fischer-Lichte auf die Studien des italienischen Dramaturgen und Theateranthropologen Eugenio Barba zurück. Dieser hatte die energetische Präsenz des Schauspielers, die allein auf seine Gegenwärtigkeit und nicht auf seine Rolle bezogen ist, als prä-expressiv bezeichnet. Barba kam zu der Überzeugung, dass dem Schauspieler bestimmte mentale und physische Techniken und Praktiken dazu dienen, um im Darsteller Energie zu erzeugen, die sich auf den Zuschauer überträgt, die zwischen ihm und den Zuschauern zirkuliert. 126 Energie erzeugen bedeutet in Barbas Logik, in der Körperwahrnehmung des Zuschauers einen Bruch herzustellen, durch unerwartete Körperbewegungen, Schwanken und ambivalente Proxemik eingefahrene und erwartete Sehgewohnheiten zu durchbrechen und somit eine energetische Spannung zu erzeugen. 127 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 262 128 Ebd., S. 171. Fischer-Lichte versteht Energetik jedoch weniger als mentales Phänomen, wie Barba, sondern als Wechselwirkung von Körper und Geist bzw. Bewusstsein: „Wenn der Schau‐ spieler seinen phänomenalen Leib als einen energetischen hervorbringt und so Präsenz erzeugt, dann tritt er dadurch als embodied mind in Erscheinung.“ 128 Dieses „radikale Kon‐ zept von Präsenz“ dient ihr dazu, die Wahrnehmung und die Erfahrung von Theater über‐ haupt zu bestimmen: den anderen und sich selbst als gegenwärtig zu erfahren, heißt, sich und ihn als verkörpertes Bewusstsein, als embodied mind zu erfahren. Dennoch muss es verschiedene Grade der Präsenz und Energetik im Theater geben; wenn Gründgens’ Präsenz spürbarer als die anderer Schauspieler war, wenn dem orientalischen Schauspieler Barbas oder dem ‚heiligen‘ Schauspieler Cieslák ein besonders hohes Maß an Präsenz zugeschrieben wird, dann muss Präsenz als relationaler bzw. skalierter Begriff ver‐ wendet werden. Und hier ergibt sich für den Darsteller von komischen Vorgängen eine strukturell höhere Anforderung an Präsenz und Energetik als für andere Rollenschau‐ spieler. Denn der komische Schauspieler muss deshalb schon ein so hohes Maß an Präsenz erzeugen, weil er als Ausdruckscharakter nicht sehr wirken kann. Dadurch, dass seine Rollen immer auf irgendeine Weise deviant und transgressiv gefasst sind (der Narr, die Einfältige, die Listige, der Teuflische, der lüsterne Alte, der Buckel, der Kindische usf.) ist seine semantische Seite nur schwach ausgeprägt (dies ändert sich erst mit den Narren Shakespeares, welche zu Schlüsselfiguren der dramatischen Handlung werden). Der komische Schauspieler in Spätmittelalter und Früher Neuzeit legt es nicht darauf an, so meine These, den Zuschauer zu transformieren, sondern ihn zum Lachen zu bringen. Er spielt keine bestimmte Rolle, das Entscheidende an seiner Mitwirkung ist die Präsenz und Energetik, die sich im Prozess der Wahrnehmung seiner zuschauerbezogenen Handlungen und Gesten manifestiert. Anders gesagt: Beim komischen Akteur der Frühzeit ist seine expressive Rolle (semiotischer Körper) seinem phänomenalen Auftreten (performativer Körper) untergeordnet. Die komischen Charaktere sind stark typisiert und personal schwach ausgebildet, es sind meist nicht näher definierte Narren oder lustige Figuren, die selten im Zentrum einer wie auch immer gearteten dramatischen Handlung stehen, sondern am Rand, zwischen Spiel und Publikum liminale Positionen einnehmen, sodass auch ihre Possen meist in einem distanzierten, teils störenden, teils kommentierenden, teils dishar‐ monischen Verhältnis zur Spielhandlung stehen. Es ist erst der liminale Raum der ri‐ tuell-performativen Okkasionen, der den Possenreißern überhaupt erst die Möglichkeit er‐ öffnet, zu agieren. 5.2. Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel Bislang habe ich versucht, die Leitlinien der komischen Aufführungspraxis des Körpers in theatralen Kontexten im Allgemeinen und in rituell-theatralen Kontexten zwischen 1300 und 1600 im Besonderen zu skizzieren. Nun unterscheiden sich die theatralen Spielgat‐ tungen, wie sie sich in den Gattungskonventionen der Literatur- und Sprachwissenschaft herausgebildet haben, sowohl in ihren Aufführungsbedingungen (Zeit, Raum, Anlässe, 5.2. Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel 263 129 Weinhold, Karl: Über das Komische im altdeutschen Schauspiel. Jahrbuch für Litteraturgeschichte 1 (1865), S. 1-44, hier S. 1. Sprache, Veranstalter usw.) als auch in der konkreten Ausgestaltung der komischen Pro‐ tagonisten. Die in der Forschung übliche, wenn auch problematische Trennung zwischen „geistlichen“ und „weltlichen“ Spielformen ist bezüglich dieser komischen Protagonisten zwar durchaus denkbar, doch favorisiere ich ein praktikableres Vorgehen anhand der ein‐ zelnen Gattungsformen, um den historischen Ausprägungen der komischen Aufführungs‐ praxis näher zu kommen und ihre Bedeutung für Text und Performance dieser Gattungen zu unterstreichen. Die komischen Protagonisten nenne ich verallgemeinernd „Possenreißer“, da es um je‐ weils gattungsspezifisch unterschiedliche Figuren geht, deren vorrangige Aufgabe es je‐ doch ist, durch ihre Handlungen oder ihr Sprechen das Lachen des Publikums hervorzu‐ rufen. Diese Aufgabe überwiegt bei den Possenreißern ihre anderen rollenspezifischen Funktionen im Spiel. Zu einer solchen Definition des theatralen Possenreißers gehören alle Typen des Narren, vom Bauernnarr über den Gauch zum Hofnarren in den deutschspra‐ chigen Spielen, badin und sot in den französischen, der vice der englischen Mysterienspiele, aber auch Possen reißende Knechte und Krämer, teils sogar Lachen erregende Teufel in den Osterspielen. Schließlich rechne ich auch kalkulierende und listige Personen (abentewrer) zu den Possenreißern, wie die Neidhart- und Markolffigur in den gleichnamigen Spielen, deren Hauptaufgabe es ist, nicht ihre eigenen, sondern die Körper ihrer Mitspieler lächerlich zu machen. Im Folgenden möchte ich zunächst die für die komischen Hauptgattungen des weltlichen Spiels zwischen 1300 und 1600 spezifischen frame-markers des Lachens skizzieren, also diejenigen Aspekte und Bedingungen der Aufführung, die dem Publikum anzeigen, dass hier gelacht werden soll. In einem zweiten Schritt werde ich zu belegen suchen, dass und wie die unterschiedlichen Spiele Lachen ausgelöst haben, bzw. unter welchen Bedingungen sie dies taten. Hierzu wurde auch in Kapitel 5.1. schon einiges gesagt. Danach werde ich der chronologischen Reihenfolge ihrer Entstehung entsprechend Osterspiel (nur knapp), Neidhartspiel, Farce und Sottie, Fastnachtspiel sowie die Commedia dell’arte behandeln. Was ich im Folgenden nachzuweisen versuche, ist auch in der älteren Forschung schon als Aufgabe angesprochen worden: Die derbe naturalistische Zeit unseres altdeutschen Schauspiels behandelte auch das Komische derb: die Lächerlichkeiten des Äußeren überwiegen den Wortwitz und die Ironie. Körperliche Mängel und Schäden, Prügel und Misshandlungen, sinnliche Grobheiten sind die größte Fund‐ grube. Folgen des Fraßes werden mit größter Unbefangenheit verwertet. Weniger häufig benutzt man die Wortlächerlichkeit; doch finden wir als komische Wirkungsmittel Schelten, sonderbare Namen, das Reden in anderen Mundarten und Sprachen, die Travestie, die wörtliche Auffassung des bildlich Gemeinten. 129 Diese 1865 geäußerten Sätze Karl Weinholds sind von Einfachheit, aber auch von Unvor‐ eingenommenheit geprägt; nichts findet sich hier noch von den moralisch abwertenden, fast verächtlichen Bezeichnungen wie „niedere und schmutzige Komik“ oder „unsittlicher, obszöner Witz“ der wilhelminischen Epoche. Gleichzeitig setzen sie die Schwerpunkte an‐ 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 264 130 Alles am komischen Auftritt ist somit auf die visuelle Wahrnehmung abgestellt. Schon Émile Picot hatte für die französische Sottie bemerkt, dass diese Reihenspiele unbedingt durch Akrobatik unter‐ stützt wurden. Vgl. Picot, Émile (Hg.): Recueil générale des Sotties. Tome 3. Paris: Didot 1912, S. 8. ders als die auf Sprachkomik ausgerichteten Studien. Was Weinhold mit „Lächerlichkeit des Äußeren“ bezeichnete, ist nichts anderes als die körperliche Bewegungs- und Zeige‐ komik, mit der diese Studie sich befasst, „Folgen des Fraßes“ eine ungezügelte skatologische Ausdrucksweise und entsprechende Gebärden, „Wortlächerlichkeit“ der enge Bezug des Wortes an die gestische Herkunft seiner Laute. Sprache tritt in den weltlichen Spielen we‐ niger als Kommunikationsmedium, sondern mehr als verkörpertes und deiktisches Medium in Erscheinung, gewissermaßen als ein Zusatz zu allem Visuellen: Handlungen, Bewe‐ gungen, Gesten und Mimik. 130 Die Sprache der Neidhart- und Fastnachtspiele ist daher performativ; sie weist zahlreiche performative Sprechhandlungen wie Drohungen, Schwüre, Flüche auf, aber auch einfache Aus- und Klagerufe oder Beschreibungen dessen, was der Sprecher gerade tut (aktionistisches Sprechen - azione parlata), bzw. wen er dar‐ stellt (Rollenbeschreibung), wie sie besonders in den Reihenspielen der Nürnberger Fast‐ nacht auftreten. Sprache verstärkt und übertreibt Handlung, sie parodiert, konterkariert, ahmt Handlung nach, hat aber noch keinen eigenen Raum der Kommunikation erschaffen, ist ohne diese körperliche Handlung, diese actio kaum selbständig. Die Sprecher wenden sich meist alle ans Publikum, sie sprechen in den Raum hinein. Bei solchen Sprechhandlungen kommt es daher auch weniger auf die Semantik des Gesagten als auf den Sprechakt selber an: auf Stimme, Klang, Intension, Bewegung des Körpers. Die im komischen Spiel artikulierten Wörter wirken über ihren Klang und ihren emotionalen Ausdruck, es sind in vielen Fällen Onomatopoeia, sprechende Namen und Ansprachen, tabuisierte Schimpf- und Fluchwörter, die allein durch ihr Äußern und ihr Benennen ko‐ mische Wirkung erzeugen. Die Körperlichkeit der Sprachkomik im Schauspiel entsteht je‐ doch nicht von selbst. Sie ist einerseits zurückzuführen auf die spezifische Handlungskomik in den entsprechenden Szenen des Osterspiels (descensus und Teufelsdarstellungen allge‐ mein, Salbenkrämerspiel und Lauf der Jünger zum Grab), andererseits auf ältere Traditionen popularer Unterhaltung. Forschungen zur literarischen Produktion der ioculatores in Frank‐ reich und Italien haben gezeigt, dass bezüglich des Verhältnisses von Sprache und Körper das sprachliche Ausdrucksreservoir der Gaukler aus „psychomotorischen Formeln und Modulen“ besteht, die in der somatischen Kommunikation („comunicazione somatica“) wirksam werden, vor allem auf Straßen und Plätzen. So formuliert der Musikanthropologe Diego Carpitella: Die überraschenden logischen und pindarischen Sprünge und Purzelbäume, auf die man in den Texten der Gaukler trifft, korrespondieren mit den entsprechenden (als ‚typisch‘ definierten) ki‐ nesischen Bewegungen wie plötzliches Aufspringen, sich runden und biegen, Sätze machen, psy‐ 5.2. Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel 265 131 „Gli improvvisi salti logici, pindarici che si riscontrano nei testi giullareschi, hanno corrispondenza in questa cinesica (definita ‚tipica‘) che implica sussulti, arrotolamenti, scarti improvvisi (…) agitazione psicomotorica che va dall’attassamento alla crisi epilettica etc., e che in seguito sono diventate formule drammaturgiche, segni“. Carpitella, Diego: I giullari e la questione della circolazione culturale nel medio evo. In: Teatro medievale. Hg. von Johann Drumbl. Bologna 1989, S. 63-95, hier S. 66 (Übers. HRV). 132 Erst im Theater des 17. Jhs. wird diese psychomotorische Körperlichkeit der Lachfiguren zurückge‐ drängt. Die Körper sind dann stärker in den Bühnenraum integriert und als Spielfiguren habituali‐ siert, sie haben auf Grund der dominanten Sprachform keinen Ort auf der Bühne. Diese Körper sind nur noch als „Verletzung einer Diskursordnung darstellbar“: „Der Körper ist deshalb nicht nur ha‐ bituell, weil die sozialen Bedingungen habitualisiert sind, er ist es auch, weil die Darstellungsbedin‐ gungen ästhetisch und medial auf Sprachlichkeit festgelegt sind“. Sick, Franziska: Zur symbolischen Verfasstheit komischer Körper. Thomas Corneille: Le geolier de soy-mesme (1656). In: Der komische Körper. Hg. von Eva Erdmann. Bielefeld 2003, S. 220-230. 133 In seiner Geschichte des Grotesk-Komischen (1788), neu bearb. und erw. von Friedrich Ebeling, Leipzig 1862. chomotorische Nervosität, welche vom Schwindel bis zur epileptischen Krise reicht, und welche folglich zu dramaturgischen Formeln, zu Zeichen geworden sind. 131 Die hier beschriebene Funktion der „somatischen Kommunikation“ im Sprechen ist die Nahtstelle von Körper und Sprache, an welcher körperliche Komik in sprachliche Bewe‐ gung und Semantik umschlägt. Die so geschaffenen Sprach- und Klangbilder können weder lautlich noch semantisch ihre dem Körper noch zugehörige ostentative Wirkung verbergen: der Akt des Aussprechens bringt das Publikum bereits zum Lachen. Wort- und Körperkomik sind in den rituell-theatralen Rahmungen aufs engste verbunden, sie charakterisieren den Auftritt und die Funktion aller Lachfiguren. Wenn transgressives Sprechen ursächlich an transgressive Körper gebunden ist, stellt sich die Frage nach den historisch-symbolischen Bedingungen und Wurzeln dieser Trans‐ gressionen und ihrer zugehörigen Ambivalenz. Diese Figuren, Knechte und Teufel der Os‐ terspiele, Narren der Fastnachtspiele, Harlekin und badin, die Bauern und Köche treten allgemein gesprochen als Kontrafakturen habitualisierter, diskursiver Körper auf, als Aus‐ grenzungen und Vorstufen dieser Körper. 132 Ihre Wahrnehmung erinnert ontogenetisch an die Kindheit, psychologisch an seelisch-körperliche Abweichungen von der ‚gesunden‘ Norm, und mythisch an die vorchristliche Zeit der Dämonen, Wildleute und „wilden Horde“. Gerade der letztere Aspekt, der kultur- und theatergeschichtlich vermutlich den Weg zu ihren rituellen Wurzeln zeigt, verleiht ihnen eine für das Lachen der frühen Spiele bedeutsame und unverzichtbare Ambivalenz. Es ist eine Ambivalenz des Grotesken und Lächerlichen, die bereits Flögel als das Grotesk-Komische 133 bezeichnet hat, eine glückliche Wortschöpfung, die in anschaulicher Weise nicht nur auf die rituelle Herkunft von Lach‐ figuren verweist, sondern auch das Moment der Bedrohung, welche durch gemeinsames Lachen abgewendet werden kann, verdeutlicht. In der Aufführungspraxis der englischen moralities, der deutschen Osterspiele und der italienischen sacre rappresentazioni des Mittelalters ist eine konstante Verbindung der Lachfiguren mit der Bosheit der Dämonen erkennbar. Der Teufel spielt in einer beträchtli‐ chen Zahl mittelalterlicher allegorischer Aufführungen die Rolle des Narren, er oszilliert zwischen grotesker Bedrohung und grotesker Komik. Auch der Narr, der in vielen aleman‐ 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 266 134 Lanza, Diego: Lo stolto. Di Socrate, Eulenspiegel, Pinocchio e altri trasgressori del senso comune. Torino 1997, S. 179: „L’omologazione teatrale favorisce il neutralizzarsi comico di ogni sua irritante arcana difformità“. 135 Ebd., S. 179 f.: „In tutti questi casi si ha la progressiva domesticazione di un originario essere disu‐ mano, la sua graduale normalizzazione fisica e psichica. Si tratta di un’assimilazione ovviamente incompiuta che sa trasformare l’alieno in riconosciuto elemento di rappresentazione teatrale. Ma la sua presenza scenica ora diverte, la sua antica natura di perturbante non viene mai del tutto meno. Il demone antropizzato, fatto eroe comico, rimane selvatico anche a quanto più è posto a contatti di civiltà(…) In questa comica stupidità pare oscurarsi o addirittura scomparire ogni altro suo tratto distintivo. Egli appare sciocco perché irrimediabilmente inadeguato alle regole e alle convenzioni cui volta a volta è obbligato a rapportarsi nella vicenda“. nischen (Schweizer) Fastnachtspielen noch seine rituelle Rolle als Platzschaffer und Pro‐ logsprecher einnimmt, ist durch Züge der Wildheit, Bosheit und Triebhaftigkeit charak‐ terisiert. Dabei lösen sich mit der Zeit die dämonischen, zauberischen Züge der Lachfiguren ab und bleiben als Oberflächenphänomene erhalten; in Maskierung und Verkleidung sowie in skurrilen Bewegungen und Gesten. Für die Lachfiguren gilt, was Lanza zum theatralen Harlekin im 17. Jahrhundert herausgestellt hat: die komische Re-Semantisierung eines ur‐ sprünglich arkanen Deformen und Fremden. 134 Es handelt sich um die theatrale Domesti‐ zierung eines originär vor- und unmenschlichen Wesens des kollektiven Imaginären, und um seine graduelle physische und psychische Normalisierung im Gelächter des theatralen Rahmens. Während es jetzt der Unterhaltung dient, so bleibt doch sein verstörendes und bedrohliches Potential erkennbar, in seiner psychomotorischen Zügellosigkeit und seinem Ungenügen, sich an die Verhältnisse anzupassen. Dieses Ungenügen, die Verkehrtheit und Dummheit der Lachfiguren ist so dominant, dass es ihre anderen Züge überwältigt. 135 Es äußert sich in einem scheinbaren, inszenierten Kontrollverlust über sich, seinen Körper und sein Sprechen. Die Bewegungen der Lachfiguren erscheinen als fremdbestimmt, sie scheinen sich der Akteure zu bemächtigen. Die Wahrnehmung dieser Figuren, die aus der Rolle fallen, deren Kontroll- und Selbstverlust physisch das Geschehen bestimmt, zeichnet ihre Komik aus. Wie aber lässt sich das Lachen des Publikums beschreiben? Worüber und wann wird gelacht, wer wird ausgelacht, und von wem? Diese Fragen sollen im Folgenden in einer kurzen Erörterung des rituell-theatralen Rahmens der Genres des weltlichen Spiels disku‐ tiert werden. 5.2. Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel 267 136 Theodor Distel: Inhalt zweier, 1549 in Brüssel aufgeführter Theaterstücke. Zeitschrift für verglei‐ chende Litteraturgeschichte und Renaissance-Litteratur 4 (1891), S. 355-59, hier S. 359. 137 Vgl. Creizenach, Wilhelm: Geschichte des neueren Dramas Bd. 1. Halle, 1901 ff.; Kindermann: Das Theaterpublikum des Mittelalters, im gesamten Buch. 138 Symptomatisch dafür ist die in vielen Teilen wegweisende und hervorragend recherchierte Studie Die Anfänge des weltlichen deutschen Schauspiels von Eckehard Simon. Vgl. dazu meine Rez. in der Zeitschrift für Germanistik, N. F. XVII (2007). H. 3, S. 673-676. 139 Vgl. etwa die Beiträge zum weltlichen Spiel in dem von Ziegeler hg. Sammelband Ritual und Insze‐ nierung, von denen lediglich einer das Lachen überhaupt thematisiert. 140 Damit meine ich nicht Studien, die sich der literarhistorischen Aufarbeitung von Aufführungsorten und -formen gewidmet haben, wie etwa Neumann, Bernd: Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit. Zur Aufführung mittelalterlicher religiöser Dramen im deutschen Sprachgebiet. 2 Bde, München 1987. Publikum und Gelächter: Rahmen und Aufführungsbedingungen „das ist nun ein gelechter spil dorin der wijsheijt ist nit zfil“ Zacharias Bletz, Der Narrenfresser Am Abend des 2. April 1549 endete vor dem Rathaus in Brüssel die Aufführung eines Pos‐ senspiels mit der folgenden Szene: Die beide weiber seczen, eine nach der andern, das gesässe [Hose] auf den kopff, das der nieder‐ ländische krumme latz vorne auff der stirne stehet, klopffen und weisen auf den latz und sein daruber allfrölich, das der man mit der bruch also betrogen. Des lachten nicht allein die mansper‐ sonen, sondern auch weiber und junckhfrawen, derer ein grosse anzahl und gewisslich nicht die geringsten alda waren und diesem spyl zuesahen. 136 Dieser briefliche Bericht des kursächsischen Gesandten Franz Kram an seinen Kollegen Georg Komerstatt über die Aufführung einer clucht ist eines der wenigen Zeugnisse eines zeitgenössischen Zuschauers. Dass das Publikum der weltlichen Spiele in Spätmittelalter und Früher Neuzeit oft und gern gelacht habe, ist ein Gemeinplatz, der in der älteren For‐ schung zum Schauspiel oft wiederholt wurde, 137 doch leider nicht immer belegt werden konnte, weil es dazu an Rezeptionszeugnissen fehlt. So behalf man sich in der Vergangenheit damit, dass bei der Indikation von Schwankhaftigkeit oder Komik automatisch auf Lachen verwiesen wurde. In den letzten Jahrzehnten ist die Forschung jedoch dazu übergegangen, kaum mehr vom (textexternen) Lachen zu sprechen, in der stillschweigenden Annahme, dass man über ein Phänomen, das nur schwer nachweisbar ist, auch nichts aussagen könne. 138 Die allzu große Vorsicht, die in einigen Studien bis zur Ausklammerung des Lachens führt, 139 ist deshalb so unbegründet, weil dadurch nicht nur eine Wirkungsdimension aus‐ geblendet wird, sondern auch entscheidende strukturelle Merkmale der Aufführung ver‐ nachlässigt werden. 140 Betrachtet man die Spiele statt aus einer Textperspektive konsequent aus einer Aufführungsperspektive heraus, so muss ihre textuelle Logik überdacht werden. Denn alle performativen, nicht-verbalen und nicht-semantischen Anteile der Aufführung können in ihrer Bedeutung erst fruchtbar gemacht werden, wenn sie im Rahmen einer erweiterten Textanalyse auch entsprechend berücksichtigt werden. Aber wir haben erst für die Spiele des 15. und 16. Jahrhunderts diffundierte aufführungsbezogene Hinweise, wie 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 268 141 Bernd Neumann und Dieter Trauden haben die Bedeutung von Spieltexten der Frühen Neuzeit für die Lesekultur herausgestrichen; dies kann jedoch nicht über die originäre Bestimmung fast aller Texte für die Aufführung, und sei sie nur imaginär, hinwegsehen lassen. Vgl. Neumann, Bernd u. Trauden, Dieter: Überlegungen zu einer Neubewertung des spätmittelalterlichen religiösen Schau‐ spiels. In: Ritual und Inszenierung. Hg. von Hans-Joachim Ziegeler, Tübingen 2004, S. 31-48. 142 Vgl. zu den Bedingungen der öffentlichen Aufführung von weltlichen und geistlichen Spielen Wolf, Gerhard: Inszenierte Wirklichkeit und literarisierte Aufführung. In: Aufführung und Schrift. Hg. von Jan-Dirk Müller. Stuttgart/ Weimar 1996, S. 381-405 143 Vgl. Röcke / Velten: Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Ge‐ lächter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Hg. von W. Röcke u. H. R. Velten. Berlin / New York 2005, S. XIff. Regieanweisungen oder gar Regiebücher bzw. Dirigierrollen (wie bei einigen geistlichen Spielen), die über die Bewegungen und Bühnenpositionen der einzelnen Darsteller, über den Sprecherwechsel und wichtige Handlungen Auskunft geben. Für die Zeit davor sind solche Hinweise eher selten, und es bleibt kaum etwas anderes, als die Texte selbst nach Aufführungshinweisen zu befragen. Das Lachen, wie auch die Inszenierung von Emotionen, gehört zu dieser eher theater‐ wissenschaftlichen Sicht auf mittelalterliche und frühneuzeitliche Spieltexte. Es geht hier weniger um eine Situation individueller Lektüre, die grundsätzlich anders ist als die der kollektiven Wahrnehmung einer Aufführung, welche sich zwischen inszenierter Perfor‐ manz und nicht vorhersehbarer Emergenz bewegt. 141 Die körpergebundene Aufführung ist entscheidend von den Umständen der jeweiligen Situation abhängig - der Reaktion der Zuschauer auf die Aufführung und ihre kollektive Dynamik - und ist daher von Kontingenz und der Möglichkeit des Scheiterns gekennzeichnet. 142 Das Lachen ist, wie in Kapitel 1 dargelegt, ein Phänomen des Rahmens und der Rahm‐ ungen von Aufführungen. Es ist zunächst im Kontext von deren institutionellen, situatio‐ nalen und okkasionellen Bedingungen zu untersuchen, und erst in zweiter Linie in der Komik der Stücke selbst. Starke Rahmungssignale wie das städtische Fest, die Fastnacht, festliche Musik und Tanz, eine hohe Intensität von aufführenden und sich bewegenden Gruppen sowie schließlich die Präsenz (verkleideter) Lachfiguren können bereits Lachen auslösen, bevor die komischen Inszenierungen des Spiels begonnen haben. Der Spielrahmen selbst ist eine weitere Voraussetzung dafür, dass Gelächter entstehen kann. Die Tatsache, dass die Zuschauer beim Auftritt des Herolds, des Ausschreiers oder des Narren wissen: ‚dies ist Spiel, und es darf gelacht werden‘, schafft beim Publikum eine entsprechende Dis‐ position, ohne die kontinuierliches Lachen nicht denkbar wäre. Diese Rahmungsfaktoren sind nicht zu verwechseln mit dem „karnevalesken Prinzip“ Bachtinischer Prägung, denn sie sind nicht auf eine strukturelle Dichotomie Volk-Obrigkeit, die sich im Karneval Bahn bricht, bezogen, sondern auf konkrete Aufführungen zu einem bestimmten Datum an einem bestimmten Ort, die weniger das Trennende der sozialen Schichten als das Gemeinsame betont haben. So zeigt der Bericht Krams aus Brüssel sehr deutlich, dass Possenspiele gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts in Flandern die gesamte Bürgerschaft einschließlich des Adels und fremder Gäste umfasst haben, und dass alle gleichermaßen am Lachen partizipiert haben. Hier ist von einem gemeinschaftlichen, überständischen Lachen zu sprechen, das das ur‐ bane Gemeinschaftsgefühl aktualisiert, stärkt und dabei Identität stiftet. 143 Dies ist auch 5.2. Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel 269 144 Dazu Bastian, Hagen: Linguaggio comico e triviale: il pubblico e il Fastnachtspiel. In: Il teatro me‐ dievale. Hg. von Johann Drumbl. Bologna 1989. S. 295-315. 145 Nichols, Stephen G.: Four Principles of Laughter in Medieval Farce. In: Lachgemeinschaften. Hg. von Röcke / Velten, S. 191-208, hier S. 193. 146 Ebd., S. 194. deshalb möglich, da das Gelächter weder ein sozial korrigierendes und ausgrenzendes Ver‐ lachen, noch ein spöttisches Auslachen mit dem Ziel der Erniedrigung oder des Ehrverlusts ist, sondern ein rituelles, festliches Lachen, eines, das stark an seinen Rahmen gebunden ist, und das als körperlicher Ausdruck der Gemeinschaft für den Vollzug des Festes, des Spielereignisses verstanden werden kann. 144 Rituelles Lachen ist vom Ritual ausgehendes, habitualisiertes Lachen, kein Gelächter über Exklusion oder Inklusion, kein Gelächter aus Überlegenheit gegenüber Randgruppen, kein Gelächter über komischen Kontrast und Interferenz, sondern ein Gelächter über exal‐ tierte Körper, exaltierte Sprache, über den Verlust an Ordnung und Kontrolle, über Trans‐ gressionen und Hybridisierungen. Es ist ein Gelächter, das über Rahmungen und Rahmen‐ signale hergestellt und dann über Intensität und das Lachen der anderen, Akteure und Publikum, in Gang gehalten wird. Das Lachen des Rahmens ist ein Geschehen, das Dar‐ steller und Publikum in einen engen Zusammenhang bringt. Es ist Symptom der Herstel‐ lung eines dem Publikum bekannten Spielrahmens, performativer Modus einer bestimmten Aufführungsform. Am Beispiel der französischen Farce schreibt Stephen G. Nichols: Farce takes le rire, laughter, as a principle performative gesture or mode, so that in medieval farce, laughter becomes actio in a number of ways. For one thing, laughter is actio for the actors playing the farce, but it is also actio for the spectators who laugh. In this way, laughter constitutes a dual and consecutive action by players and audience; the players perform or mime the risible giving their cues to the audience who in their turn perform; in this sense, the audience’s laughter is performance cued and staged by the actors. 145 Das Publikum der Farce wird vom Lachen geschüttelt, gleichsam in einem physischen Akt, der den Gesten und Bewegungen der Darsteller gleichkommt und die Zuschauer von mo‐ ralischer oder rationaler Deutung befreit. Diese Praxis steht konträr zum repräsentativen mittelalterlichen Schauspiel. Denn geistliche und weltliche Spiele, die nicht auf das Lachen angelegt sind, müssen den Raum der Repräsentation mit der Welt der Zuschauer in Einklang bringen, damit das, was die Zuschauer auf der Bühne sehen, in irgendeiner Weise im All‐ tagsleben angewandt werden konnte. Die Farce nun legt es darauf an, sich diesem mime‐ tischen Verfahren zu verweigern. „Laughter is the spectator’s gesture of participation in the refusal to make meaning“. 146 Ähnliche Strategien der Bedeutungsverdopplung und Bedeutungsverwischung sind bei der Sottie herausgearbeitet worden (siehe weiter unten), die ebenfalls klar konturierte Auf‐ führungsbedingungen, eine Gruppe von Veranstaltern (die sociétés joyeuses) und ein Pub‐ likum kennt, mit dem es durch Lachen verbunden ist. Dies ist prinzipiell auch im frühen deutschsprachigen weltlichen Schauspiel der Fall. Sieht man sich die ersten Aufführungs‐ texte aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts an, das St. Pauler Neidhartspiel und das Nürnberger Spiel Septem Mulieres, so ist hier die typische Kurzform des Einkehrspiels bzw. Interludiums in seinen beiden Varianten der knappen szenischen Handlung und der Rei‐ 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 270 147 Simon hat bei der Untersuchung der Entstehung der weltlichen Spiele im deutschsprachigen Raum herausgearbeitet, dass die frühesten Aufführungen von Neidhart- und Fastnachtspielen kurze Ein‐ kehrspiele im Rahmen der Fastnacht waren, die als kurze szenische Unterhaltungsstücke be‐ schreibbar sind. Er datiert den Spielbeginn in die zweite Hälfte des 14. Jhs., da aus dieser Zeit Reihen- und auch Handlungsspiele überliefert sind: „Das um 1370 in Schwäbisch Gmünd aufgezeichnete ‚St. Pauler Neidhartspiel‘ hat die Charakteristiken eines Einkehr- oder Stubenspiels, eines fastnächtli‐ chen Interludiums. Wie ‚Sieben Frauen‘ ist es ein Minimalspiel (58 Sprechverse). Beide Stücke konnten mit wenigen Requisiten auf ortloser Bühne von einer kleinen Rotte junger Männer (fünf bis neun Spieler) aufgeführt werden.“ Simon, Eckehard: ‚Sieben Frauen und ein Mann‘ (Keller 122): Das älteste Fastnachtspiel (ca. 1375-1400). In: Ritual und Inszenierung. Hg. von H.-J. Ziegeler. Tübingen 2004, S. 219-231, hier S. 230. 148 „Admiscent se frequenter ficti moriones, quo genere hominum cum nullum sit magis detestandum, tamen vix credas, quantopere delectentur Germani: illi cantu, garritu, clamore, saltatione, pulsu faciunt, ut hypocaustum videatur corruiturum, neque quisquam alterum audiat loquentem.“ Desiderii Erasmi Roterodami Colloquia familiaria, et: Encomium moriae. Hg. von Karl Tauchnitz. Leipzig 1829, S. 207 (Übers. HRV). 149 Dass im Begriff der delectatio vornehmlich auch Gelächter gemeint ist, versteht sich von selbst. So heißt es in Keller 67 am Schluss, wenn der ‚Jeck Schrollentrit‘ den Auszug der Rotte aus dem Wirts‐ haus ankündigt: „Und gee wir an ain anders tat, / Da man uns nit erkennet hat. Do woll wir aber kürzweil machen, Der man auch wol mag gelachen.“ Keller, Adalbert von (Hg.): Fastnachtspiele aus dem 15. Jahrhundert. Bd. 2. ND Darmstadt 1965, S. 591. henpräsentation schon ganz ausgeprägt. 147 Beide Spiele sind vom Rahmen her, ganz zu schweigen von ihrer thematischen Anlage und ihrem schwankhaften Duktus, Unterhal‐ tungsspiele, kurze grotesk-komische Intermezzi, um eine Fastnachtsbzw. Festgesellschaft zum Lachen zu bringen. Auch hier gilt das Lachen der Zuschauer keiner bestimmten ko‐ mischen Handlung, sondern in erster Linie dem mimetischen Spiel, der mimicry der Ak‐ teure, welche mit ihren dürftigen Requisiten, dafür aber ihrem obszönen Spektakel kör‐ perlicher und moralischer Devianz, der visuellen und akustischen Präsenz ihres Auftritts Lachen ausgelöst haben dürften, ganz ähnlich dem, welches Erasmus in seinen Colloquia familiaria 1523 beschreibt: Oft wird scheinbaren Narren Zutritt [zu den Wirtshäusern] gewährt: das sind eine Sorte Personen, die in ihrer Abscheulichkeit unüberbietbar sind, doch gerade das ist es, woran sich die Deutschen ergötzen und ihre Unterhaltung finden: mit ihrem Gesang, ihrem Geplärr, Lärm, Sprüngen und Schlägen mit unbändiger Gewalt machen sie, dass der ganze Fußboden einzustürzen droht, und keiner mehr das Wort des anderen zu verstehen vermag. 148 Auch Erasmus erkennt im bloßen Auftreten und im leiblichen Gebaren der Narren den Anlass für Unterhaltung und Gelächter, erfährt aber ihr Treiben und die Reaktion des Pub‐ likums darauf als besonders ungestüm und störend. 149 Nichtsdestotrotz ist es der ganz be‐ stimmte Ort des Wirtshauses, die spezifische Okkasion und eine von Lachen begleitete Aufführung, deren Sinn und Bedeutung ihm und uns verschlossen bleibt. Es bleibt die Er‐ fahrung von Lärm, wilden Sprüngen und Schlägen, sowie einem aus dem Stegreif insze‐ nierten schlechten Gesangsvortrag. Anders verhält es sich in größeren Schauspielen, die eine Handlung mit klar definierten biblischen oder historischen Figuren repräsentieren und einen größeren Spielraum (Bühnen oder Schrankenplatz) für die Aufführungen benötigen. So wurden seit dem Spät‐ mittelalter meist geistliche Osterwie Fastnachtspiele in den Städten auf einem offenen 5.2. Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel 271 150 Den Szenen gemäß war dieser wiederum in verschiedene „örter“ eingeteilt, sowie in „Höfe“, kleinere Zwischenräume, wohin die Darsteller sich beim Abgang zurückziehen konnten. Vgl. Brandstetter, Renward: Luzerner Fastnachtspiel vom Jahre 1592. Zeitschrift für dt. Philologie 17 (1885) H. 1. S. 347-365, hier S. 360 f. 151 So Berger, Peter L.: Erlösendes Lachen. Das Komische in der menschlichen Erfahrung. Berlin / New York 1998 und Ridder, Klaus: Erlösendes Lachen. Teufelskomik - Götterkomik - Endzeitkomik. In: Ritual und Inszenierung: Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hg. von Hans-Joachim Ziegeler. Tübingen 2005, S. 195-206. Gegen die Entlastungsthese hat sich etwa Linke gestellt, der sie für eine vordergründige Erklärung hält. Sie traue dem „Handlungskomplex nur eine äußerlich-dramaturgische, nicht aber auch eine innere religiöse Bedeutung zu (...)“. Linke, Hans-Jürgen: Drama und Theater. In: Geschichte der deutschen Literatur Bd. 2: Reimpaargedichte, Drama, Prosa (1250-1370). Hg. von Ingeborg Glier. München 1987, S. 153-233 u. S. 471-485, hier S. 173. 152 Vgl. dazu Diller, Hans-Jürgen: Lachen im geistlichen Schauspiel des Mittelalters. In: Komische Ge‐ genwelten: Lachen und Literatur in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Werner Röcke u. Helga Neumann. Paderborn 1999. S. 175-197, hier S. 177 f. Zum Zwischenspiel in der Frühen Neuzeit vgl. Happé, Peter (Hg.): Interludes and early modern society: studies in gender, power and theatricality. Amsterdam u. a. 2007. 153 Wyss hat die extemporierten Narreneinschübe anhand von Regieanweisungen in zahlreichen ernst‐ haften (alttestamentarischen oder reformatorischen) Fastnachtspielen nachgewiesen. So etwa: „Yetz kommend die Narren vnd machen ire bossen“, oder „Die narren tribend possen“. Mit bossen sind hier Sprünge, Purzelbäume und Schabernack gemeint. Wyss, Heinz: Der Narr im schweizerischen Drama des 16. Jahrhunderts. Inaugural-Dissertation Universität Bern. Bern 1959, S. 222. Platz, in Luzern z. B. auf dem Weinmarkt aufgeführt, der in einen Zuschauerraum und einen Spielplatz aufgeteilt war. 150 Die meisten dieser Spiele wurden nicht vom Lachen regiert, sie hatten klare didaktische Zwecke der religiösen und ethischen Laienunterweisung oder der politischen Information und Agitation zu erfüllen. Dennoch hat das Lachen einen rituellen Raum in diesen Spielen: Es ist dies der Raum des komischen Intermezzos, der komischen Szene oder des komischen Narrenauftritts, welche die ‚ernsthaften‘ Spielhandlungen un‐ terbrechen und die Zuschauer vermutlich vom Druck des transzendenten religiösen Ernstes entlasten können. 151 Mit dem Auftreten von Possenreißern und Lachfiguren wie Narr, Närrin, Knechten, Quacksalber- und Teufelsfiguren usw. werden Aufführungs- und Rahm‐ ungssignale gegeben, auf welche das Publikum sofort reagieren und schon die ersten Schritte dieser Figuren mit Lachen begleiten kann. Solche komischen Intermezzi, die nicht ausreichend charakterisiert sind, wenn man sie als bloße Vorläufer der in der Theaterpraxis der Frühen Neuzeit beliebten Gattung des „Zwischenspiels“ beschreibt, 152 sind eigene liminale Spielteile innerhalb des Schauspiels, bei welchen die räumliche Einteilung des Spielplatzes in Orte bzw. Höfe überwunden wird und zwischen den für die einzelnen Szenen gebrauchten Räumen gespielt werden kann. Dies verleiht den auftretenden Lachfiguren die Möglichkeit der raschen motorischen Be‐ wegungen und einer dynamischen Proxemik. Auch ihr spezieller Bezug zum Publikum trägt zu einer Desillusionierung des Spiels in den Lachszenen bei; doch nicht etwa zugunsten „realistischer“ Einschübe: die Zwischenspiele sind im Gegensatz dazu meist ebenso von komplexer Bedeutungsvermittlung enthoben und inszenieren wiederum intensive körper‐ liche Gebärden oder auch selbstreferentielle Kommentare. 153 In vielen Fällen lachen die Possenreißer auch selbst; für den Schalksnarren der aleman‐ nischen Fastnachtspiele ist etwa das übermütige, schallende Lachen kennzeichnend: 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 272 154 Wyss, Der Narr im schweizerischen Drama, S. 131. 155 Elsli Tragdenknaben (1580). In: Niklaus Manuel. Hg. von Jacob Baechtold. 2 Bde. Frauenfeld 1878, V. 55. 156 Wyss weist für die Schweizer Spiele auf diese häufig auftretende Ermahnung in den Prologen hin. Wyss, Der Narr im schweizerischen Drama, S. 70 f. Ein Beispiel ist der Prolog zu Hans Rütes Goliath (1555): „Zum ersten sol ich vßher sagen / Das wir nit werdind üch fürtragen / Wie üwer möchtend warten vil / Ein args / lychtfertigs Faßnachtspil / Daruß kein größer furch / nutz / lon / Leer / gůts / noch beßrung möchte kon / Dann das man aber einest macht / Nüws narrenwerck vnd spiegel gfacht / Mit geyler kurtzwyl han / vnd lachen / (…). Zit. aus Wyss, S. 195. 157 Wyss, Der Narr im schweizerischen Drama, S. 71 f. 158 Koischwitz, Otto: Der Theaterherold im deutschen Schauspiel des Mittelalters und der Reformationszeit. Ein Beitrag zur deutschen Theatergeschichte. Berlin 1926, S. 30. Er lacht seine ‚hut‘ oder gar einen ‚korb vol‘. Er platzt los, kreischt und wiehert, hält sich den Bauch und fällt ‚hinderwertz ins kraut‘. Das Volk lässt sich gern von diesem Gelächter mitreißen. Schnell stimmt es in das suggestiv wirkende Lachen des Spaßvogels ein, und es lacht laut und unflätig wie der Narr selbst. 154 Das Lachen des Possenreißers kann auch als Rahmungssignal für das Lachen des Publikums fungieren. Zu Beginn des Fastnachtspiels Elsli Tragdenknaben von Niklaus Manuel bereiten zwei Narren auf den Inhalt des Spiels vor. Der erste weckt die Spannung der Zuschauer, indem er in Erwartung eines heftigen Streites in ein lautes Gelächter ausbricht. Der andere Narr lacht wie sein Geselle über das „zanken, hadern vnd verwissen.“ 155 Dass die Erwartung und Aufregung vor Beginn des Spiels unter den Zuschauern groß war, zeigen die topischen Aufforderungen der Herolde und Spielankündiger, Ruhe zu halten, sowie das Sprechen und Lachen einzustellen. Dies war vor allem bei Fastnacht‐ spielen mit religiöser Thematik oder bei geistlichen Spielen der Fall (silete-Aufrufe der Engel). Hier wird darauf hingewiesen, dass es nicht vorrangig um Unterhaltung ging, son‐ dern dass das Publikum ein gottgefälliges Spiel zu erwarten habe. 156 Solche Ermahnungen deuten darauf hin, dass einige Zuschauer der Schauspiele selbst bei ernsthaften Inhalten gern geredet und gelacht haben, dass das Publikum als Ganzes nur schwer zu disziplinieren war. Die reflexiven Reden der Prolog- und Epilogsprecher (häufig selbst Narrenfiguren), welche die Zuschauer beschreiben, wie sie mit offenen Mäulern gaffen und sich gegenseitig wegdrängen, sprechen eine deutliche Sprache. Im Fadenkreuz dieser topischen Verspottung des Publikums durch Narren standen vor allem „schwatzhafte Frauen und Landleute“. 157 Das Gelächter, welches urbane komische Spiele und Zwischenspiele seit ihrer Aufkunft im 14. Jahrhundert begleitet, wird somit nicht allein durch Komik ausgelöst. Es ist an den festlichen Anlass, die rituell-theatrale Rahmung, die Art der Aufführung (Einkehrspiel, Wagenspiel, Bühnenspiel) und die Gattung (Narrenspiel, Gerichtsspiel, Arztspiel, Jahres‐ zeitenspiel usw.) geknüpft und unterscheidet sich dementsprechend in Länge und Inten‐ sität. Ein entscheidendes Rahmungssignal etwa bei den Fastnachtspielen ist der zum Rahmen gehörende Auftritt des Ausschreiers / Herolds (Nürnberger Tradition) oder des Narren, welcher im alemannischen Fastnachtspiel durch seine „spielmännischen Possen“ und die „übermütigen Sprünge und Tänze“ das Gelächter der Zuschauer schon vor Beginn des eigentlichen Spiels erregte. Im 14. und 15. Jahrhundert war auch noch der Herold sehr agil, ein „beweglicher histrio“ und „narrenhafter Possenreißer“. 158 In Holzschnitten aus dem 16. Jahrhundert wird die körperbetonte Existenz des Narren auch bildlich in Gebärden und 5.2. Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel 273 159 Abgedruckt in Wyss, Der Narr im schweizerischen Drama, S. 118. Mimik deutlich. Eine Illustration aus Murers Fastnachtspiel Naboth, die 1556 in Mülhausen gedruckt wurde, zeigt einen Narren, der ausgelassen von einem Bein aufs andere springt, beide Arme in die Höhe reißt und den Kopf in den Nacken wirft. Seine rechte Hand schwingt eine Pritsche, die einer Geißel ähnlich sieht, seine Kleidung ist ungeordnet, zerschlissen und im Tanz flatternd, mit Schellen und Bändern besetzt. 159 (Abb. 12) Abb. 12: Springender Narr aus Jos Murers Naboth, Zürich 1556 Wir haben nicht wenige Hinweise darauf, dass rasche Bewegungen, Tanzen, lautes Schreien und Rufen, also nonverbales Verhalten von Lachfiguren auch während der Stücke selbst 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 274 160 Vgl. Maria-Theresia Leuker: „De last van’t huys, de wil des mans…“ Frauenbilder und Ehekonzepte im niederländischen Lustspiel des 17. Jahrhunderts (= Niederlande-Studien, 2). Münster 1992. 161 Nach Korte ist die Körpersprache auf der Bühne das wichtigste Element für Komik und Karikatur. Ihre Aussagekraft liegt nicht in der Art der sprachlichen Vermittlung, sondern im Vollzug der Be‐ wegungen durch eine Figur. Körpersprache in der Literatur, S. 157 ff. 162 Wyss, Der Narr im schweizerischen Drama, S. 121. 163 Ebd., S. 124. 164 Ebd., S. 121. Lachen ausgelöst haben. So kann man an Krams Brüsseler Bericht erkennen, dass das La‐ chen der Zuschauer vermutlich nicht nur den schwankhaften Dialogen des im 16. Jahr‐ hundert in den Niederlanden beliebten Themas der ungleichen Paare galt, bei welchem sich der Mann meist zum Narren macht. 160 Ebenso dürften sprechende Gesten wie jene am Ende, wenn die Frauen nach gelungenem Betrug sich die Symbole der Männerherrschaft karne‐ valistisch aneignen und sie in demonstrativer Überlegenheit auf den Kopf setzen, Gelächter ausgelöst haben. Das Lachen bei der Aufführung in Brüssel scheint jedenfalls nicht Resultat von sprachlichen Äußerungen zu sein, sondern von Gesten, Gebärden, verbunden mit der menschlichen Stimme, mit Lärm und Bewegung auf der Bühne, die teils autonom wirken, teils die sprachliche Komik unterstützen. 161 Diese performativen Aspekte einer Aufführung, wo die Komik des Körpers und der Stimme im Vordergrund steht, waren in der frühen Neuzeit beim städtischen Publikum sehr beliebt. Für die Schweizer Spiele konstatiert Heinz Wyss: „Man hatte Freude an wilden Tänzen und Prügeleien, am Gezänk, körperlichen De‐ formationen, an Verstümmelungen und Entblößungen, am Obszönen und Frivolen. Das Volk findet derbe, handgreifliche Scherze, lautes Schreien und Fluchen, Wortverdrehungen und Mißverständnisse lustig.“ 162 Wyss hat für das Schweizer Fastnachtspiel in zahlreichen Belegen und Einzelstudien gezeigt, dass der Narr durch den Einsatz seiner Requisiten und seiner übermütigen Sprünge und Tänze das Gelächter der Zuschauer erregt. „Die Wirkung dieser Masken- und Kos‐ tümkomik ist umso größer, als der Narr meistens in tollen Sprüngen und heftig gestikulie‐ rend auftritt, seine Schellen schüttelt, den Kolben schwingt und laut schreit.“ 163 Aus ver‐ schiedenen Fastnachtspielen ist beispielsweise bekannt, dass das Publikum lacht, wenn ein Narr dem anderen an die Ohren fasst bzw. die Ohren Gegenstand der Handlung sind. Auch mit den anderen Attributen des Narren wird gespielt: Man setzt sich gegenseitig die Nar‐ renkappe auf, es wird mit der Marotte gefuchtelt und geschlagen, Requisiten werden in ihrer Funktion missbraucht, wenn zum Beispiel Zupfinstrumente zu Schlaginstrumenten umfunktioniert werden. Allerdings geht Wyss’ Erklärung für das Gelächter über Scham‐ losigkeiten und Obszönitäten, Dummheit und Tölpelei, lautes Gezänk und abscheuliche Flüche von falschen Voraussetzungen aus: Der naive Mensch hat seine Lust an durchtriebenen Possen, abscheulichen Flüchen und panta‐ gruelischer Unverschämtheit. Die komischen Effekte müssen krass sein, um beim Volk Gefallen zu finden. (...) Diese niedere, massive Komik zeugt von der Rohheit des Empfindens und von der Verwilderung der Sitten. 164 Wyss führt hier Lachen und Lachanlässe auf eine zivilisatorische Vorstufe der älteren Epo‐ chen und auf ihre „Rohheit“ zurück. Diese Lesart bleibt entwicklungspsychologischen 5.2. Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel 275 165 Überliefert in der Brüsseler Van Hulthemschen Handschrift. Moderne Textedition bei Stellinga, G. (Hg.): Het Abel Spel „Gloriant van Bruuyswijc“ en de Sotternie „De Buskenblazer“ na volghende. Cu‐ lemborg 1976. 166 Abgedruckt in Simon, Die Anfänge, S. 61. 167 Wyss, Der Narr im schweizerischen Drama, S. 128. Schemata von Blüte und Verfall, von Wildheit und Zivilisierung verhaftet. Das Stichwort von der „niederen Komik“ impliziert, dass es eine höhere Komik (Satire, Ironie, Witz) gibt, von deren Warte aus gesehen etwa körperliche Lachanlässe als trivial oder triebgesteuert erscheinen. Doch ein solches Verständnis missachtet nicht nur die soziale Heterogenität des Publikums, sondern auch die verschiedenen Formen des Lachens und der Komik, die mit ihm korrespondieren. Denn das rituelle Lachen, mit dem wir es hier zu tun haben, ist viel weniger an pointierte Komik oder gar Satire gebunden, als stärker an Aufführungen und Verkörperungen an sich. Das Lachen folgt noch eher den Signalen des Körpers, es wird nicht so sehr über Bedeutung gelacht, als über Präsenz. Dies gilt insbesondere für das La‐ chen über die menschlichen Laster: nicht über Trunkenheit, Fresssucht, Geilheit, Prahlerei als moralisch verwerfliche Sünden wird gelacht, sondern über den Vorgang des unmäßigen Trinkens und Fressens, die körperliche Präsentation der Geilheit, den Vorgang des Prahlens und den Vorgang des Schlagens. Nicht die Bedeutung dieser Verfehlungen (bzw. die über‐ legene Distanzierung von ihnen) ist der Lachanlass, sondern ihre Aufführung, ihre Mater‐ ialisierung in der actio. Diesem Lachen über Körperinszenierungen kann weder ein vorzi‐ vilisatorischer Status zugeschrieben werden - siehe Stummfilm, Zirkus und Zeichentrick im 20. Jahrhundert - noch eine soziale Prägung im Sinne von Volkshumor - siehe die über‐ ständische Zusammensetzung von Fastnachtspielen. Wir müssen annehmen, dass Raufereien, Prügelszenen und gegenseitige Verfolgungs‐ jagden einen großen Raum in Fastnacht- und Zwischenspiele einnehmen. In einem der ältesten überlieferten europäischen Zwischenspiele vom Beginn des 14. Jahrhunderts, der Sotternie De buskenblazer, 165 kommt es am Ende zu einer Prügelei zwischen Bauer und Bauersfrau, die im Text lediglich mit einem lapidaren „hie vechten sie“ vermerkt ist, je nach Stegreif-Interpretation jedoch in der Länge das gesamte kurze Stück übertreffen konnte. Im ersten deutschsprachigen Fastnachtspiel (nach Simon) Septem Mulieres prügeln sich der Spielanweisung zufolge die Frauen, während die sechste (‚schwangere‘) ihre Ansprüche vorträgt: (in Vers 44 f. heißt es: „fit percussio mulierum“. 166 Gezänk und Balgerei gehörten also von Beginn an zum Bestand der weltlichen Spiele. Die Androhung von Prügel und das Prügeln selbst verfehlten ihren komischen Effekt wohl selten, denn die Narren prügeln sich fast bei jeder Gelegenheit. Wyss stellt für die Schweizer Spiele fest: „Die Lust an diesen Szenen ist so groß, daß die Narren öfters ganz unmotiviert um sich schlagen. Sie drohen mit Schlägen, sie prügeln sich gegenseitig und verhauen an‐ dere. Sie werden aber auch selbst wenig glimpflich behandelt und oft geschlagen.“ 167 Ein Kennzeichen dafür, dass solche lautstarken Inszenierungen von Kämpfen, Schlägen und Prügeleien sichere Lachanlässe waren, ist ihre Häufigkeit in den Spielen, obwohl sie in den Regieanweisungen nicht einmal gänzlich erfasst sind. Sie nehmen für diese Untersuchung deshalb eine zentrale Stellung ein, weil an ihnen das Lachen über groteske Körperbewe‐ gungen, drastische Mimik und Gestik, laute Ausrufe und Schreien greifbar wird. Prügeleien gehen ebenso mit Bewegungen des Entweichens, Duckens, Davonlaufens, Verfolgens, mit 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 276 168 Vgl. dazu überblickend Hochgeschwender, Ludwig: Text und Körperwelt 1610-1625. In: Der komische Körper. Szenen - Figuren - Formen. Hg. von Eva Erdmann. Bielefeld 2003, S. 31-39 und Helmich, Werner: Ragotin oder: Was ein komischer Körper im Roman comique alles aushalten muss. In: ebd., S. 46-52. 169 Reisebericht von Fynes Moryson: Shakespeare’s Europe: A Survey of the Condition of Europe at the End ot the 16th century. New York 1967, S. 304. 170 Linke, Drama und Theater, S. 161. Flüchen, Geschrei und Geheul daher, mit Ohrfeigen, Maulschellen, gespielten Schmerzen und wilden Rufen der Unterwerfung. Nicht selten fügen sich Narren oder Bauern die Schläge gegenseitig zu, sodass es nicht einmal eine soziale Lesart der Züchtigungen gibt. Prügelszenen und komische Kämpfe dominieren noch das komische Theater im 17. Jahr‐ hundert, wo sie mit der Inszenierung von Körperfunktionen, maßlosem Essen und Trinken verbunden sind. 168 Dass Lachen und Unterhaltung im weltlichen Schauspiel - und ich habe bisher auf die verbindenden und gemeinsamen Aspekte der verschiedenen Aufführungsformen und Gat‐ tungen aufmerksam gemacht - neben Sprache und Semantik auch nonverbale, körperliche und attentionale Ursachen hatte, wird noch einmal in aller Deutlichkeit durch die außer‐ ordentliche Wirkung bestätigt, welche die englischen Komödianten gegen Ende des 16. Jahrhunderts in Deutschland hatten, obwohl das Publikum kaum etwas von der Sprache der Aufführungen verstand. Darüber wunderte sich ein englischer Beobachter: Germans, not understanding a worde they sayde, both men and women, flocked wonderfully to see theire gesture and Action, rather than heare them, speaking English which they understoode not, and pronouncing peeces and Patches of English playes, which my selfe and some English men there present could not hear without great wearysomenes. 169 Gesture and Action sind die eigentlichen Attraktionen der englischen Schauspieler, nicht ihre Sprache und die Bedeutung, die sie transportierte. Dies ging so weit, dass die Schau‐ spieltruppe einfach ein paar wahllose Szenen aus verschiedenen Stücken zusammenstellte - „peeces and Patches of English playes“ - und sie zur Aufführung brachte. Dem deutschen Publikum gefiel es; vermutlich auch deshalb, weil es darüber lachen konnte. Osterspiel: Die Krämerszene Im deutschsprachigen Osterspiel finden sich mehrere Szenen, die der geistlich-paräneti‐ schen Ausrichtung durch ausufernde und grobe Komik zuwider zu laufen scheinen: der Salbenkauf der drei Marien bei einem Krämer, die Auferstehungsszene und anschließende Höllenfahrt Christi, der Lauf der Jünger zum Grab sowie die Begegnung Jesu mit Maria Magdalena im Garten. Alle zeugen von großer Freiheit gegenüber dem Wortlaut der Evan‐ gelien. Die eigenständige theatrale Entwicklung, aber auch eine typisch säkulare Komik ist am weitesten in der Krämerszene fortgeschritten. Diese ist außer dem Salbenkauf biblisch nicht überliefert, sondern hat sich als „Verlebendigung und Vergegenständlichung des in‐ nerweltlich-irdischen, des säkularen Handlungsbereichs“ ab dem 14. Jahrhundert frei ent‐ wickelt. Sie gilt als ein entscheidendes Element einer Lösung der Spielgattung aus der Bin‐ dung an die Liturgie. 170 5.2. Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel 277 171 Lipphardt, Walther: Lateinische Osterfeiern und Osterspiele. 9 Bde. Berlin / New York 1975-1990. 172 Zur Mercatorfigur vgl. die grundlegende Arbeit von Boor, Helmut de: Die Textgeschichte der latein‐ ischen Osterfeiern, Tübingen 1967 sowie neuerdings Herberichs, Cornelia: Plädoyer für den Mer‐ cator. Zur hermeneutischen Funktion der Salbenkauf-Szene in bildlichen Darstellungen, im latein‐ ischen Osterspiel sowie im Osterspiel von Muri, in: Liturgie und Literatur. Historische Fallstudien, hg. von Corinna Herberichs u. a. Berlin / Boston 2015, S. 235-285, hier S. 270-278. 173 Die Komik ist in vielen Spielen, aber nicht in allen bemerkbar. Im Wiener, Melker, Sterzinger und Bozener Osterspiel, im Erlauer und Brandenburger Osterspiel ist sie am ausgeprägtesten; keine (ver‐ bale) Komik findet man etwa in den Spielen von Wolfenbüttel (1425), wo sie getilgt wurde, sowie von Eger, Luzern und in der Haller Passion. Bäschlin hatte die deutschsprachige K-Szene als Wu‐ cherung mit schließlicher Zerstörung der C-Strophe interpretiert. „Unsere Scene scheint von einem sehr selbständig arbeitenden Dichter aus einem Gusse verfasst zu sein…“, so seine Ursprungsthese. Bäschlin, Alfred: Die altdeutschen Salbenkrämerspiele. Mulhouse 1929, S. 15 f. Von den lateinischen Osterfeiern, die Lipphardt verzeichnet, 171 weisen nur 5 % Salben oder Gewürze auf, die die Marien zum Grab bringen. Von diesen weisen 15 Mercatorszenen auf, und nur in zweien sind zwei Kaufleute vorhanden. Bei den lateinischen Osterspielen ist es ähnlich. Mehr als eine Person im Krämerspiel verzeichnen allein der ludus paschali von Tours, sowie das Klosterneuburger und das Benediktbeurer Osterspiel, wo eine uxor apothecarii erscheint. Manchmal bleibt der Mercator stumm, wie in den Prager Spielen des 13. Jahrhunderts, ansonsten halten sich seine Strophen an den überlieferten Bibeltext. Der Mercator ist somit eine ernsthafte Figur, dem sowohl eine Realismusals auch eine Empa‐ thiefunktion zugeschrieben wurde. 172 An der Namensgebung des Mercators lässt sich je‐ doch eine Veränderung vom lateinischen zum volkssprachigen Spiel feststellen: Neben dem überall verwendeten mercator-Begriff finden wir im lateinischen Osterspiel auch den spe‐ cionarius (Klosterneuburger Osterspiel) und apothecarius (Benediktbeurer Osterspiel), im volkssprachigen den institor / paltenere (Muri), medicus (Erlauer Osterspiel / IV ), und artzt (Sterzinger Ypocras-Spiel). Die leichte Veränderung in den Namensvarianten deutet per‐ sonale und inhaltliche Neuerungen an, die das volkssprachige Spiel mit sich bringt, sobald es einmal da ist. Der paltenere im Osterspiel von Muri (1240-1260) ist jetzt viel eher ein Krämer, der seine Ware anpreist und der schon zu Verhandlungen mit Pilatus ins Spiel kommt. Man kann ihn und die späteren mercator-Figuren als umherziehenden Händler oder einen in der Quacksalber-Tradition stehenden Salbenkrämer bezeichnen. Mit dem Quack‐ salber kommen auch andere Personen ins Krämerspiel, vor allem sein kahlköpfiger Knecht Rubin und die junge Frau des Krämers. Diese Vervielfältigung des Krämerpersonals ist auch in der Frankfurter Dirigierrolle zu beobachten, welche zwei mercatores, einen alten und einen jungen mitsamt ihren Frauen kennt. Entscheidend ist aber, dass durch den Auftritt des Quacksalbers mitsamt seiner Frau und Knecht Rubin eine ungezügelte Komik in die volkssprachigen Osterspiele kommt (seit dem Innsbrucker Osterspiel 1391), die zuvor nicht da war. 173 Protagonist der Quacksalberszene ist hier wie in den meisten der genannten Spiele der Knecht Rubin (im Brandenburger Osterspiel heißt er Surgan), ein Possenreißer, welcher durch Hyperagilität und groteskkomisches Sprechen auffällt. Er äfft seinen Meister nach, verrät seine betrügerischen Kniffe, und weder das Prahlen heldenepischen Personals noch 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 278 174 Sollte sein Name biblischer Herkunft sein, wäre Reuben, der Sohn von Jakob und Leah eine Mög‐ lichkeit. Dieser sammelt Aphrodisiaka für seine Mutter, damit sein Vater zu ihrem Bett zurückkehrt. Als eine Art Rebellion dazu verkehrt Reuben mit der Konkubine des Vaters, Bilhah. Vgl. dazu Walsh, Martin W.: Rubin and Mercator: Grotesque Comedy in the German Easter Play. In: Comparative Drama. 36, (2002), H. 1. S. 187-202, hier S. 187-189. Eine andere These ist die von Stumpfl, der in Rubin die heidnische Robin-Figur erkennt, der im Rahmen des männerbündischen Brauchtums mit Marion eine rituelle Maihochzeit eingeht. Stumpfl, Robert: Kultspiele der Germanen als Ursprung des mittelalterlichen Dramas. Berlin / Leipzig 1934, S. 297-336. 175 Bäschlin: Die altdeutschen Salbenkrämerspiele, S. 20-44; Röcke, Werner: Ostergelächter. Körper‐ sprache und rituelle Komik in Inszenierungen des ‚risus paschalis‘. In: Körperinszenierungen in mit‐ telalterlicher Literatur. Hg. von Klaus Ridder u. Otto Langer. Berlin 2002, S. 335-350, hier S. 340-343; Wolf, Gerhard: Komische Inszenierung und Diskursvielfalt im geistlichen und im weltlichen Spiel. Das ‚Erlauer Osterspiel‘ und die Nürnberger Arztspiele K 82 und K 6 In: Fastnachtspiele. Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten. Hg. von Klaus Ridder. Tübingen 2009, S. 301-326. 176 Innsbrucker Osterspiel (Schmalkalden 1391). Hg. von Rudolf Meier. Stuttgart 1962. Die Salbenkrä‐ merszene nimmt 40 Prozent des gesamten Spieles ein. 177 Walsh, Rubin and Mercator, S. 194. 178 Texte und Melodien der ‚Erlauer Spiele‘. Hg. von Wolfgang Suppan. Auf Grund einer Textübertr. von Johannes Janota. Tutzing 1990, Vv. 812-815. die Minnewerbung sind ihm fremd. Seine Sprache ist voller sexueller und skatologischer Anspielungen, am Ende flieht er mit der jungen Krämersfrau. 174 Bezüglich der Komik in der Krämerszene ist bislang die Sprachkomik am besten er‐ forscht. Sie artikuliert sich auf verschiedenen Ebenen: Bäschlin erkennt Formen der Ver‐ spottung und obszöne Anspielungen, Röcke, Walsh und Wolf weisen auf verschiedene li‐ terarische Parodien im Innsbrucker Osterspiel hin: auf den Einsatz von zu Formeln karikierten Mustern der höfischen Literatur und des Heldenepos, wie etwa die Selbstbe‐ zeichnung Rubins als „wygant mit der rostigen hant“, auf die groteske Komik absurder Bilder und Verrichtungen, auf sexuelle Anspielungen von Rubin, er sei kompetent in „frawen dinste“ und beherrsche Vorgänge wie „kapeltreeten“, „flachz geten“, män ryben“, die als sexuelle Metaphern den Minnedienst verkehren. Hinzu kommen ironisches Lob (Lob der Untugenden), satirische Ständekritik (vor allem an betrügerischen Quacksalbern und Salbenverkäufern) sowie die Destruktion sprachlicher Logik im Kauderwelsch oder in un‐ sinniger Lexik und Syntax. 175 So liest im Innsbrucker Osterspiel Rubin beim Aufbau des Krams die Medikamente verballhornend: „Aleporta kurian xitas / exitas termax“ - eine Form des Grammelot, ein Unsinnslatein mit medizinischem Wortschatz. 176 Dazu kommen wie‐ derum sexuelle Anspielungen, da die Medikamente gegen venerische Krankheiten helfen; Walsh nennt das in Anlehnung an Bachtins Konzept der familiären Marktplatzrede „the familiar humour of the quack doctor“. 177 Auch kräftige Flüche sind nicht selten. Im Erlauer Spiel heißt es: „Vacum do al mala venteur“, ein makkaronisches ‚Fahr zur Hölle‘, welches der Arzt seiner Frau entgegnet, nachdem sie ihm eröffnet hatte: „wan ier mügt niderhalb der güertel nicht.“ 178 Die verballhornte Sprache kann bis zur Unkenntlichkeit deformiert werden und nur noch als unsinniges Gebrabbel erscheinen: Ich chan auch in der latern Holermues und papelchern; Erskili gunkelphifili 5.2. Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel 279 179 Ebd., Vv. 168-171. 180 Zur Verbindung Sprachkomik-Körperlichkeit vgl. Neumann, Bernd u. Trauden, Dieter: „Rubin, du machst wol eyn schalk syn! “. Zur Funktion sprachlicher Gestaltungsmittel im Melker und Innsbru‐ cker Salbenkrämerspiel. In: Neue Beiträge zur Germanistik 6 (2007) H. 4. S. 131-156. 181 Suppan: Texte und Melodien der ‚Erlauer Spiele‘, vor V. 705. 182 Bereits Hartl hatte gesehen: „Namentlich in der Krämerszene steht so oft das Wort nur um des Wortes willen da, sein Sinn ist in diesen Fällen Nebensache, das Wichtige ist der rasche Gang und die witzige Wirkung des Wortes.“ Hartl, Eduard (Hg.): Osterspiele. Leipzig 1937, S. 132. 183 Erlauer Osterspiel, V. 713. Otten ottel domini. 179 Wortverdrehung und Wortwitz im unerwarteten Vergleich, wie etwa im Vergleich unver‐ einbarer Dinge (Adynata) oder im spöttischen Tiervergleich kommen hinzu; all diese wort‐ komischen Formen zersetzen die Semantik der Rede und verweisen auf das Sprechen bzw. Aussprechen als körperlichen Akt, sie können insofern als verkörperte Reden bezeichnet werden. 180 Wichtiger noch erscheinen die komischen Aufführungselemente: hierzu zähle ich Rahm‐ ungs- und Handlungskomik, Gestik und Mimik, Proxemik, Akustisches, Prügel, aktionis‐ tisches Sprechen. Während die Marien wie alle heiligen Figuren durch Statik und langsame Bewegungen gekennzeichnet sind (in Erlau: Tunc omnes tres ambulantes per circuitum sepulchri), 181 ist das Personal der Krämerszene, vor allem die Knechte, von überbordender Agilität und Geschwindigkeit. „Rubinus occurrit mercatorem“ (Melk); „Rubinus currat ad personae (Lübener Fragment); „Statim currat inter populum“ (Mastickar), Rubinus kompt geloffin (Wiener Osterspiel); „servus medici velociter currit ad medicum“ (Erlauer Oster‐ spiel), dort schließlich auch: „Rubinus dicit saltando“; „Rubinus saltans de populo“, „Rubinus et Pusterpalkch currunt ad placitum“ usw. Die Knechte sind somit von proxemischer Hy‐ peragilität gekennzeichnet, sie laufen, hüpfen, springen, gehen von Bühne oder Spielplan ab oder kommen hinzu, was meist mit einer noch höheren Bewegungsintensität in Ver‐ bindung steht. Meist ist dann keine Zwecksetzung in der Bewegung zu erkennen; sie voll‐ zieht sich in Sprüngen und Hüpfen durch den gesamten zur Verfügung stehenden Raum, richtet sich oft scheinbar auf eine andere Person, ohne jedoch einer kommunikativen In‐ tention zu folgen. Die hyperaktiven Bewegungen beim Auftritt und Abgang der Knechte sind daher von der Textlogik her ‚überflüssig‘, semantisch ‚sinn-los‘, 182 doch nicht ohne Funktion: Ihre Funktion ist es, die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen und ein metakommunikatives Signal der virtuosen Schnelligkeit (wie bei Bergsons Clowns) zu senden. Die metakommunikative Funktion dieser Knechts- oder Narrenproxemik kann sich auf die sprachlichen und lautlichen Äußerungen der Figur ausdehnen; das Brabbeln und makkaronische Sprechen Rubins ist daher nicht semantisch zu verstehen, sondern als laut‐ liche Intensität, als weiteres metakommunikatives komisches Signal. Die Beispiele verkörperter Sprache beim aktionistischen Sprechen der Possenreißerfigur Rubin sind ebenfalls zahlreich: Als der Meister ihn auffordert, den Marien entgegenzu‐ gehen, sagt Rubin: „Herr maister, das sol sein nue sich zu dem springen mein“. 183 Rubin sagt hier, was er tut, er vollzieht sein Handeln sprachlich, ein wohlbekanntes performatives Muster aus den Reihenspielen der Fastnacht und eine interessante Quelle für Aufführungs‐ komik. Statt den Marien geziemend gemessen entgegenzutreten, springt er sie beinahe an: 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 280 184 Linke, Drama und Theater, S. 171. 185 Walsh, Rubin and Mercator, S. 188. 186 Ebd., S. 189. 187 Walsh bezeichnet die Krämerszene als „interlude“ und vergleicht sie mit einem Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts: „The Mercator scene is a comic carcinoma within the most sacred of the medieval enactments“. Ebd., S. 195 u. 197. 188 Bühler, Curt u. Selmer, Carl: Salbenkrämerspiel von Melk. Melker OS-Fragment. PMLA 63 (1948), S. 21-63. 189 „Die alle Grenzen sprengende Komik der Darbietungen entzündet sich weitgehend am ständig ge‐ suchten Kontakt mit dem Publikum.“ Linke, Drama und Theater, S. 188. 190 Ebd., S. 153. „Et currit eas saltando suscipere“ heißt es in den Didaskalien. Das Akustische ist ebenfalls metakommunikativ: Die ganze Szene wird von lauten, sinnlosen „Rubein, Rubein“-Rufen des Medicus begleitet, Zank und Schreien dominieren die Dialoge. Schließlich ist die körperliche Erscheinung der Lachfiguren interessant: Pusterbalk, der Unterknecht Rubins, ist bucklig und nennt sich im Innsbrucker Osterspiel „der krum Echart“, neben der heldenepischen Parodie und dem sexuellen Unterton der Heldenepik sicherlich auch eine Anspielung auf seine deformierte körperliche Gestalt. Zur körperlichen Aufführungskomik gehören auch die Verkleidungen (im Innsbrucker Osterspiel erscheint Lasterpalck mit Federn im Haar), sowie Prügeleien zwischen Rubin und Pusterbalk, wie auch zwischen Medicus und Medica. Inszeniertes Prügeln und Schlagen, wie weiter oben bereits erwähnt, ist auch in weltlichen Spielen häufig belegt und kann als Anlass für Ge‐ lächter gelten. Hinzu kommt eine ausufernde komische Gestik und Mimik, ein Teil der „Marktschreiertechnik“, welche die Figuren auf groteske Weise parodieren. 184 Walsh resü‐ miert: „There is ample evidence in the rubrics and implied stage directions to reconstruct much of the gestic repertoire and physical comedy of this most unpaschal intruder into the Easter Play.“ 185 Indem er beim Sprechen ständig in Bewegung ist, singt und tanzt, ist Rubin für Walsh eine voll entwickelte Clownsfigur, seine Bühnenpräsenz sei mit jener der elisa‐ bethanischen Theaternarren des 16. Jahrhunderts, Tarlton und Kemp bzw. mit dem Arlec‐ chino der Commedia dell’Arte zu vergleichen. 186 In ihrer Akkumulation verschiedener komischer Elemente der Aufführung, sprachlichen Ausdrucksform und Körperbewegung kann die Krämerszene als vom sakralen Osterspiel deutlich separiertes komisches Zwischenspiel bezeichnet werden. 187 Dafür sprechen meh‐ rere Indizien: Die eigene Begrüßung des Publikums durch den Mercator, der Vor- und Nachspruch im Stil der Ankündigung und des Beschlusses eines fastnächtlichen Einkehr‐ spiels (etwa in Erlau), thematische und figürliche Analogien zum Fastnachtspiel, vor allem dem Arzt- und Quacksalberspiel. Die Herausgeber des Melker Salbenkrämerspiels, Bühler und Selmer, unterstreichen, dass das Melker Spiel auch allein stehen und allein aufgeführt werden konnte, 188 und dasselbe gilt für viele der anderen Krämerszenen der Osterspiele, die in sich abgeschlossen sind. Schließlich werden die Zuschauer stärker als in anderen Partien der Osterspiele ins Spiel einbezogen, und zwar in einem bis dahin unbekannten Ausmaß, um die Komik des Spiels noch stärker zur Geltung zu bringen. 189 Denn der Mercator, Rubin und Pusterbalk treten aus dem Publikum heraus auf und wieder ab; auch während des Spiels wird der Raum der Zuschauer zur Bühne gemacht, indem die Protagonisten in die Menge hineinlaufen und dort ihre Späße treiben. 190 Die ungezügelte, verkörperte Komik der 5.2. Transgressionen des Körpers im weltlichen und geistlichen Spiel 281 191 Simon, Die Anfänge, S. 351. 192 Dies machen sowohl sprachgeschichtliche Analysen wie auch die ikonographischen Zeugnisse sehr wahrscheinlich. Vgl. dazu den Band von Blaschitz, Gertrud (Hg.): Neidhartrezeption in Wort und Bild, Krems 2000 mit folgenden Beiträgen: Harant, Patricia: Liedrezeption in den Neidhartspielen. Der lange Weg Neidharts - von Reuental nach Zeiselmauer, S. 219-248; Böhmer, Roland: Neidhart im Bodenseegebiet. Zur Ikonographie der Neidhartdarstellungen in der Ostschweizer Wandmalerei des 14. Jahrhunderts, S. 30-52; Blaschitz, Gertrud / Schedel, Barbara: Die Ausstattung eines Festsaales im mittelalterlichen Wien. Eine ikonologische und textkritische Untersuchung der Wandmalereien des Hauses ‚Tuchlauben 19‘, S. 84-111. 193 Vgl. hierzu bereits Simon, Eckehard: „Neidhart plays as shrovetide plays: Twelve additional docu‐ mented performances“, in: The German Review LII (1977), No. 2. S. 89-98. 194 Ich zitiere i. F. nach der Edition von Margetts, John (Hg.): Neidhartspiele. (= Wiener Neudrucke. Neuausgaben und Erstdrucke deutscher literarischer Texte, 7). Graz 1982. Sprache und die Körperkomik werden von performativen Mustern unterstützt, die die Auf‐ merksamkeit des Publikums auf die vielfältigen Transgressionen und Inversionen der Pos‐ senreißer lenken, um ein ebenso ungehemmtes Lachen hervorzurufen. Das Krämerspiel legt gewissermaßen die Grundlagen für eine Handlungskomik des Körpers, welche in spä‐ teren Spielgattungen noch weiter vertieft und ausgeformt wird. 5.3. Neidharts Rache: der Possenreißer und die Freude am Tanzen und Prügeln Neidhartspiele sind nicht nur die am besten belegten Aufführungen der Frühzeit, sondern auch die ältesten weltlichen Schauspiele in deutscher Sprache überhaupt. Wir besitzen zwischen 1395 und 1558 insgesamt 19 Aufführungsbelege aus dem gesamten deutschen Sprachraum. 191 Die Mehrheit der Aufführungen sowie die fünf überlieferten Spieltexte (St. Pauler Neidhartspiel, Großes Neidhartspiel, Sterzinger Neidhartspiel, Sterzinger Szenar und Kleines Neidhartspiel) weisen wie Stoff und Motive auf eine Entstehung im Alpenraum hin, mit Schwerpunkten in Tirol, Wien und der Nordschweiz. 192 Mit einer Ausnahme fällt der Aufführungstermin in die Fastnachtsperiode. 193 Ein wichtiges Charakteristikum aller Neidhartspiele war der Tanz, der die Spiele umrahmt und die einzelnen Teile der längeren Spiele miteinander verbunden hat. Deshalb ist als zeitgenössische Gattungsbezeichnung oft der Begriff Neidharts oder nitharts tancz verwendet worden. Das aus 69 Sprechrollen und 34 Statistenrollen bestehende Große Neidhartspiel 194 (um 1490) ist mit rund 2600 Zeilen das umfangreichste überlieferte Neidhartspiel und das längste weltliche Schauspiel in deutscher Sprache. An typischen Schwanksituationen aus der Neid‐ hart-Tradition weist es neben dem üblichen Veilchenschwank auch den Schwertfegersch‐ wank, den Beicht- und Kuttenschwank sowie den Fassschwank auf, in denen Neidhart in Verkleidungen auftritt und durch Listhandeln die Bauern lächerlich macht. Zwischen Z. 1602 und Z. 1821 ist eine Höllenszene (Teufelsspiel) eingeschoben, welche aus der Oster‐ spieltradition übernommen wurde. Die Spieleinheiten sind durch Tanz und Musik mitei‐ nander verbunden, an insgesamt sieben Stellen im Spiel werden improvisierte Lieder ge‐ 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 282 195 Vgl. Simon, Eckehard: The Origin of Neidhart Plays: A Reappraisal. JEGP 67 (1968), S. 458-474, hier S. 460. 196 Gewalt äußert sich nicht nur in den körperlichen Züchtigungen der Bauern durch die Ritter, sondern auch in den kontinuierlichen Prügeleien der Bauern untereinander, bzw. ihrem sinnlosen Einschlagen auf eine Holzsäule, die sie für Neidhart halten. Dieser wiederum tritt in verschiedenen Masken und Verkleidungen auf, um ihnen jeweils neue körperliche Versehrungen zuzufügen. 197 Siller schließt sich der sozialkritischen Interpretation der Neidhartspiele von Margetts an. So sei im Großen Neidhartspiel die Ansprache Neidharts an die Bauern „wenn auch derb, so doch durchaus ernst und entbehrt jeglicher Komik.“ Siller, Max: Anmerkungen zu den Neidhartspielen. Zeitschrift für dt. Philologie 104 (1985). H. 3, S. 380-403, hier S. 388. 198 Vgl. v. a. die Arbeiten von Eckehard Simon, Erhard Jöst, Margetts und Siller. Simon, Eckehard: Neid‐ hart von Reuental. Geschichte der Forschung und Bibliographie, Den Haag / Paris 1968; Jöst, Erhard: Bauernfeindlichkeit. Die Historien des Ritters Neithart Fuchs, Göppingen 1976 (= GAG 192). Auch Sowinski, der das Teufelsspiel im Großen Neidhartspiel untersucht, stellt sich klar gegen eine ko‐ mische Interpretation des Spiels. Vgl. Sowinski, Bernhard: Die Teufelsszenen in den Neidhartspielen. Amsterd. Beitr. zur Älteren Germanistik 38 / 39 (1994): Mittelalterliches Schauspiel. FS für Hansjürgen Linke zum 65. Geburtstag. Hg. von Ulrich Mehler u. Antonius H. Touber, S. 313-320. 199 So zeige das Neidhartspiel die Welt der Bauern „aus der distanzierenden Perspektive der Komik“. Catholy, Eckehard: Das Fastnachtspiel des Spätmittelalters. Gestalt und Funktion. Tübingen 1961, S. 318; die karnevalesk-theatralen Momente der Neidhartspiele wurden herausgearbeitet von Herr‐ mann, Petra: Karnevaleske Strukturen in der Neidhart-Tradition. Göppingen 1984 (= GAG 406); für die schwankhafte Komik der Neidhart-Lieder vgl. auch Schweikle, Günther: Neidhart. Stuttgart 1990 (= Slg. Metzler, 253); vom Lachen als herrschender Rezeptionshaltung geht auch der Beitrag von Müller, Ulrich: Zur Lachkultur in der deutschen Literatur des Mittelalters: Neidhart und Neithart Fuchs, in: Siegfried Jäkel und Asko Timonen (Hg.): Laughter down the centuries. Bd. 1. Turku 1994, S. 161-181 aus. 200 Dazu gehört die Enthebbarkeit der Verstümmelungen, wenn etwa Tänze der verkrüppelten und mit Holzbeinen ausgestatteten Bauern zur Aufführung der Neidhartspiele dazugehören. sungen. Simon vermutet, dass das Spiel im Freien aufgeführt wurde, als Frühlingsspiel oder Maifeier. 195 Auch wenn im Großen Neidhartspiel ein Bauerntanz vorgeschaltet ist, so bleibt der Veil‐ chenschwank Ausgangs- und Motivationsepisode für den weiteren Fortgang der Handlung. Die Racheschwänke sind gekennzeichnet von einer in immer neuen Varianten auftretenden Schädigung der Bauern, die häufig mit physischer Gewalt einhergeht. Die Bauern werden erschlagen, an Gliedmaßen verstümmelt und auf vielerlei Weise zu Narren gemacht. 196 Die bisherige Forschung hat deshalb auch die Ernsthaftigkeit und Gewalttätigkeit des Konflikts betont und Neidhart in der Rolle des Bauernfeinds gesehen. 197 Der strukturelle ständische Antagonismus wurde sozialkritisch interpretiert, Derbheit und Obszönität als Mittel der Bauernsatire verstanden. 198 Noch in seiner Geschichte der Anfänge des weltlichen deut‐ schen Schauspiels lässt Simon keinen Zweifel daran, dass er die Neidhartspiele als Theat‐ ralisierung sozialer Spannungen und drohenden Statusverlusts bei der Ritterschaft sieht. Nur wenige Bearbeiter haben im Gegensatz dazu den fiktionalen bzw. burlesk-komischen Charakter der Spiele herausgestellt, und die weitgehende Unabhängigkeit der Figuren von historischen Gegebenheiten betont. 199 In dieser Optik handelt es sich bei den Bauernfiguren um Abstraktionen; sie sind typisierte Narren und ihre Komisierung ist Voraussetzung für die Befreiung von ernst genommener Rollenhaftigkeit beim Publikum. 200 Ich möchte mich dieser Lesart insofern anschließen, als es meines Erachtens in den Neidhartspielen weniger um Bauernfeindschaft geht, als um die Verkörperung von starken Affekten wie Neid, Hass, 5.3. Neidharts Rache: der Possenreißer und die Freude am Tanzen und Prügeln 283 201 Das Verschweigen der obszönen Partien ist vor allem in der älteren Forschung rekurrent: Gusinde etwa scheut nicht vor einer Konjektur zurück, um den Kot durch „dürres Laub“ zu ersetzen. Er verschweigt den gesamten Ekel- und Schamkomplex. Gusinde, Konrad: Neidhart mit dem Veilchen. Breslau 1899 (= Germ. Abh. XVII). 202 D. h. die Zuschauer würden sich nicht als Zuschauer eines Spiels, sondern alleine eines Rituals sehen, die Akteure würden sich nicht als Darsteller, sondern als soziale Verkörperung ihrer Rollen sehen. Die Komik der Situationsspaltung, die Bockmann auf der Grundlage von Warnings Definition für den Veilchenschwank herausgearbeitet hat, könnte hier nicht wirksam sein. Vgl. dazu Bockmann, Jörn: Translatio Neidhardi. Untersuchungen zur Konstitution der Figurenidentität in der Neidhart-Tra‐ dition. Frankfurt a. M. 2002 (= Mikrokosmos 61), S. 268 ff. S. näher Kap. 6.3. 203 Kindermanns These, dass dadurch die Bauern im Großen Neidhartspiel dem spöttischen Gelächter der vornehmen Zuschauer preisgegeben seien („scharf abwertende Karikatur der Bauernwelt“) wird durch seinen Irrtum, es handele sich um ein höfisches Publikum, entkräftet. Vgl. Kindermann, Das Theaterpublikum des Mittelalters, S. 72. Scham und Ekel, die den ständischen Antagonismus karikieren und damit als sinnlos und lächerlich ausweisen. Denn Zweck und Ziel der Neidhartspiele ist das Lachen der Zu‐ schauer, und dieses wird mit Hilfe der Inszenierung starker körperlicher Affekte erreicht, in welcher die lächerliche Bewegung (Tanz und Prügeleien), sowie die Aufführung von Gewalt und Skatologie als theatrale Mittel eine zentrale Rolle spielen. 201 Nun könnte man das Lachen über die Bauern auch als ein sozial korrigierendes, ständisch motiviertes Verlachen lesen. Doch dies würde mehrerlei implizieren: kein überständisches, sondern ein höfisches Publikum (was angesichts der Aufführungsbelege unwahrscheinlich ist); kein Lachen über Neidharts Scham und die Schande der Fürstin, sondern Mitleid mit ihnen (was die gesamte skatologische Komik der Schwänke in Frage stellen würde); keine Wirksamkeit des Spielrahmens, insofern, dass soziale Wirklichkeit mit der Praxis des Ver‐ lachens als Korrektiv direkt, ohne jeglichen Rahmenwechel, auf das Spiel übertragen würde. 202 Ich bin deshalb der Auffassung, dass es sich hier nicht um Verlachen als Strafe gegenüber den Anmaßungen des Bauernstandes handelt, sondern um das schadenfrohe, im spielerischen Kontext verbleibende Lachen über die Bauern als theatrale Figuren. Diese Form des affirmativen, rituellen Lachens unterscheidet sich nicht vom Lachen über Narren und Bauern der Fastnachtspiele; es sind figürliche Karikaturen, deren Auftritt eine spezi‐ fische performative Komik zu Grunde liegt. Zur Unterstützung dieser These, und bevor ich das Spiel selbst analysiere, möchte ich nun fünf Arten von Komik im Großen Neidhartspiel unterscheiden, die direkt auf das Lachen der Zuschauer bezogen sind: (1) Die körperlich-burleske Komik. Sie macht sich in den zahlreichen Grotesktänzen der Bauernfiguren bemerkbar, die höfische Tanzformen ungelenk imitieren bzw. über‐ bieten wollen, dabei scheitern und sich lächerlich machen; Höhepunkt dieser Komik ist der Tanz der von Neidhart verstümmelten, stelzbeinigen Bauern. 203 Auch die an‐ deren Grausamkeiten Neidharts an den Bauern, die diese zu Narren machen gehören in diesen Zusammenhang: das Scheren von Tonsuren, ihre Bloßstellung vor dem 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 284 204 Schadenfrohes Lachen über Grausamkeiten ist für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit durchweg gut belegt. Vgl. etwa Röcke: Die getäuschten Blinden, S. 61-82). Dazu schon Norbert Elias, „Die Grausamkeitsentladung schloß nicht vom gesellschaftlichen Verkehr aus. Sie war nicht gesellschaft‐ liche verfemt. Die Freude am Quälen und Töten anderer war groß, und es war eine gesellschaftlich erlaubte Freude.“ Elias: Über den Prozess der Zivilisation, Bd. 1, S. 268. 205 Vgl. dazu auch meinen Beitrag: Ekel, Peinlichkeit, Scham und Lachen: Strategien der Ansteckung im Neidhartspiel. In: Koordinaten der Leidenschaft. Hg. von Erika Fischer-Lichte, Clemens Risi und Jens Roselt. Berlin 2008, S. 214-41. 206 Ich beziehe mich hier auf Bockmann, der für den Veilchenschwank die Logik der Situationsspaltung im Anschluss an das Aktantenschema von Rainer Warning herausgearbeitet hat. Vgl. Bockmann, Translatio Neidhardi, S. 268 ff. Vgl. dann genauer in Kap. 6.4. Herzog usw. 204 Schließlich sind noch die körperlichen Exzesse der Bauern zu er‐ wähnen: ihre Prügeleien, das sinnlose Saufen, die sexuelle Triebhaftigkeit. (2) Der Einsatz von klassischen Strategemen des Possenreißers: Neidhart geht in wech‐ selnden Verkleidungen gegen die Bauern vor, er überlistet sie, hält sie zum Narren und macht sie zu Narren (Kuttenschwank). Dadurch werden sie auch dem Spott des Fürs‐ tenpaares (auf der Spielebene) ausgesetzt. (3) Die skatologische Komik des Veilchenschwanks: Der Kothaufen, der sich statt des Veilchens unter Neidharts Hut befindet, regiert den gesamten Schwank. Alles, was an höfischen Codes hier aufgeführt wird (symbolische Bedeutung des Veilchens, Mai‐ buhlenschaft, höfischer Tanz usw.) wird am Ende durch den Unrat lächerlich gemacht. Mit der Inszenierung starker Affekte (Ekel, Abscheu, Schrecken, Scham), die die ele‐ mentare Bedrohung der höfischen Kultur verkörpern, werden die Zuschauer emoti‐ onal affiziert und können sich im Lachen vom Geschehen distanzieren - ob eher schadenfroh oder eher befreit, muss hier offen gelassen werden. 205 (4) Die Sprachkomik der Bauern: Hierzu gehören ihre sprechenden Namen (Schotten‐ schlicker, Rotzkatter, Milchfridl, Rauntz u. v. m.), ihre hoffnungslos übertriebenen Prahlreden, die Beschreibungen obszöner und skatologischer Handlungen, ihre derbe Sprache überhaupt. (5) Die Komik der Situationsspaltung (am Beispiel des Veilchenschwanks): dieser bezieht einen großen Teil seiner Komik daraus, dass Spiel- und Rezeptionssituation ausei‐ nander fallen, weil auf der Rezeptionsebene ein Informationsvorsprung besteht. In‐ nerhalb des Spiels wird die Störung des Zeremoniells erst beim Aufdecken des Hutes erkannt, außerhalb war sie von Beginn an evident. So wissen die höfischen Figuren nicht, dass sie mit ihrem Tanz um das vermeintliche Frühlingssymbol zu Darstellern einer verkehrten Welt geworden sind. In dem Moment, wenn diese parallele Wahr‐ nehmung wieder zusammenläuft, und die Spannungskurve rapide abfällt, kann sich überlegenes Lachen über das Scheitern des Zeremoniells bei den Zuschauern ein‐ stellen. 206 Von diesen fünf kardinalen Formen der Komik im Neidhartspiel interessieren im Zusam‐ menhang mit dem Thema der komischen Körperinszenierungen die ersten beiden am meisten. Wie manifestiert sich die körperlich-burleske Komik im Spiel, und wie lässt sie sich beschreiben? Der erste Teil des Großen Neidhartspiels ist ganz dem Auftritt und der Vorstellung der Bauern gewidmet (Z. 71-370); nach dem Prolog und den Eingangstänzen 5.3. Neidharts Rache: der Possenreißer und die Freude am Tanzen und Prügeln 285 207 Margetts, Neidhartspiele, S. 286. gehört ihnen die Aufmerksamkeit. In aktionistischer Rede sprechen sie aus, was sie im Kontrast zu den Worten des höfischen Eingangs tun: Sie tanzen, springen, jauchzen, laufen hinter den Bauernmädchen her, machen Annäherungsversuche im Stile der Nürnberger Fastnachtspiele, die jedoch in ihrer obszönen Derbheit und Direktheit keinen Erfolg haben und zurückgewiesen bzw. nicht minder grob und obszön zurückgegeben werden. Die Bauern wollen die Höflinge überbieten, indem sie einen neuen Tanz aufführen, der beson‐ ders kunstreich sein will, in Wirklichkeit aber tapsig und ungeschlacht ist. Neben den dör‐ perlichen Bewegungen und misslungenen Imitationen der hofsytten reizen auch die sprech‐ enden Namen zum Lachen: Schnablrausz, Gretl pruntz im stall oder Sawrkübl sind Beispiele einer Namenskomik, die durch die bildhafte Kombination von Worten wirkt, wie auch über ihre sinnlose Akkumulation. Margetts kommentiert: „Die komischen Namen sind Teil des im Spiel dargestellten Verhaltens der Bauern; sie prahlen, sind sehr mit ihrem unstandes‐ gemäßen Aussehen beschäftigt.“ 207 Was Margetts hier sozialkritisch liest, ist aktionistisches Sprechen. Die Akteure sagen, was sie gerade tun und gleich tun werden, wohin sie sich wenden, sie sagen, wie sie aus‐ sehen und wie die anderen ihnen erscheinen: So will ich auff den rayen Last vns tantzen vmb den mayen Wol auff vnd wol her Lat vns aber rayen mer Runtzolt puntzolt gundlwein Gumpp vnd epp vnd peterlein Jr sült all an den Rayen gan (...) (Z. 343-349) Diese Form des „in den Raum hinein-Sprechens“ ist vornehmlich metakommunikativ, es ist ein gestisches, verkörpertes Sprechen, und es ist genauso wie an die anderen Akteure wie an das Publikum gerichtet. Die auf das eigene Tun bezogenen Sprechhandlungen stellen den Auftritt, die actio der Bauern ins Zentrum, nicht eine spielspezifische Kommunikation oder eine Handlung. Von den Figuren wird ausgesprochen, was die Zuschauer sehen (werden). Die Sprache unterstützt den visuellen Eindruck und verstärkt somit dessen Effekt. So erscheinen die Körper der Bauern auf dem Spielplan, sie sind körperlich und sprachlich präsent, lenken die Aufmerksamkeit auf sich, indem sie sich bewegen, tanzen und dabei sprechen. Es gibt kaum eine Informationsvermittlung, die über die gegenwärtige Hand‐ lungssituation - das Tanzen, Prahlen, die Versuche der Annäherung mit Sexualphantasien - hinausginge; die Semantik des Sprechens erschöpft sich in den groteskkomischen und am‐ bivalenten Selbstbeschreibungen der Bauernfiguren als Triebwesen. Dabei knüpft das Spiel lexikalisch an die (Pseudo-)Neidhartschwänke, szenisch an die Form des Reihenspiels an: Jch bin ain dörper Schoppinswang Vnd pin auch gross vnd lang Des bin ich ainer mayd wol werd Jch trag hewr nun mein erstes schwerd 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 286 208 Dietl, Cora: Tanz und Teufel in der Neidharttradition: „Neidhart Fuchs“ und „Großes Neidhartspiel“. Zeitschrift für deutsche Philologie 125 (2006). H. 3, S. 390-414, hier S. 403. Dietl weist auf die unkoor‐ dinierte Mischung von Elementen des Schreit- und des Springtanzes bei den Bauern hin; sie unter‐ sucht allerdings das „Motiv des Tanzes als eines literarischen Mittels zur Diffamierung der Bauern in der Neidharttradition“ (S. 391). Vnd han ain newes gürttlgewant Gee her deymůt an meiner hand (Z. 262-267) Dem aktionistischen Sprechen der Dörper und den Bühnenanweisungen („Da tantzen die pawren hin gen hoff “ (Z.92); „Also zyhen dye pawren von hoff “ (Z. 158)) ist zu entnehmen, dass die Bühnenfiguren während der gesamten Szene in Bewegung sind. Sie probieren ihren neuen Tanz aus, der höfische (Schreiten) und bäuerliche (Springen) Elemente aufweist und somit auf eine „mangelnde Regelbeherrschung der Bauern und damit die mangelnde Bän‐ digung der Affekte“ hinweist. 208 Doch bleibt es nicht bei der Übermittlung dieser zeichen‐ haften Dichotomie und der Darstellung der Bauern als Mängelwesen. Die unkoordinierten Bewegungen, das Springen, Hüpfen und Laufen, der offensichtlich scheiternde Versuch, höfische Bewegungsmuster nachzuahmen, schließlich die hyperagile Proxemik der ge‐ samten Szene, haben ihre Funktion vor allem anderen in der Unterhaltung. Im Verbund mit den zotigen Sprachgebärden, die ebenfalls auf den Körper und körperliche Gesten bezogen sind, erregen sie ein Gelächter, das als Übertragungseffekt der grotesken Bewegungsabläufe gesehen werden muss. Diese Form der Bewegungskomik wird in dem Moment noch verstärkt, wenn die Bauern ihre Tänze mit einem Stelzbein aufführen müssen, nachdem sie der ersten Rache Neidharts zum Opfer gefallen sind. Denn nach dem erfolgreichen Raub des Veilchens und der scham‐ vollen Szene des Hutaufdeckens lauert Neidhart gemeinsam mit den Rittern den um die Trophäe tanzenden Bauern auf: Vnd die Ritter laufen an den tantz dy pawren zu fahen Vnd die pawren geben die flucht aus geno= men x oder xij die seind gefangen (…) Da hayss pfayffen vnd pöcken vnd also die Ritter ainen pawr nach dem anderen vnd pinten jn Steltzen an jre payn. Dar nach stend die pawren auff. (Z. 950-959) Die 32 Bauern, denen das linke Bein abgeschlagen und durch ein Holzbein ersetzt wurde, klagen nun über ihr Schicksal und fragen: „Wer tanzt nun bey fridawn, / Pey ir vnd bey waldrawen, / Vnd pey anderen mayden jungen / Seyt vns penomen ist den vorsprunge“ (Z. 972-975). Die Frage scheint berechtigt, doch im weiteren Verlauf des Spiels scheint es, dass die Verstümmelung die Bauern in ihrer motorischen Handlungsfreiheit und ihrem Unge‐ stüm kaum beeinträchtigt hat: Sie laufen, springen und tanzen wie zuvor. Aufführungs‐ technisch ist die so zu erklären: in der Schwankkompilation Neithart Fuchs (vgl. Kap. 6.4) ist in der Illustration des ‚Bremsenschwanks‘ ein tanzender Bauer mit Stelzbein abgebildet (Abb. 13). Dabei fällt auf, dass das Holzbein des Bauern nur an das angewinkelte Bein an‐ 5.3. Neidharts Rache: der Possenreißer und die Freude am Tanzen und Prügeln 287 209 „Die Illustration dürfte ein Zeugnis dafür geben, wie der ‚Stelzentanz‘ der Bauern zur Zeit des Er‐ scheinens des ‚Neidhart Fuchs‘ dem Publikum bereits optisch vertraut war: durch die Inszenierung von Neidhartspielen.“ Dietl: Tanz und Teufel in der Neidharttradition, S. 400. Dietl interpretiert den Stelzentanz jedoch nicht komisch, sondern grotesk und hässlich; er „versinnbildlicht das unbe‐ herrschte und widernatürlich-hässliche bäuerliche Emporstreben.“ Ebd., S. 407. 210 Vgl. dazu für die Antike Garland, Robert: The Mockery of the Deformed and Disabled in Graeco-Roman Culture. In: Laughter down the centuries. Vol. 1. Hg. von Siegfried Jäkel u. Asko Ti‐ monen. Turku 1994, S. 71-84; und für das Mittelalter anhand von literarischen Zeugnissen Ménard, Philippe: Les Fous dans la Société médiévale. La Témoignage da la Litterature au XIIe et au XIIIe Siècle. In: Romania 98 (1977), S. 433-459. gebunden ist, es ist keine wirkliche Amputation abgebildet. Dies korrespondiert mit der Regieanweisung: „vnd pinten jn Steltzen an jre payn.“ 209 Die Bühnenwirkung einer solchen Maßnahme ist nicht hoch genug einzuschätzen. Alles, was die Bauern bisher schon an unkontrollierten Bewegungen vorgeführt haben, wird durch die Behinderung mit dem Holzbein auf die Spitze getrieben. Aus wilden, ungestümen Tänzen werden groteske Tänze, aus schnellen Bewegungsabläufen stakkatoartige Schritt‐ folgen mit Möglichkeiten zum Stolpern, Straucheln, Zusammenstoßen bis hin zum spek‐ takulären Sturz. Hier wird die archaische Behinderten- und Narrenkomik abgerufen, die im Mittelalter noch geschätzt wurde, wenn über jede Form der körperlichen Behinderung gern gelacht werden konnte. 210 Abb. 13: Bauerntanz mit Stelzbein (Neithart Fuchs, Augsburg 1491) Diese Steigerung der motorischen und proxemischen Intensität des Tanzes als grotesk-ko‐ misches Spektakel wird von einem crescendo der Gewalt unter den Bauern ab Z. 1888 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 288 211 Wie weit die bisherige Forschung vom komischen Verständnis dieser Szenen entfernt war, zeigt die Bemerkung Margetts, der die Verse offensichtlich überlesen hatte: „Wenn ein Großteil der Bauern in früheren Spieleinheiten ein Bein verloren hat, fragt man sich, ob sie in diesem Teil des Spiels noch Stelzen verwenden, was beim Tanz doch ziemlich unbeholfen aussehen müsste.“ Margetts, Neidhart‐ spiele, S. 293. begleitet. Der Tanz nach den Teufelsspiel wird mit den Anweisungen eingeleitet: „Da tantzen dy pawren mit denn diernnen / Vnd haben ir messer an der seytten gegurtat, Z. 1888 f.): Vnd lat vns vnser springen walten Wer da mit gemach will halten Vnd an frisch wunden beleyben Der las vns vnser schertz treyben Oder mir schlahen jm tieffen wunden Die nymmer werden gepunden (…) (Z. 1893-1898) Der Tanz auf einem Bein verbindet sich mit dem Wunden schlagen: der Bauer prahlt, er werde dem, der ihn beim Tanz stört (gemeint ist Neidhart), so tiefe Wunden schlagen, als wenn man einen Pflug durch das Fleisch geführt hätte (Z.1898-1902). Dennoch werden diese grausam scheinenden Gewaltphantasien schon an dieser Stelle mit „schertz treyben“ verbunden, sie sind also nicht ernst zu nehmen. Denn so viele Wunden und Hiebe sich die Bauern auch zufügen, ist die Grausamkeit doch in den theatralen Rahmen gebannt und folglich enthebbar. Die Bauern sind hier weit entfernt davon, den Bauernstand in der Wirk‐ lichkeit zu repräsentieren. Sie haben die Funktion von Karikaturen, Comic-Figuren ähnlich, die sich wiederholt die schlimmsten Versehrungen zufügen, danach aber immer wieder aufstehen. Dabei liegen wilde, groteske Tänze, Prügelei und Schlagen offensichtlich auf einer Ebene; sie sind motorisch-proxemische Exaltationen der Körper, die bei der Auffüh‐ rung mit akustischen Effekten ohne spezifische Bedeutung (Rufen, Schreien, Jauchzen, Fluchen) unterstützt werden und somit die Intensität der Konfusion steigern können. Das Ineinandergehen von Tanz und Rauferei führt dazu, dass die Bauern ihren Anführer, Engelmar, aus Neid über dessen Erfolg bei Friderun ebenfalls das linke Bein abhacken wollen. So spricht Wagendrüssel: „Jch will gen auff sein schaden / Dz sein pain werden vngeraden / Vnd vns geleich muess werden / Mit allen sein gepärden“ (Z. 2143-2146). Die Verse zeigen ohne Zweifel, dass sich die Bauern als Invaliden bewegen, und dass es auch auf diese Bewegung (gepärden) ankommt. 211 Wenn Engelmar den anderen in seinen Be‐ wegungen und Gesten gleichen soll, heißt das, er soll die gleiche Behinderung beim Tanz erfahren. Wenige Verse später kommt es zur Vollstreckung: „Vnd schlahen einander vn schlahen dem Englmar ain payn ab vnd hören darnach auff zu fechten“ (Z. 2260-62). Die Tänze, die im Prinzip Rahmungs- und Übergangsfunktion zwischen den einzelnen Schwänken haben, scheinen sich nach dem Teufelsspiel immer stärker auszuweiten und die Schwankhandlungen selbst zu überwuchern. Es wird im Großen Neidhartspiel quasi ständig getanzt, die Tänze nehmen einen weit größeren Raum ein als von der Ökonomie der Schwankfolgen vorgesehen. So zieht sich das Bauernspiel über 380 Zeilen hin (Z. 1890 bis 2273), nur um einen kurzen Einschub des Fassschwanks zuzulassen, der aber in gewisser Weise in die Bauernhandlungen integriert ist (Z. 2274-2300). Erst der folgende Streich, bei 5.3. Neidharts Rache: der Possenreißer und die Freude am Tanzen und Prügeln 289 212 Vgl. dazu Herrmann, Petra: Karnevaleske Strukturen in der Neidhart-Tradition, S. 214 f., die in Lucifer das teuflische Abbild Neidharts erkennt. 213 Die Kritik an der Kleidung und Ausrüstung der Bauern wurde bisher als Übernahme traditioneller Topoi der Ständedidaxe gesehen. Vgl. Margetts, Neidhartspiele, S. 291. dem Neidhart nach seiner Flucht wiederkehrt und sich als sein eigener Rivale ausgibt, hat dann wieder die Länge des Schwertfeger- und Kuttenschwanks. Vom grotesken Tanz beherrscht wird auch das Teufelsspiel, das die Funktion eines Zwi‐ schenspiels einnimmt, da es auf die Fortführung der Handlung keinen Einfluss hat. Die Teufel treten in Z. 1600 in Erscheinung, handlungslogisch zwischen dem Schwertfeger- und Kuttenschwank und vor der großen Tanz- und Prügelszene in Zeiselmauer. Die Teufel sind dabei als eine Art groteske Übertreibung der Bauern zu sehen; auch sie erscheinen auf der Bühne ständig in Bewegung, sie laufen, springen, hüpfen, und anzunehmen ist auch, dass sie obszöne Gesten und Grimassen aufführen, wie dies in der Tradition der Osterspiele der Fall ist. Die Szene beginnt mit einem großen Hin- und Herlaufen der Teufel, was den Ein‐ gangsworten Lucifers und den Bühnenanweisungen zu entnehmen ist: Wolher wolher wolher Aller meiner gesellen ich peger Die anderen tewfflen lauffen all aus der helle. (Z. 1604-06) In seiner Eingangsrede spricht Luzifer die magischen Worte: „Poldrius paldrius poldriang / Das sind starcke teufflische wort“ (Z. 1615 f.), mit denen die Teufel durch Nachsprechen ihren Herrn ehren sollen und sich gleichzeitig seiner dämonischen Kraft bei ihrer Aufgabe, die Seelen der Bauern zu fangen, versichern sollen. Die Wortkomik des Zauberspruchs macht die ganze Rede Luzifers lächerlich, denn sie erinnert an einen grotesken Schwur: Da singen die Teüffl all mit einander dz gesangk: Luciper vnserem heren Süllen wir alle eren Poldrius paldrius poldrianus (Z. 1632-35) Wie später die Bauern machen sich die Teufel mit ihrem Singen lächerlich. Neben dem sich selbst als ridikül ausweisenden rituellen Sprechen sind es vermutlich die tonalen Aspekte der Stimme der Teufel, die hier neben den unkoordinierten Bewegungen den komischen Effekt ausmachen. Dazu kommt die Umkehrung bekannter Zeichencodes: die Teufel sind als Gruppe nicht anders strukturiert als die Ritter und die Bauern: sie leisten den Befehlen ihres Anführers Lucifer Folge. 212 Dieser hat nun als Oberteufel die Aufgabe, eine sozialkri‐ tisch motivierte Ständekritik an den Bauern auszusprechen, um ihre Sündhaftigkeit zu brandmarken. 213 Er beschreibt ihre Kleidung als ihrem Stand unangemessen und (im Sinne der Neidharttradition) herausfordernd. Diese soziale Unangemessenheit und Übertreibung wird insofern verkörpert, als die beschriebenen Kleidungsstücke den Bauern auch nicht am Leibe passen: Sie sind zu lang, zu eng, sie schleifen auf dem Boden, zwicken im Schritt, sitzen nicht recht, behindern beim Gehen und Laufen: Ir kappentzipfl ist lang vnd zersnitten Er wischet ars wol da mitte 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 290 214 Vgl. dazu Gvozdeva, Katja: Rituale des Doppelsinns. Zur Ikonologie des Charivari-Kultur im Spät‐ mittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: Ikonologie des Performativen. Hg. von Christof Wulf u. Jörg Zirfas. München 2005, S. 133-150. 215 Anders Sowinski, der das Teufelsspiel als Hinzufügung der transzendental-religiösen Dimension erkennt. Vgl. Sowinski, Die Teufelsszenen, S. 316 f. 216 Die Möglichkeit, dass beim nun folgenden großen Bauerntanz die Teufel während der ganzen Zeit präsent sind und die Bauern bei ihren Handlungen und Reden pantomimisch begleiten, halte ich zwar für möglich, doch eher unwahrscheinlich, da das Teufelsspiel eine eigene, in sich abgeschlossene Handlungseinheit darstellt. Jr röck die sein ennge Wen er jn hat angetan Dz er nicht schreytten kann. (Z. 1693-97) Hier wird bei der Aufführung nicht auf die entsprechenden Gesten und vermutlich obs‐ zönen Körperbewegungen verzichtet worden sein, die wie zuvor das gestische Sprechen der Teufel unterstützen. Es bleibt also nicht bei einer didaktisch motivierten Ständekritik, sondern die sprachlich-gestische Nachahmung der falsch gekleideten Parvenüs unterliegt komisch-parodistischen Vorzeichen und wird mit Sicherheit Gelächter im Publikum erregt haben. Dabei oszilliert die Wirkung des Teufelsspiels ständig zwischen der Repräsentation des bösen Prinzips, das sich der Bauern bemächtigt und ihre folgenden Untaten motiviert, und der gleichzeitigen Präsenz einer zum Popanz gewordenen Teufelsschar, die eher einer ausgelassenen Bande Halbwüchsiger gleicht, wie wir sie etwa aus den burlesken Rüge‐ bräuchen der Jungmännerbünde des Spätmittelalters kennen. 