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Der Natureingang im Minnesang

2016
978-3-7720-5592-8
A. Francke Verlag 
Daniel Eder

Der sogenannte Natureingang ist in der Minnesang-Forschung schon früh und anhaltend auf ein breites Interesse gestoßen, allerdings ohne dass dies zu eindeutigen Vorstellungen über Vorkommen und Bedeutung des Topos für die Gattung der Minnekanzone geführt hätte. Diese Lücke sucht der Band zu schließen, indem er zum einen eine Arbeitsdefinition für den saisonal organisierten Natureingang absteckt und diesen hinsichtlich seiner Typenausprägungen kategorisiert, andererseits auch der Funktion der Topik im Kontext der Poetik des Werbungsliedes anhand zahlreicher Einzelinterpretationen nachgeht. Hierbei ergeben sich - etwa im Vergleich mit den anderen europäischen Liebeslyriktraditionen des Mittelalters - ertragreiche Deutungsperspektiven im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Formatierung des Forschungsfeldes.

Daniel Eder Der Natureingang im Minnesang Studien zur Register- und Kulturpoetik der höfischen Liebeskanzone Daniel Eder Der Natureingang im Minnesang Studien zur Register- und Kulturpoetik der höfischen Liebeskanzone Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT. © 2016 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0067-7477 ISBN 978-3-7720-8592-5 5 Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Sommersemester 2015 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen und für die Drucklegung von mir noch stellenweise überarbeitet worden. Als Referentin und Referent haben sie Frau Prof. Dr. Ursula Peters und Herr Prof. Dr. Udo Friedrich betreut, die Disputatio ist am 2 . Juli 2015 abgelegt worden. Allen voran gebührt mein herzlicher Dank Ursula Peters, die mich während der gesamten-- nicht immer leichten-- Entstehungszeit nicht nur in fachlicher Hinsicht entscheidend beraten hat, sondern auch stets verständnisvoll und mit unermüdlichem Einsatz unterstützt hat. Zudem ist Monika Schausten und Udo Friedrich in besonderer Weise dafür zu danken, dass sie mich an ihren Kölner Lehrstühlen als Mitarbeiter so freundlich aufgenommen und die Arbeit selbst durch ihre wertvollen Hinweise und Anregungen immens bereichert haben. Mein Dank gebührt freilich auch Susanne Bürkle und Timo Reuvekamp-Felber, die diese Studie durch ihr Minnesang-Verständnis in entscheidender Weise mit angestoßen haben. Doch sie wäre auch ohne die fachlichen Ratschläge von Susanne Köbele und Hans-Joachim Ziegeler sowie den stets hilfreichen und aufbauenden Austausch mit allen meinen ehemaligen und aktuellen Kölner Kolleginnen und Kollegen, für die ich hier nur Julia Naji, Sabine Lange-Mauriège, Sarah Jancigaj, Julia Stiebritz, Sebastian Riedel, Fabian Scheidel und Michael Schwarzbach-Dobson stellvertretend nennen kann, nicht in dieser Form zustande gekommen. Für die Aufnahme in ihre Reihe danke ich der Herausgeberin und den Herausgebern sehr herzlich, sowie auf Seiten des Verlages Narr Francke Attempto in Tübingen Tillmann Bub für die zuvorkommende Betreuung. Zudem bin ich der VG WORT für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses zu großem Dank verpflichtet. Schließlich noch aus tiefstem Herzen ein Dankeschön an meine Familie und Freunde, die mir durch ihre intensive Unterstützung und ihr liebevolles Verständnis dieses Buch überhaupt erst zu schreiben ermöglicht haben, im Besonderen meine Mutter, Gabriele Eder, sowie Felicia und Tobias. Unschätzbar ist auch, was die Arbeit meinem verstorbenen Vater, Peter Eder, zu verdanken hat, der sie leider nur noch am Anfang begleiten konnte. Ihm möchte ich dieses Buch widmen. Köln, im September 2016 Daniel Eder 7 Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I Der Natureingang als Forschungsproblem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1 Einordnung in die Minnesangforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2 Sprechregister und Konnotationsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren der Natur- und Jahreszeitenrepräsentation: Versuch einer Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . 97 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion . . . . . . . . . . . . . 128 III Typeneinteilung des Natureingangs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2 Diskussion ausgewählter Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Jahreszeitenzuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Folgethematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 i Überlieferungsgeschichtliche Problemstellungen: Von Stadegge, KLD 54 , II und Heinrich von Veldeke, Strophenfolge C 39 - 43 . . . . 236 ii Hermeneutische Komplikationen: Hug von Werbenwag, KLD 27 , IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 c) Sprecherposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 1 Saisonalität als kulturelles Ordnungsmuster. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 2 Der Interpretationsrahmen ‹Natur› vs. ‹Kultur› . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 3 Psychoanalytische Kulturtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Der Natureingang in der deutschen Minnesangtradition bis einschließlich Neidhart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 A Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 B Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 C Wörterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 D Internetseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 8 Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Register der besprochenen Lieder, Sprüche und Leiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 9 Einleitung Dass eine Arbeit, die sich für den Minnesang mit dem Problemfeld der forschungsgeschichtlich unter dem Namen ‹Natureingang› 1 prominent gewordenen Einleitungstechnik beschäftigt, mit einem Blick auf das Neidhart-Œuvre beginnt, dürfte selbst für den oberflächlichen Kenner der mittelhochdeutschen Lyrik keine allzu große Überraschung sein. Denn es ist wohl hinlänglich bekannt, dass diese Form des Liedbeginns für dieses Corpus und die an es anschließende, mehr und mehr eigenwertig aus dem engeren Bereich des Minnesangs herausweisende Neidhart- Tradition, die im Laufe der Zeit sogar die Gattungsgrenzen der Lyrik zum Spiel und Schwankroman hin überschreitet 2 , nicht nur besonders beliebt und quasi als ‹Markenzeichen› 3 eingesetzt, sondern zum anderen oft breit und kunstvoll ausstaffiert ist. 4 In ihr kommt es gerade für den Sommereingang, wenn auch nicht zum ersten Mal, so doch in wohl bisher ungekannter Radikalität zur Motivverknüpfung mit Tanzaufrufen bzw. vom Ich mauerschauhaft eingespeisten Reigenimaginationen, der Wendung an die jungen Leute, sich an der allgemeinen Jahreszeitenfreude zu beteiligen, aber auch zur Erschließung ganz neuer, fernab von der Naturthematik liegender Bildbereiche im Sinne einer ungewöhnlichen Metaphorisierung. 5 Dem steht für den Bereich des Wintereingangs etwa die gesteigerte Drastizität eines durch Personifizierung belebten Jahreszeitenkampfes, der nicht nur den Blick auf die mittellateinische Streitliteratur 6 , sondern eben auch auf die politisch-gesellschaftsthematisch Konflikt-Registratur der Sangspruchdichtung öffnet, gegenüber. 7 Und schließlich ist darüber hinaus-- darauf wird noch näher einzugehen sein-- der Natureingang selbst zum Generator der bestimmenden typenbildenden Distinktion des 1 Zur Problematisierung und modifizierten Neufassung des Begriffes s. unten die Kap. I. 3 und II. Er dient hier im Folgenden zunächst einmal als pragmatischer Arbeitsbegriff. 2 Vgl. dazu grundlegend Schweikle, Günther: Neidhart, Stuttgart 1990 (Slg. Metzler 253 ), S. 134 - 139 . 3 Vgl. etwa: Hübner, Gert: Minnesang im 13 . Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008 (narr studienbücher), S. 48 . 4 Vgl. G. Schweikle, Neidhart, S. 115 f. 5 S. dazu die Angaben unten in Kap. III. 2 .c. 6 Das hat schon die frühe, aber nicht immer unproblematische Forschung gesehen: Osterdell, Johanne: Inhaltliche und stilistische Übereinstimmungen der Lieder Neidharts von Reuental mit den Vagantenliedern der «Carmina Burana». Köln 1928 , S. 34 - 42 (auch für den Sommereingang), ferner zuvor: Moll, Willem Hendrik: Uber den Einfluss der lateinischen Vagantendichtung auf die Lyrik Walters von der Vogelweide und seiner Epigonen im 13 . Jahrhundert, Amsterdam 1925 , S. 94 - 100 [über Neidhart hinausweisend]. 7 S. dazu unten Kap. III. 2 .b.ii. 10 Einleitung Lied-Œuvres mit ihren beiden poetologisch grundsätzlich disparat eingerichteten Liedformen Sommer- und Winterlied geworden. 8 Das alles mag nun sehr danach klingen, als solle hier einer Aussonderung des Neidhartschen Natureingangs aus dem Corpus des hier zu untersuchenden Feldes-- der Einsatz dieser Topik 9 im Minnesang-- das Wort geredet und dieser der weiteren Einzeluntersuchung anempfohlen werden. Im Gegenteil: Der Verfasser vorliegender Arbeit ist-- anders als dies die jüngst erschienende Forschung suggerieren mag 10 -- zutiefst überzeugt, dass auch und gerade der Natureingang in der Neidhart-Tradition nur im Rahmen des poetischen Systems ‹Minnesang› adäquat zu verstehen ist. Einmal abgesehen davon, dass gerade der Neidhartsche Natureingang im weiteren Verlauf des 13 . Jahrhunderts auch stark auf das traditionelle Register des Werbungsliedes zurückwirkt und sich so wiederum eine enge Bezogenheit zwischen diesen beiden Bereichen herstellt 11 , ist es auch gar nicht so, dass sich bestimmte Muster des vor Neidhart im Werbungslied etablierten Natureingang-Einsatzes nicht in der Neidhart-Tradition weiter fortpflanzten. Das kann man z. B. gerade dort ablesen, wo der ‹Natureingang› einmal ausbleibt. In Neidharts WL 22 / SNE I: R 5 12 nämlich, ist-- zumindest in der R-Fassung 13 -- ausgerechnet kein Wintereingang realisiert, so 8 Vgl. Müller, Jan-Dirk: Jahreszeitenrhythmus als Kunstprinzip, in: Rhythmus und Saisonalität. Symposion des Mediävistenverbandes in Göttingen 1993 , hg. von Peter Dilg, Gundolf Keil und Dietz-Rüdiger Moser, Sigmaringen 1995 (Kongreßakten des Symposions des Mediävistenverbandes 5 ), S. 29 - 47 ; wieder in: J.-D. Müller, Minnesang und Literaturtheorie, hg. von Ute von Bloh und Armin Schulz, Tübingen 2001 , S. 129 - 150 , hier S. 134 - 137 . 9 Für eine ausführliche Herleitung des in dieser Arbeit verwendeten Topos-Begriffs s. unten, Kap. I. 3 . 10 Vgl. etwa die Überlegungen von Worstbrock (s. u., Kap. I. 2 ) oder zuletzt Bleuler, Anna Kathrin: Zwischen Tradition und Innovation. Zur Poetizität des Jahreszeitenbildes in Neidharts Sommerliedern, in: Transformationen der Lyrik im 13 . Jahrhundert. Wildbader Kolloquium 2008 , hg. von Susanne Köbele, Berlin 2013 (Wolfram-Studien 21 ), S. 123 - 146 , die bei Neidhart von dem Aufscheinen alternativer Zeitwahrnehmungsmuster (S. 127 - 134 ) und einer neuartigen poetischen Stilisierung des Natureingangs auf den Liedkontext hin ausgeht (S. 134 - 145 ). 11 S. dazu die Ausführungen zu Gottfried von Neifen in Kap. III. 2 .a. 12 So der hier zur Anwendung kommende, neue Liednummernmodus nach der Salzburger Neidhart-Edition (SNE): Neidhart-Lieder. Texte und Melodien sämtlicher Handschriften und Drucke, 3 Bde., hg. von Ulrich Müller, Ingrid Bennewitz, Franz Viktor Spechtler, Berlin u. a. 2007 ; vgl. SNE III, S. 554 . Nach dieser Textedition richten sich auch im Folgenden die Textzitate aus der Neidhart-Tradition; zur besseren Orientierung sind jedoch, wenn dort mitaufgenommen, die einschlägigen, von Wießner etablierten SL-/ WL-Nummern der ATB-Studienausgabe (s. die folgende Anm.) beigegeben. 13 Die in R als I und II gesetzten Anfangsstrophen erscheinen auch in B in dieser Reihenfolge (I: Sanges- und Liebesthematik; II: Abweisung eines Natureingangs), in O und c ist jedoch jeweils die Strophe RB II an den Liedanfang gerückt, um, so ist anzunehmen, eine Nähe zu den sonst tatsächlich durchgeführten Natureingängen im Neidhart-Œuvre zu erzeugen (O: andere Strophenabfolge; c: Aufteilung des Strophenbestandes auf zwei Lieder [c 9 / c 10 ]; vgl. dazu die Angaben in: SNE I, S. 45 ). Der O-Überlieferungsvariante von I und II folgen die Editionen: Die Lieder Neidharts. Der Textbestand der Pergament-Handschriften und die Melodien, hg. von Siegfried Beyschlag, Edition der Melodien von Horst Brunner, Darmstadt 1975 , S. 230 - 237 , und Die Lieder Neidharts, hg. von Edmund Wießner, fortgeführt von Hanns Fischer. 5 ., verb. Einleitung 11 dass das Text-Ich nun in der zweiten Strophe ‹gespielt› entschuldigend und-- bei der sonstigen Verve der den Liedeingang bildenden Sommerfreude bzw. Winterklage-- wohl doch ironisierend anfügt: II (R) Sumer unde winder sint mir doch geliche lanch, swi ez unterscheiden si. dise rede lat ir iu zelo e sen ane strit. niemen ist so chinder, tůt im iemen leiden wanch, im enchan der blůmen schin trouren niht erwenden, er ensen sih ze aller zit. also han ich mich gesent nah der lieben lange her, sit daz ich den mu e t an si gewent. nu ist vrag, wes ich tumber ger. [Sommer und Winter erscheinen mir doch gleich lang, obwohl man sie schon unterscheiden kann. Diese Behauptung lasst euch ohne Widerspruch auflösen. Keiner ist so einfältig, dass, wenn an ihm jemand eine böse Wendung vollführt, ihm der Glanz der Blumen die Traurigkeit abwenden kann, so dass er sich nicht zu jeder Zeit vor Liebe verzehrt. Gleichermaßen habe ich mich nun lange nach der Lieben verzehrt, seitdem ich das Herz mit ihr vertraut machte. Jetzt ist die Frage, was ich Törichter eigentlich begehre.] Die Technik ist bekannt. Denn zumindest seit Reinmars berühmten Diktum ich hân mêr ze tuonne denne bluomen klagen (I, 6 ) aus Lied MF 166 , 9 14 ist es für den Minnesang breit etabliertes Gestaltungsmittel, dass das Text-Ich auch einmal die poetische Möglichkeit realisiert, für sich den ‹Natureingang›- - hier unterlegt als Konzept einer Beglückungswirkung der sommerlichen Natur-- als denkbare Deutung von ‹Welt› völlig zu negieren. Mit dieser ‹Ablehnung der Geltung› der Topik 15 , Aufl. von Paul Sappler, mit einem Melodienanhang von Helmut Lomnitzer, Tübingen 1999 (ATB 44 ), S. 118 - 123 , in ihrem Textabdruck des Liedes, wohl aus eben diesem Grund. 14 Die in vorliegender Arbeit beigebrachten Textzitate aus dem MF-Bestand richten sich, wenn nicht anders vermerkt, jeweils nach der Ausgabe: Des Minnesangs Frühling. Unter Benutzung der Ausgaben von Karl Lachmann, und Moriz Haupt, Friedrich Vogt und Carl von Kraus bearb. von Hugo Moser und Helmut Tervooren, 3 Bde., Bd. I: Texte, 38 ., erneut rev. Auflage, Stuttgart 1988 . 15 Vgl. dazu Lieb, Ludger: Die Eigenzeit der Minne. Zur Funktion des Jahreszeitentopos im Hohen Minnesang, in: Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institu- 12 Einleitung die freilich selbst längst schon topisch geworden ist, gibt das Lied aber sozusagen aus der ‹Gegenperspektive› den Blick frei auf das, was eigentlich das dominante Ziel des Gestaltungsmittels im Gattungskontext des Werbungsliedes darstellt, nämlich die Herausarbeitung eines Ichs und seines emotionalen Innenraums. Denn mit der flapsigen Bemerkung, niemand sei so naiv zu denken, dass Liebeskummer durch das Einsetzen des Sommers mit seiner Blumenpracht zu heilen sei (vgl. II , 5 - 8 ), wird für das Ich ein Sonderbereich des Denkens und Fühlens, die Liebe, aufgespannt, die gerade- - im Sinne einer durativen «Eigenzeit der Minne» 16 - - dem saisonalen Wandel und seinem stimmungsbezogenen Einfluss nicht unterworfen ist (vgl. also han ich mich gesent / nah der lieben lange her, / sit daz ich den mu e t an si gewent [ II , 9 - 11 ]; Hervorhebung von mir, D. E.). Diese argumentative Einbindung und Auswertung des Natureingangs aber, die im Ganzen eher typisch für den traditionellen Kontext des Werbungsliedes ist, denn dass sie tatsächlich irritierte, ist es, die hier besonderen Aufschluss über die Funktion der Topik für den Liedzusammenhang verspricht und damit die entscheidende Schaltstelle einer interpretativen Ausdeutung bildet. Und diese über den Einbau einer eigentlichen Fremdthematik sichtbar werdenden neuralgischen Punkte in der argumentativen Tektonik des Werbungsliedes sind es auch, die die vorliegende Untersuchung über eine genaue Auswertung des Natureingangs-Einsatzes in der Minnesangtradition aufsuchen will, um so neue Anregungen für eine Profilierung der Poetik des Werbungsliedes selbst zu gewinnen-- was damit also weniger im Fokus dieser Arbeit steht, sind die spezifischen Erscheinungsweisen, oder gar: ‹Erfahrungswelten› von ‹Natur› im Mittelalter selbst oder bestimmte Einzelmotive der Natur- und Jahreszeitenthematik. Sumer unde winder / sint mir doch geliche lanch (II, 1 f.)-- das könnte also auch paradigmatisch für die hier gewählte Herangehensweise an den Untersuchungsgegenstand gelten, die sich eben genau nicht einem besonderen Erkenntnisinteresse dem Bereich des ‹Naturalen›, gar verstanden als Kristallisationspunkt einer weltbezogenen ‹Erfahrung›, gegenüber verdankt, sondern der spezifischen Funktionsweise des literarischen Genres ‹Werbungslied›, und zwar dort, wo sie-- aufgrund der thematischen Disparität des Einzubindenden-- m. E. besonders klar zu Tage tritt, nämlich an der Schaltstelle der liebesthematischen Auswertung von Natur- und Jahreszeitentopik. Innerhalb deren verschiedener Gestaltungsmittel, die im Folgenden für den Minnesang mit locus amoenus-Darstellung, Jahreszeiteneingang, Natur- und Jahreszeitenstrophe zu diskutieren und vom ‹saisonalen organisierten Natureingang› als einem spezifischen Modus der Realisation dieser Topik am Liedanfang abzugrenzen sind, wird dabei nach einigen einleitenden Worten zur Einordnung der Untersuchung in die Minnesangforschung (I. 1 ) und zum in der Arbeit zur Anwendung kommenden Registerbegriff (I. 2 ), sowie einem ausführlichen Forschungstionalität mittelalterlicher Literatur, hg. von Beate Kellner, Ludger Lieb, Peter Strohschneider, Frankfurt a. M. u. a. 2001 (Mikrokosmos 64 ), S. 183 - 206 , hier S. 192 - 195 . 16 Ebd., im Titel oder etwa S. 199 . Einleitung 13 bericht zum Thema, der auch einer Auseinandersetzung mit dem zugrundegelegten Topos-Konzept dienen soll (I. 3 ), versucht werden, zu einer sinnvollen Konturierung des Terminus technicus ‹Natureingang› für den Minnesang zu gelangen ( II ). Dabei steht es freilich bei allem definitorischen Zuschnitt der Ausführungen gerade nicht im Interesse dieser Arbeit, den ‹wahren› Kern des Topos, verstanden als dessen tatsächlich ‹existentes› Substrat- - dieses ‹gibt› es mithin so sehr (und so wenig) wie ‹die Novelle› und überhaupt alle Klassifikationssysteme unserer Disziplin! --, aufzufinden, sondern im Gegenteil, den in vielem nicht unproblematischen, aber eben doch forschungsgeschichtlich etablierten wie offenbar sehr eingängigen interpretationstechnischen Begriff erst dahingehend zu modifizieren, dass er überhaupt sinnvollerweise weiterverwendet werden kann. In einem daran ansetzenden Arbeitschritt soll daraufhin das Unterfangen einer Binnentypologisierung des Topos ‹Natureingang› entwickelt und diskutiert werden ( III ), wobei zwar ein eigener- - hoffentlich hinreichend offener und als hilfreiches Arbeitsinstrument pragmatisch anwendbarer-- Entwurf einer Typenspezifizierung vorgestellt wird, aber auch verschiedene mögliche Unterscheidungskriterien abgeschritten und problematisiert werden sollen. Damit ist in der folgenden Untersuchung sicherlich eher ein systematischer, denn streng diachron-historisch fortschreitender methodischer Zugang an das Thema gewählt, der die vielfältigen möglichen Erscheinungsformen der Topik im Rahmen der fast zweihundert Jahre andauernden Minnesangtradition-- bei aller Disparität von deren Ausfaltungen- - dennoch unter einem übergreifenden Blickwinkel zu betrachten sucht. Dies mag mit Sicherheit auch einige Schwachstellen im Zuschnitt der Arbeit mit sich bringen, z. B. dass einige höchst interessante literarische Realisationsweisen des ‹Natureingangs› nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie mithin verdient hätten; er scheint mir jedoch deshalb geboten, um die Konstanten und das stabil bleibende Gemeinsame in der Funktion des Topos für das Werbungslied besser profilieren zu können. Gleichwohl wird es einige Nebenwege und Exkurse abzuschreiten gelten, die sich immer wieder im Verlauf der Untersuchung dem Verfasser geradezu aufgedrängt haben, aber anzeigen mögen, wie sich aus scheinbaren Einzelerscheinungen die Notwendigkeit zu ganz grundsätzlichen Fragestellungen für die Gattung ergibt, und an deren Ende hoffentlich ein noch weiter differenziertes Bild davon steht, was hier etwas vollmundig angekündigt worden ist: der Poetik der Minnekanzone. Dass dabei dann am Ende der Arbeit die hierbei gemachten Beobachtungen vor dem Hintergrund eines erweiterten, kulturgeschichtlich geöffneten Blickes noch einmal weiter zugespitzt werden können ( IV ), zeigt mithin noch einmal mit Nachdruck die perspektivenreiche Ambiguität des Topos-Begriffs selbst zwischen rhetorischem Instrument der Argumentationsgewinnung 17 , der Bildung von Verständnishorizonten über literarische Muster und einer Speicherfunktion 17 Vgl. für diesen und die folgenden Aspekte die konzise und immer noch perspektivenreiche Darstellung bei: Hebekus, Uwe: Topik/ Inventio, in: Einführung in die Literaturwissenschaft, hg. von Miltos Pechlivanos u. a., Stuttgart, Weimar 1995 , S. 82 - 96 . 14 Einleitung soziokultureller Überzeugungen-- und eben der Anreizstiftung, ihm immer wieder eine ‹neue› Seite abzugewinnen. 18 18 Dies betont auch schon Bornscheuer, Lothar: Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft, Frankfurt a. M. 1976 , der im Sinne einer Rehabilitierung des literaturwissenschaftlichen Topos-Begriffs- - in Anlehnung an Aristoteles- - vor allem auf die Ablagerung von kollektiven Gewissheiten und vorwissenschaftlichen Überzeugungen einer soziokulturellen Formation in ihrem topischen Inventar verwiesen hat (vgl. ebd., S. 26 - 60 ; s. o.), im Zusammenhang mit dem Charakteristikum der ‹Fülle› oder ‹Potentialität› für die Topik, vgl. ebd., S. 98 f.: «Das Unbestimmt-Allgemeine [des Topos] bedeutet keinen Leerraum, sondern Komplexität. Die Interpretationsbedürftigkeit eines Topos fordert heraus, er inspiriert, er setzt Denken in Bewegung, er öffnet im konkreten Problemzusammenhang neue argumentative bzw. amplifikatorische Möglichkeiten». 15 I Der Natureingang als Forschungsproblem 1 Einordnung in die Minnesangforschung Dass keine Deutung, ja keine noch so objektive Analyse 1 von Kunstwerken überhaupt gänzlich unabhängig sein kann vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters, der immer schon mit einem Vor-Wissen und Vor-Urteilen seinem Beobachtungsgegenstand gegenübertritt 2 , ist ein Dilemma, dem man wohl nicht anders begegnen kann, als dass man in einer wissenschaftlichen Untersuchung die eigenen theoretischen Vorannahmen und angewandten Methoden möglichst transparent macht. Deshalb erscheint es dem Verfasser vorliegender Arbeit über den Natureingang im Minnesang ratsam, erst einmal darzustellen, wie er sich in der Forschungslandschaft zum Minnesang generell positioniert 3 , da die Minnesangforschung- - im Übrigen schon in ihrer Frühphase im 19 . Jahrhundert- - ganz unterschiedliche Sichtweisen auf ihr Phänomen hervorgebracht hat 4 und bis heute zwischen den Polen einer 1 So konstatiert schon Erwin Panofsky für Werke der bildenden Kunst die Unmöglichkeit einer rein deskriptiven Analyse, weil diese immer auch schon Deutung sei (vgl. ders., Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst, in: Logos 21 [ 1932 ], S. 103 - 119 ; wieder abgedruckt in: Literatur und bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes, hg. von Ulrich Weisstein, Berlin 1992 , S. 210 - 220 , hier S. 211 ). Dieser Befund lässt sich natürlich auch auf die Literaturwissenschaft übertragen. 2 Vgl. Steinmetz, Horst: Sinnfestlegung und Auslegungsvielfalt, in: Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs, hg. von Helmut Brackert und Jörn Stückrath, Reinbek b. Hamb. 1992 (rowohlts enzyklopädie), S. 475 - 490 , hier S. 479 f. 3 Dass unterschiedliche theoretische Prämissen auch mitunter zu stark differierenden Interpretationen ein und desselben Textes führen können, zeigt etwa die Forschungsliteratur zum sog. dritten Kreuzlied Hartmanns von Aue (MF 218 , 5 ), die von Hugo Kuhn in ders., Minnesang als Aufführungsform. [Zu Hartmanns Kreuzlied MF 218 , 5 ], zuerst in: Fs. Klaus Ziegler, hg. von Eckehard Catholy und Winfried Hellmann, Tübingen 1968 , S. 1 - 12 ; wieder in: Hugo Kuhn: Text und Theorie, Stuttgart 1969 , S. 182 - 190 ; zuletzt in: Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung, Bd. II, hg. von Hans Fromm, Darmstadt 1985 (WdF 608 ), S. 226 - 237 , hier bes. S. 226 - 228 , mit einer Grundlegung einer kommunikationspragmatischen Lektüre von Minnesang versehen worden ist; vgl. dagegen aus dem Blickwinkel literarischer Abspreizungsmechanismen Braun, Manuel: Autonomisierungstendenzen im Minnesang vor 1200 . Das Beispiel der Kreuzlieder, in: Geltung der Literatur. Formen ihrer Autorisierung und Legitimierung im Mittelalter, hg. von Beate Kellner, Peter Strohschneider und Franziska Wenzel, Berlin 2005 (PhStuQ 190 ), S. 1 - 28 , hier S. 25 - 27 . 4 Der folgende Forschungsbericht konzentriert sich, wie etwa auch Haferland, Harald: Minnesang bis Walther von der Vogelweide. Eine Forschungsdiskussion, in: Forschungsberichte zur Internationalen Germanistik. Germanistische Mediävistik, hg. von Hans-Jochen Schiewer, Bern u. a. 2003 ( Jahrbuch für internationale Germanistik: Reihe C 6 , 2 ), S. 54 - 160 , auf grundsätzliche mediale und kommunikationshistorische Aspekte. Unberücksicht bleibt dabei etwa die in der Forschung besonders bis zur zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts bedeutsame Frage nach der genetischen Herkunft des Minnesangs, vgl. dazu die Zusammenfassung bei Schweikle, Günther: Minnesang. 2 ., korrigierte Aufl., Stuttgart u. a. 1995 ( 1 1988 ) (Slg. Metzler 244 ), S. 73 - 75 , da die grundsätzliche romanische Vorbildrolle von Trobador- und Trouvèrelyrik für den deutschen Minnesang nicht bezweifelt werden kann; vgl. dazu nun die grundlegenden Beiträge in: Mertens, Volker / Touber, Anton (Hgg.): Lyrische Werke, Berlin u. a. 2012 (Germania Litteraria Medievalis Francigena 3 ); bes. Schnell, Rüdiger: Minnesang I. Die Anfänge des 18 I Der Natureingang als Forschungsproblem biographisch-lebensweltlichen Referentialisierung 5 , einer sozialen Funktionszuschreibung 6 oder der Auffassung vom Minnesang als artifiziellem, eigengesetzlichem und dezidiert literarischem Gebilde 7 schwankt. Besonders umstritten ist in deutschen Minnesangs (ab ca. 1150 / 70 ), in: ebd., S. 25 - 82 , und ders., Minnesang II: Der deutsche Minnesang von Friedrich von Hausen bis Heinrich von Morungen (ca. 1170 - 1190 / 1200 ), in: ebd., S. 83 - 182 . Zur gleichwohl vielschichtigen Interferenzlage der europäischen Lyriktraditionen im Mittelalter vgl. zudem das folgende Kap. 1 . 2 . Auch andere forschungsgeschichtliche Aspekte wie etwa die Versuche einer psychoanalytischen Lektüre des Minnesangs habe ich hier ausgespart, da sie im Folgenden noch eingehend besprochen werden (s. in diesem Fall bes. das Schlusskapitel). 5 Zur frühen Forschung und ihrer Auffassung vom Minnesang als Erlebnislyrik seit Bodmer vgl. z. B. Wapnewski, Hans Peter: Die Uebersetzungen mittelhochdeutscher Lyrik im 19 . und 20 . Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Minnesang-Auffassung und -Forschung und zum Problem des Uebersetzens aus dem Mittelhochdeutschen, Hamburg 1949 [Diss. masch.], S. 7 - 9 . Biographistische Bezugnahmen halten sich in der Minnesangphilologie, besonders im praktischen Bereich der Textinterpretation, trotz der- - von Barthes, Roland: La mort de l’auteur ( 1968 ); dt. übers. als: Der Tod des Autors, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. und komm. von Fotis Jannidis u. a., Stuttgart 2000 (RUB 18 058 ), S. 181 - 193 , und bes. Michel Foucaults berühmten Aufsatz ders., Qu’est-ce qu’un auteur ( 1969 ); dt. erschienen als: Was ist ein Autor? , in: ders.: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, hg. von Daniele Defert und François Ewald, Frankfurt a. M. 2001 - 2005 , Bd. I: 1954 - 1969 , Frankfurt a. M. 2001 , S. 1003 - 1041 , angeregten-- Theoriedebatte, in der die Abkehr von einem emphatischen Konzept von Autorschaft zugunsten einer textuellen Autorfunktion eingeleitet worden ist, leider noch immer. 6 Zu den verschiedenen historisch-soziologischen Deutungen von Minnesang und Trobadorlyrik im 19 . und 20 . Jahrhundert vgl. Liebertz-Grün, Ursula: Zur Soziologie des ‹amour courtois›. Umrisse der Forschung, Heidelberg 1977 (Beih. zum Euph. 10 ), S. 69 - 111 ; vgl. für eine kritische Auseinandersetzung mit der sog. Ministerialenthese Bumke, Joachim: Ministerialität und Ritterdichtung. Umrisse der Forschung, München 1976 (Edition Beck), bes. S. 58 - 69 , und Peters, Ursula: Niederes Rittertum oder hoher Adel? Zu Erich Köhlers historisch-soziologischer Deutung der altprovenzalischen und mittelhochdeutschen Minnelyrik, in: Euph. 67 ( 1973 ), S. 244 - 260 ; wieder in: H. Fromm (Hg.), Minnesang II, S. 185 - 207 ; dann in: dies., Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft. Aufsätze 1973 - 2000 , hg. von Susanne Bürkle, Lorenz Deutsch und Timo Reuvekamp-Felber, Tübingen u. a. 2004 , S. 1 - 18 . Nach den 1970 er- Jahren haben die soziologischen Erklärungstheorien in der Minnesangforschung keine große Rolle mehr gespielt. Letztlich geht aber die Forschungsrichtung, die für die Minnelyrik als ihren Bestimmungsort den rituellen, öffentlichen Vortrag von Minnelyrik zu kollektiven Repräsentationszwecken und zur Identitätsstiftung der Hofgesellschaft annimmt, natürlich auch von einer vorgeordneten sozialen Funktion dieser Lyrik aus (s. u.). 7 Für das (späte) 19 . Jahrhundert vgl. bes. Wilmanns, Wilhelm: Rez. zu Erich Schmidt, «Reinmar von Hagenau und Heinrich von Rugge», in: AfdA 1 ( 1876 ), S. 149 - 158 , bes. S. 153 f., und Burdach, Konrad: Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide. Ein Beitrag zur Geschichte des Minnesangs, Leipzig 1880 , S. 24 f. Auch das von Robert Guiette für die mittelalterliche französische Lyrik entworfene Konzept einer poésie formelle (vgl. ders., D’une poésie formelle en France au Moyen Âge, in: Revue des sciences humaines 54 [ 1949 ], S. 61 - 68 ; als erw. Fassung wieder in: ders., Questions de littérature. Gent 1960 [Romanica Gandensia 8 ], S. 9 - 32 .), das die technizistisch-rhetorische, auf feine Variation angelegte Artifizialität dieser Texte hervorhebt, hat der Altgermanistik wichtige Impulse geben können, wobei aber an diesem Konzept besonders die Vernachlässigung der inhaltlichen Dimension der Lieder kritisiert worden ist (vgl. Peters, Ursula: Minnesang als ,poésie formelleʽ. Zur Adaptation eines literaturwissenschaftlichen Paradigmas, in: Fs. Rudolf Schönwald, hg. von Theo Buck, Aachen 1988 , S. 52 - 68 ; wieder in: dies., Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft, S. 59 - 74 , 1 Einordnung in die Minnesangforschung 19 den letzten Jahrzehnten die Frage nach der (dominanten) medialen Existenzform der mittelhochdeutschen Lyrik gewesen, wobei sich das von der Forschung für die Texte des Mittelalters allgemein angesetzte Spannungsfeld von Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit für den Minnesang in der Opposition von Aufführungsbasiertheit vs. schriftliterarischem Status und (paralleler) Realisation als Leselyrik niedergeschlagen hat. 8 In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ist in der Altgermanistik vor allem der kommunikationspragmatische Ansatz, der durch Hugo Kuhns Aufbes. S. 72 f., und Reuvekamp-Felber, Timo: Kollektive Repräsentation als soziale Funktion von Minnesang? Zur Pluralität und Variabilität der Ich-Figurationen in der Minnekanzone am Beispiel Friedrichs von Hausen, in: Text und Handeln. Zum kommunikativen Ort von Minnesang und antiker Lyrik, hg. von Albrecht Hausmann, Heidelberg 2004 [Beih. zum Euph. 46 ], S. 203 - 224 , hier S. 205 , Anm. 9 . Ursula Peters moniert in ihrer Auseinandersetzung mit Guiettes Thesen ferner noch eine fehlende sozial- und funktionsgeschichtlichen Anschlussfähigkeit (vgl. Peters, Minnesang als ‹poésie formelle›? , S. 72 f.), was m. E. durchaus auch als eine Leistung des Konzepts angesehen werden könnte. An altgermanistischen Studien, die an das von Guiette erarbeitete Konzept der poésie formelle anknüpfen, sind ferner Schmaltz, Wiebke: Beiträge zur poetischen Technik Reinmars des Alten. Göppingen 1975 (GAG 169 ), S. 17 f., zu nennen, die- - zudem in Anlehnung an die Untersuchung des Guiette-Schülers Robert Dragonetti (ders.: La technique poétique des trouvères dans la chanson courtoise. Contribution à l’étude de la rhétorique médiévale, Brugge 1960 [Rijksuniversiteit te Gent. Werken uitgegeven door de Faculteit van de Letteren en Wijsbegeerte 127 Afl.])-- die Bedeutung der technizistisch-rhetorischen Sprachgestaltung für die Lieder des Reinmar-Corpus herausgearbeitet hat, sowie Spicker, Johannes: Literarische Stilisierung und artistische Kompetenz bei Oswald von Wolkenstein, Stuttgart u. a. 1993 , S. 17 - 23 (mit ausführlicher kritischer Würdigung). 8 Über die mediävistische Mündlichkeit-Schriftlichkeitsdebatte, die einen wichtigen Impuls von den grundlegenden Arbeiten Paul Zumthors und seinem Vokalitätskonzept (besonders ders.: La lettre et la voix. De la ‹littérature› médiévale, Paris 1987 [Collection poétique]) erhalten hat (vgl. dazu: Müller, Jan-Dirk: Aufführung- - Autor- - Werk. Zu einigen blinden Stellen gegenwärtiger Diskussion, in: Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster. Ergebnisse der Berliner Tagung, 9 .- 11 . Okt. 1997 , hg. von Nigel F. Palmer und Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 2001 , S. 149 - 166 ; wieder in: J.-D. Müller, Mediävistische Kulturwissenschaft. Ausgewählte Studien, Berlin u. a. 2010 , S. 11 - 26 , hier S. 11 f., und dessen Würdigung in: Grundlagen der Literaturwissenschaft. Exemplarische Texte, hg. von Bernhard J. Dotzler, Köln, Weimar, Wien 1999 , S. 169 - 171 ), informieren aus der Perspektive der Minnesangforschung-- freilich in unterschiedlicher Perspektivsetzung-- Cramer, Thomas: Der Buchstabe als Medium des gesprochenen Wortes. Über einige Probleme der Mündlichkeits-Schriftlichkeitsdebatte am Beispiel mittelalterlicher Lyrik, in: Logos und Buchstabe. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Judentum und Christentum der Antike, hg. von Gerhard Sellin und François Vouga, Tübingen u. a. 1997 (Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter 20 ), S. 127 - 152 , bes. 127 - 130 ; ähnlich auch ders.: Waz hilfet âne sinne kunst? Lyrik im 13 . Jahrhundert. Studien zu ihrer Ästhetik, Berlin 1998 (PhStuQ 148 ), S. 9 - 11 ; ferner Händl, Claudia: Rollen und pragmatische Einbindung. Analysen zur Wandlung des Minnesangs nach Walther von der Vogelweide, Göppingen 1987 (GAG 467 ), S. 16 f., Anm. 15 ; Hahn, Gerhard: dâ keiser spil. Zur Aufführung höfischer Literatur am Beispiel des Minnesangs, in: Grundlagen des Verstehens mittelalterlicher Literatur. Literarische Texte und ihr historischer Erkenntniswert, hg. von dems. und Hedda Ragotzky, Stuttgart 1992 (Kröners Studienbibliothek 663 ), S. 86 - 107 , bes. S. 88 f.; Kellner, Beate: Ich grüeze mit gesange- - Mediale Formen und Inszenierungen der Überwindung von Distanz im Minnesang, in: A. Hausmann (Hg.), Text und Handeln, S. 107 - 137 , bes. S. 107 - 112 , und im selben Band Stock, Marcus: Das volle 20 I Der Natureingang als Forschungsproblem satz «Minnesang als Aufführungsform» 9 initiiert worden ist, dominierend gewesen, der den-- im Vergleich zur lebensweltlichen Existenzform als Verbund polymedialer Darstellungsformen wie Text, Musik und theatraler Mittel im Vortrag-- defizitären Status der Minnesangtexte in der schon schriftliterarisch orientierten Überlieferung durch die drei großen Sammelhandschriften betont. 10 Gegen den Traditionsstrang, den Minnesang biographisch zu lesen, ist so das Konzept einer Rollenlyrik 11 gesetzt und auch mit zunehmender Trennschärfe zwischen einer internen Sprechsituation (d. h. auch die Anrede eines impliziten Publikums) und externer Rezeptionssituation (also dem externen Publikum) unterschieden worden. 12 Die Zielsetzung dieser For- Wort- - Sprachklang im späteren Minnesang. Gotttfried von Neifen, Wir suln aber schône enpfâhen (KLD Lied 3 ), in: ebd., S. 185 - 202 , bes. S. 192 - 194 . 9 S. oben, Anm. 3 . 10 Vgl. z. B. schon Mohr, Wolfgang: Vortragsform und Form als Symbol im mittelalterlichen Liede, in: Fs. Ulrich Pretzel zum 65 . Geb., hg. von Werner Simon, Wolfgang Bachofer und Wolfgang Dittmann, Berlin 1963 , S. 128 - 138 ; wieder in: H. Fromm (Hg.), Minnesang II, S. 211 - 225 , hier S. 211 f.; ferner H. Kuhn, Minnesang als Aufführungsform, S. 227 ; C. Händl, Rollen und pragmatische Einbindung, S. 16 - 18 ; G. Hahn, dâ keiser spil, S. 86 und 89 ; Tervooren, Helmut: Die ‹Aufführung› als Interpretament mittelhochdeutscher Lyrik, in: ‹Aufführung› und ‹Schrift› in Mittelalter und früher Neuzeit. DFG-Symposion 1994 , hg. von Jan-Dirk Müller, Stuttgart u. a. 1996 (Germanistische-Symposien-Berichtsbände 17 ), S. 48 - 66 , hier S. 48 und 65 f.; Müller, Jan-Dirk: Ritual, Sprecherfiktion und Erzählung. Literarisierungstendenzen im späteren Minnesang, in: Wechselspiele. Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik, hg. von Michael Schilling und Peter Strohschneider, Heidelberg 1996 (Beih. zur GRM 13 ), S. 43 - 76 ; wieder in: Müller, Jan-Dirk: Minnesang und Literaturtheorie, S. 177 - 208 , hier S. 177 f. 11 Im Übrigen verwendet schon H. Kuhn, Minnesang als Aufführungsform, den Rollenbegriff (er spricht z. B. von «typischen Sänger-Rollen» [ebd., S. 229 .]). Auch Kleinschmidt, Erich: Minnesang als höfisches Zeremonialhandeln, in: AfK 58 ( 1976 ), S. 35 - 76 , verweist auf das «rollenhafte Auftreten der Autoren», die «Dienstrolle» und den «sängerische[n] Rollentypus» (alle ebd., S. 66 ). Vgl. ferner C. Händl, Rollen und pragmatische Einbindung, S. 13 - 16 ; G. Hahn, dâ keiser spil, S. 90 - 94 , und generell G. Schweikle, Minnesang, S. 192 - 195 . Für eine Modifizierung des Rollen-Begriffs treten dagegen ein: Schilling, Michael / Strohschneider, Peter: Einleitung, in: dies. (Hgg.), Wechselspiele, S. 9 - 18 , hier 14 f.; Müller, Jan-Dirk: Die Fiktion höfischer Liebe und die Fiktionalität des Minnesangs, in: A. Hausmann (Hg.), Text und Handeln, S. 47 - 64 ; wieder in: J.-D. M., Mediävistische Kulturwissenschaft. Ausgewählte Studien, Berlin u. a. 2010 , S. 68 - 82 , hier S. 65 - 68 ; Haferland, Harald: Minnesang als Posenrhetorik, in: ebd., S. 65 - 105 , lehnt ihn hingegen für die Beschreibung der Minnekanzone ab (vgl. ebd., S. 79 f.), wie er es auch schon in ders.: Hohe Minne. Zur Beschreibung der Minnekanzone, Berlin 2000 (Beih. zur ZfdPh 10 ), S. 26 - 37 , ausführlich dargelegt hat. 12 Claudia Händl verwirklicht z. B. in ihrem Kommunikationsmodell folgerichtig die durch Warning, Rainer: Lyrisches Ich und Öffentlichkeit bei den Trobadors, in: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven, Hugo Kuhn zum Gedenken, hg. von Christoph Cormeau, Stuttgart 1979 , S. 120 - 159 , hier S. 122 f., angeregte (methodische) Trennung von interner Sprech- und externer Rezeptionssituation (vgl. C. Händl, Rollen und pragmatische Einbindung, S. 19 f.). Dagegen hat Jan-Dirk Müller, obwohl er eine solche Unterscheidung grundsätzlich für sinnvoll erachtet, letztlich doch ein Zusammenfallen beider in der konkreten Aufführungssituation angenommen (vgl. ders.: Ritual, S. 185 f.). Ich halte dagegen die von Warning und Händl vorgeschlagene Ebenentrennung für immens wichtig, wäre sie doch ein probates Mittel, den von Thomas Cramer monierten Kurzschluss zu vermeiden, die 1 Einordnung in die Minnesangforschung 21 schungsrichtung, in Einzelinterpretationen von der Textgrundlage ausgehend auf Möglichkeiten der Darbietungsgestaltung zu schließen und so die verloren gegangene Aufführungsdimension zu rekonstruieren 13 , ist allerdings wegen ihres unausweichlich spekulativen Charakters auch in die Kritik geraten. 14 Zwar ist in den letzten Jahrzehnten der mündlich-performative Vortrag vor der Öffentlichkeit der Hofgesellschaft als der eigentliche ‹Sitz im Leben› des Minnesangs zum häufig wiederholten Forschungskonsens erklärt worden 15 , aber es hat auch Gegenstimmen vielen Auftrittsinszenierungen und Publikumsadressen im Minnesang als direkte Reflexe der Aufführungssituation zu begreifen, anstatt sie als Textentwürfe aufzufassen (vgl. ders., Waz hilfet, S. 11 ). 13 Am deutlichsten formuliert diesen Anspruch C. Händl, Rollen und pragmatische Einbindung, S. 18 : «Die Rekonstruktion der Aufführungssituation eines Minneliedes darf bei der Interpretation also nicht Hinweis am Rande bleiben, sondern muß bei der Analyse umfassend berücksichtigt werden». 14 Vgl. Hausmann, Albrecht: Reinmar der Alte als Autor. Untersuchungen zur Überlieferung und zur programmatischen Identität, Tübingen u. a. 1999 (Bibliotheca Germanica 40 ), S. 33 - 35 ; ferner die narrative Umsetzung des Kuhnschen Aufsatzes [s. oben, Anm. 21 ] bei Schilling, Michael: Minnesang als Gesellschaftskunst und Privatvergnügen. Gebrauchsformen und Funktionen der Lieder im Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein, in: ders., P. Strohschneider (Hgg.), Wechselspiele, S. 103 - 121 , hier S. 103 und 119 , die Kuhns Vorstellungen als spekulativen Entwurf offenlegt. Im Übrigen konzediert schon W. Mohr, Vortragsform, S. 211 f.,-- ähnlich wie später H. Tervooren, Die ‹Aufführung› als Interpretament, S. 51 ,-- den spekulativen Charakter der eigenen Überlegungen. Peter Strohschneider sieht in ders., Aufführungssituation. Zur Kritik eines Zentralbegriffs kommunikationsanalytischer Minnesangforschung, in: Kultureller Wandel und die Germanistik in der Bundesrepublik. Vorträge des Augsburger Germanistentages 1991 , 4 Bde., hg. von Johannes Janota, Tübingen 1993 , Bd. III: Methodenkonkurrenz in der germanistischen Praxis, S. 56 - 71 , eine der ersten kritischen Auseinandersetzungen mit dem Aufführungsparadigma, den notwendig hypothetischen Charakter dieses Ansatzes nicht als allzu problematisch an (vgl. ebd., S. 69 ); Strohschneider kritisiert in erster Linie die Praxis in der Altgermanistik, auf Aufführungsmodalitäten nur zu rekurrieren, wenn unklare Textstellen nicht anders aufzulösen sind (vgl. ebd., S. 63 ). 15 Vgl. etwa das in diesem Sinne, etwa bei P. Strohschneider, Aufführungssituation, S. 60 , gewertete Diktum von Grubmüller, Klaus: Ich als Rolle. ‹Subjektivität› als höfische Kategorie im Minnesang? , in: Höfische Literatur, Hofgesellschaft, höfische Lebensformen um 1200 . Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld ( 3 . bis 5 . November 1983 ), hg. von Gert Kaiser und Jan-Dirk Müller, Düsseldorf 1986 (Studia humaniora 6 ), S. 387 - 408 , hier S. 388 : «Bei aller Ungewißheit über die konkreten Aufführungsorte und Aufführungsformen von Minnesang wird doch kaum eine andere Vorstellung vernünftig sein als die, daß Minnesang sich im Auftritt des Sängers vor (weltlichem) Publikum realisiert habe, und weiterhin, daß ein solches Publikum gegen Ende des 12 . Jahrhunderts in Deutschland kaum anders denn als Gesellschaft an den Höfen vorstellbar sein dürfte: «Ihr (d. h. der höfischen Lyrik, K. G.) ‹Sitz im Leben› ist die Öffentlichkeit des höfischen Festes» »(mit Zitateinbau von: R. Warning, Lyrisches Ich, S. 121 ), oder die Einordnung von Strohschneider, Peter: Tanzen und Singen. Leichs von Ulrich von Winterstetten, Heinrich von Sax sowie dem Tannhäuser und die Frage nach dem rituellen Status des Minnesangs, in: Mittelalterliche Lyrik. Probleme der Poetik, hg. von Thomas Cramer und Ingrid Kasten, Berlin 1999 (PhStuQ 154 ), S. 197 - 231 , bes. S. 199 - 202 , hier S. 197 f. (dazu T. Reuvekamp Felber, Kollektive Repräsentation, S. 203 ). Die Aufführungsbasierung des Minnesangs könne man vor allem an dem Gestus der Texte selbst ablesen (vgl. K. Grubmüller, Ich als Rolle, S. 389 ; ferner Müller, Jan-Dirk: Performativer Selbstwiderspruch. Zu einer Redefigur bei Reinmar, in: Beitr. 121 22 I Der Natureingang als Forschungsproblem gegeben. Die Kritik am kommunikationspragmatisch ausgerichteten Forschungszweig hat sich vor allem an den weiteren theoretischen Annahmen entzündet, die sich an die Vorstellung vom Minnesang als Aufführungsform angelagert haben. Diese haben nämlich-- 1976 niedergelegt von Erich Kleinschmidt in einem wirkungsmächtigen Aufsatz und fortgeführt von Christa Ortmann und Hedda Ragotzky- - dezidiert in die Richtung einer funktionsgeschichtlichen Deutung des Minnesangs als «Zeremonialhandeln» 16 oder «Ritual» 17 geführt, die jenen als Bestandteil des höfischen Festes zum Zwecke der höfischen Repräsentation und der Stiftung ständischer Identität sowie gemeinschaftlicher vröide verortet haben. 18 Auch der von Jan-Dirk Müller vorgeschlagene Begriff des ‹Pararituals› 19 , der u. a. die Differenz einer auf Variation ausgelegten Kunst zum iterativen Prinzip des Rituals zu berücksichtigen sucht, weist aber letztlich noch in dieselbe Richtung, da Müller sehr wohl für den Minnesang vor Neidhart die Vorstellung einer der adligen Hofgesellschaft normative Werte vermittelnden Ritualform beibehält. 20 Gegen diese funktionsgeschichtlichen Vorstellungen haben sich aber Mark Chinca 21 , Thomas [ 1999 ], S. 379 - 405 ; wieder in: ders., Minnesang und Literaturtheorie, S. 209 - 232 , bes. S. 209 und 213 ; gleichwohl erkennt Müller durchaus an, dass der Performanzcharakter der Texte auch fingiert sein könnte [vgl. ebd., S. 215 ]). 16 E. Kleinschmidt, Minnesang als höfisches Zeremonialhandeln, S. 64 f. 17 Schon E. Kleinschmidt, Minnesang als höfisches Zeremonialhandeln, deutet den Minnesang als eine «ritualisierte Vortragsform mit repräsentativer Zielsetzung» (S. 70 ); zum Minnesang als höfischem Ritual vgl. vor allem Ortmann, Christa / Ragotzky, Hedda: Minnesang als Vollzugskunst. Zur spezifischen Struktur literarischen Zeremonialhandelns im Kontext höfischer Repräsentation, in: Höfische Repräsentation. Das Zeremoniell und die Zeichen, hg. von Hedda Ragotzky und Horst Wenzel, Tübingen 1990 , S. 227 - 257 , bes. S. 253 f. Als besonders fragwürdig erweist sich m. E. hierbei die Vorstellung eines gemeinschaftlich-rituellen ‹Vollzuges› von Minnesang, der mir mit den spezifischen Charakteristika einer Ich-bezogenen und hochgradig subjektiviert-reflexiven Liebeslyrik nun wirklich nicht mehr zusammenzugehen scheint. 18 Vgl. dazu umfassend C. Ortmann, H. Ragotzky, Minnesang als Vollzugskunst; auf die Repräsentationsfunktion des Minnesangs verweisen ferner: E. Kleinschmidt, Minnesang als höfisches Zeremonialhandeln, S. 70 - 72 ; G. Hahn, dâ keiser spil, bes. S. 94 f. und 102 ; und Müller, Jan-Dirk: Ir sult sprechen willekommen. Sänger, Sprecherrolle und die Anfänge volkssprachiger Lyrik, in: IASL 19 ( 1994 ), S. 1 - 21 ; wieder in: ders., Minnesang und Literaturtheorie, S. 107 - 128 , S. 113 . 19 Vgl. J.-D. Müller, Ritual, S. 179 (Darlegung auf den Seiten 179 - 182 ). 20 Ebd., S. 178 f.; zu Neidhart vgl. ebd., S. 190 - 201 , bes. S. 195 : «Der pararituelle Charakter der ‹Aufführung› wird destruiert». Ausdrücklich an den Überlegungen Müllers zum pararituellen Status des Minnesangs setzt P. Strohschneider, Tanzen und Singen, S. 199 - 202 , an, der aufgrund seiner Untersuchung des Tanzleichs im 13 . Jahrhunderts, dessen Vertreter er eher als Zeugnisse eines Absetzungsbestrebens von Gesellschaftsritualen deutet, ebenso zu einem seltsam zwiespältigen Ausblick auf den Minnesang insgesamt kommt: Denn zum einen räumt er zwar ein, dass «eine Problematisierung solcher literarhistorischen Konzepte wohl nahe[liegt], welche die Relation von Minnesang und Ritual sehr eng fassen» (ebd., S. 230 ), gelangt aber in einer letzten Volte andererseits zu dem Schluss, dass die von ihm untersuchten Texte auch lesbar seien «als Symptome dessen, wovon sie Abstand nehmen: eines prägnant rituellen Status des Minnesangs» (S. 231 ). 21 Vgl. Chinca, Mark: The medieval German love-lyric: a ritual? , in: Paragraph 18 ( 1995 ), S. 112 - 132 , bes. S. 116 , der ferner die ‹schiefe› Übernahme eines aus der Sozialanthropologie stammenden Ritualbegriffs durch die Altgermanistik problematisiert (vgl. ebd., S. 121 - 128 ). 1 Einordnung in die Minnesangforschung 23 Cramer 22 und Frank Willaert 23 gewendet, die die These vom höfischen Fest als dem Ort öffentlicher und zeremonieller Aufführungen von Minnesang, da keine historischen Belege dafür zu finden sind, als ein mögliches Forschungsphantasma in Zweifel gezogen haben. 24 Ferner hat besonders Thomas Cramer die Dominanz von anderen Rezeptionsweisen in den literarischen Quellen und handschriftlichem Bildschmuck herausgearbeitet, die eher in Richtung von ‹privaten› 25 Gebrauchssituationen im kleinen (bis kleinsten) Kreis 26 deuten. 27 Im Übrigen sei mit der schriftliterarischen Konzeption, mit einer parallel laufenden Verankerung der Texte in einer Sphäre der Schriftlichkeit und damit der Rezeptionsmöglichkeit einer Lektüre zu rechnen. 28 Im Gegensatz zu den Annahmen von der Repräsentationsfunktion und 22 Vgl. T. Cramer, Waz hilfet, S. 12 - 17 ; besonders auch: ders., Wie die Minnesänger zu ihrer Rolle kamen, in: Literarisches Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters, Fs. Volker Mertens zum 65 . Geb., hg. von Matthias Meyer und Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 2002 , S. 79 - 104 , worin Cramer zeigt, dass das in der Forschung herrschende Bild von den Aufführungsbedingungen von Minnesang auf fragwürdige Vorstellungen der Geniezeit und Romantik zurückgeht. 23 Vgl. Willaert, Frank: Minnesänger, Festgänger? , in: ZfdPh 118 ( 1999 ), S. 321 - 335 . 24 So auch für den im Zusammenhang mit Minnesangaufführungen so gern angeführten Mainzer Hoftag von 1184 (vgl. die Kritik bei F. Willaert, Minnesänger, Festgänger? , S. 323 - 325 ); aus der reinen Anwesenheit von auch als Minnesängern angenommenen Personen lässt sich jedenfalls nichts schließen, denn wer sagt, dass sie nicht einfach in ihrer Funktion als Hochadlige oder mächtige Ministerialen zugegen waren? Die wenigen Stellen aus dem höfischen Roman und der Heldenepik, die so etwas wie den Auftritt eines Sängers vor dem Hof zeigen, sind als Belege allesamt nicht unproblematisch, vgl. E. Kleinschmidt, Minnesang als höfisches Zeremonialhandeln, S. 57 - 59 ; K. Grubmüller, Ich als Rolle, S. 388 f.; P. Strohschneider, Aufführungssituation, S. 60 . 25 Der Verfasser vorliegender Arbeit ist sich über die Problematik der von ihm verwendeten Begrifflichkeit des ‹Privaten› für das Mittelalter sehr wohl bewusst und möchte sie nur als einen Hilfsbegriff verstanden wissen, vgl. dazu die Beiträge oder z. B. schon die Vorbemerkungen der beiden Hgg. im Sammelband: Das Öffentliche und Private in der Vormoderne, hg. von Gert Melville und Peter von Moos, Köln u. a. 1998 (Norm und Struktur 10 ), hier S. XIII-XVII, bes. S. XIIIf. 26 Ja sogar das alleinige Singen des Einzelnen für sich selbst, z. B. zu Pferde, ist in solchen literarischen Zeugnissen zu finden, vgl. T. Cramer, Wie die Minnesänger, S. 84 f. und 87 . 27 Vgl. bes. T. Cramer, Waz hilfet, S. 32 - 43 ; ders., Wie die Minnesänger, S. 82 - 88 . In der Musikwissenschaft hat 1991 schon Lug, Robert: Minnesang und Spielmannskunst, in: Die Musik des Mittelalters, hg. von Hartmut Möller und Rudolf Stephan, Laaber 1991 (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 2 ), S. 294 - 316 (Anm. u. Literaturhinweise: S. 317 - 333 ), bes. S. 306 - 308 , in diese Richtung argumentiert. Vor Cramer ferner auch ähnlich M. Schilling, Minnesang als Gesellschaftskunst, S. 106 - 108 , der allerdings mehr auf Situationen des «Ausdrucks erlebter Gefühle» (ebd., S. 108 ) abhebt. Die Problematik von literarischen Texten und Bildschmuck mit ihrer Stilisierung von Rezeptionsweisen auf die tatsächlichen Verhältnisse im mittelalterlichen Literaturbetrieb zu schließen, gilt natürlich auch hier, vgl. ebd., S. 119 ; T. Cramer, Waz hilfet, S. 26 und 38 , und ders., Wie die Minnesänger, S. 88 . 28 Vgl. dazu T. Cramer, Waz hilfet, S. 19 - 25 , und G. Schweikle, Minnesang, S. 52 - 54 , der in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis von Text und Musik im Minnesang, in dessen Überlieferung Melodienotationen weitgehend fehlen, erörtert. Entgegen früherer Einschätzungen, die die (fehlende) musikalische Dimension für den Minnesang als die eigentlich wichtigere angenommen haben, geht Schweikle (vgl. ebd.)-- wie auch Cramer, Thomas: Die Lieder der 24 I Der Natureingang als Forschungsproblem kollektiven Verbindlichkeit des Minnesangs, die diesen-- auch aufgrund einer auf den Typ des Werbungslieds eingeengten Wahrnehmung-- oft allzu schnell auf eine ethisierende Tendenz und die Verkündigung normativer Wahrheiten reduziert haben 29 , haben Cramer und Willaert, sowie zuletzt Timo Reuvekamp-Felber ein auf Literarizität abzielendes Minnesang-Bild propagiert, das diesen als artifizielles Spiel für Liebhaber und Kenner einordnet und seine kunstvolle rhetorische Gestaltung, den Reichtum an intertextuellen Bezügen, die Verschiedenartigkeit der Möglichkeiten über Liebe zu sprechen und nicht zuletzt auch die humorvolle Seite dieser Lyrik betont. 30 Als von ganz anderen Grundannahmen ausgehende Kritik am herkömmlichen, vom neuzeitlichen Theater abgeleiteten Modell der rollenlyrischen Aufführungsform des Minnesangs haben sich um die Jahrtausendwende die Vorstöße Harald Haferlands herausgestellt, der die Minnesangforschung mit dem Vorschlag irritiert hat, die Minnesangtexte, da die vielen Aufrichtigkeitsbeteuerungen in diesen ernst zu nehmen seien, wieder ganz wörtlich, d. h. als authentische Gefühlsausdrücke und biographische Äußerungen zu lesen. 31 Da auch dieser Ver- Trobadors, Trouvères und Minnesänger: literarhistorische Probleme, in: Musikalische Lyrik. 2 Bde., hg. von Hermann Danuser, Laaber 2004 (Handbuch der musikalischen Gattungen 8 ), Teil 1 : Von der Antike bis zum 18 . Jahrhundert, S. 130 - 136 , hier S. 136 ,-- allenfalls von einer sekundären Bedeutung der Musik aus. 29 Schon 1990 hat Eva Willms in ihrer Studie dies.: Liebesleid und Sangeslust. Untersuchungen zur deutschen Liebeslyrik des späten 12 . und frühen 13 . Jahrhunderts. München u. a. 1990 (MTU 94 ), die Vorstellung eines starren ideologischen, ja doktrinären Gehalts des Minnesangs, der- - so die von Willms zitatreich belegte, gängige Forschungsmeinung- - mittels Entbehrungsideal das männliche Liebesverlangen diszipliniere und so gesellschaftsbessernd wirken solle, mit einem Blick auf die Minnesang-Texte selbst nicht nur gründlich in Zweifel ziehen können (vgl. ebd., bes. S. 9 - 34 , 46 - 58 , und 88 - 122 ), sondern zudem auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass sich viele Charakterzüge der Werbungsliedsituation auch innerliterarisch (z. B. durch Verweis auf wirkungsvolle, gattungstypische Verfahren lyrischen Sprechens) begründen lassen (vgl. ebd., S. 81 - 88 ). Allerdings überblendet auch Willms in ihrer Studie oft allzu unkritisch literarische Aussagen, die zudem oft auch aus Texten ganz anderer Gattungen wie z. B. der höfischen Epik stammen, auf eine hinter dem Minnesang vermutete gesellschaftliche Wirklichkeit (vgl. z. B. das Kapitel II. 2 . «Die Aufführungssituation» [ebd., S. 35 - 46 ]); ja gemessen am vielversprechenden Ansatz Willms’ wirkt deren eigener funktionaler Deutungsversuch des Minnesangs als Mittel zur Disziplinierung der Frau am Ende der Untersuchung als ein Rückschritt (vgl. ebd., bes. S. 230 - 234 ). Für die Ablehnung eines doktrinären Gehalts des Minnesangs vgl. ferner auf den vielgestaltigen Komplex der ‹höfischen Liebe› bezogen Schnell, Rüdiger: Die ‹höfische Liebe› als Gegenstand von Psychohistorie, Sozial- und Mentalitätsgeschichte. Eine Standortbestimmung, in: Poetica 23 ( 1991 ), S. 374 - 424 , S. 398 f., sowie grundsätzlich Reuvekamp-Felber, Timo: Fiktionalität als Gattungsvoraussetzung. Die Destruktion des Authentischen in der Genese der deutschen und romanischen Lyrik, in: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150 - 1450 . DFG-Symposion 2000 , hg. von Ursula Peters, Stuttgart u. a. 2001 (Germanistische-Symposien-Berichtsbände 23 ), S. 377 - 402 , S. 380 f., und ders.: Kollektive Repräsentation, bes. S. 204 f. und S. 219 f. 30 Vgl. F. Willaert, Minnesänger, Festgänger? , S. 327 - 330 , präzise auch zusammengefasst im Abstract, S. 321 ; T. Cramer, Waz hilfet, S. 8 , 16 f. und 127 ; T. Reuvekamp-Felber, Fiktionalität als Gattungsvoraussetzung, S. 401 f., und ders., Kollektive Repräsentation, S. 219 f. 31 Vgl. Haferland, Harald: Was bedeuten die Aufrichtigkeitsbeteuerungen der Minnesänger für das Verständnis des Minnesangs? , in: T. Cramer, I. Kasten (Hgg.), Mittelalterliche Ly- 1 Einordnung in die Minnesangforschung 25 such einer Rückkehr zu einem expressiv-biographischen Verständnis der Texte, der freilich von einem höheren Reflexionsniveau ausgeht als die an der Erlebnislyrik des Geniezeitalters orientierte Auslegung vergangener Zeiten, letztlich wiederum seinen Ausgangspunkt in der Vortragssituation höfischer Lyrik nimmt und somit Aussagen über eine Dimension der Texte zu machen sucht, die für uns nicht mehr zugänglich ist, erscheint mir der von Haferland vorgeschlagene Weg äußerst problematisch; 32 er hat auch in der Forschung-- meinem Eindruck nach-- wenig sympathisierenden Widerhall gefunden. Einmal abgesehen davon, dass in ihm die Gefahr besteht, Angaben in den Texten in ihrer literarischen Stilisierung und ihrer Funktion für den Text zu missachten 33 und die zu Recht getroffene Unterscheidung von Text-Ich und dem Verfasser als biologischem Individuum einzuebnen; es ist m. E. bei einem in seinen Grundkonstellationen so stabilen Textkorpus mit einem relativ begrenzten Arsenal an Motiven und einer Vielzahl an intertextuellen Bezügen evident, dass Texte sich in viel stärkerem Maße auf andere Texte beziehen als auf lebensweltlich-biographische Vorkommnisse. Und schließlich scheint mir auch die Forschungsdiskussion der letzten Jahre vielversprechende Ansätze zu bieten, die in eine gänzlich gegenteilige Richtung weisen, nämlich die eben auch grundsätzlich in der Gattung angelegte Mehrstimmigkeit oder ‹Dialogizität› des Sprechens, die nicht bloß als Resultat ihrer Aufführungsbasiertheit, sondern als konzeptionell angelegt zu verstehen ist 34 , die Aufgeladenheit der Texte im Sinne einer diskursiven rik, S. 232 - 252 ; bes. S. 239 - 241 .; ausführlicher dargelegt in: ders., Hohe Minne, bes. S. 9 , S. 165 - 188 («Aufrichtigkeitsbeteuerungen») und S. 189 - 216 («Zurschaustellung der Gefühle»). 32 Es wäre im Grunde schon bei der Grundprämisse von Haferland anzusetzen, dass einfache Erklärungen und Theoriegebäude immer und notwendigerweise komplexeren vorzuziehen seien (vgl. H. Haferland, Hohe Minne, z.B. S. 9 ); vgl. dazu etwa die kritischen Bemerkungen von Hausmann, Albrecht: Rez. zu Harald Haferland, «Hohe Minne», in: ZfdA 131 ( 2002 ), S. 523 - 529 , hier S. 525 . 33 Die sog. Aufrichtigkeitsbeteuerungen der Minnesänger scheinen mir ferner weniger Resultate konkreter Unglaubwürdigkeitsvorwürfe zu sein (vgl. H. Haferland, Hohe Minne, S. 177 f., und ders., Aufrichtigkeitsbeteuerungen, S. 239 ), sondern Teil eines ausgefeilten Spiels mit der Fiktionalität und Literarizität der Gattung. Außerdem halte ich es sehr wohl für erkennbar, dass die Publikumsadressen eben nicht (nur) auf den- - möglicherweise noch als singuläres Ereignis zu denkenden-- konkreten Liedvortrag hin konzipiert sind (vgl. ders., Hohe Minne, S. 71 - 74 ), sondern eine Funktion für den Text erfüllen, die sich nicht darin erschöpft, nur einfach Zuhörer anzureden (vgl. T. Cramer, Waz hilfet, S. 128 ). 34 Gerade für die ja vornehmlich als konkrete Resultate der Vortragssituation gewerteten dialogischen Potenziale auch der Minnekanzone (‹Interaktion mit dem Publikum›) erweisen sich m. E. die Ergebnisse der unter dem Stichwort des ‹Dialogischen› vereinten Beiträge im folgenden Sammelband als anschlussfähig: Aspekte einer Sprache der Liebe. Formen des Dialogischen im Minnesang, hg. von Marina Münkler, Berlin u. a. 2011 (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik N. F. 21 ), darin etwa: Münkler, Marina: Aspekte einer Sprache der Liebe. Formen des Dialogischen im Minnesang, Vorwort, in: ebd., S. 9 - 15 , hier S. 11 f., und bes. Malcher, Kay: Wo der «ungevüege munt» klagt. Dialogische Potentiale beim Übergang von «WL 17 » zu ‹SNE I: R 32 ›, S. 293 - 318 , der die für die Neidhart-Forschung etwa mittels des Bachtinschen Dialogizitätskonzeptes erzielten Einblicke seit Herrmann, Petra: Karnevaleske Strukturen in 26 I Der Natureingang als Forschungsproblem Vernetzung und Abspreizung der Texte 35 , die sie als tief in ein kulturelles Bedeutungsgeflecht eingebunden erkennbar macht 36 , und zuletzt: die mit möglichst neutralem Begriffsinventar- - etwa dem der strukturalistischen Erzähltheorie 37 - - zu erfassende Technizität und Rhetorizität von Bedeutungsgenerierung. 38 Auch die mittlerweile in ihrer Brisanz etwas entschärfte Debatte um die mediale und kommunikationspragmatische Fundierung des Minnesangs, scheint es, obwohl die Frage nach den die Gattungscharakteristika prägenden Realisationsgegebenheiten dieser Lyrik immer noch bei bestimmten Diagnosen eine bedeutende, wenn auch verdecktere Rolle spielt 39 , zuzulassen, sich auf die folgende Grundhaltung der Neidhart-Tradition, Göppingen 1984 (GAG 406 ), S. 1 - 45 , sogar auf den eben auch für die Literatur des Mittelalters insgesamt geltenden, perspektivenreichen Befund einer spannungsreichen «Dialogizität von Schrift» (Kay Malcher, Wo der «ungevüege munt» klagt, S. 315 ) hin transzendiert. 35 Vgl. die einschlägigen Arbeiten Rüdiger Schnells, besonders für die männlichen Ich-Entwürfe des Werbungsliedes: ders., Liebe und Freiheit. Ein literarischer Entwurf des männlichen Adels, in: Mittelalterliche Menschenbilder, hg. von Martina Neumeyer, Regensburg 2000 (Eichstätter Kolloquium 8 ), S. 35 - 78 ; s. dazu auch die Einordnung unten. Für den Bereich der weiblichen Rede vgl. zudem jüngst die diskursanalytisch fundierte Arbeit von Boll, Katharina: Alsô redete ein vrowe schoene. Untersuchungen zu Konstitution und Funktion der Frauenrede im Minnesang des 12 . Jahrhunderts, Würzburg 2007 (Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie 31 ), S. 46 - 87 . 36 S. dazu auch den Ausblick am Ende dieser Arbeit. 37 In diesem Sinne operiert die zuletzt auch für die mittelalterliche Lyrik erprobte Analyse mittels narratologischer Instrumentarien, vgl. dazu den Sammelband: Lyrische Narrationen-- narrative Lyrik. Gattungsinterferenzen in der mittelalterlichen Literatur, hg. von Hartmut Bleumer und Caroline Emmelius, Berlin u. a. 2011 (TMP 16 ), darin bes.: dies., Generische Transgressionen und Interferenzen. Theoretische Konzepte und historische Phänomene zwischen Lyrik und Narrativik, S. 1 - 39 , und für das Werbungslied zudem Emmelius, Caroline: Zeit der Klage. Korrelationen von lyrischer Präsenz und narrativer Distanz am Beispiel der Minneklage, ebd., S. 215 - 242 . 38 Auf diesen Aspekt hat bereits R. Giuette mit seinem Konzept einer poésie formelle verwiesen, s. oben Anm. 25 . 39 Vgl. Braun, Manuel: Aufmerksamkeitsverschiebung. Zum Minnesang des 13 . Jahrhunderts als Form- und Klangkunst, in: S. Köbele (Hg.), Transformationen der Lyrik, S. 203 - 230 , hier S. 204 ; und so ist m. E. gerade der Beitrag von Braun selbst- - wie auch die Überlegungen zur euphonischen Dimension des Minnesangs im 13 . Jahrhundert überhaupt (vgl. M. Stock, Das volle Wort, S. 191 - 194 , und G. Hübner, Minnesang im 13 . Jahrhundert, S. 76 )-- ein gutes Beispiel dafür, wie solche Verengungen weiter fortgeschrieben werden; schließlich ist die von Braun konstatierte Aufmerksamkeitsverlagerung von der Inhaltsauf die Formdimension, die nun wahrlich seit Kuhn, Hugo: Minnesangs Wende, 2 ., verm. Aufl., Tübingen 1967 ( 1 1952 ) (Hermaea N. F. 1 ), keine sehr aufregende Diagnose darstellt (Kuhns diesbezügliche Thesen wären besser einmal kritisch zu überprüfen, denn auch noch zu zementieren gewesen, vgl. deren treffliche Problematisierung bei G. Hübner, Minnesang im 13 . Jahrhundert, S. 7 - 13 ), doch vornehmlich von der mündlichen Vortragssituation der Lyrik her gedacht (vgl. M. Braun, Aufmerksamkeitsverschiebung, S. 226 f. mit Anm. 89 ). Mir kommt es dagegen mit T. Cramer, Waz hilfet, S. 176 , schon darauf an, dass Reime und andere formale Sprachspiele auch in der Leserezeption eine euphonische Wirkung entfalten können, sei es über tatsächliche akustische Realisation (‹Vorlesen›) als auch durch Imagination einer ‹inneren Stimme›; zum anderen sind Reime und Wiederholungsfiguren in der Schrift dazu eben noch ein optisch 1 Einordnung in die Minnesangforschung 27 zurückzuziehen: Grundsätzlich ist mithin weder eine performativ ausgerichtete Vortragsrealisation, noch eine- - sich möglicherweise schon früh abzeichnende- - schriftgebundene Rezeptionsweise auszuschließen. 40 Ja es fragt sich überhaupt, ob eine der beiden Varianten überhaupt ausgeschlossen werden soll-- immerhin dürfte damit doch eher das Bewusstsein für die grundsätzliche Bandbreite der möglichen ästhetischen Dimensionen dieser Lyrik (Rhetorische Argumentationskunst, Ohrenkunst, Augenkunst 41 etc.) erweitert werden, da sonst ein Erkenntnisverlust droht. wahrnehmbares Moment im Sinne einer ‹Augenkunst›. Vielmehr sollte bei der weitverbreiteten Rede über die angeblich alles dominierende Klangdimension der Texte, die erst bei deren stimmlich-performativer Realisation vollends zum Tragen komme (vgl. M. Braun, Aufmerksamkeitsverschiebung, S. 226 : «denn Klang entfaltet sich ja erst eigentlich im Vortrag»), nicht vergessen werden, dass die mündlich-vokale Durchführung auch Wiederholungsfiguren und Reimklänge, die die Schrift eben markiert, geradezu zum Verschwinden bringen kann; und dazu müssen solche lautlichen Entsprechungen gar nicht einmal sehr weit voneinander gerückt sein wie Reimung über die Strophe hinweg etwa bei Gottfried von Neifen (vgl. KLD 15 , VI; dazu: G. Hübner, Minnesang im 13 . Jahrhundert, S. 80 f.)! Man lese nur einmal Konrads von Würzburg berühmtes ‹Schlagreimlied› Schröder Nr. 26 : Gar bar lît wît walt, das M. Braun, Aufmerksamkeitsverschiebung, S. 288 , als einschlägiges Beispiel einer regelrechten «Explosion der Klänge» anführt, flüssig und ohne nach jedem Wort gesetzte Pausen. Dass nun ausgerechnet die Forschungsdiskussion darüber, ob das Lied eigentlich der Minne- oder Marienlyrik zuzurechnen sei, als Argument dafür angesehen werden soll, dass es hier offensichtlich nicht so sehr auf die semantischen Strukturen ankomme, geht ja wohl jedenfalls nicht an. Zumindest ist mir für den Minnesang des 12 . Jahrhunderts kein Beispiel bekannt, wo semantische Leerstellenerzeugung statt Ausweis seiner inhaltlichen Ambitioniertheit im Sinne einer ‹Mehrfachcodierung› nun als Kennzeichen einer gesteigerten Form- und Klangkunst gewertet worden sei. 40 Man wird dabei ja gar nicht so weit gehen müssen wie jüngst Bleumer, Hartmut: Minnesang als Lyrik? Desiderate der Unmittelbarkeit bei Heinrich von Morungen, Ulrich von Liechtenstein und Johannes Hadlaub, in: S. Köbele (Hg.), Transformationen der Lyrik, S. 165 - 201 , hier S. 172 , der nun gerade eine neben seiner möglichen Realisation als Vortragslyrik von Anfang an gegebene Schrifttextlichkeit des Minnesangs dafür verantwortlich macht, dass dessen Streben nach Klanglichkeit immer weiter vorangetrieben wird. Freilich besteht aber auch hier die Gefahr Schriftlichkeit als grundlegend defizitär gegenüber der Vortragssituation zu denken. 41 Dabei wäre nicht nur an die auch optische Wirkung der lyrischen Formkunst zu denken, sondern etwa auch die layoutbezogenen Einrichtungsmerkmale der Handschriftenseite, wie sie sich etwa im Zusammenspiel aus Text- und Bildprogramm gerade für die großen Lyrik-Sammelhandschriften ergeben, vgl. dazu die in diesem Zusammenhang auf die verschiedenartigen Ausfaltungen von ‹Autorschaft› und Textillustrativität bezogenen Ausführungen von Peters, Ursula: Ordnungsfunktion- - Textillustration- - Autorkonstruktion. Zu den Bildern der romanischen und deutschen Liederhandschriften, in: ZfdA 130 ( 2001 ), S. 392 - 430 , und dies., Das Ich im Bild. Die Figur des Autors in volkssprachlichen Bilderhandschriften des 13 . bis 16 . Jahrhunderts, Köln u. a. 2008 (Pictura et poesis 22 ), S. 20 - 54 . Ja es wäre darüber hinaus zu fragen, inwiefern eine solche von der Text-Bild-Bezogenheit der Handschrift gelenkte Lyrikwahrnehmung in den Bereich dessen hinüberspielen könnte, was sich zuletzt als interdisziplinär zu vernetzendes Arbeitsfeld einer Diagrammatik, die sich nun noch einmal in neuer Zuspitzung mit den möglichen Dimensionierungen von Schriftbildlichkeit auseinandergesetzt hat (vgl. dazu den Überblick «Grundzüge der Diagrammatik» in: Bauer, Matthias / Ernst, Christoph: Diagrammatik. Einführung in ein kultur- und medienwissenschaftliches Forschungsfeld, Bielefeld 2010 [Kultur- und Medientheorie], S. 17 - 81 , hier S. 28 - 31 [zum medialen Hybridcharakter des Diagramms], und S. 31 - 35 [zur-- maßgeblich 28 I Der Natureingang als Forschungsproblem Allerdings-- selbst wenn sich diese Untersuchung damit dem Vorwurf einer allzu bequemen Haltung gegenüber der Überlieferungslage des Minnesangs aussetzen muss 42 -- scheint mir im Umgang mit dem Minnesang vor allem eines wichtig: Die Texte in ihrer überlieferten-- und das heißt dezidiert buchliterarischen-- Form erst einmal ernst zu nehmen und auf reduktionistische Festschreibungen 43 der nicht mitüberlieferten Dimension von musikalischer und performativer Umsetzung, gerade wenn jene Konkretisierungen noch auf einen defizitären Status des Schrifttextes zielen, zu verzichten. 2 Sprechregister und Konnotationsrahmen Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird auch immer wieder einmal der vergleichende Blick auf die mittelalterlichen Liedtraditionen im europäischen Gesamtkontext des Minnesangs, etwa die Trobador- und Trouvèredichtung, besonders aber auch die mittellateinische Lyrik fallen, da es bei der- - die Grenzen der einzelnen Lyriksysteme deutlich übersteigenden 44 -- sozusagen ‹gesamteuropäischen› Beliebtdurch Sybille Krämer bestimmten- - Diskussion des Bildcharakters von Schrift]), nun auch für die Altgermanistik herausgebildet hat; vgl. dazu den jüngst erschienen Band LiLi 44 , H. 176 ( 2014 ): Diagramm und Narration, hg. von Hartmut Bleumer, in dem- - neben den altgermanistischen Beiträgen im engeren Sinn- - besonders die über die Überlegungen von Sybille Krämer (dies., Zur Grammatik der Diagrammatik. Eine Annäherung an Grundlagen des Diagrammgebrauchs, in: ebd., S. 11 - 30 ) und Matthias Bauer (ders., Plot, Master-Plot, and related Matters. Überlegungen zu einer Diagrammatik der Narration, in: ebd., S. 31 - 50 ) geführte Debatte, ob das Diagrammatische graphisch oder zeichentheoretisch zu fundieren ist (vgl. dazu: Bleumer Hartmut: Einleitung, in: ebd., S. 5 - 10 , hier S. 7 f.), eine bedeutende Rolle spielt. Udo Friedrich, der im Wintersemester 2014 / 15 an der Universität zu Köln ein mit dieser Thematik beschäftigtes Forschungskolloquium geleitet hat, bin ich diesbezüglich für gewinnbringende Anregungen zu großem Dank verpflichtet. 42 Vgl. Schnell, Rüdiger: Vom Sänger zum Autor. Konsequenzen der Schriftlichkeit des deutschen Minnesangs, in: U. Peters (Hg.), Text und Kultur, S. 96 - 149 , hier S. 148 , und J.-D. Müller, Performativer Selbstwiderspruch, S. 211 . 43 Vgl. dazu die freilich immer noch zu berücksichtigende Mahnung Peter Strohschneiders, dass eine interpretatorische Bezugnahme auf die mögliche Performanzdimension des Schrifttextes diesen gerade nicht in seinen semantischen Bedeutungsspielräumen vereindeutigend reduzieren, sondern sogar noch potenzieren möge (vgl. ders., Aufführungssituation, S. 70 ). Ob eine sämtliche Aktualisierungsmöglichkeiten von Bedeutung für alle denkbaren Akteure in jeder potenziellen situativen Einbettung durchspielende Analyse überhaupt in der Liedbetrachtung machbar wäre, darf allerdings mit einem Fragezeichen versehen werden. Ich beschränke mich im Folgenden darauf, erst einmal die Bedeutungspotenziale des Schrifttextes nachzuzeichnen, und auch das wird aufgrund der prinzipiellen Unabgeschlossenheit von Texten ja niemals in ‹erschöpfendem› Maße gelingen können. 44 Denn sowohl in der südfranzösischen Trobadordichtung, als auch in der nordfranzösischen Trouvèrelyrik ist der Natureingang, wie auch in der mlat. geistlichen und weltlichen Liedkunst, omnipräsent; vgl. dazu etwa Scheludko, Dimitri: Zur Geschichte des Natureingangs bei den Trobadors, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 60 ( 1937 ), S. 257 - 334 , bes. S. 257 - 271 , der übrigens für die Natureingangspraxis der Trobadors eben auf mittel- 2 Sprechregister und Konnotationsrahmen 29 heit dieser Topik wenig einleuchtend wäre, so zu tun, als sei eine streng auf den Bereich des deutschen Minnesangs beschränkte Betrachtungsweise sinnvoll. Da freilich in einer breiter angelegten Ausrichtung der Arbeit nicht nur mehrere disziplinäre Unwägbarkeiten und Risiken liegen 45 , sondern eben auch die große Gefahr des Missverständnisses besteht, hier werde-- mehr oder minder unbekümmert-- eine Rückkehr zu längst abgelösten genetischen Fragestellungen betrieben, bedarf das weitere Vorgehen, so meine ich, einer vorausgeschickten Begründung. Dabei kann jedoch die vorliegende Untersuchung auf den bereits erreichten Kenntnisstand der etablierten mediävistischen Lyrikforschung zu den europäischen Literaturbeziehungen aufbauen, die lange Zeit zum einen mit eher formal-metrischem bzw. musikalisch-melodischem Interesse als Kontrafakturforschung betrieben worden ist, 46 zum anderen lateinische Anregungspunkte verweist; Ross, Werner: Über den sogenannten Natureingang der Trobadors, in: Romanische Forschungen 65 ( 1954 ), S. 49 - 68 , der diesen bis auf die antike Tradition zurückführt, Schulze-Busacker, Elisabeth: En marge d’un lieu commun de la poésie des troubadours, in: Romania 99 ( 1978 ), S. 230 - 238 , sowie Unlandt, Nico: Le début printanier des troubadours et le Natureingang des Minnesinger, in: L’Occitanie invitée de l’Euregio. Liège 1981 - - Aix-la-Chapelle 2008 : Bilan et perspectives. Actes du Neuvième Congrès International d’Études Occitanes, Aix-la-Chapelle, 24 - 31 août 2008 , hg. von Angelica Rieger, 2 Bde., Aachen 2011 (Aachener Romanistische Arbeiten 3 ), Bd. I, S. 571 - 578 ; für die Natureingänge der Trouvères vgl. bes. die grundlegende Darstellung bei R. Dragonetti, La technique poétique, S. 163 - 193 . 45 Das hauptsächliche Wagnis der folgenden Ausführungen dürfte besonders darin bestehen, dass der Verfasser vorliegender Arbeit sowohl für den Bereich der mittellateinischen Literatur, als auch für das Gebiet der mittelalterlichen Lyrik Frankreichs fachfremd ist und sich so eigenständig in die Materie hat einarbeiten müssen. 46 Grundlegend für die traditionelle Kontrafakturforschung sind die verschiedenen Arbeiten Friedrich Gennrichs und Hans Spankes, die hier nur in einer Auswahl angegeben werden können: vgl. Gennrich, Friedrich: Der deutsche Minnesang in seinem Verhältnis zur Troubadour- und Trouvère-Kunst, in: Zeitschrift für deutsche Bildung 2 ( 1926 ), S. 536 - 566 und 622 - 632 , ders.: Internationale mittelalterliche Melodien, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft 11 ( 1928 f.), S. 259 - 296 und 321 - 348 , und ders.: Lateinische Kontrafakta altfranzösischer Lieder, in: ZrP 50 ( 1930 ), S. 187 - 207 , Spanke, Hans: Beziehungen zwischen romanischer und mittellateinischer Lyrik. Mit besonderer Berücksichtigung der Metrik und Musik, Berlin 1936 (Abhandlungen der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Phil.-hist. Klasse, 3 . Folge, 18 ), ders.: Deutsche und französische Dichtung des Mittelalters, Stuttgart u. a. 1943 (Frankreich/ sein Weltbild und Europa), ferner bes. die beiden im ersten Band von Hans Fromms «Der deutsche Minnesang» aufgenommenen Beiträge: Spanke, Hans: Romanische und mittellateinische Formen in der Metrik von Minnesangs Frühling, zuerst in: ZrP 49 ( 1929 ), S. 190 - 235 ; wieder in: Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung, hg. von Hans Fromm, Bd. I, Darmstadt 1961 (WdF 15 ), S. 255 - 329 , sowie Gennrich, Friedrich: Liedkontrafaktur in mhd. und ahd. Zeit, zuerst in: ZfdA 82 ( 1948 / 50 ), S. 105 - 141 ; wieder in: H. Fromm (Hg.), Der deutsche Minnesang I, S. 330 - 377 . Ferner sind exemplarisch zu nennen: Aarburg, Ursula: Melodien zum frühen deutschen Minnesang. Eine kritische Bestandsaufnahme. Mit einem Nachtrag, in: H. Fromm (Hg.), Der deutsche Minnesang I, S. 378 - 424 (Neufassung eines Artikels in: ZfdA 87 [ 1956 / 57 ], S. 24 - 45 ), Ranawake, Silvia: Höfische Strophenkunst. Vergleichende Untersuchungen zur Formentypologie von Minnesang und Trouvèrelied an der Wende zum Spätmittelalter, München 1976 (MTU 51 ), die den Vergleichsansatz auf Formtypen hin profiliert, und zuletzt mit einer durch den Computer unterstützten Vorgehensweise: Unlandt, Nico: -… Et si fetz mantas bonas chansos-… Techniques romanes dans le Minnesang 30 I Der Natureingang als Forschungsproblem im Bereich der romanisch-deutschen Literaturbeziehungen- - bisweilen durchaus literatursoziologisch arbeitend-- mit dem Ziel angetreten ist, eine systemspezifische Konturierung von Trobadorlyrik und deutschem Minnesang zu leisten. 47 Erst in jüngster Zeit hat sich übrigens auch für das Gebiet der im Minnesang zu findenden Übernahmephänomene aus der Romania ein stärker am Inhaltlich-Motivischen ausgerichteter Ansatz der Kontrafakturforschung angedeutet. 48 Jedenfalls ist im Kontext allemand du treizième siècle, Amsterdam u. a. 1992 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 102 ). 47 Einen Überblick über diesen Forschungszweig seit Friedrich Diez gibt Kasten, Ingrid: Frauendienst bei Trobadors und Minnesängern im 12 . Jahrhundert. Zur Entwicklung und Adaption eines literarischen Konzepts, Heidelberg 1986 (Beih. der GRM 5 ), S. 13 - 22 . Einen dezidiert literatursoziologischen Ansatz weist z. B. auf: Köhler, Erich: Vergleichende soziologische Betrachtungen zum romanischen und zum deutschen Minnesang, in: Der Berliner Germanistentag 1968 , hg von Karl Heinz Borck und Rudolf Henss, Heidelberg 1970 , S. 61 - 76 ; auch Kastens eigene Untersuchung verfolgt literatursoziologische Fragestellungen wie die in Frankreich und Deutschland unterschiedliche Bedeutung von Berufssängern (s. unten) und die spezifische Ausgestaltung des Konnexes von literarischem Konzept und der ‹Lebensform› des Frauendienstes, vgl. I. Kasten, Frauendienst, S. 23 und 227 . Eine knappe, aber lesenswerte Zusammenfassung von Ergebnissen dieser Forschungsrichtung bietet schon: Bumke, Joachim: Die romanisch-deutschen Literaturbeziehungen im Mittelalter. Ein Überblick, Heidelberg 1967 , S. 45 . 48 Es ist nicht so, dass die ältere Kontrafakturforschung den Aspekt inhaltlicher Übernahmen in der deutschen Minnelyrik völlig ignoriert hätte, dies zeigt z. B. die Äußerung Gennrichs: «Das Kontrafaktum kann also nicht nur eine formale, sondern auch eine inhaltliche Nachbildung eines Vorbilds sein.» (F. Gennrich, Liedkontrafaktur, S. 336 ). Der Vorgang inhaltlicher Übernahme wird aber eng an den Prozess der formalen Nachbildung gebunden, ja die Identifizierung einer inhaltlichen Entlehnung ohne Stütze des Formalen bereitet Schwierigkeiten, weshalb Aarburg als Vorgehensweise vorschlägt: «Um ein Lied in unseren (methodischen) Grundbestand an sicheren Kontrafakturen aufnehmen zu können, wird inhaltlichen Anklängen, die dem allgemeinen Motivschatz der mittelalterlichen Liebeslyrik oder Kreuzfahrtthematik usw. entstammen, nur dann Gewicht beigemessen, wenn die Nachbildung zugleich durch eine außergewöhnliche Form gesichert ist.» (U. Aarburg, Melodien zum frühen deutschen Minnesang, S. 388 f.). Ferner sind genaue inhaltlich-motivische Vergleichsinterpretationen-- selbst der vornehmlich über das Metrische schon identifizierten Kontrafakturpaarungen, die István Frank in einer grundlegenden Edition dargeboten hat (vgl. Trouvères et Minnesänger. Recueil de textes pour servir à l’étude de rapports entre la poésie lyrique romane et le Minnesang au XII e siècle, hg. von István Frank Saarbrücken, 1952 [Schriften der Universität des Saarlandes])-- lange Zeit ein Desiderat geblieben, wie es z. B. eine charakteristische Formulierung bei Ranawake verrät: «Eine gründliche Untersuchung der Texte würde eine wünschenswerte Ergänzung unserer Untersuchung bilden.» (S. Ranawake, Höfische Strophenkunst, S. 333 ); auch die mit dem m. E. nicht glücklichen Begriffspaar ‹metrische› und ‹textliche› Kontrafaktur operierende Textedition von Olive Sayce (vgl. Romanisch beeinflusste Lieder des Minnesangs. Mit Übers., Komm. und Gloss., hg. von Olive Sayce, Göppingen 1999 [GAG 664 ], S. 10 - 12 ) hat dies nicht zu leisten vermocht. In jüngster Zeit hat aber Nicola Zotz diese Lücke geschlossen und für 14 Kontrafakturformationen gründliche Vergleichsinterpretationen vorgelegt (vgl. dies.: Intégration courtoise. Zur Rezeption okzitanischer und französischer Lyrik im klassischen deutschen Minnesang, Heidelberg 2005 [Beih. zur GRM 19 ]), vgl. auch die Würdigung der Arbeit bei Peters, Ursula: Rezension zu Zotz, Nicola: Intégration courtoise, in: ZfdA 135 ( 2006 ), S. 251 - 255 , und Reuvekamp-Felber, Timo: Rezension zu dems., in: Beitr. 129 ( 2007 ), S. 511 - 515 . 2 Sprechregister und Konnotationsrahmen 31 der Erforschung der romanisch-deutschen und mittellateinisch-volkssprachigen Literaturbeziehungen nicht nur der gemeineuropäische Charakter der mittelalterlichen Liebeslyrik 49 , die teils frappierende literarische Gemeinsamkeiten über geographische und sprachliche Räume hinweg kennzeichnet 50 , aufgedeckt worden, sondern es sind auch Wege der literarischen Einflussnahme zwischen den verschiedenen Literaturtraditionen nahegelegt 51 und eine Vielzahl möglicher Übernahmephänomene gerade für den Bereich des deutschen Minnesangs zusammengestellt worden. 52 Auch gehört es längst zum Basiswissen in der Minnesangphilologie, wie es sich unter 49 Um die Herausarbeitung gemeinsamer Züge in der mittelalterlichen europäischen Lyrik hat sich besonders auch Peter Dronke mit seinen Publikationen (etwa ders.: Medieval Latin and the rise of European love-lyric, 2 Bde., Oxford 1965 f. und ders.: The medieval lyric [ 1968 ]; dt. erschienen als: Die Lyrik des Mittelalters. Eine Einführung. Aus dem Englischen übertr. von Peter Hasler, München 1973 ) verdient gemacht, der betont: «Die lyrische Dichtung dieser Jahrhunderte ist zu einem auffallenden Grade international. Die Lieder, die in Latein und einer Reihe von Volkssprachen- […] gedichtet wurden, können nur im Rahmen einer europäischen Tradition verstanden werden» (P. Dronke, Die Lyrik des Mittelalters, S. VII). Allerdings arbeitet Dronke auch mit vielen Vorstellungen, die heute fragwürdig geworden sind, wie dem Originalitätsparadigma (vgl. ebd., S. 145 ) und einem auf eine Universalgestalt der Liebesdichtung abzielenden Lyrikkonzept (vgl. ders.: Medieval Latin, S. 1 - 45 ). 50 Für die volkssprachige Liebeslyrik der Romania und den deutschen Minnesang muss dies im Grunde nicht mehr eigens begründet werden, man vgl. nur die Zusammenfassung bei Zotz, die neben der formalen Gemeinsamkeit der Kanzonenform folgende Punkte anführt: «Es treten weitere, wesentliche Parallelen zur Romania auf, zum Beispiel der Dienstgedanke, eine verstärkte Introspektion und Reflexion und eine Profilierung der Ich-Rolle; die Abweisung durch die Dame und die Distanz, in die sie dadurch zum Sänger rückt, können diesem ein Ansporn zur Selbstüberwindung und Veredelung sein, was in seiner Zuspitzung das sogenannte paradoxe amoureux (Minneparadox) ergibt» (N. Zotz, Intégration courtoise, S. 9 ). Für den Bereich der mittellateinischen Liebeslyrik und den Minnesang vgl. besonders die Ausführungen Hennig Brinkmanns, der in ders.: Entstehungsgeschichte des Minnesangs, Halle a.S. 1926 (Buchreihe der DVjs 8 ), inhaltlich-motivische Parallelen zusammengestellt hat. 51 Vgl. dazu etwa I. Kasten, Frauendienst, S. 243 - 247 ; das Vorwort bei O. Sayce, Romanisch beeinflusste Lieder, S. 9 f., und Johnson, Peter L.: Die höfische Literatur der Blütezeit ( 1160 / 70 - 1220 / 30 ), Tübingen 1999 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit 2 , 1 ), S. 92 - 96 . Als besonders interessant erweisen sich die von Ranawake aufgezeigten Wege deutschen Einflusses auf die Romania, der besonders für das 13 . Jahrhundert, vielleicht aber auch schon früher zu veranschlagen ist (vgl. S. Ranawake, Höfische Strophenkunst, S. 342 - 344 ). Damit ist das Diktum Bumkes über die strikte Einseitigkeit der romanisch-deutschen Literaturbeziehungen, bei denen Deutschland allein der empfangende, der Romania der gebende Part zugewiesen werden müsse (vgl. J. Bumke: Die romanisch-deutschen Literaturbeziehungen, S. 5 ), zumindest partiell zu revidieren; auch scheint es mir erst dadurch gerechtfertigt, von einer wirklichen Interferenzlage der europäischen Lyriksysteme zu sprechen. 52 Vgl. dafür bes. die Zusammenstellungen bei U. Aarburg, Melodien zum frühen deutschen Minnesang, S. 394 ff., ferner die beiden Texteditionen I. Frank (Hg.), Trouvères et Minnesänger, und O. Sayce (Hg.), Romanisch beeinflusste Lieder; zuletzt N. Zotz, Intégration courtoise. Nico Unlandt hat neben den Kontrafakturen eine Liste von etwa 50 Liedern erstellt, in denen sich romanische Formbautechniken finden (vgl. N. Unlandt, Techniques romanes, S. 210 - 212 ); vgl. aber auch seine Auflistung von deutschen Liedern, die den möglicherweise mittellateinisch zu klassifizierenden Aufgesang AAB CCB nutzen (ebd., S. 396 - 398 ). 32 I Der Natureingang als Forschungsproblem anderem in den einschlägigen Literaturgeschichten findet 53 , dass nach jener ersten Phase des sog. frühhöfischen oder donauländischen Minnesangs (ca. 1150 - 1170 ), für den eher eigenständige Traditionen als bestimmend angesehen werden 54 , mit der ersten Teilphase des hochhöfischen Minnesangs, dem sog. rheinischen Minnesang (ca. 1170 - 1190 / 1200 ), eine Periode beginnt, in der sich der deutsche Minnesang mit den oberrheinischen Autoren aus dem Umkreis Friedrichs von Hausen und den geographisch ferner stehenden Minnesängern 55 Rudolf von Fenis aus der Westschweiz sowie Heinrich von Veldeke 56 aus dem Rhein-Maas-Gebiet formal-metrisch und in- 53 Für die folgende Übersicht vgl. auch U. Peters Rezension zu Zotz, Nicola : Intégration courtoise, S. 251 , die schon eine ähnliche Zusammenfassung der Forschungsliteratur präsentiert, die von mir hier etwas modifiziert und bibliographisch ergänzt worden ist. 54 Man muss allerdings sagen, dass es in der Forschung relativ umstritten ist, ob bereits der frühe donauländische Minnesang nicht auch schon von Anfang an unter romanischem Einfluss gestanden hat. Die in de Boors literaturgeschichtlicher Darstellung begegnende Emphase («Wir haben nicht nötig, nach fremden Wurzeln zu fragen; wir haben ein Recht, hier von einer einheimischen Kunst zu reden» [de Boor, Helmut: Die höfische Literatur. Vorbereitung, Blüte, Ausklang. 1170 - 1250 , 4 ., verb. Aufl., München 1960 ( 1 1953 ) (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 2 ), S. 239 ]) ist insofern unangebracht, als in der Frage, inwieweit der frühhöfische deutsche Minnesang eine eigenständige und von der Trobadorlyrik unabhängige Entwicklung darstellt, leider auch immer wieder nationalistische Untertöne, wie in der Frage nach der Genese des deutschen Minnesanges überhaupt, eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Darüber informiert I. Kasten, Frauendienst, S. 12 f. und 205 , die auf S. 205 - 227 ihrer Darstellung auch parallele Erscheinungen von frühhöfischem Minnesang und Trobadorlyrik versammelt und die Etablierung des Minnesangs im deutschsprachigen Raum deshalb von Beginn an eher als Assimilationsvorgang und «Prozeß der Anverwandelung» (S. 224 ) von Einzelzügen der Trobadorlyrik an die eigene Tradition beschreibt. Vgl. ferner das ausgewogene Fazit bei Bumke: «Bei den frühen Minnesängern fehlt fast alles, worin sich später die Rezeption der romanischen Lyrik bezeugt. Es gibt jedoch von Anfang an Motive, die kaum ohne romanische Vorbilder denkbar sind» (Bumke, Joachim: Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter, 4 ., akt. Aufl., München 2000 [ 1 1990 ], S. 84 ) und die differenzierte Darstellung bei P. L. Johnson, Die höfische Literatur, S. 80 - 91 , sowie jüngst R. Schnell, Minnesang I, mit dem Fazit einer kaum systematischen und wohl eher sehr selektiven Übernahme in dieser Phase (vgl. ebd, S. 70 ). 55 Die jedoch wohl ebenfalls in großer Nähe zum französischen Sprachraum anzusiedeln sind. So plädiert- - bei aller Unklarheit der Forschung über den literarischen Wirkungsort Heinrichs von Veldeke-- Helmut Tervooren im Falle des niederrheinisch-maasländischen Gebiets für eine enge Anbindung an den nordfranzösischen Kulturraum (vgl. ders.: wan si suochen birn ûf den buochen-- Zur Lyrik Heinrichs von Veldeke und zu seiner Stellung im deutschen Minnesang, in: Queeste. Zeitschrift für die Literatur des Mittelalters in den Niederlanden 4 , 1 [ 1997 ], S. 1 - 15 ; wieder in: ders., Schoeniu wort mit süezeme sange. Philologische Schriften, hg. von Susanne Fritsch und Johannes Spicker, Berlin 2000 (PhStuQ 159 ), S. 204 - 219 , hier S. 215 - 219 ). Zu Rudolf von Fenis, dessen Grafschaft Neuenburg (heute Neuchâtel) beide Seiten der deutsch-französischen Sprachgrenze umfasst hat, vgl. Peter L. Johnson, Die höfische Literatur, S. 105 ; auf beide genannten Autoren geht unter diesem Aspekt ferner die Einleitung von O. Sayce, Romanisch beeinflusste Lieder, S. 10 , ein. 56 Heinrich von Veldeke bildet in diesem Zusammenhang eine deutliche Ausnahme: bei ihm hat man sich nicht nur recht schwer mit der Identifizierung konkreter Übernahmen aus der Romania getan (vgl. U. Aarburg, Melodien zum frühen deutschen Minnesang, S. 413 , die die einzige von Frank festgestellte Kontrafakturbeziehung [s. I. Frank (Hg.), Trouvères et Min- 2 Sprechregister und Konnotationsrahmen 33 haltlich-motivisch ganz eng an Vorbilder aus Frankreich anlehnt, so dass viele Minnesangtexte in diesem Bereich als relativ direkte Übernahmen von Trobador- und Trouvèreliedern angesehen werden konnten. 57 Selbst wenn in der zweiten Phase des hochhöfischen Sanges um die als ‹klassisch› geltenden Autoren Heinrich von Morungen und Reinmar (ca. 1190 - 1210 ) diese direkten Übernahmen wieder größeren nesänger, Nr. 7 a/ b, S. 34 - 39 und 146 - 148 ] von MF 63 , 28 mit Lied RS 522 , das Gace Brulé zugeschrieben wird, wieder aussondert und allenfalls drei mögliche Kontrafakturen auffindet [S. 415 f.]; auch die von O. Sayce (Hg.), Romanisch beeinflusste Lieder, Nr. 5 , S. 91 - 104 , und N. Zotz, Intégration courtoise, S. 146 - 164 , die als inhaltliche Entlehnung aufgeführte Parallele der Tristan-Thematik in MF 58 , 35 und einer Chanson des Chrétien de Troyes (RS 1664 ; eine derartige Entlehnung wird ebenfalls bei Berngers von Horheim Lied 112 , 1 vermutet) kann als übersetzende Interpretation (vgl. N. Zotz, Intégration courtoise, S. 147 ) kaum überzeugen und muss nicht über ein Abhängigkeitsverhältnis erklärt werden (vgl. Peters, Rezension zu Zotz, S. 252 ; ähnlich: T. Reuvekamp-Felber, Rezension zu Zotz, S. 512 f.). Dennoch ist für Heinrichs Lieder immer wieder die große Bedeutung der Trouvèrekunst, aber auch die wichtige Rolle von Anregungen aus der mittellateinischen Lyrik betont worden (vgl. dazu zusammenfassend Bastert, Bernd: Möglichkeiten der Minnelyrik. Das Beispiel Heinrich von Veldeke, in: ZfdPh 113 [ 1994 ], S. 321 - 344 , hier S. 326 und 330 ). Zuletzt hat R. Schnell, Minnesang II, S. 135 - 138 , Übernahmen aus der Romania für Veldeke diskutiert, aber auch noch erhebliche Unsicherheiten eingestanden: «Ungeklärt muss auch bleiben, ob Heinrich von Veldeke so eine rhetorische Raffinesse wie die grammatischen Reime (MF 66 , 32 ) oder das Motiv vom Schwan, der singt, wenn er stirbt (MF 66 , 13 f.), der (mittel-)lateinischen oder der romanischen Lyrik entlehnt hat» (ebd., S. 138 ). 57 Zur jener ersten Phase des romanisierenden Minnesangs vgl. etwa die Darstellungen bei H. de Boor, Die höfische Literatur, S. 240 - 247 ; J. Bumke, Die romanisch-deutschen Literaturbeziehungen, S. 42 f. und ders.: Geschichte der deutschen Literatur, S. 105 - 108 ; Wehrli, Max: Geschichte der deutschen Literatur vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 16 . Jahrhunderts. Stuttgart 1980 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 1 / RUB 10 294 ), S. 354 - 363 , sowie P. L. Johnson, Die höfische Literatur, S. 92 - 129 . Es muss betont werden, dass der von Zotz in Ergänzung des von Ingrid Kasten mit dem Terminus der ‹Adaption› belegten Übernahmeprozesses eines poetischen Systems (vgl. schon den Volltitel von I.Kasten, Frauendienst) als «intégration courtoise» bezeichnete konkrete inhaltliche Entlehnungsvorgang (vgl. dazu N. Zotz, Intégration courtoise, S. 13 , Anm. 11 ) jeweils in eigenständiger Akzentuierung und Modifikation durch die deutschen Minnesänger erfolgt (vgl. auch das Fazit von Zotz, ebd., S. 242 : es gehe den deutschen Autoren um die «Einbettung des Fremden und die Erschaffung einer Dichtungstradition, der die romanischen Insertionen nicht mehr anzumerken sind»). Die Eigenständigkeit der Minnesänger im Umgang mit den romanischen Vorbildern hat auch schon Ursula Aarburg herausgestellt, vgl. U. Aarburg, Melodien zum frühen deutschen Minnesang, S. 388 : «Die inhaltliche Übereinstimmung zwischen deutscher Nachbildung und romanischem Muster kommt freilich nie einer Übersetzung gleich. Die deutschen Sänger verfahren vielmehr eklektisch, übergehen meist die Eingangs- und Schlußstrophen des Vorbilds (Natureingang oder Wendung an die Zuhörer am Anfang oder Ende) und setzen ihr Gedicht mitunter sogar ‹aus den Strophen verschiedener fremder Lieder mosaikartig zusammen›» (Aarburg zitiert hier Kienast, Richard: Die deutschsprachige Lyrik des Mittelalters, in: Deutsche Philologie im Aufriß. 3 Bde. und Registerbd., hg. von Wolfgang Stammler, Berlin 1952 - 1959 , Bd. II, Berlin 1954 , Sp. 775 - 902 , Sp. 842 , und erinnert an die beiden Lieder Rudolfs von Fenis, MF 80 , 1 und MF 81 , 30 , die die angesprochene Technik gut belegen; vgl. dazu auch die Interpretationen der Lieder und ihrer Vorlagen bei N. Zotz, Intégration courtoise, S. 165 - 204 ), und jüngst R. Schnell, Minnesang II. 34 I Der Natureingang als Forschungsproblem Eigenständigkeiten weichen 58 , wird an der Dominanz der aus Trobador- und Trouvèrelyrik stammenden Einflüsse für den hochhöfischen Minnesang nicht zu zweifeln sein 59 , ja selbst bei Walther von der Vogelweide, der gemeinhin als ‹Vollender› und ‹Überwinder› 60 des hochhöfischen Minnesangs gesehen wird (ca. 1190 - 1230 ), dürften diese neben möglichen Anregungen aus der mittellateinischen Dichtung noch als bedeutend einzustufen sein. 61 Erst für den späthöfischen Minnesang seit Neidhart, 58 Vgl. dazu bes. J. Bumke, Die romanisch-deutschen Literaturbeziehungen, S. 45 f., und das mit «Hoher Minnesang II: Eigenständigkeit und Eigenwege» überschriebene Kapitel bei P. L. Johnson, Die höfische Literatur, S. 129 - 188 ; vgl. ebenfalls Kastens Ausführungen bezüglich der Übernahme des sog. ‹Frauendienst›-Konzeptes: «Reinmar und Morungens Wirken markiert den eigentlichen Höhepunkt des klassischen Minnesangs, denn erst sie entwickeln in der Auseinandersetzung mit dem Frauendienst-Gedanken eine selbständige, konsistente Deutung des romanischen Konzepts» (I. Kasten, Frauendienst, S. 307 ). Für mögliche, direktere romanische Einflüsse bei Reinmar vgl. zuletzt Bauschke, Ricarda: Minnesang III: Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide, in: V. Mertens / A. Touber (Hgg.), Lyrische Werke, S. 183 - 230 , hier S. 185 - 199 . 59 Das hebt auch P. L. Johnson hervor, vgl. z. B.: «Die Entwicklung zeigt, wie die deutsche Lyrik an Eigenständigkeit gewinnt, obwohl sie weiterhin einer romanisierenden Tendenz unterliegt» (ders., Die höfische Literatur, S. 130 ). 60 So in typischer Weise etwa bei M. Wehrli, Geschichte der deutschen Literatur, S. 375 . 61 Gerade im Falle der ehemals als ‹Mädchenlieder› oder ‹Lieder der niederen Minne› bezeichneten Liedgruppe sind immer wieder Einflüsse der mittellateinischen Liebeslyrik erwogen worden, vgl. nur die literaturgeschichtlichen Darstellungen: H. de Boor, Die höfische Literatur, S. 288 - 291 ; J. Bumke: Geschichte der deutschen Literatur, S. 124 und 127 , und P. L. Johnson, Die höfische Literatur, S. 197 und 210 . Vornehmlich die ältere Forschung hat inhaltlich-motivische Parallelen zu dieser früher als ‹Vagantendichtung› bezeichneten Lyriktradition herausgearbeitet, vgl. etwa W. H. Moll, Ueber den Einfluss der lateinischen Vagantendichtung, und die seiner Epigonen im 13 . Jahrhundert, Amsterdam 1925 , und H. Brinkmann, Entstehungsgeschichte des Minnesangs, S. 153 f. und 159 - 162 . Bezüglich der Bedeutung der romanischen Liedkunst als Anregung Walthers hat man lange Zeit außer der allgemeinen Feststellung, dass er die «westliche Lyrik genau kannte» (H. Spanke, Romanische und mittellateinische Formen, S. 326 ), und dem Hinweis auf das wahrscheinliche Kontrafakturverhältnis des ‹Palästina-Liedes› L 14 , 38 zum Lied Lanquan li jorn son lonc en mai des Trobadors Jaufre Rudel (vgl. dazu den Kommentar Schweikles in: Walther von der Vogelweide. Werke. Gesamtausgabe, Bd. 2 : Liedlyrik. Mhd / Nhd., hg., üb. und komm. von Günther Schweikle Stuttgart 1998 [RUB 820 ], S. 788 f. [mit weiterführender Literatur] und zuletzt N. Zotz, Intégration courtoise, S. 9 ) recht wenig finden können; erst in jüngster Zeit versucht man, auch diesen Komplex eingehender zu beleuchten (so etwa N. Zotz, Intégration courtoise, S. 65 - 76 ); dennoch scheint vieles noch im Dunkeln zu liegen (vgl. auch das Fazit Anton Toubers in ders.: Rezension zu Scholz, Manfred Günter: Walther-Bibliographie 1968 - 2004 , in: Beitr. 129 [ 2007 ], S. 515 - 519 , hier S. 517 ). Vorläufig kann also der Zusammenfassung J. Bumkes in ders., Die romanischdeutschen Literaturbeziehungen, S. 46 , der davon ausgeht, dass Walther mit der Lyrik der Trobadors wohlvertraut gewesen ist, zudem aber auch Einflüsse der mittellateinischen Liebeslyrik anzunehmen sind, nichts Wesentliches hinzugefügt werden. Eine Klärung erschwert die Problematik, dass wie bei den Liedern Heinrichs von Veldeke (s. o.) im Einzelfall oft nicht leicht zu entscheiden ist, ob jeweils romanische oder mittellateinische Einflüsse vorliegen, was sich in der Forschungsliteratur meist in unklaren Zuweisungen niederschlägt wie «An mittellateinische oder romanische Einwirkung lassen ferner Refrains denken ( 110 , 13 ; 39 , 11 )» (aus: P. L. Johnson, Die höfische Literatur, S. 218 ). Vgl. zu romanischen Prägungen bei Walther zuletzt: R. Bauschke, Minnesang III, S. 199 - 222 . 2 Sprechregister und Konnotationsrahmen 35 dessen lyrische Produktion wohl auf die Jahre 1210 - 1240 zu datieren ist, scheinen dann neben eigenständigen deutschen Lösungen stärker auch Anregungen aus der mittelateinischen Dichtung in den Vordergrund zu treten 62 , wobei aber die volkssprachigen Lyriktraditionen der Romania weiterhin als Einfluss gebender Faktor nicht ausgeschlossen werden dürfen. 63 Insofern kann der Grundkonsens der Forschung bezüglich der für den Minnesang in seinen verschiedenen Phasen relevanten europäischen Literaturbeziehungen mit dem Dreischritt aus relativer deutscher Eigenständigkeit (I), enger Anlehnung an die Romania (II) und freierer Interferenzlage sowie gesteigerter Eigenständigkeit ( III ) auf einen Nenner gebracht werden. Darüber hinaus scheinen aber die Überlegungen zu den genaueren Einflussverhältnissen im Bereich der mittelalterlichen Liebeslyrik auch zu methodischen Problemen zu führen. So erwächst schon einmal einige Skepsis an der traditionellen, eher formal-metrischen orientierten Richtung dieses Forschungszweiges aus den spezifischen Überlieferungsgegebenheiten des deutschen Minnesangs. Es gibt hier nämlich im Gegensatz zur Trobador- und Trouvèrelyrik- - mit wenigen Ausnahmen- - gerade keine anhängige Melodieüberlieferung. 64 Damit stellt sich nun die Frage, wie überhaupt gesicherte Ergebnisse bei der Suche nach formalen Kontrafakturen zu erreichen sind. Schon die Diskrepanz zwischen Gennrich und Spanke in der Entscheidung darüber, ob die musikalisch-melodische Gestaltung (mit ihrem Aufbauschema) oder die metrische Struktur (mit Vers- und Reimschema) die entscheidende formale Dimension des mittelalterlichen Liedes bildet 65 , muss zu denken geben, da zunächst einmal zu klären wäre, ob nicht die (heute? ) fehlende musikalische Seite 62 Vgl. dazu H. de Boor, Die höfische Literatur, S. 339 , und J. Bumke, Die romanisch-deutschen Literaturbeziehungen, S. 46 f.; für den mittellateinisch-mittelhochdeutschen Literaturaustausch ferner die schon etwas ältere und in vielen Bereichen sicher problematische Studie Osterdell, Johanne: Inhaltliche und stilistische Übereinstimmungen. 63 Vgl. dazu S. Ranawake, Höfische Strophenkunst, die in ihrer formentypologischen Vergleichsstudie von Trouvèrelyrik und Minnesang im 13 . Jahrhundert, die durch Bemerkungen Hugo Kuhns angeregt worden ist, der in ders., Minnesangs Wende auf inhaltliche und formal-metrische Parallelentwicklungen des spätstaufischen Minnesangs zur nordfranzösischen Trouvèrelyrik hingewiesen hat (die Einzelstellen verzeichnet: S. Ranawake, Höfische Strophenkunst, S. 1 , Anm. 1 ) und von einem bedeutenden nordfranzösischen Einflusses auf die spätstaufischen Minnesänger ausgegangen ist (vgl. H. Kuhn, Minnesangs Wende, S. 146 f.), für die höfischen Typen zu einem eher negativen Ergebnis kommt (vgl. S. Ranawake, Höfische Strophenkunst, S. 334 - 336 ), aber Anregungen der unhöfischen nordfranzösischen Strophik und fortgesetzte Einwirkung der Trobadorlyrik auf den deutschen Minnesang nahelegt (vgl. ebd., S. 336 - 338 und 339 - 341 ). Zuletzt hat Nico Unlandt nachgewiesen, dass der Minnesang des 13 . Jahrhunderts keinesfalls unabhängig von romanischem Einfluss zu denken ist (vgl. ders., Techniques romanes, bes. S. 202 - 209 , ferner: Touber, Anton / ders., Minnesang IV: Der deutsche Minnesang von 1230 bis 1250 , in: V. Mertens / A. Touber [Hgg.]: Lyrische Werke, S. 231 - 252 , und N. Unlandt: Minnesang V: Der deutsche Minnesang nach 1250 , in: ebd., S. 253 - 274 . 64 Vgl. dazu grundlegend: G. Schweikle, Minnesang, S. 35 - 42 . 65 Vgl. Gennrich, Friedrich: Grundriß einer Formlehre des mittelalterlichen Liedes als Grundlage einer musikalischen Formenlehre des Liedes, Darmstadt 1970 (unveränd. Nachdr. der 36 I Der Natureingang als Forschungsproblem der deutschen Lieder eine Klassifikation als Kontrafaktum überhaupt unmöglich macht. Dazu kommt noch, dass beide Formdimensionen-- das zeigt der Blick auf die romanische Lyrik-- im einzelnen Lied nicht selten unterschiedliche Wege gehen, so dass textmetrisches und musikalisches Aufbauschema sich oft erheblich unterscheiden. 66 Wie kann man dann aber mit Sicherheit sagen, dass textmetrisch parallel zu romanischen Liedern gebaute deutsche Produktionen auch deren Melodie übernommen hätten? 67 Dass schließlich selbst Gennrich ein Identifizierungsverfahren von Kontrafakta für den deutschen Minnesang vorschlägt, das rein textmetrisch operiert, ist daher kaum nachvollziehbar. 68 Bisweilen drängt sich daher der Verdacht auf, ein derartiges Vorgehen der Kontrafakturforschung erklärt sich möglicherweise zu einem beträchtlichen Teil aus der Sehnsucht, auch für den deutschen Minnesang überhaupt Melodien zu erhalten. 69 Viel schwerer wiegt für mich noch das Problem, dass die formal-metrische Kontrafakturforschung nicht trennscharf zufällige Tongleichheiten wird ausscheiden können, ja auch der in der einschlägigen Forschungsliteratur häufig zu findende Verweis auf die zu weit verbreiteten, fast schon europäisches Allgemeingut darstellenden Formschemata, die die Identifizierung einer genauen Herkunft unmöglich machen, 70 stimmt in diesem Zusammenhang doch eher skeptisch. Schließlich ist m. E. auch der Eindruck, den die Kontrafakturforschung durch ihre Konzentration auf das Formal-Metrische lange Zeit erweckt hat, nämlich dass die formale Dimension überhaupt der entscheidende Faktor sei, mittels dessen die europäischen Literaturbeziehungen zu erhellen seien, relativ problematisch. Nun hat zuletzt Nicola Zotz in ihrer Dissertation den Versuch gemacht, den inhaltlichen Aspekt des Kontrafakturbegriffs in genauen Vergleichsinterpretationen praktisch anzuwenden; 71 allerdings ist die begrüßenswerte Vorgehensweise, endlich auch gründliche inhaltlich-motivische Vergleichsanalysen anzustellen, noch insofern Ausg. Halle a.S. 1932 ), S. 2 - 39 ; H. Spanke, Beziehungen zwischen romanischer und mittellateinischer Lyrik, S. 3 f. 66 Vgl. H. Spanke, Beziehungen zwischen romanischer und mittellateinischer Lyrik, S. 3 f., ferner: S. Ranawake: Höfische Strophenkunst, S. 288 . 67 Vgl. dazu selbst Aarburg einschränkend: «Wir dürfen zwar annehmen, daß die inhaltlich und formal eng nach romanischen Mustern ‹gearbeiteten› Lieder auch die Melodien getreu übernahmen, aber wir besitzen hierfür keine Beweise» (dies., Melodien zum frühen deutschen Minnesang, S. 389 ); ähnlich kritisch auch: J. Bumke, Die romanisch-deutschen Literaturbeziehungen, S. 43 f. 68 Vgl. F. Gennrich, Liedkontrafaktur, S. 339 f. 69 Für einen Abdruck der meist allein durch textmetrischen Abgleich gewonnenen Minnesang- Melodien vgl. z. B.: Troubadours, Trouvères, Minne- und Meistergesang (Musikdruck), hg. von Friedrich Gennrich, Köln [ 1 1951 ] 1960 [Das Musikwerk 2 ]; Trouvères und Minnesänger II. Kritische Ausgabe der Weisen, zugleich als Beitrag zu einer Melodienlehre des mittelalterlichen Liedes, hg. von Wendelin Müller-Blattau, Saarbrücken 1956 [Schriften der Universität des Saarlandes]; Singweisen zur Liebeslyrik der deutschen Frühe, hg. von Ursula Aarburg, Düsseldorf 1956 [Beih. zu: Liebeslyrik der deutschen Frühe in zeitlicher Folge]). 70 Vgl. etwa: F. Gennrich, Liedkontrafaktur, S. 342 f., ferner S. Ranawake, Höfische Strophenkunst, S. 335 f. 71 S. oben, Anm. 48 . 2 Sprechregister und Konnotationsrahmen 37 unzureichend, als die offensichtliche Orientierung am Kanon der schon von der Forschung mittels formaler Kriterien identifizierter Kontrafakturen und die immer wieder anzutreffende Absicherung der inhaltlichen Bezüge über das Formale 72 die konsequente Ablösung von der traditionellen Ausrichtung der Kontrafakturforschung eher behindern. Zwar gelingt es Zotz, den Blick auf die Vielfalt inhaltlich-motivischer Anknüpfungstechniken zu richten, die sich von freien Anregungen durch ein ganzes Lied 73 , über die Übernahme prägnanter einzelner Motive 74 , die Entlehnung einer einzelnen Strophe in einen neuen Kontext 75 und die Neukombination verschiedener Quellen für ein Lied 76 bis zur Übernahme ganzer Lieder 77 erstrecken können, aber schließlich scheint mir gerade die Zusammenschließung dieser verschiedenen Verfahren unter dem Begriff der «inhaltlichen Kontrafaktur» 78 auch methodische Probleme mit sich zu bringen. Denn man kommt so in Zugzwang, freiere intertextuelle Anspielungen und die Aufnahme weitverbreiteter Motive- - einmal davon abgesehen, ob dass überhaupt in jedem Einzelfall möglich ist 79 -- trennscharf von bewussten Übernahmen inhaltlicher und motivischer Art abzugrenzen; dass das Kriterium der Bewusstheit der Entlehnung aber wirklich ein sinnvolles ist, ist im Ganzen doch sehr zweifelhaft. Da es mir bei meiner Argumentation, auch wenn inhaltliche und motivische Parallelen nicht völlig aus der Betrachtung ausgeblendet werden, besonders um die Erzeugung eines Konnotationsrahmens durch Aufgreifen bestimmter Tonfälle und Sprechweisen geht, also um ein textliches Assoziationsverfahren, das selbst mit einem erweiterten Kontrafakturbegriff nicht zu erfassen ist, kann auch diese jüngste Ausprägung der Kontrafakturforschung kein Instrumentarium für die von mir angestrebte Vorgehensweise bereitstellen. Die bedeutsameren Einwände gegen die traditionelle Kontrafakturforschung ergeben sich aber gerade aus der Nähe des Fragekomplexes zu jener-- vornehmlich in der älteren Forschung geführten-- Debatte über die Ursprünge und die genetische Herkunft der volkssprachigen Liebeslyrik und die Herleitung von deren inhaltlicher Ausrichtung am sog. Frauendienst-Konzept. Diese Auseinandersetzung hat unter anderem mehrere literarische Herkunftstheorien bezüglich des Phänomens Minnesang hervorgebracht hat 80 , ist heute aber allenfalls noch forschungsgeschichtlich von 72 So z. B. im Falle der angenommenen Übernahme des eigentlich nicht unüblichen Topos der Minneversunkenheit aus Folquet de Marseille PC 155 , 8 durch Friedrich von Hausen MF 45 , 37 , vgl. N. Zotz, Intégration courtoise, S. 89 , Anm. 155 . 73 Vgl. ebd., S. 17 - 76 . 74 Vgl. ebd., S. 77 - 126 . 75 Vgl. ebd., S. 127 - 164 . 76 Vgl. ebd., S. 165 - 204 . 77 Vgl. ebd., S. 205 - 238 . 78 Ebd., S. 246 . 79 Vgl. dazu gerade auch die Rezensionen von U. Peters und T. Reuvekamp-Felber, s. o. 80 Im Einzelnen sind zu nennen: die arabische, die antike, die mittellateinische, die Volkslied- These und für den deutschen Minnesang die Trobador-These, die diesen als Adaption der 38 I Der Natureingang als Forschungsproblem Interesse, ja überhaupt sind genetische Herleitungen von literarischen Phänomenen, gerade wenn sie monokausal operieren, zu Recht in Misskredit geraten. 81 So kann auch für den deutschen Minnesang, was die Frage der Herkunft des charakteristischen Frauendienstmodells anbelangt, allein noch die sog. Trobadorthese Gültigkeit beanspruchen; wenn man allerdings die heutige Skepsis gegenüber genetischen Fragestellungen ernst nimmt, wird man auch in diesem Bereich einen methodischen Einwand mitzudenken haben. 82 Nun handelt es sich jedoch gerade bei dem Forschungsfeld des sog. ‹Natureingangs› auch um ein Gebiet, auf dem-- zumindest für bestimmte Phasen der Minnesangtradition-- genetische Erklärungsversuche, sei es durch die Herleitung aus angeblich vorgängige ‹volkstümliche› Lyrikschichten 83 , sei es eben als Hinweis auf die mögliche Entlehnung aus anderen europäischen Literatursystemen 84 , lange Zeit Konjunktur gehabt haben-- und teils noch haben. Denn wie ist es anders zu verstehen, wenn Franz-Josef Worstbrock in einem 2001 erschienenen Aufsatz eine bestimmte Ausprägungsrichtung des Natureingangs in den Carmina Burana, die mit gewissen Stiltendenzen im Neidhart-Œuvre zu korrespondieren scheint, der mittellateinischen Literatursphäre abspricht und einer volkssprachlichen, aber durch die Überlieferung ‹verdeckten› Lyriktradition zuweist. 85 Trobador- und Trouvèrelyrik auffasst und heute allgemein anerkannt ist (s. u.); vgl. dazu den Überblick bei G. Schweikle, Minnesang, S. 73 - 75 . 81 Vgl. dazu G. Schweikle, Minnesang, S. 77 f.; ferner U. Peters, Rezension zu N. Zotz, S. 252 , die von den «Fallstricken» genetischer Erklärungsversuche spricht. 82 Damit ist nicht gemeint, dass jener «Grundbestand gesicherten Wissens» (U. Peters, Rezension zu N. Zotz, S. 251 ), nämlich dass das poetische System des deutschen Minnesang vor allem durch die Anlehnung an romanische Modelle entsteht, nicht zutreffen würde. Allenfalls erscheint es mir sinnvoll, die Analyse von Kontrafakturbeziehungen in die vergleichende Interpretation zu überführen und überhaupt solche Textrelationen-- statt über Entlehnungsverhältnisse-- mit einem differenzierten Intertextualitätsbegriffs zu erfassen. 83 Vgl. dazu die älteren, aber einschlägigen Arbeiten von Theodor Frings, z. B. ders., Minnesinger und Troubadours. Berichtigte und ergänzte Fassung, in: Der deutsche Minnesang I, hg. von H. Fromm, S. 1 - 57 [zuerst 1949 ], bes. S. 13 f. und 23 f.; ders.: Die Anfänge der europäischen Liebesdichtung im 11 . und 12 . Jahrhundert, München 1960 (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse 1960 , 2 ); wieder in: Beitr. (Halle) 91 ( 1971 ), S. 473 - 496 , bes. S 475 - 477 . 84 So etwa für den Gebrauch des Natureingangs bei Gottfried von Neifen z.B. H. Kuhn, Minnesangs Wende, S. 74 f., und Touber, Anthonius H.: Rhetorik und Form im deutschen Minnesang, Groningen 1964 , S. 128 , der auf die Möglichkeit der Anregung von Gottfrieds Natureingang durch die Lieder von Gace Brulé hinweist, wo schließlich «die einleitende Frühlingsnatur bis zum Leerlauf» (ebd.) benutzt sei; für eine lateinische Herkunft plädierte besonders die ältere Forschung (vor allem bei Walther und Neidhart), vgl. W. H. Moll, Ueber den Einfluss der lateinischen Vagantendichtung; H. Brinkmann, Entstehungsgeschichte, S. 124 f. und 153 f., und J. Osterdell, Inhaltliche und stilistische Übereinstimmungen, S. 1 - 49 . 85 Vgl. Worstbrock, Franz Josef: Verdeckte Schichten und Typen im deutschen Minnesang um 1210 - 1230 , in: Fragen der Liedinterpretation. Beiträge eines Kolloqiums an der Universität Regensburg im Februar 1999 , hg. von Hedda Ragotzky, Gisela Vollmann-Profe und und Gerhard Wolf, Stuttgart 2001 , S. 75 - 90 ; wieder in: ders., Ausgewählte Schriften, hg. von Susanne Köbele und Andreas Kraß, Bd. I: Schriften zur Literatur des Mittelalters, Stuttgart 2004 , S. 87 - 101 . 2 Sprechregister und Konnotationsrahmen 39 Worstbrock geht hierbei von der These aus, dass die großen Lyriksammelhandschriften der Zeit um 1300 die vorherige Minnesangtradition nur in fragmentarischer und ganz spezifisch zugespitzter Form überliefern, und es somit ‹Lücken› von bestimmten nicht bezeugten, aber als historisch existent zu denkenden Dichtungsformen gibt. 86 In diesem Zusammenhang scheint ihm nun der Bestand der Liebeslyrik des Codex Buranus (M), genauer gesagt deren mutmaßlich jüngere Untergruppe, einen Ausgangspunkt dafür zu bieten, diese verlorene Lyrikschicht zu rekonstruieren. 87 Denn diese, wohl um 1230 am südlichen Alpenrand entstandene Sammlung 88 , die für ihren liebeslyrischen Teil an manchen Stellen komplizierteste Verschränkungen verschiedensprachiger Elemente 89 , vor allem aber eine prominente Partie mittellateinischer Lieder mit deutscher Ergänzungsstrophe und lateinischdeutsche Mischgedichte aufweist, wird nämlich von der Forschung meist in eine 86 Vgl. ebd., S. 87 . Auch die später nachgelieferte Begründung, die Neidhartschen Sommerlieder bräuchten eine dem Werbungslied im Falle der Winterlieder vergleichbar breit etablierte, als vorausgehender Verständnishorizont dienende Tradition, und dies könne eben keine lateinische sein (warum eigentlich nicht? ; vgl. ebd., S. 98 f.), ist für mich nicht hinreichend, um die durch nichts abzusichernde spekulative Auffüllung solcher ‹Lücken› zu fundieren; schließlich wäre ja auch an die tatsächlich belegbaren Typen im Gattungsspektrum des Minnesangs wie die vielfältigen Formen der Frauenrede und das Dialoglied zu denken! 87 Vgl. ebd., S. 87 f. und 92 f. Worstbrock folgt hierbei einer Anregung von Wachinger, Burghart: Deutsche und lateinische Liebeslieder. Zu den deutschen Strophen der Carmina Burana, in: From symbol to mimesis. The generation of Walther von der Vogelweide, hg. von Franz H. Bäuml, Göppingen 1984 (GAG 368 ), S. 1 - 34 ; wieder in: H. Fromm (Hg.), Der deutsche Minnesang II, S. 275 - 308 ; nun zuletzt in: B. Wachinger, Liederbücher S. 97 - 124 , hier S. 113 . 88 Vgl. die Angaben im Kommentar von: Carmina Burana. Texte und Übersetzungen. Mit den Miniaturen aus der Handschrift und einem Aufsatz von Peter und Dorothee Diemer hg. von Benedikt Konrad Vollmann, Frankfurt a. M. 1987 (Bibliothek deutscher Klassiker 16 / Bibliothek des Mittelalters 13 ), S. 897 - 1287 , hier S. 899 - 901 . 89 Eigentlich erweist sich die Sammlung durchaus als Resultat einer nicht nur bi-, sondern multilingualen Interferenzzone, da ja durch die ältere, westliche Sammlung auch romanische Lyriktraditionen mit in den Codex gelangt sind; vgl. die von Sayce, Olive: Plurilingualism in the Carmina Burana. A study of the linguistic and literary influences on the codex, Göppingen 1992 (GAG 556 ), aufgestellte, aufsehenerregende These eines bedeutenden romanischen Einflusses auf die auch im neueren Teil der Carmina Burana versammelten lateinischen und deutschen Strophen. Sie sieht dies durch die zwei aus der Romania stammenden Schreiber (und Dichter, gerade der meisten deutschen Strophen; Sayce hätte hier m. E. gut daran getan, die Ebenen von Schreiber und Autor doch deutlich getrennt zu lassen), einerseits schon rein sprachlich manifestiert (vgl. z. B. ebd., S. 189 - 195 ), andererseits ergebe sich so eine Abhängigkeit der in den CB vereinten mittellateinischen Texte von einem romanischen Formenrepertoire (vgl. ebd., S. 57 - 62 ; 79 - 89 , und 103 - 117 ). Fritz Peter Knapp hingegen hat in seinem Aufsatz, ders.: Die Carmina Burana als Ergebnis europäischen Kulturtransfers, in: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter. Kolloquium im Deutschen Historischen Institut Paris 16 .- 18 . 3 . 1995 , hg. von Ingrid Kasten u. a., Sigmaringen 1998 (Beih. der Francia 43 ), S. 283 - 301 , die Thesen von Sayce von sprachwissenschaftlicher und literaturwissenschaftlicher Seite einer fundierten Kritik unterzogen, die so weder eine romanische Herkunft der Schreiber plausibel erscheinen lässt, noch die Negierung einer bis zum Codex Buranus zu verfolgenden, eigenständigen mittellateinischen Lyriktradition gelten lassen kann. 40 I Der Natureingang als Forschungsproblem Gruppe älterer ‹westlicher› Herkunft (Frankreich? ) und eine jüngere Formation von Liedern unterteilt. 90 Letztere Gruppe, die des lateinisch-deutschen Literaturkontakts, die man sich zudem in großer zeitlicher und räumlicher Nähe zur Niederschrift des Codex entstanden denkt 91 , geht für die lateinischsprachigen Anteile (bzw. auch einige deutsche 92 ) offenbar auf einen oder mehrere mit der deutschen Minnesangtradition vertraute Autoren zurück 93 , wobei der eigentliche Status der-- formal mit dem jeweils vorausgehenden lateinischen Lied korrespondierenden- - deutschen Einlegestrophen in der Forschung äußerst umstritten ist 94 - - und allenfalls für die Strophen, die in der Parallelüberlieferung namentlich bekannten Minnesängern zugewiesen sind, geklärt scheint. 95 In dieser Liedgruppe macht Worstbrock nun-- und das ist an sich auch eine treffende Beobachtung- - ein zweibzw. dreistelliges Textmodell aus, das aus I) Natureingang, II ) Freudenbzw. Tanzaufruf an die Jungen und III ) Fokussierung auf die eine Erwählte besteht und offensichtlich Überschneidungen mit bestimmten Liedern (so Burkhards von Hohenfels KLD 6 , 90 Wachinger gibt diese jüngere Gruppe pauschal mit den Liednummern CB 132 - 186 an (vgl. B. Wachinger, Deutsche und lateinische Liebeslieder, S. 104 ). Vollmann präzisiert diese Unterteilung der Liebeslieder des Codex Buranus noch einmal und gibt als wohl nicht zur älteren westlichen Sammlung gehörenden Teil die Liednummern 78 - 82 , 97 , 107 , 111 , 114 , 124 - 130 , 132 - 152 , 154 , 161 - 163 , 165 - 166 , und 168 - 186 an (vgl. B. K. Vollmann, Carmina Burana, S. 903 ), woran ich mich im Folgenden orientiert habe. 91 Vgl. B. K. Vollmann, Carmina Burana, S. 903 . 92 Zumindest ja die deutschen Partien der Mischgedichte wie CB 177 oder 184 f. 93 Dies ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass einige der nachgeschalteten deutschen Strophen auch in den Liederhandschriften des Minnesangs auftauchen und sie dort in Zuweisung an namentlich bekannte Minnesänger zu finden sind, vgl. die Übersicht bei B. K. Vollmann, Carmina Burana, S. 914 . 94 Es ist, erst einmal unabhängig von der Prioritätenzuschreibung, zu fragen, ob es sich bei den andernorts nicht nachweisbaren deutschen Einlegestrophen um 1 ) Anfangsstrophen längerer deutscher Lieder handelt, die der Codex Buranus zwar anzitiert, aber nicht mitüberliefert, oder diese 2 ) als intendierte Einzelstrophen zu deuten sind; schon allein das gesichert und pauschal zu beantworten, ist schlechterdings nicht möglich; vgl. dazu auch F. J. Worstbrock, Verdeckte Schichten, S. 94 , Anm. 27 , der dennoch von ganzen, vorgängigen deutschen Liedern ausgehen möchte, um seine These einer Beeinflussung dieser Liedergruppe durch eine volkssprachliche Lyriktradition zu plausibilisieren (vgl. ebd.). Das ist insofern fragwürdig, als diese eben gar nicht belegt werden kann. 95 Dass so prominente Minnesang-Autoren wie Reinmar, Heinrich von Morungen und Walther Texte nach dem formalen Muster bereits umläufiger mittellateinischer Lieder gedichtet haben könnten, scheint für die meisten Germanisten völlig ausgeschlossen, vgl. etwa B. Wachinger, Deutsche und lateinische Liebeslieder, S. 99 , und F. J. Worstbrock, Verdeckte Schichten, S. 94 . Im Falle des sonstigen Bestandes plädieren für eine Priorität der deutschen Strophen z. B.: Müller, Ulrich: Mehrsprachigkeit und Sprachmischung als poetische Technik: Barbarolexis in den Carmina Burana, in: Europäische Mehrsprachigkeit. Fs. Mario Wandruszka zum 70 . Geb., hg. von Wolfgang Pöckl, Tübingen 1981 , S. 87 - 103 , hier 103 , B. Wachinger, Deutsche und lateinische Liebeslieder, S. 98 f., und F. J. Worstbrock, Verdeckte Schichten, S. 94 ; hingegen für die weitgehende Priorität der lateinischen: Sayce, Olive: The medieval German lyric 1150 - 1300 . The development of its themes and forms in their European context, Oxford 1982 , S. 234 - 264 . Hinweise über die verschiedenen Ansätze in der Klärung der Prioritätenfrage schon der älteren Forschung gibt: F. J. Worstbrock, Verdeckte Schichten, S. 94 f., Anm. 28 . 2 Sprechregister und Konnotationsrahmen 41 XI 96 ) und Liedtypen (Neidharts Sommerliedern 97 ) aus der Minnesangtradition aufweist- - gerade im Falle der Neidhartschen Natureingänge und der der Carmina Burana ist die große Nähe beider ja nun kein wirklich neuer Befund. 98 Die Vorstellung der älteren Forschung, dies gehe auf einen Einfluss der mittellateinischen Lyrik auf Neidhart zurück, dreht der Verfasser nun aber einfach um, indem er die besagten Minnesang-Randphänomene und die lateinischen wie deutschen Strophen der angeblich ‹jüngeren› Carmina Burana-Gruppe darauf als Residuen einer verloren gegangenen und durch die einseitige Überlieferung ‹überdeckte› volkssprachliche Lyriktradition deklariert. 99 Nicht nur, dass damit freilich eine strikt genetische Erklärung bestimmter Überschneidungen in keinster Weise aufgegeben ist: Hierfür gibt es zudem überhaupt keinen Beleg, denn von einer solchen höchst spekulativen Lyrikschicht ist ja genau nichts überliefert. Zum anderen erweisen sich die angeblichen Unterschiede zwischen der sog. ‹jüngereren› CB -Gruppe und der sonstigen (rhythmischen) mittellateinischen Liebeslyrik als überhaupt nicht derart drastisch, dass eine vollständige Separierung des Hauptüberlieferungsträgers dieses Literaturstranges in zwei unterschiedliche Repertoires wirklich gerechtfertigt wäre; gerade etwa die als so auffällig angeführte Verknüpfung von Naturthematik und Freudenaufruf an die Jugend 100 ist eine auch sonst in der mittellateinischen Lyrik sehr gängige Zuschreibungskonstellation. 101 Mit einer derartigen Aufspaltung des sicher heterogenen, aber doch nicht völlig unvereinbaren Liebesliedbestandes der CB wird nun eine- - zumindest für die Einrichter der Handschrift- - zusammengehörende Sammlung auseinandergerissen und ein nicht unbedeutender Teil des Corpus der mittellateinischen Liebesdichtung überhaupt für eine angeblich deutsche Lyriktradition, die niemand belegen kann, vereinnahmt-- man kann das durchaus als eine Marginalisierung dieser Tradition selbst wahrnehmen, die möglicherweise mit bestimmten Vorbehalten gegen eine Gelehrsamkeitskonnotationen aufweisende Literatur überhaupt verbunden und dem romantisierenden Interesse, diese letztendlich wieder in einen Bereich des Naturhaft-Volkstümlichen rückzuholen, geschuldet ist. Dass die Thesen Worstbrocks in der neueren Neidhart-Forschung grundsätzlich positiv und allenfalls vorsichtig einschränkend aufgenommen worden sind, ist für mich aus forschungsgeschichtlichen Gründen verständlich, wenn auch nicht gut begründbar. 102 Es mag zwar richtig sein, dass nicht immer automatisch alles, was ‹in 96 Vgl. F. J. Worstbrock, Verdeckte Schichten, S. 88 - 91 . 97 Vgl. ebd., S. 96 - 99 , und den Anhang, S. 100 f. 98 Vgl. nur die von Worstbrock, Verdeckte Schichten, S. 99 , Anm. 35 , so scharf kritisierten Arbeiten von Moll und Osterdell, s. o. Anm. 6 . 99 Vgl. F. J. Worstbrock, Verdeckte Schichten, S. 92 - 99 . 100 Vgl. ebd., S. 93 f. 101 S. dazu die ausführlichen Angaben unten, in Kap. III. 2 .b.ii. 102 Besonders Anna Kathrin Bleuler hat in ihrer Studie dies., Überlieferungskritik und Poetologie. Strukturierung und Beurteilung der Sommerliedüberlieferung Neidharts auf der Basis des poetologischen Musters, Tübingen 2008 (MTU 136 ), S. 24 - 26 , und in dem jüngst erschienen Aufsatz dies., Zwischen Tradition und Innovation, S. 124 - 126 , die Ergebnisse Worstbrocks als 42 I Der Natureingang als Forschungsproblem lateinischem Gewande› daher kommt, auch wirklich als gelehrsam zu gelten hat 103 ; umgekehrt ist aber-- gerade aus kulturhistorischer Sicht-- auch nicht alles, was uns heute naturhaft und ‹naiv› anmutet, zwingend als mit Konnotationen des ‹Volkstümlichen› aufgeladen zu denken. Wer daran für die Carmina Burana zweifelt, der möge sich tatsächlich nur einmal das Bildprogramm der Handschrift betrachten-- in die Richtung volkstümlicher Naivität scheint es mir jedenfalls nicht zu weisen. 104 Somit halte ich es für geboten, im Folgenden allein bei der Stufe des literarischen Vergleichs stehen zu bleiben, bewusst nicht Aussagen über genetische Zusammenhänge zu treffen und lediglich den Konnotationsrahmen aufzeigen zu wollen, der sich für bestimmte charakteristische Erscheinungen des Natureingangs im Kontext der europäischen Lyrik ergibt. Denn eine Möglichkeit, über die die Grenzen der einzelnen europäischen Lyriktraditionen überschreitenden Bezüge und Bezogenheiten im Falle dieses Gestaltungsmittels gewinnbringender als strikt genetisch zu sprechen, scheint mir nun aber die Bemühung bereitzustellen, die bei dessen poetischer Umsetzung mitschwingenden konnotativen Anhaftungen zu ergründen, die sich an bestimmten Tonfällen in der sprachlichen Realisation, man könnte auch sagen dem genutzten ‹Sprechregister›, festmachen lassen. Mit diesem Begriff ist der Hinweis auf die bedeutende Abhandlung «La lyrique française au moyen âge ( XII e - XIII e siècles). Contribution à une typologie des genres poétiques médiévaux» 105 des Romanisten Pierre Bec nun überfällig, die einen zentralen Anregungspunkt der folgenden Ausführungen darstellt, ja aus der der Verfasser das terminologische Instrumentarium und den analytischen Zugriff entlehnt und für die hier angestrebte vergleichende Untersuchung von Texten der verschiedenen europäischen Lyriktraditionen nutzbar zu machen sucht. Der in dieser 1977 einem nachfolgenden Textband vorausgeschickten Studie erfolgte Systematisierungsentwurf Becs zur mittelalterlichen Lyrik in Frankreich operiert mit der Aufteilung des Ausgangspunkt der eigenen Argumentation genutzt, scheinen sie ihr doch eine gute Möglichkeit zu bieten, den Liedtypus des Sommerliedes nicht strikt vom traditionellen Werbungslied her zu denken (wie Ruh oder Titzmann, s. ebd.). Bei aller Euphorie über ein gemeinsames Lyrikparadigma zwischen den CB und Neidharts Sommerlieder, «das die Themen ‹Natureingang› und ‹Aufruf zu Freude und Tanz› mit einem unstolligen Strophenbau verbindet und das sich grundsätzlich vom hohen Minnesang unterscheidet» (A.K: Bleuler, Zwischen Tradition und Innovation, S. 126 ), ist doch zu betonen, dass das-- freilich nicht absolut verpflichtende, aber für den Liedtyp ebenso dominante-- Merkmal des Frauendialogs oder -streites nirgendwo in der ‹jüngeren› Liedgruppe der CB vorkommt. Es begegnet hingegen mit CB 92 (De Phillide et Flora) ausgerechnet in der älteren, westlichen Sammlung. 103 Vgl. Kühne, Udo: Deutsch und Latein als Sprachen der Lyrik in den «Carmina Burana», in: Beitr. 122 ( 2000 ), S. 57 - 73 , hier S. 70 f. 104 Für diesen Hinweis bin ich Tanja Mattern zu großem Dank verpflichtet. 105 Bec, Pierre: La lyrique française au Moyen Âge (XIIe-XIIIe siècles). Contribution à une typologie des genres poétiques médiévaux. Études et textes, 2 Bde., Paris 1977 f. (Publications du Centre d’Études Supérieures de Civilisation Médiévale de l’Université de Poitiers 6 / 7 ), Bd. I: Études, Paris 1977 . 2 Sprechregister und Konnotationsrahmen 43 dortigen Lyriksystems in zwei große sozio-poetische Register, das registre aristocratisant (I) und das registre popularisant ( II ) 106 , die aber nicht strikt unabhängig voneinander existieren, sondern auf vielfältige Weise miteinander interferieren. 107 Diesen Registern lassen sich unter anderem nicht nur jeweils unterschiedliche soziale Trägergruppen (I: adlige Trobadors und Hofdichter; II : fahrende Spielleute) und unterschiedliche Gattungen (I: der grand chant courtois, repräsentiert durch die Canso und ihre Satellitengattungen; II : das Frauenlied in allen seinen Spielarten 108 ) 109 , sondern eben auch eine unterschiedliche sprachliche Organisationsform (I: zutiefst lyrisch geprägt; II : lyrisch-narrativ, lyrisch-tanzgebunden) zuordnen. 110 Noch bedeutsamer für unseren Zusammenhang aber ist, dass Bec bei seiner kontrastiven Gegenüberstellung der beiden Register neben der inhaltlich-motivischen Ebene auch die der sprachlichen Gestaltung nicht außer Acht lässt, wenn er schreibt: A ces grands traits contrastifs il faut ajouter évidemment des claviers thématiques et motiviques différents, de procédés de style et de formulation, des indices linguistiques ou anthroponymiques particuliers-[…], qui constituent classèmes conférant des connotations démarcatrices. 111 Über die jeweils unterschiedlichen thematisch-motivischen Klaviaturen hinaus weist Bec also ausdrücklich auf die Bedeutung der unterschiedlichen Stilistik und Ausdrucksweise sowie der linguistischen Anzeichen hin, die als semantische Merkmalsträger abgrenzende Konnotationen erzeugen und so die Zuweisung der Texte zu den beiden Registern steuern. 112 Hieraus folgt, dass beiden Formationen, dem registre aristocratisant und dem registre popularisant, auch eine jeweils spezifische 106 Vgl. ebd., S. 33 - 35 . Ingrid Kasten hebt in der Einleitung der Edition der mittelalterlichen Frauenlieder (vgl. Frauenlieder des Mittelalters. Zweisprachig, übers. und hg. von ders., Stuttgart 1990 [RUB 8630 ], S. 13 - 29 , hier S. 19 ) es als eine Leistung des Konzepts von Bec hervor, dass dieser nicht mehr von der Dichotomie ‹Natur-› vs. ‹Kunstpoesie› ausgehe, sondern den Blick auf das gesellschaftliche Bezugsfeld richte. Plummer, John F.: Introduction, in: Vox Feminae. Studies in medieval woman’s songs, hg. von dems., Kalamazoo/ Mich. 1981 (Studies in medieval culture 15 ), S. 5 - 17 , hier S. 12 , sieht zudem zu Recht in der Abwandelung der Termini ‹höfisch› / ‹volkstümlich› zu ‹höfisierend› / ‹popularisierend› den entscheidenden Vorteil der Begriffe Becs, da sie so- - trotz der sozialen Zuweisung an verschiedene Träger (s.o)-- letztlich nicht mehr auf die tatsächliche Genese zielen, sondern auf ästhetische Effekte. 107 Vgl. bes. das Kapitel «Les interférences registrales» (P. Bec, La lyrique française I, S. 40 - 43 ). 108 Dazu zählt auch das Tagelied (aube), vgl. ebd., S. 35 , und das Schema S. 68 . 109 Als Hybridgattungen, die Anteile beider Register in sich vereinen, erweisen sich beispielsweise die Pastourelle oder das Kreuzlied, vgl. dazu: ebd., S. 35 . 110 Vgl. bes. ebd., S. 33 f. 111 Ebd., S. 34 f. 112 Ähnliches hebt Bec auch in der Würdigung der Registeraufstellung Paul Zumthors hervor, die ein registre de la requête d’amour, für das der grand chant courtois typisch ist, und ein registre de la bonne vie umfasst, für das die Lebensfreude als zentrales Motiv gilt (vgl. Zumthor, Paul: Essai de poétique médiévale, Paris 1972 [Collection poétique], S. 251 - 255 ), wenn er dessen klare Analyse der für die Aufteilung auf beide Gruppen zuständigen textuellen Merkmale, die auf allen Ebenen, also der lautlichen, syntaktischen, lexikalischen, motivischen etc., zu finden sind, lobt (vgl. P. Bec, La lyrique française I, S. 33 , Anm. 36 ). 44 I Der Natureingang als Forschungsproblem Sprechweise, eben ein charakteristisches Sprechregister zugeordnet ist. Damit lenkt Bec-- und das stellt m. E. auch den großen Verdienst seiner Überlegungen dar-- den Blick in beispielhafter Weise auf das Wie von Sprache, nämlich: wie etwas sprachlich ausgedrückt ist und welche Konnotationen sich dadurch ergeben, eine Textdimension, deren Wichtigkeit bei der Lyrikanalyse nicht zu unterschätzen ist. 113 Leider ist aber der Ansatz Pierre Becs in der Altgermanistik bisher noch nicht ausreichend gewürdigt worden, denn- - mögen die sozialen und gattungssystematischen Implikationen seines Registerbegriffs für den deutschen Minnesang auch unpassend sein 114 -- genau in jener Aufmerksamkeit für die konnotativen Anhaftungen, die sich durch bestimmte Sprechweisen, also die sprachliche Realisation, ergeben, scheint mir eine sinnvolle Richtung angezeigt, die zu beschreiten auch für die Minnesangforschung ein lohnenswertes Unterfangen wäre. 115 Besonders in der interpretativen Praxis kann der von Bec entlehnte Registerbegriff, gerade wenn er vornehmlich auf die sprachliche Dimension hin profiliert ist, ein äußerst taugliches Analyse- 113 An dieser Stelle ist vielleicht eine kurze Erklärung zu den hier im Folgenden verwendeten Begrifflichkeiten zur Aufspannung intertextueller Verweishaftigkeit (Suggestion, Allusion, Konnotation, Assoziation) recht sinnvoll, die sicher gewisse Überschneidungen aufweisen, aber doch graduell von einander abgrenzbar sind. ‹Suggestion› ist in diesem Zusammenhang für mich der stärkste der Begriffe, der die Erzeugung eines regelrechten interpretativen Sogs in Richtung einer bestimmten Vorstellung umschreibt, während die ‹Allusion› hier schon freier-- und im Wortsinne-- ‹spielerischer› zu denken ist sowie eher für einen konzis umreißbaren Prätext reserviert ist. ‹Konnotationen› beziehen sich dann für mich auf die Anlagerung allgemeinerer Kontextbereiche, die bei der Interpretation aufgerufen werden können, aber nicht zwingend müssen (deswegen auch häufig der Begriff ‹Konnotationspotenzial›); allerdings zeigen sich bei ihnen bereits Vorbesetzungen hinsichtlich einer bestimmten Prestigeprägung, die wiederum ‹Assoziationen›-- als freiste und am wenigsten markierte Form der Zusammenhangstiftung zwischen Texten (oder Kontexten)-- nicht in der Form transferieren. 114 Vgl. I. Kasten, Einleitung, S. 21 : «Allerdings sind Becs Untersuchungen auf die Lyrik in Frankreich bezogen und daher nicht einfach auf andere Literaturen übertragbar. Im deutschen Kulturbereich etwa lassen sich zwei sozio-poetische Register so strikt durchaus nicht unterscheiden. Denn schon die ältesten Frauenlieder verweisen hier in ihrer Stilisierung auf die ritterliche-höfische Lebenswelt; sie sind, anders als in Frankreich, integraler Bestandteil der h ö f i s c h e n Lyrik. Auch lassen sich keine sozial so prägnant voneinander abgrenzbaren Trägerschichten der Lyrik nachweisen». Deswegen sind vom Verfasser auch genau jene sozialen und gattungssystematischen Zuweisungen (s. o.) weitgehend fallen gelassen worden; davon, dass für das aristokratisierende Register die Sprechweise des Werbungsliedes konstitutiv ist und sich an dieses Sprechregister durchaus Konnotationen, die auf Konzepte höfischer Kultiviertheit zielen, anlagern können, war jedoch nicht abzurücken (s. u.). 115 Natürlich könnte man die engen soziologischen Zuschreibungen Becs im Falle der beiden großen Registerformationen, die sich teils auch deutlich in geniezeitlich-romantischen Vorstellungswelten verankern, einer grundsätzlichen kritischen Revision unterziehen. Andererseits ist zu betonen, dass der Registerbegriff bei Bec selbst auf mehreren Ebenen anzutreffen und so gerade nicht allein auf die beiden großen soziopoetischen Register beschränkt verwendet ist. Er taucht z. B. in der Aufstellung der Genre-Typologie (vgl. P. Bec, La lyrique française I, S. 38 f.) auch noch auf einer untergeordneten, teils thematisch, teils formal oder durch die Sprechhaltung bestimmten Ebene der Subtypenkategorisierung auf. Insofern deutet sich bei ihm auch eine neutrale stilistische Fassung des Begriffs, wie sie hier zur Anwendung kommen soll, an. 2 Sprechregister und Konnotationsrahmen 45 instrument liefern, mittels dessen sich viele feine Nuancen der sprachlichen Konstruktion von Texten, ja die durch Kombination von verschiedenen Sprechweisen entstehenden elaborierten Interferenzverhältnisse trefflich erfassen und einordnen lassen, was für den deutschen Minnesang noch viel zu selten erprobt worden ist. 116 Auch im Zusammenhang des hier verfolgten Frageansatzes, bei dem es um die Ergründung des Konnotationsrahmens bestimmter textueller Erscheinungen geht, die übrigens für die traditionelle Ausprägung des Werbungsliedes im deutschen Minnesang gerade nicht typisch sind, erweist sich der Begriff des Sprechregisters als äußerst hilfreich. Denn er öffnet noch einmal deutlich den Blick dafür, wie hervorstechend sich poetische Topoi wie objektiv gesetzter ‹Natureingang› in der Umgebung der traditionellen Sprechweise des Werbungsliedes ausnehmen, die durch Begriffe wie weitgehende Abstraktheit, Vermeidung genauer situativer Festschreibung, reflexives Ich-Sprechen etc. umrissen werden kann. Zu jener muss auch das charakteristische, immer wieder neu ansetzende argumentative Kreisen 117 gezählt werden, das durch die Nutzung rhetorischer Mittel wie Antithese und Paradoxie sowie syntaktischer Konstruktionen wie exzipierender Nebensatz und Konditionalgefüge erreicht wird, wie es Wiebke Schmaltz am Beispiel Reinmars eindrucksvoll vorgeführt hat. 118 Was die bei dem beschriebenen Sprechregister des Werbungsliedes mitschwingenden Konnotationen anbelangt, kann man durchaus annehmen, dass hier der Hinweis auf höfische Kultiviertheit auch auf der Ebene der sprachlichen Realisation des Gesagten aufgerufen wird, weswegen es m. E. nicht unpassend ist, sich an Becs Terminus einer aristokratisierenden Sprechweise anzulehnen. Denn gerade jenes unbestimmte, indirekt-hypothetische und hochgradig reflexive Ich-Sprechen der Minnekanzone scheint sich mir, besonders in Abhebung zu Sprechweisen anderer lyrischer Typen, in denen viel konkreter und körperlicher über Liebesdinge gesprochen wird (zu denken wäre etwa an die oft als ‹Schwanklieder› bezeichneten erotischen Erzähllieder 119 ) mit Konnotationen höfischer Vorbildlichkeit aufzuladen. 120 Ob aber das Gegenstück des von Bec als aristokratisierend 116 Als vorbildlich hervorzuheben ist in dieser Hinsicht etwa Ranawake, Silvia: hübscher klaffe vil. Das Werbegespräch Ulrichs von Winterstetten (KLD Nr. 11 ) und das deutsche Dialoglied, in: Dialoge. Sprachliche Kommunikation in und zwischen Texten im deutschen Mittelalter. Hamburger Colloquium 1999 , hg. von Nikolaus Henkel u. a., Tübingen 2003 , S. 175 - 188 . 117 Vgl. zu diesem Versuch der terminologischen Erfassung der argumentativ-stilistischen Tendenz des Werbungsliedes: Wolf, Alois: Überbieten und Umkreisen. Überlegungen zu mittelalterlichen Schaffensweisen am Beispiel des Minnesangs, in: Gotes und der werlde hulde. Literatur in Mittelalter und Neuzeit, Fs. Heinz Rupp zum 70 . Geb., hg. von Rüdiger Schnell, Bern u. a. 1989 , S. 3 - 21 . 118 Vgl. W. Schmaltz, Beiträge zur poetischen Technik Reinmars des Alten. 119 S. dazu unten, Kap. III. 2 .a zu den ‹Schwankliedern› Gottfrieds von Neifen. 120 Insofern wäre es nicht uninteressant, nach dem Zusammenhang der mit der Sprechweise des Werbungsliedes verbundenen Konnotationen mit jenen Selbststilisierungstendenzen des männlichen Adels zu fragen, die Rüdiger Schnell in seiner genderbezogenen Lesart des Minnesangs (vgl. ders., Liebe und Freiheit) dargestellt hat, und die auf Eigenbestimmtheit in Liebesdingen, Affektdisziplinierung und artistische Beherrschung des Themas zielen. Obwohl 46 I Der Natureingang als Forschungsproblem bezeichneten Registers, das etwa popularisierend oder parafolkloristisch zu nennen wäre, auf den Bereich des deutschen Minnesangs übertragen werden kann, muss schon allein deshalb fraglich bleiben, weil die für diese Registerformation in Frankreich so zentrale Figur des Jongleurs im deutschen Raum keine derart bestimmende Rolle spielt. 121 Ferner sind jene dem aristokratisierenden Register nicht zugehörigen Elemente, die auch und besonders im späthöfischen Minnesang in den Bereich des Werbungsliedes Eingang finden und so kunstvoll mit jenem Sprechen interferieren, nicht automatisch als popularisierend-parafolkloristisch zu klassifizieren, sondern es ist jeweils nach den sich mit ihnen verbindenden Konnotationen überhaupt erst zu fragen. Im Falle des immer wieder als ‹volkstümliches› Element charakterisierten poetischen Mittels ‹Natureingang› wird der Blick auf die mittelalterliche europäische Lyriklandschaft auch eine andere konnotative Beimessung nahelegen und- - so wird es im Folgenden diskutiert werden-- möglicherweise einen Verweisgestus erkennen lassen, der die Texte konnotativ (auch) mit dem Bereich der lateinischen Gelehrsamkeit zu verbinden sucht. 122 Denn erst so wird sich das volle ästhetische Potenzial dieser literarischen Technik, das sich eben durchaus zwischen den Polen einer höfisch-artistischen Meisterschaft und Bezügen zu lateinischen Diskursformationen aufspannt, erst vollends abschreiten lassen. 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie Vorher gilt es jedoch abzuklären, was im Zusammenhang dieser Arbeit mit dem Terminus ‹Natureingang› eigentlich genau gemeint sein soll. Dies mag vielleicht insofern irritierend klingen, als es mittlerweile eine ansehnliche Zahl von Forschungsarbeiten und Aufsätzen gibt, die sich mehr oder weniger ausführlich mit dem ‹Natureingang› im deutschen Minnesang beschäftigen. Dennoch hat sich bisher-- das im Minnesang gespiegelten Liebeskonzept ausdrücklich als «literarischer Entwurf» (siehe den Titel von Schnells Aufsatz! ) angesprochen ist, würde man aber m. E. trotzdem Gefahr laufen, das Werbungslied zu sehr mit Vorstellungen einer Funktionserfüllung einzuengen. Deshalb erscheint es mir sinnvoll, allein auf der konnotativen Ebene zu argumentieren, wobei hier durchaus für die charakteristische Sprechweise der Minnekanzone von der Beimessung höfischer Kultiviertheit ausgegangen werden kann. 121 Dieser Einwand gegen die vollständige Übertragbarkeit des Bec’schen Modells auf die spezifischen Verhältnisse des deutschen Minnesangs findet sich auch bei I. Kasten, Einleitung, S. 21 ; vgl. zudem dies., Frauendienst, S. 18 - 20 , 88 - 141 , 234 - 243 , 329 - 343 und 343 - 359 (zur Sonderrolle Walthers von der Vogelweide), wo Kasten die unterschiedliche Bedeutung fahrender Berufsdichter für die beiden Literatursysteme ausführlich behandelt. 122 S. unten, Kap. III. 2 .b.ii. Zuletzt hat Udo Friedrich für die Gestaltung des Natureingangs in den deutschen Strophen der Carmina Burana perspektivenreich in diese Richtung argumentiert, wenn er die topische Ausfaltung des Motivarsenals hier von ihrer Verwurzelung in naturphilosophischer Bildungstradition (Kette des Seins) und rhetorischer Geschultheit (Argument der Mehr-Minder-Relation) her in den Blick nimmt (vgl. ders.: Historische Metaphorologie, in: Literatur- und Kulturtheorien in der Germanistischen Mediävistik. Ein Handbuch, hg. von Christiane Ackermann und Michael Egerding, Berlin u. a. 2015 , S. 169 - 211 , bes. S. 199 ). 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 47 gemessen an dieser Breite der Anstrengung-- nur ein recht diffuses Bild über das Vorkommen und die Funktion dieses Eingangstopos im Minnesang abgezeichnet. 123 Dies liegt mit Sicherheit auch daran, dass die Frage, welche Merkmale überhaupt zwingend vorliegen müssen, um bei einem Lied einen Natureingang diagnostizieren zu können, in der Forschung keine übergreifende Lösung gefunden hat. Ja es hat mehrere Beiträge gegeben, die die Bezeichnung selbst in Zweifel ziehen und stattdessen von ‹Jahreszeitenbild› oder ‹Jahreszeitentopos› sprechen. 124 Wenn hier also trotzdem am Terminus des ‹Natureingangs› festgehalten wird, der noch dazu in 123 Die vorhandenen zahlenmäßigen Auflistungen und phasenbzw. autorbezogenen Prozentangaben sind natürlich vom in der jeweiligen Studie unterlegten Verständnis des Topos abhängig, m. E. in vielen Fällen aber eher zu hoch angesetzt; vgl. z. B. die Prozentangaben bei Viola Bolduan, die für den frühen Minnesang vor Dietmar von Eist bei 20 , 5 % der Lieder einen Natureingang feststellt, im Falle Dietmars selbst bei 50 %, bei Heinrich von Veldeke bei 40 % der Lieder (Bolduan geht bei den beiden letztgenannten von einem durch die heute problematischen Entscheidungen der Echtheitskritik geschmälerten Œuvre aus! ); für den Minnesang von Ulrich von Gutenburg bis Bligger von Steinach diagnostiziert sie ferner bei 20 , 4 % der Lieder Natureingang, bei Heinrich von Morungen, Reinmar und Hartmann in 16 , 3 % und bei Walther sogar in 34 % der Fälle (vgl. Bolduan, Viola: Minne zwischen Ideal und Wirklichkeit. Studien zum späten Schweizer Minnesang, Frankfurt a. M. 1982 , S. 221 ). Dagegen geht Ludger Lieb in seiner statistischen Erhebung von 52 Belegen des ‹Jahreszeitentopos› (zur differierenden Benennung s. u.) für den Bereich von «Des Minnesangs Frühling» aus, die sich wie folgt verteilen: 14 Lieder im frühen Minnesang bis einschl. Dietmar ( 35 %) und 38 Fälle für die Lieder der ‹Hohen Minne› (Kaiser Heinrich bis Wolfram), das sind 16 % (vgl. ders.: Die Eigenzeit der Minne, S. 191 ); auch diese Zahlen scheinen mir noch zu hoch auszufallen. Andererseits hat sich die Forschung lange Zeit damit aufgehalten, einzelne Motive nachzuverfolgen und aufzulisten (obwohl solche Aufstellungen-- wie z. B. bei Schneider, Ludwig: Die Naturdichtung des deutschen Minnesangs, Berlin 1938 [Neue deutsche Forschungen 175 ]-- verdienstvoll und als Materialbasis sicher noch heute gewinnbringend zu nutzen sind), ohne aber übergeordnete Fragestellungen wie jene nach der Funktion dieser Einleitungstopik für das poetische Gefüge des Werbungsliedes erschöpfend zu klären. Dies ist erst in jüngerer Zeit umfassend in Angriff genommen worden, vgl. in dieser Hinsicht z. B. Bein, Thomas: Jahreszeiten- - Beobachtungen zur Pragmatik, kommunikativen Funktion und strukturellen Typologie eines Topos, in: P. Dilg u. a. (Hg.), Rhythmus und Saisonalität, S. 215 - 237 , die oben genannte Arbeit Ludger Liebs, und ferner- - wenn auch mit einem weit über das Thema hinausgehenden Interesse-- : Köbele, Susanne: Frauenlobs Lieder. Parameter einer literarhistorischen Standortbestimmung, Tübingen u. a. 2003 (Bibliotheca Germanica 43 ), S. 47 - 116 . 124 Siehe dazu das Folgende. Schon früher sind in der Forschung gelegentlich auch konkurrierende Bezeichnungen zum Terminus des ‹Natureingangs› verwendet worden, so z. B. der Begriff der ‹Landschaftsdarstellung›, vgl. Wessels, Paulus Bernardus: Die Landschaft im jüngeren Minnesang. Maastricht 1945 , S. 8 . Zwar betont Wessels in seiner Studie, dass im Minnesang nicht eine konkrete und lokal spezifische Landschaft aufgerufen werde, sondern es darum gehe, «eine allgemeine Vorstellung von landschaftlicher Schönheit zu erwecken» (S. 11 ), jedoch scheint mir der hauptsächlich im Minnesang vertretene Typ von Natureingang weniger auf die Raumstruktur einer (idealen) Landschaft als auf die Zeitdimension des Jahreszeitenwandels hin organisiert. Ob bei den stereotyp verwendeten und meist isoliert stehenden Naturmotiven, die zudem in assoziativen Ketten aneinandergereiht sind, überhaupt Vorstellungen eines präzisen Landschaftsraums aufgerufen werden sollen, ist m. E. in den meisten Fällen sehr fraglich, weswegen der Terminus der ‹Landschaftsdarstellung› für den Minnesang eher ungeeignet erscheint. 48 I Der Natureingang als Forschungsproblem der vom Verfasser im Folgenden vorgeschlagenen Konturierung als ‹jahreszeitlich organisierter Natureingang› einen spezifischen und relativ eng umgrenzten Typus der Eingangsgestaltung im Minnesang umreißen soll, so bedarf dieses Vorgehen zunächst einer Begründung, die nur in der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansätzen in der Forschungsliteratur gewonnen werden kann. Dies soll zu einem eigenen Vorschlag einer pragmatisch zu verstehenden Minimaldefinition des hier in den Blick zu nehmenden Topos führen, die phänomenologisch ähnliche, aber nicht in den engeren Bereich des ‹Natureingangs› gehörende Erscheinungsformen der Naturrepräsentation im Minnesang trennscharf auszuscheiden versucht, so dass ein zutreffenderes Bild über das Vorkommen des Topos und seine Bedeutung im deutschen Minnesang überhaupt erst gewonnen werden kann. Nach der zunächst vornehmlich am ‹Naturgefühl› und ‹Naturerlebnis› der Minnesänger interessierten älteren Forschung 125 hat man sich dem Problemfeld des 125 Sehr frühe Literatur zum Thema verzeichnet Meyer, Richard M.: Alte deutsche Volksliedchen, in: ZfdA 29 ( 1885 ), S. 121 - 236 , hier S. 207 . Vgl. ferner z. B. Biese, Alfred: Die Entwicklung des Naturgefühls im Mittelalter und in der Neuzeit, Leipzig 1888 , bes. S. 113 - 120 ; Drees, Heinrich: Die poetische Naturbetrachtung in den Liedern der deutschen Minnesänger, Wernigerode 1888 ; Lechleitner, Franz: Der deutsche Minnesang. Eine Darstellung seiner Geschichte, seines Wesens und seiner Formen. 2 Bde., Wolfenbüttel 1893 , Bd. II, S. 3 - 24 , Cooke, Arthur B.: The development of the nature-sense in the German lyric: a comparison of the two great lyric periods, Spartanburg 1902 (University of Virginia Studies in Teutonic Languages 3 ); Haakh, Elisabet: Die Naturbetrachtung bei den mittelhochdeutschen Lyrikern, Leipzig 1908 (Teutonia 9 ); Adam, Julie: Das Naturgefühl in dem deutschen Schrifttum des Mittelalters, in: Xenien 4 ( 1911 ), S. 321 - 340 , hier S. 335 - 340 ; Morgan, Bayard Quincy: Nature in Middle High German lyrics. Göttingen 1912 (Hesperia 4 ); Ganzenmüller, Wilhelm: Das Naturgefühl im Mittelalter. Leipzig u. a. 1914 (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 18 ), S. 241 - 285 (für Trobadorlyrik und Minnesang) und ders.: Die empfindsame Naturbetrachtung im Mittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 12 ( 1916 ), S. 195 - 228 , hier S. 215 - 226 , sowie die schon 1928 abgeschlossene Studie von Böheim, Julius: Das Landschaftsgefühl des ausgehenden Mittelalters, Leipzig u. a. 1934 (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 46 ), bes. S. 25 - 29 . In der ästhetischen Beurteilung der Natureingänge des Minnesangs kommt man hierbei zu recht unterschiedlichen Ergebnissen, die von der Leugnung eines minnesängerischen ‹Naturgefühls› bis zur emphatischen Bekräftigung von dessen Ursprünglichkeit reichen, man vgl. nur Bieses negativ ausfallendes Urteil («ein Naturgefühl, das die Natur um ihrer selbst willen sucht, ist ihnen nicht aufgegangen» [A. Biese, Die Entwicklung des Naturgefühls, S. 116 ]) und Lechleitners begeisterte Würdigung einer «tieferen Vertrautheit» (F. Lechleitner, Der deutsche Minnesang II, S. 7 ) der Minnesänger mit der Natur, die bisweilen zu einem «wahren Priesterthume der Natur und des Schönen» (ebd., S. 8 ) führe, ja es habe «selten eine Kunst froher und selbstloser und darum inniger und reiner der Natur gedient wie das deutsche Minnelied» (ebd., S. 5 ). Als besonders problematisch erweist sich dieses Untersuchungsinteresse der älteren Forschung, wenn es um die Rekonstruktion eines spezifisch ‹germanischen› Naturgefühls geht, das phasenweise von kirchlicher Seite unterdrückt worden sei und seit dem 12 . Jahrhundert sich in der Dichtung wieder zu artikulieren vermöge, vgl. etwa E. Haakh, Die Naturbetrachtung, S. 1 - 14 . Solche Vorstellungen spielen auch noch in der Dissertation von Adèle Stoecklin (dies.: Die Schilderung der Natur im deutschen Minnesang und im älteren deutschen Volkslied [Teilpublikation]. Straßburg 1913 .), die sich schon einem auf die Stilistik ausgerichteten Vergleich der Natureingänge in Minnesang und frühem Volkslied widmet, eine nicht unbedeutende Rolle, man vgl. nur ebd., S. 12 - 14 . 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 49 Natureingangs dann nach einiger Zeit auch verstärkt im Hinblick auf stilistische Dimensionen angenähert 126 , wobei es besonders das Verdienst des 1942 erschienenen Aufsatzes «Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter» von Ernst Robert Ebenfalls diesem Forschungskomplex zuzurechnen ist die Studie von Lüning, Otto: Die Natur, ihre Auffassung und poetische Verwendung in der altgermanischen und mittelhochdeutschen Epik bis zum Abschluss der Blütezeit, Zürich 1888 , die den Minnesang teilweise miteinbezieht; vgl. ferner auch die wenigen Bemerkungen zum ‹Naturgefühl› der Minnesänger bei: Oppenheim, Horst: Naturschilderung und Naturgefühl bei den frühen Meistersingern, Leipzig 1931 (Form und Geist 22 ), S. 3 - 6 . 126 Vgl. etwa A. Stoecklin, Die Schilderung der Natur; L. Schneider, Die Naturdichtung des deutschen Minnesangs, und P. B. Wessels, Die Landschaft im jüngeren Minnesang. Es soll hier keinesfalls der Eindruck erweckt werden, dass die angegebene tendenzielle Aufmerksamkeitsverschiebung der Forschung in zwei strikt zu trennenden Phasen erfolgt ist (s. auch die obige Bemerkung zur Arbeit Stoecklins), denn sogar Ludwig Schneider, der in seiner Studie die Vorgehensweise der Forschung, aus den literarischen Repräsentationen von Natur im Mittelalter in direkter Weise auf das zugrunde liegende ‹Naturgefühl› zu schließen, kritisiert (vgl. L. Schneider, Die Naturdichtung des deutschen Minnesangs, S. 11 - 24 ), verabschiedet dieses als Zielpunkt der wissenschaftlichen Analyse nur vorläufig: «Es gibt sicher ein den Minnesängern eigentümliches Naturempfinden, vielleicht gibt es auch so etwas wie ein mittelalterliches Naturgefühl; es ist aber wohl die Methode noch zu finden, mit der man es aus der uns überlieferten Dichtung und Kunst erkennen kann und mit der man auch das erfaßt, was die Dichtung nicht enthält-[…], weil nicht wörtlich und ausdrücklich» (ebd., S. 23 ). Schließlich kann man auch nicht sagen, dass stilistische Aspekte zuvor von der älteren Forschung völlig ausgeblendet worden wären. Die aber dennoch zu konstatierende Umorientierung der Forschung setzt vor allem in Anregung durch Hennig Brinkmann (vgl. bes. ders.: Zu Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung. Halle a.S. 1928 [Nachdr. Darmstadt 1979 ]) ein, der nicht nur-- ähnlich wie darauf Curtius (s. u.)-- die spezifischen ästhetischen Paradigmen der mittelalterlichen Literatur einerseits durch eine Profilierung an der schon seit der Antike auch für die Poetik bedeutsame Tradition der Rhetorik zu erhellen sucht (vgl. ebd., S. 29 - 81 ), sondern auch über die Herleitung eines mittelalterlichen ‹Wirklichkeitsbegriffes› (vgl. ebd., S. 81 f.) die spezifische Darstellungsform in seiner Ausrichtung auf «das Ideelle, Typische, Allgemeine» (ebd., S. 82 ) beschreibt. Im Falle des Naturbildes sei in der Literatur des Mittelalters also weder die Wiedergabe von konkreten, besonderen Zügen, noch Plastizität der Darstellung zu erwarten, sondern es sei ausreichend für sie, typische Einzelmotive herauszugreifen (vgl. ebd., S. 82 f.). Der Ansatz, aus der Gestaltungsweise des Natureingangs bei den Minnesängern Rückschlüsse auf deren Naturerleben ziehen zu wollen, wird damit im Grunde obsolet; vgl. dazu auch die Würdigung Brinkmanns bei P. B. Wessels, Die Landschaft im jüngeren Minnesang, S. 8 . Die ebenfalls stark von Brinkmanns Studie beeinflusste Arbeit von Johanne Messerschmidt-Schulz (dies.: Zur Darstellung der Landschaft in der deutschen Dichtung des ausgehenden Mittelalters [Vorstellungsweise und Ausdrucksform], Breslau 1938 [Sprache und Kultur der germanischen und romanischen Völker. B. Germanistische Reihe 28 ]) streift den Natureingang des Minnesangs nur am Rande. 50 I Der Natureingang als Forschungsproblem Curtius 127 ist, den Natureingang als einen literarischen Topos ins Bewusstsein gerückt zu haben. 128 Obwohl sich Curtius’ Überlegungen nur am Rande mit dem jahreszeitlich organisierten Natureingang in der mittelalterlichen Liebeslyrik beschäftigen 129 , weil sie sich vor allem auf die Tradition des sog. locus amoenus konzentrieren, der laut Curtius «von der Kaiserzeit bis zum 16 . Jahrhundert das Hauptmotiv aller Naturschilderung» 130 bilde, ist auf dessen Studien, die auch auf die mit dem Natureingang beschäftigte Minnesangforschung großen Einfluss ausgeübt haben, an dieser Stelle 127 Vgl. Curtius, Ernst Robert: Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, in: Romanische Forschungen 56 ( 1942 ), S. 219 - 256 ; ähnliche Ausführungen begegnen wieder in der von Curtius als Zusammenführung seiner vorherigen topologischen Studien angelegten Schrift (ders.: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 5 . Aufl., Bern u. a. 1965 [ 1 1948 ].), wobei sich der Aufsatz «Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter» vor allem im Kapitel «Die Ideallandschaft» (ebd., S. 191 - 206 ) wiederfindet. Die einzelnen in die Abhandlung eingegangenen Vorarbeiten sind verzeichnet: ebd, S. 565 f. 128 Ohne die Leistung von Curtius in irgendeiner Weise schmälern zu wollen, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass schon 1923 Günther Müller den Natureingang in der mittelalterlichen Lyrik als «topologisches» Element herausstellt: «Die Aufstellung Ganzenmüllers, aus der Vagantenlyrik spreche ‹zum erstenmal ein subjektives, aus der augenblicklichen Stimmung heraus geborenes Verhältnis zu Natur›, scheint mir unzutreffend; vielmehr fällt auf, wie gerade auf diesem Gebiet die Vagantenlyrik durchaus ‹topologisch› arbeitet. Sie hat genau wie der Minnesang ihren Natureingang mit ganz bestimmten Motiven. Das gleiche gilt, soweit ich das Material beurteilen kann, für den provenzalischen und altfranzösischen Minnesang.» (ders.: Studien zum Formproblem des Minnesangs, in: DVjs 1 ( 1923 ), S. 61 - 103 , S. 74 f.; Müller zitiert hier: W. Ganzenmüller, Die empfindsame Naturbetrachtung im Mittelalter, S. 210 .). Interessanterweise ist bei Müller die Verwendung des Begriffs ‹topologisch› ausgerechnet durch den Romanisten Gustav Gröber angeregt worden (vgl. G. Müller, Studien zum Formproblem des Minnesangs, S. 63 f.), dem für Curtius so bedeutsamen akademischen Lehrer und Doktorvater (man vgl. nur die Widmung von dessen opus magnum an Gröber neben Aby Warburg und die im Buch erfolgte Würdigung [E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 386 ]; vgl. dazu auch Meyer-Kalkus, Reinhart: Ernst Robert Curtius, in: B. J. Dotzler (Hg.), Grundlagen der Literaturwissenschaft, S. 155 - 157 , hier S. 155 , und Ziolkowski, Jan M.: Ernst Robert Curtius ( 1886 - 1956 ) and medieval Latin studies, in: The journal of medieval Latin 7 [ 1997 ], S. 147 - 167 , hier S. 152 - 154 .). Gröber hatte nämlich bereits 1902 den rhetorischen Charakter der Trouvère-Lieder hervorgehoben und von der «lyrischen Topik», die sich in dieser Dichtung deshalb herausgebildet habe, gesprochen (vgl. und Zitat entnommen aus: Gröber, Gustav: III. Litteraturgeschichte der romanischen Völker, B. Die Litteraturen der romanischen Völker. 1 . Französische Litteratur, in: Grundriß der romanischen Philologie. 2 Bde., hg. von dems., Straßburg 1888 - 1902 , Bd. II, 1 , Straßburg 1902 , S. 434 - 1247 , hier S. 669 .), was belegt, dass schon recht früh versucht wird, den Terminus ‹Topik› auch für die volkssprachliche Liebesdichtung des Mittelalters nutzbar zu machen. Zur weiteren Vorgeschichte von Curtius’ Toposforschung, deren Ausgangspunkt wohl Tendenzen der Altertumskunde um 1900 sind, vgl. Goldmann, Stefan: Zur Herkunft des Topos-Begriffs von Ernst Robert Curtius, in: Euph. 90 ( 1996 ), S. 134 - 149 . 129 Vgl. bes. E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 249 ; in seiner großangelegten Zusammenstellung «Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter» geht Curtius im Kapitel «Die Ideallandschaft» (s. o.) nicht mehr auf den Natureingang ein. 130 E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 230 ; der Satz findet sich auch in ders., Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, S. 202 . 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 51 etwas ausführlicher einzugehen. Allerdings kann eine erschöpfende Darlegung und Diskussion des Topos-Begriffs von Curtius und des von ihm propagierten methodischen Konzepts einer ‹Historischen Topik› 131 sowie ein Überblick über die kritische Auseinandersetzung mit Curtius’ Thesen in der späteren, interdisziplinären Toposforschung hier nicht gegeben werden. 132 Deswegen mögen die folgenden kurzen Bemerkungen genügen: Curtius geht in seiner Herleitung des Topos-Begriffs von den vielfältigen Beziehungen zwischen Rhetorik und Poetik seit der Spätantike aus, um jenen aus der Redekunst stammenden Terminus als Analyseinstrument auch für poetische Texte zu etablieren. In der systematisch-normativen Rhetorik ist der Topos dem Vorgang der inventio zuzuordnen und meint im Bereich der ‹künstlichen› Beweiserzeugung des genus iudicale gewisse ‹Orte›, an denen der Redner Beweisgründe (argumenta) für seine Rede auffinden kann; 133 nicht unumstritten ist allerdings die Gleichsetzung dieser argumenta mit ihren Fundorten (den Topoi) 134 131 Besonders hinsichtlich seiner kulturgeschichtlichen Implikationen, die deutlich von der Krisenerfahrung des Zweiten Weltkrieges bestimmt sind, vgl. etwa Vance, Eugene: From topic to tale. Logic and narrativity in the Middle Ages, Minneapolis 1987 (Theory and history of literature 47 ), S. 42 f. 132 Vgl. dazu beispielsweise die Ausführungen und weiterführenden Literaturhinweise bei Schirren, Thomas: Einleitung, in: Topik und Rhetorik. Ein interdisziplinäres Symposium (Tagung in Blaubeuren 1997 ), hg. von Thomas Schirren und Gert Ueding, Tübingen 2000 (Rhetorik- Forschungen 13 ), S. XIII - XXXI; Kühlmann, Wilhelm / Schmidt-Biggemann, Wilhelm, Art. «Topik», in: 3 RL 3 ( 2003 ), S. 646 - 649 , bes. S. 648 f., sowie Hess, Peter: Art. «Topos», in: ebd., S. 649 - 652 , hier S. 651 , und Till, Dietmar: Art. «Rhetorik und Poetik», in: Handbuch Literaturwissenschaft. Gegenstände- - Konzepte- - Institutionen, 3 Bde., hg. von Thomas Anz, Stuttgart 2007 , Bd. I: Gegenstände und Grundbegriffe, S. 435 - 465 , bes. 443 - 445 . Im Bereich der mit dem Natureingang beschäftigten Minnesangforschung setzen sich mit Curtius’ Topos- Begriff und der nachfolgenden Toposforschung intensiver auseinander: Adam, Wolfgang: Die «wandelunge». Studien zum Jahreszeitentopos in der mittelhochdeutschen Literatur, Heidelberg 1979 (Beih. zum Euph. 15 ), S. 13 - 25 ; L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 184 f., und März, Christoph: Die Jahreszeiten der Sentimente. Zum «Natureingang» in den Liedern Neidharts, in: Deutsche Literatur und Sprache im Donauraum. Internationale mediävistische Konferenz, Olmütz 5 . 5 .- 7 . 5 . 2005 , hg. von Christine Pfau und Kristýna Slámová, Olomouc 2006 , S. 221 - 236 , bes. S. 227 f. Auf Fortführungen der Toposforschung in der germanistischen Mediävistik weist Lieb, Ludger: Der Jahreszeitentopos im ‹frühen› deutschen Minnesang. Eine Studie zur Macht des Topos und zur Institutionalisierung der höfischen Literatur, in: T. Schirren/ G. Ueding (Hgg.), Topik und Rhetorik, S. 121 - 142 , hier S. 123 f., Anm. 9 , hin. 133 Zur Ergänzung dieser äußerst verknappten Darstellung und der Herleitung über Aristoteles und Quintilian vgl. E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 227 f.; ders., Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, S. 77 - 79 und 200 ; W. Adam, Die «wandelunge», S. 18 f. und T. Schirren, Einleitung, S. XIV und XXI - XXVII. Wenn diese Topoi nicht nur in speziellen Kontexten, sondern allgemein einsetzbar sind, kann man sie auch κοινοὶ τóποι oder lat. loci communes nennen-- Gemeinplätze (eigentlich ist ‹Gemeinörter› der ursprüngliche deutsche Begriff dafür, vgl. Curtius, Ernst Robert: Zur Literarästhetik des Mittelalters II, in: ZrP 58 [ 1938 ], S. 129 - 232 , hier S. 135 f., und ders., Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, S. 79 ). 134 In der «Rhetorik» des Aristoteles, wo die Topoi als Bildungsmöglichkeiten von unvollständigen und auf die kollektiven Anschauungen des Wahrscheinlichen referierenden Schlüssen (Enthymemen) abgehandelt werden (vgl. dazu Barthes, Roland: L’ancienne rhétorique. Aide- 52 I Der Natureingang als Forschungsproblem durch Curtius, die letztere auch zu einer inhaltlichen Kategorie werden lässt. 135 Im mit dem Bedeutungsverlust von Staats- und Gerichtsrede einhergehenden Vorgang einer Rhetorisierung der Dichtkunst gewinnen jedenfalls diese rhetorischen Muster eine neue Bedeutung, so Curtius: «Sie werden literarische Klischees, die allgemein verwendbar sind» 136 , die, wobei es in der Spätantike sogar zur Bildung neuer Topoi mémoire [ 1970 ]; dt. erschienen als: Die alte Rhetorik. Ein Abriss, in: ders., Das semiologische Abenteuer. Aus dem Franz. von Dieter Hornig, Frankfurt a. M. 1988 [es 1441 ], S. 15 - 101 , hier S. 64 - 66 ), begegnen tatsächlich eher formale Bildungsgesetzmäßigkeiten wie die Einsetzung eines Gegensatzes oder Bezugnahme auf ein ‹Mehr oder Minder› (s. etwa in Kapitel II, 23 die Abschnitte [ 1 ] und [ 4 ]; so in: Aristoteles: Rhetorik, übers., hg. von Gernot Krapinger, 2 ., bibliogr. erg. Aufl., Stuttgart 2007 [ 1 1999 ] [RUB 18 006 ], S. 131 - 133 ). 135 Die folgenschwere Gleichsetzung der Topoi/ loci (rhetorische Fundorte) mit den argumenta (Beweisgründe) erfolgt bei Curtius nicht streng definitorisch, sondern ergibt sich eher als terminologische Verwischung, man vgl. E. R. Curtius, Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, S. 200 , wo es heißt: «Zur Findung solcher Beweise gibt die Rhetorik allgemeine Kategorien oder ‹Fundörter› an. Man teilt die loci in solche der Person und solche der Sache ein. Jene (argumenta a persona) sind: Herkunft, Heimat, Geschlecht, Lebensalter, Erziehung usw. Die Sachtopoi (argumenta a re- […]) antworten auf die Fragen: warum? wo? wann? wie? usw.» (ebd.). An dieser Ineinssetzung von locus und argumentum und der sich so ergebenden Verschiebung des Topos auf die Inhaltsdimension hat zuerst 1956 Edgar Mertner Kritik geübt, der einwendet, dies sei durch die antike Rhetorik historisch nicht zu belegen (vgl. ders.: Topos und Commonplace, in: Strena Anglica. Fs. Otto Ritter, hg. von Gerhard Dietrich und Fritz W. Schulze, Halle a.S. 1956 , S. 178 - 224 ; wieder in: Toposforschung. Eine Dokumentation, hg. von Peter Jehn, Frankfurt a. M. 1972 [Respublica Literaria 10 ], S. 20 - 68 ). Tatsächlich trennt Quintilian die beiden Kategorien recht sauber, vgl. W. Adam, Die «wandelunge», S. 18 - 21 . Allerdings ist auch der Toposbegriff der Antike und sein Verhältnis zur Kategorie des argumentum in dieser Hinsicht insgesamt nicht strikt eindeutig, so dass man heute beiden Ansätzen (Topos als nur formales rhetorisches Instrument/ Topos als inhaltliche Kategorie) eine gewisse Berechtigung zuspricht, vgl. dazu ebd., S. 21 f., und D. Till, Art. «Rhetorik und Poetik», S. 445 . So hat auch jüngst im Falle des locus amoenus Dorothea Klein wieder dezidiert einen im Anschluss an Curtius gebildeten Topos-Begriff in Anschlag gebracht, vgl. dies.: Amoene Orte. Zum produktiven Umgang mit einem Topos in mittelhochdeutscher Dichtung, in: Projektion-- Reflexion-- Ferne. Räumliche Vorstellungen und Denkfiguren im Mittelalter, hg. von Sonja Glauch, Susanne Köbele und Uta Störmer-Caysa, Berlin u. a. 2011 , S. 61 - 83 , hier S. 63 : «Der Begriff ‹Topos› soll dabei eine Bildformel, das literarische Darstellungsmuster bezeichnen. Ich verwende den Begriff also im Sinne von Ernst Robert Curtius: nicht als systematische Kategorie, nach der man Argumente finden kann, sondern als Bezeichnung für die Sache selbst». M. E. muss jedoch- - gerade für den hier nachzuzeichnenen Topos des ‹Natureingangs›- - der Gegensatz zwischen formalrhetorischer Argumentationsgewinnung und inhaltlicher Musterhaftigkeit nicht zu scharfkantig aufgeworfen werden, sondern er wäre eventuell sogar besser im Modus des ‹Sowohl-als-auch› zu eruieren, finden sich doch in ihm beide Aspekte, der der Herstellung eines argumentativen Bezugs und der der thematischen Konvention wieder; vgl. dazu die facettenreiche Bestimmung der drei Felder von Topik bei R. Barthes, Die alte Rhetorik, S. 67 - 70 , als die einer Methode zur Argumentationsbildung, eines Rasters von Leerformeln und eben eines Speichers zur Einlagerung von Inhalten. 136 E. R. Curtius, Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, S. 79 . Vor dem Hintergrund der in der Folgezeit in Teilen der mediävistischen Germanistik zu findenden Abwehrhaltung gegen Curtius’ literarischen Topos-Begriff, die ihm zu Unrecht zum Vorwurf gemacht haben, zu einer Abwertung der mittelalterlichen Literatur beigetragen zu haben (s. u., Anm. 145 ), sollte man den- - hier sicherlich in seiner neutralen Bedeutungsvariante gebrauchten- - Be- 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 53 komme, über das gesamte Mittelalter hinweg-- etwa durch die Vermittlung über die mittellateinische Poetik 137 - - in der Literatur produktiv blieben, bisweilen darüber hinaus. 138 Was die verschiedenen Formen der literarischen Repräsentation von ‹Natur› im Mittelalter im Speziellen betrifft, deren Zugehörigkeit zu solchen topischen Tradigriff «Klischee» wegen dessen häufig pejorativen Einsatzes zur Vermeidung von Missverständnissen besser ersetzen, wenn man definieren will, was unter dem Terminus hier und im Folgenden zu verstehen ist. Denn obwohl sich in der Literaturwissenschaft der Begriff des ‹Topos› breit etabliert hat, wird immer wieder dessen etwas unscharfer und unreflektierter Einsatz bemängelt, so dass es als Pflicht eingefordert worden ist, dass «jeder Autor, der den Begriff Topos verwendet,-[…] diesen definieren muß» (Obermayer, August: Zum Toposbegriff der modernen Literaturwissenschaft, in: Jahrbuch des Wiener Goethe-Vereins N. F. 73 [ 1969 ], S. 107 - 116 ; wieder in: Toposforschung, hg. von Max L. Baeumer, Darmstadt 1973 [WdF 395 ], S. 252 - 267 , hier S. 261 ). Um so methodisch einwandfrei zu operieren, müsste man z. B. mit Wolfgang Adam zu einer recht engen Toposdefinition kommen, der angibt: «Wir bezeichnen thematische Einheiten, deren Verankerung im Gefüge der antiken Rhetorik sich nachweisen und deren Übernahme in die mittelalterliche Poetik und Dichtung sich demonstrieren läßt, als Topoi» (W. Adam, Die «wandelunge», S. 23 ). Da m. E. der relativ pragmatische (und deshalb unscharfe) Gebrauch des Begriffs in der Forschung diesen überhaupt erst derartig produktiv hat werden lassen, werde ich deshalb trotzdem an einem freieren Verständnis von ‹Topos› festhalten. Dieser wäre demzufolge als ein thematisches literarisches Muster oder Stereotyp mit einer ausgeprägten textlichen Tradition aufzufassen. Vgl. dazu ferner L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 184 f., der zudem auf den Aspekt der gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit des Topos hinweist, was er aus einer Profilierung seines Ansatzes am Topos-Begriff von Bornscheuer ableitet (zum Konzept Lothar Bornscheuers- - dargelegt in: ders.: Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft, Frankfurt/ Main 1976 -- vgl. die Zusammenfassung bei: J. Spicker, Literarische Stilisierung, S. 29 - 34 ), und C. März, Die Jahreszeiten der Sentimente, S. 227 f., der auf die Selbstreferentialität des Topos abhebt. Jedenfalls scheint es mir nicht nötig zu sein, sich von Curtius’ Begriff des ‹Klischees› derart in eine Abwehrhaltung bringen zu lassen, dass man den Topos etwas umständlich allenfalls als «Vorstellungsmodell» begreifen will (vgl. Goheen, Jutta: Mittelalterliche Liebeslyrik von Neidhart von Reuental bis zu Oswald von Wolkenstein. Eine Stilkritik, Berlin 1984 [PhStuQ 110 ], S. 20 ). 137 Diese Vermittlungsfunktion der mittellateinischen Poetiken hebt Curtius besonders im Falle der Topoi der ‹Naturschilderung› hervor, vgl. E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 228 f., und ders., Europäisches Mittelalter und Lateinische Literatur, S. 200 f.; Näheres s. u. 138 Manche der topischen Traditionen, so Curtius, ließen sich so bis ins 17 . Jahrhundert und sogar darüber hinaus nachweisen, vgl. E. R. Curtius, Zur Literarästhetik des Mittelalters II, S. 137 . Diese großen Linien nachzuverfolgen, aber auch aus der zeittypischen Gestaltung dieser Topoi die jeweils «veränderte Seelenlage» zu rekonstruieren, ist die Aufgabe einer ‹Historischen Topik›, wie sie Curtius vorschwebt (vgl. dazu bes. E. R. Curtius, Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, S. 92 ; dort ist auch das Zitat entnommen). Für die Kritik an diesem Konzept s. die Literaturhinweise oben. Besonders häufig ist- - neben den heiklen methodischen Prämissen- - der Vorwurf erhoben worden, Curtius’ Zusammenschau solcher weitgespannten Texttraditionen arbeite ahistorisch, weil sie zu Disparates zusammenschließe, ja den Blick auf die konkrete Gestaltung der Motive im Einzeltext versperre, vgl. z. B. Thoss, Dagmar: Studien zum locus amoenus im Mittelalter, Wien u. a. 1972 (Wiener Romanistische Arbeiten 10 ), die kritisiert, dass «die Anwendung eines ‹topischen› Schemas bei der Analyse solcher Darstellungen zu Verfälschungen, Gewichtsverschiebungen, Nivellierungen führt» 54 I Der Natureingang als Forschungsproblem tionen Curtius herauszuarbeiten versucht, sind folgende Aspekte hervorzuheben: Curtius wendet sich nicht nur einerseits gegen die Ansicht, dass ‹Naturschilderungen› in der mittelalterlichen Literatur als ‹Wirklichkeitswiedergabe› gedacht seien 139 , sondern andererseits auch gegen die Auffassung, aus ihnen sei ein spezifisches ‹Naturgefühl› abzuleiten. 140 Stattdessen betont er deren rhetorische Basierung in den topischen Traditionen von Gerichts- und Lobrede und die Tatsache, dass sie aus der Anwendung einer literarischen Technik resultieren. 141 Denn gerade vor dem Hintergrund der Übertragung des Fragenkatalogs zur Findung von Beweisgründen aus der normativen Rhetorik auf die literarische descriptio in der mittelalterlichen Poetik 142 , sei es beispielsweise durchaus gerechtfertigt, den Motivkomplex des locus amoenus der rhetorischen Kategorie des argumentum a loco zuzuordnen, ja der (jahreszeitliche) Natureingang der Lyrik sei eventuell dem argumentum a tempore zugehörig. 143 Dies beweise, dass es sich bei ihnen um zwei eigentlich voneinander (ebd., S. 1 ). Allerdings ist dies das Risiko einer jeden Arbeit, die versucht, längere literarische Traditionen zu verfolgen, und es bleibt das große Verdienst der Studien von Curtius, auf solche ‹roten Fäden› überhaupt aufmerksam gemacht zu haben. Selbst wenn man heute bei der ganz engen Anbindung der antiken Rhetorik über die mittellateinischen Poetiken an die volkssprachlichen Literaturzeugnisse vorsichtiger argumentieren müsste (so lautet ein weiterer Kritikpunkt von Thoss, vgl. ebd.; ebenso für den Bereich des Minnesangs J. Goheen, Mittelalterliche Liebeslyrik, S. 85 f.), ist es dennoch zu würdigen, dass Curtius dadurch überhaupt auf die rhetorische Dimension der literarischen Gestaltung aufmerksam gemacht hat (s. u.). 139 Vgl. E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 222 ; hier noch etwas vorsichtiger als später in ders., Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter, wo es nun strikter heißt: «Die Naturschilderungen des Mittelalters wollen nicht die Wirklichkeit wiedergeben.» (S. 191 ). 140 Vgl. E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 223 : «An dem ‹Naturgefühl›-- einem Gegenstande, der übrigens wissenschaftlich keineswegs geklärt ist-- sind wir nicht, oder nicht primär interessiert. Wir erforschen nicht psychologische Tatbestände, sondern literarische Techniken». 141 Vgl. dazu obiges Zitat und E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 228 f., sowie ders., Europäisches Mittelalter und Lateinische Literatur, S. 200 f. 142 Vgl. ebd. So weist Matthäus von Vendôme in seiner wohl um 1175 entstandenen Ars versificatoria auf die Möglichkeit der Naturbeschreibung als Realisation eines argumentum a tempore oder argumentum a loco hin, vgl. etwa §§ 106 - 111 (Mathei Vindocinensis opera, 3 Bde., hg. von Franco Munari, Rom 1977 - 1988 , Bd. III: Ars versificatoria, Rom 1988 [Storia e letteratura 171 ], hier S. 113 - 126 ). 143 Vgl. E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 249 . Einschränkend muss gesagt werden, dass Curtius im Falle des Natureingangs die Einordnung als bloß wahrscheinlich und vorläufig herausstellt, ja «ein sicheres Urteil ließe sich nur aus der Analyse der vorhandenen lyrischen Natureingänge gewinnen» (ebd.). Vgl. dazu die bei März zu findende partielle Verteidigung Curtius’ gegen den Vorwurf der Ahistorizität seines Vorgehens: «Als bedenkenswert sei aber doch festgehalten, daß Curtius selbst keineswegs so ahistorisch verfuhr, daß er den Natureingang in provenzalischer, altfranzösischer und mittelhochdeutscher Dichtung einfach dem Erbe der Antike, gar deren rhetorischer Tradition zugeschlagen hätte» (C. März, Die Jahreszeiten der Sentimente, S. 227 ). M. E. trifft dies nicht ganz den Kern der Passage bei Curtius, der zwar angibt, dass eine «befriedigende Erklärung des ‹Natureingangs›-[…] bisher-[…] nicht gefunden worden» (E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 55 unabhängige Typen topischer ‹Naturschilderung› handle. 144 Auf diese-- m. E. völlig zutreffende-- Diagnose wird im Folgenden, wenn es um die Abgrenzung des jahreszeitlich organisierten Natureingangs als konzisem Typ der Eingangsgestaltung im Minnesang geht, noch zurückzukommen sein. Schließlich bleibt zu bemerken, dass, auch wenn an Hintergrund, Herleitung und Konzeption des Topos-Begriffs von Curtius-- nicht nur von Seiten der spezialisierten Toposforschung-- kritische Einwände geäußert worden sind, es als Leistung von dessen Studien angesehen werden muss, dass auch der Natureingang des Minnesangs von der Forschung als topisches Element erkannt worden ist 145 und so vor allem dessen rhetorische Dimension- - im Mittelalter, S. 249 ) sei, dies steht jedoch vor seinem Vorschlag einer Herleitung. Im Grunde scheint Curtius’ Unsicherheit mehr darin zu bestehen, ob der Natureingang wirklich allein zum argumentum a tempore gehört oder nicht doch auch zum argumentum a loco (so verstehe ich zumindest ebd., Anm. 61 , die gleichwohl unklar bleibt). Für den Natureingang im Bereich der Trouvèrelyrik hat dann auch Dragonetti den Ansatz Curtius’ genau in der Form weitergeführt, dass er ihn sehr eng an die von der Antike vermittelte mittellateinische Rhetoriktradition anbindet, vgl. R. Dragonetti, La technique poétique, S. 163 - 169 und S. 190 (siehe unten das Zitat, Anm. 145). Die oben beschriebene Unsicherheit von Curtius ließe sich dadurch auflösen, dass Lieder, deren Eingang neben jahreszeitlicher Prägung Elemente der locus amoenus-Tradition aufweist, als Kombinationen der beiden verschiedenen Topoi von Naturrepräsentation zu lesen sind (vgl. allein Curtius’ Äußerungen zu den Carmina Burana [Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 248 ]; ferner ebd., S. 249 f., wo darauf hingewiesen wird, dass sich der locus amoenus häufig mit anderen Motivkomplexen verbindet); schließlich kann aber auch in der volkssprachlichen Liebeslyrik der Topos des Lustorts in Reinform begegnen (s. u.). Dies muss jedoch nicht gleich an der Tatsache zweifeln lassen, dass sich locus amoenus und jahreszeitlicher Natureingang kategorial durch ihre unterschiedliche Ausrichtung (räumlich vs. [jahres]zeitlich) unterscheiden (Näheres dazu siehe unten, Kap.