214 Die Teufel setzen zwar das Böse in Gang und tanzen in Vorfreude auf ihren Erfolg („das die hel wird selen vol“, Z. 1817), doch tun sie es auf lächerliche Weise, eine Art performativer Selbstwiderspruch im komischen Auftritt. Somit kann das von den Teufeln verkörperte Böse vom Publikum ebenso verlacht werden wie die Affektdarstellung der Bauern, denn beide erfolgen im ko‐ mischen Modus. 215 Nichts könnte dies anschaulicher machen als die Botschaft Sathanas an Lucifer, er habe die den Bauern abgeschlagenen Beine aufgesammelt und wolle sie ihm zeigen. Dieser be‐ fiehlt, die Beine in die Hölle zu bringen, gewissermaßen als erste Trophäen („Klaub sy auff vnd trag sy jn die helle“, Z. 1766), auf die die Seelen folgen müssen. Das Zwischenspiel endet mit dem Auftrag „Laufft pald vnd saumbt euch nit mer“ (Z. 1819), wobei erneut ein heftiges und ungestümes Durcheinander einsetzt, denn die Teufel mischen sich unter die Bauern: „Da lauffen dye teüfflen vnder den pawen“ (Z. 1820). Hier ist durchaus ein gemeinschaft‐ licher Auftritt pantomimischer Art der Teufel mit den Bauern denkbar, um die Verführung der Bauernschaft auch szenisch greifbar zu machen. 216 Neben der Komik des Tanzes und der grotesken Bewegungen ist Verkleidung und Ver‐ stellung der zweite große Komplex des Spiels, der auf Lachen angelegt ist. Die Rache‐ schwänke Neidharts sind es, die das semantische Gerüst des Spiels ausmachen. Aus der Schmähung und Erniedrigung des Veilchenschwanks heraus motiviert, stellen sie Aktionen des Possenreißers gegen die Bauern dar, welche diese schädigen, doch gleichzeitig in der Schwanklogik des Lächerlich-Machens verbleiben. Es handelt sich beim Spiel also keines‐ wegs um blutige Auseinandersetzungen zwischen Rittern und Bauern, die in Szene gesetzt werden, sondern um die Aufführung von Possen, die den Bauern zum Scherz gespielt 5.3. Neidharts Rache: der Possenreißer und die Freude am Tanzen und Prügeln 291 217 Margetts, Neidhartspiele, S. 290 meint: „Viel mimisches Geschick wird in der Szene verlangt, wenn Neidhart den Bauern eine Platte schert“. 218 So erkennt auch Margetts hier: „Wie im ersten Teil des Spieles spielen wiederum Tanz oder tanzartige Bewegungen und Gesang eine Rolle im Spielgeschehen. Die Bauern werden durch unharmonischen Gesang noch mehr zu Spottfiguren (1552 f.)“. Ebd., S. 291. werden, welche jedoch, um ihre theatrale Wirksamkeit zu steigern, mit einer exaltierten, doch inszenierten und damit schmerzlosen Gewalt einhergehen. So präsentieren die vier aufgeführten Streichkomplexe Neidharts immer wieder dasselbe Muster: Neidhart verstellt sich in einer bestimmten Verkleidung und bringt die Bauern dazu, etwas gegen ihre Interessen zu tun (die Schwerter abzuliefern, den Schlaftrunk zu trinken und vor dem Herzog zu singen, Neidhart eine Belohnung für die Ergreifung von sich selbst zu zahlen); aus dem Rahmen fällt der Fassschwank, der Neidhart eine Beobachtungsposition in seinem Versteck, dem Weinfass zuschreibt, die für die letzte Szene, die Rehabilitation beim Herzogspaar, entscheidend ist. Interessant ist nun, dass auch die Schwänke von be‐ wegungsintensiven Handlungen der Bauern begleitet werden: Als Neidhart „in gestalt eins schwert fegers“ (Z. 1181 f.) erscheint, laufen die Bauern zu ihm hin („Jch lauffen will auff disem geuert / Jch sich do ain maister stan / Den will ich mirs vegen lan“ (Z. 1999-1201)). Das aktionistische Sprechen korrespondiert mit dem eiligen Laufen im Schwank, die Bauern laufen quasi körperlich in ihren Betrug hinein. Die motorische Transgression der Bewe‐ gungen auf der Bühne wird dann mit der Transgression des zweideutigen Sprechens der Bauern kurzgeschlossen (obszöne Nebenbedeutung von „Schwert“): „Mein swert ist mir verrost / Wz mich das gen euch kost / Dz solt ir mir vegen“ (Z. 1216-1218). Da wollen die anderen Bauern nicht abseits stehen: Weiteres Laufen und Bewegung, auch Schreien indi‐ ziert Vlhawsknecht, der Schnablrausch herbeiruft: „Wolher wolher schnablrausch / wir süllen vnser swert wetzen auch.“ (Z. 1234 f.). Nachdem Neidhart nun allen Bauern die Schwerter abgenommen hat, benutzt er eine Metapher, die das Verhalten der Bauern tref‐ fend erklärt: er will sie [die Schwerter] „schlagen vnd stossen als jn die jungen sewen“ (Z. 1248). Daraufhin ergreifen die Bauern die Flucht: „Vnd die pawren gebent die flucht“ (Z. 1252), und die Szene endet wiederum mit ungeordnet und wild durcheinander laufenden Bauern. Bald darauf sieht man die Bauern wieder beim Tanz, als Neidhart in seiner zweiten Ver‐ kleidung erscheint: „Da tantzen aber die pawren / Vnd der Neythart kumbt aber jn gestalt ains Munichs“ (Z. 1341 f.) Neidhart nimmt den Bauern die Beichte ab, macht sie betrunken, schert ihnen im Schlaf eine Tonsur und steckt sie in Mönchskleider. 217 Die so Getäuschten führt er dann vor den Herzog, wo sie geistliche Lieder singen sollen, doch nur unflätige, grobe Bauernverse zum Besten geben. Entscheidend ist jedoch der unharmonische Ge‐ sang, 218 den sie aufführen: Da singen die pawren all vnder einander Awe ich gan ain weyttes loch Hiet ich nu ain grosses koch Die kue ist vngemolchen noch Wie mag ich mich erffüllen doch Da get der hertzog vnd Neythart wider dannan 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 292 Vnd die pawren haben wider an zu singe vnd singt ein yeglicher wz er will (Z. 1546-1553) Auch hier können die Regieanweisungen und der Sprechtext die Wirkung der Aufführung nur unvollständig wiedergeben, da sie den akustischen Effekt nicht zu reproduzieren ver‐ mögen. Dennoch muss hier mit einer hohen Intensität suprasegmentaler Elemente der sprachlichen Äußerungen sowie mit einer imitativen Veränderung der Stimmmerkmalen (Stimmqualität, Stimmhöhe, Stimmkontrolle, Rhythmuskontrolle) gerechnet werden. Handlungen und Sprache sind nicht in erster Linie Medium der Informationsübertragung, sondern vor allem wirkmächtiger Modus der Produktion von Emotionen und Wirkungen in einer Situation der Kopräsenz zwischen Akteuren und Zuschauern. Es bleibt die Frage, in welchem Maß es den Laienschauspielern des Neidhartspiels ge‐ lungen ist, die Möglichkeiten der intentionalen Modulation, der Variation und der insze‐ nierten Verstellung der Stimme zu nutzen. Die Regieanweisung „singt ein yeglicher wz er will“ weist zumindest darauf hin, dass die Bauern, wenn nicht falsch, so in jedem Fall durcheinander singen, was einer grotesken Parodie auf die mittelalterliche Vorstellung von der Musik als Ausdruck göttlicher Harmonie gleichkommt. Dafür werden sie im Anschluss auch bestraft, wenn Ritter Gabein sie vom Hof einfach fortjagt, und das Amüsement über falsches Singen sich mit demjenigen über Prügeln und Jagen wiederum verbindet: Lieben kind jr solt mir volgen Ewrs vaters küe sten noch vngemolchen Get haym dz ir vnsälig seyt Oder ich schlach ewch mit ain scheyt Da lauffen dye pawren aus dem kloster hyn zu Jren stant (…) (Z. 1578-83) Der dritte Schwank, der Fassschwank ist schließlich auf die im zweiten Teil (nach dem Zwischenspiel der Teufel) vorherrschende Verbindung von Tanzen und Raufen der Bauern konzentriert. Neidhart versteckt sich im Fass und kann somit den um sich greifenden Zwist und die Selbstschädigungen der Bauern, die ich oben bereits im Zusammenhang mit den komischen Bewegungsmustern untersucht habe, aus der Nähe mitverfolgen. Er fungiert hier als ein Beobachter erster Ordnung, der die Situationsspaltung zwischen Bauernszene und Publikum gewissermaßen ‚verkörpert‘, indem er anwesend ist, ohne dass die Bauern ihn bemerken. Somit wird er zum Garant einer Dynamik, in welcher sich die Bauern vor dem Publikum in ihren Aktionen und Bewegungen selbst lächerlich machen. Doch warum sind die Bauern so erzürnt, als sie ihn entdecken? Wir erfahren es im fol‐ genden letzten Schwank, wenn Neidhart nach seiner Flucht als sein eigener Widersacher nach Zeiselmauer zurückkehrt. Die Bauern erkennen ihn nicht und eröffnen ihm, dass sie es als Schande ansehen, von Neidhart belauscht worden zu sein, weil sie fürchten, dieser nutze seine Erfahrungen dazu, ein neues Lied über sie zu singen: Dar jnn er doch verporgen lag Vnd alle trunckenheit von vns sach Da mit er vns wart krencken Vnd newe leid erdencken 5.3. Neidharts Rache: der Possenreißer und die Freude am Tanzen und Prügeln 293 219 Darauf komme ich ausführlicher in Kap. 6.4. zurück, da diese Stellung im Neithart Fuchs viel genauer ausgearbeitet ist. Dz wirt vns ain smacheit sein Vnd vmsrem hertzen ain grosse pein. (Z. 2365-2370) Die Furcht der Bauern vor Neidhart hat hier nichts mit körperlicher Gewalt zu tun; seine Macht liegt darin, sie nicht nur hic et nunc, sondern sie gewissermaßen auch in der zer‐ dehnten Kommunikationssituation des wiederholbaren und immer wieder aktualisierbaren Liedersingens und daher für immer lächerlich zu machen. Die eigentliche Macht Neidharts ist nicht das Schlagen, sondern das Singen, die Macht der medialen Vervielfältigung. Auf einmal erscheint Neidhart als der Schwache, Listige und die Bauern als die körperlich Überlegungen - was ihre abschließenden Prahlereien, sie würden ihn „zerhawen (...) so gar / Kopff arm ripp vnd den leyb“ (Z. 2426 f.) bestätigen. Hier wird die Zwischenstellung Neidharts als Sänger und Possenreißer zwischen Hof und Bauern offenkundig. 219 Doch wieder sind die Bauern betrogen. Als der falsche Neidhart verspricht, ihnen den echten auszuliefern, zahlen sie ihm einen Vorschuss und beginnen in Vorfreude zu tanzen: „So heben dye pawren wider an zu tantzen (...)“ (Z. 2495). Die inszenierte Schwankreihe mündet in die Abschlussszene des Spiels: Neidhart ist wieder am Hof beim Fürstenpaar und erzählt seine Abenteuer. Erneut wird der Fassschwank in seinen Einzelheiten wiedergegeben, wobei die Listen und die bravouröse Flucht des Rit‐ ters im Mittelpunkt stehen. Interessant ist nun die Stellung der Bauern aus dieser nachträ‐ glichen Erzählperspektive: Sie werden in ihren skurrilen und lächerlichen Handlungen be‐ schrieben, wobei Bewegung, Triebhaftigkeit und Schlagen wieder die Hauptaspekte sind: Sy lieffen als sy der teüffl gayt Mit zogen schwerten zu dem haus (...) Do huien vnder einander sich Vnd haben gewundt jren haubtman Sein linkes pain abgeschlan. (Z. 2510-2520) Es wird klar, worüber sich der Herzog und die anwesenden Ritter amüsieren: über die törichten Handlungen und Gesten der Bauern. Denn direkt nach Neidharts Erzählung äußert der Herzog den Wunsch, auch selbst einmal die Bauern zu beobachten und bittet Neidhart, ihm dies zu ermöglichen: Wollten wärlich geren da sein Dz sprich ich auff die trewe mein Künde ich haymlich kömen dar Dz sy mein nit wurden gewar Vnd sollte jr gepard schawen Des wolt ich mich ain jar frewen. (Z. 2526-2531) Das sind die zentralen Verse im Neidhartspiel. Sie eröffnen dem Publikum einerseits, dass Neidhart für den Herzog als Possenreißer arbeitet. Der Herzog will die Bauern auch aus nächster Nähe sehen und ebenso kräftig über sie lachen dürfen. Andererseits verdeutlichen sie auch, worüber hier gelacht werden kann. Nichts anderes als die gepard der Bauern sind 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 294 220 Hier wird noch einmal deutlich, dass die Diffamierung des Tanzes der Bauern, der in Prügelei über‐ geht, im Großen Neidhartspiel im komischen Rahmen vollzogen wird. Das Gegenmodell des höfi‐ schen Tanzes mit seiner Körperbeherrschung ist zwar ein heilloser, unkontrollierter Tanz, der vor allen Dingen ein lächerlicher, grotesker Tanz ist. Daher dürfte die Lesart Dietls, die Bauern seien „teuflisch Tanzende“, hier weniger überzeugen. Vgl. Dietl, Tanz und Teufel in der Neidharttradition, S. 392. 221 Der nächste Sprecher ist ein Ritter, der den Satz des Herzogs wiederholt: „Dye gepärd die sy han / Vnd das dröen dz sy neytharten thůn / Wie sy jn wollten zu reyssen als ein hůn.“ (Z. 2536 ff.). 222 André Tissier, der Herausgeber der Farce-Texte, definiert sie so: „une petite pièce, incorporée à un spectacle édifiant pour détendre les spectateurs“. Tissier, André (Hg.): Farces Françaises de la fin du Moyen Âge. Transcription en francais moderne. 4 Bde. Genève 1999, S. 9. 223 Tissier, André (Hg.): Recueil de Farces (1450-1550). 13 Bde. Genève 1986-2000. 224 Vgl. Hüsken, Wim, Schoell, Konrad u. Sondergard, Leif (Hg.): Farce and farcical elements. Amsterdam 2002, S. 11. Die Verbindung der Autoren der Farcen im 15. Jh. mit den sociétés joyeuses, den Nar‐ rengemeinschaften, ist gut belegt. So treten die Basochiens und die Enfants-sans-soucis als Veran‐ stalter un Akteure von Sottien und gleichzeitig Farcen auf. lächerlich, an ihnen kann sich der Herzog ein ganzes Jahr lang erfreuen. 220 Was aber ist mit gepard gemeint? Es sind die lächerlichen Bewegungen der Bauern in ihrer Gesamtheit, beim Tanz und beim Prügeln, beim Laufen und Schreien, aber auch beim Prahlen und Fluchen, bei welchen der Zuschauer von einer Decodierung repräsentierter Zeichen enthoben ist. 221 Der Herzog will damit auch über etwas lachen, was das Publikum selbst gerade erlebt hat: die Rollenfigur - in unserem Fall der Text - reflektiert sich als aufgeführte(r) und strebt nach der Beobachterposition, nach dem Außen des aufgeführten Rahmens. Das Lachen der Zuschauer, Ziel der Aufführung, verschmilzt mit dem Lachen der Figuren. Zum Abschluss schenkt der Herzog Neidhart ein Pferd, damit er sich künftig noch besser retten kann, die Herzogin überreicht ihm vier lange Tücher von Gent, traditionelle Gaben für Fahrende, Gaukler - und Possenreißer. 5.4. Farce und Sottie: Körper, Sprache und Lachen in der actio Der Begriff Farce ist seit dem 14. Jahrhundert im Französischen in Gebrauch und bezieht sich auf ein kurzes, einfaches, auf das Lachen ausgerichtetes szenisches Stück, das in der städtischen Kultur des Spätmittelalters seinen Ursprung hat. Es gibt Hinweise darauf, dass Farcen als Interludien von Mysterien- und Mirakelspielen fungiert haben, aber auch darauf, dass sie als autonome Einzelstücke aufgeführt wurden. 222 Aufführungsbelege von Farcen besitzen wir seit dem 14. Jahrhundert, die Blüte des Genres erfolgte, ähnlich wie beim Fast‐ nachtspiel - im 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Der Bestand an Farcen, die überliefert sind, beläuft sich heute auf knapp 180 edierte Texte. 223 Die Autoren der Farcen sind heute weitgehend unbekannt; ihre Entstehung muss im Zusammenhang des gebildeten Bürgertums der Städte gesehen werden, vermutlich im studentischen Umfeld. Die Auffas‐ sung, dass es sich bei der Farce um eine populare Gattung gehandelt habe, ist heute wider‐ legt. Vielmehr scheint auch sie die gesamte städtische Bevölkerung als Publikum ange‐ sprochen zu haben. 224 5.4. Farce und Sottie: Körper, Sprache und Lachen in der actio 295 225 Eine Farce hat in der Regel 300-400 Verse, ist in einer derben Alltagssprache verfasst und in paarigen Achtsilbern gereimt. 226 Tissier, Farces Françaises, S. 9. 227 Vgl. Rey-Flaud, Bernardette: La farce où la macine à rire : Théorie d’un genre dramatique, 1450-1550. Genève 1984. 228 Nichols, Four principles of Laughter in Medieval Farce, S. 193. 229 Ebd. 230 Ebd., S. 194. Häufig bleibt die Farce Fragment; 225 sie entwickelt „une situation plus qu’une intrigue“ 226 , sie setzt sich aus einer Folge von sprachlichen und körperlichen Bewegungseinheiten zu‐ sammen, die mehr eine Szene als eine dramatische Handlung beschreiben. Wie beim deutschsprachigen Fastnachtspiel stammen die Figuren der Farce aus dem Alltag und sind überzeichnete soziale Typen: der Narr (badin), die Ehefrau, der Ehemann, der alte Mann, der Verliebte, der Priester, der Kaufmann, der Schuster oder der Bäcker. In dieser Allge‐ meinheit können und sollen sie keine Subjektivität oder Identität entwickeln, sie sind keine dramaturgisch ausformulierten Personen, denn ihr gesamter Auftritt dient der Unterhal‐ tung, sie ist eine “machine-à-rire“, wie Bernadette Rey-Flaud es formuliert hat. 227 Ihr einziges Ziel ist es, die Zuschauer zum Lachen zu bringen. Obwohl die Texte kaum moralische Intentionen aufweisen, hat man bisher geglaubt, dass sie menschliche Schwächen und Unzulänglichkeiten als Anlässe zum Lachen aufführen. Doch auch diese Lesart verlässt sich noch zu sehr auf eine funktionierende Kommunikation der Sprache, in der semantisch codierte Zeichen abgerufen und mehr oder weniger ein‐ deutig gelesen werden können. Nichols hat in einem bemerkenswerten Beitrag jedoch dar‐ gelegt, dass das Lachen der Farce ganz an den Körper der Akteure und ihren actus im Sinn des antiken Dramas geknüpft ist: an die Aktion, das Tun, den Vollzug von Handlungen auf der Bühne: Farce is a performative mode that stages itself above all on the body, the body made visible, as well as with the body. This is, after all, the etymological sense of the term drama. Drama was Greek for what Latin rendered as actus, the actor being the performer or doer, both linked to the verb ago, ‚to do, act, or perform‘. 228 Nichols unterscheidet vier Prinzipien, nach denen Lachen zum Modus der Farce wird: 1. Lachen über Sprache als Bild, 2. Lachen über den Körper, 3. Lachen über unmotivierte Handlungen, und 4. Lachen über unmotivierten Terror. Alle vier basieren auf der actio, und auf der Prämisse, dass durch die Verklammerung von actio und Gelächter versucht wird, eine spezifische Bedeutungsproduktion zu vermeiden: „It is not subversive of meaning or the possibilities of representation so much as simply meaningless, unmotivated action.“ 229 Stattdessen soll die Konzentration auf die actio die Erwartung der Übermittlung didakti‐ scher oder überhaupt sinnhafter Inhalte seitens der Zuschauer reflektieren. Lachen spielt somit eine Schlüsselrolle für die Entwicklung von Skepsis gegenüber dem Repräsentierten, gegenüber der Eindeutigkeit von Zeichenbedeutungen. Das Lachen, welches die Farce re‐ giere, erreiche diese Skepsis, eine frühe Form der Erwartungsenttäuschung oder Desillusi‐ onierung, indem es extravagante Gebärden und minimale Bedeutung miteinander kurz‐ schließt. 230 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 296 231 Eine ausführliche Beschreibung des badin gibt Mazouer, Charles: Der badin der Farce. In: Der komi‐ sche Körper. Szenen - Figuren - Formen. Hg. von Eva Erdmann. Bielefeld 2003, S. 83-88. Nach Mazouer ist der badin ein Schauspieler mit einer klar umrissenen, anspruchsvollen Aufgabe. Dafür wurde der beste und talentierteste Schauspieler ausgewählt. 232 Vgl. dazu Schoell, Konrad: La farce du quinzième siècle. Tübingen 1992, S. 43-49. 233 „Du point de vue du langage, le Badin est autant celui qui parle que celui qui agit. La souveraine liberté du personnage indique qu’à l’abondance des gestes et des mouvements correspond un flux de paroles“. Mazouer, Charles: Un personnage de la farce médiévale: Le Naïf. Revue d’histoire du théâtre 24 (1972), S. 144-161, hier S. 149. 234 Vgl. Kap. 3.2. Blicken wir auf das erste Kriterium, das sich unserer Untersuchung insofern einfügt, da die Lächerlichkeit der Sprache als Bild bereits in den Neidhartspielen anhand der Namens‐ komik und der performativen Sprachgesten erschienen ist. Auch in der Farce wird Sprache visualisiert und verleiblicht, bzw. konsequent auf ihre gestischen und akustischen Poten‐ tiale zurückgeführt. Die unerwarteten neuen Perspektiven, die sich dabei ergeben, erregen Gelächter. Sprache wird allerdings nicht zu einem seinen Gegenstand zeigenden Bild, hier geht es nicht um eine Bildbeschreibung im Sinne der Ekphrasis, sondern es geht viel banaler um das Fehlen von Bedeutung, das Fehlen von decodierbaren Zeichen und somit das Nicht-Zustandekommen von Kommunikation. Dies kann an der Figur des badin gezeigt werden. Die Bezeichnung „badin“ wird synonym für Schauspieler, Possenspieler und Gaukler verwendet. Der badin ist derjenige Schau‐ spieler, der den Narren spielt und die Zuschauer zum Lachen bringt. Die Figur ist durch ihre physische Erscheinung gekennzeichnet: durch ihr Narrenkostüm, ihr körperliches En‐ gagement und ihre Dynamik auf der Bühne, die übermütigen Bewegungen, die bis weit in akrobatisches Können hineinreichen, sowie durch gestische Vielfältigkeit. Parallel dazu finden sich ähnliche Merkmale in seiner Redeweise wieder. Er spricht schnell, hastig, ohne Sinn und Verstand und spielt ständig mit den Wörtern. 231 Der Badin hat viele Namen: Jehan, Jenin, Jeninot, Mimin, Colin, er ist meist einfach ein junger Mensch, häufig auch ein Diener. Wie die Narren des Fastnachtspiels handelt er nach dem Lustprinzip, ist leichtgläubig, kindisch, und von einer überbordenden Vitalität ge‐ kennzeichnet. Typische Züge sind das Nachäffen, und daran macht sich auch seine kon‐ stitutive Zweideutigkeit zwischen natürlicher und gespielter Dummheit fest, sowie trieb‐ haftes Essen und jede Form der Defäkation. Wie Trickster und ritual clowns sprechen badin-Figuren ständig von ihrem großen Hunger und essen bei jeder Gelegenheit; das Uri‐ nieren und geräuschvolle Flatulenz gehören zu ihrem Repertoire. 232 Der badin ist somit ein feststehender Typus mit weitem Raum zur Improvisation, eine konventionalisierte, jeder‐ zeit erkennbare komische Figur, ein stock character, dessen zentrale Aufgabe es ist, im Dienste des Lachens Sprache in Gestik und Körperbewegungen zu verwandeln. Er gehört zum Rahmen des Lachens wie zum komischen Spiel, sein Auftritt kommt einem Lachsignal gleich und ist Anstoß des komischen Verlaufs der Szene, dabei zeichnet er sich sofort durch sprachliche und körperliche Hyperagilität aus. 233 Diese enge Relation kommt der christli‐ chen Verbindung von multiloquium, stultiloquium und scurrilitas gleich, die die scholasti‐ schen Kommentare zum Epheserbrief dominiert hatte. 234 Der badin stellt nicht Sprache an sich aus, noch linguistische Kompetenz oder Kreativität, sondern etwas, das Nichols „gesture-in-language“ nennt: die körperliche Komponente der 5.4. Farce und Sottie: Körper, Sprache und Lachen in der actio 297 235 „Hoch ! Aufspringen, höher ! / Halb umdrehen, jetzt den schwierigen Sprung! / Jetzt vor, jetzt zurück. Hoch - mir ist heiß, / Mir ist kalt. Hat er’s nicht gut gelernt? / Kein Zweifel, wir werden den Preis gewinnen / Für Badinage, das wird das Ergebnis sein.“ Tissier, André: La Farce en France de 1450 à 1550. Tome 2, S. 195 (Übers. HRV). 236 Nichols, Four Principles of Laughter in Medieval Farce, S. 196. Sprache. So ist sein Mund kein Instrument zum Sprechen, sondern ein Bild, eine Geste. Es ist ein Mund, der sich nicht öffnet, damit Sprache aus ihm kommt, sondern der bei der Geste des Öffnens verharrt, um damit actio zu produzieren. Die Sprache wird in lächerliche Gesten verwandelt. In der Farce du Bateleur fordert der Gaukler (bateleur) den badin, seinen Diener, auf, dem Publikum die einstudierten Kunststücke zu zeigen. Er bellt ihm seine Anweisungen entgegen, welche nichts anderes beschreiben, als was das Publikum sieht. Hault! Deboult! Le demy tour, le souple sault! Le faict, le defaict. Sus, j’ay chaut, J’ey froid. Est il pas bien apris? En effect nous aurons le pris De badinage, somme toute. (V. 15-20) 235 Das Lachen entsteht aus einem code-switching zwischen Sprachlichkeit und Körperlichkeit heraus, dem physischen Gebrauch der Sprache, ihrer Ausführung als Aufführung. Indem der badin tut, was der bateleur befiehlt, wird er in die Rolle eines dressierten Tieres gerückt. Durch die leibliche Visualisierung der Worte kommt es zu einem zweiten code-switching, der Körper des Menschen verwandelt sich in ein dressiertes Tier. Diese „Interferenz der Reihen“ (Bergson) wird aber erst in den sprachlichen Befehlen entsprechenden Bewe‐ gungen des badin erkennbar und dann zum Lachanlass. So sind es weder die ausgespro‐ chenen Befehle, noch die akrobatischen Körperinszenierungen des badin für sich ge‐ nommen, wodurch Lachen erregt wird, sondern ihre Kombination in einer parodistischen Doppelrelation zwischen Herr und Knecht sowie Dresseur und Tier. Lachen über diese gestischen Sprechhandlungen ist dann keine Antwort, keine Reaktion des Publikums, son‐ dern eine in das Spiel selbst eingeschriebene Handlung, die die Zuschauer auszuführen haben. „The characters play the scene self-consciously marked for laughter, and the au‐ dience laughs on cue; both actions are convention, both part of the conjunction of language and physical gesture.“ 236 Wie die physischen Bewegungen und Handlungen des badin die sprachlichen Auffor‐ derungen des bateleur performativ ausführen, so führen die Zuschauer mit ihrem Lachen körperlich das aus, wozu die Interaktion zwischen den beiden Akteuren sie auffordert. Wie der badin wird auch das Publikum aufgefordert, zuzuhören und zuzuschauen („baer! badar! “), wie die Akteure ihr Skript in Handlung umsetzen, und ihrem Skript zu folgen, nämlich ihre visuellen und akustischen Wahrnehmungen performativ auszuführen, sie in Gelächter umzusetzen. So entspricht das (für die Farce unverzichtbare) Lachen des Publi‐ kums als eine physische Konvention der Akrobatik und den Gebärden des badin. In der actio der Farce werden demnach Sprache und Körper auf der Bühne mit den Kör‐ pern und ihrem Klang vor der Bühne kurzgeschlossen, und das Lachen wird zum vitalen Teil des Spiels selbst. Das Publikum nimmt an der Farce als selbständiger Akteur teil, es 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 298 237 Vgl. dazu mit Bezug auf die religionsgeschichtlichen Überlegungen de Certeaus und Lyotards: Warning, Rainer: Auf der Suche nach dem Körper. Das Imaginäre des geistlichen Spiels. In: Ritual und Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Hg. von Hans-Joachim Ziegeler. Tübingen 2004, S. 343-360. 238 Faivre, Bernard: Répertoire des farces françaises: des origins a Tabarin. Paris 1993, Nr. 59, S. 107. tritt in den Raum des Spiels über seine eigene performative Rolle als Produzent des Lachens ein. Indem die Zuschauer lachen, schließen sie mit den Akteuren eine Art rituellen - nicht ästhetischen - Pakt ab, sie nehmen sich gegenseitig wie in der spiegelbildlichen Gegen‐ überstellung von Sprache und Gebärden wahr. Insofern wird die Anthropologie des Lachens über einen Akt des Selbst-Bewusstseins und der Selbst-Referentialität gewährleistet. Dar‐ steller und Zuschauer konstituieren sich im Lachen als Gruppe und Gemeinschaft. Das zweite von Nichols‘ Kriterien thematisiert den Körper als Subjekt und Objekt des Lachens. Die Figuren in der Farce sind entpersonalisierte Wesen, wie die Narren des Fast‐ nachtspiels. Es sind keine Personen mehr, sondern nur noch Körper, pure Körper, mit denen komische Handlungen vollzogen werden können. Diese vollkommen fehlende Personali‐ sierung ist das Gegenstück zu biblischen und heiligen Figuren auf der Bühne des geistlichen Spiels: deren Körper ist symbolisch, er ist abwesendes Zeichen, wie der Körper Christi im leeren Grab. 237 Diese Körper des Imaginären haben eine klar umrissene allegorische Iden‐ tität, sie sind funktionale Träger des Heilsgeschehens. Dagegen sind in der Farce mit den Körpern auch ihre sprachlichen Handlungen ohne imaginäre Referenten; sie sind für den rationalen Diskurs dysfunktional. Dies ist etwa am für die Farce geläufigen Prinzip der Verwandlung des Körpers einzelner Akteure zu erkennen. So glaubt in Georges le veau der Bauer Georges, der nicht recht weiß, wer er ist, er sei ein Kalb. Wie die Bauern im Neidhartspiel kann auch hier der Betrogene den Betrug nicht erkennen und gibt seine schon zuvor nur schwach gefestigte Identität gänzlich auf: er zieht ein Kalbsfell über und geht am Ende noch freiwillig ins Schlachthaus. Durch die Verwandlung in einen Tierkörper nimmt Georges auch dessen Charakteristika an. Er geht auf allen Vieren, brüllt wie ein Kalb, defäkiert wie ein Kalb - er wird zum Kalb, und damit zum reinen Körper. Die Transgression der Grenze zwischen Mensch und Tier kann jedoch niemals gänzlich vollzogen werden, da die Zuschauer ja immer noch Georges als Kalb wahrnehmen. Die Verwandlung spielt sich somit in einem Zwischenraum ab, in welchem menschliche Person und tierischer Körper interferieren, als Überlagerung unter‐ schiedlicher Ganzheiten zu einer lächerlichen Hybride. Das Lachen ergibt sich aus der völ‐ ligen Annullierung der Identität der Figur und ihrer freiwilligen Degradation zum Körper, welche der Plessnerschen unfreiwilligen Desorganisation des Körpers auf der Seite der Zuschauer entspricht. Weitere groteske Transformationen des Körpers finden beispielsweise in der Farce über Martin statt, 238 wenn sich dieser sich in einen Esel verwandelt, der Lasten schleppt und die Karre seiner Frau zieht, im Gegenzug aber auch eine Reihe von Fürzen loslassen darf; oder auch in den Farcen der Frauen, die ihre Männer umschmelzen und der Farce der Männer, 5.4. Farce und Sottie: Körper, Sprache und Lachen in der actio 299 239 Koopmans sieht in solchen Konstellationen ein modern anmutendes „Theater der Grausamkeit“; er beachtet dabei zu wenig den theatralen Spielrahmen, der die Grausamkeit abschwächt und ins Gro‐ tesk-Komische transformiert. Vgl. Koopmans, Jelle: Le rire grinçant de la farce. Factions et exclusions dans le monde du théâtre profane français (1450-1550). In: Lachgemeinschaften. Hg. von W. Röcke und H. R. Velten, S. 209-223, hier S. 210. die ihre Frauen einpökeln lassen; 239 ebenso in der Farce des Pourpoint rétrécy, wo ein Säufer von seinen Kumpanen in seine Kleider eingenäht wird, indem sie ihn einreden, er sei vom Trinken aufgeschwollen. Der so in eine Art Puppe Verwandelte bewegt sich nun ohne Arme und Beine, wie einer der Gummibälle Bergsons, die ich zu Beginn des Kapitels beschrieben hatte. In all den Fällen der Verwandlung wird der Körper zum Objekt des Lachens. Die Farce nutzt den Raum nicht für die Repräsentation von etwas, sondern gibt ihn frei für Körperinszenierungen, die sich zunächst auf nichts als auf sich selbst beziehen und insofern die Aufmerksamkeit auf den präsenten Körper lenken. Der theatrale Rahmen der Farce schafft so einen reflexiven, theatralisierten Körper, dessen Präsenz als intentionaler Teil der actio bewusst gemacht wird. Das bedeutet auch, dass die Sprache nicht vom Körper abzulösen ist und eine eigene Kommunikationsebene konstituiert. Sprache ist noch ganz nah am Körper und bleibt seinen Gesten und Bewegungen verhaftet, sie entwickelt noch keinen eigenen semantischen Raum. Der Körper aber ist im doppelten Sinn Gegenstand der Farce; er ist es als Subjekt, in seiner materialen Anwesenheit, und er ist es thematisch, indem er sich bewegt, Zeichen produziert und spricht. Dabei geht es um seinen Umfang und seine Größe, sein Gewicht, seine Ausstülpungen und Öffnungen, seine physische Wirkung, aber auch seine Präsenz als fleischige Masse, als Sack, als Ding. Beide Bereiche, der Körper als Subjekt und Objekt der actio, lassen sich nur sehr schwer trennen. Die Lächerlichkeit unmotivierten Handelns ist das dritte Kriterium des Lachens in der Farce, und Nichols bezieht sich dabei auf die Rolle der Stimme in der Farce. Die Stimme als eine körperliche Komponente der actio ist das zentrale Steuerungsmittel von unmotivierten Handlungen, da sie Sprache auf ihre Lautlichkeit fokussieren kann und dabei die Erwartung der Zuschauer, dass die Sprache dramatische Bedeutung wiedergibt, zu enttäuschen vermag. Der Dialog, die Basis dramatischer Kommunikation, wird durch die Stimme er‐ schüttert und zersetzt, indem sie kontinuierlich dysfunktionale Dialogszenarien schafft: Handlung kann durch die Stimme bis zur Bedeutungslosigkeit banalisiert werden. Dies lässt sich bei der Farce - und wieder ergibt sich hier eine ‚Familienähnlichkeit‘ zum Fastnachtspiel - an der sprachlichen Kommunikation als einer Aufführung statischer Mo‐ nologe zeigen. Während die Akteure der Farce meinen, an einer ‚normalen‘ Konversation teilzunehmen, realisiert das Publikum, dass hier gar kein Dialog zustande kommt und nimmt stattdessen Laute produzierende Körper wahr, die sich nach anderen Logiken zuei‐ nander verhalten: nach Logiken der Wortwiederholung mit je unterschiedlicher stimmli‐ cher Betonung, der Lautfolge (Assonanz, Reim, Lautwiederholung) oder der Intensität (Schreien, Rufen, Stöhnen). Die Stimme ist dabei ihrer kommunikativen Funktion als Ver‐ bindungsglied zwischen Geist und Körper enthoben. Sie ist nicht mehr in der Lage zu ga‐ rantieren, dass ihr Einsatz Handlungen motiviert. Dagegen nimmt ihr phänomenales Ge‐ wicht, ihre Präsenz zu. Beispiele für die Störung und Dekomposition von grammatischer Bedeutung sind der monologische dit des badin, sein Brabbeln und unsinniges Rufen, das auf den ersten Blick wie Sprache erscheint, denn es weist Worte und Syntax auf, doch diese 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 300 240 Fo, Dario: Kleines Handbuch des Schauspielers. Aus dem Ital. von Peter O. Chotjewitz. Frankfurt a. M. 1997, S. 85. 241 Ebd., S. 87. 242 Ein Beispiel von textiertem Grammelot ist in einem Nürnberger Fastnachtspiel überliefert, Die alt und die neu ee (Keller 1). Zur Veranschaulichung gebe ich es hier wieder, obwohl es in Intention und Wirkung deutliche antijudaistische Tendenzen aufweist, d. h. eine exkludierende Funktion besitzt: Hie singen die juden und zwen jung juden halten das puch darzu: Adan holana ascher molach pethorem Koll jhetzir niffra bohot mathasa be Hefizo kol asahi meloch schemonicra Vehate tichlas lebade hunilach naia (…) usw. Keller, Adalbert von (Hg.): Fastnachtspiele aus dem 15. Jahrhundert. Bd. 1. Stuttgart 1853 (ND Darm‐ stadt 1965), S. 7. 243 Tatsächlich müssen beim Grammelot Gestik und Pantomimik die Kommunikation und die Bedeu‐ tungsübermittlung übernehmen, will man etwa eine Geschichte im Grammelot erzählen. Vgl. Fo, Kleines Handbuch des Schauspielers, S. 87. scheinbar lautlich wahrgenommene Grammatik hat keine Referenten, sie bezieht sich auf keinen Kontext, in welchem sie Sinn ergeben würden. Dies lässt sich etwa an der Technik des Grammelot veranschaulichen. Der Grammelot erscheint der Wahrnehmung als Sprache, er ist es aber nicht. Durch Klang- und Lautimi‐ tation erreicht der Grammelotsprecher, dass sich der Eindruck grammatischer Strukturen einstellt, doch fehlt dem Grammelot jegliches morphosyntaktische Gerüst, er bedeutet nichts. Er gibt nur die lautliche Oberfläche der Sprache wieder, nicht ihre grammatische Tiefenstruktur. Mit Grammelot ist das improvisierte, onomatopoetische Vortäuschen einer Rede gemeint, das „aus einem Brei von Tönen [besteht], die dennoch den Eindruck erwe‐ cken, als hätte die Rede einen Sinn“. 240 Der Schauspieler und Dramaturg Dario Fo be‐ herrschte diese Technik zeit seines Lebens und beschreibt sie folgendermaßen: Um eine Geschichte im Grammelot zu erzählen, braucht man eine Art Grundausstattung stereo‐ typer Klänge und Töne, die für eine bestimmte Sprache am auffälligsten sind, und man muss sich im Klaren sein über die Rhythmen und Kadenzen, die dem Idiom eignen, auf das man anspielen will. (...) Onomatopoetische Klänge, klare und sinnfällige Gestik, Timbre, Rhythmus, Koordination und, vor allem, eine starke Vereinfachung. 241 Der Sprecher ahmt Klang, Betonung, Prosodie einer Sprache nach, und mischt hier und dort auch etwas „echte Lexik“ mit ein, sodass der Hörer das Gefühl hat, hier würde etwas se‐ mantisch Korrektes vorgetragen. Dabei verlässt er sich auf stimmliche Wahrnehmungsa‐ spekte dieser Sprache, die das Publikum auch kennt, wie etwa gutturale Laute, häufige Glottisschläge, Vorherrschen von Vokalität u. a. m. So können über die lautlich-klanglichen Dominanten einer Sprache deren semantische Mängel eine Zeit lang verdeckt werden. Denn beim Grammelot bezieht sich das Sprechen auf keine Sprache, die Kompetenz unter der (anscheinenden) Performanz ist nicht vorhanden. 242 Im Falle des Grammelot bemerken die Zuschauer natürlich bald den Betrug und können über den unsinnigen Wortschwall, die Dysfunktionalität grammatisch korrekt erscheinender Sätze lachen. Doch sie lachen ebenso über die Akrobatik und Virtuosität der Stimme und die Kreativität der Improvisa‐ tion, welche sich ihnen in ihrer ganzen Phänomenalität präsentiert, ohne verbale Kommu‐ nikation sein zu wollen. 243 5.4. Farce und Sottie: Körper, Sprache und Lachen in der actio 301 244 Im Karneval veranstalteten sie festliche Umzüge und beteiligten sich an der Vorbereitung von herr‐ schaftlichen Einzügen und ritterlichen Schauturnieren. Im Laufe des Jahres übten sie Formen der Volksjustiz und der sozialen Kontrolle aus. Vgl. dazu Gvozdeva, Katja: Double sots / sauts / sons / sens de Rhétorique. Rhetorik und Rebus-Spiel in den Narrenperformances im spätmittelalterlichen Frankreich. Zeitschrift für Germanistik N. F. XI (2001), H. 2, S. 361-381. 245 Vgl. Dull, Olga Anna: Folie et rhétorique dans la sottie. Genève 1992. 246 Gvozdeva, Doubles sots, S. 364. Das Beispiel des Grammelot zeigt sehr schön, wie Sprache selbst zur Handlung werden kann, indem die Stimme einen bedeutungstragenden Diskurs simulieren kann und dafür die gesamte Aufmerksamkeit auf die (körperliche) Lautlichkeit und Gestik der Sprache er‐ reichen kann. Sie zieht damit semantische Logik aus dem Diskurs und banalisiert ihn damit, macht ihn zu einer Ansammlung von Klischees, die kaum in der Lage sind, einen eigenen kommunikativen Raum herzustellen, sondern die Rede immer wieder auf das Sprechen selbst, auf die Präsenz des Sprechens und der Stimme zurückführen, um Lachen zu erregen. Ähnlich verhält es sich bei der Sottie, ein wie die Farce aus der städtischen Kultur des 14. Jahrhunderts kommendes komisches Spiel, mit dem Unterschied, dass es allein von sots, von Narren aufgeführt wird. Sie ist eine Aufführungsform, in welcher es nicht nur einen Narren oder Possenreißer gibt, sondern alle Beteiligten sind gleichermaßen närrisch. Dies hängt mit dem Kontext der Sottien zusammen. Sie wurden von Narrengesellschaften, den sociétés joyeuses aufgeführt. In der Tat war die Sottie eines der Medien, in denen sich diese Narrenvereinigungen zur Schau stellten. Diese hatten konkrete soziale Funktionen in der Organisation und Durchführung festlicher Aktivitäten im sozialen Leben der Stadt. 244 Die Sottie schöpft, wie in den letzten Jahren genauer herausgearbeitet wurde, ihr Po‐ tential nicht allein aus der sprachlichen Kreativität, sondern vor allem aus Elementen der Aufführung: dem Narrenkostüm und seinen Accessoires, den Bewegungen der Narren, ihren Gesten und Gebärden sowie materiellen Elementen. 245 So wurde bereits die Ankün‐ digung eines Sottie-Spiels durch den sogenannten cri publique von Narren ausgeführt, die, begleitet von viel Lärm und Musik, durch die Stadt rannten und burleske Texte an öffent‐ lichen Plätzen rezitierten. Katja Gvozdeva hat das Zusammenwirken von Rhetorik als textuell verkleideter Akro‐ batik und Narrenperformance als Verkleidung und Verstellung des Körpers herausgear‐ beitet. So werden bestimmte Worte oder Ausdrücke im Spiel gestisch und akrobatisch auf‐ geführt, mit Sprüngen etwa, welche Begriffe und rhetorische Wendungen nachahmen und performativ in Szene setzen. „Die Figuren der Sprache und die Figuren des Körpers werden im Rahmen der Narrenperformance gleichgesetzt und ‚gereimt‘.“ 246 Sprachspiele werden in Verkleidungen, Beschriftungen, Bewegungen und Sprüngen, Gesten und mimischen Ge‐ bärden körperlich aufgeführt, was wiederum Gelächter auslöst. Ähnlich wie bei der Farce stehen die sprachspielerischen Aussagen eher isoliert und treten nicht in eine semantische Verbindung miteinander, mit dem Ziel einer kommunikativen Aussage. Es bleibt bei den Sprachspielen als einzelne, monadisch organisierte Elemente, die für sich stehen und in ihrer Präsenz, d. h. ihrer Visualisierung und Phonetisierung, ihrer Verleiblichung und Ver‐ dinglichung, ihrer (überraschenden) Komposition und Dekomposition wirken. So werden 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 302 247 Ebd., S. 365. 248 Manfred Pfister zeigt anhand der Druckgeschichte von Shakespeares Hamlet, wie der Schluss des Textes schrittweise vom Lachen ‚gesäubert‘ wurde. Pfister, Manfred: Inszenierungen des Lachens im Theater der Frühen und Späten Neuzeit. In: Komische Gegenwelten. Lachen und Literatur in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Werner Röcke u. Helga Neumann. Paderborn 1999, S. 215-235. 249 Daher ist es sinnvoll, den zeitgenössischen Terminus „spil“ auch stärker in die Definition der Gattung einzubeziehen, also Fastnachtspiele nicht als textierte Stücke (Reihenspiel, Handlungsspiel) anzu‐ sehen, sondern sie von ihrer Aufführungsdimension her zu definieren. Dann gehören auch textlose Spiele, Tänze, Läufe, und andere performances zu den Unterhaltungsaktivitäten der Fastnacht. Vgl. Simon: Die Anfänge, S. 204. Sprüche und Sentenzen, die allen bekannt sind, in ihre Bestandteile zerlegt, und „dinghaft inszeniert“. 247 Das Spiel realisiert sich im Austausch von Sprechen, Schweigen, Gesten und Bewe‐ gungen. Indem die Sprache durch ihre Polysemie zersetzt wird, ihre Einzelteile körperlich nachgeahmt und aufgeführt werden, vollzieht die Sottie den umgekehrten Weg der Farce: während dort keine semantische Kommunikation, keine Übertragung von Bedeutung zu‐ stande kommt, lässt sich in der Sottie eine Entdifferenzierung sprachlicher Mehrdeutigkeit feststellen, die jedoch ebenso wenig ein kommunikatives Resultat besitzt, sondern sich mit der spielerischen Arbeit des Auseinandernehmens und wieder Zusammensetzens begnügt. Viele dieser Spiele verbleiben im Rahmen der selbstreferentiellen Ausstellung von Präsenz, sie kommunizieren sich selbst und ihr Spiel auf einer metakommunikativen Ebene, die als Ganzes Gelächter erregt. 5.5. Narren im Fastnachtspiel: Grotesksprünge als Grotesksprüche Wie in Farce und Sottie sind Narren auch im Fastnachtspiel die Träger der komischen Körperinszenierungen, und ihre Körper sind wie auch dort gleichzeitig Subjekte und Ob‐ jekte des Lachens. Wie Narren den rituell-theatralen Rahmen von weltlichen Schauspielen konstituiert haben, auf welch unterschiedliche Weise ihr Körper eingesetzt wurde, um La‐ chen auszulösen, habe ich zu Beginn des Kapitels in Grundzügen beschrieben. Ich möchte mich deshalb im Folgenden auf das Verhältnis von Sprache, Sprechen und Körper in einigen Fastnachtspielen konzentrieren, um die körpersprachliche Symptomatik und den perfor‐ mativen Gestus des Narrenauftritts noch genauer bestimmen zu können. Der zentrale As‐ pekt des Auftretens des Narren wird sowohl von den Interpretationen des Fastnachtspiels, die sich rein an die überlieferten Texte halten und sich auf deren Inhalte beziehen, als auch von den kursierenden Theorien des Komischen weitgehend ausgeblendet. 248 Eine perfor‐ mative Anthropologie des Lachens muss demgegenüber nicht nur nach den Lachanlässen und Funktionszusammenhängen des Lachens fragen, sondern auch nach der spezifischen Relation von Sprache und Körper in Aufführung und Text. 249 Fastnachtspiele sind nicht ohne ihren Rahmen und ihren Anlass zu denken: Die Fastnacht stellt als zentrales Ereignis der mittelalterlichen Festkultur, die dem Kreislauf des Kirchen‐ jahres folgt, jedoch nicht nur auf die Tage zwischen Fastnachtsonntag und Aschermittwoch beschränkt ist, diesen Rahmen und Anlass für performances aller Art bereit; für Tänze und Tanzspiele, Läufe, Mummereien, rituelle Spiele (wie das Blochziehen), und eben Einkehr- 5.5. Narren im Fastnachtspiel: Grotesksprünge als Grotesksprüche 303 250 Vgl. dazu Röcke, Werner: Literarische Gegenwelten. Fastnachtspiele und karnevaleske Festkultur. In: Die Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur 1). Hg. von W. R. u. Marina Münkler. München 2004, S. 420-445 u. Bastian, Hagen: Sinneslust und Gefühlsbeherrschung im Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts Frankfurt a. M. 1983. 251 Vgl. Simon, Die Anfänge, S. 5. und Wagenspiele, in denen kleine Gruppen von Laienschauspielern kurze Szenen auf‐ führen, die das Lachen der Zuschauer hervorrufen sollen. Sie tun dies, indem sie im komi‐ schen Rahmen Tabugrenzen überschreiten und lächerliche Szenarien grotesken Begehrens und grotesker Gewalt entwerfen. 250 Dies geschieht mit Hilfe der provokativen Verkörpe‐ rung von verkehrtem Verhalten, Sündhaftigkeit und Geschlechtertransgression, bei wel‐ cher Sprache und Körper der Akteure und der Zuschauer in einem engen Wechselverhältnis stehen, das von Gelächter regiert wird. Selbstverständlich sind nicht alle Fastnachtspiele dem Lachen unterworfen. So schreiben die vastelavendes dichter der Lübecker Zirkelgesellschaft auch moralische Lehrstücke, die alemannische Tradition kennt Tugendspiele und Spiele nach alttestamentarischen Stoffen, die einen ernsthaften, erbaulichen Charakter hatten. Die große Mehrheit der Fastnacht‐ spiele jedoch könnte man auch mit dem Begriff des Lustspiels bzw. der Posse bezeichnen; sie sind auf Gelächter ausgerichtet und dienen der Unterhaltung der Zuschauer. 251 Diese Unterhaltung entsteht im Fastnachtspiel nicht nur durch die Erzeugung einer Scheinwelt, die zum Ritual hin durchlässig ist und somit in einer Ähnlichkeitsrelation zu diesem steht, sondern auch durch die Signalwirkung von Lachfiguren mit hohem Unterhaltungswert innerhalb des Spielrahmens „Fastnachtspiel“. Narr und Bauer treten als von Laien verkör‐ perte Lachfiguren nach dem Muster professioneller Spaßmacher wie Spielleute und Hof‐ narren auf und übernehmen bzw. parodieren deren jahrhundertealte histrionische Körper‐ techniken. Dadurch gelingt es ihnen, klassische Topoi der Körper- und Sprachkomik für das Fastnachtspiel nutzbar zu machen und mit aktuellen Anspielungen auf das bekannte Publikum zu versehen. Die Sündhaftigkeit und Unmündigkeit der Narrenfiguren macht es möglich, dass sie Verkehrungen und Transgressionen in die Tat umsetzen dürfen, von denen sich das Publikum gleichzeitig distanzieren wie auch einladen lassen kann. Mit dem Pub‐ likum stehen die Narren auch deshalb in einer spezifisch burlesken Relation, weil sie häufig als Spielbereiter und -schließer bzw. als Randfiguren agieren und „ernsthaftes“ Geschehen auf der Bühne parodieren und lächerlich machen. Als Figuren „in Bewegung“ regen sie mit Gestik und Motorik schließlich besonders zum Lachen an, wodurch Unterhaltung als Er‐ gebnis einer Distanzleistung von der alltäglichen Wirklichkeit innerhalb eines Spielrah‐ mens entsteht, welche den Zuschauern individuelle Befriedigung und Freude, sowie ein Gefühl der Gemeinschaft mit den anderen Lachenden stiftet. Ich werde im Folgenden den Körper mit seinen Bewegungen und Gesten sowie seine Relation zur Sprache in einigen Nürnberger und Schweizer Fastnachtspielen vornehmlich des 15. Jahrhunderts analysieren. Dabei sind zunächst Regie- und Bühnenanweisungen und performatives Sprechen die wichtigsten Belegstellen. Da erstere im Laufe des 16. Jahrhun‐ derts immer häufiger auftauchen, beginne ich vom Ende der Fastnachtspieltradition her, mit dem Luzerner Fastnachtspiel von 1592. Der Herausgeber Brandstetter hat hier die Re‐ gieanweisungen zusammengefasst: 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 304 252 Brandstetter, Luzerner Fastnachtspiel vom Jahre 1592, S. 359. 253 Zit. aus: „Kurtze verzeichnuß der reiß gon Bern was sich im vff vnd nider faren von eim tag zum anderen verloffen vnd zůgetragen“, zusammengefasst von Wyss, Der Narr im schweizerischen Drama, S. 137. Während in den Osterspielen die teufel und die singenden juden die einzigen komischen personen sind, sind in unserm stück auch die narren und der apothekerknabe von specifisch komischer natur. Die narren unseres stückes haben gar keine andere aufgabe, als eben narrenstreiche zu machen. Im ersten akt machen sie ‚ein kurtz vnd lächerig Intermedium mit dem Bettelvogt‘. Im fünften akt jagen sie den gaukler fort. Im dreizehnten akt beim überfall der krankheiten schauen die narren zu, entfliehen dann, eilen wider hinzu, wollen nun ihrerseits die krankheiten schlagen, Calculus greift ihnen aber an die lenden, sie rennen wider davon. Während des processes treiben sie ebenfals ihre possen, treten vor das gefängnis, rufen den eingesperten Convivium und Coena, sie sollen doch herauskommen. Nachdem der beichtvater eine ermanung an das volk gehalten, lachen sie ihn aus und rufen ihm zu, er solle doch hingehen und sehen, wer seinen lehren nachlebe. Während der beichte machen sie ihre possen mit Diäta, der ihnen Bescheid gibt. Am ende rufen die narren, Convivium werde schon wider auferstehen, sie hätten dessen vorboten das Gügerlin bereits ge‐ sehen. Ebenso spotten sie im verein mit den teufeln über autor und schauspiel. 252 Hier wird deutlich, in welch hohem Maß die Narren im Fastnachtspiel ihre Körper ein‐ setzen, ja ganz als Körper auftreten. Proxemisch und motorisch überschreiten sie die räum‐ lichen Grenzen zwischen den einzelnen Spielgruppen, jagen andere über den Spielplatz und werden gejagt, treiben Narrenpossen mit den allegorischen Personen, treten immer als Gruppe auf und sind somit weitgehend entpersonalisiert, tun kaum etwas anderes als laufen, hin und her springen, rufen und schreien, sich schlagen und prügeln, und dies wie‐ derholt und intensiv. Es erstaunt, wie wenig unmoralisch sie in diesen Anweisungen er‐ scheinen, im Gegenteil, sie spotten durchaus in satirischer Manier. Ihr „lächeriges“ Auf‐ treten liegt ganz in einer Bewegungskomik, die sie als Abbild der Fastnachtsrotten, welche in den Straßen der Städte herumliefen und -tollten, ausweist. Sie repräsentieren hier nichts, sie sind ganz Bewegung und dynamisches Element, sie bringen Mobilität, Störung und Desemantisierung in das Spiel und verspotten die anderen, ohne dabei großen Schaden anzurichten. Das Prinzip, nach dem sie vorgehen, ist das der desorganisierenden Trans‐ gression; sie bringen durch ihre reine körperliche und akustische Präsenz das Spiel scheinbar in Unordnung und erzeugen damit die Desorganisation der zuschauenden Körper im Lachen. Nur wenige Jahre zuvor wird der Auftritt eines Narren in Johannes Hallers allegorischem Festspiel „Glückwünschung auf die Freundschaft der Städte Zürich und Bern“ (Bern 1584) in einer Reisebeschreibung wiedergegeben: Zu Beginn des Spiels tritt ein Narr mit einem Korb voll Geschirr auf, der stolpert und mit viel Geräusch in den Spielraum fällt. Wyss fasst den Bericht zusammen: „Das Geschirr zerschellt, die Scherben klirren. Der ungeschickte Narr zetert laut, die Schellen klingeln. Welch ein Lärm, Gepolter und Geschrei! Der Ge‐ stürzte erhebt sich, und wie er ringsum den Boden mit Scherben übersät sieht, bricht er in schallendes Gelächter aus.“ 253 Noch heute können wir uns solche Szenen in der Slapstick-Komödie ansehen, und im Vaudeville-Theater des 19. Jahrhunderts hatten sie einen festen Platz im Repertoire. Solche 5.5. Narren im Fastnachtspiel: Grotesksprünge als Grotesksprüche 305 254 Ebd., S. 126. 255 Ebd. 256 Ebd., S. 134 f. 257 Hans Sachs: Der doctor mit der grosen nasen. In: H. S.: Sämtliche Fastnachtspiele. Hg. von Edmund Goetze. Bd. 1-7, Halle 1881-1957. Bd. 7, Nr. 83. körperlichen „Fehler“ oder „Unfälle“, die ich weiter oben als mangelnde körperliche Koor‐ dination bezeichnet habe, deren Wahrnehmung dem Publikum einen imaginären Schrecken einjagt, über den es lachen kann, entlasten in ihrer spezifischen Form der körperlichen Interaktion von didaktisch vermitteltem Sinn, von repräsentierter Bedeutung. Fastnacht‐ spiele sind wie Farcen meist auf die Verkehrung, Umkehrung, Transgression, Zersetzung, und Zerstörung von Bedeutungen gerichtet, die über Zeichen vermittelt werden. Lachen befreit den Zuschauer von moralischer und vernünftiger Spekulation. Im Luzerner Spiel von 1592 wird ein Aspekt der Narrengruppe nicht erwähnt, der jedoch für den Spieltyp charakteristisch ist: der Tanz. Narr oder Narren tanzen zum Einzug und zum Beschluss des Spieles, sie tanzen als Prologsprecher dem Zug der Akteure voran, und sie sind in den meisten der Schweizer Spiele in ihrer Funktion als Spielbereiter und Platz‐ schaffer mit Kolben oder Pritsche ausgerüstet, um tanzend auf die Menge zu ‚schlagen‘ und so Raum für das Spiel zu schaffen. Wyss hat betont, dass in den Schweizer Fastnachtspielen - wie in der Farce - der Narr meist tanzend auftritt, singt oder Instrumente spielt: „Die kör‐ perlich behenden Narren tanzen heftig und ungestüm. Sie hüpfen von einem Bein auf das andere, schlagen Purzelbäume, machen Luftsprünge oder tollen in unbändiger Lebenslust herum.“ 254 In Graffenrieds Susanna will der Narr tanzen und heißt die Musiker aufspielen: „Nun machet auff, ich fertig bin, So will ich darzu tanzen fein. - Musica.“ Auch in Pamphilus Gengenbachs Gouchmat veranstalten die Narren groteske Tänze; der Narr fasst den zum Esel gewordenen Gelehrten am Schwanz und führt ihn zum Tanz, im Solothurner Spiel von St. Mauritius springt der Narr auf die Möhrin hurtig zu und hüpft so lange umher, bis ihm der Schweiß ausbricht. 255 An diesen Textstellen kann Wyss zeigen, dass das Lachen des Publikums in hohem Maß durch die vielfältigen körperlichen Aktivitäten des Narren - Tanz, Prügeleien, Sprünge, Gebärden und Mimik - hergestellt wird. Die Gestaltung seiner Rolle ist meist nicht textlich festgelegt, sondern bleibt weitgehend der schauspielerischen Intuition des Darstellers überlassen. Die Lebhaftigkeit und Intensität der Figur wird aber durchaus dramaturgisch gesteuert: Die zeitlich und räumlich fixierten Bewegungseinsätze des Narren stimulieren nicht nur die Aufmerksamkeit des Publikums (wie auch bei seinen Auftritten in den Pausen der oft langen biblischen Spiele der Fall), sondern erhöhen ebenso dessen Disposition zum Lachen. 256 Die motorische Hyperaktivität des Narren ist auch in Handlungsspielen erkennbar, die einer schon komplexen Dramaturgie unterliegen, wie etwa in Hans Sachs’ auf einen Schwank von Johannes Pauli zurückgehendem Fastnachtsspiel Der doctor mit der grossen nasen (1559). Der Narr, Jeckle, ist der naiv-schlagfertige Possenreißer, der die körperlichen Defizite des Gelehrten mit beißendem Spott zur Sprache bringt und lächerlich macht. 257 Über seine Motorik und Proxemik, seine Gestik und sein Lachen geben die Regieanwei‐ sungen Aufschluss: „Der Jeckle Narr rawscht hinein und spricht“(vor V. 41), „Der Jeckle Narr gnipt und gnabt da her, lacht ser vnd spricht“ (vor V. 99), „Der Jeckle nar schleicht 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 306 258 Ain Vasnachtspil von denen, die sich die weiber nerren lassen (K 38). In: Keller: Fastnachstpiele Bd. 1, S. 283-287. hinein und spricht“ (vor V. 117), „Der narr drit hinzv, naigt sich gen dem doctor, spricht“ (vor V. 177), „Man schlecht den Narren hinaus“ (vor V. 189), „Der narr klopft den doctor auf die achsel vnd spricht“(vor V. 279), „Der narr haspelt hinein und beschleust“ (vor V. 317). Die genannten Stellen wären an sich nichts Besonderes, würden sie nicht ca. 35 Prozent aller Didaskalien und mehr als 50 Prozent derjenigen mit Bewegungsverben ausmachen, die allein auf eine von vier Personen entfallen. Dies zeigt die wichtige Funktion des Narren für die motorische Aktion auf der Bühne: Der Überschuss an sprachlicher Produktion (“wer mag hören sein vnücz geschwecz“, V. 110) wird begleitet von einem Überschuss an Bewe‐ gungsabläufen und Körperenergie. Durch den Auftritt des Narren gewinnt das Spiel an Dynamik und energetischer Übertragungskraft, die komische Motorik des Narren eupho‐ risiert das Publikum. Für seinen Spott, der vermutlich durch gestische und mimische Nach‐ ahmung verstärkt wurde, muß Jeckle Narr ebenfalls mit seinem Körper bezahlen: Man soll den Narren „mit ruetn hawn, pis er wain vnd heul, Das im das pluet herab mus gon.“ (V. 206 f.) Die Narrenfigur bei Hans Sachs steht jedoch am Ende einer mindestens hundertjährigen Spieltradition, an deren Anfang Lachfiguren stehen, deren Rollen keineswegs so fest um‐ rissen waren wie die des Jeckle. Auch wenn aus den frühen Fastnachtspieltexten weit we‐ niger Hinweise auf die Aufführungen überliefert sind, so lassen sich in den Nürnberger Spielen der Edition Kellers (15. Jahrhundert) doch Belege dafür finden, dass die Rolle und die Funktion der Narren auch hier vor allem über ihre Leiblichkeit definiert ist. So treten sie als närrische Bauern auf, als Dümmlinge, Possenreißer und Gäuche, die mit wenigen typisierten Merkmalen gekennzeichnet sind und noch ohne jegliche individuelle Gestal‐ tung auskommen. In den Reihenspielen etwa werden sie als ‚der erst narr‘, ‚der ander‘, ‚der dritt‘ usw. bezeichnet oder aber mit onomatopoetischen bzw. metaphorischen Namen ver‐ sehen, wie ‚Lapp‘, ‚Diltap‘, ‚Appentrap‘, ‚Jeck‘, ‚Gugg‘, ‚Ackertrapp‘, ‚Rupolt‘ bzw. aus dem agrarischen Umfeld ‚Chonz Seutut‘, Gaißreuter, Muggenfist, bzw. obszön Votzpart oder Kerbenfeger usw. In dieser Austauschbarkeit scheinen die Narren keine menschlichen Wesen zu sein, sondern eine Art Marionetten, die man nach Belieben anhäufen, in einen Karren werfen, an einem Seil vorführen, jagen, ertränken oder forttreiben kann. Dadurch sind die Identitäten der Narren wie ihre Körper instabil, sie sind wie geschaffen dafür, sich in andere Personen zu verwandeln oder diese nachzuahmen. In den einfachen, meist groben Reden des Reihenspiels steht der Körper der Narren als Ausführender von Rede und Handlung sowie als Gegenstand der Rede im Zentrum. Die Narren benennen die Eigentümlichkeiten ihres Körperbaus und führen sie mimisch und gestisch vor, wobei diese körperlichen Attribute beliebig ersetzbar sind und geringen se‐ mantischen Gehalt tragen; vielmehr leben sie aus ihrer vitalen und grotesken Anschau‐ lichkeit. Ein Beispiel ist Keller 38, in welchem neun Gäuche ihre Liebesnarrheiten vorstellen und sich an Frau Venus wenden, wer von ihnen der größte Narr sei. 258 Es ist vermutlich nach dem Muster von K 14 (Morischgentanz) in Form eines Reigentanzes um die Frauen‐ figur inszeniert worden, die Narren „tragent eselsoren, Gauchesfedern und narrenkappan“. Der neunte Gauch weist auf sein offenes Maul hin: 5.5. Narren im Fastnachtspiel: Grotesksprünge als Grotesksprüche 307 259 Vgl. dazu Kap. 5.4. u. Velten, Hans Rudolf: Differenz und Alterität im Ritual. Eine interdisziplinäre Fallstudie. (Zus. mit Birgit Althans, Kathrin Audehm, Constanze Bausch, Christof L. Diedrichs, Katja Gvozdeva, Maren Hoffmeister, Benjamin Jörissen, Carolin Quermann, Werner Röcke, Susanne Rupp, Robert Schmidt, Monika Wagner-Willi, Frank Wittchow, Christoph Wulf und Jörg Zirfas). In: Prak‐ tiken des Performativen. Hg. von Erika Fischer-Lichte u. Christoph Wulf. Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie 13 (2004). H. 1. S. 187-250. Frau, ich werd drum ain narr geschätzt, Umb das mein maul so vil geschwätzt Und darzuo immer offen stet. Wer für mich auf und nider get, der sicht mich an, gutzt mir hinein und würf mir gern ein keudreck drein: So wurd ich doch zuo samen peißen, Solt ich halt immer die zen bescheißen. (K 38, S. 286) Der plappernde, brabbelnde Mund und der Mund, der offen steht, sind mimische Nachah‐ mungen des gaffenden und staunenden Publikums. Der Narr ahmt im Sprechen die Gesten der Zuschauer nach und verspottet sie, indem er eine unmögliche, grotesk-komische Szene imaginieren lässt: dass man vor ihm hin und her gehe, ihm in den Mund schaue und einen Kuhfladen hineinwerfen wolle. Zu dieser grotesken Vorstellung passen die grotesken Be‐ wegungen, die den Moriskentanz (Schema der Brautwerbung) nachahmen, und die ver‐ mutlich zu Beginn und / oder zum Abschluss des Spiels aufgeführt wurden, wenn nicht sogar während des Spiels selbst. 259 (Abb. 14) Abb. 14: Daniel Hopfer: Moriskentanz / Fastnachtspiel, um 1520 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 308 260 Keller, Fastnachtspiele. Nr. 38, Nr. 78, Nr. 116. 261 Deleuze, Gilles: Logik des Sinns. Aus dem Frz. Von Bernhard Dieckmann. Frankfurt a. M.1993, S. 41. (Frz. Orig.: Logique du sens. Paris 1969), S. 342. 262 Ebd., S. 348. 263 Dies ist grundsätzlich nicht zu vergleichen mit den Transgressionen der Sprache, wie sie etwa Bachtin bei Rabelais in den Verfahren der Sprachmischung, der Zuordnung von Sprachhandlungen auf in‐ adäquate Funktionen, der Reihung inkompatibler Sprachhandlungen im Diskurs sowie der Stilmi‐ schung indiziert hat. Gumbrecht bezeichnet solche Überschreitungen von Sprachsystem und Sprach‐ norm als „Störungen einheitlicher sprachlicher Kontexte“. Vgl. dazu Gumbrecht, Hans Ulrich: Literarische Gegenwelten, Karnevalskultur und die Epochenschwelle vom Spätmittelalter zur Re‐ naissance. In: Literatur in der Gesellschaft des späten Mittelalters. Hg. von H.-U. Gumbrecht. Heidel‐ berg 1980, S. 95-144, hier S. 137. Das Lachen des Fastnachtspiels zirkuliert hier zwischen Sprache und Gestik und zwischen Akteuren und Zuschauern; letztere erkennen im Narren ihr Spiegelbild und müssen die Ekelgefühle, die durch die Vorstellung der Koprophagie aufkommen, durch Lachen bewäl‐ tigen. In der Tat heißt es wenig später, gewissermaßen als Aufforderung verstanden: „Libe folg, du wirst wunder hören, / Wie unser ieder man wirt lachen. / Wir wollen ein narrn oder tausent machen.“ 260 Im Fastnachtspiel wird die Sprache selbst zum Körper, sie ist ganz Körper. Sie geht über ihre Kommunikationsfunktion hinaus und reflektiert sich als präsenten Körper. In für diese literarische Gattung kaum herangezogenen Überlegungen hat Gilles Deleuze im Anschluss an Klossowski das verborgene Verhältnis und den Parallelismus von Körper und Sprache bezüglich des obszönen Sprechens untersucht: Das Obszöne ist (...) nicht das Eindringen des Körpers in die Sprache, sondern ihre gemeinsame Reflexion, und der Sprachakt, der für den Geist einen Körper erschafft, der Akt, mit dem die Sprache über sich selbst hinausgeht, indem sie einen Körper reflektiert. 261 Deleuze geht von einer der Sprache immanenten Pantomime aus, die über Bühlers Zeige‐ funktion der Wörter weit hinausreicht. Nach Deleuze „sprechen“ deiktische Wendungen nicht, weil sie codierte Bedeutungen übermitteln, sondern zunächst deshalb, weil „die Wörter die Gesten mimen.“ 262 Diese „Transgression der Sprache durch das Fleisch und des Fleisches durch die Sprache“ (Klossowski) liegt der sprachlichen Verkörperung des Obs‐ zönen im Fastnachtspiel zugrunde. Sprache und Körper durchdringen sich gegenseitig, werden zu ikonischen Gebilden, deren Bedeutung in ihnen selbst liegt und die wie eine körperliche Bewegung auf die Zuschauer wirken. 263 Vor allem beim Reihenspiel, das kaum eine autonome Handlung auf der Bühne herstellt, sondern seriell strukturiert ist, indem die Sprecher nacheinander auftreten, wird in den Raum hineingesprochen. Es ist ein Sprechen ohne klare Referenten, teils zur Zentralfigur, teils zum Publikum, teils ein Sprechen für sich selbst. Dieses performative, gestische Sprechen erwartet keine sprachliche Antwort, nicht von den Mitspielern, nicht vom Publikum. Es erwartet als Antwort das Lachen des Publi‐ kums, ist allein auf dieses Lachen ausgerichtet. Der Anteil der Semantik in diesem Raum der gestisch-leiblichen Kommunikation beläuft sich auf das Alltägliche als das Obszöne; das direkte Aussprechen sexueller und skatologi‐ scher Handlungen und ihre schwache metaphorische Verhüllung hat keinen weiteren Kon‐ text, da weder die Figuren noch die Thematik des Spiels klare Referenten haben. Es bleibt 5.5. Narren im Fastnachtspiel: Grotesksprünge als Grotesksprüche 309 264 Folz, Hans: Die Liebesnarren (Ein spil von narren). In: Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahrhunderts. Hg. von Dieter Wuttke. 4. Aufl. Stuttgart 1989, S. 82-90, hier S. 84. beim Aussprechen und Ausagieren des reinen Obszönen, wie ich sagen würde, und dieses reine Obszöne, das sich des gestisch-leiblichen Sprechen bemächtigt hat, bringt Bewegung in den Körper des Akteurs, es dynamisiert ihn und überschreitet seine Grenzen, wie es die Körper der Zuschauer desorganisiert und keine andere Antwort als Lachen hervorbringen kann: Mir offnet eynest eine ir gaden Und wurd mich in ir petlein laden, Da solt ich ir ein ygel stechen; Da west ich nichtz an im zu rechen Und greiff pald dar; da ward es sich strauben; Ich ruckt mein degen bei der hauben. Ich dacht: zuck ich, ich kum umb das gelt. Ich hoff, das man mich kein narrn darumb zelt. 264 Da die Transgressionen des Körpers, seine Triebe und Wünsche in Form seiner Bewe‐ gungen und Gesten in den Fokus der Aufmerksamkeit gestellt werden, lässt das Fastnacht‐ spiel keinerlei Identität und persönliche Subjektivität seiner Lachfiguren zu. Das Allge‐ meine und das Alltägliche, das Familiäre, Sexuelle und Skatologische werden in einem Maß überbetont, dass andere inhaltlichen Merkmale bzw. Koeffizienten verschwinden, und es sich vom Alltag selbst wieder ablöst und zu etwas gerät, was man als ein Über-Alltägliches oder Über-Allgemeines bezeichnen könnte, eine Art surreale Banalität. Durch diese Über‐ determination des Alltäglichen wird eine Entdifferenzierung der Personen erreicht, die sie einerseits zu Karikaturen macht, andererseits dazu führt, dass ihre Sprachgesten in gro‐ tesker, absurder Form auf körperliche, für die Zuschauer wahrnehmbare Vorgänge ver‐ weisen. Sehr anschaulich wird dies in einem kurzen, komischen Zusatzspiel (Annexum Ludi) zu dem in Luzern aufgeführten Neujahrsspiel Von den alten und jungen Eidgenossen (1514), einer politischen Komödie, vorgeführt. In seiner Anlage erinnert es einerseits an die sot‐ ternieen der niederländischen abele spelen, den frühesten weltlichen Spielen im niederländ‐ ischen Kulturraum (um 1300), im Auftritt der Narren an die französischen Sottien. Es treten zwei Narren zusammen mit zwei Schülern auf, die ein skurriles Frage- und Antwortspiel inszenieren. Auf die tiefsinnigen Aussagen der Schüler über das Narrenwesen (etwa: „Die narrenkappen thuot anfan, wo einer gotts hulde thuot uss schlan, und verachtet der geist‐ lichen stant ouch; der selbig ist ein rechter nar und gouch“) können die Narren nur mit einem hilarischen Lachen und Springen antworten, das in der Handschrift mit einer Ver‐ schiebung der Zeilen kenntlich gemacht wurde. Die beiden Narren lärmen, singen und schreien. Sie lachen schallend und beschimpfen sich gegenseitig als schellenzopf, narren‐ kopf, eselor, gynöffel (Maulaffe). Aus dem Wortgefecht droht ein wirklicher Kampf zu 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 310 265 Vgl. Spross, Balthasar: Annexum Ludj. In: Hellmut Thomke (Hg.): Deutsche Spiele und Dramen des 15. und 16. Jahrhunderts (= Bibliothek der Frühen Neuzeit). Frankfurt a. M. 1996, S. 88-91; vgl. dazu auch Wyss: Der Narr im schweizerischen Drama, S. 94. 266 Bletz, Zacharias: Marcolfus Ein Fassnacht spil zů Lucern gespillt Ao. 1546. In: Bletz, Zacharias. Die dramatischen Werke des Luzerners Zacharias Bletz. Hg. von E. Steiner. Frauenfeld 1926. 267 Vgl. Brandstetter, Über Luzerner Fastnachtspiele. S. 421-431. werden, als der erste Narr vorschlägt, zwei Narren seien zu viel und den Spielort ver‐ lässt. 265 Hier wird deutlich, wie wenig Bedeutung der Text in diesem Zwischenspiel hat, wie viel allein die actio der Narren ausmacht. Sie wirken allein über ihre Stegreifkomik, ihre kör‐ perliche und motorische Präsenz, laufen und springen, lachen und lärmen. Die Semantik des Textes beschränkt sich auf die Wiedergabe einiger bekannter Sprichwörter (in Bachti‐ nischen Termini eine monologische Rede), die jedoch durch das Lachen und das Springen der Narren vollkommen destruiert wird. Ihr gestisches Sprechen ist ebenfalls auf ein Mi‐ nimum, nämlich die gegenseitigen Beschimpfungen reduziert. Ähnlich ist es bei einem Zwischenspiel des Marcolfus von Zacharias Bletz, der 1546 in Luzern zu Fastnacht auf dem Weinmarkt aufgeführt wurde. 266 Die Handschrift enthält auf S. 23, mitten auf der Blattseite beginnend, zwei eingeheftete Fragmente von Zwischen‐ spielen, die mit dem Marcolfus in Zusammenhang stehen müssen, da die Protagonisten im Personalverzeichnis unter den Personen des Marcolfus aufgeführt sind. 267 Das zweite Frag‐ ment ist nur eine Seite lang und von Brandstetter ganz transkribiert worden. Es handelt sich um einen Dialog zwischen zwei Narren. Die ersten Verse, eine Art Begrüßungsritual, besagen lediglich, dass die beiden nicht unbedingt erfreut sind, aufeinander zu treffen, was sie mit deftigen Kraftausdrücken im crescendo unterstreichen: byss, botz treck ich gsen dich ouch gernn [solt dyner ankunfft mich doch thůn beschwärnn] din ankunfft thůt mich doch beschwärnn wan wo zwen naren sind in eim hus würt sellten vil gůts vs. (425 f.) Die Narren führen einen grotesken Konkurrenzkampf auf, der um die Frage geht, welcher von beiden dem König mehr Kurzweil bieten könne und welcher der Schönere sei. Diese Konstellation führt zu wüsten Beschimpfungen und Drohungen. O ho schow Cůntz buffi wo bist Ich hab dësen sack so voller list so ich (...) in nimen recht zur dhand magst du mir nit thůn widerstand. Cüni Min list sack ich ouch by mir han ich tarff dir in wol vmb den grind schlan Schwygg öb ich dir zwüschendt doren gryff das du müsist tantzen das ich dir pfyff. 5.5. Narren im Fastnachtspiel: Grotesksprünge als Grotesksprüche 311 268 Alle Zitate ebd., S. 427. Häntz (...) y ia kom leck mich dohinden vornen kanst mich nit finden (...) mit dem ich dich übel fürchten sol schlach zů mir gfalts dir wol. Cüni Ach was wot ich an dir schlan zweren dich nit törfftest vnderstan ich schlůg grad wie vff ein allten karren. Auch wenn die knappen Regieanweisungen nichts über Standort, Bewegungen und Gesten der Narren aussagen, so wird doch deutlich, dass die Akteure nicht still stehen, sondern sich umeinander herum bewegen, indem sie gegenseitig auf ihre Schlaginstrumente auf‐ merksam machen und mit ihnen drohen. Das „y ia kom“ weist in diesem Kontext auf den spöttischen Lockruf des zum Kampf Vorbereiteten hin, der einem Schlag jederzeit auswei‐ chen kann. Nach einem weiteren Wortwechsel mit Beschimpfungen wie „fuler narr“, „fuler tropff “, „elende filtz lus“ und handfesten Drohungen wie „gschwygst nit ich gib dir bald eins zum kopff “ und „dir gschwunde wandt einen gsechist blüten“ beginnen die Narren, einander zu schlagen: „Haintz schlat“ und „Cüni wert sich“ steht in den Regieanweisungen, und die sprachlichen begleiten die körperlichen Drohgebärden: „So werr dich du fuler hund / du must sterben dieser stund“, sowie „Ja mornn ist gůtt stärben / kum küss mir vor die ars kerben“. 268 Schließlich beginnt ein gegenseitiges Prügeln, welches in den Anweisungen so auszusehen hatte: „Sy schland einandren mit den sagspenen den zuckens schwert ouch so sy den platz vber sayet hand so erwüst Cüni heinzen vnd redt.“ Darauf folgen die Ab‐ schlussverse. Wir können dem Text nicht entnehmen, wie intensiv und wie lange die beiden sich mit ihren Sägemehlprügeln traktiert haben, doch ist zu vermuten, dass die Prügelei nicht sofort wieder beendet war. Dass hier auch Hyperaktivität im Spiel ist, kann man nicht nur an den performativen Drohgebärden erkennen, sondern auch an Wendungen wie „du magst vil rümen toben vnd wüten“, die sich nicht nur auf Sprechakte, sondern auch auf Bewegungs‐ folgen beziehen dürften. Schließlich weist die Aussage, der ganze Platz sei mit Sägemehl übersät, auf eine Ausweitung des Kampfes bis an die Schranken bzw. eine Verfolgungsjagd mit den entsprechenden Bewegungsabläufen hin. Betrachtet man die Semantik dieses Spiels, so bleibt bis auf Prahlereien, Drohungen und verbalisierten Handlungen (aktionistisches Sprechen) kaum eine bedeutungstragende Kommunikation übrig. Es werden Emotionen und Triebhaftigkeit aufgeführt, und vom ersten Moment ihrer Begegnung an kennen die beiden Narren nur verbalisierte Provoka‐ tionen. Als Kern ihrer Auseinandersetzung bleibt allein der gegenseitige Hass auf Grund von Konkurrenz am Hof übrig: „wüs das ich dem künig sol / me dan du geualen wol / wan ich vil mer kurtzwijl kann“ (426). Dieser (gewalttätige) Konkurrenzkampf und die damit verbundenen Emotionen (Neid, Hass) werden jedoch insofern lächerlich gemacht, als sie 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 312 269 Keller, Fastnachtspiele, Nr. 8, S. 88. 1. in einem lächerlichen Rahmen auftreten, 2. von komischen Figuren geäußert werden, und 3. sich innerhalb einer komischen Bewegungslogik manifestieren. Die verkörperte Ge‐ walt wird dadurch vollkommen von ihren normativen Koordinaten (als körperliche Form des Konflikts und Herrschaftsinstrument) und damit auch von ihrer semantischen Ebene befreit und kann sich so als enthebbares, lustvoll zelebriertes Ereignis materialisieren. Da‐ durch kann das leibliche Bedrohungspotential der präsentierten negativen Emotionen - wie im Neidhartspiel - in der Wahrnehmung der Zuschauer leichter bewältigt und im La‐ chen abgewehrt werden. Die Nürnberger Fastnachtspiele weisen in hoher Zahl solche verbalen Drohgebärden auf, die mit der Präsentation der eigenen Körperlichkeit und der der Kontrahenten verbunden sind. So heißt es in Ein spil von dreien brudern, der rechtent vor eim konig umb ein mul, pock und umb ein paum (Keller Nr. 8): Jungst bruder Hör, lieber herr, hör, wie uns der dankt Mit lachen, spotten und honischen worten (...) Erst bruder Werlein, schweig, oder ich schlach dich, das du prülst als ein ku, Du verheiter, unbehauer, grober narr, Du knebel, du schrol, scheißkarr, Du stest und ragst, sam seist du gefrorn. Ich schlüg dich schier zwischen die orn, Das du furpas dein maul hiltst uber ein dreck. Ich rat dir werlich, du gest hinweck Und dankest got, das dir ist gelungen, Ee ich dir selbs schieß auf die zungen, Das du konst furpas nimmer lappen. 269 Hier wird deutlich, wie sehr verbale Drohgebärden und gegenseitige groteske Beleidi‐ gungen mit den Körpern im Raum verbunden sind. Es geht hier nicht um descriptio, um eine Beschreibung des anderen, es geht vor allem um die sprachliche Präsentation des Kör‐ perlichen im Vollzug des Sprechens. Bei dem Satz „Du stest und ragst, sam seist du gefrorn“ verschmelzen Geste und Sprache zu einem grotesken Bild in der Aufführung. Die Kom‐ munikation beschränkt sich dabei auf die Aufforderung zum Weggehen, welche durch die zahlreichen unterschiedlichen Drohgebärden, die sie begleiten, überdeterminiert ist. Diese sind als Überschuss in performativen Sprechhandlungen aufzufassen, die einen - um mit Freud zu sprechen - viel zu hohen sprachlich-gestischen Aufwand erfordern. Die Theorie der Aufwanddifferenz lässt sich hier deswegen plausibel anwenden, weil Sprache sich völlig körperzentriert und mit körperlichen Handlungen verbunden gibt. 5.5. Narren im Fastnachtspiel: Grotesksprünge als Grotesksprüche 313 270 „Die Lust an diesen Szenen ist so groß, dass die Narren öfters ganz unmotiviert um sich schlagen. Sie drohen mit Schlägen, sie prügeln sich gegenseitig und verhauen andere; sie werden aber auch selbst wenig glimpflich behandelt und oft geschlagen.“ Wyss: Der Narr im schweizerischen Drama, S. 128. Auch in der Küche gibt es häufig Prügelszenen, meist zwischen Koch und Köchin. In alttes‐ tamentarischen Bibelspielen passiert das im 16. Jh. häufig. Auch der Narr balgt sich mit dem Kü‐ chenpersonal herum. In solchen Spielen wird der Narr auch selbst geprügelt. Vgl. ebd., S. 129 f. 271 Ebd., S. 130. 272 Vielmehr als an der Stichhaltigkeit seiner Aussagen zum Fastnachtspiel der frühen Neuzeit, sind seine Beobachtungen zum heutigen Zirkus anzuzweifeln, die es nur dem „einfachen“ Besucher er‐ lauben, zu lachen. 273 Bauern gelten als die komischen Spielfiguren par excellence; ihre drastische Redeweise macht sie zu typisierten, grotesk-komischen Vertretern der Vitalsphäre, die das Publikum durch derbe Späße zu Themen der Skatologie, des Sexuellen sowie mit Schlägereien unterhalten. Mit der Wirklichkeit des Bauernstandes hat dies nur mittelbar, als Element des Imaginären der mentalen Dispositionen des Stadtbürgers zu tun. Vgl. dazu Ragotzky, Hedda: Der Bauer in der Narrenrolle. In: Typus und Indivi‐ dualität im Mittelalter. Hg. von Horst Wenzel. München 1983, S. 77-101. Insgesamt ist das Vergnügen an Prügelszenen von Narren und Bauern auch beim Fast‐ nachtspiel gewaltig. 270 Wyss führt die Attraktivität von Prügelszenen und das Lachen da‐ rüber auf eine transhistorisch invariante Freude am Prügeln zurück: An den grotesken Gebärden eines Streitenden, an den lauten Schimpfreden, am zornigen Geschrei, an den verzerrten Gesichtern, an dem Gekreisch und Schmerzgeheul der Geschlagenen vergnügte sich der Mensch des 16. Jahrhunderts, und es erfreut sich noch am heutigen Tag der einfache Zirkusbesucher daran. 271 Diese Äußerung zeigt sehr schön, dass Wyss nicht über Texte spricht, sondern über Auf‐ führungen, welche erst aus dieser Perspektive verständlich werden. Dabei scheint es, als ob er sich moderner Beobachtungen des Lachens über den Körper bedienen würde, doch seine Aussagen und Thesen sind durchgängig von Regieanweisungen und Textstellen der untersuchten Spiele untermauert. 272 Prügel sind auch ein gern gebrauchtes Merkmal der Umkehrung von Geschlechterrollen, wie am Beispiel des „bösen Weibs“ zu zeigen ist. Im Spiel Ein paurenspil mit einem posem altem weib (Keller 4) verfolgt eine Bauersfrau 273 ihren Ehemann und den Nachbarn: Nu laß dich sehen, wer du seist! Der ander paur: Pox leichnams willen, thu schon, wie reist! Das weib: Nein, narr, ich will dich anders stillen Das weib wirft den pauren nider und schlecht in, das er also schreit: O helft, lieben freunt, pox leichnams willen! Das weib: Se hin dirs scheits, se se se! Der ander paur: O helft, lieben freunt, ee ich gar verge! 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 314 274 Simon macht anhand von Septem Mulieres deutlich: „Bei der Aufführung lag der komische Haupt‐ effekt im ‚cross-dressing‘, das in den Fastnachtstagen allgemein beliebt war.“ Simon, Die Anfänge, S. 68. Simon hatte in seinem Beitrag Carnival Obscenities in German Towns (S. 198) gezeigt, dass der Mummenschanz des cross-dressing junger Männer in Frauenkleidern in der Fastnacht sehr beliebt war. Secht ir nit, wie sie mein thut ramen? Das weib: Se se, tausent teufel namen So dro mir, zann mich mer an! Der ander paur: O helft mir, lieben freunt, davan! O we, mordigo mordigo! Sol ich dan also sterben do? O helft, das ich bleib beim leben! Die zwen pauren fliehen unter die pank und das weib erwischt den ersten pauren etc. Das weib spricht: Nein peit, ich will dir sein anderst geben, Wol furher, das dich die puelen angen! Vor warst du allein, itz sein deu zwen. Wol fur her, ped, und wert euch mein! Ir must heut ped mein aigen sein Dofür hilft weder helf noch bit. (…) Der erst paur: Hör auf, liebs weip, es ist zu ser, Hor auf, schlag nimmer, des pit ich dich (…) O nit pox leichnams willen, nicht! Dein weib erwurgt dich ganz vom leben (…) (K 4, S. 50 f.) Sprache und Regieanweisungen geben die Dynamik und Bewegungsintensität der Szene einmal mehr als nur ansatzweise wieder: die Intensität des Fliehens, Verfolgens, Schlagens und Erleidens mit den dazugehörigen gestischen, parasprachlichen und stimmlichen Ele‐ menten, wie Handheben, Ducken, Schreien, Jammern, Rufen usw. Einige parasprachliche Ausdrücke werden im Text sogar angedeutet, wie das wiederholte „se, se, se“ der Frau, was neben einer möglichen lautlichen Bedeutung (als aufforderndes „sieh“) durchaus auch nur die Geste des Schlagens mit vokalen Mitteln nachahmt. Verben wie „peit“, „o helft“ und „hör auf “ und auffordernde Wendungen wie „wol fur her“ oder Ausrufe wie „mordigo“ oder „o we“ sind sprachliche Gesten, die die actio begleiten und die Affekte der Figuren heraus‐ stellen. Sie verweisen wie auch die Flüche und das Wehklagen der Beteiligten auf die enge Verbindung von Wort und Aktion, die sich auf nichts anderes als auf den Prügelkontext beziehen. Dazu gehört auch die zu vermutende Modulation der Stimme beim cross-dres‐ sing, wenn männliche Darsteller die weibliche Hauptrolle mimisch darstellt. 274 5.5. Narren im Fastnachtspiel: Grotesksprünge als Grotesksprüche 315 275 Vgl. Röcke, Literarische Gegenwelten, S. 423 ff. 276 Vgl. Deleuze, Logik des Sinns, S. 360. Im Hintergrund verbleiben dabei die Gründe für die Prügelei, nämlich der alltägliche Ehekonflikt zwischen Mann und Frau, der Kampf um die Hosen, welcher für das weltliche Spiel des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit schon topischen Charakter angenommen hat. Das Spiel bewältigt in der Aufführung einer verkehrten Welt (Frau als körperlich und sprachlich überlegen) diese Konflikte, indem sie sie aufführt und damit beherrschbar macht, so eine gängige These. 275 Darin liege die spielerische Positivierung des Gemeinen und Niedrigen. Doch eine solche im Grunde schlüssige Lesart der Spiele berücksichtigt nicht, dass es bezüglich der Prügel völlig gleichgültig ist, ob der Bauer von der Bäuerin oder um‐ gekehrt, ob der Narr vom Knecht oder umgekehrt, ob der eine vom anderen Bruder ge‐ schlagen wird. Entscheidend ist die Ausführung und Aufführung des Schlagens auf der Bühne mit all seinen motorischen und proxemischen Erscheinungen, das durch Sprachge‐ bärden des Drohens, Gegendrohens vorbereitet und verstärkt wird. Die eigentliche Funk‐ tion der Szene ist dann, dass durch das Aufführen des Kampfes und der Prügelei mit den Mitteln des „Gemeinen und Niedrigen“ auch der unterliegende Konflikt banalisiert und somit lächerlich gemacht wird. Das hat auch Auswirkungen auf die semantische Ebene: Die Sprache der Fastnachtspiels bindet Aussagen zusammen, von denen erwartet wird, dass sie eine Bedeutung ergeben. Doch die Wahrnehmung dieser Bedeutung (hermeneutisch gesprochen: das Verstehen) wird immer wieder durch die Handlungsebene unterminiert und gestört. Denn die Sprache bezieht sich fast ausschließlich auf die Handlung, die mit ihr vollzogen wird. Es gibt prak‐ tisch keine andere Aussageebene als das Gezeigte und seinen szenischen, häuslichen und alltäglichen Kontext. Wie in der Farce sind die Sätze nicht untereinander, sondern vom Geschehen her motiviert; es sind oft referenzlose, in den Raum gesprochene banale Hand‐ lungssätze, und daher können ihre Vulgarität und ihre Skatologie unlizenziert bleiben. Der Bezug Grotesksprüche - Prügel - Lachen zeigt nachdrücklich, dass komische Fi‐ guren im frühen deutschsprachigen weltlichen Spiel gänzlich auf ihren Körper ausgerichtet sind. Sie befinden sich im Schwellenraum zwischen körperlicher Intensität und verbaler Äußerung, in einem Bereich von Intensität und Intentionalität gleichermaßen. 276 Zeichen‐ haftigkeit, Bedeutung ist hier noch ganz in der Bewegung des Körperlichen und Stimmli‐ chen begriffen, Sinn ergibt sich als Bewegung zwischen Körper und Sprache, ist diese Be‐ wegung. Wie der ästhetische Schaurahmen fehlt, so fehlen auch von den Körpern unabhängige, etwa diskursive Sinnstrukturen; Sprache erscheint weitgehend als verkör‐ perte Sprache. Diese wie auch die gestisch-sprachliche Intensität und Energetik des Körpers zielen auf das rituelle Gelächter des Publikums, und damit auf ihre eigene Präsenz, nicht auf Transposition, Kommunikation, Vermittlung oder schließlich Unterweisung. Somit er‐ zeugt auch das Fastnachtspiel in hohem Maße Gelächter durch Präsenz, der körper‐ lich-sprachlichen Bewegung und Gestik. 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 316 277 Der zusammenfassende Begriff Commedia dell’arte wurde erst im 18. Jh. geprägt, vermutlich von Goldoni. Dabei ist „arte“ nicht im Sinne eines ästhetischen Begriffs von Kunst zu lesen, sondern als technische Virtuosität. 278 Zur methodischen Problematik, das Stegreiftheater angemessen zu erfassen, vgl. Benz, Lore, Stärk, Ekkehard u. Vogt-Spira, Gregor (Hg.): Plautus und die Tradition des Stegreifspiels. Festgabe für Eckard Lefèvre zum 60. Geburtstag. Tübingen 1995. 279 Pierre-Louis Duchartre hat dies in zahlreichen Studien belegt. Vor allem einige der komischen Ty‐ penfiguren weisen auf ihre Herkunft aus der römischen Komödie hin: so der Capitano auf den miles gloriosis, den prahlerischen Krieger, die zanni auf die Sklaven der Komödien Vgl. Duchartre, Pi‐ erre-Louis: La commedia dell’arte et ses enfants. Paris 1977. 280 So erzählt bereits 1521 Pietro Aretino in den Ragionamenti, dass er über einen buffone lachen konnte, der verschiedene Stimmen nachahmte und daraus eine kleine Szene formte. Die daraus entstehende mimetische Karikatur, die mit erotischen, skurrilen und obszönen Elementen angereichert war und aus dem Stegreif rezitiert wurde, kann als eine der Wurzeln des italienischen Stegreiftheaters ange‐ sehen werden. Vgl. Tessari, Roberto: Commedia dell’arte: La maschera e l’ombra. Problemi di storia dello spettacolo. Milano 1981, S. 43 f. 281 Vgl. Krömer, Wolfgang: Die italienische Commedia dell’arte. Darmstadt 1976. 282 Akteure und Publikum standen insofern in einem engen Verhältnis zueinander, als das Stegreifthe‐ ater mit seinen Themen und Figuren, aber vor allem auch seiner szenischen Spontaneität dem Er‐ fahrungsbereich der Zuschauer sehr nahe kam. 5.6. Die lazzi der Commedia dell’arte Die Commedia dell’arte 277 oder commedia all’improvviso ist vielleicht die berühmteste Form des komischen Theaters, in welcher Inszenierungen des Körpers die Hauptrolle spielen. Sie ist auch die einzige konventionelle Inszenierungsform, bei der auch im kulturellen Kontext der frühen Neuzeit die Präsenz des Körpers einen ähnlich überragenden Platz einnimmt wie im spätmittelalterlichen Spiel, vor allem da sie als Stegreiftheater ohne schriftliche Texte auskommt. 278 Deshalb muss sie hier behandelt werden, auch wenn sie zeitlich - der schriftlichen Überlieferung nach zu urteilen - erst mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts in Erscheinung tritt, und ihre Blütezeit mit dem europäischen Erfolg ins 17. Jahrhundert fällt. Die Commedia dell’arte erwächst aus dem popularen Theater der italienischen Städte des Spätmittelalters, wo die Tradition der römischen Atellane und des Mimus noch am lebendigsten geblieben war, 279 und nicht zuletzt aus der Kultur der beffa und der buffoni in Italien. 280 Im Rückgriff auf diese popularen Transformationen antiker Vorbilder und auf weltliche Spielformen des Mittelalters (karnevaleske Farce, Marktplatzspektakel) schufen Schauspieler-Autoren wie Angelo Beolco, genannt Ruzante (1502-1542) und Andrea Calmo die Stegreifkomödie neu. 281 Das daraus entstehende erste unabhängige Berufstheater Eu‐ ropas - von 1545 datiert das notarielle Gründungsdokument einer Schauspieltruppe - wurde bald mit dem Begriff der commedia all’improviso identifiziert. Die für unseren Zusammenhang wesentlichen Aspekte der Aufführungen der Commedia dell’arte sind kurz zusammengefasst die folgenden: Zuvörderst ist die Commedia ein reines Aufführungsphänomen. Es gab kein gemeinsames Textbuch, kein ausführliches Skript, sondern das Bühnenverhalten der einzelnen Schauspieler wurde im Hinblick auf jede Ein‐ zelaufführung in groben Zügen verbunden und koordiniert, indem der Prinzipal eine Hand‐ lung auswählte, in deren Rahmen sich das Spiel der Akteure bewegen sollte (diese wurde später auch auf Theaterskripts, den canovacci, aufgeschrieben). 282 Die Einzelaufführungen orientierten sich dann an den sogenannten lazzi: routinisierten, doch eine erstaunliche 5.6. Die lazzi der Commedia dell’arte 317 283 Die lazzi waren somit vorgeformte Szenen, die rhetorisch und körperlich an die Handlung angepasst werden mussten. In den von Andrea Perrucci formulierten Regeln des Stegreiftheaters (Dell’arte rappresentativa, premeditata e all’improvviso, Napoli 1699) wurde dem Schauspieler empfohlen, vor der Aufführung seine speziellen Effekte wie „dialoghi generici, primuscite, disperazioni, concetti, dialoghi, rimproveri, saluti, paralleli“ vorzubereiten. Vgl. Bartoli, A.: Scenari inediti della Commedia dell’arte. Firenze 1880, S. LXXVI. 284 Dagegen sprachen auch die Masken, welche durch das Fehlen der Mimik die Ausdruckskraft des Schauspielers ganz auf gestische und körperliche Formen konzentrierten. Vgl. Tessari, Commedia dell’arte, S. 15; vgl. ebenso Weihe: Die Paradoxie der Maske, S. 38. 285 Von bestimmten Schauspielern wissen wir, dass sie die Leute alleine mit ihrem Rücken schon zum Lachen gebracht haben sollen. Vgl. Stackelberg, Jürgen von: Metamorphosen des Harlekin. Zur Ge‐ schichte einer Bühnenfigur. München 1996, S. 14. 286 Vgl. Krömer, Die italienische Commedia dell’arte, S. 24 ff. 287 So beschreibt etwa Tomaso Garzoni eine Aufführung der comici in seiner Piazza Universale: „e si dà principio ad un dramatico recitamento che all’uso comico trattiene per lo spazio di circa due ore il popolo con festa, con riso, e con sollazzo.“ Garzoni: La Piazza Universale, S. 763 f. („… und man beginnt eine dramatische Aufführung, die mit komischen Mitteln für ungefähr zwei Stunden das Volk un‐ terhält, mit Freude, mit Lachen und mit Kurzweil.“ (Übers. HRV)). Variationsbreite offen lassenden Bühnengesten bzw. Bewegungsabläufe wie das Fangen einer Fliege, das Überschreiten einer Schwelle usw., welche fast immer komischen, häufig auch obszönen Inhalt hatten. Die lazzi waren auf das Lachen des Publikums ausgerichtet, manchmal aber auch auf die Evokation von Affekten wie Angst, Schrecken oder Ekel. Auf Grund der lazzi-Struktur des Stegreiftheaters verfügten die Schauspieler über ein weitläufiges, in rhetorischen und Bewegungsmustern eingeübtes sprachliches und vor allem pantomimisch-körperliches Repertoire, das sie je nach Bedarf ausspielen konnten. 283 Damit vermochten sie ganze Passagen mit emotionalen Inszenierungen zu bestreiten, wie Drohungen, Vorwürfe, Flehen und Wehklagen, Eifersuchtsszenen und Liebesklagen (in der Commedia spielten auch Frauen, sie waren sogar, wie das Beispiel Isabella Andreinis zeigt, ihre Stars). Dennoch spielten die Schauspieler immer wieder die gleichen Typus, meist war ein Schauspieler sogar auf eine einzige Figur spezialisiert. An der Entfaltung von Perso‐ nenbegriffen durch die Handlung des Dramas war der Commedia somit nie etwas ge‐ legen. 284 Mit Farce, Neidhart- und Fastnachtspiel hat die Commedia die weitgehende Abwesenheit von handlungsdominanten Sinnstrukturen gemeinsam. Es geht hier ebenso wenig wie beim weltlichen Spiel um die Erzeugung von semantischer Komplexität, sondern um das Er‐ zeugen von Gelächter. 285 Daher folgt die frühe Commedia nicht - wie auch nicht das welt‐ liche Schauspiel des Mittelalters - den ästhetischen Prinzipien des klassischen Bühnen‐ theaters. Denn sie bietet nicht die Realisation eines von einem Autor verfassten Textes, sondern Ensemble- und Stegreiftheater, sie ist auf szenische Wirkung (Gelächter) aus und nicht auf die Vertiefung eines Themas mit entsprechender moralischer oder ästhetischer Wirkung (Katharsis), sie zeigt Typen und keine Individuen und schließlich vermittelt sie keine didaktischen Handlungsanleitungen. 286 Worüber aber wird in der Commedia gelacht? Dass viel und heftig gelacht wurde, be‐ zeugen die Zeitgenossen. 287 Das erste längere Dokument einer vollständigen Beschreibung besitzen wir von der denkwürdigen Aufführung anlässlich der Hochzeit Wilhelms von Bayern in München am 22. Februar 1568, welche der Kapellmeister Orlando di Lasso auf 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 318 288 „mit einer Maske, bei deren Anblick regelrecht zum Lachen zwang (...) Alle begannen nun, wer am besten vor Lachen die Zähne zeigen konnte, bis Pantalone die Szene betrat, und schon wieder hörte man nichts anderes als ein allgemeines Sich-Totlachen.“ (Übers. HRV.) Massimo Troiano da Napoli: Discorsi delli trionfi, giostre, apparati e delle cose più notabili. Abgedr. in: Tessari, Roberto: Il mercato d Il mercato delle maschere. In: Storia del teatro moderno e contemporaneo. Hg. von Roberto Alone u. Guido Davico Bonino. Vol. 1: La nascita del teatro moderno. Cinquecento-Seicento. Torino 2000, S. 119-191, hier S. 127. 289 Vgl. die Sammlung von Rezeptionszeugnissen von Tessari, Commedia dell’arte, S. 15-48. 290 Vgl. Tessari, Il mercato delle maschere, S. 135. 291 Scala, Flaminio: Prologo della comedia del Finto Marito. In: La professione del teatro. Hg. von F. Marotti u. G. Romei. Roma 1991, S. 61: „Jede kleine zeitlich und emotional gut gespielte Geste vermag eine größere Wirkung zu haben als die gesamte Philosophie des Aristoteles [hier ist wohl die Poetik gemeint], oder als die Rhetorik, die uns Demosthenes und Cicero vorsetzen. (…) denn tatsächlich sind den Ereignissen die [körperlichen] Handlungen ähnlicher als die [sprachlichen] Erzählungen, und die Komödien bestehen gänzlich und wesentlich aus Handlungen.“ (Übers. HRV). Wunsch des Bräutigams organisierte und selbst mitspielte. Der Schriftsteller Massimo Tro‐ iano gibt in Form eines fiktiven Dialogs ausführlich den Auftritt der Figuren und ihre Schauspieler, die Thematik und die komischen Szenen der Aufführung wieder. Vier Mal wird dabei das Lachen thematisiert: Gelacht wird über den Auftritt des Magnifico (gespielt von Orlando di Lasso), der in einem überlangen Rock und einer skurrilen Maske erschien („con una maschera ch’n vederla forzava la gente a ridere“); über das Singen und laute Klagen vor Liebeskummer desselben mit den zanni, sowie über den Auftritt von Pantalone: „Tutti a chi più posseva a mostrare i denti dalle risa incominciaro et, insino che Pantalone stette in scena, altro che smascellamenti di ridere non se udiva“. Gelacht wurde ebenso über den körperzentrierten Auftritt der beiden zanni, die sich schubsen und den Pantalone stoßen, am Ende wie die Wölfe heulen und einen Windmühlen-lazzo aufführen. 288 Von der christlichen Kritik wurde die Komik der Commedia meist mit unanständiger, volkstümlicher Unterhaltung umschrieben, wobei der „recitazione“ größerer Raum ge‐ widmet wurde als der actio oder den Gesten auf der Bühne. 289 Doch bereits Mitte des 16. Jahrhunderts hatte der Dichter Anton Francesco Grazzini die theatralen Qualitäten der ersten historisch greifbare Schauspieltruppe der Commedia dell’arte, der Kompagnie des Florentiners Benedetto Cantinella, in den höchsten Tönen gelobt. Interessant ist, dass er dabei Begriffe wie „presenza“, „atti“ und „voce“ gebraucht, das von der klerikalen Schul‐ kritik vielgeschmähte Stegreiftheater des Cantinella als hohe szenische und mimische Kunst bezeichnete, deren Zentrum die Ausdruckskunst des Körpers sei. 290 Dieser Beginn einer theoretischen Beschäftigung mit dem Stegreiftheater wurde gegen Anfang des 17. Jahrhunderts weitergeführt, als der Schauspieler Flaminio Scala in einer Einleitung zur Komödie des falschen Ehemannes das komische Theater gegen die bisherige Tradition vollständig von Text und Schrift abkoppelt: Ogni minimo gesto a tempo et affettuoso farà più effetto che tutta la filosofia d’Aristotile, o quanto retorica seppone Demostene e Cicerone. (...) perché in effetto alle azioni son piú simili l’azzioni che le narrazioni, e le commedie nell’azzioni consistono propriamente et in sustanzia. 291 Aus der Perspektive Scalas ist der genere comico vollkommen den formalen Regeln der Komposition und der Realisation eines Textes enthoben, und ganz auf die actio, oder besser noch, das im ‚Ereignis im Vollzug‘ (evento in atto) konzentriert. Dieser frühe performative 5.6. Die lazzi der Commedia dell’arte 319 292 [Denn die Sinne werden von den Sinnen selbst leichter bewegt als von abstrakten Dingen (Übers. HRV)]. Tessari erläutert, was Scala mit den „azzioni“ gemeint hat: es sind alle Gesten und Körper‐ handlungen, die etwa einer Liebesszene eignen: die Tränen, die Blicke, der Kuß, das Ab- und Zu‐ wenden, Aufstehen und Niedersetzen, aber auch das Seufzen, eine besondere Intonation der Stimme, schließlich auch das Wort, das durch den Klang wirkt („la parola che si fa suono“). Tessari, Il mercato delle maschere, S. 136. 293 Dies zeigt etwa eine Bemerkung, die weiter unten in der Einleitung, aus der ich zitiert habe, zu finden ist, und die das Selbstbewusstsein Scalas als Schauspieler deutlich macht: „Chi può sapere meglio i precetti dell’arte che i comici stessi? Che ogni giorno gli mettono in pratica esecitandola? “ Ebd., S. 137. [Wer wüsste besser Bescheid über die Regeln der Kunst als die Komödianten / Schauspieler selbst, welche sie jeden Tag in die Praxis umsetzen? (Übers. HRV)]. Blickwinkel auf das komische Theater lehnt die Idee der repraesentatio fast völlig ab, es geht Scala nicht um die Umsetzung eines Skripts, sondern es geht ihm um den kontingenten und kreativen Prozess der Handlung auf der Bühne. Und dieser wird vor allem durch die Be‐ wegungen und Gesten des Körpers hergestellt, weniger durch Worte, die dabei gesprochen werden. Selbst wenn diese wohl gesetzt seien („ottima locuzione e squisite parole“), ließen sie doch die sinnliche Wahrnehmung („sensualità“) außen vor: „perché i sensi da‘ sensi più agevolmente vengon mossi che dalle cose che sono in astratto“. 292 Scalas Plädoyer für die mimetische, körperliche und auf die actio fokussierte Spielweise erinnert stark an pantomimische Aufführungen, die sicherlich ein wichtiger Teil der Stücke der Commedia waren. Andererseits wurde es vermutlich auch durch die Spielpraxis der Stegreifkomödie selbst beeinflusst, eines Theaters, das ganz auf Effekte der sinnlichen Wahrnehmung seiner Zuschauer ausgerichtet war. 293 Tessari hat den Zusammenhang dieses auf die Reaktion der Zuschauer bezogenen Theaters - und vor allem auf das Lachen dieser Zuschauer - mit der ökonomischen Selbständigkeit der Schauspieltruppen in Zusammen‐ hang gebracht. Lachen steht somit im Zentrum einer Theaterökonomie, die allein auf der Bezahlung von erfolgreicher Unterhaltung beruht. Diese neue Funktion des Lachens als Lebensgrundlage für Komödienschauspieler war in den weltlichen Spielen des Spätmitte‐ lalters noch nicht abzusehen. Sie ist ein neuer Aspekt des komischen Theaters, in dem Moment, da Theater in seiner neuzeitlichen Form entsteht. Dabei zeigt die Zentralität des Lachens, dass es vom Publikum der Commedia gewünscht wurde und seinen Erwartungshorizont maßgeblich prägte. Dieser Erwartungshorizont ist wiederum nicht denkbar ohne den Festrahmen des mittelalterlichen Spiels und seinen ri‐ tuellen und karnevalesken Aspekten. Viele dieser Aspekte, mit denen Farce, Sottie, Fast‐ nacht- und Neidhartspiel Lachen ausgelöst haben, finden sich auch in der Commedia dell‐ ’arte wieder. Es sind beispielsweise die Metamorphosen (Verkleidungen und Verstellungen) der Lachfiguren, ihre Hyperagilität im Bühnenraum (Laufen und Rennen, Akrobatik aller Art, aber auch Schlagen, Prügeln, Stoßen, Schubsen und Ohrfeigen), schnelles und hastiges Sprechen, Sprechen in verschiedenen Sprachen (Grammelot) und schließlich die lazzi selbst, komisch-pantomimisches Surplus und gleichzeitig sehnlichst erwartetes Herzstück der Komödien. Nicht alle Masken sind gleichermaßen komisch. Auch wenn das Spiel aller stark von Körperinszenierungen geprägt ist, so liegt der komische Part meist bei den zanni, wäh‐ rend die Alten und der Capitano eher lächerlich gemacht werden bzw. sich selbst lächerlich machen. 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 320 294 Gambelli, Delia (Hg.): Arlecchino a Parigi, II: Lo scenario di Domenico Biancolelli. 2 Teile. Roma 1997, S. 279. 295 Vgl. Mazouer, Charles: Le jeu avec les objets dans le Scenario de Domenico Biancolelli. In: Le comique corporel: mouvement et comique dans l’espace théâtral du XVIIe siècle. Hg. von Eva Erdmann u. Konrad Schoell. Tübingen 2006, S. 85-99. 296 Stackelberg, Metamorphosen des Harlekin, S. 13. Immer wieder wird die Verwandlungskunst der Masken, und vor allem des Harlekin betont. In Vito Pandolfis Dokumentation zur Geschichte der Commedia dell’arte sind 119 französische und 21 italienische Verkleidungsszenarien verzeichnet, vom Harlekin als Bar‐ bier bis zum Harlekin als Zigeuner, die seine Lust an der Verwandlung bezeugen (Abb. 15). Harlekin war die Figur der Commedia, die wie ein Joker in jedem Stück eingesetzt werden konnte, und daher meist den begabtesten und versiertesten Schauspielern zugedacht war (etwa Domenico Biancolelli, der Leiter der italienischen Truppe, die am Hof Ludwigs XIV . spielte). Die körperlichen Metamorphosen Harlekins sind vielfältig: Er tritt in Verklei‐ dungen mit unterschiedlichen, charakteristischen Accessoires auf, ohne dass er nicht wieder als Harlekin erkennbar wäre; als Maler, als Arzt, Liebhaber, Ehemann, Ehefrau, Edelmann, Gelehrter und vieles mehr. Biancolelli beschreibt, wie er sich als Frau verkleidet: „sous ma mante on apperçoit alors des tetons enormes et une coeffure des plus hauttes.“ 294 Die Kleidung ist als das erste Accessoire des komischen Schauspielers bereits komisches Objekt, es kann als ein Lachanlass fungieren. 295 Auch der Klang der Sprache und die Mehrsprachigkeit werden in der Commedia zum Lachanlass. Die unterschiedlichen Herkunftsorte der Schauspieler bestimmter Masken machten deren Dialektfärbung zum Markenzeichen der Figuren und konnten hemmungslos übertrieben und karikiert werden. So sprach der Pulcinella neapolitanisch, Pantalone ve‐ nezianisch, der Dottore bolognesisch, die beiden zanni, der Harlekin und Brighella berga‐ maskisch, usw. In Frankreich, wo die Commedia sich weiterentwickelte, sprachen die Schauspieltruppen ein bizarres Makkaronisch aus italienischen Dialekten und Französisch, mit lateinischen Einsprengseln, je nach komischer Figur. Diese asemantischen sprachlichen Strukturen der Commedia sind nur zu erklären, wenn man sich immer wieder bewusst macht, dass die Körpersprache in Form von Gesten und pantomimischer actio auch die wichtigste Ressource für die Zeichenübertragung war. Dies verlangte höchste Virtuosität: „Sie mussten geschulte Pantomimen sein, mussten ihren Körper ‚sprechen lassen‘ können, sich gänzlich mit ihren Rollen identifizieren und den jeweils erforderlichen Text weitgehend improvisieren.“ 296 5.6. Die lazzi der Commedia dell’arte 321 Abb. 15: Zaccagnino, Maske des zweiten Zanni-Fachs, ähnlich dem Arlecchino Neben den sprachlichen Deformationen sind natürlich körperliche ebenso vorhanden: So hat Pulcinella einen überdimensionierten Buckel, um eine breitere Angriffsfläche für die 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 322 297 Capozza, Nicoletta (Hg.): Tutti i lazzi della Commedia dell’arte. Un catalogo ragionato del patrimonio dei Comici. Roma 2006. 298 Zit. aus Tessari, Commedia dell’Arte, S. 115 f. [Polidoro nahm einen Stock und gab ihm so viele Schläge (unter dem Klang des schallenden Gelächters der Zuschauer), so dass er sich mehr als ich, glaube ich, daran erinnern dürfte (Übers. HRV)]. 299 So hat der berühmte Schauspieler und Leiter einer italienischen Schauspieltruppe in Paris Domenico Biancolelli ein Scenario hinterlassen, in welchem er verschiedene Lazzi aufschrieb. Vgl. Gambelli: Arlecchino a Parigi. Die lazzi in diesem Notizbuch sind aber auch in den neuen Katalog der lazzi von Nicoletta Capozza eingegangen. 300 Vgl. Capozza, Tutti i lazzi della Commedia dell’arte, S. 7-14. 301 Aus Adriani, Placido: Selva overo Zibaldone di concetti comici, zit. aus Tessari: Il mercato delle Ma‐ schere, S. 165. Prügel zu bieten, die er häufig bezieht. Der verkrüppelte Körper Pulcinellas schließt an die Behinderungen der Sklaven der römischen Komödie an, aber auch an die Grausamkeit der mittelalterlichen Spiele: er schreibt quasi grotesk-komische Szenarien vor. Pulcinella und die anderen zanni streichen häufig Prügel für ihre Dummheiten, Abenteuer und Listen ein, auch wenn sie ihrer Herrschaft geistig überlegen sind. Sie sind mit einem sogenannten bataccio ausgerüstet, mit dem sie sich auch gerne gegenseitig verprügeln. Die Pritschen (als special effect) waren so konstruiert, dass sie entweder beim Aufprall oder durch abruptes Innehalten ein Schlaggeräusch erzeugten. Prügelszenen gehören zu den typischen lazzi, die jederzeit in die Handlung eingebaut werden und je nach Ursache, Intensität, und Accessoires variieren konnten. Der von Ni‐ coletta Capozza zusammengestellte Catalogo ragionato di tutti i lazzi della Commedia dell‐ ’Arte 297 verzeichnet 168 Prügelszenen und nochmals 26, die mit anderen lazzi verknüpft sind. Wir besitzen sogar Beschreibungen von solchen Szenen, Dokumente, die übrigens auch für Inszenierung und Ablauf von Prügelszenen im spätmittelalterlichen und frühneu‐ zeitlichen Spiel überhaupt Belegwert besitzen, da die kulturellen Unterschiede bei diesem Sujet eher als quantité négligeable zu bezeichnen sind. In Massimo Troianos Bericht der Münchner Hochzeit von 1568 ist zu lesen: „Polidoro (...) pigliò un bastone e tante nelli diede (al suono delle grassone rise che gli ascoltanti facevano) che lui più che me, credo, ricordar si deve.“ 298 Die Beschreibungen und Erwähnungen von lazzi stammen aus verschiedenen Quellen; aus sogenannten Zibaldoni, schriftlichen Repertoires von kurzen Dialogen, Mo‐ nologen und Szenen aus dem Umfeld der Truppen, 299 aus einigen, meist im 17. Jahrhundert schriftlich verfassten Stücken, aus Beschreibungen und Kritiken von Zuschauern der Ko‐ mödien oder anderen theatergeschichtlichen Sammlungen. 300 Die meisten lazzi waren körperlicher, mimischer Art und wurden mehrheitlich von den zanni, häufig als kurze Zwischensketche oder Digressionen aufgeführt. Ein Beispiel: Ar‐ lecchino fängt eine imaginäre Fliege, reißt ihr die Beine aus und verspeist genüssliche den Rest. Oder: Einer hat den Mund voll Wasser, das in dem Moment herausspritzt, wenn der andere ihm eine Ohrfeige gibt. Oder auch der lazzo della scarpa: Pulcinella soll ins Gefängnis gebracht werden, bittet zuvor darum, sich den Schuh zubinden zu dürfen und greift im Bücken je ein Bein der beiden Gendarmen, reißt ihnen die Beine weg, sie kommen zu Fall und er kann entkommen. 301 Die frühesten Definitionen sehen den lazzo als scherzo (Andrea Perucci) oder als laccio, als ein Lachen erregendes ‚Bändchen‘ zwischen zwei Haupthand‐ 5.6. Die lazzi der Commedia dell’arte 323 302 Riccoboni versteht unter einem lazzo in seinem Théâtre italien folgendes: „Nous appe lons lazzi ce que Arlequin ou les autres acteurs masqués font au milieu d’une scène qu’ils interrompent par des épouvantes, ou par des badineries étrangères au sujet de la matière que l’on traite, et à laquelle on est pourtant obligé de revenir: or ce sont ces inutilités qui ne consistent que dans le jeu que l’acteur invente suivant son génie, que les Comédiens Italiens nomment lazzi‘“. Zit. aus Bartoli, Scenari inediti della Commedia dell’Arte, S. LXXXVIIff. 303 Die folgenden lazzi sind sämtlich dem Catalogo von Capezza entnommen. 304 Vgl. zu den Verstellungskünsten des Harlekin Stackelberg: Metamorphosen des Harlekin. lungen oder Szenen (Luigi Riccoboni). 302 Dieses schöne Bild ist etymologisch jedoch nicht korrekt, denn lazzo ist die volkssprachliche Kontraktion aus dem lateinischen actio. Dies erklärt auch die große Bedeutung, die Flaminio Scala der actio zugesprochen hatte, und es erklärt wiederum die Bedeutung des Körpers in diesen kurzen, lächerlichen Handlungen. Tatsächlich ist der Körper an allen im Catalogo ragionato verzeichneten lazzi maßgeblich beteiligt. 303 Da sind zunächst die rein aus physischer Aktivität bestehenden lazzi acrobatici und lazzi di cascate, Stürze über Gegenstände, die eigenen Beine oder die anderer, bei Nacht, von Treppen herunter und Treppen hinauf; sodann Sprünge (lazzi di cavalcare) auf den Rücken der Mitspieler oder von dort herab, auf Stühle und Tische, über andere Körper, Salti und Purzelbäume; schließlich lazzi mit gebundenen Händen oder Füßen, lazzi des Verste‐ ckens und Suchens, lazzi del finto morto, d. h. des Sterbens und sich tot Stellens, des schla‐ fend Stellens und vieles mehr. Eine verwandte Kategorie sind die lazzi muti wie die des Gestikulierens im Falle von Taubheit oder Stummheit, lazzi der Körperverstellung, indem Zwerge oder Riesen, aber auch der Gang anderer Menschen, bestimmte Berufsgruppen (fechten, jagen usw.) oder aber Tiere körperlich nachgeahmt werden. Eine dritte Gruppe bilden die erotischen, obszönen und skatologischen lazzi, welche vor allem Körperhal‐ tungen und -bewegungen unmissverständlicher Art, obszöne Gesten, die Nachahmung von Flatulenz und Defäktion, ja bis zur Imitation der Kastration und der Kopulation umfassen, welche ausschließlich von den zanni ausgeführt werden. Die erotischen lazzi dagegen, welche Eifersucht, Verliebtheit, Anbandeln und Schäkern, sowie Zurückweisung und Lie‐ beskummer zeigen, sind den innamorati bzw. auch dem Capitano vorbehalten. Eine weitere Kategorie sind die lazzi di travestimento ed equivoco, vor allem cross-dres‐ sings, Verkleidungen als Arzt, Gelehrter, Magier, Astrologe, Patrizier, Fremder oder Teufel. Harlekin kann etwa über verschiedene Verstellungen und akrobatische Kniffe zum Zwerg werden, indem er ganz zusammengebückt geht, oder zum Riesen, wenn er sich auf ver‐ steckte Stelzen stellt, er kann zu jedem beliebigen Tier oder auch zum Objekt werden. 304 Schließlich die lazzi, in welchen Wutausbrüche und Anfälle von Veitstanz (Zuckungen) gespielt werden, solche, in denen Angstzustände vor Teufeln, Dämonen, Schatten, Fremden oder ganz häufig: Prügel gespielt werden, die sich dann auflösen (lazzi di paura). Zu er‐ wähnen sind auch lazzi mit Gegenständen (lazzi con oggetti). Die Schauspieler benutzen alles, was greifbar ist, und machen es zum komischen Objekt, indem sie seinen Zweck verfremden: Teller und Töpfe werden geworfen, Flüssigkeiten über die Köpfe der anderen Schauspieler gegossen, Flaschen auf ihren Köpfen zertrümmert, Wein ins Gesicht des an‐ deren gespritzt und vieles mehr. Auch kann ein unbelebtes Objekt belebt werden und ein menschliches Aussehen erhalten; wenn etwa der Hut Harlekins hinter einer Wand auf einem Stock balanciert wird, sodass man nur diesen sieht, oder ein Stock mit Hut genügt, 5. Der komische Auftritt: Aufführungsformen des Körpers 324 305 Vgl. Mazouer, Le jeu avec les objets, S. 93. Scaramouche zu imitieren. 305 Die Mehrheit der im Katalog verzeichneten lazzi sind jedoch Kombinationen aus den verschiedenen Kategorien, häufig auch mit verbalen lazzi ver‐ bunden (sogenannte lazzi ibridi). So entstehen in der Aufführung komplette Szenen, mit hohem, teils akrobatischem Körpereinsatz, mit körpersprachlichen Gesten und Bewe‐ gungen, mit Worten, die das Wichtigste andeuten, mit stimmlichen und prosodischen, mit parasprachlichen Äußerungen. All das kann je nach Szene und je nach Bedarf länger oder kürzer sein, und es ist dem Zusammenspiel der Schauspieler und ihrer Präsenz und Ener‐ getik überlassen, dass diese hybriden Szenen die komische Wirkung erreichen, für die sie gemacht sind: das Lachen des Publikums immer wieder hervorzurufen. Die Commedia dell’arte „rettet“ somit die komischen Körperinszenierungen der antiken Komödie und des mittelalterlichen Theaters in die Neuzeit, indem sie sich zwar die Bindung an deren rituelle Rahmungen (Fest, Karneval, öffentliche Aufführungen an zentralen Orten) weitgehend auflöst, das kontinuierliche rituelle Lachen jedoch durch eine ausgefeilte ko‐ mische Virtuosität des Körpers, wie sie nur professionellen Schauspielern eigen ist, mehr als kompensiert. Die Commedia fungiert somit als ‚Brücke‘ zwischen mittelalterlichem und neuzeitlichem Theater: Wie Farce und Fastnachtspiel noch ganz auf Präsenz, auf gestisches Sprechen und die Produktion von gemeinschaftlichem Gelächter ausgerichtet, schafft sie jedoch in der actio ihrer Szenenfolgen, ihrer Fokussierung von Handlung eine neue Art von Komik, die ihre Wirkung auch über das Auftreten überraschender Wen‐ dungen, über plötzliche Änderungen im Spiel oder Entwicklungen in der Handlung erzeugt. Die textlose Spielgattung der Commedia zeigt noch einmal in aller Klarheit, wie sehr das Lachen des Publikums während der Aufführung an die komischen Elemente der Auffüh‐ rung gebunden ist; Spieltexte alleine können es nicht auslösen. Ob das bei Erzähltexten in Vers und Prosa anders war, werde ich im nächsten Kapitel untersuchen. 5.6. Die lazzi der Commedia dell’arte 325 6. Erzählung, Imagination und Lachen - Die Literarisierung des komischen Körpers 6.1. Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers: Performance, Imagination und Text Im vorangegangenen Abschnitt dieses Buches habe ich Formen der performativen Komik in Schauspielen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit untersucht. Ausgehend vom the‐ aterwissenschaftlichen Performance-Modell, welches die Aufführung und Prozessualität komischer Handlungen, ihre Materialität und Medialität im theatralen Rahmen analysiert, habe ich die Spieltexte verschiedener Schauspielgattungen mit dem verfügbaren Wissen über historische Aufführungspraktiken in Beziehung gesetzt. Es hat sich gezeigt, dass die Erregung von Gelächter durch Possenreißer und andere Lachfiguren im Osterspiel (Krä‐ merszene), im Neidhart- und Fastnachtspiel, in Farce und Sottie und der Commedia dell’arte nicht allein durch Redekomik und deren semantische Exaltationen und Inversionen aus‐ gelöst wird, sondern durch performative Prozesse, welche innerhalb eines theatral-rituellen Rahmens sowohl proxemische und motorische Elemente des komischen Auftritts und der Aufführung, Aspekte der Körperkomik (Gestik, Mimik, Verwandlungen, Stimmlichkeit, Präsenz), als auch eine in vielerlei Hinsicht verkörperte, vom Körper ausgehende Sprach‐ komik umfassen. Im Schauspiel erscheint scurrilitas als ein komplexes Vermögen von Pos‐ senreißern wie Rubin, Neidhart oder den Narrenfiguren, histrionische Techniken des Aus‐ lösens von Gelächter anzuwenden, zu parodieren und im Rahmen des Laienschauspiels (bei der Commedia sind es semi-professionelle Schauspieler) bezüglich ihrer Rolle zu aktuali‐ sieren. Dadurch, dass die histrionischen Techniken und Aufführungspraktiken der Possen‐ reißer im komischen Auftritt und in komischen Szenen nicht sämtlich gattungsspezifisch, sondern im Gegenteil gattungsübergreifend verwendet werden (als theatrale Konstanten können schnelle Bewegungen, lautes Rufen und Schreien, Störungen normativer Hexis im Stolpern und Fallen, Publikumsansprachen, verkörpertes, grobdrastisches Sprechen, Prü‐ geln, Verstellung, Gestikulation, Grimassieren usw. genannt werden), bildete sich ein vi‐ suell-akustisches Körperschema des scurra heraus, das weiten Publikumsschichten bekannt war und von diesen bei Aufführungen auch erwartet wurde. Dieses Körperschema konnte auch auf andere Figuren übertragen werden (Teufel und Bauern in Oster-, Neidhart- und Fastnachtsspielen), bei denen die performativen die in der Figurenrolle angelegten seman‐ tischen Ausdrucksmittel ergänzen, was zu starken Ambivalenzen in der Wahrnehmung führt: etwa von Teufelsfiguren im Osterspiel, die zwischen Terror und Lächerlichkeit os‐ zillieren, oder von Bauern im Neidhartspiel, welche mit Holzbeinen tanzen müssen. Die körperliche Apperzeption dieses Schemas während des Schauspiels aktualisierte jene im kollektiven Bewußtsein gespeicherten Erinnerungsbilder von anderen Körperinszenie‐ rungen des Komischen, wie sie aus den Praktiken von höfischen und städtischen Possen‐ reißer- und Narrenfiguren bekannt waren (Kap. 4) und überlagerte sich mit ihnen. 1 Chambers, Ross: Story and Situation, Minneapolis 1984, S. 56. 2 Zumthor, Paul: Performance et lecture. In: P. Z.: Performance, réception, lecture. Québec 1990, S. 67-80. Wie bei den Praktiken von Hof- und Schalksnarren darf auch in den Schauspielauffüh‐ rungen von lautem Gelächter des anwesenden Publikums ausgegangen werden. Das Lachen kann als Antwort auf eine direkte Wahrnehmung der komischen Performance gewertet werden, zu seinen Rahmenbedingungen zählen auch die leiblich-materielle Kopräsenz von Akteuren und Zuschauern, die sinnliche Perzeption von komischen Bewegungen sowie von mimetischen Handlungen und Gesten, welche affektive Stimuli und Einleibung bewirken. Was aber, wenn diese Bedingungen wegfallen, und nur das Hören oder Lesen einer schriftlich gefassten Erzählung vorliegt? Können auch Erzählungen von komischen Kör‐ perinszenierungen auf Lachen ausgerichtet sein, können sie dieses Lachen evozieren, und wenn ja, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise? Es scheint auf den ersten Blick freilich so, dass die Rezeption von gehörten oder gar gelesenen Handlungen und Aussagen von komischen Figuren bzw. Helden nur in reduzierter und veränderter Form zum Lachen führen kann. Der Körper als Lachanlass ist nicht anwesend, es fehlt seine Präsenz, von der die lächerliche Wirkung ausgehen kann, es fehlt die Aufführung als Voraussetzung des Lachens über Körperliches. Dennoch sind auch Erzählungen kommunikative Akte, die sich für ihre spezifischen Kommunikationsziele performativer Mittel bedienen - performativ deshalb, weil sie menschliche Körper in Form von lautlichen bzw. schriftlichen Zeichen‐ folgen dergestalt inszenieren und dramatisieren, dass sie ihren Rezipienten wie in einer lebendigen, bewegten Szene erscheinen. Jene sprachlichen Inszenierungen und Dramati‐ sierungen des menschlichen Körpers können über die menschliche Fähigkeit der Imagina‐ tion, der aktiven und kreativen Leistung des Vor-Augen-Stellens abgerufen werden. 1 Daraus ergibt sich die Frage, in welchem Ausmaß überhaupt und auf welche Arten und Weisen scurrilitas sich zwischen 1400 und 1500 narrativ und textuell erzeugen ließ. Das Material, das ich im Folgenden untersuche, sind Texte, in denen es um komische Inszenierungen von Possenreißern geht, um deren eigenen Körper und denjenigen von anderen Figuren im Text. Es sind Schwankromane, Novellen und andere schwankhafte Erzählformen, die auf die Aktivierung bestimmter Wahrnehmungs- und Vorstellungspotentiale ausgerichtet sind, welche als Körperschemata bereits im Bewusstsein der Zuhörer und Leser vorhanden sind. Visualisierte szenische Handlungen und Beschreibungen in Texten wären dann als die Imagination befeuernde und steuernde textuelle und sprachliche Strategien anzusehen, welche die Aufgabe haben, beim (Vor-)Lesen der Texte das Lachen der Rezipienten auszu‐ lösen. Diese Annahmen haben Folgen für die Bestimmung der Sprache im Text: Sprache muss dann notwendigerweise als verkörperte Sprache bestimmt werden, die ihre Träger, die im Text auftretenden Figuren, in ihrer körperlichen Präsenz, ihrer Stimmlichkeit und Leib‐ lichkeit erfahrbar macht. Textuelle komische Performances wären so als szenische Imagi‐ nationsstimuli für die Aufführung anzusehen, die im Akt des Vortrags bzw. Lesens das Lachen der Rezipienten auslösen sollen. Denn auch ein Text wird durch den Vortrag, das Vorlesen und selbst noch das leise Lesen, welches Zumthor als „degré zero de la perfor‐ mance“ bestimmte, gewissermaßen aufgeführt. 2 6.1. Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers 327 3 Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt a. M. 1991, S. 504. 4 Aus semiotischer Sicht schlägt Martin Huber den Begriff der ‚narrativen Inszenierung‘ vor, um Ele‐ mente des Theatralen in literarischen Texten genauer bezeichnen zu können. Sie trügen zur Gene‐ rierung eines „Erkenntnismodell[s] [bei], in das potentiell all jene Zeichenfelder integriert werden können, die eine Theaterbühne zur Bühne machen“. In Texten stünden diese Elemente allerdings stets in einer erzählten, mithin bereits medial vermittelten Form zur Verfügung. Huber, Martin: Der Text als Bühne. Theatrales Erzählen um 1800. Göttingen 2003, S. 81 f. 5 Unter Selbstaffektion verstehe ich nach Kant die Fähigkeit des menschlichen Geistes, „mit Hilfe der Einbildungskraft sinnlich gegebene Elemente in die Anschauung einzuzeichnen“. Nach Lohmar, Dieter: Über phantasmatische Selbstaffektion in der typisierenden Apperzeption und im inneren Zeitbewusstsein. Leitmotiv 3 (2003), S. 67-80, hier S. 68. 6 Arend, Lachen und Komik in Giovanni Boccaccios Decameron, S. 219 u. 253 f. 7 Libro de Buen Amor, zit nach Gumbrecht, Literarische Gegenwelten, S. 45. Ich habe im Einleitungsteil den Begriff der Inszenierung, mit dem ich im Folgenden ar‐ beite, nach Iser als ein kulturerzeugendes Prinzip bestimmt, „das zur Erscheinung zu bringen, was seiner Natur nach nicht gegenständlich zu werden vermag.“ 3 Im Unterschied zur Inszenierung auf der Bühne fehlen der „narrativen Inszenierung“ viele Aspekte, die der Erzähler ersetzen bzw. simulieren muss. Er kann dies auf verschiede Weise tun: indem er die Mündlichkeit des Vortrags antizipiert (Publikumsadressen, Dialogizität, kolloquiale Re‐ deweise), aber auch indem er seine Adressaten in eine Aufführungssituation versetzt, sze‐ nische und deiktisch-raumillusionistische Elemente einbringt, die Effekte der Gegenwär‐ tigkeit und körperlichen Teilhabe auslösen sollen. 4 Solche Strategien ermöglichen es der narrativen Inszenierung, theatrale bzw. szenische Geschehensabläufe „zur Erscheinung zu bringen“. Im Zusammenhang mit dieser Vergegenwärtigung narrativer Inszenierungen in der Rezeptionssituation ist auch die Übertragung von Affekten zu sehen, da sie erst dann wirksam werden, wenn dem Publikum Möglichkeiten der Teilhabe und Immersion gegeben sind, um Selbstaffektion auszulösen. 5 Dies kann generell auch für narrativ inszenierte Lachanlässe gelten, da sie ihr Publikum affizieren und zum Lachen bringen sollen. Beispiele dafür finden sich in der mittelalterli‐ chen und frühneuzeitlichen Literatur zuhauf. So erzählt Boccaccio in seinem Dekameron, wie sich die brigata durch das gegenseitige Erzählen von Geschichten untereinander zum Lachen bringt; Komik und Lachen werden als kommunikativer Zusammenhang inszeniert. Das Lachen ist aber viel mehr als ein reflexhaftes Reagieren auf einen komischen Stimulus; es kann als ein „Medium der Kommunikation“ zwischen den Figuren und als eine Form der Rezeptionssteuerung angesehen werden, dergestalt, dass es sich um eine Vorprägung des Lachens der Rezipienten über die erzählten Novellen handelt. 6 Die narrative Inszenierung des Lachens durch (mündliches) Erzählen wirkt als affektiver Stimulus für die Selbstaffek‐ tion der Rezipienten. Im Libro de Buen Amor des Arcipreste de Hita erwartet sein Verfasser Lachen als Reaktion auf seinen Text; „e porque de buen senso non puede omne reír, / avré algunas burlas aqui a enxerir.“ 7 Schwank- und Märenliteratur formulieren diesen Rezept‐ ionszusammenhang ebenfalls; ein schönes Beispiel ist der Beginn des Märe von „Schrätel und Wasserbär“: Swer hovelîcher mære ger, der neige herze und ôre her, 6. Erzählung, Imagination und Lachen 328 8 Schrätel und Wasserbär. In: Novellistik des Mittelalters. Hg. von Klaus Grubmüller. Frankfurt a. M.1996, S. 698. 9 Das Lachen anhand von Texten wird auch in anderen Märenerzählungen thematisiert: im Märe von den drei buhlerischen Frauen (Niewöhner: Neues Gesamtabenteuer Bd. 1 1967, S. 111) wird die Er‐ zählung als ein „seltsæniu maere“ bezeichnet, über die man „wol lachen“ soll. 10 „Freundliche Leser dieses Buches, / legt ab jede Leidenschaft / und erregt euch nicht beim Lesen: / Es enthält durchaus nichts Ansteckendes. / Wahr ist, dass Ihr hier wenig Vollendetes / erfahren werdet, wenn nicht im Fall des Lachens. / Ein anderes Thema kann mein Herz nicht wählen, / wenn ich den Schmerz betrachte, der euch bedroht und euch verzehrt, / Besser ist’s, vom Lachen als von Tränen zu schreiben, / denn das Lachen ist des Menschen Eigenreich.“ (Übers. HRV). Rabelais, Fran‐ çois: Gargantua. Hg. von Floyd Grey. Paris 1995, S. 1. 11 „Ihr lacht hier auf, ihr Säufer, und ihr glaubt nicht, dass dies die Wahrheit ist, wie ich sie euch erzähle. Ich wüßte nicht, was ich dagegen tun sollte. Glaubt es, wenn ihr wollt, und wenn ihr nicht wollt, so geht hin, es zu sehen. Aber ich weiß sehr gut, was ich gesehen habe“. Rabelais, Gargantua, S. 152. dem gibet diese âventiure ein lachen zu stiure. (Vv. 1-4) 8 Nicht nur gibt der Text Hinweise auf die Rezeptionssituation (mit dem Herzen und dem Ohr hören), sondern er nimmt auch die Reaktion der Hörer vorweg: das Lachen. Dieser vom mündlichen Sprechgestus geprägte Beginn ist typisch für die Vortragssituation eines Fahrenden, wie er etwa auch in den französischen Fabliaux häufig anzutreffen ist, in wel‐ chen die Ankündigung von Gelächter in den Prologen fast topisch ist. 9 Wie aber sind Texte zu beurteilen, die sich explizit an Leser wenden, und dennoch vom Lachen sprechen? Ein bekannter Beleg für die Behauptung eines Verfassers, sein Text könne Lachen erzeugen, ist die „Vorrede an die Leser“ in Francois Rabelais’ Gargantua (1532): Amis lecteurs, qui ce livre lisez, Despouillez vous de toute affection, Et, le lisants, ne vous scandalisez: Il ne contient mal ne infection. Vray est qu’icy peu de perfection Vous apprendrez, si non en cas de rire; Aultre argument ne peut mon cueur elire, Voiant le dueil qui vous mine et consomme: Mieulx est de ris que de larmes escrire, Pource que rire est le Propre de l’homme. 10 Auch wenn Rabelais hier stärker auf den Inhalt seines Buches abzielt, so lässt er doch mit der diätetisch intendierten Formulierung, das Lachen könne Melancholie und Schmerz vertreiben, keinen Zweifel daran, dass dieses Lachen sich auch der Leser, seiner Freunde, bemächtigen solle. Die intendierten Leser des Gargantua sind offensichtlich Personen, die auch leise lesen können, doch wird offen gelassen, ob der Text leise oder laut vorgelesen wird. Entscheidend an der Vorrede ist, dass Rabelais seine Leser als Lachende anspricht, als Lachende konzipiert, weil sie nur als Lachende seine idealen Leser sind. So im Ka‐ pitel XXXVIII des Quart Livre: „Vous truphez ici, beuveurs, et ne croyez que ainsi soit en verité comme je vous raconte. Je ne scaurois que vous en faire. Croyez le, si voulez; si ne voulez, allez y veoir. Mais je scay bien ce que je veidz.“ 11 Dass hier der lachende Leser eine 6.1. Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers 329 12 In den Worten des Rabelais-Kenners de Rocher: „Thus Rabelais creates his own laughing reader for this entire chapter“. De Rocher, Gregory: Rabelais’s Laughers and Joubert’s Traité du Ris. Alabama 1979, S. 73. 13 Vgl. zum Herstellen von Gemeinschaft in der Vorrede Jeanneret, Michel: „‚Amis lecteurs‘. Rabelais, interprétation et éthique. Poétique 164 (2010), H. 4, S. 419-431. 14 Joubert, Laurent: Traicté dv Ris, contenant son essance, ses cavses, et mervelheus effais, curieusemant recerchés, raisonnés & observés. Paris 1579, S. 27. 15 Joubert, Traicté dv Ris, Chap. 3: Des propos ridicules, S. 29. Hier beschäftigt sich Joubert mit jenen Dingen, die in der Erzählung vor unserem Auge erscheinen: „[Dinge], welche vorgetragen werden, als ob sie getan und bezeugt worden sind, und welche während der Erzählung vor unseren Augen zu stehen scheinen. Daher kommt es, dass wir nicht weniger über sie lachen, als ob man sie tatsächlich sehen würde.“ Im Anschluss gibt Joubert Hinweise auf die vielfältigen Arten der Erzeugung von Gelächter im Gespräch, mit Hilfe von Ironie, Rhetorik (bonmots, schlagfertige Antworten, Witze), humorvolles Erzählen usw. 16 Mellmann, Katja: Emotionalisierung. Von der Nebenstundenpoesie zum Buch als Freund. Eine emoti‐ onspsychologische Analyse der Literatur der Aufklärungsepoche. (= Poetogenesis, 4). Paderborn 2006, S. 78 ff. Fiktion von Rabelais’ Text ist, wie de Rocher vermutet, erscheint zwar plausibel, 12 wichtig ist aber vielmehr, dass der Leser als Lachender angesprochen wird, ähnlich wie in der mündlichen Rezeptionssituation der Hörer als Lachender adressiert wird. Rabelais versucht, die Performanz der face-to-face-Kommunikation in den Text hineinzutragen und durch das gemeinsame Lachen Gemeinschaft mit den Lesern herzustellen. 13 Wie aber kann Lachen einsetzen, wenn eine Erzählung gehört oder gelesen wird? Diese Frage stellten sich auch die Zeitgenossen von Rabelais, und Laurent Joubert hat sie in seinem Traktat Traicté dv Ris wie folgt beantwortet: Für ihn liegt die Erzählung, welcher er einen bedeutenden Platz in seiner Lachtheorie einräumt, kategorial auf der gleichen Ebene wie die mit den Sinnen wahrgenommenen komischen Vorgänge. Er betrachtet sie als ebenso wirkmächtigen Lachanlass wie diese, wenn er von der narration sagt: „nous an rions presque autant, que si on les faisoit deuant nous.“ 14 Den Grund dafür sieht er im Vermögen des Menschen, sich das Gehörte bildlich vor Augen stellen zu können: „(…) ceus qu’on recite auoir eté fais & vus, qui durant la narration samblet etre deuant les yeus: dont il auiét, qu’on n’an rid pas moins, que si on les voyoit.“ 15 Dieser Befund Jouberts wird von neueren emotionspsychologischen Forschungen zur Text-Leser-Relation bestätigt. So erläutert Katja Mellmann, dass zwischen emotionalen Re‐ aktionen auf reale Stimuli einerseits und auf fiktionale Stimuli andererseits ein kategorialer Unterschied nicht feststellbar ist. Nach Mellmann können bei der Rezeption von Texten Emotionen und daher auch Lachen genauso ausgelöst werden wie dies durch faktuale Vor‐ kommnisse und Situationen geschieht, denn unser Bewusstsein „formatiere“ literarische Kommunikation nach dem Modell tatsächlicher Erfahrung. Dies bezeichnet Mellmann als „Attrappenwirkung von Literatur“, denn der Text stelle „emotionale Auslöseschemata“ zur Verfügung, kognitiv vermittelte Kennreize, welche über die Imaginationsbildung in der Lektüre eine der „wirklichen“ Erfahrungswelt gleichkommende Fiktion konstituieren können. 16 Sehen wir uns nun genauer an, was Joubert meint, wenn er davon spricht, dass „Er‐ zähltes“ („recite“) Lachen auslösen könne. Er nennt zunächst das, wovon er schon gehandelt hatte, nämlich (mündlich wiedergegebene) Erzählungen von närrischen Handlungen, Täu‐ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 330 17 Joubert, Traicté dv Ris, Chap. 9, S. 63: „Daher bekräftigen wir, dass die wichtigste Gelegenheit für das Lachen im Begehren enthalten ist, das ohne Berührung der Imagination folgt und so offenkundig das Herz bewegt und es zu verschiedenen Affekten bringt“. 18 „Denn die Erinnerung stellt das, was man in der Vergangenheit gesehen hat, vor Augen, und ist in der Lage, die Sinne zu bewegen genauso wie gegenwärtige Dinge“. Ebd., Chap. 3, S. 38. schungen, Irrtümern usw., vorausgesetzt, sie werden in einem Zug erzählt. Wichtiger ist jedoch, dass er zu diesen Erzählungen auch literarische Texte rechnet, Fazetien und Schwänke wie diejenigen Poggio Bracciolinis oder Boccaccios („A cecy donc appertiennet les fables & contes facecieus, cóme de Poge Floratin, & les nouuelles de Bocace“). Über sie könne genauso gelacht werden, als ob sie sich vor unseren Augen abspielen würden. Wes‐ halb? Erst in Kap. IX gibt er einen Hinweis auf den Grund dafür. Es sei die Imagination, die das Begehren nach dem Gehörten vergegenständliche, das Herz erregen und somit den Körper zum Lachen bringen könne: „Donques nous affirmerós, que la principal occasion du Ris et continuë sous le désir, qui sans attouchemant, suit l’imagination, & agite evidam‐ mant le cœur, l’incitant à diverses affeccions.“ 17 Auch wenn Joubert in seinem Traktat nur allgemein über die Vermögen der Seele handelt, und sich mehr auf die physiologischen Ursachen und Effekte des Lachens konzentriert, wird hier doch die alte Theorie des Seelenvermögens der Imagination zur Erklärung für die Vorstellung abwesender und über die auditive Wahrnehmung wieder verlebendigter Dinge wieder aufgenommen und mit dem Lachen in Zusammenhang gebracht. Mit der Imagina‐ tion steht auch die Erinnerung in enger Verbindung, denn durch sie könne man sich später alles wieder vor das geistige Auge zurückrufen, als wenn man es im selben Moment erlebt hätte: „Car la recordacion met deuant les yeus, ce qu’on ha autrefois vù, & il peut emouuoir les sáns cóme la chose presante.“ 18 Es ist somit die Imagination, das „innere Sehen“, wie Platon sagt, die bei der Frage der Transposition des Lachens von der Aufführung zum Text weitere Aufschlüsse geben kann. Texte werden in Mittelalter und Früher Neuzeit gehört und gelesen, d. h. mit mehreren Sinnen wahrgenommen. Ihre sprachlich gefassten Beschreibungen sind Stimuli für die Imagination der Wahrnehmenden, welche sie wiederum in (von der Erinnerung teils vor‐ geprägte) Bilder und Handlungen überführt, sie gewissermaßen verlebendigt. Als solche konnten sie affektive Wirkungen, wie zum Beispiel Gelächter zur Folge haben. Durch die Imagination konnte ein Publikum nach wir Jouberts Argumentation auch über Erzählungen lachen, die es hört. Und wenn man ihm und Rabelais folgt, konnte dieses Publikum sogar dann noch lachen, wenn es diese Texte individuell gelesen hat. Körper und Bilder in Texten 6.1. Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers 331 19 Mit den Worten Albrecht Koschorkes: „Auf der Stufe des Schriftverkehrs (Schreiben, Text, Lesen) sind Körper keine Realitäten mehr, (...) sondern Seelenprodukte, hervorgebracht von einer Vorstel‐ lungskraft, die am Nullpunkt der Sinne, am Punkt der medialen Entwirklichung tätig zu werden beginnt.“ Koschorke, Albrecht: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts. München 1999, S. 321. Seit einigen Jahren bemüht sich die kognitions- und neurowissenschaftlich inspirierte Leseforschung um präzisere Untersuchungen darüber, wie literarische Texte Imaginati‐ onen erzeugen. Dennoch lasse ich diesen weit verzweigten und komplexen Bereich hier aus. Vgl. z. B. Collins, Christopher: The poetics of the mind’s eye: literature and the psychology of imagination. Philadelphia 1991; Miall, David S.: Literary Reading. Empirical & theoretical studies. New York 2006; aus historischer Sicht Collins, Christopher: Paleopoetics. The evolution of the preliterate imagination. New York 2013, bes. Chap. 6, S. 141-174. 20 Brann, The world of imagination, S. 5. 21 Pico della Mirandola, Gianfrancesco: Über die Vorstellung - De imaginatione (1501). Hg. von Eckhard Keßler. München 1984, S. 22. sind vor diesem Hintergrund für die zeitgenössische Theorie nur scheinbar tot, sie werden in der Imagination lebendig gemacht. 19 Wie aber ist dieser Akt der Imagination im Allgemeinen beschaffen? Wie verhalten sich Bildliches und Szenisches, also feste Bilder und Bewegungen zueinander, wie Körper‐ lich-Sinnliches und Kognitives im Bewußtseinsprozess? Wie reagiert die Imagination auf sinnlich Wahrgenommenes und wie auf verbale Narrationen? Welche Effekte haben dann Imaginationen? Setzen Bewegungen uns in Bewegung, wie bei der Apperzeption komischer Körper, übertragen sie Affekte, wie treiben sie uns zu starken Gefühlsäußerungen, zum Lachen? Und schließlich: War dies schon immer so, oder gibt es eine Geschichte der Ima‐ gination? Ich beginne mit der Frage nach den Begriffen: Joubert ist nicht der erste und nicht der letzte, der die Vergegenwärtigung von Bildern der Imagination zuweist. Wie Aristoteles und Galen versteht er darunter ein menschliches Vermögen der Seele, das zwischen den körperlichen Sinnen und dem Intellekt des Menschen angesiedelt ist. Es bezeichnet die Fähigkeit des Menschen, sich in der aktuellen Wahrnehmung nicht vorhandene Gegen‐ stände vorstellen zu können, oder in den Worten Eva Branns, der vielleicht besten Kennerin der abendländischen Geschichte der Imagination: Imagination is a faculty or a power; specifically it is a faculty for internal representations; these representations are image-like; therefore they share a certain character with external images; in particular, like material images, they represent absent objecs as present; they do so by means of resemblance. 20 Innere Bilder oder ‚Bilder im Geiste‘, das ‚innere Sehen‘ hat eine lange Geschichte in der abendländischen Philosophie; nicht immer wurde es mit der Imagination bzw. ihrer grie‐ chischen Wurzel, der phantasía, verbunden, doch ist es als Phänomen von der Spätantike und das Mittelalter bis in die Neuzeit hinein nie in Frage gestellt worden. Ihren Siegeszug tritt die Imagination freilich erst mit dem 16. Jahrhundert an, mit den Schriften Pico della Mirandolas und deren Aufwertung durch Descartes; 21 den Höhepunkt ihrer Wirksamkeit in Philosophie und Poetologie erreicht sie in der Romantik, welche sie mit Kreativität und poetischer Schaffenskraft verband. Dieses pathetische Verständnis der Imagination, wel‐ ches heute noch dominant ist, war der Vormoderne völlig fremd. Ihr war die Imagination 6. Erzählung, Imagination und Lachen 332 22 Descartes, René: Discours de la Méthode. Übers. und hg. von Christian Wohlers. Hamburg 2011, S. 64 23 Anders Plato, der ein dualistisches Bild der Imagination entworfen hat: auf der einen Seite ein ge‐ fährliches Vermögen, das der Täuschung materieller Dinge unterliegt, andererseits numinose Quelle der Inspiration (und somit Vorläufer des modernen Verständnisses von Imagination. Vgl. Lyons, John D.: Before Imagination. Embodied thought from Montaigne to Rousseau. Stanford 2005, S. ix-xii. 24 Ebd., S. xii. 25 Im 19. Jh. sind es vor allem die Psychologischen Untersuchungen (Bd. 1) von Theodor Lipps, im 20. Jh. zunächst der Sprachforscher Karl Bühler, der der Imagination in seiner deiktischen Wahrnehmungs‐ theorie einen prominenten Platz einräumte, sowie der philosophisch vielleicht ausgereifteste phä‐ nomenologische Versuch Jean Paul Sartres Das Imaginäre (1940). Die breite neuropsychologische Forschung und die „Theory of mind“ fasst Katja Mellmann für ein literaturwissenschaftliches Sujet zusammen und bezeichnet die Imagination als eine „mentale Simulation einer fiktionalen Handlung“. Sie versteht darunter einen „hermeneutischen Basisprozess“. Dazu gehören: psychopoetische Effekte, Perspektivenübernahmen, theory of mind, Empathie. Vgl. Mellmann: Emotionalisierung, S. 155 ff.; auch in der Narratologie hat die Imagination seit den 90er Jahren frühere Begriffe wie Fiktionalität verdrängen können. Vgl. Iser, Das Fiktive und das Imaginäre. Op. cit. weder innovativ noch eine Eigenschaft des Künstlers, noch war sie überhaupt das zentrale menschliche Vermögen. Sie wurde vielmehr körperlich und materiell aufgefasst: noch 1637 beschrieb Descartes sie als „une façon de penser particulière pour les choses matérielles“. 22 In anderen Worten: Jedermann gebraucht die Imagination, wenn er es mit materiellen Dingen, die er mit seinen Sinnen wahrnehmen kann, zu tun hat. Diese Dinge können gegenwärtig sein, aber auch vergangen, nämlich dann, wenn es um Erinnerungen geht. Descartes stützt sich in dieser Hinsicht auf Aristoteles, der die Imagi‐ nation als notwendigen Teil des menschlichen Denkprozesses angesehen hat. 23 „Everything that we think of as material - whether remembered, perceived in the present, conceived as fictitious or hypothetical, expected or dreamed - is thus, in the broad tradition of imagi‐ nation (phantasia) the work of imagining.“ 24 Allerdings wurde bis heute noch keine über‐ zeugende Theorie vorgelegt, wie diese Arbeit des Vorstellens, das innere Sehen genau funktioniert; dies zu erwarten ist vermutlich auch nicht statthaft, blickt man auf die dis‐ ziplinäre Unterschiedlichkeit der Ansätze aus Philosophie, Psychologie, Sprach- und Lite‐ raturwissenschaft sowie Kognitions- und Neurowissenschaft, die sich heute damit be‐ fassen. 25 Wenn es im Folgenden um die Frage narrativ erzeugter Bilder geht, ist es jedoch wichtig, die historischen und medienhistorischen Wissensbestände zur Imagination nicht zu über‐ sehen, andernfalls ginge eine Untersuchung der Imagination an den historischen Bedin‐ gungen und Möglichkeiten vorbei. Denn die zentralen Fragen sind folgende: Wenn die Autoren des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit davon ausgegangen sind, dass ihre Texte Lachen erregen können, und wenn sie dabei mit der Imagination ihrer Rezipienten kalkulierten, welche sprachlichen und narrativen Strategien gebrauchten sie, um dieses Ziel zu erreichen? Daher werde ich mich zunächst auf die wichtigsten rhetorischen und poe‐ tologischen Hinweise zur Erzeugung mentaler innerer Bilder konzentrieren, die in Antike und Mittelalter dominanten Rhetorik-Lehrbücher von Cicero und Quintilian. Letzterer hat in seiner Institutio oratoria folgenden Satz zur Erzeugung von Bildvorstel‐ lungen im Inneren des Zuhörers formuliert: 6.1. Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers 333 26 „Quare capiendae sunt illae, de quibus dixi, rerum imagines, quas vocari phantasias indicavimus, omniaque de quibus dicturi erimus, personae, quaestiones, spes, metus, habenda in oculis, in adfectus recipienda: pectus est enim, quod disertos facit, et vis mentis“. Quintilian: Inst. orat. X,7,15. (dt. Übers. HRV). 27 Aristoteles: Poetik. Kap. 17,1-3 (1455a22-26): „Man muß die Handlungen zusammenfügen und sprachlich ausarbeiten, indem man sie sich nach Möglichkeit vor Augen stellt. Denn wenn man sie so mit größter Deutlichkeit erblickt, als ob man bei den Ereignissen, wie sie sich vollziehen, selbst zugegen wäre, dann findet man das Passendeund übersieht am wenigsten das dem Passenden Wi‐ dersprechende“. Aristoteles: Poetik. Griechisch/ Deutsch. Übers. u. hg. von Manfred Fuhrmann. Stutt‐ gart 1994, S. 52 ff. 28 Die Stoiker (Epiktet, Seneca) hatten zwischen richtigen und falschen geistigen Vorstellungen unter‐ schieden und Imaginationen somit moralisch belegen können. Nur richtige Vorstellungen beruhten auf richtiger Wahrnehmung. Sie alleine konnten die Grundlage des Denkens und des richtigen Ver‐ haltens abgeben. Vgl. dazu Kooij, Suzanne: Poetic Imagination and the paradigm of painting. In: Imagination in the later Middle Ages and early modern times. Hg. von Nauta, Lodi u. Pätzold, Detlev. Leuven 2004, S. 77-92, hier S. 78. 29 Vgl. dazu Carruthers, Mary: The craft of thought. Meditation, rhetoric and the making of images, 400-1200. Cambridge 1998. S. 130 ff. 30 Mack, Peter: Early Modern Ideas of Imagination. The rhetorical tradition. In: Imagination in the later Middle Ages, hg. von Nauta u. Pätzold, S. 59-76. 31 Vgl. Quintilian, De inst. orat., VIII. 3. 61-81. Deshalb gilt es, diese anschaulichen Bilder von den Dingen (rerum imagines), welche, wie wir schon erwähnt haben, Vorstellungen (phantasias) heißen, zu erfassen und alles das, worüber wir sprechen möchten, wie Personen, Fragen, um die es geht, Hoffnungen und Befürchtungen, leib‐ haftig vor Augen zu haben (habenda in oculis) und in unser Herz aufzunehmen (in adfectus reci‐ pienda): unser Inneres und die geistige Kraft (vis mentis) in uns ist es nämlich, was uns beredt macht. 26 Für Quintilian, der sich hier deutlich auf die aristotelische Poetik bezieht, 27 ist die Vorstel‐ lungskraft des Redners ein rhetorisches Vermögen, mit Hilfe dessen die Rede bebildert und somit eindrücklich gemacht werden kann. Dies ist eine Spezifizierung gegenüber Aristo‐ teles und den Stoikern, bei welchen die Vorstellungkraft in engem Zusammenhang mit den Sinneswahrnehmungen stand. 28 Wenn die imaginatio jedoch über etwas Gemachtes wie die Rede stimuliert und beeinflusst werden kann, dann muss es rhetorische Verfahren bzw. grundlegende ornamentale Mittel dafür geben: Für Quintilian ist dies die enargeia, eine aus der byzantinischen Rhetoriktradition kommende Technik der Bildhaftigkeit von Sprache, die für die Beschreibung von Kunstwerken (Ekphrasis) und fiktive Reden (prosopopeia) gebraucht wurde. 29 Die von Quintilian als ‚Qualität‘ bezeichnete enargeia war die treibende rhetorisch-poetische Kraft, um den Prozess der Visualisierung abwesender Dinge einzu‐ leiten. Quintilian betrieb die Kultivierung der phantasíai, der vorgestellten Bilder als zent‐ rale Hilfestellung für die Manipulation der Emotionen beim Hörer. 30 Die Imagination wurde somit zu einem Vermögen, das der Rhetor bzw. Erzähler mit seinem Rezipienten teilte. Denn die Visualisierung von Gegenständen, die mit den Techniken der enargeia bewerkstelligt werden konnte - Quintilian nennt Wortbilder, Szenen, die Hervorhebung oder Reihung von Details, Exempla, verisimilia usw. 31 -, muss zunächst in der Vorstellung des Sprechers evo‐ ziert werden, bevor sie dann effektiv in Sprache gefasst und von der Imagination des Hörers wieder in Bilder verwandelt werden konnte. 6. Erzählung, Imagination und Lachen 334 32 Quintilian, De inst. orat., II, 15. I, 103 33 „Imagination is a power that helps the speaker control the way he is perceived by the people around him.“ Lyons, Before Imagination, S. 27. 34 Dass es die produktive Funktion der Imagination ist, eine zu erkennende Welt zu schaffen, hat sich in der Philosophiegeschichte bis ins 20. Jahrhundert gehalten. So resümiert Eva Brann gegen Ende ihrer umfassenden Geschichte der Imagination: „But the world-revising, world-emending imagina‐ tion of which I am here speaking projects an inner world onto the external environment and elicits a second appearance from the visible world“. Brann, The world of imagination, S. 774. 35 „Perspicitis genus hoc quam sit facetum, quam elegans, quam oratorium, sive habeas vere quod narrare possis, quod tamen est mendaciunculis aspergendum, sive fingas. Est autem huius generis virtus, ut ita facta demonstres, ut mores eius, de quo narres, ut sermo, ut vultus omnes exprimantur, ut eis, qui audiunt, tum geri illa fierique videantur“. Cicero, De Orat., II. LIX, 241. 36 „The emphasis is not on faithfully illustrating the words, as we might demand, but on making some ‚picture‘ in order to feel, to remember, and thus to know“, wie Mary Carruthers zu Quintilian anmerkt. Carruthers, The Craft of Thought, S. 132. Der Redner sollte so sehr in die Erfahrung der absenten Gegenstände eintauchen, damit er weniger als ein Erzählender, sondern mehr als Darstellender, Zeigender erscheine („quae non tam dicere videtur quam ostendere“). Ostendere gilt hier im Sinne des Vorzeigens, und Quintilian macht dies am Beispiel des Antonius, der die ehrenhaften Narben seines Ange‐ klagten Manius Aquilius vorgezeigt hat, und somit nicht auf die Kraft der Worte, sondern auf die direkte Wirkung des Zeigens gesetzt hat, damit das römische Volk sehe und somit überzeugt werde, deutlich. 32 Es geht also um die deiktische Fähigkeit des Redners, die Dinge sprachlich zu zeigen und vor die Augen seiner Zuhörerschaft zu stellen, als ob sie sich auf einem Theater abspielen würden und er selbst unter ihnen anwesend wäre. Nur wenn der Redner sich ganz in seine abwesenden Gegenstände hineinversetzen kann, dann kann ihm deren Vorstellen gelingen. 33 Quintilian beschreibt den Redner hier mit dem griechischen Terminus des euphantasiotos, als jemanden, der Dinge, Stimmen und Handlungen aus ihrer Abwesenheit hervorholt und anwesend machen kann. Imagination hat somit weniger mit inventio zu tun, als mit der Schaffung einer eigenen Bilderwelt, an der Sprecher und Hörer gleichermaßen affektiv beteiligt sind, um sie erstehen zu lassen. 34 Dass diese vorgezeigte, vorgestellte eigene Welt auch die Möglichkeit von Manipulati‐ onen und Fiktionen nicht ausschließt, hatte schon Cicero bemerkt, und zwar interessan‐ terweise bei der Diskussion des Lächerlichen und des Witzes als Mittel der Überzeugung: Ihr seht, wie witzig, wie artig, wie rednerisch diese Art des Lächerlichen ist, mag man nun eine wahre Geschichte erzählen können, die man jedoch mit kleinen erdichteten Zügen versetzen muss, oder mag man etwas erdichten. Eine vorzügliche Eigenschaft in dieser Art des Witzes besteht darin, dass man das Geschehene so veranschaulicht, dass die Sitten dessen, von dem man erzählt, seine Sprache, alle seine Mienen ausgedrückt werden, so dass die Zuhörer meinen, die Sache geschehe und ereigne sich eben jetzt vor ihren Augen. 35 Die enargeia richtet sich jedoch nicht nur an das innere Auge, sondern an alle Sinne, die die Visualität begleiten und verstärken können. Quintilian gibt diesbezüglich das Beispiel der Beschreibung eines Mordes an, mit welcher die Emotionen über alle Sinne der Hörer erregt werden und im Gedächtnis gespeichert werden sollen. 36 Nach Mary Carruthers haben für die abendländische Kultur alle visualisierten und dem Gedächtnis zugeführten Erinne‐ rungsbilder eine emotionale Komponente, die indexikalisch den Prozess ihrer Formation 6.1. Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers 335 37 „Before a work can acquire meaning, before a mind can act on it, it must be made memorable, since memory provides the matter with which human intellect most directly works. As we have seen, this is a fundamental assumption of memorial cultures“. Carruthers, The Art of Memory, S. 144. Carruthers hat das Problem der emotionalen Belegung von Erinnerungsbildern in Memorialkulturen umfassend bearbeitet. Vgl. dazu S. 8-68. Vgl. auch Murray Kriegers Kommentar zur enargeia, der die Absorption des Hörers betont, welche ihn so sehr einnimmt, dass er das Werk „betritt“ und mit den Augen des Sprechers sieht. Vgl. Krieger, Murray: Ekphrasis: The Illusion of the Natural Sign. Baltimore / London 1992, S. 94. 38 Augustinus, De mag. 1.2. begleitet und mitgespeichert wird („emotional tagging“). Von dieser affektiven Kennzeich‐ nung der Erinnerungsbilder hängt auch ihre kognitive Komponente und somit ihre Bedeu‐ tung ab. Denn bevor etwas Bedeutung annehmen und in die Erinnerung aufgenommen werden kann, muss es vorgestellt werden. 37 Wenn nun mit der Vorstellung von Bildern und Szenen ein emotionaler Effekt verbunden ist, so spielt dies - etwa im Falle des Lachens, das wir durchaus als körperlich-affektiven Effekt bezeichnen können - eine wichtige Rolle. Wenn die Evokation von Bildern, seien sie wahrgenommen oder imaginiert, emotional belegt wird, dann muss dies auch für das La‐ chen gelten: Es wird mit den zugehörigen Bildern erfahren bzw. vorgestellt und mit ihnen gespeichert, um bei neuen Wahrnehmungen wieder abgerufen zu werden. Bezogen auf die Rhetoriktheorien der Antike gibt es also nicht nur Visualisierungen lächerlicher Personen und Szenen, die etwa von einem Redner oder Erzähler über die Sprache hergestellt werden können, sondern diese Visualisierungen können, einmal im Gedächtnis gespeichert, wie‐ derum das Lachen selbst auslösen. Deshalb können Cicero und Quintilian davon ausgehen, dass der Redner, wenn er bestimmte Techniken der enargeia anwendet, die Imagination der Zuhörer dergestalt stimulieren kann, dass sie lachen. Die Rede von der enargeia als Technik der Visualisierung zur Stimulierung von Imagi‐ nationen wurde nicht erst im Humanismus wieder aufgegriffen, sondern blieb während der gesamten Spätantike und des Mittelalters immer präsent. Im vierten Jahrhundert trat die enargeia, wenn auch nicht unter diesem Namen, in die christliche Schriftenauslegung ein, und zwar als „depingere in corde nostro“, wie Hieronymus in seinem Ezechiel-Kommentar schreibt, und er meint damit sowohl heilige wie auch sündhafte Bilder in unserem Herzen. Murray Bundy und Mary Carruthers haben in ihren umfassenden Studien zur Imagination und Erinnerung im christlichen Mittelalter vielfach belegen können, dass das Vorstellen mentaler Bilder als Fähigkeit schon bei den Kirchenvätern konzeptuell vorhanden war, und bis zur Scholastik und zum Spätmittelalter mit leichten Variationen bestehen blieb. Augustinus spricht im 10. Buch der Confessiones über das Vermögen der Erinnerung, Abbilder von Dingen innerlich aufrufen und sehen zu können; er unterscheidet zwischen Wahrnehmungsbild und Erinnerungsbild, billigt der Imagination einen affektiven Cha‐ rakter zu und insistiert auf inneren Bildern, Visionen, die mit Hilfe der Imagination er‐ stehen. Dass Menschen sehen und fühlen müssen, um denken zu können, betont er in seinem Traktat De trinitate zur Bedeutung kognitiver Bilder. Augustinus weist dabei auf die begriffliche Zusammengehörigkeit von Wort und Vorstellungsbild hin. Worte sind für ihn Zeichenträger für Gedanken und Bilder gleichermaßen, sodass Wort und Bild in der Imagination häufig ineinander fließen. 38 Vorstellungen als Wort-Bild-Hybriden anzusehen, 6. Erzählung, Imagination und Lachen 336 39 Vgl. Lechtermann, Berührt werden, S. 66 ff. 40 Vgl. dazu die beiden Studien: Krieger, Murray: Ekphrasis: The Illusion of the Natural Sign. Baltimore 1992 und Wandhoff, Haiko: Ekphrasis. Kunstbeschreibungen und virtuelle Räume in der Literatur des Mittelalters (= Trends in Medieval Philology, 2). Berlin / New York 2003. 41 So empfiehlt Arnobius seiner Gemeinde in der Mitte des 5. Jhs., sich vor den Augen die Umrisse des himmlischen Jerusalem auszumalen; Alkuin unterscheidet bei der schriftlichen Ausmalung Jerusa‐ lems im Liber de animae ratione 7 (PL 101.642A) nicht zwischen den Rezeptionsformen Hören und Lesen, damit der Geist ein Bild (figura) des Gegenstandes anfertigt: „Et adhuc mirabilius est, quod incognitarum rerum, si lectae vel auditae erunt in auribus, anima statim format figuram ignotae rei.“ 42 „By the end of the thirteenth century, Imagination is a well-known concept in French literary voca‐ bulary.“ So formuliert es Douglas Kelly, der wohl beste Kenner der Imagination in der altfranzösischen Literatur. Mit Verweis auf die Poetik Matthäus von Vendôme, auf Geoffreys de Vinsauf Poetria nova, auf mehrere Gedichte, etwa Beaumanoirs ‚Salut‘, auf Machauts Lay de l’Image und auf den Roman de la Rose. Kelly, Douglas: Medieval Imagination. Rhetoric and Poetry of Courtly Love. Madison (Wi.) 1981. bedeutet, der Sprache eine räumliche und körperliche Bildhaftigkeit zuzuweisen, die im Vorgang des Sprechens und Hörens aktiviert wird. 39 Diese raumschaffende Qualität des bildhaften Sprechens ist es, die im Mittelalter im Begriff der Ekphrasis große Bedeutung einnahm. 40 So wurde das Bild des himmlischen Je‐ rusalem als ein begehbarer, städtischer Raum imaginiert, der kontemplativ mit allen Sinnen erfahren werden sollte, um das Kommen des Herrn zu betrachten. 41 Damit hatte die Ekph‐ rasis eine ähnliche Funktion wie die enargeia: als rhetorische Visualisierungsstrategie zielte sie auf die multisensorische Imagination der Hörer ab. Dieser wurde quasi ein medialer Charakter zugeschrieben, insofern als sie das Vermögen des Menschen zur fortlaufenden Erzeugung innerer Bilder bezeichnete. Diese Annahmen standen in enger Beziehung zu den allgemeinen Annahmen der mit‐ telalterlichen Vermögenspsychologie und dem anatomischen Wissen in den Enzyklopädien bzw. medizinischen Lehrbüchern. Die Imagination fehlte in keiner mittelalterlichen Ab‐ handlung zu den Seelenvermögen; umstritten war lediglich, welche Stellung sie gegenüber den anderen Vermögen einnahm und welche Funktion sie genau hatte. Allerdings beriefen sich die meisten Autoren mehr oder minder auf die aristotelische Definition, bei welcher sie zwischen sinnlicher Wahrnehmung und Intellekt stand; auch die Mediziner beriefen sich auf Aristoteles, wenn sie die Einbildungskraft als körpergesteuertes Vermögen be‐ trachteten. Bei diesen rhetorischen, theologischen, philosophischen und medizinischen Vorgaben ist es auch keine Überraschung, wenn die Imagination als Konzept - wenn auch nicht als Begriff - ebenso in der Poetologie des 12. und 13. Jahrhunderts erscheint. 42 In der Poetria Nova des Geoffroy de Vinsauf gilt die Imagination jedoch nicht als Fähigkeit des Lesers, Worte zu Vorstellungen und Bildern zu machen, sondern als Fähigkeit des Autors, Gegen‐ stände und Handlungen zu imaginieren und sie dann verbal zu skizzieren. Es geht darum, geeignete Bilder zu finden, um eine Intention anschaulich zu machen. Dies bedeutete durchaus eine Eingrenzung der Wirkung auf die Affekte der Zuhörer, wie sie noch Quin‐ tilian und Cicero beschrieben hatten; andererseits wurde die Imagination mit der integu‐ mentum-Lehre in Verbindung gebracht, und wurde so als Fertigkeit besser lehr- und lernbar. Dies zeigt sich auch im deutschen Sprachraum, wenn Thomasin von Zirklaere in Der Wel‐ 6.1. Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers 337 43 Vgl. dazu Wenzel, Horst: Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München 1995, S. 29-33. 44 Starkey u. Wenzel, Imagination und Deixis, S. 8. 45 Vgl. Wenzel: Hören und Sehen, Kap. VI-VII, S. 292-412. 46 Zur Bewegung von inneren Bildern und dem “Imaginationsfluss im Kopf “ vgl. auch Berns, Jörg Jochen: Film vor dem Film. Bewegende und bewegliche Bilder als Mittel der Imaginationssteuerung in Mittelalter und Früher Neuzeit. Marburg 2000 sowie die Studie von Däumer, Matthias: Stimme im Raum und Bühne im Kopf. Über das performative Potenzial der höfischen Artusromane. Bielefeld 2013, S. 102-121. 47 Montaigne, Michel E. de: Über die Einbildungskraft (XXI). In: Essais. Auswahl und Übertragung von Herbert Lüthy. Zürich 1992. S. 142-154, hier S. 142 f. sche Gast imaginierte Bilder zu Bildern des Lernens macht. 43 Nach dieser Auffassung soll die Produktion und Rezeption literarischer Texte zur Schaffung von vorbildlichen Imagi‐ nations- und Schauräumen beitragen, in denen „Sagen und Zeigen das Hören und Sehen im Raum der wechselseitigen Wahrnehmung koordinieren.“ 44 Horst Wenzel sieht in der Rezeptionssteuerung des Hörers und Lesers durch Visualisie‐ rung des Gesagten und Gezeigten einen Grundzug der höfischen Literatur. Dazu gehören Strategien der Aufmerksamkeitslenkung, der Deixis und der Imaginationssteuerung auf der Seite des Vortragenden, und der leibliche, multisensorische Mitvollzug auf der Hörer‐ seite. 45 Interessant ist an Wenzels Forschungen, dass die Imaginationssteuerung als ein Prozess aufgefasst wird, der sich über den gesamten Vortrag hinzieht; daher kommen auch Abfolgen von Bildern und Bewegungen in den Blick der Visualisierungen: das Sich-Nähern und Sich-Entfernen, die Visualisierung von Figuren und Objekten, von Räumen in Weite und Nähe, von Sequenzen von Kämpfen und Liebesszenen usw. Die Verlebendigung betrifft ganze Cluster von Bewegungen und Handlungen, die von der Imagination aufgerufen und im Prozess des Hörens vorgestellt werden können. 46 Mit der Wiederentdeckung und dem neuen Lesen der antiken Texte verändert sich die Konzeption der imaginatio in der Frühen Neuzeit durchaus, aber nicht grundlegend. Mit den philosophischen Abhandlungen De imaginatione von Gianfrancesco Pico della Miran‐ dola (1501), der die platonische Vorstellung der Imagination wieder belebt und Montaignes kurzem Essay „De l’Imagination“ (1580) kommen neue Aspekte hinzu. Montaigne ist der erste, der empirische Beobachtung und philosophischen und rhetorischen Diskurs zusam‐ menführt, wenn er anhand des Mottos: „Fortis imaginatio generat casum, sagen die Ge‐ lehrten“ eigene Erfahrungen mit der Kraft der Einbildung schildert und sie zu einem Iden‐ tität erzeugenden Phänomen macht. Montaigne betont zunächst die Körperlichkeit der Imagination, ihre „selbstveranlasste Wahrnehmungssimulation“ (Luhmann) und ihre An‐ steckungskraft: Ich gehöre zu denen, die sehr heftig die Wirkung der Einbildungskraft verspüren. Jedermann wird von ihr geschüttelt, aber einige wirft sie um. Ihr Eindruck durchdringt mich. (…) Der Anblick fremder Angst beängstigt mich körperlich, und mein Gefühl bemächtigt sich oft der Gefühle eines Dritten. Ein beharrlicher Huster reizt meine Lunge und meinen Rachen. (…) Ich ziehe mir das Übel zu, mit dem ich mich befasse, und übertrage es auf mich selbst. 47 Montaigne beschreibt hier, wie die erzeugte Wirklichkeit der Imagination sich seiner kör‐ perlich und geistig bemächtigt, Beispiel für die performative Kraft der Imagination, die 6. Erzählung, Imagination und Lachen 338 48 Ebd., S. 151 f. Montaigne beschreibt auch den anderen Fall, dass nämlich die Einbildung „manchmal nicht nur auf ihren eigenen, sondern auf die Körper anderer wirkt. Und ebenso wie ein Körper sein Übel auf seinen Nachbarn wirft, wie bei der Pest, den Blattern und Augenkrankheiten zu sehen, die sich von einem auf den anderen übertragen (...) so schleudert auch die Einbildungskraft, wenn sie heftig erschüttert wird, Pfeile aus, die einen fremden Gegenstand zu verletzen mögen.“ Wirklichkeit zu verändern - und dies ist auch für das Lachen von Bedeutung. Wenn „der Anblick fremder Angst“ durchdringend sein kann, dann gewiss ebenso der Anblick fremder Ausgelassenheit und Freude, bzw. der Anblick von schluchzenden, aber auch von laut lach‐ enden Menschen. Dies zeigt eine neue Facette im Diskurs über Imagination, ihre Rolle bei der Ansteckung und Übertragung von Emotionen und der Einleibung körperlichen Aus‐ drucksverhaltens. Dass dies auch für Erzählungen gilt, schildert Montaigne ebenfalls: Er berichtet von einem Edelmann, der einer Abendgesellschaft in seinem Haus nach dem Essen seinen Gästen im Spaß erzählt, sie hätten gerade Katzenpastete gegessen, „worüber ein Fräulein von den Gästen einen solchen Abscheu fasste, daß sie davon in schwere Magen‐ krämpfe und Fieber fiel und es nicht mehr möglich war, sie zu retten.“ 48 Montaigne kom‐ mentiert: „Doch all das kann der engen Verknüpfung von Geist und Körper zugeschrieben werden, die sich gegenseitig mitteilen, was ihnen widerfährt.“ Hier haben wir erneut die enge Verzahnung von körperlich-sensuellen Wahrnehmungen und kognitiver Verarbeitung in der Imagination, welche schon die mittelalterlichen Theorien dominiert hat. Für das Lachen ist dieser Hinweis auf die Übertragbarkeit von körperlichen Ausdrucks‐ bewegungen und Imaginationen deshalb so wichtig, weil das Lachen sich häufig in solchen Konstellationen zeigt, da es einen ähnlichen Status zwischen somatischen und kognitiven Elementen besitzt. Die potentielle Gefahr, die dabei von der Imagination ausgeht, kennt auch Baldesar Castiglione, der in seinem Libro del Cortegiano formuliert: Einem Edelmann geziemt es nicht, Gesichter zu schneiden, zu weinen und zu lachen, Stimmen zu imitieren, mit sich zu kämpfen, wie Berto es tut, sich vor allen als Bauer verkleiden wie Stras‐ cino[bekannte Narrenfiguren der ital. Renaissance]; und diese Dinge erscheinen bei jenen durchaus passend, denn sie gehören zu ihrem Beruf. Aber wir müssen solche Nachahmungen gewissermaßen im Vorübergehen und im Verborgenen vornehmen, indem wir immer die Würde des Edelmanns wahren, ohne schmutzige Worte auszusprechen oder unwürdige Dinge zu tun, ohne das Gesicht zu verziehen oder ohne Haltung zu bewahren; denn wir müssen die Bewegungen in einer gewissen Art und Weise ausführen, dass derjenige, der unsere Worte und Gesten sieht oder hört, sich nicht viel mehr vorstellt [imagini] als das, was er sieht und hört, und daher zum Lachen angeregt wird. Er [der Edelmann] soll sich bei solchen Nachahmungen daran halten, nicht zu eifrig zu sein, und höchstens die Deformierungen des Gesichts und der Figur imitieren, wie die 6.1. Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers 339 49 „Ché in vero ad un gentilomo non si converria fare i volti, piangere e ridere, far le voci, lottare da sé e sé, come fa Berto, verstirsi da contadino in presenza d’ognuno, come Strascino; e tai cose, che in essi son convenientissime, per esser quella la lor professione. Ma a noi bisogna per transito e nascosamente rubar questa imitazione, servando sempre la dignità del gentiluomo, senza dir parole sporche o far atti men che onesti, senza distorcersi il viso o la persona cosí senza ritegno; ma far i movimento d’un certo modo, che chi ode e vede per le parole e gesti nostri imagini molto più di quello che vede ed ode, e perciò s’induca a ridere. Deesi ancor fuggir in questa imitazione d’esser troppo mordace nel riprendere, massimamente le deformità del volto o della persona, ché sí come i vicii del corpo danno spesso bella materia di ridere a chi discretamente se ne vale, cosí l’usar questo modo troppo acerbamente è cosa non sol da buffone, ma ancor da inimico“. Castiglione: Il libro del Cortegiano, Kap. L., S. 190 f. (dt. Übers. u. Hervorh. HRV). 50 Vgl. den Kommentar des Herausgebers, Walter Barberis: „La vera abilità del gentiluomo è nella po‐ tenza evocativa delle sue allusioni, nella doppia capacità mimetica di dar vita ad una rappresentazione e al tempo stesso di occultare le tecniche del suo gioco illusionistico. Il suo interlocutore deve vedere e capire più di quanto egli non faccia e non dica.“ S. 191. 51 Vgl. Neumann, Gerhard: Roland Barthes’ Theorie einer szenischen Semiotik. In: Szenographien als Kategorie der Literaturwissenschaft. Hg. von Gerhard Neumann, Caroline Pross u. Gerald Wildgruber. Freiburg 2000, S. 65-112; vgl. auch Neumann, Pross u. Wildgruber, Gerald (Hg): Szenographien. Ein‐ leitung, S. 14. Schwächen des Körpers oftmals einen lohnenden Anlass zum Lachen abgeben, für denjenigen, der sich diskret auf sie versteht. 49 Der Hofmann soll demnach nicht nur alles Übertriebene, den Körper, die Stimme Entstel‐ lendes und Grobes vermeiden, und diese Dinge den professionellen Possenreißern über‐ lassen; er soll jedoch versuchen, durch feine Bewegungen und Anspielungen mimischer und gestischer Art sich so zu verhalten, dass sein Gesprächspartner diese Andeutungen in der Imagination ausmalen kann, ohne sie tatsächlich zu sehen, und so zum Lachen gebracht wird. 50 Es ist dies nichts Geringeres als die Beschreibung des Nutzens der Imagination für eine höfisch zivilisierte Scherzkommunikation, eine Art zivilisierende Mimesis des Pos‐ senreißens und Lachenmachens. Damit sagt Castiglione aber auch, wie wichtig die grobe Körperkomik der Hofnarren als Voraussetzung für eben solche Imaginationen ist; denn ohne die Erinnerung an grobe Ge‐ sten und Zoten, und ohne die Erinnerung an das Lachen, das sie auslösen, wären Anspie‐ lungen auf sie ohne Erfolg. Das Beispiel zeigt jedoch ferner einen weiteren wichtigen Punkt, den wir bei der Analyse der imaginativen Lachanlässe berücksichtigen müssen: dass näm‐ lich die Verwendung der Sprache unter der Maßgabe ihrer körperlichen Gegenwärtigkeit zu untersuchen ist. Wenn die Sprache des Possenreißers sich als komisch, obszön, lächerlich „gebärdet“, dann ist sie gänzlich an den unmittelbaren Körper des Sprechenden und die Körperlichkeit und Materialität der Kommunikation gebunden, nicht als Signifikant, son‐ dern als Bezug zur körperlichen Gegenwart dessen, der diese Worte ausspricht. Sprache, so könnte man formulieren, hat ihre eigentliche Szene in sich selbst. Szene und Sprache er‐ weisen sich damit als untrennbar miteinander verknüpft. Gerhard Neumann hat dieses theatrale Muster im Anschluss an Roland Barthes als „Szeno-Graphie“ bezeichnet: und zwar, indem sie die Sprachproduktion selbst als Zeichentheater installiert. 51 Barthes hatte auf die mediale und wahrnehmungspsychologische Differenz zwischen Lesen und Hören aufmerksam gemacht. Er erkennt im Hören ein Wahrnehmen der Welt im eigentlichen Sinne, im Gegensatz zum Lesen ist das Hören für ihn ein fundamental 6. Erzählung, Imagination und Lachen 340 52 Roland Barthes, zit. n. Neumann, Gerhard: Roland Barthes’ Theorie einer szenischen Semiotik. In: Szenographien, S. 65-112. 53 Barthes, Roland, „Encore le corps“. In: R. B.: Oeuvres Complètes. Tome V. Hg. von Eric Marty. Paris 2002, S. 561-69. 54 Vgl. Genette, Gérard: Mimikologien. Reise nach Kratylien. Frankfurt a. M.2001. 55 Vgl. Faral, Les Jongleurs en France, S. 234. Später und in anderem Zusammenhang hat Karl Bertau in ähnlicher Weise den präsentativen Grundzug mittelalterlicher Literatur unterstrichen. In einem Bei‐ trag zum Willehalm unterscheidet er nach Susanne Langer zwischen verschiedenen Formen der Symbolisation: die diskursive Symbolisation, welche durch logische Zeichenfolge semantische Ein‐ deutigkeit herstellen will, und die präsentative Symbolisation, die bildliche Zeichen gestalthaft vor-stellt, präsentiert. Für Bertau ist die präsentative Symbolisation grundlegend für poetische Dich‐ tung, für „Kunstrede“, wie er sie in den Werken Wolframs und Dantes wiedererkennt. Wie in der Musik und der bildenden Kunst dient hier die Sukzession von Symbolen nicht für die Herstellung einer semantischen Aussage, sondern der performativen Spur, gleich einem Räuspern oder Husten oder Lächeln, welches eine gesamte Szene symbolisieren kann. Bertau, Karl: Über Literaturgeschichte. Höfische Epik um 1200. München 1983, S. 80-84. 56 Green, Dennis: Medieval listening and reading. The primary reception of German literature 800-1300. Cambridge 1994. dialogischer Akt. Der wahrnehmende Körper wird in einen Vorgang der Weltwahrnehmung im Sinne eines ‚aktiven Hörers‘ verwickelt: „Das Lauschen selbst also ist eine ‚in Szene setzende Sprache‘, das Theater hörender und lauschender Wahrnehmung ist jener Schau‐ platz, an dem Welt sich im Dialog der Sprache mit sich selbst bildet.“ 52 Sinnliches Erkennen der Welt erscheint so als ein inszenierter Vorgang der Wechselwahrnehmung auf dem Schauplatz der Sprache: „(...) le corps est toujours en état de spectacle devant l’autre ou même devant soi-même.“ 53 Von hier aus ist der Zusammenhang zwischen der Sprache des Körpers und den Imagi‐ nationen des Körpers zu denken. Was die Sprache leisten kann, ist, Körpergesten und -handlungen, Stimmen und Bewegungen lautlich zu imitieren oder ihre Performativität sprachlich einzufangen. Um diese Leistung genauer zu fassen, darf man weder auf be‐ stimmte Kategorien der Semiotik noch auf die mimetische Performanz verzichten. 54 Denn die Sprache hat szenischen bzw. mimischen Charakter, d. h. sie weist Elemente des Perfor‐ mativen im Sinne einer theatralen Potentialität auf. Für das Mittelalter betonte schon Faral diesen besonderen Charakter der Sprachkunst‐ werke, wenn er vom „caractère mimique de la littérature du moyen âge“ sprach. 55 Er hatte die zahlreiche Texte bestimmende Aufführungssituation im Blick, in der ein Publikum über eine leichte Illusionsbildung den Spielmann sieht, wie er den Fortgang der Handlung und die Personen verkörpert. Er selbst spricht die Worte der Protagonisten, Dialog und Erzäh‐ lung mischen sich. Nach Faral wird er, um seinem Vortrag Ausdruck zu verleihen, die Mög‐ lichkeiten der Stimme, der Mimik und des körperlichen Ausdrucks benutzt haben, und an diesem Punkt voll und ganz Schauspieler gewesen sein. Als solcher werden es vor allem seine Körperlichkeit (Gestik, Mimik) und seine Stimmlichkeit gewesen sein, die die Imagi‐ nation der Zuhörer, die hier gleichzeitig Zuschauer waren, anzuregen und mit seiner Er‐ zählung zu steuern. Wir haben hier sozusagen eine Situation, die derjenigen auf dem The‐ ater (oder derjenigen der Gerichtsrede im Altertum, an welcher sich die Rhetoren orientierten) ähnlich ist: körperliche Kopräsenz, Visualität, Stimme, Gemeinschaft der Re‐ zipienten, die gleichzeitig sehen und hören, eine besondere Art der „twofold reception.“ 56 6.1. Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers 341 57 Manfred Kern hat diesen Sachverhalt in der Einleitung zum Band Imaginative Theatralität so for‐ muliert: „Texte evozieren Bilder, imagines. Das Sagen des Textes, die phásis, ist in diesem Sinne immer auch ein Zeigen, eine deîxis mit inszenatorischem Gestus. Das Rezipieren aber ist nicht nur eine kognitive Operation des verstehenden Hörens, der ákousis, sondern auch eine Schau, eine théasis im beschriebenen Sinn. Im Modus der Imagination, der den kommunikativen Prozess von Sagen und Verstehen (Phasis und Akousis), Zeigen und Schauen (Deixis und Theasis) ausmacht, werden Vor‐ stellungen evoziert. (...) Die in der Imagination vorgestellte Handlung eines gelesenen oder gehörten Textes aber ‚realisiert sich‘ - um es bewusst so paradox zu formulieren - als imaginative Drasis, die ebenso imaginativ geschaut wird, der eine imaginative Theasis korrespondiert. Der gelesene oder gehörte Text wird über imaginative Operationen theatral, die Aktanten seiner Aufführung sind nicht handelnde Körper, sondern im Lesen geschaute oder im Vortrag gehörte Zeichen, die nicht auf der Ebene ‚konkreter Theatralität‘ wie im Theater, sondern auf der Ebene ‚imaginativer Theatralität‘ Vorstellungen generieren.“ Kern, Imaginative Theatralität, S. 8 f. 58 Iser, Das Fiktive und das Imaginäre, S. 481. Iser schließt daraus, dass sich ein Text auch nicht im Repräsentieren vorgegebener Gegenständlichkeit erschöpft. Es gibt demnach keine Repräsentation ohne Performanz, und dies gilt umso mehr für Texte des Mittelalters. Die Sprache der Erzählung muss zwar schon visualisieren, Szenen ausmalen, doch sie kann noch auf die Kraft der Performance vertrauen, mit der der Spielmann das Ganze aufführt. Es genügt eine Betonung, eine Geste, eine kurze Verstellung der Stimme, um das Publikum zum Lachen zu bringen. Anders verhält sich die Situation beim Vorlesen eines Textes. Die Medialität des Schrift‐ textes, der die Erzählung gespeichert hat, die nun durch den Vortragenden verlebendigt wird, richtet die Aufmerksamkeit der Hörer stärker auf sich selbst, und das heißt, auf seine sprachliche Verfasstheit, die Verbalisierung der Körper und Personen, von denen er handelt. Er muss in gewissem Maße die Theatralität selber leisten, die ohne ihn direkter gegeben wäre. 57 Dies ist die Situation, von der wir im Spätmittelalter ausgehen müssen, wenn ein Text „gehört“, also vorgelesen wird. Die schwächste Stufe der Aufführung ist die in Rabelais’ Gargantua, bei welcher der Rezipient individueller Leser ist. Hier obliegt es voll und ganz der Sprachlichkeit des Textes, die performativen Elemente von Lachanlässen zu erzeugen. Wie kann ein Text dies sprachlich bewerkstelligen? Dies ist eine Frage, mit der ich die folgenden Texte untersuchen will, deren Erwartungshorizont vom Lachen bestimmt wird, wie ich meine. Ich werde sie nicht nur auf ihre metakommunikativen Signale, ihr szeno‐ graphisches Potential und ihre Bildlichkeit hin untersuchen, sondern auch auf Deformati‐ onen und Destruktionen von Sprache, Sinn- und Bedeutungszersetzungen, De- und Re‐ kompositionen, Wortspiele und Onomatopoia, Rhythmus und Klang. All diese Phänomene können Hinweise für eine spezifische Form der Visualisierung sein, in welcher die Sprache als Bedeutungsträger und die Sprache als Verkörperte in der Imagination der Leser eine Synthese eingehen. Denn die Sprache des Textes ist der kommunikative Raum zwischen Autor und Hörer / Leser. Wolfgang Iser benutzt die Metapher des „Textspiels“ zur Beschrei‐ bung dessen, was sich zwischen Autor und Leser abspielt. Darunter versteht er eine Art Zwischenwelt, einen Intertext, der aus der Transformation der Referenzwelten des Textes hervorgeht, aber nicht aus ihnen ableitbar ist. 58 Maßgebliche Instanz für diesen Intertext (der für Autor und Leser jedoch nicht identisch ist, sondern potentiell bleibt) ist die Ima‐ gination. Ihre Funktion ist es, das Textspiel kohärent zu halten, die verbalen Stimuli in ein Geist-Theater, eine Text-Welt zu verwandeln, um eine bestimmte kohärente Erfahrung zu 6. Erzählung, Imagination und Lachen 342 59 Brann, The world of imagination, S. 774. 60 Iser, Das Fiktive und das Imaginäre, S. 238 61 Ebd., S. 223. 62 Iser unterscheidet zwischen Sinn und Bedeutung nach Ricoeur: „Denn die Bedeutung des Sinnes erschließt sich immer nur durch die Beziehung des Sinnes auf eine bestimmte Referenz; sie übersetzt den Sinn in ein Bezugssystem und legt ihn im Blick auf bekannte Gegebenheiten aus. Nach Ricoeur ist die Bedeutung des Textes die Übernahme des Sinns durch den Leser“. Iser, ebd., S. 244. konstruieren. Die Imagination ist so - und ich wende die Worte Eva Branns auf Isers Text‐ verständnis an - eine „world-making agency“, eine weltschaffende Handlungsmacht, deren Aufgabe es ist, die kognitiv unverzichtbaren Prozesse der Visualisierung und (nicht der Sinngebung) zu leisten. Sie füllt diese Funktion in der “blinden Dimension“ unterhalb des Bewusstseins aus: „But the world-revising, world-emending imagination of which I am here speaking projects an inner world onto the external environment and elicits a second ap‐ pearance from the visible world“. 59 Es bleibt die Frage nach der Beschaffenheit dieser welterzeugenden Imaginationen. Äh‐ neln sie mehr Bildern oder mehr Phantasmata von Worten und Bedeutungen? Für Iser sind die Vorstellungsbilder, die durch den Textanlass generiert werden, wesentlich undeutlicher und weniger klar ausgeprägt als wahrgenommene Bilder (er spricht auch vom „hybriden Charakter“ der Vorstellungsbilder). 60 Die Imagination erzeuge eher undeutliche Schemen, traumhaften Phantasmata in Bewegung, die, wie Iser sagt, von „optischer Kargheit“ sind. „Denn diese zielen nicht darauf ab, die Romanfigur leibhaft sehbar zu machen; vielmehr zeigt ihre optische Kargheit an, dass durch sie die Figur nicht als Gegenstand, sondern als Bedeutungsträger zur Erscheinung kommen soll.“ 61 Dieser Satz Isers ist bezeichnend: Als moderner Beobachter glaubt Iser der Kraft der inneren Bilder nicht mehr, er glaubt nicht an das „leibhafte Sehen“ im Vorstellungsbild, wie es die rhetorische Tradition bis in die Frühe Neuzeit hinein beschrieben hat, sondern ver‐ weist auf Bedeutungen. Wenn Figuren als Bedeutungsträger imaginiert werden, transpor‐ tieren sie Bedeutung von etwas anderem, sie re-präsentieren. Es ist diese semiotische Auf‐ fassung der Imaginationsarbeit, die heute dominant erscheint; im imaginativ erzeugten Intertext wird ‚Welt‘, mit sozialen Handlungen und Konzepten ‚zum Ausdruck gebracht‘, in Form einer ‚Repräsentation‘ als Zeichenrelation zwischen Zeichenmittel, Zeichenobjekt und Interpretant. Dabei wird vorausgesetzt, dass Bedeutungsträger Sinnstrukturen bein‐ halten, dass sie sinnhaft sind, freilich immer nur für den einzelnen Leser. Denn Bedeutung an sich, die einem Zeichen beigegeben ist, gibt es nicht; Bedeutung konstituiert sich im dynamischen Prozess der Imagination nur im jeweiligen Leser, der das Zeichenmittel findet. 62 Das Unbehagen an der Semiotik, so richtig sie auch in vielen Punkten argumentiert, besteht darin, dass sie sich vornehmlich mit Sinnstrukturen und deren Repräsentation be‐ schäftigt. Paul Zumthor wechselte in den siebziger Jahren von einer semiotischen Textbe‐ trachtung zu einer Perspektive der Performanz, d. h. von der Rekonstruktion von Sinn zur Rekonstruktion der Materialität von Kommunikation im Kunstwerk, der Erzeugung von „präsentativer Symbolik“ oder „Präsenzeffekten“ (bei Texten ist es richtiger, von Präsenz‐ 6.1. Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers 343 63 Im Anschluss an Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, S. 31. Mit „Prä‐ senzeffekten“ ist nicht das gemeint, was Genette „Wirklichkeitseffekte“ nennt, wenn er bei der Er‐ zählung von Ereignissen die referentielle Illusionsgestaltung erläutert. So diene das „vieltosende Meer“ bei Homer als eine sprachliche Illusion von Wirklichkeit, als ein Wirklichkeitseffekt im Sinne einer mimetischen Verknüpfung der Erzählung mit der Wirklichkeit. Vgl. Genette, Gérard: Die Er‐ zählung, München 2010, S. 105-108. Präsenzeffekte dagegen wollen Wirklichkeit nicht abbilden, sondern Gegenwärtigkeit evozieren, im Rezeptionsprozess zur Anschauung bringen. 64 Iser, Das Fiktive und das Imaginäre, S. 328. 65 Heutige Studien zum embodiment von Kognition machen dies deutlich: z. B. Gibbs, Raymond W.: Embodiment and Cognitive Science, Cambridge 2006: „We must not assume cognition to be purely internal, symbolic, computational, and disembodied, but seek out the gross and detailed ways that language and thought are inexticably shaped by embodied action.“ S. 276. 66 Huber, Theatralität, S. 195. effekten statt von Präsenz zu sprechen). 63 Denn Vorstellungsbilder sind, ich erinnere an Branns Definition, vorbewusste Phänomene, die noch sehr stark mit dem gerade wahrge‐ nommenen Erzählten und den in der Erinnerung gespeicherten, aus früheren Wahrneh‐ mungen stammenden Bildern in Beziehung stehen. Wenn sie vor unserem geistigen Auge erscheinen - und ich wähle absichtlich die Terminologie der Vormoderne - dann werden sie uns gegenwärtig, sie erscheinen, sie erhalten Präsenz. Auf dieser Stufe ist die Imagina‐ tion noch ganz von der Präsenz dieser inneren Bilder befangen, gibt ihnen jedoch durch die sinnvollen Worte, die sie transportiert haben, eine Bedeutung. Das heißt, dass die Ima‐ gination Bedeutung sowohl konstruiert als auch nicht konstruiert; sie verharrt in einem Zwischenraum, der ähnlich labil und performativ beschaffen ist wie die Vorstellungsbilder selbst. Daher kann die Imagination auch als Spielbewegung zwischen der Präsenz von Bil‐ dern und ihrer Bedeutung aufgefasst werden. Iser scheint dieser Auffassung an manchen Stellen näher zu kommen, wenn er im Anschluss an Coleridge formuliert: „Die Imagination in actu gerinnt nicht zur Form, sondern manifestiert sich als Mehrstelligkeit hin- und her‐ schwingender Bewegungen, (...) aktivierte Imagination (wird) als Spielbewegung gegen‐ wärtig.“ 64 Es kann nicht darum gehen, auf der Stufe der Imagination schon von kognitivem Ver‐ stehen zu sprechen, 65 denn die Vielfältigkeit der Imaginationsleistungen ist beeindruckend: Wenn Bewegungen durch den Raum, wenn Körper und deren Ausdrucksbewegungen vi‐ sualisiert werden müssen, dann muss die Imagination diese Erfahrung nachahmen, wie sie ein Gefühl nachahmt, wie es Montaigne so plastisch formuliert hat. Das heißt aber nichts anderes, als dass Bedeutung in der Imagination als ein diffuses Gebilde erscheint, das vor allem von einem Gefühl, einer Innervation, wie Freud sagen würde, getragen wird. Beim Lesen wird die Szene daher in ihrer Bedeutung zunächst innerhalb von Erfahrung konsti‐ tuiert, eine Simulation der Wahrnehmung, die mit Emotion belegt ist. „Dem simulierten Körper im Text fühlen wir uns vertraut; wir sehen mit seinen Augen und fühlen mit ihm, weil er gegenüber der ‚Wirklichkeit‘ nur eine andere Art des inneren Theaters ist, die uns aber über die gleichen Wege der mentalen Interpretation von emotionalen wie kognitiven Prozessen erreicht.“ 66 Je weiter wir in die Vergangenheit der europäischen Literatur zurückgehen, desto wich‐ tiger sind performative Ansätze der Literaturanalyse, da mit ihnen, so Christian Kiening, die spezifische Medialität und Materialität vormoderner Texte, ihre Einbindung in „Situa‐ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 344 67 Dies sind zentrale Begriffe in Kiening, Zwischen Körper und Schrift, S. 24. An anderer Stelle präzisiert Kiening noch: „Sie [die Texte] existieren nicht in einer von Raum und Zeit abgelösten Gestalt, sondern bleiben - zumindest grundsätzlich - gebunden an Situationen gemeinschaftlichen Vollzugs (Kult, Ritual, pararituelle Formen), an Formen repräsentativer Öffentlichkeit, an Dimensionen synästheti‐ scher Wahrnehmung, an die Präsenz von Körpern.“ S. 25. 68 Velten, Hans Rudolf: Performativitätsforschung. In: Methodengeschichte der Germanistik. Hg. von Jost Schneider. Berlin / New York 2009. S. 549-572, hier S. 551. 69 Vgl. Velten, Performativität. Ältere deutsche Literatur, S. 227-228. Es geht nicht um ein Modell der vereinbarten Zeichenbedeutungen wie in der Kommunikationstheorie, sondern es geht um das Mo‐ dell des unbeabsichtigten Hinterlassens von Spuren; sie werden nicht gemacht, sie werden hinter‐ lassen. Vgl. dazu auch Krämer, Sprache - Stimme - Schrift, S. 39. tionen gemeinschaftlichen Vollzugs“, ihre „Dimensionen synästhetischer Wahrnehmung“ und ihre „Präsenz von Körpern“ besser erfasst werden kann. Sie sind noch nicht „Teil eines skriptographischen, dann typographischen Netzes, wie es der Wissensgesellschaft der Neuzeit zu Grunde liegen wird“, 67 sondern noch eng an die singuläre kollektive Rezeption und Aufführung gebunden. Sie sind als Teil einer „somatisch-sinnlichen Praxis zu be‐ trachten“, die in die Texte eingeschrieben und bei jeder Aktualisierung wieder erfahrbar ist und erfahren werden soll. 68 Bei denjenigen Texten, die auf das Lachen ausgerichtet sind, lässt sich eine mediale Übertragung des spielerischen Impetus von den Ordnungen des Körpers auf die Ordnung der Sprache erkennen: Sprachspiele mit ihren semantischen Wi‐ dersprüchen, Ambivalenzen, Inkongruenzen, Transgressionen und überraschende Pointen sind die sprachlichen Analoga zu den Ostentationen, Possen, grotesken und überrasch‐ enden Bewegungen des aus der Ordnung geratenen abwesenden Körpers. Sie verhelfen den Imaginationen komischer Vollzüge zur Durchsetzung, indem sie sie nicht nur erzählen, sondern sprachlich und lautlich nachahmen. Die Texte, die ich im Folgenden untersuche, entstehen im 14. und 15. Jahrhundert. Sie nutzen das imaginäre Potential der Körperlichkeit von Possenreißern und Narren, indem sie Strategien entwickeln, diese Körperlichkeit aufzuführen. Szenen und Handlungen werden rhetorisch und diskursiv vor Augen gestellt: durch Fiktionen der Mündlichkeit, der Unmittelbarkeit, der Handlungsintensität. 69 Diese Strategien entfalten sich dann im Akt des Vorlesens zur Wahrnehmung von Bildern, Szenen und Handlungen, welche Stimmen und Körper zu wahrnehmbaren und erfahrbaren Größen machen. Andererseits ändert sich durch die narrative Inszenierung der Charakter der Komik: sie führt den komischen Modus nur auf Probe ein, sie kalkuliert mit den Voraussetzungen und Bedingungen seiner Rezeption; an Stelle der Faszination und Überraschung am lächerlichen Körper findet eine Verschiebung auf seine Bedeutung in den lächerlichen Handlungen, in denen er nun steht, statt. Denn die Textwelt ist geordnet, strukturiert, vorhersehbar. Ihre Wahrnehmung ist von vornherein dem Imaginären verpflichtet. Es geht nicht mehr nur um die Präsenz lächerlicher Körperlichkeit, sondern auch um die Sichtbarmachung dessen, wie Körper lächerlich gemacht werden. Der Possenreißer ist nicht nur selbst zum Lachen und macht andere lächerlich, er entwirft lächerliche Szenarien nach komplexen Verlaufsplänen. Die Wahrnehmung ist daher darauf konzentriert, wie Streiche aufgebaut, wie sie ausklügelt 6.1. Literarische Inszenierungsformen des komischen Körpers 345 70 Umberto Eco unterscheidet zwischen Komik im Leben (Stürze, Missgeschicke, Tortenwerfen), Komik im Text (Timing des Werfens, Variation eines immergleichen Ereignisses), und Komik des Textes: „In diesem Fall ist es nicht einmal nötig, dass der Text ein komisches Ereignis darstellt. Der Text kann selber komisch sein, er kann von sich aus zum Lachen reizen.“ Eco, Umberto: Lüge und Ironie. Vier Lesarten zwischen Klassik und Comic. München / Wien 1999, S. 77-127, hier S. 87. Was Eco hier be‐ schreibt, hat literaturgeschichtlich seinen Anfang im 16. Jahrhundert mit Werken wie Rabelais’ Gar‐ gantua, Fischarts Geschichtklitterung oder dem Lalebuch. Vgl. dazu Bachorski, Hans-Jürgen: Irrsinn und Kolportage. Studien zum Ring, zum Lalebuch und zur Geschichtklitterung. Hg. von Werner Röcke, Trier 2006. 71 Der mittellateinische Dialogus Salomoni et Marcolphi (hier infolge mit „Dialogus“ wiedergegeben), dessen erster Teil (Spruchwettstreit) zumindest bereits im 9. Jh. bekannt war, war über das gesamte Mittelalter populär. Ab dem 14. Jh. entstanden zahlreiche volkssprachige Bearbeitungen. Seine ety‐ mologische und mythologische Herkunft ist heute kaum zu klären. Vgl. dazu überblickend Cursch‐ mann, Michael: Art. ‚Salomon und Markolf ‘. VL. Bd. 8, Sp. 530-542. und in die Tat umgesetzt werden. 70 Die Vorfreude auf das Ergebnis wird zur eigentlichen Lust an der Erzählung und konkurriert mit dem Lachen über das Lächerliche. Der Hörer ist nicht das potentielle Opfer des Possenreißers, er wird zu seinem Komplizen. Als solcher ist er dem Zugriff des Possenreißers entzogen, er ist in Sicherheit, einer Sicherheit, die ihm die narrative Inszenierung garantiert. Dennoch braucht der Hörer, um zu lachen, die volle Imagination der komischen Körperlichkeit. Dies möchte ich im Folgenden zeigen. 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur Das höchste Oberhaupt soll aber gerecht für sich selbst und doch ein Mensch sein. Diese Aufgabe ist daher die schwerste unter allen; ja ihre vollkom‐ mene Auflösung ist unmöglich; aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden. Kant: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in welt‐ bürgerlicher Absicht Markolf: scurra/ gumpelman Die Markolf-Figur, wie sie in den verschiedenen lateinischen und volkssprachigen Fas‐ sungen des Salomon und Markolf - Komplexes hervortritt, ist wohl das bekannteste Beispiel eines literarischen Possenreißers, eines scurra, der sich während des gesamten Mittelalters bis über das 16. Jahrhundert hinaus in weiten Teilen Europas großer Popularität erfreute. 71 Zu bestimmen, wie diese Figur narrativ und dramatisch inszeniert, wie sie von ihrem Pub‐ likum wahrgenommen und verstanden wurde bzw. ob und wie sie Lachen ausgelöst hat, ist jedoch bei der langen und komplexen Text- und Überlieferungsgeschichte nur auf der 6. Erzählung, Imagination und Lachen 346 72 Sabine Griese hat die verschiedenen Text- und Bildzeugnisse des Komplexes in einen anschaulichen überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhang gebracht: Griese, Sabine: Salomon und Markolf: Ein literarischer Komplex im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Studien zu Überlieferung und Interpre‐ tation. Tübingen 1999. 73 Je nach Textfassung auch Policana bzw. Polikana bzw. auch Sludergart. 74 Curschmann hatte bereits den Dialogus als „Unterhaltungsbuch“ bezeichnet. Vgl. Curschmann, Mi‐ chael: Marcolfus deutsch. Mit einem Faksimile des Prosa-Drucks von M. Ayrer (1487). In: Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Hg. von Walter Haug u. Burghart Wachinger. Tübingen 1993, S. 151-255. 75 So z. B. Lenk, Werner: Grundzüge des Menschenbildes (Salomon und Markolf: Die dichterische Ge‐ staltung gegensätzlicher Existenzweisen des Menschen in der Klassengesellschaft). In: Grundpositi‐ onen der deutschen Literatur im 16. Jahrhundert. Hg. von Ingeborg Spriewald u. a. Berlin / Weimar 1972, S. 107-249. 76 So Curschmann: „Aber die potentielle Herausforderung des Systems wird aufgefangen und neutra‐ lisiert durch die spielerische Komik, in der sie sich verwirklicht. Parodie (...) und intellektueller Wortwitz (...), das sind die eigentlichen Dominanten dieses seinerseits ganz standesspezifischen Un‐ terhaltungsbuches.“ Curschmann: Marcolfus deutsch, S. 152. Basis einer differenzierten Betrachtung der Einzeltexte zu leisten. 72 Dennoch gibt es be‐ stimmte formale und inhaltliche Charakteristika der Figur (und des Stoffes), die sich weit‐ gehend invariant verhalten. Dazu gehört erstens die ausgesprochene Hässlichkeit, mit der Markolf und seine Frau Polikana 73 gleich zu Beginn beschrieben werden, zweitens die be‐ reits im lateinischen Dialogus bemerkbare, dann in den volkssprachigen Bearbeitungen sich verstärkende sprachliche Derbheit und Obszönität, und drittens die vor allem auf den zweiten, den Schwankteil der Erzählung bezogene Schläue und Listigkeit des Protagonisten, mit welcher er in Opposition zur Weisheit König Salomons tritt und diesen lächerlich macht. Es gibt heute keinen Zweifel daran, dass schon der lateinische Dialogus, dessen Entste‐ hung im monastisch-schulischen Umfeld angenommen wird, umso mehr aber seine Bear‐ beitungen in den Volkssprachen, zur Unterhaltung seines Publikums gedient haben. 74 Dafür sprechen die parodistische Anlage des Spruchteils sowie die schwankhafte Anlage des nachfolgenden Erzählteils. Welcher Art jedoch diese Unterhaltung war, wie ihre spezifische Komik zu erklären ist bzw. in welcher Form sie Lachen ausgelöst haben könnte, ist in der Forschung sowohl differenziert als auch kontrovers diskutiert worden. Dabei spielen lite‐ rarischer Status, symbolisch-mythologische Wertigkeit und soziale Wahrnehmung der Markolf-Figur eine zentrale Rolle. Je nachdem, wie man den Antagonismus zwischen Sa‐ lomon und Markolf versteht, ergeben sich je andere Schwerpunkte der Interpretation. So wurde Marcolfus follus vom klassenspezifischen Standpunkt aus als profaner Gegenspieler des in jeder Weise mit sakraler Autorität ausgestatteten König Salomon gesehen, der mit dem Herrscher und biblischen Lehrer Salomon zugleich auch die acutoritas-gebundene Hochkultur, für die dieser steht, verlacht. 75 Gegen ein Verständnis dieses Gegensatzes als Klassenkonflikt (auch zum Bauerntum der späteren Fassungen) spricht jedoch seine ein‐ deutige verbal-parodistische Rahmung und der rhetorische Wettstreit zwischen sapientia und versucia bzw. prudentia. 76 Aus diesem Blickwinkel gesehen geht es beim Dialogus trotz aller Kritik nicht um Satire, sondern um eine unterhaltsame Übung, den (sprach-)spieler‐ ischen Umgang mit dem Schulwissen des Alten Testaments, als dessen Vertreter Salomon erscheint, welcher in den parodistische Gegenreden seines Kontrahenten zur Karikatur 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 347 77 Curschmann spricht von einer „literarische Karikatur des dogmatisierten biblischen Herrschermo‐ dells“ und leitet ihre Herkunft aus der Tradition monastischen oder auch vagantischen Humors ab, der „im freien Spiel mit den ungeliebten Gegenständen der Lehre Bestätigung und Vergnügen findet.“ Ebd., S. 162. 78 Vgl. Röcke, Werner: Die Freude am Bösen. Studien zu einer Poetik des deutschen Schwankromans im Spätmittelalter. München 1987, S. 85-141. Dass damit auch politische Machtverhältnisse, Bildungs‐ oppositionen oder moralische Kategorien gegenbildlich verkehrt und deren Träger verspottet wurden, ist an den politischen Dimensionen des Karnevals zu erkennen. 79 Vgl. Röcke, Die Freude am Bösen, S. 102 ff. Röcke spricht auch von der „Metamorphose der dämoni‐ schen in eine komische Figur“ (S. 102). 80 So bereits Notker, aber auch v. a. Wilhelm von Tyrus u. a. Vgl. Griese, Salomon und Markolf, S. 9. 81 Schnell, Rüdiger: Das Eulenspiegel-Buch in der Gattungstradition der Schwankliteratur. In: Hermann Bote. Städtisch-hansischer Autor in Braunschweig. 1488-1988. 2. Brauschweiger Bote-Kolloquium 1988. Hg. von Herbert Blume u. Eberhard Rohse. Tübingen 1991, S. 171-196. 82 „Die Gattungsprinzipien des Schwanks lassen eine allgemeingültige Moral nicht zu.“ Ebd., S. 183. seiner selbst wird. 77 Diese Lesart kann allerdings nicht restlos die schon in den lateinischen Fassungen deutlich zu Tage tretende skatologische und obszöne Tendenz erklären, welche geradezu charakteristisch für das Verhalten der Markolf-Figur ist. Hier muss ein ausge‐ prägtes „Vergnügen am Vulgären und den ungezügelten Seiten des Körpers“ konstatiert werden, 78 wie sie in der karnevalesken Verkehrung von Normen vor allem in Kurzerzäh‐ lungen und im Fastnachtspiel geläufig ist. Neben der sozialen und der rhetorischen Antithese ist schließlich auch das eschatolo‐ gisch bestimmte Verhältnis von Salomon als weisem Richter und Markolf als mit den Zügen des Dämons ausgestattetem bösem Schalk betont worden. So machte Röcke unter Hinweis auf die mythologische Herkunft der aus dem jüdisch-orientalischen Kulturkreis komm‐ enden Markolffigur (Aschmodei) auf die Position des Bösen bei Markolf aufmerksam, der sich vor allem gegen Salomon als Hüter des göttlichen ordo und seiner Gesetze wendet und sie unterwandert. In dieser strukturellen Bösartigkeit Markolfs, der die Voraussetzung für seinen schalkhaften Egoismus sei, sieht Röcke den eigentlichen Anlass zum Lachen, das dem rituellen Verlachen des Teufels im geistlichen Spiel gleichkomme. 79 Ein solches Ver‐ ständnis lässt sich sowohl aus den Bezeichnungen Markolfs in den Texten (als brico und follus, sowie als „böser schalk“ im Spruchgedicht), wie auch aus den negativen Bewertungen durch die Theologen der Markolffigur bestätigen. 