-II.1). Es ist daher die große Leistung von Curtius’ diesbezüglichen knappen Hinweisen, auf die unterschiedliche Organisierung der beiden Naturbildtopoi aufmerksam gemacht zu haben. Diese wichtige Grenzziehung verwischt dann bereits Barbara von Wulffen mit ihrem äußerst problematischen Verständnis des Natureingangs (s.u). 144 Vgl. E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 249 . 145 Diese Erkenntnis hat sich in der Minnesangforschung nicht ohne Weiteres durchgesetzt, es ist schon von der partiellen Abwehrhaltung gegenüber der Toposforschung von Curtius die Rede gewesen (s. auch unten, Barbara von Wulffen). So erkennt z. B. Wolfgang Mohr in einem 1969 erschienenen Aufsatz ausdrücklich das «Typische» und «Topische» der Natureingänge an, plädiert aber gleichwohl dafür, dass sie «ein für die damaligen Menschen erfahrbares Landschaftsbild» präsentieren, also auf Darstellung einer erlebbaren Wirklichkeit abheben (vgl. und Zitate entnommen: Mohr, Wolfgang: Die Natur im mittelalterlichen Liede, zuerst in: Geschichte. Deutung. Kritik. Literaturwissenschaftliche Beiträge dargebracht zum 65 . Geb. Werner Kohlschmidts, hg. von Maria Bindschedler und Paul Zinsli, Bern 1969 , S. 45 - 63 ; wieder in: Oswald von Wolkenstein, hg. von Ulrich Müller, Darmstadt 1980 (WdF 526 ), S. 194 - 217 , hier S. 200 , wo sich im Übrigen auch die recht aufschlussreiche Wendung findet: «Die Neidhart-Szenerie gab es in der Wirklichkeit» [! ]). Ja selbst Viola Bolduan legt noch 1982 , obwohl sie in ihrer Studie zunächst hervorhebt, dass aufgrund der Ergebnisse von Curtius (u. a.) «nach Realitätsgrad und subjektivem Erlebnisgehalt nicht mehr gefragt werden [konnte]» (dies.: Minne zwischen Ideal und Wirklichkeit, S. 10 f.), ihre Untersuchung daraufhin an, zu überprüfen, inwiefern ausgerechnet der Natureingang bei den späteren Schweizer Minnesängern ein stärkeres «Hineinnehmen der Wirklichkeit in die Dichtung» (ebd., S. 12 ) zeige. An dieser Stelle sollte aber noch besonders auf den Versuch Jutta Goheens hingewiesen 56 I Der Natureingang als Forschungsproblem verstanden als eine hinsichtlich einer Wirkungsabsicht geformte Sprachlichkeit von Texten 146 -- immer mehr in den Fokus gerückt ist. 147 Ferner ist-- neben ersten Ansätzen einer (tendenziellen) Neubewertung des Natureingangs in der älteren Forschung und der Toposforschung von Curtius-- noch werden, den Toposbegriff von Curtius für den Natureingang zu relativieren und ihn gegenüber dem Bereich des autorspezifischen Naturbeobachtens und -empfindens zu öffnen, vgl. J. Goheen, Mittelalterliche Liebeslyrik, S. 39 und S. 88 - 90 . Darin ist ferner der Vorwurf erhoben worden, Curtius habe in der Forschung die Abwertung der mittelalterlichen Literatur als unpoetische Rhetorik und schematische Formkunst, in der poetische Empfindung nicht zu finden sei, ausgelöst (vgl. ebd., S. 18 ). Goheen beruft sich in ihrer Untersuchung auf die zuvor von Thoss geäußerte Kritik an Curtius’ Toposforschung, geht in der Ablehnung des Toposbegriffs aber nicht so weit wie letztere (vgl. ebd., S. 33 , Anm. 24 ; ferner: D. Thoss, Studien zum locus amoenus im Mittelalter, S. 154 f.). Man kann sich bei beiden Darstellungen des Eindruckes nicht erwehren, dass neben einem fragwürdigen Rhetorikverständnis vor allem ein problematisches Originalitätsparadigma im Hintergrund steht, das zu rekonstituieren versucht wird. Dass es Curtius aber um eine Charakterisierung der mittelalterlichen Literatur als rein schematisch und ‹unpoetisch› gegangen sei, ist m. E. nicht haltbar, man vgl. nur sein Schlusszitat in E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 256 . Dennoch hat sich der Topos-Begriff für den jahreszeitlichen Natureingang im Minnesang allgemein durchsetzen können. Vgl. für die Romanistik ferner auch das Fazit von Roger Dragonetti, der die Ergebnisse von Curtius für den (jahreszeitlichen) Natureingang der Trouvèrelyrik nutzbar macht und gerade auch die mittellateinische Rhetoriktradition als Anknüpfungspunkt dieser Topik betont: «Nous avons montré tout d’abord que les clichés saisonniers des poètes courtois s’intègrent à une tradition rhétorique médiolatine qui nous met sur la voie du style des retours saisonniers. Cette tradition est à l’opposé des conceptions romantiques du sentiment de la nature: autant le langage de celui-ci est anti-rhétorique, ou prétend l’être, c’est-à-dire est le prolongement d’une émotion ou d’une perception directe des objets, autant est rhétorique et veut l’être, la tradition précitée» (R. Dragonetti, La technique poétique, S. 190 ). 146 Durch ein derart weit gefasstes Rhetorikverständnis wird hier freilich die eigentlich für die Topostheorie grundlegende Frage an den Rand gedrängt, ob der Topos aus Perspektive der Logik oder der Rhetorik (im engeren Sinne eines Aussagensystems) in den Blick genommen werden soll, denen er zur Ausgestaltung der Beweisführung in jeweils spezifischer Form dient (Syllogismus vs. Enthymem), vgl. E. Vance, From topic to tale, S. 43 - 49 , der für die literarischen Erzähltexte zu Recht die Topik als Bereitstellungsapparat von Protonarrativen herausarbeitet (vgl. ebd., S. 50 - 54 ), aber ebenso betont: «However, a story, formally speaking, is neither a syllogism or ethymeme; therefore, contraries [als von der Dialektik formalisierte Technik der Inbezugsetzung, D. E.] manifested in narrative discourse will tend to be expressed indirectly, reiterated, and sometimes amplified or extended anaphorically over long sequences» (ebd., S. 49 ). Dies mag nun im Falle des Werbungsliedes mit seiner stärkeren Ausrichtung an argumentativer Setzung von Aussagen, die der Stilisierung des Sprechens hinsichtlich eines reflexiven Auslotens der Minnesituation durch das Text-Ich dient, sogar graduell noch eher der Fall sein, will heißen: der Einsatz von Topoi scheint näher am argumentativen Gebrauch im Sinne einer ‹Beweisherleitung› zu liegen. 147 Dies bedeutet freilich auch nicht, dass man nun die jeweilige diskursive Entfaltung im Einzeltext außer Acht lassen sollte (die wiederum ja auch eine rhetorisch erzeugte ist! ); jedenfalls scheint es mir nicht zielführend, sich in diesem Punkt in eine Opposition von Topik (als ‹totem› Material) und Individualität/ Kreativität der Anwendung durch die mittelalterlichen Autoren verstricken zu lassen, wie dies wiederum bei Dorothea Klein geschieht (vgl. besonders das Fazit in: dies., Amoene Orte, S. 83 ), da so die Gefahr besteht, ein negatives Rhetorik- Verständnis und das geniezeitliche Originalitätsparadigma letztlich fortzuschreiben. 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 57 ein dritter Zweig der Bestrebungen, die in der Forschung einen Paradigmenwechsel für die Betrachtung des Natureingangs angeregt haben, zu nennen, denn auch die schon mehrfach angesprochene Studie «Minnesangs Wende» von Hugo Kuhn hat für die Erforschung des Natureingangs im Minnesang in der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts bedeutende Impulse gegeben, obwohl in ihr die Thematik ebenfalls nur kurz behandelt wird. 148 Kuhn bezweifelt in seiner Darstellung sogar, dass es bei den Natureingängen im Minnesang überhaupt um ‹Naturschilderung› 149 gehe, und erfasst diesen Einleitungstyp allein über dessen symbolische Verweisfunktion, die Objektivierung der für die Liebesthematik so zentralen Dialektik von vröide und leit, die durch eine Anbindung der gesellschaftlichen Haltung an die Naturvorgänge erfolgt. 150 Insofern tragen die Überlegungen Kuhns zur symbolischen Verweisfunktion des Natureingangs ebenfalls wesentlich dazu bei, dass dieser als Bestandteil einer textlichen Konstruktion erkennbar wird und die Frage nach dessen funktionaler Leistung für den literarischen Text in den Mittelpunkt rückt. An Kuhns Überlegungen schließt sich die Untersuchung von Barbara von Wulffen aus dem Jahr 1963 an, die als grundlegend zu nennen ist, da sie sich erstmals um eine Systematisierung der einzelnen Erscheinungsformen des Motivkomplexes bemüht. 151 Dennoch fällt die Arbeit aber in ihrem Verständnis des Natur- 148 Vgl. H. Kuhn, Minnesangs Wende, S. 74 f. 149 Dieser Begriff begegnet ja noch im Titel des zuvor behandelten Aufsatzes von Curtius zum Thema, s. o. 150 Vgl. H. Kuhn, Minnesangs Wende, S. 74 f. Kuhns Überlegungen erweisen sich ferner auch als ein wichtiger Ausgangspunkt der sich ebenfalls punktuell mit dem Natureingang des frühen Minnesangs befassenden Studie von Rolf Grimminger (vgl. ders.: Poetik des frühen Minnesangs, München 1969 [MTU 27 ], bes. S. 46 - 54 ), die ich in meinem forschungsgeschichtlichen Überblick nicht als eigene Station aufgeführt habe, dennoch aber nicht übergehen will. In seiner Darstellung erkennt Grimminger den symbolhaften Charakter des Natureingangs allerdings nur für den frühhöfischen Minnesang an, während schon im hochhöfischen Minnesang diese symbolische Tradition durch formalistischen Einsatz überlagert werde (vgl. ebd.). 151 Vgl. von Wulffen, Barbara: Der Natureingang in Minnesang und frühem Volkslied, München 1963 . Es ist aber gerade die von Wulffen vorgenommene Differenzierung des Natureingangs in die drei funktionalen Typen Einleitungstopik (im engeren Sinn der Fingierung eines Anlasses der poetischen Produktion), szenischer und minnesängerisch bewegender Natureingang (vgl. ebd, S. 18 - 71 ), die nicht recht zu überzeugen vermag. So wird man durchaus daran zweifeln können, ob allein Stilisierungen der Ich-Rede wie Aufruf zu gemeinschaftlicher Freude und Geselligkeit einen Natureingang schon zum Vertreter des szenischen Typs werden lassen (vgl. von Wulffens Auseinandersetzung mit Neidharts SL 4 auf S. 31 ); vgl. dazu auch die Einlassung von Christoph März: «Ich will ausdrücklich in diese Ordnung auch, anders als übliche Darstellungen des ‹Natureingangs›, die menschliche Reaktion auf den Frühling mit einbeziehen. Denn wichtig erscheint mir, daß das Frühlingserwachen der Menschen nicht oder wenigstens nicht nur als Analogon zu dem Aufsprießen der Natur zu begreifen ist, sondern als deren Bestandteil: Der Tanz steht in einer Reihe mit dem Erblühen von Rosen» (C. März, Die Jahreszeiten der Sentimente, S. 225 ). Schließlich scheint mir die Extrapolierung einer Eingangstopik im engeren Sinne (Natureingang als rein thematischer Aufhänger) äußerst problematisch zu sein, zunächst einmal, weil die anderen Typen gleichwohl ebenfalls topische Formen der Anfangsgestaltung darstellen (so auch von Wulffen in Anm. 1 , ebd., S. 19 ; vgl. ferner die Kritik Liebs an einem solchen Vorgehen, dem eine tiefgreifende Verwechslung inhalt- 58 I Der Natureingang als Forschungsproblem eingangs eigentlich hinter den bereits erreichten Stand der Forschung zurück: So würdigt von Wulffen beispielsweise den methodischen Ansatz von Curtius zwar als «Bereicherung jeder neueren Forschung, gleichgültig, welches ihr Anliegen sein mag» 152 , suspendiert ihn aber gleichzeitig als Ausgangspunkt ihrer eigenen Darstellung. 153 Ja der Natureingang im Minnesang sei, so von Wulffen, nicht als Topos aufzufassen: Seine [=Curtius’] Vermutung- […], der Natureingang gehöre zum «argumentum a tempore», so wie der «locus amoenus» zum «argumentum a loco» der aristotelischen Lehre vom Beweis, wie sie die lateinische Rhetorik für die Gerichtsrede empfiehlt, trifft nicht das Wesen des Natureingangs, der als übergeordnete Gestalteinheit inhaltlich nicht auf irgendeinen Topos, hier Beschreibung von Jahreszeiten, festgelegt werden kann. Er kann alle möglichen Topoi zum Inhalt haben, ohne selbst ein solcher zu sein. 154 Schon in dieser Äußerung deutet sich an, dass von Wulffen für den Natureingang in ihrer Studie ein sehr viel weiter gefasstes Verständnis unterlegt als die vorliegende Untersuchung, die sich einem ganz bestimmten Typ der Eingangsgestaltung widmet, der sehr wohl strikt an den jahreszeitlichen Wandel gebunden ist. 155 Auch erachtet von Wulffen ferner weder die Anfangsstellung des Natureingangs im Lied als notwendig, noch seine wirkliche Durchführung im Lied, und gibt so folgende recht wenig brauchbare Definition: «Natureingang» muß daher im Folgenden nicht wie bisher üblich als eine poetische Gewohnheit, eine Art Einleitungsform verstanden werden, sondern als lebendiges selbständiges Gebilde, das keineswegs an den Beginn eines Liedes gebunden sein muß-- obwohl es in der Hauptsache dort vorkommt.-[…] Es kann verschiedene Stufen von sprachlicher licher und rhetorischer Kategorien zugrunde liegt, in L. Lieb, Der Jahreszeitentopos, S. 129 , Anm. 30 ), andererseits weil es doch recht fraglich ist, ob die ‹minnesängerische Bewegtheit› (die wohl in Abgrenzung zu Typ I zudem als ‹persönliche› Ich-Betroffenheit aufzufassen ist, vgl. ebd., S. 37 - 39 ) ein taugliches Distinktionskriterium liefert (vgl. schon die Einschränkung durch die Verfasserin selbst, ebd., S. 19 ). Vgl. ferner auch die Kritik der Einteilung bei Misch, Manfred: Rez. zu Barbara von Wulffen, Der Natureingang in Minnesang und frühem Volkslied, in: Beitr. (Tüb.) 86 ( 1964 ), S. 150 - 152 , bes. S. 151 : «Der hier vorgenommene Versuch zu systematisieren bleibt unbefriedigend, weil die Gliederungsgesichtspunkte nicht klar herausgearbeitet und dargelegt sind, und er ist angreifbar, weil die eindeutige Zuordnung des vorhandenen Materials zum einen oder anderen Typus in nur wenigen Fällen möglich ist»; ähnlich: W. Adam, Die «wandelunge», S. 34 . 152 Ebd., S. 7 . 153 Vgl. ebd. 154 Ebd., S. 11 , Anm. 29 . 155 So gerät bei von Wulffen beispielsweise auch der nicht jahreszeitlich organisierte Eingang des Tagelieds mit in die von ihr vorgenommene Typeneinteilung, vgl. etwa S. 27 f., wo Wolframs Sîne klâwen (MFMT XXIV, Nr. II) als szenischer Natureingang aufgeführt ist. Mit dem Typus des jahreszeitlich geprägten Natureingangs im Werbungslied hat die Eingangsgestaltung des Tagelieds, auch wenn sie Naturmotive nutzt, aber nichts gemein. Ebenso ist auch Walthers berühmtes Lied L 39 , 11 : Under der linden aufgenommen (vgl. ebd., S. 29 ), das in seiner Nutzung der locus amoenus-Topik gerade keine vorrangig jahreszeitlich organisierte Naturmotivik aufweist (s. u.). 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 59 Abstraktion durchmachen- - aber immer bleibt jenes Ding «Natureingang» irgendwie lebendig. 156 Zunächst einmal muss heute das organizistische Denken, das von Wulffen einer rein auf literarische Techniken zielenden Betrachtungsweise des Phänomens vorzieht, Skepsis hervorrufen. Gerade die Vorstellung von einem ‹lebendigen Ding› Natureingang, das gleichsam ‹hinter› den poetischen Konkretionen als existente Wesenheit imaginiert wird, führt aber wohl bei von Wulffen überhaupt erst zu der sehr unpräzisen Eingrenzung. Da sie den Natureingang also nicht an seine Anfangsstellung im Lied bindet 157 und Realisationsformen von derart weit gehender Abstraktheit annimmt, dass selbst die bloße Nennung einer Jahreszeit im Lied sie von einem Natureingang sprechen lässt, 158 geraten so viele eigentlich nicht zugehörige Erscheinungen mit in den Blick, die in der Gesamtschau das Bild vom Vorkommen des eng zu umgrenzenden Typs ‹Natureingang› im deutschen Minnesang eher verschwimmen lassen. 159 Deshalb scheint es durchaus sinnvoll zu sein, den literarischen Topos des Natureingangs ausschließlich als eine poetische Möglichkeit der Anfangsgestaltung zu betrachten, ihn andererseits aber auch auf seine tatsächliche Durchführung im Lied mittels Aufrufung von durch den jahreszeitlichen Wandel ausgelösten, zeichenhaften Naturdetails zu verpflichten. Dabei soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass durch Bezugnahme auf durch Jahreszeitenwandel hervorgerufene Naturerscheinungen im Liedinneren oder bloße Jahreszeitennennung konnotativ auf den literarischen Topos des Natureingangs angespielt werden kann; als wirkliche Realisationsformen einer spezifischen poetischen Technik der Eingangsfindung sind solche Fälle aber dennoch nicht in den Blick zu nehmen. An den viel zu unscharfen Erfassungskriterien von Wulffens übt 1979 schließlich auch Wolfgang Adam zu Recht Kritik, 160 der den Natureingang selbst als «das ein Lied eröffnende Jahreszeitenbild» 161 definiert. Sehr hilfreich sind auch die wei- 156 Ebd., S. 9 . 157 Vgl. ebd., S. 17 f. das Kapitel «Seine Stellung im Liedinneren». 158 Vgl. ebd., S. 56 - 62 und S. 66 - 71 . 159 Dennoch ist zu sagen, dass der als Fazit beigegebene Überblick über das phasenweise recht unterschiedliche Vorkommen des Natureingangs im Minnesang (vgl. ebd., S. 72 - 79 ) in den aufgezeigten Tendenzen nicht grundsätzlich von der Aufstellung abweicht, die hier im Folgenden gegeben wird (s. u.). Über das genaue Auftreten des jahreszeitlich organisierten Natureingangs im Minnesang ist jedoch kein präzises Bild zu gewinnen, grenzt man ihn nur unzureichend von Liedern mit bloßer Jahreszeitennennung, von Liedern mit nicht jahreszeitlich geprägten Naturmotiven und von Liedern mit konnotativer Aufrufung des Topos im Liedinneren ab. 160 Vgl. W. Adam, Die «wandelunge», S. 35 . Da vorliegender Forschungsüberblick nicht strikt chronologisch vorgeht, sondern vielmehr versucht, gewisse Entwicklungslinien der Forschungsgeschichte zum Natureingang im Minnesang nachzuzeichnen, wird die Besprechung der Publikationen von Anthonius H. Touber (ders., Rhetorik und Form) von 1964 und Wolfgang Mohr (ders., Die Natur im Mittelalterlichen Liede) von 1969 , die an dieser Stelle strenggenommen eingeschoben hätte werden müssen, später nachgeholt, s. u. 161 W. Adam, Die «wandelunge», S. 35 . 60 I Der Natureingang als Forschungsproblem teren Ausführungen Adams, die sich damit beschäftigen, in welchen Fällen die Verwendung des Terminus ‹Natureingang› überhaupt sinnvoll ist: «Zunächst müssen einige- […] Wirklichkeitsmerkmale vorhanden sein, die eine bestimmte Zeit des Jahres ankündigen. Zum zweiten ist die Position des Naturbildes genau markiert: der Liedanfang» 162 . Es muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob der Terminus des ‹Wirklichkeitsmerkmals› besonders günstig ist; dennoch ist hervorzuheben: Mit Adams Diktum sind die drei zentralen Aspekte benannt, die einer Minimaldefinition des jahreszeitlich organisierten Natureingangs, wie sie im Folgenden noch genauer zu entwickeln ist, m. E. zugrunde gelegt werden müssen: Eingangsstellung im Lied, Bezugnahme auf eine Jahreszeit bzw. auf den Wandel der Jahreszeit, und schließlich die Aufrufung von Naturdetails, an denen diese saisonale Ausrichtung vorgeführt wird. Es ist ferner aber auch festzuhalten, dass gerade Adams grundsätzliche Überlegungen zum Typ des jahreszeitlich geprägten Natureingangs, die sich für die vorliegende Untersuchung als in gewinnbringender Weise anschlussfähig erweisen werden, als eine besondere Leistung der Studie noch nicht ausreichend gewürdigt worden und daher in der Forschung relativ wirkungslos geblieben sind. 163 162 Ebd., S 36 . 163 Dies hängt wohl vor allem mit der Tatsache zusammen, dass gerade der von Wolfgang Adam ebenfalls benutzte Terminus des Jahreszeitentopos (man vgl. nur den vollständigen Titel von Adams Studie; ferner auch ders.: Descriptio quatuor temporum anni. Tradition und Deutung des Jahreszeitentopos in der mittelalterlichen Literatur, in: Euph. 72 [ 1978 ], S. 121 - 132 ) von der neueren Forschung aufgegriffen worden ist und den Begriff des Natureingangs partiell abgelöst hat, s. u.; damit sind die vorbildlichen definitorischen Bemühungen Adams um den letzteren, die die beiden Aspekte von Jahreszeitenbild und Naturrepräsentation zusammenzubringen versuchen, etwas untergegangen. So steht bei der Würdigung von Adams Arbeit meist-- neben dessen beispielhafter Auseinandersetzung mit der Topos-Forschung-- die von ihm vorgeschlagene Typeneinteilung des Natureingangs bei Johannes Hadloub im Vordergrund, vgl. z.B. T. Bein, Jahreszeiten, S. 220 f., Anm. 21 , und L. Lieb, Der Jahreszeitentopos, S. 130 , Anm. 31 . Adam stellt hier für den Sommereingang im Œuvre Hadloubs sechs Typen zusammen, nämlich I: «Die Deskription der sichtbaren Phänomene» (vgl. Adam, «Die wandelunge», S. 36 - 38 ), II: «Die Deskription der sicht- und hörbaren Phänomene» (vgl. ebd., S. 38 - 40 ), III: «Perspektivenverschiebung: die Sicht der Vögel» (vgl. ebd., S. 40 - 43 ), IV: «Perspektivenverschiebung: die Sicht eines Spaziergängers» (vgl. ebd., S. 43 - 49 ), V: «Natureingang mit ‹szenischem Element›» (vgl. ebd., S. 49 - 55 ) und VI: «Natureingang mit ‹narrativem Element›» (vgl. ebd., S. 55 - 56 ); für den Bereich des winterlichen Natureingangs kommt Adam zu einer nur leicht modifizierten Typologie (Typ III und VI fehlen, dafür als Typ III hinzutretend «Die Deskription der sicht-, hör- und fühlbaren Phänomene», vgl. ebd., S. 66 - 78 ). Da es Adam in seiner Studie, wie er selbst angibt, ja nicht nur um die Aufdeckung der Tektonik des Natureingangs, sondern auch um dessen Funktion im literarischen Kontext geht (vgl. ebd., S. 7 ), scheint mir die von ihm entworfene Typologie des Natureingangs hinter diesem Anspruch zurückzubleiben. Denn es ist doch sehr fraglich, was genau die Typen einer Deskription der verschiedenen Sinneseindrücke (Sehen, Hören, Fühlen) eigentlich funktional so unterscheidet, dass eine solche Typenaufteilung sinnvoll wäre. Andererseits scheinen die Typen III und IV des Sommereingangs Sonderfälle eines in der Spätzeit erweiterten Motivrepertoires der Natureingangsrealisation anzuzeigen, die zu einer über Hadloub hinausgehenden Typologie deshalb nicht zu gebrauchen sind (auch, weil sie wiederum nichts bezüglich der spezifischen Funktion des Natureingangs und dessen Einbindung in den Liedkontext aussagen). Es scheint 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 61 An dieser Stelle muss der Vollständigkeit halber- - durchaus auch im chronologischen Rückgriff- - noch auf einige weitere Arbeiten zum Natureingang im Minnesang kurz eingegangen werden, die bedeutsame Beiträge in der Behandlung des Untersuchungsgegenstandes darstellen, aber bei der hier gewählten Akzentuierung des Forschungsberichts nicht als eigenständige Stationen aufzuführen waren, da sie sich mit der Unterlegung einer adäquaten Definition für jenen Typ mir ferner wichtig, noch etwas ausführlicher auf die Typen V und VI einzugehen, wobei von meiner Skepsis an der Adäquatheit des Terminus ‹szenisch› in Bezug auf den Natureingang schon im Falle von Barbara von Wulffens Typeneinteilung die Rede gewesen ist (s. o.). Adam spricht nun im Falle der Merkmalsgruppe V ebenfalls von einem ‹szenischen Element› (vgl. ebd., S. 50 ), das Hadloub in Form von agierenden Menschen in das Motivrepertoire einführt (dies findet sich eigentlich schon früher, besonders ausgeprägt bei Neidhart); hier ist m. E. nachdrücklich zu fragen, was genau ein Motiv wie den Tanz von schönen Damen in Lied SMS 30 , 21 eigentlich szenischer macht als andere im Naturraum ablaufende Vorgänge, man vgl.: vogel went den sumer üeben / mit ir stimme manigvalt. / Heide, die stânt grüen / und gel von bluomen, und der sunne küen / sîs schœnen glanz. / dâbî sicht man boume blüen, / dâ wir under suln schowen / schœner frowen mangen tanz (I, 5 - 12 ; zitiert-- wie auch im Folgenden-- nach: Die Schweizer Minnesänger, nach der Ausgabe von Karl Bartsch neu bearb. und hg. von Max Schiendorfer, Tübingen 1990 [nur erschienen: Bd. I: Texte.]). Der Hinweis von Adam, die Nennung von Schauplatz, Personal und Aktion erlaube es, vom szenischen Charakter der Passagen mit agierenden Menschen zu sprechen (vgl. ebd., S. 50 ), scheint mir nicht hilfreich zu sein, da dies nicht grundsätzlich anders geschieht als bei den übrigen Abläufen in der ‹Natur›. Insofern sollte man das oft konstatierte ‹szenische› Moment der Natureingänge, in denen die Naturvorgänge auch durch gesellschaftliche Aktionen vorgeführt werden, nicht unhinterfragt lassen; als Distinktionskriterium eines eigenen Typs von Natureingang scheint es mir jedenfalls nicht geeignet zu sein. Für den letzten Typ des Sommereingangs wählt Adam dann die Bezeichnung «Natureingang mit ‹narrativem Element›» (ebd., S. 55 ) und bringt als einziges Beispiel Hadloubs Lied SMS 30 , 47 , das aus der Ich-Perspektive im Präteritum folgende einleitende Episode präsentiert: In dem grüenen klê---sach ich mîn frowen gân: / ach, waz ich dâ wunnen sach / An ir vil und mê---und an dem schœnen plân, / daz ez in mîn herze brach! / Bluomen clâr und diu frowe mîn / lûchten gegen ein andern, daz diu wunne ûf gie. / ich gesach nie- - - so liechten schîn (I, 1 - 7 ). Einmal davon abgesehen, dass das Lied wohl genau keinen Natureingang im oben vorgestellten Sinne aufweist-- es fehlen die deutliche Prägung durch den Jahreszeitenwandel wie auch explizite Jahreszeitennennung, was insgesamt mehr auf Darstellungstechniken des locus amoenus hindeutet, der sehr oft in der Vergangenheitsform präsentiert wird--, so verweist Adam mit der Aufstellung des Typs doch auf eine noch näher zu beleuchtende Eigenart mancher jahreszeitlich geprägter Natureingänge im Minnesang, nämlich die (meist auch nur punktuelle) Einführung einer Vergangenheitsperspektive (im Gegensatz zur sonst vorherrschenden Präsentik! ), die gleichzeitig auch eine Verstärkung des narrativen Duktus in Form einer ‹Ich-Erzählung› zur Folge hat (s. u.). Dass allerdings fast alle Natureingänge im Minnesang gleichwohl ‹narrative Elemente› aufweisen, die sich meist allein schon dadurch ergeben, dass Naturvorgänge in objektiver Setzweise als gerade ablaufend angeführt werden (s. dazu ebenfalls unten), ist ebenso hervorzuheben. Alle die hier nur kurz umrissenen Einwände zeigen, dass Adams Typeneinteilung zwar durchaus auf verschiedene Formen der Natureingangsbauweise eines variantenreichen, späten Sonderœuvres, wie das Hadloubs eines darstellt, aufmerksam macht, jedoch zur Gewinnung einer übergeordneten Typologie des Natureingangs im Minnesang nur wenig beisteuern kann. Deswegen ist Thomas Bein zu widersprechen, wenn dieser angibt, man könne Adams «Beschreibungsinstrumentarium gut auch auf andere Textcorpora anwenden» (T. Bein, Jahreszeiten, S. 220 f.). Zu weiteren Vorschlägen einer auf den Natureingang bezogenen Typeneinteilung s. u. 62 I Der Natureingang als Forschungsproblem der Exordialgestaltung nur am Rande beschäftigen. Dennoch finden sich in ihnen wichtige Überlegungen zum Status des Natureingangs im Spannungsfeld von Wirklichkeitsrezeption, Rhetorizität und literarischer Valenz sowie weitere Vorschläge zu einer Typologie desselben, so dass sie hier überblicksartig behandelt werden sollen. Bereits 1964 hat Anthonius H. Touber in seiner vornehmlich mit den Liedern Gottfrieds von Neifen beschäftigten Studie «Rhetorik und Form» den Natureingang als topisches Element des deutschen Minnesangs behandelt, wobei er vergleichend auch andere europäische Liebeslyriktraditionen des Mittelalters in den Blick nimmt. 164 Touber betont in diesem Zusammenhang zwar, dass es zur Klärung der Funktion von Naturrepräsentationen im Minnesang ratsam sei, besonders die Verbindung zwischen Natureingang und der Liebesthematik in den Liedern näher zu betrachten, 165 konstatiert bei Gottfried aber vorschnell, dass der Natureingang dort «wie ein beziehungsloser, isolierter Block, sprachlich unintegriert am Anfang des Liedes» 166 stehe; dies sei jedoch durch die Tradition des Natureingangs im deutschen Minnesang schon vorgezeichnet, der nämlich zwei Typen bezüglich der Behandlung der Naturthematik aufweise: bei der ersten Gruppe von Liedern sei der Natureingang blockhaft und ohne weitere Beziehungen an den Anfang gesetzt (Hauptvertreter: Heinrich von Veldeke, Gottfried von Neifen), bei der zweiten (v. a. Walther, Neidhart) spiele die Naturthematik auch im weiteren Verlauf eine bedeutende Rolle und sei mit dem Inhalt quasi organisch verwoben. 167 Diese Gruppeneinteilung Toubers ist insofern als problematisch anzusehen, als einerseits durch sie beim Gros der Natureingänge im Minnesang (Gruppe 1 ) durch die vorschnelle Klassifizierung der Eingangsgestaltung als blockhaft-isoliert die tatsächlich bestehenden Verbindungen zwischen Natur- und Liebesthematik gekappt werden, so dass die Funktion solcher Passagen genau nicht geklärt wird; andererseits ist im Falle der Gruppe 2 -- Touber gibt hier bezeichnenderweise Walthers berühmtes ‹Lindenlied› L 39 , 11 als Beispiel an 168 , das im Folgenden in Abgrenzung zu dem hier umrissenen Typ des jahreszeitlichen Natureingangs noch genauer betrachtet wird-- zu fragen, ob bei solchen Spezialfällen die Bezeichnung ‹Natureingang› überhaupt noch adäquat ist. Für eine Typologie des Natureingangs scheint die Einteilung Toubers jedenfalls, auch aufgrund ihrer Abhängigkeit von neuzeitlichen ästhetischen Wertungskriterien wie dem der Kohärenzbildung, nicht zu taugen. Ferner ist an dieser Stelle auch noch auf einen schon 1969 publizierten Aufsatz Wolfgang Mohrs zu verweisen, in dem dieser für die Sommer- und Frühlingseingänge besonders auf naturhafte Erotizität zielende konnotative Anhaftungen ver- 164 Vgl. A. H. Touber, Rhetorik und Form, S. 121 - 128 . 165 Vgl. ebd., S. 121 . 166 Ebd., S. 123 . 167 Vgl. ebd., S. 125 . 168 Vgl. ebd., S. 124 . 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 63 mutet. 169 Fraglich ist aber vor allem, ob mit der von Mohr vorgeschlagenen Sichtweise vor dem Hintergrund einer Partizipation an einer allgemeinmenschlichen Erfahrung des Idyllischen, die sich als ‹welthistorische Konstante› im ‹Motiv des Ländlichen› materialisiere, das für die «Suche nach dem a-sozialen Ort der menschlichen Freiheit» 170 stehe, den Natureingängen im Minnesang, deren topischen und typischen Charakter er durchaus anerkennt 171 , generell beizukommen ist. 172 Schließlich wird auch die Behauptung Mohrs, dass in der mittelalterlichen Lieddichtung besonders der noch heute vertraut erscheinende «Einklang des menschlichen Lebensgefühls mit der lebendigen Natur» 173 auffalle, so dass Liebesfreude zum Frühling gehöre, während der Winter die Zeit der Entbehrung und Liebesklage sei, 174 zu Widerspruch herausfordern, da sie der im Minnesang zu findenden Variationsbreite möglicher Bezüge zwischen Natureingang und der in der Ich-Rede präsentierten Liebesthematik nicht im Ansatz gerecht wird; 175 diese Verbindungsmöglichkeiten zu klassifizieren, wird sich im Folgenden als wichtige Aufgabe einer Typologie des Natureingangs erweisen. 1982 hat sich auch Viola Bolduan in ihrer mit dem späten Schweizer Minnesang beschäftigten Studie «Minne zwischen Ideal und Wirklichkeit» ausführlich mit dem Natureingang in der Minnesang-Tradition befasst 176 , um in diesem Zusammenhang anhand der Spätzeugnisse aus dem Schweizer Raum zu klären, «ob und inwieweit sich die in bisheriger Forschung betonte Tendenz der Spätzeit zum Konkreteren, Realistischen, Individuelleren feststellen» 177 lasse. Dieses Frageinteresse führt nun 169 Vgl. W. Mohr, Die Natur im mittelalterlichen Liede, S. 197 - 202 . Natürlich können sich, wie Mohr zu Recht bemerkt, gerade im Umfeld gewisser Genres, durchaus solche Bezüge ergeben (vgl. W. Mohr, Die Natur im mittelalterlichen Liede, S. 197 ), ob jedoch ganz generell von einem solchen ‹erotischen Hintersinn› der Natureingänge ausgegangen werden kann, ist m. E. recht fraglich. Deshalb scheint es mir sinnvoll, Konnotationen, die in diese Richtung führen, nur in derartigen Fällen anzunehmen, in denen sie durch gewisse Marker (wie z. B. die von Mohr angeführten, virtuosen Sprachspiele eines Oswald von Wolkenstein oder das Motiv des bluomen brechen) naheliegend sind; vgl. in diesem Punkt auch meine Ausführungen zu der jüngst publizierten Einordnung der Naturmotivik durch Burghart Wachinger, die sich eng an Mohrs Darstellung anlehnt, s. unten. 170 Vgl. und Zitat entnommen: ebd., S. 203 . 171 Vgl. ebd. S. 200 . 172 Ganz im Gegenteil dazu scheint mir die Natur im jahreszeitlichen Natureingang bei den meisten Liedern genau kein a-sozialer, sondern oft sogar ein hochgradig mit Imaginationen von gesellschaftlichen Normvorstellungen aufgeladener Ort zu sein, vgl. dazu meine Ausführungen unten, Kap. IV.2. 173 Vgl. dazu und Zitat entnommen: W. Mohr, Die Natur im mittelalterlichen Liede, S. 213 . 174 Vgl. ebd., S. 209 . 175 Es wird sich neben vereinzelten Beispielen, die die Winterzeit als eine Zeit der Liebeserfüllung kennzeichnen, gerade für den sommerlichen Natureingang im Minnesang ein ganz anderes Bild einstellen: relativ dominant ist hier die kontrastive Anbindung des Leidensgestus des Ichs an die kollektive Freude am Jahreszeitenwandel, s. unten. 176 Vgl. V. Bolduan, Minne zwischen Ideal und Wirklichkeit, S. 8 - 139 . 177 Ebd., S. 12 . Für eine Kritik solcher gängigen Einschätzungen bezüglich des Minnesangs im 13 . Jahrhundert s. G. Hübner, Minnesang im 13 . Jahrhundert, S. 7 - 13 . 64 I Der Natureingang als Forschungsproblem bezeichnenderweise-- in Widerspruch zu den Überlegungen Brinkmanns, Curtius’ und Kuhns- - zur Restituierung der Kategorie des ‹Real-Erlebbaren› für die ästhetische Bewertung des Natureingangs durch Bolduan. 178 Betrachtet man ferner das Verständnis, das die Verfasserin für das Gestaltungselement des Natureingangs unterlegt, so fällt auf, dass sie im Wesentlichen die Typeneinteilung und Definition von Wulffens übernimmt, weshalb auch sie den Natureingang im Minnesang nicht an seine Anfangsstellung im Lied bindet. 179 Wie schon bei Mohr und Bolduan erweist sich die Rückgewinnung der Kategorie der Wirklichkeitsbezogenheit für den Umgang mit dem Natureingang in der Literaturwissenschaft als zentrales Interesse der 1984 veröffentlichten Studie Jutta Goheens, die sich ebenfalls recht ausführlich mit Naturrepräsentationen im Minnesang beschäftigt. 180 Dabei geht es Goheen vorrangig um eine Korrektur zentraler Ergebnisse der Toposforschungen von Curtius; dies betrifft nicht nur den Topos-Begriff selbst 181 , sondern auch die Fragen nach der Dominanz des locus amoenus in der mittelalterlichen Literatur 182 und dem Zusammenhang zwischen den 178 So wird der Grad an Einbeziehung des «natürlich Gegebenen» (ebd., S. 50 ) zum Hauptkriterium von Bolduans Darstellung der poetischen Behandlung des Natureingangs im Minnesang: Die «Unmittelbarkeit des Bildhaften» im frühen Minnesang weiche bald einer «Literarisierung und Rationalisierung der Darstellung», bis im hochhöfischen Minnesang die «Abkehr von äußerer Wirklichkeit» erfolge; erst Walther und Neidhart überwänden diese und sorgten für die Wiedergewinnung des Natureingangs als «sinnlich erfahrbares Konkretum» (vgl. und Zitate entnommen: ebd.). Wie sehr sich hinter dieser Entwicklungsgeschichte des Natureingangs problematische ästhetische Paradigmen von einer höheren poetischen Valenz des (scheinbar) Ursprünglichen gegenüber einer als schematischen Verflachung empfundenen ‹Literarisierung› wirksam sind, zeigt dann auch die folgende Passage bezüglich des Natureingangs bei Gottfried von Neifen relativ deutlich: «Den Rückzug vom real Erlebbaren zur literarischen Form vollzieht Neifen. Der Natureingang wird zum poetischen Gesetz, zum Instrument der Liedgestaltung, zum festen Schema, das nicht mehr inhaltlich, nur noch als Formelement interessiert» (ebd.). Erst bei Steinmar und Hadloub komme die «Realität des natürlich Gegebenen» (ebd., S. 139 ) wieder stärker zur Geltung. 179 Vgl. ebd., S. 11 f. Man betrachte nur die folgende Äußerung Bolduans: «Die rhetorische Exordialtopik steht immer am Liedbeginn, der szenische und ‹minnesängerisch bewegende› Natureingang kann in einzelnen Fällen auch im Liedinneren zu finden sein» (ebd., S. 12 , Anm. 1 ). 180 Vgl. J. Goheen, Mittelalterliche Liebeslyrik, S. 18 - 91 . 181 Zum Unbehagen Goheens an Curtius’ Toposbegriff s. oben. Goheen möchte deshalb unter dem Terminus nicht ein literarisches Schema verstanden wissen, sondern lediglich ein «Vorstellungsmodell» ( J. Goheen, Mittelalterliche Liebeslyrik, S. 20 ), so dass gewährleistet bleibe, dass die «Eigentümlichkeit» jeder poetischen Konkretion wahrgenommen werden kann (vgl. dazu und Zitat entnommen: ebd., S. 90 ). Vgl. dazu meine obige Einschätzung, dass es durchaus nicht Ziel von Curtius gewesen zu sein scheint, die Eigenwertigkeit der Gestaltung des Topos im jeweiligen Einzeltext völlig zu negieren. 182 Goheen wendet sich in ihrer Arbeit entschieden gegen die Ansicht von Curtius, dass der locus amoenus zwischen Kaiserzeit bis ins 16 . Jahrhundert hinein das Hauptmotiv der Naturschilderung darstelle (s. oben, Anm. 145 ) und betont eine Dominanz des Zeitbildes, das die «Grundform des Naturtopos» sei ( J. Goheen, Mittelalterliche Liebeslyrik, S. 33 und 85 [dort ist das Zitat entnommen]); gerade für den Bereich des Minnesangs scheint mir die Diagnose einer Dominanz der jahreszeitlich organisierten Naturrepräsentation durchaus zutreffend zu 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 65 mittellateinischen Poetiken und den lyrischen Erzeugnissen der Volkssprache in der Behandlung der Naturthematik. 183 Die Feststellung einer nur partiellen Applizierbarkeit des Toposbegriffs auf die Naturrepräsentationen in der mittelalterlichen volkssprachlichen Lyrik 184 ist m. E. jedoch zu deutlich vom problematischen Ansatz Goheens bestimmt, eine Restituierung der Kategorie der dichterischen Individualität in Naturperzeption und Jahreszeitempfinden einzuleiten, so dass die Leistungen von Curtius’ auf Rhetorizität zielendem Konzept für die angesichts mittelalterlicher Literatur recht fragwürdigen ästhetischen Paradigmen geniezeitlich-romantischer Prägung aufgegeben werden. 185 In der Folgezeit erweisen sich für die weitere Entwicklung der einschlägigen Forschung besonders zwei Aspekte als zentral: Dies ist zunächst die schon erwähnte, im Großteil der Forschung zu bemerkende Aufgabe des Begriffs ‹Natureingang› zugunsten von Termini wie ‹Jahreszeiteneingang› / ‹Jahreszeitentopos› / ‹Jahreszeitenlied› etc. 186 , die nicht nur verstärkt auf den dominanten saisonalen Bezug der sein. Auch ist die von Goheen gemachte Beobachtung, dass in der Lyrik der locus amoenus-- im Gegensatz zur Epik-- stets zeitgebunden präsentiert werde (vgl. ebd., S. 21 - 33 ), hier nicht grundsätzlich zu bestreiten (s. unten die Überlegungen zu Walthers L 39 , 11 ! ). Dennoch ist aber zu betonen, dass der Topos des Lustorts, anders als der des jahreszeitlich organisierten Natureingangs, auch im Minnesang von räumlichen Strukturparametern dominiert wird. 183 So betont die Verfasserin die Eigenart mittelhochdeutscher Texte gegenüber den Anleitungen zur Naturdarstellung in den mittellateinischen Poetiken und negiert einen möglichen Einfluss von deren Stilregeln auf den Natureingang im Minnesang, vgl. J. Goheen, Mittelalterliche Liebeslyrik, S. 85 f. Gerade aber in diesem Zusammenhang ist durch ein strikt genetisches Frageinteresse nichts zu erreichen. Eine angebliche Beziehungslosigkeit beider Bereiche lässt sich aber alleine durch den Verweis auf Einzelaspekte wie die unterschiedliche Jahreszeiteneinteilung und die anders ausfallende Abdeckung der Motive aus den verschiedenen Sinneswahrnehmungssektoren nicht ableiten. 184 Zwar lehnt Goheen die Geltung des Topos-Begriffs für die Naturrepräsentationen im Minnesang nicht so strikt ab, wie es D. Thoss für die locus-amoenus-Darstellungen in der Epik getan hatte (s. o.; vgl. dazu J. Goheen, Mittelalterliche Liebeslyrik, S. 90 ), betont aber, dass «nicht alle Jahreszeitenbilder in einem topischen Verweisbezug» (ebd., S. 19 ) zu lesen seien und die «Gleichsetzung von mittelalterlicher Naturschilderung und Naturtopos als ungerechtfertigt» (ebd.) zu verwerfen sei. Denn gerade für eine kleine Gruppe von Liedern (vgl. das Kapitel «Jahreszeitenlied», ebd., S. 79 - 85 ) sei festzustellen, dass hier das Jahreszeitenbild «als Naturlyrik und Zeitlied ohne topische Verweisfunktion» (ebd., S. 79 ) erscheine, weil die Naturrepräsentationen hier nicht an die «topische Funktion der Einleitung» (S. 84 ) gebunden seien (vgl. die ganz ähnliche Diagnose bei Touber im Falle des als Abgrenzungsmerkmal für die Gruppe 2 herausgearbeiteten Kriteriums der organischen Verwobenheit, s. o.). 185 Besonders problematisch ist an der Darstellung von Goheen in dem hier angesprochenen Zusammenhang aber nicht nur der hier deutlich werdende unzureichende Topos-Begriff, der-- ganz ähnlich wie bei B. von Wulffen-- aus einer Verwechslung inhaltlicher und rhetorischer Kategorien resultiert, sondern auch das Abheben auf zweifelhafte Paradigmen wie die sich in diesen Liedern angeblich manifestierende «bewusste poetische Gestaltung der Haltung zur Natur» und das «Naturempfinden» (beides: J. Goheen, Mittelalterliche Liebeslyrik, S. 84 ) des Dichters. 186 Vgl. in diesem Zusammenhang v. a. die 1995 von Peter Dilg u. a. im Sammelband «Rhythmus und Saisonalität» herausgegebenen Aufsätze Thomas Beins und Jan-Dirk-Müllers (T. Bein, 66 I Der Natureingang als Forschungsproblem Naturrepräsentationen im Minnesang aufmerksam machen, sondern auch dem Unbehagen an der mit der Bezeichnung ‹Natureingang› verbundenen Fortschreibung von geniezeitlich-romantischen ästhetischen Paradigmen entspringen 187 , ja schließlich der Skepsis, ob das (volkssprachliche) Mittelalter überhaupt ein der heute hauptsächlichen Sinnunterlegung vergleichbares Verständnis des Wortes ‹Natur› hat. 188 Im Zusammenhang mit der Debatte um die Bezeichnungen ‹Natureingang›/ ‹Jahreszeiteneingang› muss hier m. E. zwingend auch auf die dichtungstheoretisch-norma- Jahreszeiten; Müller, J.-D: Jahreszeitenrhythmus), ferner L. Lieb, Der Jahreszeitentopos, sowie ders., Die Eigenzeit der Minne, und zumindest im Titel: A. K. Bleuler, Zwischen Tradition und Innovation. Zur Poetizität des Jahreszeitenbildes in Neidharts Sommerliedern, die jedoch bezeichnenderweise im Verlauf der Darstellung mehr und mehr zum Terminus ‹Natureingang› zurückkehrt (vgl. ebd., S. 127 ff.). Dem entgegenstehend benutzt auch die 2003 erschienene Studie Susanne Köbeles (dies.: Frauenlobs Lieder) dezidiert den Begriff ‹Natureingang› (vgl. bes. das Kapitel «Die Transformation des Natureingangs. Frauenlob und Heinrich von Mügeln im Vergleich» [S. 47 - 116 ], auf das im Folgenden noch genauer einzugehen ist) und versteht es durchaus, diesen für einen noch über den in dieser Arbeit angelegten Fokus der engeren Minnesangtradition zeitlich und gattungsmäßig hinausgehenden Rahmen fruchtbar zu machen (vgl. dazu Köbeles Bemerkungen zur anhaltenden literarästhetischen Bedeutung des Topos im 14 . und 15 . Jahrhundert, die sie zu Beginn des Kapitels am Beispiel der Texte des Königs vom Odenwald oder der Göttinger Mügeln-Handschrift g herausarbeitet [ebd., S. 47 - 52 ]). Zur Vorgeschichte des gleichwohl in der Forschung zu bemerkenden Begriffswechsels vgl. oben die Ausführungen zur Arbeit Adams und für den Bereich der Romanistik die folgende Anmerkung. 187 Deswegen verwirft für die Romanistik schon 1954 Werner Ross den Begriff ‹Natureingang›: «Hier [=das für die ma. Literatur fehlgehende Konzept des originellen Dichters] stoßen Residuen der romantischen Auffassung vom Dichter auf die Tatsachen der mittelalterlichen Literaturgeschichte. Es ist die gleiche Auffassung, der der Begriff ‹Natureingang› seine Existenz verdankt. Dieser Begriff ist irreführend, denn er setzt das romantische Gefühl der Naturfreude und Natursehnsucht schon für das Mittelalter voraus, während es sich bei den Jahreszeiteneingängen der mittelalterlichen Literatur zunächst und wesentlich um einen Handgriff poetischer Technik handelt» (Ross, Werner: Über den sogenannten Natureingang, S. 60 ; Hervorhebung von mir, D. E.). 188 Dies gibt schon Wolfgang Mohr zu bedenken: «Die erste Zeile von Goethes ‹Mailied›, das so viele Züge mit einem mittelalterlichen Frühlingsreihen gemein hat, nennt dieses Wort: ‹Wie herrlich leuchtet mir die Natur.› Den Begriff ‹Natur› in dem Umfang, wie Goethe ihn meint, konnte das Mittelalter noch nicht denken, denn es hatte kein Wort dafür. Das Fremdwort natur(e) dringt zwar schon im Mittelalter in die deutsche Sprache ein, aber es bleibt ein gelehrtes Wort. Wie in lat. natura überwiegt die immanente Bedeutung ‹angeborene oder anerschaffene Art, Begabung und Kraft› nicht nur der Menschen und Lebewesen, sondern aller Dinge. Menschen, Tiere, Kräuter und Edelsteine haben ihre nature, aber sie sind nicht die ‹Natur›» (W. Mohr, Die Natur im mittelalterlichen Liede, S. 214 ; die Hervorhebungen des Verfassers sind beibehalten worden). Allerdings ist diese Einschätzung Mohrs in ihrer Radikalität entscheidend relativiert worden, scheinen doch für das Mittelalter sehr wohl Konzepte eines-- den Menschen aber nicht von seiner Außenwelt abspaltenden, sondern inkludierenden-- universellen Wirkprinzips von ‹Natur› nachzuzeichnen zu sein (vgl. dafür Grubmüller, Klaus: Natûre ist der ander got. Zur Bedeutung von natûre im Mittelalter, in: Natur und Kultur in der deutschen Literatur des Mittelalters. Colloquium Exeter 1997 , hg. von Alan Robertshaw und Gerhard Wolf, Tübingen 1999 , S. 3 - 17 , ferner für den Bereich mittelalterlichen Naturphi- 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 67 tive Vorschaltung eingegangen werden, die die Göttinger Mügeln-Handschrift g 189 losophie Kann, Christoph: Zeichen-- Ordnung-- Gesetz: Zum Naturverständnis in der mittelalterlichen Philosophie, in: Natur im Mittelalter. Konzeptionen-- Erfahrungen-- Wirkungen, Akten des 9 . Symposiums des Mediävistenverbandes, Marburg, 14 .- 17 . März 2001 , hg. von Peter Dilg, Berlin 2003 , S. 33 - 49 ; in dem Sammelband zudem für die vielfältigen Formen der literarischen Verarbeitung, die die Stellung des Menschen in der Schöpfungsordnung diskutieren: Friedrich, Udo: Die Ordnung der Natur. Funktionsrahmen der Natur in der volkssprachlichen Literatur des Mittelalters, S. 70 - 83 , und jüngst Wachinger, Burghart: Natur und Eros im mittelalterlichen Lied, in: ders.: Lieder und Liederbücher. Gesammelte Aufsätze zur mittelhochdeutschen Lyrik, Berlin, New York 2011 , S. 67 - 95 , hier S. 73 - 75 ). Die Diagnose Wachingers, die Differenz zum Naturverständnis der Goethezeit bestehe darin, «daß die mittelalterliche Lyrik das unmittelbare Gegenüber von Ich und Natur nicht kennt» (ebd., S. 73 ), führt nun freilich auf den wohl deutlichen Unterschied, dass ein neuzeitliches Naturverständnis, das die Spiegelung des emotionalen Innenraums des Ichs durch die Natur oder- - mehr noch- - eine Entgrenzung und Verschmelzung beider Sphären beinhaltet, im Natureingang des Minnesangs tatsächlich so wohl noch nicht realisiert wird. Andererseits scheint mir der Topos dort funktional von Anfang an auf einen Gegensatz von Innen- und Außenwelt hin ausgerichtet zu sein, der genau jenen interioren Gefühlsraum, den die Neuzeit auf die Natursphäre projeziert, über die Stilisierung von tiefgreifender Andersartigkeit der Gefühlslage des Ichs zum ‹Rest der Welt› überhaupt erst zu etablieren und auszuloten hilft. Dazu kann im Natureingang übrigens schon der Realisationsmodus einer beobachtenden Naturwahrnehmung des Ichs eingesetzt werden, der das Ich zum kognitiven Zentrum der um es herum ablaufenden verschiedenen Jahreszeitenvorgänge stilisiert. Diese-- im Vergleich zum unpersönlich-schilderndem Bericht-- formal ‹subjektiv› gewendete Aussageform, wie sie etwa von Rudolf von Fenis in MF 82 , 26 mit Ich kiuse an deme walde sîn loup ist geneiget (I, 1 ) begegnet, offenbart aber wiederum recht deutlich den Unterschied in der Subjektivitätsstilisierung, der letztlich zu Goethes «Wie herrlich leuchtet / Mir die Natur! » (I, 1 f.; zitiert nach der noch als «Maifest» überschriebenen Iris-Fassung, abgedruckt in: Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche [=‹Frankfurter Ausgabe›], 40 Bde., hg. von Dieter Borchmeyer u. a., Frankfurt a. M.: 1985 - 1999 , Abt. I, Bd. 1 : Gedichte 1756 - 1799 , hg. von Karl Eibl, Frankfurt a. M. 1987 [Bibliothek deutscher Klassiker 18 ], S. 129 f.-- Hervorhebung von mir, D. E.) mit seiner völligen emotionalen Absorption des Außenraumes durch das Ich noch besteht (vgl. dazu die grundlegende Einordnung des Gedichts in Sauder, Gerhard: Art. «Maifest», in: Goethe-Handbuch in vier Bänden, hg. von Regine Otto und Bernd Witte, Stuttgart u. a. 1996 , Bd. I: Gedichte, S. 82 - 86 , hier S. 84 ). Vgl. in diesem Zusammenhang aber auch noch die interessanten, jeweils durchaus in dieser Hinsicht zu diskutierenden Beispiele wie Steinmars Lied SMS 26 , 13 mit seiner ‹Verlegung› des Natureingangs in die Position des Text-Ichs, was jedoch gleichwohl keine Spiegelung des Ichs im Außenraum oder sogar Entgrenzung des Ichs darstellt, sowie über den engeren Bereich des Natureingangs hinaus zudem die 2 . Strophe aus Heinrichs von Morungen Lied MF 125 , 19 : In sô hoher swebender wunne, die wohl mehr eine «Verkehrung der Wirkverhältnisse» (L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 203 ; Hervorhebung vom Verfasser) vorführt, als eine tatsächliche Verschmelzung von Innen- und Außenraum. 189 Zu der für die Mügeln-Überlieferung zentralen, ursprünglich zweigeteilten, aber-- in beiden Partien-- nach Schreiberauskunft im Jahr 1463 abgeschlossenen Handschrift, die sich heute als Cod. Philos. 21 in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen befindet, und ihren spezifischen Einrichtungsprinzipien vgl. etwa Stackmanns Einleitung in: Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln. Erste Abteilung: Die Spruchsammlung des Göttinger Cod. Philos. 21 , 3 Bde., hg. von Karl Stackmann, Berlin 1959 , 1 . Teilbd.: Einleitung, Text der Bücher I-IV (DTM 50 ), S. XXXVII- XLVII; ferner Michael Menzels Einleitung in: Die «Katharina divina» des Johann von Vippach. Ein Fürstenspiegel des 14 . Jahrhunderts, eingel. und hg. von dems., Köln 68 I Der Natureingang als Forschungsproblem zum 16 . Buch, dem der Liebeslieder, vornimmt, und auf deren Bedeutsamkeit für die Forschungsdiskussion zum Natureingang Susanne Köbele aufmerksam gemacht hat. 190 Diese Überschrift lautet nämlich: Hie wil der meister leren, wie alle vorrede gegen dem Meyen, gegen dem Somer, gegen dem wintter setzen vnd blumen sal, wer von der mynne tichtet 191 . [Hier möchte der Meister zur Anschauung bringen, wie der, der von der Liebe dichtet, jeden Prolog auf den Mai, auf den Sommer oder auf den Winter hin anlegen und schmücken soll 192 ]. Die Forschung hat nun dieses ‹Programm› der Liedgruppe in der Handschrift g, das zumindest auf der Ebene der handschriftlichen Präsentation die grundsätzliche Organisation der acht Lieder Heinrichs von Mügeln nach dem Jahreszeitenprinzip propagiert, nicht nur im Hinblick auf ihre poetologische Dimensionierung als ‹Dichtungsanleitung› mit Stilempfehlung (blumen) untersucht 193 , sondern auch-- sicher u. a. 1989 (Mitteldeutsche Forschungen 99 ), hier S. 45 - 50 ; Baldzuhn, Michael: Vom Sangspruch zum Meisterlied. Untersuchungen zu einem literarischen Traditionszusammenhang auf der Grundlage der Kolmarer Liederhandschrift, Tübingen 2002 (MTU 120 ), S. 430 - 440 ; sowie den Kommentar in: Deutsche Lyrik des späten Mittelalters, hg. von Burghart Wachinger, Frankfurt a. M. 2006 (Bibliothek deutscher Klassiker 191 / Bibliothek des Mittelalters 22 ), S. 1043 . 190 Vgl. S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 51 f.; zuvor übrigens- - wenn auch noch nicht so ausführlich-- auch schon vorgestellt in: dies.: Der Liedautor Frauenlob. Poetologische und überlieferungsgeschichtliche Überlegungen, in: Autor und Autorschaft im Mittelalter. Kolloquium Meißen 1995 , hg. von Elizabeth Andersen u. a., Tübingen 1998 , S. 277 - 298 , hier S. 278 f. Zuletzt hat auch Burghart Wachinger (ders., Natur und Eros, S. 67 ) die in dieser Form einzigartige poetologische Dimension der Überschrift herausgearbeitet und damit ihre Relevanz für die einschlägige Forschung noch einmal unterstrichen. 191 Zitiert nach: K. Stackmann, Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln, 3 . Teilbd.: «Lesarten», S. 471 . 192 Vgl. dazu auch den Übersetzungsvorschlag bei B. Wachinger, Natur und Eros, S. 67 . 193 Vgl. Kellner, Beate: Mins lebens amm. Zur Minnekonzeption in einigen Liedern Heinrichs von Mügeln, in: Studien zu Frauenlob und Heinrich von Mügeln. Fs. Karl Stackmann zum 80 . Geb., hg. von Jens Haustein und Ralf-Henning Steinmetz, Freiburg/ Schweiz 2002 (Scrinium Friburgense 15 ), S. 231 - 251 , hier S. 233 f., die zudem die interessante Motivverschränkung von rhetorischer Technik und deren inhaltlichem Gegenstand (Technik des blüemens, jahreszeitliche Natur) hervorhebt, und S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 51 f. Ausgangspunkt hierfür ist im Übrigen Karl Stackmanns Einordnung des 16 . Buches der Göttinger Handschrift als eine «Sammlung von Textmustern» (ders.: Minne als Thema der Sangspruch- und Lieddichtung Heinrichs von Mügeln, in: bickelwort und wildiu mære. Fs. Eberhard Nellmann zum 65 . Geb., hg. von Dorothee Lindemann, Berndt Volkmann und Klaus-Peter Wegera, Göppingen 1995 [GAG 618 ], S. 324 - 339 , S. 337 ), die ihn zu dem- - für die qualitativ äußerst ambitionierten Lieder m. E. leider recht fatalen- - Schluss kommen läßt, man habe es «eigentlich nur mit praktischen Anweisungen zum Abfassen von Minnegedichten zu tun» (ebd.; Hervorhebung von mir, D. E.). Als anschlussfähig für die in obiger Überschrift verdichteten Dichtungs-Konzeptbegriffe meister(schaft), blüemen und tihten erweist sich darüber hinaus vor allem der Aufsatz von Kellner, Beate: Meisterschaft. Konrad von Würzburg- - Heinrich von Mügeln, in: Interartifizialität. Die Diskussion der Künste in der mittelalterlichen Literatur, hg. von Susanne Bürkle und Ursula Peters, Berlin 2009 (ZfdPh 128 , Sonderh.), S. 137 - 162 , darin zu 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 69 mit Recht- - auf jenen Topos bezogen, der in der Minnesang-Forschung unter der Bezeichnung ‹Natureingang› bekannt geworden ist. 194 Diese Identifizierung ist nun nicht nur deswegen naheliegend, weil im obigen Zitat die zwingende Anfangsstellung (vorrede) und grundlegende Bedeutung der Jahreszeitenausrichtung (Meye, Somer, wintter) für die in Frage kommende Topik betont wird-- beides ist schon als zentrales Kriterium des hier zu konturierenden Typus eines saisonal organisierten Natureingangs angesprochen worden--, sondern auch, weil im auf diese Überschrift folgenden Block von acht Liedern dann tatsächlich vier Lieder mit einem solchen Natureingang gesetzt sind (Lied I-III und VI). 195 Dieser Zusammenhang wird zudem im Falle der Lieder II , III und VI durch die in der Handschrift den Liedern jeweils beigegebenen Einzelüberschriften, die mit den Angaben Gegen den Meyen aber also vnd der tzyd des Somers ( II ), Gegen dem winter also ( III ) und Gegen dem meyen ein clage lidel also ( VI ) 196 explizit auf jene Buchüberschrift rückverweisen, noch bestätigt. So haben sowohl Beate Kellner, als auch Susanne Köbele und zuletzt Burghart Wachinger diese Überschrift als eine direkte produktionsästhetische Anweisung verstanden, dass jedes Lied, das von der Liebe handle, mit einer vor- Heinrich von Mügeln im Speziellen die S. 149 ff., für den sog. geblümten Stil ferner Hübner, Gert: Lobblumen. Studien zur Genese und Funktion der «Geblümten Rede», Tübingen u. a. 2000 (Bibliotheca Germanica 41 ), dort S. 33 - 88 , zu Heinrich von Mügeln im Besonderen S. 33 - 38 ; äußerst gewinnbringend ist in diesem Zusammenhang auch der Überblick über die verschiedenen Bedeutungsebenen des Wortfeldes blüemen in: ebd., S. 87 f., der die poetologische Lesart des Begriffs im Sinne einer rhetorischen Technik für die Mügeln-Überschrift bestätigen hilft (blüemen ist mit vorrede auf ein sprachliches Gebilde bezogen, s. o.). Für den Terminus tihten ist auf den Aufsatz Gärtner, Kurt: tihten / dichten. Zur Geschichte einer Wortfamilie im älteren Deutsch, in: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter, hg. von Gerd Dicke, Manfred Eickelmann und Burkhard Hasebrink, Berlin u. a. 2006 (TMP 10 ), S. 67 - 81 (zu Heinrich von Mügeln bes. S. 79 ), zu verweisen, für den speziellen Kontext des Minnesangs ist dabei immer noch grundlegend: Obermaier, Sabine: Von Nachtigallen und Handwerkern. ‹Dichtung über Dichtung› in Minnesang und Sangspruchdichtung, Tübingen 1995 (Hermaea N. F. 75 ), bes. S. 289 - 303 [auch zum meister-Begriff], sowie jüngst zudem: Unzeitig, Monika: Autorname und Autorschaft. Bezeichnung und Konstruktion in der deutschen und französischen Erzählliteratur des 12 . und 13 . Jahrhunderts, Berlin u. a. 2010 (MTU 139 ), S. 188 - 191 . 194 Vgl. dazu B. Kellner, Mins lebens amm, S. 233 - 235 ; S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 51 f. und B. Wachinger, Natur und Eros, S. 67 . 195 Zur Zuordnung der in der Mügeln-Ausgabe separat gesetzten Einzelstrophen zu Liednummern vgl. die Auflistung bei K. Stackmann, Minne als Thema, S. 325 . 196 Zitiert nach: K. Stackmann, Die kleineren Dichtungen III, S. 476 , S. 478 , und S. 486 . Für die obigen Angaben vgl. auch die Zusammenstellung bei S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 51 , Anm. 132 . 70 I Der Natureingang als Forschungsproblem rede 197 in Form eines ‹Natureingangs› zu versehen sei. 198 Damit scheint die Aussage aber auch durchaus an die vorausliegende Minnesangtradition zumindest des 13 . Jahrhunderts hin anschließbar, wie es etwa Kellner tut, die betont, dass hier «die Lieder an jene Traditionen des späten Minnesangs gebunden [werden], die mit Gottfried von Neifen, Neidhart, Konrad von Würzburg, Hadlaub u. a. verbindlich geworden sind». 199 Diese Perspektivierung der Überschrift auf den engeren Bereich der Minnesangtradition zeigt sich auch bei Köbele, die die Passage als Hinweis für die bleibende normative Strahlkraft des ‹Natureingangs› einordnet, der quasi zum Signum des Minnesangs selbst werde, in einer Phase, in der «die Minnesangwelt beinah schon versunken ist, die Attraktivität des Minnesangs so abgesunken ist, daß er hinter der Sangspruchdichtung zu verschwinden beginnt, genauer: die Grenzen zwischen beiden Gattungen fließend werden, man aber doch nicht ganz auf Minnesang verzichten will» 200 . Ja Burghart Wachinger hat die immer wieder als Fehldiagnose des Überschriftenurhebers gewertete Tatsache, dass selbst das sich in der Handschrift anschließende Liedcorpus der angeblichen Radikalität der Forderung nach einem Natureingang für jedes Liebeslied gar nicht nachkomme 201 , 197 Burghart Wachinger wählt für die neuhochdeutsche Wiedergabe des offensichtlich als dichtungstheoretischer Fachbegriff intendierten vorrede das vielleicht weniger sperrige Wort ‹Einleitung›; ich habe mich dagegen entschlossen, lieber das terminologische Äquivalent ‹Prolog› zu verwenden, da es mir hinsichtlich der Gefahr, die im Zitat aufgeführte vorrede vorschnell mit unserem Konzept eines ‹Natureingangs› zu überblenden, als die neutralere Lösung erscheint. Zum Begriff vorrede vgl. im BMZ die Angabe «voraufgehende, einleitende Rede» (BMZ, II, Sp. 600 bf.) und die danach aufgeführte Bezeugung «Prologus ein vor rede» aus: Mittellateinisch-hochdeutsch-böhmisches Wörterbuch nach einer Handschrift vom Jahre 1470 , zum ersten Male hg. und mit erläuternden Zusätzen vers. von Lorenz Diefenbach, Frankfurt a. M. 1846 , Sp. 224 . 198 Vgl. B. Kellner, Mins lebens amm, S. 234 , die ausführt, der Natureingang werde hier «zum konstitutiven Element der Minnelyrik erklärt»; zudem die Paraphrase der Überschrift bei S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 52 : «Hier demonstriert der meister, wie es im Minnelied zuzugehen hat: Setze einen Natureingang und blüme[! ]», sowie B. Wachinger, Natur und Eros, S. 67 und S. 72 , der die Anweisung als Versuch der Aufstellung einer «Regel aller Minnedichtung» (ebd., S. 72 ) einordnet. 199 B. Kellner, Mins lebens amm, S. 234 . 200 S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 52 . 201 Vgl. etwa S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 52 und B. Wachinger, Natur und Eros, S. 67 . Die gleichwohl am Anspruch der Überschrift ausgerichtete Organisation der Liedersammlung betonen freilich S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 52 , und am deutlichsten B. Kellner, Mins lebens amm, S. 234 f.: «Die Sammlung von Liedern im 16 . Buch des Göttinger Codex versucht nun geradezu systematisch die verschiedenen Möglichkeiten der Verknüpfung von Natureingang und Minnethema auszuloten, sie entwirft eine Typologie, welche das kulturelle Wissen, das im Jahreszeitentopos als Kunstprinzip sedimentiert ist, gezielt variiert» (Kellner nimmt hierbei Bezug auf einen noch vorzustellenden Aufsatz von Jan-Dirk Müller mit dem Titel «Jahreszeitenrhythmus als Kunstprinzip», s. dazu unten das Folgende). Schließlich wäre in diesem Zusammenhang sicherlich zu fragen, ob die Überschrift tatsächlich auf die absolut gesetzte Aussage zielt, dass jedes Liebeslied mit einem Natureingang zu versehen sei. Denn es wäre ja durchaus denkbar, dass die Anweisung in der Handschrift lediglich auf eine Praxis (das mittels der Jahreszeitenthematik leicht realisierbare blumen des Liedes) abhebt, die eben ein- 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 71 gerade über die Beliebtheit des Topos in der vorausliegenden Minnesangtradition erklärt: «Die Generalisierung alle vorrede ist selbstverständlich überzogen-[…]. Aber daß die Generalisierung unterlaufen konnte, ist die Folge einer außerordentlichen Beliebtheit des Natureingangs im Minnelied» 202 . Damit stellt sich freilich die Frage, inwiefern nun die Aussage der Überschrift aus g tatsächlich Aufschluss über die Konzeption des im Folgenden näher zu bestimmenden Minnesangtopos ‹Natureingang› zu geben vermag. Dass freilich die Akzente jenes in dieser Form ja einzigartigen, gleichwohl aber sehr späten historischen Belegs für eine ausformulierte poetologische Einordnung dieser Topik nun aber nur mit äußerster Vorsicht auf die Minnesangtradition des 12 . und 13 . Jahrhunderts übertragen werden dürften, versteht sich von selbst; daran nämlich, dass ein solches Vorgehen auf recht problematischen Prämissen beruht, könnte m. E. selbst die Plausibilisierung der Annahme, dass die Überschrift schon vom Autor selbst oder seinem Umfeld im späten 14 . Jahrhundert stammen mag, nicht grundsätzlich etwas ändern. 203 zusetzen ist, falls man eine vorrede vorzuschalten wünscht. Dann würde sich die Bedeutung der vorgeschalteten Lehranweisung nämlich weniger resolut darstellen, als es die Forschung unterlegt hat, sondern diese wäre vielmehr als Hinweis zu lesen, dass hier der Autor im Folgenden zeigen wolle, wie solche möglichen vorreden geschickt umzusetzen seien ( Jahreszeitenbezug, Nutzung zum blumen). Unter dieser Prämisse stellt sich übrigens die vermeintliche Diskrepanz der Programmüberschrift zu ihrer abgeschwächten ‹Umsetzung› im folgenden Liedcorpus auch als deutlich weniger dramatisch dar, als dies bisweilen angeklungen ist. Aber eigentlich zeigen ja neben den vier Liedern mit einem tatsächlich durchgeführten ‹Natureingang› im Sinne der vorliegenden Arbeit darüber hinaus noch drei weitere Lieder erkennbare Anspielungen auf diese Topik (vgl. etwa die-- freilich recht freien-- Natureingangsallusionen in der 2 . Strophe [= XVI, 11 , Stackmann Nr. 394 ] von Lied IV hymmels touwe [ 3 ], bluendes rys [ 4 ], hertzen ouwe [ 6 ; zitiert nach: K. Stackmann, Die kleineren Dichtungen III, S. 482 - - Hervorhebungen, wie im Folgenden, von mir, D. E.], die in allen drei Strophen von Lied V wieder aufgenommen und fortgesponnen werden [vgl. XVI, 13 - 15 ; Stackmann Nrr. 396 - 398 ; s. zu diesem Lied auch die Bemerkungen bei S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 111 f.], sowie im Liedeingang von Lied VIII die Formulierung: ich hoffte yr güt durch myn hertze touwen / das sust beriffet stet in iamers we [Str. XVI, 22 / Stackmann Nr. 405 , 7 f.; zitiert nach: K. Stackmann, Die kleineren Dichtungen III, S. 490 ]). Interessanterweise zeigt sich darüber hinaus auch in der 2 . Strophe von Lied VII, das mehr die seit dem frühen Minnesang prominente Falkenmotivik aufgreift, mit wann er vorlust die schell vnd das gefider / bricht / vnd dy winterziit / ym drauwet / vnd die beysse vergat / vnd riser [riset? ] der hag [XVI, 20 / Stackmann Nr. 403 , 3 - 5 ; zitiert nach: K. Stackmann, Die kleineren Dichtungen III, S. 488 ] eine Passage mit Jahreszeitenerwähnung. Somit erscheint die Akzentuierung des Überschriftenurhebers, für den Bereich der Liebesdichtung (wer von der minne tichtet) gehe es dem meister Heinrich von Mügeln vor allem um die Demonstration von Sprechweisen des saisonalen Bezugs und der sich daraus ergebenden rhetorischen Schmuckmöglichkeiten, letztlich gar nicht so ‹übertrieben›. Gleichwohl haben diese Allusionen aber freilich nicht den Charakter einer vorrede. 202 B. Wachinger, Natur und Eros, S. 67 ; ähnlich auch: ebd., S. 72 . 203 Zu dieser Überlegung Karl Stackmanns etwa in: ders.: Art. «Heinrich von Mügeln», in: 2 VL 3 ( 1981 ), Sp. 815 - 827 , hier Sp. 823 , und ders.: Philologische Untersuchungen zur Ausgabe der kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln, Göttingen 2004 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-Historische Klasse, 3 . Folge, 265 ), S. 128 - 130 , vgl. zudem Volfing, Annette: Metamorphosen des Spruchdichters. Zur künstlerischen Einheit des 10 . Buches der Spruchdichtung Heinrichs von Mügeln, in: J. Haustein, Ralf-Henning 72 I Der Natureingang als Forschungsproblem Darauf, dass das obige Zitat z. B. die zur Erarbeitung einer Definition des Topos ‹Natureingang› bereits angesprochenen Kriterien ‹Anfangsstellung› und ‹Jahreszeitenausrichtung› recht deutlich bestätigen dürfte, habe ich in diesem Zusammenhang schon hingewiesen. Auch scheint mir die auf die Liebesthematik perspektivierte Ausrichtung der vorgeschalteten Naturrepräsentation, die im Folgenden als dominanter Funktionsbereich des Topos zu beschreiben sein wird (s. unten, Kap. III . 1 ), in der Ausführung der Überschrift eingefangen zu sein, die Demonstration kunstvoll eingesetzter Jahreszeiten-vorrede gelte für den besonderen Bereich der Dichtung über die minne. 204 Es wäre aber darüber hinaus zu diskutieren, inwiefern etwa die Aufzählung der saisonalen Festlegungen Meye, Somer und wintter in der Lehranweisung für eine Typeneinteilung des Natureingangs zu nutzen wäre. Dies würde allerdings die in der Forschung breit etablierte Grobgliederung in Sommer- und Wintereingänge empfindlich treffen, suggeriert die Überschrift doch mit ihrer Parallelisierung von Mai, Sommer und Winter mittels der jeweils wiederholten Präposition gegen eigentlich ein Dreierschema, das weder den verschiedenen mittelalterlichen Jahreszeitenkonzepten, noch den tatsächlichen technischen Einbauweisen der Topik im Minnesang entspricht, wo die Festschreibung des als aktuell imaginierten Jahreszeitenzeitpunktes in Mai oder Sommer, wenn nicht im Grunde frei austauschbar ist, so doch sicherlich aber keinen kategorial anders ausgerichteten Typus markiert. 205 Dies belegt aber in der Göttinger Handschrift allein schon das Mügeln-Lied II , das dort mit dem Vorverweis Gegen dem Meyen aber also vnd der tzyd des Somers 206 eingeführt ist, was schnell klar werden lässt, dass selbst für die Lieder des hier betrachteten Autors die beiden Jahreszeitangaben Mai und Sommer also genau nicht zu einer Konstituierung von zwei disparaten und klar umrissenen Liedtypen dienlich sind. Somit erklärt sich die Nennung von Mai, Sommer und Winter in der Buchüberschrift nicht als eine Angabe von funktional divergierenden Genera einer Jahreszeiten-vorrede, sondern stellt sich eher als eine Aufzählung von rein inhaltlichen Möglichkeiten der temporalen Festlegung heraus. Noch entscheidender ist aber die Auswertung der Überschrift aus der Mügeln- Handschrift in unserem eigentlichen Zusammenhang, der Forschungsdebatte über die terminologische Einfassung des hier zu konturierenden Topos (‹Jahreszeiten-› Steinmetz (Hgg.), Studien zu Frauenlob und Heinrich von Mügeln, S. 211 - 229 , dort S. 211 , Anm. 1 ; B. Kellner, Meisterschaft, S. 150 f., und B. Wachinger, Natur und Eros, S. 67 . 204 Burghart Wachinger verbindet- - in Übereinstimmung mit meinen obigen Gedanken- - die Begriffsprägungen der Überschrift aus g mit der für die mittelalterliche Lyrik konstatierten Diagnose einer «so gut wie immer nur dienende(n) Funktion» der Topik gegenüber dem «Hauptthema Liebe» (beide Zitate entnommen aus: ders., Natur und Eros, S. 67 - - Hervorhebung von mir, D. E.); trotz dieser an sich treffenden Einordnung scheint es mir allerdings so, dass sich diese Formulierung von Aussagemustern des Defizitären herleitet, die auf ein vorgeblich höheres Maß von ‹Erfahrungshaltigkeit› der Naturrepräsentationen in der Lyrik des Oswald von Wolkenstein hin ausgerichtet sind (vgl. ebd., S. 94 f.). 205 S. unten, Kap. II. 1 . 206 Zitiert nach: K. Stackmann, Die kleineren Dichtungen, Bd. III, S. 476 ; Hervorhebungen von mir, D. E. 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 73 vs. ‹Natureingang›). Vor allem in diesem Punkt wird sich die vorliegende Untersuchung aber fragen lassen müssen, inwiefern jene Lehranweisung nicht als Ausgangspunkt einer Benennungsfindung für diesen zu nutzen wäre, stellt sie doch im Gegensatz zur neuzeitlichen Wortprägung ‹Natureingang›, die ja zudem ideologisch nicht gerade unbelastet ist, den historisch zumindest näher am Kontext des Minnesangs liegenden Versuch dar, den Topos auf einen Begriff zu bringen. Allerdings scheint der Befund Köbeles, das Wort vorrede sei als Äquivalent des Terminus ‹Natureingang› aufzufassen 207 , insofern etwas vorschnell zu sein, als in der Notiz zwar der Eingangscharakter der Topik (vorrede) betont wird, dieser Begriff allein aber eben noch nicht kategorial auf die ‹Natur› / ‹die Jahreszeiten› hin perspektiviert ist; seine Entsprechung wäre in den dichtungstheoretischen Fachbegriffe ‹Prolog›, oder ‹Praefatio› zu suchen. Zudem besteht bei einer begrifflichen Gleichsetzung der in der Überschrift aus g besprochenen vorrede mit der Bezeichnung ‹Natureingang› die größte Schwierigkeit darin, dass die ‹Natur› als kosmologisches Konzept in dem Zitat gar nicht angesprochen ist, ja die vorrede im Gegenteil eindeutig allein über den Jahreszeitenbezug thematisch präzisiert wird (gegen den Meyen, gegen dem Somer, gegen dem wintter), der somit nach Einschätzung des Überschriftenurhebers den dominanten thematischen Zielpunkt der von ihm bestimmten Topik bildet. Dies würde nun aber die hier aufgeführten Überlegungen zu einer Ersetzung des Begriffs ‹Natureingang› durch ‹Jahreszeiteneingang› eher noch untermauern, ebenso wie übrigens die in der Handschrift den Liedern beigefügten Überschriften, die ebenfalls als die Besonderheiten der vorrede-Umsetzung den jeweiligen saisonalen Bezug hervorheben (s. oben). 208 Deshalb erscheint es zunächst auch als besser abgesichert, dass vormals Burghart Wachinger für die Mügeln-Lieder- - anders als Stackmann 209 , Kellner 210 , Köbele 211 , und Huber 212 -- den Terminus ‹Jahreszeiteneingang› präferiert hat. 213 Allerdings wird dieser Begriff in der vorliegenden Ar- 207 Vgl. ebd., S. 51 : «für den Natureingang steht der Terminus vorrede» (Hervorhebung durch Fettdruck von mir, D. E.). 208 Im besonderen Fall von Lied VI ist diese Angabe dann um die zusätzliche Anführung des vorherrschenden Tenors im liebesthematischen Teil ergänzt (Gegen dem meyen ein clage lidel also); damit wird dieses zudem an die Überschriftspraxis der vorausgehenden Lieder IV und V angeglichen, wo durchgeführte Natureingänge fehlen und so die Liebesthematik in den Vordergrund rückt (Lied IV: Von der mynne also [K. Stackmann, Kleinere Dichtungen III, S. 480 ]; Lied V: Von der mynne aber also [Ebd., S. 484 ]). 209 Vgl. K. Stackmann, Minne als Thema, S. 330 . 210 Vgl. etwa B. Kellner, Mins lebens amm, S. 234 f. 211 Vgl. dazu die Ausführungen Köbeles zu den Natureingängen bei Heinrich von Mügeln in S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 103 - 112 . 212 Vgl. Huber, Christoph: Wege aus der Liebesparadoxie. Zum Minnesang Heinrichs von Mügeln im Blick auf Konrad von Würzburg, in: Gattungen und Formen des europäischen Liedes vom 14 . bis zum 16 . Jahrhundert. Internationale Tagung vom 9 . bis 12 . Dezember 2001 in Münster, hg. von Michael Zywietz, Volker Honemann und Christian Bettels, Münster u. a. 2005 [Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 8 ], S. 89 - 109 , hier etwa S. 94 f. 213 So in Wachinger, Burghart: Liebeslieder vom späten 12 . bis zum frühen 16 . Jahrhundert, in: Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze, hg. von Walter 74 I Der Natureingang als Forschungsproblem beit für einen verwandten, letztlich aber technisch doch ganz anders ausgerichteten Topos reserviert werden müssen, nämlich die Möglichkeit einer Eingangsgestaltung über einen Jahreszeitenbezug ohne Aufführung von Naturdetails. 214 Denn gerade die in der Forschung immer wieder begegnende Verwischung dieser beiden Formen saisonaler Perspektivierung hat nicht nur zu m. E. fehlgehenden Urteilen über den quantitativen Einsatz der Topik im Minnesang geführt, sondern auch Unterschiede wie deren fundamental anders ausgerichtete registrale Realisation verschwinden lassen (s. dazu unten, Kap. II. 1 .). Solche tatsächlich sinnvollerweise als ‹Jahreszeiteneingänge› zu kennzeichnenden Liedanfänge mit Jahreszeitenaussage, aber fehlender Aufführung von Naturerscheinungen, begegnen übrigens im von g überlieferten Liedcorpus Heinrichs von Mügeln im Gegensatz zu den durchgeführten Natureingängen von Lied I, II , III und VI nicht ein einziges Mal. Dies wird man dahingehend deuten müssen, dass die Überschrift des XVI . Buchs mit ihrem Hinweis auf die saisonal organisierte vorrede zwar gegenstandsbezogen sicherlich auf das, was die Forschung als ‹Natureingang› bezeichnet hat, zielt, terminologisch dafür aber aus heutiger Sicht zur systematischen Ordnung der verschiedenen Formen von Natur- und Jahreszeitenrepräsentationen im Minnesang ergänzungsbedürftige Akzente setzt. Ganz unberechtigt ist die Einordnung in g aber sicherlich nicht, wird die prinzipielle jahreszeitliche Organisation des Topos doch auch als eine zwingende Grundbedingung des ‹Natureingangs› erkennbar. Deshalb wird in vorliegender Arbeit auch präziser vom ‹jahreszeitlich organisierten Natureingang› im Minnesang zu reden sein. Somit bleibt zu sagen, dass trotz aller begrüßenswerten Bemühung, für die Mediävistik literaturwissenschaftliche Kategorien wie Gattungstermini und eben Toposbezeichnungen aus der Ableitung aus (annähernd) zeitgenössisch verbürgten Haug, Tübingen 1999 [Fortuna vitrea 16 ], S. 1 - 29 ; wieder in: ders., Lieder und Liederbücher, S. 39 - 66 , hier S. 62 . In seinem jüngsten Aufsatz verwischt Wachinger diese terminologische Präzision letztlich wieder etwas, wenn er bezüglich der obigen Überschrift feststellt: «Das bezieht sich auf den sogenannten Natureingang, genauer: auf das beliebte Verfahren, Minnelieder mit einer Schilderung oder wenigstens Nennung der Jahreszeit beginnen zu lassen» (ders., Natur und Eros, S. 67 ; Hervorhebungen von mir, D. E.). Zudem wechselt er direkt im Anschluss an diese Bemerkung für Mügeln den kennzeichnenden Terminus auch wieder: «Die Generalisierung alle vorrede ist selbstverständlich überzogen, Heinrich von Mügeln selbst stattet nur einen Teil der folgenden acht Minnelieder mit einem Jahreszeiteneingang aus» (Ebd.). Auch im Folgenden spricht Wachinger dann meist vom «Jahreszeiteneingang» (Ebd., S. 75 ) oder, noch allgemeiner, vom «Jahreszeitentopos» (Ebd., S. 72 ), wenn er den Forschungskomplex des ‹Natureingangs› im Blick hat. Gleichwohl macht er freilich den Naturbegriff-- sowohl in der historischen Herleitung (ebd., S. 73 - 75 ), als auch etwa mittels des Überbegriffs der «Naturmotive» (Ebd., S. 70 ) auf der systematischen Beschreibungsebene für das mittelalterliche Lied stark, geht es ihm doch-- so ja auch der Titel seines Aufsatzes-- in ganz grundsätzlicher Weise um das Spektrum an Ausgestaltungsmöglichkeiten für das Verhältnis von ‹Natur› und ‹Eros› dort (vgl. dazu etwa ebd., S. 69 - 72 ). 214 Als ein Beispiel dieser Gruppe, auf die später noch zurückzukommen sein wird, ist hier Reinmars berühmte ‹Witwenklage› MF 167 , 31 : Si jehent, der sumer der sî hie zu nennen, s. u. 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 75 Begrifflichkeiten bzw. historischen Denkkategorien zu gewinnen, es mir aber nicht nur im Falle der Mügeln-Lieder, sondern für den Minnesang generell sinnvoll erscheint, an der Bezeichnung ‹Natureingang› festzuhalten, da es so im Sinne einer differenzierten Systematik der verschiedenen Typen von Naturrepräsentationen im Minnesang möglich ist, diesen Topos von der eben liedfunktional doch anders einsetzbaren Möglichkeit der Eingangsgestaltung, dem Jahreszeiteneingang im hier aufzustellenden engeren Sinne, zu separieren. Was die zweite bedeutende Entwicklungstendenz der weiteren Forschungsarbeiten zum Thema anbelangt, ist auf die seit dem Ende der 1980 er Jahre-- übrigens in Deckung mit der allgemein für die Minnesangphilologie zu bemerkenden Ausrichtung an der ‹Aufführungssituation› 215 -- verstärkt erfolgte Betrachtung der Natur- und Jahreszeiteneingänge unter kommunikationspragmatischer Perspektive zu verweisen, die zuletzt in Richtung einer die soziokommunikativen Leistungen dieses Topos im Rahmen der institutionellen Absicherungen des Minnesangs verfolgenden Lesart weiterentwickelt worden ist. Dabei erweist es sich als aufschlussreich, dass die derart orientierte Forschung wiederum am Aspekt der (möglichen) Wirklichkeitsbezüge des Topos ansetzt. Claudia Händl argumentiert in ihrer 1987 erschienenen Arbeit «Rollen und pragmatische Einbindung» in Bezug auf die Wirklichkeitsbezogenheit des Natureingangs zunächst noch etwas vorsichtiger: «Die temporale Deixis auf der Textebene leistet in historischer Hinsicht nichts, und auch die Jahreszeitangaben sind immer mit Rücksicht auf die Topik des Natureingangs zu sehen» 216 , betont aber anschließend generell: «Allerdings scheint bei der lokalen und temporalen Deixis, anders als in selbstreflektierender Lyrik späterer Zeit, ein n i c h t fingiertes hic et nunc durch, das die Bindung der Minnelieder an die aktuelle Aufführungssituation betont» 217 . 1999 baut dann Thomas Bein diese recht allgemein bleibenden Hinweise Händls in einem Aufsatz zur theoretischen Fundierung einer kommunikationspragmatischen Lektüre der Jahreszeiten- und Natureingänge im Minnesang aus und nutzt jene, um zu einer Typologie des Topos zu gelangen. 218 Bein beantwortet hierbei die Frage, ob die Angaben der jahreszeitlichen Liedanfänge als deiktische Signale auf die außerliterarische Wirklichkeit gelesen werden können, aufgrund der angenommenen Aufführungssituation dieser Lyrik vor der höfischen Gesellschaft-- zumindest für den früh- und hochhöfischen Minnesang-- durchaus positiv. 219 Ja erst mit der möglichen 215 S. dazu den einleitenden allgemeinen Forschungsbericht zum Minnesang oben. 216 C. Händl, Rollen und pragmatische Einbindung, S. 9 . 217 Ebd.; die Sperrung wurde von der Verfasserin übernommen. 218 Vgl. T. Bein, Jahreszeiten. Zur von Bein vorgeschlagenen typologischen Einteilung s. u. 219 Vgl. dazu T. Bein, Jahreszeiten, S. 222 f.: «Die Nennung der Jahreszeit dient als (rhetorische) Möglichkeit der Kontaktaufnahme von Sänger und Publikum und ist gleichzeitig Signal für außerliterarische Gegebenheiten, an denen Sänger und Publikum hic et nunc partizipieren». Die Formulierung ist deutlich von den Überlegungen Händls vorgeprägt (s. o.); der Hinweis auf die rhetorische Dimension des Topos wird in Klammern gesetzt. Ferner heißt es bei Bein: «Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein solches Sommerlied im Herbst oder Winter zum ge- 76 I Der Natureingang als Forschungsproblem Rezeption der Lieder als Leselyrik, so Bein 220 , oder, wie Jan-Dirk Müller herausarbeitet, durch die mit Neidhart einsetzenden Literarisierungstendenzen des späthöfischen Minnesangs 221 , die das auf gemeinsame Außenrealität referierende und sellschaftlichen Vortrag kommen konnte, wobei ich davon ausgehe (und das hat erhebliche Auswirkungen auf den hermeneutischen Zugriff! ), daß bis zum Ende des 13 . Jahrhunderts der gemeinschaftlich rezipierte mündliche Vortrag noch das Übliche ist» (ebd., S. 223 ); hervorzuheben ist, dass Bein sich hier also durchaus der zentralen Rolle der angenommenen Aufführungssituation der Lieder für die Argumentation bewusst ist. Allerdings ist es doch recht befremdlich, was für eine eingeschränkte Tragweite die meisten Minnesangphilologen dem fiktionalen Kontrakt zwischen Sänger und Publikum bei einer solchen Vortragssituation zutrauen; wäre es wirklich so undenkbar, dass ein Jahreszeitenliedes ‹zur Unzeit› (also zur falschen Jahreszeit) hätte vorgetragen werden können? Vgl. dazu jüngst die Überlegungen von Albrecht Hausmann, der eine Neuausrichtung der bisherigen kommunikationspragmatischen Lesart in dieser Richtung fordert: «Die Situationsspaltung wird auch durch das im Frühen Minnesang häufige Element des Natureingangs befördert. Durch den Natureingang bekommt das Gesagte eine eigene Zeit, die nicht die Zeit der Aufführungssituation ist oder zumindest sein muss.» (ders., Verlust und Wiedergewinnung der Dame. Zur inhaltlichen Funktion von Narrativierung und Entnarrativierung im Minnesang, in: H. Bleumer, C. Emmelius (Hgg.), Lyrische Narrationen, S. 157 - 180 , hier S. 161 .), während in einem ebenfalls 2011 erschienen Aufsatz Katharina Philipowski die strikt kommunikationspragmatische Lesart Beins unterstützt und eine solche Situationsspaltung lediglich für die von ihr als erst später in Betracht kommende Rezeption der Liebesdichtung als Leselyrik ansetzt (vgl. dies., die werlt ist uf den herbest komen. Vom Natureingang zur Jahreszeiten-Allegorie in der Lyrik des 13 . bis 15 . Jahrhunderts, in: S. Glauch, S. Köbele, U. Störmer-Caysa (Hgg.), Projektion- - Reflexion- - Ferne, S. 85 - 120 , hier etwa S. 91 (mit Anm. 18 ), S. 95 , und 118 f. Allerdings scheint mir der Hinweis von Philipowski auf eine Verschmelzung von textinterner und textexterner Sprechsituation im Natureingang (vgl. ebd., S. 95 : «Denn wo der Vortragende das Singen von Schnee mit dem Hinweis auf Schnee verknüpfen kann, wird das Publikum dazu eingeladen, die Grenze zwischen Text und Kontext als aufgehoben wahrzunehmen») deutlich hinter den Stand der Minnesang-bezogenen Fiktionalitätsforschung seit Warning (auf den ja verwiesen ist: ebd., Anm. 28 ) zurückzufallen. 220 Vgl. T. Bein, Jahreszeiten, S. 223 . 221 Jan-Dirk Müller geht in seiner im selben Sammelband wie Beins Aufsatz erschienenen Behandlung des Themas nicht primär von kommunikationspragmatischen Paradigmen aus, sondern versucht vielmehr den Umgang der Literatur mit alltagsbasierten Erfahrungsmustern von Jahreszeitlichkeit zu klären. Der Minnesang lehnt sich nämlich mit seinem zweiteiligen Jahreszeitenmodell an die nicht-gelehrte, laikale Jahreszeiteneinteilung der liute (so heißt es in der Mainauer Naturlehre) an, in der Frühling/ Sommer und Herbst/ Winter jeweils nicht getrennt wahrgenommen werden, und richtet sich gerade nicht nach dem gelehrten Vierjahreszeitenschema der meister, das seit der Antike besteht und in der lateinischen Literatur vorherrscht (vgl. J.-D. Müller, Jahreszeitenrhythmus als Kunstprinzip, S. 130 f.). Müller hebt in diesem Zusammenhang m. E. zu Recht hervor, dass im Minnesang «der Lebensrhythmus, den die Jahreszeiten skandieren, von Anfang an in ein Kunstprinzip überführt wird» (ebd., S. 130 ), kann sich aber von Vorstellungen, die kommunikationspragmatisch geleitet sind, letztlich nicht ganz lösen, da er dennoch diese Überführung in ein Kunstprinzip in einer zeitlichen Entwicklung graduell staffelt. Damit ergibt sich wiederum ein Gefälle, was den Minnesang vor und nach Neidhart anbelangt; erst mit ihm wird der Status der liedinternen Jahreszeitenfundierung endgültig als artifizielles Prinzip sinnfällig, da einerseits die Jahreszeitenopposition zum gattungskonstituierenden Moment, andererseits durch «ein Geflecht weiterer Oppositionen überlagert» wird, wodurch «das Verhältnis von Minne zu den Jahreszeiten uneindeutig» wird (vgl. dazu und beide Zitate entnommen: ebd., S. 134 ). Dadurch ergebe sich 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 77 damit konsensstiftende Mittel 222 des Natur- oder Jahreszeiteneingangs endgültig zum Kunstprinzip werden lassen, sei ein Auseinandertreten von Außenrealität und literarischer Aussage in diesem Punkt überhaupt denkbar. Einmal davon abgesehen, dass gerade die Inanspruchnahme der Aufführungsbasiertheit des Minnesangs durch den kommunikationspragmatischen Ansatz vom Verfasser vorliegender Arbeit wegen des damit verbundenen Abhebens auf den defizitären Status des schriftlich überlieferten Textes als problematisch angesehen wird und verlässliche Aussagen über die genauen Verhältnisse der Textangaben zu solchen möglichen außerliterarischen Referenzpunkten sowieso nicht mehr getroffen werden können, ist bezüglich einer solchen Einordnung dieser Topik folgender Einwand zu machen: Zunächst einmal trifft sich die neuere Forschung bei einer derartigen Auffassung in bedenklicher Weise mit der älteren, deren Verständnis vom Natureingang als Referenzmedium auf außerliterarische Bezugspunkte durch die Arbeiten von Brinkmann und Curtius eigentlich trefflich revidiert worden war; schließlich wird ja auch beim aufführungspragmatischen Ansatz wiederum die Wahrnehmung dieses Topos in seiner literarischen Stilisiertheit und seiner innertextlichen Argumentation behindert. Betrachtet man aber bei aller Variabilität der Einbindungsmöglichkeiten die dominante Konzeption des Einbaus des Natureingangs in das Ich-Sprechen des Werbungsliedes, wie sie sich besonders deutlich am sehr häufig auftretenden Typ des kontrastiven Sommereingangs zeigt, so ist-- im Gegensatz zur propagierten Funktion einer kommunikativen Verständigung mittels Abheben auf gemeinsame Wahrnehmungsbereiche-- doch gerade die gegenläufige Textstrategie nicht zu übersehen: Das Ich separiert sich durch die Andersartigkeit seiner Empfindungen, die konträr zur sozial erwarteten, jahreszeitlich ‹angemessenen› Haltung gesetzt sind, von der Gesellschaft, eine mögliche kommunikativ hergestellte Gemeinsamkeit als Ausgangsbasis des Liedes wird also sofort destruiert. Um die Funktion des Jahreszeitenbzw. Natureingangs im Minnesang zu ergründen, dürfte es demnach sinnvoller sein, die genaue argumentatorische Einbauweise zu beschreiben und in der Analyse ausschließlich auf der Textebene zu verbleiben, ja auf die Herstellung von Bezügen zu außerliterarischen Gegebenheiten und mögeine grundsätzliche Veränderung des Wirklichkeitsbezugs des Natureingangs: «Der zeitliche Index tritt in ein latentes Spannungsverhältnis zur Aufführungssituation. Wenn der Liedeingang ein Jetzt (nu) benennt, das als Sommer oder Winter konkretisiert wird und auf die der Jahreszeit zugeordneten Requisiten und Erfahrungstypen weist, dann wird der Zeigegestus auf eine Welt, die den Hörern wie dem Vortragenden gleichermaßen präsent ist, als ein rein fiktiver vorgeführt.-[…] Dem Jahreszeitentopos geht, indem er Basis typenmäßiger Differenzierung wird, der alltagsweltliche Referenzbezug verloren» (ebd., S. 136 ). Dies impliziert mithin, dass dieser für den Minnesang vor Neidhart noch bestanden und eine Fiktionalisierung desselben noch nicht stattgefunden hat. 222 Schon Bein gibt es in seinem Aufsatz als eine wesentliche Funktion des Jahresbzw. Natureingangs an, dass mittels Referenz auf eine für alle wahrnehmbare Außenrealität eine Kontaktaufnahme zwischen Sänger und Publikum erreicht werde (vgl. T.Bein, Jahreszeiten, S. 222 f.; s. o.). 78 I Der Natureingang als Forschungsproblem lichen kommunikativen Abläufen, die sich durch eine Vortragssituation ergeben könnten, über deren genaue Modalitäten uns nichts bekannt ist, zu verzichten. So scheint mir auch die jüngst in Aufsätzen von Ludger Lieb vorgenommene Weiterentwicklung der kommunikationspragmatischen Lesart zu einer Analyse des Topos unter der Perspektive seines möglichen Beitrages zum Institutionalisierungsprozess des Minnesangs in einigen Punkten nicht unproblematisch zu sein. 223 Diese spezifische Modifizierung durch Lieb hat sich im Übrigen schon bei Thomas Bein angedeutet, der bereits auf eine weitere Funktion des Topos aus kommunikationspragmatischer Sicht hingewiesen hat, nämlich dass dieser es gewährleiste, «das ‹Wiedererkennen› literarischer Situationen zu erleichtern bzw. allererst zu ermöglichen» 224 . Lieb hat nun in seinem 2001 erschienenen Aufsatz «Die Eigenzeit der Minne» die Frage, inwiefern der Jahreszeitentopos, unter dem der ‹Natureingang› zu subsumieren wäre, der institutionellen Absicherung des Minnesangs dient, ausführlich behandelt. 225 Dieser Prozess sei für den Minnesang, der weder in seiner Form der literarischen Kommunikation noch in Bezug auf sein Thema, die Liebe, über eigene institutionelle Absicherung verfüge, als ein Versuch darzustellen, wie es Rainer Warning für die Trobadorlyrik herausgearbeitet hat, bestehende symbolische Ordnungen konnotativ auszubeuten. 226 Für Lieb bildet nun auch der Jahreszeitentopos eine «vorgängige institutionalisierte Denkform» 227 , die sich der Minnesang im Prozess seiner Institutionalisierung nutzbar mache. Jener stehe hierbei als kultureller Wissensspeicher von Zuschreibungen-- wie im Falle des Sommers von der Jahreszeit als causa amoris 228 und Grundbedingung sozialer Akte wie Kontakt 223 Dass auch Liebs Ausführungen sich vom Paradigma der Aufführungsbasiertheit herleiten, dürfte folgende Passage deutlich werden lassen, wobei m. E. nicht ganz klar wird, ob der Topos des Jahreszeitenbzw. Natureingangs aufgrund seiner Zurückdrängung im hochhöfischen Minnesang überhaupt mitgemeint ist: «Es wäre zu überlegen, ob die Topoi im ‹klassischen› Minnesang im Sinne Assmanns einer ‹rituellen Kohärenz› dienen-[…], also durch ihre Wiederholung in einem kulturellen Kontext der laikalen Oberschichten, der noch nicht dominant von schriftlichen Kommunikationsformen geprägt ist, jene Elemente vergegenwärtigen, die dieser Gruppe Sinn und Identität verleihen» (L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 185 , Anm. 8 ). Dieser Aspekt soll jedoch nicht im Mittelpunkt meiner Kritik stehen. 224 T. Bein, Jahreszeiten, S. 234 . 225 Vgl. L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, bes. S. 183 . Vgl. auch den ein Jahr zuvor erschienenen Aufsatz, ders. Der Jahreszeitentopos, wo Lieb bereits immer wieder auf die poetische Kommunikation ermöglichende und stabilisierende Funktion solchen topischen Sprechens abhebt, vgl. ebd., bes. S. 131 und 141 f. 226 Für Warnings Konzept der konnotativen Ausbeutung vgl. R. Warning, Lyrisches Ich und Öffentlichkeit bei den Trobadors, S. 135 - 144 . 227 L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 199 . In ders., Der Jahreszeitentopos, ist ganz ähnlich von an den Jahreszeitentopos angelagerten, vorgängigen habituellen Konzepten die Rede, die «offensichtlich Geltung transportieren» (vgl. und Zitat entnommen: ebd., S. 137 ). 228 Lieb knüpft hier an die grundlegende Studie von Schnell zum Konzept der höfischen Liebe an, vgl. Schnell, Rüdiger: Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern u. a. 1985 (Bibliotheca Germanica 27 ), S. 318 - 321 , die aber auf eine grundlegende Differenz zwischen mittellateinischer und volkssprachlicher Liebeslyrik in diesem Punkt hinweist. 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 79 der Liebenden bzw. öffentliches Singen 229 -- bereit, an den der Minnesang anknüpfen kann, um das richtige Sprechen über die Liebe zu verankern und einzuüben 230 ; schließlich diene der Jahreszeitenbzw. Natureingang als konventionalisiertes Bild der Garantierung gelingender Kommunikation. 231 Es muss allerdings gegen die Thesen von Lieb der Einwand erhoben werden, dass die von ihm vorgenommene inhaltliche Füllung des angeblich vorgängigen habituellen Jahreszeitenkonzepts durch textliche Zeugnisse genau nicht zu belegen ist, da es in eine Zeit vor der Verschriftlichung der volkssprachlichen Lyrik weist. Denn, selbst wenn man annimmt, dass es derartige Konzepte gegeben hat, wären diese bereits in den Texten des frühhöfischen Minnesangs durch Umdeutung und Neubesetzung modifiziert, teils sogar massiv verändert worden 232 , so dass bezweifelt werden muss, dass überhaupt ein 229 Der Winter steht in dem von Lieb angenommenen, vorgängigen habituellen Jahreszeitenkonzept stattdessen für den Mangel an Liebe, gesellschaftliche Trauer und Verstummen, vgl. dazu L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 186 f. 230 Vgl. ebd., S. 185 - 189 . Zu einem solchen Legitimierungsprozess von Literatur, so erläutert Lieb weiter, gehört aber als Gegenstück der konnotativen Ausbeutung stets auch die Ausblendung dieser konkurrierenden symbolischen Ordnungen, was für ihn als Ursache dafür anzunehmen ist, dass der Jahreszeitenbzw. Natureingang im hohen Minnesang weitgehend zurückgedrängt wird. Selbst aber dann, wenn zur Wertsteigerung des eigenen Minnekonzepts die Ablehnung der Geltung des Topos, wie eben im hohen Minnesang bisweilen, innerliterarisch ausformuliert erscheint oder der Topos nur aufgerufen wird, um ihn zu überbieten, muss davon ausgegangen werden, dass die benannten kulturellen Speicherungen noch akut sind; sonst wären solche Stellen wirkungslos (vgl. zum Komplex der Ausblendung im Prozess der Institutionalisierung des Minnesangs: ebd., S. 189 - 195 ). 231 Vgl. dazu L. Lieb, Der Jahreszeitentopos, S. 129 , wo es heißt: «Die ‹kreative› Topik des Minnesang funktioniert nach 1200 offenbar nicht mehr; da aber der Minnesang als Gattung etabliert ist, verschwindet er nicht einfach, sondern nutzt zur Wahrung seines kommunikativen Erfolgs u. a. den Jahreszeitentopos, der den Beginn eines Minneliedes erwartbar macht». Diese-- m. E. äußerst problematische-- Passage findet sich bei Lieb im Kontext seiner Zuordnung der vielfältigen Erscheinungsformen des Topos zu verschiedenen Stadien der Rede (inventio, dispositio, elocutio), die in vielen Punkten gewinnbringend ist, dennoch aber skeptisch stimmt (s. u.). Besonders aber die Aufteilung in der Nutzung des Topos, die Lieb zwischen dem früh-/ hochhöfischen und späten Minnesang durch einen tendenziellen Wandel von der Findeformel zur reinen Exordialtopik zeitlich festschreibt (vgl. ebd., S. 128 f.), scheint mir die abwertenden Urteile der früheren Forschung bezüglich des Einsatzes des Natureingangs im späten Minnesang unter Zuhilfenahme der Rhetorik in bedenklicher Weise zu zementieren. 232 Das zeigen ja gerade auch die Analysen bei L. Lieb, Der Jahreszeitentopos, S. 134 - 141 ; vgl. dazu auch die grundsätzliche Einlassung von Lieb: «Wir können nicht wissen, welche Selbstverständlichkeiten, welche Topoi jenseits der Verschriftlichung eine mittelalterliche Gesellschaft geprägt haben. Wir sind auf Schrifttexte verwiesen-[…]. Inwieweit diese überlieferten Texte und ihre reproduzierten Topoi den Habitus dieser Gesellschaft selbst wiedergeben bzw. konstituieren-[…], oder inwiefern sie, besonders die im engeren Sinn literarischen Texte, immer schon die Rolle von katalysierend wirkender Kommunikationsstörung hatten, inwiefern sie also geradezu gegen bestehende Habitus neue Selbstverständlichkeiten durchzusetzen hatten-[…], das kann nicht grundsätzlich beantwortet werden» (ebd., S. 131 f.). Ja Lieb selbst gesteht darüber hinaus ein, dass es nicht zwingend ist, anzunehmen, dass der Topos des Jahreszeitenbzw. Natureingangs überhaupt eine vorgängig institutionalisierte Denkform darstellt, vgl. L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 199 . 80 I Der Natureingang als Forschungsproblem verlässlicher und methodisch sauberer Weg, ihnen näher zu kommen, gefunden werden kann. Insofern erweist sich die philologische Rekonstruktion solcher angeblich vorgängigen institutionellen Denkformen als viel zu spekulativ. Auch ist zu fragen, ob die Vielfalt an Möglichkeiten der Inbezugsetzung von Jahreszeiten- und Liebesthematik, die die höfische Lyrik von Anfang an präsentiert, wirklich auf ein präexistentes Modell mit derart festen Zuschreibungen zurückgeführt werden sollte, wie uns Lieb vorschlägt. Denn mithin hat es die Theoriedebatte auch als eine bedeutsame Leistung der topischen Raster herausgestellt, dass die Topoi als «Leerformen» 233 gerade nicht vorausgehend in ihrer Auswertung bereits eingeschränkt sind, sondern vom Anwender prinzipiell in alle denkbaren Richtungen auflösbar sind (in utramque partem). 234 Schließlich ist auch zu fragen, was die Annahme solcher vorgängigen habituellen und institutionalisierten Vorstellungen für die Textanalyse überhaupt zu leisten vermag, wenn doch die uns überlieferten Texte sowieso stets ganz eigene Wege in der Realisation gehen. Es wäre stattdessen ratsam, die jeweilige Einbauweise des Topos und den innertextlichen argumentatorischen Verlauf präzise in der Analyse nachzuverfolgen und dabei nicht mit derart spekulativen Größen zu arbeiten; denn die methodisch heikle Operation mit vorgängigen Konzepten ist für die analytische Betrachtung des Textes weder nötig noch zusätzlich gewinnbringend. Darüber hinaus muss noch ein weiterer Aspekt angesprochen werden: Liebs Rekonstruktion einer institutionellen Denkform des Jahreszeitentopos deckt sich mit den Ergebnissen der vorherigen Forschung vor allem darin, dass das Konzept einer Kongruenz von Jahreszeit bzw. jahreszeitengemäß gestimmter Gesellschaft und Liebesverhalten des Ichs als primär vorausgesetzt wird. 235 Diese Annahme ist aber wiederum mit dem Hinweis darauf, dass alle Möglichkeiten der Anbindung von Jahreszeitenthematik und Befindlichkeit des Text-Ichs im Minnesang auch von Anfang an begegnen, zu entkräften; denn dass die gleichgerichtete Einbautechnik einer kongruenten Haltung von liebendem Ich und jahreszeitengemäß gestimmter Gesellschaft/ Natur primär und die kontrastive Setzweise sekundär wäre, ist aus dem überlieferten Bestand nicht abzuleiten. Statt also von einer präexistenten, festen Zuschreibung in Form von einem institutionalisierten, kollektiven Jahreszeitenkonzept auszugehen, die dann erst durch die literarischen Texte experimentell gelockert 233 R. Barthes, Die alte Rhetorik, S. 68 . 234 Dies hebt etwa U. Hebekus, Topik/ Inventio, S. 88 f., hervor. 235 So schon Wolfgang Mohr (s. o.). Vgl. ferner Johnson, Peter L.: Nochmals zur Kultur des Natureingangs, in: A. Robertshaw, G. Wolf (Hgg.), Natur und Kultur in der deutschen Literatur des Mittelalters, S. 31 - 40 , hier S. 35 f.: «Die zu erwartende Entwicklung wäre die gewesen, daß die Ankunft des Frühlings/ Sommers zu Freude führt, des Herbsts/ Winters zu Trauer. Sekundär war wohl die Umkehrung: Frühling/ Sommer, aber der Dichter ist traurig, Herbst/ Winter, aber er freut sich. Der widersprüchliche Zustand ist allerdings mehr oder etwas anderes als eine Umkehrung, denn während die Parallelität sich von selbst erklärt, ist die Umkehrung nur aufgrund einer zusätzlichen Kraft verständlich, die sie bewirkt. Die neue Kraft ist beinahe immer glückliche oder unglückliche Minne. Die Entwicklung verlief wohl so- […].» Gleichwohl konstatiert Johnson aber die damit im Widerspruch stehende Dominanz der kontrastiven Setzweise des Natureingangs im Minnesang bis Walther, vgl. ebd., S. 36 . 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 81 wird, wäre der Jahreszeiten- und Naturtopos als ein nur in (literarischen) Texten greifbares rhetorisches Modell zu betrachten, dass von Anfang an für eine Vielzahl denkbarer Bezüge zwischen jahreszeitlicher Natur und Gestimmtheit des Ichs offen ist. Schließlich stellen ja auch die Texte, die suggerieren, es gebe eine sich aus der Jahreszeit ableitende, gesellschaftlich geforderte Haltung für das Ich, diesen Anspruch durch eine textuelle Konstruktion erst her und sind- - gleichgültig, ob es einen solchen in der Realität gegeben haben mag oder nicht-- diesbezüglich ebenso deutlich literarisch stilisiert wie die anderen Varianten. Dennoch ist ein Punkt hervorzuheben, auf den Jan-Dirk Müller und Ludger Lieb mit ihrem Befund einer Literarisierungstendenz aufmerksam gemacht haben, die beide anhand des Topos- - in jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung- - nachverfolgt haben, wenn sie die Minnesangtradition als eine literarische Emanzipationsbewegung lesen, die sich von der in den Rhythmus der höfischen Lebenswelt eingeschriebenen Zweiteilung des Jahres mit fester Zuordnung von vröide und trûren ablöst (Müller 236 ), wobei im Gegensatz zum jahreszeitlichen Zyklus eine der Liebe eigene Zeitstruktur hervortritt, die die Minne der Determination durch den saisonalen Wandel enthebt, um die Werthaftigkeit der Liebe noch stärker herauszupräparieren (Lieb 237 ). Dass aber in der Minnesangtradition durchaus eine deutliche Tendenz zu bemerken ist, über Techniken wie die Herstellung von Rissen in der Kohärenzbildung, Ablehnung der Geltung des Topos oder Überbietung desselben, die Außergewöhnlichkeit einer besonderen Liebe des Ichs herauszustellen, die es solcher als gesellschaftlich habitualisiert imaginierter Konzepte und überhaupt der Determination durch fremde Zeitordnungen enthebt; darauf wird noch zurückzukommen sein. Es ist jedoch als Verdienst des kommunikationspragmatischen Ansatzes zu würdigen, auf diese Techniken der literarischen Stilisierung hingewiesen zu haben; die Frage nach den außerliterarischen Referenzpunkten des jahreszeitlich organisierten Natureingangs scheint mir allerdings, selbst in ihrer kommunikationspragmatischen Zuspitzung, prinzipiell in eine Sackgasse zu führen. 238 236 S. oben, Anm. 221 . 237 Vgl. L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, bes. S. 192 - 206 . 238 Nur am Rande in diesem Forschungsbericht berücksichtigt worden sind die folgenden Aufsätze: P. L. Johnson: Nochmals zur Kultur des Natureingangs ( 1999 ), und C. März, Die Jahreszeiten der Sentimente ( 2006 ), der sich vornehmlich mit dem Natureingang bei Neidhart beschäftigt (dazu auch jüngst A. K.Bleuler, Zwischen Tradition und Innovation). In beiden Publikationen wird auf die hier in den Vordergrund gestellten Aspekte nicht ausführlich genug eingegangen; dennoch liefern sie einige wertvolle Hinweise, die ich jeweils in den Anmerkungen verzeichnet habe. Auf die eher zur Einführung gedachten Darstellungen bei G. Schweikle, Minnesang, S. 131 - 133 und 203 f., und Bauschke, Ricarda: Art. «Natureingang. I. Deutsche Literatur», in: LexMA 6 ( 1993 ), Sp. 1044 f., wird noch im Folgenden einzugehen sein. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch noch der kürzlich erschienene Aufsatz von Nico Unlandt, Le début printanier des troubadours et le Natureingang des Minnesinger ( 2011 ) zu erwähnen, der aufgrund seiner komparatistischen Ausrichtung erwähnenswert ist, jedoch in der Frage nach einer sinnvollen definitorischen Einfassung der Topik keine zielführenden Akzente setzt (Unlandt spricht z. B. völlig unhinterfragt stets von einer im Natur- 82 I Der Natureingang als Forschungsproblem Bevor hier später nun eigene Vorschläge zu einer Definition des jahreszeitlich organisierten Natureingangs im deutschen Minnesang und zu einer Typologie desselben gemacht werden können, muss an dieser Stelle noch auf die diesbezüglichen Einteilungsvorschläge von Bein und Lieb eingegangen werden, die als hilfreiche Vorarbeiten vom Verfasser vorliegender Arbeit ebenfalls zur Erstellung seiner Typenunterteilung mitbenutzt worden sind, dennoch aber in einigen Punkten kritisch kommentiert werden sollen. Thomas Bein hat in seinem hier bereits mehrfach erwähnten Aufsatz eine Typologie des Jahreszeiten-topos aus kommunikationspragmatischer Perspektive vorgestellt. 239 Hierbei führt Bein neben dem Grundtyp eines Natureingangs mit deiktischer Signalsetzung folgende Typen literarischer Jahreszeitenaneignung an, bei denen der außerliterarische Bezug auf das hic et nunc jeweils nur mehr oder weniger eingeschränkt vorliegt und die so als Ergebnis von spezifischen Literarisierungstechniken in den Blick zu nehmen sind: Jahreszeitenstrophen ohne Deixis / ohne Publikumsbezug (I) 240 , Jahreszeiten in Rollenrede (II), wobei er in diesem Zusammenhang nochmals in die Typen (a) Tagelied, (b) Botenlied, (c) Frauenrede und (d) Anonyme eingang erfolgenden description de la nature [etwa: Ebd., S. 571 ]). Andererseits betont auch er- - ähnlich wie jüngst Burkhard Wachinger (s. oben)- - die dienende Funktion des Topos im Hinblick auf die eigentliche Liebesthematik (vgl. N. Unlandt, Le début printanier, S. 571 ), deren Anbindung über die für die beiden Jahreszeiten jeweils zwei grundsätzlichen Möglichkeiten paralleler oder kontrastiver Setzung- - freilich eher skizzenhaft- - an ausgewählten Beispielen vorgeführt wird (vgl. ebd., S. 571 f.). 239 Vgl. auch für das Folgende: T. Bein, Jahreszeiten, S. 225 - 234 (mit Beispielen im Anhang, S. 235 - 237 ). Ein Problem, das sich Bein aufgrund der Tatsache einhandelt, dass er nicht eine Typologie des jahreszeitlich organisierten Natureingangs erstellt, sondern eine Einteilung des ‹Jahreszeitentopos›- - ein Begriff, unter dem ganz Unterschiedliches subsumiert wird- - anstrebt, ist, dass hier relativ disparate Textphänomene zusammengenommen und zu kohärenten Typengruppen vereint werden müssen; dies wird sich als recht problematisch erweisen. 240 Schon die erste Merkmalsgruppe umfasst recht disparate Beispiele (vgl. ebd., S. 225 f. und 235 f.), stehen hier doch neben eigentlich zu separierenden Sonderfällen der Minnesangtradition wie Walthers ‹Traumglück›-Lied L 94 , 11 , das als mit Jahreszeitengestus kombinierte locus-amoenus-Repräsentation ganz narrativ ausgerichtet ist, und Albrechts von Johansdorf MF 90 , 32 , das als ‹Jahreszeitenlied› fragwürdig ist (locus amoenus? ) und noch näher zu betrachten sein wird (s. u.), ganz generell bleibende Jahreszeiteneingänge (s. o., wo bereits vermutet worden ist, dass solche Lieder vom eigentlichen Natureingang zu trennen wären) wie Lied KLD 31 ,I von Kristan von Luppin (vgl. dazu auch meine Ausführungen zu einer Abgrenzung des jahreszeitlichen Natureingangs, unten). Die so zu einem Typ zusammengeschlossenen Lieder haben im Grunde nicht viel miteinander gemein, so dass bezweifelt werden muss, ob das Distinktionskriterium ‹Fehlen deiktischer Signale auf das hic et nunc› wirklich sinnvoll gewählt ist. 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 83 Dritte unterteilt 241 , Jahreszeiten und Sangeskunst ( III ) 242 , Jahreszeiten und dichteri- 241 Die besondere Rolle von Figurenrede im Natureingang wird noch zu untersuchen sein (s. u.). Viele der von Bein hier zusammengetragenen Beispiele (vgl. T. Bein, Jahreszeiten, S. 226 - 230 und 236 ) wären für eine Typeneinteilung des jahreszeitlich organisierten Natureingangs sowieso auszuschließen, da sie nicht am Anfang des Liedes stehen. Es fragt sich ferner, ob es tatsächlich sinnvoll ist, das Tagelied als eigenen Untertyp der Einbaumöglichkeit des Jahreszeitentopos aufzuführen, zeigt diese Gattung doch bis auf einen absoluten Ausnahmefall- - Walthers Tagelied L 88 , 9 -- genau keine Jahreszeitenallusionen. Als besonders problematisch stellen sich ferner im Bereich der Frauenrede die bei Neidhart bisweilen begegnenden Natureingänge dar, die zwischen einer durch den Kontext sonst nahezulegenden Sänger-Ich-Rede und einer Zuweisung als Frauenrede changieren; vgl. dazu grundsätzlich im Rahmen einer ‹Irritationsstrategie› Neidharts: Müller, Jan-Dirk: Männliche Stimme-- weibliche Stimme in Neidharts Sommerliedern, in: Bi-Textualität. Inszenierungen des Paares. Ein Buch für Ina Schabert, hg. von Annegret Heitmann u. a., Berlin 2001 (Geschlechterdifferenz & Literatur 12 ), S. 334 - 345 ; wieder in: ders., Minnesang und Literaturtheorie, S. 233 - 244 . Ein gutes Beispiel dafür liefert SL 6 (=- SNE I: C Str. 260 a- 265 ), dessen Beginn in der ATB-Ausgabe von Wießner lautet: «In dem tal / hebt sich aber der vogele schal: / wan sie grüezent alle nû den meien. / den wolgemuoten leien / den will ich helfen reien», / / Sprach ein meit / zuo ir muoter; «mirst geseit / hiuwer alrerst von des knappen singen / ob ich im hulfe springen, / mir müeste wol gelingen.» (I-II). An der Zeichensetzung durch den Herausgeber ist leicht abzulesen, dass er die Natureingangsstrophe (I) als Rede der Tochter festlegt, was durch das sprach ein meit (II, 1 ) ja nachträglich durchaus suggeriert sein könnte. Jedoch wird man im Kontext der meisten anderen Neidhart-Eingänge die erste Strophe im prozessualen Verlauf zunächst als typische Sänger-Ich-Eröffnung aufnehmen, bis am Beginn der zweiten Strophe diese Annahme durch die inquit-Formel nachträglich in Zweifel gezogen werden kann. Allerdings ist die Passage sprach ein meit / zuo ir muoter (II, 1 f.) wiederum nicht eindeutig auf das Vorausgehende bezogen (so wie es das abtrennende Semikolon bei Wießner suggeriert! ), sondern vielleicht auch nur auf das Folgende zu beziehen; ganz klar wird das nicht. Zieht man die handschriftliche Überlieferung zu Rate (wie man es nun recht bequem mit der jüngst erschienen SNE tun kann), so fällt auf, dass die in der Zuweisung der Sprecherrollen an sich ambivalente, aber durch editorische Festlegungen vereindeutigte Version Wießners in der Überlieferung erst von der recht späten Handschrift c durch einen von C abweichenden Wortlaut von Vers II, 1 repräsentiert wird; in C heißt es dagegen: Ein meit / sprach zir můter-[…], wodurch die inquit-Formel völlig eindeutig allein auf die folgende Rede bezogen ist-- und damit der Natureingang der ersten Strophe nur als Sänger-Ich-Rede aufzufassen ist. Insofern würde gerade auch die Überlieferungslage dafür sprechen, dass die Ambivalenz der ersten Strophe bezüglich der Besetzung der Sprecherposition nicht so eindeutig zu Gunsten der Frauenrede aufgelöst werden darf, wie das Wießner und mit ihm Bein tut, der die Strophe als überraschend im Liedverlauf nachträglich als Frauenrede festgelegte Frauenrede vereindeutigt (vgl. T. Bein, Jahreszeiten, S. 229 ). Dass das Typenkriterium ‹Rollenrede›, und mit ihm verbunden die Frage nach der «Relevanz ihres [=der Strophe] Realitätsbezugs» (ebd.), eine an sich schon äußerst problematische Kategorie (s. o.), bei einer in Bezug auf die Besetzung der Sprecherposition derart changierenden Strophe an ihre Grenzen kommt, ist m. E. überdeutlich (s. auch Kap. III. 2 .c). Ganz irritierend scheint mir schließlich die Aufstellung der Kategorie «Anonyme Dritte» (vgl. ebd., S. 229 f.) zu sein, die das Wiedergeben von Äußerungen unbestimmter Dritter durch das Ich (wie z. B. in Wolframs Lied MFMT XXIV, Nr. IX: Maniger klaget die schoenen zît / und die liehten tage, / sô klage ich- […]; I, 1 - 3 ) als in Rollenrede realisierter Jahreszeitentopos präsentiert; dies ist für mich nicht recht nachvollziehbar. 242 Vgl. ebd., S. 230 und 236 f. Zu diesem Typ sind die wenigen Beispiele im deutschen Minnesang zu zählen, die die Jahreszeiten bzw. Naturthematik an die Sangesthematik anbinden; in der Trobador- und Trouvèrelyrik begegnet diese Spielart des Natureingangs ungleich häufiger 84 I Der Natureingang als Forschungsproblem sche Gelehrsamkeit / Formkünstlichkeit ( IV ) 243 , Jahreszeit und Minne (V) 244 , Herbst- (s. u.). Für Bein ist jedoch weniger die thematische Besonderheit zur Konstituierung des Typs ausschlaggebend als eine Veränderung im Referenzbezug bei den Natureingängen: Da diese über das Dichten und Singen reflektieren, ergebe sich eine autoreferentielle Metaebene, ja es gehe «primär weder um die Liebe noch um die Jahreszeit, sondern eigentliches Thema ist die Dichtkunst» (ebd., S. 230 ). Einmal von der Frage abgesehen, ob es sonst beim Natureingang eigentlich ‹primär› um einen jahreszeitlichen Referenzbezug geht: M. E. ist bei einer derart selbstreferentiellen Literaturform wie dem Minnesang, der eine solche Metaebene fast durchgängig aufweist (Verbindung von Lieben und Singen über die Liebe etc.), schwierig, einen Sondertypus aufzustellen, bei dem diese Metaebene als distinktiv hinzutritt. Die Unterscheidung zwischen Typ III und IV scheint ferner gerade für das von Bein gewählte Beispiel, Ulrichs von Winterstetten Lied KLD 59 , XVI: Svmer o v get sine wunne recht schwierig; wer könnte entscheiden, ob die auf Dichtkunst abhebenden Bezüge oder der Gelehrsamkeitsaspekt bedeutender sind? Wäre eine solche Entscheidung- - man bedenke die Eindeutigkeit der Distinktionskriterien, die die Typenaufteilung bei Bein suggeriert-- überhaupt sinnvoll? 243 Vgl. T. Bein, Jahreszeiten, S. 230 f. und S. 237 . Typenkonstituierend ist im Fall von Typ IV allein die Diagnose formal-virtuoser Handhabung bzw. dichterischer Gelehrsamkeit im Jahreszeitenbzw. Natureingang, da auf diese Weise ein «Rückschreiten in die Literarität» (ebd., S. 231 ) erfolge. So erklärt Bein im Falle des als Beispiel für den Typ angeführten Liedes des Kanzlers (KLD 28 , XIV: Helfent mir, ir leien, meien klagen! ), zwar sei hier die typische aktualisierende Publikumsanrede-- hinzuzufügen wäre im weiteren Verlauf des Natureingangs auch das inkludierende wir/ uns (I, 2 und 4 ), beides sind Charakteristika des Normaltyps! -- zu bemerken, insgesamt verschwinde aber «der Appell hinter den zahlreichen, auf reine Klangwirkung ausgehenden Reimen» (ebd., S. 231 ). Wird die Appellstruktur des Natureingangs dadurch aber vollständig getilgt? Ja es wäre zudem zu fragen, ob die von Bein hier versammelten Beispiele (vgl. ebd., S. 230 f. und 237 ) nicht allein durch relativ willkürliche Entscheidung zum eigenen Typ erklärt werden, denn wer könnte schon eine gesicherte Grenze ziehen, wann Publikumsanreden und Deixis völlig von Formkunst überdeckt sind, bzw. wann sie noch durchdringen? Auch der gelehrte Natureingang in Burkhards Lied KLD 6 , XI: Do der luft mit svnnen vúre, den Bein als Beispiel anführt, verfügt im Übrigen am Ende der ersten Strophe über eine solche aktualisierende Publikumsanrede (schowent selbe vs vf den anger! [I, 8 ]; vgl. dazu T. Bein, Jahreszeiten, S. 231 ); dies muss doch skeptisch stimmen, ob hier selbst aus kommunikationspragmatischer Perspektive wirklich ein eigener Typ vorliegt. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass die traditionelle Abwertung der späten Minnelyrik als manieristisch und ‹zu literarisch› reimplementiert wird. 244 Vgl. T. Bein, Jahreszeiten, S. 231 f. und 237 . Mit diesem Typ sei, so Bein, nicht der ‹Normalfall› einer eher losen Verbindung von Jahreszeitenbzw. Naturthematik und Minnethematik gemeint, sondern jene- - vor allem im 13 . Jahrhundert begegnenden- - Beispiele, in denen die beiden thematischen Bereiche direkt sprachlich-rhetorisch verknüpft werden, so dass «die Jahreszeit stärker- - wenn nicht ausschließlich- - Bestandteil des literarischen Diskurses» (ebd., S. 232 ) werde. Damit, so ist wohl zu ergänzen, wäre der sonst von Bein angenommene Referenzbezug auf die Außenrealität nicht mehr von Belang. Bein ist sicherlich darin zuzustimmen, dass es gerade im 13 . Jahrhundert elaborierte Beispiele dafür gibt, die die Verknüpfung von Jahreszeiten- und Liebesthematik auf kunstvolle Weise weiterspinnen (z. B. plötzliche Metaphorisierung der Jahreszeit wie in Winlis Lied SMS 17 , 4 : Secht, des meijen blüete, wo es zu Beginn der 2 . Strophe heißt: Ich wil iemer mêre / hân die lieben zeinem meijen [II, 1 f.]; vgl. dazu T. Bein, Jahreszeiten, S. 232 ). Allerdings scheint mir seine Annahme, dass in der Regel Jahreszeiten- und Minnethematik nur locker verbunden seien, so dass der jahreszeitliche Natureingang für das Lied häufig keine derart zwingende Rolle spiele, dass er nicht ohne Schaden weggelassen werden könne (ebd., S. 231 ), zu pauschal gefällt und wäre für jeden Einzelfall genau zu prüfen. Insofern halte ich es für problematisch, den Sondertyp 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 85 lieder ( VI ) 245 sowie als letzten Typ die Mischformen ( VII ). 246 Von der Kritik in einzelnen Detailfragen abgesehen, scheint mir die Konstituierung einer Typeneinteilung auf der Basis des Referenzbezugs auf das hic et nunc der Vortragssituation generell zweifelhaft: Zum einen ist die argumentative Heranziehung von Aufführungsmodalitäten methodisch heikel, zum anderen führt dieses Typenkriterium bei einer Einteilung des Jahreszeitenbzw. Natureingangs im Minnesang auch nicht zu überzeugenden Merkmalsgruppen-- man denke nur an die recht disparat bestimmten Typen bei Bein: während Typ I und II noch rein kommunikationspragmatisch konstituiert sind, überwiegen bei III und V doch eher inhaltliche, bei Typ IV formalästhetische Gesichtspunkte. Schließlich spielt für die von Bein vorgeschlagene Typologie, bei der ein bisweilen auftretendes stilistisches Charakteristikum (deiktische Signalsetzung, Publikumsanrede) herausgegriffen und unbegründet zum Grundzug des Topos erklärt wird, gerade das Moment, das zur Bestimmung der Funktion des Natureingangs und der Besonderheiten in der Einbauweise Aufschluss zu geben vermag, überhaupt keine Rolle: die Frage nämlich, wie Jahreszeitenthematik und Befindlichkeit des Ichs (in Bezug auf die Liebe bzw. den Sang) gegeneinander gesetzt sind. Die Art und Weise des Einbaus des Jahreszeitenbzw. Naturtopos hat dann 2001 Ludger Lieb in seiner Darstellung zwar als wichtiges Kriterium einer Typenbestimeiner engen Anbindung der beiden thematischen Bereiche zu konstruieren, gerade auch, weil die Art der Anbindung (kontrastiv vs. komplementär, s. u.) dort nicht grundsätzlich anders funktioniert. 245 Das sog. Herbstlied, wie es im späten Minnesang als spezielle Variante des Jahreszeitenliedes mit eigener Quellengeschichte (vgl. ebd., S. 232 , Anm. 33 ) bei Steinmar und Hadloub begegnet, gehört nicht in den engeren Zusammenhang des Typs des jahreszeitlich organisierten Natureingangs; inwiefern es aber (unter anderem) konnotative Bezüge zu ihm aufweist, wird noch im Folgenden zu fragen sein. Da Bein ja an einer weiter gefassten Typologie des ‹Jahreszeitentopos› interessiert ist, wird das Herbstlied von ihm als eigene Merkmalsgruppe aufgeführt. Bezüglich des referentiellen Status der Jahreszeitenallusion im Herbstlied führt Bein-- unter Bezugnahme auf die problematische Kategorie der Erfahrungsbasiertheit-- Folgendes an: «Die Herbstlieder- […] sind sicherlich auch gebunden an die reale Jahreszeit, zu viele deiktische Momente begegnen hier, zu viele Assoziationen an sinnliche Genüsse entspringen konkreter Erfahrung. Aber das Herbstlied ist trotzdem auch ein in sich ruhendes literarisches Phänomen» (T. Bein, Jahreszeiten, S. 232 f.). Insofern scheint es für Bein wiederum doch einen kommunikationspragmatischen Sonderstatus zu besitzen. 246 Vgl. dazu ebd., S. 233 f. Als Beispiele für Kombinationsformen der Typen nennt Bein Lied SMS 8 , 2 Des von Gliers (I: Bericht vom Jahreszeitenpreis anderer Personen, dann Bezug auf momentane Situation) und Walthers L 45 , 37 (I: reine Deskription, II: Vergleich Jahreszeit- Frau, III: Öffnung auf das hic et nunc hin). 86 I Der Natureingang als Forschungsproblem mung berücksichtigt 247 , jedoch nicht deutlich genug herausgestellt. 248 Lieb versucht hier- - in Abgrenzung zum konventionellen Fall einer die Geltung des vorgängig institutionalisierten Jahreszeitenkonzepts anerkennenden, kongruenten Einbauweise des Topos- - die Vielfalt der möglichen Applikationswege des Jahreszeitenbzw. Naturtopos, die sich im Prozess der Distanzierung des Minnesangs von dieser präexistenten Ordnung ergeben 249 , anhand von vier exemplarischen Anwendungs- 247 Vgl. dazu L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 199 - 206 . In seinem ein Jahr zuvor erschienenen Aufsatz «Der Jahreszeitentopos im ‹frühen› deutschen Minnesang» geht Lieb dagegen von den drei (der fünf) rhetorischen Stadien der Rede inventio, dispositio und elocutio aus, um die verschiedenen Funktionen des Topos herauszuarbeiten. Während zunächst der Jahreszeitentopos als Hilfsmittel der Argumentfindung (inventio) vorherrscht, sei er im nachklassischen Minnesang zur konventionellen Formel der Exordialtopik erstarrt und somit nun dem Stadium der dispositio zuzuordnen (vgl. ebd., S. 126 - 129 ). Bereits seit dem frühhöfischen Minnesang-- Lieb gibt die Strophe MF 19 , 7 des Burggrafen von Rietenburg als Beispiel dafür an-- begegne der Topos aber auch in den Bereich der elocutio verschoben, wobei der Akt der Wirklichkeitsherstellung durch den Sänger umgekehrt wird: «Nicht länger will er sich vom Topos- […] definieren lassen, sondern er definiert seine Wirklichkeit selbst, und er tut das gleichfalls mit dem Jahreszeitentopos! - […] Der Jahreszeitentopos ist nicht länger ein realer Gesichtspunkt der Liebe, mit dem eine Definierung der Wirklichkeit einhergeht, sondern er ist Ausdrucksmittel, Reflexionsform des Minnenden» (ebd., S. 139 ; vgl. dazu insgesamt die S. 135 - 141 ). Es ist hervorzuheben, dass es ein Verdienst von Liebs kenntnisreicher Darstellung ist, auf die Vielfalt der poetischen Behandlungsmöglichkeiten des Topos aufmerksam gemacht zu haben. Allerdings scheint mir gerade die Kopplung des rhetorischen Modells an eine zeitliche Entwicklung auch zu bedenklichen Schlussfolgerungen zu führen, stellt sich das Konzept dadurch doch als problematische Zementierung traditioneller Wertungen dar: die kreative Nutzung des Topos im frühen und klassischen Minnesang steht der reinen Formelhaftigkeit im späten Minnesang gegenüber; und die sich in diesem Zusammenhang implizit ergebende (historische) Rückführung des Topos auf einen vorgängigen, habituellen Kern scheint mir nicht unproblematisch zu sein (s. o.). Aber auch generell bleibt zu fragen, ob im jeweiligen Einzelfall bei der Lieduntersuchung wirklich trennscharf zu bestimmen ist, ob nun ein vornehmlich argumentativer Einbau (im Rahmen der inventio), ein nur aufgrund der Sprechkonvention gewählter Eingang (im Rahmen der dispositio) oder ein als Reflexions- und Ausdrucksmedium umgedeuteter Topos (als literarischer Emanzipationsakt im Rahmen der elocutio) vorliegt; ja es wäre zu befürchten, dass bei einer solchen Bestimmung vorgefasste, ästhetische Urteile eine nicht unbedeutende Rolle spielen würden. Schließlich scheinen in den meisten Fällen alle drei Zuweisungsbereiche für den poetischen Text eine Gemengelage einzugehen, weshalb es m. E. auch nicht zielführend wäre, Liebs Überlegungen hier zu einer Typologie des Natureingangs auszubauen. 248 S. dazu meine Ausführungen unten. 249 In den Kontext dieses Distanzierungsprozesses gehören auch die von Lieb zuvor vorgestellten Techniken der ausformulierten Abweisung des Jahreszeitenbzw. Naturtopos und dessen Überbietung, ja schließlich auch die modifizierten Realisationsformen der Präsentation des Topos in Rollenrede, in der Vergangenheitsform und in generalisiertem Sprechen, vgl. L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 194 - 197 . 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 87 typen zu dokumentieren, nämlich denen der Kontrastierung 250 , Überbietung 251 , Verkehrung 252 und Substitution 253 . Damit weist Lieb zwar einerseits auf die Fülle an 250 Den Applikationstyp der Kontrastierung füllt Lieb durch die Analyse eines recht speziellen Beispielliedes, nämlich MF 106 , 24 von Heinrich von Rugge: Nu lange stât diu heide val, so dass bei ihm die so oft begegnende, gegengerichtete Setzweise von Jahreszeit/ dazu passender gesellschaftlicher Gestimmtheit vs. anders geartete emotionale Befindlichkeit des Ichs («Es ist Sommer-- ich bin aber traurig» oder «Es ist Winter-- ich bin aber froh») nicht zur Konstituierung des Typs herangezogen wird. In Heinrichs MF 106 , 24 erfolgt nämlich-- dies ist sehr selten-- die Anbindung des Jahreszeitentopos an die emotionale Verfasstheit der Dame (vgl. Nu lange stât diu heide val, / si hât der snê gemachet bluomen eine. / die vogele trûrent über al, / daz tuot ir [der Dame] wê, der ich ez gerne scheine [I, 1 - 4 ; Hervorhebung von mir], ja der Natureingang wäre hier sogar als Sonderfall einer kongruenten Setzweise zu klassifizieren. Dem widerspricht nicht, dass in der Strophe auf mehreren Ebenen Stilisierungsmittel eines Kontrasts zwischen Winter und liebendem Ich gesetzt sind, die Lieb in vorbildlicher Weise herausarbeitet (vgl. L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 200 f.). 251 Vgl. dazu ebd., S. 201 - 203 . Die für den Typ der Überbietung der Jahreszeit-- hier in der besonderen Spielart einer Überbietung durch die Minnefreuden- - angeführte II. Strophe des Reinmar-Liedes MF 203 , 10 : Zuo niuwen vröuden scheint mir ein relativ ungünstiges Beispiel zur Untermauerung dieser Applikationsweise zu sein, bleiben doch die Anspielungen auf den Jahreszeitentopos eher im Hintergrund (sie ergeben sich allenfalls durch die Apostrophierung einer wunneclîchen zît [II, 4 ]); dass die Zeitangabe al die wochen [II, 6 ] «nur als Umschreibung für die in Wochen zählbare Zeitspanne der Frühlings- oder Sommerzeit» [ebd., S. 202 ] denkbar ist, ist m. E. zweifelhaft, man vgl. nur die Übersetzung für und bin al die wochen wol getan [II, 6 ] bei Ingrid Kasten: «und ich bin die ganze Woche vergnügt» [I. Kasten (Hg.), Frauenlieder, S. 102 f.]). Hier wäre es also angebracht, deutlicher zwischen einer wirklichen Realisation des Topos und einer unbestimmter bleibenden, konnotativen Anspielung auf ihn zu unterscheiden. Für die Füllung des Typs hätte sich vielmehr das angeboten, was Lieb zuvor im Falle von Reinmars Lied MF 169 , 9 : Mir ist ein nôt vor allem mîme leide herausarbeitet hat (vgl. L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 194 f.). 252 Im Falle des Typs der Verkehrung der Wirkungsverhältnisse von Jahreszeit und Befindlichkeit des Ichs führt Lieb die 2 . Strophe des berühmten Liedes MF 125 , 19 : In sô hôher swebender wunne von Heinrich von Morungen an, das ein außergewöhnliches Beispiel im Rahmen der Minnesang-Tradition darstellt (vgl. ebd., S. 203 ). Dort heißt es: luft und erde, walt und ouwe / suln die zît der vröide mîn enpfân (II, 3 f.)- - es soll also nicht der Sänger die in der Natur bemerkbare Jahreszeit begrüßen, sondern die Naturrepräsentationen die Freudenzeit des Ichs! Eine derart weitreichende Umkehrung des eigentlichen Wirkungsverhältnisses ist nun wirklich ein Sonderfall in der Behandlung des Jahreszeiten- und Naturtopos, wobei wiederum zu fragen wäre, ob es sich um eine tatsächliche Realisation des Topos handelt oder er nicht vielmehr nur konnotativ aufgerufen wird (freilich in direkterer Weise als im zuvor erörterten Beispiel! ). Schließlich sind auch beide zuletzt genannten Fälle für eine Typologie des Natureingangs, die hier im Folgenden angestrebt wird, aufgrund ihrer Binnenstellung im Lied gar nicht in den Blick zu nehmen. 253 Für die Substitution als Applikationstyp der Jahreszeitenbzw. Naturtopik gibt Lieb das berühmte Lied MF 7 , 11 : Ursprinc bluomen von Wolfram von Eschenbach an, in dem das Sänger-Ich die singenden Vögel, allen voran die Nachtigall, selbstbewusst ersetze (vgl. ebd., S. 204 - 206 ). Dennoch wäre es m. E. aber adäquater, das-- in seinem Umgang mit dem Topos ebenfalls außergewöhnliche-- Lied unter dem Terminus einer Überbietung der Jahreszeit zu fassen, die hier allerdings im Bereich der Sanges-Thematik ausagiert wird. Denn es wird im Natureingang des Liedes recht deutlich, dass das Sänger-Ich die Vögel in der Natur nicht nur ersetzt, sondern meint, diese noch zu übertreffen. So gibt das Text-Ich an, es könne im Gegensatz zum alten dôn (I, 2 ) der Vögel jederzeit etwas Neues singen, sogar im Winter (I, 3 f.). Auch 88 I Der Natureingang als Forschungsproblem Möglichkeiten der Sinnherstellung zwischen Jahreszeitentopos und Liebesbzw. Sangesthematik hin, überdeckt aber andererseits die zur basalen Distinktion einer typologischen Systematik geeignete Opposition von kongruenter und kontrastiver Setzweise durch die Annahme eines vorgängig habituellen Konzepts und daran anschließender literarischer Distanzierung, so dass die vier von Lieb herausgestellten Typen, die von ihm ja auch gar nicht als komplettes Einteilungssystem konzipiert sind, zur Konstituierung einer anbindungsbezogenen Typologie nicht ausreichen, da sie nur den Bereich der Relativierung des Topos betreffen. 254 Schließlich ist es aber auch ein Manko der Darstellung bei Lieb, dass er bezüglich des prinzipiellen Status nicht zwischen einer tatsächlichen Realisation des Topos und einer bloßen Allusion unterscheidet. 255 Diese Distinktion scheint mir jedoch für die Aufstellung einer Typologie des jahreszeitlichen Natureingangs, wie sie hier im Folgenden angestrebt wird, eine notwendige Vorraussetzung sein. Es ist zur Verteidigung der verschiedenen hier vorgestellten Typologisierungsvorschläge aber hervorzuheben, dass ein solches Einteilungsvorhaben durch die Vielfalt an Anbindungsmöglichkeiten, die uns die Minnesang-Texte präsentieren, und die oftmals begegnende Variierung in feinen, aber bedeutungsvollen Nuancen fast unmöglich gemacht wird. So hebt auch Peter L. Johnson hervor, welch große Schwierigkeit es darstellt, angesichts dieses Variantenreichtums überhaupt zu einer adäquaten Typologisierung der Natureingänge im Minnesang zu kommen, die ja immer eine Komplexitätsreduktion mit sich bringt: «Der Versuch, die Natureingänge sinnvoll zu sortieren, scheiterte sofort daran, daß es bei relativ wenigen Beispielen so viele Kombinationen von Elementen und ihren Mischungen gibt, daß man entweder, Einzelheiten verwischend, Verschiedenes in einen Topf werfen mußte, oder beinahe mehr Kategorien hatte die partielle Substituierung der Vögel bzw. der Nachtigall, die im zweiten Teil des Sommers verstummt, durch das Sänger-Ich (nu wache aber ich und singe ûf berge und in dem tal [II, 6 ]) passt hierbei durchaus in den Rahmen einer Überbietung der Natur durch ein Ich, das sich dieser gegenüber als ästhetisch überlegen präsentiert. 254 Lieb selbst versteht seine vier Typen der Applikationsmöglichkeiten des Topos ausdrücklich als Beispiele für die Vielfalt der Anbindungsarten, die er so dokumentieren wolle (vgl. ebd., S. 199 ). Zwar spricht er davon, die Beispiele unter den vier Leitbegriffen zu systematisieren (vgl. ebd.), dennoch scheint er eine allumfassende Systematik des Topos nicht anzustreben, vgl. auch Liebs Fazit: «In den letzten vier Textbeispielen sollte der Möglichkeitsraum deutlich geworden sein, den die einzelnen Dichter mittels der ja verschiedenen Applikation des Jahreszeitentopos entwerfen» (ebd., S. 206 ). Dies klingt m. E. nicht danach, als sei hier eine vollständige Typologie des Topos geplant gewesen; diese hätte man auch nicht jeweils aus singulären Textbeispielen ableiten können. Insofern ist Christoph März nicht zuzustimmen, wenn er es als eine Leistung Liebs hervorhebt, dieser fasse «die ‹Vielfalt der Applikationsmöglichkeiten des Jahreszeitentopos› im Minnesang trennscharf unter die Kategorien ‹Kontrastierung, Überbietung, Verkehrung, Substitution›» (C. März, Die Jahreszeiten der Sentimente, S. 223 , Anm. 7 ; März zitiert hier: L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 199 ). Die Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten ist mittels der von Lieb genannten vier Typen jedoch nicht vollständig zu erfassen (es fehlt z. B. die kongruente Setzweise! ). 255 Darauf ist von Seiten des Verfassers vorliegender Arbeit bei der Besprechung der einzelnen Typen bereits hingewiesen worden (s. o.). 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 89 als Beispiele» 256 . Dazu ist allerdings zu sagen, dass das Risiko der zu stark oder zu gering ausgeprägten Abstrahierung sich für jede Form der Systematisierung ergibt, weshalb man aber lange noch nicht völlig auf sie verzichten sollte. Dennoch-- und das gilt in besonderem Maße für eine zu entwerfende Typologie des Natureingangs im Minnesang-- muss die typologischen Systematik von Vorneherein so offen konzipiert sein, dass fließende Übergänge zwischen den einzelnen Typen, die so nur als relativer Kern einer Merkmalsgruppe zu verstehen sind, stets denkbar sind. 257 Dies soll auch für die vom Verfasser vorliegender Arbeit später vorgeschlagene Typeneinteilung, die sich keinesfalls als absolut versteht, geltend gemacht werden. Schließlich scheint es aber auch wichtig zu sein, das Feld der Typologisierung möglichst eng zu halten und präzise zu erfassen- - ein Vorhaben, das mit einer Typeneinteilung des recht weitgespannten Bereichs disparater Erscheinungen, die unter dem Begriff des ‹Jahreszeitentopos› von Bein und Lieb versammelt worden sind, nun einmal nicht zu erreichen war--, da sich so die von Johnson benannten Risiken durchaus reduzieren lassen. Insofern stellt sich hier noch einmal in aller Deutlichkeit die Frage nach einer adäquaten definitorischen Füllung des Topos ‹Natureingang› und der sinnvollen Einfassung seiner möglichen Erscheinungsformen und Spielarten. In diesem Zusammenhang hat sich nun Susanne Köbele mit ihrer 2003 erschienenen Studie «Frauenlobs Lieder» aus einer dezidiert literarhistorischen Perspektive heraus 258 in ausführlicher Weise mit den vielfältigen Erscheinungsweisen des Natureingangs in der vorausgehenden Minnesangstradition und der Anwendung bzw. Transformation dieser Topik bei Frauenlob und Heinrich von Mügeln beschäftigt. 259 Köbele gelingt es darin nicht nur, die weit über das 13 . Jahrhundert hinaus andauernde Relevanz des Natureingangs für die Literaturproduktion und -rezeption anhand diverser Beispiele einleuchtend nachzuzeichnen, ja zu erweisen, «daß der sogenannte ‹Natureingang› keineswegs als bloßes literaturwissenschaftliches Phantom sein Dasein fristet, vielmehr innerhalb der spätmittelalterlichen Literatur gewußte und zentrale Kategorie ist» 260 , sondern auch immer wieder generell für 256 P. L. Johnson, Nochmals zur Kultur des Natureingangs, S. 31 . 257 Trotzdem aber sollten die gewählten Distinktionskriterien natürlich so trennscharf wie eben möglich profiliert sein. 258 Darauf verweist schon der Untertitel der Arbeit: «Parameter einer literarhistorischen Bestimmung». 259 Vgl. S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 47 - 116 [= das bereits erwähnte Kapitel: «Die Transformation des Natureingangs. Frauenlob und Heinrich von Mügeln im Vergleich»]. 260 Ebd., S. 49 . Dabei legt Köbele zu Recht Wert darauf, dass der Natureingang im Laufe der Minnesangtradition auch dann zu ästhetisch innovativen Lösungen führt, wenn er quantitativ zum dominierenden Muster wird. Dies zeichnet sie beispielsweise für die Minnesänger des 13 . Jahrhunderts nach: «Obwohl sie ihn regelrecht in Serie produzieren, gehen sie durchaus poetisch produktiv mit dem verbrauchten Muster um, so daß sich ein weites Spektrum öffnet, ein Experimentierfeld für eine Vielfalt von Bezeichnungsbedürfnissen, das schon bei Neifen und Neidhart in voller Breite ausgeschritten ist» (ebd., S. 50 ). Es mag freilich bezweifelt werden, ob es in diesem Zusammenhang hilfreich ist, dass Köbele selbst mit 90 I Der Natureingang als Forschungsproblem diesen Topos im Minnesang grundlegende Bemerkungen hinsichtlich seiner tektonisch-funktionalen Ausrichtung im Sinngefüge des traditionellen Werbungsliedes zu treffen. 261 Vor allem aber muss die von Köbele entwickelte Zusammenstellung eines Merkmalskatalogs, mit dessen Hilfe zum einen das breite Spektrum verschiedenster Realisations- und Allusionsmöglichkeiten für den Natureingang im Minnesang eindrücklich vorgeführt wird, zum anderen der konkrete Einzeltext auf die bei ihm jeweils angewendeten Gestaltungsprinzipien hin befragt werden kann 262 , als verdienstvolle Ausgangsbasis der hier im Folgenden zu erarbeitenden typologischen Binnendistinktion des Topos ‹saisonal organisierter Natureingang› gewürdigt werden, der die vorliegende Arbeit so viele wertvolle Hinweise verdankt. 263 Dabei fällt es dann letztlich gar nicht so stark ins Gewicht, dass das von Köbele dem Topos des Natureingangs unterlegte Verständnis wiederum zu weit gefasst ist, schließt es doch etwa nicht nur die im Folgenden von ihm zu separierenden Techniken der Naturstrophensetzung in Binnen- und Endstellung mit ein, sondern auch die der Reduktion bis zur Schrumpfung «auf ein einziges Stichwort» 264 . Ferner bleibt etwa auch im Falle der Anwendung von Verfahrensweisen der Metaphorisierung bzw. Allegorisierung die Frage einer trennscharfen Abgrenzung des eigentlichen Topos von seinen Transformationsformen (bzw. den Transformationsformen seiner Transformationsformen 265 ) offen; denn schließlich werden sich letztere zwar-- mehr oder weniger deutlich- - auf diesen beziehen lassen, müssen aber seine Minimalanforderungen- - wie z. B. die Imagination der ‹Faktizität› des aktuellen Jahreszeiten- Formulierungen wie hier die «verbrauchten Muster», die Rede vom Natureingang als «epidemische Mode» (ebd.) oder «verschlissen» (ebd., S. 52 ) die Abwertung einer beliebten Topik als einfallslos nicht dennoch letztlich fortschreibt, auch wenn es ihr mehr um eine verstärkte Aufmerksamkeit dafür geht, dass sich hier Banalisierung und Wiederbelebung gegenseitig bedingen (vgl. ebd., S. 49 ). 261 Vgl. etwa in diesem Zusammenhang folgenden Hinweis Köbeles, die die besondere funktionale ‹Leistung› dieser Topik für den Minnesang in der Profilierung einer Innenwelt über Sprechweisen des Außenweltbezugs erkennt: «Vielleicht trennt das Minnelied sich auch deswegen so ungern vom Natureingang, weil die Sprache der Innerlichkeit a priori eine metaphorische ist, die ihre Lexik und Semantik von der Außenwelt bezieht (‹der Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt›), eine problematisch komplexe Relation von Innen und Außen, für die die traditionell präformierte Parallelisierung von Affekt und Natur naheliegt» (ebd., S. 51 ). Diese Beobachtung lässt sich in vielen Punkten mit dem verbinden, was hier unter dem Stichwort einer ausgebauten ‹Etablierung des Innenraums› für das Ich-Sprechen des Werbungsliedes bereits angedeutet worden ist, aber auch noch genauer ausgeführt werden soll. Allerdings scheint mir dabei die Annahme eines vorgeprägten Modells der komplementären Setzung von Affekt und Natur gar nicht notwendig zu sein. 262 Vgl. ebd., S. 56 f. 263 Für den gesondert herausgenommenen Aspekt der bei Köbele unter dem Stichwort «Zeichenstatus» (ebd., S. 56 ) aufgeführten Verfahrensweisen einer ‹Irrealisierung› des Natureingangs wie z. B. durch «metaphorische Umlenkung» (ebd, S. 90 ), s. das Folgende in Kap. II. 2 . 264 Ebd., S. 50 . 265 Damit lehne ich mich an eine Formulierung an, die Frau Köbele in einem Gespräch zur Umreißung der Natureingang-Allusionen in den Liedern Frauenlobs benutzt hat; für diese Anregung herzlichen Dank. 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 91 geschehens (s. unten)- - nicht mehr unbedingt erfüllen. Dies kann im Extremfall, etwa durch Verfahren der «metaphorischen Umlenkung» 266 , so weit getrieben werden, dass sie statual überhaupt nicht mehr als eigentliche Aussagen über die jahreszeitliche Natur gelten können. 267 Solche Transformationsformen müssten somit aus dem engeren Geltungsbereich der Topik ausgesondert werden, worauf später noch näher eingegangen werden soll. Wie die obigen Überlegungen zur Interpretation der Überschrifft aus der Göttinger Mügeln-Handschrift bereits gezeigt haben, hat sich darauf zuletzt Burghart Wachinger mit dem Thema ‹Natureingang› auseinandergesetzt, indem er in seiner 2011 erschienen Aufsatzsammlung «Lieder und Liederbücher» auch einen bisher unveröffentlichten Aufsatz mit dem Titel «Natur und Eros im mittelalterlichen Lied» publiziert hat. 268 Darin steckt Wachinger einen beeindruckend breiten Rahmen von Naturrepräsentationen im mittelalterlichen Lied ab, wobei er von der mittellateinischen Dichtungstradition über den Minnesang bis hin zu Oswald von Wolkenstein Verbindungslinien nachzuzeichnen sucht. Es gelingt ihm hierbei durchaus eindrucksvoll, ganz verschiedene Formen des Einbaus von Naturmotivik wie den locus amoenus, Naturbezüge im Tagelied oder den jahreszeitlich ausgerichteten Natureingang auszumachen und in ihrer jeweils unterschiedlichen Ausrichtung auf das «Hauptthema Liebe» 269 zu ergründen. 270 Für den weiteren Fortgang der vorliegenden Untersuchung wird sich hierbei besonders die Beschreibung der grundlegend anders gelagerten Funktionsweise der raum- und zeitbildlichen Organisationstypen, deren schärfere Abgrenzung Wachnger zu Recht einfordert 271 , als hilfreich bei der Distinktion der verschiedenen Topoi der Jahreszeiten- und Naturrepräsentationen im Minnesang erweisen. 272 Gerade im Falle der jahreszeitlich ausgerichteten Sparte dieses Komplexes vermeidet Wachinger jedoch leider eine trennscharfe Unterscheidung zwischen jenen unterschiedlichen Topoi, die hier im Folgenden als ‹jahres- 266 S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 90 . 267 Vgl. dazu meine Ausführungen zum Liedanfang von Frauenlobs Lied 4 . 268 Wachinger, Burghart: Natur und Eros im mittelalterlichen Lied, in: ders.: Lieder und Liederbücher. Gesammelte Aufsätze zur mittelhochdeutschen Lyrik, Berlin u. a. 2011 , S. 67 - 96 . 269 Ebd., S. 70 . 270 Vgl. ebd., S. 70 f. [locus amoenus], S. 71 f. [Naturrepräsentationen im Tagelied], sowie S. 72 und 75 - 85 [ Jahreszeitenbezug in der Minnesangtradition]. 271 Vgl. bes. ebd., S. 70 : «Naturbild und Liebesthematik können dann vor allem über Raum- oder über Zeitvorstellungen verknüpft werden, und es scheint mir nicht unnütz zu sein, beides genauer zu unterscheiden, als es oft geschieht»; ferner die treffenden Einzelbeobachtungen gerade zum Raumbild des locus amoenus auf S. 70 f. S. dazu auch meine Bemerkungen zu Curtius’ Einordnung der Naturtopik bezüglich der Bereiche argumentum a loco und a tempore oben. 272 Anders dagegen jüngst die diese Unterscheidung mit ihrer Bestimmung des Natureingangs als Raumtopos wieder verwischende Darstellung bei K. Philipowski, die werlt ist uf den herbest komen. 92 I Der Natureingang als Forschungsproblem zeitlich organisierter Natureingang›, und ‹Jahreszeiteneingang› näher umrissen werden sollen. 273 Zudem ist aber zu bemerken, dass sich Wachinger mit seinem eigentlichen Thema, der Ergründung des Zusammenhang von Natur und Eros im mittelalterlichen Lied, 274 dann einer Fragestellung annimmt, die m. E. für einen Aufsatz viel zu global gestellt ist und eigentlich nur jeweils anhand des konkreten Einzeltextes durch eingehende Analyse beantwortet werden kann. Gleichwohl sollen die diesbezüglichen Ergebnisse Wachingers, der sich mit der These einer vorgängigen erotischen Aufgeladenheit der Naturmotive 275 , die im Minnesang «höfisch gezähmt» 276 allenfalls als (anrüchige? ) konnotative Anhaftung durchscheine 277 , dezidiert an Mohrs Aufsatz aus dem Jahr 1969 anlehnt 278 , hier kurz vorgestellt werden. Aus der Annahme einer weitgehenden Vorbesetztheit der Naturmotivik durch das klerikal-lateinische Modell von einer Wirkmacht der Natur als causa amoris 279 bzw. des brauchtümlichen Konzepts von der schönen Jahreszeit als der Zeit der Liebe heraus wertet Wachinger hierbei den Befund eines-- quantitativ und qualitativ-- relativ zurückhaltenden Einsatzes der Topik im höfischen Minnesang so, dass diese womöglich gerade aufgrund ihrer auf Erotik zielenden Konnotationen den deutschen Autoren als suspekt erschienen sein müsse. 280 Als äußerst missverständlich und in dieser genderspezifischen Zuspitzung auch recht überholt erscheint mir etwa in diesem Zusammenhang die Anmerkung Wachingers, dass im Minnesang, der «zweifellos auch vor Damen vorgetragen» worden und in dem (deshalb? ) «Sexuel- 273 Dies schlägt sich z. B. schon in der wechselnden Begriffswahl Wachingers nieder, wenn er etwa die Bezeichnung ‹Natureingang›, auf die er zu Anfang seines Aufsatzes zurückgreift, im Folgenden wieder zu Gunsten der Termini ‹Jahreszeitentopos› / ‹Jahreszeiteneingang› aufgibt (vgl. dazu ebd., S. 67 , 72 und 75 ). Zudem muss in diesem Zusammenhang auch schon auf die hinsichtlich der hier getrennt betrachteten Formen ‹Natureingang› und ‹Jahreszeiteneingang› genau keine Unterschiede machende Definition verwiesen werden, die ich bereits zitiert habe. Hier wird der Natureingang mit der «Schilderung oder wenigstens Nennung der Jahreszeit» (ebd, S. 67 ; Hervorhebung von mir, D. E.) im Liedbeginn gleichgesetzt. Diese Unschärfe setzt sich dann auch im weiteren Verlauf der Darstellung fort, so dass wiederum beispielsweise Reinmars Witwenklage MF 167 , 31 in eine Kategorie mit Liedern mit einem Natureingang gefasst wird (vgl. ebd, S. 76 ). 274 Vgl. ebd., S. 68 f. 275 Vgl. dazu die Darstellung ebd., S. 74 f. 276 Ebd., S. 94 . 277 Vgl. die in dieser Hinsicht entscheidende Überlegung Wachingers, die er als Frage formuliert: «Sollte die Vorstellung, daß Frühjahrsnatur, Vitalität und Sexualität einen Zusammenhang bilden, aus gelehrten wie brauchtümlichen Traditionen so fest im Bewußtsein verankert gewesen sein, daß diese Minnesänger im bloßen Nennen von Vogelsang und Blumen etwas davon mitschwingen hörten und sich deshalb lieber zurückhielten? » (ebd., S. 76 ). 278 Vgl. dazu ebd., S. 67 , Anm. 3 ; den hauptsächlichen Dissens zu Mohr bildet, wie Wachinger herausstellt (ebd., S. 73 - 75 ), das Verständnis des mittelalterlichen Naturbegriffs, s. o. 279 Vgl. wiederum dazu: R. Schnell, Causa amoris, bes. S. 318 - 320 . Im Zusammenhang dieses Konzeptes ergibt sich die Aufladung der schönen Saison (ver bzw. estas) als die quasi kosmologisch determinierte, naturgemäße Zeit des Liebesvergnügens. 280 S.o., Anm. 277 . 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 93 les weitgehend tabuisiert» sei, anders als etwa in der mittellateinischen Lyrik der clerici, jener «männlichen Jungakademiker», Bezugnahmen auf die erotisches Begehren weckende Macht der Natur bis auf wenige Ausnahmen weitgehend reduziert seien. 281 In dieser «höfisch gezähmten» 282 Form, die stattdessen die «Eigenzeit der Minne» 283 etabliere und einfordere, sei nun der Topos in seiner «argumentativen Kraft deutlich geschwächt» worden, weil dort, «wo Jahreszeiteneingänge vorkommen,-[…] sie daher meist in irgend einer Form kontrastiv auf die Liebe bezogen» würden. 284 Dazu scheinen mir einige grundsätzliche Anmerkungen nötig zu sein: Erst einmal gilt es zu bedenken, dass zum einen der Minnesang- - trotz der Abstraktheit und Indirektheit seiner Ich-Aussagen- - stets auch auf die erotische Dimension einer erfüllten Liebe als zu erreichendes Idealbild transparent bleibt, man also von einer tatsächlichen ‹Tabuisierung› der Sexualität nicht sprechen können wird. 285 Zum anderen ist es im Falle der Minnesangtradition m. E. gar nicht sinnvoll, von einer vorbestehenden, festen Besetztheit der Jahreszeiten- und Naturtopik auszugehen, wie sie etwa als konnotativer ‹Ballast› aus einer diffusen klerikal-brauchtümlichen Mischsphäre von Wachinger vermutet wird. Vielmehr dürfte es- - wie bereits angedeutet-- adäquater sein, von einer weitgehenden Offenheit des Motivkomplexes auszugehen, der von Anfang an für eine Vielzahl von denkbaren Verknüpfungsmöglichkeiten zur Verfügung steht und somit diese Konzeptualisierungen im jeweiligen Einzeltext dann von Fall zu Fall anders herstellen bzw. gewichten kann. Wie nun aber ausgerechnet die diffizil aufgefächerten rhetorischen Strategien zur Einbindung des Narureingangs in das Register des Werbungslieds, ja die verschiedenen im Minnesang begegnenden Möglichkeiten einer eben nicht immer nur kontrastiv angelegten Inbezugsetzung von Natur- und Liebesthematik nun aber mit der Diagnose einer Abschwächung der Argumentationskraft der Topik zusammenpassen sollen, erschließt sich dem Verfasser der vorliegenden Arbeit nicht. Zudem ist auch die Einordnung gar nicht überzeugend, dass im höfischen Minnesang die bewusste erotischer Aufladung der jahreszeitlichen Naturmotive nicht signifikant anzutreffen wäre. Allerdings verlangt diese Zuspitzung m. E. eben Maßnahmen der besonderen Markierung 286 und ergibt sich somit gerade nicht als genereller Subtext 281 Vgl. und alle Zitate entnommen aus: B. Wachinger, Natur und Eros, S. 75 . 282 Ebd., S. 94 . 283 Diese auf Ludger Liebs gleichnamigen Aufsatz (ders., Die Eigenzeit der Minne, etwa S. 199 ) zurückgehende Begriffsprägung habe ich bereits oben erläutert, s. o. 284 Beide Zitate entnommen aus: B. Wachinger, Natur und Eros, S. 75 . 285 Dies ist mittlerweile ja eigentlich nicht mehr eigens zu betonen; vgl. in diesem Zusammenhang etwa die grundsätzlichen Bemerkungen bei G. Schweikle, Minnesang, S. 197 . 286 Solche Markierungen ergeben sich z. B. durch Anleihen beim Raumtopos des locus amoenus oder spezielle Bildbereiche wie die in dieser Hinsicht mit erotischen Konnotationen aufgeladenen Motive des bluomen brechens bzw. rôsen lesens (vgl. dazu wiederum G. Schweikle, Minnesang, S. 198 ). Denkbar wäre in diesem Zusammenhang auch das dann im Minnesang des 13 . Jahrhunderts begegnende Motiv der im Sommer schwangeren Heide (vgl. etwa Lied KLD 15 , XIV des Gottfried von Neifen, wo es in den Versen I, 4 f. heißt: dú heide ist worden swanger: / si birt vns rosen rot), das sich m. E. an die gelehrte, vitalistische Naturauffassung 94 I Der Natureingang als Forschungsproblem einer bloßen Erwähnung von Naturdetails. Für jene besonderen Fälle einer erotische Konnotationen herstellenden Einsatzweise der Motivik finden sich nämlich-- eben nicht nur ausgerechnet auf dem Gebiet des Frauenliedes (! ), wie Wachinger zugesteht 287 , sondern auch andernorts-- auffallende Beispiele. 288 Ein solches begegnet etwa in Heinrichs von Morungen Lied MF 140 , 32 : Uns ist zergangen der lieplîch sumer mit seiner Nutzung der erotischen Metapher des bluomen brechens 289 , und damit also gerade bei einem Autor, der den Natureingang sonst eher vermeidet, was somit nahelegt, dass er diesen Topos wohl kaum aus Scheu vor dessen generell anzüglichen Implikationen nicht häufiger zum Einsatz gebracht haben wird. 290 Mit den obigen Überlegungen Wachingers zum konnotativen Potential des Natureingangs im Kontext des werbungsliedtypischen Registersprechens ist aber freilich ein Themenfeld erreicht, dem es im weiteren Zusammenhang dieser Untersuchung-- gerade auch im Hinblick auf die anderen europäischen Lyriktraditionen des Mittelalters-- noch nachzugehen sein wird. Dabei wird es jedoch weniger um bestimmte, für den Minnesang als vorgeordnet zu verstehende saisonale Konzepte oder bestimmte motivliche Überschneidungen gehen, als vielmehr um charakteristische Tonfälle und unterschiedliche Möglichkeiten in der registralen Präsentation des Natureingangs, die im deutschen Minnesang zur konkreten Ausgestaltung im Kontext der europäischen Lyriktraditionen zur Verfügung stehen. Dies wird freilich den Blick darauf lenken, dass der Natureingang in seiner tendenziell narrativ-festschreibenden Ausrichtung 291 im Register des Werbungsliedes mit seinem abstrakten, reflexiv-kreisenden Ich-Sprechen, das situationale Festlegungen ja gerade meidet, der mittellateinischen Liebeslyrik, wie sie Wachinger beschreibt, recht gut anschließen lassen würde. 287 Vgl. ebd., S. 76 . 288 So begegnet etwa das Taumotiv, das Wachinger- - selbst bei Neidhart- - für womöglich zu unspezifisch für die Beimessung erotischer Konnotationen hält (vgl. B. Wachinger, Natur und Eros, S. 77 ), dem hier aber durchaus in gewissen Ausprägungen diese Bedeutungsebene zugebilligt wird, in der Minnesang-Tradition vor Neidhart z. B. schon bei Heinrich von Veldeke in Lied MF 58 , 11 , dort allerdings nicht im Natureingang. In diesem Lied ist dann übrigens die Angabe dâ stât nu grüener klê / er touwet an dem morgen (II, 8 f.) mit der in dieser Hinsicht bezeichnenden Aufforderung versehen: swer nu welle, der vröwe sich (II, 10 ). Für den Fall des Natureingangs verweise ich ferner auf das im Folgenden angeführte Beispiel Heinrichs von Morungen (MF 140 , 32 ). 289 Dort heißt es in Vers I, 1 f.: Uns ist zergangen der lieplîch sumer. / dâ man brach bluomen, da lît nu der snê. (Hervorhebung von mir, D. E.). Zur Metapher des bluomen brechens s. auch unten die Bemerkungen zu Walthers ‹Lindenlied› L 39 , 11 , s.unten, Kap. II. 1 . 290 So die Vermutung Wachingers in ebd., S. 74 . 291 Von dieser gibt es freilich auch immer wieder signifikante Abweichungen, bei denen sich der Realisationsmodus fast dem reflexiv-kreisenden Sprechregister des Werbungsliedes angleicht. Darauf wird im Folgenden noch näher einzugehen sein, auf das Beispiel des in diesem Zusammenhang bemerkenswerten Natureingangs von Ulrichs von Gutenburgs Lied MF 77 , 36 : Ich hôrte ein merlikîn wol singen kann etwa schon verwiesen werden, s. unten, Kap. II. 2 . 3 Der Natureingang in der Minnesangphilologie 95 im Grunde ein eigens einzubindender ‹Fremdkörper› ist. 292 Dabei wird es sich übrigens als eine interessante Frage herausstellen, inwiefern sich diese Überlegungen mit einem aktuell sehr bedeutenden Gebiet der Minnesangforschung verbinden lassen, in dem der Natureingang zuletzt auch verständlicherweise eine zunehmend wichtigere Rolle gespielt hat, nämlich der narratologischen Lyrikanalyse und der durch sie neue Impulse erhaltenden Bestrebung, die vielfältigen narrativ-lyrischen Übergangsphänomene in der mittelalterlichen Literatur zu ergründen. 293 292 Zu ähnlichen Bemerkungen gelangt mittels der Subsumierung des Natureingangs unter Stilisierungsmittel der ‹Konkretisierung› auch jüngst Katharina Philipowski, die werlt ist uf den herbest komen, S. 94 - 102 , allerdings unter völlig anderen Prämissen: Ich teile weder ihre Einschätzung über den Natureingang als einen Raumtopos im Minnesang, noch ihre Bemerkungen bezüglich einer Reaktivierung der Topik für eine kommunikationspragmatische Lesart, die für eine Übersteigung lebensweltlicher Referenzen des Jahreszeitenbezugs in der Aufführungssituation keinen Raum lässt. Jedenfalls scheint mir das diesbezügliche Fazit der Verfasserin, der Natureingang stelle sich «als Raumtopos neben den Tanzboden, auf dem der Tanz vorbereitet wird, die Linde, um die herum der Tanz sich einfindet, oder die Stube, in der die junge Mutter den Stubenwagen hin- und herschiebt, während die anderen Mädchen sich vergnügen» (ebd., S. 101 f.), nicht nur eigentlich am Gegenstand vorbeizugehen, sondern auch völlig jene Gestaltungstechniken einer ‹Subjektivierung› der Topik außer Acht zu lassen, die an einer Einarbeitung des Natureingangs in das Register des Werbungsliedsprechens arbeiten. 293 Das in dem Sammelband an mehreren Stellen zu bemerkende Interesse der narratologisch operierenden Lyrikforschung an dem Topos (vgl. bes. Hausmann, Albrecht: Verlust und Wiedergewinnung der Dame. Zur inhaltlichen Funktion von Narrativierung und Entnarrativierung im Minnesang, in: Lyrische Narrationen-- narrative Lyrik. Gattungsinterferenzen in der mittelalterlichen Literatur, hg. von Hartmut Bleumer und Caroline Emmelius, Berlin, Boston 2011 [TMP 16 ], S. 157 - 180 , hier bes. S. 161 ; Schulz, Armin: Minnedämmerung? Zur Funktion von Minnesang-Zitaten in Herborts von Fritzlar Liet von Troye, in: ebd., S. 309 - 326 , hier bes. S. 315 f. und 320 - 326 , sowie Bleumer, Hartmut: Die Zeit Ulrichs von Liechtenstein. Oder: Die Entdeckung der Realität aus dem Geist der Lyrik, in: ebd., S. 327 - 355 , hier bes. S. 345 f.) muss aufgrund von dessen oben beschriebener Grundausrichtung eigentlich nicht verwundern, vgl. etwa für die Frage nach den Interferenzen im Spannungsfeld von ‹Epik› und ‹Lyrik› schon Lennich, Theodor: Die epischen Elemente in der mittelhochdeutschen Lyrik, Göttingen 1896 , S. 64 - 71 , der im Falle des Natureingangs schon zu einem recht differenzierten Urteil kommt (vgl. ebd., bes. S. 65 ). Dies deutet freilich schon an, zu welch komplizierten Hybriden sich die Ausprägung der Topik-- an der Schnittstelle von Narration und (lyrischer? ) Ich-Reflexion-- ausfalten kann. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang die Bemerkungen von Armin Schulz bezüglich Herborts Liet von Troye, nämlich dass ausgerechnet der im Lyrikkontext tendenziell narrativ ausgerichtete Topos da, wo er auf einen epischen Erzählbericht übertragen wird, er diesen aufgrund einer Paradigmatisierung der Episodenverknüpfung Verfahrensweisen der Lyrik annähert (vgl. ebd., S. 324 - 326 ); dies lässt sich übrigens auch gut am 2 . Teil von Ulrichs von Liechtenstein «Frauendienst» nachverfolgen. Für die an sich ja einleuchtende Beimessung einer dominant narrativen Ausrichtung der Topik setzt dieser Befund nun natürlich auch wieder Fragezeichen. II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren der Natur- und Jahreszeitenrepräsentation: Versuch einer Abgrenzung 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails Zunächst einmal ist der Natureingang als ein topisches Element der Eingangsgestaltung eines Liedes (bzw. einer Einzelstrophe 1 ) in den Blick zu nehmen, das mittels Rekurrenz auf den in der Natur ablesbaren Jahreszeitenwandel die Möglichkeit bietet, die emotionale Befindlichkeit des Ichs 2 durch Übereinstimmung mit oder Kontrast zu der in der Natur und Gesellschaft zu findenden, jahreszeitadäquaten Gestimmtheit herauszuarbeiten. 3 Deswegen ist der Natureingang-- anders als dies das Konzept von Wulffens oder der Begriff des ‹Jahreszeitentopos› tun-- auf seine Anfangsstellung im Lied zu verpflichten, er stellt-- wie es Adam formuliert-- «das ein Lied eröffnende Jahreszeitenbild» 4 dar. Dies ist im Übrigen eine Grundkondition, die für andere Naturrepräsentationen wie den locus amoenus nicht unbedingt gilt. Was ist aber dann zu den Strophen zu sagen, die wie ein Natureingang daher kommen, aber in Binnen- oder Endstellung im Lied begegnen? Besonders im Œuvre Reinmars-- ein Autor, der im Übrigen für seine Abneigung dem Natureingang gegenüber bekannt ist, man denke nur an das entschiedene Diktum in Lied MF 169 , 9 : ich hân mêr ze tuonne denne bluomen klagen (I, 4 )! 5 -- finden 1 Nicht nur in Überlieferungsbereichen wie dem frühhöfischen Minnesang, wo die Einzelstrophe noch die dominierende Liedeinheit bildet, begegnen Einzelstrophen mit Jahreszeitenbzw. Naturthematik, bei denen natürlich bei der Überlegung, ob ein Natureingang vorliegt, ebenso darauf zu achten ist, inwiefern diese zur Eingangsgestaltung genutzt ist, s. dazu unten. 2 Auch wenn jüngst Elke Koch in dies.: Emotionsforschung, in: C. Ackermann / M. Egerding (Hgg.), Literatur- und Kulturtheorien in der Germanistischen Mediävistik, S. 67 - 102 , hier S. 71 , zu Recht angemerkt hat, dass in der historischen Emotionsforschung die Lyrikanalyse- - angesichts der vornehmlichen Konzentration auf Erzähltexte- - eine noch viel zu untergeordnete Rolle spielt, scheint mir angesichts der immer noch nicht ganz ausgeräumten Unwägbarkeiten dieses interdisziplinären Forschungsfeldes (so schon Schnell, Rüdiger: Historische Emotionsforschung. Eine mediävistische Standortbestimmung, in: FMSt 38 [ 2004 ], S. 173 - 276 , bes. 173 - 207 : Was sind ‹Emotionen› überhaupt? ‹Existieren› sie außerhalb oder unabhängig von sprachlicher Einfassung, sozio-kultureller Konzepte oder medialer Darstellung? Haben sie eine Geschichte oder haben dies ‹nur› ihre Ausdrucks- und Repräsentationsformen? Wie sind die Termini ‹Emotion›, ‹Gefühl›, ‹Empfindung›, ‹Stimmung› oder ‹Affekt› eigentlich genau von einander abzugrenzen? etc.) allenfalls im Rahmen einer speziell auf dieses Thema zugeschnittenen Einzeluntersuchung durchführbar (vgl. allein die zuletzt in zwei Bänden erschienene Grundsatzkritik von Schnell, Rüdiger: Haben Gefühle eine Geschichte? Aporien einer ‹History of emotions›, 2 Bde., Göttingen 2015 ). Deshalb musste für die vorliegende Arbeit ein relativ pragmatischer Umgang mit dem Problemkreis gewählt werden, so dass die Verwendung der konkurrierenden Begrifflichkeiten hier häufig keine indikatorische Valenz besitzt, sondern v. a. stilistischen Erfordernissen folgt. Gleichwohl ist zu betonen, dass es mir bei der Rede vom ‹emotionalen Innenraum des Ichs›, seiner ‹Gefühls›- oder ‹Stimmungslage› gerade nicht um außerhalb von der Literatur aufzufindende ‹Realphänomene› geht, sondern im Gegenteil: um die rhetorisch-technische Dimension der Erzeugung und Imagination solcher Konzepte. 3 Diese Möglichkeit muss aber nicht unbedingt genutzt werden, s. dazu unten die Sonderfälle. 4 W. Adam, Die «wandelunge», S. 35 . 5 Es ist m. E. generell problematisch, einzelne liedinterne Äußerungen eines Text-Ichs, die als Bestandteil der jeweiligen Liedkonstruktion immer literarisch stilisiert sind und so nie 100 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren sich gelegentlich Strophen, die für sich genommen als ein Natureingang gelesen werden könnten, jedoch durch die Überlieferung nicht (bzw. nicht eindeutig) für den Anfang des jeweiligen Liedes bezeugt sind. 6 Betrachten wir beispielsweise das unikal in C überlieferte, dreistrophige Lied MF 191 , 7 : Ich wêlte ûf guoter liute sage 7 : I. MF 191,7 C 207 Ich welte ûf guoter liute sage und ouch durch mînes herzen rât ein wîp, von der ich dicke trage vil manige nôt, diu nâhe gât. Die swaere ich zallen zîten klage, wand ez mir kumberlîche stât. ich tet ir schîn---den dienest mîn. wie möhte ein groezer wunder sîn, daz sî mich des engelten lât? gesicherten Zugang zu einer wie auch immer gearteten Auffassung des Autorsubjekts garantieren können, zu einer poetologischen Grundüberzeugung des Verfassers zu verabsolutieren. Gerade im Reinmar-Œuvre lassen sich Beispiele für die Nutzung ebenso wie solche für die explizite Ablehnung des Natureingangs finden (s. dazu unten). In beiden Fällen lässt sich aber daraus über die tatsächliche Einstellung Reinmars bezüglich des Topos nichts ableiten, da literarische Texte durchaus von Fall zu Fall verschiedene Posen aufgreifen und durchspielen. 6 In diesem Zusammenhang ist auf folgende Lieder zu verweisen: In der C-Fassung des Liedes MF 163 , 23 : Mich hoehet, daz mich lange hoehen sol steht an letzter Stelle (VII), so man von einer Tonidentität von dieser mit den zuvorstehenden ausgeht (das metrische Schema der Strophe ist in C gegenüber der Fassung der Strophe in B zwar schon dem Ton der anderen Strophen angenähert, aber nicht ganz deckungsgleich, s. dazu und zu Fragen der Zusammengehörigkeit Schweikle, Reinmar, S. 330 und 347 - 350 ; MFMT-Textband, S. 319 , MFMT-Erläuterungen S. 108 ), eine in B isoliert überlieferte Strophe (MF 165 , 1 ), die beginnt: Ich bin der sumerlangen tage sô vrô, / daz ich nu hügende worden bin (VII, 1 f.); ob hier allerdings die Grundbedingungen für einen Natureingang überhaupt erfüllt wären, würde man mit B die Strophe als Einzelstrophe deuten, ist zumindest zu diskutieren. In Lied MF 184 , 31 : Ich hân hundert tûsent herze erlôst steht in C an zweiter und Gx an dritter Stelle eine Strophe (MF 184 , 38 ), die zwar auf den Natureingang konnotativ Bezug nimmt, jedoch wohl als Realisation desselben auch isoliert nicht in Frage käme; sie stellt eine Jahreszeitenbzw. Naturallusion in Binnenstellung im unten angegebenen Sinne dar (s. u.). Auf die Lieder MF 187 , 31 : Nu muoz ich ie mîn alten nôt und MF 191 , 7 : Ich welte ûf guoter liute sage wird als Beispiellieder im Folgenden ausführlicher eingegangen (s. u.) Zuletzt wäre noch MF 195 , 37 : War kann iuwer schoener lîp anzuführen, wo es in der fünften Strophe zu Beginn-- im Übrigen als Frauenrede realisiert-- heißt: Sol mir disiu sumerzît / mit manigem liehten tage alsô zergân (V, 1 f.), was an die Deflorationsmetapher in IV, 6 anknüpft. Wiederum wäre zu diskutieren, ob selbst in Liedanfangsstellung ein Natureingang vorliegt (s. u.). Letztlich müsste dies aber im Sinne der unten aufgestellten Minimaldefinition hier wie auch im Fall der Strophe MF 165 , 1 wohl doch zugestanden werden. 7 Die Frage nach der Echtheit des Liedes muss heute nicht mehr gestellt werden und spielt deshalb im Folgenden auch keine Rolle; vgl. dafür die nur mehr forschungsgeschichtlich relevanten Hinweise in den Anmerkungen des MFMT-Textbandes, S. 372 . 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 101 II . MF 191,25 C 208 Ze vröiden nâhet alle tage der welte ein wunneclîchiu zît ze senfte maniges herzen klage, diu nû der swaere winter gît. Von sorge ich dicke sô verzage, swenne alsô jaemerlîche lît diu heide breit.---daz ist mir leit. diu nahtegal uns schiere seit, daz sich gescheiden hât der strît. III . MF 191,16 C 209 Ze rehter mâze sol ein man beide daz herze und al den sin ze staete wenden, ob er kan. daz wirt ime lîhte ein guot gewin. Swem dâ von ie kein leit bekan, der weiz wol, wie ich gebunden bin. ich geloube ime wol,---als er mir sol, von schulden ich den kumber dol; ich brâhte selbe mich dar in. [I. Ich wählte mir auf die Rede angesehener Menschen hin und auch wegen des Ratschlags meines eigenen Herzens eine Frau, durch die ich oft leide sehr viel Not, die einen tief berührt. Dieses Leid beklage ich immerzu, weil es kummervoll um mich steht. Ich gab ihr meinen Dienst zu erkennen. Was könnte mehr verwundern, als dass sie mich das büßen lässt? II . Freuden bringend kommt täglich näher für die Welt eine anmutige Zeit, um die Klage so manchen Herzens zu lindern, die jetzt noch der drückende Winter verursacht. Durch Sorge bin ich oft derart mutlos, immer wenn in solcher Weise leidvoll daliegt-- die weite Heide. Das tut mir weh! Die Nachtigall verkündet uns bald, dass der Streit entschieden ist. III . In gebührendem Maße soll ein Mann sowohl das Herz als auch seinen ganzen Verstand, auf die Beständigkeit richten, wenn er kann. Dadurch wird ihm leicht ein guter Gewinn zuteil. Jeder, dem davon jemals irgendein Leid widerfuhr, versteht gewiss, wie ich gefangen bin. Ich glaube ihm wirklich, so wie er mir glauben soll, verdientermaßen leide ich den Kummer; ich brachte mich selbst da hinein.] Sofort fällt auf, dass Lied MF 191 , 7 nicht mit einem Natureingang beginnt, wird hier doch in der ersten Strophe zu Beginn die Gesellschaftsthematik aufgerufen, die für das Text-Ich als ein Motivationsgrund für die Wahl eines Liebesgegenübers- - neben der Instanz des eigenen Herzens- - angeführt wird (vgl. I, 1 - 3 ); die so vom Ich ausgesuchte Frau bereitet diesem allerdings nur Kummer (vgl. I, 3 - 6 ), ja-- zum Unverständnis des Text-Ichs-- lasse diese es gerade die Offenlegung seines ihr gewidmeten Dienstes sogar noch büßen (vgl. I, 7 - 9 ). 8 Lässt man die eingeschaltete Binnenstrophe mit Jahreszeitenbzw. Naturmotivik zunächst beiseite, so knüpft die dritte Strophe insofern an die erste Strophe an, als die Gedankenführung sich einerseits aus der sentenzartigen Setzung entwickelt, die durch ihren generellen Charakter die Gesellschaftsthematik wieder präsent werden lässt und im Übrigen recht deutlich an den Gestus der Sangspruchdichtung erinnert, andererseits auch an die Minnethematik, da die Gültigkeit der Setzung für den Bereich der persönlichen Liebeserfahrung des Ichs wiederum konterkariert wird. 9 So entspricht also der Aussage der ersten Strophe, dass die Folgeleistung der-- neben dem eigenen Herzen-- für die Wahl der Frau Ausschlag gebenden Rede der guoten liute (I, 1 ) dem Text-Ich gerade nicht zum Glück verholfen hat, der inhaltliche Verlauf der dritten Strophe: Die zunächst als genereller Verhaltenstipp präsentierte Sentenz (wer sich um Beständigkeit bemüht, wird dafür belohnt [vgl. III , 1 - 3 ]) führt für das Ich wiederum offensichtlich nicht zum guot gewin ( III , 4 ), sondern zu kumber ( III , 8 ) und dem Gefühl völliger Handlungsunfähigkeit (vgl. das gebunden, III , 6 ! ). 10 Dann aber bringt das Ende der Strophe als Pointe noch eine Wende, die sich allerdings m. E. nicht darin erschöpft, dass das Text-Ich- - wie es Wiebke Schmaltz angegeben hat- - durch ein Eingeständnis der eigenen Schuld die Gültigkeit der allgemeinen Setzung restituiert und so letztlich auf eine «Bestätigung seiner Beständigkeit» zielt. 11 Denn die Angabe des 8 Ich lege hiermit ein anderes Verständnis des Strophenendes zugrunde, als dies Wiebke Schmaltz tut, vgl. W. Schmaltz, Beiträge zur poetischen Technik, S. 198 , wo die Passage als «resignierende Klage des Sängers, nur durch ein ‹wunder› könne sein Dienst Belohnung finden» aufgefasst wird. 9 Vgl. ebd., S. 197 f. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass die Präsentationsweise der sentenzartigen Setzung allein schon einschränkende Züge aufweist, vgl. nur das Ze rehter mâze (III, 1 ) oder besonders den nachgeschobenen Nebensatz ob er kan (III, 3 ). 10 Dies ist jedoch im Text argumentativ komplexer realisiert, als das hier zusammengefasst worden ist, und ergibt sich nur implizit, nämlich durch die rhetorische Bezugnahme auf (mögliche) andere Personen, bei denen sich ein entsprechendes Verhalten genau nicht ausgezahlt habe; jeder, der davon nur Leid erfahren habe, könne mit Sicherheit nachvollziehen, in welcher Notlage das Ich sich befände (vgl. III, 5 f.). Auffallend ist auch das Abheben auf gegenseitige Beglaubigung (vgl. III, 7 : ich geloube ime wol, als er mir sol), das m. E. so ergänzend zu deuten ist: «Ich glaube mit Bestimmtheit jedem, der das erlebt hat, dass das so war, so wie er mir glauben soll-…». 11 Schmaltz, Wiebke: Beiträge zur poetischen Technik, S. 198 . Wie das letztlich zu denken ist, führt Schmaltz nicht näher aus. Es ergibt sich aber die argumentative Schwierigkeit, dass-- 102 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 103 Ichs, sich den eigenen Kummer selbst eingehandelt zu haben (vgl. III , 9 ), lässt sich auch auf den Liedanfang rückbeziehen, nämlich auf die Aussage, sich auf Anregung anderer und des eigenen Herzens überhaupt auf die Liebe bzw. den Minnedienst eingelassen zu haben, aus dem es sich nun-- trotz keinerlei Aussicht auf Erfolg-- nicht mehr lösen kann (vgl. das gebunden, III , 6 ). Doch fragen wir nun nach der Funktion der auf den ersten Blick recht isoliert stehenden zweiten Strophe, die sich als einzige nicht explizit mit der Liebesthematik beschäftigt, und so inhaltlich zunächst schwer mit den anderen beiden Strophen in Bezug zu setzen ist. Hier gibt das Text-Ich als jahreszeitliche Fixierung des Liedes an, man befinde sich an der Schwelle zum baldigen Ende des Winters, das Nahen des Sommers als wunneclîchiu zît ( II , 2 ) sei nicht mehr fern (vgl. II , 1 f.); jetzt allerdings sei noch so manches Herz vom Winter bedrückt, ja das Ich selbst sei aufgrund des schlechten Zustands der Heide betrübt (vgl. II , 3 - 7 ). Die Strophe endet aber wieder mit einem positiven Ausblick auf das saisonale Geschehen: bald schon werde der Ruf der Nachtigall verkünden, dass der Sommer über den Winter im Streit der Jahreszeiten obsiegt hat (vgl. II , 8 f.) 12 . Für sich genommen könnte die Strophe durchaus auch einen Natureingang bilden, sie benennt die als aktuell imaginierte Jahreszeit und macht diese durch Bezugnahme auf Naturdetails deutlich; 13 jedoch dient die Jahreszeitenbzw. Naturthematik hier im Kontext des Liedes offensichtlich nicht bezieht man das von schulden ich den kumber dol (V, 8 ) auf ein Versagen des Ichs im Sinne der Sentenz- - das Text-Ich sich dann hier selbst der mangelnden staete bezichtigen würde. Dies allein wäre für den Minnesang nicht ungewöhnlich (s. unten meine Ausführungen zu Hartmanns MF 205 , 1 ! ). Allerdings schiene mir dies hier nicht schlüssig, geht es in Str. III doch offensichtlich um die- - im Sinne der Setzung- - außergewöhnliche Konsequenz von Leid trotz Beständigkeit. Auch ist es mir nicht klar, wie eine Selbstbezichtigung von zu wenig staete durch das Ich letztlich als Bestätigung seiner Beständigkeit gewertet werden soll. Denkbar wäre stattdessen, dass das Text-Ich sich übermäßiger staete bezichtigt, die nicht mehr ze rehter mâze (III, 1 ) ist, will heißen, dass es selbst da noch an der Dame festgehalten hat, wo andere (vernünftigerweise) aufgegeben hätten-- und so an seinem Kummer selbst schuld ist. Dann wäre die Selbstbeschuldigung tatsächlich eine Bestätigung der sentenzartigen Setzung. 12 Das Motiv des Jahreszeitenstreites zwischen Sommer (bzw. Frühling) und Winter, das besonders in der mittellateinischen Dichtungstradition häufig begegnet und in seiner Tradition bis in die Antike zurückreicht, scheint hier zum ersten Mal in der Minnesang-Tradition durch, vgl. J. Osterdell, Inhaltliche und stilistische Übereinstimmungen, S. 34 . Dass dabei in MF 191 , 7 nur auf das Motiv angespielt, dieses aber nicht ausgeführt wird, hat Carl von Kraus zum Anlass genommen, das Lied in eine spätere Zeit zu setzen und so Reinmar abzusprechen, vgl. Des Minnesangs Frühling. Kommentare, Bd. III. 1 : Untersuchungen von Carl von Kraus ( 1939 ), hg. von Hugo Moser und Helmut Tervooren, [Nachdruck] Stuttgart 1981 , S. 396 f. 13 Betrachtet man die Aufführung der Naturdetails genauer, so ist auffällig, wie allein durch die Präsentationsform die Funktion einer Beglaubigung eines als aktuell imaginierten Zustands gleichzeitig unter der Oberfläche des Gesagten desavouiert wird. So ist beispielsweise auf die Heide in einem mit generalisierendem swenne beginnenden Nebensatz Bezug genommen (das Ich sei derart mutlos, immer wenn die Heide in solchem beklagenswerten Zustand ist, vgl. II, 6 f.) und bezeichnenderweise wird auch der Ruf der Nachtigall nicht als unmittelbar präsent angegeben, sondern nur als bevorstehend angekündigt. Der Eindruck von der Aktualität des Winters ergibt sich vor allem durch das nû in Vers II, 4 . der Eingangsgestaltung, vorausgesetzt, man belässt die Strophenabfolge, wie sie uns die handschriftliche Überlieferung präsentiert. Diese anzweifeln zu wollen, wäre methodisch äußerst problematisch: zum einen gibt es keine Parallelüberlieferung, die eine andere Reihenfolge nahelegen würde, zum anderen wäre es dann noch gar nicht erwiesen, dass die hier von C gewählte Abfolge keinen Sinn ergeben würde bzw. gar nachträglich verderbt worden sei. 14 Zudem ist schließlich auch schon darauf hingewiesen worden-- dies wird sich im Folgenden noch weiter bestätigen--, dass es gar nicht so außergewöhnlich ist, dass Jahreszeitenbzw. Naturthematik auch im Binnen- und Schlussbereich des Liedes begegnet. 15 Dem Eindruck, die Binnenstrophe stehe inhaltlich recht isoliert zwischen den beiden anderen, lässt sich entgegenhalten, dass die Strophe nicht nur formal (z. B. durch das in Vers eins und drei an den Anfang gesetzte ze, das in Strophe III ebenso zu finden ist, oder durch das wie in Strophe I am Beginn von Vers 9 zu findende daz), sondern auch auf der Ebene der Wortentsprechungen (z. B. herze[n] in I, 2 , II , 3 und III , 2 ; dicke in I, 3 und II , 5 ; swaere in I, 5 und II , 4 ; das zallen zîten [I, 5 ] und das alle Tage [ II , 1 ], ferner das leit in II , 7 und III , 5 ) eng mit den anderen verbunden ist, ja bei genauerer Betrachtung stellen sich sogar inhaltlich-motivische Bezüge zu den anderen Strophen ein. So begegnen etwa folgende Parallelen: Die in Vers I, 1 aufgerufene Gesellschaftsthematik (die guoter liute sage) kehrt auch in Strophe II wieder, wo in Vers 3 durch die Erwähnung der maniges herzen klage eine gesellschaftliche Ebene in die Jahreszeitenbzw. Naturallusion mit eingeschrieben ist, dem wand ez mir kumberlîche stât (I, 6 ) entspricht das auf die Heide bezogene swenne alsô jaemerlîche lît (II, 6 ), dem Leiden an der Frau (ich dicke trage vil manige nôt [I, 3 f.]) das an der Situation der Heide (Von sorge ich dicke sô verzage [ II , 5 ]) und schließlich dem (zu erahnenden) Beginn der schönen Jahreszeit ( II , 1 f. und 8 f.) der guot gewin ( III , 4 ), der sich bezeichnenderweise-- wie im Fall der Jahreszeiten-- nach Ausharren in einem schweren Zustand (Winter, staete) als erlösende Verände- 14 Es ist meiner Auffassung nach vielmehr immer ratsam, die handschriftliche Überlieferung, auch wenn sie nicht ganz ins Konzept des heutigen Betrachters passt, erst einmal ernst zu nehmen und ihr eine potenzielle Berechtigung zu unterstellen. 15 Diese Passagen sind natürlich ebenfalls topisch, sie partizipieren ja grundsätzlich an demselben Motivarsenal wie auch die Natureingänge, bilden jedoch einen eigenen Typ der Naturrepräsentation, der hier im Folgenden als Jahreszeitenbzw. Naturallusion in Binnenstellung bezeichnet wird. Solche Stellen können dabei durchaus auf den Typ des jahreszeitlichen Natureingangs konnotativ Bezug nehmen, von ihm sind sie aber dadurch kategorial verschieden, dass sie nicht den Einstieg in ein Lied leisten. Sie müssen auch nicht in der Weise strikt durchgeführt sein, wie das in Falle des Natureingangs als Grundvoraussetzung angegeben ist, vgl. z. B. die schon oben angeführte Strophe MF 184 , 38 des Liedes MF 184 , 31 : Ich hân hundert tûsent herze erlôst, wo es von dem vorherigen Aufenthaltsort des Sänger-Ich heißt: Ich wil bî den wolgemuoten sîn, / wan ist unvrô, da ich ê dâ was, / dâ entroestent kleiniu vogellîn, / da entroestent bluomen unde gras (II, 1 - 4 ). Hier wird auf die jahreszeitlichen Naturzeichen selbst ebenso wie auf den Topos des Natureingangs, für den sie ganz typisch sind, gleichermaßen abgehoben; dennoch aber würde selbst dann, wenn diese Strophe am Anfang eines Liedes stünde, kein realisierter Natureingang vorliegen. 