80 Gegen diesen bislang einzigen Versuch, den die Texte bestimmenden Kontrast zwischen Salomon und Markolf in einen vom Lachen regierten Rahmen zu stellen, ist eingewendet worden, dass die Markolf zugeschriebenen Eigenschaften wie „behendekeit“, „behender sin“ und „schalkeit“ nicht notwendig mit Bösartigkeit belegt werden müssen, wie Rüdiger Schnell für den Eulenspiegel gezeigt hat. 81 Die Beschimpfungen Salomons gegen Markolf als „bosewicht“, „bosen gebure“ und seine Handlungen als bose listen seien „subjektive Aussagen des Affekts“, „Bemerkungen des Überlisteten“, die seinen (unangebrachten) Zorn ausdrücken sollen. Schnell argumentiert auch gattungsbezogen, indem er dem Schwank die Vermittlung eines allgemeingültigen Wertesystem abspricht. 82 Hinzufügen ließe sich noch, dass eine ausgesprochene Bosheit Markolfs sich lediglich in den misogynen Inszenierungen zeigt, und dass „schalckheit“ und „behender sin“ vom Standpunkt der mit ihnen verbun‐ denen Fähigkeiten und Handlungen Markolfs eher zumindest ambivalente, wenn nicht gar 6. Erzählung, Imagination und Lachen 348 83 So Griese, Salomon und Markolf, S. 167. 84 Curschmann betrachtet vor allem die gesellschaftliche Funktion Markolfs und seiner Reden; er un‐ tersucht die Überlieferungs- und Druckgeschichte der Texte, vor allem ihre Unterschiede, weniger jedoch ihre Gemeinsamkeiten, wie Röcke dies getan hatte. 85 Siehe unten, Kap. 6.2. 86 Curschmann, Marcolfus deutsch, S. 167. Zitat aus dem Spruchgedicht, V. 627 f. 87 Vgl. Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1854-1866 mit einem Vorwort und einem zusammengefaßten Quellenverzeichnis von Eberhard Nellmann sowie einem alphabetischen Index von Erwin Koller, Werner Wegstein und Norbert Richard Wolf. 4 Bde. u. Indexbd. Stuttgart: S. Hirzel 1990. positiv besetzte Termini sind. 83 Es bleibt somit die Frage offen, in welcher Weise die Texte (und Spiele) des Salomon und Markolf-Komplexes dem Lachen verpflichtet sind bzw. worin ihre spezifische Komik liegt. Lachen und Komik weitgehend aus der Analyse auszuklam‐ mern, wie Curschmann dies getan hat, und lediglich von „Unterhaltung“ im Allgemeinen zu sprechen, ist hier nur eine Lösung auf minimaler Ebene. 84 Die bisherigen Erklärungsversuche, die das Verhältnis der beiden Protagonisten zuei‐ nander als antagonistisch beschreiben, sind statisch strukturiert. Sie konzentrieren sich auf leitende Differenzen je eines Oppositionspaares (hoch / niedrig, weise / listig, gut / böse usw.), mit denen jedoch der Text bereits dialogisch verfährt und selbst unterläuft (indem er beispielsweise Salomon ‚markolfische‘ Aussagen und Reaktionen unterlegt). 85 Die Haupt‐ frage muss demnach nicht lauten, wie sich Markolf Salomon gegenüber positionieren lässt, sondern zunächst einmal, was Markolf als „narr“ (follus), schalck (brico), „gumpelman“ oder „gebure“ (rusticus) ausmacht. Curschmann hatte einen Hinweis in diese Richtung gegeben, als er in den volkssprachigen Adaptationen erzählerische Interessen freigelegt hat, „die das Paar zum gemeinsamen Treiben zusammenführen. Markolf gehört geradezu Salomon, fast wie Neidhart und der Kalenberger Pfaffe dem Herzog Otto gehören, und daher klingt das kommentarlose follus, mit dem das Original die erste Wiederbegegnung der beiden einleitet, nunmehr so: „Herre, hier wonet uwer gumpelman, / Markolf, der vil klaffens kann.“ 86 Die einzige Möglichkeit, den verschiedenen Bezeichnungen der Markolf-Figur gerecht zu werden, ist es, diese Rollen nicht als Ausprägung eines festen Identitätskernes aufzu‐ fassen, sondern als jeweils differente performative Zuweisungen von Transgressivität. In dieser Perspektive ist Markolf ein gumpelman, der aber gleichzeitig als Narr und Schalk, Dämon und Teufel, Bauer und Knecht auftritt. Nur die (anthropologisch mit dem Trickster verwandte) Figur des Possenreißers, des gumpelman, kann die nachweisbare Hybridität Markolfs und seine verschiedenen Funktionen in den Texten schlüssig erklären. Gleich‐ zeitig eröffnet sie eine Möglichkeit, die Komik der Texte auf die scurrilitas des Possenreißers zu beziehen und das Lachen als ihren notwendigen Rahmen zu erklären. Das aus den mhd. Verben „gumpen“ (hüpfen, springen, Possen treiben, aber auch lärmen) bzw. „gumpeln“(Possen reißen) hervorgegangene Substantiv „gumpelman“ (Possenreißer, Luftspringer) bezeichnet einen vor allem im Umkreis von mittelalterlichen Höfen (daher auch mdh. „hovegumpelman“) auftretenden Unterhalter, dessen Aufgabe es ist, sowohl mit seinem Körper (Tanz, Herumtollen, Gesten (vgl. engl. gambol) wie auch mittels seiner rhe‐ torischen Fähigkeiten (etwa „klaffen“) Lachen hervorzurufen. 87 Die in der Etymologie des Begriffes angelegte Verbindung von körperlicher und sprachlicher scurrilitas ist bereits 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 349 88 Der intellektuelle Witz unter Eingeweihten entziehe sich, so Curschmann, der volkssprachigen Ver‐ mittlung. Durch das Fehlen der Vulgata in der Volkssprache fällt die Wirkung der zitathaften Parodie flach. Vgl. Curschmann, Marcolfus deutsch, S. 162. 89 So nennt etwa Sebastian Franck Markolf im gleichen Atemzug wie Äsop, indem er beiden die Be‐ zeichnung „kunstreicher abentheürer“ unterlegt. „Ein solcher kunstreicher abentheürer soll auch Marckolphus sein gwesen / zur zeit Salomonis / von dem auch ein buechlin nit gar vngesaltzen vmbfleügt.“ Franck, Sebastian: Chronica (Ulm 1536), ND Darmstadt 1969 am Schluss des Abschnitts „esopus der fabel dichter vnd sein leben“. 90 Die breite Rezeption des Komplexes hat in ihren literarischen Zeugnissen Griese zusammengefasst: Salomon und Markolf, S. 298-343. 91 Über die textuellen und vor allem bildmotivischen Parallelen zwischen Markolf und Äsop vgl. aus‐ führlich Curschmann, Marcolfus deutsch, S. 235-239. So erscheint der Steinhöwelsche Äsop in Text und Bild (Schelmenvita und Titelholzschnitt, um 1476) in deutlicher Ähnlichkeit zu Markolf als un‐ gestalt, bucklig, schwarz und mit großem Kopf. Beide Figuren wurden in Folge häufig vermischt, verwechselt oder vertauscht. So entstand bsp. die Titelfigur des Markolf in der 1488 in Antwerpen gedruckten Dialogus-Ausgabe Gerard Leeus als seitenverkehrter Äsop (Nachschnitt der Äsopus-Aus‐ gabe von Steinhöwel 1476 / 77); ebenso im Salomon und Markolf-Druck von Quarengis, Venedig um 1493. 92 Curschmann führt die Assoziation Markolfs mit Äsop auf die bildliche Darstellung zurück. Dabei unterschätzt er allerdings die textuellen Parallelen und die bildliche Kraft von Sprache, die erst die Grundlage für die Illustrationen gegeben hat. 93 Ebd., S. 237. deutlich in den Fassungen des lateinischen Dialogus zu erkennen, wenn der Unverfrorenheit und Schlagfertigkeit von Markolfs Antworten im Redewettstreit seine ausgesprochene Triebhaftigkeit und Betonung des Leiblichen, wie auch die obszönen und theatralen Gesten im Schwankteil entsprechen. Dominant wird die Körperlichkeit Markolfs jedoch erst in den volkssprachigen Bearbeitungen, allen voran dem mittelhochdeutschen Spruchgedicht des Markolf-Buches, in welchem die Bezeichnung gumpelman erstmals auftritt. Hier kommt es, auf Grund des Verlustes der parodistischen Bezugnahmen auf die Bibel zu deutlichen Akzentverschiebungen hin zum sprachlich-körperlichen Komplex des Fäkalisch-Obs‐ zönen. 88 Dies verändert sich auch in den Handschriften und Drucken des letzten Viertels des 15. Jahrhunderts nicht signifikant, vor allem wenn mit dem Ayrer-Druck 16 Illustrati‐ onen hinzukommen, die der textuell geformten Markolf-Figur ein definitives bildliches Äußeres hinzufügen. Markolf erscheint hier immer als kleine, gedrungene, bewegte Figur in der Nähe des Königs, dessen kennzeichnende Merkmale die zerschlissene Kleidung, das überlange Schwert in der zerrissenen Scheide und die löchrige Kleidung sind. Dass das Publikum in der Zeit der höchsten Popularität des Salomon und Markolf-Stoffes, zwischen 1470 und 1550, die Markolffigur als Possenreißer und Schwankhelden imaginiert hat, 89 dessen listige Inszenierungen und witzige Schlagfertigkeit untrennbar mit seiner obszönen, lächerlichen Körperlichkeit verbunden bleiben, zeigen die Rezeptionszeugnisse aus dem 16. Jahrhundert. 90 Dies ist gerade auch im Zusammenhang mit der Äsop-Rezeption der Zeit gesehen worden, welche starke Parallelen zwischen den Figuren Markolf und Äsop hergestellt hat. 91 Auch bei Äsop ist seine körperliche Verwachsenheit und Hässlichkeit mit niederer Abkunft und spöttischen Reden verbunden. „Natürlich heißt markolfisch auch grobianisch und hässlich“, konzediert Curschmann, 92 sieht jedoch das „eigentliche“ Ge‐ meinsame zwischen Äsop und Markolf nicht im Physischen, sondern im Geistigen: als „die weltkluge Weisheit des Außenseiters.“ 93 Diese Lesart Curschmanns degradiert das Körper‐ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 350 94 Als eine solche grotesk-komische Figur wird Markolf etwa in den Tagbüchern von Konrad Cordatus bezüglich einer seiner häufigen Erwähnungen bei Luther erinnert: „Etiam significat [Marcolfus] sapientiam mundi non esse tantam, quae ludi vel rideri non possit vel hallucinari.“ Zit. aus Cursch‐ mann, Marcolfus deutsch, S. 232. liche, um dessen Nachweis er sich in zahlreichen herangezogenen Beispielen so ausführlich und umfassend bemüht hatte, zur bloßen zeichenhaften Ausdrucksform eines essentielleren Zusammenhangs in diesem Verwandtschaftsverhältnis. Das Erscheinungsbild wirkt hier lediglich als Vehikel für etwas, das bildlich nur schwer darstellbar ist, eben die listige und intellektuelle Überlegenheit. Doch wenn Markolf und Äsop nicht nur in der Druckgraphik und der Illustration, son‐ dern auch in der textuellen descriptio sich in ihrem körperlichen Erscheinungsbild so sehr ähnlich sind, dass sie immer wieder miteinander verwechselt wurden, dann könnte es einen anderen Grund als den des bloßen zeichenhaften Darstellungsstils für den Listigen geben. Das Gemeinsame ergibt sich nämlich zunächst einmal aus der Semantik des Bildhaften, und daher sehr wohl aus dem Physischen: Es ist der grotesk-häßliche Körper des gerissenen Schalks, der Züge des Deformen und Verwachsenen, somit des Narren, aber auch des Bäu‐ erlichen und Tierischen enthält. Diese körperliche Hässlichkeit verweist nicht zwangsläufig und auch nicht an erster Stelle auf menschliche Intelligenz, List und Schläue; sie kann genauso gut soziales Außenseitertum (Knechtschaft), Narrheit und somit Gottferne oder mit ihr verbundene inhärente Lügenhaftigkeit und Bösartigkeit repräsentieren. Doch noch vor diesen semiotischen Lesarten seines körperlichen Erscheinungsbildes muss der Mar‐ kolf / Äsop in seiner Präsenz und performativen Wirkung gesehen werden; nämlich als lächerlicher und Lachen erregender Possenreißer. Die hybride Zusammensetzung seiner Gestalt führt direkt zu einem aisthetischen, auf die unmittelbare Wahrnehmung bezogenen Verständnis Markolfs. Er soll als komische Figur alle diejenigen Aspekte aufrufen, aus denen sich Lachen ergeben kann: zuallererst Groteskkomik über Hässlichkeit und Missbildung, die auch Ekel und Abscheu hervorrufen können, sowie damit verbundene intellektuelle Fähigkeiten des Schalks, der durch List, Täuschung und obszönes Sprechen Situationen schafft, in denen die Antagonisten zu Narren gemacht und verlacht werden können. Die körperliche Gestalt wäre somit ein Rezeptions- und Wirkungssignal für eine spezifische ‚Unterhaltung‘, die durch komische Anlässe bestimmt wird und Lachen auslösen soll. 94 Diese These soll im Folgenden genauer an Textbeispielen untersucht werden. Bezüglich des Redewettstreits ist insbesondere zu klären, inwieweit hier von einer rhetorischen Va‐ riante von scurrilitas gesprochen werden kann, wie sie etwa in der monastischen und scho‐ lastischen Theologie definiert ist (vgl. Kap. 3). Nicht ohne Grund wird Markolf schon in den Fassungen des Dialogus als follus und brico bezeichnet. Dennoch ist hier bereits erkennbar, dass die scurrilen Reden Markolfs in hohem Maß auf obszöne und skatologische Umschrei‐ bungen körperlicher Handlungen rekurrieren (je nach Fassung unterschiedlich, aber im Durchschnitt mehr als ein Drittel). Dazu kommen die einleitende descriptio Markolfs und seiner Hausfrau, die gänzlich von grotesker Leiblichkeit geprägt ist, sowie die Nähe des 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 351 95 Es ist umstritten, inwieweit Markolf als Hofnarr bezeichnet werden kann. Die ältere Forschung ging ganz selbstverständlich davon aus, und noch Röcke weist ihm die Position des ersten literarischen Hofnarren zu. (Vgl. Röcke, Werner: Die Gewalt des Narren. Rituale von Gewalt und Gewaltvermei‐ dungen in der Narrenkultur des späten Mittelalters. In: Die Kultur des Rituals - Inszenierungen. Prak‐ tiken. Symbole. Hg. von Christoph Wulf u. Jörg Zirfas. München 2004, S. 110-128). Dafür, dass Markolf so etwas wie ein Hofnarr vor der institutionellen Einführung dieses Amtes am Hofe war, sprechen die Lizenz zur freien Rede und zum transgressiven Verhalten. Dagegen spricht weniger: das spezi‐ fische Verhältnis zu Salomon, das ebenso von scharfer Konkurrenz wie von einer Scherzbeziehung gekennzeichnet ist, sowie die Abwesenheit eines Dienstverhältnisses. 96 Es ist kein Zufall, dass sich gerade der Schwankteil des Stoffes besonders gut für die Dramatisierung eignet, wie am Erfolg der zahlreichen theatralen Bearbeitungen erkennbar ist (Hans Folz, Zacharias Bletz, Hans Sachs). Dass die Markolf-Figur hier eine prägnante Funktion hatte, zeigt etwa die Ein‐ führung von weiteren, auf Markolf bezogenen komischen Figuren bei Folz (2. Fassung), Bletz und Sachs. 97 Erst auf Grund einer Analyse der möglichen Rezeptionsebenen und -situationen lassen sich Aussagen über die Lachanlässe komischer Strategien eines spezifischen Textes treffen. 98 Griese sieht die Entstehung des lateinischen Textes im Umfeld von grammatischen Verstraktaten, die lateinisches Wortmaterial und Spruchweisheiten zur Verfügung stellten, bzw. von Merkversen und Sprichwörtern, wie sie im Umkreis der Lateinschule auftreten. In vielen Hs. ist der Dialogus zusammen mit humanistischer Literatur überliefert. Vgl. Griese, Salomon und Markolf, S. 143 ff. Protagonisten zur Rolle und Funktion des scurra am Hofe. 95 Der in den volkssprachigen Adaptionen sowie im Fastnachtspiel bedeutender werdende Schwankteil muss vor diesem Hintergrund ebenfalls auf die Wirkungsmöglichkeiten der Körperinszenierungen Markolfs eingehender untersucht werden. 96 Schon jetzt lässt sich sagen, dass der Aufbau der ein‐ zelnen Schwänke deutlich von theatralen und szenischen Gesichtspunkten bestimmt ist, die der Imagination lächerlicher Körperlichkeit einen geeigneten Rahmen liefern. Lachen und Publikum Um das Lachen als Rahmen und Fokus komischer Inszenierungen eines Textes genauer zu bestimmen, müssen zunächst Hinweise darauf zusammengetragen werden, für welches Publikum dieser Text bestimmt war und welche Erwartungen es möglicherweise an ihn hatte. 97 Dies ist im Fall des Salomon-Markolf-Komplexes nicht eindeutig zu beantworten, weil sich im Laufe der Überlieferungsgeschichte mit der an Sprache und Medium ge‐ knüpften Gebrauchsfunktion auch die ästhetischen und kommunikativen Wirkungsweisen der einzelnen Texte veränderten. So wurde als Wirkungsumfeld des lateinischen Dialogus Salomonis et Marcolphi die Lateinschule bzw. gelehrte Kreise aus Universität und Frühhu‐ mansimus genannt. 98 Der daraus resultierende gemeinsame Wissenshorizont der Vulgata wie auch der lateinischen Spruchliteratur und Gnomik des Mittelalters spielte für die Re‐ zeptionserwartungen der lateinischen Fassungen eine entscheidende Rolle: deren parodis‐ tische Komik kann nur Lachen auslösen, wenn die Prätexte beim Rezipienten auch voraus‐ gesetzt werden können. Dieses Lachen resultiert daher aus der Freude am spielerischen Umgang mit dem Wortmaterial, das zunächst formal dekomponiert und wieder neu zu‐ sammengesetzt, profaniert und familiarisiert wird. Gerade die Profanierungen sakraler Rede und ihr spielerisch-subversives Potential sind es, die diese Form der Parodie interes‐ sant macht, wie man etwa auch an Texten wie der Cena Cypriani erkennen kann. Dass für solche verbal-literarischen Kunststücke (daher auch Notkers Kritik an den „schönen 6. Erzählung, Imagination und Lachen 352 99 Curschmann, Marcolfus deutsch, S. 162. 100 Dazu Curschmann: „Die allgemeine Tendenz (…) geht dahin, die Rolle des Biblischen als mitzudenk‐ enden Subtextes zu reduzieren, Rede und Gegenrede inhaltlich enger aufeinander abzustimmen, und darüber hinaus das Ganze in ein wirkliches Gespräch, einen personen- und situationsbezogenen Wortwechsel, zu verwandeln. (…) In dem Maß, in dem der parodistische Bezug auf das Lehrmodell entfällt, emanzipiert sich die Erzählung als Erzählung“. Ebd., S. 166 u. 167. 101 Curschmann sieht dies im Rahmen einer Verlustgeschichte als „Entspannung und Verflachung“: die Schärfe des intellektuellen Wettstreits werde zurückgenommen, Markolf werde am Ende sozial in‐ tegriert, da die ihn auszeichnende Differenz sozial und nicht mehr intellektuell bestimmt sei. Statt Vereinfachungs- und Verflachungstendenzen zu konstatieren, ist es m. E. angebrachter, von Umbe‐ setzungen und Erweiterungen zu sprechen. Mehr dazu s. u. 102 Salomon und Markolf. Das Spruchgedicht. Hg. von Walter Hartmann. Halle a. S. 1934. 103 Röcke betont die Vorliebe des mhd. Spruchgedichts „für alles Fäkalische und Obszöne“, auch im Vergleich zum lateinischen Dialogus. Darin erkennt er auch den Grund für die Rechtfertigung des Erzählers im Prolog und weist diese somit als Ironie aus. Vgl. Röcke, Die Freude am Bösen, S. 91. Worten“) nur ein relativ holzschnittartig gefügtes Antagonisten-Paar gebraucht wurde, welches kaum narrative Entfaltung nötig hatte, liegt auf der Hand: denn der Fokus war die „literarische Karikatur des dogmatisierten biblischen Herrscherbildes.“ 99 So konnten Sa‐ lomon und Markolf auch als starre Chiffren für den ständischen Konflikt zwischen Adel und Bauernstand sowie den Dualismus von schriftgelehrter Weisheit und welterfahrener Klugheit gelesen werden, und somit eher als symbolische Figuren begriffen werden. Dies ändert sich im Moment der Übertragung in die Volkssprache: das Spruchgedicht (Markolfs Buch) etwa wird nun für ein ganz anderes Publikum aufbereitet, das vermutlich dem mittleren bis gehobenen Laienadel und dem Stadtbürgertum angehört. Die im Prolog erwähnte „hubischeit“, die die Rezipienten erwarteten, und die das Gedicht nicht völlig einlösen kann, zeigt an, dass es sich um eine Form der ‚späthöfischen‘ Unterhaltungslektüre mit ironischen Untertönen handelt. Es nimmt keine Rücksicht auf den biblischen Wissens‐ bestand seiner Vorlage und deren rhetorische Einfassungen, baut dafür jedoch den perso‐ nalen Gegensatz seiner Protagonisten erzählerisch aus. 100 Für die Komik bedeutet dies: Zu‐ rücknahme der parodistisch-karikaturalen Elemente einerseits (damit geht auch ein Verlust an intellektueller Schärfe und eine Verflachung des politischen Konflikts einher), 101 zwei‐ tens wachsende Referenzlosigkeit der fäkalisch-obszönen Sprechweise und drittens Erwei‐ terung durch narrative und vor allem theatrale Strategien, die den Kräftevergleich zwischen Salomon und Markolf zum szenischen Spektakel machen. Das Laienpublikum des Spruch‐ gedichts - wie auch das erweiterte der Prosafassungen - amüsiert sich nun über komische Inszenierungen, erkennbar an den Dialogen mit ihren popularen und derben Redewen‐ dungen, vor allem aber an den narrativen Szenographien der Ausarbeitung von Hand‐ lungssequenzen im Schwankteil. Der Dialog wird durch den narrativen Ausbau zum Schwankroman, und der im rahmenden Prolog präfigurierte, neu eingeführte Erzähler zur perspektivierenden Instanz. Das von diesem Erzähler als „frunde“ angesprochene Publikum wird gebeten, ihm die teilweise unhöfische Sprechweise des Textes nachzusehen („vil worte, die nit hobischlich / entludeten in dutscher zungen“, V.9-10), 102 dies jedoch bereits mit einem ironischen Unterton ausspricht, der die Freude an der sprachlichen Derbheit und Offenheit durchaus antizipiert. 103 Wichtig für die antizipierten Rezeptionserwartungen, die sich im Text niederschlagen, ist die Aufwertung Markolfs als „gumpelman“. Dessen Frechheit und unhöfisches Betragen, 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 353 104 In der zweiten Hälfte des 15. Jh. ist ein hohes Interesse der Laiengesellschaft in Deutschland am Salomon und Markolf-Stoff zu erkennen: es entstehen unabhängig voneinander drei handschriftliche Übertragungen, von denen diejenige Gregor Haydens die bekannteste ist, in unserem Zusammen‐ hang jedoch durch ihre moralisch-didaktische Tendenz die unergiebigste. Ab 1483 entstehen noch insgesamt acht Inkunabeldrucke als Konkurrenz zu diesen Handschriften. 105 Curschmann, Marcolfus deutsch, S. 191. Auch die Dramatisierungen von Folz, Bletz und Sachs, sowie die von Röcke, Curschmann und Griese gesammelten Rezeptionsbelege sprechen für eine weitrei‐ chende Popularität des Stoffes. 106 Curschmann gibt drei Beispiele, wie die Integration des Bildes den Text neu akzentuiert: „(…) wie sich der Text allmählich einem Bild angleicht; wie die Integration des Bildes den Text neu akzentuiert; und wie der Text zurechtgestutzt wird, um die Bebilderung als solche stärker hervortreten zu lassen“. Curschmann, Marcolfus deutsch, S. 209. Curschmann sieht in diesen Veränderungen, Umstellungen und Kürzungen des Textes durch die graphischen Ausstattung eine systematische Strategie der „Po‐ pularisierung durch Anschauung“. Der Text werde dadurch entschärft und weltanschaulich neutra‐ lisiert. S. 220. die „unhubescheit“, auch als Grobianismen zu bezeichnen, rücken nun stärker ins Zentrum des Textes, zulasten des Konflikts von sapientia und versucia. Auch die listigen Streiche Markolfs sind erzählerisch ausgebaut worden, sodass nun die Handlungen des Possenrei‐ ßers stärker als in der lateinischen Fassung im Zentrum stehen; dies wird auch durch die Einschübe und den abschließenden Zusatz der verkürzten Salman und Morolf - Handlung nochmals bestätigt. Die Veränderungen des Verfassers im Spuchgedicht deuten bereits an, was im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts in den überlieferten Handschriften und den Drucken noch stärker zum Ausdruck kommt: das Verblassen Markolfs als negatives Gegenbild und seine Konturierung als mehr und mehr eigenständige Schalksfigur, der in vielerlei Hinsicht La‐ chen auszulösen vermag. Unter der Vielzahl der Textzeugnisse 104 greife ich die populärste und für die weitere Rezeptionsgeschichte bedeutendste heraus: den Augsburger Erstdruck von Marcus Ayrer aus dem Jahre 1483 / 87 mit dem Titel: Frag vnd antwort Salomonis vnd marcolfy. Die hochdeutsche, erstmals mit 16, den Text gliedernden Holzschnitten illustrierte Prosaübertragung Ayrers war eine äußerst erfolgreiche Publikation und begründete „von Nürnberg aus den Ruhm Markolfs in noch breiteren Kreisen der folgenden 150 Jahre.“ 105 Damit eignet sich der Ayrer-Druck, da er eine zentrale Stellung für die Popularisierung und Verbreitung des Stoffes einnimmt, von allen überlieferten Texten am besten, um daran die Relation von textinternem und textexternem Lachen sowie die Formen und Funktionen der performativen Komik zu untersuchen. Bezogen auf das Publikum ist zunächst von einer nochmaligen Erweiterung des Rezept‐ ionskreises beim Ayrer-Druck auf städtische Hörer- und Leserschichten auszugehen. Dafür spricht nicht nur das dominante Bildprogramm, das den Text gliedert und stabilisiert, Kürzungen und Veränderungen veranlasst, 106 und den Text somit auch für nicht oder wenig alphabetisierte Leser öffnet, vor allem aber die Fixierung der körperlichen Gestalt der Mar‐ kolf-Figur sowie der zentralen Schwankszenen auf prägnante Bildmotive vornimmt. Da‐ durch, dass die Illustrationen narrativ geschilderte Szenen festhalten, wird das Schwank‐ hafte des Druckes gegenüber den vorigen volkssprachigen Bearbeitungen wiederum verstärkt. Das Bildprogramm kann zusätzlich zu seinen textuellen Funktionen auch als mediales Mittel der Imaginationslenkung verstanden werden: es zeigt in fast allen Holzschnitten 6. Erzählung, Imagination und Lachen 354 107 Vgl. Griese, Salomon und Markolf, S. 243. Dort auch eine längere Analyse und Interpretation des Spiels. Neuerdings dazu: Dietl, Cora: Markolfs Klugheit und Salomons Weisheit: Hans Folz’ neuer Zugang zu einem traditionellen literarischen Thema. Europan Medieval Drama 15 (2011), S. 31-46. kommunikative bzw. Handlungssituationen, sodass hier die Wahrnehmung zentraler Be‐ wegungs- und Handlungsabläufe vorstrukturiert wird. Markolfs Gestalt ist durchgängig die zentrale Position der Bebilderung. Er ist auf allen 16 Illustrationen in prägnanter, meist bewegter Stellung zu sehen, während Salomon nur auf 14 Bildern erscheint. Deutlich hebt sich seine Darstellung durch die zerschlissene Kleidung und das überdimensionierte Schwert, vor allem aber durch die gedrungene Gestalt sowie den großen Kopf mit den stacheligen Haaren ab (Abb. 16.) Die Haare sind sein hervorstechendes Merkmal, Zeichen seiner Wiedererkennbarkeit als Bauernnarr. Dieser Darstellungstyp vereinigt Elemente des bäuerlichen Außenseiters am Hof und des gerissenen Vaganten, sodass damit gleichzeitig die eigene Lächerlichkeit wie auch die Fähigkeit, andere zum Narren zu halten, vermittelt wird. Allerdings darf die komplexe Figur Markolfs nicht auf das bloße Lachen zurückgeführt werden; Markolf ist nicht nur Lachfigur, sondern er ist es neben seiner Funktion des ord‐ nungsstörenden Schalksnarren und des bäuerlichen Provokateurs - beides Typen der po‐ pulären Unterhaltung. In dieser polyvalenten Darstellung kam die Figur der Illustrationen vermutlich auch den Bedürfnissen eines größeren urbanen Publikums entgegen, welches vielleicht bereits Bekanntschaft mit einem theatralen Markolf gemacht hatte (Folz hatte ein Spil von konig Salomon und Malkolfo (K60) vermutlich kurz nach 1487 in Nürnberg aufge‐ führt, und es ist plausibel, dass der Druck eine seiner Vorlagen war). 107 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 355 108 Zu dieser Komik des Kontrasts vgl. Röcke, Die Freude am Bösen, S. 85 f. Abb. 16: Markolf spuckt auf den Kahlköpfigen. Aus: Red vnd widerred Salomonis vnd marcolfij, Augsburg 1490 Dass es sich bei Text und Bild in der Frag vnd antwort nicht nur um Unterhaltung im all‐ gemeinen Sinn handelt, zeigt schon der Titelholzschnitt, welcher als leitender Rahmen die Wahrnehmung der Figuren im Text steuert. Und hier ist bereits Lachen in Form eines lu‐ dischen Rahmensignals zu erkennen: Es wird durch den Kontrast zwischen der Hässlichkeit Markolfs und seiner im Narrenkostüm steckenden Hausfrau Policana mit der erhabenen Würde des sitzenden Salomon hervorgerufen. 108 Der hier abgebildete Markolf ist die bild‐ liche Ikone der im Text hervorgerufenen lächerlichen Hässlichkeit; wenn diese Lachen er‐ regen sollte - und das werde ich weiter unten versuchen zu zeigen - dann kann die bildliche Darstellung Markolfs im Folgenden als Lachfigur imaginiert werden. Das äußere Zeichen seiner Erkennbarkeit als „gumpelman“ („Lachfigur“) verstehe ich hier sowohl im aktiven wie im passiven Sinn: er kann verlacht werden, etwa auf Grund seiner Hässlichkeit, seiner Schamlosigkeit, seiner latenten Bedrohlichkeit und Gewalt, seiner sozialen Minderwertig‐ keit oder seiner Fremdheit; er kann aber auch die anderen, allen voran Salomon, lächerlich machen, indem er sie provoziert und deren Schwächen offen legt. Markolf als Lachfigur ist also noch immer den Regeln unterworfen, die für die rituelle Verspottung im Mittelalter gelten: Lachen ist ein gemeinschaftlich vollzogenes Ritual der Korrektur von transgres‐ sivem Verhalten. 6. Erzählung, Imagination und Lachen 356 109 Tatsächlich lacht Salomon über die lakonische, doch schamlose Antwort Markolfs auf die Frage, ob dieser nicht von seiner (Salomos) unermesslichen, von Gott gegebenen Weisheit gehört habe: „ich hab gehort wo got will do reget eß.“ (Z.305 f.); doch ist das Lachen so angelegt, dass es gewissermaßen das gesamte vorangegangene Gespräch abschließt. - Frag vnd antwort Salomonis vnd marcolfi. Augsburg: Ayrer 1487, abgedr. bei Curschmann, Marcolfus deutsch, S. 240-255. Die folgenden Zei‐ lenangaben beziehen sich auf den Text dieser Ausgabe. Geben somit die kommunikativen und sozialen Kontexte des Spruchgedichts und des Ayrer-Druckes sowie auch deren spezifische Medialität stabile Hinweise darauf, dass der Text als Lachanlass konzipiert wurde, ist nicht geklärt, auf welche textuellen Komikformen sich dieses Lachen bezieht. Auch die Lachreferenzen im Text sind bislang noch nicht be‐ stimmt: Das lediglich an vier Stellen auftretende innertextuelle Lachen im Ayrer-Druck zeigt zunächst einmal die starke Verbindung zwischen Salomon und Markolf durch Lachen. Lachen bestimmt weitgehend das Interesse Salomons an seinem fremden Gast und hängt offensichtlich mit dessen Reden und Streichen zusammen: So lacht Salomon zum ersten Mal am Ende der Erzählung Markolfs über den Gewinn von „weißheit“ und „listigkeit“, welche auch als Küchenhumor zu bezeichnen wäre, und die im Ergebnis eine überraschende Relation festhält: die des weisen Königs und des listigen Narren. Allerdings wird sie gleich als reversibel präsentiert: „dauon kam mir die listigkeit als dir die weißheit kam von dem herzen marcolf sprach & wirt weiß gehalten der sich helt fur ein narren.“ (Z. 302-303). 109 Wie das erste stammt auch das vierte Lachen im Text von Salomon, und es bezieht sich wiederum auf einen Streich Markolfs, den der Aufwiegelung der Jerusalemer Frauen. Al‐ lerdings ist dieses Lachen komplexer gelagert als das erste. Es oszilliert zwischen Salomons Amüsiertheit über das freche Auftreten der Frauen und der Erkenntnis, dass hinter solchem Handeln nur Markolf als Anstifter stecken kann. „Do lachet künig salomon vnd sprach die redt wol fur sich vnd fur ire gespile“ (Z. 591 f.); er habe nicht geglaubt, dass es möglich sei, eine so große Menge von Menschen in kurzer Zeit gegen ihn aufzubringen. Anders dagegen verhält es sich mit der zweiten und dritten Lachreferenz, die den Auftritt von Markolfs Schwester Fusada gewissermaßen rahmen. Im Augenblick ihrer Ankunft, als Salomon Fu‐ sada zum ersten Mal erblickt, bricht er in Lachen aus. Nicht etwa, weil diese einen Wortwitz oder einen Spaß gemacht hätte; es ist ihr Aussehen, das Salomon zum Lachen reizt: „Vnd do sie kam do lachet d könig vnd sprach dz mag wol marcolfi schwester sein das sy waß gar dick vnd kurtz vnd hack auff beiden bein vnd het augen vnd mundt alß marcolfus.“ (Z. 395-397). Fusada erscheint hier wie Markolf und Policana als hässliche Lachfigur, und sie tritt auf wie die beiden anderen, indem sie vor den Thron und vor die Augen des Lesers und Hörers tritt. Salomon lacht über nichts anderes als über ihre Figur, ihre Hässlichkeit, aber auch über die Art, wie sie sich präsentiert: hinkend und missgebildet. Die Tatsache, dass Salomon hier über körperliche Fehler lacht, könnte einen Hinweis auf den engen Zu‐ sammenhang von Hässlichkeit, Missbildung und rituellem Verlachen geben, der hier auch für den Rezipienten inszeniert wird. Den Abschluss des Fusada-Auftritts bildet ein Lachen, das sich wiederum von den anderen Lachreferenzen unterscheidet. Es gilt zwar dem listigen Täuschungsmanöver Markolfs, dem es gelingt, Menschen so zu manipulieren, dass sie das tun, was er von ihnen will, doch andererseits wird auch Salomon selbst als Verlachter prä‐ sentiert: „Do sprach Marcolfus habe ich dir kunig nit recht gesagt das kayner frawen zu gelauben ist. vnd do yederman lachte“ (Z. 413-415). Auch wenn Salomon und die Hofge‐ 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 357 meinschaft hier über den gelungenen Streich und die List Markolfs lachen („Do sprach künig Salomon Marcolfe die dinge dustu all auß listikeit“, Z. 415-16), so kann es doch keinen Zweifel darüber geben, dass es sich auch um ein Verlachen des Königs als im Wettstreit Unterlegenem handelt. Die textinternen Lachreferenzen geben in ihrer Verschiedenheit Aufschluss über die möglichen Lachanlässe, die der Text bietet: Da ist das amüsierte und freudige Lachen des Königs über die gewitzten Reden und Streiche des Possenreißers, sein ambivalentes Lachen unter vorgehaltener Hand (das bald darauf in Zorn münden wird) über das Ausmaß von Markolfs Macht der Anstiftung, zweitens das Lachen Salomons über die körperliche Er‐ scheinung Fusadas und schließlich das Verlachen des Königs durch die Hofleute auf Grund des gegen Markolf verlorenen Wettstreits. Alle Lachreferenzen gehören zu einer umfas‐ senden Strategie der spielerischen Profanierung des Sakralen, welche schon die lateinische Fassung aufweist, und die als eine Art Gebrauchsanweisung für die Rezeption des Textes gesehen werden kann. Keiner dieser Lachanlässe, dies muss ebenso festgestellt werden, geziemen dem mit biblischer auctoritas ausgestatteten weisen König und Richter (sapiens non ridet), sondern sind im Gegenteil als Entgleisungen und als Verlust seiner Herrschaft und seines Geltungsanspruchs aufzufassen. Das Lachen Salomons entlarvt ihn als Men‐ schen, und er hat im Moment des Lachens gegen Markolf schon verloren. Sein Lachen zeigt die Transformation Salomons vom biblisch und heilsgeschichtlich geformten Vorstellungs‐ bild des weisen Herrschers zum menschlichen König mit emotionalen Äußerungen an. In‐ sofern ist hier das Lachen Salomons im aristotelischen Sinne zu verstehen, als proprium des Menschen. Als biblischer Herrscher lacht Salomon nie: Er ist die Figur des Weisen, des gelehrten Königs, dem Körperreaktionen nicht zugeschrieben sind, aus christlicher Sicht gewissermaßen die dem Lachen am fernsten stehende alttestamentliche Figur. Markolf da‐ gegen kann als die diametrale Entgegensetzung verstanden werden: er ist auf mannigfache Weise mit dem Lachen verbunden, er vermag es auf vielerlei Weise, mit Reden und Handeln, mit Sprache und Körper auszulösen, er kann auf Grund seiner körperlichen Erscheinung selbst verlacht werden. Kurz, er ist geradezu die Personifikation des Lachens: hässlich und laut wie das Lachen, körperlich und triebbestimmt wie das Lachen, ansteckend wie das Lachen. Er lügt und betrügt, um Lachen herzustellen, er vermag jederzeit jedermann, selbst den größten Weisen, lächerlich zu machen. Das Lachen ist Zentrum und gemeinsamer Be‐ zugspunkt all seiner Handlungen, all der verschiedenen semantischen und performativen Bereiche der scurrilitas. Daher kommt dem Zusammenhang von Körperlichkeit und Sprach‐ lichkeit gerade bei der textuellen Erzeugung von scurrilitas, um die es hier geht, besondere Bedeutung zu. Auf welche Weise die lächerlichen Körper im Text zu Trägern von Semantik werden, soll im Folgenden untersucht werden. Sprachliche Erzeugung des Körpers - Körperlichkeit der Sprache In Kapitel 3 dieser Arbeit ist die scurrilitas als jenes Zwischen von verbaler und körperlicher Komik bestimmt worden, das die performative Komik konstituiert. Beide, Sprache und Körper, gehören zum professionellen Instrumentarium des Possenreißers, und ihr Zusam‐ menwirken ist charakteristisch für sein Tun. Scurrilitas im Text muss ohne den präsenten Körper auskommen und sich ganz auf sprachliche Inszenierungen von Körperlichkeit, auf 6. Erzählung, Imagination und Lachen 358 110 Sie könnte auch sehr gut am Beispiel des mhd. Spruchgedichts gezeigt werden, doch habe ich mich aus verschiedenen rezeptionshistorischen Gründen auf den Druck gestützt. Dieser übernimmt dabei weitgehend die Beschreibung des lat. Dialogus und des mhd. Spruchgedichts, sodass der „Auftritt“ von Markolf und seiner Hausfrau zu den invarianten Charakteristika der beiden Figuren zählt. Frag vnd antwort Salomonis vnd marcolfi [Augsburg: Ayrer 1487] Abgedruckt in: Curschmann, Marcolfus deutsch, S. 151-255 (Zeilenzahlen nach dem Zitat). „Verkörperungen“ in der Schrift verlassen. Sie erzeugt dabei szenische Imaginationen des Körpers, indem sie selbst körperlich wird. Diese doppelte Bewegung der sprachlichen Her‐ vorbringung des Körpers im Text durch eine Sprache, die nicht nur Körperliches beschreibt, sondern selbst durch das Zusammenwirken von Semantik, Laut und Performativität des Wortes auf den Körper zurückgebunden wird, kann am Beispiel des ersten Teils der Frag vnd antwort gezeigt werden. 110 Der Beginn des Textes beschreibt, was im Holzschnitt auf der gegenüber liegenden Seite zu sehen ist: ein hässliches Paar, auf Spruchbändern als Markolf und seine Frau Policana erkennbar, vor dem Thron König Salomons stehend, der in Richterpose sitzt und sie wohl‐ wollend betrachtet (Abb. 17). Die mit den Schriftbändern in Verbindung stehenden Figuren stellen durch die halbe Wendung zum Betrachter auch sich selbst visuell vor. Dabei sehen sie sich auch gegenseitig an, als wenn sie sich ihrer Gemeinsamkeiten versichern wollten. Der Text gibt vor: „Do stunden sy peide vor im vnd sahen einander an“ (Z. 8-9). Und mit diesem bühnenhaften Auftritt hebt die descriptio von Markolfs und Policanas Äußerem an: Er was fast schnode vnd vndgestalt vnd was fast außgesprech in der rede. Vnd sein haußfraw dy was mit im do vnd dy was auch gar heslich vnd peüerisch vnd do er sy hieß bringen fur sich. Do stunden sy peide vor im vnd sahen einander an. Vnd dy person Marcolfi was kurtz vnd dick, grob vnd het ein groß haubt ein preite stirn rot vnd gerunzelt horig oren hangede wangen groß fließende augen Der vnter lebs als ein kalbs lebs Ein stinckenden part als ein pock, plochet hende, kurtze finger vnd dick schentlich füeß eyn spitzige hogerte nasen, groß vnd grobe lebßen ein eselisch angesicht vnd har als ein ygel Groß pewrisch schuch Vnd auch ein schwert vmb sich gegurt mit einer zurissenen scheiden. Seyn kappen was mit har geflochten vnd geziert mit einem hyrsen gehürn Sein kleit het ein schnode farb vnd was von schnoden tuch. Sein rock ging im piß auff dy scham. Czurissen hoßen Vnd sein haußfraw dy was iunck vnd gar grob mit großen brüsten vnd grobe werzen vorne an den brüsten vnd augenbron als ein schwein auf dem rück ist, ein part wy ein pock vnd oren als ein esel, fließend augen ein gesicht als ein vnck. ein geruntzelten leib vnd ein schwartze huut. Ein groß hochs hertz mit pley geziert Groß kurtz finger geziert mit eiseren ringlein, Gar groß lend vnd kurtz knyscheiben groß vnd dick als ein per vnd harig. ein rock von harigen groben tuch der was gantz zu rissen vnd zu schniten allenthalben. (Z. 5-28). 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 359 Abb. 17: Markolf und Policana vor Salomon. Nürnberg 1560 6. Erzählung, Imagination und Lachen 360 111 Vgl. zu diesem großen Komplex die Arbeiten von Horst Wenzel, Haiko Wandhoff und Christina Lechtermann, v. a. Hg. von Horst Wensel u. Stephan C. Jaeger. Visualisierungsstrategien in mittelal‐ terlichen Text- und Bildzeugnissen. In Zusammenarbeit mit Wolfgang Harms, Peter Strohschneider und Christof L. Diedrichs. Berlin 2005. Die sprachliche Beschreibung der Körper Markolfs und Policanas als närrisches Bauernpaar zeigt beide in ihrer unmittelbaren Gestalt. Sie kommen „von dem aufgange der sunnen“ wie aus dem Nichts und „erscheinen“ einfach vor Salomon, sie sind da, ohne dass ein Grund für ihr Dasein angegeben würde. Dieser Beginn hat starken bildlich-präsentativen Charakter, er wirkt wie die Beschreibung eines lebenden Bildes, welches der Betrachter im Holzschnitt vor sich zu sehen scheint. Doch die narrative Inszenierung vermag mehr und stärkere Ima‐ ginationen hervorzurufen als die in den einen Bildbzw. Bühnenraum gedrängte Illustra‐ tion, weil sie ihre Detailarbeit sukzessiv zusammensetzen kann und somit eine Funktion innehat, die der bildlichen Darstellung fehlt: die Blicksteuerung und damit die Bewegung der Bilder. 111 So macht die Beschreibung Markolfs und Policanas den Hörer bzw. Leser zum Imaginationszentrum einer präsent gewordenen Szenographie. Die beiden Figuren stehen leiblich vor dem geistigen Auge des Rezipienten, wie sie vor Salomon stehen. Ihre Gestalt wird durch die nach den Prinzipien der rhetorischen descriptio und der effictio (Körperbe‐ schreibung von Personen) anschaulich und detailliert beschrieben. Danach erscheint der Wahrnehmung zunächst die gesamte Gestalt Markolfs, die dann in ihren Teilen genau be‐ schrieben wird, beginnend bei Kopf und Gesicht, und dann nach unten fortfahrend, um schließlich zu Kleidung und Accessoires zu kommen. Bei Policana wird der Blick zunächst auf die weiblich-sexuellen Attribute (Brüste, Brustwarzen) gerichtet, dann erst folgt wie bei Markolf die Beschreibung von Kopf bis Fuß. Die mit dem Gestaltungsmittel der enargeia arbeitende descriptio kann mit Hilfe der Imagination (des Erzählers) ein lebendes Bild, eine theatrale Szene erzeugen, welche wiederum Imaginationen eines Hörers bzw. Lesers her‐ vorruft: So kann der Text erreichen, dass die Figur leibhaft vor den Augen des Betrachters steht, sich im Erscheinen und im Anschauen materialisiert. Ein solches bildhaftes Vor-Augen-Stellen durch effictio kann völlig ohne komische Ele‐ mente auskommen. Worin liegt die Komik an dieser Beschreibung, wo lassen sich Lach‐ anlässe situieren? Was bei der Komik beachtet werden muss, ist zunächst ihre kulturelle und kommunikativ-situative Gebundenheit sowie ihre Ausrichtung auf eine Wirkung, das Lachen. Dafür sollen komische Vorgänge, die rhetorisch vor-gestellt werden, zwar auch verweisen und symbolisieren, mehr als das sollen sie jedoch starke Wirkungen haben, nämlich Lachen und körperliche Bewegungen bei den Zuhörern auslösen. Ein lächerlicher 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 361 112 Die Dichotomie Präsenzeffekte - Sinneffekte stammt von Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik, der damit unterschiedliche Wahrnehmungsebenen von literarischen Texten definiert; im Gedicht be‐ zeichnen Präsenzeffekte etwa Phänomene wie Reim, die Alliteration, Vers, Strophe, Rhythmus usw., in Narrationen die Anschaulichkeit und Greifbarkeit der inneren Bilder, Körper und Räume, die bei der Wahrnehmung von Erzähltem entstehen. Sinneffekte ermöglichen Verstehen und Interpretieren der vorgestellten Zeichenfolgen, sind aber mit Präsenzeffekten untrennbar verbunden: „Das Ver‐ hältnis zwischen Präsenz- und Sinneffekten ist auch keine Beziehung der Komplementarität, bei der jede Seite im Verhältnis zur anderen der gleichzeitigen Präsenz der beiden Seiten die Stabilität eines strukturellen Musters verliehe. Vielmehr können wir sagen, daß die Spannung / Oszillation zwischen Präsenz- und Sinneffekten den Gegenstand des ästhetischen Erlebens mit einer Komponente pro‐ vozierender Instabilität und Unruhe ausstattet.“ S. 128. Die Dichotomie ist nicht mit der ebenfalls von Gumbrecht geprägten Differenzierung von „Präsenzkultur“ und „Sinnkultur“ zu verwechseln, die sehr viel Kritik erfahren hat und die hier nicht gemeint ist. 113 Gumbrecht, Diesseits der Hermeneutik, S. 125-139. 114 Röcke nennt das Bild Markolfs als rusticus ein „Wunsch- und Zerrbild vom bäuerlichen Leben“. Röcke, Die Freude am Bösen, S. 99. 115 Ebd. Mit Hams Sünde steht auch die latente Schamlosigkeit Markolfs und seiner Hausfrau in Ver‐ bindung: der Rock Markolfs bedeckt seine Scham nur unzureichend, die Brüste und Brustwarzen Policanas sind deutlich zu sehen. 116 Markolf ist in seiner idealtypischen Hässlichkeit engt Äsop angelehnt. Die körperliche Beschreibung Äsops ähnelt dem Markolf in vielerlei Hinsicht: ungestalt, unproportionierte Züge und Gliedmaßen, schwarze Augen und Haare; den körperlichen Mängeln und Fehlern (seine Zunge hängt heraus, er stottert) entspricht wie bei Markolf die Eigenschaften des gewitzten Spötters. Körper im Text erzeugt daher gleichzeitig Sinneffekte als auch Präsenzeffekte. 112 Während Sinneffekte auf die Zeichenhaftigkeit der Sprache rekurrieren, repäsentationale Funktion haben und Bedeutungen kommunizieren, sind mit Präsenzeffekten die phatischen Anteile sprachlicher Kommunikation jenseits von Sinnstrukturen gemeint, bei der die Worte eher auf Dinge zeigen und sie greifbar machen, als ‚für sie‘ zu stehen. 113 Die Sinneffekte sind in unserem Fall vor allem auf zwei Verweisungsbereiche bezogen, den sozialen und den moralisch-ethischen. So ist an direkten Adjektiven (peürisch) und an einschlägigen Attributen („Groß pewrisch schuch Vnd auch ein schwert vmb sich gegurt mit einer zurissenen scheiden“; „Czurissen hoßen“; „ein rock von harigen groben tuch der was gantz zu rissen vnd zu schniten allenthalben“) die bäuerlich-agrarische Herkunft und der soziale Status Markolfs und Policanas als arme Landleute und Abhängige („do er sy hieß bringen fur sich“) zu erkennen. 114 Dabei sind bäuerliche Abkunft und dienender Stand bib‐ lisch aufs engste miteinander verwoben: Nach Gen. 9,25 wird Ham, der jüngste Sohn Noahs, auf Grund seiner Sünde zum bäuerlichen Stand, zum Sündenstand verurteilt („Knecht der Knechte sei er seinen Brüdern“). Er muss als rusticus für immer dienen, weil er des Vaters Scham nicht bedeckt hatte. 115 Die soziale Semantik von Markolfs und Policanas Häßlichkeit hat demnach ein biblisches Grundsubstrat, ist aber nicht allein darauf zu beschränken, wie die deutlichen literarischen Parallelen zum Knecht und Sklaven Äsop zeigen. 116 Den zweiten Verweisungsbereich der turpitudo hat Werner Röcke umfassend herausge‐ arbeitet: es handelt sich um das „Widergöttliche und Diabolische als den latenten Ursprung der Hässlichkeit“. Gestützt auf die in der descriptio zahlreich erscheinenden Tiervergleiche und die grotesken Elemente der Körperdarstellung von Markolf und Policana zeigt Röcke die Zusammenhänge mit den literarischen und künstlerischen Darstellungsprinzipien der 6. Erzählung, Imagination und Lachen 362 117 Röcke zeigt insbesondere auf den überproportionierten Kopf mit einer Fratze als Gesicht, auf die Vergleiche der Gestalt mit Tieren (Bock, Gaul, Igel), und die in diesem Zusammenhang erscheinende ausgedehnte Körperbehaarung. Markolf sei eine „befremdliche, groteske Figur“. Röcke, Die Freude am Bösen, S. 98. 118 Röcke, Die Freude am Bösen, S. 114. 119 Röcke bezieht sich hier auf Rosenkranz, der in der Vorstellung des Teufels die Vorstellung der abso‐ luten Karikatur sieht, „denn er ist die Lüge als die fiktive Zerstörung der Wahrheit, der Unwille als der Wille des Nichts, die Hässlichkeit als die positive Vernichtung der Schönheit. Aber die Karikatur löst die Widrigkeit ins Lächerliche auf…“ Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen [1853]. Hg. und mit einem Nachw. von Dieter Kliche. Stuttgart 1990, S. 403. 120 Vgl. Münch, Paul: Tiere, Teufel oder Menschen? Zur gesellschaftlichen Einschätzung der ‚dienenden Klassen‘ während der Frühen Neuzeit. In: Gesinde im 18. Jahrhundert. Hg. von Gotthardt Frühsorge u. a. Hamburg 1995, S. 83-107: „Die diffamierende Gleichsetzung des dienenden Personals mit Tieren begegnet während der gesamten Frühen Neuzeit, insbesondere in der sprichwörtlichen Rede“ (S. 92). Münch zeigt zahlreiche Parallelen von Tieren und Menschen im Sprichwort. „Gesinde und Dienst‐ boten auf der Stufe von Tieren oder vom Teufel besessen: Diese beiden Negativstereotype bestimmen weithin die soziale Einschätzung des dienenden Teils der Bevölkerung im 16. und 17. Jh.“ (S. 101). 121 Rosenkranz entwickelt den Begriff des Hässlichen als die Mitte zwischen dem Schönen und dem Komischen. Dieses sieht er in einer dialektischen Volte als das von sich selbst befreite Hässliche: „Das Hässliche befreit sich in dieser Bewegung von seiner hybriden, selbstischen Natur. Es gesteht seine Ohnmacht ein und wird komisch. (...) Das positive Ideal wird im Komischen anerkannt, weil und indem seine negative Erscheinung sich verflüchtigt.“ Rosenkranz, Ästhetik des Häßlichen, S. 15. dämonisch-teuflischen Figuralität im Mittelalter auf. 117 Aus dieser Relation zwischen gro‐ tesker Körperlichkeit und dem Bösen leitet Röcke auch die bösartigen Listen, das Lügen‐ hafte, den intellektuellen Gegenentwurf und den „Egoismus des Schalks“ an der Markolf‐ figur ab: „ (...) äußere und innere Hässlichkeit, die ‚Defiguration‘ und das ‚Geisthäßliche‘ (...) verweisen aufeinander und sind unabhängig voneinander noch nicht denkbar.“ 118 An Mar‐ kolfs und Policanas Hässlichkeit ist somit das Groteskkomische bestimmend, das das Böse und Furchterregende zum Substrat habe. 119 Bei der Erzeugung komischer Effekte genügen allerdings zeichenhafte Verweise auf Wissenstraditionen und Bildprogramme nicht. Röcke begreift die Hässlichkeit und Kör‐ perlichkeit Markolfs und Policanas semiotisch als Ausdrucksmittel des Bösen, eine Lesart, die das Körperliche als Instrument auffasst und die imaginativen und präsentativen Funk‐ tionen dieser Mittel vernachlässigt. Gegen die Engführung von hässlicher Darstellung und dem Bösen bzw. Dämonischen sprechen auch zahlreiche Beispiele, in denen Tiervergleiche zur Repräsentation von bäuerlicher Herkunft und Knechtschaft dienen. 120 Dagegen spricht auch die komische Rahmung des Textes, die, wie oben erwähnt, die Geltung moralischer Kategorien eines allgemeingültigen Wertesystems (wie gut und böse) abschwächt und in Frage stellt. Jedenfalls sind Böses und Teuflisches als ‚Sinneffekte‘ des Hässlichen alleine nicht aus‐ reichend, um eine so starke Wirkung wie das Lachen zu erzielen (selbst wenn sie ironisch oder satirisch dargestellt wären). Verweist die descriptio der Hässlichkeit von Markolf und Policana zwar auf soziale und moralische Defizienzen, so wirkt sie noch nicht komisch, so löst sie noch nicht Lachen aus. Um der Wirkung des Hässlichen in der Wahrnehmung näher zu kommen, genügt seine ontologische Bestimmung zwischen Schönem und Komischem, wie sie die ästhetische Theorie Rosenkranz’ kennzeichnet, nicht mehr. 121 Es sind die Prä‐ 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 363 122 Deren Hauptqualitäten waren integritas, proportio und claritas, die beim Betrachter das Empfinden der Schönheit auslösen. Die bekannte Definition stammt von Thomas von Aquin. Er definiert in seiner Summa Theologica die Schönheit auf Grund dieser Basisqualitäten über die sinnliche Wahr‐ nehmung. Vor allem der Gesichtssinn steht bei der Erzeugung von Schönheit im Zentrum: „pulchra enim dicuntur, quae visa placent“. Thomas von Aquin: Summa Theologica, I, q. 39, a. 8, c. 123 Breites und flaches Gesicht, zu kleine oder zu große Nase, großer, aufgerissener Mund, der Zähne erkennen lässt usw. Vgl. dazu Specht, Henrik: The Beautiful, the Handsome and the Ugly: Some Aspects of the Art of Character Portrayal in Medieval Literature. Studia Neophilologica 86 (1984), S. 129-146 sowie Michel, Paul: ‚Formosa Deformitas‘. Bewältigungsformen der Hässlichen in mittelal‐ terlicher Literatur. Bonn 1976. 124 Vgl. auch die Diskussion Bachtins in Kap. 2.4. senzeffekte des literarischen Hässlichen, welche für seine Wahrnehmung und die von ihm ausgehende Wirkung eine viel wichtigere Rolle spielen als bisher angenommen. Blicken wir deshalb nochmals auf den Textausschnitt. Kein Zweifel kann daran bestehen, dass hier zwei außergewöhnlich hässliche Personen sprachlich vorgestellt werden. Nicht bäuerliche Grobheit, nicht Armut, nicht Bosheit sind es, was wie ein Motto über dem Text steht, sondern die turpitudo, die körperliche Hässlichkeit Markolfs und Policanas („heslich“, „fast schnode vnd vngestalt“), welche die imaginative Erzeugung von deren Gestalt fest im Griff hat. Die Darstellung des Hässlichen hält sich dabei eng an rhetorisch-topische Vor‐ gaben der Literatur, welche Hässlichkeit als Negation von idealer Schönheit definieren. 122 Wie für die Schönheit wurden in der Literatur des Mittelalters stereotye Attribute für die Vorstellung von Hässlichkeit gebraucht, zu denen etwa dunkle oder schwarze Haut- oder Haarfarbe, starke Körperbehaarung, die überproportionale Größe des Kopfes oder der Ext‐ remitäten sowie Missverhältnisse der Körperpartien, anatomische Deformationen und Un‐ förmigkeit der Gestalt wie auch grobe bzw. hervorstehende Gesichtszüge zählen. 123 Auf‐ fallend oft werden viele dieser Elemente ins Tierhafte überzeichnet, bzw. durch Tiervergleiche verstärkt, wie etwa der dichte Haarwuchs am Körper (Fell), hervorstehende Nasen (Tiernasen und -schnauzen), klauen- oder krallenförmige Finger. Wir können in der körperlichen Figuralität Markolfs und Policanas ein Bild erkennen, das aus heterogenen Attributen der Hässlichkeit besteht, sodass diese Körper dem Be‐ trachter im Ganzen als disharmonische, asymmetrische und unproportionierte Hybriden erscheinen, die in ihrer spezifischen Mischung gleichzeitig Abscheu und Lachen erzeugen können. Entscheidend für diese auf starken Kontrasten beruhende Wirkung sind die Details, die in der effictio hervorgehoben werden: bei Markolf der stinkende Bocksbart, die großen, herabhängenden Lippen, die haarigen Ohren, die tränenden Augen, die spitze Nase, bei Policana die Schweinsborsten ähnlichen Augenbrauen, die sichtbaren Brüste und Brust‐ warzen, die Eselsohren usw., alles hervorstehende Körpermerkmale, wie sie Bachtin für seine Metapher vom grotesken Körper indiziert hat. 124 Die Bildvergleiche mit Tieren oder Körperteilen von Tieren („lebs als ein kalbslebs“, „part als ein pock“, „eselisch angesicht“, „har als ein igel“ usw.), gehören in dieses Register, da sie die menschlichen Körperformen und Gesichtszüge, die menschliche Teratologie mit tierischen Elementen verbinden und so in der bildlichen Vorstellung grotesk deformieren. Neben der Dimension des Grotesken und Tierhaften ist in der descriptio das körperlich Obszöne enthalten, wenn von Markolf gesagt wird, „sein rock ging im piß auff dy scham“, und von Policana, dass sie „mit großen brüsten vnd grobe werzen vorne an den brüsten“ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 364 125 Dass die Behaarung des Körpers nicht nur als tierhaft gesehen wurde, sondern auch Vertretern einer inneren Alterität wie Wilden Männern etwa zugeschrieben wurde, rückt Markolf und Polikana auch in die Nähe von Wildleuten, die außerhalb der Zivilisation stehen. Wie zahlreiche Fastnachtsbräuche aus dem Spätmittelalter zeigen, wurde der Wilde Mann mehr und mehr Objekt von ritueller bzw. theatraler Präsentation und somit von einer furchterregenden zu einer komischen Figur. 126 Menninghaus, Winfried: Ekel - Theorie und Geschichte einer starken Empfindung. Frankfurt a. M.1999, S. 19. auftrete. Diese körperliche Schamlosigkeit, die dem Paar vom Blick des Erzählers zuge‐ wiesen wird, korrespondiert mit Markolfs im Streitgespräch mit Salomon auftretender fä‐ kalisch-derber Ausdrucksweise. Sie verstärkt den heterogenen und transgressiven Sinnes‐ eindruck der Gesamtheit beider Figuren, wie dies auch die Aspekte des Groben, Unförmigen bzw. des Unvollständigen und Inkorrekten in Kleidung und Ausstattung tun. Grob und derb sind bei Markolf und Polikana die gedrungene Gestalt sowie ihre körperlichen und physi‐ ognomischen Merkmale. Kleidung und Accessoires des Paares sind ebenso hässlich („schnod“) und beschädigt („czurissen“) wie sie geschmacklos und unpassend sind, sodass das überdimensionierte Schwert Markolfs in der zerrissenen Scheide oder der bleierne Herzanhänger Policanas an das Auftreten der bäuerlichen Parvenüs bei Neidhart erinnert. Die Obszönität des Hässlichen ruft, auf seine Wirkung bezogen, Ablehnung, wenn nicht gar Abscheu und Ekel hervor. Dass der Ekel eine Wirkungsstrategie der descriptio ist, zeigt nicht nur die die obszönen Details bestimmende Ostentation des Leiblichen, sondern auch die Andeutung menschlicher Körperflüssigkeiten und Gerüche: die triefenden Augen bei beiden Personen, Markolfs „stinckend part“ und Policanas „gesicht als ein unck“, das den für den Ekel typischen Effekt des Feuchten und Glitschigen auslöst. Hinzu kommen taktile und visuelle Ekeleindrücke, wie die Körperbehaarung beider, 125 der runzlige Leib Policanas und ihre schwarze Haut, welche die taktile Schönheitsnorm des Weichen und Glatten gezielt konterkariert. Hier wird eine weitere Wirkungsstrategie des Textes erkennbar: In der Imagination der beiden Figuren soll das Gefühl des Abscheus und Ekels evoziert werden, da auf Grund der gespeicherten Ekelmuster auf keinen Fall gewünscht wird, in die Nähe der beschriebenen hässlichen Personen zu kommen. Der Ekel ist eine körperliche (Abwehr-)Reaktion auf die ebenso körperlich sich aufdrängende Präsenz einer riechenden oder schmeckenden Kon‐ sumption, wie wir am Beispiel des Neidhartspiels gesehen haben. Diese Präsenz wird im Ekelgefühl spontan als Kontamination bewertet und mit Gewalt distanziert. 126 Doch auch hier gilt, was für das Böse und Furchtbare festgestellt wurde: Erst in Verbindung mit den anderen Aspekten der hybriden Hässlichkeitsdarstellung, erst im komischen Rahmen kann das Ekelhafte als Komisches und Harmloses verlacht werden, da deutlich wird, dass es sich bei diesen Ekelobjekten um imaginierte handelt, die keinen Schaden mehr zufügen können. Komisch ist daher weniger jeder dieser Aspekte des Hässlichen für sich allein genommen, sondern erst in ihrer Gesamtheit erzeugen sie das aus heterogenen Einzelteilen zusam‐ mengesetzte, unpassende Bild, das im Prozess der narrativen Schilderung seine Vollstän‐ digkeit erreicht. Markolf und Policana sind deshalb zum Lachen, weil die Menge und die Verschiedenheit der hässlichen Aspekte, die ihnen zugeschrieben wird, miteinander kon‐ kurrieren und kontrastieren, dieser Ausbund (copia) an Hässlichkeit ein mithin unmögli‐ ches und fremdartiges Bild ergibt, das gleichwohl in der Imagination der Rezipienten ent‐ 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 365 127 Vgl. zum Verhältnis des Komischen und des Sakralen Röcke, Werner u. Gvozdeva, Katja (Hg.): Risus Sacer - Sacrum Risibilis. Beihefte zur Zeitschrift für Germanistik. Frankfurt a. M. 2008. 128 Ikonographisches Material zur Untermauerung der These, dass Markolf das profan-komische Ge‐ genbild zum heiligen Salomon ist, liefert die Studie von Iris Ridder: Der schwedische Markolf. Studien zu Tradition und Funktion der frühen schwedischen Markolfüberlieferung. Tübingen / Basel 2002, S. 214 ff. Ridder konstatiert bezüglich des schwedischen Markolf-Textes ein Vergnügen am Obszönen, das seine Komik im Kontrast zu Salomo erlangt. steht. Hier werden Wahrnehmungs- und Vorstellungspotentiale aktualisiert, die beim Rezipienten auf die Erzeugung von Lachen, auf die Teilhabe an einem Lachvorgang angelegt sind. Ein weiteres kommt hinzu: denn ein „Mischwesen aus Mensch, Tier und Teufel“ (Röcke), wie Markolf hier präsentiert wird, würde unter anderen Mischwesen und monstra weniger komisch wirken als in unmittelbarer Nähe und in Kontrast zur Würde des weisen Herr‐ schers Salomon, dem Inbegriff des Guten und Gerechten, der vornehm gekleidet auf seinem Thron sitzt. Diese Gegenbildlichkeit trägt ihren Anteil zur Komik der Situation bei, denn sie setzt das Komische in unmittelbaren Kontrast zum Sakralen. 127 Durch die Gegenüber‐ stellung mit dem König gewinnt die Hässlichkeit Markolfs und Policanas an komischer Brisanz hinzu. 128 Zusammengefasst ergibt sich die Komik dieser Hässlichkeit somit aus mehreren Fak‐ toren: den Sinneffekten der bäuerlichen Herkunft und des sozialen Außenseitertums sowie des latent Dämonischen, und den Präsenzeffekten der körperlichen Hässlichkeit, die sich aus der Hybridisierung verschiedener Elemente zusammensetzt; des Grotesken und Tier‐ haften, des Obszönen und Ekelhaften, sowie der Juxtaposition zum Sakralen. Markolf kann daher weder mit vollem Recht als Bauer, noch als Narr, noch als Teufelsfigur oder Wilder Mann bezeichnet werden; er ist vielmehr in seiner Hybridität etwas von all diesen Figuren, bzw. er kann sie alle repräsentieren. Er ist in dieser Vielgestaltigkeit eine literarische Kunst‐ figur, die jedoch auch in ihrer Erscheinung - nicht nur in ihren Handlungen - eine theatrale Figur ist: sie will imaginiert, sie will vor-gestellt sein. Diese Theatralität der Markolf-Figur ist jedoch ein typisches Kennzeichen der scurrilitas; es ist gerade der scurra, der das kör‐ perlich Deforme, Hässliche, Obszöne und Teuflische mit geistiger Wendigkeit und sprach‐ licher Meisterschaft verbinden kann. Denn die scurrilitas gehört schon in Eph. 5 zum Be‐ deutungsumfang der turpitudo, wie ich in Kap. 2 gezeigt habe. In Markolfs Wesen sind beide Grundbedeutungen von scurrilitas, das körperlich Hässliche und das hässliche Sprechen vereint, indem turpitudo sowohl für schamloses Handeln wie auch für unanständiges Reden gebraucht wird. Damit komme ich zum zweiten Teil dieses Abschnitts, der Körperlichkeit des Sprachlichen. Die Sprache des Dialogus und seiner deutschen Bearbeitungen wurde bisher meist als ent‐ scheidendes Merkmal der Unterhaltungsfunktion angesehen; dies gilt nicht nur für das rhetorische Kräftemessen im Redewettstreit, sondern auch für das häufig beobachtete Ver‐ gnügen an der transgressiven Sprache Markolfs. So wurde gerade in der kontrastiven Sprachlichkeit Salomons und Markolfs der Kern ihrer Beziehung gesehen. Es ist das Spiel mit der Sprache, ihre je parodistische, profanierende, obszöne oder komische Verwendung durch den Spötter Markolf, der das Vergnügen am Text begründet. Allerdings greift Cursch‐ mann meines Erachtens zu kurz, wenn er die Sprache Salomons als die (biblische) Norm 6. Erzählung, Imagination und Lachen 366 129 Curschmann erkennt in Markolfs Sprache „die Sprache des animalisch Primitiven und des Lebens in Armut und Unflat, die ihre primären Ausdrucksformen im Obszönen und Fäkalischen findet.“ Mar‐ kolfus deutsch, S. 158. 130 Lenk, Grundzüge des Menschenbildes, S. 188 f. 131 Röcke, Die Freude am Bösen, S. 104. 132 Ebd., S. 111. und diejenige Markolfs als primitiv, fäkalisch und obszön bezeichnet. 129 Das Verhältnis zwischen beiden ist viel dynamischer, als man bisher gesehen hat; so ist Salomon keines‐ wegs in allen seinen Aussagen mit dem biblischen Herrscher kongruent, und Markolfs Reden (bzw. Antworten) lassen sich nicht allein mit dem Obszönen erklären. Stattdessen verweisen sie auf den Körper als ihren materiellen Erzeuger, sie machen den Körper des Sprechenden erfahrbar. Es ist viel darüber gerätselt worden, in welchem Verhältnis die Antworten oder Aussagen Markolfs zu jenen Salomons stehen. Im Text finden wir den Gegensatz von sapientia und versucia, und sicherlich spiegelt sich das im Rededuell wider. Doch welcher Art ist dieser Gegensatz? Lenk hat ihn etwa auf die Formel „Lebenshaltung“ vs. „Lebenserhaltung“ ge‐ bracht: Markolf messe Salomons Lehre an alltäglichen Erfahrungen und zeige ihren Wi‐ derspruch zu praktischen Erfordernissen. 130 So richtig dies ist, so wenig ist damit über die Komik dieser Relation ausgesagt. Röcke hat auch hier eine griffige These: Es gehe im Streitgespräch um eine parodistische Komik der Gegenbildlichkeit, die „der Herabsetzung eines heroischen Ideals in eine Gegenbildlichkeit“ entspringe. 131 Diese Gegenbildlichkeit der praktischen, auf den eigenen Vorteil ausgerichteten Repliken Markolfs resultiere „aus dem geschärften Blick für die Widersprüche, die aus Salomons harmonischer ordo-Lehre ausgeklammert bleiben“. 132 Für die Erarbeitung der spezifischen komischen Leistung des Spruchwettbewerbs genügt der generelle Verweis auf Gegenbildlichkeit nicht. Denn die Antworten Markolfs können nicht alleine stehen; seine Profanierungen und pragmatischen Gegenbilder würden ohne ihr normativ-sakrales Vorbild nicht die geringste Wirkung erzeugen; nur als dynamische Reaktionen auf die von Salomon geäußerten Sentenzen und Sprichwörter zusammen können sie ihre Komik entfalten. Markolf ist daher nicht Gegenspieler von Salomon, son‐ dern jemand, der den Rahmen des von Salomon Gesagten verändert und bricht. Er wider‐ spricht oder negativiert Salomons Sprüche nicht, sondern er profaniert sie, d. h. er famili‐ arisiert und dekomponiert sie, er führt sie ad absurdum, indem er ihre Kontexabhängigkeit markiert und sichtbar macht. Es geht also weniger um Oppositionen, um hoch und niedrig, heilig und profan, Lebens‐ haltung und -erhaltung, sondern es geht um je verschiedene Transgressionen ihrer Grenzen, um dynamische Verhältnisse, in welchen die körpergebundene Sprache immer wieder die normative, körperlose Sprache kontaminiert; so etwa erkennbar in einer der ersten, leitmotivischen Sätze Salomons: „Ein frumme fraw Vnd auch ein schone fraw Dy ist ein zierd yrem man Marcolfus sprach ein hafen vol gutter milch dy solman bewaren vor den katzen“ (Z. 65-68). Hier wird der Inhalt einer allgemein-abstrakten Sentenz (jede Frau, jeder Mann) in einen leiblich-häuslichen Kontext übertragen und dem Gebrauch zugeführt. Denn Markolf rechnet bereits mit den Gefahren für den mit einer schönen Frau begabten Mann; er widerspricht Salomon nicht, sondern er zeigt das Unausgesprochene, Verborgene 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 367 133 Der römische Jurist Trebatius definierte profan folgendermaßen: „Profan heißt im eigentlichen Sinn das, was zuerst heilig und religiös war und nun wieder dem Gebrauch und dem Besitz der Menschen zurückgegeben wird“. Vgl. dazu Agamben, Giorgio: Profanierungen. Aus dem Italienischen von M. Schneider. Frankfurt a. M.2005, S. 70. 134 Insgesamt sind es im Ayrer-Druck 29 Antworten Markolfs, die fäkalisch-skatologische Lexeme auf‐ weisen. an dessen Spruch auf, indem er ein sprichwörtliches Bild aus einem ‚niederen‘ Kontext gebraucht. Und hier wird nicht nur die Frau mit einer Schüssel Milch und die möglichen Freier mit Katzen verglichen, sondern durch die Thematisierung der Begierde (der Katze nach Milch) - bzw. im übertragenen Sinn der Wollust - auch die (absente) körperlich-se‐ xuelle Dimension enthüllt, die in Salomons Sentenz verborgen war. Markolf bringt somit mit seinen Ostentationen und Zeigegesten die dissimulierten Aspekte an Salomons Reden, ihre Kehrseiten, zutage. Er überführt die Weisheiten der Schrift somit in praktische Hand‐ lung, in Gebrauch, „profaniert“ sie im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Begriffes „Profanierung“, indem er sie, die dem Sakralen zugehören, dem profanen Gebrauch gewis‐ sermaßen zurückgibt. 133 Dies wird z. B. auch im folgenden Wortwechsel deutlich: „Salomon Ein frumme fraw ist vber alle dinck einer poßen frawen sol man nit gelauben dz sy tod sey Marcolfus. zuprich ir yre gepein vnd würff sy in ein graben so pist du sicher an irem tod“ (Z. 68-71). Der fast schon markolfische Nebensatz Salomons wird hier nicht parodiert, sondern in Handlung überführt: Markolf gibt eine (von der Warte der salomonischen Sentenz her sinnlose) Prä‐ zisierung, nämlich auf welche Weise man sicher gehen kann, dass die böse Frau auch tot ist. Verblüffend ist die verbale Gewalttätigkeit der Pointe, die aus einem allgemeingültigen Rahmen in eine konkrete körperliche Handlung überwechselt. Freilich kommen in den deutschen Fassungen, wie Curschmann betont hat, die rhetori‐ schen Finessen des lateinischen Textes, wie etwa Satz- und Wortfiguren (v. a. anaphorische Wendungen), verschobene Bilder und klangliche Figuren, das Spiel mit dem Sprachmaterial überhaupt kaum zur Geltung. Was in der deutschen Fassung bleibt, ist die Kontextverän‐ derung des Inhalts und die damit einhergehende Profanierung, der in mehr als einem Drittel der Merksätze den leiblich-fäkalischen Bereich ins Spiel bringt. 134 So etwa: „Hüte dich vor einer cleffigen frawen. marcolfus. Hüt deiner nasen vor einem beschissen ars“ (Z. 82-83). Die von Markolf neu eingeführten Kontexte sind auf den Körper, die Nahrungsaufnahme, die Ausscheidungen oder andere Körperfunktionen, sowie auf die materiell-bäuerliche All‐ tagskultur bezogen (bevorzugte Verben sind scheißen, lecken, pissen, furzen, küssen, stoßen, wälzen, schlagen usw.). Überhaupt nehmen Verben einen maßgeblichen Anteil an Markolfs Aussagen ein, während bei Salomon Nominalphrasen überwiegen. So etwa, wenn Salomon konstatiert: „vil besser heimlicher schad dan offene schant“, worauf Markolf ant‐ wortet: „d begert dreck zu drinken der küsse des huntß arß“ (Z. 102-103). Das Sprichwort wird hier nicht nur ins Fäkalische verschoben, es wird auch in Handlung überführt; durch die Auflösung in eine Verbalkonstruktion wird der Merksatz zur Handlung, zum Ge‐ schehen. So können immer neue szenische Situationen geschaffen werden, die die Imagi‐ nation anregen und Affekte erregen können. Gleichzeitig ist hier eine Sinnentleerung zu beobachten, die auch auf der Bedeutungs‐ ebene das Gesagte fröhlich zersetzt. Beispielhaft für dieses Prinzip ist die ‚Duodecim-Reihe‘, 6. Erzählung, Imagination und Lachen 368 die bei Ayrer noch einen Rest von drei Redepaaren umfasst (etwa: „zwelf furstenthum ma‐ chen ein konigreich mar. zwelf schiß machen ein dreck“, Z. 106-107). An Markolfs Ant‐ worten interessiert nur noch das Skatologische, und durch die Dekomposition von Sinn stellen sich auch Zweifel an der Sinnhaftigkeit biblischer Symbolik ein. Hier gibt es keinen Widerspruch oder eine Gegenposition; das Prinzip ist vielmehr die subversive Dekompo‐ sition von Normen und Regeln, und sie kann als Urgrund aller komischen Obszönität an‐ gesehen werden. Die affirmative, nominale Sprache, die Salomon benutzt, um Ordnung und Normativität herzustellen, wird von Markolf in eine aktive, körperbezogene und ins Profane überführte Sprache übertragen. Somit geht es nicht nur um einen Kontrast zwischen Hohem und Niedrigem, um einen Prozess der Profanierung auf der semantischen Ebene, sondern dieser Prozess der Profanierung wird erst auf der bildlich-imaginären Ebene geleistet: die Schaffung des Körperlich-Organischen mit Hilfe der „verbalisierten“ und somit auf Hand‐ lung bezogenen Sprache Markolfs. Erst die Sprache Markolfs kann die Imagination stimu‐ lieren, einen geistigen bzw. moralischen Bedeutungsgehalt mit einem grotesken Bild zu versehen. Und genau hier liegt die Komik von Markolfs Sätzen; in der Visualisierung und Bewegung von Bildern, die profanierte und familiarisierte Dekontextualisierungen der vorgestellten Regeln sind. Das obszöne Sprechen ist demnach ein obszönes Zeigen, und es weist immer wieder auf den grotesken Körper. Nicht alle Reden und Widerreden der beiden Kontrahenten sind jedoch nach diesem Muster strukturiert. Es gibt eine Reihe von handlungsreflexiven Dialogen, in denen sich die Aussagen der Dialogpartner indexikalisch auf das Gesagte beziehen. So unterbricht Salomon in Z. 119 seine Sentenzenreihe überraschend und plädiert für eine ernsthafte Aus‐ einandersetzung: „laß von dein gespot so zuergeen die krieg vnd horen auff die sach vnd gezenck“. Markolf geht auf diese Ermahnung zum Unterlassen des Spottes nicht ein und antwortet: „laß auß den windt so zugeth der dreck vnd hort auff der getzwanck [Gestank]“. Nachdem Markolf Salomons Rede durch den Vergleich mit der Flatulenz noch heftiger als bisher erniedrigt hat, plagen diesen wenig später die Bauchschmerzen: „salomon sprach der bauch thut mir wee. marcolfus sprach du solt auff das scheißhauß gan“ (Z. 136-137). Auch diese indexikalischen Bemerkungen Salomons, die auf die Dialogsituation selbst be‐ zogen sind, indem sie über seine körperliche Befindlichkeit an diesem Punkt des Wettstreits Auskunft geben, beantwortet Markolf wiederum mit der üblichen skatologischen Profa‐ nierung. Der Satz Salomons zeigt jedoch noch etwas anderes. Die leibzentrierte Sprache Markolfs hat sich seiner bemächtigt. Er klagt über Bauchschmerzen und erscheint somit nicht mehr als die überhöhte biblische Figur des Weisen, sondern als ein Mensch mit menschlichen Bedürfnissen, der sich von seinem Kritiker Markolf nicht mehr sonderlich unterscheidet (so auch, wenn er müde ist und zu Bett gehen will: „es ist nun genung gee wir schlaffen“ (Z. 181) oder „Ich pin müde zu reden ich will ruen“, Z. 241). Diese Veränderung in der Sprechhaltung Salomos geht schleichend vor sich, er scheint von den kontinuierlichen Profanationen ins Leibliche angesteckt worden zu sein. So kommt es immer wieder zu 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 369 135 Biagioni hatte dies bereits bemerkt und gezeigt, dass einige der Proverbien und Sprüche Salomos durchaus nicht eines weisen Herrschers oder biblischen Königs angemessen seien. Vgl. Biagioni, Luigi: Marcolf und Bertoldo und ihre Beziehungen. Ein Beitrag zur germanischen und romanischen Marcolf-Literatur. Diss. Köln 1930. 136 Hier nimmt der Bearbeiter eine Verkürzung vor. Im Dialogus heißt es noch: Radices raphani boni sunt in conuiuio, sed fetent in consilio.“ Salomon et Marcolfus. Kritischer Text mit Einleitung hg. von Walter Benary. (= Slg. mittellat. Texte, 8). Heidelberg 1914, S. 11. 137 „mit den cleffischen hab kein gemeischaft“ (Z. 121-122); „die trigischen vnd die clefischen sol man treiben aus d geselschafft“ (Z. 1145-146); „du solt nit straffen den verspotter des er dich icht straf “ (Z. 149-150). 138 Vgl. Kap. 3. In der Rhetorica ac Herreniam schon werden die Späße des scurra als paradigmatisch für ehrverletzenden Spott dargestellt: „scurra exhausto rubore, qui se putaret nihil habere quod de exis‐ timatione perderet, ut omnia sine famae detrimento facere posset“. Auct. Her. 4,10,14. Aussagen Salomos, die eigentlich dem Register Markolfs angehören. 135 Auch Ayrer bringt noch die meisten dieser „markolfischen“ Salomon-Reden, wie etwa 54: „die wurtzel von rettig sein gut aber sie stincken in der wirtschaft“ (Z. 131 f.) 136 oder 94 und 95: „Essen wir vnd trincken morgen werden wir sterben“ (Z. 177-178); „Wenn der mensch ist so mag er nit wol gereden“ (Z. 179-180). Hier wirkt die Salomon-Figur nicht mehr wie ein biblischer König, sondern eher volkstümlich, ja geradezu lächerlich. Nirgends sonst werden dem Sa‐ lomon solche Sätze zugeschrieben. Wenn er vom Essen und Trinken, Schlafen und Bauch‐ schmerzen spricht, ist Salomon nur noch eine Karikatur seiner selbst; Markolf hat den weisen, heiligen König durch die Komisierung des Redewettstreits selbst zu einem Bau‐ ernnarren gemacht, der auch unsinnige Sätze produziert wie 112: „Vor dem pachofen wachssen nicht krewter vnd ob sy wüchssen so wurden sy verprent durch dy hitz die auß. dem ofen get“ (Z. 201-203). Salomon ist dem stultiloquium verfallen, er widerspricht sich selbst, reagiert unangemessen zornig und wütend, hat sich zu einem Menschen mit Ge‐ fühlen und Gelüsten verwandelt. Dank Markolfs Reden haben sich die körperlichen Be‐ dürfnisse Salomons seiner bemächtigt, dem Possenreißer ist es gelungen, durch seinen kontinuierlichen Spott Salomon zu transformieren. Einige Sätze Salomos zeigen auch, dass er sich dieser Gefahr bewusst ist. Er wendet sich mehrfach gegen ungerechtfertigten und ehrverletzenden Spott und somit indirekt gegen die markolfische Redeweise (46 / 47, 75, 77). 137 Markolf wird hier indirekt als Verleumder und Spötter (derisor) bzw. als Aufrührer (homo litigiosus) bezeichnet. Diese Vorwürfe ent‐ sprechen den in den Sündenkatalogen der Scholastiker definierten Zungensünden der de‐ risio und der scurrilitas. 138 Markolf dem scurra, dem Spötter, ist es gelungen, mit seiner körperbezogenen, obszön-materiellen Sprache Salomons hohe Rede zu profanieren und diesen selbst zur hässlichen, dummen Rede zu zwingen. Das Prinzip des grotesken Körpers, das Markolf propagiert, hat sich sprachlich durchgesetzt. Es kontaminiert und subvertiert die weise Rede durch die obszöne, skatologische und familiarisierende Herabsetzung, welche alles auf den Körper und seine Vollzüge reduziert. Die schlechte Sprache, die den Körper des Possenreißers zeigt und ihn präsentiert, und die Bilder vom hässlichen Körper, die in der Wahrnehmung der Sprache imaginiert werden, sind unterscheidbare, doch eng zusammengehörige Ebenen der komischen Erzählung. 6. Erzählung, Imagination und Lachen 370 139 Röcke, Die Freude am Bösen, S. 119. Dies fügt sich in die Lesart Röckes, Markolf verkörpere das „malum morale“. „Seine hässliche Gestalt entspricht seiner Negativität.“ Ebd., S. 134. 140 Daher scheint es mir nicht zutreffend, dass Markolf die Rolle des Sündenbocks einnimmt, der die Gewalt auf sich zieht und verlacht werden kann (Röcke, Die Gewalt des Narren, S. 114). Meines Erachtens wird Gewalt im Text im spielerischen Rahmen des agon inszeniert. Denn wenn Salomon verliert, muss er zum Mittel der Gewalt greifen. Die Gewalt ist also ein Mittel des Textes, den weisen, friedfertigen Salomon als affektgebundenen, triebhaften Menschen zu entlarven. Darin liegt die Pro‐ vokation. Markolfs falsche Fährten Der dem Redewettstreit folgende Schwankteil wurde in den deutschen Bearbeitungen, wie oben erwähnt, quantitativ und inhaltlich stark aufgewertet. Im Falle des Ayrer-Druckes kommen noch die Illustrationen hinzu, die sich bis auf das Titelbild sämtlich auf den Schwankteil beziehen. Schon ein rascher Überblick über den Verlauf der Schwankhand‐ lungen lässt keinen Zweifel daran, dass der zweite Teil durch die größeren Handlungsan‐ teile zahlreiche Körperinszenierungen und -gesten aufweist, die einen theatralen Grundzug haben, der sich schon in Spruchgedicht und Prosafassung bemerkbar gemacht hatte. Röcke hatte den gemeinsamen Bezugspunkt der Schwankepisoden darin gesehen, „daß Markolf je neu und ohne Rücksicht auf andere seine Unabhängigkeit beweist, sei es nun gegenüber den bislang als selbstverständlich akzeptierten Banden der Familie, den Regeln höfischer Ehre, dem Gebot absoluter Gewalt des Königs oder der Überzeugung von der Unterwerfung natürlicher Triebe unter Dressur und Erziehung.“ 139 Markolf sei ganz Indi‐ viduum, nur sich selbst verantwortlich, und als solches folge er allein seinem „Eigensinn“. In der Schwankreihe entstehe ein Markolf nach dem Muster des Pfaffen Amis: listig, kal‐ kulierend und weitsichtig. Bei dieser Lesart bleibt der Rahmen des Lachens nur am Rande berücksichtigt. Sie kon‐ zentriert sich mehr auf den Nachweis von Markolf als neuzeitlich handelndem Individuum, weniger als Lachfigur. Röcke sieht die Antriebsfeder von Markolfs Handeln in seinem so‐ zialen Aufstieg, und verwischt damit seine Aufgabe, die Grenzen vorgegebener Verhal‐ tensmuster zu überschreiten. Denn Markolf handelt nicht für sich oder für den Hof, sondern im Dienst des Gelächters; seine Transgressionen decken die Schwächen und Mängel, die „persönlichen Makel oder körperlichen Gebrechen seiner Mitspieler“ auf, doch sind diese Entlarvungen und Bloßstellungen immer auch im Rahmen eines ‚als-ob‘ zu sehen. Sie sind vor Publikum aufgeführt, ihre Gewalttätigkeit, wie auch die Gewalt Salomons, wird in einem komischen Modus präsentiert. Sie ist spielerisch inszeniert und enthebbar, was von der immer wieder neuen Aufnahme Markolfs am Hof bestätigt wird. 140 An Markolfs listigen Inszenierungen ist zu erkennen, dass er mit den traditionellen Rahmungen von Recht und Ordnung, Übertretung und Bestrafung spielt. So amüsiert er im ersten Schwank Salomon mit der mythisch anmutenden Erzählung vom Geierherzen und der Brotkruste, welche Salomon seine Weisheit und Markolf seine Klugheit gegeben hätten. Warum lacht Salomon hier? Vermutlich über die witzige Herleitung intellektueller Eigen‐ schaften über Praktiken der Einverleibung, weil diese den biblischen Rahmen der göttlichen 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 371 141 Vgl. dazu Definition von Küchenhumor bei Curtius: Küchenhumor umfasst „alles, was mit dem Essen zu tun hat.“ Curtius, Ernst Robert: Küchenhumor und andere Ridicula. In: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern 1948, S. 431-434. Gabe durch einen komischen Rahmen echten Küchenhumors ersetzt. 141 Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass Markolfs versucia, um die es hier geht, mit Spott und Komik verbunden ist, denn die Erzählung Markolfs behauptet, dass er als Küchenjunge die vor Fett triefende Brotkruste, auf dem das Geierherz gebraten wurde, aufgegessen habe. Schlauheit erscheint hier als Abfallprodukt der Weisheit, doch auch als ihr eigentlicher Saft. Mit dieser starken Ursprungserzählung bestimmt Markolf das Verhältnis zu Salomon als eine Art Gemein‐ schaft der Nahrungsaufnahme: Es ist eine profane, leibliche Tätigkeit, die Inkorporierung von Speisen, die am Beginn von sapientia und versucia steht. Darum geht es auch bei der Anweisung Salomons im ersten Schwank, Markolf möge ihm Milch und Fladen an den Hof bringen. Wenn Markolf den Fladen unterwegs in Trick‐ ster-Manier aufisst und an seine Stelle Salomon einen Kuhfladen überreicht, kommt es zu einem Ausgleich von Triebbestimmtheit und listiger Kompensation, die charakteristisch für den Possenreißer ist. Seine Leiblichkeit ist ihm kein Nachteil, sondern eher Motivation zum Listhandeln bzw. Kalkül der Inszenierung im Wettstreit. So tritt im folgenden Schwank „Wie marcolfus den künig salomon must beweisen alles das er gedacht het do er wachet mit dem künig“ Markolf nur scheinbar als ein Mensch auf, der die Bedürfnisse des Körpers nicht kontrollieren kann: „do hub marcolfus an zu narzen Do sprach salomon schefestu. marcolfus sprach nein ich sund ich denck“ (Z. 339). Was sich wie schnarchen anhört, ist in Wahrheit denken: Eine körperlich niedrige und eine geistig hoch stehende Aktivität werden gleichgesetzt. Markolf spielt zudem eine Rolle, er tut so als ob er schnarche, und er ver‐ spottet Salomons naive Frage mit seiner Antwort. Ganz auf den Effekt des Verlusts der Körperkontrolle ist auch der dritte Beweis (Milch ist heller als der Tag) angelegt: Markolf verdunkelt die Kammer des Königs und stellt eine Schüssel mit Milch unter die Tür. Als er Salomon ruft, kommt dieser herein, sieht im Dun‐ keln nichts, tritt in die Schüssel und stürzt beinahe. Der von Markolf herbeigeführte Verlust von Salomons Körperkontrolle und sein Kontrollverlust im Sprechen - er ist nun fast voll‐ ständig vom Markolfischen Register infiziert - machen ihn zur komischen Figur. Er ist Markolf nicht nur nicht gewachsen, sondern verliert gleich mehrfach seine königliche contenance. Die Inszenierung von Salomons Straucheln und Fluchen ist auf Grund ihrer effektiven Imaginationsmöglichkeiten ein Anlass zum Lachen, mit dem freilich auch eine Nivellierung jeglicher moralischer und ästhetischer Ansprüche Salomons einhergeht. Markolfs Inszenierung von Salomons slapstickartigem Sturz darf keineswegs als ober‐ flächlich oder banal abgetan werden. Die Gegenbildlichkeit beider Protagonisten ergibt sich nicht allein aus dem Gegensatz der Körperlichkeit, wie zu Beginn besprochen, sondern auch aus ihrem unterschiedlichen Verhältnis zur Bewegung. Während Salomon sich - im Text und in den Illustrationen - gemäß dem Herrscherideal meist am Hof aufhält, in sitzender oder stehender Haltung, ist Markolf beweglich und verändert ständig seine Position. Ruhe und Gemessenheit treffen auf Beweglichkeit und Betriebsamkeit. Dazu bemerkte bereits Rosenkranz: „Alle Bewegungen daher, welche ein majestätisch sein sollendes Individuum 6. Erzählung, Imagination und Lachen 372 142 Rosenkrantz, Ästhetik des Häßlichen, S. 216. Röcke sieht Markolfs Beweglichkeit wiederum vor allem als geistige Flexibilität: „Umgekehrt ist für Markolf diese Beweglichkeit des Denkens und Handelns, die Kunst der Verstellung und der vollendeten Anpassung geradezu charakteristisch und entspricht seiner häßlichen Erscheinung.“ Röcke, Die Freude am Bösen, S. 130. 143 „ (...) ging Michal, die Tochter Sauls, heraus ihm entgegen und sprach: Wie herrlich ist heute der König von Israel gewesen, als er sich vor den Mägden seiner Männer entblößt hat, wie sich die Possenreißer entblößen! “ Vgl. dazu Kap. 3.2. 144 Es handelt sich hier um die Benutzung der Namen Markolf und Policana für ein tanzendes Bauern‐ paar, das mit grotesken Bildelementen ausgestattet ist (Drucke von Hans Weiditz, Daniel Hopfer und Anthony Formschneider). 145 „Der Diaologus Salomonis et Marcolfi und seine volkssprachigen Ableger haben nicht das Geringste mit der Entstehung dieser ständisch karikierenden Graphik zu tun.“ Curschmann, Michael: Markolf tanzt. In: Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger. Hg. von Johannes Janota. Tübingen 1992, S. 967-994, hier S. 977. 146 So etwa in der Vulgarisierung von Guillaume Perraults Summa de vitiis durch Domenico Cavalca, wo die scurrilitas auch eine Kasuistik des obszönen Singens und Tanzens enthält: „ (la scurrilitas si estende ad abbracciare la ricca casistica di canti e di balli dissoluti“. Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 134. als ein unruhiges, hastiges, hin und her gezerrtes erscheinen lassen, sind hässlich, weil sie der unbedingten Selbstgewissheit als dem Wesen der Majestät widersprechen.“ 142 Wir haben bei der Inszenierung von komischer Körperlichkeit im Spiel gesehen, dass Beweglichkeit und rasche Bewegungen sowohl Narrheit verkörpern als auch Lachen er‐ zeugen. Beweglichkeit ist somit wie auch Hässlichkeit ein Lachanlass, denn beide weichen von vorgegebenen Körpernormen ab. Wie die Hässlichkeit ist auch die Beweglichkeit und das In-Bewegung-Setzen anderer ein Markenzeichen des scurra. So wird schon in 2 Sam 6,20, die Bezeichnung scurra von Michal für den vor der Bundeslade tanzenden König David verwendet, „quasi si nudetur unus de scurris.“ 143 Die Bezeichnung unus de scurris bezieht sich einerseits auf die soziale Entgleisung (nackt vor Dienerinnen zu tanzen), aber auch auf die Unangemessenheit und Lächerlichkeit des Tanzens selbst. Scurrae sind in dieser Lesart dem König in Status, Auftreten und Verhalten diametral entgegenstehende Personen, die die Würde des Königtums herabsetzen. Markolf hat also dann erst gesiegt, wenn er Salomon aus der Ruhe in die Bewegung bringt, wenn der König die Motilität des Narren nachahmt und sich selbst zum Narren macht. Dass die Beweglichkeit Markolfs ein Element der performativen Komik ist, zeigt der im 16. Jahrhundert über die Druckgraphik bekannt gewordene Topos „Markolf tanzt“. 144 Curschmann, der den medialen Übergang der literarischen Figur in die graphische Dar‐ stellung eingehend untersucht hat, glaubt nicht an einen Zusammenhang der Texte und der Bilder, sondern erkennt in der Graphik eine Art Kommentar zum Thema Markolf. 145 Dass der Verwendung des Namens ein anderer Zusammenhang zu Grunde liegt, ist jedoch nicht auszuschließen. Erkennt man in Markolf einen scurra, so gehören auch der Tanz und die groteske Bewegtheit zu seinen komischen Rollen und Körperkennzeichen. 146 In den Textfassungen des lateinischen und deutschen Markolf-Komplexes tanzen Markolf und Policana zwar nicht selbst, doch entscheidend ist die groteske Körperbewegtheit Markolfs, die ihm zugehört und äußeres Zeichen seiner Narrheit / Listigkeit ist. Gerade der Tanz galt als groteske, naturwidrige Bewegungsform als Signal des Sinnwidrigen, und kann insofern auch als Lachanlass fungiert haben. Dafür spricht etwa die Darstellung eines Bauernnarren, 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 373 147 Curschmann, Markolf tanzt, S. 979. der eine Alte zum Tanze mitführt; es handelt sich um einen Kupferstich des Meisters ‚bxg‘ in der Staatlichen Graphischen Sammlung München (Abb. 18). Die Figur trägt närrische Attribute wie Glatze und Kapuzenkette mit Fransen und Schellen, Attribute des fahrenden Musikers (Flöte im linken Beinling), Kennzeichen bäu‐ rischer Herkunft wie zerschlissene Kleidung, das Schwert in der aufgerissenen Scheide, und eine Ente in dem am Gürtel befestigten Korb. „So vereint diese Komposition aus ihrer ei‐ genen (kunst-) historischen Situation heraus diverse Element in einer Weise, in der sich - typologisch gesehen - schon der tanzende Markolf ankündigt: Bauerntum und Nar‐ rentum.“ 147 Diese Abbildung ist nicht satirisch intendiert, denn hier sollen keine Fehler der Gesell‐ schaft aufgezeigt werden. Sie muss vielmehr zum weitgehend noch unerforschten Gebiet der graphischen und bildlichen Komik gezählt werden, und zwar zu ihrer Sonderform der burlesken, grotesken Komik. Dieser Druck ist meiner Ansicht nach zum Lachen angefertigt worden, er ist als graphischer Lachanlass zu kennzeichnen. Denn er bildet den aus ver‐ schiedenen, teils widersprüchlichen Elementen zusammengesetzten Markolf-Typus des Bauernnarren ab, der hässlich und deformiert, mit zerrissenen Kleidern und Accessoires ausgestattet und vor allem über seine grotesken Bewegungsformeln Lachen erregen soll. Die unkoordinierten Tanzbewegungen, die hässlichen und grotesken Körper des Bauern‐ paares passen somit sehr gut zur körperlichen Beschreibung der frag und antwort, wenn man sie aus der Perspektive des Komischen betrachtet. In beiden Fällen soll durch die Ima‐ gination eines in dynamische, doch unkoordinierte Bewegung versetzen Paares, verbunden mit Hässlichkeit und Armut, Lachen erregt werden. 6. Erzählung, Imagination und Lachen 374 Abb. 18: Tanzendes närrisches Bauernpaar (Meister bxg, um 1480) Ich komme zu Salomons Verlust der Körperkontrolle zurück: Er steht auch im später fol‐ genden, aber zum Wachwettstreit gehörigen Katzenschwank im Zentrum, wenn Markolf anhand der dressierten Katze, die den Mäusen nachläuft, beweist, dass die Natur stärker sei als die Erziehung (hier wird nutritura - Gesinnung - im Text falsch mit „narung“ wieder‐ gegeben). Wie die Katze den Kräften ihres Triebes gehorcht und sich nicht mehr nach den Regeln ihrer Abrichtung verhält, kann Salomon seine Körper- und Affektbestimmtheit nicht länger unterdrücken: Es widerfahren ihm unangemessene Bewegungen, es widerfährt ihm unangemessenes Sprechen, es widerfahren ihm unangemessene Gefühlsausbrüche, und er lacht laut über die hinkende Fusada. Dies alles sind nicht nur Kennzeichen einer Bedrohung der höfischen Ordnung, sondern effektive Elemente der groteskkomischen Ka‐ rikatur, die über die Deformation und Herabsetzung seines Erscheinungsbildes wirkt. Bevor der zum Narren gemachte, zornige König Markolf vom Hof verjagt, kommt dieser jedoch zu seinem Meisterstück. Die Verleumdung und Bloßstellung seiner Schwester Fu‐ sada zum Beweis dafür, dass man keiner Frau glauben darf, ist in Planung und Inszenierung den spätmittelalterlichen Possenreißern Sacchettis vergleichbar (siehe Folgekapitel), er 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 375 148 Vgl. Casagrande / Vecchio, I peccati della lingua, S. 395-405. 149 Ebd., S. 396. Auch in den Komödien des Plautus ist der scurra nicht selten Anstifter und Regisseur von Unordnung: so etwa der Typus des aufgeblasenen Schwätzers und Gerüchteverbreiters im Tri‐ umnus, dessen falsa verba die anderen Figuren zu unsinnigen Handlungen verführen, oder der rö‐ mische Sklave Tranio in der Mostellaria, welcher aufgrund seiner Neigung zum Verprassen der Mittel seines Herrn und seines bösen Mundwerks als „urbanus vero scurra“ bezeichnet wird, schließlich der Typus des wohlhabenden iuventus, der seine Sklaven bzw. parasiti selbst nachahmt und über‐ treffen will und somit zu einem „constant practinioner of the iocularia“ wird. Vgl. Corbett, The scurra, S. 29-40. enthält alle erforderlichen Requisiten eines szenischen Dramoletts: Verstellung, Lüge, Überlistung, starke Affekte und lächerliche Bloßstellung. Markolf eröffnet seiner Schwester einen scheinbar ernsthaften Anschlag auf Salomon, doch Fusada erkennt den Betrug, der sich dem Leser / Hörer als spielerische Rahmung offenbart, nicht. Im vorgeschalteten ersten Teil des Schwanks kommen bereits die histrionischen Qualitäten Markolfs zum Ausdruck: „Darnach lief marcolfus heim zu seiner swester fudasan vnd tet sam er ser traurig wer“ (Z. 359-360). Das Rollenspiel Markolfs, mit dem er seine Schwester getäuscht hat, wird durch ein komisches Rahmensignal, den lächerlichen Auftritt der hinkenden Schwester vor dem König verstärkt. In einer Art öffentlichen Anhörung vor Salomon kommt es zum Höhe‐ punkt: Markolf spielt mit den Emotionen Fusadas, indem er durch die Verleumdung als Hure ihren Zorn heraufbeschwört, der sie zum Verrat des angeblichen Geheimnisses treibt. Gleichzeitig gebraucht er misogyne und obszöne Rede („ach du pese huer was magstu von mir sagen“, Z. 409), die jedoch dadurch lizenziert wird, dass alle außer Fusada um den spielerischen Rahmen wissen. Durch diese erneute Zusammenführung von körperlicher, sprachlicher und szenischer Komik (doppelter Rahmen) wird dem Publikum (innerhalb und außerhalb des Textes) mehrfach Anlass zum Lachen geboten („vnd do yederman lachte“, Z. 414-415). Markolf ist hier als beinahe allmächtiger Regisseur zu erkennen, der die Handlungen und Emotionen der anderen nach Belieben manipulieren kann. Dies wiederholt sich im Frau‐ enschwank („Nun wert ir horen wye vil weiber gen hof komen vnd wy sy die sach wider‐ retten“), wenn er durch das gezielte Streuen eines Gerüchts die Frauen Jerusalems gegen Salomon aufbringt. Hier agiert er genau so, wie es Possenreißern in den scholastischen Traktaten zu den Zungensünden zugeschrieben wird: als kunstreicher Gerüchtemacher, Aufwiegler und Verleumder, der sich nicht scheut, obszöne und falsche Reden zu führen und so die Ehre anderer zu schädigen. 148 Denn ein entscheidendes Merkmal der scurrilitas ist ihre Intentionalität. Sie will Lachen provozieren und entsteht aus einer präzisen Refle‐ xion heraus, wie Hieronymus sagt; sie ist ein Ergebnis großer Anstrengung, Arbeit und Widmung, wie Petrus Lombardus und Rudolf Ardente bestätigen. 149 Markolf zeigt sich im Frauenschwank als Meister der Desorganisation, der Zerstörung von Ordnung. Er erzeugt starke negative Gefühle wie Wut, Zorn und Neid, die schließlich zu einer theatralen Szenen des Auflaufs, des Getümmels mit Geschrei und Gewalt werden: „vnd zubrachen dy thür vnd die fenster nvd vber vielen den künig vnd zugen im schand vnd laster zu onmaß vnd seinen reten eine mer die ander noch mer vnd alle miteinander vor den künig vnd schryen gleich ynn grossen vngestym“ (Z. 569-573). Wiederum verliert Salomon vor der Wucht der Aufgebrachten seine Beherrschung und antwortet ebenso zornig: „Salomon sprach vol zorneß waß vngerechtikeit thu ich dir vnuerschemige“ (Z. 6. Erzählung, Imagination und Lachen 376 150 Die Beschreibung ist ausführlich, hier wird im Vergleich zur lateinischen Vorlage nichts gekürzt, bis auf die Motivation des Spuckverbots, Teppiche an Wänden und auf Böden. 584-585); als er ahnt, wer hinter dem Anschlag steckt, lacht er - eher für sich selbst oder für die Seinen. Die Frauen aber verstehen das Lachen als Spott über sie - als Verlachen - und fühlen sich entehrt: „Do huben die frawen alle geleich an mit einander mit lauter stimm zn schreien gegen dem künig also. furwar du pist ein poßer vnd auch ein spotiger künig.“ (Z. 595-597). Nun wird Salomon erst recht zornig, gerät außer sich und beschimpft die Frauen aufs übelste: „Ich wolt liber wonen bey den leben vnd bey den drachen dan bey den schalckhafftigen weyben alle boßheit ist clein gegen der boßheit der frawen Der frawen zorn vnd vnerberkeit ist eine große schant (...) Ein poß weib ist vber als poß“ (Z. 607-617). Mit dieser Schimpftirade gegen die Frauen, wie Markolf sie nicht besser hätte geben können, ist er zu dessen Werkzeug geworden: ohne es zu bemerken, wird Salomon dazu gebracht, markolfisch zu sprechen, hässliche Worte auszusprechen. Dies wird im Text auch drama‐ turgisch effektiv inszeniert: „Do sprang marcolfus her fur. vnd sprach du dem künig Du hast eben geredt nach meinem synn“, (Z. 626 f.) Hier blitzt das Teuflische am Charakter Markolfs auf, doch es bleibt im spielerischen Rahmen gebannt. Salomon nimmt nun Markolf erneut am Hof wahr, doch er ist nicht etwa zornig über dessen Trick und die Übertretung des Verbots, sondern knüpft sofort wieder an den spie‐ lerischen Wettstreit an und fragt nur: „was iagen dy hunt“, worauf Markolf sinngemäß antwortet, dass nur das gejagt werde, was flieht, und was nicht flieht, das werde auch nicht gejagt. Darauf folgt ohne Überleitung das nächste Verbot Salomons, was als Scherzanlass fungiert: Er dürfe unter der Bedingung am Hofe bleiben, dass er nicht auf den Boden spucke. Salomon führt damit das Spucken als unzulässigen Akt der Verunreinigung ein, als mit Ekel verbundene Beschmutzung räumlicher Umgebung mit Körperflüssigkeit. Im fol‐ genden ‚Glatzenschwank‘: „Wie marcolfus den kalen man an dy stirne speiet“ umgeht Markolf das Verbot listig, indem er statt der Verunreinigung des Bodens eine weit größere Transgression vornimmt, welche jedoch nicht in der sprachlichen Semantik des Verbot präzise abgedeckt war: Er spuckt einem kahlen Höfling auf die Glatze. Hier steht jedoch nicht sprachliche Ambivalenz, sondern Markolfs obszöne und entehrende Körpergeste im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Dabei wird eine entehrende körperliche Handlung mit Körpersäften ausgeführt, die auf der semiotischen Ebene auf die provokative Erniedrigung eines Mächtigen verweist, auf der performativen Ebene die Wahrnehmung von Ekel und Scham als komisches Ereignis inszeniert: Vnd marcolfum kam die huesten an also dz er ein grossen speihel gesamet het in seinen munde do sahe er sich allenhalben vme vnd sah kein bloß erden zu der letzten do sahe er ein kalen menschen stan bei den konig vnd do er in grossen engsten was vnd sahe kein bloß erden auf die er mocht gespeien do samet er den speichel in seinen munde vnd mit einem grossen vngestim speiet er dem kaln menschen an sein styrn vnd zuhant wart d kal man rot vnd erschrack vast vnd wischet sein stirne vnd viel den künig zu fußen vnd claget vber marcolfum. (Z. 447-454). 150 Die starke narrative Betonung des Hustens, des Sammelns von Speichel in Markolfs Mund dient hier der Visualisierung des Geschehens, mehr noch aber dem imaginativen Nach‐ vollzug der sekretalen Körpervorgänge. Dabei wird die Künstlichkeit der Situation offen‐ 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 377 151 Vgl. dazu Gvozdeva, Katja u. Velten, Hans Rudolf: Einleitung. In: Scham und Schamlosigkeit. Grenz‐ verletzungen in Literatur und Kultur der Vormoderne. Hg. von K. Gvozdeva u. H. R. Velten (= Trends in Medieval Philology, 21). Berlin / New York 2011, S. 1-24. 152 Vgl. Patzold, Steffen: Amalar, Guntard und die missglückte Messfeier: Ein methodischer Versuch über das Spucken im Frühmittelalter. In: Geschichtswissenschaft und ‚performative turn‘: Ritual, Inszenie‐ rung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Hg. von Jürgen Martschukat u. Steffen Patzold. Köln u. a. 2003. S. 55-82, hier S. 58. 153 Zit. u. übers. aus dem Kommentar zum Matthäusevangelium des Mönchs Christianus Stabulensis: Expositio in Matthaeum Evangelistam, in: Migne PL 106, Sp. 1261-1504.) Ebenso später erkennt auch Hrabanus Maurus im Spucken ein Zeichen der Verachtung. Zit. aus Patzold, Amalar, S. 59. kundig: Der Husten kommt völlig unmotiviert, es gibt auch keinen Grund, warum Markolf unbedingt ausspucken muss. Die Ekelbeschreibung dient in ihrer Hyperbolik allein der Wahrnehmung von Ekel, der im Lachen über die Entehrung des Kahlen abgewehrt werden kann. Das Spucken wird wie ein dringendes, körperliches Bedürfnis beschrieben, ähnlich dem Defäkieren, das nicht zurückgehalten werden kann und unbedingt Ausgang vom Körper finden muss. Der Höfling allerdings macht schon allein durch seine Schamesröte deutlich, dass er das Anspucken als Geste der Verachtung und Ehrverletzung wahrgenommen hat. Sie macht auf einen Schlag seine Kahlköpfigkeit vor aller Augen sichtbar, die als körperlicher Mangel erkennbar ist, welcher nur durch den sozialen Status des Mannes zwischenzeitlich aufge‐ hoben wurde. Markolf macht somit mit seiner schamlosen körperlichen Geste einen kör‐ perlichen Makel am anderen fest, der durch dessen Schamröte markiert wird. Schamlosig‐ keit wird hier als Strategie der Ostentation erkennbar, die Scham auslöst. Die bisherige Dissimulation des Makels wird durch das öffentlich sichtbare Erröten als Kennzeichen der Scham zerstört; es ist diese dialektische Beziehung von Ostentation und Dissimulation, welche den Mann lächerlich macht und Markolfs obszöne Körpergeste zum Mittel dieses ridiculum werden lässt. 151 Doch die Komik ist mit dieser Interaktion von obszöner Geste und schamhafter Wider‐ fahrnis noch nicht am Ende: es folgt eine subtile Diskussion um die Bedeutung und Wer‐ tigkeit des Spuckens, mit der Markolf wiederum seine intellektuelle Überlegenheit zeigt. Salomon deklariert sie zunächst, gemäß seinem Verbot, zu einem Akt der Verunreinigung: „Der künig sprach zu marcolfo warvmb hastu im sein stirne geunreinigt“ (Z. 454-455), verbindet damit aber einen unzulässigen Akt der öffentlichen Ehrverletzung. Tatsächlich galt sowohl in der Bibel als auch in den germanischen Kulturkreisen das Anspucken als Geste der Verachtung. Es kann als ein Akt symbolischer Kommunikation bezeichnet werden, der den anderen öffentlich erniedrigen sollte. 152 Im Alten Testament ist das Spucken ins Gesicht bereits mit Scham und Erröten verbunden: In Num. 12,14 heißt es über Maria, die Schwester Aarons: „Wenn ihr Vater ihr ins Gesicht gespuckt hätte, dann hätte sie sieben Tage lang erröten müssen.“ 153 Das Neue Testament bestätigt die Erniedrigungsgeste, als Jesus vor seiner Kreuzigung bespuckt wird. Allerdings weist das NT auch eine andere Be‐ deutung des Spuckens nach: denn Jesus selbst heilt mit seinem Speichel einen Blinden und einen Taubstummen (Mk 7,33 und Joh 9,6). Daraus folgte eine doppeldeutige Wertung des Spuckens in Historiographie und Exegese. Einerseits galt es als Schmähung und Entehrung, andererseits aber erlöst Jesus durch das Ertragen des Bespucktwerdens die Menschheit, und sein göttlicher Speichel besitzt nicht 6. Erzählung, Imagination und Lachen 378 154 Bischof Amalar von Trier bezeichnete den Speichel als „natürlich“ und gehe „ohne Sünde“ aus dem Menschen hervor. „Der Auswurf von Speichel fördere sogar die körperliche Gesundheit des Men‐ schen, die ihrerseits notwendig sei, um das Seelenheil zu erlangen.“ Patzold, Amalar, S. 70. nur Heilkraft, sondern reinigt auch von Blindheit und ist somit ebenfalls Mittel der Erlö‐ sung. 154 Dass diese Ambivalenz des Spuckens den kulturellen Rahmen für Markolfs Recht‐ fertigungen bildet, darf angenommen werden. Allerd ings gebraucht er eine andere Erklä‐ rung: Er habe sich an Salomons Gebot halten wollen, er dürfe nur auf „bloß erden“ spucken, und habe die Stirn des Kahlen, auf welcher kein Haar mehr wachse, eben für „bloß erden“ gehalten. Durch diese Analogie stellt Markolf zwischen dem agrarischen und dem derma‐ tologischen Bereich ein komisches tertium comparationis her, das Wachstum. So gelingt es ihm, seinen Speichel als Düngemittel für künftigen Haarwuchs auszugeben und die Ver‐ unreinigung durch Düngung zu ersetzen. Der Vergleich weist zurück auf die Geste des Spuckens als den Auswurf von Körpersekret, deren provokatives, ehrverletzendes Potential spielerisch ins Komische gewendet wird, indem ihr ein angeblicher Nutzen unterstellt wird. Am Ende steht wiederum der Zorn Salomons, dem der furchtbare Fluch: „das dich got schent“ entgleitet. Wieder ist Salomon auf die Stufe Markolfs herabgesunken, wieder ent‐ würdigt er sich sprachlich selbst. Die zweite für den Text zentrale obszöne Körpergeste ist das Blecken des Hinterteils im abschließenden Ofenschwank: „Nun volget hernach was marcolfus an fieng do er dem künig vnter sein augen nymer dorst kommen“. Dieser Schwank hat im Ayrer-Druck als einziger zwei Illustrationen erhalten. Die erste zeigt Markolf wiederum als Possenreißer. Er kriecht auf allen Vieren, hält eine Bärentatze in der Hand und ein Sieb, seine Schuhe hat er verkehrt angezogen. Er ist dabei, eine falsche Fährte zu legen. Indem er sich als sonder‐ bares Tier inszeniert, will er die Neugierde und den Jagdinstinkt des Königs hervorrufen. Die zweite, abschließende Illustration (der Bildtitel ist zweideutig: „Wie küng salomon selber zu dem loch kam“) bildet Salomon mit Zeigegestus auf den bleckenden Hintern des Possenreißers mitsamt allen obszönen Details ab, wie wir es beim Kalenberger noch sehen werden: „das man im die hoden vnd den arß sah vnd den toldrian“ (Z. 671 f.) Die Tatsache, dass Markolf in der Ayrer-Fassung statt in einen Ofen in ein Loch kriecht, weist nicht nur auf das Objekt seiner demonstratio ad oculis hin, sondern betont erneut seine animalische „Wildheit“ und Verwandlungsfähigkeit. Im Ofenschwank kommt es zu einem einzigartigen Zusammenwirken dreier Elemente, die für die komische Wirkung von Bedeutung sind: 1. die als setting zu betrachtende the‐ atrale, vorausschauende List-Inszenierung, 2. die obszöner Spottgeste als eigentliche Pro‐ vokation und 3. der das Ganze umfassende Sprachwitz. Die Komik des Schwanks wäre ohne eines dieser Elemente nicht vollständig und ihre Wirkung wesentlich schwächer. Die List-Inszenierung schafft Spannung und Verlaufskomik, die obszöne Geste erzeugt groteske Komik im Bild und der karnevaleske Wortwitz konstituiert einen Sinneffekt, der den Sieg über Salomon festschreibt. Die drei Elemente stehen auch in einem spezifischen Verhältnis zueinander. Während das theatrale Listhandeln an die ursprüngliche Verbannung Markolfs vom Hof anknüpft und die Schwankhandlung in ihrer Vorbereitung umfasst, so kommt es am Höhepunkt dieser Verlaufskomik zum zentralen Bild der Spottgeste des Bleckens, welche eine symbolische Desemantisierung bedeutet (die Spur führt ins Nichts: Spurenleser 6.2. Der listig-hässliche Held: Markolf als hybride Lachfigur 379 155 Vgl. dazu die gründliche Studie von Coxon, Laughter and Narrative in the Later Middle Ages, S. 34-82. In seiner Untersuchung der Rezeptionsbedingungen und -situationen der Schwankmären anhand ihrer Prologe und Publikumsbezüge kann er an zahlreichen Einzeltexten die „performative function of these prologues in creating a sense of comic expectation“ (S. 35) und die Strategie „to heighten the listeners‘ readiness to laugh“ (S. 39) zeigen. sind genarrt). Der Wortwitz bildet den sinntragenden Abschluss, der dem Genarrten die Logik der scheinbar sinnlosen Handlung erklärt und eine satirische Note enthält („do wurd künig salomon beschempt“, Z. 677). Handlung, Geste und Witz gemeinsam bewirken somit den überraschenden Präsenzeffekt und die verschiedenen Sinneffekte, die der Schwank bereithält. Der Text organisiert sich gewissermaßen um das ikonische Bild der Geste herum, indem er es narrativ vorbereitet und sprachlich motiviert. Verlaufs-, Körper- und Wort‐ komik sind miteinander verbunden und wirken zusammen. Dies gilt auch für den Glat‐ zenschwank, in dem ebenfalls eine Spottgeste im Zentrum steht. Doch auch für die anderen Teile des Ayrer-Drucks ist die genannte Kombination cha‐ rakteristisch; dafür sprechen die starken Tendenzen zum Schwankhaften und Burlesken im ersten Teil, dem Spruchwettbewerb, in dem reine Wortwitze der lateinischen Fassung weg‐ gelassen werden. Die Frage Salomons im Dialogus, wer Markolf an den Hof gelassen hätte, auf die Markolf das berühmte und leitmotivische „calliditas, non misericordia“ antwortet, fehlt etwa in Ayrers Druckfassung. Ayrer verzichtet an mehreren Stellen auf den Wortwitz des Dialogus zugunsten einer Aufwertung des Körperlichen und Szenischen. Wie bereits sein volkssprachlicher Vorgänger, das Spruchgedicht, und anders als die Versfassung Gregor Haydens, hat der Druck das Lachen seines Publikums zum Ziel, welches weniger über intellektuelle Wortwechsel, als mehr über inszenierte, kräftige Visualisierungen von grotesker Körperlichkeit im Zusammenspiel mit sprachlicher Komik erreicht wird. 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti In der deutschen, aber mehr noch der europäischen Versnovellistik ist das Lachen, wie ich in Kap. 2 skizziert habe, sowohl vieldeutige Referenz, Merkmal von Rollendistanz oder er‐ zählfunktionaler Katalysator innerhalb der Texte, als auch Rezeptionssignal, Verbindungs‐ glied zwischen Text und Rezipienten, indem es schlechterdings als Motto oder paratextu‐ eller Rahmen eine übergeordnete Funktion einnimmt. Spöttisches Verlachen und bewunderndes Lachen über gelungene List und Schlagfertigkeit sind erzählerische Figu‐ rendispositive auf der Textebene, beide Formen des Lachens zirkulieren aber auch zwischen literarischen Figuren und dem Publikum der Versnovellen. Die ‚harten‘ Effekte des Lachens in der sozialen Wirklichkeit des Spätmittelalters - Ehrverlust, Degradierung, Scham und Züchtigung - werden durch erzählerische Strategien und die Zentralfunktion der List ge‐ mildert und können so vom Publikum mit Vergnügen aufgenommen werden. Es gibt dabei jedoch große Unterschiede bei den Modi des Lachens: humorvolles und gutmütiges Lachen stehen dem spöttischen und sogar zynischen und bösen Lachen gegenüber. 155 Dass bei den komischen Lachanlässen in Fabliaux, Novellen, Mären und Tales auch die körperbezogene Sprache und Körperinszenierungen von Possenreißern eine wichtige Rolle spielen, lässt 6. Erzählung, Imagination und Lachen 380 156 Dass bei solchen Novellen sich Zusammenhänge zu Kap. 4 ergeben, liegt auf der Hand. 157 Vgl. Marietti, Marina: La crise de la société communale dans la ‚beffa‘ du Trecentonovelle. In: Formes et Significations de la ‚Beffa‘ dans la littérature italienne de la Renaissance. 2 ème série: Sacchetti, Ma‐ succio Salernitano, Castiglione, Le ‚Grasso legnaiuolo‘. Hg. von M. M., Danielle Boillet u. André Ro‐ chon. Paris 1975, S. 9-63, hier S. 13: “ce sont deux oeuvres totalement différentes, dans le fond comme dans la structure“. 158 Vgl. Brockmeier, Peter: Lust und Herrschaft. Studien über gesellschaftliche Aspekte der Novellistik. Boccacio, Sacchetti, Margarete von Navarra, Cervantes. Diss. Stuttgart 1972; Caretti, Lanfranco: Saggio sul Sacchetti. (=Biblioteca di Cultura, 136). Roma 1978; Fantoli, Michèle: Il Trionfo della Parola nel Trecentonovelle. Firenze 1990. 159 Sacchetti, Franco: Il Trecentonovelle. Hg. von Valerio Marucci. (=I Novellieri Italiani Vol. 6). Roma 1996, Einleitung S. xvi. Diese historisch-kritische Edition liegt meiner Untersuchung zugrunde. Sie basiert auf den von Borghini veranlassten, heute restaurierten Abschriften sowie weiterer Schriften. 160 Es existieren jeweils drei unvollständige Handschriften, die sämtlich durch Borghini als Abschriften des Autographs veranlasst wurden (M, L1 u. L2, nach ihrem Aufbewahrungsort im cod. Magliabecchi in der Bibl.Naz.Firenze und der Bibl. Laurenziana in Florenz benannt). Seit O. Gigli (1864) werden M und L1 als Teile der ursprünglich einen Abschrift Borghinis angesehen. Die überlieferungsgeschicht‐ liche Situation erläutert kundig der Hg. der kritischen Ausgabe des Trecentonovelle, Valerio Marucci, im Nachwort (Nota al Testo), in: Sacchetti, Il Trecentonovelle, hg. Marucci, S. 821-837. Seit den 50er Jahren sind keine neuen Hinweise auf das Textkorpus des Trecentonovelle hinzugekommen. sich am besten an jenen Texten zeigen, welche von den Handlungen und Streichen (beffe) bekannter Schälke und Hofnarren erzählen. 156 Sacchettis Sammlung Zwischen 1385 und 1400, seinem Todesjahr, sammelt und schreibt der Florentiner Kauf‐ mann, Politiker und Dichter Franco Sacchetti die 300 Erzählungen seines Trecentonovelle, einer Novellensammlung in der Nachfolge von Boccaccios Decamerone, von dem sie sich jedoch sowohl substantiell als auch formal deutlich unterscheidet: 157 Ihre Anlage ist offen gehalten, kein Rahmen oder innere Struktur ist erkennbar, sie ordnen sich in clusterför‐ migen Gruppen. Die Novellen selbst sind im Vergleich zu jenen Boccaccios gekennzeichnet von einem oralen, wenig künstlerischen Duktus, von teils skurrilen Protagonisten und von zahlreichen direkten Erzählkommentaren des Autors, häufig in Form eines moralisierenden Epimythions. 158 Auch Sacchettis Verständnis der novella im Vorwort ist durchaus anders als jenes Boccaccios: für Sacchetti ist sie ein “erfreuliches oder bedeutsames Ereignis, eine interessante Begebenheit“, gewissermaßen mündlich tradierte Erzählungen von tatsächli‐ chen Vorfällen, „istorie di casi seguiti“, wie der Florentiner Philologe Vincenzo Borghini es noch im Cinquecento ausdrückte. 159 Die Sammlung ist heute unvollständig überliefert; von den ursprünglich 300 sind noch 222 Novellen in drei Handschriften des Codex Magliabecchi der Nationalbibliothek und der Biblioteca Laurenziana in Florenz erhalten. Es handelt sich dabei um Abschriften Borghinis aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, dessen einzige Vorlage ein heute verschollenes, damals schon verderbtes Autograph des Dichters war. 160 Von weiteren Abschriften ist nichts bekannt. Obwohl Borghini die Veröffentlichung und zuvor auch eine Auswahl der Novellen anstrebte, kam diese niemals zustande. Somit wurde der Trecentonovelle erst im 18. Jh. in Druck gegeben. 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 381 161 Marucci, Nachwort (Nota al Testo), S. 822. Freilich lässt sich von der anzunehmenden Historizität mehrerer im Text auftauchender Figuren nicht auf die Faktualität der geschilderten Handlungen schließen; vielmehr gehe ich von einer durchgängigen Fiktionalisierung der Figuren durch Sacchetti aus. 162 Vgl. Brockmeier, Lust und Herrschaft, op.cit. Man hat zwar schriftliche Quellen für ungefähr die Hälfte der Novellen nachweisen können, Sprache und räumliche Indikatoren legen jedoch nahe, dass die meisten Begeben‐ heiten oral vorgeprägt sind, und somit der Gebrauchszusammenhang ein vornehmlich mündlicher war. Darauf weist die hohe Eigenständigkeit der einzelnen Novellen und die völlige Abwesenheit eines strukturierenden Gerüstes in der Sammlung hin. Eine orale Sti‐ lisierung wie im Dekameron Boccaccios ist nicht erkennbar. Gegenüber dem Dekameron, aber auch gegenüber Fabliaux und Mären sind die Prota‐ gonisten Sacchettis zeitlich und räumlich gebunden: es handelt sich meist um historisch nachweisbare Gestalten der zweiten Hälfte des Trecento, ihre Wirkungsorte und somit die Schauplätze der Handlung sind Florenz bzw. die Städte Mittel- und Norditaliens, deren Beschreibung als sehr wirklichkeitsnah beurteilt wurde. Die biographische Forschung hat festgestellt, dass Sacchetti viele seiner Protagonisten persönlich kannte und mit mehreren von ihnen in brieflichem Austausch stand. 161 Der Trecentonovelle interessiert in unserem Zusammenhang auch weniger wegen seines spezifischen Aufbaus, eher schon wegen seines besonderen, oral und dialogisch geprägten Erzählduktus, vor allem aber wegen der Komik seiner Protagonisten. Er weist nämlich eine besonders hohe Zahl an Novellen auf, in denen die Protagonisten Possenreißer sind. Einer der persönlichen Bekanntschaften Sacchettis, dessen Streichen insgesamt neun Novellen gewidmet sind, ist Dolcibene da Tori, ein soge‐ nannter buffone, der im 14. Jh. in ganz Italien bekannt war. Insgesamt widmet Sacchetti ein Fünftel seiner Novellen den buffoni, professionellen Spaßmachern, deren Handlungen ganz im Zeichen der beffa, also des unterhaltsamen Strei‐ ches oder inszenierten Spaßes stehen. Es handelt sich dabei meist um fiktionalisierte his‐ torische Figuren, von denen einige schon vor ihrer Aufnahme in den Trecentonovelle be‐ kannt gewesen sind. Im Text erscheinen neben Dolcibene da Tori auch der am Hof der Este in Ferrara wirkende Pietro Gonnella, die Florentiner Ribi, Stecchi und Martellino, sowie Popolo d’Ancona, Gian Sega, Agnolo Moronti und Parcittadino da Linari. Sie alle werden als Erfinder von Streichen und Spottgeschichten vorgestellt, die sie selbst planen und durchführen sowie auch professionell erzählen können. Einige von diesen Spaßmachern treten als Hofleute auf, obschon sie gleichzeitig Merkmale des giullare aufweisen oder die Funktionen von Hofnarren einnehmen. Sie wandern von Hof zu Hof, von Stadt zu Stadt, ihre öffentliche Anerkennung als professionelle Künstler und Spaßmacher sichert ihnen die Existenz, auch (und gerade) wenn sie die Vertreter der Macht in parodistischer und blasphemischer Weise verspotten dürfen. Hinter den listigen Streichen stehen allerdings fast immer materielle Bedürfnisse. Man hat bisher vermutet, dass das Neue an diesen Figuren ihre Verkörperung von Rück‐ sichtslosigkeit und Gerissenheit als unerlässliche Qualitäten im täglichen Kampf ums Da‐ sein ist. 162 Weniger wurde die komische Wirkung ihrer Streiche untersucht, bzw. ihre Funk‐ tion als berufsmäßige Lustigmacher sowie ihre fama als spaßige Volkshelden. Denn das Interessante an Sacchettis Sammlung für die Fragestellung dieses Kapitels ist, dass in allen 6. Erzählung, Imagination und Lachen 382 163 Vgl. Marucci, Einleitung S. xii. 164 [gesprochene Prosa; erfrischende Simulation der gesprochenen Sprache; übermütiger und volks‐ tümlicher syntaktischer Mimetismus, Übers. HRV]. Tartaro, Achille: Franco Sacchetti e i novellieri, Firenze 1972, S. 599. Novellen der Possenreißer der markante Körpereinsatz in Form von Verstellungen, Defor‐ mationen und Verwandlungen hervorsticht; hinzu kommen apotropäische und obszöne Gesten, die Inszenierung von peinlichen Zwischenfällen, die den einzigen Zweck haben, die Umstehenden, meist am Hofe eines Fürsten, zum Lachen zu bringen. Ihre Streiche wären somit weniger vom Bewusstsein höfischer Konkurrenz bestimmt als vom Ziel der Unter‐ haltung mittels körperlicher Aufführungen, die Lachen über normwidriges oder extrava‐ gantes Verhalten in der höfischen Konkurrenzgesellschaft auslösen. Bevor ich die Funk‐ tions- und Wirkungsweisen dieser körperliche Komik näher betrachte, erscheint es nötig, zunächst die Rezeptionssituation so weit als möglich zu beschreiben, um möglichen Stra‐ tegien des Textes, Lachen zu erregen, Kontext und Grundlage zu geben. Publikum und Gelächter: mediale Voraussetzungen Im Vorwort (proemio) macht Sacchetti selbst dazu einige Angaben: wichtig ist ihm heraus‐ zustellen, dass er als Autor bei den erzählten Begebenheiten entweder selbst anwesend war („che io vidi e fui presente“) oder sie selbst angehört hat („a me medesimo sono intervenute“) und nun aus erster Hand weitergibt. Die Novelle sieht er als „exemplarischen Fall“ an und erhebt mit ihr den Anspruch, die Wirklichkeit einer künftig vergangenen Zeit wiederzu‐ geben. Diese Erzählhaltung weist auf die Rezeptionssituation mündlicher Zirkulation hin, in welcher „istorie“ erzählt, gehört und weitergegeben werden. „Novella“ bedeutet für Sac‐ chetti dementsprechend eine erzählenswerte Geschichte von exemplarischem Wert und unterhaltsamem Inhalt. Dass Sacchetti auch dem Schrifttext diese Qualität des Erzählers zutraut, zeigt der von ihm verwendete Terminus „immaginando“ als Tätigkeit des Hörers und Lesers, dergestalt, dass er sich seine Zuhörer vorstellt, wie sie sich nach neuen Ge‐ schichten sehnen. Hören und Lesen sind immer noch als komplementäre Formen der Re‐ zeption aufzufassen und wechseln sich in den Ansprachen Sacchettis ab: die Referenzen auf Zuhörer überwiegen leicht diejenigen auf Leser. Wir können also annehmen, dass Sac‐ chetti davon ausging, dass sein Publikum sowohl aus Hörern eines vorgelesenen/ vorge‐ tragenen Textes, als auch aus Lesern dieses Textes bestand. Dass der Schrifttext auch als Skript und Erinnerungshilfe zum Vortragen und Weiterer‐ zählen gedacht waren, zeigt seine Inszenierung der Mündlichkeit. Schon Borghini schätzte das Manuskript des Trecentonovelle, das er abschreiben ließ, als vorzügliches Zeugnis der „lingua parlata“ des Trecento, des dialektalen Einfallsreichtums, des witzigen und origi‐ nellen Ausdrucks und als Echo lebendigen Florentiner volgare des Trecento. 163 Die For‐ schung bezeichnete dieses Phänomen verschiedentlich als „prosa parlata“, „frizzante simu‐ lazione del parlato“ oder auch als “mimetismo sintattico, spericolato e popolaresco“. 164 Dass diese Stilisierung der Schrift nach oralen Mustern auch mit der leichteren „Wiederauffüh‐ rung“ des Erzählten zu tun hat, vermutet der Herausgeber des Trecentovnovelle, Marucci, 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 383 165 Vgl. auch: „Un’opera la cui scrittura, che cosí spesso simula il parlato anche nel discorso indiretto, è il mezzo indispensabile per comunicare fra cittadini, come in uno dei ‚cerchi‘ di conversazione che Sacchetti tanto spesso ci descrive: lo strumento di una nuova retorica del ‚discolo e grosso‘, che (…) recupera per sé le potenzialità di colloquio allargato.“ Marucci, Einleitung S. xiv. 166 Marucci spricht von „visivo“ und „immediato“, S.xxxv. 167 Sacchetti liegt die literarische Stilisierung der bescheidenen Mündlichkeit à la Boccaccio fern. Für ihn ist die Novelle eher ein Gebrauchstext, eine Gelegenheit zum Erzählen, zum Kommunizieren, zur Mitteilung einer interessanten Begebenheit, die man auch weitererzählen und wiederverwenden kann. Vgl. dazu Marcucci, Einleitung S. xv. Daher auch die Authentizität der beschriebenen Räume im Trecentonovelle: Städte, Plätze, Straßen, Gebäude, die Protagonisten, Bekannte und Freunde des Autors, oder auch bekannte Persönlichkeiten seiner Zeit. 168 Tartaro, Franco Sacchetti e i novellieri, S. 31. 169 [… damit sich dafür ein wenig Lachen in die mannigfaltigen Leiden einmische.] Sacchetti, Trecento‐ novelle, Einl. S. xxvii. [Übers. HRV, sowie alle folgenden Zitate aus dem Trecentonovelle]. wenn er die Funktion der Erzählung innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaft (Sac‐ chettis Modell des Erzählkreises, des colloquio allargato) unterstreicht. 165 Doch ist dies nicht alles: Sacchettis Sprache ist nicht nur oral, sondern auch performativ vorgeprägt. Sie ist dadurch charakterisiert, dass sie die popularen Sprecher und die gro‐ tesken und komischen Situationen, in denen sie sich befinden, „sichtbar“, sie anschaulich und unmittelbar macht, ihr theatrales Potential ausnutzt; 166 mit seiner sehr freien, populären und „übermütigen“ Syntax, seinen extravaganten dialektalen Wendungen verfahre Sac‐ chetti durchaus experimentell, so Marucci, fast wie ein zeitgenössischer Maler. Aufgrund ihres reichen Lexikons an Dialektismen, Idiotismen und popularen Redewendungen des volgare zählen Sacchettis Werke heute zu den wichtigsten Quellen für die historische Sprachwissenschaft des Trecento. Die Sprache des Trecentonovelle richtet sich demnach an ein Publikum, das am mündli‐ chen Gestus der Erzählung, an anspielungsreichen Dialogen und treffenden, popularen Redewendungen Freude hatte. 167 Die sozialhistorische Forschung hat dieses Publikum im Florentiner Kleinbürgertum gesehen, zu dem Sacchetti sich zugehörig fühlte und mit seinem Text eine enge Beziehung herzustellen bestrebt war („integrale esperienza di soci‐ alità“), und zwar über regelmäßige, doch nicht systematische Eingriffe des Erzählers in den Text. 168 Diese kommunikative Einbettung des Textes in ein soziales Substrat darf jedoch nicht zu der Annahme führen, dass wir es hier mit einer schichtenspezifischen Gattung und demnach mit einer eindeutigen Zuweisung an ein sozial determiniertes Publikum zu tun hätten. Gerade der komische oder auch der unmoralische Gestus vieler Figuren macht die Distanz Sacchettis zu seinen Sprechern deutlich; sein Publikum muss somit - ähnlich wie bei der Fabliaux- und Märendichtung - als breiter angenommen werden und durchaus Mitglieder der Kaufmannschaft und der Patrizier, aber auch der Unterschichten in den mittel- und oberitalienischen Städten umfasst haben. Auch wenn er es nicht übermäßig betont, so läßt Sacchetti durchblicken, dass die Aus‐ wahl der Novellen in hohem Maß ihrer Kraft, Gelächter auszulösen, zu verdanken ist. Er motiviert die Sammlung im Vorwort mit dem beklagenswerten Zustand der Republik Flo‐ renz in der Gegenwart, und der Notwendigkeit, die Melancholie etwas mit Lachen zu ver‐ mischen: „per lo quale tra molti dolori si mescolino qualche risa.“ 169 Diesem Satz schließt sich ein Bekenntnis an die Kunst von Giovanni Boccaccio an, dem sich Sacchetti verpflichtet fühlt, und der das Lachen als ein therapeutisches Ziel seines Decamerone angesehen 6. Erzählung, Imagination und Lachen 384 170 Vgl. dazu Arend: Lachen und Komik in Giovanni Boccaccios Decameron, op.cit. 171 [Diese Streiche bringen die Hörer sehr zum Lachen, doch erheitern sie noch mehr, wenn es dem Gefoppten gelingt, den Spaßmacher hereinzulegen.] Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CLXXXVII, S. 629. 172 [Die Herrschaft und alle Anwesenden weinten vore Lachen.] Ebd., Nov. CXLIV, S. 443. hatte. 170 Auch im Text fehlen solche Hinweise auf den Zweck des Textes nicht. So heißt es zu Beginn einer Novelle zu Dolcibene ganz allgemein, dass Streiche ihre Hörer zu großem Gelächter anregen, doch größer noch sei das Vergnügen, wenn der Gefoppte den Spaßma‐ cher zurückfoppen kann: „Molto fanno ridere queste beffe gli uditori, ma molto più dilettano quelle quando il beffatore dal beffato riceve la beffa.“ 171 Hier spricht ein Erzähler auf der Ebene der Erzählung, er spricht bald von Hörern, bald von Lesern, er spricht von der Wir‐ kung des Erzählens selbst. So erhält das professionelle Aufgabenfeld vieler seiner Figuren, andere zum Lachen zu bringen und zu erheitern, auch konkrete Funktionen auf der Er‐ zählebene. Und es steht zu fragen, ob nicht ein Zusammenhang besteht zwischen texti‐ nternem Gelächter und textexternem, auf der Rezeptionsebene angelegtem Lachen. Textinternes Lachen Lachen wird im Trecentonovelle an zahlreichen Stellen thematisiert. Dabei lassen sich zwei Typen der Referenz unterscheiden: (1) Lachen der an der beffa beteiligten Figuren auf der Handlungsebene. Hier lässt sich noch unterscheiden zwischen der Situation des Gelächters anwesender Zuschauer und der Situation des Gelächters von Zuhörern, die beim Streich nicht anwesend waren, denen der Hergang jedoch unmittelbar im Anschluss daran in einer Erzählsituation übermittelt wird. (2) Lachen, welches über einen Erzählkommentar zur Sprache kommt. Dieser zweite Typus kommt häufiger im Einleitungs- und Schlussteil der Novellen vor, und hier dient die Erwähnung des Lachens der Bekräftigung der spezifischen Komik innerhalb der Handlung, bzw. sie dient als erläuterndes Signal, um damit vorausschickend oder nachträglich die Novelle im Sinne des komischen Modus zu rahmen. Ein Beispiel für das einfache Lachen unter Anwesenden vom ersten Typ ist etwa das die beffa abschließende: „Il signore e tutti quelli che v’erano per la risa piangeano“ aus der 144. Novelle; 172 es handelt sich hier um eine klassische Referenz auf das Gelächter von Fürst und Hofstaat über einen Hofnarrenstreich, wie wir es nicht selten in mittelalterlichen Kur‐ zerzählungen antreffen. Überboten wird diese einfache Lachreferenz von der theatral ge‐ stalteten Szene in der 33. Novelle, wenn einem Bischof vor Lachen über einen Ausspruch Dolcibenes beinahe der Kelch aus der Hand fällt: „Il vescovo, sentendo questo diavolo ivi e udendo il motto, avendo il calice nelle mani, gli venne sí fatte risa che fu presso che ‘l calice non gli cadde di mano“, sowie bei den Badenden der 26. Novelle, die vor Lachen fast er‐ trunken wären, nachdem Bartolino ihnen eine unlösbare Aufgabe skatologischer Art ge‐ 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 385 173 [All jene, die im Bad waren, wären vor Lachen schier ertrunken, und die Ärzte mehr als die anderen.] Ebd., Nov. XXXIII, S. 105 und Nov. XXVI, S. 80. 174 [Der Prior war fett; er brauchte eine ganze Weile, bis er wieder Atem schöpfen konnte, so sehr lachte er aus Lust.] Ebd., Nov. LIII, S. 166. 175 [Agnolo, der vor Lachen platzte, erzählt das Ereignis von Anfang bis zum Ende. Als dieser davon hörte und sah, wie alles geschah, lachten sie gemeinsam die halbe Nacht lang.] Ebd., Nov. CCXXV, S. 794. 176 [Aber während die Menschen häufig über diese Art von Novellen lachen, wären sie doch manchmal sehr froh, wenn der Fuchs in die Falle gegangen wäre.] Ebd., Nov. CLXXIV, S. 580. stellt hatte: „Quanti ne avea nel bagno, delle risa furono presso che affogati, e li medici piú che li altri.“ 173 Ein Sonderfall des Lachens der Anwesenden auf der Handlungsebene ist das Lachen derjenigen, die von einem Streich erst hören und daraufhin in Lachen ausbrechen; so im Falle des dicken Priors, der vor Lachen über die beffa Bertos, die dieser ihm wiedergibt, kaum Luft bekommt: „Il priore era grasso; egli stette un gran pezzo che non potea ricogliere l’alito, tanto ridea di voglia“ aus der 53. Novelle; 174 oder von Agnolo Moronti, der einen Bettgenossen erfolgreich narrt, indem er ihm mit einem Blasebalg Wind macht und diese Geschichte dann erzählt (225. Novelle): „Agnolo, scoppiando delle risa, dice la novella dal capo alla fine. Di che colui udito e veduto come, gran parte della notte ne risono insieme.“ 175 Hier wird die Kommunikationssituation, die durch Lachen bestimmt ist, gewissermaßen zerdehnt und greift vom Lachen des Urhebers, Agnolo, auf das Lachen derjenigen über, denen er selbst seinen Streich „dal capo alla fine“ erzählt. Das Lachen ist Flucht- und Ziel‐ punkt einer ausgeklügelten Neckstrategie, über die sich Urheber wie Zuhörer gleicher‐ maßen belustigen können, mehr noch, die gesamte beffa scheint nur einen Zweck zu haben, dass sie erzählt werden könne. Von diesen Zuhörern zu den Hörern von Sacchettis aufge‐ zeichneter Geschichte ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Das vom Erzähler berichtete Lachen des zweiten Typs ist weniger direkt; es handelt sich um allgemeine Aussagen, wann man lacht und lachen darf, durchaus mit handlungsanlei‐ tendem Anspruch. So wird zu Beginn der 174. Novelle das Lachen über Novellen gleich zweimal thematisiert: der Erzähler setzt den Possenreißer Gonnella, der sich mit Hilfe seines Einfallsreichtums anderen Schaden zugefügt und sich selbst bereichert hat, mit demjenigen gleich, der über diese Streiche herzlich lacht, wenn er solche Novellen hört: „come che a chi ode le dette novelle con festa se ne rida.“ Lachen könne man aber nicht ausgiebig über solcherart Schwänke, sondern auch über jene Schwänke, die unversehens auf den Urheber zurückschlagen: „Ma perché spesse volte sono degli uomeni che come di sí fatte novelle ridono, pur alcuna volta serebbono molto allegri che la volpe fosse colta alla trap‐ pola (…)“. 176 Dies will als Anleitung für die nächste Novelle verstanden werden, in der nämlich Gon‐ nella sich zuerst 50 fiorini erschwindelt, beim zweiten Versuch jedoch entlarvt und böse verprügelt wird. Nicht aber um zweierlei Schadenfreude geht es hier in erster Linie, sondern um das Lachen über die eine oder die andere Art Schaden, der in der Novelle erzählt wird. Denn die Erzählung gibt den Hergang des Schadens wieder, ohne dass die Hörer dabei in Gefahr stehen, selbst zu den Geschädigten zu zählen; hier greift die aristotelische Kategorie der Enthebbarkeit für eine transgressive Komik, die nurmehr sprachlich berichtet und nicht mehr erfahren wird. Dementsprechend äußert sich der Erzähler am Ende einer anderen 6. Erzählung, Imagination und Lachen 386 177 [Wie seine Scherze nur für jene zum Lachen waren, die nichts damit zu tun hatten.] Ebd., Nov. CCXI, S. 745. 178 Caretti etwa ist der Auffassung, dass der größte Teil der Novellen moraldidaktischen Zwecken folgt. Vgl. Saggio sul Sacchetti, S. 110-112; Marietti: La crise de la société communale, sieht in der beffa kaum ein komisches Potential: sie dient als Praktik zur Verhandlung von sozialen Konflikten, und somit als Anlass zum Auslachen des Normfernen; Brockmeier schließlich findet in seiner sozialpo‐ litischen Analyse weder Komisches noch Außergewöhnliches an Sacchettis Kunst: „Sacchetti klebt am alltäglichen Detail; aus der Arme-Leute-Perspektive reproduziert er die Trägheit banaler Rep‐ liken. Über dem elenden Milieu und seinen erbärmlichen Produkten hängen hausbackene moralische Vorschriften.“ Brockmeier, Lust und Herrschaft, S. 47. 179 Segre, Cesare: Tendenze stilistiche nella sintassi del Trecentonovelle. In: C. S.: Lingua, stile e società. Milano 1976, S. 315-54. Segre stellte bereits ein Übergewicht der Situationskomik in den Novellen insgesamt fest. Im Gegensatz zu Segre hat Marina Gagliano die These aufgestellt, die Komik im Trecentonovelle durchdringe alle Textteile, sie sei Teil der poetologischen Strategie Sacchettis. Vgl. Gagliano, Marina: Franco Sacchetti prosateur. Diss. Paris 1999. 180 Marietti, La crise de la société communale, S. 134 ff. Gonnella-Novelle, dass diejenigen darüber lachen könnten, die es nichts angeht: „come le sue erano cose da rider a cui non toccava“. 177 Festzuhalten ist, dass der ansonsten in den Epimythien moralisch argumentierende Sac‐ chetti wider Erwarten das Lachen nicht zensiert. Er unterscheidet nicht - ebenso wenig wie später Castiglione und Joubert - zwischen dem Lachen von Anwesenden anlässlich einer lächerlichen Situation (facta und dicta) einerseits, und dem Lachen über die medial (oral, skriptural) vermittelte Situation andererseits: Beides liegt auf der gleichen Ebene, mehr noch, wir dürfen sogar annehmen, dass das Erzählte ein höheres soziales Prestige besitzt, was ich weiter unten zu begründen versuchen werde. Wenn auf der Handlungs‐ ebene aber das Erzählen von Schwänken als Lachanlass wichtiger wird als die Erfahrung dieser Schwänke, dann bedeutet dies eine nicht zu unterschätzende Funktion der verschrif‐ teten Novelle für das Verständnis von Scherzkommunikation am Ende des 14. Jahrhunderts. Der Autor bzw. Sammler greift nun selbst in den Prozess der Produktion von Gelächter ein, er mediatisiert diesen Prozess durch die Übertragung in Text. Seine Aufgabe besteht letzten Endes darin, Lachanlässe schriftlich zu sichern, sodass sie jederzeit wieder ihre Funktion erfüllen können. Komik im Trecentonovelle: die Inszenierung der beffa Worüber wird nun in Sacchettis Novellen gelacht? Die meisten Studien zum Trecentonovelle lassen dieses Thema ganz aus; über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. 178 Einige Arbeiten haben sich jedoch der Frage nach der gattungsspezifischen Komik im Text ge‐ widmet: so hat Cesare Segre ungefähr 80 % der Novellen als komisch („comicità vivace e realistica“) klassifiziert, die Komik jedoch auf die eigentliche Fabel beschränkt, die auch in deutlichem stilistischen Kontrast zu der rigiden Moral der Schlussteile stünde. Diese seien von traditioneller Rhetorik geprägt, während die beweglicheren Erzählungen die Münd‐ lichkeit des Alltags wiedergäben. 179 Diejenigen Studien, die sich mit der Komik näher befasst haben, machen zunächst auf die Erweiterung und Vergröberung der komischen Novelle bei Boccaccio aufmerksam - die Novellen Sacchettis näherten sich den obszönen Inhalten der Fabliaux an. 180 Dass die beffa eine wichtige Rolle im Trecentonovelle spielt, ist zwar allerseits 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 387 181 Burke, Peter: Grenzen des Komischen im Italien der Frühen Neuzeit. In: Eleganz und Haltung. Berlin 1998, S. 107-128 (engl. Orig.: Varieties of Cultural History. Cambridge 1997). 182 Vgl. die detaillierte Studie von Marietti, die die beffa im Sinne Bergsons als soziale Sanktion („sanction salutaire“) interpretiert. Allerdings bleiben die Funktionen des Verlachens innerhalb der Logik der beffa nur angedeutet, Marietti begnügt sich mit der Konstatierung von Exklusionsmechanismen. Dass die beffa ohne die Inszenierung ihrer Bildlichkeit keine Komik entfalten kann, und dass das Lachen stark von dieser bildlichen, szenischen Komik abhängt, sieht sie nicht. Ähnlich erkennt Brockmeier in den Possenreißern des Trecentonovelle eher skrupellose Hofleute als einfallsreiche Spaßmacher, da sie in den Kommentaren Sacchettis getadelt werden. Ihre gesellige und unterhaltende Funktion am Hof und die Lachen erregenden Streiche unterschlägt Brockmeier dabei und spricht im besten Fall von ‚Karikaturen der Stadtbürger‘. Brockmeier sieht im Trecentonovelle eine Fülle häss‐ licher Realität, offenen Egoismus, unversöhnliche Willkür und Feindseligkeit als dominant an. Vgl. Marietti, La crise de la société communale, S. 22 ff. u. Brockmeier, Lust und Herrschaft, S. 40 ff. 183 Fantoli, Michèle: Il Trionfo della Parola nel Trecentonovelle. Firenze 1990, S. 38 ff. 184 Segre nennt als Beispiele den von den Schnabelstichen des Raben wild gewordenen Esel, welcher durch die Stadt fegt, das Chaos, welches von der an die Glocken gebundenen Bärin ausgelöst wird, und vieles mehr. S. 342 ff. 185 „s’abbandona ormai senza preoccupazioni al gioco lieve e indiavolato delle sue creature d’un mo‐ mento“. Segre, Tendenze stilistiche, S. 345. anerkannt, doch bis zu Peter Burkes Beitrag 181 wurde sie kaum dem Komischen zugeordnet, sondern als Waffe in den Konflikten des sozialen Lebens, als Instrument der Sanktion und Bestrafung gegenüber falschem oder unmoralischem Verhalten, bzw. als eine Form der ehrverletzenden Praktik in der Konkurrenzgesellschaft des italienischen Frühkapitalismus gewertet. 182 Michèle Fantoli war die erste, die das Phänomen der Komik im Trecentonovelle näher betrachtete: sie sieht im Erzählen Sacchettis ausschließlich die Wort- und Sprachkomik zur Geltung kommen („Il trionfo della parola“). Ihr traditioneller Ansatz der Komikforschung bearbeitet den Prozess der Substitution der Handlungsin Wortkomik: In Sacchettis Stil erkennt sie eine Fülle unterschiedlicher Wortspiele, lexikalischer Neu- und Mischprä‐ gungen, Bonmots, popularer Redewendungen und Anzüglichkeiten, verharrt jedoch in all‐ gemeinen Aussagen. 183 Die einzige Arbeit, die über die Untersuchung von Wortkomik im Ansatz hinausgeht, ist wiederum Cesare Segres Beitrag, der, wenn auch nur am Rande, von einer Neigung Sacchettis spricht, lächerliche „Konfusion“ zu erzeugen. 184 Er weist dies der Phantasie Sacchettis zu, seinem Talent, Figuren anschaulich zu evozieren und auf die Bühne zu führen („deve evocarli e indurli sulla scena“), und dort in einer pantomimischen Aktion interagieren zu lassen („a intrecciare la loro pantomima“). Sacchetti vermöge dies alles in einem knappen Handlungsverlauf so unterzubringen, dass der Eindruck rascher Abfolge entstehe (“concentrato questo nel breve spazio di un’azione che per lo più si risolve spedi‐ tamente“), wobei er sich gerne vom „leichten und teuflischen Spiel“ seiner Kreaturen mit‐ reißen ließe. 185 Dieser Aspekt der szenischen Komik weist auf die Nutzung von Potentialen von (mensch‐ licher und tierischer) Körperlichkeit, sowie der Schaffung von Unordnung durch unkon‐ trollierte Bewegungen bei der Ausgestaltung lächerlicher Situationen hin. Genau dies spielt in den beffa-Novellen der Histrionen, um die es im Folgenden gehen soll, eine große Rolle, mit dem Unterschied, dass die Konfusion nicht von selbst entsteht, sondern kalkuliert ge‐ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 388 186 Zur planvollen Inszenierung der beffa mit der Folge einer getäuschten Wirklichkeitswahrnehmung bei den Opfern („truquage momentané du réel“) im Dekameron Boccaccios vgl. Fontes-Baratto, Anna: Le thème de la beffa dans le Décaméron. In: Formes et significations de la ‚beffa‘ dans la littérature italienne de la Renaissance. Hg. von André Rochon, Bd. 1, Paris 1975, S. 11-44. 187 Welsford, Enid: The fool. His Social and Literary History. London 1935, S. 14. 188 Burke, Grenzen des Komischen, S. 114 u. 116. plant ist. 186 Die listigen Streiche der professionellen Spaßmacher, die Sacchetti mit Vorliebe beschreibt, sind gekennzeichnet von transgressiven Gesten und histrionischen Körperins‐ zenierungen: spektakuläre Fürze und Defäkierungen, die Besudelung sakraler Gegen‐ ständen bzw. vornehmer Personen, unerwartete mimische und figurale Verstellungen, the‐ atrale Verkleidungen und Masken, Körperinszenierungen, die Scham- und Ekelschwellen verletzen u. v. m. Die britische Narrenforscherin Enid Welsford hatte dieses „dramatische“ Potential der Possenreißer im Trecentonovelle schon früh gesehen und ihre Stellung zwi‐ schen performativen und textuellen Medien angesprochen: The Italian buffoon belongs to the history of the drama as well as of the novel. He is often termed an actor (istrione), and, indeed, the Italian habit of expressive gesticulation made it almost inevitable that the raconteur should merge into the mime. Moreover, Sacchetti makes it clear that the court-men used their histrionic powers for the enacting as well as for the subsequent re-enacting of their escapades: Gonella for instance carried various disguises about with him, and for the success of his tricks he obviously depended upon his gift for miming and impersonation. In fact the buffoons treated the world as their theatre, plotted their dramas in real life, exploited their own and other people’s failings, and were artists who were at once their own creators and their own creations and also it must be added artists who were utterly dependent upon the immediate goodwill of their public.“ 187 Dieses Zitat, das zweifellos noch unter dem Einfluss von Jacob Burckhardts Die Kultur der Renaissance in Italien steht, wo die Inszenierung von Spott und Witz in der italienischen Frührenaissance als „Kunstwerk“ beschrieben wird (so im Kapitel „Der moderne Spott und Witz“), macht die Zwischenstellung der Possenreißer zwischen Performativität und Tex‐ tualität sehr deutlich. Sie sind einerseits „realhistorische“ Figuren, die ihr Ingenium zur Inszenierung spöttischer Streiche nutzen, um diese anschließend narrativ wiederzugeben und damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und andererseits „fiktive“ Figuren in Sac‐ chettis Novellensammlung, die „realistisch“ - unter Zuhilfenahme fingierter Mündlich‐ keit - stilisiert und zu Helden einer hochliterarischen Unterhaltungsform, der Novelle werden. Die doppelte Zugehörigkeit der beffa zu performativen Praktiken und narrativen (lite‐ rarischen) Inszenierungen hat vor nicht allzu langer Zeit Peter Burke wieder betont, als er fragte: „War die beffa gesellschaftlicher Usus oder nur literarische Spielerei? “ Burke weist darauf hin, dass gerade Sacchetti die beffa als eine Art eigenständiges Kunstwerk angesehen hatte, ganz so, wie Burckhardt es beschrieb. Sie sollte nicht unbedingt nur Schadenfreude zum Ziel haben, sondern ästhetisches Vergnügen bereiten. Daher bezeichnet sie Sacchetti mehrfach als „vergnüglich“ („piacevole beffa“, „piacevolezza della beffa“). 188 Gleichzeitig war die beffa freilich auch Ausdruck der Konkurrenz-Kultur und Mittel zum Ausgleich zwischen gegenläufigen Ansprüchen ihrer Mitglieder; sie war wie das Lachen ein Instru‐ 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 389 189 Marietti zählt insgesamt 42 Novellen mit beffa-Einsatz. Marietti, La crise de la société communale, S. 13; Pignatti rechnet mit 25 Novellen der Possenreißer. Pignatti, Franco: Pietro Gonnella: Storia di un Buffone. In: Giornale Storico della Letteratura Italiana 174 (1997), Fasc. 565. S. 59-97, hier S. 59. 190 [Du weißt, dass unsere Kunst darin besteht, etwas mit gefälliger Kunstfertigkeit zu erwerben, und nicht zu stehlen.] Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CLXXIV, S. 584. ment sozialer Ausgrenzung und Positionierung. Beide Aspekte haben jedoch eines ge‐ meinsam: das Lachen wird von demselben „meccanismo della beffa“ ausgelöst, denn es ist jeweils Ziel einer performativen komischen Inszenierung. Das Auslachen als gesellschaft‐ liche Sanktion und die spezifische Komik der Inszenierung sind hier kaum voneinander zu trennen. Was Welsford als erste erkannte, war die Nutzung des komische Potentials der Körper‐ lichkeit durch Sacchetti, die als visualisierter Lachanlass szenisch im Mittelpunkt der Hand‐ lung steht - genauso, als hätte sie sich vor den Augen des Hörers bzw. Lesers zugetragen. Denn bei der Re-inszenierung performativer Vorgänge im Text muss die Absenz der Auf‐ führungssituation, sowie die sinnliche Teilhabe der anwesenden Lachgemeinschaft kom‐ pensiert und in narrative Strukturen übersetzt werden. Und hier spielt die narrative Logik der beffa, also die sprachliche und stilistische Strukturierung eines Streiches in der Erzähl‐ novelle die entscheidende Rolle. Denn die Possenreißer gewinnen ihre komische Identität nicht nur durch die Ausführung selbstreferentieller Körperbewegungen, bizarrer Verwand‐ lungen und grotesker Verstellungen, sondern vor allem durch den geschickten Einsatz des Körpers zur Erreichung eines Zieles: sie benutzen die komische Deformation und Ver‐ wandlung des Körpers, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Lachen kann sich somit sowohl aus der Imagination von einfallsreichen, überraschenden Körpergesten ergeben, als auch aus Schadenfreude über die gelungene beffa als Ganzes. Die beffa dient als charakteristisches Element und roter Faden des ohne Rahmen oder formale Gliederung auftretenden Trecentovovelle. Ungefähr ein Viertel der 220 Novellen sind beffe, von denen die Hälfte bekannte Possenreißer zu Protagonisten haben. 189 Was genau ist aber eine beffa? Sie unterscheidet sich von der absichtlichen Täuschung und dem Betrug (inganno, truffa) in signifikanter Weise, wie der 174. Novelle zu entnehmen ist: Dem ferraresischen Hofnarren Gonnella gelingt es mit Hilfe einer durchschaubaren Strategie, die Schwachstellen in der Abwicklung von Leihgeschäften ausnutzt, sich fünfzig Dukaten anzueignen. Als er es zum zweiten Mal versucht, wird er entlarvt und bezieht für den Be‐ trugsversuch Prügel. Sacchetti überlässt es dem Begleiter Gonnellas, die truffa zu kom‐ mentieren: „Tu sai che l’arte nostra è d’acquistare con piacevolezza, e non di rubare“. 190 Die beffa des Possenreißers darf sich nicht in einem einfachen Betrug zum Zweck des Gelder‐ werbs erschöpfen, sondern muss durch ihre ingeniöse Inszenierung beeindrucken und einen erheiternden Effekt haben. Sie geht nach dieser Definition auch über die einfache Praxis der Sanktion durch Auslachen hinaus; denn es ist Gonnella selbst, der hier ausgelacht werden darf, weil er die Regeln der beffa nicht respektiert hat und dafür bestraft wird. Dies wird in der 157. Novelle noch einmal deutlich, wo Sacchetti - über 100 Jahre vor Castiglione - über die verschiedenen Typen von Hofleuten spricht: viele zurückhaltende und tugendhafte Hofleute („moderati e virtuosi“) gingen bei den Fürsten leer aus, während andere, denen es gelinge, durch schlechte Sitten und unverschämte Handlungen das Lachen der Herren zu erregen, reich mit Kleidung beschenkt würden: „da l’altra parte sono stati di 6. Erzählung, Imagination und Lachen 390 191 [Andererseits gab es diejenigen, die durch schlechtes Benehmen unverschämte Handlungen viele Signori zum Lachen gebracht haben, für welche jene ihnen großartige Geschenke in Kleidung und anderen Dingen machten.] Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CLVII, S. 539. 192 [Es gab andere, die mit neuartigen und amüsanten Ideen so viel erreichten, dass sie die Signori und andere dazu bewegten, ihnen einige Kleider und Gaben zu schenken]. Ebd. 193 1355 wurde dem „joculator“ und „saecularium cantionum curiosus inventor“ Dolcibene von Karl IV. von Böhmen der Scherztitel: König der Narren und Histrionen von Italien verliehen. Vgl. Levi, Ezio: L’ultimo Re dei Giullari. Studi Medievali I (1928), S. 173-180, hier S. 173. 194 Vgl. Levi, L’ultimo Re dei Giullari, S. 175 f. quelli che aranno usato brutti costumi, fastidiose operazioni; e con queste averanno recate le facce di molti signori in risa, e con quelle faranno loro grandissimi doni di robe d d’altre provisioni“. 191 Doch dazwischen gibt es eine dritte Gruppe: diejenigen nämlich, die durch Einfallsreichtum und originelle Handlungen den Fürsten gefallen: „Altri seranno che con nuove e piacevoli industrie farano tanto che moveranno e’signori e gli altri a dare loro alcune veste e doni(…).“ 192 Das „moveranno“ gibt Grund zu der Annahme, dass es sich um denjenigen Typus amü‐ sierten und lizenzierten Lachens handelt, der Sacchetti auch für das Publikum des Trecen‐ tonovelle vorschwebt. Sacchetti nutzt also das performative Potential der beffa („nuove e piacevoli industrie“) narrativ, damit seine Hörer und Leser am Gelächter und an der gelösten Stimmung des höfischen Publikums im Text teilhaben können. Er treibt somit den gesell‐ schaftlichen Usus weiter in die komische Enthebbarkeit hinein und entschärft das sozial‐ kritische Potential der beffa zugunsten ihrer komischen Inszenierung. Dies erreicht er mit‐ tels einer Visualisierung von theatralen Szenen und Körperlichkeit, deren wichtigste Aspekte ich im Folgenden behandeln werde. Faszination und Imagination des histrio Der Florentiner Dolcibene da Tori muss zu den historischen Possenreißern gezählt werden; 193 er ist der einzige aus Sacchettis Sammlung, dessen Leben und Existenz ausrei‐ chend gut dokumentiert sind. Sacchetti nennt ihn „Re dei buffoni e delli istrioni d’Italia“, mit einem von Karl IV . - auf welchen Dolcibene in der 156. Novelle trifft - angeblich ver‐ liehenen Scherztitel. Aus der Chronik der Villani geht überdies hervor, dass Dolcibene - ähnlich wie Kunz von der Rosen - eine ganze Schar von Spielleuten und Pferden mit sich führte. Interessant ist, dass mehrere Quellen ihn als giullare bezeichnen, sodass er offen‐ sichtlich in einer Person die Tätigkeiten des Spielmannes, der Lieder und Sprüche vortrug und mehrere Musikinstrumente spielte, sowie des närrischen Alleinunterhalters vereinte. 194 Seine Tätigkeit an zahlreichen italienischen Höfen ist in verschiedenen chronikalischen Quellen belegt. Als Protagonist von neun Novellen steht er mit Gonnella an der Spitze der komischen Possenreißer im Trecentonovelle. Sacchetti, der ihn durchgängig mit dem Titel „messer“ (Herr) benennt, zeichnet ihn als sympathischen Lustigmacher und Begleiter hochgestellter Herren, die er mit Witz und überraschenden Einfällen unterhält. Besonders begabt ist er in der Verwendung der Produkte seines Unterleibs: er wird als Meister des Skatologischen inszeniert. So rächt er sich etwa in der 33. Novelle an einem Bischof, der ihn mutwillig exkommuniziert hatte, indem er diesen beim Ritus der Rekonziliation kurzerhand verprü‐ 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 391 195 Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. XXXIII, S. 104. 196 Ebd., Nov. XXIV, S. 75. Vgl. dazu Marietti, La crise de la société communale, S. 45. 197 [sie nahmen ihn (den Kot) mit den Händen und schmierten sich alle ihre Gesichter damit ein.] Sac‐ chetti, Trecentonovelle, Nov. XXIV, S. 76. 198 [ließ gewisse Juden sicherlich das Falsche statt dem Wahren glauben]. Ebd. gelt und ihm vor die Füße defäkiert. Er parodiert dabei die notwendige Bußformel und verkehrt sie in „magnam multitudinem pugnorum.“ 195 Mit Prügel beginnt auch die 24. Novelle, die Dolcibene als Pilger im Heiligen Land vor‐ stellt und die Möglichkeiten der skatologischen Komik in ihrem vollen Umfang zeigt. Dol‐ cibene wird, weil er in eine Prügelei verwickelt war, von den Juden in einen Tempel gesperrt, muss in der Nacht sein Geschäft verrichten und tut dies in der Mitte des Tempels. Die Juden entdecken die Schande am Morgen und sind aufgebracht, was mit der Exklamation „Mora, mora lo cristiano maledetto, che ha bruttato lo tempio dello Dio nostro“ unterstrichen wird, die grammatisch nicht korrekt ist und einen hebräischen Akzent andeuten soll. 196 Dolcibene erfindet eine abenteuerliche Geschichte, um sich herauszureden: er habe in der Nacht großen Lärm gehört und gesehen, wie der jüdische und der christliche Gott sich gegenseitig verprügelten („e io vidi lo Dio vostro e lo Dio nostro che s’aveano preso insieme e dàvansi quanto piú poteano“). Der christliche Gott habe dem jüdischen so sehr zugesetzt, dass dieser den Unrat auf den Boden habe fallen lassen („e tanto gli diede che su questo smalto fece quello che voi vedete“). Die Juden glauben ihm aus Gründen der Frömmigkeit alles („dando alle parole quella tanta fede che aveano“) und nehmen mit dem Ausruf „Ecco le reliquie del Dio nostro“ den Kot in die Hände und schmieren sich ihn ins Gesicht, damit die Reliquie sie selig mache („con le mani pigliandola, tutti i loro visi s’impiastrarono“). 197 Diese „véritable orgie scato‐ logique“ (Marietti) bezieht ihr komisches Potential nicht allein aus der antijudaistischen Verhöhnung der Leichtgläubigen („fece credere certamente a certi Iudei il falso per lo vero“). 198 Eine solche Interpretation geht lediglich vom Ergebnis einer sozialen Handlung aus (die Juden machen sich wegen ihrer seltsamen religiösen Praktiken lächerlich und können so selbst verspottet werden); sie kalkuliert nicht mit dem komischen Potential des szenischen Aufbaus und der fäkalen Performanz des Vorgangs, die nicht in der bloßen Symbolik des ausgrenzenden Verlachens (Schadenfreude) einer Minderheit aufgehen. Aus dem Kernkontrast zwischen dem Heiligen und dem Schmutzigen (Reliquie - Kot) wird ein szenisches Drama entfaltet, das sich vor dem inneren Auge des Zuhörers entfaltet und Gefühle wie Überlegenheit, Abneigung und Ekel gleichzeitig hervorruft. Die narrative Prä‐ sentation der Erzählung überzeugt nicht allein durch die Zusammenbindung von sakralen und profanierenden Aspekten (als Sinn-Effekte), sondern auch und mehr durch die Imagi‐ nation des theatralen Ablaufs, der Gesten und Rufe der zum Narren Gehaltenen (und ihre sukzessive Transformation in Narren). Diese Imagination eröffnet die Möglichkeit der Im‐ mersion und die Illusion der Teilhabe bei Zuhörern und Lesern, in Einzelfällen wohl auch die Identifikation mit dem (christlichen) Possenreißer. Dass der Autor mit dieser Illusion der Teilhabe rechnet, zeigt das sprachlich genussvoll ausgeführte Spiel mit dem Ekel, wenn die Juden sich den Kot über Gesichter und Körper schmieren: „andarono, con li visi cosi lordi“ - sie verließen den Tempel mit beladenen Gesichtern. Die bei dieser Vorstellung aufkommenden Ekelgefühle bei Zuhörern und Le‐ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 392 199 Vgl. zur Funktion der Ekelinszenierung Kap. 5.3. 200 [doch es war eine Novelle, die wie geschaffen zur Übertreibung bei Gleichgesinnten war und eine, um viele Gaben zu ergattern]. Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. XXIV, S. 76. 201 [dergestalt, dass er gewzungen war, sich eine Woche lang oder mehr zu waschen.] Sacchetti, Tre‐ centonovelle, Nov. CLXXXVII, S. 633. sern - mit all ihren haptischen und olfaktorischen Auswirkungen - können durch die Zu‐ weisung der Handlung an die karikierten Juden abgewehrt und somit abgelacht werden. 199 Die Komik der Situation ist progressiv, sie geht zwar von einem Grundkontrast aus, stützt sich jedoch auf die Imagination des komischen Verlaufs (komischer Modus), welcher nar‐ rativ gestaltet wird. Die Widersprüchlichkeit des Kontrastes kann im Rahmen des komi‐ schen Modus genossen werden, und Lachen stellt sich bereits vor der kognitiven Operation der aggressiven Ausgrenzung von Juden (in der Welt des Publikums) ein, denn in der Welt der Handlung sind sie äußerst zufrieden mit ihren Reliquien. Zusätzlich kann die Novelle auch satirisch gelesen werden, nämlich als Kritik an der verbreiteten Reliquiengläubigkeit und der Zirkulation von falschen Reliquien im Christentum, im Sinne des am Schluss ge‐ äußerten: jeder bekommt die Reliquien, die er verdient. Dass die dramatische Inszenierung der Erzählung für Sacchetti besondere Bedeutung besaß, zeigt der letzte Absatz: die Novelle entzückte diejenigen, denen er sie erzählte („fu molto novella da essaltare un suo pari e da guadagnare di molti doni, raccontandola a‘ signori e ad altri“), sodass Dolcibene gerade durch das Weitererzählen der Novelle Freunde und Geschenke erwarb. 200 Die Vorstellung der Besudelung mit Exkrementen war nicht nur in der höfischen Ge‐ sellschaft des Mittelalters, sondern auch in den urban-bürgerlichen Kreisen Sacchettis mit Ekel verbunden. Doch in der Art und Weise im Umgang mit Fäzies gibt es gewichtige Un‐ terschiede, wie wir aus dem Text erfahren: Der Erzähler unterscheidet nämlich Dolcibene von unflätigen Possenreißern wie „messer Bonfi“, dem nichts anderes einfiele, als mit Urin herumzuspritzen („però che non era se non da dare zaffate“). Als Dolcibene einmal Opfer dieser Angewohnheit Bonfis wird, so Sacchetti in der 187. Novelle, rächt er sich lange Zeit später auf folgende Weise: Er kauft einen noch vollen Kuhdarm auf dem Markt und schüttet dessen Inhalt vor aller Augen über Bonfi aus, sodass dieser sich über eine Woche lang waschen musste, um sich von dem Gestank zu befreien: „per forma che si penò a lavare una settimana o piú.“ 201 Diese fäkale Überbietung ist deshalb für die Evokation von Gelächter bedeutsam, weil sie in ihrer grotesken Hyperbolik die Imagination des Ekels derart komisch rahmt, dass seine Abwehr durch das Lachen leicht gelingt. Schwieriger dürfte es beim Hauptthema der Novelle gewesen sein, dem unwissentlichen Verspeisen von Katzen und Mäusen. Auch hier wird stark mit Ekelgefühlen gespielt und mit der damit einhergehenden Angst, vom Ekel angesteckt zu werden. Dieser Streich beruht ebenfalls auf einem Überbietungswettbewerb: Nachdem Dolcibene tagelang auf Grund des Ekels über die verspeiste Katze nichts mehr essen konnte („e messer Dolcibene n’era schifo“), beginnt er eine komplizierte Strategie zu verfolgen, die seine Gegeneinladung zum Stareessen schließlich glaubhaft macht. Die In‐ szenierung schildert lustvoll die Ahnungslosigkeit der Gäste, die im Glauben verharren, köstliche Vögel zu verspeisen, und gipfelt in Dolcibenes Sprachwitz, sie seien zornig und 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 393 202 [Und Herrn Dolcibene ekelte es davon; und sie gingen zornig und mit vermausten Mägen hinweg]. Beide Zitate Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CLXXXVII, S. 629. 203 Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CXLV, S. 450 f. “Bertesca“ ist ein Maurer- oder Malergerüst. 204 er ließ einen Furz, der den Richter und alle, die um den Richterstuhl herum standen, betäubte. Ebd. 205 Boccaccio, Giovanni: Das Dekameron. Mit 110 Holzschnitten der italienischen Ausgabe von 1492. Deutsch von Albert Wesselski, Frankfurt a. M. 1999; 2. Tag, 1. Geschichte: Stecchi und Martellino werden zu denjenigen Gauklern gezählt, „die die Höfe der Herren besuchten und die Zuseher damit unterhielten, dass sie sich verstellten und die Leute auf überraschende Weise nachahmten.“ S. 93. mit ‚vermausten Mägen‘ nach Hause gegangen: “e se n’andarono scornati e co‘ ventri ato‐ pati.“ 202 Immer wieder ist es das Vertrauen auf die Kraft der Imagination bei Hörern und Lesern, die solche auf das Nachempfinden von Ekel angelegte Dramatisierungen bei Sacchetti mo‐ tiviert, damit sich die Verbindung von Teilhabe und Distanzierung durch Gelächter effekt‐ voll manifestieren kann. Dies ist der Fall bei zwei Novellen, in denen es um die Flatulenz geht. Als Dolcibene wegen falscher Vormundschaft vor Gericht steht, profaniert er die ernsthafte Situation der von den rhetorische Spitzfindigkeiten des geschwätzigen Richters beherrschten Verhandlung zunächst mit einer obszönen lateinischen Parodie im Stile Mar‐ kolfs: „Faciatis facere unam bertescam super culum suum“ (als Antwort auf die Aussage des Richters: „nos volumus conservare virginitatem suam.“ 203 Auf die Nachfrage des Rich‐ ters, was dies zu bedeuten habe, lässt der Prokurator Dolcibenes, ebenso ein „piacevole uomo“, einen donnernden Flatus abgehen („tira un peto che stordí il iudice con tutti quelli che erano al banco“). 204 Daraus entwickelt sich eine konfuse Situation mit Drohungen des Richters, gegenseitigen Anschuldigungen und weiteren Fürzen des Prokurators, in deren Verlauf es Dolcibene gelingt, den Verdacht auf seine Prozessgegner zu lenken, die nun unter Protest herbeigeschafft und schließlich dem Pranger zugeführt werden. Die Struktur der skatologischen Verlaufskomik ist ähnlich wie in der Episode mit den Juden: eine Situation der von spezifischen Normen bestimmten Ordnung (hier: republika‐ nische Autorität, repräsentiert durch die juristische Fachsprache) wird durch die Inszenie‐ rung der hemmungsbesetzten Flatulenz angegriffen und profaniert. Mit der sprachlichen Uneindeutigkeit der obszönen Parodie („super culum suum“) entsteht ein Moment der Am‐ bivalenz, der es dem Spaßmacher erlaubt, seinen Unterleib in Szene zu setzen und so die Norm zunächst zu überschreiten, um sie später dann mit falschen Vorzeichen wieder zu bestätigen (es waren die anderen). Hilfestellung leisten ihm dabei die superbia des Richters und die List zum rechten Zeitpunkt. Komisch wirkt hier jedoch nicht der Richter allein (der von Sacchetti zu Beginn des komischen Modus eher als abstoßend und hässlich karikiert wird), sondern der gesamte Ablauf der Situation, welche durch das Eintreten manifester Körperlichkeit aus dem Ruder läuft. Übertroffen wird diese professionelle Kontrolle des Darmausgangs nur von den beiden Florentiner buffoni Stecchi und Martellino aus der 144. Novelle, denen der Erzähler zwar weniger freundlich gegenübersteht, sich der Faszination an ihrem unerhörten Auftreten aber nicht entziehen kann. Stecchi und Martellino, die dem Publikum bereits aus dem De‐ camerone als Nachahmer von Gebärden bekannt sind, 205 kommen wie viele andere Gaukler anlässlich eines Festes an den Hof des Mastino von Verona, um mittels der Aufführung ausgefallener Streiche Nahrung und Kleidung zu erhalten. Sacchetti betont den Wettbe‐ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 394 206 Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CXLIV, S. 441 f. 207 [Martellino hielt die Kleider und überredete die Genueser ihre Gesichter an die Rundung des Hinterns anzunähern; und als sie den gewünschten Punkt erreicht hatten, öffnete Stecchi die Schleuse und spritzte auf jene all das, was er vn unten getrunken hatte; und die Wäsche war von solcher Art, dass sich darin viele Teile von Exkrementen befanden, und dass es wie eine Dusche unter einem Mühlrad erschien. Und er stellte es so an, dass den Genuesern kein Tropfen davon entging, und es erwischte sie im Gesicht, auf ihren Kleidern und auch ihre kleine Präzisionswaage.] Sacchetti, Trecentono‐ velle, Nov. CXLIV, S. 442. werbscharakter der Zusammenkunft, wenn der Gastgeber die Prahlerei der Gaukler in eine ‚Wette‘ („contesa“) lenkt (und somit die Lizenz für den Streich erteilt): Stecchi behauptet nämlich gegenüber zwei reich gekleideten, parfümierten und stolz auftretenden Genueser Hofleuten, ein Stückchen Kot in der Größe eines Hirsekorns defäkieren zu können. Als diese an der Fähigkeit Stecchis zweifeln und ihn als Hochstapler bezeichnen, ist die Wett‐ situation da: alle wollen nun sehen, ob er kann, was er versprochen hat. Vorbereitungen werden getroffen: Die Genueser beschaffen das Korn und eine Waage, während Stecchi heimlich über den After eine ganze Schüssel Wasser in den Darm aufnimmt. Diese Technik, so der Erzähler, beherrschte Stecchi sehr gut, er konnte sie nach Belieben anwenden und hätte das früher schon getan („come sempre parea che facesse, quando volea“). 206 Das Ganze wird nun auf einem Tisch in Szene gesetzt, den Stecchi mit heruntergelas‐ senen Hosen besteigt. Die Genueser halten die Waage unter den After, die Festgesellschaft schaut zu. Der ganze skatologische Vorgang wird nun in Einzelheiten beschrieben: wie Stecchi presst, oder so tut als ob („Stecchi pontava, o facea vista“), wie er die Genueser zum Nähertreten auffordert („Appressatevi sí a guardare questa piccola cosa“). Als sie mit dem Gesicht ganz nah an Stecchis Hinterteil herangekommen sind, spritzt dieser das Wasser aus dem After und besudelt die Genueser von oben bis unten: Martellino tenea i panni, e dicea quanto potea perché i Genovesi accostassimo il viso nella spera; e quando gli ebbono a punto dove vollono, Stecchi dissera la cateratta e schizza a costoro ciò che avea beúto di sotto, e tanto piú quant’era la lavatura, che erano alquante dramme di feccia che parve una doccia di mulino, per sí fatta forma ch’e‘ Genovesi non ne perderono gocciola, che tutta l’ebbono tra sul viso e su‘ loro vestimenti ed eziandio in sul saggiuolo.“ 207 Aus dieser detailgenauen Beschreibung des Vorgangs bezieht die szenische Fäkalkomik ihre Wirkung: Sie setzt auf die visuelle Plastizität der gesamten Situation, nachdem die absurde Wette von allen Beteiligten akzeptiert und somit ein komischer Modus für Teilnehmer und Zuhörer eingeführt wurde. Durch die Charakterisierung der Genueser als besonders sauber und hochmütig wird eine soziale Norm aufgebaut, die in ihrer Übertriebenheit durch den Streich als einer karnevalesken Inszenierung des größtmöglichen Schmutzes entlarvt wird. Gleichzeitig stellt die Norm soziale Hierarchien fest, die attackiert werden. Die mehrmalige Aufforderung zum Nähertreten bis zum Moment des „viso nella spera“, des ‚Gesichts im Halbmond‘, erhöht die Spannung auf den entscheidenden Moment des Kotspritzens hin, der wiederum ausführlich beschrieben wird (Kotteilchen, kein Tröpfchen geht daneben, Gesicht und Kleidung werden verunreinigt). Den Gefoppten bleibt nichts anderes übrig, als die Täter zu beschimpfen und sich über den schmutzigen Scherz zu beschweren. Der Signore und alle Anwesenden jedoch hatten Tränen vor Lachen in den Augen: „Il signore e tutti 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 395 208 Douglas, The social control of cognition, S. 370. 209 Douglas, The social control of cognition, S. 372: „A joke… represents a temporary suspension of the social structure or rather it makes a little disturbance in which the particular structuring of society becomes less relevant than another. But the strength of its attack is entirely restricted by the con‐ sensus on which it depends for recognition.“ 210 Ebd., S. 365 f. quelli che v’erano quasi per le risa piangeano.“ Die Novelle nutzt das komische Potential der Inszenierung noch weiter aus, indem Stecchi, um der gerechten Strafe zu entkommen, eine Darmkrankheit fingiert, die sprachlich immer wieder an den Streich erinnert. Er habe sich dabei den Darm aus dem Leib gedrückt hat, was er mit Hilfe einer eingeschmuggelten Schweinsblase und eines Stückes Speck glaubhaft zu zeigen vermag. Fäkale Scherze dieser Art haben freilich ihre symbolische Bedeutung: Sie können als Verkehrung und Neudefinition von sozialen Ordnungsvorstellungen bestimmt werden, wie Mary Douglas gezeigt hat: „Laughter and jokes, since they attack classification and hie‐ rarchy, are obviously apt symbols for expressing community in this sense of unhierarchised, undifferentiated social relations.“ 208 Stecchi und Martellino stellen deshalb Gemeinschaft her, weil sie den Habitus der Genueser, der ihren sozialen Stand symbolisch repräsentiert, mit körperlichen Mitteln angreifen und aus der Fassung bringen. „All jokes have this sub‐ versive effect on the dominant structure of ideas“, so Douglas, die rituelle Komik mache für die Dauer des liminalen Scherzes die Bedeutung sozialer Hierarchien zunichte. „Schmutz“ steht in diesem Zusammenhang für undifferenzierte, unorganisierte und unkontrollierte Beziehungen. Im Lachen über den Angriff auf die symbolische Norm bilden die Umste‐ henden und das Hör- und Lesepublikum eine Gemeinschaft, die sich temporär über die von den Genuesern repräsentierte Ordnung hinwegsetzt und eine gemeinsame, nicht-hierar‐ chisierte Lach-Gemeinschaft bildet. Und diese Gemeinschaft ist vor allem durch die Ent‐ spannung bewusster Kontrolle zugunsten des Unbewussten charakterisiert: “The joke is an image of the relaxation of conscious control in favour of the subconscious (…). This joke pattern needs two elements: the juxtaposition of a control against that which is controlled, this juxtaposition being such that the latter triumphs“. 209 So liegt der Reiz des Komischen darin, dass jedwede Ordnung der Erfahrung willkürlich und subjektiv ist. „It is frivolous in that it produces no real alternative, only an exhilarating sense of freedom from form in general.“ 210 Stecchis transgressives Ritual der Verunreinigung wäre demnach ein subver‐ siver Angriff auf die soziale Ordnung, ohne ihr etwas anderes gegenüberzustellen. Die Be‐ deutungslosigkeit von Stecchis fäkaler Handlung ist bezeichnend für das Lachen, denn, wie schon Kant bemerkte, lösen sich beim Lachen die hochgespannten Erwartungen in Nichts auf. Diese kognitiv-semantischen Mechanismen des rituellen Scherzes und Witzes, wie sie Douglas herausgearbeitet hat, können zwar die Positionen der beteiligen Akteure und ihre Funktion erläutern, für die Erklärung der narrativen Komik der Novelle reichen sie dennoch nicht aus. Wie ich zu zeigen versucht habe, ist es das dynamische Modell der theatral in‐ szenierten Vorgangs- und Verlaufskomik, das Lachen vor jeglichem semantischem Ver‐ ständnis plausibel machen kann: die Vorstellung Stecchis, wie er mit heruntergelassenen Hosen auf dem Tisch steht, die Vorstellung der Annäherung von Gesicht und Hinterteil, schließlich die Vorstellung der grotesken Besudelung. Dies alles würde in seiner szenischen 6. Erzählung, Imagination und Lachen 396 211 Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CXVII, S. 357. 212 Ebd., XXV, S. 77. und körperlichen Intensität und Expressivität auch ohne symbolische Aufladung Lachen auslösen und wird von dieser nur verstärkt. Während die Umstehenden nur über das Er‐ gebnis des Streichs lachen können, dürften die Rezipienten dank der sprachlichen und nar‐ rativen Inszenierung große Teile der Novelle bereits zuvor als Lachanlass benutzen. Dass imaginiertes Geschehen, welches sich der Kontrolle entzieht, von Sacchetti als Lachanlass eingesetzt wird, zeigen noch verschiedene andere Novellen mit Dolcibene als Protagonisten, die ich hier nur kurz skizzieren will: Dolcibene darf auf Geheiß der Signoria von Padua nicht die Stadt verlassen, und wettet mit ihm um ein Kleidungsstück, dass er es dennoch fertigbrächte. Er nimmt ein noch blutiges Schlachtermesser, setzt sich aufs Pferd und ruft sich öffentlich zum Mörder einer ungeliebten Person aus, der auf der Flucht ist. Der Plan gelingt, die Wächter sind über den Tod der Person erfreut und lassen Dolcibene aus dem Stadttor reiten. Das Bild des mit dem Schlachtermesser wild um sich fuchtelnden Dolcibene, der geradewegs auf die Wachen zureitet und durch sein Geschrei zum ver‐ meintlichen Helden wird, gerät hier zum Kern einer turbulenten Verlaufskomik. Dabei spielt die Strategie der Aufmerksamkeitslenkung eine wichtige Rolle: der bedeutungs‐ schwangere Auftritt des buffone, dessen Bedeutung aber nur in den Köpfen der Zuschauer im Text entsteht, ist eine Täuschung. Sie ist ein ausgeklügeltes Spiel mit den falschen Er‐ wartungen dieser Zuschauer; die Rezipienten des Textes sind über die Regeln des Spiels jedoch informiert und können seine Täuschungsabsicht, also die Irreführung der Soldaten, aus der Beobachterperspektive mitverfolgen. 211 Ähnlich gelagert ist die öffentliche Kastration eines Priesters, die Dolcibene im Auftrag Francescos degli Ardalaffi von Forlí durchführt. 212 Im Unterschied zu vielen Fabliaux und Mären, die das Thema der Kastration des geilen Priesters sozialkritisch thematisieren und symbolisch ausgestalten (Tragen bzw. Aufhängen der Hoden als Mahnung) führt Sacchetti die ganze schmerzhaft-komische Kastration als kunstfertigen Prozess vor. Es geht nicht im Geringsten um eine soziale Sanktion für ein sittliches Vergehen, sondern Sacchetti stellt die Ausgangsfrage so: wie kastriert man einen Priester? Naheliegend, dass auf eine solche Scherzfrage auch ein Scherzbold, nämlich Dolcibene die Antwort weiß, und sie wird nun in der Novelle in allen Einzelheiten vorgeführt: Ein Fass wird unten aufgeschnitten, der Priester muss die Hosen herunterlassen und sich obenauf setzen, während Dolcibene ins Fass kriecht und von unten seine Arbeit verrichtet. Komik entsteht hier durch den Ablauf der evozierten Bildlichkeit. Die Beschreibung der Apparatur, wie der Priester rittlings auf das Fass steigen muss, wie die Hoden an den Zapfhahn gehängt werden, wie Dolcibene seine chirurgische Operation vor allen verbirgt. Hier hat sich die Komik der grotesken Inszenierung fast völlig von ihrer sozialen Einbettung gelöst; es geht nicht mehr um das Auslachen des Kastrierten, sondern um das Lachen über ein aufgeführtes, groteskkomi‐ sches Dramolett, dessen narrative Schilderung Lust an potentiellen Schmerzen anderer (hier: einer fiktiven Figur) und der Vermeidung eigener bereitet. Dass dies nur in der Lite‐ ratur (als Form der Attrappe) so funktioniert, durchschauen die Hörer / Leser durchaus, und diese Erkenntnis der Enthebbarkeit der Schmerzen gehört zum komischen Modus der Er‐ zählung. 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 397 213 Gonnella ist für seine Zeigegesten bekannt: in der 27. Novelle verbietet Obizzo von Este dem Gonnella bei Todesstrafe „seine Erde“ („suo terreno“), was dieser damit beantwortet, dass er auf einem Wagen mit Erde aus Bologna vor den Palast fährt und dort allen zeigt, wie kunstfertig er das Verbot des Herzogs umgangen hat. Vgl. dazu Röcke, Werner: Inszenierungen des Lachens in Literatur und Kultur des Mittelalters. Paragrana 7 (1998) H. 1. S. 73-93. 214 In einer Novelle von Matteo Bandello aus dem 16. Jahrhundert heißt es über ihn: „Nun muß man wissen, daß dieser Gonnella vielerlei ganz erstaunliche Fähigkeiten hatte und unter anderem seine Gesichtszüge in einem Augenblicke so meisterhaft verstellen konnte, daß ihn kein Mensch in der Welt erkannt hätte, und es machte ihm nichts aus, in dieser Veränderung einen ganzen Tag zu ver‐ harren; dazu sprach er noch jede Mundart aller Städte Italiens so natürlich, als ob er dort gewesen wäre.“ Matteo Bandello: Novelle. Bd. V. Hg. von G. Brognoligo. Bari 1912, S. 92: „Esso Gonnella aveva in sé molte parti che il rendevano mirabilmente meraviglioso; e tra l’altre, ogni volta che voleva, in uno batter di occhio, sapeva cosí mastramente trasformar le fattezze del volto che uomo del mondo non ci era che lo conoscesse, e in quella trasformazione saria durato tutto uno giorno. Parlava poi ogni linguaggio di tutte le città d’Italia sì naturalmente, come se in quelli luoghi fosse cresciuto e stato da fanciullo nodrito“. Dt. Übers. von Wesselski, Albert (Hg.): Die Begebenheiten der beiden Go‐ nella. Weimar 1920 (= Narren, Gaukler und Volkslieblinge Bd. 5). S. 43. 215 Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CCXI, S. 741. Nach Dolcibene da Tori nimmt der ferraresische Hofnarr Gonnella mit sieben Novellen den größten Raum in Sacchettis beffa-Novellen ein. Er wird fast jedesmal neu vorgestellt, und als einfallsreicher und mit allen Wassern gewaschener Possenreißer, Meister der Metamor‐ phose, durchtriebener Gaukler, Höfling und skrupelloser Betrüger bezeichnet, über dessen Streiche und Späße alle lachen müssen, sofern sie nicht selbst davon betroffen sind. Gon‐ nella werden besonders viele Listen und Kniffe zugeschrieben; 213 dafür erhält er einmal ein Goldstück, doch meist die übliche Bezahlung für gelungene Scherze, una roba, ein Klei‐ dungsstück. Gonnella ist ein Meister der Verwandlung und Verstellung. 214 In der 211. Novelle ver‐ kleidet er sich als überseeischer Arzt, um auf der Messe in Salerno Wahrsagepillen aus Hundekot zu verkaufen, mit denen man die Zukunft vorhersehen könne. Nicht nur in Klei‐ dung, Auftreten und Habitus spielt er den Mediziner glaubhaft, sondern auch sprachlich, indem er mit seinem Diener in einem Kauderwelsch kommuniziert, als ob er aus dem Orient, aus Täbris käme: „cominciando a parlare quasi gergone col famiglio, come venisse dal To‐ rissi.“ 215 Zu den potentiellen Käufern spricht er in einem hybriden Idiom zwischen Deutsch und Latein, „quasi tra tedesco e latino“, um seine Herkunft im Dunkeln zu lassen. Indem Gonnella ein audiovisuell nachvollziehbares Schauspiel inszeniert, schafft er nicht nur die Voraussetzungen für seine notwendige Gaubwürdigkeit auf der Handlungsebene (und also für das Gelingen der beffa), sondern er schafft auch die Voraussetzungen dafür, dass die Beobachter zweiter Ordnung, die Zuschauer und Zuhörer, diesen Streich als theatrales als-ob-Geschehen, das fiktionalen Charakter trägt, auffassen können. Dass mit den Strategien der Verstellung auch ans Absurde grenzende Situationen er‐ funden werden, zeigt die 173. Novelle, in der sich Gonnella ebenfalls als Arzt verkleidet, um einigen im Apennin lebenden Kropfkranken einzureden, sie könnten durch das ge‐ meinsame Einatmen von Rauch über eine komplizierte Apparatur gesunden, und sie gleich‐ zeitig dem Podestà von Bologna gegen Geld als lang gesuchte Bande von Falschmünzern auszuliefern. Durch die Kunst der Verkleidung und Verstellung erreicht es Gonnella, dass seine Opfer ihm vertrauen und glauben, ihre Hoffnungen erfüllen zu können. So nutzt er 6. Erzählung, Imagination und Lachen 398 216 Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CLXXIII, S. 574-579. 217 [Als Gonnella das Zupfen bemerkt, zieht er gleich aus der Tasche einen großen Eberzahn heraus und setzt ihn in den Mund; und so zugerüstet, dreht er die Augenlider nach außen, sodass die Augen feurig erschienen und er damit ein grimmiges Gesicht machte und zu dem Jungen zugewandt sprach: Was willst du? Der Junge sagt, indem er in dieses grässliche Gesicht blickt, voller Angst: Ihr seid nicht der, ich sage das nicht zu Euch! - und schaut ganz zerstreut hierhin und dorthin; am Ende kehrt er zu seinem Meister ohne Geld zurück.] Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CCXX, S. 777 f. 218 [er drehte sich um und erschien wie ein Teufel mit roten Augen und furchtbar langen Hauern.] Ebd. die unbegründeten Erwartungen der anderen für sich aus und macht diese zu Narren, welche auf der imaginären Bühne der Erzählung aufeinander treffen und sich gegenseitig schädigen. Dabei geht es aber nicht so sehr um den materiellen Vorteil des Hofnarren, sondern um die möglichst kunstfertige Inszenierung der komischen Situation. Diese besteht darin, dass die Kropfkranken einerseits und die Soldaten des Podestà andererseits falsche Vorstellungen von den jeweils anderen haben und ihre Handlungen und Reden sinnlos werden, ihr Aufeinandertreffen zu einem absurden Dialog der gegenseitigen Missvers‐ tändnisse gerät. 216 Auch in zwei weiteren Novellen, dem Kapaunenschwank (220) und der Geschichte vom geizigen Abt (112) basiert die Komik auf der überraschenden Veränderung der Gesichtszüge und der Stimme Gonnellas. Bei der ersten kauft Gonnella zwei Rebhühner auf dem Markt, ohne zu bezahlen; der Händler schickt einen Jungen mit Gonnella zur Wechselstube, um sein Geld abzuholen. Gonnella redet aber mit den Wechslern, und lässt den Jungen sehr lange warten. Als sich nichts tut, beschließt der Junge, Gonnella am Rock zu ziehen, worauf dieser einen Eberzahn aus der Tasche zieht, sich ihn in den Mund setzt und sich plötzlich umdreht: Come il Gonnella si sente tirare, subito si trae della scarsella una gran sanna di porco e mettesela alla bocca; e ciò fatto, s’arovescia le ciglia degli occhi che pareano di fuoco, e con questi facendo un fiero viso, si volse al garzoncello dicendo: Che vuo’tu? Il garzone, veggendo questo viso cosí orribile, pieno di spavento dice: Voi non siete esso, io non dico a voi! e come smemorato guarda di qua e guarda di là; nella fine tornò al suo maestro sanza denari. 217 Vor Schreck über die plötzliche, als furchterregend wahrgenommene Veränderung des Ge‐ sichts des Narren und den Satz „Was willst du? “ vergisst der Junge seine Aufgabe und läuft zum Geflügelhändler zurück, indem er vorgibt, den Teufel gesehen zu haben: „(…) si volse che parea un diavolo con gli occhi rossi e con le sanne grandissime (…).“ 218 Die theatrale Komik der Verstellung entsteht hier wiederum durch die Verzerrung der Gesichtszüge, durch die groteske Verformung des Körpers und der Stimme, womit die Phy‐ siognomie in einen Zustand der Halbmenschlichkeit gebracht wird, die zunächst Fremdheit und Furcht erregt. Der Possenreißer bewegt sich in diesen Fällen an der Schwelle zum Abnormen, zum Monströsen, das er als Fremdes an seinem eigenen Körper evoziert. Mit der Einbettung dieses liminalen Bereichs in den Rahmen der komischen Interaktion wird der Schrecken jedoch gebannt, denn die Zuhörer wissen über verschiedene Rahmungssig‐ 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 399 219 Vgl. dazu meinen Aufsatz: Komische Körper. Zur Funktion von Hofnarren und zur Dramaturgie des Lachens im Spätmittelalter. Zeitschrift für Germanistik N. F. Jg. XI (2001). H. 2. S. 292-317, hier S. 302 ff. 220 [Gonnella, der Argusaugen besaß, beginnt, als er dies wahrnimmt, zu zittern und stark zu gähnen, indem er sagt: Oh weh, o weh! Ich fürchte, ich werde zum Wolf - und er lässt den Abt in seinen geöffneten Rachen blicken.] Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CCXII, S. 747. nale, dass es sich um den Narren handelt, und können ihrer Entlastung von der Furcht im Gelächter freien Lauf lassen. 219 Diese Nähe des Textes zur Narren-Performance wird im weiteren Verlauf der stofflichen Tradierung des Schwanks mehr und mehr verblassen. Pignatti hat die Tradierung des Ka‐ paunenschwanks in der Fazetienliteratur des 16. Jahrhunderts verfolgt und festgestellt, daß sich die Kraft der physiognomischen und stimmlichen Transformation, die Gonnella eigen ist, allmählich verliert. Aus dem Eberzahn Gonnellas wird in den Piacevoli et ridicolose facetie di Messer Poncino dalla Torre cremonese von 1585 und in der Raccolta di burle, facetie, motti e buffonerie di tre huomini sanesi von A. Sozzini eine einfache Augenklappe bzw. eine über das Gesicht gezogene Mütze. Aus der archetypischen Bestialisierung wird eine simple, harmlose Verkleidung, die Verzerrung des Gesichts und der Stimme entfällt. Wir haben es hier mit einer Verminderung performativer Elemente zu tun, die sich zwischen dem 14. und dem 16. Jh. vollzogen hat. Die Attribute der alten Narrenmaske werden durch Schminke und Verkleidungen ersetzt, die aus dem Repertoire des Theaters stammen. Der histrionische Anteil an der Szene, der ihren Aufführungscharakter maßgeblich mitbestimmt hat, ver‐ blasst mit der Zeit. Dies weist nochmals auf die hohe Performativität der Inszenierung Sacchettis hin, dessen Novellen noch stark die theatralen Aufführungen der Histrionen des 14. Jahrhunderts nachzuvollziehen vermögen. Mit ähnlichen Mitteln arbeitet Gonnella in Sacchettis 212. Novelle. Hier verspricht der König von Neapel, Robert von Anjou, den Possenreißer nur dann zu belohnen, wenn es ihm gelänge, von einem für seinen Geiz bekannten Abt ein Geschenk zu erhalten. Gonnella verkleidet sich daraufhin als Pilger, gibt eine unermesslich große Sünde vor, und inszeniert im Beichtstuhl die aus dem Aberglauben stammende Geschichte, er müsse sich von Zeit zu Zeit in einen grässlichen Wolf verwandeln, der alles verschlinge, was sich ihm darbietet. Der Anfall beginne mit großem Gähnen und Zittern. Der Abt bekommt es mit der Angst zu tun, und als Gonnella ihn mit großem Mund angähnt, ergreift er die Flucht: „Il Gonnella, che avea gli occhi d’argo come ciò vede, comincia a tremare e sbadigliare forte, dicendo: - Oimè, oimè! Che io comincio a diventar lupo! - e, aprendo la bocca verso l’abate.“ 220 Der Abt flieht zur Sakristei, und Gonnella gelingt es im Nachsetzen, dessen Umhang zu ergreifen und als Trophäe nach Neapel zurück zu bringen. Die Komik besteht hier nicht allein aus der Dynamik der visuellen Verwandlung des Protagonisten, sondern ebenso aus der narrativen Vorbereitung, Motivierung und Verlangsamung der Handlung. Auf die Aus‐ gestaltung der entscheidenden Szene wird besonders viel Sorgfalt verwandt, sie dient der optimalen Imaginierung des komischen Umschlags (von Neugierde in Angst); das Lachen stellt sich in der narrativen, pointenzentrierten Struktur erst am Höhepunkt des Span‐ nungsbogens ein. Es ist das Ergebnis einer komplexen, sequenzialisierten Vorbereitung, in der die Visualisierung der Handlungsräume strategisch zum Spannungsaufbau genutzt werden. 6. Erzählung, Imagination und Lachen 400 221 Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CCXXV, S. 795. 222 [Der Possenreißer Gonnella, der bei der Erfindung neuer Sachen seinesgleichen suchte]. Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CCXI, S. 741. 223 [Meine Dame, Ihr sprecht die Wahrheit: ich suche nämlich überall neue Dinge und Einfälle, so wie ich selber neu bin …] Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. S. 153. Insofern macht sich Sacchetti sowohl Bewegungsmuster der Körperkomik zunutze, als auch narrativer Mittel der Vorbereitung und des detaillierten Verlaufs der Szene, um einen möglichst hohen Effekt zu erzielen. Die Art, wie er dem Abt Angst macht, ist dem erfolg‐ reichen Vortäuschen einer Maske, einer Grimasse geschuldet, die durch mimische und ge‐ stische sowie parasprachliche Hilfsmittel ihren Zweck erreicht. Sie erinnert stark an das theatrale Repertoire von Gauklern und Histrionen und dient nicht allein als überraschende Pointe in einem komischen Handlungsverlauf, sondern auch als Moment der Fesselung der Aufmerksamkeit und der Immersion für die Zuhörer und Leser. Transgression und Innovation als Elemente der modalen Komik Was an Gonnellas Streich erzählenswert ist, verrät Sacchetti am Ende der 225. Novelle: „Nuove condizioni e nuovi avisi hanno li piacevoli uomeni, e spezialmente i buffoni.“ Damit sind außergewöhnliche, noch nicht da gewesene Begebenheiten und ihre Umstände, aber auch die Erfindung seltsamer Charaktere und scherzhafter Strategeme, „strani caratteri e buffi stratagemmi“ gemeint. 221 Nimmt man diesen Passus ernst, dann ist es die Lust am Neuen, die Neugierde nach originellen und staunenswerten, außergewöhnlichen Inszenie‐ rungen, die die Erzählungen über die Scherze der Possenreißer motivieren. Nicht nur hier, sondern in zahlreichen Novellen formuliert Sacchetti die Vorgänge als „cose nuove“, wie etwa in der oben erwähnten 211. Novelle Gonnellas mit den Wahrsagepillen, wo es heißt: „Gonnella buffone, il quale di fare cose nuove non ebbe pari (…).“ 222 ‚Neues‘ im Sinne von Erzählenswertes zu liefern ist somit nicht nur professionelle Aufgabe des Spaßmachers, sondern auch erstrebenswertes Ziel von Novellen. Dass sich die Possenreißer sogar gänzlich damit identifizieren konnten, zeigt die programmatische Novelle des Ribi, welcher einer adligen Dame, die ihn fördert, erklärt: „Madonna, voi dite il vero: e perché io vo cercando cose nuove, come nuovo che io sono (…).“ 223 Ribi spielt hier mit der Ambivalenz des Begriffs ‚nuovo‘ im Sinne von ‚unerhört‘ und ‚außergewöhnlich‘; zu einer originellen, vorher noch nie gehörten Geschichte gehört demnach ebenso ein außergewöhnlicher Erzähler, der die erzählte Begebenheit am besten noch selbst inszeniert hat. Freilich ließen sich diese Aussagen nach Burckhardt individualgeschichtlich deuten, im Sinne eines aufblühenden Individualismus der Frührenaissance, deren erste Vertreter die Possenreißer gewesen seien. Doch genau genommen ist es weniger die Individualität der Protagonisten, die von Sacchetti herausgestellt wird, sondern die Innovation der Erzählung. Damit die Erzählung innovativ wird, braucht sie Helden, die das Neue, Innovative gegen die sozialen und religiösen Normen, Verhaltensregeln und Gesetze führen: es sind daher Vertreter der Transgression, professionelle Grenzüberschreiter, die den Innovativen nar‐ rativen Raum geben können. Dass diese „trasgressori del senso comune“ (Lanza) zum La‐ 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 401 224 Vgl. Lanza, Diego: Lo stolto. Di Socrate, Eulenspiegel, Pinocchio e altri trasgressori del senso comune. Torino 1997. 225 Vgl. de Certeau, Michel: Kunst des Handelns. Berlin 1988, S. 228 ff. Zum Zusammenhang Transgres‐ sion - Innovation vgl. auch Hahn, Alois: Transgression und Innovation. In: Poetologische Umbrüche. Romanistische Studien zu Ehren von Ulrich Schulz-Buschhaus. Hg. von Werner Helmich, Helmut Meter u. Astrid Poier-Bernhard. München 2002, S. 452-465. chen sind, liegt an der narrativen Enthebbarkeit ihrer Transgression. 224 Nach Michel de Certeau dienen narrative Transgressionen der spielerischen Erprobung neuer gesellschaft‐ licher Praktiken, ihr Sinn ist es, ein kulturelles Feld zu eröffnen. 225 Das Neue ergibt sich im Trecentonovelle somit aus Transgressionen, ist aber auch eine Funktion des Lachens. Das Neue ist das Überraschende, dasjenige, was die Gewohnheiten der Wahrnehmung übersteigt oder gar erschüttert. Es resultiert aus einer Komik, die die Originalität in Körperhaltung, Sprache und Handlung betont, einer Komik auf dem ‚neu‐ esten Stand der Technik‘ der beffa und der Täuschung, sodass selbst erfahrene Erzähler und Novellenleser sie noch nicht kennen. Insofern schließt hier Sachetti deutlich an die Auf‐ fassung Boccaccios vom Erzählen von Novellen an, sowie an die spätere Novellentheorie. Die Komik der Possenreißer lässt sich bei Sacchetti auch mit dem Verweis auf das Neue erklären. Es ist eine bislang unerhörte Komik der thematischen Komposition von Szenen, Worten und Körpergesten in der beffa, die zusammengenommen ein komisches Dramolett ergeben, das in dieser Struktur vorher noch nicht existiert hatte. Im Trecentonovelle beruht die Innovation daher nicht vorrangig auf den dicta und facta der Possenreißer, sondern auf der Erzählung dieser dicta und facta durch ihre Urheber. Das Interesse richtet sich nicht auf den komischen Vorgang selbst, sondern auf seine bereits mediatisierte Form in der Erzählung. Hier geschieht etwas, das über die Ausbeutung kör‐ perlicher komischer Vorgänge für den Text hinausgeht: dieser Text kalkuliert mit der Komik des Erzählvorgangs, der narrativen Vorbereitung, Organisation und Präsentation der facete facta. Denn das Publikum ist von den Taten seiner Helden getrennt: Gonnella erlebt die meisten seiner Geschichten alleine. Das Lachen aber kann allein nicht genossen werden; es braucht die Öffentlichkeit, ein Publikum, das es mit Begierde neue Anlässe erwartet und sich darüber amüsiert. Zahlreich sind die Hinweise Sacchettis auf dieses Lachen über Erzähltes. Dass diesem Prozess eine kulturgeschichtliche Praxis, nämlich der Hofnarr als Erzähler zugrunde liegt, habe ich in Kap. 3 erläutert. Doch das, was der Text mit den Körperinszenierungen macht, ist grundsätzlich etwas Neues: Die Komik der Bewegung, der spöttischen Gesten, der über‐ wundenen Furcht vor dem Bösen, die transgressive, skatologische und sexuelle Komik des Unterleibs führen nun nicht mehr direkt zum Lachen, wie dies in den Aufführungen des Schauspiels der Fall ist, sondern wird durch die Narration ausgestellt, distanziert, sprachlich und erzählerisch eingebettet, sodass die eigentliche Körpergeste zum Höhepunkt, zur Pointe werden kann. Die narrative Vorbereitung und Einbettung der grotesken Geste stellt diese einerseits plastisch vor Augen, andererseits ordnet sie der performativen Komik wei‐ tere komische Signale sprachlicher und erzählerischer Art zu. So entsteht ein narrativ ent‐ wickeltes Bild von hoher Intensität und Prägekraft, dem Text gelingt es, den performativen Lachanlass in der schriftlichen Erzählung zu aktivieren und mit narrativen Mitteln zu er‐ weitern. 6. Erzählung, Imagination und Lachen 402 226 [Ich will in der folgenden Geschichte zeigen, wie jener (Dolcibene) ohne jegliche philosophische oder medizinische Kenntnisse, in dem Moment, als er keine Herberge noch irgend eine andere Unterkunft fand, wo er hätte bleiben können, machte er eine neue und wunderschöne Entdeckung, die keinem anderen Arzt vor ihm bekannt war]. Sacchetti, Trecentonovelle, Nov. CLVI, S. 503. 227 [Nun überlegt mal, was ich mit den Händen machen kann, wenn ich mit dem Hintern solch große Erfahrung gemacht habe.] Ebd. 228 [welches er bald wieder mit dem Hinterteil herstellen könne, besser als andere mit den Händen.] Ebd. Einen anschaulichen Zusammenhang zwischen der Innovation der beffa durch einen Possenreißer, ihrer mündliche Zirkulation und ihrer schriftliche Re-Inszenierung ist die 156. Novelle, in der Dolcibene erfährt, dass Kaiser Karl IV nach Italien kommt (1368) und ihm sofort entgegenreist. Er trifft ihn in Ferrara, doch dort ist auf Grund des großen kai‐ serlichen Trosses kein Quartier mehr zu finden. Dolcibene kommt schließlich bei einer Bauersfamilie etwas außerhalb unter, da er sich geistesgegenwärtig als Arzt ausgibt, der den gebrochenen Arm der Tochter heilen kann. Nun ist die Methode, die Dolcibene bei der Heilung anwendet, alles andere als geläufig oder normgeleitet. Im Gegenteil: es ist eine satirische Verspottung der ärztlichen Heilpraxis. Dennoch ist es nicht falsch zu behaupten, wie Sacchetti es in der Einleitung der Novelle tut, dass das Folgende eine Demonstration einer „nuova e bellissima esperienza“ ist: „voglio dimostrare in questa seguente come costui, senza sapere o filosofia o medicina, essendo in caso che non trovava albergo né casa che so potesse alloggiare, fece una nuova e bellissima esperienza e non mai usate per nessun me‐ dico stato inanzi a lui.“ 226 Mit einer solchen Ankündigung erhöht der Erzähler die Spannung und setzt den Possenreißer mit großen Ärzten in deren Wettbewerb um bessere Behand‐ lungsmethoden gleich. Das Neue und Besondere an Dolcibenes Methode ist, dass er den Arm in ungewöhnlicher Weise, ohne die Hände zu gebrauchen („niuna delle mani adopero“) wieder einrenkt: Er legt den Arm zwischen zwei Holzbretter und springt dann mit dem Hintern kräftig auf das obere Brett. Die gelungene „neue“ Operationsmethode wird mit dem Motto abgeschlossen: „Or pensate quello che io farei con mano, quando col culo ho fatto cosí grande esperienza.“ 227 Mit dieser Geschichte unterhält Dolcibene nun mehrere Tage lang die kaiserliche Ge‐ sellschaft in Ferrara, indem er anbietet, jedem, der sich ein Glied bricht, es mit dem Hintern schneller wieder einzurichten als andere mit den Händen („che egli le racconcerebbe subito col culo, meglio che altro uomo con mano“). 228 Die Komik der ungewöhnlichen Operation liegt auf der semiotischen Ebene darin, dass hier buffoneske Praktiken die medizinischen ersetzen und diese lächerlich machen. Der Tausch wird durch den Kontrast von Händen (des Arztes) und Hintern (des Narren) greifbar, wobei sich zunächst der Hintern als das ‚bessere‘ Instrument erweist. Wichtiger ist auch hier wieder der Verlauf der Komik selbst: die Imagination der Vorbereitung der Operation - noch ganz im Zeichen geläufiger Me‐ thoden des Spätmittelalters - und als Höhepunkt der überraschende Sprung Dolcibenes, der zum Einrenken des Arms mit dem Hintern führt, ist als eigentlicher Lachanlass er‐ kennbar. Die semiotische Inkongruenz zwischen medizinischem Problem und närrischer Operation wird somit erst in dem Augenblick des Sprungs erkennbar, wenn der Rahmen abrupt vom medizinischen zum buffonesken wechselt - auch wenn dies vorher schon durch die Signale des komischen Modus geahnt werden kann. Das kognitive Erkennen der sym‐ 6.3. Höfische Possenreißer bei Franco Sacchetti 403 229 „Dolcibene (…) dicendo questa novella per la terra, scornava forte costoro; tanto che l’piovano e gli altri il pregorono non dovesse dir piú; e feciono pace per non esser piú vituperati.