104 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 105 rung ergibt bzw. ergeben kann. Damit nähern wir uns auch schon der Funktion der Binnenstrophe im Liedkontext: Hatte die erste Strophe den unglücklichen Zustand des liebenden Ichs, der sich aufgrund eines mit den Vorstellungen der Gesellschaft konvergenten Verhaltens für das Ich ergibt, eingeführt, so parallelisiert die zweite Strophe dies mit dem Verhältnis zwischen Ich und winterlicher Natur: auch hier hat das Ich Kummer (I: Leiden an der Frau, II : Leiden am Winter), auch hier vollzieht sich dies in Übereinstimmung mit der Instanz der Gesellschaft (I: Rat zum adäquaten Vorgehen in der Liebe, II : jahreszeitenadäquates Verhalten). Die zweite Strophe präsentiert im Vergleichsbeispiel aber genau das, was sich in der ersten Strophe für das liebende Ich noch nicht angebahnt hatte, nämlich die Ahnung eines positiven Ausgangs in einer kummervollen Zeit der swaere (I, 5 / II , 4 ). Der Sommer naht als eine wunneclichiu zît ( II , 2 ), er bringt vröide ( II , 1 ), ja der Akt der Offenlegung seiner Ankunft (Ruf der Nachtigall, vgl. II , 8 ) ist im Gegensatz zur persönlichen Liebesthematik des Ichs in der ersten Strophe (das Offenbaren des Dienstes der Frau gegenüber, vgl. I, 7 ) ein befreiender, positiver Moment, der nicht neues Übel für das Ich bringt, sondern dieses löst. Für die allein durch diese Parallelisierung sich ergebende Erwartungshaltung, wie dies auch für den Bereich der Liebesthematik des Ichs erreicht werden kann, bietet nun die III . Strophe die-- als Sentenz verkleidete-- entsprechende Lösung an: wer nur, wie im Winter, beständig ausharrt, der wird dafür schon belohnt. Nur: Dieser Ratschlag scheint im Bereich des persönlichen Liebesverhaltens, anders als beim sich quasi natürlich ergebenden Jahreszeitenrhythmus, genau keine Garantie für eine glückliche Lösung des leidvollen Zustands zu liefern; er funktioniert nicht in der gewünschten Weise, das Ich verbleibt gebunden und in kumber (vgl. III , 6 und 8 .). Hier offenbart sich also vollends die Unpassendheit einer aus dem Vergleichsfall des Jahreszeitenverlaufs abgeleiteten Erwartungshaltung, die letztlich die Leistung des Verharrens des Ich in beständigem Minnedienst als außerordentlich hervorhebt und (implizit) aufwertet. Für das Ich bleibt somit kein anderer Weg, als sich den zu erleidenden Kummer selbst anzulasten, wobei letztlich nicht ganz klar wird, ob es sich selbst den Vorwurf macht, nicht beständig genug gewesen zu sein oder zu beständig bzw. hier auf den Entschluss abgehoben wird, überhaupt den leidvollen Dienst einer Frau gegenüber eingegangen zu sein, von dem für das Ich keine Loslösung möglich ist, für den es aber auch keine beglückende Auflösung zu geben scheint. Somit dürfte deutlich geworden sein, dass die Binnenstrophe nicht so funktionslos zwischen den beiden anderen Strophen steht, wie es vielleicht zunächst den Eindruck gemacht hat. 16 Ihr ist m. E. im Gegenteil eine Brückenposition im Lied 16 Insofern scheint mir das Beispiel des Liedes MF 191 , 7 vorzüglich geeignet, den von Thomas Bein propagierten Befund eines «Bausteincharakters» (T. Bein, Jahreszeiten, S. 224 ) solcher Jahreszeitenstrophen zu relativieren. Dort heißt es: «Immerhin möglich erscheint, daß die Jahreszeitenstrophe abhängig von äußeren Vortragsumständen eingefügt oder auch weggelassen werden konnte und daß die Handschriften verschiedene Existenzformen des Liedes ‹eingefroren› haben» (ebd.). Nun sind über die Modalitäten des Liedvortrages keine genauzuzuerkennen, da mittels ihrer zum einen die Erwartungshaltung eines positiven Ausgangs des Liebeswerbens anhand der Folie eines anderen thematischen Bereichs mitkonstruiert wird, die dann in der letzten Strophe desillusionierend aufgelöst wird; zum anderen liefert sie durch das in ihr abgerufene Jahreszeitenwissen, dass nach jedem Winter auch wieder ein Sommer kommt, den Anknüpfungspunkt zur dritten Strophe und das Kontrastbild zu einem Minneverhältnis, in dem die entsprechende Regel, dass man nur beständig ausharren muss, um belohnt zu werden, eben gerade nicht greift. Insofern unterscheidet die liedinterne oder am Liedschluss gesetzte Jahreszeiten- und Naturallusion in ihrer Wirkung von einer Natureingangsstrophe vor allem folgendes Moment: Durch sie kann die bereits eingeführte Liebesthematik im Kontext des argumentativen Kreisens des Ich-Sprechens in der Minnekanzone durch Aufrufen eines Vergleichs- oder Kontrastbildes noch einmal unter einem anderen Aspekt beleuchtet oder ein bestimmter Zug des Liebesverhältnisses deutlicher herauspräpariert werden, so dass durch sie der argumentative Gang des Liedes und dessen Stimmungsgehalt neue Impulse, ja sogar eine ganz neue Richtung bekommen können; der Natureingang als Möglichkeit, einen Liedanfang zu gestalten, hat stattdessen die Aufgabe, die Befindlichkeit des Ichs erst zu setzen und einleitend zu etablieren. Deshalb sind solche Binnen- und Endstrophen in ihrer poetischen Funktion eher sonstigen, rein mit der Liebesthematik befassten Strophen vergleichbar, die ja sehr oft im Minnesang im kreisenden Sprechen über Liebe argumentativ neu ansetzen. Dass dabei häufig die- - bei MF 191 , 7 relativ deutlich ausgeprägte- - Imagination von Aktualität des Jahreszeitenablaufs hinter generelles Sprechen über die Jahreszeit zurücktritt, ist im Zusammenhang mit genau dieser Funktion zu sehen. Ein gutes Beispiel dafür liefert Reinmars Lied MF 187 , 31 : Nu muoz ich ie mîn alten nôt, wo in der Handschrift A dem in C nur dreistrophigen Lied eine resignative Schlussstrophe beigefügt ist 17 , in der die Jahreszeiten- und en Aussagen mehr möglich, aber es ist zu hinterfragen, ob die handschriftlichen Zeugnisse wirklich als relativ direkte Dokumentation von Vortragsfassungen gelesen werden dürfen. Schließlich scheint mir auch die hinter der Äußerung stehende Ansicht, dass Jahreszeitenstrophen außer der Herstellung von Aktualität keinen poetischen Eigenwert besitzen (sie können ja angeblich einfach weggelassen werden! ), recht problematisch. Anhand der Binnenstrophe von MF 191 , 7 habe ich dies zu widerlegen versucht. 17 Die Zugehörigkeit der in A überlieferten vierten Strophe zu den drei vorausgehenden ist in der Forschung relativ umstritten gewesen, da in ihr die sonst im Lied zu findende Setzung des 12 . Verses als Reimwaise beseitigt ist. Dies ist m. E. jedoch durchaus als Markierung des Liedendes zu deuten, wie es von Kraus vorgeschlagen hat, MFU III, 1 , S. 392 . Dazu und zu dem nicht weiter Anklang gefunden habenden Vorschlag Brinkmanns, die IV. Strophe als Frauenstrophe zu lesen (vgl. Brinkmann, Hennig: Rugge und die Anfänge Reinmars, in: Fs. Paul Kluckhohn und Hermann Schneider, gewidm. zu ihrem 60 . Geb., hg. von ihren Tübinger Schülern, Tübingen 1948 , S. 498 - 527 , hier S. 507 ) s. MFMT-Erläuterungen, S. 111 f. und den Kommentar zum Lied in: Deutsche Lyrik des frühen und hohen Mittelalters, Ed. der Texte und Komm. von Ingrid Kasten, Übers. von Margherita Kuhn, Frankfurt a. M. 2005 (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch 6 / entspr. Bibliothek des Mittelalters 3 [ 1995 ]), S. 883 - 886 . Inhaltlich schließt sich die Strophe wie folgt an die drei vorausgehenden an: Das Text-Ich führt seinen Liebeskummer als Grund dafür, seinen Sang zu niuwen, an (I), der Frage anderer 106 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 107 Naturallusion nicht als aktuell ablaufender Rahmen präsentiert wird, sondern in eben jener Form des generellen Sprechens, ja am Ende sogar metaphorisiert: IV . MF 188, 31 A 55 Mir sol ein sumer noch sîn zît ze herzen niemer nâhe gân, sît ich sô grôzer leide pflige, daz minne riuwe heizen mac. waz hulfe danne mich ein strît, den ir mit triuwen hân getan, sît ich in selhen banden lige? wê, wanne kumet mir heiles tac? Jô enmac mir niht der bluomen schîn, gehelfen vür die sorge mîn, unde ouch der vogel sanc. ez muoz mir staete winter sîn: sô rehte swaer ist mîn gedanc. [Mir wird kein Sommer noch seine Zeit im Jahr jemals tief zu Herzen gehen, da ich so große Leiden habe, dass man statt Liebe Verdruss sagen kann. Was hülfe mir dann der Kampf, den ich für sie in Treue geführt habe, da ich in solchen Fesseln liege? Ach, wann kommt für mich der Tag des Glücks? Es kann mir doch die leuchtende Pracht der Blumen nicht gegen meine Sorge helfen und auch nicht das Singen der Vögel. Für mich wird immer Winter sein: So sehr betrübt ist mein Denken.] Hier wird schon zu Beginn der Strophe ganz allgemein ausgesagt, dass niemals ein Sommer mehr das Herz des Text-Ichs erfreuen wird (vgl. IV , 1 f.), auch die Blumen und der Vogelgesang werden nicht als präsente Zeichen in der Natur genannt, sondern generell als mögliche Tröstungen angeführt, die das Ich aber nicht mehr zu trösten vermögen (vgl. IV , 9 - 11 ). Der Schluss der Strophe bringt dann eine neue Ebene des Sprechens von der Jahreszeit als Pointe, nämlich die Verschiebung in den Bereich der metaphorischen Rede: für das Ich hingegen werde es immer Winter sein, so betrübt seien seine Gedanken (vgl. IV , 12 f.). Damit ist die Bezugnahme auf eine aktuell im Hintergrund stehende Jahreszeit zu Gunsten einer überzeitlichen nach dem Grund für die Traurigkeit des Ichs begegnet dieses mit Inanspruchnahme der in Liebesangelegenheiten angebrachten Verschwiegenheit für sich selbst (II), es folgt die Wendung des Text-Ichs gegen die, die nicht mit dem Ich mitfühlen; sie hätten die Liebe nie erfahren, sonst könnten sie das Gesagte nachvollziehen (IV). Stimmungscharakterisierung des Ichs (vgl. das staete [ IV , 12 ]) völlig suspendiert. Mit dem Typus des jahreszeitlich organisierten Natureingangs in seiner charakteristischen Erscheinungsform hat eine solche Nutzung der Jahreszeitenbzw. Naturallusion als Endpunkt eines Liedes nicht mehr viel gemein, auch wenn sie natürlich Elemente von ihm nutzt und durchaus konnotativ auf ihn Bezug nehmen kann. Um die neben der Anfangsstellung im Lied weiteren wichtigen Merkmale eines jahreszeitlich organisierten Natureingangs zu erarbeiten, ist es sinnvoll hier die Abgrenzung des Typs von noch zwei weiteren Arten der Jahreszeiten bzw. Naturrepräsentation, die ebenfalls am Liedbeginn begegnen (können), anhand einer Analyse von Textbeispielen vorzunehmen. Dafür wurden folgende drei Liedanfänge ausgewählt: für den Natureingang die erste Strophe MF 33 , 15 : Ahî, nu kumt uns diu zît des dritten Tones von Dietmar von Eist 18 (a), für den locus amoenus den Beginn 18 Um dem möglichen Einwand einer ungünstigen Auswahl gleich hier zu begegnen: Natürlich ist es nicht ganz unproblematisch, an dieser Stelle, wo es mir auf den Ausprägungsgrad einer liederöffnenden Funktion der verschiedenen Typen der Naturrepräsentation ankommt, ein Beispiel wie die erste Strophe von Dietmars Ton III zu wählen, ist doch die liedhafte Einheit der fünf in ihm verfassten Strophen zu Recht umstritten, so dass es nicht unangebracht sein mag, die Strophe I als relativ für sich stehend zu denken. Dazu ist Folgendes zu sagen: Zunächst einmal weist die handschriftliche Überlieferung in C und B einhellig der Strophe im Rahmen des Tones die Frontstellung zu und dadurch erhält sie, mögen die Beziehungen der Strophen untereinander auch recht locker sein, ein gewisses Eröffnungspotential. Zweitens gilt die Funktion der Anfangsgestaltung, die für den Natureingang hier schon als besonders wichtig hervorgehoben worden ist, natürlich gerade dann, wenn die dominierende Instanz der Einheitsbildung nicht das Lied, sondern die Strophe ist, für die jeweilige Einzelstrophe genauso. Schließlich kann man aber ja durchaus den Gliederungsvorschlag von Moser/ Tervooren bezüglich des Tones III zumindest für die ersten beiden Strophen, die hier als zusammengehörig zugeordnet sind, nicht ganz von der Hand weisen: In Strophe I, die hier aufgrund fehlender anderweitiger Markierung als Männerstrophe aufgefasst wird (s. MFMT), gibt das Ich eröffnend an, aufgrund des Endes des langen Winters (zergangen ist der winter lanc [I, 2 ]) finde sein Herz Trost, in Strophe II (MF 33 , 23 ) fordert das Text-Ich, nach dem langen (vgl. das Ich bin dir lange holt gewesen [II, 1 ]! ), ihm aber Auszeichnung bedeutenden Werben solle die Dame ihn nun mit einem guten Ende belohnen (machest dû daz ende guot, sô hâst du ez allez wol getân; II, 4 ); gewisse einheitsstiftende Signale sind also zwischen den beiden ersten Strophen doch zu bemerken. Zu Fragen der Liedeinheit vgl. die Hinweise bei MFMT-Erläuterungen, S. 72 ; I. Kasten (Hg.), Deutsche Lyrik, S. 605 f., sowie Scholz, Manfred Günter: Das frühe Minnelied. Dietmar von Aist: Hei, nû kumet uns diu zît, in: Gedichte und Interpretationen. Mittelalter, hg. v. Helmut Tervooren, Stuttgart 1993 (RUB 8864 ), S. 56 - 70 . Freilich haben für die Auswahl der Dietmar-Strophe auch recht pragmatische Gründe eine Rolle gespielt: Zum einen schien es mir wichtig, ein relativ typisches Beispiel für den Einsatz des Natureingangs im Minnesang zu finden, das einigermaßen einfach gehalten ist, an dem sich aber dennoch viel demonstrieren lässt; beides scheint mir für die Dietmar-Strophe außergewöhnlich gut der Fall zu sein. Ferner war es günstig, ein in der ungefähren Chronologie des Minnesangs-- so man diese überhaupt akzeptieren will-- relativ frühes Beispiel auszusuchen, um nicht die oft äußerst komplizierte Gestaltung des Topos im hochhöfischen Minnesang oder recht späte Neuerungen wie Tanzmotivik etc.- - beides wird uns noch im Folgenden beschäftigen-- als generell typisch für den Natureingang im deutschen Minnesang hinzustellen; sie stellen nämlich bedeutungsvolle und spezifische Realisationen des Topos dar, 108 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 109 von Walthers von der Vogelweide berühmtem Lied L 39 , 11 : Under der linden 19 (b) und für den Jahreszeiteneingang die Anfangsstrophe von Hartmanns von Aue Lied MF 205 , 1 : Sît ich den sumer truoc 20 . die gesondert betrachtet werden müssen. Gleichwohl soll mit obigem Beispiel nicht-- dies sei in aller Deutlichkeit gesagt-- auf einen Normaltyp oder gar eine archetypische Grundform des Natureingangs abgehoben werden! 19 Walthers Lyrik wird- - wie auch im Folgenden- - zitiert nach: Walther von der Vogelweide: Leich, Lieder, Sangsprüche. 15 ., veränd. und um Fassungseditionen erw. Aufl. der Ausg. Karl Lachmanns, aufgrund der 14 ., von Christoph Cormeau bearb. Aufl. neu hg. von Thomas Bein, Berlin u. a. 2013 . Aufgrund des außerordentlichen Bekanntheitsgrades des Liedes dürfen an dieser Stelle einordnende Hinweise zu Aufbau und Inhalt des Liedes getrost entfallen, weil im Folgenden vor allem die Frage der spezifischen Organisation des Liedeingangs mittels der locus amoenus- Repräsentation interessiert. Auch die Frage der Beziehungen zu den Gattungen der Pastourelle und des Frauenliedes spielen hier eine untergeordnete Rolle; für Literaturangaben verweise ich auf: Scholz, Manfred Günter: Walther-Bibliographie. 1968 - 2004 , Frankfurt a.M. u.a. 2005 (Walther-Studien 3 ), S. 118 - 120 ; ders., Walther-Bibliographie 2005 - 2009 , in: Walther von der Vogelweide- - Überlieferung, Deutung, Forschungsgeschichte. Mit einer Ergänzungsbibliographie 2005 - 2009 von Manfred G. Scholz, hg. von Thomas Bein, Frankfurt a. M. 2010 (Walther-Studien 7 ), S. 319 - 354 , hier S. 345 f; vgl. ferner jüngst die beiden Beiträge: A. Hausmann, Verlust und Wiedergewinnung, S. 176 - 178 , sowie Philipowski, Katharina: Zeit und Erzählung im Tagelied. Oder: Vom Unvermögen des Präsens, Präsenz herzustellen, in: H. Bleumer, C. Emmelius (Hgg.), Lyrische Narrationen, S. 181 - 214 , hier S. 209 f. 20 Zu Fragen der Liedeinheit und Strophenfolge des zweistrophig in B und fünfstrophig in C überlieferten Liedes vgl. den App. im MFMT-Textband, S. 404 , darüber hinaus auch: Brackert, Helmut: Hartmann von Aue: Mich hât beswæret mînes herren tôt. Zu MF 205 , 1 , in: Interpretationen mittelhochdeutscher Lyrik, hg. von Günther Jungbluth, Bad Homburg v.d.H., Berlin, Zürich 1969 , S. 169 - 184 , Komm. und App. in: Hartmann von Aue: Lieder. Mhd. / Nhd., hg., üb. und komm. von Ernst von Reusner, Stuttgart 1985 (RUB 8082 ), App., S. 14 , und Komm., S. 97 - 101 , Ehlert, Trude: Zur Poetik von texte und contre-texte im Minnesang Hartmanns von Aue, in: Vom Mittelalter zur Neuzeit. FS Horst Brunner, hg. von Dorothea Klein, Elisabeth Lienert und Johannes Rettelbach, Wiesbaden 2000 , S. 95 - 107 , hier S. 103 , sowie den Kommentar in: I. Kasten (Hg.), Deutsche Lyrik, S. 712 - 717 . Die von der Forschung konstatierten Iwein-Anklänge im Lied sowie die Frage der ‹biographischen› Referenzen in Strophe III spielen für das Folgende, da es allein um den Aspekt der Eingangsgestaltung geht, keine Rolle. Dennoch sei hier kurz der weitere Gedankengang des Liedes, das heute meist als Reflexion über die «Bedingungen von Minnesang» (E. von Reusner: Hartmanns Lyrik, in: GRM 34 ( 1984 ), S. 8 - 28 , hier S. 14 ) aufgefasst wird, angegeben: Auf die Jahreszeiteneingang-Strophe mit der Zuweisung falschen Verhaltens an die Dame (vgl. I, 9 : si hât niht wol ze mir getân) wird in Strophe II die Frage der Schuld am eigenen Ich des Werbenden durchexerziert. Mit der Angabe des Ichs, wollte es den hassen, der für seinen Kummer verantwortlich ist, müsse es sich selbst hassen (vgl. II, 1 f.), wird eine negative Selbstbeurteilung eingeleitet; ja das Ich sieht sich nun selbst als schuld daran an, dass die Dame seine Liebe nicht erwidere (vgl. II, 5 : Mîn vrowe gert mîn niht: diu schulde ist mîn). In Strophe IV und V wird die Schuldzuweisung an sich selbst durch das Ich fortgeführt, indem es durch Aufgreifen der generellen Äußerung vil wandels hât der lîp und ouch der muot (II, 3 ) auf den eigenen Fehler der Unzuverlässigkeit abhebt (vgl. IV, 6 : grôz was mîn wandel und V, 3 : daz si mich sô wandelbaeren vant), wobei der von der Dame vorgenommenen Akt des Entzugs von Wohlwollen und Präsenz (vgl. schon III, 7 , IV, 3 und 7 ) nun als kluge und wohlüberlegte Entscheidung (IV, 2 und 4 ; V, 4 ) anerkannt wird, der weniger aus tatsächlicher Feindschaft dem Ich gegenüber als auf das Bedachtsein der Frau auf ihre êre (VI, 8 ) erfolgte. In Zuspitzung der am Anfang von Strophe II getroffenen Aussage (vgl. nur das sô moht ich wol mîn selbes vîent sîn [II, 1 ]) betont das Ich, (a) Dietmar von Eist MF 33 , 15 : Ahî, nu kumt uns diu zît III,1: MF 33,15 C 7, B 7 Ahî, nu kumt uns diu zît,---der kleinen vogellîne sanc. ez grüenet wol diu linde breit,---zergangen ist der winter lanc. nu siht man bluomen wol getân,---an der heide üebent sî ir schîn. des wirt vil manic herze vrô,---des selben troestet sich daz mîn. 21 21 [Hei, jetzt kommt für uns die (Sommer-)Zeit, der Sang der kleinen Vögelchen. Es grünt die breit gewachsene Linde herrlich, der lange Winter nimmt ein Ende. Jetzt sieht man schöne Blumen, auf der Heide zeigen sie ihr Leuchten. Daher werden sehr viele Herzen froh, aus demselben Grunde findet auch meines Trost.] (b) Walther von der Vogelweide L 39 , 11 : Under der linden I. L 39,11 C 128, B 42 ›Under der linden an der heide, dâ unser zweier bette was, dâ mugent ir vinden schône beide gebrochen bluomen unde gras. Vor dem walde in einem tal, ---tandaradei, schône sanc diu nahtegal. es dürfe sein Unglück niemandem anlasten als sich selbst (vgl. das michn sleht niht anders wan mîn selbes swert [V, 9 ]). Dabei erweist sich Strophe III, die hier zunächst übergangen worden ist, als Schlüsselstrophe jeder Interpretation: sie spitzt nämlich die Schuldfrage am Kummer des Ichs, um die ja das gesamte Lied kreist, durch die Bezugnahme auf geistliche Konzepte zu, die sich durch die Aufrufung von Verzinsung der Freude durch Leid nach Gottes Gebot (vgl. III, 3 f.) und die Aufrufung einer motivischen Verbindung zu Hartmanns eigenem Kreuzlied MF 209 , 25 ergeben, wo vom Text-Ich der Tod seines Herrn als Grund der Weltabkehr angegeben, ja die Kreuzfahrt als Hilfe für dessen Seele mitmotiviert ist (Str. IV). Daran könnte die dritte Strophe von MF 205 , 1 insofern anknüpfen, als hier die Trauer des Ichs über den Tod des Dienstherrn zur Profilierung des Liebeskummers als varendes leit (III, 6 ), also weltliches oder vergängliches, genutzt wird, obwohl der Dienst an der Frau als von Kindheit an beständig charakterisiert wird (allerdings derart, dass dies durch das Bild kindlichen Steckenpferdchenreitens sofort ironisch destruiert wird; vgl. III, 7 - 9 ). Es wäre zu überlegen, welche Konsequenz sich aus dieser an geistlichen Konzepten geschärften Beurteilung des aus weltlicher Liebe resultierenden Leides für die Beurteilung des Minnedienstes selbst ergibt und wie sie mit dem Eingestehen eigenen Versagens im Minneverhalten zusammenhängt. Schließlich wäre auch noch zu ergründen, wie dies mit den Tendenzen einer Ironisierung des Minnedienstes (vgl. dazu Heinen, Hubert: Irony and confession in Hartmann’s «Sît ich den sumer» [MF 205 , 1 ], in: Monatshefte 80 [ 1988 ], S. 416 - 429 ; T. Ehlert, Zur Poetik von texte und contre-texte, S. 103 - 107 ) im Lied in Verbindung steht. Diese interpretatorischen Fragen müssen in unserem Zusammenhang leider ausgeklammert bleiben. 21 Hervorhebungen-- wie auch im Folgenden-- von mir, D. E. 110 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 111 II. L 39,20 C 129, B 43 Ich kam gegangen zuo der ouwe-…‹ [I. Unter der Linde auf der Heide, wo das Bett von uns beiden war, da könnt ihr finden vortrefflich beides ausgerissen, Blumen und Gras. Vor dem Wald, in einem Tal, ---tandaradei, sang lieblich die Nachtigall. II . Ich kam gegangen zu der Aue-…] (c) Hartmann von Aue MF 205 , 1 : Sît ich den sumer truoc I. MF 205,1 CB 1 Sît ich den sumer truoc riuwe unde klagen, sô ist ze vröiden mîn trôst niht sô guot. mîn sanc süle des winters wâpen tragen, daz selbe tuot ouch mîn senender muot. Wie lützel mir mîn staete liebes tuot! wan ich vil gar an ir versûmet hân die zît, den dienst, dar zuo den langen wân. ich wil ir anders ungevluochet lân, wan alsô, si hât niht wol ze mir getân. [I. Da ich den Sommer in Kummer und Klagen verbrachte, darum ist meine Zuversicht auf Freude nicht so gut ausgeprägt. Mein Lied muss das Wappenzeichen des Winters tragen, wie es auch mein sehnsuchtsvolles Gemüt tut. Wie wenig Wohlgefühl mir meine Beständigkeit beschert hat! Denn ich habe völlig umsonst an sie vertan die Zeit, den Dienst und auch das lange Hoffen. Ich will sie anders nicht mit Flüchen belegen, als so: Sie hat sich mir gegenüber nicht gut verhalten.] Betrachtet man nun die Gestaltung der Naturrepräsentation im Liedanfang bei Beispiel (a), der Dietmar-Strophe, so fällt auf, dass diese mit ihrem emphatischen Beginn sofort die zeitliche Dimension eines im Jetzt sich verändernden Zustandes betont: Ahî, nu kumt uns diu zît (I, 1 ), heißt es hier, wobei die in dieser Hinsicht entscheidenden Signalwörter nu für die Suggestion von Aktualität, kumt für das Anzeigen einer Veränderung und zît für die Relevanz der Instanz der Zeit generell bzw. sogar der Jahreszeit 22 sind, die in unserem Beispiel-- wie es sehr häufig begegnet, aber nicht zwingend für den Natureingang ist- - durch die Wir-Perspektive (uns) unter der Imagination von kollektiver Erfahrbarkeit zusammengeschlossen werden. 23 Die im Kommen begriffene zît wird daraufhin als die Zeit des Vogelgesangs präzisiert 24 , wobei also durch die Aufrufung eines Details jener Naturabläufe, die mit der Konnotation von Jahreszeitenwandel behaftet sind, nun vollends die Ebene einer Bezugnahme auf den saisonalen Wandel erreicht wird, nämlich: die Zeit, in der die Vögel schweigen (Winter), wird von der abgelöst, in der sie singen (Frühling/ Sommer 25 ). Die Determination der aufgeführten Naturdetails durch den Jahreszeitenwandel zeigt sich dann auch beim folgenden Halbvers, ez grüenet wol diu linde breit (I, 2 ), wo die Linde bezeichnenderweise im Stadium ihres Grünens erwähnt wird, was nun-- in Umkehrung des Vorgangs, dass die Ankündigung des Vogelgesangs die Änderung der Jahreszeit assoziativ abgerufen hat-- diesen wiederum als zeichenhaft an Naturabläufen ablesbar imaginiert. So bringt auch darauf der zweite Halbvers mit der Konstatierung zergangen ist der winter lanc (I, 2 ) mit der expliziten Nennung der nicht mehr präsenten Jahreszeit die endgültige Festlegung des Zeithintergrunds. Diese wird noch weiter untermauert durch das folgende nu siht man bluomen wol getân (I, 3 ), das nicht nur auf den Beginn der Strophe durch die Wiederaufnahme der Jetztzeitsuggestion (nu) und der Imagination von kollektiver Erfahrbarkeit (Wahrnehmung des Sehens, man) verweist 26 , sondern mit der Bezugnahme auf die Sichtbarkeit der Blumen ein weiteres Naturdetail aufruft, das Frühling/ Sommer indiziert. Schließlich wird das Blumenmotiv noch stärker auf die 22 Natürlich ist beim Wort zît, gerade wenn es im erwartbaren Kontext eines Natureingangs begegnet, immer auch die spezielle Bedeutungsvariante ‹Jahreszeit› (vgl. Lexer III, Sp. 1136 f.) mitaufgerufen; vgl. dafür auch L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 191 . 23 Dies hatte ja T. Bein, Jahreszeiten, für seinen ‹Normaltyp› des Jahreszeiteneingangs bereits herausgearbeitet (s. o.). Hier soll dieser Merkmalszug zum einen nicht als kommunikationspragmatisches Faktum der Außenweltreferenz, sondern als Suggestionsstrategie des literarischen Textes aufgefasst werden, zum anderen nicht als Hauptcharakteristikum des Topos schlechthin; es ist nur eine der vielen Anwendungsmöglichkeiten, die der Natureingang bereit hält. 24 Die etwas rätselhafte, grammatikalisch bloß beiordnende Konstruktion in I, 1 wäre demnach durchaus so zu füllen, wie es Margherita Kuhn übersetzt: «jetzt kommt für uns die Zeit, in der die kleinen Vögel singen» (I. Kasten [Hg.], Deutsche Lyrik, S. 71 ; Hervorhebung von mir, D. E.). 25 Dass im Minnesang- - anders als etwa im Bereich der lateinischen Literatur mit ihrem gelehrten Modell der Vierzahl der Jahreszeiten-- ein nur zweiwertiges Jahreszeitenschema vorherrscht, das begrifflich und kategorial nicht zwischen Frühling und Sommer unterscheidet, hat J.-D. Müller, Jahreszeitenrhythmus als Kunstprinzip, S. 130 - 132 , noch einmal deutlich herausgestellt. 26 Oft begegnet im Übrigen die ebenfalls auf Wahrnehmungimaginationen abzielende, aber durch (relative) Exklusivität der Ich-Perspektive letztlich genau nicht auf kollektive Überprüfbarkeit hin stilisierte Einbindung, gerade im Präteritum, vgl. z. B. Reinmars MF 184 , 17 (XXXIV b): Ich sach vil wunneclîche stân / die heide und al die bluomen rôt. / der vîol was sô wol getân: / des hât diu nahtegal ir nôt / Wol überwunden, diu si twanc. / zergangen ist der winter lanc. / ich hôrt ir sanc (I, 1 - 7 ; Hervorhebungen von mir, D. E.). 112 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 113 Anzeigungswirkung von Jahreszeitenwandel hin profiliert, indem die Angabe folgt, auf der Heide-- eine allgemeine örtliche Festlegung, die zwar Lokalitäten suggeriert, diese aber nicht konkretisiert 27 -- blühten sie leuchtend (I, 3 ). Gerade am Beispiel der Blumen lässt sich gut demonstrieren, in welcher Weise die Aufrufung solcher Naturmotive realisiert werden kann, sind doch alle genannten Naturdetails (Verhalten der Vögel, Vegetationsstadium der Bäume, Blumen) gleichermaßen konventionell wie auch grundsätzlich in Bezug auf die Assoziationswirkung von saisonalem Wandel zunächst einmal indifferent. Erst die Angabe des Vorhandenseins oder Fehlens der hauptsächlichen Indikationscharakteristika (Vogelgesang vs. Schweigen der Vögel 28 ; grünes Laub der Bäume vs. entlaubte Bäume 29 ; Sichtbarkeit der Blumen vs. Fehlen derselben 30 etc.) entscheidet über die eindeutige Signalwirkung des Motivs. 31 Nur so lässt sich m. E. die Tragweite dessen verstehen, wenn hier von jahreszeitlicher Organisation des Natureingangs die Rede ist: Jedes zeichenhafte Naturmotiv, das im Natureingang auftaucht, ist auf seine saisonale Ausrichtung hin mittels der Anwendung einer Basisopposition von Fehlen oder Vorhandensein strukturiert. Zusätzlich kann die jahreszeitliche Indikationswirkung aber noch durch Aktualität und sinnliche Erfahrbarkeit, ja sogar kollektive Geltung suggerierende Formeln wie das 27 Von der m. E. mehr suggestiven als auf tatsächliche Raumbestimmung abzielenden Wirkung der ‹Ortsangaben› im Natureingang, bei dem es nicht um ‹Landschaftsdarstellung› im engeren Sinne geht, ist schon die Rede gewesen, s. o. Gerade an obigem Beispiel der Dietmar-Strophe lässt sich bezüglich der räumlichen Festlegung die von Brinkmann dargelegte Darstellungsform, die auf das Typische und Allgemeine, eben nicht auf Eigenheiten oder Besonderheiten einer Landschaft zielt (s. o.), gut nachvollziehen. Zu dem hier gewählten Unterscheidungsansatz, der die Dominanz einer zeitlichen Stilisierung der Naturdetails im Natureingang von der räumlich determinierten des locus amoenus vgl. neuerdings K. Philipowski, die werlt ist uf den herbest komen, die den Natureingang im Minnesang dezidiert als einen Raumtopos auffasst (bes. ebd., S. 92 - 95 ); ein genauer Vergleich der dominanten Gestaltungstechniken des Natureingangs in dem im Folgenden vorgestellten Sinne mit denen der Lustort-Topik hätte m. E. hier vor vorschnellen Schlüssen bewahrt. 28 Vgl. z. B. gegenüber dem hier in MF 33 , 15 (Sommereingang) zu findenden vogellîne sanc (I, 1 ) das ebenfalls in einer Dietmar-Strophe, nämlich MF 37 , 18 (Wintereingang), begegnende daz vogelsanc ist geswunden (V. 2 ). 29 Wiederum bietet sich zur Untermauerung der Vergleich der beiden obigen Dietmar-Strophen an: heißt es in MF 33 , 15 im Falle des Sommers ez grüenet wol diu linde breit (I, 2 ), so wird in MF 37 , 18 beklagt, so wie der Vogelgesang (s. o.) sei auch der linde loup vergangen (V. 2 f.). 30 Vgl. beispielsweise zu dem nu siht man bluomen wol getân an der heide üebent sî ir schîn (I, 3 ) in Dietmars MF 33 , 15 (Sommereingang) den Wintereingang von Gottfrieds von Neifen Lied KLD 15 , V: Walt heide anger vogel singen / sint verdorben von des kalten winters zit. / da man blv o men sach vf dringen, / da ist es blos: nv scho v went wie dú heide lit (I, 1 - 4 ). 31 Das gilt im Übrigen auch für die eigentlich dem Winter zuzuordnenden Naturdetails wie etwa dem Schnee; vgl. z. B. für den Wintereingang Rudolfs von Fenis Lied MF 82 , 26 : Ich kiuse an deme walde, sîn loup ist geneiget, / der stuont noch hiure vil vroelîchen ê. / nu rîset er balde. des sint gar gesweiget / die vogel ir gesanges. daz machet der snê. (I, 1 - 4 ; Hervorhebung von mir, D. E.) und für den Sommereingang wiederum Gottfried von Neifen, Lied KLD 15 , II: Svmer, diner fro e idebernden wunne / fro e wet sich maniges senden herzen mv o t. / ob dú nahtegal iht singen kvnne / gegen des wunneclichen meijen blv o t? / ia si singet aber me, / sit zergangen ist der sne (I, 1 - 6 ; ebenso). obige nu siht man, das nicht nur in Verbindung mit dem Blumenmotiv begegnet, verstärkt werden. 32 Am Ende der Strophe erfolgt nun jene Anwendung der zuvor etablierten jahreszeitlichen Grundstimmung auf die Gefühlslage des Text-Ichs, die als besondere Möglichkeit der Profilierung des emotionalen Zustandes des Ichs für den jahreszeitlich organisierten Natureingang bereits mehrfach angesprochen worden ist. Wiederum ist hervorzuheben, dass dies in der Dietmar-Strophe zwar recht reduziert, aber wirkungsvoll realisiert ist, ja anhand ihrer durchaus auf ganz typische tektonische Mechanismen aufmerksam gemacht werden kann. Die im bisherigen Strophenverlauf präsent gemachte vröide (vgl. den emphatischen Ausruf zu Beginn und den Vogelsang) und Schönheit (z. B. der Blumen) des als aktuell imaginierten Sommers wird hier nämlich stufenweise in ihrer Wirkung auf den Menschen angewendet. So ist mit des wirt vil manic herzê vrô (I, 4 ) zunächst eine nicht weiter spezifizierte Vielzahl von Individuen angesprochen, die durch das Eintreffen der schönen Jahreszeit wieder positiv gestimmt sind, wobei der Text selbst durch die kausale Anbindung (des) die Begründetheit einer solchen Gestimmtheit erst unterstellt, gerade weil es auch vil manic herze ist, dem es so ergeht. Insofern wird hier die Instanz der Gesellschaft, auf sie verweist ja das angesprochene vil manic herze, in einem anscheinend kausal sich aus dem Vorherigen ergebenden Zustand der vröide vorgeführt, der-- so könnte man die Suggestionswirkung des Textes umschreiben-- nicht nur der in der Natur vorherrschenden Stimmung entspricht, sondern sich gleichsam sinnfällig als jahreszeitenadäquates Verhalten ergibt. 33 Dieser Zwischenschritt einer-- wie auch immer-- präsent gemachten Gesellschaftsebene, mit ihrer als jahreszeitlich passend suggerierten Gestimmtheit, begegnet sehr oft in den Natureingängen im Minnesang, ist manchmal aber auch verkürzend fortgelassen. 34 Jedenfalls scheint mir die Bindung der jahreszeitlichen Vorgänge in der Natur an die gesellschaftliche Gestimmt- 32 Vgl. z. B. in dieser Hinsicht den Wintereingang von Lied KLD 15 , XXIII Gottfrieds von Neifen: Nv siht man aber die heide val / nv siht man valwen grv e nen walt / nv ho e rt man niht der kleinen voglin singen (I, 1 - 3 ). 33 Es soll an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen werden, dass m. E. die Annahme einer präexistenten Zuordnung von Jahreszeit und angebrachter gesellschaftlicher Haltung im Sinne einer institutionalisierten Denkform oder alltagsbasierten, kulturellen Ordnung zwar nicht auszuschließen ist, sie aber für die Erklärung der Texte nichts leistet. Schließlich wird eine solche Zuweisung ja von den Texten selbst erst durch argumentative Techniken erzeugt, wofür Dietmars Strophe MF 33 , 15 ein recht gutes Beispiel liefert. Wiederum kommt es mir also nicht auf außerliterarische Referenzbezüge, sondern argumentative Strategien des literarischen Textes an. 34 Man vgl. z. B. den Wintereingang von Ulrichs von Winterstetten Lied KLD 59 , XII: Svmer wunne ist hin gekeret, wo es heißt: o we, wunneklicher o v gen weide, / die man sach vf anger vnd vf heide! / die stant nv in leide. / das tv o t minem herzen we (I, 7 - 10 ). Jedoch wäre es m. E. zu überlegen, ob die gesellschaftliche Rahmung bei Natureingängen nicht generell mitzudenken ist, selbst wenn sie nicht als Zwischenstufe explizit gemacht wird wie bei MF 33 , 15 . Zumindest ist bei dem hier für Ulrich beigebrachten Beispiel diese Gesellschaftsebene durch das zuvor angegebene da bi siht man o v ch den sne (I, 6 ; Hervorhebung von mir, D. E.) implizit doch präsent. 114 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 115 heit, die einen Rahmen eigentlich adäquaten Verhaltens entwirft, sehr bedeutsam im Kontext der poetischen Funktion des Natureingangs zu sein; sie wird im Folgenden in ihrem Zusammenhang mit der Gesellschaftsthematik des Minnesangs noch näher untersucht werden. Dieser Rahmen einer adäquaten Einstellung bezüglich der Jahreszeit, die durch die Gesellschaftsebene präsent wird, dient nun der Profilierung der emotionalen Gestimmtheit des Ichs, indem diese entweder kontrastiv oder komplementär dazu gesetzt wird. 35 Im besonderen Falle von MF 33 , 15 geschieht dies in gleichgerichteter Form, wie es der letzte Halbvers der Strophe, des selben troestet sich daz mîn (I, 4 ), zeigt. Dabei wird also nicht nur betont, dass sich die Wirkung des jahreszeitlichen Wandels beim Text-Ich in ähnlicher Weise als positive Aufhellung seiner emotionalen Befindlichkeit einstellt wie bei den vielen Anderen, sondern zudem auch hervorgehoben, dass es der gleiche Grund ist, der diese Veränderung verursacht. Dadurch ergibt sich der für den Natureingang relativ typische Dreischritt von jahreszeitlich gestimmter Natur, adäquater Haltung der Gesellschaft und emotionaler Befindlichkeit des Ichs, der hier im konkreten Fall Gesellschaftsinstanz und Ich als in Bezug auf die Ursache der Stimmungsaufhellung und in dieser selbst übereinstimmend parallel anordnet; allerdings ergibt sich durch die Angabe des Trostes, den das Herz des Text-Ichs von der jahreszeitlichen Entwicklung empfängt, für dieses gegenüber der Vielheit der Herzen eine feine, aber nicht unwesentliche, anders gelagerte Befindlichkeitsnuance. War bei der auf Gesellschaftsrepräsentation abzielenden Angabe des wirt vil manic herze vrô (I, 4 ) die Implizierung eines zuvor wohl unglücklichen Befindens zwar durchaus gegeben, so tritt sie nun durch die Angabe einer Tröstung, die sich für das Herz des Text-Ichs ergibt, noch weiter hervor, da der vorherige, traurige Zustand doch stärker mitaufgerufen wird. Schließlich ist ja auch das Faktum des vrô-Werdens als völlige Umkehrung einer Gestimmtheit in Freude viel weitreichender als eine Tröstung, die impliziert, dass ein unglücklicher Zustand durch positive Impulse lediglich relativiert wird. Daher bleibt also- - trotz der stark ausgeprägten Gleichschaltung der Befindlichkeit von Gesellschaft und Ich-- ein fein nuancierter Restbestand von Differenz erhalten. Dies ist insofern bedeutsam, als diese Charakterisierung der emotionalen Befindlichkeit des Ichs nicht nur wie bei der Angabe einer stimmungsbezogenen Veränderung der anderen Personen den Konnex auf eine zuvor vom Winter erzeugte Traurigkeit zulässt, obwohl diese hier im Falle der Strophe auch für das Ich wohl doch hauptsächlich gemeint ist, sondern darüber hinaus einen potentiellen Anknüpfungspunkt für die Liebesthematik bereitstellt. Der unglückliche Zustand des Herzens beim Text-Ich könnte nämlich durchaus- - zumindest ließe sich die sich nur in feinen Nuancen andeutende Differenz in dieser Hinsicht konzeptualisieren-- auch durch Liebeskummer gegeben sein. 36 Dieses Potenzial muss hier im Falle von Dietmars 35 Zur Rolle dieser beiden Möglichkeiten der Applikation als Basisopposition einer Typologie des Natureingangs s. u. 36 Vgl. ähnlich, wenn auch eher kollektiv gedacht, P. L. Johnson, Die höfische Literatur, S. 89 : «Nur der letzte Vers, der beichtet, wie man sich über die Natur freut, weist durch die zweifa- MF 33 , 15 nicht unbedingt als realisiert angenommen werden, ist doch die liedhafte Einheit der Strophen zumindest fraglich. 37 Entscheidend ist aber, dass in der nur in Nuancen anders charakterisierten Stimmung des Ichs die Anknüpfung der Liebesthematik als Möglichkeit angelegt ist. Lässt man nun die Anbindung der Jahreszeitenthematik an die emotionale Gestimmtheit des Ichs als poetische Anwendungsmöglichkeit des Topos beiseite, so sind besonders die folgenden Charakteristika des Natureingangs zur Findung einer Definition des Typs hervorzuheben: die Imagination von Aktualität einer bestimmten Jahreszeit, explizite Nennung von dieser und Durchführung durch auf die Saisonalität hin organisierte Naturdetails. Vergleicht man dies nun mit den anderen beiden Formen der Jahreszeitenbzw. Naturrepräsentation, die hier im Übrigen durch zwei Beispiele vertreten sind, die immer wieder als der Kategorie des Natureingangs zugehörig eingeordnet worden sind 38 , so fällt eine grundsätzlich andere Realisation der Jahreszeitenbzw. Naturthematik auf. Das berühmte ‹Lindenlied› L 39 , 11 von Walther von der Vogelweide präsentiert sich uns in diesem Zusammenhang als ein in Frauenrede gefasster, rückschauender- - und gleichwohl aktualisierter 39 -- Bericht einer Liebesbegegnung im Freien 40 , der den che Erwähnung der Herzen vielleicht darauf hin, daß auch hier die Gleichung über die Minne geht». 37 Auf die Möglichkeit einer Interpretation der beiden ersten Strophen von Ton III als relativ eng zusammengehörig habe ich bereits hingewiesen. Lässt man sich darauf ein, so ist es durchaus möglich, die Angabe des selben troestet sich daz mîn (I, 4 ) als eine Schaltstelle zur Liebesthematik der II. Strophe zu begreifen, die wiederum bezeichnenderweise keinen Klagegestus aufweist und die bisherige Werbung als vom Ich positiv gewertet darstellt. 38 So beispielsweise bei Barbara von Wulffen, Der Natureingang in Minnesang und frühem Volkslied, S. 29 (für L 39 , 11 , s. o.) und S. 58 (für MF 205 , 1 ); vgl. für das Letztere auch den Komm. bei E. von Reusner (Hg.), Hartmann von Aue, Lieder, S. 98 f. Auch Viola Bolduan, Minne zwischen Ideal und Wirklichkeit, S. 39 , behandelt L 39 , 11 im Kontext des Natureingangs, den Walther zu einem «strukturierenden Bestandteil des Liedganzen» (S. 41 ) werden lasse. Dies wird im Folgenden zu widerlegen sein. 39 Das im Lied zu findende, kunstvolle Beziehungsgeflecht von narrativem Bericht (vgl. nur das Ich kam gegangen [II, 1 ]) und gleichzeitiger Aktualisierung durch Publikumsanreden, die auf die Imagination von Überprüfbarkeit des Geschilderten in der Sprechgegenwart zielen (vgl. z. B. I, 4 : dâ mugent ir vinden oder II, 9 : seht wie rôt ist mir der munt), kann an dieser Stelle nur angedeutet werden. Gleiches gilt für den Komplex des kunstvollen Spiels mit den konkurrierenden Polen von Verschwiegenheit und Veröffentlichung. Vgl. zu dem Lied zuletzt-- im Abgleich mit der altfranzösischen Reverdie RS 577 und unter der Maßgabe der Performativität und poetologischen Valenz des Vogelrufs-- Hochkirchen, Eva-Maria: Präsenz des Singvogels im Minnesang und in der Trouvèrepoesie, Heidelberg 2015 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), S. 47 - 64 (mit Angaben zur Forschungsliteratur der letzten Jahre). 40 Insofern weist L 39 , 11 viele Anklänge an die vor allem in der romanischen und mittelateinischen Lyrik häufig begegnende Gattung der Pastourelle auf (vgl. z. B. Brinkmann, Sabine Christiane: Die deutschsprachige Pastourelle, 13 . bis 16 . Jahrhundert, Göppingen 1985 [GAG 307 ], S. 193 - 200 ), die jedoch im Grunde sich als Männerrede konstituiert. Ein weiteres Beispiel für die Realisation der Pastourellensituation in Frauenrede stellt das zweisprachig deutsch-lateinisch abgefasste CB 185 : Ich was ein chint sô wolgetân dar. 116 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 117 Naturtopos des locus amoenus, den «ideal schönen Naturausschnitt» 41 , aufruft, den Ernst Robert Curtius als traditionellen literarischen Motivkomplex des Lustorts seit der Antike nachverfolgt und wie folgt umrissen hat: «Sein Minimum an Ausstattung besteht aus einem Baum (oder mehreren Bäumen) und einer Wiese. Als drittes Element pflegt fast immer ein Bach oder Quell dabei zu sein. Dazu treten häufig viertens Vogelgesang und fünftens Blumen» 42 . Zusätzlich kann auch noch der sanfte Lufthauch (aura) mitaufgerufen werden. 43 Das mag zwar durchaus ein relativ unpräziser Merkmalskatalog zur Definition des Topos sein, schließlich überschneiden sich die obigen Naturmotive ja auch zu einem großen Teil mit der Naturmotivik des jahreszeitlich organisierten Natureingangs im Minnesang, dennoch ist er aber-- gemessen an der Variabilität der konkreten Erscheinungsform, die trotz aller Konstanz des Topos möglich ist 44 , und die verschiedenen Realisationsweisen in einer Vielfalt von Gattungskontexten, in denen der Lustort auftreten kann 45 -- eine den wesentlichen Kern recht gut treffende Motivzusammenstellung, deren Elemente-- über das Minimum hinaus-- jeweils realisiert, aber auch fortgelassen werden können. So finden sich denn auch in Walthers L 39 , 11 die Bausteine des Baumes (linde [I, 1 ]), der Wiese (gras [I, 6 ]; ouwe [ II , 2 ]), der Blumen (I, 6 sowie III , 3 und 7 ) und des Vogelgesangs (I, 9 ), während die typischen Versatzstücke Quelle und Lufthauch nicht explizit genannt sind. Viel entscheidender als die Identifizierung über das Vorhandensein bestimmter Motivbausteine und der Aspekt der Ausdehnung der Naturthematik über das Liedganze 46 , der beim 41 E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 226 . 42 Ebd., S. 230 f. 43 Vgl. ebd., S. 232 ; s. für das Gesamte ferner auch die an Curtius orientierte Zusammenstellung bei: Arbusow, Leonid: Colores rhetorici. Eine Auswahl rhetorischer Figuren und Gemeinplätze als Hilfsmittel für akademische Übungen an mittelalterlichen Texten. 2 . durchges. und verm. Aufl., hg. von Helmut Peter, Göttingen 1963 ( 1 1948 ), S. 112 . 44 Vgl. E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 244 . 45 Vgl. nur die Übersicht bei: ebd., S. 240 f. et passim. Der Topos begegnet in verschiedensten Textsorten der Epik und Lyrik, in geistlicher und weltlicher Dichtung; vgl. dafür auch L. Arbusow, Colores rhetorici, S. 111 - 116 ; vgl. dazu für die mittelhochdeutsche Literatur jüngst D. Klein, Amoene Orte. 46 Es interessiert in unserem Zusammenhang vor allem die Eingangsgestaltung der jeweiligen Beispiellieder, obwohl es natürlich schon einen erheblichen funktionalen Unterschied macht, ob die Naturrepräsentation nur am Liedanfang erfolgt (wie meist beim Natureingang) oder über das Liedganze hinweg (wie hier im Falle von L 39 , 11 ). Allerdings ist Letzteres kein übergreifendes Typenmerkmal des locus amoenus im Minnesang, es begegnen genauso Liedeingänge, die sich dieser Topik bedienen, dann aber die Naturthematik fallen lassen; vgl. in dieser Hinsicht z. B. Albrechts von Johansdorf Lied MF 90 , 32 : Wîze, rôte rôsen, das als nur Liedeingang eine locus amoenus-Repräsentation bringt: Wîze, rôte rôsen, blâwe bluomen, grüene gras, / brûne, gel und aber rôt, dar zuo des klêwes blat, / von dirre varwe ein schoener slat under einer linden was. / dar ûfe sungen vogele. daz was ein schoene stat. / Kurz ‹und lanc› gewahsen, bî einander stuont ez schône. / noch gedinge ich, der ich vil gedienet hân, daz sî mir lône (I, 1 - 6 ). Diese Eingangsstrophe ist mit Sicherheit ein extremes Beispiel der Annäherung einer locus amoenus-Repräsentation an den jahreszeitlich geprägten Natureingang, so dass die eigentliche Differenz beider Typen hier fast verwischt ist. Es ist jedoch auf Natureingang nur in ganz besonderen Fällen begegnet, ist m. E. der Aspekt der Realisation der Naturrepräsentation, für die im Falle des locus amoenus wiederum Curtius die entscheidenden Hinweise gegeben hat, indem er durch seine Klassifikation des Lustorts als rhetorisches argumentum a loco auf die dominierend räumliche Organisation dieses Typs der Naturrepräsentation hingewiesen hat. 47 Dies zeigt sich wiederum in ganz deutlicher Weise bei der in L 39 , 11 aufgerufenen Naturmotivik: So ist schon die erste Angabe des Textes Under der linden / an der heide (I, 1 f.) eine durchweg auf die Raumdimension hin organisierte Naturrepräsentation, wird doch die Heide nicht wie in MF 33 , 15 in einem bestimmten Stadium jahreszeitlichen Wachstums aufgerufen, sondern bezeichnenderweise in ein Präpositionalgefüge eingebunden, das eine Ortsinformation darstellt. Diese wird wiederum durch eine weitere räumliche Angabe einer Präpositionalphrase ergänzt, die die Örtlichkeit, von der berichtet wird, weiter spezifiziert, nämlich: unter der Linde, die auf der Heide steht, soll sich das Folgende abgespielt haben. Nun ist uns zwar die Angabe an der heide auch schon aus MF 33 , 15 bekannt, wo sie den Ort der Blumenpracht bezeichnet (vgl. I, 3 ) und dort als allenfalls pseudokonkrete Information eines allgemeintypischen Motivbausteins, der vielmehr auf suggestive Wirkung denn auf Raumfestlegung zielt, charakterisiert worden. Dies ist bei L 39 , 11 in Bezug auf die Pseudo-Konkretion kategorial freilich nicht anders- - es ist ja nicht so, dass wir tatsächlich wüssten, welcher bestimmte Ort hier angegeben ist- -; entscheidend ist, dass der Grad der Suggestion, es handle sich um eine gezielte Ortsinformation durch die präpositionale Reihung und die weitere Konkretisierung dâ unser zweier bette was (I, 3 ), ja die in Publikumsanrede erfolgende, auf Beglaubigung zielende Beteuerung dâ mugent ir vinden (I, 4 ) ungleich höher ausfällt. Die Betonung raumkonstituierender Gesichtspunkte ergibt sich ferner auch aus dem zweimaligen Anknüpfen an die Ortsangabe durch Folgendes hinzuweisen: Es fehlt die Jahreszeitennennung, auch wenn die ausführlich geschilderten Naturdetails, man denke nur an den Farbenteppich am Eingang, vielleicht in stärkerer Weise als bei L 39 , 11 die Vorstellung von Saisonalität aufrufen. Dennoch ist das zentrale Wort der Naturrepräsentation aber stat (I, 4 ). Denn durch die zusammenfassende Feststellung daz was ein schoene stat (ebd.), wo im Natureingang nun eher der Hinweis auf die wunneclîche zît erfolgen würde, wird schließlich die gesamte Stelle in ihrer Konzeption auf eine räumliche Dimension offenbar gemacht, weshalb sie auch als locus amoenus-Eingang zu gelten hat. Interessanterweise offenbart sich dann auch in der Anbindung der Befindlichkeit des Ichs eine kleine, aber entscheidende Differenz zur für den Natureingang so typischen Applikationsweise (s. o.): Die Verbindung zwischen Naturthematik und Hoffen des Ichs ist keinesfalls so eindeutig wie beim jahreszeitlichen Natureingang, da sie durch den unvermittelten Tempuswechsel in ihrem Parallellaufen untergraben ist; auch ist ja zuvor ein Jahreszeitenwandel nicht deutlich markiert (die-- memorierte? -- Naturszenerie wirkt eher statisch), so dass das noch gedinge ich (I, 6 ) etwas ins Leere geht. Die Anbindung im Sinne der Liebesthematik scheint mir sowieso mehr über das daz sî mir lône (ebd.) zu funktionieren, da in der Aufrufung des locus amoenus als Lustort Konzepte der Möglichkeit einer erotischen Erfüllung konnotativ hereingeholt scheinen, durch die die Angabe des Ichs, noch auf die Belohnung des Minnedienstes zu hoffen, provoziert sein könnte. 47 Vgl. E. R. Curtius, Rhetorische Naturschilderung im Mittelalter, S. 249 . 118 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 119 die Versanapher dâ. Schließlich setzt das vor dem walde in einem tal (I, 7 ) mittels Fortführung der Örtliches festlegenden präpositionalen Reihung die Organisation der Naturrepräsentation unter dem Primat der Raumdimension noch weiter fort. Interessanterweise entsteht dabei gerade durch die Nutzung des unbestimmten Artikels im Falle von in einem tal eine noch viel stärkere Suggestionswirkung von tatsächlicher Ortsbeschreibung, als dies bei den Präpositionalgefügen mit bestimmten Artikeln zuvor der Fall gewesen ist. Betrachtet man hingegen die Naturmotive der Blumen (bzw. des Grases) und des Vogelsangs, so fällt zunächst auf, dass sie weniger der Ortsbestimmung dienen, als einer Charakteristik der Situation der Liebesbegegnung, von der der narrative Bericht des weiblichen Ichs rückblickend handelt. Wir nähern uns hiermit einem zweiten wesentlichen Aspekt der locus-amoenus-Repräsentationen im Minnesang, der eine tendenzielle Differenz zwischen der Lustort-Topik und den jahreszeitlich geprägten Natureingängen darstellt. Obwohl viele Beispiele des letzteren Typs diese wohl zu unterlegende, unterschiedliche prinzipielle Ausrichtung durch kompliziertes Spiel mit den Zeitebenen verwischen 48 , kann man m. E. eine tendenzielle Neigung der locus-amoenus-Topik zur Einbindung in einen Erzählgestus beobachten, wobei Ich-Perspektive der Narration und Präteritum als Zeitebene gerade im weiteren Kontext der anderen europäischen Lyriktraditionen relativ häufig begegnen 49 , während der jahreszeitliche Natureingang, obwohl auch er über zahlreiche narrative Elemente verfügen kann, wohl wegen seiner tendenziellen Verpflichtung auf die Imagination von Aktualität grundsätzlich dem Präsens zuneigt, wobei zur reflexiven Ich-Perspektive des Werbungsliedes in solchen Passagen oft ein vereinnahmendes Wir tritt. Dies scheint mir als Ausdruck einer grundlegenden Differenz von suggestiver Inklusion (Natureingang) und vorgetäuschter Exklusion (locus amoenus) zu werten zu sein, mit der Lied L 39 , 11 wiederum in ganz eigener Weise umgeht, weist es doch durch die aktualisierenden Publikumsanreden wie da mugent ir vinden (I, 4 ) und seht, wie rôt mir ist der munt ( II , 9 ) partiell einen Sprechgestus auf, der in deutlicher Weise an das (männliche) Werbungslied erinnert, so dass kunstvoll an der Verwischung dieser Differenz gearbeitet wird. Betrachten wir die Schachtelung der Zeitebenen in Strophe I genauer, so fällt auf, dass die Einführung der Vergangenheit als Zeitebene-- grammatikalisch noch in der Wir-Position-- in Vers I, 3 mit der Angabe dâ unser zweier bette was erfolgt und somit den narrativen Duktus, der einen ‹Erlebnisbericht› suggeriert, andeutet. Dies wird jedoch durch die Fortführung dâ 48 Vgl. dafür z. B. das oben angeführte Reinmar-Lied MF 183 , 33 / 184 , 17 . 49 Dazu ist Folgendes zu sagen: In der volkssprachlich-romanischen und mittellateinischen Liebeslyrik lassen sich die Typen des Natureingangs und der locus amoenus-Repräsentation oft nicht in der Form separieren, wie dies für den deutschen Minnesang der Fall ist; häufig treten sie dort in Kombination miteinander auf. Interessanterweise zeigt sich aber oft in der Überleitungszone von jahreszeitlich organisiertem Natureingang zum locus amoenus ein plötzliches Umschwenken ins Präteritum und der Beginn eines Ich-Erzählberichts. Insofern scheint es mir nicht unwahrscheinlich zu sein, von einer Neigung der lyrischen locus amoenus-Repräsentation zur Einbindung mittels Erzählgestus auszugehen. muget ir vinden (I, 4 ) sofort präsentisch unterbrochen, die aber durch den Hinweis auf das jetzt noch zu findende Resultat des im Folgenden Berichteten (gebrochen bluomen unde gras [I, 6 ]) den suggestiven Sog des Berichts letztlich sogar noch verstärkt. Schließlich wird erst mit der Angabe schône sanc diu nahtegal (I, 9 ) am Schluss der Strophe, nachdem die Zeitebene zunächst in der Schwebe gehalten ist, die Vergangenheitsform des Erzählberichts wieder restituiert, so dass der suggerierte ‹Erlebnisbericht› zu Beginn der II . Strophe nun in Ich-Perspektive in für die Einbindung des locus amoenus nicht untypischer Weise voll zur Geltung kommt (Ich kam gegangen / zuo der ouwe [ II , 1 f.]). Zusammenfassend lässt sich also für die Art der Organisation der Naturmotive sagen, dass sie allesamt nicht in Hervorhebung ihres jahreszeitlichen Status erscheinen und somit auch nicht auf Jahreszeitindizierung hin profiliert sind 50 ; stattdessen sind ein Teil der Naturmotive gerade auf Raumkonstitution hin organisiert (Linde, Heide, Wald, Tal), während andere zur weiteren Charakterisierung des Ortes der erzählten Begebenheit eingesetzt (Blumen, Gras, Nachtigall), also tendenziell schon stärker auf die Narrration hin verpflichtet sind (vgl. das gebrochen-Sein von Blumen und Gras! ), aber dennoch insgesamt unter dem Primat der Ortsschilderung stehen. Die Determination der Naturrepräsentation durch räumliche Organisation der Naturmotive im Falle des locus amoenus hebt sich damit in deutlicher Weise von der Realisation der Naturrepräsentation beim jahreszeitlichen Natureingang ab, bei dem die Naturmotive in ihrem Erscheinungsbild vielmehr vom Standpunkt der Saisonalität gestaltet sind. Das heißt jedoch nicht-- und es ist zu hoffen, dass der kurze analytische Durchgang durch den Liedanfang von L 39 , 11 dies auch gezeigt hat- -, dass die Dimension der Zeitlichkeit für den locus amoenus und seine Naturrepräsentation keine Rolle spielte. 51 Selbst aber, wenn die Zeitlichkeit eines Davor und Danach so deutlich in die Naturmotivik eingeschrieben ist, wie dies bei Under der linden im Falle von Blumen und Gras zu beobachten ist, so ist diese an der Natur ablesbare Veränderung eines Zustandes genau nicht durch jahreszeitlichen Wandel erreicht, sondern durch das erotische Erlebnis verursacht (deswegen sind ja Blumen und Gras gebrochen! ), für das die Naturdetails in ihrer spezifischen Gestalt so zeichenhaft stehen. Am deutlichsten wird das sicher beim folgenden Hinweis des Text-Ichs aus der II . Strophe: Bî den rôsen er [=jemand, der dort vorbeikommt] wol mac, / tandaradei, / merken, wâ mirz houbet lac (II, 7 - 9 ). Insofern ist in die Naturrepräsentation des Lustorts von L 39 , 11 -- anders als beim 50 Nun ist es ja keinesfalls so, dass durch die Art der aufgerufenen Naturmotive nicht klar wäre, dass es sich bei dem imaginierten Naturraum nicht um eine sommerliche Landschaft handelte (vgl. nur die Nachtigall! ). Dennoch aber ist m. E. zur Naturrepräsentation des Natureingangs der Unterschied zu bemerken, dass sich aufgrund des fehlenden Abhebens auf den saisonalen Wandel eine besondere Statik des Naturraums ergibt, die letztlich mehr auf die Imagination von einer der normalen Zeitordnung enthobenen idealtypischen Landschaft, die ja der Ort der Liebeserfüllung ist, zielt. 51 Dies betont auch Jutta Goheen in ihrer Darstellung der locus amoenus-Tradition, vgl. dies., Mittelalterliche Liebeslyrik, S. 21 - 33 (s. o.). 120 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 121 jahreszeitlich organisierten Natureingang- - gerade nicht der saisonale Wandel in die Naturmotive eingeschrieben, sondern der Liebesvollzug selbst. Im Gegensatz zum Typ des locus amoenus, der zwar Naturdetails aufruft, aber auf eine Markierung von saisonalem Wandel und überhaupt eine explizite Nennung der als aktuell zu imaginierenden Jahreszeit verzichtet, weist der Typ des Jahreszeiteneingangs gerade solche saisonalen Festschreibungen auf, ohne jedoch diese durch Naturmotive zu untermauern. 52 Um dies genauer zu erläutern, ist an dieser Stelle 52 Diesen Typ der Eingangsgestaltung weist z. B. auch Reinmars berühmte ‹Witwenklage› MF 167 , 31 : Si jehent, der sumer sî hie auf, wo es heißt: Si jehent, der sumer der sî hie, / diu wunne diu sî komen / und daz ich mich wol gehabe als ê. / nu râtent unde sprechent wie (I, 1 - 4 ). Auch dieses Lied ist bisweilen in die einschlägigen Zusammenstellungen von Liedern mit Natureingängen geraten, obwohl sich in ihm die Vorführung des Jahreszeitenwandels anhand von Naturdetails nicht findet, weil es meist als ‹poetologisches Statement› Reinmars gedeutet wird, der die Nutzung eines Natureingangs angesichts der Trauer der weiblichen Sprecherin (die als Helena, die Witwe Herzog Leopolds V., zu identifizieren sei) als unpassend ablehnt (vgl. z.B. B. von Wulffen, Der Natureingang in Minnesang und frühem Volkslied, S. 59 , und V. Bolduan, Minne zwischen Ideal und Wirklichkeit, S. 32 f.; eine solche Verwischung der Ebenentrennung zwischen Rollenrede und Autorauffassung scheint recht problematisch, es spricht hier ja nicht ‹Reinmar› als historische Person! ). Nun ist zu sagen, dass von der Funktion her die Jahreszeitenrepräsentation in MF 167 , 31 zunächst gar nicht so verschieden von der des Natureingangs erscheint, wird doch mittels der Bezugnahme auf den Sommer und der sich mit ihm verbindenden gesellschaftlichen Aufforderung zur vröide die traurige Stimmung beim Text-Ich kontrastiert. Allerdings ist gerade das Fehlen von Naturdetails insofern entscheidend, als die Rede von der Jahreszeit so nicht als offensichtlicher Fremdkörper im Lied erkennbar wird, der argumentatorisch eingebunden werden muss, sondern sich in das dem Register des männlichen Werbungslied recht ähnlichen Sprechen des Ichs als eher unbestimmt bleibender Hintergrund organischer einfügt (bezeichnenderweise wird der Sommer ja auch nur indirekt eingeführt, indem die Angabe Dritter wiedergegeben ist, ohne dass vom Ich bestätigt wird, dass diese zutrifft! ). Zwar bleibt der Sommer als Hintergrund des Liedes in der zweistrophigen Fassung von bC insofern durchgängig präsent, als weiter Anspielungen auf ihn gemacht werden (vgl. I, 7 : Waz bedarf ich wunneclîcher zît und II, 8 : den ich mir hete ze sumerlîcher ougenweide erkorn [zit. nach: G. Schweikle, Reinmar, Lieder]; diese kippen jedoch-- wie man anhand des letzteren Beispiels sehen kann-- ins metaphorische Sprechen, das genau eine Aktualität der Jahreszeit im Grunde nicht mehr voraussetzt. Ähnliches wird sich im Übrigen auch bei der Analyse der Hartmann-Strophe MF 205 , 1 zeigen. Ein weiteres Beispiel für den Typ des Jahreszeiteneingangs bildet Walthers ‹Hiltegunde-Lied› (L 73 , 23 ): Die mir in dem winter vröide hânt benomen / si heizen wîp, si heizen man, / disiu sumerzît, diu muoz in baz bekomen! (I, 1 - 3 ). Hier wird wiederum der Zeithintergrund vom Ich als Sommer gekennzeichnet, jedoch nicht auf Naturdetails Bezug genommen. Dadurch ergibt sich zwar sehr wohl der Eindruck von Aktualität der Jahreszeit, aber die Jahreszeitenrepräsentation wird nicht-- wie am Anfang die einführende Angabe bezüglich der vergangenen Winterzeit suggeriert- - weiter zur Charakterisierung der emotionalen Befindlichkeit des Ichs genutzt, sondern auf die Gesellschaftsinstanz umgemünzt. Damit ist die Jahreszeitenrepräsentation im Grunde funktional ausgehebelt und die Festlegung des saisonalen Zeitpunkts eine eher unauffällige inhaltliche Angabe des Textes geworden. Die extremste Form der hier skizzierten Anwendungsmöglichkeiten der Jahreszeitenthematik im Liedeingang findet sich dann in Walthers Minnelied mit Spruchthematik L 99 , 6 , dessen Anfang hier ebenfalls angegeben sei: Sumer unde winter beide sint / guotes mannes trôst, der trôstes gert (I, 1 f.). Die Jahreszeitennennungen treten darin nicht mehr zur Kennzeichnung einer aktuellen Situation auf, die Eingangsstrophe des Liedes 205 , 1 von Hartmann von Aue als Beispiel gewählt worden. Zunächst einmal bereitet es keine Schwierigkeiten, die Charakteristika der Strophe, die das fünfstrophige Lied eröffnet, das um die Auslotung der Schuldfrage im Falle des aus der einseitigen Liebesverehrung resultierenden Leids des Text- Ichs kreist, zu bestimmen: In ihr wird an zwei Stellen-- in I, 1 der Sommer und in I, 3 der Winter- - explizit eine Jahreszeit genannt, auf jahreszeitliche Naturdetails wird jedoch nicht Bezug genommen. Die Schwierigkeiten beginnen allerdings dann, wenn man das Lied genauer betrachtet. So ist z. B. die Frage, was eigentlich für die Sprechsituation als aktuell zu imaginierende Jahreszeit angenommen werden muss, gar nicht so leicht zu beantworten. 53 Meist ist in diesem Zusammenhang die Einlassung Sît ich den sumer truoc riuwen unde klagen (I, 1 ) als kausaler Nebensatz aufgefasst 54 und der Liedanfang als Realisation eines Natureingangs gelesen worden, der so zusammenzufassen sei: «Der Trauernde erfährt am sumer nur, was des Winters ist» 55 . Aber ist deshalb die Sommerzeit als Sprechgegenwart des Ichs anzunehmen? 56 Dies scheint mir aus mehreren Gründen nicht zutreffend zu sein. sondern zusammen und innerhalb einer ganz generellen Aussage, wodurch eine Bestimmung der als präsent imaginierten Jahreszeit überhaupt nicht mehr möglich ist. 53 Die Schwierigkeit der Bestimmung der als aktuell zu imaginierenden Jahreszeit ergibt sich auch dadurch, dass- - wie es noch näher erläutert werden wird- - winter in I, 3 nur mehr in metaphorischer Weise gebraucht ist. Die meisten Interpreten und Kommentatoren enthalten sich deswegen auch einer genauen diesbezüglichen Festlegung, vgl. nur den Kommentar von Ernst von Reusner: «Wenn das Lied im Winter vorgetragen ist, könnte das für die Frage, an welchem Kreuzzug der Dichter teilnahm, von Belang sein» (E. von Reusner [Hg.], Hartmann, Lieder, S. 98 ; Hervorhebung von mir, D. E.). Solche Fragestellungen mit biographischem Erkenntnisinteresse werden hier jedoch bewusst nicht verfolgt (s. o.). Vgl. ferner Cormeau, Christoph / Störmer, Wilhelm: Hartmann von Aue. Epoche-- Werk-- Wirkung, 2 ., neubearb. Aufl., München 1993 (Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte), S. 82 , wo nur die Angabe erfolgt: «Liebesklage und erhoffte Erfüllung sind idealtypisch zwei Jahreszeiten zugeordnet». Etwas unpräzise und ebenfalls nicht die als aktuell zu denkende Jahreszeit bestimmend fasst Trude Ehlert die Strophe zusammen: «Die erste Strophe-[…] setzt ein mit dem Kontrast zwischen der mit der Sommerzeit assoziierten Freude und dem aus der Erfahrung von Schmerz resultierenden Gemütszustand des Sängers, der auch in seinem Gesang Ausdruck findet. Grund für die winterliche-[…] Stimmung ist die im Stegvers vorgetragene Tatsache, daß ihm seine Verläßlichkeit keine Freude eingetragen hat» (T. Ehlert, Zur Poetik von texte und contretexte, S. 103 f.) 54 Vgl. dazu die Anmerkungen bei E. von Reusner (Hg.), Hartmann, Lieder, S. 98 . 55 H. Brackert, Hartmann von Aue, S. 172 . 56 Dies scheint Helmut Brackert anzunehmen, wenn er den ersten Vers als «jahreszeitliche Angabe» auffasst, und sich gegen das «Missverständnis» wendet, Hartmanns Lied sei im Winter entstanden: «Sanc und sender muot tragen nicht deshalb des winters wâpen, w e i l das Lied tatsächlich im Winter verfaßt wurde, sondern o b w o h l sumer eigentlich die Zeit der Freude und Hoffnung ist» (vgl. und Zitate entnommen aus: H. Brackert, Hartmann von Aue, S. 172 ). Um nur Eines klarzustellen: Die Frage, ob nun Lied MF 205 , 1 im Sommer oder im Winter entstanden ist, interessiert hier nicht; sie ist auch aus der literarischen Stilisierung eines Jahreszeiteneingangs nicht zu klären. Die Frage allerdings, ob für das Lied Winter oder Sommer als aktuell zu imaginieren sind, scheint mir dagegen durchaus berechtigt zu sein. Für den Sommer als präsente Jahreszeit entscheidet sich wohl auch Hubert Heinen, zumindest verstehe ich die folgende Paraphrase des Anfangs so: «Summer should bring one joy, but I, in 122 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 123 Für das Verständnis der Strophe ist es an sich relativ unerheblich, ob der Nebensatz im Liedeingang nun als kausal oder temporal zu lesen ist, da durch den Tempuswechsel von truoc (I, 1 ) zu ist (I, 2 ) eine Vorzeitigkeit des im Nebensatz angegebenen Zustandes des Ichs angenommen werden kann, die nahelegt, dass mit dem sumer (I, 1 ) die vergangene Jahreszeit benannt ist; die Auffassung von sît (I, 1 ) als temporaler Konjunktion im Sinne des heutigen ‹nachdem› würde dies nur noch deutlicher unterstreichen. Es ist deswegen die Sprechgegenwart durchaus als im Winter liegend anzunehmen. Der Liedanfang wäre demnach etwa so zu paraphrasieren: Da das Text-Ich den Sommer, der-- das ist wohl zu ergänzen-- doch als eine Zeit der Freude gilt, schon unglücklich und in Kummer verbracht hat, gibt es für dieses jetzt-- im Winter-- nun wirklich nicht mehr viel Hoffnung darauf, Freude zu erlangen (vgl. I, 1 f.). Es wird hier also vom Text-Ich durchaus implizit suggeriert, es gäbe eine präexistente, sich ‹natürlich› ergebende Zuweisung von vröide und leit an die zwei Jahreszeiten, gemäß welcher der Sommer besonders prädestiniert für Freude sei; damit ist natürlich die Vorstellung, die viele Naturbzw. Jahreszeiteneingänge erwecken, dass der Sommer die Zeit gesellschaftlich geforderter Freude ist, konnotativ mitaufgerufen. Entscheidend ist allerdings, dass der Text hier implizit unterstellt, dies gelte auch für das persönliche Befinden. Insofern ist es richtig, dass die Vorstellung vom Sommer als Zeit der vröide im Kontrast steht zu der tatsächlichen Befindlichkeit des Ichs in der Vergangenheit, denn das Text-Ich habe im Sommer nur Kummer gehabt, und so wird erst der argumentative Sog erzeugt, dass es im Winter, als der an sich schon freudenarmen Zeit, nun wirklich nicht viel Positives zu erwarten habe. Damit erfüllt der Jahreszeiteneingang in Lied MF 205 , 1 durchaus eine dem Natureingang recht ähnliche Funktion, nämlich die der Profilierung der Gefühlslage des Ichs. Jedoch die sich in geringerem Ausmaß einstellende Eindeutigkeit der Zuordnung der als präsent zu imaginierenden Jahreszeit entsteht aber wohl mit Sicherheit auch dadurch, dass sie eben nicht durch Textstrategien der Suggestion von kollektiver Überprüfbarkeit und die Untermauerung durch Jahreszeitenwandel vorführende Naturdetails ‹festgezurrt› ist. Vielmehr muss die in der Sprechsituation als aktuell zu unterlegende Jahreszeit erst aus einer Interpretation des Nebensatzes vom Rezipienten erschlossen werden. So bringt denn auch der dritte Vers mit seiner Jahreszeitennennung winter bezeichnenderweise wiederum keine direkte Bestätigung dieser Annahme. Denn mit der Angabe des Text-Ichs mîn sanc süle des winters wâpen tragen (I, 3 ), die auf die Sangesthematik überleitet, wird zwar die wohl zu imaginierende aktuelle Jahreszeit als Wort benutzt, allerdings stellt sich eine bedeutende Umschaltung im Gebrauch der Jahreszeitennennung ein. Denn mit der auf Rüstungsvokabular zurückgreifenden Formulierung, das Lied des Text-Ichs müsse das wâpen des Winters tragen, wird die Aussage, dieses müsse notgedrungen traurig klingen, in einer metaphorischen Weise realisiert, die für die my sorrow and lament, have no hope for that» (H. Heinen, Irony and Confession, S. 420 ). Dagegen deutet Ekkehard Blattmann das Lied als Winterklage (planctus hibernalis), vgl. ders.: Die Lieder Hartmanns von Aue, Berlin 1968 (PhStuQu 44 ), S. 200 . Jahreszeitennennung die Funktion der Jetztzeitangabe suspendiert. So ist es für die Interpretierbarkeit der in I, 3 gemachten Einlassung völlig unerheblich, ob der Winter auch die für die Sprechsituation anzunehmende aktuelle Jahreszeit ist oder nicht, ja betrachtet man die Passage isoliert, kann man das auch gar nicht mehr bestimmen. Damit zeigt der Anfang von Lied MF 205 , 1 m. E. ein wesentliches Charakteristikum des Jahreszeiteneingangs auf: Da von diesem bestimmte Suggestionsstrategien wie eben die Vorführung von Naturdetails im Jahreszeitenwandel nicht genutzt werden, ist die von ihm erzeugte Sogkraft der Aktualitätsimagination weniger stark ausgeprägt und kann jederzeit sogar durch ein Umschalten zur nur mehr metaphorisch zu verstehenden Jahreszeitenrede, die ihm als poetisches Potenzial inhärent ist, fast ganz suspendiert werden. Im Falle von Lied MF 205 , 1 ist dieser Vorgang der metaphorischen Nutzung der Jahreszeitenrede im dritten und vierten Vers, wo die Metapher winters wâpen ja auch noch auf den senenden muot des Ichs angewendet wird, noch weitreichender. Obwohl hier nämlich im Grunde weiter das Verständnis zu unterlegen wäre, dass das Lied des Ichs im Zeichen des Winters ja auch in der der Jahreszeit entsprechenden Weise realisiert ist, bewirkt die vorherige Betonung eines der Jahreszeitenordnung enthobenen Kummers und die Angabe des Ichs, daz selbe tuot ouch mîn senender muot (I, 4 ), die als Ursachen der Traurigkeit des Liedes imaginiert werden, dass die Kongruenz von wohl aktueller Jahreszeit und Gestaltung des Liedes untergeht. Damit zeitigt die Nutzung der Jahreszeitenrede als Metapher in der Konsequenz das Ende der Jahreszeitenrepräsentation selbst, da sie eine Möglichkeit bereitstellt, die Jahreszeitentopik zu verlassen, ohne dass auf die Imagination des jahreszeitlichen Liedhintergrunds überhaupt noch eingegangen werden muss, weil dieser bereits durch den metaphorischen Gebrauch der Jahreszeit an den Rand gedrängt worden ist. Ab dem folgenden Wie lützel mir min staete liebes tuot! (I, 6 ) wird die Minnethematik ohne weitere Nutzung der Jahreszeitenrhetorik behandelt. Schließlich ist zît in Vers 7 dann auch bezeichnenderweise nicht als Signalwort eines Jahreszeitenzustandes eingesetzt, sondern wird in allgemeiner Bedeutung im Kontext eines langen, aber dem Ich nutzlos erscheinenden Minnedienstes gebraucht. Der zweite Teil der Strophe steht wiederum nicht im Zeichen eines Klagegestus (wie man aufgrund der Angabe mîn sanc süle des winters wâpen tragen [I, 3 ] eigentlich hätte annehmen müssen! ), sondern realisiert sich als Unmutsäußerung eines im Dienst an der Dame verzweifelnden Ichs. Dabei ist es allerdings gar nicht so eindeutig, ob diese mit dem nicht weiter spezifizierten ir (I, 6 ), das die Instanz bezeichnet, an die das Ich seine Zeit, den Dienst und seine Hoffnung verschwendet habe (vgl. I, 6 f.), überhaupt gemeint ist; denkbar wäre auch, dass sich die Äußerung noch auf staete (I, 5 ) bezieht. 57 Dies hätte dann zur Folge, dass nicht die Dame vom Text-Ich angegriffen wird, sondern-- wie es Trude Ehlert herausgearbeitet hat-- das Konzept des Minnedienstes selbst. 58 Aufgrund 57 Vgl. dazu den Komm. bei E. von Reusner, Hartmann von Aue, Lieder, S. 99 . 58 Vgl. T. Ehlert, Zur Poetik von texte und contretexte, S. 104 . 124 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 125 des Endes der Strophe, wo immer noch die Instanz, über die gesprochen wird, nur mit Personalpronomen gekennzeichnet (I, 8 : ir, I, 9 : si) ist, scheint mir aber eher die Dame gemeint zu sein, passt zu dieser Lesart doch das si hât niht wol ze mir getân (I, 9 ) besser. Das Text-Ich gibt hier an, über die Dame nicht anders fluchen zu wollen, außer mit der-- nicht gerade kräftigen-- Verwünschung: «Sie hat mich nicht gut behandelt» (vgl. I, 8 f.), was m. E. weniger eine vornehme Zurückhaltung zeigende Geste des Text-Ichs darstellt. 59 Vielmehr erklärt sich die Stelle als eine Pointe, die- - etwas abgewandelt- - auch bei Walther von der Vogelweide wieder begegnen wird 60 : Das Text-Ich kündigt an, einen Fluch auszustoßen, heraus kommt aber eine relativ ‹weichgespülte› Formulierung. Damit endet die Strophe letztlich in einer Ironisierung des eigenen Unmutsgestus durch das Ich. 61 Auf einen wichtigen Aspekt ist hier noch einzugehen, durch den sich der Jahreszeiteneingang grundsätzlich vom Natureingang unterscheidet. Da nämlich- - wie dies schon beschrieben worden ist- - der Natureingang durch seine Aufführung jahreszeitlich determinierter Naturdetails im sonst eher auf konkrete situative Festlegung verzichtenden Sprechregister des Werbungsliedes leicht als ‹Fremdkörper› zu identifizieren ist, außer er wird diesem-- wie dies bisweilen geschieht-- durch seine sprachliche Realisation angeglichen, so stellt sich diese Differenz beim Jahreszeiteneingang mit seinem nicht auf konkrete Naturabläufe, sondern nur auf einen allgemeinen jahreszeitlichen Stimmungshintergrund des Liedes zielenden Gebrauch im Grunde gar nicht ein. Er ist gerade deshalb im Kontext des Werbungsliedes viel unauffälliger, weswegen es auch sinnvoll ist, ihn als eigenen Typ vom jahreszeitlichen Natureingang zu separieren, um die Differenz zwischen beiden nicht durch eine gemeinsame Subsumierung unter dem Begriff des ‹Jahreszeitentopos›-- wie es jüngst häufig geschehen ist-- zu verwischen. Will man nun zu einer Definition des jahreszeitlich organisierten Natureingangs als eng umgrenztem Typ der Eingangsgestaltung gelangen, die erst ein zuverlässiges Bild über das zahlenmäßige Auftreten des Natureingangs in den verschiedenen Phasen der Minnesangtradition und die charakteristischen Techniken der Einmontierung des Topos in das Werbungslied erlaubt, dann scheint es mir dringend nötig, diesen von den hier näher betrachteten Typen der Jahreszeitenbzw. Naturallusion in Binnenstellung, des locus amoenus und des Jahreszeiteneingangs möglichst trennscharf abzugrenzen. Deshalb soll an dieser Stelle noch 59 Vgl. H. Brackert, Hartmann von Aue, S. 173 . 60 Es handelt sich hierbei um das berühmte ‹Hiltegunde›-Lied L 73 , 23 . Dort bedauert in der ersten Strophe das Text-Ich in seinem Unmut über die, die ihm im Winter die Freude genommen haben (s. o.), owê, daz ich nicht vluochen kan! (I, 4 ), leider kenne es nur das übel wort-- unsælic (beides I, 6 ), das nun auch nicht die denkbar schlimmste Verwünschung darstellt. In Str. II wird der Witz mit der Ankündigung von zwei herzhaften Flüchen (vgl. II, 1 ) fortgesetzt, wobei dann Folgendes herauskommt: hiure müezens beide, esel und den gouch, / hœren, ê si enbizzen sîn (II, 3 f.) und wê im denne dem vil armen (II, 5 ). 61 Auf die für das Lied MF 205 , 1 in den letzten Jahrzehnten von der Forschung herausgearbeitete Bedeutung der (partiellen) Ironisierung habe ich bereits verwiesen, s. o. einmal kurz zusammengefasst werden, was den Natureingang jeweils von diesen anderen Formen der Jahreszeitenbzw. Naturrepräsentation unterscheidet. Der Natureingang bildet- - im Gegensatz zur Naturallusion in Binnenstellung- - die Möglichkeit einer Eingangsgestaltung eines Liedes bzw. einer Strophe; er knüpft also nicht an einen vorherigen Liedzusammenhang an, sondern setzt die Profilierung der emotionalen Befindlichkeit des Ichs selbst in Gang. Er besetzt somit eine ganz andere tektonische Funktionsstelle im Gefüge des Werbungsliedes und bleibt auch deutlicher von der Liedumgebung separiert als die in Binnen- und Endstellung auftretende Jahreszeitenbzw. Naturrepräsentation, die-- so hat es sich gezeigt-- sich in den Werbungslied-Kontext eines immer wieder neuansetzenden Kreisens um die Thematik der Liebe unter jeweils anderer Schwerpunktsetzung tendenziell einpasst. Von der locus amoenus-Repräsentation im Minnesang, die hier auf den Liedeingang beschränkt oder aber das Liedganze umfassend begegnen kann, unterscheidet sich der Natureingang in der expliziten Angabe einer als aktuell zu imaginierenden Jahreszeit und der durchgängigen Organisation der Naturdetails auf die Anzeige eines saisonalen Wandels hin, so dass beide Typen besonders in der Ausrichtung der Naturrepräsentation anders strukturiert sind: dominieren beim locus amoenus die räumlichen Ordnungskriterien, so sind es beim Natureingang die (jahres-)zeitlichen. Schließlich differieren Natur- und Jahreszeiteneingang, die beide über eine explizite Nennung einer Jahreszeit verfügen, in entscheidender Weise in der Form ihrer Durchführung. Während sich der Jahreszeiteneingang dadurch organischer in den Kontext des Werbungsliedes einfügt, dass er keine konkreten Naturdetails vorführt, und so im weitgehend abstrakten Sprechregister der Minnekanzone nur einen nicht weiter ausgeführten saisonalen Hintergrund aufruft, repräsentiert der Natureingang durch seine Untermauerung des Jahreszeitenwandels anhand der Naturdetails eine Sphäre konkreter, situativer Festschreibung, die dem Werbungslied sonst eher nicht zu eigen ist. Dies bedeutet in der Konsequenz auch, dass der Natureingang tendenziell andere Techniken der Einbindung ins Liedganze fordert 62 als der Jahreszeiteneingang. Im Vorgang der weitgehenden Angleichung des Jahreszeiteneingangs an das Sprechregister des Werbungsliedes mittels der dem Topos aufgrund seiner geringeren Suggestionswirkung von Aktualität als poetische Möglichkeiten inhärenten Techniken der spontanen Metaphorisierung bzw. des Aufgehens im generellen Sprechen zeigt sich dies in besonderer Weise. Somit müssen als die wesentlichen Differenzkriterien des Natureingangs gegenüber den anderen Typen der Jahreszeitenbzw. Naturrepräsentation im Minnesang die Anfangsstellung, die Jahreszeitennennung und die Aufrufung von (saisonalen Wandel suggerierenden) Naturdetails festgehalten werden. 62 Diese Techniken waren im Zusammenhang mit der Analyse von Anfangsstrophen nicht eigens zu behandeln, werden aber im Folgenden noch ausführlich dargestellt. Mit der obigen Einlassung soll aber nicht ausgesagt werden, dass eine spezielle Einbindung des Natureingangs auch immer im Lied realisiert sein muss. 126 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 1 Anfangsstellung, Jahreszeitennennung, Naturdetails 127 Bevor nun an dieser Stelle eine Minimaldefinition zur Identifizierung eines Natureingangs im deutschen Minnesang 63 aufgestellt wird, ist Folgendes einschränkend hervorzuheben: Jeder diesbezügliche Bestimmungsversuch ist insofern angreifbar, als die Texte selbst sich bisweilen einer eindeutigen Einordnung entziehen. Deswegen werden immer wieder Lieder oder Strophen in den Blick geraten, bei denen die Zubzw. Abweisung der Zugehörigkeit in gewisser Weise Ermessenssache ist. Dies darf jedoch nicht heißen, dass auf eine-- ausdrücklich als vorläufige Arbeitsgrundlage zu verstehende-- Minimaldefinition verzichtet werden kann, da sonst die wichtige Abgrenzung des Topos von anderen Typen der Jahreszeitenbzw. Naturrepräsentation nicht erfolgen kann, die erst zur Gewinnung von belastbaren Erkenntnissen über Vorkommen und tektonischer Organisation des Natureingangs führen mag. Deshalb scheint es mir wichtig, zur Identifizierung eines jahreszeitlichen Natureingangs folgende Grundbedingungen im Sinne einer Minimaldefinition herauszustellen, die es gewährleisten, ihn von Repräsentationen der Naturallusion im Liedinneren bzw. am Liedende, der locus amoenus-Topik und des Jahreszeiteneingangs relativ zuverlässig zu unterscheiden: «Ein Natureingang im deutschen Minnesang stellt eine am Anfang eines Liedes bzw. einer Einzelstrophe stehende thematische Einheit dar, in der neben der Nennung einer als aktuell bzw. aktuell anstehend suggerierten Jahreszeit 64 (möglich ist auch die Nennung eines Monats 65 ) oder der nicht mehr aktuellen Jahreszeit 66 auch die Untermauerung des saisonalen Wandels durch mindestens eine in der Natur zu findende, der Jahreszeit entspre- 63 Diese aufgestellte Definition erstreckt sich ausdrücklich nicht auch auf die anderen europäischen Lyriksysteme des Mittelalters, da dort teilweise der Topos nicht so deutlich abgrenzbar ist bzw. über eine andere Grundgestalt verfügt. 64 Es gibt einzelne Sonderfälle, in denen die Erwähnung von zît im Sinne eines Hinweises auf Jahreszeitlichkeit die explizite Nennung einer Jahreszeit ersetzen kann, worauf Ludger Lieb zu Recht hingewiesen hat (vgl. ders., Die Eigenzeit der Minne, S. 191 ). Diese Lieder sind hier zur Vermeidung einer Schieflage als Beispiele für die Nutzung eines Natureingangs mitaufgenommen worden. Entscheidend ist letztlich die deutliche Kenntlichmachung eines saisonalen Zeitpunktes. Vgl. in dieser Hinsicht z. B. Heinrich von Veldeke, Lied MF 59 , 23 (Natureingang nur in der Fassung von B, s. u.): In den zîten von dem jâre, / daz die tage sint lanc / und daz weter wider klâre, / [ ] sô verniuwet offenbâre / diu merlichen ir sanc (I, 1 - 4 ; Hervorhebung wie im Folgenden von mir, D. E.). 65 Besonders oft der Mai, selten der April, s. u.; vgl. z. B. Gottfried von Neifen, Lied KLD 15 , VI: Hy, wie wunnenklich dú heide / sich mit manigem spehen kleide / gegen dem meigen hat bekleit! / lo v p gras blu o men vogellin beide, / die man sach in manigem leide, / gar verswunden ist ir leit [I, 1 - 6 ]. 66 Vgl. dafür z. B. den Wintereingang von Heinrichs von Morungen Lied MF 140 , 32 : Uns ist zergangen der lieplîch sumer. / dâ man brach bluomen, da lît nu der snê [I, 1 f.]. chende Erscheinung 67 (bzw. durch die Angabe des ebenfalls jahreszeitlich passenden Fehlens dieser Erscheinung 68 ) zu finden ist.» 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion Es ist ferner zu betonen, dass die in einem so gefassten Natureingang für die aufgerufene Jahreszeit als kennzeichnend dargestellten Naturdetails bzw. deren Fehlen als momentan gültige Aussage stilisiert, ja imaginativ auf einen (textinternen) Entwurf von Außenwelt bezogen sein müssen, so dass der saisonale Wandel vom Rezipienten als präsentisch und faktisch ablaufend zu konzeptualisieren ist. Denn es zeigen gerade die bisweilen begegnenden, freilich jedoch extremen Beispiele einer metaphorischen Umlenkung des Natureingangs, die die suggestive Präsentik bzw. Faktualität des Jahreszeitengeschehens durch Verschiebung der Aussagenreferenz etwa auf die Liebesthematik hin unterlaufen bis völlig destruieren, dass dadurch elaborierte Transformationsformen der Topik entstehen, die diese zwar assoziativ aufrufen, allerdings nicht mehr in deren engeren Bereich selbst einzuordnen sind. Freilich lassen sich bei diesem Kriterium jedoch eher fließende Übergänge zwischen Topik und Transformationsform festhalten, die beim konkreten Einzeltext die Beantwortung der Frage, ob durch die Natur- und Jahreszeitenallusion noch auf ein als präsentisch ablaufendes imaginiertes Geschehen abgezielt wird, schwer bzw. allenfalls graduell bestimmbar machen. Auf derartige komplizierte Beispiele etwa im Liedœuvre Frauenlobs lenkt besonders die Arbeit von Susanne Köbele den Blick, die schon in ihrem Kriterienkatalog zum Natureingang als 5 . Punkt unter «Zeichenstatus» mit «Vergleich, Metapher, Allegorie, Personifikation, Metonymie (evtl. geistliche Konnotationen: Naturallegorese, Vergänglichkeitsklage)» 69 poetische Verfahrensweisen anführt, die wie etwa der Vergleich oder die Metapher zweifellos in vielen Natureingängen eingesetzt werden, aber bei konsequenter Anwendung die vordergründige Jahreszeitenschilderung statual durchaus prekär werden, ja bisweilen komplett ins uneigentliche Sprechen kippen lassen können. Ab einem gewissen Grad der Anwendung der obigen Mittel muss somit das auf der litteralen Bedeutungsebene zunächst präsente 67 Dadurch erweist sich die bereits erwähnte Reinmar-Strophe MF 165 , 1 : Ich bin der sumerlangen tage sô vrô (s. o.)-- zumindest isoliert als Einzelstrophe wie in B-- als Minimalfassung eines Natureingangs, akzeptiert man, wie ich dies im Folgenden getan habe, den Hinweis auf lange Tage im Sommer bzw. lange Nächte im Winter als ‹Naturdetail›; die Strophe weist zwar nur den Ausdruck sumerlange tage als Charakterisierung des Jahreszeitenzeitpunktes auf, erfüllt aber m. E. durch die Kombination von Aufführung einer jahreszeitlichen Erscheinung und einer darin integrierten Jahreszeitennennung die Anforderungen zur Identifizierung eines Natureingangs. 68 Für die Untermauerung eines Jahreszeitpunktes mittels des Aufführens fehlender Naturerscheinungen vgl. z. B. Gottfried von Neifen, Lied KLD 15, V, Str. I, 1-4 (s. o., Anm. 30). 69 Beides: ebd., S. 56 . 128 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 129 Jahreszeitengeschehen vom Rezipienten gar nicht mehr als suggestiv faktisch ablaufend begriffen werden, im Gegenteil, es wird ein solches Verständnis oft durch Irritationsstrategien wie z. B. nachgeschobene Metaphorisierung bewusst desavouiert. Es ist also zu fragen, wann das Resultat solcher Verfahrensweisen dann keinen Natureingang im engeren Sinne mehr darstellt, sondern allenfalls noch eine Transformationsform des Topos. Ein in dieser Hinsicht besonders kunstvolles, weil weitgetriebenes Beispiel präsentiert Köbele im weiteren Verlauf ihrer Studie mit Frauenlobs Lied 4 ( GA XIV , 16 - 20 ), das wie folgt beginnt 70 : GA , Str. XIV , 16 F 1 374 F 2 257 Ahi, wie blüt der anger miner ougen, den ich für alle ougenweide han erkorn. Ir fire ist geboten sunder lougen dem herzen und den sinnen min für allen zorn. Ja muz ich sunder riuwe sin, swenne ich an sihe die rosen und der liljen schin, der ab ir liechten wangen durch die ougen min gewaltiglichen brehet unde drehet zu dem herzen: ‹la mich in! › [Hei, wie blüht der Anger-- meiner Augen 71 , den ich mir als jede Augenweide übertreffend erwählt habe. Sie zu feiern, das steht ohne Zweifel meinem Herzen und meinen Sinnen besser an als etwaige Empörung. 70 Abdruck der Strophe erfolgt nach der Edition: Frauenlob (Heinrich von Meissen): Leichs, Sangsprüche, Lieder. Aufgrund der Vorarbeiten von Helmuth Thomas hg. von Karl Stackmann und Karl Bertau, 2 Bde., Göttingen 1981 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge, 119 f.), Bd. I: «Einleitungen, Texte», S. 566 , hier abgekürzt als GA. Hervorhebungen vom Vf.; für die verschiedenen handschriftlichen Lesarten und komplizierten editorischem Entscheidungen und Zuordnungen bei der Texteinrichtung vgl. nicht nur den Kommentar in Bd. II: «Apparate, Erläuterungen», S. 1030 f., sondern auch die Bemerkungen bei Eikelmann, Manfred: Ahi, wie blüt der anger miner ougen. Todesmotivik und Sprachgestalt in Frauenlobs Lied 4 , in: Wolfram-Studien 10 ( 1988 ), S. 169 - 178 , hier S. 170 , und S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 91 , bes. Anm. 228 - 231 . Vgl. zudem die beiden verdienstvollen Übersetzungen des nicht ganz leicht verständlichen Liedes, die Steinmetz, Ralf-Henning: Weltlich-geistliche Tierallegorese in Frauenlobs Lied 4 , in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 238 ( 2001 ), S. 260 - 279 , hier S. 262 - 265 , und S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 91 f., ihren Ausführungen beigefügt haben. 71 Anders als S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 91 , löse ich in meiner Übersetzung den Genitiv miner ougen nicht auf (s. die Angabe von V. 1 dort: «Ach wie blüht die Wiese vor meinen Augen»; Hervorhebung-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.), da es mir darauf ankommt, die semantischen Spiel- und Friktionsräume der irritativen Prägung zu erhalten. Vgl. dazu auch die Übersetzung des Eingangsverses bei R.-H. Steinmetz, Tierallegorese, S. 262 : «O wie blüht die Wiese meiner Augen», die ebenfalls um eine Erhaltung der Genitivprägung bemüht ist. Wahrlich, ich soll frei von Schmerz 72 sein, immer wenn ich die Rosen und den Lilienglanz betrachte, der von ihren leuchtenden Wangen durch meine Augen machtvoll strahlt und zum Herzen wirbelt 73 : ‹Lass mich ein! ›.] Hier wird also in V. 1 mit der Bezugnahme auf den blühenden Anger anfangs, auch wenn die Jahreszeitennennung nicht erfolgt, kurz ein ‹faktischer› Natureingang angetäuscht, bevor darauf durch das nachgeschobene Genitivattribut miner ougen dieser plötzlich irritativ metaphorisiert wird. 74 Ja es ist zunächst gar nicht klar, worauf sich dieser anger miner ougen, eine «Metapher in absentia» 75 , wie es Köbele nennt, überhaupt bezieht. Um der Frage nachzugehen, wie diese vom Rezipienten im Strophenverlauf jeweils unterschiedlich konnotativ gefüllt werden mag, bis sie sich mehr oder weniger deutlich auflöst (s.unten), soll hier die Textpassage kurz sukzessive weiter durchschritten werden. In V. 2 wird dann nämlich mit ougenweide noch eine weitere nicht einfach zu füllende Metapher aufgegriffen, die in Frauenlobs Liedern mehrfach im Umfeld von Natureingangsallusionen auftritt, dabei jedoch meist recht deutlich auf die Geliebte bezogen ist. 76 Hier in Lied 4 scheint dies aber offensichtlich nicht der Fall zu sein, 72 Manfred Eikelmann betont in seiner Analyse des Liedes in ders., Todesmotivik, S. 170 , dass die Konjektur von riuwe statt triuwe (so beide Handschriften F 1 und F 2 ), die-- wie alle anderen Herausgeber-- auch die GA gesetzt hat (vgl. GA II, S. 1030 ), möglicherweise weniger zwingend ist, als das dieses Vorgehen der Editoren nahelegt. Somit schlägt er folgende alternative Lesart vor: «Ich muß alle Zuverlässigkeit (hinsichtlich dieser Verpflichtung, sie zu feiern) verlieren, sobald ich-…anschaue» (M. Eikelmann, Todesmotivik, S. 170 ). Dies würde freilich bedeuten, dass das Text-Ich beim Anblick der Geliebten das ‹Gebot› von deren Lobpreisung aufgeben muss, eben weil es zorn (I, 4 ) über deren sinnenverstörende Schönheit empfindet, was mir letztlich doch auch nicht ganz zu passen scheint. 73 Köbele hält, anders als die Hgg. der GA (II, S. 1030 f.), auch eine Zuordnung der Form drehet zu draehen = «duften» für möglich; sie verweist dafür auf die zuvor aufgerufene Sphäre der Blumenmetaphorik (vgl. S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 91 , Anm. 231 .). 74 Vgl. hierfür und für die folgenden Bemerkungen v. a. die Interpretation des Liedeinganges in S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 90 - 93 , die diesbezüglich von einem «Spiel mit der Lücke Natureingang» (ebd., S. 91 ) spricht; darüber hinaus die Bemerkungen in M. Eikelmann, Todesmotivik, die das Lied im Hinblick auf eine als existenziell gedachten Todesbedrohung des Ichs einordnen (vgl. bes. ebd., S. 174 und 177 f.) und durch Scheer, Eva B.: Ja muz ich sunder riuwe sin. Zu Frauenlobs Lied 4 , in: Ja muz ich sunder riuwe sin. Fs. Karl Stackmann zum 15 . Februar 1990 , hg. von Wolfgang Dinkelacker, Ludger Grenzmann, Werner Höver, Göttingen 1990 , S. 170 - 179 , relativiert worden sind (vgl. ebd., S. 179 , Anm. 26 ); ferner die Überlegungen in: R.-H.-Steinmetz, Tierallegorese, die für den Text einen unmittelbaren Zusammenhang mit der «Martina»-Legende des Hugo von Langenstein propagieren (vgl. ebd., bes. S. 268 - 279 ). Zum weiteren Kontext der folgenden Liedstrophen s. freilich auch die Bemerkungen Köbeles in: dies., Frauenlobs Lieder, S. 93 und 149 - 152 . 75 Ebd., S. 93 . 76 So heißt es in Lied 2 in imaginierter Ansprache an die Geliebte etwa: Ouwe, liechter ougenweide, / wanne wirt mir sorgen buz? / Wanne sol din roter munt mich lachen an- […]? (Str. XIV, 6 , Vv. 3 - 5 ), und auch in Lied 3 ist der Begriff, nach der Einführung der Liebesthematik 130 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 131 weswegen zum Konnotationshintergrund des Begriffs doch wohl einige weiterführende Überlegungen anzustellen sind. 77 Will man das für Frauenlob verfügbare Bedeutungspotenzial von ougenweide bestimmen, so wäre zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich in der Minnesangtradition bei dieser Metapher zum einen um einen relativ typischen Natureingangs- -Terminus handelt. 78 In diesem Zusammenhang wäre sicherlich Gottfried von Neifen anzuführen, auf dessen vokabulatorische Anregungswirkung für Frauenlob Susanne Köbele schon im Fall von Lied 2 verwiesen hat 79 ; bei diesem heißt es etwa in Lied KLD 15 , XV in einem Wintereingang: Nv schowent, wie dú heide / mit liehter o v genweide / sint verdorben vnd der cleinen voglin sank (I, 1 - 3 ) 80 , und in Lied KLD im 2 . Teil der ersten Strophe mit der Aufrufung eines der lüste garten (Str. XIV, 12 , 2 ), den das Ich in spilnder ougenweide gesehen habe, deutlich auf die Geliebte hin perspektiviert. In Lied 5 ist mit dem liebesthematischen Liedeingang, der den Topos der Liebesverwundung des Ichs durch den- - eben flüchtigen- - Moment des Anblicks der Geliebten aufnimmt (vgl. die Vv. 1 - 5 der Str. XIV, 21 : Von niuwen senden sorgen, / von niuwer sender arebeit / wil ich künden / minen friunden / die mir ein wip durch min ougen niuwes hat gesendet), also ebenfalls dieser Konnex etabliert, wenn darauf angegeben ist, das Text-Ich schmerze die allzu rasche Trennung von so süzer zarter ougenweide (XIV, 21 , Vv. 12 - 15 ). Ja selbst in Lied 6 , wo in der IV. Strophe die zwar als Anrede oder Charakterisierung statual unsichere und hypothetisch gebrochene Metaphernreihung auch die Wendung wunsches ougenweide (XIV, 29 , 8 ) enthält, ist der grundsätzliche Bezug von ougenweide auf die Dame wohl nicht zu bezweifeln; vgl. dazu grundsätzlich S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 61 - 103 , bes. S. 60 f., 77 , 95 f und 101 f. Fraglich ist es in diesem Zusammenhang zudem, inwiefern der Terminus die Verbindung zur Naturthematik kontextunabhängig, d. h. also selbst in unmarkierter Umgebung ausstrahlt bzw. wie stark andere Aspekte wie etwa der des ‹Nährens› oder der einer voluptas oculorum diesen Bezug überlagern; vgl. dazu bes. die Ausführungen Köbeles in ebd, S. 91 , und S. 77 , Anm. 200 , die dort zudem betont, dass das in dem Begriff enthaltene weide in erster Linie den Futterplatz des Viehs meint und nicht die «˂schöne˃ Lokalität der Natur». S. dazu auch meine Ausführungen unten. 77 Nicht recht zielführend scheinen mir in diesem Zusammenhang die Ausführungen bei E. B. Scheer, Ja muz ich sunder riuwe sin, S. 171 , zu sein, die in dieser Hinsicht doch viel zu stark vereinfachend und wenig trennscharf sind: «Natureingang und Frauenpreis sind in diesen beiden Versen aufs engste miteinander verwoben.- […] Der Minnende bezeichnet sie [die Frau] als anger miner ougen und als ougenweide. Aus allen möglichen Objekten, die der Betrachtung wert sind, hat er die Frau als ougenweide ausgewählt». 78 Vgl. dazu auch S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 66 f. Einige der-- neben Ulrich von Gutenburgs Leich, der bereits eine liebesthematische Verwendung des Terminus nahelegt (s. das Folgende)-- recht frühen Fundstellen weisen schon in diese Richtung und setzen eine konnotative Vereinnahmung von ougenweide durch den Natureingang recht deutlich voraus, auch wenn diese Praxis freilich selbst noch nicht zu belegen ist: Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang Reinmars ‹Witwenklage› MF 167 , 31 mit der alternativen Lesart der Handschriften BC für den Vers II, 8 . Ich zitiere zur besseren Übersicht hier zunächst die Verse II, 7 - 9 nach der MFMT-Einrichtung (Fassung nach a): Der spiegel mîner vröuden ist verlorn. / den ich ûz al der werle mir ze trôste hâte erkorn, / des muoz ich âne sîn. Diese sind jedoch nach BC mit Moser/ Tervooren wie folgt anzugeben: Miner wunnen spiegel der ist verlorn. / der (Dē C) ich mir hette ze svm s lich s o v gen waide erkorn (Hervorhebung von mir, D. E.). 79 Vgl. ebd., S. 66 . 80 Der Abdruck der in der- - in textphilologischer Hinsicht doch sehr problematisch gewordenen-- Edition: Deutsche Liederdichter des 13 . Jahrhunderts, 2 Bde., hg. von Carl von Kraus, 15 , XX in einem Sommereingang: Seht an die heide, / seht an den gru e nen walt: / liehter o v genweide / der hant si gewalt (I, 1 - 4 ). Eine ausdrückliche Nennung des von Frauenlobs Lied 4 gleich zu Beginn als scheinbarer Naturraum aufgerufenen anger im Zusammenhang mit ougenweide zeigen darüber hinaus etwa Ulrichs von Winterstetten Lied KLD 59 , XII für den Wintereingang, wo es heißt: o we, wunneklicher o v genweide / die man sach vf anger vnde uf heide (I, 7 f.) 81 , und für den Sommereingang Lied SMS 19 , 5 Des von Trostberg: Nu stât bekleit diu heide / mit wunneklicher wât: / sî ist worden vrî vor leide. / mit liehter ougenweide / manig anger schône stât (I, 9 - 13 ) 82 . Für die Frage nach dem Konnotationspotenzial des Begriffs ougenweide in Frauenlobs Lied 4 scheinen mir aber gerade auch die Natureingänge Neidharts, besonders die der Sommerlieder, bedeutsam zu sein, wo eben die beim Liedeingang von Lied 4 konnotativ mitlaufende, in der Minnesangtradition besonders häufig zu Tübingen 1952 - 58 , Bd. I: Text, Bd. II: Kommentar (bes. von Hugo Kuhn), 2 . Aufl. durchges. von Gisela Kornrumpf, Tübingen 1978 , versammelten Liedœuvres erfolgt-- hier und im Folgenden-- jeweils nach eigens hergestellten Fassungen, die v. a. unter der Benutzung des Faksimiles von C, das online unter http: / / digi.ub.uni-heidelberg.de/ cpg 848 verfügbar ist (=-Codex Manesse. Die große Heidelberger Liederhandschrift. Vollständiges Faksimile des Codex Palatinus Germanicus 848 der Universitätsbibliothek Heidelberg, Frankfurt a. M. 1975 - 1981 ), und des diplomatischen Abdruckes: Die große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse). Mit einem Verz. der Strophenanfänge und 7 Schrifttafeln, in getreuem Textabdruck hg. von Fridrich Pfaff, 2 . verb. u. erg. Aufl., bearb. von Hellmut Salowsky, Heidelberg 1984 , in möglichst handschriftennaher Lesart angefertigt wurden (Auflösung der Schreibabkürzung und Vereinheitlichung der s-Schreibung, jedoch Beibehaltung der Vokaldarstellung); ebenso bin ich im Falle der ebenfalls stark veralteten Ausgabe: Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg, 3 Bde., hg. von Edward Schröder, Berlin 1924 - 26 , Bd. III: Die Klage der Kunst. Leiche, Lieder und Sprüche, Berlin 1926 (Nachdr. Berlin u. a. 1959 / 1967 ), verfahren. Bessere Texteditionen, die heutigen editionsphilologischen Ansprüchen genügen, liegen für den Bereich des Minnesangs im 13 . Jahrhundert dagegen mit SMS für die sog. ‹Schweizer Minnesänger›, im Falle des Marners (Der Marner: Lieder und Sangsprüche aus dem 13 . Jahrhundert und ihr Weiterleben im Meistersang, hg., eingel. und übers. von Eva Willms, Berlin u. a. 2008 ) sowie des Tannhäusers (Tannhäuser: Die Gedichte der Manessischen Handschrift. Mhd. / Nhd. hg. von Maria Grazia Cammarota, Übers. von Jürgen Kühnel, Göppingen 2009 [GAG 749 ]) vor, denen, wenn nicht anders verzeichnet, die Textzitate in dieser Arbeit entnommen sind. 81 Hervorhebungen-- wie im Folgenden-- von mir, D. E. 82 Ob es sich aber bei jenem Lied mit seinem vordergründig relativ unauffälligen Natureingang möglicherweise um einen prätextuellen Anknüpfungspunkt Frauenlobs oder umgekehrt um eine ironische Replik auf dessen Lied 4 mit seinem exzeptionellen anger (der stellt sich später als das Gesicht der Geliebten heraus, s. unten! ) handelt, ist aufgrund der- - neben der prinzipiellen Schwierigkeit von solchen Autorschaftszuweisungen- - nur spekulativ zu lösenden Datierung und Lokalisierung des Trostberg-Œuvres schwer entscheidbar, vgl. dazu etwa die Angabe der Wirkungszeit Des von Trostberg (Aargau? / Tirol? ) im VL mit « 13 ./ ( 14 .? ) Jhd.» (Max Schiendorfer: Art. «Der von Trostberg», in: 2 VL ( 1995 ), Sp. 1076 f., hier Sp. 1076 ). Für den Fall, dass SMS 19 , 5 hier bereits ein intertextueller Verweis auf Frauenlobs Lied darstellte, wäre der Beleg als eine Natureingangs-typische Verwendung von ougenweide freilich anzuzweifeln, weil er dann als Naturmotiv destabilisiert und eher auf die vielen schönen Gesichter der Frauen, die es im Sommer zu sehen gebe, beziehbar wäre (manig anger mit liehter ougenweide statt nur der anger miner ougen für alle ougenweide! ). 132 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 133 findende Assoziativkette ‹Heide (auch: anger, wise, velt)- - ougenweide- - Blumen (Rosen)- - Glanz› 83 schon deutlich vorgeprägt ist 84 , so etwa beispielhaft im Natureingang von SL 22 ( SNE I: R 52 ): nu ist diu wis mit blumen wol gæmenget / mit liehter ougenweide / rosen ouf der heide / durch ir glancz (R II, 2 - 6 ). 85 Vor diesem Hintergrund wäre es also durchaus denkbar, dass in Frauenlobs Lied 4 kurzzeitig, allein durch die Nutzung des Begriffs ougenweide die Konzeptualisierung eines aktuell ablaufenden Naturgeschehens, das der erwählte anger miner ougen übertrifft, wieder restituiert wird. Allerdings wird im Minnesang auch schon-- übrigens seit Ulrichs von Gutenburg Leich, der mir sowieso für die in Frauenlobs Lied präsentierten Techniken in mehrerlei Hinsicht prägend zu sein scheint (s. unten)-- der Begriff ougenweide bisweilen auch ohne (allzu deutliche 86 ) Bezugnahme auf die Natur zur Kennzeichnung der 83 Vgl. hier in Lied 4 die sich gleichsam subkutan durch die Strophe ziehende Assoziativvernetzung der Motivbereiche der floralen Natur, des Sehens und des Glanzes durch die Wörter blüt ( 1 ) - anger ( 1 )-- ougen ( 1 )-- ougenweide ( 2 )-- sehen ( 6 )-- rosen/ liljen ( 6 )-- schin ( 6 )-- liecht ( 7 )-- ougen ( 7 )-- brehen ( 8 ), deren terminologisches Zentrum freilich das in dieser Hinsicht aussagekräftige Kompositum ougen-weide selbst bildet. 84 Vgl. hierfür Neidharts SL 2 (SNE I: C Str. 222 - 226 ): Ich fro e we mich gegen der heide, / ir liehten o v genweide, / du i uns beginnet nahen (C II, 1 - 3 ); SL 15 (SNE I: R 22 ): Urloup nam der winder ab der heide, / da die blumen stunden wunnechlich gevar in liehter ougenweide (R III, 1 f.); SL 20 (SNE I: R 48 ): Ich gesah den walt und all die heide / nie vor manegen ziten in so liehter ougenweide (R I, 1 f.); SL 21 (SNE I: R 51 ): Chomen ist uns ein liehtiu ougenweide. / man siht der rosen wunder ůf der heide (R II, 1 f.). 85 Auf die besondere Suggestionswirkung des im Natureingang beliebten Reimes heide: ougenweide macht wiederum S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 90 f., aufmerksam. Dass neben der Heide auch der Wald in die Zuweisung von ougenweide miteinbezogen werden kann, wie das etwa in Gottfrieds Lied KLD 15 , XX geschieht (s. oben), zeigt ferner schon SL 14 (SNE I: R 15 ): Ine gesah die heide / nie baz gestalt, / in liehter ougenwaide / den grunen walt (R I, 1 - 4 ). Darüber hinaus ist zu bemerken, dass der Begriff auch oft als generelles Charakteristikum, teils geradezu abbreviaturhaft, für die Aufrufung der Sommerzeit verwendet wird, vgl. etwa SL 23 (SNE I: R 53 ): si [=die Vögel, D. E.] vreunt sich gegen der lieben sumerzit, / diu uns git / vreuden vil und liehter ougenweide (R V, 3 - 5 ), sowie WL 26 (SNE I: R 4 ): Sumer, diner lihten ougenweide / muz ich mich getrosten aber sunder minen danch (R I, 1 f.). Für weitere Belege des Terminus als typische Natureingangs-Vokabel vgl. zudem: Leuthold von Seven, Lied KLD 35 , I (V. I, 3 ); Friedrich der Knecht, KLD 11 , IV (I, 2 ); Der Marner, Lied Willms Nr. 5 (I, 4 ); Der Tannhäuser, Lieder Cammarota Nr. VII (II, 6 ) und XV (I, 9 ); Schenk Ulrich von Winterstetten, KLD 59 , XX (I, 3 ) und KLD 59 , XXXIII (I, 6 ); Der von Wildonie, KLD 66 , I (I, 4 ); Brunwart von Oughein, KLD 4 , I (I, 3 ); Der Kanzler, KLD 28 , IX (I, 5 ); Schenk Konrad von Landeck, SMS 16 , 12 (I, 10 ); Graf Kraft von Toggenburg, SMS 1 , 4 (I, 2 ), und Johannes Hadloub, SMS 30 , 25 (I, 5 ). 86 Schwierig einzuordnen sind Lieder, in denen das Abzielen von ougenweide auf die Dame über eine argumentative Inbezugsetzung zur Jahreszeiten- und Naturmotivik erst explizit hergeleitet wird, vgl. etwa Meister Heinrich Teschler, Lied SMS 21 , 12 : Wê geschehe der huote, diu mich scheide / von ir schœnes lîbes ougenweide! / loub, gras, bluomen, ouwe, walt und heide, / diu dunkent mich ein nicht / gegen mînes liebes angesicht (III, 1 - 5 ), und Belege, die im Kontext von bereits metaphorisiert angewandter Naturrede erfolgen, wie z. B. Reinmar von Brennenberg KLD 44 , IV [zitiert nach C]: si svnnenblik, si meien schin, / si vogel sanc, mîn hohster trost, / in sv e sser o v gen weide / si erlúhtet gar das herze min (II, 5 - 7 ). Dame verwendet. 87 Damit kommt nun aber zu der Problematik, die wiederum bereits Susanne Köbele differenziert herausgearbeitet hat-- nämlich der Frage nach dem Lexikalisierungsgrad der Metapher ougenweide und der semantischen Präsenz der Ursprungsbedeutung von weide als Futter- oder Weideplatz 88 --, die Schwierigkeit der Bestimmung des sich für den Rezipienten anbietenden logischen Bezugspunktes für ougenweide hinzu. Denn zum einen kann die Aussage des Text-Ichs, es habe sich einen anger erwählt, der schöner sei als jede ougenweide sonst, zunächst noch als von der Naturthematik ausgehend aufgefasst werden in dem Sinne, dass das Text-Ich sich mit seinem anger einen Attraktionspunkt erwählt habe, der die gesamte ougenweide der Natur übertreffe, zum anderen jedoch auch rein liebesthematisch konzeptualisiert werden. Das Text-Ich bezöge sich dann wohl suggestiv auf die schön anzusehenden Frauen als ougenweide, die die Erwählte eben noch übertreffe. 89 Gleichwohl würde jedoch auch in der ersteren Form der Konkretion das thematische Feld des Liedeingangs durchaus in die Richtung der Liebesthematik geführt, nämlich wenn man unterstellt, dass der Rezipient durch die ungewöhnliche Genitivprägung anger miner ougen 90 bereits in seiner Erwartung irritiert wird, das Text-Ich ziele auf eine in der sommerlichen Natur zu findende, besonders schön blühende Wiese. Denn diese imaginative Füllung dürfte sich durch die Bestimmung 87 Vgl. Ulrich von Gutenburg, Der Leich (MF 69 , 1 ), Str. Ib: Ich enger niht grôzer dinge zir, / wan trôstes mîme leide. / des hân ich vil, swenne ich enbir / ir süezer ougenweide (Vv. 13 - 16 ); ferner Hesso von Rinach SMS 11 , 2 (IV, 1 ); Ulrich von Winterstetten, Lied KLD 59 , XV (III, 1 ); Der Dürinc, Lied KLD 8 , II (II, 1 ) und König Wenzel von Böhmen, KLD 65 ,I (II, 3 ). In diesen Zusammenhang würde auch die Textstelle aus Ulrichs von Liechtenstein Leich (KLD XXV, E 13 , V. 5 ) gehören, wenn ougen weide (statt L: wunne, vgl. den Abdruck in: Ulrich von Liechtenstein: Frauendienst, hg. von Franz Viktor Spechtler, Göppingen 1987 [GAG 485 ], S. 282 ). nicht eine Herausgeberkonjektur wäre; zudem ist die Prägung hier eher auf die Beglückungswirkung der staeten wip generell bezogen. In die gleiche Richtung verweist Schenk Konrad von Landeck, Lied SMS 16 , 18 (II, 5 ff.), das in Vers III, 10 jedoch das lieblich angesiht der Dame als die ougenweide des Ichs noch zusätzlich hervorhebt. Der Beleg, Der Kanzler, Lied KLD 28 , X (III, 9 f.: wart ie besser o v genweide / danne ein reine scho e ne wib? ) scheint mir hingegen durch die über Vers II, 9 (wib sol man fúr blv o men schowen) erreichte Anbindung an die Naturmotivik des Liedeingangs eher zu der zuvor skizzierten, schwer zuzuordnenden Gruppe (Anm. 393 ) zu gehören. 88 Vgl. S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 90 f.; Köbele gibt hier die semantische Bandbreite des Begriffs ougenweide wie folgt an: «Metaphorisches Zentrum des Ausdrucks ist ein Ort, auf dem die Augen ‹weiden›, also Nahrung finden, auf Futter ausgehen können. Von diesem Bedeutungskern ‹was den Augen Nahrung gibt› kann der Ausdruck sich ohne weiteres lösen und über die konnotative Nebenbedeutung ‹was den Augen Erquickung bietet› unmerklich, sozusagen durch Einschrumpfung der kategorialen Distanz, übergehen zur terminologisierten Bezeichnung für etwas Schönes, ‹was man vor Augen hat›, kurz: für ‹(schönen) Anblick›» (ebd., S. 90 ). 89 S. dazu auch meine Ausführungen zum für den Minnesang in dieser Hinsicht stark vorgeprägten Verb erkiesen, unten. 90 Dass es sich bei der Genitivbildung um eine irritierende Metaphorisierung handelt, wie hier oben angegeben worden ist, bleibt m. E. auch trotz der Tatsache gültig, dass eine ganz ähnliche Prägung noch ein weiteres Mal im Frauenlob-Œuvre begegnet, nämlich im Marienleich (I, 1 , V. 4 ); vgl. dazu aber meine Ausführungen unten. 134 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 135 anger miner ougen insofern als relativ fragwürdig erweisen, als dass allein durch die hiermit angezeigte Inbesitznahme der Naturmotivik durch das Ich- - und den damit schlagartig dominant gewordenen, subjektiven Innenraum-- auch die liebesthematischen Potenziale der Ich-Rede schon suggestiv einblendbar sind. Im Kontext der späten Minnesangtradition ist dafür durchaus das Konstruktionsmuster ‹meine Dame übertrifft sogar noch die Schönheiten der sommerlichen Natur› anwendbar 91 , das als möglicher Deutungshintergrund zugrunde gelegt werden mag. An dieser Stelle ist nötig, auf noch eine weitere Möglichkeit der konnotativen Auffüllung der Metapher vom anger miner ougen einzugehen, die sich durch eine Parallele zu Frauenlobs Marienleich ergibt und möglicherweise noch eine ergänzende Bedeutungsperspektive dem Lied einschreibt. Dort heißt es-- wiederum in der Eingangspartie-- von der visionär geschauten vrouwe aus der Perspektive des Text- Ichs, dessen genaue Situierung zwischen den Polen einer Einnahme der Prophetenrolle des Johannes auf Patmos 92 , einer Gestaltung als repräsentative Stimme der «sündigen Menschheit» 93 und einer Konfigurierung als «Dichter-Visionär» 94 von der Forschung breit diskutiert worden ist 95 : Ei, ich sach in dem trone / ein vrouwen, die was swanger. / die trug ein wunderkrone / vor miner ougen anger (I, 1 , Vv. 1 - 4 ) 96 . Dass nun aber diese auffallende Formulierung, die-- im Unterschied zu Lied 91 Vgl. dazu etwa schon den Leich SMS 25 , 1 des Talers: Ich schowe,- - - frouwe,- - -dich vür al der bluomen schîn / -[…] ich krœne- - -ir schœne- - -vür des liehten meien schîn (II, 1 und 6 ); ferner Lied SMS 16 , 7 des Konrad von Landeck: Der ich diene ân allen- - - wank, / diu muoz mir vil baz gevallen / danne der meie und aller vogelîn sang (II, 5 - 7 ) bzw. mit Bezugnahme auf die auch bei Frauenlob in Vers I, 6 angesprochenen Rosen in Lied SMS 19 , 2 von Dem von Trostberg,: Rôsen rôt, der varwe ich krœne: / diu rœte und der sunnen schœne / mîner frowen niht gelîchen kan (I, 5 - 7 ), und Lied SMS 1 , 1 des Grafen Kraft von Toggenburg: Bluomen, loup, klê, berge und tal / und des meien sumersüeziu wunne, / Diu sint gegen dem rôsen val, / sô mîn vrowe treit (IV, 1 - 4 ). 92 Vgl. Stackmann, Karl: Art. «Frauenlob», in 2 VL 2 ( 1980 ), Sp. 865 - 877 , hier Sp. 871 ; ders.: Magd und Königin. Deutsche Mariendichtung des Mittelalters, Göttingen 1988 (Bursfelder Universitätsreden 7 ), S. 13 ; die zugehörige Bibelstelle, der die visionäre Schau nachgebildet ist, ist Apc 12 , 1 ff., s. etwa die Übersicht in: Gärtner, Kurt: Das Hohelied in Frauenlobs Marienleich, in: Wolfram-Studien 10 [ 1988 ], S. 105 - 116 , hier S. 113 . 93 Stackmann, Karl: Frauenlob, Verführer zu ‹einer gränzenlosen Auslegung›, in: ebd., S. 9 - 25 , hier S. 23 . 94 Wachinger, Burghart: Frauenlobs Cantica canticorum, in: Literatur, Artes und Philosophie, hg. von dems. und Walter Haug, Tübingen 1992 [Fortuna vitrea 7 ], S. 23 - 43 ; wieder in: ders., Lieder und Liederbücher, S. 195 - 216 , hier S. 200 ; etwas unklar verbleibt in diesem Zusammenhang die jüngst von Newman, Barbara: Frauenlob’s Song of songs. A medieval German poet and his masterpiece, University Park, PA 2006 , vorgestellte Position, das Ich gehöre zu einem «poet-seer» (S. 111 ), der aber dem Modell des Johannes nachgebildet und nicht notwendigerweise auf den «poet as an individual» zu beziehen sei (vgl. und Zitat entnommen: ebd., S. 176 ). 95 Vgl. dazu zuletzt auch die Zusammenfassung von Oswald, Marion: Vor miner augen anger ( 1 , 4 ). Schauräume und Kippfiguren in Frauenlobs Marienleich. Eine Skizze, in: Imagination und Deixis. Studien zur Wahrnehmung im Mittelalter, hg. von Kathryn Starkey und Horst Wenzel, Stuttgart 2007 , S. 127 - 140 , hier S. 129 f. 96 Zitiert nach: GA I, S. 236 , Hervorhebung-- wie im Folgenden-- von mir, D. E. 4 -- in einem Kontext steht, der völlig ohne Natureingangsmarkierung oder weitere naturthematische Aufladung auskommt, so einfach aufzulösen ist, wie das etwa Burghart Wachinger vorschlägt, wenn er sie als einfache Variante der beliebten Vokabel ougenweide erklärt 97 , scheint mir jedoch zweifelhaft zu sein. Denkbar wäre nämlich zum einen, dass die Benutzung der Vokabel anger tatsächlich für einen-- freilich ganz punktuell gesetzten- - Konnex zur Natur- und Jahreszeitenthematik der weltlichen Liebesdichtung sorgen soll, wie dies Gerhard Schäfer andeutet 98 , so dass die Visionserscheinung der vrouwe Maria durch die beiden konkurrierenden Situierungen in dem trone (I, 1 , V. 1 ; d. i.-- nach Schäfer-- in caelo, ja sogar in ecclesia 99 ) und vor miner ougen anger (I, 1 , V. 4 ; als aus der Liebeslyrik transferierter Imaginationsraum) vor dem multiperspektivischen Hintergrund einer geistlich-ekklesiologischen und weltlich-höfischen Konnotationssphäre vexierbildartig verdichtet wird. Allerdings ist darauf zu verweisen, dass neben einer möglichen Einschreibung der weltlichen Liebesthematik 100 sich die Prägung vor miner ougen anger auch aus dem Motivarsenal der Marienlyrik selbst ableiten ließe, ist die metaphorische Stilisierung Mariens als ein anger doch auch in diesem Traditionsstrang bestens dokumentiert, man denke nur einmal an die bereits im «Melker Marienlied» anzutreffende Anrufung Mariens als ein anger ungebrachot, / dar ane stat ein bluome ( IV , 2 f.) 101 . Dieses Marienmotiv, das durch das hinzugefügte Blumenbild auch als christologischer Topos anwendbar ist 102 , ist übrigens im weiteren Verlauf von Frauenlobs Marienleich dann noch mehrfach-- freilich jeweils in charakteristischer Abwandlung-- präsent, am deutlichsten in Perikope I, 12 , wo es aus dem Mund der Sprecherin Maria dezidiert-- und unter der Nutzung derselben Reimklänge heißt: Ich binz, ein wurzenricher anger, / min blumen, die sint alle swanger (Vv. 20 f.) 103 . 97 So in seinem Kommentar in ders., Deutsche Lyrik des späten Mittelalters, S. 826 . 98 Vgl. Schäfer, Gerhard: Untersuchungen zur deutschsprachigen Marienlyrik des 12 . und 13 . Jahrhunderts, Göppingen 1971 [GAG 48 ], S. 85 ; ob man diese Anregung dabei nun auf die «Tradition des erotischen Leichs» (ebd.) beschränken müsste, bleibt m. E. fraglich. Die Tradition des Minnesangs führt zudem B. Newmann, Frauenlob’s Song of songs, S. 176 , für die Erklärung der Stelle an. 99 Vgl. G. Schäfer, Untersuchungen zur deutschsprachigen Marienlyrik, S. 84 f. 100 In diesem Zusammenhang ist freilich ein sich möglicherweise ergebender, ganz konkreter Bezug auf die Eingangspassage von Lied 4 noch zu klären, s.unten. 101 Zitiert nach: Frühmittelhochdeutsche Literatur. Mhd. / Nhd. Ausw., Übers. und Komm. von Gisela Vollmann-Profe, Stuttgart 1996 (RUB 9438 ), S. 76 ; vgl. zu dieser Bildlichkeit auch die Herleitung über Ct 2 , 1 aus Vollmann-Profes Kommentar in: ebd., S. 251 , und die Belege bei: Salzer, Anselm: Die Sinnbilder und Beiworte Mariens in der deutschen Literatur und lateinischen Hymnenpoesie des Mittelalters. Mit Berücksichtigung der patristischen Literatur. Eine literar-historische Studie, Darmstadt 1967 (reprogr. Nachdr. der Separatabdr. aus den Programmen des k. k. Ober-Gymnasiums zu Seitenstetten von 1886 - 1894 ), S. 3 - 5 , und 319 , sowie die Bemerkungen zu Ulrichs von Gutenburg Leich MF 69 , 1 , unten. 102 Vgl. dazu ebenfalls den Kommentar in G. Vollmann-Profe, Frühmittelhochdeutsche Literatur, S. 251 . 103 GA I, S. 261 ; allerdings ist die Passage aufgrund ihrer nicht minder elaboriert-komplexen Gebrochenheit ebenfalls eine Transformationsform dieses Marienmotivs; man betrachte nur 136 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 137 Diese motivische Parallele könnte nun als ein Hinweis darauf gelesen werden, dass das Marienattribut des angers in der Eingangspassage des Leichs-- und dies wäre in der Tat schon eine frappierende literarische Verschiebungsoperation-- von der Figur der Maria auf die Konzeption des in dieser Passage aufgerufenen «Schauraums» 104 des Ichs übertragen wäre, so dass die Metapher vor miner ougen anger letztlich symbolisch auf die besungene Maria selbst zurückverwiese, die als Ursprungsgrund der Vision somit den komplexen Verschachtelungen eines Innen und Außen, die sich im Sehakt des Ichs ergeben, bereits immer vorgeschaltet wäre. Denn die eigentlich als imaginärer Hintergrund aufgebaute Lokalbestimmung (Maria trägt die wunderkrone vor dem Anger der Augen! ) konstruiert zum einen für die Vision, zu verstehen als ein vom Inneren des Ichs nach Außen projeziertes Bild, einen Schauraum, der durch die Bezeichnung anger ja wiederum auf ein eigentliches Außen verweist, das aber zu einem suggestiven Internum verwandelt ist (ein Anger, der nur für die Augen des Ichs sichtbar ist), und somit zu einem Seelenraum des Ichs wird. Andererseits wird die Ich-Instanz gleichzeitig auch auf die Muttergottes selbst hin transzendiert, da eben zudem ein Symbolraum anger in sie hineinragt. Dies führt nun freilich auf die Frage des gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisses von Frauenlobs Marienleich und Lied 4 hinsichtlich der Prägung der auffallenden Metapher, denn die Raumkomplexität ergibt sich durch die nur geringfügig anders modulierte Formulierung in der Eingangspassage von Lied 4 ja nicht in dieser Radikalität: Genau hier wird der anger miner ougen nicht als ein imaginäres Hintergrundbild eines visionären Akts aufgeführt (es fehlt die präpositionale Ausdeutung durch das vor), sondern bildet mehr einen optischen Attraktionsgegenstand des Ichs 105 als einen tatsächlichen Schauraum. Zwar ist dieser anger durch den Genitiv miner ougen ebenfalls als Resultat einer Überblendungsoperation von Innen- und Naturraum gekennzeichnet, jedoch nicht zwingend tatsächlich im Inneren des Ichs-- als ein nur dort existierender Seelen-anger-- anzunehmen. Unterlegt werden dürfte eben in erster Linie ein außerhalb des Ichs liegendes Phänomen (eine schöne Wiese / die schöne Frau, s. o.), von dem das Text-Ich in seinem Inneren nur derart affiziert ist, dass es eine Zuordnung zu sich selbst vornimmt (der anger miner ougen in dem Sinne: «der Anger, den ich-- etwa im Gegensatz zu anderen-- vor Augen habe»). Denn schließlich wird vom Lied der Vorgang einer Internalisierung der Naturmotieinmal die verschlungene Kombinatorik in diesen und den folgenden Versen: Das Maria-Ich bezeichnet sich als einen anger, schwanger seien jedoch die Blumen (nicht etwa der anger mit diesen! ), da der leuchtende Duft (! ) ihres Saftes vil gelwer varbe trage (I, 12 , V. 23 ). B. Wachinger erklärt diese Stelle in seinem Kommentar in ders., Deutsche Lyrik des späten Mittelalters, S. 846 , als Anspielung auf den auch als Gewürz verwendeten Safrankrokus und damit als Hoheliedallusion. 104 So der von M. Oswald geprägte Begriff in dies., Schauräume und Kippfiguren, bes. S. 129 . 105 Dadurch erweist sich die Genitivmetapher anger miner ougen aber sehr wohl als wirkungsvoller Auftakt der für das gesamte Lied bestimmenden Sehensthematik, vgl. etwa R.-H. Steinmetz, Tierallegorese, S. 262 : «Hauptthema des fünfstrophigen Liedes ist die Überwältigung des lyrischen Ichs durch den Anblick der Geliebten». vik weniger durch Ebenenverwischung von Innen und Außen, wie im Marienleich, hergestellt, als später durch das Bild des zum Herzen 106 wirbelnden Glanzes der auf diesem Externum anger anzusiedelnden liljen 107 (vgl. I, 6 - 10 ) vielmehr explizit vorgeführt. Somit wird eine-- zuvor schon-- im Ich zu konzeptualisierende Lesart von anger als eines nur dort existierenden, imaginären Ortes eher nicht gestützt. Wenn wir nun aber die auffällige Überschneidung in der Formulierung vom anger miner ougen als relativ eng zu denkende intertextuelle Verknüpfung von Leich und Lied 4 zu denken haben (dies leuchtet aufgrund der Spezifik der Prägung ja schon ein! ), bedeutet dies nun also, dass das Lied hier in der Ausformung der Genitivmetapher dem Leich vorgängig ist, und dieser-- die weltlich-liebesthematische Konnotationsmöglichkeit dieses Naturmotivs aufgreifend und unter Amalgamierung mit dem auch für die Mariensymbolik nutzbaren Potential von anger diese überbietend-- die Metapher zum radikal ins Innere projezierten Schau- und Seelenraum des Ichs ausbaut? Oder ist es umgekehrt anzunehmen, dass der Leich mit seiner Eingangsgestaltung die Folie für das Lied bildet, die die mariologische Bedeutungskomponente des angers nun-- durch direkte Inbezugnahme auf die im Leich exponierte Formel-- als Konnotationsrahmen auf die Geliebte des Ichs überträgt und diese somit mit einer religiös angereicherten, ja geistlich-weltlich schillernden Aura versieht? So sicher an der intertextuelle Verbundenheit von Marienleich und Lied 4 im Frauenlob-Œuvre auch festzuhalten ist, ist m. E. eine fundierte Aussage über das genaue historische Abfolgeverhältnis der beiden Texte (welcher Text ist der Prätext des anderen? )-- wie eben so oft- - prinzipiell unmöglich. 108 Aber ein solches- - auf genetische Zusammenhänge der faktischen Textproduktion zielendes-- Frageinteresse ist letztendlich auch gar nicht zielführend, wenn man die Ebene der Rezeption mit in Betracht zieht. Vor dem Hintergrund eines mit dem Vorwissen um den Marienleich-- einer der bekanntesten Frauenlob-Texte 109 ! -- ausgestatteten Rezipienten kann sich somit 106 Hier wird die Natur- und Jahreszeitenmotivik zudem mit den Minnesangtopoi ‹Verwundung im Herzen durch den Anblick der Dame› und ‹Wohnen der Dame im Herzen› kontaminiert, vgl. dazu etwa E. B. Scheer, Ja muz ich sunder riuwe sin, S. 171 f. 107 Diese sind freilich durch die vollständige Aufdeckung des metaphorischen Status von anger für die Wangen der Geliebten in Vers I, 7 (s. dazu unten) somit nicht mehr als ‹wirkliche› Blumen imaginierbar, so dass die naturthematische Rede bereits deutlich in ein uneigentliches Sprechen gekippt, und damit irrealisiert ist. Dadurch wird der anger engültig von einem Naturraum in einen Ort mit übertragenen Sinnzuweisung überführt, der aber als ‹Gesicht der schönen Frau› immer noch als ein Externum außerhalb des Ichs gedacht werden kann. Dass aber allein der technische Vorgang der Metaphorisierung der Natur- und Jahreszeitenthematik letztendlich eine gewisse Internalisierung dieser Topik mit sich bringt (die Suggestion von objektivem Außenweltbezug wird in eine subjektive Bedeutung für das Ich überführt), darf dabei natürlich nicht vergessen werden. 108 Bei meinen Überlegungen lasse ich die Versuche der Forschung, das Frauenlob-Œuvre im Sinne einer Werkchronologie zu staffeln, bewusst außen vor; über solche Ansätze informiert: K. Stackmann, Art. «Frauenlob», Sp. 868 f. 109 Dafür sprechen die ungewöhnlich breite Überlieferung des Marienleichs und die Tatsache, dass von ihm eine lateinische Übertragung existiert, vgl. den Komm. von B. Wachinger, Deutsche Lyrik des späten Mittelalters, S. 821 und 823 ; s. zudem auch die bei B. Newman, 138 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 139 (gleichgültig, ob vom Verfasser beabsichtigt oder produktionsgenetisch möglich! ) für Lied 4 sehr wohl allein über die Formulierung anger miner ougen eine latent mitlaufende Marienassoziation für die Geliebte des Text-Ichs ergeben, die hier nicht einfach übergangen werden darf. 110 Diese Bedeutungskomponente würde sich übrigens recht gut in die Befunde der Forschung zum weiteren Liedverlauf einpassen, für den die besondere Rolle einer geistlichen Konnotationsebene anhand der dort mittels mehrerer Beispiele ausgefalteten Tierallegorese bereits deutlich herausgearbeitet worden ist. 111 Für den Rezipienten verstärkt sich die (mariologisch angereicherte? ) liebesthematische Auffassung der Aussagen des Liedbeginns sicherlich auch durch die nun folgende Passage V. I, 3 f., in der das Text-Ich angibt, ir fire stehe diesem deshalb besser an, als sich zu empören. Dabei überrascht insofern der Einsatz des Pronomens ir, als hier die erwartbare Bezugnahme auf den zuvor angesprochenen anger grammatikalisch destabilisiert wird, was ein weiteres irritatives Moment für die Konzeptualisierung des Liedeingangs als naturthematische Aussage darstellen dürfte. Schließlich verweist das ir wohl am wahrscheinlichsten doch schon auf eine si, also eine Frau, und damit eben auf die Liebesthematik. Diese Lesart wird dann übrigens durch die Wiederaufnahme des Pronomens ir in V. 7 (ir liechten wangen) nachträglich auch abgesichert. Grammatikalisch denkbar wäre es allerdings, das ir zum einen auf die ganze ougenweide, die der Anger des Herzens übertrifft (V. 2 ), zu beziehen, was inhaltlich nicht recht zu passen scheint, oder eben sinnvoller auf die ougen aus V. 1 . Durch die so mögliche Auffassung der betreffenden Textstelle, das Text-Ich wolle mit seinem Herz und seinen Sinnen die eigenen Augen preisen, eben weil diese für jenes einen besonders prächtig blühende Wiese erblickt haben, bleibt die Konzeptualisierung des Liedbeginns als reine Aussage des Natur- und Jahreszeitenbezugs, wenn auch gestört, so doch letztlich aber immer noch denkbar. Schließlich wird dann die zwischen vordergründiger Naturmotivik und deren Ableitung auf die Liebesthematik hin changierende metaphorische Spannung des Eingangs durch Vers 5 f. noch einmal radikalisiert, indem das Ich wiederum eine nur scheinbar faktische Bemerkung über jahreszeitliche Naturdetails, eben über die Wahrnehmungen von Blumen (rosen, liljen), anstellt, die freilich durch das generalisierende swenne dann aber gerade keine suggestiv auf die Imagination von Aktualität eines in der Außenwelt präsentisch ablaufenden Vorgangs zielende Aussage Frauenlob’s Song of Songs, S. 43 f., ausführlich zitierten Angaben des Albrecht von Straßburg zu Frauenlob, die den Marienleich besonders hervorheben. 110 Im weiteren Verlauf der Interpretation des Liedeingangs von Lied 4 wird diese Bedeutungsdimension jedoch nicht eigens fortgesponnen, da der Fokus mehr auf der komplizierten Verwobenheit von Natur- und Liebesthematik liegt. 111 Vgl. etwa die diesbezügliche Anmerkung Köbeles, Frauenlobs Lied 4 weise-- wie Lied 4 des Heinrich von Mügeln- - einen «engen Kontakt zu Mariendichtungen ihrer jeweiligen Autoren» auf (S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 149 ); zu den religiösen Bedeutungsnuancen von Lied 4 ferner bes: R.-H. Steinmetz, Tierallegorese, S. 272 - 279 . mehr ist. Erst in Vers 7 wird das Oszillieren des Liedanfangs zwischen faktischer Naturdiagnose und metaphorischer Umbiegung derselben endgültig zugunsten der letzteren aufgelöst, indem die Angabe aus V. 5 f. nun durch einen präzisierenden Relativsatz als metaphorisches Sprechen über die Wangen der Geliebten vereindeutigt wird. 112 Bemerkenswert ist weiter, dass vor dem Hintergrund der Information aus V. 7 nun die offen gebliebene Metapher anger miner ougen aus dem V. 1 ebenfalls als auf das Gesicht der Geliebten bezogen liebesthematisch aufgeklärt wird, ja sich dieser Vorgang sogar auf die vordergründig noch auf ein Naturgeschehen beziehbare Aussage von V. 2 ausweitet, die freilich durch das Signalwort erkiesen immer schon einen deutlichen Hinweis auf den minnesängerischen Topos der erwählten Dame, die alle anderen Frauen übertrifft, enthielt. 113 In diesem Sinne wird nun aber auch diese Bemerkung aus der Perspektive von V. 7 f. eher rein liebesthematisch zu konzeptualisieren sein. Somit bleibt von dem ‹angetäuschten› Natureingang keine Passage mehr übrig, die zwingend als faktische Naturdiagnose zu deuten ist. In dem Maße aber, in dem in V. 7 f. das Verfahren der «metaphorischen Umlenkung» 114 vom Text selbst offenbar gemacht wird 115 , wird freilich der suggestive Sog der auf imaginative Aktualität und Faktizität zielenden Natureingangs-Topik vollständig abgewiesen. Dass es sich bei dieser Technik, die-- so ist zu konstatieren-- also aus dem engeren Geltungsbereich des Topos herausführt, nicht um ein absolutes Spätphänomen der Minnesangtradition handelt, das für den engeren Rahmen dieser Untersuchung nur von sekundärer Bedeutung wäre, beweist der Blick auf den schon in der hochhöfischen Phase des Minnesangs zu verortenden Leich MF 69 , 1 von Ulrich von 112 Man könnte auch sagen, sie wird-- bei aller Komplexität der Frauenlob’schen Ebenenverwischung-- topisch ‹heruntergebrochen›: die Bildlichkeit von Rosen und Lilien für das rot-weiße Farbenspiel der Wangen ist ja alles andere als ungewöhnlich, man vgl. etwa die berühmte Schönheitsbeschreibung in Walthers Lied L 53 , 25 : Got hât ir wengel hôhen vlîz, / er streich sô tiure varwe dar, / sô reine rôt, sô reine wîz, / hie rœseloht, dort lilien var (Fassung A, II, 1 - 4 ). Zur Enthierarchisierung der Bedeutungsebenen, sowie der Zeit- und Raumstrukturen als ein wichtiges Charakteristikum der Frauenlob-Lieder vgl. S. Köbele, Frauenlobs Lieder, z.B. S. 113 (für den Natureingang); dieses Urteil Köbeles bestätigt auch jüngst K. Philipowski, die werlt ist uf den herbest komen, S. 111 f., in ihrer Zusammenstellung zum Natureingang. 113 Vgl. hierfür etwa schon Friedrich von Hausen, Lied MF 50 , 19 : Ich hân si erkorn ûz allen wîben (II, 5 ); Heinrich von Veldeke, Lied MF 56 , 1 : Die ich zer besten hân erkorn (II, 7 ); Heinrich von Rugge, Lied MF 103 , 3 : Mir gap ein sinnic herze rât / dô ich si ûz al der welte erkôs (II, 1 f.); oder Reinmar, Lied MF 160 , 6 : got weiz wol sît ich si êrste gesach / sô het ich ie den muot, / daz ich vür sî nie dehein wîp erkôs (I, 4 - 6 ). 114 S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 90 . 115 Ganz deutlich wird das Verfahren der metaphorischen Umlenkung der Natureingangstopik dann auch in Strophe II, wo durch die Anrede der Geliebten als min meien ouwe (II, 8 ) diese liebesthematische Verschiebung der Naturmotivik noch einmal- - quasi formelhaft verdichtet-- wieder aufgenommen wird; s. dazu auch S. Köbele, Frauenlobs Lieder, S. 93 . 140 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 141 Gutenburg. 116 Denn in diesem wohl frühsten (erhaltenen 117 ) deutschen Beispiel für die lyrische Großform des Minneleichs zeigen sich, wenn auch in ihm selbst nicht einmal ein Natureingang realisiert ist, interessanterweise durchaus bereits die meisten Charakteristika der von Frauenlobs Lied 4 genutzten Verfahrensweise einer metaphorischen Umlenkung der Natur- und Jahreszeitenrede derart deutlich vorgeprägt 118 , dass dieser Kunstgriff wohl mit Recht zu jenem Grundinventar topischer Argumentationsmuster gezählt werden darf, das der Minnesang bereits in seiner sog. ‹hochhöfischen› Phase ausgebildet hat. Deswegen lohnt es sich, auch wenn die Gattung des Leichs nicht unmittelbar im Fokus meiner Überlegungen zum jahreszeitlichen Natureingang im Minnesang steht, genau eben jene Passage 116 Für die Problematik der biographischen Identifizierung vgl. schon die Angaben in: MFU III/ 1 , S. 414 , und Tervooren, Helmut: Art. «Ulrich von Gutenburg», in: 2 VL 9 ( 1995 ), Sp. 1266 - 1271 , hier bes. Sp. 1267 f. Die urkundlichen Bezeugungen eines-- oder mehrerer-- Träger dieses Namens zwischen 1172 und 1202 sind in: Regesten deutscher Minnesänger des 12 . und 13 . Jahrhunderts, hg. von Uwe Meves, Berlin u. a. 2005 , S. 823 - 835 , zusammengestellt; s. auch zuvor schon-- in etwas ausführlicherer Form-- die Ausführungen von Meves, Uwe: Der Minnesänger Ulrich von Gutenburg: zur Problematik seiner historischen Bezeugung, in: Vom Mittelalter zur Neuzeit. Fs. Horst Brunner, hg. von Dorothea Klein, Elisabeth Lienert und Johannes Rettelbach, Wiesbaden 2000 , S. 49 - 72 . 117 Fraglich ist beispielsweise, ob nicht auch Friedrich von Hausen als Urheber eines Minneleichs zu gelten hat, der allerdings als Überlieferungsverlust zu werten wäre; dies wird oft aus einem Dichternamenkatalog im dritten Leich Des von Gliers (SMS 8 , 3 ; Vv. VII, 8 - 21 ) gefolgert, vgl. dazu MFU III. 2 , S. 413 f., den Kommentar in: Mittelhochdeutsche Minnelyrik. Bd. I: Frühe Minnelyrik. Texte und Übertragungen, Einführung und Kommentar, hg. von Günther Schweikle, Stuttgart u. a. 1993 , S. 526 , sowie H. Tervooren, Art. «Ulrich von Gutenburg», Sp. 1267 f. Auch eine Entstehung des Leichs erst im späten 13 . oder frühen 14 . Jahrhundert ist aufgrund der für das 12 . Jahrhundert sonst nicht begegnenden Bildlichkeit und des teilweise genutzten geblümten Stils (s. die folgende Anm.) erwogen worden (so etwa O. Sayce, Medieval German Lyric, S. 128 ) und die-- nicht mit voller Verve ablehnende-- Einschätzung bei Kischkel, Heinz: Tannhäusers heimliche Trauer. Über die Bedingungen von Rationalität und Subjektivität im Mittelalter, Tübingen 1998 (Hermaea N. F. 80 ), S. 206 - 208 , der nach der kritischen Besprechung von Sayces Darstellung eingesteht: «Im Falle einer Spätdatierung würde sich das Bild der Gattungsentwicklung bemerkenswert konsistent gestalten» (ebd., S. 208 ). Dass freilich ‹Gattungsentwicklung› immer ‹konsistent› und quasi mit naturgesetzmäßiger Konsequenz zu verlaufen hat, wird man mit Sicherheit auch bezweifeln können. Vgl. darüber hinaus zur Verortung von Ulrichs Leich in der Tradition der deutschen Leichdichtung Apfelböck, Hermann: Tradition und Gattungsbewußtsein im deutschen Leich. Ein Beitrag zur Gattungsgeschichte mittelalterlicher musikalischer «discordia», Tübingen 1991 (Hermaea N. F. 62 ), S. 114 - 116 , sowie G. Schweikle, Minnesang, S. 151 - 155 , bes. S. 152 . 118 Schon Konrad Burdach hat in seiner Studie ders., Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide, S. 38 , die «besonders zahlreichen Bilder aus dem Pflanzenleben und der Natur überhaupt» in Ulrichs von Gutenburg Leich betont, auf deren teilweise Zugehörigkeit zum geblümten Stil-- und hier liegt eine prinzipielle Möglichkeit der Inbezugsetzung zu Frauenlob ja auf der Hand-- wie die Forschung bereits verwiesen hat (vgl. dazu G. Hübner, Lobblumen, S. 346 ); vgl. zu diesen frühen Einschätzungen der Forschung auch die Angaben in G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 525 . Zuletzt hat auch N. Unlandt eine «multitude d’éléments de la nature» (ders., Le début printanier, S. 574 ) für Ulrichs Leich vermerkt. der ersten Versikelgruppe I(a) aus Ulrichs MF 69 , 1 hier dennoch etwas genauer zu betrachten 119 . Ulrich von Gutenburg, Der Leich ( MF 69 , 1 ): I. C. bl. 73va ---Ze dienest ir, von der ich hân ein leben mit ringem muote, als ich nu lange hân getân. und gan es mir diu guote, 5 ---Diu mir tuot daz herze mîn vil menger sorgen laere, sô wirt an mîme sange schîn der winter noch dehein swaere. ---Ich wil si vlêhen, unz ich lebe, 10 daz sî mir vröide gunne und sî mir lôn nach heile gebe. si ist mîn sumerwunne, ---Si saejet bluomen unde klê in mînes herzen anger; 15 des muoz ich sîn, swiez mir ergê, vil rîcher vröiden swanger. ---Ir güete mich vil lützel lât dekeinen kumber müejen. der schîn, der von ir ougen gât, 20 der tuot mich schône blüejen, ---Alsam der heize sunne tuot die boume in dem touwe. sus senftet mir den swaeren muot von tage ze tage mîn vrouwe. 25 ---Ir schoener gruoz, ir milter segen, mit eime senften nîgen, daz tuot mir ein meien regen rehte an daz herze sîgen. [I. Ihr zu Diensten, wegen der ich ein Leben in sorglosem Gemüt führe, wie ich es jetzt lange getan habe. Und wenn es mir die Gute gönnt, 119 Für eine ausführliche Darstellung der kunstvollen formalen Gestaltung des in doppeltem Cursus angelegten Leichs vgl. bes. den Kommentar in: G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 524 - 535 ; als Vorlage für die im Folgenden dem MFMT-Text beigegebene Übersetzung war zudem die ebd., S. 284 - 311 , abgedruckte Übertragung Schweikles recht hilfreich, der ich freilich nicht in Allem gefolgt bin. 142 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 143 ---die mir mein Herz befreit von sehr vielen Sorgen, dann wird an meinem Sang nicht erkennbar werden der Winter und auch keine andere Beschwernis. ---Ich will sie flehend bitten, solange ich lebe, dass sie mir Freude gönnen und Lohn geben möge, der mich glücklich macht 120 . Sie ist mein Sommerglück, ---sie sät Blumen und Klee aus in den Anger meines Herzens. Davon muss ich, gleich wie es mir ergehen mag, sehr großer Freude schwanger sein. ---Ihre Güte lässt mich sehr wenig an irgendwelchem Kummer Mühe haben. Der Lichtstrahl, der von ihren Augen ausgeht, der bringt mich dazu, schön zu erblühen, ---so, wie das die heiße Sonne bei den Bäumen im Tau erreicht. Derart erleichtert mir die bedrückte Stimmung von Tag zu Tag meine Dame. ---Ihr liebevoller Gruß, ihr wohltuender Segenswunsch mit einer freundlichen Verneigung, das lässt bei mir einen Maienregen geradewegs auf mein Herz niederfallen.] Jene Anfangspassage, die durch die mottohaft 121 vorangestellte Dienstankündigung des Ichs (Ze dienest ir; V. I, 1 ) also zunächst programmatisch mit der Liebesthematik einsetzt und diese dann ab Vers I, 8 erst mittels vielfältigster Formen der Natur- und Jahreszeitenallusion spezifisch profiliert, präsentiert das Ich (noch) in einem signifikanten Freudengestus, der sich freilich im weiteren Verlauf des Leichs immer wieder mit Passagen der Liebesklage mischt. 122 Dabei sind die beiden gegensätzlichen 120 Vgl. MFU III/ 1 , S. 193 : «Lohn, der zum Glück hinführt». 121 Die Anklänge der Eingangswidmung an den lateinischen Briefstil heben Carl von Kraus in MFU III. 1 , S. 195 f., und G. Schweikle in seinem Kommentar in ders, Frühe Minnelyrik, S. 529 , hervor; dies würde freilich für einen enormen Bildungsanspruch des Textes sprechen, der sich somit an die Gelehrsamkeitsaura der Latinitität anbindet. In diesem Zusammenhang könnten übrigens auch die mehrfachen Literaturzitate und bestimmte Formulierungen der Naturbildlichkeit (z. B. das vröiden swanger, I, 16 ) eingeordnet werden, s. unten. Dem widerspricht nicht, dass freilich auch mögliche Anregungen etwa durch die provenzalische Trobadorlyrik ausgemacht werden können (s. unten). 122 Vgl. dafür auch die inhaltliche Zusammenschau des Leichs bei G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 528 f., die jedoch natürlich gezwungenermaßen schon eine deutliche Reduktion der bisweilen kompliziert ausgefalteten, teils aber auch revokatorisch hin- und herspringenden Ar- Sprechhaltungen, die im Verlauf des Leichs hin- und hermäandern, bisweilen aber über das auch für das Registersprechen des Werbungsliedes typische rhetorische Mittel der Revocatio 123 spannungsgeladen noch verdichtet werden 124 , stets durch ein enges Motivgeflecht kunstvoll verbunden, für das die Natur- und Jahreszeitenthematik den Rahmen setzt: Denn mit der am Ende geäußerten Hoffnung des Text- Ichs, dass die Dame ihm ein wunneclîchez ende gebe ( VII , 16 ), wird die Lobpreisung der Geliebten als mîn sumerwunne (I, 12 ) in der ersten Perikope des Leichs wieder aufgenommen. Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel für den hohen Grad an Motivvernetzung, der für den gesamten Leich bestimmend ist, hier aber nur unzureichend nachgezeichnet werden kann, 125 ist der Themenkomplex der zunächst in Vers I, 5 relativ beiläuflig eingeführten Herzmetaphorik, die aber bereits in Vers I, 13 f. mittels Amalgamierung mit der sommerlichen Naturthematik zum mînes herzen anger (I, 13 ) signifikant transformiert erscheint. In diesen säe, so spinnt das Text-Ich die neue, komplexere Metapher weiter, die Dame Blumen und Klee ein, und dort-- so wird in den Versen I, 25 - 28 fortgesetzt-- gehe ihr liebevoller Gruß wie ein meien regen (I, 27 ) nieder. Von diesem höchst beachtenswerten Vorgang einer solchen über die Instanz des Herzens erreichten metaphorischen Anverwandlung der Natur- und Jahreszeitenrede wird noch genauer zu sprechen sein. Doch damit ist die motivische Modulation der Herzensthematik in Ulrichs Leich noch gar nicht abgeschlossen. Denn im weiteren Verlauf erscheint diese wieder in Perikope III , reagiert dabei aber verstärkt auf die bereits in den Bildern des Säens und Herabregnens vorhandene, in Perikope II noch weiter ausgebaute und übrigens für den gesamten Leich bedeutsame Oben-Unten-Rhetorik 126 , die nun die Herzmetaphorik im Kontext einer internen gumentation des Text-Ichs darstellt. Eine ausführlichere Inhaltsparaphrase des Leichs findet sich in: Kreibich, Christina: Der mittelhochdeutsche Minneleich. Ein Beitrag zu seiner Inhaltsanalyse, Würzburg 2000 (Würzburger Beiträge zur Deutschen Philologie 21 ), S. 115 - 123 . 123 Vgl. W. Schmaltz, Reinmar der Alte, S. 118 - 127 . 124 Die in dieser Hinsicht auffälligste Passage ist mit Sicherheit die Perikope IVb, die eine solche Verdichtung mittels mehrfachen Einsatzes revokatorischer Aussagetechnik erreicht. Nachdem nämlich der Dame wegen ihres verletzenden Verhaltens vom Text-Ich in Übersteigerung seines Unmutsgestus noch mit Gottes Strafgericht gedroht worden ist (III b, V. 42 ), gibt es darauf in IVb unvermittelt an: Swaz sî mir tuot,---dâst allez guot.---ich enmac ir niht entwenken (IV b, V. 1 ). Anschließend wird diese Aussage allerdings dann wiederum in eine Beschwerde über das ungebührliche Betragen der Dame umgemünzt, wenn es heißt: doch swiez ergât,---sô solte sî gedenken, / daz ez güete niene ziemt, / daz si mir gewerb und vuoge nimt (IV b, V. 2 - 4 ), vgl. zum Einsatz des Stilmittels der Revocatio auch den Kommentar von Schweikle in ders., Frühe Minnelyrik, S. 528 f. 125 Der folgende Exkurs versteht sich somit als ein Versuch, den thematischen Gesamtzusammenhang des Leichs bei der Betrachtung der Natur- und Jahreszeitenallusionen in Perikope I nicht völlig außer Acht zu lassen, auch wenn solche Motivkorrespondenzen hier eben bloß exemplarisch vorgeführt werden können. 126 Diese wird besonders in Perikope V zum sicherlich nicht unwitzigen ‹Ringkampf›-Bild (so die Hgg. in MFMT, S. 161 ) für die Liebeswerbung verdichtet, vgl. etwa: und daz ich niemer vuoz getret / ûz dinem lobe / ich geliges under oder obe (Vv. 21 - 24 ) sowie das ich enmac ir kreften 144 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 145 Instanzenteilung des Ichs neu gewichtet. In den Versen II , 10 - 13 hatte nämlich das Text-Ich angegeben, dass die Wohltaten, die die Dame dem Text-Ich bereits jetzt zu gewähren bereit sei, jedem anderen Mann völlig genügen würden, jedoch wolle sein unzügelbarer muot noch höher hinaus- - womit schwerlich etwas anderes als die ersehnte (körperliche) Liebesvereinigung gemeint sein dürfte. 127 Allenfalls die Furcht vor der Macht des minnen slac, um dessen verheerende Wirkung das Ich schon jetzt weiß, vermöge es dabei zurückzuhalten (vgl. II , 14 - 18 ). Dies wird nun in den Versen III , 1 - 6 , mittels der Herzensmotivik revidiert, indem dass herze aufgefordert wird, sich doch auch aufzuschwingen 128 und-- so ist zu ergänzen-- dem in die ‹Höhe› strebenden muot zu folgen. Allerdings ist eine genaue konzeptuelle Abgrenzung der beiden inneren Instanzen muot (d. i. «kraft des denkens, empfindens, wollens, sinn, seele, geist; gemüt, gemütszustand, stimmung, gesinnung» 129 ) und herze (als «sitz der seele, des gemütes, mutes, verstandes, der vernunft, überlegung» 130 ) mit ihren im Mhd. doch sehr weiten Bedeutungsspektren wohl nicht unproblematisch, ja bisweilen nähern sich in der mhd. Dichtung nämlich beide Instanzen auch bis zur niht gestemen: / sô ist si obe, sô bin ich unden (Vv. 35 f.). Wie weit hier die mögliche konnotative Aufladung der Bildlichkeit mit erotischen Assoziationen gehen mag, wäre noch einmal genauer zu bestimmen; dabei wäre noch zu beachten, «dass im Mittelalter die gebräuchliche Position beim Liebesverkehr natürlich eine solche war, wobei die Frau ‹unten›, der Mann ‹oben› war» (Tax, Petrus W.: Zur Interpretation des «Gürtels» Dietrichs von der Glezze, in: ZfdPh 124 [ 2005 ], S. 47 - 62 , hier S. 60 ). 127 In diese Richtung scheint mir übrigens auch die Verwendung des Kaisertopos in den Versen II, 7 - 9 konzeptualisierbar zu sein, der die Lohnforderung von II, 6 noch imaginativ mit Hierarchiekategorien des sozialen Raumes kreuzt, vgl. das Sol ich dekeine wîle leben, / mir wirt von ir vil lîhte geben, / dar nâch ein keiser möhte streben. Dabei verweist die Realisation des Kaisertopos erst einmal zurück auf die berühmten Beispiele des Einsatzes dieser Bildlichkeit, etwa breiter ausgesponnen in Kaiser Heinrichs Lied MF 5 , 16 : Ich grüeze mit gesange (vgl. bes. Str. II) oder knapper und mit starkem Bezug auf die körperliche Attraktion der Dame (roter Mund! ) Friedrichs von Hausen Lied MF 49 , 13 : Mir ist das herze wunt, Str. I, Vv. 5 - 8 (Der keiser ist in allen landen, / kuste er sî ze einer stunt / an ir vil rôten munt, / er jaehe, ez waere im wol ergangen); zum anderen ist aber durchaus zu fragen, inwiefern der in dieser Hinsicht sicherlich noch einmal auf die Spitze getriebene Einsatz der Topik bei Neidhart, der in einer relativ ähnlichen Formulierung diese nun mit dem Griff eines dörperlichen Konkurrenten an den Schamhügel der Angebeteten in Verbindung bringt, nicht die dem Topos zuvor schon inhärente Tendenz zur Anwendung auf das Phantasma einer körperlichen Liebeserfüllung lediglich aufgreift und konkretisiert, vgl. dazu WL 20 , Str. R III, 8 f.: miner ougen wunne greif er an den fudenol. / tumber gouch, des mehte den cheiser Friderichen wol genugen (zitiert nach: SNE I: R 47 ). 128 Vgl. dazu auch die Ausführungen in MFU III. 2 , S. 415 . Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese Aufforderung in Vers III, 2 noch in indirekter Formulierung gehalten ist (und stîge ûf, daz herze mîn; vgl. dazu C. Kreibich, Der mittelhochdeutsche Minneleich, S. 116 ); die direkte Ansprache des Ichs erfolgt aber schon ab dem folgenden Vers (vgl. III, 3 : ich waene, ich iht engelte dîn; Hervorhebung von mir, D. E.) 129 Lexer I, Sp. 2241 . 130 Ebd., Sp. 1269 . solche Grenzziehungen verwischenden Ineinssetzung an. 131 Allenfalls kann hier m. E. über ein recht konkretes Verständnis von muot im Sinne von «begehren, verlangen, lust» 132 nachgedacht werden, zu dem herze dann als übergeordnete Seeleninstanz-- etwa in Form von dessen ‹Sitz›-- denkbar wäre. Schließlich wird aber mit der Ansprache des Herzens und dem Hinweis, dieses habe doch mit seiner Auswahl der Geliebten die das Liebesleid erst herbeigeführt (s. III , 5 f.: daz ich lîde disen pîn / von dîner kür und dîner bet) der im Werbungslied beliebte Topos von der Herzenswahl der Dame anzitiert, der etwa in den Anfangsversen von Friedrichs von Hausen Lied MF 49 , 13 : Mir ist das herze wunt ausgeführt wird 133 , aber auch bei Heinrich von Rugge und Reinmar präsent ist 134 , und somit herze durchaus in der für den Minnesang nicht untypischen Weise als die entscheidende Liebesinstanz profiliert. 135 Gleichzeitig wird dabei zudem auf den Typus des bereits durch Friedrichs von Hausen berühmtem Lied MF 47 , 9 : Mîn herze und mîn lîp diu wellent scheiden im Gattungsrahmen des Kreuzliedes aufgerufenen herze-lîp-Widerstreites verwiesen, der 131 Vgl. etwa die vom BLZ II, S. 242 beigebrachten Belege im «Karl» des Strickers (swaz in des mannes herzen ist, / daz wir dâ heizen der muot; V. 2 f., zitiert nach: Karl der Grosse von dem Stricker, hg. von Karl Bartsch, Quedlinburg u. a. 1857 [Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit 35 ]) und im «Tristan» (si haete in in ir muot genomen, / er was in ir herze komen; V. 725 f.; zitiert nach: Gottfried von Straßburg: Tristan. 3 Bde., nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg. und ins Nhd. übers. mit einem Stellenkomm. und einem Nachw. von Rüdiger Krohn, versch. Aufl., Stuttgart 2007 f. [ 1 1980 ], Bd. I: Text. Mhd. / Nhd., Verse 1 - 9982 , 12 . Aufl., unveränd. Nachdr. der 6 ., durchges. Aufl. 1993 , Stuttgart 2007 [RUB 4471 ]); vgl. dazu auch das Kap. «Herz als Sitz des muotes», in: Heimplätzer, Fritz: Die Metaphorik des Herzens im Minnesang des 12 . und 13 . Jahrhunderts, Heidelberg 1953 , S. 21 - 23 . 132 Lexer I, Sp. 2241 . 133 Vgl. in MF 49 , 13 die Verse I, 1 - 4 , die diesen Gedanken unter dem Vorzeichen der Topik ‹Minne als Krankheit› extrem negativ gewichten: Mir ist daz herze wunt / und siech gewesen nû vil lange, / - - daz ist reht, wan ez ist tump- - / sît ez eine vrôwen êrst bekande (vgl. zu den betreffenden Versen und ihrer Einordnung in den Liedzusammenhang die treffende Analyse von MF 49 , 13 in: Reuvekamp-Felber, Timo: Kollektive Repräsentation, S. 208 - 210 ). Übrigens scheinen die Bezüge zu Friedrichs MF 49 , 13 , dessen Liedcorpus mit Ulrichs Œuvre viele intertextuelle Verknüpfungen aufweist (vgl. dazu G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 525 ), auch für die zweite Anzitierung der Herzenswahltopik in Ulrichs Leich überdeutlich, wenn es in VI, 3 - 5 -- immer noch ganz positiv gefärbt-- von der Dame heißt: diu mir mit schoenen siten / und [] mit zühten an gewan / von êrst daz herze mîn (Hervorhebung-- wie auch im Folgenden- - von mir, D. E.). Die gegenseitige Verweiswirkung beider Texte auf einander erscheint als noch zwingender, wenn man dann auch die Verse III, 5 f. von Friedrichs Lied heranzieht, in denen die Liebesqual des Ichs wiederum auf die Wahl der Dame durch das Herz zurückgeführt wird. Unter Einbindung der Oben-/ Untenrhetorik heißt es hier-- durchaus als negativer Kommentar zu der Aufforderung an das herze in Ulrichs Leich (und stîge ûf, daz herze mîn; III, 2 ) konzeptualisierbar: Dur nôt sô lîde ich den rouwen, / wan ez sich ze hôhe huop. 134 Vgl. dafür die Belege oben in Anm. 113 und die Besprechung des Liedes MF 191 , 7 . 135 Vgl. F. Heimplätzer, Die Metaphorik des Herzens, bes. S. 44 - 54 ; Ertzdorff, Xenia von: Studien zum Begriff des Herzens und seiner Verwendung als Aussagemotiv in der höfischen Liebeslyrik des 12 . Jahrhunderts, Freiburg i.Br. 1958 , bes. S. 214 - 263 , sowie die Zusammenfassung bei: Weddige, Hilkert: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung. 6 . Aufl., München 2004 ( 1 1996 ), S. 108 . 146 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 147 die für die höfische Literatur spezifische Modifikationsform der theologischen Streitgesprächstradition zwischen Seele und Körper darzustellen scheint. 136 Ähnlich wie bei den oben bereits erwähnten Liedern wird hierbei in MF 47 , 9 wiederum das herze als das für die Liebeswahl verantwortliche Internum benannt 137 und zudem dieses in Str. II von einer nicht näher bezeichneten Ich-Instanz (dem lîp? der übergeordneten Persona des Ichs? ) 138 direkt angesprochen; eine ähnliche Unbestimmtheit der das herze ansprechenden Instanz ließe sich vor dem Hintergrund dieser Texttradition dann letztendlich auch für Perikope III des Leichs konstatieren (denkbar wäre neben der übergeordneten Ich-Persona etwa auch der muot). Erst in den diese erste Passage abschließenden Versen der Gruppe III (Vv. 12 - 19 ), in der das sprechende Ich angibt, das Ausbleiben von danc ( III , 13 ) seitens der Dame sorge bei ihm für die Erneuerung einer alten klage ( III , 17 ), scheint mir die Ich-Figuration durch die mögliche Perspektivierung dieser Aussage auf die Sänger-Rolle hin wieder deutlich bei einer internen Entitäten übergeordneten Gesamtpersona zu liegen. Die daraufhin vom Ich revokatorisch formulierte Absicht nu wil ich noch ir genâden trôst / Beiten als ich hân getân ( III , 19 f.; Hervorhebungen- - wie nachfolgend- - von mir, D. E.) wird wiederum im weiteren Verlauf- - unter Einbeziehung der bereits be- 136 Vgl. Philipowski, Katharina: Bild und Begriff: sêle und herze in geistlichen und höfischen Dialoggedichten des Mittelalters, in: Anima und sêle. Darstellungen und Systematisierungen von Seele im Mittelalter, hg. von ders. und Anne Prior, Berlin 2006 (PhStuQ 197 ), S. 299 - 319 . Vor dem Hintergrund der Anbindung an diese Tradition- - etwa über die Vernetzung mit Friedrichs von Hausen MF 47 , 9 -- bleiben mir die folgenden Bemerkungen Kreibichs unverständlich: «meiner Ansicht nach ist das Herz des Ichs hier nicht als weitere Rolle zu erachten; einen solch waghalsigen und ungewöhnlichen Schritt traue ich Ulrich angesichts seines übervorsichtigen Umgehens mit der Rolle der (Frau) Minne nicht zu. Eher dient die Passage, in der das Ich Zwiegespräche mit seinem Herzen hält, dazu, der Minne-Reflexion des lyrischen Ichs mehr Gehalt und Tiefe zu geben. Dafür spricht auch die Tatsache, dass dem Herzen des Ichs keinerlei Antwortmöglichkeit auf die Anrede der Ich-Rolle eingeräumt wird» (C. Kreibich, Der mittelhochdeutsche Minneleich, S. 124 ). Einmal abgesehen von dem unklar verwendeten, offensichtlich der Verfasserin aber selbst Schwierigkeiten bereitenden Rollenbegriff (Was macht die Instanz der Minne zur ‹Rolle›? ): eine Antwortmöglichkeit des Herzens gibt es im angesprochenen MF 47 , 9 ebenfalls nicht, aber die Anbindung an den Traditionsstrang der Leib-Seele- / bzw. Leib/ Herz-Streitgespräche ist unübersehbar. Da dort aber das herze als eigenständige Sprechinstanz gut belegt ist (s. etwa Hartmanns «Klage»), ist diese potenziell einlösbare Möglichkeit als konnotativ mitlaufender Vorstellungshorizont für den Rezipienten von Ulrichs Leich durchaus gegeben. 137 Vgl. MF 47 , 9 , V. I, 3 : sô hât iedoch daz herze erwelt ein wîp. 138 Auf die Schwierigkeit einer Bestimmung der Sprechinstanz von Str. II verweist etwa die durch den Aufsatz von Fuß, Anka / Kirst, Susanne / Scholz, Manfred Günter: Zur Sprecherkonstellation in Hausens Lied Min herze und mîn lîp diu wellent scheiden, in: Euph. 91 ( 1997 ), S. 343 - 362 , neu belebte Forschungsdebatte um Friedrichs von Hausen MF 47 , 9 , die für das Lied folgenden Wechsel der Sprecher vorschlagen: I. das Ich, II. der Leib, III. das Ich, IV. das Herz (vgl. ebd., S. 346 ). Gegenpositionen dazu nehmen mit der Konzeptualisierung der Sprechinstanz von II als Ich-Gesamtpersona ein: Klein, Dorothea: varn über mer und iedoch wesen hie. Diskursinterferenzen in der frühen mittelhochdeutschen Kreuzzugslyrik, in: dies., E. Lienert, J. Rettelbach (Hgg.), Vom Mittelalter zur Neuzeit, S. 73 - 93 , S. 87 , und M. Braun, Autonomisierungstendenzen, S. 10 f., mit Anm. 43 . sprochenen Stelle III , 5 f. (vgl. bes. Vers 6 : daz ich lîde disen pîn)-- durch die Verse 17 - 20 der Perikope IV zurück auf die Herzensmotivik geleitet und jetzt vor dem Hintergrund der Gesellschaftsinstanz neu gewichtet, indem das Text-Ich angibt: doch hoere ich vil---von vriunden und von mâgen, / war umbe ich schîne in dirre pîne.---es enmac mich niht betrâgen, / diu wîle ich weiz in ir gewalt / mînes herzen trôst sô manicvalt. Dabei spannt Ulrichs Leich mit der Formel von den vriunden und mâgen einen Konnotationsraum auf, der zum einen auf die Verwandschaftsthematik der Frauenstrophen und -lieder beziehbar ist 139 , andererseits auf den Topos der Freundeshilfe des männlichen Text-Ichs im Werbungslied. 140 Besonders deutlich scheinen in diesem Zusammenhang aber die Parallelen zu der Reinmar-Strophe MF 165 , 10 , Vv. 3 f. zu sein (die vriunt verdriuzet mîner klage. / des man ze vil gehoeret [! ], dem ist allem sô), wo in ganz ähnlicher Weise die Instanz der vriunt des liebenden Ichs zu einem Gegenbild zu dessen Gefühlswelt stilisiert wird, die dieser im Grunde verständnislos gegenübersteht. Damit wird erreicht, dass die Exzeptionalität des Liebesempfindens für das Text-Ich vor dem Hintergrund einer Imagination von dessen gesellschaftlicher Isolation und Funktionsunfähigkeit noch weiter profiliert wird. Dies wird von Ulrichs von Gutenburg Leich freilich durch die Betonung der internen Instanz des herze gleichzeitig noch stärker im Sinne einer Opposition von Innen- und Außenwelt des Ichs, die ja auch für die Ergründung der poetischen Funktion der Natureingangstopik im Bedeutungsgefüge des Werbungsliedes so eine entscheidende Rolle spielt, markiert. In diesem Zusammenhang scheint es besonders bemerkenswert zu sein, dass gerade die potenzielle Beglückungswirkung, die die Dame in ihrer Gewalt hat, als mînes herzen trôst dem gesellschaftlich auffällig gewordenen pîn des Ichs und dem darauf genau inadäquat reagierenden sozialen Umfeld entgegengehalten wird (vgl. IV , 19 f.). Denn das ez in Vers IV , 18 , das das Text-Ich eben nur wegen der immer noch bestehenden Hoffnung auf Tröstung durch die Dame nicht bekümmern kann, ist schwerlich auf etwas Anderes beziehbar als auf die ständige Fragerei der vriunt und mâge nach der Ursache seines Leidens (ebd.), die sonst nicht aushaltbar wäre. Das deswegen daraufhin über eine rhetorische Frage bekräftigte Festhalten des Ichs an der Dame (wie solde ich sî verlâzen? ; IV , 21 ) führt nun zu einer erneuten Reformulierung der Herzensmotivik, die diese eigentlich interne Instanz sogar noch weiter über eine Inbezugsetzung zum externen Außenraum profiliert, nämlich mittels des rhetorischen Kunstgriffs einer hyperbolischen 139 Vgl. etwa, auch wenn die mutmaßlichen chronologischen Verhältnisse in der-- für die Ergründung des möglichen Konnotationsrahmens aber letztlich gar nicht entscheidenden-- Frage der Priorität problematisch sein mögen: Hartmann von Aue, MF 216 , 1 , Str. IIf., oder Reinmar MF 203 , 10 , Str. I, 5 f; denkbar wäre überdies auch eine Anbindung an die-- allerdings erst spät in F überlieferte-- Str. IV von Friedrichs von Hausen MF 54 , 1 : Ich wil tuon den willen sîn, / und waer ez al den vriunden leit, die ich ie gewan, / sît daz ich hie im holder pin, / danne in aller werlte ie vrouwe einem man ( 1 - 4 ). 140 Vgl. bereits die modifizierte Aufrufung bei Dietmar von Eist MFMT VIII, XVI Str. I, Vv. 1 - 4 ; ferner Friedrich von Hausen MF 43 , 28 , Str. I, 3 ; Heinrich von Rugge MF 103 , 3 , Str. I, Vv. 1 - 3 ; Heinrich von Morungen, MF 145 , 33 , Str. III, und Reinmar MF 166 , 16 , Str. II, 1 . 148 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 149 Adynatonaufstellung, die das herze mit äußerlichen Gegebenheiten einer konkreten, aber in einen irrealisierten Möglichkeitsmodus verschobenen Geographie zusammenbringt: er irret sich,- - - swer iemer mich- - - darumbe wil verwâzen. / er schiede ê Musel und den Rîn, / ê er von ir daz herze mîn / gar enbünde ( IV , 22 - 25 ). Diese Stelle korrespondiert übrigens wiederum mit einem ähnlich ausgeführten Adynaton in Perikope III b, Vv. 1 - 4 , wo die unmögliche geographische Bedingung nun umgekehrt gefordert ist: Er kêrte den Rîn ê in den Pfât, / ê ich si lieze, diu mich hât / betwungen, und doch schône stât / von ir mîn herze, swiez ergât- - nicht Mosel und Rhein müssten also getrennt werden, sondern der Rhein in den Po umgeleitet sein. 141 Gerade letzere Passage macht dann auch deutlich, woher Ulrich die Anregung für diese-- in ihrer Übertreibung nicht unwitzigen-- Scheinkonkretisierungen der Minneabsolutheit des Ichs bezogen haben mag, bringt doch in Friedrichs von Hausen Wechsel MF 48 , 32 : Dô ich von der guoten schiet die Frauenstrophe das gleiche, aber vom Geschlechterverhältnis her genau gespiegelte Beispiel für ein derartiges Flüßeadynaton: Sie möhten ê den Rîn / bekêren in den Pfât, / ê ich mich iemer sîn / getrôste, swie ez ergât, / der mir gedienet hât ( II , 5 - 9 ) 142 . Das diesen Adynata stets inhärente Ironisierungspotential wird dann im Minnesang des 13 . Jahrhundert eindringlich das Œuvre des Tannhäusers in den Liedern VIII -X herausarbeiten, der besonders in seinen Liedern IX und X die Adynata zu längeren Reihen zusammenschließt, die nun als abstruse Voraussetzungen der Dame für eine Liebeserfüllung aufgeführt werden. 143 In eine ähnliche Richtung weist übrigens auch die letzte Stelle, in der in Ulrichs Leich vom herze die Rede ist, nämlich die Passage Vv. 25 - 32 in Perikope Vb. Dabei wird interessanterweise die Herzmetaphorik nun mit einem der im Leich mehrfach begegnenden Literaturbezüge 144 gekreuzt, in diesem Falle eine Aufrufung des Eneas-Stoffes am ‹schrägen›-- weil für einen glücklichen Ausgang der Liebeswerbung genau falschen- - Beispiel des Turnus: Turnus der wart sanfte erlôst / von kumberlîchem pîne: / daz was sînes herzen sunder trôst, / daz er lac dur Lâvîne / sô schône tôt. / der endet schiere sîne nôt / in eime tage, / die ich nu mange jâr trage (Vb, 25 - 32 ). Schon mit der Einlassung des Text-Ichs, Turnus sei von 141 Die Passage IV, 22 - 25 wird freilich bereits auch in Perikope V, 30 - 32 wieder aufgenommen, wenn es in Rückführung der Herzmetaphorik auf das konventionelle liebesthematische Sprechen heißt: mîn herze nie von ir geschiet, / noch niemer wil, / ez gelte lützel oder vil. Bemerkenswert ist aber, dass hierbei die Vokabel des scheidens im Vergleich zu IV, 23 von der unmöglichen Bedingung, die Flüsse Mosel und Rhein zu trennen, nun auf das Verhältnis von Herz und Dame übertragen ist. 142 S. auch MFU III/ 1 , S. 194 , und Des Minnesangs Frühling. Kommentare, III. 2 : Anmerkungen ( 30 . Aufl. Zürich 1950 ), hg. von Hugo Moser und Helmut Tervooren, [Nachdruck] Stuttgart 1981 , S. 416 . 143 Vgl. dazu etwa Petzsch, Christoph: Tannhäusers Lied IX in C und im cgm 4997 . Adynatonkatalog und Vortragsformen, in: Euph. 75 ( 1981 ), S. 303 - 324 . 144 Vgl. Alexander in V, Vv. 41 - 56 ; Floris und Blancheflur in Ib, V. 21 - IIb, und die Dame von Roschi bîse in IVb, Vv. 17 - 20 ; letztere Anspielung ist nicht ganz eindeutig zu klären, vgl. die Hinweise in MFU III/ 1 , S. 195 , und III/ 2 , S. 417 , sowie Schweikles Kommentar in ders., Frühe Minnelyrik, S. 534 f. seinem kumberlîchen pîne angenehm erlöst worden (Vb, 25 f.), wird klar, dass es sich hier nicht um ein konventionelles Literaturbeispiel für eine positiv endende Liebesgeschichte handeln kann, denn dann hätte als Name der des Eneas-- und nicht eben der des von ihm getöteten Rivalen-- aufgeführt werden müssen. 145 Wenn nun aber darauf angegeben wird, dass-- man beachte die durchaus als Ironiesignal deutbare Übertreibung der Wendung mînes herzen trôst von IV , 20 146 -- des Turnus einziger Herzenstrost darin bestanden habe, dass er um der geliebten Lavinia willen einen so vollendeten Tod gefunden habe (vgl. Vb, 27 - 29 ) 147 , und diese Aussage dann am jahrelangen Liebesleid des Text-Ichs gemessen wird, das unglücklicherweise eben kein so schnelles Ende gefunden habe (Vb, Vv. 30 - 32 ), so scheint mir auch hier die inhaltliche Drastik der Vergleichssetzung (Tod als ein Ende des Liebeskummers) ironisch gebrochen und somit das Literaturzitat eher zum poetologischen Spiel mit dem minnesängerischen Klagegestus genutzt zu sein. Dies führt freilich die variable Anschlussfähigkeit und vielgestaltige Realisationsweise der Herzensmotivik in Ulrichs Leich noch einmal eindrücklich vor Augen. Doch so, wie die Herzmetaphorik einen der möglichen interpretatorischen Zugriffe auf den gesamten Leichzusammenhang bietet, ist sie eben-- wie bereits angedeutet- - auch für die charakteristische Gestaltung der Natur- und Jahreszeitenbildlichkeit von MF 69 , 1 von entscheidender Bedeutung. Denn bereits nach der ersten Einlassung des Text-Ichs, dass dieses aufgrund der beglückenden Wirkung seiner Dame nun lange schon ein Leben mit ringem muote (I, 2 ) führen könne (vgl. I, 1 - 3 ), wird dies vom liebenden Ich dahingehend auf die Instanz des herze (I, 5 ) bezogen 148 , die Dame hätte dieses von Sorgen befreit, so dass sich am Sang des Ichs weder Winter noch sonst irgendwelcher Kummer ablesen lasse (vgl. I, 5 - 8 ). Damit ist also 145 Vgl. im Eneasroman des Heinrich von Veldeke die entscheidende Zweikampfpassage Vv. 12 306 - 12 634 ; verwendet wurde: Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mhd. / Nhd., nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Nhd. übers., mit einem Stellenkomm. und einem Nachw. von Dieter Kartschoke, Stuttgart 1997 ( 1 1986 ) (RUB 8303 ). Ob freilich Heinrichs Eneasroman als tatsächliche Vorlage von Ulrichs von Gutenburg Leich bereits in Frage kommt, ist nicht ganz unumstritten, vgl. den Kommentar in MFMT II, S. 83 . 146 Dieser ironische Zug ist umso deutlicher, als im zweiten Cursus gegenüber der Formulierung von mînes herzen trôst in IV, 20 nun verstärkt in die gegenteilige Wortverbindung herzeleit (Ib, 7 und IIIb, 33 ) erscheint und herze somit deutlicher als ein Ort von Liebeskummer aufgerufen ist, was bei der Prägung sînes herzen sunder trôst noch als Konnotationsspur mitschwingen dürfte, die diese Kennzeichnung gleichzeitig desavouiert. Zu den Schwierigkeiten, die die Ironie als Kontextphänomen für die Frage nach ihrer ‹eindeutigen› Identifizierbarkeit mit sich bringt, vgl. Köbele, Susanne: Ironie und Fiktion in Walthers Minnelyrik, in: Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Fs. Jan-Dirk Müller zum 65 . Geb., hg. von Ursula Peters und Rainer Warning, München 2009 , S. 289 - 317 . 147 Der Umstand, dass Eneas nach dem Zweikampf Turnus eigentlich verschont hätte, ihm aber aufgrund des Ringraubes von der Hand des toten Pallas doch den Kopf abschlägt, wird dabei freilich verschwiegen, s. Heinrich von Veldeke, Eneasroman, Vv. 12 559 - 12 606 148 Zum sich im weiteren Verlauf des Leichs noch weiter ausbreitenden Zusammenspiel der internen Instanzen von muot und herze s. auch meine Ausführungen oben. 150 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 151 nicht nur über das liebesthematische Sprechen die Instanz des herze als ein Ansatzpunkt der motivischen Modulationstechnik etabliert, sondern-- interessanterweise in Herleitung über die Sangesthematik- - auch der Bereich der Natur- und Jahreszeitenthematik mittels der Signalvokabel winter (I, 8 ) schlagartig präsent gemacht; diese spielt jedoch für die unmittelbar folgenden Verse dann wiederum keine Rolle mehr. 149 Um einen saisonalen Natureingang, wie er in der vorliegender Untersuchung für das Werbungslied als Topos nachzuzeichnen ist, handelt es sich dabei- - wie schon mehrfach betont- - also nicht, denn selbst wenn man die fehlende Anfangsstellung einmal außer Acht ließe, so kann in dieser kurzen sangesthematischen Passage von konkreten Naturdetails nicht die Rede sein. Vielmehr haben wir es bei jener Stelle, die ja die erste Repräsentation von Natur- und Jahreszeitenthematik in Ulrichs Leich darstellt, sofort mit einer metaphorisch lesbaren Verwendungsweise von dieser zu tun, die ganz ähnlich funktioniert wie bestimmte Techniken der Anwendung der Jahreszeitenmotivik auf die Sangesthematik, die hier bereits anhand von Harmanns von Aue Liedstrophe MF 205 , 1 im Rahmen des sog. Jahreszeiteneingangs konturiert worden sind. Bezüglich dieses Liedeingangs war nämlich bemerkt worden, dass, wenn das Text-Ich in Vers I, 3 angibt, sein Gesang werde das wâpen des Winters tragen, will heißen: aufgrund seiner hoffnungslosen Lage traurig klingen müssen 150 , hier die Jahreszeitenrede in einem derart übertragenen Sinn eingesetzt ist, dass dadurch letztlich die Festlegung des als aktuell zu imaginierenden saisonalen Zeitpunktes als Winter eher desavouiert, denn vorangetrieben wird. Eine solche Verwendung der Jahreszeitenthematik begegnet nun aber doch in vergleichbarer Weise auch in Ulrichs Leich, wenn es dort in positiver Setzung umgekehrt heißt, dass aufgrund der beglückenden Wirkung der Dame (vgl. I, 5 f.) man dem Sang des Text-Ichs weder den Winter noch sonst etwas Sorgenvolles ablesen könne (vgl. I, 7 f.). Dadurch ist beim Rezipienten eine Imagination des präsentisch für die Sprechgegenwart des Ichs zu unterlegenden saisonalen Zeitpunktes als Winter zwar sicher möglich, jedoch aber nicht zwingend nötig, schließlich ist die Aussage dazu viel zu generell und prinzipiell ja auch als im Sommer getroffene Feststellung denkbar. 151 Dafür spricht übrigens dann auch die sofortige Auflösung des 149 Die Verse I, 9 - 11 verbleiben wieder ganz im Rahmen der Liebesthematik: Ich wil si vlêhen, unz ich lebe, / daz sî mir vröide gunne / und sî mir lôn nach heile gebe. 150 Vgl. MF 205 , 1 , V. I, 3 f.: mîn sanc süle des winters wâpen tragen, / daz selbe tuot ouch mîn senender muot. 151 Dies ändert sich erst in Perikope III, wo in V. 16 mit der Information, trübe Gedanken ließen dem Text-Ich die kurzen Tage lang werden, und in V. 28 mit seiner präzisen Festschreibung disen winter kalt die Determination der imaginativen Sprechgegenwart als Winter unumstößlich wird. Diese Konzeptualisierung wird neben der expliziten Jahreszeitennennung mit deiktischem Impetus (disen winter) also eben auch durch die Erwähnung eines Naturdetails, den im Winter kürzeren Tagen, unterstrichen, ein Motiv, das bereits seit dem frühhöfischen Minnesang zur Charakterisierung der Jahreszeit im Natureingang benutzt wird. Meist sind es in diesem Fall jedoch die im Winter längeren Nächte, die für die potenzielle Liebeserfüllung als glücklich hervorgekehrt werden, vgl. dazu etwa: Dietmar von Eist, MF 35 , 16 : Sô wol mich danne langer naht, / gelaege ich alse ich willen hân! (I, 5 f.); ders., Lied MF 39 , 30 in der Frauenkonkreten, temporalen Markers der Jahreszeitennennung winter zur völlig unbestimmt und allgemein gehaltenen Angabe noch dehein swaere noch im selben Vers (I, 8 ). Insofern erklärt sich diese punktuelle, ja fast als Scheinfestlegung fungierende saisonale Markierung, die doch sehr stark in ein metaphorisches Aussagenkonzept im Sinne von «in meinem Gesang ist von Kummer nichts zu spüren» hinüberspielt, als Grundlegung einer Tendenz in Ulrichs Leich, die Natur- und Jahreszeitenrede weniger als Stilisierungsmittel zur Festschreibung einer Sprechgegenwart zu nutzen, als vielmehr diese zum Ausgangspunkt einer metaphorischen Umsetzung liebesthematischer Aussagen zu machen. Diese Technik zeigt sich dann besonders in der nun zu besprechenden Passage I, 12 ff., die-- nach Zwischenschaltung einer in dieser Hinsicht unmarkierten, konventionellen liebesthematischen Aussage 152 -- nämlich die bereits angeklungene Jahreszeitentopik wieder aufgreift, indem das Ich die Dame hier als seine sumerwunne (I, 12 ), also seine Sommerfreude / sein Sommerglück, charakterisiert. Diese Formulierung, die an sich vielleicht gar nicht so aufregend scheinen mag, offenbart aber bereits einen Vorgang, dessen Tragweite in poetologischer Hinsicht nicht zu unterschätzen ist, führt sie doch die Technik der metaphorischen Umlenkung der Natur- und Jahreszeitenrede hier durch die verkürzte Formulierung si ist mîn sumerwunne (I, 12 ) quasi bereits in ihrem Endresultat vor. 153 Indem die Dame nämlich nun als Sommerfreude des Ichs erscheint, ist nicht nur die der (kosmologischen) Außenweltdiagnose des Ichs zugeordnete Motivik, deren Funktion tendenziell auf situative Festschreibung einer Sprechgegenwartsimagination zielt, vollkommen auf eine andere Liedinstanz (hier: die Dame 154 ) projeziert und damit in den Status uneigentlicher Rede-- nämlich den einer liebesthematischen Aussage-- versetzt (si ist mîn sumerwunne ist auch als eine im Winter strophe: Wir hân der winterlangen naht / mit vröiden wol enpfangen (II, 1 f.). Umgekehrt wird allerdings auch der Sommer wegen seiner langen Tage freudig begrüßt, vgl. etwa Heinrich von Veldeke, MF 59 , 23 : In den zîten von dem jâre, / daz die tage sint lanc / und daz weter wider klâre (nach B I, 1 - 3 ) oder ders., MF 57 , 10 : ‹Ich bin vrô, sît uns die tage / liehtent unde werden lanc›, / sô sprach ein vrowe al sunder clage (nach A I, 1 - 3 ). Interessanterweise umspielt Ulrichs Leich an dieser Stelle beide der traditionellen Verwendungsweisen (Freude über die winterlangen Nähte / Freude über die langen Sommertage) und deutet sie dabei neu: denn indem das Text-Ich hier in der imaginierten Sprechgegenwart der Winterzeit darüber klagt, dass ihm sein Liebesgrübeln die kurzen Tage lang werden lässt, wird zum einen die Möglichkeit einer glücklichen Liebeserfüllung in den Winternächten für das Ich wohl offensichtlich als nicht vorhanden mitgedacht, zum anderen das Positivum des Sommers (seine langen Tage) für das Ich gerade im Winter zur Qual (das Liebesleid bzw. Nachdenken darüber macht die Tage noch länger, dehnt die Zeit). 152 Einzig der Begriff der vröide in Vers I, 10 könnte vom Rezipienten vor dem Hintergrund der Natur- und Jahreszeitenmotivik konzeptualisiert werden, wird er doch bezeichnenderweise in der folgenden Passage im Rahmen genau dieser Motivik wieder aufgegriffen (vgl. I, 16 ). 153 Denkbar wäre ja auch, dass das Text-Ich diese Umbesetzung ausführlich herleitet, etwa: «Sie erscheint mir so / ist für mich so beglückend wie-…». 154 Dies kann im Folgenden freilich auch direkt das Ich selbst sein, vgl. etwa I, 19 f.: der schîn, der von ir ougen gât / der tuot mich schône blüejen; s. dazu unten. 152 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 153 gemachte Festsellung denkbar 155 ), sondern eben auch in entscheidender Form subjektiv vom Ich vereinnahmt-- ein Außenweltbezug ist nicht mehr vorhanden (man konzeptualisiert: sie ist für mich sumerwunne). Diese Umbesetzungsoperation wird nun im Folgenden weiter ausgefaltet, indem die Natur- und Jahreszeitenmotivik konsequent metaphorisch zur Umschreibung eigentlich liebesthematischer Aussagen angewendet wird. Dabei scheint die Umsetzung dieser Technik quasi zur Initialzündung eines derart reichen Anlagerungsprozesses intertextueller Bezüge zu werden, die doch besondere Aufmerksamkeit verdient. Ein gutes Beispiel für eine solche Verdichtung liefert gleich die Passage Vv. I, 13 - 16 , die mit einem recht ungewöhnlichen Bild einsetzt: ---Si saejet bluomen unde klê in mînes herzen anger; des muoz ich sîn, swiez mir ergê, vil rîcher vröiden swanger. Das Text-Ich gibt hier an, dass die Dame im Anger seines Herzens-- also nicht dem der Augen wie bei Frauenlob! -- Blumen und Klee aussäe, wodurch es-- gleichgültig, was ihm widerfahre-- stets übergroßer Freuden swanger (I, 16 ) sei. Hinsichtlich der poetischen Technik wird also Naturmotiv (bluomen und klê auf dem anger) 156 zur metaphorischen Ausdeutung der liebesthematischen Aussage, die Dame mache das werbende Ich überglücklich, eingesetzt, wobei die Topik nicht in erster Linie auf die Instanz der Dame angewendet wird, sondern ihren perspektivischen Fluchtpunkt im Internum des Ichs selbst besitzt (sie sät zwar Blumen und Klee, aber eben auf der Herzenswiese des Ichs). Dabei sind m. E. zwei Aspekte bemerkenswert, nämlich 155 Darauf weist ja auch die nachträgliche Markierung der imaginativen Jahreszeitenfestlegung auf den Winter in Perikope III hin, s. oben. 156 Die Naturvokabeln bluomen und klê sind für den Minnesang schon vor Ulrich bezeugt (vgl. etwa schon Meinloh von Sevelingen, MF 14 , 1 : Ich sach boten des sumeres, / daz wâren bluomen alsô rôt ( 1 ) und Heinrich von Veldeke, Str. MF 58 , 23 : Dâ wîlent lac der snê, / dâ stât nû grüener klê (II, 8 ); in der Verbindung bluomen unde klê begegnen sie-- neben der in A Niune zugewiesenen, aber in MF unter die Namenlosen Lieder gezählten Str. MF 6 , 5 (V. 6 : schoene bluomen unde klê)-- wieder in Gottfrieds von Straßburg Lied MFMT XXIII, Nr. II (freilich in einer weitere Naturdetails umfassenden Aufzählung, vgl. V, 9 : loup, gras, bluomen unde klê) und natürlich bei Walther, etwa in seinem berühmten ‹Mailied› L 51 , 13 , Str. III, 6 - 8 : «dû bist kurzer! »-- «ich bin langer! » / alse strîtent si ûf dem anger, / bluomen unde klê, wobei hier ebenfalls der anger als Ortskomponente- - wie in MF 69 , 1 - - mit ihnen verbunden ist. Dabei ist es natürlich wiederum unmöglich zu klären, inwiefern es sich bei Walthers Lied um eine tatsächliche Vorlage von Ulrichs Leich handeln könnte und ob es als Vorwissen der zeitgenössischen Rezipienten anzusetzen ist. Interessanterweise ist der später im Natureingang omnipräsente anger jedoch für die Ausgestaltungen der Natur- und Jahreszeitentopik, die die MF-Edition in ihrer chronologischen Reihenfolge vor Ulrich ansetzt, ja überhaupt für den gesamten Bereich von MF sonst nicht nachzuweisen. Dies würde also bedeuten, dass das Motiv bei seinem ersten Erscheinen in der Minnesangtradition bereits in metaphorisch umgelenkter, und damit deutlich literarisch stilisierter Form, nämlich in der ungewöhnlichen Prägung mînes herzen anger (I, 14 ), begegnet. zum einen das- - sicher ungewöhnliche- - Bild der säenden Dame im Herzen des Ichs, für das es im Minnesang zuvor keine Parallele gibt, und zum anderen die-- vor dieser Folie ebenso frappierende-- Formulierung in mînes herzen anger (I, 14 ) selbst, die auf die- - etwa in der Spruchdichtung späterer Zeit begegnende- - besonders beliebte Praxis der Genitivmetaphorisierung von Naturdetails im Kontext des sog. ‹geblümten Stils› 157 verweist, in unserem Zusammenhang aber natürlich auch gerade vor dem Hintergrund der Frauenlob’schen Prägung vom anger miner ougen interessiert und auf die ihr inhärenten Spezifika hinsichtlich der poetologischen Dimension einer internalisierenden Metaphorisierung von Naturmotiven zu befragen ist. Denn während im Falle von Frauenlobs anger-- selbst bei den unterschiedlichen Modi an Verlegung dieses Externums in das Innere des Ichs in Marienleich und Lied 4 , die in der vorherigen Interpretation auszuloten versucht worden sind 158 -- mit der Wahl des Sinnesorgans ougen diesem immer ein Wahrnehmungsmoment-- und damit der Aspekt des Übergangs von Außen nach Innen-- eingeschrieben bleibt, ist dem anger bei Ulrich mit der Verortung im Herzen-- und damit der im Minnesang immer stärker profilierten Metapher für die innere Liebesaffektion-- bereits ein denkbar radikaler Grad von Internalisierung zu eigen. 159 Auch wenn dadurch freilich die Potenziale der Metaphorisierung von Natur- und Jahreszeitenmotivik hinsichtlich der Frauenlob-typischen Ebenenverwischung, etwa der irritierenden Destabilisierung von Innen und Außen, in Ulrichs Leich somit noch nicht im Vordergrund stehen, zeigt der Text dennoch, dass das Verfahren einer internalisierenden, liebesthematischen Umdeutung dieser Topik, die ja hier noch deutlicher einen Abbau ihrer Potenz zur Außenweltimagination betreibt, der Minnesangtradition als realisierbare Möglichkeit schon relativ früh zur Verfügung steht. Doch damit ist das Motiv der im Herzensanger säenden Dame, dessen Herkunft und Konnotationshintergrund noch nicht ausreichend geklärt. Schließlich lässt es sich über den bekannten Minnesang-Topos des Wohnens der Umworbenen im Herzen nicht restlos herleiten 160 , auch der Verweis 157 Vgl. G. Hübner, Lobblumen, S. 22 et passim. 158 In Lied 4 dürfte die Konzeptualisierung des Angers als eine außerhalb des Ichs befindliche Wiese bzw. Wiese im übertragenen Sinn (Gesicht der Geliebten) freilich deutlicher zu Tage treten, s. oben. 159 Dieser legt eben die Lesart eines konkret in der Außenwelt des Ichs zu imaginierenden angers, auf dem die Dame Blumen und Klee aussät, und von dem das Herz des Ichs nur besonders eingenommen ist (im Gegensatz zu etwa anderen Wiesen in der Natur), nicht mehr recht nahe. 160 Vgl. etwa Friedrichs von Hausen Lied MF 42 , 1 : Mîn herze muoz ir klûse sîn, / al die wîle ich hân den lîp (III, 1 f.) oder- - in später häufig wieder aufgenommener Formulierung, die hier das Motiv mit dem Topos der Verwundung im Herzen kombiniert-- Heinrichs von Morungen Lied MF 141 , 15 : Diu brach alse tougen, / al in mîns herzen grunt. / dâ wont diu guote / vil sanfte gemuote. / des bin ich ungesunt (I, 7 - 11 ). Auch wenn grunt (zunächst: «unterste fläche eines körpers od. raumes» [Lexer I, Sp. 1101 - 1102 ] ja durchaus die Bedeutungskomponente ‹Erde›/ ‹Erdreich› umfasst (vgl. dazu die Belege in: ebd., Sp. 1102 ), scheint mir die Prägung vom mîns herzen grunt (I, 8 ) nicht mit Ulrichs ‹Herzensanger› in einer engen Verbindung zu stehen, sondern mehr auf ein besonders tiefes Eindringen der Dame ins Herz des Ichs hin eingesetzt (schließlich sät die Dame dort auch nicht, sondern hält sich dort auf! ). 154 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 155 auf das Fungieren der Dame als «Gärtnerin» 161 oder die Möglichkeit einer Inbezugsetzung mit später begegnenden-- wohl von Neidharts Dörperwelt angeregten-- Stilisierungen der Geliebten als feldarbeitende Magd 162 scheinen hier nicht zielführend zu sein. Darüber hinaus wird man auch schwer die wenigen direkten Parallelstellen zur Genitivprägung des herzen anger selbst zur Klärung der Passage heranziehen können, stammen sie doch aus deutlich späterer Zeit. 163 Vielmehr scheint es mir so 161 So G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 528 . 162 Vgl. etwa die in Steinmars Lied SMS 26 , 14 besungene klůge, aber barfüßige dienerinne (Zitate entnommen aus Vers II, 2 ; s. zudem den modifizierten Refrain in den Vv. 6 - 8 der Str. II), von der es im weiteren Verlauf heißt: dú nah dem pflůge- - -mv o s so dike erkalten, / schalten- - - den wagen, so er gestat: / des meiers hof si gar begat (III, 3 - 5 ). Dies scheint sich vor allem aufgrund der überdeutlichen metaphorischen Dimension des Säens in Ulrichs Leich von vornherein auszuschließen (es geht hier ja nicht um ein Spiel mit vermeintlichen Realitätseinsprengseln, die den sozialen Status der Dame einmal in ungewöhnlicher Weise sozial konkretisieren; vgl. dazu grundlegend Glier, Ingeborg: Konkretisierung im Minnesang des 13 . Jahrhunderts, in: From symbol to mimesis. The generation of Walther von der Vogelweide, hg. von Franz H. Bäuml, Göppingen 1984 [GAG 368 ], S. 150 - 168 ). 