“ Sacchetti, Tre‐ centonovelle, Nov. CLXXXVII, S. 632. bolischen Bedeutung des Scherzes ist der überraschenden Erfahrung der situativen Komik des Sprungs nachgeordnet und kann das begonnene Lachen durchaus verstärken. Die Tatsache, dass das Ganze natürlich recht unglaubwürdig und als Folge der erzähler‐ ischen Übertreibung Dolcibenes erscheint, wird dadurch entschärft, dass hier von Beginn an ein spielerischer Rahmen die Novelle regiert. Eine erzählte Transgression kann über die Potentiale der Wirklichkeit durchaus hinausgehen, solange ihre Handlung möglich (und imaginierbar) bleibt. Durch diese Möglichkeiten der Grenzüberschreitung kann die Novelle innovativ sein, sie kann etwas Neues bieten, das die Wirklichkeit so nicht hätte leisten können. Der Erzähler bestätigt schließlich die Überlegenheit des „Neuen“ mit dem Hinweis, die beffa habe Dolcibene mehr eingebracht, als wenn ein berühmter Arzt einen reichen Herrn geheilt hätte. Dieser Streich Dolcibenes ist paradigmatisch für Sacchettis Auffassung einer gelungenen beffa: die Erzählung eines unerhörten, neuen Ereignisses, das zu einem gewissen Grad in‐ szeniert wurde, um Lachen auszulösen, und gleichzeitig das potentielle Opfer des Streiches, das Mädchen mit dem gebrochenen Arm, nicht zu schädigen, sondern ihm zu helfen, und schließlich ein parodistisch-satirisches Potential einzumischen. Doch nicht alle Verklei‐ dungspossen des Trecentonovelle haben den gleichen heiteren Ausgang: Die Kropfkranken Gonnellas leiden am Ende mehr als zu Beginn und sind die Gefoppten; die Kleriker, die Dolcibenes Mäuse gegessen haben, müssen sich auf Grund der medialen Wirkung der Er‐ zählung noch lange Zeit den Spott anhören, wie am Ende dieser Novelle zu erfahren ist: „Indem Dolcibene diesen Streich herumerzählte, machte er diese mächtig zornig; so sehr nämlich, dass der Priester und die anderen ihn darum baten, sie nicht mehr zu erwähnen. So schlossen sie Frieden, um nicht weiter gequält zu werden.“ 229 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs Methodische Probleme und Forschungsstand Die methodischen Probleme, die die Possenreißernovellen Sacchettis aufwerfen, nämlich die Bestimmung der Funktion und Spezifik von Lachen und Komik, die Klärung des medi‐ alen Standortes innerhalb der Überlieferung, die Abgrenzung zwischen Handeln, Teil‐ nehmen und Erzählen sowie die Frage der Historizität der Hauptfiguren finden wir allesamt auch in der deutschsprachigen Produktion von Schwankreihen des Spätmittelalters vor, wie etwa in den beiden im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts entstandenen Drucken Des Pfaffen geschicht und histori vom Kalenberg von Philipp Frankfurter (Augsburg 1473) und 6. Erzählung, Imagination und Lachen 404 230 Beide Schwankbücher verweisen aufeinander; dazu bereits Rupprich, Hans: Zwei österreichische Schwankbücher: Die Geschichte des Pfarrers vom Kalenberg. Neithart Fuchs. In: Adolf Haslinger (Hg.): Sprachkunst als Weltgestaltung. FS für Herbert Seidler. München / Salzburg 1966, S. 299-316. Der Ka‐ lenberger und der Neithart Fuchs gingen „gewiss … beide aus der gleichen literarischen Tendenz und Atmosphäre hervor. Beide bekunden die nahe Verbindung des Höfischen mit dem Klerikalen und Volkstümlichen.“ S. 313 f. 231 Ich verwende die Kurzbezeichnung Neithart Fuchs; der gesamte Titel (z) lautet: Hye nach volget gar hüpsche / abenthewrige gidicht so gar / kurczweillyg sind zelessenn / vnd zesingen die der edel vnd / gestreng herren. Neithart fuchs geporen auß meichssen. Rytter der durch=leüchtigen hochgeporn fürsten vnd herrn / Herr Otten vnd fridrichen herczogen / zu oesterreych saligen Diener by seinen / zeittenn gemacht vnd volbracht hatt / mit denn paurenn zuo zeichellmaur / in oestereich vnd ander halbsen. (Bl. 2a). 232 Ich arbeite daher mit der Ausgabe Felix Bobertags in seinem Narrenbuch, der den Druck z (Augsburg, Schaur 1491-97 zugrundelegt. Bobertag, Felix: Narrenbuch: Kalenberger. Peter Leu. Neithart Fuchs. Markolf. Bruder Rausch. (= Dt. National-Litteratur, 11). Berlin / Stuttgart 1884, S. 141-292 (Versan‐ gaben nach den Zitaten im Text). Erhard Jöst hat den Frankfurter Druck (z2) als Faksimile-Ausgabe ediert: Die Historien des Neidhart Fuchs. Nach dem Frankfurter Druck von 1566. Hg. von Erhard Jöst. (= Litterae, 49). Göppingen 1980. 233 Zur Datierung tragen die Verweisungen auf Philipp Frankfurters Pfarrer vom Kalenberg und die verwendeten Holzschnitte bei. Vgl. Boueke, Dietrich: Materialien zur Neidhart-Überlieferung. Mün‐ chen: Beck 1967; zusammenfassend Bennewitz, Ingrid u. a.: ‚Historien des Edlen Ritters Neithart Fuchs aus Meissen‘. Variation und Kontinuität der frühneuzeitlichen Neidhart-Überlieferung. Jahr‐ buch der Oswald-von-Wolkenstein-Gesellschaft 6 (1990 / 91), S. 189-198. 234 Ich schließe mich aus Gründen der Konvention der Zählung von der Hagens an, die Bobertag über‐ nimmt, auch wenn sie an zwei Stellen willkürlich erscheint. Neben den 30 ‚Neidhartianern‘ hat die Forschung auch zwei ‚echte‘ Neidhartlieder (23 u. 24) identifiziert. Hinzu kommen zwei Lieder Os‐ walds von Wolkenstein, das von Hesselloher übernommene Lied von der Bauernhochzeit sowie das Schlemmerlied ‚Neidharcz gefreß‘. Diese Zusätze sind weniger „untypisch“ als noch Bennewitz (S. 195) vermutete, wie ich weiter unten zeigen werde. dem anonym überlieferten Neithart Fuchs (Augsburg 1491-97). 230 Die in beiden Werken versammelten Schwänke sind in vielerlei Hinsicht strukturell mit Sacchettis Novellen ver‐ wandt, wobei der wichtigste Aspekt ihre Funktion ist, über performative komische Effekte Lachen zu erregen. Ich beginne mit dem Neithart Fuchs, da er zwar der jüngere Druck ist, doch wesentlich ältere Schwankstoffe der Neidhart-Tradition verarbeitet und somit als literarische Figur dem Pfarrer vom Kalenberg vorausgeht. 231 Der Text ist in drei Drucken überliefert, von denen bis heute noch keine moderne kritische Ausgabe existiert. 232 Der älteste Druck, die Inkunabel z, und gleichzeitig die Vorlage für die beiden Folgedrucke (z1 = Nürnberg 1537, z2 = Frankfurt 1566), enthält keine Orts- und Datumsangaben; inzwischen gilt jedoch als gesichert, dass sie in der Augsburger Offizin Johann Schaurs zwischen 1491 und 1497 - vermutlich ohne handschriftliche Vorlage - entstanden ist. 233 Der Neithart Fuchs besteht aus einem bereits in den Paratexten des Titelblatts angekün‐ digten, auf die im Titelholzschnitt abgebildete Figur des Ritters, Sängers und Hofmannes gleichen Namens bezogenen biographischen Rahmen, der insgesamt 36 Schwänke und (zersungene) Lieder umgreift, von welchen die große Mehrheit (32) aus der Neidharttradi‐ tion stammt. 234 So bietet der Druck von 16 aus den Handschriften des 14. und 15. Jahrhun‐ derts bekannten Neidhartschwänken allein 12, den populärsten und wichtigsten von ihnen, den Veilchenschwank, bringt er gleich zwei Mal. In dieser Hinsicht ist es sicherlich richtig zu sagen, dass der Neithart Fuchs am Ende einer literarischen Tradition steht und sie ge‐ 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 405 235 Dass der Druck das Gewicht auf die Schwankerzählungen legt, ist nicht neu; so stellten auch schon die Papierhandschriften des 15. Jahrhunderts die Schwänke in den Vordergrund. Vgl. bereits Böck‐ mann, Formgeschichte der deutschen Dichtung. Bd. 1: Von der Sinnbildsprache zur Ausdruckssprache. Kap. 2: Die schwankhaft-drastischen und parodistisch-satirischen Formen des Spätmittelalters. S. 176-198, hier S. 185. 236 Vgl. Müller, Jan-Dirk: Auf dem Weg zum Schwank. Der Spiegelraub im Berliner Neidhart. In: Fragen der Liedinterpretation. Hg. v. Hedda Ragotzky, G. Vollmann-Profe u. G. Wolf. Stuttgart 2001, S. 91-102. Müller zeigt den Prozess der Narrativierung an der Berliner Hs. c aus dem 15. Jh, ein Prozess, den die ältere Forschung eindeutig als Enthöfisierung in Richtung auf einen Tiefpunkt in‐ terpretiert hatte. 237 Die jüngere Forschung hat sich intensiv mit den Gestaltungs- und Kompilationsprinzipien des Buches auseinandergesetzt. Die jüngste Arbeit von Jörn Bockmann hat die älteren Thesen von Schröder und Strohschneider relativiert, nach welcher der Neithart Fuchs nicht über eine lose Aneinanderreihung hinauskäme, und den vereinheitlichenden Effekt des Vita-Prinzips herausgearbeitet. Vgl. Bockmann, Jörn: Translatio Neidhardi. Untersuchungen zur Konstitution der Figurenidentität in der Neidhart-Tra‐ dition. (= Mikrokosmos, 61). Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 311: „Es hat sich gezeigt, daß es durchaus sinnvolle Verbindungen zwischen den einzelnen Texten der Kompilation gibt, die über das Prinzip der Serie hinausgehen und daher (…) doch eine strukturierte Reihe seiner Abenteuer zeigen.“ Stroh‐ schneider irrt übrigens, wenn er den Hosenschwank als ‚selbständige Zutat des Kompilators‘ (S. 165) bezeichnet, denn dieser findet sich auch in c und f. Vgl. Boueke, Materialien zur Neidhart-Überliefe‐ rung, S. 141-147. Strohschneider, Peter: Schwank und Schwankzyklus, Weltordnung und Erzählord‐ nung im ‚Pfaffen vom Kalenberg‘ und im ‚Neithart Fuchs‘. In: Kleinere Erzählformen im Mittelalter. Hg. von Klaus Grubmüller, L. Peter Johnson und Hans-Hugo Steinhoff. Paderborn u. a. 1988, S. 151-171. 238 Röcke, Werner: ‚Neithart Fuchs‘. Enzyklopädie des Märchens. Bd. 6. S. 1339. 239 So lassen sich verschiedene Schwankmotive in anderen europäischen Erzähltraditionen feststellen: der Schwerhörigen-Schwank etwa im Gonnella-Corpus. wissermaßen zusammenfasst. 235 Er schließt einen langen Narrativierungsprozess vom Lied zum Schwank ab, in dessen Verlauf sich die auf wiederholten Antagonismus zwischen Neidhart und den Dörpern beim Tanz und anschließender Listhandlung beruhenden kleinen Genreszenen und Dramolette entwickeln, die für den Neithart Fuchs auch deshalb typisch geworden sind, weil sie von thematischen Titeln überschrieben und dazugehörigen Holzschnitten illustriert werden. Dennoch behalten die Schwänke einen hybriden Cha‐ rakter zwischen Verserzählung, Lied und Tanz, da sie sommer- und winterliedhafte Natur‐ eingänge (pararituelle Liedtexte) und nicht selten Tanzliedrhythmen aufweisen. 236 Diese zyklische Struktur des Textes, die hohe performative Anteile aufweist, wird von der linearen Struktur - dem vom anonymen Kompilator geschaffenen biographischen Schema - überlagert und eingefasst. Auch wenn lediglich der Epilog (37) als eigenständiges Werk des Kompilators auszumachen ist, so hat die jüngere Forschung doch die ordnende Kraft und Wirkung des Vita-Prinzips herausgestellt. 237 Insgesamt haben wir es daher trotz der heterogenen Struktur mit einer „Anlehnung an Bauform und Intention des Schwank‐ romans“ 238 zu tun. Tatsächlich ist der Neithart Fuchs wie auch der Pfarrer vom Kalenberg fest im Netz der europäischen Schwankstoffe eingebunden, 239 in beiden Texten sind die Protagonisten fik‐ tionale Schwankhelden basierend auf historischen Figuren, die zur selben Zeit am selben Hof wirkten. Die Angaben aus der Titelei von den „gar hüpsche / abenthewrige gidicht so gar / kurczweillyg sind zelessenn / vnd zesingen“, die der Ritter Neithart, „Herr Otten vnd fridrichen herczogen / zu oesterreych saligen Diener by seinen / zeittenn gemacht vnd vol‐ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 406 240 Vgl. zur Doppelrolle Bockmann, Translatio Neidhardi, S. 237ff: „Zu rezipieren waren demnach neben den Texten auch die Taten“: Das Doppelverständnis Neidharts als Autor und Schwankheld sei schon im Titel zu erkennen: seine Abenteuer sind „gemacht vnd volbracht“, d. h. tatsächlich erlebt und dann in Strophenform erzählt (Sangbarkeit und narrative Literalität). 241 Unerwähnt blieb bisher noch die Tradition der Neidhartspiele, die schon im 14. Jh. begonnen hatte, jedoch zu einer anderen Überlieferungstradition gehörte. Durch die Spiele wurde die Neidhartfigur Teil des kollektiven Imaginären breiter Schichten und hatte von daher sicherlich auch Einfluss auf die Rezeption des Neithart Fuchs. bracht hatt / mit denn paurenn zuo zeichellmaur“, werden im Epilog wieder aufgenommen, wo es heißt: vnd herczog Ott, der was sein herr, der pfaff vom Kallenberg vnd er hand sellich abenteir verbracht, die sünst kein man nie hatt erdacht, das man seit von in fruo vnd spat zuo singen vnd zuo sagen hat.“ (Vv. 3886-3891) Wir sehen die Figur Neithart Fuchs in der biographischen Rahmung in verschiedenen Rollen apostrophiert: er tritt als aus Meißen kommender Ritter auf, der gemeinsam mit dem Pfarrer vom Kalenberg am Hof des österreichischen Herzogs Otto des Fröhlichen als Hofmann und Spaßmacher tätig war. Diese beiden Rollen überlagern sich mit der der Neidhart-Tradition eigenen Doppelrolle von Ritter und Sänger. Denn Neidhart ist der Produzent („gemacht“) und Protagonist („volbracht“) seiner eigenen „abenteir“, indem er aus ihnen „abenthewrige gidicht“ geschaffen hat, die man lesen und singen kann. Handlungstyp und Texttyp fallen hier in eins, eine nach Bockmann „zeugmatische Wendung“, die ohne den Begriff der Er‐ zählung (historia, geschicht) auskommt. 240 Waren bei Sacchetti Handlungsebene und Er‐ zählebene klar zu unterscheiden (ein Erzähler erzählt von den Taten eines Possenreißers, die dieser als erster narrativ organisiert hatte), und somit der Übergang von Handlung über die Narrativierung im Mündlichen bis zur (fiktionalen) Literalität alle medialen Verschie‐ bungen nachvollziehbar, macht der Kompilator des Neithart Fuchs keine Unterschiede zwi‐ schen den medialen Ebenen: Der Text erzählt Handlungen und Lieder Neidharts / Neitharts, wie dieser sie selbst singt und erzählt (daher auch das ständige Changieren zwischen erster und dritter Erzählperson). Mit der Überlagerung der literarischen Neidhartfigur mit der biographischen Hand‐ lungsfigur des Neithart Fuchs wird ein fiktionaler Brennspiegel geschaffen, in dem ver‐ schiedene literarische Traditionen, Medien und Legenden zusammengefasst werden können. 241 Dabei ist es nicht unwichtig, wenn Neithart Fuchs als historische Figur inszeniert wird. Denn mit dem im Epilog erwähnten Neidhart-Grab am Stephansdom zitiert der Kom‐ pilator ein historisches Monument als Beweis für die Authentizität seines Protagonisten herbei, dessen Belegkraft für eine historische Figur „Neithart Fuchs“ kaum von der Hand zu weisen ist (s. u. ausführlich). Aus alldem ergibt sich zunächst einmal die schillernde Hybridität der Hauptfigur, die zahlreiche Widersprüche und Kontrastierungen enthält, welche die Deutung der gesamten Schwankkompilation erschweren. Einerseits ist der Ritter als Bauernfeind akklamiert, und 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 407 242 Jöst führt den Konflikt somit auf soziale Antagonismen zwischen Patriziern und Rittern einerseits und der wohlhabender werdenden Landbevölkerung andererseits zurück. Vgl. Jöst, Erhard: Bauern‐ feindlichkeit. Die Historien des Ritters Neithart Fuchs. Göppingen: Kümmerle 1976 (= GAG 192), v. a. S. 159 ff. 243 Strohschneider, Schwank und Schwankzyklus, S. 156. Strohschneider geht sogar soweit, dem Angst stiftenden Potential der Bauern eine formale Wirkung einzuräumen, dergestalt, dass die Biographie sich nur im Erzählrahmen, aber nicht narrativ erfüllen kann. Die Bauern machten „das Erzählen einer sich prozessual entfaltenden, kohärenten Geschichte unmöglich“ (S. 170). Hier werden Handlungs- und Erzählebene in unzulässiger Weise vermengt. 244 Die Übertragung bachtinischer Kategorien auf das Material erscheint zwar sinnvoll, wird aber ohne die nötige methodische Reflektion durchgeführt. Dies wird besonders deutlich im Versuch, in der ‚Karnevalisierung‘ eine Klammer für die gesamte Textstruktur zu sehen (etwa in dem problemati‐ schen Schema: List = karnevalisierte Klugheit und Obszönität = karnevalisierte Sinnlichkeit), S. 335 f. 245 In Auseinandersetzung mit Jösts Thesen zeigt Bockmann, dass die Ursachen des Veilchenschwanks nicht in außerliterarischen Gründen, sondern in der spezifischen Logik des Schwankromans liegen. Er fasst den Antagonismus als aktantiell, der Spielsituation eingeschrieben auf, woraus sich nur schwer eine direkte Verbindung zur Wirklichkeit ziehen lasse. Vgl. Bockmann, Translatio Neid‐ hardi, S. 270 ff. noch nach seinem Tod stechen die Bauern mit Spießen auf sein Grab (V. 3905), doch ande‐ rerseits wird er als Modell des Spaßmachers und scherzhaften Mannes dargestellt („dann waz sol auf ertrich ein man, / der weder schimpf noch scherczen kann“; Vv. 3922 f.), dessen Verhältnis zu den Bauern durch List gekennzeichnet ist: „wie er so mengen kluogen list / mit den pauren hat angefangen, / der im ist aller wol außgangen“ (Vv. 3896-98); diese List ist es wiederum, die den Herzog unterhält und auch die Leser der „abenthewrigen gidicht“ anspricht. Das Oszillieren der Neithart Fuchs-Figur zwischen den Rollen des Bauernfeindes, des Possenreißers und des Sängers lässt sich grosso modo auch für die Schwänke belegen: Sie zeichnen sich durch perennierende Bauernfeindschaft aus, weisen einen hohen Grad an Gewaltdarstellungen auf, folgen aber dennoch der Logik des Schwanks und erzeugen nicht selten innertextuelles Lachen (des Fürsten und des Hofes). Die Forschung hat immer wieder versucht, diese Widersprüchlichkeit mit Hilfe von ein‐ sinnigen Modellen aufzulösen. Zu nennen wäre hier die einflussreiche Arbeit von Erhard Jöst, der den Bauernhass Neitharts aus dem historisch-sozialen Kontext motiviert sah. 242 Daran anschließend verortete Strohschneider in den Schwänken des Neithart Fuchs „eine Möglichkeit des Umgangs mit gestörter gesellschaftlicher Ordnung, eine Weise der Verar‐ beitung sozialer Traumata.“ 243 Gegen Jösts sozialhistorische Deutung hat Petra Herrmann den Versuch unternommen, den Neithart Fuchs als Schwankhelden zu interpretieren, der nicht eindeutig der höfischen Sphäre zuzuordnen ist und eher als Grenzgänger zwischen den im Text geschaffenen Räumen Hof und Zeiselmauer hin- und herpendelt. In den Schwänken sieht sie eine zunehmende „Karnevalisierung“ des Neidhart-Materials und An‐ sätze zur Gattungsentstehung des Schelmenromans. 244 Die Funktion des Lachens und der Komik, gerade im Hinblick auf die Gewalttätigkeit der Bauernkämpfe bleiben jedoch auch hier unterbelichtet. Von anderer Warte her hat Jörn Bockmann Jösts Interpretation ent‐ kräftet, indem er auf die Fiktionalität der Figurenkonstellation und der dargestellten Situ‐ ation - besonders im Veilchenschwank - hingewiesen hat. 245 Die Fiktionalitätsthese eröffnet den Raum, die Frage nach dem Verhältnis der Schwank‐ thematik und den Gewaltinszenierungen der Zeiselmaurer Bauern neu zu stellen. Wenn es 6. Erzählung, Imagination und Lachen 408 246 Für die ältere Forschung war der historische Zusammenhang des Neithart Fuchs und seiner Rolle als Spaßmacher am Wiener Hof Ottos des Fröhlichen ein Faktum; vgl. dazu schon Seemüller, Wießner, Schröder, Rupprich und auch Jöst. Aus dem Kreis der jüngeren Forschung hält allein Jöst die Histo‐ rizität des Neithart Fuchs für gegeben: „Die Existenz des Ritters Neithart Fuchs am Wiener Hof Herzog Ottos behält aufgrund zahlreicher Zeugnisse ihre hohe Wahrscheinlichkeit.“ Jöst, Bauern‐ feindschaft, S. 32. 247 Vgl. Großschmidt, Karl: Die Skelettreste des Minnesängers Neidhart von Reuental und dessen Epi‐ gonen Neithart Fuchs. Eine Identifizierung. In: Blaschitz, Gertrud. Neidhartrezeption in Wort und Bild. Krems 2000, S. 156-170; Dahm, Friedrich: Das ‚Neidhartgrabmal‘ im Wiener Stephansdom. Unter‐ suchungen zur Bau- und Restauriergeschichte. Ebd., S. 123-155; Blaschitz, Gertrud: Das sog. Neid‐ hartgrabmal zu St. Stephan und andere Dichtergräber. Ebd. S. 171-188. hier nicht um einen ständischen Gegensatz geht, worum dann? Um diese Frage zu klären, müssen greifbare Indizien zum medialen Status und zum Publikum des Neithart Fuchs zusammengestellt werden, damit die Wirkungsintentionen etwas besser erhellt werden können. Im Anschluss daran ist wiederum zu erhärten, wer den Text wie rezipiert haben könnte, und ob dabei gelacht wurde. Schließlich kann, wenn diese Untersuchungen die Voraussetzung dafür liefern, die spezifische Komik des Textes beschrieben werden. Das würde bedueten, dass ständischer Antagonismus, Rachelogik und Karnevalisierung zwar paradigmatische Elemente der Erzählstruktur sind, aber nicht als Fluchtpunkt der Kompi‐ lation (und des späten Neidhart-Materials) angesehen werden können. Titel und biogra‐ phische Klammer machen vielmehr deutlich, so meine These, dass wir es mit einem theat‐ ralen Rollenspiel zu tun haben und alle Schwänke sich dem komischen Modus der Herzogsschwänke unterordnen, d. h. Gelächter auslösen sollen. Neithart Fuchs ist somit eine literarische Figur, die auf der Basis des historischen Possenreißers gleichen Namens auch der Unterhalter der Hörer und Leser ist, die sich an seinen fiktiven Gewaltphantasien erfreuen. Neithart Fuchs als Possenreißer Seitdem Eckehard Simon in seiner Neidhartstudie von 1968 die These vom Ottonischen Neithart Fuchs entschieden zurückgewiesen und alle Mutmaßungen der älteren Forschung in diese Richtung als spekulativ bezeichnet hatte, 246 spielte der Bezug auf Neithart Fuchs als historische Figur kaum mehr eine Rolle in der Forschung. Doch die Öffnung des Neid‐ hartgrabes am Wiener Stephansdom 2000 und die zugehörigen Ergebnisse der bauge‐ schichtlichen und anthropologischen Untersuchung der Knochenfunde im Tumbagrab haben die von der Lokaltradition behauptete Existenz des Neithart Fuchs erhärtet. Diesen Ergebnissen zufolge war die Tumba eine Sekundärgrabstätte und beinhaltet Gebeine von zwei Individuen, deren Radiokarbon-Datierung Lebensdaten von 1340-1400 und 1110-1260 ergaben, demnach also mit dem Sänger Neidhard und dem Hofmann Neithart Fuchs übereinstimmen könnten. 247 Die Funde der beiden Gebeine entsprechen auch dem Eintrag des Augustinermönchs Lorenz in der von ihm angefertigten Abschrift des Lucianus (eines lat. Glossars aus dem 14. Jh.), dass die Gebeine Neidharts übertragen wurden: „Explitit Lucianus per Laurencium scriptorem wienne scriptus. Anno a translacione Neithardi in ecclesiam Sancti Stephani wienne primo, uite sue anno etc.“ Dies entspricht der Untersu‐ chung von 2000 und den Erkenntnissen aus der Öffnung des Neidhart-Grabes 1874, wo man 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 409 248 Jöst war noch davon ausgegangen, dass im Grab eine Person beigesetzt wurde. Er macht jedoch unmissverständlich klar, dass die historischen Zeugnisse, die sich auf Neithart im Grab beziehen, sämtlich auf den Possenreißer, und nicht auf den Minnesänger bezogen sind. Jöst vermutet auch, dass es sich bei Neithart Fuchs um „einen am Wiener Hof ansässigen sprecher gehandelt hat“, der in die Rolle seines bekannten Vorgängers geschlüpft ist. Jöst, Bauernfeindlichkeit, S. 30. 249 Der Auftrag Rudolfs IV. zur Errichtung eines Grabmals an bedeutender Stelle für zwei großen Sän‐ gerpersönlichkeiten ist im Rahmen der dynastischen und kulturellen Politik Rudolfs zu sehen, der mit dem Grab ein Denkmal setzen wollte, um öffentlich eine fortlaufende Tradition österreichischer Dichtkunst zu demonstrieren. Vgl. dazu Dahm, Das ‚Neidhartgrabmal‘ im Wiener Stephansdom, S. 145 f. 250 „Hic (Otto dux Austriae) quendam militem in curia sua habuit dictum Neithardum Fux ex Frankonia omnibus ioculacionibus et solaciis imbutum, qui et Wienne quiescit.“ Arnpeck, Veit: Chronicon aust‐ riacum. In: V. A. Sämtliche Chroniken. Hg. von Georg Leidinger. München 1915, S. 787. 251 “Epitaphion Nithardi nobilis Franci ex familia Vulpium Conradus Celtes Protucius Francus amore communis patriae posuit. Franconia de gente satus tenet hic sua busta Nithardus salibus nobilis atque iocis. Omnibus hic potuit sua per dicteria risum Elicere, et miris fallere quemque dolis. Sed mors saeva iocis lachrimis nec flectitur ullis, Tristes ac hilares, dum venit hora, vorat. Quam bene iocundus foret huic de Monte sacerdos Calvo: quos uno tempore vita aluit. Coenobium hunc sepelit, dederant cui Lilia nomen, Et Campus Stiriis fontibus irriguis.“ Celtis, Konrad: zit. aus Jöst, Bauernfeindlichkeit, S. 18 f. Woher Celtis seine Informationen bezog, ist unbekannt; auszugehen ist jedoch von einer Gleichzeitigkeit von mündlicher und schriftlicher Zir‐ kulation über die Figur des Neithart Fuchs, die nicht nur Österreich und Süddeutschland betraf, sondern bis weit in den Norden reichte: so ist aus der Universitätsbibliothek in Königsberg ein Epi‐ taph auf Neithart Fuchs aus dem Jahr 1479 überliefert, das ihn als sächsischen Ritter ausweist, der den Beinamen Fuchs auf Grund seines Einfallsreichtums erhalten habe, woraus zahlreiche Lieder entstanden seien: „Strenuus hic saxo miles neithart operitur, Cognominatus vochs, ingenuus genere. Sub nota suam q[uae] finxit carmina panxit Per q[uae] eius hodie gesta canunt populi.“ in einer kleinen Vertiefung einen Schädel und Knochenreste aus einem Erdgrab fand. 248 Das am Singertor gelegene Neidhartgrab ist vermutlich noch unter Rudolf IV . (1339-1365) in Auftrag gegeben worden, wohl aber erst um 1390 fertig gestellt worden. 249 Die ältere Forschung hatte bereits wertvolle Belege dafür gefunden, dass das Neidhart‐ grab auch die letzte Ruhestätte für Ottos des Fröhlichen (1301-1339) Hofmann Neithart Fuchs war; so wurde dieser in der österreichischen Chronik des Veit Arnpeck als ein aus Franken stammender Ritter bezeichnet, der am Hofe Ottos als eine Art maître de plaisir für Späße und Unterhaltung zuständig gewesen sei und in Wien begraben liege. 250 Vermutlich hatte Arnpeck das von Konrad Celtis verfasste Epitaph auf Neithart Fuchs von 1504 als Vorlage für den Eintrag benutzt, wo Neithart einer fränkischen Adelsfamilie Fuchs zuge‐ schlagen wird und für seine Scherzreden, Späße und verblüffenden Streiche in Erinnerung behalten werden soll, die immer alle zu heilsamem Lachen gebracht hätten. 251 In einer Pro‐ sanotiz machte Celtis auch Angaben zum Todesjahr des Ritters: 1334. 6. Erzählung, Imagination und Lachen 410 252 Vgl. Perger, Richard: Neithart in Wien. In: Neidhardrezeption in Wort und Bild. S. 112-122. Perger stützt sich auf zahlreiche lokalhistorische Belege, u. a. auf den Nachweis einer domus Neithardi sowie auf die Commentarii des Wolfgang Lazius von 1564. Er kann schlüssig zeigen, dass auch der Fami‐ lienname „Fuchs“ nicht erdichtet ist, da er am Neithardgrab als Wappentier erscheint. Vgl. S. 114 f. 253 Der Hosenschwank ist außer im Neithart Fuchs noch in den Papierhandschriften f, s und w überliefert. Boueke druckt 10 Strophen aus f, Lied 2, davon 7 mit z. T. starken Abweichungen von den alten Drucken. S. 141-147. Das Lied ist wesentlich ausführlicher und betont die gesamte Inszenierung des Hosenkaufs mit mehrmaliger Erwähnung des Lachens aller Beteiligten. Hier heißt es nun, dass der aus Meissen stammende Ritter Fuchs noch vor dem Hosenkauf mit einem Hofmann die Abmachung getroffen habe, dieser würde sich für seine Aufnahme an den Hof einsetzen und als Gegenleistung die Hälfte der zu erwartenden Zuwendungen erhalten. Nachdem aber Fuchs durch den Hosen‐ schwank selbst Zutritt zum Hof erhalten hatte, wird dieser zornig und weist ihm für sein freches Auftreten den Namen Neidhart zu. Er macht ihm den Vorwurf, nicht gewartet zu haben, und als unser Protagonist fragt, wie lange er denn hätte warten sollen, wird ihm geantwortet: „ich sprich es wol auff meinen eyd: ir seyt geleich Neitharten! “ Boueke, Materialien zur Neidhart-Dichtung, S. 142. Die verkürzte Wiedergabe des Schwanks im Neithart Fuchs verdeckt auch die Parallele zum Pfarrer vom Kalenberg, wo der Protagonist im Initialschwank (Fischkauf) ebenfalls die Hälfte der zu erwar‐ tenden Entlohnung abgeben muss, diese Abmachung aber listig umgeht. Vor dem Hintergrund der neueren archäologischen Ergebnisse muss diesen Angaben wieder mehr Belegkraft zugesprochen werden. Bisher ist auch noch kein stichhaltiges Ar‐ gument gegen die Angaben Celtis’ und Arnpecks gebracht worden. Der Historiker Richard Perger ist daher von der historischen Existenz des Spaßmachers Neithart Fuchs überzeugt. Dieser habe sich nicht nur den Namen „Neidhart“ als nom de plume zugelegt, sondern sei auch strukturell in die Fußstapfen seines großen Vorgängers getreten, indem er die The‐ matik der Bauernfeindschaft aufgenommen und gepflegt habe. 252 Ein Hinweis auf die Be‐ ziehung zwischen Neidhart und Neithart Fuchs, also darauf, wie es zur Annahme des Dich‐ ternamens kam, findet sich ausgerechnet im Neidhart-Corpus, nämlich dem biographisch verfassten Hosenschwank, der in verkürzter Form auch als Initialschwank im Neithart Fuchs dient. So wird in der Version der von Boueke teiledierten Handschrift f deutlich, dass der Ritter Fuchs für sein freches Auftreten am Hof und seine Schlagfertigkeit mit dem Namen ‚Neit‐ hart‘ belegt worden sei. 253 Auch über den Ortswechsel von Nürnberg nach Wien wird dort eine Erklärung gegeben; so heißt es in Strophe 10: Sye schrihen all er heist Neythart der nom mir da beruffet ward, der must mir do beleyben, vil manig zeit vnd mangen tag kund ich in nie uertreiben. ich was in Beiren, das ist war, 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 411 254 Vgl. Boueke, Materialien zur Neidhart-Dichtung, S. 146. In Hs w ist der Hergang noch deutlicher beschrieben (Strophe 10, S. 148-152: „si schriren all er haist neithart / der / nam mir da gegeben wart / der muest / bey mir beleiben / maige jar vnd / manige zeit chunt ich sein nye vertreiben / Ich wont in payern das ist war / vollichleichen xij jar / vncz das ich ward / gegeben / den edelen fursten in osterreich / da teuert sich mein leben.“ 255 Elisabeth war die Tochter Stephans von Niederbayern mit Stammsitz in Landshut bzw. Burghausen. Sie war 1306 in Nürnberg geboren worden und ist am 25. März 1330 in Wien gestorben. Sie muss die eigentliche Gönnerin des Neithart Fuchs gewesen sein, und ist vielleicht auch die Herzogin des Veilchenschwanks, was das spezifische Verhältnis zu Neithart erklären kann. 256 Vgl. Kap. 4.3. 257 Boueke, Materialien zur Neidhart-Dichtung, S. 149. vncz wol in das xij jor, ee das ich ward gegeben den edelen fursten in Ostenreich, allererst deurt sich mein leben. 254 Hier wird der Lebensweg des fränkischen Ritters - insoweit es ihn tatsächlich gegeben hat - rekonstruiert: in Nürnberg trifft er Herzog und Herzogin von Bayern, wird in deren familia aufgenommen und bleibt im Anschluss 12 Jahre an deren Hof (Landshut? ), bis er schließlich an den herzoglichen Hof in Wien gegeben wurde. Die Übersiedlung nach Wien könnte im Zusammenhang mit der Hochzeit Elisabeths von Niederbayern mit Herzog Otto dem Fröhlichen (1325) stehen. 255 Dort muss er seinem angenommenen Namen Ehre machen und erklärt sich zum Bauernfeind, woraus die Bearbeitung und Aktualisierung von Schwankliedern aus der Neidharttradition resultiert. Wichtig ist dabei die Formulierung „ee das ich ward gegeben / den edelen fursten in Ostenreich“; hier wird die Zugehörigkeit zur familia des Fürsten deutlich und die Übertragung als Gabe (wohl als Mitgift) auf eine neue familia deutlich. Dies verweist noch einmal auf den Status des Neithart Fuchs als Unterhalter und Hofnarr: Hofnarren wurden häufig als Geschenke oder Leihgaben an be‐ freundete Höfe weitergegeben; in Italien riss man sich quasi um deren berühmteste Ver‐ treter. 256 Die enge Beziehung und Abhängigkeit von der fürstlichen familia wird im Ho‐ senschwank in Hs w noch deutlicher: Das ich ze hofe ward erchannt / des was mein freud gar neue / do mich / der furste pas erchant er liess mir sneiden / reichs gewant wan er freud wolt / treibn herren gab vn frauen dienst liess / mich ze hoff an schreiben. 257 Nicht nur erhält der Protagonisten hier „reichs gewant“ - die Kleidergabe war üblich zur Entlohnung von Fahrenden, aber auch von institutionelle Hofnarren für gelungene Unter‐ haltung - sondern er wird auch am Hof angeschrieben, kommt somit auf die Gehaltslisten des Herzogs. Seine Aufgabe besteht darin, mit den Herren Späße zu treiben und die Frauen (mit Erzählungen) zu unterhalten, also ungefähr das, was auch zum Betätigungsfeld der Possenreißer Sacchettis zählt. Was hier in w ausgeführt wird, ist im Druck des Neithart 6. Erzählung, Imagination und Lachen 412 258 Warum die Langfassungen des Hosenschwanks nicht im Neithart Fuchs auftauchen, ist schwer zu sagen; dass der Kompilator absichtlich Kürzungen vorgenommen hat, erscheint mir nicht schlüssig. Vielmehr nehme ich an, dass ihm nur eine verkürzte bzw. verderbte Version des Hosenschwanks vorlag, die er dann so übernommen hat. 259 Dies ist bereits eindrucksvoll von Hermann, Karnevaleske Strukturen, S. 336 ff. herausgearbeitet worden. 260 Vgl. Velten, Hans Rudolf: Text und Lachgemeinschaft. Zur Funktion des Gruppenlachens bei Hofe in der Schwankliteratur. In: Lachgemeinschaften, hg. von Röcke u. Velten, Berlin 2005, S. 125-143. 261 Wittenwiler, Heinrich: Der Ring. Frühneuhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Hg. von Horst Brunner. Vv. 156-945 (S. 16-61). Fuchs nicht mehr erhalten. 258 Dass aber über die gesamte Kompilation hinweg Neithart für seine Späße in der Form entlohnt wird, wie es bei traditionellen Hofnarren der Fall war, scheint diejenige Rolle fortzuschreiben, die in den Versionen der Hs. f und w Neithart bei‐ gelegt wird. So erhält der Protagonist der Kompilation im Jägerschwank (von den Bauern! ) ein Kleid und ein Pferd geschenkt (V. 1436), von Herzog Otto erhält er nach dem gelungenen Streich mit der Salbe ein Pferd (V. 1661), und wird auch zum Ende des Hosen- und Veil‐ chenschwanks aufs Beste bewirtet. Es ist also keineswegs so, dass die Possenreißerrolle nur auf die rahmenden Partien zu‐ geschnitten ist, sondern sich auch im Binnenraum der Schwänke bemerkbar macht. Auf‐ fällig ist gleichfalls, dass Neithart Fuchs kaum je als vollwertiges Mitglied des Hofes oder auch der Ritterschaft aufgeführt wird; er bleibt Außenseiter, zwar am Hof ansässig, doch isoliert. 259 Diese doppelte Nicht-Zugehörigkeit ist auch ein rekurrenter Aspekt der Schwankhelden von dem Pfaffen Amis bis zum Kalenberger und Eulenspiegel. Mit ihnen und den Buffonen Sacchettis verbindet Neithart Fuchs sein Listhandeln und seine Verklei‐ dungs- und Verstellungsstrategien, sowie das Lachen der innertextuellen Lachgemein‐ schaften. 260 Wenn von den zahlreichen Rollen, in denen der Protagonist des Schwankbuches Neithart Fuchs auftritt, die entscheidende nicht die des Ritters, sondern die des Possenreißers ist, eines Possenreißers, dessen Literarisierung eine historische Figur zugrunde liegt, ist zu vermuten, dass auch der Fokus der Schwankreihe auf Scherz und Spaß, also auf freudige Unterhaltung des innertextuellen wie außertextuellen Publikums liegt. In dieser Lesart wäre somit auch der Antagonismus zwischen Neidhart und den Bauern als ein spielerischer bzw. theatraler anzusehen. Der historische Neithart Fuchs wäre so imaginäres Modell der literarischen Figur, die nicht dessen „Leben“ beschreibt, sondern vor allem seine berufliche Funktion zum Anlass nimmt, das überlieferte Material zu komisieren. Diese These wird gestützt von der allgemeinen Entwicklung der Neidharte hin zum Schwankhaften, die die Papierhandschriften des 15. Jahrhunderts verzeichnen. Die schwankhafte Handlungskomik der Lieder sowie die zunehmende Kennzeichnung Neid‐ harts als listenreiche Figur mit eigenen komischen Anteilen können als Indikatoren für diese Entwicklung gelten. Ein weiteres Indiz ist die Rolle der Neidhart-Figur in Heinrich Wittenwilers Der Ring, in der bereits eine Hybridisierung von Neidhart dem Sänger und Neithart Fuchs zu beobachten ist, da dieser hoch zu Pferde „mit eim fuchszagel“ auftritt. 261 Ich zweifle daran, dass Seemüllers Erklärung (die später auch von Simon unterstützt wurde), dass nämlich bereits im 14. Jh. Neidhart der Name „Fuchs“ beigelegt wurde, weil dies seinen Charakter als Ränkeschmied bzw. als gerissen unterstrich. Ich gehe vielmehr 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 413 262 Vgl. dazu Sowinski, Bernhard: Wittenwilers Ring und die Neidharttradition. Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 8 (1994 / 95), S. 3-11. 263 Wießner, Edmund: Neidhart und das Bauernturnier in Heinrich Wittenwilers Ring. In: Festschrift Max H. Jellinek. Wien / Leipzig 1928, S. 191-208. Wießner hatte auch auf die Spottpraxis von Kübel‐ turnieren und Kübelstechen als mögliche Vorbilder für das Turnier hingewiesen. 264 Vgl. dazu Händl, Claudia: Hofieren mit Stechen und Turnieren. zur Funktion Neitharts beim Bau‐ ernturnier in Heinrich Wittenwilers ‚Ring‘. Zeitschrift für deutsche Philologie 110 (1991), S. 98-112. 265 Vgl. Kap. 5.3. 266 Diese These basiert auf der in der Forschung inzwischen überwiegenden Ansicht, dass gerade in den sogen. Pseudo-Neidharten, den Schwankliedern eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Komi‐ schen im Mittelalter zuzuweisen ist. Vgl. dazu Tomasek, Tomas: Komik im Minnesang. Möglichkeiten einer Bestandsaufnahme. In: Komische Gegenwelten. Lachen und Literatur in Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. von Werner Röcke u. Helga Neumann, Paderborn 1999, S. 13-28. davon aus, dass zur Zeit der Abfassung des Ring um 1400, also nur 10 Jahre nach Errichtung des Neidhartgrabes in Wien die Hofnarrenfigur des Neithart Fuchs im imaginären Be‐ wusstsein der Bildungsschichten präsenter war als die des Minnesängers Neidhart, und dass wir von einer Überlagerung der letzteren durch die erste Figur sprechen können. Denn die Neidhartfigur im Ring agiert in jeder Hinsicht souverän: erst durch seine Präsenz werden die Lappenhauser Bauern zu Bauernnarren und verpassen keine Möglichkeit, um sich lä‐ cherlich zu machen. Diese Konstellation steht konträr zum Angstpotential der dörper in den Sommer- und Winterliedern, und schließt an die schwankhaften Neidharte der Spätzeit an (wofür auch die Hereinnahme des Beichtschwanks spricht). Die Begegnung Neidharts mit den Bauern im Ring ist nicht unbedingt einem ständischen und sozialen Antagonismus verpflichtet, sondern hier ist der „hagel der bauern“ diesen nicht feindlich gesonnen, sondern eher eine Art Vorbild. 262 Schon Wießner hatte gezeigt, dass das Turnier weitgehend literarischen Vorlagen folgt und sie parodistisch und possen‐ haft ausgestaltet. 263 Was hier Neidhart allerdings mit den Bauern macht, ist eine veritable Anleitung zur Lächerlichkeit. Nicht von ungefähr lacht sich eine Zuschauerin über die groteske Veranstaltung tot - und niemand ist betroffen. Und dabei benimmt sich der Held alles andere als ritterlich-höfisch; er verhält sich regelwidrig wie seine Gegner, doch nicht töricht, sondern gerissen und heimtückisch. 264 Dies alles spricht gegen die These, dass der Neithart Fuchs einen ‚echten‘ Bauernfeind zum Protagonisten hat, in welchem sich sozialständische Antagonismen spiegeln. Im Hin‐ blick auf die Entwicklung der Komik in der Neidharttradition wäre dies sogar eine Um‐ kehrung einer Entwicklung, die von komischen Ansätzen in den Neidhartliedern über einen Zug zum Schwankhaften in den Neidharten - und übrigens auch in den Neidhartspielen 265 - bis zum Neithart Fuchs reicht: hier müsste man schließlich einen Verlust von Komik kon‐ statieren, würde die These von der Bauernfeindschaft beibehalten. Was in den Liedern Neidharts noch als groteskkomisch und parodistisch galt - etwa die Namenskomik und die Körperdarstellung der Dörper - wäre nach dieser Logik im Neithart Fuchs verloren ge‐ gangen. Das Gegenteil muss meiner Einschätzung nach richtig sein: Die gesamte Entwick‐ lung des Neidhartstoffes läuft auf das Possenhafte hin, und der Neithart Fuchs bildet den Höhepunkt, indem der gesamte Text im Dienst der Unterhaltung steht. 266 Dadurch wird die Bauernfeindschaft des Ritters nicht gelöscht, sondern sie wird gewissermaßen mit einem negativen Vorzeichen versehen: sie ist in ihrer ganzen Hyperbolik und grotesken Schwank‐ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 414 267 Eine genaue Auflistung findet sich bei Boueke, Materialien zur Neidhart-Dichtung. Op. cit. 268 Zum Schlaraffenland gehört einerseits die copia der Speisen, die schier unermesslich ist, wie auch die auf Verausgabung ausgerichtete Haltung der Schlemmer: „wir wollen achten, / das wir nichts sparen, / last vns fast essen / vnd fressen“ (Vv. 3451-54). Zu den Zusammenhängen von Fressutopie und erotischen Phantasien vgl. Pleij, Herman: Der Traum vom Schlaraffenland. Mittelalterliche Phant‐ asien vom vollkommenen Leben. Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten. Frankfurt / M. 2000, S. 185 ff. 269 Seemüller, J. S., zit. aus Simon, Eckehard: Neidhart von Reuental. Geschichte der Forschung und Bibli‐ ographie. Den Haag / Paris 1968, S. 120. Demgegenüber erscheint Simon die Begründung für die Aufnahme der Wolkenstein-Lieder und des Bauernspottliedes von Heselloher, dass „Neidhart dem bürgerlichen Publikum des 15. Jhs. zum Sinnbild bauernfeindlicher und ‚naturalistischer‘ Gesänge wurde“, nicht überzeugend, da beide Kategorien doch sehr weit auseinanderlägen. Vgl. ebd., S. 122. 270 Vgl. Rupprich, Zwei österreichische Schwankbücher, S. 300. haftigkeit Ausdruck eines komischen Modus, in welchem das Liedmaterial bearbeitet und umakzentuiert wurde. Dieser ist die eigentliche Klammer des Textes, und er zielt intentional auf Spott und Belustigung über die Figuren - übrigens nicht nur über die „getelinge“, son‐ dern auch über Neidhart selbst (etwa im Veilchenschwank). Die Klammer des komischen Modus ist auch in der Lage, so disparate Stoffe wie die erotisch aufgeladenen Lieder Oswalds und das Gedicht Neidharcz gefreß zu umfassen; denn diese Texte gehören sicherlich nicht zum Thema der Bauernfeindschaft und auch nicht zur Neidharttradition, zur komischen Tradition allerdings durchaus. Im Folgenden werde ich genauer zu begründen versuchen, warum ich in der Komik (des Possenreißers) ein übergreifendes Strukturmerkmal des Neit‐ hart Fuchs erkenne und wie sich diese Komik zum Lachen verhält. Zur Bestimmung des Lachens ist auch hier wieder die mediale und kulturelle Situierung der Schwänke nötig. Rezeption und Medialität Ein erstes Beispiel dafür - und es ist ein Rezeptionszeugnis der Drucke - ist die Zusam‐ menstellung des Zwickauer Bandes, in dem sich der Nürnberger Druck z1 befindet. Dort ist der Neithart Fuchs mit anderen Drucken zusammengebunden, von denen die meisten als Unterhaltungsliteratur bezeichnet werden können und in einer komischen Tradition stehen: mit dem Lied vom Hürnen Sewfrid, dem Lied vom Herzog Ernst, sodann einer Reihe von Gedichten und Liedern, meist populären Volksliedern auf Flugblättern mit den Schwer‐ punkten auf Narrenthematik und Unterhaltung, Erotik und Schlaraffenthematik, sowie der Zech- und Fressthematik. Gedruckt wurden sie meist bei Kunegund Hergotin bzw. Hans Guldenmundt in Nürnberg. 267 Der Band weist auf eine populare Rezeption des Neithart Fuchs hin, wie die Hereinnahme des Schlemmerliedes Neidharcz gefreß - welches klassische Schlaraffenland-Topoi aufgreift und im Modus des Schlemmerliedes ordnet - sowie die ins Obszöne reichende Erotik der erweiterten Oswaldlieder deutlich genug zeigen. 268 Aus diesen Gründen hatte bereits J. Seemüller von „volksthümliche[n] Unterhaltungsliteratur der bürgerlichen städtischen Kreise“ gesprochen. 269 Rupprich spezifiziert im Anschluss den Begriff „volkstümliche Un‐ terhaltungsliteratur“ und sieht ein städtisches Publikum als Zielgruppe des Druckes an, wobei als Rezeptionshaltung die „Freude an Späßen und Schwänken“ im Vordergrund stehe. 270 So allgemein diese Aussage ist, so richtig erscheint sie doch; denn wir haben es - 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 415 271 Das Titelbild zeigt einen Ritter mit einem Veilchen, der unschwer als Neidhart erkennbar ist. 272 Der Krämerschwank war 1350 bereits in Stendal so gut bekannt, dass ein Gewandschneider daraus vor Gericht zitiert. Vgl. Simon, Neidhart von Reuental, S. 242. 273 Bockmann, Translatio Neidhardi, S. 257. 274 Exemplare wurden etwa im Besitz Hartmann Schedels, Kaiser Maximilians, und Hans Sachs ge‐ funden. Detaillierte Auskünfte über die Rezeption des Bandes bei Bockmann, Translatio Neidhardi, S. 232 ff. Dadurch wird auch Jösts Urteil eingeschränkt, der die historischen Rezipienten ausschließ‐ lich in Adel und Patriziat sah. 275 Vgl. Lucius, Brigitte: Motivvergleichende Untersuchungen zu den Schwankbüchern: Neithart Fuchs - Die Geschichte des Pfarrers vom Kalenberg - Till Eulenspiegel - Das Lalebuch. Diss. Wien 1967, S. 347 f. 276 Dafür sprechen die wechselnden Rezeptionsaufforderungen zwischen lesen und hören: „Nun herend aber newe mer…“ (463); „hoert, was geschach“ (650); „nun hoerent wunderlich geschicht“ (1496); „hie endet sich auf dieser fart / das lesen des edlen Neithart“ (3881 f.); „das man seit von in fruo vnd spat / zuo singen vnd zuo sagen hat“ (3890 f.). wie häufig bei den Phänomenen der Lachkultur in Spätmittelalter und Früher Neuzeit - mit einem breiten Rezeptionskreis zu tun. Dies wird auch von der Erforschung der Rezep‐ tion der Neidharttradition insgesamt bestätigt - an die der Neidhart Fuchs offensichtlich schon mit dem Titelbild anschließen will. 271 Hier muss auf Grund der weiten geographi‐ schen Verbreitung des Neidhartstoffes bis nach Norddeutschland 272 sowie der breiten Streuung zahlreicher Rezeptionsbelege von einer im 14. und 15. Jahrhundert durchgängig großen Beliebtheit der Neidhartschwänke in allen Schichten ausgegangen werden. Bock‐ mann fasst die Rezeptionsforschung so zusammen: „Insgesamt zeigen die Zeugnisse, daß die Kenntnis der neidhartianischen Stoffe zum Wissensvorrat kulturbildender Schichten in der spätmittelalterlichen Gesellschaft gehört haben muß.“ 273 Wenn Bockmann mit „kulturbildend“ alle an der Herstellung von Kultur beteiligten Schichten meint, dann legen druck- und buchgeschichtliche Indizien doch sehr nahe, dass mit einer ständeübergreifenden, urbanen Leser- und Hörergruppe des Erstdrucks gerechnet werden muss. Denn der Frühdruck lässt sich kaum einer bestimmten Schicht zuordnen, er findet sich vielmehr in kaufmännischen, patrizischen und handwerklichen Haushalten gleichermaßen; 274 darüber hinaus weisen das Kleinoktavformat ohne Angabe von Drucker und Verlagsort, sowie die sehr einfache Ausstattung mit zahlreichen Satzfehlern auf einen erschwinglichen Gebrauchsdruck hin. Die freie Reichsstadt Augsburg war Ende des 15. Jh. ein förderliches Umfeld für volkssprachliche Literatur, und der Druck von Philipp Frank‐ furters Pfarrer vom Kalenberg macht auch das Interesse für schwankhafte Drucke dort deutlich. Das schichtenübergreifende Publikum der Neidhartschwänke (wie übrigens auch der Neidhartspiele) macht eine Wirkungsintention, die auf das Lachen ausgerichtet ist, wahr‐ scheinlicher. Schwankhafte Stoffe und Gelächter gehören zusammen, auch wenn wir dafür nicht immer und nicht in jedem Fall Belege besitzen. 275 So kam es vermutlich auch dem Kompilator des Neithart Fuchs vor allem darauf an, sein Lese- und Hörpublikum zu unter‐ halten, wenn er im Titel „gar hüpsche / abenthewrige gidicht so gar / kurczweillyg sind zelessenn / vnd zesingen“ ankündigt. Wir müssen demnach nicht nur wie bei Sacchettis Novellen von einer twofold reception ausgehen, dass also der Druck individuell gelesen und auch laut vorgelesen (und somit gehört) wurde, 276 sondern der Titel legt sogar nahe, dass die Lieder gesungen werden können. Dass dies keine leere Aufforderung ist, wird an der 6. Erzählung, Imagination und Lachen 416 Form der Schwanklieder erkennbar, die sich in ihrer hybriden Mischung aus unregelmä‐ ßigen Liedversen und Paarreimen von den regelmäßig gebauten Mären bzw. Versnovellen und den Prosaerzählungen signifikant unterscheiden. Der Neithartschwank ist somit von Liedhaftigkeit wie von Schwankhaftigkeit geprägt. Entscheidend ist dadurch die mögliche Singbarkeit des Schwankes. Dies weist auf eine starke Sangestradition bei der Unterhaltung mit komischen Stoffen hin. Dem Singen liegt wie dem Weitererzählen eine performative Dimension zugrunde. Singen und Weitererzählen bedeutet aktives Rezipieren und Wie‐ deraufführen gehörter oder gelesener Lieder, es kann im Falle von schwankhaften Stoffen auch mit starken mimischen und gestischen Elementen begleitet werden, die das Wir‐ kungsziel des Lachens beim Publikum unterstützen - dafür sprechen gelegentliche Auf‐ forderungen im Text, man solle nicht hören oder lesen, sondern schauen oder sehen; so etwa bei der Frage „Secht, ist das nit ein abenteür? “ (V. 646) oder bei den deiktischen Hin‐ weisen auf die Bilder in den Überschriften „Hie sagt Neithart“ oder „Hie nach volget“ usw. Die Voraussetzungen bezüglich der Rezeptionsform und Wirkungsintention sowie der vermutlichen Rezipientenschicht sind somit gegeben, um den Text als komisch gerahmten zu verstehen, als einen Text, der durch sein (Vor)-Lesen, Singen und Weitererzählen Ge‐ lächter auslösen soll. Lachen und Fiktionalität Textexternes Lachen wird auch hier von textinternen Hinweisen auf gemeinsames Ge‐ lächter über gelungene Schwänke gesteuert. Textinterner Adressat der Abenteuer, Lieder und Geschichten des Neithart Fuchs ist der österreichische Hof, der Herzog und die Her‐ zogin (internes Publikum). Sie haben Steuerungsfunktion für die Hörer und Leser des Schwankbuches (externes Publikum), indem sie das Modell einer Lachgemeinschaft vor‐ geben, welche sich zwar nicht in jedem Schwank aufs Neue manifestiert, jedoch leitenden Charakter für den Gesamttext hat. Vor allem im Initialschwank, der gemeinsam mit den Paratexten des Titelbildes bestimmte Rezeptionsregeln und -weisen vorgibt, ist das Lachen Gegenstand, Mittel und Ziel der Darstellung des aufstiegswilligen Neithart Fuchs, wie auch des Fürsten und der Hofgesellschaft. Der ganze Marktplatz lacht über das possenhafte Ge‐ baren des vermeintlichen Toren, der jedem Umstehenden einen Regensburger Pfennig an‐ bietet, damit er ihm helfe, eine Hose zu kaufen. Das Ganze entwickelt sich aus einem scherzhaften Disput mit einem Hosenverkäufer. Nun laufen alle zu ihm hin „da ward zuo mir ein laufen“ (V. 80). Als der gerade vorbeikommende Fürst Genaueres wissen will, „vor glechter in niemant bescheiden moecht der gemelichen mere“ (v. 88); die Wendung „er ließ ims nit verschmachen“ (V. 96) weist auf Vergnügen, wenn nicht ebenfalls Lachen des Fürsten hin, und das ist schließlich auch der Grund, warum er Neithart ihn mit sich nimmt. Lachen fungiert hier paradigmatisch als teleologisches Programm: wer andere mit List zum Lachen bringt (etwas „verpringt“), der kann auf Aufmerksamkeit rechnen und schließlich auf die Huld des Fürsten zählen. Lachen ist Mittel zur Akzeptanz und Schlüssel zum sozialen Aufstieg, es ist Katalysator der Freude am Hof und auf dem Marktplatz. Lachen taucht in der Folge immer dann auf, wenn Neithart Fuchs die Bauern an den Hof führt: hier lacht der Fürst oder die Hofgesellschaft über sie und über Neitharts gelungene Streiche: „der fürst sprach lachend: da hiet ich mich vor“ (V. 1353) am Ende des Kutten‐ 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 417 277 „Der Doppelaspekt Neidharts als Autor, der Geschichten schafft, und als Figur, die Geschichten erlebt, ist in diesem Schwank reflektiert, indem er sich in einer eigenständigen Handlung konkretisiert: Neidhart als Autor ist als handelnde Figur gekennzeichnet, die sich die Bedingungen und Gegen‐ stände ihrer Textproduktion selbst schafft.“ Bockmann, Translatio Neidhardi, S. 297. schwanks, „der fürst si lachend anne sach“ (1789) und „der Neithart vnd wenig edel lacht“ (V. 1798) zum Abschluss des Bilderschwanks, sowie der Fürst, als er den Schwank mit der angeblich tauben Frau Neitharts durchschaut hat: „ja lachen / begund der fürst, da er sein innen ward.“ (Vv. 2276 f.). Neitharts Funktion am Hof ist somit eindeutig: Er soll mit seinen erdachten und erzählten Streichen unterhalten und Lachen auslösen. Diese Funktion wird im Hosenschwank be‐ gründet und ändert sich bis zum Schluss nicht mehr, sodass der gesamte Text sich im ko‐ mischen Modus befindet. Alle nachfolgenden Handlungen, ihre Träger und ihre Ziele sind dieser rahmenden Funktion nachgeordnet, selbst wenn sie andere sekundäre Ziele ver‐ folgen sollten (wie Neitharts Wunsch nach Rache, bzw. der Wunsch der Bauern, Neithart zu schädigen). Als Initiationsschwank, der alle weiteren Schwänke der Reihe motiviert, kann daher nicht der Veilchenschwank gelten, sondern es ist der Hosenschwank, der rah‐ mende und bestimmende Funktion hat. Denn der Veilchenschwank zeigt Neithart Fuchs in einer neuen Situation am Hof in Wien, die Rache für den Streich der Bauern ist somit als sekundäre Motivation anzusehen. Diesmal lachen Herzog, Herzogin und die Hofgesell‐ schaft nicht, da sie selbst die Opfer des Streiches geworden sind. Ihre schnelle und überra‐ schende Versöhnung mit Neithart weist allerdings darauf hin, dass die Empörung nicht von langer Dauer war. Im Gegenteil: nach der Rache an den Bauern wird Neithart am Hof wieder freundlich aufgenommen, fürstlich bewirtet und nach dem Mahl von einer Ritterschar, die jubelnd einzieht (also höfische Freude verbreitet) begrüßt. Als die Ritter Neithart fragen: „waß dient ir hier auf diser fart? / was woellent ir vns schencken? “, antwortet dieser: „ich sprach: ein hübsche awenteir, dar bei wert ir mein gedencken. / „Hüpsche awenteire weiß ich vil, / noch mer, wan ich ew sagen wil, / hert, wie es mir ist ergangen“ (Vv. 294-299). Und nun erzählt Neithart Fuchs den Veilchenschwank ein zweites Mal, jedoch ohne die Racheepisode an den Bauern. Diese Verdopplung des Veilchenschwanks durch den Kom‐ pilator ist signifikativ: dadurch wird evident, dass auch Neithart selbst den Veilchen‐ schwank als eines seiner „abenteur“ erzählt, dass dieser gewissermaßen zu seinem Erzähl‐ repertoire als höfischer Unterhalter gehörte. In der Verdoppelung des Schwanks kommt freilich die Doppelrolle des Protagonisten als Handelnder und Erzählender deutlich zum Vorschein, 277 aber sie entschärft auch den Veilchenschwank enorm. Wie kann Neithart den Rittern von seiner eigenen Schmach erzählen, wenn diese so groß war, um immerwährende Bauernfeindschaft auszulösen? Im Gegensatz dazu verspricht er ihnen „hüpsche awenteir, dar bei wert ir mein gedencken“. Das Erzählen der eigenen Schande kann kaum Gedenken hervorrufen, es sei denn, dass auch dieser Schwank - als ein lächerliches Abenteuer - Amüsement und nicht nur Indignation bei den Rittern hervorruft. In dem Moment, wo das Ereignis - wie im Falle des Vortragens oder Vorsingens - wie auf einer Bühne in Szene gesetzt und mit schauspielerischem Können aufgeführt wird, wird es zum theatralen Er‐ eignis mit Fiktionscharakter, mit dem sich die Zuhörer bzw. Zuschauer distanziert - also auch mit Lachen - auseinandersetzen können. In der Optik des Erzählers Neithart gleicht 6. Erzählung, Imagination und Lachen 418 278 Ebd., S. 268 ff. 279 Simon hatte herausgefunden, dass die rituelle Begrüßung des Frühlings mit der Suche nach dem ersten Veilchen auf den Bericht Bartolinos zurückgeht, in Wiener Chroniken jedoch keinen Rückhalt hat. Vgl. Simon, Neidhart von Reuental, S. 250. 280 Bartholinus, Riccardus: Odeporicon id est Itinerarium … Wien 1515. Vollst. zit. bei Simon, Neidhart von Reuental, S. 250. der Protagonist Neidhart einem Schauspieler, der ein kleines Dramolett inszeniert, in wel‐ chem alle Beteiligten ihre Rolle spielen müssen. Unter dem Gesichtspunkt des Erzählens wird die zuvor als wahrhaftig dargestellte Handlung fiktionalisiert. Der gesamte Veilchenschwank wäre somit eine erzählte Ge‐ schichte einer von Neithart planmäßig inszenierten Handlung, worin die beteiligten Emo‐ tionen (Scham, Ekel, Empörung und Rachewunsch) der situativen Wahrnehmung enthoben sind und daher Lachen auslösen können. Bockmann erklärt die Komik des Veilchen‐ schwanks mit dem Aktantenschema Warnings, wo Fiktionalität als „Situationsspaltung“ zwischen einer rezipierten und einer Rezeptionssituation bestimmt wird. Im Fall der Veil‐ chenschwankversionen ist hierunter die - medial variante - Trennung zwischen einer in‐ ternen, von den Figuren wahrgenommenen, gestörten zeremoniellen Situation und einer externen Rezeptionssituation, in der diese Störung schon von Anfang an erkennbar ist, zu verstehen: Die Komik des Stoffes liegt nach Bockmann in der Spaltung zwischen den beim Veilchentanz anwesenden Figuren, die von der Vertauschung nichts wissen, und den von Beginn an informierten, abwesenden Rezipienten. 278 Die Freude über das Nichtbeteiligtsein am performativen Geschehen in der „zerdehnten Kommunikationssituation“ ermöglicht nicht nur, sondern fordert geradezu Lachen heraus. Aus dieser Perspektive (Neithart als Erzähler seiner eigenen Streiche) wären alle in den Schwänken auftretenden Figuren schwankhafte Lachfiguren, die nur wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben müssen. Dass dies schon von den Zeitgenossen so wahrgenommen wurde, zeigt eine Belegnotiz, die bisher immer nur für die Legendenbildung des Veilchenrituals 279 herangezogen wurde: der Bericht des Reisenden Riccardo Bartolino aus dem 16. Jahrhundert, die erste überlieferte Erzählversion außerhalb der literarischen Gattungen. Bartolino beschreibt den ihm ver‐ mutlich mündlich überlieferten Veilchenschwank (oder den Veilchenschwank auf der Bühne eines Neidhartspiels) detailliert und schildert die Wirkung des Hutaufdeckens auf die höfischen Protagonisten: „Jam circa pileum saltare inceperant cum detecto loco, pro uiola flos merdaceus inuentus est risus simul et indignatio orta est, omnes in Neythartem iniicere manus volebant, is sibi fuga salutem comparauit (…).“ 280 Mit der Wendung „risus simul indignatio“ könnte zwar sehr schön die Ambivalenz der Situation erfasst sein, eine peinliche Situation, die zugleich von Lachen und Beschämung dominiert wird. Wenn mit risus jedoch kein schamhaftes Lachen gemeint ist, sondern, wie ich glaube, ein kräftiges Auslachen des Possenreißers, dann würde dies auf eine schon in nuce angelegte dramatische Situation hindeuten, bei der die beteiligten Darsteller (Neidhart, die Herzogin und ihre Begleiterinnen) anders reagieren als die Umstehenden bzw. Zuschauer, welche vielleicht nicht nur über das ridiculum, sondern auch aus Schadenfreude über die Reaktion der Be‐ teiligten lachen. Die Komik der Situationsspaltung ist fest mit dem Lachen in einer (auf dramatischer, textueller oder bildlicher Aufführung beruhender) Rezeptionssituation verbunden und be‐ 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 419 281 Daraus ergeben sich - wie in der Heldenepik - die Kristallisationspunkte Fest und Kampf. Vgl. Müller, Strukturen gegenhöfischer Welt, S. 439. 282 Diese Aspekte der Neidharte hatte die ältere Forschung durchaus gesehen, ihre Ergebnisse wurden später jedoch nur marginal berücksichtigt. So hatte Singer bereits 1920 in den Schwankliedern „tanz‐ spielartige Vorstufen“ für die Neidhartspiele festgestellt und auf ihre groteske Theatralität auf‐ merksam gemacht. Als einer der wenigen stellte er sich die Aufführung der Neidhartschwänke vor und beschrieb sie als „komisch-pantomimische Vorformen der Fastnachtspiele“. Singer, Samuel: Neidhart-Studien. Tübingen 1920, S. 137 ff. Hilde von Anacker hat im Anschluss daran aus acht Schwänken vorhöfische „komische Dialoge“ und „kleine Tanzspiele“ rekonstruiert, die sie als Neid‐ harts Vorlagen bezeichnete von Anacker, Hilde von: Zur Geschichte einiger Neidhartschwänke. PMLA 48 (1935), S. 1-16, hier S. 15. 283 Vgl. Bertau, Karl: Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter. Bd. II München 1973, S. 1046; Schweikle, Günther: Neidhart. (= Slg. Metzler, 253). Stuttgart 1990, S. 123-130. ruht auf der Fiktionalität der dargestellten Handlung. Sie gilt nicht nur für den Veilchen‐ schwank, sondern prinzipiell für alle Schwankhandlungen im Neithart Fuchs. Sie versetzt das Geschehen in einen komischen Modus, unter dessen Vorzeichen auch die brutalsten Handlungen enthebbar sind, ja gerade in ihrer hyperbolischen Form enthebbar werden. Im Folgenden möchte ich zeigen, dass sowohl die grotesken und närrischen Körperinszenie‐ rungen wie auch die Gewalthandlungen im Text seine Fiktionalität stützen und im Rahmen modaler Komik zu lesen sind. Performative Strategien im Neithart Fuchs Die Dörper im Neithart Fuchs leben in einem nach außen hin weitgehend abgeschlossenen gegenhöfischen, liminalen Raum (Zeiselmauer und Umgebung) und einer liminalen Zeit, einer Zeit der Feste und des Feierns, der Kirchweihen und der Hochzeiten, aber vor allem der Tanzvergnügungen und anschließenden Raufereien (mit den zugehörigen Verseh‐ rungen und Totschlägen). 281 Diese raumzeitlichen Dispositionen und ihre Distanz zu bäu‐ erlicher Arbeit weisen wiederum auf den Fiktions- und Rollencharakter der Figuren hin. Entscheidend an der Darstellung der Dörper in den Schwankliedern ist aber weniger der parodistische Bezug zu Prätexten, sondern ihr groteskkomisches Auftreten, das an drama‐ tisierte komische Szenen erinnert. 282 Die Bauernfiguren sind sowohl in den Schwänken des ersten Teils als auch in den stärker liedhaften Elementen des zweiten Teils strukturell ähn‐ lich gekennzeichnet: Sie werden - ganz analog zum Neidhartspiel - vor allem in ihren körperlichen Bewegungen, ihrem Gang, Laufen und Springen, in ihren Tanzschritten und ihrem Kampfverhalten bei Prügeleien beschrieben; dabei kommt zur Sprache, welche Klei‐ dung und Ausrüstung sie tragen, welches Verhältnis sie zu diesen teils grotesken Inven‐ tarstücken besitzen, und welche Körperteile durch den Gebrauch von Fäusten und Waffen verwundet oder abgehauen werden. Hier kommt noch die satirische Komik Neidharts (von Reuental) zum Tragen, wie sie von Bertau, Gaier und Schweikle beschrieben wurde: dass mit den Dörpern Karikaturfiguren des Adels gemeint sind, die in ihrem präpotenten und gegenhöfischen Sprechen und Auftreten verlacht werden sollen. 283 In den Neidharten tritt dieser satirische Zug etwas zurück, und die Dörper emanzipieren sich im Neithart Fuchs zu eigenständigen Lachfiguren, deren Komik weniger aus der Verkehrung höfischer 6. Erzählung, Imagination und Lachen 420 284 Herrmann, Karnevaleske Strukturen, S. 164. Herrmann benutzt die von Bachtin stammende Metapher des grotesken Körpers, deren Brauchbarkeit ich im 2. Kap. eingehend diskutiert habe. Auch im Falle des Neithart Fuchs ist der Terminus gleichzeitig zuviel und zuwenig. Zuviel, weil er das gesamte Bachtinische Symbolsystem aufruft (Volks- und Lachkultur, utopisches Potential, Werden und Ver‐ gehen usw.) und zuwenig, weil er sich auf die Aspekte der Nahrungsaufnahme und -ausscheidung sowie die körperlichen Ausstülpungen bezieht. 285 Diese Verkörperungen der gegenhöfischen Welt machen nach Müller indirekt auf die Distanzierung des Körpers im höfischen Sprach- und Verhaltenscodex aufmerksam, dessen Regeln sie bewusst verletzen. Vgl. dazu auch Müller, Strukturen gegenhöfischen Sprechens, S. 448. 286 Müller, Strukturen gegenhöfischen Sprechens, S. 447. Müller weist auf die erzählten Abläufe in den Winterliedern Neidharts hin, die im im Gegensatz zum Minnesang heftige Aktionen, Übermaß, ge‐ störte oder aus gerader Richtung abgelenkte Bewegungen aufweisen: „der gewaltige Sprung, der ausgelassene Tanz, der krumbe reien, der rasche Griff oder brutale Angriff, der kräftige Stoß, der gewaltsame Entzug, die verrenkte Geste…“. Formen ergibt, sondern eher durch überbordende Triebhaftigkeit, Obszönität und Gewalt, die eine Eigenlogik der Repetition entwickelt. Diese Körper sind, wie Petra Herrmann es treffend beschrieben hat, exzentrisch, aus den Fugen geraten. 284 Es sind aber weniger die Wechselstoffvorgänge und die Ströme in Form von Nahrung, Exkrementen, Blut und Schleim, die den Körper von innen nach außen und umgekehrt durchqueren, sondern mehr das wilde und groteske Gebaren der Dörper, das im Grunde genommen normatives höfisches Körperverhalten nachahmen will, es aber stets verfehlt und stattdessen ihre Trieb- und Tierhaftigkeit entlarvt. 285 Es ist diese kontinuier‐ liche Abweichung von der sozialen und anthropologischen Norm, welche die Rollenhaf‐ tigkeit und Lächerlichkeit dieser Körper erst konstituiert. Freilich weisen solche Verkörperungen auf Figuren des Alltags und der sozialen Kon‐ kurrenz, auf grobschlächtige Trampel und Aufschneider, eitle, doch geschmacklose Em‐ porkömmlinge und Wichtigtuer, wilde, rohe Gesellen, Fresser und geile Hahnreie hin. Es geht mir jedoch weniger um die repräsentativ-symbolische Ebene dieser Verkörperungen, oder um die Frage, ob diese eher gegenhöfische oder karnevaleske Merkmale enthalten. Dadurch ist noch nichts Substantielles über die Funktionsweise der unterstellten Komik gesagt. Um diese Komik zu erfassen, muss die performative Ebene der Beschreibungen stärker in den Blick genommen werden, wie etwa das Auftreten und die Handlungen, die räumliche Disposition von Körpern und die Richtungen, in die sie streben, sprachlich in‐ szeniert werden, kurz, was Jan-Dirk Müller als die ‚Grammatik‘ der erzählten Bewegungen, Handlungen und Äußerungen bezeichnet hat. 286 Denn auch die sprachlichen Äußerungen der Bauern folgen, wiederum wie im Neidhartspiel, einer körperlichen Logik: sie bestehen meist aus Prahlereien und Drohungen gegen Neidhart oder ihresgleichen, sie thematisieren Gewalt und Gewaltphantasien. Groteskes Gebaren und groteskes Sprechen scheint auf ein- und dasselbe Ausdruckssubstrat zurückzuführen. Insgesamt gesehen werden die Dörper im Neithart Fuchs mit Ausnahme ihres Anführers Engelmeir als Masse von Einzelpersonen dargestellt, deren Charakteristika sich in den al‐ lermeisten Fällen auf die (oft sprechenden) Namen und auf die Körperlichkeit beschränken. Das Auftrittsschema ist in folgender Weise strukturiert: Die Dörper werden benannt, be‐ wegen sich auf ein bestimmtes Ziel hin und geraten dort aneinander, bzw. sie antizipieren sprachlich Gewalt- oder sexuelle Handlung mit Prahlereien. In beiden Fällen folgen sie einer zentrifugalen Bewegungslogik, ob beim Tanz, beim Ballspiel oder bei den Raufereien: sie 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 421 streben niemals auseinander, sondern immer aufeinander zu. Es gelingt ihnen nur schwer, ihre Körper unter Kontrolle zu halten, sie springen, hüpfen, gnapfen, tanczen, schwanczen, reien, tappen, sappen, zechen, zsipfeln, usw., ihre Ausgelassenheit kennt kaum Grenzen. Umso schwieriger ist es für sie, ihre Körper im Raum voneinander fern zu halten; zu den Kollisionen kommt es auch, indem sie mehr Raum für den eigenen Körper beanspruchen („si sprinczent sprenczent sich“, V. 2241). Diese unkoordinierten Bewegungen werden häufig mit jenen von Tieren verglichen: Bären, Löwen, Geißböcken, Gänsen oder Schweinen; so etwa in den Versen 1118 f.: „ir springen vnd ir vmb hin schwanck / geleich ich zuo den poecken.“ Hier wird die Grenze zwischen Menschlichem und Tierischem nicht nur auf der ethischen, sondern auch auf der körperlichen Ebene verwischt; indem die dörper nicht wie Böcke springen, sondern springen, als seien sie selber Böcke. Dadurch entstehen imaginäre Zwitterwesen, die in ihrem komischen Kontrast, ihrer Abweichung von der Norm bzw. der Aufwanddifferenz zu den eigenen Bewegungen Lachen hervorrufen. Die visuelle Imagination ist auch im folgenden Fall grundlegend für die Komik: Adelger vnd Engelmar, Gründelwein ist an der schar, si nemen schoener frawen war, vnd dienen in gar gern. si wöllen danczen vnde schwanczen mit der lanczen vngefer. si woelen springen mit den klingen vnd wend singen aber mer. so die drei toerpel danczen vor, sam die krenich gand si empor, si gend niemand nit empfor vnd greinend sam die bern.“ (Vv. 1084-1099) Die ‚Vortänzer‘ werden spöttisch als Gecken vorgestellt, die höfischer Sitte gemäß tanzen möchten, die Norm aber weit verfehlen und sich im Gegenteil den Hals reckenden Krani‐ chen und brüllenden Bären annähern. Hier wird der Auftritt der Tänzer zu einer kleinen Szene ausgeweitet, die im Moment der Abweichung von den eigenen Ansprüchen in Komik umschlägt, da sich in der Tanzbewegung die Entlarvung mittels des kontrastreichen dop‐ pelten Bildvergleichs vollzieht. Das Auftreten der Dörper geschieht nicht nur räumlich-körperlich, sondern ist von Lärm und Geräusch begleitet (singen, greinend). Die von ihnen produzierten Laute und Geräu‐ sche („schallen“) sind ebenso unkontrolliert und tierhaft wie Bewegungen und Gebärden. Charakteristisch für die Schwänke ist, dass diese Einzelaspekte menschlicher Motorik und Lautlichkeit in ihrer Unbeherrschtheit und Unkoordiniertheit gemeinsam und somit geballt auftreten: 6. Erzählung, Imagination und Lachen 422 287 Müller sieht in der Verwandtschaft (als dem Differenzierungsprinzip archaischer Gesellschaften) das zentrale Verbindungsglied der Namenreihen bei Neidhart: „Neidhart spielt auf ein komplexes Ge‐ flecht familiärer Bindungen an, ohne es freilich als Ordnungsgefüge zu entfalten.“ Müller, Strukturen gegenhöfischen Sprechens, S. 433. 288 Simon spricht von „feinen Nuancen der Neidhartschen Wortparodistik“. Simon, Neidhart von Reu‐ ental, S. 125. Darnach giengen si zuo dem wein, einer luoff auß, der ander ein, der spielman pließ mit schalle. die pfeif toet gar ein lauten schrei, ju heia ho schrei man am rei.“ (Vv. 517-521) Der Tanz gerät zum lärmenden, wilden Spektakel, dessen Theatralität an die frühen welt‐ lichen Spiele und fastnächtlichen Mummereien erinnert. Dies bedeutet in Bezug auf das Erregen von Lachen nicht nur, dass die Unfähigkeit der Körperkontrolle vom lesenden wie hörenden Publikum als Aufwanddifferenz wahrgenommen werden kann, sondern dass die audiovisuelle Imagination der (selbst erfahrenen) Ausgelassenheit im Kontrast zur Tätigkeit des Zuhörens oder Lesens steht und somit als ‚ansteckende‘ Einleibung erfahren wird, die durch Lachen abgeführt und damit abgewehrt werden kann. Unterstützt wird die körperlich-szenische Komik von einer Wortkomik, die seit jeher zu den charakteristischen Kennzeichen der Neidhartdichtung zählt. Besonders die Kombina‐ tion von sprechenden Namen, den Bewegungen der zugehörigen Körper und der Tanz‐ rhythmus bilden ein synästhetisches Vorstellungsbild des Lächerlichen. So werden unge‐ stüme, grobe Tanzschritte sprachlich und rhythmisch imitiert: dar lief Lintwein, zwen toerpel, hiessen die Foelln Ep vnd Gep Rep[p], Stepp, die vier warn geselen, mit in so lief der Lenck vnd Schwenck vnd fünf, die hiessen Kröllen die luffen al in terpels trit (Vv. 380-84). Das Beispiel zeigt, wie durch die rhythmische und assonante Reihung von im verwandt‐ schaftlichen und häuslichen Verbund 287 auftretenden Dörpern onomatopäische Effekte er‐ zielt werden, die im Auftreten der Figuren und ihrem Tanz die Vorstellung von ungestümem Drängen, Heranstürmen und klobig-bäurischen Schritten evozieren. Die burlesken Bewe‐ gungen, die die Tänzer vollführen, werden sprachlich in Neidhartscher „Wortartistik“ nach‐ geahmt, 288 wobei die Namen der „toerpel“ eine wichtige Rolle spielen. Denn wie die Neidhartschwänke überbordet der Neithart Fuchs geradezu vor Personen‐ namen, von denen die Mehrheit auf literarische Prägungen und Kombinationen aus dem außerliterarischen Onomastikon zurückzuführen sind. Die Dörpernamen erscheinen ent‐ weder einzeln oder als Namenmuster, unter denen mehrere Namen fest zusammengefasst werden (Eppe und gump, goßwein und roßwein usw.) Auch treten ganze koordinierte Na‐ mengruppen oder -kataloge auf, die über auf konkrete Situationen ausgerichtet und über 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 423 289 Müller sieht in diesem assoziativen Sprechen den Zusammenhang der dörper untereinander: „sie hängen gleichsam kettenförmig zusammen; von ihnen zu sprechen, heißt einen zum anderen ad‐ dieren.“ Müller, Strukturen gegenhöfischen Sprechens, S. 432. 290 Vgl. Schwarz, Jan-Christian: ‚Derst alsô getoufet daz in niemen nennen sol‘: Studien zu Vorkommen und Verwendung der Personennamen in den Neidhart-Liedern. Hildesheim / Zürich / New York 2005, S. 217 ff. Schwarz unterscheidet in seiner Untersuchung der Personennamen der Neidhartdichtung redende, klangsymbolische und klanglich semantische Namen. 291 Schwarz drückt es im Hinblick auf das gesamte Neidhart-Corpus so aus: „Gerade anhand der schier endlosen Namenkataloge aber wird deutlich, daß in den meisten Fällen keineswegs der literarische Namenträger selbst im Vordergrund steht (gut 60 % der Namenträger bzw. der Namen kommen be‐ kanntlich überhaupt nur ein einziges Mal vor), sondern die Charakterisierung der gesamten Neid‐ hartschen Sphäre gilt.“ Schwarz, Derst alsô getoufet, S. 393. 292 Vgl. Schwarz, Derst alsô getoufet, S. 226 ff. 293 Die Lautsymbolik beruht auf der emotional besetzten Beziehung zwischen Lauten und Sinnesein‐ drücken, die überindividuell besteht, aber unterschiedlich intensiv realisiert werden kann, weil Laute in onomatopoetischen Gebilden einen anderen Charakter annehmen als in semantisch sinnvollen Sätzen.“ Georg Braungart u. Gertrud Rösch, Onomatopöie, RL Bd. 3, S. 747. ihre Lautgestalt assoziativ miteinander verbunden sind. 289 Oft wiederholt sich das erste oder das letzte abtrennbare Namenelement (Engeldiech vnd Engelfrid; Oeczel, Woczel, Roeczel, Stroeczel) oder die Namen werden über Alliteration, Gleichklang oder Reim aneinander‐ geknüpft (z. B. wie oben: Epp vnd Gep, Repp vnd Stepp). 290 Die lautliche und klangliche Affinität der Namen weist auf die prinzipielle Gleichartig‐ keit und Austauschbarkeit der Dörper (wie etwa bei Narren im Narrenkarren) und ihre geringe Individualisierung und Identifizierung hin. Deshalb tauchen auch bis auf die Pro‐ tagonisten (Neidhart, Engelmeir, Friderun) die Personennamen im Neithart Fuchs meist nur einmal oder wenige Male auf. Sie dienen somit nicht zur Benennung von Personen, sondern passen sich hier lautlich und klanglich, dort semantisch der körperlichen und okkasionalen Situation an, in die sie gestellt sind (etwa Gumprecht, Gumpe in Anlehnung an das mhd. Wortfeld mit den Lexemen gumpen (hüpfen, tanzen), gumpeln (Possen reißen), gimpel/ gümpel (männl. Glied). 291 Viele Namen haben sprechende Funktion (Eberczan, Hebenstreit), sind somit eng an die thematischen Sphären des Dörperlichen geknüpft, einige sind Misch‐ formen aus heterogenen Namengliedern (dorffprecht, eselbrecht), andere wiederum sind parodistische Propria aus der Heldenepik (Adelbrecht, Eckrich). 292 So dienen die Personennamen der Dörper nicht zur Identifizierung, sondern der Mani‐ festation ihrer körperlichen Präsenz. Auch die sprechenden oder auf einen semantischen Bereich verweisenden Namen - meist auf ein hervorgehobenes körperliches Merkmal - sind auf Grund ihrer Bildlichkeit und ihrer kontinuierlichen Verbindung mit anderen, laut‐ lich oder klanglich ähnlichen Namen performative Elemente in der Ausgestaltung einer bestimmten Situation. 293 In der Wahrnehmung der Tanz- und Kampfszenen ergänzen sich Laute, Bilder und körperliche Aktion zu einem synästhetischen Prozess, der die Wahrneh‐ mung von Durcheinander, Kontrollverlust und komischem Kontrast bestimmt. So erhalten die Namen ihre Komik im Verlauf ihrer imaginativen Verkörperung innerhalb einer spezi‐ fischen Situation, an deren Konstruktion sie ebenso teilhaben. Im oben zitierten Beispiel ist von 14 Dörpern mit acht Namen die Rede, die nichts anderes tun als herbeizulaufen und zu tanzen. Darüber hinaus wird nichts mitgeteilt. Der gesamte Textabschnitt besteht aus einer laut- und klangähnlichen Reihung von Namen, die das Bild herankommender Dörperfi‐ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 424 294 Karl Bühler schrieb 1933 in seiner Sprachtheorie im Paragraphen über die lautmalende Sprache: Die Tendenz, mit Hilfe der Laute eine Sprache zu malen, sei nicht nur bei Dichtern, sondern allenthalben in Sprachwerken anzutreffen. Sie verzeichne einen „Anschauungshunger, eine Sehnsucht nach einem direkten Kontakt und Verkehr mit den Sinnendingen“. Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungs‐ funktion der Sprache. 3. Aufl. Stuttgart 1999, S. 195-215. 295 Auch Schwarz ist in seiner Untersuchung der Personennamen in den Neidharten zu dem Schluss gekommen, dass sie ein hohes komisches Potential aufweisen: „Neben den zahlreichen anderen Mit‐ teln der Neidharte, ihr Publikum in komischer Absicht zu verblüffen (…), kommt auch den PNN in vielen Fällen die Aufgabe zu, zum Lachen anzureizen.“ Schwarz, Derst alsô getoufet, S. 397. guren evozieren, wobei die mitgeteilten Zahlen die Situation nicht ordnen, sondern noch mehr Verwirrung stiften. Der komische Effekt besteht nun nicht nur in der Heterogenität und schieren Endlosigkeit des Katalogs, sondern vor allem in der Vorstellung, dass diese verschiedenen, doch miteinander eng verknüpften Namen körperliche Präsenz gewinnen, laufen und tanzen, und dass dies in einem heillosen Durcheinander enden wird. 294 Den Namen im Neithart Fuchs kommt somit eine wichtige Funktion in der Herstellung des ko‐ mischen Modus zu: sie verstärken die Inszenierungen lächerlicher Körper, indem sie diesen Körpern Namen als visualisierte Bedeutungs- oder Klangbilder zuweisen, die ihren eigenen Sinn, ihre eigene Autonomie haben und somit eine größere Wahrnehmbarkeit besitzen. 295 Die Schwänke im Neithart Fuchs weisen - nicht zuletzt durch die ihnen zugrunde lie‐ genden Täuschungsstrategeme - deutliche Dramatisierungs- und Theatralisierungsten‐ denzen auf. Ist dies im Fall des Veilchenschwanks durch dessen Funktion als Skript für die verschiedenen Neidhartspiele ganz offensichtlich, so sind aber auch die Folgeschwänke von szenischen und theatralen Elementen charakterisiert. Der Fassschwank erzielt seine Dra‐ matik aus der Beobachterposition Neitharts im Fass, seiner Angst und der anschließenden Entdeckung und Flucht; der Brautschwank erreicht dies durch die Inszenierung der Ver‐ kleidung als Braut und der Hochzeit, die in den obszönen Annäherungsversuchen des Bräutigams in der Hochzeitsnacht gipfelt; der Beichtschwank durch die Analogie zu einer Narrenrevue mit Grotesksprüchen der Dörper, die aus der Spannung lebt, ob die von Neit‐ hart inszenierte Verkleidung durchgehalten werden kann; der Krämerschwank ebenfalls aus der Abfolge zweier Bilder: das durch die Verkleidung ermöglichte Gespräch mit der Frau Engelmeirs und das der ambivalenten Begegnung mit diesem selbst (wobei die „selczam troi“ fast die Rolle eines Fetischobjekts spielt). Im Bienenschwank nehmen die von Neitharts Bienen gestochenen Dörper eine dramatische Verfolgungsjagd nach diesem auf, die durch ein hohes Maß an Situationskomik gekennzeichnet ist (einem Verfolger schüttet Neithart Seifenwasser in die Augen, vor einem anderen verbarrikadiert er sich in einem Zimmer); und auch der Kuttenschwank besteht aus der Abfolge mehrerer Szenen, die von der Vorbereitung der Mönchskleider über deren Alkoholisierung und Vorführung vor den Herzog bis zum Finale, der Gesangsvorführung der „Mönche“ im fürstlichen Hundezwinger reicht. Der Salbenschwank inszeniert List und Gegenlist unter Zuhilfenahme der körper‐ lichen Verstellung Neidharts als siecher Pilger in mehreren Szenenfolgen; der Bilder‐ schwank besteht aus vier zusammenhängenden Szenen (Vorbereitung, Verkleidung und Verbringung des Korbes nach Zeiselmauer, Entdeckung der Bilder durch die Bauern, An‐ klage bei Hofe), deren Komik sich bis zur letzten steigert. Im Schwank mit Neitharts tauber Frau schließlich durchschaut dieser die Absichten seiner Kontrahenten und macht sie in 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 425 296 Vgl. Simon, Neidhart von Reuental, S. 137. Simon sieht es als sicher an, „dass sich die Neidhartspiele aus den dramatisch bewegten Schwänken entwickelt haben.“ einer bühnenreifen Szene zunichte (die Frau und der Herzog schreien sich gegenseitig an, weil beide denken, der andere sei schwerhörig). Es geht mir hier nicht um den Nachweis einer wie auch immer gearteten Aufführung der Neidhartschwänke, sondern um die bildhaft-dramatische Darstellung dörperlicher Szenen, die bereits den Charakter der Neidhartschen Lieder bestimmt hatte, und die in den Neidharten und im Neithart Fuchs noch einmal gesteigert vorhanden ist. 296 Die Schwänke besitzen ein performatives Potential, das leicht zu dramatisieren ist; dies ist auch Voraus‐ setzung für die Wirkung ihrer groteskkomische Situations- und Verlaufskomik. Ein Hauptbestandteil dieser Vorgangs- und Verlaufskomik ist die Strategie der Verklei‐ dung und Verstellung, die nicht nur den Protagonisten betrifft (Neithart tritt als Braut, Mönch, Abt, Jäger, Krämer und Krämerin, sowie als kranker Pilger auf), sondern auch die Bauern selbst, die von Neithart nicht nur zu Narren gehalten, sondern in Narren verwandelt werden, ohne es zu bemerken (Kuttenschwank, Salbenschwank). An den Verkleidungs‐ schwänken wird die durch die Situationsspaltung von unwissenden Dörpern einerseits und (mit Neithart) wissenden Hörern und Lesern andererseits konstituierte Fiktionalität be‐ sonders deutlich. Gleichzeitig bieten sie durch ihre karnevalesken Umkehrungen zeichen‐ hafte Karikaturen der sozialen Wirklichkeit. So ist die Welt der Dörper als theatralisches und gegenweltliches Konstrukt erkennbar, das sowohl auf der semiotischen wie auch auf der performativen Ebene wirksam wird. Am deutlichsten wird dies vielleicht im Braut‐ schwank, wenn der als Braut verkleidete Neithart das Begehren des Bräutigams ertragen muss, es aber seinerseits noch anstachelt; „Der Neithart saß vnd was ein praut, Rach hieß der preigkam vnd schrei laut.“ (Vv. 544-545). Dieser Rach zeichnet sich durch übersteigerte Triebhaftigkeit aus, das in unbeherrschtem, tierischem Verhalten gipfelt: er schnaufet als ein per. hemet vnd pruoch er ab im reiß im waz gar heiß, sein froed gund sich merren. (Vv. 603-06) Die Zeichenstruktur des triebhaften Dörpers und die ihm eigene karnevaleske Verkehrung wird von performativer Komik beherrscht: die hier deutlich erkennbare Visualisierung der körperlichen Aktion des Bräutigams (schnauft, reißt Hemd ab, es wird ihm heiß in der Ansicht des Kommenden) kann szenisch gut imaginiert werden, die Laute und die Bewe‐ gungen sind närrisch und tierisch zugleich. Ganz ähnlich in der Szene zuvor, wo der Bräu‐ tigam beim Nachtmahl gezeigt wird: „Dem preitkem was die weil so lanck, er toet gar mangen iren ganck, / vor dem tisch so schone“ (Vv. 562-64). Ein offenkundig schon be‐ trunkener Bräutigam kann es nicht erwarten und führt einen „närrischen Gang“ vor dem Tisch auf; die ironische Wendung „so schone“ weist dabei auf Wanken und Torkeln hin. Verkleidungen haben die Funktion, Listhandlungen zu unterstützen und den Gegner zu täuschen. Aber sie spielen mit der Vorstellung der Verkleidung als einem inhärenten Kon‐ trast (der echte Neithart und die falsche Braut) und der Möglichkeit der (gefahrvollen) Aufdeckung des Rollenspiels. Dies ist im Falle des Brautschwanks deshalb auf die Spitze 6. Erzählung, Imagination und Lachen 426 297 So bei Bockmann, Translation Neidhardi, S. 279 ff. getrieben, da es zu einem fastnachtspielartigen cross-dressing kommt, welches auf die Ent‐ deckung des Mannes unter dem Brautkleid oder den Beischlaf zweier Männer hinausläuft, zwei Bilder, die von Beginn an im Hintergrund stehen. Diese kontrastiven Bilder gehen weit über den Rahmen der komischen Situationsspaltung (souveräne Kontrolle der Ver‐ kleidung durch Neidhart, Nicht-Erkennen der Verkleidung durch die Bauern) und die damit zusammenhängende Entlarvung der Dörper als dumm und triebhaft hinaus: 297 Sie konsti‐ tuieren ein theatrales Rollenspiel, das im Modus der Metamorphose die ganze kreatürliche Körperlichkeit der Beteiligten visualiert. Neidhart macht die Bauern zu unfreiwilligen Dar‐ stellern und liefert sie in ihrer ganzen Hässlichkeit den Blicken der Zuschauer aus, zu denen er Hörer und Leser macht. Diese Situation des Ausgeliefertseins ist Voraussetzung für die Körperinszenierungen, die ihre komische Wirkung nun voll entfalten können. Als Verkleideter ist Neithart Fuchs nicht nur vor den Aggressionen der Dörper geschützt, er gewinnt hier auch seine spezifische Identität im Nicht-Identischen der Dissimulation. Als doppelt Nicht-Zugehöriger kann er nur im Modus der temporären Metamorphose an Profil gewinnen, und verstärkt damit seine Identität als Possenreißer. Die Strategie des Verbergens und Verstellens hat ihr Pendant in der komischen Bloßstellung der Dörper, ihrer ungewollten Ostentation. Somit stehen sie ständig in der Gefahr, von Neidhart öffentlich zu Narren gemacht zu werden, eine Tatsache, die ihnen wohl bewusst ist und die sie zu verhindern trachten. So wird zu Beginn des Brautschwanks deutlich, dass sie sich vor den Listen Neitharts fürchten („auch so ist er gar ein listig man / vnd hat vns oft beschissen“ / Vv. 494 f.), und vor allem davor, von diesem zu Affen gemacht zu werden („pleiben an Nei‐ tharcz effan“ (V. 516). An dieser Verwandlung in Narren oder Affen ist vor allem schädigend, dass sie durch das Singen Neitharts öffentlich wird. So fürchtet sich Engelmeir vor nichts mehr, als erneut am Hof von Neithart in seinen Liedern lächerlich gemacht zu werden. Im Jägerschwank bietet er Neithart freies Geleit unter der Bedingung an, ihn nicht mehr in seinen Liedern zu nennen (was dieser mit der listigen Benennung „der vngenant“ unterläuft). Im Krämer‐ schwank ist es Engelmeir das Wichtigste, von dem verkleideten Neithart zu erfahren, ob in Wien wieder ein neues Neithartlied kursiere: Seit ir aus Wiener stat, was sagt ir newer mere von einem, der heisset Neithard, aller tugen lere? singt er nit von vns pawrn? daz er wird geschant! gett ich in vnd auch mein veter Eberzand, si gast, glaub auf die trewe mein, er wurd von vns verprant.“ (Vv. 1015-19) Die mit einer grotesken Todesdrohung verbundene, ängstliche Neugier Engelmeirs zeigt das wesentlich höhere Bedrohungspotential der Lieder Neidharts als seiner Streiche. Der Gewinn Neitharts besteht also weniger in der materiellen Entlohnung (durch den Fürsten oder die Bauern) nach jeder List, sondern in der öffentlichen Ridikülisierung der Dörper. Die Logik von Dissimulation und Ostentation funktioniert demnach auf der Basis einer (öffentlichen) Aufführung innerhalb der Textebene. Der Text konstruiert eine ‚innere‘, das Verhalten der Figuren konditionierende Öffentlichkeit, deren Zentrum der Hof ist, d. h. die 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 427 298 Die mediale Vervielfältigung des Spottes ist auch der Grund, warum von den Dörpern am Ende des Salbenschwanks gesagt wird, sie „littend spott vnd scham“ (V. 1627). Gerade die Tatsache, dass ein herzoglicher Bote von ihrer Isolierung auf Grund olfaktorischen Ekels („in der gegent mocht sie niemant bei im geleiden“; V. 1630) an den Hof berichtet, erregt ihren Zorn, sodass sie Neidhart mit dem Tod drohen. Der Bote dient hier als öffentlicher Beweis der Wirksamkeit des Streiches. ‚Außenwelt‘ Zeiselmauers, deren Verbindung überwiegend durch die Lieder und Berichte von Neitharts Streichen hergestellt wird, also prinzipiell medialer Natur ist. Durch diese Medialisierung der Handlungen wird Zeiselmauer zur theatral-komischen Welt, deren Pro‐ tagonisten, die Dörper, verlacht werden können. Die Lieder von den Streichen kursieren ja einzig zum Zwecke des Lachens: Das Lachen über die Dörper wird somit vervielfältigt, sie werden nicht nur in einer bestimmten Situation, sondern immer wieder verlacht, solange Neithart neue Lieder über sie verfasst und solange diese gesungen werden, also unter Um‐ ständen auf immer und ewig. 298 Diese Amplifikation des Verlachens spürt Engelmeir, doch seine Abwehrversuche er‐ weisen sich als fruchtlos: das neue Lied, welches Neidhart nun (in Teilen) zum Besten gibt, macht gerade das von der Frau Engelmeirs Erfahrene, nämlich die Anfertigung einer ma‐ gischen Jacke, die unverwundbar machen soll, zum Gegenstand. Engelmair ist fassungslos („wie sol ich mich nun bewaren? / der Neithart kan so heimliche ding erfaren,“ Vv. 1030 f.). Die Magie der Jacke, die gerade auf ihrer Heimlichkeit beruht, wird durch das Wissen Neidharts von ihr zerstört und gewissermaßen auf diesen übertragen, wenn er nun als allwissend und vom Teufel begünstigt auftritt („er hat ein übeln teüfel, der ims machet kond“, sagt Engelmeir (V. 1033). Das Bedrohungspotential Engelmeirs, seine Gewalt und Körperkraft, die Neithart in Angst und Schrecken versetzen kann („er rauschet ein gleich sam der rauche sturmwint / im fluchen ab dem weg magt, fraw vn die kind, / er sach mich grausselichen an, vor sorgen ward ich schier plind“ (Vv. 1007-1009) - der letzte Halbvers bereits eine hyperbolische Theatralisierung -, wird durch die Superiorität Neidharts auf der Informationsebene zu‐ nichte gemacht. Neidharts Gefahr und Stärke beruht auf seiner Beherrschung der Außen- und Nachwelt, er ist eben nicht nur Antagonist auf der Handlungsebene, sondern hat die Verfügungsgewalt über die Erzählung. Somit ist es auch nur lächerlich, wenn Engelmair am Ende des Schwankes über die erhaltene Information erfreut ist, und dem Gast eine Belohnung überreicht. Seine Information ist von Neithart vollkommen abhängig, daher nicht vollständig und somit auf einer unteren Ebene der Beobachtung angesiedelt („was mir gefiel, das sang ich nun, daz ander ließ ich stan“, V. 1029). Auf der höheren (Neithart erzählt am Hof bei seiner Rückkehr sein abentewr) und der höchsten, der Rezeptionsebene, kann Engelmeir doppelt verlacht werden: für seinen (Aber)-glauben, eine lächerliche Jacke („selczam troi“) könne ihn schützen, und dafür, dass er sich von Neithart zum Narren halten lässt. 6. Erzählung, Imagination und Lachen 428 299 Auch im Salbenschwank erscheinen solche Vervielfältigungsmotive, wie etwa das Bild vom Narren‐ karren: „er macht sie allsam truncken bald, das er sie in einen karren stalt. was Enncz vnd Ucz vnd Eberlein, die wurdent woll gleichsam die schwein…“ (Vv. 1609-1612) Die Bauern werden wie Narren auf einen Karren geladen und dann mit der Salbe bestrichen; Neidhart flieht noch in der Nacht. Gewisse Ähnlichkeiten zu karnevalesken Vervielfältigungsmotiven des Narrenmachens und -schneidens 299 birgt der Bilderschwank, in welchem Neithart als Krämerin verkleidet einen Korb mit „Bildern“ nach Zeiselmauer bringt, welche die einzelnen Dörper repräsen‐ tieren. Als diese die Bilder von sich sehen, erschrecken sie heftig und werden zornig und wild: „vor leid in reiß aus der schweis, / der Engelmeir vor zoren in den schwerczknopf peiß / das das feür auß her gleiß,“ Vv. 1778-80). Abb. 19: Engelmair beißt in den Schwertknauf; Bilderschwank aus dem Neithart Fuchs, Augsburg 1491 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 429 300 Es wird allgemein angenommen, dass der Bilderschwank mit dem im Mittelalter verbreiteten Ido‐ latrie-Komplex und der Bildmagie in Verbindung steht. Nach dieser Auffassung hat der Produzent der Bilder Macht über die im Bild Repräsentierten. Vgl. dazu Handwörterbuch des deutschen Aberg‐ laubens Bd. 7: Lemma „Rachepuppe“, „Puppe“. Allerdings kann die Mimkry der Dörper durch die Bildpuppen auch mit den üblichen närrischen Vervielfältigungspraktiken erklärt werden, und wäre somit auf symbolischer Ebene der Ausdruck des zum Narren-Machens der Zeiselmaurer. 301 Die Annahme Jösts, Neidhart könne sich hier mit einem „Meineid“ nach mittelalterlichem Recht strafbar gemacht haben, ist durch die komische Rahmung der Situation entkräftet. Vgl. Jöst, Bau‐ ernfeindlichkeit, S. 182. Diese Visualisierung des Zorns - auch auf dem beigegebenen Holzschnitt ins Zentrum gerückt - macht noch einmal das Ausgeliefertsein der Dörper an Neidhart deutlich. Ihre Reaktion kann nur närrisch sein: entweder sie verbrennen die Bilder, was nur ihren Aber‐ glauben (Bilder als Rachepuppen) 300 gezeigt hätte, oder sie versuchen, sich an Neithart zu rächen, indem sie die Tat als ehrabschneidend vor den Fürsten bringen. Auf Anraten En‐ gelmeirs entscheiden sie sich für Letzteres, und werden dort von einer höfischen Lachge‐ meinschaft, die ihren ernsthaft gemeinten Auftritt im komischen Modus rezipiert, doppelt ausgelacht: „ir gesicht was schoerpfer den die dorn, / sie truogen alle oesselorn, / ir gang vnd muoe hettens verlorn.“ (Vv. 1793-95). Der komische Modus wird auch sprachlich durch die ironische Frage des Fürsten („der fürst so zart sprach,“ V. 1805) an Neidhart angedeutet, der sich zu den Anschuldigungen äußern solle. Dieser schwört dem Fürsten „bi ewerm ziprion“, er habe mit der Sache nichts zu tun, worauf der Herzog in das Spiel des Possenreißers eintritt und sein Scherzpartner wird: er nimmt den „in latin“ geschworenen ‚Eid‘ ernst und verurteilt die Dörper zu einer Spottstrafe: dreißig Pfund an seinen Hund Ziprion zu bezahlen. 301 Die Dörper machen sich bei ihrem Auftritt am Fürstenhof selbst lächerlich, indem sie sich mehrfach als „Narren“ erweisen. Deren Ursache liegt zwar im Nicht-Verstehen der Bauern, gelacht wird jedoch über ihren Auftritt als Lachfiguren, die jenen, die Neithart hat anfertigen lassen, zum Verwechseln ähneln: „der Neithart vnd menig edel lacht“ (V. 1799). Das zum Narren-Machen ist ein kleines Dramolett mit Publikum. Erster Akt: Anklage der Bauern, die die Bilder „auf die pin“ schütten; zweiter Akt: scherzhafter ‚Meineid‘ Neitharts; dritter Akt: Solidarisierung des Fürsten mit Neithart und gespielter Zorn; Schlussakt: Er‐ läuterung des Witzes und spöttische Bestrafung der Bauern. Dass das Narren-Machen auf der Strategie beruht, fremde Körper zu manipulieren, zeigt sehr eindringlich auch der Kuttenschwank, wo die Dörper zuerst von Neithart betrunken gemacht werden, um dann der Täuschung ihrer Mönchskleidung anheimzufallen. Auch hier kommt es zum szenischen Höhepunkt am Hof in Wien, wenn die „minch“ in eine „capellen“ geführt werden, um zu singen, in Wirklichkeit sich jedoch im Zwinger wieder finden, wo sonst nur Hunde heulen. Bedeutsam ist auch hier wieder die theatrale Organi‐ sation des Ganzen: Vom Hofstaat können sie beim Ausführen der ‚liturgische Handlungen‘ und beim ‚Singen‘ der Lieder beobachtet werden: Die edlen stondend aussen an der wende, vnd wollten hoeren, wie es nem ein ende, die pauren wondent, si werent in dem kor; einer der sang von storcken vnd von lerchen, 6. Erzählung, Imagination und Lachen 430 302 So Bockmann, Translatio Neidhardi, S. 178: „In der dramatischen Ironie zwischen Erkennen und Ver‐ kennen sozialer Identitäten liegt der primäre Unterhaltungswert der Vorführung“. 303 Strohschneider, Schwank und Schwankzyklus, S. 156. der ander der sang von seines vatters merchen, si sungen all gleich sam narren vnde thoren, die minch die wurden mit ein ander streiten, den segen gabens ein ander mit den scheiten. der fürst sprach lachend: da hiet ich mich vor. Der fürst sprach: Neithart, schick die pauren von hinnen, si sind loeppisch, wir muossend in entrinnen, si sind wol halb vnsinnig an der schar.“ (Vv. 1345-1356) Hier entfaltet Neithart wie der Gonnella Sacchettis sein ganzes Können als Possenreißer: er ist Herrscher über Tun und Sagen der Dörper. Diese erkennen die Situation nicht, doch die lächerliche Wirkung der Szene ist ganz auf die visuelle Wahrnehmung ihres körperli‐ chen Tuns ausgerichtet, so als würden sie wie unfreiwillige Schauspieler auf einer Bühne stehen. Ihre Narrheit ist ungewollt komisch und performativ. So lacht der Herzog nicht über den Unsinn von ein paar Narren, sondern über das von Neidhart erzeugte Durcheinander, die Konfusion und die verkehrte Welt, in der die Körper und Stimmen der Dörper zum Werkzeug einer gnadenlosen Bloßstellung werden. Die Bauern „sind wol halb vnsinnig“ nicht bei Sinnen, heißt nichts anderes, als dass sie die Gewalt über sich und ihre Vernunft verloren haben. Sie sind nicht mehr Herr ihrer selbst, und die aus diesem Kontrollverlust resultierenden Bewegungen und Handlungen (liturgische Verkehrungen) anzuschauen ist der Anlass für das Lachen der Umstehenden. Diese, überflüssig es zu sagen, fühlen sich den Dörpern überlegen und erfreuen sich an den Reizungen des Nervensystems, die aus den Exzessen einer fehlgesteuerter Motorik und falschen Zeremonialhandlungen resultieren. Die Komik dieser Szene ergibt sich somit weniger aus dem Verkennen von Realität und sozialer Identität, 302 und kann auch kaum als „Komik in strafender, korrigierender Ab‐ sicht“ 303 bezeichnet werden, sondern sie emergiert aus der Aufführung eines Narrenthea‐ ters, bei dem die Bauern gegen ihren Willen ihr Verkennen ostentativ zur Schau stellen. Das Lachen der Umstehenden wird erst durch diese performative Komik hervorgebracht, die soziale und ständische Differenzsignale aufgreift, sie ambiguisiert und theatral insze‐ niert. Es ist insofern sowohl schadenfroh wie auch heiter. Der komische Modus der körperlichen Gewalt Das entschiedenste Argument gegen eine komische Lesart des Neithart Fuchs war bisher die Fülle an diskursiven Mustern sprachlicher und körperlicher Gewalt im Text, an gegen‐ seitigen Todesdrohungen, Kämpfen und Prügeleien, Verletzungen und Schädigungen bis zu einer ganzen Reihe getöteter und verstümmelter Bauern, die zusammengenommen das Verhältnis zwischen Neithart Fuchs und den Dörpern kaum anders als im Sinne eines dau‐ ernden Antagonismus und sozialen Konflikts (‚Bauernfeindschaft‘) bestimmen. In seiner literatursoziologischen Interpretation spricht Jöst auch von der „Unerbittlichkeit der Kon‐ frontation zwischen Neithart und den Bauern und dem sie begleitenden „hasserfüllte[n] 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 431 304 Jöst, Bauernfeindlichkeit, S. 112 u. 280. Jöst interpretiert den Neithart Fuchs als systemstabilisierend im Sinne eines „beharrlichen Festhaltens an im Mittelalter fixierten sozialen Ordnungsvorstellungen in einer sich radikal veränderenden Welt“. 305 Röcke, Neithart Fuchs, Sp. 1341. 306 Vgl. etwa Röcke, Die Freude am Bösen sowie: Provokation und Ritual. Das Spiel mit der Gewalt und die soziale Funktion des Seneschall Keie im arthurischen Roman. In: Der Fehltritt. Vergehen und Versehen in der Vormoderne. Hg. von Peter von Moos. Köln 2001, S. 343-361; Die Gewalt des Narren. Rituale von Gewalt und Gewaltvermeidungen in der Narrenkultur des späten Mittelalters. In: Die Kultur des Rituals - Inszenierungen. Praktiken. Symbole. Hg. von Christoph Wulf u. Jörg Zirfas. Mün‐ chen 2004, S. 110-128. 307 Dass die Stelle bestimmten Interpretationsrichtungen zuwiderläuft, zeigt Bobertags Anmerkung, hier fehle nach ‚der‘ ein Wort. Vgl. Bobertag, Narrenbuch S. 240. und die Bauern verachtende[n] Sarkasmus“, die auf den historisch-sozialen Kontext ver‐ wiesen. 304 Selbst wenn man Jöst nicht in den historisch-ständischen Kontext hinein folgen will, erscheint der Antagonismus im Neithart Fuchs - wie in der gesamten Neidharttradi‐ tion - als ein von Gewalt begleiteter Konflikt, in welchem die Dörper bzw. Bauern ernied‐ rigt, verlacht und disqualifiziert werden. Gewalt ist die wichtigste Option sozialen Handelns; sie erscheint zumindest im zweiten Teil ohne Grund und Sinnstiftung und wird „um ihrer selbst willen und offensichtlich auch mit großer Freude am körperlichen Detail ausagiert“. 305 Werner Röcke hat in seinen Studien immer wieder die Engführung von Gewalt und Lachen in Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit betont. 306 Er untersucht die spezifischen kontextuellen Beziehungen von Lachen und Gewalt in fiktionalen Texten, indem er sie mit Ritualen und Praktiken der jeweiligen kulturellen Situation vergleicht. Daher wird Gewalt in literarischen Texten meist nicht nur dargestellt, sondern auch diskursiv verhandelt und kann so Effekte der sozialen Entschärfung zeitigen. Für die These, dass Gewalt Vergnügen bereitet, gibt es im Text einige Hinweise: in den beiden Bauernstreit-Kapiteln 21 und 22 werden ausgiebige Prügeleien mit „gelachen“ und „schimpf “ verbunden: Möcht ich ein grantwer betrachten, als ich vor etlichem toet, der sein nicht mocht gelachen, darmit ich ir muotwillen schwachte, darumb geb ich was ich het.“ (Vv. 2482-86) 307 Als wenig später immer noch von Hauen und Stechen die Rede ist, von Handabschlagen und Schwertstreichen, folgen die Verse: „wa ward ie kein gans so wol gerauoffet / vnd so kluoger schimpf geschimpfet vnd so wol gehauwet! “ (Vv. 2499 f.) Kein Zweifel, dass das Hauen und Raufen hier Spaß macht; zumindest für denjenigen, der die Gewalthandlungen betrachtet. Der Erzähler Neithart ist es, der sich über das gegenseitige Schlagen und Ver‐ wunden der Dörper amüsiert und dieses Amusement ironisch ausdrückt. Dazu passen seine durchgängige Lust, die Bauern bei Tanz und Streit, bei Unfällen und Kampf zu beobachten, sowie seine steten Beteuerungen, er wünsche sich alle Bauern tot und begraben: „ich wolte 6. Erzählung, Imagination und Lachen 432 308 Dies gilt umgekehrt ebenso: auch die Bauern wünschen Neithart Fuchs des Öfteren den Tod. 309 Mit einer Ausnahme, Vv. 2035-2094): Als vierundzwanzig Bauern erschlagen daliegen, gibt es Klagen und Notgeschrei, welches jedoch Ähnlichkeit mit dem Jauchzen hat: „wurden ir wol vierund‐ zweinczig erschlagen, / o we, da schrei man jora jo, jora jo, waffen heüt vnd immer! “ 2072 f. doch, si waeren all erschlagen“ (V. 2673), oder „ei daz man die poessen pauren all erhienge“ (V. 1984). 308 Nach der detaillierten Beschreibung grausamer Gewalttätigkeiten im Kapitel 16 (Titel: „Hie volget nach ein kurczweilig lesen, wie ein toerpel den andern in das mul schluog, das im die zen aüß fielen“), welche Sätze wie diesen enthält: „das mauler, naß vnd augen wurden von pluot schwanger, / doch was mir leid, das es nit wert lenger“ (Vv. 1974 f.), nimmt die Schlägerei groteske Ausmaße an und schließt mit den Worten: „ir wurden sechsunddreisig erschlagen, / doch was es mir nit leide“ (Vv. 1980 f.). Dass es Tote und Verstümmelte bei den Auseinandersetzungen gibt, ist keine Seltenheit: so werden aus Rache für den Veilchenraub 32 Bauern Füße und Hände abgeschlagen, nach den 36 werden in Kap. 17 noch einmal „fie‐ rundzweinczig pauren erschlagen“, und in Kap. 27 kommt schließlich auch Engelmeir zu Tode („fraw Friderane die schrei mit fleise: Engelmeir ist leider tod! “ (Vv. 3095 f.). Alle diese Todesfälle haben keinerlei Konsequenzen. Nirgends ist die Rede von Trauer, Betroffenheit, vom Beklagen der Toten oder von ihrer Bestattung. 309 Selbst Engelmeir ist zwölf Verse später wieder da und wird sogar angesprochen: „herr Engelmair, ewr stub ist guot“ (V. 3107). Die Dörperfiguren der Neidhartwelt scheinen immun gegen Verletzungen, Verstümmelungen und selbst gegen den Tod zu sein; sie leben in einer eigenen Sphäre, in welcher sie von Tod und Leben, von Geburt und Sterben, von Krankheit und Gesundung enthoben sind. Die Verletzungen, die sie sich zufügen, müssen nicht heilen, die Verstüm‐ melungen sind im nächsten Schwank (bis auf wenige Ausnahmen) verschwunden, der Tod zeitigt keine Konsequenzen. Die Dörper gleichen in ihrer Rollenhaftigkeit modernen Co‐ micfiguren, die unabhängig von Leben und Tod in einer Eigenwelt existieren. Nun könnte man einwenden, dass diese Konsequenzlosigkeit der Gewalthandlungen eine Folge der zyklischen Struktur der Kompilation ist, dass es sich hier um eine additive, paradigmatische Reihung von einzelnen Geschichten handelt und nicht um einen homo‐ genen Erzählraum. Doch auch einzeln betrachtet lassen die Schwänke keinerlei Folgen von Gewalthandlungen oder auch nur emotionale Reaktionen auf sie (außer Hass) erkennen. Die Enthebbarkeit der Gewaltdarstellungen weist somit nicht nur auf die Fiktionalität der Dörperfiguren hin, sondern auch auf die Existenz eines komischen Rahmens, mittels dessen die Gewalt nicht nur medial, sondern auch modal distanziert wird und die Freude an ihr erklärt werden kann. Denn die durch Gewalt lädierten und deformierten (fiktiven) Körper der Bauern sind auf Grund der Beobachtungsposition Neitharts im Text und der Beobach‐ terposition der Rezipienten außerhalb des Textes lächerlich. Wir müssen also präzisieren: es ist nicht die bloße Freude an Gewalt und körperlicher Schädigung, die den Text motiviert, sondern es sind die Imaginationen dieser Gewalt, die Freude bereiten, und die auf der Re‐ zeptionsebene zeitgenössischen Lesern und Hörern ebenfalls Freude bereitet haben müssen. Dabei ist das Lachen über Gewalt doppelt gelagert: einmal können Leser und Hörer mit Neithart Fuchs über die Gewalt lachen, die sich die Dörper (mit oder ohne Neitharts Lis‐ thandeln) gegenseitig antun, und sie können über deren Gewaltphantasien lachen, die ins Leere laufen und sich als groteske Prahlerei und wirkungslose Drohungen herausstellen. 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 433 310 Im Beichtschwank etwa beichten die Dörper der Reihe nach und machen sich mit der Aufzählung ihrer Sünden, die als Prahlerei daherkommen, lächerlich: „treib ich gogelheit, vppigclicher ding getan, ich bin gar vngestümbe“ usw. Der Auftritt der Bauern hier ist wie im Neidhart- und Fastnachtspiel gestaltet: die Reden (Groteskreden) und die Vorstellung sind fastnachtsmäßig. Sie drohen und prahlen, dass sie ihren Feinden - v. a. Neithart - die Eingeweide, die Zähne und sonst noch mehr herausschlagen wollen. Die Sprache imaginiert körperliche Gewalt als Wunschvorstellung, spricht sie aber gleichzeitig performativ als Drohung aus. Die Beichten der Bauern lassen weder Reue (contritio cordis) noch Buße erkennen und sind daher als spöttisch anzusehen. Dennoch ist hier nicht nur die satirische Verkehrung der rituellen Formen der Beichte komisch, sondern der gesamte the‐ atrale Auftritt der Bauern wie im Spiel mit all seinen körperlichen Imaginationen. Dabei werden die tatsächlichen Gewalthandlungen von den Aufschneidereien beinahe noch überboten: zwar ich schlach in durch den kopf, das er auf dem anger vor mir scheibelt als ein topf. Vnd hülf im joch der Han vnd sein gesel, der grempelman, so werdens beid zetod erschlagen vnd verschrotten durch den kragen, das in für die fiesse foelt der kompost auß dem magen. (Vv. 3739-41) Solche übersteigerten Zerstückelungsphantasien wirken nun nicht schon deshalb lächer‐ lich, weil sie in einem fiktionalen Rahmen geäußert werden. Es ist vielmehr die sprachliche Hyperbolik, die ihnen ihre Glaubwürdigkeit für die Darstellung realer Geschehnisse nimmt und sie in den transgressiven Bereich des Groteskkomischen verweist, ein Bereich, der durch Enthebbarkeit gekennzeichnet ist. Die verbale ‚Aufladung‘ der Szenen- und Körper‐ darstellung ist dabei entscheidend: schon die Sprechakte des Prahlens, Überbietens, Wettens und Aufschneidens beruhen auf imaginären Vergrößerungen, Verzerrungen und Drastik von Körperlichem. Sie verweisen somit sämtlich auf das körperlich-theatrale Substrat. 310 Einer literarischen Verarbeitung solcher Sprechakte steht dann noch die Fiktion zur Ver‐ fügung, die das Imaginäre bis an seine Grenzen auszureizen vermag, bzw. die szenische Komik, die im o. g. Fall von Vergleichen der Gewalthandlungen mit Gegenständen aus dem bäuerlichen Alltag (topf, kompost) alimentiert wird. Todesdrohungen, die das Scheibeln eines Topfes oder das Herausfallen des Mageninhaltes imaginieren, wirken nicht ernsthaft, sondern lächerlich. So etwa auch in folgendem Beispiel: so hacken wir die finger, daz si springen, vnd das man si sicht vber al sam die heischreckel hupfen in dem graß, dar zuo han ich ein guotes swert, das ist gar spiczig vmb die oert (…). (Vv. 2023-2032) Hier wird die Grausamkeit des Fingerabschlagens durch den Vergleich mit Heuschrecken komisiert, indem die Finger als belebte Objekte erscheinen, um die Wucht des Schlages bildlich zu verdeutlichen. Der Folgevers nimmt dann das Werkzeug der Gewalt, das Schwert wieder auf und leitet es in obszöner Weise in den sexuellen Bereich über. Diese Vermischung verschiedener Sphären bei der Gewaltdarstellung ist insgesamt charakteristisch für den 6. Erzählung, Imagination und Lachen 434 311 So gehen Stöße und Rempeln beim Tanz häufig in Schlägereien über; gerne laufen die Dörper direkt vom Tanz auf das Feld, um sich zu prügeln. 312 Vgl. dazu ausführlich Velten, Hans Rudolf: Ekel, Peinlichkeit, Scham und Lachen: Strategien der Ansteckung im Neidhartspiel. In: Koordinaten der Leidenschaft. Hg. von Erika Fischer-Lichte, Cle‐ mens Risi und Jens Roselt. Köln / Wien 2008, S. 214-241. 313 „mir zetracz die Els nit zum dancze lie“ (Vv. 2043 f.) Neithart Fuchs. So liegen Tanz- und Prügelszenen immer dicht beieinander, gehen inei‐ nander über oder rahmen sich gegenseitig. 311 Wendungen wie „han ich gefochten bei dem dancz“ (V. 3769) oder „Ei da huob sich ein rincze vnd ein ranczen“ (V. 2095) für das begin‐ nende Schlachtgetümmel sind nicht selten. Tanz und Kampf werden mit den gleichen sprachlichen Wendungen beschrieben, sie folgen einer ähnlichen Raum- und Bewegungs‐ logik. Es sind Inszenierungen des Aufeinandertreffens aller gegen alle, die immer wieder in Bildern grotesker Körper und in Unordnung und Konfusion enden. Wie die körperlich-performative Komik sich in den Abläufen schwerfälliger Bewe‐ gungen und grotesker Sprünge im Tanz äußert, so wird sie beim Kampf im szenischen Prügeln, Hauen und Stechen, Bluten und Beulen, im Ab- und Herausschneiden von Kör‐ perteilen sichtbar, also in Verhaltensweisen, die die höfische Norm des Kampfes ebenso karikieren wie diejenige des Tanzes. Freilich sind hier noch parodistische Stilmittel er‐ kennbar, wie sie in den Liedern Neitharts dominierten; doch kann gegen Ende des 15. Jahrhundert bei den Rezipienten nicht mehr die Kenntnis der Heldenepik vorausgesetzt werden, wie dies zu Beginn des 13. Jahrhunderts noch der Fall war. Daher ist diese groteske Komik der Gewalt, wie sie etwa auch in Wittenwilers Ring vorherrscht, eine performative Komik der szenischen Aufführung, wo negative Gefühle wie Abscheu und Angst mit Me‐ taphern aus dem Alltäglichen verbunden oder einfach hyperbolisch gesteigert werden, damit sie Lachen auslösen. Mit Ekelvorstellungen spielen auch der Veilchenschwank und der Salbenschwank, wo Szenen des sich Überfressens und Übergebens usw. auftreten. 312 Nach dem Jöstschen Strukturschema der Schwänke folgen Prügelei und Kampf auf den Tanz, und für den ersten Teil des Textes trifft dies vollständig zu. Man könnte sogar von einer doppelten Eskalation der Gewalt sprechen: einmal in den einzelnen Kapiteln und einmal bezüglich des Textes als Ganzem. Die Anlässe, welche Tanz und Schlägerei ver‐ binden, sind dabei meist lächerlich gering - ein weiteres Signal für die komische Rahmung und die Enthebbarkeit der Gewalt: Ein Rempler beim Tanz, ein frecher Griff, ein Kranz von Rosenknospen, ein falscher Vortänzer, die Weigerung, das Mädchen zum Tanz zu geben 313 usw. sind so unbedeutend, dass sie angesichts des folgenden Gewaltexzesses als lächerlich erscheinen. Ein weiteres Merkmal für die komische Rahmung der gegenseitigen Aggression zwi‐ schen Neithart Fuchs und den Dörpern sind schließlich die Unterbrechungen der Feind‐ schaft im Jägerschwank und beim Ballspiel sowie das versöhnliche Ende des Schwerhöri‐ genschwanks. Hier wird das Racheschema ausgesetzt, und es kommt zum Ausgleich und Frieden zwischen den Kontrahenten. Der Jägerschwank nimmt eine Schlüsselstellung ein, da er konträr zu allen anderen Schwänken steht und in seiner Funktion unklar ist. Obschon Neithart von Angst, erkannt zu werden, geplagt wird („ich saß in einem schweisse“, V. 1408), bewirten ihn die Bauern - obschon sie ihn durchschaut haben - aufs Beste, schenken ihm beim Abschied Kleid und Pferd sowie ihre Bewunderung („mir ward ein michel gaffen 6.4. Die anderen zu Narren machen: Obszönität, Versehrung und Gelächter im Neithart Fuchs 435 314 Engelmeir verspricht, die anderen Bauern zur Ruhe zu bringen („der Engelmeir in da gebot / all bi dem leben auf den tod, / das si nider sessen alle“, Vv. 1445-47), wenn Neithart seinen Namen in den Liedern nicht mehr nennt. Neithart verspricht, ab jetzt heiße er nur noch „der vngenante man“. 315 Jöst findet die Haltung Engelmeirs im Jägerschwank „unbegreiflich“ (S. 147), denn sie passt nicht in sein Deutungsschema. Herrmann sieht im Jägerschwank eine kalkulierte List Neitharts, doch sie übersieht, dass er von den Bauern entdeckt wird. Seine große Angst macht deutlich, dass dies nicht geplant war. 316 Strohschneider kennzeichnet mit dem von Bertau geliehenen Begriff des „sukzessivlogischen Auf‐ baus“ den hohen Kohärenzgrad der einzelnen Schwänke. Diese sind untereinander durch Voraus‐ deutungen, Rückverweise, handlungslogische Motivationen und Verknüpfungen verbunden. Vgl. Strohschneider, Schwank und Schwankzyklus, S. 151-172. nach“). Neidhart trifft eine Vereinbarung mit seinem Erzfeind Engelmeir, 314 und darf sich sogar die „schoenen frauwen“ und „hüpsche peirin fein“ ansehen. Hier wird Neidhart einmal als das behandelt, was er gerne ist: ein berühmter Sänger. Die Dörper lassen von aller Feindschaft ab und übernehmen die Sicht des Hofes (was auch in der Akzeptanz seines Berufes zum Ausdruck kommt, indem sie ihm Kleid und Pferd schenken). 315 Diese beinahe utopische Passage der Aussöhnung mit den Bauern gleicht einem Rah‐ menbruch: die Dichotomie von List und Gewalt, von Bedrohung und Verspottung ist un‐ terbrochen, der Antagonismus für einen Moment still gestellt. Die Verkleidung wirkt nicht, es kommt zu keinem Rollenspiel; die Vereinbarung mit Engelmeir beruht zwar auf einer List Neidharts, doch sie birgt auch Vorteile für den ‚Ungenannten‘. Der Schwank hat nichts Possenhaftes oder Komisches, und (fast ließe sich sagen: folglich) enthält er auch keinerlei Gewalt. Er inszeniert nachvollziehbare und erwartbare Handlungen, wie sie ein höfischer Sänger und Possenreißer in der dörflichen Umgebung des Hofes erfahren könnte. Durch das Fehlen des komischen Modus zeigt der Schwank ausschnitthaft Möglichkeiten eines Verhältnisses zwischen Neithart und den Bauern außerhalb ihrer topischen Beziehung im Text, und bestätigt dadurch gerade die komische Rahmung der anderen Schwänke. 6.5. Der Schwankheld als scurra: Körperkomik und Ritual im Pfaffen vom Kalenberg Forschung Im Vergleich zu Sacchettis locker aneinander gefügtem, strukturell allenfalls in Clustern geordneten Trecentonovelle und dem Neithart Fuchs, welchem ein schwaches biographi‐ sches Strukturschema zugrunde liegt, ist der zuerst 1473 in Augsburg gedruckte Schwank‐ roman geschicht und histori des pfaffen vom kalenberg des Wiener Autors Philipp Frank‐ furter die formal kohärenteste und diegetisch ausgefeilteste Erzählfolge der Handlungen eines literarischen Schwankhelden im Spätmittelalter. 316 Seine Faszination beruht jedoch weniger auf witzigen dicta, wie dies bei seinem berühmten Nachfolger Ulenspiegel der Fall ist, als hauptsächlich auf der Inszenierung komischer Körperbilder und theatral aufgebauter Handlungssequenzen, deren Fokussierung auf Gelächter die Figur als scurra ausweisen, und 6. Erzählung, Imagination und Lachen 436 317 Röcke unterstreicht, dass der Kalenberger „nicht so sehr auf witzige Entgegnungen oder linguistische Ambivalenzen vertraut, sondern mit Körper und Sprache komische Abläufe inszeniert, in welchen er meist die Hauptrolle spielt“. Röcke, Die Freude am Bösen, S. 183 ff. 318 Strukturschema nach Hellmut Rosenfeld: Art. Frankfurter, Philipp. In: VL Bd. 2 (1980), Sp. 817-820. 319 Strohschneider, Schwank und Schwankzyklus, S. 156. 320 So etwa, wenn der Kalenberger seine Gemeinde im Streich gegen den habgierigen Nachbarspfaffen als Mitspieler benutzt, oder im Badschwank sie dem Gelächter der Hofgesellschaft aussetzt. 321 Strohschneider, Schwank und Schwankzyklus, S. 157 u. 158. die den beffe der Possenreißer Sacchettis weder an Einfallsreichtum noch an Unverfroren‐ heit nachstehen. 317 Der Protagonist des Schwankbuchs ist der Pfarrer des Dorfes Kalenberg bei Wien, der im Initialschwank als namenloser Student die Gunst des Herzogs und infolge seine Pfarrei erlangt, um anschließend in der Doppelfunktion als listiger Priester und höfischer Spaß‐ macher eine Reihe von abenthewrn zu bestehen. Diese hat die ältere Forschung den drei Handlungsräumen Dorf, Bischofshof und Fürstenhof zugeordnet und ihnen unterschied‐ liche Aktionstypen zugewiesen: Bauernschwänke, bei denen der Pfarrer sich seinen Bauern als durch List überlegen zeige, Klerikerschwänke, in welchen ein Priester, ein Bischof und ein Weihbischof durch die satirischen Strategien des Pfarrers in ihrer Sündhaftigkeit ent‐ larvt werde, und schließlich Hofschwänke, die vom Wortwitz des höfischen Spaßmachers dominiert würden. 318 Dass diese Zuordnungsversuche dem Text nicht gerecht werden können, zeigt nicht nur das Auseinanderdriften von Handlungsraum und Aktionstyp bei den Schwänken mit dem Nachbarspfarrer und der Herzogin (die im Kalenbergerdorf spielen), sondern auch die Un‐ möglichkeit, den Aktionstypen einheitliche Muster von List oder Komik zuzuordnen. Grif‐ figer ist Strohschneiders Strukturschema, das lediglich zwischen höfischer und bäuerlicher Sphäre unterscheidet: die Position des Pfarrers bestimme sich „von seiner Stellung im Stän‐ desystem der entworfenen Welt her“: er stehe zwischen höfischer und bäuerlicher Sphäre und agiere „wechselnd als Herrschender über diese Bauern und als selbst Beherrschter.“ 319 Daraus leiten sich nach Strohschneider die verschiedenen Rollenkonzepte (listiger Herr, Hofnarr) und somit auch die Differenziertheit seiner Aktionstypen ab. Diese Zwischenstellung, die doppelte Nicht-Zugehörigkeit charakterisiert somit - ganz wie bei Neithart Fuchs - die soziale Position des Pfarrers innerhalb der Textwelt. Es ist die typische Stellung des Schwankhelden, der sich mit Hilfe mehrerer Rollen und Maskeraden zwischen verschiedenen Handlungsräumen hin- und herbewegt und dadurch die Möglich‐ keit besitzt, unter- und wieder aufzutauchen, die Darsteller der Handlungsräume zu- und gegeneinander zu führen und immer neue komische Konstellationen zu erfinden. 320 Von seiner sozialen Stellung leitet Strohschneider auch die Handlungsmotivationen des Pfarrers ab: so liege nicht nur den Bauernschwänken der Versuch zugrunde, „den ökono‐ mischen und sozialständischen Status von Pfarrer und Pfarrei zu sichern und auszubauen“, auch den Hofschwänken sei dieses „gesellschaftliche Selbstbehauptungsprogramm“ ein‐ geschrieben: alles List-Handeln des Pfarrers ziele auf materiellen Gewinn bzw. die Abwen‐ dung finanzieller Bedrohungen für die Pfarrei. Sein Tun sei nur „vordergründig auf das Divertissement von Hofgesellschaften ausgerichtet“ und ziele „eigentlich auf die Sicherung von gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Stellung.“ 321 6.5. Der Schwankheld als scurra 437 322 In den Schwänken mit der Herzogin (mit Ausnahme des Apostel-Schwanks), in einigen Herzogs‐ chwänken (Mistwagen-Ausfahrt, Bauern im Bad, Tafelschwank) sowie im Rätselwettstreit mit dem Nachbarspfarrer. Bei einigen Schwänken ist das Moment des ökonomischen Gewinns zwar da, aber untergeordnet: bei der Linsenmesse, den beschlagenen Schuhen und der Bewirtung der Diener). 323 Folgerichtig interpretiert Strohschneider den Schwankroman als „eine Möglichkeit des Umgangs mit gestörter gesellschaftlicher Ordnung, einer Weise der Verarbeitung sozialer Traumata.“ Aus dieser zugespitzten These kann sich dann nur ergeben, dass Komik „auf die soziale Sanktion des Verlachens“ abziele und somit eine „Komik in strafender, korrigierender Absicht“ sei. Strohschneider, Schwank und Schwankzyklus, S. 156. 324 Vgl. Dollmayr, Viktor (Hg.): Die Geschichte des Pfarrers vom Kalenberg. Halle a. S. 1907, S. XLVI-LXXXII; Rupprich, Hans: Zwei österreichische Schwankbücher: Die Geschichte des Pfarrers vom Kalenberg. Neithart Fuchs. In: Adolf Haslinger (Hg.): Sprachkunst als Weltgestaltung. FS für Her‐ bert Seidler. München / Salzburg 1966, S. 299-316, 325 Zur sozialen Stellung von Hofnarren vgl. Velten, Hans Rudolf: Hofnarren. In: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe. Hrsg. von Werner Paravicini, bearb. von Jan Hirschbiegel u. Jörg Wettlaufer. Bd. 1: Begriffe. Wiesbaden 2005, S. 65-69. Diese strikt ökonomische Lesart des Schwankromans weist mehrere Schwächen auf: In fast der Hälfte aller Schwänke, darunter die drei Bischofsschwänke und die meisten Her‐ zogsschwänke, geht es nicht um wirtschaftlichen Vorteil, sondern um die Aufdeckung von Sündhaftigkeit oder um Scherzkommunikation; 322 List-Handeln kann nur für einen Teil, nicht aber für alle Schwänke in Anschlag gebracht werden; Lachen im Text kann keines‐ wegs, wie Strohschneider behauptet, nur als „lachendes Einverständnis“ bezeichnet werden, sondern hat verschiedene Funktionen, wie Röcke betont hat. Schließlich kann die ökonomische Lesart des Textes - und dies ist das Entscheidende - weder schlüssig die Differenz zwischen der Komik der bäuerlichen und jener der Hofsphäre, noch das inner‐ textuelle Lachen der höfischen Welt erklären, das gerade nicht mit einem Verlachen der Bauern verwechselt werden darf. 323 Spätestens hier wird deutlich, dass das von Stroh‐ schneider postulierte Strukturschema des Herrschers über die Bauern und des Beherrschten am Hof nicht aufgeht. Die Funktion der Schwänke ist es gerade, diese Hierarchien zu the‐ matisieren, sie durchschaubar zu machen und ihre Labilität zu zeigen. Freilich wird man dem Protagonisten des Textes auch nicht gerecht, wenn man ihn wie die ältere Forschung mit einem realhistorischen Hofnarr des österreichischen Herzogs Otto (der Fröhliche) identifiziert und die Schwankreihe aus dieser Perspektive erklären will. 324 Die Angaben des Erzählers in den Versen 995-96 lauten: „Darumb so hielt er die zwen man, den Neithart und den capelan“ weisen zwar darauf hin, dass am Hof Ottos neben Neithart Fuchs auch der Kalenberger Pfarrer wirkte, doch wird der Begriff des Hofnarren der Vielfalt der Rollen und Aktivitäten des Pfaffen nicht gerecht. Entscheidender Unterschied zu einem der fürstlichen familia zugehörigen, bzw. auf den fürstlichen Gehaltslisten vorfindlichen Hofnarren ist die Tatsache, dass der Kalenberger eben nicht am Hof lebt und wirkt, sondern seinen Lebensmittelpunkt als Pfarrer im Kalenbergerdorf hat und in dieser Tätigkeit auch Teil der klerikalen Hierarchie ist. 325 Vielmehr wird deutlich, dass er die Rolle des Hofnarren nur spielt, er nimmt sie immer nur in Gegenwart des Fürstenpaares und des Bischofs ein. Der literarische Text nimmt hier die Funktion historischer Figuren auf und verwendet sie in einem fiktionalen Rahmen, der Schwankbiographie. Doch ist der Kalenberger andererseits auch mehr als ein bloßer Schwankheld, der durch die Identität seiner Figur verschiedene Einzelschwänke zu einem 6. Erzählung, Imagination und Lachen 438 326 Vgl. dazu die Bestimmung von Schwankroman und Schwankhelden von Fischer, Hanns: Zur Gat‐ tungsform des Pfaffen Amis. ZfdA 88 (1957 / 58), S. 291-299. 327 Röcke definiert in seiner Studie zum Schwankroman den Schwankhelden wie folgt: „Die Stärke dieser sicher listigen, aber ebenso rücksichtslosen, egoistischen und unmoralischen Figuren liegt in ihrer Fähigkeit zur Langsicht, Vorausplanung und Kalkulation, d. h. aber auch zur Überwindung einer Unmittelbarkeit des Denkens, Fühlens und Handelns, wie sie für das mittelalterlich-feudale Men‐ schenbild charakteristisch ist.“ Röcke, Die Freude am Bösen, S. 25. 328 „er kam geritten vnd gegangen, / des ward er gar froelich empfangen / vberall von dem hofgesindt.“ (Vv. 713-14). Dies ist ein klassischer Narrenauftritt: um seinem Ruf als Possenreißer gerecht zu werden, erregt der Kalenberger durch seine ungewöhnliche Fortbewegung Aufsehen. Dadurch wird er körperlich zum bislang nur in der Erzählung bekannten Possenreißer. Ganzen verbindet, wie dies beim Pfaffen Amis der Fall ist. 326 Der von des Strickers Amis ausgehende literaturwissenschaftliche Gattungsbegriff des Schwankhelden zielt ja bis heute auf das Listhandeln einer „unmoralischen Figur“, die einerseits durch die „Fähigkeit zu Langsicht, Vorausplanung und Kalkulation“ sowie andererseits durch soziale Rück‐ sichtslosigkeit gekennzeichnet ist. 327 Die Wirkungsabsicht ist nach Röcke eher im „fas‐ sungslosen Staunen und Entsetzen“ als im Gelächter zu sehen. Bei meinem Versuch, literarische Lachfiguren im Zusammenhang mit theatralen Lach‐ figuren und professionellen Lustigmachern der Wirklichkeit zu sehen, verstehe ich im Fol‐ genden auch den Kalenberger Pfarrer von seiner performativen Funktion her als eine Figur, deren Aufgabe es in erster Linie ist, Gelächter auszulösen, innerhalb wie außerhalb des Textes. Er ist daher treffend als Possenreißer, als scurra zu bezeichnen, denn allein mit diesem Begriff lassen sich seine Handlungen in ihrer Gesamtheit, wie auch seine eigen‐ tümliche soziale Position zwischen Pfarrsprengel und Hof erklären: extravagante Körper‐ inszenierungen und schlagfertige Wortwitze am Hof, listige, kalkulierende Übervorteilung der Bauern, satirische Entlarvungsstreiche gegenüber den anderen Klerikern. So ist etwa die Transposition von Rätselaufgaben in lebende Bilder, wie im Falle der Ankunft am Bischofshof in Passau als „geritten und gegangen“, bei dem er mit einem Fuß im Steigbügel und mit dem anderen nebenher hüpfend auftritt, 328 des „geritten und ge‐ fahren“ an den Fürstenhof in Wien, indem er auf seinem auf dem Mistwagen stehenden Pferd sitzt (Vv. 1697 ff.), oder das Herumstolzieren in den mit Silber beschlagenen alten Schuhen (Vv. 1542 f.) kennzeichnend für die auf Lachen zielenden Handlungen des profes‐ sionellen scurra. Der Ruf des Pfarrers als Possenreißer geht ihm auch innerhalb der Hand‐ lung voraus und motiviert etwa die Schwänke mit dem Nachbarspfaffen und dem Bischof. So heißt es nach der ersten Sequenz der Bauernschwänke: Die mähr an bischoff kam geflogen, der bischoff der war zu Bassaw, er sprach: gern ich den pfaffen schaw, dauon man mir viel hat geseit, mancher der redt auf seinen eidt, wie er so viel der kuensten kundt, 6.5. Der Schwankheld als scurra 439 329 „Die geschicht des pfarrers vom Kalenberg“. In: Bobertag, Felix (Hg.): Narrenbuch. Kalenberger, Peter Leu. Neithart Fuchs. Markolf. Bruder Rausch. Berlin / Stuttgart 1884, S. 7-86. Bobertag legt seiner Edition den ältesten Augsburger Druck Jodocus Pflanzmanns zugrunde. Alle künftigen Zitate aus Bobertag mit Versangaben in Klammern. 330 Der Pfaffe tritt als Heiler auf und empfiehlt dem Bischof gegen seine Sehschwäche eine Nacht mit einer schönen Frau. Dieser ist davon überfordert und sieht am nächsten Tag alles doppelt, ist sozu‐ sagen gleichzeitig geheilt und entlarvt. 331 Schorbach, Karl (Hg.): Die Geschicht des Pfaffen vom Kalenberg. Heidelberg 1490. Halle / Saale 1905. Weitere Drucke erschienen 1582 (? ), 1596, um 1600, 1602, 1611, 1613, 1620. Vgl. Schanze, Frieder: ‚Volksbuch‘-Illustrationen in sekundärer Verwendung. Zur Erschließung verschollener Ausgaben des Pfaffen vom Kalenberg, Herzog Ernst, Sigenot und des Eckenliedes. Archiv für Geschichte des Buchwesens 26 (1986), S. 239-257. Zur engl. Übers. vgl. Schröder, Edward: Der ‚Parson of Kalenborow‘ und seine niederdeutsche Quelle. Jb. d. Vereins f. niederdt. Sprachforschung XIII (1887), S. 129 ff. 332 So heißt es dort im 72. Kapitel: „Wer jetzt kann treiben solches Werk / wie einst der Pfaff vom Ka‐ lenberg. / Oder Mönch Eilsam mit seinem Bart, / Der meint, er tu eine gute Fahrt.“ Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Übertragen von H. A. Junghans. Stuttgart 1964, S. 262. nach im so schicket da an der stundt. (Vv. 704-710) 329 Hier wird noch einmal in aller Klarheit deutlich, dass der Passauer Bischof nichts anderes als die „Kunst“ des Kalenbergers zu sehen wünscht; aufgrund der Geschichten, die ihm bislang hinterbracht worden waren, ist seine Neugierde auf scherzhafte Inszenierungen groß, wobei das „schaw“ als pikante Anspielung auf den Schwank des Doppelt-Sehens ver‐ standen werden dürfte. 330 Bevor jedoch die Frage nach der spezifischen Komik des Textes gestellt werden kann, muss, wie schon in den vorangegangenen Untersuchungen, die Frage nach dem Lachen geklärt werden, welches die komischen Strukturen ausrichtet und rahmt. Daher muss es auch hier wieder heißen: sollte der Druck von 1473 Lachen auslösen, und wenn ja, wie setzte er dieses Ziel um? Welches sind die semiotischen und performativen Stratagien des Textes, wie gelingt es ihm, komische Körperlichkeit vor Augen zu stellen? Damit ist auch die Frage nach dem medialen Status des Textes und seiner Einordung zwischen Aufführung, Schrift und Publikum verbunden. Publikum und Lachen: Rahmenbedingungen der Rezeption Der Schwankzyklus vom falschen Pfarrer hatte bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts einen ungeheuren Erfolg. Schorbach hat seit dem Erstdruck von Jodocus Pflanzmann (Augsburg 1473) bis 1560 insgesamt zwölf Drucke sowie drei Übertragungen ins Niederdeutsche (Lü‐ beck 1497), ins Niederländische (Amsterdam 1510 u. 1613) und von dort ins Englische mit dem Titel The Storie of the Parson of Kalenborow (Antwerpen 1520) nachgewiesen. 331 Wir müssen angesichts dieser druckgeschichtlichen Daten von einer hohen Popularität und Bekanntheit des Pfarrers im 15. Jh. im oberdeutschen, und zumindest nach 1497 auch im niederdeutschen Sprachraum ausgehen. Dies wird auch von der zeitgenössischen Rezeption bestätigt: Sebastian Brant setzt den Kalenberger Pfarrer 1494 ins Narrenschiff, wo er im Kapitel der „groben Narren“, welches den derb-obszönen und skatologischen Handlungen gewidmet ist, zusammen mit dem Mönch Ilsan aus der Dietrichepik einen Ehrenplatz ein‐ nimmt. 332 Dies wird später von Friedrich Dedekind in seinem Grobianus (1549) aufge‐ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 440 333 „Unnd ende damit mein Vorred und gib den Anfang Dil Ulenspiegels Geburtt mit Zulegung etlicher Fabulen des Pfaff Amîs und des Pfaffen von dem Kalenberg.“ Es handelt sich um die beiden Historien 14 und 23 (Flug über die Donau u. Die goldenen Hufeisen). Zit. nach: Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel, hg. von Lindow, S. 8. 334 Widmann, Achilles Jason: Histori Peter Lewen / des andern Kalenbergers, / was er für seltzame aben‐ thewr für gehabt vnd begangen, / in Reimen verfasst. Frankfurt a. M.1558. In: Bobertag, Felix, Narren‐ buch, S. 91-140. Im Text heißt es dann: Denn dieweil ich hoer, dass vor zeit/ Kalenberger ein pfaff on meß/ sein nit gestellet in vergeß (V. 44-46). 335 Zu diesem Ergebnis kommt Johannes Melters, der die intertextuellen und intermedialen Bezüge zwischen den einzelnen Schwankarbeiten aufgearbeitet hat. Vgl. Melters, Johannes: „ein frölich gemüt zu machen in schweren zeiten…“ Der Schwankroman in Mittelalter und Früher Neuzeit. Berlin 2004 (= Philolog. Studien und Quellen 185), S. 82. Aktenkundig ist auch das Interesse Maximilians und Luthers, die den Kalenberger Pfarrer kannten und schätzten, sowie der historiographischen Chro‐ nistik des beginnenden 16. Jahrhunderts, wo bereits über die Identität des Pfarrers spekuliert wird. Die Chroniken der Fugger und Aventins machen diesbezüglich Vorschläge. Weitere Erwähnungen bei Bebel, Agricola, Fischart, Nigrinus. Angaben bei Röcke, Die Freude am Bösen, S. 188 ff. 336 Dem Pfaffen erzieherische Absichten zu unterstellen, wie dies Wodarz-Eichner tut, ist nur in An‐ sätzen zu belegen. Vgl. Wodarz-Eichner, Eva: Narrenweisheit im Priestergewand. Zur Interpretation des spätmittelalterlichen Schwankromans „Die geschicht und histori des pfaffen vom Kalenberg“. Mün‐ chen 2007, S. 451 ff. nommen, wo der Pfarrer neben Bacchus unter den „groben Heiligen“ firmiert, also in ge‐ wissem Sinn zum Inspirator der grobianischen Sitten geworden ist. Zuvor jedoch erhält der Kalenberger auch in der Vorrede des Eulenspiegelbuchs den Status eines Vorläufers, indem die Geschichten des Pfarrers als Quelle für zwei Historien genannt werden. 333 Neben dem 1491-97 verfassten Neithart Fuchs bezieht sich auch im 16. Jahrhundert noch ein Schwank‐ roman auf ihn: so wird der riesenhafte Peter Leu schon im Titel der „Ander Kalenberger“ genannt. 334 Diese direkten Referenzen werden noch durch eine ganze Reihe intertextueller Bezüge ergänzt, sodass man durchaus davon sprechen kann, dass der Kalenberger auf Grund seiner Popularität stilbildend für spätere Texte, etwa auch das Eulenspiegelbuch, gewesen ist. 335 Der Pfaffe vom Kalenberg war somit einer der ersten komischen Helden der deutschen Literatur. Aus den Rezeptionszeugnissen lässt sich schließen, dass seine Geschichten nicht nur überregional verbreitet waren, sondern dass sie vor allem für ihre körperlich anstößige, derbe Komik von einer ständisch übergreifenden Hörer- und Leserschaft geschätzt wurde. Wir können annehmen, dass gerade die spannungsvolle Besetzung einer friedlichen, an‐ scheinend harmlosen Klerikerfigur mit den Zügen eines listigen und burlesken Possenrei‐ ßers nicht unwesentlich zu ihrem Erfolg beigetragen hat. Dabei wird die noch im Mittelalter bestehende, etwa für die Mären bis weit ins 15. Jahrhundert Gültigkeit besitzende Dualität von utilitas und delectatio zugunsten der letzteren verschoben. Was die geschicht bietet, ist in erster Linie Unterhaltungsliteratur, und nur auf den zweiten Blick lassen sich auch di‐ daktische Zwecksetzungen erkennen. 336 Fluchtpunkt der Streiche des Pfarrers am Hof ist die delectatio, die Lachen auslösende Kurzweil, die Unterhaltung von Hörern und Lesern, die in der geschicht Frankfurters die Konturen eines eigenen ästhetischen Werts gewinnt. Die Tatsache, dass in keinem einzigen der nicht wenigen Rezeptionszeugnisse der Name des Verfassers, Frankfurter, genannt wird, und dass die Schwänke immer nach dem Namen ihres Protagonisten, dem Kalenberger Pfaffen, geführt wurden, deutet auf die hohe Attrak‐ tivität der Figur selbst hin. Deshalb scheint es allzu vorsichtig formuliert, die Gründe für 6.5. Der Schwankheld als scurra 441 337 Der Pfarrer vereine listige Überlegenheit mit satirischem Hohn und „Kontrafaktur zur höfischen Norm“. Röcke, Die Freude am Bösen, S. 162. 338 Vgl. dazu Melters: „Auch hier wird also der Titelheld durch die Typographie in den Vordergrund gerückt als die zentrale, die Einzelepisoden verzahnende Instanz mit hohem Wiedererkennungswert wie im Amîs und auch im Ulenspiegel“. Melters, ein frölich gemüt zu machen, S. 156. 339 Vgl. Jauß, Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden, S. 107-117. 340 „wer indert do ein pider man, / vnd der noch weitter wer geweßen / den ich vnd hat sein meer geleßen, / der mag es wol setzen her zue. / Wol beide spotte und auch frue / pleibt es von mir vnauß geschlagen, / ich wolt im des genade sagen, / wan nindert lebt auff erd kein man / der alle dinck gantz wissen kann.“ (Vv. 2157-66) die hohe Popularität des Buches „in der Vielfalt komischer Situationen und Techniken“ zu sehen. 337 Diese Aussage verkennt, dass es die Schwankfigur selbst ist, die die Vielfalt in sich trägt, indem sie in ihrem mehrdimensionalen Aufbau den Anforderungen eines professio‐ nellen Possenreißers am weitesten zu entsprechen vermag, eines Helden, der schichten- und situationsspezifisch auf die Angriffe jedes beliebigen Gegners mit überlegener Komik reagieren kann und dadurch eine hohe Attraktivität als Unterhalter für den Fürstenhof besitzt. Diese Zentralstellung der Hauptfigur für die Faszination des Buches wird auch durch das feste Bildprogramm der Holzschnitte, die die überlieferten Kalenberger-Drucke durchziehen, bestätigt, denn darin wird der Protagonist ikonographisch durch seine Klei‐ dung (Klerikergewand und Kappe) unverwechselbar in Szene gesetzt. 338 Die mit Hilfe der Holzschnitte imaginierte Pfarrerfigur kann alle Formen der Komik, die in der geschicht inszeniert werden, auf sich vereinen. Dies macht sie zur exzellenten ‚Lach‐ figur‘, zu einer Figur mit hoher individueller Wiedererkennbarkeit, die bei allen erzählten Handlungen die Imagination begleitet und einen erheblichen Anteil an den Lachanlässen trägt. Lachen erscheint so als die Hauptintention der Schwänke, ob als Aus- und Verlachen der vom Pfarrer Entlarvten und Überlisteten, oder als Lachen über seine einfallsreichen Inszenierungen. Der Kalenberger erfüllt alle Merkmale des Possenreißers, des Schelmen oder gumpelman: andere zu Narren machen, damit sie als Narren ausgelacht werden können, und selbst den Narren spielen, über den gelacht werden kann. Die Jauß’sche Du‐ alität des Vergnügens am komischen Helden ist somit im Kalenberger vollständig gegeben: in den meisten Bauern- und Klerikerschwänken als ein „Lachen mit“, ein überlegenes bzw. strafendes Verlachen, in den anderen Schwänken als ein „Lachen über“, ein den wirkungs‐ vollen närrischen Inszenierungen des Pfarrers geltendes Lachen über Neues und Überra‐ schendes, wie es bei Sacchettis Helden der Fall war. 339 Auf Lachen als Wirkungsabsicht und Rahmen der Rezeption deutet auch das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit hin: Während die Streiche des Pfarrers vermutlich durch den gedruckten Schwankroman überregional bekannter wurden, mussten sie vor dem Druck, wie auch im Falle der Buffonen Sacchettis und des Neithart Fuchs, vorher schon mündlich kursiert sein. Dies erklärt einerseits, warum sich der Name des Schwankhelden als Werktitel durchgesetzt hat, und andererseits die Aufforderung Frankfurters im Epilog, weitere Schwänke, so sie bekannt seien, dem Text hinzuzufügen. 340 Auch wenn solche Aus‐ sagen auch in anderen Schwankromanen und Schwankbüchern (etwa Wickrams Rollwa‐ genbüchlein) erscheinen, um eine ursprüngliche orale Kommunikation zu inszenieren und dem Schrifttext dadurch Performativität zu verleihen suchen, besitzen wir im Falle des 6. Erzählung, Imagination und Lachen 442 341 Maschek, Hermann: Die Geschichte des Pfarrers vom Kalenberg. Historische Grundlagen. Verfasser. Entstehungszeit. In: ZfdA 73 (1937), S. 33-46 u. Zu den Schwänken vom Kalenberger. In: ZfdA 75 (1938), S. 25-27, S. 26. 342 Dies haben Hans-Jürgen Bachorski und Elisabeth Arend an unterschiedlichen Gegenständen und auf unterschiedlichen Wegen zeigen können: Vgl. dazu Bachorski, Hans-Jürgen: „Poggios Facetien und das Problem der Performativität des toten Witzes“. Zeitschrift für Germanistik N. F. Jg. XI (2001) H. 2, S. 274-291 u. Arend, Lachen und Komik in Giovanni Boccaccios Decameron. Frankfurt a. M.2004. 343 Zu diesem Ergebnis kommt Viktor Dollmayr nach eingehender sprachlicher und stilistischer Analyse des Druckes von Pflanzmann. Er resümiert: „… hiebei die Mittel der Darstellung aus der mündlichen Redeweise seiner Umgebung, der Wiener Umgangssprache der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts holte, über diese fast nie sich erhebt…“. Einleitung der Ausgabe von Dollmayr, Die Geschichte des Pfarrers vom Kalenberg, S. LXXXI. Kalenbergers einen präzisen Beleg auf die Existenz einiger Schwänke vor dem Druck Frankfurters: Mit dem Titel „Facetiae presbyteri de Kalenberg“ ist in einem Kodex der Münchner Staatsbibliothek auf der unteren Hälfte von Blatt 71v eine Art Inhaltsangabe von insgesamt sechs Schwänken auf nur 22 Zeilen aufgezeichnet. Die in einer lateinisch-deutschen Misch‐ sprache verfasste Abschrift stammt von dem Nürnberger Humanisten Hermann Schedel, vermutlich aus der Zeit um 1462. Schedel hatte übrige leere Blätter der Handschrift dazu benutzt, „um einige Merkverse, Federproben und geschichtliche Daten über Ereignisse an der Leipziger Universität (…) einzutragen.“ 341 Man hat diesem Dokument keine größere Bedeutung zugewiesen, da die Schwänke nur knapp angedeutet und lediglich „die Anfänge“ vermerkt seien. Maschek vermutet, dass sie als Erinnerungseintrag zu verstehen sind, die einen längeren mündlichen Erzähltext schriftlich aufzeichnet, um ihn dann jederzeit wieder in die Mündlichkeit transponieren zu können. Wir haben es hier mit einem performativen Skript zu tun, das sowohl die Spuren der Mündlichkeit aufweist (über die Hälfte des Textes ist in direkter Rede gefasst, das Lateini‐ sche kommt ohne volkssprachliche Wendungen nicht aus), als auch in seiner rudimentären Form und seiner völligen Unselbständigkeit auf abermalige mündlich-gestische Aufführung hindeutet. Und hier ist das eigentliche ‚Sitz im Leben‘ der Geschichten vom Pfaffen vom Kalenberg zu erkennen: im geselligen Gespräch, entweder unter Studenten bzw. Männer‐ freunden, bei Tisch, auf Reisen, auf dem Marktplatz oder, wie das für die Fazetien festgestellt wurde, im Bad, überall dort, wo Raum für Gelächter ist. Wenn aber die Schwänke vom Kalenberger Pfaffen ein genuines Produkt der spätmittelalterlichen Mündlichkeit sind, er‐ klärt sich auch seine Funktion als Lachanlass besser: durch die face-to-face-Kommunikation des geselligen Miteinanders, die im Lachen das Ziel ihrer Unterhaltung sieht. 342 Spuren dieser Rezeptionsform sind in Frankfurters gedrucktem Text deutlich erkennbar, etwa in dem Hinweis im Epilog, dass der Schwankzyklus vorgelesen und gehört würde („die die legent horen leßen“, V. 2169). Es ist nicht unbedeutend, ob wir bei der Frage nach dem Lachen in der Rezeptionssitu‐ ation den Augsburger Druck von 1473 als Ausgangspunkt nehmen, oder ob wir annehmen, dass dieser Druck auf einer mündlichen Erzähltradition aufbaut, von welcher er Teile zu einer stringenten Schwankbiographie zusammenfasst, wie auch immer von Frankfurter kunstvoll erweitert und aneinandergefügt. Wenn dem Druck eine solche Erzähltradition zugrunde liegt, und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, 343 dann ist es auch nahe liegend, 6.5. Der Schwankheld als scurra 443 344 Coxon unterscheidet in seiner Analyse der Schwankmären neben unterschiedlichen Lachanlässen auch das Lachen selbst, ein methodisch schwieriger, doch vollkommen legitimer und richtiger Weg. Vgl. Coxon, Laughter and Narrative, S. 34-83. 345 Vgl. dazu Kotthoff, Helga: Konversationelle Karikaturen. Über Selbst- und Fremdstilisierungen in Alltagsgesprächen. In: Röcke / Velten (Hg.): Lachgemeinschaften, S. 331-351. 346 Vv. 1450-52 u. V. 1668. dass er, ebenso wie die mündlichen Erzählungen, die Rezeptionsform der geselligen Un‐ terhaltung und somit Lachen bei seinem Publikum voraussetzt. Um diesem Lachen auf der Rezeptionsebene näher zu kommen, werde ich im Folgenden wiederum zunächst die in‐ nertextuellen Lachreferenzen untersuchen. Innertextuelle Lachreferenzen Die geschicht Frankfurters weist im Vergleich zu den bisher untersuchten Texten deutlich mehr innertextuelle Lachreferenzen auf. Wer lacht aber hier und worüber? Allen voran der Herzog und die Herzogin sowie ihr Hofstaat, aber auch die Höflinge am Bischofshof, kurz: höfische Lachgruppen lachen über die Verrichtungen und Späße des Pfaffen. Doch handelt es sich keineswegs immer um dasselbe Lachen, und auch die Lachanlässe sind sehr ver‐ schieden. Schließlich sind mit dem Lachen des Adels auch nicht alle Lachreferenzen er‐ schöpft. 344 Das häufigste Lachen ist jenes des Fürstenpaares, welches die große Schwanksequenz anlässlich des Besuch Elisabeths beim Pfarrer dominiert: es beginnt mit dem Bericht der Herzogin über das „wunderliche thier“, das sie beim Waschen seiner Hosen in der Donau erblickt habe, ein Bericht, dessen Empörung gespielt und ironisch eingekleidet ist („Vil schmutzlichen sie das sprach“, V. 971). Auch der Fürst fragt bei ihrer Heimkehr „mit schonem vnd lachendem mundt“ (V. 977), ob sie nicht ein Abenteuer zu erzählen hätte. Als sie das Vorgefallene wiedergibt, bricht er in herzhaftes Lachen aus (Vv. 992-94), ein Lachen über das Gelingen eines offensichtlich vorher eingefädelten, zumindest von ihm gewussten Streichs des Pfarrers. Auf dieses erste „konversationelle Lachen“ 345 des Fürstenpaares folgt nun ein zweites zwischen Herzogin und Pfarrer: Anlässlich ihres Besuchs führt dieser sich närrisch auf und inszeniert einige Ritualparodien und Witze, worüber sie herzlich lachen muss (vgl. dazu ausführlich das nächste Kapitel). Anders gelagert ist das Lachen des Fürsten auf schwankhafte Listhandlungen des Pfar‐ rers, wie etwa im Schuhschwank und im Sackschwank. Es ist das abschließende, gutwillige Lachen des gönnerhaften Einverständnisses, das sowohl dem Streich seines Narren wie auch dessen schlagfertiger Unverfrorenheit gilt. 346 Dagegen ist das Lachen der Fürstin über den Hunger leidenden Pfarrer beim fürstlichen Mahl von anderer Natur: es zeigt die Freude über die gelungene, stets scherzhaft gemeinte Revanche gegenüber der kargen Bewirtung im Hause des Pfaffen an: Die hertzogin die lacht vnd sprach, do sie den pfarrer sitzen sach: Lieber pfarrer, nun nempt vergut: gleich alß ir eueren gesten thut, 6. Erzählung, Imagination und Lachen 444 mit dissem lan man eüch bezal. Die herren lachten in dem sal. (Vv. 1499-1504) Hier wird der Pfarrer vom gesamten Hofstaat ausgelacht: es handelt sich in beiden Fällen um ein Lachen aus Schadenfreude, denn diesmal ist es dem Fürstenpaar gelungen, den Pfarrer einmal zu überlisten und ihn vor allen bloßzustellen: er wird zum Mahl geladen, bekommt aber nichts auf den Teller. Es dauert allerdings nicht lange, und der Kalenberger gibt den Spott auf seine Weise zurück: Bei der Ausfahrt auf dem Mistwagen entschuldigt er sich nach längerer Zeit bei der Herzogin dafür, dass er sie nicht begrüßt habe: Er habe sie aus seiner erhöhten Position auf Wagen und Pferd eben einfach „vber sehen“. Die Re‐ aktion ist einer Fürstin angemessen: „Die fraw die sprach vnd lacht in an: / Ir seidt ein seltzam hoffman“. (Vv. 1739-40) Fast ebenso dominant wie das Lachen des Herzogspaares ist im Text das gemeinschaft‐ liche Lachen des Hofes, wie es im eben zitierten Vers „Die herren lachten in dem sal“ zum Ausdruck kommt. Die Schlüsselszene für dieses Gelächter ist der Schwank mit den Bauern, welche auf Anraten des Pfaffen den Fürsten in der Badestube suchen, die sich jedoch plötz‐ lich nackt im Speisesaal wiederfinden: „Allererst hubens an zu lachen / der fürst vnd auch die massanei“ (Vv. 1328-29). Hier kommt es zu einem zweiten Gemeinschaftslachen, das über die eigentliche Szene hinaus auf eine unbestimmte Zeit danach verweist, eine zer‐ dehnte Kommunikationssituation gewissermaßen, die das Lachen medial erweitert und verstärkt: Ir wardt gelachet an dem hof hernach gar offt manche stund do auß vil reinem süessem mund. (Vv. 1314-16) Dieses überlegene Lachen des Hofes ist nicht nur zeitlich begrenzt, auch örtlich kann es sich ausdehnen. So im Fall der Bischofsschwänke am Passauer Hof, wo ebenso eine höfische Öffentlichkeit vorhanden ist, die analog zum Gelächter über die nackten Bauern über den altersschwachen und lüsternen Bischof, gleichzeitig aber auch über die gelungene Insze‐ nierung der Entlarvung des Bischofs lacht: Des schmutzte alle masanei das er so wol sein buberei bedecken kunt mit fantasei. (Vv. 778-80) Die masanei ist eine Art textinterne, am fürstlichen und am Bischofshof anwesende Kon‐ trollinstanz, die nicht nur diesen Schwank des Pfarrers, sondern potentiell alle erzählten Schwänke mit Lachen quittieren kann. Wie das Herzogspaar auch gehört die masanei, der Hofstaat, zu den im Text anwesenden Lachern, die eine doppelte Funktion besitzen: Sie sollen einerseits signalisieren, dass die Streiche des Possenreißers auf vielfältige Weise zum Lachen sind, dass hier ein komisches Geschehen „zum Lachen“ aufgeführt wird, und an‐ dererseits dienen sie als konkrete Rezeptionsmodelle für das Lachen der außertextuellen Gemeinschaften, die dieselben Schwänke hören oder lesen. Textinterner Adressat der Schwänke des Kalenbergers ist - wie auch im Neithart Fuchs - somit der Wiener Hof, der Herzog und die Herzogin (internes Publikum). Sie haben Steuerungsfunktion für die Hörer und Leser des Schwankbuches (externes Publikum), indem sie das Modell einer Lachge‐ 6.5. Der Schwankheld als scurra 445 meinschaft vorgeben, welche sich zwar nicht in jedem Schwank aufs Neue manifestiert, jedoch prinzipiell leitenden Charakter für den Gesamttext hat. Dies wird auch an einer anderen Lachreferenz deutlich: in den Versen 954-55 heißt es nach der Szene mit dem nackten, seine Hose waschenden Pfarrers: „zu ploß sich schier gelachet heet / mancher, dem es wart geseit.“ Damit ist nicht nur der Herzog und sein Hof als innertextuelle Lachgemeinschaft gemeint, die Aussage kann sich auf alle anderen Per‐ sonen im Text beziehen: Eine Performance miterleben und sie erzählen liegen somit auf der gleichen Ebene (wie in Jouberts Traicté dv Ris), und der Text macht hier auch nicht den geringsten Unterschied im Lachen. Bezogen auf die Rezeptionsebene bedeutet diese Gleich‐ setzung von Aufführen und Erzählen, dass das Lachen über dieses Bild aus seinem Ereig‐ niszusammenhang herausgehoben und wie ein übergeordnetes Programm zwischen Text und Publikum gestellt wird. Dass das innertextuelle Lachen, das prinzipiell alle listigen Strategien und komischen Inszenierungen des Pfarrers begleitet, auch präsent sein kann, ohne explizit erwähnt zu werden, zeigt der Eingangsschwank: Ein Student investiert mit geliehenem Geld in den Kauf eines gewaltigen Fisches; zusätzlich leiht er sich ein „pesser gewant“, um den Fisch dem Fürsten zu schenken, da er sich als Gegengabe eine Pfarre erhofft. Doch ohne das Lachen des Fürsten und des Hofes würde der Streich nicht funktionieren; nur durch den Torhüterschwank gelingt es dem Studenten erst, den Fürsten von seiner Kunst des Pos‐ senreißens zu überzeugen und ihn so wohlwollend zu stimmen, dass er das Gewünschte schließlich auch erhält. Lachen ist hier nicht nur ein sekundäres Ziel der Handlungen des Studenten, sondern Dreh- und Angelpunkt der gesamten Inszenierung, ohne den sie keinen Erfolg hätte. Zum Schluss ist noch eine weitere Lachreferenz anzuführen, die weder symptomatisch noch typisch für den Text ist, jedoch trotzdem Erwähnung finden muss. Auch der Pfarrer vermag zu lachen, und er tut es genau einmal im Text: nämlich an der Stelle, als die Bauern sich über die Hose als Prozessionsfahne beschweren und sich schämen, mit ihr zu wallen, da lacht der Pfarrer sie aus: 6. Erzählung, Imagination und Lachen 446 347 Sogar die Bauern lachen einmal, auch aus Vorfreude, doch eben diese wird durch die List des Pfaffen getrübt. Auch der Pfarrer lacht aus Vorfreude vor dem Wettstreit mit dem anderen Pfarrer (V. 510). In beiden Fällen ist das Lachen Ausdruck der Überlegenheit: im ersten Fall jedoch wird es bestraft, im zweiten war es berechtigt. 348 Ich benutze im Folgenden den deutschen Begriff ‚Scherzverhältnis‘. Zu Herkunft und Bedeutung des Begriffs joking relationship vgl. Teil 1 u. Teil 3. Bei der Übertragung dieses auf Verwandtschaftsver‐ hältnisse bezogenen Terminus auf soziale Beziehungen ist mir seine Funktion wichtig: Scherzver‐ hältnisse beschränken die Möglichkeiten für Konflikte und führen zu einer verstärkten Einbindung von potentiell gefährlichen sozialen Beziehungen. Vgl. dazu Radcliffe-Brown, Albert R.: On joking relationships. In: The Social Anthropology of Radcliffe Brown. Hg. von Adam Kemper. London 1977. S. 174-188, hier S. 174 f. Der pfarrer der hub an vnd lacht, er sprach: ist des teuffels scheütz, wir armen leüt tragen armes creütz, seidt ir nit anders wollen kauffen, des müst ir noch der prüch hin lauffen. (Vv. 1924-27) Dieses Lachen würde ich als Lachen des Possenreißers bezeichnen. Es ist kein antwortendes Lachen auf komische Inszenierungen oder witzige Reden, es ist ein kalkuliertes, den Stra‐ tegien des Streiches untergeordnetes Auslachen der Bauern, damit diese umso schneller seinen Willen tun. Es antizipiert das Lachen derjenigen, die sehen werden, wie die Bauern „noch der prüch hin lauffen“, falls sie sich nicht doch entscheiden sollten, eine neue Fahne zu beschaffen. Es ist somit auch ein Lachen über ein anderes Lachen, das noch nicht ein‐ getreten ist, aber durchaus eintreten könnte, ein Lachen aus Vorfreude über ein Lachen aus Schadenfreude. Diese Komplexität des Lachens ist jedoch, ich erwähnte es, nur einmal im Text zu finden, und sie ist zweifellos dem Herrscher über das Lachen, dem scurra vorbe‐ halten. 347 Damit verdankt sich innertextuelles Lachen in Frankfurters geschicht zahlreichen und unterschiedlichen Anlässen. Dennoch lassen sich die närrischen Inszenierungen, die Streiche des Pfarrers als Hauptursachen für das Gelächter des Fürstenpaares und der höfi‐ schen Lachgemeinschaften benennen: es sind meist Inversionen und Transgressionen von kirchlichen und höfischen Ritualen und der Umgang mit ihnen, die Gelächter hervorrufen. Prominent ist auch hier wiederum die Stellung von burlesken Körperinszenierungen so‐ wohl bei den Verlachten als auch beim Possenreißer selbst. Dies soll im Folgenden genauer untersucht werden. Pfaffe und Herzogin: Funktionen eines erotischen Scherzverhältnisses Einer der interessantesten Aspekte in Frankfurters geschicht ist das joking relationship 348 zwischen dem Pfaffen und der Herzogin. Es ist von Konkurrenz und erotischer Attraktion geprägt, sodass bei ihren Begegnungen der Herzog als unsichtbarer Dritter immer präsent bleibt. Dieser wiederum trägt maßgeblich zur Einsetzung des Scherzverhältnisses zwischen seiner Frau und dem närrischen Pfarrer bei und genießt die daraus hervorgehende Komik. Noch bevor der Herzog in näheren Kontakt mit seinem Pfarrer tritt, fädelt dieser die erste pikante Begegnung mit „fraw Elpet do von Payren“ ein, indem er gerade in dem Moment, 6.5. Der Schwankheld als scurra 447 349 Nacktheit als Schamursache ist für das Mittelalter häufig belegt. Vgl. Gvozdeva / Velten (Hg.), Scham und Schamlosigkeit, Einl. S. 8 f. als die Fürstin unter musikalischer Begleitung eine Bootsfahrt auf der Donau unternimmt, ostentativ seine Hosen am Ufer wäscht, sodass man sein Hinterteil und darunter die Ge‐ schlechtsteile hin- und herbaumeln sieht: Das der pfarrer ein niderkleit dort stund vnd reckt den arß her fueer, er achtet nit, wer sich enpueer fuer hin, das acht er alles klein, die kletzel sein wol pei dem pein die schlencklent hin vnd auch heer. (Vv. 956-61) Das obszöne Bild dieser Ostentation der pudenda nimmt die Herzogin ebenso wahr wie der Hörer / Leser, sie darf sich aber ihrem Stand gemäß keine Blöße geben und gibt zunächst vor, das Bild nicht zu erkennen („siech liebe, was wescht in dem pach? Es hat ein seltzam ane schaw“ (Vv. 946-47). Das Lachen, das nun thematisiert wird („Zu ploß sich schier ge‐ lachet heet / mancher, dem es ward geseit“, Vv. 954-55), gilt auch weniger dem nackten Pfarrer selbst, sondern gerade der Tatsache, dass die Herzogin unfreiwillig zur Zuschauerin des nackten Pfarrers wird, aus Gründen des Anstands aber vorgibt, ein „wunderliches thier“ zu sehen. So kann sie die höfisch normkonforme Reaktion, nämlich schamrot zu werden, 349 zunächst vermeiden, und gewinnt Zeit, indem sie mehr über das Gesehene wissen will. Jene, die das Ereignis in Form der Erzählung erfahren, und somit auch Hörer und Leser des Schwankbuchs, können nicht nur über das anschaulich bewegte Bild des mit dem Hintern bleckenden und den Hoden schlenkernden Pfarrers amüsieren, sondern gerade auch über die Peinlichkeit der ambivalenten und für die Augen der Fürstin unerträglichen Situation (ähnlich jener im Veilchenschwank der Neidharttradition). Dass es der Fürstin zunächst gelingt, diese Peinlichkeit zu überspielen, ist ein weiterer komischer Impuls für den Be‐ obachter zweiter Ordnung, der sich über die widerstreitenden Emotionen dieser ostenta‐ tiven Provokation bei den Beteiligten amüsieren kann. Erst nachdem man ihr hinterbracht hat, dass es sich bei dem „wunderlichen thier“ um den Hosen waschenden Pfarrer handelt, reagiert die Herzogin angemessen mit dem „Pfeü in“, einer Geste der Ablehnung, wenn nicht des Abscheus, denn einem Pfarrer geziemt das nicht. Dennoch scheint sie dem Pfarrer das Ganze nicht übel zu nehmen, im Gegenteil, denn im nächsten Vers heißt es schon: „Vil schmutzlichen sie das sprach“ (V. 971), eine ironische Aussage, die darauf hinweist, dass ihr die ambivalente Situation zwischen Indignation und Amusement, das abenthewr, wie der Fürst es später nennen wird, sehr wohl gefallen hat; diese Ambivalenz ist Voraussetzung für die Schaffung eines erotisch gefärbten Scherzver‐ hältnisses zwischen beiden. Dass hier Erotik im Spiel ist, wird auf der semiotischen Ebene der Nacktheit noch nicht deutlich: denn biblisch deutet sie auf Sündhaftigkeit hin, sozialständisch auf das Fehlen einer dem Klerus angemessenen Körperscham und ökonomisch auf die Mittellosigkeit des 6. Erzählung, Imagination und Lachen 448 350 Die Komik des Bildes liegt in der Terminologie Jouberts darin, dass es sich um einen inszenierten fait ridicule handelt, um die Darstellung von etwas Körperlichem, das Scham auslöst. Joubert ge‐ braucht dabei ein Beispiel zu Aristoteles Definition des Lächerlichen: Ein nackter Hintern erzeugt Lachen, weil unsere sittliche Norm besagt, dass Hintern verhüllt sein müssen und dass ihr Anblick hässlich ist. Wir lachen über das Vorzeigen der pudenda, wenn es ohne Grund geschieht und ohne schädliche Konsequenzen bleibt. Joubert, Traité dv ris, II. Buch: „Des fais ridicules“, S. 20. 351 Zur Hose als Symbol für Geschlechterherrschaft und Männlichkeit vgl. Metken, Sigrid: Der Kampf um die Hose. Geschlechterstreit um die Macht im Haus. Die Geschichte eines Symbols. Frankfurt a. M./ New York 1996. 352 “Perspicitis genus hoc quam sit facetum, quam elegans, quam oratorium, sive habeas vere quod narrare possis, quod tamen est mendaciunculis aspergendum, sive fingas. Est autem huius generis virtus, ut ita facta demonstres, ut mores eius, de quo narres, ut sermo, ut vultus omnes exprimantur, ut eis, qui audiunt, tum geri illa fierique videantur“. Cicero, De Orat. II. LIX, 241. Pfaffen. Auch der nackte Hintern als Spott- und Abwehrgeste ist darin aufgehoben. 350 Le‐ diglich durch das Symbol der im Fluss gewaschenen Hose, ein geläufiges, hier lächerlich gebrauchtes Zeichen für Männlichkeit und Potenz, wird ein erotischer Unterton ange‐ schlagen. 351 Allerdings ist die Erotik der Szene mit semiotischen Mitteln auch kaum greifbar, denn sie kommt erst durch den theatralen Vorgang des Waschens und den voyeuristischen Blick, mit dem er inszeniert wird, ins Spiel, und im Hinblick auf die sich rhythmisch be‐ wegenden pudenda wird das Ganze sogar obszön. Dass die Szene so stark wirkt, liegt ei‐ nerseits natürlich an der Art, wie hier fazete Inhalte erzählt werden: Körperhaltung und Körperbewegungen im Raum isolieren sich zu einem effektvollen Bild, das durch die Kom‐ bination einer unangemessenen Tätigkeit mit sexuellen und obszönen Vorgängen entspre‐ chend ambivalente Gefühle und Vorstellungen (Abscheu, Schrecken, Scham, Lust) erzeugt. Die Veranschaulichung des Körperlichen geschieht hier direkt, ohne metaphorische Um‐ schreibung (nimmt man einmal die kletzel (Klümpchen) als mundartliche Bezeichnung für die männlichen Testikel aus), sodass „die Zuhörer meinen, die Sache geschehe und ereigne sich eben jetzt vor ihren Augen.“ 352 Nach Cicero ist gerade diese bildliche Körperlichkeit des komischen Geschehens eine Voraussetzung für die Wirkung von fazeten Reden. Dass es sich hier durchaus um eine erotische Aufladung handelt, zeigt die Möglichkeit, diese Szene als parodistische Variante auf das von Begehren und Furcht dominierte Ver‐ hältnis zwischen dem Narren (Arnolt) und der Königstochter aus Pseudo-Konrads „Diu halbe birne“ zu lesen. Auch dort bringt der Anblick des Gemächts der Narrenfigur die hö‐ fische Dame aus der Fassung, sodass sie von ihrer bislang mühsam unterdrückten sexuellen Lust erfasst wird. Während aber der Ritter im Narrenkörper auf Grund der Vorgeschichte die Trieb- und Sündhaftigkeit der Dame entlarven will, geht es dem Kalenberger bei ähn‐ licher Funktion des Körperlichen nurmehr um die erotisch unterlegte Neugierde der Fürstin. So kann das sich nun konstituierende Scherzverhältnis - als erotisches Neckspiel - auch als Andeutung für eine unstatthafte außereheliche Beziehung gelesen werden. Dabei ist der Herzog selbst vitaler Teil der Scherzbeziehung: Seine scheinbar harmlose Frage, ob sie nicht ein Abenteuer zu erzählen hätte, stellt er „mit schonem vnd lachendem mundt“ (977), als ob er bereits wissen würde, was passiert ist, und die Komik des Vorgangs noch einmal von ihr direkt erfahren wolle, gewissermaßen im Abglanz der Mischung aus Empörung und Anziehung. Deutlich wird bald, dass der Pfarrer durch seine sexuellen An‐ 6.5. Der Schwankheld als scurra 449 353 Camporesi, Piero: Rustici e buffoni. Cultura popolare e cultura d’élite fra Medioevo ed età moderna. Torino 1999, S. 114-120. Vgl. auch Streck, Bernhard: Priester und Prophet. In: Ders. (Hg.): Wörterbuch der Ethnologie. 2. u. erw. Aufl. Wuppertal 2000, S. 167-170. 354 Dass Schamanen deshalb in der Ethnologie der älteren Zeit als Scharlatane betrachtet wurden, zeigt ihr ambivalenter Charakter. Vgl. Weber, Max: Ges. Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 2. Tübingen 1922. Vgl. zu diesem Motivkomplex auch Jakobson, Roman: Medieval Mock Mystery (the old Czech ‚Unguentarius‘). In: R. J.: Selected Writings VI, 2. Berlin 1985, S. 666-690. 355 Diese von Röcke gebrauchte Wendung trifft zwar auf einige Hofschwänke zu, aber nicht in diesem Kontext der (anti)rituellen Profanierung von sakralen Gegenständen. Vgl. Röcke, Die Freude am Bösen, S. 163. züglichkeiten auch eine Scherzkommunikation zwischen dem Fürstenpaar in Gang zu setzen vermocht hat, das seinerseits in erotisch codierte Freude mündet: Der fürst erlacht mit gantzer krafft von gantzem seinem hertzen, er treib mit ir freud vnd schertzen. (Vv. 994-96) Der Pfarrer wächst in diesem Beispiel deutlich über seine Rolle als scurra hinaus und wird zum höfische Freude und Lebenslust schaffenden, euphorisierenden Magier, zum Frucht‐ barkeit stiftenden Dämon durch Lachen. In dieser Funktion transportiert er Reste der my‐ thischen, zotenreißenden Schamanenfigur, des mit Charisma begabten Priesters der heid‐ nischen Agrarkulte, welcher ein Meister der rituellen Obszönität gewesen war. 353 Priester und Possenreißer verschmelzen zu einer dämonisch-burlesken Figur, die als Regisseur des Lachens und Gebieter über rituelle Komik die Stimmung des Fürstenpaares heben und duch ihre charismatische Alterität Freude spenden kann. 354 So überrascht es nicht, wenn die Fürstin aus Neugierde dem Pfarrer einen Besuch ab‐ statten will, um herauszufinden, „warumb er selbst gewaschen hat“, V. 1007). Auch der Herzog ist sehr zufrieden mit diesem Plan und kann den Ausgang des neuerlichen Aben‐ teuers seiner Frau kaum erwarten: Der fuerst het grosse freüd daran, das do die fraw zum pfarrer reit. Kaum er der abenteür enbeit, wie sie der pfaff gewürden wuerd. (Vv. 1012-15) Kaum ist die Herzogin beim Pfarrer, beginnt eine Reihe närrischer Szenen, die weniger als „Kontrafakturen zur höfischen Norm“ 355 sondern als komische Ritualverkehrungen zu be‐ zeichnen wären. Der Pfaffe muss nicht nur anstelle seiner Haushälterinnen selbst kochen, waschen und heizen, was eine Verletzung seiner Standeswürde bedeutet, er profaniert auch sakrale Gegenstände wie den Messkelch und die hölzernen Apostelstatuen, die er als Brennholz benutzt. Seine Handlungen sind weder notwendig noch sinnvoll: sie dienen vornehmlich dazu, durch unerwartete und „närrische“ Performances die Aufmerksamkeit der Fürstin zu erregen und mit ihr erheiternde und erotisch aufgeladene Gespräche zu führen. Gleich zu Beginn antwortet er auf ihre Fragen: „vnd müst ir selber kochen? (…) vnd habt ir weder meid noch dieren? “ (Vv. 1030) mit dem Hinweis auf seine beiden „lusperliche[n]“ jungen Mädchen, die ihm am „leib“ mehr nützen würden, spricht also offen über die sexuelle 6. Erzählung, Imagination und Lachen 450 356 Da Possenreißer üblicherweise mit Kleidung entlohnt wurden, könnte man hier eine weitere An‐ spielung auf die eigentliche Tätigkeit des Pfarrers (und seiner beiden Angestellten) sehen. Komponente der Haushälterschaft. Mit diesen Verkehrungen ist einerseits auf die außer‐ gewöhnliche sexuelle Potenz des Pfarrers angespielt, und andererseits erreicht der Pfarrer bei der Herzogin, dass sie seinen Mägden zwei Hofkleider schenkt, eine ebenso falsche und unangemessene Antwort auf die verkehrten Verrichtungen ihres Dienstherren. 356 Danach beginnt ein ambivalent-erotisches Zwiegespräch zwischen Pfarrer und Fürstin, als die Her‐ zogin auf Grund der versäumten Bewirtung zu Trinken verlangt, worauf der Pfaffe Wein in einem Abendmahlskelch aus der Kirche bringt, den er als „wunderer“ preist. Einen sol‐ chen Wein habe selbst der Papst nicht: Das Wunder der Transsubstantiation wird hier in einen erotischen Kontext transponiert und verhöhnt, da die Fürstin sich auf das Spiel ein‐ lässt und antwortet: „so last besehen, / was er do wunders hie begee“ (Vv.1110-11) Wie‐ derum klingen frivole Untertöne an, die in dem Satz „vntten an der scheüren poden er sach: disser kellich ist wol gemacht“ gipfeln, welcher auch als erotische Anspielung auf den Un‐ terleib der Fürstin gelesen werden kann. Dass die Herzogin beim Trinken dem Pfarrer näher kommt, zeigt der nächste Vers: der frawen rotter mundt do lacht, sie heiß den pfarrer nider sitzen vnd do pflag er do vil grosser witzen. (Vv. 1122-24) Im Anschluss folgt der Apostelschwank, der in das erotische Setting eingebunden wird, und als das deutlichste Kennzeichen von scurrilitas gewertet werden darf: während der Pfaffe die hölzernen Apostelstatuen seiner Kirche im Ofen verfeuert, um die Stube zu heizen, darf die Fürstin den Vorgang durch „ein lochlein das gieng durch die thür“ mit ansehen. Aus ihrer voyeuristischen Perspektive erlebt sie den unter Lärm und Gepolter stattfindenden Vorgang einer Profanierung mit, der von einer blasphemischen Fluch- und Beschimpfungs‐ orgie gegen die Apostel begleitet wird: „wildt nit gehen, ich trag dich am arm, vnd werstu noch so vppig stoltz, / du must prinnen, ich hab kein holtz“ (Vv.1135-36). Die familiarisie‐ rende Sprechweise dient in ihrer szenischen Ausmalung („Nun buck dich, Jeckel, du must in offen…“) der Amplifikation der stattfindenden gewalttätigen Handlungen des Pfarrers gegen die anthropomorphisierten Heiligenbilder: eine sprachlich und performativ stimmige theatrale Bildfolge der Entweihung, die an fastnächtliche Reihenspiele erinnert. Bei diesem bildkräftigen Beispiel für närrische Handlungen, die für die Herzogin an ihrem Schlüsselloch wie auf einer Bühne stattfinden, tritt die Schwanklist - von der Fürstin neue Apostelfiguren für die Kirche zu erlangen - deutlich in den Hintergrund. Wichtiger ist das Gebaren des Pfarrers, dessen Narrheit von seinem Knecht lakonisch auf den Wein zurückgeführt wird („Ir secht, was kann der wunderer / an eurem gutten pfarrer“, Vv. 1161-62), und somit an das vorangegangene gesellige Gespräch anknüpft. Tatsächlich ist auch in der Ofenszene wiederum ein obszöner Untergrund nicht auszuschließen, wenn man den Vorgang des voyeuristischen Zuschauens und des Verfeuerns in diese Richtung inter‐ pretieren wollte. 6.5. Der Schwankheld als scurra 451 357 Wodarz-Eichner weist noch auf die Pflicht der Herzoginnen zur Mildtätigkeit hin. Wodarz-Eichner, Narrenweisheit, S. 283. 358 Das Hackbrett kommt auch in der lat. Bezeichnung ‚Dulce Melos‘ im Tractatus de musica (um 1460) des Paulus Paulirinus de Praga vor. Danach war das Dulce Melos ein rechteckiges Instrument mit einer Schallöffnung, über dessen Resonanzboden Metallsaiten gespannt waren. Wenn diese mit einem Stäbchen („ligniculo“) oder einem Plektrum („penna“) angeschlagen würden, ergäben sich die süßesten Töne und Klänge. Vgl. dazu Gifford, Paul: The Hammered Dulcimer - A History. Lanham (Md.) / London 2001. 359 „Mit der Lärmmusik (...) stellt sich der Narr bewusst gegen Theorie und Praxis der geltenden Musi‐ kanschauung. Ohrenbetäubender Lärm, Peitschenknall, Ratschen, Topfgeklirr, Poltern (…) bilden eine Musikform, die sich mit den Regeln einer gemäßigten, alle Extreme vermeidenden Musik nicht in Einklang bringen läßt und die jede Norm in Frage stellt.“ Heim, Ines: „Eyn sackpfiff ist des Narren Spil“. Über die Musik der Narren. In: Mezger, Werner u. a.: Narren, Schellen und Marotten. Elf Beiträge zur Narrenidee, Remscheid 1984, S. 309-331, hier S. 325. Zur Rolle der Lärmmusik in Charivaris vgl. Gvozdeva, Katja: Groteske Ehe in der Frühen Neuzeit und ihre medialen (Re-) Inszenierungen. Zeit‐ schrift für Germanistik N. F. 3 (2004), S. 476-490. 360 Vgl. Röcke, Die Freude am Bösen, S. 186; Strohschneider, Schwank und Schwankzyklus, S. 163. Die komische Dimension der Szene gewinnt an Profil, wenn die Fürstin zunächst ange‐ messen zornig reagiert und den Pfarrer auf die „torheit“ hinweist, die Heiligen Gottes zu verbrennen: sie sprach: pfeü eüch, ir rechter henger, wo habt irß ie ewer tag geleßen, das ir treibt also nerrisch wessen, das ir die heiligen gottes verprent vnd auch mit torheit also schent? (Vv. 1196-1200) Als der Pfarrer ihr mit dem Hinweis darauf antwortet, bei den Aposteln handle es sich doch nur um Figuren, und außerdem um alte, schlechte, ist das wiederum eine Verhöhnung der sakralen und präsentativen Funktionen von christlichen Heiligenbildern, die ihre Wirkung auf die Herzogin nicht verfehlt: Sie ist schnell mit der Stiftung neuer Figuren einverstanden, da der Pfarrer ihr verspricht, er könne so ihr Seelenheil garantieren. 357 Die letzte Sequenz des Abends ist der Musik gewidmet: Als der Pfarrer dem Wunsch der Fürstin nachkommt, Musik auf dem Hackbrett (einem im 14. Jahrhundert aus dem Psalte‐ rium entstandenen zitherähnlichen Saiteninstrument) 358 zu machen, ist stattdessen nur oh‐ renbetäubender Lärm zu hören, denn der Pfarrer hat in bewusstem Missverstehen das tat‐ sächliche Küchenbrett genommen und traktiert es lautstark mit Messern und allerlei Gerät. Damit stellt sich der Kalenberger erneut in die Tradition von Narrenpossen, sowohl der kollektiven Rügebräuche (Charivaris), wie auch fastnächtlicher Narrenperformances. 359 Und auch diese Darbietung, welche das höfische Ritual der abendlichen Tanzmusik ver‐ kehrt, führt nicht zur Empörung, sondern zur Erheiterung der Fürstin: „Die fraw die warff manchen plick / So lacherlichen heer vnd dar“ (Vv. 1236-37). Die bisherige Forschung hat die Sequenz der Schwänke mit der Herzogin als ökonomisch begründet interpretiert: Der Pfaffe scheue die Kosten der Bewirtung, deshalb gebe es nichts zu essen; er wolle, dass die Herzogin seinen Kellnerinnen Kleider schenkt, deshalb mache er alles selbst; er wolle neue Holzfiguren, deshalb verbrenne er die alten. 360 Diese durchaus berechtigte Lesart ist jedoch allzu mechanistisch: sie unterstellt den scheinbar sinnlosen 6. Erzählung, Imagination und Lachen 452 361 Radcliffe-Brown, On joking relationships, S. 174. 362 Dennoch ist es zu einfach, die Komik des Besuchs der Herzogin im Haus des Pfarrers auf Überra‐ schungen und unvorhersehbaren Verrichtungen des Pfarrers zurückzuführen, wie Breyer dies tut (die Differenz zwischen Erwartung und Geschehen bewirke Unterhaltung und Erheiterung). Vgl. Breyer, Ralph: Die Herrschaft zum Lachen bringen. Zur Funktion der Komik in Philipp Frankfurters Pfarrer vom Kalenberg. In: Helga Neumann/ Werner Röcke (Hgg.): Komische Gegenwelten. Lachen und Literatur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Paderborn 1999, S. 63-78, hier S. 71. Handlungen des Pfarrers eine ökonomisch sinnvolle Logik, was nicht der Fall ist, da sich die unzweifelhafte Erotik und die Narrenhandlungen des Pfarrers nur schwer als Mittel der Gewinnmaximierung erklären lassen. Vielmehr ist die Beziehung zwischen antirituellen, komischen Handlungen und Ökonomie nur mittelbar zu erklären, nämlich über das Lachen. Das Scherzverhältnis der beiden Protagonisten ist zunächst auf das Lachen ausgerichtet. Erst das Lachen tritt in den ökonomischen Kreislauf ein und zirkuliert zwischen Lachan‐ lässen (erzählten Streichen) und den materiellen Folgen dieser Kommunikation. Wie alle Unterhaltungsformen im Spätmittelalter bereits einer ökonomischen Logik unterliegen, so auch dieses sexuell codierte Scherzverhältnis, das die Hörer und Leser aus einer Zuschau‐ erposition heraus betrachten können. Lachen kostet somit etwas, es hat aber auch einen Wert: über die Unterhaltung und den Spaß hinaus fördert es die (höfische) Freude und damit - wie beim Fürstenpaar zu sehen war - die Gesundheit und ein konfliktfreies Ehe‐ verhältnis. Wichtige Voraussetzung für das ökonomische Ergebnis ist somit performative Prozess der Schwänke des Kalenbergers, die als theatral inszenierte, mit erotischen Untertönen verse‐ hene Parodien und Profanierungen von liturgischen und höfischen Ritualen auftreten. Es handelt sich um scherzhafte Grenzüberschreitungen, an denen die Fürstin als Kommuni‐ kationspartnerin und Zuschauerin gerne passiv teilhat, da sie sich darüber amüsieren kann, ohne verantwortlich zu sein: eine der basalen Funktionen von Komik. Die Teilnahme am Tabubruch wie dem Genuss von Wein aus dem Messbecher außerhalb der Messe, dem Ver‐ brennen von Heiligenbildern oder dem falschen Musizieren kann deshalb als unterhaltend (und nicht empörend) verstanden werden, weil der Pfarrer hier explizit und wahrnehmbar als Possenreißer auftritt: dessen Verhalten ist von modaler Komik gekennzeichnet und von Lachen gerahmt. Hier ist nochmals Radcliffe-Browns Definition des Scherzverhältnisses zu vergegenwärtigen: The joking relationship is a peculiar combination of friendliness and antagonism. The behaviour is such that in any other social context it would express and arouse hostility; but it is not meant seriously and must not be taken seriously. (…) To put it in another way, the relationship is one of permitted disrespect. 361 Durch die Lizenz zum Scherzen sind die Späße des Schelmenpfaffen von normativer Gel‐ tung zumindest teilweise enthoben, und es bleibt nur die Verwunderung darüber, wie über‐ raschend so etwas geschehen kann. 362 Diese spezifisch ritualbezogene, performative Verlaufskomik ist daher nicht in ihrem Kontrast zum Ernst zu verstehen, sondern geradezu in ihrer Kommentarfunktion zu diesem Ernst, den sie seiner Geltung beraubt und ihn dadurch der sozialen Situation, in der sie sich abspielt, sowie der gesamten menschlichen Erfahrung darin, öffnet. Komik ist aus dieser 6.5. Der Schwankheld als scurra 453 363 Douglas, Mary: The social control of cognition: some factors in joke perception. Man 3 (1968), S. 361-376, hier S. 369. 364 In dieser Eigenschaft ist der Scherz auch, wie Douglas sagt, „a play upon form“. „It brings into relation disparate elements in such a way that one accepted pattern is challenged by the appearance of another which in some way was hidden in the first.“ Daraus definiert Douglas folgendes joke pattern: „the juxtaposition of a control against that which is controlled, this juxtaposition being such that the latter triumphs.“ Ebd., S. 365. Dabei lehnt sich Douglas an Freuds psychoanalytisches Witzmodell an, ohne seine Terminologie zu gebrauchen. 365 Dazu sind auch die ritual clowns zu nennen, die neben den Tricksterfiguren in Ethnologie und Anth‐ ropologie die größte Aufmerksamkeit der Forschung erregt haben. Frühe Studien zum Trickster aus mythologischer und psychoanalytischer Perspektive sind Radin, Paul, Kerenyi, Karl und Jung, C. G.: Der göttliche Schelm. Ein indianischer Mythen-Zyklus. Zürich 1954; grundlegend aus anthropologi‐ scher Sicht Makarius, Laura: Ritual clowns and symbolic behaviour. Diogenes 69 (1970), S. 44-73, und Handelman, Don: The Ritual-Clown: Attributes and Affinities. Anthropos 76 (1981), S. 321-370. Perspektive auch nicht an sich verständlich, sondern als situatives und variables Scherz‐ verhältnis zwischen dem joker und seinem Publikum, hier der Fürstin. Insofern ähnelt der komische Vorgang dem Ritual selbst, wie Mary Douglas gezeigt hat: Wie das Ritual ist der Scherz ein symbolischer Akt, der seine Bedeutung von einem Set standardisierter Symbole erhält: „A joke has it in common with a rite that both connect widely different concepts.“ 363 So werden im Apostelschwank solche weit auseinander liegenden Konzepte wie die seel‐ sorgerischen Aufgaben des Priesters und Verrichtungen im Haushalt, oder die Transsub‐ stantiation und das gesellige Trinken, oder christliche Heiligenbilder und der Vorgang des Heizens, schließlich die Vorstellung höfischer Instrumentalmusik mit Scheppern, Kratzen und Klopfen miteinander kurzgeschlossen. Im Unterschied jedoch zum Ritual harmonieren diese Konzepte nicht miteinander, sondern werden als (lächerliche) Disharmonie wahrge‐ nommen. „The rite imposes order and harmony, while the joke disorganises. (…) Essentially a joke is an anti-rite.“ 364 Genau diese Form des Antirituellen, der spielerische Kommentar auf einen rituellen Vorgang charakterisiert die Schwänke des Kalenberger Pfaffen in der Sequenz mit der Her‐ zogin. Er ist somit jemand, der in den am Schwank beteiligten Sinnbezirken, dem rituellen und dem antirituellen, gleichermaßen teilhat. Als eine Figur, die Priester und Possenreißer in einem ist, bringt er dafür die besten Voraussetzungen mit: er ist nicht das eine oder das andere, sondern immer beides gleichzeitig; dadurch werden seine Handlungen auch voll‐ kommen unvorhersehbar und überraschend, da die Fürstin nie weiß, ob sie es mit dem Pfaffen oder mit dem Possenreißer zu tun hat. Spricht sie sein Verhalten als (einem Priester) nicht angemessen an, so erhält sie eine Antwort im Rahmen der Logik des Possenreißers. Dessen Handlungen müssen mit denen eines Priesters nicht kongruent sein: Er kann an‐ zügliche, profanierende, obszöne, skatologische, oder andere normferne Tätigkeiten und Sprechweisen vornehmen, ohne die Ganzheit der ambivalenten Figur zu gefährden, da sie sich innerhalb eines komischen Rahmens, eines Scherzverhältnisses entwickelt. Solche Priester-Narren, die gleichzeitig kultische und antikultische Funktionen haben, sind in der Ethnologie aus vielen außereuropäischen Kulturen bekannt. So sind etwa die rituellen Clowns der nordamerikanischen Indianer in rituelle Dramen eingebunden, deren Ablauf sie durch vulgäres und obszönes Sprechen sowie durch Körperkomik stören bzw. rahmen, doch gerade dadurch den Weg zum Sakralen bahnen. 365 Diese Störungen von Ri‐ tualabläufen bestehen aus tabuverletzenden und den Ritus parodierenden Handlungen (vor 6. Erzählung, Imagination und Lachen 454 366 Makarius, Ritual clowns, S. 56. 367 Ebd., S. 69: Die Clowns sind somit an der Erhaltung von Traditionen beteiligt, und zwar solchen Traditionen, die durch den Lauf der Zeit in Gefahr stehen, ausgelöscht zu werden: „This tradition, which embodies a knowledge that has slipped away from the memory of the individual, tends to revive dying custums, keep them ever present (…)“. 368 Susanne Langer sieht die Funktion des Komischen überhaupt darin, eine verlorene Balance wieder‐ herzustellen, indem sie eine neue Zukunft aufscheinen lässt. Seine Hauptziele sind daher organische Einheit, Wachstum und Selbsterhaltung. Langer, Susanne: The comic rhythm. In: Corrigan, Robert W. (Hg.): Comedy: meaning and form, San Francisco 1965, S. 119-140. 369 Handelman, The Ritual-Clown, S. 364 f. Einheitlich strukturierte, homogene Figuren deformieren den Kontext nicht, sondern stabilisieren ihn, sie vermitteln Gefühle der Wahrheit und der Gewissheit. Der Clown jedoch unterminiert Kontexte: Er löst Grenzen auf, ist ambivalent, kann also nur Unsi‐ cherheit und Ungewissheit vermitteln. Das macht solche Figuren jedoch zu Auslösern und Beschleu‐ nigern von transformativen Prozessen. allem Skatologie und vielfältige komische Körperinszenierungen) lösen Gelächter bei den Zuschauern aus. Sie können je nach Kontext apotropäische, reinigende, und heilende Funk‐ tionen haben. Makarius sieht die symbolische Funktion ritueller Clowns eng an ihr per‐ formatives Wirken gebunden: durch die Aufführung von magisch lizenzierten Tabubrüchen und Transgressionen gelingt es ihnen, die rituelle Ordnung, gewissermaßen stellvertretend für das Ritualpublikum, dem dies versagt ist, zu stabilisieren. 366 Die Zuschauer nehmen aber durch ihre Kopräsenz an diesen Transgressionen teil und erfahren somit körperlich die Hereinnahme des Ausgegrenzten und Nichtigen: „Clowns have to introduce into the midst of the tribal group the material reality of an act which society rejects, and which the cons‐ ciousness of its members tends to suppress.“ 367 Das von den Clowns vollzogene Anti-Ritual, in welches das Publikum über Gelächter involviert wird, hat liminale Funktionen: es soll den Übergang zum Heiligen im Ritual erleichtern, auf die Aufhebung zwischen profaner und sakraler Sphäre hinarbeiten. 368 Allerdings können, wie Don Handelman herausgearbeitet hat, rituelle Clowns nicht als vollständig komisch beschrieben werden: Der Clown und die in ihm angelegten Gegen‐ strukturen zwingen ihn, zwischen den Paradigmen, dem Heiligen und dem Profanen, ernst‐ haften und komischen Rollen zu pendeln und dadurch Kontexte zu deformieren. Mit diesem spielerischen Verhalten der permanenten Transgressionen werden als sicher geglaubte Grenzziehungen (Regeln, Normen, Oppositionen) verwischt und Ambivalenz und Unsi‐ cherheit erzeugt. 369 Daraus entsteht auch die Neigung und Fähigkeit der rituellen Clowns zur Reflexion und zum Kommentar ihrer Gegenrituale, um systemische Inkonsistenzen aufzuzeigen, aber auch den Weg zu ihrer Auflösung zu weisen. Der Kalenberger Pfarrer hat in seiner Doppelfunktion als Priester und Possenreißer und mit seinen ambivalenten Ritualparodien eine ähnliche Funktion wie die rituellen Clowns: Auch er versucht über Transgressionen und Tabubrüche das von den jeweiligen liturgi‐ schen und höfischen Ordnungen Ausgegrenzte zu thematisieren, indem er es benennt, auf‐ führt und kommentiert. Dass ein Pfarrer auch einen nackten Körper, Sexualität und Ge‐ schlechtsorgane hat, dass ein Pfarrer heizen, waschen und kochen sowie einen Höllenlärm veranstalten kann, und dass er schließlich ein erotisches Gespräch mit einer Fürstin beim Wein führen kann, ohne je zu versäumen, in allen diesen Handlungen weiter Pfarrer zu sein, unterstreicht die potentielle Gefahr des Hervorbrechens solcher ausgegrenzter Hand‐ lungen. Als verlässlich angenommene Grenzziehungen werden verwischt, binäre Opposi‐ 6.5. Der Schwankheld als scurra 455 370 Vgl. Röcke, Die Freude am Bösen, der in den Klerikerschwänken „satirischen Hohn auf die Gravamina des Klerus“ sieht. S. 162 ff. tionen wie heilig / profan, liturgisch / alltäglich oder vernünftig / närrisch werden aufge‐ hoben. Daher kann es nicht genügen, das provokatorische, anstößige Agieren lediglich als Gegenritual zur höfischen und kirchlichen Normativität, als Umkehrung der auf Schönheit, Harmonie, und Feierlichkeit orientierten Zeremonialgeschehnisse (Prozessionen, Liturgie) zu begreifen. Die Funktion dieser Gegenrituale / Scherze ist in diesem Fall nicht der satiri‐ sche Kommentar, sondern der euphorisierende und magische Aspekt der Narren-Perfor‐ mance als Schauspiel, das für das Auslösen von Gelächter und somit von höfischer Freude verantwortlich ist. Dies erklärt nun auch den Anteil der Erotik: dadurch, dass die sexuellen Anspielungen vom Possenreißer herkommen, erhält die Figur des Pfarrers eine eigentüm‐ liche erotische Spannung, da dieser - und das voyeuristische Beobachten der Apostelver‐ brennung zeigt dies deutlich - sich immer wieder zum närrischen Triebwesen, zum „seltzam thier“ verwandeln und somit zum Objekt der Begierde werden kann. Dass dies zur tatsäch‐ lichen Erfüllung erotischer Wunschvorstellungen werden kann, ist unwahrscheinlich und im Text auch in keiner Weise erwähnt. Erwähnt wird allerdings das konstante Lachen, das sich wie eine Entladung erotischer Spannung liest und sich ebenso auf den Herzog über‐ trägt, und das in seinem Effekt der Hochgestimmtheit kaum ordnungsschädigende Kraft hat, sondern eher die Ordnung vitalistisch bestätigt. Ritualparodie als rituelle Reinigung Dass die Funktionen der Komik je nach situativem Kontext variieren, zeigt die Episode der Kapellenweihe aus den Bischofsschwänken: Hier dienen die närrischen Körpergesten des Pfaffen nicht der erotischen Aufladung, sondern haben die Funktion eines scharfen satiri‐ schen Kommentars gegen den Lebenswandel des hohen Klerus. 370 Sie beginnt in Vers 807, als der Weihbischof von seinem Pfarrer verlangt, ihn bei den Kirchweihen zu begleiten. Es kommt sofort zu einer gegenseitigen vulgären Beschimpfung, als auf die renitente Weige‐ rung des Pfarrers „wo ich nit pucklat stee“ der Weihbischof flucht: „Das walt deiner mutter fuettin“ (V. 814). Dieser obszöne Beginn zieht die Rache des Pfarrers nach sich, der nun einen Scherz in Gang setzt, welcher den beffe der italienischen Possenreißer an Einfalls‐ reichtum und Unverfrorenheit in nichts nachsteht. Heimlich besticht er die Haushälterin des Bischofs, damit sie seinen Plan ausführt. Sie soll, bevor sich der Weihbischof zu ihr legt, den Pfarrer unter das Bett kriechen lassen, und dann vom Weihbischof die Weihung ihrer „capelle“ fordern (womit der Geschlechtsakt gemeint ist). Er wolle dann „auf der orgel pfeiffen“ und „das koer gesanck (…) wol singen.“ (Vv. 848 u. 858). Die Haushälterin geht auf den Handel ein, richtet die Schlafkammer wie eine Kapelle zu, schmückt sie und stellt ringsum an den Wänden Kerzen auf. Der Bischof tritt ein und fragt, was das ganze zu bedeuten habe: Sie sprach: vil lieber herre mein, ich pit, ir welt mich nit verzeihen, ihr welt mir mein capellen weihen, die mir gepaut ist an dem pauch, 6. Erzählung, Imagination und Lachen 456 371 Seit Hugo von St. Viktors Kirchweihtheologie wurden Konsekrationen sakramental verstanden. Vgl. dazu Neuheuser, Hanns Peter : Mundum consecrare. Die Kirchweihliturgie als Spiegel der mittelal‐ terlichen Raumwahrnehmung und Weltaneignung. In: Virtuelle Räume. Raumwahrnehmung und Raumvorstellung im Mittelalter. Hg. von Elisabeth Vavra. Berlin 2005, S. 259-279, hier S. 271-79. fürcht sie nit, das sie do ist rauch. Welt ir anderst euren willen han, so hebt nur bald zu weihen an… sunst muest ir ewig sein verzigen. (Vv. 868-75) Der Bischof lässt sich halb willig, halb verführt, auf das profanierende Spiel ein und beginnt mit der ‚Weihung‘ der Kapelle: „er hub an mit andacht vnd duld“ (V. 882). In diesem Moment höchster Blasphemie, der sexuellen Verkehrung eines kirchlichen Rituals mit Hilfe dop‐ peldeutiger Lexeme, springt der Pfarrer unterm Bett hervor und singt laut: „Terribilis est locus iste“, den Beginn des Psalms, der für Kirchweihliturgien vorgesehen war. Süffisant entschuldigt er sich mit dem Hinweis auf seine Anwesenheitspflicht, wird als Teufel be‐ schworen und aus dem Haus gejagt. So kann er sich mit dieser tollkühnen Inszenierung vom Weihbischof befreien. Konsekrationen waren im Mittelalter rituelle Vorgänge, die einen Raum aus dem Pro‐ fangebrauch absonderten und ihn zum Sakralraum für den Gottesdienstes machten, in dem die Nähe Gottes erfahren werden kann. An magische Praktiken erinnern das Entzünden von 12 Kerzen an den Kirchenwänden, das dreimalige Umschreiten der Kirche und das Besprengen der Wände mit Weihwasser, das dreimalige Anklopfen, das Anfüllen des Raumes mit Weihrauch und die Salbung des Altars (nach rituellem Umschreiten und Be‐ sprengen). In den Texten der Kirchweihliturgie erscheint das Kirchengebäude als irdisches Abbild des Paradieses, „als Vorbild des erreichbaren Heils“, und der Eintritt des Bischofs wird mit dem Eintritt Christi in die Welt gleichgesetzt. 371 Der Text verhöhnt nun diesen Weiheakt, indem er ihn auf den menschlichen Körper überträgt und mit ambivalenten Lexemen („capelle“ besingen, Chorgesang anstimmen) versieht. Dabei wird der Ort der Handlung, das Schlafzimmer des Bischofs, wie eine Kapelle ausgestattet, die Weihe selbst findet nicht vor dem Altar, sondern im Bett statt, und statt der Kapelle weiht der Weihbischof das Geschlechtsteil seiner Haushälterin. Eine sakrali‐ sierende Handlung, die ein Bauwerk in ein Gotteshaus transformiert (sacrare = heiligen, weihen) wird mit dem körperlichen Geschlechtsakt verknüpft; durch die Analogie Kapelle - Vulva und die Bereitschaft des Weihbischofs, bei dem Gegenritual mitzumachen, wird sein lasterhafter Lebenswandel (Vulva als Heiligtum), die sexuelle Hörigkeit seiner theologisch und sozial untergeordneten Haushälterin gegenüber, sowie seine Aberration vom Glauben insgesamt entlarvt. Verkehrungen des Segens sind allerdings im karnevalistischen Rahmen der Kirchweih‐ feste bekannt, die seit dem sechsten Jahrhundert vielerorts den Charakter von Volksfesten bekommen haben, deren Auswüchse - ähnlich wie bei den Narren- und Eselsfesten am Beginn des Kirchenjahres - die Kirche meist erfolglos bekämpfte. So vollzieht das Gegen‐ ritual des Kalenbergers die Inversionen des Kirchweihfestes nach, variiert und verstärkt sprachlich jedoch seine groteske Performance. Dabei spielen Körpergesten und szenischer Aufbau im Text die wichtigste Rolle: denn ohne die effektive Imagination der Szene kann 6.5. Der Schwankheld als scurra 457 das scherzhafte Ritual nicht nachvollzogen werden. Das beginnt schon bei den bildlichen Flüchen, dem „nicht bucklig stehen wollen“ und der obszönen Beschimpfung des Weihbi‐ schofs, setzt sich fort mit dem geschmückten Schlafzimmer, dem (gestisch) weihenden Bi‐ schof, und der Agilität des Pfarrers, der wie ein Dämon schreiend unter dem Bett hervor‐ springt. Unterstützt wird die Szene noch von zwei Illustrationen, in denen das dynamische Moment der Inszenierung auch deutlich wiedergegeben wird (Abb. 20). Abb. 20: Die Kapellenweihe (Philipp Frankfurter: geschicht und histori des pfarrers vom kalenberg) Nürnberg 1511 Die Juxtaposition eines würdevollen, heiligen Rituals mit einem entgegen gesetzten, die Ordnung störenden Sexualakt, macht den ganzen Schwank zu einem ritualähnlichen play upon form, das die im ernsthaften Modus einander ausschließenden Konzepte zusammen‐ schweißt. Der Prozess der Desakralisierung, die Verwandlung des Heiligen in Profanes in der Kirchweihszene deutet nach der Spieltheorie Benvenistes darauf hin, dass es sich hier um eine spielerische Transposition des Ernstes handelt: „Le jeu prend origine dans le sacré 6. Erzählung, Imagination und Lachen 458 372 Benveniste, Émile: Le jeu comme structure. Deucalion 2 (1947), S. 159-67. Allerdings ist Benvenistes Unterscheidung zwischen der Auslassung der mythischen Erzählung (Ballspiel) und ritueller Hand‐ lung (Wortspiel) hier nicht gegeben, da das Spottritual sowohl die rituelle Handlung als auch die Erzählung wiedergibt. Beide Varianten der Entheiligung freilich, sowohl der demythisierende ludus, als auch der deritualisierende iocus schließen die Möglichkeit einer subjektiven Resakralisierung ein: Was unheiliges Spiel war, kann wieder umschlagen in heiligen Ernst. Vgl. zum Spiel als Organ der Profanierung auch Agamben, Giorgio: Profanierungen. Aus dem Ital. von M. Schneider. Frankfurt a. M.2005, S. 70 ff. 373 Eine zweite Quelle der Komik liegt in der voyeuristischen Position des unter dem Bett versteckten Pfaffen: der Text inszeniert zwei interne Ebenen der Information, die des unwissenden Bischofs und die des Scherzregisseurs, an welcher die Rezipienten des Textes auch teilhaben. Die Entlarvung findet somit vor einem Publikum statt, und die für den Bischof überraschende Entlarvung (mit den dazu‐ gehörigen Emotionen Wut und Zorn als Ersatzgefühle für Scham) kann von diesem Publikum ver‐ lacht werden. 374 (Gen. 28.17). Vergegenwärtigt man sich die (nicht im Text stehenden) Folgeverse des Introitus, so wird die Analogie noch blasphemischer: „hic domus Dei est, et porta caeli: et vocabitur aula Dei“. Dieser rituelle Text muss hier hinzugedacht werden, da der Introitus dem kulturellen Gedächtnis des Spätmittelalters zuzurechnen ist und somit den Rezipienten wohl vertraut war. Vgl. dazu Bruno Quast, der die Funktion von in Riten eingebundene Texte herausarbeitet: „Die Kommunikation mit dem Göttlichen unterliegt (…) seit jeher festgelegten Regelungen, hochstandardisierten religiösen Ritualen“. Quast, Bruno: Vom Kult zur Kunst. Öffnungen des rituellen Textes in Mittelalter und Früher Neuzeit. (= Bibliotheca Germanica, 48). Tübingen u. a. 2005, S. 22-39. dont il offre une image renversée et brisée.“ 372 Das Spiel wird nach Benveniste (und an dieser Stelle ist er präziser als die Scherztheorie von Mary Douglas) durch eine dem Sakralen zugleich homologe und inverse Struktur charakterisiert, die sich aus der Entkoppelung von Ritus (als Handlung) und Mythos (als Konzept, Idee) ergibt. Im Falle der Kirchweihszene können wir so von einem entheiligenden Spiel sprechen, weil rituelle Handlung und (li‐ turgische) Erzählung inkongruent geworden sind. Das Spiel befreit von der Sphäre des Sakralen und lenkt von ihr ab, ohne sie jedoch einfach abzuschaffen. Denn wie alle Trans‐ gressionen schließt die Entheiligung auch die Möglichkeit einer subjektiven Resakralisie‐ rung nicht aus: Was unheiliges Spiel war, kann wieder umschlagen in heiligen Ernst. Hier ist ein weiterer relevanter Effekt der Ritualumkehr in der Kirchweihszene - und der Ritualverkehrungen des Kalenbergers insgesamt - angedeutet: nämlich die rituelle Funktion des Lachens als Reinigungsakt von der vom Possenreißer inszenierten ‚Ver‐ schmutzung‘. 373 Das ‚Spiel‘ läuft auf einen Höhepunkt, auf eine Pointe zu, die aus dem Zusammentreffen verschiedener Handlungsstränge und einem parodistischen Ausruf des Pfarrers besteht: Genau in dem Moment, als der Bischof mit dem ‚Weihen‘ beginnt - und sich somit zum Geschlechtsakt anschickt - stimmt der Pfaffe den als rituellen Text fassbaren Introitus Terribilis est locus iste 374 an und springt kurz darauf unter dem Bett hervor. Die Komik des Spiels besteht aus drei Elementen: einer Zusammenführung von Liturgie und Sexualität (play upon form), einem parodistischen Sprachwitz (Verwandlung des Intro‐ itus-Sinns), der zum Ritual gehört und gleichzeitig satirischer Kommentar dazu ist, sowie einer burlesken Inszenierung, die der effektiven Imaginierung der Szene dient. Am Ende steht die spielerische Umkehr der Hierarchien und des Machtgefüges: war der Pfaffe zuvor noch gezwungen, den Anweisungen des Weihbischofs Folge zu leisten, ist er nach der Entlarvung des Bischofs nun in der moralisch stärkeren Position, und kann sich seiner Aufgaben entledigen. Einerseits hat das kleine Scherzritual so einen sichtbaren Er‐ 6.5. Der Schwankheld als scurra 459 375 Vgl. Douglas, The social control, S. 372: “[The ritual joker] merely expresses consensus (…) He ligh‐ tens for everyone the oppressiveness of social reality, demonstrates its arbitrariness by making light of formality in general, and expresses the creative possibilities of the situation.“ 376 Vgl. Hahn, Transgression und Innovation, S. 452 f. So auch Douglas: „The hierarchy is not undermined by the comparison, but reinforced.“ Douglas, The social control, S. 369. 377 Curtius, Ernst Robert, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 433. folg, allerdings nur mit Hilfe einer imaginären, inner- und außertextuellen Öffentlichkeit (die im Text befindliche Lachgemeinschaft, der alle Streiche überbracht werden, und die Hörer und Leser des Textes), die an der Entlarvung teilhat und den Bischof verlachen kann. Für diese Öffentlichkeit macht der Possenreißer mit seiner spielerischen Transgression die Ordnung aber erst sichtbar, indem er sie thematisiert und ihre Verfehlungen zeigt. Er wird somit, um einen Begriff von Douglas zu gebrauchen, zum ritual purifier, dessen Scherz einen schon vorhandenen Konsens über falsches Verhalten „in Szene setzt“ und lächerlich macht. 375 Damit wendet sich nicht gegen die Ordnung und ihren rituellen Ernst selbst, sondern inszeniert eine Verunreinigung durch ihre Sichtbarmachung. Die Profanation von Ritualen ist deshalb eine Form von Reinigung, da in ihr die Grenzen zwischen sakraler und profaner Sphäre überschritten werden und es zu einer unzulässigen, das Tabu der Abson‐ derung des Sakralen betreffenden Mischung kommt. Diese Hybridisierung findet nur tem‐ porär, im Rahmen des Spiels und des Scherzes statt und hat deshalb eine die Ordnung störende, aber keine sie schwächende Funktion, da sie die Grenzen zwischen sakralem und profanem Bereich letztlich bestätigt. 376 Allerdings liegt der Störung der Ordnung durchaus ein wirklichkeitsveränderndes Potential zugrunde, das den Kern von Veränderungen als Möglichkeit in sich trägt. Nacktheit und Scham: ein inszeniertes Dramolett als Lachanlass „Nichts findet der mittelalterliche Mensch so komisch wie unfreiwillige Entblößung.