163 In diesem Zusammenhang ist auf Heinrichs von Mügeln Spruchœuvre zu verweisen, vgl. die Tum-Str. VI, 8 ( 117 ), deren Vv. 1 - 4 die Metapher-- unter Einbeziehung der Jahreszeitenmotivik-- in Form einer Marienanrufung (d. i. der wahre Mai! ) auf die Kunstthematik wenden und in der Einrichtung Stackmanns so lauten: Mins tichtes stam besnit, / den rifen grober sprüche wit / von im, der mir gewaldig lit / in herzen anger, warer mei (zitiert nach: K. Stackmann, Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln, S. 154 f.; Hervorhebung- - wie im Folgenden-- von mir, D. E.), sowie Spruch XV, 31 ( 378 ), dessen Verse 1 - 6 , die die Metapher im Kontext einer Tugendlehre ansiedeln, Stackmann wie folgt rekonstruiert: Wem zucht in herzen anger / den sam der tugent set, / macht rechtes fücht in swanger, / des heiles frucht er met. / des laß din herz erlüchten / erfüchten die tugent, werder man (ebd., S. 460 ); gerade im Fall der letzteren Textstelle erstaunt- - neben dem ebenfalls verwendeten Reimwort swanger- - vor allem die enge Verbindung des Herzensangers mit dem Metaphernkomplex des Säens, die sich ja auch in Ulrichs Leich findet. Diese Parallele dürfte sich aber vor allem auf eine beiden Texten gemeinsame Anregung durch das Gleichnis vom Sämann bzw. dessen Auslegung im NT ergeben, s. dazu unten das Folgende. Als weitere, sehr späte Parallelstelle ist noch der «Ackermann» des Johannes von Tepl zu nennen, in dem die Anklage des Todes durch den Ackermann im dritten Kapitel mittels folgender Formulierung erfolgt: jr hapt meyner wunnen licht somerblumen mir auß meines herczen anger jemerlichen außgerewtet (zitiert nach: Johannes von Tepl: Der Ackermann. Fnhd. / Nhd., hg., übers. und komm. von Christian Kiening, Stuttgart 2000 [RUB 18 075 ], S. 10 ); vgl. dazu den Komm. in ebd., S. 103 , und zuvor schon Palmer, Nigel F.: Der Autor und seine Geliebte. Literarische Fiktion und Autobiographie im «Ackermann aus Böhmen» des Johannes von Tepl, in: Autor und Autorschaft im Mittelalter. Kolloquium Meißen 1995 , hg. von Elizabeth Andersen u. a., Tübingen 1998 , S. 299 - 322 , bes. S. 314 [jeweils mit weiterführenden Literaturhinweisen], welche die besondere Vorbildrolle der Spruchdichtungstradition im Hinblick auf die Gestaltung der «durch das Possesivpronomen erweiterten Genitivumschreibung (Metapher mit abhängigen Abstraktbegriff im Genitiv)» (ebd.), die zum Preis der verstorbenen Ehefrau eingesetzt werden, betonen. Die Prägung meines herczen anger gehört strenggenommen nicht in diesen Zusammenhang (zielt auf ein Internum des Ichs), ist aber ähnlich gebildet. Zu diskutieren wäre zudem noch, ob die Textstelle Konrad von Würzburg, «Trojanerkrieg», V. 607 , wo jedoch von einem acker des Herzens die Rede ist, mit in diese Reihe gehört. Dort heißt es nämlich vom jungen Paris-- in interessanter metaphorischer Interferenz mit seiner-- ebenfalls landwirtschaftlichen-- Tätigkeit als Hirte: nû kam vil schiere zu den tagen / der jungelinc schœn unde stolz, / daz er daz vihe treip zu sein, dass sich die auffallende Metaphorik der im herzen anger des Ichs Blumen und Klee säenden Dame einer spezifischen Verschmelzung von Naturmotivik und Bibelallusion (Gleichnis des Sämanns und dessen Auslegung, etwa in Mt. 13 ) verdankt 164 , wobei diese neutestamentliche Passage dadurch in ihrer Anlagerung begünstigt wird, dass die Natur- und Jahreszeitenrede bereits in ein metaphorisches Sprechen gekippt ist und somit prinzipiell auf das Innere des Ichs übertragen werden kann. Dieselbe Technik nutzt nämlich auch die auslegende Deutung des Gleichnisses in Mt 13 , 18 ff., die die erzählerischen Angaben des eigentlichen Gleichnisses (ein Sämann geht zum Säen auf ein Feld; dabei fallen manche Körner auf den Weg, manche auf felsigen Untergrund, und manche in die Dornen- - nur die Saat auf gutem Boden bringt Ertrag) gerade über die Instanz des Herzens (und das ‹Säen› dort! ) auf den Menschen überträgt und somit die Aussagen-- quasi im Nachhinein-- metaphorisiert. Der Anfang dieser Passage lautet in der Vulgata 165 : 18-vos ergo audite parabolam seminantis 19-omnis qui audit verbum regni et non intellegit venit malus et rapit quod seminatum est in corde eius hic est qui secus viam seminatus est [(18) Hört also ihr das Gleichnis vom Sämann. (19) Bei jedem, der das Wort vom Reich hört und es nicht versteht, kommt der Böse und raubt, was in dessen Herz gesät worden ist. Dieser ist entlang des Weges gesät worden.] Damit ist also sogar schon die metaphorische Formulierung selbst vorgeprägt, dass dem Menschen-- im übertragenen Sinne-- etwas ins Herz ‹gesät› wird (nämlich: das Wort vom Reich Gottes), die hier den Vorgang der Aufnahme des zu Vermittelnden in das Innere kennzeichnet. Dieser Akt der Internalisierung kann jedoch nur Erfolg bringen (‹Früchte tragen›), wenn der betroffene Mensch auch die Bereitschaft zur ze holz / und ûf der grüenen heide velt. / ez wuohs vil rîcher tugende gelt / ûf sînes herzen acker (Vv. 602 - 607 ; zitiert nach: Der Trojanische Krieg von Konrad von Würzburg, nach den Vorarbeiten K. Frommanns und F. Roths zum ersten Mal hg. von Adelbert von Keller, Stuttgart 1858 [Nachdr. Amsterdam 1965 ] [Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 44 ], S. 8 ). Für eine verdienstvolle Materialsammlung zu den hier genannten Textbeispielen und ähnlich lautetenden Stellen vgl. insgesamt den zweiten Band der Ausgabe Johannes von Saaz: Der Ackermann aus Böhmen, 2 Bde., hg. von Günther Jungbluth und Rainer Zäck, Heidelberg 1969 - 1983 (Germanische Bibliothek: Reihe 4 ), Bd. II: Kommentar, aus d. Nachlaß von Günther Jungbluth hg. von Rainer Zäck, Heidelberg 1983 , S. 25 - 27 . 164 Hierauf verweisen schon Schönbach, Anton: Die älteren Minnesänger, Wien 1899 (Beiträge zur Erklärung altdeutscher Dichtwerke 1 / Sitzungsberichte der Kais. Akademie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-Historische Klasse 141 , 2 ), S. 73 , und F. Heimplätzer, Die Metaphorik des Herzens, S. 122 . 165 Biblia sacra iuxta Vulgatam versionem, rec. et brevi apparatu critico instruxit Robert Weber, 5 ., verb. Aufl., hg. von Roger Gryson, Stuttgart 2007 , S. 1545 ; Hervorhebung von mir, D. E. Für die beigegebenen Übersetzungen habe ich mich an: Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes. Aus der Vulgata mit Bezug auf den Grundtext neu übers. und mit kurzen Anm. erl. von Dr. Joseph Franz Allioli, 5 . Aufl., Ausg. in einem Bd., Landshut 1842 , S. 954 , orientiert. 156 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 157 richtigen Aufnahme hat und dazu das Vermögen, das, was in seinem Herzen angelegt wird, auch zu verstehen (Mt. 13 , 23 ) 166 : 23 qui vero in terra bona seminatus est hic est qui audit verbum et intellegit et fructum adfert et facit aliud quidem centum aliud autem sexaginta porro aliud triginta [(23) Wer aber in gute Erde gesät worden ist, das ist der, der das Wort hört und versteht und Frucht bringt und daraus entweder freilich das Hundertfache oder aber das Sechzigfache oder fernerhin das Dreißigfache erzielt.] Dies bringt uns zu den Unterschieden, die sich für die Passage von Ulrichs Leich gegenüber der Bibelstelle ergeben, die freilich mehr als eine assoziative, intertextuelle Anregung dient (unter anderen, z. B. der Naturmotivik, wie sie etwa im Natureingang begegnet), denn als tatsächliche inhaltlich-übereinstimmende Präfiguration zu erachten ist: Dem Ich wird hier wohl kaum etwas als Lehre oder Glaubensgewissheit ins Herz ‹gesät›, die ‹Früchte trägt› 167 , sondern eben bluomen unde klê (I, 13 ), die das Ich zu großer Freude anregen (vgl. I, 15 f.)-- und dies auch nicht von einer religiösen Heilsinstanz, sondern von der geliebten Dame. Zudem ist auch der Ort der Aussaat, obwohl die Bedeutung «ackerland» für anger durchaus möglich ist 168 , ein in dieser Hinsicht viel freier konnotierter herzen anger und kein herzen acker 169 . Allerdings ist es freilich schon durch die Aufrufung eines solchen geistlichen Konnotationsrahmens, der sich für die Passage neben dem Kontext der Minnesang-typischen Naturmotivik allein durch die Nähe zur biblischen Wendung vom Säen ins Herz zusätzlich ergibt, möglich, dass diese freudenstiftende Wirkung in assoziativen Zusammenhang mit einer einblendbaren religiösen Dimensionierung der Herzensmetaphorik wie in Mt. 13 tritt- - und dies eben nicht derart, dass die Beglückungspotenz der Dame als ‹undenkbare› Alternative abgewiesen würde. 170 Insofern wäre die Bibelallusion in Ulrichs Leich durchaus in den Rahmen einer Aufwertungsbewegung der 166 Biblia sacra, S. 1545 f. 167 Vgl. dafür etwa den Umgang mit der Bibelanregung in der Spruchstrophe Heinrichs von Mügeln: Wem zucht in herzen anger / den sam der tugent set, / macht rechtes fücht in swanger, / des heiles frucht er met. (Hervorhebung von mir, D. E.). 168 Vgl. und Zitat entnommen aus: Lexer I, Sp. 70 f. 169 Wie etwa in Konrads von Würzburg, «Trojanerkrieg», V. 607 ; s. dazu oben, Anm. 469 . 170 Vgl. dazu etwa auch in Ulrichs Leich die Angabe Vv. VII, 9 - 11 : Iedoch, swie ez mir ergê, / sô muoz sie iemer mê / nâch gote sîn mîn anebet, die zwar eine Priorität des Religiösen noch einzeichnet, diese allerdings nur graduell staffelt. (weltlichen) Liebesthematik zu sehen, wie er sich für den Minnesang ja auch an anderer Stelle bemerken lässt. 171 Damit ist aber das volle Bedeutungspotenzial der Passage noch nicht ausgeschöpft: Denn durch die Angabe des Text-Ichs, dass es durch das Säen der Dame im Herzen vil rîcher vröiden swanger (I, 16 ) werde, öffnet sich auch noch der Raum auf den Konnotationsrahmen der mittellateinischen Liebeslyrik hin, die auf dem Gebiet der Naturmotivik besonders häufig mit Bildern der Befruchtungs- und Geburtsmetaphorik operiert. 172 Dafür ist das aus dem 12 . Jahrhundert stammende und möglicherweise Petrus von Blois zuzurechnende Carmen Wollin Nr. 5 . 3 173 mit Sicherheit ein sehr augenfälliges Beispiel. Ich zitiere hier-- stellvertretend für die große Bedeutung dieser Bildlichkeit im gesamten Text-- nur einmal den Versikel 1 a 174 : 1a. De terre gremio rerum pregnatio ---progreditur, et in partum soluitur uiuifico calore. [Aus dem Schoß des Erdbodens schreitet die Schwangerschaft der Natur voran und zur Geburt wird sie gelöst durch die Leben spendende Wärme.] 171 Etwa gerade anhand des saisonal organisierten Natureingang. Ein anderes Beispiel wäre freilich in diesem Zusammenhang die Gattung des Kreuzliedes, die ja allein schon dadurch, dass sie überhaupt die minnesängerische Liebesthematik mit dem Heidenkampf und seiner Bedeutung für das Seelenheil misst, eine immense Aufwertungsbewegung darstellt, und dies selbst dann, wenn die weltliche Minne als Alternative letztendlich abgewiesen werden sollte; viele Hinweise dazu verdanke ich Ursula Peters. 172 Vgl. als Parallelbeispiel aus dem 13 . Jahrhundert den vieldiskutierten, mit besonderen (lateinischen) Gelehrsamkeitsbezügen ausgestatteten Natureingang des Liedes KLD 6 , XI von Burkhard von Hohenfels, wo es-- unter Anbindung an die Syzygienlehre-- heißt: Do der luft mit svnnen vúre / wart getempert vnd gemischet, / dar gab wasser sine stúre, / da wart erde ir lip erfrischet. / dur ein to v genliches smiegen / wart si vrevden fruhte swanger. / das tet luft, in wil niht triegen: schowent selbe vs vf den anger (I, 1 - 8 ; Hervorhebungen von mir, D. E.), s. zu dem Lied bes. die Ausführungen von F. J. Worstbrock, Verdeckte Schichten, S. 90 f.; darüber hinaus für die mlat. Naturbildlichkeit auch B. Wachinger, Natur und Eros, S. 74 f. 173 Die Sequenz wird von Carsten Wollin in seiner Ausgabe Petri Blesensis carmina, hg. von dems., Turnhout 1998 (CCCM 128 ), S. 600 - 605 , zu den für Petrus zweifelhaften Liedern gerechnet und gehört zur sog. ‹Sammlung X›, deren mutmaßlich frühe Entstehung (um 1150 / 60 ? ) und weite Verbreitung Wollin herausarbeitet (ebd., S. 124 - 132 ). Dort findet sich zur oben abgedruckten Passage auch eine Einordnung vor dem Hintergrund der Anlehnung an die «Cosmopgraphia» des Bernardus Silvestris, vgl. bes. ebd., S. 129 f. 174 Der lateinische Text ist zitiert nach: C. Wollin, Petri Blesensis carmina, S. 601 . 158 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 159 Doch ist es ja wiederum nicht so, dass die in der mittellateinischen Lyrik gängige Vorstellung von der im Frühling/ Sommer 175 mit Pflanzenkeimen ‹geschwängerten› Erde, wie sie sich in dem zitierten Ausschnitt zeigt, in Ulrichs Leich direkt übernommen wäre; vielmehr ist das Motiv ebenfalls auf das Text-Ich selbst gewendet (das Ich muss swanger sein 176 ) sowie in übertragenem Gebrauch mit einem emotionalen Abstraktum kombiniert (es ist vil rîcher vröiden swanger)-- und damit in großer Eigenständigkeit anverwandelt. 177 Inwiefern für die Passage darüber hinaus auch noch mariologische Konnotationsbezüge anzunehmen sind, 178 die sich etwa aufgrund des später durchaus in diesem Sinne signalhaft verwendeten Reimpaars anger / swanger ergeben könnten, kann wegen der viel jüngeren Datierung der Belege leider nicht abschließend geklärt werden. 179 Ganz ähnlich verhält es sich übrigens mit dem in den Vv. I, 25 - 28 aufgerufenen Bild der Dame, die dem Ich durch ihre liebevollen Gunstbezeugungen (ihr gruoz, segen und nîgen; I, 25 f.) im Herzen einen meien regen niedergehen lässt, ist doch das Naturmotiv des Maienregens 175 Zu den Jahreszeitenzuweisungen und den unterschiedlichen Saisonalitätskonzepten (zweiwertig/ vierwertig) in Volkssprache und Latinität vgl. meine Ausführungen oben (Forschungsbericht I. 4 .) und im Folgenden das Kapitel IV. Zu betonen ist, dass in dem hier ausschnitthaft angegebenen Carmen die als aktuell zu imaginierende Jahreszeit je nach Fassung (Zugehörigkeit der Versikel * 1 a/ * 1 b [Wollin Nr. 5 . 3 .A, S. 599 ]) differieren kann: Zählt man * 1 a/ * 1 b hinzu, so wird diese eher mit estas (Sommer, vgl. * 1 a, V. 3 und 6 ) zu identifizieren sein, betrachtet man sie als Reste eines eigenständigen Liedes (s. Wollin, Petri Blesensis carmina, S. 598 ), so steht einzig die-- mittels des times of life-Topos erfolgende (dazu ebd., S. 312 , 604 und 614 )- - Anbindung an das ver (Frühling) der jungen Männer (Versikel 5 a, V. 1 ) zur konzeptuellen Auffüllung der Sprechgegenwart zur Verfügung. 176 Freilich ist das Schwangerschaftsbild der Erde über die interne Instanz des herzen anger, in den die Dame Blumen und Klee gesät hat (vgl. I, 13 f.), auf das Ich übermittelt. 177 In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf die interessante Parallele zu Burkhards KLD 6 , XI zu verweisen (s. o., Anm. 172 ), das zum einen die Schwangerschaftsmotivik bei der Erde belässt, andererseits die Formulierung von Ulrichs Leich (vil rîcher vröiden swanger; I, 16 ) über das Wort ‹Freude› alliterativ mitaufnimmt und damit die Aussage ebenfalls graduell ins Abstrakte kippen lässt (die Erde wird vrevden fruhte swanger; I, 6 ). 178 Fabian Scheidel (Köln) verdanke ich den Hinweis, dass auch eine durchgängig mariologische (oder mariologisch angereicherte) Lesart von Ulrichs Leich nicht undenkbar ist. Er beruft sich hierbei auf die oben in Anm. 170 zitierte Wendung der Verse VII, 9 - 11 , was freilich wiederum der Hoffnung des Text-Ichs auf ein wunneclîchez ende (VII, 16 ) noch einmal eine ganz andere Bedeutungsperspektive verleihen würde (s. o.). Vgl. dazu auch seine demnächst erscheindende Dissertation zu den Diskursen von physischer Schönheit in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. 179 Vgl. dazu das MWB I, Sp. 316 , mit den dort beigebrachten Belegen, z. B. Frauenlobs Marienleich, V. I, 12 , 20 f. (s. o.) oder Heinrich von Neustadt, «Gottes Zukunft» (V. 1381 f.): Er sprach: du [gemeint ist: Maria] selden anger! / Din lip sol werden swanger (zitiert nach: Heinrichs von Neustadt. «Apollonius von Tyrland» nach der Gothaer Handschrift, «Gottes Zukunft» und «Visio Philiberti» nach der Heidelberger Handschrift, hg. von Samuel Singer, Berlin 1906 [DTM 7 ], S. 329 - 452 , hier S. 352 ). Eine mariologische Beeinflussung der Vv. I, 12 - 16 und 25 - 28 (s. u.) von Ulrichs Leich legt zudem auch Tervooren, Helmut: Minnesang, Maria und das ‹Hohe Lied›, in: D. Klein, E. Lienert, J. Rettelbach (Hgg.), Vom Mittelalter zur Neuzeit, S. 15 - 47 , hier S. 31 , nahe, freilich mit recht allgemein verbleibenden Hinweisen. für die deutsche Lyrik sonst erst viel später bezeugt, und zwar in der Spruchdichtung zum Fürstenlob 180 sowie wiederum zum Marienpreis 181 . Dagegen dürfte die zuvor in Vv. I, 19 - 24 entwickelte Stilisierung der Dame zur Sonne leichter auf ihre möglichen prätextuellen Anregungspunkte hin festzulegen sein. Das Text-Ich gibt hier an, dass der schîn (I, 19 ), der aus den Augen der Dame hervorstrahle, dieses zum ‹Erblühen› bringe- - so, wie die Sonne dies mit den taubenetzten 182 Bäumen mache: der schîn, der von ir ougen gât, der tuot mich schône blüejen, ---Alsam der heize sunne tuot 180 Diese Motivtradition begegnet in der deutschen Spruchdichtung wohl zunächst bei Walther von der Vogelweide in L 20 , 31 , wo es-- wohl im Blick auf Leopold VI. (vgl. Walther von der Vogelweide: Werke. Gesamtausgabe, 2 Bde. Bd. I: Spruchlyrik. Mhd. / Nhd. hg., übers. und komm. von Günther Schweikle, Stuttgart 1994 (RUB 819 ), S. 463 f.)-- allerdings ohne Bezugnahme auf den Mai heißt: Des fürsten milte ûz Œsterrîche / fröit dem süezen regen gelîche / beide liute und daz lant (Vv. 7 - 9 ). Diese Anregung wird dann beim Meißner der Jenaer Liederhandschrift zum Maienregen ausgebaut, wenn er im Falle des Markgrafen Otto von Brandenburg (V., genannt «der Lange») anführt: sin gebende hant vreuwet als ein su e ze regen in dem meien (Ton XVII, Str. 8 , V. 3 ; zitiert nach: Objartel, Georg: Der Meißner der Jenaer Liederhandschrift. Untersuchungen, Ausgabe, Kommentar, Berlin 1977 [PhStuQ 85 ], S. 225 , vgl. auch den Kommentar zu der Str. auf S. 311 ). Der Maienregen als Fürstenbild begegnet übrigens auch in anderen Textsorten, etwa der Geschichtsdichtung: vgl. die «Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwigs», Vv. 1012 - 18 : mit im was dâ der ôheim sîn / Lûtolt der grâve von Pleien: / als ein sûzer regen des meien / fröut daz ertrîche und fruhtbêre tût, / alsô der milde sûz gemût / erfröite waz so was kummerhaft: / menlich sîne ritterschaft (zitiert nach: Die Kreuzfahrt des Landgrafen Ludwigs des Frommen von Thüringen, hg. von Hans Naumann, in: MGH 4 , 2 [ 1923 ], S. 179 - 332 , hier S. 217 . Unklar ist, inwiefern diese Motivtradition auf eine Anregung durch die Bibelstelle Spr. 16 , 15 : in hilaritate vultus regis vita et clementia eius quasi imber serotinus [Biblia sacra, S. 971 ]; Hervorhebung von mir, D. E.) zurückgeht, wie Georg Objartel vorschlägt (vgl. ders.: Der Meißner, S. 311 ), und ob diese auch für die Passage aus Ulrichs Leich als prätextueller Hintergrund angenommen werden darf, ist doch mit der Formulierung ‹Spätregen› (imber serotinus) der im Frühjahr sehnsüchtig erwartete Regen gemeint (vgl. den Hinweis in: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Die Bibel. Gesamtausgabe. Psalmen und Neues Testament, ökumenischer Text, hg. im Auftr. der Bischöfe Deutschlands, für die Psalmen und das Neue Testament auch im Auftr. des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bibelgesellschaft [Evangelisches Bibelwerk], Stuttgart 1980 , S. 703) . Allerdings wird vom MWB I, Sp. 44 , als mhd. Entsprechung des lat. imber serotinus die Prägung âbentregen angegeben. 181 Vgl. die-- auch von Eva Willms in: Der Marner: Lieder und Sangsprüche aus dem 13 . Jahrhundert und ihr Weiterleben im Meistersang, hg., eingel. und übers. von ders., Berlin, New York 2008 , S. 287 - - als ‹unecht› eingeordnete Strophe ‹Unbekannter Ton 2 › (E. Willms, Der Marner, S. 286 f.), in der es von Maria in Vv. 4 - 6 heißt: Doch mer bist du geheizzen wol: / ein su e zzer tau, des nie verdroz, / ein meigenregen, der alle fruht erkennet (Hervorhebung von mir, D. E.). Der Hinweis von Willms, diese Stelle sei als Übertragung des christologischen Bildes des Regens auf Maria zu verstehen (ebd., S. 287 ), scheint mir vor dem Hintergrund der guten Bezeugung des Topos ‹Maria als Regen/ Regenwolke› (vgl. A. Salzer: Die Sinnbilder und Beiworte Mariens, S. 552 f.), nicht recht zu verfangen. 182 Zum Motiv des Taus und seinen möglichen erotischen Konnotationen s. unten, Kap. III. 1 . 160 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 161 die boume in dem touwe. sus senftet mir den swaeren muot von tage ze tage mîn vrouwe. Der in dieser Passage durch die Konjunktion alsam explizit ausformulierte Vergleich der Dame mit der Sonne dürfte nämlich direkt auf die im Minnesang recht typische derartige Charakterisierung der Geliebten, die schon bei Dietmar von Eist 183 begegnet und später besonders bei Heinrich von Morungen 184 beliebt ist, zurückzuführen sein 185 , die freilich wiederum unter metaphorischer Umdeutung und internalisierender Projektion der Natur- und Jahreszeitenrede spezifisch auf das Ich hin zugespitzt ist (sein ‹Erblühen›). Mit der Angabe aber, dass das Ich selbst durch den Glanz, der von den Augen der Dame ausgehe, blüejen gemacht werde (I, 20 ), ist nun ein denkbar radikaler Grad an Wendung dieser eigentlich ja auf suggestive Faktizität der Außenweltbeschreibung zielenden Topik auf die Ich-Instanz erreicht, der die Uneigentlichkeit des Ausgesagten besonders eindringlich herausarbeitet: Denn wenn das Ich-- statt wie sonst die sommerliche Natur-- ‹erblüht›, ist die Natur- und Jahreszeitenmotivik derart stark subjektiviert und in übertragenem Sinne verwendet, ja das Verhältnis von Ich-Position und Außenwelt so deutlich auf den Kopf gestellt, dass sie auf den ihr ursprünglich inhärenten Zug der imaginativen Situationsfestlegung allenfalls noch in einem poetologischen Sinne, nämlich in Form der Offenlegung und Überbietung einer rhetorischen Strategie, verweist. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass diese Technik der Anwendung der Natur- und Jahreszeitenrede auf die subjektive Ich-Instanz vom deutschen Minnesang nicht eigens herausentwickelt werden muss, sondern als Transformationsweise dieser Topik schon in der Trobador- und Trouvèrelyrik begegnet 186 , und somit für diesen 183 Vgl. Dietmar von Eist, Lied MF 40 , 19 , Str. I, wo der topische Vergleich auf die das Ich durcheinander bringende Schönheit der Dame hin profiliert ist: si roubet mich der sinne mîn, / si ist schoene alsam der sunnen schîn (Vv. 4 f.). 184 Vgl. etwa Heinrich von Morungen, Lied MF 122 , 1 , Str. IV (mit Bezug auf die charakterlichen Vorzüge der Dame): Ir tugent reine ist der sunnen gelîch, / diu trüebiu wolken tuot liehte gevar, / swenne in dem meien ir schîn ist sô klar (Vv. 1 - 3 ); Lied MF 129 , 14 , Str. I (Anbindung an die Tageszeit): Si liuchtet sam der sunne tuot / gegen dem liehten morgen (Vv. 7 f.) oder Lied 144 , 17 , Str. II (Verbindung mit Glasmetapher; saisonale Ausdeutung wie in MF 122 , 1 ): Sî kann durch diu herzen brechen / sam diu sunne durch das glas. / -[…] Sô ist diu liebiu vrowe mîn / ein wunnebernder süezer meije, / ein wolkelôser sunnen schîn (Vv. 1 f. und 5 - 7 ). 185 Damit soll freilich nicht übergangen werden, dass die Sonne auch ein prominentes, christologisch wie mariologisch anwendbares, geistliches Symbol darstellen kann, s. A. Salzer, Die Sinnbilder und Beiworte Mariens, S. 32 f. 186 Auf ein-- neben dem im Folgenden exemplarisch zitierten Lied von Bernart de Ventadorn-- weiteres, sehr interessantes Beispiel für dieses Technik in der Trobadorlyrik hat mich dankenswerterweise Julia Naji aufmerksam gemacht, nämlich Arnaut Daniels Quan chai la fuelha (Toja Nr. III, PC 29 , 16 ), wo es im Anschluss an einen winterlichen Natureingang heißt: Tot quant es gela / mas ieu non puesc frezir / qu’Amors novela / mi fa·l cor reverdir (II, 1 - 4 ; zitiert nach: Arnaut Daniel: Canzoni. Edizione critica, studio introduttivo, commento e traduzione, hg. von Gianluigi Toja, Florenz 1960 , S. 205 - 211 , hier S. 206 ). Vgl. ferner für die Trouvèredichtung etwa das Lied RS 1009 (Lerond Nr. 4 ) des Chastelain de Couci, wo es als prinzipiell jederzeit zu realisierende Möglichkeit schon vorgeprägt sein dürfte. Für Ulrichs Leich sei wiederum ein möglicher Anregungspunkt, diesmal aus der Trobadorlyrik, kurz anzitiert; es handelt sich hierbei um den Eingang des Liedes PC 70 , 24 von Bernart de Ventadorn 187 : I . Lancan folhon bosc e jarric, e·lh flors pareis e·lh verdura pels vergers e pels pratz, e·lh auzel, can estat enic, son gai desotz los folhatz, autresi·m chant m’esbaudei e reflorisc e reverdei e folh segon ma natura. [Wenn Wälder und Eichengestrüpp sich belauben, und über Gärten und Wiese die Blüte und das Grün erscheinen, und die Vögel, die verdrossen waren, unter dem Laub fröhlich sind, dann singe auch ich und bin fröhlich und erblühe wieder und werde wieder grün und treibe Laub nach meiner Art.] Denn in diesem Liedeingang Bernarts wird, nachdem zunächst ein tatsächlicher Natureingang in der für die Romania ganz typischen Formulierungsweise einer Wenn-dann-Relation (Lancan- …autresi·m chant) 188 realisiert worden ist, die Anheißt: L’an que rose ne fueille / Ne flour ne puet paroir, / Que n’oi chanter par brueille / Oisel n’au main n’au soir, / Adonc flourist mes cuers en un voloir / De fine amour (I, 1 - 6 ; zitiert nach: Chansons attribuées au Chastelain de Couci [fin du XII e - - début du XIII e siècle], hg. von Alain Lerond, Paris 1964 [Publications de la Faculté des Lettres et Sciences Humaines de Rennes 7 ], S. 72 .) Für weitere Belege zum Motivbereich des Erblühens im Herzen s. zudem F. Heimplätzer, Die Metaphorik des Herzens, S. 122 f. 187 In der Wiedergabe des provenzalischen Textes folge ich der Einrichtung Carl Appels in: Bernart von Ventadorn. Seine Lieder, mit Einl. und Glossar hg. von Carl Appel, Halle a.S. 1915 , S. 140 f. (Nr. 24 ); freilich habe ich mich bei der Übersetzung auch stark an Appels verdienstvoller Übertragung des Liedes orientiert, die ich nur ein wenig modifiziert verwende (vgl. ebd., S. 143 ). 188 Der wichtige Hinweis von Bielschowsky, Albert: Die Geschichte der deutschen Dorfpoesie im 13 . Jahrhundert, Bd. I, Berlin 1890 (Acta Germanica 2 , 2 ), S. 38 f., der für den Natureingang bei Heinrich von Veldeke auf die Nähe zu dessen häufiger Temporalsatzgestaltung der französischen Lyrik aufmerksam gemacht hat, hat in der Forschung leider wenig Widerhall gefunden; allerdings hat Eva-Maria Hochkirchen jüngst auf diese bestimmende Prägung des Natureingangs in der Romania verwiesen (vgl. dies., Präsenz des Singvogels, S. 281 - 283 ). Dies- - in breiterem Rahmen-- nachzuverfolgen, muss leider auch für die vorliegende Untersuchung auf eine eigenständige Publikation verschoben werden. Es mögen die folgenden-- gerade unter dem Aspekt der Aktualitätssuggestionen nicht uninteressanten- - Bemerkungen genügen: Anders als etwa in der mlat. Liebeslyrik und dem deutschen Minnesang (Ausnahmen gibt 162 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 163 gabe, dass auch das Text-Ich-- wie die Vögel-- nun singe und fröhlich sei (vgl. I, 6 ), durch eine metaphorisierende Anwendung der Naturmotivik auf die Ich-Instanz untermauert, die der in Ulrichs Leich eingesetzten Technik ziemlich genau entspricht: Das Text-Ich erblühe und werde wieder grün, so heißt es in Bernarts Lied, ja es bringe Laub hervor (vgl. I, 7 f.)-- und zwar: nach seiner Wesensart (natura! ). Damit betont das Ich interessanterweise aber nur vordergründig den außenweltbezogenen Faktizitätsgestus der Topik, denn letztendlich streicht es durch diese Äußerung nur noch deutlicher den übertragenen Sinn der auf das Ich projezierten ‹Naturvorgänge› (Erblühen, Grünen, Sich-Belauben) hervor, schließlich entsprechen diese ja gerade nicht der natura des Menschen! Durch die ins Ich hinein verschobene Natur- und Jahreszeitenmotivik, die nun die übergroße Freude des Ichs vorführt, erfolgt wiederum eine Destruktion des eigentlich dieser Thematik inhärenten, suggestiven Sogs, obwohl dieser auf der Inhaltsebene des Textes durchaus noch als funktionierend behauptet wird (die Natur freut sich- - das Ich freut sich). Da jedoch aber allein die rhetorische Ebene diese Korrespondenz dadurch abbaut, dass sie die Topizität es; man vgl. nur bestimmte Natureingänge der Ripoll-Sammlung oder das bereits angesprochene Œuvre Heinrichs von Veldeke) taucht in der Trobadorwie in der Trouvèredichtung sehr häufig die Fassung des Natureingangs in Form einer ‹Wenn-dann›-Konstellation auf (im Gegensatz zu Bielschowsky und Hochkirchen sehe ich einen fast konditionalen Zug der Formel), die zudem noch häufig an die Sangesthematik angebunden ist (nach dem Schema: «Wenn es Sommer ist, und-… eintrifft, dann singe ich / bin glücklich o. ä.»). Ein gutes Beispiel für eine solche Prägung (mit übergeordneter Einbindung) ist etwa Lied PC 70 , 10 des Bernart de Ventadorn, dessen I. Strophe wie folgt lautet: Bel m’es qu’eu chan en aquel mes / can flor e folha vei parer, / et au lo chan doutz pel defes / del rossinhol matin e ser. / Adoncs s’eschai qu’eu aya jauzimen / d’un joi verai en que mos cors s’aten, / car eu sai be que per amor morrai. (zitiert nach: C. Appel, Bernart von Ventadorn, S. 60 f.; Hervorhebungen-- wie im Folgenden- - von mir, D. E.- - Übers.: «Es gefällt mir, dass ich in jenem Monat singe, / wenn ich Blüte und Laub erscheinen sehe / und morgens und abends durch die Einhegung / den süßen Gesang der Nachtigall höre, / dann ziemt es sich, dass ich Genuss habe / von einer wahren Freude, nach der mein Herz strebt, / denn ich weiß wohl, dass ich durch Liebe sterben werde».) Dabei ist es auffällig, dass derartig gefasste Formulierungen, die registral viel näher am reflexiven Kreisen der Minnekanzone liegen, in ihrer Suggestionspotenz von Aktualität des Jahreszeitengeschehens deutlich zurücktreten, weil sie derart generalisierend gehalten sind, dass sie der notwendigen imaginativen Anbindung an die betreffende Saison (hier: den Sommer) enthoben sind-- die Aussage stimmt nämlich selbst dann noch, wenn man als aktuelle Jahreszeit den Winter imaginierte. Allerdings ist es wiederum nicht einfach, konkrete Einflüsse für diese romanische Technik im Minnesang gesichert nachzuzeichnen. Denn wer könnte etwa entscheiden, ob ein Natureingang wie Heinrichs von Veldeke MF 67 , 9 : Swenne diu zît alsô gestât, / daz uns koment beidiu bluomen und gras, / sô mac sîn alles werden rât, / dâ von mîn herze trûric was (I, 1 - 4 ) sich nun dieser romanischen Setzungsweise verdankt, oder eben von der Spruchdichtung mit ihrem häufigen Gebrauch generalisierender Pronomina und Konjunktionen angeregt ist. Dass diese für das Œuvre Heinrichs jedenfalls (auch) von immenser Bedeutung ist, hat die jüngere Forschung vorbildlich nachgezeichnet (vgl. Lieb, Ludger: Modulationen. Sangspruch und Minnesang bei Heinrich von Veldeke, in: Neue Forschungen zur mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung, hg. von Horst Brunner und Helmut Tervooren, Berlin 2000 [ZfdPh 119 , Sonderh.], S. 38 - 49 , und Brem, Karin: Gattungsinterferenzen im Bereich von Minnesang und Sangspruchdichtung des 12 . und beginnenden 13 . Jahrhunderts, Berlin 2003 [Studium litterarum 5 ], S. 111 - 132 ). der Natur- und Jahreszeitenrede entlarvt und über die Ich-Metaphorisierung überbietet, wird die hier ausgedrückte, aus den kosmologischen Vorgängen herausgehobene Freude (Belauben-- segon ma natura! ) eher anders kontextualisiert werden: Zum einen steht dafür ja die Sangesthematik zur Verfügung, zum anderen ist dafür auch die im Folgenden aufscheinende, positive Erwartung des Ichs auf Seiten der Liebesthematik 189 denkbar. Diese rhetorische ‹Entlarvung› und gleichzeitige Überbietung der Natur- und Jahreszeitenrede durch das Verfahren der metaphorischen Umlenkung, dessen verschiedene Facetten hier vorgeführt worden sind, scheint mir nun auch für Ulrichs Leich eine ganz entscheidende Beobachtung zu sein, da dieser Text (ebenso wie der Natureingang Bernarts) die Kipp-Potenziale dieser Topik ins uneigentliche Sprechen schon in einer erstaunlich elaborierten Weise nutzt- - wie eben später, freilich wiederum in wohl noch radikalerer Form Frauenlob. Da aber durch solche Verfahren die Natur- und Jahreszeitentopik an den Rand ihrer eigenen Geltung gebracht wird (denn: ist in solchen Fällen überhaupt noch von-- als ‹Außenweltphänomene› zu imaginierenden-- saisonalen Naturabläufen die Rede? ), ist es für die definitorische Eingrenzung des jahreszeitlich organisierten Natureingangs im Minnesang von entscheidender Bedeutung, auch die auf Faktizität und Präsentik zielende Suggestionswirkung der Natur- und Jahreszeitenmotive (bzw. ihrer Realisation) zur Voraussetzung für die Zuweisung der betroffenden Passage in den Kernbereich des Topos zu machen. Denn dass die Techniken zur metaphorischen Umlenkung in recht früher Zeit dem Minnesang als prinzipiell einlösbare Möglichkeiten, die diese Topik aber aus ihrem eigentlichen Geltungsbereich herauskippen lassen, zur Verfügung stehen, so dass auch für den Bereich möglicher Natureingänge stets mit solchen Transformationsformen zu rechnen ist, das dürfte mit Blick auf Ulrichs Leich und Bernarts provenzalisches Lied deutlich geworden sein. Es sind freilich aber nicht nur die Verfahrensweisen der metaphorischen Umlenkung, die einen ‹Natureingang› in entscheidender Weise bezüglich der imaginativen Sogwirkung seiner Aktualitätsprogrammatik zurücktreten lassen, sondern eben auch andere Darstellungsmittel wie die mögliche Angleichung des dominant objektiv-narrativierenden Topos an das hypothetisch-reflexive Register des Werbungsliedes selbst. Ein gutes Beispiel hierfür liefert wiederum das einzige Lied des Ulrich von Gutenburg, MF 77 , 36 , dessen erste Strophe lautet: 189 Vgl. II, 1 - 5 : Ges d’un’ amor no·m tolh ni·m gic, / don sui en bon’ aventura / segon mon esper entratz, / car sui tengutz per fin amic / lai on es ma volontatz (Übers: «Nicht lasse ich noch weiche ich von einer Liebe, die sich mir, nach meinem Hoffen, zum Guten wendet, denn dort werde ich als treuer Freund gehalten, wohin mein Sehnen geht»; zitiert nach: C. Appel, Bernart von Ventadorn, S. 140 und 143 ). 164 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 165 Ulrich von Gutenburg, MF 77 , 36 : Ich hôrte ein merlikîn wol singen I. MF 77,36 BC 1 Ich hôrte ein merlikîn wol singen, daz mich dûhte der sumer wolt entstân. ich waene, ez al der welte vröide sol bringen, wan mir einen, mich entriege mîn wân. Swie mîn vrowe wil, sô sol ez mir ergân, der bin ich ze allen zîten undertân. ich wânde, iemen sô hete missetân, suochte er genâde, er solte si vinden. daz muoz leider an mir einen zergân. [I. Ich hörte eine Amsel schön singen, so dass es mir so vorkam, als wollte der Sommer beginnen. Ich denke, sie soll der ganzen Welt Freude bringen, nur mir allein nicht, wenn mich meine Erwartung nicht trügt. Wie auch immer meine Dame es wünscht, so soll es mir ergehen, sie, der ich zu jeder Zeit untertänig ergeben bin. Ich dachte, niemand habe etwas so Schlimmes getan, dass, wenn er um Gnade suchen würde, er diese auch finden sollte. Das wird leider nur bei mir nicht eintreffen.] Es ist nun unschwer zu erkennen, dass Ulrich auch in seinem Lied mit technischen Gestaltungsmitteln experimentiert, die den Natureingang-Topos in gewisser Weise irrealisieren, denn schon mit der ins Präteritum verschobenen Angabe von Vers I, 1 , das Ich habe eine Amsel gehört (hôrte), ist insofern ein irritierender Liedeingang gesetzt, da dem angeführten Naturdetail, anders als in vielen sonstigen Natureingängen der Minnesangtradition, völlig sein auf Präsentik zielender Grundzug genommen ist. Diese Verunklarung der Zeitbezüge (Wann war das? Vor kurzem? Oder letztes Jahr? ) bewirkt mithin für den Rezipienten eine Unsicherheit in der situationsauffüllenden Imagination, die im Weiteren durch das Text-Ich noch weiter vorangetrieben wird, wenn es lanciert, dass es sich bei der Anführung des Jahreszeitengeschehens, d. i. dass damals (! ) der Sommer angefangen habe, eben nur um seine subjektive Annahme gehandelt habe (I, 2 : dûhte; Soll man denken, dass sich diese bewahrheitete oder nicht? ). Bemerkenswerterweise sind-- und dies lässt sich durch die beigegebenen Markierungen gut nachvollziehen-- damit für den Bereich der Natur- und Jahreszeitenthematik genau die gleichen sprachlichen Gestaltungsmittel benutzt wie für die ganz im typischen Register des Werbungsliedes angelegte Liebesthematik, die mittels exzipierender oder hypothetischer Nebensatzfügung (mich entrüege mîn wân [I, 4 ] vs. suochte er genâde [I, 7 ]) und Verben der vermutenden Hypothesenbildung (waenen [I, 3 und 7 ]) ihren Gegenstand reflektierend ‹umkreist›, und das Ich als eines, dem etwas völlig Singuläres, ja es von der Allgemeinheit kategorial Separierendes wiederfährt, herausschält (vgl. das [wan] mir einen [I, 4 und 9 ]). Dadurch ist, obwohl das Ich beiden Thematiken durch die Angabe einer genau nicht an Saisonalitätsbedingungen geknüpften Dauerhaftigkeit seines Dienstes eine Differenz einzuschreiben sucht (vgl. I, 6 : der bin ich ze allen zîten undertân), bezeichnenderweise sowohl für die Natur- und Jahreszeitenpartie, als auch die liebesthematische Rede verunklart, ob die Einschätzungen des Text-Ichs suggestiv als zutreffend oder eben nicht zu gelten haben. Denn ob die Jahreszeitenbestimmung des Ichs als aktuell tatsächlich ablaufend imaginiert werden soll, ist genauso wie die Frage, ob die liebesbezogene Lage des Ichs wirklich so aussichtslos ist, wie dieses am Ende angibt (I, 9 ), für den Rezipienten nicht mit Sicherheit beantwortbar. Jedoch ist es für die Einschätzung, ob das Lied nun einen Natureingang in dem hier umrissenen Verständnis realisiert oder diesen bereits auf eine Transformationsform des Topos moduliert, die aus seinem engeren Funktionsbereich hinausweist, schon nicht ganz unerheblich, wie im Falle der Natur-und Jahreszeitenthematik seine Antwort ausfällt. 190 Da nun somit die Frage der Beimessung einer Faktizitäts- und Aktualitätsimagination in vielen Fällen eine nicht immer trennscharf zu lösende Abwägung gradueller Abstufungen ist, die allenfalls zu relationalen Entscheidungen führen kann, bleibt dem Unterfangen einer Eingrenzung des Geltungsbereichs der Topik ein gewisses methodisches Grundproblem eingeschrieben, das stets mitzudenken ist. Berücksichtigt man diese Einwände, dann kann somit zu einer hoffentlich verlässlicheren Aufstellung der zahlenmäßigen Verteilung von Natureingängen im Verlaufe der Minnesangtradition gelangt werden, deren Grundzüge mit einer tabellarischen Übersicht im Anhang dieser Arbeit angedeutet werden. 190 Ich habe mich im Falle der prozentualen Auswertung des Natureingangs für die Minnesangtradition (s. u., Anhang) dazu entschlossen, MF 77 , 36 als ‹Realisationform› der Topik mitzuzählen, um mich nicht dem Vorwurf auszusetzen, es sei eine Niedrigausweisung bereits vorher intendiert. 166 II Der saisonal organisierte Natureingang als poetisches Verfahren 2 Das Kriterium der Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion 167 III Typeneinteilung des Natureingangs 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› Betrachtet man die hier zuvor im Forschungsbericht bereits vorgestellten Vorschläge der Minnesangphilologie zur typologischen Einteilung des Natureingangs bzw. Jahreszeitentopos, so fällt auf, dass dort gerade die in einführenden Darstellungen 1 und Lexikonartikeln 2 zur Spezifizierung des Topos genutzte, aber auch in der interpretatorischen Praxis oft begegnende Dichotomie von kontrastiver vs. komplementärer Einbindung überraschenderweise keine prominente Rolle gespielt hat. Da aber m. E. weder Gestaltungsmerkmale wie der Grad der liedinternen Ausdehnung der Naturbzw. Jahreszeitenrepräsentation 3 oder die Realisationsform als objektiver Bericht, ‹szenische› Episode bzw. subjektive Diagnose des Ichs 4 noch kategoriale 1 Vgl. dafür etwa G. Schweikle, Minnesang, S. 203 : «Im sog. Natureingang (einem Exordialtopos) wird ein locus amœnus (oder locus terribilis) entworfen und der Minneproblematik als Folie, im Gleichklang oder Gegensatz,-[…] vorangestellt» (Hervorhebungen außer Kursivierung von mir, D. E.). 2 Vgl. z. B. die Ausführungen bei R. Bauschke, Art. «Natureingang», Sp. 1044 : «Die emotionale Situation des lyr. Ich wird stets auf die evozierte Jahreszeit bezogen; sie kann parallel zur Naturstimmung formuliert sein, aber auch der beschriebenen Außenwelt kontrastiv gegenübergestellt werden» (Hervorhebungen von mir, D. E.). 3 So der typologische Vorschlag Toubers, s. dazu oben, Punkt I. 3 . 4 Die Skepsis des Verfassers vorliegender Arbeit gegenüber der Kategorie eines ‹szenischen› Natureingangs ist schon mehrfach angedeutet worden. Die Unterscheidung einer objektiven vs. subjektiven Präsentation des Natureingangs geht m.W. zurück auf Lennich, Theodor: Die epischen Elemente in der mittelhochdeutschen Lyrik, Göttingen 1896 , S. 64 - 71 , der-- freilich nicht im Sinne einer strengen Typologie- - eine abgestufte Skala subjektiver Formung der eigentlich «episch gefärbten» (ebd, S. 65 ; dort gesperrt) Setzweise des Natureingangs entwirft. Jüngst hat wiederum Anna Kathrin Bleuler in ihrer mit den Sommerliedern Neidharts beschäftigten Dissertation die objektiv-berichtende und die subjektiv-diagnostizierende Realisationsweise als die «zwei Formen der Naturdarstellung» im Natureingang bei Neidhart kategorial unterschieden (vgl. und Zitat entnommen aus: dies., Überlieferungskritik und Poetologie, S. 64 ). Gleichwohl betont Bleuler, dass «in den meisten Liedern-[…] ein Wechsel zwischen ‹objektivem› Bericht und ‹subjektiver› Ich-Rede statt[findet]» (ebd.)-- eine Feststellung, die sich m. E. auch auf den Natureingang in der Minnesangtradition generell ausdehnen lässt. Ja es wird sich in der Analyse der Einzelbeispiele zeigen, dass im Natureingang bisweilen objektive Feststellungen und subjektive Interpretationen des Ichs in kunstvoller Form konglomerieren, so dass die Sprechhaltung fließend hin- und herwechselt. Schließlich wird auch zu klären sein, wie sich die Redeweisen der kollektivierten Wir-Diagnose (z. B. Neidharts SL 14 / SNE I: R 15 : Ine gesah die heide / nie baz gestalt, / in liehter ougenwaide / den grunen walt. / an den beiden chiese wir den mayen. [I, 1 - 5 ] oder der auf Beglaubigung zielenden Publikumsappelle (wie etwa in Neidharts SL 10 / SNE I: R 11 : Des maien zil / bringet vogel sanch und blůmen vil. / wartet wie diu heide stat, / scho e n in liehter wæte und wunnechlicher wat, / leides sie vergezzen hat. [II, 1 - 5 ; Hervorhebungen bei beiden Beispielen von mir, D. E.], die m. E. beide eine strikt dichotomische Aufteilung sprengen, in das von Bleuler nur zweiwertig gedachte Modell integrieren lassen. Jedenfalls ist das Kriterium der Sprechweise zur Konstituierung einer Typologie der Natureingänge im Minnesang insofern nicht zu gebrauchen, als diese meist nicht rein in einer der Präsentationstechniken abgefasst sind. Zur 170 III Typeneinteilung des Natureingangs Bestimmungen wie die Intensität eines (möglichen) Außenweltbezugs 5 zu einer schlüssigen Typeneinteilung des Natureingangs im deutschen Minnesang geeignet scheinen, soll hier im Folgenden versucht werden, genau jene auf die Einbauweise des Topos bezogene Opposition für eine typologische Systematisierung nutzbar zu machen. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass eine detailgenaue Untersuchung der Natureingänge auf ihre spezifische Gestaltungsweise hin getrost beiseite geschoben werden kann; ganz im Gegenteil wird diese für den Bereich der Einzelinterpretation von zentraler Bedeutung sein. Für die an dieser Stelle aber zunächst angestrebte typologische Einteilung der Natureingänge im Minnesang scheinen die Art und Weise des Einbaus des Topos in das jeweilige Liedgefüge und die Techniken der Anbindung der Naturbzw. Jahreszeitenmotivik an andere thematische Konstituenten wie die emotionale Befindlichkeit des liebenden Ichs 6 nun auch insofern besonders günstig zu sein, weil sie in vorzüglicher Weise Aufschlüsse über die poetische Funktion des Natureingangs ermöglichen. Zwar ist jene Einbautechnik, die an den Natureingang die Gefühlslage eines liebenden Ichs argumentativ anbindet, nicht die einzige Setzweise des Topos, die im Minnesang überhaupt begegnet, wie dies bisweilen verkürzend behauptet worden ist 7 , aber sie scheint dennoch für den Bereich des deutschen Minnesangs im hier untersuchten Zeitraum-- d. i. ab der zweiten Hälfte des 12 . bis zum Anfang des 14 . Jahrhunderts 8 -- als dominanter Kernbereich des Spektrums der Analyse der Einzelbeispiele liefert die Realisationsform jedoch ein wertvolles Beschreibungsinstrument. 5 S. dazu obige Ausführungen zum typologischen Einteilungsvorschlag von Bein, Punkt I. 3 . 6 An dieser Stelle muss noch einmal betont werden, dass für den Natureingang im Minnesang nicht generell behauptet werden kann, dass hier ein rein narrativ ausgerichteter, objektiv gesetzter Naturteil mit der subjektiven Ich-Rede der Liebesthematik konfrontiert wird, da-- wie bereits angemerkt-- viele Natureingänge schon eine Ich-Perspektivierung aufweisen und diese so eben nicht erst durch die Liebesthematik eingeführt wird. Dennoch kann an einer grundsätzlichen Tendenz der Natureingänge zum objektiven Bericht und narrativer Realisation nicht gezweifelt werden, wodurch letztlich doch davon auszugehen ist, dass die Ausgestaltung der Anbindung des Natureingangs an das Ich-Sprechen des Werbungsliedes eine signifikante Schaltstelle im registralen Gefüge des Liedes darstellt; insofern wird man die Ich- Perspektivierung des Natureingangs als poetische Technik der Überspielung der Disparität beider Liedbausteine verstehen müssen, die bisweilen sehr weit getrieben werden kann (vgl. dazu meine Überlegungen zu Ulrich von Gutenburgs MF 77 , 36 : Ich hôrte ein merlikîn wol singen, s. o.). Meist wird jedoch die diagnostische Ich-Rede nur vorübergehend eingenommen, um sie in einem elaborierten Wechselspiel mit faktisch-objektiven Feststellungen zu kombinieren (s. o.). 7 Vgl. nur das oben in Anm. 2 beigebrachte Zitat von R. Bauschke. Auch muss der Natureingang im Minnesang nicht ausschließlich auf die Minneproblematik bezogen sein, wie es Schweikles Formulierung (s. Anm. 1 ) suggeriert; es begegnen z. B. auch die Anbindung des Topos an die Sanges- oder die Gesellschaftsthematik (s. u.). 8 Die zur Aufstellung der hier vorgeschlagenen Typologie herangezogenen Texte rekrutieren sich aus den Sammeleditionen MF, BSM/ SMS und KLD und den Autoreditionen Walthers (L) und Neidharts (SNE I), sowie den Œuvres des Tannhäusers, des Marners und Konrads von Würzburg, die nicht in KLD bzw. BSM/ SMS aufgenommen worden sind. Im Falle des SNE-Corpus all jener Lieder, «die aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit unter dem Namen ‹Neidhart› bzw. ‹Nîthart› überliefert sind oder überlieferungsgeschichtlich in einem 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 171 möglichen Anbindungsweisen anzusehen zu sein, auf den die anderen Formen der Setzweise konnotativ referieren können. Ein Beispiel dafür ist jene Gruppe von Liedern, die das Verhältnis von durch die Jahreszeit hervorgerufener Naturbzw. Gesellschaftsstimmung und der Gefühlslage des Ichs der Liebesthematik nicht explizit ausformulieren, sondern Natureingang und emotionale Befindlichkeit des liebenden Ichs argumentativ unverbunden nebeneinanderstellen (s. unten, Typ B.). M. E. sind jene Beispiele nicht als Kronzeugen für einen angeblich schematisch-formelhaft und somit funktionslos gewordenen Topos zu werten, sondern als ein spezifischer Typ in der Setzweise des Natureingangs zu begreifen, der den Interpretationsraum für den Rezipienten dadurch öffnet, dass die Sinnbezüge zwischen Naturstimmung und Ich der Liebesthematik zunächst in der Schwebe gehalten werden. Allerdings kann mittels interpretatorischer Operationen auf Seiten des Rezipienten dieser Raum durchaus mit dem Wissen um die dominante Form der Anbindungsweise wieder (partiell) aufgefüllt werden, wenn er die auf das poetologische Muster der Einbauweise zielenden Konnotationen, die allein der Einsatz eines Natureingangs schon mit sich bringt, für sich nutzbar zu machen weiß. Betrachten wir, um dies plausibel machen zu können, deshalb kurz den Anfang von Ulrichs von Winterstetten Lied KLD 59 , V: I. Der svmer mit gewalde hat C 15 bekleidet walt und o v we, der anger wol geblv e met stat in sv e ssem meien to v we. dú heide breit---hat gru e ne kleit an sich geleit---ist mir geseit, in wunneklicher scho v we. ---Min frowe ist gv o t,---swie si doch tůt---mich vngemv o t. II . Min vngemv e te ist gar zegros, C 16 als ich úch wil bescheiden: ich sten ir helfe leider blv o s, dú mich in senden leiden mit fro e mder tat---an allen rat, swies mir ergat,---nv lange lat ‹Neidhart-Kontext› stehen» (U. Müller, I. Bennewitz, F. V. Spechtler: Vorwort zu SNE I, S. VII), schien mir die Beschränkung auf die dort im ersten Band präsentierten Lieder- - das sind diejenigen, die bereits in den Pergamenthandschriften des 13 ./ 14 . Jahrhunderts zu finden sind-- sinnvoll zu sein, da dieser Bestand prinzipiell auf derselben überlieferungsgeschichtlichen Stufe mit den anderen hier untersuchten Liedercorpora steht. Eine Aussage über ein hypothetisches Basisœuvre ‹echter› Neidhart-Lieder soll damit aber ausdrücklich nicht getroffen werden. 172 III Typeneinteilung des Natureingangs als einen wilden heiden. ---Min frowe ist gv o t [swie si doch tůt---mich vngemv o t]. I. Der Sommer hat mit Macht Wald und Aue bekleidet, der Anger steht schön mit Blumen geschmückt im anmutigen Tau des Maies. Die weite Heide hat grüne Kleider sich angelegt, hat man mir gesagt, und gewährt herrlichen Anblick. ---Meine Dame ist gut, obgleich sie mich doch verdrossen macht. II. Mein Verdruss ist ganz und gar übergroß, wie ich euch mitteilen will: Ich stehe ohne Beistand da von ihr, die mich in Sehnsuchtsschmerzen mit distanziertem Verhalten und ohne jede Abhilfe, wie es mir auch ergeht, nun lange belässt wie einen wüsten Heiden. ---Meine Dame ist gut-… Im Falle von Lied KLD 59 , V ist nämlich der sommerliche Natureingang, der sich über den gesamten variablen Strophenkörper von I ( 1 - 7 ) erstreckt, ohne jede argumentative Verbindung dem Liedrefrain ( 8 ), der die Liebesthematik einführt, vorgeschaltet, die dann in Strophe II ohne Wiederanknüpfung an den Natureingang weiterentwickelt ist. So wird zunächst in der ersten Strophe angegeben, dass der Sommer mit gewalde (I, 1 )-- eine Herrschaftsvokabel, die auch oft im winterlichen Natureingang zu finden ist und im Umfeld des Motivkreises einer kämpferischen Auseinandersetzung der Jahreszeiten anzusiedeln ist 9 -- Wald und Aue eingekleidet habe (vgl. ebd.). Dadurch ist die Bekleidungsmetaphorik als traditioneller Bestandteil der Motivik des Natureingangs aufgegriffen, die im Übrigen im weiteren Verlauf 9 Der Bildbereich eines kriegerischen Streits zwischen Sommer und Winter gehört zu den besonderen Charakteristika des Neidhartschen Natureingangs (s. dazu etwa unten, Kap. III. 2 .b.ii); vgl. dazu zum Beispiel den Liedanfang von WL 25 / SNE I: R 1 , wo der Sommer als imaginierter Dialogpartner direkt angesprochen wird: sin [des Winters] gewalt wol tusent ellen vur den dinen gat. / er hat in diu lant / dir ze schaden her gesant / allez sin gesinde, daz dich roubet offenlich mit gewaltichlicher hant (I, 12 - 15 ), oder für den sommerlichen Natureingang SL 8 / SNE I: C Str. 280 - 284 , wo es-- freilich etwas zurückgenommen-- heißt: der meie mit gewalte / den winder hat verdrungen (I, 2 f.). Vgl. darüber hinaus Gottfrieds von Neifen Lied KLD 15 , XXXII, wo es ganz ähnlich-- nur in futurischer Wendung-- heißt: Svmer, nv wil din---gewalt / walt---den anger vnd die heide / beide kleiden (I, 1 - 3 ). 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 173 der Strophe auch für die Präsentation der sommerlich verwandelten Heide noch benutzt wird (vgl. I, 5 f.) und so im gesamten Natureingang von KLD 59 , V eine prominente Rolle spielt. Weiter wird angegeben, dass der Anger, den nun schöne Blumen zieren (vgl. I, 3 ), von sv e ssem meien to v we (I, 4 ) benetzt sei, und nimmt mit dieser charakteristischen Formulierung 10 wohl in direkter Weise auf eine Passage des breit angelegten Natureingangs von Neidharts SL 15 11 Bezug, wodurch die-- im Übrigen nicht nur dort 12 -- mit dem Motiv des Taus verbundenen erotischen Konnotationen 10 Das Taumotiv begegnet in der Minnesang-Tradition vor Neidhart als tatsächliches Naturmotiv (also nicht als metaphorische Umschreibung z. B. des Weinens) an sich relativ selten, Ausnahmen bilden: Heinrichs von Veldeke Lied MF 58 , 11 (dâ stât nu grüener klê / er touwet an dem morgen [II, 8 f.], kein Natureingang) und Lied MFMT XI, Nr. XXXVII (Swenne der meie die vil kalten zît besliuzet / und daz tou die bluomen an der wise begiuzet [II, 1 f.]; im Natureingang), Gottfrieds von Straßburg Lied MFMT XXIII, Nr. II (Swaz grüenes ûf von erde gê / oder touwes obenan nider rîsen muoz [V, 7 f.]; nicht im Natureingang] und Wolframs Lied MFMT XXIV, Nr. VI (touwes anehanc [II, 2 ] als Naturdetail im Natureingang). Der im Natureingang des Minnesangs häufig als sommerrepräsentativ angesprochene Monat Mai (s. u.) begegnet neben Neidhart z. B. auch bei Gottfried von Neifen bisweilen durchaus mit dem Epitheton süeze (vgl. Gottfrieds Lieder KLD 15 , VII, XIV, XVIII und XLVIII), Gottfried nutzt aber das Taumotiv überhaupt nur in Lied XLVI (da siht man gras von to v we nas; I, 4 ). Bei Ulrich von Winterstetten wiederum findet man das Naturdetail des Taus häufiger-- vgl. neben KLD 59 , V auch Lied XXV (nach dem to v we svnne / meijen disú kleider sneit [I, 4 f.]) und XXXV (in dem to v we / manig blv o me stet gespreit [I, 9 f.])- -, dafür gibt es bei Ulrich die spezifische Kombination süezer meie nicht. Also darf man durchaus davon ausgehen, dass die Fügung in sv e ssem meien to v we aus Ulrichs Lied V einen gewissen Signalcharakter besitzt. Darüber hinaus sticht die Formulierung auch insofern hervor, als selbst die beiden in den folgenden Anmerkungen aufgeführten Beispielstellen aus der Neidharttradition (SL 15 ; C. Str. 272 - 275 ) das Adjektiv süeze nicht wie in Ulrichs Lied grammatikalisch auf den Tau beziehen, sondern es als Beiwort dem Mai zuweisen. 11 Denkbar wäre ferner auch ein direkter Bezug zum- - traditionell als ‹unecht› ausgesonderten- - Winterlied SNE I: C Str. 272 - 275 , in dessen Natureingang es heißt: schowent was da rifen lit, / da man hiure uf dem plan / in des su e ssen meien to v we / sach die liehten rosen stan (I, 4 - 7 ; Hervorhebung von mir, D. E.). Da jedoch das Taumotiv im Wintereingang auch als Gegenbild normalerweise nicht begegnet und die charakteristische Wendung in Lied C Str. 272 - 275 wiederum nicht so signifikant eingesetzt ist wie in SL 15 , scheint es mir wahrscheinlich, dass sich beide Lieder-- Ulrichs KLD 59 , V und das genannte C Str. 272 - 275 -- mit jenem Neidhartschen Sommerlied intertextuell vernetzen, um so die dort zu findende außergewöhnliche Setzung konnotativ aufzurufen. Ähnliches gilt wohl auch für Steinmars Lied SMS 26 , 13 : Ich wil gruonen mit der sât, das den traditionellen Natureingang in kunstvoller Weise in die Ich-Position verlegt. Dort kündigt das Text-Ich nämlich-- in Übersteigerung der Formulierung-- an: Ich wil ze liebe mîner lieben frowen / mit des vil süezzen meien touwe touwen (I, 9 f.; Hervorhebungen von mir, D. E.). 12 Auch in anderen Sommerliedern Neidharts ist das Taumotiv mit deutlichen erotischen Konnotationen versehen, was sich bisweilen in recht außergewöhnlichen Formulierungen niederschlägt; vgl. z. B. SL 17 (nach R), wo es wiederum mit der Kranzmotivik kombiniert ist: maget, so man reie, / so sit gemant / alle, / daz wir die rosenchrenczel brechen, / so daz tau daran gevalle (zit. nach SNE I, R 50 ), oder SL 24 , wo das Sänger-Ich in Str. III (Fassung R) auf die Anführung der taubenetzten Wiese die Aufforderung folgen lässt, die jungen Frauen sollten sich einen Freund suchen: Daz tou / an der wise den blumen in ir ougen vellet. / ir stolze maget, bleibet niht ungesellet (III, 1 - 3 ; Verseinteilung nach Wießner, zit. nach SNE I, R 57 ). In besonderer Weise tritt im Übrigen auch in SL 7 das Taumotiv in seiner auf sexuelle Erfüllung 174 III Typeneinteilung des Natureingangs durchaus auch in Ulrichs Lied mit aufscheinen. Zuletzt hat nämlich Anna Kathrin Bleuler die Bedeutung des Taumotivs in den Sommerliedern Neidharts zur Anlagerung erotischer Konnotationen an den Natureingang gerade am Beispiel von SL 15 herausgearbeitet und hierbei betont, dass dieses Element «im Zusammenhang mit der frühlingshaften Erneuerung der Natur als Symbol für Befruchtung bzw. Schwängerung steht» und oft in Kombination mit dem Kranzmotiv genutzt wird, das «die Liebesbereitschaft der Akteure» signalisiere. 13 Diese motivische Verbindung findet sich auch in der dritten Strophe von SL 15 , die ich hier nicht in der hergestellten Fassung der ATB -Ausgabe von Wießner (nach der Liedvariante c 21 ), sondern in der in SNE I abgedruckten Lesart von R zitiere, die jedoch bezüglich des metrischen Schemas nicht ganz regulär zu verfahren scheint: zielenden Metaphorizität hervor: Dort leitet nämlich die-- interessanterweise als frowe (I, 3 ) und nicht wie sonst ständisch neutral als maget bezeichnete-- Tochter den sommerliedtypischen Mutter-Tochter-Dialog mittels eines in Figurenrede realisierten Natureingangs mit den Worten ein: Es meiet hu i re aber als ê. / von dem to u we / -[…] / springent blůmen und kle (I, 1 f. und 4 ; zitiert nach SNE I, C Str. 266 - 271 ), bevor sie ihren Willen kund tut, am schon vom März begonnenen Reien mitzuspringen (vgl. I, 7 f.). Darauf reagiert die Mutter, die im Folgenden die Gefahren eines unbesonnenen Tanzes warnend hervorhebt- - und damit eigentlich die unerfreulichen Konsequenzen einer sexuellen Begegnung meint (vgl. das Und reie also, swies dir erge, / ob er dich triege, / daz ein wiege / vor an dinem fůsse iht ste; III, 1 - 4 )- -, indem sie ihre Tochter bezeichnenderweise so zurechtweist: Tohter, wende dinen můt / von dem to u we. / ganc her, scho u we: disu i mere sind niht gůt (II, 1 - 4 ). Mit dieser Äußerung dürfte deutlich werden, dass gerade mit dem Bild der taubenetzten Blumen zeichenhaft eine Konnotationssphäre unbesorgt-kreatürlich gelebter Sexualität aufgerufen werden kann, für die im Extremfall jenes geradezu zur Abbreviatur wird; zum Taumotiv bei Neidhart vgl. zudem Fritsch, Bruno: Die erotischen Motive in den Liedern Neidharts, Göppingen 1976 (GAG 189 ), S. 43 - 48 (für SL 7 bes. S. 45 f.). 13 Beides zit. nach: A. K. Bleuler, Überlieferungskritik, S. 63 ; vgl. dazu auch ebd., S. 178 , Anm. 336 , wo Bleuler auf die Anregung durch B. Fritsch, Die erotischen Motive, S. 36 f. und 47 f., verweist. Inwiefern für die Verbindung von Tau- und Kranzmotivik bei Neidhart im Übrigen schon Heinrichs von Veldeke Lied MFMT XI, Nr. XXXVII (s. o.) Vorbild gewesen sein mag, ist fraglich: Zwar ist hier in der zweiten Strophe des als Frauenrede konzipierten Liedes einer Sprecherin, die sich eine Liebesbegegnung mit dem Geliebten in der Natur wünscht, die Taumetaphorik durch die Vokabel des Begießens durchaus konnotativ mit erotischen Bezügen aufgeladen (vgl. das und daz tou die bluomen an der wise begiuzet [I, 2 ]), jedoch ist die von MFMT angenommene Lesart von III, 3 f., er [= der Geliebte] sol tou von bluomen swingen: / ich wil umb ein niuwes krenzel mit im ringen, problematisch, da C-- als unikaler Überlieferungsträger- - statt tou das Wort tougen setzt, das Günther Schweikle als Akkusativ Plural des Neutrums tougen im Sinne von ‹(Schlaf-/ Privat-)Gemach, Lager› deutet (vgl. den Komm. in: ders., Frühe Minnelyrik, S. 447 f.). Seine Übersetzung der Stelle lautet demnach: «er soll Lager aus Blumen aufschütten, / ich will um ein neues Kränzlein mit ihm ringen» (ebd., S. 200 f.). 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 175 R 22, III. Urloup nam der winder ab der heide, da die blumen stunden wunnechlich gevar in liehter ougenweide, begozzen mit des suzzen mayen towe. «der het ich gern ein chrænzelin, geselle», sprach ein vrowe. [Abschied nahm der Winter von der Heide, wo die Blumen herrlich gefärbt in leuchtender Pracht standen, begossen vom Tau des süßen Maies. «Von denen hätte ich gern ein Kränzchen, Freund! », sprach eine Dame.] Interessanterweise zeigt sich an der Natureingangs-Strophe 14 - denkt man sich die nur von den neuzeitlichen Editoren gesetzten Anführungsstriche weg-- wiederum das schon angesprochene Verfahren Neidharts, Sprecheridentitäten zu veruneindeutigen, da erst am Ende der Strophe durch die inquit-Formel in III , 4 nachträglich die Äußerung des Kranzwunsches als Frauenrede festgelegt 15 und so die Tatsache offenbar wird, dass das Sprechen des Sänger-Ichs geendet hat; auch ist im Nachhinein die 14 Es wäre zur Formulierung des Fließtextes einschränkend zu überlegen, ob in Neidharts SL 15 überhaupt ein Natureingang vorliegt, da in Strophe I zwar zunächst programmatisch die saisonale Festlegung angesagt wird, diese jedoch vom Text-Ich als sangspruchhaft-didaktische Aufforderung zum richtigen Verhalten im Sommer (nämlich Freude in den Grenzen der zuht, vgl. I, 4 ) realisiert ist; insofern wäre es denkbar, die erste Strophe als gesellschaftsthematische Einleitung und Strophen II-IV als Naturallusion in Binnenstellung zu klassifizieren (in diesem Sinne deute ich auch die Ausführungen bei A. K. Bleuler, Überlieferungskritik, S. 179 ). Allerdings halte ich es durchaus für möglich, den gesamten ersten Teil von SL 15 (Str. I-V, 2 ) als einen groß angelegten Natureingang aufzufassen, der die verschiedenen Möglichkeiten der Realisation und Ausbauweise des Topos in kunstvoller Weise vorführt. Bezeichnenderweise bleibt ja auch die sangspruchhafte Passage des Sänger-Ichs (Str. I), die die aktuelle Jahreszeit zu Beginn festlegt, stets vom übergeordneten Jahreszeitenthema gesteuert, bevor dann in der zweiten Strophe der Sommer konventionell an verschiedenen Naturdetails vorgeführt wird. In der dritten Strophe ist eine Realisation des Natureingangs, die einen Tempus-Wechsel ins Präteritum mit sich bringt, als Figurenrede einer höfischen vrowe denkbar (s. u.), die-- in ihrer mit der inquit-Formel nun festgelegten Schlussäußerung-- das charakteristische, narrativ gerahmte Frauensprechen des typischen Dialogteils der Sommerlieder vorwegnimmt und eine Überführung des Natureingangs in die Liebesthematik als Möglichkeit anlegt (vgl. III, 4 ). Dies wird jedoch im weiteren Liedverlauf nicht fortgeführt, sondern es erfolgt die Rückkehr zum-- in seiner Sprecherposition wiederum unbestimmten-- präsentischen Natureingangsreden, das neben partiellen Naturdetails (Blütenpracht; vgl. IV, 2 ) die universell-freudenbringende Wirkung des Mais propagiert. Dieser Teil des Natureingangs umfasst neben der vierten Strophe auch noch den Beginn der fünften (V, 1 f.), bevor diese die- - die in der Schwebe befindliche Sprecherposition in die Figurenrede einer magt (V, 3 ) überführende-- endgültige Umbiegung des Natureingangs zur narrativ gerahmten Dialogszene bringt. 15 Das geselle in Vers III, 4 ist nicht notwendigerweise als ein Maskulinum zu deuten! 176 III Typeneinteilung des Natureingangs gesamte Strophe als Frauenrede konzeptualisierbar. 16 Als außergewöhnlich erweist sich ferner, dass die weibliche Sprecherin an dieser Stelle nicht wie sonst sehr häufig die maget des sommerliedtypischen Bauteils ‹Frauendialog› ist, sondern als vrowe spezifiziert ist. 17 Dies ist für die konnotativen Anhaftungen, die sich für Ulrichs KLD 59 , V durch den intertextuellen Verweis auf Neidharts SL 15 ergeben, insofern von Bedeutung, als im Neidhart-Lied es eine als aristokratisch ausgewiesene vrowe ist, die durch den von ihr geäußerten Wunsch, aus den taubegossenen Blumen von ihrem Geliebten einen Kranz gewunden zu bekommen, in ihrer Bereitschaft zur Liebesvereinigung gezeigt wird. 18 Durch die Benennung der weiblichen Sprecherin als vrowe wird jedoch auch ein Konnex zum Werbungslied und der dort vom Text-Ich verehrten, aber von diesem zumeist als dem Liebesbegehren gleichgültig oder ablehnend gegenüberstehend imaginierten vrowe evoziert. Zwar wird in Neidharts SL 15 bezeichnenderweise nicht die vrouwe des Werbungsliedes präsentiert, sondern nur ein vrowe, man wird jedoch dennoch sagen können, dass hier diese Funktionsstelle der Werbungsliedfiktion aus dem Blickwinkel des anders situierten Genrekontextes des Sommerlieds, das die sommerliche Jahreszeit als die Saison des Wunsches nach Liebeserfüllung evoziert, konterkariert bzw. kommentiert wird. Dies alles verdichtet sich in Ulrichs Lied V, wenn nach der Evokation des taubefeuchteten Angers im Natureingang der Refrain die Dame des Text-Ichs (Min frowe [ 8 ]) als eine charakterisiert ist, die das Ich vngemv o t (ebd.) macht und, so dürfte sich der Konnotationsrahmen durch die intertextuelle Verbindung zu SL 15 aufspannen, genau nicht-- wie die eine Dame in SL 15 -- eine Bereitschaft zur Liebeserfüllung erkennen lässt. Diese Deutung ist allerdings eine recht spezifische Variante im für den Rezipienten sich eröffnenden Raum möglicher Sinnzuweisungen, die Lied V 16 Die in ATB und SNE gewählte Zuschreibung ist nur eine der denkbaren Varianten, ebenso ist es z. B. möglich, die gesamte dritte Strophe als Frauenrede aufzufassen (etwa: eine Dame gibt memorativ eine zurückliegende Beobachtung wieder und fordert darauf einen Kranz vom Geliebten); dies würde ja der charakteristische Tempus-Wechsel, der die Strophe vom Vorausgehenden separiert, durchaus stützen. Allerdings ist die von den neuzeitlichen Editoren bevorzugte Variante insofern wiederum nicht abwegig, als die inquit-Formel und die Schilderung der Naturabläufe (III, 1 - 3 ) in einer Zeitebene liegen. 17 Zum weiblichen Personal im Neidhartschen Sommerlied-Natureingang s. unten, Punkt III. 2 .c. 18 Für die bei Neidhart häufiger begegnende Motivverbindung von taubefeuchteten Blumen und Kranzmotiv vgl. neben SL 15 und 17 auch SL 21 , wo es in Strophe II (nach R) im Kontext eines wohl als Frauenrede einer maget (vgl. die nachträgliche Angabe in IV, 1 ) aufzufassenden Natureingangs heißt (es ist m. E. nicht ganz eindeutig zu klären, ob wirklich der gesamte Natureingang, der erst ab dem Ende der zweiten Strophe sich zunehmend als Frauenrede konkretisiert, als vom Mädchen gesprochen zu imaginieren ist): wie schon ein wis getowet was, / da mir min geselle z’einem chranze las (II, 4 f.; zit. nach SNE I, R 51 ). Damit liest sich die der ständisch nicht markierten maget in den Mund gelegte Passage wie ein Seitenstück zur Äußerung der vrowe in SL 15 , die so fast wie ein von der Erstgenannten angeregter Wunsch erscheint, es eben dieser gleich zu tun: dazu würde es passen, dass die vrowe bezeichnenderweise nicht auf ein Vergangenes rekurriert wie Erstere, sondern sich den Kranz aus betauten Blumen erst noch wünscht. 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 177 durch seine unvermittelte Setzweise des Natureingangs aufmacht, welche es hier noch näher weiterzuverfolgen gilt. Nach der Aufrufung des vom Maientau benetzen Angers erfolgt nun in Ulrichs Lied V die Wiederaufnahme der natureingangstypischen Bekleidungsmetaphorik durch die Angabe, die Heide habe sich ein grünes Kleid angelegt, wiederum in recht spezifischer Weise. Denn dadurch, dass dieses Naturdetail in Vers 5 f. in der binnenreimgespalteten Passage des Abgesangsbeginns erscheint, der durch jeweils vier Halbverse mit reimender männlicher Kadenz gesetzt ist, ist es allein schon formal hervorgehoben, da bisher im Strophenbau des Liedes noch keine Binnenreimzergliederung erfolgt ist. Betrachtet man nun die hier gemachte Angabe, dú heide breit---hat gru e ne kleit / an sich geleit---ist mir geseit (I, 5 f.) genauer, so fällt auf, dass diese sich von den zuvor im Natureingang des Liedes in objektiver Setzung aufgeführten Naturerscheinungen dadurch unterscheidet, dass der-- wie bei den Naturdetails zu Beginn (I, 1 f.) auch-- im Perfekt realisierten, aber resultativ-präsentischen Information (die Heide hat ihr Sommerkleid angezogen) noch ein Halbsatz nachgeschaltet ist, der diese nicht nur als ein über Dritte vermitteltes Wissen entlarvt (ist mir geseit [I, 6 ]) und somit in ihrem fiktiven Objektivitätsgehalt desavouiert, sondern auch überhaupt die Setzung in objektivem Bericht schlagartig in die subjektive Wiedergabe aus der Ich-Perspektive verschiebt. Durch die offenkundige Diskrepanz eines sich zu Beginn des Natureingangs als pseudoneutral gerierenden ‹Tatsachenkatalogs›-- der Sommer hat Wald und Aue bekleidet, der Anger steht in von Tau benetzten Blumen-- zu einer aus subjektiver Perspektive wiedergegebenen Information, die sich-- durch nachgeschobene Rechtfertigung-- nicht einmal als aus einer durch das Ich selbst gemachten, direkten Wahrnehmung resultierend, sondern nur als dem Hörensagen nach erfolgt herausstellt, bezieht der Natureingang ein gewisses Komikpotential, das jedoch durch die den Abgesang komplettierende Verszeile in wunneklicher scho v we (I, 7 ) wieder aufgefangen wird, die nach den binnenreimzergliederten, männlich endenden Halbversen durch ihren unzerteilten, weiblich kadenzierten Bau auch rein formal abschließenden Charakter hat. Da die in ihr gegebene Information, der Vorgang der Kleidanlegung durch die Heide habe zu einem herrlichen Anblick derselben geführt, in einer aus dem regulären Satzbau herausgenommenen Phrase erscheint und vom syntaktischen Kontext durch den Einschub ist mir geseit (I, 7 ) abgetrennt ist, wird die rekapitulativ-zusammenfassende und einen Schlusspunkt suggerierende Wirkung der Angabe deutlich erhöht, so dass die zuvor sich andeutende Desavouierung des Natureingangs nur kurz aufflackert und sofort wieder zurückgebogen wird. Mit Vers 7 endet nun also nicht nur formal der reguläre Strophenbau der Kanzonenform, sondern auch inhaltlich der thematische Abschnitt des Natureingangs. Gerade dadurch, dass beide Gliederungsebenen hier zusammen fallen, wird jedoch deutlich, dass im Grunde der typische Zielpunkt eines Natureingangs, die argumentative Anbindung an die emotionale Befindlichkeit des liebenden Ichs, nicht eingelöst wird, obwohl er sich doch durch das schlaglichtartige Aufscheinen einer Ich-Position in Vers 6 zumindest angedeutet hatte. Vielmehr wird 178 III Typeneinteilung des Natureingangs der-- auch formal eigenständige-- Natureingangsteil ohne jede argumentative Vermittlung mit einem Refrain konfrontiert, der die Liebesthematik durch seinen thesenhaften Charakter quasi holzschnittartig neben den anders gelagerten thematischen Kontext der Strophe stellt: Min frowe ist gv o t, swie si doch tůt mich vngemv o t ( 8 ). Dieser Refrain erweist sich nicht nur als thematischer Kern des gesamten Liedes, der durch Binnenreimzergliederung seine inhaltliche Prägnanz zudem formal unterstreicht, sondern auch als pointierte Zusammenfassung des Paradoxons unerfüllter Liebe, das der Textsorte des Werbungsliedes idealtypisch zugrunde liegt, und in dem die eigentlich widersprüchlichen Empfindungen des Ichs-- Glück über die Vollkommenheit der Dame und Frustration wegen des ausbleibenden Erfolgs der Werbung-- komprimiert sind. Denn im Refrain ist hier der die Wertschätzung der Dame durch das Ich zunächst propagierenden Aussage Min frowe ist gv o t auf engstem Raum die zugleich erfolgende Einschränkung beigegeben swie si doch tůt mich vngemv o t, die die zuvor gemachte Angabe über die Integrität der Dame-- hier durch das Adjektiv guot durchaus im Sinne moralischer Vorbildlichkeit konzeptualisierbar- - mit der Klage des Ichs darüber konfrontiert, dass die Dame dem Ich aber Verdruss bereitet. Die im Grunde paradoxe Fügung- - denn eine, so suggeriert der Text, untadelige Frau würde doch niemandem unbegründet Kummer zufügen- - wird jedoch vom Refrain argumentativ nicht eindeutig zugunsten einer der beiden Aussagen aufgelöst; denkbar wäre z. B. «Die Dame ist, weil sie mich so behandelt, doch nicht so gut» (a) oder «Da die Dame ja gut ist, muss sie den Makel ihres Verhaltens mir gegenüber beseitigen» (b 1 ), ja selbst: «Es ist völlig unerheblich, ob meine Dame mir Kummer bereitet, sie ist gut! » (b 2 ). Da das Paradox des Refrains jedoch ohne eine solche Klärung stehen bleibt, eröffnet sich für den Rezipienten ein Deutungsraum, der mittels des Konnexes zum variablen Strophenkörper somit durch Herstellung sinnhafter Querverbindungen jeweils spezifisch gefüllt werden kann, so dass der-- an sich invariable-- Bauteil des Kehrverses sich von Strophe zu Strophe in seiner semantischen Aufladung durchaus ändern kann. 19 Im Falle der ersten Strophe-- dem kontextuellen Aufeinandertreffen von einem semantisch in der Schwebe befindlichen Refrain mit dem in sich geschlossenen Natureingangsteil-- ergibt sich nun für den Rezipienten ein besondere Leerstelle zur interpretierenden Zuordnung, da hier 19 Wird beispielsweise im Strophenkörper von III zunächst ein Frauenpreis gesetzt, der moralisches Verhalten wie ihre kúsche (III, 1 ) ebenso wie die Schönheitsaspekte (ir lip [III, 1 ], ir scho e ne [III, 2 ]) hervorhebt und in der Aussage gipfelt: in gesach nie minneklicher wib / bi allen minen iaren (III, 3 f.), bevor vom Text-Ich behauptet wird, es habe, obwohl es ihm nichts genützt habe, dieses Lob der Dame überall dort, wo die besten (III, 7 ) waren, gesungen (vgl. III, 5 - 7 ), dann scheint m. E. sich der im Refrain eröffnete Interpretationsraum durch den Konnex mit einer solchen kontextuellen Umgebung tendenziell in Richtung der Deutungsvariante (b 2 ) zu konkretisieren. Ist aber-- wie in Strophe IV-- die Klage über die Ungerechtigkeit der Dame präsenter (vgl. etwa das so mac ich doch von schulden klagen / vnd mv o s vor leide ersterben. / kvmt ir gerich---so grimmeklich / als vber mich,---so scham si sich [IV, 3 - 6 ], so wird man in der semantischen Füllung des Refrains eher zur Variante (a) neigen. Ja so legt schließlich die Schlusswendung in der fünften Strophe (hey roter mvnt, nv tv o mir kvnt, / súl ich genade vinden? [V, 6 f.]) wiederum die Konzeptualisierung des Refrains im Sinne von (b 1 ) nahe. 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 179 sogar zwei in ihrer Thematik differierende Partien aufeinandertreffen, die nach der Zuweisung einer sinnhaften Inbezugsetzung verlangen. Einzig die im Natureingang kurz aufflackernde Ich-Perspektivierung scheint hierbei eine Verbindung zum Ich- Sprechen der im Refrain aufgerufenen Liebesthematik anzuzeigen, jedoch muss die genaue Deutung des Zusammenhangs von Natureingang und Liebesthematik im Refrain vom Rezipienten mittels interpretatorischer Operationen erschlossen werden. Für die Füllung des vom Text aufgemachten, in der Schwebe befindlichen Deutungsraumes kann jenem das typologisch dominante poetologische Muster der Einbauweise des Natureingangs, also das Wissen, das er aus anderen Texten gewonnen hat, helfen. Es handelt sich hierbei um die argumentative Verknüpfung, die über die Profilierung der emotionalen Befindlichkeit des Text-Ichs erfolgt und die die eigentlich jahreszeitenadäquate mit der tatsächlichen Gestimmtheit des liebenden Ichs über die Basisopposition einer Gleichvs. Gegengerichtetheit in eine Sinnrelation setzt. Es ist also mittels des Zurückgreifens auf die Minnesang-Tradition einerseits möglich, beide Teile interpretativ durch Unterlegung einer komplementären Relation in Bezug zu setzen: «Es ist Sommer, die ganze Natur ist schön und alle freuen sich, ja auch mir geht es jetzt besser» (I) 20 ; jedoch ist es andererseits aufgrund dieses Vorwissens ebenso denkbar, eine kontrastive Inbezugsetzung zu unterlegen, die in etwa so zu formulieren wäre: «Es ist Sommer und alle freuen sich (so wie es sich gehört), ich aber bin traurig» ( II ) 21 . Im Falle des Refrains von Lied KLD 59 , V stehen nun aber gerade für beide Varianten Anknüpfungspunkte bereit. Nähme man nämlich die Äußerung des Text-Ichs, Min frowe ist gv o t ( 8 ), isoliert als Ausgangsbasis einer solchen interpretatorischen Operation, so wird man zu der Sinnunterlegung I kommen und einen komplementären Bezug zwischen Jahreszeitengeschehen und emotionaler Befindlichkeit annehmen, nämlich in etwa: «Es ist Sommer und alle sind froh; ich bin es auch, weil meine Dame gut ist». Damit wäre die Relation von passender Jahreszeitenstimmung und Ich-Befindlichkeit im Übrigen dann ganz ähnlich zu dem zu konzeptualisieren, was uns das Reinmar-Lied MF 188 , 33 : Ich sach vil wunneclîchen stân bezüglich der (potentiellen) Einbindung eines Natureingangs vorstellt, wo es in der zweiten Strophe der hergestellten MFMT -Fassung 22 heißt: 20 Vgl. dazu die obigen Ausführungen zu Dietmars Strophe MF 33 , 15 : Ahî, nu kumt uns diu zît. 21 Vgl. dafür die ebenfalls aus einer relativ frühen Phase des Minnesangs stammende Anfangspassage des Liedes MF 56 , 1 : Ez sint guotiu niuwe maere des Heinrich von Veldeke, wo es heißt: Ez sint guotiu niuwe maere, / daz die vogel offenbaere / singent, dâ man bloumen siht. / zen zîten in dem jâre / stüende wol, daz man vrô waere, / leider des enbin ich niht (I, 1 - 6 ; Hervorhebung von mir, D. E.). 22 Auf eine Diskussion der anders gelagerten Strophenfolge des Liedes in der handschriftlichen Überlieferung durch C (in der in A Niune zugewiesenen dreistrophigen Fassung des Liedes fehlt die oben zitierte Strophe MF 184 , 3 ganz! ) und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Einordnung der Anfangspassage als Natureingang kommt es mir an dieser Stelle nicht an. 180 III Typeneinteilung des Natureingangs II . MF 184,3 C 140 Dô ich daz grüene loup ersach, dô liez ich vil der swaere mîn. von einem wîbe mir geschach, daz ich muoz iemer mêre sîn Vil wunneclîchen wol gemuot. ez sol mich allez dunken guot, swaz sî mir tuot. [Als ich das grüne Laub erblickte, da gab ich viel von meiner Bedrücktheit auf. Es geschah mir von einer Frau, dass ich fortan immer ganz herrlich freudig gestimmt sein muss. Es wird mir all das gut vorkommen, was sie mir irgend tut.] Eine derartige Konzeptualisierung des Bezugs zwischen Natureingang und emotionaler Befindlichkeit des liebenden Ichs mag der Rezipient im Falle von Ulrichs Lied V aufgrund seines Vorwissens aus der Minnesangtradition durchaus kurzzeitig abrufen, wenn er nach dem unvermittelt endenden Natureingangsteil mit der Feststellung des Text-Ichs konfrontiert wird, seine Dame sei gut. Sehr gut denkbar wäre im Übrigen auch ein recht enges intertextuelles Verknüpfungsverhältnis mit Leutholds von Seven Lied KLD 35 , I, das teilweise durch den Refrain von Ulrichs Lied V zitathaft aufgerufen ist 23 und-- wie das obige Reinmar-Lied-- ebenfalls über einen komplementär an das Ich gebundenen Sommereingang 24 verfügt, allerdings diesen mittels der Technik einer Ablehnung der Geltung des Naturgeschehens für das Ich 25 23 Nicht weiter eingegangen werden kann an dieser Stelle auf die intertextuelle Verbindung der Refrainpassage mit dem Lied KLD 15 , XXIII: Nv siht man aber die heide val von Gottfried von Neifen, das nach einem Wintereingang in der (hier ausgeführten) Überleitung auf die Liebesthematik-- nur quasi in umgedrehter Reihenfolge-- eine ganz ähnliche Fügung nutzt, wenn es heißt: der not klage ich, vnd da bi mine swere / die mir dv́ herzeliebe tv o t. / da von so bin ich vngemv o t. / nv ist sie doch gv o t dú liebe vnwandelbere (I, 7 - 10 ); freilich entspricht aber der hier verwirklichte Typus einer komplementären Anbindung der Gefühlslage des liebenden Ichs an den Wintereingang funktional dem nun im Folgender näher umrissenen Schema einer kontrastiven Einbindung des Sommereingangs. Insofern ist das Lied, obwohl es eine andere saisonale Markierung vornimmt, freilich auch dem vom Refrain von Ulrichs Lied aufgespannten, konnotativ aufgerufenen Assoziationsrahmen hinzuzurechnen, wobei zu bemerken ist, dass gerade durch die bei Ulrich im Vergleich zu Gottfried zeigende Vorziehung der Aussage Min frowe ist gv o t ( 8 ) in KLD 59 , V sich die zur interpretierenden Auslotung auffordernde Uneindeutigkeit in der Zuordnung der genauen Sinnrelation zwischen Natureingang und Liebesthematik überhaupt in ihrer vollen Potenz erst ergibt, ist doch dieser Bezug in der umgedrehten Variante bei Gottfried ungleich klarer zu erkennen. 24 Zum allerdings recht fragilen Status des Natureingangs von Lied KLD 35 , I s. unten. 25 S. dazu das Schaubild II (Techniken der Anbindung im Falle von Typ A.II.b. 2 .). 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 181 realisiert. Ich gebe hier den Anfang von KLD 35 , I in der Fassung der Handschrift A (dort divergierende Autorzuweisung! ) an 26 : 26 Die Überlieferungslage des Liedœuvres des wohl um 1220 zu datierenden Minnesängers Leuthold von Seven ist aufgrund von dessen Aufnahme in alle drei großen Liederhandschriften A, B und C schon an sich komplexer als bei den meisten späteren Autoren des 13 . Jahrhunderts, deren Lieder zum größten Teil unikal in C überliefert sind. Große Probleme hat in der Forschung zudem die Gestalt des Lied- und Spruchcorpus in A bereitet, das dort eben diesem Leuthold zugewiesen ist und sich signifikant vom Leuthold-Bestand von B und C abhebt, ja eine ganze Reihe von Strophen enthält, die in der Parallelüberlieferung anderen Verfassern zugeschrieben sind; notwendigerweise musste so das A-Corpus insgesamt der Echtheitskritik suspekt werden, die den Umstand von konkurrierenden Zuweisungen, die sich in bestimmten Œuvres häufen, unter Zuhilfenahme der sog. Liederbuchtheorie aufzulösen versucht hat (vgl. die Zusammenfassung bei von Kraus in KLD II, S. 291 - 293 ). Dazu ist allerdings zu sagen, dass die Mehrfachzugewiesenheit von Liedern für die spezifischen Verhältnisse mittelalterlicher, volkssprachlicher Lyriküberlieferung an sich genau kein außergewöhnliches Faktum ist, so dass die Annahme solcher Liederbuchpartien (ähnlich z. B. bei Niune, s. u.! ) im Überlieferungsbestand m. E. letztlich eine recht spekulative Zuweisung bleibt. Eine solchermaßen intrikate Überlieferungssituation zeigt sich auch im Falle von Lied KLD 35 , I, das in den Handschriften B und C dem Leuthold von Seven zugeordnet ist, in A allerdings nicht im Leuthold-Corpus, sondern im dortigen Œuvre des jungen Spervogels zu finden ist. Da in dieser Arbeit die Vermeidung der Zitation der jeweils von Kraus in KLD hergestellten Textgestalten zugunsten von möglichst handschriftennahen Fassungen angestrebt worden ist- - was bei unikaler C-Überlieferung sonst ja auch wenig Probleme bereitet--, ist dies für das-- in A, B und C zu findende-- Lied etwas schwierig, da die Präferenz für A als wohl älteste handschriftliche Bezeugung durch die divergierende Autorzuweisung natürlich argumentativ anfechtbar ist. Dies ist m. E. jedoch mit dem Hinweis zu entkräften, dass vorliegende Arbeit gerade nicht echtheitskritisch ausgerichtet ist, und somit die Frage, wer nun als Autor der Strophe zu denken ist, gar nicht verfängt; dass sie hier als Strophe Leutholds bezeichnet worden ist, war eine rein pragmatische Operation, die der Tatsache geschuldet ist, dass die KLD-Nummern immer noch die vorherrschende Liedkennzeichnung für die dort versammelten Lieder sind und so als wissenschaftliche Identifizierungsinstrumente die Nachprüfbarkeit des Gesagten weitestgehend ermöglichen. Schließlich scheint aber auch von Kraus die Lesart von A als Leithandschrift der von ihm abgedruckten Strophenfassung gewählt zu haben, die er nur in Vers I, 2 durch Zuhilfenahme von B und C grundlegend ändert, so dass die Stelle wie folgt gelesen werden müsste: meiet ez so rehte wol. Diese Variante ist insofern recht einleuchtend, als in Handschrift A die Zuordnung von aufgeführter Geruchswahrnehmung im Hauptsatz (I, 1 f.) und angesprochenem optischen Eindruck im konsekutiven Nebensatz (vgl. das ovgen weide in I, 3 ) irritieren mag; ganz undenkbar ist sie jedoch nicht (deswegen wird sie hier auch abgedruckt! ). Dies bereitet allerdings zusätzliche Probleme: Nach den oben aufgestellten Definitionskriterien, deren Gültigkeit die charakteristische Modifikation der Passage durch B und C letztlich sogar gestützt wird, erfüllt die Fassung A aufgrund der fehlenden Jahreszeitenbenennung, die das Verb meien schließlich enthält, nicht die Mindestanforderungen zur Diagnostizierung eines Natureingangs. Deswegen ist der fragile Charakter des Natureingangs von Lied KLD 35 , I zu betonen, was dem Verfasser vorliegender Arbeit nahegelegt hat, die Aussagen über das poetische Modell des komplementär angebundenen Sommereingangs durch das zuvor zitierte Reinmar-Lied abzusichern. 182 III Typeneinteilung des Natureingangs I. A 39 (Der junge Spervogel) B 1, C 1 In dem walde vnd vf der grv o nen heide smeket ez so rehte wol, daz man sich der lieben ovgen weide wol von schvlden trosten sol: so han ich vor seneden mv o t trost dekeinen---wan den einen daz min frowe ist gv o t. [Im Wald und auf der grünen Heide duftet es wirklich derart gut, dass man sich an der angenehmen Augenpracht gewiss zu Recht trösten muss: jedoch habe ich für meine sehnsuchtsvolle Stimmung keinen Trost, außer dem einen, dass meine Dame gut ist.] Damit ist in Leutholds Lied der Aspekt betont, dass die Tröstung des liebenden Ichs-- anders als bei Reinmars MF 188 , 33 , wo die tröstenden Instanzen Natur und Dame nicht explizit gegeneinander ausgespielt sind-- überhaupt nicht von der sommerlichen Natur, sondern rein von der Dame ausgeht, ist doch die zitierte Passage so zu paraphrasieren: «Es ist Sommer (Mai) und man soll von der Sommerpracht eigentlich getröstet werden (vgl. I, 1 - 4 ); jedoch habe ich für meinen Liebeskummer keinen anderen Trost, als den, dass meine Dame gut ist. (vgl. I, 5 - 7 )». Der Sommer als potenzielle Trostquelle verfängt hier also genau nicht, während es bei Reinmars MF 188 , 33 relativ unbestimmt heißt: Dô ich daz grüene loup ersach, / dô liez ich vil der swaere mîn ( II , 1 f.)-- die sommerliche Natur ist hier also sehr wohl als für das Ich Linderung stiftend zu konzeptualisieren, bevor dazu bezüglich der genauen Relationsverhältnisse in der Schwebe gehalten konkurrierend angegeben wird, zukünftig müsse das Text-Ich von einer Frau vil wunneclîchen wol gemuot ( II , 5 ) sein (vgl. II , 3 - 5 ). Freilich wird hier dadurch auch gerade auf der imaginierten Zeitebene ein qualitativer Unterschied der Trostschenkung suggeriert (sommerliche Natur: punktuelle Linderung / Frau: fortan stetige Beglückung), der in Leutholds Lied noch viel zugespitzter ausagiert wird. Die sommerliche Natur scheidet dort gerade als Trostquelle aus, eine Aufhellung der emotionalen Gestimmtheit des Ichs kann nun allein der Gedanke an die Vortrefflichkeit der Dame bewirken. Damit wird die Relevanz des Natureingangs im Lied destruiert, indem seine Bedeutung vom Text- Ich, die es ja allgemein durchaus noch anerkennt (vgl. das daz man sich der lieben ovgen weide / wol von schvlden trosten sol [I, 3 f.]), für die eigene Stimmung jedoch völlig negiert, obwohl sich so de facto gleichwohl eine komplementäre Beziehung zwischen eigentlich adäquater Jahreszeitenstimmung und emotionaler Lage des Ichs einstellt, nämlich Tröstung. Schon aufgrund des wörtlichen Anklangs des Refrains von Ulrichs Lied V wird sich deshalb der Rezipient durch die zunächst dort begegnende Aussage, Min frowe ist gv o t ( 8 ), auch an das in Leutholds Lied I verwirk- 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 183 lichte Muster einer komplementären Setzweise mit Destruierung der Relevanz des Natureingangs für das Ich erinnert sehen und den freien Raum der Sinnrelationen zwischen Natur- und Liebesthematik in Ulrichs Lied in ähnlicher Weise deuten, als es bei Leuthold verwirklicht ist, etwa so: «Es ist Sommer, ich aber bin (nur) froh, weil meine Dame gut ist». Zwar ist es in Ulrichs Lied ebenso wenig explizit ausformuliert, dass das Text-Ich von der sommerlichen Natur keine Tröstung empfindet (wie bei Leuthold) wie dass es eine empfindet (wie bei Reinmar)-- insofern stehen beide Techniken der komplementären Inbezugsetzung zur Ausdeutung der Leerstelle prinzipiell zur Verfügung, dennoch ist es aber gerade auch denkbar, dass der Rezipient zu dem von Leutholds Lied demonstrierten Muster tendiert, da ja im Natureingang von Ulrichs Lied KLD 59 , V die auffallende Einschränkung ist mir geseit (I, 6 ) sehr wohl im Sinne einer gewissen Distanz des dortigen Text-Ichs zum Naturgeschehen gedeutet werden kann. Wie dem auch sei, es wird im Liedverlauf direkt anschließend eine Möglichkeit der komplementären Setzung, die eine Tröstung des Ichs mit oder ohne Zutun der sommerlichen Natur in jedem Falle impliziert, sofort wieder relativiert, wenn die Angabe der dennoch bestehenden Verstimmung des Text-Ichs erfolgt: swie si doch tůt mich vngemv o t ( 8 ). Bezeichnenderweise ist das Ich des Ulrichschen Liedes also nicht etwa wol gemuot wie das der Reinmar-Strophe, sondern hat Kummer, der zudem noch von der Dame verursacht ist. Somit scheint eine Deutung des Bezuges «Es ist Sommer und ich bin froh, weil meine Dame gut ist» nicht mehr ganz zu passen. An dieser Stelle wird der Rezipient in der interpretativen Ausfüllung des vom Lied aufgemachten Deutungsraumes wiederum auf sein kontextuelles Vorwissen aus der Minnesangtradition referieren, da nun das gegenteilige Modell einer kontrastiven Anbindung von adäquater Jahreszeitenstimmung und Ich-Befindlichkeit des Liebenden sich zur deutenden Sinnunterlegung anbietet. Dieses poetologische Muster, das in zahlreichen Liedern Ulrichs begegnet, erscheint in exemplarischer Form etwa in Lied KLD 59 , IX , wo es im Strophenkörper der ersten Strophe heißt (I, 1 - 10 ): I. C 31 Svmer wil vns aber bringen gru e nen walt und vogel singen, anger hat an blv o men kleit. berg vnd tal in allen landen sint erlost vs winters banden, heide rote rosen treit. sich fro e it al dú werlt gemeine, nieman truret wan ich eine, sit mir d´ v vil sv e sse reine frúmt so manig herzeleit. […] [Sommer will uns wiederbringen den grünen Wald und Vogelsingen, der Anger hat ein Blumenkleid an. 184 III Typeneinteilung des Natureingangs Berg und Tal sind überall aus den Winterfesseln befreit, die Heide trägt rote Rosen aus. Es freut sich die ganze Welt gemeinsam, niemand ist traurig außer mir alleine, weil mir die überaus Süße und Reine so viel Herzschmerz bereitet.] Wenn der Rezipient nun also das-- in Lied IX explizit ausformulierte-- Muster einer kontrastiven Inbezugsetzung von saisonal eigentlich zu erwartender Stimmung mit der tatsächlichen Befindlichkeit des liebenden Ich auf das Lied V überträgt-- darauf dürfte er durch das in dieser Hinsicht recht deutliche Signal, nämlich dass das Text- Ich sich selbst als vngemv o t charakterisiert, gestoßen werden- - so ergibt sich für eine interpretativ herzustellende Verbindung von Natureingang und Liebesthematik eher folgende Deutung: «Es ist Sommer (und es gehört sich eigentlich, dass man froh ist), aber ich bin unglücklich, weil meine Dame mich schlecht behandelt! ». Auch wenn, weil der Refrain semantisch zwischen den Polen einer Wertschätzung der Dame und Frustration über sie in der Schwebe bleibt, die Konzeptualisierung im Sinne einer gleichgerichteten Setzweise (I) nicht völlig destruiert werden mag, wird der Rezipient am Ende des Refrains wohl den eröffneten Deutungsraum eher mit dem Muster der kontrastiven Anbindung ( II ) füllen, da zum einen die Charakterisierung der Ich-Position als unglücklich einen sehr starken interpretativen Sog in diese Richtung zeitigt, zum anderen, da wir uns mit Ulrichs Lied in einer Minnesang-Phase befinden, in dem die kontrastive Setzung eindeutig das dominierende Anbindungsmuster und somit der Standardfall im sommerlichen Natureingang geworden ist. 27 Zudem wird die derartige Sinnunterlegung im weiteren Liedverlauf noch gefestigt, setzt doch die Strophe II bezeichnenderweise mit der programmatischen Äußerung, Min vngemv e te ist gar zegros ( II , 1 ), am letzten Wort des Refrains, dem Adjektiv vngemv o t, an, und bestärkt auch im Weiteren nicht etwa den Aspekt der Wertschätzung der Dame, sondern den des Leidens an ihr (vgl. das dú mich in senden leiden-[…] lat [ II , 4 - 6 ]). So beklagt das Text-Ich in der zweiten Strophe-- als an ein imaginäres ‹Publikum› gerichtete Erklärung für seinen kummervollen Zustand (vgl. II , 2 : als ich úch wil bescheiden)- -, dass die Dame ihm keinerlei Hilfe zukommen ( II , 3 und 5 ) und es in Sehnsuchtsschmerz verharren lasse ( II , 4 - 6 ), ja sich ihm gegenüber schon lange Zeit so unerbittlich zeige (vgl. II , 5 und 7 ). Dies gipfelt in einem im Minnesang zur Kennzeichnung der Ungerechtigkeit der 27 Gerade bei Gottfried von Neifen und Ulrich von Winterstetten begegnen fast ausschließlich sommerliche Natureingänge in kontrastiver Setzart und winterliche Natureingänge in komplementärer Anbindungsweise. Dies dürfte als ein für diese Phase einer erfolgenden Rückbindung des Neidhartschen Natureingangs an das traditionelle Werbungslied bedeutungsvolles Charakteristikum der beiden Liedcorpora zu werten sein. 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 185 Dame recht drastischen, aber nicht unüblichem Motiv 28 , nämlich dem Vergleich des Verhaltens der Minnedame mit dem Umgang mit Heiden ( II , 7 ), den das Text-Ich am Schluss des Strophenkörpers, wiederum als syntaktisch und formal herausgehobene Pointe nach der binnenzergliederten Abgesangspassage, anstrengt. Indem also die zweite Strophe den Unmutsaspekt des Refrains noch weiter herausarbeitet, ja bis zu der Aussage forciert, die Dame behandle das liebende Ich derart hartherzig, als ob es ein wilder heiden ( II , 7 ) sei, bestärkt der weitere Liedverlauf die wohl zu unterlegende Sinnrelation eines kontrastiven Verhältnisses von adäquater Jahreszeitenstimmung und tatsächlicher emotionaler Lage des Ichs noch, ja ‹zurrt› diese gleichsam in der Rückschau fest. Die durch die Refrainaussage, die Dame des Text- Ichs sei gut, angeregte, zeitweilig ebenfalls wohl konzeptualisierbare Erwägung, es könne eine gleichgerichtete Setzweise unterstellt werden, dürfte aus dem Blickwinkel der zweiten Liedstrophe vollends desavouiert sein. Auf jeden Fall ist aber deutlich geworden, wie der durch die unvermittelte Setzung des Natureingangs in Ulrichs Lied V entstehende freie Deutungsraum möglicher Sinnrelationen gerade über die dem geübten Minnesang-Rezipienten aus dem Kontext bekannten Modelle einer Anbindung des Natureingangs an die emotionale Stimmung des Ichs im prozessualen Verlauf des Liedes wieder geschlossen werden kann. Die vorangegangene Beispielanalyse dürfte somit gezeigt haben, dass selbst in jenen Fällen, in denen die Texte eine Sinnbezüge stiftende Verknüpfung zwischen Natureingang und der Folgethematik nicht explizit argumentativ ausformulieren, nicht 28 Das Motiv begegnet zuerst bei Dietmar von Eist, wo es in Strophe MF 40 , 19 heißt: jâ bin ich niht ein heiden. / Si sol genâde an mir begân (I, 6 f.), das ich-- ähnlich wie G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 406 f.-- wie folgt deute: das Text-Ich fordert, indem es angibt, es sei ja kein Heide, also verdiene es Gnade, die Erhörung durch die Frau. Vgl. ferner auch Gottfried von Neifen, Lied KLD 15 , IX, wo der Heidenvergleich in potenzierter Form als Schlussmotiv in der letzten Strophe des Liedes, die eine Aufkündigung von Sang und den Abschied von der Dame realisiert, erscheint: da von wil ich singen lan / vnde wil mich von ir scheiden. / got der gebe gelúke vns beiden. / wer aber ich ein wilder heiden, / miner trúwe solt ich bas genossen han (V, 6 - 10 ; Hervorhebung von mir, D. E.). Insofern scheint es mir gerechtfertigt, den Heidenvergleich als einen relativ drastischen Unmutstopos zu charakterisieren. Jedoch entbehrt diese Drastik nicht auch gewisser komischer Effekte, was der Blick auf die fünfte Strophe des Hartmann-Liedes MFMT XXII, Nr. XVIII: Wê, war umbe trûren wir? zeigt, bei der die sinngemäße Zuordnung der betreffenden Passage zwar schwierig, jedoch der ironisch-parodistische Ton unverkennbar ist. Dort heißt es: Sî wil mir gelônet hân. / nu wil ich, alse sî dâ wil. / daz muoz ich vür guot enpfân. / anders dûhte sîs ze vil, / Daz si mich ir dienen lât. / seht, des taete ein heiden niht. / joch ist es vil, ob sîs niht sünde hat (V, 1 - 7 ). Es ist hierbei etwas unklar, ob die Verse 6 f. insgesamt auf die Dame zu beziehen sind oder Vers 6 auf das Text-Ich und Vers 7 auf die Dame; in beiden Fällen wäre wohl- - so die Auffassung E. von Reusners im Komm. zu Hartmann von Aue, Lieder, S. 161 -- ohne die gedankliche Ergänzung eines möglichen Widerrufs der Dame nicht auszukommen. Insofern ergäben sich folgende Sinnvarianten: «(Erg: Widerruft die Dame ihr Angebot), das würde selbst ein Heide nicht tun! Es wäre wirklich unerhört, wenn sie sich dadurch nicht versündigt! » oder «Das Angebot der Dame ablehnen, das würde selbst ein Heide nicht tun! Fürwahr es wäre unerhört, wenn sie (erg.: nimmt sie ihr Angebot zurück) sich dadurch nicht versündigt! ». 186 III Typeneinteilung des Natureingangs davon ausgegangen werden kann, dass hier die poetologischen Muster einer solchen Inbezugsetzung in ihrer Wirkung suspendiert seien. Im Gegenteil dürften jene Modelle gerade in der Interpretation durch den Rezipienten wieder aufgerufen und für die Lenkung des Verständnisses in höchstem Maße bedeutsam sein. Diese Tatsache ergibt jedoch für die hier zu erstellende Typologie des Natureingangs das methodische Dilemma, dass derartige poetologisch dominante Muster in einer systematisierenden Typenaufteilung, die sich an rein formalen Kriterien der Einbauweise orientiert, nicht erfasst werden können, da sich eine solche Einteilung wiederum-- zu Recht-- danach auszurichten hat, was den Texten als Charakteristikum auf der Wortebene wirklich auch inhärent ist. Andererseits scheint mir aber eine für sich allein stehende formale Typologie des Natureingangs im Minnesang-- als die zweifellos methodisch ‹sauberste› Lösung-- insofern unzureichend zu sein, als sie konnotative Bezogenheiten trennt, die Texte von ihrem intertextuellen Rahmengefüge des Systemkontextes ‹Minnesangtradition› löst und so Gefahr läuft, als ein philologisches Schreibtischprodukt über die Spezifika literarischer Techniken letztlich viel weniger auszusagen, als es das einer solchen Distinktion doch zugrundeliegende Interesse gewesen ist. Gleichwohl soll damit nicht behauptet werden, dass man nun auf eine Typeneinteilung nach formalen Charakteristika der Einbauweise so einfach verzichten könnte. Denn schließlich gewährleistet ja nur eine nach möglichst ‹objektiven› Kriterien erstellte Typologie, dass sie für die Klassifikation der Einzeltexte überhaupt fruchtbar gemacht werden kann und somit als literaturwissenschaftliches Hilfsinstrument 29 erst nützlich wird. Diese Einteilung soll jedoch nicht als ‹Zielpunkt› der Überlegungen für sich stehen bleiben, sondern wird-- gerade weil der Verfasser die Notwendigkeit einer deutenden Profilierung der Systematik auf die für diesen Bereich in der Minnesangtradition wirksamen poetologischen Muster anerkennt-- insofern mit einer diesbezüglichen Gewichtung versehen werden, die dem entgegenzuwirken sucht, dass ein schematisches Gebilde entsteht, das zwar klassifikatorischen Erfordernissen Genüge leistet, aber darüber hinaus keinen Erkenntniszugewinn über die kontextuelle Vernetztheit der die Einbauweise des Natureingangs steuernden literarischen Techniken liefert, weil die Typen ungewichtet katalogartig nebeneinandergestellt sind. Deshalb wird die hier zu entwerfende Typologie zwar den Anspruch der adäquaten kategorialen Erfassung formaler Gesichtspunkte zu erfüllen suchen und sich darum bemühen, prinzipiell auf alle Texte anwendbar 29 Nichts anderes soll eine typologische Einteilung nun einmal darstellen, darf sie doch weder nur zum Selbstzweck aufgestellt werden, noch ‹existiert› sie ja an sich, indem sie den Texten als tatsächliche Wesenheit vorausginge. Jede Typeneinteilung des Natureingangs erweist sich also immer als ein- - nach gewissen vom Konzipierenden präfererierten- - Gesichtspunkten hergestelltes Konstrukt, das weder letzte Gültigkeit beanspruchen kann, noch den feinen Nuancenverschiebungen und -variierungen, die jeder Einzeltext vornimmt, im Ansatz gerecht wird. Ich habe bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass literarische Texte immer komplexer sind als systematisierende Abstraktionen, die ihrer Einteilung dienen sollen. Davon unbenommen bleibt, dass derartige Typeneinteilungen ein hilfreiches Einordnungsinstrument in der literaturwissenschaftlichen Praxis sein können. 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 187 zu sein 30 , der Ebene der systematischen Klassifikation über die Beimessung von Dominanzverhältnissen aber zudem eine poetologische Gewichtung hinzufügen, die implizit auch eine vorsichtige historisierende Dimensionierung ins Spiel bringt. Warum nun eine an sich die Texte in synchroner Perspektive erfassende Typensystematik des Natureingangs wiederum in einem zweiten Schritt überhaupt sinnvollerweise mittels literaturgeschichtlich ausgerichteter Überlegungen zu deuten ist, bedarf einer gewissen Erklärung. Schließlich ist ein poetologische Muster herausarbeitender Ansatz ja an sich noch nicht unbedingt mit der Notwendigkeit verbunden, eine diachrone Perspektive einzunehmen; es ist streng genommen immer noch möglich literatursystematisch zu argumentieren. Für den hier in den Blick genommenen Bereich des Minnesangs von seinen Anfängen bis ins 14 . Jahrhundert hinein lassen sich aber nicht nur quantitativ viele, sondern auch in ihrem Erscheinungsbild derart verschiedene Möglichkeiten an Anbindungsweisen des Natureingangs feststellen, dass die Bestimmung poetologisch dominierender Muster nicht allein auf systematischer Ebene erfolgen kann. Hierfür ist m. E. tatsächlich der Blick auf den literaturgeschichtlichen Verlauf der Minnesangtradition hilfreich, um die Gemengelage diverser Einbauweisen nach poetologischen Gesichtspunkten zu strukturieren und in ihrer kontextuellen Bezogenheit aufeinander zu erkennen. Doch selbst in literarhistorischer Perspektive stößt die Ergründung solcher Dominanzen auf gewisse Schwierigkeiten, da-- dies wird sich immer wieder zeigen-- genaue prozessuale Entwicklungen wiederum nicht genetisch nachzuverfolgen sind. So lässt sich auch die Einbauweise einer komplementären bzw. kontrastiven Anbindung des Natureingangs an die emotionale Befindlichkeit des liebenden Ichs, die im Folgenden als Dominanzbereich der aufgestellten Typologie situiert wird, überhaupt nicht als historischer Nukleus erweisen 31 , betrachtet man die als früheste Beispiele der Anwendung des Natureingangs im Minnesang identifizierten Texte 32 ; 30 Ob nun die sowieso immer komplexer als die aufgestellten typologischen Abstraktionen realisierten Texte sich auch in der im Folgenden erarbeiteten Einteilung in jedem Fall völlig eindeutig kategorial zuweisen lassen, ist schon bezweifelt worden, schließlich ist ja auch mit fließenden Übergängen zu rechnen (s. o.). Allerdings ist es eine Bestrebung der vorliegenden Typologie, grundsätzlich jedem Text eine Zuordnung zu ermöglichen und nicht eine breite Gruppe von Sonderfällen zu situieren, die vom Typenschema nur unzureichend erfasst werden. 31 Es muss an dieser Stelle betont werden, dass die Frage nach einem genetisch verstandenen Grundmodell des Natureingangs im Minnesang ausdrücklich kein Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit ist. Vielmehr zeigt der Blick auf die sog. Frühgruppe des Minnesangs m. E. sogar, dass ein solches vielleicht überhaupt nicht zu denken ist. Denn mit dem Erscheinen des Topos in der mittelhochdeutschen Lyrik begegnen von Anfang an alle möglichen Einbauweisen der so wohl genuin vielgestaltig nutzbaren Gestaltungstechnik. Dies widerspricht jedoch nicht der These, dass im weiteren Verlauf der Minnesangtradition nicht die Herauskristallisierung gewisser Dominanzen feststellbar wäre. 32 Es ist sich in diesem Zusammenhang stets bewusst zu machen, dass jene frühhöfische Minnesang-Schicht des sog. ‹donauländischen Minnesang› nicht etwa auf der synchronen Ebene der Überlieferung als Frühgruppe ausgewiesen, sondern diese Etikettierung erst von der neuzeitlichen Minnesang-Philologie hergestellt worden ist. Dies gilt im Übrigen generell für 188 III Typeneinteilung des Natureingangs jegliche historisierende Anordnung der handschriftlich genau nicht in ihrer chronologischen Verortung diversifizierten Minnesang-Texte, wie sie auch die von der Forschung hergestellte, diachrone Kategorisierung in früh-, hoch- und späthöfische Lyrik eine darstellt. Meist ergibt sich aber für die Minnesangtexte, dass eine solche historisierende Einordnung allerdings- - weil sie keine Angaben über ihre Entstehung enthalten und historische Anspielungen, wo sie erfolgen, oft recht unbestimmt bleiben-- in erster Linie das Ergebnis einer stilkritischen Beurteilung ist, deren methodische Problematik wiederum nicht zu unterschätzen ist (ein Beispiel: ist das stilistisch archaisch Erscheinende auch notwendigerweise immer das historisch Ältere? ; vgl. dazu etwa G. Schweikle, Minnesang, S. 80 , und P. L. Johnson, Die höfische Literatur, S. 49 ). Bei allen begründeten Zweifeln an der Herstellung einer diachronen Anordnung der auf Überlieferungsebene nur synchron präsentierten Minnesangtexte, muss aber auch gesagt werden, dass die Minnesang-Forschung m. E. jedoch ohne den Versuch einer (vorsichtigen) literaturgeschichtlichen Rekonstruktion nicht auskommen kann, da diese ein wichtiges Ordnungskriterium im wissenschaftlichen Umgang mit den Texten darstellt. Dennoch müssen die methodischen Einwände bei einem solchen Vorgehen stets mitgedacht werden und zumindest ästhetisch wertende bzw. in diesem Zusammenhang vorbelastete Periodenbezeichnungen wie ‹klassischer› vs. ‹nachklassischer› Minnesang vermieden werden. Auch scheint es mir bezüglich der Aufstellung einer Typologie des Natureingangs im deutschen Minnesang notwendig, trotz des oft nicht ganz unproblematischen Status der gebräuchlichen literaturgeschichtlichen Phaseneinteilung des Minnesangs hierbei den Aspekt einer vorsichtigen historischen Dimensionierung nicht auszublenden, da eine rein synchron systematisierende Aufstellung, die zudem auf die Kennzeichnung poetologisch dominanter Muster verzichtet, wiederum bezüglich ihres Erkenntniswertes unbefriedigend erscheinen muss. Dennoch gibt es für den Verfasser vorliegender Arbeit in Bezug auf die Überführung in eine diachrone literaturgeschichtliche Ordnung jedoch auch rekonstruierte Bereiche, die derart spekulativ zugewiesen und Ergebnis methodisch so zweifelhafter Operationen sind, dass die in der Forschung vorherrschenden Datierungsvorschläge nicht geteilt werden können. Es handelt sich hierbei besonders um jene-- immer noch in der aktuellen Ausgabe von «Des Minnesangs Frühling» (MFMT)-- den mit Autornamen überlieferten Corpora vorgeschaltete Gruppe der ‹anonymen› Liebeslieder (MFMT I, Nr. VI-XIV), die so auch zeitlich als vorgängige, älteste Grundschicht volkssprachlicher Liebeslyrik konzeptualisiert bleibt (vgl. für das Folgende auch die Ausführungen in G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 53 , dessen Edition die Rubrik ebenfalls für fragwürdig erachtet und deshalb ausklammert). Die Herstellung dieser Textformation ist aber insofern in höchstem Maße problematisch, als unter der Kategorie einerseits ausgewählte (nicht alle, sondern nur die archaisch anmutenden! ) Strophen der mhd. Einlagen im Codex Buranus (M), die durch Parallelüberlieferung nicht einem namentlich bekannten Verfasser zuzuweisen waren (MFMT I, Nrr. VI-IX), versammelt sind, andererseits handschriftlich sehr wohl in namentlich markierten Liedercorpora überlieferte Texte, die ihren (handschriftlich ausgewiesenen) Verfassern einfach abgesprochen wurden (vgl. die Nummern MFMT I, X: Niune in A, Alram von Gresten in C; XI: Walter von Mezze, XII: Niune; XIII und XIV: Walter von Mezze). Da ich einem solchen Vorgehen äußerst skeptisch gegenüberstehe, sind deshalb die in jener Gruppe befindlichen Beispiele von Liedern mit einem Natureingang (nach Maßgabe der obigen Definitionskriterien ohnehin nur die hs. Walter von Mezze zugewiesenen MF 4 , 1 : Diu linde ist an dem ende und MF 6 , 14 : Der walt in grüener varwe stât, s. u.) hier nicht zum Bestand der Frühschicht des Minnesangs hinzugezählt worden. Zum speziellen Fall der im Codex Buranus überlieferten mhd. Einzelstrophen ist zu sagen, dass diese zwar chronologisch am Beginn der handschriftlichen Überlieferung der mhd. Lyrik stehen, jedoch als Gruppe von der Forschung nicht entstehungszeitlich zusammengehörig gedacht werden (s. u.). M. E. ist es aber zu willkürlich, einerseits aus den archaisch anmutenden Strophen eine anonyme Frühschicht der mhd. Lyrik zu konstruieren, andererseits andere-- ebenfalls nicht namentlich einem Verfasser zuzuordnende mhd. CB-Strophen-- später, gar noch im unmittelbaren Umfeld der Codexent- 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 189 dennoch ist sie aber spätestens im Bereich des hochhöfischen Minnesangs als zentrales Prinzip der Verknüpfung etabliert. 33 Ja es lassen sich sogar durchaus ganz anders gelagerte Setzweisen des Natureingangs im Minnesang des 13 . Jahrhunderts-- wie beispielsweise in Neidharts Sommerliedern 34 - - als charakteristische Modifikation dieser Technik darstellen und können so gerade aufgrund der Freilegung ihrer konnotativen Bezogenheit auf traditionelle Modelle in ihrer innovativen Wirkung überhaupt erst ausgelotet werden. Zudem scheint es m. E. von immenser Bedeutung zu sein, dass im späthöfischen schwäbischen Minnesang um Gottfried von Neifen, der im Folgenden als entscheidende Station der Rückbindung des Neidhartschen Natureingangs an das traditionelle Werbungslied beschrieben wird (s. Punkt III. 2. a), wiederum die Setzweise einer argumentativen Bezugerstellung zwischen Naturgeschehen und emotionaler Befindlichkeit des liebenden Ichs diese Integrationsoperation grundlegend steuert. 35 Selbst in noch späteren literaturgeschichtlichen Stadien der Minnesangtradition bleibt diese Anbindungstechnik, auch wenn nun verstärkt stehung, zu verorten (s. u.). Insofern war an eine diachrone Verteilung der als Natureingang lesbaren mhd. Strophen von CB nicht zu denken; ja sie sind auch bei der Aufstellung einer Typologie des Natureingangs nicht gesondert berücksichtigt worden. Dies hat folgende Gründe: Sie stehen erstens in einem völlig anders geprägten Überlieferungszusammenhang der mlat. Literaturtradition. Zweitens ist ihr Status bezüglich des sie umgebenden Überlieferungskontextes nicht übergreifend zu klären (Zusatzstrophen vs. Anfangszitate eigenständiger oder assoziierter mhd. Lieder), was die Frage nach ihrer konzeptionellen Anlage als tatsächliche Eingangsstrophe in den meisten Fällen ins Leere laufen lässt. 33 Interessanterweise ist die Verengung der Dominanz auf den komplementär gesetzten Winter- und den kontrastiv gesetzen Sommereingang jenen Texten des hochhöfischen Minnesangs noch nicht unbedingt ablesbar; sie ergibt sich in vollem Umfang erst bei Gottfried von Neifen und Ulrich von Winterstetten (s.unten), ja öffnet sich später auch wieder. 34 Siehe dazu die Überlegungen in Punkt III. 2 .c., wo nahegelegt wird, dass bei der typischen Fortführungsweise des Natureingangs der Sommerlieder Neidharts- - die oft zu findende Stimmungsbzw. Handlungsansage der maget, die als programmatischer Aufhänger des Frauendialogs eingesetzt ist- - das Muster eben jener dominanten Natureingang-Setzweise des Werbungsliedes immer noch konnotativ aufrufen kann, ja in Figurenrede und damit in die Szenenhaftigkeit (hier ist der Begriff in der Tat einmal angebracht! ) eines narrativ gerahmten Dialogs überführt ist. Vgl. z. B. für das Modell eines mit der Ich-Thematik komplementär gesetzten Natureingangs SL 2 , wo es nach einem in seiner Sprecherposition unmarkierten Natureingang heißt: «Ich fro e we mich gegen der heide, / der liehten o u genweide, / du i uns beginnet nahen», / also sprach ein wolgetaniu maget, «den wil ich schone enpfahen. / / Můter, ich wil selbe / mit richer schar ze velde / und wil den reien springen-[…]» (C Str. 222 - 226 , II, 1 -III, 3 ; zit. nach SNE I, Hervorhebungen wie auch für das Folgende von mir, D. E.); für das kontrastive Modell ferner SL 25 , wo die zweite Strophe der R-Fassung lautet: «Vro sint diu vogelin geschræyet, / nu belib ich aber ungereiet», sprach Wendelmu e t. / «golczen, risen unde hu e t / hat ‹min› æide / verspart mir vor ze læide.» (R 58 , II, 1 - 6 ; zitiert nach SNE I). 35 Gerade bei Gottfried und Ulrich ist für die Minnekanzone die große Bedeutung der Anbindung des Natureingangs an die emotionale Befindlichkeit des Ichs, genauer gesagt des kontrastiven Einbaus im Falle des Sommereingangs, des komplementären Musters im Bereich des Wintereingangs, unübersehbar. Dies wird im Rahmen einer subjektivierenden Profilierung, ja geradezu Umfeld-Absonderung der Ich-Position zu deuten sein. 190 III Typeneinteilung des Natureingangs wieder andere Einbauweisen erprobt werden, weiter präsent und als möglicher Zielpunkt der konnotativen Bezüge potentiell bedeutsam. 36 Insofern lässt sich also durchaus die Herauskristallisierung und Etablierung des poetologisch dominanten Musters einer Inbezugsetzung des Natureingangs mit der emotionalen Gestimmtheit des liebenden Ichs, die über die Basisopposition kontrastiver vs. komplementärer Setzung gesteuert ist, für die wohl anzunehmende literaturgeschichtliche Entwicklung der Minnesangtradition 37 plausibilisieren, 36 Dies zeigt in paradigmatischer Weise der Blick auf das Œuvre Konrads von Würzburg, in dem sich durch eine bedeutsame Modifikation des Natureingang-Einsatzes die Anbindung des Topos an ein generelles, liebesdidaktisches Sprechen, das ohne die Besetzung einer Ich-Position auskommt, als das dominierende Muster herausstellt. Die Signifikanz dieser Operation, die den winterlichen Natureingang kontrastiv und den sommerlichen komplementär anbindet, lässt sich aber m. E. nur vollständig ergründen, wenn man sie vor dem-- wohl immer noch präsenten-- Muster einer Anknüpfung der emotionalen Stimmung des liebenden Ichs im traditionellen Werbungslied deutet, das bezeichnenderweise zuvor im Falle des Wintereingangs zu komplementärer und im Falle des Sommereingangs zu kontrastiver Setzweise tendiert hatte. Dass jedoch dieses Modell noch jederzeit verfügbar ist, zeigt der Blick auf Konrads Lied Schröder Nr. 6 , wo man genauso noch einen in konventioneller Anbindungsart realisierten Natureingang (komplementär eingebauter Wintereingang mit Überbietung) finden kann: Iarlanc scheiden wil dú linde / von ir kleiden gru e nen so geswinde / das si lo v bes ane wirt; / vf den heiden von dem winde / fro e ide leiden mv o s dem ingesinde, / das der sv e sse meie birt: / die not min herze klaget / niht so túre sam die schulde, / das mich húre miner frowen hulde / twinget vnd in truren iaget (I, 1 - 10 ; Hervorhebung von mir, D. E.). 37 Davon, dass man m. E. in der literaturwissenschaftlichen Praxis auf das Ordnungsinstrument einer (vorsichtig abzuwägenden) literarhistorischen Kategorisierung, wie sie die in vorliegender Arbeit nicht grundsätzlich aufgegebene Einteilung des Minnesangs in eine früh-, hoch und späthöfische Phase ja darstellt, nur schwer auskommen wird, ist schon die Rede gewesen. Schließlich bringt ja auch der Versuch einer Sprachregelung, wie er sich bei L. Lieb, Der Jahreszeitentopos, S. 134 zeigt, einige Probleme mit sich. Lieb geht hierbei von einem als ‹Gattung› konzeptualisierbaren System des ‹Hohen Minnesang›-- ein Terminus, dem ich sehr skeptisch gegenüberstehe-- aus, in dem bestimmte Regeln topischen Sprechens wirksam seien, «die- - solange er praktiziert wird- - prinzipiell unhinterfragbare Geltung» (ebd.) beanspruchten. Deshalb seien die vormals als frühhöfisch klassifizierten Minnesangtexte als Randbereiche der Minnesangtradition in den Blick zu nehmen, die so nicht mehr chronologisch verortet werden müssten, sondern als Texte zu begreifen seien, die «zwar offensichtlich zum Minnesang gehören, doch inhaltlich und formal von den Regeln und Prinzipien des Hohen Minnesangs abweichen» (ebd.). Zum einen wäre bei einem solchen Konzept fraglich, ob sich das abstrahierte System ‹Hoher Minnesang› mit derart unumstößlich geltenden Regeln überhaupt mit den Gegebenheiten von Literatur- - im Speziellen des Minnesangs- - trifft, wo vermeintlich systemkonstitutive Regeln jederzeit im Einzeltext spielerisch hinterfragt werden können, ohne dass der Text gleich aus dem System heraustritt. Zum anderen stimmt es skeptisch, ob die Bezeichnung ‹Ränder des Textcorpus› für jene sonst als frühhöfisch klassifizierten Texte glücklich gewählt ist, da so die Gefahr besteht, sie tatsächlich in eine Art Randposition zu drängen, so dass-- in dem Maße, wie für die ‹systeminternen› Einzeltexte Differenzen zum abstrakten Entwurf ‹Hoher Minnesang› eingeebnet werden-- für jene Lieder die Gräben künstlich verstärkt werden. Schließlich wäre ja auch zu fragen, ob Liebs Vorstellung einer synchronen Klassifizierung, so verdienstvoll sie ist, nicht letztlich doch die Prägung durch eine literaturgeschichtliche Chronologisierung der Minnesang-Tradition weitertransportiert. Denn hinter den systembildenden Texten des ‹Hohen Minnesangs› dürfte sich doch nichts anderes verbergen als die schon immer im Zentrum einer Gruppierung der 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 191 freilich ohne dass der genaue prozessuale Verlauf der Herausbildung solcher dominanter Modelle tatsächlich in Einzelheiten darstellbar wäre. Jedenfalls scheint es mir aber sehr wohl angebracht zu sein, das durch formale Charakteristika konstituierte typologische Schema durch die Herausarbeitung poetologischer Dominanzverhältnisse, die mittels einer-- in ihren Basisannahmen kritisch reflektierten-- literaturgeschichtlichen Zusammenschau bestimmt sind, auszuwerten. Diese relationale Inbezugsetzung der Typen des Natureingangs im deutschen Minnesang gewährleistet schließlich, dass das typologische Schema nicht gleichsam ‹in der Luft hängt› und über die Vernetztheit der literarischen Techniken, die den verschiedenen Einbauweisen des Natureingangs zugrundeliegt, nichts mehr aussagt. Damit gelange ich für den Minnesang zu einem Typenschema, das im Folgenden in Form eines Schaubildes (I) angegeben werden soll: Minnesangtration stehenden Texte des hochhöfischen Minnesangs. Dass deren Dominanz noch weiter zementiert wird, kann den Texten jenes ‹Randbereichs› eigentlich nicht zum Vorteil gereichen. Insofern erscheint mir die hier gewählte, in ihren Prämissen reflektierte, vorsichtige literaturhistorisch perspektivierte Gewichtung des vorzulegenden Typologie-Modells als die ehrlichere Lösung. 192 III Typeneinteilung des Natureingangs SCHAUBILD I: TYPENSPEKTRUM DES NATUREINGANGS TENDENZ ZUR EINWERTIGKEIT a ARGUMENTATIVE INBEZUGSETZUNG ÜBER DIE BASISOPPOSITION KOMPLEMENTARITÄT VS. KONTRAST Kriterium: Anbindung des Natureingangs A.) vorhanden B.) keine (explizit formulierte) Anbindung (Bezug zur Folgethematik Kriterium: Sprecherinstanz offen für Interpretation durch A.I.) andere Stimme / Figurenrede Rezipienten) (d.h. Natureingang + Anbindung in Figurenrede, sonst B.) [fraglich: Jahreszeitenlieder A.II.) Rede des männlichen ‚Sänger-Ichs‘ und -einzelstrophen] b Kriterium: Art der Anbindung A.I./ II.a.) an Aussagen über andere A.I./ II.b.) an ICH-Aussagen Liedinstanzen 1. konkretes ‚ER‘ Kriterium: Folgethematik 2. konkrete DAME 3. GESELLSCHAFT (Liebes- oder A.II.b.1.) Sangesthematik c A.I./ II.b.2. L i e b e s t h e m a t i k allg. Verhaltensdidaxe; Gesellschaftsdiagnose; generalisierter Frauenpreis) Dominanzbereich 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 193 Anmerkungen zum Schaubild I: a Hiermit ist gemeint, dass die Anbindungsweise an andere Liedinstanzen außer dem Ich offensichtlich dazu tendiert, die Basisopposition kontrastiver vs. komplementärer Einbau zu einer dominanten, einwertigen Zuschreibung zu verkürzen. Für die Anbindung von Liebesdidaxe und generellem Frauenpreis ist z. B. folgende Festlegung nahezu bindend: im Falle des Sommereingangs komplementäre Setzweise («Es ist Sommer und man soll sich jetzt an den guten Frauen erfreuen»), im Falle des Wintereingangs die kontrastive («Es ist Winter, das können die Frauen trösten bzw. man soll stattdessen die Frauen loben»). Im Bereich der Gesellschaftsdiagnose ist beim Sommereingang hingegen die kontrastive Anbindung dominant: «Es ist Sommer, aber es steht um die gesellschaftlichen Werte nicht gut (also sollt ihr euch ändern! )». Für die Anknüpfung des Natureingangs an die Dame begegnet fast nur der komplementäre Einbau: «Der Sommer ist schön, genauso / noch schöner ist meine Dame». Die Beispiele für eine Anbindung des Wintereingangs an eine konkrete Dame (Heinrich von Rugge, MF 106,24: Nu lange stât diu heide val) und eines in Figurenrede gesetzten kontrastiven Sommereingangs an das konkrete ‹Er› eines Ritters (Meinloh von Sevelingen, MF 14,1: Ich sach boten des sumeres) sind wohl singulär. b In solchen Fällen ist es fraglich, ob überhaupt noch von Natureingang gesprochen werden kann. Naturbzw. Jahreszeitenstrophen, die zumindest wahrscheinlich durch Überlieferungsverluste isoliert worden sind, sind als Natureingangsstrophen denkbar, jedoch letztlich nicht zu erweisen. c Die Anbindung des Natureingangs an die Sangesthematik nimmt insofern eine-- hier auch graphisch angedeutete- - Zwischenposition ein, da, wenn es inhaltlich rein um die Realisation von Sang in der bestimmten Jahreszeit geht, nur ein einwertiges Schema vorliegt ( SE komplementär: «Es ist Sommer und so singe ich» / WE kontrastiv: «Es ist Winter und ich singe trotzdem»). Wird jedoch inhaltlich auch etwas über die Qualität des Sanges, ja den Erfolg bzw. das Misslingen desselben ausgesagt, ist die Anbindung für alle Möglichkeiten, die die Basisopposition herstellt, offen. Für den Bereich des Dominanztyps A. II b. 2 ., d. i. die liebesthematische Ausdeutung des Natur- und Jahreszeitengeschehens im Falle des (männlichen) Werbungslied- Ichs, ergeben sich zudem verschiedene Möglichkeiten einer argumentativen Ausdeutung der Natureingangspartie in Relation zur emotionalen Lage des Ichs, die hier wiederum in der knappen Form eines Schaubildes (II) vorgestellt werden sollen. Denn so mag es im weiteren Verlauf der Untersuchung leichter fallen, auf diese Bezug zu nehmen. 194 III Typeneinteilung des Natureingangs SCHAUBILD II: TECHNIKEN DER ANBINDUNG IM FALLE VON TYP A.II.b.2. ANBINDUNG DES NATUREINGANGS AN DIE EMOTIONALE BEFINDLICHKEIT DES LIEBENDEN ICHS - TECHNIKEN DER INBEZUGSETZUNG - WINTEREINGANG SOMMEREINGANG Kontrastiv vs. Komplementär Kontrastiv vs. Komplementär α) Kontrast α) Parität (oft additiv) α) Kontrast α) Vergleich [„Es ist Winter, aber ich bin froh …“] [„So wie ich über den Winter traurig [„Es ist Sommer, aber ich bin traurig …“] [meist: „So wie sich die Vögel bin, so schmerzt mich auch …“] a über den Sommer freuen, so freut mich …“] b graduelle Abstufungen; Kontrast / graduelle Abstufungen; Kontrast / Über- Überbietung / Ablehnung der Geltung β) Überbietung bietung / Ablehnung der Geltung β) Überbietung nicht eindeutig zu trennen c [„Viel mehr als über den Winter traurig nicht eindeutig zu trennen d [„Viel mehr als über den Sommer bin ich über …“] e freue ich mich über die Dame …“] f γ) Ablehnung der Geltung γ) Ablehnung der Geltung [„Dass Winter ist, ist mir egal; traurig [„Dass Sommer ist, ist mir egal; bin ich, weil …“] g ich bin froh, weil …“] h δ) implizite Komplementarität β) impliziter Kontrast = Wunsch nach Kontrast = Wunsch nach Komplementarität [„Ich könnte diesen Winter froh werden, [„Ich könnte diesen Sommer froh werden, wenn …“ = jetzt bin ich traurig! ] i wenn …“ = jetzt bin ich traurig! ] j β) Sonderfall: Kontrast des Liebesverhaltens zum Jahreszeitenwandel [„Es wird Winter, ich aber halte an meiner Dame fest …“; vgl. MF 37,30 und MF 99,29] k 1 Vorstellung eines Typenschemas mit der Basisunterscheidung ‹komplementär vs. kontrastiv› 195 Verdeutlichende Beispiele zu Schaubild II : a Vgl. z. B. Gottfried von Neifen, KLD 15, V: Walt heide anger vogel singen / sint verdorben von des kalten winters zit. / da man blv o men sach vf dringen / da ist es blos: nv scho v went, wie dú heide lit. / das klage ich; so klage ich mine swere, / das ich der vnmere / bin, der ich gerne lieb in herzen were (I,1-7; Hervorhebungen-- wie auch im Folgenden-- von mir, D. E.). b Vgl. z. B. Winli SMS 17,4: Secht, des meijen blüete / fröit die vogel in dien ouwen: / sô fröit mich ein minneklichez wîp (I,1-3). Die eigentlich zu erwartende Inbezugsetzung «So wie mich der Sommer freut, freut mich auch-…» begegnet dagegen nur selten, vgl. dafür Rost, Kirchherr zu Sarnen SMS 22,7: Fröit iuch, jung und alt: / wan sicht aber manigvalt / liechte bluot entspringen. / Secht, der mære guot / hœrt man stæte wolgemuot / kleiniu voglîn singen. / Mit dien wil ich fröiwen mich / der gemeiten zît / und der lieben, diu mir gît / muot und sinne fröilich (I,1-10; auch hier erfolgt die Anbindung aber über den Zwischenschritt der Freude der Vögel! ). c Vgl. dafür z. B. die Einzelstrophe MF 64,26 Heinrichs von Veldeke: Ez habent die kalte nähte getân, / daz diu löuber an der linden / winterlîche val stân. / der minne hân ich guoten wân / und weiz sîn nû ein liebez ende; / daz ist mir zem besten al vergân, / Dâ ich die minne guot vinde / und ich mich ir aldâ underwinde (1-8). Noch am deutlichsten im Sinne einer Ablehnung der Geltung ist Ulrich von Liechtenstein KLD 58, XXXIX zu lesen: Er ist chomen mit gewalde, / den der meie het vertriben, / sumerwunne ist im entrunnen balde, / der ist vor im niht beliben; / den sul wir ze mazen chlagen, / sit diu wunne---und des meien sunne / wider git in churzen tagen. / / Swem der winder hochgemüete swendet, / der muoz ofte truric si. / mir hat hohen muot ein wip gesendet, / da von ist das herze min, / swie es wittert, vro, vro, vro (I,1- II ,5; zitiert nach: Ulrich von Liechtenstein: Frauendienst, hg. von Franz Viktor Spechtler, Göppingen 1987 [ GAG 485], S. 338). Für die Verse I,6 f. scheint mir jedoch die Lesart von C, sit dv́ svnne---vns des meien wunne / wider git in kurzen tagen, sinnvoller zu sein. d Vgl. z. B. Johannes Hadloub SMS 30,19: Nû ist sumer so wol gegest, daz er êre hât: / in schœner wât---mag man in nû wol sehen. / Rôt, brûn, gel, blâ, wîz, grüene ist sîn kleit var. / swer sîn nimt war,---der mag im wunne jehen. / In lobent mit süezzem sange diu vogillîn, / diu sehent so liechten schîn; / mit dien sol man frœlich sîn. / swie schœn diu zît sint, trüebe ist mir doch mîn muot, / wan mich getrôste noch nie mîn frowe guot (I,1-9); hierzu gehört auch die Möglichkeit der revokatorischen Infragestellung der Geltung des Sommereingangs für das Ich, vgl. z. B. Rudolf der Schreiber KLD 50, II : Svmer der wil aber komen schone, / heide vnd anger stent geblv e t vber al, / vogel singent in vil sv e zem done, / vor in allen do e net wol dú nahtegal. / Was singe ich tvmber von der gru e nen heide, / wan klage ich sorge niht vnd swere beide, / die mir min vro minne git zelone? (I,1-7). e Vgl. z. B. Neidhart, WL 16 (nach R): Owe, lieber sumer, diner liehten tage lange, / wie sint die vercheret an ir scheine! / si trubent unde nement an ir suzzen weter ab. / gar gesweiget sint die vogelin mit ir sange. / doch ist daz diu meiste sorge min, / daz niht langer dienest lieben lon erwarben hat (R 26, I,1-6; zit. nach SNE I). f Vgl. z. B. Kristan von Luppin KLD 31, VI : Meijen schin---din---kunft mich fro e it vil kleine, / swie din blůt lúchtet so: / mir tůt bas,---das---mich dú liebe reine / zaller stunt machet vro. / si mag mir wol bringen / gru e nen kle, blv o men glast, voglin singen (I,1-6). 196 III Typeneinteilung des Natureingangs g Vgl. z. B. Reinmar, MF 169 , 9 : Mir ist ein nôt vor allem mîme leide, / doch durch disen winter niht. / waz dar umbe, valwet grüene heide? / solcher dinge vil geschiht, / Der ich aller muoz gedagen. / ich hân mêr ze tuonne denne bluomen klagen (I,1-6). Zu dieser Technik ist im Übrigen auch der Fall einer revokatorischen Infragestellung der Geltung des Wintereingangs für das Ich zu zählen, vgl. dazu z. B. Wernher von Hohenberg SMS 2,7: Ich muoz klagen, daz diu zît / sich so gar verkêret hât: / Secht, wie heid und anger lît / und wie der walt in tuften stât! / Dâ man ê hôrt vogellîn sang: / der klang in tal, in lüften erschal, / süezze stimme-- / winters grimme / tuot siu swîgen überal. / / Waz klag ich der vogellîn sang, / wan klag ich nit mînen pîn? (I,1- II ,2). h Vgl. z. B. Konrad von Landeck, SMS 16,10: Swen die rîfen / twungen und darzuo der snê, / der sol nû ze fröiden grîfen, / sît man siht den klê. / Sôst mîn wunne / gar ein reine, sælig wîb: mich fröit weder loub noch sunne, niht wan ein ir lîb ( II ,1-8). i Vgl. z. B. Konrad von Kirchberg, KLD 33, VI : Anger, walt, dú liehte heide breit, / die siht man von dem kalten winter grise, / er tv o t kleinen vogelin leit, / die da sungen sv o sse vf gru e nem rise; / des ist manig herze fro e iden ane. / da fúr han ich mir ein schones lieb erkorn. / wil si, so han ich den meien niht verlorn. / doh leb ich im fro e idelosen wane (I,1-8). j Vgl. z. B. Der Tannhäuser Lied Cammarota Nr. VII : Wol ûf, tanzen vberal / fröit iuch, stolzen leigen / wunneklîchen stât der walt / wol geloubet, das sint liebiu mære / jârlang prüevet sich der schal / gegen dem liehten meigen / dâ die vogel überal / singent wol, zergangen ist ir swære. / alle über ein plâniure / die bluomen sint entsprungen. / elliu crêâtiure / diu müesse dâvon iungen / wil ein wîb, sô wirt mir wol / nach der ie min herze hat gerungen (I,1-14). Bei aller Suggestionskraft im Sinne einer Eindeutigkeit solcher Schaubilder muss jedoch betont werden, dass in vielen Texten, sieht man sie sich bei der Liedinterpretation an, solche Unterscheidungskriterien letztlich viel weniger gut greifen als gedacht. Dies belegt mithin einmal mehr, dass die hochkomplexen Bedeutungsgefüge der Texte selbst alle systematisierenden Bestrebungen torpedieren, indem sie etwa Leerstellen generieren, die schwer auffüllbar sind, Motive einbringen, die mehrdeutig erscheinen,- - oder schließlich sogar sich widersprechende Textstrategien übereinanderlagern. Insofern dürfen die beiden typologischen Aufrisse wirklich nur als pragmatisch zu handhabendes Arbeitsinstrument verstanden werden. Denn dass viele der zugrundegelegten Kriterien mehr Probleme bereiten, als es den Anschein haben mag, soll die folgende ausführliche Diskussion anhand dreier exemplarischer Parameter, d. i. die Jahreszeitenzuordnung, die Folgethematik und die Sprecherposition, zeigen. So wird sich hoffentlich auch der Blick dafür öffnen, wie breit das Spektrum an poetischen Verfahrensweisen, die-- bei aller Rede von seinen dominanten Einbauformen-- unter dem Begriff ‹Natureingang› zu diskutieren sind, eigentlich tatsächlich ist. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 197 2 Diskussion ausgewählter Parameter a) Jahreszeitenzuordnung Bemüht man sich um eine Einteilung der verschiedenen Ausprägungen des Topos des jahreszeitlich organisierten Natureingangs im deutschen Minnesang, so bietet sich zunächst einmal die dichotomische Zuordnung der Einzelbeispiele zu den beiden saisonalen Festlegungen Sommer und Winter 38 als nahelegende Grobgliederung 38 An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass die dritte Jahreszeit des Herbstes, die mit Steinmars berühmtem Lied SMS 26 , 1 : Sît si mir niht lônen wil als saisonale Repräsentation in den Minnesang eingeführt wird, so dass sich die Gattung des ‹Herbstliedes› als eine spezifische Spielart des Jahreszeitenliedes, die sich übrigens auch aus einer vielschichtigen und deshalb disparaten Stofftradition herleitet (vgl. dazu bes. T. Bein, Jahreszeiten, S. 232 f., Anm. 33 ), konstituiert, für eine Systematik des Natureingangs im deutschen Minnesang keine Rolle spielt. Freilich dürften einzelne Darstellungstechniken dieses Topos durchaus auf die Textsorte des Herbstliedes eingewirkt haben. Entscheidend aber ist, dass im Herbstlied weder bei Steinmar (s. den programmatischen Anfang von Lied SMS 26 , 1 , der die liebesthematische Ansage einer Aufkündigung des Minnedienstes formuliert, und erst danach die Jahreszeitenbzw. Naturthematik abruft: Sît si mir niht lônen wil, / der ich hân gesungen vil, / seht, so wil ich prîsen / Den, der mir tuot sorgen rât: / herbest, der des meien wât / vellet von den rîsen [I, 1 - 6 ; Hervorhebungen-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.]) noch bei Johannes Hadloub (dort begegnen im Herbstlied saisonale Naturrepräsentationen konsequent allein in Binnen- oder Endstellung und nicht am Liedanfang, vgl. Lied SMS 30 , 18 , Str. V; SMS 30 , 20 , Str. IV und SMS 30 , 44 , Str. IIIf.) der Natureingang für den neuen Gattungstyp genutzt wird. Ja bei den jahreszeitlichen Naturrepräsentationen in den Herbstliedern Hadloubs (s. o.) finden sich als saisonale Termini nur die des Sommers und Winters, nicht der des Herbstes, so dass- - anders als bei Steinmar- - dieser dritten Jahreszeitenstelle im Grunde überhaupt keine eigenen saisonalen Naturabläufe zugeordnet werden. Dies zeigt noch einmal, wie disparat und separiert die Herleitung der Herbstthematik, die die Möglichkeit bietet, die Liebesthematik mittels des Gegenbildes eines suggestiv überbordende körperliche Satisfaktion garantierenden Schlemmer-Konzepts neu zu verhandeln, von den etablierten Jahres- und Naturtopiken des Minnesangs zu denken ist. Dem widerspricht im Übrigen nicht prinzipiell, dass sich im Œuvre Ulrichs von Baumburg auch im Bereich des Natureingangs Repräsentationen des saisonalen Zeitpunktes ‹Herbst› finden lassen, sind diese doch im Sommereingang als Zukunftsbild eingesetzt (und so eben nicht als Markierung eines als aktuell zu imaginierenden Jahreszeitenhintergrunds zu werten, vgl. die Lieder SMS 28 , 1 und 28 , 3 ), im Wintereingang, wo sie als Gegenbild dienen, aber in Bezug auf die Aktualitätsmarkierung durch den saisonal konkurrierenden Begriff des Winters überblendet (vgl. Lied SMS 28 , 2 : War sint liehte bluomen komen / und daz beste vogelsingen? / Wer hât walt sîn loub benomen? / daz hât winterlichez twingen. / Herbest, dîn geræte der swære / hilfet uberwinden ein michel teil [I, 1 - 6 ]) oder aber durch Fortlassung jeglicher Jahreszeitenbenennung veruneindeutigt sind (vgl. Lied SMS 28 , 5 : Solichen wechsel, als ich bescheide, / mügen wol engelten diu vogellîn: / der sang wintlich wispel gesetzet. / Sô hât snê geblenket die heide, / dâ die bluomen gâben ê liehten schîn. / uns hât ouch unfrœlîch ergetzet / Loubes ûf den boumen der grâwe tuft. / dâfür süln wir jârlang den âten / einer starken lantwer berâten, / mit wîne und mit spîse für swachen luft: / dâvon wirt ouch trûren geletzet [I, 1 - 11 ; die Aufforderung zu Körperversorgung und seelischer Tröstung durch die Kulinarik ist ein direkter Hinweis auf die Jahreszeitenkonzeption des Herbstes im Herbstlied! ]). Somit zeigt also auch jene-- für den Bereich des Natureingangs im deutschen Minnesang zwar singuläre, dennoch aber bedeutsame- - Auseinandersetzung 198 III Typeneinteilung des Natureingangs an. Denn in der oben ausgeführten Herleitung einer Definition des Topos hat sich ja nicht nur die Benennung einer saisonalen Zuweisung zu Sommer und Winter (oder deren Stellvertretern wie Monatsnamen) als ein konstituierendes Merkmal herausgestellt, sondern darüber hinaus auch die Stilisierung der aufgeführten Naturdetails auf ihre Indikationswirkung dieser jahreszeitlichen Aktualitätsimagination hin als bedeutend erwiesen. 39 Insofern wäre eine übergeordnete Aufteilung der Natureingänge in Sommerbzw. Wintereingänge für jeden Versuch einer Typologie des Topos auf den ersten Blick eingängig, wie sie etwa in der gelegentlichen Ausdehnung der-- so wird es sich zeigen-- im Grunde nur für das Neidhart-Œuvre sinnvoll zu verwendenden Termini von Sommerbzw. Winterliedern auf sämtliche Lieder im Bereich des Minnesangs, die einen Natureingang nutzen, begegnet. 40 Zwar sind die beiden Liedtypenbezeichnungen ‹Sommer-› bzw. ‹Winterlied› auch im Falle der Neidhart-Lieder nicht historisch abgesichert- - etwa durch ihren Gebrauch in den Texten selbst oder in deren Überlieferungskontext--, sondern erweisen sich als Prägungen der Literaturwissenschaft des 19 . Jahrhunderts 41 ; dennoch haben sie sich mit dem Jahreszeitenkonzept des Herbstliedes, dass dieses, sobald es im Natureingang auftaucht, dennoch von dem dualistischen Saisonalitätsschema des Minnesangs, wie Jan-Dirk Müller es für die volkssprachliche Lyrik vom gelehrten Vierermodell vornehmlich lateinischer Textsorten abgegrenzt hat (ders., Jahreszeitenrhythmus als Kunstprinzip, S. 130 - 134 ), überformt und vereinnahmt wird. 39 S. Kap. II. 2 . 40 In diesem Sinne verwässert beispielsweise Günther Schweikle in seiner Auflistung einzelner Liedgattungen für den Minnesang unter dem Oberbegriff der ‹Naturlieder› (vgl. G. Schweikle, Minnesang, S. 130 f.) die m. E. besser für Neidharts Liedtypen zu reservierenden Bezeichnungen von Sommerbzw. Winterlied, indem er sie eben nicht auf dessen Liedcorpus begrenzt (vgl. ebd., S. 131 - 133 ). So definiert er das Sommerlied über Neidharts Lieder hinaus als «Minnelied, in dem der Sommer mit seinen Freuden den Stimmungshintergrund liefert», während das Winterlied außerhalb des Neidhart-Œuvres ein «Minnelied, in welchem der lebensfeindliche Winter zur Stimmung des lyrischen Ichs in Bezug gesetzt ist» (beides: ebd., S. 132 ), darstelle. Welche Rolle bei der Konstitution dieser beiden ‹Gatttungen› dem Natureingang als topische Möglichkeit der Anfangsbildung eines Liedes (neben der eines Jahreszeiteneingangs, s. o.! ) zukommt, lässt Schweikle allerdings offen, vgl. nur den diffusen Hinweis: «Der Bezug auf den Sommer, auch als Natureingang oder nur als Sommerapostrophen, begegnet bes. häufig bei Gottfried von Neifen und Ulrich von Winterstetten» (ebd.). Die von ihm jedoch für die beiden Liedtypen beigebrachten Beispiele umfassen neben Einzelstrophen sowohl mehrstrophige Lieder mit Jahreszeiteneingang (z. B. Heinrichs von Rugge MF 109 , 9 ) als auch eben solche mit Natureingang (etwa im Falle des ‹Sommerliedes› Reinmars MF 183 , 33 und für das ‹Winterlied› Rudolfs von Fenis MF 82 , 26 ). Gerade aber der im Zusammenhang mit der Gattung ‹Winterlied› wiederholte Hinweis auf die Œuvres von Gottfried von Neifen und Ulrich von Winterstetten (vgl. ebd.), wo jeweils konventionelle Werbungslieder mit Natureingang in großer Zahl begegnen, bestätigt den Eindruck, dass Schweikle eine Ausweitung der in der Neidhart-Philologie vorgeprägten Terminologie auf die gesamte Minnesangtradition, und zwar hier auf alle Lieder mit Natureingang (bzw. sogar Jahreszeiteneingang! ), vorschwebt. 41 Die Termini begegnen wohl zuerst bei von Liliencron, Rochus: Über Neidharts höfische Dorfpoesie, in: ZdfA 6 ( 1848 ), S. 69 - 117 , S. 79 , s. u. Dies hat m.W. Kurt Ruh in ders.: Neidharts Lieder. Eine Beschreibung des Typus, in: Studien zur deutschen Literatur und Sprache des Mittelalters. Fs. Hugo Moser zum 65 . Geb., hg. von Werner Besch u. a., Berlin 1974 , S. 151 - 168 ; 2 Diskussion ausgewählter Parameter 199 für die philologische Einteilung des Neidhart-Œuvres und den Umgang mit dessen Liedern in der literaturwissenschaftlichen Praxis breit etabliert. Dies liegt vor allem daran, dass die-- besonders oft in Natureingängen erfolgende-- Festlegung der als aktuell zu imaginierenden Jahreszeit für die Lieder Neidharts- - anders als in der sonstigen Minnesangtradition-- liedtypenindizierende bzw. -konstituierende Potenz besitzt und somit nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine funktionale Differenz markiert. 42 Dies hat übrigens schon Liliencron vermerkt, wenn er angibt: Die sämtlichen neidhartischen lieder zerfallen in zwei kategorien, welche sich am einfachsten nach den so eben besprochenen eingangsstrophen bezeichnen laßen als sommerlied- […] und winterlied- […]. der unterschied zwischen beiden beschränkt sich aber keineswegs als ein zufällig äußerlicher auf die ersten strophen, sondern er ist ein tiefeingreifender, wesentlicher. 43 Damit beschreibt Liliencron bereits die wohl entscheidende Eigenart des Neidhart- Corpus bezüglich des Einsatzes des Natureingangs gegenüber der Minnesang-Tradition vor und nach jenem Autorœuvre: während nämlich die Jahreszeitenzuordnung bei Neidhart zugleich Indikator und Konstituens einer Gattungszuweisung ist, die vornehmlich zwei disparate Liedtypen generiert, die in ihrem poetologischen Muster formal und inhaltlich divergieren 44 , so lässt sich dies für die Lieder, die nicht im wieder in: Neidhart, hg. von Horst Brunner, Darmstadt 1986 (WdF 556 ), S. 251 - 273 , dort S. 253 , Anm. 4 a, wieder ins Bewusstsein der Forschung gerückt. 42 Vgl. J.-D. Müller: Jahreszeitenrhythmus als Kunstprinzip, S. 134 - 137 . Allerdings ist einschränkend zu sagen, dass in manchen Liedern Neidharts der Natureingang auch fehlen kann, ja gewisse Lieder der C-Tradition kommen sogar gänzlich ohne Jahreszeitenbezüge aus (vgl. G. Schweikle, Neidhart, S. 69 ); etwa das mittlerweile z. B. durch die Aufnahme in Müllers Lyrikanthologie (s. Deutsche Gedichte des Mittelalters. Mhd. / Nhd., ausgew., übers. und erl. von Ulrich Müller, Stuttgart 1993 [RUB 8849 ], S. 188 - 191 ) auch breiter bekannt gewordene Lied SNE I: C Str. 195 - 199 : Es verlos ein ritter sin scheide, das lange Zeit als ‹unecht› ausgesondert worden ist. 43 R. von Liliencron, Über Neidharts höfische Dorfpoesie, S. 79 . 44 Die Beschreibung der Divergenzen zwischen Neidharts beiden Texttypen Sommer- und Winterlied ist komplizierter, als dies hier erkennbar gemacht werden kann, denn die in beiden Gruppierungen versammelten Einzeltexte sind- - selbst in dem Bestand, der traditionell als ‹echte› Lieder Neidharts angesehen wird, wie ihn die ATB-Ausgabe Wießners präsentiert-- ungleich vielfältiger, als dies mit der häufig begegnenden Festschreibung der beiden Gattungen (im Falle des Sommerliedes formal: Reienstrophe, dominante Realisationsform: Frauendialog, inhaltlicher Kern: Diskussion über eine Ausagierung von sommerlicher Tanzbzw. Liebesfreude; beim Winterlied formal: Kanzonenbau, dominante Realisationsform: Rede des männlichen Sänger-Ichs, inhaltlicher Kern: Minneklage, Dörperklage bzw. Tanzschilderung) ausgelotet werden kann (vgl. grundlegend für die typologischen Überlegungen K. Ruh, Neidharts Lieder, für den Bereich inhaltlicher Argumentationsmuster auch die Zusammenstellung bei Ortmann, Christa, Ragotzky, Hedda und Rischer, Christelrose: Literarisches Handeln als Medium kultureller Selbstdeutung am Beispiel von Neidharts Liedern, in: IASL 1 [ 1976 ], S. 1 - 29 , hier S. 23 - 28 , ferner: G. Schweikle, Neidhart, S. 69 - 89 ; dazu jüngst die beiden Aufstellungen bei Warning, Jessika: Neidharts Sommerlieder. Überlieferungsvarianz und Autoridentität, Tübingen 2007 [MTU 132 ], S. 25 f., sowie A. K. Bleuler, Überlieferungskritik und Poetologie, S. 26 - 28 ). Schließlich lassen sich jeweils nicht unbedeutende Gegenbeispiele für 200 III Typeneinteilung des Natureingangs Kontext der Neidhart-Tradition stehen, eben genau nicht sagen. Denn dort ist die im Natureingang realisierte saisonale Markierung weder Textsortensignal, noch bringt sie eine funktionale Differenz zwischen Sommer- und Wintereingang hervor. Dies lässt sich vielleicht am deutlichsten anhand des Liedœuvres Gottfrieds von Neifen belegen, das Günther Schweikle für die Konstitution seiner Liedgattungen des Sommer- und Winterlieds außerhalb des Neidhart-Corpus in beiden Fällen als Referenzbeispiel nennt 45 ; wir werden allerdings sehen, dass sich gerade an Gottfrieds Liedern das Gegenteil demonstrieren lässt: Die Übertragung der Neidhartschen Liedtypenbezeichnungen verfängt nämlich insofern nicht, als hier Sommer- und Wintereingang eben keine gattungskonstituierende und -differenzierende Potenz entfalten und sie so nur einen inhaltlichen, nicht aber einen funktionalen Unterschied generieren. Denn schon der generelle Blick auf das Liedcorpus Gottfrieds zeigt, dass sich hier zwar durchaus zwei verschiedene Gattungsformen bestimmen lassen, auf die sich das Œuvre weitestgehend aufteilt, diese jedoch von einer festen jahreszeitlichen Zuordnung zu Sommer und Winter völlig unabhängig sind. Es handelt sich dabei einerseits um die durch das Gros der Lieder Gottfrieds präsentierte Gruppe der Werbungslieder, die aufgrund ihrer monologischen, statisch-reflexiven Ausrichtung dem sog. genre subjectif zuzuordnen sind, andererseits um jene weitderartige Konzeptualisierungen finden: so ist z. B. SL 30 (trotz Bezeugung in R in der ATB- Ausgabe noch immer kleingedruckt! ) in Bezug auf alle drei Sommerlied-Kriterien widerständig, ja besonders auch die Kreuzlieder SL 11 und 12 passen nicht ins Schema; vgl. ferner im Bereich der Winterlieder WL 7 , dort vor allem die bedeutende Rolle weiblichen Sprechens (im Natureingang + modifiziertes Mutter-Tochter-Gespräch! ), schließlich auch das thematisch eher exzeptionelle ‹Reiselied› WL 37 . Die oben gewählte Formulierung von den dominanten poetologischen Mustern beider Liedtypen orientiert sich an der jüngst von Anna Kathrin Bleuler an den Sommerliedern Neidharts erarbeiteten Sprachregelung, die den Vorteil hat, typische Merkmale zu bestimmen, ohne diese für alle Texte der Gruppe zu verabsolutieren (vgl. A. K. Bleuler, Überlieferungskritik und Poetologie, bes. S. 20 - 23 ); allerdings birgt m. E. das Vorgehen Bleulers, solche-- vornehmlich am Bestand von R profilierten-- Dominanzen (s. nur die nach R entworfene typologische Grundform, ebd. S. 54 - 144 ) im Sinne einer Überlieferungskritik fruchtbar zu machen, auch die Gefahr, letztlich über Umwege doch wieder problematische Vorstellungen eines durch R repräsentierten, ‹authentischen› Neidhart-Kerns zu restituieren. Ja es besteht-- anders als Bleuler vermerkt-- darüber hinaus auch gar keine Notwendigkeit, poetologische Dominanzen auch noch in historischer Perspektive als die «archäologisch tiefst liegende Textschicht» (ebd., S. 22 ) festzuschreiben, schließlich lassen selbst sie keine Rückschlüsse auf «autornähere Versionen» (ebd., S. 23 ) zu. Spätestens wenn Bleuler nun im Fazit ihrer Arbeit angibt, dass «bei aller Offenheit für die Thesen der New Philology-[…] man jedoch nicht umhin [komme], in R nicht lediglich das früheste Überlieferungszeugnis der Sommerlieder Neidharts zu sehen, sondern die enthaltenen Texte auch als autornahe Versionen einzuschätzen» (ebd., S. 327 ), wird man sich fragen müssen, ob durch das Paradigma der ‹Autornähe› (als Modifikation einer Ausrichtung am ‹Original›) die Rekonstruktion eines als ‹authentisch› verstandenen Autorœuvres nicht dennoch als Zielpunkt der Analyse, die sich so als eine «Annäherung an den historischen Autor Neidhart» (ebd., S. 322 ) erweist, wieder rehabilitiert wird. Da der Verfasser vorliegender Arbeit diesem Ansatz recht skeptisch gegenübersteht, sei an dieser Stelle betont, dass mit der Beimessung poetologischer Dominanzbereiche keinerlei Aussagen über Authentizitätsabstufungen getroffen werden soll. 45 S. dazu oben, Anm. 40 . 2 Diskussion ausgewählter Parameter 201 aus kleinere Formation von Liedern, die von narrativ-dialogischer Prägung sind und unter dem Begriff des sog. genre objectif zusammengefasst werden. Das Begriffspaar von genre subjectif vs. genre objectif hat gerade in der Altgermanistik eine beträchtliche Wirkung entfaltet, geht aber auf eine auf die spezifischen Verhältnisse der mittelalterlichen Liebeslyrik Nordfrankreichs-- dort insbesondere auf den als ‹volkstümlich› geltenden Traditionsstrang der Liedkunst-- zielende Diagnose des Romanisten Alfred Jeanroy zurück, der 1889 in Abgrenzung von der essentiell subjektiven Lyrikform der höfischen Kanzone die narrativ-szenischen Gattungen wie Romanze, Pastourelle und Aube als «genres objectifs» bezeichnet hat 46 , da in ihnen der Autor nicht ausschließlich über seine eigenen Gefühle spreche, sondern auch Dinge wiedergebe, die außerhalb seiner Person liegen würden 47 . Spätestens bei Hugo Kuhn dürfte der Terminus dann auch in der Germanistik für den deutschen Minnesang Anwendung gefunden haben. 48 Erst 1957 hat schließlich Peter Wapnewski für die Minnesangphilologie mit der Einbringung des Terminus eines genre subjectif das Gegenstück zum Begriff des schon von Kuhn zuvor nun singularisch als Oberbegriff für die narrativ-lyrischen Formen bei Gottfried von Neifen gebrauchten Terminus eines genre objectif 49 benannt und damit die spezifische Faktur des Werbungsliedes auf eine Formel zu bringen versucht. 50 Ab diesem Zeitpunkt hat sich das-- meist im Singular gebrauchte-- Begriffspaar in der Germanistik einbürgern können und ist noch heute relativ weitverbreitet, während die Terminologie Jeanroys in der romanistischen Mediävistik durch das-- wiederum von der Minnesangphilologie lange Zeit nur wenig beachtete- - registrale Einteilungssystem Pierre Becs 51 abgelöst wurde. 52 Allerdings ist in letzter Zeit auch verstärkt Kritik an den Begrifflichkeiten geäußert worden, schließlich entstammen sie nicht nur-- wie Ingrid Kasten anmerkt-- einem problematischen normativen Verständnis von der Reinheit der Gattungen, die die Lyrik auf Gefühlshaltigkeit verpflichtet, ja sind sicherlich durch das Hegelsche Zentralvokabular von Subjektivität vs. Objektivität mitgeprägt und damit mit gewissen Konnotationen belastet 53 , sondern es ist zudem relativ schwierig, die beiden Termini auf schlüssige Definitionskriterien festzulegen. So scheint z. B. der auf Jeanroy fußende Hinweis Günther Schweikles, in subjektiven Gattungen spreche scheinbar der Dichter, in objektiven 46 Der genaue Terminus findet sich übrigens nur in der Table des Matières (vgl. Jeanroy, Alfred: Les origines de la poésie lyrique en France au Moyen Âge. Études de littérature française et comparée, Paris 1889 , S. 552 ), nicht im Fließtext der betreffenden Passage (ebd., S. XIIf.). 47 Vgl. ebd. 48 Vgl. die brieflichen Aussagen Kuhns gegenüber der Verfasserin in: Janssen, Hildegard: Das sogenannte «Genre objectif». Zum Problem mittelalterlicher Gattungen dargestellt an den Sommerliedern Neidharts, Göppingen 1980 (GAG 281 ), S. 223 , Anm. 6 . 49 Vgl. H. Kuhn, Minnesangs Wende, S. 63 - 68 . 50 Vgl. Wapnewski, Peter: Walthers Lied von der Traumliebe ( 74 , 20 ) und die deutschsprachige Pastourelle, in: Euph. 51 ( 1957 ), S. 113 - 150 , hier S. 136 . 51 S. dazu oben, Kap. I. 2 . 52 Vgl. dazu auch Kasten, Ingrid: Art. «Genre objectif», in: 3 RL 1 ( 1997 ), S. 705 f, hier S. 706 . 53 Vgl. ebd., S. 705 . 202 III Typeneinteilung des Natureingangs dagegen eine typisierte Figur 54 , schon insofern unbrauchbar, als Schweikle wiederum-- zu Recht-- sofort einschränken muss, es handle sich aber bei beiden Formen gleichwohl um Rollenlyrik. 55 Auch scheint mir die Merkmalsbestimmung beider Termini bei Hildegard Janssen, die beiden Genres neben formalen auch inhaltliche Aspekte zuordnen will, nicht unproblematisch zu sein 56 : So dürfte die Einbringung der ‹inhaltlichen› Merkmale von Abstraktheit für das genre subjectif bzw. Konkretheit für das genre objectif 57 zwar prinzipiell nicht völlig fehlgehen, dennoch aber stellt sie sich als heikel heraus, da man sich wohl schwer tun wird, jene beiden Charakteristika als absolut zu begreifen, ist doch die Technik der (partiellen) Konkretisierung auch dem Werbungslied als poetische Möglichkeit durchaus inhärent-- dies wird sich gerade auch am Beispiel des Natureingangs immer wieder zeigen. Andererseits sind Personal, Raum- und Zeitstrukturen in den Bereichen, die dem genre objectif zugeordnet werden, oft viel weniger klar umrissen 58 , als dies Janssen unter dem Aspekt einer Festschreibung von Einzelheiten auf der Handlungsebene zugesteht 59 -- im Grunde müsste man also auch für das genre objectif eher von einer 54 Vgl. G. Schweikle, Minnesang, S. 118 . 55 Vgl. ebd. 56 Vgl. H. Janssen, Das sogenannte «Genre objectif», S. 4 - 6 . Zudem scheinen mir die von der Studie zur Exemplifizierung der terminologischen Präzisierung herangezogenen Sommerlieder Neidharts aufgrund der in ihnen begegnenden komplexen Verschränkung von Gestaltungsmitteln beider Genres kein günstig gewähltes Referenzbeispiel zu sein; m. E. hätten sich allgemein die Tagelieder zur Charakterisierung des genre objectif wohl besser geeignet. 57 Vgl. ebd., S. 69 - 145 . Ob es sich bei diesen beiden Parametern wirklich um inhaltliche Kriterien handelt oder nicht vielmehr um Realisationsverfahren, die schon auf der Darstellungsebene anzusiedeln sind, ist dabei grundsätzlich zu hinterfragen. Auch mag die bei Janssen immer noch völlig auf die lyrische Dichterpersona hin gedachte Profilierung der Termini irritieren, vgl. etwa: «Was anderes ist die Hinwendung zum Konkreten, die ‹Verdinglichung der Welt›, das ‹gelebte Weltbegreifen› und das Aufheben des Abstraktwerdens der Literatur als eine Hinwendung zur außerhalb des dichtenden Subjekts liegenden ‹realistischen› oder konkret vorstellbaren Welt und damit einhergehend das Brechen und Aufheben der Dominanz der Empfindungen im mittelalterlichen Lied? Und gerade darin treffen sich die Beschreibungen der Lieder Neidharts als einer ‹neuen Gattung› mit den oben herausgestellten Definitionen des ‹genres objectifs›, und wir können daher als das Merkmal, durch welches sich ‹objektive› literarische Formen von ‹subjektiven› absetzen, festhalten, daß in ersteren außerhalb des subjektiven Bewußtseins bestehende Gegebenheiten dargestellt werden» (ebd., S. 65 ); dieses basale Merkmal erweist sich so als doch recht unkritische Fortschreibung der Definition Jeanroys (s. o.). 58 Dies zeigen doch gerade die Sommerlieder Neidharts, z. B.: Wie sind die Figuren von maget und vrouwe zuzuordnen, die bisweilen dort im Natureingang auftauchen und darüber hinaus nicht näher bestimmt sind (s. o.)? Wie ist das Zeitverhältnis zwischen einleitender Sängerrede und dem Frauendialogteil im Einzelfall konkret zu denken? Wo finden Neidharts Frauendialoge eigentlich genau statt (nicht suggestiv nahegelegt, sondern im Sinne einer definitorischen Festlegung)? 59 Vgl. bes. H. Janssen, Das sog. «Genre objectif», S. 69 - 74 . Man wird z. B. bezweifeln können, ob in Neidharts Sommerliedern allein durch Referenz auf topische Ortsangaben wie dem Anger als Tanzplatz tatsächlich schon ein «konkreter Raum» (ebd. S. 73 ) entsteht. Gleichwohl erkennt Janssen aber doch an, dass selbst bei Neidhart lediglich eine «literarische Wirklichkeit» (ebd., S. 70 ) entworfen werde. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 203 Pseudo-Konkretion gewisser Details sprechen. 60 Überhaupt scheint mir eine formale Bestimmung der Genres, wie sie die Verfasserin anschließend durchführt, indem sie narrative Techniken und Verfahren der Herstellung von Dialogizität für das genre objectif herausarbeitet 61 , grundsätzlich zielführender zu sein; jedoch wird man es der Sprechweise des traditionellen Werbungsliedes wiederum nicht absprechen können, dass auch sie gewisse Elemente narrativer Realisation kennt, ja es darf gerade nicht vergessen werden, dass z. B. die retrospektive Schilderung vergangener Ereignisse aus der Ich-Position heraus ein narratives Verfahren darstellt, das in der Minnekanzone sogar recht häufig genutzt wird. 62 Schließlich finden sich aber auch in manchen Liedern, die dem genre objectif zugeordnet werden, bisweilen durchaus signifikante Ich-reflexive Passagen. 63 Übrigens scheint mir für eine formale Bestimmung der Genres auch das Merkmalspaar Monologizität vs. Dialogizität insofern nicht als absolutes Differenzkriterium zu tragen, als das von seinem Grundcharakter her monologische Werbungslied interessanterweise nicht selten Techniken zur Simulation von Dialogizität verwendet, man denke nur an die häufig zu findenden Publikumsanreden oder die Ansprache an andere Liedinstanzen (die Dame, die Minne). Somit wird man mit den Charakteristika reflektierende Ich-Rede im Falle des genre subjectif vs. narrativ-gerahmte, dialogische Realisation beim genre objectif eben nur eine tendenzielle Grundausrichtung beider Lyrikformen markieren können 64 ; dies reicht jedoch m. E. aus, um die in der literaturwissenschaftlichen Praxis eigentlich recht hilfreichen Termini sinnvoll einsetzen zu können, haben sie 60 Andere wiederum bleiben völlig unbestimmt, s. o. 61 Vgl. ebd, S. 147 - 175 . 62 Zu narrativen Gestaltungstechniken in der Minnekanzone vgl. bes. Eikelmann, Manfred: wie sprach sie dô? war umbe redte ich dô niht mê? Zu Form und Sinngehalt narrativer Elemente in der Minnekanzone, in: M. Schilling, P. Strohschneider (Hgg.), Wechselspiele, S. 19 - 42 , und jüngst die Überlegungen der Forschung zu einer narratologisch operierenden Lyrikanalyse (s. oben, Forschungsbericht I. 1 und I. 3 ). 63 S. dazu meine Ausführungen unten zu Gottfrieds Lied KLD 15 , L; meist sind sie jedoch zugegebenermaßen durch beistehende inquit-Formeln mit einem narrativen Rahmen versehen. Vgl. zu solchen Schwierigkeiten der formalen Eingrenzung zudem Mertens, Volker: Erzählerische Kleinstformen. Die genres objectifs im deutschen Minnesang: «Fragmente eines Diskurses über die Liebe», in: Kleinere Erzählformen im Mittelalter. Paderborner Colloquium 1987 , hg. von Klaus Grubmüller, L. Peter Johnson und Hans-Hugo Steinhoff, Paderborn 1988 (Schriften der Universität-Gesamthochschule-Paderborn. Reihe Sprach- und Literaturwissenschaft 10 ), S. 49 - 65 , hier S. 49 , Anm. 1 . 64 Dass im Übrigen eine Bestimmung der Genres über die tendenzielle formale Grundausrichtung ein sinnvoller Weg zu einer pragmatischen Füllung der Begriffe ist, zeigt schon die Herleitung des Terminus genre subjectif durch Peter Wapnewski, die, obgleich sie in ihrem historisierenden Zuschnitt einer Trennung des Minnesangs in zwei Phasen vor und ab Walther und einem fragwürdigen Verständnis des Lyrischen nicht unproblematisch ist, sich eigentlich genau als Bestimmung von Dominanzen mittels relativer Differenzkriterien liest, vgl. etwa ders., Walthers Lied von der Traumliebe, S. 136 : «Die deutsche Lyrik bis zu Walther ist ausgesprägt ‹lyrisch›, d. h. sie vermeidet auffallend streng sowohl episch-erzählende wie dialogisch-dramatische Partien, ist also genre subjectif» (Hervorhebung durch Unterstreichen von mir, D. E.). 204 III Typeneinteilung des Natureingangs sich in der Forschungsdiskussion doch als recht griffige Formeln mit breitem Verständigungspotential erwiesen. Deshalb sind die beiden Begrifflichkeiten auch in vorliegender Arbeit nicht grundsätzlich aufgegeben worden 65 , obwohl sich der Verfasser gewisser problematischer Aspekte, die mit dieser Terminologie verbunden sind, sehr wohl bewusst ist. Von den 51 Liedern im Œuvre Gottfrieds können 45 Lieder als Werbungslieder identifiziert werden, d. h. traditionell werden folgende Lieder dem genre objectif zugeordnet: das pastourellenhafte Lied XXVII : Ich wolde niht erwinden, das ebenso wohl Pastourellenmotive aufgreifende Lied XXX : Rife vnd anehank, das Erzähllied (auch: ‹Schwanklied›) XXXIX : Es fv o r ein búttenere, das Erzähllied(fragment) XL : Uon walhen fv o r ein pilgerin, das wiederum pastourellenartige Lied von der Flachsschwingerin XLI : Uns ivngen mannen mag und die Frauenklage Lied L (bisweilen auch als ‹Wiegenlied› bezeichnet): Sol ich disen svmer lang. 66 Als Ausnahmen müssen hierbei m. E. Lied KLD 15 , XXX und die Frauenklage KLD 15 , L gelten, die als jeweils spezifische Kombinationsformen von Partien beider Genres so wohl eine Spezialgruppe innerhalb des Liedœuvres bilden. Gottfrieds Lied XXX schaltet nämlich dem narrativ vermittelten Dialog zwischen männlichem Text-Ich und weiblichem Gegenüber, der als Realisationsform auf das genre objectif verweist, eine Werbungslied-ähnliche Partie (Strophe I) vor und rahmt den Dialog so quasi ‹subjektiv›. Denn nach dem zwar objektiv gesetzten, aber bei Gottfried das subjektive Sprechen der Minnekanzone indizierenden Natureingang 67 erfolgt in den Versen I, 10 f. mit dan noch kan si fu e gen / mir herter herzeleit 68 die Anbindung der Liebesthematik, die das Liebesleid des Ichs in der für das Werbungslied typischen Weise als Herauspräparierung des besonderen Status der Minneerfahrung realisiert. Ja selbst die im Kontext der sich-- bis hierhin völlig im Gattungsrahmen der Minnekanzone bewegenden- - Anfangspartie irritierende Konkretisierung der vom Ich genannten Frau als eine, die Wasser in Krügen vom Brunnen holt (Verse I, 12 f.), trägt durch diese ungewöhnliche Festschreibung- - die natürlich auch eine bestimmte soziale Präzisierung impliziert-- der sonst im Werbungslied meist sehr unbestimmt bleibenden- - häufig zwischen moralischer oder ständischer Herausgehobenheit changierenden, aber nicht eindeutig festgelegten verehrten Frau zwar gewiss deutliches Komikpotential in sich, verlässt aber dennoch den Bereich des Werbungslied-Gattungskontextes noch nicht. Denn auch die Gattung der Minnekanzone kennt- - wie oben bereits ausgeführt wurde- - die poetische Technik der partiellen Konkretisierung der sonst für diesen Texttyp so charakteristischen Leerstellen; dies zeigen übrigens zudem mehrere Werbungslieder Gottfrieds (so die Lie- 65 Wie es z.B. I. Kasten für den Begriff des genre objectif empfiehlt, vgl. dies., Art. «Genre objectif», S. 705 . 66 Vgl. zu dieser Zusammenstellung vor allem H. Kuhn, Minnesangs Wende, S. 63 - 68 . 67 S. das Folgende. 68 So die konjizierende Lesart von Kraus, die den in ihrem argumentativen Bezug unklaren Wortlaut von C durchaus sinnvoll um die recte gesetzten Worte ergänzt, vgl. KLD I, S. 113 . 2 Diskussion ausgewählter Parameter 205 der I, II und XXIV ), die ganz ähnlich wie Lied XXX die vom Ich umworbene Frau im dortigen Kontext überraschend als eine Flachsschwingerin konzeptualisieren und damit die liedimmanente Funktionstelle der Minnedame durch intertextuelle Vernetzung mit Gottfrieds pastourellenartigem Lied XLI : Uns ivngen mannen mag und darüber hinaus natürlich mit Neidharts ‹Pastourellen-Persiflage› WL 8 ( SNE I: 31 ) punktuell ironisieren. 69 Das Beispiel dieser Werbungslieder Gottfrieds beweist wiederum, dass solche irritierenden Konkretisierungen da ein besonderes Komikpotential erzeugen, wo sie in Partien erfolgen, die der Setzweise des genre subjectif angehören. 70 Insgesamt scheint es mir wichtig festzuhalten, dass die gesamte erste Strophe von Lied XXX sich noch im Bereich des genre subjectif bewegt, weil hier der Realisationsrahmen der Minnekanzone prinzipiell nicht verlassen wird, auch wenn bestimmte Gattungserwartungen durchaus schon mittels komischer Effekte desavouiert werden. Jedoch bringt bezeichnenderweise die letzte Verszeile der Strophe nach der stet min gedank ( 1 , 14 ) 71 die vollständige Rückbindung des Irritationsmoments in das Registersprechen des Werbungsliedes, wobei wiederum die subjektive Perspektivierung der Anfangspartie noch einmal besonders deutlich wird. Zudem erklärt sich auch von dieser Verszeile her, warum im Falle von Lied XXX von einer subjektiven Rahmung der pastourellenhaften Dialogszene die Rede gewesen ist, bildet jene doch das Bindeglied zur objektiven Setzweise des Folgenden. Über die vom Text erzeugte Identifizierungswirkung des präsentisch reflektierenden Ichs der ersten Strophe mit dem im Präteritum narrativ berichtenden Ich am Anfang der zweiten Strophe (Ich brach ir den krůg, / do si gieng von dem brvnnen-… [ II , 1 f.]) wird die Aussage von Vers I, 14 , bei der genannten Wasserträgerin seien die Gedanken des Text-Ichs, vom Rezipienten wohl als kausaler Ausgangspunkt des folgenden Berichts gedeutet und so das darauf narrativ Wiedergegebene als ein vom präsentisch sprechenden Text-Ich rememorativ in seine Reflexion eingebundener ‹Erlebnisbericht› konzeptualisiert. Dieser Bericht wird im weiteren Verlauf dann mit der inquit-Formel von Vers II , 8 (dú liebe do sprach) in die Wiedergabe einer Dialogszene in direkter Rede überführt, so dass beide Partien (Bericht, Dialog) eine Einheit in Form einer erinnerten Szenerie bilden, in der sich somit Realisationsweisen des genre objectif mit einer generellen subjektiven Perspektivierung verbinden. Im zweistrophigen KLD 15 , L hingegen ergibt sich eine recht komplexe Gemengelage von Realisationsweisen der beiden Genres in ganz anderer Weise. Dieses Lied, das die Klage einer Frau darstellt, die sich um ihr Kind kümmern muss, aber lieber zum Tanz gehen möchte, hat Elisabeth Lienert in seinem breitgespannten, intertextuellen Anspielungsrahmen und seiner gattungskontaminierenden Verdichtung 69 Vgl. zuletzt zu dem Komplex der ‹Flachsschwingerin›-Textreihe: Herweg, Mathias: Lieder im Dialog. Metamorphosen einer Neidhartfigur bei Gottfried von Neifen und Ulrich von Winterstetten, in: Euph. 104 ( 2010 ), S. 267 - 294 . 70 Weshalb die Tauglichkeit des Merkmals der inhaltlichen Konkretheit für die Genreabgrenzung oben bereits relativiert worden ist. 71 Hervorhebungen-- wie auch im Folgenden-- von mir, D. E. 206 III Typeneinteilung des Natureingangs von Frauenklage, Neidharts Sommerliedern und Tagelied (bzw. Antitagelied) ergründet und so-- gegen das Urteil Carl von Kraus’, der konstatiert hat, das Lied sei «reich an Stimmung, aber arm an Kunst» 72 -- dieses vom Verdikt des Schlichten und Volksliedhaften befreit, ja dessen kunstvolle Konzeption herausgearbeitet. 73 Ob das Lied aber, wie Lienert 74 und zuvor Kuhn 75 nahelegen, so eindeutig dem Bereich der ‹objektiven› Lieder zuzuordnen ist, ist zumindest zu diskutieren. Zwar mag das Kriterium der Figurenrede, das oben von mir in Zweifel gezogen worden ist 76 , eine Einordnung ins genre objectif noch nahelegen, es fehlt allerdings die Setzung einer inquit-Formel, die wegen des so entstehenden narrativen Rahmens einen deutlichen Fingerzeig auf das genre objectif gegeben hätte. Auch ist mit der Ansprache der Amme ( II , 1 ff.) 77 noch keine Ebene von Dialogizität erreicht, die nicht auch im Werbungslied denkbar wäre. 78 Darüber hinaus greift das weiblich zu konzeptualisierende Text-Ich in beiden Strophen des Liedes immer wieder typische Wendungen des Werbungsliedes-- also eines ‹männlich› konnotierten Sprechens! -- auf, so z. B. durch das so wer ich lieber tot (I, 3 ) das in der Minnesangtradition nicht selten begegnende Motiv des Minnetodes, wie es etwa beim Burggraf von Rietenburg in Strophe MF 19 , 27 (senfter waere mir der tot, / danne daz ich ir diene vil, / und si des niht wizzen wil [ 8 f.]) begegnet. Ferner sind aber auch die deutlichen Parallelen gerade zu Gottfrieds Minnekanzonen auffällig; das des ist mir min fro e ide krank (I, 4 ) in Lied L erinnert beispielsweise an eine Passage aus KLD 15 , I, wo es in Str. IV von der vom Text-Ich geliebten Frau heißt: das si mines herzen sin / an fro e iden machet kranc ( IV , 8 ). Darüber hinaus greift auch die an die Amme gerichtete Bitte ringe mir die swere min: / dv maht mich alleine / miner sorgen machen fri (KLD 15 ,L; II, 4 - 6 ) nicht nur typische Werbungslied-Formulierungen wie tv o t mir wol dv́ minnenkliche, / seht, so wirde ich fro e ideriche, / svnder not vil maniger sorgen fri ( KLD 15 , XVI ; I, 8 - 10 ) und si mag mir wol swere ringen, / nach der ie min sendes herze rank ( KLD 15 , XXVI ; II , 9 f.) auf, sondern referiert zudem auf den aus Gottfrieds Minnekanzonen bekannten Gedanken, allein die Dame (bzw. deren roter Mund) könne das Ich aus seinem Unglück erlösen. 79 Schließlich realisiert schon der Anfang von Lied L mit der Konstruktion Sol ich disen svmer lang / bekv́mbert sin mit kinden, / so-… (I, 1 - 3 ) 72 KLD II, S. 159 . 73 Vgl. Lienert, Elisabeth: Gattungsinterferenzen im späten Minnesang. Gottfrieds von Neifen ‹Wiegenlied› als Antitagelied-Parodie, in: ZfdA 125 ( 1996 ), S. 264 - 274 . 74 Vgl. ebd., S. 274 . 75 Vgl. H. Kuhn, Minnesangs Wende, S. 66 f. 76 Da die Rollenhaftigkeit der Figurenrede sich von der des männlichen Ichs in der sog. Sänger- Rede bezüglich ihres Status nicht grundsätzlich unterscheidet, s. o. 77 Die Amme ist, anders als von Kraus meint (vgl. KLD II, S. 160 ), nicht zwingend als Sprecherin eines antwortenden Parts zu denken, s. dazu E. Lienert, Gattungsinterferenzen im späten Minnesang, S. 265 f. 78 S.o., wo von der bisweilen in der Minnekanzone begegnenden Simulierung von Dialogizität bereits die Rede gewesen ist; diese begegnet in Lied L nicht kategorial verschieden davon. 79 Vgl. z. B. in Lied V: Wer kan mich nv fro gemachen? / nieman dan ir minneklicher roter mvnt! (V, 1 f.). 2 Diskussion ausgewählter Parameter 207 eine Form des hypothetischen Konditionalsatzes, welcher an sich immer wieder als besonderes Charakteristikum der ‹subjektiven› Sprechweise des Werbungsliedes angeführt worden ist. 80 Diese Partien einer konnotativen Vernetzung mit dem subjektiven Sprechen der Minnekanzone in Lied L interferieren nun wiederum auf eine recht kunstvolle Weise mit dem völlig anders gearteten Register des Refrains, der die Klangkomponente zu Ungunsten einer völligen semantischen Auslotbarkeit derart forciert, dass er durchaus in die Nähe der sonst nur aus dem genre objectif bekannten Schallrefrains 81 kommt. Daher scheint es mir durchaus angebracht, auch Lied L zur Gruppe der spezifischen Kombinationsformen aus Partien der beiden Genres hinzuzurechnen. Somit unterlege ich für das Œuvre Gottfrieds hier folgende Grobgliederung: 45 Werbungslieder, 4 Lieder aus dem Genre objectif (s. o.), 2 Beispiele für Mischformen (natürlich in jeweils unterschiedlicher Ausprägung; Lied XXX : subjektive Rahmung einer pastourellenhaften Dialogszene, Lied L: Verschmelzung von Gestaltungstechniken beider Genres im Medium des Frauenlieds). Dass es sich bei der Opposition von genre subjectif und genre objectif-- trotz des Auftretens von Mischformen und der zahlenmäßig starken Dominanz des subjektiven Werbungsliedes-- dennoch um die eigentlich entscheidende liedtypendistributorische Dimension des Liedcorpus von Gottfried von Neifen handelt, kann jedoch aufgrund der eklatanten Unterschiedlichkeit der poetischen Realisationstechniken in beiden Genres überhaupt nicht bezweifelt werden. 82 Interessanterweise spielt bei 80 Vgl. in unserem Zusammenhang etwa die Hinweise bei K. Grubmüller, Ich als Rolle, S. 401 . 81 Man denke nur an Walthers ‹Lindenlied› L 39 , 11 , das im Übrigen ebenfalls als Frauenrede konzipiert ist! 82 Ein Indiz dafür ist im Übrigen auch der forschungsgeschichtliche Tatbestand, dass die frühere, stark an Paradigmen der Echtheitskritik ausgerichtete Minnesangphilologie mit dem liedtypenmäßig recht inhomogenen Œuvre Gottfrieds von Neifen-- sicher auch, weil die immense Gleichförmigkeit seiner Minnekanzonen stets hervorgehoben worden ist (s. u.)-- deutliche Probleme gehabt hat, die sich gerade etwa an der völlig anderen Konzeption der Lieder des genre objectif, allen voran der sog. ‹Schwanklieder›, im Vergleich zum traditionellen Werbungslied festgemacht haben. Beispielsweise spricht Carl von Kraus in seiner KLD-Ausgabe alle jene Lieder, die dem genre objectif zuzuweisen sind bzw. Elemente daraus enthalten, bis auf die Ausnahme von Lied XXVII (wegen dessen Reimvirtuosität, die er in diesem Fall als ein positives Echtheitskriterium ansieht, vgl. KLD II, S. 124 , und dazu Worstbrock, Franz Josef: Die Pastourelle Gottfrieds von Neifen, in: mit clebeworten underweben. Fs. Peter Kern, hg. von Thomas Bein u. a., Frankfurt a. M. 2007 [Kultur, Wissenschaft, Literatur 16 ], S. 11 - 17 ), Gottfried als unecht, weil für ihn unpassend, ab; vgl. z. B. das zur Schicksalsfrage stilisierte Urteil von Kraus’ im Falle des ‹Büttnerliedes› XXXIX: «Mir scheinen die Gründe für die Unechtheit durchaus zwingend: der archaische und saloppe Charakter der Form, der obszöne Inhalt- […]: ich wüßte nicht, was außer einem unbedingten Vertrauen auf die Autorität der Handschrift C einen veranlassen könnte, an Neifen als Verfasser zu denken- […].- […] Wenn man es für möglich erklärt, daß ein Gedicht, das weder in Form noch Inhalt an die Schöpfungen eines bekannten Dichters auch nur entfernt erinnert, doch von ihm verfaßt sei, dann ist alles möglich-- außer philologische Kritik» (KLD II, S. 144 f.). Nun ist das Verfahren von Kraus mittlerweile selbst in die Kritik geraten, man vgl. bereits 1993 den Kommentar in U. Müller, Deutsche Gedichte des Mittelalters, S. 534 : «Ein solches Verfahren, das sich auf nichts anderes 208 III Typeneinteilung des Natureingangs der Unterscheidung der beiden Gattungsformen der Natureingang durchaus eine gewisse Rolle, und zwar insofern, als die Lieder des genre objectif im Gegensatz zu den meisten Werbungsliedern keinen Natureingang aufweisen; dass nun bei Lied XXX , das eine Zwischenposition zwischen beiden Genres einnimmt, ausgerechnet ein Natureingang gesetzt ist, scheint so bezeichnenderweise der Tatsache geschuldet, dass der Liedbeginn anfangs die Sprechweise der traditionellen Minnekanzone übernimmt. Allerdings ist unklar, inwiefern dem Natureingang-Einsatz bei Gottfried über eine sich aufgrund dieser Verteilung (Werbungslied: sehr konsequente Setzung eines Natureingangs-- gleichgültig, ob Sommer- oder Wintereingang / reguläre Lieder des genre objektiv: Natureingang wird nicht gesetzt) ergebende, gewisse gattungsindizierende Wirkung hinaus auch eine wirkliche liedtypengenerierende Potenz zuzubilligen ist, da es auch bei Gottfried Hinweise auf Werbungslieder ohne Natureingang gibt. 83 Davon, dass die im Natureingang erfolgende Festlegung des stützt als auf unbeweisbare Vorstellungen von Einheitlichkeit, stets gleichzubleibender Qualität und auch ‹Anständigkeit› eines Autors, ist jedoch reine Philologen-Willkür». Obwohl also heute der bei von Kraus noch wirkungsmächtige Wissenschaftsoptimismus und Vorstellungen wie die Verpflichtung eines Autorœuvres auf innere Kohärenz und Homogenität sicher in der Theorie zweifelhaft geworden sind, fällt es noch immer so manchem Philologen schwer, die erotisch-derben Erzähllieder XXXIX und XL für den Verfasser anzuerkennen, dem sie die Überlieferung-- als letztlich nicht hintergehbare Instanz-- eindeutig zuordnet (vgl. dazu auch den Kommentar in: ebd.). Ja es scheint selbst heute, obwohl die äußerst problematischen Prämissen und Vorgehensweisen der Echtheitskritik von Thomas Bein doch ausführlich-- gerade auch am Beispiel von Gottfrieds Liedcorpus- - aufgearbeitet worden sind (vgl. für das Beispiel des Œuvres Gottfrieds von Neifen Bein, Thomas: Athetesen und Argumentationen, in: Dâ hoeret ouch geloube zuo. Überlieferungs- und Echtheitsfragen zum Minnesang, Beiträge zum Festcolloquium für Günther Schweikle anläßlich seines 65 . Geburtstags, hg. von Rüdiger Krohn, Stuttgart u. a. 1995 , S. 9 - 26 , bes. S. 15 - 25 , und allgemein ders.: «Mit fremden Pegasusen pflügen». Untersuchungen zu Authentizitätsproblemen in mittelhochdeutscher Lyrik und Lyrikphilologie, Berlin 1998 [PhStuQ 150 ]), immer noch gelegentlich bevorzugt zu werden, dass man lieber spekulativ die Texte in ihrer Provenienz anzweifelt, als dass man dem Urheber von höfischen Werbungsliedern auch die tatsächliche Abfassung derb-obszöner Texte mit einer völlig andersartigen Konzeption zutraut; man vgl. nur die Ausführungen zu den beiden Liedern XXXIX und XL noch bei Gert Hübner: Minnesang im 13 . Jahrhundert, S. 74 : «Wahrscheinlich sind sie Zeugen einer mündlichen Liedtradition jenseits des Minnesangs. Neifen dürfte kaum ihr Textproduzent gewesen sein; möglicherweise hat er mündliche Vorgaben aber bearbeitet und in sein Repertoire aufgenommen, so dass die Texte in die Minnesangüberlieferung gelangten» (Hervorhebung von mir, D. E.). Vgl. dagegen für eine Verortung der Erzähllieder im Neifen-Œuvre, die gerade nicht auf eine Athetierung abzielt, zuletzt auch Herweg, Mathias Der zerbrochene Krug, oder die Schande des Verführers. Zur ‹nachklassischen› deutschen Pastourelle, in: S. Köbele (Hg.), Transformationen der Lyrik, S. 67 - 100 , bes. S. 77 f. 83 Eine Aussage darüber treffen zu wollen, ob die Setzung eines Natureingangs für den Gattungstyp des Werbungsliedes konstitutiv ist, so konsequent der Topos im Œuvre auch auf diesen angewendet sein mag, hieße nämlich nicht nur, den fragmentarischen Charakter der Liedstrophen XI (Einzelstrophe), XIX (zweistrophig) und LI (Einzelstrophe), die über keinen Natureingang verfügen, als erwiesen anzuerkennen, sondern zudem noch gesicherte Aussagen darüber zu machen, dass die überlieferten Strophen nicht am Anfang des ursprünglichen Liedes gestanden haben können. Beides scheint mir letztlich nicht vertretbar zu sein. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 209 saisonalen Zeitpunktes auf Sommer bzw. Winter einen bedeutenden typenkonstitutiven Beitrag leistet, der es rechtfertigte, von ‹Winter›bzw. ‹Sommerliedern› im Œuvre Gottfrieds zu sprechen, kann aber nun schon einmal nicht die Rede sein. Doch betrachten wir speziell die Werbungslieder Gottfrieds von Neifen noch etwas genauer, dann kann damit auch gezeigt werden, dass die oppositionelle Setzung von Winterbzw. Natureingang in der Poetik der Minnekanzone bei Gottfried also selbst gattungsintern keinerlei funktionale Differenz produziert. Wenn man dies überprüfen will, so scheint sich ein Aspekt besonders anzubieten, der gerade in der neueren Forschung zur Poetik des Werbungsliedes bei Gottfried von Neifen eine recht prominente Rolle gespielt hat, nämlich die Bedeutung des Verhältnisses von kollektiver Freudenvermittlungsfunktion des Minnesangs und textimmanent imaginagierter Leiderfahrung des Ichs, die sich in den Texten beispielsweise in einer emphatischen Repetition von Schlüsselbegriffen wie fröide und sorge niederschlage. 84 So man nun von einer derartigen Zentralität der Opposition von Freudenpostulat und Leiderfahrung für die Poetik des Werbungsliedes bei Gottfried ausgehen will, mag die Frage, inwiefern sich möglicherweise in diesem Punkt ein funktionaler Unterschied Interessanterweise zeigt übrigens der Blick auf die handschriftliche Überlieferung, dass C nur im Falle von Nummer XIX nachstehend Platz für mögliche weitere Strophen lässt, also die vom Redaktor angenommene Fragmentarizität der ihm vorliegenden Strophen überhaupt markiert wird. Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass Werbungslieder bei Gottfried nicht auch ohne Natureingang (bzw. direkten Bezug zu diesem Topos wie im Falle von Lied XXXIII) beginnen können. 84 In diesem Zusammenhang ist besonders auf die Beiträge von Markus Stock und Gert Hübner zu verweisen. Stock hat mit seinem 2004 erschienenen Aufsatz zu Gottfrieds Lied KLD 15 , III: Wir svln aber schone enpfahen hierbei die entscheidenden Anregungen gegeben, indem er anhand jenes Liedes das von Gottfried häufiger angewandte Stilmittel des erschöpfenden Gebrauchs zentraler Leitworte- - wie z. B. dem der fröide- - in der Erzeugung euphonischer Wirkung zu erklären sucht, die in der Aufführungssituation wiederum gesellschaftliche Hochstimmung erzeugt habe (vgl. M. Stock, Das volle Wort, bes. S. 195 - 199 ). Jenen Ansatz, der die Dimension der sprachlichen Klangwirkung für die Analyse der Lieder Gottfrieds von Neifen erstmals an prominenter Stelle nutzbar machen will, hat Gert Hübner jüngst aufgegriffen und ihn in dem der Lyrik Gottfrieds gewidmeten Kapitel seiner Einführung in den Minnesang des 13 . Jahrhunderts für die Darstellung einer poetologischen Entwicklungstendenz des Minnesangs fruchtbar gemacht (s. G. Hübner, Minnesang im 13 . Jahrhundert, S. 73 - 83 , unter der Überschrift «Euphonie und Emphase»), die am systemkonstitutiven Spannungsfeld zwischen den Polen der Selbststilisierung des männlichen Adels, die Leidensfähigkeit und Unterwerfung in der Liebe als kulturelle Leistung umdeutet, einerseits und der Funktion der persönlichen und gesellschaftlichen Freudegenerierung von Minne bzw. Minnesang andererseits operiere und sich im Laufe der Zeit als eine Relativierung der Dominanz des Leistungsmodells und eine sich so ergebende gleichberechtigte Geltung der Freudenfunktion darstelle (vgl. ebd., S. 12 ). Zu den Errungenschaften des Gottfried-Corpus zähle es, innerhalb dieses Spannungsfeldes eine vorläufige Harmonisierung beider Pole erreicht zu haben, die die inhaltlichen Aspekte minnebedingten Klagens durch die formale Dimension der Erzeugung von Wohlklang zur gesellschaftlichen Freudenvermittlung befähigt (vgl. ebd., S. 13 und 82 f.). Damit steht freilich zu befürchten, dass sich so das traditionelle Vorurteil der Forschung, bei Neifens Lyrik handle es sich ohnehin ‹nur› um Formkunst, deren Inhaltsseite man getrost vernachlässigen könne, eher noch festigen dürfte. 210 III Typeneinteilung des Natureingangs durch die saisonale Zuweisung der Liedeingänge ergibt, naheliegen. Nun wird man sicherlich auch bei Gottfried heute nicht mehr diagnostizieren wollen, dass-- wie Wolfgang Mohr es einmal allgemein für den Minnesang vermerkt hat 85 - - hier einfach der Winter als eine Zeit der Liebesklage dem Frühling als Zeitpunkt der Liebesfreude gegenübergestellt sei, hat doch Gert Hübner-- grundsätzlich völlig richtig-- bezüglich des Natureingang-Einsatzes bei Gottfried von Neifen vermerkt: «Die Sommereingänge exponieren den Kontrast zwischen der allgemeinen Sommerfreude und dem Liebesleid des Sängers; die Wintereingänge führen auf die Überbietung des allgemeinen Winterleids durch das Liebesleid des Sängers» 86 . Tatsächlich setzt Gottfried in den in seinem Liedœuvre durchaus dominierend auftretenden Fällen einer Anbindung der Liebesthematik des Ichs an den Natureingang im Falle der Lieder mit Wintereingang im Grunde ausschließlich einen Komplementärbezug zwischen jahreszeitenadäquater Stimmung und emotionaler Lage des liebenden Ichs, während im Falle der Lieder mit Sommereingang vorherrschend Techniken einer kontrastiven Verknüpfung dieser thematischen Bausteine angewandt werden. Die zuvor zitierte Feststellung Hübners scheint mir allenfalls für den Bereich der Lieder mit Wintereingang nicht ganz präzise zu sein, ist doch die Bandbreite möglicher Inbezugsetzungen der Geltungsrelevanz von saisonal begründetem und liebesbedingtem Leid für das Text-Ich breiter gefächert, als dies die obige Formulierung suggeriert. Als eine Möglichkeit begegnet dabei die tatsächlich auf eine Übersteigerung des allgemeinen Winterleides durch das persönliche Unglück des Liebenden abhebende Argumentationsstruktur, die letztlich als Kennzeichnung einer immensen Geltungsaufwertung weltlicher Liebe gelesen werden kann; sie findet sich z. B. in Lied KLD 15 , IX , wo es heißt: Lovp gras blůmen vogel singen / vor dem walde vnd in den o v wen, / vf der heide rosen rot, / die der meige vns kan bringen, / da mag man den rifen scho v wen. / doch klage ich ein ander not: / von der minnenklichen sv e ssen, / dv́ mich lieplich solde grv e ssen (I, 1 - 8 ) 87 . Hier manifestiert sich die Überbietung eines-- durchaus in seiner universellen Relevanz mehr bestätigten als dekonstruierten (vgl. I, 5 )-- Leidens an dem jahreszeitlichen Zustand durch die von der Dame verursachte not in der charakteristischen Wendung doch klage ich ein ander not (I, 6 ), die suggeriert, das persönliche Liebesleid sei-- trotz des allgegenwärtigen Winterleids- - für das Text-Ich dennoch entscheidender. Ebenso existiert aber die Variante eines additiv-paritätischen Komplementaritätsbezugs 88 , die zwar gleichermaßen an der Strategie einer Aufwertung des Konzepts weltlicher Minne partizipiert, dennoch aber keine Überbietung des Jahreszeitengeschehens, wie sie Hübner konstatiert, formuliert; sie ist z. B. in typischer Weise in Lied KLD 15 , V verwirklicht: Walt heide anger vogel singen / sint verdorben von des kalten winters zit. / da man blv o men sach vf dringen, / da ist es blos: nv scho v went wie dú heide lit! / das 85 Vgl. W. Mohr, Die Natur im mittelalterlichen Liede, S. 209 . 86 G. Hübner, Minnesang im 13 . Jahrhundert, S. 78 . 87 Hervorhebungen-- wie auch im Folgenden-- von mir, D. E. 88 Zu dieser Technik s. oben, Schaubild II. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 211 klage ich: so klage ich mine swere, / das ich der vnmere / bin der ich gerne lieb in herzen were (I, 1 - 7 ). Interessant ist hierbei, dass vor allem mittels des Austausches des adversativen Bindewortes doch durch das messende so in der Überleitungspassage (I, 5 ) sich die Argumentationsstruktur nicht unerheblich verändert, da sich nun die Suggestion einer für das Text-Ich gleichberechtigten Relevanz von Jahreszeitenleid (vgl. auch das das klage ich in I, 5 ) und des individuellen Liebeskummers (mine swere, ebd.) ergibt. Die Aufwertung der Relevanz des Konzepts ‹Minne› wird also in diesem Fall nicht durch eine Überbietung des Winterleids erzeugt, sondern kommt mehr implizit zum Tragen, nämlich dadurch, dass hier zwei Bereiche mit eigentlich völlig divergierendem Geltungsanspruch (kosmologisch-universell vs. persönlichsingulär) überhaupt in einem Vergleich zusammengebunden werden, wobei zudem vom Ich noch deren paritätische Berechtigung propagiert wird. Die sich allein aus dem Vergleich zweier Bereiche mit einer im Grunde solch exorbitanten Geltungsdiskrepanz ergebende Relevanzaufwertung persönlicher Minnebetroffenheit ist freilich auch bei der vollständigen Auslotung des Bedeutungspotentials der hier zuvor vorgestellten Überbietungstechnik zu berücksichtigen, wo diese quasi noch potenziert vorliegt. Insgesamt dienen aber somit beide Verfahren einer Textstrategie, die nicht nur die immense Bedeutungsaufwertung des Konzepts weltlicher Liebe betreibt, sondern auch die forcierte Profilierung einer Relevanz in ihrer subjektiven Perspektive beanspruchenden Ich-Position, die sich von ihrem imaginären Umfeld dadurch separiert, dass sie für sich in Anspruch nimmt, auch anders zu empfinden als (nur) saisonal bedingt und damit sozial-konsensual. Im Einzelnen ist für den Einsatz des Natureingangs im Œuvre Gottfrieds Folgendes zu konstatieren: Bei den 17 Werbungsliedern mit einem realisierten Wintereingang (I, V, VIII , IX , X, XV , XVIII , XXI , XXII 89 , XXIII , XXV , XXXI , XXXV , XXXVI , XLII , XLIV , XLVII )-- man könnte noch Lied XXXIII hinzunehmen, das zwar ganz deutlich auf den Topos referiert, jedoch keine explizite Jahreszeitennennung aufweist-- ist dieser in allen Fällen komplementär eingebaut; es gibt jedoch zweimal (bei Lied I und XV ) den Spezialfall einer impliziten Komplementarität 90 , wo diese Gleichgerichtetheit tendenziell suggestiv überspielt wird. Schon der Fall von Lied I zeigt dabei, wie schwierig es bisweilen ist, die genaue argumentative Relationierung von Naturbzw. Jahreszeitenzustand und emotionaler Lage des liebenden Ichs zu bestimmen. Zwar gibt das Text-Ich in der Überleitungspassage zunächst an, ob eht ich der liebvn liep in rehter liebe were, / son clagte ich niht die vogel noch der liehten blůmen schin (I, 10 f.), was, da es genau dies kurz zuvor getan hat (vgl. das heide vnd o v ch die blůmen rot / die sind nv worden val [I, 3 f.] und das so clage idh den gru e nen walt / vnd der vogel singen [I, 5 f.]), nichts anderes bedeuten kann, als dass eine glückliche Wendung für das Text-Ich noch nicht eingetroffen ist, doch die darauf folgende Strophe beginnt direkt mit der Feststellung Al min fro e ide lit an ir ( II , 1 ). 89 Ein Natureingang liegt in der handschriftlichen Überlieferung nur in p vor. 90 S. dazu das Schaubild II, oben. 212 III Typeneinteilung des Natureingangs Dass es sich aber hierbei weniger um eine generelle Zustandsbeschreibung der aktuellen Stimmung des Text-Ichs als um eine Aussage handelt, die mehr auf in der Zukunft erhofftes Verhalten der Frau bezogen ist, zeigt die Fortsetzung des Satzes: Al min fro e ide lit an ir / dú wol mag vertriben / swas ich sorgen ie gewan ( II , 1 - 3 ). Dies impliziert, dass die Geliebte zwar imstande ist, den Kummer des Text-Ichs zu beseitigen, dieses beglückende Handeln aber noch nicht unbedingt erfolgt sein muss. Dass dem so ist und dass das Ich sich deshalb noch in einem unglücklichen Gefühlszustand befindet, zeigt sich dann vor allem an der folgenden Aussage des Ichs: si ist dú minnecliche, lieb mir / vor allen wiben. / des bin ich vil sender man / in sorgen worden alt ( II , 5 - 8 ). Das am Schluss der zweiten Strophe die bisherigen argumentativen Wicklungen der beiden ersten Strophen (inklusive Natureingang) repetitierende und zusammenschließende-- nicht aber weiter präzisierende! -- Konditionalgefüge, wil dú gůte mir ir helferiche helfe senden, / son darf mich blangen der vil sv e sse bernden zit ( II , 10 f.) zeigt mithin, dass die zweite Strophe noch zur Verknüpfungspassage zwischen Natureingang und liebesthematischer Rede des Ichs gezählt werden muss; für den gesamten Bereich der Anbindungsargumentation bleibt aber die Denkfigur- - freilich in recht vager Form- - bestimmend, dass die Geliebte zwar die Macht hat, das Text-Ich seiner Sorgen zu entbinden, dies aber noch nicht getan hat; jenes argumentative Muster ist von mir-- wie in Schaubild II angezeigt-- als eine Möglichkeit der implizit-komplementären Verbindungstechnik (Wunsch des Ichs nach / Hoffnung auf ein Kontrastverhältnis zwischen jahreszeitenadäquater Stimmung und eigener Gefühlslage, s. o.) gedeutet worden. In Lied XV ist dieses Argumentationsmuster vielleicht klarer zu erkennen, im Übrigen spielt hier auch der Aspekt der suggestiven Überspielung der Verknüpfung Winterleid- Liebesleid des Ichs eine noch größere Rolle. Nach der Aufführung von winterlichen Naturdetails heißt es dort nämlich: iarlank tete sanfte ein vmbevahen, / ein lieplich drvken nahen. / ich han gedingen das mir werde ein sv e sser vmbevank (I, 7 - 9 ). Dabei ist die in generalisiert-allgemeingültiger Sprechweise präsentierte Angabe, in dieser winterlichen Jahreszeit würde eine zärtliche Umarmung, also ein beglückender Moment körperlicher Liebeserfüllung (vgl. das vmbevahen und das liebevolle drvken! ), besonders wohltuend sein, insofern signifikant, als sie scheinbar nicht nur das dominante Einbindungsmuster der Werbungslieder Gottfrieds desavouiert, in dem die Winterzeit vor allem als eine Zeit allgemeinen Traurigseins erscheint, sondern sich zudem von dem besonders in der mittellateinischen Liebeslyrik omnipräsenten 91 , aber auch in Teilen der Minnesangtradition- - z. B. bei Neidhart- - durchaus aufscheinenden Konzept, der Sommer sei die angestammte Zeit für sexuelle Liebeserfüllung, abhebt. Die darauf folgende Ich-Aussage erweckt dann auch jenem zuvor objektiv präsentierten Anspruch entsprechend den Eindruck, für das Text-Ich gebe es jetzt im Winter tatsächlich einen Grund zur Freude, da es Zuversicht habe, in den Genuss einer solchen zärtlichen Umarmung zu kommen (vgl. I, 9 ). Insofern 91 S. unten, Punkt III. 2 .b.ii. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 213 wird in Lied XV zunächst der- - täuschende! - - Eindruck erweckt, die winterliche Jahreszeit stehe hier einmal in kontrastiver Setzung dem beglückten Zustand des liebenden Ichs gegenüber, allerdings darf eines aber nicht übersehen werden: Die Aussage von Vers I, 9 ist wiederum insofern schon in sich gebrochen, als sie keine Beschreibung einer aktuellen Gefühlslage des Ichs ist, sondern das Text-Ich lediglich einer Hoffnung bzw. Erwartung auf Zukünftiges Ausdruck verleiht. Deshalb erscheint es auch folgerichtig, wenn zu Beginn der zweiten Strophe die Illusion, es liege ein kontrastiv gebauter Wintereingang vor, wieder destruiert wird, indem das Text-Ich das Argumentationsmuster der implizit-komplementären Inbezugsetzung präzisiert abruft: Swies mir so wol ergienge / das si mich vmbevienge, / so mv e st ich von den sv e ssen fro e iden sende sorge lan (II, 1 - 3 ). Es wird also deutlich, dass trotz des kontextuell irritierenden Kontrastbilds einer im Winter möglichen Liebeserfüllung für das Ich, auch im Falle von Lied XV der Wintereingang letztlich zur Konturierung des Gefühlszustands des Text-Ichs als unglücklich (es befindet sich ja noch in sender sorge! ) genutzt wird. Da in beiden Liedern die saisonale Markierung von Winterzeit im Natureingang dann im Resultat ebenso auf eine Stilisierung des Text-Ichs als momentan liebesleidend hinführt, sind sie funktional kein grundsätzlich differierender Typ des Wintereingangs bei Gottfried. Gleichwohl ist aber gerade KLD 15 , XV ein gutes Beispiel für die allgemein schon mehrfach festgestellte, die Anlagerung verschiedenster Saisonalitätskonzepte von Liebe grundsätzlich ermöglichende Offenheit der Jahreszeitenrepräsentationen im Minnesang, die sich also sogar bei einem in diesem Punkt mit eigentlich recht festen Zuschreibungen arbeitenden Œuvre zeigt. Bei den Werbungsliedern mit einem Sommereingang sind im Œuvre Gottfrieds die Möglichkeiten der Anbindung noch etwas differenzierter ausgeprägt. Von den 24 Minnekanzonen mit einem Sommereingang (Lied II , III , IV , VI , VII , XII , XIII , XIV , XVI , XVII , XX , XXIV , XXVI , XXVIII 92 , XXIX , XXXII , XXXIV , XXXVII , XXXVIII , XLIII , XLV , XLVI , XLVIII und XLIX ) müssen einerseits die Lieder III , XIII , XX , XXVI und XXXVIII gesondert betrachtet werden, da bei ihnen entweder keine argumentative Verknüpfung von Natureingang und Folgethematik klar erkennbar ausformuliert ist ( III , XIII , XX ) oder diese zwar vorliegt, jedoch an eine andere Instanz als die Position des liebenden Ichs erfolgt (XXVI: generell die Frauen, XXXVIII : die konkrete frouwe), andererseits müssen auch die Lieder XXVIII und XLIX , die beide in gewisser Weise Sonderfälle im Rahmen der bei Gottfried begegnenden Einbautechniken darstellen und zudem in ihrem Status als Lieder mit einem realisierten Natureingang prekär sind (s. u.), erst einmal ausgeklammert werden. Innerhalb des Corpus an Liedern mit Sommereingang bilden also die Lieder mit einem kontrastiv mit der Gefühlslage eines liebenden Ichs verknüpften Natureingang die eindeutig größte Gruppe. Da auf die poetische Funktion des Wintereingangs in den Liedern Gottfrieds hier schon etwas genauer eingegangen worden ist, sind an 92 Dieses Lied besitzt nur in der Herstellung von Kraus einen Natureingang, nicht in C; vgl. dazu die Ausführungen unten. 214 III Typeneinteilung des Natureingangs dieser Stelle einige kurze Bemerkungen zu diesem bei den Liedern mit Sommereingang dominanten Typ anzuschließen. Bei Gottfried begegnen mehrere Varianten kontrastiver Setzung des Sommereingangs, die von der tendenziellen Absprache der Relevanz des saisonalen Wandels für das Ich (vgl. etwa Lied XII : Was veruahet mich des wnnenklichen meigen zit, / der vns nahet vnde manigem herzen fro e ide git? / blu o men vnde vogel sank, / der beider trost ist leider minen fro e iden alzekranc [I, 1 - 4 ]) über generelle Kontrastsetzung von jahreszeitenadäquater Stimmung und emotionaler Lage des Ichs (vgl. das Manger fro e it sich gegen der wnne: / so leb ich in sender swere / nach der lieben fro v wen min [ II , 1 - 3 ] in Lied XLV ) bis zur impliziten Kontrasterstellung (=-Hoffnung auf/ Wunsch nach Komplementarität von Jahreszeitenstimmung und Gefühlssituation des Ichs impliziert deren momentanen Kontrast, vgl. etwa Lied IV: als mo e ht o v ch ich an minen fro e iden wider ivngen, / troste mich ein roter mvnt, nach dem min herze ie rank [I, 8 f.] 93 ) reichen. Die allen diesen Formen von Kontrasterzeugung gemeinsamen funktionalen Tendenzen können dabei mit den Aspekten einer Betonung der Exzeptionalität der Liebeserfahrung und Aufwertung ihrer Geltungsrelevanz (die Minne entzieht sich den Gesetzmäßigkeiten saisonal bedingter und als sozial anerkannt suggerierter Freude-Leid-Konzeptionen! ), einer etablierenden Setzung des Liebesleids des Ichs als Ausgangspunkt der liebesthematischen Argumentation und schließlich der forcierten Absonderung und Profilierung einer subjektiven Position eines Ichs, das für seine als unikal suggerierte emotionale Lage Relevanz beansprucht, ja andere Instanzen für das persönliche Befinden als entscheidender wertet als die der saisonal gesteuerten Stimmung in der Natur (also die kosmologische Ordnung) und die der Gesellschaft (als sozialer Erfahrungskonsens), angegeben werden. Dies entspricht mithin genau dem, was bezüglich der poetischen Funktion des Wintereingangs im Œuvre Gottfrieds festgestellt worden ist (s. o.). Im Falle der hier oben zunächst ausgeklammerten Lieder, bei denen auf die Natureingangsthematik mit oder ohne argumentative Vermittlung die Liebesthematik in generalisierter Form folgt ( III , XIII und XXVI ), ist ferner zu sagen, dass diese, wenn sie auch bisweilen die potenzielle Freudenhaltigkeit der schönen Jahreszeit für das Text-Ich stärker suggerieren (z. B. durch die inkludierende Wir-Perspektive in Lied III , vgl. das sit das vns wil fro e ide nahen, / so svln wir mit fro e iden singen [I, 5 f.]), resultativ Sommereingang und allgemeine Liebesthematik letztlich doch wieder in eine sich dazu kontrastiv verhaltende emotionale Lage des Text-Ichs münden lassen; man betrachte dazu ebenfalls Lied III : wan das man mich siht svst armen / in den fro e iden fro e iden ane ( III , 6 f.). Ähnliches ist übrigens auch bei der in Lied XXXVIII realisierten Verknüpfung des Natureingangs mit der liedinternen Funktionsstelle der Dame, die über die Bekleidungsmetaphorik erfolgt, zu beobachten, wo es heißt: Ach, solt ich mich senden vinden / bi den kleiden die dv́ reine minnekliche an treit, / so mv e se al min leit verswinden ( II , 1 - 3 ). Lediglich bei 93 Vers 8 drückt also lediglich einen zukünftig möglichen positiven Stimmungsumschwung aus, Vers 9 dagegen die aktuell noch trostbedürftige Lage des Ichs! 2 Diskussion ausgewählter Parameter 215 dem ‹Sonderfall› einer Anbindung der emotionalen Befindlichkeit des liebenden Ichs an den Sommereingang in Lied XXVIII , das nur als Lied mit einem Natureingang gelten kann, wenn man die Strophenumstellung durch von Kraus anerkennt, sehe ich dagegen die Möglichkeit einer komplementären Setzung beider Bereiche, die sich jedoch bei genauem Hinsehen als eine Ablehnung der Geltungsrelevanz des saisonalen Zeitpunkts für das Ich erweist, zumindest angedeutet (vgl. das nein, ich wil mich sorgen mâssen / dvr die lieben der Ich her gedienet han [ II , 3 f.]); allerdings sind auch hier-- zumindest in der KLD -Fassung ( KLD I, S. 112 )-- die Aspekte einer Ich-Absonderung (vgl. nur die Angabe, dass die Ankunft des Maies der welte fro e ide git [I, 8 ] mit der in der Textherstellung von Kraus modifizierten und direkt anschließend gesetzten Frage des Text-Ichs in den Versen II , 1 f.: Solde ich da von fro e ide lâssen, / sît daz mich diu welt an fröiden wil vergân? 94 ) und aktueller, minnebedingter Leiderfahrung (vgl. Vers II , 7 f.: swie dv́ here min gemv e te / lat so lange in senden sorgen stan) durchaus präsent. Im Falle von Lied XLIX ist es dagegen insofern fraglich, ob ein Natureingang vorliegt, als das Lied strenggenommen nicht mit der Realisation eines solchen beginnt, sondern mit einer sonst für die Überleitungspassage charakteristischen Formulierung: Nv ist manig herze vro, / wan das mine das mv o s iemer trurig sin, / es en wende ir gv e te also / das-… [I, 1 - 4 ]; erst ab Vers 5 wird darauf der eigentliche Natureingang quasi ‹nachgeholt›, vgl. das hei nahtegal / sv e ssen schal / bringet vns des meigen zit [I, 5 - 7 ]. Daher stellt der Liedanfang von XLIX eine recht außergewöhnliche Variation der poetischen Technik des Natureingang-Einsatzes da, bei der die beiden Teile der Realisation des Topos und seiner Anwendung auf die Gefühlslage des liebenden Ichs in umgekehrter Reihenfolge erscheinen; ob dieses reizvolle Bauexperiment Gottfrieds nun aber tatsächlich als realisierter Natureingang zu gelten hat, darüber lässt sich mit Sicherheit diskutieren. Abgesehen davon ist die Partizipation des Eingangs von Lied XLIX an der Verknüpfungstechnik der kontrastiven Setzung recht gut erkennbar, da die Aussage von Vers I, 8 , al min trost an einem reinen wibe lit, wiederum nicht als Kennzeichnung einer aktuell zu imaginierenden Stimmungslage des liebenden Ichs zu lesen ist, sondern als Angabe einer für das Text-Ich (einzig) möglichen Trostquelle; so ergibt sich unter Einbeziehung der Anfangsverse (I, 1 - 4 ) die Technik der impliziten Kontrastsetzung (=-das Ich muss traurig bleiben, wenn die gv e te der Geliebten es nicht abwendet, die allein dem Ich noch Trost spenden kann). Mithin lässt sich abschließend sagen, dass selbst in jenen Bereichen des Corpus der Lieder mit Sommereingang, in denen der oben dargestellte dominante Typ einer kontrastiven Verknüpfung von Sommereingang und Gefühlslage des liebenden Ichs nicht verwirklicht zu sein scheint, die Funktion einer Profilierung des Liebesleids des Ichs dennoch oft von entscheidender Bedeutung ist. 94 Die Lesart von C (sit dv́ welt an fro e iden wil zergan) passt schlecht zu einem Sommereingang und wirft so ein recht problematisches Licht auf die Strophenumstellung! 216 III Typeneinteilung des Natureingangs Beide Varianten werden so gleichermaßen zur inhaltlichen Hinführung auf das Moment eines unglücklichen Liebens durch das Text-Ich und seines Unmuts darüber genutzt, wobei diese Etablierung der Liebesthematik dann ein jeweils liedspezifisches, argumentatives Kreisen in dieser nach sich zieht. 95 Aus diesem Befund kann man für das Liedcorpus Gottfrieds die beiden saisonalen Formen von Sommer- und Wintereingang übereinstimmend zukommende poetische Funktion einer argumentativen Aussagensetzung, die auf die wirkungsvolle Profilierung der Exzeptionalität der vom Text-Ich propagierten, minneverursachten Leiderfahrung zielt, ableiten. Ja es lassen sich in den Werbungsliedern Gottfrieds sogar Hinweise dafür entdecken, dass- - gerade weil die liedinterne Funktion von Sommer- und Wintereingang insgesamt gesehen zusammenfällt- - die zur Überleitung auf die Minnethematik benutzten Formeln zwischen beiden Liedgruppen oszillieren können. 96 So ist zu betonen, dass da, wo es zu (sub-)typenmäßigen Differenzen zwischen Werbungs- 95 Damit soll hier nicht ausgesagt werden, dass der gesamte weitere inhaltliche Liedverlauf in seiner Argumentation immer strikt logisch stringent erfolgen muss, vielmehr ist es oft so, dass im thematischen Kreisen um die leidvolle Minneerfahrung auch recht disparate Positionen des Ichs zusammengebunden werden. Zudem ist grundsätzlich auch für Gottfried noch zu berücksichtigen, was immer wieder als ein bedeutendes Charakteristikum des Minnesangs überhaupt konstatiert worden ist (zuletzt etwa unter dem Gesichtspunkt möglicher Übernahmen aus Trobador- und Trouvèrelyrik von N. Zotz, Intégration courtoise, S. 240 f.), nämlich, dass konkurrierend zum Gedanken des kohärenten Liedganzen die Liedstrophe als die eigentliche relevante Formeinheit, die auch thematisch-inhaltlich über gewisse eigenständige Valenzen verfügen kann, zu gelten hat; gleichwohl lassen sich mit Sicherheit bei Gottfried-- etwa im Vergleich zum hochhöfischem Minnesang- - im Punkt des Hierarchieverhältnisses von Liedeinheit und Einzelstrophe doch Dominanzverschiebungen feststellen. Die aufgeführten Einschränkungen sprechen aber noch nicht grundsätzlich dagegen, dass für das Liedganze von einem gewissen sukzessiven argumentativen Verlauf ausgegangen werden kann. 96 Dies zeigt z. B. der Blick auf das Lied mit Sommereingang XLIII, wo der am Ende des Natureingangs gegebene Hinweis auf die beendete not der Vöglein im Winter (II, 1 ) zur Anknüpfung der Formulierung noch klage ich ein ander not (II, 2 ) genutzt wird, die- - in der adversativ vereindeutigten Form doch klage ich ein ander not (z. B. Lied IX, Vers I, 7 )-- eine ganz typische Wendung zur Einbindung des Wintereingangs im Œuvre Gottfrieds von Neifen darstellt (s. o.); in Lied XXV (mit einem Wintereingang) begegnet zudem eine relativ ähnliche Modifikation, wo es-- ebenfalls unter Bezugnahme auf das Leid der Vögel im Winter-- heißt: owe grv e ner walt! / nv wirt aber kalt, / nv der winter lank. / das ist der vogel not / vnde ir meistv́ klage. / noh clage ich die schvlde / das dv́ seldebere- … (I, 4 - 10 ); das noch in Vers 9 scheint mir hierbei- - trotz des möglichen durativen Bezugs (vgl. das nv in Vers 5 f.)- - eher adversativ gebraucht (gegen das ir meistv́ klage [ 8 ] gerichtet) zu sein. Insofern sind in Lied XLIII beide Bezugspunkte des dort in die Überleitung eines Sommereingangs transferierten Formelinventars aus dem Kontext des Wintereingangs durchaus eigenständig umgesetzt, als durch die Modifikation der charakteristischen Wendung doch klage ich ein ander not in noch klage ich ein ander not zwar der intertextuelle Verweis auf die Lieder mit Wintereingang deutlich sichtbar bestehen bleibt, allerdings gegenüber Lied XXV auch ein semantisches Changieren des noch durch die direkte Konfrontation mit einer durch nv eingeleiteten Phrase stärker vorhanden ist: neben einer Konzeptualisierung eines adversativen Bezugs («dennoch beklage ich»; dafür entscheidet sich von Kraus, indem er doch statt noch setzt, vgl. dazu KLD II, S. 148 ) ist auch denkbar: «Nun ist die Not der Vöglein vergangen, noch immer beklage ich eine andere Not»). 2 Diskussion ausgewählter Parameter 217 liedern im Œuvre Gottfrieds kommt, diese sich gerade nicht von der oppositionellen Jahreszeitenzuweisung herleiten, sondern sich unabhängig von der Zugehörigkeit zu den Liedgruppen der Lieder mit Sommer- oder Wintereingang durch die jeweils spezifische Ausrichtung des Liedes ergeben. 97 Ein gutes Beispiel dafür liefern die beiden Lieder mit Wintereingang IX und XXIII , wo in der jeweiligen Überleitungspassage mit den Wendungen doch klage ich ein ander not: / von der minnenklichen sv e ssen- … ( IX , Verse I, 6 - 8 ) und der not klage ich, vnd da bi mine swere, / die mir dv́ herzeliebe tv o t ( XXIII , Verse I, 7 f.) über Steigerungstechnik ( IX ) bzw. additive Nebenordnung ( XXIII ) im Rahmen der komplementären Einbindung des Natureingangs ein vergleichbares Zielmoment-- nämlich die Klage des Text-Ichs über das durch die Dame verursachte Liebesleid-- als Ausgangspunkt der minnethematischen Argumentation gesetzt ist. Dieses wird jedoch in beiden Liedern schon im direkt darauf folgenden Abschnitt recht unterschiedlich fortgeführt: Während nämlich in Lied IX mit minne, das solt dv mir bu e ssen, / sit ich mich der lieben ie ze dienste bot (I, 9 f.) 98 vom Ich schon vehement 97 Diese kann bisweilen schon in der jeweiligen Gestaltung der Überleitungspassage vom Natureingang zur Liebesthematik- - freilich ohne, dass es dadurch beim skizzierten funktionalen Status des Topos zu Verschiebungen kommen würde-- erkennbar sein. In den beiden Liedern mit Sommereingang VI und XVI z. B. ist der durch den Natureingang erreichte, argumentative Ausgangspunkt der Liebesthematik funktional noch relativ ähnlich im Strukturmuster einer impliziten Kontrastierung gesetzt und die konditionale Präsentation, teils auch das benutzte Vokabular entsprechen sich: Während es hier in Lied VI heißt, wolde fro e ide ê sorge en binden, / sit das fro e ide ie sorge embant, / so wurde ich sorgen fri [I, 9 - 11 ], lautet dagegen das Lied XVI : tv o t---mir wol dv́ minnenkliche, / seht, so wirde ich fro e ideriche, / svnder not vil maniger sorgen fri [I, 10 ]. Allerdings darf ein entscheidender Unterschied in der Gestaltung jener zentralen Aussage der Überleitungspassage nicht übersehen werden, nämlich die Tatsache, dass in Lied VI die Bedingung der Freudestiftung für das Ich ganz allgemein und unpersönlich formuliert ist, während in Lied XVI die Ich-Perspektive schon bei der konditionalen Phrase aktiviert ist und ferner die Bedingung für die Befreiung des Ichs aus seinem Kummer, nämlich ein entgegenkommendes Verhalten der Dame, direkt angesprochen wird. Der charakteristischen Überleitungspassage von VI entspricht es dann auch, dass in der letzten Strophe des Liedes die- - bereits in der III. Strophe in Form eines Frauenlobs aufscheinende, quasi positiv ausgespielte-- Sphäre generalisierender Rede nun die Ich-zentrierte Klage der vierten Strophe über die mangelnde Beidseitigkeit der Liebe wiederum in einer allgemeinen Perspektive durch spruchhafte Prägung überhöht, indem jene dort zur-- jetzt beide Geschlechter gleichermaßen betreffenden-- Kunst- und Zeitklage transformiert ist (vgl. das sie [die Frauen] went sich der minne entstriken: / man sint svnder minne strig [V, 9 f.]), die vom Text-Ich mit dem Gestus des Weltverdrusses resignativ abgeschlossen wird (welt, da von trage ich dir has [V, 11 ]). Dagegen ist in Lied XVI, wo bereits in der Überleitungspassage direkt auf das zur Freudenerlangung des Ichs erforderliche, liebevolle Verhalten der Geliebten Bezug genommen wird, eine solche Sphäre generalisierender Rede nicht zu bemerken, vielmehr verbleibt die liedinterne Argumentation ganz im Bereich persönlicher Liebesbetroffenheit, die auf die Form Ich-reflexiver Rede oder Appellation an die Instanzen der Minne, der geliebten Frau bzw. deren roten Mund beschränkt bleibt, wobei eine glückliche Wendung für das Ich so bis zum Ende des Liedes als prinzipiell denkbar konzeptualisiert werden kann (vgl. dafür die abschließende Aufforderung: roter mvnt, dvr dine gv e te / nv sprich dar: ---dv weist wol mine bette [V, 10 ]). 98 Füllung der Textlücke in C mit von Kraus (KLD I, S. 91 ). 218 III Typeneinteilung des Natureingangs die Forderung auf Ausgleich gegenüber der Minneinstanz formuliert ist, was von diesem mit dem Hinweis auf den von ihm dargebotenen Minnedienst begründet wird, hebt in Lied XXIII stattdessen das Text-Ich auf die trotz seines unglücklichen Zustands von ihm positiv gewürdigten Qualitäten der Dame ab (vgl. das da von so bin ich vngemv o t. / nv ist si doch gv o t dú liebe vnwandelbere [I, 9 f.]). Diese Differenz in der Bewertung des Minneverhältnisses entspricht im Übrigen den jeweils völlig verschiedenen Kernaussagen der beiden Lieder, wo sich einerseits die Absage an das Fortführen des Sanges sowie die Ankündigung des Abschieds von der Dame (in Lied IX , vgl. das da von wil ich singen lan / vnde wil mich von ir scheiden [V, 6 f.]) und andererseits die (vorsichtige) Bitte an die Instanz der Minne um Herstellung von beidseitiger Liebe und vom Ich formuliertes, entschiedenes lebenslanges Festhalten am Dienst an der Geliebten (vgl. das vil herú minne, twing die fro e idenriche, / das si niht gar in wnnen swebe / e das si mir ir hvlde gebe. / die wile ich lebe ich diene ir eigenliche [ VI , 7 - 10 ] 99 ) gegenüberstehen. Zudem ist, obwohl sich in den Liedern zwar nicht durchgängig völlig divergierende inhaltliche Positionen zeigen, die inhaltliche Argumentation in beiden Liedern dennoch durchaus in Ausrichtung auf den jeweils zu unterlegenden Subtyp ( IX : Minneklage mit Sangesaufkündigung, XXIII : Werbungslied mit Minnepreis) spezifisch durchgeführt bzw. kontextuell in diesen eingebunden. So ist beispielsweise in Lied XXIII der partiell auftretende Unmutsaspekt des Ichs gegenüber dem zentralen Lob beidseitiger und erfüllter Liebe (vgl. Str. IV und V) relativ zurückgenommen und wird oft nur im Kontext positiver Aussagen konzessiv einmontiert, so etwa das einmv e tig dast der liebi ein hort, / swie doch dú minnekliche mir / mit wibes gv e te selten fro e ide meret ( IV , 5 f.). Auch in Lied IX lässt sich die Organisation der einzelnen thematischen Bausteine auf den Werbungsliedtyp hin sehr wohl ablesen, gerade übrigens im Falle der oft als in Bezug zu Aussagen der fünften Strophe (s. o.) störend empfundenen Strophe IV , wo das Text-Ich scheinbar unvermittelt einen allgemeinen Frauenpreis anstimmt, ja sogar in liebesdidaktischem Gestus den generellen Ratschlag erteilt, doch im Minnedienst beständig zu bleiben, da die Frauen die Macht besäßen, Kummer zu beseitigen (s. IV, 1 - 6 ). 100 Interessanterweise sind nämlich solche Frauenlob-Strophen bei Gottfried sonst oft als unpersönliche, direkte und separiert stehende Aussagen, die zudem bisweilen sogar durch versanaphorische Setzung markiert sind, in den Werbungsliedern gesetzt. 101 Dagegen liest sich die Einbindung des Topos in Lied IX doch ganz anders: Ich wene, nieman kvnne erdenken, / was man wnne bi den wiben / vindet; sie gent hohen mv o t ( IV , 1 - 3 ); sie ist nicht nur generell an eine Ich- Position geknüpft und formal unmarkiert, sondern auch mehrfach gebrochen und so 99 In C findet sich diese Passage nicht am Ende des Liedes wie in der KLD-Fassung, sondern im Zentrum, da hier die betreffende Strophe an der III. Position steht. 100 Vgl. dazu den Kommentar in KLD II, S. 104 . 101 So etwa in Lied XVII, Str. III: Wib vnd wibes gv e te / sendent werendes hohgemv e te: / wib kvnnen fro e iden wnder geben, / wib kvnnen fro e ide machen, / wib kvnnen frúnde frúntlich lachen, / wib liebent manne lip und leben etc. (III, 1 - 6 ; Hervorhebungen von mir, D. E.). 2 Diskussion ausgewählter Parameter 219 in eine hypothetische Ansicht montiert (vgl. das wene und die konjunktivische Vorschaltung nieman kvnne erdenken), wodurch sie in das registrale Sprechen des Kontextes viel besser eingepasst, ja quasi fast hinter diesem ‹versteckt› ist. Insgesamt erweist sich die Frauenlob-Passage m. E. nicht nur als wirkungsvoll inszenierte ‹Finte› im argumentativen Liedverlauf, die eine inhaltliche Wendung-- nämlich die Positivierung des persönlichen Liebesleids-- vortäuscht, die im Weiteren gar nicht eintritt, sondern ist bei genauem Hinsehen als eigentliche Schlüsselstelle für das Verständnis der in der Schlussstrophe formulierten Aufkündigung des Sanges und des Abschieds von der Dame zu erkennen. Da nämlich in der Frauenlob-Strophe vom Text-Ich der generelle, minnetheoretische Anspruch, Frauen seien für truren gv o t ( IV , 6 ), propagiert wird, kann es für das Ich-- so suggeriert doch der Text-- aufgrund des für es andauernden Unglückszustand überhaupt erst zum Eingeständnis des Versagens in der Werbung kommen, die der schließlich treu Liebende dann aber umso mehr als ein artistisches Defizit deuten muss: Ich han minnenklich gesvngen / der vil lieben vnd der minne: / doch lat sie mich trurig stan. / so ist mir senden niht gelvngen / an mines herzen kúniginne (V, 1 - 5 ). Erst in einem zweiten Schritt wird dann das Faktum, dass die Dame das Ich trotz seines beständigen Liebens nicht entlohnt hat, auch wirklich gegen sie gewendet und somit die Aufkündigung des Sanges mit einem Ich-externen Fehlverhalten begründet (vgl. nur das wer aber ich ein wilder heiden / miner trúwe solt ich bas genossen han [V, 9 f.]). Die im Abgesang von Str. IV formulierte Aussage des Text-Ichs, es wisse wahrlich, dass liebevolle Blicke der Frauen ins Herz der Männer angenehm seien 102 , kann im Übrigen durchaus als eine Angabe der Erfahrungen Anderer 103 oder als ein mit anderen Frauen vom Ich Erlebtes konzeptualisiert und so in den Argumentationsverlauf integriert werden. Ferner lässt sich aber auch die Frage, ob es vielleicht bei dem gesamten Bereich des auf den Natureingang folgenden, weiteren Liedkontexts zu jeweils von der saisonalen Markierung provozierten, inhaltlichen Verschiebungen zwischen Liedern mit Sommerbzw. Wintereingang kommt, mit Blick auf das LiedŒuvre Gottfrieds verneinen. Denn man kann hier anhand des Spannungsfeldes der Dichotomie von fröide und leit gerade keine nennenswerte atmosphärische Schwerpunktbildung in Richtung einer der beiden Pole feststellen, die zudem in der Art aussagekräftig verteilt wäre, dass man wirklich sagen könnte, die binäre jahreszeitliche Zuschreibung konstituiere zwei Werbungsliedtypen, die sich in der Dominanz von Klagebzw. Freudengestus substantiell unterschieden. Ja man wird sich überhaupt schwer tun, im Œuvre Gottfrieds für die Lieder jeweils eindeutige Dominanzen von Klagegestus und Freudenstimmung nachzuzeichnen; dies zeigt z. B. schon der Blick auf jene Lieder, in denen die Suggestion einer freudvollen Gemütslage des Ichs tatsächlich stärker ausagiert wird als in anderen, so etwa in dieser Hinsicht im Falle der Lieder mit Wintereingang Lied XV , wo die nach dem Natureingang gesetzte Aussage, ich 102 Vgl. IV, 7 - 10 : swem si lieplich blikent to v gen / in div herzen mit den o v gen, / das weis ich wol svnder lo v gen, / das es von gemv o ten wiben sanfte tv o t. 103 So KLD II, S. 104 . 220 III Typeneinteilung des Natureingangs han gedingen das mir werde ein sv e sser vmbevank (I, 9 ), die in der zweiten Strophe noch einmal bekräftigt (ich han trost das mich ir wiplich gv e te / vor sender not behv e te [ II , 10 ]), ja sogar mittels der Assoziation mit religiösen Handlungen geistlich überhöht wird (svs segen ich mich des morgens mit ir, so ich wil vf stan [ II , 9 ]), in der vierten Strophe durch Einschreibung einer zeitlichen Differenz im Sinne einer nun desillusionierten Haltung des Ichs umgebogen: Do ich die reinen gv o ten, / die sv e ssen wol gemv o ten, / von erst an sach, dar nach do wart min herze sorgen bar. / do hat ich den gedingen / das si mich wolte[n] dringen / hin an der fro e ide stat. des hat si mich enterbet gar ( IV , 1 - 6 ). 104 Somit mündet das Lied bezeichnenderweise in der letzten Strophe doch in den Klagegestus ein (Owe, sol ich verderben / vnd in der sorge ersterben, / frowe minne vnd ir vil selig wib, wie stat iv beiden das? [V, 1 - 3 ]) und schließt entsprechend resignativ mit der Feststellung, die Liebe bleibe eine ewig-feindliche Macht: minne treit den alten has! (V, 9 ). Auch das in Bezug auf Freudenhaltigkeit durchaus recht weit gehende Sommereingangs-Lied XIII , das etwa in der Natureingangsstrophe die ivngen zu sommerlicher Tanzfreude und Ausgelassenheit auffordert oder direkt daran anschließend die Tröstungspotenz körperlicher Ausagierung von Liebesfreude preist 105 , setzt in der dritten Strophe eine Unmutsstrophe über die Minne dagegen, die das vom Text-Ich erfahrene Liebesleid drastisch mit dem Vorausgegangenen konfrontiert: Wafen, wafen vber die minne! / wafen wil ich vber si schrien iemer me. / ich was ir da her gebunden: / nv lat si mich trurekliche von ir gan. / si hat úbel an mir getan. / si mue 106 eim andern wnden / herze mv o t vnd al die sinne. / wol befvnden- - - habe ich das si tv o t so we ( III , 1 - 8 ). Schließlich erfährt dann in der vierten Strophe der betont positive Ausklang des Liedes in der fünften Strophe- - diese realisiert einen Frauenpreis, der die wibes gv e te [V, 1 ] und, seltsam zwischen Abstraktheit und Konkretion schwankend, deren (! ) freudenstiftenden roten Mund (vgl. V, 5 ) lobend hervorhebt-- seine entscheidende Perspektivierung, indem die Aussage vorgeschaltet ist, dass das Text-Ich, weil es keinen Erfolg bei der Geliebten gehabt habe, fortan nicht mehr weiter von diesem Misslingen singen möchte (vgl. IV , 3 f.: des ich selten han genossen: / da von ich niht mere fúrbas singen wil) 107 . Somit erscheint die Passage als eine singulär formulierte Absicht des Text-Ichs, tatsächlich einmal Sang nur noch als Freudenrepräsentation zu realisieren, der bewusst um die inhaltliche Seite der Hervorhebung des persönlichen Liebesleids gekürzt ist. Insofern muss die letzte Strophe mit ihrem betont 104 Hervorhebung von mir, D. E. 105 Vgl. zum konnotativen Hintergrund wiederum die Angaben unten, Punkt III. 2 .b.ii. 106 müese? ; KLD I, S. 95 : muoz. Die Verse 6 f. sind unter Zuhilfenahme der KLD-Herstellung (ebd.) verständlicher gemacht. 107 Ich deute mit KLD II, S. 107 , das da von in IV, 4 statt der sonst meist gewählten kausalen Bindung ‹daher/ deshalb› im Sinne des nhd. ‹davon› (anders z.B. B. Wachinger in: Deutsche Lyrik des späten Mittelalters, S. 120 f., und U. Müller, Deutsche Gedichte des Mittelalters, S. 216 f.), da mir sonst die fünfte Strophe schwer in den Argumentationsverlauf integrierbar scheint, will man auf das ausweichende Konstatieren einer nur schematisch-blockhaften Setzung verzichten. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 221 artifiziellen Frauenlob als genau darauf reagierende Einlösung des geäußerten Vorhabens, den Aspekt der Leiderfahrung der Liebe, der der Dame als bloße Spielerei vorgekommen sei und sie so verdrossen hätte (vgl. IV , 5 f.: es dvhte úch vil gar ein spil / iv hat dike min verdrossen) 108 , nicht mehr im Singen auszuagieren, gelesen werden; das Ich erprobt also quasi einen anderen Weg der Liebeswerbung, der von Frustrationserfahrungen bewusst schweigt. Ob sich damit für das Text-Ich in Bezug auf seine leidvolle Gefühlslage (des ich mich vil trvrig schowe / vor beslossen- - - ist mir fro e ide vnd iwer lip [ IV , 7 f.]) prinzipiell eine positive Änderung durch ein nun konzilianteres Verhalten der Dame ergeben kann, bleibt jedoch offen, endet doch das Lied mit der Angabe, din vil rosevarwer mvnt, / so der lieplich wolde lachen, / sam der rose in towes blu e te / fro e ide machen---kan din spilnder o v gen schin (V, 5 - 8 ) 109 im hypothetischen Raum des Potenziell-Möglichen. Die im Lied besonders in den Strophen III und IV herausgearbeiteten Aspekte einer für das Ich leidvollen Liebeserfahrung können so nur unzureichend überdeckt werden. Gleichwohl sind gerade aber die Lieder XIII und XV gute Beispiele dafür, dass Lieder, in denen die Möglichkeit einer freudvollen Erfahrung der Liebe recht prominent aufgerufen ist, in beiden Liedgruppen gleichermaßen begegnen können; Gleiches gilt wiederum für Lieder, die die Leidaspekte der Minne besonders betonen. 110 Zum anderen sind in den Minnekanzonen Gottfrieds von Neifen auch die für die spezifische Ausprägung der Poetik seiner Werbungslieder so typischen, häufig wiederkehrenden, aber stets in Variierung der Einzelzüge gebrauchten Motivbereiche und thematischen Bausteine nicht signifikant differierend auf die Lieder mit Winterbzw. Sommereingang verteilt: denn Apostrophe an den roten Mund der Dame, Rückbesinnung auf die Situation der Beibringung der Minnewunde, Bitte an die Instanz der Minne um Hilfe, Preis des potentiell auch körperlich zu erfahrenden Liebesglücks sowie generelles Frauenlob finden sich in beiden Liedgruppen gleichermaßen. Die Bezugnahme auf den roten Mund der Dame gilt schon bei den Zeitgenossen Gottfrieds als charakteristisches Markenzeichen seiner Lieder; dies gibt etwa Der Taler in seinem Lied SMS 25 , 3 - - wohl nicht ohne ironischen Unterton- - an: Der Nifer lobt die frowen sîn / und ir rœselehtez mündelîn ( II , 7 f.). Freilich ist das Motiv nicht erst von Gottfried in den Minnesang eingeführt worden, es ist z. B. schon bei Heinrich von Morungen recht prominent und zudem bereits als vollständig etablierter, topischer Baustein ausgeprägt. 111 Freilich kann dieser wie in Lied MF 141 , 37 108 Ob sich dabei das es (IV, 5 ) auf das Singen vom Misserfolg oder den Misserfolg des Liebenden selbst (wie schon das da von in IV, 4 ) bezieht, ist nicht ganz klar. Freilich erhöht sich das poetologisch-selbstreferentielle Potential der Strophe ungemein, entscheidet man sich für die erste Möglichkeit. 109 Hervorhebung von mir, D. E. 110 Vgl. in dieser Hinsicht etwa Lied XXI für die Lieder mit Wintereingang bzw. Lied VII für die Lieder mit Sommereingang. 111 S. dafür die Lieder MF 122 , 1 : vil rôt ist ir der munt [III 4 ]; MF 130 , 9 : ir rôsevarwer rôter munt [II, 10 ]; MF 132 , 27 : von ir rôten munt ist gehoehet dicke mir der muot [Zusatzstr., Vers 4 ], 222 III Typeneinteilung des Natureingangs (s. u.) und MF 145 , 1 (etwa: Grôz angest hân ich des gewunnen, / daz verblîchen süle ir mündelîn sô rôt [ III , 1 f.]) aber durchaus in außergewöhnlicher Weise im Sinne einer Imagination besonderer sinnlicher Affizierung des Ichs literarisch inszeniert sein (s. u. die Bemerkungen zu diesem sog. ‹Narzisslied›). Auch zeigt sich in Lied MF 141 , 37 übrigens schon die bei Gottfried so häufig begegnende Technik der Personifizierung des Mundes der Dame (vgl. Vers I, 7 : Den [den Mund der Dame] bat ich zeiner stunt), wobei es als Charakteristikum dieser Motivrealisation bei Gottfried hervorgehoben werden muss, dass bisweilen der rote Mund als pars pro toto für die Geliebte selbst direkt angesprochen wird. 112 Die ausgedehntesten Anredepassagen an den roten Mund, die zudem mittels Versanaphernsetzung formal markiert sind, finden sich im Gottfried-Corpus interessanterweise in Lied IV und XXIII, also genau in je einem Lied mit einem Sommer- ( IV ) und mit einem Wintereingang ( XXIII ). So heißt es in der dritten Strophe von Lied IV : Roter mvnt, nv lache, / das mir sorge swinde; / roter mvnt, nv lache, das mir sendes leit zerge! / lachen dv mir mache, / das ich fro e ide vinde; / roter mvnt, nv lache, das min herze fro beste! etc. ( III , 1 - 6 ), und in Lied XXIII , ebenfalls in der dritten Strophe 113 : Nv lache das ich fro beste, / nv lache das mir werde wol; / vil roter mvnt, nv lache lacheliche; / nv lache das min leit zerge: / so wirde ich sender fro e iden vol. etc. ( III , 1 - 5 ). Die Wendung an den roten Mund der Dame als wesentlicher Baustein der Poetik des Werbungsliedes bei Gottfried von Neifen ist somit mit Sicherheit schon einmal nicht an einen bestimmten über die saisonale Zuweisung konstituierten Liedtyp gebunden. Ebenso verhält es sich mit dem Motiv der metaphorische Rede von der Minnewunde im Herzen, deren konkrete Bezüge zum breit gefächerten, seit der Antike bekannten und gattungssowie literatursystemübergreifend weit verbreiteten topischen Komplex der ‹Liebe als Krankheit› m. E. noch nicht ausreichend genug geklärt sind. 114 Trotz des isolierenden Herausgreifens einzelner Bestandteile aus MF 137 , 10 : dîn rôter munt [ 7 ]; MF 138 , 17 : lachen sî began ûz rôtem munde tougen [IV, 6 ]; MF 141 , 37 : z. B. ir vil rôsevarwen munde [II, 2 ]; MF 145 , 1 : ir mündelîn sô rôt [III, 2 ] und MF 147 , 17 : ir rôter munt [ 8 ]. 112 Vgl. dazu auch den Komm. in: Ulrich Müller (Hg.), Deutsche Gedichte des Mittelalters, S. 534 ; A. Touber, Rhetorik und Form, S. 54 f. 113 Nach KLD; in C ist es die V. Strophe. 114 Für den weit verbreiteten topischen Motivverbund und seine diskursive Vernetzung vgl. bes. den Sammelband: Liebe als Krankheit. Forschungsstelle für europäische Lyrik des Mittelalters an der Universität Mannheim, hg. von Theo Stemmler, Tübingen 1990 (Kolloquium der Forschungsstelle für europäische Lyrik des Mittelalters 2 ), darin für den engeren Kontext des deutschen Minnesangs bes. den Beitrag Hoffmann, Werner: Liebe als Krankheit in der mittelhochdeutschen Lyrik, S. 221 - 253 ; ferner generell Philipowski, Katharina: Minne als Krankheit, in: Neophilologus 87 ( 2003 ), S. 411 - 433 . Dennoch ist das mögliche intertextuelle Bezugsverhältnis des Minnesang-Motivs von der Minnewunde etwa zu ovidianischen Heilungsvorstellungen (so Remedia amoris, V. 44 ff.: die Wunde der Liebe soll durch den geheilt werden, der sie verursacht hat) und den epischen Minnepathologien, wie sie prominent im Eneasroman Heinrich von Veldekes ausagiert werden, noch genauer auszuloten. Im Falle des Letzteren werden zwar die Symptomatiken der Liebeskrankheit viel ausführlicher durchdekliniert (vgl. W. Hoffmann, Liebe als Krankheit, S. 221 - 229 ), allerdings könnten 2 Diskussion ausgewählter Parameter 223 dem topischen Arsenal dieser breiten Tradition handelt es sich beim Minnewunden- Motiv im deutschen Minnesang um ein in vielfältigen, oft komplex verdichteten Kombinationsformen begegnendes Bündel von auch eigenständig realisierbaren Elementen 115 , so begegnet etwa das Motiv der Minnewunde sowohl separat (so etwa in Friedrichs von Hausen MF 49 , 13 : Mir ist daz herze wunt), als auch schon in spezifischer Kombination mit einem Akt optischen Wahrnehmens, die sich schon bei Heinrich von Morungen vorzeichnet (vgl. z. B. die Einzelstrophe MF 137 , 10 , wo es heißt: Ich bin siech, mîn herze ist wunt, / vrowe, daz hânt mir getan / mîn ougen und dîn rôter munt [ 5 - 7 ]) und die im Folgenden auch das im Grunde eigenständige Motiv des Blickens der Dame in das Herz des liebenden Ichs einbinden kann. 116 Dies bringt es mit sich, dass so bisweilen die Dame bzw. deren Augen regelrecht zum Akteur beim Vorgang der Verwundung des Herzens stilisiert werden, so etwa in Wolframs Lied MFMT XXIV , Nr. VIII : ir ougen bringent mich in nôt. / Si dringent in mîns herzen grunt: / sô enzündet mich ir minne, / daz ich von ir liebe enbrinne. / an der stat / bin ich von der süezen wunt ( IV , 6 - 11 ). In dieser spezifischen Motivkombination ist der Minnewunden-Topos auch bei Gottfried besonders häufig realisiert, wobei meist noch zwei charakteristische Züge hinzutreten, nämlich einerseits die Präsentation des Vorgangs der Verwundung durch die Minne als vom Ich rememoriertes Geschehen in der Vergangenheit, andererseits die Hervorhebung dieses Moments (bzw. bei iterativer Konzeption der Minnewundenbeibringung [s. u.]: dieser Momente) als zunächst eigentlich durchaus glücksbringend, dann aber bald darauf Schmerzen bereitend. Dies zeigt beispielsweise die zweite Strophe von Lied V, wo besonders die potenzierende Ineinanderschachtelung der angeführten Seh-Instanzen bemerkenswert ist: Bar---min herze ie bernder wunne, / das was swenne ich sach ir wunneklichen schin / vnde ir o v gen sam der svnne / dvr min o v gen lvhten in das herze min. / dar nach wart mir leit in kvrzen stvnden. / owe minne wunden! ( II , 1 - 6 ). Insgesamt ist zum Einsatz dieses Motivbereichs einer meist durch Akte des Schauens ausgelösten Zufügung der Minnewunde im Œuvre sich die Stilisierung der Verwundung durch Akte des Sehens (Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 10 020 - 10 045 [Verwundung der Lavinia durch das Erblicken des Eneas] und V. 10 978 - 10 989 [Verwundung des Eneas im Moment der näheren Betrachtung von Lavinias Augen und Mund]) und mythologische Erklärung des Vorgangs (Pfeilschuss von Venus [bei Lavinia] bzw. Amor [bei Eneas], ebd.), die in manchen Realisationen des Topos im Minnesang noch mitaufgerufen sein könnten (vgl. etwa Gottfrieds Lied XI, Str. III, 5 f.: wan das mich ir [der Dame! ] minne strale / in das sende herze schos), als Konnotationsrahmen des Motivs im Minnesang erweisen. 115 Insofern trifft es m. E. gerade nicht zu, wenn Hoffmann, der sich in seiner Beschreibung besonders auf den Aspekt der Reduktion des Motivkomplexes gegenüber epischen Repräsentationen des Topos ‹Liebe als Krankheit› konzentriert (s. o.), für den Einsatz des Minnewunde- Motivs im Minnesang bemerkt: «So bewegte man sich mit der breitgetretenen Metapher von der Wunde des Herzens mehr als ein Jahrhundert hindurch auf ganz engen Bahnen» (W. Hoffmann, Liebe als Krankheit, S. 253 ). 116 Bei Heinrich von Morungen z. B. steht es oft unabhängig vom Topos der Minnewunde, etwa in Lied MF 126 , 8 : Von den elben, Str. IV. 224 III Typeneinteilung des Natureingangs Gottfrieds zu sagen, dass jenes von Lied zu Lied in einer jeweils ganz spezifischen Zuschneidung (z. B. Fehlen bestimmter eigentlich typischer Einzelzüge, Einführung neuer Motivik) realisiert ist. So heißt es z. B. in Lied XLVIII aus der Liedgruppe mit Sommereingang unter Einbeziehung der personifizierten Minneinstanz, die nicht nur agierend, sondern auch als Sprecherin auftritt: IR wol gero e ter mvnt, ir liehten o v gen, / ir kel, ir kinne, ir ro e selehte wangen, / die hant das sende herze min betwngen. / do si dar in geblihten lieplich to v gen, / dar nach ze hant do wart ich ir gevangen. / dar zv o do kam dú minne dar in gedrvngen; / si sprach: ‹nv hab ich mich din vnderwnden›. / das han ich wol befvnden / an minen senden wnden: / die stent noh vn verbunden ( III , 1 - 10 ) 117 . Dagegen begegnet in Lied XXXI aus dem Bereich der Lieder mit Wintereingang die Rückerinnerung an den Vorgang der Beibringung der Minnewunde in ganz anderer Profilierung (z. B. Abheben auf die lange Zeit des Zurückliegens der Verwundung / Fehlen des Agierens der personifizierten Minneinstanz), dennoch aber in teils recht ähnlichen Einzelzügen: Es ist nv vil manig iar / das ir liehten ougen clar / in min herze lieplich blihten to v gen, / vnde ir rosevarwer mvnt / gen mir tet sin lachen kvnt. / dar vs spilten ir wol liehten o v gen. / seht, do wart ich siech von minne wnden ( II , 1 - 7 ). Dabei erklären sich die Unterschiede in der jeweiligen Realisation des Motivbausteins-- wie schon angedeutet-- besonders aus der spezifischen Gestaltung des Einzelliedes: Während nämlich in Lied XLVI die Einführung der personifizierten Minne in den Vorgang der Verwundung als Auslösungsmoment einer Anklage des Text-Ich gegenüber den beiden Instanzen von fro minne ( IV , 1 ) und Dame fungiert (vgl. IV , 1 - 7 ), ist in XXXI die Betonung der lange andauernden Leidenszeit des Ichs wohl vom Binnenrefrain des Liedes (wafena! ia ist mir da / dike we vnd anderswa! [I, 8 f.]) 118 . Von der gegensätzlichen Zuweisung der Lieder bezüglich des im Natureingangs festgeschriebenen, als aktuell zu imaginierenden saisonalen Zeitpunkts sind diese Differenzen in der konkreten Ausprägung des Motivs somit gerade nicht angeregt. Doch betrachten wir ein weiteres typisches Element des Werbungsliedes bei Gottfried, nämlich die Wendungen an die Minneinstanz. Sie sind im Bereich des Minnesangs auch schon zuvor ein häufig anzutreffender Motivbaustein, der in ganz verschiedenartigen Ausprägungen begegnen kann; in diesem Zusammenhang ist etwa auf die bekannte Minnefeindschaftsstrophe Friedrichs von Hausen ( MF 53 , 22 : Minne, got müeze mich an dir rechen! ) oder die jeweils spezifisch profilierten Formen der Minne-Apostrophe bei Walther zu verweisen. 119 Im Liedcorpus Gott- 117 Die verschiedenen-- auch im Folgenden-- auftretenden Arten markierender Hervorhebungen sind von mir vorgenommen, D. E. 118 So wird der Refrain in der zuvor stehenden ersten Strophe vorgestellt; in der Strophe II heißt es dann, nach der Rememoration der Beifügung der Minnewunde (s. o.), in leichter, aber durchaus bedeutsamer Modifikation erklärend und in direkter Bezugnahme auf diesen Vorgang: wafena! dest mir da / dike we vnd anderswa (II, 8 f.; Hervorhebung von mir, D. E.) 119 Vgl. z. B. die Klagevorbringung bei Frau Minne mit der Bitte um Herstellung von Gerechtigkeit durch die adäquate Verwundung der Geliebten in L 40 , 19 : Ich hân ir sô wol gesprochen oder die beiden Minne-Anredestrophen im Werbungslied L 109 , 1 : Ganzer fröiden wart mir 2 Diskussion ausgewählter Parameter 225 frieds von Neifen begegnen nun solche Wendungen an die Minneinstanz besonders zahlreich, meist als Bitte des Text-Ichs um Abhilfe für seinen Liebeskummer, etwa durch Herstellung einer beidseitigen Liebesbetroffenheit bei Ich und Dame wie in Lied IV (mit einem Sommereingang): hilf mir, helferichv́ sv e sse minne, / twinc die liebe sam si hat betwungen mine sinne, / vntz si bedenke minen senelichen pin (V, 7 - 9 ). Bisweilen sind die Minne-Apostrophen bei Gottfried in recht ausgedehnter Form realisiert, die zudem-- wie in Lied XXII (mit einem Wintereingang)-- durch versanaphorische Setzungen noch besonders markiert sein kann. 120 Sowohl in der Gruppe der Lieder mit einem Wintereingang als auch in der mit einem Sommereingang lassen sich solche Passagen einer Wendung des Text-Ichs an die Minneinstanz finden; in Lied V (mit einem Wintereingang) heißt es etwa in Strophe III in kunstvoller Einbindung über die versanaphorische Wiederaufnahme des Wortes minne: Bant---dú minne mich der sv e ssen / vnd lat die vil lieben svnder truren gan / minne, wie wilt dvs gebv e ssen? / minne, ich hans da fur, es si niht gv o t getan. / minne, hilf en zit: ich mv o s verderben ( III , 1 - 5 ) 121 . Für die Gruppe der Lieder mit einem Sommereingang mag hier Lied VII exemplarisch angeführt werden, wo Apostrophen an die Minneinstanz die gesamten beiden letzten Strophen des Liedes ( III und IV ) durchziehen, wobei die beiden Anredeformen sv e sse minne und minne kunstvoll jeweils in Versanfangsstellung alternieren: so bitte ich die gv o ten das si lâsse mir gelingen. / sv e sse minne, ob das geschiht, dar vmbe ich dine werden tvgende prise / minne, dv weist wol, es ist dú liebe, die ich da meine. / minne 122 , hilf das mir dú here tro e ste min gemv e te / -… / sv e ssú minne, frage si dur got, was ich ir habe getan ( III , 3 - IV , 7 ). Ja selbst bezüglich des zum Teil in solchen Abschnitten begegnenden Unmutsgestus kann zwischen den Liedern mit Sommer- und Wintereingang kein signifikanter Unterschied festgestellt werden, er findet sich etwa in Lied VI (mit einem Sommereingang): owe, minne, das din wnde / mich so lange hat verwunt! / ich bin von dir vngeheilet, / ich gewan gegen dir nie heil. / minne, das du sist verteilt! ( IV , 5 - 9 ) und z. B. auch in Lied IX (mit Wintereingang): so das minne, das solt dv mir bu e ssen! (I, 9 ) und das minne, sich, das ist din has, / den ich sender siecher dvlde / gar an alle mine schvlde ( II , 6 - 8 ). Gerade aber nun der Preis der auch körperlich ausagierten Liebeserfüllung könnte ein Motiv sein, dass sich am saisonalen Konzept des Sommers anlagert und so für nie sô wol ze muote, von denen eine eine Bitte an die Minneinstanz darstellt, die Frau zu entgegenkommendem Verhalten zu bewegen (L 109 , 25 ), während die andere allgemein die beglückend-schmerzhafte Macht der Minne würdigt (L 109 , 17 ); vgl. zur Minne-Apostrophe generell auch G. Schweikle, Minnesang, S. 125 . 120 Vgl. etwa in Lied XXII, das nur in Handschrift p mit einem Wintereingang beginnt, die Strophe IV (nach C): Sv e sse minne, mine sinne / iamert nach der lieben minne. / minne, hilf, est an der zit. / minne, dv kanst trvren swenden, / hochgemv e te in herze senden: / minne, din gewalt ist wit etc. (IV, 1 - 6 ). 121 Vgl. zur charakteristischen Formulierung von Vers 5 , die Gottfried häufiger setzt, überdies auch Lied XVI (mit einem Sommereingang), Vers II, 7 : minne, hilf: es ist an der zit! 122 Fehlt in C. 226 III Typeneinteilung des Natureingangs eine gewisse inhaltliche Verschiebung zwischen den Liedern mit einem Winter- und Sommereingang sorgt; doch selbst dies wird sich so nicht bestätigen. Schon der traditionellen Ausprägung des Werbungsliedes, das letztlich- - trotz partieller Abrufung von Konzepten eines Sich-Genügens im einseitigen, unerfüllten Werben des Ichs um die Dame-- immer auf den ideellen Fixpunkt eines auch sexuell erfahrbaren, gemeinsamen Liebesglücks zielt, ist das Andeuten möglicher körperlicher Liebeserfüllung durchaus nicht fremd 123 , was sich beispielsweise in den Motiven des Kussraubes (vgl. z. B. die Strophen Heinrich von Morungen, MF 141 , 37 und Reinmar, MF 159 , 37 ) oder des Ersehnens einer Umarmung niederschlägt, wie es sich in der dritten Strophe des Liedes MF 92 , 14 : Der al der werlde vröide gît von Albrecht von Johansdorf findet: Und sold ich iemer daz geleben, / daz ich si umbevienge, / sô müese mîn herze in vröiden sweben. / swenne daz alsô ergienge, / Sô wurde ich sorgen vrî ( III , 1 - 5 ). Im Falle von Lied KLD 15 , XV (eben mit einem Wintereingang! ) ist hier bereits gezeigt worden, wie dieses Motiv von Gottfried aufgegriffen wird, wobei auf die Realisation mittels Anbindung an Tonfälle liebesdidaktischer Ratschläge, wie wir sie etwa aus der mlat. Liebeslyrik kennen, schon verwiesen worden ist. 124 Besonders deutlich wird die Tendenz Gottfrieds, die Aufrufung potentieller körperlicher Liebeserfüllung zu liebesdidaktisch angelegten Lobpreispassagen sexuell erfahrbarer Minne zu forcieren, auch in Lied XIII (mit einem Sommereingang), in welchem es noch genereller als in XV (dort: iarlank [im Winter] tete sanfte ein vmbevahen, / ein lieplich drvken nahen [I, 7 f.]), wo die Aussage allein auf den Winter als vorgeblich passendem saisonalen Zeitpunkt der Liebe beschränkt ist, heißt: Nieman nieman kan erdenken / was fúr seneliches truren besser si / danne ein kvs von rotem mvnde / vnd dar zv o ein minneklicher vmbevang ( II , 1 - 4 ); auch lässt sich mit den beiden angesprochenen Liedern gut belegen, dass die saisonalen Zeitpunkte Sommer und Winter im Œuvre Gottfrieds eben grundsätzlich nicht hinsichtlich ihrer Konzeptualisierbarkeit als eine Zeit potentieller Liebesfreuden divergieren. Insofern ist also auch in diesem Aspekt eine liedtypengenerierende Potenz der Jahreszeitenopposition nicht erkennbar. Zuletzt soll hier nun überprüft werden, wie das Bauelement des Frauenpreises 125 sich in den Minnekanzonen Gottfrieds gegenüber der Jahreszeitendifferenz verhält. Neben dem im Werbungslied ab der hochhöfischen Periode um Reinmar, Heinrich 123 Vgl. dafür auch G. Schweikle, Minnesang, S. 197 f. 124 S. unten die Angaben in Kap. III. 2 .b.ii. 125 Vgl. zum Frauenpreis im Werbungslied allgemein Hübner, Gert: Frauenpreis. Studien zur Funktion der laudativen Rede in der mittelhochdeutschen Minnekanzone, 2 Bde., Baden- Baden 1996 (Saecvla spiritalia 34 f.), wo neben der grundsätzlichen Distinktion eines konkreten und allgemeinen Frauenpreises im Falle des letzteren auch die zwei Varianten eines generischen (‹die Frau schlechthin›) und eines pluralischen (‹die Frauen›) Lobs unterschieden werden (vgl. ebd., S. 35 ); da diese beiden Spielarten in den Texten selbst aber oft miteinander kombiniert vorliegen (s. unten, Lied XVII), kann es sich bei ihnen m. E. nicht um typologische Kategorien im engeren Sinn handeln. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 227 von Morungen und Walther nun zahlreicher begegnenden Lob der geliebten Frau 126 ist für das Œuvre Gottfrieds von Neifen besonders der allgemeine Frauenpreis bedeutsam, der bisweilen mit dem zuvor genannten Motivbaustein einer Preisung körperlicher Liebeserfüllung, die bei Gottfried ja ebenfalls zur Realisation in generalisierender Rede tendiert (s. o.), verschmolzen ist, man vgl. nur die dritte Strophe von Lied VI (mit einem Sommereingang): Wer---kan fro e lich fro beliben / wan bi reinen lieben wiben? / hi, wie sv e sse name ein wib! / wip kan sendú leit vertriben. / wol ir reinen lieben liben! / o v ch si hant so lieben lip / das mich nach in mv o s blangen! / bi in ist dú wile vnlank. / swa liep lieb hat vmbevangen, / das ist ein su e sser vmbevank, / lieblich nach der minne ger ( III , 1 - 11 ) 127 . Die beim generellen Frauenlob sich vollziehende Transferierung von Sprechweisen des Spruchdichtungsregisters in das Werbungslied muss mithin im Rahmen einer sich gegenseitig befruchtenden Kontaminationssphäre von Minnesang und Spruchdichtung gesehen werden, die besonders in Walthers Lied- und Spruchœuvre von prominenter Bedeutung ist 128 , sich für den Aspekt des Frauenpreises aber auch schon bei Reinmar aufzeigen lässt, man denke nur an Reinmars berühmte, lange Zeit auf das Abstrakt-Ideelle verkürzt gelesene 129 Frauenpreis-Strophe MF 165 , 28 aus dem Lied MF 165 , 10 : Swaz ich nu niuwer maere sage 130 , bei der die Suggestion eines schon auf der Wortebene wirksamen Konzepts einer universellen Beglückungswirkung durch die Frau ja bezeichnender- 126 S. dazu G. Hübner, Frauenpreis I, S. 101 - 252 , und II, S. 423 - 486 (Anm.). 127 Zur Anknüpfung von Vers 3 an Reinmars Strophe MF 165 , 28 s. unten. 128 Gerade aber auch für den späthöfischen Minnesang nach Walther wird die Interferenz von Minnesang und Spruchdichtung sich an vielen Stellen als wichtiges Mittel zur Innovationsgenerierung abzeichnen, allerdings bleibt dieses Verfahren immer auf bestimmte Bereiche des breitgefächerten Spektrums von Erscheinungsformen des Minnesangs im 13 . Jahrhundert begrenzt (anders jüngst Schnell, Rüdiger: Minnesang und Sangspruch im 13 . Jahrhundert. Gattungsdifferenzen und Gattungsinterferenzen, in: S. Köbele [Hg.], Transformationen der Lyrik, S 287 - 348 , der, bei aller Vorsicht und notwendigen Einschränkungen, eine Auflösung des Ich-zentrierten Werbungsliedes in Richtung auf die frouwe-- etwa in Hinsicht eines allgemeinen Frauenlobs-- als die generelle Entwicklungstendenz des Minnesangs in dieser Phase konstatiert). 129 Vgl. dazu weiterführend die Hinweise im Kommentar von Reinmar: Lieder. Nach der Weingartner Liederhandschrift (B), mhd. / nhd., hg., übers. und komm. von Günther Schweikle, Stuttgart 2002 ( 1 1986 ) (RUB 8318 ), S. 331 - 335 . Gegen die die philosophische Überlastung des Begriffslobs und die Diagnose einer Entkonkretisierung der Frau hat es auch Gegenstimmen gegeben, vgl. etwa Huber, Christoph: Wort sint der dinge zeichen. Untersuchungen zum Sprachdenken der mittelhochdeutschen Spruchdichtung bis Frauenlob, München 1977 (MTU 64 ), S. 22 - 31 , E. Willms, Liebesleid und Sangeslust, S. 117 f., und G. Hübner, Frauenpreis I, S. 108 - 112 , sowie die Anm. in II, S. 425 - 430 ; vgl. dagegen zuletzt den nicht recht nachvollziehbaren Versuch bei A. Hausmann, Reinmar der Alte als Autor, S. 146 f., und S. 175 f., die Strophe im Kontext einer ethischen Indifferenz des Ichs gegenüber der Frau zu lesen, das durch die Instrumentalisierung der Frau für Selbstdarstellungszwecke die «Frau als Person zu einer Randerscheinung» (ebd., S. 175 ) werden lasse. 130 Sô wol dir, wîp, wie rein ein nam! / wie sanfte er doch z’erkennen und ze nennen ist! / ez wart nie niht sô lobesam, / swâ dûz an rehte güete kêrest, sô du bist. / Dîn lop mit rede nieman volenden kan. / swes dû mit triuwen pfligest wol, der ist ein saelic man / und mac vil gerne leben. / dû gist al der welte hôhen muot: / maht ouch mir ein wênic vröide geben! / ? (III, 1 - 9 ). 228 III Typeneinteilung des Natureingangs weise letztendlich wieder ironisierend auf die unglückliche Situation des liebenden Ichs ‹heruntergebrochen› wird. Mit seiner charakteristischen Anfangswendung, Sô wol dir, wîp, wie rein ein nam! ( III , 1 ), hat es zur Herausbildung der literarischen Gestalt des thematischen Bausteins im Minnesang maßgeblich beigetragen. 131 Der generalisierte Frauenpreis im Liedcorpus Gottfrieds von Neifen ist-- so ist insgesamt festzustellen-- wiederum nicht signifikant auf die Liedgruppen mit Sommer- und Wintereingang aufgeteilt, sondern übergreifend eines der für die Poetik des Werbungsliedes bei Gottfried charakteristischen Motivelemente; als Beleg dafür seien hier zwei Beispiele angeführt, die zudem auch die verschiedenen liedspezifischen Realisationsmöglichkeiten vor Augen führen: während etwa in Lied XVII (mit einem Sommereingang) in der dritten Strophe mit Wib vnd wibes gv e te / sendent werendes hohgemv e te: / wib kvnnen fro e iden wnder geben, / wib kvnnen fro e ide machen, / wib kvnnen frúnde frúntlich lachen, / wib liebent manne lip vnd leben. / wib, was din trúwe wirde vnd ere git! / wib, dv kanst wenden / leit, liep senden. / was an wiben fro e ide lit! ( III , 1 - 10 ) 132 die bisweilen begegnende, kunstvolle Präsentation mittels versanaphorisch-parallelisierter Setzung zu demonstrieren ist und die hymnische Preisung der universellen, freudenstiftenden Potenz der Frau überwiegt, wird mit der folgenden Passage aus der dritten Strophe von Lied XXV (mit einem Wintereingang) durch das Abheben auf verhaltensbezogene Qualitäten des Liebenden die Affinität des Motivkomplexes zum Spruchdichtungsregister vielleicht noch stärker ausgespielt: Wip, din sv e sser nam / vnd din werdekeit / git vil hohen mv o t / dem der tvgende hat, / der vntvgende lat. / wie wol das tv o t! / dem wirt tvgende bereit / vnd dv́ rehtú scham. / reiner wibes gv e te / kan wol fro e ide leren, / si git hoh gemv e te, / da bi fro e ide meren (III, 1 - 12 ). Zentral ist aber für beide Beispiele die Aussage, dass die Frauen für den Mann eigentlich eine potenzielle Beglückungsinstanz darstellen, ja fro e ide und hohgemv e te spenden können. Da somit für das Liedcorpus Gottfrieds nicht einmal die Ausbildung zweier Werbungsliedtypen, die durch die beiden Möglichkeiten saisonaler Zuweisung im Natureingang angeregt wären, nachgezeichnet werden kann, ist also die Anwendung der Termini Sommerbzw. Winterlied schon für dieses angebliche Referenzœuvre fragwürdig. Und so zeigt es sich auch, dass- - weitet man den Blick auf den gesamten Bereich des Natureingangs im Minnesang von seinen Anfängen bis zu seinem allmählichen Ausklingen im 14 . Jahrhundert aus-- allein im Textcorpus der Neidhart-Tradition die beiden inhaltlichen Festschreibungen von Sommerbzw. Wintereingang tatsächlich eine textsortenkonstituierende Potenz besitzen. Schließlich steht-- dies ist bereits mehrfach betont worden-- von Beginn des Auftauchens Vgl. dazu auch den Hinweis von G. Hübner, Frauenpreis I, S. 108 , dass nur in der MFMT zugrunde gelegten Lesart von A überhaupt das Begriffslob bis in Vers 2 weitergesponnen ist. 131 Vgl. C. Huber, Wort sint der dinge zeichen, S. 23 ; s. auch die beiden hier für Gottfried beigebrachten Beispiele aus Lied VI (s. o.; dort Vers III, 3 ) und Lied XXV (s. u.; dort Vers III, 1 ). 132 Wiederum sind sämtliche Arten der Hervorhebung bei beiden Beispielen von mir vorgenommen, D. E. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 229 des Topos im Minnesang an dieser grundsätzlich für alle möglichen Arten der Einbindung und konzeptionellen Füllung offen 133 , ja er ist genau in seinen beiden Inhaltsvarianten von sommer- und winterzeitlicher Aktualitätssuggestion geradezu ein Generator des variantenreichen Erprobens und Auslotens der literarischen Potenziale der Saisonalitätsmarkierung, auch wenn es dabei im Verlauf der Minnesang-Traditionen immer wieder zu bestimmten Verengungen auf Dominanzbereiche bevorzugter Einbauweisen kommen mag. 134 Der Natureingang ist-- obwohl er sich in seiner eigentlich angestammten Perspektivierung und sprachlichen Realisationstendenz nicht organisch in das Registersprechen des Werbungsliedes des deutschen Minnesangs einfügt und als poetische Möglichkeit der Eingangsgestaltung dort auch relativ lange gar keine prominente Rolle spielt-- dennoch in hohem Maße an diesen Gattungskontext gebunden; außer der Bedeutung des Natureingangs und der durch ihn stilisier- und einschreibbaren Jahreszeitendifferenz für die Textsortengenese im Neidhart-Œuvre wird er im deutschen Minnesang bei der Konstitution neuer Liedtypen wie den objektiven Gattungen auffälligerweise gemieden. 135 Und selbst da, wo die Ausweitung der Jahreszeiten- und Naturthematik tatsächlich einmal in die Richtung einer Ausprägung von inhaltlich zu einem großen Bestandteil um Saisonalitätserscheinungen zentrierten Liedern geht, wie sie als vor allem liebesdidaktisch ausagierte Kanzonen etwa bei Konrad von Würzburg begegnen 136 , für die also die 133 Dies mag etwa die folgende Auswahl von Strophen aus der Frühphase der Minnesangtradition (Dietmar von Eist und Heinrich von Veldeke) verdeutlichen, die die verschiedenen Anbindungsmöglichkeiten des Sommereingangs an die Gefühlslage des Sprecher-Ichs vorführen und demonstrieren, dass Winter- und Sommerbild in dieser Hinsicht prinzipiell frei relationierbar sind. Vgl. neben dem Fall einer komplementären Setzung des Sommereingangs in der hier (s. o., Punkt II. 1 ) schon ausführlicher besprochenen Dietmar-Strophe MF 33 , 15 (Ahî, nu kumt uns diu zît, der kleinen vogellîne sanc. / -[…] des wirt vil manic herze vrô,---des selben troestet sich daz mîn [Str. III, 1 ; 1 - 4 . Hervorhebungen-- auch im Folgenden-- von mir, D. E.]) als Beispiel einer kontrastiven Gegenüberstellung von allgemeiner Sommerfreude und leidvoller Situation des Ichs etwa die Natureingangsstrophe MF 56 , 1 des Heinrich von Veldeke (Ez sint guotiu niuwe maere, / daz die vogel offenbaere / singent, dâ man bloumen siht. / zen zîten in dem jâre / stüende wol, daz man vrô waere, / leider des enbin ich niht [I, 1 - 6 ]). 134 Wie dies etwa oben für das Liedcorpus Gottfrieds von Neifen mit der Dominanz von kontrastiver Anbindung der Stimmungslage des liebenden Ichs an den Sommereingang und der entsprechenden Komplementärsetzung des Wintereingangs beschrieben worden ist. Solche Vorgänge führen aber wiederum nicht zu einer funktional differenzierten Aufladung der Jahreszeitenopposition. 135 Auch dies hat sich etwa schon beim Blick auf das Œuvre Gottfrieds von Neifen paradigmatisch gezeigt, s. o. 136 Dieser im Konrad-Œuvre erstmals in der Minnesang-Tradition dominierend relevante Liedtypus ist besonders von Gert Hübner umfassend bestimmt und als ‹allgemeines Minnelied› bezeichnet worden, vgl. ders.: Versuch über Konrad von Würzburg als Minnelyriker, in: Artibvs. Kulturwissenschaft und deutsche Philologie des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Fs. Dieter Wuttke zum 65 . Geb., hg. von Stephan Füssel, Gert Hübner und Joachim Knape, Wiesbaden 1994 , S. 63 - 94 , S. 65 , und im Besonderen S. 66 - 73 ; jüngst hat Hübner zudem noch die Benennungen «verallgemeinerte oder generalisierte Minnelieder» (G. Hübner, Minnesang, S. 137 ) für diese Liedformation vorgeschlagen. Es handelt sich bei diesem «eigenen 230 III Typeneinteilung des Natureingangs Bezeichnung der Jahreszeitenlieder aufgrund eines solchen Ausbaus der Jahreszeitenthematik vielleicht mit Recht diskutiert werden mag 137 , führt wiederum die Genre des Minnesangs» (G. Hübner, Versuch über Konrad von Würzburg als Minnelyriker, S. 65 ) um Lieder, in denen eine spezielle Liebesbeziehung zwischen einem minnebetroffenen Text-Ich und einer von ihm geliebten Frau als Einzelpersona nicht mehr realisiert ist, sondern über die Liebe in einer generellen Perspektive gesprochen wird (zum in der Forschung unter dem Schlagwort einer ‹Atrophie der Ich-Rolle› prominent gewordenen Aspekt des Wegfalls der Instanz des als liebend aufgerufenen Text-Ichs vgl. Worstbrock, Franz Josef: Lied VI des Wilden Alexander. Überlieferung, Interpretation und Literarhistorie, in: Beitr. 118 [ 1996 ], S. 183 - 204 , etwa S. 199 ). Jener Liedgruppe werden die meisten der 20 Lieder Konrads zugerechnet- - es handelt sich um die 15 Nummern (nach der Edition: Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg, hg. von Edward Schröder, 3 Bde., Bd. III: Die Klage der Kunst. Leiche, Lieder und Sprüche, Berlin 1926 [Nachdr. Berlin u. a. 1959 / 67 ]) 3 - 5 , 7 - 12 , 16 , 17 , 20 - 22 und 29 , denen fünf ‹Minnekanzonen› (s. dazu unten; Lieder 6 , 13 , 26 , 27 , 28 ) und zwei Tagelieder ( 14 , 15 ) gegenüber stehen; dabei ist die Einordnung der betreffenden Lieder als ‹Minnekanzonen› (so G. Hübner, Versuch über Konrad von Würzburg als Minnelyriker, S. 74 - 83 ) jedoch nicht unumstritten, vgl. etwa zuvor Cramer, Thomas: Minnesang in der Stadt. Überlegungen zur Lyrik Konrads von Würzburg, in: Literatur- - Publikum- - historischer Kontext, hg. von Gert Kaiser, Bern u. a. 1977 (Beiträge zur Älteren Deutschen Literaturgeschichte 1 ), S. 91 - 108 , dort S. 100 - 102 , mit dem Vorschlag einer geistlichen Lesart für Lied 6 , 27 und 28 , sowie jüngst die Ausführungen bei C. Huber, Wege aus der Liebesparadoxie, S. 94 - 97 und 101 . Als wahrscheinlichen Anknüpfungspunkt Konrads für den hier behandelten Liedtyp eines generalisierten Liebeslieds werden im Übrigen von Gert Hübner, der auch auf die potentielle Vorbildung durch Walthers L 45 , 37 und Ulrichs von Liechtenstein Lieder KLD 58 , XXIX und XXXI verwiesen hat (vgl. ders., Minnesang im 13 . Jahrhundert, S. 137 ), und Franz Josef Worstbrock besonders gewisse Tendenzen wie im Liedcorpus Gottfrieds von Neifen hervorgehoben (vgl. dafür bes. G. Hübner, Versuch über Konrad von Würzburg als Minnelyriker, S. 70 - 72 ; F. J. Worstbrock, Lied VI des Wilden Alexander, bes. S. 197 - 202 ). Worstbrock gibt in diesem Zusammenhang die durch Gottfrieds Schematismus neben der angesprochenen ‹Atrophie der Ich-Rolle› initialisierte ‹Defiktionalisierung› der Minnekanzone an, s. dazu meine kritischen Ausführungen im Folgenden. Abschließend sei hier noch eine Bemerkung zu meiner obigen Formulierung, die die didaktisierende Prägung dieser Liedgruppe bei Konrad hervorhebt, getroffen. Vor Kurzem hat nämlich Hübner ausdrücklich die Tauglichkeit des Begriffes der ‹Didaxe› für die generalisierten Liebeslieder Konrads in Zweifel gezogen, da diese «nicht auf moralische Belehrung ausgerichtet» (ders., Minnesang im 13 . Jahrhundert, S. 137 ) seien, sondern einfach nur «das Ideal der höfischen Liebe» (ebd.) feiern würden. Wenn hier also dennoch von einer didaktischen Ausagierung der Liebesthematik die Rede ist, so meint dies vor allem eine bestimmte Art und Weise der sprachlichen Realisation, nämlich das Ausgreifen von Konrads Liedern auf das Sprechregister der Spruchdichtung wie es Thomas Cramer etwa am Beispiel des gehäuft auftretenden Einsatzes von Fügungen mit generalisierenden Pronomen Pronomina und Imperativsatz dargestellt hat (vgl. ders., Minnesang in der Stadt, S. 97 ; s. dazu auch die Beispielinterpretationen unten). Mir kommt es im Folgenden also allein auf eine Sprechweise bei Konrad an, die Realisationstechniken didaktischer Textsorten für sich vereinnahmt- - wobei freilich zu fragen wäre, ob selbst diese sich textfunktional immer in moralischer Belehrung erschöpfen und nicht auch Feld eines selbstreferentiellen Spielens mit den literarischen Möglichkeiten des Genres sein können- -, nicht aber auf eine bestimmte Wirkungsabsicht der Texte. Wer jedoch auf diese zur Beimessung von didaktischer Rede besteht, müsste dann für die Lieder Konrads wohl von einer ‹pseudodidaktischen› Ausrichtung sprechen. 137 Die zentrale Bedeutung und erweiterte Ausdehnung der Jahreszeiten- und Naturthematik für die Lieder Konrads von Würzburg ist von der Forschung immer wieder betont worden, 2 Diskussion ausgewählter Parameter 231 Jahreszeitenopposition überhaupt nicht zur binnentypenmäßigen Ausdifferenzierung und damit zur Einschreibung einer funktionalen Distinktionsstelle. Vielmehr wird sie hier bezeichnenderweise für die beiden Fälle der Sommer- und Winteraktualitätsimagination argumentativ auf das dominante Ziel eines generalisierten Frauenlobs bzw. Minnepreises geführt. So heißt es etwa in Konrads Lied Schröder Nr. 3 (C 1 - 3 ), das im Natureingang die saisonale Markierung von Sommerzeit vornimmt: I. C 1 Nv git aber der sv e sse meie selde vnd ere maniger leie: blv o men rot gel vnde blanc dur das gru e ne gras vf dringent; da bi kleinú vogelú singent also fro e iderichen sanc, das dú heide erkrachet vnd der wunnekliche walt. vs dem swarzen dorne lachet wîsse blůt vil manicvalt. II . C 2 Wol dem manne der mit wibe disen svmer so vertribe das er liebes wirt gewert! hey, wie dem sin leit verswindet, wand er nach dem wunsche vindet alles des sin herze gert: reiner wibe gu e te bas dan al des meien blv o t fro e wet mannes gemv e te, wan si sint fúr truren gv o t. [I. Nun schenkt der liebliche Mai wieder vielerlei Heil und Zierde: Blumen-- rot, gelb und weiß-- so etwa zuletzt F. J. Worstbrock, Lied VI des Wilden Alexander, S. 200 , und Christoph Huber, der von der «Technik des fortgeschriebenen Natureingangs» (ders., Wege aus der Liebesparadoxie, S. 94 ) spricht, auf den hin Konrad auch die Folgethematik des Frauenpreises perspektiviere (vgl. ebd., 93 f.). Dagegen hat G. Hübner, Versuch über Konrad von Würzburg als Minnelyriker, S. 67 , Anm. 9 , vor Übertreibungen in der Einschätzung der Bedeutung des Natureingangs für Konrads Lieder gewarnt und zu bedenken gegeben, dass etwa die quantitative Ausweitung des Natureingangs über die erste Strophe hinaus auch schon vor Konrad zu bemerken ist. Gleichwohl ist diese Tendenz bei den vornehmlich dreistrophigen Liedern Konrads natürlich von ungleich entscheidenderer Relevanz, weswegen ich die Bezeichnung ‹Jahreszeitenlieder› hier zumindest für diskussionswürdig halte. Dass man deshalb auch die Begrifflichkeit von Sommer- und Winterlied sinnvollerweise zur Œuvre-Gliederung bei Konrad anwenden sollte, ist damit aber freilich nicht gesagt. Es sei hier ausdrücklich noch einmal dafür plädiert, sie als Neidhart-spezifische Termini zu gebrauchen. 232 III Typeneinteilung des Natureingangs sprießen durch das grüne Gras hervor; dazu singen kleine Vöglein ein derart freudvolles Lied, dass die Heide fast zerspringt und der herrliche Wald. Aus dem schwarzen Dorn lacht überaus zahlreiche weiße Blüte. II . Gepriesen sei der Mann, der mit einer Frau diesen Sommer so verbringt, dass er mit etwas Liebem beschenkt wird! Ach, wie dem sein Leid vergeht, weil er seinem Verlangen nach findet alles, was sein Herz begehrt: Die Güte vollkommener Frauen erfreut mehr als jede Blüte des Maies den Sinn eines Mannes, denn sie helfen gegen Traurigkeit.] Die hier vorgenommene Anbindung des in der ersten Strophe ausgestalteten, sommerlichen Natureingangs an ein generalisierendes liebesthematisches Sprechen realisiert sich also als ein Minnepreis, in dem gesagt wird, jeglicher Mann sei glücklich zu schätzen, der in dieser Sommerzeit Liebe von einer Frau erfahre (vgl. II , 1 - 3 : Wol dem manne der mit wibe / disen svmer so vertribe / das er liebes wirt gewert! 138 ), ja diesem werde sogar sein Kummer vergehen (vgl. II , 4 : hey, wie dem sin leit verswindet). Statt somit die Naturthematik auf Ich-zentrierte, liebesbezogene Aussagen zu führen, wird in diesem Lied Konrads-- wie sehr oft in dessen Œuvre-- die Einführung der Minnethematik quasi aus der Perspektive der Gesellschaftsthematik umgeprägt zu einer in spruchhaftem Gestus 139 vorgebrachten, generellen Feststellung, die eine grammatikalische Einlösung einer subjektiv-perspektivierenden Text-Ich- Position überhaupt nicht mehr realisiert. 140 Dennoch ergibt sich freilich eine mittels 138 Hervorhebungen-- auch im Folgenden-- von mir, D. E. 139 Diese spruchhafte Prägung wird in Lied Schröder Nr. 3 im Folgenden noch verstärkt, vgl. in Strophe III die Verse 1 bis 3 : Swer sin herze welle entstrichen / vs den sorgen, der sol bliken / an dú reinen gv o ten wib, dort besonders die in dieser Hinsicht charakteristische swer-der-Fügung und didaktische Ausrichtung (der sol). 140 Dass in weiten Teilen des Konrad-Œuvres wie hier im Falle von Lied Schröder Nr. 3 ein minnebetroffenes, ja sogar nur grammatikalisch repräsentiertes Ich im gesamten Lied vermieden wird, ist auch der früheren Forschung nicht entgangen (vgl. etwa T. Cramer, Minnesang in der Stadt, S. 95 ), ist aber durch Worstbrocks Aufsatz über das Lied VI des Wilden Alexander auf die wirkungsmächtige Formel einer «Atrophie der Ich-Rolle» (F. J.Worstbrock, Lied VI des Wilden Alexander, S. 199 ) gebracht worden, die bald zu einem Schlagwort für die generellen Entwicklungstendenz des Minnesangs im 13 . Jahrhundert geworden ist (dies legt ja auch Worstbrocks Darstellung schon nahe, die diesen Schwund ausdrücklich als poetologischen Prozess von Gottfried von Neifen zu Konrad verortet [vgl. ebd., S. 197 f.]). Diese Sichtweise verkennt jedoch, dass es sich bei der- - zugegebenermaßen sehr weit gehenden- - Kontami- 2 Diskussion ausgewählter Parameter 233 der Basisopposition komplementärer vs. kontrastiver Setzung näher bestimmbare Einbauweise des Natureingangs, die in der Frage der Anbindungsinstanz die Liebesthematik gesellschaftsbezogen ausagiert (s. oben den Typ A. II .a. 3 ) und so als komplementäre Relationierung von Sommereingang und generalisierter Liebesthematik beschreibbar ist (in etwa: «Es ist Sommer und wer jetzt erfüllt liebt, dem vergeht sein Leid»). Letztendlich wird diese Konstruktion, die in Form eines am Mann exemplifizierten Minnepreises realisiert ist, aber zur Hinführung auf eine allgemeine Frauenlobpassage genützt, die die in der Überleitungssetzung schon angedeutete 141 Überbietung der Sommerfreude durch die Freude und Tröstungswirkung, die von Frauengüte ausgeht, programmatisch ausformuliert: reiner wibe gu e te / bas dan al des meien blv o t / fro e wet mannes gemv e te, / wan si sint fúr truren gv o t ( II , 7 - 10 ). Ganz ähnlich dazu wird etwa in Lied Schröder Nr. 8 (C 16 - 18 ) die oppositionelle saisonale Festschreibung auf den Winter wiederum dazu genutzt, mittels generalisierender liebesthematischer Rede auf einen allgemeinen Frauenpreis hinzuleiten: I. C 16 Svmer hinnen kere! ---mit sere---sin ere ---swachen wil, heide vnd anger worden sint vil vngemeit. walt von sinem kleide---mit leide---nv scheide! ---blv o men vil siht man valwen in der liehten o v we breit. leides wunder---wil dar vnder vns besvnder---tv o n der winter ho e ne; kranc sint sine lo e ne: ---vil scho e ne---gedo e ne---stillet er. das betru e bet maniges edeln herzen ger. nierung des Minnesangs mit Gestaltungselementen des Spruchdichtungsregisters in den Liedern Konrads um einen im Gesamtkontext des Minnesangs im 13 . Jahrhundert zwar nicht singulären Fall, gleichwohl aber nur um einen Entwicklungsstrang im breiten Spektrum der Minnesang-Ausprägungen dieses Zeitraums handelt. Die Debatte um die allgemeine Entwicklungstendenz einer ‹Atrophie der Ich-Rolle› besitzt insofern einige Brisanz, als bei der weitverbreiteten Definition des Minnesangs als Ich-reflexive Liebeslyrik (eigentlich trifft diese Definition v. a. das Werbungslied als Gattungsdominante des Minnesangs! ) Teilbereiche des Minnesangs im 13 . Jahrhundert, die ein grammatikalisches Text-Ich nicht mehr zentral bzw. überhaupt nicht mehr aufweisen, in Gefahr geraten, ihre gattungsmäßige Berechtigung abgesprochen zu bekommen, vgl. etwa schon F. J. Worstbrock, Lied VI des Wilden Alexander, S. 202 : «Mit Konrads Liedtypus, seiner vorherrschenden Eliminierung des von sich sprechenden Ich und so auch der vrouwe, seiner nur mehr infiniten Rede, ist der Minnesang ohne Zweifel an eine Grenze gekommen, seine Gattungsidentität in Frage gestellt.» (Hervorhebung von mir, D. E.). M. E. ist es fraglich, ob solche weitreichenden Festlegungen für das adäquate Verständnis dieser Texte wirklich weiterhelfen, drohen sie doch in der Konsequenz als eine allgemeine Diagnose zum Argument einer pauschalen Abwertung des späthöfischen Minnesangs gegenüber dem der früh- und hochhöfischen Phase zu werden. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass es sich bei der generellen Sprechweise nur um eine mögliche Spielart der lyrischen Realisation des Themas Liebe unter anderen handelt und sie das traditionelle Register des Werbungsliedes somit ergänzt, nicht aber ablöst. 141 Dort wird ja betont, dass der Sommer für die Männer, die Liebe erfahren, eine Glückszeit ist, s. o. Die potenzielle Freudenhaltigkeit der neuen Jahreszeit ergibt sich also eher durch den Bereich der persönlichen Liebeserfahrung als durch den saisonalen Ablauf selbst! 234 III Typeneinteilung des Natureingangs II . C 17 Swer nv fro belibe---von wibe,---der tribe---truren hin, vnde prise frowen fúr des meien blůt! wib sint ane lo v gen---den o v gen---vil to v gen---ein gewin, der vil bas danne alle blv o men drinne tůt. wiblich trúten---kan betúten liep den lúten---fúr der vogel schallen. wib sint ane gallen: ---vns allen enpfallen---sorge mv o s dvrh der minneklichen reinen wibe grůs. [I. Der Sommer kehre sich von hier fort! Mit Betrübnis ist seine Zierde im Begriff schwächer zu werden, Heide und Anger sind sehr unfroh geworden. Der Wald trenne sich nun schmerzvoll von seinem Kleid! Viele Blumen sieht man verwelken in der hellen, weiten Aue. Eine Unzahl von Schmerz will gleichwohl uns vor allem der böse Winter bereiten; schlecht sind seine Belohnungen: überaus schöne Melodie bringt er zum Schweigen. Das lässt das Begehren von vielen vortrefflichen Herzen trübe werden. II . Jeder, der jetzt froh bleibe von einer Frau, der treibe die Traurigkeit fort, und preise Damen statt der Maiblüte! Frauen sind fürwahr den Augen-- ganz im Verborgenen-- ein Gewinn, der dort innen viel mehr wohltut als alle Blumen. Liebkosen nach Frauenart kann den Menschen Angenehmes mitteilen ganz wie der Vögel Singen. Frauen sind ohne Bitternis: uns allen muss die Sorge verloren gehen durch den Gruß der liebreizenden, vollkommenen Frauen.] Dabei wird interessanterweise am Ende des Natureingangs zunächst suggeriert, es erfolge eine komplementäre Anbindung der Gesellschaftsthematik an den Wintereingang, wenn es bezüglich der Untaten des einziehenden Winters heißt: das betru e bet - maniges edeln herzen ger (I, 8 ). Im weiteren Liedverlauf erweist sich dies jedoch als Finte, wird doch-- ganz ähnlich der Verfahrensweise des zuvor vorgestellten Liedes Schröder Nr. 3 mit einem Sommereingang-- wiederum in der Realisationsform genereller liebesthematischer Rede angegeben, dass der, der nun (erg.: im Winter) durch eine Frau glücklich bleiben könne, seine Traurigkeit aufgeben solle (vgl. II , 1 : Swer nv fro belibe- - -von wibe,- - -der tribe- - -truren hin). 142 Dadurch 142 Dabei ist die Überleitungspassage von Lied Schröder Nr. 8 jedoch nicht deckungsgleich mit der von Lied 3 realisiert. Sie ist z. B. durch die Aufforderung von Vers II, 1 f., derjenige, der durch Frauen auch im Winter glücklich bleibe, solle Damen statt der Maiblüte rühmen, und den quasi als suggestive Einlösung nachfolgenden allgemeinen Frauenpreis (II, 3 ff.), auch als ganz verdeckter Kontrastiveinbau bezüglich der Gefühlslage der Sprecherinstanz denkbar, selbst wenn diese erst in Vers III, 1 tatsächlich grammatikalisch konkretisiert aufblitzt (Ich wil minne grv e ssen…). Denn wenn die- - grammatikalisch also zunächst noch nicht als Text-Ich offenbar werdende-- Sprecherinstanz ein Frauenlob realisiert, so wird man im Rückblick über 2 Diskussion ausgewählter Parameter 235 ist die bereits von Anfang an dezidiert didaktisierend dargebotene 143 , allgemeine Liebesthematik im Endeffekt kontrastiv gegen den Winter und das von ihm hervorgerufene Leid gesetzt, wird hier doch auf die im Gegensatz zu ihm bestehende, potenzielle Freudenhaltigkeit des ‹Konzepts Frau› abgehoben, die das saisonale Unglück Winter im persönlichen Erfahrungsbereich des Einzelnen aufzulösen weiß. So wird der Wintereingang in letzter Konsequenz bezeichnenderweise genauso wie der Sommereingang auf ein allgemeines Frauenlob hingeführt, das die Beglückungswirkung, die von Frauen ausgeht, als Substitution (oder gar Übertreffung) der durch den Sommer und seine Naturerscheinung verursachten Freude preist. Dies deutet sich etwa schon an in der auf einer basalen Verständnisebene immer noch auf die Männer, die von Frauen auch im Winter fortdauerndes Glück erfahren, bezogenen Aufforderung, statt der- - nun fehlenden- - Blüte des Maies die Damen zu loben (vgl. das vnde prise frowen fúr des meien blůt [ II , 2 ]), wird aber im nachstehenden, tatsächlich realisierten Frauenpreis noch stärker ausagiert (vgl. etwa II , 3 f.: wib sint ane lo v gen---den o v gen---vil to v gen ein gewin, / der vil bas danne alle blv o men drinne tůt). Somit führt also selbst da, wo die Jahreszeiten- und Naturthematik in der Minnesangtradition im Liedzusammenhang derart an Bedeutung zunimmt, dass man durchaus von ‹Jahreszeitenliedern› sprechen könnte, die Jahreszeitenopposition nicht zur subtypenmäßigen Ausdifferenzierung, ja sie kann bei Konrad sogar auf ein gemeinsames Ziel hin ausgerichtet sein - wie im Falle der generalisierten Liebeslieder nämlich primär auf die Hinführung auf das allgemeine Minne- oder Frauenlob. Wenn nun hier das Konzept von der Beglückungswirkung der Frau-- in absetzender Profilierung an der Jahreszeiten- und Naturthematik des Natureingangs- - sich geradezu als a-saisonal gültig, ja dem jahreszeitlichen Einfluss auf die Gefühlslage des Einzelnen zeitlos überlegen geriert, muss die im Natureingang festgeschriebene Jahreszeitenbinarität-- wie im gesamten Bereich des Minnesangs außerhalb der Neidhart-Tradition auch-- die auf die inhaltliche Ausgestaltung beschränkte Differenz bleiben und wird daher nicht funktional divergierend besetzt. Da sich dies so darstellt, kommt auch die Jahreszeitenopposition für eine übergreifende Typologie des Natureingangs im Minnesang, die sich am Aspekt der Einbauweise des Topos ausrichtet, nicht als eigenes typenspezifizierendes Kriterium in Frage, auch wenn im Einzelfall die Realisation der Basisopposition kontrastiver vs. komplementärer Einbauweise ohne den inhaltlichen Bezug zur jeweils zuvor aufgerufenen saisonalen Markierung nicht zu denken ist. die generalisierte Forderung, der, der im Winter froh sei, solle die Frauen rühmen, dahingehend konzeptualisieren, dass es sich bei jener Instanz dem entsprechend verhalte. Damit stünde-- freilich durch komplizierte interpretative Herstellung-- die positive Stimmungslage eines liebenden Ichs dem Winterleid kontrastiv gegenüber. 143 Vgl. in dieser Hinsicht wiederum die swer-der-Konstruktion und den jussivischen Konjunktiv tribe in Vers II, 1 . 236 III Typeneinteilung des Natureingangs b) Folgethematik i Überlieferungsgeschichtliche Problemstellungen: Von Stadegge, KLD 54 , II und Heinrich von Veldeke, Strophenfolge C 39 - 43 Bereits in den grundsätzlichen Vorüberlegungen zu dem hier vorgestellten typologischen Entwurf ist deutlich geworden, dass die dominante Verknüpfungsweise des Natureingangs mit der Stimmungslage des liebenden Ichs selbst oftmals dort Relevanz beanspruchen kann, wo sie auf der Argumentationsebene des Textes gar nicht realisiert ist, dann nämlich als kontextuell nahegelegtes und so konnotativ präsentes Interpretationsmuster im Deutungsvorgang durch den Rezipienten. Ferner ist dies als eine Bestätigung der Einschätzung aufgefasst worden, das Kriterium der argumentativen Einbauweise des Natureingangs in den disparaten thematischen Kontext des Liedganzen als die entscheidende Distinktionskategorie des zu entwickelnden Typenschemas zu wählen, da in ihr die Unterschiede in der funktionalen Schaltung des Topos im Rahmen des Liedzusammenhangs gleichsam verdichtet vorliegen. Allerdings ist für die hier vorgestellte Typologie des Natureingangs noch rein formal als das erste distributorische Typenkriterium die Frage zugrunde zu legen, ob im jeweiligen Einzellied überhaupt eine explizit ausformulierte argumentative Vermittlung von Natureingang und Folgethematik realisiert ist. Liegt sie vor, kann der betreffende Fall der Typenkategorie A.) zugeordnet werden, und ist eine solche Realisierung nicht auszumachen, dem Typ B.). 144 Letzterer Kategorie ist somit schon einmal die Gruppe der Lieder zuzuweisen, die wie das oben vorgestellte Lied KLD 59 , V Ulrichs von Winterstetten einen Natureingang zur Liederöffnung nutzen, ihn aber blockhaft und ohne argumentative Verbindung der Folgethematik des weiteren Liedkontextes (hier: Ich-zentrierte Liebesthematik) vorschalten. Desweiteren muss in diesem Zusammenhang aber nochmals die Frage aufgeworfen werden, wie dabei mit jenen Liedern und Einzelstrophen umzugehen ist, die inhaltlich in ihrem gesamten Verlauf allein auf die Natur- und Jahreszeitenthematik beschränkt bleiben, so dass gleichermaßen eine argumentative Anbindung an eine andersgelagerte Folgethematik fehlt (sog. Jahreszeitenlieder bzw. -strophen 145 ). Im Rahmen 144 S. dazu das Schaubild I, oben Kap. III. 1 . 145 Wenn dieser Begriff oben zusätzlich für die Lieder Konrads von Würzburg vorgeschlagen worden ist, so mag dies insofern zu terminologischen Unschärfen führen, als diese freilich eine folgethematische Anwendung des Natureingangs durchaus aufweisen. Allerdings bleibt in ihnen die Natur- und Jahreszeitenthematik oft durch das ganze Lied mehr oder wenig präsent, etwa durch Wiederaufgreifen der Naturthematik in den Folgestrophen oder Refrainbildungen, die die saisonale Naturthematik und die allgemeine Liebesthematik eng aneinanderbinden, so dass es wiederum nicht unpassend wäre, die Bezeichnung in einem weiteren Sinne auf solche Lieder zu übertragen. Schließlich stellen sie in ihrer spezifischen Ausprägung einer für das Liedganze durchgängig präsenten Amalgamierung von Naturbzw. Jahreszeitenthematik und genereller Rede über die Liebe gewissermaßen eine erst spät typologisch relevant werdende Größe dar, auch wenn ihre charakteristische Formung durchaus aus gewissen, in der Minnesangtradition schon zuvor beobachtbaren Tendenzen im poetischen Umgang mit dem Natureingang ableiten lässt (wie die Fortspinnung der Naturthematik über den Bereich 2 Diskussion ausgewählter Parameter 237 des hier vorgelegten Typenschemas müssten ja solche Lieder- und Einzelstrophen 146 folglich ebenso für die Typenkategorie B.) veranschlagt werden. Jedoch wäre dies zunächst mit recht problematischen Vorannahmen verbunden, sind doch derartige Lieder und Einzelstrophen vom generellen Verdacht einer nur fragmentarisch überlieferten Form nie gänzlich unbetroffen-- ja bisweilen werden solche Überlegungen genau durch die Überlieferung selbst suggeriert; allerdings ist der tatsächliche Status der Texte als Fragment dabei meist gerade nicht gesichert zu erweisen. 147 Wenn des Eingangstopik hinaus). Im Übrigen zeigt sich die im Folgenden erörterte Problematik, inwiefern bei Fällen, in denen die Natur- und Jahreszeitenrede nicht mehr wirklich zugunsten einer dominierenden Folgethematik verlassen wird, tatsächlich überhaupt von einem Natureingang im Wortsinne gesprochen werden darf, bei den Liedern Konrads in ähnlicher Weise wie bei den reinen Jahreszeitenliedern und -strophen, obwohl m. E. durch das alleinige Vorhandensein einer-- wenn auch punktuellen-- argumentativ ausformulierten Anwendung der eröffnenden Naturbzw. Jahreszeitentopik auf eine Sphäre des allgemeinen liebesthematischen Sprechens letztlich dennoch ein gewisser Impuls für die Wahrnehmung der Anfangspartie im Sinne eines Natureingangs gesetzt wird. 146 Freilich sind die Beispiele für solche monothematischen Jahreszeitenlieder und -strophen- - lässt man die statual in besonderem Maße unsicheren mhd. Ergänzungsstrophen in der Liebesliedersammlung des Codex Buranus einmal beiseite-- im Gesamtzusammenhang der Minnesangtradition verschwindend gering; neben den im Folgenden näher diskutierten Beispielen und Walthers L 39 , 1 (neben der M-Fassung noch am ehesten in der Version BC; vgl. dazu Bein, Thomas: Uns hât der winter geschadet über al [Walther L. 39 , 1 , Cormeau 15 ]: Über Textfassungen, Textgenesen und literaturwissenschaftliche Konsequenzen, in: Magister et amicus. Fs. Kurt Gärtner zum 65 . Geb., hg. von Václav Bok und Frank Shaw, Wien 2003 , S. 579 - 599 , hier S. 586 f., der jedoch aufgrund metrischer Realisationsspezifika m. E. zu weitgehende Aussagen über eine mutmaßliche Priorität der Fassung BC trifft [vgl. bes. ebd., S. 594 - 599 ]) sind mir ferner etwa noch die Einzelstrophe 2 p (KLD 38 , Namenlos: p, ohne Nr.) auf fol. 234 r der Berner Sammelhandschrift Burgerbibliothek, Cod. 260 (Abb. in MFMT II, S. 163 ; vgl. zudem die Beschreibung in Holznagel, Franz-Josef: Wege in die Schriftlichkeit. Untersuchungen und Materialien zur Überlieferung der mittelhochdeutschen Lyrik, Tübingen u. a. 1995 [Bibliotheca Germanica 32 ], S. 325 f.) und das erkennbar fragmentarisch überlieferte sog. ‹Magdeburger Frühlingslied› (KLD 38 , Namenlos: Mb; überliefert in: Berlin, Staatsbibliothek-- Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ quart. 981 ), das freilich durch seinen Spaziergangseingang deutlich aus dem Kernbereich der hier betrachteten Topik herausführt (vgl. I, 1 f.: Ich sezte minen vuz / an des summers kle), bekannt; die von T. Bein, Jahreszeiten, S. 221 f., für diesen Typus noch vorgeschlagenen Beispiele Hug von Werbenwag, KLD 27 , IV und V scheinen mir dagegen nicht in diese Reihe zu gehören (s. dazu meine Auseinandersetzung mit den Liedern unten). Dieser doch eher bescheidene Befund macht es im Grunde wenig plausibel, dass die reinen Jahreszeitenlieder und -strophen als poetologisch relevanter Typus für die Abfassung des Minnesangs große Bedeutung beanspruchen können. Gleichwohl zeigt aber die Tatsache, dass mit Heinrichs von Veldeke Strophe MF 66 , 1 und Lied KLD 54 , II des Von Stadegge Beispiele (s. u.) für das Vorliegen solcher mutmaßlicher Lieder bzw. Strophen in der Frühals auch der Spätphase der Minnesangtradition existieren, dass es durchaus gerechtfertigt ist, die Fälle nicht sofort als von Überlieferungsverlusten verursachte Fragmentbestände festzuschreiben, um die Probleme, die sie bei einer phänomenologischen Systematisierungsbemühung bereiten, zu umgehen. 147 Etwa durch Markierung betreffender Lieder als vom Schreiber als unvollständig eingeschätzt mittels Freilassung von Raum im Anschluss der verzeichneten Strophen; so z. B. im Falle des zweistrophigen Liedes KLD 54 , II: Wol her, kint, ir helfet singen! des Von Stadegge im unikalen Überlieferungsträger C, wo in Spalte 258 ra nach dem Eintrag der beiden als Natur- 238 III Typeneinteilung des Natureingangs man nun also die Aufnahme solcher Lieder bzw. Strophen, die für sich genommen die vorangestellte Minimaldefinition des Natureingangs für den deutschen Minnesang ja durchaus erfüllen, als spezielle Ausformung des Topos ins Typenspektrum des Natureingangs befürwortet, ist dies in zweierlei Hinsicht schwer zu begründen. Denn einerseits impliziert man damit, dass diese Texte produktionsästhetisch anders intendiert und gestaltet gewesen sind, als sie uns durch die Überlieferung als letztlich unhintergehbare Instanz mitgeteilt werden, andererseits ist es wiederum problematisch, dass man dann im Typenschema eine typologische Variante konstruiert, bei der zu fragen ist, ob sie ihre Existenz rein Akzidenzien der Rezeptionsgeschichte verdankt. Schließlich erscheint es schon als problematisch, in diesem Zusammenhang einen produktionsästhetisch ausgerichteten Ansatz in ein insgesamt doch rein formal-deskriptiv arbeitendes Ordnungsschema als Ausnahmebereich quasi ‹durch die Hintertür› wieder einzuführen. Dies hat nun zur Folge, dass die betreffenden Lieder bzw. Einzelstrophen zwar als mögliche Fragmente gedacht werden können, phänomenologisch aber nicht so behandelt werden dürfen. Darüber hinaus stellt aber noch dringlicher die Frage, inwiefern Lieder und Einzelstrophen, die thematisch durchgängig bei der Natur- und Jahreszeitenrepräsentation verweilen, noch als ein Natureingang im eigentlichen Sinne klassifiziert werden können, impliziert doch der Terminus die thematische Disparität der Liederöffnung bezüglich des Folgenden. Damit wäre der oben vorgestellten Minimaldefinition des Natureingangs, die zur besseren Abgrenzung von anderen Erscheinungsformen der Natur- und Jahreszeitenrepräsentation zunächst besonders die Ebene der Binnengestaltung des Topos ausgelotet hatte, noch eine weitere conditio sine qua non hinzuzufügen, nämlich die Existenz eines disparaten thematischen Komplexes im weiteren Liedbzw. Strophenzusammenhang (die ‹Folgethematik›). Insofern wäre ein Lied wie etwa KLD 54 , II des Von Stadegge, das allein in einer zweistrophigen Fassung durch C überliefert ist, trotz gegenteiliger Markierung in der handschriftlichen Präsentation, phänomenologisch nicht als fragmentarischer Natureingang eines ursprünglich umfangreicher existenten Liedes zu behandeln, sondern als Jahreszeitenlied zu klassifizieren, das in seiner strikten, auf Natur- und Jahreszeitenthematik begrenzten Ausprägung nicht in den engeren Bereich des Natureingangstopos und somit auch nicht in seine typologische Aufgliederung mit eingangsstrophen deutbaren Strophen C 5 und 6 , die jedoch selbst keine Anknüpfung an eine thematisch disparate Folgethematik enthalten, der Platz für eine weitere Strophe freigelassen ist, bevor das durch Farbwechsel der Initiale als neuer Ton ausgewiesene Lied III beginnt. Allerdings ist zu betonen, dass eine solche Behandlung des Liedes in der handschriftlichen Fixierung nur gesicherten Aufschluss über die Einschätzung der Strophen durch den Redaktor zulässt, nicht aber über deren ‹tatsächlichen› Status als Fragment, der bei unikaler Überlieferung letztlich nicht bewiesen werden kann. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 239 hineingehört. Betrachten wir zur Veranschaulichung Lied KLD 54 , II noch einmal genauer; es lautet 148 : I. C 5 Wol her, kint, ir helfent singen, loben des sv e ssen meien werdekeit! sine kraft siht man vf dringen gegen der sunnen dur die bo v me breit. alle wol gemv o ten leien die gesâhen einen meien nie mit richer varwe bas bekleit. II. C 6 Wol den kleinen vogellinen, wol der heide, wol den liehten tagen! die svln vns zefro e iden schinen: man siht blv o men vf der heide wagen, rosen hant niht grôsser no e te, si stant in ir besten ro e te, als es gru e nem hage sol behagen. [I. Auf hierher, junge Leute, helft ihr zu singen, zu rühmen die Herrlichkeit des süßen Maies! Seine Gewalt sieht man emporwachsen der Sonne entgegen durch die ausladenden Bäume hindurch. Alle fröhlichen Laien sahen einen Mai niemals mit prächtiger Farbe besser eingekleidet. II . Gepriesen seien die kleinen Vögelchen, gepriesen die Heide, gepriesen die hellen Tage! Die sollen uns zur Freude strahlen: Man sieht Blumen auf der Heide sich wiegen, die Rosen haben keine große Mühe 149 , sie stehen in ihrem besten Rot, wie es dem grünen Gebüsch gefallen muss.] Augenfällig ist zunächst, dass die zwei Strophen von Lied KLD 54 , II alle in Punkt II. auf die Binnengestaltung des Topos bezogenen Minimalkriterien durchaus in para- 148 Hervorhebungen im Text von mir, D. E. für einen Textabdruck des Liedes mit Übers. und Komm. vgl. auch: Die steirischen Minnesänger. Edition, Übers., Komm., hg. von Wernfried Hofmeister, Göppingen 1987 (GAG 472 ), S. 68 - 72 . 149 Der partitive Genitiv niht grôsser no e te im mhd. Ausgangstext wird hier im Sinne einer geglätteten Übertragung aufgelöst. Die Konjektur frostes nœte (II, 5 ) in KLD scheint mir übrigens-- gerade auch in ihrer Begründung-- zu den besonders heiklen Setzungen der Edition zu gehören: «Daß die Rosen im Sommer niht grôzer nœte haben, ist zu platt, um dem Dichter zugetraut zu werden; ich meine grosser ist für vrostes verschrieben» (KLD II, S. 509 ). 240 III Typeneinteilung des Natureingangs digmatischer Weise erfüllen: Es erfolgt zum einen in Vers I, 2 die Markierung der als aktuell imaginierten Jahreszeit durch die Nennung des Monatsnamens meie, die zudem in den Versen I, 5 - 7 im Kontext der Aussage, alle wohlgestimmten Laien hätten noch nie einen schöner gekleideten Mai gesehen (I, 6 ), noch einmal wiederholt und mit der Aura der Exzeptionalität versehen wird. Zum anderen werden-- verstärkt dann in der zweiten Strophe 150 -- mehrere Naturdetails aufgeführt, die entweder explizit auf ihre Saisonalitätsindizierung hin charakterisiert sind (so die liehten tage [ II , 2 ], die mit Blumen versehene Heide bei ihrer 2 . Nennung [ II , 4 ], die Rosenblüten mit ihrer ro e te [ II , 5 f.], der gru e ne hage [ II , 7 ] 151 ), oder aber durch den Einbau in den Lobpreis selbst in ihrer verkürzten Form einen Imaginationssog von Jahreszeitenanzeige erzeugen (so die kleinen Vögelchen und die Heide in II , 1 f.). Ebenso deutlich ist bei einer ersten Durchsicht des Liedes, dass in den zwei vorliegenden Strophen keine grammatikalische Realisierung einer Ich-Position erfolgt, was- - wie bereits angemerkt- - für das registrale Sprechen im Bereich des Natureingangs nicht untypisch ist, obwohl es durchaus immer wieder Partien des Ich-Sprechens bereits im aber tendenziell doch objektiv-berichtend gesetzten Topos gibt. Schließlich erzeugt ja auch das Vorhandensein eines gleich zu Beginn des Liedes angesprochenen text- 150 Freilich erfolgt auch schon in der ersten Strophe die Aufführung eines der Natur ablesbaren saisonalen Vorgangs, nämlich in dem durch seine relativ ungewöhnliche Formulierung etwas rätselhaften Bild der Verse I, 3 f., die angeben, die Macht des Maies wachse durch die Bäume hindurch der Sonne entgegen empor (die Übersetzung «aus den mächtigen Bäumen» [W. Hofmeister, Die steirischen Minnesänger, S. 70 ] leuchtet mir nicht recht ein). Kraus bringt in seinem KLD-Kommentar zu dieser Stelle die mögliche intertextuelle Verbindung zu Walthers Lied L 45 , 37 bei (vgl. KLD II, S. 508 ), in dem es anfangs von den an einem Maientag des Morgens sprießenden Blumen heißt: Sô die bluomen ûz dem grase dringen / sam si lachen gegen der spilden sunnen (B I, 1 f.), was m. E. durchaus zur klärenden Deutung der Formulierung von KLD 54 , II hilfreich ist. Mit der Metapher von der Macht des Maies wären demnach wohl zunächst die Blumen gemeint (dafür spricht im Übrigen auch die Benutzung des im Natureingang recht häufig für die Blumen benutzten Verbs vf dringen, s. etwa oben Gottfrieds KLD 15 , V, Vers I, 3 ), die der Sonne entgegensprießen-- quasi durch die Lücken in den Baumkronen hindurch. Damit belegt die Stelle durch die Außergewöhnlichkeit in der Fügung (das Emorstreben durch die Bäume! ) durchaus eine eigenständige, kunstvolle Weiterentwicklung des Bildes aus dem Walther-Lied, die nahelegt, dass es gerade in den von der Forschung so vernachlässigten Klein- und Kleinstœuvres im Minnesang des 13 . Jahrhunderts noch viele lohnenswerte Entdeckungen zu machen gibt, die sich eben oft erst bei der genauen Analyse zeigen. Dies gilt freilich selbst da, wo die Lieder auf den ersten Blick einen vordergründig ‹anspruchslosen› Eindruck machen, wie es im vorliegenden Fall z. B. die Einordnung von KLD 54 , II als «Tanzlied» (KLD II, S. 508 ) oder das Urteil Hofmeisters («Dieses unbeschwerte Frühlingslied bedarf kaum einer näheren Kommentierung» [ders., Die steirischen Minnesänger, S. 70 ]) suggeriert. Diese muss allerdings schon vor dem Hintergrund der auffallenden rhetorischen Stilisiertheit der Strophen irritieren (vgl. etwa die Aneinanderbindung der Strophen durch den Strophenbeginn wol in I, 1 / II, 1 , der durch die dreifache Setzung der wol-Exclamatio in Vv. II, 1 f. noch zusätzlich zur Vers- und Satzteilanapher ausgebaut ist, oder das Worstpiel in II, 7 : als es gru e nem hage sol behagen [Hervorhebung von mir, D. E.]. 151 Hervorhebungen von mir, D. E. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 241 internen Publikumsentwurf von jungen Leuten 152 , mittels dessen sich die Sprecherinstanz gleichsam als (pseudo-)dialogisches Gegenüber extrapoliert, und der von ihr an diese Zuhörerschaft gerichteten Bitte um Hilfe beim Singen des Jahreszeitenlobs (vgl. I, 1 f.) durchaus die Imagination einer prinzipiell jederzeit auch grammatikalisch als Ich-Position durchbrechenden Sänger-Rolle, die dann wiederum ein vorzüglicher Anknüpfungpunkt einer subjektiv-reflektierend ausgerichteten Folgethematik dienen könnte. Eingelöst wird dieses Potenzial von den zwei vorliegenden Strophen allerdings nicht. Freilich liegt gleichwohl eine Deutung des zweistrophigen Gebildes als ein subjektive Potenzen zwar andeutender, dennoch aber objektiv gesetzter Natureingang aus einem ehemals umfangreicheren Lied, das darauf folgend etwa die Ich-zentrierte Liebesthematik realisiert, im Grunde gar nicht so fern, was Kraus in seinem KLD -Kommentar wie folgt ausdrückt: «Daß eine Strophe fehlt, die wohl die Wendung zum Persönlichen enthielt, hat Burdach ansprechend vermutet». 153 Andererseits ist zu betonen, dass der vom Redaktor der Handschrift C nach dem 152 M. E. ist es durchaus fraglich, inwiefern die in Vers I, 1 angesprochenen kint tatsächlich als Gruppe junger Mädchen geschlechtlich eindeutig festgelegt werden müssen, wie es Konrad Burdach vorschlägt (vgl. ders., Art. «Stadegge», in: ADB 35 [ 1893 ], S. 356 - 358 , hier S. 356 ). Zwar ist ein solches Verständnis der kint auch in der Neidhart-Philologie breit anerkannt, gleichwohl aber- - gerade in Fällen, wo offensichtlich nicht auf eine Geschlechtszuordnung der Gruppe abgehoben wird-- dennoch nicht unproblematisch; vgl. z. B. in der dritten Strophe von SL 27 : Liebiu chint, nu vreut iuch des gedingen, / daz got mit siner gu e te mange swære chan geringen! (SNE I: R 8 , III, 1 f.), das etwa Beyschlag mit «Freut euch der Zuversicht nun, liebe Mädchen, / daß Gott mit seiner Güte alle Schwernis kann verringern» (S. Beyschlag [Hg.], Die Lieder Neidharts, S. 91 ; Hervorhebungen, wie auch im Folgenden, von mir, D. E.) übersetzt. Treffender und von der Überbetonung romantisierender Vorstellungen vom naturhaft-idyllischen Mädchenreigen befreit ist dagegen m. E. die Übertragung der Passage in: Gedichte von den Anfängen bis 1300 . Nach den Handschriften in zeitlicher Folge hg. von Werner Höver und Eva Willms, München 2001 (Repr. von «Epochen der deuschen Lyrik», Bd. I, München 1978 / Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart 1) , die im Falle der Neidhart-Lieder generell um eine geschlechtsneutrale Übersetzung von kint bemüht ist (vgl. ebd., S. 141 - 158 ); dort heißt es: «Ihr lieben jungen Leute, nun freut euch in der Hoffnung, daß Gott in seiner Güte manche Bürde leichter machen kann! » (ebd., S. 144 ). Zum aus der mlat. Liebeslyrik bekannten Motivkomplex des Frühlings als der Zeit der Jugend bzw. des Wiederjungwerdens schlechthin, der dem Sommereingang des deutschen Minnesangs ab Neidhart verstärkt als Konnotationsrahmen dient und dem schließlich auch das Wortfeld um kint zuzuordnen ist (vgl. etwa aus Neidharts SL 17 : die alten / suln sin desder kinder [SNE I: R 50 , III, 9 f.]), s. unten, Punkt ii. 153 KLD II, S. 508 . Vgl. dazu auch die entsprechende Stelle bei Burdach, wo es heißt: «Eine dritte Strophe sollte wol [sic! ] folgen und die Wendung zum Persönlichen enthalten» (ders., Art. «Stadegge», S. 357 ). Die Formulierung suggeriert jedoch m. E., dass Burdach wohl nicht wie von Kraus das Fehlen einer Strophe als möglichen Überlieferungsverlust deutet (was die Annahme einer vormals präexistenten dritten Strophe impliziert), sondern eher produktionsästhetisch auf die Autorebene bezieht (Vermutung einer vom Autor aus unbekannten Gründen nicht mehr verfertigten Schlussstrophe, die aber von ihm konzeptionell vorgesehen war). Davon unbenommen bleibt aber, dass bei beiden die Vorstellung eines ursprünglich dreistrophig konzeptionierten Liedes, bei dem die dritte Strophe die Konfrontation des saisonalen Naturgeschehens mit einer Ich-Perspektive enthalten hätte, die Auffassung der beiden Strophen als Natureingang und damit als fragmentarischer Bestand wiederum rückwirkend plausibilisiert. 242 III Typeneinteilung des Natureingangs zweistrophigen Eintrag freigelassene Raum für eine folgende Strophe letztlich keine weiteren belastbaren Rückschlüsse zulässt, als dass sich dieser eben der Einschätzung des Schreibers bei der Einrichtung der Strophen in C-- also einem bestimmten späteren Stadium im Rezeptionsprozesses-- verdankt, dass hier eigentlich noch eine weitere Strophe zu folgen habe; über die historische Genese des Liedes und frühere Rezeptionsphasen lassen sich solche Aussagen allerdings nicht gesichert zu machen. So ist zudem darauf hinzuweisen, dass aus dem überlieferten Strophenbestand eine ästhetisch zwingende Fortführung der beiden Strophen-- etwa im Sinne einer Hinleitung auf die Ich-zentrierte Liebesthematik-- auch letztlich gar nicht sicher abgeleitet werden kann. 154 Denn schließlich wäre-- quasi gegenteilig zur poetologischen Argumentation, der mutmaßliche Natureingang von Lied II verlange gleichsam nach einer Anwendung auf den Bereich des ‹Persönlichen›, die nur nicht überliefert sei-- es ebenso möglich, das zweistrophige Lied als etwa im Kontext eines Experimentierens mit Verfahren der Vermeidung einer grammatikalisch präsenten Ich-Instanz (‹Atrophie der Ich-Rolle›) 155 oder in Richtung gewisser Textphänomene wie bei den mittelhochdeutschen Einsprengseln der Carmina Burana 156 zu verorten und so als ein auf die saisonale Naturthematik beschränktes Jahreszeitenlied zu plausibilisieren. Freilich wären solche Annahmen jedoch nicht minder spekulativ als die Auffassung, bei den zwei Strophen von Lied II handele es sich um einen nurmehr als Rumpf eines ehemals umfangreicheren Liedes vorliegenden Natureingang. Insofern scheint es angebracht, doch auf einer anderen als der produktionsästhetischen Ebene zu argumentieren: Denn weil also weder die Hinweise aus dem Überlieferungsbild noch die Argumente aus dem Kontext der Minnesangtradition im Sinne einer poetologischen Plausibilität zu einer belastbaren Einschätzung der zwei Strophen als tatsächlicher Natureingang eines ursprünglich umfangreicheren Liedes führen können, müssen diese letztlich doch typologisch als für sich allein stehend gewertet werden und damit als phänomenologisch vollständiges Lied. Dadurch sind die Strophen aber nicht mehr im Bereich des Natureingangs-Topos anzusiedeln, da dies implizieren würde, es existiere eine andersthematische Folgepartie; sie sind hingegen zur Vermeidung systematischer Verwischungen dem-- freilich in historischer Hinsicht wiederum nicht klar zu konturienden-- Typus des monothematischen Jahreszeitenliedes zuzuweisen. Freilich argumentiert von Kraus an dieser Stelle recht zurückhaltend, wenn er die Annahme Burdachs lediglich als ‹ansprechende Vermutung› anführt. 154 Vgl. ähnlich W. Hofmeister, Die steirischen Minnesänger, S. 70 : «Ob aber die Überlieferung tatsächlich fragmentarisch ist, oder ob dies nur der Schreiber von C wegen des seltenen Auftretens 2 -strophiger Töne vermutete, muss Spekulation bleiben. Inhaltlich unbedingt notwendig scheint mir eine dritte Strophe nicht zu sein». 155 S. dazu die Angaben in Anm. 140 oben. 156 Hier kann eine liebesthematische Ausdeutung des Natureingangs u. U. fehlen, vgl. etwa CB 135 a: Der starche winder hat uns uerlan, / div sumerçit ist schone getan; / walt und heide sih ich nu an, / lo v p vnde blůmen, chle wolgetan: / dauon mag uns fro v de nimmer mer zergan (zitiert nach: B. K. Vollmann, Carmina Burana, S. 476 ). 2 Diskussion ausgewählter Parameter 243 Gleichermaßen existiert auch der umgekehrte Fall, nämlich dass durch die Herstellung unserer modernen Ausgaben ein potenzieller ‹Natureingang› bisweilen aus einem in der Überlieferung präsentierten Strophenverbund herausgelöst wird und uns so als formal isolierte Jahreszeitenstrophe gegenübertritt, obwohl sie auf der Ebene der handschriftlichen Einrichtung als Bestandteil einer Liedformation zugeordnet ist. Dies ist in MFMT etwa bei Heinrichs von Veldeke unter Ton XI , XXIV als Einzelstrophe verzeichneter Strophe MF 66 , 1 : Der schoene sumer gêt uns an der Fall, die hier zunächst in dieser Editionsfassung zitiert sei: MF 66,1 BC 39 Der schoene sumer gêt uns an, des ist vil manic vogel blîde, wan si vröwent sich ze strîte die schoenen zît vil wol enpfân. Jârlanc ist rehte, daz der har winke dem vil süezen winde. ich bin worden gewar niuwes loubes an der linde. [Der schöne Sommer kommt zu uns her, daher sind sehr viele Vögel heiter, denn sie erfreuen sich im Wettstreit daran, die schöne Jahreszeit sehr gut zu empfangen. Zu dieser Jahreszeit ist es richtig, dass der scharfe Wind dem ganz milden Wind weiche 157 . Bemerkt habe ich neues Laub an der Linde.] Für sich genommen scheint die Strophe MF 66 , 1 , die in den Handschriften B und C an 39 . Stelle im Autorcorpus Heinrichs von Veldeke überliefert ist, relativ eindeutig als Natureingang aufgrund der oben festgelegten Grundbedingung des Vorhandenseins einer disparaten Folgethematik ausschließbar zu sein. Denn es finden sich in ihr zwar sowohl Jahreszeitennennung (sumer [ 1 ]) wie auch als saisonale Indizien aufgerufene Naturdetails (Heiterkeit der Vögel [ 2 - 4 ], Zeit des angenehm- 157 Die Form winke wird von den Herausgebern in MFMT I, S. 136 , und G. Schweikle, Mittelhochdeutsche Minnelyrik, S. 444 , vom Verb wenken abgeleitet und so mit nhd. ‹weichen› (vgl. Lexer III, Sp. 763 ) angegeben. Eigentlich weißt jedoch die Lautung eher auf den Konjunktiv Präsens von mhd. winken (vgl. Lexer III, Sp. 907 : ‹wanken›, ‹schwanken›, ‹ein Zeichen geben›, ‹winken›, und schließlich: ‹nicken›-- durchaus auch im Sinne von ‹schlafen›, s. dazu BMZ IV, S. 704 f. ) hin. Es wäre also zu überlegen, inwiefern die Stelle 5 f. nicht mit «…-dass der scharfe Wind / zugunsten des ganz milden Windes schlafe» übersetzt werden könnte. Dennoch bin ich hier in der Übersetzung-- aus Gründen einer besseren Vergleichbarkeit, gleichwohl aber unter Anmeldung gewisser Vorbehalte-- den Vorschlägen der Hgg. von MFMT und Schweikles letztlich gefolgt. Allerdings ist deren Auffassung von der Bedeutung der Verbform winke bei der getreuen Wiedergabe der entsprechenden Stelle in C dann recht eindeutig zu suspendieren; s. dazu das Folgende. 244 III Typeneinteilung des Natureingangs milden Windes [ 5 f.], neues Laub an der Linde [ 7 f.]), jedoch entscheidenderweise gerade keine auf die saisonale Naturrepräsentation folgende andersthematische Partie. Ja schließlich verbleibt selbst die finale Einbringung einer grammatikalisch festgelegten Ich-Perspektive ( 7 f.) ganz im Bereich der- - sonst auch häufig im Natureingang begegnenden-- natur- und jahreszeitenthematischen subjektiven Diagnose, d. h. der Konstatierung saisonaler Indizien durch das als wahrnehmend stilisierte bzw. gemachte Wahrnehmungen referierende Text-Ich. Für eine denkbare Aufladung der Ich-Position mit Konnotationen eines liebesaffizierten Ichs scheint die Aussage, ich bin worden gewar / niuwes loubes an der linde ( 7 f.), jedenfalls anschlussfähig zu sein: Sie suggeriert zunächst allein durch die grammatikalische Exponierung einer Ich-Perspektive am Phrasenanfang durchaus das Vorliegen einer Anwendung des zuvorstehenden objektiven naturbzw. jahreszeitenthematischen Berichts auf die persönliche Liebesthematik, löst diese aber eben nicht ein, folgt doch das für die naturthematische Stilisierung einer subjektiven Diagnose typische Abheben auf eine-- oft wie hier als dem Sprechzeitpunkt vorausgehend angesetzte, gleichwohl auf aktuelle Geltung zielende-- Wahrnehmung (bin worden gewar) des Ichs, genau keine introspektive Aussage über dessen Gefühlslage. Strenggenommen ist selbst für den Bereich der Naturthematik keine auf ein emotionales ‹Innen› des Ichs hin stilisierte Aussage hin feststellbar, wie sie in der Natureingangstradition ja bisweilen begegnet und die sich als vorzügliche Anschlussstelle der persönlichen Liebesthematik anböte. 158 Denn es folgt in der subjektiven Perspektive ja lediglich ein weiteres Naturdetail- - also ein Repräsentant der liedintern imaginierten ‹Außenwelt›--, nämlich das neue Laub der Linde ( 8 ). Somit wäre die Strophe MF 66 , 1 , die in der modernen Editionspraxis als Einzelstrophe erscheint, recht eindeutig als monothematische Jahreszeitenstrophe (und gerade nicht als Natureingang! ) aufzufassen. 159 Betrachtet man aber nun den handschriftlichen Überlieferungskontext der Strophe, so fällt auf, dass besonders die Handschrift C die Strophe ausdrücklich nicht als Einzelstrophe konzipiert, sondern mittels Ausweis durch gleichfarbige Initialen als Eingangsstrophe in einen fünfstrophigen Liedverbund integriert präsentiert, der die Strophen C 39 - 43 umfasst. 160 Betrachten wir deshalb die betreffende 158 So oben die Ausführungen zu Dietmars MF 33 , 15 . 159 Dies bedeutet wiederum keinesfalls, dass man sich die- - mittlerweile doch als recht problematisch einzuschätzende- - Ansicht von Frings, Theodor: Minnesinger und Troubadours, S. 24 , zueigen machen sollte, es handle sich bei der Strophe um eine «volkstümliche Maitanzstrophe, ein Reigenlied, das vom Anger unter die Gedichte des Minnesängers verweht worden ist». 160 Auf fol. 31 v sind die betreffenden Strophen in der rechten Spalte mit jeweils blauer Initiale eingetragen, die den Strophenverbund deutlich von ihrer Überlieferungsumgebung als Einheit separiert: rote Initialfarbe weisen nämlich die zuvorstehende Einzelstrophe C 38 (MF 65 , 28 : Alse die vogel vroelichen) sowie die nachstehenden Strophen C 44 und 45 (es handelt sich um die in MFMT als Einzelstrophen aufgefassten MF 66 , 32 : Ir stüende baz, daz sî mich trôste und MF 67 , 3 : Ich lebte ie mit ungemache) auf, wobei hier die letztgenannten durch eine abweichende Fassung von MF 67 , 3 in größerer Tonähnlichkeit als in B präsentiert und wiederum durch gleichfarbige Initiale als zusammengehöriges Strophenpaar ausgewiesen sind. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 245 Strophengruppe in C einmal genauer, um die Frage zu klären, inwiefern hier ein übergreifendes Strophengebilde vorliegt, in dessen Kontext die Strophe MF 66 , 1 dann als ‹Natureingang› zu denken wäre. Im Codex Manesse lauten die Strophen nämlich wie folgt 161 : (I.) Der schone svmer get vns an, A4m a MF 66,1 des ist vil manig vogel blide, A4w b C 39 wan si fro e iwent sich ze stride, 4w b (vgl. B 39) die schonen zit vil wol enpfan. A4m a iarlang ist reht, das der ar 3m* c MFMT : 4m winke dem vil sv e ssen winde. 4w d ich bin worden gewar 3m c núwes lo v bes an der linde. 4w d ( II .) Dú schone, dú mich singen tv o t, A4m a MF 60,21 si sol mich sprechen leren, A3w b C 40 dar abe, das ich minen mv o t, A4m a (vgl. B 40) niht wol kan keren. 3w b (beschwerte Hebung) si ist edel vnde frůt. 4m a swer mit eren 2w b kan gemeren 2w b sine blideschaft, das ist gv o t. 4m a ( III .) Die minne bit ich vnde man, A4m a MF 66,9 dú mich hat verwunnen al, 4m b C 41 das ich die schonen da zv o span, A4m a (vgl. B 41) das si mere min geval. 4m b geschihet mir als dem swan, A3m a Inwiefern für die in unserem Zusammenhang interessierende Strophenfolge C 39 - 43 auch der Redaktor von B auf eine gewisse Einheitsbildung abzielte, kann leider nicht bestimmt werden, da im Heinrich-Corpus von B, das ja bis auf wenige Ausnahmen in frappierender Weise mit der Strophenanordnung des entsprechenden Corpus in C übereinstimmt, die betreffenden Strophen zwar an derselben Position und in der gleichen Reihenfolge erscheinen (B 39 - 43 ), jedoch aufgrund einer anderen Einrichtungskonvention (Wandel der Initialfarbe von Strophe zu Strophe) die Initialen als Hinweis auf die vom Schreiber zugrundegelegten Zuordnungen der Strophen zu übergreifenden Verbundeinheiten (‹Liedern›? ) ausfallen. Allerdings gibt m. E. die Tatsache, dass Reihenfolge und Bestand der Gruppe BC 39 - 43 gegen für heutige Rezipienten so bedeutsame Zusammengehörigkeitssignale der Tongleichheit und- - noch herausstechender- - des gemeinsamen Refrains gesetzt sind wie etwa im Fall des zweistrophigen ‹Wechsels› MF 60 , 13 : Der blîdeschaft sunder riuwe hât (die Str. I steht an Position BC 16 , die zweite Str. erscheint innerhalb der hier untersuchten Strophengruppe als BC 40 ! ), dazu Anlass, die handschriftlichen Anordnungen gerade auch dort als Zeugnisse eines selbst produktiven Rezeptionsprozesses ernst zu nehmen, wo sie sich den Fundamenten unserer formalbasierten Liedrekonstruktion (tongleicher Bau) wiedersetzen und stattdessen ausdrücklich andere Einheitsbildungen markieren (wie im Falle der Strophen 39 - 43 in C). 161 Hervorhebungen im Textdruck von mir, D. E. 246 III Typeneinteilung des Natureingangs der da singet, so er sterben sol, 5m c* MFMT mit B sal: b so verlúse ich ze vil dar an. 5m a ( IV .) Dú minne betwang Salomone A4w a MF 66,16 der was der aller wisest man, A4m b C 42 der ie getrůg kv́niges krone. A4w a (vgl. B 42) wie mo e ht ich mich erwerren dan, A4m b sin betwunge o v ch mich gewaltekliche, 5w* 162 c MFMT mit B: A4w sit si solken man verwan, 4m b der so wise was vnd o v ch so riche? 5w c den solt han ich von ir zelone. A4w a* MFMT mit B: A5m b-unrein 162 (V.) Schonú wort mit sv e ssem sange, 4w a MF 66,24 dú tro e stent dike sweren mv o t . A4m b C 43 div mag man gerne halten lange, A4w a (vgl. B 43) wan si sint alzoges gv o t. 4m b ich singe mit tru e ben mv o ten A3w c=b’ der schonen fro v wen vnd der gv o ten. A4w c vf ir trost ich wîlent sang, 4m d=a’ si hat mich missetro e stet, des ist lang. A5m d [(I.) Der schöne Sommer kommt zu uns her, daher sind sehr viele Vögel heiter, denn sie erfreuen sich im Wettstreit daran, die schöne Jahreszeit sehr gut zu empfangen. Zu dieser Jahreszeit ist es angebracht, dass der Adler den ganz milden Wind heranwinke. 163 162 Die metrische Deutung der Verse 5 und 7 der Strophe MF 66 , 16 ist umstritten; während sich etwa I. Kasten in ihrem Komm. in Deutsche Lyrik, S. 629 , für eine durchgängig vierhebige Lesart der Abgesangsverse entscheidet, gibt G. Schweikle in Mittelhochdeutsche Minnelyrik, S. 444 , an, im Abgesang seien Vier- und Sechsheber im Wechsel gesetzt. Beides scheint mir nur durch Zurückgreifen auf von der Alternation abweichende metrische Fügungen möglich, kann doch eine vierhebige Deutung der Verse 5 und 7 nur durch die Annahme doppelter Auftakte bzw. eine sechshebige Auffassung nur durch Setzung beschwerter Hebungen erreicht werden. M. E. ist dagegen eine fünfhebige Deutung der Verse mit regelmäßig alternierenden Hebungen letztlich eingängiger. 163 Zur Herleitung der Verbform winke im Spannungsfeld der Verben wenken und winken s. o., Anm. 157 . Dass aber nun der Adler dem milden Wind ‹weichen› solle (von mhd. wenken), scheint mir relativ ausgeschlossen zu sein. Vielmehr ist winke in der Lesart von C m. E. recht eindeutig auf mhd. winken zurückzuführen; vgl. dazu auch den Hinweis im Artikel zu ar in BMZ I, S. 48 f., wo diese Variante wie folgt paraphrasierend wiedergegeben ist: «dieses jahr soll uns der adler milden wind zuführen (nach der Edda entspringt der Wind unter eines adlers flügeln-[…])» (mit Verweis auf Grimm, Jacob: Deutsche Mythologie. 2 Bde., 2 . Ausg., 2 Diskussion ausgewählter Parameter 247 Bemerkt habe ich neues Laub an der Linde. ( II .) Die Schöne, die mich zum Singen veranlasst, sie soll mich zu sprechen lehren, und zwar davon, dass ich mein Bestreben nicht leicht umkehren kann. Sie ist edel und klug. Immer wenn jemand in Ansehen vermehren kann seine Freude, ist das gut. ( III .) Ich bitte und ermahne die Minne, die mich ganz überwunden hat, dass ich die Schöne dazu verlocken kann, dass sie mein Glück vermehren möge. Geschieht mir wie dem Schwan, der da singt, wenn er sterben muss, dann verliere ich zu viel dabei. ( IV .) Die Minne bezwang Salomon, der war der allerweiseste Mann, der jemals eine Königskrone trug. Wie könnte ich mich dann behaupten, ohne dass sie nicht auch mich machtvoll bezwingt, nachdem sie einen solchen Mann überwand, der so weise war und auch so mächtig? Den Sold habe ich von ihr zum Lohn. (V.) Schöne Worte mit lieblichem Sang, die trösten oft bedrückte Stimmung. Die vermag man bereitwillig lange im Gedächtnis zu behalten, denn sie sind wirklich gut. Göttingen 1844 ( 1 1835 ), Bd. I, S. 600 , und Müller, Wilhelm: Geschichte und System der altdeutschen Religion, Göttingen 1844 , S. 206 und 319 f.; zum angeblich in fast ganz Europa bekannten Motiv des Adlers als Urheber des Windes s. bes. J. Grimm, Deutsche Mythologie I, S. 599 - 601 ). Inwiefern die vorliegende Stelle allerdings wirklich derart mythologisch zu befrachten ist, ist m. E. dann doch eher fraglich. Vielmehr scheint es mir ratsam zu sein, Übersetzung und Verständnis der Passage relativ basal zu halten, etwa in dem Sinne: ‹es ist jetzt der richtige Zeitpunkt im Jahr, dass der Adler dem überaus milden Wind durch seine ausgebreiteten Schwingen ein winkendes Zeichen gebe›. Mit der Wortwahl kann freilich durchaus als ein poetisches Bild des Adlerfluges intendiert sein; Schönbach, Anton. E: Der Windadler Heinrichs von Veldeke, in: Franz Krones zum 19 . Nov. 1895 , gewidmet von seinen Freunden, hg. von Adolf Bauer, Graz 1895 , S. 67 - 77 , bes. S. 71 - 77 , hat zudem auf die Parallele des Schatten spendenden und Luft zufächelnden Adlers in der Servatius-Legende verwiesen. Insgesamt ist überdies für mhd. jârlanc wohl auch die Bedeutung ‹zu dieser Zeit des Jahres› zu präferieren (vgl. auch die Hinweise in MFMT I, S. 136 , und die Übersetzung bei G. Schweikle, Mittelhochdeutsche Minnelyrik, S. 195 ). 248 III Typeneinteilung des Natureingangs Ich singe mit sehr betrübtem Sinn der schönen Dame und der guten. Um von ihr getröstet zu werden, sang ich ehemals, sie hat mich entmutigt, das ist lange her.] Betrachtet man nun die fünf hier aufgeführten Strophen zunächst einmal grob formal, so fällt auf, dass es sich bei ihnen zwar durchaus um hauptsächlich von Vierhebern ausgehende Achtversgebilde handelt, wobei allerdings der deutlich hervorstechende Ausnahmecharakter der zweiten und besonders dritten Strophe dieses Verbunds dadurch nur noch augenfälliger wird: die Strophe C 41 ist nämlich eindeutig nur siebenversig gebaut, bei der Strophe C 40 könnte dies ebenfalls der Fall sein, wenn man die beiden Kurzreimglieder der Verse 6 und 7 als einen binnengereimten Vierheber auffasst, und tut man dies nicht, so ist sie dennoch aufgrund der am weitesten getriebenen Durchbrechung der Vierheber mit kürzeren Versen, die hier mit den Versen 2 und 4 schon im Aufgesang begegnet, als disparat markiert. Doch spätestens auch in der etwas genaueren Betrachtung der Strophen wird die formale Unterschiedlichkeit der fünf Teilgebilde dann relativ klar erkennbar, ist doch weder die Auftaktverteilung, das Reimschema in Auf- und Abgesang, noch die Lizenzen zur Überbzw. Unterschreitung der Vierhebigkeit übergreifend einheitlich gehandhabt. Insofern scheidet es m. E. aus, dass es sich bei der Zusammenschließung der Strophen durch den C-Redaktor um ein einfaches Versehen handelt, der disparate Bau der Einzelglieder ist dafür einfach zu auffällig. Allerdings ist nun auch nicht davon auszugehen, dass ein bei der Handschrifteneinrichtung eventuell nicht mehr vorhandenes Verständnis der formalen Dimension die Ausweisung als Einheit verursacht habe, erweist doch gerade die gegenüber B veränderte Praxis der Liedeinheitszuweisung über nicht mehr regelmäßig alternierenden Farbwechsel der Initialen allein schon das diesbezüglich geschärfte Bewusstsein der C-Redaktoren. Weil also weder ein zufälliger Fehler noch eine grundsätzliche Gleichgültigkeit gegenüber dem Bereich der formalen Gestaltung der Strophen für die Zusammenordnung der Strophen C 39 - 43 als Ursache wahrscheinlich sind, scheint es mir angebracht zu sein, die Suspendierung des Tongleichheitsgebotes durch den C-Redaktor als Resultat eines historisches Rezeptionsprozesses besonders ernst zu nehmen, in dem für den vorliegenden Fall-- so wird man unterstellen dürfen-- im Unterschied zur neuzeitlichen Editionspraxis andere einheitssuggerierende Signale entscheidender gewesen sein dürften als die Konformität des Baus. Und so zeigt es sich bei einer an genau solchen möglichen Einheitssignalen orientierten Durchsicht der Strophen auch, dass eine Vielzahl an formalen und motivisch-thematischen Korrespondenzen gefunden werden kann, die sich in dieser Hinsicht angeboten haben mögen und die gleichsam ein Geflecht von Verbindungen und Bezügen zwischen den Strophen erzeugen. In diesem Zusammenhang wäre z. B. auf formaler Ebene zunächst einmal auf die im Layout der Handschrift noch viel stärker hervortetende Markiertheit der ersten vier Strophen durch die gleichlautende Initiale D zu verweisen, die lediglich von 2 Diskussion ausgewählter Parameter 249 Strophe C 43 durchbrochen wird, die mit ihrem Anfangswort, dem Adjektiv Schonú ( 1 ), aber wiederum deutlich mit dem Beginn der ersten beiden Strophen (C 39 : Der schone svmer [ 1 ] / C 40 : Dú schone [ 1 ] 164 ) korresponiert. Als Binnenpartie eines derart erzeugten Rahmens, dessen Anfang das Strophenpaar C 39 und 40 und an dessen Ende die Strophe C 43 bilden, firmieren nun die beiden Strophen C 41 und 42 , die einerseits durch die Anfangssetzung eines bestimmten Artikels (C 41 : D[e̩]ie [ 1 ]/ C 42 : Dú [ 1 ]) und die sich daraus ergebende Initialgleichheit-- wie beschrieben-- eng mit der Paarung C 39 / 40 verbinden, andererseits in der Übereinstimmung im Strophenbeginn durch die Setzung des Kernbegriffs minne (C 41 : D[e̩]ie minne [ 1 ] / C 42 : Dú minne; [ 1 ]) Zusammengehörigkeit suggerieren und darüber hinaus quasi das programmatische Zentrum des Gebildes schon formal exponieren: Innerhalb des Rahmens, der sich durch die korrespondierende Nutzung des Adjektivs schone bzw. seiner Substantivierung in C 40 aufspannt, und der dadurch dem Gebilde ein Abheben auf die Ästhetizitätsdimension von Sang schon auf formaler Ebene einschreibt, die von den Instanzen der Jahreszeit (C 39 ) über die Dame (C 40 ) dann als Zielpunkt in der programmatischen Anfangsfügung von C 43 kulminiert (Schonú wort mit sv e ssem sange; [V], 1 ), steht-- gleichsam durch die Strophenanfänge von C 42 / 43 herausgehoben-- der Movens und Inhaltskern von Sang: die minne. Mag das Zusammentreffen der fünf Strophen im Rezeptionsprozess auch faktisch zufällig erfolgt sein, eines bleibt davon unbenommen: Es ist bereits allein im Hinblick auf die formale Ebene der Anfangsfügung deutlich geworden, dass die Strophenanordnung durchaus auch als planvoll-artifizielle Anlage deutbar ist. 165 Ähnliches zeigt sich übrigens auch bezüglich des eigentlich differierenden metrischen Baus der Strophen, rückt man nur von der Verpflichtung auf Tongleichheit zur Erreichung einer Einheitsbildung ab; die Formation wäre dann nämlich als eine variative Reihung bauähnlicher Strophen, die als verbindendes Element die strukturelle Dominanz des Vierhebers teilen, interpretierbar. Darin ließe sich zudem noch das Reimschema integrieren: Während sich etwa in der ersten Strophe in der ersten Periode ([I], 1 - 4 ) ein umfassender Reim der vierhebigen Verse und in der zweiten ([I], 5 - 8 ) ein kreuzgereimter Wechsel kürzerer Verse (hier: Dreiheber) mit vierhebigen feststellen lässt, erscheint die darauf folgende Strophe C 40 als ziemlich konsequente Spiegelung dieses Baus. Hier sind-- freilich unter Austausch der Kadenzzuordnung-- nämlich die Aufgesangsverse ([ II ], 1 - 4 ) kreuzgereimt und zwischen Vier- und Dreihebern alternierend gesetzt, während sich-- zumindest nach der oben abgedruckten formalen Deutung 166 -- im Abgesang umfassender Reim zeigt 164 Hervorhebungen-- wie auch im Folgenden-- wiederum von mir, D. E. 165 Es ist ausdrücklich zu betonen, dass bei dieser Einordnung nicht auf ‹tatsächliche› Gegebenheiten der Textgenese (gar in Form eines intentionalen Aktes durch den Autor! ) abgehoben wird, sondern auf eine mögliche Rezeptionswahrnehmung, die der Zusammenstellung der Strophen ‹Sinnhaftigkeit› unterstellt. 166 Setzt man die Kurzreimverse 6 f. als einen Vers an, wäre zwar das Modell des umfassenden Reims nur in einer Reduktionsform greifbar, der Abgesang von C 40 , der nun aus drei Vierhe- 250 III Typeneinteilung des Natureingangs ([ II ], 5 - 8 ). Die Lizenz zur Auftaktigkeit nur im ersten Bauteil der beiden Strophen bliebe von einer solchen Deutung als Spiegelung unbenommen, gleichwohl ist auch sie ein formales Kennzeichen, dass beide Strophen übereinstimmend aufweisen. Diese formale Markierung einer Grenzziehung zwischen dem jeweiligen ersten und zweiten Bauteil ließe sich in den beiden folgenden Strophen dann als durch einfache Ausdehnung möglicher Auftaktslizenzen auf den Abgesangsbereich (C 41 : Vers 5 / C 42 : Vers 8 ) variativ aufgebrochen konzipieren, bis in der letzten Strophe C 43 , die übrigens mit C 42 die Auftaktigkeit des Abschlussverses verbindet, das Auftaktschema fast in Konkurrenz zum stolligen Bau-- und damit der Konturierung des ersten Bauteils ( 1 - 4 ) gegenüber einem zweiten ( 5 - 8 )-- gesetzt ist (Auftaktigkeit nicht korrespondierend zum Reimschema ab/ ab/ / ccdd, sondern 0 AA / 0 AA / 0 A). Die dritte Strophe des Gebildes (C 41 ) wäre, bezieht man wieder die anderen formalen Gestaltungselemente mit in die Überlegungen ein, zudem als variarive Modifikation der Strophe C 40 lesbar, ist in ihr doch das in jener Strophe-- zumindest implizit-- schon angedeutete Reduktionsmuster des umfassenden Reims im Abgesang zur Dreiversgruppe dann konsequent umgesetzt (statt abba nun aca). Der in Korrespondenz zur ersten Strophe, C 39 , wiederum konsequent vierhebig gehaltene Aufgesang zeigt nun aber die Besonderheit, den in beiden voranstehenden Strophen vorhandenen Kadenzwechsel der Stollenverse quasi an den Versanfang durch Alternierung der Auftaktigkeit zu verschieben. 167 Außerdem führt die Strophe mit der Setzung längerer Abgesangsverse ( 6 und 7 sind fünfhebig) ein weiteres Formcharakteristikum ein, das C 41 mit den beiden folgenden Strophen verbindet (C 42 : Vers 5 und 7 / C 43 : Vers 8 ). Ja schließlich weisen alle vier Strophen C 40 - 43 die als Übertragung der zweiten Periode von C 39 konzipierbare Aufgesangsgestaltung abab bei freilich im Detail abweichender Füllung auf; auch dieses Moment kann als einheitssuggestiv wahrgenommen werden. Zusätzlich verweisen im Falle der Strophe C 42 die durchgehende Auftaktigkeit der Aufgesangsverse auf die Strophe C 40 , die durchgehende Vierhebigkeit im Aufgesang auf die Strophe C 39 und C 41 . Sie begegnet im Übrigen auch im Aufgesang von C 43 wieder. Bis auf die Regelung der Auftaktlizenzen teilen sich darüber hinaus die Strophen C 42 und 43 die Gestaltung der Aufgesangsstollen, die auch in ihrer Kadenzverteilung-- im Vergleich zu C 42 vertauscht (wmwm)-- übereinstimmen. Dies alles begünstigt somit die mögliche Wahrnehmung der Strophenfolge als formal vernetzte Variativ-Reihung bauähnlicher Formen. Wenn man nun also die handschriftliche Zuordnung der Strophen als zusammengehöriger Komplex, für die es ja außer der Tongleichheit durchaus andere formale Signale für den Redaktor von C gegeben haben mag, ernst nimmt und diese durchaus im Sinne einer liedhaften Einheit auffasst, so ergibt sich inhaltlich grundsätzlich kein anderes Bild als bei den durch Tongleichheit zum Liedganzen zusammenbern bestünde, allerdings wiederum in Spiegelbeziehung zur konsequent vierhebig gebauten ersten Periode von C 39 deutbar. 167 Inwiefern im Falle von C 39 tatsächlich von Stollen die Rede sein kann (diese lägen dann gespiegelt vor), ist fraglich. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 251 gebundenen Strophen aus jener Phase der Minnesangtradition: Auch dort ist die Strophe-- wie bereits mehrfach betont-- noch die vorherrschende thematische Einheitsinstanz und eben nicht das Liedganze verstanden als ein kohärenter inhaltlicher Verlauf. Vielmehr ergibt sich ein von Strophe zu Strophe neu ansetzendes Ich-reflexives Sprechen, das unter Ausleuchtung von sich verlagernden Akzentsetzungen die Liebesthematik stetig umkreist, nicht aber zwingend prozesshaft angelegt sein muss. Ja oftmals ergeben sich zwischen solchen Strophen derartige ‹Widersprüche›, dass sich die Forschung- - anscheinend von neuzeitlichen Kohärenzvorstellungen geleitet- - lange Zeit nicht anders zu helfen wusste, als diese mit den Mitteln der Echtheitskritik, etwa durch Umordnung der Reihenfolge gegen die Überlieferung oder durch Entfernung einzelner Strophen, einzuebenen. 168 Dabei zeigt schon der erste Blick auf die Inhaltsseite der Strophengruppe von C 39 - 43 , dass in ihr solche deutlichen ‹Widersprüche› wahrscheinlich gar nicht auffindbar wären, die derartige Schritte überhaupt notwendig machen würden. Auf jeden Fall wäre es aber möglich, sie als übergreifende Einheitsbildung von thematisch nicht völlig losen, gleichwohl aber in sich abgeschlossenen Strophen wahrzunehmen und zu interpretieren. Man könnte dann etwa zu folgender inhaltlicher Zusammenschau gelangen: In Strophe (I) gibt der zunächst noch nicht grammatikalisch in der Ich-Form realisierte, gleichwohl aber in einer kollektivierten Wir-Perspektive (vns; [I], 1 ) aufgehende Sprecher an, dass nun ein schöner Sommer nahe, worüber sich die Vögel im Wettstreit freuen würden, um diese schöne Jahreszeit bestens zu empfangen (vgl. [I], 1 - 4 ); ferner sei es zu dieser Zeit angebracht, dass der Adler den lauen Wind herbeiwinke (vgl. [I], 5 f.). 169 Das Text-Ich, das nun grammatikalisch zum ersten Mal auch als Ich-Position eingelöst präsent wird, bemerkt darauf in den Versen (I), 7 f., es habe-- quasi als ein weiteres Sommerzeichen-- bereits neues Laub an der Linde wahrgenommen. In Strophe ( II ) würde daran anschließend dieses Ich jedoch eine schöne Frau-- und eben nicht, wie zuvor suggestiv der Eindruck erweckt worden ist, das saisonale Geschehen-- als Grund für seinen Sang benennen (vgl. [II], 1 ). Jene solle das Text-Ich nun auch das richtige Sprechen darüber lehren, wovon es sich innerlich nicht leicht lösen könne; schließlich sei sie edel und klug (vgl. [II], 2 - 5 ). Ja der Sprecher greift am Schluss der Strophe sogar neben diesem Kompliment noch auf einen setenzartigen Spruch zurück, der die Bitte an seine Dame um Unterweisung in der richtigen Form des Ausdrucks seines Werbungsanliegen quasi noch moralisch untermauern soll: Derjenige handle gut, so gibt er an, der bei gleichzeitiger Wahrung seines Ansehens seine Freude mehren könne (vgl. [ II ], 6 - 8 ). Damit unterstellt das Text-Ich freilich das automatische Ineinsfallen seines im Hinblick auf die Erhörung durch die Dame in Anstand formulierten Werbens (=- Beibehaltung von ere) und der tatsächlichen Erfüllung seines Wunsches durch sie (=-Vermehrung der Freude). 168 Vgl. dazu grundlegend T. Bein, «Mit fremden Pegasusen pflügen». 169 Zu dieser Stelle und ihrem Verständnis s. o. 252 III Typeneinteilung des Natureingangs Darauf würde nun Strophe ( III ) eine Ansprache der Minne-Instanz durch das Text-Ich folgen lassen, in der dieses von jener, von der es gänzlich überwunden worden sei, Beistand in seinem Liebeswerben fordert. Es bittet und erinnert die Minne nämlich mahnend daran, ihm doch darin Erfolg zu bescheren, dass die Dame dazu bewegt werden könne, ihm sein Glück zu vermehren (vgl. [ II ], 1 - 4 ). Nach dieser gleichermaßen indirekt wie auch entlarvend Ich-zentriert formulierte Bitte führt das Text-Ich-- wiederum zur Untermauerung von deren Berechtigung (s. o.)-- nun das warnende Beispiel des singend sterbenden Schwans 170 an und gibt zu bedenken, dass, erginge es ihm wie diesem, weil-- so ist zu ergänzen-- es weiter singen müsse, bis es vor Liebeskummer stirbt, so würde es dabei zu viel verlieren (erg.: nämlich sein Leben! ). In Strophe ( IV ) bringt der Sprecher einen weiteren Vergleich zur Veranschaulichung seiner Lage, der hier aber den Aspekt der völligen Eingenommenheit von der Minne noch einmal besonders beleuchtet; zur Untermauerung der Wehrlosigkeit des Menschen gegenüber der Minnemacht wird nämlich das in der mittelalterlichen Literatur weitverbreitete Beispiel des Königs Salomon aufgegriffen: 171 Wenn die Liebe schon selbst Salomo bezwungen habe, obwohl dieser der weiseste König überhaupt gewesen sei, wie könne dann-- so fragt das Text-Ich-- es selbst verhindern, von der Liebe überwunden zu werden, wo dies also doch nicht einmal einem derart weisen und mächtigen Mann gelungen sei (vgl. [ IV ], 1 - 7 )? Daran anschließend moniert das Text-Ich, doch von der Minne nichts anderes als ‹Lohn› erhalten zu haben, als nur von ihr eingenommen worden zu sein (vgl. [ IV ], 8 ). Zuletzt würde dann die Strophe (V) zunächst eine sentenzartige Setzung des Text-Ichs folgen lassen, die die Sphäre kunstbezogener Reflexion forciert. So gibt dieses an, schöne Worte und gefälliger Sang seien oft dazu geeignet, bei bedrückter Stimmung Tröstung zu bringen; weil diese so gut sind, würde man sie deshalb auch gerne im Gedächtnis behalten (vgl. [V], 1 - 4 ). Die so vom Text-Ich eingeführte Aussage über die eigentlich erwartbare mentale Wirkung von vorbildlicher Kunst kontrastiert dieses wiederum mit dem angeblichen ‹Spezialfall›- - denn eigentlich ist Gattungszusammenhang des Minnesangs eindeutig der Normallfall! - - seiner Sangestätigkeit, die dadurch gekennzeichnet sei, dass das Ich in betrübter Stimmung seiner Dame singe (vgl. [V], 5 f.), so dass-- wird man ergänzen können-- von einer Trostwirkung der Kunst bei ihm genau keine Rede sein kann. Tatsächlich, so gibt das Text-Ich an, habe es einst in der Hoffnung auf Trost durch die Dame gesungen; diese habe es aber sogar noch entmutigt-- und das schon vor langer Zeit (vgl. [V], 7 f.). Damit unterstellt das Text-Ich in trickreicher argumentativer Suggestion, dass es 170 Zum Bild des singend sterbenden Schwans und den hinter ihm stehenden Bildungstraditionen vgl. jüngst Huber, Christoph: Liebestod im Minnesang Heinrichs von Morungen, in: Filologia Germanica / Germanic Philology 3 ( 2011 ), S. 135 - 159 , hier S. 146 - 148 mit weiterführenden Hinweisen zu umfangreichen Belegsammlungen (ebd., Anm. 34 ). 171 Zum Salomon-Topos in der mittelalterlichen Literatur vgl. R. Schnell, Causa amoris, S. 458 - 460 und 493 f. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 253 begründet sei, die von ihm aufgestellte, generelle kunsttheoretische Behauptung einfach auf das konkrete Werbungsverhätnis zwischen Sänger-Ich und Dame übertragen zu können, wobei freilich hier die Tröstung genau nicht als Konsequenz einer ästhetischen Wirkung von Kunst, sondern-- imaginativ ‹lebensweltlich›-- als Erhörung seines Liebeswerbens durch die Dame zu denken wäre. Damit versteht es das Ich aus einer-- durchaus hintersinnig platzierten-- kunsttheoretischen Allgemeinphrase die Berechtigung seiner Werbungsansprüche an die Dame und die aus der Nichterfüllung resultierende Begründetheit seines Klagegestus zu konstruieren, was auf einer übergeordneten Deutungsebene beides-- kunstreflexive Setzung und Desillusioniertheitspathos des Ichs-- ironisch relativieren mag (s. u.). Ebenso begegnet übrigens auch auf motivisch-thematischer Ebene in der Strophengruppe eine Vielzahl von Korrespondenzen, die so ein relativ dichtes Netz von Wortentsprechungen und Bezügen innerhalb der Formation aufspannt. So weist z. B. die Einführung der Liedinstanz der Dame am Beginn der Strophe C 40 als Dú schone, dú mich singen tv o t ( 1 ), nicht nur auf die vorausgegangene Strophe C 39 zurück, wo die als aktuell imaginierte Jahreszeit als Der schone svmer ([I], 1 ) und die schone zit ([I], 4 ) angegeben ist, die von den Vögeln-- mit ihrem Gesang, so ist zu ergänzen- - fröhlich empfangen wird (vgl. [I], 2 - 4 ) 172 , sondern auch auf die nachstehenden Strophen C 41 und C 43 voraus: In der erstgenannten wird nämlich im Zusammenhang der vom Text-Ich angeführten Bitte an die Minne um Gewährung einer gelingenden Liebeswerbung (vgl. [ III ], 1 - 4 ) die Dame wiederum als die schone ([ III ], 1 ) bezeichnet und durch das Bild des sterbenden Schwans, mit dem das Text-Ich warnend auf eine existenzbedrohende Verbindung von Lieben und Singen hinweist (der da singet, so er sterben sol; [ III ], 6 ), zudem konnotativ an die Angabe der Dame als Grund des Sanges ([ II ], 1 ) rückgebunden. Dem ist noch hinzuzufügen, dass der vom Text-Ich als warnendes Bild benutzte swan ([ III ], 5 ) freilich nicht nur mit der bedeutenden Rolle der Vögel im naturbzw. jahreszeitenthematischen Sprechen der ersten Strophe der Formation ([I], 2 - 4 ) korrespondiert, sondern eben auch mit dem in C-- anders als etwa in B-- dort als konkretisiertes Sommerindiz eingeführten Adler, der den milden Wind beiführt ([I], 5 f.). In C 43 wird dann schließlich mit der Formel Schonú wort mit sv e ssem sange ([V], 1 ) nicht nur auf die in C 39 als schone charakterisierte Jahreszeit bzw. die in C 40 und 41 derart titulierte Dame verwiesen (s. o.), sondern besonders die mit dieser Schönheitszuweisung seit dem Anfang der Strophe C 40 im Falle der geliebten Frau offenbar gemachte Verbindung von Ästhetizität und Artifizialität (vgl. [ II ], 1 : Dú schone, dú mich singen tv o t) verdichtet, indem von einer Ursache-Wirkungsrelation ausgehend Schönheit zu einer vorbildlichen Attributierung der Kunst selbst wird. Das Adjektiv sv e sse, das in die Formel von [V], 1 mit aufgenommen ist, weist wiederum konnotativ 172 Zur genauen Ausdeutung des sich so als Vergleich aufspannenden Verhältnisses zwischen dem Text-Ich, das sich zu Beginn von C 40 sowohl als Sänger als auch als Liebender stilisiert, und den Vögeln der vorausgehenden Strophe C 39 s. u. 254 III Typeneinteilung des Natureingangs auf die Strophe C 39 zurück, so dass die Prägung vom sv e ssen sange, der bei betrübter Stimmung tröstend wirkt (vgl. [V], 2 ), mit der Erwartung des überaus sv e ssen Windes im Sommer ([I], 6 ) korrespondiert. Es ist aber noch ein weiteres Charakteristikum der programmatischen Formulierung von [V], 1 f. anzusprechen, die ja quasi eine idealtypische Wirkung von vorbildlicher Kunst entwirft, nämlich die zunächst erkennbare begriffliche Differenzierung von wort und sang, also der reinen Textdimension und deren musikalischer Realisation, die jedoch auf der Zuordnungsebene der Präpositionalverbindung ([V], 1 : Schonú wort mit sv e ssem sange) wieder überspielt wird. Dabei ist die Formel von [V], 1 durchaus als eine aufgreifende Zusammenschließung zweier Ausdrucksdimensionen lesbar, die bereits in Strophe C 40 angesprochen werden, nämlich singen ([ II ], 1 ) und sprechen ([ II ], 2 ). Jedoch wird hier nicht ganz klar, in welcher Beziehung beide Äußerungsformen genau zu einander stehen, ist doch die Angabe, die Frau, die das Text-Ich zum Singen veranlasse, solle es auch lehren, wie es darüber zu sprechen habe, wovon es innerlich nicht loslassen könne ([ II ], 1 - 4 ), zwar relativ eindeutig auf den Wunsch nach Erfüllung der Liebe zu beziehen, jedoch fraglich, inwiefern sich die Bitte des Text-Ichs um Anleitung durch die Dame bei der Formulierung dieses Begehrens quasi auf die kunstreferenzielle Ebene der inhaltlichen Füllung des in [ II ], 1 angesprochenen Singens bezieht oder auf ein sozusagen ‹lebensweltlich› als Sprechakt zu imaginierendes Liebeswerben der Dame gegenüber. Gleichwohl wird mit der Prägung von [V], 1 beides- - sprachliche Formulierung und künstlerische Realisation-- zusammengebunden und nun eindeutig im Bereich der Kunstreflexion auf das Gebiet artifizieller Tätigkeit als die zwei Seiten einer gelingenden Kunst präzisiert, für die eine positive Wirkung propagiert wird (dú tro e stent dike sweren mv o t; [V], 2 ). Allerdings wird hier nicht klar, ob sich diese Tröstungspotenz auf die Rezipienten oder den Produzenten von Sang bezieht. Davon unabhängig sind Ästhetizität der Textdimension und Gefälligkeit der musikalischen Realisation desselben, so suggeriert die Formulierung, in einem glücklichen Fall von Kunst zusammen vorhanden, und seien durchaus bei Bedrücktheit zu trösten in der Lage. Mit der Aussage, jene schönen Worte, die mit lieblichem Sang dargeboten würden, würden dike sweren mv o t trösten ([V], 2 ), ja blieben deswegen leicht im Gedächtnis, weil sie alzoges gv o t seien (vgl. [V], 3 f.), wird zudem auf die Strophe C 40 zurückverwiesen, wo ebenfalls die beiden Wörter mv o t und gv o t bereits als Reimklänge begegnen ([ II ], 3 und 8 ). Diese Korrespondenz zwischen beiden Strophen wird durch die Abgesangsverse von C 43 noch verdichtet, wenn hier das Text-Ich das vorangestellte Modell glücklich verwirklichter Kunst mit Hinblick auf seinen eigenen Sang als unzutreffend charakterisiert, wobei freilich eine Anwendung der generellen Aussagen von [V], 1 - 4 auf die Produzentenseite und damit auf den konkreten Fall des unglücklich liebenden Text-Ichs erfolgt, das als seinen früheren Grund zu singen explizit die Hoffnung auf daraus resultierender Tröstung durch die Dame angibt (vf ir trost ich wîlent sang; [V], 7 ). Dass die Dame das Ich jedoch missetro e stet [V], 8 habe, zeigt hierbei das offensichtliche Fehlgehen von dessen Unterstellung, ein genereller 2 Diskussion ausgewählter Parameter 255 Befund über die Wirkung von Kunst ließe sich so einfach auf das lebensweltlich imaginierte, persönliche Gelingen in der Liebeswerbung übertragen. Damit wird freilich das Sangesparadigma von [V], 1 - 4 , das vor allem der Herausstellung der misslichen Lage des Text-Ichs, für das das dort behauptete Resultat einer oft zu beobachtenden Trostwirkung vorbildlicher Kunst ja genau nicht zutrifft, als ‹ungerechtfertigt› dient, durchaus als instrumentelles ‹Werbungsargument› 173 entlarvt und so mit der in seiner Konstruiertheit entlarvten Übertragung durch das Ich selbst ironisch desavouiert. Ferner ließe sich die Angabe, das Ich singe mit tru e ben mv o ten ([V], 5 ), also sehr wohl bekümmert und eben nicht getröstet, der schonen frowen vnd der gv o ten ([V], 6 ), über den durch grammatikalischen Reim mit [V], 2 und 4 sich ergebenden Rückverweis auf die Aufgesangsverse von [V] hinaus auch als eine fortführende Konkretisierung der Formulierung am Anfang von C 40 lesen, wobei das betrübte Singen als ergänzende Information so noch besonders hervorteten würde ([II], 1 : Dú schone, dú mich singen tv o t-…-- [V], 5 f.: ich singe mit tru e ben mv o ten / der schonen fro v wen-…). Dass die Dame in [V], 6 zudem als gv o t tituliert ist, verweist nicht nur auf [V], 4 zurück, sondern eben auch auf die sentenzhafte Prägung von [ II ], 6 - 8 , wo die Vermehrung von Freude bei gleichzeitiger Bewahrung des hohen Ansehens als gv o t deklariert worden ist ([ II ], 8 ). Jene durch Setzung am Strophenende herausgehobene Feststellung das ist gv o t ([ II , 8 ]) korrespondiert noch dazu mit der in äquivalenter Position erscheinenden und fast gleichlautenden Aussage vom Strophenende von C 43 (des ist lang; [V], 8 ), die sich auf die Angabe des Text-Ichs bezieht: es habe einst gesungen, um von der Dame getröstet zu werden, jene habe es aber hingegen entmutigt; dies sei zudem nun schon lange her ([V], 7 f.). Damit wäre die positive Einschätzung der Werbung, wie sie sich in der Bitte um Unterweisung durch die Dame zeigt, und die damit als praktizierte Teilhabe an einem mit eren ([ II ], 6 ) erworbenen Glück konzipierbar ist, das die Sentenz am Schluss von [ II ] preist, einer eher resignativen Haltung des Text-Ichs bezüglich des Sangs als Werbungsinstrument gewichen. Mit Mitteln des Sanges ist also die von der Strophe C 40 in Aussicht gestellte blideschaft ([ II ], 8 ), die übrigens mit der naturhaft-kreatürlichen Freude der Vögel am Sommeranfang korrespondiert (des ist vil manig vogel blide; [I], 2 ), aber durch den einschränkenden Zusatz mit eren ([ II ], 6 ) noch ethisierend aufgeladen ist, für den Liebenden letztlich nicht zu erreichen, sie hängt allein vom Entgegenkommen der Dame ab. Dem ist jedoch wiederum relativierend hinzuzufügen, dass die angesprochenen sentenzartigen Setzung aus C 40 (swer mit eren / kan gemeren / sine blideschaft-…; [ II ], 6 - 8 ) durch Wortentsprechung wiederum mit der Bitte des Text-Ichs an die Instanz der Minne verbunden ist, doch diesem Gelingen in seiner Werbung zu bescheren, indem es dort heißt: das ich die schonen da zv o span / das si 173 Es ist zu betonen, das mit dieser Formulierung ein rein textimmanenter, fiktionsinterner Entwurf gemeint ist und eben kein statuales Faktum einer ‹realen›, im Sinne einer konkreten biographischen Liebeswerbung zu gelten habenden Sphäre. Insofern ist von einer auf Konzepte einer lebensweltlichen Konzeption zielenden Imaginationswirkung des Textes zu sprechen. 256 III Typeneinteilung des Natureingangs mere min geval ([ III ], 3 f.). Durch die Korrespondenz mit eben diesem-- zwar etwas verklausuliert ausgedrückten, gleichwohl aber deutlich als ichbezogen (vgl. das min geval! ) offenbar werdenden-- Wunsch nach einer Liebeserfüllung durch die Dame entlarvt sich freilich die sich harmlos als generelle Handlungsbeurteilung gerierende Sentenz von C 40 rückwirkend noch deutlicher in der Weise, wie es schon die grobe Inhaltsdeutung der Strophe nahegelegt hatte, nämlich als konkret auf eine- - bei rechtem Ausdruck des Begehrens quasi als selbstverständlich vorausgesetzte- - Konzession von Liebesbereitschaft auf Seiten der Geliebten hin ausgerichtet. Somit dürfte die Ambition auf eine moralisch als gut qualifizierte Freude, die sich dann relativ unumwunden als auf das männliche Ich und seine Wünsche konzentrierte Liebeserfüllung darstellt, in einer solchen Lesart als ironisch gebrochen verstehen. Gleichwohl- - und dies führt die Minnemacht-Strophe C 42 eindringlich vor- - kann sich das Ich aus der Herrschaft der Liebe und damit aus seiner emotionalen Gebundenheit an die Dame nicht selbst befreien bzw. diese erst einmal verhindern. Denn in Entsprechung zum Strophenschluss von C 43 , wo die Angabe erfolgt, die geliebte Dame habe das Text-Ich statt zu trösten sogar entmutigt (vgl. [V], 8 ), wird hier bezüglich der Liedinstanz der Minne ironisch konstatiert, als Lohn habe das Ich von ihr nichts anderes erhalten (vgl. das den solt han ich von ir zelone; [ IV ], 8 ), als von dieser ohne Möglichkeit der Gegenwehr betwungen worden zu sein (vgl. [ IV ], 4 f.). Allerdings ist die Strophe C 42 nicht nur durch diese Suggestion einer parallel laufenden schlechten Behandlung des Ichs durch die Instanzen der Minne und der Dame in den Kontext eingebettet, sondern vor allem auch durch die Wortentsprechungen Die minne ([ II ], 1 )-- Dú minne ([ III ], 1 ) und verwunnen ([ III ], 2 )-- verwan ([IV, 6 ]) zudem eng auf die vorausgehende Strophe C 41 bezogen zu denken, die ja damit das Motiv von der Überwindung des Ichs durch die Minnemacht ebenso bereits formuliert hat (Die minne- … / dú mich hat verwunnen al [ III ], 1 f.). Dabei wird in ( II ) der Motivkomplex der Beherrschung des Ichs durch die Minne zunächst dazu genutzt, der Bitte um Erfolg in der Liebeswerbung um die Dame (vgl. [III], 1 - 4 ) Nachdruck zu verleihen, wobei dem-- quasi für den Fall der Nichterfüllung-- durch den Schwanenvergleich noch ein warnendes Szenario beigegeben ist, das auf den imaginativ untrennbaren Doppelstatus des Ichs als Liebender und Sänger abhebt und so in einer zusammenhängenden Lesart der letzten drei Strophen des Verbunds die Deutung des liebesthematischen Minnemacht-Motivs in seiner Beziehbarkeit auf die Sangesthematik bereits vorführt. Denn wenn hier das Text-Ich anmahnt, dass es ihm nicht so ergehen solle wie dem Schwan, der singend sterbe, so unterstellt es damit eine nicht auflösbare Verbindung seiner beiden imaginierten Statussphären als Sänger und Liebender bis hin zur Grenze des vorgeblichen Existenzverlusts. Somit ist- - bei aller ironischen Brechung des Vorgangs etwa durch die Konfrontation der pathoshaltigen Suggestion, aus Liebeskummer sterben zu können, mit der lapidaren Bemerkung, so verlúse ich ze vil dar an ([ III ], 7 )-- bereits in Strophe C 41 durch die argumentative Nutzung des warnenden Schwanenbeispiels gegenüber der Instanz der Minne die fatalistische Einschätzung des Ichs, dieser voll- 2 Diskussion ausgewählter Parameter 257 kommen ausgeliefert zu sein, angedeutet, die in C 42 durch den Salomonvergleich aufgegriffen wird 174 und in einer interpretativen Zusammenschau der Schlusspartie der Strophe C 43 einen plausiblen Deutungshorizont bereitstellen kann, warum das Text-Ich trotz seiner-- durchaus ironisch gebrochenen-- Frustration resignativ an einer Sangestätigkeit festhält, in der es mit tru e ben mv o ten ([V], 5 ) singt und der Hoffnung auf Tröstung durch die Dame lange schon beraubt ist: Ihm fehlt einerseits jede Befreiungsmöglichkeit aus der Beherrschung durch die Minne und damit aus der emotionalen Bindung an die Dame, andererseits sind für es imaginativ Lieben und Singen untrennbar zusammengehörig und nicht separiert umsetzbar. Dem ließe sich im Übrigen für beide Bereiche als verbindende Sphäre die schon angesprochene Ästhetizitätsdimension beigesellen, die dem Textverbund über die sich netzartig durch die Strophen ziehende Schönheitsmarkiertheit der immanenten Liedinstanzen von Jahreszeit, Dame und Kunstproduktion 175 eingeschrieben ist. Denn-- die wechselseitige Bezogenheit der Kernbegriffe Schönheit, Minne und Sang hatte ja bereits auf der formalen Ebene der Einheitsstiftung der Blick auf die Verklammerung der Strophenanfänge erkennen lassen-- einerseits bildet doch die Charakterisierung der Dame als schone ein konnektives Element von Minneaffizierung und Sangesmotivation des Ichs, andererseits ist wiederum die besonders glückende artifizielle Betätigung selbst- - und zwar unabhängig davon, ob die Setzung von der Tröstungswirkung von Kunst im Strophenkontext von C 43 so ganz ernst zu nehmen ist oder nicht- - als auf Ästhetizität verpflichtet eingeführt. Zusammengenommen mit dem sich untergründig abzeichnenden Liebeskummer des Ichs und einer übrigens sich in der Strophe C 40 schon angedeutet habenden Sprechsphäre moralischer Beurteilung-(…-das ist gv o t; [II], 6 - 8 ) verfestigt sich am Ende der Strophe C 43 diese Gemengelage von Schönheitsstilisierung, Lieben und Singen schließlich zur präsentischen Zustandsbeschreibung, die dabei noch das Festhalten am erfolglosen Werbungsverhältnis durch das Text-Ich anzeigt: ich singe mit tru e ben mv o ten / der schonen fro v wen und der gv o ten. / vf ir trost ich wîlent sang. / si hat mich missetro e stet, des ist lang ([V], 5 - 8 ). 176 Mit der sich so über den dem natur- und jahreszeitthematischen Eingangsteil folgenden, andersthematischen Bereich des als liedhafte Einheit deutbaren Verbundganzen aufspannenden, suggestiven Vernetzung der Motivkreise einer Affizierung des Ichs durch die Schönheit und Integrität der Dame, der Minneherrschaft, des Liebesleids des Ichs und schließlich seiner Sangestätigkeit, die gerade gegen Ende-- unbenommen der vielen Ironiesignale-- als frustrationshaltig stilisiert ist, dürfte also das zentrale Moment in einer zusammenhängenden Interpretation der Strophen bestimmt sein, zu dem die erste 174 Wobei am Vorgang der Überwindung des Ichs durch die Minne sowohl durch das Referenzbeispiel die Handlungsunfähigkeit des Ichs zur Gegenwehr demonstriert als auch selbstironisch ‹entschuldigt› wird. Letzteres wird freilich mit der abschließenden Bemerkung des Text-Ichs, den solt han ich von ir zelone ([IV], 8 ), wieder in den Klagegestus rückgebunden. 175 S. dazu die Ausführungen oben. 176 Hervorhebungen von mir, D. E. 258 III Typeneinteilung des Natureingangs Strophe- - dann als ein Natureingang wahrnehmbar- - konnotativ, etwa über die Charakterisierung des Sommers als schone, und besonders über das grammatikalische Aufscheinen der Ich-Position am Ende von C 39 ([I], 7 f.) verbunden zu denken wäre. Wie sich dies im Einzelnen nachzeichnen lässt, wird nun im Folgenden vor allem anhand einer Darstellung solcher herstellbarer Bezüge zwischen der Strophe C 39 und den ihr folgenden C 40 - 43 zeigen, die auch noch einmal deutlich machen wird, was genau die Unterschiede zwischen einer isolierten und einer liedkontextuell eingebetteten Naturbzw. Jahreszeitenstrophe sind; denn gerade in der Beziehbarkeit einer solchen Textpartie auf einen andersthematischen Folgekontext wird man schließlich die entscheidende Weichenstellung für die statuale Wahrnehmung von jener als Natureingang erkennen können. Vergegenwärtigen wir noch einmal obige Ergebnisse der Analyse von Strophe BC 39 als tonsolitär überlieferte Einzelstrophe, so ist zu bemerken gewesen, dass diese ausschließlich bei der Naturbzw. Jahreszeitenthematik verweilt und für sich genommen gerade keine Anbindung an einen andersthematischen Block enthält. Zwar wird in ihr am Ende mit der grammatikalischen Realisation einer Ich-Perspektive durchaus eine denkbare Anknüpfungsmöglichkeit etwa der persönlichen Liebesthematik bereitgestellt, dieses Potenzial aber nicht ausgeschöpft. Im Gegenteil- - das Ich-Sprechen verbleibt vollständig im Bereich einer subjektiven Wahrnehmung saisonaler Naturdetails. Betrachtet man also BC 39 unter der statualen Prämisse einer isoliert überlieferten Einzelstrophe, so ist sie, weil in ihr eben keine hergestellten Bezüge zu einer wie auch immer gearteten Folgethematik erkennbar sind, eindeutig nicht als Natureingang zu klassifizieren, sondern als monothematische Naturbzw. Jahreszeitenstrophe. Dies ändert sich freilich grundlegend, suspendiert man in der Statuswahrnehmung der Strophe das Paradigma der Liedeinheitsqualfizierung über den tongleichen Bau und übernimmt die Zuordnung der handschriftlichen Überlieferung in C, die-- wie bereits beschrieben-- die betreffende Strophe als Anfangsstrophe eines durch Initialensetzung als zusammengehörig ausgewiesenen und durchaus als liedhafte Einheit deutbaren Strophenverbunds der Strophen C 39 bis 43 setzt. Aus der Perspektive der Fixierung des Liedes in C- - verstanden als Zeugnis einer historischen Rezeptionsstufe- - wäre so die Strophe C 39 als eine Natureingangsstrophe, die einem andersthematischen Kontext von vier Strophen vorgeschaltet ist, in den Blick zu nehmen. Denn selbst wenn sich nun einmal an der Tatsache, dass die Strophe C 39 für sich genommen keine folgethematische Partie enthält, überhaupt nichts geändert hat, ja auch durch die Begegnung der Strophe mit den ihr folgenden auf der Ebene der Textgestalt sich keine argumentativ ausformulierte Überführung der Naturbzw. Jahreszeitenthematik auf die andersthematischen Partie ergibt, erzeugt allein das Vorhandensein eines disparatthematischen Kontextes für die Strophe auf der Ebene der Wahrnehmung des Rezipienten einen interpretativen Sog in Richtung einer sinnhaften Ausfüllung 2 Diskussion ausgewählter Parameter 259 des Deutungsfreiraums zwischen der Natureingangsstrophe und dem Folgenden. 177 Doch wie könnte nun eine solche interpretative Konnexstiftung im Falle des Strophenverbunds C 39 - 43 im Einzelnen hergestellt werden? Um dies zu ergründen, ist es nötig, kurz noch einmal die inhaltlichen Angaben der Strophe C 39 zusammenzufassen: Der Sprecher kündigt hier-- wie bereits festgestellt zunächst noch eine kollektiven Wir-Perspektive einnehmend-- an, dass aktuell ein schöner Sommer nahe, den die Vögel fröhlich empfangen würden (vgl. [I], 1 - 4 ). Dass sie dies- - so ist zu unterlegen-- mit ihrem Gesang tun, zeigt schon eine mögliche Parallele zum später thematisierten Singen des Text-Ichs auf (s. o.); darauf wird noch zurückzukommen sein. Ferner gibt der Sprecher an, dass es nun die rechte Zeit sei, dass der Adler den milden Sommerwind herbeiwinke (vgl. [I], 5 f.), was im Textverlauf später mit dem Bild des Schwans für das liebend-singende Ich in eine Korrespondenzrelation tritt (s. o.)- - freilich ohne, dass sich hieraus für die konkrete Beziehung zwischen Natureingang und Ich-Thematik des Liebens und Singens etwas genaueres ableiten ließe. Viel entscheidender ist dagegen, dass ab (I), 7 f. überhaupt zum ersten Mal auch grammatikalisch realisiert die Ich-Perspektive in der Natureingangsstrophe aufscheint, die schließlich das entscheidende Bindeglied zur Ich-zentrierten Liebes- und Sangesthematik des Folgekontextes darstellt, werden doch die eigentlich zu unterscheidenden Ich-Rollen von C 39 (Verkünder und Authentizitätsgarant des saisonalen Geschehens) und C 40 (Sänger und Liebender) durch die Zusammengehörigkeitssuggestion der Strophen sofort in eine Ich-Position überblendet. Der Strophenübergang zwischen (I) und ( II ) lautet zur Erinnerung 178 : (I.),7 f.: ich bin worden gewar núwes lo v bes an der linde. ( II .),1-4: Dú schone, dú mich singen tv o t, si sol mich sprechen leren, dar abe, das ich minen mv o t, niht wol kan keren. Hierbei wird also der Rezipient-- unter der Prämisse einer Deutung der Strophen als zusammenhängend- - die in (I) begegnende Ich-Rolle einer beglaubigenden Zeugenschaft der Sommerankunft ([I], 7 f.) aufgrund der jeweils grammatikalisch präsenten Ich-Position zunächst mit der in ( II ), 1 begegnenden Ich-Rolle eines Sänger-Ichs überblenden, die dann wiederum mit den Aspekten einer Pose des Ichs als 177 Dieser Vorgang einer im Rezeptionsakt möglichen, interpretativen Herstellung eines Bezuges von Natureingang und Folgethematik im Falle von dessen Fehlen auf der Ebene der Textgestalt (keine argumentative Ausformulierung) ist oben anhand des Beispiels von Ulrichs von Winterstetten Lied 59 , V ausführlicher erörtert worden, s. Punkt III. 1 . 178 Hervorhebungen im Folgenden wiederum von mir, D. E. 260 III Typeneinteilung des Natureingangs Lernender gegenüber der Dame (vgl. [II], 2 ) bzw. der Rolle als Liebeswerbender (vgl. [ II ], 2 ) in eins fallend konzeptualisiert werden wird. Somit werden über eine als kohärent gedeutete und damit die entscheidende Brücke bildende Ich-Position, in der die differierenden Ich-Rollen aufgehen, auch nicht nur die betreffenden Ich-Aspekte des Strophenübergangs als zusammengehörig wahrgenommen, sondern generell die in (I) und ( II ) vom Sprecher getroffenen Aussagen, wird doch die grammatikalische Ich-Perspektive als Kristallisationspunkt dieser Textinstanz aufgefasst. Jene können nun also im Interpretationsvorgang problemlos konnotativ miteinander in Bezug gesetzt werden. Wenn deshalb in ( II ), 1 das Text-Ich angibt, es sei eine schöne Frau, die es zum Singen veranlasse, so wird damit augenblicklich ein aus der (erweiterten) Minnesang-Tradition bekanntes Deutungsmuster der Einbindung des Topos suspendiert, das bis dato-- nimmt man die Strophe C 39 als Natureingang wahr-- vor allem wegen des emphatischen, sich an ein Wir-Kolektiv richtenden Kündigungsgestus am Anfang der Strophe (Der schone svmer get vns an; [I], 1 ), des benutzten Vokabulars eines Empfangs der Jahreszeit (vgl. [I], 4 : die schonen zit vil wol enpfan) und der Anerkennung der jahreszeitgemäßen Ordnung (vgl. [I], 5 : iarlang ist reht-…) sowie des Abzielens auf Beglaubigung des Verkündeten (vgl. I, 7 : ich bin worden gewar) und besonders dem Fehlen von liebesthematischer Ich-Absonderung als konnotativer Hintergrund am plausibelsten vom Rezipienten unterlegt werden mag, nämlich: das Modell einer komplementär mit der Saison des Sommers laufenden, ja kausal aus ihr ableitbaren Sangestätigkeit des Ichs («Weil Sommer ist, singe ich-…»). 179 Mit 179 Dieses Anbindungsmodell begegnet häufiger als im Minnesang in der Trobador- und Trouvérelyrik, vgl. etwa den bereits angeprochenen Natureingang des Liedes PC 70 , 24 von Bernart de Ventadorn (Punkt II. 2 ); die Sangesthematik ist dort aber ebenfalls häufig auf die Liebesthematik hin perspektiviert wie z. B. Cercamon, Lied PC 112 , 4 : Ab lo temps qe·s fai refreschar / lo segle e· [ls pratz] reverdezir, / vueil un novel chant comenzar / d’un’ amor cui am e dezir (I, 1 - 4 , «Mit der Jahreszeit, die sich wieder beleben macht / die Welt und die Wiesen wieder grün, / will ich ein neues Lied beginnen / von einer Liebe, die ich liebe und ersehne»; zitiert nach und Übers. angelehnt an: The poetry of Cercamon and Jaufre Rudel, hg. und übers. von George Wolf und Roy Rosenstein, New York u. a. 1983 [Garland library of medieval literature, Series A, 5 ], S. 44 f.) oder mit dieser verschlungen auftretend wie Giraut de Bornelh, Lied PC 242 , 12 , Str.If.: Aquest terminis clars e gens, / Qu’es tan deziratz e volgutz, / Deu esser ab joi receubutz / E chascus en sia jauzens, / Car ven estatz / Ab sas clartatz! / A cui no platz / Jois ni solatz, / non es amatz / Ni amaire. / / A me melhura mos talens / Pel joi, car issem a la lutz. / Que totz lo deportz e ·l desdutz / Conve qu’esta sazo comens. / Pos vei los pratz / E ·ls bois folhatz, / Eu volh sapehatz / Per amistatz / Sui envezatz / E chantaire. («Diese helle und anmutige Jahreszeit, / die so sehr ersehnt und gewollt ist, / muss mit Freude empfangen sein / und jeder sei durch sie fröhlich, / weil der Sommer kommt / mit seiner Helligkeit! / Wem nicht gefällt / Freude noch Unterhaltung, / der ist nicht geliebt / noch ein Liebhaber. / / Mir bessert sich mein Sinn / durch die Freude, weil wir ans Licht herauskommen. / Es ziemt sich, dass alle Lust und Vergnügung / in dieser Jahreszeit anfängt. / Wenn ich die Wiesen und die belaubten Wälder sehe, / bin ich-- das sollt ihr wissen-- / durch Liebe / lustig / und ein Sänger»; zitiert nach und Übersetzung angelehnt an: Sämtliche Lieder des Trobadors Giraut de Bornelh. 2 Bde., mit Übers., Komm., und Gloss. kritisch hg. von Adolf Kolsen, Halle a.S. 1910 - 1935 , Bd I.: Texte mit Varianten und Übersetzung, Halle a.S. 1910 , S. 34 f.; Hervorhebungen von mir, D. E.). So mag diese Konzeptualisierung der Anbindungsrelation von Jahreszeit und San- 2 Diskussion ausgewählter Parameter 261 der einem solchen Eindruck aber konkurrierenden Angabe der Dame als Grund seines Sanges entsteht nun jedoch vielmehr ein Relationierungskonnex zu dem im Natureingang von (I) so prononciert herausgearbeiteten Verhalten der Vögel und dem des Ichs, der sich als Überbietungsbeziehung konzeptualisieren lässt, in dem Sinne: nicht etwa wie bei den Vögeln, die einfach in ihrer kreatürlichen Freude den Sommer willkommen heißen, ist die schöne Jahreszeit Grund für das Text-Ich zu singen, sondern eine schöne Frau und damit ein im Bereich der persönlichen Emotionalität verankerter und von der kosmisch-naturhaften Zeitordnung unabhängiger Faktor. Denn freilich fließt schon hier in II , 1 mit der Formulierung, Dú schone, dú mich singen tv o t, die Sphären von Sanges- und Liebesthematik über die Charakterisierung der Dame als schön und die Information einer Veranlassung des Sangs durch die Frau verwischend, auch überhaupt die Minneaffiziertheit des Ichs als präsenter Deutungshorizont mit ein. Somit würde in Lied C 39 - 43 als Deutungsmuster des sich-- formal-typologisch der Kategorie B.) zugehörigen-- Natureingangs das Modell einer in Bezug auf die saisonale Zeitordnung von Sang bzw. Nicht-Sang komplementär angebundenen Sangesthematik konnotativ genutzt, um es gleichzeitig mit Eintreten der Folgethematik sofort wieder zu desavouieren und in der Hinsicht der Sangesmotivation-- die wiederum die persönliche Liebesthematik subkutan in die Einbindungsrelation mit einfließen lässt-- in seiner Geltungskraft für das Text- Ich zu relativieren. Insofern stünde diese argumentative Sinnunterlegung in gewissem Maße auch dem Muster einer komplementären Einbindung der emotionalen Lage des liebenden Ichs über die Bezugsherstellungstechnik einer ‹Ablehnung der Geltung› sehr nahe. 180 Die sich im hier vorliegenden Falle in der interpretativ knüpfbaren Relation von Natureingang und Folgethematik für den Bereich der Sangesmotivation andeugesthematik, auch wenn sie sich für den deutschen Minnesang vor Heinrich von Veldeke nicht direkt nachweisen lässt, durchaus als prinzipiell verfügbares Rezipientenwissen für das Lied angenommen werden; darauf deutet übrigens auch die Strophe MF 19 , 7 des Burggrafen von Rietenburg hin, für die dieses Deutungsmuster zumindest als Verständnishintergrund vorausgesetzt werden muss: Sît sich hât verwandelt diu zît, / des vil manic herze ist vrô. / taet ich selbe niht alsô, / sô wurde ervaeret mir der lîp, / Der betwungen stât. / noch ist mîn rât, / daz ich niuwe mînen sanc. / ez ist leider alze lanc, / daz die bluomen rôt / begunden lîden nôt. Interessanterweise ist hier die Angabe ez ist leider alze lanc ( 8 ), an die Vers [V], 8 mit dem zweiten Halbsatz des ist lang als Schlusspunkt des hier betrachteten Veldeke-Strophenverbunds nicht von ungefähr erinnert, aber auf das Naturgeschehen (Winterleid der Blumen) bezogen und nicht auf die vergebliche Sangestätigkeit des Ichs. Gleichwohl lässt sich aber-- nimmt man eine deutende Perspektive gegenüber den Strophen Heinrichs ein, die von einer gewissen Einheitsbildung ausgeht- - der Schluss gerade vor dem Hintergrund der dann als Natureingang wahrnehmbaren Strophe C 39 wiederum als eine Absetzungsbewegung vom jahreszeitenaffizierten Sang deuten, vor der die minneangeregte Kunstübung, auch wenn sie frustrierend ist, als exzeptionelle Leistung des Ichs in den Blick gerät. Somit wäre jedenfalls eine Schlusspointe des Strophenverbunds zu konstatieren, die mittels einer möglichen Allusion an die Strophe des Burggrafen von Rietenburg für eine auf die einleitende Naturthematik zurückverweisende Rahmung sorgt. 180 S.o., Schaubild II. 262 III Typeneinteilung des Natureingangs tende Relevanzüberbietung der kosmologischen Ordnung durch den Bereich der persönlichen Liebesaffizierung wird übrigens durch die sich durch die Wortkorrespondenz blide / blideschaft zwischen den beiden Strophen aufspannende Vernetzung der Partien (I), 2 - 4 und ( II ), 6 - 8 noch verstärkt, wobei die sentenzartige Setzung am Schluss von ( II )-- dies ist von mir bereits ausgeführt worden-- die saisonalbedingte, kreatürliche Freude der Vögel durch das (pseudo-? )ethische Vorbild einer Freudenvermehrung mit dem qualifizierenden Zusatz einer Wahrung von êre noch gesteigert. Und schließlich kann das Text-Ich seine blideschaft-- so wird suggeriert-- bezeichnenderweise überhaupt erst über das richtige sprechen, für das er Anleitung durch die Dame erbittet (vgl. [ II ], 2 ), sichern, ist also an gewisse Vorgaben auf der Formulierungs- und Ausdrucksebene gebunden. Freilich verhüllen wiederum alle diese Einschränkungen nicht, dass allein durch die Wiederaufnahme des Wortes blide in Form seiner Nominalisierung durch [II], 6 - 8 die Sphäre kreatürlicher Freude konnotativ mitaufgerufen ist und so erhellt, was der eigentliche Zweck des Einbaus der Sentenz-- und damit Inhalt der ‹unanstößig›-sublimierend zu formulierenden Absichten des Text-Ichs-- ist, nämlich die Dame zur Einwilligung in dessen Wunsch nach körperlicher Liebeserfüllung zu bewegen. Mit der in den ersten beiden Strophen herstellbaren Inbezugsetzung einer jahreszeitenbedingten Sangestätigkeit der Vögel mit der minneverursachten des Ichs, die mit dem Bemühen des Text-Ichs um die Fertigkeit der richtige Ausdrucksweise des Begehrens in der Werbungsrede-- gleichgültig, ob man diese nun im Kontext von Sang oder stärker ‹lebensweltlich› als konkrete Rede des Mannes an die Frau denken mag-- verbunden ist, wobei übrigens wiederum jene auf eine ethisierende Überbietung der Fröhlichkeit der Vögel hin perspektiviert wird, ist somit von einer kritischen oder resignativen Sangeshaltung des Ichs noch nichts zu spüren. Vielmehr herrscht in dieser Partie ein recht ungetrübter Sangesoptimismus vor, wie er sich etwa gerade in der suggestiven Gleichsetzung von gehörigem Ausdruck des Werbungsinteresses mit dem Erreichen von dessen Durchsetzung durch das Text-Ich im Ziele der Vermehrung von blideschaft am Ende der Strophe ( II ) zeigt. Diese positive Erwartung bezüglich seiner Sangestätigkeit baut sich für das Text-Ich aber schon in der Strophe [ III ] ab, wenn es mit dem warnenden Bild des singend sterbenden Schwans (vgl. [ III ], 5 - 7 ) auf die von ihm als existenziell-bedrohlich herausgestellte Gefahr hinweist, in seiner unauflösbaren Doppelrolle als Sänger und unglücklich Liebender vor Kummer zugrunde zu gehen. Ja über die Stationen einer Betonung seiner Machtlosigkeit gegenüber der Inbesitznahme durch die Liebe ( IV ) und der Anführung seiner Enttäuschung in der Hoffnung, sein Singen könne die Dame zu einem Entgegenkommen bewegen (V), wobei Letzteres durchaus an den anfangs zu konstatierenden Sangesoptimismus erinnert und ihn in der Zusammenschau quasi zeitlich perspektiviert, kommt das Text-Ich am Ende des Strophenverbunds zu einer völlig anderen Einschätzung seiner Lage: Der abhängig vom saisonalen Rhythmus sich einstellenden, und somit von Jahr zu Jahr perpetuierenden Freude der Vögel steht nun eine sich schon lange als frustrierend erweisende Sangestätigkeit 2 Diskussion ausgewählter Parameter 263 des Text-Ichs gegenüber, das aufgrund der unerfüllten Liebe seiner Dame-- jeglicher Hoffnung auf trost beraubt-- mit tru e ben mv o ten singen muss (vgl. [V], 5 - 8 ). Somit ließe sich für die fünf Veldeke-Strophen also festhalten, dass-- nimmt man sie als liedhafte Einheit wahr-- in ihrem Kontext die Einzelstrophe BC 39 sehr wohl als Natureingang zu klassifizieren wäre, da er, obwohl er freilich keine ausformulierte und argumentativ hergestellte Herauspräparierung der Ich-zentrierten Folgethematik leistet, dennoch diese entscheidend profiliert, wie dies hier an den Eckpunkten einer Markierung der Sangestätigkeit des Ichs als exzeptionell, weil von einer rein jahreszeitlich begründeten Motivation des Sommerempfangs abgehoben, und der Kontrastierung der dauerhaft kummervollen Bemühung des Text-Ichs durch die saisonale Freude der Vögel vorgeführt worden ist. Doch wie wäre nun in unserem Zusammenhang einer systematischen Bestimmung des Topos ‹Natureingang› und der Aufstellung seiner typologischen Varianten mit der Strophe MF 66 , 1 umzugehen? Sollte man der handschriftlichen Überlieferung durch C folgen, wodurch sie dann als Natureingang einer liedhaften Einheit in den Blick zu nehmen wäre, und dabei das für die Editionsphilologie letztlich wohl doch nicht so ohne Weiteres suspendierbare Gebot der Tongleichheit für die Liedzusammengehörigkeit ignorieren? Dies scheint mir nun auch nicht unbedingt angebracht zu sein, gibt es doch-- auch wenn die Ebene der produktionsästhetischen Intention durch den Autor für uns unerreichbar ist- - durchaus deutliche Signale dafür, dass die in den Handschriften B und C überlieferte Abfolge der Strophen in unmittelbarer Nachbarschaft ein sekundäres Rezeptionsphänomen ist. 181 Somit wird einem-- obwohl für diese Texte das Stadium ihrer handschriftlichen Fixierung der Texte unhintergehbar ist und daher Zuordnungen, die hier erfolgen, nicht einfach zugunsten von spekulativen Überlegungen über das ursprüngliche Erscheinungsbild des Überlieferten vorschnell abgewiesen werden sollten-- nichts anderes übrig bleiben, als die über die Ausrichtung am Tongleichheitsgebot unweigerlich rekonstruktiv ausgerichtete Texteinrichtung in Form von vier isolierten Einzelstrophen und einer in einen anderen Liedzusammenhang gehörigen Strophe ( MF 60 , 21 ) durch die modernen Editionen in ihrer Berechtigung anzuerkennen. Damit würde freilich MF 66 , 1 als Einzelstrophe im Kontext einer Typologie des Natureingangs gerade keine Rolle mehr spielen, eben weil sie konsequenterweise nicht als vollständige Realisation dieses Topos gelten kann. Unbenommen davon bleibt der hier ausführlicher beleuchtete Vorgang einer Zusammenschließung der fünf Strophen bei der Einrichtung der Handschrift C und eine durch sie so nahegelegte Ergründung möglicher Deutungszusammenhänge zwischen den betreffenden Strophen insofern sinnvoll, als damit ein aufschlussreiches Bild vom durchaus immer noch lebendigen und produktiven Umgang mit der Minnesangtradition in der Phase ihrer handschriftlichen Fixierung, die also keinesfalls als bloß konservierend gedacht werden 181 In dieser Hinsicht könnte mithin der Refrain der Strophe MF 60 , 21 (II), der diese doch sehr eng an die Strophe MF 60 , 13 bindet, gedeutet werden. 264 III Typeneinteilung des Natureingangs darf, zu gewinnen ist, das in weiteren solcher oder ähnlicher Interpretationsversuche noch genauer zu vertiefen wäre. ii Hermeneutische Komplikationen: Hug von Werbenwag, KLD 27 , IV Doch auch abgesehen von der Frage, wie der Status von scheinbar isoliert zu denkenden Natur- und Jahreszeitenliedern bzw. -strophen im Kontext ihrer überlieferungsgeschichtlichen Einbettung zu beurteilen ist, zeigen sich bei den für diesen Typ in Betracht gezogenen Beispielen für die Beurteilung des ‹Vorhandenseins› möglicher Folgethematiken nicht selten Probleme hinsichtlich einer distinkten Abgrenzung. Die Zuordnung der Strophen und Lieder zum Topos des Natureingangs (mit Überleitung auf eine Folgethematik) und Naturbzw. Jahreszeitenlied (ohne Folgethematik) hängt nämlich bei bestimmten Extremfällen davon ab, inwiefern man beispielsweise mögliche Anspielungen auf eine Folgethematik im Sinne eines für den Rezeptionsvorgang ausreichenden Anreizes aufgerufen sieht, die Natur-und Jahreszeitenthematik etwa auf die Liebesthematik hin zu perspektivieren und unter den für die Anbindungsoperation sonst genutzten Mustern auszudeuten. Für diese-- wiederum nur durch graduelle Abwägung zu lösende- - Frage scheinen mir die beiden Lieder KLD 27 , IV und V (eine isoliert stehende Einzelstrophe am Ende des Œuvres 182 ) des Hug von Werbenwag ein guter Ausgangspunkt zu sein, von denen zumindest das erstere hier exemplarisch betrachtet werden soll. 183 182 Insofern muss freilich für Lied V eine Diskussion der vom C-Redaktor gesetzten Markierungen hinsichtlich seiner Einschätzung eines möglichen fragmentarischen Status (s. oben meine Ausführungen zu Lied KLD 54 , II des Von Stadegge) entfallen, da hier am Ende des Liedcorpus (fol. 253 r) nicht erkennbar ist, ob beim Eintrag der Strophe noch Platz für weitere zugehörige Liedstrophen gelassen worden ist oder KLD 27 , V als Œuvre-abschließendes und konzeptionell so auch intendiertes Einzelstrophenlied begriffen wurde. Für Letzteres könnte übrigens zudem der ungewöhnlich dichte Grad an rhetorischer Durchformung der Strophe etwa durch reiche Anwendung der Figura etymologica sprechen, der die Strophe im Œuvre als ein herausragendes Demonstrationsexempel von Hugs artistischer Meisterschaft markiert. 183 Der im Folgenden zu demonstrierende Befund, dass die Frage nach einem möglichen ‹Vorhandensein› einer Folgethematik oftmals schwerlich anhand positivistischer Merkmalssuche trennscharf zu entscheiden ist, sondern bisweilen nur über die im Lied aufgerufenen Assoziationen geklärt werden kann, die aber freilich dann auf der Rezipientenebene gar nicht immer zwingend zugeschaltet werden müssen, ließe sich genauso gut auch detailiert an Hugs Lied V nachzeichnen, worauf ich jedoch aus Raumgründen verzichtet habe. Dennoch seien mir nachstehende Anmerkungen dazu gestattet: Carl von Kraus setzt in seiner KLD-Edition des einstrophig überlieferten Liedes KLD 27 , V: Der svmer svmerbernde kvmt für den nach einer rein naturthematischen Anfangspassage, die reich mit etymologischen Wortspielen (z. B. svmer svmerbernde / wunne wunnekliche [V. 1 / 2 ]) und Farbassoziationen (z.B. V. 9 f.: hie gelwer gel, dert blawer bla, / da wîsse wîsser lilien schin) geschmückt ist, folgenden-- sicher etwas rätselhaften-- Schlussatz got verwet varwe vil der werlte, die welt bas anderswa (V. 11 ) die Konjektur got verwet var hie vil der werlt, die werlt baz anderswâ (KLD I, S. 184 ; Hervorhebung- - wie im Folgenden-- von mir, D. E.), um dadurch ein rein naturthematisches Verständnis der Strophe abzusichern (vgl. KLD II, S. 244 : «Aber woran denkt der Dichter bei dem anderswâ? An den blauen Himmel, die Wolken, die Morgen- und Abendröte sowie den Regenbogen? »). Er rechtfertigt diesen Eingriff mit der Bemerkung, der Vers sei sonst kaum verständlich, verlange 2 Diskussion ausgewählter Parameter 265 Hugs Lied IV ist in diesem Zusammenhang besonders deswegen ein recht interesanderswâ doch ein hie (eigentlich ein hie ûf erden) als Gegenstück, ja das handschriftliche varwe sei zudem ein «sonderbarer innerer Akkusativ» (vgl. und Zitat entnommen: ebd.). Wenn man aber nun bei der handschriftlichen Lesart bleibt, so öffnet sich m. E. der Vers für ein ganz anderes Verständnis des Strophenschlusses, der die Naturpassage assioziativ auf eine andersthematische Einheit hin perspektiviert und so durchaus das Verständnis als Natureingang ermöglicht. Denn zum einen ist die Aussage des Schlussverses dann durch einen- - wie im Folgenden dargelegt- - liebesthematisch ausgedeuteten Konnotationshintergrund auch ohne das spekulativ von Kraus ergänzte hie sinnvoll zu verstehen, zum anderen leuchtet mithin nicht ein, warum verwen nicht mit der Objektergänzung varwe vil (substantiviertes Adjektiv vil im Akk.; varwe als partitiver Genitiv im Sg. oder Pl. [vgl. dazu BMZ IV, S. 241 ]) zu konzeptualisieren ist. Der werlte wäre hierbei- - übrigens anders als in der Übertragung von W. Höver / E. Willms, Gedichte von den Anfängen bis 1300 , S. 307 , die die Form als Genitivattribut zu varwe deuten-- als Dativergänzung der Satzaussage zu werten («für die Welt»), was zu folgender Übersetzung führt: «Gott färbt der Welt viele Farben, noch besser färbt er die Welt anderswo». Mag sein, dass dann das für den zweiten, elliptisch angehängten, Satzteil gegenüber der ersten Phrase veränderte Akkusativobjekt (die welt), das verglichen mit der im ersten Satzteil etablierten Objektposition von werlt nun verschoben erscheint, etwas holprig erscheinen mag, dies könnte jedoch als irritativer Marker der überraschenden Schlusspointe durchaus beabsichtigt sein. Denn mit jenem ‹anderen› Bereich der Welt, auf den die Verszeile neben der bunt gefärbten, sommerlichen Natur Bezug nimmt und der diese ja in seiner Farbenpracht noch übertrifft, scheint mir das Lied auf ein Anbindungsmuster des Natureingangs abzuzielen, das unter dem Stichwort ‹Frauenschönheit übertrifft die Natur› bereits angesprochen worden ist, und das erste Mal prominent von Walther in seinem Lied L 45 , 37 ausgespielt wird (freilich in wiederum singulärer Überblendung mit der Schilderung eines kultivierten «Auftritts der höfischen Dame» [Schweikle, Walther: Liedlyrik, S. 587 ] inklusive Kleidung, Kopfputz, gesellschaftlicher Begleitung und besonderem Gestus): Sô die bluomen ûz deme grase dringent, / same si lachent gegen der spilden sunnen / in einem meien an dem morgen vruo, / und diu cleinen vogellîn wol singent / in ir besten wîse, die si kunnen, / waz wunne mac sich dâ genôzen zuo? / Ez ist wol halb ein himelrîche. / suln wir sprechen, waz sich deme gelîche, / sô sage ich, waz mir dicke baz / in mînen ougen hât getân / und tæte ouch noch, gesæhe ich daz. / / Swâ ein edeliu schœne frowe reine, / wol gecleit unde wol gebunden, / dur kurzewîle zuo vil liuten gât, / hovelîchen hôchgemuot, niht eine, / ein wênic umbe sehende under stunden, / alsam der sunne gegen den sternen stât,-- / Der meie bringe uns al sîn wunder, / waz ist denne dâ sô wunneclîches under / als ir vil minneclîcher lîp? / wir lâzen alle bluomen stân / und kapfen an daz werde wîp (Fassung A, Str. I-II; vgl. zu diesem Argumentationsmuster noch die weiteren Belege oben). Wenn nun aber die Schönheit der Frau-- ob die einer bestimmten oder des ‹Prinzips› Frau wie später bei Konrad von Würzburg (oft in den Wintereingängen [! ], vgl. etwa das oben besprochene Lied Schröder Nr. 8 , Vv. II, 1 - 4 ), ist nicht zu entscheiden-- mit dem Hinweis auf das anderswa in Hugs Lied gemeint ist, das Gott noch besser gefärbt hat als die sommerliche Natur, dann steht für Lied 27 , V sehr wohl ein-- freilich eher assoziativ zu füllender-- folgethematischer Aspekt zur Verfügung, der die zuvorstehende Naturpassage als Natureingang lesbar macht. Zu diskutieren bleibt freilich, inwiefern nicht auch eine ins Transzendentale überspielende, religiöse Deutung des Schlussverses möglich ist, die von der abweichenden Auffassung des Strophenschlusses bei Höver / Willms nahegelegt wird, die durch eine andere syntaktische Zuordnung von die welt die Problematik der Akkusativobjektverschiebung für den Satz aufzulösen versuchen, nämlich: got verwet varwe vil der werlte die welt- - bas anderswa (dies., Gedichte von den Anfängen bis 1300 , S. 307 ). Die abgedruckte Übersetzung dazu lautet: «Gott färbt die Welt vielfach in bunten Farben der Welt [? ]-- schöner [färbt er? ] anderswo» (ebd.; Anm. von den Hgg.); für eine mariologisch-religiöse Lesart, die gleichwohl Raum für-- stimmliche ‹Präsenz› 266 III Typeneinteilung des Natureingangs santes Beispiel, weil es das Problem aufwirft, inwiefern das vor dem Hintergrund der mittellateinischen Liebeslyrik signifikante und im Anschluss an die Neidharttradition für den Minnesang des 13 . Jahrhunderts nicht eben seltene Natureingangs-Motiv des Aufrufs zu kollektiver Freude der Jungen sich wirklich trennscharf von der liebesdidaktischen bzw. gesellschaftsthematischen Folgethematik (s.oben, Typ A.I/ II .a. 3 .) separieren lässt. Deswegen sei das dreistrophige Lied hier zunächst einmal vorgestellt: Hug von Werbenwag, KLD 27 , IV : Fro e idenricher sv e sser meie I. C 13 Fro e idenricher sv e sser meie, dv solt willekomen sin: scho e ne blv o men maniger leie bringet vns din liehter schin. ia hastv die werlt vil gar gescho e net, fri gefro e net---vogellin. II. C 14 Da bi ho e rt man sv o sse singen die vil lieben nahtegal, in dem walde lute erklingen ir vil wunneklichen schal; da hat si den svmer wol gehuset, verkluset---stêt ir sal. III. C 15 Ob wir hie bi trurig weren, wie gezême vns ivngen das? bi so wunneklichen meren zimt vns fro e ide michels bas. ia svln wir den lúten fro e ide machen, gar verswachen---argen has. [I. Freudenreicher, lieblicher Mai, du sollst willkommen sein: verschiedene schöne Blumen bringt uns dein heller Glanz. Wahrlich, du hast die Welt überaus vollkommen geschmückt, als frei die Vögelchen eingesetzt. II . Dadurch hört man lieblich singen die überaus geschätzte Nachtigall, suggerierende-- Klangeffekte lässt, plädiert auch E.-M. Hochkirchen, Präsenz des Singvogels, S. 267 . 2 Diskussion ausgewählter Parameter 267 im Wald laut erklingen ihren sehr beglückenden Gesang; Dort hat sie den Sommer über schön gewohnt, eingeschlossen ist ihr Saal. III . Wenn wir dazu traurig wären, wie würde uns jungen Leuten das anstehen? Bei so beglückenden Ereignissen steht uns Freude weitaus besser an. Wahrlich, wir müssen den Leuten Freude machen, völlig die schlimme Feindseligkeit vernichten! Hugs Lied realisiert hierbei eine auf die schöne Jahreszeit (meie [I, 1 ]; svmer [ II , 5 ]) hin perspektivierte Rede eines grammatikalisch nicht in der Ich-Form eingelösten, jedoch zumindest vor der Folie der in Strophe I und III aufscheinenden Kollektivsphäre eines wir 184 konturierbaren Sprechers. Nach der euphorischen Begrüßung des Maies 185 und dem anhand typischer Naturdetails (vor allem Blumenpracht und 184 Diese wir-Kollektivinstanz wird aus der direkten Anrede des Maies als Gegenüber (dv solt willekomen sin; I, 2 , Hervorhebung-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.) herauspräpariert, indem diesem eine die Sängerposition inkludierende Gruppe zugeschaltet ist, die von der schönen Jahreszeit profitiert (scho e ne blv o men maniger leie / bringet vns din liehter schin; I, 3 f.) und darüber hinaus durch den Hinweis auf die Gesamtheit der werlt kosmologisch abgesichert ist (vgl. I, 5 : ia hastv die werlt vil gar gescho e net). Diese Wir-Gemeinschaft wird dann in der dritten Strophe unter etwas anders gelagerten Vorzeichen (statt Du-Anrede Annäherung an das Werbungsliedregister bzw. die Spruchdiktion, s. unten) wieder aufgegriffen (vgl. III, 1 f.) und über die Charakterisierung vns ivngen (III, 2 ) auf eine exklusive Lebensalteridentität hin eingeschränkt, durch die sie von den anderen (den liuten) hervorgehoben ist, vgl. bes. III, 5 : ia svln wir den lúten fro e ide machen. Hinsichtlich der Sprechkonstellation scheint lediglich die Binnenstrophe mit ihrer ausführlichen Umsetzung von Naturdiagnose am Beispiel der Nachtigall aus dem Rahmen zu fallen, die jedoch über das Pronomen man gleichwohl die Sphäre von Kollektivität für die Wahrnehmung des Jahreszeitenwechsels mit hereinholt (vgl. II, 1 f: Da bi ho e rt man sv o sse singen / die vil lieben nahtegal). 185 Die hierzu am Anfang des Liedes an den Mai gerichtete Adresse Fro e idenricher sv e sser meie, / dv solt willekomen sin (I, 1 f.) nimmt dabei mottohaft wichtige Kernvokabeln des weiteren Liedverlaufs vorweg (vgl. z. B. den Beginn der Binnenstrophe Da bi ho e rt man sv o sse singen [II, 1 ] oder das wiederholt gesetze Wort fro e ide in der dritten Strophe (vgl. III, 4 f.) und etabliert so bereits von Anfang an ein eng geflochtenes Netz aus Motiventsprechungen und Formulierungskorrespondenzen, das das gesamte Lied durchzieht. In diesem Zusammenhang wäre etwa auch auf die Gestaltung der anaphorischen Verknüpfung der Verse I, 5 und III, 5 (ia hastv die werlt vil gar gescho e net; ia svln wir den lúten fro e ide machen) zu verweisen, die mit der gemeinsamen Realisierung von wir-Sprechhaltung in den beiden Außenstrophen korrespondiert. Darüber hinaus wird aber durch die reimverbundene Modifizierung des entsprechenden Versbeginns im Parallelverses II, 5 (da hat si den svmer wol gehuset) sowohl die Kohärenzbeziehung wie auch die Abgesetztheit der Binnenstrophe unterstrichen, die sich wiederum mit dem obigen Befund bezüglich der Sprechhaltung von Str. II deckt (Detaildiagnose vs. wir- Gestus der Außenstrophen, jedoch Aufscheinen von Kollektivität der Naturwahrnehmung). Diese Tendenz zu unterschiedlicher Profilierung von Binnenpartie und Außenstrophen bei gleichzeitiger übergreifender Kohäsionsstiftung lässt sich im Falle des besprochenen Parallel- 268 III Typeneinteilung des Natureingangs Vogelsang 186 ) ausgeführten Jahreszeitenpreis fordert er die Gruppe der jungen Leute, denen er sich zurechnet (vgl. das vns ivngen [ III , 2 ]), zu jahreszeitenadäquater fro e ide ( III , 4 ) auf. Dabei wären im Sinne der oben aufgestellten Minimaldefinition eines saisonal organisierten Natureingangs alle Anforderungen ( Jahreszeitennennung, Naturdetails, Aktualitätsimagination 187 ) erfüllt, die Frage nach der Umsetzung einer für die Einordnung in den Bereich der Topik aber ebenso zwingenden Folgethematik ist jedoch nicht so einfach zu beantworten. Zwar steht mit der dritten Strophe, die verses zudem an der Anbindung der zweiten Strophe an die Anfangsstrophe über die korrespondierende Nutzung des Verbes hân (I, 5 : hastv / II, 5 : hat) nachzeichnen, die ja aber auch die unterschiedliche Sprechhaltung (I: Du-Anrede, II: Narrationsgestus) signifikant von einander absetzt. Dazu passt auch die Inbezugsetzung der Strophen II und III über die Wortkorrespondenz wunneklichen (II, 4 / III, 3 ), wobei wiederum die in beiden Strophen eingesetzte Vokabel differierend zugeordnet ist (II, 4 : innerhalb des Naturberichts dem schal der Nachtigall, III, 3 : dem Bericht von den Naturdetails selbst als den wunneklichen meren). An den hier skizzierten Korrespondenz- und Differenzbezügen zeigt sich somit wiederum ein erstaunlich hoher Grad an rhetorischer Durchstilisiertheit von Lied IV, der m. E. mit der von der Forschung vorgeschlagenen Einordnung als ‹Tanzlied› (vgl. KLD II, S. 243 ), der der Beigeschmack des Inhaltlichwie Stilistisch-Anspruchslosen anhaftet, nicht recht zusammenzubringen ist. 186 Hierbei fällt freilich die recht unterschiedliche Ausschöpfung der beiden Naturmotive ins Auge: Während die sommerliche Blumenpracht in Str.I nur relativ kurz erwähnt ist (vgl. I, 3 f.: scho e ne blv o men maniger leie / bringet vns din liehter schin) und schnell auf die übergeordnete Ebene einer saisonal bedingten Schönheit der Welt gehoben wird (s. I, 5 ), ist die ebenfalls bereits in Str. I eher stichpunktartig aufgeführte Vogelmotivik (vgl. I, 6 : fri gefro e net vogellin) in der Binnenstrophe zum ausführlichen Bericht über die veränderte Situation der Nachtigall ausgebaut, die mit dem Motiv der schützenden Behausung des Vogels im Sommer durch das Laub der Bäume (vgl. II, 5 f.: da hat si den svmer wol gehuset, / verkluset stêt ir sal; s. dazu die Erklärung in KLD II, S. 243 ) eine recht ungewöhnliche Ableitung des Vogelmotivs präsentiert, ja diesen Umstand durch die dreimalige Nutzung eines Wohnraum-bezogenen Wortstamms (hûs-- klûse-- sal) in seiner Exzeptionalität noch demonstrativ hervorkehrt. Dabei fällt auf, dass das vorgeblich für jedermann wahrnehmbare Singen der Nachtigall (vgl. die sinnliche Unmittelbarkeit suggerierende akkustische Wortkette singen [II, 1 ], lute erklingen [II, 3 ], schal [II, 4 ] und die bereits dargestellte kollektive Absicherung der Hörbarkeit, s. o.) in einem Gegensatz zu ihrer fehlenden optischen Wahrnehmbarkeit steht (ir sal ist verkluset! [vgl. II, 6 ]). Damit ist in die Realisierung des Vogelmotivs andererseits auch ein Distanzierungsvorgang eingebracht, der der Imagination von Unmittelbarkeit entgegensteht. Dieses Spannungsverhältnis wird noch dadurch verstärkt, dass die Angabe über den Wohnort der Nachtigall zunächst auf den vorherigen Sommer bezogen und damit in eine Vorzeitigkeitssphäre gerückt ist, bevor überhaupt auf Präsentik der Aussage abgezielt wird (da hat si den svmer wol gehuset / verkluset- - - stêt ir sal [II, 5 f.] ). Die hier am Beispiel von Hugs Lied IV gemachten Beobachtungen zum diffizilen Realisationsmodus der Vogelmotivik im Minnesang, die oft zwischen den Polen einer Unmittelbarkeitsimagination und gegenläufigen Distanzierungstechniken changiert, verdanke ich besonders dem Austausch mit Eva-Maria Hochkirchen, die sich viel umfassender mit der besonderen poetologischen Valenz des Vogelmotivs in Minnesang und Trouvèrelyrik beschäftigt hat (vgl. dies., Präsenz des Singvogels). 187 Diese ergibt sich vor allem durch die Anrede und Begrüßung des Maies in I, 1 f., die Aufführung der blumenspendenden Wirkung im Präsens (I, 3 f.) und der im Perfekt resultathaft festgehaltenen Verschönerung der Welt (I, 5 ) und Befreiung der Vögel (I, 6 ). Zudem wird durch die in II, 1 f. erfolgende Stilisierung der Wahrnehmbarkeit des Nachtigall-Gesangs als kollektiv gültig (vgl. das Da bi ho e rt man) der Suggestionssog auf eine aktuell ablaufende, statual als ‹außenweltreal› zu imaginierende Natur- und Jahreszeitenrede hin verdichtet. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 269 den Freuden-Aufruf des Sprechers an die Jugend und den Hinweis einer gesellschaftsübergreifenden Beglückungspotenz dieser Freude präsentiert (vgl. III , 5 f.: ia svln wir den lúten fro e ide machen / gar verswachen---argen has) 188 , ein inhaltlicher Ansatzpunkt zur Verfügung, der als Folgethematik etwa im Sinne einer spruchhaftgesellschaftsthematischen Ausdeutung in Frage käme 189 ; allerdings handelt es sich bei dem Freudenaufruf an die jungen Leute um ein Motiv, das auch für den Topos des Natureingangs seit Neidharts Sommerliedern bereits einschlägig etabliert ist und somit eigentlich nicht als über den Bereich des Natureingangs hinausweisend (im Sinne einer eigenständigen Folgethematik) gedacht werden muss. Einen wichtigen Konnotationshintergrund für die Natureingänge der Sommerlieder Neidharts, deren innovatorische Wirkung hinsichtlich des Einsatzes des Motivs ‹Freudenaufruf an die Jungen› sich für dessen Realisationen in Werbungslied-Sommereingängen des Minnesangs im 13 . Jahrhundert deutlich erkennen lässt 190 , bildet zunächst einmal die mittellateinische Lyriktradition 191 -- und dies in den beiden Traditionssträngen der weltlichen Liebeslyrik 192 sowie der geistlich perspektivierten Hymnendich- 188 Hervorhebung von mir, D. E. 189 Dabei ist die Frage müßig, inwiefern auf die drei von C tradierten Strophen des Liedes noch eine oder mehrere, im Überlieferungsprozess möglicherweise verlorengegangene, Strophen nachgefolgt sein könnten, die eine Wendung des thematischen Verlaufs zur subjektiven Liebesthematik einer Ich-Position umsetzen (s. zu solchen notwendigerweise spekulativen Überlegungen meine Bemerkungen oben). Der Redaktor von C hat jedenfalls-- im Gegensatz etwa zu dem hier bereits diskutierten Lied KLD 54 , II des Von Stadegge-- den ihm zur Verfügung stehenden Text als vollständig eingeschätzt und bei der Seiteneinrichtung von fol. 253 r keinen Raum für den Eintrag weiterer Strophen frei gelassen. 190 S. dazu die obigen Bemerkungen zu Lied KLD 54 , II des Von Stadegge. Unklar müssen in diesem Zusammenhang aber leider die genauen literaturhistorischen Zusammenhänge zwischen den Sommerliedern Neidharts und den sommerlichen Natureingängen bei Wernher von Teufen bleiben, für den von der Forschung eine Datierung im 13 . Jahrhundert nicht genauer bestimmt werden kann (vgl. G. Hübner, Minnesang im 13 . Jahrhundert, S. 21 ). Insofern ist es schwer zu beantworten, ob der Anfang von SMS 9 , 1 : Lieben kint, / sint frœlich vrô engegen der lieben sumerzît! (I, 1 f.) eine Aufnahme der registralen Innovationen des Sommerliedeingangs bei Neidhart oder ein davon unabhängig zu denkendes, paralleles Experiment mit dem Konnotationspotential der lateinischen Liebeslyrik (s. dazu das Folgende) darstellt. Es muss soweit auch im Dunkeln bleiben, inwiefern die Ausdehnung des Freudenaufrufs auf Junge und Alte in Lied SMS 9 , 2 : Fröit iuch beide, junge und alt: / winter kalt / ist hinnen gescheiden (I, 1 - 3 ) auf den charakteristischen Generationendisput der Mutter-Tochter-Dialoge bei Neidhart bzw. auch dessen Figur der tanzlustigen Alten (wie in SL 1 ) anspielt oder eine gleichwohl punktuelle, aber eigenständige Umschreibung der lateinischen Folie ist, die deren Zuweisung, schöne Jahreszeit- - Zeit der Jugend› einmal spielerisch durchbricht, bevor sie in Vv. I, 11 f. wieder restituiert wird (iuch zierent, / ir jungen, / niht âne vlîz! ). 191 Für wertvolle Anregungen und Hinweise zu diesem Themenkomplex sei Tanja Mattern und Sebastian Riedel herzlich gedankt; die demnächst erscheinende Dissertation von Sebastian Riedel wird das beziehungsreiche Verhältnis beider Lyriktraditionen v. a. für das Feld des Dialoglieds nachzeichnen. 192 Dass es sich bei dem Motivkomplex vom Frühling/ Sommer als einer Zeit der Jugend bzw. Verjüngung um eine in der lateinischen Liebeslyrik weit verbreitete und früh-- also vor der jüngeren Gruppe der Carmina Burana-- etablierte Zuschreibung handelt, so dass hier tatsächlich von einem für die volkssprachliche Lyrik bestehenden Konnotationsrahmen gesprochen 270 III Typeneinteilung des Natureingangs werden kann, mögen folgende Beispiele in Auswahl belegen: So zeigt im 12 . Jahrhundert etwa das Frühlingscarmen De innouatione uernali des Arnulf von Lisieux (Nr. III in der Edition: Die Gedichte Arnulfs von Lisieux [† 1184 ], hg. und übers. von Ewald Könsgen, Heidelberg 2002 [Editiones Heidelbergenses 32 ], dort S. 29 - 33 ) paradigmatisch die kosmologische Herleitung dieser Zuschreibung, wenn es im Liedeingang von der Natur heißt: Quicquid hiemps tanquam ueteri deforme senecta / Absque decore diu fecerat esse suo, / Ver nouat atque nouo compubescentia flore / Imperat ad teneros cuncta redire dies. («Alles, das der Winter so wie in bejahrtem Greisenalter entstellt / und lange Zeit ohne seinen Schmuck hatte sein lassen, / das erneuert der Frühling und allen Dingen, die in neuer Blüte heranreifen, / befiehlt er zu jugendlichen Tagen zurückzukehren»; Vv. 1 - 4 , vgl. dazu auch die Übersetzung von Könsgen, ebd, S. 31 ). Dabei wird die frühlingshafte Natur nicht nur mit ansteckender, jugendlicher Ausgelassenheit assoziiert, sondern auch mit dem Attribut einer überbordenden Fruchtbarkeit versehen: Vndique sollicitat iuuenem lasciuia mundum / Fecundosque aperit prodiga terra sinus. («Überall versetzt die Ausgelassenheit die junge Welt in Bewegung / und die fruchtbare Erde öffnet ihren reichen Schoß»; Vv. 21 f., Übers. s. ebd.). Dass es sich bei der die Jugend privilegierenden Jahreszeit vor allem um die prädestinierte Saison des Auslebens der Liebesregungen handelt, die mit dem Wiedererwachen der Natur und ihrer zurückkehrenden Fertilität korrespondiert, ist z. B. auch dem bereits vorgestellten Carmen Wollin Nr. 5 . 3 aus dem 12 . Jh. (abgedruckt in: C. Wollin, Petri Blesensis carmina, S. 597 - 605 ), für das eine Autorschaft des Petrus von Blois diskutiert wird, ablesbar. Hier gibt das Text-Ich für die Liebe apodiktisch an: ( 5 a.) Vere suo / adolescens mutuo / respondeat amori : ( 5 b.) Creber erit, / nec defessus cesserit / Venerio labori. ( 6 a.) Veneris / in asperis / castris nolo militem, / qui iuuente limitem / transierit, / perdiderit / calorem. (C. Wollin, Petri Blesensis carmina, S. 605 ; Übersetzung: «In seinem Frühling möge sich der junge Mann gegenseitig mit der Geliebten zusichern: / / Er wird fruchtbar sein und sich nicht ermattet zurückgezogen haben vom Venusdienst. / / Im rauen Kriegslager der Venus will ich nicht den Soldaten haben, der die Schwelle des Jugendalters überschritten haben mag, er wird wohl die Hitze eingebüßt haben.»). Dieser Vorstellungskomplex verdichtet sich also zu einer Zuschreibungstrias von schöner Jahreszeit- - Zeit der Jugend-- Ausleben des Liebesbegehrens, die z. B. auch in Lied Wollin Nr. 5 . 5 breit ausgestaltet ist (ebenfalls Sammlung X, 12 . Jh.), wo es vom Frühling in der 2 . und 3 . Str. in Fortführung des Natureingangs heißt: Flante redit Zephiro / suus herbis spiritus, / quibus fuit Aquilo / decoris interi˂t˃us. / Iam uirgultum / caput cultum / erex˂er˃it ad supera. / Phebus demulcet ethera; / Blandimentum decoris / causas creat amoris. / / Vere suo iuuenis / ad etatis proprium / delectetur, expleat / quicquid amatorium! / Lata late / libertate / is usus sui temporis / in uoluptates corporis / condeclinet, et totus / sit Veneri deuotus! (Str. IIf., zitiert nach: C. Wollin, Petri Blesensis carmina, S. 613 - 615 , Übers.: «Weil Zephirus bläst, kehrt / sein Hauch den Pflanzen zurück, / welchen Aquilo war / eine Vernichtung ihres Schmucks. / Schon hat das Gebüsch / das geschmückte Haupt / in die Höhe gerichtet. / Phoebus liebkost die Luft; / der Reiz des Schmucks / bringt die Ursachen der Liebe hervor. / / In seinem Frühling soll der junge Mann / -- wie es sich für diese Zeit gehört-- / erfreut werden, er möge alles erfüllen, / was zur Liebe gehört! / Nachdem überallhin / die Freiheit gebracht worden ist, / möge der, der die Jahreszeit nötig hatte, / zum Vergnügen des Körpers / in gleicher Weise deklinieren und ganz / der Venus ergeben sein! »; s. dazu auch die engl. Übers. in: Dronke, Peter: Peter of Blois and poetry at the court of Henry II, in: Medieval Studies 28 ( 1976 ), S. 185 - 235 ; wieder in: ders., The medieval poet and his world. Rom 1984 (Storia e letteratura 164 ), S. 281 - 339 , hier S. 302 f.); vgl. zu der in diesem Lied prominenten Darstellungstechnik der Jahreszeit als einer causa amoris bes. R. Schnell, Causa amoris, S. 318 f. und 388 - 390 . Diese Zuschreibungstrias spielt darüber hinaus etwa auch für die Liebeslieder aus der Ripoll-Sammlung eine bedeutende Rolle. Bei der Sammlung handelt es sich um einen Eintrag von 19 (nur hier überlieferten) Liebesliedern aus dem letzten Drittel des 12 . Jh.s in den Codex Ripoll 74 de l’Arxiu de la Corona d’Aragó, Barcelona, der schon im 10 . Jh. entstanden sein dürfte, vgl. dazu P. Dronke, Medieval Latin II, 2 Diskussion ausgewählter Parameter 271 tung 193 . Dieser Traditionszusammenhang darf aber wohl auch für die Beispiele des Motiv-Einsatzes im Minnesang nach Neidhart weiter als prinzipiell assoziierbarer Konnotationshintergrund angenommen werden, der für die kontextuelle Einordnung und Ausdeutung solcher Freudenaufrufe an die Jugend herangezogen werden kann. Vor dem Hintergrund dieser Folie lassen sich aber nun- - und dies wird im S. 547 f.; Latzke, Therese: Die Carmina erotica der Ripollsammlung, in: Mittellateinisches Jahrbuch 10 ( 1975 ), S. 138 - 201 , hier S. 138 , sowie die (teilweise abweichenden) Angaben in der Edition: Anonyme de Ripoll: Le Chansonnier amoureux. Carmina Rivipullensia, hg. von Étienne Wolff, Monaco 2001 , hier S. 7 ; für eine ausführliche Einordnung der Sammlung in die Geschichte des Klosters St. Maria von Ripoll vgl. zudem die Einführung in: Cancionero de Ripoll (Anónimo). Carmina Riuipullensia, Texto, traducción, introducción y notas hg. von José-Luis Moralejo, Barcelona 1986 , S. 13 - 30 . So heißt es etwa im ersten Lied der Sammlung (R 1 : Quomodo primum amavit)- - mottohaft verdichtet und repetiert- - vom Monat April: Aprilis tempore, quo nemus frondibus / Et pratum roseis ornatur floribus, / Iuventus tenera fervet amoribus. / / Fervet amoribus iuventus tenera, / Pie cum concinit omnis avicula / Et cantat dulciter silvestris merula. (Vv. 1 - 6 , zitiert nach: Th. Latzke, Die Carmina erotica der Ripollsammlung, S. 168 f.; Übersetzung: «In der Aprilzeit, in der der Wald mit Laub und die Wiese mit Rosenblüten geschmückt wird, entbrennt die zarte Jugend in Liebesdingen. / / Es entbrennt die zarte Jugend in Liebesdingen, wenn zärtlich jedes Vögelchen zugleich sein Lied anstimmt und süß die Amsel des Waldes singt», vgl. dazu auch die französische Übers. in: É. Wolff, Le Chansonnier amoureux, S. 20 f., und die spanische Übertragung in: J.-L. Moralejo, Cancionero de Ripoll, S. 148 - 151 ). In dem derselben Sammlung entstammenden Lied De estate (R 17 ) wird dieses Konzept dann für den jungen Mann in eine in didaktisierendem Ton realisierte Forderung nach jahreszeitenadäquatem Verhalten umgemünzt: Omnis ergo adulescens / In amore sit fervescens, / Querat, cum quo delectetur / Et, ut amet, sic ametur (Vv. 13 - 16 , zitiert nach: Th. Latzke, Die Carmina erotica der Ripollsammlung, S. 191 f.; Übersetzung: «Jeder junge Mann sei deshalb / in der Liebe glühend, / er soll suchen, wodurch er erfreut werde / und, wie er liebe, so soll er geliebt werden.»; vgl. auch die Übertragung bei É. Wolff, Le Chansonnier amoureux, S. 80 f., und J.-L. Moralejo, Cancionero de Ripoll, S. 284 f.). Zudem begegnet in der lateinischen Tradition bereits der hier beschriebene Vorstellungshorizont auch in einer verkürzten Form als Freudenaufruf an die Jugend, wie es etwa mit dem Ausruf gaudeat iuuentus! (I, 10 ) im nachfolgend besprochenen CB Nr. 156 der Fall ist; vgl. dazu etwa auch CB 74 , Vers I, 4 (gaudeat iuuentus! ) oder den Refrain von CB 96 (O vireat, o floreat, o gaudeat / in tempore iuuentus! ), die beide wohl der älteren Sammlung der CB entstammen. Die Formulierung scheint überhaupt schon im 12 . Jh. eine in der lateinischen Liebesdichtung weit verbreitete, feststehende Wendung zu sein, s. dazu auch die folgende Anm. 193 Ein gutes Beispiel dafür liefert etwa die Nr. 125 aus dem 20 . Analecta Hymnica-Band von Dreves, die aus dem Cod. Parisinus 3549 (zuvor: Kloster St. Martial in Limoges) entnommen ist, der aus dem 12 . Jh. stammt (vgl. dazu die Angaben in: Cantiones et Muteti. Lieder und Motetten des Mittelalters. Erste Folge: Cantiones Natalitiae, Partheniae, hg. von Guido Maria Dreves, Leipzig 1895 [Nachdr. Frankfurt a. M. 1961 ] [Analecta Hymnica Medii Aevi 20 ], S. 19 f.). Dort heißt es nach einer kosmologischen Einführung der Ankunft der Frühlingszeit (I) in der zweiten Strophe: In quo decens atque recens / Forma rerum vigeat, / Jam juventus gaudeat, / Quia tempus subeat. («In ihr möge die anmutige und auch junge / Gestalt der Natur blühen, / nun soll sich die Jugend freuen, / weil die Zeit dazu wohl naht.»; zitiert nach: Dreves AH 20 , S. 106 ; Hervorhebung von mir, D. E.). Darauf folgend bringen die Str. III und IV die geistliche Ausdeutung des Frühlingsgeschehens, das für den Menschen mit dem Erlösungshandeln Gottes durch die Menschwerdung (Visitavit, quem plasmavit [III, 3 ]) und die Passion Christi (Eum lavit et sanavit / Unda sui sanguinis [IV, 3 f.]) parallelisiert ist. 272 III Typeneinteilung des Natureingangs Folgenden eine genauere Analyse des Liedes CB 156 nahelegen-- durchaus gewisse registrale Anhaftungen des Freudenaufruf-Motivs ausmachen, die den monothematischen Rahmen des Natureingangs zumindest konnotativ überspielen. Damit wird die Frage aufgeworfen, ob das Kriterium des Vorhandenseins einer Folgethematik wirklich in jedem Fall trennscharf zu handhaben ist, scheint es doch hinsichtlich des Assoziationsraums zuschaltbarer Nebenbedeutungen letztlich nicht recht zu verfangen. Dies würde freilich bedeuten, dass bei der Abgrenzung reiner Natur- und Jahreszeitenstrophen von Liedern mit einem Natureingang im engeren Sinne der konkrete Einzeltext jeweils nicht nur auf der litteralen Aussagenebene auf seine monothematische Fügung zu befragen wäre, sondern auch auf die Konnotationspotenziale hin, die er zu aufzurufen vermag, genau zu untersuchen wäre. Für die für Hugs Lied in Frage kommende, bei der Interpretation durch den Rezipienten assoziierbare Folie der mittellateinischen Liebeslyrik, in der die schöne Jahreszeit häufig in Form des Zuschreibungskonzeptes einer Komponententrias von ‹ver / estas-- Zeit der Jugend, des Jungwerdens-- Erwachen des Liebesbegehrens› realisiert wird 194 , ist etwa das mit De vere überschriebene Lied CB 156 195 ein gutes Beispiel, noch dazu dürfte es aus dem älteren Bestand der Carmina Burana, der sog. ‹westlichen Sammlung›, stammen. 196 Da der Liedeingang von CB 156 , der ebenfalls in der Form einer Jahres- 194 Dabei scheint in der mittellateinischen Liebeslyrik freilich die von Ovid aufgestellte Zuschreibung der vier Jahreszeiten in Äquivalenz zu den verschiedenen Altersstadien des Menschenlebens bezüglich der Differenzierung von ver und estas verwischend aufgegriffen worden zu sein, vgl. Ovid, Metamorphosen, Liber XV, Vv. 199 - 213 : Quid? Non in species succedere quattuor annum / adspicis, aetatis peragentem imitamina nostrae? / nam tener et lactens puerique simillimus aevo / vere novo est: tunc herba recens et roboris expers / turget et insolida est et spe delectat agrestes. / omnia tunc florent, florumque coloribus almus / ludit ager, neque adhuc virtus in frondibus ulla est. / transit in aestatem post ver robustior annus / fitque valens iuvenis: neque enim robustior aetas / ulla nec uberior nec, quae magis ardeat, ulla est. / excipit autumnus posito fervore iuventae / maturus mitisque inter iuvenemque senemque / temperie medius, sparsus quoque tempora canis. / inde senilis hiems tremulo venit horrida passu / aut spoliata suos, aut, quos habet, alba capillos («Und siehst du nicht, wie das Jahr sich wandelt und nacheinander in vier Gestalten erscheint, ein Abbild unseres Lebens? Denn zart wie ein Säugling und ganz ähnlich dem Knabenalter ist es im jungen Frühling. Da ist das Kraut frisch, schwillt an, doch ohne Härte, ist weich und erfreut die Landleute durch Hoffnung. Alles blüht dann; die üppig mit Blumen übersäte Wiese spielt in tausend Farben, und in den Blättern ist noch keinerlei männliche Festigkeit. Gekräftigt geht das Jahr nach dem Frühling in den Sommer über und wird zum starken jungen Mann; denn kein Lebensalter ist kräftiger, keines fruchtbarer und keines glutvoller. Die Nachfolge tritt der Herbst an, nachdem das jugendliche Feuer vorüber ist; er ist reif und mild, steht gemäßigt in der Mitte zwischen dem Jüngling und dem Greis, und seine Schläfen sind leicht ergraut. Dann kommt der greisenhafte Winter, eisig mit zitterndem Schritt, teils seiner Haare beraubt, und die er noch hat, sind weiß»; beides zitiert nach: P. Ovidius Naso: Metamorphosen. Lateinisch / Deutsch, übers. und hg. von Michael von Albrecht, Stuttgart 1997 [RUB 1360 ], S. 802 - 805 ). 195 Abdruck des Liedes in: B. K. Vollmann (Hg.), Carmina Burana, S. 520 - 525 . 196 Vgl. dazu den Kommentar in: B. K. Vollmann, Carmina Burana, S. 902 f. und 1156 f. Diese Einordnung von CB 156 verdient insofern Beachtung, als sich in den letzten Jahren- - gerade in der germanistischen Forschung- - die Tendenz bemerkbar macht, den Bestand der sog. ‹jüngeren Sammlung› (diese umfasst vornehmlich die Gruppe der Lieder mit deutschen Erweiterungsstrophen bzw. die lat.-dt. Mischgedichte) und der in ihnen begegnenden Cha- 2 Diskussion ausgewählter Parameter 273 zeitenbegrüßung realisiert ist, den Verständnishorizont, vor dem auch Hugs Lied IV zu lesen ist, und von dem es sich durch seine Gestaltung des Freudenaufrufs aber auch in signifikanter Weise absetzt, m. E. in paradigmatischer Weise repräsentiert, 197 seien die ersten beiden Strophen des Liedes kurz vorgestellt. 198 CB Nr. 156 : D e vere . I. SALVE , Uer optatum, amantibus gratum, gaudiorum---fax multorum, florum incrementum! multitudo florum et color colorum, saluetote---et estote iocorum augmentum! dulcis auium concentus sonat, gaudeat iuuentus! hyemps seua transiit, nam lenis spirat uentus. II. Tellus, purpurata floribus, et prata reuirescunt, umbre crescunt, nemus redimitur. lasciuit natura, omnis creatura leto uultu; ---claro cultu Amor inuestitur. Venus subditos titillat, dum nature nectar stillat; sic ardor Venereus amantibus scintillat. rakteristika einer sonst allenfalls in Spuren überlieferten, hauptsächlich aber ‹verdeckten› volkssprachlichen Lyriktradition zuzuschreiben (s.oben, Kap. I. 2 ). 197 Dabei spielt es keine Rolle, ob Hug nun das konkrete Lied CB 156 gekannt haben mag oder nicht, da es mir lediglich um die Demonstration eines in der mittellateinischen Liebeslyrik breit etablierten Verständnisrahmens geht, der für die konnotative Ausdeutung seines Liedes hinzugeschaltet werden kann. An genetische Zusammenhänge denke ich hierbei ausdrücklich nicht. 198 Der Abdruck des lateinischen Textes erfolgt nach der Einrichtung von B. K. Vollmann, Carmina Burana, S. 520 f., die deutsche Übersetzung des Textes habe ich jedoch in einigen Punkten modifiziert. Für die formale Bestimmung vgl. zudem die Angaben, ebd., S. 1156 . Die Hervorhebungen im Druckbild stammen von mir, D. E. 274 III Typeneinteilung des Natureingangs [I. Sei gegrüßt, ersehnter Frühling, den Liebenden willkommen, du Urheber vielfältiger Vergnügen, Saatkeim der Blumen! Menge der Blumen und Farbenpracht, ihr sollt gegrüßt sein und unsere Kurzweil vermehren! Der liebliche Gesang der Vögel erklingt, die Jugend soll fröhlich sein! Der grimmige Winter ist vorübergegangen, denn es weht ein milder Wind. II . Der Erdboden ist von Blumen purpurrot gefärbt und die Wiesen werden wieder grün, die Schatten wachsen, der Wald wird mit Kränzen geschmückt. Die Natur ist übermütig, jede Kreatur blickt fröhlich drein. 199 Mit glänzender Pracht wird Amor ins Amt eingesetzt. Venus reizt die von ihr Unterworfenen, solange der Nektar der Natur träufelt. So sprüht die Glut der Venus bei den Liebenden Funken.] Dabei präsentiert CB 156 die oben beschriebene Trias von Zuschreibungskomponenten freilich mehr durch assoziative Kumulation, denn argumentativ herleitend. 200 Gleichwohl wird der euphorisch begrüßte Frühling ( SALVE , Uer optatum; 199 Möglich wäre auch die-- noch weniger individualisierende-- Übersetzung: «Die ganze Schöpfung blickt fröhlich drein»; ich folge hier jedoch der Lesart Vollmanns (ebd., S. 521 ), die das spezifische Konnotationspotential des creatura-Begriffs auch für die deutsche Übertragung fruchtbar macht; dabei soll der Terminus ‹Kreatur› freilich nicht in seiner pejorativen nhd. Bedeutungsvariante «bedauernsod. verachtenswerter Mensch» (Duden. Die deutsche Rechtschreibung, 22 ., völlig neu bearb. und erw. Aufl., auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibung hg. von der Dudenredaktion, Mannheim 2000 , S. 575 ) aufgerufen werden. Vgl. für das Bedeutungsspektrum von creatura zudem den Eintrag in: Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13 . Jahrhundert, begr. von Paul Lehmann und Johannes Stroux, hg. von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. II, München 1999 , Sp. 1989 f., das sich vom engeren semantischen Kern im Sinne von «Erschaffung, Schöpfung(svorgang)» über die Bedeutung «Schöpfung, Natur» bis zur Komponente «Geschöpf, (Lebe-) Wesen, ‹Kreatur›» erstreckt, die wiederum universell oder individualisiert auf Menschen, Engel bzw. sogar den eucharistischen Leib Christi bezogen werden kann. 200 Vgl. in diesem Zusammenhang etwa den völlig anders gestalteten Duktus von Lied III des Arnulf von Lisieux oder des Carmen Wollin Nr. 5 . 3 , s. oben, Anm. 192 . 2 Diskussion ausgewählter Parameter 275 I, 1 201 ) bereits eingangs durch drei unverbunden aufgereihte Adressen zum einen als den Liebenden willkommen (amantibus gratum; I, 2 ), zum anderen als generöser Freudenstifter (gaudiorum fax multorum; I, 3 ) und für das Wachstum der Blumen verantwortliche Instanz (florum incrementum; I, 4 ) charakterisiert. Dadurch wird beim Rezipienten eine interpretatorische Zirkulationsbewegung in Gang gesetzt, die um den Frühling als thematisches Zentrum kreist, und in der sich die motivischen Einzelkomponenten ‹Liebesbegehren›, ‹Freude› und ‹Fruchtbarkeit der Natur› zunehmend überlagern (vgl. dazu besonders die Str. II ). In dieser Gemengelage von natürlich-saisonaler Freuden- und kreatürlicher Liebesstimmung erscheint nun auf das Naturdetail des Vogelgesangs (I, 9 f.) der Ausruf der Sprecherinstanz, die Jugend solle fröhlich sein (gaudeat iuventus! I, 10 ), der in seiner formelhaften Zuspitzung für die lateinische Dichtungstradition als bekannte topische Markierung der schönen Jahreszeit vorausgesetzt werden kann 202 und somit schlagartig, d. h. auch ohne explizite argumentative Herleitung, die Einordnung der bisher aufgerufenen Zuschreibungskomponenten unter der Prämisse einer die Jugend privilegierenden Zeit vorzunehmen vermag. Die nur punktuell erfolgte Perspektivierung des ver in dieser Hinsicht bildet dann jedoch auch den Verständnishorizont dafür, dass die zweite Strophe-- nach dem resultathaften Konstatieren des Fortgangs des verhassten Winters (I, 11 ) und einer erneuten Demonstrativreihung von Naturdetails, die den Hinweis auf den milder werdenden Wind (I, 12 ), die Blumenpracht ( II , 1 f.) und das Wiederergrünen der Wiese ( II , 2 f.), sowie auf das Anwachsen der Schattenplätze durch den Laubschmuck des Waldes ( II , 3 f.) umfasst 203 -- die frühlingshafte Natur in 201 Hervorhebung von mir, D. E. 202 S. dazu die Anm. 192 f., oben. 203 Über die Reihe der Naturdetails werden die sich an die saisonale Perspektivierung anschließenden Assoziationen von der Jahreszeit als einer Zeit der Jugend/ Verjüngung (vgl. etwa das Wiederergrünen der Wiese in Vv. II, 2 f.: et prata / reuirescunt) und der Liebeserfüllung durchaus präsent gehalten (vgl. die Zunahme an Schattenplätzen in II, 3 : umbre crescent; diese spielen für den Lustort in der mlat. Liebeslyrik, etwa in der Pastourelle, eine prominente Rolle, so bei Walter von Chatillon, vgl. z. B. Lied 32 , Str. If.: Sole regente lora / poli per altiora, / quedam satis decora / virguncula / sub ulmo patula / consederat,- - -nam dederat / arbor umbracula. / / Quam solam ut attendi / sub arbore, descendi / et Veneris ostendi / mox iacula, / dum noto singula, / cesariem et faciem, / pectus et oscula. (zitiert nach: Die Lieder Walters von Chatillon in der Handschrift 351 von St. Omer, hg. und erkl. von Karl Strecker, Berlin 1925 , S. 59 , Hervorhebung-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.; Übers.: «Weil die Sonne die Zügel lenkte / durch die höheren Regionen des Himmels, / hatte sich ein genügend schönes / Mädchen / unter eine weit ausgebreitete Ulme / niedergelassen, denn es hatte der Baum gewährt / schattige Plätzchen. / / Als ich auf sie, die allein / unter dem Baum war, meine Aufmerksamkeit richtete, stieg ich ab / und ließ die Wurfspieße der Venus / sogleich erkennen, / weil ich Einzelnes bemerke, / ihr langes Haar und ihr Gesicht / ihre Brust und ihr Mündchen.»); vgl. für die Carmina Burana zudem CB 79 , Str. I und II, 1 - 4 : ESTIVALI Sub feruore, / quando cuncta sunt in flore, / totus eram in ardore; / sub oliue me decore / estu fessum et ardore / detinebat mora. / / Erat arbor hec in prato / quouis flore picturato, / herba fonte sita grato, / sed et umbra, flatu dato. [«In der Hitze des Frühsommers, / wenn alles in Blüte steht, / war auch ich ganz durchglüht; / unter einem prächtigen Ölbaum / hielt ich, müde von der äußeren / und inneren Hitze, Rast. / / Dieser Baum stand auf einer / buntgeschmückten Blumenwiese, / Gras 276 III Typeneinteilung des Natureingangs ihrer freudenspendenden Wirkung als saisonalbasierte Rechtfertigung auf die Liebesthematik hin verdichtet. Dabei ist zunächst vor allem die Fügung lasciuit natura ( II , 5 ) bemerkenswert, die die Sphäre der natura zum einen noch einmal am Aspekt freudiger Ausgelassenheit ausrichtet 204 und diesen, etwa auch durch die Angabe, jeder / der ganzen creatura sei nun ihre Fröhlichkeit gleichsam am Gesicht abzulesen ( II , 6 f.), auf seine kosmologische Omnipräsenz und Berechtigung hin verstärkt. Zum anderen öffnet diese Prägung durch die Verbform lascivit auch ein konnotatives Ambivalenzspektrum, das sich möglicherweise durch die negativen Bedeutungspotentiale des Begriffes lascivia etwa im moraltheologischen Diskurs ergibt. 205 säumte einen lieblichen Quell, / aber auch Schatten war da und ein sanfter Lufthauch»; Text und Übers. zitiert nach: B. Vollmann, Carmina Burana, S. 276 f.] oder darüber hinaus CB 85 , Vv. IV, 1 - 3 : Si tenerem, quam cupio, / in nemore sub folio / oscularer cum gaudio [«Hielte ich die, die ich begehre, im Arm / unter dem Laubdach des Waldes, / ich würde sie nach Herzenslust küssen»; beides zitiert nach: B. K. Vollmann [Hg.], Carmina Burana, S. 296 f.]). 204 Vgl. zuvor die Prominenz der Wortfelder gaudium- - iocus (I, 3 und 8 ) oder den Freudenaufruf an die Jugend (I, 10 ); allein schon über die semantische Nähe von gaudium/ gaudere mit lascivire (II, 5 ) bzw. laetus (II, 7 ) dürfte erreicht werden, dass die in ihm realisierte Assoziation der schönen Jahreszeit mit einer Zeit der Jugend/ Verjüngung auch für die II. Strophe präsent gehalten wird. 205 Dabei baut dieses Konnotationsspektrum von lascivia freilich die höchst spannungsreichen Stilisierung der kosmologischen Sphäre, die sich aus Assoziationen christlich fundierter Weltordnung und antik-paganer Mythologisierung amalgamiert, mit auf. Denn schließlich ist die jahreszeitliche Natur mit dem in II, 6 erscheinenden creatura-Begriff zunächst deutlich auf den christlichen Schöpfergott hin perspektiviert (vgl. zu der obigen Wendung allein den Missionsauftrag in Mark. 16 , 15 : Et dixit eis: Euntes in mundum universum prædicate Evangelium omni creaturæ [Biblia sacra, S. 1605 ], den Beginn des Ambrosius-Hymnus Nr. II: Deus creator omnium [Sancti Ambrosii Mediolanensis Episcopi Hymni, in: Migne PL 16 ˂ 1845 ˃, Sp. 1409 - 1412 , hier Sp. 1409 ] und-- im Hinblick auf eine der Natur abzulesende Vergänglichkeitseinschrift alles Irdischen-- die berühmte Rosensequenz des Alanus ab Insulis: Omnis mundi creatura / quasi liber et pictura / nobis est, et speculum [zitiert nach: Lateinische Lyrik des Mittelalters. Lateinisch / Deutsch, ausgew., übers. und komm. von Paul Klopsch, Stuttgart 1985 [RUB 8088 ], S. 302 - 305 ; alle Hervorhebungen von mir, D. E.]), bevor das in ihr omnipräsent wirksame Walten von Amor und Venus (II, 8 f.) geschildert wird, ohne dass beide Gottheiten als Instanzen erotischer Liebe im Text-- anders als in der lateinischen Moraltheologie- - zum Problem christlicher Lebensführung oder etwa hinsichtlich des Horizonts einer Gefährdung des transzendenten Heils negativ gewertet würden (dabei ist nach der Einordnung solcher Darstellungsmittel hinsichtlich ihres möglichen Realitätsgehaltes zwischen ‹bloßer Rhetorik› und ‹geglaubter Lebenswelt› noch gar nicht gefragt, vgl. R. Schnell, Causa amoris, S. 345 - 390 ). Dadurch ergibt sich für die mlat. Liebeslyrik der m. E. als besonders bedeutend herauszustellende Umstand, dass in ihr immer wieder Kernbegriffe und Konzepte des moraltheologischen Diskurses aufgegriffen werden, die dort meist mit einem negativen Bedeutungspotential versehen sind, dieses aber in der Liebesdichtung expressis verbis gerade nicht realisiert ist bzw. die Texte teils den Eindruck erwecken, dieses sei gar nicht vorhanden. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die deutlichen konnotativen Anhaftungen dieser Begriffe und Vorstellungen durch die tendenziell positive Einfassung im Sinne einer heiterfreudvollen Sphäre natürlicher Kreatürlichkeit in der Natur- und Jahreszeitendarstellung der Liebeslyrik ja nicht restlos beseitigt oder überhaupt argumentativ entkräftet würden und somit dem Rezipienten als Assoziativhintergrund immer noch zur Verfügung stehen. Dieses ambivalente Schillern ist nun freilich für mich schwer anders als mit dem profiliert-artifiziel- 2 Diskussion ausgewählter Parameter 277 Der lateinische Begriff lascivia, dessen Bedeutungsspektrum mit «Mutwille», im positiven Sinne mit «ausgelassene Lustigkeit, -Fröhlichkeit» und in negativer Wertung mit «Überhebung, Zügellosigkeit, zügellose Laune, ungebundene-, zügellose Lebensweise, Ausschweifungen», ja bezüglich der Ausdrucksweise mit «Ziererei, Geziertheit» 206 wiedergegeben werden kann, und überhaupt die Ableitungen des Adjektivs lascivus 207 scheinen für die mittellateinische Liebeslyrik, wie sie sich in ihrer Bandbreite im Codex Buranus darstellt 208 , geradezu als ein Signalwort für die sich in Sommer und Frühling- - quasi kosmologisch fundiert- - ergebende Jahreszeitenfreude der Natur/ der Menschen 209 oder die über den saisonal ausgedeuteten len Literarisierungstatus dieser Lyrik in Einklang zu bringen, der gerade nicht den Blick auf eine in ihr zu erahnende-- wie stark auch immer als ‹verdeckt› zu denkende-- volkssprachliche Lyriktraditionsschicht zulässt. 206 Alle diese semantischen Komponenten verzeichnet Georges, Karl Ernst: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, aus den Quellen zusammengetragen und mit besonderer Bezugnahme auf Synonymik und Antiquitäten unter Berücksichtigung der besten Hilfsmittel ausgearbeitet. Unveränderter Nachdruck der achten verb. und verm. Auflage von Heinrich Georges, Bd. II, Darmstadt 1998 (Reprint der Ausgabe Hannover 1918 ), Sp. 569 (im Original Sperrung der Bedeutungsvarianten). 207 Vgl. dazu den Eintrag zu lascivus, ebd., Sp. 570 : «mutwillig, I) im guten Sinne-= schäkerhaft, lose-[…]-- II) im üblen Sinne: a) frech, übermütig, zügellos, üppig, geil-[…]-- b) v. Dichter, tändelnd, sich gehen lassend-[…]-- c) v. der Rede, üppig, überladen, geziert» und für das in Vers II, 5 von CB 156 gebrauchte Verb lascivire ebd., S. 569 : «mutwillig sein, schäkern, hüpfen und springen, sich gehen lassen, ausgelassen-, übermütig sein, sich überheben» (die Hervorhebung durch Sperrung im Wörtberbuch von Georges wurde durch Fettdruck ersetzt). 208 Dabei ergibt sich wiederum kein prinzipieller Unterschied zwischen der hypothetisch älteren Liedgruppe und den Liedern der jüngeren Sammlung (auch wenn die in der folgenden Anm. gegebene Auswahl dies suggerieren mag); allenfalls kann bemerkt werden, dass die jahreszeitenadäquate lascivia in ersterer vornehmlich über das Verhalten der Vögel demonstriert wird, was in der letzteren als Motivprägung so nicht vorkommt, wo der Begriff stets der menschlichen Verhaltenssphäre zugeordnet ist. Freilich ist der Terminus der lascivia aber in den Liedern der sog. ‹westlichen› Sammlung keinesfalls nur auf die Vögel beschränkt, vgl. z. B.-- neben CB 113 und dem oben behandelten Lied CB 156 , die diese Perspektivierung ebenso zulassen-- das berühmte CB 92 : De Phillide et Flora, wo es in der Schilderung des Naturraums (Str. VI und VII), die bezeichnenderweise dem Vorgang der Verwundung der Mädchen durch Amor (vgl. VIII, 3 f.)- - und natürlich dem eigentlichen Streitgespräch- - vorausgeschickt ist, heißt: et in ipso gramine deflvebat riuus / uiuus atque garrulo murmure lasciuus (VI, 3 f.; Übers.: «und mitten durch das Gras floß ein munterer Bach, übermütig und geschwätzig murmelnd», beides zitiert nach: B. Vollmann, Carmina Burana, S. 318 f., Hervorhebung von mir, D. E.). Dass die Zuschreibung von lascivia an die Natur in der schönen Jahreszeit bzw. die in ihr wiedererwachende Jugend kein Spezifikum der Carmina Burana oder gar ihrer jüngeren Liedgruppe ist, beweist etwa das in einem anderen Überlieferungszusammenhang stehende Frühlingscarmen Nr. III: De innouatione uernali des Arnulf von Lisieux, das oben bereits zitiert worden ist; vgl. dort Vv. 21 f.: Vndique sollicitat iuuenem lasciuia mundum / Fecundosque aperit prodiga terra sinus. (zitiert nach E. Könsgen: Die Gedichte Arnulfs von Lisieux, S. 30 , Hervorhebung von mir, D. E.; Übers.: «Überall versetzt die Ausgelassenheit die junge Welt in Bewegung / und die fruchtbare Erde öffnet ihren reichen Schoß»). 209 Vgl. für die wohl als älter anzunehmende Liedgruppe z. B. CB 58 , III, 1 - 6 (Tanz der Vögel im Frühling): Inter hec sollempnia / conmunia / alterno motu laterum / lasciue iactant corpora / collata nunc occurrens («Bei diesem allgemeinen / Freudenfest lassen, / bald links, bald rechts 278 III Typeneinteilung des Natureingangs ‹times of life topos› 210 hergeleitete Ausgelassenheit der Jugend 211 zu fungieren. Dies ist insofern bemerkenswert, als es sich hierbei um eine Vokabel handelt, die-- bereits seit der spätantiken patristischen Literatur-- eine bedeutende Rolle im moraltheologischen Diskurs der Latinität spielt, wo lascivia ganz deutlich als negativ aufgeladen erscheint, so dass sie gerade kein Begriffsmaterial darstellt, das als konnotativ unbelastet zu gelten hat. Deshalb scheint es mir sinnvoll zu sein, diese terminologische Vorprägung kurz überblicksartig vorzustellen, auch wenn hier freilich keine kohärente Begriffsgeschichte von lascivia geleistet werden kann. 212 schwenkend, / die gefiederten Tänzer / in übermütiger Lust gemeinsam / ihre Körper fliegen», Text und Übersetzung nach: B. Vollmann, Carmina Burana, S. 176 f.; Hervorhebung- - wie im Folgenden- - von mir, D. E.), CB 68 , II, 1 - 4 (Gesang der Vögel): Cantu nemus auium / lasciuia canentium / suaue delinitur; / fronde redimitur («Durch den Gesang der Vögel, / die voller Lust singen, / wird der Wald mild und freundlich gestimmt; er schmückt sich mit Laub»; beides zitiert nach: ebd., S. 228 f.); CB 73 , II, 1 - 4 (Gesang der Nachtigall): Vernant ueris ad amena / thima, rose, lilia; / hiis alludit filomena / melotis lasciuia. («In der Milde des Frühlings / treiben Thymian, Rosen und Lilien grüne Blätter; / die Nachtigall jubelt ihnen zu / mit wollüstiger Melodie»; beides zitiert nach: ebd., S. 248 f.) oder bes. CB 113 , wo die jahreszeitenbedingte lascivia im Refrain programmhaft herausgearbeitet wird, hier im Falle von Str. I: TRANSIIT Nix et glacies / spirante fauonio, / terre nitet facies / ortu florum uario, / et michi materies / amor est, quem sentio. / ad gaudia / REFL. Temporis nos ammonet / lasciuia. («Geschmolzen ist Schnee und Eis / unter dem Hauch des Südwinds, / das Antlitz der Erde prangt im Schmuck / der frischen Blumen, / und so befasse auch ich mich / mit der Liebe, die ich fühle. / Zur Freude / REF. fordert uns die heitere / Unbeschwertheit dieser Jahreszeit auf.»; beides zitiert nach: ebd., S. 414 - 417 ); für die als jünger angenommenen Lieder CB 81 , IV, 5 - 8 (Auswirkung der Jahreszeit auf Frauen): anus, licet uetula, / mire petulatur / lasciua iuuencula / cum sic recreatur. («Die Alte, obwohl hoch in den Jahren, / wird erstaunlich mutwillig, / wenn die ausgelassene Junge / so richtig munter wird.»; beides zitiert nach: ebd., S. 284 f.); CB 143 , II, 5 - 7 (Verhalten im Sommer): illi mens est misera, / qui nec uiuit nec lasciuit / sub estatis dextera. («Der ist ein trauriger Tropf, / der nicht auflebt und sich nicht gehenläßt / unter der Herrschaft des Frühlings [eigentlich: Sommers, D. E.]; beides zitiert nach: ebd., S. 492 f.) oder CB 179 , VII, 1 f. (Auswirkung des Frühlings auf den Mann): Tempore brumali uir paciens, / animo uernali lasciuiens. («Im Winter ist der Mann beherrscht, / kommen aber die Frühlingsgefühle, kann er nicht an sich halten.»; beides zitiert nach: ebd., S. 576 f.). 210 Vgl. dazu den Kommentar in: C. Wollin, Petri Blesensis carmina, S. 392 und 614 (mit weiterführenden Literaturhinweisen). 211 Dafür mag die auffallende Verwendung des lascivia-Begriffsfeld in CB 75 : OBMITTAMVS Studia ein gutes Beispiel abgeben (abgedruckt in: B. Vollmann, Carmina Burana, S. 254 - 257 ), das selbst zwar keinen Natureingang besitzt, aber eben die Jahreszeitenthematik in Übertragung auf das jugendliche Lebensalter aufruft (vgl. II, 1 f.). Dort wird nämlich schon im Refrain programmatisch angegeben: Velox etas preterit / studio detenta, / lasciuire suggerit / tenera iuuenta («Rasch enteilt die Zeit, wenn man sie dem Studium widmet; das jugendliche Alter reizt uns zu übermütiger Ausgelassenheit.»; Abdruck und Übersetzung nach Vollmann, ebd., S. 254 f., Hervorhebung-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.), worauf dann in der Schlusstrophe bei der Anschauung der Reigentänze der Mädchen durch das Text-Ich nicht nur die membrorum lasciuia (IV, 4 ) hervorgehoben wird, sondern dies durch die Angabe gestibus lasciuiunt (IV, 6 ) noch einmal aufgegriffen wird. 212 Dazu wäre nämlich allein schon ein vertiefender Blick auf das Feld der Musik- und Kunstgeschichte nötig, der hier nicht geleistet werden kann. Denn auch dort hat der lascivia-Begriff einen jeweils spezifischen Zuschnitt, so z. B. im Falle der ersteren für die lasciviores 2 Diskussion ausgewählter Parameter 279 Schon bei Hilarius von Poitiers findet sich lascivia als eine zu vermeidende Disposition menschlichen Handelns, die explizit auf irdisch-diesseitiger Affizierung der Aufmerksamkeit beruht und als Bedrohung einer nach christlichen Glaubensgewissheiten ausgerichteten Lebensführung und des zukünftigen Seelenheils gewertet wird. Ich zitiere für Hilarius zunächst stellvertretend eine erste Fundstelle aus dessen Abhandlung «Tractatus super psalmos», die der Auslegung von Ps. 123 Vet. Lat. 213 gewidmet ist: Ait enim, VERS . 7: Anima nostra sicvt passer erepta est de laqveo venatorvm. Laqueos, qui uenantur, occulte et fallentes praetendunt aut absconsos uallibus aut herbis contectos aut cibis oblitteratos aut nubibus concolores. Et haec quidem ad bestias atque aues ceteras: Nobis uero aduersus animam haec parantur. Est enim nobis laqueus in otio, modi bei Boethius («De institutione musica», I,I; zitiert nach: Boèce: Traité de la musique. Introduction, traduction et notes, hg. von Christian Meyer, Turnhout 2004 , S. 22 - 25 .) und im Kontext der Abwehr bestimmter polyphoner Aufführungspraktiken, wie sie sich etwa in der Summa des Robert de Courson ( 1208 - 1212 / 13 ) zeigt: Similiter dicimus quod illicite sunt opere magistrorum organicorum qui scurrilia et effeminata proponunt iuvenibus et rudibus ad effeminandos animos ipsorum, tamen locare possent operas suas in licitis cantibus in quibus servitur ecclesiis. Si autem prelatus lascivus lasciviis talibus cantatoribus det beneficia ut huiusmodi scurrilia et lascivia audiat in ecclesia sua, credo quod lepram symonie incurrit. Si tamen in aliqua sollemnitate pro consuetudine terre decantant aliqui in organis, dummodo scurriles notule non admisceantur, tolerari possunt. (zitiert nach: Page, Christopher: The owl and the nightingale. Musical life and ideas in France 1100 - 1300 , London 1989 , S. 145 , der dieses interessante Zeugnis für die Wissenschaft erschlossen hat [vgl. dazu ebd., S. 144 - 149 ]. Hervorhebung-- wie im Folgenden-- von mir, D. E., Übers.: «Gleichermaßen sagen wir, dass die Werke der magistri organici unerlaubt sind, die Possenhaftes und Weibisches den jungen und unerfahrenen Menschen vorlegen, um deren Geist zu verweichlichen, sie können jedoch ihrer Beschäftigung nachgehen mit erlaubten Gesängen, mit denen den Kirchen gedient wird. Wenn aber ein zügelloser Prälat solch zügellosen Sängern Vergütungen geben mag, damit er derartig Possenhaftes und Zügelloses in seiner Kirche hört, glaube ich, dass er sich mit dem Aussatz der Simonie angesteckt hat. Wenn dennoch bei irgendeiner Festlichkeit irgendwelche nach lokalem Brauch Organa singen, können diese, solange die possenhaften kleinen Noten nicht beigemischt werden, geduldet werden.»; vgl. für eine dt. Übersetzung dieser Passage auch Schetter, Barbara: Philippus Cancellarius. Die Motettengedichte, Berlin u. a. 2012 [Beiträge zur Altertumskunde 294 ], S. 14 ). Für die Kunstgeschichte mag etwa- - dies weist dann freilich aus dem hier gesteckten zeitlichen Rahmen deutlich heraus-- auf die Bestimmungen zur sakralen Bildkunst in den Dekreten des Tridentinischen Konzils verwiesen werden, wo es etwa im Teil der 25 . Sessio heißt: Omnis porro superstitio in Sanctorum invocatione, reliquiarum veneratione et imaginum sacro uso tollatur, omnis turpis quaestus eliminetur, omnis denique lascivia vitetur ita ut procaci venustate imagines non pingantur nec ornentur. («Ferner soll aller Aberglaube bei der Anrufung der Heiligen, der Verehrung der Reliquien und dem heiligen Umgang mit Bildern beseitigt, jedes schmutzige Profitstreben ausgeschaltet und schließlich alles Laszive vermieden werden, so dass keine Bilder von verführerischer Schönheit und Ornamentik gemalt werden.»; Text und Übersetzung zitiert nach: Regel, Walter: Rosa ein Mentor verkannter Talente? Teil 1 : Eine (erfundene? ) Episode aus dem Leben des Künstlers, in: -…hoch gerühmt, fast vergessen, neu gesehen-… Der italienische Maler und Poet Salvator Rosa, Studien zur Neubewertung, hg. von dems. und Hartmut Köhler, Würzburg 2007 , S. 268 - 285 , hier S. 284 ). 213 Ps. 123 Vet. Lat.-= Ps. 124 der hebräischen Zählung, die Lutherbibel und Einheitsübersetzung reaktiviert haben (vgl. Einheitsübersetzung, S. 1402 ). 280 III Typeneinteilung des Natureingangs pecunia, ambitione, lasciuia. Haec praetenduntur, haec blandiuntur, haec fallunt, sed ab his omnibus voluntas nostra est referenda. 214 Er sagt nämlich in VERS . 7: Unsere Seele ist wie ein Spatz aus der Schlinge der Jäger entkommen. Die, die auf die Jagd gehen, legen die Schlingen heimlich und als täuschende aus, wobei sie entweder in Tälern verborgen oder von Pflanzen bedeckt oder mit Ködern in Vergessenheit gebracht oder den Wolken gleich gefärbt werden. Und dies freilich für wilde Tiere und andere Vögel: bei uns aber wird gegen die Seele das Folgende vorbereitet. Für uns besteht die Schlinge im Müßiggang, Geld, Ehrgeiz und in der Ausschweifung. Diese sind ausgelegt, diese verlocken, diese täuschen, aber von all diesen ist unser Wille abzubringen 215 . Die lascivia erscheint hier also-- neben Müßiggang, Ehrgeiz und dem Streben nach Geld- - als einer der Fallstricke, die die Seele während des irdischen Lebens bedrohen, und von denen die Antriebsinstanz des Willens (voluntas) wegen deren Ausrichtung am Diesseitigen strikt abzuziehen ist. Dass es sich dabei tatsächlich um die Welthaltigkeit der Aufmerksamkeitsvereinnahmung durch lascivia handelt, die für die am transzendentalen Heil zu orientierenden Seele-- bzw. die ihr inhärente Bewusstseinskraft des Geistes (mens)-- zum Problem wird, mag vielleicht noch ein weiterer Auschnitt aus Hilarius’ Traktat, der den zuvorstehenden Ps. 122 Vet.Lat. (=hebr. 123 ) behandelt, bestätigen. Er lautet: Oportet autem eos qui ad Deum oculos mentis erexerint, non retorquere eos atque deflectere, quia, ut in euangeliis dictum est, nemo retro respiciens aratrum tenens aptus est regno caelorum (Lc IX , 6). Relinquentes enim templa, aras, cupiditates, lasciuias et omne uitiorum profundum, conuenit indefesso obtutu inuictoque persistere. 216 Es ist aber nötig, dass diejenigen, die die Augen des Geistes zu Gott erhoben haben werden, sie nicht zurückwenden und abschweifen, weil-- wie es in den Evangelien ausgesagt ist-- niemand, der sich noch einmal rückwärts umblickt, wenn er den Pflug in die Hand nimmt, für das Himmelreich geeignet ist (Lk IX, 6 [= 62 ]). Es schickt sich nämlich für die, die die Tempel, Altäre, Leidenschaften, Ausschweifungen und den ganzen Abgrund an Lastern zurücklassen, in unermüdlichen und unbesiegten Blick zu verharren. 214 Zitiert nach: Sancti Hilarii Pictaviensis Episcopi Tractatvs svper psalmos. In psalmos CXIX-- CL, hg. von Jean Doignon, Turnhout 2009 (CCSL 61 B), S. 48 ; Hervorhebungen-- wie auch bei den folgenden Zitaten-- von mir, D. E. 215 Vgl. für diese Übersetzung auch die Übertragung in: Sämmtliche Schriften des heiligen Hilarius, Bischofs von Poitiers, 13 Bde., o. Hgg., Kempten 1833 - 1835 , Bd. V, hg. von Marcus Adam Nickel und Joseph Kehrein, Kempten 1834 (Sämmtliche Schriften der Kirchen-Väter. Aus dem Urtexte in das Teutsche übersetzt 12 ) [Hgg. aufgeführt nach Auskunft der BSB München, http: / / reader.digitale-sammlungen.de/ de/ fs 1 / object/ display/ bsb 10 606 789 _ 00 391 .html., 22 . 11 . 2013 ]. 216 J. Doignon (Hg.), Tractatvs svper psalmos, S. 37 ; vgl. für die folgende Übersetzung wiederum: Hilarius, Sämmtliche Schriften, Bd. V, S. 233 . 2 Diskussion ausgewählter Parameter 281 An dieser Stelle wird deutlich, dass es sich bei lascivia um eine- - vor dem Hintergrund der Konzentration auf Gott (ad Deum) und das Himmelreich (regnum caelorum)- - zu unterlassende Ablenkung der mentalen Ausrichtung handelt, die den Blick in die falsche Richtung, nämlich rückwärts-- d. i. auf die Sphäre des irdischen Lebens-- lenkt. Dabei erscheint der hier zu untersuchende Terminus nicht nur im Kontext von falschen religiösen, weil paganen Institutionen (templa, arae), sondern-- und dies wird in mehrfacher Hinsicht anschlussfähig sein-- auch in unmittelbarer Nähe mit einer Repräsentation des aus geistlicher Perspektive negativ aufgeladenen semantischen Feldes erotischer Liebe (cupiditas) und dem Begriff des Lasters (vitium) als einer moraltheologisch zu verurteilenden Verhaltensweise, für das der Einzelne auch zur Verantwortung gezogen werden wird. 217 Dass es sich darüber hinaus bei der lascivia um eine verfehlte Aufmerksamkeitsaffizierung handelt, die nicht nur im Irdisch-Weltlichen, sondern sogar dezidiert in der fleischlich-körperlichen Dimension unserer Existenz verhaftet ist, legen die meisten Textstellen nahe. 218 Damit ist freilich ein semantisches Feld beschritten, das der Ausdeutung der 217 Zum Aspekt der Lasterkatologisierung-- etwa anhand des Komplexes der sog. ‹Sieben Todsünden›-- s. u. Für die Einordnung der lascivia in den Kontext von vitium oder peccatum vgl. etwa (Pseudo? -)Bernhard von Clairvaux, «Liber sententiarum» 145 , wo es zum biblischen Abana und Pharpar, den beiden Flüssen von Damaskus ( 2 . Reg. 5 , 12 ) heißt: Fluvii quibus peccatores se lavant, duo sunt. Fluxus corruptionis et lasciviae, pestis adulationis et fallaciae, qui sunt Abana et Pharphar fluvii Damasci. (Liber sententiarum, in: Migne PL 184 [ 1854 ], Sp. 1135 - 1156 , hier Sp. 1151 ; Hervorhebungen-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.; Übers.: «Die Flüsse, in denen sich die Sünder waschen, sind zwei. Der Fluss der Verderbtheit und der Zügellosigkeit, die Seuche der Schmeichelei und Verstellung, die sind Abana und Pharphar, die Flüße von Damaskus»), oder einen Textabschnitt aus der 150 . Quaestio der «Summa theologiae» des Thomas von Aquin, der die- - später freilich nicht bestätigte- - Ansicht vorlegt, die Trunkenheit sei die schlimmste Sünde: Ad tertium sic proceditur. Videtur quod ebrietas sit gravissimum peccatorum. Dicit enim Chrysostomus quod nihil ita est Daemoni amicum sicut ebrietas et lascivia, quae est mater omnium vitiorum (IIª-IIae q. 150 a. 3 arg. 1 , zitiert nach: Die deutsche Thomas-Ausgabe. Vollst., ungek. deutsch-lateinische Ausg. der Summa theologica, 36 Bde. [gepl.], übers. von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs, hg. vom Katholischen Akademikerverband, später von der Albertus-Magnus- Akademie Walberberg bei Köln, Salzburg u. a. 1933 -, Bd. XXI: Tapferkeit. Masshaltung ( 1 . Teil), hg. von Josef Fulko Groner, II-II 123 - 150 , Heidelberg u. a. 1964 , S. 393 ); Übers.: «Es wird so zu drittens fortgeschritten. Es scheint, dass die Trunkenheit die schwerste der Sünden sei. Es sagt nämlich Chrysostomus, dass nichts dem Teufel so angenehm ist wie die Trunkenheit und Ausgelassenheit, die die Mutter aller Laster ist»). 218 In diesem Sinne ist die lascivia in einer Passage des (pseudo? -)bernhardinischen «Liber sententiarum» eingeordnet, die mit der Ausdeutung der latrones Syriae aus 2 . Reg. 6 , 23 (Biblia sacra, S. 512 ) befasst ist: Latrones qui nobis optima quaeque furantur, quatuor sunt. Hebetati intellectus socordia, tollens nobis scientiam veritatis. Hic latro apud Psalmistam dicitur negotium in tenebris. Indomitae carnis lascivia, rapiens meritum integritatis, et daemonium dicitur meridianum. Favorabilis aurae jactantia, tollens plenitudinem sanctitatis, et dicitur sagitta volans in die. Vitae hujus amor et appetentia, rapiens praemium aeternitatis, et dicitur timor nocturnus-[…]. Hi sunt latrones Syriae. (Liber sententiarum, 163 , zitiert nach: Migne PL 184 , Sp. 1153 , Hervorhebung-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.); Übers.: «Die Wegelagerer, die uns jedes Beste stehlen, sind vier. Die Beschränktheit der verdunkelten Einsicht, die uns das Wissen um die Wahrheit wegnimmt. Dieser Räuber wird beim Psalmisten Geschäft im 282 III Typeneinteilung des Natureingangs lascivia im Zusammenhang mit Vokabeln der sinnlich-erotischen Liebe (cupiditas, voluptas) dient, die-- bei aller Vielfalt der lateinischen Begrifflichkeiten für ‹Liebe› und der Differenz der ihnen je nach Texttyp/ Diskurs anhaftenden Wertung 219 -- zu- Dunkeln genannt (negotium perambulans in tenebris, Vulg Ps. 90 , 6 ). Die Ausschweifung des ungezügelten Fleisches, die uns den Lohn der Unbescholtenheit raubt, und sie wird ein böser Geist des Mittags genannt (Vulg Ps. 90 , 5 ). Das Gefallen am angenehmen Glanz, das die Fülle der Heiligkeit wegnimmt, und es wird Pfeil, der am Tag dahinfliegt, genannt (Vulg Ps. 90 , 6 ). Die Liebe zu und das Verlangen nach unserem jetzigen Leben, die uns den Lohn des ewigen Lebens raubt, und die der nächtliche Schrecken genannt wird (Vulg Ps. 90 , 5 ). Diese sind die Räuber Syriens.» Zum Dämon des Mittags vgl. zudem Schnyder, Mireille: Topographie des Schweigens. Untersuchungen zum höfischen Roman um 1200 , Göttingen 2003 (Historische Semantik 3 ), S. 255 - 262 . Ebenfalls in diesem Zusammenhang ist wohl die folgende Passage aus den Hohelied-Predigten des Gillebert von Hoyland zu sehen, die sich um die Deutung der von den Händen triefenden Myrrhe aus Cant. 5 , 5 bemüht (Sermo XLIII, Abschn. 8 ): Digiti, inquit, mei pleni myrrha probatissima. Manus opera sunt; discretio, digiti. Myrrha tam actio carnis, quam unguentaria exhilaratio cordis. Haec myrrha probata est: nam est quaedam myrrha quae reproba est. Cum videris quorumdam puerilium hominum digitos prohibita passim signa distillare, agilem manum undique petulantis vel perversi affectus indicia spargere; ut arbitror, indisciplinatae conversationis amaritudinem , quasi reprobam myrrham, istos fundere non negabis. An non quasi myrrha lascivia talis, quae et fratrum disciplinatos mores contristat, et sibi in posterum confusionis et poenitentiae est paritura maestitiam? Probatissima vero myrrha est, quae in multis argumentis exercitii regularis est reperta laudabilis. Et regularis exercitatio et hostilis vexatio, utraque probabilis est, cum patientiae virtus, servata in integritate sua, amaritudine nimia non corrumpitur ac degenerat. (Gilleberti de Hoilandia Abbatis Ordinis Cisterciensis Sermones in Canticum Salomonis, in: Migne PL 184 [ 1854 ], Sp. 11 - 252 , hier Sp. 230 ; Übers.: «Meine Finger, sagt sie, voll von der trefflichsten Myrrhe. Die Hände sind unsere Werke; das Unterscheidungsvermögen die Finger. Die Myrrhe ist sowohl die Handlung des Fleisches, als auch der Salbenergötzung des Herzens. Letztere Myrrhe ist trefflich: denn es gibt eine gewisse Myrrhe, die verworfen ist. Wenn du gesehen hast, dass die Finger gewisser kindlicher Menschen ringsumher verbotene Anzeichen herabträufeln, dass die regsame Hand überall Beweise der frivolen oder falschen Leidenschaft verteilt, wirst du, wie ich meine, nicht verneinen, dass jene da die Bitterkeit des liederlichen Umgangs, sozusagen die verworfene Myrrhe, ausbreiten. Oder ist nicht gleichsam die Myrrhe eine solche Zügellosigkeit, die sowohl die geschulten Sitten der Brüder verdüstert, als auch in Zukunft sich die Traurigkeit der Beschämung und Reue erwerben wird? Die überaus treffliche Myrrhe aber ist, die in vielen Beweisen regelmäßiger Übung als lobenswert erfahren worden ist. Sowohl regelmäßige Übung als auch feindliche Beschwerlichkeit-- beides ist anerkennenswert-- wird mit der Tugend des Erduldens, bewahrt in ihrer Reinheit, durch außerordentliche Bitternis nicht zugrunde gerichtet und entartet auch nicht.» (vgl. dazu die englische Übersetzung: The works of Gilbert of Hoyland, 4 Bde., hg. von Lawrence C. Braceland, Kalamazoo 1978 - 1981 , Bd. III: Sermons on the Songs of Songs III, Kalamazoo 1979 [Cistercian Fathers Series 26 ], S. 523 f.). Das Bild der sowohl in malam partem als fleischliches Fehlverhalten, als auch in bonam partem als durch geistliche Übung und Erduldung von Strapazen erworbene Herzensbeglückung ausgelegten Myrrhe stellt damit wiederum die lascivia in den Zusammenhang eines dezidiert körperaffizierten Lasters, das moraltheologisch zu verdammen ist, da es einem als petulans und perversus zu charakterisierenden Affekt entspringt. Damit ist freilich die Konzeptualisierung von lascivia im Zusammenhang mit dem Bereich eines körperlich-erotischen Liebesbegehrens letztendlich deutlich zu erkennen. 219 Zum semantischen Feld ‹Liebe› und seiner Begriffsvielfalt (amor, cupiditas, voluptas, dilectio, caritas, amicitia), sowie den in den unterschiedlichen Diskursen je anderen Aufladungen vgl. v. a. die Arbeiten von Rüdiger Schnell wie ders., Causa amoris, bes. S. 48 - 76 , ders.: Sexualität 2 Diskussion ausgewählter Parameter 283 mindest im Bereich der religiösen Textsorten am deutlichsten negativ gewichtet sind, und sogar den Bewertungshorizont im Anschluss an die luxuria (fornicatio) als eine der sog. ‹Sieben Todsünden› 220 zulässt. Dabei kann die lascivia zum einen als eine der Filiationen der luxuria ausgemacht werden, wie der Traktat «De fructibus carnis et spiritus» 221 in seiner Text- und Bildtradition erweist, als dessen Autor lange Zeit Hugo von St. Victor gegolten hat, und für den Robert Bultot Konrad von Hirsau als Autor vorgeschlagen hat. 222 In einem dort in Form zweier Bäume aufgestellten Tugend-- und Lastersystem (arbuscula vitiorum: vetus Adam-- arbuscula virtutum: novus Adam) 223 , das letztendlich auf einer Opposition von caro und spiritus fußt 224 , wird im X. Kapitel die lascivia als untergeordnetes Laster im Gefolge der luxuria genannt, die als eines der aus der Wurzel der superbia entspringenden sieben Hauptlaster (septem vitia principalia) aufgeführt ist 225 : und Emotionalität in der vormodernen Ehe. Köln u. a. 2002 , S. 16 - 20 , 30 f. und 34 - 36 , und jüngst: Liebesdiskurse im Mittelalter, in: Amor docet musicam. Musik und Liebe in der Frühen Neuzeit, hg. von Dietrich Helms und Sabine Meine, Hildesheim u. a. 2012 (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft 67 ), S. 41 - 69 , hier S. 56 f., oder Kleber, Hermann: Was ist Liebe? Diskursformen und Vorstellungen von Liebe im Mittelalter, in: Troubadourdichtung. Eine dreisprachige Anthologie mit Einführung, Kommentar und Kurzgrammatik, hg. von Christine Felbeck und Johannes Kramer, Tübingen 2008 (narr studienbücher), S. XII-XXXIV. 220 Einen einführenden Überblick über die vielfältigen, interdisziplinären Ansätze zur Erforschung des Feldes der sog. ‹Sieben Todsünden› für das Mittelalter und die frühe Neuzeit seit Otto Zöckler bietet zuletzt die Einleitung von Newhauser, Richard G., in: Sin in medieval and early modern culture. The tradition of the Seven Deadly Sins, hg. von dems. und Susan J. Ridyard, Woodbridge u. a. 2012 , S. 1 - 16 . 221 Textedition in: Migne PL 176 ( 1854 ), Sp. 997 - 1010 . 222 Vgl. Bultot, Robert: L’auteur et la fonction littéraire du «De fructibus carnis et spiritus», in: Recherches de théologie ancienne et médiévale 30 ( 1963 ), S. 148 - 154 ; dazu: Mersch, Katharine Ulrike: Soziale Dimensionen visueller Kommunikation in hoch- und spätmittelalterlichen Frauenkommunitäten. Stifte, Chorfrauenstifte und Klöster im Vergleich, Göttingen 2012 (Nova Mediaevalia 10 ), S. 152 . 223 Vgl. Migne PL 176 , Sp. 997 . 224 Vgl. ebd. 225 Der superbia als Ursprung der sieben Todsünden steht im Falle der virtutes die humilitas gegenüber, vgl. ebd., S. 999 : Quantae enim sit amaritudinis cum germine suo radix superbiae facile pervidetur ex sanctae humilitatis ubri dulcedine. (Übers.: «Von wie großer Bitterkeit die Wurzel des Hochmuts mit ihrem Sproß ist, wird aus der reichhaltigen Süße der heiligen Demut mühelos genau erkannt»). Die Vorstellung, dass die superbia als radix den anderen Lastern vorzuschalten ist, geht auf Gregor den Großen zurück, vgl. ders., «Moralia in Job», Liber 31 , Caput XLV, 2 : Initium omnis peccati est superbia [Eccli. X, 15]. Primae autem eius soboles, septem nimirum principalia uitia, de hac uirulenta radice proferuntur, scilicet inanis gloria, inuidia, ira, tristitia, auaritia, uentris ingluuies, luxuria. (zitiert nach: S. Gregorii Magni Moralia in Iob. Libri XXIII- - XXXV, hg. von Marcus Adriaen, Turnhout 1985 (CCSL 143 B). S. 1610 ; Übers.: «Der Anfang jeder Sünde ist der Hochmut. Dessen erste Nachkommen aber, ohne Zweifel die sieben Hauptlaster, werden aus dieser giftigen Wurzel hervorgebracht, das sind nämlich: Ruhmsucht, Neid, Zorn, Trübsinn, Habgier, Gefräßigkeit des Magens, Wollust.»). Vgl. zu den literarischen Quellen der arbores virtutum et vitiorum -Tradition zudem: Langosch, Karl: Arbores virtutum et viciorum, in: Studien zur lateinischen Dichtung des Mittelalters. Fs. Karl Strecker, hg. von Walter Stach und Hans Walther, Dresden 284 III Typeneinteilung des Natureingangs X. De luxuria et comitatu ejus Luxuria est ex immundis descendens desideriis lubrica, et effrenata mentis corporiscve prostitutio. Ejus comites sunt voluptas, lascivia, ignavia, petulantia, titubatio, blanditiae, deliciae.- […] Lascivia est indecens motus dissoluti corporis in loco verecundo ex intemperantia carnali prodiens. 226 Über die Wollust und ihr Gefolge: Die Wollust ist eine sich aus unreinen Sehnsüchten ergießende, schlüpfrige und zügellose Entehrung des Geistes oder des Körpers. Ihre Begleiter sind die Lust, die Zügellosigkeit, 1931 (Schriftenreihe der Historischen Vierteljahrschrift 1 ), S. 117 - 131 , und bes. Greenhill, Eleanor S.: Die geistigen Voraussetzungen der Bilderreihe des Speculum Virginum. Versuch einer Deutung, Münster 1962 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 39 , 2 ), S. 78 - 99 . 226 Zitiert nach: PL Migne 176 , Sp. 1002 ; vgl. dazu auch das Bildzeugnis des Arbor vitiorum aus dem Traktat «De fructibus carnis et spiritus», das Katzenellenbogen, Adolf: Allegories of the virtues and vices in medieval art. From early Christian times to the thirteenth century, Nendeln 1968 (Nachdr. der Ausg. London 1939 ) (Studies of the Warburg Institute 10 ), Tafel XL/ Schaubild 66 , beibringt. Die Darstellung stammt aus einer frühen, noch auf das zweite Viertel des 12 . Jahrhunderts zu datierenden Salzburger Handschrift (UB Salzburg, M I 32 , früher: V. 1 . H. 162 , fol. 75 v); vgl. dazu: Fingernagel, Andreas: «De fructibus carnis et spiritus». Der Baum der Tugenden und der Laster im Ausstattungsprogramm einer Handschrift des «Compendiums» des Petrus Pictaviensis (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 12 538 ), in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 46 / 47 ( 1993 f.), S. 173 - 186 , bes. S. 182 . Der luxuria, die hier ganz oben im Bild des Lasterbaums zu finden ist, sind links und rechts jeweils sechs Branchen zugeordnet (Angabe von links nach rechts): links: voluptas (Lust), immunditia (Unanständigkeit), turpiloquium (unzüchtige Rede), blanditiae (Liebkosungen), lascivia, ignavia (Trägheit); rechts: libido (Verlangen), titubatio (Wanken), deliciae (Schlüpfrigkeiten), petulantia (Keckheit), turpitudo (Schändlichkeit), fornicatio (Unzucht). Die hier gewählte Schreibung der Laster orientiert sich an der schematisierten Darstellung der Bildtradition in: Migne PL 176 , Sp. 1007 - 1010 . Eine ganz ähnliche Bestimmung der lascivia findet sich in der Text- und Bildtradition des «Speculum virginum», einer wohl im 12 . Jahrhundert zur spirituellen Anleitung geistlicher Schwestern enstandenen Zusammenstellung, für die die Forschung ebenfalls eine Autorschaft Konrads von Hirsau diskutiert hat (vgl. Speculum virginum. Jungfrauenspiegel, lateinisch- - deutsch, übers. und eingel. von Jutta Seyfarth, 4 Bde., Freiburg i.Br. u.a. 2001 [Fontes Christiani 30 ], Bd. I, S. 7 - 25 ), wobei die genauen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen beiden Texten ungeklärt sind (vgl. ebd., S. 14 , bes. Anm. 23 ). In Buch IV heißt es im Kontext einer Tugend- und Lastersystematik von der lascivia, sie sei ein indecens motus dissoluti in ioco anteveniens ex intemperantia carnali (Übers.: «Ausgelassenheit ist die unschickliche Unruhe eines Liederlichen, die aufgrund fleischlicher Unbeherrschtheit im Scherz vordringt»; beides zitiert nach ebd., Bd. III, S. 294 ; Hervorhebungen von mir, D.E). Dabei mag man erst einmal an eine offensichtliche Verschreibung des obigen Zitats aus «De fructibus carnis et spiritus» denken, allerdings ist diese Zuordnung m. E. ebenfalls von gewisser Stimmigkeit, da sie vor dem Hintergrund der mittellateinischen Liebeslyrik noch eine besondere Brisanz gewinnt, ist das Wortfeld iocus doch für die freudenstiftende Wirkung der schönen Jahreszeit breit bezeugt (vgl. etwa oben CB 156 , I, 8 ! ). Vgl. zudem das Bildzeugnis für die arbores virtutum et vitiorum aus der «Speculum virginum»-Überlieferung, das Seyfarth mit den Seiten fol. 11 v und 12 r aus der Handschrift Köln, Historisches Archiv, w 276 a (Mitte des 12 . Jahrhunderts) im ersten Band nach S. 160 als Bild 3 und 4 beibringt, wo die lascivia im Lasterbaum oben rechts als eine Filiation der luxuria erscheint (s. dazu die Angaben in ebd., Bd. I, S. 49 f. und Bd. IV, S. 1052). 2 Diskussion ausgewählter Parameter 285 die Trägheit, die Keckheit, das Wanken, die Liebkosungen und die Schlüpfrigkeiten.-[…] Die Zügellosigkeit ist eine unschickliche Bewegung des nachlässigen Körpers an einem schamhaften Ort, die aus der fleischlichen Unmäßigkeit hervorgeht. Auch wenn die lascivia hier im Rahmen der luxuria als eine ihrer Unterkomponenten aufgeführt ist, so mag dennoch die ihr beigefügte Begriffsbestimmung eine Konzeptualisierung zulassen, die noch nicht unbedingt in den engeren Bereich erotischen Begehrens gerichtet sein muss, verweist die Erklärung doch zunächst einmal eher unbestimmt auf das Spektrum unpassender Körperbewegungen als Reflex einer fleischlichen Unbeherrschtheit. Dieser Befund wäre nun auf einer ersten Ebene durchaus mit den Einordnungen des Robert Grosseteste in Einklang zu bringen, auf den Carla Casegrande und Silvana Vecchio für eine Untergliederung der luxuria verweisen, und der hier zwischen libido (=-alle unerlaubten Arten des Sexualverkehrs) und lascivia (=-jede Form der lasterhaften Entleerung des Körpers) unterscheidet, wobei er für letztere den Aderlass, das Bad, das Schwitzen, das Ablassen der Blähungen und- - das ist vor dem Hintergrund der mittellateinischen Liebeslyrik von besonderer Relevanz 227 - - das Tanzen als Beispiele anführt, da sie eine ähnlich unbeherrschte und dem Vergnügen dienende Erleichterung des Körpers darstellten wie der eigentliche Sexualakt. 228 Freilich zeigt sich jedoch für den Traktat «De fructibus carnis et spiritus» die erneute Verwendung des Wortfeldes lascivia/ lascivus im Zusammenhang mit der Begriffsbestimmung der petulantia als eines der weiteren untergeordneten Laster der luxuria in sehr deutlicher Weise, dass obige Erläuterung sehr wohl auf den Bereich der sinnlich-erotischen Begierde zielt (Petulantia est ex carnalium cogitatuum conceptione totius corporis lascivus in rem amatam impetus 229 ). 227 Vgl. die oben für die CB beigebrachten Belege, wo lascivia im Kontext von Tanzassoziationen erscheint. Dass lascivia durchaus mit der erotisch-aufreizenden Körperbewegung (der Frau), wie sie beim Tanz ja augenfällig werden mag, identifiziert werden kann, dürfte das folgende Beispiel aus dem (Pseudo? -) bernhardinischen «Liber de modo bene vivendi» belegen, wo unter IX. «De habitu» von dem den Schwestern zu empfehlenden ernst-gemessenen Gang die Rede ist: Igitur, soror in Christo amabilis, professionem tuam habitu et incessu demonstra. Si[t] in gressu tuo simplicitas, sit in incessu honestas. Nihil dedecoris, nihil lasciviae, nihil petulantiae, nihil insolentiae, nihil levitatis in incessu tuo appareat. (zitiert nach: Migne PL 184 [ 1854 ], Sp. 1199 - 1306 , hier Sp. 1215 , Hervorhebung von mir, D. E.; Übers.: «Also, liebenswürdige Schwester in Christo, zeige dein Gelübde in äußerer Erscheinung und Gang! Es möge in deinem Schreiten Einfachheit sein, es möge in deinem Gang Ehrbarkeit sein. Nichts an Entehrendem, nichts an Ausgelassenheit/ Geziertheit, nichts an Frechheit, nichts an Unverschämtheit, nichts an Leichtfertigkeit soll in deinem Gang erscheinen»). 228 Vgl. Casagrande, Carla / Vecchio, Silvana: I sette vizi capitali. Storia dei peccati nel Medioevo, Torino 2000 , S. 155 ; ebenso erhältlich ist eine französische Übersetzung: dies.: Histoire des péchés capitaux au Moyen Âge. Übers. von Pierre-Emmanuel Dauzat, Paris 2003 , hier S. 238 f. Textedition: Robert Grosseteste’s treatise on confession «Deus est», hg. von Siegfried Wenzel, in: Franciscan Studies 30 ( 1970 ), S. 218 - 293 . 229 Zitiert nach: Migne PL 176 , Sp. 1002 , Hervorhebung von mir, D. E.; Übers.: «Die Keckheit ist ein aus dem Empfängnis fleischlicher Gedanken (entstehender) zügelloser Drang des ganzen Körpers zur geliebten Sache hin». 286 III Typeneinteilung des Natureingangs Darüber hinaus tritt im moraltheologischen Schrifttum die lascivia bisweilen aber auch geradezu als Äquivalenzterminus der luxuria auf. Dies ist schon bei Hilarius von Poitiers zu beobachten, etwa wenn der Begriff im Kontext von Lasterkatalogen- - in einer Reihe mit anderen prominenten Hauptlastern- - gebraucht wird 230 , aber wird vor allem auch bei mehreren Belegen deutlich, in denen luxuria und lascivia durch Nebenordnung in einen engen Zusammenhang gestellt werden. 231 230 Vgl. etwa die folgende Passage aus Hilarius’ Ausführungen zu Psalm Vet.Lat. 123 (hebr. Zählung 124 ): Atque ut nullus hic de aquis sensus esset, consequitur, Benedictvs Dominvs, qvi non dedit nos in captvram dentibvs eorvm. Et qui sunt horum torrentium dentes? Sunt plane ad laniandum apprehendendumque uehementes, ira, cupiditas, lasciuia, odium, gula, auaritia. Hi sunt dentes mali et tenaces. Per haec enim in nos captos laniatosque dominantur, dum uitiorum suorum aut ministros aut consortes esse nos faciunt, quibus non carnes nostrae, sed anima, nisi Deus in nobis esset, manderetur. (zitiert nach: J. Doignon [Hg.], Tractatvs svper psalmos, S. 48 ; Hervorhebungen von mir, D. E.- - Übers.: «Und selbst wenn hier kein Verständnis von den Wassern [aus Vers 4 / 5 des Psalms] wäre, es folgt VERS. 6 : Gepriesen sei der Herr, der uns nicht ihren Zähnen als Fang überließ. Und welche sind die Zähne dieser Ströme? Es sind rundheraus zum Zerfleischen und Ergreifen starke: Zorn, fleischliche Lust, Zügellosigkeit, Hass, Völlerei, Habgier. Diese sind die bösen und fest greifenden Zähne. Dadurch herrschen sie nämlich über uns, die wir von ihnen gefangen und zerfleischt sind, indem sie uns entweder zu Gehilfen oder Teilhabern ihrer Laster werden lassen, durch die nicht unsere Körper, sondern die Seele, wenn nicht Gott in uns wäre, verzehrt würde.»; vgl. dafür auch: Hilarius, Sämmtliche Schriften, Bd. 5 , S. 245 f.). 231 Vgl. z. B. Ambrosius, «De Jacob et vita beata», Liber I, caput 5 , 18 : Si igitur in illius morte dimittuntur nobis peccata, etiam peccatorum nobis passiones in illius morte moriantur, illius crucis clavis affixae teneantur. Si in illius morte mortui sumus, quid iterum tanquam viventes ad ea quae sunt mundana revocamur? Quid nobis cum elementis hujus mundi? Quid cum cupiditatibus? Quid cum luxuria atque lascivia quibus cum Christo mortui sumus? Quod si simus in Christo mortui, in Christo resurreximus. (zitiert nach: Sancti Ambrosii Mediolanensis Episcopi De Jacob et vita beata libri duo, in: Migne PL 14 [ 1845 ], Sp. 627 - 670 , hier Sp. 635 ; Hervorhebungen- - wie im Folgenden- - von mir, D. E.; Übers: «Wenn also im Tod von jenem uns die Sünden erlassen werden, mögen uns auch die Leiden an den Sünden im Tod von jenem sterben, sie mögen gefangen gehalten werden, indem sie angeheftet worden sind durch die Nägel seines Kreuzes. Wenn wir im Tod von jenem tot sind, was werden wir wiederum gleichsam als Lebende zu den Dingen, die weltlich sind, zurückgerufen? Was haben wir mit den Elementen dieser Welt? Was mit den Leidenschaften? Was mit der Zügellosigkeit und Ausschweifung, durch die wir mit Christus gestorben sind? Wenn wir nun in Christus gestorben sein mögen, sind wir in Christus wieder auferstanden»), oder die für das Noviziat anwendbaren Anordnungen des bernhardinisch rezipierten, aber älteren «Tractatus de ordine vitae et morum institutione» des Johannes de Fruttuaria (Textedition in: Migne PL 184 [ 1854 ], Sp. 559 - 584 ; vgl. dazu Bynum, Caroline Walker: Docere verbo et exemplo. An aspect of twelfth-century spirituality, Missoula 1979 [Harvard theological studies 31 ], S. 99 - 101 , und 119 - 123 , ferner Newman, Barbara: Flaws in the golden bowl: Gender and spiritual formation in the twelfth century, in: Traditio 45 ( 1989 / 90 ), S. 111 - 146 , hier S. 113 , Anm. 9 , und S. 145 ; Breitenstein, Mirko: Das Noviziat im hohen Mittelalter. Zur Organisation des Eintrittes bei den Cluniazensern, Cisterziensern und Franziskanern, Münster 2009 [Vita regularis, Abhandlungen 38 ], S. 330 ). Dort findet sich z. B. in Caput IV (Migne PL 184 , Sp. 568 - 570 ): Taciturnitatem et silentium praecipue convenire adolescentibus («Dass besonders Schweigsamkeit und Stille den Heranwachsenden gut anstehen») die Passage: Alliga, moneo, sermonem tuum, ne luxuriet, ne lasciviat, et in multiloquio peccata sibi colligat (zitiert 2 Diskussion ausgewählter Parameter 287 Dieser Befund, der sich wohl auch noch weiter auf das mittelalterliche Schrifttum ausdehnen ließe 232 , unterstreicht freilich noch einmal in drastischer Weise, wie negativ vorbelastet der Begriff aus moraltheologischer Sicht hinsichtlich des erotischkörperlichen Liebesbegehrens erscheinen muss. 233 Denn schon bei Augustinus kann die lascivia deutlich dem semantischen Komplex der zu verurteilenden sündhaften, nach: ebd., Sp. 569 ; Übers.: «Fessele, so mahne ich, dein Sprechen, damit es nicht ausschweift, damit es nicht ausgelassen ist und in der Geschwätzigkeit sich Sünden zusammenliest»). 232 Vgl. dazu etwa die Hinweise bei Bejczy, István P.: The cardinal virtues in the Middle Ages. A study in moral thought from the fourth to the fourteenth century, Leiden u. a. 2011 (Brill’s studies in intellectual history 202 ), S. 246 , der in Anm. 79 Beispiele dafür verzeichnet, dass bei der mittelalterlichen Tradierung der von Cicero als Gegenstücke zu den vier Grundtugenden genannten Übel von iniquitas, luxuria, ignavia und temeritas genau eine derartige Ersetzung von luxuria durch lascivia erfolgen kann. Zwar lässt sich dies für den angegebenen Hugo von Bologna mit seinen «Rationes dictandi prosaice» (frühes 12 . Jh.) nicht recht nachvollziehen (vgl. Rockinger, Ludwig: Briefsteller und formelbücher des eilften bis vierzehnten jahrhunderts, 2 Bde., München 1863 f. [Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte 9 , 1 f.], hier Bd. I, S. 59 ), ist jedoch für die ebenfalls aufgeführten «Introductiones dictandi» des Transmundus Claraevallensis (spätes 12 . Jh.) gut zu belegen (vgl. Transmundus: Introductiones dictandi, hg. und übers. von Ann Dalzell, Toronto 1995 [Studies and texts 123 ], S. 80 ). 233 Dem widerspricht m. E. nicht grundsätzlich, dass sich auch Belege finden lassen, die die lascivia eher in einen Zusammenhang mit der superbia rücken, fungiert diese doch meist als übergeordnete radix vitiorum (s. o.); vgl. etwa Gregor der Große, «Moralia in Job», Liber 5 , XL (Auslegung von Iob 4 , 20 ): Stultis enim uoluptatibus decepti, dum quae uident, temporaliter diligunt, a semetipsis alienati non uident ubi in aeternum ruunt. Potest etiam mane prosperitas, uespere huius mundi aduersitas designari. De mane ergo usque ad uesperum reprobi succiduntur, quia et per prospera lasciuientes depereunt, et per aduersa impatientes ad insaniam exsurgunt (zitiert nach: S. Gregorii Magni Moralia in Iob. Libri I- - X, hg. von Marcus Adriaen, Turnhout 1979 [CCSL 143 ], S. 271 , Hervorhebung- - wie im Folgenden- - von mir, D.E; Übers.: «Die nämlich durch dumme Sinnenfreuden betrogen sind, lieben, solange sie diese sehen, nur vorübergehend und sehen, von sich selbst entfremdet, nicht, wenn sie auf ewig niederstürzen. Es kann das Glück auch am Morgen, am Abend die Widerwärtigkeit dieser Welt ersehen werden. Vom Morgen also bis zum Abend werden die Schlechten niedergefällt, weil sie sowohl durch Glück, das sie ausgelassen werden lässt, untergehen, als auch durch Unglück, das ihnen zuteil wird, sich zur Raserei erheben») oder Bernhard von Clairvaux, Epistula 8 II. (Ad Fulconem puerum qui postea fuit Lingonensis Archidiaconus), Abschn. 11 : Sic ergo et nos contenti simus vestimentis quibus operiamur, non quibus lasciviamus, non quibus superbiamus, non quibus mulierculis vel simulari, vel placere studeamus. (zitiert nach: Bernardus [Claraevallensis]: Sämtliche Werke. Lateinisch / deutsch, hg. von Gerhard B. Winkler, 10 Bde., Innsbruck 1990 - 99 , Bd. II, Innsbruck 1992 , S. 282 f.; «So lass also auch uns zufrieden sein, mit welchen Kleidern wir bedeckt sein mögen, in welchen wir nicht mutwillig sein mögen, in welchen wir uns nicht überheben mögen, in welchen wir uns den Weibchen weder ähnlich zu machen, noch ihnen zu gefallen trachten mögen.»). Für einen engen Zusammenhang zwischen superbia und luxuria plädiert im Falle der mittelalterlichen Bestiarien Brown, Carmen: Bestiary lessons on pride and lust, in: The mark of the beast. The medieval bestiary in art, life, and literature, hg. von Debra Hassig, New York, London 1999 (Garland Medieval Casebooks 22 ), S. 53 - 70 , hier bes. S. 59 f. und 63 f. 288 III Typeneinteilung des Natureingangs weil fleischlich-sinnlichen Liebe zugeordnet werden, wie etwa das folgende Beispiel aus den «Enarrationes in Psalmos» zu Psalm 50 (= 51 , hebr. Zählung) zeigt 234 : 5. Sed factum est: dixerim haec eis qui non commiserunt, ut uigilent custodire integritatem suam, et cum adtendunt magnum cecidisse, parui timeant. Si uero aliquis iam lapsus haec audit, et aliquid in conscientia mali tenens, uerba psalmi huius aduertat: adtendat quidem uulneris magnitudinem, sed non desperet medici maiestatem. Peccatum cum desperatione, certa mors. Nemo ergo dicat: Si iam aliquid mali feci, iam damnandus sum; Deus malis talibus non ignoscit, cur non addo peccata peccatis? Fruar hoc saeculo in uoluptate, in lasciuia, in cupiditate nefaria; iam perdita spe reparationis, uel hoc habeam quod uideo, si non possum habere quod credo. Iste ergo psalmus, sicut cautos facit eos qui non ceciderunt, sic desperatos esse non uult qui ceciderunt. 235 5. Aber es wurde getan: Ich möge dies zu denen gesprochen haben, die sich darin keine Schuld haben zukommen lassen, damit sie wachsam sind, ihre Unversehrtheit zu beschützen, und, wenn sie ihre Aufmerksamkeit darauf richten, dass ein großer Mann gestürzt ist, sich die nicht so Bedeutenden fürchten. Wenn nun gar jemand dies, nachdem er schon 234 In eine ähnliche Richtung weisen auch die Belege für lascivia aus den «Confessiones» des Augustinus, wie z. B. die folgende Passage aus dem zweiten Buch, wo den Lockungen der lascivientes die caritas Gottes gegenübergestellt ist: et blanditiae lascivientium amari volunt: sed neque blandius est aliquid tua caritate nec amatur quicquam salubrius quam illa prae cunctis formosa et luminosa veritas tua (Liber II, aus Abschn. 13 , Übers. «Schmeicheleien wollüstiger Menschen sollen zur Liebe anreizen. Aber nichts ist einschmeichelnder, als wenn du liebst, nichts heilsamer als Liebe zu deiner Wahrheit, deren Schönheit und Strahlenglanz alles andere in Schatten stellt»; Text und Übers. zitiert nach: Aurelius Augustinus: Confessiones. Bekenntnisse, lateinisch- - deutsch, übers. von Wilhelm Thimme, Düsseldorf 2004 [Sammlung Tusculum], S. 72 f.; Hervorhebung-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.). Besonders aufschlussreich ist in dieser Hinsicht auch eine Stelle aus dem zehnten Buch, wo von den das Ich quälenden, auf das Fleischliche fixierten Begierden der Seele im Schlaf die Rede ist, also offensichtlich eine Sphäre angesprochen ist, die sich der bewussten Beeinflussung durch den Geist entzieht: Numquid non potens est manus tua, deus omnipotens, sanare omnes languores animae meae atque abundantiore gratia tua lascivos motus etiam mei soporis extinguere? augebis, domine, magis magisque in me munera tua, ut anima mea sequatur me ad te concupiscentiae visco expedita, ut non sit rebellis sibi, atque ut in somnis etiam non solum non perpetret istas corruptelarum turpitudines per imagines animales usque ad carnis fluxum, sed ne consentiat quidem. (Liber X, Abschn. 42 ; Übers.: «Ist etwa nicht mächtig genug deine Hand, allmächtiger Gott, alle Schwächen meiner Seele zu heilen und durch deine überschwengliche Gnade auch die lüsternen Regungen meines Schlafes auszutilgen? Laß mir, Herr, immer reichlicher deine Gaben zufließen, daß meine Seele, frei vom Leim der bösen Lust, mir folge zu dir, daß sie nicht rebellisch sei gegen sich selbst, auch im Schlaf durch die sinnlichen Bilder sich nicht hinreißen lasse zu schmählich beschämender Wollust, ja nicht einmal in Gedanken einwillige», beides zitiert nach: ebd., S. 552 f.; warum der Übersetzer hier usque ad carnis fluxum ausspart, begründet auch die beigefügte Anm. 42 ,I, ebd., S. 767 , nicht im Mindesten, vgl. für eine weniger peinlich berührte Übertragung die treffende Angabe «bis zum Samenerguß» in: Aurelius Augustinus: Bekenntnisse. Mit einer Einl. von Kurt Flasch, übers., mit Anm. vers. und hg. von Kurt Flasch, Burkhard Mojsisch, Stuttgart 1989 (RUB 2792 ), S. 282 . 235 Zitiert nach: Sancti Aurelii Augustini Enarrationes in psalmos. I-- L, hg. von Eligius Dekkers und Johannes Fraipont, Turnhout 1956 (CCSL 38 , X, 1 ), S. 602 . 2 Diskussion ausgewählter Parameter 289 gestrauchelt ist, hört und einigermaßen am Einverständnis mit dem Bösen festhält, möge er seine Aufmerksamkeit auf die Worte dieses Psalms richten: Er möge zwar Acht geben auf die Größe der Wunde, aber nicht verzweifeln an der Erhabenheit des Arztes. Sünde mit Verzweiflung bedeutet: der Tod ist gewiss. Niemand soll also sagen: Wenn ich schon irgendetwas Böses getan habe, bin ich schon zu verdammen; Gott verzeiht solche Fehler nicht, warum füge ich den Sünden nicht weitere hinzu? Ich möge dieses Leben in Sinneslust, in Ausschweifung, in frevelhafter Begierde genießen; da nun schon die Hoffnung auf Heilung verloren ist, soll ich wohl an dem festhalten, was ich sehe, wenn ich das nicht festhalten kann, was ich glaube. Wie genau dieser Psalm also die Vorsichtigen zu denen macht, die nicht niederstürzen, so will er für die, die gestürzt sind, nicht, dass sie verzweifelt sind. Denn hier wird nicht nur die lascivia aufzählend in eine Äquivalenzbeziehung zur voluptas und cupiditas gesetzt, letztere ist durch das Adjektiv nefarius («gottlos, frevelhaft, verrucht, ruchlos» 236 ) noch in extremer Weise als moraltheologisch zu verwerfen eingeordnet. So ist denn auch bei Gregor dem Großen die lascivia häufig dezidiert der fleischlich-affizierten voluptas zugeordnet 237 , was besonders deutlich der folgenden Textstelle aus den «Moralia in Job» abgelesen werden kann, die die Disziplinierung des Körperlichen-- verstanden als ein in fides, spes und caritas dargebrachtes Opfer 238 -- vor dem Horizont der Liebe zu Gott und dem Mitmenschen (amor / caritas) im Sinne von Kontemplation und Predigt perspektiviert: Liber 6 , Caput XXXVII : Speculando quippe in Dei amore surgitur sed praedicando ad proximi utilitatem reditur. 239 Vnde apud Moysen, dum in sacrificio uacca mactatur [Num. XIX , 3], offerri cum hyssopo lignoque cedrino bis tinctus coccus praecipitur. Vaccam quippe mactamus, cum carnem a lasciuia uoluptatis exstinguimus. Quam cum hyssopo lignoque cedrino ac cocco offerimus, quia cum maceratione carnis, sacrificium fidei, spei et charitatis adolemus. 240 Durch die Betrachtung wird er freilich in der Liebe Gottes entrückt, aber durch das Predigen wird er zum Nutzen für die Nächsten zurückversetzt. Daher ist bei Moses vorgeschrieben, dass, während beim Opfer die Kuh geweiht wird, mit Ysop und Zedernholz zweimal gefärbter Scharlachstoff dargebracht wird. Wir weihen freilich eine Kuh, wenn wir das Fleisch von der Zügellosigkeit der Sinneslust austrocknen. Diese bringen wir mit Ysop und Zedernholz und Scharlach dar; denn mit dem Mürbemachen des Fleisches verbrennen wir das Opfer des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. 236 Georges II, Sp. 1128 , dort gesperrt. 237 Vgl. etwa neben der oben vorgestellten Textpassage zudem die beiden folgenden Abschnitte: Liber 5 , Caput XXXIX (bezogen auf die Lebensführung) oder Liber 21 , Caput II (Macht der Augen). 238 Die Textpassage beschäftigt sich mit einer Auslegung der Anordnung Gottes, dass die Israeliten ein nach genauen Weihevorschriften abgehaltenes Sühneopfer zur Herstellung von Reinigungswasser abhalten sollen (Num. 19 ). 239 Hier ist vom praedicator die Rede. 240 M. Adriaen (Hg.), Moralia in Iob. Libri I-- X, S. 326 . 290 III Typeneinteilung des Natureingangs Der hier formulierte Gedanke, dass im Vorgang einer maceratio carnis, das Fleisch von der lascivia seiner weltlichen Lust gereinigt werden muss, um dieses als Opfer Gott darzubringen, das zur Versenkung in die Transzendenzsphäre der Liebe Gottes befähigt, aber als tätige Nächstenliebe auch stets in den Geltungsbereich des Weltlichen zurückgeführt werden soll, führt somit in ein zutiefst ambivalentes Feld der Realisation und Ausfaltung verschiedener Formen und Begrifflichkeiten von ‹Liebe› (voluptas, amor, caritas), wobei- - gerade vor dem Hintergrund des Diskurskontextes- - die lascivia als Auswuchs eines zu verdammenden, sinnlich-erotischen Liebesbegehrens konzeptualisierbar ist, das die Ausprägung anderer, wünschenswerter Formen von Liebe behindert. Gleichwohl muss in diesem Zusammenhang betont werden, dass selbst für die geistlich ausgerichteten Diskurstypen nicht der Eindruck erweckt werden darf, dieser Zuschreibungskomplex von lascivia begegne immer in allzu holzschnittartiger Klarheit; so muss hier zum Beispiel auch auf eine Stelle aus der 19 . Hohelied-Predigt des in der Nachfolge Berhards von Clairvaux stehenden Gillebert von Hoyland (gest. 1172 ) 241 hingewiesen werden, die den lascivia-Begriff etwa im Kontext eines religiös konnotierten amor aufruft, der jedoch wiederum in einer letztlich unauflösbaren Diesseitsbeschränkung und Weltgebundenheit angesprochen und kategorial vor dem ungleich höherwertigen amor Christi abgrenzt ist. 242 Die Passage lautet wie folgt: In Cantica Sermo XIX [ aus Abschn. 2 ] 243 : Musti praefert amor insigne, quod nativitatis suae fervore quodam et velut aetatis lascivia excrescit et superfluit, capi nesciens et novo semper exfervescit et fermentatur affectu. Amor infirmitatem non causatur, sed magis accusat. Amori nihil satis est, nihil minus se ipso. Amor se ipso satiari non potest, et tamen nisi se ipso pasci non potest: ipse sibi dulce satis est pabulum. Amor nil magis vult quam amare. Quam dabit homo commutationem pro amore? quam dabit, vel quam accipiet? Nihil gratius amore impenditur, nil dulcius sentitur. Amor et dulciter optat, et dulciter utitur; dulciter deliciatur, et dulcitur dolet. Vere dulcis amor, et solus dulcis amor; et omnis dulcis amor, sed non est amor ad amorem Christi. Super omnem enim pulchritudinem pulchritudo ejus.-[…] Anxio et vehementi affectu vestra, sanctae mulieres, in Christum inardescunt vota: sed ipse multo magis est amabilis, quam amatur a vobis. Die Liebe trägt das Anzeichen des jungen Weins, der durch eine gewisse Glut seiner Entstehung und gleichsam durch die Ausgelassenheit seines Lebensalters emporwächst und 241 Zu einer ersten Einordnung von Leben und Schriften Gilleberts vgl. bes. die Einleitung in: The Works of Gilbert of Hoyland, 4 Bde., hg. von Lawrence C. Braceland, Bd. I: Sermons on the Songs of Songs I, Kalamazoo 1978 (Cistercian Fathers Series 14 ), S. 3 - 40 . 242 Freilich ohne für diese höchste Form der Liebe einen anderen Begriff zu wählen wie etwa caritas; vgl. dazu das Thema der Predigt, die Hohhelied-Stelle Cant. III, 10 : Media charitate constravit propter filias Jerusalem, zitiert nach: Migne PL 184 , Sp. 96 - 102 , hier Sp. 96 . 243 Zitiert nach ebd., Sp. 97 f. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 291 überströmt, nicht wissend, wie er sich bändigen kann, und immer mehr überschäumt er und wird in Gärung gebracht durch die neue Leidenschaft. Die Liebe entschuldigt sich nicht mit Schwäche, sondern sie klagt sie eher an. Der Liebe ist nichts genug, nichts weniger als sie selbst. Die Liebe kann nicht an sich selbst satt werden, und dennoch kann sie nichts außer sich selbst fressen: sie ist sich selbst angenehm genug als Futter. Die Liebe will nichts außer lieben. Was wird der Mensch im Austausch für die Liebe geben? Was wird er geben oder was entgegennehmen? Nichts wird lieber ausgegeben als die Liebe, nichts süßer empfunden. Ja die Liebe wünscht süß und sie genießt süß; sie lockt süß und sie schmerzt süß. Wahrhaft süße Liebe und allein süße Liebe; und voll und ganz süße Liebe, aber es ist keine Liebe im Vergleich zur Liebe Christi. Denn über jeder Schönheit steht dessen Schönheit.-[…] Von besorgter und leidenschaftlicher Zuneigung zu Christus, heilige Frauen, erglühen eure Gebete; aber er selbst ist weitaus größerer Liebe wert, als er von euch geliebt wird. 244 Andererseits scheint bei dem obigen Zitat auch deutlich zu werden, dass sich die eigentlich wünschenswerte, aber für sich dennoch noch nicht ausreichende, weil bei dem eigenen Ich verharrende Form des geistlichen amor assoziativ mit der Sphäre weltlich-erotischer Liebe vermischt, mit der sie ja ihre prinzipielle Weltlichkeitsbeschränkung teilt. Dies wird nun zum einen an dem auf die Suggestion von heftiger Leidenschaftlichkeit führenden Vokabular (Überschäumen/ Gären, Erglühen, affectus) sichtbar, zum anderen etwa am Aspekt der bei der Liebe zu bemerkenden Schönheitsattraktion (pulchritudo) oder eben der auf Jugendlichkeit des Temperaments zielenden Weinbildlichkeit. Mit der so hergestellten suggestiven Kongruenz des bei Gillebert angesprochenen amor zum erotischen Liebesbegehren ließe sich dann wohl die-- sonst recht irritierende-- Verwendung des Terminus der lascivia erklären lassen, wobei freilich genau jener-- vor der Absolutheit der Liebe Christi stets ungenügender-- amor in ein Feld ambivalenter Konnotationen gerückt ist. Damit partizipiert die Predigt übrigens an einer negativen Aufladung von lascivia, die etwa besonders im Kontext der klosterdisziplinatorischen Unterweisung zu finden ist, welche den Begriff dezidiert mit Jugendalter und Jugendlichkeit und der hier besonders virulenten Gefährdung durch Leichtsinn und Übermut in Verbindung bringen. Ein gutes Beispiel hierfür bildet das Diktum aus dem bereits angesprochenen «Tractatus de ordine vitae et morum institutione», wo es im 5 . Kapitel (Obedientiae promptitudo commendatur junioribus 245 = «Die Bereitschaft zum Gehorsam wird den Jüngeren empfohlen») in Abschnitt 19 ) heißt 246 : 244 Vgl. dazu auch die engl. Übersetzung in: Gilbert of Hoyland, Sermons on the Songs of Songs II, hg. von Lawrence C. Braceland, Kalamazoo 1979 (Cistercian Fathers Series 20 ), S. 239 f. 245 Migne PL 184 , Sp. 570 . 246 Vgl. dazu bes. auch die folgenden Passagen aus den Briefen Bernhards von Clairvaux: erster Brief (Ad Robertum nepotem suum, qui de ordine Cisterciensi transierat ad Cluniacensem), Abschn. 2 : Fuerit certe meae culpae quod discessisti. Delicato quippe adolescentulo austerus exstiteram, et tenerum durus nimis inhumane tractavi. Hinc enim et praesens quondam adversum me, quantum memini, murmurare solebas; hinc et nunc, sicut audivi, etiam absenti derogare non cessas. Non tibi imputetur. Possem forsitan excusare et dicere, quia sic lascivi pueritiae motus coercendi erant; ac rudibus annis debebantur aspera illa disciplinae dis- 292 III Typeneinteilung des Natureingangs Sicut superbia equi indomiti praecipitio prona est; ita lascivia adolescentis indisciplinati, peccati ruinae proxima est. 247 Wie der Hochmut des ungebändigten Pferdes dem tiefen Sturz entgegeneilt, so ist die Ausgelassenheit des liederlichen Heranwachsenden ganz nahe am Fehltritt der Sünde. Vor dem Hintergrund solcher Textstellen scheint der intertextuelle Verweisgestus, der sich in der mittellateinischen Liebeslyrik zum geistlichen Schrifttum aufspannt, besonders virulent. Denn schließlich sind in ihr bestimmte Konzeptualisierungen, die im moraltheologischen Diskurs bereits etabliert sind, wie etwa der Zusammenhang der lascivia mit dem Jugendalter oder ihr Ausdruck in Körperbewegung und Tanz, ebenso aufgegriffen und breit ausgesponnen, freilich jedoch ohne die Übernahme von deren argumentativer Einbindung und christlich-normativer Ausdeutung im Sinne einer Gefährdung des Seelenheils. Im Gegenteil: Die mittellateinische Liebeslyrik erweckt vielmehr den Eindruck, als bestünde eine solche negative Vorbelastetheit des Begriff- und Motivarsenals gar nicht 248 , ja es scheint-- und dieser trictioris initia. (zitiert nach: G. B. Winkler [Hg.], Bernhard Werke II, S. 244 f.; Übers: «Es wird sicherlich meine Schuld gewesen sein, dass du dich entfernt hast. Dem wollüstigen ganz jungen Mann war ich freilich als streng entwachsen, und hart habe ich den Jugendlichen allzu unmenschlich behandelt. Daher nämlich pflegtest du auch gegenwärtig manchmal über mich, soweit ich mich erinnere, zu murren; von hier an und jetzt, wie ich gehört habe, zögerst du wohl nicht, dich auch dem Abwesenden zu entziehen. Es möge dir nicht in Rechnung gestellt werden. Ich könnte mich vielleicht entschuldigen und sagen, weil so die zügellosen Triebe der Jugend zu beschränken waren; jene rauen Anfänge waren in unerfahrenen Jahren einer strengeren Unterweisung geschuldet»; vgl. zu dem briefstilistisch wohl recht einschlägigen Ausdruck einer lascivia iuventutis vor allem auch ein Beispiel aus Hugos von Bologna «Rationes Dictandi prosaice», in: L. Rockinger, Briefsteller, S. 72) . 247 Zitiert nach: Migne PL 184 , Sp. 573 . 248 Auf einen ähnlichen Befund weist R. Schnell im Zusammenhang mit Szenarien des weiblichen Singens am Beispiel des Auftritts Isoldes vor der Hofgesellschaft (vgl. ders., Liebesdiskurse im Mittelalter, S. 65 - 69 ) hin, indem er die Unterschiede in der Bewertung der singenden Frau innerhalb der lateinischen Literatur betont (Abwertung in der geistlichen Kommentartradition vs. scheinbare Unbelastetheit in der mlat. Liebeslyrik), hier ebd., S. 67 f. (mit Anm. 98 ). Dass die Aktivierung des vollen semantischen Spektrums von lascivia, das sich zwischen den Polen normativer Negativwertung (im Sinne von ‹Zügellosigkeit, Ausschweifung›, s. moraltheologischer Diskurs) und positiv-unbelasteter Setzung (im Sinne von ‹Fröhlichkeit› wie in der mlat. Liebeslyrik) aufspannt, etwas mit dem für die jeweilige Textsorte spezifischen Grad von literarischer Stilisierung und Formung zu tun haben mag, der eben u. U. bestimmte Normativitätsparadigmen des moraltheologischen Diskurses zu suspensieren vermag, dürfte der Blick auf den «Anticlaudianus» des Alanus ab Insulis zeigen (mir geht es an dieser Stelle freilich nicht um ein Gegeneinanderausspielen von poetischer Formung und theologisch-philosophischem Aussagengehalt, das für die Bewertung des «Anticlaudian» in der Forschung eine nicht gerade rühmliche Rolle gespielt hat, vgl. dazu: Speer, Andreas: Kosmisches Prinzip und Maß menschlichen Handelns. Natura bei Alanus ab Insulis, in: Mensch und Natur im Mittelalter. 2 Halbbde., hg. von dems. und Albert Zimmermann, Berlin u. a. 1991 f. [Miscellanea Mediaevalia 21 ], hier: Bd. I, S. 107 - 128 , bes. 107 - 111 ). So überrascht es dann freilich nicht, wenn bereits im metrischen Prolog das Begriffsfeld der lascivia als scheinbar völlig positiv aufzufassende Terminologie aufgerufen ist, heißt es doch im Inspirationsaufruf an Phoebus: Scribendi nouitate uetus iuuenescere carta / Gaudet, et antiquas cupiens exire latebras / Ridet, 2 Diskussion ausgewählter Parameter 293 Befund dürfte sich sicherlich noch über das hier exemplarisch vorgeführte Feld der lascivia-Terminologie ausweiten lassen-- vordergründig völlig in einer heiter-unbeschwerten Sphäre jahreszeitlicher Freude und erotischer Ausgelassenheit im wiedererwachenden Naturraum aufzugehen. Schaltet nun aber der Rezipient die prinzipiell et in tenui lasciuit harundine musa (Vv. 4 - 6 , zitiert nach: Alain de Lille: Anticlaudianus. Texte critique avec une introduction et des tables, hg. von Robert Bossuat, Paris 1955 (Textes philosophiques du Moyen Age 1 ), S. 57 , Hervorhebung-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.; vgl. dazu die Übers. in: Alanus ab Insulis: Der Anticlaudian oder Die Bücher von der himmlischen Erschaffung des neuen Menschen. Ein Epos des lateinischen Mittelalters übers. und eingel. von Wilhelm Rath, Stuttgart 1966 [Aus der Schule von Chartres 2 ], S. 105 : «Schon freut das alte Papier sich mit neuer Schrift zu verjüngen, / Fröhlich lachend begehrt es heraus aus dem staubigen Winkel, / Und in dem schwachen Rohre regt sich schon lustig die Muse»). Andererseits erscheint die lascivia eben z. B. auch in der Lasterreihe, die die Versammlung der Übel durch Alecto anzeigt: Ergo suas pestes pestis predicta repente / Conuocat, ad cuius nutum glomerantur in unum / Tartarei proceres, rectores noctis, alumpni / Nequicie, fabri scelerum, culpeque magistri, / Dampna, doli, fraudes, penuria, furta, rapine, / Impetus, ira, furor, odium, discordia, pugne, / Morbus, tristicies, lasciuia, luxus, egestas, / Luxuries, fastus, liuor, formido, senectus. (Liber VIII, Vv. 160 - 167 ; zitiert nach: R. Bossuat, Anticlaudianus, S. 177 ; Übers. bei Rath, Anticlaudian, S. 229 : «Also ruft ihre Seuchen die Seuche plötzlich herbei nun, / Und es ballet des Tartarus Brut sich eilends zusammen / Auf ihren Wink, die Lenker der Nacht, / die Zöglinge jeder / Nichtsnutzigkeit, die Lehrer der Sünde und jedes Verbrechens: / Schaden, List und Betrug und Meineid, Räuberei, Diebstahl, / Angriff und Zorn und Wut, Haß, Streitigkeiten und Zwietracht, / Krankheit, Trauer und Spott, die Üppigkeit, Luxus, Entbehrung, / Wollust und Stolz und Neid und Schrecken, Furcht und Vergreisung»). Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch die Frage nach den Darstellungsmechanismen etwa der Geschichtsschreibung und ihrer Partizipation an moraltheologischen Diskurspraktiken einerseits bzw. andererseits einer möglichen Loslösung davon, die hier leider nicht weiterverfolgt werden kann. Einen Hinweis, der eher für eine diskursive Kongruenz spricht, gibt aber ein bemerkenswertes Beispiel, auf das Rüdiger Schnell in seiner Darstellung des Komplexes der vormodernen Ehekonzeptionen aufmerksam gemacht hat (vgl. ders., Sexualität und Emotionalität, S. 8 f.). Dabei handelt es sich um eine Passage aus der «Historia ecclesiastica» des Ordericus Vitalis, in der im Zusammenhang der Jahre 1066 bis 1086 davon die Rede ist, dass einige normannische Frauen ihre Ehemänner unter dem Hinweis auf ihre fehlende sexuelle Befriedigung und mit der Androhung, sich notfalls neue Gatten zu suchen, aus England zurückbeordert hätten (vgl. The Ecclesiastical History of Orderic Vitalis, 6 Bde., hg. und übers. von Marjorie Chibnall, Oxford 1969 - 1980 , Bd. II: Books III and IV, Oxford 1969 [Oxford Medieval Texts], S. 218 - 221 ); zur Charakterisierung der in moralischer Hinsicht verwerflichen- - weil libidinös motivierten- - ‹Erpressung› der Männer durch ihre Frauen benutzt Ordericus Vitalis bezeichnenderweise das Begriffsfeld der lascivia: Rursus honorabiles athletae quid facerent, si lasciuae coniuges thorum suum adulterio polluerent, et progeniei suae perennis maculae notam et infamiam generarent? […] Deinde famulari lasciuis dominabus suis in Neustriam reuersi sunt; sed honores quos iam nactos hac de causa reliquerunt, ipsi uel haeredes eorum nunquam postea recuperare potuerunt. (zitiert nach: The Ecclesiastical History, hg. von M. Chibnall, Bd. II, S. 220 -- Übers.: «Andererseits: Was würden ehrbare Helden tun, wenn ihre wollüstigen Ehefrauen ihr Bett durch Ehebruch besudelten und für ihre Nachkommenschaft das Zeichen eines immerwährenden Makels und Schande hervorbrächten? -[…] Darauf kehrten sie, um ihren wollüstigen Herrinnen zu dienen, nach Neustrien zurück; aber sie ließen die Auszeichnungen [Lehen], die sie erworben hatten, aus diesem Grund verfallen, und weder sie selbst noch ihre Erben konnten sie später je wieder zurückgewinnen»; vgl. für diese Übersetzung auch die Bemerkungen von R. Schnell, Sexualität und Emotionalität, S. 9 ). 294 III Typeneinteilung des Natureingangs zur konnotativen Ausdeutung ja gleichwohl anschlussfähigen Anhaftungen des Begriffsmaterials aus dem moraltheologischen Diskurs hinzu, so entsteht freilich ein zwischen semantischen Ambivalenzen und möglichen Wertungen changierendes Schillern, das nicht nur die kunstvolle Mehrfachcodiertheit und den hohen Literarisierungsgrad dieser Liedtradition eindrucksvoll demonstriert, sondern auch ein überraschend weites konnotatives Ausdeutungsspektrum für das eben nur dem Anschein nach naiv-‹volkstümliche› Motiv des ‹Freudenaufrufs an die Jungen› im deutschen Minnesang eröffnet, wenn man es vor dem Hintergrund der mittellateinischen Lyrik wahrnimmt. Dazu kommt noch eine weitere mögliche Aufladungskomponente, dient dem Lied CB 156 im Folgenden doch zudem die antike Mythologie-- ein Feld, das nicht nur in KLD 27 , IV nicht eigens realisiert, ja von der volkssprachlichen Lyrik überhaupt eher selten explizit aufgegriffen wird und somit hier als extravagante Form der Markierung des Sprechens verstanden werden kann- - über die Bezugnahme auf die Amtseinsetzung von Amor ( II , 7 f.) und die Unterwerfung unter die Herrschaft der Venus (II, 9 ) zur Demonstration des der Jahreszeit zugehörigen Liebeserwachens. Gleichwohl bleibt auch die mythologische Einfassung der Liebesthematik an die Sphäre einer als sexualisiert stilisierten und in kosmologischer Allumfassendheit gedachten Natur und des in ihr wirksamen Wirkprinzips der Jahreszeit zurückgebunden, was der das Wirken der Venus (sie reizt die von ihr Unterworfenen [vgl. II , 9 ]) temporal- - und damit saisonal- - perspektivierende Nebensatz dum nature nectar stillat ( II , 10 ) mit seiner erotisch aufgeladenen, zugleich aber auf die Ebene universeller Gültigkeit zielenden mythologischen Metaphorisierung des Frühlingsregens erweist. 249 Dabei dürfte nun die von der Wirkmacht der Venus betroffene Personengruppe der subditi ( II , 9 ), die am Ende der zweiten Strophe noch einmal als die 249 S. dazu die Erklärung der Stelle im Kommentar von B. K. Vollmann, Carmina Burana, S. 1157 : «natura bedeutet sowohl «Natur» als auch «Geschlechtsorgan». nature nectar ist deshalb sowohl der Frühlingsregen als auch der männliche Same und das Sekret des weiblichen Geschlechtsorgans. Dahinter steht die natur-mythologische Vorstellung vom hieros gamos, der «heiligen Vermählung», wie sie etwa bei Vergil, Georgica II 324 - 345 zum Ausdruck kommt»; vgl. in diesem Zusammenhang bes. die Vv. 324 - 331 : vere tument terrae et genitalia semina poscunt. / tum pater ominpotens fecundis imbribus Aether / coniugis in gremium laetae descendit et omnis / magnus alit magno commixtus corpore fetus. / avia tum resonant avibus virgulta canoris, / et Venerem certis repetunt armenta diebus; / parturit almus ager, Zephyrique tepentibus auris / laxant arva sinus; superat tener omnibus umor («Frühling lässt schwellen das Land, nach zeugendem Samen verlangend. / Jetzt in fruchtbaren Schauern steigt allmächtig der Vater / Äther hinab in den Schoß der jubelnden Gattin, und alles / Wachstum nährt er, mächtig vermählt mit dem mächtigen Leibe. / Einsam Gebüsch tönt hell jetzt vom Lied der zwitschernden Vögel, / und nach Venus verlangen im Rhythmus der Zeiten die Herden. / Trächtig schwillt von Früchten das Land, dem laulichen Westwind / öffnen die Fluren den Schoß, überall perlt silberne Feuchte»; beides zitiert nach: Vergil: Landleben. Catalepton, Bucolica, Georgica, Lateinisch und deutsch, hg. von Johannes und Maria Götte, 6 ., vollst. durchges. und verb. Aufl., Zürich 1995 [Sammlung Tusculum], S. 132 f.; Hervorhebungen von mir, D. E.). 2 Diskussion ausgewählter Parameter 295 amantes, die vom Feuer der Venus entflammt sind ( II , 11 f.), angeführt sind 250 , suggestiv in die Nähe der durch den Freudenaufruf von I, 10 avisierten Jugend gerückt sein, wobei sich auch hier wieder diese rezeptionsseitige Konzeptualisierung nicht durch definitorische Festlegung im Text, sondern durch assoziative Überlagerungsanreize ergibt. Schließlich ist das mit iuventus aufgerufene Kollektiv von jungen Männern und Frauen neben den subditi / amantes die einzige weitere (humane) Personenformation, auf die der Natureingang von CB 156 überhaupt Bezug nimmt 251 ; eine Abgrenzung oder oppositionelle Stilisierung beider Gruppen nimmt der Text genau nicht vor. Damit passt sich das vorliegende Lied in einen saisonalen Zuschreibungskomplex von schöner Jahreszeit sowie kosmologischer Fundierung, Jugend/ Verjüngung und Liebeserwachen ein, der für die mittellateinische Lyrik so charakteristisch scheint und freilich auch für die CB der mutmaßlich jüngeren Gruppe von entscheidender Bedeutung ist. 252 Wenn wir nun diesen Zuschreibungs- 250 Auf sie war ja schon am Anfang der Str. I durch die Stilisierung des ver als den Liebenden willkommen (amantibus gratum [I,II]; Hervorhebung von mir, D. E.) Bezug genommen worden. 251 Dabei darf nicht vergessen werden, dass es sich bei beiden Gruppen jedoch nicht um von der Sprecherinstanz tatsächlich angesprochene Gegenüber im Sinne einer dialogischen Simulation (ein «Du» der kommunikativen Stilisierung der Rede) handelt, als solche haben im Natureingang von CB 156 nur die Personifikationen des ver (vgl. das SALVE, Uer optatum [I, 1 ]) und der Blumenpracht (multitudo florum / et color colorum [I, 5 f.]) zu gelten, die als vordergründige Adressaten des Sprechens gerade für die Anfangspartie von entscheidender Bedeutung sind. Das zudem in Vers II, 6 über die Bezugnahme auf jede creatura aufgerufene Kollektivum umfasst freilich ebenso die Gruppe der Menschen, ist aber von so universeller Ausdehnung auf alle Geschöpfe Gottes (auch Pflanzen-, Tierwelt etc.), dass sie für die Frage der suggestiven Identifizierung der menschlichen amantes eher die Position eines übergeordneten totum einnimmt. 252 Vgl. etwa die beiden breit ausgeschmückten Natureingänge von CB 140 (Str. I-II: TERRA Iam pandit gremium- - - uernali lenitate, / quod gelu triste clauserat- - - brumali feritate. / dulci venit strepitu---fauonius cum uere, / seuum spirans boreas---nos cessat commouere. / tam grata rerum nouitas- - - que patitur silere? / / Nunc ergo canunt iuuenes, / nunc cantum promunt uolucres. / modo ferro durior est, quem non mollit Venus, / et saxo frigidior, qui non est igne plenus. / pellamus nubes animi, dum aer est serenus! Übers.: «Schon öffnet die Erde durch die Frühlingsmilde ihren Schoß, / den der strenge Frost verschlossen hatte mit winterlicher Rohheit. / Es kommt in lieblichem Tönen / der Westwind mit dem Frühling, / der grimmig wehende Nordwind hört auf, uns zu durchzuschütteln. / Was kann, bei so willkommener Neuheit der Natur, still bleiben? / / Nun also singen die jungen Leute, / nun tragen die Vögel ihren Gesang vor. / Jetzt ist härter als Eisen, wen Venus nicht weich macht, / und kälter als ein Steinblock, wer nicht von Feuer erfüllt ist. / Lasst uns die Wolken des Gemüts vertreiben, solange die Luft klar ist! ») und CB 151 (Str. I-III: VIRENT Prata---hiemata / tersa rabie, / florum data---mundo grata / rident facie. / solis radio / nitent, albent, rubent, candent / ueris ritus iura pandent / ortu uario. / / Aues dulci---melodia / sonant garrule, / omni uia uoce pia / uolant sedule, / et in nemore / frondes, flores et odores / sunt. ardescunt iuniores / hoc in tempore. / / Congregatur,- - - augmentatur / cetus iuuenum, / adunatur,- - - colletatur / chorus uirginum; / et sub tilia / ad choreas Venereas / salit mater, inter eas / sua filia. Übers.: «Es grünen die Wiesen, nachdem / die winterliche Raserei weggewischt ist; / die Blumengaben, der Welt willkommen, / lachen in Anmut. / Durch das Licht der Sonne / strahlen sie, sind weiß und rot und glänzend, / sie offenbaren die Gewohnheitsrechte des Frühlings / durch ihr buntes Wachsen. 296 III Typeneinteilung des Natureingangs komplex als möglichen konnotativen Rahmen des Freudenaufrufs an die jungen Leute in Hugs Lied IV ausmachen können, der sich-- wie die exemplarische Analyse der Eingangsstrophen von CB 156 gezeigt hat- - von kosmologisch-sexualisierten Natur- und Jahreszeitenkonzepten über mythologische Ausdeutung derselben bis hin zu im Lichte moraltheologischer Diskursassoziationen semantisch schillernder Aufladung der allgemeinen Jahreszeitenfreude erstrecken kann 253 , so trägt dieses auf den ersten Blick im Rahmen des Natureingangs nicht besonders thematisch sperrige Motiv dennoch das konnotative Potential in sich, assoziativ auf eine Ausdeutung der Natur- und Jahreszeitenrede im Sinne einer Folgethematik (z. B. in Form einer kollektivierten Liebesthematik) hinzuwirken. Somit würde also allein schon auf dieser Ebene eine Einordnung von Hugs Lied als monothematisches Natur- und Jahreszeitenlied nicht mehr sinnvoll erscheinen; betrachtet man jedoch zusätzlich, wie dort in der dritten Strophe die aufgerufene Assoziationssphäre dann auch auf der konkreten Aussagenebene fortgesponnen und- - etwa mittels der Perspektivierung vor dem Hintergrund der Spruchdichtungstradition und der in ihr omnipräsenten Gesellschaftsthematik- - zugespitzt wird, so wird augenfällig, dass der / / Die Vögel lassen geschwätzig / eine süße Melodie ertönen, / auf jedem Weg fliegen sie mit lieblicher Stimme / emsig hin und her, / und im Wald / sind Laubwerk, Blumen und Düfte. / Leidenschaftlich entbrennen die jungen Leute / in dieser Zeit. / / Es rottet sich zusammen und wird immer größer / der Auflauf der jungen Männer, / es vereinigt sich und freut sich gemeinsam / die Reihe der Mädchen, / und unter einer Linde / im Venusreigen / springt die Mutter, mittendrin auch ihre Tochter.»). Inwiefern im Falle des Letzteren die Verse III, 7 f. tatsächlich auf eine Anregung aus Neidharts Sommerliedern 1 und 3 zurückgehen, wie K. B. Vollmann, Carmina Burana, S. 1151 , angibt, ist m. E. aufgrund der zeitlichen Nähe der angenommenen Entstehung von jüngerer CB-Liedgruppe und der Neidhart-Lieder nicht entscheidbar, genauso könnte Neidhart hier Impulse der mittellateinischen Lyrik fortgesponnen haben. Mithin ist es auch nicht undenkbar, dass die Ausagierung der lateinisch breit bezeugten Topik ‹Frühling/ Sommer als eine Zeit der Jugend und des Wiederjungwerdens› über das Motiv einer übermütig tanzenden Jungen und Alten sich unabhängig von einander ergeben haben mag. 253 Dazu ist es m. E. gar nicht unbedingt nötig, dass sich beim Motiv des ‹Freudenaufrufs an die Jungen› in Hugs Lied zwingend um ein direktes formulatorisches Äquivalent des lateinischen Terminus lascivia bemüht würde, das viel unbestimmtere fröide überschreitet diesen Rahmen freilich in deutlicher Weise. Es ist vielmehr zu betonen, dass sich der hier vorgestellte, in der Interpretation optional zuschaltbare Konnotationsrahmen lediglich über assoziative Vernetzungsverfahren ergibt, die durch die so entstehenden Unschärfen ein freies Zirkulieren möglicher Bedeutungsunterlegungen erst ermöglichen (s. u.), so dass sich eine explizite Markierung im Sinne einer ‹genetischen› Herleitung (etwa durch Übernahme des Fremdwortes lascivia) oder präzisere terminologische Umsetzung (das mhd. Äquivalent zu lascivia wäre wohl muotwille [vgl. BMZ IV, Sp. 662 b], das für den Minnesang aber so nicht bezeugt ist) gerade verbieten. Interessant wäre überdies, das für die Sommerlieder Neidharts so charakteristische Begriffsfeld von geile/ geil in diesem Zusammenhang zu diskutieren, da mir hier im Sinne der diskursiven Vernetzung mit der mlat. Liebeslyrik / den Implikationen des moraltheologischen Diskurses zum einen inhaltlich eine spezifischere Zuspitzung zu erfolgen scheint, diese aber wiederum nicht durch etwa ein latinisierendes Lehnvokabular bekräftigt wird, sondern durch das eigensprachliche Material geile/ geil ja ebenso verhüllend realisiert ist; ein ähnlicher Gebrauch dieser Termini ist aber außerhalb des Neidhart-Œuvres für den Minnesang nicht nachzuweisen. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 297 Bereich der Natur- und Jahreszeitenthematik ganz eindeutig verlassen ist und obige Klassifizierung erst recht nicht mehr verfangen kann. 254 Denn die in Hugs Lied IV auszumachende Allusion an das Motiv des ‹Freudenaufrufs an die Jungen› wird in den Versen III , 1 f. ja nicht im eigentlichen Sinne als ein tatsächlicher, exclamatorischer Aufruf der Form gaudeat iuuentus! realisiert, sondern indirekt und konjunktivisch gebrochen als rhetorische Frage formuliert, die den hier erläuterten Kontext der lateinischen Tradition zwar noch als Folie eines Konnotationsrahmens erahnen lässt, sich aber von dieser allein durch den Duktus der Sprechweise auch distanzierend abhebt. Bemerkenswert ist, dass hierbei sowohl die Reetablierung der kollektiven Wir-Perspektive 255 , wie sie in der naturthemati- 254 In diesem Zusammenhang ist freilich darauf zu verweisen, dass diese gesellschaftsbezogene Ebene schon während des gesamten Verlaufes in der naturthematischen Eingangspassage subkutan herausentwickelt worden ist, etwa durch die auffallende Präsentation des Vogelmotivs (die Vögelchen sind fri gefro e net [I, 6 ], der Aufenthaltsort der Nachtigall ist hingegen verkluset [II, 6 ]). 255 Diese Einordnung ergibt sich weniger aus einer Sichtung der sich in den CB an den Natureingang anschließenden Anbindungspassagen, in denen die Ich-Perspektive, sei es für den Bereich einer rückblickenden Erzählung (vgl. etwa CB 84 , Str. I, 1 - 6 : DUM Prius inculta / coleret uirgulta / estas iam adulta / hieme sepulta, / uidi uiridi / Phylidem sub tylia; Übers.: «Als das vorher verwahrloste / Gebüsch / der schon vorgerückte Sommer schmückte, / nachdem der Winter vernichtet worden war, / erblickte ich / Phyllis unter einer grünen Linde»-- Hervorhebungen von mir, D. E.), sei es für präsentische liebesthematische Aussagen, schon bei den Liedern der älteren Sammlung eine erstaunlich prominente Bedeutung aufweist (vgl. etwa CB 69 , Str. II, 1 - 8 : Sed amorem, qui calorem / nutrit, nulla uis frigoris / ualet attenuare, / sed ea reformare / studet, que corruperat / brume torpor, amare / crucior,- - - morior / uulnere, quo glorior; Übers.: «Die Liebe indessen, die die innere Glut / anheizt, vermag keine Kraft der Kälte / abzumildern, / sondern sie versucht / das zurückzuverwandeln, / was zugrunde gerichtet hatte / die Lähmung des Winters, vom Lieben / bin ich gemartert, ich sterbe / durch eine Wunde, wegen der ich mich rühme.»), obwohl es in den CB freilich sehr wohl auch den Typus eines fortführenden Wir-Sprechens gibt, vgl. etwa CB 74 , Str. V, 1 f.: Applaudamus igitur / rerum nouitati! / felix, qui diligitur / uoti compos grati («Lasst uns also Beifall klatschen / der Neuheit der Natur! / Glücklich ist, der geliebt wird / in Erfüllung seines lieblichen Wunsches»). Besonders augenfällig ist dieser Wir-Gestus für den Freudenaufruf dagegen bei einem Liedtyp, der in den CB etwa durch die Nrr. 75 und 94 repräsentiert wird und von Vollmann als «Studentenlied» bezeichnet wird (vgl. B. K.Vollmann, Carmina Burana, S. 1034 und 1070 ). Diese Lieder verfügen zwar nicht unbedingt über einen Natureingang im engeren Sinne, in ihnen sind dafür jedoch gerade Topiken wie der ‹times of life-Topos› oder das Motiv ‹Liebe als eine Angelegenheit der Jungen› breit ausgesponnen, vgl. z. B. die ersten beiden Strophenpassagen des bereits für den Refrain anzitierten CB 75 : OBMITTAMVS Studia / -- dulce est desipere- - / et carpamus dulcia / iuuentutis tenere! / res est apta senectuti, / seriis intendere.-[…] / / Ver etatis labitur, / hiemps nostra properat, / uita dampnum patitur, / cura carnem macerat; / sanguis aret, hebet pectus, / minuuntur gaudia; / nos deterret iam senectus / menbrorum famelia («Lasst uns die Studien aufgeben / -- süß ist, Unsinn zu veranstalten-- / und die Süßigkeit auskosten / der zarten Jugend! / Für das Alter ist es eine passende Sache, / nach Ernsthaftem zu streben.-[…] / / Der Frühling der Lebenszeit entschwindet, / unser Herbst eilt herbei, / das Leben erleidet eine Einbuße, / die Sorge macht das Fleisch mürbe; / das Blut wird verzehrt, / die Brust wird träge, / die Freuden werden eingeschränkt; / schon schreckt uns das Greisenalter ab / durch die Ausgezehrtheit der Glieder! ») oder für CB 94 die zweite Strophe: Militemus Veneri / nos qui sumus teneri! / Veneris tentoria / res est amatoria (II, 1 - 4 ; «Lasst 298 III Typeneinteilung des Natureingangs schen Passage schon angeklungen war (I, 4 : bringet vns din liehter schin), als auch die Klassifizierung dieser den Sprecher inkludierenden Gemeinschaft als vns ivngen ( III , 2 ) genau diesen Traditionshintergrund noch durchscheinen lassen, während die syntaktische Realisation über Verschiebung in den konjunktivischen Möglichkeitsraum, Konditionalgefüge und rhetorische Fragestellung (Ob wir hie bi trurig weren / wie gezême vns ivngen das? [ III , 1 f.]) typische sprachliche Gestaltungsmittel des Werbungsliedes-- und damit eines dezidiert subjektiv-reflexiven Registers-- aktiviert. 256 Damit täuscht das Lied Hugs rein über die Ebene der Sprachrealisation eine Zuleitung des Natureingangs auf den Bereich eines Ich-bezogenen, minnethematischen Aussagenmusters an 257 , der dann jedoch gar nicht erfolgt: bezeichnenderweise bleibt die grammatikalische Ich-Position nämlich bis zum Ende weiter unbesetzt. Stattdessen wird aber über die Brücke von Verben der didaktisierend-ethischen Verhaltensregulierung (zemen, suln) 258 das Sprechen- - unter Beibehaltung der Wiruns den Kriegsdienst für Venus leisten, / wir, die wir jung sind! / Die Zelte der Venus / sind Liebesangelegenheiten! »). 256 Diese Spezifik der sprachlichen Realisation des Freudenaufrufs zeigt besonders auch der Vergleich mit einer ähnlichen Formulierung in CB 56 (ältere Liedgruppe), das für dieses Motiv ebenfalls keine direkt formulierte Exclamatio, sondern eine Form des didaktisierenden Anspruchs wählt: decet iocundari / quos militare contigit / Dyoneo lari (II, 4 - 6 ; «sich zu vergnügen gehört sich für die, / die es ergriffen hat, / dem Haus der Dione Dienst zu leisten»). Neben der Perspektivierung der Passage auf die 3 . Person hin besteht der wesentliche Unterschied in der registralen Umsetzung eben vor allem in der aussagensatzbasierten Setzung (decet vs. wie gezême? ), die indikativisch formuliert ist (decet vs. gezême) und keine hypothetische Bedingung vorschaltet (vgl. den ob-Satz). Dadurch erscheint die Vergleichsstelle in CB 56 entscheidedend weniger subjektivierend-gebrochen, obwohl ja in Hugs Lied IV eine tatsächlich grammatikalisch fixierte Ich-Position gar nicht vorkommt. 257 Vor diesem Hintergrund wäre zu diskutieren, inwiefern die ungewöhnliche Präsentation der Nachtigall, die im Gegensatz zu den andern Vögeln (s. I, 6 ) gerade nicht durch den Sommer befreit, sondern in ihrem Saal, in dem sie im vorherigen Sommer schon schön gehaust hat, eingesperrt wird (vgl. II, 5 f.), nicht auch bereits eine Andeutung auf eine- - nicht explizit ausformulierte- - Ich-Perspektive des Sängers enthält (vgl. nur die Nachtigall in Walthers Lindenlied! ), die diese dann jedoch von der allgemeinen Freiheit der Sozialität separieren würde. Damit wäre noch nicht einmal ausgesagt, dass ein solches ‹Ich› nicht an der kollektiven Freude partizipieren könnte- - schließlich wohnt die Nachtigall in ihrem Versteck wol (II, 5 ) und auch ihr Gesang ist für alle bestens vernehmbar (vgl. II, 1 - 4 ); sie ist eben nur in ihrer Freiheit eingeschränkt. Im Zusammenhang mit dem hier vorgeschlagenen assoziativen Rahmen einer kollektiven Freudenstiftungsfunktion der Jugend im Sinne einer kosmologisch fundierten Sexualbetätigung (s. u.) bedeutete dies, wenn man das Nachtigallenmotiv mit der Sänger-Persona überblendet, dass als Liedpointe dieses Ich-- trotz gegenteiligem Postulat-- letztlich doch nicht in der allgemeinen Freiheit der Jugend aufgehen könnte, was die Auffüllung durch die Liebesthematik nahelegt: weil es eben-- und das ist für den Minnesang gar nicht abwegig-- in seinem Liebesbegehren gefangen ist, ist es zwar nicht prinzipiell unglücklich (wol behuset), aber eben auch nicht zur frei ausgestaltbaren Liebesbefriedigung befähigt (verkluset). Jedenfalls wäre diese Deutungsmöglichkeit der Nachtigallenpassage ein weiteres sehr deutliches Indiz dafür, dass in Hugs Lied IV das rein naturthematische Sprechen in entscheidender Weise transzendiert ist; diesen Hinweis verdanke ich Udo Friedrich. 258 Schließlich bereitet die am Werbungslied-Register partizipierende Passage III, 1 f. durch das-- hier allerdings in den konjunktivischen Möglichkeitsraum verschobene- - gezême (III, 2 ) die 2 Diskussion ausgewählter Parameter 299 Perspektive-- auf das soziothematische Feld umgeleitet, wobei die Forderung nach jahreszeitadäquater Freudenstimmung nun gleichsam als gesellschaftliche Pflicht der Jungen zur Verbreitung von Freude erscheint: bi so wunneklichen meren 259 / zimt vns fröide michels bas. / ia suln wir den lúten fro e ide machen (III, 3 - 5 ; Hervorhebung von mir, D. E.). 260 Damit wird mit der Spruchdichtung ein weiterer Gattungshorizont stärker spruchhaft operierenden, weil indikativisch-aussagenhaft gesetzten Formulierungen im weiteren Strophenverlauf (vgl. das zimt in III, 4 ) vor. 259 Mit der Formulierung knüpft Hugs Lied in gewisser Weise an den Auftrittsgestus der spruchdichtungsallusorischen ‹Walther-Rolle› an, vgl. etwa L 56 , 14 : Ir sult sprechen willekomen: / der iuch mære bringet, daz bin ich (A-Fassung; I, 1 f.) und die Umwendung eines solchen Anspruchs bei bei Reinmar in Lied MF 165 , 10 : Swaz ich nu niuwer maere sage, / des endarf mich nieman vrâgen: ich enbin niht vrô (I, 1 f.); allerdings ist die Prägung vom Erscheinen des Sommers als erfreuliches maere auch bereits für den Natureingang selbst vorgeprägt, so etwa in Heinrich von Veldeke, MF 59 , 23 : In den zîten von dem jâre, / daz die tage sint lanc / und daz weter wider klâre, / [] sô verniuwet offenbâre / diu merlichen ir sanc; / diu uns bringent liebiu maere (I, 1 - 6 ; Hervorhebungen-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.) und in Neidharts SL 16 , wo diese jedoch im Kontext des Motivs ‹der Sänger als Verkünder des Sommers› (hier gegenüber den Damen) verwirklicht und somit in viel stärkerem Maße an die Ich-Position der Sprecherinstanz gekoppelt ist, vgl. SNE I, R 23 , I, 1 - 4 : Schon als ein golt grunet der hagen. / gut mær ich den vrowen wil sagen, / daz von liehten rosen / diu heide hat gewant. Diese Perspektivierung auf ein auch grammatikalisch präsentes Text-Ich hin fehlt in Hugs Lied IV bezeichnenderweise bzw. ist-- so sie konnotativ mitschwingt-- eher verschleiert. 260 Insofern geht Hugs Lied IV einen anderen Weg als Hartmanns Lied MFMT XXII, Nr. XVIII, das jedoch als formulatorische Anregung ebenfalls in Betracht kommt. Dort heißt es in der ersten Strophe: Wê, war umbe trûren wir? / jô gezimt ez niemen wol. / solher swaere ich gerne enbir, / der ich niht geniezen sol. / Wartâ, wie diu heide stât / schône in grüener waete, als sî / die lieben sumerzît enpfangen hât (I, 1 - 7 ; Hervorhebungen-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.). Hier wird nämlich interessanterweise der sommerliche ‹Natureingang› erst am Ende der Strophe nachgeschoben (vgl. I, 6 f.), während das Lied unmittelbar mit dem-- ebenfalls in Wir-Gestus und rhetorischer Frage gefassten, jedoch genau nicht auf die Gruppe der Jungen eingeschränkten- - jahreszeitenadäquaten Freudenanspruch, von dem sich durch die indikativische Fragestellung jedoch in viel stärkerem Maße die Suggestion eines kollektiven Abweichens ergibt (I, 1 : Wê, warumbe trûren wir? ). In dieses Kollektiv inkludiert sich die Sprecherinstanz mit ihrer Frage zunächst, schält sich dann aber allein durch eine grammatikalische Realisation der Ich-Position (vgl. I, 3 f.) und durch die an ein Du als Gegenüber (und damit wohl genau an die Vertreter dieser Gruppe) gerichtete Aufforderung, doch den sommerlichen Zustand der Heide zu betrachten, der ein jahreszeitenaffiziertes trûren obsolet werden lässt (vgl. I, 5 - 7 : Wartâ-…), mehr und mehr aus diesem heraus. Denn schließlich ist auch die Ich-zentrierte Aussage der Verse I, 3 f., solher swaere ich gerne enbir, / der ich niht geniezen sol bereits von einer suggestiven Differenz zum (gar nicht mehr angebrachten) jahreszeitbedingten Traurigkeitsgestus dieser Gruppe gekennzeichnet, der dadurch implizit als einer herausgestellt wird, der einem sowieso nichts einbringt, und somit vom Text-Ich von einem Kummer abgegrenzt wird, der diesem dagegen einen Nutzen einbringen kann. Damit ist freilich schon der Bogen zur- - vollständig allerdings erst in Str. III- - realisierten Ich-gebundenen Liebesthematik gespannt, wo für den Dienst des Ichs genau jener Zustand (Kummer, der sich einmal zum Guten wenden, sich ‹lohnen› soll) ausgelotet wird: Daz ein wîp getriuwe sî, / des bedarf ich harte wol, / wan ich bin ir selten bî: / des ich niht engelten sol, / Wan ich sî durch guot verbir (III, 1 - 5 ). Diese Parallele bestätigt wiederum, dass allein durch das Aufscheinen einer grammatikalischen Ich-Position in I, 3 f. sich eine Ablösungsbewegung der Sprecher-Instanz vom wir des Eingangsverses abzeichnet, die letztendlich auf die Heraus- 300 III Typeneinteilung des Natureingangs für die Anbindungspassage des Natureingangs genutzt und mit dem Lied vernetzt, wobei hier wiederum auch der thematische Knotenpunkt der Jugendthematik als Anschlussmöglichkeit zur Verfügung steht. 261 Freilich verortet sich Hugs Lied durch seine Nutzung der Topik auch in charakteristischer Weise hinsichtlich des joven- Motivs der Trobadorlyrik, die die Klage über den traurigen Zustand der Jugend meist ebenso als Indikator einer sozialen Dysfunktionalität gesellschaftsdiagnostisch präparierung eines subjektiven, minneaffizierten Innenraums zielt, eine Bewegung, die Hugs Lied IV in Vv. III, 1 f. zwar durch die Sprechweise andeutet, dann aber genau nicht einlöst. Zudem spielt auch in Hartmanns Lied XVIII das Spruchregister eine nicht unwesentliche Rolle, wird aber bei genauem Hinsehen doch etwas anders eingesetzt als in Hugs Lied: Während bei Hartmann bereits in Vers I, 2 spruchhafte Redeweise durch die gesellschaftsdidaktisierende Wertung jô gezimt ez niemen wol anzitiert, dann aber zugunsten einer Profilierung der Ich- Instanz sofort aufgegebern wird (s. o.), bevor sie in Str. II mittels Sentenzsetzungen und über die Pronomina swaz (II, 2 ) / swer (II, 7 ) erreichter Generalisierung breit ausgesponnen wird, nur um sie wiederum zur Herausschälung einer sich mehr und mehr absetzenden, subjektiven Ich-Instanz zu nutzen, für die das Gesagte gerade nicht zutrifft (vgl. II, 1 - 4 : Reht ist, daz ein saelic man / sanft erwerbe, swaz er wil, / wan er lop gedienen kan, / als ich gerne taete vil), wird in Hugs Lied IV diese Perspektivierung verweigert und es bleibt die an das Register des Sangspruchs anklingende Freudenverbreitungsaufforderung an die Jungen ohne Ich-Distanzierung als Resultat stehen. 261 Diese steht im Kontext der Spruchdichtung vor allem unter der Perspektive der Laudatio temporis acti-Topik und wird als ein Grund gesellschaftlicher Fehlentwicklungen hinsichtlich eines höfischen Idealzustands aufgeführt; bei Walther zeigt sich dabei interessanterweise ein Unterschied in der Ausagierung des Motivs zwischen den eigentlichen Sangspruchstrophen, die die unhöfische Ausgelassenheit der Jungen, ihre Feindschaft gegenüber den Alten und ihre rücksichtslose Haltung gegenüber den Damen kritisieren (vgl. etwa L 23 , 26 : Hie vor dô was diu welt sô schœne, / nû ist si worden alsô hœne, / des enwas niht wîlent ê: / die jungen hânt die alten sô verdrungen / und spottent alse dar der alten [ 6 - 11 ] und L 24 , 3 : Wer zieret nû der êren sal? / der jungen ritter zuht ist smal, / sô pflegent die knehte gar unhövescher dinge / mit worten und mit werken ouch. / swer zühte hât, der ist ir gouch, / nemet war, wie gar unfuoge für sich dringe. / Hie vor dô berte man die jungen, / die dâ pflâgen frecher zungen. / nû ist ez ir werdekeit. / si schallent und scheltent reine frouwen [ 1 - 10 ]) und den spruchhaften Strophen in der Liedlyrik, wo besonders das Fehlen jugendlicher Freude beklagt wird (vgl. etwa L 42 , 31 : Wil aber ieman wesen frô, / daz wir iemer in den sorgen niht enleben? / wê, wie tuont die jungen sô, / die von fröiden in den lüften solten sweben. / Ich enweiz, wem ichz wîzen sol, / wan den rîchen wîze ichz und den jungen. / die sint unbetwungen, / und stât in trûren übel und stüende in fröide wol, und die ‹Alterselegie› L 124 , 1 , Str. II: Owê, wie jæmerlîche---junge liute tuont, / den hô vil niuweclîche- - -ir gemüete stuont, / die kunnen niuwan sorgen,- - - owê, wie tuont si sô? / swar ich zer werlte kêre,---dâ ist nieman frô [ 1 - 4 ]). Gerade über die letztere Spielart der Jugend-Thematik bei Walther ergibt sich für das Lied Hugs auch eine konnotativ aufrufbare Brücke mit Verwendungsweisen der joven-Klage in der Trobadorlyrik (vgl. das Folgende). Vgl. ferner für die 3 . Strophe von Hugs Lied besonders Spr. 241 des Reinmar von Zweter: Vor drîzec jâren stuont ez baz / dan nû ze disen gezîten: - - -des bin ich an vröuden laz: / doch lache ich mit den jungen,---daz si mich underwîlen gerne an sehen. / Die alden phlâgen guoter site / daz si mit ganzen triuwen- - - wâren alle einander mite: / mit slehter ordenunge- - - so lebten si: des müeze in wol geschehen! / Nû lebe wir mit hazze und ouch mit nîde / mit linder rede sleht alsam ein sîde ( 1 - 8 ; zitiert nach: Die Gedichte Reinmars von Zweter, hg. von Gustav Roethe, Leipzig 1887 , S. 529 ). 2 Diskussion ausgewählter Parameter 301 perspektiviert, selbst wenn diese im Kontext eigentlich liebesthematischer Aussagen begegnet. 262 262 Vgl. dafür etwa Cercamon, Ab lo pascor mʹes bel qʹeu chan (PC 112 , 1 a), Str. II: Per qe d’amor---an atretan / Li malvas enojos savai / Com li meillor---e·l plus prezan. / Jovens s’en fuig, fraing e dechai, / E Malvestatz a son luec pres / En amistat, c’amics non es / Amatz ni d’amigua no·s jau. (zitiert nach: Les poésies de Cercamon, hg. von Alfred Jeanroy, Paris 1922 [Les classiques français du Moyen Âge 27 ], S. 4 f. [mit franz. Übertr.]; vgl. ferner die Ausgabe G. Wolf / R. Rosenstein (Hgg.), The poetry, S. 54 f., mit engl. Übers., jedoch abweichender, mir jedoch nicht ganz einleuchtender Lesart; Übers.: «Denn es haben von der Liebe ebenso viel / die verdrießlichen und gemeinen Schlechten / wie die Besten und die Geschätztesten. / Jugend ist auf der Flucht, zerbricht und in Verfall gekommen, / und Bösartigkeit hat ihren Platz eingenommen / in der Freundschaft, so dass weder der Freund geliebt ist / noch er Genuß hat von seiner Freundin»; Hervorhebungen-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.); Guiraut de Bornelh, De chantar (PC 242 , 31 ), Str. III, 1 - 9 : Oblidar / Volgra, s’eu pogues, / Mas no posc, so don sui iratz, / Qu’er vei a la grans poestatz / Laissar solatz e bruda, / C’un ampla recrezuda / Perpren / Que tol joven / E l’enchauss’ e l’esfera (Übers.: «Ich würde das vergessen / wollen, wenn ich es könnte / -- aber ich kann es nicht--, wovon ich betrübt bin, nämlich dass ich jetzt die großen Machthaber / Unterhaltung und Lärmen aufgeben sehe, / sie, die eine beträchtlichen Entmutigung ergreift, / welche die Jugend wegnimmt, / verfolgt und verscheucht»; zitiert nach und Übers. angelehnt an: A. Kolsen, Sämtliche Lieder, S. 238 - 241 ), sowie Bertran de Born, S’abrils e foillas e flors (PC 80 , 38 ), Str. IV, 6 - 11 : E vei los totz temps garnitz / Coma Vivian de Tors. / Per q’ieu no lor sui aizitz, / Q’anc a bon pretz non ateis / Rics hom, si jois e jovens / E valors no-ill fon guirens (zitiert nach: L’amour et la guerre. L’Œuvre de Bertran de Born, 2 Bde., hg. von Gérard Gouiran, Aix-en-Provence u. a. 1985 , Bd. I, S. 130 f. [mit franz. Übertr.]; Übers.: «Und ich sehe sie immer gerüstet / wie Vivien von Tours [Pendant der Vivianz-Figur in Wolframs «Willehalm»-Adaptation]. / Deshalb bin ich ihnen nicht wohlgesonnen, / weil ein mächtiger Mann niemals guten Wert erreichte, / wenn Freude und Jugend / und Wert ihm keine Bürgen waren»; vgl. dazu die Lesart in: The poems of the troubadour Bertran de Born, hg. von William D. Paden Jr., Tilde Sankovitch, Patricia H. Stäblein, Berkeley u. a. 1986 , S. 258 f. [mit engl. Übers.], wo die Verszeile IV, 7 als coma vivian de cors aufgefasst ist, d. h.: «wie als ob sie von Überfällen [besser: «Wettkämpfen»? ] lebten»). Freilich findet sich aber gerade auch im Kontext des Natureingangs der Trobadorlyrik das joven-Motiv, wobei dieses dann meist näher an das mittellateinische Triasmodell von Sommer-- Jugend-- (Liebes-)Freude gerückt ist, vgl. etwa Giraut de Bornelh, PC 242 , 19 : Be for’oimais drechs el tems gen, / Pos la brav’ aur’ e ·l frechs s’en vai, / C’ab l’acors del termini gai / Jovens, qu’es demechs mortz, cobres / E c’om l’acolhis e l’onres; / Que si jois mor, gran dol en ai / Can vei c’ab folha ni per flor / No sortz ni cobr’en sa valor, / E car s’esdui fians’ e fes / E cortz e bes, / Per pauc en l’ira que m’ en ve / Totz fachs de solatz no ·m rete (I, 1-12; «Es würde nunmehr wohl richtig sein bei diesem angenehmen Wetter, / da doch die rauhe Luft und Kälte fortgeht, / dass sich mit Hilfe der fröhlichen Jahreszeit / die Jugend, die halb tot ist, erholt / und dass man sie empfängt und ehrt; / denn wenn die Freude stirbt, habe ich großen Schmerz daran, / wenn ich sehe, dass sie beim Laub und durch die Blumenpracht / nicht entsteht, noch wieder zu Ansehen kommt, / und die Tatsache, dass Vertrauen und Treue / und Hofsitte und Gutes sich entzieht, / stellt mir in dem Kummer, der mir daraus entsteht, / beinahe alle Handlungen der Kurzweil nicht zur Verfügung»; zitiert nach und Übers. angelehnt an: A. Kolsen, Sämtliche Lieder, S. 314 f.). Allerdings zeigt das hier zitierte Beispiel des der Sirventés-Dichtung Girauts zugehörigen PC 242 , 19 wiederum ebenso eine Ausdeutung des joven-Motivs in Richtung einer gesellschaftsthematischen Verfallsdiagnostik, die für die Realisation dieses Motivs in der Trobadorlyrik recht typisch ist und es begünstigt haben mag, dass derartige Passagen von der literatursoziologischen Forschung im Anschluss an Georges Dubys jeunes-Thesen für eine sozialgeschichtliche Lesart der Trobadorlyrik als Bestätigung 302 III Typeneinteilung des Natureingangs aufgefasst worden sind (vgl. bes. Köhler, Erich: Sens et fonction du terme ‹jeunesse› dans la poesie des troubadours [ 1966 ], dt: Bedeutung und Funktion des Begriffs ‹Jugend› (joven) in der Dichtung der Trobadors, in: ders., Vermittlungen. Romanistische Beiträge zu einer historisch-soziologischen Literaturwissenschaft, München 1976 , S. 45 - 62 , bzw. zusammenfassend: ders., Vergleichende soziologische Betrachtungen, S. 61 - 76 ; für eine Übertragung auf den deutschen Minnesang am Beispiel der Jugend-Thematik in der oben zitierten ‹Elegie› Walthers s. darüber hinaus Thum, Bernd: Die sog. ‹Alterselegie› Walthers von der Vogelweide und die Krise des Landesausbaus im 13 . Jahrhundert, unter besonderer Berücksichtigung des Donauraumes (Zu L. 124 , 1 ; 84 , 14 ; 35 , 17 ), in: Literatur- - Publikum- - historischer Kontext, hg. von Gert Kaiser, Bern u. a. 1977 [Beiträge zur Älteren Deutschen Literaturgeschichte 1 ], S. 205 - 239 , hier bes. S. 217 - 221 ). Dabei scheint mir-- neben der Gefahr eines Zirkelschlusses zwischen den narrativen Entwürfen von Diskursformationen und der Konzeption von ‹historischer Realität› (vgl. die grundsätzliche Kritik der literaturwissenschaftlichen Anwendungen von Dubys jeunes-Thesen in: Peters, Ursula: Von der Sozialgeschichte zur Familienhistorie. Georges Dubys Aufsatz über die Jeunes und seine Bedeutung für ein funktionsgeschichtliches Verständnis der höfischen Literatur, in: Beitr. 112 [ 1990 ], S. 404 - 436 ; wieder in: dies., Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft, S. 153 - 177 )-- der konnotative Bezug solcher Passagen gerade zu juvenes-Zuschreibungen der mittellateinischen Lyrik, aber etwa auch des moraltheologischen Diskurses vernachlässigt, der den Blick auf die Überformungstendenzen im Sinne einer volkssprachlich-‹höfischen› Stilisierung erst ermöglichte. Zudem fallen bei einer sozial- und funktionsgeschichtlichen Erklärung der joven-Motivik dann besonders die Belegstellen durch das Raster, die die Thematik einmal nicht für eine gesellschaftsbezogene Auswertung nutzen, sondern eine strikt liebesthematische Aussagenperspektivierung präferieren. Dafür liefert Peire Vidals Lied Molt m’es bon e bell (PC 364 , 29 ; im Folgenden zitiert nach: The songs of Peire Vidal. Translation & commentary, hg. von Veronica M. Fraser, New York u. a. 2006 , S. 93 - 96 , vgl. dazu auch die engl. Übertr. Ebd., S. 96 - 98 ) wiederum ein eindrucksvolles Beispiel, in dem die Anbindung der zunächst generellen, dann aber Ich-betroffenen Liebesthematik an den sommerlichen Natureingang (Str. I, 7 - 12 : E·l fin amador / Son gai per amor. / Amaire e drutz sui ieu / Mas tan son li maltrag grieu / Qu’ieu n’ai suffert longamen, / Qu’a pauc n’ai camjat mon sen; Übers: «Und die kultivierten Liebhaber / sind [nun] fröhlich durch die Liebe. / Ich bin auch ein Liebhaber und Freund, / aber so schwer sind die Schmerzen, / die ich lange Zeit von ihr ertragen habe, / dass ich beinahe durch sie meine Meinung geändert habe.») in Strophe II auf das Joven-Motiv geführt und darüber an vordergründig naturthematisches Sprechen rückgebunden, das aber mittels metaphorischer Umlenkung ins Sprecher-Ich verschoben ist und letztlich eine Übersteigerung des Natureingangs darstellt: Pero de bon sen / Am de fin talen / Amor e Joven / E tot quan m’es bell; / Qu’ab joi longamen / Viu e renovell / Co·l fruch el ramell, / Quan chanton l’auzell (II, 1 - 8 ; Übers.: «Aber ich liebe aus gutem Grund / aufgrund meiner feinen Gesinnung / die Liebe und Jugend / und alles, was mir angenehm ist, / so dass ich bei der Freude dauerhaft / wieder lebendig und jung werde / wie die Frucht am Zweig, wenn die Vögel singen»). In dieser- - durch vokabulatorische Korrespondenzen kunstvoll auf Natureingang (vgl. I, 1 - 3 .: Molt m’es bon e bell, / Quan vei de novell / La fuelh’ el ramell) und die Anbindungsverse in Str. I (vgl. sen, amar/ amor, fî, longamen) bezogenen-- Passage steht wiederum das mittellateinische Modell von der schönen Jahreszeit als einer Zeit von Liebe und Jugend bzw. Verjüngung (vgl. das renovelar [II, 4 ]) im Hintergrund, wird aber entscheidend modifiziert: Das Ich verjüngt sich eben nicht direkt aufgrund des Sommers, sondern kann sein im Gegensatz zum Jahreszeitengeschehen und der Fröhlichkeit der fin amador stehendes Liebesleid erst in Folge seiner Liebe zu den Prinzipien Amor und Joven in Freude und Verjüngungswirkung überführen, die dafür aber dann genau nicht jahreszeitenabhängig, sondern dauerhaft angelegt sind (vgl. das longamen [II, 5 ]). Damit wird das joven- Motiv aber weder im Sinne einer kosmologischen Fundierung von Jahreszeit, Jugend und Liebesfreude eingesetzt, noch-- wie bei den vorangestellten Beispielen-- gesellschaftsthema- 2 Diskussion ausgewählter Parameter 303 In Hugs Lied IV wird nun aber auch assoziativ durch die Wendung vom argen has (III, 6 ), den die Freude der Jungen austreiben solle, diese Ebene des Spruchdichtungsbezugs noch weiter gefestigt. In einem ersten Verständnis wären die Verszeilen III , 5 f.: ia svln wir den lúten fro e ide machen / gar verswachen---argen has durchaus zunächst einmal auf die Naturthematik anwendbar, in dem Sinne, dass die Jungen jetzt ihren Mitmenschen Freude bereiten sollten, um sie so für die Unbillen des Winters zu entschädigen. Dafür könnte nämlich wiederum eine Anregung durch Neidhart angeführt werden, der gerade in seinen winterlichen Natureingängen den Winter mit ethisierenden Vokabeln wie haz und nît belegt, ja die Jahreszeiten im Sinne einer kriegerischen Auseinandersetzung von Winter und Sommer personifiziert. In diesem Zusammenhang wäre z. B. auf den breit ausgestalteten Natureingang von WL 25 (Str. I- III ) zu verweisen, von dem zumindest die erste Strophe hier anzitiert werden soll, findet sich doch dort die haz-Terminologie an besonders prominenter Stelle: tisch aufgeladen, im Gegenteil: Im weiteren Liedverlauf greift das Text-Ich immer wieder den Terminus joven auf, um ihn in Form der ‹Liebe von Kindheit an›-Topik, die ja auch häufig im Minnesang begegnet, auf sich und sein Liebeswerben zu beziehen (vgl. III, 5 - 9 : Quar conois ben qu’ieu / L’am de fin talen, / Si qu’en mon joven / E pois longamen / Servirai lo sieu cors bell [«Denn sie weiß gut, dass ich / sie liebe aufgrund meiner feinen Gesinnung, / so dass ich in meiner Jugend / und lange darüber hinaus / dienen werde ihrem schönen Körper»]; V, 9 - 12 : E pus elha·m te per sieu, / Servirai ·l e mon joven, / Pueis vielhs, si viu longamen [«Und da sie mich für sich besitzt / werde ich ihr dienen in meiner Jugend, / und danach im Alter, wenn ich lange lebe»] und schließlich VII, 7 - 9 : E si per talen / Pert tot mon joven, / Pauc mi valra chant d’auzell [«Und wenn ich aufgrund meiner Gesinnung / meine ganze Jugend verliere, / wird mir wenig wert sein der Gesang des Vogels»]). 304 III Typeneinteilung des Natureingangs WL 25 / SNE I: R 1 , I Fassung R 263 : I. Owe sumerzit, daz dir nimen hilfe git! waz dir hazzes und nit aber uf dinem rucke lit, e der winder sinen strit an dir gar volende, als im sin wille gegen dir stat. er ist dir gehaz, ich enweiz niht umbe waz. sit er dinen stul besaz, des er sælten ie vergaz, ern twunge ie vurbaz. sin gewalt wol tusent ellen vur den dinen gat. er hat in diu lant dir ze schaden her gesant allez sin gesinde, daz dich roubet offenlich mit gewaltichlicher hant. [I. Ach, Sommerzeit, dass dir niemand zur Hilfe kommt! Was dir an Hass und Feindschaft wieder im Nacken sitzt, noch bevor der Winter seinen Kampf an dir ganz zu einem Ende gebracht hat, wie er es gegenüber dir beabsichtigt! Er ist dir feindselig gestimmt, ich weiß gar nicht, warum. Nachdem er deinen Rang eingenommen hatte, vergaß er es noch nie, immer weiter Zwang auszuüben. Seine Macht übertrifft gut tausend Ellen die deine. Er hat in die Länder dir zum Nachteil hergesandt sein ganzes Gefolge, das dich unverhohlen mit gewalttätiger Hand ausplündert.] Allerdings fällt auch auf, dass hier auf der formulatorischen Ebene-- suggestiv mag das anders aussehen 264 - - der haz des Winters nicht eigentlich auf die Menschen und ihr Leiden am Jahreszeitenwandel bezogen ist, sondern allein in der Sphäre der Feindschaft zwischen Winter und Sommer verbleibt; doch trotz der Tatsache, 263 Zitiert nach: SNE I, S. 6 ; Hervorhebungen von mir, D. E. 264 Dies besonders, wenn man noch die dritte Strophe des Natureingangs miteinbezieht, die die Betroffenheit der Menschen von den Schrecken des Winters-- auf persönlicher wie kollektiver Ebene-- deutlich propagiert (vgl. z. B. III, 7 - 10 : leit ist mir geschehen / an der liehten sunne brehen, / die wir diche tru e be sehen, / des wir alle muzzen iehen; zitiert nach: SNE I, S. 6 ; Hervorhebung von mir, D. E.). 2 Diskussion ausgewählter Parameter 305 dass man dieses Problem sicher argumentativ lösen könnte 265 , soll hier ein anderes Verständnis der Passage in Hugs Lied vorgeschlagen werden, das vor allem auf der Beobachtung beruht, dass selbst in Neidharts Lied die Nutzung der haz-Terminologie von einer auffallenden Stilisierung der Jahreszeiten hinsichtlich einer gesellschaftsthematischen Perspektivierung, die mittels Ausdrücken des sozialen Lebens hergestellt wird, begleitet ist (vgl. etwa die im obigen Textabdruck unterstrichenen Passagen, die der Sphäre politisch-sozialer Konfliktausübung entnommen sind, so etwa im Sinne einer Herrschaftsübernahme: den stuol besitzen in I, 9 266 ). Wenn man nun davon ausgeht, dass sich die Anwendung des Wortes haz auf den Winter im Falle Neidharts eher vom Einfluss der Gesellschaftsthematik her erklärt, als dass sie als organischer Bestandteil der Jahreszeitenthematik aufzufassen ist, so bestätigt sich für den Bereich von «Des Minnesangs Frühling» dieser Befund beim Blick auf die Belegstellen von haz samt seiner Ableitungen- - und übrigens auch vom Adjektiv arc: meist werden die Begriffe nämlich im Kontext gesellschaftsthematisch perspektivierter Aussagen herangezogen, selbst da, wo sie auf die Dame angewendet sind. 267 Hinzu kommt noch, dass die beiden genannten Termini im Bereich der 265 Etwa mit dem Verweis auf Lied KLD 28 , VII Des Kanzlers, wo es im Falle eines ausgedehnten Sommereingangs heißt: Creatúren zam vnd wilden beiden / tet der arge winter we (II, 1 f.). Allerdings ist darauf zu verweisen, dass das Kanzler-Œuvre freilich wiederum ein Corpus darstellt, in dem die Spruchdichtung eine besonders große Bedeutung hat. 266 So weist beispielsweise der Lexer (II, Sp. 1270 ) im Falle von stuol ausdrücklich auf die Bedeutungskomponente «st. eines herrschers (gottes, des kaisers, königs, pabstes etc.), thron» hin; vgl. ferner für das Verb besitzen die Fügung den trôn besitzen (Ebd., I, Sp. 217 ) und die im BMZ III, S. 332 , unter A. I. 1 .a. versammelten Belege für die Wendung den stuol besitzen. 267 Für das Adjektiv arc vgl. z. B. Heinrich von Morungen, Str. MF 131 , 9 : Der dur sîne unsaelicheit / iemer arges iht von ir gesage, / dem müeze allez wesen leit ( 1 - 3 ); Reinmar, Str. MF 162 , 34 : Ez tuot ein leit nâch liebe wê; / sô tuot ouch lîhte ein liep nâch leide wol. / swer welle, daz er vrô bestê, / daz eine er dur daz ander lîden sol / Mit bescheidenlîcher klage und gar ân arge site ( 1 - 5 ), und ders., Str. MF 184 , 24 : Daz ich ir sô holdez herze trage, / daz ist in sumelîchen leit. / dar umbe ich niemer sô verzage, / si verliesent alle ir arebeit. / Waz hilfet sî ir arger list? ( 1 - 5 ), für das von haz abgeleitete Wortfeld bes. Heinrich von Veldeke, MF 60 , 29 , die die Vokabel ebenfalls im Kontext eines Natureingangs, allerdings ohne explizite Bezugnahme auf die Jungen realisiert: In den zîten, daz die rôsen / erzeigent manic schoene blat, / sô vluochet man den vröidelôsen, / die rüegaere sint an maniger stat / Durch daz, wan sî der minne sint gehaz / und die minne gerne noesen / got müez uns von den boesen loesen (Sämtliche Hervorhebungen-- auch im Folgenden-- von mir, D. E.); ferner z. B. ders., Str. MFMT XXXIV, 2 : Swer mir ân alle schulde sî gehaz, / dem müeze wol von schulden leit geschehen. / ist er mir vîent, sô sage umbe waz, / ob man im der volge mac gejehen. / Der boesen haz ich gerne [] dienen wil: / swâ ich die weiz, dâ ist mîn gar ze vil ( 1 - 6 ); Heinrich von Rugge, Str. MF 104 , 6 : Sol ich leben tûsent jâr, / sô daz ich in genâden sî, / gewinne ich niemer grâwes hâr. / sist aller wandelunge vrî. / Lop si wol gedienen kan / und weiz doch wol, daz alle man / ir niht gar gemaeze sint. / swer ir dekeines falsches giht, / an dem hât haz mit nîde ein kint; Heinrich von Morungen, Str. 137 , 34 : Ob ich iemer âne hôchgemüete bin, / waz ist ieman in der werlte deste baz? / gênt mir mîne tage mit ungemüete hin, / die nâch vröiden ringent, den gewirret daz. / Jâ, wirt daz ir ungewin, der valschen haz. / die verkêrent underwîlent mir den sin: / niemen solde nîden, ern wiste waz! ; Reinmar, Str. 159 , 10 : Nu waz, ob lîhte ein wunder an mir geschiht, / daz sî mich eteswenne gerne siht? / sâ denne lâze ich âne haz, / swer giht, 306 III Typeneinteilung des Natureingangs Spruchdichtung äußerst häufig begegnen 268 , sei es im Zusammenhang mit der Diagnose jeder Form von sozialem Konflikt und gesellschaftlichen Fehlverhalten 269 , daz ime an vröiden sî gelungen baz: / der habe im daz ( 5 - 9 ); ders., Str. MF 169 , 2 a: Ich wil vrô ze liebe mînen vriunden sîn / und allen den ze leide, / die mir âne schulde tuont ir nîden schîn / und waenent balde, wie ich scheide / Den muot von vröuden umbe ir haz. / sterben sî von leide, sô enwart mir ê nie baz; ders., Str. MF 175 , 22 : Treit mir iemen tougenlîchen haz, / waz der sîner vröide an mir nu siht! / Wê, war umbe taete aber iemen daz? / wan got weiz wol, ich entuon doch niemen niht ( 1 - 4 ); ders., MF 197 , 14 a: Waz ich boeser handelunge erliten hân, / von den i’s wol erlâzen mohte sîn, / die mich vragent, wie mîn kumber sî getân / und wie mîn vrouwe noch gedenke mîn. / Boesen haz erzeigent sie mir alsô ( 1 - 5 ); Hartmann von Aue, Str. MF 209 , 15 : Owê, waz taete si einem man, / dem sî doch vîent waere, / sît sî sô wol verderben kan / ir vriunt mit maniger swaere? / Mir taete baz / des rîches haz ( 1 - 6 ). Nicht grundsätzlich anders verhält es sich übrigens mit den Belegen für das Verb hazzen, auf deren erschöpfende Ausweisung ich hier aus Raumgründen verzichte; denn neben den beiden prominenten Formulierungen des sog. Liebesparadoxons (Rudolf von Fenis, Str. MF 81 , 6 : ich minne sî, diu mich dâ hazzet sêre [ 4 ]; Reinmar, Str. 166 , 25 : sît sî mich hazzet, die ich von herzen minne [ 7 ]) dominieren auch hier eher gesellschaftsbezogene Anwendungen wie z. B. Reinmar, 192 , 11 : Mich beswaerent alle die, / der herze niht sô sinnic sîn, / daz si lebent, sîne wizzen wie, / und spottent doch dar under mîn. / Die sint übel und ich bin guot, / wand ich niemer rehten man / gehazzen wil, sô er rehte tuot, oder ders., MF 202 , 31 : Wîser, denne ich waere, / bin ich verre maniger dinge wol. / mir ist vil liute unmaere, / die ich von rehte hazzen sol ( 1 - 4 ). Als deutliche Ausnahme einer liebesthematischen Aufladung des Substantives haz ohne Gesellschaftsdimension kann man z. B. Albrecht von Johansdorf, Str. MF 92 , 21 , aufführen: Du nim daz, vrowe, in dînen muot / und tuo genaedeclîche / gegen mir. unsanfte mir daz tuot, / und sol ich von dir wîchen. / Du lâ gegen mir den dînen haz. / sône mac mir niemer werden baz / wan in dem himelrîche. Interessanterweise zeigt sich hier jedoch eine andere Tendenz des Wortfeldes, nämlich die seiner transzendentalen Perspektivierung, auch wenn diese freilich im vorliegenden Fall innerweltlich überblendet ist. In eine ähnliche Richtung verweist die einzige mir bekannte gemeinsame Fundstelle von haz und arc im Kontext von «Des Minnesangs Frühling», nämlich die 3 . Strophe (MF 208 , 8 ) von Hartmanns von Aue Lied MF 207 , 11 : Ich sprach, ich wolte ir iemer leben, wo die Begriffe in einer auf den ersten Blick rein liebesthematischen Passage erscheinen, aber vor dem Hintergrund des Ausscheidens des Text-Ichs aus dem Werbungsdienst, das ja in deutlicher Weise geistlich perspektiviert ist, zu sehen ist: Waz solte ich arges von ir sagen, / der ich ie wol gesprochen hân? / ich mac wol mînen kumber klagen / und si darunder ungevlehet lân. / Si nimt von mir vür wâr / mînen dienst manic jâr. / ich hân gegert / ir minne und vinde ir haz (III, 1 - 8 ). Für eine weitere gemeinsame Bezeugung der Wortfelder haz und arc vgl.-- freilich aus dem Rahmen der späteren Minnesangtradition, aber nun in deutlichem gesellschaftsthematischen Aussagenmodus-- Der Grave von Anhalt, Lied KLD 2 , I, Str. II: Wol mich, wol mich iemer, mir ist wol ze mv o te, / das die argen schalke ze mir tragent haz. / si vnerent sich, doch so minne ich die gv o te ( 1 - 3 ). 268 Diese Belege sind keinesfalls nur auf die Gesellschaftsthematik beschränkt, wie die folgenden Beispiele zeigen; auch ist es im Falle des Wortes haz nicht so, dass dieses auf eine negative Charakterisierung hin festgelegt wäre (wie etwa das Adjektiv arc)-- gerechtfertigter haz dem Tadelnswerten gegenüber kann z. B. äußerst positiv besetzt sein (s. u.). Die Hervorhebungen in den nachstehenden Anmerkungen sind sämtlich von mir verantwortet, D. E. 269 Vgl. etwa für den Bereich des nahen sozialen Umfelds Spervogel MF 23 , 5 (nach C; V. 1 - 5 ): Mich wundert dicke, daz ein wol gerâten man / under sînen vriunden niht werben kan / si sîn im âne schulde gehaz / und gunden einem vrömden baz / der êren, sô er solde pflegen---bî in in den landen; Höllefeuer, Spruch I, 5 ( 1 - 3 und 8 - 10 ): Haz unde nît, daz sint zwei kleit, / diu nimmer manne wol anstânt. / ich sage iu, swer si gerne treit, / daz man getriuwen, staeten 2 Diskussion ausgewählter Parameter 307 der bisweilen mehr, bisweilen weniger religiös gewendeten Zeit- und Weltklage 270 , vriunt an dem nicht vinden kann.- […] er hazzet und nîdet daz, daz man eines biderben mannes wol gedenket. / man sprichet, daz man guoten, staeten vriunt an im niht vinden mac. / nein man niht, er pflît der dinge, der Jûdas der ungetriuwe pflac (zitiert nach: Kleinere Spruchdichter des dreizehnten Jahrhunderts. Der Hardegger-- Höllefeuer-- Der Litschauer-- Singauf-- Der Unverzagte, hg., übers. und komm. von Esther Collmann-Weiß, Stuttgart 2005 [Beih. zur ZfdA 5 ], S. 94 ); Spruch I, 3 Des Litschauers mit seinem Schützengleichnis ( 10 - 13 ): ein arger man, des guotes rîch / dem grôzen schützen was gelîch. / den kleinen schützen, den maz ich / ze miltem man mit kranker habe. Des wart im lop ze lône (zitiert nach: ebd., S. 108 ); Spruch III, 4 des Unverzagten ( 7 f.): die gar verschamten, argen zagen lâz ich mînes lobes vrî: / ir laster wil ich machen breit, wie stille ich in der kunde bî in sî; zudem allgemein für die schande Spruch II, 2 Des Litschauers ( 1 - 8 ): Nu hât diu schande triuwe und êre hin verjaget, / daz ich sie leider lützel spür. / diu schande brichet vür, / an allen orten kiuse ich daz. / sie machet, daz der edelen munt niht wâres saget. / diu schande grôzes wunder tuot, / sie gît ân êre guot. / guoten dingen ist sie gehaz (zitiert nach: ebd., S. 120 ) bzw. umgekehrt für das Ich bei der Verdammung der boesen ders., Spruch II, 3 ( 10 - 13 ): den boesen dunket boese, daz den biderben guoten dunket guot. / die boesen haben zuo allen zîten sûren muot. / den boesen wil ich sîn gehaz / und loben die guoten baz, / want ir lîp bôsheit niht enkan (ebd., S. 122 ) und der unbeherrschten Mächtigen ders., Spruch II, 6 ( 5 - 8 ): ich hân von hôhen vürsten zorn und dar zuo nît, / umbe daz ich rüege ir missetât. / swelich herre unkiuscheit hât, / dem wil ich iemer sîn gehaz. Vgl. ferner für die Herrschaftskritik Der Kanzler, KLD 28 , I, Str. 7 : Ein infel vnde ein crone / di e pflegent nv der kristenheit / mit ir gerichten schone. / swelh rihter rat vnd v́ urspreche ist / vnd selber teilen wil, / wil der niht rehte rihten, / noh raten vf rehten scheit / noh sprechen vf ein slihten, / erteilet der dvrh argen list / ze lúzel vnd ze vil: / we dem der da zerehte stat ( 1 - 11 ). 270 Vgl. etwa Walther von der Vogelweide, L 21 , 10 ( 1 - 11 ): Sô wê dir, Welt, wie übel dû stêst! / -[…] Waz êren hâst uns her behalten? / nieman siht dich fröiden walten, / als man ir doch wîlent pflac. / wê dir, wes habent diu milten herze engolten? / für die lopt man die argen rîchen; ders., L 26 , 13 ( 1 - 8 ): Die wîsen râtent, swer ze himelrîche welle, / daz er vil wol bewarte unde ouch bestelle / den wec, daz iemen dar ûffe habe, der in her wider velle. / ein æchter heizet mort, der schât der strâze sêre; / dâ bî vert einer in starken bennen, der ist geheizen brant, / sô sprechent sie einem wuocher, der hât gar geschant / die selben strâze. dannoch ist der wegewerender mêre: / Nîde unde haz, die hânt sich ûf den wec geleit; und schließlich in Übertragung auf das Seelenheil: ders., L 37 , 24 ( 1 - 6 ): Tumbiu Werlt, ziuch dînen zoum, wart umbe, sich! / wilt dû lân loufen dînen muot, sîn sprunc der vellet dich. / der ist manicvalt in dînem herzen unbekort, / er schadet dir hie und ist ein langer haz der sêle dort. / Lâ guoten muot den bœsen muot von dir vertrîben; / minne got, sô maht dû vrô belîben; s. dazu auch den interessanten Fall einer Weltverteidigung in Spruch III, 1 Des Hardeggers ( 1 - 6 ): Die welt darf niemen zîhen keiner missetât. / si ist unschuldic, als ich iuch bescheide: / si sprichet niemanne argez niht noch keine herzeleide. / si vrumt ouch nieman in den êweclîchen tôt. / si stêt al stille, als sî von êrste ir schepfer hiez, / der si geschuof und alle crêatiure (zitiert nach E. Collmann-Weiß, Kleinere Spruchdichter, S. 76 ; vgl. auch den Komm. ebd., S. 77 ) bzw. wiederum als Gegenposition denkbar: Friedrich von Sonnenburg, Spruch 10 ( 1 - 4 und 11 f.): Swer von der werlde seit an ir si wandelbaeres niht / wan swa der menschen kinder hant mit argen houbetsünden pfliht, / der wil ir niht bescholten han / und schiltet si doch gar! - […] Swa menschen kinder sündent, da beget diu werlt vil sünden arc - / warumbe schülte man an ir niht diese unvuore starc? (zitiert nach: Die Sprüche Friedrichs von Sonnenburg, hg. von Achim Masser, Tübingen 1979 [ATB 86 ], S. 7 f.). 308 III Typeneinteilung des Natureingangs dem Fürstenpreis 271 , der Verhaltenslehre 272 und der Gesellschaftsthematik in der Gnomik 273 sowie schließlich auch als fundamentale Kategorisierung im Marienlob 274 und der Bibelparaphrase 275 , so dass geradezu ein schon allein vokabulatorisch auf 271 Vgl. z. B. das (am Schluss durch Ironie aufgehobene) Lob Rudolfs von Habsburg im Spruch III, 1 Des Unverzagten ( 1 - 3 ): Der künic Ruodolf minnet got und ist an triuwen staete. / der künic Ruodolf hât sich manigen schanden wol versaget / der künic Ruodolf rihtet wol und hazzet valsche raete (zitiert nach: E. Collmann-Weiß, Kleinere Spruchdichter, S. 178 ). 272 Vgl. z. B. für die Sexualethik die Herger-Strophe MF 29 , 27 ( 1 - 4 ): Swel man ein guot wîp hât / unde zeiner ander gât, / der bezeichent daz swîn. / wie möht ez iemer erger sîn? ; ferner für die Verdammung der kerge Boppe, Spr. I, 4 : Diu kerge birt und ist und prüevet manige untugent: / diu kerge nidert alter und unwirdet jugent / - […] diu kerge ist gegen den tugenden laz, / diu kerge manigem lastermâl bevilchet, / diu kerge treit der milte haz, / diu kerge schande zwilchet unde drilchet ( 1 f. und 7 - 10 ; zitiert nach: Der Spruchdichter Boppe. Edition-- Übersetzung-- Kommentar, hg. von Heidrun Alex, Tübingen 1998 [Hermaea N. F. 82 ], S. 36 ) oder für ein Preis der triuwe ders., Spr. VIII, 1 : Diu triuwe ist ein diu beste tugent, / sagent uns die meister wîs. / ir hôher prîs / der werlte wol anstât / si tiuret alter unde jugent, / man und mannes lîp, / magt unde wîp / und hazzet valschen rât ( 1 - 8 ; zitiert nach: ebd., S. 118 ); s. ebenso die- - weltlich-sozial wie geistlich perspektivierte- - Aufforderung zu guten Worten beim Meißner der Jenaer Liederhandschrift, Spr. IX, 1 : Vlize dich, mensche, an gůte wort, / die geben dir selden vil, / gotes hulde und ouch der werlde gunst. / wort su e nent haz unde nit. / Of erden hie, in himele dort / wort waltent wunsches spil. / wort leschen gar der helle brunst / wort scheiden manigen strit ( 1 - 8 ; zitiert nach: G. K. Objartel, Der Meißner, S. 200 ) bzw. die explizit an die Jugend gerichtete Aufforderung, schlechten Umgang zu meiden, in Spr. X, 8 : Boser geselleschaft untgildet man vil dicke. / ein swacher man von kranker art der hazzet e des biderben mannes tugent / -[…] Hie pru e be ich bi, daz sie des tiubels sint unde ouch der helle kint an ende, / Der sie of erden hie und dort an ende schende. / sich samnent e zwe geliche, bose und bose, gůt unde gůt, sich reine jugent ( 1 f. und 5 - 7 ; zitiert nach ebd., S. 205 ), schließlich für die Spötterpolemik Reinmar von Zweter, Spr. 212 : Spotter, dû solt hœren mich! / ich wil dir sagen, wes Got- - -von himelrîche zîhet dich: / er giht, daz schult, meineide- - -untriuwe, sünde, haz und nîdes vol / Sî dîn herze unt ouch dîn lîp, dû vridebrech, dû schuldic mort---an man unt ouch an wîp / -[…] daz dû in erge hâst gesprochen / durh dînen spottegen valschen munt, / daz wirt dort an der helle grunt / -- gehabe dich wol-- vil sûre an dir gerochen (zitiert nach: G. Roethe, Die Gedichte, S. 515 f.). 273 So in Spruch I, 12 Des Hardeggers, vgl. Vv. 5 - 14 : in vürhte ouch niht die morder als grôz umb ein hâr / noch die rouber ûf den strâzen, wizzet daz vür wâr. / ich lâze ouch niht durch küniges haz / noch durch die vürsten, ob si’z wolten anden. / wolte mir’z danne grâven wern / und al die vrîen, die uns sind gesezzen-- / ob die z’einander wolten swern, / dar zuo der werden dienestman, der ich niht sol vergezzen, / und ouch die starken stete in al der werlte rehte gar, / dien irten mich der verte niht, / die ich dâ muoz und ouch ungerne var (zitiert nach: E. Collmann-Weiß, Kleinere Spruchdichter, S. 68 ). 274 Vgl. etwa Der Kanzler, KLD 28 , I, Str 14 : Wer moht sich wîbe genôzen, / sît daz der sælikeit ein hort / sich barc in juncfroun schôze? / den doch die himel mohten nie / begrîfen mit ir list, / dem gap ein meit herberge; / bî ir ze fleische wart ein wort / und bleip dannoch ân erge, / daz sie kein sünde nie begie: / alsô gebar si Krist ( 1 - 10 ; zitiert nach KLD I, S. 193 ) und Friedrich von Sonnenburg, Spruch 16 ( 10 - 12 ): behüete uns vor der helle und vor des argen tiuvels list / Und sprich ze dime kinde: «vater, sun, heiliger geist du bist, / vergip dem sünder sündic leben, vil süeze Jesu Krist.» (A. Masser, Die Sprüche, S. 12 ). 275 Vgl. etwa im Falle des von David abgelesenen Königideals Der Junge Meißner, Strophengruppe B, Str. I, 4 : Ein kůnig, der gewaltis pligt unde rehtis gert, / des menlich swert / sal nieman haz erzeigin, / won den argin, veigin, / und den, die gein der krone sich---niht gerůchint neigen. / waz ůblis den dar umme geshiht, den sol ich drahtin cleine ( 1 - 6 ; zitiert nach: Der Junge 2 Diskussion ausgewählter Parameter 309 die Spruchdichtung hinweisender Signalcharakter der Begriffsfelder haz und arc / erge angenommen werden darf. Und selbst wenn die einzelnen Belegstellen natürlich nicht immer tatsächlich eine Anwendung der Termini auf die Gesellschaftsebene darstellen, muss doch festgestellt werden, dass sie zumindest in der Tendenz den jeweiligen Aussagenhorizont hin zum gesellschaftlichen Raum und seinen Konfliktpotenzialen, aber auch deren geistlicher Perspektivierung (werlt-Klage) öffnen. 276 Mit dieser Potenz einer gesellschaftsthematischen Perspektivierung gehen sie freilich völlig mit anderen registralen Anregungsmitteln von Spruchdichtungsassoziationen (Verallgemeinerung der Aussage über generalisierende Pronomina, didaktisierend eingesetzte Präterito-Präsentien etc.) konform. Wenn man die hier versammelten, möglichen konnotativen Anklänge der dritten Strophe von Hugs Lied IV nun zusammennimmt, dann ergibt sich für diese Passage somit ein Deutungsmuster, dass mehr assoziativ, denn tatsächlich ausformuliert, die Gesellschaftsperspektive als eine sich zusehends verdichtende Folgethematik des Natureingangs in Stellung bringt. Die von den Jungen geforderte Freude, die durch den Interferenzrahmen der mittelateinischen Lyrik als ein jahreszeitenadäquates Verhalten bestätigt wird und die Sphäre erotischer Ausgelassenheit aufruft, wird-- in registraler Brechung mit dem Werbungslied-Sprechen- - gerade nicht auf ein persönliches Liebesverhalten gemünzt, sondern ethisierend über Spruchdichtungsanklänge auf das Feld gesellschaftlich-vorbildlichen Handelns geführt, so dass die Aufheiterung der Mitmenschen (die lúte, [ III , 5 ]) nun als sozial gebotene Pflicht erscheint. Dieser ist nun als eine antagonistische Größe der ebenfalls vom Rezipienten gesellschaftsbezogen, nämlich hinsichtlich einer Sphäre sozialer Feindseligkeiten aufladbare arge has ( III , 6 ) entgegengestellt. Damit stünde nun assoziativ der gesellschaftlichen Schieflage eine ethisierend überhöhte Freudenverbreitungsfunktion der Jugend gegenüber, die eben auch in Richtung einer quasi kosmologisch fundierten Sexualbetätigung ausgedeutet werden kann, und der die Potenz zugetraut wird, den bedrohten Ordo-Rahmen-- und dieser wäre sowohl durch die Anregungen der mittellateinischen Lyrik, als auch durch die Konnotationen der Spruchdichtungsvokabeln arc und haz durchaus sogar in doppelter Perspektive geistlich einrahmbar- - wieder ins Lot zu bringen. Damit bekommt freilich für die Schlusspassage des Liedes in der hier beschriebenen, potenziellen Konzeptualisierung durch den Rezipienten die gesellschaftliche Dimension der Aussagen eine derart große Bedeutung, dass der Bereich der Naturthematik eindeutig verlassen ist. Somit wäre diese in Hugs Lied IV als ein Natureingang zu klassifizieren, der ja eine andersthematische Fortführung verlangt. Folglich spielt aber für die Entscheidung der Frage, ob dem Lied das ‹Vorhandensein› einer Folgethematik attestiert werden kann oder nicht, biswei- Meißner. Sangsprüche, Minnelieder, Meisterlieder, hg. von Günter Peperkorn, München u. a. 1982 [MTU 79 ], S. 67 f.). 276 Dabei spielt es prinzipiell keine Rolle, ob nun im Falle der Vokabel haz eine positive Wertung angestrebt ist oder eine negative. 310 III Typeneinteilung des Natureingangs len weniger die positivistische Suche nach tatsächlichen ‹Textmerkmalen›, denn das interpretative Aufspüren von Konnotationen eine Rolle. Ja es zeigt sich, dass diese distinktive Entscheidung teilweise gerade nicht mit letztgültiger Sicherheit und absoluter Trennschärfe getroffen werden kann. Sie operiert nämlich nur scheinbar auf dem Feld objektivierbarer und phänomenologisch absicherbarer Kriterien und darf somit gerade nicht die prinzipielle Unabgeschlossenheit des Textes-- z. B. gegenüber anderen Texten-- ignorieren. c) Sprecherposition Von besonderer Bedeutung für die typologische Bestimmung des Natureingangs erweist sich auch die Frage, welcher Sprecherinstanz dessen Einlösung im Liedzusammenhang zugewiesen werden muss. Denn allein über die Aufstellung dieses Parameters ist es, so wird sich zeigen, möglich, den spezifisch gestalteten Natureingang der Sommerlieder Neidhartscher Prägung, der eben über ganz eigene Techniken der Einbindung der Topik in den Liedzusammenhang verfügt, nicht als völlig disparat vom sonstigen typologischen Spektrum abzutrennen, sondern-- im Gegenteil-- in dieses so eng wie möglich zu verzahnen. Aber auch abseits des Neidhart- Œuvres bzw. der von ihm angeregten Liedtradition sind ganz grundsätzlich einmal zwei Optionen der Natureingangs-Gestaltung von einander abgrenzbar, nämlich der ‹Normalfall› 277 einer Realisation als Sängerrede (Typ A. II ), in der diese übergeordnete Textinstanz auch grammatikalisch als Ich-Position manifestiert sein kann, aber nicht muss, und der ‹Spezialfall› einer Verlegung des Natureingangs in eine dazu als disparat konturierte Stimme (Typ A.I), die entweder zwar unmittelbar gesetzt ist, aber dem Status einer Figurenrede nahe kommt, oder als tatsächliche Figurenrede fungiert, d. h. durch Einsatz einer expliziten inquit-Formel auch dezidiert innerhalb der übergeordneten, quasi-narratorischen Perspektive des ‹Sängers› 278 als Sprechpartie einer 3 . Person und somit ein besonderer Aussagenbereich zweiter Ordnung 277 Diese Möglichkeit ist in der doch deutlich überwiegenden Zahl aller Lieder mit Natureingang aufzufinden, insofern dürfte diese Einordnung leicht einzusehen sein. Allerdings ist sie vor dem Hintergrund des oft ‹androgynen› Status ausgerechnet der Natureingangspartien auch nicht ganz unproblematisch. S. dazu das Folgende. 278 Es gibt gegenüber dieser Terminologie, die sich forschungsgeschichtlich recht unverhüllt von der Vorstellung einer dominanten mündlichen Aufführungssituation des Minnesangs vor der Hofgesellschaft ableiten lässt (s. oben, Kap. I. 2 .), zwar eine gewisse Skepsis meinerseits (deswegen ist in dieser Arbeit häufig der neutralere Begriff ‹Text-Ich› gewählt), ich habe mich aber im Falle des Frauenliedes, wo die weibliche Stimme ja noch viel eher als ein solches ‹Text-Ich› zu gelten hat als die übergeordnete männliche Stimme, die gar kein eigenes grammatikalisches Ich realisiert, dieser Benennungstradition in Ermangelung eines besseren Vorschlages gefügt. Denn zum einen scheint mir für eine explizite Bennung dieser Stimme als ‹Erzähler›, woran ja in diesem Zusammenhang zu denken wäre, die Entfernung zu den eigentlichen epischen Genres doch zu groß, zum anderen das Konzept einer ‹Sängerfiguration› auch jederzeit auf den Schrifttext projezierbar. S. die genaue Ableitung der Identifizierung dieser Stimme unten in der exemplarischen Interpretation zur Veldeke-Strophe MF 57 , 10 . 2 Diskussion ausgewählter Parameter 311 segregiert ist. Die Technik einer Verschiebung des Natureingangs in eine andere Stimme als die des übergeordneten Sänger-Ichs betrifft nun mithin in nahezu ausschließlichem Umfang die Realisationsmöglichkeit der Topik als Frauenrede 279 , so dass es nicht verwunderlich ist, dass sich in diesem Punkt die hier zu klärende Frage einer typologischen Profilierung des Natureingangs mit den für den Aspekt einer statualen Situierung von Frauenrede im Minnesang bereits erreichten Forschungsergebnissen überschneidet, die die mit der genderkategoriellen Zuschreibung von Sprecherinstanzen verbundenen Probleme unter einer viel allgemeineren Perspektive eindrücklich ausgelotet haben. 280 Schließlich stehen im Rezeptionsvorgang als 279 Eine der wenigen nicht in diesem Sinne festgelegten Ausnahmen, wenngleich aber eine prominente, bildet unmittelbar aus der Frühphase des Minnesangs die Strophe MF 14 , 1 : Ich sach boten des sumeres, daz wâren bluomen alsô rôt des Meinloh von Sevelingen, die den (angedeuteten) Natureingang in Form einer Adressierung realisiert, deren Urheber offensichtlich nicht mit der gegenüber der angesprochenen Dame minnebetroffenen Person eines ritters ( 2 ) übereinstimmt, sondern aufgrund der Anklänge an die Botenthematik im Natureingang ( 1 : Blumen als boten des sumeres) und die Bezugnahme auf eine frühere Botschaftsübermittlung ( 2 : weistu, schoene vrowe,- - -waz dir ein ritter enbôt? ) durchaus als ‹Bote› konzeptualisierbar ist, wodurch auch eine suggestive männliche Identität des Sprechers in Frage kommt, die allerdings wiederum nicht zwingend ist (s. die niftel als Botin im «Frauendienst» des Ulrich von Liechtenstein). Nimmt man nun trotzdem eine männliche Zuordnung des Spechers an, so ist zudem nicht klar zu bestimmen, ob der Charakter einer suggestiven Figurenrede, die die Sänger-persona zu einer nicht manifesten, aber übergeordnet perspektivierenden Instanz werden lässt (sie könnte übrigens auch als mit dem minnebetroffenen ritter zusammenfallend gedacht werden! ), ganz eindeutig beigemessen werden kann, möglich wäre ja auch eine Imaginierung der Sängerinstanz als Boten. Dies führt nun aber schon weit in die Problematiken hinein, die das Kriterium der Sprecherinstanz- - wie auch die anderen hier diskutierten Parameter-- aufwirft, wenn man es nicht als ein relationales begreift. 280 Ich beziehe mich hier im Folgenden besonders auf die perspektivenreichen Ergebnisse in verschiedenen Beiträgen des Sammelbandes: Frauenlieder- - Cantigas de amigo. Internationale Kolloquien des Centro de Estudos Humanísticos (Universidade do Minho), der Faculdade de Letras (Universidade do Porto) und des Fachbereichs Germanistik (Freie Universität Berlin) 1998 / 1999 , hg. von Thomas Cramer u. a., Stuttgart 2000 , dem freilich etwa mit Bennewitz, Ingrid: Das Paradoxon weiblichen Sprechens im Minnesang. Überlegungen zur Funktion der sog. Frauenstrophen, in: Mediävistik 4 ( 1991 ), S. 21 - 36 (zum thematischen Spektrum der Frauenstrophen bes. S. 28 f.); Ehlert, Trude: Männerrollen und Frauenrollen im Hohen Minnesang: kontrastiv oder komplementär? , in: Verstehen durch Vernunft. Fs. Werner Hoffmann, hg. von Burkhardt Krause, Wien 1997 (Philologica Germanica 19 ), S. 41 - 58 (suggestives Verhältnis der Frauenstrophen zur Liebeskonzeption des Werbungsliedes), und Schnell, Rüdiger: Frauenlied, Manneslied und Wechsel im deutschen Minnesang. Überlegungen zu ‹gender› und Gattung, in: ZfdA 128 ( 1999 ), S. 127 - 184 (zu den unterschiedlichen Sprechräumen der männlichen und weiblichen Stimme im Minnesang, bes. S. 160 - 182 ) weitere entscheidende Untersuchungen vorausgegangen waren; vgl. zu dem Komplex in jüngerer Zeit zudem die Monographien K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 13 - 24 (mit einem diskursanalytischen bzw. kommunikationspragmatischen Zuschnitt), und Solomon, Kristýna: Minne ist ein sô swaerez spil, daz ichs niemer tar beginnen. Eine Untersuchung der weiblichen Stimme im Hohen Sang, Göppingen 2013 (GAG 773 ). Freilich soll in diesem Zusammenhang gerade nicht an die Tendenz der frühen Forschung angeknüpft werden, die Naturthematik überhaupt wie auch die Frauenrede als Residuum einer dem Minnesang (provenzalischer Prägung) vorgängigen volkstümlichen Lyrikschicht zu deuten, vgl. bes. Frings, Theodor: Minnesinger und 312 III Typeneinteilung des Natureingangs Auslöser einer genderkategoriell ‹weiblichen› Zuweisung einer bestimmten Aussagenfiguration, die vordergründig den als besonders zu markierenden Part eines sich von der Werbungslied-Rede des männlichen Text-Ichs abhebenden Anderen darzustellen scheint 281 , mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, die Ingrid Kasten in einem Überblick zusammengestellt hat 282 . Hierbei handelt es sich-- neben der Herleitung aus dem Überlieferungskontext, die in unserem Zusammenhang weniger von Belang ist-- vor allem um die zwei grundlegenden Techniken einer rein inhaltlichen Profilierung des Sprecher-Ichs (‹Selbstbezeichnungen›) bzw. des geliebten Gegenübers (im Falle der Frauenrede als ein er oder ritter 283 ), oder eben der grund- Troubadours, bes. S. 12 - 15 , und ders., Frauenstrophe und Frauenlied in der frühen deutschen Lyrik, in: Gestaltung, Umgestaltung. Fs. Hermann August Korff zum 65 . Geb., hg. von Joachim Müller, Leipzig 1957 , S. 13 - 28 ; wieder in: Beitr. (Halle) 91 ( 1971 ), S. 497 - 519 ; der strikte Zuschreibungszusammenhang von Naturthematik und Weiblichkeit- - und dies zeigt die Untersuchung des Natureingangs im Kontext des Werbungsliedes ja in paradigmatischer Weise-- scheint mithin mehr ein Resultat neuzeitlicher Konzeptverdichtung zu sein, denn den Gegebenheiten des Minnesangs zu entsprechen. Vgl. dazu auch Kasten, Ingrid: Zur Poetologie der ‹weiblichen› Stimme. Anmerkungen zum ‹Frauenlied›, in: Frauenlieder- - Cantigas de amigo, hg. von Thomas Cramer u. a., S. 3 - 18 , hier S. 3 f.: «Diese offenkundige Tendenz, Weiblichkeit und Natur zu verbinden, hat manchen Interpreten dazu bewegt, in den Frauenliedern den ‹natürlichen› gemeinsamen ‹Ursprung› der höfischen Lyrik zu sehen, der nicht selten mit dem ‹Ursprung› der europäischen Literatur und Kultur gleichgesetzt und gleichsam zum Mythos verklärt (oder auch als solcher beschworen) wurde. Man übersah dabei jedoch nicht nur, daß die ‹Naturalisierung› des Weiblichen als Produkt eines historischen Prozesses dechiffriert werden muß, in dem die Opposition Natur/ Kultur bereits formuliert und in genderspezifischer Weise codiert ist, man übersah auch, daß diese ‹Naturalisierung› nur eine Facette in der großen Vielfalt von Bildern des Weiblichen und Männlichen darstellt, die in der mittelalterlichen Lyrik entwickelt werden. Es scheint daher, als ob das Frauenlied bei der Frage nach dem ‹Ursprung› der höfischen Kultur nicht zuletzt als Folie für die Artikulation moderner Entfremdungserfahrungen und als Fluchtpunkt für immer instabiler werdende männliche Identitätsentwürfe in der ‹Moderne› gedient hat». 281 So zeigt dies ja auch die neuzeitliche Editionspraxis, wie sie sich z. B. noch immer in «Des Minnesangs Frühling» darstellt, die Frauenrede- - ganz im Gegensatz zum Sprechen des männlichen Werbungslied-Ichs, das ja gleichwohl ebenso ‹Rollenrede› darstellt-- stets durch einfache Anführungsstriche auszeichnet. Der erste Befund einer besonderen Markiertheit von Frauenstrophen wird denn auch von Cramer, Thomas: Was ist und woran erkennt man eine Frauenstrophe? , in: Frauenlieder-- Cantigas de amigo. Internationale Kolloquien des Centro de Estudos Humanísticos (Universidade do Minho), der Faculdade de Letras (Universidade do Porto) und des Fachbereichs Germanistik (Freie Universität Berlin) 1998 / 1999 , hg. von dems. u. a., Stuttgart 2000 , S. 19 - 32 , hier S. 20 , im weiteren Verlauf seiner Untersuchung durch die Herausarbeitung des besonderen Status geschlechtspezifisch unmarkierter Strophen (‹androgyn› in der Terminologie Cramers, vgl. ebd., S. 23 f.) wiederum entscheidend relativiert. Auch darf die obige Einordnung keinesfalls als Rechtfertigung einer gerade am Gattungsterminus des ‹Frauenliedes› erkennbaren (nicht nur) altgermanistischen Benennungstradition angesehen werden, in der «das ‹Männliche› als eine Norm [fungiert], so daß es im Unterschied zum Abweichenden, Partikularen-- zum Weiblichen-- nicht legitimiert und nicht eigens benannt werden muß» (I. Kasten, Zur Poetologie der ‹weiblichen› Stimme, S. 8 ). 282 Vgl. ebd., S. 14 . 283 Das setzt freilich die stillschweigende Vorannahme voraus, dass es sich bei dem prototypischen Liebesverhältnis im Minnesang-- sowohl im Falle eines als weiblich, als auch eines als männ- 2 Diskussion ausgewählter Parameter 313 legend-narrativen Einschaltung einer inquit-Formel durch die übergeordneten Textinstanz des (männlichen) ‹Sängers› 284 , die wiederum beide für die Bestimmung der Sprechinstanz im Kontext des Natureingangs von erheblicher Bedeutung sind. Zunächst soll anhand des (allenfalls) 285 äußerst reduziert vorliegenden Natureingangs der Veldeke-Strophe MF 57 , 10 , die zumindest in der A-Fassung einem kunstvoll ausgesponnenen Frauenlied voransteht 286 , das Grundmodell dieser letzteren Festschreibungstechnik erläutert werden. Die Strophe lautet: lich konkretisierten Gegenübers-- jeweils um eine zwingend heterosexuelle Liebeskonzeption handelt. Dies gibt überdies auch I. Kasten zu bedenken: «Wenn es beispielsweise heißt: - … die manent mich der gedanke vil, die ich hin zeiner frouwen hân (Dietmar MF 34 , 6 -[…]), so wird man diese Äußerung unter der genannten Prämisse einer männlichen Stimme zuweisen, oder wenn gesagt wird, Ich hân den lîp gewendet an einen ritter guot (Kaiser Heinrich, MF 4 , 26 - […]) so liegt es demnach nahe, die Stimme als eine weibliche zu identifizieren. Aber sicher ist das, streng genommen, nicht» (dies., Zur Poetologie der ‹weiblichen› Stimme, S. 14 ; Hervorhebung von mir, D. E.). 284 Vgl. ebd. 285 Ob in dem Lied wirklich ein Natureingang im Sinne der hier vorgestellten Minimaldefinition realisiert ist, ist nicht leicht zu entscheiden, da mit dem Heller- und Längerwerden der Tage (I, 1 f.) zwar ein Naturdetail des Sommers aufgerufen ist, dieser selbst aber nicht explizit genannt ist; da mit der Bezugnahme auf die tage nun, die sich verändern, dem Eingang eine gewisse Zeitlichkeits- und Veränderungsdimension im Sinne eines Jahresablaufes eingeschrieben ist, scheint mir eine Einordnung in die Topik letztlich schon begründbar zu sein. 286 Vgl. dazu zuletzt K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 264 - 270 , die die beiden Fassungen A und BC einer differenzierten Lektüre unterzieht und hierbei für das Setzen der Natureingangsstrophe in A das Fehlen des Werbungsliedes MF 56 , 1 (als suggestives Gegenstück in einem ‹Liederwechsel›, s. unten) in der Handschrift und eine sich daraus ableitende, anders gelagerte Konzeption des Liedes als Erklärung vorschlägt (vgl. ebd., S. 267 ). Dass dies der Verfasserin nicht vollends nachzuzeichnen gelingt, liegt vielleicht an den ja im Grunde richtigen, aber teilweise zu starr gedachten Konzeptfestschreibungen für das Mittelalter, wie etwa ein Blick auf das Fazit zeigt: «man [kann] für vorliegenden Ton festhalten, dass hier eine vorbildliche weibliche Sprecherin inszeniert wird, die den mittelalterlichen Vorstellungen von Weiblichkeit nicht entspricht. Vielmehr wird hier eine Konzeption von ‹Weiblichkeit› entworfen, die konträr zu den üblichen Gender-Zuweisungen verläuft, denen zufolge die Überlegenheit des Mannes mit dem Besitz der ratio begründet bzw. die Gefährdung der Frau auf die weiblich konnotierte sensualitas zurückgefürt wird. Insbesondere die Sprecherin der A-Fassung zeigt sich vom zurückliegenden Ereignis in keiner Weise emotional berührt. Sie hat die Situation scharfsinnig erkannt und richtig eingeschätzt. Darin ist sie dem Mann ein Vorbild und man könnte beinahe geneigt sein, ihr mehr ‹Männlichkeit› zu attestieren als dem Sprecher in Ton I. Selbstverständlich kann dies, im Unterschied etwa zur mhd. Epik, nicht explizit benannt werden, da ja ansonsten das gesamte System ‹Minnesang› ad absurdum geführt werden würde: Die Sprecherin bleibt, selbst wenn sie sich vorbildhafter-- und insofern ‹männlicher› verhält als ihr männlicher Partner, immer ganz Frau» (ebd., S. 270 ). Als absurd erweisen sich hier m. E. eher vorschnelle Zuschneidungen von ‹Männlichkeit› / ‹Weiblichkeit›. 314 III Typeneinteilung des Natureingangs Heinrich von Veldeke, MF 57 , 10 : Ich bin vrô, sît uns die tage (A-Fassung) I. MF 57,10 A 13 ‹Ich bin vrô, sît uns die tage liehtent unde werden lanc›, sô sprach ein vrowe al sunder clage vrîlîch und ân al getwanc. ’Des segg ich mînen glücke danc daz ich ein sulhe herze trage, daz ich dur heinen boesen tranc 287 an mîner blîschaft nie mê verzage. 287 [«Ich bin froh, weil die Tage für uns hell und lang werden», das sprach eine Dame völlig ohne Klagen, frei heraus und ohne jeden Zwang. «Dafür sage ich meinem Schicksal Dank, dass ich ein solches Herz in mir trage, dass ich durch keinen schädlichen Trank je in Bezug auf meine Fröhlichkeit den Mut verlieren werde».] Die Strophe Heinrichs beginnt nämlich direkt mit einer Ich-Aussage (Ich bin vrô [ 1 ]) einer Stimme, die die positive Wirkung der schönen Jahreszeit auf sich selbst hervorhebt, aber nur kurze Zeit als die des sonst auch begegnenden männlichen Werbungslied-Ichs imaginierbar ist, da sich bereits in Vers 3 eine zweite Stimme einschaltet, die schwerlich anders konzeptualisiert werden kann als die einer übergeordneten, perspektivierenden Instanz, die die Forschung als ‹Sänger› identifiziert hat und als 287 In der Forschung hat sich die Ansicht durchgesetzt, die handschriftliche Lesart tranc nicht mehr durch Konjektur zu suspendieren (z. B. dranc = «Bedrängnis»), da eine Bezugnahme etwa auf den Liebestrank des Tristanstoffes keinesfalls undenkbar ist (s. nur die Werbungsliedstrophe MF 58 , 35 bei Heinrich von Veldeke: Tristan muose sunder sînen danc / staete sîn der küneginne, / wan in daz poisûn dar zuo twanc / mêre danne diu kraft der minne [I, 1 - 4 ]); vgl. dazu die Anm. in MFMT I, S. 100 , die Kommentare in G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 432 , und I. Kasten, Deutsche Lyrik, S. 617 . Dies würde dann in der Tat bedeuten, dass sich die Sprecherin als unabhängig von jeglicher persönlichkeitsbedrohenden, weil nicht mehr rational zu steuernden Kraft der Minne geriert, für die die Tristan-Anspielung des Liebestrankes als Bild fungiert, so dass das Ich sich völlig gewiss sein kann, sich die jahreszeitenkongruente Freudenstimmung auch dauerhaft zu erhalten. Diese selbstgewisse Haltung in der weiblichen Rede steht wiederum in einem Gegensatz zur mangelnden Selbstkontrolle des männlichen Werbenden (vgl. K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 266 f.), der durch sein tumbez herze (III, 1 ) zum Verlangen nach zu leichtfertiger Liebe verleitet wird (V, 1 : Hê iesch an mich te lôse minnen), ein Verhalten, das die Sprecherin nicht als hovesch (IV, 1 ) erkennen mag, sondern im Gegenteil als dorpelich (III, 6 ) sanktioniert. Zum übergeordneten Aspekt der Anspielungen auf die Stoffkreise des höfischen Romans vgl. jüngst Reuvekamp-Felber, Timo: Literarische Formen im Dialog. Figuren der matière de Bretagne als narrative Chiffren der volkssprachigen Lyrik des Mittelalters, in: H. Bleumer, C. Emmelius (Hgg.) Lyrische Narrationen-- narrative Lyrik, S. 243 - 270 . 2 Diskussion ausgewählter Parameter 315 mehr oder weniger deckungsgleich mit dem männlichen Ich des Werbungsliedes annimmt, aber auch deren erzählerhafte Ausrichtung in solchen Fällen hervorhebt (man könnte also von ihr als ‹Sänger-Narrator› sprechen). 288 Sie steuert durch die die bisherige wie noch folgende Ich-Rede radikal neu perspektivierende inquit-Angabe sô sprach ein vrowe (I, 3 ) die Imagination des Rezipienten derart, dass er zum einen den Sprechakt als eine vergangene Rede in einer bestimmten quasi-epischen Situation, über die wir sogar noch weitere, freilich nicht breit ausstaffierte Details erfahren 289 , festschreibt (I, 3 f.). Zum anderen ist die suggestive ‹Ursprungsinstanz› dieser Aussagenformation als eine Frau, genauer gesagt eine Frau mit einem bestimmten Sozialstatus erkennbar. Durch diese klassifikatorische Geste wird aber nicht nur der Bereich der eigentlichen Ich-Aussagen, die im Unterschied zum Einschub der übergeordneten Sprechinstanz genau nicht im Erzählpräteritum firmieren, sondern eigentlich- - wie im Werbungslied auch- - dominant im Präsens gehalten sind, in eine Zeit projeziert, die nicht mehr als deckungsgleich mit dem Zeitpunkt der Rezeption imaginiert werden kann, mit der nun wiederum die Aussagen des ‹Sänger-Narrators› chronotopisch 290 in eins zu fallen scheinen. Dadurch ist freilich für die Frauenrede-- wie Katharina Boll betont-- ein gewisser Distanzierungseffekt erzielt 291 , der sich jedoch im Verlauf des- - nach A- - fünfstrophigen Liedes, gerade weil weitere Einschübe dieser übergeordnet perspektivierenden Instanz fehlen, auch wieder zugunsten eines präsentischen Imaginationssoges abschwächt. Konstant bleibt allerdings die Charakterisierung der Sprechinstanz, die die Ich- Aussagen weiter hervorbringt, als eine weibliche Figur, da diese nicht wieder als deckungsgleich mit der steuernden ‹Sänger-Narrator›-Formation imaginiert werden kann (bzw. dafür die Signale fehlen), so dass sie immer als eine vermittelte Stimme präsent bleibt, die letztendlich auch stärker als ein Literarisch-Hervorgebrachtes transparent ist. 292 Jedoch kommt es darüber hinaus nicht nur in der Anfangspartie 288 Vgl. dazu etwa gerade anhand der betreffenden Veldeke-Strophe: Obermaier, Sabine: Der Sänger und seine Rezipientin. Zu Ich-Rolle und Rollen-Ich in den Sänger- und Frauenliedern des Hohen Minnesangs, in: Frauenlieder-- Cantigas de amigo, hg. von T. Cramer u. a., S. 33 - 48 , hier bes. S. 43 - 47 . 289 Zumindest aber erfahren wir- - neben dem Stand der Frau (s. das Folgende)- -, dass sie die Äußerung ohne jedweden Klagegestus (I, 3 ) und freimütig bzw. zwanglos (I, 4 ) tätigt. Im Vergleich zu den kleinen Genreszenen, die im frühen Minnesang für die Frauenrede teils auch entworfen werden (etwa in MF 37 , 4 des Dietmar von Eist: Ez stuont ein vrowe alleine / und warte über heide / unde warte ir liebes, / sô gesach si valken vliegen [ 1 - 4 ]), ist das freilich relativ unbestimmt. 290 So ja-- neben der koordinierten Zeit-Raum-Stilisierung in literarischen Texten-- eine weitere Bedeutungskomponente des von Bachtin vorgeschlagenen Begriffs, der hier auf Horizontverschmelzung von Autor- und Rezipientenwelt zielt, vgl. Bachtin, Michail M.: Schlußbemerkungen ( 1973 ), in: ders., Chronotopos. Aus dem Russischen von Michael Dewey, Frankfurt a. M. 2008 (stw 1879 ), S. 180 - 196 , hier S. 190 - 195 . 291 Vgl. K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 208 , die als eine zusätzliche Brechung den Rückgriff auf ein Vergangenes (das Fehlverhalten des Mannes) durch die Sprecherin selbst anführt. 292 Dafür dürfte mithin gerade die narrative Rahmung der Sprechsituation verantwortlich sein, die es eben nicht mehr reibungsfrei zulässt, den Sprechakt als unverstellten ‹direkten Zugang› 316 III Typeneinteilung des Natureingangs zu einer für die Frauenrede insgesamt charakteristischen Doppelung der Stimmen, da- - neben der Äußerung der weiblichen Figur- - die Stimme des sie perspektivierenden ‹Sänger-Narrators› als eine stets verdeckt präsente Vermittlungsinstanz mitschwingt, die sich nach I, 3 f. zwar nicht mehr als direkt ‹vernehmbare› Stimme einschaltet, aber dies jederzeit könnte, und durch die der Frauenmonolog quasi hindurchlaufend gedacht wird. 293 Desweiteren begegnen dagegen Fälle, in denen eine weibliche Identifizierung der Sprecherinstanz nur auf inhaltlicher Ebene etwa durch die genderkategorielle Festschreibung des geliebten Partners als männlich erfolgt, eine direkte Einschaltung des ‹Sänger-Narrators› über inquit-Formel aber fehlt, was anhand des folgenden Beispiels demonstriert werden soll: zu den Gefühlen und Gedanken eines Ichs zu imaginieren; auch hat Timo Reuvekamp-Felber treffend herausgearbeitet, dass sich durch eine stärkere Ausstellung der ‹Rollenhaftigkeit› der Rede das Fiktionalitätsbewusstsein in entscheidender Weise profiliert (vgl. ders., Fiktionalität als Gattungsvoraussetzung, S. 394 - 398 ). 293 Vgl. dazu etwa Obermaier, Sabine: Der Sänger und seine Rezipientin, S. 47 (bezüglich der Strophe MF 57 , 10 des Heinrich von Veldeke): «Hier spricht also gar nicht die Frau, sondern ein Erzähler gibt die Rede einer Frau wieder. Ihr Monolog erhält damit einen dem epischen Monolog vergleichbaren Status und sie selbst explizit den Status einer quasi-epischen Figur. Inquit-Formeln gibt es im Frauenlied, insbesondere im Frauenlied des Donauländischen Minnesangs, bekanntlich häufiger. Dagegen kennen Sängerlieder des Frühen und Hohen Minnesangs nichts Entsprechendes. Das bedeutet aber auch: In den Sängerliedern erhält der Sänger- - im Unterschied zur Frau in den Frauenliedern- - niemals den Status einer quasiepischen Figur». Jedoch ist m. E. daraus weder abzuleiten, dass die weibliche Stimme im Minnesang zu einer Figur gerinne, die «primär als sie auftritt und erst sekundär als ich» (ebd.), da ich zwischen den beiden Formen einer narrativ ungerahmten und gerahmten Rede eines weiblichen Ichs weder einen genetisch-prioritären noch tatsächlich narrationstechnisch-kategorialen Unterschied erkennen kann, da mir die übergeordnete Instanz eines vermittelnden Quasi-Narrators auch dort, wo er nicht dezidiert präsent gemacht ist, aber die Rede selbst in ihrer Urheberimagination als disparat zur Formation des ‹Sänger›-Ichs festgezurrt wird, als Projektionsfolie einer ‹zweiten›, perspektivierenden Stimme jederzeit einblendbar erscheint. Ich würde auch nicht so weit gehen, dass im Frauenlied eine von der ‹Leerdeixis› des männlichen Ichs im Werbungslied radikal zu unterscheidende Ich-Deixis vorliegt (vgl. ebd.). Zwar ist es hinsichtlich der kategorialen Zuordnung richtig, dass dieses Ich immer auch auf eine narrativ erzeugte sie verweist, dass diese aber wiederum «außerhalb des Textes in einem anderen Text verortet ist» (ebd.), was wohl auf die sie-Instanz des Werbungsliedes zielt, ist keineswegs so sicher. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 317 Dietmar von Eist, MF 37 , 18 : Sô wol dir, summerwunne! 294 MF 37,18 C 13 Sô wol dir, sumerwunne! daz gevogelsanc ist gesunde 295 , alse ist der linden ir loup. jârlanc trüebent mir ouch miniu wol stênden ougen. mîn trût, du solt dich gelouben, anderre wîbe. wan, helt, die solt du mîden. dô du mich êrst saehe, dô dûhte ich dich ze wâre sô rehte minneclîch getân. des man ich dich, lieber man. 295 [Gepriesen seist du, Sommerfreude! Der Vogelgesang ist lebendig 296 ebenso wie das Laub der Linde. In dieser Jahreszeit werden mir dagegen 297 294 Um die genderbezogene Implementierungsoperation im Falle des Sprechers nicht vorwegzunehmen, ist Dietmars Strophe hier einmal ohne die editionsphilologisch einschlägige Markierung als Frauenrede abgedruckt. Für die beigegebene Übersetzung vgl. die Editionen in: I. Kasten, Frauenlieder, S. 48 f. (Komm. S. 223 ), dies., Deutsche Lyrik, S. 74 f. (Komm. S. 607 f.), und bes. G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 146 - 149 (Komm. S. 400 f.). 295 Die von C handschriftlich überlieferte Fassung des Verses (dc gevogelsang ist gesvnde) wird seit Lachmann einschlägig (so auch noch in MFMT I, S. 60 ) in daz vogelsanc ist geswunden geändert, woran Schweikle im Kommentar seiner Ausgabe zu Recht Kritik übt, da die Konjektur weitreichende Konsequenzen für die Zeit- und Bedeutungsstruktur des Natureingangs hat: Aus einem präsentischen Sommereingang wird ein retrospektiv abgegrenzter Wintereingang (vgl. ders., Frühe Minnelyrik, S. 400 ). So eingängig uns die MF-Fassung mit ihrer Komplementärsetzung von winterlicher Natur/ vergangener Sommerfreude und dem Trübwerden der Augen der Sprecherin nach vergangenem Liebesglück erscheinen mag, sie ist eine neuzeitliche Herstellung und entbehrt jeglicher Bezeugung; auch kann eben keinesfalls gesagt werden, dass die Textgestalt von C unsinnig oder unverständlich wäre. Deswegen bin ich der Lesart von MFMT in diesem Punkt nicht gefolgt. 296 Im Falle von mhd. gesunt wäre für die Übersetzung freilich auch die semantische Füllung «der gesundheit förderlich, gesundheit bringend» (Lexer I, Sp. 936 f.) recht passend, gerade wenn man das Motiv des Trübwerdens der Augen nicht nur auf ein Liebesleid-bedingtes Weinen, sondern auf die Suggestion eines Älterwerdens der Sprecherin bezieht (s. unten); die Generalisierung der Bedeutungskomponente zu «heilbringend» bei G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 147 , scheint mir weniger günstig, da sie diese möglichen Bezüge wieder verschwinden lässt. 297 Für mhd. jârlanc wäre auch die Bedeutung «das ganze Jahr über» möglich, wie G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 147 , übersetzt; dies würde wiederum den Unterschied zwischen der Wechselhaftigkeit der Natur in ihrer Zyklizität des Jahreszeitengeschehens und einer möglichen Eigenzeitlichkeit bzw. Konstanz des emotionalen Befindens der minnebetroffenen Sprecherin stärker betonen. Mir jedoch scheint im Kontext des Natureingangs die Angabe jârlanc eher auf Aktualität zu zielen, was den Gegensatz zwischen den freudvoll konnotierten Naturdetails zur Stimmungslage der Sprecherin (Liebesleid) besonders hervorkehrt. Deutlich 318 III Typeneinteilung des Natureingangs meine schönen Augen trüb. Mein Geliebter, du sollst auf andere Frauen verzichten. Denn, Held, denen sollst Du fernbleiben. Als du mich zum ersten Mal erblicktest, da kam ich dir wahrlich vollkommen schön vor. Daran erinnere ich dich, geliebter Mann.] Bereits in diesem ja noch früh einzuordnenden Beispiel liegt-- und das ist mithin für die gesamte Frühgruppe kein aus dem Bild fallender Befund- - die Natureingangstopik gerade nicht in ihrer denkbar einfachsten Frorm einer bloßen Komplementärsetzung von Jahreszeitencharakter und Ich-Befindlichkeit vor 298 , sondern eben mehrfach gebrochen 299 , so dass von einer besonderen ‹Unmittelbarkeit› und ‹Naturverhaftetheit› 300 der Strophe wirklich keine Rede sein kann. Vielmehr zeigt sich die vielschichtige poetische Anwendbarkeit des Topos gerade in seiner Verschiebung auf eine weibliche Stimme, die sich peu à peu im Liedverlauf als suggestive Sprecherformation verdichtet. Somit ergibt sich eine Disparität zur- - als grammatikalische Ich-Füllung mehr und mehr konzeptuell unmöglichen, aber ja als Projektionsrahmen und übergeordnete Vermittlungsinstanz gleichwohl weiter mitlaufend imaginierten-- männlichen ‹Sängerposition›. Denn zu Beginn der Strophe ist ja für den Rezipienten, zumindest bei der ersten Begegnung mit dem Lied, noch gar nicht absehbar, ob es sich bei der den Sommereingang in Form eines Jahreszeitenpreises (vgl. V. 1 ) und anhand zweier demonstrierender Naturdetails (Vogelgesang [ 2 ], Lindenlaub [ 3 ]) realisierenden Sprecherpersona um irgendeine andere Stimme als die des dominant erwartbaren ‹Sänger›-Ichs handelt, den man letztlich auch noch im Stadium von Vers 4 , der die Angabe bringt, irgendetwas trübe sich bei dem nun präsent werden Ich ein, als Urheber der Rede imaginieren lässt. Dagegen ist gleich im nächsten Vers mit der Information, dass es die wol stênden ougen ( 5 ) des Ichs sind, die sich eingetrübt haben, ein erster irritativer Marker gesetzt, da zum einen für wol stân/ stên eine ethisierende Aufladung im Sinne ‹gut anstehen› zugunsten der auf körperliche Schönheit zielenden Bedeutungsvariante ausfällt, zum anderen eine Bezugnahme des männlichen Werbenden auf seine besondere optische Qualität («meine schönen Augen») wohl äußerst untypisch wäre. 301 Allenfalls eine mögliche Konzeptualisierung der Passage hinsichtlich einer vormals bestehenden visuellen Kompetenz der Sprecherinstanz («meine gut funktionierenden ist jedoch, dass in beiden Fällen eine adversative Lesart von ouch, die im Mittelhochdeutschen nun aber nicht undenkbar ist (vgl. Lexer II, Sp. 181 f.), unterlegt werden muss (s. auch die Übers. in G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 147 ). 298 Es sei denn, man bevorzugt die MF-Herstellung, wie es aber-- eine Ausnahme bildet Schweikle-- die einschlägigen Anthologien leider tun, s. o. 299 Vgl. das Folgende. 300 So die gängigen Zuschreibungen der (vorwiegend) älteren Forschung, s.oben, Anm. 774 . 301 Zu den verschiedenen Bedeutungskomponenten der Fügung s. u. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 319 Augen» 302 ) würde es gestatten, diese immer noch weiter als plausibel zu imaginieren, so dass sogar die Angabe der Verse 6 / 7 , das geliebte Gegenüber (mîn trût ist nicht geschlechtlich festgelegt! 303 ) solle sich von anderen Frauen fernhalten, wenn auch ungewöhnlich 304 , dennoch aber denkbar, auch dahingehend gedeutet werden, dass eine weibliche Geliebte die Gesellschaft anderer Frauen meiden solle, weil diese evtl. als Minnefeinde auftreten könnten. Mit der eindeutig auf einen männlichen Adressator zu beziehenden Anrede helt ist dann jedoch-- bei Unterstellung einer heterosexuellen Liebeskonstellation- - ein Punkt erreicht, an dem eine mögliche Imaginierung des ‹Sänger›-Ichs als Sprechinstanz ausscheidet, so dass sich der Status der Strophe als Frauenrede als alleinig sinnvolle Zuschreibungsmöglichkeit herauskristallisiert. Diese bietet nicht nur für die inhaltlichen Informationen der Verse 9 - 11 (die Sprecherinstanz ist eine einstmals- - passiv- - Erblickte, ihre Schönheit steht im Interesse und wird als wirkungsmächtig betont) die hier entscheidenden Genderzuschreibungen als kulturelle Deutungsmuster an 305 , sondern perspektiviert auch am Ende die Bitte, doch an den Moment dieser ersten Begegnung zu denken, so dass der liebe man ( 12 ) als eigentlich relevante und deutlich auf die Zuschreibung von Aktivität profilierte Handlungsinstanz zementiert wird. So erscheint die einzige Einflussmöglichkeit der weiblichen Sprecherin allenfalls auf den Bereich der (nicht einmal Sanktionen androhenden) monitiven Rede beschränkt. 306 Wenn man 302 Für stân/ stên wäre dann die Bedeutungskomponente «befinde mich, bin beschaffen, bin in einer lage» (BMZ III, S. 567 f.) zu unterlegen; auch vor dem Hintergrund einer sich ja weiblich konkretisierenden Sprecherinstanz ist diese Möglichkeit-- gerade vor dem möglichen Altersmotiv des Trübwerdens der Augen-- nicht völlig abwegig. 303 Vgl. die Angaben in Lexer II, Sp. 1550 f. 304 Einschlägig für die Frauenstrophen der Frühphase des Minnesangs ist das sog. Rivalinnenmotiv (vgl. den Komm. in I. Kasten, Deutsche Lyrik, S. 607 ), was eher nahelegt, dass die Aussage auf einen männlichen Geliebten zu beziehen ist. 305 Es sind- - wie bereits angedeutet- - die von ‹weiblicher› Passivität und Körperkreatürlichkeit (vgl. das minneclîch getân [ 11 ]) sowie ‹männlicher› Aktivität und Intellektualitätsbzw. Einordnungskompetenz (vgl. das dô dûhte ich dich [ 10 ]), die den Vorgang einer über das Sehen angeregten Liebesentstehung entscheidend, aber doch wohl im Sinne der Sprecherin und ihrer monitiven Strategie profilieren (vgl. K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 209 ); s. auch das Folgende. 306 In eine ähnliche Richtung argumentiert K. Boll, ebd.: «Die Ermahnung wird nicht negativ verstärkt, d. h. die Sprecherin droht dem Mann keine Strafe an, falls er ihr untreu werde (oder sich seine Untreue bewahrheiten sollte), sondern sie versucht im Gegenteil, ihn mittels Erinnerung an seine eigene positive Wahrnehmung, die er ihr gegenüber zu Beginn ihrer Freundschaft hegte, auf die Treue zu verpflichten.-[…] Im Vordergrund steht das Verhalten des Mannes; es entscheidet über Glück oder Unglück in der Partnerschaft. Die Frau ist dem Willen ihres Freundes ausgeliefert. Nicht sie, sondern er trägt den aktiven Part in der Beziehung». Diese Stilisierung des Geschlechterverhältnisses bildet-- das betont auch Boll-- freilich nicht die einzige Möglichkeit im weiten Spektrum an Zuschreibungen, die gerade die Frauenstrophen im frühen Minnesang eröffnen; dass die weibliche Stimme auch mit einem enormen Aktivitäts- und Dominationsgestus versehen sein kann, zeigt etwa die Strophe MF 8 , 1 des Kürenbergers, wenn man sie, wie etwa MFMT, als Frauenrede denkt, mit der Androhung: er muoz mir diu lant rûmen, ---alder ich geniete mich sîn ( 4 ). 320 III Typeneinteilung des Natureingangs nun diese Sprecherkonkretisierung auf den Beginn der Strophe zurückprojeziert, so ergibt sich auch für den Natureingang und seine Einbindung ein höchst komplexes Bild, das die kunstvolle Ambitioniertheit der Strophe mit Nachdruck unterstreicht. Denn auf den Sommerpreis und die Hervorhebung der ‹gesunden› bzw. ‹gesund machenden› Naturerscheinungen Vogelgesang und Laub der Linde realisiert die- - nun ja als weiblich imaginierte- - Ich-Instanz eine argumentative Inbezugsetzung mit ihrer emotionalen Lage, die zwar über das Muster einer kontrastiven Setzung erfolgt, wie es für das männliche Ich in der Werbungsrede im Falle des Sommereingangs ja sehr typisch ist 307 , dieses aber dennoch nicht ungebrochen reproduziert. Dieser Bezug, der sich über die Angabe jârlanc trüebent mir ouch / mîne wol stênden ougen ( 4 f.) einstellt und somit ein-- möglich wäre: aktuell virulentes oder perspektivisch-duratives 308 - - Kontrastverhältnis zwischen dem intakten und freudenstiftenden Status in der Natur und dem als leidvoll und defizitär erfahrenen persönlichen Zustand aufspannt, wird bemerkenswerterweise nicht einfach für das Ich global behauptet, sondern- - semantisch ungleich offener und unbestimmter, aber aufgrund der hohen Suggestivpotenz vielleicht noch wirkungsvoller-- über das Motiv der trüb werdenenden Augen vorgeführt. Dabei ist mit letztlicher Sicherheit wohl gar nicht zu benennen, ob mit dieser außergewöhnlichen Bildverknüpfung (Natur, Augen) eher auf ein aus Kummer bzw. Befürchtungen des liebenden Ichs sich ergebendes Weinen angespielt ist 309 , oder aber- - und dies ist aufgrund der durch die Naturthematik angeregten assoziativen Nähe zum jahreszeitenbasierten ‹times of life›-Topos 310 auch gar nicht abwegig, das Trübwerden der Augen als ein Altersmotiv eingespielt ist. Schließlich würden sich aber diese beiden imaginativen Bezüge aber auch gar nicht strikt ausschließen, wäre doch eine mögliche Anspielung auf den Kummer des Alterns und der Angst vor (jüngerer? ) Konkurrenz, die die vormals so beglückende, aber eben auch dezidiert schönheitsaffizierte Verbundenheit des Mannes zur Frau (vgl. 9 - 11 ) gefährdet, ebenso liebesthematisch verzahnt. Durch die weitere Einbeziehung des Wortes gesunt aus dem Natureingang ( 2 ) ergibt sich wiederum ein noch weitergehendes, perspektivenreiches Netz semantischer Relationierung zwischen der Gesundheit in der sommerlichen Natur bzw. einer durch sie möglichen Gesundungswirkung zur kummervollen Lage der Sprecherin. 307 Für den historischen Erstrezipienten ist in dieser Frühphase des Minnesangs eine diesbezügliche Kenntnis aus dem Überlieferungsbefund der deutschen Natureingangsstrophen selbst schwerlich beweisbar, s. die Aufstellung unten, Kap. IV; allerdings wird man eine Vertrautheit mit diesem Anbindungsmuster etwa aus der Trobadorlyrik nicht völlig ausschließen können. Zudem legt gerade die Tatsache, dass mit Meinlohs MF 14 , 1 und Dietmars MF 37 , 18 der kontrastive Sommereingang in einer seltsam gebrochenen Form erscheint, die aber letztlich mit der Kenntnis des Musters doch erkennbar spielt (s. ebd.), nahe, dass dieses wiederum als präexistenter Verständnisrahmen durchaus vermutet werden kann. 308 So ja die beiden Bedeutungsmöglichkeiten von jârlanc, s. oben. 309 Dies die gängige Interpretation der Stelle, vgl. etwa zuletzt K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 209 . 310 S. oben, Kap. III. 2 .b.ii. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 321 Denn im Falle der ersten Bedeutungsvariante (gesunt = «lebendig, gesund») wäre hier auf eine imaginative Drastik zwischen beiden Bezugsgrößen abgezielt, die auf die liebesthematische Auswertung, d. h. die Bitte der Sprecherin an den Mann, ihr weiter treu ergeben zu bleiben, eine eher pessimistisch ausfallende Erwartung projezierte. Ganz anders verhält es sich im zweiten Fall, wo durch das Abheben auf die Heilungspotenz der Natur (gesunt = «gesund machend»), die mithin zum gerade in der lateinischen Literatur weitverbreiteten Konzept einer ‹Verjüngungswirkung der Natur› in Verbindung zu setzen wäre 311 , die Möglichkeit einer Linderung der kummervollen und als altersdefizitär empfundene Lage des Ichs durch ein liebesthematisch gewünschtes Verhalten des Mannes, etwa wenn er die ausgesprochene Mahnung berücksichtigte, zumindest angedeutet wäre. Damit ergibt sich für die Strophe ein multiperspektivisches und semantisch schillerndes Spiel mit dem Muster der kontrastiven Anbindungstechnik im Falle des Sommereingangs, das die Eindeutigkeit der Inbezugsetzung von Jahreszeit und emotionaler Lage des Ichs über das hochgradig suggestivkräftige, aber in seiner konkreten Bedeutung gerade nicht starr festlegbare Motiv der trüb werdenden Augen in ein Leerstellen wie Korrespondenzen generierendes Relationsgefüge überführt, das wiederum rezeptionseitig die interpretative Auffüllung regelrecht sogartig anzuregen vermag. Dies könnte aber-- so wäre zu vermuten-- durchaus etwas mit der Annäherung der Sprecherinstanz an die Realisationsweise als Figurenrede, die sich durch die Doppelung der Stimmen in Form einer durch eine imaginativ präsente Rahmeninstanz (des Sängers) vermittelten Frauenrede andeutet, vollgültig wohl aber erst durch eine inquit-Formel hergestellt wäre, zu tun haben, die, obwohl sie hier freilich auf den dominanten Anbindungstechniken des Natureingangs aufbaut, möglicherweise noch einmal ganz neue Möglichkeiten in der poetischen Inbezugsetzung der Topik mit der Liebesthematik anregt. 312 Gleiches gilt freilich für die 311 Vgl. ebd. 312 Die Möglichkeit einer rein inhaltlichen Festschreibung von Frauenrede ohne inquit-Formel begegnet wiederum als eine Variante auch innerhalb der Sommerlieder Neidharts, in denen wirklich alle ästhetischen Potenziale und Techniken der Inszenierung von weiblichen Stimmen im Minnesang ausgeschöpft sind, man vgl. etwa SL 23 / R 53 , in dem in der R-Fassung, die ich nicht als hinsichtlich der Strophenfolge zwingend gestört ansetze (vgl. dazu A. K. Bleuler, Überlieferungskritik und Poetologie, S. 210 - 221 , mit der Einschätzung einer Kompilation aus mehreren Fassungen), narrative Einschaltungen einer übergeordneten Instanz für den Beginn des Frauendialogs (Str. R I-III) fehlen, so dass sich die Str. I und II über die Verse R II, 5 f.: swenne ich disen sumer an dem reyen / mit einem hobschen ritter gan und die dagegen gesetzte Anrede eines To e hterlin in R III, 1 als ein in Frauenrede der maget erfolgender Natureingang verstehen lassen. Ja erst in dessen zweiten, nach einer kaum anders denn als zwischengeschobene Sängerrede konzeptualisierbaren Passage (R IVf.) gesetzten Teil findet sich eine derartige Rahmung (Vers R VI, 1 : Do sprach ein magt: «di wı e sen wellen touwen-…»), während sie in der C-Fassung überhaupt nicht zu finden ist; hier ist die betreffende Stelle bezeichnenderweise im Kontext eines weiter direkt realisierten und nicht narrativ vermittelten Dialogs formuliert, in dem die Sprecherpositionen nur über inhaltliche Informationen (wie Anreden etc.) zu identifizieren sind: «Můter, es wil an den wisen do u wen- …» (C V, 1 ; beide Hervorhebungen von mir, D.E). 322 III Typeneinteilung des Natureingangs hier bereits angesprochene erste Möglichkeit einer dezidierten quasi-narratorischen Festlegung der Sprecherinstanz als weiblich durch inquit-Einschübe, wie besonders der Blick auf die Neidhartschen Sommerlieder zeigen wird. Denn in diesem Typus tritt nicht nur genau jene Doppelung der Stimmen von übergeordneter Erählerfiguration (des ‹Sängers›) und weiblicher Figurenrede exponiert zu Tage 313 , die offensichtlich gewisse Freiräume in der argumentativen Zuordnung von Naturbzw. Jahreszeitenmotivik und liebesthematischer Aussagenordnung öffnet, sondern es werden auch noch einmal grundsätzlich erweiterte Interpretationspotenziale in die imaginative Auslotung der eigentlichen Zuordnung von ‹Redeursprüngen› miteingebracht. Diese umfassen dann nämlich nicht nur die definitive Festschreibung von Sprecherpositionen (das wäre ja gewissermaßen eine Reduktion von Komplexität), sondern sind, wie sich zeigen wird, auch genauso auf das Spiel mit der Verunsicherung solcher Identifizierungen hin anwendbar. Weil nun aber dadurch der Blick auf die Techniken solcher Erwartungslenkungen hinsichtlich von Sprecherzuordnungen, ja deren ‹Gemachtheit› überhaupt hingeführt wird, gelingt es wiederum über den Topos des Natureingangs und seine Auswertung hinsichtlich einer Suggestion von Sprecherinstanzen, eine poetologische Metaebene von ‹Sang› einzuziehen. Dies soll im Folgenden wiederum ein Beispiel demonstrieren. Bereits Thomas Cramer hat im Zusammenhang mit dem kunstvollen Spiel Neidharts mit der suggestiven Festschreibung von Sprecherpositionen auf das Beispiel von SL 9 ( SNE I, R 9 ) verwiesen 314 , dessen Natureingang wie folgt lautet: Neidhart, SL 9 ( SNE I, R 9 ), Fassung R 315 : I. Sumer, wis enphangen, von mir hundert tousent stunt. swaz hercz wunt was den winder langen, die sin geheilet und ir not zergangen, ledichlichen vri von allen twangen. 313 Vgl. dazu etwa S. Obermaier, Der Sänger und seine Rezipientin, S. 47 . 314 Vgl. T. Cramer, Was ist und woran erkennt man eine Frauenstrophe? , S. 21 f. 315 Der hier abgedruckte Text folgt der R-Fassung von SNE I, S. 90 , jedoch wiederum ohne die dort gesetzten Anführungsstriche, um keine Entscheidung bezüglich der Zuweisung von Sprecherpositionen vorwegzunehmen. Die Hervorhebung in IV, 5 ist von mir, D. E., vorgenommen. Für die Übersetzung vgl. S. Beyschlag (Hg.), Die Lieder Neidharts, S. 76 f. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 323 II . Du chumst lobelichen aber der waerlt in elliu lant. von dir verswant armen unde richen ir trouren, do der winter mu e s entwichen. iungen, sult iuch aber z’den vrouden strichen. III . Der walt hat sine chrame gein dem mayen uf geslagen. ich hoer sagen, vroud bernde same der si da veil mit voller hant. hohgemuter, solhes choufes rame 316 [.] 316 IV . Da ist vur trouren veile manger hande voglin sanch. ir suzzen chlanch ich ze minem teile wil dingen, daz er mine wunden heile, also sprach ein altiu in ir gæile. [I. Sommer, du sollst empfangen sein von mir hunderttausend Mal! Welche Herzen auch immer wund waren den langen Winter über, die mögen jetzt geheilt sein und ihre Qual beendet, völlig befreit von allen Zwängen. II . Du kommst für die Welt rühmenswert zurück in alle Länder. 316 Die Handschrift R setzt reine statt rame, das die neuzeitlichen Herausgeber aufgrund des Reimes konjizieren (vgl. SNE III, S. 49 ). Nimmt man die überlieferte Textgestalt ernst, so lässt dies für mich nur die folgende Bedeutung zu: «Frohgestimmter, von solchem Kauf lass Regen niedergehen! » (reinen als kontrahiertes regenen; dieses Verb begegnet im Mhd. nicht nur in unpersönlicher Konstruktion, vgl. Lexer II, Sp. 374 f., und BMZ II, S. 611 ), was die sexuellen Konnotationen der Stelle noch deutlicher unterstreichen würde. Denn dass im Falle des durch den Wald dargebotenen vroud bernde same (III, 4 )-- selbst bei basalem Verständnis als Pflanzensamen, die nun in der frühlingshaften Natur in Masse zum Aufsprießen vorhanden sind-- auf eine Sphäre kosmischer Fruchtbarkeit abgezielt wird, kann nicht bezweifelt werden; ja selbst hier ist diese Konzeptualisierung jederzeit in eine Alludierung der menschlich-sexualisierten Sphäre des männlichen Samens hin imaginativ überspielbar (vgl. sâme im Kontext menschlicher Fortpflanzung [vgl. Lexer II, Sp. 591 - 593 , sowie BMZ III, S. 25 f.]). Wenn man dazu nun noch eine Nutzung von Regenmetaphorik unterstellt, spielte dies dann unvekennbar auf die von hieros gamos-Vorstellungen flankierte Fluiditätsbildlichkeit an, wie sie etwa in der mlat. Lyrik begegnet, und die in diesem sexualisierten Sinne ganz deutlich profiliert ist (s. oben, Kap. III. 2 .b.ii). 324 III Typeneinteilung des Natureingangs Deinetwegen zerrann Elenden und Mächtigen ihre Traurigkeit, als der Winter im Begriff war zu entfliehen. Junge Leute, ihr sollt euch wieder zur Freude herausputzen! III . Der Wald hat seine Verkaufsstände auf den Mai hin aufgeschlagen. Ich höre, dass man sagt, freudebringendes Saatgut werde dort zum Kauf angeboten in großer Zahl. Frohgestimmter, um einen solchen Kauf bemühe dich! IV . Dort ist gegen das Traurigsein erhältlich vielerlei Gesang der Vögelchen. Ihr süßes Tönen will ich zu meinem Besitz käuflich erwerben, damit es meine Wunden heilen mag, so sprach eine Alte in ihrem Übermut.] Auffällig an diesem breit, nämlich über vier Strophen ausgefalteten Natureingang, der nach einem Preis des Sommers wegen seiner wonnenstiftenden Potenz (I/ II), die in einem genretypischen Freudenaufruf an die Jungen gipfelt (vgl. II , 6 ), besonders den jahreszeiten geprägten Zustand des Waldes ( III ) und den nun zu hörenden Vogelgesang ( IV ) hervorhebt, ist zunächst, dass er dafür die- - gerade im Natureingang ungewöhnliche-- ökonomische Bildsphäre von Kauf und Verkauf einsetzt: Der Wald wird als Kaufmann imaginiert 317 , der seine chrame ( III , 1 ) aufgebaut hat, und freudenversprechendes ‹Saatgut› feilbietet ( III , 4 f.), worauf das (noch näher zu bestimmende) Text-Ich zu solchem chouf auffordert ( III , 6 ) 318 und für sich-- mit juridisch präzisen Begrifflichkeiten-- ankündigt, den dort ebenfalls im Angebot stehenden Vogelgesang zum eigenen Besitz einzukaufen (vgl. das ze minem teile dingen in IV , 4 f.). 319 Allerdings kann-- trotz dieser irritativen metaphorischen Prägung-- nicht gesagt werden, dass dies bereits vor der Inquit-Formel von Vers IV , 6 nennenswerte Auswirkungen auf eine suggestive Festschreibung des Sprechers als disparat zum ja erwartungsmäßig dominanten männlichen ‹Sänger-Ich› zeitigte; ihn wird man-- nicht notgedrungen, aber den Konventionen entsprechend naheliegend-- noch bis zum Ende der vierten Strophe als ‹Ursprungsinstanz› der Rede imaginieren wol- 317 Vgl. A. Bleuler, Überlieferungskritik und Poetologie, S. 86 . 318 An wen sich diese Aufforderung mit der Anrede hochgemuter (III, 6 ) überhaupt richtet, wird noch zu klären sein, s. u. 319 Vgl. die in diesem Sinne beigebrachten Belege der einschlägigen Wörterbücher für teil (Lexer II, Sp. 1414 f.; sowie BMZ IV, S. 19 - 22 , mit Angabe der Rechtsformel weder teil noch gemeinde haben) und dingen, das in Erweiterung und Ableitung von seinem direkt in der Rechtssphäre zu verortenden Bedeutungskern (‹gerichtlich unterhandeln›) ja auch ‹abkaufen› meinen kann (Lexer I, Sp. 437 f.). 2 Diskussion ausgewählter Parameter 325 len. 320 Denn selbst die Anrede hohgemuter in Vers III , 6 als ein möglicher Anhaltspunkt für die Konzeptualisierung eines liebesthematischen, männlichen Gegenübers ist in diesem Fall nicht so spezifisch zugespitzt, als dass die naheliegende Lesart einer generalisiert zu verstehenden Apostrophe im Sinne «ein jeder, der hochgemuot ist, soll sich um solchen Kauf bemühen», will heißen: sich quasi jahreszeitenadäquat mit Liebesdingen beschäftigen, bereits suspendiert wäre. 321 Und gerade auch noch mit der in der vierten Strophe, also noch kurz vor der pointenhaften Auflösung des Sprecherstatus, erfolgenden Ankündigung des Ichs, für sich den Vogelgesang erwerben zu wollen ( IV , 3 - 5 ), was schwerlich anders konzeptualisiert werden kann, als der Wunsch, sich in die sexuell aufgeladene Natursphäre zu begeben, um dort Liebeserfüllung zu finden, wird durch die Angabe einer erwarteten Heilung der Wunden ( IV , 5 ) der traditionelle Werbungsliedtopos der Minnewunde im Herzen aktualisiert, so dass die mögliche männliche Identifizierung des Sprechers eher noch einmal bestätigt, denn in Zweifel gezogen wird. Umso überraschender fällt dann in der Tat die von einer nun als ‹Sänger-Narrator› zu denkenden Stimme vorgenommene Festlegung der für das Vorherige geltenden 322 Redeinstanz als weiblich aus, genauer gesagt als diu altiu des Neidhartschen Sommerliedes (also sprach ein altiu in ir gæile [ IV , 6 ]), die dabei entweder als Minnefeindin ihrer Tochter oder-- wie hier-- selbst vom jahreszeiten-, aber eigentlich nicht altersadäquaten 323 Liebesbegehren einge- 320 Vgl. dazu auch T. Cramer, Was ist und woran erkennt man eine Frauenstrophe? , S. 21 f.: «An dieser Stelle [d. i. Vers IV, 6 , D. E.] schlägt das Gedicht buchstäblich um. Die Pointe ginge ins Leere, wäre dem zeitgenössischen Rezipienten, sei es Hörer oder Leser, durch sprachliche Charakteristika im Vorneherein erkennbar gewesen, daß es sich nicht um einen neutralen bzw. mit einem männlichen Autor konnotierten Natureingang-[…] handelt». 321 Schließlich ist, wenn wir die hergestellte Gleichheit des Reimklanges durch die Konjektur rame (s. o.) als berechtigtes Unterfangen ernst nehmen wollen, eine imperativische Anrede im Plural aufgrund eben jener Identität des Reimklanges nicht möglich. Andererseits wäre zu überlegen, ob nun die handschriftliche Lesart reine derartig irritative, auf die Auslebung von Sexualität mit einem konkreten Gegenüber zielende Signale aussendet, dass sich an der obigen Diagnose etwas änderte. Dies scheint mir jedoch insofern nicht oder allenfalls nur graduell verschoben der Fall zu sein, als neben der personalisierten Anrede eines hohgemuoten als potenziellen Liebespartners, der von solchem Kauf Regen niedergehen lassen soll, immer noch die an alle Hochgestimmten gerichtete Aufforderung, solches zu tun, d. i. sich in der Liebe zu betätigen, denkbar wäre. 322 Das deiktisch gesetzte also (IV, 6 ), das im Grunde ja auch auf ein Nachstehendes beziehbar wäre («Folgendermaßen sprach-…»), scheint mir für SL 9 schon deutlich auf das Vorausgehende zu verweisen, da es am Ende der Strophe gesetzt ist und Str. V nur über einen präteritalen Erzählerkommentar (V, 1 f.) und eine durch differierende inquit-Formel (ein stolziu magt / sprach [V, 3 f.]) eingeleitete direkte Redepartie (V, 3 - 6 ) verfügt. 323 Zwar kennt die mlat. Liebeslyrik für die schöne Jahreszeit neben dem Konzept einer für die Jugend und ihr Liebesstreben prioritären Saison die positiv gewertete Zuschreibung an die schöne Jahreszeit, dass diese alle wieder jung macht (s. dazu oben, Kap. III. 2 .b.ii), jedoch kann nicht geleugnet werden, dass für die Neidhart-Figur der Alten, die dann im Sommer vor erotischem Begehren hoh alsam ein kicz enbor springt (SL 1 / SNE I: C Str. 210 - 212 , I, 2 ) und von ihrer Tochter nicht zur Raison gebracht werden kann, eine komische Desavouierung und Bloßstellung verzeichnet werden muss, die diese als Negativfolie der Lächerlichkeit preisgibt; dies gilt aber freilich ebenso für das teils vor Naivität strotzende, aber unbezwingbare 326 III Typeneinteilung des Natureingangs nommen profiliert sein kann. 324 Damit wird freilich zumindest die letzte Äußerung des Ichs, dieses erwarte sich vom Vogelgesang Heilung seiner Wunden (IV, 3 - 5 ), von der (unbestimmten) ‹Sängerrede› zur definierten Figurenrede 325 , und damit vom höfisch konnotierten Werbungsliedregister ins Burlesk-Obszöne einer Genreszene transferiert, so dass die ‹Minnewunde im Herzen› auf die sexuelle Bedürftigkeit der liebeshungrigen Alten umgedeutet und komisiert erscheint. 326 Dies bedeutet nun aber auch, dass die entscheidende argumentatorische Anbindungspartie der Liebesthematik an die Natureingangstopik gerade nicht dem männlichen ‹Sänger›- Ich als suggestiver ‹Ursprungsinstanz› zufällt, sondern einer von ihm lediglich perspektivierend ‹wiedergegebenen› Figur, so dass jene Passage (erst einmal) auf deren emotionalen Innenraum verweist. 327 Dabei scheint sich wiederum zu bewahrheiten, was sich schon für die Technik der inhaltlichen Einschreibung von Frauenrede angedeutet hat, nämlich dass die Figurenrede bzw. ihr ähnlich gelagerte Sprecherfestlegungen ein neues, noch erweitertes Spektrum an argumentativen Auswertungsmöglichkeiten der Topik bereitstellt, das auf den Mustern der dominanten Liebestreben der Jungen in der umgekehrten Konstellation. In beiden Fällen pflanzt sich somit letztlich eine misogyne Zuschreibungstradition für die Frau und ihr erotisches Begehren fort, die zwar nicht die Eindeutigkeit und Damnationspräzision des moraltheologischen Diskurses besitzt, dennoch aber als Verständnisrahmen mitschwingt. Für die Klärung dieses Aspektes in einer sehr hilfreichen Diskussion bin ich neben Ursula Peters vor allem Susanne Bürkle, von deren Anregungen überhaupt meine Ausführungen zum Bereich der Frauenrede im Minnesang (und nicht nur hierzu) in entscheidendem Maße profitiert haben, zu großem Dank verpflichtet. 324 Stellvertretend für die an dieser Stelle denkbaren Literaturbelege sei hier auf den grundlegenden Aufsatz von Ruh, Kurt: Neidharts Lieder, in: Studien zur deutschen Literatur und Sprache des Mittelalters. Fs. Hugo Moser zum 65 . Geb., hg. von Werner Besch u. a., Berlin 1974 , S. 151 - 168 ; wieder in: Neidhart, hg. von Horst Brunner, Darmstadt 1986 (WdF 556 ), S. 251 - 273 , darin bes. S. 257 - 261 , der- - bei allen möglichen Einwänden im Einzelnen und dem teils doch zu plakativen Zuschnitt, ja der gerade für das Sommerlied viel zu direkten Ableitung aus dem Werbungslied (vgl. die Kritik von Bleuler, s. o. Kap.-I. 2 , Anm. 102 )-- immer noch ein hohes Maß an systematischer Klarheit aufweist und sich in anerkennenswerter Weise um eine basale literaturimmanente Beschreibung bemüht. 325 So setzt beispielsweise die SNE I, S. 90 , die Anführungszeichen zur Kennzeichnung der Frauenrede und steckt damit allenfalls einen minimalen Geltungsbereich der inquit-Formel von IV, 6 ab; dagegen platziert die ATB-Ausgabe die Anführungszeichen schon zu Beginn der Strophe III (vgl. S. 10 f.), S. Beyschlag (Hg.), Die Lieder Neidharts, S. 76 f., sogar schon ganz zu Beginn des Liedes. 326 Dies wird in den folgenden Strophen noch breit ausgesponnen (s. die nachstehende Anm.), bezeichnenderweise immer wieder unter Zuhilfenahme eine durch das Werbungsliedregister vorgeprägten, ‹höfisch› codierten Begriffsarsenals, das aus dem Mund der Alten dann komisch gebrochen wirkt, vgl. etwa die sendiu not (VI, 3 ), die durch den goldenen strale (VI, 1 ), den ihr die Minne ins herze schoz-[…] ze einem male (VI, 6 ) verursacht worden sei, so dass sie dick in trouren wachen (VII, 6 ) müsse. 327 Damit ist jedoch nicht gemeint, dass diese Figur auf einer poetologischen Metaebene nicht als Projektion dieser ‹Sänger-Narrator›-Instanz erkennbar und damit als ein durch sie Hervorgebrachtes und auf sie Zurückverweisendes transparent wäre; SL 9 führt dies ja in sogar recht deutlicher Weise vor (s. unten). 2 Diskussion ausgewählter Parameter 327 Einbindungsweisen für das männliche Ich des Werbungsliedes aufruht, aber diese in stets liedcharakteristischer Weise-- z. B. über das Herausgreifen bestimmter Motive-- modifiziert. Denn dies ist auch im Fall von SL 19 zu bemerken, ist doch die Passage der Verse IV , 3 - 5 eine auf die Figur der Alten verschobene Anwendung des Schemas einer implizit-kontrastiven Inbezugsetzung von Sommereingang und persönlicher Liebesthematik, die das Motiv des Vogelgesangs herausgreift und über die Kaufmetaphorik als auf die (unmittelbare) Zukunft gerichtete Ankündigung der Alten zu zur Saison sich komplementär verhaltender Freude (vgl. das ich-[…] wil dingen [ IV , 4 f.]) umsetzt, die aktuell jedoch noch nicht für sie vorherrscht (ihre Wunden sollen dadurch erst geheilt werden; vgl. IV , 5 ). Damit ist im Lied freilich eine Realisationsweise der Topik gewählt, die zwar auf die zugrundeliegende typologische Schematik des Werbungsliedes verweist, allerdings aber auch aus deren engeren Rahmen hinausführt. 328 Mit der überraschenden Ausweisung einer übermütigen Alten als einer für das Vorherige plötzlich relevant vorgestellten Sprecherfigur ergibt sich jedoch ein weiteres Problem: Denn es kann vom Rezipienten gar nicht angegeben werden, seit wann eigentlich genau der zuvor entfaltete Natureingang als Frauenrede zu denken ist. Nun ist zwar beispielsweise die Imperativsetzung von Vers III, 6 , ein hohgemuter soll den-- unschwer als Sexualmetapher erkennbaren-- ‹Kauf› anbahnen, auch als direkte Aufforderung der Alten an ein konkretes männliches Gegenüber zum Liebesakt konzeptualisierbar, genauso wie der ‹Freudenaufruf an die Jungen› von Vers II , 6 nun als Versuch der-- letztlich ‹unpassend› zu denkenden-- Solidarisierung mit der eigentlich von der schönen Jahreszeit angesprochenen Klientel gewertet werden 328 Weitere Beispiele für diese die Frauenrede im Sommerlied Neidhartscher Prägung betreffende Diagnose sind etwa SL 20 / SNE I, R 48 , das die komplementäre Inbezugsetzung von Jahreszeit und emotionaler Lage des Ichs aus dem Werbungslied (Sommer-- Freude des Ichs) über extensive Freudensprünge eines Mädchens entscheidend neu perspektiviert, da diese erkennbar auf das unbändige Liebesverlangen desselben gemünzt sind (Sprach ein magt: «ich wil si [die maere des maye, vgl. III, 5 f.; D. E.] gerne horen, / im ze lop den minen lip mit manigen sprunge enporen. / ich han erwelt mir einen sprunch, / swer den chan, der ist lange iunch. / so ich den hohe springe, so vreut sich min gedinge [R 48 , IV, 1 - 6 ; Hervorhebungen-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.]) und SL 25 / SNE I: R 58 , wo im Falle einer weibliche Figur namens Wendelmut die kontrastive Anbindungstechnik des Natureingangs im Werbungslied (Sommer- - Kummer des Ichs) durch Bezugnahme auf die Tanzthematik und das Motiv der versteckten Kleider aufgegriffen und modifiziert ist: «Vro sint diu vogelin geschræyet, / nu belib ich aber ungereiet», / sprach Wendelmu e t. / «golczen, risen unde hu e t / hat ˂min˃ æide / verspart mir ze læide« (R 58 , II, 1 - 6 ). Es gibt aber auch recht intrikate Fälle wie beispielsweise SL 19 / SNE I: R 25 , dessen Anbindungsrealisation in Frauenrede erkennbar auf der Basisdichotomie von ‹komplementär vs. kontrastiv› im männlichen Werbungslied aufruht, diese einerseits aber in eine räumliche Dimension und andererseits, wie SL 9 oben, auf die Zukunft projeziert, allerdings ohne dass über die derzeitige emotionale Stimmung der Sprecherin ganz klare Aussagen gemacht werden (suggestiv ist sie wohl eher freudvoll-positiv, da die Tochter den Vorgang des über das genaue Ansehen verdeutlichten Verliebens in einen Ritter hervorhebt): «Ich wil dar / stolzlichen springen an der schar.», sprach ein magt, «unverwendichlichen / mich ze vröiden strichen. / ich han, deist ane lougen, / einen ritter tougen / angesehen mit bæiden minen ougen» (R 25 , III, 1 - 7 ). 328 III Typeneinteilung des Natureingangs kann. 329 Ja es ist sogar möglich, den gesamten vierstrophigen Natureingang als von der Alten gesprochen zu imaginieren, so dass diese eben mit dem Sommerpreis der ersten Strophe einsetzt und sich eine möglicherweise vorgestellte ‹Sänger-Narrator›- Partie im Nachhinein als desavouierte Illusion erwiese und de facto erst mit der inquit-Formel von IV , 6 erreicht wäre. Allerdings ist das wiederum nicht derart zwingend, wie dies etwa die Beyschlag-Edition durch ihre Interpungierung 330 oder Thomas Cramer, der für die gesamten vier Strophen von einer «Natureingangsrede aus dem Munde einer Frau» 331 spricht, suggerieren. Denn genauso plausibel ist es, zumindest einen ersten Teil des Natureingangs als vom ‹Sänger-Narrator›-Ich gesprochen zu denken, wodurch sich dann wiederum eine gewisse Rahmung des Frauendialogs in SL 9 ergäbe, da dieses männlich konnotierte Ich sich ja am Ende des Liedes noch einmal überraschend einschaltet-- für die Sommerlieder insgesamt kein typischer Vorgang- - und das narrativ eingeholte Fazit der präterital eingefassten Gesprächszene ( VIII , 1 - 3 ) auf die eigene, subjektiv-präsentische Minnesituation anwendet ( VIII , 4 - 6 ). Aber letztlich kann, wie bereits angedeutet, für den Liedeingang der Verse I, 1 bis IV , 2 eine definitive Festlegung der Redeanteile von ‹Sänger›-Ich und Alter überhaupt nicht erfolgen, so dass sich für die Partie ein insgesamt statual schwebender Charakter ergibt, der von der Forschung für viele Natureingänge des Neidhartschen Sommerliedes als kennzeichnend herausgestellt worden ist. 332 Nimmt 329 Dies ist vor dem Hintergrund des weiteren Liedverlaufs gar nicht unplausibel, einem Dialog der Alten mit einer Jungen, die sich sozusagen ‹angesprochen› fühlt, und ebenfalls von der Minnekrankheit betroffen zu sein scheint. Sie ist jener als stolziu magt (V, 4 ) ebenfalls mit inquit-Rahmung beigeordnet (vgl. V, 3 f.), zeigt sich interessiert an erczenie gegen dieses Leid (V, 6 ) und befragt die Alte eingehend nach deren ‹Minnewunde› (vgl. VII, 1 f.: «Sag von welchen sachen / chom, daz dich diu minne schoz? »), so dass sie am Ende gut nachvollziehen kann, dass die Alte nun nach vrouden strebt (vgl. VIII, 1 - 3 ). Eine besondere Schlusspointe liegt darin, dass sich an dieser Stelle wieder das ‹Sänger-Narrator›-Ich einschaltet und sich ebenfalls als unglücklich Liebender präsentiert, der sich auch gerne um solche Freuden bemühen würde, davon aber leider aufgrund von seinem Liebeskummer und Misserfolg im Bemühen um herzeliebe als ausgeschlossen inszeniert (vgl. VIII, 4 - 6 ). Ob damit freilich nun tatsächlich gegenüber dem Begehren der Frauen in der Genreszene eine Aufwertung des ‹höfischen›, männlichen Liebeswerbens vollzogen wird, oder aber vielmehr dessen ironische Bloßstellung als ineffizient und larmoyant angesichts einer suggestiv ‹unkomplizierten› Liebeserfüllung in einer Sphäre kreatürlicher Natur-und Jahreszeitenlust angedeutet ist (denn: ‹wollen› würde das männliche Ich ja schon! ), wäre mithin zu diskutieren. 330 S.o. 331 T. Cramer, Was ist und woran erkennt man eine Frauenstrophe? , S. 22 . 332 Vgl. vor allem J.-D. Müller, Männliche Stimme- - weibliche Stimme. Höchst bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Vorgang einer Spiegelung dieser Verfahrensweise in WL 7 (SNE I: R 30 ), in dem genau der umgekehrte Fall realisiert ist, nämlich dass der Natureingang als dezidierte Figurenrede einer weiblichen Sprecherin beginnt (vgl. R I, 1 f.: «Owe mir dirre not», / sprach ein wip, der sumer wil zergan-…»), dann aber nicht genau zu bestimmen ist, ab wann die Sängerrede eigentlich eingesetzt hat. Denn theoretisch ist dies zum einen schon seit Vers I, 3 als Konzeptualisierungsvariante denkbar (schließlich weißt das Ich mit dem Grauwerden des Haares auf einen gängigen Werbungsliedtopos hin! ), zum anderen ist die Vorstellung einer weiblichen Sprecherin im Grunde bis zum Einsetzen der Figurenrede einer weiteren weiblichen, nun dezidiert als Mutter eingeführten Figur (III, 5 ), die ihre Tochter vor 2 Diskussion ausgewählter Parameter 329 man lediglich an, dass es für die rezeptionsseitige Konzeptualisierung nahezuliegen scheint, den Natureingang im prozessualen Liedverlauf zunächst imaginativ dem männlichen ‹Sänger›-Ich als Sprecher zuzuweisen, wobei diese Annahme durch die inquit-Formel von Vers IV , 6 insofern irritativ gestört wird, als sie sich plötzlich zumindest partiell als falsch herausstellt, und zudem gar nicht sicher angegeben werden kann, ab wann genau die nun von der ‹Sänger›-Instanz im Nachhinein propagierte, ja geradezu blitzhaft ‹erzeugte› Figurenrede eigentlich begonnen hat, so wird man gar nicht mehr recht davon reden können, dass deren inquit-Narrativik noch tatsächlich eine die Sprecherzuweisung regulierende und festigende Wirkung hat. Im Gegenteil: Es wird die vom Rezipienten wohl doch zunächst präferierte Sprecherzuweisung an das männliche ‹Sänger›-Ich, die fast über den gesamten Verlauf des vierstrophigen Natureingangs ja ‹funktioniert›, nicht nur durch die überraschende Festlegung der Sprecherinstanz als eine weibliche Figur gestört, sondern sie erweist sich auch insofern als hochgradig brüchig, als im Nachhinein für den Leser/ Hörer nicht mehr anzugeben ist, ob so eine Sängerrede im Liedanfang überhaupt angenommen werden soll, bis wohin sie sich dann möglicherweise erstreckt haben mag, und ab wann sicher davon auszugehen ist, dass die Figurenrede der Alten diese ablöst. Dies bedeutet aber auch, dass wiederum die Frauenrede selbst in einen heiklen Status von Geltungsunsicherheit gerät, da mithin nicht klar benannt werden kann, wo sie eigentlich begonnen haben dürfte; vielmehr wird in Vers IV , 6 den Annäherungsversuchen der Männer beschützen will, nicht als unplausibel abzuweisen. Denn selbst in dieser präterital-narrativ durch Ich-Rede gerahmten Tanzszenerie (vgl. R III, 1 - 4 ), die als Hintergrund des sich entspinnenden Mutter-Tochter-Dialog eingeführt ist, ist-- obwohl dies durchaus denkbar ist-- diese vorherige Sprecherinstanz nicht zwingend als das männliche Sänger-Ich zu identifizieren, das sich etwa der Tochter ungebührlich durch rûnen genähert habe (vgl. die Anwürfe der Mutter in Vv. III, 5 - 8 ), da es sich bei dieser Belästigerinstanz eben-- zumindest in der R-Fassung-- sehr wohl auch noch immer um eine weibliche Figur handeln könnte, die nun als Kupplerin charakterisiert wird: Auch sie könnte beim Tanz natürlich mit den Mädchen rûnen, eben um sie zur Liebe zu überreden, ja in diesem Fall würde sich auch die-- allerdings nur in R so formulierte-- Aufforderung der Mutter, «aller man / lat si vri, die weil ich lebendich bin» (III, 9 f.) gut erklären lassen (ATB, S. 75 , und Beyschlag, S. 140 , ändern konsequent nach C, deren Lesart lautet: «aller man / gat si fri»; vgl. daneben noch c: «alter man / ist si frej»; c hatte aber mit Vers III, 8 schimpfen statt rounen/ runen sowieso schon deutlichere Signale im Sinne eines männlichen Übergriffs gesetzt). Wenn man aber nun die mögliche Konzeptualisierungsvariante einer Belästigung der Tochter durch eine Kupplerin im Rezeptionsakt favorisierte, so bedeutete dies, dass die männliche Ich-Stimme des ‹Sängers› nach seinem kurzen narrativen Inquit-Einschub in I, 2 erst wieder in der Nachtragsstrophe R N/ V- - so man denn dieser in den neuzeitlichen Editionen einschlägig hergestellten Strophenreihung folgen will (vgl. dazu die Angaben in SNE III, S. 110 )- - als alleinige Sprechinstanz vernehmbar wird, wenn nun wiederum aus einer dazu verschobenen Retrospektive von einem gescheiterten Annäherungsversuch durch ein männliches Ich berichtet wird: Si hat sich min erwert. / wie rehte chaum si daz hat getan! / si zeiget mir den wolves zant / da si vil eben saz (R N/ V, 1 - 3 ). Dies ist wiederum suggestiv auf die beschwichtigende Aussage der Tochter gegenüber der Mutter rückbeziehbar, sie wolle sich durchaus einem bestimmten Mann versagen, da dieser sie nicht nur optisch abstoße (vgl. IV, 4 f.), sondern sie seinetwegen auch schon Gewalt erlitten habe (vgl. IV, 6 f.). 330 III Typeneinteilung des Natureingangs durch die Formelhaftigkeit der inquit-Wendung über also und die Bezugnahme auf die prototypische Zeichnung der Sommerlied-Alten als in ir gæile, die auch noch perfekt in den Dreifachreim der Strophenbauform passt, das poetische Verfahren selbst ausgestellt, Sprecheridentitäten im Nachhinein umzuinterpretieren, sowie dadurch potentielle Werbungsliedaussagen in genrespezifische Figurenrede ‹umzupflanzen› und komisierend zu brechen. Dies öffnet nun wiederum den Blick auf die ‹Gemachtheit› von Erwartungslenkungen bzw. deren Destruktion im Spiel mit den Identifizierungsversuchen des Rezipienten, die disparaten, aber oft nur wenig ausgezeichneten Stimmen im Minnesang über eine Konzeptualisierung ihres imaginativen ‹Ursprungs› zu ordnen. Denn dabei kann der Text sich als zuverlässig herausstellende Hinweise geben oder aber täuschende Signale setzen, die sich später als Finte erweisen; am intrikatesten für jede auf Eindeutigkeit zielende Typologie, gleichwohl aber ästhetisch besonders perspektivenreich ist es, wenn er uns völlig im Unklaren über plausible Sprecherzuweisungen bestimmter Partien lässt, so dass sie sowohl einem männlichen, als auch einem weiblichen Ich zugeordnet werden könnten. Während in Neidharts SL 9 zumindest für die Anbindungspartie eine relativ gesicherte Sprecheridentifizierung (die der Alten) anzunehmen ist, gibt es auf dem Gebiet des Natureingangs aber auch Beispiele, wo selbst diese liedfunktional so entscheidende Passage nicht eindeutig auf die anzunehmende Sprecherposition hin verdichtet werden kann. Darin trifft sich nun der hier noch weiter zu vertiefende Aspekt möglicher Mehrfachzuweisung von Sprecherpositionen, der die mit diesem Kriterium für die typologische Binnendifferenzierung der Topik eben auch verbundenen Aporien deutlich vor Augen führt, übrigens wiederum mit den Überlegungen der Frauenlied-Forschung. Thomas Cramer hat nämlich in seinem bereits mehrfach angesprochenen Aufsatz zu den Frauenstrophen im Minnesang darauf hingewiesen, dass solche ‹neutralen› oder ‹androgynen› 333 Strophen schon seit der Frühphase des Minnesangs, und also nicht etwa erst seit Neidhart, begegnen und durchaus als kunstvolles Mittel zur Erzielung von Mehrfachcodiertheit eingesetzt sein können, so dass sich bei der Rezeption die möglichen Interpretationsspielräume von Liedern noch einmal weiter öffnen. 334 Gerade anhand des Natureingangs lässt sich ein solches Spiel mit der Sprecherzuweisung sogar trefflich inszenieren. Ich zitiere hier stellvertretend wiederum ein instruktives Beispiel aus dem Dietmar-Œuvre, nämlich Lied MF 39 , 30 335 : 333 Vgl. T. Cramer: Was ist und woran erkennt man eine Frauenstrophe? , S. 24 . Zur jüngst von Boll geäußerten Kritik an diesen Begriffsprägungen s. unten. 334 Vgl. T. Cramer: Was ist und woran erkennt man eine Frauenstrophe? , S. 22 - 24 . 335 Zu den m. E. eigentlich längst einmal abzustreifenden, aber ja forschungsgeschichtlich relevanten Fragen der Liedeinheit und Strophenfolge, die stets mit bestimmten Annahmen über die Gattungszugehörigkeit des Liedes im Spannungsfeld von Wechsel, Dialog und Frauenmonolog einhergegangen sind, vgl. K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 233 f., die in Anm. 148 - - mit Köhler, Jens: Der Wechsel. Textstruktur und Funktion einer mittelhochdeutschen Liedgattung, Heidelberg 1997 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte), S. 109 -- für die drei 2 Diskussion ausgewählter Parameter 331 Dietmar von Eist, MF 39 , 30 : Urloup hât des sumers brehen 336 I. C 35 Urloup hât des sumers brehen, der wol was ze ruome, swaz mir leides ist geschehen, sît ich des êrsten bluomen Under einer grüenen linden vlaht. der winter und sîn langiu naht diu ergetzent uns der besten zît, swâ man bî liebe lange lît. II . C 36 ‹Wir hân die winterlangen naht mit vröiden wol enpfangen, ich und ein ritter wol geslaht. sîn wille der ist ergangen. Als wirz nu beide hân gedâht, sô hât erz an ein ende brâht mit maniger vröide und liebes vil. er ist, als in mîn herze wil.› III . C 37 Ich solde zürnen, hulfe ez iet, daz dû als lange waere. dô ich aller naehest von dir schiet, sît hât ich grôze swaere. Betwungen war daz herze mîn, nû wil ez aber mit vröiden sîn. habe ich dich gerne niht gesehen, sô müeze leide mir geschehen. [I. Abschied nimmt der Glanz des Sommers, der wirklich rühmenswert war, was auch immer mir an Leid geschehen ist, nachdem ich zum ersten Mal Blumen unter einer grünen Linde geflochten habe. Der Winter und seine lange Nacht machen für uns die schönste Jahreszeit wett, immer wenn man bei der Liebe lange liegenbleibt. Strophen völlig zu recht auf das hohe Maß an reim- und wortresponsorischer Vernetztheit verweist; s. für die Übersetzung auch G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 154 f. 336 Ich habe im Folgenden für die Strophe I und III völlig auf eine Kennzeichnung durch Anführungsstriche verzichtet, um die beiden prinzipiell möglichen Varianten von männlicher und weiblicher Sprecherinstanz offen zu halten; allenfalls Strophe II habe ich-- unter Anwendung der oben erläuterten Basisannahmen (Angabe des Liebespartners als ritter bzw. er)-- als Frauenrede ausgezeichnet. Das Fehlen einer solchen Markierung für die anderen beiden Strophen meint somit nicht, dass diese zwingend als Mannesstrophen zu denken sind! 332 III Typeneinteilung des Natureingangs II . «Wir haben die lange Nacht des Winters voll Freude gut empfangen, ich und ein wohlgearteter Ritter. Sein Wille hat sich erfüllt. Wie wir es da beide angestrebt hatten, so hat er es zu einem Ende gebracht mit großer Freude und viel Liebe. Er ist so, wie ihn mein Herz wünscht.» III . Ich müsste zornig sein, wenn es etwas helfen würde, dass du so weit entfernt warst. Seitdem ich zuletzt Abschied nahm, hatte ich großen Kummer. Bedrückt war mein Herz, nun will es wieder freudvoll sein. Wenn ich dich nicht gerne gesehen habe, so solle mir Leid geschehen.] Im Falle dieses dreistrophigen Liedes hat es nämlich mehrere differierende Zuweisungen der Sprecherposition(en) durch die neuzeitlichen Editoren gegeben, die- - bis auf die Identifizierung der zweiten Strophe als Frauenrede- - bisweilen beträchtlich von einander abweichen. So suggeriert MFMT etwa eine Lesart der ersten Strophe als männliche Rede, dadurch dass dort zur Wortbedeutung von liep/ liebe (I, 8 ) allein auf die Kennzeichnung einer weiblichen Person (=die Geliebte) verwiesen wird, nicht aber das generelle Abstraktum (die Liebe, Freude) 337 , während die dritte Strophe in zwei Redepartien aufgeteilt ist, von denen die erste, nämlich Vv. III , 1 f., der Frau zugewiesen (einfache Anführungsstriche) ist und die längere zweite der Vv. III, 3 - 8 einem männlichen Ich (nun: doppelte Anführungsstriche zur Anzeige eines ‹Dialogs› der Liebenden). 338 Ganz anders dagegen Schweikle: Er interpretiert das gesamte Lied als Frauenrede, wobei allerdings aufgrund der in jeder Strophe neu gesetzten einfachen Anführungsstriche wohl angezeigt werden soll, dass die einzelnen Strophen auch jeweils andere Sprechsituationen aufweisen; so jedenfalls scheint mir der Hinweis auf die «drei Stationen eines Liebesverhältnisses», die das Lied entwerfe (I: Hoffnung auf winterliche Liebesfreude, II : Erfüllung dieses Wunsches im Winter, III : erneute Hoffnung) zu verstehen zu sein. 339 Dabei werden nun aber beide Lesarten 340 dem Lied insofern nicht gerecht, als sie zum einen mit me- 337 Vgl. MFMT I, S. 67 . 338 S. ebd.; ein entschiedenes, in vielen Festlegungen aber wiederum nur wenig zwingendes Plädoyer für eben diese Zuweisung der Sprecherpositionen findet sich jüngst wieder in: K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 235 - 240 . 339 Vgl. und Zitat entnommen aus: G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 405 . 340 Zu ihnen wäre als dritte Möglichkeit auch noch die ältere Variante seit Lachmann hinzuzunehmen, der nur im Falle der ersten Strophe von einem männlichen Ich ausging, für die zweite und dritte Strophe aber Frauenrede annahm (MFL wie oben angegeben). Dagegen stellt Carl von Kraus die beiden Strophen II und III zur inhaltlichen Harmonisierung um, vgl. dazu die Anm. in MFMT I, S. 67 , und den Komm. in G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 405 . 2 Diskussion ausgewählter Parameter 333 thodisch fragwürdigen inhaltlichen Geschlechterzuschreibungen operieren, die eher der Neuzeit zugerechnet werden müssen, als dass sie für den historischen Kontext abzusichern wären 341 , zum anderen aber die spannungsreiche Komplexität, die mir das Lied durch bewusstes Offenhalten der Sprecherpositionen aufzubauen scheint, zugunsten eines bestimmten, jeweils favorisierten Verständnisses entscheidend zu reduzieren suchen: Für Günther Schweikle ist das, wie bereits angemerkt die Vorstellung eines dreistufigen Frauenliedes, das drei paradigmatische Stadien einer Beziehung festhält 342 , während Katharina Boll die ebenfalls harmonisierende, ja fast banalisierende Lesart eines Beziehungstreites dagegen setzt 343 : Der freudigen Erwartung des Winters durch den Mann (I), auf die eine Vergegenwärtigung vergangener, winterlicher Liebesfreuden durch die Frau ( II ) folgt, die daraus einen Vorwurf an den Mann wegen seines langen Ausbleibens ableitet ( III , 1 f.). Ferner seien daraufhin die Vv. III , 3 - 8 als eine Verteidigung des Mannes zu lesen, wobei aus ihr nicht klar ersichtlich werde, ob die Anwürfe der Frau vielleicht nicht doch stichhaltig seien: «Letztendlich kann der Ritter den Vorwurf der Dame nicht entkräften. Die letzten beiden Verse sind m. E. weniger als eine Beteuerung des Ritters zu verstehen, sein Fernbleiben sei nicht auf einen Sinneswandel seinerseits zurückzuführen-[…]; vielmehr spricht sich hier eine trotzige Abwehrhaltung aus» 344 . Damit diene Lied MF 39 , 30 letztlich einer «Stabilisierung des männlichen Rollenbildes, das die Frau in ihrer monologischen Rede entwirft: Ihre Freude speist sich aus der völligen Unterordnung unter den Willen des Mannes» 345 . Einmal abgesehen davon, dass es wenig 341 So kritisiert K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 235 f., zu Recht die in diesem Sinne äußerst problematische Auffassung von G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 405 , das in I, 4 f. angesprochene ‹Kranzflechten›, wobei- - so Boll in Anm. 158 - - von einem Kranz im Text strenggenommen nichts steht, weise eher auf eine weibliche Sprecherinstanz hin, als wenig stichhaltig. Vor diesem Hintergrund scheinen mir dann die Ausführungen von Boll zum aus der Verwendung des mhd. Verbs scheiden angeblich zwingend abzuleitenden Status der Verse III, 3 - 8 als Mannesrede höchst verwunderlich (vgl. dies., Alsô redete ein vrowe schoene, S. 236 f.), hatte angesichts solcher Festlegungen doch schon Carl von Kraus süffisant gefragt: «Aber warum soll die Frau nicht ebenso gut scheiden? » (MFU III. 1 , S. 100 , Anm 1 .). Zudem erübrigt sich m. E. die Debatte darüber, ob scheiden im Sinne von ‹Abschied nehmen› als Handeln einer Frau schwer vorstellbar ist, ja in der Frauenrede des Minnesangs allenfalls im Sinne von ‹die Partnerschaft beenden› zu denken sei (vgl. K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 236 f. mit Anm. 167 ), mit Blick auf MF 16 , 23 des Burggraf von Regensburg, wo es-- wenn auch nominalisiert- - in einer Frauenstrophe heißt: ‹- […] swenne ich dar an gedenke,- - - daz ich sô güetlîchen lac, / verholne an sînem arme,- - - des tuot mir senede wê. / von im ist ein als unsenftez scheiden, - - - des mac sich mîn herze wol entstên› ( 2 - 4 ; Hervorhebung von mir, D. E.). Schließlich wird man zu bedenken geben müssen, dass eine vorschnelle Zuschreibung einer Geschlechterkonzeption, die die Frau auf duldende Passivität und den Mann auf «aktives Handeln» verpflichtet (vgl. und Zitat entnommen: ebd., S. 236 ), eher neuzeitliche Verdichtungen eines Geschlechterverhältnisses reproduzieren mag, wo sich der mittelalterliche Text unter Umständen durchaus als flexibler erweist. 342 Vgl. G. Schweikle, Minnelyrik, S. 405 f., s. o. 343 Vgl. hier und für das Folgende K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 237 - 240 . 344 Ebd., S. 239 . 345 Ebd. 334 III Typeneinteilung des Natureingangs einleuchtet, warum diese Diagnose nun ausgerechnet als Etablierungsbemühung um die Männerrolle romanischer Provenienz gewertet werden soll 346 , wäre eben doch zu fragen, ob sich diese Zuspitzung nicht entscheidend zu eng erweist, wenn man die Sprecherzuweisungen, die ja keineswegs so fest stehen, wie suggeriert, nur geringfügig verschiebt. Denn es spricht ja gar nichts dagegen, die Verse III , 1 f. wiederum als wechselhaft arrangierte Korrespondenzpassage des männlichen Ichs zu verstehen; gerade die Brechung der bereits irrealisierten Aussage ich solde zürnen durch den konditional-konjunktivischen Einschubung hulfe ez iet würde zudem sehr gut ins Werbungsliedregister passen. Dann aber wäre es auf einmal der Mann, der sich als an der langen Trennung (passiv) leidend darstellt, was durchaus auf die unglücklich erlebte Sommerzeit der Eingangsstrophe rückbezüglich wäre, während seine Partnerin, nimmt man die Partie der Verse III , 3 - 8 nicht als direkte Antwort der Frau, sondern als weiter fortgeführte Rede des männlichen Ichs an, 347 vielleicht über diese schwere Zeit sogar ‹besser› hinweg gekommen ist, da sie sich mit der positiven Erinnerung an die Liebeserfüllung im Winter (Str. II ) zu trösten versteht. Genauso ist es natürlich möglich, wenn man an einem Wechsel der Sprecherposition in Vers III , 3 partout festhalten möchte, die darauf folgende Passage als Frauenrede zu imaginieren, die dadurch eine Gemeinsamkeit mit dem Leiden des Mannes an der Trennung bekundete und-- geradewegs tröstend-- auf die nun wieder anstehenden Winterfreuden und die Aufrichtigkeit ihrer Zuneigung verwiese. Grundsätzlich wäre drittens ebenso denkbar, dass die Frau als Sprecherin der gesamten dritten Strophe vorgestellt wird, die so den in Strophe II retrospektiv präsent gemachten Winterfreuden vergangener Zeit zunächst in der Tat ein durch dessen Ausbleiben in der Gegenwart fehlendes Liebesglück gegenüberstellt, das sie dann aber für überwunden erklärt (vgl. das Betwungen was dar herze mîn / nû wil es aber mit vröiden sîn [ III , 5 f.]), als man sich nun wiedergesehen hat, was die Sprecherin völlig ihren Kummer vergessen hat lassen (so ein präsentisches Verständnis von III , 7 f.). Aber es gibt noch eine weitere raffinierte Lesart für die letzte Strophe, die-- bei monologischer Rede-- für ein männliches wie ein weibliches Ich funktionierte, nämlich die Deutung, dass der jeweils von Sehnsuchtsleid betroffene Sprecher, offensichtlich weil er das lange Ausbleiben des Gegenübers als selbst durch das konkrete Wiedersehen nicht mehr übertünchbare ‹Hinhaltetaktik› deutet 348 , diese Zeit der grôzen swaere (III, 4 ) jetzt bewusst beenden will, und die winterlangen Nächte-- so kann der 346 Vgl. ebd., S. 240 . 347 Ich kann die Disparatheit der Stimmen zwischen den beiden Partien von III jedenfalls nicht als derart stark empfinden, als dass von einer zwingenden «Dialogstruktur» (ebd., S. 237 ) der Passage die Rede sein könnte; zu erinnern ist auch an die Setzung bei Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 154 f., als kohärente Frauenstrophe, die in diesem Sinne ebenso schlüssig ist. 348 Im Falle einer Mannesrede der dritten Strophe wäre dieser Vorwurf für den Rezipienten zudem als ungerechtfertigt charakterisiert, da durch die Suggestion der Frauenstrophe, diese habe den Winter ebenso genossen, die Vorstellung, ein anderes, vielleicht äußeres Hindernis, von dem der Mann nur nichts weiß, habe die Trennung verursacht, naheliegt. Dies zeigt m. E. in paradigmatischer Weise, welches kaum abschließbare Imaginationspotenzial das dreistro- 2 Diskussion ausgewählter Parameter 335 Rezipient mutmaßen-- mit einem neuen Partner endlich wieder zu genießen plant (auch das ließe ja die Äußerung III , 5 f. als Unterlegung zu! ). Dann wäre wiederum die Beteuerung von III , 7 f.- - und das wäre noch eine besondere Pointe- - als die dem ehemaligen Partner noch quasi als Seitenhieb mit auf den Weg gegebene und unverhohlen doppelbödige Zusicherung zu verstehen, dass das Ich sich aber über die Begegnung jetzt schon gefreut habe-- heute würde man wohl ergänzen: man könne ja noch Freunde bleiben. 349 Freilich wird nicht jeder alle diese Varianten gleich plausibel finden, aber ganz auszuschließen dürften sie jeweils nicht sein. Ja es ist nicht einmal ganz sicher, ob das schon alle Möglichkeiten der imaginativen Ausfüllung des Liedes gewesen sind, aber das ist vielleicht auch gar nicht so entscheidend. Denn worauf es mir an dieser Stelle ankommt, ist die Diagnose, dass wir es bei Lied MF 39 , 30 offensichtlich mit einem Lied zu tun haben, das einzig in seiner Mittelpartie eine relativ gefestigte Sprecherposition aufweist, jedoch in seinen beiden Außenstrophen diese geradezu verweigert, was gerade in der Schlussstrophe zu einer enormen Bandbreite von imaginierbaren Sprecherzuschreibungen führt, die zu nahezu unbegrenzten Konzeptualisierungsmöglichkeiten für die zugrundeliegende Paarsituation führt. Doch wie sieht dies nun für die Anfangsstrophe aus, was kann über sie und die ihr eigene Nutzung des Natureingangs ausgesagt werden? Jedenfalls scheint sie mir eine bedeutsamere Funktion im Liedzusammenhang zu erfüllen, als es Katharina Boll beschreibt, die die Strophe, die sie aufgrund des Zusammenfallens von vortragendem Sänger und internen Sprecher-Ich in der Aufführungssituation als Mannesstrophe fundiert, allein zur Etablierung einer positiven Wertung des Winters beim Rezipienten und somit als inhaltliche Vorbereitung der folgenden Redepartien eingesetzt sieht. 350 Vielmehr ist es doch so, dass über den ebenfalls hinsichtlich seiner Sprecherinstanz nicht eindeutig festgelegten Natureingang die Technik einer Verunklarung der Redezuweisungen zur Erzielung von Mehrfachbedeutungen überhaupt erst für das Lied eingezogen wird, so dass gerade-- nach einer täuschenden Phase stabiler Sprecheridentifizierung in Strophe II , die somit den einzigen Fixpunkt einer jeden deutenden Auffüllung durch den Rezipienten bildet-- dieser in der dritten Strophe bereits vorgewarnt ist, dass Sprecherformationen jederzeit wieder brüchig werden können, und sich so bereit finden mag, sich dann auf ein durchspielendes Erproben verschiedener Konzeptualisierungsmöglichkeiten wieder einzulassen. Und es ist schon richtig, dass man bei der prozessualen Liedrezeption zunächst das männliche ‹Sänger›-Ich als ‹Redeursprung› des Natureingangs von Strophe I als plausibel annehmen wird, jedoch ist mit Erreichen von Strophe II eine Irritation feststehend geglaubter Sprecheridentitäten erreicht, die der ambitionierphige Lied gerade durch seine fehlenden Sprechermarkierungen im Rezipienten kaleidoskopartig zu entfalten vermag. 349 Insofern liegt also Boll schon nicht ganz falsch, wenn sie an eine Ungebrochenheit der Aussage von III, 7 f. nicht recht glauben mag, s. o. 350 Vgl. K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 237 . 336 III Typeneinteilung des Natureingangs ten Verunsicherungstechnik Neidharts nur wenig nachsteht. Denn durch die überraschende Profilierung der ja erst einmal nicht unbedingt als disparat wahrgenommenen Ich-Instanz als weiblich in II , 3 fragt sich der Rezipient im Rückblick schon, ob die zuvor erfolgte Redepartie der Strophe I nun tatsächlich als dem männlichen Ich zugehörig zu denken ist, wie er es wohl vorher angenommen hat, oder nicht vielmehr auch oder gerade als Frauenrede Sinn machen dürfte. Da er aber dort nun weder in die eine noch in die andere Richtung wirklich Ausschließlichkeit garantierende Signale gesetzt sieht, wird er schon hier mit dem Problem von potenzieller Mehrfachzuweisung der Sprecheridentität vertraut gemacht, und damit mit einem Deutungsspielraum, den er-- nach der in diesem Sinne eindeutigeren Markiertheit der zweiten Strophe-- am Schluss des Liedes problemlos reaktivieren und zur Untermauerung, aber auch der irritativen Befragung der verschiedenen Sinnauffüllungen heranziehen kann. So ist die Aussage des Ichs, der (wohl gerade noch präsent zu denkende) Sommer habe sich trotz eines vielversprechenden Anfangs als eine Zeit des Leides erwiesen (vgl. I, 1 - 3 ), auf den nun kommenden Winter hin hege es, wie es im Grunde für alle möglich ist (vgl. I, 7 f.) 351 , wegen der langen Nächte Hoffnung auf Liebeserfüllung, wenn sie als vom Mann gesprochen imaginiert wird, im Nachhinein als eine Bestätigung von dessen aufrichtiger Liebe und einem Leiden an der Trennungssituation zu werten (s. oben), während die Partie als weibliche Ich-Rede gedacht die freudvolle Bereitschaft der Sprecherin zum gemeinsamen Ausleben von Sexualität 352 , der für sie den Intensivpunkt erfüllter Liebe darstellt 353 , demonstriert, da sie für die Winternächte wieder herstellen will, was sie- - möglicherweise in einem vergangenen Winter-- an Liebesvergnügen erlebt hat. Damit sind wir aber an einem Punkt angelangt, wo im Sinne einer auf Eindeutigkeit zielenden typologischen Einteilung nicht mehr gesagt werden kann, wo der Natureingang mit seiner offenbar kontrastiven Setzung von Sommer und Ich-Leid (gedoppelt durch die erhoffte Winterfreude) nun bezüglich seiner Sprechinstanz eigentlich eingeordnet werden soll. Ja diese prinzipielle Unsicherheit bezüglich der 351 Das suggeriert zumindest der generalisierende Charakter des swâ-Satzes (I, 8 ), weswegen mit dem uns in Vers I, 7 aber m. E. trotzdem nicht zwingend das Publikumskollektiv angesprochen sein muss (vgl. K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 237 ), sondern immer noch auf eine für das Ich bestehende Paargemeinschaft gelten kann. 352 Die Forschung hat die diesbezüglichen Konnotationen des Blumenflechtmotivs bereits trefflich herausgearbeitet, s. ebd., S. 235 f. 353 Dies wird in Strophe II breit ausagiert, indem aus der Sicht der Sprecherin mehrfach darauf verwiesen wird, dass sich im Liebesakt der Wille von Mann und Frau erfüllt, wobei freilich schon eine aktivere Rolle des Mannes eingeschrieben bleibt (vgl. sîn wille der ist ergân [II, 4 ]; Als wirz nu beide hân gedâht, / sô hât erz an ein ende brâht [II, 5 f.], und: er ist, als in mîn herze wil [II, 8 ]; Hervorhebungen von mir, D. E.). Ob darüber hinaus für das Lied etwas gewonnen ist, wenn man diesen Entwurf von Gemeinsamkeit in der Liebe als Zwang der Unterwerfung der Frau unter den Willen des Mannes und damit eine die tatsächlichen Machtverhältnisse überdeckende Männerphantasie ‹entlarvt›, bin ich mir nicht ganz sicher; gerade die letzte Strophe lässt m. E. Geschlechterkonzeptualisierungen zu, die dem entgegenstünden (s. oben). 2 Diskussion ausgewählter Parameter 337 trennscharfen Unterscheidung in diesem Punkt ist für unsere Thematik eine viel radikalere, als vielleicht gedacht. Denn es ist-- so hat Thomas Cramer zu bedenken gegeben-- gerade die «geschlechtsneutrale Sprache» 354 mancher Liedstrophen, will heißen das Fehlen genderkategoriell eindeutig fixierbarer liebesthematischer Aussagen, das neben der Absenz einschlägiger inquit-Festschreibungen für diese Einziehung von potenzieller Multiperspektivität sorgt, was nun aber gerade für Realisationen des Natureingangs-Topos, vor allem wenn sie diesen eher objektivnarrativiert ausagieren, im Grunde der Normalfall ist. 355 Wenn man nun also methodisch ganz strikt verfahren wollte, so müsste man tatsächlich für eine Vielzahl von Werbungsliedern von einem ‹androgynen› Natureingang ausgehen, der- - gerade dort, wo keine explizite Anbindungsrelation zwischen dem Eingangstopos und der Liebesthematik hergestellt ist- - im Grunde stets auch als von einer Frau gesprochen imaginierbar wäre. Auch wenn das vielleicht dann doch etwas weit führen würde, ist dieser Einwand gegen eine allzu dichotomische Konzeptualisierung des Kriteriums der Sprecherposition grundsätzlich schwerwiegend und bei der typologischen Aufstellung, die also wiederum nicht als absolut verstanden werden kann, zumindest als Fußnote zu berücksichtigen. Man wird jedoch, so scheint es mir, bei Fällen, wo keine anderweitigen Signale im Liedkontext wie etwa später tatsächlich eingelöste Frauenstrophen gesetzt sind (s. oben Dietmars MF 39 , 30 ), schon von einer Dominanz der männlichen Stimme bei der rezeptionsseitigen Konzeptualisierung solcher Natureingänge ausgehen können. Damit ist allerdings nicht gemeint, dass Cramers perspektivenreichen Überlegungen, die zu Recht zur Einbeziehung von möglichen Mehrfachzuschreibungen hinsichtlich der Sprecherinstanz in die Liedinterpretation auffordern, in irgendeinem Punkt die prinzipielle Geltung abzusprechen wäre. 356 Das heißt nun aber, dass sich die Frage, was für ein Ich ist es, das in 354 T. Cramer: Was ist und woran erkennt man eine Frauenstrophe? , S. 23 . 355 Man vgl. in dieser Hinsicht nur einmal den als paradigmatisches Demonstrationsbeispiel oben besprochenen Natureingang der ebenfalls Dietmar zugeschriebenen Strophe MF 33 , 15 (s. Kap. II. 1 .), die bei genauem Hinsehen ebenfalls als prinzipiell ‹androgyn› einzuordnen wäre (s. auch den Anhang bei Cramer, ebd., S. 31 ). 356 So jüngst K. Boll, Alsô redete ein vrowe schoene, S. 21 f., die vor allem historischen Belege für mögliche Mehrfachzuweisungen der Sprecherinstanz einklagt (wie sollten diese aussehen? ) und Anstoß am Terminus der Androgynität nimmt, da dieser suggeriere, es habe im Mittelalter Vorstellungen eines ‹dritten› Geschlechts gegeben (damit operiert Cramer ja nun überhaupt nicht! ), und auf ein feministisches Modewort der 1980 er-Jahre zurückgreife, das mit fragwürdigen, weil ahistorischen Vorstellungen einer ‹Ähnlichkeit› der Gechlechter operiere. Ich will in letztem Punkt hier keinem Modernismus für das Mittelalter das Wort reden, aber der Einwand der Ahistorizität trifft in gewisser Weise als Universalverdikt für im Grunde fast unsere gesamte literaturwissenschaftliche Kategoriebildung zu. Auch ist zu fragen, ob mit dem Ausschluss von Vorstellungen, die dem Mittelalter zumindest eine gewisse Fluidität im Geschlechterverhältnis zubilligen, wovon ja etwa dessen vielfältige und eben nicht immer deckungsgleiche diskurs- und texttypenspezifische Ausfaltungen durchaus zeugen, nicht auch wieder an einem Mittelalter-Bild gearbeitet wird, das dieses gegenüber den ‹Errungenschaften› der Neuzeit als das Radikal-Differente abzukapseln sucht. den Liedern eigentlich spricht, sich auch für den Natureingang in entscheidender Weise stellt. 2 Diskussion ausgewählter Parameter 339 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven 1 Saisonalität als kulturelles Ordnungsmuster Wenn hier im Folgenden die obigen Überlegungen zur funktionalen Einordnung des Natureingangs in das tektonische Gefüge des Werbungsliedes nun noch in einem breiteren Gesamtzusammenhang- - d. i. die Frage ihrer Vernetzbarkeit mit Überlegungen, die in der Altgermanistik der letzten beiden Jahrzehnte unter dem Stichwort einer ‹kulturwissenschaftlichen Öffnung› des Faches firmiert haben 1 -- diskutiert werden sollen, so bedarf dies mithin in mehrfacher Hinsicht einer Rechtfertigung. Denn zum einen mag diese Zielsetzung vor dem Hintergrund verwundern, dass der Stern des Labels ‹Kulturwissenschaft/ Kulturtheorie›, der zunächst einmal nicht ungeteilt, dafür aber teils emphatisch begrüßt 2 -- und durchaus im Zusammenhang mit der hochschulpolitischen Prämisse einer Neupositionierung der Geisteswissenschaften propagiert wurde 3 --, sich bereits nach etwas mehr als einem Jahrzehnt in einem derartig eklatanten Sinkflug zu befinden scheint, dass man den Gebrauch 1 Dabei nehme ich verschiedene Aspekte, die in meiner Darstellung an verstreuter Stelle angesprochen worden sind und dort noch nicht vollständig in ihrer Bedeutung für eine solche übergeordnete Perspektivierung des Verständnisses des Natureingangs im Minnesang zur Geltung gekommen sein mögen, wieder auf und versuche, sie unter dieser Prämisse zusammenzuführen. Eine ausführliche Beschäftigung mit den jüngst von Kablitz, Andreas: Kunst des Möglichen. Theorie der Literatur, Freiburg i.Br. u.a. 2013 (Rombach Wissenschaften. Reihe Litterae 190 ), vorgebrachten Einwänden gegen eine solche Öffnung und überhaupt die Begründung von Literaturtheorie aus etwas anderem als dem genuinen Gegenstand der literarischen Texte heraus, erfolgt demnächst an anderer Stelle (vgl. D. Eder, Diskurstechniken literarischer Rede als Kunst der Möglichkeiten. Kulturwissenschaftliche Überlegungen zum Natureingang im Minnesang). 2 Paradigmatisch eingefangen in der-- immer noch anregend zu lesenden-- Debatte zwischen Walter Haug und Gerhart von Graevenitz, die in Form von Darlegung, Erwiderung und Gegenerwiderung 1999 in der DVjs erschien (vgl. Haug, Walter: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft? , in: ebd., S. 69 - 93 ; Graevenitz, Gerhart von: Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaften. Eine Erwiderung, in: ebd., S. 94 - 115 , sowie Haug, Walter: Erwiderung auf die Erwiderung, in: ebd., S. 116 - 121 ). 3 Vgl. nur die auf Anregung des Wissenschaftsrates und der Westdeutschen Rektorenkonferenz entstandene Denkschrift: Frühwald, Wolfgang u. a.: Geisteswissenschaften heute. Eine Denkschrift, Frankfurt a. M. 1991 (stw 973 ), dort etwa die Formulierung im Kapitel II: «Die Paradigmatik der Geisteswissenschaften im Dialog der Disziplinen» (von Hans Robert Jauss), in: ebd., S. 45 - 72 , hier S. 71 : «Es sprechen gute Gründe dafür (wie bei der Befragung der Einzelfächer mehrfach angeregt wurde), bei der fälligen Neuorientierung der Geisteswissenschaften von ihrer modernen Bestimmung als Kulturwissenschaften auszugehen. ‹Kultur› kann dann nicht länger nur das Teilgebiet einer Lebenssphäre (neben Politik, Recht, Ökonomie, Religion) meinen, sondern muss auf das kulturelle Ganze, ‹auf Kultur als Inbegriff der menschlichen Arbeit und Lebensformen, naturwissenschaftliche und andere Entwicklungen eingeschlossen›, erweitert werden» (das inkludierte Zitat von Mittelstraß findet sich auch im Kapitel I: «Die Geisteswissenschaften im System der Wissenschaft» [von Jürgen Mittelstraß], in: ebd., S. 15 - 44 , hier S. 41 ). Somit zeigt sich auch die Tragweite eines Projekts, das nicht nur die Gräben zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften zu überwinden sucht, sondern gerade auch auf das gesellschaftliche Ansehensdefizit gegenüber den Naturwissenschaften zu reagieren und sich in dieser Hinsicht zu positionieren hat. 342 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven dieser Termini fast vermeiden möchte, jedoch zumindest entschuldigend begründen muss. 4 Dazu ist erst einmal ganz grundsätzlich zu sagen, dass nun mit Sicherheit aufgrund bestimmter Fehlentwicklungen, die den berühmten Einspruch Walter Haugs mit seiner Warnung vor krudem Methodenpluralismus 5 bzw. «anythinggoes-Eklektizismus» 6 , der Vernachlässigung des eigenen Gegenstands (Stichwort «Selbstpreisgabe» 7 ) sowie der über ahistorische Allegorese erreichten Reduktion literarischer Texte auf den Status von Dokumenten kulturgeschichtlicher Modelle 8 zu bestätigen scheinen, nicht gleich einem letztlich gar nicht unbedingt unbegründeten Begriffsparadigma 9 und dessen- - in seinen verschiedenen Ausfaltungen ja ganz disparaten- - Umsetzungen in Bausch und Bogen die Berechtigung abgesprochen werden muss, so dass wichtige Ergebnisse der (durchaus kontroversen) Forschungsdiskussion der letzten Jahre wieder im Sande zu verlaufen drohen. 10 Allerdings 4 So konzediert Jan-Dirk Müller beispielsweise im Vorwort seiner 2010 als Sammelband herausgegeben, vielfältigen und ja unbestritten immens verdienstvollen Aufsätze mit kulturwissenschaftlicher Perspektivierung, dass das Thema dieses Bandes «Mediävistische Kulturwissenschaft» nun-- beim Erscheinungszeitpunkt-- fast schon nicht mehr zeitgemäß klinge, da «das kulturwissenschaftliche Paradigma bereits wieder zu verblassen beginnt, ohne dass erkennbar wäre, wohin sich nach den vielen turns in der zweiten Hälfte des 20 . Jahrhunderts der Wind diesmal drehen wird» (ders., Vorwort, in: Mediävistische Kulturwissenschaft, S. Vf., hier S. V). Fast noch drastischer liest sich die Diagnose von Ursula Peters, die die diesbezügliche Entwicklung unseres Faches ja von Anfang an mit grundlegenden Aufsätzen nicht immer ohne Einsprüche, aber stets konstruktiv begleitet hat, in einem im selben Jahr publizierten Aufsatz: «Der kulturwissenschaftlich ausgerichteten literarhistorischen Forschung bläst-- nach euphorischen theoretischen Positionsbestimmungen und programmatischen Fallstudien um die Jahrtausendwende- - inzwischen der Wind ins Gesicht. Dies zeigt sich im ungewöhnlich scharfen Ton von Besprechungen einschlägiger Arbeiten und Sammelbände (im Feuilleton wie in Fachzeitschriften), wo im Gestus von Abwehr und Fassungslosigkeit erbarmungslos die handwerklichen Abgründe bestimmter kulturwissenschaftlicher Themen- und Fragestellungen aufgespießt werden» (dies., Postkoloniale Mediävistik? Überlegungen zu einer kulturwissenschaftlichen Spielart der Mittelalter-Philologie, in: Scientia Poetica 14 ( 2010 ), S. 205 - 237 , hier S. 205 ). 5 Vgl. etwa W. Haug, Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft? , S. 85 . 6 So die schöne Formulierung in der Entgegnung durch G. von Graevenitz, Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaften, S. 102 . 7 W. Haug, Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft? , S. 73 . 8 Vgl. ebd., S. 74 - 77 . 9 Vgl. dazu die einleuchtenden Bemerkungen zu den historischen Implikationen der Begrifflichkeiten von ‹Geistes-› bzw. ‹Kulturwissenschaft› bei G. von Graevenitz, Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaften, S. 95 - 98 . 10 In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass sich nun gerade eine zentrale Befürchtung Walter Haugs, eine kulturwissenschaftlich orientierte Literaturwissenschaft laufe Gefahr, den «Sonderstatus der Literatur» im textuellen Geflecht kultureller Äußerungen zum Verschwinden zu bringen (W. Haug, Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft? , S. 86 ), gar nicht unbedingt bewahrheitet hat; denn gerade der Blick auf Textsorten anderer Ausrichtung scheint das Bewusstsein dafür geschärft zu haben, dass Literatur selbst da, wo sie sich kultureller Deutungsmuster aus anderen Diskursformationen bedient, diese nicht einfach in ihren Geltungsansprüchen übernimmt, sondern sie in gewisser Weise ‹sperrig› werden lässt. Somit ergibt sich mehr und mehr das Bild, dass literarische Texte offensichtlich nicht 1 Saisonalität als kulturelles Ordnungsmuster 343 sollte umgekehrt eine solche ‹kulturwissenschaftliche Perspektivierung› wiederum mehr sein, als nur ein eindrucksvoll klingendes Label für eine (per se ja allein schon sinnvolle! ) interdisziplinäre Vernetzung der geisteswissenschaftlichen, oder auch nur mediävistischen Teildisziplinen; denn schließlich gilt es hierbei, von literaturwissenschaftlicher Seite aus die untersuchten Texte in die Pluralität der vielfältigen symbolischen Kommunikationsformen einer ‹Gesellschaft› 11 einzuordnen 12 , die diseinfach nach denselben Regeln ‹funktionieren› wie andere Texttypen kultureller Bedeutungsgenerierung (vgl. dafür- - als ein Beispiel, das sich mit der mhd. Lyrik beschäftigt- - den in dieser Hinsicht ertragreichen Aufsatz von Peters, Ursula: Neidharts Dörperwelt. Mittelalter- Philologie zwischen Gesellschaftsgeschichte und Kulturanthropologie, in: Nach der Sozialgeschichte. Konzepte für eine Literaturwissenschaft zwischen Historischer Anthropologie, Kulturgeschichte und Medientheorie, hg. von Martin Huber und Gerhard Lauer, Tübingen 2000 , S. 445 - 460 ; eine erweiterte Fassung erschien als: dies., Text und Kontext: Die Mittelalter-Philologie zwischen Gesellschaftsgeschichte und Kulturanthropologie, Wiesbaden 2000 [Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 365 ]; wieder in: dies., Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft, S. 301 - 334 ). Andererseits ist aber auch darauf hinzuweisen, dass gerade eine sich kulturwissenschaftlich öffnende Altgermanistik auch immer wieder wichtige Impulse aus Nachbardisziplinen erhalten hat, die den Blick auf ihren eigenen Gegenstand noch einmal immens schärfen. Ein recht frühes Beispiel dafür, allerdings aus einem anderen Bereich, wäre etwa die kulturtheoretisch auswertbare «Iwein»-Analyse Ludgera Vogts (dies.: Ehre in traditionellen und modernen Gesellschaften. Eine soziologische Analyse des ‹Imaginären› am Beispiel zweier literarischer Texte, in: Ehre. Archaische Momente in der Moderne, hg. von ders. und Arnold Zingerle, Frankfurt a. M. 1994 [stw 1121 ], S. 291 - 314 ), die für Hartmanns Text Bourdieus Konzept des ‹symbolischen Kapitals› fruchtbar zu machen sucht, wobei ihr insgesamt mithin sicherlich keine literaturwissenschaftlichen Ansprüchen genügende «Iwein»-Interpretation gelingt. Andererseits-- und eben diesen Hinweis verdanke ich Udo Friedrich- - hat der Aufsatz das Bewusstsein der Forschung für die zahlreichen Ebenen im «Iwein», die ökonomische Mechanismen aufgreifen und thematisieren, überhaupt erst entstehen lassen. 11 Dass selbst ‹Gesellschaft› nicht als vorgeordnete, substanziell verdichtete Entität zu denken ist, die in bestimmten Zeugnissen, Artefakten oder Diskursen ihren Niederschlag findet bzw. sie erklären hilft, sondern ebenfalls erst interaktiv durch unzählige Vernetzungsprozesse zwischen den einzelnen Akteuren hergestellt werden muss, hat Bruno Latour jüngst in Abrechnung mit der etablierten Sozialwissenschaft hervorgekehrt (vgl. ders.: Reassembling the social. An introduction to actor-network-theory [ 2005 ]; dt. erschienen als: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Aus dem Englischen von Gustav Roßler. Frankfurt a. M. 2007 ). Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die hier präferierte Setzung des Terminus in Anführungszeichen. 12 Vgl. etwa Müller, Jan-Dirk: Der Widerspenstigen Zähmung, in: M. Huber, G. Lauer (Hgg.), Nach der Sozialgeschichte, S. 461 - 481 ; wieder in: J.-D. Müller, Mediävistische Kulturwissenschaft, S. 45 - 64 , hier S. 45 f., der betont, dass gegen die Vorstellung vom literarischen Diskurs als einer kulturellen Praktik unter vielen besonders bei den Neuphilologien Ressentiments zu bestehen scheinen; andererseits verfehlt die oft zu bemerkende Selbstberuhigung von mediävistischer Seite (d. i.: «wir haben immer schon Kulturwissenschaft betrieben», zitiert nach: ebd., S. 46 ) natürlich ebenso die sich stellenden Herausforderungen, da die altgermanistische Literaturwissenschaft das Problem hat, erst einmal zu klären, inwiefern ihr «Gegenstand in fremden kulturellen Zusammenhängen überhaupt existiert» (ebd.). Allerdings scheint mir in der von Müller vorgeschlagenen praktischen Erprobung kulturwissenschaftlicher Konzepte (vgl. ebd., S. 45 ) genau ein recht guter Weg zu liegen, die Besonderheiten literarischer Kommunikation (und damit gewisse Abspreizungseffekte) auch für das Mittelalter heraus- 344 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven kursive Vernetztheit der in ihnen virulenten Deutungsmechanismen aufzuzeigen und- - gegebenenfalls- - deren Eigenart gegenüber anderen Formen symbolischer Interaktion näher zu beleuchten. 13 Dass bei einer solchen Ausrichtung einer kulturwissenschaftlich operierenden Literaturwissenschaft dann kulturelle Modelle und Begrifflichkeiten zum Einsatz kommen, die- - wie etwa im Falle der Psychoanalyse oder der als postkolonial einzuordnenden Theoreme 14 -- für die mittelalterliche Literatur strenggenommen als anachronistisch verbucht werden müssten (weil in anderem historischen Kontext geprägt), ist an sich noch kein Ablehnungskriterium-- denn dann wären nämlich die meisten unserer Fachtermini wie allein schon zentrale Gattungsbezeichnungen inklusive der ihnen anhaftenden Ordnungskonzepte für die Mediävistik völlig unbrauchbar, weil für das Mittelalter nicht (oder nicht distinktiv) belegbar 15 ; wichtig scheint es mir in diesem Zusammenhang zu sein, keine-- auf das mahnende Diktum Haugs in diesem Fall ist bereits verwiesen worden-- allegorisierende Deutungshaltung gegenüber dem mittelalterlichen Text einzunehmen (nach dem Muster: der Text demonstriert-- ohne, dass das historische Bewusstsein dafür bestehen konnte- - ein erst später verdichtetes Konzept) oder sogar aus solchen Theorietransfers für das Mittelalter inadäquate Diagnosen von vorgeblichen ‹Realphänomenen› (die meistens dann auch de facto Bewertungen darstellen) abzuleiten 16 . Vielmehr kommt es darauf an, diese neuzeitlichen Interprezupräparieren, das ja nicht über ein derart entwickeltes Literatursystem mit institutioneller Eigenorganisation, wie es sich in der Neuzeit für sie ab dem 18 . Jahrhundert abzeichnet, verfügt. Dabei wären jedenfalls die von den Texten aufgemachten Leerstellen vielleicht als ein besonders wichtiges Spezifikum der diskursiven Techniken von ‹Literatur› in den Blick zu nehmen, da sie als ein Generator von Ambivalenzen fungieren und so einer prinzipiell nicht abzuschließenden Bewegung interpretativer Auffüllung (auch mittels Deutungsmustern aus anderen kulturellen Diskursformationen und Zeichenordnungen) offen stehen (vgl. ebd., S. 63 ). Dass dies dann letztlich zu Einordnungen führen mag, die trotz eines prinzipiellen ‹Überschusses› des literarischen Textes gegenüber pragmatischen Diskurstypen letztlich eine Indienstnahme des Textes für diese festhalten müssen (vgl. ebd.), wäre dann am jeweiligen Einzelfall gesondert zu diskutieren (auch wenn-- wie im Falle des von Müller untersuchten Märe «Der vrouwen zuht»-- dieser mitunter heutigen Einschätzungen und Befindlichkeiten eklatant entgegensteht). 13 Vgl. dazu die beiden voranstehenden Anm. 14 S. dazu das Folgende. 15 Vgl. dazu immer noch grundlegend Grubmüller, Klaus: Gattungskonstitution im Mittelalter, in: Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster. Ergebnisse der Berliner Tagung, 9 .- 11 . Okt. 1997 , hg. von Nigel F. Palmer und Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 1999 , S. 193 - 210 . 16 Fast schon einfach wäre es, für eine solche Fehllektüre die-- vor dem Hintergrund der Psychoanalyse-- getroffene obskure Einordnung des Minnesang als ein Resultat einer ins Kollektiv überblendeten neurotischen Zwangsstörung anzuführen (vgl. freilich Müller, Ulrich: Die Ideologie der Hohen Minne: eine ekklesiogene Kollektivneurose? Überlegungen und Thesen zum Minnesang, in: Minne ist ein swaerez spil. Neue Untersuchungen zum Minnesang und zur Geschichte der Liebe im Mittelalter, hg. von dems., Göppingen 1986 [GAG 440 ], S. 283 - 315 ; dazu prinzipiell zustimmend, aber ungleich perspektivenreicher Kühnel, Jürgen: Heinrich von Morungen, die höfische Liebe und das ‹Unbehagen in der Kultur›, in: ebd., S. 253 - 282 , hier S. 266 f., sowie zuvor schon Birkhan, Helmut: Neidhart und Sigmund Freud. Allgemeines 1 Saisonalität als kulturelles Ordnungsmuster 345 tamente lediglich als sekundierende Mittel wahrzunehmen, die der Aufschließung des Textes vor seinem historischen und kulturellen Kontext dienen können und also möglicherweise etwas herauszupräparieren helfen, was uns den Text besser (oder: anders, vielschichtiger) verständlich macht, ohne dass darauf abgezielt wird, dass diese durch den Text tatsächlich in ihrer Geltungsmacht ‹bewiesen› oder gar in ihm ‹gefunden› werden könnten. Zum anderen müsste sich eine solche Rahmung im Sinne einer kulturwissenschaftlichen Perspektivierung auch vom Gegenstande selbst her begründen lassen, und in diesem Zusammenhang mag es-- neben den sozial-, psycho- und mentalitätshistorischen Lesarten, zu denen die Textgattung des Minnesangs allgemein mit dem ihr inhärenten Konzept des ‹Frauendienstes› offensichtlich immer wieder Anlass gegeben hat 17 -- im Speziellen an der im Natureingangs-Einsatz besonders deutlich virulent werdenden Inbezugsetzung von imaginierter Außen- und Innenwelt des Text-Ichs liegen, dass bereits seit der frühen Forschung zum Natureingang eine Auswertung dieser poetischen Technik nahe zu liegen scheint, die in die ebenenver- und Spezielles zur psychoanalytischen Interpretation mittelalterlicher Texte, in: Neidhart von Reuental. Aspekte einer Neubewertung, hg. von dems., Wien 1983 [Philologica Germanica 5 ], S. 34 - 73 , und ders., Neidhart von Reuental und Sigmund Freud [Londoner Fassung], in: Minnesang in Österreich, hg. von dems, Wien 1983 [Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie 24 / Publications of the Institute of Germanic Studies, University of London 31 ], S. 25 - 56 ; ferner aus dezidiert psychoanalytischer Perspektive Meyer zur Capellen, Renée: Die Hohe Frau im Minnesang und im Parzival. Ihre verborgene Funktion in einer Zeit sozialen Wandels, in: Die Erhöhung der Frau. Psychoanalytische Untersuchungen zum Einfluß der Frau in einer sich transformierenden Gesellschaft, hg. von ders., Annelore Werthmann und May Widmer-Perrenoud, Frankfurt a. M. 1993 [stw 1061 ], S. 23 - 144 ,), wird man doch darüber hinaus gehen müssen: gerade für das übergeordnete Konzept einer ‹höfischen Liebe› / ‹hohen Minne› / fin amors, wie es sich unter anderem auch in der höfischen Liebeslyrik niederschlagen soll, ist eine psychoanalytisch inspirierte Lesart von diesem als Kompensationsphänomen von Aggressionstrieben und Mittel von deren Kanalisierung und Domestizierung, ja als Sublimationsform einer Unterwerfungsstruktur, in der die Frau als eine Projektionsinstanz eines eigentlich als homosexuell zu ‹entlarvenden› Begehrens fungiere, immer wieder propagiert worden (vgl. schon Duby, Georges: Que sait-on de l’amour en France au XII e siècle? [ 1983 ], dt. erschienen als: Was weiß man über die Liebe im Frankreich des 12 . Jahrhunderts? , in: ders., Die Frau ohne Stimme. Liebe und Ehe im Mittelalter. Aus dem Franz. von Gabriele Ricke und Ronald Voullié, Berlin 1990 [Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek 13 ], S. 33 - 51 , bes. S. 47 - 49 ; ders.: A propos de l’amour que l’on dit courtois [ 1986 ], dt. erschienen als: Über die höfische Liebe, in: ebd., S. 81 - 90 , sowie Marchello-Nizia, Christiane: Amour courtois, société masculine et figures du pouvoir, in: Annales 36 [ 1981 ], S. 969 - 982 , hier bes. S. 980 f.). In diesem Zusammenhang wäre-- um noch einen weiteren Bereich anzusprechen-- überdies aber auch an die diagnostische Festschreibung der Mystikerin als ‹Hysterikerin› in der Frauenmystik-Forschung zu denken, die von Susanne Bürkle trefflich kritisiert worden ist (vgl. dies.: Die «Offenbarungen» der Margareta Ebner. Rhetorik der Weiblichkeit und der autobiographische Pakt, in: Weibliche Rede- - Rhetorik der Weiblichkeit. Studien zum Verhältnis von Rhetorik und Geschlechterdifferenz, hg. von Doerte Bischoff, Martina Wagner-Egelhaaf, Freiburg i.Br. 2003 [Rombach Wissenschaften-- Reihe Litterae 93 ], S. 79 - 102 , hier bes. S. 87 [mit Anm. 29 ]). 17 Vgl. dazu oben, Kap. I. 1 . 346 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven lagernde Abmessung des Verhältnisses von ‹Text› und ‹Kontext› 18 hinüberspielt. 19 Von daher dürfte sich im Übrigen auch die sich lange Zeit in der altgermanistischen Forschung zum Natureingang haltende Ablehnung des rhetorisch-technischen Topos-Konzepts von Curtius erklären, auf die im forschungsgeschichtlichen Überblick bereits verwiesen worden ist. 20 Andererseits hätte freilich die Frage, ob der Terminus ‹Natureingang› überhaupt eine Entsprechung in den mittelalterlichen mentalen Deutungsmuster von ‹Außenwelt› aufweist 21 , auch nicht ohne Bezugnahme auf die philosophiegeschichtliche Forschung, die sich mit dem natura-Begriff und seinen vielfältigen Ausfaltungen im Gelehrtendiskurs beschäftigt hat, näher beleuchtet werden können. 22 18 Die Ergründung der Bezüge zwischen diesen beiden Kategorien ist ja nicht nur zentrales Interesse der sozialgeschichtlichen Literaturforschung seit den 1970 er Jahren, sondern letztlich auch integraler Horizont der Überlegungen, die-- sei es eher implizit oder expressis verbis- - kulturwissenschaftliche Fragestellungen anhand mittelhochdeutscher Texte verfolgen (vgl. dazu: Peters, Ursula: Vorbemerkung, in: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150 - 1450 , hg. von ders., Stuttgart u. a. 2001 [Germanistische-Symposien-Berichtsbände 23 ], S. XI-XVII, hier S. XII.) 19 Schließlich operieren ja gerade die Arbeiten aus der Frühphase der Forschung zum Natureingang, die ihr Erkenntnisinteresse an Aufschlüssen über das ‹Naturgefühl› der Minnesänger ausrichten, in jedem Fall- - gleichgültig, ob sie ein derartiges leugnen oder propagieren- - bereits in einem Aussagenbereich, der den der Textimmanenz in Richtung eines quasi-anthropologischen Fragehorizonts verlassen hat. Freilich darf aber nicht vergessen werden, dass die Dominanz dieser Überlegungen in der älteren Forschung sich wohl weniger einem proto-kulturwissenschaftlichen Ansatz verdankt, als vielmehr einem sich aus der Romantik herleitenden Literatur- und Naturverständnis. 20 S. oben, Kap. I. 3 . 21 Auf einem ganz anderen Blatt steht dabei freilich die Frage, ob man dies nun zwingend für eine Anwendung des Terminus selbst zur Voraussetzung machen will. 22 S. dazu die obigen Bemerkungen zu den Einwänden Mohrs und ihre Relativierung bei Wachinger (s. o., Kap. I. 3 .). Dass es sich bei der perspektivenreichen Klärung der Frage bei Letzterem nicht nur einfach um ein okkupierendes Ausgreifen auf eine Nachbardisziplin, sondern um einen tatsächlich im Sinne kulturwissenschaftlicher Vernetzung zu deutenden Austauschprozess handelt, zeigt der bei Wachinger, Natur und Eros, S. 73 f., in Anm. 22 und 24 zu findende Verweis auf den Sammelband «Natur im Mittelalter. Konzeptionen-- Erfahrungen-- Wirkungen» (hg. von P. Dilg [ 2003 ]), der auf das 2001 in Marburg ja auch unter altgermanistischer Beteiligung abgehaltene 9 . Symposium des Mediävistenverbandes zurückgeht; vgl. ferner schon die Bedeutung der zweibändigen Tagungsdokumentation: Mensch und Natur im Mittelalter. 2 Halbbde., hg. von Albert Zimmermann und Andreas Speer, Berlin, New York 1991 f. (Miscellanea Mediaevalia 21 / 1 f.); darin besonders die Beiträge von Kölmel, Wilhelm: Natura: genitrix rerum- - regula mundi. Weltinteresse und Gesellschaftsprozeß im 12 . Jahrhundert, in: ebd., Bd. I, S. 43 - 57 ; Köhler, Johannes: Natur und Mensch in der Schrift «De Planctu Naturae» des Alanus ab Insulis, in: ebd., S. 57 - 66 ; Zahlten, Johannes: Natura sua und Natura generans. Zwei Aspekte im Naturverständnis Kaiser Friedrichs II., in: ebd., S. 89 - 104 , und A. Speer, Kosmisches Prinzip. Als besonders perspektivenreich für den im Folgenden dargelegten Zusammenhang erweisen sich auch die allgemeinen Bemerkungen der Hgg. im Vorwort des Bandes (ebd., S. V-VIII) zu einer allmählichen Ablösung des Naturverständnisses von offenbarungstheologischen und symbolischen Deutungsmustern: «Der wachsenden Konsistenz im Begreifen der Natur aus genuin naturphilosophischer Perspektive entspricht ein wachsendes Selbstbewusstsein der Menschen, die der Natur nicht mehr nur hilflos gegenüber- 1 Saisonalität als kulturelles Ordnungsmuster 347 Schließlich gibt es aber seit den 1990 er-Jahren bis ins erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends hinein- - also der Zeitperiode, die in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse ist- - auch dezidiert mit dem kulturwissenschaftlichen Paradigma operierende Arbeiten zum Natureingang, wofür hier besonders der grundlegende Aufsatz «Jahreszeitenrhythmus als Kunstprinzip» von Jan-Dirk Müller ( 1995 ) als prominentestes Beispiel zu nennen ist. Da in diesem sich bereits eine m. E. recht bezeichnende Crux kulturwissenschaftlicher Fragestellungen im Falle des Natureingangs abzeichnet, sei Müllers Argumentation-- auf die ja an anderer, jedoch weit zurückliegender Stelle meiner Darlegungen bereits eingegangen worden ist-- hier noch einmal kurz auf den Punkt gebracht: Müller geht hier von der These aus, dass das alltagsbasierte Erfahrungsmuster der Jahreszeitenordnung, wie es sich aus dem Lebensrhythmus einer agrarisch geprägten Gesellschaft erklärt, für den Natureingang im Minnesang den grundlegenden Verständnisrahmen bildet, von dem sich aber die Literatur (mit zunehmender Vehemenz) abzusetzen versucht. 23 Dabei kommt es ihm darauf an, weniger die literarischen Vorläuferformen des Natureingang-Einsatzes im Minnesang als möglichen genetischen Anregungspunkt dieser poetischen Technik zu untersuchen, als vielmehr die Jahreszeitenfolge als kulturell übergeordnetes Konzept in ihrer Bedeutung für diese in den Blick zu nehmen 24 ; damit betont er freilich zu Recht, dass die saisonale Ordnung und deren Bedeutungsaufladung eben nicht als «biologischanthropologische Konstanten», sondern als kulturell und historisch wandelbare Zuschreibungen, die sich aus den spezifischen Erfahrungsmustern einer Gesellschaft speisen, zu denken sind. 25 Für den Minnesang-- wie überhaupt die volkssprachliche Literatur-- bilde somit die ihn tragende Figuration der ‹höfischen Kultur› mit ihrem Saisonalitätskonzept den entscheidenden Bezugspunkt, wobei sich dieses wiederum aus der zeitlichen Bedeutungsordnung der Agrartätigkeit ableite, die gegenüber dem gelehrt-antiken Viererschema der Jahreszeiten, wie es in der lateinischen Literatur des Mittelalters weitertradiert wird, ein bloß zweiwertiges Modell aufweise. 26 Dafür führt Müller als Beleg etwa eine Passage aus der «Mainauer Naturlehre» an, die allerdings in späterer Zeit (um 1300 ) entstanden ist: Daz iar teilent die liute in zwei, in den winter unde in den sumer, abir die meister teilent ez in vier teil. 27 Dieses von stehen und sich auch nicht auf eine kontemplative Sicht derselben beschränken. In weiten Bereichen wächst das Bewusstsein von Autonomie, welches auch einen kulturellen Niederschlag findet. ‹Une découverte de la nature et de l’homme› nennt Marie-Dominique Chenu in seiner Skizze der Geistesgeschichte des 12 . Jahrhunderts diese bedeutsame Entwicklung» (S. V; mit Verweis Chenu, Marie-Dominique: La theólogie au 12 e siècle, Paris 1957 , Kap. I, S. 19 - 51 ). 23 Vgl. J.-D. Müller, Jahreszeitenrhythmus, S. 129 f. 24 Vgl. ebd., S. 130 . 25 Vgl. und Zitat entnommen aus: Ebd. 26 Vgl. ebd., S. 130 - 132 . 27 Zitiert nach: Meinauer Naturlehre. Hg. von Wilhelm Wackernagel, Stuttgart 1851 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 22 ), S. 6 (Hervorhebungen von mir, D. E.); vgl. dazu J. D.-Müller, Jahreszeitenrhythmus, S. 130 f. (mit Anm. 4 ). 348 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven der lateinischen Gelehrtentradition der meister abweichende laikal-volkssprachliche Jahreszeitenschema der liute unterscheide somit nur-- und hier offenbart sich seine agrarische Basierung-- zwischen einer Zeit der Fülle (=- schöne Jahreszeit, sumer) und einer des Mangels (=-schlechte Jahreszeit, winter), die in bestimmten Kontexten noch um eine dritte Funktionsstelle-- die des herbest (sozusagen als der Zeit einer überbordenden Fülle, der Ernte)- - ergänzt werden kann. 28 In diesem Fall tut sich bereits ein gewisser Gegensatz zum ‹höfischen› Modell des Jahreszeitenwechsels auf (s. u.), da dieses mit einem strikt zweiwertigen Schema operiert, das die ‹höfische› Kultur in ihrem Sinne-- nämlich in Ausrichtung an ihrem symbolischen Zentrum, dem des höfischen Festes-- überformt. 29 Damit ergebe sich die auch für den Minnesang geltende, folgende Ausgangslage: «Für die volkssprachliche höfische Literatur gilt aufs Ganze gesehen die Zweiteilung, der Wechsel zwischen der Zeit des Festes, der Freude, des Frauendienstes und des ritterlichen Wettkampfes auf der einen Seite und dagegen der Zeit der Verhinderung von all dem auf der anderen» 30 . Jedenfalls inszeniere das «die Lyrik in Bildern vom Frühling und Sommer als der Zeit höfischer Minnewerbung», wobei es jenseits von ihnen keine höfische Freude gebe, sondern «allenfalls individuelles minne-Glück» 31 . Gleichwohl- - betont Müller- - löse sich die volkssprachliche Lyrik auch von dieser Zeichenordnung, in die sie doch eingelassen sei, da sie damit doch den agrarisch basierten Lebensrhythmus «von Anfang an» in ein «Kunstprinzip» transferiere 32 , das den Jahreszeitenzyklus auf den «Idealzustand der höfischen Gesellschaft» 33 hin ausrichte und ihn somit symbolhaft überforme. 34 Während dies im früh- und hochhöfischen Minnesang noch ohne Abstreitung der prinzipiellen Geltung dieser Jahreszeitenzuschreibungen und allenfalls in einer Kontrastsetzung mit dem persönlichen Empfinden des Ichs erfolge 35 , zeige sich bei Neidhart ein weiterer Schritt in der Literarisierung der Saisonalitätsrhythmik, der diese vollends zum Kunstprinzip werden lasse: Spätestens zu diesem Zeitpunkt, wo das Jahreszeitenschema zum liedtypenindizierenden Faktor 36 , ja durch eine Vielzahl von Oppositionen wie «Ritter-- Dörper, Dame-- Mädchen, Jung-- Alt, ‹draußen›- - ‹drinnen›, Muße- - Arbeit, Minne- - Gewalt usw.» 37 überlagert und durch irritative deiktische Signale konterkariert werde, löse sich der alltagsweltliche Referenzbezug der Motivik auf 38 , bis in der Folgezeit mit der Erweiterung des Zweierzum Dreierschemas über die Einführung der Instanz des Herbstes 28 Vgl. ebd., S. 131 f. 29 Vgl. ebd., S. 132 . 30 Ebd. 31 Vgl. und Zitate entnommen aus: ebd., S. 133 . 32 Vgl. und Zitate entnommen aus: ebd., S. 130 . 33 Ebd., S. 133 . 34 Vgl. ebd., S. 134 . 35 Vgl. ebd., S. 133 f. 36 Vgl. ebd., S. 134 . 37 Ebd., S. 134 . 38 Vgl. ebd., S. 135 f. 1 Saisonalität als kulturelles Ordnungsmuster 349 als einer Zeit der Schlemmerfreuden (z. B. in Steinmars ‹Herbstlied›) die höfische Jahreszeitenordnung mit einer-- ebenfalls agrarisch fundierten, aber kulturell überschriebenen-- Gegenwelt versehen und so mittels Einführung einer neuen Binarität aufgesprengt werde. 39 Diese in vielen Einzelbeobachtungen sehr einleuchtende kulturwissenschaftliche Einordnung einer erfahrungsbasierten Strukturierung sowie zunehmenden literarischen Überformung der Jahreszeitenrhythmik in der volkssprachlichen Lyrik, die bei einem Blick auf die offensichtliche Zweiwertigkeit der saisonalen Zuschreibung im Natureingang des Minnesangs ja zunächst einmal einige Plausibilität zu haben scheint 40 , hat in der Forschung große Wirkungsmacht entfaltet. 41 So hat beispielsweise Ludger Lieb dem kulturellen Prätext des Natureingangs-- in Bezugnahme auf Rüdiger Schnell- - noch das Konzept der Jahreszeit als causa amoris hinzugefügt 42 , andererseits aber wie Müller betont: «Der Sommer erzeugt die Rahmenbedingungen für eine Konsoziation adliger Körper, er ermöglicht den Liebenden, sich zu sehen, Kontakt aufzunehmen oder ihre Liebe auszuleben, bzw. für den Minnesänger, öffentlich zu singen und seinen Dienst zu verbalisieren» 43 . Dass die Annahme eines konzis bestimmbaren und vorgängig greifbaren kulturellen Festschreibungshorizontes, der gleichsam im Vorfeld des Textes kollektive Gültigkeit besitzt und auf diesen einwirkt, ja erst im Laufe der Zeit von der Literatur mehr und mehr suspendiert werden muss-- etwa, indem der hochhöfische Minnesang die Eigenzeitlichkeit der Minne betont 44 --, aber auch gewisse grundlegende Schwierigkeiten mit sich bringt, registriert Lieb dabei sehr wohl. 45 Jedenfalls- - ich habe 39 Vgl. ebd., S. 137 - 139 (zu Steinmar), S. 139 - 141 (zu Hadloup), und S. 149 f. (zum Spätmittelalter). 40 Wie bereits beschrieben, orientiert sich der Minnesang für den Natureingang nun in der Tat am volkssprachlich-laikalen Zweierschema der Jahreszeiteneinteilung, da in ihm überhaupt lediglich sumer und winter als saisonale Markierungen vorkommen, für die jeweils Jahreszeitenerscheinungen verbucht werden, die wir heute-- im Falle des sumers-- eher dem Frühling und für den winter eher dem Herbst zuordnen würden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im Natureingang teilweise alternativ zur Jahreszeitennennung sumer die Monatsnamen meie und aberelle auftauchen, da mit diesen keine anderen den Jahreszeitenwandel charakterisierenden Naturdetails verbunden sind als mit dem Sommer an anderer Stelle. 41 Vgl. dafür etwa auch jüngst K. Philipowski, die werlt ist uf den herbest komen, S. 90 und 109 . 42 Vgl. L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 186 f. 43 Ebd., S. 187 . 44 Das ist der Tenor der in Vielem ja sehr treffenden Einordnung der Einsatztendenz der Natureingang-Topik im Minnesang, vgl. bes. ebd., S. 192 - 199 . 45 So verstehe ich jedenfalls seine generelle Bemerkung über die Schwierigkeiten, die vom Minnesang verdrängten und abgewiesenen Alternativen in ihrer ‹Existenzform› tatsächlich nachzuweisen (wie etwa ein solches, kulturell vorgeordnetes Jahreszeitenkonzept), vgl. ebd., S. 190 : «Auch im literarischen Bereich entstehen institutionelle Ordnungen nicht einfach aus dem Nichts. Poetische Kommunikation hat keinen ‹Ursprung›, sondern knüpft in irgendeiner Weise an Vorgängiges an, und zwar mittels der Mechanismen von Ausbeutung und Ausblendung. Bei einer Analyse der Entstehung des deutschen Minnesang stellt sich allerdings ein besonderes überlieferungsgeschichtliches Problem: Der Eindruck, daß der Minnesang quasi aus dem Nichts entstanden ist, rührt daher, daß die deutsche Liebeslyrik vor dem Minnesang 350 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven bereits darauf verwiesen-- ist ein solches bereits vor dem Minnesang verdichtetes Saisonalitätskonzept der höfischen Kultur so nirgendwo belegt, vielmehr verdanken sich die Zuschreibungen von Müller und Lieb allein den Minnesang-Texten, und d. h., wenn man dennoch von der Wirkungsmacht solcher erfahrungsbasierten Kulturmuster auf die Literatur ausgehen mag 46 , damit bereits ihrer literarischen Bespiegelung selbst. Dabei besteht natürlich die Gefahr, dass wir-- selbst in den Fällen von Liedern, die solche vorgängigen Gesellschaftskonzepte durchaus suggerieren-- bei dem Konnex dieser textinternen Entwürfe mit den soziokulturellen Strukturierungsmustern, die in diese Texte hineinregieren, den argumentativen Strategien der Texte auf den Leim gehen, denn schließlich- - und darauf habe ich in meiner Interpretation von Dietmars von Aist MF 33 , 15 verwiesen-- bauen diese derartige Imaginationen zunächst einmal erst selbst diskursiv auf. 47 Und schließlich ist sogar zu konstatieren, dass die Einschreibung einer Saisonalitätsbasiertheit von-- wenn man so will-- ‹höfischer› Liebesfreude und Werbung nur eine unter vielen Möglichkeiten der Konzeptualisierung von Jahreszeit ist, die der Minnesang von Anfang an und als relativ gleichberechtigt nebeneinander stehend präsentiert. Um dies zu demonstrieren, sei hier zunächst einmal eine Übersicht der in der sog. frühhöfischen Phase zu findenden Natureingänge gegeben, für die sich das Œuvre Heinrichs von Veldeke als Grenze anbietet: so gut wie nicht verschriftlich wurde. Deshalb läßt sich über eine solche vorhöfische Liebesdichtung kaum mehr aussagen, als daß es sie gegeben haben wird». 46 In diesem Zusammenhang wäre meine obige Bemerkung mit in die Diskussion einzubeziehen, dass ja auch in der mittellateinischen Liebeslyrik- - trotz begrifflicher Unterscheidung zwischen ver und estas-- kein tatsächlich mehrwertiges Saisonalitätskonzept zu finden ist, das sich vom ‹gelehrten› Viererschema her ableiten lassen würde, sondern sich hier ebenfalls eher zwei konträr entfaltete Konzeptionen von schöner und schlechter Jahreszeit gegenüberstehen, was mich zu der Vermutung veranlasst hat, dies könnte-- wie eben auch beim volkssprachlichen Minnesang- - sich auch literaturimmanent über die für die Lyrik so bedeutsame Opposition von Freude und Leid erklären lassen; darauf, dass sich der Gegensatz von agrarischhöfischem Zweierschema und gelehrter Vierzahl der Jahreszeiten jedenfalls nicht strikt mit der Demarkationslinie von lateinischer und volkssprachlicher Literatur deckt, verweist auch Müller selbst (vgl. ders., Jahreszeitenrhythmus, S. 130 f., Anm. 4 ). 47 Dies zeigt sich m. E. besonders deutlich in den Sommerzuschreibungen bei Müller und Lieb, die bestimmte textinterne Entwürfe von einem jahreszeitlich fixierten Frauendienst und Liedvortrag auf ein vorgeschaltetes Jahreszeitenkonzept der höfischen Kultur projezieren, wobei m. E. hier im Unklaren gelassen wird, ob diese nun als-- wie Müller an anderer Stelle nahelegt (vgl. ders., Die Fiktion höfischer Liebe und die Fiktionalität des Minnesangs. Zum Verhältnis von Liedkunst und Lebenskunst, in: A. Hausmann [Hg.], Text und Handeln, S. 47 - 64 ; wieder in: J.-D. Müller, Mediävistische Kulturwissenschaft, S. 65 - 81 , hier S. 68 - 70 )-- Fiktionen erster Ordnung oder als tatsächliche gesellschaftliche Organisationsformen von Literaturpraxis zu denken sind. Wenn Letzteres der Fall wäre (und man an einer strikt kommunikationspragmatischen Lesart des Natureingangs, wie sie die Forschung teilweise, jüngst etwa wieder Philipowski, die werlt ist uf den herbest komen, propagiert hat, folgt), dürfte es strenggenommen keinen Wintereingang im Minnesang geben-- auch als Gesellschaftsfiktion würde im Falle des Wintereingangs die Verpflichtung von Werben und Liedvortrag auf den Sommer dann wenig einleuchten. 1 Saisonalität als kulturelles Ordnungsmuster 351 Übersicht über die Anbindungsweisen des Natureingangs in der Frühphase des Minnesangs (bis Heinrich von Veldeke) 48 : 4950 Strophe / Lied Jahreszeitenkonzept Argumentative Anbindung Meinloh von Sevelingen, MF 14,1: Ich sach boten des sumeres Sommer als Zeit der Freude (unbestimmt) kontrastiv über 3. Ps. eines ritters (seine Traurigkeit entspricht nicht der Jahreszeit, ist aber nur durch Liebeserfüllung überhaupt zu beheben) Der Burggraf von Regensburg, MF 16,15: Ich lac den winter eine Sommer als Zeit der Freude (unbestimmt) kontrastiv; das Ich leidet aufgrund des Hasses der merkaere, nur die Dame kann ihn mit ihrer Liebe heilen Der Burggraf von Rietenburg, MF 19,7: Sît sich hât verwandelt diu zît Sommer als Zeit kollektiver Freude komplementär; allerdings kann auf Seiten des Sängers nur das Erneuern des Sanges ein Versinken in Leid verhindern Dietmar von Eist, MF 33,15: Ahî, nu kumt uns diu zît Sommer als Zeit kollektiver Freude komplementär (unbestimmt 49 ) Dietmar von Eist, MF 37,18: Sô wol dir, sumerwunne! Sommer als Zeit des persönlichen Leids kontrastiv (Frauenrede); Anbindung aber über Schönheitsthematik 50 Dietmar von Eist, MF 35,16: Der winter waere mir ein zît Winter als eine Zeit des (grundsätzlich für jeden möglichen) Liebesglücks kontrastiv; die Frau erfüllt die Wünsche des Ichs nicht 48 Außer Acht gelassen habe ich hierbei die in MFMT unter der Rubrik «I. Namenlose Lieder» versammelten Beispiele (Bd. I, S. 19 - 23 ), die als Überbleibsel einer sehr frühen Grundschicht von deutscher Liebeslyrik gelten, aber in ihrer editionsphilologischen Präsentation unter sehr heiklen Prämissen zusammengestellt worden sind. Denn zum einen sind diese entweder dem Bestand der Carmina Burana (M) entnommen, deren Sonderrolle im Hinblick auf den Einsatz von Natureingängen in vorliegender Arbeit ausführlich diskutiert worden ist, oder zum anderen eben in den Handschriften selbst gar nicht namenlos überliefert und ihren Verfassern (Niune, Alram von Gresten, Walter von Mezze) einfach abgesprochen worden sind. 49 S. meine Vorschläge zur Interpretation der Anbindungspassage oben. 50 Diese Einordnung trifft nicht auf die MFMT-Herstellung zu (dort: komplementärer Wintereingang! ); s. dazu meine Ausführungen oben, Kap. III. 2 .c. 352 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven Strophe / Lied Jahreszeitenkonzept Argumentative Anbindung Dietmar von Eist, MF 37,30: Sich hât verwandelt diu zît Winter als eine Zeit des (leidbehafteten) Wandels in der Natur kontrastiv; das Ich steht immer noch im Dienst der Frau, die die Quelle seiner Freude darstellt Dietmar von Eist, MF 39,30: Urloup hât des sumers brehen Winter als eine Zeit des Liebesglücks; Sommer als eine Zeit des persönlichen Leides komplementär; Winter als eine Zeit der Liebeserfüllung (für ein Paar 51 ); Entschädigung für den Sommer durch die langen Nächte Heinrich von Veldeke, MF 56,1: Ez sind guotiu niuwe maere Sommer als Zeit kollektiver Freude kontrastiv; das Ich leidet aufgrund einer Fehlleitung durch sein Herz Heinrich von Veldeke, MF 59,23: In den zîten von dem jâre 52 Sommer als Zeit der Freude (unbestimmt) unverbunden; suggestiv komplementär zu allgemeiner Liebesthematik Heinrich von Veldeke, MF 60,29: In den zîten, daz die rôsen Sommer als Zeit kollektiver Freude kontrastiv verbunden mit Klage über die Minnefeinde Heinrich von Veldeke, MF 62,25: In dem aberellen 53 Sommer als eine Zeit der Freude in der Natur (Vögel) komplementär; das Ich will in Freudenstimmung sein persönliches Schicksal preisen Heinrich von Veldeke, MF 64,17: Ez tuont diu vogelîn schîn 54 Sommer als eine Zeit der Freude in der Natur (Vögel) komplementär; das Ich kann nicht traurig sein, obwohl es in der Ferne und getrennt von der Dame ist 51525354 51 Eine Komplikation ergibt sich durch die mögliche Realisation des Natureingangs in Form der Aufteilung mehrerer Stimmen (Str. I: Rede eines männlichen Text-Ichs [übergeordnete Sprecherinstanz oder Partner im Wechsel? ] / Str. II: Frauenrede; anders Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 405 : beides Frauenrede): Hierbei wird in beiden Redepartien die Möglichkeit der Liebeserfüllung im Winter für eine Wir-Instanz betont, die im ersten Fall noch kollektiv deutbar, im zweiten Fall jedoch zwingend partnerschaftlich zu lesen ist (vgl. I, 6 f.: der winter und sîn lange naht / diu ergetzent uns der besten zît, sowie II, 1 f: Wir hân die winterlangen naht / mit vröiden wol enpfangen, ich und ein ritter wol geslaht.; Hervorhebungen von mir, D. E.). 52 Zumindest in Fassung B. 53 Nicht in den beiden handschriftlichen Fassungen (BC), sondern nur nach der Herstellung von MFMT. 54 Der Status als Natureingang ist problematisch, da eigentlich die explizite Jahreszeitennennung fehlt; man wird diese Einordnung allenfalls aufgrund der deutlichen Stilisierung der Naturdetails auf einen saisonalen Wandel hin rechtfertigen können. 1 Saisonalität als kulturelles Ordnungsmuster 353 Strophe / Lied Jahreszeitenkonzept Argumentative Anbindung Heinrich von Veldeke, MF 64,26: Ez habent die kalte nähte getân Winter als eine Zeit des Leides in der Natur kontrastiv; das Ich blickt hoffnungsvoll auf seine persönliche Liebessituation Heinrich von Veldeke, MF 65,28: Alse die vogel vroelîchen Sommer als eine Zeit des Wandels in der Natur (Empfang des Sommers durch die Vögel, Fortgang des Winters) komplementär; das Ich möchte sich dorthin begeben, wo es liebt Heinrich von Veldeke, MF 66,1: Der schoene sumer gêt uns an 55 Sommer als eine Zeit der Freude in der Natur (Vögel) Diskussion s. o., Kap.- III .2.b.i. Heinrich von Veldeke, MF 67,9: Swenne diu zît alsô gestât Sommer als eine Zeit der Freude in der Natur (Vögel) komplementär; Ende der Traurigkeit des Ichs Heinrich von Veldeke, MFMT XI , Nr. XXXVII : Manigem herzen taet der kalte winter leide Sommer als eine Zeit der Freude (in der Natur; kollektiv) komplementär; das weibliche Ich (Frauenrede) freut sich auf Liebeserfüllung in der freien Natur 55 Dazu sind prinzipiell folgende Anmerkungen zu machen: Wenn in der obigen Zusammenstellung statt von ‹höfischer› Dimensionierung der Sommerfreude von ‹kollektiver› Perspektivierung gesprochen wird, so bezieht sich dies auf die Formulierungen in den Liedern selbst, die die gemeinschaftliche Affizierung durch den saisonalen Wandel in keinem Fall mit dem Etikett einer Festlegung auf die höfische Sphäre einschränken. Es finden sich nämlich dort, wo derartige Bezüge hergestellt sind, stattdessen ganz unbestimmte Prägungen wie des ist vil manic herze vrô 56 oder sogar- - in spruchhafter Allgemeingültigkeit- - zen zîten in dem jâre / stünde wol, daz man vrô waere 57 . Für die imaginative Auffüllung der Passagen durch den Rezipienten kann dann freilich nicht nur ein mögliches ‹höfisches› Jahreszeitenkonzept veranschlagt werden, sondern eben auch das ‹lateinisch-gelehrsame› Modell einer quasi-natürlich gegebenen Liebes- und Verjüngungswirkung der schönen Saison 58 , 55 Der Status als Natureingang wäre zu diskutieren, s. meine obigen Überlegungen zum Überlieferungsverbund der Strophen C 39 - 43 , Kap. III. 2 .b.i. 56 Vgl. etwa Der Burggraf von Rietenburg, Str. MF 19 , 7 , V. 2 , und Dietmar von Eist, Str. MF 33 , 15 , V. 4 . 57 Heinrich von Veldeke, Lied MF 56 , 1 , Vv. I, 4 f. 58 So verstehe ich auch den Hinweis von Lieb auf das Deutungsschema der Jahreszeit als einer causa amoris (s. oben); es fragt sich dann allerdings schon, über wieviel Distinktionspotenz 354 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven das ja auch in der mittellateinischen Lyrik in didaktisierender Stilisierung realisiert werden kann. 59 In zwei Fällen ( MF 16 , 15 Des Burggrafen von Regensburg und MF 60 , 29 von Heinrich von Veldeke) werden dagegen allerdings für den Sommer auch gesellschaftsthematische Zuschreibungen verwendet, die ausdrücklich von den sozialen Gefährdungen durch die merkaere und Minnefeinde sprechen, die einer behaupteten freudenstiftenden Wirkung des Sommers für das Ich 60 oder die Gemeinschaft der Minnebetroffenen 61 entgegenstehen. Selbst wenn man diese Ausrichtung auf eine negative Sozialinstanz vor dem Hintergrund eines vorgeprägten Jahreszeitenmusters nun als eine Einklagung einer sich ‹ideal› oder ‹jahreszeitenadäquat› verhaltenden ‹höfischen› Gesellschaft verstehen will (die in ihrem positiven Erscheinungsbild ja aber an keiner Stelle präzisiert ist 62 ), so ist diese Herleitung wiederum nicht recht zwingend, käme doch auch eine moralische Abwertung dieser Minnefeinde vor der Folie eines allgemeinkreatürlich-basierten Zuschreibungsmodells, wie es die mittellateinische Liebeslyrik präsentiert, bei der rezeptionsseitigen interpretativen Auffüllung in Frage. Als ein Beispiel dafür, dass nun der Sommer als ein aufgrund der höfischen Festkultur besonders begünstigter Zeitraum der «Konsoziation adliger Körper» 63 und von Minnesang und Liebeswerben überhaupt zu gelten habe, sprechen die Texte jedenfalls nicht. Zudem begegnet aber auch mehrfach die direkte Anbindung der Gefühlslage des Text-Ichs an die Jahreszeitenfreude oder -leidstimmung, die über eine ganz im Bereich der Naturdetails verbleibende Demonstration präsentiert werden, d. h. ohne dass eigens auf irgendeine kollektive Dimensionierung dieser Zuschreibungen abgehoben ein mögliches, dezidiert agrarisch-höfisch basiertes Saisonalitätskonzept überhaupt noch verfügt. 59 Vgl. dazu die Ausführungen oben, Kap. III. 2 .b.ii. 60 So in MF 16 , 15 , vgl. I, 3 : daz nîden merkaere.---dêst mîn herze wunt. 61 Dies wird dagegen in MF 60 , 29 entfaltet, wo es heißt: sô vluochet man den vröidelôsen, / die rüegaere sint an maniger stat / Durch daz, wan sî der minne sint gehaz / und die minne gerne noesen (I, 3 - 6 ). Dabei wird durch die zuvor gemachte Angabe, dass die Rosen nun im Sommer wieder schöne Blätter zeigen (erg.: hinter denen man sich verstecken kann! ), suggeriert, dies sei die eigentlich angestammte Jahreszeit der Liebesbegegnung im Freien, was die-- an maniger stat zu findenden- - Minnestörer und selbsternannten ‹Hilfssheriffs›, die nun also offensichtlich ebenfalls ‹Saison› haben und ausschwärmen, behindern würde. 62 Dazu kommt noch, dass die Klage über diese missgünstigen Gesellschaftsrepräsentanten in beiden Fällen nicht auf einen expliziten Appell zur Restituierung einer sich ‹ideal› verhaltenden Sozialität genutzt wird: Denn in MF 16 , 15 wird das Motiv auf die Ebene des persönlichen Liebeswerbens zurückgebunden, indem das Text-Ich angibt, allein die Dame könne es mit gewährten Liebesfreuden für den ihm zugefügten Kummer entschädigen (vgl. I, 3 f.), während in MF 60 , 29 die Minnefeinde-- in religiöser Überhöhung-- gleich der Rache Gottes anbefohlen werden (vgl. I, 7 ), ja in witziger Volte nun in verhaltensdidaktischer Perspektive angegeben wird, man müsse sich vor diesen boesen (II, 1 ) letztlich keine Sorgen machen, da sie bei ihren Nachstellungen, bei denen sie sowieso nicht das zu sehen bekämen, wonach sie Ausschau halten (vgl. das berühmte wan si suochen birn ûf den buochen [II, 7 ]), selbst schon genug zu leiden hätten. 63 So die Begriffsprägung bei Lieb, s. o. 1 Saisonalität als kulturelles Ordnungsmuster 355 würde 64 , so dass sich die Frage stellt, ob es für die Suggestionskraft der emotionalen Affizierung durch die Saison überhaupt noch eines Konzeptes bedarf, das seine agrarischen-- und damit gemeinschaftlich relevanten-- Grundlagen mitreflektiert. Ja es ist bei der Vielzahl der Fälle in unserer Beispielreihe von dezidierter Leugnung / Relativierung / übersteigernden Präzisierung der Wirkungsmacht der Jahreszeitenaffizierung durch das Text-Ich, selbst da, wo die freudenbzw. leidstiftende Potenz der Saison doch als soziale Normalität aufgerufenen ist 65 , gar nicht einzusehen, dass der Vorgang einer Etablierung der Literatur von vorgängigen kulturellen Mustern erst allmählicher Entwicklung bedürfte, z. B. dann verstärkt in der am romanischen Modell des Frauendienstes geschulten hochhöfischen Phase des Minnesangs erfolge. 66 Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Die Saisonalitätsmarkierung erweist sich offenkundig vielmehr von Anfang an als ein vollgültiges «Literaturprinzip» 67 , so dass dem Minnesang ein ganzes Set an disparaten Jahreszeitenzuschreibungen zur Verfügung steht (ob überhaupt und wo auch immer diese eine Vorprägung erhalten haben mögen, ist dabei gar nicht festlegbar), wobei jene je nach Liedaussage aufgebaut, in ihrer Geltung zementiert oder eben wieder destruiert werden können. Dass es sich bei den Jahreszeitenkonzepten, die von der Literatur diskursiv entfaltet werden können, wirklich um eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten handelt, mag etwa schon allein das gerade im frühen Minnesang mehrfach vorkommende Motiv der winterlangen Nächte belegen, wie es sich z. B. in der Anfangsstrophe von Dietmars von Eist Lied MF 35 , 16 : Der winter waere mir ein zît zeigt 68 : 64 Vgl. etwa im Falle des Sommereinschreibung Heinrich von Veldeke, MF 64 , 17 : Ez tuont diu vogelîn schîn, / daz siu die boume sehent gebluot, / ir sanc machet mir den muot / sô guot, daz ich vrô bin / Noch trûric niht kan sîn ( 1 - 5 ) bzw. für den Wintereingang Dietmar von Eist, MF 37 , 30 : Sich hât verwandelt diu zît, / daz verstên ich bî der vogel singen: / geswîgen sint die nahtegal, si hânt gelân ir süezez klingen. / unde valwet oben der walt. / ienoch stêt daz herze mîn in ir gewalt, / der ich den sumer gedienet hân. / diu ist mîn vröide und al min liep, ich wil irs niemer abe gegân (I, 1 - 6 ). 65 Vgl. dafür nur die doch sehr bestimmte Ablehnung der Jahreszeitenwirkmacht in der Fortführung des bereits anzitierten Sommereingangs von Heinrichs Lied MF 56 , 1 : Ez sint guote niuwe maere, / daz diu vogel offenbaere / singent, dâ man bluomen siht. / zen zîten in dem jâre / stüende wol, daz man vrô waere, / leider des enbin ich niht (I, 1 - 6 ; Hervorhebung von mir, D. E.). 66 Dieser Eindruck mag entstehen, wenn man sich die bei Ludger Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 194 - 206 , versammelten Beispiele von Liedern ansieht, die die im Minnesang genutzten Techniken demonstrieren, die an einer Stilisierung einer genau nicht von saisonalen Strukturen abhängigen Minnebetroffenheit des Ichs arbeiten; es findet sich für die Frühphase nur der Verweis auf Meinlohs MF 14 , 1 (ebd., S. 195 ), die weiteren Belege entstammen sämtlich dem hochhöfischen Minnesang. 67 So ja der von Müller, Jahreszeitenrhythmus, programmatisch gewählte Begriff, s. o. 68 Dabei seien an dieser Stelle einmal Überlegungen zur intrikaten Überlieferungslage des Liedes, das in A eine divergierende Autorzuschreibung und erweiterten Strophenbestand aufweist, beiseite gelassen (vgl. MFMT I, S. 61 f., und Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 399 ). Zudem geht es mir an dieser Stelle weniger um die Diskussion, ob eine Einordnung der Anfangsstrophe als Natureingang überhaupt zutrifft (Reichen die Aktualitätsmarker aus? Genügt die Aufführung der langen Nächte den Mindestanforderungen an präsentierten Naturdetails? etc.). 356 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven I. MF 35,16 Veltkilchen A 5, B 15, C 17 Der winter waere mir ein zît sô rehte wunneclîchen guot, wurde ich sô saelic, daz ein wîp getrôste mînen seneden muot. Sô wol mich danne langer naht, gelaege ich alse ich willen hân! si hât mich in ein trûren brâht, des ich mich niht gemâzen kan. [Der Winter wäre für mich eine Jahreszeit, die wirklich derart herrlich ist, wenn mir das Glück zuteil würde, dass eine Frau mein sehnsüchtig liebendes Gemüt tröstete. Ich würde dann gerade die langen Nächte preisen, wäre ich so gebettet, wie ich es mir wünsche! Sie hat mich in eine Verzweiflung gestürzt, die ich nicht zu mäßigen verstehe.] Zwar wird man im Falle der hier präsentierten konzeptuellen Verknüpfung von Winterzeit und potenzieller Liebesfreude in langer Nacht (die ja den Liebeskummer des Ichs erst- - eben durch das Ausbleiben des Einverständnisses der Frau- - in seiner Exorbitanz profiliert) mit Müller einwenden können, diese beziehe sich allein auf ein persönliches minne-Glück und nicht auf ein ‹höfisch› codiertes Liebeswerben- - aber schließt sich eigentlich beides strikt aus? 69 Und: Ist in Liedern, die 69 In diesem Zusammenhang ist die Realisation der Strophenfolge von MF 35 , 16 als ein Wechsel bedeutsam, der-- je nach Handschriftenfassung-- auf eine als Redepartie eines männlichen Text-Ichs zu imaginierende Strophe entweder eine oder zwei Frauenstrophen folgen lässt (zum Status des männlichen Text-Ichs in Str. I vgl. weiter unten in dieser Anm.). Jedenfalls wird man aber aus dem auf geistig-emotionale Intimität des Sprecherpaares- - bei gleichzeitiger suggestiver raumzeitlicher Trennung- - zielenden Gattungscharakter des Wechsels nicht gleich darauf schließen können, dieser rufe ‹nur› die Vorstellung einer individuellen Liebessituation auf, die nicht gesellschaftlich umrahmt und somit nicht im Kontext eines als ‹höfisch› zu verstehenden Konglomerats von Minnekonzeptionen zu lesen sei. Gleichermaßen verhält es sich mit der möglichen Anspielung auf die Gattung des Tagelieds (wo die Nächte im Allgemeinen dem Paar ja viel zu kurz erscheinen! ), die in dem Hinweis auf die langen Nächte im Winter eingefangen ist. Diese wäre dann freilich recht früh zu denken, aber mithin bezeugt ja Dietmars MF 39 , 18 : Slâfest du, vriedel ziere? , dass die diesbezüglichen Gattungskonventionen schon als bekannt vorausgesetzt werden können. Auch für die Gattung des Tageliedes aber, das ja ebenfalls eine im Bereich des Persönlichen ausagierte Minnesituation vorführt, die jedoch eine ebenso virulente gesellschaftsthematische Perspektivierung aufweist wie das Liebeskonzept im Registersprechen des Werbungsliedes (wo diese durch die Sangesthematik und die Suggestion einer Interaktion mit dem Publikum freilich auf einer anderen Ebene zu liegen scheint), wird man nicht davon sprechen können, dass die in ihm vorgestellte Liebessituation nicht hochgradig in den Vorstellungshorizont eingeschrieben sei, den wir als ‹höfische Liebe›-- und somit als ein zentrales Diskursfeld einer ‹höfischen Kultur› und der ihr inhärenten sozio-kulturellen Deutungsmuster- - imaginieren. Schließlich wird man aber auch gar nicht mehr davon ausgehen mögen, dass das Liebesbegehren des Text-Ichs im Werbungslied selbst-- so sehr es im Registersprechen auf einen Entwurf einer gesellschaft- 1 Saisonalität als kulturelles Ordnungsmuster 357 einen Sommereingang präsentieren, tatsächlich stets mehr auf ein gesellschaftlich normiertes Werbungsverhältnis abgehoben als auf Erfüllung eines persönlichen Liebesbegehrens? Dass man diese Fragen schwerlich wird bejahen können, zeigt etwa ein ebenfalls sehr frühes Beispiel, die Strophe MF 14 , 1 : Ich sach boten des sumeres des Meinloh von Sevelingen: MF 14,1 C 12 Ich sach boten des sumeres,---daz wâren bluomen alsô rôt. weistu, schoene vrowe,---waz dir ein ritter enbôt? verholne sînen dienst; ---im wart liebers nie niet. im trûret sîn herze,---sît er nu jungest von dir schiet. Nû hoehe im sîn gemüete---gegen dirre sumerzît. vrô wirt er niemer, ê er an dînem arme---sô rehte güetlîche gelît. 72 70 [Ich sah Boten des Sommers, das waren derart rote Blumen. Weißt du, schöne Herrin, was dir ein Ritter ausrichten lässt? Heimlich seinen Dienst! Ihm war noch nie etwas angenehmer. Ihm ist sein Herz bekümmert, nachdem er nun neulich von dir Abschied nahm. Nun richte ihm seine Stimmung wieder auf, in dieser Sommerzeit. Er wird nie wieder fröhlich, bevor er nicht an deinem Arm so richtig liebevoll zu liegen kommt.] Wenn man die beiden Liedstrophen hinsichtlich der in ihnen aufgerufenen Jahreszeitenzuschreibungen von Winter und Sommer vergleicht, so wird man, um Schieflagen zu vermeiden, nicht umhin kommen, zunächst einmal auf die sich jeweils ergebenden Gattungsspezifika zu verweisen ( MF 35 , 16 : Werbungsstrophe/ Wechsel, MF 14 , 1 : Botenstrophe mit direkter Anrede der vrouwe), die freilich nicht einfach eingeebnet werden dürfen. Damit tritt zum einen im Falle von MF 14 , 1 der mögliche Charakter einer Figurenrede viel stärker ins Bewusstsein ( MF 35 , 16 ist ja ohne lichen Rahmung des Minnewerbens abzielt- - nicht letztlich immer auf eine am Ende doch allein persönlich erfahrbare Liebeserfüllung ausgerichtet ist. Dazu ist noch zu bemerken, dass dem Rezipienten in Strophe I von MF 35 , 16 noch gar nicht erkennbar ist, dass das Lied als Wechsel konzeptualisierbar ist, da sich diese Möglichkeit der Gattungszuordnung erst durch die darauf im Liedverlauf erfolgende Frauenrede ergibt, die es somit-- quasi im Rückblick-- zulässt, die vorausgegangene Rede des männlichen Text-Ichs nicht nur als konventionelle Werbestrophe, sondern (auch) als Äußerung eines mit der Sprecherin in einem Paarverbund zu imaginierenden Liebespartners zu verstehen ist. Rein registral verweist die Rede nämlich eher bereits auf das typische Sprechen des Text-Ichs im Werbungslied mit seinen konjunktivisch-konditionalen Hypothesenbildungen (vgl. etwa das der winter waere mir ein zît / -[…] wurde ich sô saelic, daz […] in den Versen I, 1 - 3 ) und den Unbestimmtheiten in der Füllung der Instanz der Dame (ein wîp [I, 3 ; vgl. dazu oben Reinmars MF 191 , 7 , Vv. I, 3 f. ] / si hât mich in ein trûren brâht [I, 7 ]). 70 Hervorhebungen-- wie im Folgenden-- von mir, D. E. 358 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven Irritation als konventionelles Sprechen des ‹Sänger-Ichs› zu denken) 71 , zum anderen ist der Natureingang in komplexer Weise mit der aufgerufenen Botensituation motivisch verkoppelt (z. B. Blumen als boten des sumeres [V. 1 ] / Weitergabe dessen, waz-[…] ein ritter enbôt [V. 2 ] an die Dame) und somit eigentlich hinsichtlich der gängigen argumentativen Anbindungsmuster an das Text-Ich zunächst schwer ausdeutbar. 72 Allerdings sollte dabei nicht übersehen werden, dass im weiteren Verlauf der Strophe noch einmal auf die einleitende Natureingangspassage zurückgekommen wird, indem das Boten-Ich nun das Motiv der jahreszeitenadäquaten Freude aufgreift und dieses im Sinne einer argumentativen Strategie auf das vom Liebenden erwartete Entgegenkommen der Dame ummünzt. Indem das Ich angibt, diesem, der seit der Trennung von der Dame in Liebeskummer gefangen sei (vgl. I, 4 ), müsse doch zu einer dem Sommer angemessenen Freudenhaltung verholfen werden (vgl. I, 5 ), erzeugt es wiederum über die Jahreszeitenthematik den aussagenlogischen Sog eines ‹gerechtfertigten› Anspruches des Mannes, für den aber nur durch die Liebesgewährung von Seiten der Dame Abhilfe geschaffen werden könne (vgl. I, 6 f.). Es wird hier also die Zuschreibung, der Sommer sei als eine Zeit anzusehen, in der naturgemäß jeder froh sein müsse, zunächst in ihrer Geltung diskursiv aufgebaut und damit die Vorstellung unterlegt, der schönen Jahreszeit sei eine freudenstiftende Wirkung inhärent, nur um diese dann in einem zweiten Schritt auf die persönliche Liebessituation des Mannes anzuwenden- - und damit letztlich in ihrer angeblichen Geltungsmacht wieder zu desavouieren (eigentlich hat nur die Liebeserfüllung überhaupt die Potenz, den Mann glücklich zu machen). Das nähert nun aber im Falle des Natureingangs die in MF 14 , 1 präsentierte erweiterte Anbindungsargumentation über einen nur in 3 . Person angesprochenen Mann wiederum der bereits besprochenen, relativ häufig im Minnesang begegnenden Technik einer implizit-kontrastierenden Inbezugsetzung der Topik mit der emotionalen Stimmungslage des Werbungslied-Text-Ichs an (nach dem Muster «Ich könnte in 71 Dass eine Konzeptualisierung als ‹Sängerrede› für MF 14 , 1 ganz unmöglich ist, ist damit freilich noch nicht erwiesen. Ludger Lieb ordnet Meinlohs MF 14 , 1 jedenfalls unter dem Stichwort einer «Distanzierung [erg.: vom Jahreszeitentopos] durch die Einführung dritter Personen» in die dem Minnesang abzulesende Tendenz zur Situierung einer Eigenzeit der Minne ein (ders., Die Eigenzeit der Minne, S. 195 ). In diesem Zusammenhang ist freilich zu betonen, dass auch MF 35 , 16 den Topos in distanzierender Brechung realisiert, da die Aussage des Text-Ichs Der winter waere mir ein zît / sô rehte wunneclîchen guot [I, 1 f] zum einen konjunktivisch in den Möglichkeitsraum des Als-Ob-Sprechens verschoben erscheint, zum anderen diese in derartiger Allgemeingültigkeit und frei von situativer Bindungskraft formuliert ist, dass fragwürdig ist, ob es überhaupt unbedingt notwendig ist, den Winter als Sprechgegenwart zu imaginieren. Allenfalls die exklamatorische Bezugnahme auf die langen Nächte (vgl. I, 5 ) vermag es dann doch, dem Lied einen gewissen Aktualitätsgestus im Sinne einer suggestiven Situationsfestlegung als winterlich einzuschreiben. 72 Auch wenn sich für den Status des Ichs als Bote und den Jahreszeitenwandel durch die Motiventsprechung Parallelisierungseffekte ergeben, darf nicht übersehen werden, dass eine Inbezugsetzung von Natur und Gefühlswelt des Ichs nicht explizit erfolgt und auch nicht angedeutet ist; vgl. ähnlich: L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 195 f. 1 Saisonalität als kulturelles Ordnungsmuster 359 diesem Sommer froh werden, wenn die Dame mich erhört» 73 ), so dass ein direkter Vergleich der in den beiden Liedstrophen aufgerufenen Jahreszeitenzuschreibungen hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Liebesthematik letztlich doch nicht allzu abwegig erscheint. Denn schließlich nutzt das Text-Ich in Dietmars MF 35 , 16 genau das Gegenstück dieser argumentativen Einbindung des Saisonalen, wenn es angibt, es könnte durchaus im Winter glücklich werden, wenn die Geliebte nur bereit wäre, es zu trösten (vgl. I, 1 - 4 ; oben eingeordnet als Technik einer impliziten Kontrastierung im Falle des Winters 74 ). Besonders auffällig ist jedoch, dass für diese rhetorischen Konstruktionen beide Liedstrophen gar nicht auf das Konzept einer im Sinne einer vor der höfischen Öffentlichkeit ablaufenden Liebeswerbung als Sang abheben (die nach Müller ja auch nur im Sommer denkbar wäre), sondern dieses Werben auf der Aussagenebene allein auf den Horizont einer als heimlich suggerierten und allein auf das «individuelle minne-Glück» 75 abseits von Gesellschaft ausgerichteten Liebe verpflichten 76 , wobei die saisonal verwandelte Natur jeweils sozusagen als argumentative Unterfütterung der imaginativen Werbungsstrategien des liebenden Mannes realisiert ist: als verstärkende Profilierungsgröße für das außerordentliche Liebesleid in MF 35 , 16 sowie als Herleitungsfolie der angeblichen Berechtigung des Anspruchs auf Liebeserfüllung in MF 14 , 1 . Damit ist aber auch in beiden Fällen eine kollektiv freudenspendende Potenz der Jahreszeiten angesprochen, die sich für beide, Winter und Sommer, ergibt (der Winter aufgrund der langen Nächte, der Sommer aufgrund seiner Verpflichtung auf Freude), so dass sich also bereits dem frühen Minnesang genau nicht die von Müller konstatierte Unterschiedlichkeit eines kulturell vorstrukturierten Saisonalitätskonzeptes von höfischem Liebeswerben im Sommer und allenfalls persönlichem Liebesglück im Winter ablesen lässt. Damit demonstriert aber gerade die Zuschreibungsvariante einer auch im Winter kollektiv bestehenden, möglichen Freudenwirkung der Jahreszeit (die langen Nächte stehen ja zumindest theoretisch jedem zu ausgedehntem Liebesgenuss offen! ) eindrücklich die von Anfang an bestehende Vielfalt von Jahreszeitenkonzepten, über die der Minnesang offensichtlich verfügen kann, ohne dass generell und präzise zu 73 S. oben, Schaubild II. 74 Vgl. ebd. 75 So die Begriffsprägung von Müller, s. o. 76 Für Dietmars MF 35 , 16 ist das relativ klar ersichtlich. Im Falle von Meinlohs MF 14 , 1 könnte man dagegen einwenden, dass dies aufgrund der Figuration des Text-Ichs als Bote so auch nicht anders erwartbar ist, da dadurch schon einmal die Realisation der Sangesthematik ausscheidet und sich die Möglichkeit einer Simulation von Interaktion mit dem ‹Publikum› durch ein Sänger-Ich verbietet. Allerdings ist zu betonen, dass sich durch die Situierung des sprechenden Ichs als Bote eine dritte Instanz zwischen liebenden Mann und Dame schiebt, die wiederum allein schon die Liebeswerbung auf den Raum des Gesellschaftlichen hin öffnet. Zudem ist auf die beiden oben fett gedruckten Passagen zu verweisen, die besonders deutlich an einer Stilisierung der Beschränktheit des Liebeswerbens auf den Bereich des Verborgenen arbeiten: So betont das Boten-Ich, der Mann lasse der Dame seinen Dienst eben nur heimlich ausrichten (V. 3 ), wie auch, dass dessen Tröstung bloß in der Abgeschiedenheit eines persönlichen Erfahrens von Liebesglück liegen könne (vgl. V. 7 ). 360 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven sagen wäre, aus welchen vorgängigen Symbolsystemen sich diese Vorstellungen speisen. Dies bedeutet allerdings, dass man mit der Vorordnung eines auf Binarität abzielenden kulturellen Deutungsmusters, das in den Texten seinen Niederschlag finden soll, den diffizilen Ausfaltungen des «Literaturprinzips» Natureingang im Minnesang mit seinen disparaten diskursiven Strategien des Aufbaus saisonaler Zuschreibungen und den vielfältigen konnotativen Anhaftungen, die sich daraus ergeben mögen, kaum gerecht werden kann. 2 Der Interpretationsrahmen ‹Natur› vs. ‹Kultur› Damit empfiehlt es sich wohl, den Blick etwas auszuweiten und weitere Themenfelder abzuschreiten, die in kulturwissenschaftlich perspektivierten Untersuchungen der letzten Jahre, auch wenn sich diese gar nicht in erster Linie mit dem Natureingang oder sogar dem Minnesang generell beschäftigt haben, eine große Rolle gespielt haben, um zu überprüfen, inwiefern jene nicht auch in unserem Zusammenhang fruchtbar gemacht werden können. Dies führt vor allem zur Untersuchung der literarischen Um- und Besetzung der Basisopposition von ‹Natur› und ‹Kultur› 77 , die für die mediävistische Forschung eine kulturtheoretische Lektüremöglichkeit im Anschluss an die strukturanthropologischen Arbeiten von Claude Lévi-Strauss etwa zum kulinarischen Dreieck von Rohem, Gekochten und Verfaulten 78 oder zur Inzesttabuisierung 79 als Anregungspunkt- - nicht nur, aber sehr prominent- - im Falle des höfischen Romans, besonders des «Iwein» Hartmanns von Aue, ergeben 77 Vgl. für den Bereich der mittelalterlichen Lyrik z. B. auch die Überlegungen Rainer Warnings zur romanischen Pastourelle, für die er die große Bedeutung des Duals von Natur und Kultur im Rekurs auf Lotmans topologisches Modell betont (vgl. ders., Pastourelle und Mädchenlied, in: Fs. Walter Haug und Burghart Wachinger. 2 Bde., hg. von Johannes Janota u. a., Tübingen 1992 , Bd. II, S. 709 - 723 , hier S. 712 . 78 Lévi-Strauss, Claude: Mythologique I. Le cru et le cuit ( 1964 ); dt. erschienen als: Mythologica I. Das Rohe und das Gekochte, aus dem Franz. von Eva Moldenhauer, Frankfurt a. M. 1971 , vgl. hier bes. S. 179 , 191 , 217 , 348 , 356 - 362 und 429 - 438 ; vgl. für eine Anwendung der von Lévi-Strauss gemachten Beobachtungen-- neben Hartmanns «Iwein» (s. u.)-- etwa im Falle der bast-Episode des «Tristan»-Romans von Gottfried von Straßburg: Schmid, Elisabeth: Natur und Kultur in der Jagdszene von Gottfrieds «Tristan», in: Der «Tristan» Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5 . bis 8 . April 2000 , hg. von Christoph Huber und Victor Millet, Tübingen 2002 , S. 153 - 166 , hier S. 161 - 166 , bzw. dazu jüngst die kritische Relativierung von Schmids Thesen in Schausten, Monika: «dâ hovet ir iuch selben mite»: Höfische Jagdkunst im Spiegel klerikaler Kritik am Beispiel des Tristan Gottfrieds von Straßburg, in: LiLi 161 / 2011 , S. 139 - 164 , hier S. 157 f. (mit Anm. 78 ) und 161 f. 79 Lévi-Strauss, Claude: Les structures élémentaires de la parenté ( 1949 / 2 1967 ); dt. erschienen als: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, übers. von Eva Moldenhauer, Frankfurt a. M. 1981 , vgl. hier bes. S. 45 - 74 ; s. für eine in dieser Hinsicht von Lévi-Strauss inspirierte Analyse etwa im Falle von Hartmanns «Gregorius»: Strohschneider, Peter: Inzest-Heiligkeit. Krise und Aufhebung der Unterschiede in Hartmanns «Greogorius», in: Geistliches in weltlicher und Weltliches in geistlicher Literatur des Mittelalters, hg. von Christoph Huber, Burghart Wachinger und Hans-Joachim Ziegeler, Tübingen 2000 , S. 105 - 133 , hier bes. S. 116 - 118 . 2 Der Interpretationsrahmen ‹Natur› vs. ‹Kultur› 361 hat. 80 Dabei hat sich das Bild einer höfischen Kultur verfestigt, die sich in ihren Selbstentwürfen stets «gegenüber einer allenthalben erfahrbaren widrigen Natur» ihrer eigenen «Überwindungs- und Disziplinierungsleistungen» versichert und diese reflektiert. 81 Und so erscheine auch-- laut dem Gros der Einschätzungen-- im «Iwein» die ‹Natur›, verstanden als eine der höfischen Kulturisation als ein Anderes gegenüberstehende Sphäre des Wilden und Vorzivilisatorischen, dem Protagonisten als zutiefst verstörende Sphäre, der das Signum krisenhafter A-sozialität und Irrationalität durch die Wahnsinnsepisode Iweins 82 deutlich eingeschrieben sei. 83 Damit 80 Für die Interpretation des «Iwein» hinsichtlich der vielfältigen und komplexen Ausfaltungen entlang der Demarkationslinie von ‹Natur› und ‹Kultur› ist die Vermittlung durch Le Goffs einschlägigen und für einen Historiker beeindruckend literaturwissenschaftlich-sensibel argumentierenden Aufsatz zum «Yvain» grundlegend, vgl. Le Goff, Jacques: Lévi-Strauss en Brocéliande ( 1974 / 2 1979 ); dt. erschienen als: Lévi-Strauss in Brocéliande. Skizze zur Analyse eines höfischen Romans, in: ders., Phantasie und Realität des Mittelalters. Aus dem Franz. übers. von Rita Höner, Stuttgart 1990 , S. 171 - 200 und S. 371 - 386 (Anm.); s. ferner bereits: Waldmann, Bernhard: Natur und Kultur im höfischen Roman um 1200 . Überlegungen zu politischen, ethischen und ästhetischen Fragen epischer Literatur des Hochmittelalters, Erlangen 1983 (Erlanger Studien 38 ), S. 64 - 75 , unter der Perspektive der Wahnsinnsthematik: Matejovski, Dirk: Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung, Frankfurt a. M. 1996 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1213 ), hier bes. S. 120 - 146 , in Perspektivierung auf Victor Turners Theorie der ‹sozialen Dramen› bzw. der sich in solchen Übergangsriten ergebenden Liminalitätsphasen: Quast, Bruno: Das Höfische und das Wilde. Zur Repräsentation kultureller Differenz in Hartmanns Iwein, in: Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur, hg. von Beate Kellner, Ludger Lieb, und Peter Strohschneider, Frankfurt a.M. u.a. 2001 (Mikrokosmos 64 ), S. 111 - 128 , sowie die Zusammenfassung derartiger Deutungsansätze zum «Yvain»/ «Iwein» in: Friedrich, Udo: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter, Göttingen 2009 (Historische Semantik 5 ), hier 358 - 374 . 81 Beide Zitate entnommen aus: Friedrich, Udo: Überwindung der Natur. Zum Verhältnis von Natur und Kultur im Straßburger Alexander, in: Fremdes wahrnehmen- - fremdes Wahrnehmen. Studien zur Geschichte der Wahrnehmung und zur Begegnung von Kulturen im Mittelalter und früher Neuzeit, hg. von Wolfgang Harms und C. Stephen Jaeger, Stuttgart u. a. 1997 , S. 119 - 136 , hier S. 120 f. 82 Andererseits verweist bereits Bruno Quast unter dem Stichwort einer ‹Hybridität des Erzählens› für den «Iwein» darauf, dass der am liminalen Symbol des Löwen der Hauptfigur ablesbare ‹Weg› weniger als Ausgrenzung des ‹Wilden›, denn als identitätssichernde Integration dieser Sphäre zu verstehen ist: Damit zeigt aber der literarische Umgang mit der ‹Natur› auch dialektisch für die ‹Kultur› die eigenen Konstitutionsquellen im ‹Wilden›, wie es z. B. für das ritterliche Agonalitätsprinzip als Grundlage unverzichtbar ist, auf und somit eben wiederum das Andere im Eigenen (vgl. B. Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 118 - 128 ). S. dazu auch meine ähnlichen-- auf eine mögliche Anwendbarkeit des Kulturkonzepts von Homi Bhabha zielenden-- Bemerkungen unten. 83 Vgl. z. B. recht plakativ D. Matejovski, Das Motiv des Wahnsinns, S. 128 : «Fast alle Erzählelemente der Wahnsinnsszene wie Kleidung, Nacktheit, Jagd, Essen Tausch verweisen auf die Spannung zwischen dem Bereich höfischer Zivilisation und undomestizierter Wildheit und sind so Ausdruck der Präventionen der aristokratischen Artuswelt gegenüber Anderem», ferner ebd., S. 134 : «Ihm, dem Helden, kommt dabei auch die Aufgabe zu, als exemplarisch Leidender sich der Natur anzuähneln und sie in dieser Mimesis zu bewältigen. Iweins temporäres Außenseitertum ist als genaue Antithese zum Konzept höfischer Zivilisation angelegt: Ver- 362 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven stellt sich freilich die Frage, ob unter diesen Vorzeichen das Dual ‹Natur / Kultur› und seine Grenzziehungen auch als Interpretament für den Natureingang im Minnesang nutzbar gemacht werden könnte, da in ihm ja mithin die Sphäre der ‹Natur›, wenn auch unter einer saisonalitätsregierten Perspektive, ebenso angesprochen ist wie bisweilen- - allerdings viel weniger ausschließlich und normativ als oft behauptet 84 -- in der Liebesthematik Momente einer Inszenierung von ‹höfisch›-kultureller Überlegenheit gegenüber einer rein-kreatürlichen Triebwelt. 85 Ein gutes und recht früh anzusetzendes Beispiel, das sich zur Überprüfung der Tragfähigkeit dieser stummen, Flucht, Entkleiden, Reduktion der Existenz auf bloßes Überleben, diese Schwundformen ritterlichen Lebens ergeben die Form des Wahnsinns, wobei die Wahrheit dieser Festsetzung darin besteht, daß sich die höfische Vernunft ihr Anderes nur als vernunftlose Leere zu denken vermag» und ebd., S. 137 : «Iweins Wahnsinn wird in der Tat als das ganz Andere der Vernunft und Zivilisation begriffen, nur indem sich der Heros der höfischen Zivilisation zum animalisierten Wilden entwickelt, indem er gerade für Kategorien, die für die affektive Differenzierung und intellektuelle Selbsterfahrung seines Standes konstitutiv sind, nicht mehr erreichbar ist, kann er ein für allemal die Bedrohung und die Lockung, die vom Widerpart höfischer Aufklärung ausgeht, in den Bereich vorkultureller Naturverfallenheit bannen». 84 Vgl. E. Willms, Liebesleid und Sangeslust und T. Reuvekamp-Felber, Kollektive Repräsentation. 85 In diesem Zusammenhang ist freilich auf die nicht unproblematische funktionsgeschichtliche Lesart des Minnesangs im Anschluss an Norbert Elias zu verweisen, der den Minnesang als eine Station im sozio- und psychogenetisch auf Affektmodellierung zielenden ‹Prozess der Zivilisation› behandelt, in der sich-- zumindest in Teilen der Adelsgesellschaft-- bestimmte Formen der sublimierenden Triebregulierung und einer unter dem Leitbegriff der ‹Courtoisie› firmierendenVerhaltensnormierung im Sinne eines ‹Zivilisationsschubes› einstellen (vgl. ders., Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., neu durchges. und erw. Aufl., Frankfurt a. M. 1997 [stw 158 f.], Bd. II: Wandlungen der Gesellschaft / Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, S. 97 - 131 ); vgl. dazu die kritischen Bemerkungen in: U. Liebertz-Grün, Zur Soziologie des ‹amour courtois›, S. 89 - 91 , und U. Peters, Text und Kontext, S. 324 - 326 , die mit Walter Haug (vgl. das auf einen früheren Aufsatz zurückggehende Kapitel «Literaturgeschichte und Triebkontrolle» in: ders., Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Tübingen 2003 , S. 604 - 615 ) und im Verweis auf die in dieser Hinsicht grundlegenden Arbeiten von Jan-Dirk Müller (ders., Strukturen gegenhöfischer Welt. Höfisches und nicht- Höfisches Sprechen bei Neidhart, in: Höfische Literatur, Hofgesellschaft, höfische Lebensformen um 1200 . Kolloquium am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld [ 3 . bis 5 . November 1983 ], hg. von dems. und Gert Kaiser, Düsseldorf 1986 [Studia humaniora 6 ], S. 409 - 451 ; wieder in: ders., Minnesang und Literaturtheorie, S. 39 - 79 ; ähnliche Ergebnisse zeigt bereits schon: ders., Die hovezuht und ihr Preis. Zum Problem höfischer Verhaltensregulierung in Ps.-Konrads ‹Halber Birne›, in: JOWG 3 [ 1984 / 85 ], S. 281 - 311 ; wieder in: ders., Mediävistische Kulturwissenschaft, S. 205 - 228 ) darauf Bezug nimmt, dass in den literarischen Texten freilich auch «das in der höfischen Kultur Ausgegrenzte, die Unterseite, die Schattenseite des Zivilisationsprozesses» (U. Peters, Text und Kontext, S. 326 ) aufscheint. Für eine interessante, aber ebenfalls in ihrer sozialgeschichtlichen Festschreibungstendenz nicht gänzlich unangreifbare Möglichkeit einer diskurs- und genderanalytisch profilierten Umschrift solcher Vorstellungen vgl. R. Schnell, Liebe und Freiheit, der den Minnesang vor dem Horizont eines neuen, gegen den moraltheologischen Diskurs gerichteten ‹höfischen› Männerbildes liest, das sich aus einer «sexuellen Selbstdisziplinierung des Mannes» (ebd., S. 54 ) speist. 2 Der Interpretationsrahmen ‹Natur› vs. ‹Kultur› 363 Perspektivierung eignet, wäre im Falle des Wintereingangs etwa MF 37 , 30 : Sich hât verwandelt diu zît 86 von Dietmar von Eist, da es auf den ersten Blick tatsächlich derartige Vorstellungen zu realisieren scheint. In ihm heißt es: I. MF 37,30 C 25 Sich hât verwandelt diu zît,---daz verstên ich bî der vogele singen: geswigen sint die nahtegal,---si hânt gelân ir süezez klingen. unde valwet oben der walt. ienoch stêt daz herze mîn in ir gewalt, der ich den sumer gedienet hân. diu ist mîn vröide und al mîn liep,---ich wil irs niemer abe gegân. [Die Jahreszeit hat sich verändert, das erkenne ich am Singen der Vögel: Die Nachtigallen sind verstummt, sie haben ihr süßes Tönen aufgegeben. Und oben wird der Wald fahl. Immer noch steht mein Herz unter der Macht von derjenigen, der ich den Sommer über gedient habe. Die ist meine Freude und meine ganzes Glück, ich werde ihr zuliebe niemals davon ablassen. 87 ] Denn zunächst einmal wird in MF 37 , 30 ja mit dem einleitend aufgerufenen Bild eines Jahreszeitenwandels, das die vormals offensichtlich bestehende und mit dem Vogelgesang Annehmlichkeit verbreitende sommerliche Natur im Modus der Perspektivierung durch die Diagnostik des Text-Ichs (vgl. I, 1 : daz verstên ich…) auf Anzeichen des Winters (Verschwinden des süezen klingens der Nachtigallen, Fahlwerden der Bäume, vgl. I, 2 f.) hin verdichtet, eine Natursphäre aufgerufen, die der sich darauf anschließenden Minnethematik als Kontrastfolie dient: Im Gegensatz zu der dem saisonalen Wandel zwangsläufig unterworfenen Natur betont das Text-Ich die auf Dauer und Konstanz angelegte Form seines Liebens, die sich gerade nicht mit dem Signum der Wechselhaftigkeit versehen lässt (vgl I, 4 f.: ienoch-… / der ich den sumer gedienet hân). Dies hebt freilich in entscheidender Weise die Exzeptionalität des Liebens auf Seiten des Text-Ichs zum einen vor dem Hintergrund einer kosmologischen Ordnung hervor, zu deren unhintergehbaren Bedingungen die Verpflichtung auf Wandel im Sinne eines Werden und Vergehens gehört, wie es im Jahreszeitenprinzip gleichnishaft aufscheint, andererseits wird dieses Minneverhalten nun aber auch in perspektivischer Reibung mit anderen liebesbezogenen Saisonalitätskonzepten wie dem in der mittellateinischen Liebeslyrik weit verbreiteten Modell von der schönen Jahreszeit als einer causa amoris profiliert. Denn anders als dort ergibt sich die Liebe des Text-Ichs ja offensichtlich nicht aus einer 86 Hervorhebungen im Textabdruck-- wie auch im Folgenden-- von mir, D. E. 87 Die von den Hgg. von MFMT in Bd. I, S. 65 , für den letzten Halbvers vorgeschlagene Übersetzungshilfe «…ich will ihr niemals etwas versagen» trifft m. E. nicht ganz den Sinn der Passage, vgl. auch die Übersetzung von M. Kuhn in I. Kasten, Deutsche Lyrik, S. 79 : «nie will ich das (erg.: Freude und Glück) preisgeben», die wiederum das ir vernachlässigt. 364 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven quasi naturgegeben-kreatürlichen Affizierung durch die Jahreszeit (was das liebende Ich deutlich in der Sphäre der ‹Natur› verorten würde), sondern aufgrund einer besonderen Wertschätzung der Geliebten (vgl. I, 6 : diu ist mîn vröide und al mîn liep), die gerade nicht saisonal beschränkt und damit-- so wird suggeriert-- dieser Form des Begehrens überlegen ist. Aber-- und hier wird m. E. der binäre Schematismus der Opposition von ‹Natur› vs. ‹Kultur› schon ausgehebelt-- ergibt sich diese Überlegenheit tatsächlich aus einer ethisierenden Leistung des Ichs, einem bewusst gesetzten Entschluss von diesem, trotz Frustrationserfahrungen an einer werthaltigen Liebe festzuhalten (dafür könnte das programmatische ich wil irs niemer abe gegân in Vers I, 6 als Anhaltspunkt dienen), der ja dann als ‹kulturelle› Sublimierungsgeste zu verstehen wäre? Oder ergibt sich dieses Festhalten am Dienst nicht vielmehr aus einem eben noch viel stärker ausgeprägten Minnezwang durch die Dame (vgl. den genauen Wortlaut in der Angabe von I, 4 : ienoch stêt daz herze mîn in ir gewalt), der das Ich gar nicht anders handeln lassen kann? Und: Wäre diese wirkungsmächtige Affizierung des Text-Ichs dann überhaupt sinnvollerweise der Sphäre einer kulturgebundenen Disziplinierung und Abgrenzung vom Rein-Kreatürlichen zuzuschlagen oder zeigt sich hier nicht eher die Stilisierung der Beherrschtheit des Ichs durch eine viel stärkere und wohl nicht als weniger ‹naturgegeben› zu imaginierende Macht als das Jahreszeitenprinzip, nämlich die der ‹wahren› und unbedingten Minne? Schließlich wird man gar nicht mehr behaupten dürfen, dass der Minnesang das Liebeswerben des Text-Ichs als ein allein ‹kulturell›-sublimiertes und ethisierend-positiviertes Handeln inszeniert; vielmehr ist zu betonen, dass er eben auch von den verstörend-zwanghaften irrationalen und a-sozialen Wirkungen der Liebe, ja ihren für das Ich bedrohlichen Frustrationen, Ängsten und Irritationen, spricht-- was Timo Reuvekamp-Felber eindrucksvoll anhand der Minnekanzonen Friedrichs von Hausen demonstriert hat. 88 Damit ist aber allein schon die Liebesthematik im Minnesang nicht ausschließlich und eindeutig in einem auf Binarität zielenden Konzept des Interpretationsduals von ‹Natur› und ‹Kultur› zu verorten. Auch im Falle des im Natureingang begegnenden ‹Naturraumes› selbst ist dort, wo er-- wie etwa bei Neidhart-- unter der dominanten Perspektive jahreszeitlicher Organisation tatsächlich einmal etwas deutlicher als ‹Raum› aufscheint 89 , hinsichtlich einer vorschnellen Zuordnung zu einer Sphäre des Azivilisatorisch-Wilden, der die Liebesthematik dann letztlich doch wieder im Sinne einer kulturtragenden Anverwandlung gegenüber stünde, Vorsicht geboten. 90 Dies wird besonders evident, wenn man etwa die Gestaltung des Tanzmotivs im Sommereingang betrachtet, ist 88 Vgl. T. Reuvekamp-Felber, Kollektive Repräsentation. 89 S. dazu meine Bemerkungen zur definitorischen Eingrenzung des Topos, oben Kap. II. 1 . 90 Angesichts der in der Forschungsliteratur bisweilen begegnenden, etwas zu geradlinigen Vorstellungen bezüglich des sich in literarischen Texten doch meist in komplexer Verschlingung überlagernden Zuweisungsduals von Natur und Kultur ist vielleicht noch einmal zu betonen, dass im Modus literarischer Darstellung nie Zugang zu einer Sphäre authentischer Naturhaftigkeit-- verstanden als das wesenhaft und im Grundsatz vollkommen Andere von ‹Kultur›-- zu erlangen ist, da selbst da, wo Texte Konzeptualisierungen von ‹totaler› Zivilisationsferne 2 Der Interpretationsrahmen ‹Natur› vs. ‹Kultur› 365 dieses doch bereits bei seinem ersten Erscheinen bei Walther deutlich auf eine kulturell-gesellschaftliche Überschreibung der Natursphäre hin ausgerichtet. In dessen Mailied L 51 , 13 wird nämlich bezeichnenderweise für das in der schönen Jahreszeit gebotene tanzen, lachen unde singen ( II , 3 ) angemerkt, dieses habe âne dörperheit ( II , 4 ), also unter Vermeidung unhöfischer Plumpheit, zu erfolgen, wodurch dem Motiv zwar eine mögliche Stoßrichtung gegen die Neidhartschen Szenarien ausgelassener Jahreszeitenfreude beigegeben sein mag 91 , freilich aber keine grundsätzlich andere Perspektivierung im Sinne gesellschaftlicher Okkupation des saisonal indizierten Naturraumes. Denn auch bei Neidhart begegnet im Natureingang des Sommerliedes das hier besonders prominente Motiv des Aufrufs zum gemeinsamen Tanz der leien, kint oder mägde als Marker einer gesellschaftlich und kulturell überformten Natursphäre, die zwar zum einen sicherlich die Möglichkeit zu quasi ‹jahreszeitenadäquater› Liebeserfüllung als naturhaft-kreatürlich ableitbar inszeniert, aber eben jenes ‹Naturhafte› auf die mit ihm verbundene Gesellschaftspraxis rückbezieht. Dadurch ergibt sich-- und dies ist bei Neidhart durchaus deutlicher der Fall als im Minnesang sonst-- ein im Natureingang aufscheinendes Konzept des Naturraums, das die kosmologische Rahmung der in ihm ablaufenden Erscheinungen, die am saisonal gesteuerten Naturdetail (Vögel, Blumen etc.) gleichermaßen ablesbar ist wie an den Repräsentationen sozialer Vergnügungen (Tanz an der Linde etc.) und dem Fluchtpunkt einer möglichen Sexualerfüllung des Einzelnen im Freien, ebenso ausstellt wie den Vorgang seiner gesellschaftlichen und kulturellen Besetzung. Hierfür sei der Sommereingang von SL 14 (=SNE I: R 15 ) zur Veranschaulichung angeführt 92 : Neidhart: SL 14 ( SNE I: R Nr. 15 ): Ine gesach die heide (R-Fassung nach SNE ) I. R 1 C 146 c 1, f 1 Ine gesah die heide nie baz gestalt, in liehter ougenwaide den grunen walt. an den beiden chiese wir den mayen. ir magde, ir sult iuch zweien, gein dirre liehten sumerzit---in hohem mute raien. und einer der Kulturisation bedrohlich werdenden Wildheit aufrufen, diese auf kulturell vorgeprägten und kollektiv-imaginären Deutungsmustern von ‹Welt› basieren. 91 Anders dagegen Schweikle, Neidhart, S. 123 f. 92 Hervorhebungen im folgenden Textabdruck von mir, D. E. 366 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven II . R 2 C 147 c 2, f 2 Lop von mangen zungen der maye hat. di blumen sint ensprungen an manger stat, da man e dehein chunde vinden. geloubet stat diu linde: sich hebt, als ir wol habt vernomen,---ein tanz von hofschen chinden. III . R 3 C 148 c 3, f 3 Di sint sorgen ane und vrouden rich. ir maget, wolgetane und minnechlich, zieret iuch wol, daz iu die Baier danchen, die Swab und die Vranchen, iwer hemde weiz---mit siden wol z’den lanchen! [I. Ich sah die Heide niemals besser beschaffen, in leuchtender Augenweide den grünen Walt. An diesen beiden erkennen wir den Mai. Ihr Mädchen, ihr sollt euch in Paaren zusammenfinden und auf diese helle Sommerzeit hin in Hochstimmung den Reigen tanzen. II . Lob von vielen Zungen besitzt der Mai. Die Blumen sind entsprungen an vielen Stellen, wo man zuvor keine finden konnte; die Linde steht in ihrem Laub: es beginnt, wie ihr sicher vernommen habt, ein Tanz von vornehmen jungen Leuten! III . Die sind ohne Sorgen und voller Freude. Ihr Mädchen, schön und liebreizend, schmückt euch, so dass es euch die Baiern danken, die Schwaben und die Franken, eure weißen Hemden schön mit Seidentüchern an der Hüfte! ] Denn anhand der drei ersten Strophen des SL 14 ist die Kombination der beiden Stilisierungsrichtungen hinsichtlich einer Naturalisierung von Jahreszeitenfreude und Liebesbegehren sowie aber eben zudem einer soziokulturellen Überschreibung des Naturraums gut nachzuverfolgen. Schließlich erscheint dieser-- für das Text-Ich (vgl. das Ine gesah [I, 1 ]) wie die kollektive Wir-Instanz (vgl. das chiese wir den mayen [I, 5 ])-- zunächst aufgrund der Naturdetails des prachtvollen Anblickes von 2 Der Interpretationsrahmen ‹Natur› vs. ‹Kultur› 367 Heide (I, 1 ) und Wald (I, 4 ) bzw. den sprießenden Blumen ( II , 3 ) und dem Laub an der Linde (II, 6 ) leicht in Bezug auf seine saisonale Markierung, aber auch seine kosmologische Bedeutung im Sinne naturhafter Sexualbetätigung (vgl. das geforderte zweien [I, 6 ], das gerade auf die Mädchen angewendet wird! 93 ) dekodierbar, er wird jedoch allerdings gleichzeitig zum nun allein bedeutsamen Gesellschaftsraum umgelesen: Aus ihm wird die Aufforderung der auf hohen mut (! ) verpflichteten Mädchen zum jahreszeitenadäquaten Reigen abgeleitet (vgl. I, 7 ), hier (=an der Linde [ II , 6 ]) findet der vom Text-Ich bemerkte Tanz der-- explizit als hofsch benannten, und damit mit dem Prädikat höchster sozialer Relevanz versehenen-- jungen Leute statt (vgl. II , 7 ), und der von diesem zum Anlass genommen wird, Anleitungen zu modebezogener Reizerhöhung (Umbinden der Taille mit Seide [ III , 7 ]) zu geben, wobei dieser durch die Aufführung der gentes-Bezeichnungen Baier, Swab und Vranchen ( III , 6 f.) noch in pseudo-ethnodiskursiver Diktion ein gesellschaftspolitischer Nutzen attestiert wird. 94 Damit ist freilich eine Ebene der die binäre Opposition von Natur und Kultur auflösenden Aufladung des Tanzgeschehens erreicht, in der sich die Pracht der Natur mit der der kulturbesetzten Kleidung in untrennbarer Weise überlagert. 95 93 Die vordergründig ja als Tanzaufforderung zu verstehende Äußerung des Text-Ichs, die Mädchen sollten sich zweien (I, 6 ), erklärt sich vor dem Hintergrund dieser Vokabel sowohl als kulturbezogene Aussage wie auch als gerade auf die Ebene kosmologisch fundierter und naturhaft-kreatürlicher Sexualität abzielende Anbindung an den Natureingang, vgl. etwa den allerdings kontrastiv auf die persönliche Liebessituation angewendeten Sommereingang in Gottfrieds von Straßburg Lied MFMT Nr. XXIII, II: Diu zît ist wunneclîch. / swenne aberelle gegen dem meien / alsô wunneclîchen strebt, / sô hât ze vröiden sich / erde unde luft; dar zuo sich zweien, / swaz gêt, vliuget oder swebt. / Muoz ich iemer eine sîn? (I, 1 - 7 ; Hervorhebungen von mir, D. E.). 94 Es fehlen eigentlich nur die Sachsen; vgl. dazu z. B. die einschlägigen, sowohl auf eigenständige Identität wie auf legimitatorische Konstanz zielenden Ursprungserzählungen der deutschen gentes, wie sie etwa im Annolied begegnen (vgl. Bürkle, Susanne: Erzählen vom Ursprung: Mythos und kollektives Gedächtnis im Annolied, in: Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform im Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Udo Friedrich und Bruno Quast, Berlin u. a. 2004 [TMP 2 ], S. 99 - 130 , hier S. 110 - 112 [mit weiteren Angaben zur origines gentium-Texttradition auf S. 111 , Anm. 52 ]). 95 Dies gilt nun freilich auch für den Minnesang nach Neidhart, der das Motiv des Tanzes in der schönen Jahreszeit für den Sommereingang übernimmt und somit an das Werbungsliedgenre rückbindet, vgl. etwa Gottfried von Neifen, KLD 15 , XIV: Schowent vf den anger: / winter wert niht langer; / kleine vogel twanger. / dú heide ist worden swanger: / si birt vns rosen rot. / man ho e rt vogel singen, / man siht blv o men entspringen, / dvr das gras vf dringen; / ir swere wil sich ringen, / als in dv́ zit gebôt. / alsvs enpfahen wir den sv e ssen meigen! / wol vf, ir hv́beschen leigen! / wir svln die fro e ide heigen, / vil fro e lich tanzen reigen. / ahi, solt ich mich zweigen / mit ir---dv́ mir---mag wenden sende not (I, 1 - 16 ; Hervorhebungen von mir, D. E.). Interessanterweise ist gerade bei diesem Beispiel die suggestive Überlagerung und gegenseitige Verschlingung von naturaler und kulturaler Sphäre im Natureingang besonders verdichtet, was sich an der Benutzung der Termini heigen (I, 13 ) und zweigen (I, 15 ) gut aufzeigen lässt, verweist doch der Begriff heigen im Falle des Freudenaufrufs auf die agrikulturelle, aber eben an der Natur ansetzende Tätigkeit der Pflanzarbeit (vgl. Lexer I, Sp. 1209 f.), während das für den Tanzwunsch des minnebetroffenen Ichs, der ja eine auf das Werbungsliedregister zurückführende Passage einleitet (vgl. die Tröstungspotenz der Dame in I, 16 ), benutzte zweigen 368 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven Damit spitzt sich im Neidhartschen Natureingang 96 vielleicht noch einmal in besonderer Weise zu, was für den Natureingang im Minnesang ganz generell festgehalten werden sollte, nämlich dass dessen vorschnelle Zuweisung zu einer Sphäre azivilisatorischer Naturhaftigkeit- - verstanden als klar abzugrenzender Gegenpol zum kulturalen Bereich ‹höfischer› Leistungsethik- - viel zu kurz griffe 97 (auch wenn in vielen Liedern die Vorstellung durchaus eine große Rolle spielen mag, dass die exzeptionelle Liebe des Ichs eine reine jahreszeitenbedingte Affizierung nach dem causa amoris-Konzept kategorial übertrifft 98 ). Was hierbei noch von zentraler Bedeutung ist, ist die Frage, ob überhaupt davon ausgegangen werden darf, dass der Minnesang im Werbungslied über den Einsatz der Natureingangstopik ein übergeordnetes Natur-Kultur-Konzept entwirft, wie es die Forschung für den höfischen Roman entwickelt hat 99 , und in dem sich die Natur als das zutiefst verstörende Wilde, ja der traumatisierende Gegenpol der höfischen Kultur präsentiert, dessen zivilisatorischer Überwindung sich diese sozusagen immer wieder versichern wiederum zum einen auf die soziokulturelle Institution des Tanzes, zum anderen auf das von der Natur gesteuerte, jahreszeitenbedingte Paarungsverhalten der Tiere verweist. 96 Für den Wintereingang bei Neidhart ließe sich der Befund noch weiter bekräftigen, vgl. etwa meine obigen Bemerkungen zur Stilisierung der Natur- und Jahreszeitenmotivik im Winterlied vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Konfliktrhetorik. 97 Die Schwierigkeit, hier zu immer konzisen Abgrenzungen zu kommen, zeigt sich übrigens bis hin auf die Wortebene der Formulierungen. Denn wer könnte z. B. entscheiden, ob mit dem in Meinlohs MF 14 , 1 angesprochenen Motiv der roten Blumen als boten des sumeres ( 1 ) nun stärker eine Bezugnahme auf den Naturraum zur Suggestion kosmologisch fundierter Liebesfreude realisiert ist oder auf die kulturell zu verortende und mit Bedeutung aufgeladene Gesellschaftspraxis der Kommunikation, die ja mithin auch die Sprecherkonstellation der Strophe insgesamt entscheidend prägt (Botenrede)? 98 Vgl. dafür meine Bemerkungen oben, wo bereits die Frage aufgeworfen worden ist, ob diese Liebe des Ichs nun deswegen gleich weniger als naturbedingt zu gelten hat; deutlicher kulturpriviligierend ist m. E. die ähnlich ausgerichtete Übersteigerungstechnik im Falle der Sangesthematik, wie sie etwa bei Wolfram von Eschenbach in Lied MFMT Nr. XXIV, VI begegnet. Dort heißt es im Brustton eines gerade über den Sommereingang profilierten artistischen Überlegenheitsgestus: Ursprinc bluomen, loub ûzdringen / und der luft des meigen urbort vogel ir alten dôn. / eteswenne ich kan niuwez singen, / sô der rîfe liget, guot wîp, noch allez ân dîn lôn. / Die waltsinger und ir sanc / nâch halbem sumers teile in niemannes ôre enklanc (I, 1 - 6 ); vgl. zu dem Lied auch die Einordnung unter die Kategorie «Substitution der Vögel durch den Sänger» in L. Lieb, Die Eigenzeit der Minne, S. 204 - 206 . Lieb arbeitet hier völlig zu Recht heraus, dass die darauf in Str. II erfolgende Insinuierung einer Ersetzung der Nachtigall (vgl. II, 6 : nu wache aber ich und singe ûf berge und in dem tal) mit der Aussage, diese habe den Mai über nicht geschlafen, weil sie das Wiegen ihrer Kinder mit Gesang versehen habe (vgl. II, 4 f.), wiederum umgekehrt durch anthropomorphe Projektion auf das Tierreich hergeleitet wird, und so könnte man sagen: letztlich wird eine zwar basale, aber doch bereits kultursituierte Konstellation menschlicher Erziehung (=die des Wiegenliedes) dem Naturraum implantiert. 99 An dieser Stelle kann auf die Frage, ob diese Einordnungen für den höfischen Roman-- allen voran den «Yvain»/ «Iwein»- - überhaupt ganz zutreffen, leider nicht eingegangen werden, dies wäre aber m. E. durchaus noch einmal einer kritischen Gegenlektüre wert. 2 Der Interpretationsrahmen ‹Natur› vs. ‹Kultur› 369 will. 100 Denn wenn man versucht, diese Vorstellungen auf den Natureingang und seine argumentative Einbindung ins Werbungslied zu übertragen, so fallen gleich mehrere Reibungspunkte auf, die Probleme bereiten. Zum einen ist gar nicht davon auszugehen, dass es die im Natureingang vorgeführte, jahreszeitlich organisierte Natursphäre ist, die für das Text-Ich eine-- wie auch immer geartete-- Krisenerfahrung oder Verstörungswirkung entfaltet, im Gegenteil: Selbst im komplementär an die persönliche Liebessituation des Ichs anbindende Argumentationsstruktur im Wintereingang, wo der Kummer, die Betrübung und die mannigfaltigen Beschwernisse, die die schlechte Jahreszeit nun einmal mit sich bringt, meist mit Nachdruck hervorgehoben werden, wird diese Erfahrung durch den Liebesschmerz relativiert, der das Ich als exzeptionell leidend situiert. 101 Betrachten wir dafür am besten ein wohl besonders eindrückliches, aber bezüglich der Anbindungsrealisation wiederum recht typisches Beispiel, nämlich das mit einem Wintereingang ausgestattete Werbungslied KLD 59 , III des Ulrich von Winterstetten. Es handelt sich hierbei um ein zweistrophig überliefertes Lied 102 , das über einen kunstvoll ausagierten Natureingang verfügt, der deutlich erkennbar an die anthropomorphisierenden und auf Formen gesellschaftlicher Konfliktausagierung ausgreifenden Darstellungstechniken des Wintereingangs bei Neidhart anknüpft 103 , und so durchaus erst einmal die tiefgreifende Erschütterungspotenz des Winters aufruft: 100 Dabei kommt es an dieser Stelle noch gar nicht darauf an, ob die höfische Kulturposition die naturelle Wildheit nun als ein kategorial Anderes abwiese oder als (überwundene/ gezähmte) Grundlage des Eigenen mitreflektierte. 101 Für die Anbindungstechniken der Überbietung, Ablehnung der Geltung sowie Abheben auf implizite Komplementarität (=Tröstungspotenz der Dame! ) dürfte dies relativ gut ersichtlich sein (s. Schaubild II). Aber selbst im Falle einer argumentativen Herstellung von Parität bezüglich des Winter- und Liebesleides (vgl. etwa Gottfried von Neifen, KLD 15 ,V, Vers I, 5 : -… das klage ich; so klage ich mine swere-…) ergibt sich eine solche Relativierungswirkung meist allein schon über den Raum im Liedganzen, den die Liebesthematik dann einnimmt (im Falle von KLD 15 , V: Naturthematik in Str. I, Vv. 1 - 4 ; Liebesthematik von Str. I, Vers 5 bis Str. V), will heißen die Abbildung eines Thematisierungsunterschieds, der darauf wiederum im Sinne eines Bedeutungsgefälles auswertbar wird. 102 Auf fol. 88 v ist Raum für drei weitere Strophen gelassen; ein möglicher fragmentarischer Status des Liedes ist daraus aber wiederum nicht zwingend abzuleiten. 103 S. dazu oben, Kap. III. 2 .b.ii. 370 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven Ulrich von Winterstetten, KLD 59 , III : Nv ist dv́ liehte heide val I. C 9 Nv ist dv́ liehte heide val, rife wil si twingen. singen---mv o s ich aber von des winters krefte. sv e ssen sanc der nahtegal wil er gar verdringen. bringen---kan er leit mit siner meisterschefte. nement war---wie winter gegen vns ziehe! leider kreftig ist sin schar: so ist der svmer schi e he. fliehe,---winter hat das messer bi dem hefte. II . C 10 Was klage ich der vogel sanc vnde die liehten heide beide,---sit min leit ist worden klagebere? nach der ie min herze ranc, dú tůt mir so leide, scheide,---frowe, mine lange wernden swere! swanne ich sihe---ir liehten ougen blike von mir swenken, ich vergihe das ich danne erschricke. dicke---tv o t ir fremden gros mich fro e iden lere. [I. Jetzt ist die leuchtende Heide fahl, der Reif will sie in seine Gewalt bringen. Singen muss ich wieder von der Macht des Winters. Den lieblichen Sang der Nachtigall will er völlig vertreiben. Er vermag es, mit seiner Herrschaft Leid zu bringen. Nehmt wahr, wie der Winter gegen uns herangezogen kommt! Leider ist seine Gefolgschaft gewaltig: Dagegen ist der Sommer schwach. Fliehe, der Winter hat das Messer schon in der Hand! II . Warum klage ich über beide, den Vogelsang und die leuchtende Heide, wo doch mein eigenes Leid beklagenswert geworden ist? Diejenige, nach der mein Herz stets sich sehnte, die tut mir so weh, beende, Herrin, meine lange anhaltenden Schmerzen! Ich versichere, dass immer, wenn ich die Blicke ihrer leuchtenden Augen von mir abschweifen sehe, ich dann erschrecke. Ihr völliges Fremdtun beraubt mich oft jeglicher Freude.] 2 Der Interpretationsrahmen ‹Natur› vs. ‹Kultur› 371 In der ersten Strophe des Liedes erscheint der strenge Winter in seinen Unbillen charakterisiert durch personifizierende Stilisierung als kriegsbereiter Feind, der mit seinem mächtigen Gefolge im Anmarsch ist (vgl. I, 6 f.), um den Sommer zu vertreiben und der Pflanzenwie Tierwelt (vgl. die vom Reif bezwungene Heide [I, 1 f.] und den schwindenden Sang der Nachtigall [I, 4 f.]), aber auch den Menschen Leid zu bringen. Dieses Bedrohungspotential der schlechten Jahreszeit wird vom Text- Ich auch zunächst als Thema seines Gesangs angekündigt (vgl. I, 3 ) und durch die Aufrufung der Kollektivsphäre eines Wir (I, 7 ) als ein für alle relevantes Faktum dargestellt. Im Bild des Winters, der sein Messer schon gezückt hat (I, 10 ), und dem damit verbundenen, wohl an den bereits zu schwach gewordenen Sommer (vgl. I, 9 ) gerichteten Warnruf, lieber doch zu fliehen (I, 10 ), verdichtet sich also durchaus die Jahreszeitenzuschreibung vom Winter als einer gefahrvollen- - und wenn man so will: wild-unheimlichen-- Naturkraft. Dazu sind aber vor allem zwei Anmerkungen machen: Diese Konzeption verdankt sich wiederum eben genau einer Projektion von sozio-kulturellen Gegebenheiten (Kriegsführung, Waffen) auf die naturale Sphäre, so dass die Jahreszeitenordnung gerade nicht hinsichtlich ihrer fehlenden Kulturisation profiliert ist, zum anderen bleibt sie auch gar nicht ohne Relativierung stehen, ja strenggenommen ist nicht einmal erkennbar, dass sie überhaupt irgendeiner Kulturleistung als Gegenfolie dient. Denn mit der-- in dieser Form bei Gottfried von Neifen und Ulrich von Winterstetten häufiger begegnenden 104 -- Revocatio-Passage (vgl. II , 1 - 3 ), die mittels einer rhetorischen Frage nun auf einmal die eigentliche Relevanz der Winterbedrohung für das Ich in Zweifel zieht und diese Art und Weise der Eingangsgestaltung tendenziell ironisch kippen lässt 105 , zumindest aber einen Bewusstwerdungsprozess im Text-Ich inszeniert, der sie als Leerformel desavouiert, die vor allem dazu dient, die Liebesthematik entscheidend zu perspektivieren 106 , scheint auch die Annahme, die vom Text-Ich doch zuvor so eindringlich entworfene kollektive Gefährdung durch die Jahreszeit sei auf die stilisierende Darstellung bestimmter soziokulturell virulenter Natur-Traumata hin ausgerichtet, nicht mehr recht einleuchtend zu sein. Vielmehr wäre zu betonen, dass das Text-Ich in Ulrichs Lied die Bedrohungspotentiale der Jahreszeit durch diese Anbindungstechnik auf 104 Vgl. Gottfried von Neifen, KLD 15 ,I, Vv. I, 9 - 11 ; KLD 15 ,VIII, Vv. I, 5 - 7 ; Ulrich von Winterstetten, KLD 59 ,VI, Vv. II, 1 - 4 ; KLD 59 ,XXXI, Vv. II, 5 - 8 , und KLD 59 , XXXIV, Vv. II, 1 - 5 . 105 Dafür sorgt jedenfalls die Stilisierung des Text-Ichs als eines, dass zunächst mit größter Verve die Macht des Winters beklagt, ja den Sommer in mitleidiger Ängstigung auffordert, sich doch vor diesem in Sicherheit zu bringen, dann aber kontrastierend dazu auf einmal bemerkt, dass es doch eigentlich viel schlimmere Dinge zu beklagen gibt, und dies dazu noch in Form einer reflexiven Selbstbefragung nach dem Muster: «Was mache ich da eigentlich? ». 106 Noch deutlicher wird die offensichtlich auch als Spiel mit der Topik selbst gedachte Funktion solcher revocatorischer Winterleid-Passagen am Beispiel von Gottfrieds Lied KLD 15 , I, wo es im Anschluss an den Natureingang heißt: we, was klage ich tvmber vogel swere? / ob eht ich der liebvn liep in rehter liebe were, / son clagte ich niht die vogeln noch der liehten blůmen schin (I, 9 - 11 ). 372 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven seine persönliche Minnebetroffenheit umleitet 107 , so dass zu fragen wäre, ob es nicht gerade die Macht der Minne ist, die letztlich auf das Ich eine verstörende und die eigene Persönlichkeit gefährdende Wirkung ausübt. 108 Dabei wäre aber wiederum darauf zu verweisen, dass die Liebesthematik im Werbungslied genau nicht hinsichtlich der Polarität von Natur und Kultur eindeutig auf einer der beiden Seiten verortet werden kann, sondern diese geradezu aufsprengt. Dies erhöht aber natürlich auch das Gefährdungspotenzial der Minnemacht für das Ich, da so für die Liebe des Text-Ichs ein stetiges Spannungsfeld von existenzieller Ich-Bedrohtheit wie potenzieller A-Sozialität aufrecht erhalten wird, das aufgrund des eigentlich nie völlig zu suspendierenden doppelwertigen Anspruchs von einer auch körperlich erfüllten erotischen Liebe einerseits und von deren ethisierender Validität andererseits 109 schwerlich in eine der beiden Richtungen verabsolutierbar ist. Dadurch erscheint die Liebesthematik im Minnesang aber zudem als ein Bereich, in dem-- neben den besonderen Herausforderungen des eigenen Liebesbegehrens selbst-- auch die kulturelle Symbolordnung der Gesellschaft dort, wo sie auf dieses mit differierenden Einordnungen oder Unverständnis reagiert, für das Ich zu einem Problem werden kann, das es nun aber- - und dieser Unterschied zeigt sich auch in Ulrichs Lied III sehr deutlich- - im Gegensatz zu einem möglichen kollektiven Jahreszeitenleid (s. I, 7 )-- völlig allein (vgl. das min leit [ II , 3 ]-- mîn herze [ II , 4 ]-- mine lange wernden swere [ II , 6 ] etc.), ja teilweise sogar in expliziter Vereinzelung von seinem imaginierten Umfeld zu tragen hat. 110 107 Vgl. die meisterschefte des Winters im Leidbringen (I, 6 ), der nun die Dame als eigentlich relevante Leidstifterin gegenübersteht (II, 5 ). 108 Das Ich erschrickt zutiefst, wenn die Dame es nicht anblickt; durch ihr distanziertes Verhalten wird es aller Freude beraubt, vgl. II, 7 - 10 . 109 In erster Linie wären hier sicherlich die Grundanforderungen an die ersehnte Liebe auf der Paarebene (wie etwa Loyalität, Ausschließlichkeit, Freiwilligkeit etc.) zu nennen, die noch nicht einmal unbedingt zwingend in eine Sphäre von gesellschaftlicher Anbindung dieser Liebe hineinreichen müssen. Jedoch: Allein die Tatsache, dass der Wunsch besteht, die Verwirklichung einer Liebe zu erreichen, die in liebesethischer Perspektive einer auf Gleichberechtigung und gegenseitiger Anerkennung basierenden Partnerschaft besonders werthaltig ist, zeigt, dass sie selbst da, wo sie wiederum bestimmte gesellschaftliche Normen zu verletzen scheint, nicht frei von einer Perspektivierung ist, die durch die Indizierung von moralischer Vorbildlichkeit auch zutiefst auf soziale Rahmung ausgerichtet ist. Damit soll freilich nicht in Abrede gestellt werden, dass das Thema Liebe im Minnesang nicht vor allem hinsichtlich seiner individualisierenden und subjektivierenden Darstellungstendenzen nutzbar gemacht würde, sondern eben nur darauf hingewiesen sein, dass die Liebe- - gerade dadurch, dass deren Macht auch in ihren die gesellschaftliche Einbindung des Ichs irritierenden Konsequenzen gezeigt wird, die das Ich als beunruhigend oder bedrohlich empfinden kann, nicht als kategorial a-soziales und mit der kollektiven Bedeutungsordnung völlig inkommensurables Wunschbild intendiert ist (vgl. etwa bei Friedrich von Hausen, Lied MF 45 , 37 , Vv. I, 5 - 10 : ich kom sîn dicke in sô grôze nôt, / daz ich den liuten guoten morgen bôt / gegen der naht. / ich was sô verre an sî verdaht, / daz ich mich underwîlent niht versan, / und swer mich gruozte, daz ich sîn niht vernan). 110 Die häufigen, ja geradezu Werbungslied-typischen Anreden an ein textinternes Publikum und Aufforderungen, das vom Ich Behauptete nachzuvollziehen (seht! etc.), sind rhetorische Text- 2 Der Interpretationsrahmen ‹Natur› vs. ‹Kultur› 373 Um diesen Aspekt noch etwas genauer zu beleuchten, empfiehlt es sich, die für den sommerlichen Natureingang dominante Form der kontrastiv an die emotionale Lage des Ichs anbindenden Argumentationsweise einzubeziehen, weil hier die Unterschiede zwischen einer suggestiv soziokulturell gebotenen Deutung von Saisonalität und deren tatsächlicher Wirkung auf das liebende Ich besonders deutlich ins Auge fallen. Es soll auch hier ein m. E. recht aufschlußreiches Fallbeispiel aus dem Œuvre Ulrichs von Winterstetten als Ausgangspunkt gewählt werden, nämlich das vierstrophig überlieferte 111 Lied KLD 59 , XX , von dem ich die ersten beiden Strophen zitiere: Ulrich von Winterstetten, KLD 59 , XX : Wol becleidet stet dú heide I. 78C Wol becleidet stet dú heide, anger vnd der gru e ne walt. bi der liehten o v gen weide ho e rt man stimme manigvalt in den owen vogelin do e ne. meije wart noch nie so scho e ne, den ich mit gesange kro e ne, noch so rehte wolgestalt. -----Frowe sich,---du solt mich -----tro e sten, sit ich minne dich. II . 79C Sich fro e it al dv́ werlt gemeine, gegen der wunneklichen zit. nieman truret wan ich eine, sit si mir niht fro e ide git, der ich diene in ganzen trúwen: dú wil minen kvmber nivwen. ich lebe in vil starken rúwen von den meren iemer sit. -----Frowe sich,---du solt [mich -----tro e sten, sit ich minne dich]. [I. Schön bekleidet steht die Heide da, die Wiese und der grüne Wald. Zu dieser leuchtenden Augenweide hört man zahlreiche Stimmen, in den Auen die Töne der Vögel. Es gab noch nie einen so prächtigen Mai, den ich mit Gesang verherrliche, strategien, die dieser Vereinzelungssuggestion nicht widersprechen, sondern eher ihr Pendant auf einer übergeordneten Stilisierungsebene. 111 Auf fol. 92 r ist wiederum Raum für eine weitere Strophe gelassen. 374 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven noch einen genauso schönen. -----Dame, schau, du musst mich -----trösten, denn ich liebe dich. II . Die ganze Welt freut sich gemeinsam auf die herrliche Jahreszeit hin. Niemand ist traurig außer mir allein, da sie mir keine Freude schenkt, der ich in völliger Ergebenheit diene: sie will meinen Kummer erneuern. Ich lebe aufgrund dieser Dinge seitdem stets in überaus starken Schmerzen. -----Dame, schau, du musst mich -----trösten, denn ich liebe dich.] Der Sommereingang von Lied KLD 59 , XX , der gleich zu Beginn auf den beglückenden Zustand von heide (I, 1 ), anger (I, 2 ) und walt (I, 2 ) verweist, hebt auf eine besondere optische (o v gen weide [I, 3 ]) und akkustische (vgl. die stimme mannigvalt / vogelin do e ne [I, 4 f.]) Qualität des saisonalen Geschehens ab, die das Text-Ich zum Lob des Maies veranlasst, der als besonders schön und der Ebene zyklischer Gleichförmigkeit des Jahreszeitenablaufs enthoben stilisiert ist (vgl. I, 6 - 8 ). Diese Sphäre saisonaler Naturfreude wird direkt in unvermittelter Gegenüberstellung mit der Liebesthematik des Refrains kombiniert, die bereits einen Hinweis darauf gibt, dass sich die persönliche Liebessituation nicht derart glücklich ausnimmt wie jene jahreszeitenadäquate Grundstimmung der Natur, denn das Ich fordert darin die Dame, die doch von ihm geliebt werde, auf, ihm nun auch Trost zu spenden (I, 9 f.). Damit steht dem Rezipienten, obwohl eine derartige Tektonik im Bereich der ersten Strophe noch gar nicht explizit argumentativ entwickelt ist, bereits das Interpretationsmodell der kontrastiven Anbindungsweise des Sommereingangs an die emotionale Befindlichkeit des Ichs («obwohl Sommer ist, bin ich unglücklich-…») zur konnotativen Ausdeutung des Verhältnisses von Natur- und Jahreszeitenthematik und minnebezogener Refrainpassage zur Verfügung, das im Verlauf der zweiten Strophe dann auch tatsächlich auf der Aussagenebene realisiert wird. Besonders virulent wird die bereits beschriebene Funktion der Natureingangstopik zur profilierenden Aufwertung der Relevanz der Liebesthematik vor dem Hintergrund der kosmologisch fundierten Bedeutungsordnung, die ich als eine Form der Übersteigerung sozialer Vereinzelungstendenzen durch die Minne, die dem Werbungslied auch an anderer Stelle inhärent sind, gedeutet habe, wenn dieser thematische Zusammenhang breiter ausgesponnen wird, wie es nun in Ulrichs Lied XX am Anfang von Strophe II der Fall ist. Denn in Aufnahme der formulatorischen Prägung sich fröit al diu welt gemeine ( VI , 6 ) aus Walthers ‹Mailied› (L 51 , 13 ), die dort in direkter Ansprache der frowe und mit der Bitte, sich in der von Fröhlichkeit geprägten Naturszenerie doch einmal umzusehen, als argumentative Untermauerung 2 Der Interpretationsrahmen ‹Natur› vs. ‹Kultur› 375 eines ‹berechtigten› Anspruchs des Text-Ich auf Liebeserfüllung (das in eine ironische Frage verpackte kleine fröidelîn [VI, 7 f.]! ) erscheint, wird für Ulrichs Lied eine Konstellation konstruiert, in der der Freude der ganzen Welt einzig und allein die Traurigkeit des Ichs gegenübersteht ( II , 1 - 3 ), das von seiner Dame wiederum genau keine fröide erhält (vgl. II , 4 ). Damit wird die Liebesthematik, die bei dem Text-Ich für kvmber ( II , 6 ) und vil starke rúwe ( II , 7 ) sorgt, zwar zum einen entscheidend in ihrer besonderen Relevanz für das Ich herauspräpariert, dem es aufgrund seiner exzeptionellen Lage unmöglich ist, das nicht nur sozial, sondern auch kosmologisch adäquate Verhalten der Jahreszeitenfreude zu zeigen 112 , zum anderen die Vereinzelungswirkung der Minnemacht in besonders drastischer Weise vorgeführt, die das Text-Ich aporetisch gefangenhält (vgl. das nieman truret wan ich eine [ II , 3 ]). So ergibt sich für dieses nicht nur ein tief empfundener Zwiespalt zu einer-- wie auch immer gearteten-- Natursphäre, sondern eben auch zu einer Imagination von soziokulturell gebotenem Symbolhandeln (‹Jahreszeitenfreude / -leid›), die beispielsweise für den Sommer bereits der Natureingang von Heinrichs von Veldeke vierstrophigen Lied MF 56 , 1 113 recht eindrücklich herleitet: Heinrich von Veldeke, MF 56 , 1 : Ez sint guotiu niuwe maere I. BC 1 Ez sint guotiu niuwe maere, daz die vogel offenbaere singent, dâ man bluomen siht. zen zîten in dem jâre stüende wol, daz man vrô waere, leider des enbin ich niht: Mîn tumbez herze mich verriet, daz muoz unsanfte unde swaere tragen daz leit, daz mir beschiht. [I. Es sind schöne Neuigkeiten, dass die Vögel laut singen, wo man Blumen sieht. Zu diesen Zeiten im Jahr würde es sich gut ausnehmen, dass man froh wäre, 112 Das kann man gleichwohl als eine ‹Aufwertung› der Liebesthematik verstehen. 113 Das in den Handschriften wie in MF als erstes Lied Heinrichs von Veldeke erscheinende MF 56 , 1 gilt als Teil des sog ‹Liederwechsels› als eng zusammengehörig mit dem Frauenlied MF 57 , 10 / MF 57 , 18 , das in zwei Fassungen von unterschiedlichem Strophenbestand vorliegt (A vs. B/ C), und durch Aufgreifen vieler vokabulatorischer Anregungen von MF 56 , 1 (so die tumpheit des Mannes [MF 58 , 6 ] und in A die Wiederaufnahme seiner Bitte um ein umbevân [MF 57 , 32 ]) als dessen aus konträrer Geschlechtsperspektive gebildetes Komplementärstück gelesen werden kann; vgl. dazu MFMT I, S. 98 , zudem jeweils den Komm. in: G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 429 - 432 , und I. Kasten, Deutsche Lyrik, S. 614 - 618 , sowie jüngst K. Boll, Alsô redete ein vrowe schone, S. 264 - 270 . 376 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven leider bin ich nichts davon: Mein törichtes Herz hat mich fehlgeleitet, das 114 muss hart und beschwerlich das Leid ertragen, das mir geschieht.] Die Sprecher-Instanz gibt, nachdem sie es als eine positive Nachricht verkündet hat, dass nun wieder Vogelgesang vernehmbar und Blumen zu sehen seien (vgl. I, 1 - 3 ), an, dass es zu dieser Jahreszeit eigentlich geboten sei, fröhlich zu sein, was vom Ich so leider nicht erfüllt werden kann (vgl. I, 4 - 6 ). Dabei wird mit dem Verb wol stân/ stên (I, 3 ) für die Angabe des jahreszeitenadäquaten Freudeverhaltens nun aber interessanterweise ein Ausdruck verwendet, der in Spruchdichtung und Minnesang-- wenn er nicht auf optische Schönheit etwa der Dame bezogen ist 115 -- sehr häufig auf den gesellschaftsthematischen Aussagenraum verweist, indem er für einen (sozio-) ethisch vorbildlichen Zustand benutzt wird. 116 Wenn man dieser registralen Anhaf- 114 Die Forschung hat zwei Deutungen der Verse I, 8 f. vorgeschlagen: Entweder nimmt man Auslassung des Personalpronomens ich an (das wäre: «so dass ich hart und beschwerlich / das Leid ertragen muss, das mir geschieht») oder-- und dies scheint mir grammatikalisch wahrscheinlicher-- man bezieht die Passage auf das herze (so übersetzen auch G. Schweikle, Frühe Minnelyrik, S. 166 f., und M. Kuhn in I.Kasten, Deutsche Lyrik, S. 84 f.), das nun- - als eine dem Ich untergeordnete Instanz-- auch das von ihm angerichtete Übel auszuhalten hat; vgl. dazu MFMT II, S. 80 . 115 Dies übrigens im selben Lied; s. die dritte Strophe MF 56 , 19 , wo für das tump-Werden des Herzens die außerordentliche Schönheit der Dame als Grund angegeben wird: Al ze hôhe ˂…˃ minne / brâhten mich ûz dem sinne. / dô ich ir ougen unde munt / sach wol stên und ir kinne, / dô wart mir daz herze enbinne / von sô süezer tumpheit wunt, / Daz mir wîsheit wart unkunt (III, 1 - 7 ). Damit ergibt sich für Heinrichs Lied MF 56 , 1 die bemerkenswerte Zusammenführung beider Verwendungsweisen des Ausdrucks (s. die folgende Anm.), so dass über ihn wiederum Natureingang und Liebesthematik mit einander verwoben werden. Ja es erscheint fast so, als ob jahreszeitenadäquates Verhalten und die (fatale) Schönheit der Geliebten eng miteinander verbunden werden, da sie im Grunde ein doppeltes Scheitern des Text-Ichs vor Augen führen: Denn weder kann es dem gesellschaftlichen Anspruch, wol stêndes Verhalten zu zeigen, selbst nachzukommen, noch im Bereich der Liebesthematik vor dem wol stênden Körper der Dame das Ungestüm seiner Werbung über ein rationales Regulativ (sin, wîsheit) in ‹geordnetere› Bahnen lenken; s. dazu unten. Vgl. für die auf die körperliche Erscheinung (bes. die der Augen) bezogene Verwendungsweise der Fügung zudem etwa Dietmar von Eist, MF 37 , 18 (Frauenrede): jârlanc trüebent mir ouch / miniu wol stênden ougen ( 4 f.) oder Gottfried von Straßburg, MFMT XXIII, Nr. II: Ir rôse varwer munt / und ir wol stênden liehten ougen (VI, 1 f.) 116 Vgl. z. B. Spervogel, MF 25 , 5 : Der guote gruoz der vreut den gast, swen er în gât, / vil wol dem wirte daz in sîme hûse stât, / daz er mit zuchten wese vrô ( 1 - 3 ); Heinrich von Rugge, MF 102 , 27 : Daz si [die boesen liute, D. E.] niht in schoener waete / trüegen valschen muot, / daz stüende in wol.---ir lachen sol---mich selten dunken guot (II, 6 f.); Reinmar, MF 198 , 28 : Man sol sorgen: sorge ist guot; / âne sorge ist nieman wert. / -[…] Sorge und angest stât mir wol, / sît ich unverdorben bin. / swaz ich noch gesorgen sol, / des kum ich mit vröiden hin. / Wer hât liep âne arebeit? (II, 1 f. und III, 1 - 5 ); Walther von der Vogelweide, Spruch L 35 , 27 : An wîbe lobe stêt wol, daz man si heize schœne. / mannen stêt ez übel, ez ist ze weich und ofte hœne ( 1 f.); Lied L 42 , 31 : Ich enweiz, wem ichz wîzen sol, / wan den rîchen wîze ichz und den jungen. / die sint unbetwungen, / und stât in trûren übel unde stüende in fröide wol ( 6 - 8 ); Lied L 48 , 12 : Ich sage iu, waz uns den meisten schaden tuot: / diu wîp gelîchent uns ein teil ze sêre, / daz 2 Der Interpretationsrahmen ‹Natur› vs. ‹Kultur› 377 tung folgen mag, so erscheint der eigentlich für das Ich bestehende Anspruch einer Sommerfreude, der hier im Rahmen seiner konjunktivischen Realisation (vgl. I, 5 ) bereits als irreal gebrochen indiziert ist, dennoch geradezu als von der Gesellschaft geforderte Pflicht 117 , der dieses aufgrund seines Kummers, den sein tumbez herze (I, 7 )-- ein Ausdruck, der als Marker in Richtung einer liebesthematischen Wendung verstanden werden kann 118 -- durch einen falschen Ratschlag verursacht hat, nicht im Ansatz nachzukommen vermag (vgl. I, 6 - 9 ). Damit bildet wiederum nicht nur die Liebesthematik überhaupt den eigentlichen Gegenstand einer Irritation bzw. krisenhaften Zuspitzung für das Ich-- und gerade nicht die gegenüber den Nöten, Irrationalitäten und Aporien der Minnebetroffenheit letztendlich ja ‹berechenbarere› und hinsichtlich ihrer Dauer als endlich absehbare saisonale Rhythmizität der Natur! Diese schreibt aber auch bisweilen einen Dissens zu einer als gesellschaftlich normal imaginierten Praxis von Jahreszeitenfreude und -leid ein, die im Falle von Sommer und Winter als organisch gleichlaufend zum Zustand der Natur stilisiert ist. Dass der Minnesang hier gleichzeitig bestimmte kulturelle Jahreszeitendeutungen suggestiv naturalisiert, andererseits auch über Formulierungen des gesellschaftsdidaktischen Registers in den Raum der sozialen Normativität rückbindet, veruneindeutigt letztlich die Natur- und Jahreszeitenthematik hinsichtlich ihrer Verortung im Spannungsfeld von azivilisatorischer Wildheit und soziokultureller Sublimierung genauso, wie dies bei der Liebesthematik der Fall ist. Diese Folie von sich ‹natürlich› ergebendem wie soziokulturell ‹vernünftig› erscheinendem Jahreszeitenverhalten, das durchaus im Sinne eines common sense zu betrachten wäre 119 , erweist sich nun- - je nach wir in als liep sîn übel alse guot. / seht, daz gelîchen nimt uns fröide und êre. / Schieden uns diu wîp als ê, / daz si sich ouch liezen scheiden, / daz gefrumt uns michels mê, / mannen unde wîben beiden. / waz stêt übel, waz stêt wol, / sît man uns niht scheiden sol? (II, 1 - 10 ). 117 Dieser ‹Anspruch› ist freilich ein Konstrukt, das der Text durch die Benutzung des einschlägigen Vokabulars (s. o.) selbst herstellt, und kein vorgängiges Konzept, das etwa allen Sommereingängen automatisch zugrundeläge. 118 Vgl. in dieser Hinsicht etwa Friedrich von Hausen, Lied MF 49 , 13 : Mir ist daz herze wunt / und siech gewesen nû vil lange, / -- daz ist reht, wan ez ist tump - / sît ez eine vrowen êrst bekande (I, 1 - 4 ) bzw. Rudolf von Fenis, Lied MF 81 , 30 : Ir schoenen lîp hân ich dâ vor erkennet, / er tuot mir als der viurstelîn daz lieht. / diu vliuget dâr an, unze sî sich gar verbrennet. / ir groziu güete mich alsô verriet. / Mîn tumbez herze daz enlie mich alsô niet: / ich habe mich sô verre an si verwendet, / daz mir ze jungest rehte alsame geschiet (V, 1 - 7 ); Hervorhebungen jeweils von mir, D. E. 119 Vgl. dazu grundlegend: Geertz, Clifford: Common sense as a cultural system ( 1975 ); deutsch erschienen als: ders., Common sense als kulturelles System, in: ders., Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, übers. von Brigitte Luchesi und Rolf Bindemann, 2 . Aufl., Frankfurt a. M. 1991 ( 1 1983 ) (stw 696 ), S. 261 - 288 , der hierbei betont, wie sich in dieser Form des Alltagwissens Faktisches und Kollektiv-Fiktionen mischen und in einer höchst suggestiven Weise als das, was sich ‹aus dem gesunden Menschenverstand› ergibt, zu Tage treten, wobei diese Zuschreibungen wiederum freilich nichts anderes darstellen als ein kulturelles Konstrukt. In diesem Sinne lässt sich anhand des Natureingangs im Minnesang gut beobachten, wie derartige Konzepte am Beispiel eines ‹jahreszeitenadäquaten Verhaltens› stetig aufgebaut und/ oder destruiert werden; diesen Hinweis verdanke ich einem im SoSe 2014 von Monika Schausten und Udo Friedrich abgehaltenen Forschungskolloquium zur ‹Konvention›. 378 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven Stilisierungstendenz des Liedes- - für das Ich als kollektiv vorbildliches Handeln, Wunschbild einer emotionaler Komplexitätsreduktion oder Diagnoseinstrument einer innerlichen Distanz zu bestimmten kollektiven Deutungsmustern bis hin zu völliger Ablehnung bei gleichzeitiger Offenlegung von deren simplifizierender Plattheit und öffnet somit sowohl den Blick dafür, dass Literatur ein vorzügliches Medium ist, die hohe kulturelle Verständigungspotenz bestimmter Codes und Normen, als auch Imaginationen des subjektiven Dissenses, des Haderns mit ihnen (bzw. mit dem eigenen Unvermögen, sie zu erfüllen! ) und bestimmter Gefühle von deren Unpassendheit, ja deren krisenhafter Bedrohlichkeit für das Ich vorzuführen. Somit wäre es für eine kulturwissenschaftliche Lektüre-- nicht nur des Minnesangs! -- von entscheidender Bedeutung, neben den irritativen und krisengenerierernden Potenzen der Natur auch die entsprechenden Wirkungsmöglichkeiten des kulturellen Raums und seiner Regularien für das Ich zu erhellen, was mittlerweile- - beispielsweise im Gefolge der postkolonialistischen Theoriebildung-- auch für die mittelalterliche Literatur als wichtiges Thema erkannt worden ist. So können etwa die unter dem Begriff der ‹Hybridität› bekannt gewordenen Einlassungen Homi Bhabhas 120 , die m. E. durchaus die Möglichkeit böten, mit ihrer Hilfe bestimmte Schematismen und simplifizierende Zuschreibungen hinsichtlich des Verhältnisses von ‹Natur› und ‹Kultur› in der kulturwissenschaftlich operierenden Mediävistik zu revidieren, wenn man sie gerade nicht historisch streng zu begrenzendes Kulturmodell ernst nimmt 121 , zumindest eben für genau jene Momente eines nicht reibungslosen Auf- Dies lässt sich übrigens wiederum in vorzüglicher Weise mit der Topos-Theorie im Anschluss an Aristoteles verknüpfen, die herausgearbeitet hat, dass Topik gerade an eben jener Sphäre von ‹selbstverständlichen› Grundüberzeugungen und Ideologemen einer Kultur ansetzt (so ja schon R. Barthes, Die antike Rhetorik, S. 64 f., und L. Bornscheuer, Topik, S. 26 - 60 ); insofern ist eine topisch ausgerichtete Literaturwissenschaft vielleicht ein sehr günstiger Ausgangspunkt für eine kulturwissenschaftlichen Perspektivierung unseres Faches (vgl. U. Hebekus, Topik/ Inventio, S. 82 f.) 120 Einschlägig in dieser Hinsicht ist der Essayband: Bhabha, Homi K.: The location of culture ( 1994 ); deutsch erschienen als: Die Verortung der Kultur. Mit einem Vorwort von Elisabeth Bronfen, übers. von Michael Schiffmann und Jürgen Freudl, Tübingen 2000 (Stauffenburg Discussion 5 ). Für die folgenden Überlegungen bin ich Sarah Jancigaj zu großem Dank verpflichtet, deren Dissertation (erscheint demnächst) das Hybriditätskonzept für den höfischen Roman und die mhd. Heldenepik auf mehreren Ebenen diskutieren wird. 121 Es kommt mir an dieser Stelle nicht darauf an, noch einmal mediävistische Vorbehalte gegenüber bestimmten Zuspitzungen des Postkolonialismus-Konzepts zu erheben (vgl. U. Peters, Postkoloniale Mediävistik? , S. 207 f.), sondern es soll danach gefragt werden, inwiefern die Überlegungen Bhabhas als übergreifendes Kulturmodell einer generellen Heterogenität, Dezentralität und Unheimlichkeit des kulturellen Raumes (vgl. ebd., S. 213 f.) tragfähig und damit auch für das Mittelalter nachzuzeichnen sind. Wenn dies der Fall sein soll, müsste dies schon auch dort möglich sein, wo von den Texten gar nicht explizit die Thematik des differenziellen Kulturkontakts behandelt ist; allerdings ist freilich als möglicher Kritikpunkt mitzudenken, dass- - wie U. Peters, S. 229 , zu Bedenken gibt- - dabei die Gefahr eines zu willkürlich verfahrenden Terminologie-Transfers besteht; gerade in der altgermanistischen Forschung hat es jedoch, neben der thematisch naheliegenden Christen-Heiden-Problematik, bereits für den höfischen Roman eine breite Auseinandersetzung mit der vom expliziten Kul- 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 379 gehen in den eigenkulturellen Ordnungsmechanismen ein Bewusstsein schaffen, also genau jenes Aufscheinen von Differenz im Zentrum von Kultur 122 , wenn dem Einzelnen sozusagen ‹das eigene Haus unheimlich› bzw. das identär Geglaubte fremd wird. 123 Wenn das Ich im Werbungslied nun über den Natureingang (und nicht nur über ihn! ) das Bild eines soziokulturellen Umfeldes entwirft, das seinen Empfindungen und Nöten verständnislos gegenübersteht bzw. allenfalls kulturelle Deutungen von Welt anbietet, die für das Ich in seiner exzeptionellen Situation keine Abhilfe schaffen können, ja überhaupt keine Relevanz haben mögen, was das Gefühl von Aussichts- und Hilflosigkeit im Ausgeliefertsein an die Minnemacht noch verstärkt, dann weist dies meiner Ansicht nach jedenfalls eher in Richtung einer diffizilen literarischen Auslotung des komplexen Verhältnisses von Subjektposition und soziokultureller Ordnung, die die Suggestion von identitätsstiftender Übereinstimmung ebenso beinhalten kann wie die Ausspielung von Aporien einer völligen Inkommensurabilität, und weniger auf die kommunikationspragmatische Etablierung von Geltungsansprüchen kollektiver Normenverbindlichkeit hin. Dazu scheint mir zudem ein ergänzender Aspekt wichtig zu sein, der in der vorliegenden Untersuchung bereits mehrfach angesprochen worden ist und der sich anbietet, im Zusammenhang einer kulturwissenschaftlichen Perspektivierung noch einmal aufgegriffen zu werden. Das ist der Umstand, dass zur Erklärung der dominierenden Funktion der Natureingangs-Topik hier eine weiter vorangetriebene Profilierung der Subjektposition und eine damit verbundene verdichtete literarische Auslotungsmöglichkeit des personalen Innenraums nahegelegt worden ist. 3 Psychoanalytische Kulturtheorie Denn die als grundlegende poetische Tendenz dem Werbungslied auch in einem breiteren Rahmen ablesbare Potenz zur Herausentwicklung und Etablierung von Repräsentationstechniken des ‹Subjektiven›, die eine ganz neue Valenz eines Ichs belegt, das über seine Gefühle und Gedanken spricht und damit einen Blick in turkontakt abgelösten Figur des ‹Unheimlichen im Eigenen› gegeben (vgl. dazu ebenfalls die Zusammenstellung und Kritik bei Peters, S. 228 - 237 ). Dass diese dann letztendlich auf einer höheren Ebene in einer spielerisch-selbstbewussten Montage des Erzählten durchaus wieder aufgehoben werden mag (ebd., S. 236 f.), könnte nun gerade auch für den Natureingang im Werbungslied zutreffen, wo im Falle der als Frage formulierten revokatorischen Abwendung vom angeblichen Winterleid bei Gottfried und Ulrich (s. oben) bereits vom ironischen Unterton der Pose die Rede war. 122 Vgl. dazu bes. das Vorwort von Elisabeth Bronfen in: H. Bhabha, Die Verortung der Kultur, S. IX-XIV, hier XIf. 123 Dies ist freilich eine recht verkürzte Bezugnahme auf das ungleich komplexer hergeleitete, in Aufnahme des Freud’schen ‹Unheimlichen› am postkolonialen Erfahrungshorizont geschärfte Konzept des Unheimlichen (unhomeliness) bei Bhabha, vgl. ders., Einleitung: Verortungen der Kultur, in: Die Verortung der Kultur, S. 1 - 28 , hier S. 13 - 16 , für das etwa die Desorientiertheit von Privatem und Öffentlichen ein bestimmender Zug ist. 380 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven seinen ‹Innenraum› gewährt, passt sich nicht nur in eine viel allgemeinere religions- und philosophiegeschichtliche Entwicklung ein, die unter dem Stichwort einer ‹Entdeckung des Individuums› bzw. der ‹Subjektivität› im 12 . Jahrhundert propagiert worden ist 124 , sondern scheint mir auch in besonderer Weise an neuere kulturwissenschaftliche Lektüren mittelalterlicher Texte anschlussfähig zu sein, die auf die psychoanalytische Kulturtheorie Jacques Lacans 125 bzw. deren Vermittlung durch Slavoj Žižek aufbauen. In diesem Zusammenhang ist vor allem auf einen 2007 erschienen Aufsatz von Christiane Ackermann zu verweisen, der sich hauptsächlich mit dem «Armen Heinrich» Hartmanns von Aue beschäftigt 126 , sowie den vom berühmten sog. Narzisslied des Heinrich von Morungen ( MF 145 , 1 ) ausgehenden Aufsatz zum engeren Bereich des Minnesangs, den Andreas Krass im Jahr 2009 publiziert hat 127 . Die beiden Arbeiten zeigen m. E. in paradigmatischer Weise Chancen wie auch Risiken der Übertragung der Lacan’schen Subjektbildungsvorstellungen auf die mittelalterliche Literatur, weswegen sie hier kurz etwas genauer vorgestellt werden sollen. Ausgehen möchte ich hierbei von dem zwar später veröffentlichten, aber meiner Ansicht nach weniger gewinnbringenden Aufsatz von Andreas Krass, der mir-- trotz seiner teilweise sehr ambitionierten, aber eben auch zu gewollten Aktualisierungsversuche- - in Vielem gleichzeitig sehr traditionell zu verfahren scheint und somit vor allem noch einmal recht deutlich die Fallstricke einer Einbringung psychoanalytischer Modelle bei der Interpretation der mittelhochdeutschen Lyrik vorführt. Krass überprüft den-- ausgerechnet im Falle des sog. Narzissliedes von Heinrich von Morungen- - immer wieder für den Minnesang generell erhobenen ‹Narzissmusverdacht› 128 , ohne einmal mehr überhaupt zu diskutieren, ob es sich bei dem eine äußerst ungewöhnliche Motivsphäre verwendenden und mehrfach Textinstanzen und Bildbereiche intrikat überblendenden Lied MF 145 , 1 (kindelîn 124 Vgl. dazu etwa K. Grubmüller, Ich als Rolle, S. 394 f. 125 Diese ist übrigens in der romanistischen Forschung etwa zur sog. ‹höfischen Liebe› und der Trobadorlyrik (vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum) schon früher und breiter rezipiert worden, vgl. für die Romanistik etwa Cholakian, Rouben C.: The troubadour lyric. A psychocritical reading, Manchester u. a. 1990 , bes. S. 5 f., und 183 - 188 ; Kay, Sarah: Courtly contradictions. The emerge of the literary object in the twelfth century, Stanford 2001 (Figurae), bes. S. 26 - 36 ; ferner Mancini, Mario: La gaia scienza dei trovatori ( 1984 ), dt. erschienen als: Die fröhliche Wissenschaft der Trobadors, übers. von Leonie Schröder, Würzburg 2009 , S. 11 - 32 . Für die Anglistik ist zudem zu verweisen auf: Labbie, Erin Felicia: Lacan’s medievalism, Minneapolis u. a. 2006 . 126 Ich beziehe mich hier auf: Ackermann, Christiane: Mediävistik und psychoanalytische Literaturtheorie (mit einer Annäherung an den Armen Heinrich Hartmanns von Aue), in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, N. F. 48 ( 2007 ), S. 9 - 44 . 127 Gemeint ist: Kraß, Andreas: Der zersprochene Spiegel. Minnesang und Psychoanalyse: Das Narzisslied Heinrichs von Morungen, in: Narziss und Eros. Bild oder Text? Hg. von Elisabeth Bronfen und Eckhart Goebel, Göttingen 2009 (Manhattan Manuscripts 2 ), S. 77 - 100 . 128 Vgl. ebd., S. 77 f. 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 381 [I, 1 ]-- ich [I, 6 ]-- kint [ III , 6 ] bzw. sîn schoenez bilde in einem glase [I, 2 ] / spiegel [I, 4 ]-- Sehen der vrouwe [I, 7 ]-- Traumbild der vrouwe [ II , 2 ]-- deren rôtez mündelîn [ II , 8 ]- - schate in einem brunnen [ III , 7 ]) überhaupt um ein den Minnesang insgesamt kennzeichnenden, paradigmatischen Einzeltext handelt. Dass diese Lektüre vor allem über die beiden psychoanalytischen Grundlagentexte Freuds zum Narzissmus 129 und Lacans zum sog. ‹Spiegelstadium› 130 erfolgt, ist nun vielleicht recht naheliegend; die Anwendung der beiden Texte hätte aber zumindest noch auch auf andere, inhaltlich nicht bereits dahingehend markierte Lieder (vgl. in MF 145 , 1 : Narziss-Mythos / Spiegelmetapher) ausgeweitet werden müssen-- gerade, wenn das Diagnoseergebnis mehr sein soll als nur eine Beschreibung dieses einen Morungen- Liedes. 131 In der eigentlichen Liedinterpretation kommt es bei Krass daraufhin bisweilen zu wenig zwingenden Kurzschlüssen und methodisch heiklen Gleichsetzungen 132 , die für das Lied und den Minnesang zudem insgesamt als viel zu faktisch gewertete Erkenntnisse ausgegeben werden. 133 So scheint mir nun auch gerade die eigentliche Bezugnahme auf Lacans Überlegungen zum sog. ‹Spiegelstadium› für Morungens Lied letztlich relativ willkürlich umgesetzt, ist doch der Verweis auf die euphorische Beglückung des Kindes beim Betrachten des eigenen Spiegelbildes, das sich einem Phantasma seiner körperlichen Holizität hingibt, die traumatisch in das 129 Freud, Sigmund: Zur Einführung des Narzissmus, in: ders., Gesammelte Werke chronologisch geordnet. 18 Bde., hg. von Anna Freud, 5 . Aufl., Frankfurt a. M. 1969 - 1972 ( 1 1940 - 1952 ), Bd. X: Werke aus den Jahren 1913 - 1917 , Frankfurt a. M. 1969 ( 1 1946 ), S. 135 - 170 . 130 Lacan, Jacques: Le stade du miroir comme formateur de la fonction du Je telle qu’elle nous est révélée dans l’expérience psychanalytique ( 1949 ); dt. erschienen als: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. Bericht für den 16 . Internationalen Kongreß für Psychoanalyse in Zürich am 17 . Juli 1949 , in: ders., Schriften. 3 Bde., ausgew. und hg. von Norbert Haas, Olten u. a. 1973 - 1980 , Bd. I, Olten u. a. 1973 , S. 61 - 70 . 131 Vgl. A. Kraß, Der zerbrochene Spiegel, S. 78 : «Denn dieser [der Minnesang], so lautet meine These, impliziert eine psychische Disposition, die sich als kulturgeschichtlich folgenreiche Variante von Sigmund Freuds Konzept des Narzissmus und Jacques Lacans Modell des Spiegelstadiums erklären und anhand der poetologischen Verhältnisse des Narzissliedes exemplarisch illustrieren lässt». Dass hierbei die Psychoanalyse noch so einiges vom Minnesang lernen könne, wie Kraß bemerkt, mag wohl angehen; wie dies aber umgekehrt der Fall sein soll (vgl. ebd., S. 77 f.), erschließt sich mir nicht und ist schon allein chronologisch schlecht möglich. 132 Etwa wie folgt: «Freud nennt vier Phänomene, die einen Zugang zum Verständnis des Narzissmus eröffnen: ‹die Betrachtung der organischen Krankheit, der Hypochondrie und des Liebeslebens der Geschlechter›; hinzukommt ‹der Schlafzustand›. Im Schmerz, sei er organisch oder hypochondrisch begründet, ziehe der Kranke ‹seine Libidobesetzungen auf sein Ich zurück, um sie nach der Genesung wieder auszusenden›; dasselbe gelte für den Schlaf und den ‹Egoismus der Träume›. Dies sind auch zentrale Motive in Morungens Lied. Die Affekte des auf sein eigenes bzw. das Bild der Dame fixierten Sängers schlagen von Wonne in Schmerz um» (ebd., S. 87 [mit Nachweisen]). 133 Vgl. etwa ebd., S. 86 f.: «Dass das Idealbild der Minnedame zugleich das narzisstische Ich- Ideal des Minnesängers ist, geht aus dem zweifachen Vergleich hervor, den er zwischen Dame und Kind zieht. Wie das Kind in Spiegel und Quell erblickt der Minnesänger im Anblick der Dame das ideale Ebenbild seiner selbst» (Hervorhebungen von mir, D. E.). 382 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven Aufscheinen der tatsächlichen Fragmentierung des eigenen Körpers mündet, zwar grundsätzlich durchaus mit dem im Lied erwähnten Zerbrechen des Spiegels (I, 4 ) zusammenzubringen 134 , eine solche Interpretation darf aber gerade nicht außer Acht lassen- - bzw. durch die Setzung, die Imago der Dame sei ohnehin eine Repräsentation des minnesängerischen Ich-Ideals, einfach verdecken 135 - -, dass der Spiegel im Lied zunächst nicht suggestiv mit der Ich-Figuration (diese ist ja wie das Kind in der Position des Bildempfängers 136 ), sondern eben mit der Liedinstanz der Dame und ihrer drohenden ‹Fragmentierung› überblendet ist. Ebenfalls nicht recht glücklich umgesetzt ist Krass’ interpretatorischer Konnex zu der ja äußerst perspektivenreichen Bemerkung Lacans von der imaginativen Zurüstung des eigenen Körpers durch das Subjekt, die den Aufsatz einmal mehr dem Verdacht aussetzt, es ginge mehr darum, jüngere Theoriebildung in mittelalterlichen Texten ‹wiederzufinden›, denn mit ihrer Hilfe Texte zu erklären. 137 Eben diesen Vorwurf wird sich aber gerade auch die abschließende generelle Einordnung des Minnesangs (gemeint ist wohl eher erst einmal der Typus des Werbungsliedes) durch Krass machen lassen müssen, der diesen mit der Ausstellung einer Versehrtheit durch die moderne Diva zusammenbringt 138 , und mittels Bezugnahme auf die m. E. an sich ja durchaus sehr erhellenden Ausführungen Judith Butlers zum melancholischen Rest einer Verdrängungsbemühung homosexuellen Begehrens in der heteronormativen Sozialisation 139 zu fundieren sucht. 140 Denn zum einen leistet solch ein ‹Erklärungsversuch› für das Verständnis der eigentlichen Textzeugnisse kaum etwas, zum anderen 134 Vgl. ebd., S. 90 - 94 . 135 Vgl. ebd., S. 94 : «Das Defizit des Minnesängers kehrt symbolisch als Makel der Minnedame wieder; es wird, psychoanalytisch gesprochen, verschoben». 136 Vgl. das Sehen der Dame in I, 7 oder das Erblicken der Dame im Traum II, 5 ff. 137 Diesen Anspruch vertrat jüngst dezidiert auch Marshall, Sophie: Gespiegelte Helden: Vivianz und Lanzelet in psychoanalytischer Perspektive, in: Beitr. 135 ( 2013 ), S. 206 - 243 ; vgl. dagegen A. Kraß, Der zerbrochene Spiegel, S. 92 : «Folglich ist das Spiegelstadium ein ‹Drama, dessen innere Spannung von der Unzulänglichkeit auf die Antizipation überspringt und für das an der lockenden Täuschung der räumlichen Identifikation festgehaltene Subjekt die Phantasmen ausheckt, die, ausgehend von einem zerstückelten Bild des Körpers, in einer Form enden, die wir in ihrer Ganzheit eine orthopädische nennen können, und in einem Panzer, der aufgenommen wird von einer wahnhaften Identität, deren starre Strukturen die ganze mentale Entwicklung des Subjekts bestimmen werden› [Kraß zitiert nach: J. Lacan, Spiegelstadium, S. 67 ; Hervorhebung von A. K.]. Das Bild des Panzers passt auf die Rüstung des Ritters-- der Minnesänger des Hochmittelalters ist ja immer auch Mitglied der höfischen Rittergesellschaft und seine Rüstung ein Emblem ritterlicher Identität und Idealität». Allerdings bezeichnet sich das Ich in Morungens Lied weder als ritter, noch ist überhaupt irgendeine Rüstung erwähnt. 138 Vgl. ebd., S. 98 - 100 ; Kraß bezieht sich hierbei vornehmlich auf die Hinweise von Elisabeth Bronfen in: dies., Zwischen Himmel und Hölle-- Maria Callas und Marilyn Monroe, in: Die Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, hg. von ders. und Barbara Straumann, München 2002 , S. 43 - 68 . 139 Vgl. Butler, Judith: Gender trouble. Feminism and the subversion of identity ( 1990 ); dt. erschienen als: Das Unbehagen der Geschlechter. Aus dem Amerikanischen von Kathrina Menke, Sonderausg., Frankfurt a. M. 2003 ( 1 1991 ) (es 2433 , vorm. 1722 ), bes. S. 93 - 113 . 140 Vgl. A. Kraß, Der zerbrochene Spiegel, S. 96 f. 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 383 lässt ein solch kurzschlüssiges Verfahren 141 die Referenzüberlegungen psychoanalytischer oder gendertheoretischer Provenienz selbst als relativ unterkomplex erscheinen (was sie ja nun keinesfalls sind! ). Was nun die Chrakterisierung der typischen Werbungsliedkonstellation als zutiefst ‹narzisstisch› anbelangt, so bin ich mir nicht sicher, ob mit diesem Terminus eine glückliche Bezeichnung gefunden ist, haftet ihm doch- - unabhängig von der in dieser Hinsicht kaum eindeutig zuweisbaren Verwendungsweise bei Freud 142 -- stets auch der Ruch des Pathologischen an. Denn selbst wenn sich das Konzept für die höfische Liebeslyrik nun durchaus mit dem Wortgebrauch Lacans deckt, der ja an mehreren Stellen seiner umfangreichen Seminarsammlung dezidiert auf die sog. ‹höfische Liebe› eingeht, und in dessen Gefolge wiederum bei Slavoj Žižek absichern lässt 143 , ist die Frage, ob mit ihm und der Formel, die Liedinstanz der Minnedame repräsentiere das «Ich-Ideal des Sängers» 144 , gegenüber neutraleren Feststellungen etwa von der Dame als ‹Projektion des männlichen Text-Ichs› oder als ‹interner Textentwurf›, mit denen-- wie sollte es für den Bereich literarischer Texte auch anders sein 145 -- freilich keine kon- 141 Etwa eingefangen in der Feststellung: «So erklärt sich die melancholische Struktur des Minnesangs, dessen Lieder fast stets im Zeichen der Niedergeschlagenheit und des inneren Widerstreits geschrieben und gesungen sind» (Ebd., S. 97 ). 142 Freud zeichnet in seiner Abhandlung zum Narzissmus nämlich zunächst den bereits etablierten Begriffsgebrauch nach, der in einer klinischen Ausprägung auf den Bereich der «Perversionen» des Sexuallebens verweist (S. Freud, Zur Einführung des Narzißmus, S. 138 ), andererseits in der psychoanalytischen Forschung bereits als ein Phänomen diskutiert werde, das «eine Stelle in der regulären Sexualentwicklung des Menschen beanspruchen könnte» (ebd.). Er unterscheidet daraufhin zum einen zwischen einem primären, d. i. kindlichen Narzissmuss als ‹normalem› Entwicklungsstadium in der Sexualentwicklung und einem sekundären Typ, der später erfolgt und die Rückziehung der libidinösen Objektbesetzungen auf das eigene Ich meint (vgl. ebd., S. 140 ). Letzterer kann sich aber wiederum in vorübergehenden Phasen wie dem Schlafzustand oder körperlicher Schmerzempfindung, die nicht als neurotisch zu gelten haben (vgl. ebd., S. 148 f.), bzw. als Typus der Objektwahl generell im «Liebesleben der Geschlechter» zeigen (ebd., S. 148 ; vgl. zudem S. 153 - 156 , wo es jedoch vom narzisstischen Typus der Objektwahl heißt, man habe ihn «besonders deutlich bei Personen, deren Libidoentwicklung eine Störung erfahren hat, wie bei Perversen und Homosexuellen, gefunden» [S. 154 ]), andererseits aber eben auch im Zusammenhang mit den ‹Paraphrenien› (vgl. ebd., S. 139 f., 148 und 152 f.). 143 Vgl. dazu Lacan, Jacques: L’amour courtois en anamorphose ( 1986 ); dt. erschienen als: Die höfische Liebe, anamorphotisch, in: ders., Die Ethik der Psychoanalyse. Textherstellung durch Jacques-Alain Miller, übers. und hg. von Norbert Haas, Berlin 1996 (Das Seminar 7 ), S. 171 - 189 , wo von dem «zutiefst narzisstischen Charakter» (ebd., S. 185 ) der ‹höfischen Liebe› die Rede ist, und Žižek, Slavoj: Die Metastasen des Genießens. Sechs erotisch-politische Versuche. Vom Autor überarb. und erw. Version des in engl. Sprache erschienenen Buches: The Metastases of Enjoyment. Six Essays on Woman and Causality, übers. von Karl Bruckschwaiger u. a., Wien 1996 (Passagen Philosophie), S. 46 , der darauf fußend von der «Idealisierung der frouwe-[…] als narzisstische Projektion» spricht; s. ferner den Hinweis darauf in: A. Kraß, Der zerbrochene Spiegel, S. 91 , Anm. 22 . 144 A. Kraß, Der zerbrochene Spiegel, S. 87 . 145 Gerade vor diesem Hintergrund wirkt Andreas Kraß’ Herleitung der narzisstischen Struktur des Minnesangs über die von Freud neben den sog. ‹Anlehnungstypus›, der auf die ‹nährende›, quasi-mütterliche Frau zielt (vgl. S. Freud, Zur Einführung des Narzißmus, S. 156 f.), 384 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven krete, empirisch fassbare biographische Person in Deckung gebracht werden kann, tatsächlich etwas gewonnen ist. Statt sich hier vorschnell auf bestimmte Schlagworte zu fixieren, die an sich für unseren Gegenstand vielleicht gar nicht so glücklich gewählt sind, scheint es mir sinnvoller zu sein, erst einmal zu eruieren, was Lacan eigentlich genau meint, wenn er von der «Funktion des Spiegels» spricht, die er auf die sog. ‹höfische Liebe› bezieht 146 , und zu fragen, ob diese Beobachtungen für die Texte gewisse Aspekte noch einmal anders herauszupräparieren helfen. Denn interessanterweise steht im Falle des Verhältnisses der Liedinstanzen von Ich und Dame für Lacan- - neben dem Hinweis auf die «Mechanismen des Narzissmus», d. i. die Projektion eines Idealbilds, das beim Subjekt für «destruktive, aggressive Verkleinerung» sorgen könne 147 (in diesem Sinne fügt sich der Lacan’sche Text ja gut in die Thesen von Krass ein! )-- vor allem die Funktion einer Grenzziehung im Mittelpunkt, die auf die beiden Bereiche des ‹Begehrens› und des ‹Blickes› verweist, die für die Subjektkonstitution eine entscheidende Rolle spielen, und denen im Folgenden weiter nachgegangen werden soll. Lacan schreibt: «Er [= der Spiegel] übernimmt aber eine andere Aufgabe-- die der Grenze. Er ist das, was man nicht überschreiten kann. Und er partizipiert allein an der Organisation der Unerreichbarkeit des Objekts» 148 ; dazu hat Žižek in seiner Lacan-Umschrift «Die Metastasen des Genießens» durchaus richtungsweisend angemerkt: Mit anderen Worten, wir müssen, bevor wir auf die Gemeinplätze darüber eingehen, inwiefern die frouwe in der höfischen Liebe nichts mit wirklichen Frauen gemein hat, inwiefern sie für die narzißtische Projektion des Mannes steht, die die Mortifikation der wirklichen Frau aus Fleisch und Blut mit sich bringt, die Frage beantworten: Wie kommt es zu jener leeren, glatten Oberfläche, zu jenem kalten, neutralen Bildschirm, der den Raum für mögliche Projektionen eröffnet? 149 Man möchte noch ergänzen: Und zu welchem Zweck dient der Aufbau jener Schirmapparatur, die das Ich bespiegelt, aber über deren Grenze man nicht gelangen kann? Hier scheint doch mithin ein recht zentraler Punkt für das Werbungslied und seine gestellte Form der narzisstischen Objektwahl auch fast schon etwas deplatziert: «Wie aber ist die Minnedame zu werten? Handelt es sich um eine libidinöse Objektbesetzung, also die erfolgreiche Bewältigung eines primären Narzissmus? Dies setzt voraus, dass es sich um eine tatsächliche Dame handelt, auf die der Sänger sein Begehren richtet. Wie die Minnesangforschung gezeigt hat, ist die Minnedame keine empirische Person, sondern eine Projektion des Sängers, ein Wunschbild, das die höfischen Tugenden verkörpert, ohne selbst über einen Körper zu verfügen. Die Minnedame bleibt ohne Namen, ohne Individualität; ihr Äußeres wird nicht beschrieben- - von der erotischen Chiffre des roten Mundes abgesehen, die auch im Narzisslied begegnet. Folglich scheidet die Option der Liebeswahl nach dem Anlehnungstypus aus» (A. Kraß, Der zerbrochene Spiegel, S. 85 f.). 146 Vgl. und Zitat entnommen: J. Lacan, Die höfische Liebe, S. 185 . 147 Vgl. und Zitate entnommen: ebd., S. 186 . 148 Ebd. 149 S. Žižek, Die Metastasen, S. 47 . 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 385 so typisch Ich-reflexiv kreisförmige Argumentationsstruktur, die an der Etablierung eines subjektiven Innenraums arbeitet, angesprochen, dem es sich genauer nachzugehen lohnt. Um dies fundierter erörtern zu können, scheint es mir hilfreich, den zweiten Aufsatz heranziehen, der sich in jüngster Zeit mit den Perspektivierungsmöglichkeiten der Lacan’schen Kulturtheorie für die germanistische Mediävistik beschäftigt hat, und dies in einer m. E. geradezu vorbildlichen Weise tut, nämlich die Überlegungen von Christiane Ackermann (2007). 150 In jener Publikation, die sich in ihrem zweiten Teil einer von Lacan inspirierten Analyse des «Armen Heinrich» von Hartmann von Aue widmet 151 , geht die Verfasserin zunächst in ganz allgemeiner auf die Möglichkeiten, aber auch Fallstricke psychoanalytisch inspirierter Textinterpretationen für die Altgermanistik ein und konzentriert sich hierbei dann vor allem auf die lacanianischen Konzeptbegriffe von ‹Begehren› und ‹Blick› 152 , die ihr besonders geeignet scheinen, für die mittelalterliche Literatur gewinnbringend als Analyseinstrument eingesetzt zu werden. Denn genau in diesem Aspekt mag die germanistische Mediävistik, die in ihrer breit anzutreffenden Skepsis gegenüber einem psychoanalytisch-freudianisch verfahrenden Deutungsansatz für mittelalterliche Literatur 153 über ihr Ziel hinausgeschossen zu sein scheint, 154 die Potenziale einer (literaturwissenschaftlich-präzisen) Bezugnahme auf die psychoanalytischen Kulturtheorie namentlich lacanianischer Prägung unterschätzt haben, da diese den Fokus auf die sprachliche Verfasstheit der Bedeutungsgenerierung und-- auf das Ich gewendet-- der Subjektkonstruktion legt. 155 Ackermann beschreibt dies so: 150 C. Ackermann, Mediävistik und psychoanalytische Literaturtheorie. 151 Vgl. ebd., S. 29 - 44 . 152 Vgl. dazu die beiden zentralen Unterkapitel II. 3 . «Le désir s’affirme comme condition absolue-- Das Begehren als Kategorie der Textanalyse» (ebd., S. 22 - 26 ) sowie II. 4 . «Der Blick als Modus der Sinnstiftung» (ebd., S. 26 - 29 ). 153 Dies mag angesichts bestimmter Auswüchse wie Versuchen einer pathologischen ‹Diagnostik› (s. oben) oder der ubiquitären Anwendung etwa des ödipalen Dreiecks (vgl. etwa die grundsätzliche Kritik bei Ursula Peters: Dynastengeschichte und Verwandtschaftsbilder. Die Adelsfamilie in der volkssprachigen Literatur des Mittelalters, Tübingen 1999 [Hermaea N. F. 85 ], S. 48 - 50 ) durchaus verständlich erscheinen. 154 Dem versucht Ackermann vorsichtig entgegenzuwirken, indem sie sich zum einen von der in den von ihr besprochenen, neueren freudianisch inspirierten Arbeiten immer noch zu findenden Tendenz, literarische Figuren als «empirische Personen» (C. Ackermann, Mediävistik und psyhoanalytische Literatur, S. 11 ) zu behandeln, abgrenzt (vgl. ebd., S. 10 - 12 ), andererseits aber darauf abhebt, strikt zwischen der «Therapieform» Psychoanalyse (ebd., S. 9 ) und ihrer kulturwissenschaftlich auswertbaren theoretischen Grundlegung als «Texttheorie» und «Auslegungsstrategie» von Zeichensystemen (ebd., S. 12 ) zu unterscheiden. 155 Damit betont Ackermann in diesem Zusammenhang zwei Aspekte, die sowohl für die Psychoanalyse wie auch die Literaturwissenschaft von immenser Bedeutung sind: «Die psychoanalytische Theorie fokussiert ausdrücklich auf Sprache, ihren Symbolgehalt, ihre Verwendungs- und Funktionsweise, um so Mechanismen der Sinnkonstitution zu erkennen. Das Verständnis von Sprache als Fundament des menschlichen Subjekts, der Subjektkonstitution wirft auch ein neues Licht auf die Äußerungsformen von Subjektivität in der Literatur [des Mittelalters]» (ebd., S. 13 ). Besonders virulent wird dieser Schnittpunkt mit dem linguistic 386 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven Das Subjekt konstituiert sich innerhalb des sprachlichen Systems, ohne das es nicht denkbar wäre. Es kann sich immer nur innerhalb der Sprache artikulieren und durch sie erkennbar machen. Es verliert dabei jedoch auch an Substanz, da Sprache unmittelbare Präsenz kaum transportieren kann.- […] Unterzog schon Freud das Cartesische cogito-Argument moderner Subjektivität einer radikalen Kritik, so nutzt Lacan es für die These, dass das Subjekt gerade dort entstehe, wo es nicht ist beziehungsweise wo es sich ‹ver-kennt›, das heißt, wo es seine Identität zu finden glaubt, diese aber notwendig an der Realität vorbei geht. 156 Damit sind wir bei genau jenem Kernaspekt der Überlegungen Lacans angelangt, der für die Literaturwissenschaft-- ganz gleich, ob diese mit neuzeitlichen oder mittelalterlichen Texten befasst ist-- m. E. von entscheidendem Interesse sein könnte, und dies weniger hinsichtlich der Infragestellung eines substanziell zu verstehenden ‹Subjekts› 157 , sondern vor allem als Ansatzpunkt zur Analyse genau jener Techniken, die bei der Generierung und Inszenierung der Entwürfe und Imaginationen dieser Täuschung von einer ‹Subjektposition›- - in der lebensweltlichen Selbstdeutung turn, den besonders Lacan in der Folgegeneration nach Freud vertritt, und der das literarhermeneutische (Seiten-)Interesse der Psychoanalyse Freuds und seine Arbeit an der Dekonstruktion des autonomen Individuums als eines ideologischen Fixpunktes der neuzeitlichen bürgerlichen Gesellschaft (das Ich als eines, das gerade nicht ‹Herr im eigenen Haus› ist! , vgl. ebd., S. 14 - 18 ) noch einmal entscheidend profiliert (vgl. ebd., S. 19 f.). 156 Ebd., S. 21 (Hervorhebungen der Verfasserin wurden übernommen). 157 Ackermann bemerkt zu Recht, dass die Mediävistik gegen die Vorstellung, dessen ‹Ausprägung› markiere als eine ‹historische Errungenschaft› die Epochengrenze von Mittelalter und Neuzeit, bereits seit einigen Jahren ins Feld gezogen ist (vgl. ebd., S. 21 f., bes. Anm. 44 ). Deswegen scheint es mir nicht grundsätzlich problematischer zu sein, bei mittelalterlichen Texten von ‹Subjektivität› zu reden als bei neuzeitlichen auch. Im Gegenteil: Gerade der Minnesang und insbesondere das Werbungslied scheinen über die persönliche Minnebetroffenheit genau am Aufbau einer Ich-Perspektive zu arbeiten, die aus Entwürfen und Imaginationen dessen besteht, was neuzeitlich mit dem Begriff des ‹Subjektiven› belegt worden ist; vgl. dazu die grundlegenden, aber teils noch zu zurückhaltend formulierten Hinweise bei K. Grubmüller, Ich als Rolle. Vgl. dazu für die Romanistik jüngst auch Fajardo-Acosta, Fidel: Courtly seductions, modern subjections. Troubadour literature and the medieval construction of the modern world, Tempe 2010 (Medieval and Renaissance texts and studies 376 ), der im Falle der Trobadorlyrik ebenfalls auf den Zusammenhang von Liebe und ‹Subjektivität› verweist (vgl. ebd., S. 1 - 3 , mit Anm. 2 f.) und dafür Lacan und Žižek in seine Überlegungen miteinbezieht (vgl. ebd., S 8 f.). Gleichwohl kann die Darstellung aufgrund des viel zu holzschnittartigen Charakters in der kausalen Verknüpfung dieser Diagnose mit den historischen Erscheinungen einer Herausentwicklung ‹moderner› Staatlichkeit und des kapitalistischen Wirtschaftssystems nur wenig überzeugen, vgl. etwa S. 10 : «Unlike the theological subject of the earlier Middle Ages, the courtly subject constituted a highly-motivated agent driven by a promise of personal identity and worldly gain, by the possibility of love embodied in the alluring figure of the courtly lady. Thus motivated, the new subject was able to contribute to the variety of enterprises-- crusading adventures, the formation of kingdoms through the gradual subjection of weaker to stronger lords, the development of sophisticated networks of economic production, transportation, and exchange, and the growth in administration, taxation, and regulation of daily life-- that eventually led to the establishment of the European national states and commercial capitalism». 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 387 wie eben auch der literarischen Darstellung-- zum Tragen kommen mögen. Lacan hat auf derartige Mechanismen zum ersten Mal in seiner Grundlegung des sog. ‹Spiegelstadiums› referiert, das ihm als eine paradigmatische Situation der stetigen imaginativen Selbstbespiegelung des Individuums erscheint 158 , die es- - nach dem traumatischen Aufscheinen seiner körperlichen Unzulänglichkeit-- das Phantasma einer subjektiven Zentriert- und Ganzheit ‹aushecken› lässt. 159 Dabei stellt nun aber dieser Vorgang nichts weniger dar, als den entscheidenden Schritt einer Erfahrung des Individuums als Selbst vor dem Hintergrund seiner ‹Umwelt› 160 , die dessen Eintreten in die soziale Ordnung der Gesellschaft 161 vorbereitet und für es somit eine Struktur etabliert, die bereits auf das Korsett eines omnipräsenten, internalisierten Prüfungsanspruches verweist, der vom Ich als ein-- eigentlich unmöglicher-- Blick ‹von außen› imaginiert werden wird. 162 Christiane Ackermann fasst diesen Umstand treffend zusammen: Denn das Subjekt vergewissert sich seiner selbst notwendig verzögert, nachdem es ein Bild von sich wahr- und über das Symbolische vermittelt aufgenommen hat. Die Vermittlung 158 Vgl. J. Lacan, Das Spiegelstadium, S. 64 : «Die jubilatorische Aufnahme seines Spiegelbildes durch ein Wesen, das noch eingetaucht ist in motorische Ohnmacht und Abhängigkeit von Pflege, wie es der Säugling in diesem infans-Stadium ist, wird von nun an-- wie uns scheint-- in einer exemplarischen Situation die symbolische Matrix darstellen, an der das Ich (je) in einer ursprünglichen Form sich niederschlägt, bevor es sich objektiviert in der Dialektik der Identifikation mit dem andern und bevor ihm die Sprache im Allgemeinen die Funktion des Subjektes wiedergibt. Diese Form könnte man als Ideal-Ich bezeichnen und sie so in bereits bekanntes Begriffsregister zurückholen-[…]. Aber von besonderer Wichtigkeit ist gerade, daß diese Form vor jeder gesellschaftlichen Determinierung die Instanz des Ich (moi) auf einer fiktiven Linie situiert, die das Individuum allein nie mehr auslöschen kann, oder vielmehr: die nur asymptotisch das Werden des Subjekts erreichen wird.» 159 Vgl. J. Lacan, Das Spiegelstadium, S. 67 : «Das Spiegelstadium ist ein Drama, dessen innere Spannung von Unzulänglichkeit auf die Antizipation überspringt und für das an der lockenden Täuschung der räumlichen Identifikation festgehaltene Subjekt die Phantasmen ausheckt, die, ausgehend von einem zerstückelten Bild des Körpers, in einer Form enden, die wir in ihrer Ganzheit eine orthopädische nennen könnten, und in einem Panzer, der aufgenommen wird von einer wahnhaften Identität, deren starre Strukturen die ganze mentale Entwicklung des Subjekts bestimmen werden. So bringt der Bruch des Kreises von der Innenwelt zur Umwelt die unerschöpfliche Quadratur der Ich-Prüfungen (récolements du moi) hervor». 160 Vgl. J. Lacan, Das Spiegelstadium, S. 66 : «Die Funktion des Spiegelstadiums erweist sich uns als ein Spezialfall der Funktion der Imago, die darin besteht, daß sie eine Beziehung herstellt zwischen dem Organismus und seiner Realität-- oder, wie man zu sagen pflegt, zwischen der Innenwelt und der Umwelt». 161 S. J. Lacan, Das Spiegelstadium, S. 68 , wo von der «Wendung vom Spiegel-Ich (je spéculaire) zum sozialen Ich (je social)» die Rede ist: «Der Augenblick, in dem sich das Spiegelstadium vollendet, begründet- - durch die Identifikation mit der Imago des Nächsten und das Drama der Ur-Eifersucht-[…]-- die Dialektik, welche von nun an das Ich (je) mit sozial erarbeiteten Situationen verbindet». 162 Vgl. dazu die sicher vielfältig anschlussfähigen Ausführungen bei C. Ackermann, Mediävistik und psychoanalytische Literaturtheorie, S. 26 - 29 , zur Lacan’schen Kategorie ‹des Blickes›. 388 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven des Bildes kann beispielsweise durch die Reflexion Anderer erfolgen, grundsätzlich wird sie sprachlich, symbolisch und so immer schon ‹entfremdet› transportiert. 163 Daher erhellt sich aber auch, was gemeint ist, wenn Lacan in seinem wohl berühmtesten Diktum feststellt, dass «Das ich ∫ je ist nicht das ich ∫ moi» 164 , bzw. auf das Rimbaud-Zitat «Je est un autre ∫ Ich ist ein anderer« 165 verweist, nämlich die- - reale Gegebenheiten notwendigerweise stets verfehlende- - «imaginäre Struktur des Selbstbewusstseins» 166 und die Unentrinnbarkeit der symbolischen Ordnung 167 , die als Sprache von Außen auf das Subjekt vermittelt worden ist und- - wie im Übrigen das intersubjektiv zu denkende ‹Unbewusste›- - somit immer durch den «Diskurs des anderen» 168 hervorgebracht ist. 169 Dabei handelt es sich jedoch gerade 163 Ebd., S. 21 . 164 Lacan, Jacques: Psychologie et métapsychologie ( 1978 ); dt. erschienen als: Psychologie und Metapsychologie, in: ders., Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse ( 1954 - 1955 ), übers. von Hans-Joachim Metzger, hg. von Norbert Haas, Olten u. a. 1980 (Das Seminar 2 ), S. 9 - 21 , hier S. 9 . Dabei kommt es mir gar nicht darauf an, ob unter dem je als Gegensatz zum imaginären Selbst-Bild des moi nun das Substrat eines ‹wahren›, aber unbewussten Subjekts (so Pagel, Gerda: Jacques Lacan zur Einführung. 4 ., verb. Aufl., Hamburg 2002 [ 1 1989 ] [Zur Einführung 264 ], S. 31 f., 35 , und 37 ; vgl. dazu auch Lacans Ausführungen in ders., Psychologie und Metapsychologie, S. 15 ) oder die sozial wirksam werdende Ich-Figuration, wie das in Anm. 1012 wiedergegebene Zitat nahelegt, zu verstehen ist; zum Problem der konzisen Bestimmung der beiden Selbst-Formationen von je und moi gerade im hier untersuchten Spiegelstadium-Vortrag vgl. Evans, Dylan: An introductory dictionary of Lacanian psychoanalysis ( 1996 ); dt. erschienen als: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse. Aus dem Engl. übers. von Gabriella Burkhart, Wien 2002 , S. 141 . 165 J. Lacan, Psychologie und Metapsychologie, S. 14 . 166 G. Pagel, Jacques Lacan, S. 13 . 167 Vgl. D. Evans, Wörterbuch, S. 48 : «Lacan steht dem Begriff des autonomen Ich sehr kritisch gegenüber (siehe Ec, 808 - 809 ). Er sieht das Ich nicht frei, sondern von der symbolischen Ordnung bestimmt. Die Autonomie des Ich ist lediglich eine narzißtische Illusion von Herrschaft. Die symbolische Ordnung ist autonom, nicht das Ich». 168 Das hier stark verkürzt wiedergegebene, einschlägige Zitat lautet in deutscher Übertragung: «Daß das Unbewußte des Subjekts der Diskurs des anderen ist, zeigt sich nirgendwo deutlicher als in den Studien, die Freud dem gewidmet hat, was er, soweit es sich im Kontext der psychoanalytischen Erfahrung darstellt, Telepathie genannt hat. Es ist dies eine Übereinstimmung von Äußerungen des Subjekts mit Tatsachen, von denen es keine Kenntnis haben kann, die sich aber stets in den Bahnen einer anderen Erfahrung bewegen, an der der Analytiker als Gesprächspartner teilhat; eine Übereinstimmung zudem, die in den meisten Fällen auf einer rein sprachlichen Konvergenz beruht, die bis zum Gleichklang gehen kann, oder bei der, wenn sie ein Handeln umfaßt, das acting out eines anderen Patienten des Analytikers vorliegt oder eines Kindes des Patienten, das sich ebenfalls einer Analyse unterzieht. Es handelt sich dabei um Fälle von Resonanz in den Kommunikationsnetzen des Diskurses, deren gründliche Untersuchung einiges Licht auf analoge Tatsachen des täglichen Lebens werfen könnte.» (Lacan, Jacques: Fonction et champ de la parole et du langage dans la psychanalyse [ 1953 ]; dt. er-schienen als: Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse. Bericht auf dem Kongreß in Rom am 26 . und 27 . September 1953 im Istituto di Psicologia della Università di Roma, in: ders., Schriften. 3 Bde., ausgew. und hg. von Norbert Haas, Olten u. a. 1973 - 1980 , Bd. I, Olten u. a. 1973 , 1973 , S. 71 - 169 , hier S. 104 f.). 169 Vgl. D. Evans, Wörterbuch, bes. S. 39 f., und 298 - 301 . 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 389 nicht um den sog. ‹kleinen anderen› als die imaginäre Projektionsinstanz des Selbst im Gegenüber, sondern jene radikale Alteritätsformation des ‹großen Anderen› 170 , die Slavoj Žižek in seiner Arbeit an einer aktualisierenden Reformulierung der Lacanschen Überlegungen wie folgt erklärt: Wenn ich spreche, bin ich niemals ein bloßer «kleiner anderer» (Individuum), der mit anderen «kleinen anderen» interagiert: der große Andere muß immer dabeisein.- […] Dieser Dritte, der immer als Zeuge anwesend ist, straft die Möglichkeit unverdorbener, unschuldiger und geheimer Lust Lügen. Sex ist immer ein bißchen exhibitionistisch und beruht auf dem Blick eines anderen. Trotz seiner fundamentalen Macht ist der große Andere fragil, substanzlos, regelrecht virtuell in dem Sinn, daß sein Status der einer subjektiven Unterstellung ist. Er existiert nur insoweit, als Subjekte so handeln, als ob es ihn gäbe.- […] Er ist die Substanz der Individuen, die sich in ihr erkennen, die Grundlage ihrer gesamten Existenz, der Bezugspunkt, der den äußersten Bedeutungshorizont bereitstellt, etwas, für das diese Individuen ihr Leben zu geben bereit sind; doch das einzige, das wirklich existiert, sind diese Individuen und ihre Aktivität, so daß diese Substanz nur in dem Sinn real ist, in dem diese Individuen an sie glauben und nach ihr handeln. Wegen dieses virtuellen Charakters des großen Anderen gelangt ein Brief immer an seinen Bestimmungsort, wie Lacan dies am Ende seines «Seminars über den entwendeten Brief» formuliert. Man kann sogar sagen, daß der einzige Brief, der vollständig und tatsächlich seinen Bestimmungsort erreicht, derjenige Brief ist, der nicht abgeschickt wird-- sein wahrer Adressat ist nicht ein anderer aus Fleisch und Blut, sondern der große Andere selbst-[…]. 171 Das in unserem Zusammenhang Bedeutsame an diesen Ausführungen, die m. E. auch ohne explizite Zuweisungen an die Sphären eines Nicht-Realen bzw. Wirklich-Existenten funktionieren würden, ist, dass die Imaginierung einer übergeordneten, omnipräsenten und alles sehenden sowie wertenden Instanz, vor der wir handeln, und die mit einem eigentlich unmöglichen Blick ausgestattet ist, der bis in unser Innerstes geht, auch dort ständig für die Selbstwahrnehmung und -deutung des Subjekts virulent ist, wo es ohne eine religiöse Auffüllung dieser Instanz etwa im Sinne des christlichen Schöpfergottes als cordis speculâtor 172 auskommt; denn die Unterstellung einer solchen Perspektiviertheit scheint offensichtlich untrennbar 170 Die Schreibweise des «Anderen» mit großem A, der für die Sphäre der symbolischen Ordnung bestimmend ist, etabliert sich erst später im Werk Lacans; vgl. dazu und zu den obigen Ausführungen die hilfreichen und vorbildlich dokumentierten Hinweise im Blog «Lacan entziffern» des Erziehungswissenschaftlers Rolf Nemitz, hier besonders: ders., «Lacans Aphorismen. ‹Das Unbewusste ist der Diskurs des Anderen›» (http: / / lacan-entziffern.de/ anderer/ das-unbewusste-ist-der-diskurs-des-anderen/ #_ein_Sprechen_das_sich_auf_ein_Sprechen _bezieht; einges. am 21 . 10 . 2014 ). 171 Žižek, Slavoj: How To Read Lacan ( 2006 ); dt. erschienen als: Lacan. Eine Einführung, aus dem Englischen von Karen Genschow und Alexander Roesler, Frankfurt a. M. 2008 , S. 20 f. 172 Hartmann von Aue, «Der arme Heinrich», V. 1357 ; zitiert nach: Hartmann von Aue: Gregorius, Der arne Heinrich, Iwein, hg. und übers. von Volker Mertens, Frankfurt a. M. 2004 (Bibliothek deutscher Klassiker 189 / Bibliothek des Mittelalters 6 ). 390 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven mit der Struktur der unablässig zirkulär ablaufenden Selbstprüfungen (vgl. den Lacan’schen Begriff der récolements du moi) verbunden zu sein, die das Subjekt, das ohne Verankerung in der symbolischen Ordnung nicht zu denken ist, vor, gegen und-- durch die Kristallisationssphäre der Sprache und die soziale Eingebundenheit des Einzelnen letztlich unentrinnbar 173 -- in dieser Bezugsgröße überhaupt erst als ein solches hervorbringen. Andererseits ist es aufgrund seiner sprachlichen Verfasstheit aber auch genau ein herausragendes Potenzial des Mediums Literatur, nicht nur derartige allwissende und unmögliche Blicke ‹von Außen› in-- eigentlich nicht sichtbare-- Innenräume zu insinuieren 174 sowie die für jede Einzelpersona ja stets blind bleibenden Flecken solcher übergeordneter Schauräume selbst auszuleuchten (etwa in narrativen Texten über die Instanz des Erzählers! ) 175 , sondern eben auch Konzeptualisierungen von Subjektpositionen in der Rede eines eigentlich deiktisch leeren Ichs diskursiv zu entfalten, die der Imagination der Rezipienten als ein suggestiv ‹externalisiertes› Internes zur Verfügung stehen-- so, als würden sie sich unmittelbar an dessen Ursprung begeben können. Wenn nun in diesem Zusammenhang-- wie Timo Reuvekamp-Felber zu Bedenken gibt-- es tatsächlich als ein besonderes Faszinosum der Gattung Werbungslied zu gelten hat, dass es über das thematische Feld der Liebe den Innenraum des Selbsts in einer provozierend neuen Art und Weise zu konzeptualisieren versteht 176 , dann ist dieser Befund durchaus an die Überlegungen Lacans zur sog. ‹höfischen Liebe› anschlussfähig, die genau am Aspekt der Subjektkonstitution über das ‹Begehren› einsetzen. 177 Christiane Ackermann verdeutlicht 173 Vgl. C. Ackermann, Mediävistik und Psychoanalyse, S. 21 f. 174 Vgl. dazu bes. die Ergebnisse Gert Hübners zur Innenraumdarstellung im höfischen Roman, die auf die Studie ders., Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im «Eneas», im «Iwein» und im «Tristan». Tübingen u. a. 2003 (Bibliotheca Germanica 44 ), zurückgehen und in ders., Fokalisierung im höfischen Roman, in: Erzähltechnik und Erzählstrategien in der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloquium, hg. von Wolfgang Haubrichs u. a., Berlin 2004 (Wolfram-Studien 18 ), S. 127 - 150 , in komprimierter Form zusammengestellt sind. 175 Vgl. C. Ackermann, Mediävistik und Psychoanalyse, S. 32 . 176 Vgl. T. Reuvekamp-Felber, Kollektive Repräsentation, S. 223 . 177 Wenig hilfreich ist dafür der zwar auf Lacan Bezug nehmende, aber für das Lerchenlied Bernarts von Ventadorn dennoch zu in ihren biographisierenden und soziologischen Festschreibungsversuchen eher traditionell anmutenden Ergebnissen kommende Aufsatz Fajardo-Acosta, Fidel: Desire, subjectivity, and subjection in Bernart de Ventadorn’s «Can vei la lauzeta mover», in: Courtly arts and the art of courtliness. Selected papers from the eleventh Triennial Congress of the International Courtly Literature Society, University of Madison-Wisconsin, 29 July-- 4 August 2004 , hg. von Keith Busby und Christopher Kleinhenz, Cambridge 2006 , S. 385 - 398 , hier S. 395 : «Bernart’s poem is seen caught between the poles of his own problematic consciousness- - foundering between narcissism and self-hate, obsessive love and misogyny, but never getting any closer to grasping his own objective situation. As ideological constructs, the lady and the lover’s relationship to her are the fantasy representations of the actual situation of the bourgeois poet laboring as entertainer at the aristocratic court, of his 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 391 diesen für die Thesen Lacans so wichtigen Aspekt, indem sie wiederum von der notwendigerweise sprachlichen Formiertheit des Subjekts ausgeht: Lacan distanziert sich von dem Subjektivitäts-Kriterium ‹Selbst-Bewusstsein› und betont die Bedeutung des Begehrens als entscheidende Eigenschaft des Subjekts: «-[…] le désir s’affirme comme condition absolue»[ 178 ]. Es entsteht durch die Separation, welche sich ereignet mit der Einführung des Individuums in Sprache sowie die parallel verlaufende Einführung in soziale Strukturen; hernach können Ich und Anderer und damit Ich und Welt ‹nur› über den Weg der Sprache zueinander kommen. Der unhintergehbaren Mittelbarkeit entspringt das Begehren und mit ihm das Subjekt.- […] Schon für Freud ist das Begehren ein wichtiger Aspekt im Rahmen der Subjektwerdung, bei Lacan wird es zur zentralen Kategorie seiner semiotisch gewendeten Psychoanalyse. Von Interesse ist dieser Aspekt gerade auch für die Mediävistik, denn durchaus bedenkenswert erscheint Lacans Hinweis, dass die höfische Liebe exemplarisch das für das Subjekt (wie Lacan es begreift, das heißt wesentlich durch Sprache determiniert) symptomatische Begehren artikuliere. Sie setze ein Objekt in Szene, das dazu diene ein stabiles Selbst zu konstituieren. Die höfische Liebe verdeutlicht Lacan zufolge die Logik der Subjektkonstitution und Geschlechterkonstruktion und ist insofern von großer Aktualität. 179 Dies betont wiederum auch Slavoj Žižek, wenn er feststellt, «dass die Logik der höfischen Liebe noch immer die Parameter definiert, innerhalb derer die beiden Geschlechter zueinander in Beziehung stehen» 180 , und dies über Parallelen zur sexuellen Machtkonstellation innerhalb des Masochismus zu verdeutlichen versucht. 181 Glücklicherweise betont er dabei, dass es sich bei diesem um ein spezifisch neuzeitliches Phänomen handelt, das «zum ersten Mal Mitte des vorigen [= 19 ., D. E.] Jahrhunderts in den literarischen Werken und in der Lebenspraxis Sacher- Masochs artikuliert wurde» 182 , so dass hier gar nicht eigens angemeldet werden muss, es gehe nicht an, zu meinen, die mittelalterlichen Konzepte von ‹höfischer Liebe› seien als masochistische Phantasien zu klassifizieren. Vielmehr vermag die von Žižek in diesem Punkt beigebrachte Parallele m. E. durchaus hervorzukehren, wie sehr die Werbungslied-Konzeption auf das Ich und die Auslotung seines subjektiven Innenraums hin ausgerichtet und von ihm her zu denken ist (dies will ja letztlich auch die Rede vom ‹narzisstischen Charakter› des Minnesangs begrifflich einfassen 183 ). Žižek schreibt: relations to his patrons, and of his position within the social hierarchies of the medieval world». 178 C. Ackermann zitiert diese Passage nach: Lacan, Jacques: La direction de la cure et les principes de son pouvoir. Rapport du Colloque de Royaumont 10 - 13 juillet 1958 , in: ders., Écrits. Paris 1966 (Le Champ Freudien), S. 585 - 645 , hier S. 629 . 179 C. Ackermann, Mediävistik und psychoanalytische Literaturtheorie, S. 21 - 23 . 180 S. Žižek, Die Metastasen, S. 45 . 181 Vgl. ebd., S. 47 - 49 . 182 Ebd., S. 47 f. 183 Vgl. dazu meine Ausführungen und die Bedenken gegenüber dieser terminologischen Festlegung oben. 392 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven In seiner klassischen Studie über den Masochismus hat Gilles Deleuze gezeigt, daß der Masochismus nicht als bloße symmetrische Umkehrung des Sadismus begriffen werden kann: Der Sadist und sein Opfer geben nie ein komplementäres «sado-masochistisches» Paar ab. In der Reihe der Züge, die Deleuze als Beweis für ihre Asymmetrie aufzählt, ist der entscheidende die Opposition zweier Modalitäten der Negation: Beim Sadismus begegnen wir direkter Negation, gewaltsamer Destruktion und Quälerei, während die Negation beim Masochismus die Form einer Fiktion, eines «Als ob» annimmt, das mit der Wirklichkeit gar nicht übereinstimmen will. 184 Gerade diese Bemerkung scheint mir vor dem Hintergrund einer Minnesang-Forschung gar nicht so irrelevant, die nach sozialgeschichtlichen Erklärungen dieser Literaturform gesucht hat, aber teils mehr oder minder verständnislos die komplette Diametralität von ideologisch-literarischen Entwurf zum realgeschichtlichen Status der Frau in der mittelalterlichen Adelgesellschaft (zumindest im deutschsprachigen Raum) registrieren musste bzw. erst über interpretative Verschiebungsoperationen (z. B. die Umleitung der Liebesthematik auf das gesellschaftliche Feld des Lehnsdienstes oder der Ministerialenrechtsstellung) ‹aufgelöst› werden konnte 185 . Die Attraktivität des literarischen Modells ‹Frauendienst› mit den in ihm teilweise begegnenden männlichen Unterwerfungsposen würde dann gerade nicht in irgendeiner Entsprechung mit der außerliterarischen ‹Realität› liegen, sondern in ihrem bewusst spielerischen Abgrenzungscharakter eines «Als ob», das seinen fiktionalen Status eher gegenläufig zu sozialgeschichtlichen Gegebenheiten ausrichtet, denn ihn mit diesen in Deckung zu bringen sucht. 186 Dabei, so betont Žižek in seinen Ausführungen weiter, ist es gar nicht so, dass- - wenn man die nachgezeichnete 184 S. Žižek, Die Metastasen, S. 48 (Hervorhebungen von mir, D. E.). 185 S. die Hinweise zur sozialgeschichtlich ausgerichteten Forschung oben, Anm. 24 . 186 Vgl. dazu das ähnlich lautende Fazit von Timo Reuvekamp-Felber, Kollektive Repräsentation, S. 224 : «Dann aber, um mit Rüdiger Schnell zu sprechen, ist die Liebesdarstellung in der Minnekanzone ‹eher als Gegenbewegung zu sozialen Bedingungen des Mittelalters zu verstehen› denn als rituelle Verständigung über die Identität der laikalen Adelsgesellschaft» (der Verfasser zitiert hier: Schnell, Rüdiger: Die ‹höfische Liebe› als Gegenstand von Psychohistorie, Sozial- und Mentalitätsgeschichte. Eine Standortbestimmung, in: Poetica 23 ( 1991 ), S. 374 - 424 , hier S. 424 ). Zu einem ähnlichen Fazit kommt freilich schon Bumke, Joachim: Die höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 11 . Aufl., München 2005 ( 1 1986 ), S. 569 , für das Konzept der ‹höfischen Liebe›: «Man kann die höfische Liebe als ein Gegenprogramm zu den Verhältnissen der Wirklichkeit interpretieren. Hier war alles anders: statt Gewalt und Hemmungslosigkeit ein ausgesuchtes Benehmen nach den Vorschriften der höfischen Etikette; statt einer Sexualität, die nur auf körperliche Befriedigung aus war, eine erotische Kultur, in der musikalische Begabung, Redegewandheit und literarische Bildung einen hohen Stellenwert besaßen; statt Benachteiligung und Ausnutzung der Frau ein neues Rollenspiel, bei dem die Dame den Part der Herrin übernahm und der Herr zum Diener wurde-[…]. Die Konzeption einer neuen, besseren Gesellschaft mit Liebe als zentralem Wert war ihrem Wesen nach eine poetische Idee»; zumindest für den deutschen Minnesang lässt sich zudem (anders etwa ist möglicherweise die Lage in Frankreich, vgl. ebd., S. 572 - 576 ) relativ sicher sagen, dass sie das auch bleibt: «In Deutschland war die höfische Liebe-[…] bis zum Ende des 13 . Jahrhunderts im wesentlichen ein literarisches Phänomen» (S. 581 ; Hervorhebung von mir, D. E.). 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 393 Parallele auf die idealtypische Konstellation des Werbungsliedes überträgt- - sich die Zuweisungen der Machtpositionen im Geschlechterverhältnis nun grundlegend umkehren würden: Der Sadismus folgt der Logik der Institution, der institutionellen Macht, die ihr Opfer quält und Gefallen am hilflosen Widerstand des Opfers findet.-[…] Dagegen ist der Masochismus dem Opfer auf den Leib geschneidert: Der Vertrag mit dem Herrn (der Frau) geht auf die Initiative des Opfers (des Dieners in der masochistischen Beziehung) zurück. Er bevollmächtigt sie, den Initiator in jeder Weise, die ihr angemessen erscheint (innerhalb der Grenzen, die der Vertrag definiert), zu erniedrigen und ihn zu verpflichten, ganz «nach Maßgabe der Launen der unumschränkten Herrin», wie Sacher-Masoch es ausdrückt, zu agieren.-[…] Der Diener schreibt folglich das Drehbuch, das heißt er ist es, der wirklich die Fäden zieht und das Tun der Frau (der Domina) diktiert. Er inszeniert sein eigenes Sklaventum. 187 An dieser Stelle scheint es mir angebracht, den Vergleich mit dem Masochismus wieder zu verlassen, da er ja auch gar nicht vollständig auf die Minnekanzone zutrifft. Aber festzuhalten wäre vielleicht: Wenn es also so ist, dass in bestimmten kulturellen Entwürfen zwar eine graduelle Unterwerfung des eigentlich dominanten Geschlechts inszeniert werden kann, ohne dass dies zu Reibungspunkten mit der Sphäre der ‹Alltagsrealität› und ihren Strukturen führt 188 , und im Modus des «Alsob» gewisse Posen der Inferiorität bewusst eingenommen bzw. als unentrinnbar behauptet (und für den Minnesang: übrigens auch jederzeit wieder verlassen) werden können, dann scheint mir dies mit dem Bedürfnis zusammenzuhängen, den Blick auf ein Selbstkonstrukt zu eröffnen, dessen Komplexität sich offenbar nicht in Dominationsgesten und Selbstgewissheit erschöpfen soll. Somit würde sich die gattungstypologische Ausprägung des Werbungsliedes, die freilich viel weniger schematisch festgelegt ist, als hier der Eindruck entstanden sein mag, eben doch viel stärker über das sich in ihm niederschlagende Subjektivitätsverständnis erklären, denn über realhistorische Geschlechterbeziehungen. Dazu wäre übrigens noch zu ergänzen, dass Žižek des Weiteren davon ausgeht, dass die vorherrschende Abstraktheit der frouwe gerade nichts mit vergeistigender Sublimierung, wie sie gerade auch die Minnesang-Forschung häufig zu unterlegen bereit war, zu tun habe, sondern-- neben der ‹narzisstischen› Selbstbespiegelung des männlichen Ichs- - vor allem eine weitere wichtige Funktion erfülle, nämlich die Einziehung einer Grenze, die als eine Art ‹schwarzes Loch› fungiere, «in dessen Jenseits man nicht gelangen kann» 189 . Damit passt sich die Stilisierung der Dame als Gegenüber genau in das ein, was Lacan 187 S. Žižek, Die Metastasen, S. 48 . 188 So spinnt Žižek die masochistische Unterwerfungsszenerie weiter aus: «Ist das Spiel dann zu Ende, nimmt der Masochist wieder die Haltung des höflichen Bürgers an und beginnt, mit der unumschränkten Herrin nüchtern und business-like zu sprechen: ‹Dank für Ihre Bemühung. Nächste Woche um die gleiche Zeit? › usw.-[…] Das Abstandnehmen von der sozialen Realität, das surrealistisch leidenschaftliche Spiel des Masochismus fügt sich völlig problemlos in die Alltagsrealität» (ebd., S. 49 ). 189 S. Žižek, Die Metastasen, S. 47 . 394 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven insgesamt als die «listige Organisation des Signifikanten» 190 in der ‹höfischen Liebe› bezeichnet, und somit einmal mehr auf die dezidiert artifizielle ‹Gemachtheit› des Konzepts verweist. Dies zeigt sich im Übrigen auch, wenn er sie im Seminar «Die Ethik der Psychoanalyse» unter dem Prinzip der anamorphotischen Verzerrung zu fassen sucht, die die Funktionsstelle der Dame als-- letztendlich aber substanziell leeren (vgl. den Terminus der ‹Vakuole›)-- Kristallisationspunkt erst über Umwege und Hindernisse im Begehren des Subjekts sichtbar werden lässt: Es gibt eine Reihe von Motiven, die die Voraussetzungen, die organischen Gegebenheiten der höfischen Liebe bilden. Zum Beispiel dieses- - das Objekt ist durchaus nicht allein unerreichbar, es ist von dem, der sich nach ihm verzehrt, der es erlangen möchte, mit Hilfe von allerhand malefiziösen Kräften getrennt, welche von der hübschen provenzalischen Sprache lauzengiers […] genannt werden. Das sind die Eifersüchtigen, aber auch die Lästermäuler. […] Kurz, ich wollte Ihnen heute ein Gespür vermitteln dafür, wie eine kunstvolle, listige Organisation des Signifikanten zu einem gegebenen Zeitpunkt die Richtungen einer bestimmten Askese bestimmt, und welche Bedeutung wir in der psychischen Ökonomie dem umwegigen Verhalten beizumessen haben. Der Umweg im Psychismus ist nicht immer ausschließlich dafür da, jenen Übergang zu regeln, der das sich im Bereich des Lustprinzips Organisierende mit dem verbindet, was sich als Struktur der Realität vorstellt. Es gibt auch Umwege und Hindernisse, die sich herstellen, damit der Bereich der Vakuole als solcher erscheinen kann. 191 Denn das Begehren, das im Übrigen immer dem ‹Anderen› gehört, will heißen: gar nicht auf das Zentrum unseres Selbst bzw. dessen Verfasstheit verweist, sondern wiederum durch die Formationskräfte des soziokulturelle Bezugsnetzes für das Individuum vorgezeichnet wird 192 , ist nicht nur dafür verantwortlich, dass völlig neutral erscheinende und leicht verfügbare Alltagsgegenstände zum fetischisierten ‹Ding› aufgebaut und neu besetzt werden 193 , bzw. in Anwendung auf die sog. ‹höfische Liebe›: eine Du-Position als Gegenüber für das Ich erstellt wird, die für dieses ein unerreichbares wie-- bei allem doch nur als desinteressierte Gleichgültigkeit oder ‹feindliche› Ablehnung deutbaren Verhalten- - letztlich unverständlich agierendes Faszinosum 194 bildet, sondern eben dieses Begehren selbst erst ein-- über die Ein- 190 J. Lacan, Die höfische Liebe, S. 186 . 191 Ebd., S. 186 f. 192 Zu den verschiedenen Bedeutungsebenen des Lacanschen Diktums vom ‹Begehren des Anderen› (Anm. XXX) vgl. S. Žižek, Lacan, S. 52 , und D. Evans, Wörterbuch, S. 56 - 58 , bes. das Fazit auf S. 58 : «Das wichtigste, das man Lacans Aussage entnehmen muß, ist, daß das Begehren ein Produkt der Gesellschaft ist. Das Begehren ist nicht-- wie man meinen könnte-- eine Privatsache, sondern es wird immer in einer dialektischen Beziehung mit den wahrgenommenen Begehren anderer Subjekte konstituiert». 193 Zu der obigen Aussage und zu Lacans Anverwandelung des Freud’schen Terminus des ‹Dings› vgl. S. Žižek, Die Metastasen, S. 51 f., mit filmischen Beispielen wie Bunuels «Dieses obskure Objekt der Begierde» ( 1977 ) als Illustration. 194 Schließlich bleibt bei all ihrer Ablehnung die Dame ja Projektionsfläche der Hoffnungen des liebenden Ichs, vgl. ähnlich C. Ackermann, Mediävistik und psychoanalytische Literaturtheorie, S. 24 . 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 395 ziehung von Grenzen und Hindernissen-- eigens ‹hervorgebrachtes› und geradezu technisch eingerichtetes ist. Durch das somit allenfalls mäandernd und auf Umwegen seinem Ziel überhaupt näher kommende, bald aber wieder neu in seinen Wegen verstellte Ich-Streben wird aber letztlich erst gewährleistet, dass das Subjekt und seine als definit und konsistent imaginierte Position (wenn man-- Lacan weiter fortführend- - so will, ja auch eine ‹Vakuole›! 195 ) dauerhaft etabliert und aufrecht erhalten werden können. Diese grundlegende Funktion der Begehrensstrukturierung betont auch Christiane Ackermann, wenn sie für das Arrangement der ‹höfischen Liebe›-- besser wäre hier vom (idealtypischen) Gattungskonzept des Werbungsliedes zu sprechen-- festhält: Es geht ferner nicht primär um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, sie [=die Dame] zu erreichen, oder die ethische Läuterung des Dienenden. Vielmehr ist entscheidend, dass diese ‹Sprache der Liebe› um das Subjekt selbst kreist, das sich auf der Bühne des Begehrens, des Ineinanders von Sinnverschiebung und -stiftung formuliert und damit konstituiert. 196 Damit würde sich dann aber eine lacanianisch-inspirierte Lesart der Texte nicht nur mit Überlegungen der Minnesang-Forschung zur Ablösung eines gesellschaftsethisch normativen Verständnisses im Sinne einer ‹Minne-Doktrin› 197 bzw. (para-) rituellen Kollektivverständigung darüber 198 und mit der These einer literarischen ‹Arbeit› der Gattung an den Problemfeldern von Subjektivitätsausbildung 199 und Innenraumauslotung 200 im Werbungslied verbinden lassen, da sie noch einmal eindrücklich hervorkehrt, wie sehr die Gattung vom Ich und seiner Subjektkonstituierung her zu denken und auf diese ausgerichtet ist, sondern darüber hinaus auch einen geschärften Blick für die Techniken bereitstellen, wie diese (literaturinhärent oder- - in einem weiteren Kontext- - durchaus kulturpoetisch 201 denkbare) ‹Funktion› 202 vom Texttyp erreicht wird: etwa über geschickte Stilisierung der Ich-Figu- 195 Vgl. dazu Žižek, Slavoj: On Belief; dt. erschienen als: Die gnadenlose Liebe. Aus dem Englischen von Nikolaus G. Schneider, Frankfurt a. M. 2001 (stw 1545 ), S. 47 f., der bezüglich der Überlegungen der buddhistisch inspirierten Kognitionswissenschaft fragt: «Was, wenn das Selbst genau jenes ‹I of the storm›, die Leere im Zentrum des Wirbelsturms flüchtiger geistiger Ereignisse ist, so etwas wie die ‹Vakuole› in der Biologie, die Leere, um die die mentalen Ereignisse kreisen, die Leere, die nichts in sich selbst ist, die keine substantielle positive Identität besitzt, die aber dennoch als der nicht repräsentierbare Bezugspunkt dient, als das ‹Ich›, dem geistige Ereignisse zugeschrieben werden? ». 196 C. Ackermann, Mediävistik und psychoanalytische Literaturtheorie, S. 23 . 197 Vgl. E. Willms, Liebesleid und Sangeslust. 198 Vgl. T. Reuvekamp-Felber, Kollektive Repräsentation. 199 Vgl. K. Grubmüller, Ich als Rolle. 200 Vgl. T. Reuvekamp-Felber, Kollektive Repräsentation. 201 Zum Vorstellungshorizont des New Historicism bzw. einer Poetic of Culture s. unten. 202 Überlegungen zu einer ‹Funktion› der Gattung, die den Bereich des Literaturinternen überschreitet, sind m. E.-- wenn überhaupt-- nur mit äußerster Zurückhaltung anzustellen, vgl. dazu das in dieser Hinsicht vorbildliche Beispiel der Argumentation in T. Reuvekamp-Felber, Kollektive Repräsentation, S. 220 f.: «Wenn man an funktionsgeschichtlichen Fragestellungen 396 IV Kulturwissenschaftliche Perspektiven ration und Sprechhaltung, die Perspektivierung und Limitierung des Blickfeldes 203 , sowie die Einlassung von Grenzziehungen, die zwar zum topischen Motivarsenal der Gattung gerinnen (wie z. B. die huote), aber auch stetig weiterentwickelt, verschoben und umgedeutet werden können. Ja sogar die sprachliche Verfasstheit des Werbungsliedes selbst mit ihren fortgesetzt im konditionalen bis hypothetischverwinkelten Möglichkeitsraum kreisenden und immer wieder neu ansetzenden Argumentationsketten wird vor dem Hintergrund der Überlegungen Lacans und Žižeks zur Formation des Subjekts als konsequente Umsetzung einer Stilisierung deutbar, die dazu dient, dieses gerade nicht zu seinem Ziel kommen zu lassen. 204 Denn dann liefe es wiederum Gefahr, in einen Status zurückzufallen, wo sich seine gerade von der Umgebung abgeschatteten Umrisse auflösen, so dass-- man denke an die biologische Metapher der Vakuole- - sich auch die Imagination einer substanziellen Füllung buchstäblich im Nichts verlöre. Bleibt die Frage zu beantworten, welche Bedeutung nun dem Natureingang im Kontext der-- vor dem Hintergrund der Lacan’schen Überlegungen zur Subjektkonstitution profilierten-- These einer literarischen Ausrichtung des Werbungsliedes auf die Innenraumdarstellung zukommen mag. Wenn wir diesbezüglich von der Vorstellung ausgehen, dass der Bereich einer Subjektposition, die mit Zuschreibungen von substanzieller Einzigartigkeit und personeller Relevanz angereichert ist, auch und gerade im Medium der Literatur Resultat einer sprachlich-formalen Operation ist, und dessen Etablierung und Stabilisierung wiederum bestimmter technischer Organisationskniffe bedarf, so scheint dies im Falle der Dame als eine sie-oder-Du- Instanz, um die ein Begehren in Zirkulation gerät, das wiederum ein solches Ich formieren und kontinuieren hilft, recht einleuchtend umrissen, aber eben auch auf weitere Aspekte in der (ideal)typischen Werbungsliedsituation erweiterbar. Denn in diesem Zusammenhang dürfte etwa auch die Instanz der Gesellschaft anzusprechen sein, die ungleich komplexer funktional eingebunden ist, als bloß eine Grenzziehung im Sinne eines Hindernisses für das Begehren des liebenden Ichs darzustellen, sondern vor allem genau als Profilierungsgröße für ein exzeptionell imaginiertes Ich in den Blick zu nehmen ist, das für sich in Anspruch nimmt, anders zu denken und zu fühlen als sein soziales Umfeld, ja Gefahr läuft-- durch die der Liebe inhärenten Irtrotz aller methodischen Unwägbarkeiten festhalten möchte (und dies scheint mir geboten), ist vielleicht weniger beim semantischen Feld ‹Liebe› anzusetzen. Hier bedienen sich die Autoren in ihren zirkulären Reflexionen aus ganz unterschiedlichen Wissensdiskursen- (…). In der Inkorporation dieser sehr verschiedenen traditionellen Denkweisen über die Liebe ist die spezifische Funktion dieser Lyrik vielleicht nicht zu fassen, da deren Heterogenität einer kollektiv verbindlichen Funktionszuweisung entgegenstehen. Das Spezifische der Minnekanzone scheint mir erst einmal weniger auf dieser thematisch-ideologischen als vielmehr in ihrer Sprechweise zu liegen». 203 Freilich kann im Gattungssystem des Minnesangs von anderen Texttypen auch ein suggestiv mit der Werbungsliedsituation in Verbindung zu bringender, komplementärer oder kontrastiver ‹Gegenblick› zu dem des männlichen Ichs ausagiert werden, so etwa über die vielfältigen Möglichkeiten des Frauenliedes bzw. des Einsatzes von Frauenstrophen. 204 Vgl. C. Ackermann, Mediävistik und psychoanlaytische Literaturtheorie, S. 23 f. 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 397 rationalitätswirkungen und Isolationspotenziale-- gesellschaftlich nicht mehr richtig ‹zu funktionieren›. 205 Vor der Folie einer bezüglich der Liebe des Sängers verständnislos-ennervierten (vgl. etwa bei Reinmar die der Klage überdrüssigen vriunt 206 ) bis ihr gegenüber dezidiert feindlich eingestellten Gesellschaftsumgebung (im Sinne Lacans die huote, merkaere, nîdaere) entwickelt sich so in Kontrastabschattung die Imagination eines radikal singulären, aber gleichwohl eminent bedeutsamen, ja auf der suggestiven Rezipientenebene wiederum geradezu auf identifikatorische Übereinstimmung mit einer Gemeinschaftsinstanz (vgl. die vielen internen Publikumsanreden etwa über seht! ) zielenden Innenraumes, der anhand des Themas der Liebe auf seine spezifischen Funktionsmechanismen, seine Vermittlungsleistungen wie Disfunktionalitäten, die ihm inhärenten Phantasmen von Eigenständigkeit wie emotionaler (und eben auch sozialer) Abhängigkeit hin befragt werden kann. Genau in diesem Zusammenhang scheint mir nun auch die Funktion des jahreszeitlichen Natureingangs und seiner Einbauweise im tektonischen Gesamtgefüge des Werbungsliedes verortbar zu sein, bildet er doch eine weitere technische Möglichkeit, für das liebende Ich mit rhetorischen Mitteln einen derartigen Innenraum zu etablieren. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die Anbindungsweisen kontrastiver oder komplementär-übersteigernder Art, für die dies unmittelbar einsichtig ist, sondern auch für jene Überleitungen von der jahreszeitlich stilisierten Natur auf die emotionale Lage des Ichs, die auf eine etwaige ‹vollständige› Gleichläufigkeit beider Themenfelder abheben (z. B. mittels der Anbindung über alsô), da hier allein schon über die Inbezugsetzung von kosmologischer Ordnung und subjektivem Innenraum zwei Bereiche mit einer grundlegend disparaten Kollektivgeltungspotenz als gleichrangig nebeneinanderstehend ausgegeben werden. Ob dabei im Einzelfall nicht doch, nur eben implizit, an einer Übersteigerung der Bedeutsamkeit des Jahreszeitengeschehens gearbeitet wird, die sich etwa durch ein relationales Übergewicht der Liebesthematik im Gesamtzusammenhang des Liedes einstellen kann, oder lediglich bestehende Bedeutsamkeitsvalenzen aus der Natur- und Jahreszeitenthematik auf den subjektiven Gefühlsraum des Ichs transferiert werden 207 und diesen allein schon so mit einem immensen Berechtigungsanspruch ausstatten, wird jeweils eine detaillierte Liedinterpretation zu klären haben. 205 Besonders eindrücklich- - wenn auch in einem sehr spezifisch hinsichtlich der Abwägung von Frauen-- und Gottesdienstes zugespitzten Liedes-- begegnet das Motiv einer vom Text-Ich selbst als Ich-gefährdend stilisierten A-sozialisierung, die aber im hier vorgestellten Sinne de facto als Stilisierung in Richtung einer Subjektpotenzierung einzuordnen wäre, im Bild des völlig durcheinander gebrachten Liebenden, der abends den Leuten einen guten Morgen wünscht, vgl. Friedrich von Hausen, Lied MF 45 , 37 , I, 5 - 10 . 206 Vgl. Reinmar, Lied MF 165 , 10 : Swaz ich nu niuwer maere sage, / des endarf mich nieman vrâgen: ich enbin niht vrô. / die vriunt verdriuzet mîner klage. / des man ze vil gehoeret, dem ist allem so (I, 1 - 4 ; Hervorhebung von mir, D. E.). 207 Wenn man so will, durchaus in Parallelität zu dem, was Warning für Diskurssysteme mit hoher Dignität als «konnotative Ausbeutung» durch den Minnesang nachgezeichnet hat (R. Warning, Lyrisches Ich und Öffentlichkeit, S. 138 , Anm. 34 ; vgl. zum Konzept insgesamt die S. 135 - 44 ). 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 399 Schlussbemerkung Festzuhalten ist aber, dass der Topik am Liedanfang eine ganz spezifische Funktion beigemessen werden kann, d. i. die wirkungsvolle Etablierung des subjektiven Innenraums als eine Möglichkeit, diesen sofort-- etwa für die Liebesthematik-- als potenziell nutztbare Aussagenbasis aufzuspannen, und sich somit in der Tat für die im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung getroffene, definitorisch-abgrenzende Unterscheidung von ‹jahrezeitlichem Natureingang›, ‹Natur- und Jahreszeitenstrophe im weiteren Liedverlauf›, ‹Jahreszeiteneingang› und locus amoenus aus der Perspektive der funktionalen Einbindung hinsichtlich der Ichraum-Konstituierung eine weitere Bestätigung ergibt. Gerade etwa beim locus amoenus steht die Stilisierung in Richtung einer Etablierung eines subjektiven Innenraums genau nicht im Vordergrund, sondern es wird vielmehr ein konkret imaginierter Außenraum aufgebaut, der in narrativer Fassung-- zumindest suggestiv-- zur Indizierung eines sexuellen Paarerleben genutzt wird. Dieses wird, wo es imaginativ ‹erfolgt›, zwar aus einer Ich-Perspektive heraus berichtet, diese liegt aber im Sinne einer Erzählerinstanz ‹objektiviert› vor. Dagegen scheint mir beim sog. ‹Jahreszeiteneingang› zwar wiederum grundsätzlich eine bestimmte Potenz des Topos hinsichtlich einer Aufspannung einer subjektivierend formierten Ich-Sphäre zu bestehen, die die Liedeingangspartie wie beim Natureingang im hier nachgezeichneten Sinne prägt. Diese ist jedoch gerade durch das völlige Fehlen von als faktisch-präsent imaginierten und objektivierendnarrativ eingefassten Naturdetails interessanterweise in ihrer Präparationswirkung für den Innenraum des Ichs deutlich herabgesetzt, da sie den Vorgang einer Abspaltung und Herausschälung der Ich-Position eben nicht eigens vorführt, sondern eher implizit als Voraussetzung imaginiert. Von dieser Beobachtung aus erklärt es sich auch, warum die hier beschriebene Funktion der Natureingangs-Topik im Sinne einer Etablierung der Subjektkonstruktion sich paradoxerweise verstärkt, je mehr ‹objektive› Naturerscheinungen zur Unterstreichung des Jahreszeitenwandels zum Aufbau einer Faktizitäts- und Aktualitätsimagination aufgeschichtet werden, und je stärker diese von einem narrativ-konstatierenden Gestus eines, evtl. gar nicht als Ich grammatikalisch konkretisierten Sprechers bzw. einer suggestiven Kollektivinstanz (wir/ uns) geprägt sind: Denn so tritt der sich entfaltende Gegensatz zwischen einer angeblich gemeinschaftsverbindlichen Jahreszeitendeutung und dem sich davon-- sei es dezidiert konträr oder auch nur partiell, weil hinsichtlich der Bezugsinstanz verschoben (d. i. statt der Saisonalität die Minne)- - abhebenden emotionalen Zustand des liebenden Ichs deutlicher hervor und ist in seiner Relevanz stärker markiert. Ist aber dagegen der jahreszeitlich stilisierte Natureingang zwar realisiert, aber in Bezug auf die Faktizitäts- und Aktualitätssuggestion dadurch entscheidend 400 Schlussbemerkung reduziert, dass die Naturdetails nur in wenigen und nicht detailreich ausladenden Strichen erkennbar sind und bereits im Aussagemodus einer subjektivierten Reflexionspräsentation erscheinen (man vgl. Ulrichs von Gutenburg MF 77 , 36 : Ich hôrte ein merlikîn wol singen, / daz mich dûhte der sumer wolt entstân [I, 1 f.]! ), so sind sich naturbzw. jahreszeitenthematische und minnebezogene Rede derart registral angeglichen, dass die subjektive Ich-Perspektivierung bereits wiederum als vorausgesetzt erscheint und der Natureingangstopos so hinsichtlich seiner Konstruktionsstruktur nur gebrochen vorliegt. Dass diese aber dennoch durchscheinen kann, mag einmal mehr der Blick auf Ulrich Lied MF 77 , 36 zeigen, wo die Anbindungsrealisation ‹kollektive Freude im Sommer vs. Liebeskummer des Ichs› eben durchaus, allerdings als mehrfach eingeschränkte Annahme des Ichs erscheint, wenn dieses angibt: ich waene, ez [das merlikîn] al der welte vröide sol bringen / wan mir einen, mich entriege mîn wân (I, 3 f.). Hier, in dieser sehr zugespitzten Ausprägung, wird somit der Topos in seiner Funktionalität einer Ich-Abspaltung zwar immer noch aufgerufen (vgl. das wan mir einen! ), jedoch durch die Verschiebung in die Subjektposition im Gegenzug auch bezüglich seiner eigenen Etablierungspotenz von Innenraumeinziehung ‹entschärft›. 1 Es ist also festzuhalten, dass der Topos dort seine größte Wirkung im Sinne einer Subjektetablierung entfaltet, wo er möglichst ‹objektiv› und feststellend, ja mit möglichst zahlreichen Demonstrationsdetails versehen gesetzt ist, was zum einen noch einmal seine rhetorische Ableitung als zur Überzeugung dienendes argumentum unterstreicht 2 , zum anderen aber nicht bedeutet, dass er etwa im Falle von MF 77 , 36 nicht ‹wirkungsvoll› eingesetzt wäre: hier dann eben aber weniger in einem strikt argumentativen Sinne, sondern mehr in Richtung einer Destabilisierung des Faktischen, die wiederum auf einer anderen Ebene- - der der Verunsicherung von Außenweltdiagnose- - an der Konturierung von Subjektivität arbeitet. Und schließlich fallen vor dieser Folie auch die Unterschiede zwischen dem saisonalen Natureingang als einer topischen Form der Eingangsgestaltung und der Natur- und Jahreszeitenstrophe in Binnen- oder Endstellung noch einmal unter neuer Perspektivierung ins Auge, so dass diese Erscheinung gerade nicht stets als Zufallsprodukt der Überlieferung proklamiert werden muss, sondern als eigene poetische Technik profiliert werden kann: Denn in genau diesen Fällen, wo es anders als beim eigentlichen Natureingang nicht darum gehen kann, für das Lied erst einmal eine Folie zu etablieren, aus der die subjektive Ich-Position gleichsam herausgeschält wird, wird nun die auf eine Separierung von Innen- und Außenraum hin angelegte Natur- und Jahreszeitenmotivik genutzt, die durch die minnethematische Rede des Ichs bereits vorgeführte Ich-Position unter neuem Blickwinkel anders zu gewichten oder nachträglich zu radikalisieren. 1 D.h. es drängt sich die Frage auf: Stimmen die Annahmen des Ichs überhaupt mit den suggestiven ‹Realitäten› überein? 2 S. dazu den Forschungsbericht zu Curtius, I. 4 . Schlussbemerkung 401 Dabei ist dies dann nur eine poetische Möglichkeit unter vielen, die das Spiel mit der Topik hervorbringt, deren technische Grundlegung als argumentum a tempore über eine an ihr ansetzbare, aber sich stets dichotomisch, d. i. komplementär und kontrastiv, weiter ausbaubare rhetorische Auswertung als eine unendlich fortsetzbare Generierungsbasis von verschiedensten Einsatzmöglichkeiten erweist. 3 Jedoch reicht dies noch nicht aus, um die breite und langanhaltende Beliebtheit des Topos Natureingang im Minnesang zu begründen, die seinen neuzeitlichen Betrachtern oftmals als ‹unoriginelle› Wiederholung von Altbekanntem erschienen ist. 4 Denn gerade über die vielfältigen Assoziationen und Verknüpfungen, die sich über vokabulatorische oder motivische Korrespondenzen zu anderen Texten, Liedtypen, Literaturtraditionen oder Diskursen ergeben und so bei der Rezeption sich kaleidoskopartig ausfaltende semantische Transfer- und Anverwandelungsvorgänge in Gang setzen 5 , oder mit den Worten eines New Historicism bzw. einer Poetic of 3 Diesen Hinweis verdanke ich Udo Friedrich. Uwe Hebekus verweist in diesem Zusammenhang auf die Tendenz zur «Differenzierungsexplosion» (ders., Topik/ Inventio, S. 89 ), die dem topischen Denken inhärent sei. 4 Vielleicht, weil sie nicht immer bereit waren, den feinen Verästelungen und Variationsmöglichkeiten einer ‹poésie formelle› und den diversen Möglichkeiten eines Spiels mit konnotativen Anhaftungen genauer nachzuspüren. 5 Dies ließe sich freilich auch gut mit dem Isotopie-Konzept verknüpfen, das Pierre Bec für Bernart von Ventadorn so perspektivenreich vorgestellt hat, vgl. ders., La douleur et son univers poétique chez Bernard de Ventadour. Essai d’analyse systématique, in: CCM 11 ( 1968 ), S. 545 - 571 , und CCM 12 ( 1969 ), S. 25 - 33 ; wieder in: Écrits sur les troubadours et la lyrique médiévale, Caen 1992 , S. 165 - 200 . 402 Schlussbemerkung Culture 6 gesprochen: «kulturelle Energien» 7 zirkulieren lassen, die den Text im Kontext der verschiedenen Systeme von kultureller Bedeutungsgenerierung sowohl vernetzen als auch gleichzeitig als ‹eigenständige› Lösung profilieren 8 , zeigt sich erst das enorme Ausmaß der poetischen Potenz der Topik des ‹Natureingangs›. 9 Dabei 6 Als Initialisierungspunkte dieser nicht ohne Widerspruch gebliebenen, aber m. E. gleichwohl breit anschlussfähigen Spielart der kulturwissenschaftlichen Dimensionierung von Literaturwissenschaft gelten besonders die Vorbemerkungen von Stephen J. Greenblatt in ders., Renaissance self-fashioning: From More to Shakespeare. Chicago u. a. 1980 , S. 1 - 10 , dt. erschienen als: ders., Selbstbildung in der Renaissance. Von More bis Shakespeare (Einleitung), in: New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Mit Beiträgen von Stephen Greenblatt, Louis Montrose u. a., hg. von Moritz Baßler, Frankfurt a. M. 1995 (Fischer Wissenschaft 11 589 ), S. 35 - 47 ; ders., Introduction, in: The forms of power and the power of forms in the Renaissance, hg. von dems., Norman 1982 (Genre 15 / Sonderheft 7 ), S. 3 - 6 , dt. erschienen als: ders., Die Formen der Macht und die Macht der Formen in der englischen Renaissance (Einleitung), in: M. Baßler (Hg.), New Historicism, S. 29 - 34 , und schließlich ders., Die Zirkulation sozialer Energie, in: ders., Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance. Aus dem Amerikan. von Robin Cackett, Berlin 1990 , S. 7 - 24. Für die altgermanistische Auseinandersetzung mit dem Konzept kann beispielsweise auf die frühe kritische Einordnung bei Tennant, Elaine C.: Old Philology, New Historicism, and the study of German literature, in: Lesarten. New methodologies and old texts, Méthodologies nouvelles et textes anciens, hg. von Alexander Schwarz, Bern u. a. 1990 (Tausch 2 ), S. 153 - 177 , verwiesen werden, ferner auf Röcke, Werner: ‹New Historicism›. Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik, in: Germanistik: Disziplinäre Identität und kulturelle Leistung. Vorträge der deutschen Germanistentage 1994 , hg. von Ludwig Jäger, Weinheim 1995 , S. 214 - 228 , und- - deutlich abwägender- - Peters, Ursula: Zwischen New Historicism und Gender-Forschung. Neue Wege der älteren Germanistik, in: DVjs 71 ( 1997 ), S. 363 - 396 , wieder in: dies., Von der Sozialgeschichte zur Kulturwissenschaft, S. 225 - 255 , bes. S. 236 - 240 ; sowie zuletzt: Lauer, Claudia: New Historicism, in: C. Ackermann / M. Egerding (Hgg.), Literatur- und Kulturtheorien in der Germanistischen Mediävistik, S. 383 - 406 . Interessanterweise scheint sich eine Ausrichtung an den Vorstellungen Greenblatts gerade für die Lyrikanalyse als fruchtbar zu erweisen, vgl. etwa die Vorschläge in dieser Hinsicht bei U. Peters, Neidharts Dörperwelt, S. 459 f., die Walther-Beispielanalyse bei Largier, Niklaus: Die Fiktion der Erotik (Diskursanalyse / New Historicism), in: Walther von der Vogelweide und die Literaturtheorie. Neun Modellanalysen von «Nemt, frouwe, disen kranz», hg. von Johannes Keller und Lydia Miklautsch, Stuttgart 2008 (RUB 17 673 ), S. 159 - 179 , und jüngst die Bemerkungen zur Spruchdichtung Boppes bei C. Lauer, New Historicism, S. 391 - 401 . 7 Ich orientiere mich hier, statt mich strikt an die Prägung Stephen Greenblatts von der «circulation of social energy» (so der programmatische Unter- und Einleitungstitel von ders., Shakespearean negotiations, Kap. I; Hervorhebung-- wie im Folgenden-- von mir, D. E.) anzulehnen, die mir im Lichte der sozialgeschichtlichen Forschung als zu vorbelastet erscheint, an der obigen Modifikation dieses Ausdrucks durch Baßler, Moritz: Einleitung: New Historicism-- Literaturgeschichte als Poetik der Kultur, in: ders., New Historicism, S. 7 - 28 , der für den New Historicism vom Ziel eines «Aufladens von Textstellen mit kultureller Energie» (S. 19 ) spricht. 8 So wäre etwa den Einwänden Haugs (s. oben) zu begegnen. 9 Insofern wäre zu fragen, inwiefern der argumentativen ‹Differenzierungsexplosion› auch eine semantische Verdichtungsbewegung im Sinne einer ‹Implosion›- - diesen Begriff hat Susanne Köbele jüngst an anderer Stelle für derartige Vorgänge vorgeschlagen (vgl. dies.: Die Ambivalenz des Gläubig-Schlichten. Grenzfälle christlicher Ästhetik, in: NCCR Mediality Newsletter 12 ( 2014 ), S. 3 - 15 , bes. S. 11 - 14 .)-- an die Seite zu stellen wäre; vgl. dazu dem- Schlussbemerkung 403 weist diese alles andere als in die Richtung einer naiven ‹Volkstümlichkeit›, sondern demonstriert vielmehr die kunstvoll-ambitionierten Stilisierungskompetenzen einer Lyrik, die bei der konnotativen Aufladung nicht einmal vor dem moraltheologischen Diskurs der Latinität Halt macht, wie ich im Falle des Natureingangs anhand des Motivs vom ‹Freudenaufruf an die Jungen› nachzuzeichnen versucht habe 10 , sondern deren Zuweisungen in ihrem Sinne zum Schwingen bringt. Wenn der Minnesang, oder genauer gesagt das Werbungslied, nun hierbei im kulturellen Kosmos zirkulierender Bedeutungspotenziale die Möglichkeiten und Grenzen der Subjektetablierung und Auslotung von Innenräumen, an der freilich auch andere Gattungs- und Diskurstypen interessiert sind, über die Thematik weltlicher Liebe durchspielt, so dient die Natur- und Jahreszeitenrede und allem voran ihr spezifischer Einsatz als gesondert abzugrenzender Topos ‹saisonal organisierter Natureingang› in diesem Zusammenhang als ein vorzügliches Mittel der-- wiederum-- topischen Abgrenzung eines Ichs. nächst meine Überlegungen an anderer Stelle (D. Eder, Diskurstechniken literarischer Rede als Kunst der Möglichkeiten). 10 Vgl. oben, Kap. III. 2 .b.ii. 3 Psychoanalytische Kulturtheorie 405 Anhang Der Natureingang in der deutschen Minnesangtradition bis einschließlich Neidhart Die folgende Übersicht über das Vorkommen des Natureingangs im Minnesang konzentriert sich auf die entscheidende Umschaltphase, die sich für die Topik bis zu der besonderen Rolle des Neidhart-Œuvres ergibt. Für den Minnesang um und nach Neidhart ist mit einer prinzipiell hohen Verfügbarkeit dieser Möglichkeit der Eingangsgestaltung zu rechnen, die freilich nicht überall auch zu tatsächlicher Dominanz des Natureingangs in den Liedcorpora führen muss. Extrempunkte bilden dabei sicherlich das breite Œuvre des in der Walther-Nachfolge stehenden Ulrich von Singenberg, Truchsess zu St. Gallen ( SMS 12 ), von dessen 36 Liedern nur eines eine Bezugnahme auf den Natureingang aufweist, und andererseits der in der vorliegenden Arbeit ausführlich besprochene Gottfried von Neifen ( KLD 15 ), von dessen 51 Liednummern 41 (deutlich erkennbar) über eine solche Eingangsgestaltung verfügen ( 17 Winter-, 24 Sommereingänge; s. o. Kap. II . 2 .a); das sind mithin 80 % in einem Corpus mit großer Liederanzahl. Eine Mittelposition nimmt etwa Schenk Ulrich von Winterstetten ( KLD ) ein, dessen breiter ausfallende Nutzung des Tagelieds und des sangesthematischen Einstiegs die Bedeutung der Topik für das Œuvre etwas zurückdrängen ( 23 von 40 Liedern, also 57 , 5 %). Die Zusammenstellung beginnt im Übrigen mit dem Kürenberger und nicht mit der in MF vorgeschalteten Gruppe der namenlosen Lieder, die dort als Überbleibsel einer Grundschicht von sehr früher deutscher Liebeslyrik angesehen werden. Sie stammen entweder aus der Sammlung der Carmina Burana (M), deren Sonderrolle im Hinblick des Einsatzes von Natureingängen in vorliegender Arbeit ausführlich diskutiert worden ist, oder sind in den Handschriften eben nicht namenlos überliefert, sondern werden den dort angegeben Verfassern einfach abgesprochen. Es handelt sich hierbei um: • MF 3 , 17 : Mich dunket niht sô guotes---noch sô lobesam (in Handschrift A Niune zugewiesen, in Handschrift C Alram von Gresten); es ist sehr unsicher, ob bei Einzelstrophen überhaupt von einem wirklichen Natureingang die Rede sein kann. • MF 6 , 5 : ‹Mir hât ein ritter›, sprach ein wîp (in Handschrift A Niune zugewiesen); auch hier ist m. E. zweifelhaft, ob hier wirklich ein Natureingang vorliegt. • MF 6 , 14 : Der walt in grüener varwe stât (in Handschrift A Walter von Mezze zugeschrieben); nur ein sehr reduzierter Sommereingang ohne Jahreszeitennennung - Der von Kürenberg: 15 Strophen, kein Natureingang Meinloh von Sevelingen: 12 Strophen, ein Natureingang (ca. 8 %) MF 14 , 1 : Ich sach boten des sumeres a - Der Burggraf von Regensburg: 4 Strophen, ein Natureingang ( 25 %) MF 16 , 15 : Ich lac den winter eine b 408 Anhang - Der Burggraf von Rietenburg: 7 Strophen, ein Natureingang (ca. 14 %) MF 19 , 7 : Sît sich hât verwandelt diu zît c - Dietmar von Eist: 16 Lieder d , fünf Natureingänge (ca. 31 %) MF 33 , 15 : Ahî, nu kumt und diu zît (Sommereingang) MF 35 , 16 : Der winter waere mir ein zît (Wintereingang) MF 37 , 18 : Sô wol dir, sumerwunne! (Sommereingang) MF 37 , 30 : Sich hât verwandelt diu zît (Wintereingang) MF 39 , 30 : Urloup hât des sumers brehen (Wintereingang) - Kaiser Heinrich: 3 Lieder, kein Natureingang - Friedrich von Hausen: 17 Lieder, kein Natureingang - Heinrich von Veldeke: 37 Lieder e , elf mit ausgestaltetem Natureingang f (ca. 30 %) MF 56 , 1 : Ez sint guotiu niuwe maere (Sommereingang) MF 57 , 10 ( MFMT II a): Ich bin vrô (Sommereingang) MF 59 , 23 : In den zîten von dem jâre (Sommereingang) MF 60 , 29 : In den zîten, daz die rôsen (Sommereingang) MF 62 , 25 : In dem aberellen (Sommereingang) MF 64 , 17 (Einzelstrophe): Ez tuont die vogelîn schîn (Sommereingang) MF 64 , 26 (Einzelstrophe): Ez habent die kalte nähte getân (Wintereingang) MF 65 , 28 (Einzelstrophe): Alse die vogel vroelichen (Sommereingang) MF 66 , 1 (Einzelstrophe): Der schoene sumer gêt uns an (Sommereingang) MF 67 , 9 : Swenne diu zît alsô gestât (Sommereingang) MFMT XI , Nr. XXXVII ( MF Anm.): Manigem herzen taet der kalte winter leide (Sommereingang) - Ulrich von Gutenburg: ein Lied, dieses mit Natureingang MF 77 , 36 : Ich hôrte ein merlikîn wol singen (Sommerahnung) - Rudolf von Fenis: 8 Lieder, davon zwei mit Natureingang ( 25 %) MF 82 , 26 : Ich kiuse an deme walde (Wintereingang) MF 83 , 25 : Daz ich den sumer alsô maezeclîchen klage (Wintereingang) - Albrecht von Johansdorf: 13 Lieder, davon eines mit Natureingang g (ca. 8 %) MF 90 , 32 : Wîze, rôte rôsen (Sommereingang) - Heinrich von Rugge: 12 Lieder, davon mindestens zwei mit Natureingang h (ca. 17 %) MF 99 , 29 : Ich sach vil liehte varwe hân (Wintereingang) MF 106 , 24 : Nu lange stât diu heide val (Wintereingang) - Bernger von Horheim: 6 Lieder, kein Natureingang - Hartwig von Rute: 4 Lieder, kein Natureingang - Bligger von Steinach: 3 Lieder, kein Natureingang i - Heinrich von Morungen: 35 Lieder, davon eines mit Natureingang (ca. 3 %) MF 140 , 32 : Uns ist zergangen (Wintereingang) - Engelhart von Adelnburg: 2 Lieder, kein Natureingang - Reinmar der Alte: 68 Lieder j , drei mit ausgestaltetem Natureingang k (ca. 4 %) Der Natureingang in der deutschen Minnesangtradition bis einschließlich Neidhart 409 MF 169 , 9 : Mir ist ein nôt (Absage an den Natureingang, realisiert als Wintereingang) MF 183 , 33 : Ich sach vil wuneclîchen stân (Sommereingang) MF 203 , 24 : Wol mich lieber maere (Sommereingang) - Hartmann von Aue: 18 Lieder, davon eines mit Natureingang (ca. 6 %) MF 216 , 1 : Swes vröide hin ze den bluomen stât (Wintereingang) l - Gottfried von Straßburg: 2 Lieder, davon eines mit Natureingang MFMT XXIII , Nr. II / KLD 16 , III : Diu zît ist wunneclich (Sommereingang) - Wolfram von Eschenbach: 9 Lieder m , davon zwei mit Natureingang n MFMT XXIV , Nr. VI / KLD 69 , VI : Ursprinc bluomen (Absage an den Natureingang, realisiert als Sommereingang) MFMT XXIV , Nr. IX / KLD 69 , XI : Maniger klaget (ebenso) - Walther von der Vogelweide: 81 Lieder o , davon neun mit Natureingang p (ca. 11 %) L 39 , 1 : Uns hât der winter geschadet über al (Winterklage) L 42 , 15 : Swer verholne swære trage [ BC ] (Wintereingang? ) L 45 , 37 : Sô die bluomen ûz dem grase dringent (Sommereingang als Frauenvergleich) L 51 , 13 : Muget ir schouwen, waz dem meien (‹Mailied›) q L 64 , 13 : Swie wol diu heide in meniger varwe stât (Sommereingang in Fassung-C) L 75 , 25 : Diu welt was gelf, rôt unde blâ (Winterklage; Eingang als Kontrast zum Sommer) L 92 , 9 : Ein niuwer sumer, ein niuwe zît (Sommereingang als Kontrast) L 94 , 11 : Dô der sumer komen was (‹Traumglück‹-Lied; Sommereingang + locus amoenus) L 114 , 23 : Der rîfe tet den cleinen vogellînen wê (Frühlingslied; Sommereingang) - Neidhart: 91 Lieder der Pergamenthandschriften (SNE I) r , davon 72 mit Natureingang s (ca. 79 %) keinen (ausgestalteten) Natureingang in mind. einer Fassung haben: SL 1 / SNE I: C Str. 210 - 212 : Ein altu i du i begunde springen SL 18 / SNE I: R 56 : Uns wil ein sumer chomen (nur Jahreszeitennennung in R und C, nur Naturdetail in c) SL 27 / SNE I: R 8 : Chomen ist ein wunnechlicher maie (Naturteil später im Lied) SL 29 / SNE I: R 55 : Durch des landes ere (Naturteil später im Lied) WL 4 / SNE I: R 33 : Singe, ein guldin hun, ich gibe dir waicze! (kein Natureingang) WL 10 / SNE I: R 16 : Do der liebe sumer (kein ausgeführter Natureingang) WL 15 / SNE I: C Str. 240 - 244 : Nu sage an, sumer (kein ausgeführter Natureingang) WL 17 / SNE I: R 32 : Dise truben tage (kein ausgeführter Natureingang) 410 Anhang WL 22 / SNE I: R 5 : Ich wil aber singen (kein ausgeführter Natureingang) WL 26 / SNE I: R 4 : Sumer, diner lihten ougenweide (kein ausgeführter Natureingang) WL 33 / SNE I: R 41 : Owe, sumerwunne (kein ausgeführter Natureingang) WL 37 / SNE I: C Str. 192 - 194 : Marke, du versink! (kein Natureingang) SNE I: C Str. 20 - 22 : Wol mich iemer wol (kein Natureingang) SNE I: C Str. 189 - 191 : Es wirfet der iungen vil (nur Ballspiel als ‹Naturdetail›) SNE I: C Str. 195 - 197 : Es verlos ein ritter sin scheide (kein Natureingang) SNE I: C Str. 198 - 200 : Mir ist hu i re widervarn ein seligkeit (kein ausgeführter Natureingang) SNE I: C Str. 201 - 205 : Ich erwinde nimer (kein ausgeführter Natureingang) SNE I: C Str. 206 - 209 : «To e hterlin, du solt niht minnen» (kein ausgeführter Natureingang) SNE I: C Str. 232 - 236 : Ein altu i vor den reien trat (kein ausgeführter Natureingang) a Allerdings ein sehr reduzierter; er erfüllt aber wohl doch die oben aufgestellte Minimalanforderung. b MF 16,15 verbleibt aber sehr reduziert und allgemein. c Eine explizite Bezeichnung der Jahreszeit fehlt; allerdings erfolgt der Hinweis auf einen Jahreszeitenwandel. d Sogar in MFMT ist die traditionelle Aufteilung des Œuvres von Dietmar in nur drei authentische und 13 Pseudo-Dietmare noch immer durchgeführt (vgl. MFMT , S. 56-69); der Verfasser vorliegender Arbeit verzichtet auf solch ein Vorgehen. e Auch das Heinrich-von-Veldeke-Corpus erscheint in MFMT noch als in ‹echte› (33) und Pseudo-Veldeke-Lieder (4) aufgeteilt (vgl. MFMT , S. 95-149), die hier zusammengenommen werden. f Nicht berücksichtigt wurde hier MF 58,35: Tristran muose sunder sînen danc, wo erst in der zweiten Strophe des Liedes eine ausgedehnte Naturbetrachtung (Winter) erfolgt. g Interessanterweise ist im Refrainlied MF 90,16: Ich wil gesehen, die ich von kinde zwar kein Natureingang gesetzt, dafür aber im Refrain explizit der Zusammenhang von Sommer und Freude herausgestellt. h Zu den überhaupt sehr komplizierten Überlieferungsverhältnissen im Falle des Heinrichvon-Rugge-Corpus (sog. Rugge-Reinmar-Vermischung) tritt nämlich für Lied MF 107,27: Nâch vrowen schoene nieman sol noch eine zusätzliche Schwierigkeit: handelt es sich bei den vier Strophen, von denen Strophen III und IV (Reihenfolge in allen Handschriften! ) eigentlich ein Natureingang sein könnten ( III : Sommer, IV : Winter mit Sommerhoffnung), überhaupt um ein Lied oder nicht vielmehr um eine Zusammenstellung von Einzelstrophen? Zum Problem der Liedeinheit und Strophenfolge vgl. MFMT -Kommentar, S. 93. Der Natureingang in der deutschen Minnesangtradition bis einschließlich Neidhart 411 i Lied MF 118,1: Mîn alte swaere ruft am Ende der ersten Strophe zwar die Sommerzeit als Hintergrund auf und bezieht sich so sicherlich auf den Topos des Natureingangs, ein Natureingang in dem hier zugrunde gelegten Verständnis ist das aber nicht. j Auch hier sind wiederum die in MFMT noch in ‹echte› (60) und ‹unechte› (8) unterteilten Lieder Reinmars (vgl. MFMT , S. 285-403) zusammengenommen. k Nicht aufgenommen in diese Übersicht hat der Verfasser die sog. Witwenklage MF 167,31: Si jehent, der sumer sî hie, wo der Sommer als Kontrasthintergrund der Trauer um den Toten zwar präsent gemacht, nicht aber als eigentlicher Natureingang ausgeführt wird, und MF 187,31: Nu muoz ich ie mîn alten nôt, wo in der nur in A überlieferten Schlussstrophe die emotionale Unberührtheit des Ichs von den Erscheinungen des Sommers ausagiert wird, wofür die Tradition des Natureingangs natürlich wiederum als Folie dient. l Interessanterweise realisiert als Frauenrede, die sich als Gegenstück zum traditionellen Sommereingang des männlichen Ichs im Minnesang stilisiert! m Wolframs Œuvre umfasst vor allem Tagelieder, die aufgrund der anders gearteten Gattungskonventionen sowieso keinen jahreszeitlich geprägten Natureingang kennen (Walthers Tagelied [s. u.] ist in dieser Hinsicht vielleicht eine Ausnahme). Insofern ist eine Vergleichbarkeit mit anderen Minnesänger-Œuvres nicht gegeben, weswegen auf die Angabe eines Prozentsatzes bewusst verzichtet wurde. n Zu diskutieren wäre freilich, ob in beiden Liedern der Topos des Natureingangs mehr als Kontrastfolie aufgerufen als tatsächlich realisiert ist. o Gezählt-- ohne die religiösen Lieder-- nach der Ausgabe: Walther von der Vogelweide. Werke. Gesamtausgabe, Bd. 2: Liedlyrik. Mhd / Nhd., hg., üb. und komm. von Günther Schweikle Stuttgart 1998 ( RUB 820). p Bei Walther gestaltet sich die Abgrenzung der Natureingänge in der hier angewendeten Bedeutung von einfachen Hintergrundevokationen durch Jahreszeitennennung, freieren Experimenten mit dem Topos Natureingang und schließlich der Nutzung des locus amoenus, der vom rein jahreszeitlich geprägten Natureingang doch zu trennen wäre, besonders schwierig. Der Verfasser vorliegender Arbeit hat sich für in dieser Hinsicht recht strenge Auswahlkriterien entschieden und sich damit der Gefahr ausgesetzt, dass die Anzahl der Natureingänge bei Walther eventuell zu niedrig angesetzt und der angegebene Prozentsatz das Bild eher verfälscht, statt von Nutzen zu sein. Andererseits ist ja schon zu Beginn darauf verwiesen worden, dass m. E. eine ganz enge Definition der Kategorie des Natureingangs hilft, die etwas diffusen Vorstellungen der Forschung vom Vorkommen des Natureingangs im deutschen Minnesang in eine adäquatere Sicht auf das Phänomen zu überführen. Insofern war natürlich auch bei Walther keine Ausnahme zu machen. Zur Überprüfung der hier zugrunde gelegten Auswahlkriterien und als Erweis des besonders kunstvollen und sehr freien Umgangs Walthers mit der Tradition des Natureingangs sei kurz auf folgende von mir nicht in die Aufstellung übernommenen Lieder verwiesen: 412 Anhang • Die Abgrenzung zwischen den beiden Minne-Diskursen L 92,9 (in die Auflistung wegen der Erwähnung von Vogelgesang aufgenommen, s. o.) und L 95,17: Waz ich doch gegen der schœnen zît, wo fast nur noch Jahreszeitennennung zur Schaffung eines Stimmungshintergrundes vorliegt, stimmt mich selbst etwas skeptisch; sicher ist das Ganze nicht sauber zu lösen. • einfache Jahreszeitennennungen und -vergleiche, die aber nicht als Natureingang ausgestaltet sind, finden sich z. B. in der Minnelied mit Spruchthematik L 73,23: Die mir in dem winter vröide hânt benomen (‹Hiltegunde-Lied›), im Minnelied mit Spruchthematik L 99,6: Sumer unde winter beide sint, und im Werbungslied L 118,24: Ich bin nû sô rehte vrô (2. Strophe). • Zwei interessante und berühmte Sonderfälle, die durch Aufrufung eine locus amoenus auch Naturtopik nutzen, aber nicht den jahreszeitlich geprägten Natureingang, sind das Frauenlied L 39,11: Under der linden und Lied L 74,20: Nement, frowe, disen cranz. Auch wenn der Konnex zur Jahreszeit Sommer zwar in beiden Liedern gegeben ist (in Lied L 74,20 sogar explizit benannt), als Lieder mit einem Natureingang waren sie hier nicht zu klassifizieren. • Beispiele für Lieder, die den Topos Natureingang-- teilweise in Gattungs- und Typenkontexten, die diesem sogar eher fernstehen-- aufrufen oder umspielen, sind vor allem: das Tagelied L 88,9: Friuntlîche lac, wo in der 6. Strophe der männliche Sprecher die Topik des Natureingangs als Kontrastfolie aufruft, und das Alterslied L 122,24: Ein meister las, wo in der ersten Strophe nach einer gnomischen Setzung die Natureingangsformeln genutzt wird, um sie als Freudenzeichen zu desavouieren und in eine Stimmung der Weltüberdrüssigkeit einzubinden. q Bei Lied L 51,13 könnte man auch-- besonders im Sinne der vom Verfasser aufgestellten strengen Regeln zur Bestimmung eines Natureingangs- - daran zweifeln, ob dieses Lied in die Zusammenstellung überhaupt mit aufzunehmen ist, finden sich in der ersten Strophe doch nur sehr allgemeine Schilderungen des Maies. Liest man aber die ersten drei Strophen zusammengenommen als einen breit ausgestalteten Natureingang, der in den folgenden, an die Dame bzw. deren roten Mund gerichteten Strophen als argumentatives Druckmittel verwendet wird, bereitet dies keine Schwierigkeiten mehr. r Strenggenommen wäre noch das WL 21 / SNE II : c 65: Wolt sein die freudenlosen nicht an mir verdriessen in die Übersicht mit aufzunehmen, da dessen Anfangsstrophe auch in den Pergamenthandschriften A und C überliefert ist, allerdings jeweils unter einem anderen Autornamen (A: Niune, C: Rubin von Rüdeger). Für den angegebenen Prozentsatz der Lieder mit Natureingang hätte dies jedoch keine großen Auswirkungen. s Bei Neidhart ist der Natureingang oft schon über mehrere Strophen ausgedehnt, weswegen die Naturdetails dann noch nicht in der ersten Strophe auftauchen. Wichtig zur Unterscheidung, ob ein Natureingang vorliegt, ist m. E. ob zwischen Jahreszeitenanfang und Naturteil andere der typischen Bestandteile (z. B. Minneklage, Dörpernennung) der Neidhart-Lieder zwischengeschaltet sind. Insofern wäre vielleicht noch SL 28 auszuscheiden gewesen; da aber der Naturteil schon in der zweiten Strophe erfolgt und zudem den Sprechbeginn einer der Gespielinnen markiert, habe ich doch in diesem Lied noch einen Natureingang erkennen Der Natureingang in der deutschen Minnesangtradition bis einschließlich Neidhart 413 können. Es zeigt sich also auch und gerade bei Neidhart, dass trennscharfe Unterscheidungen im Falle des Natureingangs oft sehr schwierig sind. Überhaupt ist es sehr fraglich, ob beim Œuvre Neidharts die vom Verfasser vorliegender Arbeit eingeführte Unterscheidung zwischen bloßer Jahreszeitennennung und ausgestaltetem Natureingang überhaupt Sinn macht, ist in diesem Corpuszusammenhang doch wohl schon allein die Nennung von Jahreszeiten mit gewissen Naturassoziationen verbunden. Literaturverzeichnis A Quellen Alain de Lille: Anticlaudianus. 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Texte und Übersetzungen. Mit den Miniaturen aus der Handschrift und einem Aufsatz von Peter und Dorothee Diemer hg. von Benedikt Konrad Vollmann, Frankfurt a. M. 1987 (Bibliothek deutscher Klassiker 16 / Bibliothek des Mittelalters 13). Les poésies de Cercamon, hg. von Alfred Jeanroy, Paris 1922 (Les classiques français du Moyen Âge 27). The poetry of Cercamon and Jaufre Rudel, hg. und übers. von George Wolf und Roy Rosenstein, New York u. a. 1983 (Garland library of medieval literature, Series A, 5). Chansons attribuées au Chastelain de Couci (fin du XII e -- début du XIII e siècle), hg. von Alain Lerond, Paris 1964 (Publications de la Faculté des Lettres et Sciences Humaines de Rennes 7). Frauenlob (Heinrich von Meissen): Leichs, Sangsprüche, Lieder. Aufgrund der Vorarbeiten von Helmuth Thomas hg. von Karl Stackmann und Karl Bertau, 2 Bde., Göttingen 1981 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge, 119 f.), abgekürzt als GA . Die Sprüche Friedrichs von Sonnenburg, hg. von Achim Masser, Tübingen 1979 ( ATB 86). De fructibus carnis et spiritus, in: Migne PL 176 (1854), Sp. 997-1010. Deutsche Gedichte des Mittelalters. Mhd. / Nhd., ausgew., übers. und erl. von Ulrich Müller, Stuttgart 1993 ( RUB 8849). Gedichte von den Anfängen bis 1300. Nach den Handschriften in zeitlicher Folge hg. von Werner Höver und Eva Wilms, München 2001 (Repr. von «Epochen der deuschen Lyrik», Bd. I, München 1978) (Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart 1). The works of Gilbert of Hoyland, 4 Bde., hg. von Lawrence C. Braceland, Kalamazoo 1978-1981, Bd. III : Sermons on the Songs of Songs III , Kalamazoo 1979 (Cistercian Fathers Series 26). - ders.: Sermones in Canticum Salomonis, in: PL Migne 184 (1854), Sp. 11-252. Sämtliche Lieder des Trobadors Giraut de Bornelh. 2 Bde., mit Übers., Komm., und Gloss. kritisch hg. von Adolf Kolsen, Halle a.S. 1910-1935, Bd I.: Texte mit Varianten und Übersetzung, Halle a.S. 1910. Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche (=‹Frankfurter Ausgabe›), 40 Bde., hg. von Dieter Borchmeyer u. a., Frankfurt a. M.: 1985-1999, Abt. I, Bd. 1: Gedichte 1756-1799, hg. von Karl Eibl, Frankfurt a. M. 1987 (Bibliothek deutscher Klassiker 18). Gottfried von Straßburg: Tristan. 3 Bde., nach dem Text von Friedrich Ranke neu hg. und ins Nhd. übers. mit einem Stellenkomm. und einem Nachw. von Rüdiger Krohn, versch. Aufl., Stuttgart 2007 f. ( 1 1980), Bd. I: Text. Mhd. / Nhd., Verse 1-9982, 12. Aufl., unveränd. Nachdr. der 6., durchges. Aufl. 1993, Stuttgart 2007 ( RUB 4471). S. Gregorii Magni Moralia in Iob. Libri I-- X, hg. von Marcus Adriaen, Turnhout 1979 ( CCSL 143). - ders.: Moralia in Iob. Libri XXIII -- XXXV , hg. von Marcus Adriaen, Turnhout 1985 ( CCSL 143B). 416 Literaturverzeichnis Hartmann von Aue: Gregorius, Der arne Heinrich, Iwein, hg. und übers. von Volker Mertens, Frankfurt a. M. 2004 (Bibliothek deutscher Klassiker 189 / Bibliothek des Mittelalters 6). - ders.: Lieder. Mhd. / Nhd., hg., üb. und komm. von Ernst von Reusner, Stuttgart 1985 ( RUB 8082). Die große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse). Mit einem Verz. der Strophenanfänge und 7 Schrifttafeln, in getreuem Textabdruck hg. von Fridrich Pfaff, 2. verb. u. erg. Aufl., bearb. von Hellmut Salowsky, Heidelberg 1984. Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes. Aus der Vulgata mit Bezug auf den Grundtext neu übers. und mit kurzen Anm. erl. von Dr. Joseph Franz Allioli, 5. Aufl., Ausg. in einem Bd., Landshut 1842. Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln. Erste Abteilung: Die Spruchsammlung des Göttinger Cod. Philos. 21, 3 Bde., hg. von Karl Stackmann, Berlin 1959, 1. Teilbd.: Einleitung, Text der Bücher I- IV ( DTM 50). Heinrichs von Neustadt. «Apollonius von Tyrland» nach der Gothaer Handschrift, «Gottes Zukunft» und «Visio Philiberti» nach der Heidelberger Handschrift, hg. von Samuel Singer, Berlin 1906 ( DTM 7). Heinrich von Veldeke: Eneasroman. Mhd. / Nhd., nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Nhd. übers., mit einem Stellenkomm. und einem Nachw. von Dieter Kartschoke, Stuttgart 1997 ( 1 1986) ( RUB 8303). Sancti Hilarii Pictaviensis Episcopi Tractatvs svper psalmos. In psalmos CXIX -- CL , hg. von Jean Doignon, Turnhout 2009 ( CCSL 61B). Sämmtliche Schriften des heiligen Hilarius, Bischofs von Poitiers, 13 Bde., o. Hgg., Kempten 1833-1835, Bd. V, hg. von Marcus Adam Nickel und Joseph Kehrein, Kempten 1834 (Sämmtliche Schriften der Kirchen-Väter. 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Nemitz, Rolf: «Lacan entziffern» (Blog), darin: ders., «Lacans Aphorismen. ‹Das Unbewusste ist der Diskurs des Anderen›» (http: / / lacan-entziffern.de/ anderer/ das-unbewusste-istder-diskurs-des-anderen/ #_ein_Sprechen_das_sich_auf_ein_Sprechen_bezieht; einges. am 21. 10. 2014). Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen ADB Allgemeine Deutsche Biographie AfK Archiv für Kulturgeschichte ATB Altdeutsche Textbibliothek Beitr. Beitrage zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (zeitweise zwischen dem Erscheinungsort Halle / Tübingen unterschieden) BMZ Benecke, Georg F. / Müller, Wilhelm / Zarncke, Friedrich: Mittelhochdeutsches Wörterbuch; s. Literaturverzeichnis CCCM Corpvs Christianorvm, Continuatio medievalis CCSL Corpvs Christianorvm, Series latina DTM Deutsche Texte des Mittelalters DV js Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Euph. Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte es edition suhrkamp FMS t Frühmittelalterliche Studien GA Frauenlob (Heinrich von Meissen)-- Leichs, Sangsprüche, Lieder; s. Literaturverzeichnis GAG Göppinger Arbeiten zur Germanistik Georges Georges, Karl Ernst: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch; s. Literaturverzeichnis GRM Germanisch-romanische Monatsschrift IASL Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur JOWG Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft KLD Kraus, Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts; s. Literaturverzeichnis L Walther von der Vogelweide-- Leich, Lieder, Sangsprüche; s. Literaturverzeichnis Lexer Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, s. Literaturverzeichnis Lex MA Lexikon des Mittelalters, 9 Bde. und Regbd., hg. von Robert-Henri Bautier u. a., München u. a. 1980-1999. LiLi Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik MGH Monumenta Germaniae historica Migne PL Patrologiae cursus completus, s. Literaturverzeichnis 448 Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen MF / MFMT Des Minnesangs Frühling; s. Literaturverzeichnis. MFMT bei unbedingtem Bezug auf die jüngste Aufl. der Hgg. Moser und Tervooren MFU Des Minnesangs Frühling, Untersuchungen; s. Literaturverzeichnis MTU Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters MWB Mittelhochdeutsches Wörterbuch, s. Literaturverzeichnis PhStuQ Philologische Studien und Quellen 3 RL Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. 3., neu bearb. Aufl., hg. von Klaus Weimar und Jan-Dirk Müller, 3 Bde., Berlin u. a. 1997-2003. RUB Reclams Universal-Bibliothek SMS Schiendorfer, Die Schweizer Minnesänger, s. Literaturverzeichnis. SNE Salzburger Neidhart-Edition; s. «Neidhart-Lieder», Literaturverzeichnis stw suhrkamp taschenbuch wissenschaft TMP Trends in medieval philology 2 VL Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, begr. von Wolfgang Stammler, fortgef. von Karl Langosch, 2., völlig neu bearb. Aufl., 14 Bde., hg. von Kurt Ruh u. a., Berlin u. a. 1978-2008. WdF Wege der Forschung ZfdA Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur ZfdPh Zeitschrift für deutsche Philologie ZrP Zeitschrift für romanische Philologie Register der besprochenen Lieder, Sprüche und Leiche Bei Liedern/ Liedstrophen oder Leichpartien, die in den Anmerkungen besprochen sind, ist jeweils die Seite angegebenm auf der die betreffende Fußnote beginnt. Alanus ab Insulis Rosensequenz 276 Albrecht von Johansdorf MF 90,32 82, 117 MF 92,14 226 Ambrosius Hymnus Nr. II (Migne) 276 Analecta Hymnica 20 Hymnus Nr. 125 (Dreves) 271 Arnaut Daniel PC 29,16 (Toja Nr. III) 161 Arnulf von Lisieux Carmen III (Könsgen) 269, 277 BBernart de Ventadorn PC 70,10 162 PC 70,24 162 Bertran de Born PC 80,38 301 Boppe Spr. I,4 (Alex) 308 Spr. VIII,1 (Alex) 308 Brunwart von Oughein KLD 4, I 133 Burggraf von Regensburg MF 16,15 351 MF 16,23 333 Burggraf von Rietenburg MF 19,7 86, 260, 351 MF 19,27 206 Burkhard von Hohenfels KLD 6, XI 40, 84, 158 CCarmina Burana CB 56 298 CB 58 277 CB 68 277 CB 69 297 CB 73 277 CB 74 269, 297 CB 75 278, 297 CB 79 275 CB 81 277 CB 84 297 CB 85 275 CB 92 41, 277 CB 94 297 CB 113 277 CB 135a 242 CB 140 295 CB 143 277 CB 151 295 CB 156 272 CB 179 277 CB 185 116 Cercamon PC 112,1a 301 PC 112,4 260 Chastelain de Couci RS 1009 (Lerond Nr. 4) 161 DDer Dürinc KLD 8, II 134 Der Hardegger Spr. I,12 (Collmann-Weiß) 308 Spr. III,1 (Collmann-Weiß) 307 Der Junge Meißner Strophengruppe B, Str. I,4 (Peperkorn) 308 Der Kanzler KLD 28, I 306, 308 KLD 28, IX 133 KLD 28, VII 305 KLD 28, X 134 450 Register der besprochenen Lieder, Sprüche und Leiche KLD 28, XIV 84 Der Litschauer Spr. I,3 (Collmann-Weiß) 306 Spr. II,2 (Collmann-Weiß) 306 Spr. II,3 (Collmann-Weiß) 306 Spr. II,6 (Collmann-Weiß) 306 Der Marner Lied 5 (Willms) 133 Unbekannter Ton 2 (Willms) 160 Der Meißner Spr. IX,1 (Objartel) 308 Spr. X,8 (Objartel) 308 Spr. XVII,8 (Objartel) 160 Der Taler SMS 25,3 221 Der Tannhäuser Lied VII (Cammarota) 133, 196 Lied VIII (Cammarota) 149 Lied IX (Cammarota) 149 Lied X (Cammarota) 149 Lied XV (Cammarota) 133 Der Unverzagte Spr. III,1 (Collmann-Weiß) 308 Spr. III,4 (Collmann-Weiß) 306 Der von Glier SMS 8,2 85 SMS 8,3 141 Der von Wildonie KLD 66, I 133 Des von Trostberg SMS 19,5 132 Dietmar von Eist MF 33,15 108, 229, 351 MF 35,16 151, 351, 355 MF 37,4 315 MF 37,18 113, 128, 229, 317, 351, 376 MF 37,30 352, 355, 363 MF 39,18 356 MF 39,30 151, 330, 352 MF 40,19 161, 185 MFMT VIII, Nr. XVI 148 FFrauenlob (Heinrich von Meißen) Lied 2 130, 131 Lied 3 130 Lied 4 129 Lied 5 130 Lied 6 130 Marienleich 135 Friedrich der Knecht KLD 11, IV 133 Friedrich von Hausen MF 42,1 154 MF 43,28 148 MF 45,37 37, 372, 397 MF 47,9 146, 147 MF 48,32 149 MF 49,13 145, 146, 223, 377 MF 50,19 140 MF 52,37 224 MF 54,1 148 Friedrich von Sonnenburg Spr. 10 307 Spr. 16 308 GGiraut de Bornelh PC 242,12 260 PC 242,19 301 Gottfrieds von Straßburg MFMT XXIII, Nr. II 367 Gottfried von Neifen alle Lieder 208 KLD 15, I 204, 206, 371 KLD 15, II 113, 205 KLD 15, V 113, 195, 240, 369 KLD 15, VI 26, 127 KLD 15, VII 173 KLD 15, VIII 371 KLD 15, IX 185 KLD 15, XIV 93, 173, 367 KLD 15, XV 131 KLD 15, XVI 206 KLD 15, XVIII 173 Register der besprochenen Lieder, Sprüche und Leiche 451 KLD 15, XX 132, 133 KLD 15, XXIII 114, 180 KLD 15, XXIV 205 KLD 15, XXVI 206 KLD 15, XXVII 204 KLD 15, XXX 204, 208 KLD 15, XXXII 172 KLD 15, XXXIX 204, 207 KLD 15, XL 204, 207 KLD 15, XLI 204, 205 KLD 15, XLVI 173 KLD 15, XLVIII 173 KLD 15, L 204 Gottfried von Straßburg MFMT XXIII, Nr. II 153, 173, 376 Graf Kraft von Toggenburg SMS 1,1 135 SMS 1,4 133 Grave von Anhalt KLD 2, I 305 HHadloub, Johannes SMS 30,18 197 SMS 30,19 195 SMS 30,20 197 SMS 30,21 60 SMS 30,25 133 SMS 30,44 197 SMS 30,47 60 Hartmann von Aue MF 205,1 109, 151 MF 209,25 109 MF 216,1 148 MF 218,5 17 MFMT XXII, Nr. XVIII 185, 299 Heinrich von Morungen MF 122,1 161 MF 125,19 66, 87 MF 126,8 223 MF 129,14 161 MF 137,10 223 MF 140,32 94, 127 MF 141,15 154 MF 141,37 221, 226 MF 144,17 161 MF 145,1 222, 380 MF 145,33 148 Heinrich von Mügeln Lied I-VI 69, 70, 72, 73 Lied VII 70 Lied VIII 70 Heinrich von Rugge MF 102,27 376 MF 103,3 140, 148 MF 106,24 87, 193 Heinrich von Veldeke MF 56,1 140, 179, 229, 313, 352, 355, 375 MF 57,10 151, 313 MF 58,11 94, 173 MF 58,23 153 MF 58,35 32, 314 MF 59,23 127, 151, 299, 352 MF 60,13 244 MF 60,29 352, 354 MF 62,25 352 MF 63,28 32 MF 64,17 352, 355 MF 64,26 195, 229, 353 MF 65,28 353 MF 66,1 243, 353 MF 67,9 162, 353 MFMT XI, Nr. XXXVII 173, 353 Herger MF 29,27 308 Hesso von Rinach SMS 11,2 134 Höllefeuer Spr. I,5 (Collmann-Weiß) 306 Hug von Werbenwag KLD 27, IV 237, 264 KLD 27, V 237, 264 K 452 Register der besprochenen Lieder, Sprüche und Leiche Kaiser Heinrich MF 5,16 145 KLD 38, Namenlos Mb 237 p, ohne Nr 237 König Wenzel von Böhmen KLD 65,I 134 Konrad von Kirchberg KLD 33, VI 196 Konrad von Landeck SMS 16,10 196 SMS 16,12 133 SMS 16,18 134 Konrad von Würzburg Lied 3 (Schröder) 231 Lied 6 (Schröder) 190 Lied 8 (Schröder) 233 Lied 26 (Schröder) 26 Kristan von Luppin KLD 31, I 82 KLD 31, VI 195 LLeuthold von Seven KLD 35, I 133, 180 MMeinloh von Sevelingen MF 14,1 153, 193, 311, 351, 357 Mügeln (Heinrich von Mügeln) Lied I-VI 70, 73 Lied I-VI 69, 73 NNamenlos (Niune) MF 6,5 153 Namenlos (Walter von Mezze) MF 4,1 187 MF 6,14 187 Neidhart SL 1 / SNE I: C Str. 210-212 325 SL 2 / SNE I: C Str. 222-226 133, 189 SL 6 / SNE I: C Str. 260a-265 83 SL 7 / SNE I: C Str. 266-271 173 SL 8 / SNE I: C Str. 280-284 172 SL 9 / SNE I: R 9 322 SL 10 / SNE I: R 11 169 SL 14 / SNE I: R 15 133, 169, 365 SL 15 / SNE I: R 22 133, 173 SL 16 / SNE I: R 23 299 SL 17 / SNE I: R 50 173, 241 SL 19 / SNE I: R 25 327 SL 20 / SNE I: R 48 133, 327 SL 21 / SNE I: R 51 133, 176 SL 22 / SNE I: R 52 133 SL 23 / SNE I: R 53 133 SL 24 / SNE I: R 57 173 SL 25 / SNE I: R 58 189, 327 SL 27 / SNE I: R 8 241 SNE I: C Str. 195-199 199 SNE I: C Str. 272-275 173 WL 7 / SNE I: R 30 328 WL 8 / SNE I: R 31 205 WL 16 / SNE I: R 26 195 WL 20 / SNE I: R 47 145 WL 22 / SNE I: R 5 10 WL 25 / SNE I: R 1 172, 304 WL 26 / SNE I: R 4 133 PPeire Vidal PC 364,29 301 Petrus von Blois Carmen 5.3 (Wollin) 158, 269 Carmen 5.5 (Wollin) 269 RReinmar MF 159,1 226 MF 160,6 140 MF 163,23 100 MF 165,1 100, 128 MF 165,10 148, 227, 299, 397 MF 166,9 11 MF 166,16 148 MF 167,31 74, 92, 121, 131 MF 169,9 87, 99, 196 MF 184,17 112 MF 184,31 100, 104 Register der besprochenen Lieder, Sprüche und Leiche 453 MF 187,31 100, 106 MF 188,33 179 MF 191,7 100, 356 MF 195,37 100 MF 198,28 376 MF 203,10 87, 148 Reinmar von Brennenberg KLD 44, IV 133 Reinmar von Zweter Spr. 212 (Roethe) 308 Spr. 241 (Roethe) 300 Ripollsammlung Carmen R 1 (Latzke) 269 Carmen R 17 (Latzke) 269 Rost, Kirchherr zu Sarnen SMS 22,8 195 Rudolf der Schreiber KLD 50, II 195 Rudolf von Fenis MF 81,30 377 MF 82,26 66, 113 SSpervogel MF 23,5 306 MF 25,5 376 Steinmar SMS 26,1 197 SMS 26,13 66, 173 SMS 26,14 155 TTeschler, Heinrich SMS 21,12 133 UUlrich von Baumburg SMS 28,1 197 SMS 28,2 197 SMS 28,3 197 SMS 28,5 197 Ulrich von Gutenburg MF 69,1 (Leich) 134, 141 MF 77,36 (Lied) 94, 164, 170, 400 Ulrich von Liechtenstein KLD 58, XXV (Leich) 134 KLD 58, XXIX 229 KLD 58, XXXI 229 KLD 58, XXXIX 195 Ulrich von Winterstetten KLD 59, III 369 KLD 59, V 171, 236 KLD 59, VI 371 KLD 59, IX 183 KLD 59, XII 114, 132 KLD 59, XV 134 KLD 59, XX 133, 373 KLD 59, XXV 173 KLD 59, XXXI 371 KLD 59, XXXIII 133 KLD 59, XXXIV 371 KLD 59, XXXV 173 VVon Stadegge KLD 54, II 237, 238, 269 WWalter von Chatillon Carmen 32 (Strecker) 275 Walther von der Vogelweide L 14,38 34 L 20,31 160 L 21,10 307 L 23,26 300 L 24,3 300 L 35,27 376 L 39,1 237 L 39,11 58, 62, 109, 207, 298 L 42,31 300 L 45,37 85, 229, 240, 264 L 48,12 376 L 51,13 153, 365, 374 L 53,25 140 L 56,14 299 L 73,23 121 L 88,9 83 L 94,11 82 L 99,6 121 L 124,1 300 454 Register der besprochenen Lieder, Sprüche und Leiche Wernher von Hohenberg SMS 2,7 196 Wernher von Teufen SMS 9,1 269 SMS 9,2 269 Winli SMS 17,4 84, 195 Wolfram von Eschenbach MF 7,11 87 MFMT XXIV, Nr. II 58 MFMT XXIV, Nr. VI 173, 368 MFMT XXIV, Nr. VIII 223 MFMT XXIV, Nr. IX 83 Bibliotheca Germanica Handbücher, Texte und Monographien aus dem Gebiete der germanischen Philologie herausgegeben von Burkhard Hasebrink, Susanne Köbele und Ursula Peters Aktuelle Bände: Frühere Bände finden Sie unter: http: / / www.narr-shop.de/ reihen/ b/ bibliothecagermanica.html 37 Joachim Theisen Arigos Decameron Übersetzungsstrategie und poetologisches Konzept 1996, IV, 670 Seiten €[D] 99,- ISBN 978-3-7720-2028-5 38 Susanne Bürkle Literatur im Kloster Historische Funktion und rhetorische Legitimation frauenmystischer Texte des 14. Jahrhunderts 1998, VIII, 368 Seiten €[D] 69,- ISBN 978-3-7720-2029-2 39 Henrike Lähnemann Der ‹Renner› des Johannes Vorster Untersuchungen und Edition des cpg 471 1998, X, 532 Seiten €[D] 93,- ISBN 978-3-7720-2030-8 40 Albrecht Hausmann Reinmar der Alte als Autor Untersuchungen zur Überlieferung und zur programmatischen Identität 1999, X, 371 Seiten €[D] 89,- ISBN 978-3-7720-2031-5 41 Gert Hübner Lobblumen Studien zur Genese und Funktion der «Geblümten Rede» 2000, X, 504 Seiten €[D] 89,- ISBN 978-3-7720-2032-2 42 Johanna Thali Beten - Schreiben - Lesen Literarisches Leben und Marienspiritualität im Kloster Engelthal 2003, X, 385 Seiten €[D] 72,- ISBN 978-3-7720-2033-9 43 Susanne Köbele Frauenlobs Lieder Parameter einer literarhistorischen Standortbestimmung 2003, VIII, 286 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-2034-6 44 Gert Hübner Erzählform im höfischen Roman Studien zur Fokalisierung im «Eneas», im «Iwein» und im «Tristan» 2003, X, 458 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-2035-3 45 André Schnyder Das geistliche Tagelied des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit Textsammlung, Kommentar und Umrisse einer Gattungsgeschichte 2004, XIV, 832 Seiten €[D] 124,- ISBN 978-3-7720-2036-0 46 Jörg Seelhorst Autoreferentialität und Transformation Zur Funktion mystischen Sprechens bei Mechthild von Magdeburg, Meister Eckhart und Heinrich Seuse 2003, 410 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-2037-7 47 Michael Stolz Artes-liberales-Zyklen Formationen des Wissens im Mittelalter (2 Bände) 2003, XX, 992 Seiten €[D] 248,- ISBN 978-3-7720-2038-4 48 Bruno Quast Vom Kult zur Kunst Öffnungen des rituellen Textes in Mittelalter und Früher Neuzeit 2003, 237 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8019-7 49 Sandra Linden Kundschafter der Kommunikation Modelle höfischer Kommunikation im ‹Frauendienst› Ulrichs von Lichtenstein 2004, X, 451 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8045-6 50 Andreas Kraß Geschriebene Kleider Höfisches Identität als literarisches Spiel 2006, X, 421 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8129-3 51 Annette Gerok-Reiter Individualität Studien zu einem umstrittenen Phänomen mittelhochdeutscher Epik 2006, X, 350 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8169-9 52 Henrike Manuwald Medialer Dialog Die «Große Bilderhandschrift» des Willehalm Wolframs von Eschenbach und ihre Kontexte 2008, X, 638 Seiten €[D] 148,- ISBN 978-3-7720-8260-3 53 Justin Vollmann Das Ideal des irrenden Lesers Ein Wegweiser durch die ‹Krone› Heinrichs von dem Türlin 2008, X, 272 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8311-2 54 Bernd Bastert Helden als Heilige Chanson de geste-Rezeption im deutschsprachigen Raum 2010, X, 492 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8356-3 55 Balázs J. Nemes Von der Schrift zum Buch - vom Ich zum Autor Zur Text- und Autorkonstitution in Überlieferung und Rezeption des ‹Fließenden Lichts der Gottheit› Mechthilds von Magdeburg 2010, X, 555 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8362-4 56 Tanja Mattern Literatur der Zisterzienserinnen Edition und Untersuchung einer Wienhäuser Legendenhandschrift 2011, X, 446 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8375-4 57 Rachel Raumann Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im «Prosa-Lancelot» 2010, X, 330 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8376-1 58 Christiane Krusenbaum-Verheugen Figuren der Referenz Untersuchungen zu Überlieferung und Komposition der ‹Gottesfreundliteratur› in der Straßburger Johanniterkomturei zum ‹Grünen Wörth› 2013, X, 685 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8476-8 59 Stefan Matter Reden von der Minne Untersuchungen zu Spielformen literarischer Bildung zwischen verbaler und visueller Vergegenwärtigung anhand von Minnereden und Minnebildern des deutschsprachigen Spätmittelalters 2013, XII, 569 Seiten, 48 Farbtafeln €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8477-5 60 Astrid Lembke Dämonische Allianzen Jüdische Mahrtenehenerzählungen der europäischen Vormoderne 2013, 400 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8498-0 61 Coralie Rippl Erzählen als Argumentationsspiel Heinrich Kaufringers Fallkonstruktionen zwischen Rhetorik, Recht und literarischer Stofftradition 2014, XII, 390 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8528-4 62 Anna Kathrin Bleuler Essen - Trinken - Liebe Kultursemiotische Untersuchung zur Poetik des Alimentären in Wolframs ‹Parzival› 2016, X, 351 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8541-3 63 Hans Rudolf Velten Scurrilitas Die Komik des Körpers in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit 2016, ca. 456 Seiten €[D] ca. 88,- ISBN 978-3-7720-8541-3 64 Susanne Bernhardt Figur im Vollzug Narrative Strukturen im religiösen Selbstentwurf der ‹Vita› Heinrich Seuses 2016, 330 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8543-7 65 Cordula Kropik Gemachte Welten Form und Sinn im Höfischen Roman 2017, ca. 460 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8559-8 66 Daniel Eder Der Natureingang im Minnesang Studien zur Register- und Kulturpoetik der höfischen Liebeskanzone 2016, 458 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8592-5 Der sogenannte Natureingang ist in der Minnesang-Forschung schon früh und anhaltend auf ein breites Interesse gestoßen, allerdings ohne dass dies zu eindeutigen Vorstellungen über Vorkommen und Bedeutung des Topos für die Gattung der Minnekanzone geführt hätte. Diese Lücke sucht der Band zu schließen, indem er zum einen eine Arbeitsdefinition für den saisonal organisierten Natureingang absteckt und diesen hinsichtlich seiner Typenausprägungen kategorisiert, andererseits auch der Funktion der Topik im Kontext der Poetik des Werbungsliedes anhand zahlreicher Einzelinterpretationen nachgeht. Hierbei ergeben sich - etwa im Vergleich mit den anderen europäischen Liebeslyriktraditionen des Mittelalters - ertragreiche Deutungsperspektiven im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Formatierung des Forschungsfeldes. ISBN 978-3-7720-8592-5