“ 377 Dieser Satz, den Curtius als ein Ergebnis seiner auf zahlreichen Beispielen vor allem aus der mittellateinischen Literatur beruhenden Studien formuliert, trifft ebenso auf den zent‐ ralen Schwank in Frankfurters geschicht zu, welcher bäuerliche und höfische Sphäre des Zyklus auf komplexe und wirkungsvolle Weise ineinander führt. Als der Pfaffe von Kalen‐ berg zum Hof kommt, um den vermeintlichen Spott aus der Schwankreihe mit der Herzogin wieder wettzumachen, trifft er dort ‚zufällig‘ auf einige Bauern, die aus unbekannten Gründen beim Herzog vorsprechen wollen. Der Pfarrer verspricht ihnen zu helfen und heißt sie, sich nackt auszuziehen, um den Herzog noch vor allen anderen im Bade zu treffen: „ir dürfft euch vor im do nit schamen“ (V. 1294). Gesagt - getan, die Bauern „wellens wagen“ und entkleiden sich, bevor sie mit dem Kalenberger durch die Tür in die vermeintliche Badestube, in Wahrheit aber in den Speisesaal treten, wo gerade der ganze Hof versammelt ist: die pauren sahen weithin vmb: (...) Vnd wurden da vor angsten schwitzen do sie die herren sahen sitzen czu tische alle vnd do essen, 6. Erzählung, Imagination und Lachen 460 378 Die Benutzung des sprachlichen Signals „erßling“ weist auf das überlieferungsgeschichtliche Muster der Szene im Kalenberger hin: in des Strickers „Der nackte Bote“ betritt ein nackter Mann mit dem Hintern voran eine Wohnstube, in der gerade eine ganze Hausgemeinschaft versammelt ist. Er hatte den Wohnraum mit dem Bad verwechselt, aber seinen Irrtum nicht gleich bemerken können, weil er sich einen aggressiven Hund vom Leibe halten musste. So muss er die Anwesenden beleidigen, was zu einem Konfliktfall führt. Vgl. zur Situationskomik dieser Szene Kugler, Hartmut: Grenzen des Komischen in der deutschen und französischen Novellistik des Spätmittelalters. In: Kultureller Aus‐ tausch und Literaturgeschichte im Mittelalter. Transferts culturels et histoire littéraire au moyen âge. Kolloquium im Deutschen Historischen Institut Paris. Hg. von Ingrid Kasten, Werner Paravicini u. René Perennec. Sigmaringen 1998, S. 359-71. 379 Röcke, Die Freude am Bösen, S. 186. sie weren lieber in ein thurn gesessen. (Vv.1302-08) Unter dem Lachen der Anwesenden schleichen die peinlich berührten und vor Angst schwitzenden Bauern nun „erßling“, also mit den Hofleuten zugewandtem Hinterteil zur nächsten Bank und drücken sich dort „recht wie die schof “ aneinander. 378 Daraufhin sucht man den bisher stumm gebliebenen Pfarrer, und als sich die Aufmerksamkeit auf ihn lenkt, erkennen die Bauern, dass sie getäuscht wurden: Junckher, sprach ein pawer vber laut, wir hetten im des nit getraut, das er vnß solt zu narren machen. Allererst hubens an zu lachen der fürst vnd auch die massanei. (Vv. 1325-1329) Deutlich erscheinen die höfischen Lacher als homogene Gruppe, die den nackten Bauern sowohl sozial als auch räumlich gegenüberstehen. Die Reaktionen beider Gruppen sind durch die plötzliche Nacktheit der einen, durch die Wahrnehmung der Verletzung des hö‐ fischen Begrüßungszeremoniells bei der anderen von Überraschung und Angst gekenn‐ zeichnet. Die der Bauern mündet in Scham, diejenige des Adels in einem die Machtver‐ hältnisse sanktionierenden Verlachen. Das Verlachen der Bauern durch den Hof ist als ausgrenzend und höhnisch gedeutet worden, es diene der Bestätigung der Sonderstellung des Zivilisierten, des Adels gegenüber dem Kreatürlichen. 379 Sicherlich ist die hierarchische Beziehung hier wichtig, doch scheint der Lachanlass nicht so sehr im Kontrast von Kultur und Natur (bzw. höfisch-bäuerlich) zu liegen, sondern im Ablauf der Performance: Als die nackten Bauern in den Speisesaal treten, verstummt der Pfarrer. Es tritt eine Stille ein, die zwischen Peinlichkeit, Scham und gespannter Erwartung oszilliert („die pauren sahen weit vmb“, V. 1302), und die durch die Polysemie der Nacktheit bestimmt wird. Erst nach einer kurzen Zeitspanne bricht das Gelächter aus. Worüber wird aber gelacht? Die Szene liefert gleich mehrere komische Anlässe: Zunächst ist es die Scham auslösende Erkenntnis der eigenen Nacktheit bei den Bauern, die sich in der Gebärde unfreiwilliger Entblößung (zusammenrücken, rückwärts gehen) manifestiert; 6.5. Der Schwankheld als scurra 461 380 Vgl. zur „Entblößungsscham“ und ihren biblischen Ursprung ausführl. Duerr, Hans Peter: Der Mythos vom Zivilisationsprozess Bd. 1: Nacktheit und Scham. Frankfurt a. M.1988. Der Zusammenhang zwi‐ schen Scham und Lachen ist in unserer Szene allerdings komplex: Denn die Scham der Bauern über ihre Nacktheit bringt den Hof als Spezialmilieu hoher Körperdistanziertheit zunächst ins Wanken. Sich schämende Bauern verhalten sich insofern normgerecht, indem sie die Scham als zentrale Emp‐ findung im Prozess der Affektkontrollen des Körpers und somit als Instanz öffentlicher Reglemen‐ tierung verinnerlicht haben. Erst als sie zeigen, dass sie ihre Nacktheit erkannt haben, setzt das schallende und endgültig psychisch entlastende Gelächter ein. 381 Die Begrüßung war eine feierliche Handlung von rechtlicher Bedeutung, die an die höfische Umge‐ bung (Fürstensaal) und die Präsenz des Herrschers gebunden ist. Dies gilt auch für die fürstlichen Untertanen. Vgl. Dörrich, Corinna: Poetik des Rituals. Konstruktion und Funktion politischen Handelns in mittelalterlicher Literatur. Darmstadt 2002, S. 54-63. 382 Deshalb fallen andere mögliche Handlungsoptionen wie Empörung und Hinausjagen der Bauern weg. Goffman hat mit seiner Theorie der Rahmen-Analyse ein methodisches Instrument entwickelt, um Verhalten, Gesten und Äußerungen, die „nicht in den Rahmen passen“, also Betrug, Täuschung und Schwindelmanöver zu analysieren. Er ist der Auffassung, dass Täuschungen einen falschen Rahmenrand etablieren und somit eine im Ganzen anfällige Wirklichkeit herstellen. Unter einem Täuschungsrahmen versteht Goffman „das bewusste Bemühen eines oder mehrerer Menschen, das Handeln so zu lenken, dass einer oder mehrere andere zu einer falschen Vorstellung von dem gebracht werden, was vor sich geht“ Goffman, Erving: Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. Frankfurt a. M.1977, S. 98. 383 Goffman, Rahmen-Analyse, S. 99. sie kann von den bekleideten Höflingen verlacht werden. 380 Doch nicht nur die Scham der Bauern ist lächerlich, lächerlich ist auch die Art und Weise ihres Auftritts insgesamt: sie kommen ohne Umschweife in den Saal, ohne die entsprechenden höfischen Gebärden und Formeln des Grußes (Niederknien, sich Verneigen usw.). 381 Als die nackten Bauern statt eines höfischen Grußes nur die Frage nach der Badestube herausbringen, wirkt ihr Gebaren nun vollständig unangemessen und es löst Gelächter aus. Als dritter komischer Anlass kommt die gestörte Kommunikation zwischen dem schweigenden Pfaffen und den Bauern hinzu, an welcher für alle erkennbar ist, dass er sie zu Narren gemacht hat: abermaliges Gelächter stellt sich ein. Auch hier tritt der Pfaffe vom Kalenberg wiederum als Possenreißer auf, als Regisseur eines komischen Dramoletts. Dies ist dem höfischen Lachpublikum nach einer kurzen Si‐ tuation der Peinlichkeit bald deutlich; es erkennt den vom Pfaffen geschaffenen Spiel‐ rahmen und die Täuschung der Bauern. 382 Dieser „Täuschungsrahmen“ ist nach Goffman bestimmend für die Sinnstrukturen und Perspektiven situiert handelnder Akteure. „Wenn die getäuschte Seite herausfindet, was los ist, dann erkennt sie das, was einen Augenblick vorher für sie noch Wirklichkeit war, als Täuschung, und damit ist es völlig zerstört“. 383 Der Pfarrer entwirft so gesehen mit Hilfe seines „impliziten Wissens“ zwei Täuschungskonst‐ ruktionen, eine für die Bauern, und eine für den Hof, hält sich selbst als „stummer Teil‐ nehmer“ aber bei der Entlarvung zurück. Den anwesenden Hofstaat konfrontiert er mit einer von der Normalität abweichenden Situation: eine Gruppe nackter Bauern im Raum. Der menschliche Körper, der hier ohne decodierfähige semantische Zeichen auftritt, ist ein Unsicherheitsfaktor für die Anwesenden, da sie ihn zunächst nicht einordnen können. Weil der Körper wegen seines ständigen Vorhandenseins nicht in einem einzigen Rahmen be‐ handelt werden kann, stellt er ein systematisches Interaktionsrisiko und eine systematische Quelle von Problemen dar. Erst mit der sichtbaren Scham der Bauern wird dem Hofstaat 6. Erzählung, Imagination und Lachen 462 384 Auch Kotthoff arbeitet bei ihrer Gesprächsanalyse mit Goffmans Rahmentheorie, wenn sie feststellt, die Semantik der Witzpointe basiere „auf der Herstellung einer spezifischen, überraschenden Biso‐ ziation von aufgerufenen Rahmen“, wobei ein etablierter Rahmen „mittels eines Triggers überra‐ schend gewechselt werden kann“. Kotthoff, Spaß verstehen, S. 231. 385 Vgl. dazu Ueding, Gert: Rhetorik des Lachens. In: Vom Lachen. Einem Phänomen auf der Spur. Hg. von Thomas Vogel. Tübingen 1992, S. 24-44, hier S. 33, sowie Dicke, Homo Facetus, op.cit. deutlich, dass hier ein Täuschungsrahmen vorliegen muss, und es kommt zum ersten Ge‐ lächter. Die Bauern dagegen erkennen viel später, in der Interaktion mit der Hofgesellschaft, dass sie getäuscht worden sind. Im Moment aber der Erkenntnis bricht die bisherige Rah‐ menkonstruktion, die auf der Erwartung basierte, den Herzog im Bade anzutreffen, zu‐ sammen. Dies geschieht unter Verweis auf den Schwankhelden („wir hetten im des nie getraut“). In diesem Augenblick der Rahmentransformation kann sich das gemeinschaft‐ liche Lachen bei den Zuschauern vollkommen manifestieren, einerseits, weil auch der Hof nun Klarheit über den Täuschungsrahmen hat und ein Spielrahmen in Kraft getreten ist, andererseits sich aber an der Erkenntnis seines Zusammenbrechens bei den Bauern delek‐ tiert. 384 Der Erfinder des Täuschungsrahmens bleibt derweil stumm: „vnd schweig do stil recht alß ein stumb“, denn sein Schweigen ist eine Voraussetzung für das Gelingen der Täu‐ schung. Schon in den antiken Rhetoriken und später bei Castiglione zeichnen Teilnahms‐ losigkeit und Selbstdistanziertheit bei Scherzen den vollkommenen vir facetus aus, ein Ver‐ halten, das noch dem heutigen Erzähler von Witzen unhintergehbare Bedingungen für den Effekt seiner Erzählung ist. 385 Dass der Herzog dies besonders an seinem Pfarrer schätzt, zeigt die Ironie, mit der er den Streich als „heilsamme leer“ tituliert, damit „vil selen kumen hin alß heer / gen himel (…)“ (Vv. 1355-56). Die spöttische Aussage des Herzogs ist natürlich blasphemische Kontrafaktur, denn sie sind ja das Gegenteil von „guten Werken“, und er‐ innert an die Haltung des Fürsten im Neithart Fuchs (bei der ganz ähnlich aufgebauten Szene der bäuerlichen Beschwerde über Neithart wegen der Holzpuppen), wenn er die lächerli‐ chen Täuschungsmanöver seines Possenreißers aufnimmt und weiter ausspielt. Die Rahmentransformation ist eine wichtige Voraussetzung für die Erkenntnis von Spiel. Spiel wird üblicherweise durch besondere Rahmungssignale und Modalitäten eingeleitet, die hier aber weder den Bauern noch dem Hof zur Verfügung stehen, wohl aber den Hörern oder Lesern der geschicht und histori des Pfaffen vom Kalenberg. Sie wissen im Unterschied zu den Akteuren sehr genau, dass es sich bei der Szene um einen Täuschungsrahmen han‐ delt und können so den Verlauf, und ich betone Verlauf, der Erkenntnis der Rahmentrans‐ formation lustvoll betrachten. Spektakel und Faszination Während das Lachen des Hofes die Schwänke an Fürsten- und Bischofshof dominiert, fehlt es in den Schwänken der bäuerlichen Sphäre fast gänzlich am lachenden Respons. Der Hauptgrund liegt vor allem in der Abwesenheit der höfischen Lachgemeinschaft, die erst dann lachen kann, wenn ihr die Streiche narrativ überbracht werden. Dass dies der Fall sein muss, zeigt der fröhliche Empfang des Kalenberger Pfarrers am Passauer Hof, wo ihm seine Fama als überlegener Schelm gegenüber Bauern und Nachbarpfaffen vorausgeeilt war. Aus 6.5. Der Schwankheld als scurra 463 386 Lindow, Wolfgang (Hg.): Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. Nach dem Druck von 1515. Mit 87 Holzschnitten. Stuttgart 1978, S. 42. diesen Gründen darf auch mit dem Lachen des Hofes über die Bauernschwänke in Form einer übergeordneten Rahmungsfunktion gerechnet werden. Wie muss die Komik der Bauernschwänke aber dann bewertet werden? Die sozialpsy‐ chologische Überlegenheitsthese und diejenige der strafenden Sanktion durch Lachen können hier ebenso wenig wie die Feststellung der paradoxen Verknüpfung von Freude und Bösartigkeit überzeugen. Näher liegend ist vielmehr, dass die bereits in den Schwänken der höfischen Sphäre dominante Kombination aus Inszenierungen von Körperbildern und sprachlicher Ambivalenz innerhalb eines theatral aufgebauten komischen Vorgangs auch hier vorherrschend ist. So kann der ‚Flug über die Donau‘, der im Text als ein „awenteür“ bezeichnet wird, das „er bald zu richt“, als Form der Mimikry eines Jahrmarktspektakels gesehen werden, das gänzlich von der Attraktion des erwarteten Ereignisses lebt. Nach der Ankündigung, er wolle über die Donau fliegen, steigt der Pfarrer auf den Kirchturm und macht sich wie ein Vogel zum Fliegen bereit. Er schmückt sich mit Pfauenfedern, einem rekurrenten Zeichen der Narrheit: phaben federn het er verholt, die hing er hinden vnd vornen an sich vnd daucht sich gleich eim sittig. Also do trat er hin vnd dar vnd pran recht wie ein engel klar, der do kumpt auß dem paradeiß, er treib seltzam parat vnd weiß, er schwang gar offt sein gefider, alß wolt er gleich do fliegen nider vnd sprach alweg: nun beit, nun beit, es ist noch nit an meiner zeit. (Vv. 436-446) Dieser Auftritt auf dem Kirchturm vor einem großen Publikum, das von unten nach oben starrt und neugierig auf das bisher Unmögliche wartet („die wolten al das wunder schawen“, V. 434), ist eine typische Jahrmarktsituation. Sie ist auch vom Verfasser des Eulenspiegel‐ buches übernommen und abgeändert worden, als Ulenspiegel in der 14. Historie „zu Megd‐ burg von der Lauben fliegen wolt, und die Zuseher mit Schimpffred abwise.“ 386 Dort wird das Spektakel des Gauklers noch deutlicher, wenn die große Menge an Zuschauern ihre Augen und Münder vor Staunen nicht mehr schließen können. Anders als im Eulenspie‐ gelbuch jedoch spielt der Pfaffe mehrere Rollen zugleich: die des Gauklers, die des Vogels und die des Engels. Die entsprechende Körperinszenierung malt der Text breit aus: in der irrwitzigen Ausstattung eines Federkleids tritt er auf - „daucht (er) sich gleich eim sittig“ - und stakst auf dem Kirchturm hin und her. Danach steigert er die Aufmerksamkeit, indem er die Posen eines Engels „der do kumpt aus dem paradeiß“ einnimmt (ein wiederum pro‐ fanierendes Element) und dessen Flügelbewegungen er nachahmt: „er treib seltzam parat und weiß, / er schwank gar offt sein gefider“ usw. 6. Erzählung, Imagination und Lachen 464 387 So lachen die Zuschauer in der dritten Historie des Eulenspiegelbuches herzlich über Tills Fall vom Seil ins Wasser. Lindow, Ein kurtzweilig lesen, S. 15. Diese Szene korrespondiert mit Jouberts erster Kategorie des Lachen über Komisches: ungewolltes Missgeschick. Der Flug über die Donau könnte genau solche Erwartungen geweckt haben: die Chance, bei einem risikoreichen Jahrmarktspektakel einen spektakulären Sturz zu sehen, war nicht gering. Röcke interpretiert die Szene mit Kant als „plötzliche Verwandlung einer gespannten Erwartung ins Nichts“; dies trifft allein auf die gespannten Hörer der Geschichte zu. Vgl. Röcke, Die Freude am Bösen, S. 175. 388 Schmitz, Leib und Gefühl. Materialien zu einer philosophischen Therapeutik. Hg. von Hermann Gau‐ sebeck u. Gerhard Risch. Paderborn 1989, S. 189. Schmitz führt aus: „Gleichwohl ist für sie [die Fas‐ zination] eine Distanzlosigkeit charakteristisch, die … so weit geht, dass der Faszinierte, indem er gebannt an seinem Objekt hängt, dessen Schicksal und Verhalten nicht mehr als etwas Fremdes von seinem eigenen unterscheiden kann.“ Um seinen Wein zu verkaufen, inszeniert der Pfaffe also ein Spektakel, dessen Komik für jeden Betrachter sofort nachvollziehbar ist, nicht jedoch für die gespannt wartende Ge‐ meinde. Komik ergibt sich hier wiederum zunächst aus der Situationsspaltung zwischen Textebene und Rezeptionsebene wie beim Veilchenschwank im Neithart Fuchs. Doch hier kommt ein Weiteres hinzu: Komik entsteht auch aus einer Inversion von der solchen Spek‐ takeln eigenen Faszination, die dem Lachen über Körperliches sehr nahe steht. Es wird gewissermaßen über die enttäuschte Erwartung bei den anderen gelacht, über eine Faszi‐ nation der Törichten, die sich weder in Staunen noch in Lachen auflösen kann. 387 Um dies besser zu erläutern, komme ich auf das Zirkus-Beispiel von Hermann Schmitz zurück (vgl. Kap. 1.3.). Das Publikum in der geschicht verhält sich wie die Zuschauer im Zirkus, die von den Akrobaten in Bann gezogen sind und ihre Bewegungen körperlich übernehmen. Schmitz führt aus, dass „die faszinierenden Bewegungen des Akrobaten auch dann, wenn niemand sie nachahmt, aufgrund der Faszination vom Beobachter übernommen [werden], in dem Sinn, dass er sie nicht mehr als Bewegungen eines fremden Wesens von seinem eigenen Verhalten unterscheiden kann.“ 388 Diese distanzlose Fixierung an ein bewegliches Objekt, in unserem Fall der Pfarrer auf dem Kirchturm, macht die Zuschauer gewissermaßen zu Narren, da sie nicht durchschauen, dass es hier um eine falsche, aus einer Täuschung re‐ sultierende Faszination geht. Was den Zuschauern bleibt, ist die Einleibung mit dem Pro‐ tagonisten des erhofften Fluges, d. h. mit den lächerlichen Nachahmungen, die er oben vollführt. Nun kommt die Komik der Übervorteilung, und wie der Pfaffe sie ins Werk setzt, hinzu: er zieht das Ganze mit wiederholten Gebärden und an theatrale Aufführungen gemahnende Ausrufe („nun beit, nun beit…“) in die Länge, um dem durstig wartenden Publikum seinen kahmigen Wein zu verkaufen. In der abschließenden Belehrungsrede, in welcher es wie‐ derum nicht an profanierenden Elementen fehlt, wird das Volk fast zynisch über den Betrug aufgeklärt: „Das ir mir meer auß trinckt den wein, / des will ich ken got ewer pitter sein.“ (Vv. 473-74). Die Tatsache, dass der Pfarrer die Bauern über den Betrug aufklärt, und sie sozusagen vorführt, weist wiederum auf seine Rolle als Possenreißer hin, die er nun voll‐ ständig bei den Bauern institutionalisiert hat. Denn am Ende heißt es in einem furchtbar klapprigem Reim: „Gantz vber all erhal die meer / vom Kalenberge dem pfarrer“ (V. 487). Von nun an wird sich herumsprechen, dass der Pfaffe vom Kalenberg Streiche spielen kann, gemelich und spaßhaft ist. 6.5. Der Schwankheld als scurra 465 389 Vgl. Wodarz-Eichner, Narrenweisheit, S. 236 f. 390 Fliegen war ausschließlich göttlichen oder dämonischen Wesen vorbehalten, die Unmöglichkeit des menschlichen Fliegens topisch verbürgt (Ikarus, Simon Magus). Vgl. dazu Kröll, Katrin: „Kurier die Leut auf meine Art…“. Jahrmarktskünste und Medizin auf den Messen des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Benzenhöfer, Udo u. Kühlmann, Wilhelm (Hg.): Heilkunde und Krankheitserfahrung in der frühen Neuzeit. (= Frühe Neuzeit, 10). Tübingen 1992, S. 155-186, S. 181 f. 391 Vgl. zu Bernoin Kröll, Kurier die Leut, S. 165 ff. 392 „Why did he choose to ‚fly‘? Ultimately, the combination of medicine and theatre at the heart of effective quack practice derives its power from its roots in the quacks antecedents as shaman“. Kat‐ ritzky, M. A.: Women, Medicine and Theatre 1500-1750. Literary Mountebanks and Performing Quacks. Aldershot / Burlington Vt. 2007, S. 99 u. 284. 393 „Quacks were performers. (…) Quacks used theatricality, in its widest possible sense, to attract cus‐ tomers, promote their healing abilities, and enhance the therapeutic effects of their products. They caught the attention of the curious and advertised their products and services, by using handbills supporting their promotional orations, wearing distinctive costume and displaying promotional ma‐ terial lending substance to their professed medical cedentials.“ Ebd., S. 87. Somit übersteigt der Schwank vom Flug über die Donau bei weitem die ihm bislang zugeschriebene komische Tendenz zur materiellen Übervorteilung der Bauern mittels ge‐ witzter Überlegenheit. 389 Von Beginn an handelt es sich um die Erregung von Aufmerk‐ samkeit für ein unmögliches Schauspiel, versehen mit theatralen Elementen wie der schau‐ spielerische Verwandlung in einen Vogel-Engel, einem kopräsenten Publikum, einer theatralen Publikumsansprache in Verbindung mit dem Verkauf von im Prinzip unverkäuf‐ lichen Waren. Die Aufmerksamkeit wird auf das Schauspiel („nun losset an ir lieben kint, ee das ich fleüg, so get mir: sollich wunder nun wo sacht ir“, Vv. 460-62) gelenkt, der Verkauf der Waren vollzieht sich im Hintergrund, und am Ende der theatralen Performance bleibt der Gewinn für die verkauften Waren übrig. Der Zusammenhang von theatraler Verkleidung, schauspielerischer Aufführung, dem Versprechen eines risikoreichen und nie gesehenen Unternehmens - des menschlichen Fluges - und dem Verkauf von schlechter Ware in einem von Sensationslust geprägten Rahmen ist typisch für die Jahrmarktspektakel des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Gerade die dem Seiltanz ähnliche Vorstellung des Fliegens, der im 14. und 15. Jahrhundert noch starke negative Konnotationen anhafteten, 390 ist bis ins 18. Jahrhundert immer wieder Gegenstand der Faszination gewesen und als attentionales Mittel für andere, kommerzielle Zwecke benutzt worden: So versuchte noch 1673 der wandernde Chirurg Charles Bernoin an einem Schrägseil von einem Kirchturm unter pyrotechnischer Begleitung zu Boden zu „fliegen“, um im Anschluss seine Künste als Wundarzt anzubieten. 391 Katritzky sieht den Grund solcher risikoreichen Aufführungen, die nicht selten mit dem Tod des Fliegenden endeten, im Versuch, die Zuschauer von der Wunderkraft des Wundarztes zu überzeugen. Analog zu den vorchristlichen Schamanen muss der Heiler öffentlich den Tod herausfor‐ dern, um Vertrauen in seine Heilkräfte zu wecken: „he drew the attention of potential patients to his personal credentials as an effective healer, by authenticating his own life-af‐ firming powers.“ 392 So ähnelt der ‚Flug über die Donau‘ in seiner Kombination von theatraler Aufführung und dem Verkauf von minderwertiger Ware den Techniken von Quacksalbern in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Im Zentrum ihrer theatralen Handlungen standen eine Reihe performativer Routinen, die nicht allein den Zweck hatten, potentielle Kunden anzuziehen und zu unterhalten, 393 oder ihre chirurgischen Fähigkeiten auszustellen, son‐ 6. Erzählung, Imagination und Lachen 466 394 Zu diesen Praktiken gehörten Operationen auf der Bühne, Berichte von Wunderheilungen, oder die Inszenierung gefährlicher oder magischer Praktiken wie das Hand-, Arm- und Kopfabschlagen bzw. verschiedener Selbstverletzungen. Vgl. Kröll, Kurier die Leut, S. 182 u. Katritzky, Women, Medicine and Theatre, S. 87. 395 Vgl. Kap. 5.2. zur Figur des Rubin. Dazu schon Jakobson, Medieval Mock Mystery, S. 675f. Jakobson führt die Krämerfigur auf eine Kombination von liturgischen und paganen Elemente zurück, um durch komische Effekte Lachen mit apotropäischer Funktion auszulösen. Neuere Forschungen haben die alte These bestätigt, dass die Krämerfiguren von professionellen Schauspieler-Quacksalbern ge‐ spielt wurden, sodass Jakobsons Ergebnisse wieder aktueller geworden sind. dern auch zur eindrucksvollen Demonstration der natürlichen oder übernatürlichen Kraft des Quacksalbers und seiner Herrschaft über den Tod. 394 Auf eine theatrale Rahmung des Flugs über die Donau weisen schließlich auch die Verse „vnd sprecht, ir seit all hier geweßn., / got der laß eüch all wol geneßn“ (Vv. 471-72) hin; auf theatrale Muster deutet auch die Anwesenheit eines Gehilfen, des Messners, hin, der in der geschicht einzig in diesem und dem vorangehenden Linsenschwank auftritt: „Der meßner der lieff auff den thuren…“, (V. 454). Hier könnte man an eine Anspielung an Rubin, den Knecht der Mercatorszenen der Osterspiele vermuten, zumal auch bestimmte Ähn‐ lichkeiten zwischen dem Pfarrer und dem Krämerspielpersonal als schamanenhafte, auf das Lachen angelegte Figuren festzustellen sind. 395 Der Kirchturmschwank zeigt noch einmal in aller Deutlichkeit, dass auch die bäuerlichen Schwänke sich nicht mit überlegenem Listhandeln zur ökonomischen Gewinnmaximierung aufrechnen lassen. Wird nämlich das gemeinschaftliche Gelächter als Rahmungsfunktion der Schwänke zu Grunde gelegt, so kommt es mehr auf die performative und körperliche Komik des Textes an. Daher besteht die Kunst des Kalenbergers nicht nur in der provoka‐ tiven Vorausplanung, sondern auch im histrionischen Erregen von Aufmerksamkeit durch extravagante, transgressive Bildinszenierungen. Überwiegend verdankt sich diese Kunst der Komik des Körpers, kombiniert mit Handlungskomik und Wortwitz. Es ist die Komik des scurra im Übergang zum rinascimentalen Programm des vir facetus, wie wir ihn bei Pontano und Castiglione sehen werden. Denn die Figur des Pfarrers alimentiert ihre „seltzam hoffweis“ noch stark aus der Bildlichkeit eines mit dem Körper und körperlichen Handlungen erzeugten Komik, verfeinert sie aber durchaus mit Witz und Raffinesse. Ich erinnere nur an das Gespräch mit der Fürstin bei der Jagdausfahrt, als der Pfaffe von hoch oben auf seinem auf dem Mistwagen stehenden Pferd sich bei ihr gleichsam entschuldigt, er habe sie „vbersehen“, worauf „Die fraw die sprach vnd lacht in an: / Ir seidt ein seltzam hoffman.“ (Vv. 1739-40). Zur Kunst des Pfaffen gehört aber noch eine weitere Fähigkeit des vir facetus, die auch den Possenreißern Sacchettis und später Bandellos eigen ist: es ist die Kunst, komische Vorgänge wie auf einer Bühne zu inszenieren, die nicht nur einen, sondern mehrere komi‐ sche Anlässe aneinanderreihen, die in ihrer Komplexität und dynamischen Verlauf Körper- und Sprachwitz, Parodie und Satire verbinden. Hier ist der Pfaffe ganz Regisseur, steht (auch räumlich) außerhalb der Gruppen und steuert sie nach Belieben, da er über seine komischen, außergewöhnlichen Auftritte das Lachen seines Publikums evozieren und steuern kann. Dass seine Komik nicht eindeutig sein muss, und nicht bei allen Beteiligten Lachen (und auch nicht dasselbe Lachen) erregt, zeigt sehr anschaulich der Schlusssatz des Schwanks vom Flug über die Donau. Diese Aussagen lassen sich grob in zwei Haltungen zusammen‐ 6.5. Der Schwankheld als scurra 467 fassen, in Geschädigte und Schadenfrohe: ärgern sich die ersten den Schelmenpfaffen, der sie zum Narren gehalten hat, freuen sich die letzteren gerade darüber. Wer aber immer darüber lachen kann, ist derjenige, der aus einer sicheren Betrachterposition heraus sich das Ganze vor Augen stellt: Das ein im danckt, das ander nit, das drit sprach: schür dich rit czu einem betrogen pfaffen, du hast heüt gemacht vil affen. Das vierde schmutzt unde lacht das fünfft das schalt, das es kracht. (Vv. 477-482) 6. Erzählung, Imagination und Lachen 468 1 Zur Soteriologie des Lachens vgl. Quast, Vom Kult zur Kunst, S. 124-126. 7. Scurrilitas im 16. Jahrhundert: ein Ausblick Ich habe in den Kapiteln 5 und 6 versucht, die spezifischen Formen der Körperkomik von Possenreißern und anderen Lachfiguren an ausgewählten Spiel- und Erzähltexten des Spät‐ mittelalters herauszuarbeiten. Methodische Leitlinie war dabei der konsequente Bezug der komischen Inszenierungen zum gewünschten Lachen des Publikums - nämlich Komik und Lachen in einem Interaktionszusammenhang zu sehen. Ich habe dabei den Verlaufs- und Geschehenscharakter dieser Komik in den Mittelpunkt gestellt, sie innerhalb von einzelnen Szenen und Episoden sowie insgesamt betrachtet. Die performative Komik von Lachfiguren in Krämerspiel, Farce und Sottie, Neidhart- und Fastnachtspiel basiert im Rahmen einer noch deutliche rituelle Anteile aufweisenden Aufführungspraxis auf deren Bewegungs‐ logik, ihrer Gestik und Mimik, ihrer Verwandlungsfähigkeit, Stimme und Präsenz, die sich situativ mit Sprachkomik verbindet. Diese Komik ist nicht mit der theatralen Handlungs‐ komik der späteren Komödie zu verwechseln, welche auf anderen Verfahren, wie etwa Verwicklungen, Hindernissen und überraschenden Umschlägen beruht. Noch die Com‐ media dell’arte ist entfernt von dieser Form der theatralen Narration, und verlässt sich in den lazzi - ähnlich wie die mittelalterlichen Spielformen - auf die Wirkung der Präsenz des verwandlungsfähigen, virtuosen Körpers. Das Lachen der Zuschauer über diese performative Komik der Körper ist in hohem Maß eingebunden in die übergeordneten rituellen Rahmungen des mittelalterlichen Festes, der Fastnacht und der höfischen Geselligkeit und damit ein Sekundärrahmen, der zwischen der kollektiven, festlichen Atmosphäre und den Aufführungsgenres vermittelt. Es ist ein ge‐ meinschaftliches Lachen, das direkt auf den Auftritt des Körpers als Ereignis antwortet und das mit der Hyperbolik und Exaltiertheit der Aufführungen anschwillt. Innerhalb dieser Rahmung sind die Aufführungen von Possenreißern, Narren und anderen Lachfiguren zu sehen: Ihr Körperschema konstituiert sich durch bestimmte traditionelle, teils archaische Techniken wie Transgressionen der Hexis, der Bewegung, der Gestik und Mimik, der se‐ mantischen und asemantischen Lauterzeugung, welche durch ihre Präsenz und Intensität, etwa beim Laufen und Stürzen, Tanzen und Prügeln, Rufen und Schreien das Publikum zum Lachen „bewegen“ (durch Widerfahrnis, Einleibung, Apperzeption). Dieses Lachen über Rubin, den Mercator, den Badin und den Narren, die Bauern, Teufel und Masken besitzt aber auch eine rituelle Qualität, d. h. es erfüllt soziale, heilende oder soteriologische Auf‐ gaben, indem es Gemeinschaft stiftet, die figurativ inszenierten Provokationen des Tabui‐ sierten, Bösen und Fremden abwehrt und ihre potentielle Bedrohung entschärft. 1 Im Fall des Neidhartspiels wurde deutlich, wie sehr die Bedrohung der höfischen Gesellschaft durch gewalttätige Bauern als eine durch den Possenreißer Neidhart inszenierte Bedrohung aus‐ gewiesen ist, deren komischer Modus den aufgeführten sozialen Konflikt als lächerlich erscheinen lässt. 2 Zit. bei Verberckmoes, Johan: Schertsen, schimpen en schateren. Geschiedenis van het lachen in de Zuidelijke Nederlanden, zestiende en zeventiende eeuw. Nijmegen 1998, S. 68. 3 Bei dieser Transformation war es möglich, dass auch diejenigen semantischen Anlagerungen, für die das ‚langsame‘ Schriftmedium Gelegenheit bot, ihrerseits in die Oralität übertragen werden konnten. Vgl. dazu Wittchow, Frank: Eine Frage der Ehre: Das Problem des aggressiven Sprechakts in den Facetien Bebels, Mulings, Frischlins und Melanders. Zeitschrift für Germanistik N. F. Jg. XI (2001). H. 2. S. 336-360. Die Annahme, dass im Gegensatz zu Schauspiel und Performance der literarische Text auf die Kopräsenz von Akteuren und Zuschauern, auf die Aufführung schlechthin ver‐ zichten muss, trifft für Spätmittelalter und Frühe Neuzeit noch nicht zu. Die untersuchten schwankhaften Texte und Textsammlungen sind vermutlich ebenfalls als Anlässe zum La‐ chen verfasst worden, wenn man Zeitgenossen wie Joubert glauben darf. Dies liegt in erster Linie an den medialen Verhältnissen der Rezeption von Literatur in der Frühzeit des Buch‐ drucks: Wie bereits im Mittelalter müssen wir auch hier von einer zweifachen Rezeption von Literatur ausgehen, vom Hören und vom Lesen. Die behandelten Handschriften und Frühdrucke, welche fast alle als ‚populär‘ (im Sinne von standesübergreifend) gelten können und somit auch ein populares Publikum ansprechen (darauf weisen drucktechnische und sprachliche Aspekte hin), wurden mehrheitlich auditiv rezipiert, und dies nicht nur, weil sie innerhalb der volkssprachigen Literatur zu denjenigen Texten gezählt werden müssen, welche einen hohen Anteil an leseunkundigen Rezipienten aufweisen. Die Rezeptionssi‐ tuation des Vorlesens muss insofern als Aufführung bezeichnet werden, da sie ein Ge‐ schehen nicht nur visuell, im Sinne des vor Augen-Stellens, sondern auch stimmlich, ges‐ tisch und mimisch durch den Vorlesenden erfahrbar macht. Das Vorlesen schließt somit auch gemeinschaftliches Gelächter als Zweck der textuellen Komik ein. Doch auch die Rezeptionssituation des stillen Lesens vermag einen Text über seine per‐ formativen Elemente und die Imagination der Leser genauso vor Augen stellen, wie dies bei einer theatralen Aufführung oder einem Vortrag der Fall wäre. Nicht anders konnte auch Gianfrancesco Poggio Bracciolini in einem Brief behaupten, dass das Lesen seiner Fazetien zum Lachen bringe („risum excitet legenti“). 2 Die humanistische Fazetienliteratur versuchte in der Folge Poggios im Medium der Schrift die Gegenwärtigkeit und Überzeu‐ gungskraft der mündlichen Kommunikation zu speichern, so dass sie jederzeit wieder in das Medium der Mündlichkeit transformiert werden konnte. 3 Denn Fazetien und Novellen lesen und hören, sie erzählen und schreiben, liegt für die Zeitgenossen noch im gesamten 16. Jahrhundert diskursiv auf der gleichen Ebene. Allerdings ändert sich im Austausch mit der Schriftlichkeit die Art des Inhalts, der gespeichert wird: Die Schrift hat ihre eigenen Gesetze, sie bereinigt die Lachanlässe von ihren grotesken und obszönen Aspekten und favorisiert die narrative Zerdehnung komischer Gestik und komischer Bilder, wie schon bei Sacchetti zu beobachten war. Auch das Moment der Überraschung ist ein wichtiger neuer Punkt, der im 16. Jahrhundert in der narrativen Komik immer mehr an Gewicht er‐ halten sollte. Dennoch suggeriert etwa die Schwankkompilation von Neithart Fuchs ganz ähnliche performative Wirkungen wie das Große Neidhartspiel. Wenn auch die Körperinszenie‐ rungen, wie das Tanzen, Prügeln und Defäkieren der Bauern, wenn ihre gestischen und mimischen Grobheiten nicht leibhaft zu erleben sind, so gelingt es dem Text doch, sie an‐ 7. Scurrilitas im 16. Jahrhundert: ein Ausblick 470 4 Helmich bemerkt anhand der burlesken Romane Scarrons: „Man darf wohl beim damaligen Leser ein Bewusstsein von elementarer Körperkomik voraussetzen…“ Helmich, Werner: Ragotin oder: Was ein komischer Körper im Roman comique alles aushalten muss. In: Der komische Körper. Szenen - Figuren - Formen. Hg. von Eva Erdmann. Bielefeld 2003. S. 46-52, S. 49. 5 Vgl. dazu, anders als Coxon, Grubmüller, Klaus: Wer lacht im Märe - und wozu? In: Lachgemein‐ schaften, hg. Röcke / Velten, S. 111-123. 6 Vgl. dazu Koopmans, Jelle: Le rire grinçant de la farce. Factions et exclusions dans le monde du théâtre profane français (1450-1550). In: Lachgemeinschaften. S. 209-223. 7 Dies zeigt etwa auch die Fäkalkomik und der skatologische Umgang mit ihr, weil sie gattungsüber‐ greifend die Körperausscheidungen durch Transgressionen verschiedenster Art thematisiert. hand verschiedener sprachlicher und imaginativer Mittel vor Augen zu stellen, sie zu re-in‐ szenieren und damit auf die körperliche ‚Ansteckung‘ der Hörer und ihr Gelächter abzu‐ zielen. 4 Denn im Grunde berufen sich Text und Spiel auf die älteren (gesungenen oder rezitierten) Neidhartschwänke, die in ihrer Form des Liedvortrags bereits das Geschehen körperlich vollziehen. Dem Neithart Fuchs gelingt es dann durchaus besser als dem Spiel, etwa die Verkleidungen und Verstellungen Neidharts sowie die damit verbundenen Kom‐ plikationen (z. B. im Brautschwank) narrativ zu präsentieren; und die Prahlereien und Gro‐ teskreden der Bauern können auch beim Hören und Lesen als direkt auf den Körper wei‐ sende sprachliche komische Anlässe wirken. Das Lachen über das wahrgenommene Spiel und jenes über den wahrgenommenen Text unterscheidet sich dann vornehmlich in der Rezeptionssituation; beim Text fehlt die festliche Stimmung, der rituell-theatrale Anlass des Spiels, der Text kann allerdings auch unabhängig von diesen Okkasionen rezipiert werden. Freilich ist eine Spielform wie das Einkehrspiel oder die Farce von Beginn an mit Lachen verbunden, sie ist auf das Lachen ausgerichtet und existiert nur für das Lachen. Beim mündlichen Erzählvortrag haben wir mit den Fabliaux einen analogen Fall, und seit Sebas‐ tian Coxons Studie gilt auch für die deutschsprachigen Schwankmären, dass ein Lachen ihres Publikums meist beabsichtigt war, auch wenn wir noch immer nicht genug über die Rezeptionskontexte von Kurzerzählungen wissen. 5 Genauso kann gesagt werden, dass Spiel und Literatur die Funktion des rituellen Verspottens und Auslachens in einen ludischen Rahmen setzen und somit entschärfen; dennoch gibt es politische Farcen und Fastnacht‐ spiele, welche zum Verlachen des Gegners einladen, bzw. den Spielrahmen mit einem grö‐ ßeren, ernsthaften Rahmen versehen, in welchem die nur gespielte Verachtung wiederum in den Ernst zurückgespielt wird. 6 Welche literaturgeschichtlichen Konsequenzen haben diese Befunde? Wenn für den Un‐ tersuchungszeitraum der Texte, das 14. und 15. angenommen werden kann, dass bezüglich der Wirkungs- und Inszenierungsformen des komischen Körpers Aufführung und Text noch sehr nah beieinander liegen, 7 so ist zu beobachten, dass beide mit dem Fortschreiten des 16. Jahrhunderts immer weiter auseinanderdriften. Während sich die rituell-theatrale Komik, wie sie in Farce, Neidhart- und Fastnachtspielen vorherrscht, im 16. und 17. Jahr‐ hundert (mit Ausnahme der Commedia dell’arte) auf die Narrenfigur und später die „Lustige Person“ (Pickelhering, Hanswurst) zurückzieht, stattdessen sich aber die Handlungskomik immer stärker ausbildet, lässt sich innerhalb der schriftlichen Überlieferung, die mit der Erweiterung der Gattungen und der Druckerzeugnisse im Allgemeinen ab 1500 flutartig zunimmt, eine breite Ausdifferenzierung der literarischen komischen Formen konstatieren. Sie sind jetzt stärker auf den Text selbst bezogen, es sind komische Formen des Textes. 7. Scurrilitas im 16. Jahrhundert: ein Ausblick 471 8 „Ich meine nun, die Schwierigkeit in der Beurteilung und Deutung sprachlicher Kunstwerke liegt genau darin, daß in ihnen die Sprache in verschiedenem Grade ihren diskursiven Zeichencharakter verliert.“ Bertau, Karl: Über Literaturgeschichte. Höfische Epik um 1200. München 1983, S. 80-84, hier S. 82. Dadurch unterscheiden sie sich von jenen, die ich in dieser Studie untersucht habe, die ja gerade über sprachlich verkörperte Lachanlässe wie Aufführungen wirken wollen, um La‐ chen zu erregen, und um dieses Lachen bei unterschiedlichen Gelegenheiten immer wieder neu erzeugen zu können. Die Drucke des 16. Jahrhunderts, die dem Lachen verpflichtet sind, rekurrieren stärker als bisher auf ihre sprachlichen Zeichen- und Bedeutungssysteme, da sie ‚Welt‘ und ‚Körper‘ diskursiv symbolisieren und repräsentieren, weniger ‚aufführen‘ oder ‚zeigen‘. Dadurch verändern sich ihre komischen Formen in dem Maße, als sie in die diskursiven und seman‐ tischen Aussagen und Zwecksetzungen der Texte eingebunden sind, d. h. indem sie mehr und mehr von ihrer sprachlichen Verfasstheit bestimmt werden. Karl Bertau hat einmal im Hinblick auf die großen Dichter des 13. Jahrhunderts, Dante und Wolfram, zwischen „dis‐ kursivem“ und „präsentativem“ Symbolcharakter der poetischen Sprache unterschieden. Ihre Epen hielten nicht „diskursiv symbolisierte Information“ bereit, die der Interpretation geöffnet werden könne, sondern blieben dunkel, gestisch, präsentativ. 8 Natürlich sagt Bertau hier nichts über Komik und komische Texte, ihm geht es um die besondere Poetizität der literarischen Sprache des Mittelalters. Ich habe die Differenzierung jedoch herange‐ zogen, weil sie klar zu zeigen vermag, dass Sprache (in Texten) nicht immer und zu allen Zeiten gleich „diskursiv“ gewesen ist. So hat die Sprache, die ich in Ayrers Salomon und Markolf-Druck, im Neithart Fuchs oder in Frankfurters geschicht und histori des Pfaffen vom Kalenberg bezüglich ihrer Komik hohe „präsentative“ Anteile. Diese Texte „zeigen“ komi‐ sche Körperinszenierungen, ihre Sprache verweist zwar auch auf etwas anderes (soziale Differenz, Transgressionen von Normen, moralische Defizienz, um nur einige Aspekte grob zu nennen), aber in erster Linie stellt sie das Gesagte vor Augen, zeigt, verkörpert es. Wenn ich die Texte ab ca. 1500, die einer imaginären Literaturgeschichte des Lachens zugeordnet werden können, betrachte, dann stelle ich eine deutliche Transformation des Komischen fest. Komische Sprache und Sprachwitz sind vielleicht nicht weniger bildlich, aber ihre Bildlichkeit ist in diskursive Semantisierungen eingebunden, und, vielleicht wichtiger, ihre Komik verweist mehr und mehr auf die Sprache selbst, wird zur Komik der Sprache. Bei dem Versuch, das Lachen und seine Repräsentanten, die Lachfiguren - und im deut‐ schen Sprachraum heißt dies in erster Linie: den Narren - ganz unterschiedlichen Diskursen und Semantisierungen in Texten dienstbar zu machen, verändert sich das direkte Verhältnis von Text und Gelächter: Der Text verzichtet auf seine Position als dem Spiel analoger Lachanlass. Sicherlich versuchen die Verfasser von Texten auch jetzt noch - und hier hat Bachtin durchaus recht - die Kraft des popularen Imaginären zu nutzen, seine Bilder und Gesten, seine Formen und Szenen, um ihre je verschiedenen Anliegen wirksamer machen zu können. Doch indem Lachfiguren wie der Narr, durchaus auch im Rückgriff auf seine theologischen und medizinischen Bedeutungen, zu universalen Figuren des Sündhaftigkeit und des Fehlverhaltens werden - wie in Sebastian Brants Narrenschiff (Basel 1494) und dessen Nachfolgern -, so muss er seine komisch-theatralen Aspekte und Bestimmungen zwangsläufig reduzieren. Er ist nun kein Possenreißer mehr - wie Markolphus follus, wie 7. Scurrilitas im 16. Jahrhundert: ein Ausblick 472 Neithart Fuchs oder der Pfarrer vom Kalenberg, wie die Helden Sacchettis, sondern er ist eine menschlich-allzumenschliche Reflexions- und Grenzfigur geworden, die mehr moral‐ didaktischen als unterhaltenden Zielen verpflichtet ist. Das abschließende Kapitel soll in einem kurzen Ausblick die verschiedenen Felder zeigen, in welche Richtungen sich die scurrilitas im 16. Jahrhundert ausdifferenziert und was mit dem Lachen über komische Vorgänge und Verkörperungen der Sprache geschieht. Bachtin hat das 16. Jahrhundert auf Grund seiner Beschäftigung mit Rabelais als die Zeit der ‚ubi‐ quitären Lachkultur‘ bezeichnet: dieses Urteil stimmt nur insofern, als dass eine Flut ‚lach‐ kultureller‘ Figuren und Embleme, satirischer und parodistischer Schreibformen nachzu‐ weisen sind, die weder vorher noch nachher in diesem Maße vorhanden waren. Dadurch wird das Bild vom insulären, festlichen, rituellen Lachen erweitert und verschoben, aber es kann nicht die Rede von einer neuen „Lachkultur“ sein. Denn der Begriff Lachkultur ist hier irreführend. Eine solche kann sich nicht ausschließlich auf schriftliche Zeugnisse stützen, sondern muss die Räume und Orte des Lachens, seine Situationen und seine sozi‐ alen Funktionen beschreiben. Und ob sich in diesem Feld zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhundert so starke Veränderungen ergeben haben, muss zumindest erst nachge‐ wiesen werden. Was sich verändert hat, ist die zwar auf das Lachen gerichtete, doch immer mehr ohne seine rituelle Rahmung auskommende Komik. Denn sie ist es, die in den zahl‐ losen satirischen, karikierenden, spöttischen, parodistischen Texten „disseminiert“ und zu einem Epiphänomen der Sprache und der Schrift wird. Sie kann jedoch das Nachlassen der performativen Verkörperungen schon zu Beginn des Jahrhunderts nicht substituieren. Statt‐ dessen ist eine starke Diskursivierung und Semantisierung der komischen Körperlichkeit zu bemerken, die das Lachen als Vehikel zwar noch schätzt, ihm aber keinen Raum mehr geben kann, da ihr Fokus auf andere Zwecke eingestellt ist: auf Didaxe und Belehrung, auf die konfessionelle und politische Auseinandersetzung, auf die Erweiterung des Wissens, auf die Pathologisierung abnormer Verhaltensweisen. Ich möchte diese Transformation des Komischen im Folgenden ausblickend an einigen Beispielen anreißen. 7.1. Tendenzen der Diskursivierung und Semantisierung Noch besitzen wir für das 16. Jahrhundert in Literatur und Theater überaus reichhaltige Materialien für komische Körperinszenierungen. Die Blüte der Fastnachtspiele und Farcen reicht mindestens bis zur Mitte des Jahrhunderts, an vielen Orten darüber hinaus; es ent‐ stehen dramaturgisch komplexere Spiele wie die von Hans Sachs oder Jakob Ayrer, bei denen komische Körperinszenierungen in didaktische Zwecksetzungen integriert werden. Der enge Zusammenhang zwischen Spielen und Texten, der an der Übernahme des theatral und rituell vorgeprägten Körperschemas von Lachfiguren in die Texte erkennbar wurde, löst sich im Laufe des 16. Jahrhunderts allmählich. Die Erzählungen über berühmte Pos‐ senreißer des 14. und 15. Jahrhunderts bleiben zwar in der Nachfolge des Eulenspiegelbu‐ ches über das gesamte 16. Jahrhundert populär, doch mit der wachsenden sprachlichen Eloquenz ihrer Verfasser (etwa Fischarts Eulenspiegel reimensweis) spielt die Visualisie‐ rungsfunktion der Sprache und mit ihr die körpergebundene Komik eine weniger wichtige Rolle. Thematisch wird in Schwankreihen wie Wolf Büttners Historie von Claus Narren 7.1. Tendenzen der Diskursivierung und Semantisierung 473 9 Vgl. dazu umfassend Kap. VII von Röcke, Die Freude am Bösen, S. 252-291. Röcke spricht von einer Reduktion „auf harmlose Scherze, banale Wortwitze und andere Belanglosigkeiten (…) Geistreiche‐ leien, Albernheiten oder Wortverdrehungen“. S. 252, 255. 10 Sicherlich spielt hier das Medium der Schrift auch eine Rolle: „Die Körperlichkeit des Lachens ver‐ schwindet im Verschriftlichungsprozess. Auch bildliche Darstellungen des Lachens in der Kunst können diese Lücke nicht ausgleichen.“ Schörle, Eckart: Die Verhöflichung des Lachens. Göttingen 1999, S. 46. 11 Vgl. Kap. 4.3. 12 Vgl. dazu die Definitionen Pontanos in De sermone und Castigliones im Cortigiano, zusammengefasst und diskutiert von Gerd Dicke, der das humanistische Stilideal des homo facetus ausführlich be‐ schrieben und seine Vorläufer im Mittelalter ausgemacht hat. Vgl. Dicke, Homo facetus, S. 308 ff. 13 Zum Begriff der Verhöflichung vgl. Schörle, Die Verhöflichung des Lachens, S. 44 ff. (1572) und Bartholomäus Krügers Hans Clawert (1578) das Obszöne und Grobdrastische, das Transgressive der Possenreißer des 15. Jahrhunderts zurückgedrängt. Ihre Scherze sind flach und vorhersehbar, sie kommen ohne sexuelle und skatologische Themen und Meta‐ phern aus, und am Beispiel von Claus Narr ist zu erkennen, dass Hofnarren sogar zu mo‐ ralisch nützlichen Figuren zur Durchsetzung des lutherischen Glaubens werden können. 9 Wir haben es mit Phänomenen der Verbreiterung und Transformation des Komischen in der Schriftlichkeit des frühen Druckzeitalters zu tun. 10 Das bedeutet nun ganz und gar nicht, dass es keine gesellige Komik oder Komik der Aufführung mehr gegeben hätte. Ganz im Gegenteil: die Erweiterung der komischen Möglichkeiten in der Schrift haben großen Einfluss auf die theatrale Repräsentation von Komödien oder die gesellige Unterhaltung. Dies hat das Beispiel des urbinatischen Hofnarren Anastasio treffend gezeigt, der von seiner Herrschaft den Auftrag erhielt, statt der Aufführung eigener neuer Späße aus seinem Buch mit den vergangenen vorzulesen. 11 Hier kann sehr anschaulich der Übergang von perfor‐ mativen zu diskursiven Praktiken nachverfolgt werden. Die Gründe dafür sind vielfältig; Norbert Elias hat mit der Höfisierung und Zivilisierung der europäischen Gesellschaften im 16. und 17. Jahrhundert schon zwei genannt; beim Anwachsen der diskursiven Praktiken des Komischen ist aber auch zu beachten, dass das Lachen und seine Anlässe seit dem 16. Jh. wesentlich stärker als zuvor in die Produktion konkurrierender Wissensmodelle und Wis‐ sensordnungen eingebunden sind - was es als Agens kulturellen Wandels positioniert. Die Hauptfunktion des Komischen für die Wissensdynamiken sehe ich in der Dekonstruktion gewonnener Gewissheiten im Rahmen von Spott- und Scherzkommunikation. Dass diese vor allem im höfischen Bereich immer wichtiger wird, zeigt das Renaissance-Ideal des homo facetus als Modell eines Hofmannes, der in der Lage ist, auch den kultivierten, geselligen Scherz zu pflegen. Er ist das Gegenbild der Unkultiviertheit (agrestitudo) und der Possen‐ reißerei (scurrilitas); das Körperliche ist aus seinen Reden verbannt, er muss nur noch in der Lage sein, es anzuzitieren, es durchscheinen zu lassen. 12 In der höfischen Geselligkeit der Renaissance werden Lachanlässe im Gespräch, sobald sie als positive Qualitäten (und nicht wie in den Tischzuchten des Mittelalters als trans‐ gressiva) in schriftliche Diskurse eingebunden sind, zu Agenten eines ästhetischen Ideals, aber auch der Vernunft und des verhöflichten, reglementierten Umgangs miteinander. 13 Die Texte des 16. Jahrhunderts, die im deutschen Sprachraum im Druck erschienen, folgen diesem Stilideal nicht unbedingt; gerade die Reformationspolemik ist derb und aggressiv. Aber auch „grobianische“ Texte wie Murners Narrendichtungen und Dedekinds gleichna‐ 7. Scurrilitas im 16. Jahrhundert: ein Ausblick 474 14 Knape, Joachim: Poetik und Rhetorik in Deutschland 1300-1700. München 2006. mige Satire (1549, dt. 1551), die an der Praxis des Verlachens partizipieren, nutzen die Effekte komischer Körperinszenierungen vor allem semantisch (s. u.). Hier vollzieht sich eine Über‐ tragung „skurriler“ Formen auf die Sprache: Aus der närrischen Hexis, der rastlosen Be‐ wegungslogik, dem Stolpern und Stürzen des Körpers werden sprachliche Inkongruenzen und Interferenzen, semantische Widersprüche, Pointen, aus seiner leiblichen Heterogenität brüske Registerwechsel, absurde Kataloge, Lautmalereien, Dissoziationen von Handlung und Sinn, Dekomposition und Hybridisierung lexikalischer Einheiten, wie wir sie aus der Literatur von Rabelais und Fischart kennen. Der Körper in der Narrensatire: Brant und Murner Ich kann das Problem dieser Transformation im folgenden Ausblick nur sehr holzschnitt‐ artig und abgekürzt anreißen. Ich beginne mit der karnevalesken Spielfigur des Narren, der mittels eines der erfolgreichsten Texte der frühen Druckperiode, Sebastian Brants Narren‐ schiff (1494), auf die europäische literarische Bühne trat. Darin wird die Narrenfigur zur Personifizierung des falschen Verhaltens, zur satirischen Verkörperung der Sünden und Laster ihrer Zeit gewissermaßen „universalisiert“. Die mit Motti prägnant verbundenen Holzschnitte der 110 (später 112) Kapitel kommentieren und erweitern den Text und ma‐ chen ihn auch für Rezipienten mit eingeschränkter Lesefähigkeit zugänglich und anschau‐ lich. Die Attraktivität und Popularität des Werkes ist sicherlich auch diesem „konsequent umgesetzten Bild-Buch-Konzept“ 14 geschuldet. Doch ist hier zu fragen, ob Bild und Text Gelächter auslösen sollten bzw. ausgelöst haben. Ich glaube kaum, denn das Gelächter scheint gewissermaßen vor der Verurteilung der Sündhaftigkeit zu verstummen. Auf den Illustrationen des Narrenschiffs sind zwar die gängigen Insignien und die typische Kleidung des Narren zu sehen, doch bezieht sich der Text allein auf theologische und moraldidakti‐ sche Inhalte, komische oder am Körper visualierte komische Effekte sind kaum erkennbar. Es geht Brant in seinen Narrenbeschreibungen um schympff, um strafenden Spott als Mittel der Satire. Diese Narren sind keine Possenreißer - sie sind lächerliche Toren im Geiste, und der Hörer / Leser darf sich an den spöttischen und ironischen Wendungen Brants erfreuen. Im Narrenschiff ist der Narr eine moralsatirische Symbolfigur, er ist der Gegenpol des Weisen, doch hat er die Möglichkeit zur Umkehr, er kann sogar zum Weisen werden. Dies mag an Kap. 36 [Von Eygenrichtikeit] veranschaulicht werden, welches im Bild einen vom Baum herabfallenden Narren zeigt, als er Eier aus Vogelnestern stehlen will. Das komische Potential der Illustration wird jedoch nicht genutzt - dieser Sturz ist nicht ko‐ misch, sondern gerechte Folge einer sündhaften Handlung: Vil narren fyelen ettwann hoch Die stygen vogelnaͤster noch On leytter mancher nyder saß Verahtung dick den boden ruͤrt Vermessenheyt vil schiff verfuͤrt Nyemer erfolget nutz noch ere 7.1. Tendenzen der Diskursivierung und Semantisierung 475 15 Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgabe von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben. Hg. von Manfred Lemmer, Tübingen, 4. Aufl. 2004, S. 90. 16 Müller, Jan-Dirk: Literarischer Text und kultureller Text in der Frühen Neuzeit am Beispiel des Nar‐ renschiffs von Sebastian Brant. In: Zwischen den Disziplinen. Perspektiven der Frühneuzeitforschung. Hg. von Helmut Puff u. Christopher Wild. Göttingen 2003, S. 81-101, hier S. 96-101. Müller skizziert hier einen grundsätzlich offenen, permeablen und erweiterten Textbegriff der Frühen Neuzeit, der von seiner kollektiven Diskursivität beherrscht wird: „Die Einheit der vielen Texte stiftet ein ge‐ meinsames oder mindestens verwandtes Thema.“ (S. 100). Wer nit mag han / das man jn lere (36, Vv. 13-20) 15 In diesem, dem Eigensinn gewidmeten Kapitel, werden diejenigen angesprochen, die ge‐ genüber gutem Rat resistent sind und gegen jedes bessere Wissen ihrem Willen folgen, wie etwa die Kritiker der Kirche. Hier ist alles, jede Handlung allegorisch zu verstehen und mit Kommentaren aus altem und neuem Testament angereichert. Das Lachen über den Sturz des eigensinnigen Narren wäre somit höchstens aus Schadenfreude möglich, doch auch davon ist im Text nicht die Rede. Bezüglich des Narrensturzes heißt es in Kap. 40: Wer sicht eyn narren fallen hart Der luͤg / das er syn selbs wol wart Dann das ist nit eyn doreht man Wer sich an narren stossen kan (…). (40, Vv. 29-32) Auch hier geht es weniger um Unterhaltung, sondern mehr um Unterweisung. Das Kapitel trägt die Überschrift: „An Narren Anstoß nehmen“ [An narren sich stossen] und hat den Spott über fallende Narren zum Thema. Brant verurteilt diesen Spott, da die Spötter meist selbst wie Narren handelten, ohne es zu bemerken. Sie folgten den Narren auf ihrem Weg, ohne auf bessere Berater wie Väter und Lehrmeister zu hören. Sie „stoßen“ sich also nicht an den Handlungen der Narren: doch gerade dazu fordert Brant auf. Obwohl die Illustrationen teilweise körperlich aus der Rolle fallende Narren zeigen, nimmt der Text dieses komische Potential nicht auf, er wendet sich sogar ausgesprochen dagegen. Dies hat nichts mit den im Narrenschiff durchaus anwesenden sprachkomischen Mitteln Scherz und Ironie zu tun. Brant geht nämlich nicht immer nur affirmativ, sondern auch spielerisch mit den Wissensbeständen seiner Zeit um, wenn er sie im Bild der Narrheit vorstellt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der „Büchernarr“ (Kap. 1: Von vnnutzen buchern), welcher nicht nur für falschen und prätentiösen Umgang mit Büchern als vordergründige Akkumulation von Wissen steht, sondern auch als ironisches Bild des Autors selbst und seiner Generation fungiert, das der Erzähler ironisch verspottet. Der Narrenschifftext disseminiert in den Folgejahren und -jahrzehnten in Überset‐ zungen, weiteren Auflagen, Adaptationen unter anderen Titeln und anderen Autoren. Nicht Brant als Autor wird intertextuell überliefert, sondern vor allem die „Grundidee“ der Nar‐ rensatire, die Teil eines allgemeinen Diskurses wird. 16 Beteiligt an der Konstruktion dieses Diskurses ist auch der zweite bedeutende Autor der Narrenliteratur, der Franziskaner Thomas Murner (1475-1537). Murner legte mehrere revueartige Narrentexte im Stile Brants vor, von denen die Narrenbeschwörung und die Schelmenzunft (beide 1512), sowie die Gäuchmatt (Narrenwiese für Liebesnarren) von 1519 die wichtigsten sind. Nach der Refor‐ 7. Scurrilitas im 16. Jahrhundert: ein Ausblick 476 17 Quast, Vom Kult zur Kunst, S. 178 u. 186. 18 Ebd., S. 186, mit Bezug auf Walter Benjamin. mation ergriff Murner Partei gegen Luther, wurde von den Protestanten - auch in Anspie‐ lung auf seine Narrenbücher - attackiert, sodass er 1522 mit dem Großen Lutherischen Narren eine stark polemisch-satirische Narrendichtung folgen ließ. Wie Geiler von Kaysersberg macht auch der Kanzelprediger Murner propagandistischen Gebrauch von seinen Texten, in deren Aufbau und rhetorischer Schärfe starke Züge der volkstümlichen Predigt zu erkennen sind. Er übernimmt die Brantsche Konzeption des Narren als Sünder, dem die Möglichkeit zur Selbsterkenntnis fehlt: So sind in der Narren‐ beschwörung die Narren auf Brants Narrenschiff ins Land gekommen und müssten nun schleunigst wieder ausgetrieben werden. Narrheit wird dämonisiert und Murner inszeniert sich als ihr Exorzist. Diese Radikalisierung der Narrensatire ist auch inhaltlich bemerkbar: es kommt zu scharfen polemischen Angriffen Murners auf unfähige Geistliche, bestechliche Juristen, profitgierige Kaufleute, fluchendes Kriegsvolk, Landstraßengesindel, Klatsch‐ weiber, zanksüchtige Ratsherren, faule Studenten, sittenlose Frauen usw. Besondere Ziel‐ scheibe der Kritik sind „Zungensünder“, Verdreher des Wortes, falsche Prediger, Verräter und Verführer. Die satirische Technik Murners besteht darin, ihre Vergehen mit drastischen, stark um‐ gangssprachlich gefärbten Redewendungen und Sprichwörtern zu überschreiben: Narren säen, gelehrte Narren schinden, eine wächserne Nase machen, Gäuche ausbrüten, die Lenden schmieren usw. Die Kombination solcher Themen mit Holzschnitten aus dem Nar‐ renschiff Brants führt häufig zu parodistischen Effekten. Auch reiht der Autor sich selbst immer wieder selbstironisch unter die Narren ein; so ist er in der Schelmenzunft der Zunft‐ meister, der die Narren einfängt und ihre Laster vorführt, in der Gäuchmatt Kanzler im Reich der Gäuche. Bei letzteren griff Murner auf die spätmittelalterliche Tradition der Ve‐ nusnarrendarstellung etwa in den Moriskentänzen und Fastnachtspielen zurück, die den Narren als seinen körperlichen Trieben Verfallenen präsentierten. Insgesamt fehlt der Murnerschen „schympff red“ Brants Hoffnung und Erasmus’ Hei‐ terkeit. Narrheit ist bei Murner eine negative, böse Kraft, sie bemächtigt sich der Menschen wie ein Dämon, eine Krankheit, und muss somit ausgetrieben werden. Das Mittel dazu ist das strafende Lachen, was wiederum mit Hilfe gröbster und unflätiger Bilder und sprach‐ lichen Wendungen, aber auch mit Ausrufen, Beteuerungen, empörten Kommentaren er‐ reicht wird. Bruno Quast hat anhand des Großen Lutherischen Narren, der aggressivsten der Murnerschen Satiren, diesen Prozess aus ritualtheoretischer Sicht als „Entauratisierung von Literatur im Sinne ihrer Freisetzung aus dem Ritual unter den Bedingungen der medien‐ technischen Revolution des Buchdrucks“ und gleichzeitig als Re-Auratisierung, „Fortset‐ zung des Ritus mit anderen Mitteln“ bezeichnet. 17 Diese Mittel werden im Großen Luther‐ ischen Narren gesteigert: Luther wird als überdimensionaler, schwangerer Popanz dargestellt, der in grotesker Aufmachung auf einem Schlitten herumgekarrt wird und in seinem Inneren zahlreiche Einzelnarren beherbergt. Deutlich wird die sprachliche Ver‐ wendung ritueller, exorzistischer Formeln, aus dem Quast ein „Beschwören durch Erzählen“ ableitet. Diese enge Verbindung zum Ritual, die er hier konstatiert, ist dadurch plausibel, als der Text noch an den rituellen Formeln „parasitär“ partizipiert. 18 Dies bedeutet aber 7.1. Tendenzen der Diskursivierung und Semantisierung 477 19 Vgl. das Nachwort von Thomas Neukirchen, S. 352, in: Murner, Thomas: Von dem grossen Lutherischen Narren (1522). Hg., übers. u. komm. v. Thomas Neukirchen. Heidelberg 2014. 20 Vgl. dazu Könneker, Barbara: Satire im 16. Jahrhundert. Epoche - Werke - Wirkung. München 1991, S. 68-86 u. S. 135-155. Könneker arbeitet die Aggressivität der ‚satyra illudens‘ bei Murner heraus: zunächst beschwört er Bilder von Tod und Untergang, um diese dann in einem zweiten Schritt als Fastnachtsspuk auszuweisen. S. 142. 21 Zit. aus: Jarosch, Dirk: Thomas Murners satirische Schreibart. Hamburg 2006, S. 333. 22 Aus der Schelmenzunft, zit. aus Jarosch, Thomas Murners satirische Schreibart, S. 334. 23 Jarosch, Thomas Murners satirische Schreibart, S. 342-370, Zitat 370. gleichzeitig, dass ihm der Weg einer parasitären Partizipation an einem anderen, fast ge‐ genläufigen Ritual, dem gemeinschaftlichen Lachen nicht mehr offen steht. Daher fokus‐ siert Murner auch die formelhafte Sprache, und weniger die Bilder: Zwar wird hier ein grotesker Körper in Text und Bild vorgestellt, doch ist seine enorme Hyberbolik kaum präsenzerzeugend, da sie szenographisch nur wenig unterstützt wird. Stattdessen spricht Murner immer wieder aufs Neue von der symbolischen Bedrohung, die von Luther ausgehe und seine anschließende Vernichtung zur Folge hat. Nach der Beschwörung durch Murner fällt der Luther-Narr wie eine leere Hülle in sich zusammen. Wegen seiner radikalen Ver‐ unglimpfung wurde das Werk vom Straßburger Rat kurz nach Erscheinen eingezogen. 19 Indem er hier auf Muster der Teufelsdarstellungen im geistlichen Spiel zurückgreift, kann Murner auch ohne den Rahmen des rituellen Lachens in der Wahrnehmung des Lesers / Hörers Gefühle der Verachtung bzw. Gelächter erzeugen. Dennoch ist die groteske Komik hier stark abhängig von den antikonfessionellen und propagandistischen Diskursen; so sieht Barbara Könneker die Komik der Texte nicht als dominant an, sondern sie werde „an genau berechneter Stelle und in vorsichtig dosiertem Umfang als Mittel zur Demaskierung und Unschädlichmachung des Gegners eingesetzt.“ 20 Diese wie auch immer vereinzelte Komik besteht fast ausschließlich aus Sprachkomik. Wie später die Verfasser der Dunkel‐ männerbriefe greift Murner in der Schelmenzunft ungebildete Geistliche an. Er parodiert ihr Mönchs- und Küchenlatein, vermischt Gelehrten- und Volkssprache, indem Worte der Volkssprache der lateinischen Grammatik unterworfen werden: „Sich, herr lorentz, gna‐ deatis! - Sindt ir ouch yetzundt erratis - Vß der gschrifft? Ex as est atis? “ lautet ein Beispiel aus der Narrenzunft. 21 Hinzu kommen vereinzelt Formen sprachsatirischer Verzerrung, Grobianismen („reuptzen, das es kracht“), 22 Hyperbeln und phraseologische Mittel, v. a. Sprichwörter, sowie Stilmittel wie Idiomatizität, Wortneuschöpfungen, Wortspiele, die „im Dienst der poetischen und phatischen Funktion“ stehen. 23 Murners Narrenbilder sind durch ihre aggressive Polemik sehr wirkungsvoll. Sie ver‐ binden volkstümliche Redewendungen, denen ein hohes Gewaltpotential eignet, mit den traditionellen Bildmotiven des Narren als Unterhalter (mit Eselsohren und Schellenkappe). Seine Narren haben keine universalmenschlichen Züge wie diejenigen Brants, sie sind aber wie diese ebenso wenig komisch. Der Rahmen für Murners Spott ist die zunächst sozial‐ moralische, dann konfessionelle Polemik. An Murners Texten wird der Eifer und der Hass deutlich, mit dem er gegen vermeintliche Gegner der Gesellschaft vorgeht, indem er sie als Narrenfiguren den Gewaltexzessen seiner Phantasie preisgibt. Narren verkörpern das Böse und gleichzeitig das geistig und moralisch Kranke: Murner schreibt sich in einen patholo‐ gischen und exorzistischen Narrendiskurs ein und treibt ihn auf die Spitze; dieser Diskurs ist weit entfernt von jeglicher Komik, näher jedoch am rituellen, strafenden Verlachen. 7. Scurrilitas im 16. Jahrhundert: ein Ausblick 478 24 Hier geht es vor allem um geistreichen Scherz, Witz und Spott im Gespräch, d. h. um verbale Formen der Komik. Vgl. dazu die kulturhistorisch-methodologische Studie von Schnell, Rüdiger: Zur Kon‐ versationskultur in Italien und Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert. Methodologische Überle‐ gungen. In: Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch. Hg. von Rü‐ diger Schnell. Köln / Weimar / Wien 2008, S. 313-385, hier 321 ff. Schnell sieht in diesen und anderen Texten Belege für eine Konversationskultur, einer „witzig-iocosen Konversation“ in Deutschland, die von der kulturhistorischen Forschung in Abrede gestellt worden war. Schnell, Konversationskultur in der Vormoderne, Einleitung S. 18. Gewissermaßen ist er ein Versuch, das Lachen der rituellen Rügestrafen textuell über Hass‐ reden und „Tötungsphantasien“ (Neukirchen) zu fassen. Das 16. Jahrhundert ist nach dem Erscheinen von Brants Narrenschiff das Jahrhundert der Narrenliteratur geworden. Doch die Narren der Brants und Murners sind keine Pos‐ senreißer mehr, sie sind zu den Sinnbildern der Sündhaftigkeit zurückgekehrt, welche die mittelalterlichen Psalmnarren verkörperten, allerdings in universalistischer Erweiterung, offen für die Anlagerung weiterer Diskurse. In ihren Texten ist das Lachen selbst fast ab‐ wesend. Auf der Rezeptionsebene wird vermutlich ein Verlachen der Narren angestrebt, doch auch hier bleibt zweifelhaft, ob diese Strategie aufgegangen ist. Brants und Murners Narren sind in ihrer semantischen Einbindung in die theologischen Vorstellungen der Sündhaftigkeit und Selbstvergessenheit (die dem natürlichen Hofnarren auch eignete) ein‐ gebunden und haben sich von der Unterhaltungsbestimmung der Schalksnarren (durch Apperzeption ihrer Körperlichkeit) entfernt. Sie lassen sich nun als prominentes Bild für verschiedene diskursive Zwecke gebrauchen: für didaktische Ziele, für die politisch-kon‐ fessionellen Propaganda, zur Pathologisierung von gesellschaftlichen Missständen oder zur Propagierung eines „natürlichen“ Weisheitsideals (närrische Weisheit). Selbst in einem so ironisch-leichten, unterhaltsamen Stück wie Erasmus’ Lob der Torheit kann von Komik nur schwerlich, von Handlungsbzw. körperlicher Komik gar nicht gesprochen werden, auch wenn Erasmus seinen Text durch eine souveräne Beherrschung der Ironie und des feinen Spottes noch für den heutigen Leser sehr amüsant gestaltet. Sein Redestil, vielmehr derje‐ nige seiner weiblichen Erzählstimme der stultitia, erfüllt eher die Anforderungen an den homo facetus, womit er sich in den Diskurs des zivilisiert-scherzhaften Hofmannes ein‐ schreibt. Komik und Erbauung im Schwankbuch In den zahlreichen Anekdotensammlungen zur Speicherung denkwürdiger Ereignisse oder Aussprüche, den Apophtegmata von Königen (etwa Beccadellis Facta et Dicta Alphonsi Regis), sowie den lateinischen Fazetienbüchern Poggio Bracciolinis, Heinrich Bebels (Libri facetiarum iucundissimi, 1508-1512) und Johann Adelphus Mulings (Facetiae Adolphinae, 1508 / 09) haben Lachen und Komik selbstverständlich ebenso ihren Raum. Sie sind Zeugnis einer schon seit dem frühen 15. Jahrhundert zunächst in Italien wachsenden Wertschätzung des kultivierten Gesprächs und der Beredtsamkeit. Der Diskurs über das Gespräch diffe‐ renziert sich aus, Gesprächsverlaufsmodelle werden erstellt, die Gefahren für das Gelingen des miteinander Redens diskutiert. 24 Dies trifft auch für die im 16. Jahrhundert entstehenden deutschsprachigen Schwanksammlungen des 16. Jahrhunderts von Johannes Pauli, Michael 7.1. Tendenzen der Diskursivierung und Semantisierung 479 25 Dicke, Gerd: Fazetieren. Ein Konversationstyp der italienischen Renaissance und seine deutsche Re‐ zeption im 15. und 16. Jahrhundert. In: Literatur und Wandmalerei II: Konventionalität und Konver‐ sation. Hg. von Eckart Conrad Lutz u. a. Tübingen 2005, S. 155-188. Dicke macht plausibel, dass die literarischen Zeugnisse (Facetiae) auf eine außerliterarische, gesellige Gesprächskultur schließen lassen (S. 185). 26 Pauli, Johannes: Schimpf und Ernst. Hg. von Johannes Oesterley. (BlVSt Bd. LXXXV). Stuttgart 1866. S. 527. Lindener, Martinus Montanus oder Wilhelm Kirchhof zu. Während die Fazetien seit Poggio die witzige Replik, das Bonmot und die scherzhafte Rede zur literarischen Gattung gestalten, überwiegt in den Schwanksammlungen vornehmlich das Erzählen schwankhafter Ge‐ schichten in kleinepischer Manier. In beiden Fällen wird der Versuch gemacht, im Rahmen einer schriftliterarischen Rezeptionserwartung verschiedene mündliche Textformen der Geselligkeit und der Wissens- und Scherzkommunikation zu sammeln und so der Nachwelt zu erhalten. 25 Solche Schwanksammlungen sind explizit auf ‚Kurzweil‘ ausgerichtet und enthalten daher auch schwankhafte Stoffe, denkwürdige Begebenheiten, Fazetien und Lehrhaftes aller Art, zu denen jedoch nur in wenigen Fällen eine rahmende mündliche Rezeptionssi‐ tuation miterzählt wird. In Johannes Paulis Schimpf und Ernst sind mehrere Schwänke Narren gewidmet, die sämtlich in lehrhafte Anekdoten von falschem oder irrationalem Verhalten eingebunden sind, wenn sie auch fast alle unter die Rubrik des schimpf fallen. Indem sie ganz im Brantschen Sinne lebende Exempel für Unmündigkeit, Gottferne und verkehrtes Handeln sind, ist auch ihr Körper kaum je Anlass zum Lachen, sondern meist zu Gewalt gegen sie auf Grund ihres triebbestimmten, unkontrollierten Wesens. Keiner der Narren Paulis ist ein Possenreißer, es handelt sich durchgängig um natürliche Narren, die zur „kurtzweil“ gehalten werden, oder Stadtnarren, arme Teufel, die ihr Auskommen mit verschiedenen Tätigkeiten und kleinen Auftritten suchen. Die Aufnahme von Stadtnarren, die oft auf der Stufe von Bettlern standen oder als Haus‐ narren in einem Bürgerhaushalt gehalten wurden, in die Schwanksammlung ist demnach nur in einem Punkt dem Interesse an Komik und Lachen verpflichtet: wenn diese Narren in ihren unvorhersehbaren Handlungen Konfusion auslösen oder erzählenswerte Hand‐ lungen begehen, die außerhalb des Gewöhnlichen liegen. Unter der Rubrik „Von dem ge‐ weichten wasser“ wird unter „schimpf “ (527) die Erzählung eines Narren wiedergegeben, der beobachtet, wie das Volk sich am Weihbrunnen mit zwei Fingern die Stirn nässt. Als er diese Geste nicht versteht, erklärt ihm jemand den Sinn: Der burger sprach es ist gewicht wasser / vnnd wer es also an sich sprentzt / dem ist es ein ab‐ wesch=ung täglicher sun. Da der narr das hort lieff er auch hinzů vnd nam den gantzen kessel der in der kirchen stund vnnd schütt den gar auff sich / die leüt fiengen an zů lachen. 26 Paulis Epimythion bestimmt das Verständnis dieser Anekdote: der Narr meine, man könne des Guten nicht zuviel tun. Hier wird deutlich, warum die Schwänke, die hier versammelt sind, in ihrer schriftlichen, erzählten Form eher eine erbauliche als eine komische Funktion haben. Es ist schwer zu erkennen, ob die erzählerische Reproduktion einer witzigen Bege‐ benheit hier noch das Wirkungsziel des Lachens verfolgt, oder ob sie nur belehren will. Zumindest scheint sicher, dass das hier ausgestellte Komische kaum mehr von einer per‐ 7. Scurrilitas im 16. Jahrhundert: ein Ausblick 480 27 Meine Befunde decken sich hier mit jenen Gerd Dickes in seiner vergleichenden Studie zum Faze‐ tieren in Italien und Deutschland, wenn er den fehlenden „Performanzaspekt“ in den deutschspra‐ chigen Schwankerzählungen des 16. Jahrhunderts unterstreicht und feststellt, dass ihnen das, was zum Lachen reizt, abhandengekommen sei (am Beispiel Arigos und Hans Sachs’). Vgl. Dicke: Faze‐ tieren, S. 165-167. Die Kritik daran von Schnell, Zur Konversationskultur, S. 333-337, erscheint nur bezüglich der Begründung Dickes gerechtfertigt, es habe in Deutschland an einer entsprechenden Geselligkeitskultur gefehlt. 28 Ich schließe mich der These von Jürgen Schulz-Grobert an, der die Entstehung des Eulenspiegelbuchs in der Straßburger Offizin Grüningers überzeugend vertritt. Schulz-Grobert, Jürgen: Das Straßburger Eulenspiegelbuch. Studien zu entstehungsgeschichtlichen Voraussetzungen der ältesten Drucküberliefe‐ rung. Tübingen 1999. 29 Vgl. zur Sprachkomik Rusterholz, Peter: Till Eulenspiegel als Sprachkritiker. Wirkendes Wort 27 (1977), S. 18-26; Fischer, Hubertus: Die List der leisen Rede oder ‚Sagen‘ und ‚Meinen‘ im Eulenspiegel. Eulenspiegel-Jahrbuch 27 (1987), S. 9-27; Wunderlich, Werner: Till Eulenspiegel. München 1984, S. 74-85; Bollenbeck, Georg: Till Eulenspiegel. Der dauerhafte Schwankheld. Zum Verhältnis von Pro‐ duktions- und Rezeptionsgeschichte. Stuttgart 1985, S. 124-148. formativen Situation regiert wird, sondern von einem moralisch-didaktischen Diskurs, der es gewissermaßen kontrolliert und reglementiert, indem die Handlung des Narren wie eine überraschende Selbstreflexion präsentiert wird. Eine solche, so wird suggeriert, stünde jedem gut an, und dies macht die „närrische“ Handlung zu einer „weisen“ Handlung. Oh‐ nehin haben wir es hier mit anderen Formen der Körperinszenierung zu tun, da der Narr das ganze nicht geplant und aufgeführt hat, sondern aus geistigem Ungenügen heraus han‐ delt. 27 Die fiktionale Narrativierung von ereignisreichen Vorfällen in der Schrift, bei denen man entweder gestaunt oder gelacht hat, zielt im Fall der Schwanksammlungen, nicht wie bei den Fazetien auf Wiederaufführung der Witze und Anekdoten im geselligen Gespräch, sondern in ihrer moraldidaktischen Rahmung auf die Bewältigung der Vielfalt der Welt durch Glauben und Vernunft. Eulenspiegel: Sprachwitz und Komik der Erzählung Der 1515 in Straßburg gedruckte Schwankroman Ein kurtzweilig lesen von Dil Ulenspiegel ist mit Sicherheit das berühmteste Beispiel für die Literarisierung eines spätmittelalterli‐ chen Possenreißers. Insofern hätte es seinen Platz in Kapitel 6 im Anschluss an den Kalen‐ berger Pfarrer haben müssen, welchen es im Prolog auch ausdrücklich (zusammen mit dem Pfaffen Amis) als Prätext nennt. Denn der Eulenspiegel weist ebenso wie Neithart Fuchs und der Kalenberger Pfarrer zahlreiche komische Körperinszenierungen auf, die für seine Popularität als scurra und Schwankheld vermutlich sehr bedeutsam waren. Andererseits kann es auch keinen Zweifel daran geben, dass die von in der Straßburger Offizin von Grüninger zusammengestellten Historien 28 in ihrer Mehrheit die Sprachkomik und den Wortwitz des Helden in den Mittelpunkt stellen. 29 Somit befindet sich Ulenspiegel auf einer Grenzlinie zwischen körperlicher und sprachlicher Komik. Werner Röcke hatte bereits in seinem Kapitel zur Eulenspiegelfigur in Die Freude am Bösen die Duplizität der Komik des Schwankhelden als These formuliert und sich dann den „Formen der Körpersprache“ im Ulenspiegel ausführlich gewidmet. Röcke macht nicht nur 7.1. Tendenzen der Diskursivierung und Semantisierung 481 30 Die Gesten des Zannens und Bleckens sind seit dem 12. Jh. in der populären Literatur und der christ‐ lichen Bildkunst zahlreich überliefert. Sie sind Zeichen für arglistigen Spott, sie sind sehr häufig verwendete Mittel grotesk-komischer Körpersprache. 31 Röcke, Die Freude am Bösen, S. 242. 32 75. Historie. Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel von Lindow, S. 217 u. 219. 33 Vgl. Kolnai, Aurel: Ekel Hochmut Haß. Zur Phänomenologie feindlicher Gefühle. Frankfurt a. M. 2007, S. 16. 34 Ebd., S. 17. auf die apotropäische Gestik des Helden, 30 auf die häufige Verbindung von Defäkation und Geldgewinn, den Einsatz des Körpers in gauklerischen Aufführungen aufmerksam, sondern erkennt im Körper des Schwankhelden einen generellen „Bezugspunkt des Handelns, Den‐ kens und Sprechens“. 31 Ulenspiegel setzt seinen Körper nach Bedarf ein, um Vorteil daraus zur Bedürfnisbefriedigung zu ziehen, indem er mit körpersprachlichen Gebärden die Am‐ bivalenz von Körper- und Sprachzeichen ausnutzt. Ferner versucht er mit Hilfe seiner Aus‐ scheidungen und Körperflüssigkeiten Gewinn für sich zu erlangen: So spuckt er in der 76. Historie einer Wirtin in ihr Weißmus, die sich daraufhin wütend, aber angeekelt abwendet, sodass Eulenspiegel das Mus für sich haben kann. Andererseits passiert dem Schalk kurz zuvor dasselbe: eine Frau, die gerade Milch buttert, und welcher der Rotz aus der Nase hängt, zwingt Ulenspiegel mit unverhohlener Anspielung auf ihren „Schnüdel“, unverrich‐ teter Dinge abzuziehen und auf die Butter zu verzichten. 32 Die Emotion des Ekels wird hier einerseits als Movens für die narrative Handlung aus‐ gewiesen, andererseits mit körperlicher Komik kurzgeschlossen, die einmal nicht von Ulenspiegel ausgeht. Beide Historien zeigen, dass das Ekelgefühl und seine Evokation starke körperliche Anreize sind, bestimmte Handlungen zu tun oder zu unterlassen. Ulenspiegel kann in der 75. Historie nicht anders, als sich abwenden, denn der Anlass für den Ekel ist nichts als die Nähe des betreffenden Gegenstandes. Diese Nähe ist, wie Kolnai betont, nicht einfach Anlass, sondern auch ein Mit-Objekt des Ekelgefühls. 33 Doch die Emotion des Ekels vermag an dieser Stelle noch mehr: sie kann auch den Hörer und Leser der Historie affizieren und Ekelgefühle bei ihm auslösen, die entweder ebenso mit einer Ekelgeste oder auch mit Lachen bewältigt werden können. Kolnai schreibt zum Ekel, dass „sogar objektiv unveranlasste, phantasiemäßige Ekelgefühle (…) den vorge‐ stellten ekelhaften Gegenstand womöglich betonterweise in die ‚Nähe‘ des Subjekts in den unmittelbarsten Erfahrungsbereich seiner Sinnesorgane verlegen.“ 34 Hier wird deutlich, dass in Erzählungen oder Texten evozierte Ekelgefühle die Rezipienten durch Imagination bedrohen können. Allerdings ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, ob mit der Beschreibung der Ekelszene auch wie im Neidhartstoff Gelächter erregt wird, wie ich anhand des Veil‐ chenschwanks gezeigt habe (6.2.). Denn es fehlen die für komische Ekelinszenierungen typischen hyperbolischen Verfremdungen oder auch übertriebenen Körpergesten der Ekel‐ 7. Scurrilitas im 16. Jahrhundert: ein Ausblick 482 35 Menninghaus verweist jedoch in seiner fundamentalen Studie zu Theorien des Ekels auf den engen Zusammenhang von Ekel und Lachen: „Manches spricht dafür, in der Vitalempfindung des Ekels ein Merkmal zu sehen, das für den Menschen so distinktiv ist wie die Fähigkeit zu lachen: das negative Komplement des Lachens nämlich. Die plötzliche Entladung einer Spannung leistet im Lachen wie im Erbrechen eine Verwindung des Ekels, einen Kontakt mit dem Abjekten, der nicht zur dauerhaften Beschmutzung und Kontamination führt. Andererseits ähnelt das Verlachen, als Akt des Ausschlie‐ ßens, an sich selbst dem Verwerfen, dem Erbrechen aus Ekel.“ Menninghaus, Winfried: Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung. Frankfurt a. M. 2002, S. 20. 36 Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel, S. 221-224. 37 Zusammenfassend dazu Schulz-Grobert, Das Straßburger Eulenspiegelbuch, S. 276 f. 38 Röcke, Die Freude am Bösen, S. 243. 39 Dazu Bässler, Andreas: Sprichwortbild und Sprichwortschwank. Zum illustrativen und narrativen Po‐ tential von Metaphern in der deutschsprachigen Literatur um 1500. Berlin / New York 2003, S. 228-268. Bässler kommt bezüglich der Symbolik der Sprichwortbilder zu vergleichbaren Ergebnissen. rede; alles scheint sich ganz „natürlich“ abzuspielen und wird ohne hyperbolische Drama‐ tisierung erzählt. 35 Ein ähnliches Beispiel ist die 77. Historie, in der Ulenspiegel aus Rache für die Unfreund‐ lichkeit eines Wirtes den Gestank seines Kots mit Hilfe eines Blasebalgs durch ein Loch in der Wand in den anderen Raum bläst, wo dieser mit seinen Gästen gerade speist. 36 Eulen‐ spiegel lacht selbst über diesen bösen Streich und freut sich über die gegenseitigen Ver‐ dächtigungen der Gäste. Auch in dieser Szene scheint das Ekelgefühl und die mit ihm ver‐ bundenen Körperbilder des Defäkierens, des Blasens und ergebnislosen Suchens der Gäste nach der Ursache des Gestanks in die Logik von Unrecht und Rache eingespannt zu sein, die die Historie beherrscht. Auch hier dominiert eine Logik des sozialen Konflikts, des ökonomischen Vorteils und der bürgerlichen Moral. Die Körperinszenierungen Ulenspie‐ gels sind fest in diese Semantiken eingewoben: es sind Gesten, Formen symbolischer Kom‐ munikation. Dies führt dazu, dass die Körperbilder und -bewegungen des Helden, auch wenn sie fäkaler bzw. obszöner Natur sind, ohne die sie leitenden Semantiken nicht denkbar sind. Ulenspiegels Körper ist immer ein Körper, der nicht nur sprachlich präsentiert, gezeigt wird, sondern durch Sprache in ihren Sinnbezügen repräsentiert, diskursiviert wird. Dass dies auch an der starken Position des Erzählers im Eulenspiegelbuch liegt, mag ein narra‐ tiver Aspekt dieser spezifischen Körperdarstellung sein. Es ist somit die sprachliche Komik, das Spiel der Sprache mit ihrer semantischen Poly‐ valenz, die den Text auszeichnet: sein vielfach betonter „Mutterwitz“, 37 Ulenspiegels Kunst des Wörtlichnehmens, einer maieutischen Fähigkeit, ist Ausdruck einer listigen Dissoziie‐ rung von Sprechen und Zweck, die sich der Ambivalenzen von sprachlichen Zeichen be‐ dient. 38 Dieser Logik der „metaphorischen Inversion“, 39 wie Bässler im Hinblick auf die zahlreichen invertierten Sprichwörter im Text herausgearbeitet hat, ordnen sich auch die Körperbilder unter: Viele von Ulenspiegels Streichen ergeben sich erst daraus, dass er eine bildliche Redewendung, ein bildliches Sprichwort wörtlich nimmt. Er verwendet dieses Wörtlichnehmen als ein Mittel subversiv-ironischer Logik, die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen bloßzustellen und die Missstände seiner Zeit aufzudecken. Diese narrative Struktur, die den meisten Historien eigen ist, die sprachliche Ausdeutung des Bildlichen lenken die Aufmerksamkeit von Hörern und Lesern auf die Sprache selbst, ihre Finessen und Gestalt, ihre Möglichkeiten der listigen Deutung und Anwendung. Dieser subversive Umgang mit der Sprache hat auf der histoire-Ebene freilich destruktive Wirkung: Eulen‐ 7.1. Tendenzen der Diskursivierung und Semantisierung 483 40 Schnell, Rüdiger: Das Eulenspiegel-Buch in der Gattungstradition der Schwankliteratur. In: Hermann Bote. Städtisch-hansischer Autor in Braunschweig 1488-1988. Hg. von Herbert Bluhme u. Eberhard Rohse. Tübingen 1991, S. 171-196. 41 Bässler, Sprichwortbild und Sprichwortschwank, S. 283-292. 42 Vgl. Bachorski, Irrsinn und Kolportage, S. 483-490. 43 Vgl. Velten, Hofnarren, S. 66 f. 44 Vgl. die Insipiens-Sapiens-Dichotomie bei Mezger, Hofnarren im Mittelalter, S. 56 ff. 45 Garzoni, Tomaso: Piazza Universale, S. 1307 [Übers. HRV]. 46 Vgl. Schörle, Verhöflichung des Lachens, S. 64-67; 306-309. 47 Flögel, Geschichte der Hofnarren, S. 280. spiegels Streiche zielen in ihrer Mehrheit auf die Schädigung seiner Antagonisten. Das evozierte Lachen kann somit nur ein Lachen aus Schadenfreude sein. 40 Noch stärker als das Eulenspiegelbuch ist seine Bearbeitung in Versen, oder besser Nach‐ dichtung Johann Fischarts Eulenspiegel reimensweis auf Sprachwitz und Sprachkomik kon‐ zentriert. Der in der Tradition der menippeischen Satire stehende Text wirkt über seine „Sprachalchemie und -artistik, die in medusenhaften Auswüchsen wuchert und anschwillt, die Wortspiele, Pseudoetymologien, Verdrehungen, Wortkaskaden (…)“, 41 die ein selbstiro‐ nischer, ja grotesker Erzähler zur Zersetzung und Dekonstruktion von Systemen und Ide‐ ologien, zur Sinnreduktion und Sinnpotenzierung nutzt. 42 Diese Dichtung will keine Pos‐ senreißerfigur, keinen Schwankhelden präsentieren und zeigen, seine Inszenierungen so visualisieren, dass damit Lachen ausgelöst werden könne, sondern sie will den Leser mit ihrer ironischen und paradoxen, zugleich höchst innovativen und prokreativen Sprachver‐ wendung und ihrer Künstlichkeit beeindrucken und unterhalten. Claus Narr im Diskurs höfischer Diätetik Während sich im 16. Jahrhundert die populäre und konfessionelle Publizistik in Deutsch‐ land der Narrenthematik bemächtigt, sie satirisch literarisiert, medial verbreitet, und poli‐ tisch in Dienst nimmt (Brant, Murner, Luther, Erasmus, Niklas Manuel), verändert sich auch die literarische Figur des (Hof-)Narren. Waren Neithart Fuchs und der Kalenberger Pfarrer noch „lustige Räte“, die für die Absonderlichkeit ihrer Auftritte und Inszenierungen ge‐ schätzt wurden, sind die Hofnarren des 16. Jahrhunderts weniger der körperlichen Perfor‐ mance verpflichtet, sondern stellen mehr ihren naiven (oder deshalb auch ‚eisen‘) Witz aus. Die Ansprüche an das intellektuelle Niveau der Narren nehmen kontinuierlich zu, 43 was dazu führt, dass der Hofnarr mehr und mehr zum sapiens in einer von Konkurrenz zu an‐ deren Höflingen bestimmten Welt wird. 44 Dies verdeutlichen etwa die Klagen Tomaso Gar‐ zonis, der zuschauen musste, wie die Hofnarren bei den Mahlzeiten „auftrumpfen dürfen, während gelehrte Poeten, Redner und Philosophen sich mit einem Platz im Vorzimmer begnügen müssen.“ 45 Durch diese „Zivilisierung“ des Hofnarrentums 46 werden ferner die obszönen und fäkalen Streiche und Körperwitze zurückgedrängt, das mutwillige Vergnügen an Behinderungen weicht dem Mitleid mit den natürlichen Narren, wie die Leichenpredigt des Pastors Philipp Cradelius (1619) über den Hofnarren des pommerschen Fürsten Phi‐ lipp II ., Hanns Miesko, zeigt. Cradelius ermahnt seine Zuhörer, „zwar unsere Lust und Kurzweil an ihnen [den Hofnarren] haben, aber in christlichem Maasse, und sie nicht är‐ gern.“ 47 Narrendiskurs und Gelehrtendiskurs beginnen sich dann ansatzweise zu überla‐ 7. Scurrilitas im 16. Jahrhundert: ein Ausblick 484 48 Vgl. Schnorr von Carolsfeld, Franz: Über Claus Narr und M. Wolfgang Büttner. In: Archiv für Litte‐ raturgeschichte Bd. VI (1877). S. 277-328. 49 Büttner, Wolfgang: Von Claus Narren. Sechshundert / sieben vnd zwantzig Historien / Feine schimpfliche wort vnd Rede / die Erbare Ehrenleut Clau=sen abgemerckt / vnd nachgesagt haben / Zur Bürgerlichen und Christlichen Lere / wie an=dere Apologen / dienstlich vnd fürderlich. Franckfurt am Mayn 1573. 50 Büttner, Von Claus Narren, S. Avii verso u. recto 51 Ebd., S. Avii verso. gern, wenn die höfische Norm grobe Zoten nicht mehr zulässt und Narren mit Gelehrten mit witzigen, geistreichen Stellungnahmen um die Aufmerksamkeit des Fürsten konkur‐ rieren. Ähnliches gilt schon für den vielleicht bekanntesten Hofnarren der Zeit, den am säch‐ sischen Fürstenhof in Dresden tätigen Claus Narr, 48 dessen Aussprüche und Taten der pro‐ testantische Pastor Wolf Büttner in 627 Historien gesammelt hat (1573). 49 Der Sammler und Herausgeber der Historien unterstreicht in der Vorrede, die Possen und Aussprüche des Narren bereinigt und „nach der Aetica und Tugentlere gesetzet“ zu haben. Damit meint er die Popularität des Buches zu steigern, damit man ihn den „vnzüchtigen Eulenspiegeleien“ und anderen „schnöde[n] leserey vnd Sündenbücher[n]“ vorziehe. 50 Denn auch über Sinn und Zweck der Historien gibt Büttner unmissverständlich Auskunft, und er bezieht sich dabei auf dessen berufliche Tätigkeit: nicht aufstacheln zu schandhaften Aussprüchen sollen sie, sondern die Melancholie vertreiben: Dieweil seine wort vnd Sentantien / zu keinem fürwitz anreitze / Aber vil leichtfertige vnzucht / bey Zechen vnd Zutrincken / auffhalten vnd demmen / vnd damit zu chrlicher Collation / frewde / vnd schimpflichem gelechtere / manch trawrig gemüt auff muntern / vnd mehr fröhlich machen / denn das mans mit Bret vnd Kartenspiele erweckte / vnd anfechtende trawrigkeit sedirte / vnd senfftete. 51 Claus Narr wird hier zum moralischen Vorbild gemacht, zu einem gesitteten und im er‐ baulichen Sinne geeigneten Vertreiber eines traurigen Gemüts. Im Vordergrund stehen dabei die „Sentantien“, weniger die Handlungen des Narren. Tatsächlich sind in der bio‐ graphisch angelegten Sammlung meist die dicta des Claus Narr zu finden: Fragen und Ant‐ worten, Kommentare und Aussprüche anlässlich bestimmter Ereignisse, Bonmots in Ge‐ sprächen, Aussagen in Situationen, in denen man den natürlichen Narren in einen Irrglauben führt, den er dann noch verstärkt, usw. Handlungen oder gar Körperinszenie‐ rungen sucht man vergeblich. Der Körper bleibt weitgehend unberücksichtigt, er wird als Interaktionsrisiko und Quelle von Kontingenz in den Hintergrund gedrängt. Solcherart von körperlich Anstößigem bereinigt, kann Büttner die aufgezeichneten Historien als „sawbere vnd rein Pößlein“ des Narren bezeichnen. Wenn der Körper des Narren in Erscheinung tritt, dann unfreiwillig: bei Formen der ungewollten Flatulenz, die sogar mit Scham verbunden ist, oder anderen kindischen Hand‐ lungen. In der 30. Historie heißt es: „Claus trate auff dem Saale ab vnd nider / vnd gesticulirte oder fachte mit seinen Henden / wie einer der da hefftig vnnd ernstlich von schweren sachen redte“. Doch es bleibt bei diesem Bild, die Gesten des Narren sind funktionslos. Der Kom‐ mentar weist lediglich auf den imitativen Akt des Narren hin, er handle, „wie man vom Speculierer sagt“, dem man in seinem Nachdenken einem Narren vergleiche. Die Art, wie 7.1. Tendenzen der Diskursivierung und Semantisierung 485 52 Vgl. dazu Gilly, Carlos: Das Sprichwort ‚Die Gelehrten, die Verkehrten‘ oder der Verrat der Intellektuellen im Zeitalter der Glaubensspaltung. Firenze 1991 und Kosenina, Alexander: Der gelehrte Narr. Gelehr‐ tensatire seit der Aufklärung. Göttingen 2003. 53 Ruth von Bernuth stellte fest, dass die Einzelteile des Buches in Form von semantisch organisierten Reihen verknüpft sind. Bernuth, Ruth von: Wunder, Spott und Prophetie. Natürliche Narrheiten in den ‚Historien von Claus Narren‘. Tübingen 2009, S. 136 f. 54 Vgl. Joubert, Traicte dv Ris (1579): Joubert erklärt dies im Rahmen der Temperamentenlehre, in wel‐ cher das Lachen als einer der besten Gegner der Melancholie gilt. So war das Beispiel des Demokrit, der sich selbst durch Lachen vor Melancholie schützte, um die schwarze Galle zu mindern, für ihn wie auch für viele andere Autoren der Frühen Neuzeit maßgeblich. Der Topos war alt: schon Hip‐ pokrates sah das Lachen Demokrits als Selbstheilmittel. Nach seiner Auffassung lässt Lachen das Blut schneller fließen und verhindert die Bildung der schwarzen Galle. Joubert bringt es auf einen griffigen Nenner: um höflich zu bleiben, müssen wir sanguinisch sein. Vgl. dazu auch de Rocher, Treatise on Laughter, S. 45. 55 Schmitz, Hans-Günther: Physiologie des Scherzes. Bedeutung und Rechtfertigung der Ars Iocandi im 16. Jahrhundert. Hildesheim u. a. 1972. hier der Text die imitativen Handlungen des Narren mit der Rede über eine bestimmte Art des Gelehrten verknüpft, zeigt das Ausmaß der Diskursivierung des Narrenkörpers. Der Körper ist ganz Funktion der Schrift, seine Gesten und Bewegungen innerhalb bestimmter diskursiver Muster, hier des Diätetik- und Gelehrtendiskurses deutbar. 52 Die Geschichtensammlung von Claus Narr ist somit strukturell anders gelagert als die Schwankromane des 15. Jahrhunderts; 53 die Erzählungen bewerten und kommentieren alles, was sie von dem Narren berichten, sie stellen es in Wissens- und Lehrzusammen‐ hänge. Claus ist weder listig, noch verstellt er sich, noch inszeniert er komische Hand‐ lungen. Wenn Claus Lachen auslöst, tut er es unfreiwillig. Dennoch hat er diätetische und therapeutische Aufgaben - ein Widerspruch, so will es scheinen, doch durchaus im Sinne der Lachtheorien des 16. Jahrhunderts. 54 Wurden Hofnarren auch schon vor 1550 als Ver‐ treiber von Langeweile und Melancholie geschätzt - so versuchte man Charles VI . von Frankreich (den Wahnsinnigen, † 1422) mit Vergnügungen, Spielen, Maskeraden und vor allem mit dem Auftritt unzähliger Narren von seiner Melancholie zu heilen - tritt die diä‐ tetische und therapeutische Funktion des Lachens, das sie auslösen, nun gänzlich in den Vordergrund. 55 Unter den professionellen Narren an den französischen Höfen finden sich immer mehr Bürgerliche, darunter zahlreiche Apotheker und Ärzte. Der Gelehrte Friedrich Taubmann war Professor der Poesie in Wittenberg, als er an den kursächsischen Hof Hzg. Friedrich Wilhelms berufen wurde, wo er vor allem für seine Scherzreden und deren wohl‐ tuende Wirkung geschätzt wurde. In der o. g. Leichenpredigt für Hanns Miesko wird seine Aufheiterung der fürstlichen Familie angesichts der „schweren Regiments= und Haus=Sorgen“ und die Vertreibung „mancherlei melancholischer und trauriger Gedanken“ besonders unterstrichen. Spätestens seit Laurent Jouberts Traicté dv Ris (1579) war die the‐ rapeutische Wirkung des Lachens auch wissenschaftlich anerkannt; der Hofnarr war sein wichtigster Agent, allerdings als Vertreter der wahr sagenden Narrenrede, die sich mehr an die Normen des homo facetus als an sein Gegenmodell, den Possenreißer hielt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wird dem Text offensichtlich nicht mehr zu‐ getraut, die Zuhörer zum Lachen zu bringen. Dies liegt erstens an den Rezeptionssituati‐ onen, die stärker auf Einzellektüre ausgelegt sind, bei welcher Steuerungssignale der ko‐ mischen Körperlichkeit weniger wirksam als in kopräsenten Zuschauerbzw. 7. Scurrilitas im 16. Jahrhundert: ein Ausblick 486 Zuhörergruppen sind. Das Druckmedium verpflichtet die Autoren auf die sprachlich-se‐ mantische Kommunikation, da die Illustrationen die Visualität übernehmen können. Und es liegt zweitens am Niedergang der mittelalterlichen Spielgattungen mit ihren deutlich körperzentrierten Charakteristika als Modell des komischen Körperschemas. Das Volks‐ theater behält zwar die Körperkomik bei (in den Stücken von Hans Sachs ist das zu er‐ kennen, später in ausgreifender Form bei der Commedia dell’arte), doch auch hier kommt es zu deutlichen Diskursivierungsstrategien mit Tendenz zu sprach- und handlungskomi‐ schen Mitteln (selbst bei den deutlich närrischen - und damit auch skurrilen - Texten eines Abraham a Sancta Clara). Die scurrilitas bleibt in Form der närrischen Zwischenspiele, der Hanswurstiaden, der Clowns im Theater (es beginnt mit den Clowns des elisabethanischen Theaters) und im Zirkus, der Alleinunterhalter und Comedians bis zu Dario Fo punktuell erhalten, doch ihr großes Zeitalter, das von der Spätantike bis zum Spätmittelalter reicht, ist zu Ende gegangen. 7.1. Tendenzen der Diskursivierung und Semantisierung 487 Quellen- und Literaturverzeichnis I. Quellen und Zeugnisse 1. Theologie, Philosophie, Rhetorik und Traktatliteratur Alexander von Hales: Summa Theologica. Tomus 3. Ad Claras Acquas 1924-1979. Alkuin: Liber de animae ratione 7. In: PL 101. Sp. 639-650. Apollinaris Sidonius, C. Sollius: Briefe Buch I. Einleitung - Text - Übersetzung - Kommentar. Hg. von Helga Köhler. Heidelberg 1995. Aristoteles: Poetik. Griech./ Dt. Übers. u. hg. von Manfred Fuhrmann. Stuttgart 1994. Augustinus, Aurelius: De doctrina Christiana. In: Aurelii Avgvstini Opera. Bd. II. Hg. von J. Martin. Turnhout 1962. 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Museum Wien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Abb. 5 Lucas Cranach d. J. (1550? ): Turnier mit spottenden Narren (Kupferstichkabinett Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Abb. 6 Meister MZ (Matthäus Zasinger? ) Turnier am Hof Albrechts IV. von Bayern. Kupferstich, 1500 (Kupferstichkabinett Berlin) . . . . . . . . . . . . 216 Abb. 7 Hans Burgkmair: Triumphzug Maximilians I.: Wagen der Schalksnarren (Holzschnitt 1517) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Abb. 8 Albrecht Dürer: Handgesten (Federzeichnung, 1494) . . . . . . . . . . . . . . 245 Abb. 9 Matthias Quad: Si credere fas est (Kupferstich 1588, Staatsbibliothek zu Berlin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Abb. 10 Francesco Laurana: Der französische Hofnarr Triboulet I. (Marmorrelief, 1460) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Abb. 11 Hans Lautensack: Der sächsische Hofnarr Claus Narr von Ranstedt (1533) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Abb. 12 Springender Narr aus Jos Murers Naboth, Zürich 1556 . . . . . . . . . . . . . 274 Abb. 13 Bauerntanz mit Stelzbein (Neithart Fuchs, Augsburg 1491) . . . . . . . . . 288 Abb. 14 Daniel Hopfer: Moriskentanz / Fastnachtspiel, um 1520 . . . . . . . . . . . . 308 Abb. 15 Zaccagnino, Maske des zweiten Zanni-Fachs, ähnlich dem Arlecchino 322 Abb. 16 Markolf spuckt auf den Kahlköpfigen. Aus: Red vnd widerred Salomonis vnd marcolfij, Augsburg 1490 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Abb. 17 Markolf und Policana vor Salomon. Nürnberg 1560 . . . . . . . . . . . . . . . 360 Abb. 18 Tanzendes närrisches Bauernpaar (Meister bxg, um 1480) . . . . . . . . . . 375 Abb. 19 Engelmair beißt in den Schwertknauf; Bilderschwank aus dem Neithart Fuchs, Augsburg 1491 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Abb. 20 Die Kapellenweihe (Philipp Frankfurter: geschicht und histori des pfarrers vom kalenberg) Nürnberg 1511 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 ISBN978-3-7720-8543-7 Die interdisziplinäre Studie befasst sich mit komischen Inszenierungen des menschlichen Körpers in der Vormoderne. Sie beschreibt Ansätze zu einer Theorie des Lachens über körperliche Komik; sie zeichnet Aufgaben und Funktionen von Possenreißern (scurrae) im Übergang von der antiken zur christlich-mittelalterlichen Kultur nach; sie arbeitet verschiedene Handlungsmuster körperlicher Komik in theatralen Gattungen wie Neidhart- und Fastnachtspiel, Geistlichem Spiel, Farce und Commedia dell’arte sowie in Erzähltexten der deutschen und europäischen Schwank- und Novellenliteratur des Spätmittelalters heraus. Im Zentrum steht ein performatives Verständnis dieser historischen Komikformen, das die Wechselbeziehung des komischen Vorgangs mit dem gemeinschaftlichen Lachen der Rezipienten profiliert und die grundlegende Verkörperung komischer Semantik in Aufführungen und Texten aufzeigt. Forschungsgeschichtlich erweitert sie das bislang geltende Paradigma sprachlicher Komik auf den Körper und macht seine Bedeutung für die Literatur- und Theatergeschichte in der Epoche zwischen 1300 und 1550 greifbar. Velten Scurrilitas BIBL. GERM. 63 Hans Rudolf Velten Scurrilitas Das Lachen, die Komik und der Körper in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit