eBooks

Habsburgs ‚Dark Continent‘

2018
978-3-7720-5603-1
A. Francke Verlag 
Clemens Ruthner

Was können Literatur- und Geschichtswissenschaft von den Postcolonial Studies für ein besseres Verständnis der Habs­burger Monarchie im "langen 19. Jahrhundert" (E. Hobsbawm) lernen? Die vorliegende Monografie, die Forschungsarbeiten des Autors aus fünfzehn Jahren zusammenfasst, geht nicht nur dieser Frage nach. Im Anschluss an eine kritische Diskussion des Kolonialismus-Begriffs und eine Neubestimmung der Imagologie als Methodik kulturwissenschaftlicher Forschung werden Fallstudien präsentiert. Sie zeigen ein "koloniales Begehren" (S. Zantop) in exemplarischen literarischen Texten aus dem alten Österreich auf, die damit auch eine Auseinandersetzung mit dem Vielvölkerstaat selbst anzetteln: F. Kafkas In der Strafkolonie (1914), F. Grillparzers Dramentrilogie Das goldene Vließ (1818-20) und seine Reisetagebücher, P. Altenbergs Ashantee-Skizzen (1897) sowie A. Kubins Roman Die andere Seite (1909). Am deutlichsten jedoch tritt die österreichisch-ungarische Parallelaktion zum Kolonialismus der anderen europäischen Mächte anhand der Okkupation (1878) und Annexion (1908) Bosnien-Herzegowinas zutage. Die damit einhergehende imperiale Formatierung des Fremden wird anhand diverser kultureller Texte analysiert, bevor abschließend nach dem Fortwirken des ,k.u.k. Kolonialkomplexes' im posthabsburgischen Zentraleuropa des 20. und 21. Jahrhunderts gefragt wird.

ISBN 978-3-7720-8603-8 Was können Literatur- und Geschichtswissenschaft von den Postcolonial Studies für ein besseres Verständnis der Habsburger Monarchie im „langen 19. Jahrhundert“ (E. Hobsbawm) lernen? Die vorliegende Monografie, die Forschungsarbeiten des Autors aus fünfzehn Jahren zusammenfasst, geht nicht nur dieser Frage nach. Im Anschluss an eine kritische Diskussion des Kolonialismus- Begriffs und eine Neubestimmung der Imagologie als Methodik kulturwissenschaftlicher Forschung werden Fallstudien präsentiert. Sie zeigen ein „koloniales Begehren“ (S. Zantop) in exemplarischen literarischen Texten aus dem alten Österreich auf, die damit auch eine Auseinandersetzung mit dem Vielvölkerstaat selbst anzetteln: F. Kafkas In der Strafkolonie (1914), F. Grillparzers Dramentrilogie Das goldene Vließ (1818-20) und seine Reisetagebücher, P. Altenbergs Ashantee-Skizzen (1897) sowie A. Kubins Roman Die andere Seite (1909). Am deutlichsten jedoch tritt die österreichisch-ungarische Parallelaktion zum Kolonialismus der anderen europäischen Mächte anhand der Okkupation (1878) und Annexion (1908) Bosnien-Herzegowinas zutage. Die damit einhergehende imperiale Formatierung des Fremden wird anhand diverser kultureller Texte analysiert, bevor abschließend nach dem Fortwirken des ‚k.u.k. Kolonialkomplexes‘ im posthabsburgischen Zentraleuropa des 20. und 21. Jahrhunderts gefragt wird. Ruthner Habsburgs ‚Dark Continent‘ Postkoloniale Lektüren zur österreichischen Literatur und Kultur im langen 19. Jahrhundert K U LT U R - H E R R S C H A F T - D I F F E R E N Z 23 Clemens Ruthner Habsburgs ‚Dark Continent‘ KULTUR - HERRSCHAFT - DIFFERENZ Herausgegeben von Milka Car, Moritz Csáky, Wolfgang Müller-Funk und Klaus R. Scherpe Band 23 • 2018 Kultur - Herrschaft - Differenz ist eine peer-reviewed Reihe (double-blind). Kultur - Herrschaft - Differenz is a double-blind peer-reviewed series. Clemens Ruthner Habsburgs ‚Dark Continent‘ Postkoloniale Lektüren zur österreichischen Literatur und Kultur im langen 19. Jahrhundert Anna Babka, Wolfgang Müller-Funk & Vahidin Preljević für die inspirierende Zusammenarbeit gewidmet Gedruckt mit Unterstützung durch den Beate-Schuler-Fonds am Dept. of Germanic Studies, Trinity College Dublin, Irland. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG · Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany ISSN 1862-2518 ISBN 978-3-7720-8603-8 Umschlagabbildung: Ansichtskarte aus Bosnien-Herzegowina um 1900, Verlag unbekannt Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. 0. 7 Teil A: 15 A.0. 17 A.1. 35 A.2. 63 Teil B: 109 B.0. 111 B.1. 115 B.2. 151 B.3. 176 Teil C: 203 C.0. 205 C.1. 237 C.2. 257 C.3. 297 Teil D: 313 Inhalt VorWort & DankSagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BestandsAufnahmen, ProjektSkizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k.u.k. post/ colonial: Habsburgs 'Kolonialismus' als Befund, Befindlichkeit & Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . imagiNation: Zur literatur- und kulturwissenschaftlichen Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder . . . . . . . . . . . . . . . . . FallStudien (I) - Kolonialismus als Vorstellung: Stichproben aus der österr. Literatur, 1815-1914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . FrageStellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Fremde sind wir uns selbst“: F. Grillparzer zwischen Habsburg und Kolchis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begehren und/ oder Befreien: P. Altenbergs Alterität in ‚Ashantee‘ (1897) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatssatire als kolonialer Alptraum: A. Kubins Roman ‚Die andere Seite‘ (1909) mit F. v. Herzmanovsky-Orlando gelesen FallStudien (II) - Kolonialimus als Kultur: Bosnien-Herzegowina, 1878-1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k. u. k. ErsatzKolonialismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besetzungen (i): Die Okkupation 1878 und ihre Niederschläge im kulturellen Gedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besetzungen (ii): Zur kolonialen Reformatierung der Orte und Fremdbilder in Bosnien-Herzegowina nach 1878 . . . . . . . . . . . Besetzungen (iii): Konstruktionen der bosnischen Fremde(n) in belletristischen Texten aus ‚Österreich‘ um 1900 . . . . . . . . . SynThesen & SchlussWorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil E: 339 E.1. 339 E.2. 400 Bibliografisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LiteraturVerzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachweis der Erstveröffentlichungen & Abbildungen . . . . . . Inhalt 6 1 GRAMSCI 1971: 324. 2 Patrice Lumumba (1925-1961), ermordeter kongolesischer Politiker und Unabhängig‐ keitsaktivist gegen die belgische Kolonialmacht. 0. VorWort & DankSagung The starting-point of critical elaboration is the consciousness of what one really is […] as a product of the historical processes to date, which has deposited in you an infinity of traces, without leaving an inventory. (Antonio Gramsci) 1 Als ich im Februar 1991 meine erste Stelle als österreichischer Auslandslektor an der staatlichen Universität von Budapest ( ELTE ) antrat, hieß die Straße mit den stalinistischen Wohnblocks, wo ich für ein Semester wohnte, noch ein paar Wochen lang Lumumba utca, bevor sie umbenannt wurde und eine IKEA -Filiale in unmittelbarer Nähe aufmachte. Dies ist in meiner Erinnerung nicht nur ein drastisches Bild für die sog. ‚Wende‘ in Ungarn geworden, sondern auch ein erster Anreiz, mich mit dem Namen 2 hinter der Straße und damit der Geschichte des Kolonialismus, seinem Ende bzw. Fortbestehen zu beschäftigen. Anders als viele Österreicher / innen und andere Zentraleuropäer / innen meiner Generation („X“), die ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Habs‐ burger Monarchie geboren wurden, verbindet mich aber mit meinem Untersu‐ chungsgegenstand „k. u. k. post / kolonial“ sonst kaum eine tiefer gehende bio‐ grafisch-familiäre Wurzel. Das einzige, was ich anführen könnte, ist, dass mein Großvater Alfons Leopold in der Zwischenkriegszeit eine Wiener Kolonial‐ warenhandlung (für Kaffee und Tee aus Asien) betrieb: eine merkwürdige Be‐ zeichnung in einem Land ohne Kolonien, die im Verbund mit den obligaten Orientteppichen in der elterlichen Wohnung und der damals obligaten Karl-May-Lektüre meine kindliche Phantasie immer wieder beschäftigte. Es war jedoch erst meine Zeit als Lektor und Doktorand in Belgien (1993-2003), die meine Wahrnehmung für den Kolonialismus gerade der klei‐ neren Staaten Europas, seine Bilderwelten (wie z. B. das Afrika-Museum Ter‐ vuren bei Brüssel) und realen wie globalen Nachwirkungen nachhaltig schärfte - ebenso wie für die innere Kolonisierung, die häufig stattgefunden hat (Beispiel: Flandern). In Belgien kam ich auch zum ersten Mal mit den Grün‐ 3 Es war jene Zeit, als die Verwicklung des belgischen Königshauses in die Entführung und Ermordung Lumumbas (1961) vom flämischen Journalisten Ludo de Witte aufge‐ deckt wurde und Adam Hochschilds Buch über die leopoldinischen Menschheitsver‐ brechen im Kongo erschien (HOCHSCHILD 1998). 4 JAMESON 1988: 9. 5 Beide Forschungsprojekte wurden aus Geldern des Österr. Forschungsförderungsfonds FWF finanziert und von Wolfgang Müller-Funk, Waltraud Heindl und Moritz Csáky betreut: Herrschaft, ethnische Differenzierung und Literarizität in Österreich-Ungarn 1867-1918 (FWF, P-14727, 2001-2006); Zentren und Peripherien: Kulturen und Macht‐ verhältnisse in Österreich-Ungarn (FWF, P-16511, 2004-2007). dungsschriften der Postcolonial Studies in Kontakt: jener „Holy Trinity“ (Richard Young) von Said, Bhabha und Spivak, für die sich einige jüngere Kolleg / inn / en an der Anglistik- und Romanistik-Abteilung unserer Universität in Antwerpen zu interessieren begannen und eine Werkgroep Postcoloniale Literaturen einrich‐ teten. 3 In diesem Kontext boten sich auch Frederic Jamesons Motto „always his‐ toricize“ 4 und die Arbeiten des Birminghamer Centres for Cultural Studies rund um Stuart Hall zur Moderation einer allgemein um sich greifenden dekonst‐ ruktivistischen Textherme(neu)tik an. Anlässlich einer Lektor / innen-Tagung lernte ich dann im Juni 1998 auf einem Korridor der Wiener Universität Wolfgang Müller-Funk kennen, der kurz darauf als Gastprofessor an eben jene Universität Birmingham berufen werden sollte. Ich kam mit ihm ins Gespräch, dessen Gegenstand die zu jener Zeit in der ös‐ terreichischen Germanistik nur zögerlich stattfindende kulturwissenschaftliche Weitung des Faches war, die bekanntlich auch zu diversen Abstoßungsreakti‐ onen führte. Es sollte aber mehr werden als ein typischer academic rant, wie er immer häufiger geworden ist nach dem economic (down)turn an den europä‐ ischen Universitäten: Wenig später waren wir uns nämlich auch in unserem Interesse für postkoloniale Theoriebildung internationaler Prägung einig - und dass es ein wohl reizvolles Unterfangen wäre, deren zumeist im kolonial-impe‐ rialen Kontext Großbritanniens gewonnenen Ansätze und Erkenntnisse, die im Wesentlichen in einer speziellen Lesart von Literatur und anderen kulturellen Texten bestehen, versuchsweise auf die Spätzeit der multiethnischen Habs‐ burger Monarchie anzuwenden. Die Folgen sind bekannt: Aus unserer Begegnung heraus entstanden zwei internationale Wiener Forschungsprojekte, 5 die die Textkulturen Öster‐ reich-Ungarns zwischen 1867 und 1918 analysierten, die vorliegende Buchreihe Kultur - Herrschaft - Differenz beim Tübinger Francke-Verlag, und schließlich Kakanien revisited, ein selbst entwickeltes label für das Gesamtvorhaben, das 0. VorWort & DankSagung 8 6 Kakanien revisited. Das Fremde und das Eigene (in) der österreichisch-ungarischen Mo‐ narchie (MÜLLER-FUNK, PLENER & RUTHNER 2002). Ebenso im Verlag A. Francke erschienen auch die Folgebände: Leitha und Lethe. Symbolische Räume und Zeiten in der Kultur Österreich-Ungarns (KEREKES u. a. 2004); Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn (HÁRS u. a. 2006); Frauenbilder, feministische Praxis und nationales Bewusstsein in Österreich-Ungarn 1867-1914 (HEINDL u. a. 2006); Räume und Grenzen in Österreich-Ungarn, 1867-1918. Kulturwissenschaftliche Annäherungen (FISCHER u. a. 2008); sowie bei P. Lang Verflechtungsfiguren: Intertextualität und In‐ termedialität in der Kultur Österreich-Ungarns (HÁRS u. a. 2003) und bei Turia + Kant Eigene und andere Fremde: „Postkoloniale“ Konflikte im europäischen Kontext (MÜLLER-FUNK & WAGNER 2005). 7 Noch immer als Datenbank / Artikel-Archiv online unter der Internet-Adresse www.kakanien.ac.at. 8 Vgl. etwa ZEYRINGER & CSÁKY 2002: Inszenierungen des kollektiven Gedächtnisses. Eigenbilder, Fremdbilder sowie CSÁKY, FEICHTINGER & PRUTSCH 2003: Habsburg postcolonial; u. a. 9 IK Kulturen der Differenz (Universität Wien, 2006-2009) geleitet von Werner Faßmann, Wolfgang Müller-Funk und Birgit Wagner. Im weiteren Umfeld entstand auch das Wiener Galizien-Doktoratskolleg. 10 Außerdem startete unter Leitung von Milka Car und Marijan Bobinac (Univ. Zagreb) 2015 ein weiteres Folgeprojekt zur „postimperialen Kultur“ in Österreich und Ex-Ju‐ goslawien, finanziert durch den kroatischen Forschungsförderungsfonds. 11 Vgl. etwa die Bestandsaufnahmen von UERLINGS 2005, GÖTTSCHE 2013 u. DÜR‐ BECK 2014. nicht nur den Titel für den ersten Sammelband unsres Teams abgab, 6 sondern auch für ein von Peter Plener, Ursula Reber sowie Lajos und János Bekesi mit Geldern des österreichischen Wissenschaftsministerium aus der Taufe geho‐ benes Internet-Publikationsprojekt 7 an der Universität Wien, das sich bis zum Versiegen jener Geldquellen als überaus erfolgreich erweisen sollte. Im Umfeld bildete sich rasch und informell ein zwar zentraleuropäisch geprägtes, aber doch dezentral rhizomatisches Forschungsnetzwerk, das auch mit anderen Teams zu‐ sammenarbeitete - wie etwa mit dem SFB Moderne an der Karl-Franzens-Uni‐ versität Graz 8 - und ein kurzlebiges Wiener Doktoratskolleg 9 gründete; vor allem aber wurden wissenschaftliche Tagungen und Workshops abgehalten, und als Folge eine Vielzahl von Sammelbänden, Monografien und Aufsätzen veröf‐ fentlicht - in Buchform wie auch im Internet. 10 Die geografische und sprachliche Streuung meiner eigenen Beiträge zum Thema in den fünfzehn Jahren, die seither vergangen sind, hat mich nun - im Kontext der zunehmenden Aktivitäten einer postkolonialen Germanistik 11 in Deutschland, Österreich, der Schweiz und dem englischsprachigen Raum - dazu gebracht, die alten Fäden wieder aufzugreifen und sie zu einem vorläufigen Ab‐ schluss zusammenzuführen. Es war meine Ambition, sie trotz der Irrungen, Wirrungen und Limitationen eines neoliberalen Uni-Betriebs, der selbst nolens 0. VorWort & DankSagung 9 volens Züge von Kafkas Strafkolonie angenommen hat, zu überdenken, ggf. zu revidieren und zu einem Buch zu verweben, das hiermit vorliegt. Mein herzlicher Dank für inhaltliche Anregungen, logistische und sprach‐ liche Hilfeleistungen sowie notwendige Korrekturen gilt in diesem Zusammen‐ hang neben Wolfgang Müller-Funk, dem mein wissenschaftlicher Werdegang wesentliche Impulse schuldet, folgenden Kolleg / inn / en und Freund / inn / en in alphabetischer Reihenfolge: Balázs Apor (Dublin), Katie Arens (Austin), Ulrich Bach (Connecticut), Karyn Ball (Edmonton), Carl Bethke (Tübingen), Anil Bhatti (Neu-Delhi), Anke Bosse (Namur / Klagenfurt), Emil Brix (Wien), Milka Car (Zagreb), Moritz Csáky (Wien), Stanley Corngold (Princeton), Mary Cosgrove (Dublin), Raymond Detrez (Gent), Je‐ roen de Wolf (Berkeley), Robert Donia (San Diego), Wolfram Dornik (Graz), Davor Dukić (Zagreb), Anne Dwyer (Pomona), Jozo Džambo (München), Alfred Ebenbauer † (Wien), Katrin Eberbach (Dublin), Daniela Finzi (Wien), Ana Foteva (Skopje), Da‐ riusz Gafijczuk (Newcastle), Karl-Markus Gauß (Salzburg), Andreas Geyer (München), Kathleen Gijssels (Antwerpen), Rüdiger Görner (London), Deniz Göktürk (Berkeley), Martin A. Hainz (Baden), Endre Hárs (Szeged), Jonathan Locke Hart (Ed‐ monton / Shanghai), Róisín Healey (Galway), Waltraud Heindl (Wien), Friederike Heymach (Wien), John Paul Himka (Edmonton), Miranda Jakiša (Berlin), Reinhard Johler (Tübingen), Pieter Judson (Florenz), Tomek Kamusella (St. Andrews), Amália Kerekes (Budapest), Alfrun Kliems (Berlin), Kristin Kopp (Columbia), Albrecht Ko‐ schorke (Konstanz), Alan Kramer (Dublin), Wynfrid Kriegleder (Wien), Florian Krobb (Maynooth), Stephan Lehnstaedt (Warschau), Joep Leerssen (Amsterdam), Jacques Le Rider (Paris), Michael Limberger (Gent), Vivian Liska (Antwerpen / Jerusalem), To‐ mislav Longinović (Madison / Rovinj), Dagmar Lorenz (Chicago), Mike Lützeler (St. Louis), Christian Marchetti (Tübingen), Graeme Murdock (Dublin), Ivana Neve‐ sinjac (Sarajevo), Nina Newell-Osmanović (Sarajevo), Jane Ohlmeyer (Dublin), Chris‐ tine Okresek & Zlatko ‚Ola‘ Olić (Opatija), Martin Pammer (Sarajevo), Peter Plener (Wien), Brigitte Pfriemer-Sitzwohl (Brüssel), Vasilis Politis (Dublin), Jon Cho-Polizzi (Berkeley), Christian Promitzer (Graz), Ursula Prutsch (München), Sabrina Rahman (Leeds), Usha Reber (Wien), Markus Reisenleitner (Toronto), Stephan Resch (Auck‐ land), Diana Reynolds Cordileone (San Diego), Per Anders Rudling (Karlstad / Sin‐ gapur), Irena Samide (Ljubljana), Derek Sayer (Calgary), Tamara Scheer (Wien), Klaus Scherpe (Berlin), Wendelin Schmidt-Dengler † (Wien), Naser Šečerović (Sarajevo), Andrea Seidler (Wien), Rob Shields (Edmonton), Stefan Simonek (Wien), Lejla Sirbu‐ balo (Wien / Sarajevo), Džemal Sokolović (Bergen), Malcolm Spencer (Birmingham), Rok Stergar (Ljubljana), Erhard Stölting (Potsdam), Daniela Strigl (Wien), Elaine Ten‐ nant (Berkeley), Dirk Uffelmann (Passau), Stijn Vervaet (Oslo), Birgit Wagner (Wien), 0. VorWort & DankSagung 10 Hilde Zaloscer † (Wien), Klaus Zeyringer (Angers / Pöllau) und Yvonne Živković (New York / Cambridge). Bei der Erschließung bosnischer Quellen haben mich meine wissenschaftlichen Hilfskräfte Asja Osmančević und Vikica Matić 2011 vor Ort in Sarajevo tatkräftig wie sprachmächtig unterstützt; große Inspiration kam auch von meinen bosni‐ schen Studierenden in Sarajevo und Dublin über die Jahre hinweg. Ebenso muss ich mich für die kritische Lektüre von Rohfassungen meiner Buchkapitel bei Anna Babka (Wien), Marijan Bobinac und Ivana Brković (Zagreb), Gilbert Carr (Dublin), Hannes Leidinger (Wien), Martin Gabriel (Klagenfurt) und Vahidin Preljević (Sarajevo) ganz besonders bedanken - sowie für das Endlektorat bei Isabel Thomas (Halle / Dublin). Daneben schulde ich auch folgenden Instituti‐ onen Dank: der Filozofski Fakultet der staatlichen Universität von Sarajevo, dem German Department der UC Berkeley, der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, der UB Wien und ihren angeschlossenen Germanistik- und Ang‐ listik-Fachbibliotheken, der bosnisch-herzegowinischen Nationalbibliothek in Sarajevo, sowie dem Long Room Hub Arts & Humanities Research Institute und dem Dept. of German Studies am Trinity College in Dublin. Auch ohne zeitweiligen Ortswechsel wäre ein derartiges Projekt mental wohl nicht realisierbar gewesen - in diesem Sinne bin ich auch äußerst dankbar für den genius loci, der mich verschiedentlich, so z. B. als Gastprofessor in Bosnien und Kalifornien, umgab. Er ist wichtig für das geistige Überleben der ehemaligen Geisteswissenschaften, denn manchmal braucht auch unsereins Inspiration. Als größter Anreiz für das Gelingen dieses Projekts erwies sich freilich, dass es im Leben noch wichtigere Anlässe als deadlines für Bücher gibt - wie z. B. eine Geburt. In diesem Sinn geht, last but not least, mein liebevoller Dank an Christina Töpfer und unsere Tochter Juli Ariane: dafür, dass sie da sind und mit mir Geduld haben. Ebenso an meine Mutter Sigrid Ruthner, ohne deren groß‐ zügige Unterstützung es wohl auch nicht möglich gewesen wäre, dieses Projekt erfolgreich abzuschließen. Berkeley - Dublin - Graz - Opatija - Penk - Wien, 2015-2017 0. VorWort & DankSagung 11 „Wir machen aber von dem Länderreichtum des Ich viel zu kleine oder enge Messungen, wenn wir das ungeheure Reich des Unbewußten, dieses wahre In‐ nere Afrika, auslassen.“ ( Jean Paul, Selina, 1827) 0. VorWort & DankSagung 13 Teil A: Instrumentarium 1 RIESZ 1983: 9. 2 Vgl. dazu den historischen Abriss von YOUNG 2001. A.0. BestandsAufnahmen: Postkoloniale Zugänge in der (Österreich-) Germanistik - Forschungsstand & Projektskizze Die Literatur Europas ist die eines Konti‐ nents von Kolonisatoren. Meistens ist der Kolonialismus in der Literatur ‚Hinter‐ grundphänomen‘, d. h. er wird nicht wahr‐ genommen, gehört zum selbst verständli‐ chen Bestand des europäischen Weltbildes. 1 1. Weiße Flecken am dunklen Kontinent: der Kolonialismus & Österreich Das hier als Motto vorangestellte Zitat des Komparatisten Janós Riesz ent‐ stammt einem der ersten deutschsprachigen Sammelbände zum Thema Lite‐ ratur und Kolonialismus aus dem Jahr 1983 - und es spricht paradigmatisch die selektive Wahrnehmung an, die das Phänomen lange umgab und teilweise immer noch umgibt. Die akademische Auseinandersetzung damit begann zwi‐ schen den 1950er und 1970er Jahren in Frankreich, Großbritannien und den USA unter dem Eindruck der weltweiten Dekolonisation - vor allem angesichts der Gräueltaten des Algerien- und Vietnam-Kriegs, aber auch durch die intellektu‐ ellen Interventionen eines Frantz Fanon, Jean-Paul Sartre, einer Hannah Arendt u. a., durch die entstehenden britischen Cultural Studies und die sich später formierenden amerikanischen Postcolonial Studies. 2 Die ideengeschichtliche Folie dafür lieferte die Imperialismus-Kritik der westlichen Linken vor allem der 1968er-Generation; aus ihr heraus sollte bald - zusammen mit neuen, postmar‐ xistischen Begrifflichkeiten - eine spezielle Sensibilität für jene Form einer ent‐ mündigenden bzw. bevormundenden Übersee-Herrschaft unter dem trügeri‐ schen Vorzeichen der europäischen Moderne entstehen. Nicht nur in den ehemaligen Mutterländern, die sich mit zunehmender politischer Bedeutungs‐ 3 SAUER 2002 / 2007: 7 f. losigkeit bei gleichzeitiger Massenimmigration konfrontiert sahen, sondern v. a. auf dem Grundgebiet der neuen Supermacht USA sowie in einigen anderen ehemaligen Kolonien etablierten sich entsprechende Forschungseinrichtungen, wie z. B. in Indien die Subaltern Studies Group oder eine lateinamerikanische Spielart der Kulturtheorie. Schließlich erfasste diese zweite Welle einer inter‐ nationalen Vergangenheits(selbst)bewältigung nach dem Zweiten Weltkrieg auch kleinere ehemalige Kolonialmächte wie Belgien, Portugal oder Italien, wenn auch zögerlich: werden doch die Verbrechen und das Scheitern des Kolo‐ nialismus immer noch gleichsam als Bildstörungen der eigenen nationalen wie kontinentalen Erfolgsgeschichte angesehen. Auf der Europakarte eines neuen postkolonialen Bewusstseins blieben indes einige weiße Flecken zurück, darunter Österreich: „Forschungsgeschichtlich“, so moniert der Wiener Historiker Walter Sauer selbst erst nach der Jahrtau‐ sendwende, ist die Frage nach dem Verhältnis der [Habsburger] Monarchie zur Kolonialproble‐ matik zwar nur selten gestellt, aber um so häufiger beantwortet worden: Nein, über Kolonien habe Österreich-Ungarn nie verfügt, koloniale Ambitionen habe es nur am Rande gegeben, kolonialpolitisches Desinteresse gerade sei für das Verhalten von Ös‐ terreichern in außereuropäischen Gebieten charakteristisch gewesen. […] Es ent‐ sprach einer in großbürgerlichen Kreisen um die Jahrhundertwende verbreiteten Ten‐ denz, das Scheitern früherer Ambitionen auf ein ‚Kolonialreich‘ zur bewußten Zurückhaltung, zur moralischen Überlegenheit der Monarchie zu stilisieren. […] Ge‐ genüber sich selbst, aber auch gegenüber einer ‚Dritten Welt‘, die sich vom kolonialen Joch zunehmend emanzipierte, stellte sich [auch] das neue Österreich [= die Zweite Republik ab 1945, C. R.] als unbelastet dar. 3 Die Habsburger Reich, d. h. jenes „Kaisertum Österreich“, das nach dem „Aus‐ gleich“ von 1867 international unter dem Etikett von „k. u. k.“ (’kaiserlichund-königlich’) bzw. als „Österreich-Ungarn“ firmierte, hatte in der Tat keine Übersee-„Schutzgebiete“ wie das benachbarte Deutsche Reich seit 1884: Aber ist nicht seine letzte territoriale Erweiterung nach Südosten hin (Bosnien-Herze‐ gowina 1878 / 1908) nicht auch als Ersatzhandlung für jenes Zukurzbzw. Zu‐ spätkommen im internationalen Wettlauf des europäischen Kolonialismus zu verstehen - ebenso, wie vielleicht auch Galizien, die Bukowina und andere habsburgische Peripherien seit dem späten 18. Jahrhundert dafür in Betracht kämen? Und, allgemeiner gesprochen: Welche Spuren bzw. „Parallel‐ aktionen“ hat der zeitgenössische Kolonialismus Europas im „politischen Un‐ A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 18 4 Zu dieser Begrifflichkeit vgl. JAMESON 1989 u. CASTORIADIS 1975: 203. 5 FREUD 1926 / 2000: 303. Der ‚dunkle Kontinent‘ taucht freilich noch häufiger als über‐ tragene Afrika-Metapher auf, so etwa 1999 als Titel von Mark Mazowers Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. 6 „[T]he Habsburg authorities conceived of imperialism as a matter of domestic, rather than foreign policy“, schreibt etwa LEMON 2011: 2. 7 FREUD 1926 / 2000: 303. 8 Zum Zusammenhang von Psychoanalye und Kolonialismus vgl. etwa KHANNA 2003; sie hat u. a. den Parallelismus von westlicher Subjektivität, wie sie ihren Nieder‐ schag in Freuds Theorie findet, und der aufkommenden westlichen Nationalstaatlich‐ keit hergestellt (ebd. 6). Schon LÜTKEHAUS 1989: 7 f. hat auf die Wechselwirkung zwischen dem Kolonialismus in Übersee und der Entdeckung des Unbewussten hinge‐ wiesen und Freud als „Kolonisator“ und „Konquistator“ gesehen; in seiner Anthologie erzählt er die Kulturgeschichte der Entdeckung des „Unbewussten“ vor Freud in Lite‐ ratur und Philosophie, wobei jenem Satz aus Jean Pauls Selina eine zentrale Rolle zu‐ kommt (ebd. 77), der auch unsrem Abschnitt A. als Motto für das Buchprojekt voran‐ gestellt wurde. bewussten“ bzw. „sozialen“ Imaginären“ 4 der habsburgischen Kultur / en hin‐ terlassen? Diese Fragen werden uns - unter Anderem - im Laufe dieses Buches beschäftigen. Mit seiner Metapher vom „dark continent“, 5 die unserer Monografie ihren Titel gab, meint Sigmund Freud freilich nicht jene verdrängte innere und äußere k. u. k. Kolonisierung, 6 sondern „das Geschlechtsleben des erwachsenen Wei‐ bes“ 7 in seiner eigenen Kartografie der menschlichen Psyche - in die seine Lehre ebenso wie in das „Unbewusste“ generell mit uneingestanden kolonialen Wün‐ schen vordrang. 8 Das gendering ist evident: der Wiener Mann gibt sich als Ent‐ deckungsreisender auf dem ‚dunklen Kontinent‘ der Frau. Wollte die Psycho‐ analyse hier nicht nur ihr Revier im wissenschaftlichen Wettrüsten ihrer Zeit - einer Nebenerscheinung des europäischen Imperialismus im 1900 - abstecken, sondern gleichsam auch ihre mentalen Schutzgebiete errichten (ähnlich wie der westliche Kolonialismus trachtete, nicht nur das materielle und soziale Außen der Menschen, sondern auch ihr psychisches Innen zu besetzen und zu mani‐ pulieren)? Was uns im vorliegenden Buch beschäftigen soll, sind aber nicht die meta‐ phorischen Expeditionen der Psychoanalyse, sondern wie gesagt ein anderer „dunkler Kontinent“ der Habsburger Monarchie. Auf einen blinden Fleck der Historiografie entrückt sind nämlich auch deren koloniale Begehrlichkeiten, bei denen die präsumptiven Kolonialherren und die von ihnen Beherrschten im selben Erdteil, ja sogar in unmittelbarer Nachbarschaft lebten, wie z. B. auf dem westlichen Balkan. Mehr oder weniger unbewusst sind auch jene kolonialen Phantasien, wie sie uns bis heute in literarischen Texten und anderen Zeug‐ A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 19 9 KAFKA [1914 / 19] 2010: 31. Im Folgenden wird aus dieser Ausgabe mit der Sigle IDS im Lauftext zitiert. 10 HONOLD 2008: 478. 11 Vgl. HIEBEL 1989: 135 ff.; AUEROCHS 2010: 215; STREIT 2014: 209. 12 LYOTARD 1995: 49. 13 KITTLER 1990; PIPER 1996: 48; FÜRST 2014: 205. nissen der habsburgischen Kultur / en entgegentreten: manchmal implizit und verklausuliert, dann wieder erschreckend explizit, indem sie sich auf das eigene multiethnische Staatsgefüge beziehen oder dieses insgeheim in der überseei‐ schen Projektion auf das Andere meinen. Um dieses Verdrängte in den kulturellen Ordnungen „Kakaniens“ im langen 19. Jahrhundert wieder sichtbar zu machen, wird sich die vorliegende Mono‐ grafie stichprobenhaft jenen kolonialen Vorstellungen und Praktiken in der he‐ gemonialen österreichischen Kultur des Kaiserreichs widmen. Zunächst jedoch ist eine Bestandsaufnahme bestehender Zugänge zu unternehmen, anhand deren sich in einem weiteren Schritt unsere Forschungsfragen und methodolo‐ gischen Herangehensweisen verdichten werden. 2. Kafka und kein Ende: eine Modellinterpretation (in) der Strafkolonie „Es ist ein eigentümlicher Apparat“, sagte der Offizier zu dem Forschungsreisenden und überblickte mit einem gewissermaßen bewundernden Blick den ihm doch wohl‐ bekannten Apparat. Der Reisende schien nur aus Höflichkeit der Einladung des Kom‐ mandanten gefolgt zu sein, der ihn aufgefordert hatte, der Exekution eines Soldaten beizuwohnen, der wegen Ungehorsam und Beleidigung des Vorgesetzten verurteilt worden war. Das Interesse für diese Exekution war wohl auch in der Strafkolonie nicht sehr groß. Wenigstens war hier in dem tiefen, sandigen, von kahlen Abhängen ringsum abgeschlossenen kleinen Tal außer dem Offizier und dem Reisenden nur der Verurteilte […]. 9 In der physischen Eindringlichkeit, die sie entwickelt, gehört Kafkas Erzählung In der Strafkolonie (1914) wohl zu seinen drastischsten Texten - geht sie doch buchstäblich „unter die Haut“ 10 (vgl. IDS 38 ff.). Sie scheint prädestiniert für postmoderne und dekonstruktive Lektüren, indem sie den Körper und die Schrift thematisiert, 11 respektive die grausige - und doch ästhetische 12 - Inskription der einen in den anderen durch eine Tätowierungs-„Schreibmaschine“, 13 die die Aufsässigkeit eines Soldaten unverhältnismäßig grausam mit einem langsamen A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 20 14 Alexander Honold hat darauf aufmerksam gemacht, dass Kafka am 17. März 1911 Adolf Loos’ Vortrag über Ornament und Verbrechen an der Prager Technischen Hochschule hörte, bei dem der Wiener Architekt auch auf die Tätowierungspraxis der Papuas zu sprechen kam (vgl. HONOLD 2004). 15 HONOLD 2008: 495; vgl. dazu auch HIEBEL 1989: 129 und KITTLER 1990: 130. 16 LYOTARD 1995: 53. 17 GRAMSCI 1971: 324; vgl. das initiale Zitat des Vorwortes (Abschnitt 0.1 der vorl. Ar‐ beit). 18 Vgl. AUEROCHS 2010: 212; STREIT 2014: 193. 19 Wie z. B. von PIPER 1996; WÄGENBAUR 1998; SIMO 1999; LEE 2000; PETERS 2002; ZILCOSKY 2003; KOHN 2005; GOEBEL 2005; WILKE 2005; NEUMANN 2006 u. a.- LEMON 2011 indes hat ein caveat für eine solche Sichtweise geltend gemacht: „Such an approach ignores the fact that the penal colony arose far more out of a concern with the punishment of European convicts than with the colonization of oversea territories.“ (98) Die Strafkolonie sei eher im Rahmen einer zeitgenössischen Debatte in Zentraleu‐ ropa zu lesen, die die Deportation von Kriminellen und ‚Degenerierten‘ nach engli‐ schem und französischem Vorbild diskutierte - zumal auch Hans Groß, Kafkas juristi‐ scher Lehrer, daran teilgenommen habe (vgl. ebd. 98 ff.). Kafka kannte auch höchstwahrscheinlich den zeitgenössischen Reisebericht von Robert Heindl über dessen Besuche in überseeischen Strafkolonien (vgl. ebd. sowie KITTLER 1990: 131 ff. u. NEUMEYER 2004). Gegen die Einwände Lemons ist anzuführen, dass sich trotzdem die überseeisch-tropische Lage der Strafkolonie (die offenkundig durch militärische Besetzung gegründet worden ist) und die wiederholte Thematisierung kultureller Dif‐ ferenz im Text durchaus für eine ‚postkoloniale‘ Lektüre anbieten. 20 PETERS 2002: 60. Tod bestraft. Mit seiner ‚subkutan‘-ornamentalen 14 Niederschrift durch den „Apparat“ wird das reichlich willkürliche Gerichtsurteil - „Ehre deinen Vorge‐ setzten! “ ( IDS 35) - direkt in die archaisch anmutende und doch technologisch perfektionierte Schindung des Deliquenten umgesetzt, die nach stundenlanger Folter in dessen Exitus gipfelt (vgl. IDS 41). Alexander Honold und andere haben auf „die allen Prinzipien der Gewaltentrennung spottende Kongruenz von De‐ likt, Gesetz, Urteil und tödlicher Strafe“ hingewiesen; 15 Jean-Francois Lyotard spricht in Anlehnung an Artaud von einem „Theater der Grausamkeit“. 16 Angesichts der vielfältigen „Einladungen zur Allegorese“ blieb indes im „in‐ ventory of traces“ 17 der früheren Kafka-Forschung das „koloniale Setting“ der Geschichte meist unbeachtet 18 - und gerade dieser Bezugsrahmen ist es, der das Werk später in Anschluss an eine Arbeit von Walter Müller-Seidel (1986) zu einem Paradetext postkolonialer Lektüren 19 für die Germanistik gemacht hat: Dessen „Traumlogik“ werde, so Paul Peters, zum „skandalösen ‚Rebus‘ des kol‐ lektiven, politischen Unbewußten“. 20 A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 21 21 Es ließe sich hier durchaus auch zu fragen, inwieweit der Text auch auf die überbor‐ dende politische Gewalt des nationalistischen Kriegsbeginns ebenso wie auf deutsche bzw. österreich-ungarische Kriegsverbrechen in seiner Frühphase reagiert; dies wäre freilich Thema einer anderen - komplimentären - Interpretation. 22 PETERS 2002: 60.- HONOLD 2006: 306 spricht von „eine[r] Konfrontation mit den Taten und Folgen des Kolonialismus, mit dem Begehren nach dem ganz Anderen und dem ebenso starken Impuls seiner Überführung in die eigene Sinnwelt und Wissens‐ ordnung.“ 23 Vgl. PETERS 2002: 60; ZILCOSKY 2002: 109 f.; FÜRST 2014: 213. - Vgl. auch STOLER & COOPER 1997: „The ‚new‘ colonialism […] certainly built on the experience of rule and the construction of difference of the old empires. Its newness was part of the making of bourgeois Europe“ (2). 24 Vgl. SAID 1993: 51 ff. 25 NEUMANN 2006: 338. Neumanns ‚ethnologische‘ Interpretation Kafkas fußt sehr stark auf dem Konzept des Rituals (vgl. ebd. 326 ff.). 26 In Anschluss an Klaus Wagenbach hat sich die Sichtweise etabliert, die Strafkolonie gleichsam als Nebenstück zum Process zu sehen bzw. als Reaktion auf Kafkas Mentor, den Bürokratie-Forscher Alfred Weber; vgl. STREIT 2014: 198. 27 Vgl. HIEBEL 1983 / 1989 und LEMON 2011: 108. 28 NEUMANN 2006: 338. 29 Ebd. 325. 30 Ebd. 340. Kafka fördert mit der Abfassung seines Textes im Oktober 1914, kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, 21 den „versunkene[n] und kollektive[n] Traum des Kolonialismus zutage, die ‚Leiche im Keller‘ der europäischen Metro‐ polen“. 22 Dies geschieht in einem Zeitalter, in dem die großen Kriegsverbrechen des westlichen Übersee-Imperialismus - wie die Niederschlagung der indischen Mutiny (1857), die belgischen Gräueltaten im Kongo (1888-1908) und der deut‐ sche Vernichtungsfeldzug gegen die Herero und Nama in Südwestafrika (1904) - bereits geschehen sind und der Übergang zu einer neuen, weniger gewaltsamen Kolonialpolitik merkbar ist, die auf Identitätspolitik und nicht auf Formen der Sklaverei beruht. 23 Einer realistischen Lektüre, die die Strafkolonie „kontrapunktisch“ 24 gleich‐ sam oberhalb ihrer Allegorie-Angebote liest, erschlössen sich im Text also nicht nur ein „Rechtsritual“, 25 das Bürokratie, 26 Gericht und körperliche Bestrafung in einem allgemeinen - und nachgerade Foucault’schen 27 - Sinn vereint, sondern auch die Exzesse kolonialer Gewaltherrschaft: der „Untergang einer vom rigo‐ ristischen Strafgesetz dominierten Kulturordnung und deren Ersetzung durch eine neue, ‚moderatere‘“, 28 geschildert aus der quasi-ethnologischen Sicht des „Forschungsreisenden“ - einer Figur, die auch „die Deformation des Beobach‐ tungsgegenstandes“ 29 durch das „Paradox des ‚teilnehmenden Beobachters‘“ 30 thematisiert. Die einer Dialektik der Aufklärung sich verdankende Disziplinar‐ A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 22 31 Zur Problematik der sprachlichen Kommunikation im Text (z. B. IDS 33) vgl. PIPER 1996: 42-47 u. SIMO 1999: 5 f. 32 Vgl. ZILCOSKY 2003: 105. 33 Vgl. ebd. 104. 34 Vgl. HONOLD 2008: 482; ZILCOSKY 2003: 105 f.; vgl. auch CERSOWSKY 1983 / 1994: 198 ff.- Nicht nur Cersowsky, sondern auch eine Reihe anderer Forscher / innen hat auf die intertextuelle Bezugnahme Kafkas auf Octave Mirbeaus Le Jardin de supplices (1899), einem Klassiker der SM-Literatur, hingewiesen; vgl. etwa BURNS 1957; BOA 1996: 136; ZILCOSKY 2003: 105 f. 35 LEMON 2011: 106. Vgl. BOA 1996: 134. 36 PETERS 2002: 67; vgl. ARENDT 1955: 326. 37 SPURR 1993: 7. 38 SPIVAK 1988 / 1994. 39 Vgl. GOEBEL 2005: 201; SIMO 1999: 6. technologie jenes ancien régime, mit der ein weißer Offizier im Beisein seines Gastes einen anderssprachigen 31 (’eingeborenen’? ) Soldaten hinrichten möchte, verkörpert sich in einer Peepshow physischer Grausamkeit, die lange vor Ge‐ orges Bataille Herrschaft als Sadismus (und Ekstase? ) zur Schau stellt. 32 In der unangenehmen Verdopplung des Gewalt-Voyeurismus in der „Pornologie“ 33 des Textes wird neben der Zuschauerfigur auch der / die Leser / in in eine kompro‐ mittierte Rolle gedrängt: 34 „Through the figure of the Traveler […] the text turns the Western anthropological gaze upon itself to excoriate the barbarism of the supposedly enlightened Occident.“ 35 In Anlehnung an Hannah Arendts Kolonialismus-Analyse hat Peters darauf hingewiesen, dass „gemäß dem Gesetz des ‚Korrespondenzverhältnisses‘, [von ‚innen‘ und ‚außen‘, C. R.], das Kafkas Welt auszeichnet“, „der Prozeß unendli‐ cher [kolonialer] Expansion hier weniger als ein äußerlicher und territorialer, denn als eine schier endlose Expedition […] ins Innere des Kolonialisierten ge‐ schildert“ werde. 36 Diese psycho-physische Invasion ähnelt jener Einschreibung, als die David Spurr den Kolonialismus achtzig Jahre später beschrieben hat: „a form of self-inscription onto the lives of a people […]“ 37 . Bei Kafka indes wird das koloniale Eindringen in den Körper nichts zutage fördern, denn das Gemüt des Verurteilten bleibt für die Umstehenden wie den Leser opak und wird nur durch die - möglicherweise unzulänglichen - Interpretationen seiner Reakti‐ onen durch den Forschungsreisenden erschlossen. Ganz im Sinne von Gayatri Spivaks zentralem Text der Postcolonial Studies - Can the Subaltern Speak?   38 - gibt es hier im Text keinen Raum, in dem sich der Verurteilte vernehmlich aus‐ drücken könnte, geschweige denn, dass ihn die Strafe mündig machen würde: Das, was er beispielsweise zum Soldaten sagt, bleibt für die immer weniger ver‐ trauenswürdige Erzählinstanz ungehört, ja unerhört (vgl. IDS 51, 55). 39 A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 23 40 KOHN 2005: § 15. 41 Vgl. BOA 1996: 211; PETERS 2002: 68 ff.; WÄGENBAUR 1998. 42 Vgl. dazu STREIT 2014: 204 f. 43 Vgl. dazu etwa CERSOWSKY 1983 / 1994: 198. 44 HONOLD 2005: 477; PETERS 2002: 61 hat auf den Gebrauch des Wortes ‚Apparat‘ etwa in der später entstandenen antikolonialen Kritik von Jean-Paul Sarte und Albert Memmi hingewiesen. BOA 1996: 135 indes stellt den Kontext zum Niedergang des k. u. k. Staates her. 45 Vgl. dazu Homi Bhabhas Text Of Mimicry and Man: The Ambivalence of Colonial Dis‐ course (in BHABHA 1994: 85-92). In der prächtigen Uniform des Offiziers, die „für die Tropen zu schwer“ ist ( IDS 32, vgl. 33), kontrastiert mit der zu beschriftenden Nacktheit seines prä‐ sumtiven Opfers ( IDS 41 f.), wird so auch der Gegensatz von „savagery and ci‐ vilization“ verhandelt. 40 Dabei schreckt der Text ebenso wenig vor der verstö‐ rend teilnahmslosen Wiedergabe rassi(sti)scher Stereotypen 41 zurück, wenn der „Verurteilte“ beschrieben wird: […] ein stumpfsinniger, breitmäuliger Mensch mit verwahrlostem Haar und Ge‐ sicht […]. Übrigens sah der Verurteilte so hündisch ergeben aus, dass es den Anschein hatte, als könnte man ihn frei auf den Abhängen herumlaufen lassen und müsse bei Beginn der Exekution nur pfeifen, damit er käme. (IDS 31) So treffen gleichermaßen die Raffinesse des Henkers und seiner Maschine auf die stumpfe Indolenz des Delinquenten, dem auch noch eine defiziente Physi‐ ognomie und potenziell sogar Kannibalismus 42 (vgl. IDS 37) nachgesagt werden. Schon diese Beschreibung stellt eine koloniale Hierarchie der Kulturen her, die zwischen ‚Herr‘ und ‚Knecht‘ differenziert, aber auch zwischen ‚Sauberkeit‘ und ‚Schmutz‘ 43 : ein Gefälle, das in weiterer Folge freilich kollabiert - oder doch nicht? Was nämlich folgt, ist die zunehmende Entropie bzw. Dysfunktion des „Ap‐ parats“ - und nicht nur Alexander Honold hat bereits auf die Doppeldeutigkeit dieses Terms hingewiesen, der sich sowohl auf die Maschine als auch auf das dahinter stehende bürokratische Disziplinarsystem beziehen lässt: 44 Von Beginn an kämpft der Offizier der alten Schule gegen das reformerische Regime des neuen Kommandanten an, das sich seinen Methoden gegenüber distanziert ver‐ hält (vgl. IDS 33, 35). Auf der anderen Seite verweigert auch der Verurteilte allem Anschein nach den heiligen Ernst, den sich die Figuren, aber auch die Leser / innen als Reaktion auf seine bevorstehende Hinrichtung erwarten würden. Mehr noch, der Todeskandidat „ahmt[.] den Reisenden nach“ ( IDS 34), wofür Rolf Goebel den aus der postkolonialen Theorie stammenden Begriff der Mimikry  45 bemüht, die einen „unsettling effect on the authority of the colonial A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 24 46 GOEBEL 2005: 200; vgl. ZILCOSKY 2003: 118 und STREIT 2014: 202 f. 47 Vgl. ZILCOSKY 2003: 118. 48 Vgl. etwa HONOLD 2008: 481. 49 AUEROCHS 2010: 212; vgl. ZILCOSKY 2003. 50 KOHN 2005: § 16. 51 Ebd. § 20. 52 Vgl. ebd. §§ 26+29. 53 Ebd. § 29. scene“ habe. 46 Der für das Handgelenk des Verurteilten bestimmte Riemen reißt und schafft damit potenziell bürokratische Probleme mit der Rechnungsstelle (vgl. IDS 42). Dann wieder erbricht sich der Deliquent, von den mildtätigen „Damen des Kommandanten“ überfüttert, in die Maschine und verzögert damit den korrekten Ablauf des Hinrichtungsrituals aufs Neue ( IDS 43). Dies hat einen Wutausbruch des Offiziers zur Folge, der ob all der Abwei‐ chungen vom ursprünglichen Zeremoniell verzweifelt und den Reisenden wort‐ reich ersucht, sich für ihn und seine Methode beim neuen Kommandeur zu ver‐ wenden (vgl. IDS 43-51). Als sich der Besucher weigert, lässt der Offizier den Verurteilten kurzerhand frei und legt sich - in einer perversen Verkehrung der Mimikry 47 - kurzerhand selbst in die Maschine, die - offenkundig defekt - ihn nicht ordnungsgemäß und deshalb scheinbar besonders grausig tötet ( IDS 57). In Folge verlässt der Reisende die Insel; er lässt den Verurteilten und den anderen Soldaten zurück, nachdem deren Versuch, mit aufs Boot zu kommen, von ihm durch eine wohl kaum human zu nennende Drohgebärde mit einem „schwere[n] geknotete[n] Tau“ ( IDS 59) verhindert worden ist. Dieser Ausgang von und aus Kafkas Strafkolonie - den der unzufriedene Autor mehrfach überarbeitete 48 - hat nicht nur John Zilcosky dazu gebracht, darin eine „Allegorie der Selbstzerstörung des Kolonialismus“ zu sehen: 49 „[…] the story seems to focus on the practice of military justice in general and the dynamics of colonialism in particular,“ schreibt etwa Margret Kohn. 50 Sie kon‐ zentriert sich dabei auf die Figur des Forschungsreisenden, zumal dessen Sicht die Erzählperspektive dominiert, gerade auch in Hinblick auf das Ende: „The figure of the Explorer seems to suggest the ineffectiveness and indecisiveness of the liberal critique of colonial practice.“ 51 In diesem möglichen Gegner der Todesstrafe (vgl. IDS 46) und Kritiker gewaltsamer Kolonialherrschaft alten Stils verkörpere sich ein liberaler Imperialismus; genauso zeige Kafkas Text aber in dessen überstürzter Abreise (und schlußendlicher Komplizität) lediglich die Ohnmacht und Heuchelei, und damit die Skepsis einer möglichen Revision von Herrschaft gegenüber. 52 In der Strafkolonie sei „a cautionary tale for social re‐ formers“, getragen vom Bewusstsein, dass letztlich jede Rechtsordnung auf Ge‐ walt beruhe. 53 Ergänzend dazu vermerkt Bernd Auerochs, eine „aufgeklärte Mo‐ A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 25 54 AUEROCHS 2010: 212. 55 Ebd. 56 AUEROCHS 2010: 211.- BOA 1996: 133 spricht von einer „global vision of modernity in crisis“. 57 Vgl. AUEROCHS 2010: 211 ff.; HONOLD 2008: 493 f.; STREIT 2014; BOA 1996. 58 NEUMANN 2006: 340 u. 339. 59 PIPER 2005: 48; ähnlich auch STREIT 2014: 194 ff. Vgl. auch LE RIDER 2006 / 07: „Il ne peut s’agir d’une colonie austro-hongroise: cette colonie imaginaire est le symbole de la civilisation européenne transformée tout entière en une colonie pénitentiaire.“ (81 f.) 60 BOA 1996: 134. 61 Ebd. 135. 62 Vgl. dazu BORN 1990; vgl. auch BOES 2017. derne“, für die der Reisende „- wie der neue Kommandant und seine Damen - steht“, sei eine Ära „der nur scheinbaren Humanität“, 54 die - in einer funda‐ mentalen Unterminierung des Fortschritt-Paradigmas - nichts anderes „als der Kollaps der Tradition“ sei. 55 Durch diese und andere postkoloniale Lektüren von Kafkas Textes erschließt sich also eine zusätzliche Bedeutungsdimension dieser „‚schwarze[n]‘ Gesell‐ schaftsgeschichte der Moderne“. 56 Bestehende - bürokratie- und rechtskritische, zeitdiagnostische, genderbasierte, metaphysisch-religiöse, existenzialistische und biografisch-metaliterarische - Ansätze 57 werden ergänzt, ohne ihnen wirk‐ lich zu opponieren, indem in der polyvalenten Unerschöpflichkeit der Kafka’‐ schen Allegorese bisher unterbelichtete Interpretamente der (ver)waltenden Unmenschlichkeit zum Vorschein kommen. In der Strafkolonie werde der Autor, so Bernd Neumann, zum „Ethnologe[n] der eigenen [„zerfallenden“] Kultur“. 58 In eben diesem Zusammenhang hat Karen Piper auch auf eine spezifisch ‚ka‐ kanische‘ Dimension des Textes aufmerksam gemacht, indem sie das Verstän‐ digungsproblem der Figuren auf das multiethnische setup des Habsburger Mo‐ narchie zurückprojiziert. 59 Ähnlich funktioniert auch die Kontextualisierung von Elizabeth Boa, wonach Kafkas Erzählung einen der „breakdowns“ des „an‐ cient mechanism of social subordination“ zeige: 60 „the unwinding of a creaking state bureaucracy, like that of Austria-Hungary, served by a soldier-bureaucrat blind to its imminent collapse“. 61 Es sind Interpretationsstränge wie diese, die im Rahmen unseres Buches noch eine wichtige Rolle spielen werden (und dass eine postkoloniale Sicht auf die tropische Strafkolonie nicht völlig überzogen ist, zeigen auch denkwürdige Motiv-Ähnlichkeiten zwischen Kafka und Joseph Conrad an - wiewohl man die Werke des polnisch-britischen Autors in der Bib‐ liothek seines Prager Zeitgenossen vergeblich suchen wird. 62 ) A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 26 63 Vgl. dazu die Bibliografie in DÜRBECK & DUNKER 2014: 628 ff. 64 Vgl. DUNKER 2014: 290-298 und LEMON 2011: 88 ff. 65 Vgl. dazu das Vorwort zur vorl. Arbeit. 66 Vgl. DÜRBECK 2014: 24 f.; vgl. etwa auch GRÜNDER 1991. 3. Postkolonialismus & Orientalismus in der (Österreich)-Germanistik Ähnlich postkolonial gestimmte Re-Lektüren wie die eben präsentierte haben jedenfalls auch andere Kafka-Texte in Anspruch genommen, beispielsweise Beim Bau der chinesischen Mauer ( EA 1931), Das Schloß (1926), Bericht für eine Akademie (1917), Ein Hungerkünstler (1922) und Der Verschollene (entstanden 1911-1914); 63 jüngst wurde etwa auch die kleine Erzählung Schakale und Araber (1917) überzeugend vor diesem Deutungshorizont interpretiert. 64 Daneben sind auch ambitionierte Genre-Studien entstanden, so z. B. zum literarischen Orien‐ talismus als k. u. k. Gesellschaftskritik (Robert Lemon, 2011) oder zur Verschrän‐ kung von kritischer Utopie und Quasi-Kolonialroman in den Werken von Leo‐ pold von Sacher-Masoch, Theodor Herzl, u. a. (Ulrich Bach, 2016). Nicht zu vergessen wären auch - neben dem bereits erwähnten Forschungsnetzwerk Kakanien revisited und den Teamresten des Grazer SFB Moderne 65 - die wenig rezipierte Dissertation des kroatischen Komparatisten Nikola Petković (Univer‐ sity of Texas, 1996) sowie die unentwegten Versuche der Wiener Germanistin Anna Babka, einen speziellen Mix aus Postkolonialismus, Dekonstruktion sowie Gender und Queer Studies in der österreichischen Wissenschaftslandschaft hei‐ misch zu machen. Ansonsten haben sich postkoloniale Zugangsweisen - im Anschluss an die Wiederentdeckung und Aufarbeitung der Geschichte 66 der wilhelminischen „Schutzgebiete“ Togo, Kamerun, Tansania, Namibia und Papua Neu-Guinea (1884-1919) seit den 1980er Jahren - eher in einer deutschen Literaturwissen‐ schaft im engeren Sinne durchgesetzt. Getragen wurde diese Entwicklung der letzten 25 Jahre nicht zuletzt von international agierenden Germanist / inn / en wie etwa Monika Albrecht (Limerick bzw. Vechta), Nina Berman (Columbus), Russell A. Berman (Stanford), Anil Bhatti (Neu-Delhi), Axel Dunker (Bremen), Gabriele Dürbeck (Vechta), Dirk Göttsche (Nottingham), Alexander Honold (Basel), Florian Krobb (Maynooth), Paul Michael Lützeler (St. Louis), John Noyes A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 27 67 Aus Platzgründen muss es eine Auflistung von Schriften bei einer sehr groben Auswahl von Monografien und Sammelbänden belassen: ALBRECHT 2008; BABKA & DUNKER 2013; BERMAN 1998, 2011; BHATTI & TURK 1998; DUNKER 2005; 2008; DÜRBECK 2007; DÜRBECK & DUNKER 2014; GÖTTSCHE 2013; HONOLD & SCHERPE 2000, 2004; HONOLD & SIMONS 2002; LÜTZELER 1997, 1998; NOYES 1992; UERLINGS & PATRUT 2012; WILKE 2007. Zahlreiche andere Beiträge dieser Forscher / innen und anderer finden sich in der für den deutschen Bereich sehr gründ‐ lichen Gesamtbibliografie in DÜRBECK & DUNKER 2014: v. a. 579-602. 68 Vgl. DÜRBECK 2014: 25 und die Bibliografie in DÜRBECK & DUNKER 2014: 647 f. 69 Vgl. etwa UERLINGS & PATRUT 2012. 70 Diese kurze Skizze des Forschungsstand kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit er‐ heben, soll sie doch lediglich dazu dienen, den Ansatzpunkt des vorliegenden Buches zu erhellen und modellieren. Ich belasse es auch bei diesen kursorischen Hinweisen, da zur Entwicklung postkolonialer Perspektiven in der (deutschen) Germanistik bereits die umfänglichen Überblicke bzw. Handbücher von DÜRBECK & DUNKER 2014 und DÜRBECK, DUNKER & GÖTTSCHE 2017 vorliegen. 71 Dies betrifft neben den genannten Autoren immerhin auch Ingeborg Bachmann, Dimitri Dinev, Robert Müller, Charles Sealsfield, Thomas Stangl und Josef Winkler; vgl. die bereits erwähnte Autorenbibliografie in DÜRBECK & DUNKER 2014: 609-651. (Toronto), Klaus Scherpe (Berlin), Franziska Schößler und Herbert Uerlings (Trier), oder Sabine Wilke (Seattle). 67 So hat sich rund um Uwe Timms Roman Morenga (1978) als zentralem Text 68 ein veritabler postkolonialer Kernkanon in der Germanistik etablieren kön‐ nen. 69 Er enthält Klassiker wie Georg Forsters Reise um die Welt (1780), Ale‐ xander von Humboldts Schriften, Kleists Verlobung in St. Domingo (1811), Goe‐ thes West-östlichen Divan (1819) und Wilhelm Raabes Stopfkuchen (1868), neben der Abenteuerliteratur von Karl May sowie Kinder- und Jugendbüchern; Kolo‐ nialromane im engeren - und problematischen - Sinn wie Peter Moors Fahrt nach Südwest (Gustav Frenssen, 1906) oder Hans Grimms Volk ohne Raum (1926); Reise- und postkoloniale Literatur im engeren Sinn aus der Zwischenkriegszeit wie Alfred Döblins Amazonas-Trilogie (1937 / 38) ebenso wie Nachkriegsautoren vom Schlage eines Hubert Fichte, Günter Grass (Zunge zeigen, 1988) und Bodo Kirchhoff, aber auch Migrantenliteratur von May Ayim, Emine Sevgi Özdamar, Rafik Schami oder Yoko Tawada. 70 Gemäß dem bereits erwähnten Standardargument, dass Österreich(-Ungarn) über keine (Übersee-)Kolonien verfügt habe (das in der vorliegenden Arbeit kritisch hinterfragt werden soll), werden aber Autoren aus diesem post / impe‐ rialen Kontext nicht speziell thematisiert oder - wie im Falle Kafkas - still‐ schweigend eingemeindet, wie besonders anhand des Sammelbands Postkolo‐ niale Germanistik deutlich (2014) wird: 71 Ähnliches gilt für Schweizer Autoren wie Urs Widmer oder Christian Kracht, der mit seinem Roman Imperium von 2012 immerhin zu den Meistuntersuchten im Feld gehört; Lukas Bärfuss’ exzel‐ A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 28 72 Vgl. den Sammelband Postkoloniale Schweiz (PURTSCHERT, LÜTHI & FALK 2012) u. JOHNSTON 2017. 73 Vgl. etwa BABKA 2009; BERMAN 1996; BOGDAL 2007; CONCETTI 2002; DUNKER 2014; DUNKER & HOFMANN 2014; FEICHTINGER 2014; GÖRNER & MINA 2006; HEIMBÖCKEL 2014; KONTJE 2004; LEMON 2011; POLASCHEGG 2005; STAMM 2004; u. a. 74 Vgl. etwa BORN & LEMMEN 2014; HODKINSON u. a. 2013: 2 ff. u. a. Ebenso gibt es Studien zur antisemitischen und antiziganistischen Orientalisierung ethnischer Diffe‐ renz innerhalb Zentraleuropas (dem ‚inneren Orient‘) z. B. mit BERMAN 1996: 260-345, ROHDE 2005, HEIMBÖCKEL 2014: 18 ff., u. a. 75 Vgl. dazu FEICHTINGER 2014: 38. 76 Vgl. SIMONS 2002; GÖRNER 2006; DUNKER 2014; u. a. 77 GÖRNER 2006: 165.- In diesem Zusammenhang ist signifikant, was Hofmannsthal in seinen Wiener Briefen II & IV (geschrieben für die amerikanische Zeitschrift The Dial schreibt: „Wien ist die porta Orientis auch für jenen geheimnisvollen Orient [! ], das Reich des Unbewußten […]. Freuds Interpretationen und Hypothesen sind Exkursionen des bewußten Zeitgeistes an die Küsten dieses Reiches“ (HOFMANNSTHAL 1979 IX: 195; vgl. GÖRNER 2006: 172). lenter Roman Hundert Tage (2008) über den Völkermord in Ruanda indes blieb von Dürbecks und Dunkers „Bestandsaufnahme“ überhaupt unerfasst. 72 Ergiebiger ist Österreich bzw. Habsburg als Forschungsgegenstand themati‐ siert, wenn es in Anschluss an Edward Saids feldbegründendes Werk von 1978 um die Analyse des Orientalismus in deutschsprachigen Ländern 73 bzw. in Zent‐ raleuropa 74 geht, die sich mit postkolonialen Ansätzen naturgemäß verschränkt und überlappt. Hier ist die austriakische Präsenz deutlicher, zumal ja Österreich durch die gemeinsame Sprache und durch herausragende Forscherpersönlich‐ keiten wie Josef Hammer-Purgstall (1774-1856) entscheidend am deutschen Orientalismus-Diskurs partizipiert hat und gerade Wien nicht nur bei Hugo von Hofmannsthal als „Porta Orientis“ 75 firmiert. Bemerkenswert ist auch der lite‐ rarische Orientalismus in der Habsburger Monarchie um 1900, für den Hof‐ mannsthals Märchen der 672. Nacht (1895), aber auch andere Texte exemplarisch stehen. 76 Rüdiger Görner beispielsweise hat gezeigt, wie sich der literarisch gepflogene Jahrhundertwende-Orientalismus mit Positionen des Modernismus ver‐ schränkt, d. h. wie er dazu verwendet wird, eine ästhetische Gegenwelt zum herrschenden Positivismus, „Ökonomismus und Reduktionismus“ aufzubauen und damit einen Beitrag zur Krise des Ichs um 1900 sowie deren Repräsentation und Überwindung zu leisten: 77 Bei Hofmannsthal stehe das Orientalische nahezu konsistent für einen bestimmten Vorstellungshorizont, eine imaginatio perpetua, die sich im Zustand permanenter Selbstbefruchtung befindet. Hofmannsthal schätzte das Orientalische als eine ästhetische Ausdrucksform, die A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 29 78 GÖRNER 2006: 170 f. Vgl. Davids Spurrs Analyse des Kolonialdiskurses in Bezug auf den Orient (SPURR 1993: 142 ff.). Vgl. auch HONOLD & SCHERPE 2004. 79 LEMON 2011: 1 f.; vgl. BERMAN 1996. 80 LEMON 2011: 9, vgl. 2. 81 FEICHTINGER 2014: 55 u.vv. 82 FEICHTINGER & HEISS 2013.- Siehe dazu näher in Abschnitt C.2 der vorl. Arbeit. keiner Unterscheidung zwischen Innen- und Außenwelt mehr bedarf; sie ist die Ein‐ heit von Innen und Außen: das orientalische Ornament, der arabische Schriftzug, die Arabeske, sie galten ihm als sichtbare Zeichen eines unaufhörlichen Traumes, man könnte sagen, als Seismographen träumerischer Bewegungen und Erregungen. […] Hofmannsthal ließ keinen Zweifel daran, daß er im ästhetischen Orientalismus nicht in erster Linie ein narratives Verfahren sah, sondern einen genuin poetischen Wert. 78 Der Orient biete so den österreichischen Zerrissenen des Fin de siècle ein ho‐ listisches Modell einer zumindest imaginären idenitären - oder besser gesagt: identifikatorischen - Einheit. Dem gegenüber hat Robert Lemons Monografie Imperial Messages (2011) - ähnlich wie schon vorher Nina Berman - die „ori‐ entalist fiction“ nicht nur Hofmannsthals, sondern auch anderer Autoren der deutschsprachigen Literatur / en Österreich-Ungarns einer kontextualisier‐ enden Lektüre unterzogen: Literarischer Orientalismus made in Austria sei „marked by self-reflection and self-critique“ der Doppelmonarchie in ihrer Spät‐ phase; 79 Kafkas Texte über das ‚Reich im Osten‘ beispielsweise evozierten „China in order to allude to the Habsburg Empire“. 80 Parallel dazu hat Johannes Feich‐ tinger gezeigt, wie in den populären Bilderwelten einer kollektiven kulturellen Imaginären um 1900 sich die Identitätskonstruktionen und wechselseitigen Ab‐ grenzungen der verschiedenen k. u. k. Ethnien auch durch phantasmatische „Orientalisierungsprozesse“ entlang „asymmetrischer Machtverhältnisse“ voll‐ ziehen. 81 Zusammen mit Johann Heiss hat Feichtinger weiters auf die Ko-Exis‐ tenz mehrerer - gegenläufiger - Orientalismen in der k. u. k. Ära hingewie‐ sen. 82 Diesen spezifischen Charakter der politischen Symbolisierung bzw. Allego‐ rese im Bereich orientalistischen bzw. post / kolonialen Schreibens in Österreich im 19. und 20. Jahrhundert gälte es stärker zu berücksichtigen - gerade in Hin‐ blick auf Modelle der „inneren Kolonisierung“ Europas, die in Anschluss an Michael Hechters paradgimenbildendes Werk Internal Colonialism: The Celtic Fringe in British National Development, 1536-1966 von 1975 entwickelt und dis‐ A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 30 83 Vgl. etwa die historiografische Diskussion bei KANN 1977; SUPPAN 1978; KOLM 2001: 235 ff.; DETREZ 2002; UHL 2002; WAGNER 2002; CSÁKY u. a. 2003; HEALEY & DAL LAGO 2014. 84 Dies gilt für das DFG-Netzwerks „Postkoloniale Studien in der Germanistik“ und den SFB 600 an der Universität Trier. Beispielhaft dafür ist der Beitrag „Binneneuropäischer Kolonialismus als deutscher [! ] Selbstentwurf “ (PATRUT 2014) im umfänglichen Über‐ blickswerk Postkoloniale Germanistik. Eine löbliche neuere Ausnahme stellt der Dis‐ kussionsbeitrag von ANNUS, BOBINAC u. a. 2017 dar, an dem freilich ein renom‐ mierter Zagreber Germanist mitgearbeitet hat, der seit vielen Jahren selbst dem Kakanien revisited-Netwerk angehört. 85 LEMON 2011: 5. 86 Etwa im neuen Handbuch von DÜRBECK, DUNKER & GÖTTSCHE 2017, das knapp vor der Drucklegung der vorl. Studie erschien. 87 SAID 1993: 51 ff.; dieser zentrale Begriff des „contrapuntal reading“ wird im Folgenden (A.2.10) noch diskutiert werden. 88 PURTSCHERT, LÜTHI & FALK 2012. Jüngst hat auch Jonny Johnston am Trinity College eine Doktorarbeit zum Thema abgeschlossen (JOHNSTON 2017). kutiert worden sind. 83 Deshalb ist es auch verwunderlich, dass die Habsburger Monarchie um 1900 als vom Deutschen Reich deutlich abweichender Bezugs‐ rahmen in den tonangebenden Überblickswerken kaum wahrgenommen wird bzw. die vorliegenden Forschungsergebnisse des zentraleuropäischen Netz‐ werkes Habsburg postcolonial/ Kakanien revisited donauaufwärts kaum rezipiert worden sind. 84 Dies hat Robert Lemon dazu gebracht, in seiner Arbeit die post‐ koloniale „assumption of a German perspective“ als ihrerseits latent kolonial zu kritisieren: „In this way, Dunker maintains the longstanding quasi-colonial claim of German Germanistik over Austrian and Austro-Hungarian literature and culture.“ 85 Erst jüngst sind gewisse Ansätze zu einer Verbesserung dieses Missverhältnisses bemerkbar. 86 Das Bedürfnis nach einer differenzierteren und ausgewogeneren Sichtweise, das mit der Publikation des vorliegenden Buches angesprochen werden soll, entspringt aber keineswegs einem reaktiven Literatur-Nationalismus des klei‐ neren Landes. Vielmehr steht dahinter die Überzeugung, dass die Berücksich‐ tigung des - verdrängten, aber doch sehr spezifischen - Kolonialkomplexes der imperial-historischen Kultur / en der Habsburger Monarchie neue supranatio‐ nale, komparative - und „kontrapunktische“ Lektüren im Sinne von Edward Said 87 - ermöglicht und bisher übersehene Facetten der k. u. k. Kultur / en zutage fördert; ein Unternehmen, das, um den Untertitel des Sammelbands Schweiz postkolonial  88 zu paraphrasieren, möglicherweise auch „Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien“ inkludiert. A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 31 89 Vgl. AHMAD 1992 / 2008; HUGGAN 2001; McCLINTOCK 1995; PARRY 1987. Eine kritische Bestandsaufnahme findet sich bereits in HALL 1996; jüngst bei DÜRBECK, DUNKER & GÖTTSCHE 2017. 90 Vgl. die Quellenangaben des vorangegangenen Forschungsberichts und speziell BACH 2016. Zu Emil Franzos und Leopold Sacher-Masoch etwa STROHMAYER 2011; zu Jo‐ seph Roth etwa MÜLLER-FUNK 2002a, 2003 u. 2012; zusätzlich zu Adalbert Stifter METZ 2006. 4. Zur Anlage der vorliegenden Arbeit Aus dem bisher Gesagten ergibt sich folgendes Arbeitsprogramm: Zunächst sollen die Begrifflichkeiten ‚Kolonie‘ bzw. ‚Kolonialismus‘ kritisch auf ihre Übertragbarkeit auf das habsburgische Staatsgebilde im „langen 19. Jahrhun‐ dert“ (Eric Hobsbawm) operationalisiert werden - ein Zeitraum, der sinnvol‐ lerweise vom Wiener Kongress (als dem letzten Ende der Aufklärung, der fran‐ zösischen Revolution und napoleonischen Kriege) bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs anzusetzen wäre. Nicht intendiert wird eine Gesamtevaluation der Post / Colonial Studies, zumal diese Sinnfrage nach den Meriten und shortco‐ mings dieser akademisch und verlagstechnisch äußerst erfolgreichen Disziplin in den letzten 20 Jahren wiederholt und umfänglich - und sehr kritisch - von Aijaz Ahmad, Graham Huggan, Anne McClintock, Benita Parry, u. v. a. 89 gestellt wurde. Diese Diskussion soll nicht wieder aufgegriffen werden, sondern die Frage vielmehr ex positivo gestellt werden: Inwieweit sich eine interkulturell und kulturwissenschaftlich orientierte Österreich-Germanistik von Erkennt‐ nissen und Zugangsweisen der Post / Colonial Studies als „travelling concepts“ (Mieke Bal) inspirieren lassen kann, ohne die besondere Eigenheit ihres habs‐ burgischen Gegenstands aus dem Auge zu verlieren. Dafür wird eine entsprechend kritisch redigierte literatur- und kulturwis‐ senschaftliche Imagologie - die Erforschung von Selbst- und Fremdbildern, wie sie in der Komparatistik aufgekommen ist - als toolset für die folgenden Fall‐ studien präsentiert werden, die eine koloniale Diskursanalyse in der Nachfolge von Edward Said, David Spurr und anderen versuchen. Im Brennpunkt stehen drei paradigmatische Autoren und deren Texte aus dem germanistischen For‐ schungskanon Österreich-Ungarns (Franz Grillparzer, Peter Altenberg und Alfred Kubin), die als symbolische Ausdrucksformen eines „kolonialen Begeh‐ rens“ bzw. eines symbolischen Ersatz-Kolonialismus verstanden werden, in Er‐ gänzung zu bereits intensiver erforschten Autoren wie Kafka, Hofmannsthal, Sacher-Masoch, Emil Franzos oder Joseph Roth. 90 Der zweite Teil der Fallstudien schließlich widmet sich mit einem erweiterten Literaturbegriff kulturellen A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 32 91 Im Sinne der für unsere Monografie vorbildhaften Studie von David Spurr sind dies: „imaginative literature, journalism, travel writing, ethnographic description, historio‐ graphy, political speeches, administrative documents, and statutes of law“ (SPURR 1993: 5). 92 Vgl. SIMONEK 2001 / 2002; REISENLEITNER 2002, 2003. 93 Gleichsam in einer wissenschaftlichen Parallelaktion hat sich etwa der belgische Slawist Stijn Vervaet einem wichtigen Aspekt eben dieses Themas gewidmet: der literarischen und kulturellen Reaktion - bzw. dem Widerstand - bosnischer Autoren gegenüber der österreichisch-ungarischen Herrschaft; vgl. VERVAET 2004, 2013, 2015 u. 2018; vgl. auch PRELJEVIĆ 2018). 94 Parallel zur vorliegenden Studie arbeitet auch meine Wiener Kollegin Anna Babka an einem Buch, das ihre von Dekonstruktion und Gender / Queer Studies geprägten Ar‐ beiten zum Thema exemplarisch vereinen soll (vgl. BABKA i.V.). Texten 91 aus dem Umfeld der habsburgischen Okkupation (1878) und Annexion (1908) Bosnien-Herzegowinas, die als koloniale Ersatzhandlung interpretiert wird; dabei kommt dem hegemonialen Schrifttum die Funktion einer kulturellen Kolonisierung des Territoriums zu, die durchaus mit Formen des britischen und französischen Imperialismus um 1900 vergleichbar ist - soweit die zentrale These. Die vorliegende Arbeit versteht sich also primär als Analyse eines dispa‐ raten - phantasmatischen, aber auch pragmatischen - deutsch-österreichisch imperialen Kolonialdiskurses innerhalb der Habsburger Monarchie. Was indes nur ansatzweise geleistet werden kann, ist die Thematisierung einer literari‐ schen Opposition nicht-deutschsprachiger Autoren und Autorinnen gegen diese kulturelle Hegemonie des Zentrums. Dies schuldet sich freilich nicht einer un‐ reflektierten zweiten Entmündigung etwa der Südslawen, wie voreilige Kritiker moniert haben, 92 sondern einfach der wissenschaftlichen Expertise des Verfas‐ sers, die freilich durch andere Ansätze innerhalb des Kakanien revisited-Netz‐ werks ergänzt worden ist. 93 Ebenso können Bezüge zu zeitgenössischen k. u. k. Orientalismen lediglich kursorisch hergestellt werden, da auch sie wohl Ge‐ genstand einer eigenständigen Studie sein müssten. Eine abschließende Zusammenschau der Ergebnisse soll dementsprechend auch in einen Ausblick münden, der künftige Antworten auf die Frage nach dem Fortwirken der kolonialen Blicke und Bildkomplexe in der österreichischen Li‐ teratur des 20. Jahrhunderts - bis hin zu Peter Handkes Jugoslawienkrieg-Texten oder Christoph Ransmayrs postmoderner Abenteuerliteratur - vorbereiten soll. Ich hoffe jedenfalls, damit meine in den letzten eineinhalb Jahrzehnten gewach‐ senen Ansätze und Positionen in einer konklusiven Weise zusammenzuführen und einer künftigen Forschung weitere Anstöße zu geben. 94 Generell gilt freilich, was schon Peter Hulme vor 30 Jahren über seine eigene Studie Colonial En‐ counters schrieb: „The venture, it should be said, is archeological: no smooth A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 33 95 HULME 1986: 12. history emerges, but rather a series of fragments which, read speculatively, hint at a story that can never be fully recovered.“ 95 A.0. BestandsAufnahmen: Forschungsstand & Projektskizze 34 1 MUSIL 1978: 33. 2 Vgl. etwa HARDT & NEGRI 2000 u. MÜNKLER 2005. 3 Politikos, 293d-e; vgl. auch die Gesetze. 4 Vgl. YOUNG 2015: 3 f. 5 Vgl. SAID 1993: 8. A.1. K. u. k. postcolonial: Habsburgs ‚Kolonialismus‘ als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise […] die Worte Kolonie und Übersee hörte man an wie etwas noch gänzlich Uner‐ probtes und Fernes. (Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften) 1 Die Geschichte des Imperialismus und Kolonialismus überschattet und über‐ dauert in ihren Auswirkungen das angebliche Ende des Letzteren, und sie hat lange vor dem langen 19. Jahrhundert begonnen. 2 Schon bei Platon findet sich der Gedanke, dass eine polis ihren Bevölkerungsüberschuss durch Gründung neuer „Pflanzstädte“ jenseits des Meeres planvoll und produktiv abführen müsse. 3 Mehr als 2000 Jahre später kennt Bartholomew’s Century Atlas of the World (London 1902) lediglich 37 unabhängige „Principal States“; deren „Colo‐ nies and Protectorates“ werden nicht mitgezählt. 4 Auf diese Weise sind 1914, als Kafka seine Strafkolonie schreibt, zirka 85 % der globalen Landmasse Kolo‐ nien. 5 Wie jeder auch noch so kurze historische Abriss suggeriert, kann man Aus‐ wanderung und - als ihr Komplementärphänomen - Gebietserweiterung nach‐ gerade als anthropologische Konstanten ansehen. In seiner 1995 erstmals for‐ mulierten Typologie unterscheidet Jürgen Osterhammel zwischen (1) der „Totalmigration ganzer Völker und Gesellschaften“ wie z. B. in der sog. Völker‐ wanderung, (2) „massenhafte[r] Individualmigration“ wie z. B. in die Neue Welt oder aus der sog. Dritten Welt nach Europa, (3) „Grenzkolonisation“ (das „Hin‐ ausschieben einer Kultivierungsgrenze“ wie z. B. im frontier-Gedanken der USA im 19. Jh.), (4) „überseeische[r] Siedlungskolonisation (in Nordamerika, Austra‐ 6 OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 9-15. 7 Ebd. 8. 8 PELIZAEUS 2008: 14. 9 Zur (Vor-)Geschichte der antiken Kolonisierung vgl. YOUNG 2015: 28 ff. 10 Vgl. WITTGENSTEIN 1982: § 66 ff. 11 Vgl. PARRY 1983; REBER 2002; AHMAD 2008: 181 ff.; u. a. 12 Vgl. OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 7. 13 Vgl. etwa die Diskussion in Anschluss an HECHTER 1975 bei KANN 1977; SUPPAN 1978; HIND 1984; NOLTE 1991; McCAGG 1992. Nach der Jahrtausendwende wurde diese Diskussion speziell einer inneren Kolonisierung Österreich-Ungarns nochmals aufgerollt, v. a. auf der wissenschaftlichen Internet-Plattform Kakanien revisited (www.kakanien.ac.at) sowie in den folgenden Monografien, Sammelbänden und Auf‐ sätzen: GLAJAR 2001; DETREZ 2002; MÜLLER-FUNK, PLENER & RUTHNER 2002; RUTHNER 2002a u. 2002b; MÜLLER-FUNK 2002a; UHL 2002; WAGNER 2002; SI‐ MONEK 2002; REISENLEITNER 2002, 2003; CSÁKY u. a. 2003; STACHEL 2003; SAUER 2002 / 2007; METZ 2006; DONIA 2007 / 2015; SIRBUBALO 2012: 5 ff.; FO‐ TEVA 2014; PATRUT 2014; PREVIŠIĆ 2014: 18-45; RUTHNER u. a. 2015; vgl. auch HEALEY & DAL LAGO 2014. lien / Neuseeland, Südafrika, der Karibik etc.), (5) „reichsbildendende[n] Erobe‐ rungskriege[n]“ wie etwa bei Dschingis Khan und (6) der „Stützpunktvernet‐ zung“ z. B. der Regionalmächte Genua und Venedig im Mittelmeer oder der Briten und Portugiesen in Singapur, Hongkong und Macau. 6 Bevor er noch diese Kategorien entwickelt, moniert der deutsche Fachhisto‐ riker auch, dass Kolonisation „ein Phänomen von kolossaler Uneindeutigkeit“ sei; 7 ebenso sehen andere Forscher / innen den Begriff des Kolonialismus zu‐ mindest als „umstritten“. 8 Und in der Tat stellt sich die Frage, ob die antik-grie‐ chische Kolonisierung der Mittelmeerküsten, die militärischen Eroberungen der Römer, 9 die sich in Zentral- und Osteuropa festsetzenden deutschen Kolonisten des Mittelalters und der Frühneuzeit, die Entdeckung / Besiedlung Amerikas und die großen europäischen Kolonialreiche der Moderne kommensurable Phäno‐ mene sind. Was wäre also (mit Wittgenstein gesprochen) die „Familienähnlich‐ keit“ 10 zwischen jenen europäischen Expansionsbewegungen und beispielweise den historischen Großreichen Asiens? Zugespitzt formuliert: Wie eurozentrisch ist eine historiografische Theorie des Kolonialismus? Anderseits: Läuft ein wahrhaft globaler Begriff nicht wiederum Gefahr, sich - ähnlich wie Saids „Ori‐ entalismus“ 11 - dem Vorwurf künstlicher, ahistorischer Universalität auszu‐ setzen? 12 Die um die Jahrtausendwende aufgekommene historisch-kulturwissen‐ schaftliche Debatte, inwieweit das Kolonialismus-Paradigma produktiv auf in‐ nereuropäische und speziell habsburgische Verhältnisse umgelegt werden könnte, zeitigt indes immer neue Ergebnisse. 13 Dies hat auch den Verfasser der vorliegenden Studie - der am Zustandekommen eben jener Diskussion nicht A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 36 14 Vgl. RUTHNER 2001, 2002 u. a. 15 Die auch ANNUS, BOBINAC u. a. 2017 zu teilen scheinen. ganz unschuldig war - dazu gebracht, auf seine eigenen Positionen, die erst eher programmatisch als mit dem Anspruch auf Vollständigkeit geäußert wurden, noch einmal zurückzukommen. In Ergänzung zu früheren Texten 14 erscheint es angebracht, die verschiedenen Anwendungsfälle noch einmal zu differenzieren, in denen das Paradigma ‚Kolonialismus‘ in Hinblick auf „Kakanien“ operatio‐ nalisiert wird. Im Wesentlichen dürfte es sich dabei um folgende Szenarien han‐ deln: 15 1. Österreich-Ungarn wird historisch-sozialwissenschaftlich als (Pseu‐ do-)Kolonialmacht angesehen, die sich anderssprachiger Territorien im‐ perialistisch bemächtigt hat, um sie zu beherrschen und ökonomisch aus‐ zubeuten; damit wird ein innerkontinentaler Kolonialismus als historischer Befund ausgesprochen. 2. Wie in Fall 1 wird dem späten Habsburger Reich unterstellt, so etwas wie eine Kolonialmacht gewesen zu sein; dies geschieht jedoch v. a. rhetorisch, d. h. häufig in polemischer Form im Rahmen eines zeitgenössischen bzw. zeitspezifischen Diskurses (als Befindlichkeit). 3. Es wird eingeräumt, dass die k. u. k. Monarchie zwar keine Kolonialmacht im engeren Sinne war, dass aber ihre symbolischen Formen ethnisch dif‐ ferenzierender Herrschaft - d. h. ihre kulturellen Formatierungen und Bilderwelten - Ähnlichkeiten zu jenen überseeischer Kolonialreiche auf‐ weisen (Imagologie und Identitätspolitik). Vorgeschlagen wird hier also eine heuristische Denkfigur bzw. ein Vergleich als kritische Betrachtungs‐ weise. Im Folgenden soll versucht werden, diese drei Positionen noch einmal darzu‐ stellen und einen Beitrag zu ihrer weiteren Diskussion zu leisten. 1. Kolonialismus als Befund: der sozialwissenschaftliche & historische Diskurs Als erster Schritt zu einer näheren Bestimmung unseres Fokus sollen nun his‐ toriografisch-sozialwissenschaftliche Definitionen von Kolonie, Kolonisierung bzw. Kolonialismus aus gängigen Handbüchern, Fach-Enzyklopädien und Stan‐ dardwerken herangezogen und diskutiert werden. Gleichwohl empfiehlt sich eine gewisse Vorsicht im Hinblick auf ältere Texte dieses Genres, die häufig auf Grund ihrer zeitlichen und sogar geistigen Nachbarschaft zur Endphase des eu‐ A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 37 16 Vgl. die Lemmata „Kolonien (I und II)“, in: BECKERATH u. a. 1956 ff. 4: 57-74. Vgl. auch die von RIESZ 1983: 16 zitierte Kolonie-Definition von E. Meyer aus den Jahren 1961 / 62: „Herrschaftsgebilde europäischer Staaten in fremden Erdteilen, wie Afrika und Asien, mit kulturell meistens zurückgebliebener [! ] oder überwiegend primitiver [! ] Bevölkerung, die von europ. Regierungen und Beamten regiert und verwaltet werden und wirtschaftlich meist Rohstoffgebiete darstellen.“- Die Theoriebildung deutscher Provenienz in Sachen (Post-)Kolonialismus wäre wohl auch ein interessantes Objekt für eine eigene Untersuchung. Bei den erwähnten Hand‐ wörterbuch-Artikeln etwa fällt auf, wie sie einerseits verhalten kolonialismuskritisch auftreten, andererseits eine Fundgrube nicht nur für rousseauistische, sondern auch rassistische Klischees (nach 1945! ) darstellen, z. B. wenn von der „Rassenmischung“ in den Kolonien die Rede ist: „Die Verbindung zwischen Individuen verschiedener Rassen bringt im allgemeinen Individuen hervor, die durchschnittlich hochwertiger sind als die Vorfahren. […] Natürlich gibt es auch Vermischungen, bei denen die Nachkommen minderwertiger [! ] […] sind, so die Mischlinge von Weißen und Negern, die Mulatten.“ (ebd. 60) Von „Hybridität“ kann hier also noch keine Rede sein. 17 Vgl. dazu BALANDIER 1966 und Kap. C.0. der vorl. Arbeit. 18 EMERSON 1968: 1. 19 Vgl. OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 21. ropäischen Kolonialismus in der Nachkriegszeit wenig brauchbar sind. 16 Den‐ noch liegt bereits mit Rupert Emersons Definition in der International Encyclo‐ pedia of the Social Sciences von 1968 eine praktikable Arbeitshypothese vor: Colonialism is the establishment and maintenance, for an extended time, of rule over an alien people that is separate from and subordinate to the ruling power. It is no longer closely associated with the term ‚colonization‘, which involves the settlement abroad of people from a mother country as in the case of the ancient Greek colonies or the Americas. Colonialism has now come to be identified with rule over peoples of different race inhabiting lands separated by salt water from the imperial center; […]. Some further features of the ‚colonial situation‘ 17 are: domination of an alien minority, asserting racial and cultural superiority over a materially inferior native majority; contact between a machine-oriented civilization with Christian origins, a powerful economy, and a rapid rhythm of life and a non-Christian civilization that lacks ma‐ chines and is marked by a backward economy and a slow rhythm of life; and the imposition of the first civilization upon the second. 18 Dies entspricht im Wesentlichen auch den Ansätzen, die Jahrzehnte später zur Blütezeit der Post / Colonial Studies vorgetragen werden. 19 Wesentlich ist dabei, dass der aus den antiken Kolonien sich herleitende Siedlungsgedanke revidiert worden ist zugunsten der Fokussierung auf eine externe, kulturell fremde Herr‐ schaft, die sich selbst interventionistisch aufoktroyiert: „Modern colonialism A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 38 20 HODDER-WILLIAMS 2001: 2238. Vgl. OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 19; REIN‐ HARD 1996: 1. Ähnliche Bedingungen für den kolonialen Status eines Gebiets nennt schon das deutsche Handwörterbuch der Sozialwissenschaften: „daß die Entstehung des Staates der Gründung der Kolonie vorhergegangen war“ (BECKERATH u. a. 1958: 57) und „daß die Kolonie in einem Abhängigkeits- oder Inferioritätsverhältnis zum Mut‐ terland steht, sei es wegen ihrer weiten Entfernung […], sei es, weil ihre einheimische Bevölkerung als rassisch minderwertig [! ] gilt“ (ebd.; vgl. dazu oben, Fußnote 16). 21 Interessanterweise greift die Definition Osterhammels hier auf kein Territorialprinzip zurück. 22 OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 9 (Hervorh. im Orig.).- Reinhard formuliert: „Der Mini‐ malinhalt des Begriffs Kolonie besteht also in Siedlung oder Herrschaft, der Maximal‐ gehalt in Siedlung und Herrschaft.“ (REINHARD 2008: 3). 23 REINHARD 2001: 2240; vgl. REINHARD 1996: 1. 24 Gemeint ist hier das Auftun neuer Märkte für eigene Fertig- und Halbfertigprodukte verbunden mit einem Rohstoffraubbau in der Kolonie. „Colonialism was an enterprise which would convert […] paupers into customers“, schreibt BOEHMER 1995 / 2005: 39, die Edinburg Review zitierend. 25 REINHARD 2008: 8 f. was not characterized by settlements but by external control.“ 20 Oder, mit den Worten von Jürgen Osterhammel: „‚Kolonisation‘ bezeichnet im Kern einen Prozeß der Landnahme, ‚Kolonie‘ eine besondere Art von politisch-gesellschaft‐ lichem Personenverband, 21 ‚Kolonialismus‘ ein Herrschaftsverhältnis.“ 22 Auch die meisten anderen Theoriebeiträge trachten, diese drei Begriffe von einander abzuheben. Wolfgang Reinhard schreibt etwa, ‚Kolonisierung‘ habe zwar prinzipiell mit „Migration“ zu tun; der Begriff verliere jedoch seine relativ neutrale Bedeutung (’Siedlungswesen’) im Lauf des 19. Jahrhunderts, was - so wäre hinzuzufügen - seiner breiten Anwendung und Aufladung im Rahmen eines gesamteuropäischen Kolonialismus Vorschub leistet: We have no choice but to accept the change of meaning that colonialism has under‐ gone, though we can try to neutralize political emotions. In this sense, colonialism can be defined as the control of one people by another, culturally different one, an unequal relationship which exploits differences of economic, political, and ideological development between the two. 23 Reinhard macht drei Hauptmotive für den Kolonialismus namhaft: 1) „sozio-ökonomische Antriebe“ 24 bzw. der „Wille zur Modernisierung“, 2) „ex‐ tensive Vorwärtsverteidigung“ (Expansionismus? ) sowie 3) „ideologische, reli‐ giöse, kulturelle Antriebe“ (also die ‚missionarische‘ Seite der Kolonisation). 25 Struktureller geht Osterhammel vor, der zu einer weiteren Ausdifferenzierung des Begriffs drei wesentliche Faktoren formuliert, die im Fall des Kolonialismus verwirklicht sein müssten: A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 39 26 OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 19 f. 27 Speziell zu Österreich-Ungarn und Bosnien-Herzegowina vgl. OKEY 2007; RUTHNER u. a. 2015. 28 FEICHTINGER 2003: 14 [Hervorh. im Orig,]. 29 Ebd. 22. 30 Ebd. 14. 31 MÜNKLER 2005: 89 u. 88. 32 Vgl. GRUZINSKI 1988. 33 „Sie können sich nicht vertreten, sie müssen vertreten werden“, schreibt MÜLLER-FUNK 2016: 150 unter Bezugnahme auf Edward Said. Vgl. auch SPIVAK 1988 / 1994. Erstens […] ein Verhältnis […], bei dem eine gesamte Gesellschaft ihrer historischen Eigenentwicklung beraubt, fremdgesteuert und auf die - vornehmlich wirtschaftli‐ chen - Bedürfnisse der Kolonialherrn hin umgepolt wird. […] Zweitens ist die Art der Fremdheit zwischen Kolonisierern und Kolonisierten von großer Bedeutung. […] Der dritte Punkt schließlich hängt mit dem zweiten eng zusammen. Moderner Kolo‐ nialismus ist nicht nur ein strukturgeschichtlich beschreibbares Herrschaftsver‐ hältnis, sondern zugleich auch eine besondere Interpretation dieses Verhältnisses. 26 Gerade die dritte Facette der systemimmanenten Auto-Interpretation und Selbstrechtfertigung des Kolonialismus dürfte im Rahmen eines Theorietrans‐ fers auf die Habsburger Monarchie noch von besonderer Bedeutung sein. 27 Mit Berücksichtigung des k. u. k. Kontexts hat im Übrigen auch Johannes Feichtinger eine erste Fokussierung der Begrifflichkeit versucht und „drei Spielarten“ des Kolonialismus unterschieden: Einerseits durch direkte Machtausübung mit gleichzeitiger Implementierung fremder Kultursysteme, anderseits als indirekter Kulturkolonialismus, durch den autochtone kulturelle Strukturen überrollt werden, und schließlich als ein Kolonialismus, der sich auf die Ausbeutung ökonomischer Ressourcen anderer beschränkt. 28 Feichtinger sieht das erste Szenario nach der Niederschlagung der Revolution in Ungarn 1849 gegeben. 29 Das zweite Szenario, den „Kulturkolonialismus“, ver‐ steht er als Prozess, der von einer „Inklusion des Außen“ zu einer „Sinnentlee‐ rung“ bzw. „Exklusion des Anderen“ führt und schließlich zur „Entrückung des Anderen in eine Idealsphäre“ und zur „Entmündigung des Anderen“; 30 Herfried Münkler spricht hier von einer „Kulturalisierung der Macht“, d. h. einer „Trans‐ formation“ von hard in soft power  31 (und durchaus kompatibel dazu hat Serge Gruzinski von einer „colonisation de l’imaginaire“ gesprochen 32 ). Damit kommt einem top-down Modell kultureller Manipulation und Knebelung (d. h. Bevor‐ mundung bzw. Entmündigung) der ‚Eingeborenen‘ große Bedeutung zu 33 (was A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 40 34 So kommt auch Wolfgang Reinhard kurz auf die agency der ‚Urbevölkerung‘, die vom Kolonialismus betroffen ist, und daraus abgeleitete Täter-Opfer-Relationen zu spre‐ chen: „Die Kolonisierten mögen den Kolonialismus geduldig hingenommen, ihm Wi‐ derstand geleistet oder ihn schlau unterlaufen haben, sie mögen mit den Kolonialherren kollaboriert oder von jenen ausgehende Impulse zum sozio-kulturellen Wandel sogar begeistert aufgegriffen haben - in jedem Fall haben sie den Kolonialismus und damit auch die postkoloniale Welt aktiv [? ] mitgestaltet. Täter und Opfer lassen sich zwar auch im Falle des Kolonialismus oft genug deutlich trennen, aber keineswegs immer.“ (REINHARD 2008: 2) 35 Vgl. MANN 2004b: 116 ff. Vgl. auch FOUCAULT 1994 III: 299 ff. 36 Vgl. etwa CONKLIN 1997; FISCHER-TINÉ & MANN 2004; OSTERHAMMEL 2005. 37 Vgl. YOUNG 2015: 61. 38 Vgl. etwa ARENDT 1951 / 1986: 443 ff. über Rudyard Kipling als Schöpfer der zentralen „Legende“ des Kolonialismus. 39 Vgl. OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 20; YOUNG 1995 / 2005; BENNETT 2004; YOUNG 2015: 56; u. a.).- In einer historischen Perspektive ließe sich auch zeigen, wie formative Perioden eines kulturellen Othering, d. h. der diskriminierenden Bestimmung des Fremden, mit Phasen der Expansion und Kolonisation zusammenhängen (wobei sich hier nachgerade ein Henne-Ei-Problem stellt: was war zuerst? ). Dies lässt sich schon anhand des Barbarendiskurses der alten Griechen und Römer zeigen (vgl. etwa WINKLER 2009: 20 ff., insbes. 23 u. 41); andererseits betont YOUNG 2015: 24 die Exis‐ tenz von Rassendiskursen und -hierarchien als den großen Unterschied zwischen rö‐ mischem und modernem Kolonialismus. 40 MÜNKLER 2005: 132 u.ff., 150 u.ff.- Auch Edward Said hat betont, jeder koloniale Im‐ perialismus sei „supported or perhaps even impelled by impressive ideological forma‐ tions that include notions that certain territories and peoples require and beseech do‐ mination, as well as forms of knowledge affiliated with dominance“ (SAID 1993: 8). insbesondere in deren kultureller Repräsentation bzw. deren Widerstand ein zentrales Problem darstellt, wie wir noch sehen werden). 34 Über Michael Mann 35 hinausgehend ließe sich dann auch behaupten, dass der Kolonialismus nicht nur eine Form struktureller Gewalt, sondern - mit Foucault gesprochen - ein Dispositiv ist, d. h. ein Ineinander von Diskurs und Praxis. Auf jeden Fall lässt sich Kolonialismus generell im Kern als Herrschaftspraxis jener Fremdbestimmung von Gebieten und Bevölkerungen bestimmen, die kul‐ turelle Differenz (v. a. entlang von Kategorien wie ‚Rasse‘, Menschheitsentwick‐ lung/ ‚Evolution‘, ‚Fortschritt‘ etc.) zur Rechtfertigung für die externe Macht‐ übernahme im Rahmen einer „mission civilatrice“, 36 „rule of law“, 37 „white man’s burden“, 38 o. ä. operationalisiert; als Konsequenz daraus wird politische Un‐ gleichheit stipuliert und Gewalt rechtfertigt. 39 Wie Münkler gezeigt hat, verfügte so ziemlich jedes historische Imperium über Narrative zur Legitimation der Herrschaft, deren Gewaltbereitsschaft und Expansion, d. h. eine selbst erteilte „Mission“ und komplementär zu deren Bestimmung ex negativo auch einen „Barbarendiskurs“. 40 In Reinkultur ist dies etwa beim Franzosen Jules Harmand A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 41 41 Zit. n. SAID 1993: 17. 42 Nach der Begründung der Imperialismus-Theorie durch den Radikal-Liberalen John Hobson 1903 nimmt diese im marxistisch-sozialistischen Denken einen zentralen Platz ein (vgl. den Reader von BOLLINGER 2004). Meist kommt dabei Lenins Aufsatz von 1916, der als „Grundlage“ des Imperialismus das „monopolistische Stadium des Kapi‐ talismus“ ausmacht (LENIN 1916 / 2004: 160, 154), besondere Aufmerksamkeit zu. Zu‐ treffend erscheint aber auch Lenins Diktum, die Wissenschaftlichkeit des Imperia‐ lismus-Begriffs werde „herabgedrückt auf das Niveau eines Schimpfworts an die Adresse der unmittelbaren Konkurrenten“ (zit. n. BOLLINGER 2004: 10): Gerade zu Zeiten der Sowjetunion galt, dass die Imperialisten immer die anderen sind. Erst seit den 1970er-Jahren ist wieder eine gewisse Neutralisierung, d. h. Depolemisierung und Refokussierung des Terms zu beobachten, z. B. bei LOUIS 1976, MOMMSEN 1979, ROBINSON 1986, MOMMSEN & OSTERHAMMEL 1986, oder DOYLE 1986: 19-47; siehe dazu auch im Folgenden (Fußnote 44). Vgl. auch die Zusammenschau von SEG‐ ESSER 2014. 43 Vgl. ARENDT 1955: z. B. 309 ff.; siehe weiters OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 26 ff.; REINHARD 1996: 1; HODDER-WILLIAMS 2001: 2237; YOUNG 2015: 59 ff.; u. a.- Saids Bestimmung erscheint etwas irreführend, zumal sie wieder Kolonialismus mit Kolonisierung vermischt: „‚imperialism’‚ means the practice, the theory, and the attitudes of a dominating met‐ ropolitan centre ruling a distant territory; ‚colonialism‘, which is almost always a con‐ sequence of imperialism, is the implanting of settlements on distant territories.“ (SAID 1993: 8) zu finden, einem der großen Stichwortgeber des Kolonialismus um 1900, so wie dies ein halbes Jahrhundert zuvor in Großbritannien Thomas Babington Ma‐ caulay war; eine der Schlussfolgerungen in Harmands Buch Domination et Co‐ lonisation (1910) lautet: It is necessary then, to accept as a principle and point of departure the fact that there is a hierarchy of races and civilizations, and that we belong to the superior race and civilization, still recognizing that, while superiority confers rights, it imposes strict obligations in return. The basic legitimation of conquest over native peoples is the conviction of our superiority, not merely our mechanical, economic, and military su‐ periority, but our moral superiority. 41 Mehrere Autoren haben indes auf die schwierige Abgrenzung der historisch nicht unbelasteteten 42 Begrifflichkeit des Imperialismus und des Kolonialismus hingewiesen. Diese ist aber durchaus zu leisten, indem man Letzteren als kon‐ krete Ausprägung, Anwendungsfall bzw. konkrete Herrschaftspraxis des Erst‐ eren (der dann als Oberbegriff fungiert) begreift, wie dies Hannah Arendt u. a. getan haben 43 - ganz egal, wie man Imperialismus selbst im Einzelnen ver‐ A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 42 44 Dabei wäre es durchaus notwendig, Imperialismus über Said hinaus als mehr denn bloß als „Willen zum Imperium“ (MÜNKLER 2005: 20) zu verstehen. Schon Karl Marx sah im Kommunistischen Manifest den Zusammenhang von Kolonialismus und Imperia‐ lismus im Rahmen einer ersten Theorie dessen, was man später Globalisierung (der Märkte) nennen wird: „Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarks die Produktion und Kon‐ sumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. […]. Wie das Land von der Stadt, hat sie die barbarischen [! ] und halbbarbarischen Länder von den zivilisierten [! ], die Bauern‐ völker von den Bourgeoisvölkern, den Orient vom Okzident abhängig gemacht.“ (MARX 1848 / 1990: 466) Andere gängige ökonomische Theorien liberaler oder marxistischer Provenienz sehen Imperialismus wie gesagt als politisch-militärische Reaktion auf Monopol-Kapita‐ lismus, Kapital-Akkumulation bzw. Unterkonsumtion bei den westlichen Mächten zwi‐ schen den 1880er Jahren und dem Ersten Weltkrieg (LENIN 1916 / 2004; HOBSON 1902 / 1972); andere betrachten ihn im Rahmen eines allgemeinen politischen „Presti‐ gestreben“ (Max Weber) als Aufbegehren vormoderner Eliten (des europäischen Adels) gegen den Kapitalismus und die drohende Deklassierung durch die Bourgeoisie (SCHUMPETER 1919) oder schlichtweg mit Heinrich Friedjung als Streben der „Völker und ihrer Machthaber“ nach einem „wachsenden Anteil an der Weltherrschaft“ (SAUER 2002 / 2007: 17); vgl. dazu MÜNKLER 2005: 37 ff., 51. Dagegen stehen ahisto‐ rische, strukturelle Bestimmungen wie etwa bei dem prominenten norwegischen So‐ zialwissenschaftler Johan Galtung, der die Dichotomie von Zentrum und Peripherie als konstitutiv annimmt: „Imperialismus ist eine Beziehung zwischen einer Nation im Zentrum und einer Nation an der Peripherie, die so geartetet ist, daß Interessenharmonie zwischen dem Zentrum in der Zentralnation und dem Zentrum in der Peripheriennation besteht, größere Interes‐ sendisharmonie innerhalb der Peripherienation als innerhalb der Zentralnation besteht, zwischen der Peripherie in der Zentralnation und der Peripherie in der Peripherienation Interessendisharmonie besteht.“ (GALTUNG 1972: 35 f.; Hervorhebung im Original) Galtung zählt weiters fünf Interaktionstypen der Ungleichheit (ebd. 40 ff.) und fünf Typen von Imperialismus - ökonomisch, politisch, militärisch, in der Kommunikation und kulturell (ebd. 55 u.ff.) sowie drei historische Phasen (ebd. 61 ff.). 45 Vgl. etwa HARDT & NEGRI 2000; MÜNKLER 2005; u. v. a. stehten will. 44 Hier ist auch in den letzten zwanzig Jahren eine gewisse post- und neomarxistische Renaissance dieser Terminologie zu bemerken, 45 die in Anschluss an Michael Hardts and Antonio Negris Beststeller Empire von 2000 mit zum Boom sog. Imperial Studies als postkolonialer Nachfolgeformation an vielen Universitäten und Forschungseinrichtungen geführt haben mag. Die Weitung des Fokus mag auch dazu beigetragen haben, dass eine in An‐ lehnung an die South Asian Subaltern Studies Group um die Jahrtausendwende herum entstandene lateinamerikanische Schule postkolonialer Theorie versucht hat, in der Nachfolge von Hardt und Negri den globalen Zusammenhang von Imperialismus / Kolonialismus und einer westlich geprägten Moderne insgesamt herauszustellen, insofern als sich diese beide notwendigerweise gegenseitig er‐ möglichen; dies geschieht unter dem Etikett der „Kolonialität der Macht“, das A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 43 46 Vgl. etwa QUIJANO 2007 sowie QUINTERO & GARBE 2013; vgl. auch HARDT & NEGRI 2000. 47 QUINTERO & GARBE 2013: 9. Vgl. auch MIGNOLO 2012: 46 ff., 141 ff. 48 Vgl. OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 78-88. Hier werden folgende features kolonialer Wirtschaft genannt: „Beutewirtschaft“ der Kolonisatoren (z. B. Bodenschätze), „Über‐ nahme der Steuerhoheit sowie der Kontrolle über Außenhandel und Währung durch Fremde“ (ebd. 79), Festschreibung der Kolonialökonomie auf Landwirtschaft (Bauern‐ haushalte bzw. Plantagen, ebd. 81 ff.), während eine Industrialisierung weitgehend un‐ terbleibt (ebd. 87 f.) 49 Eine Diskussion militärischer Aspekte - und inwieweit diese Prätextcharakter für die Politik haben - muss hier aus Platzgründen leider unterbleiben. der peruanische Soziologe Aníbal Quijano entwickelt hat. 46 Mit den Worten von Pablo Quintero und Sebastian Grabbe sind die „konzeptionellen Schwerpunkte“ in diesem Rahmen: 1) Der Versuch, die Ursprünge der Moderne in der Eroberung Amerikas und in der europäischen Hegemonie über den Atlantik ab Ende des 15. und Anfang des 16. Jahr‐ hunderts zu verorten. Dies im Gegensatz zur herkömmlichen Perspektive über die Moderne als Phänomen der Aufklärung, industriellen Revolution oder Reformation. 2) Ausgehend davon werden die durch den Kolonialismus entstehende Machtstruktur und die Gründungsdynamiken des modernen / kapitalistischen Weltsystems mit seinen spezifischen Akkumulations- und Ausbeutungsregimes auf globaler Ebene be‐ tont. 3) Dadurch wird die Moderne als ein weltweites Phänomen betrachtet, das durch asymmetrische Machtverhältnisse begründet wurde statt durch symmetrische Phä‐ nomenen innerhalb Europas […]. 4) Diese asymmetrischen Machtbeziehungen zwi‐ schen Europa und den anderen Weltregionen und -bevölkerungen stellt eine konsti‐ tutive Dimension der Moderne dar und impliziert notwendigerweise die Subalternisierung der Wissens- und Seinsformen der kolonisierten Weltbevölkerungen. 5) Die Subalternisierung des Großteils der Weltbevölkerung geschah durch eine spe‐ zielle und bisher nicht bekannte Form von sozialer Klassifikation […] anhand von, heute würde man sagen, phänotypischen Unterschieden zwischen Menschen sowie Geschlechts- und Sexualitätskonstruktionen. 6) Schließlich wird der Eurozentrismus als eine spezifische Wissensform und Produktionsweise innerhalb dieses globalen Machtmusters […] [etabliert]. 47 In Bezug auf den Kolonialismus als Teilaspekt des Imperialismus sind jedenfalls außer den genannten kulturellen und epistemologischen, (geo)politischen - und vor allem wirtschaftlichen  48 - Parametern auch rechtliche Aspekte von Belang, 49 wenn etwa das Handwörterbuch der Sozialwissenschaften (1959) „Kolonien“ de‐ finiert als A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 44 50 OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 69.- Im Weiteren wird auf „die größten Verschieden‐ heiten in Bezug auf die staatsrechtliche Stellung der Eingeborenen“ (ebd. 72) in den jeweiligen Kolonien der europäischen Mächte hingewiesen: Es gebe dort meist keine Gleichheit vor dem Gesetz, aber etwa tlw. das Fortbestehen alter Partikularprivilegien (ebd.), die parallele Existenz zweier Rechtssysteme („Europäerrecht“ vs. „Eingebore‐ nenrecht“, ebd. 72 f.), spezielle Eigentumsrechte in Bezug auf Grundbesitz und inegali‐ täre Sozialrechte (73). Wesentlich ist in jedem Fall der Status rechtlicher Ungleichheit zwischen den Kolonisatoren und den Kolonisierten. Vgl. auch die abstraktere Ko‐ lonie-Definition bei OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 16. 51 BECKERATH u. a. 1958: 57 52 Vgl. MOMMSEN 1979: 233, 249; YOUNG 2001: 17 f.; YOUNG 2015: 23 ff. 53 Vgl. YOUNG 2001: 31 f. u. YOUNG 2015: 19 ff.- Was die Beziehungen zwischen Mut‐ terland und Kolonie betrifft, unterscheidet das oben genannte Handwörterbuch zwi‐ schen Niederlassungen, Eroberungskolonien, Assoziationskolonien, Assimilationskolonien und autonomen Kolonien (BECKERATH u. a. 1958: 58). Gebietsteile, denen […] ein bestimmter, vom Regime des Hauptlandes verschiedener rechtlicher Sonderstatus zugewiesen worden ist […] Das rechtliche Sonderregime ty‐ pischer Kolonialländer besteht in aller Regel darin, dass die Bevölkerung eines Kolo‐ nialgebiets nicht, oder jedenfalls nicht gleichberechtigt, am politischen Leben des Mutterlandes teilnimmt und dass sie ihrerseits auch in Bezug auf das Kolonialgebiet keine oder keine volle Selbstregierung besitzt. 50 Fast alle konsultierten Werke schlagen nun zusätzlich zu diesen Definitionen einen Katalog von verschiedenen Kolonietypen vor: Das Handwörterbuch der Sozialwissenschaften unterscheidet etwa zwischen Gebieten, die Kolonien „im juristischen Sinne“ sind, von solchen, die „nur in sozialer Hinsicht kolonialen Status haben“. 51 Ähnlich machen mehrere Historiker / innen bzw. Sozial- und Politikwissenschaftler / innen einen Unterschied zwischen „direkter“ und „indi‐ rekter“ Herrschaft (also etwa durch staatliche Verwaltungsorgane des Koloni‐ sators oder durch einen dazwischen geschalteten körperschaftlichen Akteur wie z. B. die East India Company); 52 parallel dazu zwischen einem Kolonialismus, der eher eine Assoziation mit dem Mutterland intendiert, dadurch aber gewisse kul‐ turelle und politische Barrieren aufrechterhält (wie z. B. die Herrschaft der „Raj“ in British-Indien, 1858-1947), und einem solchen, der die Assimilation der Ko‐ lonie ans Mutterland, ja sogar deren Inkorporation anstrebt (wie etwa im Falle von Frankreich und seinen „departements outre-mer“ in Algerien). 53 Typolo‐ gisch wird weiters zwischen Siedlungskolonien („die den Bevölkerungsüber‐ schuss des Mutterlandes aufnehmen“ - z. B. USA , Australien, Neuseeland), Aus‐ beutungskolonien (z. B. die Kolonien in Lateinamerika und der Karibik), Handelskolonien (wie etwa die Besitzungen der venezianischen Republik am Mittelmeer), strategischen Kolonien (z. B. Hongkong, Gibraltar) und Kolonien für A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 45 54 Ebd. 58. 55 Vgl. dazu REINHARD 2001: 2242 f. bzw. REINHARD 1996: 2 f.; OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 17 f.; HARMAND 1910. Robert Young unterscheidet in seiner neuesten Publikation zwischen „settler“, „exploitation“ und „garrison colony“ (Stützpunkt); vgl. YOUNG 2015: 15 u. 27. 56 REINHARD 2001: 2240 f. 57 EMERSON 1968: 1. 58 HODDER-WILLIAMS 2001: 2239: vgl. OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 22. 59 Vgl. McCAGG 1992, MOORE 2001 und das Themenheft der Slawistik-Zeitschrift UL‐ BANDUS 7 (2003). 60 BECKERATH 1958: 69. besondere Zwecke (z. B. Strafkolonien, Wetterstationen u. Ä.) differenziert. 54 Reinhard dagegen - wie auch Osterhammel und Young - folgt Jules Harmand (1910), wenn er lediglich zwischen Herrschafts-, Stützpunkt- und Siedlungskolo‐ nien unterscheidet. 55 Für unsere Themenstellung außerdem von Belang dürfte die mehrfach ver‐ suchte Ausweitung des Koloniebegriffs sein. Reinhard etwa verwendet den Ter‐ minus semicolonies für China und das Osmanische Reich um 1900. 56 Außerdem verweist Emerson auf belgische Bestrebungen in der Frühzeit der Vereinten Na‐ tionen „to broaden the concept of colonialism to include all ethnically distinct minorites discriminated against in their home countries“ - ein Vorstoß, der von der UNO abgelehnt worden ist. 57 Hodder-Williams wiederum versucht, einen internal colonialism zu be‐ schreiben als „broadly similar processes at work within a single state. Thus, particular groups, through their dominance of political and economic power, ensured that other groups are kept in long-term subservience“; als Beispiel dafür werden die Ostbengalen in Pakistan angeführt. 58 Ausschlaggebend für die Dis‐ kussion dieses Terms im europäischen Kontext war Michael Hechters bereits erwähntes Buch Internal Colonialism: The Celtic Fringe in British National De‐ velopment, 1536-1966 von 1975, das die englische Herrschaft über die „keltischen Randgebiete“ Großbritanniens - Irland, Schottland und Wales - unter diesem Blickwinkel gleichsam als Parallelaktion bzw. Vorwegnahme eines britischen Übersee-Imperialismus beleuchtet; ebenso liegen Versuche eines Theorietrans‐ fers auf die russische bzw. sowjetische Expansion in Zentralasien und Osteuropa vor. 59 Aber schon der Beitrag im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften von 1958 hatte darauf verwiesen, dass es durchaus vorkomme, „dass Gebiete, welche soziologisch Kolonialland sind, ohne rechtliche Sonderregelung als Bestandteil des Hauptlandes regiert werden, so etwa Sibirien als Teil Rußlands oder die Mandschurei als Provinz Chinas“ (und Algerien innerhalb Frankreichs). 60 Young A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 46 61 YOUNG 2015: 27 f. 62 Bei Said ist von einem „white colonialism“ - weiß im Sinne der Hautfarbe der Be‐ herrschten - die Rede, mit dem etwa die britische Herrschaft über Irland gemeint ist (vgl. z. B. SAID 1994: xvi & 8). 63 Vgl. ARENDT 1955: 359 ff., wo zwischen „überseeischem“ und „kontinentalem Impe‐ rialismus“ unterschieden wird bzw. Zusammenhänge sichtbar gemacht werden. Arendt macht beispielsweise „eine Art von Konkurrenzneid auf England“ hinter den innereu‐ ropäischen Expansionsbestrebungen Deutschlands, Österreich-Ungarns und Russlands geltend (ebd. 361). Vgl. auch YOUNG 2015: 13. 64 Vgl. SCHMITT 1942 / 1981; ARENDT 1955: 361. 65 Vgl. HIND 1984 u. NOLTE 1991. 66 Vgl. ALLERKAMP 1991: 1: „Der Begriff der ‚Inneren Kolonisierung‘ umfasst Prozesse, die sich innerhalb eines Subjekts ereignen, das sich - wie ein Territorium - als entdeckt, erforscht und kolonisiert beschreibt. Die Darstellung der ‚inneren Kolonisierung‘ geht von Bildern des äußeren Kolonisierung aus. Territoriale Eroberungen und Besetzung geographischer Gebiete schreiben sich bis zu Breitengraden eines Ich fort, das historisch kolonisiert ist oder sich in Beziehung zu historisch Kolonisierten setzt.“- Auf der an‐ deren Seite steht freilich die unangefochtene Einsicht, dass Kolonialismus nicht nur als externer ‚sozialer‘ Faktor das Leben der betroffenen Individuen bestimmt, sondern auch deren Psychologie determiniert (vgl. NANDY 1983 / 2009: 2 ff.; GANDHI 1998: 11 ff.). 67 Es geht hier um verschiedene Grade der (Nicht-)Inkorporation in einen ‚parent state‘: im Falle Österreich-Ungarns etwa der Unterschied zwischen den neuen Kronländern Galizien / Bukowina oder Dalmatien und den 1878 besetzten Gebieten Bosnien-Herze‐ gowina; außerhalb der Habsburger Monarchie etwa Albanien und der Kaukasus. 68 Kein einziger der konsultierten Texte zum Thema ‚Kolonialismus‘ erwähnt die Habs‐ burger Monarchie, wohl aber Russland. Vgl. dazu auch SAUER 2002 / 2007: 7 f. sieht ebenso die polnischen Teilungen im späten 18. Jahrhundert unter einem kolonialen Vorzeichen. 61 Ansätze in Richtung einer inneren Kolonisierung schlagen auch Edward Said 62 und Hannah Arendt 63 vor, im letzteren Fall in dezidierter Anlehnung an den Gegensatz von „Landtretern“ und „Meerschäumern“, d. h. Kontinentalrei‐ chen und einem maritimen Kolonialismus bei Carl Schmitt. 64 In Folge wird der viel diskutierte 65 Begriff aber als Konsequenz seiner zunehmenden Polyvalenz immer unschärfer (vor allem, wenn er etwa von Andrea Allerkamp doppeldeutig psychologisiert und ins Individuum selbst verlegt wird 66 ). Auf der anderen Seite würde jedoch auch eine Differenzierung zwischen innerem und kontinentalem Kolonialismus, die auf der Unterscheidung eines Diesseits von einem Jenseits imperialer Staatsgrenzen auf demselben Erdteil beruht, durchaus Sinn ma‐ chen. 67 Aus dieser kurzen Darstellung der sozialwissenschaftlichen Begrifflichkeit von Kolonie bzw. Kolonialismus sollte indes hervorgegangen sein, dass Öster‐ reich-Ungarn um 1900 kein Kolonialreich im engeren Sinn gewesen sein bzw. gehabt haben kann: 68 Weder das Moment großer (überseeischer) Entfernung A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 47 69 Vgl. HOCHSCHILD 1998.- Kaiser Franz Joseph höchstpersönlich soll einmal zu seinem Flügeladjuntanten gesagt haben: „Der König von Belgien ist [...] der schlechteste Mensch, den die Erde trägt, ein Mensch, der am Bösen Vergnügen findet“ (zit. n. SAUER 2002 / 2007: 78). 70 So ließe sich auch für das Haus Habsburg argumentieren, dass dieses über seine spa‐ nische Filiale durchaus über koloniales Wissen seit der Frühneuzeit verfügte, aus dem der österreichische Zweig später gewisse (kontinentale anstatt überseeischer? ) Konse‐ quenzen zog, bzw. dass auch umgekehrt innerkontinentales Knowhow bei der Koloni‐ sierung Lateinamerikas eingesetzt wurde (special thanks an Graeme Murdock für diesen Hinweis). 71 SAUER 2012: 5; vgl. LE RIDER 2006 / 2007: 78 und die Gründe, die PREVEŠIĆ 2014: 35 für das Verdecken der quasikolonialen Züge der Habsburger Monarchie angibt. 72 Vgl. SAUER 2002 / 2007: 17; vgl. auch KOLB 2001: 82 ff. u. MEISTERLE 2014. 73 Vgl. SAUER 2002 / 2007: 39 ff. noch jenes großer kultureller Differenz kann für seine multiethnischen Herr‐ schaftsverhältnisse geltend gemacht werden - es sei denn, man besteht darauf, dass es sich hier lediglich um quantitative bzw. graduelle Unterschiede handelt. Hiermit liefe man aber möglicherweise Gefahr, durch Nivellierung der Betrach‐ tungsweise die großen Menschheitsverbrechen des zeitgenössischen europä‐ ischen Kolonialismus in Afrika und Asien - wie etwa den Genozid im Bel‐ gisch-Kongo 69 um 1900 - zu verharmlosen. Dennoch gilt, was Walter Sauer moniert hat, nämlich dass mit dem Mantra der Nicht-Existenz österreichisch-ungarischer Überseekolonien sich für die meisten Forscher / innen jede Diskussion überhaupt erübrige, inwieweit es ko‐ loniale Tendenzen im späten Habsburger Reich gegeben habe; dieses Denkkli‐ schee gelte es freilich kritisch zu überprüfen: 70 The silence regarding Austria in academic debate corresponds with the attitude in national […] discourse. Far from entering a discourse of whether or not imperialist or colonialist tendencies are to be found in the country’s history, and if so, the discussion is largely based on the assumption that Austria was not a colonial power […]. 71 Sauers eigener Studie K. u. k. kolonial (2002) kommt indes das Verdienst zu, die vergessenen oder verdrängten kolonialen Projekte der Habsburger Monarchie dem Vergessen entrissen zu zu haben: Sokotra 1857 / 58, die Nikobaren 1858, die Salomonen 1895 / 96, weiters die Westsahara 1899 und Südostanatolien 1913; 1901-14 schließlich wurden sechs Quadratkilometer Land bei der Hafenstadt Tientsin von k. u. k. Truppen besetzt - als eine Art österreichisch-ungarisches Hongkong in China. 72 Zudem gab es koloniale Begehrlichkeiten als Folge des Suezkanal-Baus (und der diesbezüglich günstigen Lage der Hafenstadt Triest) sowie im Rahmen der Sudan-Mission. 73 Sauer kommt dann freilich zu dem Schluss: „Die Monarchie war mit Sicherheit kein Kolonialstaat. Sie war jedoch A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 48 74 Ebd. 18 75 Ebd. 78. 76 GLAJAR 2001: 15. 77 DONIA 1981: 8 ff. u. 2007 / 2015; DETREZ 2002; vgl. auch TODOROVA 1999: 35 f. auch keine antikoloniale Kraft“, 74 denn „[a]uch als ‚Großmacht ohne Kolonien‘“ habe sich Österreich-Ungarn „dem imperialistischen Grundkonsens der euro‐ päischen Mächte verpflichtet“ gefühlt. 75 Dies greift vielleicht etwas zu kurz, wie im Folgenden ausgeführt werden wird. In diesem Sinne soll ein erster Schritt gleichsam zu einer Erfassung des einschlägigen kollektiven Unbewussten der ‚kakanischen‘ Kultur / en (nach den Pionierarbeiten von Sauer, Csáky / Feichtinger / Prutsch und diversen eigenen Beiträgen des Kakanien revisited-Teams) unternommen werden; dies ist eines der vordringlichsten Anliegen der vorliegenden Monografie. Darüber hinaus gilt es freilich auch, potenzielle politische und kulturelle Parallelaktionen zum Kolonialismus der anderen europäischen Großmächte namhaft zu machen; diese Frageperspektive ist schon von Valentina Glajar 2001 unter Bezugnahme auf prominente Forschungsmeinungen kompakt zusammengefasst worden: While historians such as Oscar Jászi and Ferenc Eckhart argued that the eastern and southeastern regions of the Habsburg Empire functioned as internal colonies for Austro-Germans and, in part, for Hungarians, postcolonial critics have rarely consi‐ dered Austria-Hungary as a case of colonialism. Katherine Arens criticizes postcolo‐ nial theorists such as Edward Said and Homi Bhabha, who base their theories on the British or French Empires yet ignore the case of Austria-Hungary. While the para‐ digms developed for the French and British Empires might not be entirely applicable to the Habsburg Empire, they are defined in terms of the East-versus-West distinction that was also at the core of the Habsburg expansion to the East. Just like the British and the French colonizers, the Habsburgs had a mission civilisatrice in the ‚barbaric‘ East. The Habsburgs’ belief in a ‚superior‘ German culture and civilization was em‐ ployed to justify their political, cultural, and economic mission in eastern Europe. Unlike the British and French rule in Africa, Asia, and Latin America, however, the Habsburgs’ rule was not characterized by terror or massacre, nor was the conflict colonizer-versus-colonized always spelled out in racial terms. 76 Die überzeugendste Fallstudie für eine Kolonialismusdebatte in diesem Sinne dürfte wohl Bosnien-Herzegowina darstellen, dessen militärische Okkupation (1878), Verwaltung und Annexion (1908) durch die Habsburger Monarchie ge‐ wisse (quasi)koloniale Züge eignen, wie dies z. B. schon die Historiker Robert Donia und Raymond Detrez behauptet haben: 77 So etwa die Tatsache, dass die Bosnier / innen vorderhand über kein politisches Mitbestimmungsrecht inner‐ A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 49 78 Dadurch, dass Bosnien und die Herzegowina als Corpus separatum gemeinsam von Cisleithanien und dem Königreich Ungarn verwaltet wurden, waren bosnische Abge‐ ordnete aber weder im Reichsrat noch im ungarischen Parlament vertreten; ein regio‐ naler Landtag in Sarajevo wurde erst 1910 eingerichtet. 79 OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 21. 80 Ebd. 20 [Kursivierung im Orig.]. 81 Ebd. 113 ff. [Kursivierung im Orig]. - Vgl. BOEHMER 1995 / 2005: 24 u. 49. 82 OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 22. halb der Parlamente der Monarchie verfügten wie deren anderen „Völker“ und damit so etwas zu k. u. k. Bürger / innen 2. Klasse wurden. 78 (Für eine genaue Bestimmung dieses komplexen Kolonialismus-Szenarios ist freilich eine nähere Untersuchung vonnöten, die im Folgenden Gegenstand eines eigenen Kapitels [C.0] sein wird, das den Bosnien-Abschnitt der vorliegenden Studie einleitet.) 2. (Innerer) Kolonialismus als Befindlichkeit: die Rhetorik der Zeitzeug / inn / en Kolonialismus ist eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der Regel sendungside‐ ologische Rechtfertigungsstrategien, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer kulturellen Höherwertigkeit beruhen. 79 Die hier zur Rekapitulation wiedergegebene Definition Jürgen Osterhammels - ziemlich kulturalistisch argumentierend und häufig zitiert - gibt das Moment ‚überseeischer Distanz‘ auf und öffnet gleichsam wieder die innerkontinentalen Räume für eine Kolonialismus-Debatte. Erhellend ist auch die bereits erwähnte Zusatzklausel des Autors, Kolonialismus sei nicht nur ein „strukturgeschichtlich beschreibbares Herrschaftsverhältnis, sondern zugleich auch eine besondere Interpretation dieses Verhältnisses“; 80 diese beruhe im Wesentlichen auf drei dis‐ kursiven Faktoren: „die Konstruktion von inferiorer ‚Andersartigkeit‘“, „Sen‐ dungsglaube und Vormundschaftspflicht“ (der Kolonisatoren) sowie die „Utopie der Nicht-Politik“ (d. h. eines „politikfreien Verwaltens“). 81 Osterhammel muss freilich einräumen, dass es derartige Herrschaftsverhält‐ nisse ebenso zwischen Zentren und Peripherien „innerhalb von Nationalstaaten oder territorial zusammenhängenden Landimperien“ gebe 82 (und die Dicho‐ tomie von Zentrum vs. Peripherie / n ist ja auch häufig als Beschreibungmodus für Imperialismus ebenso wie als Alternativmodell für eine ‚kolonialistische‘ A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 50 83 Vgl. dazu den Überblick bei HÁRS, REBER, RUTHNER 2006: 1-15 und bspw. CSÁKY 2013. Außer dem im Folgenden näher vorgestellten Modell der „inneren Peripherien“ (NOLTE 1991) ist z. B. Immanuel Wallersteins „Weltsystemtheorie“ von Belang, in der er die Habsburger Monarchie als Zentrum für die eigenen Kronländer sieht, in Europa bzw. global aber als „Semiperipherie“; vgl. WALLERSTEIN 1979. 84 Vgl. etwa KLUSÁKOVÁ 1991. 85 MAGRIS 1966 / 2000: 26. 86 REINHARD 2008: 7.- Auch hier wäre m. E. streng genommen zwischen „Kolonisation“ im Sinne von Besiedlungspolitik und „innerem Kolonialismus“ in einem globaleren Sinn terminologisch zu unterscheiden. 87 LE RIDER 2006 / 2007: 84. Konzeptualisierung der späten Habsburger Monarchie bemüht worden; 83 es muss freilich differenziert werden zwischen einerseits armen Randgebieten wie z. B. Galizien und anderseits reichen Peripherien wie Böhmen 84 , die wirtschaft‐ lich ‚zentraler‘, d. h. entwickelter sind als etwa das österreichische Kernland; ebenso gibt es in Österreich-Ungarn nicht nur eine, sondern - je nach Blick‐ winkel - mehrere Metropolen). Osterhammels Erwähnung von Herrschaftsdoktrinen als Rechtsfertigungs‐ diskursen trifft sich allerdings auch mit einer Bemerkung des Triestiner Ger‐ manisten und Autors Claudio Magris. In seiner folgenreichen Studie zum „habs‐ burgischen Mythos“ (d. h. das monarchistisch-nostalgische Postulat eines utopisch multikulturellen „Vielvölkerstaats“ als Gegenentwurf zum „Völker‐ kerker“-Narrativ diverser zentrifugaler Nationalismen) sieht er diesen durchaus funktional bestimmt in der „kulturelle[n] Kolonisation Osteuropas“ 85 (Auch Wolfgang Reinhard schreibt, von „Mitteleuropa“ sei eine „Ostkolonisation“ aus‐ gegangen - ohne dabei die Habsburger Monarchie zu erwähnen. 86 ). Erst vor wenigen Jahren hat der prominente französische Germanist Jacques Le Rider diesen Faden wieder aufgegriffen und elaboriert, wenn er schreibt: […] le ‚mythe habsbourgeois‘ de la cohabitation harmonieuse des nationalités ne put jamais se transformer en réalité. Depuis l’origine il était contredit et parfois perverti en son contraire par le colonialisme du pouvoir central et des élites dirigeantes et par le nationalisme répandu parmi tous les peuples de la monarchie. 87 Auch unter historischen Zeitzeugen der k. u. k. Monarchie selbst hat es indes nicht an Stimmen gemangelt, die Österreich-Ungarn als ‚Kolonialreich‘ be‐ schreiben bzw. denunzieren. Le Rider etwa zitiert Moritz von Engel, der als Mit‐ glied der sog. Permanenzkommission im k. u. k. Handelsministerium 1902 pa‐ negyrisch formuliert: „Fehlen der Monarchie auch überseeische Kolonien, diese Grundlagen weltpolitischer Wirksamkeit im großen Stile, so kann sie doch mit Genugtuung auf zahlreiche Territorien (zum Beispiel Bukowina, Banat und an‐ A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 51 88 Zit. n. SAUER 2002 / 2007: 69 f. 89 Mit diesem Kurztitel wird gemeinhin die von offizieller Seite hg. landeskundliche k. u. k. Enzyklopädie Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild bezeichnet, die 1883 vom österreichisch-ungarischen Kronprinzen Rudolf angeregt wurde. Dieses eth‐ nografische Großprojekt beschreibt - nach Kronländern geordnet - Völker, Regionen, Landschaften und Kulturen der Doppelmonarchie. Es existiert eine deutschsprachige (24 Bände) und eine ungarische Version (21 Bde.). Vgl. KRONPRINZENWERK 1999; PLENER 2002; ZINTZEN 2006 / 2007; LE RIDER 2006 / 2007: 80. 90 RENNER 1896: 480. 91 ZALOSCER 1988: 9. 92 Ebd. 129. dere) hinweisen, deren heutige Blüte einen Erfolg ihrer ebenso grossartigen wie geschickten kolonisatorischen Tätigkeit bildet.“ 88 Ähnlich schreibt der deutsche Reisejournalist Heinrich Renner, der sich 1896 - wie auch das offiziöse Kronprinzenwerk  89 (1885-1902) - im Sinne des ‚Zivilisations‘-Narrativs zum Apologeten einer quasikolonialen Pax Austriaca in Bosnien macht: […] auch den in Europa jetzt so zahlreichen Kolonialpolitikern ist ein Besuch zu emp‐ fehlen; in Bosnien wird praktische Kolonialpolitik [! ] getrieben und was geleistet wurde, stellt den leitenden Personen und Oesterreich-Ungarn im Allgemeinen das höchste Ehrenzeugniss aus. Einst gänzlich zurückgeblieben, reiht sich heute die bos‐ nische Schwester europäischen Ländern als würdige Genossin an. 90 Belege für eine andere ‚koloniale‘ Sichtweise finden sich dagegen bei Hilde Za‐ loscer (1903-1999). Die prominente österreichische Kunsthistorikerin wurde im bosnischen Tuzla geboren und wuchs in Banja Luka auf; nach dem Ende der Monarchie 1918 musste sie, da ihr Vater zur k. u. k. Oberschicht gehört hatte, aus dem neu gegründeten jugoslawischen SHS -Staat nach Wien flüchten und von dort 1938 wegen ihrer jüdischen Wurzeln weiter nach Alexandria. In ihrer Au‐ tobiografie Eine Heimkehr gibt es nicht (1988) spiegelt die Autorin Beobach‐ tungen im kolonialen Milieu Ägyptens als zeitkritisches Narrativ auf ihre „glücklichen Kindertage […] auf einem Pulverfaß“ 91 in Bosnien zurück: Im Grunde war es die gleiche Konstellation wie in Bosnien vor dem Ersten Weltkrieg. Auch dort hatte eine fremde ethnische Gruppe - in diesem Falle die Österreicher - in einem mit Gewalt angeeigneten Land durch geschickte Politik die Bevölkerung auf einem bildungsmäßig tatsächlich inferioren Status gehalten. 92 A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 52 93 Ebd. 14.- Mit ihrem intuitiven Befund dürfte Hilde Zaloscer freilich auch Recht gehabt haben; wie Edin Hajdarpašić in seiner Dissertation aufgezeigt hat, ließen sich österrei‐ chische Administratoren durchaus und nachweislich auch von anderen Kolonial‐ mächten - und speziell von der britischen Präsenz in Ägypten - inspirieren; vgl. HAJ‐ DARPAŠIĆ 2015: 177. 94 Der kroatische Komparatist und Kulturwissenschaftler Nikola Petković schrieb in seiner 1996 verteidigten texanischen Doktorarbeit The ‚Post‘ in Postmodern and Postco‐ lonial: Obschon der imperiale Kolonialismus in Zentraleuropa nicht mit den Übersee-Besitzungen Großbritannien und Frankreich vergleichbar wäre, seien doch „the social, cultural, ideological and economical efforts of cultural colonization in Central Europe […] strikingly similar to those of India, Africa, and Latin America.“ (PETKOVIĆ 1996: 19; Hervorh. C. R.) 95 WILLIAMS 1977: 128 ff. 96 Vgl. dazu die Beiträge in SAUER 2002 / 2007 (zur Stellung Österreich-Ungarns in der europäischen Kolonialpolitik im 19. u. frühen 20. Jahrhundert) bzw. bei MÜLLER- FUNK, PLENER & RUTHNER 2002 (zum kulturellen und v. a. literarischen Nieder‐ schlag binnenkolonialer Verhältnisse). Viel später, in Ägypten, fand ich mich in der gleichen Lage[…] Auch dort waren - zu Beginn meines Aufenthalt, später sollte sich das ändern - die ‚Eingeborenen‘ als minder angesehen, und wir, die Europäer, gehörten zur Elite. 93 An dieser Stelle könnte man den kulturalistischen Faden Osterhammels auf‐ greifen und - ganz im Stil der Post / Colonial Studies unserer Gegenwart - argu‐ mentieren, dass es sich hier weniger um sozial- und politikwissenschaftliche Befunde, sondern um kulturelle Befindlichkeiten handelt. Es ginge also nicht darum, ob Österreich-Ungarn tatsächlich eine Kolonialmacht sensu stricto ge‐ wesen ist und damit den westeuropäischen Großmächten ähnlicher als ange‐ nommen. 94 Interessanter wäre indes die Frage nach dem kulturellen Ausdruck bzw. Niederschlag von Dominanzverhältnissen zwischen Herrschaftszent‐ rale(n) und beherrschten, andersethnischen Peripherien in „structures of fee‐ ling“ (Raymond Williams 95 ) - insbesondere, als der Kultur ja in der Definition Osterhammels eine zentrale Rolle bei der Formulierung, Vermittlung und In‐ terpretation solcher Herrschaftsverhältnisse zukommt; 96 in diesem Zusammen‐ hang sind auch diverse Forscher / innen Hans-Heinrichs Noltes moderater ge‐ A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 53 97 Der deutsche Historiker definiert: „Within a society delineated by state boundaries we call a region the ‚internal periphery‘, where conditions are organised to the advantage of people living in another region which we call the centre.“ (NOLTE 1991: 1). Diese „conditions“ werden dann als „economy“, „social structure“, „religion and ideology“ sowie „politics präzisiert (ebd.). Nolte gibt auch einen Kurzabriss der Geschichte dieser inneren Peripherien. Er sieht das Mittelalter durch den Konflikt mehrerer „regna“ (Kö‐ nigreiche) mit zwei „imperia“ (das Hl. Römische Reich und Byzanz) charakterisiert. Nach dem schrittweisen Verschwinden der beiden alten Reiche entstehen neue impe‐ riale Strukturen durch Zusammenschluss bzw. Eroberung der alten „regna“ in der Frühneuzeit (vgl. ebd. 7): Parallel zum „extensive establishment of external, colonial peripheries“ sei dies auch „a period in which many medieval European regna were conquered, annexed in a more or less legal way, or reduced in political and social status“ (ebd.). Als Beispiele dafür können gelten, wenn die habsburgische Krone (als späteres Spaltprodukt des Hl. Röm. Reichs) etwa durch geschickte Politik Kroatien, Slawonien und Dalmatien oder Böhmen und Mähren erwirbt (Stimmt man mit diesem Narrativ überein, so muss man es aber wahrscheinlich schon ab dem Spätmittelalter ansetzen, als z. B. das Osmanische Reich Serbien und Bosnien militärisch erobert.).- Die Stärke von Noltes Modell liegt m. E. darin, dass es globaler denkt als Theorien des Kolonia‐ lismus, indem es diesen als Parallelaktion zu innerer Peripherisierung der modernen europäischen Großmächte sieht. wählter Begrifflichkeit der „inneren Peripherien“ 97 in Europa gefolgt, um nicht auf die oben skizzierte slippery slope des Kolonialismus-Begriffs zu geraten. Aber auch jene Zentrum-Peripherie-Beziehungen funktionieren politisch in Form von strategischer Erzeugung kultureller Differenz, die meist mit sozialer und ökonomischer Marginalisierung einhergeht. Als eines von vielen Beispielen für österreichisch-ungarische Formen der Identitätspolitik soll hier ein beson‐ ders anschaulicher Textbeleg zitiert werden; es handelt sich um ein ethnogra‐ phisches Werk aus und über Siebenbürgen (Transsylvanien), das eine ethnische Hierarchie insinuiert und dabei den Siebenbürger Sachsen die ‚goldene (bür‐ gerliche) Mitte‘ zuweist gegenüber den ‚unzivilisierten‘ rumänischen Bauern und der latent ‚verschwenderischen‘ ungarischen gentry: Ziehen wir neben diesem Kastenunterschied [! ], der sich auch auf die Jugend erstreckt, noch einen gewissen Hang zum beschaulichen Leben, womöglich ohne Arbeit und Mühe, in Betracht, so dürfen wir uns nicht im geringsten darüber wundern, daß der transsilvanische Rumäne sich selten über die allerprimitivsten Lebensverhältnisse emporschwingt; denn wahr bleibt es immerhin, daß ihm der Wahlspruch gilt: Sitzen sei besser als Gehen, Liegen besser als Sitzen, Schlafen besser als Wachen, das Beste von allem aber ist das Essen! Auf diesen unleugbaren Umstand ist daher die traurige Bemerkung mancher Philoromanen zurückzuführen, daß der rumänische Bauer, trotz aller Gleichheit vor dem Gesetze, noch immer in einer ärmlichen Hütte, der magya‐ rische Herr und der sächsische Bürger aber in einer bequemen Stadt- oder Landwoh‐ A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 54 98 WLISLOCKI 1889 / 90: 603. 99 Vgl. dazu grundlegende Literatur wie z. B. ANDERSON 1998; LINK & WÜLFING 1991; CSÁKY & MANNOVÁ 1999. 100 Vgl. den folgenden Abschnitt der vorl. Arbeit (A.2). 101 Die Frage ist, ob die zeitgenössische Völkerpsychologie, der Kolonialismus sowie das ethnische Gefüge in Vielvölkerstaaten um 1900 nicht allesamt konkrete Ausprägungen eines übergreifenden modernen Konzepts von Identität und Alterität im Spannungsfeld von Herrschaft sind, die dann wohl globaler zu beschreiben wäre. 102 Vgl. WAGNER 2002: 1. nung lebt. Dieser Hang zu einem beschaulichen Leben muß auch auf seine Intelligenz übertragen werden; er ist begriffstutzig und verhält sich abwehrend gegen jede neue Idee, die man ihm beibringen will. 98 Formen dieser Rhetorik einer stur primitiven ‚Faulheit‘, die der zivilisierten ‚Anleitung‘ bedarf, finden sich nahezu weltweit, ob es sich nun um Afri‐ kaner / innen, ‚Oriental/ inn / en‘ oder um Finn / inn / en unter zaristischer Herr‐ schaft handelt. Will man sich nun in Bezug auf die k. u. k. Monarchie auf die oben skizzierte Sichtweise von kulturell imaginierten und vermittelten „struc‐ tures of feeling“ einlassen, so wären dann v. a. Bilder des Eigenen und Fremden in den diversen Medien (Gebrauchstexte, Literatur, Bildmedien etc.) der habs‐ burgischen Kultur / en im großen Rahmen - oder zumindest stringenten Stich‐ proben - zu untersuchen, wo es um Formen der Konstruktion von ‚Identität‘ bzw. ‚Gemeinschaft‘/ en 99 geht - seien diese nun Ethnien, Nationen oder die Staatsnation (das „Reich“) Österreich(-Ungarn) selbst, die der Folie eines jeweils ‚Anderen‘ bedürfen. Hier könnte sich die These als sehr fruchtbar erweisen, dass sich die Imagination von Auto- und Heterostereotypen 100 unter Bedingungen der Fremdherrschaft in kontinentalen Vielvölkerstaaten und in transkontinen‐ talen Kolonialreichen durchaus ähneln kann, 101 wie z. B. in den zitierten pathe‐ tischen Inszenierungen eines ‚Zivilisationsgefälles‘: Allerdings funktionieren innerhalb des Machtgefüges Europa nicht alle diskursiven Oppositionen […] auf dieselbe Weise. Während die Paare Metropole vs. Peripherie und Zivilisation vs. Barbarei / Archaik in beiden Fällen analog figuriert sind, sind bei der Frage der Ethnie und der Konfession andere, innereuropäische ‚Maßstäbe‘ rele‐ vant. 102 Diese ‚postkolonialen‘ Frageperspektiven, welche die Wiener Romanistin Birgit Wagner exemplarisch in Bezug auf Sardinien entwickelt hat, könnten durchaus auch im zentral- und (süd)osteuropäischen Kontext als Anregung dienen; ge‐ A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 55 103 Ebd. 2.- Analysen zu Hybridisierung und Mehrsprachigkeit bei slawischen Autoren der Monarchie u. a. bei SIMONEK 2002. 104 Vgl. SPIVAK 1994, 2008. 105 Vgl. SIMONEK 2002: 1 (Hervorvorheb. im Orig.). - Zu den Leistungen dieses Textes gehört, auf Modelle der sowjetischen Kultursemiotik ( Jurij Lotman) als heuristisch in‐ teressante Alternative zu postkolonialen Herangehensweisen aufmerksam gemacht zu haben. 106 Vgl. das dialogische Verhältnis zwischen meinen Arbeiten und jenen von Vahidin Prel‐ jević und Stijn Vervaet. 107 K.u.K. MILITÄR-GOUVERNEMENT MONTENEGRO 1916: 5. nauso ließen sich dann „Erosion und Neu-Erfindung von Identität, sprachliche und kulturelle Hybridisierungsprozesse, Re-Lokalisierungen“ 103 beschreiben. Abgesehen von diesen meist positiv konnotierten ‚Hybrid‘-Ausprägungen multiethnischen Zusammenlebens ist freilich - wie schon die anzitierten Text‐ quellen suggerieren - auch im zentraleuropäischen Kontext zu beachten, dass eine hegemoniale Kultur so etwas wie Definitionsmacht ausübt, die im Rahmen einer Quasi-Kolonialdiskurs-Analyse untersucht werden kann. Dies hat zum produktiven Missverständnis des Wiener Slawisten Stefan Simonek geführt, der monierte, man wolle (ganz im Sinne von Spivaks postkolonialem Pro‐ gramm-Aufsatz mit dem Titel Can the Subaltern Speak?   104 ) bei derartigen Habs‐ burg-Forschungsprojekten lediglich mit deutschsprachigen Quellen arbeiten und etwa die subalternen südslawischen „Kulturen „nur als stummes Objekt [des hegemonialen Diskurses, C. R.], nicht aber als selbst sprechendes Subjekt zur Kenntnis“ nehmen. 105 Dem ist keineswegs so: Ein komparatistisches Heran‐ gehen an den Untersuchungsgegenstand in Form von kontrastiven Lektüren kultureller Texte ‚gegen den Strich‘ versteht sich von selbst (auch wenn dies nicht immer von einzelnen Forscher / inne / n, sondern nur als Teamarbeit zu leisten ist) 106 . Es gilt aber auch zu berücksichtigen, dass die deutsch-österreichische und die ungarische Kultur über Machtprivilegien verfügen, um ihre Bilder und Sicht‐ weise(n) durchzusetzen; am extremsten zeigt sich das in einem rassistischen Polizeitext der k. u. k. Militärverwaltung in Montenegro aus dem Ersten Welt‐ krieg, wo der Geruch (und damit ein Hygiene-Diskurs) zum selektiven Merkmal sozialer wie ethnischer Differenz für die sanktionierende Behörde wird: Der Tischler riecht nach Firnis, der Maschinist nach Schmieröl, der Krankenwärter nach Karbol, der Pferdeknecht hat den bekannten Stallgeruch, die Zigeuner den lange in einem geschlossenen Raum wahrnehmbaren Zigeunergeruch etc. Schließlich wird auf den ganz eigenartigen Geruch serbischer Soldaten (Gefangener) aufmerksam gemacht. 107 A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 56 108 Zur Habitustheorie vgl. BOURDIEU 2001: 165 ff. 109 Wie z. B. das Narrativ von der nicht-europäischen, ‚asiatischen‘ Herkunft der Ungarn, das in deutschnationaler Polemik gerne zur Motivation des Ausschlusses der Magyaren aus (Zentral-)Europa, in ungarischen Texten aber zur Identitätsstiftung instrumentali‐ siert wird (vgl. GROSSER 1999: S. 124 ff.). 110 BOURDIEU 1998 / 2005; SPIVAK 2008: 43 ff.; MIGNOLO 2012. 111 EAGLETON 2000: 44 u. 62. 112 FRANKO 1901. - Interessant sind hier auch folgende Hybridiserungsprozesse bzw. Al‐ lianzen, die der Text suggeriert: ethnische Kodierungen der Herrschaft (‚polnisch‘ und ‚ungarisch‘) werden hier quasi synonym; andererseits erscheint dieser sozialkritische Text eines ukrainischen Autors in der Hegemonialsprache Cisleithaniens (Deutsch) in einem Periodikum des Herrschaftszentrums Wien. Zum Hybriditätsdiskurs vgl. HÁRS 2002 u. PRUTSCH 2003: 33 ff. Ein anderes denkwürdiges Phänomen ist, dass nicht-hegemoniale Kulturen nicht nur dazu tendieren, diese aufoktroyierten und vielfach entwürdigenden Bilder zu verweigern, sondern sie mitunter auch durch Habitualisierung  108 zu verinnerlichen: Herrschaft funktioniert nicht nur mit Gewaltmitteln und öko‐ nomischem Druck, sondern auch durch eine gewisse kulturelle Akzeptanz und Übernahme der auferlegten Fremdbilder durch die Betroffenen selbst 109 (als Konsequenz „symbolischer“ oder „epistemischer“ Gewalt 110 ). Damit ist jedoch keinesfalls gesagt, dass es innerhalb von ‚beherrschten‘ Kul‐ turen keine subversiven oder opponierenden Perspektiven gäbe (will man nicht eines der wesentlichen Existenzprinzipien von künstlerischem Schaffen über‐ haupt in Frage stellen): „If culture means the critique of empires, it also means the construction of them. […] The national unity which is sealed by Culture is shattered by culture,“ schreibt etwa Terry Eagleton. 111 Dies alles lässt sich gut an einem satirischen Text des ukrainischen Autors Iwan Franko zeigen, der 1901 in Form einer Galizischen Schöpfungsgeschichte die ethno-soziale Differenz von ruthenischen Bauern und polnischen Gutsherren - ohne sie explizit zu nennen - am Produkt-Image von Schnaps und Wein festmacht und gleichzeitig sozialkri‐ tisch konterkariert: Im Anfang war der Schnaps. Er war zuerst chaotisch. Ein jeder durfte ihn brennen, verkaufen oder auch höchsteigen trinken. Da kam aber der Ungarwein ins Land. Und der war theuer. Und so schied Gott die Schnapstrinkenden von den Weintrinkenden und gab den letzteren eine Gewalt über die ersteren. Und so kam es, daß die einen nur den Schnaps brennen und trinken mußten, aber brennen für die anderen und trinken für ihr gutes Geld - die anderen aber bekamen den fertigen Schnaps und verkauften ihn für ihre Rechnung, um sich mit Ungarnwein volltrinken zu können. 112 A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 57 113 Ganz im Sinne von SAID 1994: xiv. 114 UHL 2002: 3 [Kursivierung C. R.]. 115 Vgl. dazu Kap. C.0 dieser Arbeit über Bosnien-Herzegowina. 116 Vgl. SAID 1994: xxvii, 60 ff., 276 ff.; GANDHI 1998: 102 ff. So werden die Medien habsburgischer Kultur / en auch zum Schauplatz eines ethnisch kodierten ‚Kampfes um Bedeutung‘ 113 von Gruppen und Gemein‐ schaften. Wie die österreichische Historikerin Heidemarie Uhl zu Recht einge‐ worfen hat, sollte eine ‚postkoloniale‘ Sichtweise des habsburgischen Zentral‐ europa aber „nicht dazu führen, die Vielschichtigkeit von ethnisch-nationalen Konfliktlagen und die Entwicklung von Konsenskonzepten auf das dichotomi‐ sche Muster einer hierarchischen Differenz zwischen hegemonialer Elitenkultur und ‚kolonisierten‘ […] Nationalitäten zu reduzieren“ und „die Vorstellung eines homogenen ‚Anderen‘ zu generieren“ 114 - wie wohl auch aus den zitierten Text‐ beispielen hervorgegangen ist. 3. ’Kolonialismus’ als Denkfigur & Lesart: eine Betrachtungsweise If postcolonial is a useful word, then it refers to a process of disengagement from the whole colonial syndrome which takes many (HULME 1995). Man kann nun freilich in der Hypothese einer Binnenkolonisierung in Öster‐ reich-Ungarn auch nichts Anderes als eine - mitunter polemische - Metapher sehen. Damit ist vielfach die Problematik verbunden, dass jeder Kolonialismus‐ vorwurf gegen eine Zentralmacht häufig schon im Rahmen nationalistischer Diskurse seit dem 19. Jahrhundert selbst so weit instrumentalisiert wurde, dass er im 21. Jahrhundert eine unbeabsichtigte Parteinahme, ja Desavouierung des externen wissenschaftlichen Beobachters bedeuten könnte. 115 Diesem Vorwurf ist leicht zu opponieren, waren doch die Post / Colonial Stu‐ dies seit den Arbeiten von Edward Said bestrebt, den nur schwer abreißenden Gewaltzyklus zu beschreiben, wo die Vorherrschaft bestimmter ethnischer Gruppen, die sich meist hinter dem pathetischen Unionismus der Großreiche verbirgt, und die nationalistische Gegengewalt der Dekolonisation einander be‐ dingen und nachfolgen; auf diese Weise taugen beide Positionen nicht zu einer wie auch immer gearteten politischen Bewältigung oder gar Versöhnung. 116 Dies kann nur ein ‚dritter Weg‘ leisten, und in diesem Rahmen wäre noch weiter zu fragen, was eine ‚postkoloniale‘ Zugangsweise konkret in einem (zentral)euro‐ A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 58 117 Vgl. auch die bereits erwähnten Vorschläge bei WAGNER 2002. 118 REISENLEITNER 2002 [ohne Paginierung]. - Vgl. UHL 2002: 1 f. 119 Zum Mitteleuropa-Diskurs vgl. etwa LE RIDER 1994; ŽIVKOVIĆ 2015; RUTHNER 2017. 120 REISENLEITNER 2002. päischen Kontext leisten kann 117 - will sie mehr sein als eine politisch korrekte Trauerarbeit, die pikanterweise meist in den ehemaligen Herrschaftszentren ihren Ausgang genommen hat. Der in Kanada lehrende österreichische Kulturwissenschaftler Markus Rei‐ senleitner hat nun ebenso wie Heidemarie Uhl darauf aufmerksam gemacht, dass das vorgeschlagene postkoloniale Modell vor allem eine Lesart sei („an in‐ terdisciplinary set of reading practices“), die dem ‚habsburgischen Mythos‘ op‐ pononiert: „a desire to make a political intervention against appropriations of the idea of Central Europe as an essentialized space with a common heritage and a common culture for contemporary political claims of hegemony and nos‐ talgia through glorified imaginings of the Habsburg past“. 118 Es geht hier also auch um so etwas wie eine Reevaluation der habsburgischen Vergangenheit, ja um ein „Reinventing Central Europe“, hinter dem nicht selten politische Agenden stehen - verstehen sich doch etwa die österreichischen Konservativen bis zum heutigen Tag vielfach als Erben Habsburgs und seiner ‚multikulturellen‘ Vergangenheit in „Mitteleuropa“. 119 ‚Postkoloniale‘ Zugangsweisen dienen nun häufig der Hinterfragung gerade jenes naiven Verständnisses von ‚Multikultu‐ ralismus‘. Die Kritik Reisenleitners läuft indes darauf hinaus, dass postkoloniale Theo‐ rien von den ‚neuen Kakanier / innen‘ als „Werkzeugkasten“ („tool set“) be‐ trachtet würden, den man ohne Rücksicht auf die konkrete Machtsituation der amerikanischen „academic hegemony“, in der er entstanden sei, auf Öster‐ reich-Ungarn übertragen könne. 120 Dieser Transfer-Problematik ist freilich leicht zu entgegnen, dass gerade das displacement jener theoretischen Ansätze - die selbstverständlich in sich selbst als divergent anzusehen sind - die beste Gewähr bietet, diese ganz im Sinne postkolonialer Theoriebildung aus ihrer Be‐ fangenheit bzw. ihrer konkreten Verortung zu lösen und damit weiter zu über‐ prüfen und verfeinern. Nützlicher als Reisenleitners etwas antiquiert anmutende prinzipielle Vorbe‐ halte gegen akademische Aktivitäten als Machtpraktiken - die man besser un‐ terlässt, will man nicht stante pede die eigene Forschungsarbeit beenden A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 59 121 Da es nun einmal keine privilegienlosen und machtfreien Räume gibt, von denen aus Wissenschaft ‚glaubwürdiger‘ sprechen könnte als im zugegebenermaßen prekären Rahmen von Universitäten, akademischen Verlagen und Kanons. 122 REISENLEITNER 2003 [ohne Pag.]. 123 Vgl. SAID 1994: xxii. 124 Diese Problematik stand etwa auch bei der Organisation des erwähnten internationalen Wiener Forschungsprojekts FWF 14 727 im Mittelpunkt. Die Lösung bestand in der Errichtung eines möglichst dezentralen Netzwerks von Mitarbeiter / innen, die damit in der Lage waren, die Sünden der Nationalgeschichtsschreibung und -philologie gleichsam in einem Kaleidoskop von Perspektiven aufzulösen. müssen 121 - sind freilich seine konkreten Fragen und Anregungen, die in Folge formuliert werden: 122 • „Did the Habsburg lands have something comparable to the essentializing and morally loaded concept of ‚Englishness‘, so strongly tied to the British empire, its language and its literary canon? This question was raised by Edward Said when he explains 123 why he specifically does not talk about some parts of the world, including the Habsburg monarchy“. • „[The] nexus between nation and narration could usefully be unpacked and unhinged in a critique of hegemonic cultural practices in the Habs‐ burg lands.“ • „There can be no doubt that even the most marginalized and oppressed ethnicities in the Habsburg monarchy had access to relatively good prin‐ ting and publishing resources, but this does not imply that they were not subaltern, or that the concept of subalternity cannot be fruitful in consi‐ dering the situation there; it does imply, however, that the concept of voice has to be even more refined than it has already been in the context of India and the Subaltern Studies Group.“ • „[H]ow can it be avoided that such a movement promotes, intentionally or unintentionally, the same recentralization and hegemony of know‐ ledge production that it sets out to criticize? “ 124 Reisenleitner träumt in diesem Sinne durchaus von a serious engagement with postcolonial theory not so much in terms of an ‚application‘ but rather as a project of juxtaposition that re-shuffles the deck and thus provides a platform for tangential and guerilla readings that do not fall prey to oversimplifica‐ tions and remain stuck in legitimizing binaries of dominance and oppression. Enga‐ ging with the terms and reading practices of postcolonial theory could very well help to displace the terms of opposition in which the question of ‚applicability‘ is couched A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 60 125 REISENLEITNER 2003. 126 UHL 2002: 3. 127 KRAUS 1914: 2. 128 Vgl. auch den 10-Punkte-Katalog bei RIESZ 1983. (e.g. center and periphery, dominant vs. suppressed ethnicities, but also the concept of a Leitkultur). 125 Diese Vision teilen wahrscheinlich die meisten in derartige Forschungsprojekte Involvierten. In diesem Kontext wäre die Postkolonialismus-Debatte dann nichts Anderes als eine heuristische Denkfigur, die die Aufmerksamkeit auf die Modellierung kollektiver Identitäten (oder Identifikationen) unter den Herr‐ schafts- und / als Kulturbedingungen des multiethnischen k. u. k. Reichs lenkt - in jener Zeitumgebung, die unter dem Erfolgsdruck steht, mit der wankenden E. U. einen neuen, besseren Vielvölker(meta)staat begründen zu müssen. Gerade unter diesem Vorzeichen - so schreibt Heidemarie Uhl unter Berufung auf Mo‐ ritz Csáky - werde das späthabsburgische „Spannungsfeld zwischen der Aner‐ kennung von Differenz und den subtilen Mechanismen kultureller Hege‐ monie […] zu einem ‚Laboratorium gegenwärtiger Problemlagen‘“; 126 Literaturkenner / innen mögen hier das Kraus’sche Wort von Österreich-Ungarn als der „Versuchsstation des Weltuntergangs“ durchhören. 127 Allein schon deshalb sollte es nie so weit kommen, wie der österreichische Diplomat und Historiker Emil Brix auf einer Budapester Tagung 2002 meinte: Eine kulturwissenschaftlich-‚post / koloniale‘ Zugangsweise zu den Kulturen der k. u. k. Monarchie und ihrer Nachfolgestaaten, die als Gegenmodell zum habsburgischen Mythos gedacht sei, laufe nolens volens Gefahr, dessen Fünfte Kolonne, wenn nicht gar dessen letztes historisches rescue team zu werden. In diesem Sinne soll über Reisenleitners konstruktive Kritik hinaus in einer ab‐ schließenden Auflistung noch einmal auf die Anregungen fokussiert werden, welche Zentraleuropa- und Habsburg-Studien von den Post / Colonial Studies empfangen haben bzw. können; 128 es handelt sich hierbei um folgende Schwer‐ punkte: • Das Aufdecken quasi-kolonialer procedere bei der Konstruktion von k. u. k. Selbst- und Fremdbildern, der dahinter stehenden habsburgischen Identitätspolitiken bzw. die Rolle von Literatur darin (affirmativ / subver‐ siv). • Die Analyse der Tropen bzw. Topoi imperialen Schreibens, eingedenk jenes postkolonialen Aperçus, wonach Imperien immer auch Fiktion A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 61 129 Vgl. SAID 1994 u. RICHARDS 1993: 1. 130 Vgl. SAID 1994: xiiff., 84 et passim. 131 ZANTOP 1997: 2. - Vgl. LEPRUN 1986. 132 Denkbar wären auch Galizien und die Bukowina als Untersuchungsfeld, wiewohl ich diese habsburgischen Kronländer hier aufgrund mangelnder eigener Detailexpertise und andererseits wegen bereits existierender Fallstudien (STROHMAIER 2011; KAPS & SURMAN 2012; HAID u. a. 2013; PATRUT 2014; etc.) ausschließen möchte. 133 ASHCROFT u. a. 1989: 192. sind; 129 so erhebt sich auch die Frage, ob der von Said 130 behauptete ge‐ genseitige Ermöglichungskontext von (Kolonial-)Reich und Roman auch im post / habsburgischen Raum zutrifft - oder sich etwa genremäßig auf das Drama bei Grillparzer u. a. verlagert. • Die Erfassung literarischer Texte bzw. Genres als Ausdrucksmedien ko‐ lonialer Begehrlichkeiten auch dort, wo „Kakanien“ kein Kolonialreich war - also dessen, was Sylvane Leprun „l’imaginaire coloniale“ genannt hat und Susanne Zantop „colonial fantasies“. 131 (Dieser Fragestellung werden sich v.a. die Fallstudien in Teil B. des vorliegenden Buches wid‐ men.) • Die Analyse des k. u. k. Kulturimperialismus bzw. quasi- oder ersatzkolo‐ nialistischer Diskursformen in Bezug auf Bosnien-Herzegowina, 132 jener österreichisch-ungarischen Parallelaktion zum westeuropäischen Orien‐ talismus bzw. der Orient-Kolonisierung (Teil C. der Fallstudien). Für diese Schwerpunkte (mit Ausnahme des vierten) fällt nicht unbedingt ins Gewicht, ob nun die politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Lebe‐ welten des historischen Kontexts tatsächlich koloniale Züge aufweisen oder nicht - haben doch schon Bill Ascroft, Gareth Griffiths und Helen Tiffin in ihrem tonangebenden Buch The Empire Writes Back (1989, 2. Aufl. 2002) darauf hin‐ gewiesen, dass die von den Postcolonial Studies entwickelten Analysekatego‐ rien und -methoden durchaus auch gewinnbringend außerhalb postkolonialer Literaturen und Kulturen im engeren Sinn eingesetzt werden könnten. 133 In diesem Sinne soll das Post / Kolonialismus-Paradigma als Befund, als Befind‐ lichkeit und als Betrachtungsweise in den folgenden Fallstudien Berücksichti‐ gung finden. Bevor aber dies in Angriff genommen werden kann, müssen freilich noch einige Überlegungen zu jenen ‚Bilderwelten‘ angestellt werden, die literarische wie andere kulturelle Texte entwickeln, und deren Beziehungen zu jenen Ste‐ reotypien, die in den Kulturen kursieren und das Verhältnis des ‚Eigenen‘ und des ‚Fremden‘ regeln. A.1. K. u. k. postcolonial als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise 62 1 ELIOT 1998: 33. 2 Vgl. dazu die repräsentative Zusammenschau von BELLER & LEERSSEN 2007. 3 Vgl. etwa BAYERDÖRFER u. a. 2007; zur Bildwissenschaft vgl. SACHS-HOMBACH 2005, 2009; BELTING 2005; BOEHM 2006; MITCHELL 2008; u. a. A.2. ImagiNation: Zur literatur- und kulturwissenschaftlichen Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder […] Son of man, You cannot say, or guess, for you know only / A heap of broken images, […] (T. S. Eliot: The Waste Land) 1 2006 erregte der Film Borat des britischen Komikers Sacha Baron Cohen ge‐ winnträchtige Belustigung, aber auch heftige Diskussionen. Sein zentrales sa‐ tirisches Verfahren war, gängige Stereotypen über den ‚Wilden Osten‘ Europas in einem imaginären „Kasachstan“ zu verorten und den dort ansässigen Prota‐ gonisten auf eine Entdeckungsreise durch Amerika zu schicken, wo er mit seinem interkulturell bedingten Fehlverhalten letztlich nur die Körperfeindlich‐ keit und Engstirnigkeit von George Bushs Vereinigten Staaten enthüllte: ein prekärer und politisch unkorrekter Ansatz, der auf einer ‚schwarzen Pädagogik‘ des umgepolten Vorurteils fußt, das Gegenstand einer postmodernen Rückspie‐ gelung wird. (In Kanada jedenfalls verließen erregte ukrainischstämmige Zu‐ schauer den Kinosaal, da sie den Film als „disgrace“ für ihre Nation empfanden - obwohl die Ukraine hier nirgendwo vorkommt, sondern als Set für die Eröff‐ nungsszene ganz offensichtlich ein rumänisches Dorf diente.) Eine der vornehmlichsten Aufgaben für eine postkolonial inspirierte Lite‐ ratur- und Kulturwissenschaft könnte nun sein, anhand von kulturellen Text- und Bildwerken wie diesem Film das Ineinander von Repräsentation(en), Macht‐ strukturen und Identitätskonstruktionen aufzuzeigen - in Form einer Imagologie, 2 die sich auch um kritische Anschlussfähigkeit an eine gegenwärtig boomende Bildwissenschaft 3 (bzw. Visual Studies) und andere verwandte Dis‐ 4 In Betracht käme hier etwa auch die Stereotypenforschung innerhalb einer kritischen Diskursanalyse in Nachfolge von Ernesto Laclau, Chantale Mouffe, Ruth Wodak u. a.; vgl. etwa WODAK u. a. 1998; TORFING 1999; RECKWITZ 2006; FAIRCLOUGH 2010. 5 BARBEROWSKI 2008: 10.- Zur Offenheit des Repräsentationsbegriffs s. DAERMANN 2002: 11. 6 BARBEROWSKI 2008: 11. 7 Ebd. 12. 8 HOFER 2016: 37. ziplinen 4 bemüht. Mit Jörg Barberowski formuliert, wären dann Repräsentati‐ onen „Darstellungsformen des Wissens, die dem Menschen überhaupt erst er‐ möglichen sich eine Welt zu errichten. Wo etwas zum Ausdruck gebracht wird, äußert es sich in symbolischen Formen.“ 5 Barberowskis 2008 erschienener Sam‐ melband Selbst- und Fremdbilder wollte in diesem Sinne auch das Henne- Ei-Problem zeigen, wie „Repräsentationen soziale Ordnungen erzeugen, wenn Menschen einander begegnen, und wie diese Repräsentationen [wiederum] von den Ordnungen geformt werden, aus denen sie sich hervorbringen“: 6 „Dabei wird nicht nur deutlich, wie Repräsentationen entstehen und sich verändern, sondern auch, wie überkommene Repräsentationen verschwinden oder zur Ent‐ leerung gebracht werden und mit ihnen die Ordnungen vergehen, die sie sta‐ bilisiert haben.“ 7 In einem ähnlich ausgerichteten Sammelband von Hans Bay‐ erdörfer u. a. heißt es in Bezug auf identitäre Konstruktionen: „Bilder prägen die Vorstellungen von Fremdem, sie leisten seine Erfassung und Bemächtigung. Bilder weisen die Orte an, an denen sich das Selbst positioniert und wo das Andere seinen Platz findet.“ Denn, wie auch Michael Hofer in seiner denkwür‐ digen Studie zum ‚Integrations‘diskurs in Österreich schreibt, „wir sprechen uns nicht selbst, sondern werden immer schon durch andere gesprochen“ 8 - womit auch Faktoren wie Macht und Machtlosigkeit, (Un-)Gleichheit und Partizipation innerhalb und zwischen Gesellschaften zur Sprache kommen. A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 64 9 Zum Problemfeld stereotyping vgl. etwa die repräsentative Einführung von PICKE‐ RING 2001.- Auf die Trennungsunschärfe bzw. Überlagerung zwischen den Begriffen ‚Vorurteil‘, ‚Stereotyp‘ und ‚Klischee‘ (ZIJDERVELD 1979 u. 1987) ist wiederholt hin‐ gewiesen worden, vgl. etwa O’SULLIVAN 1989: 19 ff.; BELLER 2006: 47 ff.; FLO‐ RACK 2007: 24, 34 ff., 54; BELLER 2013: 97. Auf unserem beschränkten Raum kann und soll auf sie nicht eingegangen werden; genügen soll vielmehr, dass sich die meisten Konzepte darauf verständigen, dass Stereotype textuell verfestigt bzw. tradiert sind und deshalb für die Literatur- und Kulturwissenschaft, die von einem erweiterten Textbe‐ griff ausgeht, als das entscheidende Format gelten darf. In diesem Sinne wird auch der Unterschied zwischen ‚Bild‘ und ‚Stereotyp‘ (vgl. O’SULLIVAN 1989: 41 f.) in der vorl. Arbeit so gefasst, dass das Stereotyp über einen verfestigten ‚Mikro-Plot‘ verfügt, der sich aus einer kulturellen Tradition herleitet, während das literarische Bild prinzipiell jede abstrahierende Repräsentation eines Sachverhalts bezeichnet, die durch eine kol‐ lationierende Lektüre aus einem oder mehreren Texte / en gewonnen wird, aber u. a. auch in ein visuelles Medium (etwa eine Illustration oder Karikatur) übersetzt werden kann (wie z. B. Deutschland-Bild, Frauenbild etc.). 10 WELLEK 1963: 284 f. 11 DYSERINCK 1988: 16. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit jenen kulturellen „Selbst- und Fremdbildern“, „Stereotypen“, „Klischees“, o. ä. 9 führt jedoch, wie noch zu zeigen ist, häufig zu theoretischen Aporien und damit in jene Sackgasse zurück, in die die sog. Komparatistische Imagologie bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahr‐ hunderts geraten ist: Weist uns hier eine Intervention des postkolonialen The‐ oretikers Homi Bhabhas einen Ausweg - oder ist sie gut poststrukturalistisch der endgültige road block? - Quasi eine Leistungsschau, was Imagologie war / will / leistet und was sie sein könnte, bildet denn auch im Folgenden das Vor‐ haben unseres zweiten Theorieblocks. 1. New Criticism vs. Komparatistische Imagologie 1958 inkriminierte René Wellek auf dem Internationalen Komparatistenkon‐ gress von Chapel Hill eine neue Strömung innerhalb seines Faches: One can not be convinced by recent attempts […] to widen suddenly the scope of comparative literature in order to include a study of national illusions, of fixed ideas which nations have of each other […] but is such a study still literary scholarship? Is it not rather a study of public opinion useful, for instance, to a program director in the Voice of America and its analogues in other countries? 10 Der angesehene amerikanische Literaturwissenschaftler Prager Herkunft warf hier der sog. Komparatistischen Imagologie polemisch vor, eine Hilfswissen‐ schaft für öffentliche Meinungsmache zu sein, wenn nicht gar „Völkerpsycho‐ logie“ 11 ; oder, philologischer formuliert: „nothing else but a revival of the old A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 65 12 WELLEK 1963: 285 13 Vgl. DYSERINCK 1988: 16 u. 32. Vgl. auch die Auseinandersetzung mit dem New His‐ toricism bei BASSLER 2005. 14 DYSERINCK 1988: 13.- Später erklärte Dyserinck, die Imagologie beschäftige sich „mit den Vorstellungen von ‚Nationalcharakter‘, ‚Volkscharakter‘, ‚Besonderheit‘, ‚Wesen‘ usw. fremder Länder, insofern diese Bilder (‚Images‘) in der Literatur bzw. in einem mit der Literatur zusammenhängenden Geschehen entwickelt werden“ (DYSERINCK 1997: 13). Vgl. auch die Definition von FISCHER 1981: 20. Stoffgeschichte […] at the price, however, of dissolving literary scholarship into social psychology and cultural history“. 12 In dieser Kritik sind bereits Argumente vorweggenommen, denen sich später auch die Cultural Studies / Kulturwissen‐ schaft(en) ausgesetzt sahen: nämlich die Auflösung des dem Kunstwerk imma‐ nenten ästhetischen („intrinsic“) Moments zugunsten eines vagen und gemäß den Ansprüchen traditioneller Philologie nicht unproblematischen politischen Kontextes, der „extrinsic“ ist. 13 Die literaturwissenschaftliche Imagologie, der Welleks Attacke galt, ist „ein von der französischen Komparatistenschule hervorgebrachtes Spezialgebiet, das sich mit der Erforschung literarischer ‚Bilder‘ (d. h. ‚Vorstellungen‘ bzw. ‚Stere‐ otypen‘) vom ‚andern Land‘ befaßt“. 14 Oder, wie Jean-Marc Moura definiert: L’imagologie s’intéresse à un domaine fondamental de la littérature comparée: les relations entre les écrivains et les pays étrangers telles qu’elles se traduisent dans les œuvres littéraires. Pour élaborer une image de l’étranger, l’auteur n’a pas copié le réel, il a sélectionné un certain nombre de traits jugés pertinents pour sa représentation de l’altérité. L’imagologie décrit ces éléments, les rapproche des cadres historiques, so‐ ciaux et culturels qui en forment le contexte, et détermine ce qui appartient en propre à la création de l’écrivain. Elle contribue ainsi à la connaissance d’auteurs dont la sensibilité s’est particulièrement éveillée au contact d’un pays (l’Italie de Stendhal, le Mexique de Malcolm Lowry), de vogues littéraires typiques d’une période (l’orienta‐ lisme des Lumières, la germanophobie française d’avant 1914), ou de représentations A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 66 15 MOURA o. J. - Vgl. dazu die zeitliche frühere „ethnopsychologische“ Definition von MICHAUD 1971, die semiotisch versiert stärker auf den Repräsentationscharakter dieser Bilder abhebt: „Image: representation que se fait un people (une nation, une ethnie) de lui-même (auto-image) ou d’un autre (hétéro-image). Le terme de représen‐ tation souligne le caractère médiat de ces images, généralement transmises par la lite‐ rature ou l’histoire et qui affleurent à la conscience collective sous la forme d’opinions. En ce sens, toute image a un certain degré de réalité, mais cette réalité est devenue psychologique, donc subjective: elle est faite d’un ensemble de signaux à travers lesquels l’opinion d’un people croit pouvoir se reconnaître un autre people, ces signaux étant toujours charges d’affectivité […]. L’image est une matrice dans laquelle se moulent les opinions, un signifiant (système de signaux) qui résulte lui-même d’une convergence ou du moins d’une superposition d’images particulières.“ (313). 16 Zu einem kulturwissenschaftlich erweiterten Begriff des literarischen Motivs vgl. RUTHNER 2004: 301-335 (Kap. IV). 17 Zum verwendeten Bild/ image/ imago-Begriffs s. Fußnoten 9 u. 74. 18 Im Rahmen der vorliegenden Studie wird von einem (kulturwissenschaftlich) mittleren bis (anthropologisch) weiten Begriff von ‚Kultur‘ ausgegangen, der diese als Erzeu‐ gungs- und Tradierungsmatrix symbolischer Formen bzw. Medien fasst; vgl. MÜLLER-FUNK 2010: 8. 19 Die durchaus mit dem erwähnten Motivbegriff anschlussfähig wäre, wenn man nämlich literarische Motive als Repräsentationen kognitiv-mentaler Schemata bzw. scripts an‐ sieht (vgl. dazu RUTHNER 2004: 330).- Zum Stereotyp als kognitivem Schema vgl. AMOSSY 1991 / 2002; TODOROVA 1999: 169 f.; FLORACK 2007: 34. Weitere grund‐ legende kognitivbzw. wissenssoziologische Werke in diesem Kontext wären BOUL‐ DING 1961 und GOFFMAN 1975. 20 Vgl. MITCHELL 2008: S. 20 ff. 21 BELLER 2007: 4. 22 Ebd. de régions, de zones géographiques tenues pour cohérentes (l’Orient des Romantiques, le Tiers Monde des écrivains d’après 1945). 15 Diese Repräsentationen des anderskulturellen Fremden sind narratologisch ge‐ sehen plot-Elemente, also literarische Motive, die der Intertextualität mit an‐ deren literarischen Werken und außerliterarischen Kontext-Beziehungen un‐ terliegen; 16 intermedial sind diese images  17 aber auch mögliche Schnittstellen zwischen textgebundenen Narrativen (z. B. Literatur, Publizistik, etc.) und den visuellen Medien / Genres der Kultur 18 (wie z. B. Karikaturen). In einer mentalis‐ tischen Formulierung wiederum, 19 die sich an Kategorien des Chicagoer Bild-Theoretikers W. J. T. Mitchell 20 anlehnt, sieht der Literaturwissenschaftler Manfred Beller „the origin of all national-typological fictions“ in „mental ima‐ ginations, ideas and Vorstellungsbilder[n]“ 21 und schreibt weiter: „we use the term image as the mental silhouette of the other, who appears to be determined by the characteristics of family, group, tribe, people or race. Such an image rules our opinion of others and controls our behaviour towards them.“ 22 Jene „national A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 67 23 Ebd. 6. 24 Ebd. 11. 25 Ebd. 7. 26 Ebd. 27 Zum Prozess des kulturellen Encoding / Decoing vgl. HALL 1980. 28 BELLER 2013: 96. 29 Vgl. BELLER 2007: 14. Vgl. auch John McGrath, zit. n. TAJFEL 1982: 40. 30 Vgl. BELLER 2007: 11 f. Vgl. auch RÜHLING 2004. 31 LEERSSEN 2007a: 17; vgl. den ausführlichen Abriss bei FLORACK 2007: 7 ff. 32 Vgl. DYSERINCK 1988: 14; DYSERINCK 1997: 14; GUYARD 1951. characteristics“ seien auch der „ethnocentric stock-in-trade of literature“: 23 ein „unconscious inventory of images and generalized prejudices about the other“ 24 (womit potenziell auch eine tiefenpsychologische Ebene, sei sie individuell oder kollektiv-kulturell ins Spiel kommt); oder, mit Fokus auf die menschliche Wahr‐ nehmung, „a pre-programmed vision“, 25 „[where] real experiences and mental images compete“ 26 . Imagines des Nachbarlandes, des anderskulturellen Fremden etc. kursieren also offensichtlich nicht nur in Texten, sondern auch in Köpfen und Kulturen. Dabei herrscht eine Art von Dialektik zwischen der kulturellen Bildtradition sowie dem individuellen encoding (eines Autors / kulturellen Textes oder Arte‐ fakts) und dem decoding durch Leser / innen, 27 oder mit Beller formuliert, ein „Dreiecksverhältnis zwischen literarischem Text, dargestellter Nation und dem Erwartungshorizont des Lesers“. 28 Damit werden aber Texte wie auch Kulturen generell zu Umschlagplätzen von Bilder-Angeboten, oder - agonal gefasst - zum sublimierten Schlachtfeld eines ‚Kampfes um Bedeutung‘ 29 von Gruppen und ihren Bildern, den gemäß dem von Moura skizzierten imagologischen Pro‐ gramm eine kritische interkulturelle Erforschung der historischen Selbst- und Fremdbildformationen nachzuzeichnen vermag. 30 Diese akademische Disziplin hat ihre „archeology“ und „pre-history“: 31 Als Gründungsakt der literaturwissenschaftlichen Imagologie im engeren Sinn gilt Jean-Marie Carrés Vorwort Comment nous voyons vous entre nous? zu einer Pub‐ likation von Marius-François Guyard aus dem Jahr 1951, die ein Kapitel mit dem Titel L’étranger tel qu’on le voit enthält. Die Ansätze dazu reichen freilich bis in die frühen Tage der Komparatistik in Frankreich und dessen Nachbarländern zurück und wurden von Forscherpersönlichkeiten wie Louis-Paul Betz (1861-1904), Fernand Baldensperger (1871-1958), Paul Hazard (1878-1944), Paul Van Tieghem (1871-1948) u. a. mit geprägt. 32 Konkreter historischer Hin‐ tergrund nach dem Zweiten Weltkrieg war die geisteswissenschaftliche Aufar‐ A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 68 33 BELLER 2013: 97. 34 Vgl. auch FISCHER 1981: 65 f. 35 BELLER 2007: 8; vgl. LEERSSEN 2007a: 23 ff. Aus Platzgründen kann auf diesen inte‐ ressanten Ansatz nicht näher eingegangen werden. Vgl. PAGEAUX 1988, 1992; PA‐ GEAUX 1989: 135 ff. und FLORACK 2007: 29 ff. 36 Vgl. etwa QUASTHOFF 1973, SCHAFF 1980, KLEIN 1998 oder MÜNKLER 1994, 1998 u. 2008, weiters das Projekt „Historische Stereotypenforschung“ des Oldenburger Ost‐ europahistorikers Hans Henning Hahn (HAHN 1995 und www.bohemistik.de/ hhhahn/ index.html); einen guten Überblick bietet FLORACK 2007. 37 Für pragmatische Lösungsvorschläge der terminologischen Problematik (mit der sich insbesondere FLORACK 2007: 21 ff. u. BLIOUMI 2002: 345 ff. auseinandersetzen), siehe Fußnoten 9 u. 74. beitung des deutsch-französischen „Schlagabtausch[es]“ 33 und anderer ‚nati‐ onal‘ kodierter Spannungen in Europa. Im Anschluss an die erwähnte Auseinandersetzung dieser „französischen Schule“ mit Wellek bzw. der amerikanischen Fachtradition, 34 die dem New Cri‐ ticism entsprang und dementsprechend skeptisch gegenüber einer ‚unästheti‐ schen‘, d. h. historischen, sozialen und politischen Grundierung der Analyse eingestellt war, entstand die sog. Aachener Schule rund um den belgischen Li‐ teraturwissenschaftler Hugo Dyserinck, die vor allem in den 1980er Jahren eine internationale literarhistorische Erforschung jener nationalen images vom je‐ weils Anderen in Angriff nahm. Parallel dazu formulierte Daniel-Henri Pageaux an der Pariser Sorbonne seine theoretisch wohl besser unterfütterte Konzeptu‐ alisierung der imagerie bzw. des imaginaire culturelle, die dieses als semiotisches System zu fassen versucht: „The image of relations between the self and other, between inside and outside represents a cultural confrontation through which the individual subject or subject-group reveals their ideological horizon“. 35 Über die Grenzen von Text- und Kulturwissenschaft hinaus existieren Ansätze zur Erforschung von Stereotypen aber auch innerhalb der Soziolinguistik, der Ge‐ schichtswissenschaft sowie in den sozialwissenschaftlichen Disziplinen, in der Sozialpsychologie, Kommunikationswissenschaft und in der Anthropologie. 36 Diese werden in Anschluss an eine Darstellung der grundlegenden Dyade des Eigenen und des Fremden (Abschnitt 2), der Kulturgeschichte der europäischen Fremd- und Selbstbilder (Abschnitt 3), des Orientalismus / Balkanismus-Dis‐ kurses (Abschnitt 4) sowie der Aachener Schule und ihrer Problematik (Ab‐ schnitt 4) im fünften Teil dieses Kapitels auszugsweise skizziert werden. 2. IdentitätsKonstrukte: the Self vs the Other Es macht keinen Sinn, jene kulturellen Bilderwelten, Stereotype, oder wie auch immer man sie nennen möchte, 37 unabhängig von den grundlegenden Mecha‐ A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 69 38 Wenn etwa Manfred Beller schreibt, es gehe der Imagologie „nicht um eine Theorie der Identität“, sondern der Stereoytpen (BELLER 2013: 98). 39 Vgl. LEERSSEN 1991: 133. 40 Ich belasse es hier bei einer kursorischen Einführung zum Thema, zumal Wolfgang Müller-Funk eine umfängliche Einführung in Theorien des Eigenen und Fremden / An‐ deren in Buchform vorgelegt hat (MÜLLER-FUNK 2016), die auf seinem seminalen Aufsatz MÜLLER-FUNK 2002b aufbaut. Vgl. auch FINZI 2013: 55 ff. 41 Vgl. die Diskussion bei MÜLLER-FUNK 2016. Darüber hinaus hat HAIDU 1990: 679ff einen semiotischen Ansatz zu Alterität vorgelegt. 42 Vgl. etwa NIEDHART 1984; PICKERING 2001: 47 ff.; BELLER 2007: 4 u. 7; POLA‐ SCHEGG 2005: 41 ff. nismen der Identitätskonstitution zu betrachten. 38 Will man sich einer Erfor‐ schung jener Selbst- und Fremdbilder seriös widmen, so muss diese ihren An‐ fang vielmehr in zwei scheinbar widersprüchlichen Grundannahmen nehmen: Zum Einen scheint die Opposition von ‚Self vs. Other‘ nachgerade eine anthro‐ pologische Konstante zu sein (ebenso wie auch die daraus resultierende Prob‐ lematik des Ethnozentrismus? ). Zum anderen erweisen sich, wie der nächste Abschnitt zeigen wird, Bedeutungssysteme (kulturelle Semantiken bzw. ‚Gram‐ matiken‘ des Fremden) als historisch gewachsen, d. h. als Produkt spezieller Zeitumstände, und damit kontingent wie auch konventionell, 39 d. h. veränder‐ lich und möglicherweise sogar veränderbar. Doch zunächst sei hier kurz auf die grundlegende kulturelle Opposition des Eigenen und des Fremden / Anderen eingegangen, 40 die zu einem fundamentalen Erkenntnisproblem letzterem gegenüber führt: Die kognitive Konstruktion von Identität geht nämlich nicht einfach aus der Konfrontation zweier deutlich dis‐ tinkter, differenter, aber gleichwertiger Entitäten - dem ‚Selbst‘ und seinem ‚Anderen‘ - und deren Dialog auf gleicher Augenhöhe hervor. Wie diverse For‐ scher / innen unter Bezugnahme auf prominente philosophische Vorgänger 41 wie Emmanuel Levinas und Bernhard Waldenfels annehmen, werden in meiner Wahrnehmungswelt (und deren kollektiv-kulturell bereitgestellter Repräsenta‐ tionsschablone) Bilder des Eigenen und des Anderen / Fremden auf einander bezogen und damit zu einer dynamischen Einheit, oder vielmehr: Zweiheit - einer latent hierarchischen Dyade, deren Pole nicht unabhängig von einander zu denken sind. 42 Schon Manfred Fischer von der Aachener Schule hatte 1981 auf die daraus folgende Verschränkung von Selbst- und Fremdbild hingewiesen: Zu unterscheiden ist zwischen Auto- und Heteroimages, die sich mit großer Wahr‐ scheinlichkeit in ihrer Genese gegenseitig bedingen, indem das ‚Fremde‘ zur defini‐ torischen Abgrenzung des ‚Eigenen‘ herangezogen wird bzw. das ‚Fremde‘ von der Warte und nach dem Maßstab des vorab angenommenen ‚Eigenen‘ bewertet wird. Mit einiger Sicherheit läßt sich vermuten, daß in einer großen Anzahl von Fällen Auto- A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 70 43 FISCHER 1981: 20. 44 Vgl. LEVINAS 1949 / 79 u. 1995. Vgl. dazu MÜLLER-FUNK 2016: 100 ff. 45 SCHLEIERMACHER 1960: 24. 46 Vgl. etwa WALDENFELS 1997: 26; NEDERVEEN PIETERSE 1991: 200. 47 SEXL 2013: 92 (Hervorh. im Orig.). 48 Vgl. DUALA-M’BEDY 1977; WIERLACHER 1985 / 2001; JAMME & DÄRMANN 2002; WALDENFELS 1997ff, 1998; LESKOVEC 2009; MÜLLER-FUNK 2016 u. v. a. 49 HORN 1987: 405. 50 Vgl. HAHN 1994: 140. 51 Vgl. etwa MECKLENBURG 1987: 564; HAHN 1994: 140; MÜNKLER 2008: 158; MÜLLER-FUNK 2016: 172; u. v. a. 52 Vgl. FOUCAULT 2004. 53 LEERSSEN 2007a: 17. und Heteroimages die beiden Seiten ein- und derselben Medaille ausmachen. Nach‐ weislich gibt es auch Fälle, in denen das Heteroimage zur Gewinnung eines Auto‐ images übernommen und anerkannt wurde. 43 Wie schon Schleiermacher (und später Levinas 44 ) befand, impliziert jede Sub‐ jektkonstitution die „Mitgesetztheit eines Anderen“, 45 mit anderen Worten, die Konstruktion der ‚eigenen‘ Identität erfolgt ex negativo über den Umweg des Fremden / Anderen: das Selbst ist, was das Andere / Fremde nicht ist, bzw. dieses zeigt ihm, wer es ist. 46 Dies gilt für das Erlernen individueller Identität durch das Kind ebenso wie für die kollektiven Identitäten von sozialen Gruppen, Klassen, Geschlechtern, Generationen, Ethnien oder Staaten, die diese - fotografisch ge‐ sprochen - gleichsam am Negativbild anderer Kollektive entwickeln. Martin Sexl schreibt, „dass das Eine (das Eigene) nur durch die ‚Verbannung‘ des An‐ deren (des Fremden) definiert werden kann, wobei dieses ‚Andere‘ - um es psy‐ chologisch zu fassen - immer Objekt des Begehrens ist und somit in das Eigene eingeschrieben bleibt.“ 47 Das Andere bzw. Fremde - um einer gegenwärtig boomenden Xenologie 48 das Wort zu reden - ist somit spätestens seit Georg Simmel und Edmund Husserl endgültig ein relationaler Begriff, kein inhaltlich per se bestimmter; Fremdheit bzw. Alterität ist keine „Konstante“, 49 sondern sinnhaft nur in ihrem Zuschrei‐ bungscharakter 50 , d. h. im Bezogensein auf das Eigene. 51 In diesem Zusammen‐ hang hat der Amsterdamer Imagologe Joep Leerssen (mit Foucault? 52 ) auf den latent asymmetrischen Charakter der Dyade hingewiesen: „The default value of human’s contact with different cultures seems to have been ethnocentric, in that anything that deviated from accustomed domestic patterns is ‚Othered‘ as an oddity, an anomaly, a singularity.“ 53 Das Eigene wird als gleichsam unsichtbarer Ausgangspunkt der Welt zum ‚Normalfall‘; das Andere / Fremde hingegen ist als ‚abnormal‘ markiert, aber auch dieser untergeordnete - und im doppelten Sinne A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 71 54 MÜLLER-FUNK 2002b: 2. 55 Vgl. MECKLENBURG 1987: 564; TURK 1990; HAHN 1994: 142; WALDENFELS 1997 ff., 1998; MÜLLER-FUNK 2002, 2016; POLASCHEGG 2005: 41 ff. u. v. a. 56 WALDENFELS 1997: 27. 57 TURK 1990. 58 POLASCHEGG 2005: 41 ff. 59 Vgl. ebd. 60 Vgl. ebd. 46. projektive - Teil der Dyade, der zur Selbstbestimmung, aber auch -hinterfragung herangezogen wird, ist möglicherweise in sich jeweils different. In diesem Sinne schreibt Wolfgang Müller-Funk: Wer jenseits von Hegel kulturwissenschaftlich argumentieren will, der wird nicht um eine Phänomenologie der Differenzen von Differenzen herumkommen, und sie könnte zeigen, dass die Andere nicht identisch mit dem Anderen ist, weder mit dem personalen, noch mit dem ‚neutralen‘, dass ‚der (kulturelle) Fremde‘ und ‚der Andere‘ nicht notwendig zusammenfallen. Mit dem Diskurs über ‚das Fremde‘, ‚das Andere‘, ‚das Eigene‘ und ‚das Selbe‘ befindet man sich sogleich in jenem theoretischen Mi‐ nenfeld, das durch Begriffe wie ‚Universalismus‘ und ‚Kulturalismus‘ abgesteckt ist. Eine kulturwissenschaftlich gewendete Phänomenologie wird daher die Unterschiede, Abstufungen und Differenzen, ihre fließenden Übergänge, aber auch ihre kontrastiven Akzente zwischen den verschiedenen Modi des Fremden, etwa - um die in diesem Fall präzisere englische Terminologie zu gebrauchen - zwischen ‚the other‘, ‚the stranger‘ und ‚the foreigner‘ zu markieren haben. 54 Auch andere Forscher / innen 55 plädieren dafür, die beiden genannten Kontrast‐ begriffe für die Konstitution eines Selbst(bildes) konzeptuell auseinander zu halten und zwischen dem Anderen und dem Fremden zu unterscheiden: Bernhard Waldenfels spricht vom „originell Unzugänglichen und originär Unzugehö‐ rigen“, 56 Horst Turk von „Alterität“ und „Alienität“, 57 Andrea Polaschegg von „Differenz“ und „Distanz“. 58 Der / die Andere als Gegenüber bietet erst die kon‐ stitutive Differenz zur Subjektsetzung; das Fremde hingegen ist bei Polaschegg als kognitive Kategorie gefasst, die sich dem eigenen Wissen entzieht, insofern als es (noch) nicht zugehörig und zugänglich ist. 59 (Durch diese Zweiteilung möchte Polaschegg auch die traditionelle Aporie der Alterität auflösen, wonach das Fremde / Andere „als Identitätskonstitution notwendig außerhalb des Ei‐ genen liegt und zugleich verstehend angeeignet wird“. 60 ) Eine potenziell dekonstruktive Pointe für diese Polarität von Identität und Alterität / Alienität erschließt sich einer psychoanalytischen Zugangsweise frei‐ lich mit Julia Kristeva, wenn sie schreibt: „Auf befremdliche Weise ist der Fremde A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 72 61 KRISTEVA 1990: 11. Vgl. VAN ALPHEN 1991. 62 HORN 1987: 405. Vgl. auch BOERNER 1975. 63 KRISTEVA 1990: 197-210; vgl. FREUD 1991 / 1982. Vgl. dazu auch MÜLLER-FUNK 2016: 88 ff. 64 KRISTEVA 1990: 198 u. 208 f. 65 ECKERT 2008: 63. in uns selbst: Er ist die verborgene Seite unserer Identität […]“. 61 Ein ähnliches Konzept hat Peter Horn bereits vor Kristeva vorgelegt: Fremdheit als „Funktion jener Grenzziehungen, mit der wir unsere individuelle Gruppenidentität [sic] absichern“, sei die Veräußerung (Projektion) jenes splittings von Bewusstem und Unbewusstem, die in unsrem Inneren stattfinde; die Abspaltung des Fremden folge somit dem Vorbild des ‚Es‘. 62 Dies erklärt auch die ambivalente Aufladung des / der Fremden, die Angstlust, die ihm / ihr / ihnen entgegengebracht wird; Kristeva versucht dies durch eine Engführung des Fremden und des „Unheim‐ lichen“ nach Freud zu plausibilisieren, 63 das seine ungewöhnlich befremdliche wie beklemmende Qualität ja durch die Entfremdung bzw. die (Ab)Spaltung des früher Vertrauten erhält: Wir sind unsere eigenen Fremden - wir sind gespalten. […] Und wenn wir den Fremden fliehen oder bekämpfen, kämpfen wir gegen unser Un‐ bewußtes - dieses ‚Uneigene‘ unseres nicht möglichen ‚Eigenen‘. 64 Gerade diese Beobachtung ist auch angetan, Licht in die Kulturpsychologie des Kolonialismus zu werfen, der in seinen Untertanen gleichsam ausgesonderte Vorstufen des Eigenen kulturell ‚zähmen‘ möchte und damit jene Abspaltungs- und Verdrängungsleistung zur Staatsräson zwischen herrschenden und be‐ herrschten Kollektiven macht. Die konstitutive Dyade des Eigenen und Anderen / Fremden zeigt sich indes immer latent intern unterminiert; dennoch wird sie aufrecht erhalten und ist als Wahrnehmungsformat einer wechselseitigen Definition, Abstoßung und gra‐ duellen Annäherung, die man analog zur Hermeneutik den ‚xenologischen Zirkel‘ nennen könnte, zumindest in ihrer vor-postmodernen Fassung nicht ge‐ dacht, um je zu kollabieren und das Eigene und das Andere ident zu machen. Dies wird besonders anhand der sog. „Zivilisierungsmission“, jener „Legitima‐ tionsrhetorik“ 65 des europäischen Imperialismus im 19. Jahrhundert - und eines der Leitmotive des vorliegenden Buches - deutlich, wie beispielsweise Andreas Eckert in einer Parallelaktion zu Homi Bhabha (vgl. Abschnitt 7) zeigt: Ihm zu‐ folge habe „[e]iner der zentralen Widersprüche kolonialer Herrschaft in Afrika“ darin bestanden, dass „sich die Europäer auf der einen Seite als Vorbild setzten, auf der anderen Seite aber nichts mehr fürchteten als die Afrikaner, die sich A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 73 66 Ebd. 64. 67 Ebd. 65. 68 KRISTEVA 1990: 47.- Diese Passage wirft autobiografisch ein interessantes Licht auf die chronologischen Implikationen der Abspaltungs-/ Absonderungstheorie der Kul‐ turtheoretikerin. Denn was ist hier eigentlich fremd: die bulgarischen Wurzeln Kris‐ tevas oder nicht vielmehr ihr neuer Lebensmittelpunkt Paris? 69 FLORACK 2007: 3. 70 Vgl. ebd. 59 ff. kulturell anpassten.“ 66 Denn das Eigene braucht wie gesagt das als different ge‐ setzte Fremde als Grundlage, um sein Selbstbild legitimatorisch aufrechterhalten zu können: Diese konstitutive Spannung kreiert eine asymptotische Unerreich‐ barkeit des vorgeblichen westlichen Kulturideals; dies macht aufgrund der kon‐ stitutiven Spannung eine Reform des Anderskulturellen und dessen Anpassung an das Eigene letztlich unmöglich. Die mission zivilatrice schreibt damit para‐ doxerweise eher die Andersartigkeit des Fremden fest als dessen restlose Ak‐ kulturation zu ermöglichen: „so ging es den Franzosen (wie auch den Briten) darum, gleichsam ‚perfekte Eingeborene‘, nicht jedoch ‚schwarze Europäer‘ zu kreieren“, wie Eckert meint. 67 Diese Spur soll im Folgenden anhand von Bhabhas Stereotypen-Konzept weiter verfolgt werden; zunächst jedoch empfiehlt sich ein kulturhistorischer Blick zurück auf die Konstituierung einer ‚national‘ kodierten westlichen Dyade von Selbst / Fremd sowie deren Erforschung. 3. Zur Kulturgeschichte nationaler & regionaler Typologien Trotz ihrer brillanten Analyse zur Kulturwissenschaft, Geschichte und Psycho‐ logie des xenos ist Julia Kristeva selbst nicht vor der Suggestionskraft nationaler Stereotypen gefeit, wie im Frankreich-Abschnitt ihres zitierten Buches Fremde sind wir uns selbst (1988 / 90) deutlich wird, das Topoi für das ‚Wesen‘ verschie‐ dener europäischer Ethnien scheinbar unkritisch aus der Tradition übernimmt: Nirgendwo ist man fremder als in Frankreich. Die Franzosen, die weder die Toleranz der angelsächsischen Protestanten noch die durchlässige Unbekümmertheit der ro‐ manischen Südländer, noch die ebenso zurückweisende wie einverleibende Neugier der Deutschen und Slawen haben, setzen dem Fremden ein kompaktes soziales Gefüge entgegen, und dies mit einem kaum zu überbietenden nationalen Hochmut. 68 „Dieses essentialistische Konzept, das Völker als Kollektivindividuen mit einer je eigenen ‚Natur‘ auffaßt, diente [in der westlichen Tradition, C. R.] der Be‐ schreibung und Erklärung kultureller Differenz“, schreibt Ruth Florack in ihrer Monografie Bekannte Fremde (2007), 69 das einen lesenswerten wie auf Vollstän‐ digkeit bedachten kritischen Überblick über Geschichte 70 und Zukunftsperspek‐ A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 74 71 Ebd. 75, vgl. ebd. 143. 72 Hier ist offenkundig - und sinnvollerweise - ein erweiterter Literaturbegriff anzu‐ nehmen, der über Belletristik hinausgeht und auch diverse historische Formen der Publizistik nicht ausschließt. Weiters ist davon auszugehen, dass bei der Verbreitung und Diskussion national kodierter Selbst- und Fremdbilder die Presse und später andere Massenmedien eine entscheidende Rolle spielen werden. 73 FLORACK 2007: 1. 74 Mirage ist der Term, der tlw. in der französischen Komparatistik verwendet wird; vgl. DYSERINCK 1966. Ein anderer gebräuchlicher Begriff ist lat. imago bzw. engl. image; beide werden in der vorliegenden Arbeit synonym mit ‚Bild‘ gebraucht. 75 Bei BELLER 2007: 8 etwa heißt es dazu: „the topical technique of legal reasoning […] becomes the first significant carrier of stereotyped information and prejudices about other peoples and social groups in the shape of clichés“. - Vgl. NIPPEL 2007 und WINKLER 2009. 76 Vgl. SCHNEIDER 1997; DROIT 2007; TODOROV 2008; WINKLER 2009; u. a. 77 Vgl. FINK 1987: 239 ff.; STANZEL 1998: S. 21 ff.; FLORACK 2007: 66 ff. 78 POCHAT 1988: 189 ff. 79 Vgl. WINKLER 2009: 23. tiven der Imagologie bietet: „Was wir aus historischer Distanz als Nationalste‐ reotype bezeichnen, sind also kulturelle Besonderheiten,“ die essentialistisch naturalisiert werden als „Eigenschaften eines Volkes“ „und so als die ‚Tugenden‘ und ‚Laster‘ erscheinen, die seinem ‚Naturell‘ entsprechen.“ 71 Eine weitere wich‐ tige Zusatzhypothese, die Florack mit anderen imagologisch ausgerichteten Forscher / innen teilt, ist, dass „vor der Entwicklung moderner Massenmedien die Literatur 72 eine wichtige Rolle gespielt hat bei der Festschreibung und Ver‐ breitung solcher übergeneralisierender Kategorisierungen“. 73 Die Wirkungsmacht dieser Bilderwelten des Eigenen und des Fremden - von anderen Forscher / innen imag(in)es bzw. mirages  74 genannt -, die nationalen Kollektiven wie im obigen Kristeva-Zitat Eigenschaften bzw. Attribute zu‐ schreiben, lässt sich nun genealogisch - in einer nationalen Formatierung - bis in die frühe Neuzeit Europas oder sogar - in einer allgemeineren Form - bis in die Kulturtheorie und Rhetorik der Antike 75 zurückverfolgen. Götz Pochat etwa sieht den „Asianismus“-Vorwurf griechischer und lateinischer Autoren gegen fremde Literaturen im Verbund mit der antiken Erfindung des „Barbaren“ 76 und der aristotelischen Klimazonen-Lehre 77 als erste bekannte Ausgangspunkte. 78 Nicht unwichtig im Rahmen der vorliegenden Arbeit dürfte hier auch die Tat‐ sache sein, dass ein historischer Zusammenhang zwischen dem Barbaren-Dis‐ kurs (des ‚zivilisierten‘ Selbst gegenüber dem wilden, ‚sprachlosen‘ Fremden) und der griechischen Kolonisierung der Mittelmeerküsten bzw. später dem rö‐ mischen Imperialismus angenommen werden kann. 79 Seit dem 12. Jahrhundert gibt es indes Belege für das Aufkommen von eth‐ notypen Zuschreibungen in Europa, die sukzessive die zentrale mittelalterliche A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 75 80 SCHMUGGE 1982: 443 f.; vgl. JEISMANN 1991: Fußn. 4; HOPPENBROUWERS 2007: insbes. S. 57. 81 FLORACK 2007: 69. 82 Ebd. 54. 83 JAWORSKI 1987: 67 f. 84 Ebd. 68. 85 ROTHE 1988: 296. Dichotomie von ‚Christenheit‘ vs. ‚Heiden‘ auf- und ablöst. Wie Ludwig Schmugge meint, bildete sich im Zuge der Kreuzzüge ein wechselseitiges Ge‐ flecht eines ‚vornationalen‘ kollektiven Bewusstseins; 80 im Zuge der fortschrei‐ tenden Entdeckung fremder Erdteile, aber auch des antiken Erbes in der Re‐ naissance entsteht ein neues Bewusstsein für kulturelle Differenz. 81 Laut Florack lässt sich dann „seit der Frühen Neuzeit durchaus so etwas wie ein recht stabiles grenzüberschreitendes Wissen über die Natur der unterschiedlichen Völker nachweisen“. 82 In Ergänzung dazu sieht Rudolf Jaworski den „nationalen Stere‐ otypen vorgeordnet und zugleich älter als diese […] global vorgetragene Ver‐ gleiche zwischen dem ‚Abend-‘ und dem ‚Morgenland‘, zwischen dem ‚Westen‘ und dem ‚Osten‘, zwischen ‚Rußland und Europa‘“ 83 (hinzuzufügen wären auch ‚Nord‘ und ‚Süd‘): „In diesen grobgerasterten Dichotomien“ gehe es aber freilich weniger um die Kennzeichnung der „Volkscharaktere als vielmehr um das selbstgerechte Abstecken ganzer Kultursphären und Zivilisationsmuster.“ 84 Wichtige Beispiele dafür wären etwa auch der von Edward Said paradigmen‐ bildend untersuchte Orient/ alismus, d.h. die phantasmatisch projektive ‚Erfin‐ dung‘ des Orients durch westliche Wissenschaftler und Literat / inn / en als das Andere des Westens; Komplementärdiskurse dazu sind etwa der Okzidenta‐ lismus (Ian Buruma u. Avishai Margalit) oder der Balkanismus (Maria Todorova) und generell die Imagination Osteuropas, der sich der New Yorker Osteuropa‐ historiker Larry Wolf gewidmet hat (siehe dazu im Folgenden). Der Orient als projiziertes Anderes Europa, das der Selbstdefinition des alten Kontinents und dessen Nationen dient, spielt schon früh eine Rolle - sieht doch nicht nur Hans Rothe die Türkenrede des Humanisten Enea Silvio de Piccolomini (und späteren Papstes Pius II .) aus der Mitte des 15. Jahrhunderts als wichtiges Gründungsdokument des modernen westlichen Diskurses vom Eigenen und Fremden. 85 Hier wird davor gewarnt, dass bei mangelhaften Vorkehrungen die Völker Europas übereinander herfallen würden: Damit daher die Christen sich des Friedens erfreuen können, muß man den Krieg auf auswärtige Völker hinüberspielen. Wenn es dazu kommt, werden weder die Deut‐ schen in ihrem hehren Mut, noch die Franzosen mit ihrer ritterlichen Beherztheit, A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 76 86 Zit. n. ebd. 87 Vgl. auch BELLER 2007: 11. 88 Vgl. ANDERSON 1998: 46. 89 STANZEL 1998: 28. 90 LEERSSEN 2000: 283. 91 In diesem Sinne möchte ich - aufgrund der offenkundigen historischen Parallelen - auch FLORACK 2007: 81 widersprechen, wonach jene Stereotypen eher ein „Element des Wissens“ als „frühe[r] Ausdruck kollektiver Identität oder nationalen Selbstbe‐ wußtseins“ seien; sie sind wahrscheinlich beides. noch die Spanier mit ihrem hochstrebenden Sinn, noch die Italiener mit ihrem ruhm‐ begierigen Geiste fehlen. 86 In Piccolominis Rede werden Elemente sinnfällig, die im Folgenden wieder‐ kehren werden: Zum einen werden zunehmend national kodierte - und sich verselbständigende - Bilder aus einer Rhetorik von Epitheta entwickelt; zum anderen dienen diese einer diskursiven Grundierung der militärischen Aggres‐ sion gegen die Türken und zugleich der politischen Einigung angesichts dieses äußeren Feindes, damit also der Legitimation und Propaganda. Ebenso wenig ist zu übersehen, dass hier eines der ersten - und problematischen - modernen Konzepte von (’West’-)’Europa’ sinnfällig wird. Auch der österreichische Anglist Franz Stanzel beschreibt in seinem imago‐ logischen Essay über die europäischen „Völkertafeln“ die Periode um 1500 als wichtige formative Schwellenzeit für nationale Typologien; als Faktoren nennt er die Reformation, die frühneuzeitliche Globalisierung durch die Entdeckungs‐ fahrten, die einsetzende Kolonisierung der Neuen Welt sowie das beginnende nation building der Sprachkulturen 87 - als Folge des Buchdrucks, wäre hier mit Benedict Anderson 88 hinzuzufügen: „Die im Humanismus aufbrechende Po‐ lemik zwischen den aufsteigenden germanischen Völkern des Nordens und den absteigenden südländischen Völkern“ unterstelle, so Stanzel, den „Gegensatz zwischen jugendlicher Vitalität der Germanen und geistiger Erschöpfung und Altersschwäche“. 89 Etwas allgemeiner ließe sich formulieren, dass parallel zum Entstehen des modernen Individuums / Subjekts und seiner Psychologisierung zwischen Renaissance und Aufklärung auch die neue imaginierte Metonymie der (Sprach-)Nation rhetorisch mittels Epitheta mit einer Art von charakteris‐ tischer Kollektivindividualität („psychological proprium“ 90 ) versehen wird: quasi eine ImagiNation, um das Wortspiel unseres Kapiteltitels wieder aufzugreifen. 91 Joep Leerssen sieht in diesem Rahmen neben Hippolyte-Jules Pilet de La Mesnardières Poètique (1639 / 40) bereits Julius Caesar Scaligers Poetices libri VII (1561) als wichtigen Schlüsseltext für die Festlegung nationaler Typologien mit‐ A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 77 92 LEERSSEN 2007b: 64 ff. - Vgl. FLORACK 2007: 60 ff. 93 LEERSSEN 2007b: 65. 94 Ebd. 66 f. 95 LEERSSEN 2007a: 17 f. 96 FLORACK 2007: 66. 97 POCHAT 1988: 211. 98 Ebd. 99 LEERSSEN 2007b: 73. tels der Zuschreibung von Eigenschaftskatalogen: 92 „nations are now primarily ordered by temperaments, personality-attributes, characters.“ 93 Scaligers enzy‐ klopädische Neo-Aristotelik schaffe eine Art literarischer Inventarliste, wie ver‐ schiedene Nationalitäten (darzustellen) seien; seine Regelpoetik kenne etwa keinen Platz für einen witzigen Deutschen. 94 Diese (Stereo-)Typologien seien dann in der Aufklärung bei Hume, Montesquieu, Voltaire, Vico und Herder weiter systematisiert worden. 95 Dies kreiert jene denkwürdige Konstanz der Zuschreibungen, für die Florack ein griffiges Beispiel angeboten hat: Daß sich Agrippas [von Nettesheim, C. R.] Katalog nationaler Eigenschaften wörtlich in Luthers ‚Handpsalter‘ wiederfindet und, um die Engländer ergänzt, mehr als zwei‐ einhalb Jahrhunderte später noch in Goethes Notizen zur Vorbereitung einer zweiten italienischen Reise, ist ein Indiz für die Hartnäckigkeit dessen, was wir heute als Ste‐ reotype bezeichnen. 96 Seit der Mitte des 19. Jahrhundert hätten sich dann, so Pochat, ethnotype images und „nationalistische Tendenzen […] immer wieder, manchmal in verhängnis‐ voller Weise, durchgesetzt.“ 97 Eine national geprägte Kunst- und Kulturge‐ schichte etwa beruhe auf der Annahme, daß sich der Charakter eines Volkes oder Stammes äußeren Stilim‐ pulsen zum Trotz stets durchsetzt. Zu der früheren, imagologisch bedeutsamen Kli‐ malehre tritt nun die völkische Komponente hinzu. 98 Pochat bezieht sich hier ganz offenkundig auf die Entdeckung des „Volkes“ und seiner „Kultur“ bei Herder und den Romantikern, aber vor allem auf die pseu‐ dowissenschaftliche Formatierung nationaler Selbst- und Fremdbilder unter dem Eindruck der Völkerpsychologie im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahr‐ hundert, diese versucht, nationalen Kollektiven genauso wie dem Individuum gewisse psychische Eigenschaften (den „Volksgeist“) gleichsam als „cultural DNA “ 99 zuzuordnen - wie dies etwa in Wilhelm Wundts gleichnamigem Mo‐ numentalwerk von 1900-1920 der Fall ist. Diese Zuschreibungen erweisen sich A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 78 100 Vgl. dazu die beiden exemplarischen Studien von MOSSE 1990 u. EWEN & EWEN 2006; außerdem KAUPEN-HAAS & SALLER 1999. 101 BAYERDÖRFER u. a. 2007: 8. 102 KAELBLE 2008: 69. 103 BAYERDÖRFER u. a. 2007: 8 u. 11. 104 Vgl. dazu etwa RICHARDS 1993 u. YOUNG 1995. 105 MÜNKLER 2008: 160. freilich eingebunden in andere Diskurse wie Nationalismus, Rassismus und (So‐ zial-)Darwinismus. 100 Hans Bayerdörfer und seine Mitherausgeber sehen im 19. Jahrhundert ein groß angelegtes „Erfassungsprojekt […] des Fremden im Äußeren und Inneren der Staaten“ im Gange, 101 das - wie Hartmut Kaelble schreibt - dieses ab dem Vorabend des Ersten Weltkriegs „nicht mehr in Kategorien der ‚Kultur‘, sondern in Kategorien von ‚Rasse‘ zu fassen“ 102 versucht. Ebenso eröffnen neue visuelle Medien neue Möglichkeiten für einen exotistischen „Konsum“, wie auch das fotografische Bild half, die Fremden „als stumme Zeugen einer realen oder fik‐ tiven Begegnung“ zu fixieren. 103 Mit den biologistischen Festschreibungen von „Rasse“, „Volk“ und „Ge‐ schlecht“, die mit dieser Wissensformation 104 einhergehen, gewinnt der euro‐ päische Imperialismus jedenfalls ein wichtiges rhetorisches Werkzeug: die dis‐ kriminierende Bewertung und Hierarchisierung kultureller Differenz. Dieses diskursive Instrument wird denn auch im Rahmen jener kolonialistischen Ex‐ pansionsprojekte im 19. Jahrhundert eingesetzt, um die „Inferiorität“ außereu‐ ropäischer Völker und den daraus resultierenden „Bedarf “ nach „Zivilisie‐ rung“ - die bereits mehrfach erwähnte mission civilatrice - zu begründen und als Topos festzuschreiben. Damit entstehen „Ordnungen der Fremdheit“ (Her‐ fried Münkler), „in denen geregelt ist, wie mit den unterschiedlichen Typen bzw. Graden von Fremdheit umzugehen ist“: Neben Inklusion und Exklusion gebe es eine Fülle von hybriden Zwischenformen wie etwa „Semiinklusion und Seklu‐ sion“. 105 (Hier wäre etwa an die Rassetafeln des hispanischen Kolonialismus in Lateinamerika zu denken oder die rassistische Einteilung der Bevölkerung nach den arbiträren Kriterien der NS -Ideologie, die anders etwa als die religiösen Gesetze des Judentums „Mischlinge ersten und zweiten Grades“ kennt.) Nach dem genozidalen Höhepunkt ethnischer bzw. ‚rassischer‘ Typologien im Umfeld der beiden Weltkriege bzw. der totalitären Staatsprojekte des 20. Jahrhunderts ist in der Postmoderne ein gewisses Abflauen, die Tabuisie‐ A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 79 106 BELLER 2013: 99.- Fraglich bleibt freilich, inwieweit der ironische Einsatz von alther‐ gebrachten nationalen imag(in)es diese zwar unterminiert, andererseits aber auch be‐ kräftigt. Zum Verhältnis von Stereotyp und Ironie vgl. auch LEERSSEN 2000: 275, 280, 287. 107 Vgl. LEERSSEN 2007b: 75; vgl. auch KAELBLE 2008. 108 HAN 2016. 109 Vgl. (zu Said) etwa PARRY 1986; GHANDI 1998: 64 ff.; REBER 2002; VARELA & DHAWAN 2005: 49 ff.; WARRAQ 2007; AHMAD 2008: 158 ff.; u. v. a.; zu Todorova SUNDHAUSEN 1999 oder FINZI 2013: 91; weiters TODOROVA 2005. rung, aber auch künstlerische Ironisierung (ironic turn  106 ) der Stereotypen zu bemerken, woran etwa der erwähnte Film Borat teilhat. Mit den politischen Wendezeiten in Zentral- und (Süd-)Osteuropa nach 1989 lässt sich freilich wieder eine massive Rückkehr traditioneller Selbst- und Fremdbilder in den Diskursen diverser Neo-Nationalismen verzeichnen, die häufig rassistisches Gedankengut enthalten. 107 So ist dem Befund des koreanisch-deutschen Philo‐ sophen Byung-Chul Han von der „Austreibung des Anderen“ 108 , d. h. seinem Verschwinden in einer nivellierenden Ästhetik und Ideologie des Gleichen, kei‐ neswegs zustimmen. 4. Orientalismus & Balkanismus Aufgrund der besonderen Relevanz der latent imagologisch vorgehenden Ana‐ lysen des Orientalismus bei Edward Said bzw. des Balkanismus bei Maria Tod‐ orova für den kritischen Diskurs eines externen wie internen europäischen Post / Kolonialismus sollen diese im Folgenden kurz im Einzelnen präsentiert werden, ohne dass freilich über diese Skizze hinaus irgendein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden könnte; immerhin sind zur Metakritik der beiden kritischen Theorien diverse Aufsätze, ja Bücher veröffentlicht worden, auf die beide Autoren auch selbst reagiert haben. 109 Saids paradigmenbildende Orientalism-Monografie von 1978 geht von der These aus, dass die wissenschaftliche und reiseliterarische Erschließung der is‐ lamischen Welt im 18. und 19. Jahrhundert diese nicht neutral abgebildet, son‐ dern eher im Stile einer Projektion des Selbstbild-Negativs einen phantasmati‐ schen Raum geschaffen habe: Unlike the Americans, the French and British - less so the Germans, Russians, Spanish, Portugese, Italians, and Swiss - have had a long tradition of what I shall be calling Orientalism, a way of coming to terms with the Orient that is based on the Orient’s special place in European Western experience. The Orient is not only adjacent to Europe; it is also the place of Europe’s greatest and richest and oldest colonies, the source of its civilizations and languages, its cultural contestant, and one of its deepest A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 80 110 SAID 1978: 1. 111 TODOROVA 1997 / 99: 185. 112 Vgl. TODOROVA 1997 / 99: 23 ff. u. 270 f. 113 Ebd. 185. 114 Ebd. 173 f. and most recurring images of the Other. In addition, the Orient has helped to define Europe (or the West) as its contrasting image, idea, personality, experience. Yet none of this Orient is merely imaginative. The Orient is an integral part of European ma‐ terial civilization and culture. Orientalism expresses and represents that part cultu‐ rally and even ideologically as a a mode of discourse with supporting institutions, vocabulary, scholarship, imagery, doctrines, even colonial bureaucracies and colonial styles. 110 Dieser imaginäre ‚Orient‘ diente jedoch nicht nur als Legitimation diverser na‐ tionaler Kolonialismen in Europa und zugleich - individuell - der phantasti‐ schen „Flucht vor der Entfremdung eines sich rasant industrialisierenden Wes‐ tens, sondern auch als Metapher für das Verbotene“, resümiert Maria Todorova in ihrer Diskussion von Saids Thesen. 111 In ihrer eigenen, 1997 erstmals auf Englisch erschienenen Studie Imagining the Balkans hat die bulgarisch-ameri‐ kanische Historikerin unter Bezugnahme auf Vorarbeiten anderer regionaler Forscher / innen 112 die Theorie formuliert, dass es als Parallel- und Gegenbegriff zum Orientalismus die Kategorie des „Balkanischen“ gebe, die der Region Süd‐ osteuropa, deren „ethnische Komplexität“ sich für externe Beobachter / innen zugleich als die „frustrierendste Eigenschaft“ erweise, 113 eine uniform fremde Identität zuschreibe: Dieses label werde neben anderen verallgemeinernden Schlagworten benutzt, von denen ‚orientalisch‘ das am meisten verwendete war, um Dreck, Passivität, Unzuverlässigkeit, Weiber‐ feindschaft, Neigung zu Intrigen, Unredlichkeit, Opportunismus, Faulheit, Aber‐ glauben, Lethargie, Schlaffheit, Ineffizienz oder inkompetente Bürokratie zu klassifi‐ zieren. ‚Balkanisch‘ wies zusätzliche Charakteristika auf, während es sich mit ‚orientalisch‘ überschnitt, wie etwa Grausamkeit, Rüpelhaftigkeit, Instabilität und Unberechenbarkeit. Beide Kategorien wurden gegen die Vorstellung von Europa ver‐ wendet, das Sauberkeit, Ordnung, Selbstbeherrschung, Charakterstärke, Gespür für das Gesetz, Gerechtigkeit und effiziente Administration symbolisierte […]. 114 Was anhand dieser Aufstellung deutlich wird, ist, wie stereotype Diskurse kul‐ turelle Werthierarchien durch ihre latente Gegenüberstellung des Eigenen transportieren und propagieren. Im Gegensatz zu anderen Forscher / inne / n be‐ steht Todorova freilich darauf, „Balkanismus“ als Stereotypen-Cluster nicht als A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 81 115 Ebd. 40. 116 Ebd. 32 ff. 117 Ebd. 40. 118 Ebd. 36. 119 Ebd. 37.- Todorova verwendet im Anschluss auch den Liminalitätsbegriff von van Ge‐ nnep und Turner, um dieses imagologische Zwischendasein des Balkans zu charakte‐ risieren (vgl. ebd.) 120 Ebd. 267. 121 Vgl. BAKIĆ-HAYDEN & HAYDEN 1992.- Ich verdanke FINZI 2013 den Hinweis auf dieses Konzept. Unterkategorie oder Spezialfall des Orientalismus zu betrachten - wie man dies ja angesichts der langen Zugehörigkeit großer Teile des Balkans zur „europä‐ ischen Türkei“ im Spätmittelalter und in der Neuzeit durchaus könnte: „Balka‐ nismus entstand zu einem großen Teil unabhängig vom Orientalismus und in gewissen Bereichen dagegen oder dessen ungeachtet“. 115 Als Unterschiede zwi‐ schen beiden werden folgende Facetten nominiert: Im Gegensatz zum ‚weibi‐ schen‘ Orientalen sei der Balkan als männlich und vorwiegend christlich kodiert, als tribalistisch, gewalttätig grausam, intrigant, unübersichtlich. 116 Weiters nennt Todorova die Abgrenzung des Balkans als eigener strategischer Sphäre (gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten) sowie die „Abwesenheit eines ko‐ lonialen Erbes“ als Faktoren 117 (womit sie sich halb selbst wiederspricht, musste sie doch vorher einräumen, dass der Begriff des „Semikolonialen“ „sowohl die Wahrnehmung als auch die Selbstwahrnehmung des Balkans“ präge 118 ). We‐ sentlich für die Diskursbildung sei indes dessen „Übergangscharakter“: „Diese Zwischenhaftigkeit des Balkans […] könnte ihn schlicht zu etwas unvoll‐ kommen Anderem gemacht haben; stattdessen wird er nicht als etwas Anderes, sondern als etwas unvollkommenes Eigenes konstruiert.“ 119 Todorova resümiert: „Wie im Falle des Orients hat der Balkan als ein Müllplatz für negative Charak‐ teristika gedient, gegen die ein positives und selbstbeweihräucherndes Image des europäischen Europäers und des ‚Westens‘ konstruiert worden ist.“ 120 Die Abgrenzung bzw. Parallelbildung von Orientalismus und Balkanismus mag in manchen Aspekten Sinn machen, andererseits gibt es auch etliche Über‐ schneidungen, so dass man den Balkan durchaus historisch als ‚Kontaktzone mit dem Orient‘ definieren könnte. So ist denn auch Milica Bakić-Haydens Kon‐ zept der „Nesting Orientalisms“ 121 als Vermittlungsversuch anzusehen: Es geht von einem nahezu universellen Kulturrelativismus aus, innerhalb dessen nahezu jedes soziale Kollektiv zwischen Europa und Asien eine Tendenz dazu habe, Kulturen südlich oder östlich als primitiver oder zumindest konservativer an‐ zusehen. (In dieser Optik würde Österreich-Ungarn etwa seine Südost-Flanke A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 82 122 TODOROVA 1997 / 99: 230. 123 FLORACK 2007: 7 betitelt ihre Diskussion der Aachener Schule bezeichnenderweise mit „Anspruch, Methode, Irrtümer“. 124 Anfällig dafür waren etwa auch Budapester Forscherpersönlichkeiten wie Antal Mádl oder Gábor Kerekes, denen wir eine Vielzahl von Arbeiten zum Thema „Das Ungarnbild in / bei …“ verdanken. 125 JEISMANN 1991: 84. Jürgen Links Projekt des „Interdiskurses“ gibt sich dagegen betont theoriebewusst. ‚orientalisieren‘, aber seinerseits selbst quasi zum Halborient anderer Staaten werden.) Trotz der vielfältigen Kritik und Überarbeitungsversuche der Orientalismus- und Balkanismus-Hypothese ist jedenfalls einzuräumen, dass diese sich durch‐ aus als kritisches tool von Forschungsprojekten bewährt haben, die freilich auch zur Nunancierung und fine tuning dieser Konzepte beigetragen haben. Dies wird sich wohl in Hinblick auf das Bosnien-Korpus des vorliegenden Buch noch be‐ weisen müssen (s. Abschnitt C.), was aber auch die Trennung von Balkanismus und Orientalismus infrage stellen dürfte (beim Verhältnis beider Diskurse han‐ delt es sich m. E. wohl eher um eine komplexes Ineinander unter dem Vorzeichen des „osmanischen Erbes“ 122 als um Alternativen). Zuvor empfiehlt sich freilich noch ein kritischer Rück- und Ausblick auf die Aachener Schule und andere Fachdisziplinen, sowie eine Einführung zu Homi Bhabhas Stereotypen-Begriff und seiner Anwendung, ehe an ein vorläufiges Resümee in Bezug auf die an‐ diskutierten Problemstellungen zu denken ist. 5. Projekt & Aporie der Aachener Schule Die zu Beginn (Kap. A.2.1.) unternommene Skizze zur Vorgeschichte der Ima‐ gologie und ihres Gegenstandes hätte wohl mit der Feststellung enden müssen, dass diese komparatistische Subdisziplin allem Anschein nach entweder in Verruf oder Vergessenheit geraten ist 123 - oder beides - und auch von einer gegenwärtig boomenden Bildwissenschaft nicht wirklich wieder aufgegriffen wurde. Zu diesem Trend mögen die mangelhafte bis aporetische theoretische Reflexion der Aachener Schule und ihrer Kooperationspartner in Verbund mit einer positivistischen Vorgehensweise beigetragen haben, die zwar eine große Anzahl an Themen für Hausarbeiten und Dissertationen abwarf (‚Das Bild von X in Y‘), 124 ohne dass einigermaßen klar wurde, welchem Zweck die Auflistung vorhandener historischer Bilderwelten dienen sollte. Die Diskrepanz zwischen gründlicher empirischer Bestandsaufnahme und theoretischem Defizit sei da‐ rauf zurückzuführen, „daß sich die Forschung in erster Linie auf das Sammeln der Stereotypen und auf deren nachträgliche Korrektur konzentriert hat“, mo‐ nierte etwa Michael Jeismann 1991. 125 Zudem erschien die Imagologie zu Zeiten A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 83 126 LEERSSEN 2000: 270. 127 FLORACK 2007: 13 f. Vgl. etwa die diversen Arbeiten von Erving Gofman. 128 Vgl. etwa ebd. 18. 129 MEYER 1963: 202. 130 Ebd. 131 BLEICHER 1980: 18. 132 Ebd. 13.- RIESZ 1980: 10 spricht von der „Doppelfunktion“ von Kunst zwischen Wie‐ derholung und Zerstörung von images, ganz im Sinne der ‚Janusköpfigkeit‘ kultureller Bedeutungsproduktion zwischen Affirmation und Subversion. einer (voreiligen? ) Obsolet-Erklärung des nationalen Paradigmas vielen als „fu‐ tile flogging of dead horses“: 126 Eine der Kernerkenntnisse der Nachkriegssozi‐ ologie, nämlich dass ein Individuum durch diverse Gruppenzugehörigkeiten mehrere soziale Rollen innehat, hat ja die Annahme einer einzigen (ethnisch formulierten) Kollektividentität fragwürdig gemacht. 127 Im Zentrum der Kritik steht aber jene ästhetische Vermittlungsproblematik, die bereits Wellek in seinem bashing angesprochen hatte und die seither immer wieder formuliert worden ist. 128 „Unser Thema liegt etwas am Rande der Lite‐ raturwissenschaft, und zwar auf der Grenze zwischen Literaturgeschichte und Soziologie“, schrieb Hermann Meyer in seiner Studie zum Holländer-Bild in der deutschsprachigen Literatur (1963), was zu einer „doppelte[n] […] Zielsetzung“ führe: 129 1) „Welchen Anteil hat die Literatur am sozialen Prozeß der Ausbildung des allge‐ meinen Bewußtseinsinhalts, der das Bild vom anderen Volke ist? “ 2) „Was ist die literarische Seinsweise eines solchen in der Dichtung auftretenden Bildes, wie funktioniert es in der Dichtung? “ 130 Ähnlich sah auch Thomas Bleicher 1980 „zwei Schwierigkeiten: zum einen erscheint das Image-System in einem einzelnen literarischen Werk nicht voll‐ ständig, allenfalls in mehr oder weniger großen System-Ausschnitten, zum an‐ dern schließt das Image-System in sich Faktoren ein, die eine literaturwissen‐ schaftliche Untersuchung von vornherein überschreiten.“ 131 Außerdem reproduziere Literatur nicht einfach images, sondern sie habe in ihrer konkreten ästhetischen Ausformung ebenso die Fähigkeit zur Hinterfragung und Subver‐ sion von bestehenden Bilderwelten, zu „Image-Ausgleich oder -Aufhebung“. 132 Ganz in diesem Sinne hatte Manfred Fischer, Mitglied der Aachener Schule und Assistent Dyserincks, 1979 die folgenden drei Forschungsperspektiven entwi‐ ckelt: A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 84 133 Dieser historische Fokus wurde von FANG 1991: 34 ff. weiter entwickelt; ihm zufolge weisen imagotype Systeme eine Makro- und Mikrostruktur auf und sind gekenn‐ zeichnet durch: partielle Konstanz, partielle Varianz, mögliche Innovation, Wider‐ sprüchlichkeit, mögliche Innovation, ihren pragmatischen (Auswahl des Benutzers) und ideologischen Charakter sowie Wertvorstellungen. 134 FISCHER 1979: 31. 135 FISCHER 1983: 261. 136 FISCHER 1979: 35. 137 FLORACK 2007: 20. 138 Vgl. hierzu auch BASSLER 2005. 1. die „Historizität national-imagotyper Systeme“; 133 2. nationale images als „Elemente komplexer und übernationaler historischer Wech‐ selbeziehungen sowie das Problem ihrer Konstanz und Universalität“; 3. nationale images „als Strukturelemente eines ästhetischen Kontextes“. 134 In Reaktion auf Welleks Vorwürfe, schrieb Fischer später, bedürfe es „einer strikten Berücksichtigung der ursprünglich spezifischen Seinsweise dieser Bilder sowie jener ästhetischen Funktion, die ihnen als kontextuellen Struktu‐ relementen literarischer Kunstwerke ursprünglich zufiel.“ 135 Denn „[j]ede an‐ gestrebte Entideologisierung nationaler Bilder, jede nachhaltige Aufklärung über ihre Unzulänglichkeit setzen eine gewissenhafte Aufarbeitung ihrer Ge‐ schichte voraus. […] Die historische Analyse bleibt indessen zur Unwirksamkeit verdammt, solange sie sich im Aufzeigen einzelner Entwicklungsetappen“ er‐ schöpfe oder ‚wahr‘/ ‚falsch‘ als Kriterien für die Bewertung der images an‐ lege. 136 Damit wird der positivistischen Katalogisierung entsprechender literarischer bzw. kultureller Selbst- und Fremdbilder, wie sie in früheren imagologischen Arbeiten erfolgte, eine Absage erteilt - vor allem dort, wo diese „zur Konstruk‐ tion einer falschen Totalität verführt“: 137 Jene Vorgehensweise zeigt sich nämlich zusätzlich durch die Literaturtheorie der letzten Jahrzehnte (wie beispielweise Umberto Eco, Jacques Derrida und Paul de Man) verunmöglicht, die auf die prinzipiell offene, unabschließbare, ja ambivalente ästhetische Struktur von im weitesten Sinne ‚literarischen‘ Texten hingewiesen hat, welche eine Verallge‐ meinerung im Sinne von historischen „Entwicklungsetappen“ hintertreibt. Was also Not tut, ist eine spezifische Analyse einzelner Texte, die ihre Eingebun‐ denheit in ‚real‘-historische Kontexte als Intertextualität von Diskursen begreift, die einer rhetorischen Analyse zugänglich ist. 138 Dazu sind indes noch weitere Einsichten in die Funktionsweise des kulturellen Fremd- und Selbstbildes nötig, wie sie andernorts erarbeitet wurden - auch wenn in Anschluss daran der Vor‐ wurf zu entkräften ist, es werde fahrlässig sozialwissenschaftliches und -psy‐ A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 85 139 LIPPMANN 1922 / 1966: 81. 140 Ebd. 16. 141 Ebd. 4. 142 Vgl. dazu PICKERING 2001: 16 ff.; EWEN & EWEN 2006: 3 ff. 143 LIPPMANN 1922 / 1966: 3. 144 Diese Haltung kommt etwa auch dann zum Ausdruck, wenn Beller die kulturellen images des Anderen in Anlehnung an die Kognitionswissenschaft als „mental pictorial representation“ bezeichnet (BELLER 2007: 4; vgl. auch SIEBENMANN 1996). Vgl. an‐ dererseits den Konstruktivismus etwa bei LEERSSEN 2000: insbes. 270. 145 LEYENS u. a. 1994: 3. chologisches Wissen in die Text- und Kulturwissenschaften transferiert, ohne auf die Eigengesetzlichkeit ästhetischer Bedeutungssysteme Rücksicht zu nehmen. 6. Sozi(alpsych)ologische Stereotypen-Forschung nach Lippmann For the most part we do not first see, and then define, we define and then see. 139 The way in which the world is imagined de‐ termines at any particular moment what men will do. 140 […] whatever we believe to be a true picture, we treat it as if it were the environment itself. 141 Dies sind drei kurze, aber repräsentative Zitate aus Public Opinion (1922), einem eher essayistischen, aber impulsgebenden Werk des amerikanischen Publizisten Walter Lippmann, mit dem eine sozi(alpsych)ologische Erforschung der Stere‐ otypen ihren Anfang nahm. 142 Lippmann bezeichnet sie als „the pictures in our head“, 143 die dem Akt der Wahrnehmung vorausgehen und ihn soziokulturell präformieren (s. o.); damit sind zugleich auch von Anfang an zwei Positionen präsent, die jede spätere Konzeptualisierung des Phänomens beeinflusst haben: Mentalismus und kognitiver Konstruktivismus. 144 Aktueller als Lippmann hat das Team rund um den belgischen Sozialpsycho‐ logen Jacques-Philippe Leyens Stereotypen als „shared beliefs about person at‐ tributes, usally personality traits but often also behaviours of a group of people“ definiert, 145 die Kulturen als eine Art kognitiver Kurzschrift ihres vermeintlichen Basiswissens vom Anderen diene („a means of shorthand for a vast amount of A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 86 146 Ebd. 204. 147 FLORACK 2007: 42. 148 Ebd. 37. 149 Ebd. 39.- Vielfach mit dem Stereotyp-Begriff überlappend wird auch der Begriff des Vorurteils (Vgl. etwa OSTERMANN & NICKLAS 1984) bzw. des Klischees verwendet: „A cliché can be defined as a traditional form of human expression (in words, emotions, gestures, acts) which - due to repetitive use in social life - has lost its original, often ingenious, heuristic power“ (ZIJDERVELD 1987: 28). Dieses begriffliche Chaos ist wohl am besten pragmatisch mit BELLLER 2006: 97 zu entwirren, der vorschlägt, ‚Vorurteile‘ als „moralische Urteile und kulturelle Einstellungen“ zu verstehen, „Stereotyp als fest‐ stehenden Ausdruck dieser kulturellen Attitüden“, und ‚Klischee‘ für die sprachlichen Elemente von Redewendungen und stilbildenden Formeln“. 150 SCHRATZ 1994: 137. 151 Vgl. QUASTHOFF 1973; TAJFEL 1982: 39-61; OSTERMANN & NICKLAS 1984: 25 f. 152 FLORACK 2007: 34.- Zum Stereotyp als kognitivem Schema vgl. auch AMOSSY 1991 / 2002 u. TODOROVA 1999: 169 f. 153 OSTERMANN & NICKLAS 1984: 16 f.- TELUS 1994 unterscheidet vier Funktionen von Stereotypen (vgl. auch FLORACK 2007: 44 ff.): 1. „kognitiv“: sie helfen einen Sachverhalt kausal zu ‚erklären‘; 2. „phatisch“: sie helfen Kontakt mit einem Kommunikationspartner aufzunehmen zwecks Verständigung; 3. „appellativ“: sie werden zur Handlungsanregung instrumentalisiert (z. B. im politi‐ schen Diskurs); 4. „emotiv“: sie erzeugen Gefühle / Werte und teilen die Welt in ‚gut‘ und ‚böse‘ ein. 154 LIPPMANN 1922 / 1966: 63. 155 Vgl. BELLER 2007: 8: „The stereotype combines minimal information with maximum meaning.“ Vgl. etwa auch TAJFEL 1982: insbes. 242 ff.; FLORACK 2007: 34. data“ 146 ). Den Forschungsstand subsumierend sieht auch Ruth Florack Stereo‐ typen als „Menge von Zuschreibungen mit Bewertungs- und Einstellungsim‐ plikationen“, 147 die „trotz wechselnder Kontexte im wesentlichen gleich‐ bleiben“; 148 es seien „durch Tradition verbürgte Attribute, welche die Gruppenzugehörigkeit markieren: als Textelemente verweisen nationale Stereotype auf das (rudimentäre) Wissen, das die Leser über ein Volk haben“ 149 . Es handelt sich also gleichsam um „sozio-kulturell gefrorene Bilder“, 150 mit denen die eigene sozial etablierte in-group von einer fremden out-group abge‐ grenzt wird, 151 d. h. um Identität stiftende Elemente des kulturellen Wissens bzw. kollektiven Gedächtnisses. Diese „Wahrnehmungsschemata“ 152 sind, wie For‐ scher / innen nach Lippmann herausgearbeitet haben, auf drei Ebenen wirksam: kognitiv (Vorstellungen, Bilder), affektiv (Gefühle) und konativ (Disposition für Verhalten). 153 Stereotypen sind damit keineswegs neutrale 154 rhetorisch-kogni‐ tive Mittel zur Verallgemeinerung bzw. Komplexitätsreduktion 155 , sondern auch A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 87 156 Zum Begriff der „symbolischen Gewalt“ bzw. „Macht“ vgl. etwa BOURDIEU 1992: 81-86 u. BOURDIEU 1998 / 2005. 157 DYSERINCK 1988: 26.- In der Formulierung Lippmanns heißt es, das Stereotyp sei „not merely a short cut. […] It is the guarantee of our self-respect; it is the projection upon the world of our own sense of our own value, our own position and our own rights. The stereotypes are, therefore, highly charged with the feelings that are atteched to them. They are the fortress of our tradition, and behind its defenses we can continue to feel ourselves safe in the position we occupy“ (LIPPMANN 1922 / 1966: 64). 158 Für einen Überblick vgl. etwa REICHER u. a. 1997: 63 ff. u. CINIRELLA 1997. 159 Zit n. CINIRELLA 1997: 45 ff.- In einer anderen Formulierung unterscheidet Tajfel zwischen der Nutzung von Stereotypen durch das Individuum („als Hilfe bei der kog‐ nitiven Strukturierung seiner sozialen Umwelt […] und zum Schutz seines Wertsys‐ tems“) und ihrer kollektiven Funktion für Gruppen: „1. Komplexe und gewöhnlich un‐ angenehme soziale Ereignisse in der Gesamtgesellschaft verstehen, 2. Geplante oder ausgeführte Handlungen gegenüber Fremdgruppen zu rechtfertigen und 3. die eigene Gruppe von bestimmten Fremdgruppen zu einer Zeit positiv zu unterscheiden“ (TAJFEL 1982: 57 u. 55). 160 Zur althergebrachten Dichotomie von Auto- und Heterostereotypen vgl. etwa SOE‐ TERS & VAN TUYWER 1997: 498; DYSERINCK 1980: 33 ff. Formen symbolischer Machtausübung 156 im Rahmen gesellschaftlicher und in‐ ternationaler Herrschaftsverhältnisse: „Es sind, wie schon Dyserink schreibt, von Menschen hergestellte ‚Gegenstände‘, die wieder auf die Menschheit ein‐ wirken können, wobei es später u. U. nicht einmal mehr möglich ist, diese Ein‐ wirkung hinreichend zu kontrollieren bzw. in den Griff zu bekommen.“ 157 Das von Lippmann geschaffene Untersuchungsfeld wurde jedenfalls inner‐ halb der Sozialpsychologie und Kommunikationswissenschaft der 1970er und 1980er Jahre von Forschern der Social Identity-Tradition wie John C. Turner, Henri Tajfel und Serge Moscovici weiter bearbeitet. 158 Aus Tajfels zentralem Text Social Stereotypes and Social Groups (1981) stammt auch folgende Auflistung von „key functions“, die charakteristisch für die Wirkungsweise von Stereotypen‐ bildungen seien: 159 • „social causality“: sie erklären komplexe und problematische Ereignisse; • „justificatory“: sie dienen z. B. der diskursiven Legitimation von Kriegen und anderen sozialen Handlungen; • „variations of themes“: Stereotypen ändern sich selten drastisch; • „differentiation from other groups (identity function)“: Selbstbestätigung durch Bilder des Fremden (s. o.); • „outgroup homogenity effect“: Komplexitätsreduktion dem Anderen oder Fremden gegenüber; • „self-stereotyping“: die Produktion von Auto-Stereotypen und Übernahme von Hetero-Stereotypen 160 durch die betroffene Gruppe selbst. A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 88 161 Vgl. REICHER u. a. 1997: 71 ff. 162 Vgl. das Kommunikationsmodell von Roman Jakobson bzw. HALL 1980. Aber auch der Historiker Jürgen Osterhammel hat auf die komplexe Kreation kultureller Selbst- und Fremdbilder hingewiesen, bei denen es Produktion und Rezeption, „Erfahrung und Ab‐ sicht, Wahrnehmung und Einbildung, Sehen und Hören, Konvention und Innovations‐ wille,“ Text und Pragmatik, Intertextualität, den Kulturbetrieb als Markt etc. zu berück‐ sichtigen gelte (OSTERHAMMEL 2001: 27 f.) 163 AMOSSY 1991 / 2002: 222. Angesichts des steigenden Problembewusstseins, dass es sich bei Stereotypen nicht nur um psychisch-kognitive Phänomene, sondern vor allem um Formen einer kulturellen Repräsentation des sozial, geschlechtlich oder ethnisch An‐ deren handelt, kam es schließlich zu einem (konstruktivistischen) „discursive turn“ innerhalb der Forschung. 161 Wenn Stereotypisierung nun ein diskursiver Apparat ist, dann setzt sich dieser wie jede Form der Repräsentation bzw. Kom‐ munikation aus mehreren interaktiven Faktoren zusammen. Er umfasst also nicht nur die Produktion von Stereotypen (ihr encoding), sondern auch ihre Me‐ dialität (den channel ihrer Vermittlung), ihren Kontext sowie ihre Rezeption (decoding); 162 auf diesen Aspekt hat beispielsweise die französische Forscherin Ruth Amossy in einer Wiedergabe der zeitgenössischen Diskussion hinge‐ wiesen: Das Stereotyp lässt sich als Äquivalent des standardisierten Objekts im kulturellen Bereich verstehen, als das vorgefertigte, sich immer ähnelnde Bild, das monoton in den Bildern und in den Texten zirkuliert. […] Seine Umrisse sind [jedoch] nicht ein‐ deutig festgelegt: dem jeweiligen Kontext und der jeweiligen Entzifferung entspre‐ chend lösen sie sich unablässig auf und setzen sich neu zusammen. […] Das Stereotyp existiert nicht als solches. Es zeigt sich nur dem kritischen Betrachter oder dem Benutzer, der spontan die Vorbilder seines Kollektivs wiedererkennt. Es taucht auf, wenn wir, indem wir die sogenannten charakteristischen Attribute einer Gruppe oder einer Situation auswählen, ein bestimmtes Schema rekonstruieren. Daher sollten wir besser von Stereotypisierung sprechen, von der Tätigkeit, die aus der Unüberschaubarkeit der Wirklichkeit oder des Textes ein starres, vom Kollektiv ge‐ teiltes Muster heraushebt. […] Das Stereotyp ist eine programmierte Lesart der Wirk‐ lichkeit oder des Textes. 163 So gesehen gäbe es keinen Ausweg aus dem Stereotyp, denn eine noch so kri‐ tische (oder ironische) Lektüre aktualisiert es. Allerdings erwies sich in der For‐ schungsdiskussion auch das einsinnige Konzept eines verzerrten und gesell‐ schaftlich oktroyierten Bilds des Anderen, wodurch das Stereotyp zu einem Paradefall für „falsches Bewusstsein“ (Marx) bzw. „Hegemonie“ (Gramsci) wird, als wenig zielführend. Dennoch steht auch außer Zweifel, dass stereotype A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 89 164 Vgl. BOURDIEU 1992, 1998 / 2005 bzw. SPIVAK 2008: 43. 165 Vgl. BUTLER 1997 / 2006. 166 Vgl. JanMOHAMED 1985. 167 BHABHA 1994. 168 Ebd. 66. 169 Auch Leerssen spricht von der „Janus-faced ambivalence“ der Stereotype und ihrer „contradictory nature“, ohne freilich auf Bhabha Bezug zu nehmen (LEERSSEN 2000: 279). Amossy verweist darauf, dass der Aspekt der Ambivalenz schon bei Lippmann angelegt sei (LIPPMANN 1922 / 1966: 240). 170 Vgl. Leerssens fruchtbare Anregung, das Stereotyp mithilfe von Bachtins Chrono‐ topos-Konzept zu fassen als „a particular representational sphere [which] is created where time is seen to pass at a different rate then elsewhere“ (LEERSSEN 1997: 287). 171 BHABHA 1994: 70. Fremd- und Feindbilder Mittel „symbolischer Macht-“ (Bourdieu) bzw. „episte‐ mischer Gewalt“ausübung (Spivak) innerhalb einer kulturellen Hegemonie sind, 164 in der herrschende Gruppen die von ihnen Marginalisierten auch durch eine Ökonomie der Bilder kontrollieren, in einer bestimmten Position halten, ja ausgrenzen; und zweifelsohne sind Stereotypen auch wesentliche Waffen, wenn „Hass spricht“, um es in Anlehnung an den Titel von Judith Butlers Analyse der hate speech  165 zu formulieren. Im kolonialen Kontext konstituieren sie mit den Worten Abdul JanMohameds eine „manichäische Allegorie“, 166 die Ungleichheit legitimieren soll - deren Pole aber freilich nicht so stabil sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen. 7. Homi Bhabhas Intervention Einen der wichtigsten rezenten Beiträge zur epistemologischen Komplexität der Dyadenstruktur des Eigenen und des Fremden hat Homi Bhabha mit seinem Aufsatz The Other Question (1983) vorgelegt. 167 Der postkoloniale Theoretiker sieht das Stereotyp als „a form of knowledge and identification that vacillates between what is always ‚in place‘, already known, and something that must be anxiously repeated […]“, und er möchte jenen „process of ambivalence, central to the stereotype“, untersuchen. 168 Mit dieser Ambivalenz 169 hintertreibt das Ste‐ reotyp nämlich die epistemische Fixierung 170 seines Objekts, die z. B. der kolo‐ niale Diskurs leisten möchte, wenn er eine Hierarchie zwischen Kolonialherrn und beherrschten Übersee-‚Völkern‘ etabliert: The objective of colonial discourse is to construe the colonized as a population of degenerate types on the basis of racial origin, in order to justify conquest and to establish systems of administration and instruction […], a form of governmentality that in marking out a ‚subject nation‘ appropriates, directs and dominates its various spheres of activity. 171 A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 90 172 Ebd. 71. 173 Bhabha (ebd. 86) bringt dies auf die berühmte Formel, der kolonialisierte Andere müsse aus der Sicht der Kolonialherrn „almost the same, but not quite“ werden, weil sonst die hierarchiestützende Differenz wegfallen würde; das Projekt des Kolonialismus, andere ‚Völker‘ zu ‚reformieren‘, erweist sich damit als letztlich unerfüllbar, wenn nicht gar als fadenscheiniger Vorwand. Vgl. dazu auch ECKERT 2008: 63 ff. 174 BHABHA 1994: 76.- Zum Stereotyp als Fetisch vgl. MÜLLER-FUNK 2016: 159 ff. u. FINZI 2013: 101 f. 175 BHABHA 1994: 80. 176 Ebd. 82. 177 Vgl. auch die Bhabha-Lektüren in BABKA u. a. 2012 sowie BHABA 2012. 178 Vgl. etwa ASSMANN 1992, 2004. Die aporetische Struktur dieses strategischen Wissenssystems besteht laut Bha‐ bha darin, „that the colonial discourse produces the colonized as a social reality which is at once an ‚other‘ and yet entirely knowable and visible“; 172 das Andere soll also anders sein (und es tunlichst bleiben 173 ), aber gleichzeitig durch den Kolonialdiskurs erfassbar, fixiert und reformiert werden. Diese letztlich unmög‐ liche Bewegung einer diskursiven Ruhigstellung des Anderen - und damit ein‐ hergehend der „Wiederholungszwang“ der an ihn geknüpften phantasmati‐ schen Bilderwelten - hat Bhabha in weiterer Folge dazu gebracht, die rassistischen Stereotypen des Kolonialismus auch psychoanalytisch als „ar‐ rested, fetishistic mode of representaton“ 174 zu fassen - ein Modus, der in sich gebrochen und gleichsam in Form einer „Naht“ ‚zusammengeflickt‘ ist: „My concept of stereotype-as-a-suture is a recognition of the ambivalence“. 175 „Ste‐ reotyping“ sei nicht the setting up of a false image which becomes the scapegoat of discriminatory prac‐ tices. It is a much more ambivalent text of projection and introjection, metaphoric and metonymic strategies, displacement, overdetermination, guilt, aggressivity; the mas‐ king and splitting of ‚official‘ and phantasmagoric knowledges to construct the posi‐ tionalities and oppositionalities of racist discourse. 176 Das Stereotyp wird damit nicht (nur) zu einer einsinnigen (und „manichäi‐ schen“) Brandmarkung, die - tiefenpsychologisch wie medial - auf den Anderen projiziert wird, sondern es ist gleichfalls durch eine in sich aporetische Bewe‐ gung charakterisiert, die den kolonialen Diskurs in seinen angestrengten Re‐ iterationen und Ambivalenzen letztlich intern destabilisiert. 177 In einer ebenso psychoanalytisch inspirierten Intervention zur kulturellen Repräsentation des Holocaust hat die nordamerikanische Literaturwissen‐ schaftlerin Karyn Ball darauf hingewiesen, dass die Bilder einer kulturellen Ge‐ dächtnisarbeit 178 - und als solche sind Stereotypen und andere kulturelle A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 91 179 BALL 2006: 11. 180 Vgl. DYSERINCK 1988: 32, wo von der „Erfahrung“ die Rede ist, „wonach die Prozesse der Imago-Bildung in der Regel weit aufschlußreicher sind für den Bereich, in dem sie entwickelt werden, als für denjenigen, den sie zum Gegenstand haben.“ 181 Schon Meyer spricht vom „starre[n], affektive[n] und letzten Endes wahnhafte[n] Cha‐ rakter der […] Bilder“ (MEYER 1963: 204). Auf der anderen Seite behaupten diese Phantasmen hartnäckig ihre Referentialität, und dies mag sein, was sie mitunter ge‐ fährlich - und zu einem Sprechakt - macht. Vgl. dazu LEERSSEN: 289: „The real interest of imagology lies in the fact that it works on the interface between the world of literary representation and the world of political action. The specific nature of imagotypical discourse lies in the fact that it refers to empirical reality and that it does so by mimicking empirical report statements.“ Wenn aber schon das Stereotyp Realität mimt, dann ist freilich auch die Mimikry des Subalternen, der dem Stereotyp ironisch ‚Genüge‘ zu tun trachtet, die Mimikry einer Mimikry. Siehe dazu im Folgenden. 182 Vgl. VAN ALPHEN 1991, der „three approaches“ gegenüber dem Fremden / Anderen ausgewiesen hat: einen hermeneutischen, einen epistemologischen und einen psycho‐ logischen. imag(in)es ja durchaus zu klassifizieren - auch mit dem narzisstischen Ich-Ideal eines Kollektivs zusammenhängen, dessen Supplement sie darstellen: In his Introduction: On Narcissism (1914), Freud describes the emergence of an ideal ego as a puerile and idealized self-image that orients self-love (primary narcissism). He also refers to the subsequent emergence of a secondary-narcissistic ego-ideal as the disciplinary self-standard precipitated by the subject’s encounter with and ab‐ sorption of the critical gaze of others. The concept of the ego-ideal may help us to understand individual and collective investments in particular memories or images […] as subject formations that are responsive to social standards. Extrapolating from Freud’s theorization of the ego-ideal, I would therefore like to suggest the com‐ panion term memory-ideal […]. 179 Dies passt nicht nur zum Konzept des Fetischismus bei Bhabha, sondern auch zur weiter oben referierten Idee, dass stereotype imag(in)es eher Mittel der Selbstverständigung 180 einer Kultur denn deren Fremderfahrung darstellen. Das bedeutet freilich auch, dass diese Bilder phantasmatisch 181 sind und nicht durch ‚Überprüfung‘ an einer wie auch immer gearteten historischen ‚Wirklichkeit‘ ‚korrigiert‘ werden können, zumal sie auch - von einem Wiederholungszwang getrieben - äußerst repetitiv sind. Wie bereits vorher festgestellt wurde, zeichnen sie sich weniger durch einen kognitiven als vielmehr einen affektiven Wert aus und sind als Diskurselemente mehr ein Glaubenssystem als überprüf‐ bares Wissen - und, folgt man Bhabha, in ihrer internen epistemologisch-psy‐ chologischen Struktur ambivalent und widersprüchlich. 182 A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 92 183 BHABHA 1994: 85-92. 184 Ebd. 86. 185 WEBER 2003: 35. Vgl. auch BABKA 2011. In dieser postkolonial-dekonstruktivistischen Neuformulierung erweist sich das Stereotyp als anschlussfähig an weitere Kernthesen Bhabhas, die in den viel strapazierten Termen Hybridität und Mimikry kristallisierten. Letztere fasst der Theoretiker in seinem Aufsatz Of Mimicry and Man: The Ambivalence of Colonial Discourse  183 als Bewegung, mit der die Kolonialisierten die Verhaltensvorgaben ihrer Kolonialherrn erfüllen und gleichzeitig hintertreiben: […] then colonial mimicry is the desired of the reformed, recognizable Other, as a subject of a difference that is almost the same, but not quite. Which is to say, that the discourse of mimicry is constructed around an ambivalence; in order to be effective, mimicry must continually produce its slippage, its excess, its difference. 184 Diese subversive (und letztlich vergebliche? ) Bewegung der Mimikry, die nie an ihrem Ziel ankommt, aber letztlich auch die scheinbar so feste Identität der Ko‐ lonialherrn unterminiert, hat Ute Weber in ihrer Monografie zu Genderkon‐ struktionen im indo-englischen Kolonialroman wie folgt kommentiert: Die Ambivalenz dieses Konzepts besteht darin, dass es sowohl Ähnlichkeit (der Ko‐ lonialisierte wird wie der Kolonialherr - nämlich ‚anglisiert‘) als auch Nicht-Ähn‐ lichkeit (aber nicht ganz - nämlich nicht ‚englisch‘) umfasst. Das Imitat muss hin‐ sichtlich seines Status, seiner Rechte und Freiheiten von dem Original unterscheidbar bleiben und wirft damit auch die beunruhigende Frage nach der Definition und Iden‐ tität des Originals auf - ‚was macht das typisch Englische aus? ‘. Aus der Ähnlichkeit wird immer auch eine Bedrohung abgeleitet und so wird der Imitator häufig zum Gegenstand von Parodie und Spott erklärt. 185 Im Folgenden arbeitet Weber Unterschiede zu herkömmlichen Konzeptionen des Eigenen und des Anderen heraus. Bei Bhabha könne die Fremdzuschreibung nie so wirkungsträchtig (und als ‚Einbahnstraße‘) wie etwa in der (Foucault orthodoxer folgenden) Konzeption des Orientalismus bei Said ihre Definitions‐ macht ausspielen, sondern sie zeigt sich in der Definition des Eigenen und seiner Übertragung auf den Anderen wie bereits angedeutet als instabil und latent be‐ droht: Bhabha unterscheidet nicht zwischen einem Selbst und einem Anderen, sondern zwi‐ schen einem Selbst und seinen Doppelgängern; nicht zwischen einer heimischen und einer fremden Kultur, sondern zwischen einer Mutterkultur und ihren Bastarden […]. Entgegen den Thesen Saids geht Bhabhas Konzept der Hybridität davon aus, dass der A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 93 186 Vgl. WEBER 2003: 35. 187 Vgl. etwa VARELA & DHAWAN 2005: 85. 188 Vgl. etwa die Zusammenschau der Kritik ebd. 100 ff. Kolonialherr nie die vollkommene Kontrolle über den kolonialen Diskurs besitzt. Jede Vorstellung, die er dem Kolonialisierten vermittelt, wird im Lichte der Kultur des An‐ deren wiedergeboren, erneuert und uminterpretiert, und ist so aus der Sicht des Ko‐ lonialherrn immer bis zu einem gewissen Maße gefährdet. 186 Dieses Beharren auf die im System der Stereotypisierung angelegte Instabilität der oktroyierten Bilder und die Absage an deren totale Kontrollmacht als Dis‐ kurs ist vielfach als optimistische Wendung im Denken Bhabhas (gegen Said 187 ) interpretiert, aber auch für ihre philosophische Naivität kritisiert 188 worden - steht doch den Kolonisierten mit der industriellen Moderne des ‚Westens‘ ein umfassenderes Unterdrückungssystem gegenüber, das nicht nur auf der soft power kultureller Bilderwelten, sondern vor allem auf Administration und öko‐ nomischer Ausbeutung, Disziplinarsystemen, Polizei- und Militärapparaten be‐ ruht. Ohne hier auf diese gewiss berechtigte Kritik umfassend eingehen zu können, soll doch noch im Folgenden gezeigt werden, in welchen scheinbar ‚unkolonialen‘ Texten wir Verfahren der Mimikry und Identitätsdestabilisierung überraschend begegnen, womit sich das ursprüngliche Unterfangen - die Fi‐ xierung des Eigenen und des Anderen im Stereotyp - nachhaltig und mit un‐ leugbarer Didaxe unterminiert zeigt. So gesehen wird damit auch die Opposition von ‚wahrer‘, ‚authentischer‘ Identität und ‚falschen‘ Stereotypen dekonstruiert: vielmehr zeigen sich beide als - ambivalente und widersprüchliche - Effekte von Sprache bzw. Repräsentation. 8. Fallbeispiel: Mimikry & Ambivalenz in Ferdinand Kürnbergers Der Ame‐ rikamüde (1855) Vieles, was hier in Zusammenhang mit Homi Bhabha formuliert wurde, kann als fundamentale Hinterfragung des Aachener Projekts einer „komparatisti‐ schen“ Imagologie verstanden werden. Zur Verteidigung jenes Unternehmens muss allerdings hinzugefügt werden, dass es insbesondere im Bereich der Rei‐ seliteratur durchaus eine große Menge an affirmativen Texten gibt, die versu‐ chen, die Ambivalenzen der Selbst- und Fremdbildkonstruktionen, des Eigenen und des Fremden, des sprechenden Subjekts und des besprochenen Objekts zu‐ sammen mit den Widersprüchen und Aporien, die von der ihnen zugrunde lie‐ genden Spannung von Angst und Begehren herrühren, ruhig zu stellen. Ihnen gegenüber situiert sich freilich auch eine Klasse literarischer Texte, die jenen problematischen Repräsentationsapparat produktiv machen, indem sie ihn zu A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 94 189 Die angegebenen Seitenzahlen folgen der Ausgabe KÜRNBERGER 1985 und werden im Folgenden im Lauftext in Klammern mit der Sigle AM nachwiesen. 190 In ihm werden für den zeitgenössischen Insider deutliche Anspielungen auf die Bio‐ grafie des ungarisch-österreichischen Dichters Nikolaus Lenau (1802-1850) lesbar; vgl. LENGAUER 1985: 567. 191 Zum Amerikabild in der deutschsprachigen Literatur der Epoche vgl. etwa KRIEG‐ LEDER 1999; TROMMLER 1986; RITTER 1977. hintertreiben versuchen, was sie in eine überraschende Nähe zu Bhabhas The‐ oriegut rückt. Das im Folgenden skizzierte Fallbeispiel präsentiert ein interessantes und unerwartetes Fundstück: Ferdinand Kürnbergers Roman Der Amerikamüde  189 von 1855 fokussiert in satirischer Form auf die politischen Frustrationen der Restaurationszeit in Österreich und Deutschland, indem er seinen Protago‐ nisten, den Schriftsteller Moorfeld, 190 als Auswanderer und Möchtegern-Farmer nach New York und Ohio schickt - ein durchaus zeitgemäßes Schicksal. Es wird dies freilich ein Erlebnisparcours fast im Stil Karl Mays, hatte doch der Autor selbst die Vereinigten Staaten nie betreten: eine zunehmend anti-utopische Rundreise, die Moorfeld letztlich wieder zum Ausgangspunkt zurückführt und ihn zum enttäuschten Heimkehrer macht, wie schon der Titel des Romans sug‐ geriert. Durch den Text zieht sich eine dichte Auseinandersetzung mit ethnisch/ na‐ tional kodierten Bildern der kulturellen Differenz zwischen ‚den Amerikanern‘ und ‚den Deutschen‘, 191 die sich bereits im initialen Kontakt des Protagonisten mit seinem New Yorker Quartiergeber Staunton und dessen Familie anbahnt ( AM , Kap. I.2 ff.) Gleichsam am Rande dieses Mikrokosmos kommt es aber auch zu einer weiteren bedeutungsträchtigen Begegnung mit dem Hausdiener, einem afrikanischstämmigen Sklaven: Moorsfelds „Bedienung“, so heißt es, „lag in Jack, des Negers, Händen. Diese Person hätte ihm freilich nichts mehr als eine Maschine sein dürfen, wenn er amerikanisch korrekt dachte. Aber so dachte er nicht. Zwischen ihm und dem Wollkopf spann sich manch zarter Faden“ ( AM 88). Es ist ein „Charakterzug von satirischer Laune“ (ebd.), der dieses seltsame Band knüpft: Der Neger liebte es nämlich, auf eine eigentümliche Art mit seinem Identitätsbe‐ wußtsein von Ich und Nicht-Ich zu spielen: Er setzte sein schwarzes Ich als Objekt und schimpfte im Charakter eines weißen Subjekts drauflos. Durch Haus und Flur konnte man ihn beständig mit, d. h. gegen sich hin brummen hören: ‚Achtung, Schwarzer Esel! ‘ (ebd.) Anfangs lacht der Protagonist noch A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 95 192 So wird er später im Roman etwa New Lisbon in Ohio als „Kaffernstadt“ bezeichnen (AM 343). 193 Fokussiert im Term „Humbug“, der zu einem der Leitbegriffe Moorfelds zu einer Cha‐ rakterisierung Amerikas wird, vgl. AM 371 u. 442. über diese Sorte von Humor, aber eines Tages fiel es ihm plötzlich auf, was für ein Sinn darin lag. War’s nicht der nämliche Sinn, in welchem er selbst Herrn Staunton gegenüber sich der Ironie bediente? Tat das der Neger nicht auch, indem er die weiße Rasse verspottete durch die Selbstverspottung seiner schwarzen? Welch gleichartiger Instinkt waltete hier? (AM 89) Moorfeld wird im Roman zum guten Deutschen jener Epoche stilisiert und ist somit auch ein erklärter Gegner der Sklaverei (vgl. etwa AM 232 ff.) - wiewohl nicht ganz gefeit vor „Neger“-Stereotypen, die sich immer wieder, wie etwa auch in den zitierten Passagen deutlich wird, in seine Figurenperspektive stehlen. 192 Der Bruch mit diesem Stereotyp erfolgt indes durch das Verhalten des Afroa‐ merikaners, der sich der Trope der Ironie fähig zeigt, indem er sich in die Spre‐ cherrolle seines Herrn versetzt, sich selbst als „Esel“ beschimpft und damit die sozial fixierten Rollen von sprechendem Subjekt und besprochenem Objekt auf‐ bricht. Es ist dies einerseits ein Modellfall der Internalisierung diskriminierender Fremdbilder durch die Betroffenen, die andererseits im spielerischen Umgang damit aufgehoben wird - ein Prozess, der ziemlich genau dem entspricht, was Bhabha „Mimikry“ nennt. Dies destabilisiert aber nicht nur die Autorität von Mr. Staunton, Jacks weißem Herrn, sondern in weiterer Folge auch die Identität des deutschen Beobachters Moorfeld, der zu folgender Reflexion anhebt: Ist die Ironie die Muttersprache unterdrückter Nationalitäten? Und wie ward unserem Freund, als er an Europa zurückdachte und bemerken mußte, daß eben jetzt die Ironie die herrschende Form der europäischen Literatur, aber auch ein Weltschmerz, Polen‐ schmerz, Judenschmerz der herrschende Inhalt war? War er den Übeln, die man für Übel nur der Alten Welt hielt, nicht entronnen, und fand er in der Neuen Welt etwa einen Deutschen- und Negerschmerz? Verhängnisvolle Fragen. (AM 89) Moorfeld, der Deutsche aus der Revolutionszeit um 1848, der sich im Allge‐ meinen unterschwellig als Angehöriger eines ‚Kulturvolks‘ überlegen weiß (wenngleich in der alten Heimat von seinesgleichen politisch anachronistisch unterdrückt), nimmt in der sozial-ethnischen Hierarchie der fiktional konstru‐ ierten Neuen Welt eine merkwürdige Mittelstellung zwischen dem gebürtigen Amerikaner und dessen schwarzem Sklaven ein. Immer wieder thematisiert der Roman die betrügerische, großmäulige und unkultivierte Haltung 193 seiner „Yankee“-Figuren gegenüber den deutschen Einwanderern (vgl. z. B. AM 157), A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 96 194 Vgl. AM 413: „Wir haben freilich gut sagen, das Volk fürchtet instinktiv die deutsche Geistesüberlegenheit, von der es schon jetzt in allen Zweigen seines Nationallebens zehrt, und sein Haß müsse uns eigentlich schmeicheln.“ 195 Zu antisemitischen und anderen rassistischen Vorurteilen mit einem Fokus auf die deutschsprachige Kultur vgl. neben dem bereits erwähnten Werk von MOSSE 1990 etwa auch die Arbeiten des amerikanischen Germanisten und Medizinhistorikers GILMAN 1992. 196 Kürnberger greift hier offenkundig einen spätestens seit Herder existenten Topos (der Deutschen als) der „Neger Europas“ auf, auf den etwa auch Peter II. von Montenegro rekurriert: „wir Slaven sind arme Schlucker, die einen in geistigen, die andern in leib‐ lichen Fesseln. Wir sind die Neger in Europa, ja wir sind schlimmer daran als die afri‐ kanischen Schwarzen; denn um diese nehmen sich dien Engländer an, daß sie nicht als Sclaven verkauft werden; um uns kümmert sich niemand.“ (zit. n. HELFERT 1878: 222) die jenen in der narrativen Logik des Textes zwar moralisch und kulturell etwas voraushaben, sich aber trotzdem sozial den realen Macht-Verhältnissen fügen müssen. 194 (Nicht umsonst erzählt der Roman in einer bitteren finalen Wendung von gewalttätigen Ausschreitungen eines amerikanischen mob gegen die deut‐ schen underdogs in New York; vgl. Kap. III .5, AM 554-562.) In dieser Bedrängnis durch die widrigen Umstände lernt der Deutsche - der später durch juristische Spitzfindigkeiten um seinen neuen Landbesitz in den USA gebracht wird - schon bald vom afrikanischen Sklaven. Mehr noch, er identifiziert diesen mit Gruppen, auf die er in der Heimat selbst herabgeblickt haben mag, nämlich Polen und Juden (vgl. AM 442), um schließlich im „Neger‐ schmerz“ 195 seinen eigenen - und sich selbst - wiederzufinden. Dies betont im Rekurs auf die Opfer der Sklaverei trotzig die eigene moralische Überlegenheit als Selbst-Behauptung entgegen einer als diskriminierend empfundenen sozi‐ alen Unterlegenheit. 196 Dabei suggeriert die Rhetorik des Wortes „(wie‐ der)finden“ etwas nur halb Richtiges, denn eigentlich verliert sich der Deutsche in diesem Moment, in dem alle ethnisch kodierten und von realen Machtzu‐ ständen getragenen identitären Verhältnisse in der Form uneigentlichen Spre‐ chens kollabieren - in der Ironie, in dem von ihr antizipierten „Weltschmerz“ und im Bewusstsein: „Amerika ist ein Vorurteil“ ( AM 337). Wohl kommt es immer wieder zu einer kurzfristigen Restabilisierung und Re-Ethnisierung der Positionen in Passagen, wo Identifizierbarkeit entgegen allen ‚unzivilisierten‘ Umständen des amerikanischen Pionier-Daseins trotzig behauptet wird - und mit ihr die stereotypen Epitheta: Die Gesichter blickten verwittert, verwildert, vertiert [! ] mitunter und ließen mich häufig, unterstützt zumal durch die zigeunerhafte [! ] Unbestimmtheit der Kleidungs‐ stücke, zwischen männlichen und weiblichen irren. Desto merkwürdiger scharf zeich‐ A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 97 197 Vgl. dazu auch MAXWELL 2016. neten sich die Nationalitäten. Der spintisierende Amerikaner, der phlegmatische Deutsche, der heißköpfige Irländer wurden auf den ersten Blick herausgefunden. (AM 407 f., Hervorh. C. R.) Die ebenso thematisierte Unterminierung und Destabilisierung ist jedoch bei al‐ ler Apologie des ‚Nationalcharakters‘ und insbesondere eines ‚besseren‘ Deutsch-Seins nicht aufzuhalten. Die letzte Pointe dieses Prozesses aufzufinden obliegt freilich nur einem historisch bewussten Leser: Denn eigentlich ist der Protagonist des Romans, der auf 560 Seiten strategisch amerikanische und deut‐ sche Art und Unart narrativ gegeneinander aufrechnet (bis ihn der Text von der utopischen Hoffnung auf eine bessere Neue Welt kuriert in die fragwürdige Heimat zurückschickt), gar kein Deutscher im engeren Sinn! Er entstammt viel‐ mehr einer deutschsprachigen Minderheit von den Rändern des Habsburger Reiches und weiß sich dem Ungarn fast ebenso nahe (vgl. AM 67 f.) wie den Deutschen, die er in New Yorks Little Germany trifft (vgl. Kap. I.6 u. III .1), viel‐ leicht in seiner Liebe für ein gutes „Golasch“ sogar näher. 197 Damit erweist sich die ‚deutsche‘ Nabelschau des Romans aber als Spiegelfechterei gegenüber den Realitäten des österreichischen Vielvölkerstaats; die Mimikry beherrscht der ungarndeutsche Protagonist und mit ihm der Erzähler ebenso wie der Haus‐ diener Jack, wenn dieser schwarzes Objekt und weißes Subjekt strategisch iro‐ nisch vertauscht. Moorfeld wird sich selbst in Amerika ein Anderer, und seine Identität ist ein noch prekäreres Unterfangen geworden, als sie dies ohnehin schon war - und diese Hinterfragung kann wohl als das didaktische Ziel ‚guter‘ Literatur generell gelten. 9. Abschluss & Ausblick Egal, wie hoch man nun - mit Bhabha - den subversiven Faktor oder - mit Foucault bzw. Said - die repressive Wirkungsmacht ethnischer, sozialer oder geschlechtlicher Stereotypen für die Formierung von Identitäten ansetzt, bleibt doch für eine narratologisch inspirierte kulturwissenschaftliche Forschung von Belang, dass solche Bildformungen prinzipiell auch in literarischen Texten nie‐ mals ‚unschuldig‘ (wenn auch mitunter ‚unbewusst‘) und schon gar nicht ‚in‐ teresselos‘ sind. In der Reiseliteratur stammen sie meist weniger aus einer erfahrenen Realität, sondern vielmehr aus der Intertexualität, und sind von dort in die ‚Wirklichkeit‘ projiziert, d. h. hineingelegt worden; sie helfen mit, diese zu konstruieren. Dies wird etwa bei einer prominenten Orientreise der Jahrhun‐ dertwende explizit, jener von Walter Rathenau, wenn sich der „Großschrift‐ steller“ beklagt: A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 98 198 Zit. n. HEIMBÖCKEL 2015: 15. 199 Der kanadische Kafka-Forscher John Zilcosky hat mit seinem jüngsten Buch die These vom „End of Alterity“ vertreten: Es sei kein Zufall, dass das Konzept des Unheimlichen im Fin-de-siècle entstanden sein, wo es auf der Welt plötzlich nahezu keine unerforschte Region mehr gegeben habe. Das Unerklärliche, Unbekannte verlagere sich auch da‐ durch nach ‚Innen‘, d. h. in die Psyche des Menschen, nachdem die Reservoirs des Exo‐ tismus erschöpft scheinen; vgl. ZILCOSKY 2016. 200 Bhabha formuliert etwa in Anlehnung an Said über den westlichen Orientalismus, dieser sei „a topic of learning, discovery, practice; on the other hand, it is the site of dreams, images, fantasies, myths, obsessions and requirements“ (BHABHA 1994: 71). 201 BITTERLI 1991: 370 ff. - Vgl. SCHERPE 2000: 152. 202 Vgl. dazu BRONS 2015.- HOFER 2016: 35 definiert othering stringent als „eine macht‐ volle, hegemoniale, subjektivierende Praxis, die über vom dominanten ‚Wir‘ konstru‐ ierte[s] Wissen über Andere schafft und positioniert und dadurch deren Zugang zu Ressourcen und ihre Handlungsfähigkeit reglementiert bzw. daraus folgende Ein‐ schränkungen, Ausgrenzungen und Schlechterstellungen nach Zugehörigkeitsord‐ nungen legitimiert.“ 203 Eine kulturwissenschaftliche Stereotypenforschung kommt auch nicht um eine Ausei‐ nandersetzung mit Stigma-Theorien herum; vgl. etwa GOFFMAN 2008. Nun der Orient! Nach drei Tagen läßt sich nicht viel urteilen, aber soviel scheint mir: Leben und Menschen sind interessant. Landschaft, Kunst, Publikum nicht überwälti‐ gend. Was ich erwartete, finde ich vollständig; ein semitisches Volk in Freiheit dres‐ siert, polnische Juden im unverkümmerten Zustand. Die Straßen und Basare genauso, wie du sie dir vorstellst, Esel, Kamele, Menschen, Verkäufer, Kinder, vermummte Frau[en], Geschrei, Gestank, Sonne, Hitze - kurz es stimmt alles. 198 Der Reisende findet und schreibt, was er aus anderen Texten kannte, ja er pro‐ jiziert sogar die kulturellen Differenzen ‚seines‘ Zentraleuropas in den Orient - und „es stimmt alles“. 199 Aber was ist dann die Aufgabe der Forschung angesichts dieser Zirkularität von Erwartungshorizont und Realitätskonstruktion im Nar‐ rativ? Konkret aufgezeigt werden kann die Verortung der Stereotypen in einer konkreten historischen Situation und ihre prinzipiell ambivalente Anlage, analog der ihnen zugrunde liegenden Dialektik von Angst / Begehren und epis‐ temischer Kontrolle, die wohl charakteristisch ist für jede Annäherung an das / die Fremde in der westlichen Moderne: 200 So oszilliert denn das Bild des Anderen meist zwischen dem des schrecklichen Barbaren und jenem des ‚edlen Wilden‘, von dem man ein ‚besseres Leben‘ lernen kann, oder der ‚schönen Fremden‘, der(en) sich der westliche Mensch - oder vielmehr meist: Mann - (sexuell) bemächtigen möchte. 201 Weiters ist auffällig, wie willkürlich die Stereotypen im offensiven Fremdbild des „othering“ 202 (Spivak) sind, aber dennoch - wie schon Tajfel aufgefallen ist - der stigmatisierten 203 Gruppe hartnäckig anzuhaften scheinen, auch wenn sie A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 99 204 So z. B. in der spielerischen bis kommerziellen Übernahme von blackness-Stereotypen in der afro-amerikanischen Rap-Musik, wo sie in den Dienst von coolness und identity building gestellt werden. 205 Vgl. BUTLER 1997 / 2006: 226 f.- Aus Platzgründen kann hier leider nicht Butlers hate speech-Theorie diskutiert werden, mit der sich auch das Stereotyp als Sprechakt im Sinne von J. L. Austin fassen ließe. 206 „Die jeweiligen Zuordnungen können im Verlauf der Jahrhunderte und je nach politi‐ scher Perspektive wechseln, von Westen nach Osten oder von Süden nach Norden wei‐ tergereicht werden, ihr Bestand bleibt derselbe, bleibt auf die Summe möglicher Eigen‐ schaftsbezeichnungen beschränkt.“ (JEISMANN 1991: 85)- Die Einführung des Topos-Begriff in die imagologische Stereotypenforschung wurde v. a. von Manfred Beller angeregt (vgl. BELLER 2006: 40 f., 60). 207 Vgl. LEERSSEN 2000: 275. 208 Vgl. ebd.: „This poses the intriguing question as to what governs such discursive shifts and volatility.“ 209 JAY 1992 u. BHABHA 1994: 76. 210 SENGUPTA 1995: 171. 211 Alle folgenden Zitate stammen aus LEERSSEN 2007b: 26-30. 212 Dieses „Privileg“ geht freilich im 20. Jahrhundert unter dem Eindruck einer ausufernden Presselandschaft im Verbund mit entstehenden audiovisuellen Massenmedien bis hin zum Internet verloren. prinzipiell rekodierbar 204 sind (Ob man deshalb mit Judith Butler und Jacques Derrida allzu viel Hoffnung in eine redigierende „Wiedereinschreibung“ setzen darf, 205 muss dahingestellt bleiben.). Auffällig ist vor allem aber, dass die Willkürlichkeit der Stereotypen doch einigen fest gefügten Redefiguren folgt. 206 So erscheinen beherrschte Ethnien aus der Sicht einer hegemonialen Kultur nachgerade uniform als ‚faul‘, wenig(er) intelligent, rückständig, moralisch fragwürdig, kurzum: der Erziehung durch den Hegemon bedürftig - egal, ob von Finnen im zaristischen Russland, Afri‐ kanern oder Indern im British Empire oder Bosniern in Österreich-Ungarn oder Jugoslawien die Rede ist. 207 Jene Topoi wirken wie virtuelle Eröffnungszüge auf dem Schachbrett kultureller Narrative und politischer Rhetorik, die in einer be‐ stimmten historischen Situation aufgerufen werden - aber auch deaktiviert werden können, wenn sich die ideologische Motivation ändert. 208 Diese schein‐ bar willkürliche De- und Rekodierung des Anderen erfolgt in Form eines „Blick‐ regimes“ 209 bzw. im Rahmen einer „Bildpolitik“ (Mahasweta Sengupta spricht von einer „tyranny of representation“), 210 die kulturwissenschaftlich als diskur‐ sive Formation beschreibbar ist. Dies könnte nun in einer Form geschehen, die weitgehend dem von Joep Leerssen vorgeschlagenen Arbeitsprogramm 211 für eine künftige Imagologie folgt: • „literature (as well as more recent poetically-ruled and fictional-narrative media such as cinema or the compic strip) is a privileged 212 genre for the A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 100 213 Diese Formulierung richtet sich gegen Welleks „Soziologie“-Vorwurf. 214 LEERSSEN 2007b: 28. 215 Imagologisch beschrieben wird also z. B. „nationality ‚as seen‘, as a literary trope“, wie Leerssen M.-F. Guyard folgend formuliert (ebd. 22). Vgl. auch LEERSSEN 2000: insbes. 271, 289. dissemination of stereotypes“ - Literatur wird damit zu einem geeigneten Medium zur Erforschung von „long-durée topics“ wie etwa nationaler Stereotypen; • „images work […] primarily because of their intertextual tropicality. They […] obtain familiarity by dint of repetition and mutual resemblance.“ • „Imagology is concerned with the representamen, representations as tex‐ tual strategies and as discourse“; • „its aim is to understand a discourse of representation rather than a so‐ ciety“. 213 • Weiters gelte die Unterscheidung zwischen „the spected“ and „the spec‐ tant“, die immer zusammen zu sehen seien: „The nationally represented (the spected) is silhouetted in the perspectival context of the representing text or discourse (the spectant).“ • „Imagology addresses a specific set of characterizations and attributes“, die in ihrer Allgemeinheit nicht überprüfbar sind und sich als ‚Fakten‘ gerieren: „These are here called imaginated.“ (Z. B. der Satz: „The French are freedom-loving individualists.“) • „The first task is to establish the intertext of a given national representa‐ tion as trope.“ • „The trope must also be contextualized within the text of its occurrence.“ • „Historical contextualization is also necessary.“ Die hier vorgeschlagene „pragmatisch-funktionalistische Perspektive“ 214 für eine literatur- und kulturwissenschaftliche Imagologie zeichnet sich also durch folgende zentrale features aus: 1. Sie vermeidet die Mentalismus-Problematik, indem sie sich auf kulturelle Repräsentationen bezieht, und sich damit für eine undogmatische (und doch potenziell auch für Sozialpsycholog / inn / en und Anthropolog / inn / en anschlussfähige) Version des Konstruktivismus entscheidet. 2. Dies hat auch zur Konsequenz, dass die imag(in)es eher als eine kulturelle Rhetorik bzw. Grammatik gefasst werden denn als mentale Repräsentati‐ onen; sie sind daher im Rahmen einer Topik beschreibbar. 215 3. Die psychische und kognitive Wirkungsweise der Stereotypen bleibt den damit befassten Fachdisziplinen überlassen, wobei mit der Dynamik von A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 101 216 Etwa im Rahmen einer „kontrapunktischen Lektüre“ im Sinne von Said; siehe dazu im Folgenden in Abschnitt A.2.10 dieser Arbeit. 217 Vgl. LEERSSEN 2000: 281, 285, 289. 218 Vgl. dazu etwa RUTHNER 2004: 1-58 (Kap. I). 219 RIESZ 1980: 11; vgl. OSTERHAMMEL 2001: 27 f. Angst und Begehren und dem freudianischen Moment des Narzissmus auch für die Kulturwissenschaften eine wichtige Arbeitshypothese ge‐ wonnen scheint, die sich damit trotz ihrer narratologisch-konstruktivis‐ tischen Ausrichtung nicht prinzipiell einer plausiblen psychologischen Konzeptualisierung der Repräsentationen widersetzt. 4. Welleks Vorwurf der Eliminierung der ästhetischen Besonderheit des ein‐ zelnen Texts zugunsten des Kontexts wird damit entkräftet, dass jeweils beide mitgedacht werden in einer Auffassung von Literatur, die diese als Möglichkeit der Affirmation wie der Subversion sieht und Ambivalenzen nicht begradigt, sondern zur Sprache bringt. 216 5. Hier gilt es auch, eine weitere Anregung Leerssens in Bezug auf einen „pragmatic turn“ aufzugreifen und im Rahmen künftiger sozial- und kul‐ turwissenschaftlicher Forschung auf den Umgang der Rezipien / inn / ten mit den Stereotypen zu achten und damit gewissermaßen auch auf deren Rezeptionsästhetik. 217 Wenn man auf die systemischen Zusammenhänge der Dissemination der Bilder fokussiert, könnte man hier wohl auch mit Pierre Bourdieu von einer Bildöko‐ nomie sprechen - in Anbetracht der Tatsache, dass die stereotypen imag(in)es als Bestandteil von publizierten Texten auf einem kulturellen Markt um Leser / innen-Zuspruch werben und in einem eigentümlichen Verhältnis zu einer ‚Volkswirtschaft‘ kursieren, die Menschen als Produzent / inn / en und Konsu‐ ment / inn / en nicht nur kultureller Differenz, sondern auch den Hierarchisie‐ rungen von wirtschaftlichem Erfolg und Marktzyklen - kurzum: einer Sozio- und Kulturökonomie 218 - unterwirft. Exemplarisch hat dies der deutsche Afroromanist János Riesz formuliert: „Der Kampf um das erwünschte Bild (image) findet in allen Lebensbereichen statt: politisch ist er ein Teil eines glo‐ balen Machtkampfes, ökonomisch […] ein wichtiger Teil unserer ‚freien Markt‐ wirtschaft‘, Teil des Kampfes um Marktanteile […]“. 219 Hier mag ein kurzer und fast schon abgeschmackter Blick in die Medienlandschaft genügen, um zu zeigen, dass Stereotypen nicht nur (wenn auch ambivalente) rhetorische Mittel der politischen Legitimation, sondern ebenso Waren sind; sie appellieren kon‐ sumistisch an die narzisstische Spannung von Angst und Begehren, die sie letzt‐ lich auch hervorgebracht hat. A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 102 220 SAID 1994: 12. 221 Vgl. MAGRIS 1966 / 2000 und COLE 2004. 222 Dies ist ansatzweise schon im Bereich der Wien-Literatur geschehen, wo den großen modernistischen Romanprojekten eines metropolitanen wie hegemonialen deutsch‐ sprachigen Modernismus - die zwar herrschaftskritisch, aber doch auch nostal‐ gisch-retrospektiv sind wie etwa Musils Mann ohne Eigenschaften oder Doderers Strudl‐ hofstiege - die dissidenten kleinen Formen anderssprachiger Autoren entgegengehalten werden: z. B. die Feuilletons des Ukrainers Ivan Franko oder die Kurzprosa des Slowenen Ivan Cankar, der das Elend der Vorstädte eher als das high life der inneren Bezirke beschrieb; vgl. dazu die inspirierenden Essays von GAUSS 1998). Hier ist nun der Punkt, um den Kolonialismus-Faden des letzten Kapitels (A. 1) wieder aufzugreifen. Auf dem verbliebenen Raum wäre zu fragen, wie die in der Diskussion gewonnenen Erkenntnisse und Resultate - so provisorisch sie mitunter auch sein mögen - auf die anschließenden Fallstudien umzulegen wären. In diesem Sinne soll ein vorläufiges Arbeitsprogramm formuliert werden. 10. Coda: Mögliche Analyse-Kategorien für den (k. u. k.) Kolonialdiskurs We must take stock of the nostalgia for empire, as well as the anger and resentment it provokes in those who were ruled, and we must try to look carefully and integrally at the culture that nurtured the sentiment, rationale, and above all the imagination of empire. And we must also try to grasp the hegemony of the imperial ideology, which by the end of the 19th century had become completely embedded in the affairs of cultures whose less regrettable features we still celebrate. 220 Trotz der Tatsache, dass der sog. „habsburgische Mythos“ in der Literatur häufig erst a posteriori formuliert worden ist, 221 ist er - wie aus dem bisher Gesagten abgeleitet werden kann - als imperial(istisch)e Selbstrechtfertigungsstrategie für innere und äußere Kolonisation beschreibbar. Und, wie das obige Zitat von Edward Said im Rahmen der britischen und französischen Imperien des 19. Jahrhunderts ausdrückt: Eine ausgewogene Lektüre der habsburgischen Kultur / en des selben Zeitraums sollte nicht nur den hegemonialen Diskurs lesen, sondern auch das, was ihn ermöglichte, und ebenso das, was ihm im In‐ neren und Äußeren Widerstand leistete 222 - im Sinne einer Bestimmung post‐ kolonialer Kritik als Lektürepraxis: […] postcolonial criticism can still be seen as a more or less distinct set of reading practices, if it is understood preoccupied principally with analysis of cultural forms which mediate, challenge or reflect upon the relations of domination and subordina‐ tion - economic, cultural and political - between (and often within[! ]) nations, races A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 103 223 MOORE-GILBERT 1997: 12. 224 SAID 1994: 39-79. 225 Ebd. 60. 226 Zu einer pragmatische Operationalisierung des Begriffs für eine kontextsensible Lite‐ raturwissenschaft vgl. etwa FINZI 2013: 26 ff. oder die Arbeiten von Moritz Baßler. 227 SAID 1994: 78. 228 Ebd. 59, vgl. 37. or cultures, which characteristically have their roots in the history of modern Euro‐ pean colonialism and imperialism […]. 223 Dies entspricht in etwa dem, was schon Edward Said in einer musikologischen Metapher „kontrapunktisches Lesen“ nannte, dessen mehrschichtige Bedeutung eine Zusammenschau der einschlägigen Stellen in Culture and Imperialism  224 erschließen kann: 1. „Contrapuntal reading“ verdankt sich letztlich der kontrapunktischen Struktur von Identitätskonstruktionen: „Greeks always require barba‐ rians, and Europeans Africans, Orientals etc.“ 225 Deshalb sind auch bei einer Analyse beide Pole der Dyade als Einheit zu betrachten. 2. „Contrapuntal reading“ thematisiert den verdrängten historischen Kon‐ text 226 imperialen Schreibens: etwa die Zuckerplantage im Hintergrund von Jane Austens Mansfield Park, die die englischen Protagonist / inn / en benötigen, um ihren life style aufrecht zu erhalten. 227 3. Im komparatistischen Sinne gilt es, - in einem Modell, das Bachtins „Di‐ alogizität“ einiges verdankt - nicht nur die dominanten Stimmen der Li‐ teraturen und Kulturen zu hören, sondern jene teilweise zum Schweigen gebrachten, die diesen widersprechen und opponieren: As we look back at the cultural archive, we begin to reread it not univocally, but contrapuntally, with the simultaneous awareness both of the metropolitan history that is narrated and of those other histories against which (and together with which) the dominating discourse acts. 228 4. Und, last but not least, müsste man hinzufügen, dass eine kontrapunkti‐ sche Lektüre auch die systemimanenten Widersprüche und Aporien im‐ perialen Schreibens zum Vorschein bringt. Insgesamt, so Said (der ja neben seiner literaturwissenschaftlichen Publikationstätigkeit auch ein renommierter Opern- und Musikkritiker war), führt dies gleichsam zu einer orchestralen Lektüre, die den kulturellen Text sozusagen als Partitur verschiedener Instrumente liest, in der eine Stimme nur provisorisch pri‐ vilegiert ist: A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 104 229 SAID 1994: 59 f. 230 HONOLD / SIMONS 2002: 9. 231 Vgl. PARRY 1983, 2004; REBER 2002; AHMAD 2008: 181 ff.; 232 BOEHMER 1995 / 2005: 58, vgl. 58 ff. 233 BLAUT 1993: 17. In the counterpoint of Western classical music, various themes play off one an‐ other, with only a provisional privilege being given to any particular one; yet in the resulting polyphony there is concert and order, an organized interplay that derives from the themes, not from a rigorous melodic formal principle outside the work. 229 Was die vorliegende Arbeit im Folgenden leisten wird können, ist - aufgrund fehlender slawistischer und hungarologischer Expertise ihres Verfassers - vor allem mit den Punkten 1, 2 und 4 charakterisiert. Die volle Kontrapunktik im Sinne Saids wird sich also erst dann einstellen können, wenn man dieses Buch in dem Netzwerk-Rahmen, in dem es entstanden ist, liest: im Dialog v. a. mit den Arbeiten von Stijn Vervaet, Vahidin Preljević und anderen, die das Writing back und damit auch die Frage kulturellen Widerstands nicht-hegemonialer Litera‐ turen und Kulturen in der späten Habsburger Monarchie stärker thematisieren, als ich dies aus den genannten Gründen hier vermag. Was meine Studie indes vorderhand leisten wird können, ist im Sinne des frühen Edward Said also eine colonial discourse analysis, die sich dem hegemonialen Leitgenre der habsbur‐ gischen Kultur / en, der deutschsprachigen Literatur, ebenso widmet wie para‐ literarischen Formationen. Eine solche Analyse des k. u. k. ‚Kolonial‘diskurses als „kulturelle[m] Reso‐ nanzraum kolonialer Bestrebungen“ 230 kann sich nicht nur auf die umfänglichen Kritiken und Revisionen des Said’schen Frühwerks Orientalism von 1978 stützen, 231 sondern auch auf die Beobachtungen und Analysen diverser anderer Forscher / innen. So umreißt etwa Elleke Boehmer die zentrale Thematik der Kolonialliteratur; in ihr gehe es um „the introversion of the colonial mission, or colonial drama; the masculine aspect of that drama; the representation of other peoples; the resistant incomprehensibility or unreadability of the colonized beyond“. 232 In einer weiteren Elaboration, die in ihrer manichäischen Dicho‐ tomik nachgerade spätstrukturalistisch anmutet, hat J. M. Blaut in The Coloni‐ zer’s Model of the World (1993) auf die prinzipielle Zweiteilung der symbolischen Welten von Zentrum (core) und Periperie in deren Repräsentation hingewiesen und dafür folgendes Schema entwickelt: 233 A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 105 234 Seitennachweise aus SPURR 1993 aus Platzgründen im Lauftext. 235 BOEHMER 1995 / 2005: 79. 236 „The writer literally sees the landscape of the non-Western world in terms either of the promise of westernized development or of a disappointment of that promise.“ (SPURR 1993: 19). 237 Vgl. BOEHMER 1995 / 2005: 64, 69 et passim. Characteristic of Core: Characteristic of Periphery: inventiveness imitativeness rationality, intellect irrationality, emotion, instinct abstract thought concrete thought theoretical reasoning empirical, practical reasoning mind body, matter discipline spontaneity adulthood childhood sanity insanity science sorcery progress stagnation In David Spurrs Buch Colonial Discourse in Journalism, Travel Writing and Imperial Administration (1993) wiederum werden relativ systematisch elf Ver‐ fahrensmodi der kolonialen Repräsentation des Anderen ausgewiesen, die im Folgenden zusammengefasst werden sollen; 234 der / die / das Andere / Fremde wird dabei quasi als „historical palimpsest“ 235 aufgefasst: 1) „Surveillance“ (13 ff.): Hier geht es um Sichtweisen und Erzählperspektiven im Ko‐ lonialdiskurs: Wer hat das „privilege of the gaze“ (13) bzw. das Blick- und Beschrei‐ bungsmonopol, und wer wird angesehen, ohne zurückblicken zu dürfen? Auch Vo‐ gelperspektive, Landschaftspanoramen 236 und auktoriale Erzählhaltung werden genannt (15) bzw. der Blick auf den fremden Körper, der diesen ästhetisch, ethisch und nach seinem Arbeitswert einstuft (22). 237 2) „Appropriation“ (28 ff.): Die Aneignung der fremden Länder und Menschen durch den Kolonisator wird gleichsam als dessen Naturrecht behauptet (29), wobei die Ko‐ lonialherrschaft als „restoration of a harmonious order“, als Rettung vor Krieg und Chaos erscheint (34). Dabei gilt es die Rolle von westlicher Namensgebung (z. B. A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 106 238 Vgl. ebd. 19, 87. 239 Vgl. ebd. 75 f. 240 „Der Kolonisator will den Kolonisierten nicht in seiner Wirklichkeit begreifen, er will nur die Wandlung des Kolonisierten vorantreiben. […] Durch die Negation seiner Welt wird dem Kolonisierten die menschliche Existenz verweigert, er wird naturalisiert [vgl. Punkt 10 in Spurrs Aufzählung, C. R.] und gilt somit als verfügbar.“ (ZANELLA 2004: 137) „New-Amsterdam“) als Nostalgie für das verpflanzte Eigene wie auch die semantische Inbesitznahme des Fremden in einem kolonialen Kontext zu berücksichtigen (30). 238 3) „Aestheticization“ (43 ff.): Der koloniale Blick ästhetisiert z. B. soziales Elend zu pit‐ toresker Armut (39 f.) und definiert, was „authentisch“ und was „nicht-authenisch“ ist (49). 4) „Classification“ (61 ff.): Der Kolonisator nimmt für sich das Privileg in Anspruch, alle fremden Phänomene gemäß von ihm (willkürlich? ) aufgestellter eigener Katego‐ rien zu klassifizieren. 239 5) „Debasement“ (77 ff.): Diese Projektionen von Angst, Schmutz und Ekel erzeugen strategisch „the horror of the Other“ (79) und lassen den „struggle aginst the lotuslike powers of an unknown land“ (80) als heroische Herausforderung für den colon er‐ scheinen. Nacktheit und Schmutz erscheinen als „markers of distinction“ (81), gleich‐ zeitig als „warning against the seductive danger of the savage“ (83). Es gilt gleichwohl das Paradox, dass die Kolonisierten durch die mission civilatrice auf die hohe Zivili‐ sationsstufe des colon gehoben werden sollen, sie aber für ihre „attempts to imitate the forms of the West“ ridikulisiert werden (84). 6) „Negation“ (92 ff.): Dieser Beschreibungsmodus vermag das Fremde / Andere nur als Verneinung bzw. Gegenteil des Eigenen („state of nothingness“- 97; „Heart of Dark‐ ness“- 95) erfassen, als „incapacity to enter into the basic systems of thought that make civilized life possible“ (104). 240 7) „Affirmation“ (109 ff.): Strategien der (Selbst-)Bestätigung der kolonialen Präsenz und der mission civilizatrice. 8) „Idealization“ (126 ff.): die Idealisierung des / der Fremden / Anderen / Eingeborenen z. B. zum ‚edlen Wilden‘, zur Gegenwelt zur Moderne, die nicht nach utilitaristischen Prinzipien organisiert ist (129), d. h. das scheinbare Glück des ‚Rückständigen‘. 9) „Insubstancialization“ (141 ff.): Hiermit ist z. B. die Auflösung der Leitdifferenz von ‚innen‘ und ‚außen‘ unter dem Eindruck des fremden Lands und seiner Menschen gemeint, z. B. „the spell of the Orient“ (145), der die westlichen Betrachter / innen wie A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 107 241 Die Analyse des intersektional verschränkten othering, dh. das Gendering und die la‐ tente bis manifeste Erotisierung der kolonialisierten fremden Kultur, steht seit Jahren im Brennpunkt der postkolonialen Forschung einer zweiten Generation; vgl. McCLIN‐ TOCK 1995; ZANTOP 1997: 46ff; STOLER 2002 / 2010; UERLINGS 2001, 2004; u. v. a. in einem Drogenrausch desorientiert und sie im Ungewissen über den Traum- und Wirklichkeitsstatus des Erfahrenen lässt. 10) „Naturalization“ (156 ff.): Andere Länder und ‚Völker‘ werden mit dem Register der Biologie beschrieben, anstatt sie wie das Eigene als Kulturphänomene darzustellen („identification of Third World peoples with the forces of nature“, 167). 11) Gendering bzw. „Eroticization“ (170 ff.): der / die / das Fremde wird sexuell aufge‐ laden bzw. verweiblicht („the cliché of colonial history“, 171). Die Darstellung folgt „Principles of unveiling and repetition“ (175) und ist einer Dialektik von Angst und Begehren unterworfen. 241 Mit diesen kritischen Kategorisierungsversuchen des Kolonialdiskurses (die pa‐ radoxerweise innerhalb der westlichen Academia formuliert worden sind, gleichsam als tool set einer institutionalisierten Selbstkritik) stehen zumindest Anregungen für die folgenden Fallstudien und Detailanalysen zur Verfügung. Sie werden freilich nicht systematisch appliziert werden, um einerseits einen ermüdenden Schematismus, andererseits den Eindruck unreflektierten Trans‐ fers bzw. kritikloser ‚Anwendung‘ zu vermeiden und außerdem die Texte zu‐ nächst mittels eines close reading für sich selbst ‚sprechen‘ zu lassen. A.2. ImagiNation: Zur Analyse stereotyper Selbst-/ FremdBilder 108 Teil B: FallStudien (I) Kolonialismus als Vorstellung: Stichproben aus der österreichischen Literatur, 1815 - 1914 Abb. 1 Teil B: FallStudien (I) 110 1 SAID 1994: 14. 2 ZANTOPP 1997: 4. - Ebd. 3 werden sie auch als „crucial markers“, ja „agents in cultural history“ bezeichnet. 3 Ebd. 2. 4 Ebd. 4. B.0. FrageStellungen: „Koloniales Begehren“ in literarischen „Kontaktzonen“ […] literature […] creates what Williams calls ‚structures of feeling‘ that support, ela‐ borate, and con solidate the practice of empire. 1 Die früh verstorbene amerikanische Germanistin Susanne Zantop spricht in ihrer 1997 erschienenen, inspirierenden Arbeit zu „Conquest, Family and Nation in Precolonial Germany, 1770-1880“ von „Colonial Fantasies“, die sie als wir‐ kungsmächtige, aber gleichsam subkutane Kategorie der deutschen Kultur vor deren Übersee-Landnahme in den Jahren nach 1884 ausweist. Jene „Kolonial‐ phantasien“ hätten als Bindeglied zwischen dem Individuum und dem „politi‐ schen Unbewussten“ (Frederick Jameson) seiner Zeit gewirkt und seien dabei Vehikel wie auch Triebfeder kolonialer Ideologien: 2 „stories of sexual conquest and surrender, love and blissful domestic relations between colonizer and colo‐ nized, set in colonial territory, stories that made the strange familiar, and the familiar ‚familial‘.“ 3 Zantop sieht also diese Narrative inner- und außerhalb der deutschen Lite‐ ratur häufig als Liebesgeschichten und Familienromane imaginiert, in denen es Paare, Eltern, Kinder und Geschwister gebe; auf diese Weise hätten sie mitge‐ holfen, eine nationale Identität zu schmieden („producing not just a ‚family‘“). 4 Zusammenfassend heißt es: „Colonial fantasies provided an arena for creating an imaginary community and constructing a national identity in opposition to the perceived racial, sexual, ethnic, and national characteristics of others, Eu‐ 5 Ebd. 7. 6 Ebd. 5. 7 Vgl. PREVEŠIĆ 2014: 26 u. 35. 8 BACH 2016. 9 Ebd. 6 ff. 10 ZANTOP 1997: 7; vgl. BACH 2016: 3. 11 BACH 2016: 6. 12 Ebd. 26. ropeans and non-Europeans alike.“ 5 Auch die Gender-Hierarchien des modernen Europas bräuchten das koloniale Andere als Hintergrund, von dem sie ihre ‚Kultur-Leistung‘ abzuheben trachteten. 6 Zantops Arbeit fokussiert zwar auf die deutsche Kultur vor und nach der wilhelminischen Reichsgründung von 1871. Es scheint aber, dass es dergleichen Kolonialphantasien und Familienaufstellungen - wie erste Stichproben in Teil A. der vorliegenden Arbeit nahelegten - durchaus auch in jenem deutsch‐ sprachigen Territorium gibt, das von der staatlichen Vereinigung unter Preußen ausgenommen blieb: das Kaisertum Österreich bzw. (nach 1867) die Doppelmo‐ narchie Österreich-Ungarn. 7 Dies hat jüngst auch der deutsch-amerikanische Germanist Ulrich Bach in einer Studie zu Colonial Utopias  8 in Anschluss an das alte Credo der Habs‐ burg-Forschung gezeigt, wonach es keine k. u. k. Kolonien gegeben habe. 9 Mu‐ tatis mutandis ließe sich aber mit Zantop behaupten, dass „precisely the lack of actual colonialism […] created a pervasive desire for colonial possessions and a sense of entitlement to such possessions“. 10 Bach spricht von einem imaginärem Imperialismus, der sich begehrlich auf den „paracolonial space“ 11 Osteuropas richte; dementsprechend würde etwa im Falle Sacher-Masochs eine „parakolo‐ niale“ Literatur Österreichs mehr reflektieren als „the empire’s ethnic diver‐ sity“. 12 Ob das so stimmt, soll vorläufig dahingestellt bleiben; fest steht, dass mit jenen kulturellen Kolonialphantasien sehr wohl auch ein Reflexionsmedium der ‚eigenen‘ ethnischen Diversität zur Verfügung steht - und in manchen Fällen sogar ein Kritikforum für den real-existierenden Kolonialismus der Nachbar‐ staaten „Kakaniens“. In diesem Sinne handelt auch der folgende erste Fallstudien-Teil der vorlie‐ genden Arbeit - die in Abschnitt A. entwickelten Frageperspektiven aufgrei‐ fend - vom heimlichen kolonialen Begehren in der österreichischen Literatur und Kultur im langen 19. Jahrhundert, aber auch von deren Auseinandersetzung damit. Zu diesem Zweck werden abseits der von der bisherigen Forschung be‐ B.0. FrageStellungen: 112 13 Vgl. dazu Kap. A.0.2. der vorl. Arbeit. 14 Vgl. etwa BACH 2016: 13-38; STROHMAIER 2011; u. a. 15 Vgl. etwa DIETRICH 2004: 208 ff. u. BACH 2016: 111-119. 16 Aus Zeitgründen war mir eine gründlichere Durchforschung der österreichischen Li‐ teratur im langen 19. Jahrhundert leider nicht möglich. Anstoß zu geben für Anschluss‐ studien zum österreichischen Biedermeier bzw. zum Realismus - etwa zu Grillparzers Ein treuer Diener seines Herrn und Libussa, Stifters Brigitta, Abdias und Witiko, zu Marie von Ebner-Eschenbach oder Ferdinand von Saar (z. B. Die Steinklopfer, Die Troglo‐ dytin) - versteht sich aber durchaus als Desiderat der vorl. Arbeit. 17 Vgl. dazu Teil C. dieser Arbeit. 18 Die Analyse seines Romans versteht sich auch als notwendige Ergänzung zu BACH 2016, der ausschließlich literarische Utopien analysiert - und nicht reziprok dazu auch Dystopien. 19 PRATT 1992: 4. 20 Ebd. 5. gangenen Bahnen (Kafka, 13 Sacher-Masoch, 14 Robert Müller 15 u. a.) ohne An‐ spruch auf Vollständigkeit 16 drei Stichproben präsentiert, die Positionen und Dimensionen österreichischer Kolonialphantasien (und -kritik) sichtbar machen sollen (während deren Realisierung zumindest ersatzweise in der Landnahme und Administration Bosniens-Herzegowinas 1878-1918 17 stattfinden wird): Franz Grillparzer (1791-1872), so unsere These, widerspiegelt im traumati‐ schen - und proto-kolonialen - Kontakt zwischen ‚zivilisierten‘ Griechen und ‚barbarischen‘ Kolchern die kulturellen Differenzen des Habsburger Reiches und hinterfragt dessen ethnische Hierarchien im 19. Jahrhundert. Peter Alten‐ berg (1859-1919), der sich anlässlich einer sogenannten „Völkerschau“ im Wiener Prater-Zoo 1896 als Advokat der zur Schau gestellten „Aschanti-Neger“ auf der Folie seiner rousseauistisch libert(in)ären Zivilisationskritik geriert, er‐ weist sich zugleich als Gefangener seines eigenen bedenklichen Begehrens für das afrikanische Andere. Alfred Kubin (1877-1959) schließlich, genialer Jahr‐ hundertwendezeichner dunkler Mächte, imaginiert in seinem einzigen Roman Die andere Seite (1908 / 09) eine Staatssatire des Habsburger Reiches nicht zufällig als koloniales Untergangsszenario in Zentralasien. 18 In Imperial Eyes (1992), einem Standardwerk der Reiseliteraturforschung, hat Marie Louise Pratt von „contact zones“ gesprochen: „spaces where disparate cultures meet, clash, and grapple with each other, often in highly asymmetrical relations of domination and subordination“, 19 „usually involving conditions of coercion, radical inequality, and intractable conflict“. 20 Dieses Prinzip liminaler Kontaktzonen herrscht aber auch im imaginären Raum - ebenso wie im realen Kontext - der untersuchten Texte vor, ob es sich nun um Argonauten und Tou‐ risten bei Grillparzer handelt, um die Völkerschauen um 1900 bei Peter Alten‐ berg oder das mitteleuropäische Kolonisationsprojekt bei Kubin. Dabei liegt es B.0. FrageStellungen: 113 wohl auf der Hand, diese Berührungs(t)räume mit dem multiethnischen Alltag der Habsburger Monarchie bzw. ihrem Binnenkolonialismus in Verbindung zu setzen, wie noch zu zeigen sein wird. Literatur - so eine erste Arbeitshypothese - fungiert hier als symbolisches Bewältigungsmedium eines immer schwierigeren k. u. k. Differenzmanage‐ ments, zugleich aber auch als Erweiterungsphantasie, das dieses in die Weite des geografischen Raums oder der historischen Vergangenheit projiziert - als potenziell unionistischer Diskurs eines anachronistisch werdenden Imperiums in Bedrängnis. Es sind dies koloniale Vorstellungen in zweifacher Hinsicht: als Ideen wie auch als deren virtuelle Performanz in der Versuchsanordnung eines literarischen Als-Ob. B.0. FrageStellungen: 114 1 Grillparzers Werke, Briefe und Tagebücher werden in diesem Kapitel konsequent mit der Sigle SW nach der von Frank u. Pörnbacher herausgegebenen Ausgabe Sämtliche Werke (GRILLPARZER 1960-65) zitiert; ausgewiesen werden außerdem bei Dramen Akte und Verse, bei Tagebüchern die laufende Nummerierung der Einträge. 2 Vgl. LAJARRIGE 2007: 86 f. u. FREDERIKSEN 1977. B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer zwischen Habsburg und Kolchis Man soll auf Reisen gehen, um die Menschen kennen zu lernen? Die andern lernt man zu Hause besser kennen, aber in der Fremde sich selbst. (SW 1: 417) 1 Mit dem zitierten Epigramm „[i]n einem Pariser Stammbuch“, verfasst am 14. Mai 1836, das uns als Motto für alles Weitere dienen soll, formuliert Franz Grillparzer (1791-1872) auf seiner Westeuropa-Reise die klassische Paradoxie des Reisens in der Moderne: 2 Ist doch die Fremd-Erfahrung hier nicht bloß Selbstzweck, sondern Folie einer Identitätssuche; darin bildet Grillparzer kei‐ neswegs eine Ausnahme. Sechs Jahre später vertraut der österreichische Schrift‐ steller seinem Tagebuch an: Ich bin froh ein Deutscher zu sein. Nicht als ob ich die Nation so hoch stellte, eher das Gegenteil. Aber wenn der Mensch Papier ist auf welches das Leben schreibt, so will ich als unbeschriebenes zur Welt gekommen sein. Der Deutsche bringt von allen Völ‐ kern am wenigsten Vorurteile mit. Das ist sein Vorzug, aber vielleicht sein einziger. (Tgb 3590 / SW 4: 645) Abgesehen von der seltsamen Rede vom fast vorurteilsfreien Deutschen - die selbst ein Vorurteil ist und noch dazu von einem Österreicher geäußert wird, der für seine Skepsis gegenüber dem gleichsprachigen Norden bekannt ist -, erscheint heute auch die hier formulierte Grundannahme problematisch: Nie‐ mand kommt als „unbeschriebenes“ Blatt zur Welt; immer schon werden wir in vor uns bestehende Diskurse hineingeboren, die für uns sprechen und schreiben, ehe wir dies selbst zu vermögen meinen - darin ist ‚Ich‘ immer schon ein An‐ 3 ’Konstruktion’ meint hier eine Art von sozialem bzw. kulturellem Konstruktivismus, d. h. dass Identität nicht als etwas a priori, ‚von Natur aus‘ Gegebenes betrachtet wird. Vgl. Kap. A.2.2. dieser Arbeit. 4 Vgl. SPIVAK 1985: 247-272; PICKERING 2001; BRONS 2015: 69-90 u. Abschnitt A.2.6-7 der vorl. Arbeit. 5 Vgl. TURK 1990; SINGER 1997; MÜLLER-FUNK 2002b, 2016; sowie Abschnitt A.2.2. der vorl. Arbeit. derer. Ebenso impliziert die kulturelle Konstruktion von Identität, 3 sei diese nun eine individuelle oder kollektive (Geschlecht, Klasse, Ethnie, Nation, etc.), stets das, was man nicht ist. Auf diese Weise nimmt identity building, wie in Ka‐ pitel A.2. ausführlich erörtert wurde, einen grundlegenden Umweg über den / die / das Andere / n bzw. Fremde / n, um sich selbst davon abzusetzen. Wir bedienen uns dieses Gegenübers, das gleichsam als Negativform unseres Iden‐ titätsprojekts herhalten muss, obwohl wir häufig nicht viel mehr als Stereotype darüber wissen - „Vorurteile“ in der postaufklärerischen Sprache Grillparzers; dies ist die fatale anthropologische Pointe jener Identitätskonstruktion, die hier ‚westlich‘ genannt werden soll, um keinen voreiligen Universalitätsanspruch zu erheben. Wir kommen damit wieder in den Bereich dessen, was in den englischspra‐ chigen Cultural Studies othering genannt wird. 4 Das Problem wird allerdings dadurch verkompliziert, dass dem englischen Term ‚the Other‘ zwei bis vier Äquivalente auf Deutsch entsprechen, nämlich: das Fremde und der / die / das Andere. Wie bereits dargelegt, plädieren etliche Kulturwissenschaftler / innen dafür, diese Konzepte von Alterität auseinander zu halten, wiewohl sie auch zumindest unterschwellig miteinander verbunden scheinen: Wenn wir von dem oder der Anderen sprechen, meinen wir unser Gegenüber, den Mitmenschen, der sich als Teil unserer Umwelt von unserem Ich unterscheidet. Der / die / das Fremde impliziert eine Konstruktion von kultureller Andersheit (Ethnie, Sprache, Hautfarbe etc.), wohingegen das Andere auf Deutsch die radikalste Art von Alterität denotiert - etwas, das selbst nicht mehr menschlich ist, wie z. B. Monstren oder übernatürliche Wesen (Götter, Dämonen, Vampire etc.). 5 Es wäre nun ein lohnendes Projekt, Alterität in jenem letzten, unheimlichen bis numinosen Sinn in Franz Grillparzers Werken aufzusuchen und zu analy‐ sieren - besonders im Drama Die Ahnfrau (1817), dessen Titelfigur ja ein Ge‐ spenst ist. Nichtsdestotrotz werden die folgenden screenshots auf Fremdheit fo‐ kussieren, zumal es sich hier um eine der zentralen Kategorien im Werk Grillparzers handelt. Dennoch wurde dieser Diskurs bzw. Motivkomplex bis dato noch nicht in einem allgemeinen Rahmen untersucht, sondern eher nur in nationalen Kategorien mit der Konjunktion ‚und‘ abgehandelt, wie z. B. „Grill‐ B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 116 6 Vgl. MÜLLER-STERNBERG 1972; RECKZEH 1978; BÖHM 1991; GÜNZEL 1991; MÁDL 1991; MIKOLETZKY 1991 / 92; KEREKES 1994; LAJARRIGE 2006 / 07 u. a. 7 Seit eine erste Kurzfassung dieses Grillparzer-Beitrags 2004 formuliert und in RUTHNER u. a. 2007 veröffentlicht worden ist, sind mehrere neue Beiträge erschienen, die in diese Richtung gehen, wie z. B. STEPHAN 2006, LAJARRIGE 2006 / 07 u. 2007, TANG 2011, ALBRECHT 2015 sowie der Sammelband LACHENY u. a. 2016; ihre Er‐ kenntnisse wurden in der vorl. ausführlichen Reformulierung meiner Gedankengänge berücksichtigt. Diese finden ihre Fortsetzung in Kap. C.3. der vorl. Arbeit, wo diese Topik des Fremden durch eine Analyse möglicher Annäherungsformen an dieses er‐ gänzt wird. 8 DENSCHER & OBERMAIER 1991. 9 VOLKELT 1888: 41. 10 Vgl. z. B. YATES 1972: 96; ŠKREB 1976: 137. parzer und die Ungarn“, „Grillparzer und die Böhmen“ usw. 6 Wofür plädiert werden soll, ist also eine umfassende, aber zugleich tiefer gehende Analyse von Positionen der Identität und Alterität im Œuvre des österreichischen Klassikers; der vorliegende Beitrag mit seinen versuchten Annäherungen versteht sich als weiteres Prolegomenon in diese Richtung. 7 Als Vorarbeit dazu kann auch der Ausstellungskatalog Grillparzer oder die Wirklichkeit der Wirklichkeit (1991) 8 angesehen werden, der einschlägige Forschungsperspektiven zusammengefasst hat. 1. Grenzüberschreitungen & Kontaktzonen Der vorhin angesprochene ‚Paarlauf ‘ der Alterität, jene In-Beziehung-Setzung des Selbst zu einem Anderen bzw. Fremden als Bestandteil jeder Identitätskon‐ struktion, beginnt zumeist als imaginäre, symbolische oder reale Begegnung. In Grillparzers literarischen Texten wird (das) Fremde häufig von ehrgeizigen jungen Männern im Rahmen einer Reise oder einer militärischen Expedition (mit quest-Charakter) erlebt, wenn wir etwa an die Dramentrilogie Das goldene Vließ, die Stücke Der Traum ein Leben und Ein treuer Diener seines Herrn oder auch die Erzählung Das Kloster von Sendomir denken. Dieses Strukturprinzip ist den Grillparzer-Interpreten früh aufgefallen: So sieht Johannes Volkelt schon 1888 die Protagonisten der Dramen als „jugendlich begeisterte Herzen, die etwas Neues, noch nie Erlebtes wagelustig und hoffnungsvoll unternehmen“; jedoch scheitere das „mit so jugendlichem Aufschwung [Überschwang? ] und kühnem Glauben Unternommene […] in schrecklicher Weise“. 9 Falschen Ehrgeiz und seine fatalen Folgen sehen auch etliche andere Forscher / innen als Motor des dramatischen Geschehens bei Grillparzer, 10 und Helmut Bachmaier verdanken wir die Beobachtung, welcher zentrale Stellenwert der (männlich kodierten) B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 117 11 Vgl. dazu auch eine Stelle in den Argonauten (v.1180).- Die Grenzüberschreitung ließe sich sowohl kulturell / geografisch und sittlich / ethisch fassen (etwa bei LORENZ 1986: 29) als auch etwa im Rahmen von Jurij Lotmans Literaturtheorie, wo dieses Moment als Definition des „Ereignisses“ zum Motor der Narrativen bzw. Dramatik überhaupt wird; vgl. LOTMAN 1972: 332: „Ein Ereignis ist die Versetzung einer Figur über die Grenzen eines semantischen Feldes.“ 12 BACHMAIER 1991: 265 (Hervorh. im Orig.); vgl. auch STIEFEL 1959 u. STEPHAN 2006: 240 ff. 13 BRAUCKMANN & EVERWIEN 1987: 81. 14 Vgl. etwa (zu Grillparzer) NIEHAUS 2009: 246; allgemeiner FOUNTOULAKIS & PRE‐ VIŠIĆ 2011: 18 f.; FRIEDRICH & PARR 2009; SCHERPE 2000: 158 u. a. 15 Vgl. etwa RIGBY 1996: 180; TANG 2011: 114. 16 Vgl. WINKLER 2009: 168, 180, 183. Grenzüberschreitung 11 in der Plot-Konstruktion des österreichischen Klassikers zukommt: Ein idealtypisches Schema der Dramenstruktur bei Grillparzer muß den Begriff der Grenze ins Zentrum rücken. Ausgangspunkt des dramatischen Prozesses ist zumeist eine Begegnung; diese bringt die Spielfiguren in Distanz zu ihren bisherigen An‐ schauungen und Lebensorientierungen und führt zu einer Grenzüberschreitung, zum Verlassen einer gesicherten und geschlossenen Lebensordnung, an deren Ende die Vernichtung oder das Chaos steht. Die Arten der Begegnung erscheinen in den Dramen ebenso verschieden wie die Formen der Transgression. 12 Die Grenzüberschreitung konfrontiert sowohl in der Lebenswelt der Figuren als auch in deren Psyche mit einer Fremdheit, die, wie noch zu zeigen sein wird, meist zur Entfremdung des Protagonisten von seinen früheren Positionen führt; so sehen etwa Matthias Brauckmann und Andrea Everwien bei Milo und Jason im Goldenen Vließ das „Überschreiten der Grenze, welche den literarischen Raum aufteilt, als Ursache für den Verlust ihrer Identität“. 13 Man könnte dies so verstehen, dass der Schritt über die Grenze eine Schwelle zwischen dem Eigenen und Anderen, dem Vorher und Nachher schafft, 14 in dem auch eine Entscheidung über den anschließenden Umgang mit den dort Angetroffenen zu treffen ist - wobei hier bereits häufig das Verhängnis seinen Lauf nimmt. Auf der Ebene der Figuren ist diese Begegnung mit dem dem / der Fremde / n häufig auch intersektional 15 eine mit dem anderen Geschlecht, wobei die kul‐ turellen Konzepte von Mann / Frau, Kultur / Natur, Zivilisation und Wildnis kombiniert erscheinen; das augenscheinlichste und interessanteste Beispiel dafür ist die Figur der Medea. 16 Natürlich gibt es auch andere Varianten von Alterität bzw. abweichende literarische Verfahren zu ihrer Generierung wie z. B. die kulturelle Differenz zwischen dem österreichischen Autor Grillparzer und seinem tschechischen Stoff im Falle von Libussa, den Männer- und Herrscher‐ B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 118 17 Der Einwand freilich, den man gegen diese Ausführungen geltend machen könnte, ist, dass diese ‚Urszenen‘ anthropologische Universalien darstellen und zumindest für alle europäischen Männer des 19. Jhs. gleich oder ähnlich wären. Ich sehe Grillparzer zwar durchaus exemplarisch für seine Epoche, zugleich liegt mir auch daran zu zeigen, worin sein ‚Anderssein‘ vis-à-vis den herrschenden Diskursen seiner Zeit besteht. 18 Diese Bezeichnung wurde gewählt, da bei ihnen ähnlich wie in den Filmen Spielbergs das Andere bzw. der / die / das Fremde buchstäblich zum Greifen nahe ist, es zu einer Kontaktaufnahme kommt, und - wie wir sehen werden - diese Begegnung beide Partner nicht unberührt lässt. 19 Zur Genese der Trilogie vgl. etwa KASCHNITZ 1966: 76 ff. u. VIVANI 1972: 54 ff. 20 Wie Grillparzer in der Vorrede zu seiner Trilogie schreibt, habe er „zwischen dem ersten Akte der Argonauten und dem letzten der Medea die Verluste und Erfahrungen eines halben Lebens gemacht; Unglücksfälle, Reisen, schmerzliche Enttäuschungen liegen dazwischen […]“ (SW 1: 969; VIVANI 1972: 54). 21 Vgl. WINKLER 2009: 167. Vgl. etwa auch KENKEL 1979. 22 BUB 2004: 1. konflikt zwischen dem Böhmenkönig und dem Proto-Österreicher Rudolf von Habsburg in König Ottokars Glück und Ende, oder die orientalistische Einklei‐ dung des Dramenplots von Der Traum ein Leben. Dennoch existieren grosso modo gemeinsame diskursive Muster eines othering bei Grillparzer, die inter‐ textuelle Bindeglieder zwischen seinen Werken bilden. Man könnte diese Muster ‚Standardsituationen‘ nennen oder - insofern sie narrative Grundstruk‐ turen darstellen - „Schlüsselszenarien“ (Horst Turk), oder auch anthropolo‐ gisch / psychoanalytisch: „Urszenen“ (primal scenes). 17 Im Folgenden sollen nun in einer Art von narratologischer Phänomenologie Topoi eines Encounter of the Third Kind  18 bei Grillparzer präsentiert werden - es sind gleichsam Fragmente eines xenologischen Diskurses, der in der einen oder anderen Variante im Werk des österreichischen Autors eine Rolle spielt, so wie er auch eine interessante Verbindung zwischen dem Goldenen-Vließ (1818-1820) 19 und autobiographischen Zeugnissen der eigenen Fremdheitser‐ fahrung herstellt: Hat doch Grillparzer selbst mehrere gut dokumentierte Aus‐ landsreisen nach Italien (1819), Deutschland (1826), Frankreich und England (1836) sowie Griechenland und Konstantinopel (1843) unternommen. 20 Auf der anderen Seite muss man Tillmann Bub rechtgeben, wenn er schreibt, unter den zahlreichen Bearbeitungen 21 des Medea-Stoffes in der Literaturgeschichte seit Euripides nehme Grillparzers Trilogie „aufgrund ihrer Vielschichtigkeit eine Sonderstellung ein“: 22 unter anderem, indem sie eindringlich das „Aufeinander‐ B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 119 23 Ebd.- In dieser Thematisierung des nicht unproblematischen Kulturkontakts bzw. -kon‐ flikts sowie der Gastfreundschaft (s. dazu weiter unten) - hinter der sich auch die Tempest-Tradition Shakespeares abzeichnet) - steht Grillparzer freilich nicht alleine innerhalb der zeitgenössischen Dramatik: Zu erwähnen wären hier Friedrich Hebbel (Nibelungen; Judith; Gyges und sein Ring) oder Johann Nestroy (Häuptling Abendwind); ich verdanke diesen Hinweis Gilbert Carr. Daneben gälte es wahrscheinlich neben Goethes Iphigenie (s. u.) etwa auch die Traditionslinie von Kleists Penthesileia zu be‐ rücksichtigen. 24 Vgl. KASCHNITZ 1966: 78; RIGBY 1996: 179. 25 BRAUCKMANN & EVERWIEN 1987: 58. 26 Vgl. etwa BAHR 1994, DERRIDA 2001, HÄNGGI 2009; FOUNTOULAKIS & PRE‐ VIŠIĆ 2011, u. v. a. 27 FOUNTOULAKIS & PREVIŠIĆ 2011: 8. 28 Ebd. treffen unterschiedlicher Kulturen“ 23 thematisiert und letztlich dekonstruiert. Nicht umsonst hat auch der Autor selbst den Gegensatz von Griechenland und Kolchis, der nicht nur die Opposition Klassik / Romantik 24 widerspiegelt, als „Grundlage der Tragik in diesem Stücke“ ausgewiesen ( SW IV : 89). Die im Folgenden hergestellte Konfrontation des ästhetisch hoch ange‐ spannten - und kommerziell wenig erfolgreichen 25 - Dramenprojekts mit den Ego-Dokumenten des Autors soll freilich nicht als Biografismus missverstanden werden, sondern eher einen ersten Schritt in Richtung einer ‚postkolonialen‘ Lesart des vorliegenden Œuvres darstellen, die eine diesem zugrunde liegende Identitätspolitik freilegt, mit der Grillparzer sowohl Kind als auch Gegner seiner Zeit ist. Im Entwurf einer Vorrede zum Goldenen Vließ schreibt er ja: Man kann sich dem Geiste seiner Zeit nicht entziehen und wenn man auch ver‐ schmäht, mit ihren Waffen zu kämpfen, so muß man es doch immer auf ihrem Boden tun. Aber ich gebe meinem deutschen [! ] Vaterlande mein Wort, daß ich mich losma‐ chen will, soviel es immer gehen mag. (SW 1: 970) 2. Begegnungen: Gast / Feindschaft Gastfreundschaft als Diskurs und Denkfigur, als kulturelle Praxis und ethisches Prinzip ist in den letzten Jahren - nicht zuletzt durch die philosophischen Texte von Jacques Derrida, Hans-Dieter Bahr u. a. - verstärkt in den Fokus der Lite‐ ratur- und Kulturwissenschaft geraten. 26 So fassen denn auch Evi Fountoulakis und Boris Previšić in der Einleitung ihres Sammelbandes zum Thema (Der Gast als Fremder, 2011) die zahlreichen Vorarbeiten zum „Ausnahmezustand des Gastes“ 27 zusammen und versuchen, dessen zentrale Momente zu fassen: Der Gast sei gleichermaßen des Alltags enthoben wie er des Alltags enthebt; 28 seine B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 120 29 Ebd. 10. 30 KRISTEVA 1990: 20. 31 Meine nächste Monografie wird sich diesem Thema der Liminalität widmen; vgl. dazu die Vorarbeit RUTHNER 2010. 32 FRIEDRICH & PARR 2009: 8. 33 Ebd. 34 Ebd. 9. 35 FOUNTOULAKIS & PREVIŠIĆ 2011: 11. 36 Ebd. 12. 37 Ebd. 14. 38 Ebd. 12. 39 Vgl. etwa NIEHAUS 2009: 241 u. DERRIDA 2001. „Befremdlichkeit“ bestehe […] „darin, dass er jede Berechnung, mithin jeden Erwartungshorizont sprengt“. 29 Ergänzend dazu heißt es bei Julia Kristeva: Die Begegnung bietet einen Ausgleich für die Odyssee […]; in ihr wird der Fremde empfangen, ohne fixiert zu werden, und sie gibt dem Gastgeber die Chance, sich ge‐ genüber seinem Gast zu öffnen, ohne sich zu verpflichten. 30 All dies schafft ein Moment der Liminalität, 31 auf das etwa Peter Friedrich und Rolf Paar in ihrem Buch zum Thema hingewiesen haben: „Gastlichkeit“ sei - wie auch Nachbarschaft - „eine jener Schwellensituationen der Begegnung von Fremdem und Eigenem, von Innen und Außen, Nähe und Ferne, Intimität und Öffentlichkeit, die Erzählen geradezu herausfordern.“ 32 Es handle sich um einen „temporären Schwebestatus zwischen Fremdsein und Selbstsein; 33 der Gast habe „stets auf eine Schwelle platziert zu sein, womit Gastlichkeit insgesamt zum Schwellenphänomen wird“. 34 Ähnlich ist auch für Fountoulakis und Previšić Gast-Sein ein „endlicher Zu‐ stand“, 35 charakterisiert durch „die Unmöglichkeit seiner Verfestigung“: 36 Gast‐ freundschaft gehe vorbei, der / die Fremde werde entweder eingemeindet oder verlasse wieder den gastfreien Ort; in extremis werde er / sie zum Gegner. Die zeitlich limitierte Gastlichkeit beruhe auf einer kulturellen Logik des Gebens und Nehmens und konstituiere damit eine symbolische Ökonomie mit einer gewissen Nähe zur Tausch-Wirtschaft 37 - aber ebenso mit dem „Potenzial, be‐ drohlich zu kippen“ 38 : Immer wieder verweist die Sekundärliteratur auf die ety‐ mologische Nähe von Gastfreiheit und Feindschaft (z. B. lat. hostis oder engl. host und hostile). 39 Grillparzer greift diese semantische Zweischneidigkeit im Goldenen Vließ gleich mehrfach auf: „Mein Gast? Mein Feind“ sind etwa die Worte, die Aietes in Der Gastfreund ausruft (v.453 / SW 1: 813) und die auch den zentralen Zwie‐ spalt in Das Goldene Vließ charakterisieren. Das antike Prinzip der gastlichen B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 121 40 Vgl. dazu WINKLER 2009. 41 Vgl. etwa WESTPHAL 2016; TANG 2011: 115 ff. 42 WINKLER 2009: 170. 43 Vgl. KENKEL 1979: 64.- Grillparzer selbst schreibt in seiner Autointerpretation: „Das ist eben der Fluch der bösen Tat, daß sie, fortzeugend, Böses muß gebären. Dieser Satz ist so wichtig als irgend einer in der Welt. Das Vließ ist nur ein sinnliches Zeichen dieses Satzes. Es ist da nicht von Schicksal die Rede. Ein Unrecht hat ohne Nötigung von außen das andere zur Folge, und das Vließ begleitet sinnbildlich die Begebenheiten ohne sie zu bewirken“ (zit.n. PÖRNBACHER 1970: 123; Hervorh. im Original). 44 WINKLER 2009: 180, vgl. 183. 45 NIEHAUS 2009: 240 [Hervorh. im Orig.]. 46 BRAUCKMANN & EVERWIEN 1987: 73. 47 Vgl. BUB 2004: 13 f. Aufnahme Fremder wirkt in seiner Verletzung als Auslöser, 40 der die österrei‐ chische Argonauten-Trilogie in Bewegung setzt; diese präsentiert sich uns als Tragödie(n) der dreibis vierfach gebrochenen oder gescheiterten Gastfreund‐ schaft, 41 wo der und die Fremde bei Griechen wie Barbaren gleichermaßen zum enemy alien wird und begangenes Unrecht einen „Zyklus von Gewalt und Ge‐ gengewalt“ 42 auslöst; ein Domino-Effekt ähnlich wie im Atridenstoff, 43 der ebenso von „der illusionären Ausschließung des jeweils Fremden aus dem We‐ sentlich-Eigenen“ angestoßen wird. 44 Was auf dem Spiel steht, sind mit und gegen Michael Niehaus nicht nur „die Subjektpositionen des Gastgebers und des Gastes in Bezug auf das Gesetz“, 45 sondern es ist auch die (In-)Humanität, die „über die Verletzungen sozialer Verbindungen definiert“ wird. 46 Kolchis - und später Korinth - werden damit zu fatalen Kontaktzonen zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Bei Grillparzer ist es zuerst der Kolcherkönig Aietes, der den griechischen Ankömmling Phryxus tötet, dessen Landung und Aufpflanzen des Widderfells vor dem einheimischen Altar freilich auch als anmaßend symbolischer Akt einer kolonialen Landnahme aufgefasst werden kann. 47 Deren Abwehr, aber vor allem der begehrte Besitz des mitgebrachten fremden Guts sind Motiv für den initialen Mord, wenn der ambigue Barbar dem Griechen das Goldene Vließ abnimmt: jenes merkwürdig absurde, aber doch zentrale Dingsymbol für das nicht zu stillende, moralisch taube menschliche Begehren - und die dafür unternom‐ menen Grenzüberschreitungen. Mit Grillparzers eigenen Worten erscheint das Widderfell als „sinnliches Zeichen des Wünschenswerten, des mit Begierde Ge‐ suchten, mit Unrecht Erworbenen“ (Tgb 1241 / SW 4: 380; vgl. Selbstbiographie / SW 4: 87 f.) auf der Bühne - ohne dass es ganz in diesem Symbolismus aufgehen B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 122 48 Vgl. VOLKELT 1888: 47 (KASCHNITZ 1966: 172); vgl. auch STEPHAN 2006: 80 ff. u. PLATELLE 2016: 87 ff. 49 In seiner Besprechung spricht Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf sogar von einem „Zauberfetisch“ (zit. n. KASCHNITZ 1966: 172). 50 WINKLER 2009: 202. 51 NIEHAUS 2009: 245. 52 WESTPHAL 2016: 23. 53 NIEHAUS 2009: 251. 54 Medeas Status als Flüchtling und Migrantin ist, was Publikum wie Theaterma‐ cher / innen im 21. Jh. wohl am meisten interessiert, wie dies auch an den jüngsten In‐ szenierungen ersichtlich ist (z. B. im Linzer Landestheater 2017). 55 Worin sich Aietes und Kreon letztlich trotz ihres Kulturunterschieds gleichen, vgl. BUB 2004: 14 u. 19 f. 56 Vgl. BRAUCKMANN & EVERWIEN 1987: 67. würde. 48 Ebenso ist dieser Fetisch 49 nämlich etwas, das Griechen und Kolcher in eine positive Beziehung setzen könnte, erkennen sie doch beide seinen kulti‐ schen Wert und die interkulturelle (und deutlich synkretistische 50 ) Verbindlich‐ keit des Mythos an. Anstelle zu einer Verständigung zu führen, fungiert das Vließ aber im herrschenden Besitzdenken - das Barbaren und Griechen glei‐ chermaßen verbindet wie trennt - als „eine gleichsam gültige Währung, die sich […] in einer Heimzahlung auszahlen wird“. 51 In weiterer Folge begibt sich auch der Grieche Jason durch das arrogante wie militante Auftreten seiner „Strafexpedition“ 52 der Chance auf wahre Gastfreund‐ schaft bei Aietes (der im Stück freilich selbst von Hinterlist und Habgier cha‐ rakterisiert ist). Der halbe Gast fungiert hier gleichsam als „Katalysator“ in einem durch die vorigen Vorfälle bereits „zerrütteten Haus“ 53 ; er raubt seinem verhinderten Gastgeber nun seinerseits das Goldene Vließ und gleich auch die Tochter Medea. Schließlich ist es Kreon, der König von Korinth, der sich Medea gegenüber schäbig verhält und sie wegjagen möchte, anstatt ihr aus demselben Prinzip Asyl zu gewähren wie ihrem Mann Jason. Die Flüchtlingsfrau 54 erfährt keine Gleichbehandlung, weil sie Barbarin ist, eine Fremde und das Andere in Person - kann sie doch angeblich auch zaubern. Dreimal sind es also verbre‐ cherische Fürsten 55 bzw. ein Fürstensohn, die das alte Ritual mit Füßen treten (Repression ist im Stück männlich kodiert 56 ); zu guter Letzt ist es der einfache Landmann, der dem durstigen Jason die Tür weist (Medea v. 2296 ff.; SW 4: 966). Wird damit Gastfreundschaft hier pessimistisch als unrealistische Utopie aufgefasst, die vor der täglichen Realpolitik, vor der Hab- und Machtgier der Betroffenen nicht standhalten kann und von einer blutigen ‚Panne‘ zur nächsten führt? Die Gastfreundschaft als scheiternder Modus der Begegnung mit dem An‐ deren bzw. dem Fremden treffen wir aber nicht nur in verschiedenen literari‐ B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 123 57 Joseph Roth wird in seinem Grillparzer-Essay von 1937 über dieses Treffen maliziös bemerken: „Es sah aus wie die Begegnung des Kahlenberg mit dem Olymp.“ (ROTH 1937 / 1991: 407). 58 Einmal mehr wird hier auch das Prinzip der abweichenden Darstellung zwischen Briefen, Tagebüchern und Autobiografie auffällig, d. h. die Selbst-Redaktion des er‐ zählten Ichs in seinem Kontakt mit der Fremde und den Fremden. 59 LAJARRIGE 2007: insbes. 85. schen Texten Grillparzers, sondern auch in seinen autobiografischen Zeug‐ nissen an, wobei sich der Autor häufig als nörgelnder Reisender und undankbarer Gast gibt, wenngleich nicht unbedingt als Totschläger: So notiert er etwa in der Selbstbiographie ( SW 4: 144) seine Enttäuschung, in Weimar Goethe, „das Ideal meiner Jugend […] als steifen Minister zu sehen […]. Wenn er mir Grobheiten gesagt und mich zur Türe hinausgeworfen hätte, wäre es mir fast lieber gewesen.“ 57 Ludwig Tieck, den Grillparzer in der Selbstbiografie un‐ umwunden mit Jean Paul „unter die frühesten Verderber unserer Literatur“ rechnet ( SB 134), kommt noch schlechter weg: Grillparzer verbringt mehrere Abende bei ihm mit dem gemeinsamen lauten Vorlesen von Theaterstücken - und verrät sich hier durch das Oxymoron: „Tieck las vortrefflich, aber höchst ermüdend“ ( SB 133). Kurz darauf folgt der Zusatz des Erzählers der Selbstbio‐ graphie, er habe „[tr]otz seiner mannigfaltigen Gaben […] doch Tieck nie leiden mögen“ ( SB 134). In Paris schließlich „hütet[.]“ sich Grillparzer überhaupt, „die französischen Schriftsteller zu besuchen“ ( SB 164), so wie schon zuvor in Rom die deutschen Künstler ( SB 95). Dafür geht er zu Ludwig Börne, schlägt aber dessen Einladung zu einem Mittagstisch mit „Refugiés aller Nationen“ aus ( SB 167) - offenbar weil er Angst vor den politischen Konsequenzen hat, wenn dies in Metternichs Österreich ruchbar würde. Besser kommt nur Grillparzers eng‐ lischer Reisebegleiter Mr. Brant weg (Tagebücher/ SW 4: 519 ff.), ein „angenehmer Mann, der sehr gut deutsch spricht“ (Tgb. 2888); in der Selbstbiographie wird er allerdings ausgespart bleiben. 58 Grillparzer selbst konnte also, wie es scheint, vor der Utopie der Gastfreiheit nicht bestehen, und es ist in der germanistischen Forschung nachgerade zum Gemeinplatz geworden, ihn als schlechten Touristen, als „voyageur malgré lui“ ( Jacques Lajarrige) 59 zu charakterisieren. Barbara Allmann etwa schreibt tref‐ fend: Eigentlich ist es ihm zuwider, das Reisen. Schon die eingeweidezermürbenden Post‐ kutschen und seekrankheitserregenden Schiffe dämpfen seine Lust auf grenzüber‐ schreitende Fortbewegung beträchtlich. Straßenstaub legt sich verstopfend in seine Nase und auf das sensible Gemüt. Sonnenglut verbrennt die blasse Beamtenstirn, und eisige Kälte erzeugt Frostbeulen an müden Dichterfüßen. Der Lästigkeiten ist es nie B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 124 60 ALLMANN 1991: 105. 61 Nur kurz sei auf sein in der Österreich-Forschung beliebtes, ja fast schon zum Klischee gewordenes Epigramm aus dem Jahr 1849 hingewiesen: „Der Weg der neuern Bildung geht/ Von Humanität / Durch Nationalität / Zur Bestialität.“ (SW 4: 500) 62 SCHERPE 2000: 149. 63 Ebd. 151. 64 Ebd. 150. genug: Sitzt Grillparzer nicht gerade starr vor Ekel in unbekannten Gasthöfen und verweigert das ihm aufgetragene Essen, dann wälzt er sich gequält in fremden Betten oder lamentiert über unangenehm auffallende Mitmenschen. 60 Auch die Autochtonen selbst können bei Grillparzer - sonst potenzieller Kritiker aller nationalistischen Engstirnigkeit 61 - ein sichtliches Unbehagen erwecken, wobei es zu einer Umwertung der Begriffe kommt, wenn sich der österreichische Fremde im Ausland zahlenmäßig unterlegen fühlt. In einem Pariser Tagebuch‐ eintrag heißt es einmal in einer merkwürdigen Fügung: „Das Theater war üb‐ rigens gedrängt voll. Wenig Fremde, fast alles Eingeborne [sic].“ (Tgb. 2891, 522) Es ist gleichsam Xenophobie anders herum: Möchte der Nationalist keine anderssprachigen Menschen in seiner ‚Heimat‘, so mag der Fremde bei Grill‐ parzer im Ausland offensichtlich nicht zu viele Einheimische um sich. In For‐ mulierungen wie diesen sind sich der Tourist Grillparzer (mit seinem gut ge‐ meinten, übernationalen Anliegen) und seine fiktiven Argonauten (mit ihren schlechten, räuberischen Absichten) erstaunlich nahe, jedenfalls näher, als man glauben möchte - und dies wie gesagt nicht im biografischen Sinne, sondern eher strukturell, in den Windungen des Diskurses, den sie mittragen. 3. Mündigkeit mit Akzent? „Die Szene der allerersten Berührung mit der fremden Kultur“ sei „absoluter Faszinationspunkt“ aller Abenteuerliteratur und im Erzählduktus eine „Urszene der kolonialen Inbesitznahme“: 62 Klaus Scherpe hat den germanistischen Blick auf solche First-Contact-Episoden gelenkt, die aufgrund ihres Auseinanderklaf‐ fens zwischen der vermeintlichen Authentizität der ‚Fakten‘ und der Konstru‐ iertheit einer von den Diskursen der eigenen Kultur halb vorgefertigten Narra‐ tion von hohem Interesse sind: Auf der einen Seite öffne der „Restposten des vermeintlich Unvermittelten“, die „Faszination an der Unbedingtheit der En‐ counter-Situation“, einen kurzlebigen Zwischenraum, 63 auf der anderen steigere sich die - mit Foucault gesprochen - ordnende „Regelgewalt“ des Diskurses „proportional zur Unheimlichkeit, Regellosigkeit und unerträglichen Offenheit der interkulturellen Konstellation“. 64 Das Schreiben normalisiert den Fremden wie die Fremde und nimmt ihnen ihre initiale Verzauberung; dies ist freilich die B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 125 65 Ebd. 152. 66 Vgl. auch die Interpretationen der Begegnung zwischen Caliban und Prospero, Ro‐ binson und Freitag, John Smith und Pocahontas etc. bei HULME 1986 sowie bei THE‐ WELEIT 2013. 67 FORSTER 1965: 218-220 (Orthografie wie im Orig.). 68 Vgl. SCHERPE 2000: 152 ff.; vgl. auch TODOROV 1985 und GREENBLATT 1994. europäische Sicht der Dinge, während für ‚Eingeborenen‘ der Erstkontakt sich durchaus eher traumatisch darstellt. 65 In einer der weltweit bekanntesten dieser Urszenen, 66 die sich in Georg Forsters Bericht über seine Teilnahme an Captains Cooks Weltreise 1772-75 findet - zugleich eines der berühmtesten Genrebeispiele in deutscher Spra‐ che -, können wir etwa Folgendes über die denkwürdige Landung der Expedi‐ tion auf Tahiti lesen: Kaum bemerkte man die großen Schiffe an der Küste, so eilten einige ohnverzüglich nach dem Strande herab, stießen ihre Canots ins Wasser und ruderten auf uns zu. […] Zwey fast ganz nackte Leute, mit einer Art von Turban auf dem Kopfe und mit einer Scherpe um die Hüften, saßen darinn. Sie schwenkten ein großes grünes Blatt in der Luft und kamen mit einem oft wiederholten lauten Tayo! heran, ein Ausruf, den wir ohne Mühe und ohne Wörterbücher als einen Freundschafts-Gruß auslegen konnten. […] Das ungewöhnlich sanfte Wesen, welches ein Hauptzug ihres National-Charakters ist, leuchtet sogleuch aus all ihren Gebehrden und Handlungen hervor. […] Da sie bemerkten, daß wir Lust hätten ihre Sprache zu lernen, weil wir uns nach den Benennungen der gewöhnlichsten Gegenstände erkundigten, so gaben sie sich viel Mühe uns zu unterrichten, und freuten sich, wenn wir die rechte Aussprache eines Wortes treffen konnten. 67 Hier wird das Klischee von den friedfertigen Südsee-Insulaner / inne / n zemen‐ tiert, denn die Begegnung hätte - wie wir aus Cooks weiterer Biografie wissen - durchaus anders verlaufen können. 68 In der vorliegenden Episode indes wird sie als idyllisches Fest der Gastfreundschaft inszeniert, deren grundlegendstes (Sprach-)Problem nicht zum Tragen kommt. Lange nach Forster und Grillparzer hat Jacques Derrida in seiner Vorlesung De l’hospitalité (1996) die merkwürdigen Ambivalenzen und Ungereimtheiten herausgearbeitet, die im ritualisierten Prinzip der Gastfreundschaft angelegt sind. So stelle etwa die Kommunikation zwischen Gastgeber / in und Fremden ein eminentes, ja aporetisches Problem dar: Sollen wir vom Fremden, bevor und damit wir ihn bei uns aufnehmen können, ver‐ langen, uns zu verstehen, unsere Sprache zu sprechen, in allen Bedeutungen des Aus‐ B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 126 69 DERRIDA 2001: 21. drucks, in all seinen möglichen Extensionen? Wenn wir - mit all dem, was dies im‐ pliziert - bereits alles teilten, was mit einer Sprache [mit]geteilt wird, wäre dann der Fremde noch ein Fremder, und könnte man auf ihn bezogen dann noch von Gast‐ freundschaft oder Asyl sprechen? 69 Grillparzer hatte, wie wir wissen, zumindest mit einer Fremdsprache große Pro‐ bleme, nämlich mit dem Englischen (vgl. SW 4: 169). Vor der Reise nach Paris und London nimmt er noch in Wien Konversationsstunden bei einem „artige[n] Fräulein“, um dann in der Selbstbiographie resignativ zu bemerken: „Aber das alles zeigte mir nur wie himmelweit ich von dem sprachlichen Chinesentum [! ] der Engländer entfernt sei“ (ebd.; vgl. 520-521, 537). Obwohl er ‚Europa‘ geo‐ grafisch nicht verlässt, ist die (sprachliche) Differenz-Erfahrung für den Autor sichtlich eine so große, dass er sie nur im Asianismus seiner Metapher auszu‐ drücken weiß. Ebenso gibt sich österreichische Dramatiker im Tagebuch immer wieder als scheiternder Verbalerotiker. Dies wird etwa anlässlich eines Besuchs bei einer ungarischen Theaterprobe in Ofen (Buda) deutlich, zu der er gönnerhaft meint: „Alle gut gespielt. Die Sprache im Munde der Weiber häßlich. Bei Männern klingt sie besser, aber grimmig.“ (Tgb 3638 / SW 4: 652). Aber auch auf seiner Reise nach Deutschland 1826 stößt er unerwartet am Weg nach „Drääsden“ (412, Tgb. 1506) auf ästhetische Verständnisbarrieren; im Text kommt es so zu einer für den Leser paradoxen Dialektik von landschaftlicher Schönheit, „Bildung“ und einem Übelkeit erregenden Dialekt: Mittags in Gießhübel. Da hörte ich zuerst dieses Volk seine blökende E-Sprache aus‐ breiten. Ein ältlicher Mann von Stande quäkte und näselte so, daß mir bald wirklich schlimm geworden wäre. Endlich aufgebrochen und fort durch das schöne, ich möchte sagen gebildete Land. (ebd., Tg. 1504) Wenn wir nun versuchen, Derridas vorher anzitierten Gedankengang auf Grill‐ parzers Goldenes Vließ umzulegen, so müsste uns angesichts der weit banaleren Verständnis-Probleme aus den Tagebüchern die irreale Überspanntheit dieser Theaterfiktion auffallen: Die Frage stellt sich nämlich, wie sich Kolcher und Griechen überhaupt miteinander unterhalten können? Sprechen Medea und ihr Vater Griechisch? Wahrscheinlich ebenso wenig wie Grillparzer selbst Unga‐ risch, oder die Südsee-Insulaner / innen, auf die Captain Cook im 18. Jahrhundert B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 127 70 In Grillparzers Selbstbiographie ist wie in Goethes Dichtung und Wahrheit vom Lektü‐ rekanon des Heranwachsenden die Rede, und wir lesen: „Da war eine Sammlung von Reise-Beschreibungen, von denen mich besonders Cooks Weltumsegelung so interes‐ sierte, daß ich bald in Otaheiti mehr zu Hause war als in unserer eigenen Wohnung.“ (SW 4: 34) Vgl. auch LAJARRIGE 2007: 87, der von einer breiten Kenntnis des zeitge‐ nössischen Reiseliteratur-Kanons bei Grillparzer ausgeht. 71 Zur Sprache vgl. KAISER 1969; YATES 1972: 92; POLITZER 1972 / 1990: 135 f.; KENKEL 1979: 71; BUB 2004: 12; WINKLER 2009: 184; WEISSMAN 2016: 181. 72 Vgl. dazu im Folgenden (Abschnitt 8. dieses Kapitels). 73 Vgl. SPIVAK 1994 / 2008 u. etwa UERLINGS 2001.- Jüngst haben sich auch die Beiträge von GRIMBERG 2016 u. WEISSMAN 2016 mit der Problematik von Sprache und Mündigkeit bei Grillparzer auseinandergesetzt. traf, Englisch. Der Autor wusste dies ganz offensichtlich, denn er kannte und schätzte Georg Forsters Bericht. 70 Die Kommunikation zwischen Jason und Medea ist also pure Fiktion, wenn nicht gar Phantasma; ihre Begegnung ist mit einigem Realismus nur non- oder paraverbal vorstellbar und müsste schon viel früher am Stolperstein der Sprache scheitern. Da hilft es nichts, dass der Autor die Sprache des Griechen mit Blank‐ versen als ‚zivilisiert‘ markiert hat und jene Medeas mit freien Rhythmen als ‚barbarisch‘, wobei es später auch zu Hybridisierungen kommt; 71 die einzige Möglichkeit ihrer Kommunikation ist und bleibt: (Burg-)Theaterdeutsch. Die Imagination des bzw. der Fremden erfolgt also - hier, wenn nicht immer - vom Eigenen aus; und da die Barbarin nicht adäquat im eigenen Idiom sprechen kann, sprechen andere an ihrer Statt: bei Grillparzer ist es der ‚zivilisierte‘ männliche Autor und seine Einbildungskraft. Im besten Fall ist das als Partei‐ nahme, ja als Fürsprache zu lesen: Im Dialog der dramatischen Positionen bekommen auch die Kolcher / inn / en eine Stimme, am prominentesten ihre Prinzessin, deren kulturelle Differenz freilich mit ihrem Status als latent ge‐ fährlicher 72 Frau verschränkt ist; auf ihr und nicht auf Jason ruht der Fokus des Geschehens im dritten Teil des Goldenen Vließ. Im schlechtesten Fall ist dies jedoch - wenn auch in bester Absicht - der erste Schritt zur Kolonisation: Vor‐ mundschaft, ja Entmündigung. Medea wird solchermaßen zur Theaterfiktion der edlen Verbrecherin, deren der imperiale Diskurs zur Entschuldigung und Affektbewältigung, aber auch zur Selbstrechtfertigung bedarf, um die Urszene des besitzergreifenden Eindringens ins fremde Land zu verschleiern. Auf diese Weise finden wir in der Figur der Medea einmal mehr ein zentrales Problem der Postcolonial Studies wieder, wie es sich bei Gayatri Spivak stellt - die Frage: „Can the Subaltern speak? “ 73 Das (männliche) europäische Selbst wird hier gleichsam zum Bauchredner für das (weibliche) außereuropäische Andere, das ihm unweigerlich zur Projektion gerät; dieses scheinbar dialogische, letzt‐ B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 128 74 HULME 1986: 9. lich aber mono-logische Aufeinandertreffen lässt nicht wirklich „room for al‐ ternative voices“. 74 Gleichheit kann damit erst gar nicht aufkommen, sondern Kommunikation wird zum dramatischen Vorwand, der das Machtgefälle zwi‐ schen Griechen und „Barbaren“, zwischen Mann und Frau deckt. Die utopische Fiktion der Gastfreundschaft scheitert damit schon an ihren Grundvorausset‐ zungen, während beim Autor selbst bereits eine lokale Mundart, die abwei‐ chende Aussprache des ‚eigenen‘ Idioms, Übelkeit verursachen kann. Über Me‐ deas Akzent wissen wir indes von ihm nur wenig. 4. Heimaten: Zivilisation vs. „Wildnis“ Was ist es eigentlich, das Kolchis als Land so furchtbar macht, wie die Griechen in Grillparzers Trilogie nicht müde werden zu betonen? Da wir es mit einem Dramentext zu tun haben, der auf Landschaftsbeschreibungen weitgehend ver‐ zichten muss, sind wir mit unserer Interpretation jener Topografie des Horrors im Wesentlichen auf zwei Stellen angewiesen. Einmal ist es Milo, und später Jason, der das Herkunftsland Medeas schmäht: […] Nur nicht in dieses gottverlaßne Land Kommt irgend je ein Mann in Fährlichkeit, Nu Schwert heraus und Mut voran. Doch hier; In dieses Landes feuchter Nebelluft, Legt Rost sich, wie ans Schwert, so an den Mut. Hört man in einem fort die Wellen brausen, Die Fichten rauschen und die Winde tosen, Sieht kaum die Sonne durch der dichten Nebel Und rauen Wipfel schauriges Versteck, Kein Mensch rings, keine Hütte, keine Spur, Da wird das Herz so weit, so hohl, so nüchtern, Und man erschrickt wohl endlich vor sich selbst. (Die Argonauten 313-24; SW 4: 829) Die verwendete Topik setzt vertraute Zivilisation von unbekannter „Wildnis“ ab, die leitmotivisch Medeas Zuhause vor allem im letzten Teil der Trilogie sein wird (vgl. v.1030, 1051, 2112). Kolchis wird beschrieben und damit impliziert, B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 129 75 Auf die Licht-/ Dunkel-Metaphorik in der Darstellung von Griechenland und Kolchis haben etwa STIEFEL 1959: 88 f., BUB 2004: 16 u. DARRAS 2016: 30 ff. hingewiesen. Die Figuren verwenden zudem durchwegs „positive Epitheta“ für ihre „originäre Ge‐ meinschaft, die gemäß ihrer Empfindung der einzige Ort bleibt, an dem Identität mög‐ lich sein könnte“ (BRAUCKMANN & EVERWIEN 1987: 83). 76 Schon STIEFEL 1959: 89 schrieb dazu: „Diese Barbareninsel ist ein Sinnbild des Ur‐ tümlichen, Unbewußten, das schöpferische Seelenkräfte birgt“. Ebenso kann man fol‐ gende Verse als Beitrag Grillparzers zu einer Proto-Theorie des Unbewussten vor Freud auffassen: „Es gibt ein Etwas in des Menschen Wesen, / Das, unabhängig von des Eigners Willen, / Anzieht und abstößt mit blinder Gewalt“ (Die Argonauten iii.1012-14; SW 1: 856). 77 WINKLER 2009: 217 hat darauf hingewiesen, dass die Kolcher / innen bei Herodot dunkelhäutig seien; es wird indes erst Hans Henny Jahnn sein, der seine Medea zur sichtbaren Minderheit, zur Bühnen-Afrikanerin macht. 78 Ähnlich wird Medea selbst „die Dunkle“ genannt (ebd., v.1355). dass Griechenland sein Gegenteil sei: warm, mediterran, sonnig, lieblich. 75 Kol‐ chis hingegen, so wird es ausgesprochen, sei nebelig und feucht, nördlich be‐ waldet („Fichten“) und maritim („Wellen“) zugleich; der Rost ist nicht nur für die Waffen verderblich, und die Sichtbehinderung führt auch zur Angst vor sich selbst (die freilich im letzten Vers doppeldeutig formuliert ist; fast scheint es, als würde Kolchis das Schlimmste aus seinen Besuchern hervorholen und sie damit erschrecken). Der dunkle Kontinent des König Aietes enthält Ambiguität, die später zum Tragen kommt, indem er das Unbewusste 76 anspricht und nicht nur Medea Jason suspekt macht, sondern auch ihn sich selbst. Diese Ambiguität wird u. a. im ironischen Gebrauch des Adjektivs „wundervoll“ durch Jason präsent - und damit erscheint die Frage nicht unberechtigt, ob dieses Schreckensgebiet nicht auch „erhaben“ im Sinne von Burke und Kant ist, so wie die Invektive durch Jason eine Schutzbehauptung darstellt, die den verderblichen Einfluss der Fremde (vergeblich) von ihm abhalten soll. Außerdem bleibt offen, ob es die dunkle Hautfarbe 77 der kolchischen Menschen ist, die Jason abstößt, oder deren moralische Düsternis; hier ist offenkundig lange vor Joseph Conrad ein Prota‐ gonist in ein „Herz der Finsternis“ unterwegs: Wir sahen Kolchis wundervolles Land, O hättest dus gesehn mit seinen Nebeln! Der Tag ist Nacht dort und die Nacht Entsetzen, Die Menschen aber finstrer als die Nacht. (Medea 449-52; SW 4: 907) 78 Wie bereits festgehalten, ist die Begegnung mit dem Fremden bei Grillparzer für mindestens eine der betroffenen Parteien eine Überschreitung von - erfun‐ B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 130 79 Vgl. auch die Epigramme Juden und Polen (1848) und Emanzipation (1865) / SW 1: 493, 577. Den Epigrammen scheint überhaupt im Werk Grillparzer eine wichtige, halb-pri‐ vate Ventilfunktion für eine sonst unterdrückte Direktheit (wie z. B. im Fall xenophober Vorurteile) zuzukommen, die anderwärtig nicht so formuliert werden. denen, d. h. projizierten? - Grenzen verbunden. Jene imaginäre Geografie be‐ gegnet uns aber auch im Tagebuchwerk Grillparzers, und interessanterweise werden die Zivilisationsgrenzen nicht etwa erst am Rand der Habsburger Mo‐ narchie gezogen, sondern bereits zwischen ihren Kronländern, vor allem um Österreich herum. So findet der „deutsche Dichter“ und unzufriedene Tourist Kolchis und dessen Barbaren schon in Slowenien und Böhmen: Freitags Morgen früh Marburg [Maribor]. Schlechtes Frühstück. Hier ändert sich das Land. Die schöne, freudige Gegend der deutschen Steyrer hört auf. Wenden [= Slowenen, C. R.] fangen an. Leibgürtel der Weiber. Anfang des Bettelns der Kinder. (Tagebuch auf der Reise nach Italien 1819 / SW 4: 276 f., Tgb 345) Sobald man die böhmische Grenze überschritten hat, fährt man schlechter, lang‐ samer. […] Bilde ich’s mir ein, oder ist die, im Grunde nicht so üble Gegend wirklich - wie soll ichs nennen? - ernster, herber, rauher als in Östreich und Mähren, Straßen‐ bettler häufiger und unverschämter. (Tagebuch auf der Reise nach Deutschland 1826 / SW 4: 406 f., Tgb 1487) Wie in Kolchis markiert hier eine „rauhe“ Landschaft, zusätzlich aber auch schlechtes Essen, merkwürdige Kleidung und Bettler / innen die Fremde. Das möglicherweise extremste Beispiel ist der in Böhmen anschließende Besuch Grillparzers im jüdischen Ghetto von Prag, wo die Grenzüberschreitung zur Virulenz eines für den Autor nicht untypischen Antisemitismus führt. 79 Auch hier wird die Differenz-Erfahrung in der Trope der Wiederholung bzw. in Topoi mangelnder Hygiene, ja des Kannibalismus (der zugleich eine neue Invektive bereithält) formuliert: „In der Judenstadt gewesen. Schmutz, Schmutz. Man be‐ greift warum dieses Volk keine Schweine isst, es wäre eigentliche Hypophagie (Anthropophagie)“ (409, Tgb 1495). Kurz darauf relativieren sich die mehr oder minder radikalen Erlebnisse der ‚Kulturgrenze‘ zu Böhmen durch das Überschreiten der damals - 40 Jahre vor der Schlacht von Königgrätz - noch inexistenten hard border zu Deutschland, die freilich wiederum eine Sprachbarriere bedeutet. Es ist nämlich, wie bereits angedeutet, für Grillparzer kein Nachhause-Kommen: Vielmehr ist die Fremde dort näher, als man denkt, und so führt die oben anzitierte kulturelle Begegnung mit dem ostmitteldeutschen Akzent zu einer neuen, unerwarteten Grenzerfah‐ rung. In Gießhübel, einen Tag, bevor er „Drääsden“ erreicht, schreibt der Autor: B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 131 80 Vgl. POLITZER 1972 / 1990: 142. 81 KOMMERELL 1936 / 1991: 90. 82 WIESE 1948 / 61: 399; POLITZER 1972 / 1990: 130; KENKEL 1979: 74 ff.; STEPHAN 2006: 100 ff. 83 ALLMANN 1991: 106. 84 GÜNZEL 1991: 122. „Der Abstich zwischen Böhmen und Sachsen ist wirklich ungeheuer“ (Reise nach Dtl. 412, Tgb 1504; vgl. Selbstbiographie / SW 4: 133). Das scheinbar Verwandte und aus Büchern Bekannte wird in Folge immer fremder als das sprachlich und kulturell Fremde - eine ähnliche Bewegung, wie sie die Vließ-Trilogie in ihrem dritten Teil in Korinth beschreiben wird. Hier wird der vertraute Ort der Kindheit für Jason ein neuerlicher Ausgangspunkt für eine Vertreibung, die unter dem Eindruck des „barbarischen“ Wesens Medeas steht, und der Entfremdung sowohl von seiner Heimat als auch von der Ehe‐ frau. 80 Wie Max Kommerell richtig schreibt, wird die Medeasage damit „zur Tragödie der Verpflanzung“ 81 (die mit einer „Ehetragödie“ 82 verschränkt ist). In Sachsen wiederum verortet Grillparzer als Tagebuchautor eine zuneh‐ mende Entfernung, die das Vertraute, zuvor Gelesene vor Ort nicht vorfinden kann; eine häufige Erfahrung des Touristen G., 83 die aufgrund seiner vermeint‐ lichen ‚Zugehörigkeit‘ zur deutschen Literatur auf die Spitze getrieben wird. Klaus Günzel schreibt dazu: Deutschland, dessen geistigen und literarischen Traditionen er sich noch immer ver‐ bunden wusste, war ihm in seiner gegenwärtigen diffusen Gestalt zweifellos zur Fremde geworden, oder vielmehr: das Bild, das er sich vielleicht von Deutschland gemacht hatte, hielt der deutschen Wirklichkeit in keiner Weise stand. 84 5. Exkurs ex Oriente Liest man gleichsam als Kontrollmenge zu den anderen Ego-Dokumenten Grill‐ parzers Tagebuch von seiner Reise, die ihn 1843 die Donau abwärts nach Kon‐ stantinopel und Griechenland führte (Tgb 3627-3703; SW 4: 646-688), so wird man überrascht feststellen, dass bei ihm orientalistische Anschauungs- und Darstellungsformen weitgehend fehlen. Oder, zugespitzter formuliert: der Orient ist bei ihm überall und nirgendwo und unterscheidet sich in jenen Fa‐ cetten, die den Querulanten ihn ihm provozieren - Schmutz, unangenehme Mitmenschen, harte Betten, schlechtes Essen und Wetter, überhöhte Zimmer‐ preise und Krankheitsgefahr - kaum von seinen anderen Reisen. B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 132 85 „Grillparzer n’est pas un collectionneur d’images“ (LAJARRIGE 2007: 102). 86 LAJARRIGE 2007: 104. 87 Ebd. 88 Ebd. 102. 89 Ebd. 105. Man kann Jacques Lajarriges Befund durchaus zustimmen, dass der Tourist Grillparzer kein „Bildersammler“ gewesen ist; 85 seine Reisetagebücher zeigen viel mehr „une résistance au détail futile, à l’anecdotique, à l’exotisme, l’atten‐ tion portée à la singularité de l’autre appréhendé dans son alterité, à ses mœurs, à ses façons de se comporter et de vivre dans son milieu“. 86 Manchmal verhält er sich einfach touristisch, 87 verwendet oft das Wort ‚langweilig‘ 88 und „dachte - nicht viel“ (Tgb 36 23; 649). Lajarrige fährt in seiner Schlussfolgerung fort: Ni indifférent, ni arrogant, pas avantage en butte à une perte d’identité ressentie comme une menace, Grillparzer reste soucieux de contrôler son propre point de vue dans son représentation de l’autre et d’ailleurs. Il faut voir dans ce regimbement contre la chronologie et les attentes du lecteur habitué au genre une mise à distance des modèles imposes par la tradition qui ne concordent pas avec son propre projet […]. 89 Diese Distanz zu hergebrachten Mustern der Fremddarstellung, soweit sie nicht in seinen Plan passen - anderwärtig sind sie ja, wie gezeigt wurde, durchaus vorhanden -, lässt sich besonders für Grillparzers Aufenthalt im Osmanischen Reich nachweisen. Auf seiner zumindest halben Orientfahrt wird stereotypes Wissen über das ‚Morgenland‘ nur einmal explizit als Bezugspunkt evoziert, wenn Grillparzer schreibt: „Das Schiff schön, die Offiziere artig, das Frühstück gut, bis auf das Fleisch, das im Orient überall schlecht ist.“ (Tgb 3690, 679) Der Autor würdigt indes nicht nur die Hagia Sofia (vgl. Tgb 3669; 666 f.), sondern insgesamt immer wieder die Stadt Istanbul, differenziert ihren Schmutz gegen‐ über architektonischer und landschaftlicher Schönheit, insbesondere als er die berühmte eurasische Meerenge besichtigt: Was man von der Schönheit des Bosporus gesagt hat ist, mit Einschluß der Übertrei‐ bung, buchstäblich wahr, denn die Übertreibung ist der Erhebung förderlich. Anfangs trat mein Übelbefinden störend entgegen, bald wurde der Eindruck so mächtig und ich gab mich völlig hin. (Tgb 3658; 661) Nur an zwei Stellen wird ein impliziter Bezug zu Bildern des ‚hässlichen Orients‘ evident. Das eine Mal wohnt Grillparzer einer Darbietung tanzender Derwische bei: „Jedermann weiß was da geschieht. Wie ein übelklingender Gesang mit allerlei Gurgeleien von einer Art Tribüne herab von einer einzelnen Stimme den Anfang macht, dann der Umzug der Mönche […]“ (Tgb 3658; 671). Wie schon B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 133 weiland beim Erstkontakt mit dem sächsischen Dialekt überreagiert der Autor; als einer der Derwische in Konvulsionen verfällt, treibt ihn heftige Abscheu vor die Tür: Er gröhlte nur noch, sah aus wie eine Leiche und ich erwartete jeden Augenblick, daß er sein Frühstück von sich geben würde. Da fiel mich der Ekel und das Grauen über die Entwürdigung der menschlichen Natur übergewaltig an. Ich mußte hinausgehen und im Freien meine Begleitung erwartend, bezahlte ich mit einem heftigen Kopfweh das widerliche Schauspiel. (672) Ähnliches geschieht auf einem Besuch des Sklavenmarkts am 18. September 1843. Auch die wohl latent erotische Phantasie einer „Aufforderung“ durch eine der fremden (afrikanischen) Frauen, die hier feilgeboten werden, führt ambiva‐ lent zur Abscheu; Grillparzer zeigt sich hier von seiner rassistischen Seite und lässt es an Empathie fehlen: Besah mir den schändlichen Handel. Die Ware bestand aber bloß [! ] aus Negern. Ein hübscher Knabe wurde eben herumgeführt und um 1200 Piaster feilgeboten. Der Bube schien gar nicht betrübt und folgte ungezwungen dem Ausrufer. Der größte Teil Weiber d. h. Mädchen. Wenige hübsche. Eine sah nicht übel aus und blickte mich an, als wollte sie mich zu einem Gebot auffordern. Das Abscheuliche war in seiner Ein‐ förmigkeit bloß widerlich. (Tgb 3675, 669) Als das erzählte Ich des Tagebuchs dann als Passagier seines Schiffes unter Pest-Quarantäne gestellt wird, trägt es dies jedoch eher mit Fassung (Tgb 3692-3695; 680-683); Grillparzer beklagt vor allem die Langeweile und seine anfängliche Unterkunft, ein „schmutzige[s] Loch mitten unter stinkenden Türken und Griechen“ (680). Dies ist insofern nicht uninteressant, als der Autor im zweiten Teil seiner Balkanreise auch in Kontakt mit Jasons lebenden Nachfahren kommt. Schwelgt er auf der Kykladeninsel Syra (Syros) noch von den Einwohnern „als von Natur wohlgesittete[m], wohlgebildete[m] Menschenschlag, in mittelländischen Ge‐ genden läßt sich nichts damit vergleichen“ (Tgb 3695; 684), so nimmt seine Fremdwahrnehmung in der griechischen Hauptstadt Formen einer gefährlichen Alienität an: „Überall begegnet man mißtrauischen, auflauernden Gesichtern“ (Tgb 3703, 688). Wegen eines Volksaufstands gegen den aus Bayern stammenden griechischen König Otto fühlt sich auch der österreichische Reisende als latenter Deutscher bedroht: Wir werden uns auf Athen beschränken müssen, da man im Lande jeden Deutschen für einen Baiern hält, und jeder Baier so verhaßt ist, daß man sie überall mißhandelt, verwundet, ja töten würde, wenn nicht Hilfe zur rechten Zeit käme. (Tgb 3703, 687) B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 134 90 Vgl. etwa WIESE 1948 / 61: 393; POLITZER 1972: 130; BUB 2004: 22; WINKLER 2009: 168, 180, 183; WEISSMAN 2016: 82 u. a. 91 Vgl. dazu LEROY DU CARDONNOY 2016: 223. 92 LORENZ 1986: 86. 93 Ebd. 76. 94 Ebd. 85. 95 Vgl. SAUER 2002 / 2007, 2012. 96 LORENZ 1986: 68. 97 Ebd. Dass dennoch zumindest im Hintergrund dieser ‚Orientfahrt‘ oft sein Goldenes Vließ mitschwingt, wird an einer Stelle deutlich, wo Grillparzer lakonisch eine Einschiffung mit den Worten beschreibt: „Besteigen die Argo“ (Tgb 3649; 656). Das Untergangsszenario ist freilich ein anderes; schon auf der Hinreise, in Rust‐ schuk (Ruse, dem späteren Geburtsort von Elias Canetti), schreibt der Autor lakonisch über das Osmanische Imperium: Dieses Reich ist verloren. Der Untergang steht nicht bevor, er ist schon da. Ich wollte unsere Staatsmänner reisten nur bis hierher um die Nichtigkeit ihrer Hoffnung der Wiederherstellung einzusehen. (Tgb 3651; 657) 6. „Clash of civilizations“ Grillparzer gilt nicht zu Unrecht als Dichter des Kulturkonflikts, worauf ver‐ schiedene Interpreten hingewiesen haben. 90 Wir dürfen vermuten, dass Grill‐ parzer ganz nach dem Zeitgeschmack die Deutschen - bzw. die Deutsch-Öster‐ reicher - als Erben der alten Griechen einsetzte, freilich nicht im emphatischen Sinne der Weimarer Klassik und Hölderlins, sondern ins Maliziöse gewendet: Jason und die Seinen verkörpern eher die Dialektik der Aufklärung 91 als deren Utopie. „Grillparzers Griechenland ist Warnung, Medea ein Greuel und eine Hoffnung zugleich. […] Zweifel an der Gültigkeit des eigenen Kulturkreises werden deutlich“, 92 schreibt etwa Dagmar Lorenz. Die Griechen seien „in ihren Sensitivitäten modelliert am Österreich des 19. Jahrhunderts“ 93 - „ein Bild Öster‐ reichs, […] gefangen in Metternichs Zwangsjacke“. 94 Ebenso war Grillparzer ein kritischer Zeitgenosse des europäischen Koloni‐ alismus und auch entsprechender österreichischer Begehrlichkeiten 95 im 19. Jahrhundert. Seine Jason-Gestalt nimmt die großen Abenteuerreisenden und Neo-Konquistadoren jener Zeit vorweg - Livingstone, Rhodes und Stanley -, wenn er zu „neuen Völkern und zu neuen Ländern aufbricht“. 96 So meint denn auch Lorenz, dass in Grillparzers finsterem Kolchis „unschwer der schwarze Kontinent Afrika zu erkennen“ sei. 97 Schon Kommerell schrieb 1936: „Der grie‐ chische Medeamythos ist erlebt mit dem Siegesgefühl des Kolonisators, der B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 135 98 KOMMERELL 1936 / 1991: 92. 99 So heißt es auch in einem Epigramm von 1866: „Östreich ist wie Polen / Wer was braucht, gehts von da zu holen./ Östreich ist wie die Türkei,/ bei allem, was es tut, ist der Mufti dabei.“ (SW 1: 582) Und schon KASCHNITZ 1966: 78 schreibt: „Gewiß konnte Grill‐ parzer als Angehöriger der vielsprachigen, vielrassigen Habsburgermonarchie Rassen- und Nationalitätenprobleme besser als jeder andere nachempfinden.“ 100 Vgl. KENKEL 1979: 63. 101 WINKLER 2009: 169 u. 170; vgl. TANG 2011: 114.- Auch NIEHAUS 2009: 250 und BUB 2004 haben auf koloniale Bildlichkeiten und Hintergründe der „Semantik des Barbari‐ schen“ in Grillparzers Trilogie hingewiesen. Grillparzers aus dem Schicksal der kolonisierten Schicht“. 98 All diese Korres‐ pondenzen sind sicher zutreffend; noch eher könnte man aber annehmen, dass Grillparzer hier die kulturellen Differenzerfahrungen und den latenten inneren Kolonialismus im zeitgenössischen Zentraleuropa aufgreift. 99 In manchen Zügen ist die von Pech verfolgte Italien-Fahrt des Autors, die ihn zuhause in Kalamitäten bringt (vgl. Selbstbiographie / SW 4: 104 ff.), eine Kari‐ katur des Argonautenzugs, der seinerseits die Weltkonstruktionen des Rei‐ senden Grillparzer aufnimmt. Die Undankbarkeit von Jasons Onkel Kreon, der ihn gleichsam in die Wüste schickt, entspricht der selbststilisierten Verkennung, als deren Opfer sich der brave Beamte Grillparzer immer wieder wähnt - dies alles auf der Folie eines Diskurses der Alterität und des schwelenden Nationa‐ litätenkonflikts in der Habsburger Monarchie: Hat Grillparzers Medea also nicht eher slawische, ungarische oder italienische Züge als kaukasische oder afrika‐ nische? In einem Darstellungsversuch seines mentalen Chaos etwa greift der Autor auf folgendes ethnisch kodiertes Bild des ‚Barbarischen‘ zurück, das gleichsam vor der Haustür liegt: In meinem Kopfe siehts aus wie in Ungarn. Roher Stoff im Überfluß, aber Fleiß und Industrie fehlt; das Materiale wird nicht verarbeitet (Tagebuch 1811 / SW 4: 263, Tgb. 122). 7. Zur „Semantik des Barbarischen“ In Grillparzers Bearbeitung des antiken Argonauten- und Medea-Stoffes wird die außergriechische Vorgeschichte des Kindermordes (Kolchis) anders als bei seinen Vorläufern zum expliziten Schauplatz und Handlungsträger; 100 damit kehrt auch - wie bereits mehrfach angedeutet - die bei seinen Vorgängern schon langsam verblichene „Semantik des Barbarischen“ (Markus Winkler) in den Plot zurück. 101 Diese Begrifflichkeit ist - fernab heutiger political correctness - nicht nur ein viel verwendetes Schlüsselwort im Goldenen Vließ, insbesondere in B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 136 102 Vgl. WINKLER 2009: 169 u. 170, 202. 103 Zu Grillparzers italienischer Reise vgl. EGGER 2006: 89 ff. dessen zweiten Teil; 102 es ist auch ein Term, den Grillparzer auf eine aufschluss‐ reiche Weise in den Reisetagebüchern verwendet. So fällt es etwa einmal in Zusammenhang mit seiner Ankunft in Triest 1819, das nicht nur als schöne Stadt beschrieben wird: Wie fremd kam mir alles vor. Die Menschen wimmelten lebhaft untereinander - es war Sonntag - alles schrie statt zu reden, jubelte statt zu lachen, sang und zankte, lief und rannte wie es jedem eben beikam. Die sonderbaren Kleidungen der Bocheser, Albaneser usw., die recht jenen Eindruck machten, den die Griechen mit dem Aus‐ druck: barbarisch bezeichnen, stachen sonderbar gegen den französischen und eng‐ lischen Zuschnitt der Triester Petits maitres und maitresses ab. (Tagebuch auf der Reise nach Italien, Tgb. 356; SW 4: 280) Triest wird hier zum Außenposten einer Zivilisation, die als eine nördliche bzw. westliche imaginiert ist, gegenüber einer pittoresken Fremde, die südlich und „barbarisch“ ist. Wahrscheinlich nicht zufällig fällt in diesem Kontext das fran‐ zösische Wort maître - Meister, Herr - das hier freilich durch den ironischen Zusatz „petit“ zum Synoym für einen Laffen wird. Im weiteren Verlauf der Reise 103 freilich dreht sich das Verhältnis quasi in einer Relokalisierung um. Grillparzer übernimmt die Sichtweise der italieni‐ schen Renaissance - die sich als Fortsetzer der Antike weiß und ihrerseits den germanischen Norden als barbarisch ansieht -, um sich dann erschrocken der eigenen Herkunft zu besinnen: Auf dem Rückweg von Neapel nach Rom kommt der Dichter nach Genzano, in eine Stadt mit deutschen Dächern. Ich wollte schon in künstlerisches Entsetzen über diese barbarische Bedeckung ausbrechen, als ich gewahr wurde, daß mir das Ding nicht übel gefiel. Ob es an sich nicht schlimm ist, oder die Ähnlichkeit mit meinem Vaterlande das ihrige dazu beitrug, weiß ich nicht. Gewiß ist, daß derlei Giebeldächer einen eigenen, wohltätigen Eindruck von Häuslichkeit und Sicherheit vor Wind und Wetter machen. (SW 4: 330, Tgb. 467) Hier tritt uns eine Ambivalenz entgegen, die charakteristisch auch für den Um‐ gang mit dem / der Fremden im Goldenen Vließ ist. Dabei verbinden weitere nar‐ rative Untertöne den Argonauten Jason und den Touristen Grillparzer, wie noch zu zeigen ist. Ihnen wird die Schrift zur Kontaktzone, wo die Bezugspunkte von „Zivilisation“ und „Barbarei“ kippen, ja sogar den Platz tauschen können: wo man sich selbst zum Fremden wird. B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 137 104 Vgl. JAY 1992. 8. Intersektionalität: gefährliche fremde Frauen Reiseliteratur bedeutet auch eine symbolische Vereinnahmung des Fremden, einen literarischen Eroberungszug, ja mitunter fiktiven Brautraub; sie zwingt dem Leser den Blick des Eigenen auf das Fremde auf - ein Blickregime, 104 das zumeist eine männlich-patriarchale Weltsicht trägt (wenngleich im 19. Jahr‐ hundert vor allem die englischsprachigen travelogues ein Genre sind, in dem früh schon Autorinnen Fuß fassen). Auffallend an Grillparzer ist, wie gerne er in seinen Reisetagebüchern die Sichtung schöner fremder Frauen festhält, ohne dass er deswegen ein Sextourist gewesen wäre wie etwa Goethe in Italien; davor bewahrt ihn seine verklemmte Reserviertheit. Dennoch gibt er sich als Kenner; so heißt es etwa über Pressburg (Bratislava), auf der Reise nach Griechenland (1843): „Im Allgemeinen ist der Weiberschlag, das Blut in Wien vielleicht hüb‐ scher; auffallend schöne Züge aber deucht mich gibt es hier mehr.“ (Tgb 3633; SW 4: 649) Gleich darauf schreibt er über die Abreise aus der ungarisch-slowa‐ kischen Stadt: Eine schöne Ungarin, die mit mir zugleich von Wien gekommen, wieder an Bord, diesmal aber gut gekleidet und sehr zurückgezogen. Zwei Komtessen von denen die jüngere bildhübsch aber mit häßlichen plumpen Füßen. (Tgb 363; 650,) Und schon auf der Reise nach Deutschland: Bei Tische die Bekanntschaft einer hübschen Sächsin gemacht, die mit ihrem Manne da war. Schöne blaue Augen, das übrige freilich weniger bedeutend. (Tgb. 1499; 410) Auch hier stellt sich wieder die Frage: Can the Alien speak? Warum ist der Akzent dieser Frauen weniger schrecklich, als er es später in Gießhübel (s. o.) sein wird? Es wäre hier reizvoll, die männliche Lenkung des Blicks durch die peep show der Reisetagebücher mit der Perspektive auf Medea zu vergleichen. Weibliche Schönheit scheint nämlich - und dies nicht nur bei Grillparzer, sondern bei di‐ versen anderen Autoren - etwas zu sein, das den Schrecken der fremden Um‐ gebung temporär zu brechen vermag, das Furcht in Begehren verwandelt, ohne freilich aus dem fatalen Zirkel dieser Ambivalenz ausbrechen zu können. Erotik ist keine Antwort auf Xenophobie, sondern nur deren Ergänzung. Deutlich wird dies anhand von Grillparzers angesprochenem Besuch im jüdischen Ghetto von Prag, wo er trotz des dreimaligen „Schmutz“-Ausrufs sich gemüßigt fühlt hin‐ zuzufügen: Und doch sah ich 3 der schönsten Mädchen, die ich je gesehen, in dieser Judenstadt, und alle 3 offenbar Jüdinnen. Die eine beinahe griechisch [! ] und ideal, die andern B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 138 105 Siehe etwa DUNHAM 1960: 77f.; BRAUCKMANN & EVERWIEN 1987: 96; ROE 1991: 90 f.- RIGBY 1996: 184 hat in diesem Zusammenhang vom „positive pathos of penet‐ ration“ und von „forced entries“ gesprochen. 106 Vgl. UERLINGS 2001: 49 ff. 107 Vgl. NANDY 1983 / 2009. 108 Dies bringt den kroatischen Germanisten Antun Sedlar in seiner sich dem Nationalso‐ zialismus anbiedernden Interpretation Grillparzers dazu, ihn den „Dichter der Rassen‐ tragik“ zu nennen; vgl. dazu BOBINAC 2007: 167 ff. menschlich[! ], leiblich, fleischlich, was man will, aber äußerst hübsch. (Tgb 1495; SW 4: 409) Im Goldenen Vließ ist es schon Phryxus, der angesichts von Medea ausruft (und Jason wird ihm, wie noch zu zeigen sein wird, in dieser doppelten Optik der ‚Urszene‘ ihrer Begegnung mit Medea folgen): Doch wer ist dieses blühend holde Wesen, Das wie der goldne Saum der Wetterwolke Sich schmiegt an deine kriegrische Gestalt? Die roten Lippen und der Wange Licht, Sie scheinen Huld und Liebe zu verheißen, Streng widersprochen von dem finstern Aug, Das blitzend wie ein drohender Komet Hervorstrahlt aus der Locken Dunkel. (Der Gastfreund 241-248 / SW 1: 805) Fremde Frauen werden also für kurze Zeit aus dem Diskurs des „Barbarischen“ herausgenommen, um diesem dann - wie im Falle Medeas - umso stärker (im 3. Teil der Trilogie) anheimzufallen. Die Szene in der Schlangenhöhle im 4. Aufzug der Argonauten indes (1475 ff. / SW 1: 874-79), wo Jason das Goldene Vließ erringt, repräsentiert gleichzeitig das Maximum an sexueller Annäherung und Anspielung, das bei Grillparzer möglich ist; auch darauf haben Interpretationen wiederholt auf‐ merksam gemacht. 105 Nicht nur auf diesem Höhepunkt der Angstlust, sondern auch in Folge erscheinen Jason und Medea als der Inbegriff des „kolonialen Paars“ 106 von Zivilisator und Ureinwohnerin, die beide aus ihrer Mitte gerissen und letztlich - mit einem Begriff des postkolonialen Kritikers Ashis Nandy - „intimate enemies“ 107 werden. In Grillparzers Reisetagebüchern indes bleibt es voyeuristisch beim Blick auf die Fremde - und so kann man die fatalen Konsequenzen der Vermählung und Vermischung 108 Jasons mit Medea als männliche Schreckensvision lesen: Was passiert, wenn man sich dieser Fremden bemächtigt und es nicht nur beim B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 139 109 Vgl. THEWELEIT 1977. 110 WINKLER 2009: 168 schreibt, Grillparzers Medea verhandle „Themen“, die „gegen‐ wärtig mit Schlagwörtern wie Migration, Asyl und ‚clash of civilizations‘ aufgerufen werden“. Ähnlich spricht WEISSMAN 2016: 200 von der „problématique intercultu‐ relle, migratoire, voire coloniale, de la trilogie de Grillparzer“. THEWELEIT 2013: 396 ff. verweist auf den historischen Kontext von Euripides’ Medea: die Verschärfung von Bürgerschaftsgesetzen im Athen des Perikles, der selbst mit der kleinasiatischen Immigrantin Aspasia zusammenlebt; vgl. dazu ORTKEMPER 2004. 111 ROTH 1937 / 1991: 407. Schauen belässt, und sich dann umgekehrt das Fremde des Eigenen bemächtigt - „Männerphantasien“ 109 im Sinne von Klaus Theweleit. Diese Projektionen drapieren und kaschieren das weitere Los Medeas, das aus heutiger Perspektive wohl am besten als das einer Migrantin 110 zu be‐ zeichnen ist, die sich zu ‚integrieren‘ und auf ihre ‚barbarischen‘ Bräuche (z. B. Zauberei) zu verzichten versucht, wie es ihre Worte an Gora ausdrücken: In andre Länder, unter andre Völker Hat uns ein Gott geführt in seinem Zorn, Was recht uns war daheim, nennt man hier unrecht, Und was erlaubt, verfolgt man hier mit Haß; So laß uns denn auch ändern Sitt und Rede, Und dürfen wir nicht sein mehr, was wir wollen, So laß uns, was wir können, mindstens sein. Was mich geknüpft an meiner Väter Heimat, Ich hab es in die Erde hier versenkt; […] (Medea 121 ff. / SW 1: 895) Dieses Integrationsprojekt scheitert erst, als Medeas Gastgeber und ihr Ehe‐ mann sich ihrer zu entledigen suchen. Anstatt Empathie mit dem Exil-Schicksal zu evozieren, erfasst jenes dramaturgische Konstrukt der latent gefährlichen Fremden mit seinen Gender-Klischees freilich auch oft die Analyse der Inter‐ preten. So schreibt etwa Joseph Roth in seinem Grillparzer-Essay von 1937 über das Frauenbild des Autors: Als Gattung, als ‚Weib‘ repräsentiert sie das Gefährliche, nicht Vorhersehbare, Revo‐ lutionsherd und Sünde. In einer Welt, in der ohnehin nichts mehr fest ist, kann sie noch leichter Veranlassung zum Umsturz geben, zur Plötzlichkeit. Sie kann die Stufen der hierarchischen Skala zersplittern […]. 111 B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 140 112 KENKEL 1979: 72. 113 Vgl. die Auflistung der ihr zugedachten Rollenbilder bei LÜTKEHAUS 2006: 13 f.; vgl. auch TANG 2011: 114; RIGBY 1996: 185 sieht Medeas Entwicklung von der Hexenge‐ stalt zu „capitive maiden“ und „terrible mother“. 114 Grillparzer übernimmt das Hexenhafte wahrscheinlich von Seneca und seinen Nach‐ folgern; vgl. WINKLER 2009: 174 u. KASCHNITZ 1966: 76 ff. 115 SCHAUM 1964: 394. - BRAUCKMANN & EVERWIEN 1987: 63 sehen eine Analogie zwischen Grillparzers Medea und Kleists Penthesilea. 116 Vgl. POLITZER 1972 / 1990: 141; ROE 1991: 82 ff.; RIGBY 1996: 182, 188; RIEDEL 2000: 222.- WINKLER 2009: 177 schreibt, Goethe und Grillparzers Stücke treibe gleicher‐ maßen „der programmatische Impuls […], den griechischen Mythos als Medium helle‐ nischer bzw. abendländisch-europäischer Identitätsfindung von den Residuen des Bar‐ barischen, insbesondere dem Menschenopfer-Ritual, zu reinigen“. Dort, wo Goethe jedoch auf das utopische Gelingen dieses Projekts abhebe, zeige Grillparzer dessen Scheitern in der Gewaltspirale (vgl. ebd. 211 f.). Ebenso kann man freilich im Argonau‐ tenstoff selbst ein Gegenstück zur Odyssee sehen, zumal hier z. B. die Heimkehr in eine Heimat und Familie nicht wirklich gelingt. 9. Kippbilder der Ambivalenz […] sehen wir die Argonautensage oder sehen wir die romantisierte ‚Disney- Version‘ vom kolonialen Helden, der sich ein sprödes Mädchen erobert? 112 Unter quasi-kolonialen Umständen wird Gender häufig zu einer Kategorie des Monströsen. „Wer bist du, doppeldeutiges Geschöpf ? “ herrscht Jason Medea bei ihrer ersten Begegnung im Turm an (Die Argonauten i. 438 / SW 1: 834). Die Kolcherin ist eine schöne junge Frau, aber gleichermaßen auch eine schreck‐ einflößende „Barbarin“, Priesterin und „eine Zauberin dazu“ (Die Argonauten iii. 1101-03 / SW 1: 859; vgl. ii. 777-82 / 846); später wird sie Liebende, Flüchtling, Mutter und Mörderin. 113 Damit verkörpert sie auch in Personalunion das eth‐ nisch Fremde, das geschlechtlich Andere und - als hexenhafte Magierin 114 - das Andere im Sinne von Übernatürlichkeit. Bei aller Alterität wird in der Medea-Rezeption aber gern übersehen, dass sie in Der Gastfreund, dem ersten Teil von Grillparzers Trilogie, nicht nur jung‐ fräulich „amazonenhaft“, 115 sondern auch als eine Art Gegen-Iphigenie auftritt, 116 wenn sie ihren Vater zur Mäßigung und zur Einhaltung der Gastfreundschaft ermahnt und sich gegen seinen Mordplan sträubt ( SW 1: 809-12); sie hätte also durchaus eine humanistische Botschaft und erschiene prinzipiell aus der Sicht des ‚nicht-barbarischen‘ Dramatikers als ‚kultivierbar‘ - wäre da nicht die fatale B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 141 117 Mehrere Interpreten haben darauf hingewiesen, wie Grillparzer den archaisch anti-in‐ dividuellen Determinismus des Mythos mit moderner Figurenpsychologie zu ver‐ söhnen versucht, z. B. indem er den Kindermord durch seelische Kränkung motiviert; vgl. etwa POLITZER 1972 / 1990: 125 u. 128; KENKEL 1979: 66; BRAUCKMANN & EVERWIEN 1987: 59. 118 STEPHAN 2006: 107. 119 Ebd. 106 f. u. 108. Verkettung von Ereignissen, die negative Dynamik, die der erste Mord (an Phryxus) auslöst. 117 Wie bereits angedeutet, geraten im Blick des (männlichen) Betrachters diese Frauenbilder auf der Bühne durcheinander, ja sie springen wild hin und her. Hat sie schon Phryxus als „Halb Charis […] und halb Mänade“ gesehen (Der Gast‐ freund 249; SW 1: 805), so wird Jason angesichts ihrer ausrufen: Doch seh ich recht? Bist du die Zauberin, die dort erst heisre Flüche murmelte? Ein weiblich Wesen liegt zu meinen Füßen, Verteidigt durch der Anmut Freiheitsbrief, Nichts zauberhaft an ihr, als ihre Schönheit. (Die Argonauten i. 427-31; SW 1: 833) Dies wird später noch im Motiv der Entschleierung der fremden Frau zugespitzt, dessen nahezu universal-kultureller Symbolismus uns heute seltsam aktuell an‐ mutet; er lässt sich kaum steigern, wird doch hier Medea der Insignien des Bar‐ barischen entledigt und zur - wenn auch instabilen! - Griechin gekürt: Und wie ich diesen Schleier von dir reiße, Durchwoben mit der Unterirdischen Zeichen, So reiß ich dich von all den Banden los, Die dich geknüpft an deines Landes Frevel. Hier, Griechen, eine Griechin! Grüßet sie! […] Frei wallt das Haar nun um die offne Stirn, So frei und offen bist du Jasons Braut. (Die Argonauten, iii. 1402-9) Inge Stephan hat auf den „ständige[n] Wechsel von Enthüllen und Verschleiern in der Trilogie hingewiesen; 118 Medea bleibe ein Spielball, ein „Objekt“ im Blick und Kampf der Männer und finde erst in der finalen Mordtat und dem Ent‐ schluss, nach Delphi zu gehen, zu ihrer eigenen Subjektwerdung. 119 B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 142 120 Ebd. 73. 121 Ich verdanke dies u. a. auch Usha Reber und ihrer impulsgebenden Arbeit über meta‐ morphotische Schreibweisen nach Ovid (REBER 2009). Zum / zur Fremden als Kippbild vgl. auch HABINGER 2011: 54. 122 Gilberts Grafik All is Vanity (1892 / 1902) wurde auch als Titelabbildung von Teil B. des vorl. Buches verwendet. 123 Vgl. LÜTKEHAUS 2006: 13.- DUBIEL 2005: 47 spricht vom „Scheinwiderspruch von Sehnsucht und Angst“. 124 Vgl. RIGBY 1996: 175. 125 THEWELEIT 2013: 111 hat in einer ähnlichen Bildlogik Medea als „verschiebbare Schreibmasse“ beschrieben. Das Oszillieren der hier vermittelten Frauenbilder setzt sich freilich in der Rezeption fort; Stephan erklärt die Faszination der Gegenwart für die Kolcherin wie folgt: Die fast schon inflationäre Zunahme des Interesses an Medea im 20. Jahrhundert schließt an eine emphatische Sicht auf Medea als Täterin an. Medea wird zur positiven Bezugsfigur für unterschiedliche politische Bewegungen. Für die Frauenbewegung nach 1968 avanciert sie zur Ikone der Emanzipation, für die postkolonialen Bewe‐ gungen der Gegenwart wird sie zum Vorbild im Befreiungskampf. 120 An dieser Stelle ließe sich das Prinzip des sog. Kipp- oder Vexierbildes 121 als heuristische Metapher fruchtbar machen - ein Requisit der kognitiven Psycho‐ logie, das nach dem Prinzip der optischen Täuschung funktioniert. Auffallend ist, wenn man sich auf die Suche nach solchen Vexierbildern macht, dass viele Beispiele, die man findet, auch gendered sind, d. h. dass sie Frauen zum Objekt dieser flipping images machen. Unter den im Internet kursierenden Beispielen ist eines der wohl bekanntesten jene Zeichnung von C. Allan Gilbert, die eine vor dem Spiegel sitzende weibliche Figur (als moderne vanitas-Figur) mit einem Totenkopf kombiniert 122 - und damit Eros und Thanatos in der phantasmati‐ schen Brechung kultureller Repräsentation verbindet. Wichtig ist auch, dass sich diese Bilder nicht stabilisieren und fixieren lassen, sondern gerade in ihrem Os‐ zillieren eine gefährliche Faszination, wenn nicht überhaupt eine latente Gefahr darstellen. Dies gilt auch für die fremde Frau Medea: Sie ist schön und tödlich, sie ver‐ bindet Angst und Begehren, eine nicht erst in ihrer Mütterlichkeit angelegte Ambivalenz, 123 die schon bedeutend länger in einer patriarchalisch geprägten Kultur liegt, bevor sie auch Grillparzer aufgreift - bei dem sie sich freilich in einer ‚humaneren‘, psychologisierten 124 Gestalt zeigt als bei anderen Bearbei‐ tern. 125 Doch damit nicht genug, kommt es doch bei Grillparzer zu einer denk‐ würdigen Vermischung und Umkehrung der Gegensätze, wo Griechenland zu B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 143 126 Wie Alexandra Schirinà schreibt, seien „für Grillparzer die Begriffe Heimat und Fremde“ nicht immer „eindeutig trennbar“; dennoch bestimme „ihr Gegensatz […] die Struktur einiger seiner Dramen. Nicht nur die Vließ-Trilogie behandelt die Beziehung zwischen Heimat und Gastland, zwischen zwei Welten befinden sich auch Sappho, Rustan, Rai‐ mund oder Libussa“ (SCHIRINÀ 2000: 125). 127 Vgl. KASCHNITZ 1966: 83. 128 KRISTEVA 1990: 11. 129 Ich denke, dass an dieser Stelle Yates irrt, wenn er dies als die kalkulierte Gefühllosigkeit Jasons interpretiert (YATES 1972: 89), der um Medea wirbt, denn der griechische An‐ führer wird in dieser Anfangsphase seiner Beziehung sehr wohl von seinen Gefühlen und Begehren für Medea mitgerissen. Kolchis wird. 126 Hier gilt es, die uns im Schauspiel nahegelegten Figurenper‐ spektiven Jasons und Medeas zu verlassen und gleichsam wieder eine Außen‐ sicht auf die Trilogie zu gewinnen - die im Übrigen auch selbst von ihrem Ver‐ fasser häufig als ambivalentes „Monstrum“ 127 empfunden wurde. 10. Umkehr-Schlüsse & Familien-Aufstellungen „Auf befremdliche Weise ist der Fremde in uns selbst,“ schreibt Julia Kristeva: „Er ist die verborgene Seite unserer Identität, der Raum, der unsere Bleibe zu‐ nichte macht.“ 128 Der Fremde bringt damit auch die räumliche Verankerung des Selbst-Seins ins Gedränge; als letzte Konsequenz bleibt damit den Destabili‐ sierten im Goldenen Vließ - zuerst Medea, dann Jason - nur das Exil. Bei Grillparzer kippen nicht nur die Frauenbilder hin und her, sondern die zentrale Dichotomie von Zivilisation und Barbarei erweist sich als ebenso labil, wie auch im italienischen Beispiel aus dem Tagebuch spürbar war. Schon in Kolchis ruft Jason vor Medea aus: Wie eine Heimat fast dünkt mir dies fremde Land; Und, abenteuerlich ich selbst, schau ich Verwundrungslos, als könnt es so nur sein, Die Abenteuer dieses Wunderbodens. Und wieder, ist das Fremde mir bekannt, So wird dafür mir, was bekannt, ein Fremdes: Ich selber bin mir Gegenstand geworden, Ein andrer denkt in mir, ein andrer handelt. (Die Argonauten iii. 1190-1198; SW 1: 863) Der Topos, dass Liebe zu einem Anderen macht, wird nur kurz auf eine ‚fremde‘ Weise beglückend empfunden. Mehr noch, die Selbstentäußerung und Selbst‐ entfremdung 129 führen offenkundig zu einer posttraumatischen Störung Jasons als Konsequenz der Ereignisse, wenn er Medea im gleichnamigen 3. Teil der B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 144 130 TANG 2011: 129. 131 LAUDIN 2016: 164 betont, dass das Thema der Ausschließung bei Grillparzer wichtiger sei als bei seinen Vorgängern in der Bearbeitung des Medea-Stoffs: „le rejet de l’autre ou son exclusion hors de la ‚cité‘, qui est á la fois lieu d’identité culturelle et lieu poli‐ tique“ (ebd. 161). - Vgl. auch TANG 2011: 133. 132 Vgl. LAUDIN 2016: 179. 133 Helmut Bachmeier sieht bei Grillparzer zwei zugrunde liegende Diskurse wirksam: eine klassische Ordo-Metaphsyik und deren moderne Depotenzierung (BACHMAIER 1991: 267); dies ließe sich mutatis mutandis auch hier als Grundlage annehmen. Trilogie nur noch loswerden möchte. An der Seite Kreusas, die, wie sie selbst sagt, dieselbe geblieben ist, die sie war (Medea ii.752 / SW 1: 752) - also kein ‚Kippbild‘ ist -, möchte er seine griechische Identität restituieren, denn er ist allem Anschein nach sich selbst fremd geworden und fühlt sich von Medea nachgerade „kontaminiert“. 130 Dies gipfelt in seinem zornigen Aufschrei: „Gib Jason mir zurück, Frevlerin“ (ii. 1054; 925). Aber auch Medea fühlt sich im letzten Teil der Argonauten-Trilogie ihrem Ursprung entfremdet (man beachte hier das Gender-Klischee des Naturhaften, ja Chtonischen); der erzwungene Rückkehrversuch beider Ehepartner in ihre ‚alten‘ Identitätsmuster führt indes zur finalen Gewaltorgie. Die Botschaft könnte hier sein, dass im Kontakt zwischen sog. ‚Zivilisation‘ und ‚Barbarei‘ sich beide auf destruktive Weise verlieren, wenn sie anstelle des schwierigen, ja unmöglichen Rituals der Gastfreundschaft den Konflikt - oder die Vermi‐ schung? - wählen. An jener zentralen Stelle, die weiter oben (Abschnitt 8) als Beleg für Medeas angepeilte ‚Integrationsleistung‘ zitiert wurde, legt Grillparzer seiner Gegen- Iphigenie zwar einen pragmatischen spätbis postaufklärerischen Kulturrela‐ tivismus in den Mund (Medea i.120-127; SW 1: 895). Die skeptische Praxis des Dramenplots inszeniert jedoch die mögliche Katastrophe, die entsteht, wenn Zivilisation und Barbarei, das Eigene und das Andere ihre mit Mühe umgrenzten Territorien aufgeben und sich trotz und entlang ihrer gegenseitigen Ausschlie‐ ßungsmechanismen 131 im Konflikt mischen; wenn das Ritual von kurzweiligem Kontakt und friedlichem Abschied in der Gastfreundschaft scheitert, die beiden Kulturen den prinzipiellen common ground einer gemeinsamen Göttervereh‐ rung verlassen und aus Habgier den Weg der Gewalt wählen. Wenn dann die von Medea formulierte pragmatische Utopie nicht funktioniert, erscheint es besser, die porös gewordenen Grenzen 132 zu rekonstituieren. 133 Die Hybridisie‐ B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 145 134 TANG 2011: 126 u.ff.- Chenxi Tag hat in diesem Aufsatz zur Die Tragödie der Zivilisation dafür einen rechtshistorischen Kontext hergestellt: Zwischen 1815 und 1850 entstehe nämlich eine neue Staatenordnung auf der Basis des neuen Völkerrechts der ‚zivili‐ sierten Staaten‘, das freilich für diese und nicht für die anderen gelte, sondern ihnen das vermeintliche Recht zur Kolonisierung gebe; der verdrängte Barbar kehre indes auf der Bühne zurück (ebd. 88). „Im mythologischen Gewand“ reagiere Das goldene Vließ so auf „zwei miteinander verschränkte Entwicklungen des Vormärz: die rasant fort‐ schreitende koloniale Expansion europäischer Staaten in Übersee und die Entstehung einer Semantik der Zivilisation“ (ebd. 121). 135 Vgl. auch BUB 2004: 20 f. 136 WINKLER 2009: 199. 137 Ebd. 180. 138 Ebd. 177. 139 Ebd. 204. 140 Ebd. 193. rung führt hier also zum Wunsch nach „tragischer Reinigung“ der Zivilisation vom Anderen. 134 Grillparzer zeigt freilich auch das Gewaltsame solcher Not-Lösungen und dekonstruiert die Dichotomie von Barbarei und Zivilisation in deren Identitäts‐ politik; 135 Markus Winkler hat hier auf folgende Punkte hingewiesen: • das „Ineinander von Ausschließung des Fremden und Selbstentfrem‐ dung“; 136 • die „Symmetrie von barbarischer Xenophobie und griechischem Koloni‐ alismus“; 137 • die „Dynamik der Verstrickung des Griechischen ins Barbarische“; 138 • und schließlich die katastrophale Erkenntnis, dass das eigene Selbst trotz aller Ausschließungsmechanismen dem Fremden gegenüber ein hybrides Konglomerat beider darstellt. 139 Man kann Winkler auch weiter nur zustimmen, dass diese österreichische Ar‐ gonauten-Trilogie eine „konzentrierte Geschichte von Exil, beabsichtigter Ko‐ lonisation und nativistischem Widerstand“ auf die Bühne stellt, die auf „asym‐ metrische[n] Entgegensetzungen“ beruht; dies schafft jene fatale Dynamik, die die Repräsentanten beider Ordnungen im Inneren zerreißt. 140 B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 146 141 Ebd. 194. Auch andere Interpreten haben auf die Spannung zwischen dem matriarcha‐ lisch-priesterlichen Raum der Tochter Medea und dem patriarchalen Gesetz des hab‐ gierigen und latent verbrecherischen Vaters Aietes und hingewiesen, die im Gastfreund etabliert wird; vgl. etwa POLITZER 1972 / 1990: 129; SCHEIT 1989: 43 f. NEUMANN 1997: 266 spricht in diesem Zusammenhang von der Geburt des Mythos, ausgehend von der Urszene der Kultur, nämlich dem Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat (vgl. auch LÜTKEHAUS 2006: 21). Es ist die Habgier der Männer, die zum Zerbrechen der Familie (vgl. GUNDOLF 1931: 48) wie der kolchischen Ordnung führt; der Kindermord Medeas wird etwa von Winkler als Versuch der vergeblichen, gewaltsamen Rückkehr in eine matriarchalische Ordnung, als antipatriarchalische Restitution barbarischer Weiblichkeit gesehen (WINKLER 2009: 232). 142 WINKLER 2009: 210. Vgl. TANG 2011: 123. 143 Vgl. ebd. 256. Das Sartre-Zitat findet sich u. a. in SARTRE 1964 / 2006: 168. 144 WINKLER 2009: 192. 145 Ebd. 256. 146 DUSINI 1991: 119. 147 Vgl. etwa LAJARRIGE 2006. Auf der einen Seite steht die brüchig gewordene Ordnung des kolchischen Lebensraums, 141 auf der anderen das bedenkliche Projekt des griechischen Beu‐ tezugs. Liebe vermag die Zwänge und Aporien zu narkotisieren, aber nicht zu brechen. 142 Das Eigene sieht sich bei Grillparzer im Anderen katastrophal wieder, gleichsam zurückprojiziert, was auf der Bühne gewissermaßen ein fatales mirror stage kreiert, wenn auch nicht im Sinne Lacans: „Hältst mir mein Ich vor in des deinen Spiegel“ (Medea 1097). Dies lässt eher an Jean-Paul Sartres Einleitung zu Frantz Fanons antikolonialem Manifest Les damnés de la terre (1961) denken, wo der Kontakt der Zivilisation mit den Barbaren zu einem „strip-tease“ ihres an‐ geblichen Humanismus führt. 143 Doch die xenophob-unmenschliche Ausschlie‐ ßung des Fremden aus dem Eigenen hat durch das mit dem Vließ verbundene Besitzdenken - das dessen potenzielle interkulturelle Verbindlichkeit missin‐ terpretiert - längst auch die „Barbaren“ erfasst; 144 die Utopie kann also - und das ist die postkoloniale Pointe - auch keine nativistische sein. 145 Arno Dusini spricht in Zusammenhang mit Grillparzers Selbstbiographie von einer „Identität, die gerade nicht harmonisiert, was ihr an Widersprüchlichem anvertraut ist“. 146 Darin liegt der phänomenale Unterschied des skeptisch-uni‐ onistischen Autors zu den sich auf allen Seiten des Vielvölkerstaats formier‐ enden Nationalismen und ihren Identitätspolitiken. Er zeigt sich nicht nur wie‐ derholt als deren Kritiker, 147 sondern auch als Ahnender, der schildert, wie eine scheinbar ‚natürliche‘ Ordnung der Völker, von ‚Zivilisierten‘ wie ‚Barbaren‘, auf der die Logik von Imperien - und damit auch der habsburgische Mythos - B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 147 148 BLÄNSDORF 2006 sieht in Grillparzers Argonauten-Trilogie zentral die „Verletzung des Rechts und das dadurch geweckte Rechtsbewußtsein“ (51); die Kritik richte sich gegen die Griechen als „Utilitaristen“, nicht gegen die Barbaren (58). So sehr diesen Befunden prinzipiell zuzustimmen ist, so sind sie unvollständig, ist doch der vollzogene Ordnungsbruch irreparabel und die Konsequenzen für beide Seiten fatal. 149 RIGBY 1996 sieht im Goldenen Vließ die Tragik des Zivilisationsprozesses, „as this is represented symbolically in the myth of the conquering culture hero and the subsequent return of the repressed“ (ebd. 176, vgl. 177 u. 191). Grillparzers Trilogie beinhalte damit letztlich eine nachgerade dekonstruktive doppelte Kritik, „designed to undermine the ‚primitive‘ world […][and to] undermine the positive self-conception of modern civi‐ lisation“ (ebd.180). 150 WINKLER 2009: 178 schreibt über die Griechen / Argonauten: „Ihr Kult der eigenen, heroischen Humanität erweist sich von vornherein als exklusiv und als Kehrseite einer räuberisch-kolonialistischen Attitüde, die in das verachtete Barbarische tief verstrickt ist“. 151 WINKLER 2009: 236 ff. 152 Vgl. etwa KASCHNITZ 1966: 98, 105. beruht, durch Gier und Verbrechen getrübt ist, durcheinander gerät und nicht mehr wiederherzustellen ist. 148 Die kakanische Dialektik der Aufklärung, die hier herrscht, 149 lässt die Dif‐ ferenz zwischen beiden Positionen - der imperialen wie der nativistischen - kollabieren und unentscheidbar werden in einem Prozess der Entfremdung, die alle Betroffenen erfasst und in ein skeptisches Licht taucht. Weder ist Jason der Strahlemann einer mission civilatrice (sondern Anführer eines Raubzuges), 150 noch Aietes oder Kreon der Repräsentant einer gerechten Ordnung; auch der blutige Gegenschlag der migrierenden Königstochter, der Atavismus ihres na‐ tivistischen Widerstands, stellt nicht Gerechtigkeit wieder her, sondern nur einen Höhepunkt barbarischer Grausamkeit, dem Medea vielleicht erst durch den fatalen Kontakt mit der ‚Zivilisation‘ endgültig anheimfällt. Als Restutopie bleibt lediglich ihr „barbarisches Selbstopfer“, 151 wenn sie sich den Tempelbe‐ hörden in Delphi stellen und das Vließ dorthin zurückbringen möchte. In diesem finsteren Ausklang des Kontakts der Griechen mit dem dunklen Kontinent Kolchis, der gleichermaßen in ihnen selbst liegt, besteht Grillparzers antiklassische Modernität, mit der er die erst später, zur Jahrhundertwende um 1900 modisch werdenden Identitätsverluste vorwegnimmt, 152 sie aber auch in den überwölbenden kulturellen wie politischen Rahmen Zentraleuropas stellt. Mit nicht allzu großer Mühe kann man in seinen griechischen Argonauten die Österreicher, in Medea und den Kolcher / innen die nicht-deutschsprachigen B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 148 153 Vgl. die rezente Interpretation von WEISSMAN 2016, der in der Opposition der Grie‐ chen und Kolcher die schwierige Koexistenz der Nationalitäten in der Monarchie auch in Bezug auf die zeitgenössische Sprachpolitik sieht (vgl. ebd. 200 u.ff.). Grillparzer sei gegen Ethnozentrismus jeder Art, sei er deutsch, slawisch oder ungarisch (vgl. ebd. 202); sein Drama suche nach einer österreichischen Identität zwischen einer arroganten deutschen Hochzivilisation und den slawisch-ungarischen Barbaren (ebd. 203). - Vgl. auch die etwas überzogene ‚Kakanisierung‘ von Grillparzers Drama bei THEWELEIT 2013: 565 ff.: „Die Kaukasierin (für Grillparzers Wien von 1820 wird man sagen müssen: die Türkin, die Muslimin oder: die Zigeunerin) wird sogar von den eigenen Kindern abgelehnt. Sie wählen Kreusa, die griechische Königstochter - wählen die Weiße, die ‚Österreicherin‘; ‚Sisi‘ gibt es zwar noch nicht; aber in der Tendenz wählen sie ‚Sissi‘.“ (ebd. 565) Theweleit sieht Jason als „Vorfahren des Prinz Eugen“ (ebd. 567) und Medea als kaukasische Pocahontas, „Retterin des Kolonisators“ (ebd.); bei Grillparzer drücke sich die „Wut des Westlers“ über den „selbständig gebliebenen Osten“ aus (ebd. 568). 154 Vgl. ALBRECHT 2015; zum burgundischen und später habsburgischen Ritterorden vom Goldenen Vließ in der Geschichte der Neuzeit TERLINDEN 1970; TANNER 1993: 146-161; MÖCKER & HORNUNG 2006; LEROY DU CARDONNOY 2016: 208 ff.- POLITZER 1972 / 1990: 125 sieht in der Argonauten-Trilogie gar eine Art österreichi‐ scher Parallelaktion (avant la lettre! ) zu Hebbels und Wagners ‚deutschem‘ Nibelun‐ genprojekt; Grillparzer selbst sei diese Ähnlichkeit erst im Rückblick der Selbstbiografie auf sein Werk aufgefallen. Vgl. auch KASCHNITZ 1966: 141. Ethnien der Monarchie sehen 153 - und in Korinth die zeitgenössischen Deut‐ schen, die gleich sind (Griechen) und doch anders, vor allem machtvoller und schließlich dem innerlich wie real obdachlosen Jason die Tür weisen; so gehen letztendlich alle betroffenen Gruppen ihrer Heimat in irgendeiner Form ver‐ lustig (Und erst jüngst haben Interpreten des Dramas das begehrte Gut des Gol‐ denen Vließes auch als imperiales Symbol der Habsburger Herrschaft be‐ griffen. 154 ). Grillparzer erzählt damit die Zeitgeschichte Zentraleuropas als quasi-koloniale Tragödie, die zur Entfremdung beider Seiten führt und zum Entstehen einer bedenklichen dritten Partei, hinter der man Metternich und / oder Preußen vermuten darf. Das goldene Vließ geht jedoch in seinem dekonstruktiven Spiel mit den zu‐ grundeliegenden Identitäts- und Alteritätspositionen auch über diese mögliche historische Verortung hinaus und erhebt sie strategisch ins Allgemeine, denn in der Mythologisierung besteht auch eine gewisse Absicherung des Bieder‐ meier-Autors gegen ein Zuviel an Politik. Selbst kann sich der österreichische Autor indes nicht dem Geist seiner Zeit entziehen und - zumindest in seinen Ego-Dokumenten - aus der gleichsam dünn gewordenen zivilisatorischen Haut seiner Fremd-Wahrnehmungen heraus; so gesehen führt seine dunkle Medea B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 149 155 Mit dieser Metapher aus der Psychotherapie sei sowohl das Zerbrechen der kolchischen Familie im ersten und zweiten Teil der Trilogie als auch das missglückte Ehe-Experi‐ ment von Jason und Medea im letzten umrissen. Vgl. dazu etwa auch STEPHAN 2006: 70 zur Kollision alter und neuer „Familienordnungen“ im Goldenen Vließ. auch einen Stellvertreterkrieg in der Familien-Aufstellung 155 seines Groß‐ dramas. B.1. „Fremde sind wir uns selbst“: Franz Grillparzer 150 1 ALTENBERG 1897 / 2008: 10. 2 BARKER 1998: 110. 3 FOSTER 1993: 39. 4 Die Datumsangaben variieren in der Sekundärliteratur, wie schon DIETRICH 2004: 204 bemerkt hat; vgl. dazu auch die Quellennachweise in Fußnote 8. 5 Zur Geschichte dieses Wiener Zoos vgl. SCHWARZ 2001: 125 ff. 6 BARKER 1998: 110. 7 Ebd. 8 Vgl. FOSTER 1993: 43; MICHLER 1999: 353 f.; HENNINGER 2006: 21. 9 Vgl. ALTENBERG 1897 / 2008: 14. B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenbergs Alterität in Ashantee (1897) Wie im Paradiese ist es eigentlich, wo Men‐ schen und wilde Thiere - - (P.A.) 1 1. Kontaktzone mit dem Kolonialismus: ein „Neger-Dorf“ in Wien „So unglaublich dies heute scheinen mag, es wurde im Sommer 1896 zur Un‐ terhaltung der neugierigen Bewohner der Hauptstadt Österreich-Ungarns eine Wanderausstellung des Aschanti-Volkes im Tiergarten des Wiener Praters ver‐ anstaltet.“ 2 So fasst Andrew Barker das skandalon zusammen, das auch ein an‐ derer Interpret aus dem englischen Sprachraum „shocking“ 3 findet: Etwa siebzig Menschen wurden zwischen Juni / Juli und Oktober 1896 4 unter dem Titel Die afrikanische Goldküste und ihre Bewohner in einem österreichischen Zoo, dem „Thiergarten am Schüttel“, 5 zur Schau gestellt, während „in ihrer Heimat […] ein Stammeskrieg tobte“, wie Barker politisch etwas antiquiert tribalistisch formu‐ liert. 6 Auf diese Weise sollten die Afrikaner / innen jedenfalls „viele Monate in Wien verbringen, bevor sie […] zur nächsten Station ihrer langen Heimreise aufbrachen.“ 7 Zum Gaudium von ca. einer halben Million zahlender Besucher / innen 8 mussten die dunkelhäutigen Männer und Frauen jeden Alters in einem künst‐ lichen „Neger-Dorf “ im Prater wohnen, in Hütten, die sie sich laut kolportierter Eigenaussage 9 selbst so nicht gebaut hätten und die wohl eher dem Geschmack 10 Vgl. PLENER 2001: 2. 11 Vgl. MICHLER 1999: 375. 12 Vgl. dazu v. a. MERGENTHALER 2005: 21 ff.- DIETRICH 2004: 206 schreibt, „die ver‐ meintliche Authentizität“ werde hier „auf das Schärfste mit der evidenten Inszeniertheit der afrikanischen Schaustellung kontrastiert“. Vgl. auch HONOLD 2006: präsentiert werde „nicht das Fremde selbst, sondern seine Auftrittsbedingungen“ (307; Hervorh. im Orig.). 13 Vgl. Volker Barths Analyse des Orientalismus auf der Pariser Weltausstellung 1867: „Gefragt war das pure und somit unverdorbene Fremde; ein Fremdes ohne Vermi‐ schungen und Überschneidungen, das sich seinen ursprünglichen und authentischen Charakter bewahrt hatte“ (BARTH 2004: 32). „Schematisierung“ und „Stereotypisie‐ rung“ seien die „Voraussetzung für die Transformation des Fremden zum Spektakel“ (ebd. 33, vgl. 43); es werde „mit festen Attributen versehen“, „auf eine kleine Anzahl feststehender Symbole reduziert“ (ebd. 39). „Die Ausstellung“, so Barth weiter, „zeigte ein Fremdes, dessen gesellschaftliche Regeln und kulturelle Formen unveränderbar waren (ebd. 42); andererseits unterwarf sie sich „den Ansprüchen des Publikums und war je nach Situation veränderbar“ (ebd. 45). 14 Vgl. DIETRICH 2004: 204. 15 HONOLD 2006: 320. 16 Vgl. DIETRICH 2004: 202 ff.; JACOBS 2002; u. a. 17 Vgl. dazu FOSTER 1993: 40 ff.; MICHLER 1999: 351-399; SCHWARZ 2001; weiters THODE-ARORA 1989; BANCEL u. a. 2002; GREWE 2006; BALME 2007; DREES‐ BACH 2012; u. a. 18 Vgl. etwa die Analyse des ‚ruhiggestellten‘, dichotomisch dem Westen entgegenge‐ setzten ‚Orient‘ in Paris 1867 bei BARTH 2004. 19 Vgl. dazu PRIDDIS 2007; HAMMERSTEIN 2007: 173 ff.- Zum Konzept von „male“ / „colonial“ / „imperial“ „gaze“ bzw. von Blickregimes vgl. MULVEY 1975 / 85; JAY 1988; KAPLAN 1997: v.a. S. 4, 22, 299. der mitteleuropäischen Publikums als ihrem eigenen entsprachen. Auch in Bu‐ dapest fand eine derartiges event statt - wie man heute dazu wohl sagen würde - und in Wien wurde es wegen großen Erfolgs 1897 noch einmal wiederholt: 10 In einer Art ethnografischer Peep-Show, die das touristische Prinzip kolonial umstülpt - die Betrachteten kommen zu den Betrachter / innen und nicht um‐ gekehrt- konnte das zahlende Publikum quasi als teilnehmende Beobachter / innen 11 am Leben der zur Schau gestellten Afrikaner / innen partizipieren. Evi‐ dent wird hier freilich auch der manipulative Inszenierungscharakter 12 des Spektakels, das vorgeblich der vergnüglichen Volksbildung dient und dabei ein eigentümliches Spannungsverhältnis zwischen der Urbanität des Ausstellungs‐ ortes und dem unfreiwilligen Exotismus der Exhibierten - ihrer angeblichen Authentizität 13 - schuf: 14 „Going native, aber mit Trambahnanschluß.“ 15 Das Aschanti-Dorf reagiert auf den zeitgenössischen Exotismus 16 und ist ein eindringliches Beispiel für die Problematik der zeitgenössischen „Völker‐ schauen“ 17 bzw. „Weltausstellungen“ 18 und den ihnen zugrundeliegenden vo‐ yeuristischen Rassismus der Epoche, den der männliche imperiale Blick 19 in B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 152 20 SCHWARZ 2001: 134.- MIGUOUÉ 2017: 35 sieht den Menschenzoo als allegorische Darstellung des Imperialismus bzw. Kolonialismus, „als Unternehmen des Domestizie‐ rens der Welt“. 21 MICHLER 1999: 361. 22 Ebd. 362. 23 Vgl. SCHWARZ 2001: 134 f. 24 Ebd. 139. 25 FRANCESCHINI 1896. 26 Vgl. HONOLD 2006: 319. 27 So der Titel eines Textes von Theodor Herzl zum Thema (wieder abgedruckt in: HERZL 1911: 152-158). 28 SCHWARZ 2001: 133 moniert zu Recht die „Selbstverständlichkeit, mit der dieser Prä‐ sentationsort akzeptiert wurde“; vgl. auch ebd. 135. 29 FRANCESCHINI 1896. 30 Vgl. etwa SCHWEIGER 2015: 99. doppelter Hinsicht repräsentiert. Ihm die Aschanti auszusetzen, kann mit Werner Michael Schwarz „als eine Art visueller Aneignung der Welt im Zuge des Ko‐ lonialismus“ 20 verstanden werden. Zusätzlich hat Werner Michler in seiner Studie Darwinismus und Literatur (1999) auf die veränderte Situation der Anth‐ ropologie nach Darwin hingewiesen, wodurch „Grenzen, die den Menschen zum Menschen machen, fließend“ (dem Tier gegenüber) werden; 21 diese diskursive Unterfütterung der Völkerschauen erklärt auch - ohne ihn entschuldigen zu können - den gewählten Ausstellungsort im Zoo. Außerdem verweist Michler auf den „Systemzwang des darwinistischen Paradigmas, das mit einer gewissen Logik zu Kolonialismus und Imperialismus in ein legitimatorisches Verhältnis geriet“. 22 In diesem Sinne zelebriert die Zurschaustellung fremder Menschen ex negativo die vermeintliche Überlegenheit der weißen Rasse und ihrer liberalen Werte 23 gegenüber den - gemäß ebenjener darwinistischen Logik - „zum Schwinden verurteilten Völker[n]“. 24 Im kulturellen Gedächtnis Österreichs ist das „Aschanti-Fieber“ 25 der Wie‐ ner / innen von anno dazumal vor allem sprachlich hängen geblieben: werden doch in der hiesigen Umgangssprache Erdnüsse bis zum heutigen Tag „Aschanti“ genannt, 26 auch wenn dieser Term zunehmend Gegenstand poli‐ tisch-korrekter Revision wird. 1896 indes erfuhr das Projekt des afrikanischen „Menschengarten[s]“ 27 in Österreich-Ungarn erstaunlich wenig humanistische Kritik, 28 wohl aber regte sich Skepsis gegenüber dem manipulativen Charakter der Völkerschau. So mutmaßte etwa der Wissenschaftsredakteur des Neuen Wiener Tagblatts, dass die Zurschaugestellten in Wirklichkeit aus dem Sudan stammten und ihr „Häuptling“ „ein Kohlehändler aus Kairo“ sei. 29 Auch wenn die Herkunft (und spätere Heimkehr? ) der Afrikaner / innen nie eindeutig veri‐ fiziert werden konnte, 30 so wird sie gemeinhin immer noch dem Ashantee-Ge‐ B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 153 31 „Warum gerade die Aschanti? […] 1895 hatten die Briten eine ‚Strafexpedition‘ in das Innere des ‚Aschantilandes‘ durchgeführt, offiziell, um den Menschenopfern ein Ende zu bereiten. Der König wurde vertrieben und im Königreich eine britische Militärprä‐ senz installiert.“ (SCHWARZ 2001: 147; vgl. auch ebd. 159 f. und MICHLER 1999: 351.)- Weltpolitische Aktualität ist jedoch sicher nicht der Hauptgrund für die Schau, siehe dazu im Folgenden. 32 HONOLD 2006: 310. 33 Vgl. SCHWARZ 2001: 140, 202. 34 PRATT 1992: 4; vgl. HAMMERSTEIN 2007: 102. 35 PRATT 1992: 5. 36 P LENER 2001: 3. 37 Vgl. HENNINGER 2006: 20 u. MIGUOUÉ 2017: 35; zum Konzept der Liminalität vgl. auch ACHILLES/ BORGARDS/ BURRICHTER 2012 u. MÜLLER-FUNK 2013.- Ich verweise an dieser Stelle auch auf mein im Entstehen begriffenes englisches Buchpro‐ jekt Grenzwertig: Liminality as a Critical Concept in (Austrian) Literary and Cultural Studies, in das auch Überlegungen zu Grillparzer und Altenberg einfließen werden; als weitere Vorarbeit dazu versteht sich RUTHNER 2010. biet im heutigen Ghana zugeschrieben - und damit einer jener Stammesnati‐ onen, die sich der britischen Kolonisierung im 19. Jahrhundert noch lange mit Waffengewalt widersetzen konnte. 31 In seiner mit jeglichen Menschenrechten unvereinbaren Grundsituation der Zurschaustellung konstituiert der Aschanti-Zoo im Prater-Tiergarten aber auch ein perverses kulturelles Medium 32 bzw. eine Art virtueller 33 Realität avant la lettre. Mit der postkolonialen Terminologie von Marie-Louise Pratt wäre dieser Ort ebenso als eine denkwürdig künstliche, koloniale wie phantasmatische „Kontaktzone“ zu beschreiben, d. h. ein sozialer Raum „where cultures meet, clash and grapple with each other, often in contexts of highly asymmetric rela‐ tions of power“. 34 Auffällig ist dabei - wie die folgenden Textbeispiele zeigen werden - die Diskrepanz „between integrative acceptance of the cultural and ethnic Other as fellow human being on one hand and colonial discourse con‐ firming white European hegemony on the other“. 35 Es ist auch durchaus legitim, mit Peter Plener zu fragen, „inwieweit der sog. ‚Exotismus‘ des Publikums in der Monarchie sich an Brechungen eines ‚Kolonialismus des Imaginären‘ ent‐ lang orientierte“ 36 - zumal ja Österreich-Ungarn selbst keine Kolonialmacht im engeren Sinn war, wohl aber als Vielvölkerstaat Strukturen eines Binnenkolo‐ nialismus aufweist (vgl dazu Kap. A.1 dieser Arbeit). Die „Kontaktzone“ im Wiener Prater wird jedenfalls zum liminalen 37 Ort einer schiefen Begegnung: Wie Volker Mergenthaler gezeigt hat, war das inszenierte B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 154 38 Mergenthaler ist einer der wenigen Interpreten, die auf den semantischen Unterschied zwischen der Stammesnation Ashantee und den Bewohnern, den Aschantis, eingehen (MERGENTHALER 2005: 18). Vgl. etwa auch einen der ersten ethnografischen Be‐ richte, der festhält: „The empire of Ashantee is not so much one State immediately under one government, as an assemblage of states owing a kind of feudal obedience to the sovereign of Ashantee.“ (BEECHAM 1841: 86) 39 Zitate n. ALTENBERG 1897 / 2008: 5. - ‚Clerk‘ wird hier fälschlich mit a geschrieben. 40 MERGENTHALER 2005: 19 ff. 41 Ebd. 30. 42 Auch genremäßig sind im Aschantidorf „the dividing lines between circus, zoo, exhi‐ bition and theatre“ verwischt (FOSTER 1993: 43). 43 MERGENTHALER 2005: 36. 44 PLENER 2001: 3. „Negerreich“ Ashantee 38 durch „schwarze Netz-Gitter und d[ie] staubigen Sy‐ ringen“ sowie ein „Schweizer[! ]häuschen, in welchem der Clark saß und eine Birne speiste“, 39 von der Wiener Außenwelt abgegrenzt; die Konsumation des event ist freilich interaktiv, können doch die zahlenden Besucher / innen mit den Bewohner / innen kommunizieren und letztere auch ihr Dorf verlassen und sich in Wien mehr oder minder frei bewegen. 40 Mergenthaler konstatiert hier die „Semipermeabilität“ 41 der Absperrung im Zoo, muss allerdings hinzuzufügen, dass die „Schlußfolgerung, mit der Ermöglichung von Grenzüberschreitungen 42 würde die binäre Raumordnung aufgehoben“, verfrüht sei. 43 Die Kontaktaufnahme zeitigt freilich ab und an durchaus handfeste Folgen in diesem „Streichelzoo für Erwachsene“, 44 wobei die ‚weiße‘ Ordnung nach bei‐ derseitigen Transgressionen wieder hergestellt werden muss - im folgenden Fall durch Polizei und Bezirksgericht: Am 22. September besuchte die […] Cassierin Hermin Schandl, ein neuzehnjähriges hübsches Mädchen, in Begleitung einer Freundin den Wiener Thiergarten. Mit großem Interesse besichtigten die Mädchen das Aschantidorf, und als sie dasselbe betraten, war die heutige Angeklagte, die 28jährige Jabolei Domeï, die Gattin des Häuptlings Kuaku, mit der Bereitung des Ma[h]les für ihre Angehörigen beschäftigt. Hermine Schandl machte ihre Begleiterin auf die sammtweiche Haut der Häuptlingsfrau auf‐ merksam, und, einem natürlichen [! ] Gefühle nachgebend, strich sie mit der Hand liebkosend über den entblößten Rücken der Negerin. Madame Domeï faßte aber die Liebkosung, die ja nur eine Art handgreiflichen Lobes ihrer exotischen Schönheit sein konnte, sehr schief auf; sei es, daß sie sich in ihrer Frauenehre verletzt fühlte, sei es, daß ihr die Störung während des wichtigen Kochgeschäftes unbequem war - kurz, sie fuhr mit der Rechten in das Gesicht der ganz erschrockenen Besucherin und brachte derselben mit den Nägeln - eine Waffe, die auch in der weiblichen Aschantiwelt eine B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 155 45 ANONYM 1896. Vgl. dazu (sowie auch zu weiteren Fällen) MERGENTHALER 2005: 38 ff.; SCHWARZ 2001: 154 ff.; 46 Vgl. etwa McCLINTOCK 1995; STOLER 2010. 47 Vgl. etwa (das zur Missionierung aufrufende) Buch von BEECHAM 1841: insbes. S. 114 ff. 48 Vgl. SCHWARZ 2001: 149 ff.; SCHWARZ 2004: 63; DIETRICH 2004: 202. Rolle zu spielen scheint - eine fünf Centimeter lange Kratzwunde auf der rechten Backe bei. Die Attaquierte lief zur Polizei, […]. 45 Interessant ist hier das transkulturelle gendering menschlicher Handlungen (Kochen und Kratzen), das für ein offenkundig dominant männliches Lesepub‐ likum im leicht satirischen Tonfall dieser Pressemeldung ridikulisiert wird - Evidenz für das intersektionale Ineinander von Geschlecht und kultureller An‐ dersheit gerade in kolonialen Kontexten. 46 Gleichzeitig bricht in diesem Text aber auch die domestiziert geglaubte „Wildheit“ der Aschanti durch, die in frü‐ heren ethnografischen Berichten zum stehenden Repertoire ihrer Beschreibung gehörte: 47 etwa die Fakten - oder vielmehr Topoi -, dass sie Sklavenhalter seien und darum Kriege führten, ihre Kriegsgefangenen grausam massakrierten sowie ihre Frauen (Polygamie! ) und Kinder vernachlässigten. Diese marker man‐ gelnder ‚Zivilisation‘ sind in Repräsentationen des afrikanischen Anderen in Österreich-Ungarn 1896 / 97 jedoch meist verschwunden, auch wenn sie wie im zitierten Zeitungsbericht kurz aufflackern. Das Interesse des zahlenden Publi‐ kums liegt offenkundig woanders - statt gefährlich barbarisch werden die Aschanti eher als exotisch erotisch wahrgenommen, 48 wofür die zeitgenössische Presse beredt Zeugnis ablegt. So beklagt sich etwa Gabor Steiner, auf dessen Initiative die Errichtung des Themenparks (avant la lettre) Venedig in Wien 1895 und des Riesenrads 1896 / 97 zurückgehen: Trotz aller künstlerischer Ambitionen muß ich mit Betrübnis konstatiren, daß die ‚Aschanti‘ im Tiergarten eine stärkere Anziehungskraft ausübten als mein schönstes Programm. Die ‚Aschanti‘ waren in Wien populär! […] Freilich erzählte man sich Schauergeschichten, von denen aber doch ein Teil der Wahrheit entsprach! Während sich die Herrenwelt für die ‚Aschanti-Weiberl‘ nicht zu interessieren schien, war ein Teil der Wienerinnen - gottlob nur ein kleiner Teil! - geradezu toll nach den ‚schwarzen Gesellen‘, die mit Geld und Geschenken von der Damenwelt überhäuft wurden. Man erzählte viel von den galanten Abenteuern der schwarzen Kavaliere, von denen ja so vieles erfunden zu sein schien, aber einiges weiß ich aus positiver Quelle, nämlich von den Herren des Praterkommissariats. So hat man einmal eine Hofrätin in einer Seitenallee des Praters mit einem Neger in sehr verfänglicher Situ‐ B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 156 49 In: Illustrierte Wochenpost v. 5. 12. 1930, zit. nach PLENER 2001: 2. 50 GILMAN 1985: 79 ff. 51 Zit. n. FOSTER 1995: 340 (Orthografie u. Hervorheb. wie im Orig.). Vgl. dazu SCHWARZ 2001: 174 ff.; GILMAN 1985: 119 et passim.; zur Identifikation bzw. Ver‐ gleich von „subordinated segments of the population“ mit dem Primitiven vgl. TOR‐ GOVNICK 1990: 18. 52 Vgl. SCHWARZ 2001: 168 ff. 53 BARKER 1998: 110; vgl. FOSTER 1993: 45. 54 Vgl. SCHWARZ 2001: 149 ff. u. SCHWARZ 2004: 63. 55 BALME 2007: 70. 56 Ebd. 71. Vgl. dazu auch SCHWARZ 2004: 56. ation erwischt und die Ärmste mußte dem Wachorgan auf das Kommissariat folgen. 49 Dieser veritable Ausbruch von Penisneid koinzidiert mit Sander Gilmans Be‐ obachtungen zur Obsession des Fin de siécle mit der phantasmatischen und pa‐ thologisierten ‚animalischen‘ Sexualität afrikanischer Menschen 50 - auch wenn wir seinen mitunter großflächigen Verallgemeinerungen nicht in jeder Hinsicht folgen wollen. Fakt ist aber auch ganz in seinem Sinn, dass angesichts der Aschanti in der Publizistik gelegentlich auch rassistische Vergleiche mit der örtlichen jüdischen Bevölkerung gezogen werden, wie etwa im Kikeriki vom 8. Oktober 1896: „Die Fetisch-Tänze der Aschanti-Wilden, die jetzt für Wien die great attraction bilden, nennt eure Judenpresse unvergleichlich. Wir aber finden, wie auch leicht aufzeiglich, in nächster Nähe ein Vergleichsobjekt.“ 51 Aber auch mehr oder weniger phantasmatische Presseberichte über angebliche schwarze Wiener Babys finden sich. 52 Die afrikanische Präsenz in Wien regte somit in jeder Beziehung das kollek‐ tive Imaginäre bzw. politische Unbewusste der Wiener / innen an. Andrew Barker meint, es bestehe „kaum ein Zweifel daran, daß viele Besucher nicht so sehr aus anthropologischem Interesse kamen, sondern vielmehr aus lüsterner Neugierde, ‚nackte Wilde‘ zu sehen und sich unter sie zu mischen“; „die Nähe der deutschen Völkerkunde zur sanften Pornographie […] in den pseudo-wis‐ senschaftlichen Studien der Zeit“ sei „wohldokumentiert“. 53 Entlastet, ja legiti‐ miert wird das erotische Interesse durch einen allgemeinen Diskurs über die „Schönheit“ der schwarzen Körper sowie durch den institutionell-populärwis‐ senschaftlichen Rahmen des Zoos. 54 Christopher Balme hat auf „eine zum Teil stark emotionalisierte Debatte um das Schauen“ hingewiesen, die entlang sozialer Verwerfungslinien stattfinde: 55 Zur Jahrhundertwende opponiere die neue massenkulturelle „Schaulust“ des Proletariats einer „bildfeindliche[n] Leitkultur“ des Bürgertums, die Visuelles nur als Illustration von Bildungsgütern zulasse. 56 Im Praterzoo wird beides be‐ B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 157 57 SCHWARZ 2001: 167. 58 Vgl. SCHWARTZ 1999. 59 SCHWARZ 2001: 142, vgl. 202. Vgl. BALME 2004: 49 (anhand des Orientalismus der Pariser Weltausstellung 1867). 60 Vgl. ANDERSON 1988. 61 Diese soziale Hierarchisierung der weißen Besucher / innen wird auch in Peter Alten‐ bergs im Folgenden analysierten Ashantee-Buch thematisiert, vgl. DIETRICH 2004: 206. 62 SCHWARZ 2001: 134; vgl. BANCEL u. a. 2002: 430. 63 BANCEL u. a. 2002: 15. 64 HONOLD 2006: 319. 65 So z. B. Wilhelm Gause (1853-1916), vgl. HAMMERSTEIN 2007: 104 f. Zu den Aschanti-Fotografien vgl. etwa MERGENTHALER 2005: 39 ff.; SCHWARZ 2001: 180 ff. dient, wobei wiederum die Preispolitik ermäßigter Eintrittskarten an be‐ stimmten Wochentagen auch als Instrument sozialer Segregation fungiert. 57 Allgemeiner gesprochen, liegt in Anlehnung an Vanessa Schwartz’ Analyse po‐ pulärer Massenkultur in Paris um 1900 58 der Verdacht nahe, dass auch im Wiener Tiergarten „spectacular realities“ halfen, „die Erfahrungen des urbanen Lebens zu verarbeiten“, sich vom ‚nervösen‘ Alltag der Wiener Moderne an gestellten Bildern der ‚Ursprünglichkeit‘ und des exotischen Abenteuers zu entspannen und den Betrachter als Teil einer gemeinsamen Kultur und gemeinsamer Er‐ fahrungen zu imaginieren“: 59 Konstituierung einer imagined community im Sinne von Benedict Anderson, 60 die von einer klaren Dichotomie des überle‐ genen Eigenen und des (wiewohl attraktiven) primitiven Fremden ausgeht und letzteres aus der Kolonie an einen Vergnügungsort (nicht nur) imaginärer ‚plea‐ sures‘ verweist - wobei sich das Eigene auch aufgespalten zeigt in ein hegemo‐ niales Bildungsbürgertum und quasi sein ‚eigenes Anderes‘, d. h. das den Afri‐ kaner / innen phantasmatisch ‚näher‘ stehende Proletariat sowie die Frauen und Kinder, die mit den Zurschaugestellten mitunter auch physisch (s. o.) inter‐ agieren. 61 Es ist kurz gesagt ein Aneignungsprojekt der Welt im Zuge eines äu‐ ßeren wie inneren Kolonialismus, 62 „pour contempler le spectacle de la diffé‐ rence“. 63 2. Die Reaktion des Literaten: ein „situationistisches happening“ 64 ? Die Anwesenheit afrikanischer Menschen setzte aber nicht nur in der Wiener Bevölkerung Phantasmen sondergleichen in Bewegung, welche die Presse jener Zeit medial bereitwillig bediente; sie rief auch Fotografen und Künstler 65 sowie den Autor Peter Altenberg (eigentlich: Richard Engländer, 1859-1919) auf den Plan: ein stadtbekanntes Original, Schnorrer, Lebenskünstler und „Edelanar‐ B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 158 66 SCHAEFER 1992: 14. 67 Vgl. dazu - gerade in Hinblick auf den Ashantee-Text - KOPP 2008. 68 Richard A. Bermann 1919, zit. n. ebd. 208. 69 FRIEDELL 1919: 10. 70 BARKER 1998: 115; MICHLER 1999: 375; SCHWEIGER 2015: 99.- Zu Malinowskis Buch Argonauts of the Western Pacific (1922) und den erotischen Verwirrungen des For‐ schers vgl. TORGOVNICK 1990: 227 ff. 71 Er scheint, wie noch zu zeigen ist, auf jeden Fall angebrachter, als wenn etwa Alexander Honold die Tatsache, dass Altenberg im Afrika-Dorf nahezu wohnte - was von den Veranstaltern so wohl kaum vorgesehen war - „mit dem unbefugte[n] Wohnen im Regal eines Obst- und Gemüsehändlers“ vergleicht (HONOLD 2001: 148). 72 Im Folgenden wird daraus nach der Ausgabe ALTENBERG 1897 / 2008 mit der Sigle A und Seitennachweis im Lauftext zitiert. 73 MICHLER 1999: 371. chist“, 66 zugleich Fin-de-siècle-Meister der kleinen Prosaform, deren ephemere bis epiphane Skizzenhaftigkeit mit ihren Auslassungsstrichen - ein „Tele‐ grammstil der Seele“ (so auch der Titel von Barkers Biografie) - als Inbegriff des literarischen Impressionismus 67 gilt und ihren Autor in der Rezeption zum „by‐ zantinische[n]“ Stenografen einer „Verfallszeit“ 68 stilisiert hat. Oder, mit den Worten Egon Friedells aus seinem Nachruf auf Altenberg 1919: Er hat in seinen kleinen, hingetupften Bildchen eine Art Topographie der heutigen Gesellschaft entworfen, an der man sich später einmal übersichtlicher und genauer orientieren wird als an dickleibigen Zeitromanen. Er zeichnete gewissermaßen eine Landkarte der Seelenverfassung der Jahrhundertwende. Man wird eines Tages in diesen tausendfächerigen Magazinen voll kleiner und kleinster Beobachtungen das wertvollste Aktenmaterial für eine Geschichte unserer Zeit entdecken. 69 Lange vor Bronislaw Malinowskis partizipierender Ethnologie 70 veröffentlichte Altenberg, bei dem sich - wie noch zu zeigen ist - der Begriff embedded observer aus mehreren Gründen aufdrängt, 71 1897 sein Bändchen Ashantee. 72 In 32 im‐ pressionistischen „Skizzen“, die seine Poetik der Verdichtung und Reduktion mustergültig - gleichsam als Gegenstück zur viel später postulierten „dichten Beschreibung“ von Clifford Geertz - verkörpern, begleitet hier der autobiogra‐ fisierende Erzähler (der abwechselnd „Peter A.“, „Herr Peter“ oder „Sir Peter“ genannt wird und später in die erste Person wechselt) die Aschanti vom vorher zitierten Eingangsbereich des Tiergartens in ihr Dorf bis zu ihrer Abreise; Werner Michler hat die kurzen Texte thematisch in „Information“, „Liebeshand‐ lung“ und „cultural clash“ eingeteilt. 73 Es ist, wie Alexander Honold schreibt, „das stilisierte Tagebuch eines unmöglichen soziologischen Experiments“, einer versuchten, obschon strukturell problematischen menschlichen Annäherung, B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 159 74 HONOLD 2001: 139. 75 Vgl. DIETRICH 2004: 206; SCHWARZ 2001: 191; MICHLER 1999: 363. 76 Vgl. PLENER 2001. 77 Vgl. ebd. 3 f. 78 Vgl. BARKER 1998: 114 ff.; FOSTER 1993: 48 ff.; GILMAN 1985: 112; GÖTTSCHE 2005: 173 ff.; HAMMERSTEIN 2007: 109; JACOBS 2002; PRIDDIS 2007: 1 ff.; SCOTT 1997; u. a. 79 Zit. n. DUBIEL 2005: 48. das „auf dramatische Weise die trennenden Grenzen sichtbar“ mache; 74 gleichsam als Nebenschauplatz zeigt es auch die soziale Stratifizierung der Re‐ aktionen der Wiener / innen. 75 Altenberg entwickelt offensichtlich ein Vertrauensverhältnis mit den Afri‐ kaner / innen, was zu engeren Beziehungen insbesondere zu einigen Mädchen führt. Der Erzähler wird, so hat es den Anschein, geradezu zum Mitbewohner der Aschanti; er bleibt oft lange in ihren Hütten und nimmt sie auch in die Stadt mit. Dabei ist eine doppelte Inszenierung festzuhalten, die den Text auch medi‐ entheoretisch interessant macht, was etwa seinen Niederschlag in der Analyse von Peter Plener 76 gefunden hat: Dem ‚Arrangement‘ des lebenden Menschen‐ materials durch das Tiergarten-Management folgt nämlich die mediale Insze‐ nierung durch den Erzähler-Autor auf den Fuß, der manchmal auch einen Fo‐ tografen als Verstärkung mitgebracht hat. Unser Fokus hier soll freilich ein anderer als ein medienwissenschaftlicher sein, der den Menschenpark der Jahrhundertwende etwa mit dem zeitgenössi‐ schen Panoptikum vergleicht; 77 vorgeschlagen wird eine postkoloniale Lektüre, die sich auf die dargestellten Beziehungen zwischen den Menschen und den dabei vorfallenden ‚Auslassungen‘ konzentriert. Dies soll auch helfen, Lücken einer bestehenden Debatte in der Sekundärliteratur zu schließen, inwieweit der Ashantee-Band von einem seiner zentralen Widersprüche zerrissen, ja dekonst‐ ruiert wird: der Spannung zwischen dem humanistischen Engagement Alten‐ bergs für eine menschenwürdige Betrachtung, eine persönliche Annäherung an das afrikanische Andere - jene Fremden, die er zumindest symbolisch aus dem Zoo befreit - und der unterschwelligen Reproduktion von (kolonialen) Stereo‐ typen, die das liberale Anliegen des Textes zu unterminieren droht. 78 Wie Hermann Hofer in einem konzisen Aperçu schreibt, ist Rousseau der heimliche „Komplize der Kolonialherren“. 79 Ähnlich erweist sich auch die Ur‐ sprungssuche des Wiener Autors im Tiergarten lediglich als Kehrseite rassisti‐ scher Bildwelten, wie sie durch das kollektive Imaginäre der Wiener Jahrhun‐ B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 160 80 „Topoi wie die Entfremdung des Kulturmenschen und die (gefährliche) Anziehungs‐ kraft unbekleideter Negerkörper auf junge Frauen gehören den immer wiederkehr‐ enden Diskurselementen“, schreibt etwa BALME 2007: 64 in Bezug auf die Völker‐ schauen. 81 FRIEDELL 1919: 11. 82 SCHWARZ 2001: 195. 83 Vgl. Fußnote 37. 84 Vgl. etwa HULME 1986, SCHERPE 2000 sowie Abschnitt B.1.3. dieser Arbeit. 85 Vgl. TORGOVNICK 1990. 86 Vgl. dazu etwa im britischen bzw. französischen Kontext FISCHER-TINÉ & MANN 2004 und CONKLIN 1997. dertwende geistern (s. o.); 80 darin hat sich etwa Egon Friedell in seiner bereits anzitierten Würdigung und Einschätzung Altenbergs von 1919 gründlich geirrt: Ein ganzes Buch handelt von den Aschantinegern, die zur Ausstellung nach Wien kamen. Der Dichter war von den schwarzen Frauen und Mädchen begeistert. Aber gar nicht ‚bukolisch‘, in törichter Rousseauscher Manier. Er entdeckt sie nicht als pri‐ mitive Naturgeschöpfe: solche Kindereien liegen ihm fern. Er entdeckt sie ganz im Gegenteil als höchst komplexe Seelen, mit Differenziertheiten, Abgründen und Hin‐ tergründen. 81 Wie zu zeigen ist, wird Altenbergs campaigning für die Aschanti aber auch durch das libertinäre Begehren der Erzählerfigur / des Autors gefährdet, das sich vor allem in dessen Aposiopesen ausdrückt. Denn der Ashantee-Band ist, wie Schwarz in seinem Buch Anthropologische Spektakel (2001) richtig anmerkt, nicht nur „Anleitung über den richtigen Zugang zu fremden Menschen und Kulturen“, sondern zugleich „Protokoll einer sexuellen Verführung“. 82 3. Diskurs & Dissens: Rousseau im Zoo In der Begegnung mit dem Fremden / Fremdheit, die von jeher liminal 83 ist, in‐ sofern sie eine Schwellensituation bezeichnet, deren Instabilität erst a posteriori z. B. in mythisierten first-encounter-Narrativen 84 ruhiggestellt wird, setzt sich vor allem in ihrer kolonialen Version ein diskursiver Konflikt narrativ fort, der bereits in der Aufklärung begonnen hatte: Auf der einen Seite steht jene Zivilisationsemphase, die die Angehörigen „primitiver“ 85 Völker wegen ihrer niedrigen Stufe in der Hierarchie der Kulturen bemitleidet (oder sie als blutrünstige ‚Barbaren‘ fürchtet) und sie deshalb pa‐ ternalistisch erziehen möchte - auch wenn jene civilizing mission, 86 der kultur‐ elle Vorwand jedes europäischen Kolonialismus und zugleich dessen wichtigstes Werkzeug zur Herstellung von Wissenshegemonie, ihr Ziel nie erreichen darf, worauf Homi Bhabha aufmerksam gemacht hat: Der koloniale Fremde darf dem B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 161 87 BHABA 1994: 86. 88 HONOLD 2001: 145. 89 Vgl. KRISTEVA 1988 / 1990; MÜLLER-FUNK 2002, 2016. 90 Zu diesem Begriff s.o., in Abschnitt B.1.9. der vorl. Arbeit. 91 TORGOVNICK 1990: 9. 92 Michler schreibt, Altenberg sei ein „später Erbe der Konzepte vom ‚guten Wilden‘ der Aufklärung, mit deren Texten er auch die didaktische Emphase teilt“ (MICHLER 1999: 380). europäischen Eigenen nicht ganz gleich werden, da sonst der Beweggrund seiner Beherrschung (und sein Exotismus als Konsumprodukt und Selbstbestä‐ tigung ‚weißer‘ Kultur) wegfällt; damit ist er einer asymptotischen Bewegung zum Eigenen hin ausgesetzt, die ihn maximal „the same, but not quite“ werden lässt. 87 Nicht in Altenbergs Aschantee-Text, sondern in einem Brief des Autors vom 22. August 1896 findet sich dies archetypisch in Gestalt der jungen Afrika‐ nerinnen dargestellt, die der Erzähler in die Oper und nachher ins Café mit‐ nimmt: Die Mädchen benahmen sich einfach grandios, so fein, so zart, aßen wie junge Eng‐ länderinnen, nur während des Soupers giengen sie Alle hinaus, ein Geschäftchen zu verrichten. Sie sagen das gerade heraus, wie kleine Kinder. (zit. n. A 93) Auf der anderen Seite des akkulturationsbedürftigen Fremden steht der Diskurs Rousseaus und seiner Jünger, mit dem sich die Aufklärung gleichsam selbst ab‐ schafft, indem sie die Natur als Ort der Unschuld feiert, die Kultur als Ort von Gewalt, Entfremdung und Dekadenz desavouiert und deshalb - neben dem Kind - auch den sog. Naturmenschen wegen seiner angeblichen Ursprungsnähe bewundert und ihn zum edlen Wilden heroisiert. Es wäre nur plausibel, dass zumindest westliche Begegnungen der Moderne mit dem Fremden jene unaufgelöste „Dialektik des Fremden“ 88 in der Aufklärung jeweils re-inszenieren und in die Tiefenpsychologie bzw. Wirkungsästhetik der Ambivalenz von Angst und Begehren übersetzen, in Rassismus oder Feti‐ schismus, wo der / die Fremde nie er oder sie selbst sein darf, sondern nur ein Negativbild, das vom Eigenen aus projiziert bzw. aus dessen Tiefe ausge‐ schlossen wird: 89 eine janusköpfige Gestalt oder, besser gesagt, ein Kippbild. 90 „The primitive“, schreibt Marianna Torgovnick in ihrer Studie zum Thema, „does what we ask it to do. Voiceless, it lets us speak for it. It is our ventriloquist’s dummy - or so we like to think.“ 91 Auch Altenbergs Annäherung an die afrikanischen Fremden ist vor dieser Diskurs-Dynamik nicht gefeit. Wenngleich er mit ihr mitunter selbstreflexiv umgeht, ist sein Anliegen doch Zivilisationskritik und Rousseauismus 92 als Ant‐ B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 162 93 RÖSSNER 2006: 178, 74; BARKER 1998: 114. 94 Das mit „Abschied von den Aschanti“ betitelte Feuilleton Altenbergs erschien in der Wiener Allgemeinen Zeitung vom 26. 10. 97 (wiederabgedruckt in A 111-113). 95 MICHLER 1999: 385. 96 HONOLD 2006: 320 spricht von Altenbergs Utopie, „zwischen Ausgestellten und Vo‐ yeuren eine Umkehr des Verhältnisse zumindest als möglich erscheinen zu lassen“. 97 GÖTTSCHE 2005: 164. wort auf der Krise des Ichs in der Wiener Frühmoderne; 93 ihm wird der virtuelle Raum des Aschanti-Dorfs im Wiener Prater-Tiergarten, wie er in einem Ab‐ schiedsfeuilleton für eine Zeitung resümieren wird, 94 zur „Oase der Romantik“ (A 111, 113) - ein Naturressort, das der Dekadenz und „Nachsichtslosigkeit“ der weißen Reichshauptstadt Wien gegenübergestellt wird: „Eine Regenera‐ tions-Cur hätte es werden können für die alte müde europäische Kulturseele.“ (A 113) Altenbergs „Interventionen“ betreiben „eine systematische Umwertung der zeitgenössischen Attribuierungen den Schwarzen gegenüber“, 95 die sich freilich zerrissen zeigt zwischen dem Anliegen, ihre antizivilisatorische Ursprungsnähe zu essentialisieren, andererseits ihre Gleichheit mit den weißen Besucher / innen herauszustreichen. Schon in der ersten Prosaskizze von Altenbergs Buch jeden‐ falls, betitelt „Der Hofmeister“, wendet sich die Titelfigur angesichts der Aschanti im Tiergarten an die beiden vom ihm betreuten Kinder und ermahnt sie: ‚Mache nur nicht gleich solche Abgründe zwischen Uns und Ihnen. Für Die, für Die. Was bedeutet es? ! Glaubst du, weil das dumme Volk sich über sie stellt, sie behandelt wie exotische Tiere? ! Warum? ! Weil ihre Epidermis dunkle Pigment-Zellen enthält? Die Mädchen sind jedenfalls sanft und gut. Komme her, Kleine. How is your name? ‘ ‚Tíoko - - -‘ (A 9) Interessant ist hier die Doppelung der Perspektive, die eine Dreieckskonstella‐ tion kreiert: Es spricht ein erwachsener Hofmeister zu zwei weißen Kindern über eine dunkelhäutige Heranwachsende. Im sozialen Verkehr mit dem Frem‐ den sollen bei Altenberg freilich - zumindest vordergründig - die Hierarchien verkehrt werden: 96 Die wahren Wilden sind jetzt das Wiener Publikum und, in seiner Mitte, l’homme mediocre, der mittelmäßige Mensch bzw. Mann (vgl. A 52 f.). Altenberg schreibt am 11. August 1896 an Ännie Holitscher in einem Brief, der ein veritables Arsenal „idealisierende[r] Topoi des exotistischen Dis‐ kurses“ 97 einsetzt: So war es im Paradiese. Nackte wunderbar gewachsene freie [! ] Menschen mit Frieden. Ich lerne viel dort. Bei den Aermsten ist das Himmelreich. Wenn sie vor ihren Hütten B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 163 98 Ebd. 162. 99 Um 1900 gab es eine Kultur des kommerziellen Aktfotos in Ansichtskartenformat, die z. B. der Wiener Aktionist Erwin Puls im 20. Jahrhundert gesammelt hat. Vgl. die Aus‐ stellung Die nackte Wahrheit und anderes - Aktfotografie um 1900 im Berliner Museum für Fotografie, Mai-August 2013; vgl. auch HOLZER 2015 sowie GRÖNING & PON‐ STINGL 2007. sitzen u. Perlen auffädeln sind sie entrückt, nichts hören sie u. sehen sie. Das Leben ist versunken. Elende Tiere der Cultur, ich verstehe nicht, dass ihr diese ‚Menschen‘ nicht als Euresgleichen ansehet! Nein ein Abgrund trennt sie von Euch, ihr frechen dummen eitlen verlogenen feigen Bestien! (zit. n. A 91) Ist es absurd, ausgerechnet „eine Völkerschau als Raum interkultureller Begeg‐ nung“ 98 auszuersehen, für eine menschlich emphatische Kontaktaufnahme im Zoo? Ist so die im Zitat emphatisch gepriesene ‚Freiheit‘ angesichts des offen‐ sichtlichen Arrangements der Afrikaner / innen durch das Zoo-Management wirklich erreichbar oder ist die männliche Reflektorfigur - um in der Sprache der deutschen Aufklärung und Romantik zu bleiben - ein fehlgeleiteter ‚Schwärmer‘? Wohl hat der Erzähler ein Bewusstsein von der Künstlichkeit des „Paradieses“ (ein Schlüsselwort in Ashantee), wenn er etwa eine ‚seiner‘ Afri‐ kanerinnen sagen lässt: ‚Wir dürfen Nichts anziehen, Herr, keine Schuhe, nichts, sogar ein Kopftuch müssen wir ablegen. Gib es weg, sagt der Clark, gib es weg. Willst du vielleicht eine Dame vorstellen? ‚Warum erlaubt er es nicht? ! ‘ ‚Wilde müssen wir vorstellen, Herr, Afrikaner. Ganz närrisch ist das. In Afrika können wir so nicht sein.‘ (A 14) Trotz seiner sichtlichen Empörung über die kommerziell-koloniale Ausbeutung der Afrikaner / innen und insbesondere über die - in Anbetracht des Wiener Klimas letztlich unmenschlichen - Kleidungsvorschriften gewinnt beim Er‐ zähler die Begeisterung die Oberhand, denn in der Inszenierung des künstlichen Paradieses obsiegt doch das ‚Natürliche‘, das mit männlichem Blick fixiert wird, den Altenberg hier expressiv verbis wie in der erotischen Gebrauchsfotografie 99 seiner Zeit (die gerne auch außereuropäische Frauen zeigte) als erotische ‚Natur‘-Aufnahme festhält: Die Baumgruppen standen wie Wolken auf dem Wiesen-Firmamente. Tíoko, im Garten, bebt, legt den dünnen heliotropfarbigen Katun über ihre wunderbaren hell‐ braunen Brüste, welche sonst in Freiheit und in Schönheit lebten, wie Gott sie ge‐ B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 164 100 SCHAEFER 1992: 11. 101 Vgl. SPIVAK 1994 / 2008; eine ausführliche Darstellung von Spivaks Theorem in Hin‐ blick auf Altenberg findet sich bei HAMMERSTEIN 2006. Vgl. auch GÖTTSCHE 2005: 176 ff. 102 Vgl. MICHLER 1999: 389. schaffen, dem edlen Männerauge ein Bild der Weltvollkommenheiten gebend, ein Ideal an Kraft und Blüthe. (A 12) Die Katalogisierung der weiblichen Schönheitsattribute wird fortgesetzt, wenn der „altösterreichische Frauenlob“ 100 Altenberg etwa mit Kennerblick in der Skizze Souper folgendes Profil einer jungen Afrikanerin erstellt, das (weiße) ethnische Stereotypen ebenso wie die Kunstgeschichte ironisiert: Akóschía. Slavischer Gesichts-Typus. Madonna von Hynais, böhmisch-französisch. Collier von tausend hellbraunen und dunkelbraunen Perlchen. Ohrgehänge. Tadel‐ loser Körperbau. Haut wie Seide. […] Akóschia lächelt - - - Ihre Toga gleitet herab. In ihrer ganzen Herrlichkeit sitzt sie da! Ich sage: ‚Akóschia ---.‘ ‚Yes, Sir - - -? ! ‘ (A 22) Altenbergs Dekonstruktion des Kulturunterschieds zwischen Schwarz und Weiß fußt nicht nur auf seiner rousseauistischen Begeisterung, sondern diese zeigt sich wiederum von einem bedenklichen Begehren angetrieben, das eines der vordergründigen Anliegen des Textes - die Parteinahme dafür, die Afri‐ kaner / innen nicht als Ausstellungsobjekt, sondern als Mitmenschen zu sehen - hintertreibt. Doch auch dieses campaigning und advocating ist per se verdächtig, spricht hier das weiße männliche österreichische Ich, der „Sir“, für die schwarze Frau: Can the subaltern speak? 101 Die Antwort lautet: Nein - und dort, wo sie dies tut, wird sie lediglich zum Sprachrohr des Erzählers. Die schwarzen Frauen - denn es ist nicht immer dieselbe, sondern gleichsam ein textueller Harem - werden eher nur zur Befriedigung der Neugier, ja zur Erwiderung der Bewunderung und Zuneigung von „Sir Peter“ ermächtigt, ansonsten sprechen sie wenig - vor allem nicht, wenn sie nicht gefragt werden. 102 Die Altenbergsche Arbeitshypothese - dass die freundschaftliche, ja liebe‐ volle Kontaktaufnahme mit dem / der Anderen auch (oder gerade? ) am Unort des Zoos gelingen möge - zeigt sich so durch mehrfach schiefe Verhältnisse falsifiziert. Die „tatsächlichen ökonomischen oder sozialen Zwänge“ der B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 165 103 GÖTTSCHE 2005: 163; vgl. HAMMERSTEIN 2006: 138 f. 104 DIETRICH 2004: 207. 105 MIGUOUÉ 2017: 41. 106 Vgl. SCHWEIGER 2015: 99. 107 SCHWARZ 2001: 196. 108 Ebd. 198. 109 MIGUOUÉ 2017: 42; vgl. KIM 2005: 2. 110 MIGUOUÉ 2017: 43. 111 SCHWARZ 2001: 197. 112 SCHWARZ 2004: 67. Aschanti bleiben ausgeblendet und der „Anspruch auf Gleichwertigkeit“ wird permanent unterlaufen; historische oder politische Hintergründe interessieren den eher essentialistisch argumentierenden Erzähler wenig. 103 Stephan Dietrich ist in seinem Resümee zuzustimmen, dass Altenbergs „Grenzverletzung“ schei‐ tert; „in dem Versuch, die Differenz zwischen Zivilisiertem und Primitivem zu tilgen, tritt dessen Alterität nur um so deutlicher hervor“. 104 Ebenso moniert Jean Bertrand Miguoué, dass „die Textperspektive […] immer noch Teil eines kon‐ servativen (Macht-)Dispositivs“ bleibe; die Skizzen, die sich selbstbewusst an der Nahtstelle von kolonialem und postkolonialem Erzählen situieren, dienten letzt‐ lich der „Ausbreitung eines paternalistischen Weltbilds“. 105 Damit ist Ashantee sowohl Dokument als auch Opponent des damaligen Kolonial-Imperialismus. 106 Mehr noch: Altenberg versucht, die Aschanti vom kollektiven Objekt der Wiener Schaulust zum singulären Subjekt seines Textes zu machen, um sie er‐ neut - und nicht nur literarisch - zu verdinglichen, 107 werden sie doch - wie Schwarz formuliert und im Folgenden exemplifiziert werden soll - in doppelter Hinsicht „zur exotisch-erotischen Projektion des ‚inneren‘ Zivilisationsflücht‐ lings“. 108 Zum einen haben Miguoué und David Kim auf den „Status des schrei‐ benden Subjekts als unterdrückten Unterdrücker“ 109 aufmerksam gemacht: „dass der trotz seiner Assimilation marginalisierte Jude die Lage der Ashanti instrumentalisiert, um sein eigenes Unbehagen in der österreichischen Gesell‐ schaft zu artikulieren“. 110 Zum anderen halte Altenberg „den sexuellen Konven‐ tionen der Gesellschaft das Bild des ‚Wilden‘ vor und bedient zugleich seine eigenen erotischen Obsessionen“; 111 damit wird der Sexus zum „Angelpunkt“ einer ohnehin schon problematischen „Utopie“. 112 4. Bedenkliches: pleasure & blessure des embedded observer In Ashantee ist es noch ein weiterer Topos, der dem rousseauistischen Denken entstammt, der die Fiktion „eines sanften, noblen, lernfähigen, emotional hoch‐ B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 166 113 JACOBS 202: 5. 114 MIGUOUÉ 2017: 41. 115 Vgl. SCHWARZ 2001: 192 f. sowie TORGOVNICK 1990: 8. 116 SCHWEIGER 2015: 99 schreibt: „Wie sehr Pädophilie in seinen ‚Beziehungen‘ mit ihnen [= den Aschanti-Mädchen, C. R.] eine Rolle spielte, bleibt eine Kontroverse.“ 117 TROGOVNICK 1990: 245. 118 MIGUOUÉ 2017: 51. 119 Ebd. 49. empfindsamen Menschentyps, mit dem eine tiefgehende Verständigung auf gleichwertiger Basis möglich ist“, durchkreuzt, 113 wenn der Erzähler den Tier- Vergleich der Rassisten damit zu dementieren sucht: „Neger sind Kinder. Wer versteht diese? ! “ (A 28) Diese „Infantilisierung“ geht freilich mit einer „Erotisierung des Anderen“ 114 Hand in Hand: Nicht nur im künstlichen Paradies des Tiergartens scheint die afrikanische ‚Naturfrau‘ nämlich geistig dem Kind 115 nahe und mit ihm alters‐ mäßig häufig ident; sie lässt sich betrachten, arrangieren, zum Essen ausführen, aber auch herzen und liebkosen - ein bedenkliches Vergnügen, das Altenberg in der heutigen Zeit wohl Untersuchungshaft einbringen würde unter dem Ver‐ dacht, ein pädophiler Sextourist im heimischen Prater sein zu wollen. 116 Nicht erst Torgovnick hat in ihrem Standardwerk Gone Primitive von 1990 darauf hin‐ gewiesen, dass eine „significant motivation“ hinter vielen kulturellen Konstruk‐ tionen des ‚Primitiven‘ der eher unlautere Wunsch nach körperlicher Annähe‐ rung und Vereinigung („the wish for ‚being physical‘ to be coextensive with ‚being spiritual‘“) sei. 117 Dies trifft im Falle Altenbergs sicher zu, auch wenn es sich komplizierter verhält, als man dies auf den ersten Blick vermuten möchte. Dazu eine weitere Stelle: Neun Uhr Abends. Die Thränen sind versiegt. Der Mond macht die Birken im Garten glitzern. Still sind die afrikanischen Hütten. Tioko’s Hütte ist finster. Monambô ruft mich. Ich trete in die Hütte. Auf dem Boden liegen Monambô, Akolé, die Wunderbare und Akóschia. Keine Polster, keine Decke. Die idealen Oberkörper sind nackt. Es duftet nach edlen reinen jungen Leibern. Ich berühre leise die wunderbare Akolé. ‚Go to Tíoko‘, sagt sie sanft, ‚du liebst sie.‘ Monambô, welche die Traurigkeit für Afrika aufspart, sagt: ‚Sir, morgen bringst du uns einen piss-pot; es ist zu kalt, um in der Nacht aus der Hütte zu treten. […]‘ (A 34) Die erotische (Harems- 118 )Phantasie des Erzähler-Sirs, die sich auf den Voyeu‐ rismus des Lesers überträgt - denn wieder einmal ist die Szene in ihrer Narration softpornoartig drapiert worden - wird von den zwei Afrikanerinnen „sanft“ auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Der Flaneur 119 im Zoo hat die falsche Frau berührt und die vom Tiergarten-Management oktroyierte Nacktheit macht B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 167 120 Vgl. HONOLD 2001: 141. 121 LUNZER & LUNZER-TALOS 2003: 86; vgl. auch die Kritik von HENNINGER 2006: 32 ff. 122 LUNZER & LUNZER-TALOS 2003: 86. 123 Es kommt MERGENTHALER 2005: 76 ff., das Verdienst zu, auf diese Auslassung ein‐ dringlich hingewiesen zu haben. Das Verschweigen des Relevanten in der Aposiopese sieht er mit Wilhelm Wackernagel, einem Literaturtheoretiker des 19. Jhs., als Auffor‐ derung an den Leser „weiter [zu] phantasieren“ (ebd. 55). einen Nachttopf erforderlich. Als Reaktion der Männerfigur - es ist wieder ein Ich-Erzähler geworden - erzählt uns der Text Folgendes: Ich küsste den drei Mädchen auf ihren harten Lagern die Hände. Akolé war zu schön. Ich kniete mich nieder, küsste sie auf die Stirne, die Augen, den Mund - -. ‚Go to Tíoko - - -‘‚ sagte sie sanft. Monambô, Akóschia verkrochen sich in ihren Kattunen. Als ich aus der Hütte trat, waren die Birken grau im Frühlichte und wie eins mit der nebligen Luft, welche nach feuchter Frische duftete - - -. (A 35) Die hier formulierte körperliche Zuspitzung folgt dem Stereotyp der (vermeint‐ lichen) sexuellen Verfügbarkeit schwarzer Frauen, 120 aber es erregen noch zwei Aposiopesen unsere weitere Aufmerksamkeit: Zum ersten die Auslassungs‐ striche, die Altenberg (so wie auch andere Wiener Jahrhundertwende-Autoren, man denke an das berühmte Beispiel von Schnitzlers Reigen) immer wieder als Zeichen einer parasprachlichen Choreografie im Text einsetzt. Sie markieren meist eine sprachlose Pointe, die auf eine unsichtbare Klimax zusteuert. Die zweite Aposiopese ist indes eine echte Auslassung; was nämlich zwischen den „Kattunen“ und dem einsetzenden Morgen geschehen ist, wird fast wie in einem Film überhaupt ausgeblendet: Hat der Ich-Erzähler die Nacht mit einem oder mehreren der Mädchen verbracht und was ist dabei vorgefallen? 121 Ebenso muss bei den textuellen Annäherungen „offen bleiben […], ob den Frauen und Mäd‐ chen derart intime Handlungen willkommen waren.“ 122 Sei es wie es sei, es bleibt ein unangenehmes Gefühl zurück, das von zahlreichen deutsch- und englisch‐ sprachigen Interpreten des Textes in falscher Prüderie eher überspielt, ja tak‐ tisch überlesen worden ist - in einer Auslassung gleichsam der Auslassung, die einer kritischen Analyse des Textes freilich nichts Gutes tut. 123 Aus den zahlreichen anderen Mädchen-Fällen sowie Selbst- und Fremdzeug‐ nissen aus Altenbergs Leben dürfen wir allerdings schließen, dass es ihm nicht um Penetration ging, zumal er den Phallozentrismus vor allem in den Bezie‐ B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 168 124 So schreibt Altenberg etwa einmal sehr aufschlussreich an Kraus: „In Folge deiner zahlreichen und in öffentlicher Gesellschaft und vor Fremden ge‐ machten Bemerkungen über meine ‚sexuelle Organisation‘, muß ich dir sagen, daß ich das Schicksal einfach tragen muß eines ersten ‚Menschen‘ im Affenreiche! Auch dort würde jemand (ein Affe), die Verkrüppelung der Hände zu Füßen, die aufrechte Haltung etc.etc.etc, ironisieren und für einen Mangel erklären! ! ! Bleiben wir ‚Baum-Kletterer! … ich halte Euch Alle… für armseligste, tief, tief bedauernswerte Organisationen, die unter dem Drang eines bedürfnisreichen Schwanzes das Weib ersehnen wie ein Scheißen-Müssender den Abort ersehnt! Ich weise es mit tiefer Entrüstung, mit hohn‐ lachender Verachtung zurück daß mir das mangle, was eine wahre Beziehung mit der Frau herstelle und wende diese Anklage viel mehr gegen euch! Meine tiefen Erkennt‐ nisse der Frau habe ich meiner edlen würdevollen Hungerlosigkeit zu verdanken, habe mit vielen, vielen Mädchen und Frauen poetisch wunderbare exzeptionelle und selig enttäuschungslose Beziehungen gehabt! Die seelische Anhänglichkeit, die innere Stim‐ mung und die Fähigkeit, in unermeßlicher Kraft nie raubender Liebe die Frau in ihrem Heiligtum zu Ende zu küssen, ist mehr und menschlicher als die egoistischen Aus‐ schleim-Bedürfnisses des Schwanzes! “ (Zit. n. SCHAEFER 1992 67; vgl. auch ebd. 56) Ob es sich hier um einen Lobpreis des Cunnilingus handelt oder um mehr idealisierende bzw. fetischisierende Formen, lässt sich an dieser Stelle nicht eindeutig beantworten. 125 SCHAEFER 1992: 39. 126 Ebd. 73. 127 Vgl. SCHAEFER 1992: 75; LUNZER & LUNZER-TALOS 2003: passim. 128 Vgl. GILMAN 1985: „this overtly ideological frame (Kritik an den Umständen im Zoo, C. R.), however, contains within it a complex set of textual references to the sexual nature of the black, references embedded in the observation of the narrative I / eye, Peter A.“ (112) 129 HONOLD 2001: 154. hungen seiner Freunde Karl Kraus und Adolf Loos scharf kritisierte. 124 Bei ihm indes sind die jungen schwarzen wie auch die zahlreichen weißen Mädchen ein „Rohstoff “ 125 für das Schwelgen in der Schönheit der Körper und ihrer „Bewah‐ rung“ 126 als Abbilder; kurz hingewiesen sei auf die umfängliche Fotosammlung des Autors, in der sich viele Halb- und Ganz-Aktfotos junger Frauen finden. 127 In der fetischistisch-identitären Inbesitznahme der ‚Geliebten‘ durch die Ver‐ längerung des Auges im Medium der Fotografie und der Schrift (Sander Gilman hat bei seiner Erörterung Altenbergs mit der englischen Homophonie von „I“ und „eye“ gespielt 128 ) tut sich jedoch eine weitere liminale Zone auf. Im „Dickicht der Widersprüche“ 129 dekonstruiert sich die Altenbergsche Dekonstruktion der Hierarchie von Natur und Kultur, vor allem, wenn sich in seinen Briefen zu‐ sätzliche Absichten zu enthüllen scheinen - wie weiland bei Akschia: Ge‐ danken, die im Aschantee-Buch eigentlich dem homme mediocre - dem mittel‐ mäßigen Mann - in den Mund gelegt werden (Vgl. A 53). Es ist die Phantasie, das bzw. die Andere materiell zu besitzen, die nicht in der literarischen Skizze, B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 169 130 Eine fast idente Wortwahl findet sich auch in Altenbergs Brief an Georg Engländer vom 16. 8. 1896 (zit. n. ALTENBERG / LENSING 2009: 74 f.) 131 Vgl. das entsprechende Kapitel in HULME 1986.- Das phantasmatische Erziehungs‐ projekt des Anderen findet in Altenbergs Text Die Primitive (auch von 1896) seine Pa‐ rallelaktion, wo es ähnlich wie bei den Aschantis von einem weißen Proletarier-Mäd‐ chen heißt: „Ihm war heilig, was ihr heilig war ---ihr schöner Körper. […] Es war Freiheit, Verständigung. Darum empfand sie für ihn. Ja, er war durch diese komplizierte Auslegung des Primitiven in ihr fast wie ein Erzieher.“ (Zit. nach LUNZER & LUNZER-TALOS 2003: 69) 132 FRIEDELL 1919: 11. wohl aber in besagtem Brief an Ännie und Helene Holitscher vom 11. August 1896 quasi als Subtext formuliert wird: meine geliebte kleine schwarze Freundin bringt mich in Welten, wo es kein Leiden gibt, nur seeliges Genießen. Wenn ich sie bei mir behalten könnte, sie kaufen, sie erziehen außerhalb der Convention, in ihrer süßen Wildheit, in ihrer Grazie. (Brief vom 11. August 1996, zit. n. A 90; Hervorh. im Orig.) 130 Und in einem Brief vom 22. August heißt es dann: „mich kostete dieser heilige Abend 7 fl., da aber mein Souper dabei war ich nichts zu Mittag ass, nur 5 fl. ---“ (A 93). Und schließlich am 27.08.: „Tioko ist die Dümmste, Uncultiviereste und Primitivste von Allen und eben darum liebe ich sie ganz anders wie die Anderen.“ (A 95) Die gegenkulturell eingesetzte Natur erweist sich damit nicht als ursprüng‐ lich, sondern einmal mehr als gemacht, ja günstig gekauft. Altenberg wird hier auch zum Möchtegern-Hofmeister, wenn er die Phantasie äußert, das Andere in seiner „süßen Wildheit“ zu „erziehen“ und sich libertinär heranzuzüchten, wie weiland Robinson und Freitag. 131 Die afrikanischen Fremden und ihre simulierte Ursprungsnähe werden damit zur literarischen wie erotischen Stimulations‐ quelle: Wie die süsse stumme [! ] Natur sind Neger. Dich bringen sie zum Tönen, weil sie selbst makellos sind. Frage was der Wald ist, das Kind, der Neger? ! Etwas sind sie, was Uns zum Tönen bringt, die Kapellmeister unseres Symphonie-Orchesters. Sie selbst spielen kein Instrument, sie dirigieren unsere Seele. (A 28 f.) Einmal mehr stellt sich auch die Frage, inwieweit den Fremden eine Stimme gegeben wird - und wofür. Dies deckt sich mit einer Beobachtung von Friedell, wenn er über Altenberg paternalisierenden Gestus aphoristisch schreibt: „Auch die Frauen sind Dichterinnen, aber stumme. Sie bedürfen des Dichters, um tö‐ nend zu werden.“ 132 Nüchterner fokussiert Christian Rößner auf jenes Moment des ‚stummen‘ Inspiratorischen in der ästhetizistischen Poetik des Autors: B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 170 133 RÖSSNER 2006: 178. 134 Zu diesem Begriff vgl. BALME 2007: 75. 135 RÖSSNER 2006: 178. 136 KOPP 2008: 144.- PRIDDIS 2007: 11 formuliert etwas überspitzt: „Altenberg seems to be a mixture between the colonial hunter and the urban progressive.“ 137 Vgl. MERGENTHALER 2006: 81 f.; HENNINGER 2006: 35. 138 HAMMERSTEIN 2006: 133 ff.; KIM 2005: 4, 8; MIGUOUÉ 2017: 46 f. 139 GILMAN 1985: 39 f. „Bergwiesen und Seeufer haben in der Prosa Altenbergs die gleiche Funktion wie die Erfahrung des Ashantidorfes: Es sind Imaginationsräume an den Rän‐ dern der ‚verdinglichten Welt‘, in denen noch ein Stück Natur aufscheint.“ 133 Die „ästhetische Kolonisierung“ 134 und ‚erotische‘ objectification der Aschanti-Mäd‐ chen dienen mit anderen Worten als Mittel gegen die Entfremdung der Welt in der Kultur der Moderne, worin freilich „das instrumentalisierte Verhältnis zum Primitiven […] deutlich“ wird. 135 Narratologisch von Bedeutung ist, dass die Textsammlung Aschantee jene liminale Zone ihres zentralen Widerspruchs, wo das Eintreten für die Fremden durch seine erotische wie ästhetische Inanspruchnahme unterminiert wird, in die Aufsplitterung seiner Erzählerfiguren in „Peter A“, „Sir Peter“ oder eine nar‐ rative Ich-Instanz, übersetzt: Diese Inszenierung eines Spiels der Masken des (’weißen’, männlichen) Subjekts und seines Begehrens in autobiografischer Fik‐ tion wird hundert Jahre später zum Kernfundus der literarischen Postmoderne zählen. Bei Altenbergs ist es gerade diese „Eigenart“ seiner „Kleinform“, die es ihm nach Kristin Kopp erlaubt, Widersprüchliches nebeneinander zu stellen“; 136 so liest sich nachgerade als implizite Selbstkritik des Erzählers, wenn in einer virtuellen Umkehrung der Schaustellungsperspektive der afrikanische Gold‐ schmied Nôthië zitiert wird: „Sir, wenn Ihr zu Uns nach Akkra kämet als Aus‐ stellungsobjekte (exhibited), würden wir nicht des Abends an eure Hütten klopfen! “ (A 57) Das narrative Vexierspiel der Erzählerfiguren macht eine Zuordnung - und Verantwortlichkeit im rechtlichen wie ethischen Sinn - schwer. 137 Die Abspal‐ tung der handelnden von den reflektierenden Figuren ist freilich auch typisch für pädophile Übergriffe und ihre Narration, wie uns klinische Psychologen glaubwürdig versichern. Wenige Jahre nach Altenbergs Text wird in der Wiener Jahrhundertwende ein weiterer liminaler Abgrund aufklaffen: Freuds Drei Ab‐ handlungen zur Sexualtheorie (1905) werden jene klare Grenze zwischen dem Erwachsenen als geschlechtlichem Wesen und dem asexuellen Kind durchlässig machen - und eine Grauzone der Ambivalenz 138 formulieren, in die Altenbergs Texte und vor allem die von ihm angelegten Fotografie-Serien hineinsteuern, worauf schon Sander Gilman in seinem Aufsatz hingewiesen hat. 139 Auch hier B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 171 140 FREUD 1980-89 V: 97. Vgl. dazu (bei Altenberg) SCHWARZ 2001: 197. 141 Vgl. LUNZER & LUNZER-TALOS 2003: 87. 142 Vgl. KRAUS 1913; dazu BARKER 1998: 119 u. RAHMAN 2008. 143 Vgl. HONOLD 2006: 305 ff.; vgl. BARKER 2003. wird das Kind von Freud mit der ‚Naturfrau‘ - bzw. der Proletarierin - gleich‐ gesetzt: Es ist lehrreich, daß das Kind unter dem Einfluß der Verführung polymorph pervers werden, zu alle möglichen Überschreitungen verleitet werden kann. Dies zeigt, daß es die Eignung dazu in seiner Anlage mitbringt; die Ausführung findet darum geringe Widerstände, weil die seelischen Dämme gegen sexuelle Ausschreitungen, Scham, Ekel und Moral, je nach dem Alter des Kindes noch nicht aufgeführt oder erst in Bildung begriffen sind. Das Kind verhält sich hierin nicht anders als etwa das unkul‐ tivierte Durchschnittsweib, bei dem die nämliche polymorph perverse Veranlagung erhalten bleibt. 140 In Ashantee findet die Erotik der Begegnung in jener für Altenberg charakte‐ ristischen Poetik der Aposiopese ihren unausgesprochenen und damit offenen Höhepunkt der Überschreitung. Wie sehr der schwärmerische männliche Pro‐ tagonist seine weiblichen Projektionsfiguren tatsächlich erotisch in Anspruch nimmt, d. h. missbraucht, bleibt damit dem detektivischen Blick weniger wohl‐ wollender Leser/ innen überlassen. In jedem Fall indes zeigt sich die Kampagne Altenbergs gegen Rassismus und für die vermeintlich natürlicheren Afri‐ kaner / innen untergraben durch ein Eigeninteresse, das die Kolonisierung der Natur durch die angebliche Kultur nur wiederholt 141 - nachgerade in Form eines erotischen Vampirismus. 5. Rilke, Kafka & Co.: weitere literarische Niederschläge der ‚Aschanti‘ Zum Abschluss empfiehlt sich noch ein kurzer Seitenblick auf andere literari‐ sche Texte, die als Reaktionen auf jenes denkwürdige event im Wiener Prater in die Kulturgeschichte eingegangen sind: Karl Kraus Glosse Ein Neger, in dem er auf die Ashanti anspielt, erscheint viel später (1913); rousseauistische Senti‐ mentalität ist ihm dabei nicht zu unterstellen, eher eine merkwürdige Mischung aus Antirassismus und Antisemitismus. 142 Aber auch Kafkas Ein Bericht an eine Akademie (1917) zeigt Spuren der Völkerschauen der Jahrhundertwende und dürfte nicht unbeträchtlich von Altenbergs Schrift inspiriert worden sein: stammt doch der sprechende tierische Protagonist - ein Affe - wie die Aschanti von der Goldküste und heißt außerdem noch Rotpeter. 143 Der Text sei, so Honold, „eine Konfrontation mit den Taten und Folgen des Kolonialismus, mit dem Be‐ gehren nach dem ganz Anderen und dem ebenso starken Impuls seiner Über‐ B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 172 144 HONOLD 2006: 306. 145 Während BARKER 1998: 121 von Altenbergs Einfluss auf Rilke ausgeht, zieht ihn UNGLAUB 2005: 160 (Fußn. 473) eher in Zweifel. 146 Zum Pariser Schauplatz der Aschanti-Zurschaustellung vgl. UNGLAUB 2005: 95 ff. 147 In: RILKE 1975 I: 395. führung in die eigene Sinnwelt und Wissensordnung […] aus der Praxis der Tier- und Menschenschau.“ 144 Vergleichsweise nüchtern und demythologisierend gibt sich auch der junge Rainer Maria Rilke in seinem eigenen (Pariser) Aschanti-Gedicht von 1902 / 03, das ebenso in intertextueller Reaktion auf Altenberg 145 und die zeitgenössische Presse entstanden sein dürfte: ( Jardin d’Acclimatation)  146 Keine Vision von fremden Ländern, kein Gefühl von braunen Frauen, die tanzen aus den fallenden Gewändern. Keine wilde fremde Melodie. Keine Lieder, die vom Blute stammten, und kein Blut, das aus den Tiefen schrie. Keine braunen Mädchen, die sich samten breiteten in Tropenmüdigkeit; keine Augen, die wie Waffen flammten, und die Munde zum Gelächter breit. Und ein wunderliches Sich-verstehen mit der hellen Menschen Eitelkeit. Und mir war so bange hinzusehen. O wie sind die Tiere so viel treuer, die in Gittern auf und niedergehn, ohne Eintracht mit dem Treiben neuer fremder Dinge, die sie nicht verstehn; und sie brennen wie ein stilles Feuer leise aus und sinken in sich ein, teilnahmslos dem neuen Abenteuer und mit ihrem großen Blut allein. 147 B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 173 148 Zum Verhältnis dieser Programmatik des Sehens zu Altenberg vgl. etwa WELLERING 1999: 68 ff. 149 Vgl. etwa BARKER 1998: 120: „Rilke ist alles andere als fasziniert von dem Geschehen, er hat vielmehr Angst hinzusehen. Die exotische Erotik der Aschanti-Mädchen, die Altenberg angespornt hatte, fehlt hier vollkommen. Die phantasievolle Einfühlung Al‐ tenbergs bleibt dem schüchternen Rilke versagt, für den es keine an Gauguin erin‐ nernden Visionen dunkler Jungfrauen gibt […]. Er zieht eingesperrte Tiere einge‐ sperrten Menschen vor und hat nur Augen für die Art und Weise, wie die Aschanti korrumpiert werden. […] Während Altenberg die Ausbeutung der Aschanti als Aus‐ gangspunkt für eine Kritik der Sitten des ausgehenden 19. Jahrhunderts nutzt, scheut Rilke - ganz typisch für ihn - vor sozialen Übertönen seines Materials zurück.“ 150 UNGLAUB 2005: 106. 151 HONOLD 2006: 321; vgl. UNGLAUB 2005: 106. 152 HONOLD 2006: 321. 153 Vgl. UNGLAUB 2005: 106. 154 HONOLD 2006: 321. 155 Vgl. BARKER: ebd.; vgl. auch HAMMERSTEIN 2007: 106. 156 HONOLD 2006: 321. Rilkes lyrischer Blick - der bekanntlich eine ganze Poetologie des ‚(neuen) Se‐ hens‘ enthält 148 - kann als Abkehr von exotistischer Mythen- und Stereotypen‐ bildung als dem Kollateralschaden des „colonial gaze“ gesehen werden (auch wenn er in der Altenberg-Sekundärliteratur eher verkannt wird 149 ). Der Dichter entzaubert einerseits das inszenierte Afrika-Spektakel: „Es sind traurige Tropen’,“ schreibt Erich Unglaub, „zugerichtet für die Bedürfnisse des großstädtischen Divertissements.“ 150 Rilkes Gedicht lese sich, wie ein anderer Interpret stringent formuliert, „wie ein enttäuschtes Dementi der bei Altenberg erblühten exotisch-erotischen Verlockungen“. 151 Damit zeige sich, so das Re‐ sümee Honolds, die „Suggestivkraft des erotischen Bildprogramms [Alten‐ bergs] […] zusammengebrochen; seine Versatzstücke rapportiert der ent‐ täuschte Zoogänger fast im Telegrammstil“. 152 Fraglich ist auch, ob eine Beziehung zu den Zurschaugestellten überhaupt herzustellen ist, oder ein (Ein)Verständnis, das Rilke durchaus kritisch als von weißer Selbstliebe ge‐ trieben desavouiert („Und ein wunderliches Sich-verstehen mit der hellen Men‐ schen Eitelkeit.") Im Gegensatz zu Altenberg findet hier kein vom Erzähler pro‐ vozierter, moderierter und inszenierter Dialog statt, 153 denn das Gedicht offeriert die „Wahrnehmung“ der Afrikaner / innern nur „im Modus ihrer Negation“: „lauter Fehlanzeigen“ mit Honolds Worten. 154 Richtig ist indes auch, dass der Dichter die soziale Ebene ausspart und der Text sich mit der letzten Strophe von der Völkerschau ab- und den Tieren zu‐ wendet, 155 „die in Gittern auf und niedergehn“: Eine „Zuflucht zur ungezähmten Kreatur“, 156 mit der ein klarer intertextueller Bezug innerhalb Rilkes Werk zu seinem wohl bekanntestem Zoo-Gedicht Der Panther, das nahezu zeitgleich ent‐ B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 174 157 Vgl. RILKE 1975 I: 505 u. UNGLAUB 2005.- Auch zwischen Rilkes Panther und Kafkas Hungerkünstler gibt es intertextuelle Bezüge; ich danke Gilbert Carr für diesen Hinweis. 158 Vgl. dazu etwa TORGOVNICK 1990 u. WELLERING 1999: 173 ff. standen ist, gegeben scheint: 157 dessen Bedeutungsspielraum ebenso im Käfig abgesteckt wird und in dem freilich auch eine gehörige Portion Zivilisations‐ kritik an der Moderne - aus teriomorpher Perspektive - formuliert ist. Ande‐ rerseits reduziert Rilke auch wieder den semantischen Abstand zwischen Tier und afrikanischem Menschen, wobei ihm ersteres „treuer“ scheint, was ihm durchaus als impliziter Rassismus ausgelegt werden kann. Die ambigue Motiv‐ klammer des „Blutes“ legt freilich auch eine kritische Sicht nahe: während das lyrische Ich bei den Afrikaner / innen „kein Blut, das aus den Tiefen schrie“, feststellen kann - also kein letztlich rassistisches Stereotyp des ursprungsnahen ‚Primitiven‘ -, sind die Tiere wenigstens „mit ihrem großen Blut allein“: Heißt das, sie werden nicht zum Gegenstand eines Vergleiches bei den Besuchern? Rilkes Gedicht scheint also ebenso - wenn auch opaker - eine dekonstruktive Dynamik innezuwohnen, die durchaus als Reaktionsbildung auf Altenbergs Vorläufertext verstanden werden kann. In diesem Sinne sei auch als Ausblick das Forschungsdesiderat einer umfassenderen literatur- und kulturwissen‐ schaftlichen Analyse der Anwesenheit der Aschanti in Wien und der von ihnen ‚inspirierten‘ Bilderwelten formuliert: Ein ausführlicher Vergleich der Texte von Altenberg, Kraus und Rilke mit Medienberichten und zeitgenössischen Dis‐ kursen - und deren Phantasmen - im Stil des New Historicism wäre sicherlich ein lohnendes Unterfangen für eine künftige Monografie. Der Multiperspekti‐ vismus der Quellen könnte zwar nicht das Fehlen der Stimmen der Betroffenen ersetzen (nach denen auch noch zu suchen wäre); er würde aber den Text-Tep‐ pich eines wirkungsmächtigen Exotismus, 158 seiner Proponenten und Kri‐ tiker / innen gleichsam in seine Bestandteile auftrennen. Diese Analyse könnte viel mehr beanspruchen als bloß eine farbige Fußnote zur Wiener Jahrhundert‐ wende zu sein; die Aschanti-Narrative führen vielmehr geradewegs in deren ‚Heart of Darkness‘. B.2. Begehren und / oder Befreien: Peter Altenberg 175 1 Zit. n. KAFKA 1994: 39. 2 Vgl. KLEIN 1990 u. HERZMANOVSKY-ORLANDO / KUBIN 1983. 3 Vgl. SCHMIDT-DENGLER 1986. 4 HERZMANOVSKY-ORLANDO / KUBIN 1983: 82 (Die Orthografie dieser Korrespon‐ denz ist so chaotisch wie wiedergegeben.). 5 Ebd. 31 (Brief Kubins vom 28. 9. 1909).- Ragusa und Spalato sind die damals gebräuch‐ lichen italienischen Namen für die dalmatinischen Küstenstädte Dubrovnik und Split. B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubins Roman Die andere Seite (1909) mit Fritz v. Herzmanovsky-Orlando gelesen Noch Kubin: […] Im Anhören seiner vielen Geschichten kann man vergessen, was er wert ist. (Franz Kafka: Tagebuch, nach dem 30. 9. 1911) 1 1. „Hohn auf die Menschheit“: Un-Orte der Jahrhundertwende Am 18. September 1909 schreibt der erst postum als Autor bekannt gewordene Fritz von Herzmanovsky-Orlando (1877-1954) an seinen gleichaltrigen Brief‐ freund 2 Alfred Kubin (1877-1959) - in einem Ton, der schon ein wenig an den „Übertreibungskünstler“ 3 Thomas Bernhard denken lässt: Ich bin sehr froh wieder in einem Culturort weilen zu können und begreife nicht was meine arme Tante noch an Budapest festhält. Es ist wirklich die gräßlichste Carricatur einer Stadt die sich denken lässt, die Bevölkerung ein Hohn auf die Menschheit. Da soll mir noch einer auf Italien schimpfen! Es lebe Africa! 4 Im Umgang mit Ungarn ist Kubin freilich nicht viel höflicher. Wenige Tage später antwortet er im lakonischen Stil eines Reisenden, der es den Ortsnamen überlässt, das Exotische zu evozieren - nur Budapest bekommt ein Attribut: „Lieber Fritz, Wien, das ungarische Riesenbuff Pest, die ganze Donaufahrt, liegt nun schon hinter uns. Morgen Sarajevo 2 Tage, hernach Mostar, Ragusa, Spalato, Triest und wieder heim“. 5 6 Ernst Jünger am 9. 1. 1984, zit. n. DEMMELBAUER 2003: 126. 7 Vgl. BRUNN 2000: 190.- Die Künstlerkolonie am Monte Verità bei Ascona war zwischen 1900 und 1940 eine beliebte Versuchsstation alternativer Lebensformen, frequentiert von Anarchisten wie Erich Mühsam und Gustav Landauer, später von Vegetariern, Ex‐ pressionisten und Dadaisten, die eine neue, nicht-kapitalistische Gesellschaft in Form eines ‚Zurück zur Natur‘ projektierten. Vgl. GREEN 1986. 8 Vgl. CARSTENSEN & SCHMID 2016. 9 HINTERHÄUSER 1977: 175. 10 KOSELER 1995: 47. Dieses Budapest-bashing zweier österreichischer Ferienreisender wäre nicht nur geeignet, um asymmetrische Herrschaftslogiken des Eigenen und des Fremden im kulturellen Gedächtnis Österreich-Ungarns zu illustrieren; ange‐ sichts des zivilisatorischen Schlachtrufs („Africa! “) ließe sich unschwer einer desillusionierend-’postkolonialen’ Sicht auf das angeblich ‚multikulturelle‘ k. u. k. Staatsgebilde das Wort reden. Dass die ungarische Metropole hier ima‐ gologisch zum Gegenteil eines „Culturort[s]“, zur „Carricatur einer Stadt“ und zum Schau-Platz sexueller Ausschweifung („Riesenbuff “) wird, ist aber auch in‐ sofern pikant, als der erfolgreiche Zeichner und Buchillustrator Kubin (1877-1959), ein zeitgenössischer Meister der grotesken Grafik, im genannten Jahr 1909 selbst schon - und zwar literarisch - einen solchen Un-Ort (οὐ-τόπος) fingiert hatte, auf den wohl ähnliche Invektiven zutreffen würden. Es handelt sich um den phantastischen Roman Die andere Seite, einen der in Vergessenheit geratenen „epochalen“ 6 Texte der deutschsprachigen Jahrhun‐ dertwende. Geschildert wird hier in Form eines fiktiven Reiseberichts die frei‐ willige Emigration des Protagonisten in ein fiktives „Traumreich“ in Zentral‐ asien, das in der Erbfolge der literarischen wie auch der angewandten Utopie steht - erregten doch in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft die Kommune am Monte Verità 7 bei Ascona und andere „Lebensreform“-Projekte 8 die Phan‐ tasie der Zeitgenoss / inn / en. Nicht nur deswegen ist Kubins Roman von para‐ digmatischem Wert innerhalb einer internationalen Welle von utopischen bzw. dystopischen Texten um 1900; Michaeler Koseler etwa hat ihn wie folgt klassi‐ fiziert: Das Interesse, das die Décadence-Literatur an der (sterbenden) Stadt zeigt, orientiert sich […] am Einzelwesen und zielt meist darauf, ‚Korrespondenzen zwischen einer Stadtlandschaft und einem Individuum‘ [Zit. von Hans Hinterhäuser, 9 C. R.] herzu‐ stellen. Alfred Kubins Roman Die andere Seite, dessen Zugehörigkeit zur Déca‐ dence-Literatur außer Frage steht, scheint diese Feststellung auf ebenso frappierende wie einzigartige Weise zu widerlegen, gelangt hier doch nichts Geringeres als ein dekadentes Gemeinwesen zur Darstellung. 10 B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 177 11 Vgl. KUBIN 1909 / 1975: 18 f., 167. Alle künftigen Seitengaben aus dieser Buchausgabe erfolgen im Lauftext zwischen Klammern mit der Sigle AS. 12 Vgl. dazu NORDAU 1892 / 93 sowie SCHULLER 1999. 13 BACH 2016: 2.- Eine narrative Analyse des hier konstruierten alternativen Raums steht aus Platzgründen nicht im Fokus meiner Arbeit, auch wenn sie im Falle Kubins ein lohnender Untersuchungsgegenstand wäre. Vgl. dazu etwa die Vorarbeit von GEHRIG 2004: 159 ff.; man muss dabei nicht unbedingt so weit gehen wie die Interpretin, die aus ihrer von der Psychoanalyse Melanie Kleins inspirierten Sicht Stadt, Land und Traum‐ reich bei Kubin als „mütterliche Körperlandschaften“ begreift (vgl. ebd. 161). Das „Traumreich“ Kubins wird im Text als heterogenes Staatskonstrukt darge‐ stellt, als bricolage gleichsam seines geheimnisvollen Gründers Claus Patera. Dieser Groß-Sammler 11 mit eigentümlichen Vorlieben kauft in Europa düstere alte Gebäude ohne ersichtlichen Wert - meist Schauplätze von Bluttaten - auf, um sie abzureißen und im Traumreich wieder aufzubauen; auch die Einwan‐ derer sind augenfällig nach den Gesichtspunkten einer zeitgenössischen Patho‐ logie - und zwar gegenläufig zu zeitgenössischen eugenischen Entartungsdis‐ kursen 12 ! - selektiert worden: Die Bevölkerung nämlich rekrutierte sich aus in sich abgeschlossenen Typen. Die besseren darunter waren Menschen von übertrieben feiner Empfindlichkeit. Noch nicht überhandnehmende fixe Ideen, wie Sammelwut, Lesefieber, Spielteufel, Hyperreligiosität und all die tau‐ send Formen, welche die feinere Neurasthenie ausmachen, waren für den Traumstaat wie geschaffen. Bei den Frauen zeigte sich die Hysterie als häufigste Erscheinung. Die Massen waren ebenfalls nach dem Gesichtspunkt des Abnormen oder einseitig Ent‐ wickelten ausgewählt […] Unter Umständen befähigte sogar schon ein ins Auge fal‐ lendes Körpermerkmal, ins Traumland berufen zu werden. Daher die vielen Zentner‐ kröpfe, Traubennasen, Riesenhöcker. (AS 52 f.) Wie noch zu zeigen sein wird, ist auch Kubins Text selbst nach einem ähnlichen Prinzip aus den unterschiedlichsten Versatzstücken zusammengesetzt; wie bei einem Vexierbild wird mal die eine, mal die andere Facette dieses literarischen Sammelsuriums für den aufmerksamen Leser sichtbar - ebenso wie die „cons‐ cious and unconscious aspiration for an alternative social and spacial organi‐ zation“, die nach Bach utopischen und dystopischen österreichischen Texten jener Zeit eignet. 13 Beim zeitgenössischen Publikum wurde Kubins Buch jedenfalls schnell bekannt. Es sollte aber der einzige Roman des bildenden Künstlers bleiben: Vom Autor selbst bebildert, erschien er 1909; mehrere Neuauflagen und eine überarbeitete Neuausgabe (1952) folgten bereits zu Lebzeiten Kubins, und der Text ist heute immer noch in Taschenbuchform - wenn auch unillustriert - erhältlich. Dass B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 178 14 Vgl. etwa GEYER 1995; POLT-HEINZL 1999; GEYER 2001; DEMMELBAUER 2003. 15 Zu diesem Begriff siehe im Folgenden. Vgl. auch ROTTENSTEINER 1995 u. CER‐ SOWSKY 1983. 16 Vgl. CERSOWSKY 1983 / 1994; MEISTER 1987; SMIT 1988; RUTHNER 1993: 168 ff.; u. a. seine literarische Wirkungsmacht, die so unterschiedliche Autoren wie Franz Kafka, Ernst Jünger und Helmut Kasack bis hin zu Christoph Ransmayr erfasst hat, 14 nicht allgemein bekannt ist, hängt wohl mit der zögernden Anerkennung des Romans durch die Germanistik zusammen; diese hat ihn gemeinsam mit anderen im Giftschrank der deutschsprachigen Jahrhundertwende-Phantastik abgelegt und damit auch vielfach abgetan. Gerade das Phantastische 15 an diesem Text ist aber für das Generalthema un‐ serer Monografie von Interesse - bedient sich doch das kulturelle Gedächtnis bei seiner kollektiven Konstruktion symbolischer Räume, Zeiten und Figuren schon bei real existierenden Reichen des Imaginären und Phantasmatischen. Warum sollte dies also bei einem individuell fingierten Traumreich anders sein - zumal hier außerdem ein Ich-Erzähler mit einem geradezu ethnografischen Blick vorgeht und (wie noch zu zeigen sein wird) den Leser fortwährend zum außerfiktionalen Vergleich mit Zentraleuropa einlädt? Ist der phantasmatische Bezugspunkt dieses erträumten Empires das zeitgenössische „Kakanien“ und damit in zweifacher Hinsicht imaginär, insofern als die Bilderwelten des Viel‐ völkerstaats phantastisch abgebildet und gleichsam kolonial re-imaginiert werden? Nicht zuletzt deshalb ist der analytische Blick auf die literarische Kon‐ struktion dieses alternativen Gedächtnis-Raums kulturwissenschaftlich reiz‐ voll. Außerdem ist Kubins Text die Initialzündung für eine ganze Serie von deutschsprachigen Romanen gewesen, die unmittelbar vor und nach dem Zu‐ sammenbruch der Habsburger- und Hohenzollern-Monarchien von phantasti‐ schen Welten und deren Untergängen erzählten - wobei sie häufig Öster‐ reich-Ungarn als Reich der unbegrenzten Unmöglichkeiten meinten und damit gleichzeitig einen gewissen apokalyptischen bon ton der Zeit bedienten. Exemp‐ larisch für viele seien folgende Romantitel genannt: - Das grüne Gesicht (1916) und Walpurgisnacht (1917) von Gustav Meyrink (1868-1932), der sich nach seinem Bankrott als Bankier in Prag zum eso‐ terisch angehauchten Bestsellerautor entwickelte; 16 - Eleagabal Kuperus (1910) sowie Gespenster im Sumpf und Umsturz im Jen‐ seits (beide 1920 erschienen, doch zum Teil schon früher verfasst) - dys‐ B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 179 17 Vgl. WACKWITZ 1981; RUTHNER 1993: 64-98. 18 Vgl. RUTHNER 1993: 146-185; RUTHNER 2004: 217 ff. 19 Vgl. MÜLLER 1992; MÜLLER & SCHERNUS 1991; SIEBAUER 2000; u. a. 20 Siehe RUTHNER i.V. 21 Vgl. BROCKHAUS 1990: 136; MARGOTTON 1997: 107. topische Romane des völkisch gestimmten Deutsch-Böhmen und spä‐ teren NS -Literaturfunktionärs Karl Hans Strobl (1877-1946); 17 - Eva Morsini - die Frau die war (1923) des jüdischen Wiener Autors Otto Soyka (1881-1955), 18 den wir heute nur noch als anekdotischen Intimfeind von Leo Perutz 19 (1884-1957) erinnern - jenem Autor, der später selbst mit den apokalyptisch gestimmten Romanen Der Meister des Jüngsten Tages (1924) und St. Petri-Schnee (1932) hervorgetreten ist. Aus Platzgründen - und auf Grund seines paradigmatischen Wertes - muss sich die folgende Analyse allerdings ganz auf Kubins Roman Die andere Seite kon‐ zentrieren; zu hoffen bleibt eine gelegentliche Ergänzung 20 des hier Vorge‐ brachten. 2. Andere Seiten aufziehen: Kubins vieldeutiger Vater-Text Kubins literarischer Text Die andere Seite verdankt sich zunächst einmal (bio‐ grafisch) einer tiefen Existenzkrise seines Autors, weiters seinem Doppeltalent und dadurch einer gleichsam großflächig einwirkenden Intertextualität und In‐ termedialität: Ursprünglich hätte Kubin Meyrinks Golem-Roman illustrieren sollen. Die beiden hatten sich 1905 am Semmering getroffen; Meyrink schickte dann in den folgenden Jahren seine fertig gewordenen Kapitel an Kubin, der zu zeichnen begann. Als Meyrink jedoch in Schreibblockaden geriet, stockte auch Kubins künstlerischer Assistenzeinsatz. Er verwendete die elf fertigen Illustra‐ tionen schließlich für seinen eigenen Roman, 21 den er im Herbst 1908 unter dem Eindruck des Todes seines Vaters begonnen hatte - zu einer Zeit, als er sich unfähig fühlte zu zeichnen und deshalb ins Medium der Literatur auswich: Ich war nicht im Stande, zusammenhängende, sinnvolle Striche zu zeichnen. […] Um nur etwas zu tun und mich zu entlasten, fing ich nun an, selbst eine abenteuerliche Geschichte auszudenken und niederzuschreiben. Und nun strömten mir die Ideen in Überfülle zu, peitschten mich Tag und Nacht zur Arbeit, so dass bereits in zwölf Wo‐ chen mein phantastischer Roman ‚Die andere Seite‘ geschrieben war. In den nächsten vier Wochen versah ich ihn mit Illustrationen. Nachher war ich allerdings erschöpft B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 180 22 KUBIN 1959: 40.- Kubin ist ein Autor, der zur Selbststilisierung neigt; GEYER 1995: 98 hat gezeigt, dass das Romanprojekt schon vor dem Sommer 1908 in Angriff genommen sein worden dürfte. 23 GRESCHONIG 2007: 267. 24 Mündl. Mitteilung von Andeas Geyer, München. - Vgl. auch HEWIG 1967: 13, 22, 135; CERSOWSKY 1983: 68. GNAM 2005 / 2006 erwähnt dies nicht. und machte mir bange Gedanken über dieses Wagnis. Im Sommer 1909 erschien das Buch aber dann doch bei Georg Müller und hat mir viel Anerkennung gebracht. 22 Alternativ dazu erzählte Kubin späteren Gästen gerne folgende Anekdote über die Abfassung des Romans, die wohl eher für eine humoristische Rückprojektion seiner Bilderwelt in die eigene Biografie gelten darf, als dass sie für bare Münze zu nehmen ist: nämlich „daß es ein Holzwurm namens Hansi gewesen sei, der ihm den Text innerhalb nur weniger Wochen anno 1908 diktiert habe.“ 23 Meyrink indes vollendete seinen Roman erst 1915, also etliche Jahre später, und es sind Stimmen laut geworden, die behaupten, Kubin hätte nichts anderes getan, als das ursprüngliche Romanprojekt seines Bekannten zu verwirklichen 24 - über das wir freilich zu wenig wissen, um vergleichen und den Plagiatsvorwurf be‐ urteilen zu können. Bleiben wir also bei Kubins Text. Die Geschichte der Anderen Seite wird von ihrem Protagonisten, einem namen‐ losen Zeichner zu Beginn des 20. Jahrhunderts, retrospektiv in Ich-Form erzählt. Der eher mediokre, in seinen Dreißigern stehende Held, der bis hin zur krän‐ kelnden Ehefrau einige biografische Markierungen mit seinem Autor gemein hat, wird zu Beginn des Romans an seinem Wohnort München von einem rät‐ selhaften Mann aufgesucht. Dieser gibt sich als Sendbote eines ehemaligen Schulkollegen des Zeichners zu erkennen, der es nach einem abenteuerlichen Leben in Asien zu grenzenlosem Reichtum gebracht hat, mittels dem er das altmodische „Traumreich“ gründet - einen Zufluchtsort für inzwischen 65 000 Moderne-Verweigerer aus Europa. Durch seinen Abgesandten lädt jener Claus Patera nun auch den Zeichner und dessen Frau ein, in seine Gegenwelt umzuziehen, und hinterlegt als Zeichen seines guten Willens einen Scheck über 100 000 Reichsmark. Der Zeichner und seine Gattin leisten der Einladung bald Folge und treffen nach einer strapaziösen zehntägigen Bahn- und Seereise via Budapest, Constanza, Russland und Samarkand in Perle, der Hauptstadt des Traumreiches, ein. Der Roman beschreibt nun in weiterer Folge den Alltag in Perle, über dem sich ein „ewig trübe[r]“ Himmel ( AS 49) wölbt. Immer mehr tritt auch zu Tage, dass das Traumreich von seinem Herrscher Patera gottgleich durch „Fernhyp‐ B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 181 25 GERHARDS 1999: 69 u.ff. 26 Nicht nur Claudia Gerhards hat auf die Namensgleichheit mit dem Erfinder des Telefons sowie die Rolle gewissermaßen okkulter ‚Telekommunikation‘ im Roman hingewiesen (GERHARDS 1999: 71 ff. u.vv.). 27 GERHARDS 1999: 58 spricht in diesem Zusammenhang von „topische[n] Bilder[n] der Apokalypse. 28 Vgl. dazu das Standardwerk von TORGOVNICK 1990. nose“, 25 wenn nicht gar mit magischen Kräften gelenkt wird. Dennoch evoziert es eher den schäbigen Charme eines second-hand-Mitteleuropa als das Charisma eines irdischen Paradieses; denn in dieser rückwärtsgewandten Utopie sind wie gesagt nur alte, abgewohnte Gebäude, merkwürdige Menschen sowie Mode und Gerätschaften aus der Zeit vor den 1860er Jahren zugelassen (vgl. AS 18 u. ö.). Nach einer Serie von persönlichen Unglücksfällen, die im Tod seiner Frau gipfeln, wird der Zeichner schließlich zum Chronisten und Überlebenden des Untergangs dieses geheimnisvollen Kunststaates, der maßgeblich von einem neuen Zuzügling aus Amerika bewerkstelligt wird. Dieser zweite Millionär, ein „Pökelfleischkönig“ ( AS 172) mit dem sprechenden Namen Herkules Bell, 26 gründet in Perle den politischen Verein „Lucifer“ und treibt die Traumstädter in den offenen Aufruhr gegen ihren unsichtbaren, aber allgegenwärtigen Allein‐ herrscher Patera. Am Schluss des Textes steht der traumatische Zusammen‐ bruch dieser künstlichen Gesellschaft, der narrativ als naturhaftes Weltende, 27 aber auch als Bürgerkrieg bzw. apokalyptisches Bacchanal inszeniert ist und ebenso unerklärlich wie die Herrschaft Pateras vonstatten geht: Von dem hochgelegenen französischen Viertel schob sich langsam wie ein Lavastrom eine Masse von Schmutz, Abfall, geronnenem Blut, Gedärmen, Tier- und Menschen‐ kadavern. In diesem in allen Farben der Verwesung schillernden Gemenge stapften die letzten Träumer herum. Sie lallten nur noch, […] sie hatten das Vermögen der Sprache verloren. Fast alle waren nackt, die robusteren Männer stießen die schwä‐ cheren Weiber in die Aasflut, wo sie, von den Ausdünstungen betäubt, untergingen. Der große Platz glich einer gigantischen Kloake, in der man mit letzter Kraft einander würgte […] (AS 251) Der kollektive Ausbruch eines atavistischen Primitivismus 28 - und man darf sich fragen, warum Weltuntergänge zu jener Zeit immer als Sex- und Gewaltorgie imagniert werden - lässt buchstäblich niemanden unberührt. Später heißt es nur noch: „Ein weites, weites Trümmerfeld; Schutthaufen, Morast, Ziegelbro‐ cken - der gigantische Müllhaufen einer Stadt.“ ( AS 271) B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 182 29 In einem Brief schreibt Kubin: „meine Schreibweise ist einfach, wenngleich ich ein guter Erzähler vielleicht bin.-“ (Herzmanovsky-Orlando / Kubin 1983: 21). 30 Ebd. 50. 31 SCHMITZ 1923: 98. 32 GEYER 1995: 92. Vgl. JABŁKOWSKA 1989. 33 Vgl. BARTHES 1988: 295. 34 TODOROV 1972 / 94: 40.- Zur Diskussion von Todorovs Thesen vgl. RUTHNER 2004: 88 ff.; weiters LACHMANN 2002. 35 Der Text enthält Indizien, die nahe legen, die Erzählung vom Traumreich als ent‐ gleiste(n) Traum(arbeit) anzusehen; nicht zuletzt findet sich der Ich-Erzähler im Epilog in einer „Heilanstalt“ wieder: „mein Traumvermögen war augenscheinlich erkrankt; die Träume wollten meinen Geist überwuchern“ (AS 276). - Vgl. MARGOTTON 1997. Unter der Deckschicht dieses narrativ eher „einfach“ 29 gehaltenen phantasti‐ schen Romans darf man indes einiges an Bedeutung vermuten. Schon Kubins langjähriger Brieffreund Fritz von Herzmanovsky-Orlando schreibt am 2. Juni 1910 an den Autor: „ich gratuliere dir Meister … es ist geradezu Räthselhaft was für Untiefen das Buch besitzt: je öfter ich es lese desto unerhörteres bietet es mir: wie eine Zwiebel mit immer neuen Schalen nur daß es immer mehr zu als abnimmt.“ 30 Kubins Schwager Oscar A. H. Schmitz wiederum meint in seinem 1923 erschienenen Schlüssel zur Anderen Seite, er habe „unter den zahlreichen ehrlichen Bewunderern, zu denen unsere besten Köpfe zählen, keinen getroffen, den das Buch nicht beunruhigt oder irregeführt hätte, weil er den Sinn nicht finden konnte“. 31 1995 schließlich kann der bayrische Doktorand Andreas Geyer fast schon befriedigt feststellen: „Wenn die Vielfalt der Interpretationsmöglich‐ keiten ein Indikator für den Rang eines literarischen Werkes ist, kommt Kubins Roman Die andere Seite eine ganz besondere Bedeutung zu.“ 32 Die Polysemie des Textes rührt aus mehreren Quellen. Zum einen ist die ver‐ rätselnde Erzählstrategie eines halb gelüfteten Mysteriums (d. h., die Betonung des „hermeneutischen Codes“ im Sinne der Narrationstheorien von Roland Bar‐ thes 33 ) genrestypisch für die phantastische Literatur. Diese inszeniert - generell gesprochen - mit den Mitteln einer mehr oder weniger realistischen Poetik einen epistemologischen Konflikt über die Verträglichkeit erzählter Vorfälle (wie etwa Geistererscheinungen) mit gängigen Weltmodellen - „die gemein‐ same Unschlüssigkeit des Lesers und der handelnden Personen, die darüber zu befinden haben, ob das, was sie wahrgenommen haben, der ‚Realität‘ entspricht, wie sie sich der herrschenden Auffassung darstellt.“ 34 Auf Die andere Seite um‐ gelegt, zieht dies vor allem die Frage nach sich, ob der seine Glaubwürdigkeit beteuernde Ich-Erzähler die Geschehnisse rund um das „Traumreich“ auf der fingierten Wirklichkeitsebene des Textes tatsächlich erlebt oder nur geträumt hat; 35 oder aber, ob der Text nicht als Ganzes etwas Anderes bedeutet, also eine B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 183 36 Trotz Todorovs Dogma einer poetologischen Unvereinbarkeit von Phantastik und Al‐ legorie (TODOROV 1972 / 94: 32 f., 55 ff.) gilt inzwischen Allegorisierung als Wesens‐ merkmal der oben genannten phantastischen Romane des frühen 20. Jahrhunderts (vgl. CERSOWSKY 1983, AS 66 f.). 37 Vgl. HEWIG 1967: 127; JABŁKOWSKA 1998: 16; NEUHÄUSER 1998; TORRA-MAT‐ TENKLOTT 2007: 170 ff.; FEDERMAIR 2012. 38 MARTYNKEWICZ 2008: 141. 39 BRUNN 2000: 264. Art von Allegorie 36 darstellt. Fragen dieser Art werden den Leser / innen vom Erzähler förmlich aufgedrängt, noch bevor dieser das Traumreich zu schildern beginnt: Es waren sehr merkwürdige Verhältnisse, die sich mir Tag um Tag entschleierten. Gänzlich enthüllt haben sich mir die letzten Zusammenhänge aber niemals; ich kann nur alles so hinschreiben, wie ich es selbst erlebt und aus den Mitteilungen der anderen Traumleute entnommen habe. Meine Meinungen über diese Zustände finden sich in dem Buche eingestreut, vielleicht weiß einer oder der andere Leser bessere Erklä‐ rungen. (AS 49) Diese Erzählstrategie der bedeutungsvollen Verrätselung - im Verbund mit der „einfachen“ Narration - verhängt einen Interpretationszwang über den Leser, ähnlich wie auch bei Kafka, dessen Strafkolonie (1919) und Schloß-Roman (1922 ff.) der Anderen Seite Kubins nicht nur stofflich nahe stehen 37 (auch wenn sich Kafkas Erzählinstanzen im Allgemeinen über mögliche Erklärungen aus‐ schweigen). Zusätzlich zeigt sich Die andere Seite bei näherem Hinsehen als „hoch ver‐ dichteter, synkretistischer Text“, 38 der mit Intertexualität durchsetzt ist, d. h. mit zahlreichen Anspielungen und Bezugnahmen auf andere Werke der Literatur, Philosophie und bildenden Kunst: Kubin war ein Vielleser, der bereitwillig über seinen persönlichen Kanon Auskunft gab, und ein - wenn auch autodidakti‐ scher - poeta doctus, mit einer großen Bibliothek, die in seinem Haus in Zwick‐ ledt (Oberösterreich) erhalten geblieben ist. Wir können auf diese Weise seine Lektüre anhand der Buchbestände und ihren zahlreichen Randbemerkungen erschließen. Durch Text und Kontext haben sich so in der bisherigen Kubin-Forschung folgende Interpretamente bzw. Zugangsweisen aufgetan - wobei es die War‐ nung von Clemens Brunn zu beachten gilt, dass sich eine Interpretation der Anderen Seite „wie ein Puzzlespiel“ gestalte, „bei dem immer einige Teile fehlen und andere schlichtweg nicht passen wollen“: 39 B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 184 40 Vgl. ROTTENSTEINER 1995: 30; BERNERS 1998: 10 ff.; NEUHÄUSER 1998: 130. 41 Vgl. etwa BARKHOFF 1995; KOLLAK 1997; MEDRANO 2013; HILPERT 2014; zum Augenmotiv in Kubins Roman auch MARGOTTON 1997: 111 f. 42 Vgl. CERSOWSKY 1983. 43 Vgl. SCHMITZ 1923: 126; MÜLLER-THALHEIM 1970: 38 ff.; BERRY 1988; GEYER 1995: 92 f.; ROTTENSTEINER 1995: 32; Neuhäuser 1998: 38 ff.; GEHRIG 2004: 141 ff. Dazu gibt es auch eine Selbstaussage Kubins, der die hausgemachte Philosophie seiner jungen Jahre wie folgt zusammenfasst: Ich stellte mir also vor, daß ein an sich außerzeitliches, ewig seiendes Prinzip - ich nannte es ‚den Vater‘ - aus einer unergründlichen Ursache heraus das Selbstbewußt‐ sein, - ‚den Sohn‘, - mit der zu ihm unscheidbar gehörigen Welt schuf. Hier war na‐ türlich ich selbst ‚der Sohn‘, der sich selbst, solange es dem eigentlichen, riesenhaften, ihn ja spiegelreflexartig frei schaffenden Vater genehm ist, narrt, peinigt und hetzt. Es kann also ein derartiger Sohn jeden Augenblick mit seiner Welt verschwinden und in die Überexistenz des Vaters aufgehoben werden. Es gibt immer nur einen Sohn, und von dessen erkennendem Standpunkt aus konnte man vergleichsweise allegorisch [! ] sagen, daß dieser ganze äffende und qualvolle Weltprozeß geschieht, damit an dieser Ver‐ wirrtheit der Vater erst seine allmächtige Klarheit und Endlosigkeit merkt - mißt. (Zit. n. PETRICONI 1958: 104; vgl. auch den Alternativentwurf der Kubin’schen Philoso‐ pheme in KUBIN 1976: 35 f.) 1. Der Text lässt sich zunächst ganz einfach als exotistischer Abenteuer‐ roman (mit phantastischen Zügen) lesen, wie er dem internationalen Publikum um 1900 mit Autoren wie Jules Verne, Karl May, Joseph Conrad, Henry Rider Haggard u. a. geläufig war. 2. Wie bereits angedeutet, ist ein weiterer Genrebezug zur literarischen Utopie bzw. Dystopie gegeben, mit Referenzen zu staatsutopischen Klas‐ sikern wie etwa Platon und Thomas Morus. 40 3. Der Herrscher des Traumreiches mit seinen blicklosen Augen steht ganz offenkundig in der phantastischen Motivtradition des Magnetiseurs bzw. des literarischen Mesmerismus, 41 die im frühen 20. Jahrhundert (wo es zu einer Neurezeption E. T. A.Hoffmanns kommt) zur politischen Denkfigur kollektiver Manipulation geweitet wird - bis hin zu Sigmund Freuds Massenpsychologie und Hermann Brochs Massenwahntheorie.  42 4. Im Spiel mit Vaterfiguren - nicht umsonst steckt ja im Namen Claus Pa‐ téra nicht nur ein realer Schulkollege Kubins, sondern auch das griechi‐ sche Wort für Vater - lässt sich psychoanalytisch die Verarbeitung eines biografischen Vater-Traumas erkennen, das in manchen Zügen (einmal mehr) an Kafka erinnert. 43 Kubins Traumreich ist aber nicht nur ein Fa‐ milienroman, sondern auch Darstellung eines totalitär gewordenen Pat‐ riarchats, auf der die diversen politischen Interpretationen des Textes aufbauen. B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 185 44 Vgl. LÜTKEHAUS 1988. 45 Vgl. MARGOTTON 1997: 107. 46 RHEIN 1989: 29 ff.; vgl. auch HEWIG 1967: 27 et passim; GEYER 1995: 104 ff.; MAR‐ GOTTON 1997; MARTYNKEWICZ 2008.- Kubin schrieb am 22. Dez. 1914 zur ersten psychoanalytischen Interpretation des Romans (in der Wiener Zeitschrift Imago): „Sonst bin ich wie gesagt der Ansicht daß Freud’s Entdeckung fabelhaft ist aber doch im materiellen stecken bleibt, stecken bleiben muß, weil alle rationelle Wissenschaft‐ lichkeit niemals mehr als Bausteine liefern kann.“ (HERZMANOVSKY-OR‐ LANDO / KUBIN 1983: 98, vgl. 90) In der Anderen Seite selbst findet sich der iro‐ nisch-kokette Satz: „Wer eine Erklärung sucht, halte sich an die Werke unserer so geistvollen Seelenforscher.“ (AS 7) Es gibt aber auch Indikationen dafür, dass Kubin erst nach Abfassung seines Romans die Psychoanalyse wirklich wahrgenommen hat (vgl. MARTYNKEWICZ 2008: 137). 47 MARTYNKEWICZ 2008: 147, vgl. 153. 48 Vgl. WILLE 1930; FISCHER 1978; GEYER 1995: 94; KOSELER 1995. 49 Kubin erwähnt den Namen Huysmans am 7. Oktober 1911 in einem Brief an Herzma‐ novsky (HERZMANOVSKY-ORLANDO / KUBIN 1983: 70). 50 Vgl. dazu v. a. die Interpretation von GERHARDS 1999: Der Roman suche Auswege aus der als defizient betrachteten Moderne, indem er ein „Reich der Fülle“ schaffe, dessen „Überfülle“ schließlich zum „Umschlag“ im Untergang führe (ebd. 47 ff.). 51 BOLTERAUER 2000: 187. 5. Weniger biografisch bemühte Literaturpsychologen haben im Roman Ku‐ bins quasi eine narrative Parallelaktion zum zeitgenössischen Diskurs der Psychoanalyse gesehen: Die Fahrt ins Traumreich entspreche deren „Ex‐ pedition“ ins „innere Afrika“ 44 des Unbewussten; 45 die Reise des Zeichners ließe sich dann, wie etwa Philip Rhein schreibt, als literarische Umsetzung des Einschlafens, Träumens und Erwachens fassen, bzw. als Literarisie‐ rung der sog. „Traumarbeit“ 46 und damit verbundenen „Entmächtigung des Ich“. 47 6. Dennoch ist Perle ebenso gut eine von vielen toten Städten der Jahrhun‐ dertwende, steht also in einem literarischen Traditionszusammenhang, der wiederholt mit dem Etikett der Décadence versehen worden ist. 48 Der mit einer bizarren Sammelwut begabte Staatsgründer Patera wäre so ge‐ sehen eine Art globalisierter Geistesverwandter von Des Esseintes, dem Antihelden von Joris-Karl Huysmans aus dessen Dekadenz-Brevier Á re‐ bours (1884). 49 7. Ebenso steht der Roman in der Tradition postreligiöser Apokalypse-Nar‐ rative, 50 indem er eine Verbindung zwischen individuellem Traum und kollektivem Trauma herstellt. Wie bereits erwähnt, hat er damit bis in die 1920er Jahre hinein ein veritable Serie von „Weltkatastrophen-Erzäh‐ lungen“ 51 in der deutschsprachigen Literatur begründet - Ausdrucksme‐ B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 186 52 Begriffe von JAMESON 1989 u. CASTORIADIS 1975: 203. 53 Vgl. HEWIG 1967: 182 ff.; SCHMITZ 1923: 74. 54 Vgl. CERSOWSKY 1983: 66 ff.; SCHUMACHER 1982: 10; BERG 1991: 235-254. Vgl. auch das Weg-Modell, das Marianne Wünsch für den phantastischen Roman des frühen 20. Jhs. entwickelt hat (WÜNSCH 1991: 227 ff.). 55 Vgl. CERSOWSKY 1983: 66 ff.; GEYER 1995: 93 et passim.; BRUNN 2001: 151 et passim. 56 GEYER 1995: 93. 57 JÜNGER 1975: 117; vgl. BREDT 1922: 74 u. GERHARDS 1999: 126 ff. 58 NEUHÄUSER 1998: 15. 59 Ebd. 44. 60 Ebd. 39 ff. 61 Ebd. 68 ff. 62 Ebd. 97 ff. dien eines „politischen Unbewussten“ bzw. „sozialen Imaginären“, 52 die in zeitlicher und inhaltlicher Nähe zu Oswald Spenglers Untergang des Abendlands und anderen Exponenten einer konservativen Zivilisations‐ kritik stehen (siehe dazu weiter im Folgenden). 8. Zugleich nimmt der Text auch das alte literarische Motiv des Hadesgangs wieder auf; 53 daneben gibt es so etwas wie 9. eine initiatorische Handlungsstruktur im Roman (vor allem in Zusam‐ menhang mit dessen philosophisch kosmologischer Botschaft (s. dazu im Folgenden). 54 10. Ebenso wurde Die andere Seite von vielen Interpreten als „politische Al‐ legorie“ aufgefasst und die Begabung ihres Autors in Hinblick auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs mitunter ins Prophetische verlängert. 55 Hier kam unter anderem der Rezension von Ernst Jünger eine Vorreiter‐ rolle zu, wenn sie dem Roman eine „Seismographen-Funktion“ 56 beschei‐ nigt: Kubin erkennt am Untergang der bürgerlichen Welt, an dem wir tätig und leidend teilnehmen, die Zeichen der organischen Zerstörung, die feiner und gründlicher wirkt als die technisch-politischen Fakten, die auf der Oberfläche angreifen. 57 11. Noch weiter ausholend hat Renate Neuhäuser die Romane Kubins und Kafkas als Vorgeschichte des bzw. „Warnung“ 58 vor dem Aufkommen des europäischen Totalitarismus interpretiert: „Die eigenartige Datierung des Traumreichs verweist […] auf den Beginn des modernen Imperia‐ lismus.“ 59 Neuhäuser operationalisiert Hannah Arendts Phänomenologie als Analysekategorien für Kafka und Kubin: die „Machtentfaltung“, 60 funktionalisierte Geschlechterdifferenz, 61 charismatische Herrschaft mit „Pseudoreligiosität als Machtmittel“, 62 Schlaf(wandeln) und Traum als B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 187 63 Ebd. 119 ff.- Hier tut sich gleichsam unterirdisch eine interessante Verbindung zwi‐ schen Kubin und Hermann Broch auf, in der Brochs Beziehung zu / mit Hannah Arendt gleichsam als missing link zu deren Totalitarismus-Theorie fungiert; vgl. die Schlaf‐ wandler-Metapher bei ARENDT 1989: 190; vgl. NEUHÄUSER 1998: 123 u. 127. 64 Ebd. 138 ff. 65 Ebd. 157. 66 Vgl. etwa HUGHES 2007; BRUNN 2000: 232; GERHARDS 1999: 47 ff.; CERSOWSKY 1983: 76 et passim. Topoi des Beherrschtseins 63 und „Lüge als Herrschaftsmittel“ (Propa‐ ganda). 64 So kommt Neuhäuser zu folgendem Befund: Schon am Anfang dieses Jahrhunderts ist die Verunsicherung der patriarchalen Entwicklung überaus deutlich und bildet den Hintergrund für erneute, noch grö‐ ßere Machtdemonstrationen einerseits und andererseits für ein Suchen nach Ursprüngen von anderen Kräften, die hier als Rettung erscheinen könnten. Beides führt jedoch nur zu einer Verschärfung des Geschlechterkampfes, der biologisch ausgetragen wird und damit rassistische Argumentationen des späteren Fa‐ schismus eher stützt als in Frage stellt. Dem erneuen Aufleben des autoritären Systems, das sich an der patriarchalischen Tradition orientiert, steht damit nichts mehr im Wege. Doch die in Unbeweglichkeit gebannte Gesellschaft entsteht erst durch die Herrschaftsmechanismen, die über das Unterbewußtsein ablau‐ fen […] 65 12. Wesentlicher als solche eher dubiosen - und retrospektiven - Zuschrei‐ bungen des ‚Visionären‘ erscheint uns heute die ebenso von Jünger an‐ gesprochene Moderne-Kritik des Textes, die in der Figur des Amerikaners Herkules Bell fokussiert ist. Dieser verkörpert die Dialektik einer indust‐ rialisierten Aufklärung, indem er Demokratie und Modernisierung, aber auch Entwurzelung und Zerstörung gleichsam ins Traumreich impor‐ tiert. 66 Ihm gegenüber versteht sich freilich ein in Patera verkörperter europäischer Konservatismus (bzw. Traditionalismus) mit irrationalisti‐ schen Wurzeln als wenig brauchbares Gegenmodell, sondern als dem Untergang preisgegebener Anachronismus. Der Text desavouiert beide Positionen gleichermaßen: Am Schluss des Romans verkrallen sich die zwei Macht-Haber Perles in einem veritablen Titanenkampf „zu einer unförmigen Masse“ ( AS 263), ja zu einem Doppelwesen, um sich nachher aufzulösen: in den „Schädel Pateras“, der „zerstob“, und in den „über alle Möglichkeiten großen Phallus“ Bells, der in den unterirdischen Gängen des Traumreichs verschwindet ( AS 263 f.). B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 188 67 Vgl. PETRICONI 1958: 115 ff.; HEWIG 1967: 193 ff.; LIPPUNER 1977: 25 ff.; MAR‐ GOTTON 1997: 106. 68 Vgl. dazu BRANDSTETTER 1980: 258 u. MARTYNKEWICZ 2008: 151. 69 Vgl. NEUHÄUSER: 28 ff. u. HEISSERER 1990. 70 Vgl. BRUNN 2000: 248 ff., 264; HEWIG 1967: 24 ff.; LIPPUNER 1977: 8; CERSOWSKY 1983: 78 ff.; HAUFF 1990; MARGOTTON 1997: 109 ff.; NEUHÄUSER 1998: 22 ff.; GERHARDS 1999: 50 ff., 64 ff.; GRESCHONIG 2007: 267 ff. 13. Einen weiteren wichtigen Bezugspunkt, auf den die Forschung wieder‐ holt hingewiesen hat, 67 bietet die Kunstgeschichte: Auf diese Weise lässt sich die Motivik des Weltuntergangs als Orgie von Sex, Gewalt und Na‐ turkatastrophen auch als intermedialer Reflex auf die Bestiarien von Pie‐ ter Brueghel und Hieronymus Bosch verstehen. 68 Dies wird besonders in jenem „Traum im Traum“ des Zeichners evident, wo z. B. ein Mann „aus der Luft Fische fängt“ und andere grotesk-phantastische Details ver‐ zeichnet werden ( AS 149 u.ff.); Kubin fühlte sich gemüßigt, diese sugges‐ tive Bildlichkeit auch zum Gegenstand einer eigenen Illustration zu ma‐ chen (vgl. AS 151). 14. Zusätzlich ist Die andere Seite möglicherweise mit Zügen des Schlüssel‐ romans angereichert, wobei der Stefan-George-Kreis, den Kubin aus seiner Zeit in der Münchner Bohème kannte, als Inspiration bzw. Ziel‐ scheibe dient. 69 15. Wie Cersowsky, Brunn und andere gezeigt haben, 70 ist der Roman aber auch metaphysisch als quasi-didaktische Allegorisierung der synkretisti‐ schen Kunst- und Lebensphilosophie Kubins zu lesen, die sich Arthur Schopenhauer, Julius Bahnsen, Salomon Friedländer, Otto Weininger, Ludwig Klages, asiatischen Religionen, dem zeitgenössischen Okkul‐ tismus und anderen Quellen verdankt. Grob verkürzt, versteht der Autor die Welt manichäisch als Kampfplatz zweier Kräfte - Einbildungskraft und Nichts bzw. Leben und Tod - als deren Personifikationen sich Patera und Bell verstehen lassen, bevor sie in ihrem finalen Kampf zu einem Doppelwesen verschmelzen. In diesem Sinn wäre auch die ‚Lehre‘ des Textes zu verstehen, die der Ich-Erzähler im Epilog formuliert, nachdem er dem Untergang Perles entronnen und in der „Heilanstalt“ ( AS 276) wiederhergestellt worden ist - es sind dies zugleich die letzten Sätze des Romans: Als ich mich dann wieder ins Leben wagte, entdeckte ich, daß mein Gott nur eine Halbherrschaft hatte. Im Größten wie im Geringsten teilte er mit einem Wider‐ sacher, der Leben wollte. Die abstoßenden und anziehenden Kräfte, die Pole der B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 189 71 Kubin meint damit wohl die anatomische Lage der menschlichen Geschlechtsorgane im Ausscheidungstrakt. 72 Vgl. HUGHES 2007. 73 Schroeder bezeichnet Die andere Seite als „new insight into the creative process“ bzw. als „allegory of artistic discovery“ (SCHROEDER 1970: 142); vgl. MARGOTTON 1997: 117 f. 74 Vgl. GEYER 1995: 52 et passim; GEHRIG 2004: 132 f.; MARGOTTON 1997: 115 ff. 75 Vgl. dazu auch TORRA-MATTENKLOTT 2007. 76 Wie dies HOFMANN 1990: 103 ff. vorgeschlagen hat. Erde […], die Wechsel der Jahreszeiten, Tag und Nacht, schwarz und weiß - das sind Kämpfe. Die wirkliche Hölle liegt darin, daß sich dies widersprechende Doppelspiel in uns fortsetzt. Die Liebe selbst hat einen Schwerpunkt „zwischen Kloaken und Lat‐ rinen“. 71 Erhabene Situationen können der Lächerlichkeit, dem Hohne, der Ironie verfallen. Der Demiurg ist ein Zwitter. (AS 277, vgl. auch AS 147 f.) 16. Dieser Gebrauchsphilosophie der Ambivalenz 72 des modernen Menschen und seiner Götter entspricht als Darstellungsmodus in Literatur und Kunst die Groteske, deren Skandal im Wesentlichen in dem von Kubin beschriebenen - und als Zeichner selbst praktizierten! - Arrangement des ästhetisch Heterogenen zu sehen ist. Auf diese Weise lassen sich viele Elemente dieses dekadenten wie proto-totalitären Schöpfungsromans aber auch als Meta-Aussagen über das künstlerische Schaffen 73 oder als verschlüsselte Künstler-Autobiografie (mit den Allmachtsphantasien eines Geniekults der Frühmoderne) 74 lesen, wobei dann auch Kubin selbst mit Patera in Deckung zu bringen wäre in seinem Versuch, eine Art Ge‐ samtkunstwerk zu schaffen. 75 Andererseits ließe sich - ganz im Sinne des Kubin’schen Umschlags von narrativen Aussagen in ihr Gegenteil - das Traumreich auch als Karikatur der „Totalästhetisierung der Welt“ durch die Wiener Sezession lesen. 76 Wie die Groteske als Verfahren im Text selbst „erhabene Situationen“ ins Lächerlich-Triviale kippen kann, möge das im Folgenden zitierte Motiv des „Großen Uhrbanns“ illustrieren, dem alle Einwohner / innen Perles zwanghaft unterworfen sind. Beschrieben wird diese kultische Handlung in einem Brief des fiktiven Zeichners an einen gewissen „Fritz“ (hinter dem man unschwer Herzmanovsky-Orlando vermuten darf); dabei ist es der mächtige graue Uhrturm auf dem Hauptplatz von Perle, der auf sämtliche Bewohner eine mysteriöse, unglaubliche Anziehungskraft aus[übt]. Zu bestimmten Stunden wird dieses alte Gemäuer schwarmweise von Männern B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 190 77 Zu Kubins Affinität zu E. T. A. Hoffmann vgl. HERZMANOVSKY-ORLANDO / KUBIN 1983: 70. Vgl. weiters LIPPUNER 1977: 35; HEWIG 1967: 18, 89, 129 f.; CER‐ SOWSKY 1983: 74; JABŁKOWSKA 1989: 17; Rhein 1989: 44; GEHRIG 2004; MED‐ RANO 2013. 78 KUBIN 1959: 40. 79 FEDERMAIR 2012: 181. und Frauen umringt. […] Die Leute stampfen nervös den Boden und blicken immer wieder auf die langen, rostigen Zeiger da oben. Frägt [sic] man sie, was da vorgehe, so erhält man zerstreute, ausweichende Antworten. […] Kurz ent‐ schlossen riskierte ich’s auch einmal, wurde jedoch grob enttäuscht. Weißt du, was da drinnen war? Auch Deine Erwartungen werden sinken. Man kommt in eine kleine, winklige, leere Zelle, zum Teil mit rätselhaften Zeichnungen, wohl Symbolen bedeckt. […] Über die Steinwand strömt Wasser, ununterbrochen strömt es. Ich tat, wie der Mann, der nach mir eintrat, blickte die Wand starr an und sagte laut und deutlich: ‚Hier stehe ich vor Dir! ‘ Dann geht man wieder hinaus. Mein Gesicht muß ziemlich verdutzt ausgesehen haben. Die Frauen haben ihre eigene Seite mit eigenem Eingang, was wie in der ganzen Welt durch kleine Auf‐ schriften kenntlich gemacht ist. (AS 74, 77) Hier muss man an das zuvor zitierte Diktum Kubins denken, wonach Liebe „zwischen Kloaken und Latrinen“ liege - ein Gedanke, der hier wörtlich ge‐ nommen wird: Der Uhrbann, dem alle Einwohner / innen Perles wie Marionetten folgen, führt nämlich an einen Ort, der viel eher ein Örtchen ist, wo Wasser von der Wand rinnt - ein Pissoir? In dieser grotesken Verschränkung des Myste‐ riums mit banalen bis obszönen Körperäußerungen tritt Kubin auch das ästhe‐ tische Erbe T. A. Hoffmanns 77 an. Der unheilschwangere Grundton des Textes kennt durchaus humoristische Züge, so inadäquat diese auch wirken wollen, und man tut dem künstlerischen Gesamtwerk Kubins sicher Gewalt an, wenn man sie ignoriert. Der Autor selbst schreibt dazu in einem autobiografischen Text: ‚Die andere Seite‘ steht im Wendepunkt einer seelischen Entwicklung und deutet das versteckt und offen an vielen Stellen an. Ich gewann während ihrer Verfassung die Erkenntnis, daß nicht nur in den bizarren, erhabenen und komischen Augenblicken des Daseins höchste Werte liegen, sondern daß das Peinliche, Gleichgültige und All‐ täglich-Nebensächliche dieselben Geheimnisse enthält. 78 3. „Das leere Zentrum der Macht“: 79 eine ‚postkoloniale‘ Lesart Für den Protagonisten wie für den Leser der Anderen Seite ist die Abreise ins „Traumreich“ eine Fahrt ins Ungewisse. Welche Geheimnisse in den (karneva‐ B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 191 80 Vgl. BACHTIN 1985. 81 Vgl. ŽUKOVA 2001 / 2002. 82 HERZMANOVSKY-ORLANDO / KUBIN 1983: 100. 83 Schon in der Anderen Seite wird eine Reisebekanntschaft des Protagonisten wie folgt erzählt: „Kreuzung zwischen Armenier und Ostpreuße taxierte ich. […] Meinem Ras‐ seinstinkt zollte ich im geheimen ein Lorbeerblatt, dem Mischling reichte ich das Etui mit dem Bild“ (AS 34 f.). Im Vordergrund steht hier also die groteske Kombination des Kuriosen und Heterogenen, die selbstironisch kommentiert wird. So werden auch ne‐ gative Slawen-Stereotypen zum ironischen Spielball des Ich-Erzählers, der sich selbst als Hybrid und nicht etwa als ‚rassisch Überlegener‘ darstellt : „Ja Rußland! Das war noch ein Land nach meinem Geschmack: groß, üppig, unkultiviert [ ! ], aber doch mit dem Komfort herausrückend, sobald nur Geld klimpert. […] Ich ließ den Zaren leben und freute mich der paar Tropfen Slavenblutes, die auch in mir kreisen.“ (AS 30) 84 Vgl. KLEIN 1990: 173. lisierenden 80 ) Grotesken Kubins liegen, wird deutlich, wenn man sich bewusst macht, dass auch die Stadt Perle 81 - ebenso wie der ganze Text! - nach dem nämlichen Konstruktionsprinzip einer bricolage des Heterogenen zusammen‐ gesetzt ist. Die zitierte Konfrontation von Bethaus und Abort dürfte freilich noch durch andere Zuschreibungen motiviert sein, die in einer Interpretation des „Uhrbanns“ durch Herzmanovsky-Orlando in Form nationaler Kodierungen durchklingen: Wir Deutsche [! ] legen dem Pissoir viel mehr Wichtigkeit bei als Freud ahnt. Der Katholicismus und das Haus Habsb-Lothr sind Feinde eines feinentwickelten Closettwesens (Gegensatz zu England! ) - Dafür haben sie die „weihevolleren“ Aborte die alle Zusammenhänge mit der Hölle haben. Tausend Kindermärchen entspringen dem grundlosen Abort unseres Landes und ver‐ finstern dauernd den Geist des Volkes - Hades als Erzieher. Mit einem Fuß wurzelt unsre Kirche im Abort, während sie mit dem anderen in den Himmel ragt. 82 Dieser Brief Herzmanovskys an Kubin ist mit 22. 12. 1914 datiert und steht nicht zufällig im Kontext nationaler Erregung und entsprechender Feindbilder, von dem auch die anderen Briefe aus dieser Zeit zeugen, wie die folgende Blütenlese andeuten soll. Während Kubin zwischen der Abfassung des Romans und dem Kriegsausbruch relativ zurückhaltend bis (selbst)ironisch 83 bleibt, versteigt sich Herzmanovsky mehr und mehr in einen grotesken Rassismus, 84 wo sich Orien‐ talismus und zentraleuropäische Xenophobien in manieristischen Tableaus fast nahtlos ergänzen: [1. 4. 14, Oberägypten] Die Lagerköchin ist eine Böhmin die eine Mischung von Tro‐ penkoller und Säuferwahnsinn hat, ihr entsetzliches Gepowidale verscheucht die Schatten der Wüste. Auch der Curarzt war etwas gräßliches […] - solche Dinge B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 192 85 HERZMANOVSKY-ORLANDO / KUBIN 1983: 76. 86 Ebd. 83 f. Hervorh. im Orig. 87 MARGOTTON 1997: 112. müssen einem gerade hier passieren. Lauter Čechen! Dabei gibt’s hier meist Sachsen die eine gräßliche Angst vor Schlangen, Skorpionen und Glaubensverfolgungen haben […] 85 [18. 10. 14] wir verfolgen ein furchtbar ernstes Ziel, die andre Bande, die sich aus dem Auswurf der Nationen zusammenwürfelt, arbeitet planlos. Besonders Rußland schwimmt im Dreck spazieren. […] nach dem Krieg wird die Serbisierung Südösterreichs sofort wieder liebevoll von Staats wegen gefördert werden. […] Daß man „feinere“ „faire“ Regungen haben soll, ist einfach ein hirnverbrannter Blödsinn. Dadurch kommt der Deutsche eben nie auf einen grünen Zweig. Die uns umwohnenden Affenvölker [! ]wollen getreten und an‐ gespuckt werden, - dann functionieren sie liebenswürdig. 86 All diese Momente eines aggressiven othering, das mit einer rassistischen Hie‐ rarchisierung von ‚Völkern‘ einhergeht, finden sich unterschwellig auch in Ku‐ bins Roman, wenngleich viel verhaltener. Auf der anderen Seite fühlt sich Herz‐ manovsky-Orlando noch viele Jahre nach Erscheinen der Anderen Seite immer wieder gemüßigt, dem Autor seinen eigenen Text zu interpretieren. Inwieweit dies für unsere Lektüre zulässig ist - indem sie den Text als latentes Reservoir eines beim Leser Herzmanovsky manifesten politischen Imaginären auffasst -, muss aber dahingestellt bleiben. Was freilich im Folgenden vorgeschlagen werden soll, ist eine weitere von vielen möglichen Interpretationen der Anderen Seite Kubins, die wie gesagt immer nur defizitär - oder komplementär - sein können. Was zu unternehmen wäre, ist ein „kakanisches“ postcolonial (re-)reading des Textes - eine Lesart, die sich auf die Darstellung bzw. den Niederschlag von Herrschaft in diesem Text bezieht, ebenso wie sie die im Umfeld vorgetragenen ethnisch kodierten Ima‐ gines analysieren möchte: Die phantastische Utopie / Dystopie, wie sie hier vor‐ liegt, bietet ja dem Autor eine hervorragende Möglichkeit, Bilder des Eigenen im (reiseliterarischen) Gewande des Fremden zu präsentieren, insbesondere wenn es sich um ein Traumreich in den Tiefen Zentralasiens handelt, das aus kulturellen Versatzstücken Zentraleuropas zusammengekauft und damit quasi recycled ist - gleichsam als „musée d’une culture momifiée“. 87 „Im großen und ganzen war es hier ähnlich wie in Mitteleuropa und doch wie‐ derum sehr verschieden“, ruft der Ich-Erzähler einmal aus ( AS 49). An die Habs‐ B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 193 88 Vgl. AS 244 u. 246. 89 Vgl. etwa die Interpretation von HOFMANN 1990. 90 Vgl. MEYER 1990: 136: „Die Amtsstellen sollten, nach dem Vorbild der kaiserlich-ös‐ terreichischen Bürokratie, alle Eingaben oder Beschwerden dilatorisch behandeln. Die Einwohner müssen sich mit Kulten und Gebräuchen abfinden, deren Bedeutung diffus ist.“ Vgl. weiters LACHINGER 1999: v. a. 129. burger Monarchie gemahnt auch die Bevölkerungszusammensetzung und die wichtige Rolle, die Behörden im Traumreich spielen ( AS 55), aber noch viel mehr. Rätselhaft erscheint nur auf den ersten Blick das von Patera verhängte Gebot, im Traumstaat, der gleichsam als Proto- DDR durch eine „Umfassungsmauer von der Außenwelt abgegrenzt“ ( AS 9) ist, 88 nur gebrauchte Häuser, Kleider und Ge‐ rätschaften zu verwenden, wobei die „sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die äußerste Grenze bilden“ ( AS 18). Bei näherem Hinsehen indes wird deutlich, dass damit auf eine symbolische Zeitgrenze im kulturellen Gedächtnis Zentral‐ europas angespielt wird: Gemeint ist hier wohl das Eckdatum 1866 / 67 (und insgeheim auch 1848), also die Imagination eines intakten biedermeierlichen bzw. neoabsolutistischen Österreich: „man lebt wie Großvater im Vormärz und pfeift auf den Fortschritt“ ( AS 74). Die Erinnerung an Traumata der österreichischen Geschichte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert ist freilich in kleinen Details quasi im Hintergrund der Er‐ zählung präsent, so etwa, wenn der Zeichner und seine Frau bei der Ankunft in ihrem Gasthof in Perle zwei Gemälde vorfinden: „Über dem Ledersofa hing ein großes Bild Maximilians, des Kaisers von Mexiko, über den Betten hing Benedek, der Unglückliche von Königgrätz.“ ( AS 47). Hier handelt sich um zwei der großen historischen Verlierer des k. u. k. Imperialismus: um jenen General, mit dessen Niederlage gegen ein preußisch-norddeutsches Heer in Mähren 1866 der Aus‐ schluss Österreichs aus dem deutschen Vereinigungs- und Reichsgründungs‐ prozess besiegelt war, und jenen Bruder Franz Josephs, dessen Versuch, ein Sat‐ rapenreich auf den Spuren der spanischen Habsburger in Mexiko zu errichten, 1867 vor den Gewehrläufen eines revolutionären Erschießungskommandos en‐ dete. Aus der Sicht, dass es sich hier um eine k. u. k. Staatsallegorie handelt, 89 die nicht zufällig auf das Biedermeier als Befindlichkeit fokussiert, wird auch der von Patera oktroyierte „Widerwillen gegen alles Fortschrittliche“ ( AS 9) deut‐ lich. In der Darstellung der administrativen Einrichtungen Perles - des soge‐ nannten Archivs und des Palastes - treten Elemente der österreichischen Ver‐ waltungssatire 90 („die reinste Komödienobrigkeit“, AS 67) in den Roman, ebenso wie in der Darstellung der Ökonomie: Alles war B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 194 91 Siehe dazu Fußnote 37. 92 HOFMANN 1990: 106. 93 Ebd. 107. 94 Ebd.- Zu Bosnien vgl. auch Teil C. der vorl. Arbeit. nur Schein, lächerlicher Schein. Die ganze Geldwirtschaft war ‚symbolisch‘. […] Der Wechsel von […] Armut und Reichtum war ein viel rascherer als in der übrigen Welt. […] Hier waren Einbildungen einfach Realitäten“ (AS 62 f.). Die wahre Regierung lag woanders. (AS 67) Als der Zeichner versucht, zum Schattenpotentaten Patera durchzudringen, wird er durch einen veritablen Parcours von Behördenschikanen davon abge‐ halten; alle Klischees des österreichischen Bürokratismus werden hier wieder‐ holt, bis hin zum Büroschlaf (cf. AS 64 ff.). Von dieser sehr ‚kakanischen‘ Form der Verwaltungssatire werden literarhistorisch zwei Wege weiterführen: in die noch humoristischere Amtsgroteske, wie sie etwa Gustav Meyrinks Golem- Roman kennzeichnet und später Herzmanovsky-Orlando; andererseits in die Herrschaftsparanoia eines Franz Kafka, dessen Schloß-Roman - wie erwähnt - möglicherweise ja auch dem Vorläufer Kubin einiges verdankt. 91 Abseits dieser grotesken k. u. k. Staatssatire, die allgemein das „Fortwursch‐ teln“ und die kulturelle „Promiskuität“ 92 des anachronistischen Staatsgebildes Österreich-Ungarn ironisiert, sollten auch die konkreten Zeitumstände des Ent‐ stehungsjahres 1908 in eine Kontext-Analyse miteinbezogen werden, wie Werner Hofmann angeregt hat: Während in jenem Jahr der junge Wiener Autor Emil Kläger in die Elendsquartiere des Lumpenproletariats in den Kanälen der Großstadt (deren „Kloaken“) hinabstieg, feierte das öffentliche, offizielle Österreich in einem Ringstraßenfestzug den 60. Jahrestag der Thronbesteigung von Franz Josef I. In unmittelbarer Nähe der Prachtstraße fand von Mai bis Oktober die 1. Wiener Kunstschau statt. Mit dieser Ausstellung wollte die Klimt-Gruppe eine patriotische Bilanz vorlegen […]. Zu diesem Kulturkonformismus verhält sich Kubins Roman wie eine demaskierende Gegen‐ stimme. 93 Auch ist das Faktum nicht ohne Belang, dass das „Traumreich“ so etwas wie ein imaginiertes Kolonialreich ist. Es wurde zu Zeiten erdacht, als die letzte große Expansionsbewegung des europäischen Imperialismus in Afrika und Asien be‐ reits stattgefunden hatte; speziell wurden im Entstehungsjahr der Anderen Seite (1908) die „Kongogräuel“ des belgischen Königs weltweit diskutiert wie auch - als Ausdruck von „Kolonialisierungsambitionen innerhalb Europas“ - Bos‐ nien-Herzegowina von der Habsburger Monarchie formell annektiert, 94 wo‐ B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 195 95 Ebd. 96 Vgl. auch Herzls Roman Altneuland (1902), dazu etwa MÜLLER-FUNK 2003 und BACH 2016. 97 Vgl. AS 16 u. 143 ff. 98 Vgl. AS 144 ff. u. 252. 99 Vgl. AS 255 ff. durch der Kontinent avant la lettre an den Rand eines Weltkriegs geriet. Hof‐ mann weist in diesem Zusammenhang auf Kubins Reisen durch Ungarn, Dalmatien und Bosnien 1907 und 1909 hin, auf der Kubin wesentliche Eindrücke im Sinne eine inneren Exotismus empfangen habe, und er liest Herkules Bell als Stimme des ‚modernen‘ Berlin seinem ‚kleinen Bruder‘ und Alliierten Öster‐ reich-Ungarn gegenüber. 95 Ebenso stellt der Roman eine Art von literarischer Parallelaktion zum Zio‐ nismus dar (Theodor Herzls Judenstaat war bereits 1896 erschienen) - eine Ide‐ ologie, die ihrem Prinzip nach ähnlich funktioniert: Ein fremdes Territorium wird symbolisch besetzt und später kolonisiert von einer Gruppe von Ur‐ sprungsuchern und Europa-Flüchtlingen; in der Diktion der Anderen Seite hieße dies „eine Freistätte für die mit der modernen Kultur Unzufriedenen“ ( AS 9), wobei doch einzuräumen ist, dass die Einwohner / innen des Traumreichs die Emigration in ihr Gelobtes Land eher nicht freiwillig - wegen ihrer Marginali‐ sierung - antreten; sie werden auf Grund körperlicher oder psychischer Ano‐ malien vom décadent en chef Patera einberufen oder vielmehr: gesammelt. Hier endet also auch schon der Parallelismus zu Theodor Herzls Ideen; 96 Kubins Roman als antizionistische Satire anzusehen, würde wohl doch zu weit gehen (und außerdem ist nur ein Bruchteil der Einwohner von Perle jüdischer Her‐ kunft). Dennoch ist der Text auch von den Phantasmen eines zeitgenössischen Ori‐ entalismus durchzogen: Der beschriebene Traumstaat liegt nicht nur in Zent‐ ralasien, sondern es gibt dort auch noch jene rätselhaft blauäugigen „Urein‐ wohner“, die in einer Vorstadt von Perle wie in einer „ethnographischen Musterausstellung“ ( AS 143) leben, mit besonderer Weisheit begabt scheinen, 97 aber dennoch verachtet sind; evident wird auch hier der Kontext der „Völker‐ schauen“ um 1900 (vgl. Kap. B.2. dieser Arbeit). Einmal mehr findet damit der Exotismus der europäischen Jahrhundertwende in Motiven von Zivilisations‐ ferne und „Ursprungsnähe“ seinen literarischen Ausfluss, verbrämt mit bud‐ dhistischen Versatzstücken. 98 Nicht zufällig sind die „Blauäugigen“ auch unter denjenigen, die den Kollaps des altmodischen Traumreichs unter dem Schock einer als „amerikanisch“ imaginierten Moderne überleben werden 99 (wobei sie offenkundig auch gewisse crackpot-Rassetheorien der Jahrhundertwende ver‐ B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 196 100 Vgl. ALDER & DALBY 1979. 101 KUBIN: Zigeunerkarten. Zirkus des Lebens (1932), zit. n. HEWIG 1967: 20. körpern, aus denen später Hitlers und Himmlers Ursprungssuche nach der ari‐ schen Rasse in Tibet hervorgehen wird). In Hinblick auf eine innere ethnische Differenzierung der Habsburger Mo‐ narchie indes mag nicht uninteressant sein, dass in der symbolischen Ordnung des Romantextes jenes imaginierte „Asien“ schon bald nach der Abreise beginnt: „Ab Budapest machte sich bereits ein leichter asiatischer Einschlag bemerkbar. Wodurch? Im Interesse dieses Buches will ich Ungarn nicht beleidigen.“ ( AS 29) Worauf aber gründet diese Zurückhaltung Kubins? Eine plausible These wäre, dass es beim Traumreich um nichts weniger als um die groteske Apotheose, aber auch um die Untergangsphantasien des alten österreichisch-ungarischen Staates geht. Gezeigt wird, wie eine altmodische, liebevoll kritisch evozierte zentraleuropäische Ordnung unter dem Einfluss einer Demokratie westlichen Zuschnitts und vor allem amerikanischen Kapitalis zusammenbricht. (In seiner Staatsphilosophie stünde Kubin damit den während des Ersten Weltkriegs entstandenen Betrachtungen eines Unpolitischen von Thomas Mann und seiner Dichotomie von „Kultur“ vs. „Zivilisation“ erstaunlich nahe.) Für die Ansiedelung des Traumreiches im chinesischen Teil Zentralasiens gibt es neben der Möglichkeit, auf diese Weise exotistische Diskurse zu inszenieren bzw. zu bedienen, möglicherweise noch anderen Grund: Zum einen waren die spektakulären Zentralasien-Reisen des Budapester Gelehrten Ármin Vámbéry (1832-1913) in orientalistischer Verkleidung, 100 umgeben vom Odium des eng‐ lischen Geheimagenten, Gemeingut der Zeit. Zum anderen schreibt Kubin Jahre später, nämlich 1932, verschmitzt vom Zauber des alten Österreich, „dem wahren China Europas“. 101 Ebenso werden in den Machtkonstellationen, die Kubins Roman beschreibt, die Konkurrenten der Habsburger Monarchie am Vorabend des Ersten Weltkriegs und ihre partikularen Interessen sichtbar: Der Amerikaner schrieb, daß er sich an die Engländer wende, als die erklärten Feinde jeder entwürdigenden Sklaverei, und von ihnen schnellste und durchgreifendste Hilfe erwarte. […] Russland erhielt als Grenzreich das Mandat zum Eingreifen; die ge‐ wöhnlichen Eifersüchteleien schwiegen, die Parlamente wurden vorläufig nicht ver‐ ständigt. […] Der Zar hoffte nebenbei, daß ihm eine steuerkräftige Provinz zufallen würde; lag doch das sagenhafte Land dicht an der russischen Grenze. (AS 172 f.) B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 197 102 SPIELMANN 1980; BROCKHAUS 1990: 136 et passim. 103 KOSELER 1995: 54; vgl. auch LIPPUNER 1977: 20 f. 104 SCHMIDT-DENGLER 2001 / 2002: 54.- Neben Prag wurden u. a. auch Salzburg und Leitmeritz als mögliche Vorlage für Perle nominiert, vgl. CERSOWSKY 1983 / 94: 92 ff., HOBERG 1990: 123 ff., LACHINGER 1999 und ŽUKOVA 2001 / 2002. MARGOTTON 1997: 111 wiederum sieht Parallelen zwischen Perle und dem ebenfalls im Roman er‐ wähnten Samarkand. 105 DEMMELBAUER 2003: 132 schreibt, die einen sähen in Kubins Roman „ein Spiegelbild des Absterbens der Habsburger Monarchie, die anderen die Überwältigung einer müde gewordenen Zivilisation durch den ‚Amerikanismus‘ einer ausschließlich am Geldver‐ dienen orientierten Zivilisation“. Wie gezeigt wird, verschränken sich diese beiden Themen durchaus. Viele dieser Korrespondenzen mit der Situation Österreich-Ungarns vor dem Ersten Weltkrieg sind neben Hofmann schon Hans Robert Spielmann und an‐ deren Interpreten aufgefallen: Kubin gestaltet durch die Erschaffung einer phantastischen Fiktionsrealität, deren Versatzstücke auf die österreichische Wirklichkeit verweisen, indem er dieses Phan‐ tasieprodukt als Ergebnis der Imaginationskraft des erlebenden Ichs dadurch relati‐ viert, daß er das Ich als seiner Geschichtlichkeit verhaftetes entlarvt […], nicht nur eine authentische Darstellung österreichischer Verhältnisse in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo der Ruf nach einer Ordnungsmacht angesichts der ökonomi‐ schen und politischen Entwicklung längst ein Anachronismus geworden ist, der den ‚Herrn‘ in der Tat zur ‚Mystifikation‘ werden läßt, sondern er sieht auch das unver‐ meidliche Ende des Habsburgerreiches voraus, wenn er Herkules Bell und die euro‐ päischen Nachbarn als kapitalhungrige Totengräber zum Angriff blasen läßt. 102 Michael Koseler indes hat dieser Sichtweise vehement widersprochen: Der Text biete „selbst wenig Anhaltspunkte für eine solche Sicht“; wenn man das Traum‐ reich als - wenn auch modifiziertes - Abbild oder Konzentrat des alten Europa respektive Österreich-Ungarns verstünde, übersehe „man wesentliche Unter‐ schiede“ und ignoriere „die spezifische Eigenart des Kubinschen Phantasie‐ landes“. 103 Dieser Sichtweise wiederum hat Wendelin Schmidt-Dengler oppo‐ niert, wenn er schreibt: „Es scheint viel eher angebracht, Elemente, die zu der synthetischen Stadt Perle geführt haben, doch gerade in den Städten der unter‐ gehenden Habsburger-Monarchie zu vermuten.“ 104 Mit Recht - denn die Reihe der Belege für eine solche Interpretation ließe sich noch weiter fortsetzen; 105 einer ‚postkolonialen‘ Lesart erschließt sich Kubins Roman so als österreichische Reise in ein ‚Herz der Finsternis‘ „kakanischer“ Phantasmen des Eigenen und des Fremden. Interessant ist etwa die ethnische Hierarchisierung, die unterschwellig im „Traumreich“ stattfindet: So gibt es vor B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 198 106 HOFMANN 1990: 107. 107 Vgl. SCHMIDT-DENGLER 2001 / 02: insbes. 47 ff. allem in der Hauptstadt Perle nahezu alle Nationalitäten, jedoch werden im so‐ genannten „französischen Viertel“, jenem Slum des Elends und des Verbrechens, vor allem „Romanen, Slawen und Juden“ ( AS 51 f.) deterritorialisiert. Und weiter heißt es dekuvrierend: „Zum weitaus größten Teil waren die Träumer ehemals [! ] Deutsche [! ]. Mit ihrer Sprache kam man in der Stadt wie bei den Bauern durch. Andere Nationalitäten kamen dagegen nicht auf.“ ( AS 56) Es liegt hier nur auf der Hand, dass Werner Hofmann diese Kategorisierung mit der Demo‐ grafie Cisleithaniens um 1910 verglichen hat. 106 Die ethnische Gliederung in der narrativen Konstruktion des Traumreichs nimmt in einem Fall manifest rassistische Züge an - bei der Nennung der Über‐ lebenden des Untergangs. Neben Bell, dem Ich-Erzähler und der russischen Prinzessin von X. kommen auch sechs Juden davon, die in einer nachgerade kolonial-zoologischen Bildlichkeit antisemitisch desavouiert werden: Im nahen Urwalde jagten herumstreifende Soldaten ein Rudel halbnackter Geschöpfe auf, die auf Bäumen saßen und heftig sprachen und gestikulierten. Es stellte sich he‐ raus, daß es ebenfalls Traumstädter waren, 6 Israeliten, Besitzer von Gewürzkräme‐ reien. Ich hörte später, daß sie sich auffallend schnell erholt haben und in den großen Städten des europäischen Nordens und Westens zu großem Reichtum gekommen sind. (AS 273) Man wird hier nicht von ungefähr an die vorher zitierten Reiseschilderungen Herzmanovsky-Orlandos erinnert. Ebenso mag aufschlussreich sein, dass Ku‐ bins Freund, der später mit seinem eigenen Romanfragment Im Maskenspiel der Genien (entstanden 1926-29 und 1958 postum erschienen) nochmals auf zentrale Motive der Anderen Seite anspielen wird, 107 in seinen Briefen immer wieder ver‐ sucht, das Traumreich und seine Hauptstadt an realen Reiseerfahrungen zu messen und gleichsam zu „aktualisieren“; dabei wird einmal mehr auffällig, wie der esoterisch versierte Herzmanovsky auch völkertypologischen bis rassisti‐ schen Diskursen anhing. Im zitierten Brief vom 15. Juli 1913 beschreibt er die Adriainsel Brioni, auf der sich Jahrzehnte später der jugoslawische Staatschef Jozip Broz Tito seine Präsidentenvilla einrichten lassen sollte: Dabei gibt’s überall uraltes Gemäuer, gotische Kirchenruinen in tiefdunklen Lorbeer‐ hainen, Cisternen unter Palmen in felsigen Schluchten, kunstreichste Mosaikböden mitten in der Wildnis - kurz: Ein Märcheneiland im besten Sinne des abgedroschenen Wortes. Daneben der große Luxus, prachtvolle Toiletten und fashionables Leben, Tor‐ pedoboote in Nixentümpeln und Dreadnought vor römischen Ruinen… sehr Traum‐ B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 199 108 HERZMANOVSKY-ORLANDO / KUBIN 1983: 73. Hansi Niese war eine damals sehr populäre Wiener Volksschauspielerin. 109 Zit. nach BRUNN 2000: 154. 110 Zit. ebd.- Zur ambivalenten Haltung des nationalsozialistischen Kultur-Establishments Kubin gegenüber und zu dessen offenkundigen Opportunismus vgl. GERHARDS 1999: 129 ff. und ASSMANN 1995. 111 Briefzitat n. BRUNN 2000: 154.- Kubin hat im Übrigen wiederholt von der Erinne‐ rungsfunktion seiner Zeichnungen gesprochen; eine Kleinigkeit wie etwa ein be‐ stimmter Geruch reiche bei ihm schon zum Bildimpuls aus, der in ein künstlerisches ‚Notat‘ münde; vgl. HOBERG 1995: 22. stadt, voll perversem Geflüster, Märchenraunen, protzigem Gejüdel und den Kropf‐ tönen der Niese. Traummeister, das wäre was für dich! 108 Ob nun in der ethnischen Konstruktion des Traumreiches als Vielvölkerstaat mit Deutsch als Hegemonialsprache, ob in der paternalistischen Herrschaft, der karikaturalen Bürokratie, in den Feinden des Staates und in seinen Mikroras‐ sismen - wir erkennen überall deutliche Spuren Österreich-Ungarns wieder, jedoch ohne viel habsburgischen Mythos. Es ist vielmehr ein schäbiges Reich des Überkommenen, ein „Reich des Untergangs“, wie es schon Helmut Petriconi nannte, zum Abgesang liebevoll, aber grotesk re-arrangiert. Nicht umsonst wird sich Kubin in einem Brief an Ernst Jünger vom 9. April 1938 - kurz nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutsch‐ land also! - als „faktisch so eine Art Totengräber des alten K. K. Österreichs“ bezeichnen. 109 In einem weiteren Brief vom 3. Juli 1939 weist Kubin aber einen NS -Artikel über seine Person zurück, der denselben Wortlaut verwendet. 110 In diesem Schreiben ist auch fast im Stil Proustscher Gedächtniskunst vom „Duft jener unvergänglichen Epoche“ die Rede 111 - und es war eben jener „eigentüm‐ liche Duft“ ( AS 119, vgl. AS 70), der dreißig Jahre zuvor auch das „Traumreich“ charakterisierte, das den entflohenen Nervösen der Jahrhundertwende „schau‐ erliche Abgründe für geschärfte Sinne“ ( AS 89) bot: Immer wieder war es die undefinierbare Substanz, man roch und fühlte sie schließlich mit dem ganzen Körper. Bei Tage wollte niemand etwas gesehen haben, die Stadt war wie gewöhnlich tot, leer, träge. (AS 90) Und schließlich heißt es: Auf einmal überkam es mich, als wäre dieser geschwärzte Saal das alte, längst abge‐ rissene Stadttheater in Salzburg. (AS 93) Kubins Traumreich wird so zu einem theatralisch alternativen Gedächtnisraum des anachronistischen Vater-Lands Österreich-Ungarn - unter anderem. „Die B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 200 112 Hervorhebungen wie im Orig. (Bayr. Staatsbibliothek München). Zit. n. ASSMANN 1995: 81. 113 Vgl. CICERO, De oratore II, 86. Vgl. auch LACHMANN 1990: 20 ff. Zeit heute ist mir fremd, doch vertraut das Gewesene - oder des Traums Ge‐ spinst“, 112 formuliert der Künstler am 18. Mai 1941 in einem Brief an den Sammler Ernst Krukenberg. 4. Reklamationen: die Permanenz des Provisorischen Als Traumgespinst ist Die andere Seite, wie zu zeigen war, immer mehr als die Summe ihrer einseitigen Interpretationen. Und der Text wird wohl noch etliche Generationen von Leser / inne / n einladen, es den Immigrant / inn / en des Traumreichs gleich zu tun und in seine mehrfach kodierte, versumpfte Welt die jeweils eigene Fokussierung des kulturellen Gedächtnisses als Maßstab einzu‐ bringen; das ist auch letztlich, was es heißt, zu interpretieren. Die Leserschaft ähnelt darin angesichts des finalen Untergangs des Traumreichs auch dem Ly‐ riker Simonides aus der ciceronischen Legende, der aufgrund der Ordnungs‐ leistung seines Gedächtnisses post festum, nach dem Einsturz des Gebäudes, in dem ein Gastmahl stattfand, die Toten zu identifizieren vermag. 113 Kubins Text freilich zieht jede angebrachte Interpretation, die ebenso Loka‐ lisierung, Verortung, bedeutet, gleichsam in den Malstrom seiner phantastischen Unentschiedenheit, um sie ebenso zu bestätigen wie zu unterminieren - so wie jene vergeblichen Stadterweiterungsversuche in Perle, die aber auch etwas zu‐ rücklassen, das aussieht wie das Mausoleum eines historischen Herrschers: Im Norden das Gebirge, im Osten der Fluß, im Westen der Sumpf, hätte sich die Stadt nur noch nach Süden ausdehnen können. Dort, neben dem Friedhof, waren allerdings noch große, unbebaute Flächen: die Tomassevicfelder, nach ihrem verstorbenen Be‐ sitzer genannt. Aber alle Bauversuche erwiesen sich als trügerische Spekulationen. Nicht einmal unter Dach, wurden die Bauten Ruinen. Unter ihnen fiel ein verlassener Ziegelofen auf, der sich wie das Riesengrab irgendeines […] Großkönigs ausnahm. (AS 52) Anhand dieser Textpassage lässt sich einmal mehr Kubins Verfahren der nar‐ rativen Anspielung zeigen, die das Eigene gern im Gewand des Fremden prä‐ sentiert. Der hier vorkommende serbische Name Tomas(s)ević ist nämlich nicht nur generell ‚kakanisch‘ konnotiert, zumal er vor allem in den damals zur Habs‐ burger Monarchie gehörigen Regionen Vojvodina und Dalmatien häufig vor‐ kommt; im Kontext der vergeblichen Bauversuche und des Untergangs ist es möglicherweise auch nicht zufällig, dass sein wohl prominentester historischer B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 201 Träger Stjepan Tomašević (1438-1463) war: der letzte König von Bosnien, bevor dieses vom Osmanischen Reich erobert wurde. Ein kleines pikantes Detail - aber ebenso gut lässt sich das Vanitas-Bild vom Riesenmausoleum auf sumpfigem Felde auch als Emblem der Kubinschen Le‐ bensphilosophie, wonach das Sein vergeblich mit dem Nichts ringt, lesen, oder als Metadiskurs künstlerischer Produktion und deren Vergeblichkeit. Vielleicht ist es aber ebenso wie die Figur des Großmanipulators Claus Patera, die ewig jung erscheint und jäh zum Greis wird, Kubins Hommage an einen damals noch lebenden alten Herrscher, der selbst nie im Text erwähnt wird: Franz Joseph I. B.3. Staatssatire als kolonialer Alptraum: Alfred Kubin 202 Teil C: FallStudien (II) Kolonialismus als Kultur: Bosnien-Herzegowina, 1878 - 1918 Teil C: FallStudien (II) 204 1 BAUER 1971: Klappentext (Buchrücken). C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? GrundLegendes zur österreichisch-ungarischen Prä‐ senz in Bosnien-Herzegowina, 1878 - 1918 Riesige, undurchdringliche Wälder, Flüsse in breiten Tälern, Almen mit eckigen, strohbedeckten Bauernhäusern, leise plätschernde Springbrunnen in den Vorhöfen der Moscheen mit ihren schlanken Minaretten, kühn projektierte Brücken in gewal‐ tigen Bögen über grünklare Flüsse, trotzige Burgen und Klöster mit dem mattgoldenen Glanz ihrer Heiligenbilder - ein Stückchen Orient im Gebirge und in der Nachbar‐ schaft des Mittelmeers - das ist Bosnien-Herzegowina, kaum eine Halbtagsreise von Mitteleuropa entfernt! Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren dies unwahrscheinlich rückständige und verwahrloste Provinzen, selbst dem Türkischen Reiche entfremdet und irgendwie un‐ heimlich. Trotzdem wurden die Österreicher, als sie 1878 als Okkupanten kamen, kei‐ neswegs gut, sondern mit Mißtrauen empfangen. Dieses Mißtrauen wurde jedoch im Laufe der nächsten 40 Jahre abgebaut. Der Monarchie gelang es, durch eine vorbild‐ liche Administration[,] korrektes und gerechtes Verhalten und viel Geduld sowie durch technische Leistungen das Vertrauen der Bosnier immer mehr zu gewinnen. Es war ein weiter Weg, der von den ehemaligen Insurgenten zu den treuesten Regimen‐ tern der k. u. k. Armee führte - er dauerte nur 40 Jahre, aber er war in seiner Art wunderbar. Als es 1918 zum endgültigen Zusammenbruch kam, der zur chaotischen Nachkriegslage führte, wurde von den Bosniern oftmals der österreichischen Verwal‐ tung mit leiser Wehmut gedacht, weil sie Recht und Ordnung garantiert hatte. 1 Das ist in nuce das österreichische Narrativ von der Besetzung, Verwaltung sowie vom Anschluss und Verlust Bosnien-Herzegowinas in den Jahren zwi‐ schen 1878 und 1918. Die kleine Skizze auf dem Buchrücken von Ernests Bauers Buch Zwischen Halbmond und Doppeladler (1971) listet nicht nur im ersten Ab‐ satz die gängigen topografischen, architektonischen und kulturellen Stereo‐ typen über Bosnien-Herzegowina auf, sondern führt noch andere narrative und in weiterer Folge politische Operationen aus: Nicht nur werden die Herzego‐ winer / innen aus dem Bild herausredigiert - es passiert ihnen nur allzu häufig, 2 BOYM 2001: xiii. 3 ZANTOPP 1997: 4.- 4 Vgl. Kap. B.0. der vorl. Arbeit. 5 Vgl. etwa STOLER & COOPER 1997: 4 u. 16. dass sie unter den Bosnier / innen subsumiert werden -, sondern auch die Un‐ garn als imperiale Partner der österreichischen Okkupation sind verschwunden. Vergessen wird ebenso, dass viele Soldaten, die Bosnien-Herzegowina 1878 be‐ setzten, keine Österreicher im engeren Sinn waren, sondern selbst Südslawen. Dafür wird die Erfolgsgeschichte erzählt, wie aus rückständiger ‚Wildnis‘ ‚Zi‐ vilisation‘ wird - so sehr, dass die neuen bosnischen Untertanen förmlich be‐ trübt sind, als ihre Invasoren und Okkupanten sie wieder verlassen. Damit wird offenkundig eine postimperiale Sehnsucht jener, die der Herrschaft verlustig gegangen sind, auf die Beherrschten rückprojiziert, ganz im Sinne von Svetlana Boyms Definition, wonach Nostalgie „a longing for a home that no longer exists or has never existed“ sei, „yet the moment we try to repair ‚longing‘ with a particular ‚belonging‘.“ 2 Heute ist dieses Bild freilich auch in Bosnien-Herzego‐ wina durchaus anschlussfähig, gibt es hier doch die stehende Phrase der Groß‐ eltern vom Švabo babo, der netten „schwäbischen“ (= ’deutschen’) Vaterfigur (Franz Joseph? ), der all die schönen Gebäude, Eisenbahnen usw. im Land zu verdanken sind. Bei dieser Familienaufstellung sei noch einmal daran erinnert, was Susanne Zantop 3 über die Konstruktion von Liebesvon Verwandtschafts‐ beziehungen zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten gesagt hat: 4 Einer kri‐ tischen Lektüre nämlich - die vor dem Millennium in Österreich ob der Wir‐ kungsmacht des habsburgischen Mythos wohl kaum möglich war - erschließt sich ganz deutlich die Nähe der Bauers naivem Narrativ zugrundeliegenden Ideologie zu kolonialen Denkmustern und Diskursen, und damit steht er kei‐ neswegs alleine da, gibt es doch zahllose andere Quellen, die ähnliche Schlüsse zur österreichisch-ungarischen Präsenz in Bosnien-Herzegowina 1878-1918 zulassen. Dies wollen wir zum Anlass nehmen, die in A.1. angestellten Überle‐ gungen zum inner(kontinental)en Kolonialismus in Zentraleuopa wieder auf‐ zugreifen und anhand dieses konkreten Fallbeispiels weiter zu präzisieren. In den letzten Jahrzehnten ist ja - als Folge der sog. Postcolonial Studies - von Kulturwissenschaftlern wie auch Historikern heftig diskutiert worden, ob jener moderne europäische (Übersee-)Kolonialismus im 19. und 20. Jahrhundert eher in Begriffen einer politischen Ökonomie oder als Herrschaftskultur zu be‐ schreiben ist. 5 Darüber hinaus lassen sich mit den Kolonialhistorikern Laura Ann Stoler und Frederick Cooper auch noch weitere Zugänge zum Phänomen identifizieren: C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 206 6 Ebd. 5. 7 Zur Kolonialismus-Definition in Hinblick auf eine Abgrenzung von bzw. Kontextuali‐ sierung mit dem Imperialismus-Begriff vgl. BALANDIER 1966: 39 u.ff.; ARENDT 1955: z. B. 309 ff.; SAID 1994; OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 26 ff.; REINHARD 1996 / 2008: 1; HODDER-WILLIAMS 2001: 2237; SEGESSER 2014; YOUNG 2015: 59 ff. 8 Zur gesellschaftlichen Dynamik, die mit der Einführung bzw. Duldung ‚eingeborener‘ Massenmedien - i.e. der Schaffung von ‚bürgerlicher Öffentlichkeit‘ (Habermas) - aus‐ gelöst wird und letztendlich zur Dekolonisation beiträgt, vgl. etwa KALPAGAM 2002. 9 Vgl. FANON 1981. 10 Zit. n. PADAMSEE 2005: 125. To some, colonies were a domain of exploitation where European powers could extract land, labor, and produce in ways that were becoming economically less feasible and politically impossible at home. […] To others, colonies have marked a place beyond the inhibitions of the increasingly bourgeois cultures of Europe. […] Still other ana‐ lyses have looked at colonies as laboratories of modernity, where missionaries, edu‐ cators, and doctors could carry out experiments in social engineering without con‐ fronting the popular resistances and bourgeois rigidities of European society at home […]. Finally, a flood of recent scholars has located in the colonies the Other against whom the very idea of Europeanness was expressed […] 6 Für welche Sichtweise und Definition man sich auch entscheiden mag, handelt es sich beim historischen Kolonialismus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg um eine der sichtbarsten Ausprägungen eines zeitgenössischen Imperialismus ka‐ pitalistischer Prägung, der der Welt bis heute zwei Gesichter zeigt(e): 7 Zum einen steht er für militärische Eroberung und Fremdherrschaft über Menschen anderer Kultur und Hautfarbe, für Ungleichheit und paternalistische Identitätspolitiken im Zeichen der „Zivilisation“, aufoktroyiert auf der Basis latent oder manifest rassistischer Diskurse, die einen ‚faulen‘, zurückgebliebenen Eingeborenen be‐ schwören, den es zu zähmen und erziehen gilt. Zum anderen brachte der Kolo‐ nialismus aber auch moderne Infrastruktur und Öffentlichkeit, neue Produkte und Lebensstile ebenso wie Pressewesen, 8 Bildungs- und Rechtssysteme mit sich, was für viele Kolonien den ersten Schritt in eine Zivilgesellschaft darstellte und es jenen „Verdammten dieser Erde“ (Frantz Fanon 9 ) paradoxerweise ermög‐ lichte, schlussendlich die Kolonialherrschaft abzuschütteln. So schreibt etwa William Edwards schon 1866: „the more the people become enlighted and civi‐ lized the more earnest will, in all probability, be their efforts to get rid of us“. 10 C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 207 11 Vgl. HORKHEIMER & ADORNO [1947]/ 1988. 12 Dies geschieht freilich unter einem anderen Vorzeichen als bei FIELDHOUSE 1981: 49, wo es heißt: „Ultimately the twin forces of imperial disillusionism and moral concern and colonial resentment and ambition fused to generate decolonization. This was the dialectic of colonialism as an historical phenomenon. In its beginnings was its end.“ 13 Zur „civilizing mission“ als zentraler Ideologie zur diskursiven Legitimierung des Ko‐ lonialismus vgl. etwa OSTERHAMMEL 2005; MANN 2004; u. a. 14 KRAUS 1919: 116 u.ff. 15 Schon PALAIRET 1997: 171 arbeitete die „Licht- und Schattenseiten der österrei‐ chisch-ungarischen Aktivitäten in Bosnien heraus“ (KOLM 2011: 236), wenn er schrieb: „If Bosnia was exceptional in its economic progress before 1914, this was solely due to the exogenous force of quasi-colonial intervention.“ (vgl. ebd. 203 ff.) 16 MAURER 1870: 419. Man könnte hier in Anlehnung an Horkheimer / Adornos Begrifflichkeit 11 von einer doppelten „Dialektik des Kolonialismus“ sprechen, 12 in der einerseits das vorgebliche Aufklärungs- und Reformprojekt der mission cilvilatrice  13 (der zentrale Legitimationsdiskurs des Kolonialismus, den ein bekanntes Gedicht von Rudyard Kipling „white man’s burden“ nennt) in Unterdrückung und lang‐ wierige Verwüstung der späteren Dritten Welt ausgeartet ist - was aber ande‐ rerseits nicht nur eine Selbst-Entfremdung dieser Regionen nach sich zieht, sondern auch einen wichtigen Schritt in Richtung einer Modernisierung und Dekolonisierung darstellt. Wie nun im Folgenden behauptet werden soll, zeigte die Habsburger Monarchie Bosnien-Herzegowina beide Seiten dieses kolonial‐ istischen Januskopfes - gleichsam das „österreichische Antlitz in allen For‐ men“, 14 um mit Karl Kraus zu sprechen. 15 1. Die Vorgeschichte der Besetzung Bosnien-Herzegowinas 1878 Welche Zukunft müsste Bosnien haben, wenn es in die rechten Hände käme! Welche unterirdischen und welche oberirdischen Schätze bietet sein gesegneter Boden, wel‐ cher Ueberfluss an Wasserkraft geht dort täglich unbenutzt verloren und welches Clima wäre schöner und gesünder als das bosnische! Wer sind aber die rechten Hände? Die bosnischen sind es nicht, denn weder die verkommenen und entwürdigten Rajahs [= die bosnischen Christen, C. R.] sind fähig, aus sich selbst heraus das Land zu heben, noch können die dünkelhaften, blutsaugenden, muhamedanischen Aristokraten dies vollbringen, die letzteren müssten vielmehr als erstes und Haupthindernis alles Ge‐ deihens gründlich beseitigt werden, indem man ihnen nicht blos den gesammten Grundbesitz abnähme, sondern sie auch überhaupt aus dem Lande jagte […] 16 Der Preuße Franz Maurer, der 1870 seine Reise durch die Saveländer festgehalten hat, schwadroniert hier scheinbar zu sich selbst über die Zukunft Bosniens; dabei fasst er jedoch wichtige geopolitische Fragen der Zeit in Bezug auf den West‐ C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 208 17 Vgl. ebd. 357 f. 18 Vgl. HOBSBAWM 1987.- LEWIS 1995: 12 etwa spricht von der 2. Hälfte des 19. Jhs. als „period of unprecedented colonial expansion“; die Jahrhundertmitte „saw a change in the nature of imperial relations as the style of the earlier mercantile period“ (ebd. 13). 19 Vgl. JELAVICH 1969: 115 ff.; DEDIJER u. a. 1974: 393 ff.; DONIA 1981: 9 f.; BRIDGE 1989; BÉRENGER 1994: 115 ff.; HÖSCH 2002: 129 ff.; DETREZ 2015; u. a. 20 Vgl. JELAVICH 1969: 115-120. balkan zusammen und formuliert nachgerade ein koloniales Programm; dass er diesbezüglich gegenüber der Habsburger Monarchie und ihrer Fähigkeiten überaus skeptisch ist, 17 steht freilich auf einem anderen Blatt. Die ausschlaggebenden Motive, warum Österreich-Ungarn den halbherzigen Anschluss Bosniens und der Herzegowina ans eigene Staatsgefüge plante und letztlich durchführte, werden bis heute disktiert und sind wohl zwischen den Zeilen der zwanghaft wiederholten k. u. k. „Friedens- und Kulturmission auf dem Balkan“ zu finden: dies umso mehr, als sich einem historischen Rückblick beide Optionen - take Bosnia or leave it (to the Serbs) - als potenziell gleich katastro‐ phal darbieten. Man tut wohl gut daran, mit Eric Hobsbawm das „Age of Empire“ in Europa als signifikante politische Handlungsfolie anzusehen, 18 wie dies zum Beispiel Arnold Suppan (1978), Evelyn Kolm (2001) oder Robin Okey (2007) getan haben. Auch sonst weicht in der kanonisierten Geschichtsschreibung des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts das Narrativ von der Vorgeschichte der Okkupation 1878 nicht wesentlich von den Leitlinien ab, die die renommierte Balkanhistorikerin Barbara Jelavich und andere Forscher/ innen vorgezeichnet haben; 19 sie sollen im Folgenden skizziert werden. 1875 brach auf dem Gebiet der sog. „Europäischen Türkei“ - wie der Balkan damals häufig genannt wurde - eine Revolte gegen die osmanische Herrschaft aus; sie begann als Protest von unzufriedenen herzegowinischen Landpächtern gegen ihre muslimischen Grundherren, der sich rasch ausweitete und eine große Zahl von Opfern und Flüchtlingen nach sich zog. Bald unterstützten nämlich Serbien und Montenegro den Aufstand, der bis 1876 auch auf Bulgarien über‐ griff. Ungeachtet der Tatsache, dass osmanische Truppen in den entbrennenden Kämpfen schlußendlich siegreich blieben, ging der Krieg auch mit einer innen‐ politischen Krise der Hohen Pforte selbst einher, die einen mehrfachen Füh‐ rungswechsel - sogar in Form eines Staatsstreichs - bewirkte. 20 In Anbetracht der zunehmenden Instabilität des „kranken Manns am Bos‐ porus“ und ehrgeizig imperialistischer russischer Pläne gab die Habsburger Mo‐ narchie nun die Maximen ihrer traditionellen Balkanpolitik seit Kaunitz und Metternich auf, die sich mit den Worten Mark Pinsons wie folgt beschreiben C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 209 21 PINSON 1994: 86. 22 Vgl. KOS 1992; HASELSTEINER 1996: 9-30; KOLM 2001: 105 f.; außerdem WERT‐ HEIMER 1913. 23 DEDIJER u. a. 1974 p. 396; DONIA 1981: 8 ff.; JELAVICH 1983: 59; HÖSCH 2002: 132 ff.; HASELSTEINER 1996: 15 ff. 24 Die österreichisch-ungarische Militärpräsenz im Sandschak ist ein höchst interessantes Unterkapitel der Okkupation von Bosnien-Herzegowina; vgl. dazu SCHEER 2013. 25 Zit. n. ISRAEL 1967: 985. lassen: „(1) to keep Russian presence and influence to a minimum and (2) to maintain the status quo with the Ottoman administration“. 21 Es gibt sogar An‐ zeichen für eine expansionistische Neuorientierung der österreichisch-ungari‐ schen „Orientpolitik“, die scheinbar nicht nur in Wiener Militär- und Hofkreisen grassierte, sondern auch mit der Person eines key player verbunden ist, nämlich dem gemeinsamen Außenminister, Graf Gyula ( Julius) Andrássy (1823-1890). 22 1877, während des Russisch-Türkischen Kriegs, der eine weitere Folge des Konflikts von 1875 / 76 war, erklärte Österreich-Ungarn seine Bereitschaft zu einer wohlwollenden Neutralität gegenüber dem Zarenreich; als Gegenleistung boten die Russen Bosnien-Herzegowina der Habsburger Monarchie an. 23 Diese Vereinbarung fand freilich keinen Eingang in den Friedensvertrag von San Ste‐ fano am 3. März 1878. Da außerdem die dort getroffenen Abmachungen zur ter‐ ritorialen Neuorganisation der Region (z. B. das Entstehen eines großbulgari‐ schen Staates) die europäischen Großmächte nicht wirklich befriedigten, wurde für 13. Juni des selben Jahres der Kongress von Berlin einberufen, der die Frage der Grenzziehungen aufs Neue diskutieren sollte. Eines der bedeutendsten Re‐ sultate dieser Verhandlungen war, dass das Osmanische Reich die Verwaltung Bosniens und der Herzegowina auf Antrag des britischen Verhandler Lord Sa‐ lisbury an Österreich-Ungarn abtrat. Artikel 25 des Berliner Vertrags vom 13. Juli 1878 hielt fest: The Provinces of Bosnia and Herzegovina shall be occupied and administered by Austria-Hungary. The Government of Austia-Hungary, not desiring to undertake the administration of the Sandjak of Novi-Pazar, 24 which extends between Servia [sic] and Montenegro in a south-easterly direction to the other side of Mitrovitza, accepts the Ottoman Administration will continue to exercise its functions there. Nevertheless, in order to assure the maintenance of the new political state of affairs, as well as freedom and security of communications, Austria-Hungary reserves the right of keep‐ ing garrisons and having military and commercial roads in the whole of this part of the ancient Vilayet of Bosnia. To this end the Governments of Austria-Hungary and Turkey reserve to themselves to come to an understanding on the details. 25 C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 210 26 TAYLOR 1948 / 1990: 166; vgl. SUGAR 1963: 20 ff. 27 PLASCHKA 2000 I: 88. 28 JELAVICH 1969: 122. Dies ist das ambigue und reichlich offene Verhandlungsergebnis von Berlin. Im charakteristisch launigen Stil des britischen Habsburg-Historikers A. J. P. Taylor liest sich diese für den österreichisch-ungarischen Außenminister aporetische no-win situation in Bezug auf Bosnien und die Herzegowina wie folgt: Russia had constantly pressed them on Austria-Hungary, to tempt her into setting the example of partition. For this reason Andrássy had tried to avoid the offer; on the other hand, he [= Andrássy, C. R.] could still less afford their union with the Slav state of Serbia. At the Congress of Berlin he squared the circle. 26 Richard Georg Plaschka beschreibt das diplomatische Tauziehen als prelude der gewaltsamen militärischen Besetzung Bosnien-Herzegowinas metonymisch als Strategiespiel der beteiligten Länder, das auch von kolonialem Begehren ge‐ trieben ist: Bismarck konnte für Deutschland mit Distanz agieren, hat die Rolle des proponierten ‚ehrlichen Maklers‘ zu erfüllen versucht, seine Neigung zu Rußland und dessen Zaren nicht unterdrückt, sein Verständnis in bezug auf Bosnien und Hercegovina deutlich gemacht. Großbritannien, bemüht um Wahrung und Steigerung seiner Position im östlichen Mittelmeer, geriet zum härtesten Gegenspieler Rußlands, erwog ein bri‐ tisch-türkisches Bündnis, zog geschickt wie heimlich - schon vor dem Kongreß - Fäden in Richtung seines Zugriffs auf Zypern, unterstützte aber ebenfalls und voran‐ gehend die Intentionen Österreich-Ungarns. Frankreich, zurückhaltend operierend, nahm den Anspruch, die Rechte der Christen im Orient als Schutzmacht zu vertreten, wahr, hatte noch die offene Fragen seiner Aspirationen auf Tunis mit zu berücksich‐ tigen. Italien erwies sich, um seine Machtsphären-Absichten in Richtung Albanien zu realisieren, als zu wenig vorarbeitend und durchsetzugsfähig. Österreich-Ungarn machte seine Wünsche in Richtung Bosnien-Hercegovina ebenso umsichtig wie nach‐ drücklich deutlich. 27 Barbara Jelavich indes fokussiert in ihrem Narrrativ ganz auf Andrássys wenig triumphale Rückkehr aus Berlin: Despite these great gains Andrássy did not receive a triumphant welcome home. Francis Joseph among others did not like the terms of the occupation of Bosnia and Hercegovina. He would have preferred a direct annexation. In contrast, the Magyar leaders were displeased with the acquisition of more Slavic peoples in the Empire. 28 C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 211 29 BÉRENGER 1994: 117. 30 Vgl. WHITE 1973 / 91, 1978 / 91. 31 Vgl. DETREZ 2015. 32 Vgl. KOLM 2001: 235 f., 303 ff. (wo sie von einem „defensiven Imperialismus“ spricht) u. SKED 1989: 245.- Zu den Motivationen für den Kolonialismus ingesant vgl. REIN‐ HARD 2008: 8 f. Der französische Historiker Jean Bérenger schließlich detailliert noch mehr die Konsequenzen von Andrássys ‚Erfolg‘, den er eher als Pyrrhus-Sieg ansieht: Elle [= l’occupation, C. R.] provoqua des manifestations en Hongrie. L’opinion suivait avec méfiance la politique russophile d’Andrássy, qui n’était justifiée que par le main‐ tien du status quo dans les Balkans; le renforcement des petits États balkaniques et l’occupation de la Bosnie rompaient cet équilibre. Elles heurtaient les sentiments tur‐ cophiles des Hongrois et surtout l’occupation de la Bosnie accroissait le nombre de Slaves à l’intérieur de la monarchie, tandis que la gauche manifestait son hostilité à une guerre de conquête, qui coûta de nombreuses vies humaines. Les libéraux autri‐ chiens manifestèrent également leur désaccord à l’égard d’une opération jugée rui‐ neuse et inutile. Elle contribua à la chute du cabinet libéral Alfred Auersperg car François-Joseph n’aimait pas que l’on empiétât sur son domaine réservé. 29 Diese kurzen Beispiele illustrieren in einer von Hayden White 30 beeinflussten Meta-Optik, wie das historiografische Narrativ der Vorgeschichte der Okkupa‐ tion Bosniens und Herzegowina 1878 zwischen Personifikation (Andrássy als global player) und Metonymie (den Staaten bzw. den politischen ‚Kräften‘) os‐ zilliert. In seinen grundlegenden Zügen ist das Narrativ freilich entweder iden‐ tisch bei den meisten konsultierten Historiker / inne / n oder zumindest kompa‐ tibel mit den existierenden anderen Versionen. 31 2. Gründe, Bosnien (nicht) zu besetzen; historischer Verlauf Während sich die Vorgeschichte der k. u. k. Okkupation Bosniens und der Her‐ zegowina 1878 bei den konsultierten Forscher / inne / n ziemlich konsistent aus‐ nimmt, sind die unmittelbaren Beweggründe für diese letzte - und letztlich fa‐ tale - territoriale Expansion der Habsburger Monarchie vor dem Ersten Weltkrieg weniger eindeutig. Üblicherweise werden in der Geschichtsschrei‐ bung drei auslösende Momente genannt, hinter denen insgesamt ein imperia‐ listischer Bezugsrahmen sichtbar wird, der sich kaum von den Motivationen für den Kolonialismus der anderen europäischen Mächte unterscheidet: 32 1. Strategische Gründe. Hier wird angenommen, das Österreich-Ungarn den Bedarf verspürte, sein gefährdetes Kronland Dalmatien durch die mili‐ tärische und infrastrukturelle Besetzung des bosnisch-herzegownini‐ C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 212 33 Vgl. etwa MAURER 1870: 420; SUGAR 1963: 20 ff.; JELAVICH 1983: 59; HASEL‐ STEINER 1996: 16 ff.; MALCOLM 1994 / 2002: 136; KOLM 2001: 105, 237; DETREZ 2015: 22; u. a. 34 Vgl. HELFERT 1879: 163, 171; SPAITS 1907: 83; FOURNIER 1909: 5. 35 Vgl. HELFERT 1879: 159; SUGAR 1963: 26; PINSON 1994: 119; MALCOLM 1996: 136; KRALJAČIĆ 1987. 36 WERTHEIMER 1913: 144. 37 BÉRENGER 1997: 255; vgl. MALCOLM 1996: 136; KOLM 2001: 18 f., 105 f., 244 ff. 38 Dies wird etwa von Robin OKEY 2007: 17 bestritten.- Nach der Okkupation verfügten die Behörden Österreich-Ungarns einerseits, dass die besetzten Gebiete sich von ihrem eigenen Einkünften zu finanzieren hätten (vgl. etwa DŽAJA 1994: 235); auf diese Weise kamen keine substanziellen Subsidien zusammen - außer für den Eisenbahnbau. Zum Anderen waren weder die neu geschaffene k. u. k. Bergwerksbehörde noch die Bosna-Bergbaugesellschaft in der Lage, die örtlichen Bodenschätze effizient zu er‐ schließen; auch der Informationsfluss mit privaten Investoren funktionierte nicht. Ebenso gab es deutliche Rivalitäten zwischen Cisleithanien und Ungarn angesichts der Frage, wessen Interessenshemisphäre Bosnien angehören sollte (vgl. KOLM 2011: 239 f. u. a.). Details bei SUGAR 1963: 105 ff., 159 ff.; vgl. weiters WESSELY 1973: 528-566; LAMPE & JACKSON 1982: 264-322; PALOTÁS 1995; MALCOLM 1996: 141; KOLM 2011: 237. schen Hinterlands gegen den russischen Panslawismus bzw. serbische Expansionsgelüste abzusichern 33 - wozu schon Feldmarschall Radetzky 1856 und Admiral Tegetthoff 1869 geraten hatten. 34 Diese Motivation sollte jedoch durch die bereits damals vorhersehbare Tatsache abge‐ schwächt sein, dass ein slawischer Bevölkerungszuwachs von mehr als einer Million Menschen (s. o.) die bereits existierenden ethnischen Span‐ nungen nur verstärken würde. 35 Überliefert sind hier etwa die geflügelten Worte des ungarischen Ministerpräsidenten Kálmán Tisza, man müsse hier „zwischen den beiden Übeln das kleinere zu wählen“. 36 2. Wirtschaftliche Gründe. Bosnien-Herzegowina beherbergt(e) große La‐ gerstätten an Kohle, Eisenerz und anderen Metallen, deren konsequente Ausbeutung erst in Titos zweitem Jugoslawien in Angriff genommen werden sollte. Dieser Reichtum an Bodenschätzen brachte Historiker wie Bérenger 37 dazu, gewisse ökonomische Interessen hinter Österreich-Un‐ garns Invasionsplänen anzunehmen. In Anbetracht der zur Verfügung stehenden Quellen ist es jedoch generell schwierig herauszufinden, in‐ wiefern solch potenzielle Gewinne - zusammen mit der Akquisition eines neuen Absatzmarktes - tatsächlich 1878 eine motivierende Rolle spiel‐ ten. 38 Andererseits werden die „Naturschätze“ des Landes in den Schluss‐ C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 213 39 ABT.f. KRIEGSGESCHICHTE DES K. K. KRIEGSARCHIVS 1879: 908. Ebenso finden sie auch in einer Denkschrift von Graf Burián, einem der ehem. Verwalter des Gebiets, Erwähnung (vgl. BURIÁN 1923: 223), ja bereits in der zur Okkupationszeit erschie‐ nenen Schrift von HELFERT 1879: 191 f., 280 f. 40 Vgl. PINSON 1994: 87; SUGAR 1963: 20; PLASCHKA 2000, I: 88; KOLM 2001: 237. 41 Vgl. HÖSCH 2002: 137. 42 KANN 1977: 168. 43 Vgl. JELAVICH 1983: 60. 44 Vgl. PINSON 1994: 9. bemerkungen zum Operationsbericht des Okkupationsfeldzugs explizit erwähnt. 39 3. Territoriale Expansion. Diese Argumentation geht davon aus, dass nach den erlittenen Niederlagen und Gebietseinbußen von 1859 bzw. 1866 und der Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 die einzig verbleibende Möglichkeit zu einem (kompensatorischen? ) Gebietszuwachs für die Habsburger Monarchie im Südosten des Kontinents lag, d. h. in den Rück‐ zugsgebieten des niedergehenden Osmanischen Reichs. 40 Andere Groß‐ mächte nahmen eine ähnliche Haltung gegenüber dem „kranken Mann Europas“ ein, was von den meisten Historiker / inne / n gemeinhin mit dem Etikett des Kolonialismus versehen wird: etwa die Usurpation von Tunis durch Frankreich 1881 und von Ägypten durch Großbritannien 1882. 41 Allerdings standen den geopolitischen Vorteilen einer Okkupation auch mög‐ liche große finanzielle Nachteile gegenüber. Der austro-amerikanische Histo‐ riker Robert A. Kann schreibt dazu: In financial sense the acquisition was considered not only no gain but a definite loss […]. Occupation was considered the lesser of two evils. It would mean bad busi‐ ness economically but it might offer some relief against the threat of Balkan nationa‐ lism and Russian-inspired Panslavism. 42 Neben steigenden Staatsausgaben für die Habsburger Monarchie sowie einem südslawischen Bevölkerungszuwachs (aus dem später kroatische Herrschaft‐ sansprüche im Sinne eines angestrebten „Trialismus“ ebenso erwachsen sollten wie großserbischer Nationalismus 43 ) darf der Faktor nicht unterschätzt werden, dass mit der Okkupation Bosnien und der Herzegowinas zum ersten Mal in der Geschichte eine signifikante muslimische Gemeinschaft Teil der österrei‐ chisch-ungarischen Gesellschaft und Kultur wurde. 44 Diese neue Bevölkerungs‐ gruppe bestand keineswegs aus einigen Konvertiten, sondern umfasste die re‐ gionalen Eliten: Landbesitzer, osmanische Funktionäre, Kleriker und etliche C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 214 45 Vgl. DONIA 1981; PINSON 1994; NEWEKLOWSKY 1996. 46 Vgl. PINSON 1994: 117 f. 47 Vgl. WERTHEIMER 1913: 15. 48 WOINOVICH 1908: 2. 49 PAVLOVICH 1999: 116.- Militärische Details dazu finden sich u. a. in Bd. 12 der Mili‐ taria Austriaca (= BAER 1993), dem militärhistorischen Periodikum des österreichi‐ schen Bundesheeres. 50 Vgl. TODOROVA 1997 u. JEZERNIK 2004. Kaufleute. 45 Durch dieses Setting waren die in Bosnien-Herzegowina zuneh‐ mend ethnisierten religiösen Differenzen mit sozialer Hierarchie verflochten, insbesondere als die Mehrheit der freien Bauern und abhängigen Landpächter (kmetovi) christlichen Glaubens waren, also entweder der orthodoxen oder der katholischen Kirche angehörten. 46 Auf diese Weise waren alle Eingriffe der ös‐ terreichisch-ungarischen Behörden in dieses problematisch spätfeudale Netz‐ werk religiöser, kultureller und sozialer Differenzen von vornherein heikel. Auf der anderen Seite war die militärische Invasion Bosnien-Herzegowinas, die im Sommer 1878 begann, keineswegs jener friedliche „Parademarsch“, 47 den Außenminister Andrássy der k. u. k. Armee vorausgesagt hatte: „Nicht uner‐ wähnt mag hierbei bleiben“, schreibt einer der Veteranen im Rückblick, „daß die Besitzergreifung der Herzegowina, bei uns offiziell euphemistisch Okkupation genannt, keineswegs ein bewaffneter Spaziergang war, sondern einen harten Kampf darstellte“; es sei wohl wegen der erlittenen Verluste adäquater, „von einer Eroberung […] zu sprechen“. 48 Die k. u. k. Einmarsch war insofern blutig, als er sofort von osmanischen Truppenresten und eilig aufgestellten lokalen Milizen der Bevölkerung heftig bekämpft wurde und so eine viel größere Truppenmobilisierung als ursprüng‐ lich geplant nötig machte. 49 In diesem militärischen Kontext werden auch zum ersten Mal gewisse koloniale Untertöne des Feldzugs laut, etwa wenn ein tsche‐ chischer Veteran in seinen Memorien rückblickend von den Köpfen österrei‐ chischer Soldaten schreibt, die von den Aufständischen aufgespießt worden seien. Hier tauchen alte Balkanklischees 50 von barbarischen ‚Banditen‘ und ‚Halsabschneidern‘ wieder auf - instrumentalisiert, so scheint es, geradezu für einen Aufschrei der Überlebenden für eine neue, ‚zivilisierte‘ Administration des Gebiets: We stood in full battle dress against the ignoble cannibal [! ] enemy and it is no exag‐ geration to say that the Zulus, Bagurus, Niam-Niams, Bechuans, Hottentots and si‐ milar South African bands behaved more chivalrously towards European travellers than the Bosnian Turks did towards us. I always recollect with dismay the peoples of C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 215 51 Emil Chaura: Obrazky z okupace bosenske (Prag 1893: 38), zit. n. der Übersetzung von JEZERNIK 2004: 139. 52 Siehe das folgende Kapitel dieser Arbeit (C.1.). 53 HELFERT 1879: 3. 54 Ebd. 19. 55 Ebd. 21. 56 HELLWALD 1878. 57 Vgl. dazu etwa KAPIDŽIĆ 1972. In der Ost-Herzegowina dauert das - untersuchens‐ werte - ‚Banditenunwesen‘ („brigandage“) noch Jahre an, vgl. DONIA 1981: 33 f. 58 Vgl. JUZBAŠIĆ 2005. the Balkans, where the foot of the civilised European has not trod for decades, how the Turks, ‚native lords‘, probably rule down there! 51 Nach gut drei Monaten kriegerischen Konflikts, mehreren tausend Toten und zigtausenden Flüchtlingen war dieser Feldzug zu Ende (von ihm wird im Fol‐ genden noch im Detail die Rede sein 52 ). Schon während der Kampfhandlungen fragte sich aber nicht nur Joseph von Helfert: „Und wenn wir sie erobern und haben, was werden uns Bosnien und die Hercegovina nützen? “ 53 In diesem Sinne sollte gleich nach dem Schweigen der Waffen jene k. u. k. ‚Friedens- und Kulturmission‘ in Angriff genommen werden, von der am Ber‐ liner Kongress die Rede war und die uns danach allenthalben in den Textzeug‐ nissen entgegentritt. So formuliert etwa Helfert hochtrabend die Notwendigkeit, sich keine andere Bevölkerung zu wünschen, sondern die existierende zu än‐ dern: „als Civilisator“ 54 habe der Österreicher „hier das Werk des Römers wieder aufzunehmen“. 55 Und Friedrich Hellwald erhebt schon im Titel seines Buchs von 1878 die „Umgestaltung des Orients“ zur „Culturfrage“. 56 Nachdem dann 1881 die Besatzungsmacht noch einmal durch einen Aufstand der Herzegowina in Bedrängnis gekommen war, 57 wurde 1882 anstelle der Mi‐ litärverwaltung eine Ziviladministration eingesetzt, 58 die sich in weiterer Folge eine grundlegende Modernisierung des Landes auf ihre Fahnen schrieb. Diese wurde etwa von Stephan (István) Graf Burián, einer der Bosnien und die Her‐ zegowina verwaltenden k. u. k. Finanzminister, 1923 im Rückblick wie folgt cha‐ rakterisiert: Die ersten Jahre der Okkupation galten der Erschließung des Landes sowie der Her‐ stellung geordneter materieller Verhältnisse und des konfessionellen Friedens. Dann folgte die Schaffung eines verläßlichen Verwaltungsapparates, eines Straßen- und Ei‐ senbahnnetzes, geordneter Finanzen, eines geeigneten Schulwesens, Regelung der komplizierten Grundbesitzverhältnisse auf Grund der bestehenden Rechtsverhält‐ C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 216 59 BURIÁN 1923: 219. 60 Ebd. 220. 61 Ebd. 221. 62 TOLSTOI 1909: 6.- Die Habsburger Monarchie sei, so schreibt der bekannte russische Autor weiter, damit „eins von diesen Räubernestern, das immer mehr und mehr die Herrschaft über hunderttausende ihm völlig fremder Menschen slavischen Stammes an sich reißt […] (ebd. 7). 63 CALIC 2010: 48.- Robin Okey, dessen Buch einen der besten Überblicke über die 40 Jahre der habsburgischen Herrschaft über Bonsien-Herzegowina bietet, stellt hier eine koloniale Parallel her, wenn er jene Übergangsphase zwischen militärischer Gewalt (zu Beginn) und politischem Widerstand gegen Ende der k. u. k. Zeit mit Britisch-Indien bzw. Französisch-Algerien vergleicht; vgl. OKEY 2007: 123. nisse, Ausarbeitung eines Katasters, Beginn der rationellen Ausnützung der reichen Bodenschätze des Landes durch Einrichtung moderner Industriebetriebe. 59 Als eine von vielen Stimmen zum Thema schreibt Burián weiter, die k. u. k. Ver‐ waltung habe „sich durch ihre Leistungen im Lande zu Ansehen gebracht, wenngleich sie in den Augen der Bevölkerung immerfort als Fremdherrschaft galt“. 60 Gleichermaßen sei sie nichts anderes als das „Weiterschleppen eines Übergangsregimes“ gewesen. 61 Dieses Provisorium ging nämlich erst 1908 zu Ende, als Bosnien und die Her‐ zegowina schließlich von der Habsburger Monarchie annektiert und damit dem eigenen Staatengefüge explizit einverleibt wurden - was aufgrund der dadurch provozierten internationalen Proteste und Spannungen beinahe dazu führte, dass der große Krieg von 1914 früher ausgebrochen wäre. Der bekannte russi‐ sche Autor Leo Tolstoi etwa klagte den Imperialismus der Annexion mit fol‐ genden Worten an: Die österreichische Regierung hat beschlossen, die Völker Bosniens und der Herze‐ gowina, die bis zur letzten Zeit Österreichs Oberherrschaft noch nicht in vollem Maße anerkannten, als ihre Untertanen zu erklären, mit anderen Worten, sie nahm sich das Recht, ohne die Einwilligung dieser Völker, über die Erzeugnisse und über das Leben von einigen hunderttausend Menschen zu verfügen. 62 Auf der anderen Seite nehmen sich die Resultate jener „Friedens- und Kultur‐ mission“ in Bosnien-Herzegowina, die sich die Doppelmonarchie nach der Ok‐ kupation vorgenommen hatte, auch in dieser Spätphase wenig überzeugend aus: Die politischen Spannungen in den annektierten Gebieten nahmen eher zu als ab - vor allem unter der bosnischen Jugend; 1906 kam es zu einem Generalstreik, 1910 zu einer Bauerrevolte, und die Zustände wurden generell mehr und mehr „unhaltbar“. 63 So sind denn auch - trotz oder gerade wegen aller k. u. k. ‚Kultur‐ arbeit‘ - jene beiden Pistolenschüsse auf den österreichischen Thronfolger C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 217 64 Es gibt hier Kommentatoren, die das Entstehen einer radikalen Schüler- und Studen‐ tenschaft durch das Bildungssystem des Besatzers auch als kolonialen Zug der Ge‐ schichte Bosniens verstehen, vgl. etwa OKEY 2007: 136. Vgl. auch HAJDARPASIC 2015: 128 ff. 65 Dies wird zur Zeit von einem internationalen Forschungsprojekt der Universität Zagreb, geleitet von Marijan Bobinac und Milka Car, untersucht. 66 ALEKSOV 2007: 203. 67 Vgl. ČOROVIĆ 1925; vgl. auch NIKASCHINOVITSCH 1901 und CVIJIC 1909. Franz-Ferdinand und seine Frau Sophie, die später zum Auftakt des Ersten Welt‐ krieg stilisiert werden sollten, nicht zufällig in der bosnischen Hauptstadt Sa‐ rajevo abgefeuert worden. 64 Nach einem Intermezzo von Ausnahmezustand, Kriegsrecht und Krieg brachte der Zusammenbruch der Monarchie im Herbst 1918 schließlich auch das Ende der habsburgischen Herrschaft über Bosnien-Herzegowina mit sich; dieses wurde Teil des neu gegründeten südslawischen Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen ( SHS ), das sich später Jugoslawien nennen sollte, und - nach einem zweiten Anlauf 1945-1991 - selbst zu den untergegangenen Viel‐ völkerstaaten Europas zählt (und auch sonst in einem merkwürdigen Nachfol‐ geverhältnis zur k. u. k. Monarchie steht 65 ). 3. Bosnien als Ersatz-Kolonie (1): zeitgenössische Stimmen & spätere Forschungsmeinungen Nicht nur vor 1918, sondern auch lange danach wurde immer wieder die Frage gestellt, wie die vierzig Jahre österreichisch-ungarischer Präsenz in Bos‐ nien-Herzegowina zu bewerten seien: ex positivo, im Rahmen jener selbst auf‐ erlegten „Zivilisierungsmission“, oder, ex negativo, innerhalb des Paradigmas des europäischen Kolonialismus um 1900? Bojan Aleksov hat sinngemäß davor gewarnt, dass der eine Begriff so inflationär wie der andere gebraucht werde: the narrative of the ‚colonized‘ was also mythologized to the point that it became lost to objective analysis. […] Narratives built on victimization experienced through fo‐ reign rule in Bosnia never made any comparison to or identification with the experi‐ ences of colonized people in Africa, Asia and the Americas since the Europeanness of South Slavs was never questioned despite their autochtonism. 66 Der Kolonialismus-Vorwurf gegen die Habsburger Monarchie ist freilich bereits im ersten jugoslawischen Staat, z. B. von Vladimir Čorović, einem Zeitzeugen der k. u. k. Zustände, erhoben worden. 67 Zurückgewiesen wurde er unter an‐ derem vom prominenten austro-amerikanischen Historiker Robert A. Kann: C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 218 68 KANN 1976: 164. 69 Zu dieser Debatte vgl. NOLTE 2001. 70 KANN 1976: 164. 71 Vgl. DONIA 2015. 72 Vgl. OKEY 2007: 220. 73 Vgl. JUDSON 2016: 378 et passim. The thesis put before us, namely that the administration of Bosnia-Herzegovina re‐ presented trends of colonialism, is highly problematical. We must first ask whether the concept of colonialism, commonly understood as the rule of European powers over native colored people on other continents, can be transferred to a master-subject relation within Europe, pointing to a system of colonial administration and exploita‐ tion of whites by whites. 68 Kann engagierte sich damit als Apologet habsburgischer Politik in einer zeit‐ genössischen Debatte um innereuropäische Kolonisationen in Anschluss an Michael Hechters Buch über den „Celtic Fringe“ Großbritanniens (1975). 69 Für ihn konstituiert Kolonialismus „the unholy trinity of imperialism, capitalist ex‐ ploitation, and oppression on racial grounds, all of them imposed by force“. 70 Auf dieser Grundlage lehnt Kann die kritische Anwendung des Begriffs auf Bosnien-Herzegowina ab, auch wenn seine letztlich eurozentrischen - und habsburg nostalgischen - Argumente kaum geeignet sind, heutige Leser / innen nach dem postcolonial turn in den Kulturwissenschaften zu überzeugen. Robert Donia etwa ist - auch unter Berufung auf Hechter - den umgekehrten Weg gegangen, 71 ebenso wie Robin Okey, 72 und in Pieter Judsons jüngst erschienener „neuer Geschichte“ des Habsburger Reichs wird Bosnien-Herzegwoina „the em‐ pire’s lone colony - or protectorate“ genannt - ohne dass dies freilich näher erörtert würde. 73 In einer Bemerkung der postkolonialen Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak in einem slawistischen Periodikum, das sich dem inneren Kolonialismus in Osteuropa vor, während und nach der Sowjet-Herrschaft widmete, wird hin‐ gegen die Proteus-Natur des Phänomens herausgestrichen; auf diese Weise scheint die Begrifflichkeit wiederum brauchbar als kritische Optik für eine Ana‐ lyse des bosnischen k. u. k. Intermezzos (und in diesem Sinne sei auch noch einmal auf die allgemeine Terminologie-Diskussion in Kap. A.1. dieser Arbeit verwiesen): ‚Colonizer‘ and ‚colonized‘ can be fairly elastic if you define scrupulously. When an alien nation-state establishes itself as a ruler, impressing its own laws and system of C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 219 74 Zit. n. ULBANDUS 2003: 15. 75 Etwa bei DEDIJER u. a. 1974: 448; vgl. dazu ALEKSOV 2007: 203. 76 Vgl. dazu VERVAET 2004. 77 Vgl. dazu OKEY 2007: 26 ff. et passim. Dieser Diskurs wurde übrigens auch von einigen Historiker / innen v. a. österreichischer Provenienz unkritisch wiederholt, etwa wenn der Arnold Suppan lakonisch über die Okkupation schreibt: „Im wesentlichen bestand eine Kultur- und Missionsaufgabe“ (SUPPAN 1978: 128). 78 Zit. n. DONIA 1981: 14. Vgl. dazu auch HAJDARPASIC 2015: 176. 79 JUDSON 2016: 329. 80 Vgl. KOLM 2001: 238; ALEKSOV 2007: 202.; HAJDARPASIC 2015: 178.- Hajdarpasic gibt zudem auch ein Beispiel aus Kairo dafür, wie sich österreichisch-ungarische Ad‐ ministratoren von anderen Kolonialmächten bei der Behandlung ihrer muslimischen Populationen inspirieren ließen (ebd. 177). education, and re-arranging the mode of production for its own economic benefit, one can use these terms, I think. 74 Wohl ist einzuräumen, dass die propagandistische Verwendung des Kolonia‐ lismus-Terms in der hegemonial-staatskommunistischen Historiografie 75 des zweiten Jugoslawien die Begrifflichkeit für nachfolgende Forscher / innen prob‐ lematisch gemacht hat. 76 Auf der anderen Seite reproduzieren imperiale Text‐ quellen aus Österreich-Ungarn immer wieder im Leitmotiv ihrer ‚Friedens- und Kulturmission‘, die dem Niedergang des Osmanischen Reichs und dem Kriegs‐ chaos zu folgen habe, letztlich koloniale Argumentationsmuster. 77 Dafür ist etwa eine Aussage des k. u. k. Reichsfinanzministers Benjamin (Béni) von Kállay, der 1882-1903 durch sein Mandat auch für die Zivilverwaltung des „Okkupations‐ gebietes“ verantwortlich war, nachgerade paradigmatisch. In einem Interview mit dem Londoner Daily Chronicle meinte er: „Austria is a great Occidental Em‐ pire […] charged with the mission of carrying civilization to Oriental peoples; “ „rational bureaucracy“ sei „the key to Bosnia’s future […] to retain the ancient traditions of the land vilified and purified by modern ideas“. 78 Die Okkupation Bosnien-Herzegowinas wird dadurch für Pieter Judson zum Paradebeispiel für „the principles of liberal colonial empire across Europe in the second half of the nineteenth century“ 79 (und wie wir heute wissen, diente das k. u. k. Experiment u. a. auch als Vorbild für das amerikanische Engagement auf den Philippinen 80 ). Besonders drastisch schreibt etwa das Prager Abendblatt am 29. Dezember 1908, nach der Annexion also, in Sperrdruck hervorgehoben auf seiner Titelseite: Albions Stolz auf die eigenen kolonisatorischen Erfolge muß in Demut sich vor jenen der Oesterreicher in Bosnien beugen. Seit Römertagen [! ] hat unsere Erde ähnliche Wunder nicht getragen. Auf Römerart konnten sie vollbracht werden, weil ein Impe‐ C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 220 81 Ich verdanke den Hinweis auf diesen Text Hannes Leidinger. 82 Bezugnahmen auf das Imperium Romanum sind nicht selten in Bezug auf Bosnien wäh‐ rend der österreichisch-ungarischen Epoche; vgl. dazu DONIA 2015: 75 f. 83 Vgl. etwa DONIA 1981: 12 ff.; PINSON 1994: 113; DETREZ 2002; OKEY 2007; JUDSON 2016. 84 TAYLOR 1948 / 90: 166.- In Fortführung seines Gedankengang ließen sich noch weitere Daten ins Treffen führen: 1908 gab es landesweit in Bosnien lediglich 350 Volksschulen für 15 % der Kinder, 12 Gymnasien und keine Universität (SUGAR 1963: 202). Eine Be‐ wertung dieser Zahlen ist freilich Ansichtssache; in der Nachfolge Taylors verteidigt etwa der Oxforder Historiker Sir Noel Malcolm die habsburgische Bildungspolitik mit den Worten: „[…] no government which [in forty years, C. R.] builds nearly 200 primary schools, three high schools, a technical school and a teacher-training college can be described as utterly negligent in its education policy“ (MALCOLM 1996 / 2002: 144). Nichtsdestotrotz dürfte die hohe Analphabetismusrate nach dem Ende der Habsburger Herrschaft durchaus den Fakten entsprechen. Über die „Rückständigkeit des Volks‐ schulwesens“ klagt etwa auch der kritische Zeitzeuge BAERNREITHER 1908: 13 ff. Vgl. auch KOLM 2001: 252. rium [! ] wie das andere, auf dem Fundament der eigenen Landesgrenze bauend, seiner Zivilisation eine Heimat in der Fremde schuf. 81 Hier wird gewissermaßen eine translatio imperii formuliert, die die Habsburger Monarchie (gleichsam unsichtbar via das Heilige Römische Reich deutscher Na‐ tion) mit den alten Römern verbindet. 82 Gerade jener imperial-legitimatorische Diskurs einer österreichisch-ungarischen mission civilatrice - der auch den Ver‐ gleich mit dem British Empire („Albion“) bemüht - hat wie gesagt nicht nur jugoslawische, sondern auch etliche westliche Historiker / innen 83 dazu ge‐ bracht, das Kolonialismus-Paradigma kritisch auf die Habsburger Monarchie anzuwenden. Ein frühes Beispiel dafür ist der Brite A. J.P Taylor, der bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die k. u. k. Herrschaft über Bosnien-Herzegowina eher polemisch bewertet: The two provinces were the „white man’s burden“ [! ] of Austria-Hungary. While other European Powers sought colonies in Africa for the purpose, the Habsburg Monarchy exported to Bosnia and Hercegovina its surplus intellectual production - administra‐ tors, road builders, archeologists, ethnographers, and even remittance-men. The two provinces received all benefits of Imperial rule: ponderous public buildings; model barracks for the army of occupation; banks, hotels, and cafés; a good water supply for the centres of administration and for the country resorts where the administrators and army officers recovered from the burden of Empire. The real achievement of Austria-Hungary was not on show: when the Empire fell in 1918, 88 per cent of the population was still illiterate. 84 C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 221 85 JUDSON 2016: 329. 86 Vgl. etwa die bei KOLM 2001: 237 ff. aufgelisteten Beispiele; vgl. auch VILARI 1902. 87 Z. B. Victor Adler, vgl. KOLM 2001: 238. 88 WENDEL 1922: 58. 89 Vgl. HAJDARPASIC 2015: 189. 2016 schreibt Judson in seiner New History des Habsburger Reichs in einer Pas‐ sage, die rhetorische Züge wie den Hang zur Aufzählung durchaus mit Taylor teilt, nicht unbedingt aber deren Polemik - und dabei hinter der Kolonie das Imperium als Konzept nicht aus dem Auge verliert: At the end of the 1870s […], Austria-Hungary became a colonial power by occupying a piece of Ottoman territory. The resulting thirty-year occupation of Bosnia-Herze‐ govina provided bureaucrats, ideologists, map makers, technicians of all kinds, tea‐ chers, and priests (among others) an unparalleled opportunity to realize Austria-Hun‐ gary’s new civilizing mission in Europe. At the same time, Austria-Hungary’s experience occupying Bosnia-Herzegovina created a consensus around the liberal ci‐ vilizational concepts of empire long after the liberal movement itself had faded into political obscurity. 85 Ein affirmativer k. u. k. Kolonialdiskurs findet sich allerdings nicht nur bei Kállay, sondern auch in zahlreichen anderen Quellen 1878-1918 und unmit‐ telbar danach; 86 ebenso gibt es schon zeitgenössische Kritiker / innen. Ähnlich wie Taylor - und einige österreichische Austromarxisten der Jahrhundert‐ wende 87 - äußerte sich etwa der lothringische Sozialdemokrat Hermann Wendel, der nach dem Ersten Weltkrieg den neuen jugoslawischen Staat bereiste und ihn als den ‚europäischeren‘ Rechtsnachfolger der Habsburger Monarchie postko‐ lonial preist: „Das österreichisch-ungarische Bosnien war eine Kolonie, ein Stück Orient, künstlich von den Wiener Machthabern gehütet; der südslawische Nationalstaat ist Europa“. 88 Dieselbe Geschichte klingt wieder ganz anders, wenn sie aus dem Blickwinkel eines anderen reichsdeutschen Beobachters erzählt wird, nämlich vom Berliner Journalisten Heinrich Renner, der 1896 dem k. u. k. Kolonialismus (in einem von der österreichisch-ungarischen Administration geförderten Auftragswerk 89 ) durchaus positiv gegenüber steht: Dem grossen Publikum blieben […] diese Gefilde gänzlich unbekannt; das bosnische Dornröschen schlief noch den jahrhundertelangen Zauberschlaf und fand seine Auf‐ erstehung erst, als die kaiserlichen Truppen die Grenzen überschritten und die neue Aera einleiteten. Jetzt wurde das Dickicht, das um Dornröschens Schloss wucherte, C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 222 90 RENNER 1896: V. 91 Edin Hajdarpašić schreibt dazu in seiner Dissertation: „Even the very trope of ‚awake‐ ning‘ the Bosnian Sleeping Beauty was already provided by and associated with national revival projects. The folktales were identified as a potential state-building element in this province itself and exoticized as an ‚Oriental‘ presence that guaranteed Bosnia’s difference from other Habsburg provinces.“ (HAJDARPASIC 2015: 196 f.)- Eine unter‐ schwellig sexualisierte Rhetorik, die von erotischer Erweckung bis „geographic rape“ reicht, ist im Übrigen auch typisch für koloniale, aber auch anti-koloniale Diskurse, vgl. SULERI 1997: 15 ff. 92 SCHMID 1914: 1. 93 RENNER 1896: V. gelichtet und nach rastloser und schwerer Arbeit von nicht zwei Jahrzehnten steht Bosnien bekannt und geachtet vor der Welt. 90 Auch die Märchen-Rhetorik von Renners populärem Reisebericht erzählt also die Geschichte der k. u. k. mission civilatrice. Bosnien wird hier aber zu einer Art Sleeping Beauty hochstilisiert, das von Europa bzw. einem Habsburger Prinzen aus dem komatösen Schlaf seiner Vergangenheit wachgeküsst wird und in eine bessere Zukunft geht. 91 Man könnte leicht noch etliche weitere Beispiele geben, wie der Terminus ‚Kolonialismus‘ in zeitgenössischen Quellen für Bosnien-Herzegowina ver‐ wendet wird, wobei auffällt, dass reichsdeutsche Autoren in der Regel unbe‐ schwerter mit ihm umgehen. Einen besonders aufschlussreichen Fall stellt hier etwa Ferdinand Schmid dar, der ehemalige Leiter des Statistischen Zentralamts in Sarajevo, der später (1914) eine akademische Monografie über Bosnien-Her‐ zegowina unter Nutzung seines alten Datenmaterials verfasste. In diesem zeit‐ genössischen Zusammenhang diskutiert er auch die Anwendbarkeit des Kolo‐ nialismus-Konzepts auf die Habsburger Monarchie: Man hat in der deutschen und westländischen Literatur viel über den Begriff der Ko‐ lonien gestritten und darunter häufig nur überseeische, vom Mutterlande wirtschaft‐ lich oder auch staatsrechtlich beherrschte Gebiete verstanden. In diesem Sinne besitzt Österreich-Ungarn keine Kolonien und in diesem Sinne hat es - wenigstens in der neueren Zeit - niemals Kolonialpolitik getrieben. Faßt man dagegen den Begriff der Kolonien etwas weiter, so kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß Bosnien und die Herzegovina von Österreich-Ungarn als Kolonialgebiete erworben wurden und solche in der Hauptsache bis heute geblieben sind. 92 Auch hier wird das ‚Kolonialismus‘-Paradigma nicht als kritischer Begriff ge‐ handhabt, sondern affirmativ wie bei Renner - aus dessen Sicht ja, „[w]as in diesem Lande geleistet wurde, […] fast beispiellos in der Kolonialgeschichte aller Völker und Zeiten“ war. 93 C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 223 94 BALANDIER 1951 / 66; 54 f. 95 Die eminent wichtige Rolle legitimatorischer Diskurse haben neben Balandier auch etlich andere Forscher / innen herausgestrichen, vgl. etwa MANN 2004 und OSTER‐ HAMMEL 2005. 4. Bosnien als Ersatz-Kolonie (2): Parameter & Kategorien Will man nun aus heuristisch-wissenschaftlichen Gründen - d. h. über eine zeitgenössisch-affirmative und spätere polemische Verwendung als Topos hin‐ aus - die k. u. k. Ära in Bosnien-Herzegowina als Kolonialherrschaft ansehen, empfiehlt sich in Ergänzung zu den in Kapitel A.1. diskutierten allgemeinen Definitionen die Einbeziehung spezifischerer Bestimmungen. Dafür gibt es mehrere stringente Anregungen. Schon 1951, zu einer Zeit also, als der europäische Kolonialismus gerade in Umbruch und Auflösung begriffen war, hat der französische Sozialanthropologe Georges Balandier in einem richtungsweisenden Aufsatz die „situation colo‐ niale“ als einen speziellen Zustand zwischen Kollektiven wie folgt be‐ schrieben: 94 1) „the domination imposed by a foreign minority, racially (or ethnically) and cultu‐ rally different, acting in the name of a racial (or ethnic) and cultural superiority dog‐ matically affirmed“; 2) „this domination linking radically different civilisations into some form of rela‐ tionship“; i.e.: 3) „a mechanized, industrialized society with a powerful society, a fast tempo of life, and a Christian background, imposing itself on a non-industrialized, ‚backward‘ so‐ ciety“; 4) „the fundamentally antagonistic character of the relationship between the two so‐ cieties“, d. h. zwischen Kolonialmacht / dem Mutterland und den Untertanen in der Kolonie; 5) „the need, in maintaining this domination, not only to resort to force, but also a system of pseudo-justification“, d.h. z.B. die Supponierung ‚rassischer‘ Ungleichheit und die mission civilatrice. 95 D. K. Fieldhouse wiederum hat in seiner Studie zum internationalen Kolonial‐ imperialismus (1981), die sich als Alternative zu marxistischer Theoriebildung versteht, folgende Schwerpunkte herausgearbeitet, um das Phänomen zu fassen: die juridische Basis, die essentiellen inneren Widersprüche der Kolonialherr‐ schaft, schließlich ihre Institutionen und national verschiedenen Herrschafts‐ C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 224 96 Vgl. FIELDHOUSE 1981: 16.- Die äußerst problematischen Schlussfolgerungen, die Fieldhouse als liberaler Apologet des Kolonialismus zog (vgl. ebd. 48 ff.) - nämlich, dass dieser unumgänglich gewesen sei und dass sich die Staaten der Dritten Welt ohne ihn noch schlechter entwickelt hätten, bleiben freilich dezidiert aus der folgenden Argu‐ mentation ausgeschlossen. 97 Vgl. ebd. 51-108. 98 Quellennachweise aus BALANDIER 1951 / 66 im Lauftext. 99 Balandier spricht hier - in unseren Zusammenhang nicht uninteressant - von einer „Balkanization“ (ebd.). systeme. 96 Fieldhouse schließt mit einer Beschreibung der kolonialen Wirtschaft und ihres Erbes, die sie in den beherrschten Gebieten zurückgelassen hat. 97 Diese Schwerpunkte kann man nun durchaus mit etlichen Detailbeobach‐ tungen vernetzen, die sich in Ballandiers Text - der sich auch als zeitgenössi‐ scher Forschungsbericht versteht - finden: 98 - „the pacification“ „with respect to the [own] interests of the western powers“ (36); - „economic exploitation […] based on the seizure of political power“ (37); - „the ideologies used to justify colonialism“ (39); - „the color line, political dependency, virtual non-existing ‚social‘ benefits, the lack of contact between natives and the ‚dominant caste‘“ (38). - „Colonial policy is the child of industrial policy“ (40), i.e. „the quest for raw mate‐ rials“ - deren Ausbeutung und Einfuhr-Ausfuhr weitgehend in den Händen der Kolo‐ nialmacht bleibt (41); - „property dispossession“ (41); - „proletarization“ and „de-tribalization of the indigenous people“ (42); - „significant patterns of culture-change“ (43); - „the role of the judicial and administrative apparatus charged with maintaining this domination“ (44); - „the arbitrariness of the colonial boundaries and administrative divisions“ (44); - „juxtaposing incompatible or antagonistic ethnic groups“ (45) and the creation of „plural socities“ (45) that are not „not perfectly homogenous“ (48); 99 - „the European minority exercises its influence over the native poulation with a force disproportionate to its numbers“ (45); - a „middle class“ sent to colonies with the „notion of heroic character“ (47); - the „recourse to stereotypes“ (48) and the „racist foundation“ der Kolonialherrschaft (50); - „the spirit of divide et impera as maxime of colonial rule“ (50); - colonial societies being „both traditionalist and modernist“ - „that particular state of ambiguity noted by several observers“ (53); - „the crises marking the stages of the so-called process of ‚evolution‘“ (56). C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 225 100 IVEKOVIC 2005: 57 f. 101 MÜLLER-FUNK & WAGNER 2005: 11 f. 102 Vgl. die von Robert Donia genannten Kategorien, warum die k. u. k. Herrschaft über Bosnien kolonial zu nennen wäre: „Administrative Organization“, „Administrative Phi‐ losophy“, „The Isolation of Bosnian Affairs“, „Vakuf Policies“, „Agrarian Law and Pea‐ sant Dues“ und „Religious Conversions“ (vgl. DONIA 1981: 10-29). 103 Vgl. ALBRECHT 2016. 1. In Hinblick auf eine Übertragung dieser kolonialen Inventare auf die Habsburger Monarchie in der Moderne sowie die Sowjetunion bzw. die sozialistischen Länder im 20. Jahrhundert sieht die in Frankreich lebende kroatische Philoso‐ phin Rada Ivekovic wiederum in einer Kolonie ein „brutal ausgebeutetes“, „nicht-souveränes Land“, dessen Bevölkerung von unterschiedlicher Herkunft und „hinsichtlich der Ordnung der Körper, der Staatsbürgerschaft, der Freiheit und Rechte untergeordnet“ sei; die Ausbeutung der kolonialen Peripherie trage zur Entwicklung des Kapitalismus im imperialen Zentrum bei. 100 Wolfgang Müller-Funk und Birgit Wagner wiederum zählen in Anschluss an Hannah Arendts Imperialismus-Buch folgende auch für eine binneneuropäische Ver‐ wendung des Kolonialismus-Begriffs relevanten Kategorien auf: die „systema‐ tische und gewaltsame Landnahme“, die „weitgehende Rechtlosigkeit der ver‐ bliebenen“ autochtonen Bevölkerung, der „Import“ von Menschen aus dem Mutterland, die „Einführung der eigenen Kultur“ („in Technik, Verwaltung, Sprache, Gesetzgebung, Schulsystem, Ökonomie“) sowie die „Ausbeutung des kolonialen Reichtums“. 101 In diesem Sinne könnten und sollten bei einer Analyse der österreichisch-un‐ garischen Herrschaft in Bosnien-Herzegowina als Ersatzkolonialismus folgende Faktoren 102 berücksichtigt werden (wobei freilich auch zu fragen wäre, ob nicht auch die osmanische Herrschaft schon gewisse koloniale Züge aufwies 103 ); we‐ sentlich ist, dass die meisten dieser Kategorien im Bereich von sog. soft power, also eines Kulturimperialismus bzw. -kolonialismus angesiedelt sind - wenn auch nicht alle: Die militärische Landnahme nach Mandatszuweisung durch eine interna‐ tionale Konferenz, nämlich den Berliner Kongress 1878, ist zweifellos eine wichtige Kategorie für eine historisch-politikwissenschaftliche Einschät‐ zung des Status von Bosnien-Herzegowina, die aufgrund ihrer Gewalttä‐ tigkeit gerne zugunsten des Narrativs von der „Friedens- und Kulturmis‐ C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 226 104 JUDSON 2016: 330 schreibt: „The effective transmission of a civilizing mission to Eu‐ rope’s East, understood in economic, social, legal, and cultural terms, represented the culmination of a transformed Austrian imperial idea whose role now officially included the export of its work beyond its own borders.“ 105 Vgl. FIELDHOUSE 1981: 16 ff. 106 Dieser Terminus wird häufig in Bezug auf Bosnien-Herzegowina verwendet, etwa bei ATTEMS 1913: 32; MICHEL 1912; u. a. 107 Zur isolationistischen Staats-, Nationalitäten- und Religionspolitik vgl. DONIA 1981: 17-22. 108 Vgl. SUGAR 1963: 26; vgl. auch BURIÁN 1923: 226. Zu völkerrechtlichen Aspekten CLASSEN 2004. 109 Vgl. ALEKSOV 2007: 203.- Der amerikanische Historiker William McCagg hat deshalb in Anlehnung an die Sowjetunion vorgeschlagen, von einer bosnischen „satrapy“ (McCAGG 1992: 50 f.) zu sprechen. 110 Vgl. JUZBAŠIĆ 2009. Völkerrechtlich zur Annexion vgl. CLASSEN 2004: 264 ff. 2. sion“ vergessen wird, mit dem das Habsburger Reich gleichsam seine staatliche Idee exportierte. 104 Ähnliche Okkupationsmodi kennzeichnen aber auch die koloniale Erwerbung von „Schutzgebieten“ durch die an‐ deren europäischen Mächte etwa im Gefolge der Kongo-Konferenz von Berlin 1884 / 85. 105 Der rechtliche Status des Gebiets. In seinen vier ‚kakanischen‘ Jahrzehnten erhielt Bosnien-Herzegowina nie den Status eines Kronlands (wie die re‐ gulären Territorien des Reichs), sondern blieb Reichsland(e)  106 (ver‐ gleichbar mit dem Statut des 1871 annektierten Elsaß-Lothringen im deut‐ schen Kaiserreich) - eine Art isolierter 107 Appendix der Monarchie, der keiner der beiden Reichshäften zugeschlagen wurde, sondern in einer komplizierten Konstruktion via das gemeinsame Finanzministerium zu beiden gehörte, was zur österreichisch-ungarischen Konkurrenzsituation beitrug und die weitere Entwicklung behinderte. 108 Eine Folge davon war freilich auch, dass Bosnien-Herzegowina das einzige k. u. k. Territorium war, dass in keinem der beiden Parlamente in Wien und Budapest eine gewählte gesetzliche Vertretung hatte. 109 Ein regionaler Landtag (Sabor) wurde ebenso wie eine Verfassung für die besetzten Gebiete erst 1910 nach deren Annexion (1908) eingeführt; 110 im Parteienzwist wurde diese Volks‐ vertretung jedoch rasch dysfunktional und im Zuge des Ausnahmezus‐ tands von 1914 wie auch die anderen k. u. k. Parlamente wieder ge- C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 227 111 Vgl. IMAMOVIĆ 2006. 112 JUDSON 2016: 379. 113 Vgl. OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 69. 114 Vgl. DONIA 1981: 14 u. OKEY 2007: 26 f.- Es ist freilich davon auszugehen, dass Ös‐ terreich-Ungarn ohne den Ersten Weltkrieg zu einer stärkeren Eingliederung der beiden Provinzen ins Reich übergegangen und damit eher dem Vorbild der französischen Herr‐ schaft in Algerien gefolgt wäre.- Zum Unterschied des britischen „indirect rule“ und der französischen Direktherrschaft, vgl. FIELDHOUSE 1981: 29 ff. und 36 ff. 115 HAJDARPASIC 2015: 177, vgl. auch KOLM 2001: 240.- Schon der Zeitzeuge Hermann Wendel äußerst sich retrospektiv äußerst kritisch: „Den […] Oesterreichern lag viel‐ leicht gar nichts daran, das Morgenland zurückzudrängen. Sie stützten sich ja, weil es am kommodsten war, auf die islamische Herrenschicht der Begs.“ (WENDEL 1922: 44) 116 Vgl. etwa DONIA 1981: 25 ff.; KOLM 2001: 241 f.; ALEKSOV 2007: 209.- Erst 1911 wurde die Kmetenfrage dahingehend - schleppend - gelöst, dass man den abhängigen Landpächtern ermöglichte, sich durch ein neues Landeskreditsystem von ihren Grund‐ herren freizukaufen (vgl. BURIÁN 1923: 227); auf diese Weise hätte eine Neuordnung der Besitzverhältnisse allerdings etliche Jahrzehnte gedauert, wenn nicht diese Ent‐ wicklung ohnehin durch den Ersten Weltkrieg obsolet geworden wäre. 117 Vgl. etwa SUGAR 1963: 33 ff. 118 Vgl. dazu DONIA 1981: 10-17. 119 Im Vergleich mit der osmanischen Zeit, nahm die Anzahl der mit der Verwaltung be‐ trauten Landesbeamten von 120 bis 1908 auf rund 9500 zu (PINSON 1994: 119 f.; vgl. SUGAR 1963: 29). 120 Vgl., was FIELDHOUSE 1981: 43 über die Zivilverwaltungen der europäischen Kolo‐ nialmächte schreibt: „most seem to have fallen back on a benevolently conservative paternalism“. OSTERHAMMEL 1995 / 2001: 36 spricht im kolonialen Kontext von einer „Kunst der bürokratischen Geometrie“. 3. 4. schlossen. 111 Wie Pieter Judson schreibt: „Yet under the new constitutional situation Bosnia existed in a kind of unacknowkledged legal limbo […]“. 112 Genau dieser staatsrechtlich vage (Sonder-)Status ist aber auch typisch für Kolonien. 113 „Indirect rule“. Ähnlich wie die britische 114 Herrschaft über Indien stützte sich auch die österreichisch-ungarische Besatzung zum Teil auf die Re‐ formierbarkeit und Kollaboration existierender autochtoner Eliten, d. h. vor‐ nehmlich die Grundherren und andere muslimische Oberschichten, die auch vom neuen Hegemon zum „state-building element“ hochstilisiert wurden. 115 Diese Rücksichtnahme verhinderte letztlich auch die Durch‐ führung einer dringend nötigen Landreform, 116 was zur Frustration der mehrheitlich christlichen Landbevölkerung beitrug, die gerade in dieser Frage ihre Hoffnung in die neue k. u. k. Herrschaft gesetzt hatte. 117 Administrative Bevormundung. 118 Österreich-Ungarn installierte aber auch eine von außen kommende, 119 ausufernde und paternalistisch 120 C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 228 121 1904 waren nur 26,5 % aller in der Verwaltung Bosnien tätigen Beamten auch dort ge‐ boren, die Mehrheit davon katholisch, lediglich 3 % serbisch-orthodox bzw. 5 % musli‐ misch (vgl. PAVLOWITCH 1999: 117; DEDIJER u. a. 1974: 449; JELAVICH 1983: 60). 122 Vgl. HAJDARPASIC 2015: 86 u. 187 sowie BUJIC 2015. 123 Vgl. SUGAR 1963: 26, 30 f. 124 WENDEL 1922: 60.- Ein prominenter Kritiker des k. u. k. „police regime“ ist auch der spätere tschechoslowakische Staatsgründer Tomáš Masaryk (vgl. HAJDARPASIC 2015: 184). 125 HEUBERGER & ILLMING 1994. 126 Vgl. etwa KALPAGAM 2002 u. SCOTT 1995; in Bezug auf Bosnien ALEKSOV 2007: 205. 127 Vgl. v. a. DONIA 1981 u. OKEY 2007. agierende Zivilverwaltung, die auch in ihren unteren Rängen örtliche Be‐ werber diskriminierte, insbesondere, wenn es sich um Serben oder Mus‐ lime handelte. 121 Die mittlerweile teilweise editierten Akten der k. u. k. Landesregierung lassen einen Einblick auf das gepflogene micro-manage‐ ment zu, das in alle Belange des gesellschaftlichen Lebens eingriff und sich Fragen widmete, ob beispielsweise der Name für einen örtlichen Ama‐ teurchor zulässig sei oder nicht. 122 Diese zivilisatorischen Errungen‐ schaften werden freilich durch wiederholte Korruptionsvorwürfe konter‐ kariert, die vor allem in ausländischer diplomatischer Korrespondenz erhoben werden und ein anderes Bild als jene selbst angenommene „Kul‐ turmission“ zeichnen. 123 Ähnliches gilt für die Beobachtung des Zeitzeugen Hermann Wendel über das finanzielle Missverhältnis zwischen Exekutiv‐ gewalt und soft power: er moniert es als „k. und k. Beitrag zur Relativi‐ tätstheorie“, dass ein Schulleiter in Bosnien weniger verdiene als ein Gen‐ darmerie-Wachtmeister und generell mehr Mittel für Polizei als für Bildung aufgewendet würden. 124 Für die repressive Natur der österrei‐ chisch-ungarischen Präsenz und gegen das Narrativ eines „gelungenen Zusammenleben[s]“ 125 spricht auch der zunehmende politische Wider‐ stand der autochtonen Bevölkerung gegen die k. u. k. Herrschaft, die sich durchaus den Vergleich mit „colonial governmentality“ 126 gefallen lassen muss. Insbesondere die Muslime, aber auch die Serben nutzen indes die juristischen Instrumentarien einer entstehenden Zivilgesellschaft zur Durchsetzung ihrer Ziele; 127 eine zunehmend militante Minderheit wählt Gewalt als Mittel. C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 229 128 Vgl. RICHARDS 1993; HALL 1996: 254; STOLER & COOPER 1997: 15 ff.; SCOTT 1995: 46; in Bezug auf Indien METCALF 1995 u. COHN 1996. 129 Vgl. DONIA 2015: 77; ALEKSOV 2007: 202; HAJDARPASIC 2015: 185. 130 Vgl. etwa DONIA 2015: 75 ff. 131 SULERI 1997: 7. 132 HAJDARPASIC 2015 definiert diese ‚Mission‘ als „being one of ‚Western‘ reform of a once-disorderly ‚Oriental‘ land. Not surprisingly, this undertaking situated itself along‐ side other „civilizing missions“ of the time […]“ (176). 5. 6.a Aufbau eines Wissensregimes. Typisch für Kolonialmächte auf der ganzen Welt ist im 19. Jahrhundert, dass sie sich auf Datensammlung und Wis‐ sensgenerierung über ihre neuen Territorien und Untertanen stützen; dies kreiert eine neue hegemoniale epistemè, die zugleich auch existierende native Diskurse musealisiert, überschreibt bzw. als altmodischen ‚Aber‐ glauben‘ entwertet. 128 So auch in Bosnien-Herzegowina, wo mit dem von Kállays k. u. k. Administration gegründeten Landesmuseum/ Zemaljski muzej eine zentrale Institution zur Beschaffung von Herrschaftswissen in den Bereichen Natur- und Volkskunde (inklusive Geschichte und Archä‐ ologie) eingerichtet wurde. 129 Kállay versucht zudem mit Hilfe seines Freundes Lajos von Thallóczy, eine bestimmte Version einer gemeinsamen bosnischen Geschichte (die sich von jener der südslawischen Nachbar‐ länder unterscheidet) zur Legitimation der österreichisch-ungarischen Präsenz in der Region durchzusetzen. 130 Dahinter lässt sich auch der ko‐ loniale Wille zum Wissen bzw. zur „kulturellen Beschreibung“ sehen, „which demonstrates an anxious impulse to insist that colonized people can indeed be rendered interpretable within the language of the colo‐ nizer“. 131 The Othering of the Other. Während und nach der Invasion wurde die ös‐ terreichisch-ungarische „Kulturmission“ quasi-kolonial als diskursives Werkzeug gebraucht, 132 um zu rechtfertigen, dass die Herrschaft weniger demokratisch war als im Mutterland und die Bosnier / innen dadurch zu k. u. k. Bürger / innen zweiter Klasse wurden - auch wenn sie ihre Haut‐ C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 230 133 Vgl. dazu die These eines doppelten bzw. ‚schizophrenen‘ österreichischen Orienta‐ lismus, der Bosnien als den (reformierbaren) ‚nahen Orient‘ und das Osmanische Reich als wesensfremden, bedrohlichen ‚fernen Orient‘ imaginiert, bei HEISS & FEICH‐ TINGER 2013. 134 Vgl. dazu etwa STACHEL 2003 und in den folgenden Kapiteln des vorl. Buches. 135 Diese Wortwahl geht zurück auf FEICHTINGER 2003: 14. 136 „The co-national, in this understanding, is the national (br)other: signifying at the same time the potential of being both „brother“ and „Other“, containing the fantasy of both complete assimilation and ominous, insurmountable difference“ (HAJDARPASIC 2015: 16). 137 JanMOHAMED 1985: 83. 6.b farbe nicht von den Kolonisatoren unterschied. Um wiederum die mission civilatrice zu legitimieren, wurden die in Bosnien-Herzegowina lebenden Menschen im Rahmen eines Populär-Orientalismus 133 als das Fremde ima‐ giniert, das der Zivilisierung bedarf - wobei man sie genauso gut auch als eine Erweiterung von bereits auf dem Gebiet der Monarchie lebenden Volksgruppen hätte ansehen können; 134 stattdessen kommt es zu einer „Exklusion“, „Entrückung“ und „Entmündigung des Anderen. 135 Gleich‐ wohl existiert weiterhin eine ambivalente Spannung von kultureller Dif‐ ferenz und möglicher Ähnlichkeit zwischen den Menschen Österreich-Un‐ garns und Bosnien-Herzegowinas - aber auch zwischen den Volksgruppen in den besetzten Gebieten selbst - die Edin Hajdarpašić in der Denkfigur des „br / other“ 136 gefasst hat. Dies alles schafft jedenfalls eine komplexe politische wie kulturelle Ökonomie von Stereotypen - Ressourcen, die auch in zahlreichen literarischen und nicht-literarischen Texten bear‐ beitet, meist bekräftigt und selten unterminiert werden, wie dies Abdul JanMohamed beschrieben hat: „Just as imperialists ‚administer‘ the re‐ sources of the conquered country, colonialist discourse ‚commodifies‘ the native into a stereotyped object and uses him as a ‚resource‘ for colonialist fiction.“ 137 Unionistische Identitätspolitik. In den 21 Jahren, die der k. u. k. Finanzmi‐ nister Kalláy den besetzten Gebieten vorstand, versuchte er ihnen eine aus der mittelalterlichen Geschichte bezogene gemeinsame ‚bosnische Iden‐ tität‘ aufzuerlegen, um dadurch auf einer symbolischen Gemeinschafts‐ ebene die politischen Partikularbewegungen der Muslime, Orthodoxen und Katholiken zu bekämpfen: Identity Politics, wie sie auch als Herr‐ schaftsinstrument aus kolonialen Kontexten außerhalb Europas bekannt C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 231 138 „Empires messes with identity“, schreibt Gayatri Spivak eher plakativ (zit. nach SU‐ LERI 1997: 7). 139 Vgl. HAJDARPASIC 2015: 181. 140 Vgl. SUGAR 1963: 26, 30 f. 141 ALEKSOV 2007: 216.- Edin Hasarpašič hat indes in seiner US-Doktorarbeit gezeigt, dass imperialer Staatspatriotismus und der Nationalismus der Ethnien in Bosnien-Her‐ zegowina keineswegs nur Antagonisten waren, sondern ersterer häufig probierte, letzt‐ eren für seine Zwecke zu vereinnahmen. Dies erzeugt eine paradoxe Situation, wo das imperiale Zentrum versucht, entstehende Nationalismen einzudämmen - und gleich‐ zeitig unentwegt selbst Differenz als kulturelle Markierung erzeugt (und da alle Bos‐ nier / innen mehr oder weniger das gleiche Idiom sprachen, sei Konfession zum „most conspicuous marker of difference“ geworden, so HAJDARPASIC 2015: 9). Kállays Projekt einer vereinten bosnischen Nation sei somit klar gescheitert (vgl. ebd. 176): „Among other things, the Habsburg patriotic projects intensified the already existing lines of national difference drawn around Bosnian Muslims in the South Slavic national imaginaries.“ (ebd. 181, vgl. 197). 142 Siehe insbes. SUGAR 1963 und LAMPE & JACKSON 1982. 7. ist. 138 Trotzdem arbeitete diese repressive Herangehensweise eher in die Hände der Nationalisten und vertiefte bestehende kulturelle Differenzen zwischen den drei Bevölkerungsgruppen, anstelle sie zum Verschwinden zu bringen; 139 andererseits stiftete sie taktische Allianzen im politischen Widerstand gegen den Kolon. 140 Bojan Aleksov schreibt dazu: it would be wrong to conclude that nationalism in Bosnia was the result of Habsburg rule. Yet, it was Habsburg confessionalism which compelled the op‐ positional forces in the respective confessional organizations, mainly the lower clergy and lay leaders, to profile themselves into instruments of modern political nationalism. 141 Wirtschaftliche Erschließung. 142 Die offiziell durch die Monarchie aufer‐ legte Beschränkung, dass Bosnien-Herzegowina einerseits durch eine all‐ mächtige Bürokratie regiert wurde, sich andererseits aber aus den Pro‐ vinzeinnahmen selbst finanzieren sollte, kennt etliche Präzedenzfälle auch bei Kolonialgebieten sensu stricto. Paradoxerweise verhinderte gerade das - was gerne von Habsburg-Nostalgikern ins Feld geführt wird - eine kapitalitische Ausbeutung der besetzten Gebiete, bis in die letzten Jahre hinein, als privates Kapital in die Region floss und vor allem ungarische Banken eine zunehmende Präsenz als Investoren zeigten. Ebenso wird die C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 232 143 Vgl. CALIC 2010: 17.- Nicht zu vergessen sei hier der Bau der zentralbosnischen Haft‐ anstalt Zenica, mit dem sich die Donaumonarchie durchaus auch in einer Linie mit zeitgenössischen kolonialen Disziplinar-Infrastrukturen zeigt (vgl. dazu ARNOLD 1994 sowie MANN 2004b: 124 ff.). 144 Vgl. auch KOLM 2001: 247 u.vv. 145 KOLM 2001: 251; vgl. STOLER & COOPER 1997: 19. 146 Vgl. ČIHÁK 2013. 147 Vgl. MANN 2004: 8; STOLER & COOPER 1997: 5. 148 DONIA 2015: 68 ff.; ähnlich auch CALIC 2010: 47 und JUDSON 2016: 330. 8. 9. infrastrukturelle Erschließung Bosniens (der Bau von rund 2000 km Straße und 1000 km Bahnlinien) 143 als Entlastungsmaterial angeführt - aber dies sind genau die ‚zivilisatorischen Errungenschaften‘, mit denen sich Kolo‐ nisatoren auch in anderen Teilen der Welt geschmückt haben. Die einsei‐ tige Entwicklung der besetzten Gebiete, die ihre Abhängigkeit zu einem ‚Mutterland‘ eher verstärkt, ist ebenso typisch für koloniale Regimes dieser Zeit: 144 Ein Transfer von Geld und Gütern als Zinszahlung für gewährte Anleihen, Re‐ patriierung der Gewinne österreichischer und ungarischer Firmen und Ersatz der Besatzungskosten lassen sich ebenso nachweisen wie die forcierte Ausbeu‐ tung der Rohstoffe Bosniens und der Herzegowina und die damit verbundenen ungünstigen ‚terms of trade‘, die einseitige Ausrichtung des Außenhandels und die Verhinderung des Aufbaus bestimmter Wirtschaftszweige durch die schlag‐ artige Inklusion im gemeinsamen Zollgebiet. 145 „Laboratory of Modernity“ vs. administrativer Konservatismus. Einerseits dient Bosnien-Herzegowina wie auch andere imperiale Peripherien als Experimentierfeld in technologischer wie sozialer Hinsicht (wie z. B. mit dem frühen elektischen Tramway-System 146 für Sarajevo 1895). Anderer‐ seits steht dieses Phänomen, zu dem sich Vergleichsmengen in anderen europäischen Kolonien finden lassen, 147 in Widerspruch zum inhärenten Traditionalismus der österreichisch-ungarischen Verwaltung, die gesell‐ schaftliche Strukturen bewahren und verbessern, aber nicht fundamental ändern möchte (und es letztlich dennoch tut): Dies sollte, wie auch Robert Donia ausführt, eine der zentralen Aporien der k. u. k. Administration der besetzten Gebiete werden. 148 Militärische Ausbeutung. Ähnlich wie dies etwa bei den Gurkha-Einheiten der britischen Armee der Fall ist, begann das k. u. k. Militär schon früh (1881), bosnisch-herzegowinische Männer für den Kriegsdienst zu rekru‐ C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 233 149 Zu diesem Thema vgl. die eher affirmativ unkritische Monografie von SCHA‐ CHINGER 1994, weiters STRIGL 2006 und ŠEHIĆ 2015. 150 BALANDIER 1951 / 1966: 38. 151 Ebd. 57: „The history of colonial societies reveals periods during which conflicts are merely latent, when a temporary equilibrium or adjustment has been achieved, and periods during which conflicts rise to the surface.“ 152 Vgl. HOCHSCHILD 1998. tieren; sie wurden in speziellen Infanterieregimenter zusammengefasst, die nie voll in die k. u. k. Armee integriert, aber doch von deren Offizieren angeführt wurden. Diese „Bosniaken“-Einheiten wurden so ganz nach ko‐ lonialem Vorbild Elitetruppen, deren Effizienz als imperial human resources sich vor allem im Ersten Weltkrieg bewähren sollte. 149 Bei all diesen kolonialen Beschreibungskategorien darf freilich nicht außer Acht gelassen werden, dass das Verhältnis zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten ebenso wie das zwischen Kolonie und Mutterland ein dynamisches ist, das beide Seiten verändert - nicht nur die Peripherie, sondern auch das Zentrum. Ebenso ist im Rahmen der gesellschaftlichen Transformation in der Kolonie von einem Wechselspiel aus „external“ (allochtonen) und „internal“ (autochtonen) „factors“ „inherent in social structures and subjugated societies“ auszugehen, die das „crude sociological experiment“ namens Kolonialismus ausmachen. 150 Dies nimmt durchaus krisenhafte Züge an, wie Balandier ausgeführt hat, 151 und ist vor allem im Kontext der sich langsam zuspitzenden politischen Verhältnisse in der Quasi-Kolonie Bosnien-Herzegowina zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Bedeutung. 5. Vorläufige Conclusio Versucht man also eine historische Zusammenschau ansonsten unverbundener politischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Daten, stellt sich wohl ein‐ wandfrei die Nähe der österreichisch-ungarischen Landnahme in Bosnien-Her‐ zegowina zu Kolonialprojekten jener Zeit heraus. In diesem Zusammenhang dürfte sich auch eine eingehende komparative Perspektive - z. B. der Vergleich mit Anglo-Indien - als vorteilhaft erweisen, wie sie freilich im Rahmen der vor‐ liegenden Arbeit nur ansatzweise geleistet werden kann. Auch gibt es historisch so etwas wie eine Skala kolonialer Gewalt, an deren oberen Ende wohl die bel‐ gische Kongo-Kolonie stehen müsste, als sie vor 1908 noch Privateigentum des Königs war und in diesem institutionellen Rahmen als Mischung aus Konzent‐ rationslager und Konzern ausgebeutet wurde. 152 Im direkten Vergleich dazu muss man dem k. u. k. Kolonialismus in Bosnien-Herzegowina wohl beschei‐ C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 234 153 Vgl. FIELDHOUSE 1981: 3. 154 Vgl. COOPER 2005: 3-23. 155 Vgl. etwa DETREZ 2002; DONIA 2015. 156 Zit. n. KOLM 2001: 238.- Koloniale Großmachtsphantasien drücken sich auch in einer Aussage von Kronprinz Rudolf von 1884 aus, wenn er schreibt: „wir werden Herren sein des europäischen Orientes“ (Zit. ebd. 106). 157 Vgl. SAUER 2002, 2007 u. SAUER 2012. 158 PETKOVIĆ 1996: 19 schreibt, postkoloniale Ansätze seien in einem europäischen Kon‐ text deshalb nicht benutzt worden „in order to divorce the question of a Western colonial tradition from the assumption of a dominant political hegemony whose imperial dy‐ namics in the dimensions familiar to the readers of existing postcolonial criticism have been directed out of Europe.“ nigen, in seinen Interventionen eher auf soft power zurückgegriffen zu haben. (Aus Fairnessgründen empfiehlt sich zudem, die These von den „reluctant co‐ lonizers“ 153 in Bezug auf Österreich-Ungarn einzubeziehen, also dass die Beset‐ zung und Einverleibung jener territorialen Lücke auf dem westlichen Balkan aufgrund der eingangs erwähnten no-win situation eher einer ungeliebten Not‐ wendigkeit bzw. strategischen Notlösung denn einem kakanischen Herzens‐ wunsch entsprach.) Auch wenn man Coopers Warnung vor einer ubiquitären und damit letztlich beliebigen Anwendung des humanwissenschaftlichen ‚K-Worts‘ beherzigt, 154 sollte auf jeden Fall aus dieser kleinen Zusammenstellung hervorgegangen sein, dass das bosnisch-herzegowinische k. u. k. Intermezzo durchaus als eine Art von Quasikolonialismus betrachtet werden kann; 155 dieser dient gleichsam als „Er‐ satz dafür […] daß wir keine Kolonien haben“, wie der zeitgenössische Statistiker Karl Theodeor Inama von Sternegg meint, 156 zumal die traditionelle Landmacht Österreich-Ungarn beim „Scramble for Africa“ und anderswo - im Gegensatz zum deutschen Kaiserreich - zu spät kam. 157 Die einzige Tatsache, die andere Forscher / innen bisher davon abgehalten hat, Bosnien-Herzegowina als eine Kolonie anzusehen, ist, dass es nicht durch eine ausreichende Menge Salzwasser von seinem ‚Mutterland‘ getrennt war - und hier ließe sich argumentieren, dass es dann paradoxerweise eine eurozentrische Sicht wäre, der uns davon abhielte, Kolonialismus auf europäischem Boden als solchen zur Kenntnis zu nehmen. 158 In diesem Sinne soll nun im Folgenden skizzenhaft der k. u. k. Kolonialismus in Bosnien-Herzegwona als kulturelles Phänomen gezeigt und analysiert werden, da uns für eine tiefergehende sozioökonomische Perspektive weitge‐ hend die Expertise fehlt. Dennoch sieht sich der hier vorgeschlagene Beschrei‐ bungsmodus als notwendige Ergänzung eines - ebenso notwendigen - wirt‐ schafts-, sozial- und institutionengeschichtlichen Zugangs; zusammen könnten C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 235 159 Zum Begriff der „imagined geography“ vgl. in Anschluss an SAID 1979 u. 1993 auch GREGORY 2004. uns beide Ansätze helfen, die Frage zu beantworten, wo denn nun in Europa „Habsburg’s Dark Continent“ lag. Dabei wäre eine Ausweitung des vorgeschlagenen Paradigmas auf andere ‚erworbene‘ k. u. k. Peripherien wie etwa Galizien und die Bukowina durchaus denk- und diskutierbar; aufgrund besserer Vertrautheit mit dem Material und großer Plausibilität beschränkt sich die hier vorgeschlagene Argumentation je‐ doch vorläufig auf Bosnien-Herzegowina: Diese Territorien waren - wie viel‐ leicht der gesamte Balkan - ganz offensichtlich die kontinentale Erweiterungs‐ zone in den expansionistischen Phantasien des k. u. k. Reiches: missing link zu dem heimlich begehrten Orient (denn immerhin waren die Habsburger ja auch Könige von Jerusalem). Dies trifft z.T. wohl auch auf Galizien und die Bukowina zu, die in der imaginären Geografie 159 Österreich-Ungarns im Sinne von Karl Emil Franzos „Halb-Asien“ sind; dies anzusprechen, sei aber berufeneren For‐ scher / inne / n überlassen. C.0. K. u. k. Ersatz-Kolonialismus? 236 1 Dies spielt auf eine Aussage an, die immer wieder Julius (Gulya) Andrássy in den Mund gelegt wurde: „Mit einer Kompagnie, die Regimentsmusik voran“, zitiert SPAITS 1907: 83 die geflügelten Worte des Gemeinsamen k. u. k. Außenministers über den geplanten Bosnien-Feldzug 1878. Vgl. auch WERTHEIMER 1913: 153. C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation 1878 und ihre Niederschläge im kul‐ turellen Gedächtnis Mit einer Kompanie, die Regimentsmusik voran […] (Graf Andrássy? ) 1 Das hartnäckige Klischee von Tu Felix Austria Nube will es, dass der habsbur‐ gische Imperialismus heute nicht unbedingt für gewaltsame Eroberung und Un‐ terdrückung steht, sondern eher für geschickte Diplomatie und (Heirats-)Po‐ litik - Instrumente, die im Laufe des langen 19. Jahrhunderts freilich immer schlechter ‚greifen‘, wie etwa die Situation in Oberitalien und Deutschland 1848-1866 zeigt. Ein weiterer Fall ist die Okkupation Bosnien-Herzegowinas im Sommer und Herbst 1878, wo die Früchte eines jahrelangen außenpolitischen campaigning schließlich doch durch eine militärische Kampagne eingebracht werden mussten. In diesem Sinn soll hier der im kulturellen Gedächtnis der sog. Nachfolge‐ staaten weitgehend verdrängte österreichisch-ungarische „Occupationsfeld‐ zug“ von 1878 thematisiert werden, der auf das Mandat hin erfolgte, das die Habsburger Monarchie auf dem Berliner Kongress kurz zuvor im Juli verliehen bekam. Die Besetzung Bosnien-Herzegowinas verlief aber keineswegs rei‐ bungslos, sondern war (wie bereits angedeutet) die blutige Militärintervention einer Großmacht: Diesen blinden Fleck der post / imperialen memoria wieder einer erneuten Erinnerungsarbeit anheim zu geben, wäre ein Beitrag zu einer gemeinsamen Vergangenheitsbewältigung abseits des habsburgischen Mythos in Österreich wie auf dem Westbalkan, die auch die (Vor-)Geschichte kollektiver Gewalt in der Region lange vor dem Zweiten Weltkrieg mit einbezieht. Die k. u. k. Invasionsarmee, die unter Führung des kroatischen Feldzeugmeis‐ ters Joseph Philippovich v. Philippsberg aus Slawonien (XIII. Armeekorps) und 2 Vgl. BENCZE: 200 ff. 3 Diesen Konnex zwischen Okkupation und Irak-Krieg macht auch ein amerikanischer Historiker; vgl. SETHRE 2015: 41. 4 MALCOLM 1996 / 2002: 135 zählt nur 82 000 Soldaten im k. u. k. Expeditionskorps und 40 000 Widerstandskämpfer auf der bosnisch-herzegowinischen Seite. Offizielle öster‐ reichische Quellen indes sprechen Mitte Okt. 1878 von rund 200 000 bzw. 280 000 ein‐ gesetzten Soldaten und schätzen den Gegner auf 93 000 Mann; vgl. das Themenheft der Militaria Austriaca (BAER 1993: 34). BENCZE 2005: 295 f. geht von einer Aufstockung von 79 000 auf 270 000 Mann und von 112 auf 276 Kanonen auf Seiten der k. u. k. Armee aus. 5 MALCOLM 1996 / 2002 widerspricht dieser verbreiteten Darstellung: „given the ap‐ palling state of most of the roads, it is barely an exaggeration to say that the Austrian army conquered Bosnia in the time it took to walk through“ (ebd. 135). Wie häufig kann man sich auch hier nicht des Verdachts entschlagen, dass auch der Oxford-Historiker heimlich dem habsburgischen Mythis anhängt. 6 Dieser historische Akteur würde sich aufgrund seiner volksmythologischen Überhö‐ hung, die diverse Spuren im kulturellen Gedächtnis Österreich-Ungarns hinterlassen hat (wie z. B. den Namen für ein Kümmelbrötchen), durchaus eine eigene detailreiche Studie verdienen; vgl. PLASCHKA 2000 I: 90 ff.; WÖLFL 2016; F. F. 1878: 789 f. Nach heute gültiger Populär-Begrifflichkeit wäre Loja wahrscheinlich ein islamischer Fun‐ damentalist und gefährlicher Fanatiker, der nur den Koran als Gesetz anerkennt; vgl. etwa seine Darstellung bei HELFERT 1879: 252. Vgl. auch DONIA 2009: 54 f. 7 HAARDT 1878: 12 f. unter Feldmarschallleutnant Stephan von Jovanović aus Dalmatien (18. Divi‐ sion) einrückte, musste zwischenzeitlich stark aufgestockt werden; 2 sie war am Schluss ihrer Kampagne zahlenmäßig in etwa so stark wie das im zweiten Irak-Krieg 3 (2003) - in einem viel größeren Land - eingesetzte amerikanische Truppenkontingent. 4 Trotzdem benötigte diese Streitmacht fast drei Monate, nämlich von 29. Juli bis 20. Oktober 1878, um das Territorium zu erobern, denn sie stieß fast allerorts auf den erbitterten Widerstand von sog. „Insurgenten“, wie dies damals schon offiziell hieß; 5 dabei handelte es sich vor allem um eilig aufgestellte lokale Milizen der Einwohner, die sich von der Hohen Pforte im Stich gelassen fühlten. In Sarajevo hatte sich nach Agitation des radikalen Der‐ wisches Hadschi Loja (Hadži Lojo, eigentlich: Salih Vilajetović), 6 der - wie ein österreichischer Zeitzeuge schreibt - „unter der halbwilden [! ] Bevölkerung Bosniens Ansehen und Vertrauen“ genoß 7 - ein „Aktionskomitee“ der Aufstän‐ dischen konstituiert, ebenso in Mostar: provisorische Regierungsorgane, die in einer merkwürdigen Mischung aus alter Oligarchie und neuer Basisdemokratie versuchten, im allgemeinen Chaos des Machtwechsels eine Territorialverteidi‐ gung zu organisieren. Die örtlichen osmanischen Kommandanten und Funkti‐ C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 238 8 Vgl. PINSON 1994: 98; DŽAJA 1994: 37 ff.; MALCOLM 1996 / 2002: 134 f.; PLASCHKA 2000, I: 90 ff.; BENCZE 2005: 99 ff.; DONIA 2009: 44 ff. 9 Die k. u. k. Verlustzahlen differieren stark: Zählt der eine Historiker 178 tote k. u. k. (Unter-)Offiziere und 5000 Soldaten (VRANKIĆ 1998: 24 f.), spricht der andere von 4000 Gefallenen insgesamt (BÉRENGER 1994: 116), MALCOLM 1996 / 2002: 135 hin‐ gegen lediglich von 946. Am exaktesten sind wohl die österreichisch-ungarischen Ver‐ lustzahlen in Militaria Austriaca 12 (BAER 1993), wo von 983 Gefallenen und 3984 Verwundeten die Rede ist (ebd. 27, 36 f.). Über die bosnisch-herzegowinischen Verluste liegen keine Zahlen vor (vgl. ebd. 41). 10 Die Zahl der Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina zur Zeit der österr.-ungar. Herr‐ schaft beträgt je nach Quelle zwischen 50 000 und 300 000; vgl. PINSON 1994: 92 ff.; MALCOLM 1996 / 2002: 139; SETHRE 2004: 3. 11 Cf. BÉRENGER 1994: 116 f. 12 Vgl. auch die Untersuchung slowenischer Veteranenberichte von 1878 bei SMOLEJ: 147-162. 13 Zum Verhältnis von Ereignis, Narrativ und Gedächtnis vgl. die Beiträge der beiden Herausgeber in PRELJEVIĆ & RUTHNER 2016: 15-56. 14 Vgl. GRUZISNKI 1988. 15 HELFERT 1879: 236. onäre wurden - mitunter gewaltsam - abgesetzt oder sie schlossen sich mit Teilen ihrer Truppen dem ‚Aufstand‘ gegen die Okkupation an. 8 Auf diese Weise kostete der Militäreinsatz Österreich-Ungarns einige tausend Opfer 9 auf beiden Seiten und führte zu einer Massenflucht 10 von zehntausenden Zivilisten, wobei die Zahlen je nach Quelle stark variieren. Die Operation darf jedenfalls als der erste und einzige große militärische Erfolg der k. u. k. Armee zwischen der verlorenen Schlacht von Königgrätz 1866 und dem Ersten Welt‐ krieg gelten; 11 dementsprechend sind ein nicht unbedeutender Prozentsatz aller erhalten gebliebenen österreichischen Bosnien-Texte hagiografisch-patrioti‐ sche Darstellungen jener ‚Heldentaten‘, so z. B. in Form einer Veteranen-Erin‐ nerungsliteratur, 12 die v. a. zur Zeit der Annexion Bosnien-Herzegowinas 1908 erschien: ein Jahr, das zugleich - und nicht ganz zufällig - das 30-jährige Jubi‐ läum der Okkupation markiert. Was für den Kulturwissenschaftler hier interessant ist, sind nicht unbedingt nur die vergessenen Ereignisse, Fakten und Zahlen, sondern vor allem die Nar‐ rative der Okkupation und deren diskursive Legitimierung. 13 Wir müssen näm‐ lich davon ausgehen, dass Bosnien-Herzegowina quasi zweifach besetzt wurde: nicht nur militärisch, sondern auch in einem semantischen Sinn, als „colonisa‐ tion de l’imaginaire“, 14 indem schon in dieser Phase dem Land und seinen Leuten spezifische Bedeutungen zugeschrieben wurden, die das politische Programm der Habsburger Monarchie unterstützten: „Wo die militärische Eroberung auf‐ hört, hat die moralische anzusetzen“, schreibt etwa Joseph Helfert 1878. 15 Dies ist besonders in Bezug auf die zum Einsatz kommende Identitätspolitik von Be‐ C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 239 16 Eine ausführlich monografische Darstellung der existenten k. u. k. Orientalismen ist z. Zt. noch ein Desiderat. Erste Ansätze dazu etwa bei HEISS & FEICHTINGER 2013: 148-165. Vgl. auch GINGRICH 1999: 29-34. 17 Zur „civilizing mission“/ „mission civilatrice“ als zentraler Ideologie zur diskursiven Le‐ gitimierung des Kolonialismus siehe etwa BARTH & OSTERHAMMEL 2005; MANN 2004: 1-26; CONKLIN 1997.- In unserem Kontext vgl. auch OKEY 2007. 18 FOURNIER 1909: 76. Vgl. den Erfolgsdruck, den WERTHEIMER 1913: 143, insinuiert: Das Ansehen der Monarchie wäre „geschädigt“ worden, wenn die Okkupation nicht durchgeführt worden bzw. gelungen wäre. 19 GLAISE-HORSTENAU 1909: 2. 20 Vgl. HAARDT 1878: 10. lang: d. h. die Art und Weise, wie hier österreichisch-ungarische Soldaten mit v. a. muslimischen und serbisch-orthodoxen Aufständischen in Kontakt kommen - die freilich wie viele von ihnen selbst Südslawen sind! -, wie sie diese Erfahrung kategorisieren und im Rahmen eines vorherrschenden österrei‐ chisch-ungarischen Populärorientalismus 16 bzw. im Rahmen der von ihrem Kriegsherrn formulierten quasi-kolonialen mission civilatrice  17 narrativ verar‐ beiten. Die Autoren der vorliegenden Veteranenerinnerungen sind freilich meist Offiziere und - zumindest dem Namen nach - deutschsprachige Österreicher. 1. Wessen Grausamkeit? „Zivilisierungsmission“ vs. „Fanatismus“ „Die Diplomaten in Berlin trugen den Völkern Österreichs den Vollzug einer Kulturmission (? ) auf “, schreibt etwa das Laibacher Tagblatt am 30. Juli 1878 auf seiner Titelseite und fügt der bedeutungsschwangeren Kolonialvokabel ein Fra‐ gezeichen in Klammern hinzu. Diese angebliche Erwartungshaltung, „daß die Donaumacht hier nicht nur Ruhe und Ordnung, sondern auch, daß sie mit den reichen Mitteln, über die ein hoch zivilisierter Staat verfügt, Kultur schaffen werde“, formuliert ebenso August Fournier, freilich retrospektiv. 18 Emphatisch staatspatriotisch heißt es dazu in den Erinnerungen des Leutnants Edmund von Glaise-Horstenau 1909: „Diese Österreicher kamen, allen Bewohnern gleiche Rechte zu schenken und gleiche Pflichten aufzuerlegen; diese Österreicher kamen, um die seit dem letzten Kriege mehr denn je gehaßten Serben zu befreien und den Moslims gleichzustellen! “ 19 Diesen offenkundig selbst erteilten Auftrag schreibt auch Vinzenz von Haardt in seiner in unmittelbarer zeitlicher Nach‐ barschaft mit den Ereignissen entstandenen Schilderung fest: Feldzeugmeister Philippovich sei „dazu berufen [gewesen], die Lösung der bevorstehenden schwierigen Mission zu übernehmen und den verwilderten Ländern die Seg‐ nungen des Fortschritts und der Cultur zuzuführen“. 20 Philippovich selbst schiebt in seinem Armeebefehl vor dem Einmarsch einem etwaigen Expansionismus-Vorwurf einen klaren Riegel vor; die Okkupation sei C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 240 21 HAARDT 1878 schreibt von mehr als 200 000 geflohenen Menschen, für deren Unter‐ halt die k. u. k. Regierung 19 Mio. Gulden aufwenden müsse (ebd. 7). 22 Zit. n. Laibacher Tagblatt v. 30. 07. 1878: 1 f. 23 HAARDT 1878: 16. 24 Zit. n. ebd. 19 f. nicht blanke Eroberung, sondern quasi humanitäre Intervention und Vorwärts‐ verteidigung des Reiches in einem Nachbarschaftskonflikt, der mit einer veri‐ tablen ‚Flüchtlingskrise‘ 21 einhergehe (wie man heute wohl befinden würde): Soldaten! Der Bürgerkrieg in seiner abschreckenden Form, ein an unseren Grenzen fanatisch geführter Religions- und Rassenkampf zwang Hunderttausende Flüchtlinge, vor grausamer Verfolgung Schutz auf österreichisch-ungarischem Boden zu suchen. Se. Majestät der Kaiser, unser oberster Kriegsherr, nicht gewillt, das eigene Gebiet fremden anarchischen Bestrebungen als Tummelplatz preiszugeben und die endlich auch unsere Ruhe und Sicherheit bedrohenden Wirren in den Nachbarländern noch länger zu dulden, haben im Einklang mit sämmtlichen Großmächten Europa’s und mit Zustimmung der Pforte beschlossen, diesem unheilvollen Zustande durch die Be‐ setzung Bosniens und der Herzegowina in entschiedener Weise ein Ende zu machen. Treu den Grundsätzen der Loyalität, die von jeher das Gepräge unserer Politik ge‐ bildet, ist es auch diesmal nicht Eroberungslust, sondern die unabweisliche Sorge für die eigene Wohlfahrt, welche uns die Grenzen des Reiches zu überschreiten ge‐ bietet. 22 Einen ähnlichen Wortlaut hat auch die Proklamation Philippovichs an die bos‐ nisch-herzegowinische Bevölkerung. 23 Sein Tagesbefehl an das k. u. k. Expedi‐ tionskorps endet mit einer Ermahnung, die die Reizworte der mission civilatrice wiederaufnimmt: „Soldaten! Eure Aufgabe, edel und erhaben in ihren Zielen, ist eine schwere! […] nicht zu einem Siegeszuge, zu harter Arbeit führe ich euch, verrichtet im Dienste der Humanität und Civilisation! “ 24 (Hier erhebt sich frei‐ lich die Frage, inwieweit die österreichisch-ungarische Invasion jene humani‐ täre Krise, gegen die sie angetreten ist, nicht auch mit erzeugt.) Aufschlussreich ist auch der im offiziellen Schlussbericht des k. u. k. Kriegs‐ archivs zum Okkupationsfeldzug wiedergegebene Aufruf der bosnisch-herze‐ gowinischen Aufständischen - eines der wenigen Textzeugnisse der anderen Seite, verfasst vom Stellvertreter des Scheriat-Kadija am 5. August 1878, das of‐ fenkundig auch vervielfältigt und in der ganzen Provinz verbreitet worden sein dürfte: Brüder in Gott, Religion und Vaterland! Hört die Stimme Eurer Großväter und Ur‐ großväter, die euch von den stolzen Bergen der Bosna, welche Eure Ahnen einstens C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 241 25 KRIEGSARCHIV 1879: 866 f. 26 HAARDT 1878: 5. 27 SPAITS 1907: 1. 28 Ebd. mit ihrem heiligen Blut erkämpften, zuruft […]. Die Schrift Gottes macht es uns zur strengsten Pflicht, mit vereinten Kräften unsere Religion, unser Vaterland zu vertei‐ digen und den Feind zu vernichten […]. 25 Hier stellt sich freilich die Frage nach der Authentizität jener später von Fein‐ deshand edierten und übersetzten Dokumente und deren Wirkung in einem weitgehend analphabetischen Land. Oder ist ihre Funktion in Textsorten wie dem Generalstabswerk vor allem eine legitimatorische in Bezug auf die von habsburgischen Truppen ausgeübte Gewalt, indem sie als Kronzeugen für den „Fanatismus“ insbesondere der muslimischen Bevölkerung herhalten müssen? Im Vor- und Nachfeld der Okkupation Bosniens 1878 wird auch ein weiteres stehendes Motiv der k. u. k. Autolegitimation und Selbstermächtigung formu‐ liert - der lange Niedergang des Landes in permanenten Kriegswirren und tür‐ kischer Antimoderne: Waren es bisher die blutigen Wechselfälle des Krieges, die jeden Versuch von Cultur und Civilisation im Keime erstickten, so trug fortan das finstere Joch der muselmän‐ nischen Herrschaft das Weitere bei, das Land und seine Bewohner in trauriger mit‐ telalterlicher Versumpfung schmachten zu lassen. 26 In der Retrospektive, aus der heraus die meisten der analysierten Veteranenbe‐ richte geschrieben wurden, ist die k. u. k. mission civiliatrice freilich bereits eine success story und damit erzählerisch so etwas wie eine self-fulfilling prophecy. So schreibt etwa Alexander Spaits: Bosnien und die Herzegowina, die noch vor kaum 30 Jahren zum klassischen Boden der Christenmetzeleien und des Raubunwesens gehörten, in denen der Halbmond die heimischen Herrscher wohl ausgerottet hatte, doch selbst nie zur festen Herrschaft gelangt, die an Naturschätzen so reichen Länder in heilloser Anarchie verwüsten ließ - Bosnien und die Herzegowina sind neu erstanden! 27 Spaits ist begeistert, wie sehr sich „die okkupierten Gebiete zu einem modernen Kulturland entwickelt“ 28 hätten und gerät ins imperialistische Schwärmen: „Zu rechter Zeit die erforderlichen Kräfte unzersplittert hier im Süden eingesetzt, hätte die Monarchie ihre Hoheitszeichen bis zum Ägäischen Meer, ja selbst zur C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 242 29 Ebd. 30 Ebd. 31 HOLTZ 1907: 51. 32 Eine Grundlage dafür gibt es freilich mit der militärhistorischen Studie von László Bencze (2005), eines Oberstleutnants der ungarischen Volksarmee, deren muttersprach‐ liche Originalversion bereits in den 1980er Jahren verfasst wurde; es wären jedoch ab‐ seits der Kriegsgeschichte auch diverse andere (politische, institutionelle, kulturelle, diskursive etc.) Aspekte noch zu berücksichtigen. 33 Weitere militärische Misserfolge ereignen sich Anfang August vor Jaice und noch dra‐ matischer um Tuzla, wo die 20. k. u. k.Infanteriedivision unter Ladislaus Graf Szápáry auf dem Vormarsch von den Insurgenten geschlagen wird und sich vorläufig wieder nach Doboj zurückziehen muss; vgl. BENCZE 2005: 164 ff., PLASCHKA 2000 I: 97 und GLAISE-HORSTENAU 1909. Donaumündung vorschieben können […], und im Besitz von Saloniki, politisch und wirtschaftlich den ganzen Orient beherrscht! “ 29 Am Ausgangspunkt dieser nur halben Erfolgsgeschichte stehen jedenfalls der präsumptive Hass, Fanatismus und Gewalt der bosnisch-herzegowinischen Ur‐ bevölkerung; dementsprechend auffällig sind bei den untersuchten Militär-Me‐ moiren vor allem narrative Verfahren, mit denen die „Insurgenten“ immer wieder propagandistisch zum alien other gemacht werden: Wenn sie etwa bei Spaits als „Naturvölker“ 30 bezeichnet werden oder wenn ein anderer Erinne‐ rungsarbeiter - bei der Serie Unsere Truppen im Leipziger Verlag C. W. Stern 1907 ff. dürfte es sich ja wohl um ein patriotisches Projekt mit offiziösem An‐ strich gehandelt haben - unter Bezugnahme auf das Generalstabswerk den „Ins‐ tinkt[.] der Wilden“ im „Insurgentenhaufen“ 31 diskutiert. Diese koloniale Grunddichotomie von ‚Zivilisation‘ versus ‚Barbarei‘ wird unterschwellig auch weiterhin den militärischen - und später: den zivilen - Diskurs über Bosnien-Herzegowina und dessen Menschen dominieren. In diesem Sinne sollen nun - anstelle einer dringend nötigen historischen Ge‐ samtdarstellung der Ereignisse von 1878, die wohl des Buchformats bedürfte 32 - zwei kleine exemplarische Fallstudien präsentiert werden; diese erscheinen nicht nur deshalb äußerst interessant, weil sie wichtige Phasen - und auch Rückschläge 33 - des Okkupationsfeldzugs darstellen, sondern auch, weil sie aus heutiger Sicht problematische Übergriffe thematisieren, die eine Nagelprobe für ebenjene vorgebliche k. u. k. „Friedens- und Kulturmission“ darstellen. Damit werfen sie die bis heute virulente Frage nach Menschenrechten in Kriegszeiten auf, vor allem aber: wer auf einem Schlachtfeld ein regulärer Soldat oder wer ein unlawful combatant ist - worauf nicht nur die USA in ihrem „War on Terror“ im frühen 21. Jahrhundert großen Wert legten. C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 243 34 HOLTZ 1907: 57. 35 Vgl. etwa SCHWEIGER-LERCHENFELD 1878: 65 f. 36 BENCZE 2005: 115. 37 Ebd. 116. 38 HOLTZ 1907: 46 f. 2. Die „Maglajer Katastrophe“ 34 (3. - 5. August 1878) Der Schauplatz der ersten Fallstudie ist die Umgebung der am Bosna-Fluss ge‐ legenen nordbosnischen Stadt Maglaj, wo am 3. August 1878 die 5. Eskadron des 7. k. k. Husarenregiments, die vor der Hauptkolonne der Invasionsarmee Vo‐ rausaufklärung betreibt, auf dem Weg nach Žepče in einen Hinterhalt gerät und von Insurgenten ins Kreuzfeuer genommen wird. Dieser Zwischenfall nimmt sowohl in der zeitgenössischen Presse als auch in Veteranenberichten eine Schlüsselstellung ein, der diskursiv ein hoher legitimatorischer Wert beige‐ messen wird. Zudem wird auch gerne gleichsam ein genealogischer Bezug zur Heldengeschichte des Prinzen Eugen von Savoyen hergestellt, der ebenso mit seiner Armee hier in Kampfhandlungen verwickelt worden war. 35 Zunächst aber das rekonstruktive Narrativ des ungarischen Militärhistorikers László Bencze von 1987, das die verschiedenen zeitgenössischen Darstellungen synthetisiert und so wahrscheinlich am vollständigsten und unspekulativsten ist: Dismounting, the hussars returned fire. Some of the insurgents moved from both sides of the road through the trees to reach the rear of the company, so they could fire heavily at the soldiers from both sides. Millinković [= der kommandierende Offizier, C. R.] orderd a retreat but in the confusion, the carts blocked the road. 36 Im Chaos dieses Hinterhalts brauchen die Kavalleristen einige Zeit, um die mit‐ geführten Train-Fuhrwerke zu wenden. Dann kommt die Aufklärungseinheit an einer unübersichtlichen Kurve bei Maglaj erneut unter feindliches Feuer; Pferde und Reiter stürzen und blockieren zusammen mit den mitgeführten Wagen die Straße, wobei auch die Insurgenten Barrikaden errichtet haben dürften. 37 Im Erinnerungsbericht des späteren Oberst Georg vom Holtz wird jene Kurve 200 Schritt nördlich des örtlichen Han, wo ein totes Husarenpferd liegt, im Rückblick nicht nur zum letalen Hindernis für die Husaren, sondern auch zur vorläufigen Klimax seiner Erzählung: Schon die Biegung der Straße an und für sich ist für eine scharfe Gangart ein großes Hindernis, dazu noch das verendete Tier! Reiter um Reiter stürzt, und in dieses Knäuel hinein schmettert das Schnellfeuer der Insurgenten. Hier geht alles in die Brüche! 38 C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 244 39 Auch hier differieren die genauen Verlustzahlen deutlich in den Berichten, vgl. etwa BERANEK 1908: 10; Holtz 1907: 48; BENCZE 2005: 116; u. a. 40 Etwa die bereits erwähnten (s. o., Fußnote 33) Schwierigkeiten, die zum Rückzug der 20. ID unter Szápáry führen, die auch WERTHEIMER 1913: 151 f. nennt. 41 HAARDT 1878: 32. Gleiche Formulierung bei BERANEK 1908: 7. 42 HAARDT 1878: 33. 43 Ebd. 39. Vgl. SPAITS 1907: 66.- Auch BÖHM 1903 schreibt ganz im Sinne von Edmund Chaura (vgl. Kap. C.0.2.) von Gräueltaten an versprengten Kameraden (ebd. 8.) und der Paranoia der Soldaten in der Nacht (ebd. 11 f.). 44 HOLTZ 1907: 70 f. 45 WERTHEIMER 1913: 151. Die Kavalleristen versuchen sich zurückzuziehen, doch am Ende des Gefechts sind von 144 Husaren rund ein Drittel tot, verwundet oder vermisst. 39 So trau‐ matisch dies für die Invasoren gewesen sein mag, so ist auch deutlich, dass es im Sommer 1878 größere militärische Rückschläge als diese gegeben hat 40 und dass hier unter tätiger Beteiligung der Wiener Presse eine Art Dolchstoß-Le‐ gende für den Okkupationsfeldzug konstruiert wird, die dazu dienen wird, das eigene ‚harte Durchgreifen‘ zu rechtfertigen. Nicht nur Vinzenz von Haardt, dessen Buch über die Okkupation Bosniens noch 1878 erscheint, schildert diesen Überfall der „verrätherischen Ortsbe‐ wohner“ aus dem Hinterhalt; 41 erst ein selbstloser Reiterangriff „mit Todesver‐ achtung auf die Barrikaden“ habe die Barrikaden der Insurgenten geöffnet. 42 Haardt zählt noch mehr Tote als die anderen Autoren und schildert, dass „meh‐ rere Huszaren, die sich in die Wälder gerettet hatten, in äusserst erschöpftem Zustande angetroffen [wurden], - andere wurden in schrecklichster Weise ver‐ stümmelt aufgefunden. 43 Wie Holtz berichtet, seien als Vergeltung dann beim zweiten Angriff am 5. August auf Maglaj alle Ortsbewohner, die mit Waffen oder Habseligkeiten der Husaren angetroffen worden wären, auf der Stelle er‐ schossen worden. 44 Sogar der Biograf von Graf Andrássy, Julius Wertheimer, erwähnt kurz den Zwischenfall und nennt ihn einen „verräterischen Ueber‐ fall“. 45 Im Erinnerungsbuch von Julius Beranek aus dem Jahre 1908 hingegen steht von Gräueltaten und Vergeltung nichts zu lesen; dafür wird dem Husaren-Ritt‐ meister (im intertextuellen Bezug zu Shakespeares Richard III .? ) gleichsam ein narratives Denkmal seiner leadership errichtet - gewissermaßen ein Gegenmo‐ dell zur Hinterlist der Insurgenten: Da wird dem Rittmeister das Pferd unter dem Leibe getötet. Zugsführer Alexander Varga pariert daraufhin sein Roß, springt ab und überläßt es dem Rittmeister mit den C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 245 46 BERANEK 1908: 7. 47 Ebd. 7 f. 48 BENCZE 2005: 117.- HOLTZ 1907: 50 zitiert in diesem Zusammenhang das General‐ stabswerk (KIREGSARCHIV 1879: 130): „Durch den verräterischen Überfall bei Maglaj hat das Kommando des XIII. Korps die zweifellose Gewißheit erlangt, daß der anfäng‐ lich friedliche Einmarsch in Bosnien einem bewaffneten Widerstande begegnen und die Besitzergreifung des Landes nur auf gewaltsamen Wege durchzuführen sein werde.“ 49 BENCZE 2005: 117. 50 Ebd.- HOLTZ 1907: 50, schreibt: „Man seufzt unwillkürlich erleichtert auf und sagt: ‚Na endlich! ‘ Es erschien auch gleich Tags darauf ein geharnischter Befehl, der besagte: ‚Daß - ggf. - Nizams und Redifs zu Gefangenen zu machen, Mustahfiz und Insurgenten jedoch ‚zu vertilgen‘ seien! ‘“ 51 BENCZE 2005: 117. Worte: ‚Herr Rittmeister, die Eskadron bedarf ihres Kommandeurs, bitte gehorsamst, hier ist mein Pferd! ‘ 46 Beranek erzählt auch von der schnell entstandenen Fama, „die Hauptkolonne sei bei Maglaj von den Insurgenten vernichtet und Feldzeugmeister Freiherr von Philippovich gefangen genommen worden. Dieses Gerücht verbreitete sich mit Blitzesschnelle im ganzen Lande und war Ursache, daß die Insurgenten plötzlich von allen Seiten bedeutenden Zulauf an raublüsternem Gesindel erhielten.“ 47 Die Kriminalisierung der Insurgenten kommt nicht von ungefähr. Die histo‐ riografische Darstellung von Bencze, die Wiener Kriegsarchiv-Bestände aus‐ wertet, sieht jene entscheidende Frühphase des Feldzugs in the greater picture. Der k. u. k. Oberkommandierende Philippovich habe das Debakel von Maglaj als Vorwand für zweierlei genommen: „Fillipovic used this event to report to the emperor that peaceful occupation was impossible“; 48 in diesem Sinne forderte er von Wien eine erhebliche Verstärkung des Truppenkontingents. 49 Außerdem verhängte der Feldzeugmeister ein ausgeweitetes Standrecht: Gefangengenom‐ mene osmanische Soldaten wurden entwaffnet und schnell wieder freigelassen, um die Hohe Pforte nicht zu provozieren. Andererseits stellte er es den örtlichen Kommandanten anheim, gefangene Freischärler auf der Stelle zu füsilieren. 50 Dies habe, so Bencze, durchaus der Logik des Kaisers entsprochen, der das Ge‐ fecht von Maglaj instrumentalisierte „as a rationale to order harsh reprisals“ und „to view the Sarajevo movement as an anarchist rebellion and its participants as insurgents and communards“ 51 (es erhebt sich nämlich die Frage, ob hier nicht nur die Erfahrungen von Kolonialmächten mit ‚wildem‘ Widerstand, sondern auch die Pariser Commune von 1871 auf den provisorischen Regierungsrat der Aufständischen - das Sarajevoer „Aktionskomitee“ - übertragen wird). Am 6. August werden dann Kanonen in Stellung gebracht, um Maglaj bis auf die Grundmauern zu zerstören. Zum Beschuss kommt es freilich nicht mehr, C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 246 52 Ebd. 120. - Vgl. BERANEK 1908: 10 u. HAARDT 1878: 38. 53 HOLTZ 1907: 68. 54 BENCZE 2005: 120. 55 Vgl. BENCZE 2005: 121; SPAITS 1907: 75 ff. 56 HAARDT 1878: 35. 57 BENCZE 2005: 118. 58 Ebd. 59 Ebd. 60 Ebd. 61 Vgl. AGAMBEN 2002. denn scheinbar durch einen Kommunikationsfehler ist der Ort zwischenzeitlich am 5. August von einer anderen k. u. k. Einheit eingenommen worden. Einige Insurgenten entkommen, andere werden getötet oder in den Fluss getrieben, wo sie ertrinken: 52 „Wer der Kugel und dem Bajonett entging, wurde in die hoch‐ angeschwollene Bosna gedrängt, welche fast alle verschlang.“ 53 Wieder andere ergeben sich, aber Benczes Bericht schließt lakonisch: „At Filippović’s order, the prisoners were butchered on the spot.“ 54 In den nächsten Tagen treffen dann die k. u. k. Truppen bei Žepče freilich auf viel größeren Widerstand, als sich ihnen ca. dreibis viertausend Freischärler und zwei reguläre osmanische Bataillone zu einer veritablen Feldschlacht in den Weg stellen. 55 Dass der „meuchlerische[.] Ueberfall[.]“ 56 von Maglaj zum Inbegriff des bos‐ nisch-herzegownischen „Banditism“ 57 wird, steht wie bereits angedeutet in ei‐ nem größeren legitimatorischen Zusammenhang, auf den auch Bencze hinge‐ wiesen hat: Die Grundannahme der k. u. k. Truppen war nämlich, dass sie „an armed policing action under the provisions of an agreement signed with the Porte“ ausführten; 58 dies ermöglichte ihnen speziell nach dem Anlassfall von Maglaj, eine strikte Trennung zwischen regulären und irregulären Kämpfern vorzunehmen. 59 Dem gegenüber habe aber die damals gültige Kriegskonvention, die Brüsseler Deklaration von 1874 (Artikel 9-10) festgelegt, dass auch irreguläre Kämpfer als normale „combatants“ anzusehen seien, wenn sie unter den Be‐ fehlen ihrer eigenen Regierung handeln bzw. ihr Gebiet noch nicht besetzt ist; wegen der ihrer Meinung nach fehlenden Legitimation des provisorischen Re‐ gierungsrates in Sarajevo wurde dies jedoch von den Invasoren nicht aner‐ kannt. 60 Der Zwischenfall von Maglaj und andere Rückschläge liefern dann per‐ fekte Vorwände zu einem härteren Vorgehen, das die „Insurgenten“ quasi als homines sacri  61 von den Menschenrechten normaler Kriegsgefangener aus‐ schließt und vogelfrei macht. All dies wird noch interessanter durch die Tatsache, dass die Besetzung von Maglaj auch den historischen Hintergrund des ersten großen modernen bosni‐ schen Romans abgibt, nämlich Zeleno busenje („Grüner Rasen“) von Edhem Mu‐ C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 247 62 Zit. n. der Übersetzung in BRAUN 1934: 94. 63 Ebd. 96. labdić (1862-1954), erschienen 1898, also zwanzig Jahre später. Im Zentrum der Fabel steht eine bittersüße, unglückliche Liebesgeschichte, in der sich die ver‐ schiedenen Lebensstile in der Stadt abbilden. Der Text beschreibt auch, wie sich vor dem bevorstehenden Einmarsch der österreichisch-ungarischen Truppen in der Stadt zwei Lager bilden, nämlich diejenigen, die sich von den habsburgischen „Schwaben“ Neuerungen und eine bessere Zukunft erwarten und jene, die stur und konservativ an ihrer Heimat und deren Traditionen so wie bisher festhalten möchten. Es bildet sich eine Kriegspartei, die lautstark für den Widerstand gegen die Okkupation eintritt und sich im Basar sammelt. Soziale Unterschiede spielen sichtbar eine Rolle, denn „es waren lauter Bauern, Dienerschaft und Zigeuner. Irgendwann begann eine Trommel zu dröhnen und Hadschi Seimanga [= der Führer der Kriegspartei, C. R.] pflanzte die Fahne mitten im Basar auf “. 62 Ge‐ schildert wird die zunehmende Kriegshysterie, während die ersten Menschen nach Hause gehen. Als dann endlich die österreichische Kavallerie vor der Stadt auftaucht - realhistorisch ist hier scheinbar der 5. August gemeint -, heißt es: Es begann eine allgemeine Panik, ein Schreien und Weinen; alles begann zu rennen […]; alles läuft, um sich im Gebüsch zu verstecken, um nicht zugrunde zu gehen, denn der Feind wird doch sicher alles in Brand stecken. In dieser Aufregung hatte niemand darauf geachtet, was denn aus dem Heertrupp vor dem Deibeg-Han geworden sei. Kaum war jene schreckliche Stimme von der Stadt her verklungen - da waren sie auch schon alle wie eine aufgescheuchte Vogelschar auseinandergespritzt, mitten durch Mais und Weizen. In einem einzigen Augenblick waren diese Helden verschwunden, ohne Büchsenschuß und Messerstich, ohne einen Tropfen Blut, ohne auch nur zu fragen: wohin, warum? 63 Bei Mulabdić findet also der Widerstand und dessen Hinterhalt nicht wirklich statt, die Militanten stammen allesamt aus niederen Volksklassen und rennen davon, als sie die Stimme des Agitators nicht mehr hören (und so spielt hier leadership wie im zitierten Veteranenbericht eine Rolle). Damit ist freilich auch das traumatische Scharmützel aus dem Roman hinausredigiert und über alles wächst Gras bzw. der titelgebende grüne Rasen - warum, bleibt die Frage: Um als Autor nicht bei der k.u.k Zensurbehörde Schaden zu nehmen? Oder ein ret‐ rospektiv opportunistischer Akt dem Besatzer gegenüber? Oder, weil es eben zum Wesen des Traumas gehört, verdrängt zu sein? Die kroatisch-österreichi‐ sche Journalistin und Autorin Milena Preindlsberger-Mrazović gibt in ihrem Bosnischen Skizzenbuch von 1900 eine eher stereotype Antwort darauf, wenn sie C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 248 64 PREINDLSBERGER-MRAZOVIĆ 1900: 8. 65 WERTHEIMER 1913: 155. 66 HOLTZ 1907: 185. 67 DONIA 2009: 53 ff. 68 BERANEK 1908: 45. 69 Zit. n. PLASCHKA 2000: 44. anhand von Maglaj und anderen Orten im Stil eines zeitgenössischen Po‐ pulär-Orientalismus, der die Schuld an der Amnesie der örtlichen ‚Mentalität‘ zuschreibt, räsonniert: „Wer sie erbaut, erkämpft, besessen und verloren, all’ die Namen hat im gedächtnislosen Orient der Wind verweht, der leise zerstörend die Gemäuer umspielt.“ 64 3. Die Eroberung von Sarajevo (19. August 1878) Die störenden bis verstörenden blinden Flecken im Bild von der Okkupation, die eigentlich ein Spaziergang hätte sein sollen, kehren auch in anderen Schil‐ derungen wieder, am stärksten bei der Eroberung von Sarajewo. Diese hätte eigentlich am 18. August, dem Geburtstag von Franz Joseph, stattfinden sollen, 65 verzögerte sich aber um einen Tag. Nach heftigen Kampfhandlungen seit dem Morgengrauen - als Folge des vom Sarajevoer Aktionskomitees organisierten Widerstands der „Insurgenten“ - galt die bosnische Metropole dann am Nach‐ mittag des 19.8. endlich als eingenommen: „Sarajevo lag zu Füßen seiner Ma‐ jestät unseres allerhöchsten Kriegsherren.“ 66 Zuvor war es jedoch zu blutigen Straßen- und Häuserkämpfen vor allem im sog. türkischen Viertel gekommen. 67 Julius Beranek schreibt dazu in seinem Er‐ innerungsbuch: „Von allen Seiten dringen die k. k. Truppen in die Stadt ein, wo sich nun ein Straßenkampf entspinnt, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Weiber, ja selbst Kinder nehmen an diesem Kampfe tätigen Anteil.“ 68 Der Bericht des österreichisch-ungarischen Generalstabs gibt weitere Details: Der ganze äußere Umkreis Sarajevos war stark besetzt. Aber auch im Inneren der Stadt gestatteten die engen Gassen mit ihren vielen Häusergruppen und einzelnen in den Erdgeschossen leicht zu verrammelnden Gebäuden, deren kleine Fenster der Stock‐ werke und zahlreiche Dachlücken die Abgabe des Feuers nach verschiedenen Rich‐ tungen zuließen, die nachhaltigste Verteidigung. Von der Umfassung der Stadt ver‐ trieben, warfen sich die Insurgenten meist in die nächsten Häuser, verbarrikadierten alle Eingänge und unterhielten ein vernichtendes Feuer gegen die nachstürmende Infanterie. 69 Ähnlich berichtet der k. u. k. Oberkommandierende Philippovich: „Es entspann sich einer der denkbar gräßlichsten Kämpfe. Aus jedem Hause, aus jedem C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 249 70 Zit. n. ebd. 45. 71 BENCZE 2005: 146. 72 So der Untertitel des Buches von HEUBERGER & ILLMING 1994. 73 HOLTZ 1907: 182. Fenster, aus jeder Türspalte wurden die Truppen beschossen; ja selbst Weiber beteiligten sich daran.“ 70 Wenn man freilich auch hier die vorgeblich authentischen Berichte mit jenem des Militärhistoriker Bencze vergleicht, so wird klar, dass ein wesentlicher Teil der Geschichte ausgelassen worden sein dürfte - die Ermordung der mitkämpf‐ enden Sarajewoer Frauen und Kinder; rhetorisch könnte man hier (wie in Kap. B.2.4. dieser Arbeit) von einer Aposiopese sprechen: A horrible battle took place in the Muslim quarter. The Turkish soldiers, police and refugees, among them Montenegrins […], residents of Sarajevo, for the most part poor artisans and merchants - including old people, children, women, and young girls - defended themselves desparately, firing from the cellars of their burning houses, from fences, and from the tops of minarets. The soldiers moved forward step by step, […] mercilessly killing everyone they found on the street; they threw down women who had fled up into the minarets and dealt with children who had taken arms in the same way as with the insurgents. 71 Die häufige Tilgung dieser unangenehmen Einzelheiten aus den Veteranenbe‐ richten mag wohl damit zu tun haben, dass sich diese ihrer Sache ethisch mög‐ licherweise doch nicht völlig sicher fühlten; außerdem dürften sie zur Zeit der Annexion Bosnien-Herzegowinas 1908 das offiziöse Bild vom „gelungenen Zu‐ sammenleben“ 72 gestört haben. Details finden unter allen konsultierten Texten nur Eingang in die Memoiren von Holtz, etwa wenn er 1907 formuliert: Haus um Haus mußte erstürmt werden; selbst Weiber beteiligten sich mit fanatischer Wut am Kampfe und drangen mit Handschar und Pistolen auf die Unsrigen ein, - Pardon wurde keiner verlangt und keiner gegeben, was eine Waffe trug, wurde rück‐ sichtslos niedergemacht. 73 In Holtz’ Heimmarsch-Band, der ein Jahr später erscheint, wird noch eine blutige Episode nachgereicht, in der ein k. k. Leutnant bei den Straßenkämpfen in ein Sarajevoer Haus eindringt. Wie die eben zitierte Formulierung dient auch hier der wiederholt behauptete „Fanatismus“ der muslimischen (und serbischen) Be‐ völkerung dazu, die drastischen Maßnahmen gegen sie zu rechtfertigen: Als das Tor aufgesprengt war, stellten sich ihm ein schwangeres Weib und ein etwa zehnjähriger Knabe entgegen und feuerten beide ihre Pistolen auf ihn ab. Ihn fehlten C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 250 74 HOLTZ 1908: 2. 75 ZANANTONI 1922 (Orthografie wie im Orig.)- Ich danke Tamara Scheer für diesen produktiven Hinweis. sie, verwundeten aber einen seiner hinter ihm befindlichen Leute. Beide fielen sofort unter den Bajonetten und den Kolbenschlägen der empörten Soldaten, welche, da das Stockwerk noch stark besetzt war und den Insurgenten über die schmale Treppe ohne große Verluste nicht beizukommen war, das Haus einfach in Brand steckten und die Türken ausräucherten. 74 Genauso, wie diese Grausamkeiten aus dem Trauma der Niederlage von König‐ grätz zwölf Jahre zuvor - etliche der Okkupationstruppen waren deren Vete‐ ranen! - und dem daraus resultierenden Erfolgsdruck auf die k. k. Soldaten zu erklären sein mögen, hat umgekehrt die Erinnerung an die Brutalität der Kämpfe in Bosnien-Herzegowina möglicherweise zur Härte des Vorgehens gegen die serbische Zivilbevölkerung im Ersten Weltkrieg mit beigetragen. Ein Beispiel dafür wären etwa die Gräueltaten hinter der serbischen Grenze nahe Sabac um den 15. August 1914 herum; zum Vergleich mit Sarajevo sei ein unveröffent‐ lichter Augenzeugenbericht darüber anzitiert: Als wir Bogosovac passierten, lernte ich zum erstenmale die entsetzlichen Greueln des Krieges kennen. Die zurückgebliebenen Einwohner (nur Greise, Frauen und Kinder) beschießen unsere Kolonne hinterrücks aus den Häusern, von den Dächern und aus den Kellern. Um uns in Sicherheit zu wiegen, steckten sie bei unserem Ein‐ treffen kleine, weiße Fähnchen aus den Fenstern und riefen uns in serbischer Sprache: ‚Živila austriacka armada‘ zu. Das war arge Hinterlist. Schwer mussten es die Be‐ wohner bühsen [sic], alle Häuser aus denen Schüsse fielen gingen in Flammen auf, alle Bewohner, welche beim Schießen betreten worden sind, wurden einerlei ob Greis, Frau oder Kind, erschossen! Ein entsetzlicher Anblick! Noch heute gruselt es mich, wenn ich an jene Scene denke! Damals kannte ich ja noch den Krieg mit allen seinen tieftraurigen Begleiterscheinungen nicht! Aber wir hätten auf der Hut sein sollen, zumal wir doch wussten [! ], mit welchen hasserfüllten, rachesüchtigen Volke es wir zu tun haben. 75 4. Allgemeine Fragestellungen zum Okkupationsdiskurs Kritische Stimmen zum Modus der Okkupation gibt es nicht nur a posteriori, sondern bereits unter den Zeitgenossen. So werden etwa 1878 die Reden zweier Parlamentarier in der Adressdebatte des österreichischen Abgeordnetenhauses C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 251 76 HAUSNER & WOLSKI 1878.- Für die Interessenslage dieser beiden Parlamentarier ist aufschlussreich, dass sich Hausner selbst als Pole bezeichnet (ebd. 47). 77 Ebd. 10. 78 Ebd. 36. 79 BENCZE 2005: 301. veröffentlicht. 76 Während der eine, ein gewisser Dr. Wolski, rhetorisch fragt, „sahen wir nicht fast die halbe Bevölkerung bis zu Weibern und Kindern gegen uns die Waffen ergreifen? “, 77 gibt der andere, Otto Hausner, zu bedenken, ob man die Eroberung einer Provinz von einer Million Einwohnern mit einem Auf‐ gebote von 150 000 Mann binnen zwei Monaten, mit einem Verluste von 7000 Mann auf dem Schlachtfelde, ohne die zu zählen, welche in den Lazarethen verkamen und noch verkommen, und nach Ausgabe von 100 Millionen, ob man eine Occupation, die das erworbene Land verwüstet und entvölkert hat, welche die übriggebliebene Be‐ völkerung erbittert und entfremdet hat, ob man eine solche Occupation eine glorreiche nennen kann? (Rufe von links: sehr richtig! Bravo! ) 78 In Anbetracht solcher Bilanzen wundert es nicht, dass auch die zusammenfas‐ sende Beurteilung des Okkupationsfeldzugs durch den ungarischen Militärhis‐ toriker László Bencze mehr als 100 Jahre später ziemlich nüchtern und kritisch ausgefallen ist - wiewohl der Verfasser selbst dem Soldatenstand (und dazu noch einer Armee des Warschauer Pakts) angehörte: The occupying troops acted and treated their regular forces as if they were everyday criminals, murderers, and arsonists. Physcial force was the invader’s most easily un‐ derstandable method of dealing with the populace. 79 Benczes Befund stimmt nun keineswegs mit dem Bild vom Okkupationsfeldzug 1878 überein, wie es der postimperialen Nachwelt - wenn auch spärlich - über‐ mittelt wird; eher schon hat sich Andrássys Bild vom bewaffneten Spaziergang mit Blasmusik als Beschreibungshülse durchgesetzt, sofern nicht die umfang‐ reichste k. u. k. Militäroperation innerhalb von fast fünfzig Jahren (1866-1914) überhaupt aus der Habsburg-Geschichtsschreibung ausgespart bleibt. Dement‐ sprechend scheint es erstrebenswert, kurz die Analyse einiger zentraler diskur‐ siver Momente der skizzierten Kriegsnarrative in Angriff zu nehmen und einen etwas weiter führenden Ausblick anzudenken. Zunächst einmal die Erzählstrukturen: In den meisten Militär- und Vetera‐ nenberichten werden • rechtmäßige Okkupation und illegitime „Insurgenz“ einander gegenüber‐ gestellt. Diese juristische Dichotomie wird mit dem C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 252 80 Schon Franz Maurer etwa schreibt in seinem Reisebericht acht Jahre vor der Okkupa‐ tion: „So bricht der Hass und die Wildheit der Muselmanen immer gelegentlich wieder hervor, trotz inneren und äußeren Druckes, der auf dieselben ausgeübt wird, selbst da, wo die europäische Macht sich am fühlbarsten und sichtbarsten Geltung verschafft. […] worauf das Wesen des Islam auch heute noch hinausläuft - Zerstörung und ewigen Krieg gegen die Ungläubigen.“ (MAURER 1870: 382 u. 385) 81 Zu diesem Konzept vgl. SPIVAK 1985: 247-272; BRONS 2015: 69-90. 82 Diese stehende Phrase einer Selbstrechtfertigung des Kolonialismus geht auf Rudyard Kiplings Gedicht The White Man’s Burden von 1899 zurück; online auf Englisch mit deutscher Übersetzung unter http: / / www.loske.org/ html/ school/ history/ c19/ burden_full.pdf 83 Vgl. JanMOHAMED 1985: 78-106. 84 Vgl. dazu PRELJEVIC’ & RUTHNER 2016. • heimtückischen und fanatischen Charakter der Insurgenten psychologi‐ siert - der damals wie heute meist auf den Islam zurückgeführt wird -, 80 • denen im Kampf der sportliche bis frohgemute k. u. k. Kavaliersoldat überlegen gegenübersteht, der alle Entbehrungen im Namen seiner „Kul‐ turmission“ heroisch erduldet. • Dahinter steht die fundamentale wie althergebrachte Dichotomie von Zi‐ vilisation und Barbarei, mit der narrativ ein othering  81 des Aufstands durchgeführt wird. Der meist muslimische (oder serbische) „Insurgent“ wird so zum alien other stilisiert und stigmatisiert, was so weit gehen kann, dass der Fremde ungeniert rassistisch dem kolonialen bis ‚kannibalischen‘ Anderen Afrikas gleichgesetzt wird, wie dies in jenem in Kap. C.0.2. zitierten tschechischen Okkupationstext der Fall war. Auf der anderen Seite trägt der k. u. k. Soldat Kiplings zum flie‐ genden Wort gewordene „Bürde des weißen Mannes“ 82 , der mit Gewalt und Ekel seine vermeintliche Zivilisiertheit dem „Barbaren“ kolonial aufzwingt, gleichsam mit. Die solchermaßen aufgestellten „manichäischen“ 83 Oppositionen ermögli‐ chen ein Ausblenden von potentiellen Kriegsverbrechen oder zumindest deren selektive Wahrnehmung; „Fanatismus“ wird hier buchstäblich zum Totschlags‐ argument (und diese rhetorische Strategie wird auch später in den Darstel‐ lungen der Attentäter von Sarajevo 1914 84 wiederkehren). Das Sich-Messen am ‚orientalischen‘ Anderen hat aber durchaus auch Kon‐ sequenzen für die interne österreichisch-ungarische Identitätspolitik. Fragt Ed‐ mund v. Glaise-Horstenaus Erzählinstanz zu Beginn seines retrospektiven Be‐ richts von 1878 noch bang „Wird das neue Volksheer [nach Königgrätz, C. R.] C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 253 85 GLAISE-HORSTENAU 1909: 4. 86 Zit. n. BERANEK 1908: 134. 87 Ebd. 88 Vgl. Kap. C.0.2. dieser Arbeit und JEZERNIK 2004: 139. die Probe bestehn? “, 85 heißt es im Armeebefehl von Kaiser Franz Joseph vom 19. Oktober 1878 zur bevorstehenden Einstellung der Kampfhandlungen: Den Unbillen außergewöhnlich ungünstiger Witterung, den Schwierigkeiten eines unwegsamen Bodens und unvermeidlichen Entbehrungen aller Art Trotz bietend, haben Meine braven Truppen in ruhmvollen Kämpfen den Widerstand einer irrege‐ leiteten, fanatisierten Bevölkerung gebrochen, durch musterhafte Manneszucht und ihre altbewährte Tapferkeit die Ehre Unserer Fahnen stets hoch zu halten gewußt und die ihnen gewordene Aufgabe in kurzer Zeit erfolgreich gelöst. 86 Im Kampf wie im Sieg fungiert also die success story der Okkupation als über‐ nationale Klammer in Österreich-Ungarn; hier sei nochmals Julius Beranek zi‐ tiert: Ob die Soldaten Deutsche oder Polen, ob sie Ungarn oder Kroaten, ob sie Tschechen oder Krainer, ob Steirer oder Tiroler waren: sie alle, alle haben den Beweis erbracht, daß es in der österreichisch-ungarischen Monarchie kein minderwertiges Volk, keine minderwertigen Soldaten gibt. 87 Im Kampf erfährt sich der k. u. k. Militär in Absetzung von Edmund Chauras „ignoble cannibal enemy“ 88 wenn schon nicht als Nation im Sinne des Nationa‐ lismus, so doch als staatstragendes ‚Volk‘ jenseits aller ethnischen Differenzen. Der Okkupationsfeldzug dient somit - zumindest retrospektiv - auch der ei‐ genen Identitätsstiftung. Über diesen konkreten Habsburg-Bezugsrahmen hinaus drängen sich aber noch globalere Fragen auf, die freilich eher rechtsphilosophischer und ethischer Natur sind: • Seit jeher dient die kategorische Trennung von regulären Soldaten und irregulären Kämpfern/ unlawful combatants der Umgehung von interna‐ tionalen Konventionen für die Behandlung von Kriegsgefangenen, die es schon 1878 gab. • Doch wer bestimmt, was völkerrechtlich illegale „Insurgenz“ und was le‐ gitimer ‚Heimatschutz‘ ist? Zugunsten der Insurgenten ließe sich argu‐ mentieren, dass sie immerhin quasi-demokratisch den Willen eines sig‐ nifikanten Prozentsatzes der bosnisch-herzegowinischen Bevölkerung C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 254 89 HAUSNER & WOLKSI 1878: 12. 90 Siehe dazu oben, Abschnitt C.0. 91 HAUSNER & WOLSKI 1878: 16. zur Territorialverteidigung exekutiert haben, der zudem noch vom „Ak‐ tionskomitee“ der Aufständischen in Sarajewo sanktioniert worden war. • Die Rhetorik der „Insurgenz“ öffnet somit ein militär- und menschen‐ rechtliches Vakuum - denn wie lässt sich mit der vorgeblichen „Kultur‐ mission“ vereinbaren, dass sie letztlich nur mit Gewalt durchgesetzt werden kann? Werden sich hier der fanatische „Insurgent“ und der das Standrecht handhabende Zivilisationssoldat nicht erstaunlich ähnlich? Oder dienen hier die pathetischen „zivilisatorische Werte“ nur als Prätext für Imperialismus? Schon Dr. Wolksi hat im österreichischen Reichsrat die rhetorische Frage gestellt, „ob der Humanität gedient worden wäre durch die Hekatomben von Opfern, die eben in Folge des Einmarsches der Oesterreicher hingeschlachtet worden sind? “ 89 • Der Abgeordnete Wolski ist es auch, der die „Dialektik des Kolonia‐ lismus“ 90 hellsichtig vorausgeahnt hat, die nicht zuletzt bereits durch die anfänglich gewaltsame Natur der „Kulturmission“ bedingt ist: Im Orient gilt als Unterdrücker, wer grundsätzlich mit orientalischen Traditionen bricht. Wollte wir es im Ernste versuchen, dort zu reformiren und zu cultiviren, und dieser bosnischen Bevölkerung, welcher unter türkischer Herrschaft, sobald sie einmal ihren Zehent an die Regierung berichtigt hatte, sonst in ungebundener Freiheit und Zügellosigkeit leben konnte, jene Regeln, jene Beschränkungen, jene Lasten auf‐ zuerlegen, die von einem geordneten Staatswesen unzertrennbar sind, wollen wir dort einmal unser Justizsystem, unser Wehrgesetz, unsere Concurrenzgesetze, unsere Steuern und Steuerzuschläge, unser Salz- und Tabakmonopol einführen, so werden Sie sehen, meine Herren, dass alles Dies zu einer furchtbar wuchernden Saat des Hasses gegen uns werden wird. 91 Ein Gemeinplatz will es, dass in der Beschreibung eines Krieges a posteriori die Perspektive des Mächtigen und vor allem die der Siegers den Ausschlag gibt. Dies gilt damals 1878 in Österreich-Ungarn und Bosnien-Herzegowina wie heute in den USA , im Irak und in Syrien; was einen indes durchaus zu überra‐ schen vermag, ist die Ähnlichkeit der beiden Okkupationsdiskurse und ihres zentralen Leitmotivs, des fanatischen muslimischen „Insurgenten“, den das Nar‐ rativ zum alien other macht, das vernichtet werden muss, damit der verbleibende Rest der Bevölkerung „cultivirt“ werden kann. Als kleine Ironie der Geschichte muss hier freilich angesehen werden, dass bereits wenige Jahre nach der Okkupation 1878 die Nachkommen jener bos‐ C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 255 92 Vgl. ŠEHIĆ 2015. 93 Zu diesem Thema vgl. die eher affirmative unkritische Monografie von SCHA‐ CHINGER 1994; weiters STRIGL 2006. nisch-herzegowinischen Aufständischen der k. u. k. Armee bereits als erstre‐ benswerte human resources galten und die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde. 92 Die daraus entstehenden bosnisch-herzegowinischen Infanterieregi‐ menter zählten zu den Elitetruppen der Habsburger Monarchie im Ersten Welt‐ krieg, die für ihre Kampfstärke und Tapferkeit von den Nachfolgern jener k. k. Militärs gelobt wurden, die ihre Väter und Großväter noch als grausame Fana‐ tiker abgetan hatten. 93 Militärs und Kriege tendieren zu einer ziemlich utilita‐ ristischen Zwecklogik, wie es scheint, die mitunter ziemlich vergesslich ist und nachtragend zugleich. C.1. Besetzungen (i): Die Okkupation Bosniens 1878 256 1 Zit. n. BERNHARD 1996: 136.- Spiridon Gopčević (1855-1928 oder 1936? ) ist ein aus Triest gebürtiger österreichischer Südslawe, der als Reiseautor, Astronom, Diplomat und Kulturvermittler ein höchst interessantes kleines Œuvre hinterlassen hat (vgl. REBER 2015). 2 HELFERT 1879: 4. 3 BERNHARD 1996: 56 u.ff. C.2. Besetzungen (ii): Zur kolonialen Reformatierung der Orte und Fremd‐ bilder in Bosnien-Herzegowina nach 1878 Unsere im Allgemeinen höchst unglücklich angelegte Erziehung gestattet uns a priori nicht, unsere Nachbarvölker mit unbefan‐ genen Augen zu sehen und zu beurteilen, da schon dem zarten Kinde das unschuldige Herz durch sogenannte ‚patriotische‘ Bü‐ cher vergiftet wird. (Spiridon Gopčević 1 ) 1. Anverwandlung der Orte: De/ Recoding Konjic(a) Etliche Autoren, die über Bosnien-Herzegowina schreiben, scheinen das Land nicht unbedingt aus erster Hand, sondern vor allem aus ihrer Lektüre zu kennen: „Ich war nicht dort“, schreibt etwa Joseph von Helfert in Bosnisches mit ent‐ waffnender Offenheit, 2 als er ein ganzes Buch jenem Territorium widmet, das nach der Okkupation von 1878 noch mit seinem Image als unbekanntes „Hin‐ terland“ 3 zu kämpfen hat. Auf der anderen Seite des Spektrums stehen wiederum Autoren, die nach Bosnien-Herzegowina aufbrechen, um dort etwas Authenti‐ sches zu finden - um ebenso der reiseliterarischen Intertextualität, den präe‐ xistenten Erzählschemata und Stereotypen anheimzufallen. Kurz nach der Jahrhundertwende kommt beispielsweise der Reichsdeutsche Bernhard Wieman auf Einladung eines österreichischen Freundes in die neuen k. u. k. Gebiete auf dem Westbalkan. Er schreibt über Konjic, eine Kleinstadt am Neretva-Fluss: 4 WIEMAN 1908: 91.- Narenta ist der italienische Name für die Neretva, den wichtigsten Fluss in der Herzegowina. 5 Zur Zeitgenossenschaft Karl Mays mit anderen Orientdiskursen in der deutschspra‐ chigen Literatur um 1900 vgl. BERMAN 1996 u. BABKA 2015. 6 WIEMAN 1908: 214. 7 Vgl. dazu REBER 2015. 8 Die untersuchten Texte verwenden meist die alte Schreibweise mit einem -a am Ende.- Ich persönlich habe Konjic zu Beginn des 21. Jhs. als Austragungsort der Jahreskonfe‐ renzen des Institute for Strenghtening Democracy in BiH kennengelernt, die vom re‐ nommierten bosnisch-norwegischen Politikwissenschaftler Džemal Sokolović organisiert wurden, dem auch dieses Kapitel in Dankbarkeit gewidmet ist. 9 PREINDLSBERGER-MRAZOVIĆ 1900: 258. Das ist eine fremde, schöne Stadt, eine Stadt so ganz anders, als ich sie bislang gesehen habe, eine schöne Sonnenstadt. Das Wasser der Narenta hat eine wunderbare Bläue; aus weißen Steinhäusern mit grauroten Dächern leuchten die Minarets, und eine hohe, vierbogige Brücke wird gleich unser Weg sein; jenseits des Flusses erheben sich kleine, kahle Berge mit niedrigem Grün, und dahinter sehe ich höhere Gipfel vom schim‐ mernden Himmel sich abheben. 4 Hier steht pittoreske topografische Schönheit im Zentrum: der romantisierte österreichisch-ungarische Orient wird zu einem deutschen Postkartenidyll in geistiger Verwandtschaft zu Karl May. 5 Wieman schreibt weiter: „Die Hercego‐ vina ist die lichte, ungemein reizvolle Schwester von Montenegro, eines fins‐ teren Bruders.“ 6 Diese Gegenüberstellung mit der Nachbarregion Crna Gora scheint nicht zufällig: Erstere ist „unser“, letztere beinahe Feindterritorium; die „lichte“, ehemals osmanische Provinz steht unter österreichisch-ungarischer Verwaltung, die sie ‚kultiviert‘, die andere ist noch mehr den ambivalenten dark ages wilder Kriegerstämme 7 zugehörig. Als Heranführung an die Generalthese dieses Abschnitts - die von außen erfolgende hegemoniale Formulierung bzw. Formatierung von ‚eingeborenen‘ Topografien und ethnischen Identitäten im Zuge der österreichisch-ungarischen Landnahme in Bosnien-Herzegowina 1878-1918 - wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit des Korpus ein kleiner und verhältnismäßig unbedeutender Ort in der Landesmitte gewählt: jenes Konjic(a) 8 auf halbem Weg von Sarajewo nach Mostar - eine „natürliche[.] Grenzstation zwischen Bosnien und der Her‐ cegovina“. 9 An den Veränderungen in den erhalten gebliebenen Stadtbeschrei‐ bungen in österreichischen und reichsdeutschen Texten wird nicht nur ein ge‐ nereller kultureller Wandel sichtbar, sondern auch das Wunschdenken der k. u. k. Besatzer, die sich die Stadt zumindest in der Darstellung einverleibten C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 258 10 Interessanter wäre in der Tat eine diachrone Analyse von imagines der Hauptstadt Sa‐ rajewos gewesen, das sich in den österreichischen und reichsdeutschen Texten vom Kriegsschauplatz 1878 zum Musterbeispiel einer mehr oder weniger gelungenen Syn‐ these aus ‚Orient‘ und ‚Okzident‘ um 1900 entwickelt. Da dies aus Platzgründen hier kaum zu leisten wäre, wurde auf die Stadt und Region Konjic zurückgegriffen, zumal dort eine ähnliche diskursive Entwicklung festzustellen ist. 11 HELFERT 1879: 5. 12 Ebd. 9. 13 Vgl. Kap. B.1. der vorl. Arbeit. 14 HELFERT 1879: 9 f. 15 Ebd. 182.- Auf die Dialektik von Nähe und Distanz bei orientalistischen Städtepano‐ ramen werden wir später noch einmal zurückkommen. und anverwandelten in Form eines symbolischen, kulturellen Kolonialismus, 10 der sich (phantasmatischer? ) Bilder des Eigenen und Fremden bediente. Paradigmatisch dafür ist z. B. das bereits oben erwähnte Buch von Helfert aus der Okkupationszeit (1878 / 79), „wo von dem in unsern Ländern gewohnten Komfort so gar nichts zu finden, und von Weghindernissen aller Art, von Miss‐ trauen der Behörden und Feindseligkeit unterschiedlicher Wegelagerer, von er‐ bärmlicher, oft anwidernder, von Ungeziefer jeden Namens heimgesuchter Un‐ terkunft so viel zu finden war“. 11 Im Stil eines Lehnstuhl-Ethnologen seiner Zeit nimmt der Autor „den Umsatz von Kaffee und Zucker - den Verbrauch von Seife - die gesellschaftliche Stellung des Weibes - die Herberge“ als „Maßstab für den Bildungsgrad“ 12 (Diese arbiträren Anzeichen von ‚Zivilisation‘ tauchen aber auch bei anderen Autor / innen immer wieder als Leitmotive auf.). Helfert geht sogar noch weiter, wenn er postuliert, Gastfreundschaft sei nicht (mehr) erforderlich - man denke etwa an das vorher besprochene Goldene Vließ! 13 - denn „in civilisirten Ländern hat man Wirthshäuser“. 14 Orientalische Städte wie in Bosnien-Herzegowina seien indes geprägt von „patriarchalische[r] Unsau‐ berkeit, „Theater-Decorationen, die nur in der Sehferne des Zuschauers reizend erscheinen, aber in der Nähe betrachtet, nichts als ein schmieriges Geklecks sind.“ 15 Aus den österreichischen Argonauten sind indes lange nach Grillparzer be‐ reits Touristen geworden, wenn János von Asbóth davon erzählt, wie die Stadt, die seit der Römerzeit bekannt ist, von einstiger Größe arg herabgekommen ist: Noch vor einigen Jahrzehnten erfreute sich Konjitza eines bedeutenden Handels, heute führt es nur mehr seine Pferdedecken und sein treffliches Obst in jenen flachen Booten bis Mostar hinunter. Auch seine Einwohnerschaft ist auf ungefähr 1500 Seelen zusammengeschmolzen, meist Türken und kaum 50 Katholiken und auch an den Ge‐ C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 259 16 ASBÓTH 1888: 238. 17 Vgl. dazu auch Abschnitt B.1.9. der vorl. Arbeit. 18 FILIUS 1908: 56. 19 SCHWEIGER-LERCHENFELD 1878: 83 spricht bezeichnet Konjic etwa als „verwahr‐ lostes Städtchen der Mohammedaner“. bäuden sieht man bereits den Verfall, besonders am linken Ufer, im eigentlichen tür‐ kischen Stadttheil. 16 Im nächsten Zitat, das aus einem der ersten österreichischen Automobilreise‐ führer für die Region stammt, der im selben Jahr (1908) wie Wiemans Reisebe‐ richt erschien, wirkt Konjic wieder anders. Einmal mehr wird damit klar, dass es den ‚Orient‘ in zeitgenössischen westlichen Diskursen immer als Plural gibt (dazu noch im Folgenden), als ambivalentes Kippbild im Auge des Betrachters - und jenes ‚Kippen‘ ist für jeden Diskurs des ‚primitiven‘ Anderen signifikant, der in der Zirkelbewegung zwischen blutdürstigem ‚Barbaren‘ und ‚edlem Wilden‘, in jener bereits erwähnten 17 Endlosschleife von Angst und Begehren gefangen scheint: Konjica ist ein malerisches türkisches Nest: Moscheen, Minaretts, Basare, Mangel an Reinlichkeit. Ueber eine aus mächtigen Quadern gefügte alte Türkenbrücke fuhren wir in die Stadt ein. ‚Ui jegerl, a Auto aus Wien! ‘ klang es da. Ein Deutschmeister war es aus der dort lagernden Garnison, der offenbar aus der Nummer unseren Heimatsort erkannt hatte. 18 Wohl wird Konjic hier ebenfalls als ‚pittoresk‘ konstruiert; die „fremde schöne Stadt“ des Deutschen Wieman wird aber aus österreichischer Perspektive zum „Nest“. Neben der Verkleinerung als Trope kommt hier noch ein anderer wich‐ tiger propagandistischer Topos von Orient-Reiseberichten zum Einsatz: ‚man‐ gelnde Hygiene‘, die sich als Leitmotiv durch ältere Erwähnungen von Konjic zieht und zumeist muslimisch konnotiert ist. 19 Im vorliegenden Zitat wird dies mit dem Heimischen, dem Vertrauten kontrastiert - der Erleichterung, die Heimat und ihre Sprache wieder zu finden, hier in Gestalt eines österreichischen Besatzungssoldaten. Nicht umsonst ist der Reiseführer bemüht, darauf hinzu‐ weisen, wie vorteilhaft sich die österreichisch-ungarische Verwaltung auf die Sicherheitssituation ausgewirkt habe, die eine nunmehrige touristische Befah‐ rung mit dem Kraftfahrzeug erst ermögliche. Schon in Prijedor bemerkt der automobile Autor: Hotel zum Kaiser von Oestereich: Wie wohltuend sich die Aufschrift auf dem mo‐ dernen Hotel ausnahm. Aber die Enttäuschung folgte rasch: ‚Alles besetzt; vielleicht C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 260 20 Vgl. FILIUS 1908: 25. 21 RENNER 1896: 230. 22 Vgl. exemplarisch McCLINTOCK 1995. 23 BAEDEKER 1910: 407. in der Bahnhofrestauration.‘ Wir fuhren mit gemischten Gefühlen dorthin, doch wir fanden Zimmer, die zur Not ganz behaglich waren, das Essen war sogar ausgezeichnet, und man schnitt uns nicht einmal die Gurgeln ab […]. 20 Die Anverwandlung und Eingemeindung des Fremden ins Eigene, Heimische, wird auch im folgenden Textzitat aus dem Jahr 1896 thematisiert, wofür ebenso das Motiv der Gastronomie strategisch eingesetzt wird: Es haben sich in diesem einst durch den Fanatismus seiner Bevölkerung berüchtigten Orte eine Menge Fremde niedergelassen und mehrere Gasthäuser (’Elephant’, ‚König von Ungarn‘, ‚Kaiser von Oesterreich‘ und besonders die Bahnhofsrestauration) bieten eine ganz gute Verpflegung. Als ich im Jahre 1885 einmal in Konjica übernachtete, genoss das Gasthaus ‚zum Kaiser von Oesterreich‘ durch seine dicke Wirtin, die ‚Schmauswaberl‘, in der ganzen Hercegovina einen wohlverdienten Ruf. Nicht etwa durch die Schönheit der Wirtin, denn diese war sehr negativer Natur, sondern durch die vorzügliche Küche. Die Lachsforellen aus der Narenta wurden unter ihrer Hand zu einer Delikatesse, welche das Herz jedes Feinschmeckers befriedigen musste. 21 Hier wird der k. u. k. Zivilisationsprozess bereits als nahezu abgeschlossene Er‐ folgsgeschichte erzählt, als eine gelungene gastronomische Amalgamierung. Das Fremde ist zumindest im Gasthaus dem Heimischen näher gerückt, ver‐ schmilzt mit ihm, und das „türkische Nest“ wird dadurch zumindest teilweise (schon Jahre vor Wieman und ‚Filius‘) ein zweites Zuhause - in Formulierungen, die teilweise fast an Grillparzers Ego-Texte (Kap. B.1.) gemahnen. Um den Ne‐ retva-Fisch zur Delikatesse zu machen, bedarf es freilich der kundigen Hand der dicken Wirtin aus Österreich, der man(n) in der Fremde ihre Unansehnlichkeit nachsieht - in einer Variante jenes gendering, das strukturbildend die meisten Bilder des Eigenen und Anderen in kolonialen Diskursen durchzieht. 22 Mit dem ehemaligen (männlichen? ) „Fanatismus“ dieser exotischen Peripherie kontras‐ tiert jetzt zentraleuropäische (Frauen-)Häuslichkeit und Küche - eine Sicht‐ weise, die auch der Baedeker-Reiseführer jener Jahre zu teilen scheint: Konjica (279m; gutes Bahnrest., mit zwei Z.), Bezirksort (2000 Einw.) in einem ma‐ lerischen Talkessel an der Narenta (Forellen), über die eine alte türkische Steinbrücke führt. Die Temperatur ist hier bereits im Durchschnitt 8° höher als in Sarajevo. Jablanica […] Militärstation mit Kaserne r. oberhalb der Station. Vom Krstac, östl. in 1 St. auf gutem Wege zu ersteigen, schöner Rundblick. 23 C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 261 24 PREINDLSBERGER-MRAZOVIĆ 1900: 257. 25 Ebd. 26 Ebd. 261. 27 RENNER 1896: 231. 28 Vgl. dazu etwa ASBÓTH 1888: 23-118; OBOLESNKY 1948 / 1978; DŽAJA 2004; IMA‐ MOVIĆ 2006: 76 ff. Auch Milena Preindlsberger-Mrazović unterschreibt mit ihrer reiseliterarischen Annäherung an Konjic gleichsam den Diskurs der k. u. k. „Kulturmission“: „Dem kleinen, überwiegend muhamedanischen Städtchen kommen nur die Vorzüge der eben durchwanderten Strecke zugute. Ernste, grüne Hänge, duftende Tha‐ leinschnitte, in welchen die Rebe und aromatisches Obst gedeiht.“ 24 Die Autorin betont „das freundliche Aussehen des Ortes“ und seine „Holzindustrie“; 25 die neue koloniale Infrastruktur wird in ihrer Darstellung zum zivilen Pazifizie‐ rungsprojekt erhöht: Und was der Türkei in jahrhundertelangen, blutigen Kämpfen nicht gelang, die fron‐ dierende Hercegovina sich völlig zu unterwerfen, das gelang den modernen Kultur‐ mitteln leicht. Es giebt keine Verkehrshindernisse mehr. [… ] Aus den halsstarrigen Hajducken sind harmlose Eisenbahn-Passagiere geworden, aus den scheu gemiedenen hercegovinischen Bergen ein modernes Touristengebiet. 26 Doch die Region war nicht immer so friedlich, domestiziert und multikulturell, wie sich etwa Heinrich Renner in einem langen historischen Rückgriff noch einmal hinzuzufügen beeilt: Die erhoffte Ruhe trat nicht ein, und es währte nicht lange, so war die ganze Herce‐ govina und mit ihr Konjica [1465-70] in der Gewalt der Türken. An die Stelle der christlichen Unduldsamkeit trat der mohammedanische Fanatismus. Aus den Wäldern und Schluchten kamen die gehetzten Bogumilen zum Vorschein, sie wurden Islamiten und erlangten die leitenden Stellungen. […] In Konjica war es auch, wo die zur Zeit der Insurrektion von 1878 aus Sarajevo ausgewiesenen Oesterreicher mit dem Gene‐ ralkonsul Wassitsch in der Nacht aufgehalten und mit der Niedermetzelung bedroht wurden. 27 Neben dem Verweis auf den Aufstand in Bosnien und der Herzegowina gegen die Okkupation von 1878 kommt hier eines der meiststrapazierten regionalen Narrative als spekulatives Erklärungsmodell ins Spiel: die Bogumilen, eine ma‐ nichäisch-christliche Sekte, die in vortürkischen Zeiten von Rom und Byzanz als häretisch angesehen wurde. 28 Im vorliegenden Text wird sie - nach der er‐ folgten Zwangskonversion zum Islam unter den Osmanen - diskursiv als his‐ torische Folie für den besonderen islamischen Fundamentalismus der Ein‐ C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 262 29 RENNER 1896: 238. 30 ANONYM 1908: 24. 31 BERNHARD 1996: 93. wohner von Konjic verantwortlich gemacht (während sie in anderen Texten als Beweisführung für die unterschwellig ‚christliche‘ Haltung der Bevölkerung und eine dadurch vereinfachte Kultur-Mission dient). Wie auch immer, die neue Haut der ‚Zivilisation‘, die über die grausame Ge‐ schichte gewachsen ist, ist dünn, d. h. man muss ihr zuarbeiten; dennoch ist der Besitzerstolz unüberhörbar. Quasi als Kontrollmenge sei Renners Beschreibung des nahe gelegenen Ortes Jablanica zitiert: Eine Kaserne beherbergt den bewaffneten Schutz, doch er ist bei der Bevölkerung nicht mehr nöthig. […] Als ich vor langen Jahren nach Jablanica kam, sah es hier ganz anders aus; in einem Han fand ich türkisches Unterkommen mit sehr viel Ungeziefer. 1885 traf ich ein grosses Truppenlager. Eine Kärntnerin hielt ein Gasthaus […] 1894 hatte sich aus den provisorischen Fortschritten der dauernde entwickelt. Jablanica ist ein Luftkurort ersten Ranges, und in vieler Hinsicht wird man an schweizerische und Tiroler Sommerfrischen in den Hochalpen erinnert. 29 Hier wird fast wie in einem reißerischen Verkaufsprospekt ein ‚Vorher‘ und ‚Nachher‘ erzählt: aus der ungezieferverseuchten türkischen Hochburg ist nach der militärischen Intervention eine k. u. k. Sommerfrische geworden; auch hier hat ein weiblich geführtes Gasthaus seinen Einzug gehalten. So kann denn auch 1908 der Reiseführer Dalmatien. Ein modernes Reiseziel schwärmen: Die Sehenswürdigkeiten dieses Landes sind geeignet, jeden, selbst den verwöhntesten Touristen vollends zu befriedigen und was die Unterkunfts-, Verköstigungs- und Rei‐ severhältnisse betrifft, lassen diese nichts zu wünschen übrig. Die Landesregierung errichtete an allen frequenten Punkten komfortable Hôtels, es existieren im Lande zahlreiche Bahnverbindungen mit bequemen Durchgangs- und Schlafwagen, überall sind gute Fiaker zu finden, und der Tourist kann im ganzen Lande, selbst in den früher verrufensten Gegenden, unbewaffnet und ohne Bedeckung seinen Weg verfolgen. 30 Diese zugegebenermaßen etwas kursorische Aneinanderreihung von Bei‐ spielen, die keinerlei Anspruch auf repräsentative Vollständigkeit erheben darf, zeigt, wie Städtebilder nicht nur durch spezifische historische Situationen, son‐ dern vor allem durch eine zugrunde liegende politische Rhetorik fast beliebig konstruierbar bzw. umkodierbar sind; ambivalent und Ergebnis „selektive[r] Wahrnehmung“ 31 - wishful thinking - sind sie allemal. Dabei kommt ein be‐ stimmtes - und offenkundig transkulturelles - Archiv von narrativen Topoi und Tropen gleichsam als Arsenal zum Einsatz. C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 263 32 Zit. n. JAMME 2002: 186. Bei einer Sichtung der vorhandenen Texte vor allem aus dem Bereich der Reiseliteratur ist auffällig, dass die zugewiesenen Charakteristika bei Ortsbe‐ schreibungen meist koinzidieren, aber mitunter auch innerhalb kurzer Zeitab‐ stände so stark von einander abweichen können, dass man den Eindruck erhält, es mit verschiedenen Orten zu tun zu haben. Eine kritische Untersuchung dieser Rekodierungen kann deren ideologischen Hintergrund sichtbar machen - und in der Tat werden hier literarische Formen und ihre Rhetorik im Sinne des New Historicism als ‚gesellschaftliche Poetik‘ eines imperialen österreichisch-unga‐ rischen Ersatz-Kolonialismus lesbar. Wie geht man nun mit der Disparatheit, Zirkularität und Intertextualität dieser Bilder um? In vielen Fällen lässt sich die (kolonial-)politische Motiviert‐ heit der willkürlichen, von Außenbeobachtern projizierten ‚Porträts‘ zeigen, in anderen nicht. Die Topik dieser Beschreibung liegt nicht unbedingt nur in der individuellen Psychologie, in der ‚Subjektivität‘ empfindender und schreibender Subjekte begründet, sondern in einer präexistenten Rhetorik ideologischer Nar‐ rative, welche die Autoren gleichsam im Rucksack mitbringen. Diese sind es, die eine kulturwissenschaftlich reorientierte Literaturwissenschaft zum Vor‐ schein bringen kann - auch dort, wo sie im kulturellen Gedächtnis scheinbar verschwunden sind. Diese Bilderwelten kultureller Narrative dienen freilich weniger der Darstel‐ lung fremder Menschen und Orte, als vielmehr - wie bereits oben angedeutet - der Selbstverständigung und Selbstversicherung der Hegemonialkultur, die Ausgangspunkt der Darstellung ist. Aus den Bosnien-Darstellungen österrei‐ chischer und reichsdeutscher Texte um 1900 erfahren wir also weniger über das k. u. k. Okkupationsgebiet, als über die diskursiven Befindlichkeiten der Besatzer und Tourist / inn / en in ihrem Gefolge. Gleichzeitig kann gezeigt werden, wie instabil und ambivalent - d. h. von unterschwelligen Wünschen und Ängsten gezeichnet - die angestrebte symbolische Gewalt der narrativen Konstruktionen ist. Mit Bernhard Waldenfels ließe sich hier - in einer Homi Bhabha sehr nahen Formulierung - behaupten: „Jede Ordnung lässt in ihrer unumgänglichen Be‐ grenztheit einen Überschuß an Fremdem entstehen, der in der jeweiligen Ord‐ nung keinen Platz findet und zugleich verhindert, daß diese in sich selbst zur Ruhe kommt“. 32 2. ZuSchreibungen: Land & Leute in deutschspr. Gebrauchstexten Wie bereits ausgeführt wurde, lässt sich nicht nur anhand der administrativen Maßnahmen Österreich-Ungarns bzw. anhand des problematischen rechtlichen C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 264 33 HABINGER 2011: 59. 34 Ebd. - Vgl. PRATT 1992: 201 ff. u. DUBIEL 2005: 45. 35 DUBIEL 2005: 45. 36 Vgl. STOLL 1996. 37 STOLL 1996 nennt verschiedene Orientdiskurse v. a. der französischen Kultur: So etwa das gebildete „Morgenland“ der zivilisationskritischen Persischen Briefe des Aufklärers Montesqieu; das romantische Griechenland des Befreiungskampfes in den 1820er Jahren; das Indien der deutschen Romantiker und ihrer ersten orientalistischen Ver‐ suche; der „moderne Orient“ Napoleons (Ägypten), der zum wissenschaftlichen Unter‐ suchungsfeld vor Ort wird; der Orient als Ort anachronistischer (= ‚despotischer‘) Ge‐ sellschaft, aber ungeahnter dekadenter Freiheit (Flauberts Erotik) usw. 38 Zu diesem Motiv des ‚Schutzes der Balkanchristen‘, das in den politischen Diskursen Österreichs wie Russlands eine Rolle spielt und etwa in den Dokumenten Andrássys gemeinsam mit der ‚Befriedung des Landes‘ ein wichtiger Vorwand für die Okkupation Bosnien-Herzegowinas wird, vgl. etwa HASELSTEINER 1996: 11 und VRANKIĆ 1995 / 98: 17. Vgl. auch REBER 2002. Sonderstatus Bosnien-Herzegowinas die Kolonialismus-These einiger Histo‐ riker / innen erhärten, sondern insbesondere anhand der von der hegemonialen k. u. k. Besatzungskultur aufgebauten Narrative und Diskurse, die Bilderwelten legitimatorisch projizieren, insinuieren und auferlegen. Gabriele Habinger hat in diesem Kontext auf die Bedeutung der Reiseliteratur hingewiesen, eines Gen‐ res, „innerhalb dessen imperiales Wissen produziert, bestätigt und verbreitet wurde“, 33 wobei der erzählte Blick auch einer „Aneignung“ 34 des Fremden diene. Insbesondere der colonial gaze, so Jochen Dubiel, oktroyiere dabei „der Fremde einen Sinn, der ihrem Eigenen fremd ist“. 35 Zusätzlich hat etwa die romanistische Sekundärliteratur in Anschluss an Ed‐ ward Said anhand der berühmten Orientfahrten von Napoleon, Chateaubriand, Nerval, Gustave Flaubert / Maxime DuCamp u. a. gezeigt, 36 wie der islamische Osten als fast beliebige Projektionsfläche, ja als Archiv für eine Vielzahl euro‐ päischer Phantasmen 37 dient - mit stehenden, transnationalen, kontroversen, aber auch austauschbaren Stereotypen: Hier wäre also die Frage, welchen Orient Österreich-Ungarn in Bosnien-Herzegowina zu finden meint. Als erste These ließe sich dazu formulieren, dass das Osmanische Reich, ehe‐ maliger Erzfeind der Habsburger Monarchie als selbst stilisierter Schutzmacht der Christenheit in Zentraleuropa und auf dem Balkan, 38 in der Phase seiner Auflösung zum imagologischen Spielball der Besatzer wird - und damit auch zur Fläche von symbolischen Besetzungen. Die hegemoniale Konstruktion Bos‐ nien-Herzegowinas nimmt dabei eine denkwürdige Zwitterstellung mit orien‐ talistischen (Said) und balkanistischen (Todorova) Elementen ein, die eine stra‐ tegische Allianz eingehen, sodass von einer klaren Abgrenzung zwischen beiden C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 265 39 Vgl. SAID 1979 und TODOROVA 1999. Vgl. auch SUNDHAUSEN 1999. 40 Vgl. GINGRICH 1999. 41 Vgl. HEISS & FEICHTINGER 2013. 42 Diesen Begriff bezieht Lejla (Čampara) Sirbubalo von Georg Britting: „Obwohl bei Brit‐ ting sowohl der Begriff des ‚Orientalischen‘ als auch der des ‚Balkanischen‘ mit Rück‐ ständigkeit und fast unbegreiflicher Armut in Verbindung stehen, findet er im ‚Bauern-Orient‘, wohl einem ‚ungekünstelten‘ und nicht ‚vornehmtuenden‘ Orient, den er in dieser Form (man beachte die Begriffswahl: ‚schimmlig‘, ‚tot‘, ‚schmutzig‘ und ‚riechend‘) erwartete und nur in der ländlichen Sphäre zu finden scheint, mehr Ge‐ fallen - gleichsam ein ‚Ur‘-Landschaftsbild. Der Begriff ‚Bauern-Orient‘ impliziert hier ganz eindeutig eine grundsätzlich abwertende Haltung des Autors gegenüber dem The‐ menkomplex ‚Orient‘, dem keinerlei kulturelle oder zivilisatorische Errungenschaft zu‐ gestanden wird.“ (SIRBUBALO 2011: 4) 43 STOLL 1996: 375. Elementen, auf der Todorovas Grundthese aufbaut, 39 nicht gesprochen werden kann. Hier gälte es auch die Vorarbeiten in Bezug auf einen genuin ‚kakanischen‘ Orientalismus zu berücksichtigen: so etwa Andre Gingrichs These eines „fron‐ tier orientalism“, 40 der sich nicht auf Überseegebiete, sondern auf ein vergleichs‐ weise nahes Territorium hinter der eigenen Grenze bezieht. Johann Heiss und Johannes Feichtinger sehen indes einen doppelten bzw. ‚schizophrenen‘ öster‐ reichischen Orientalismus am Werk, der Bosnien als den (reformierbaren) ‚nahen Orient‘ und das Osmanische Reich als wesensfremden, bedrohlichen ‚fernen Orient‘ imaginiert. 41 Und schließlich gibt es noch die These, dass Bos‐ nien-Herzegowina gewissermaßen einen „Bauern-Orient“ 42 darstellt, der in seiner ruralen Balkan-Ausformung latent die hochgesteckten Erwartung der Reisenden frustriert, die sich an Nordafrika und der arabischen Halbinsel, an der spanischen Alhambra und den Moscheen Istanbuls aufgeladen haben. Allein, die Frage nach einer der spezifischen Machart des österreichischen Orienta‐ lismus kann hier aus Platzgründen nur ein Nebenstrang unsres postkolonialen Herangehens sein; sie müsste einmal im Rahmen einer eigenen Monografie ein‐ gehender beantwortet werden. Im Folgenden soll es eher darum gehen, die kulturelle „Semantik des [kleinen kakanischen] Orients“ 43 phänomenologisch im Rahmen einer Diskursanalyse von Texten der österreichisch-ungarischen, aber auch der reichsdeutschen Im‐ perialkultur zu rekonstruieren, wobei es freilich nicht um eine nachgereichte Vereinheitlichung des Narrativs gehen kann; wie sich schon bald zeigen wird, ist dieses von nachgerade strukturbildenden Disparatheiten, Widersprüchen und Aporien geprägt. (Aus Platzgründen kann der vorliegende Beitrag auch nur eine grobe Skizze auf der Grundlage von Stichproben liefern und einige noch zugegebenermaßen rohe Thesen dazu formulieren.) C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 266 44 Vgl. SUDHOFF & VOLLMER 1991. 45 Vgl. CONCETTI 2002, 2005, 2006; BABKA 2009. 46 Vgl. STACHEL 2003, der Reise- und ethnografische Literatur u. a. von Moritz Hoernes, Milena Preindlsberger-Mrazović und Ćiro Turhelka ausgewertet hat, weshalb ich mich hier v. a. auf andere Textproben stützen werde, um der Gefahr der Wiederholung zu entgehen. Vgl. auch insbes. SIRBUBALO 2012. 47 GOLDSWORTHY 1998: 211. 48 Vgl. SIMONEK 2002, REISENLEITNER 2002 und 2003; vgl. auch REBER 2007. 49 Vgl. VERVAET 2004, 2013, 2015. Außer der bereits erwähnten und analysierten Erinnerungsliteratur von ös‐ terreichisch-ungarischen Militärs handelt es sich bei dem deutschsprachigen Bosnien-Korpus vor allem um gebrauchsliterarische Genres, wie etwa Reisebe‐ richte, ethnografische Texte, Memoiren von k. u. k. Beamten und ihren Famili‐ enmitgliedern, aber auch um politische Essayistik. In der deutsch-österreichi‐ schen Belletristik im engeren Sinn hat das bosnische Abenteuer von 1878 ff., das ja gleichsam als Parallelaktion zum orientalistischen Schaffen Karl Mays 44 (1842-1912) erfolgte - 1885 / 88 erschien etwa dessen Roman In den Schluchten des Balkan - erstaunlich wenig Spuren hinterlassen (vgl. die Stichproben in Ab‐ schnitt C.3. dieser Arbeit); am wichtigsten ist hier wahrscheinlich der österrei‐ chische Autor Robert Michel (1876-1957), zu dem wichtige Einzelstudien 45 be‐ reits anderwärtig entstanden sind, so wie auch gut brauchbare allgemeine Vorstudien zur Bosnienliteratur 46 existieren. Mutatis mutandis kann für das in Angriff genommene Projekt die These gelten, die Vesna Goldsworthy in ihrer exemplarischen Studie zur englischen Balkan-Reiseliteratur aufgestellt hat - denn es scheint, als würden auch die ös‐ terreichisch-ungarischen Okkupanten in ihren Texten über die bosnische Fremde insgeheim eher zu und über sich selbst sprechen, als dass sie eine ‚Au‐ ßenwelt‘ beschreiben: The concept of imaginative, textual colonisation, as suggested by this examination of literary exploitation of the Balkans, shows the way in which an area can be exploited as an object of the dominant culture’s need for a dialogue with itself. 47 Zumal es aber schon in einem frühen Projektstadium die Empörung voreiliger Leser erregt hat, 48 dass unsere Untersuchung fast ausschließlich auf hegemo‐ niale, von den k. u. k. Invasoren stammende Bosnien-Diskurse fokussiert - und damit mehr auf eine österreichische Identitätskonstruktion als auf eine bosni‐ sche -, muss vollständigkeitshalber hinzugefügt werden, dass sie im Kontakt mit dem Slawisten Stijn Vervaet entstanden ist, der sich exklusiv der bosnischen bzw. jugoslawischen Sicht auf die österreichisch-ungarische Besatzungszeit 1878-1918 gewidmet hat. 49 Dies geht freilich nicht ohne spezfische Probleme C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 267 50 SPIVAK 1994, 2008. 51 PINSON 1994: 122. 52 Vgl. dazu etwa BRAUN 1934: 40-148; DŽAMBO 1985; DŽAJA 1994. 53 Zu erinnern sei hier auch kurz an das gescheiterte Unterfangen des k. u. k. Finanzmi‐ nisters Bénjamin von Kállay, Bosnien-Verwalter von 1882-1903, durch Verbot natio‐ naler Benennungen bzw. Organisationen und eine von Seiten der Besatzer oktroyierte ‚bosnische‘ Identität (bošnjaštvo) eine Homogenisierung der Bevölkerung über die Re‐ ligionen hinweg zu betreiben - wobei v. a. auch die unterbliebene Landreform die eth‐ nische Differenz, die zugleich eine soziale war, bestärkte. Erst Burián ließ politische und religiöse Organisationen der Serben, Kroaten und Muslime zu. Vgl. dazu etwa SETHRE 2004; PINSON 1994; BABUNA 2015; u. a. 54 Vgl. etwa ŠEHIĆ 1980; DONIA 1981 und 2015; MADŽAR 1982; VRANKIĆ 1998; ALEKSOV 2015; u. v. a. vonstatten, denn stellt man in diesem Kontext jene berühmte Frage von Gayatri Spivak - Can the Subaltern Speak?   50 - neu, sieht sich einerseits eine auf autoch‐ tone Zeitzeugnisse fokussierende Forschung nicht nur mit dem Mangel an os‐ manischen Ich-Dokumenten konfrontiert, auf den bereits Mark Pinson hinge‐ wiesen hat: In studying Ottoman attitudes and changes in attitudes, one quickly comes up against the almost total absence of first-person literature - diaries, collected letters, and au‐ tobiographies - even from highly placed officials. […] Not surprisingly, since the Bos‐ nian notables of the Austrian period were largely products of that same culture, there is little such first-person literature from them either. 51 In diesem Befund zeigt sich andererseits - sofern er zutrifft - auch die denk‐ würdige Verschränkung von kultureller Differenz und der späteren hegemo‐ nialen Situation. Die Entstehung eines umfänglichen autochtonen Schrifttums ist wahrscheinlich (auch wegen der hohen Analphabetenrate) erst nach der Be‐ setzung anzusetzen, 52 nämlich in der Phase des ‚nationalen Erwachens‘ der Serben, Kroaten und Muslime - und vielfach war es der Kolon, der die Gründung z. B. von Printmedien initiierte oder unterstützte. Hier gilt es auch die Kategorie von Herrschaft als Definitionsmacht zu berücksichtigen: So lag es sicherlich nicht im Sinne einer identity policy der Besatzungsmacht, in der autochtonen Bevölkerung ein wie auch immer geartetes ‚eigenes‘ Selbstgefühl entstehen zu lassen, sondern sie, wenn schon nicht als Bosnier / innen, so doch als neue k. u. k. Untertanen exogen zu formatieren 53 - wogegen sich als Reaktionsbildung, in Formen des zivilen Protestes, der kulturellen Absetzung und des Gegenentwurfs die jeweiligen politischen und literarischen Bewegungen der bosnischen Kro‐ aten, Serben und Muslime bildeten, 54 aber auch Formen der Kollaboration, der C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 268 55 Vgl. dazu VERVAET 2017. 56 Insofern als sich dem informellen Forschungsnetzwerk längst etliche bosnische For‐ scher / innen angeschlossen haben, wie z. B. Vahidin Preljević. 57 WOLFF 1994: 373. 58 ALEKSOV 2007: 202. Übernahme und Anverwandlung der von den Invasoren herangetragenen Bil‐ derwelten der zentral- und westeuropäischen Moderne. 55 Es geht also keineswegs darum, die kolonisierten Südslawen nachträglich nochmals kulturwissenschaftlich zu ‚entmündigen‘, 56 sondern auf die spezifi‐ sche Situation 1878-1918 mit adäquaten Mitteln - einem dialogisch funktion‐ ierenden, dezentralen, komparatistischem Forschungsnetzwerk - zu begegnen, das in der Lage ist, das Korpus multiperspektivisch und dialogisch zu bearbeiten; ein Anfang soll mit den vorliegenden Analysen zu den imperialen Bilderwelten der österreichischen k. u. k. Leitkultur gemacht werden. Damit könnte sich auch das Desiderat Larry Wolffs erfüllen, der am Ende seines einflussreichen Stan‐ dardwerkes Inventing Eastern Europe eine Geistesgeschichte der Reaktion ‚Ost‐ europas‘ auf die oktroyierten Bildwelten des ‚Westens‘ angeregt hat: My book is about the intellectuals of Western Europe, inventing Eastern Europe. As Miłosz suggests, the intellectuals of Eastern Europe have had to respond to the im‐ posed images and formulas devised in Western Europe. The intellectual history of that response would be another book, an account of the complex cultural strategies of resistance, appropriation, deference, complicity, and counterattack pursued in the different lands of Eastern Europe. 57 Im Folgenden sollen nun als erster kursorischer Schritt in diese Richtung ge‐ wissermaßen Leitmotive in den imperialen österreichischen Fremdbildern in Bezug auf Bosnien-Herzegowina herausgearbeitet werden; dabei kann Bojan Aleksovs Globalbefund als Arbeitshypothese dienen: Not surprisingly, Austrian authors of the period projected the romanticist idealization of Bosnia as the land of Roman and medieval ruins, and picturesque customs and costumes characteristic of Bosnia’s confessional diversity. Bosnia was seen as the land of religious fanaticism, where the Habsburg occupiers were entrusted with the mission of bringing about modernity, civilization, order, rationality and progress through eco‐ nomic development, confessional neutrality, and European culture and values. Foreign travelers, journalists and scholars were sumptuously entertained in order to advertise the image of Austria’s occupation as capable of turning this mysterious land torn apart by religious divide into a conflict-free and devolping province. 58 C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 269 59 BERNHARD 1996: 60. 60 Ebd. 125 u.ff. 61 Ebd. 126. 62 Vgl. dazu etwa MALCOLM 1996 / 2002: 148 f.; ALEKSOV 2007: 206. Kategorielle Anregungen beziehen unsere folgenden screen shots der reiselite‐ rarischen und publizistischen Bosnien-Projektionen österreichischer Autor / inn / en auch von Veronika Bernhards Untersuchung zum Thema, die „im Er‐ lebnis des Balkans durch österreichische Reisende prinzipiell fünf Momente“ unterscheidet: die vordergründige Rückständigkeit der Bevölkerung, die aber nicht selbst verschuldet ihren Grund in der besonders auf die Christen unterdrückend wirkenden tür‐ kisch-moslemischen Herrschaft hat; die Bildungsfähigkeit der Balkanvölker; die Dis‐ kussion des türkischen Staatswesens; die abwertende Auseinandersetzung mit den Lehren des Islam und der daraus resultierenden moslemischen Gesellschaftsform; und die positive Bewertung des österreichischen Engagements auf dem Balkan. 59 Bernhard hat in diesem Zusammenhang auch die „Reduzierung [der quasi-ko‐ lonialen Darstellung, C. R.] auf Bilder und Typen“ aufgezeigt: 60 „Trotz aller De‐ tails bleibt das Bild jedoch an der Oberfläche stehen, da ihm jede Befragung der festgelegten Pauschalität fehlt; es erfolgt keine Relativierung, keine Problema‐ tisierung des Gesagten.“ 61 Diese Thesen von Aleksov und Bernhard lassen sich durchaus verifizieren, wie nun im Folgenden anhand des Textkorpus gezeigt werden soll. 2.1. ’Volksgruppen’ & ihre Benennungen Die imagologischen Probleme beginnen für die Autor / inn / en reiseliterarischer oder anderer publizistischer Texte über Bosnien-Herzegowina schon bei der Nomenklatur für die dort um und nach 1878 anzutreffenden Bevölkerungs‐ gruppen - und dies nicht nur in deutschsprachigen Texten: So ist die Frage nicht nur, ob man wirklich so einfach alle Katholiken als Kroat / inn / en, alle Or‐ thodox-Gläubigen als Serb / inn / en und alle Muslime als Bosniak / inn / en be‐ zeichnen kann / soll, wie dies bis heute üblich ist 62 - denn Bosnier / innen sind sie ja alle; zu beachten ist ebenso die Konstruktion einer akzentuiert herzego‐ winischen Identität, die, dort wo sie vorkommt, meist topografisch verortet wird und auch einem gendering unterliegt, wie dies häufig bei Unterteilungen in ‚Volksgruppen‘ der Fall ist. So schreibt etwa Johann ( János) von Asbóth (1845-1911), Sektionsrat im österreichisch-ungarischen Außenministerium und Abgeordneter des ungarischen Parlaments, über die Herzegowina: C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 270 63 ASBÓTH 1888: 242. - Vgl. etwa HELFERT 1879: „Durch größere Lebhaftigkjeit des Temperaments, körperliche Rührigkeit, hellere Farben in der Tracht, und mehr Bild‐ samkeit und Empfänglichkeit im allgemeinen, unterscheiden sich die südlichen Her‐ cegovcen von den Bosniaken in vortheilhafter Weise.“ (200)- Andere Autoren wie Moriz Hoernes und Robert Michel wiederum heben die „Schwermut“ der Herzego‐ winer / innen hervor; vgl. OKUKA & REHDER 1994: 45 u. 72. 64 HOERNES 1889: 106 f.- Zu Hoernes vgl. auch STACHEL 2003. 65 Vgl. dazu BRADY & HAJDARPASIC 2017. 66 Dafür gibt es zahllose Beispiele; erwähnt sei hier nur etwa NOPCSA 1899 / 2001: 19. All das, die schweren, soliden, fast befestigungsartigen Häuser, ebenso wie die Gegend selbst, gibt der ganzen Landschaft einen trotzigen, drohenden Charakter, der sich bis auf die Einwohner selbst erstreckt. Trotzige, stolze, mächtige Männer mit entschieden südlichen Zügen, fast alle brünett, während in Bosnien viel blondes Haar zu sehen ist. Die Volkstracht steht hier schon näher der montenegrinischen, als der türkischen, die in Bosnien die herrschende ist. Auch die Weiber stehen über den Bosniakinnen. Auch diesen Letzteren fehlt es keineswegs an Schönheit, ja man findet in Bosnien auffallend viele edle Gestalten und Physiognomien, die dortigen Frauen aber sind meist flach‐ brüstig, während die hiesigen mächtig entwickelt sind. 63 Damals wie heute sehen sich von außen kommende ‚westliche‘ Autoren in Bos‐ nien-Herzegowina häufig mit einer Komplexität konfrontiert, die nicht in ihre moderne Kategorie der Nation passen will, weshalb häufig wieder der Diskurs mangelnder Kultur bemüht wird. So schreibt Moriz Hoernes 1889 in seinem Bosnien-Herzegowina Band zur Serie Die Länder Österreich-Ungarns in Wort und Bild (hg. von Friedrich Umlauft): Das Band der Nationalität, welches die überwiegende Masse der eingeborenen Ein‐ wohner Bosniens und der Herzegowina einigt, […] wird von den Trägern selbst nicht empfunden. Sie sind culturell noch nicht genügend fortgeschritten, um sich der Sprache wegen […] als ein besonderes Ganzes, als ein Volk zu fühlen. Die Stelle der Sprache als einigendes Band […] vertritt die Confession; sie antworten, wenn man sie nach ihrer Abstammung fragt, nicht wie der Westeuropäer, der da sagt: ich bin ein Engländer, ein Franzose, ein Deutscher; sondern bei ihnen heißt es: ich bin ein Türke, ein Rechtgläubiger (griechisch-Orthodoxer), ein Lateiner (römischer Katholik). 64 Im 19. Jahrhundert erscheint eine ethnografische Zustandsbestimmung in Bos‐ nien-Herzegowina jedenfalls noch komplexer als heute; gerade in einer histo‐ rischen Epoche der Transition von religiösen zu ‚ethnischen‘ Kollektividenti‐ täten 65 sind exonyme und endonyme Bezeichnungen kaum in Einklang zu bringen. 66 So wird die muslimische Bevölkerungsgruppe in deutschsprachigen Texten - in Übernahme lokaler umgangssprachlicher Bezeichnungen - oft be‐ C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 271 67 In diese begriffliche Falle wird noch 100 Jahre später der renommierte Historiker Ro‐ bert A. Kann tappen, wenn er die bosnischen Muslime generell als „Turkish speaking“ bezeichnet (KANN 1977: 177). 68 Worauf etwa auch SCHMID 1914: 247 f. Bezug nimmt. 69 Vgl. MALCOLM 1996 / 2002: 152. 70 [ANONYM] 1886: 1 (Hervorh. im Orig.). Vgl. etwa HELFERT 18 979: 259. - Ähnlich bezeichnet WENDEL 1922: 50 im Sinne des siegreichen Jugoslawismus seiner Zeit „alle drei“ großen Bevölkerungsgruppen als „ein Volk, eine untrennbare Gemeinschaft“. 71 Vgl. dazu auch STACHEL 2003: 265. denkenlos „Türken“ genannt 67 und damit der Eindruck erweckt, als wären die islamisierten Südslawen Bosnien-Herzegowinas allesamt ebenso zugewandert wie die osmanischen Beamten und Funktionäre. Ebenso werden vor allem in älteren deutschsprachigen Texten alle orthodoxen Bosnier / innen bzw. Herze‐ gowiner / innen gerne auch als „Griechen“ oder „Walachen“ bezeichnet, so wie umgekehrt die neuen deutsch-österreichischen Machthaber ob ihrer Sprache in der Region wie auch anderswo in Südosteuropa „Schwaben“ 68 genannt werden. In Textzeugnissen der ‚serbischen‘ (= orthodoxen) bzw. ‚kroatischen‘ (= katho‐ lischen) Bevölkerungsgruppe wiederum findet sich häufig eine umfängliche Argumentation, welche die Muslime davon überzeugen soll, dass sie über keine eigenständige Identität verfügen, sondern nur islamisierten Kroat / inn / en und / oder Serb / inn / en seien 69 - so wie auch im folgenden (anonymen) deutsch‐ sprachigen Textbeispiel: Die ein und eine Drittelmillion Menschen, welche heute die Provinzen Bosnien und die Herzegowina bewohnen, gehören (bis auf ein paar tausend Mohammedaner, deren Vorfahren im Laufen der Jahrhunderte theils aus Asien, theils aus Afrika eingewandert sind, und die 3000 ‚spagnolischen‘ Juden) zu einer Rasse und sprechen eine Sprache: die kroatisch-serbische. 70 Andere Autoren wiederum wenden sich strikt gegen eine solche (verlorene) Einheit des bosnischen ‚Volkes‘. Von großem Interesse für eine Diskursanalyse sind hierbei neben der komplexen und disparaten Benennungsproblematik der ‚Volksgruppen‘ vor allem jene Stereotype, die aus österreichischer - und aus reichsdeutscher - Sicht die k. u. k. Präsenz in Bosnien-Herzegowina narrativ und argumentativ zu legitimieren suchen. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass nahezu kein einziger Text darauf verzichtet, auf die ‚kulturelle Mission‘ 71 Ös‐ terreich-Ungarns hinzuweisen, die häufig noch mit einer Märchen- und Jung‐ fräulichkeitsmetaphorik einhergeht: So wird Bosnien ja bereits im eingangs (C. 0.) wiedergegebenen Zitat des Berliner Journalisten Heinrich Renner 1896 als eine Art orientalisches Dornröschen imaginiert, das von Europa, oder besser gesagt: dem Habsburger-Prinzen Österreich-Ungarn ‚wachgeküsst‘ werden C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 272 72 Zum gendering vgl. auch das geplante Buchprojekt der amerikanischen Historikerin Diana Reynolds Cordileone (San Diego): Manufacturing Mother Austria: Arts, Craft Re‐ form, and Austrian Identity in the Age of Imperialism (1878-1918). 73 Zur Tendenz der Märchenbzw. 1001-Nacht-Rhetorik in Texten über den ‚Orient‘ vgl. BERNHARD 1996: 132 ff. Zum konkreten Text vgl. auch HAJDARPASIC 2015: 186 u. 196 f. 74 [ANONYM] 1821: 8 u. 12; ähnlich auch bei HELFERT 1879: 16, 173 ff. 75 BÖHM 1908: 18. muss - das gendering  72 ist in diesen Fällen ebenso wenig zufällig wie die ver‐ westlichende Bildlichkeit, die Bosnien gleichsam aus 1001 Nacht in ein Grimm’‐ sches Haus-Märchen ‚übersetzt‘. 73 2.2. „Volkscharakter“: Attribute & ihr Wandel Bosnien-Herzegowina wird als Extremfall einer Peripherie konstruiert, die eines neuen Zentrums bedarf, zumal das alte seinen Aufgaben nicht nachkommen konnte. Die stereotypen Begründungen dafür sind vor allem die osmanische ‚Dekadenz‘ (der Niedergang des ‚kranken Manns am Bosporus‘), der ‚orientali‐ sche Despotismus‘ der Türken u. ä. Die Peripherie als zivilisationsferne Gegend wird nicht nur in Bildern wilder Landschaft verortet, sondern auch in einem Katalog von Charakteristika der Bevölkerung, der mit der k. u. k. Besatzung im kulturellen Gedächtnis quasi umgeschrieben wird. So heißt es in einer 1821 in Wien anonym erschienenen Historisch-Topogra‐ phischen Beschreibung von Bosnien und Serbien noch: Die Bosnier sind ein starker, kühner Menschenschlag, der vorzüglich zum Soldaten‐ dienste taugt […] Wenn der Bosnier in Hinsicht auf Ackerbau, Gewerbe, Handel, kurz in Bezug auf Industrie aller Art, das nicht leistet was er könnte, so ist hiervon einzig die Politik des herrschendem Volkes, nähmlich [sic] der Türken, Schuld. 74 Ähnliches schreiben Teilnehmer am Okkupationsfeldzug im Rückblick ihrer Erinnerungen: Die Bewohner Neu-Österreichs sind von schönem Menschenschlag, was als Folge der Mischung von slawischem mit illyrischem und türkischem, vielleicht auch griechi‐ schem Blute angesehen werden kann, sie zeichnet aus edle Haltung des Körpers, elas‐ tischer Gang, Ehr- und Rechtsgefühl, Wahrheitsliebe und der Grundsatz: ‚Das Ver‐ sprochene muß unter jeder Bedingung gehalten werden! ‘ 75 Waren es bisher die blutigen Wechselfälle des Krieges, die jeden Versuch von Cultur und Civilisation im Keime erstickten, so trug fortan das finstere Joch der muselmän‐ C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 273 76 HAARDT 1878: 5. 77 Vgl. dazu auch REBER 2002. 78 Etwa bei [ANONYM] 1886a: 9; NOPCSA 1899 / 2001: 16. 79 KNOBLOCH 1878: 20. 80 ATTEMS 1913: 27 f.- Auch der bosnische Aberglauben (und speziell der Vampir oder die Vila) spielt in den Populärethnografien häufig eine gewisse Rolle, vgl. HELFERT 1879: 210 und SCHWEIGER-LERCHENFELD 1878: 15 ff. 81 Ebd. 30.- Auch HAUSNER & WOLSKI 1878: 16 f. sprechen von der „Macht der Bajo‐ nette“. 82 HOERNES 1889: 108. nischen Herrschaft das Weitere bei, das Land und seine Bewohner in trauriger mit‐ telalterlicher Versumpfung schmachten zu lassen. 76 Diese Argumentation, dass der Bosnier stark, kühn und fleißig sein könnte, wenn er nicht durch die osmanische Knechtschaft gebrochen und ausgebeutet worden wäre, 77 wird in den deutschsprachigen Quellen großteils fallen gelassen, nachdem Österreich-Ungarn die Verwaltung des Gebiets eine Zeitlang innege‐ habt hat. Von nun an kann man vor allem pejorative Bestimmungen lesen, die auch gar nicht zum Dornröschen-Bild Renners passen wollen. Faulheit ist eine davon, die ursächlich mit jener des „Türken“ in Zusammenhang gebracht wird, 78 oder Gleichgültigkeit: „der Eingeborene [! ] ist zu indolent, als daß er aus eigenem Antriebe auch nur die kleinste Ausbesserung vornehmen würde.“ 79 Weiters sei der Bosnier durch seine „kindlich naive Denkungsweise“ gekenn‐ zeichnet, schreibt etwa der Kavalleriegeneral d.R. Graf Attems 1913; 80 in ihm stecke „etwas von der südslawischen Indolenz, gemischt mit mohammedani‐ schem Fatalismus“, heißt es weiter, wobei die Kategorie der Macht und ihre Druckmittel ins Spiel kommen: Dem Bosnier imponieren nur zwei Sachen: die Macht in Form von Bajonetten und das Geld in Gestalt eines Automobils. Gegen alles andere ist er von einer imponierenden Gleichgültigkeit. Der Bosnier sagt: ‚Unser Kaiser‘, ‚Der Landeschef ‘, ‚Der Herr Gen‐ darm‘. 81 Ähnlich verbreitert sich der bereits erwähnte Moriz Hoernes über die Haltung des „slavischen Mohammedaners“, die er in seinem Kapitel „Volkstypen und Volkscharakter“ wie folgt beschreibt: Das „ewige Zuwarten und Herbeisehnen unter lange dauernder Bedrückung hat ihn ängstlich, energielos gemacht: es hat ihn auch gelehrt, sich brünstig an seinen Glauben anzuschließen […]“. 82 Der bereits zitierte Anonymos wiederum, der sich 1886 Sorgen um „Bosniens Ge‐ genwart und nächste Zukunft“ macht, weiß über den bosnischen Moslem: „Selbst aber den Boden zu bearbeiten, dazu hat der echte Türke weder Lust noch C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 274 83 [ANONYM] 1886: 13. 84 Vgl. die Belege bei STACHEL 2003: 270. 85 ATTEMS 1913: 32. 86 Vgl. dazu etwa ZINTZEN 1999; SHEDEL 2002; BENDIX 2003; u. a. 87 TRUHELKA 1901: 290. 88 Ebd. 291. 89 Vgl. DONIA 2015: 76. 90 Vgl. STANZEL 1998. u. Kap. A.2. dieser Arbeit.- Ähnlich sprechen HAUSNER & WOLSKI 1878: 27 von einem „Volk, das dem asiatischen Stamme, der mohamedani‐ schen Religion und einer niedrigen Culturstufe angehört“. Verständniß; er weiß zu genießen, aber nicht zu schaffen.“ 83 Das Osmanische Reich, der ehemals mächtige Gegner, wird nach seinem politischen Niedergang hier gleichsam in seinen ethnischen Resten abschätzig von oben herab be‐ trachtet; die „Lethargie“ der locals bedarf nicht bloß eines Märchenprinzen, son‐ dern einer kräftigeren Erweckung. 84 So schreibt etwa Graf Attems, offenkundig in Anspielung auf die britische Kronkolonie Indien, die ja gerne „a jewel in the crown“ genannt wurde, mit unverhohlenem Imperialismus: „Sicher werden die Reichslande unter dem klugen Kopf und der festen Hand, die sie regieren, zu Perlen in der Krone Habsburgs werden. Nur Geduld, Geduld und noch einmal Geduld! “ 85 Eine Ausnahme zu dieser zunehmend negativen Typologie stellt nur das sog. Kronprinzenwerk  86 dar, dass im Sinne seiner propagandistisch gesamtstaatlichen ‚political correctness‘ (avant la lettre) ähnlich wie jener Text von 1821 auch den Bosnier / inne / n einiges abzugewinnen weiß, so z. B. „eine bewundernswerte Auffassungsgabe“, „eine präcise, logische Ausdrucksweise“, „eine natürliche Einfachheit“ sowie „ein ausgeprägtes Wahrheits-, Rechts- und Ehrgefühl“. 87 Ihre gebremste „Energie“ bzw. „Schaffensfreude“ gehe auf Kosten der türkischen Unterdrückung: Den „Arbeitstrieb erweckt zu haben“, ist somit auch hier „ein nicht genug hoch zu schätzendes Verdienst der [k. u. k.] Occupation“. 88 Diese Fehleinschätzung osmanischer ‚Antriebslosigkeit‘ führt im Übrigen auch dazu, dass viele der Reisenden - und auch etliche Autor / inn / en - einfach nicht glauben wollen, dass in der türkischen Zeit imposante Bauwerke wie die Brü‐ cken von Wischegrad und Mostar entstanden sind, und deshalb diese fälschli‐ cherweise den Römern zuschreiben. 89 2.3. Einteilungen & Hierarchisierungen Die vorwiegend negativen Charakteristika, die alte europäische Stereotypen der sog. „Völkertafeln“ 90 und anderer kultureller Archive wieder aufgreifen - so z. B. das Klischee vom ‚weibischen‘ Orientalen -, rechtfertigen jedenfalls jene zivi‐ lisatorische Mission, die ein bereits zitierter anonymer Text aus dem Jahr 1886 C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 275 91 [ANONYM] 1886: IV. 92 Fr. FRANZ 1878: 4.- Zu den Kolonisten vgl. auch SCHMID 1914: 247 f.; RENNER 1896: 441 ff.; MALCOLM 1996 / 2002: 142 f. sowie BETHKE 2018. 93 FRANZ 1878: 21. 94 ANONYM 1886b: 55. besonders krass formuliert (wie überhaupt auch auffällig ist, wie vielen anonym erschienenen Textzeugnissen man in Zusammenhang mit Bosnien-Herzego‐ wina begegnet): […] hier stellt sich uns zum ersten mal ein Beispiel vor Augen, wie eine ‚europäische Macht‘ das Werk der Reorganisirung eines ‚asiatischen‘ [! ] Landes in Angriff nimmt, in welcher Weise sie mit den Mitteln unsers modernen Staates eine rohe, beinahe noch urwüchsige, jedenfalls ‚von der Cultur noch unbeleckte‘ Masse von 1 1 / 3 Millionen Menschenmaterials [! ] bearbeitet [! ], um daraus ein europäisches Staatswesen, ein Culturvolk herauszubilden, mit einem Worte: um aus Asiaten Europäer herauszu‐ formen. 91 So wird denn auch in einem Kirchenzeitungstext eines Trappistenpaters namens Franz und anderen Beiträgen die Aufgabe der deutschen und österreichischen Kolonisten gerühmt, die der autochtonen Bevölkerung als landwirtschaftliches Vorbild dienen sollen; sie gelte es, ins Land zu holen: 92 „Einwanderern aus civi‐ lisirten Staaten muthe ich natürlich mehr als Bosnjaken zu, und nehme darum an, sie werden etwas besser bauen als bosnjakische Bauern: etwa ein Haus wie die Städter in Bosnien, also ein Haus mit Riegelwänden und ungebrannten Zie‐ geln (Tschirpitsch).“ 93 Auch der anonym erschienene Text Bosniens Gegenwart und nächste Zukunft (1886) räumt der „Frage der Kolonisierung“ einen zentralen Stellenwert ein und geht davon aus, daß die Einwanderung arbeitskundiger und fleißiger Arbeiterkolonisten nach Bos‐ nien, welche durch ihr Beispiel und ihre höhere geistige Entwicklung auf den bosni‐ schen Bauernstand günstig einwirken könnten, für das Land von Vortheil begleitet sein müßte. Die Schwierigkeit lag eben in der Durchführung; sie lag, selbst abgesehen von der finanziellen Frage, an der so oft die weitesttragenden und bestverstandenen Reformen leider scheitern, in den sprachlichen, konfessionellen, klimatischen Ver‐ hältnissen, also in Verhältnissen des Landes selbst, vor allem aber in dem Umstande, daß es eben, wie auch Herr v. Kállay in der letzten Delegation hervorhob, leider in Bosnien kein herrenloses Land giebt und damit die vorzügliche Grundlage für Kolo‐ nisationsversuche fehlt. 94 Der anonyme Autor schließt seinen Gedankengang mit der Feststellung ab, „daß die Versuche, welche mit der Ansiedlung von Kolonisten aus dem Deutschen C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 276 95 Ebd. 96 Vgl. BETHKE 2018; ALEKSOV 2007: 211. 97 Vgl. dazu LINDEMANN 2007. 98 RENNER 1896: 50 f. 99 Ebd. 55.- Diese Textpassage wird im Schulreisebericht von STURM 1894: 23 fast wort‐ wörtlich (ohne Quellenangabe) zitiert - Hinweis darauf, wie sehr Reiseliteratur gleichsam als kulturelle Lesebrille die Fremdwahrnehmung späterer Tourist / inn / en beeinflusst. Ähnliches schreibt schon SCHWEIGER-LERCHENFELD 1878: 141. KNOBLOCH 1878: 21 hatte etwas andere Präferenzen: „Die Juden können in Beziehung auf Schlauheit mit diesen griechischen [= serbischen, C.R] Kaufleuten nicht concur‐ riren.“ Diese Beispiele mögen illustrieren, wie gleichsam auf dem Marktplatz Sympa‐ thiewerte vergeben werden. Reiche: aus Hannover, Oldenburg, Westfalen, dem katholischen Schlesien, und von Tirolern aus dem Trentino, sowie aus dem Pusterthale angestellt wurden, keinen besonders günstigen Erfolg erzielt haben.“ 95 Hier stehen die Urein‐ wohner / innen Bosnien-Herzegowinas einer weiter reichenden Kolonisierung im Weg, und so wundert es auch nicht, dass andere Autoren drastische Lösungen vorschlagen werden, die an neuweltliche Gewalt erinnern. (Es werden übrigens auch eben diese Kolonisierungspläne sein, die eine der großen politischen Ver‐ werfungslinien für den neuen Sarajevoer Landtag nach 1910 darstellen sollten. 96 ) Neben der landwirtschaftlichen Zurückgebliebenheit darf aber auch der Basar 97 als Leitbild und -motiv für den Orientalismus der Darstellung nicht fehlen. So kommt kaum ein Reisebericht über Bosnien und die Herzegowina ohne Beschreibung speziell der Čaršija von Sarajewo aus. Dabei hat der bosni‐ akische Händler in seiner narrativ stilisierten Indolenz meist höhere Sympa‐ thiewerte seitens des Erzählers als der übereifrige sephardische Jude zu er‐ warten. Renner etwa schwärmt: Die Mohammedaner hegen noch immer keinen Concurrenzneid und wenn die ver‐ langte Ware nicht vorhanden ist, wird der Käufer freundlichst an den Nachbar ver‐ wiesen. […] 98 […] erst nach und nach breitet der Mohammedaner seine Schätze aus, ein Stück nach dem andern holt er aus irgend einem Versteck. Er ist auch nicht unwillig, wenn kein Kaufabschluss erfolgt. Er wartet ruhig weiter, während die Spaniolen mit lautem Ge‐ schrei Kunden anzulocken versuchen. 99 Hinter deutsch-nationaler Kapitalismuskritik verbirgt sich Antisemitismus. Un‐ verhohlen spricht Wieman seine Vorlieben aus, als er die Einwohner Banjalukas beschreibt: „[…] zur Hälfte sind es Mohammedaner; aber das sind sehr gute, brave Leute, die keinem ein Unrecht tun, sie haben hier 40 Moscheen; sind sehr C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 277 100 WIEMAN 1908: 19. 101 Zum Konzept des „male“ / „colonial“ / „imperial“ „gaze“ bzw. des „Blickregimes“ vgl. MULVEY 1975 / 1985; JAY 1988; KAPLAN 1997: v. a. 4, 22, 299; u. a. 102 Vgl. dazu etwa JACOBS 2002. 103 Peter Stachel umreißt den Motivkomplex des „Balkanischen“ mit den Attributen ‚ori‐ entalisch‘, ‚fremd‘, ‚rückständig‘, ‚effeminiert‘, ‚infantil‘, ‚unmündig‘ - diese können aber auch als „Ursprünglichkeit“, als exotisch reizvoll konnotiert werden; auf jeden Fall signalisierten diese Stereotypen einen „Handlungsbedarf von außen“ (STACHEL 2003: 263). 104 Der Diskurs der Degeneration bzw. „Entartung“ boomt um 1900 (vgl. etwa SCHULLER 1999) und darf so gesehen sicher auch für einen weiteren Prägestempel des europä‐ ischen Populär-Orientalismus gelten. 105 HAJDARPASIC 2015: 177. 106 RENNER 1896: 75. fromm, glaube ich, und sie gefallen mir besser als die Serben und die Spani‐ olen.“ 100 Gefallen und Missfallen werden aus der Sicht des ‚zivilisatorisch‘ über‐ legenen Beobachters geäußert, der die Kulturhegemonie der k. u. k. Besatzungs‐ macht hinter sich weiß; die Sichtweise wird hier zum Blickregime, 101 das sich auf die Vorstellungen des Lesers übertragen soll. Dieser narrative Umgang mit der bosnischen Fremde ist eine Art von Exo‐ tismus, 102 wie er typisch für die Jahrhundertwende ist; hier indes dient er nicht nur dem farbenfrohen Import fremder Bilder, sondern auch der hegemonialen Rechtfertigung von Fremdherrschaft und politischer Bevormundung. Die Peri‐ pherie, die es zu zivilisieren gilt, ist aber mitunter auch beschützenswert. Der Fremde wird, wie häufig in europäischen Imaginationen seit dem 18. Jahrhun‐ dert, zum Kippbild: Mal ist er der armselige Barbar, den es zivilisatorisch zu bearbeiten gilt, mal der edle Wilde, der in einem verlorenen Paradies lebt; 103 und manchmal erscheint er einem selbst erstaunlich ähnlich, ist quasi das eigene Abziehbild ohne die Degeneration 104 des Westens. Diese Stilisierungen sind besonders interessant in Bezug auf die Muslime, die ja von der k. u. k. Geopolitik als „state-building element“ 105 in der Quasi-Kolonie Bosnien-Herzegowina ausersehen waren. So bemerkt etwa Heinrich Renner, „dass auch die Moslims trotz der Polygamie und der Abgeschlossenheit der Frauen Fleisch von unserem Fleisch sind, dass sich bei ihnen alles findet, was wir in unserem Volksleben beobachten. Nur ein grosser Teil der Laster mangelt und das ist entschieden kein Fehler.“ 106 Für ihn wie für einige andere Autoren sind die bosnisch-herzegowinischen Muslime die edlen Wilden schlechthin, über die sich offenkundig mit den Jahren die Bilderwelten von Karl Mays Ori‐ entzyklus (der 1881-88 erscheint) schieben. Dies wird etwa bei Anton Hangi offenkundig, der 1907 schreibt: C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 278 107 HANGI 1907: 3. 108 Ebd. 5. 109 Ebd. 7. 110 Ebd. 6. 111 Ebd. 8. 112 Ebd. 5. - Vgl. auch HELFERT 1879: 180 und SCHWEIGER-LERCHENFELD 1878: „Im Kef-machen sind sich alle Islamiten gleich, der indolente fanatische Mittelasiate, der lebhafte Araber, der behäbige Türke, der unstäte Kurde und der händelsüchtige Tscher‐ kesse“ (143). Vgl. dazu auch BERNHARD 1996: 109. 113 HANGI 1907: 6. 114 SCHWEIGER-LERCHENFELD 1878: 134. 115 KNOBLOCH 1878: 21. Der bosnische Moslim ist zumeist ein hochgewachsener, muskelkräftiger Mann. Er ist stolz wie das Land, in welchem er geboren und erzogen wurde. Dieser Stolz spiegelt sich in seinem Gange, in seinem Blicke, er sitzt auf seiner hohen Stirne. […] Der bosnische Moslim ist mässig in Speise und Trank, ein zärtlicher Gatte und aus‐ gezeichneter Familienvater. Er ist ehrlich und verlässlich, gastfreundlich und zuvor‐ kommend. Einem aufrichtigen und treuen Freunde ist er treu bis zum letzten Atem‐ zuge. 107 Des Weiteren sieht Hangi den bosnisch-herzegowinischen Muslim als „Freund der Jagd und ritterlicher Übungen“: 108 „Die Lüge ist ihm ein Gräuel, der Diebstahl eine überaus seltene Erscheinung“; 109 er sei „immer ruhig und würdevoll“, 110 außerdem neige er „zu einem beschaulichen Leben als zum Nachdenken und zu Geistesanstrengungen“ 111 (Diesen Hang zum „Céïf “, den Hangi mit „Dolce far niente“ umschreibt, findet sich auch bei andern Autoren. 112 ). Summa summarum seien die Bosniaken ein „Agrikulturvolk und sehr häuslich veranlagt. Mit grosser Liebe hängen sie an der von den Vätern ererbten Scholle und trennen sich nur schwer von derselben.“ 113 Mit diesen Eigenschaft wird der örtliche Muslim zum Spezialfall innerhalb einer orientalistisch konstruierten islami‐ schen Welt, denn er „unterscheidet sich auch in dieser Richtung wesentlich von den übrigen Mohammedanern des Orientes; er weiss nichts von der Perfidie und Unredlichkeit des Persers, er theilt nicht die Falschheit und Bestechlichkeit […] seiner rechtmäßigen Herrn [= der Türken, C. R.]“, wie Amand Schweiger-Ler‐ chenfeld 1878 schreibt. 114 Ebenso sieht Joseph A. Knobloch die bosnischen Mus‐ lime durch „allgemeine Ruhe, Ergebung in einen höheren Willen, Ehrlichkeit, Treue und Dankbarkeit“ charakterisiert. 115 Oft zeigt sich aber auch die Ambivalenz dieser Zuschreibungen: Immer wieder streichen Autoren - darunter auch prominente wie der Gouverneur Kállay selbst - den Konservatismus der bosnisch-herzegowinischen Muslime C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 279 116 HANGI 1907: 8; vgl. KÁLLAY 1900: 58 f. 117 SCHWEIGER-LERCHENFELD 1878: 133. 118 Ebd. 147. 119 Ebd. 144. 120 Ebd. 145. 121 BERNHARD 1996: 127. 122 Vgl. [ANONYM] 1886. 123 NEUPAUER 1884: 21. Ähnlich formulieren HAUSNER & WOLSKI 1878: 16 f.: „oder aber wir vernichten das muselmanische Element […]“. 124 NEUPAUER 1884: ebd. heraus, die ein „allen Neuerungen abholdes [Bevölkerungs-]Element“ seien, 116 d. h. für die Modernisierungsprojekte der k. u. k. Kolonisatoren nur schwer zu haben. Ebenso ließe der Islam als „eine Religion der Aeusserlichkeiten“ „über‐ haupt keine innerlichen Regungen aufkommen“. 117 Ähnlich bemerkt Schwei‐ ger-Lerchenfeld am Muslim dessen „innere Leere, in Folge des absoluten Man‐ gels jeder Trieb- und Keimkraft“, 118 was zu der bangen Frage führt: „Wird sich das mohamedanische Element in Bosnien einer abendländischen staatlichen Ordnung accomodiren? “ 119 Die Antwort ist eine abschlägige, zumal doch der Islam - ein bis zum heutigen Tag anzutreffendes Stereotyp - „das unübersteig‐ lichste Hindernis“ für die Modernisierung der Fremde und das Christentum Ga‐ rant für die „gegenwärtige hohe Cultur“ im eigenen Land sei. 120 Damit sind auch viele Darstellungen der bosnischen Muslime in einer Aporie gefangen, die Ve‐ ronika Bernhard charakterisiert hat: „einerseits schwärmt der Reisende von der Idyllik orientalischen Lebens, andererseits tadelt er seine Rückständigkeit“. 121 Die schwer durchschaubare ethnische Komplexität des Landes Bosnien-Her‐ zegowina indes treibt die Autor / inn / en der österreichisch-ungarischen Ära entweder zur offiziell selbstverordneten kakanischen Äquidistanz gegenüber allen Volksgruppen oder aber zur offenen Parteinahme. Können sich Renner und Hangi für die bosnisch-herzegowinischen Muslime begeistern, so fordern an‐ dere deutsch-österreichische Texte, vor allem die anonymen, eher die Beseiti‐ gung des potenziellen Gefahrenherds. „Türkische“ Ressentiments und jener Un‐ wille zur Moderne werden dabei ins Spiel gebracht. 122 Eine Textquelle formuliert ganz unverhohlen: „Es lässt sich ja doch die orientalische Frage in populärer Weise nicht anders ausdrücken als ‚hinaus mit den Türken‘. Nirgends wird man daraus Oesterreich einen Vorwurf machen.“ 123 Der Autor dieses im Selbstverlag erschienenen Textes ist ein gewisser Dr. Josef Neupauer, der im Übrigen auch zur besseren Wirtschaftlichkeit die Umwandlung Bosnien-Herzegowinas in eine Art Aktiengesellschaft vorschlägt. 124 Die bosnischen Orthodoxen / Serben kommen freilich noch schlechter weg. Ihr angeblicher Nationalstolz wird eigentlich nur ihren Frauen gutgeschrie‐ C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 280 125 So z. B. WIEMAN 1908: 119: „Schöne Frauen gehen neben ihm [einem Wagen, C. R.] her; sie tragen weite schwarze Hosen und auf dem Kopfe die rote Serbenmütze mit dem leuchtend roten, hinten geknoteten und herabfallenden Tuch. Sie schreiten sehr stolz und königlich, und über ihren Stirnen glänzt ein reicher goldener Schmuck. Es kommt mir ungewohnt vor, wieder ungeniert in das Gesicht eines Weibes schauen zu können nach meiner Wanderung durch die Türkendörfer.“ 126 [ANONYM] 1886: 16. 127 Ebd. 21. 128 WENDEL 1922: 54 bemerkt rückblickend: „Seit der Okkupation ruhte das Auge der Obrigkeit mit Wohlgefallen zunächst auf dem Moslems; davor ging nichts. Aber auch die Kroaten waren die Hätschelkinder der Wiener Regierung.“- Vgl. etwa HELFERT 1879: 241. 129 Zit. n. OKUKA & REHDER 1994: 65 f. ben, 125 sonst finden sie allgemein in den Texten noch weniger Anklang als die Muslime, die immerhin ambivalent kodiert sind. So heißt es etwa: Allein bei dem Serbenthum bestehen manche andere Hemmnisse, welche es bedenk‐ lich erscheinen lassen dürften, dasselbe zum herrschenden Staatselement zu erheben. Da ist vor allem die verhältnißmäßig niedere Kulturstufe, auf welcher das bosnische Serbenthum bis zur Stunde steht, namentlich in den höhern Volksschichten, dem han‐ deltreibenden und besonders dem geistlichen Stande. 126 Die verwaltungstechnische Konsequenz, die der anonyme Autor aus dieser Zu‐ standsbestimmung zieht, sind „[m]it andern Worten: Oesterreich-Ungarn kann in Bosnien und der Herzegowina keine Verwaltungsorganisation anbahnen, welche auf nationalem und confessionellem Gebiete den Serben eine überwie‐ gend maßgebende Stellung verleihen würde.“ 127 Eine starke Lobby haben hingegen die als ‚Kroaten‘ etikettierten autochtonen Katholik / inn / en Bosnien-Herzegowinas hinter sich. 128 So schreibt etwa Milena Preindlsberger-Mrazović, eine aus Wien zugereiste Kroatin und leitende Jour‐ nalistin der Bosnischen Post, in ihrem Bosnischen Skizzenbuch (1909) über Kre‐ ševo und sein Franziskanerkloster: In den schmalen Tälern dieser Berggebilde lebt ein scheues, dunkelgekleidetes, un‐ geheuer gutartiges Volk, die Katholiken, gleichsam in Verstecken.[…] Diese Streiter für ihren Gott und ihr Volk nötigten selbst ihren Verfolgern, den Muhamedanern, Ehrerbietung ab. Nicht selten suchen Muhamedaner bei den Fratres Rat und Hilfe in Unglücks- und Krankheitsfällen. 129 Immer wieder wird von den untersuchten Texten der österreichisch-ungari‐ schen Administration die Stärkung dieses kroatischen Bevölkerungselementes aufgrund seiner ‚abendländischen‘ Durchschaubarkeit und vor allem wegen seiner religiösen wie staatlichen Loyalität nahegelegt. Daneben gibt es auch C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 281 130 ŠIŠIĆ 1909. 131 In: OKUKUA & REHDER 1994: 102-106, zit. 105. 132 STAMM 2007: 141. - Vgl. auch BERNHARD 1996: 100 ff. zur Darstellung der ‚orienta‐ lischen‘ Frau in österreichischen Reiseberichten. 133 STAMM 2007: 144. kroatische Politiker wie den Universitätsprofessor und Zagreber Landtagsab‐ geordneten Ferdinand von Šišić, der nach der Annexion 1908 mit viel Ge‐ schichtsklitterung nachzuweisen versucht, dass Bosnien immer schon kroatisch gewesen sei; 130 seine Argumentation richtet sich vor allem gegen die kroatische Hegemonialmacht, das Königreich Ungarn, das wegen seiner mittelalterlichen Verbindungen mit Bosnien hier Rechte geltend machen zu können glaubt. Bei Šišić soll dagegen der Kroate auf bosnischem Boden seine Unabhängigkeit wie auch eine neue Vormachtstellung gewinnen. 2.4. Ver- und Enthüllungen: die ‚orientalische‘ Geschlechterdifferenz „Wenn aber alles vermummt ist, so gibt sich der Mann mit dem Wenigsten zufrieden“ (Max Frisch, Brief aus Sarajevo, 1933) 131 „Die Orientalin wird im 19. Jahrhundert zu einem der zentralen Objekte des Orientalismus und seiner Phantasmagorien; in ihr verdichtet sich die Vorstel‐ lung des Orients als einer Welt von Sinnlichkeit, Geheimnis, Pracht und Exzess“, schreibt Ulrike Stamm. 132 Dieses Phantasma erweist sich freilich aufgrund der örtlichen Gegebenheiten im erwähnten „Bauern-Orient“/ alismus Bosnien-Her‐ zegowinas als störungsanfällig - eine potenziell „enttäuschende Sehenswürdig‐ keit“, 133 denn die besetzten Gebiete scheinen die (durch Reiseberichte und Bild‐ materialien aus Nordafrika und Arabien aufgebauten) Erwartungshaltungen eher zu frustrieren: Auch hierin ist Bosnien-Herzegowina quasi ein k. u. k. Er‐ satz-Orient. Dennoch bleibt das „Geheimnis“ der orientalischen Frau ein ste‐ hendes Motiv der Reiseberichte und ethnografischen Texte, das immer wieder die Imagination des westlichen Mannes aus Österreich, Deutschland oder der Schweiz anzuregen scheint und eine aus gendering gearbeitete Syntax erzeugt. „Filius“[! ], der pseudonyme Autor des eben zitierten Automobil-Reiseführer, gibt sich indes in seinem Bericht erstaunlich abgeklärt bis selbstreflexiv, wenn er schreibt: Anders die Türkinnen. Die Harems sind leicht kenntlich an den vergitterten oder mit einem Vorhang versehenen Fenstern. C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 282 134 FILIUS 1908: 26 f. 135 SCHWEIGER-LERCHENFELD 1878: 144 spricht etwa vom Schleier als dem „Reiz […] der Halbverhüllung“. 136 Vgl. etwa die Zusammenschau bei MASQUELIER 2005: 4. 137 STAMM 2011: 61.- Zum kolonialen Harem vgl. etwa ALLOULA 1986, YEAZELL 2000, BELGIN 2005. Von den meisten Reiseautoren hat wohl kaum einer je einen Harem betreten. Die wenigen, von denen wir es sicher wissen, sind eine Handvoll von Auto‐ rinnen - am prominentesten z. B. Lady Montagu im frühen 18. Jahrhundert, im habs‐ burgischen Bereich etwa auch Ida Pfeiffer u. a.- von denen dann beharrlich abge‐ schrieben bzw. weiter phantasiert wird (vgl. BELGIN 2005: 9, 19), sodass eine veritable intertextuelle Projektionsmaschinerie entsteht, angetrieben von Alterität und Be‐ gehren. Zum Unterschied eines männlichen und weiblichen Schreibens über den Harem bzw. die orientalischen Frau vgl. etwa STAMM 2007 u. 2011. 138 LEWIS 1995: 180 sieht „the Harem as a ‚cultural supplement‘ that offers something extra, something not available in the Occidental setting“. Ich glaube, der Grad der Schüchternheit der Türkinnen steht in umgekehrtem Ver‐ hältnis zu ihrer Schönheit, denn diejenigen, die sich für mehr als Augenblick unver‐ hüllt zeigten, waren zumeist hübsch. Wie merkwürdig es doch mit der Neugierde der Menschen bestellt ist! Läge nicht der Zauber des Geheimnisvollen über dem Harems‐ leben und seinen Bewohnern, die Türkinnen würden gewiß nicht mehr Interesse er‐ regen als die Frauen irgend eines anderen Landes. 134 Gerade das Verhüllte, Verbotene, Unsichtbare der „türkischen“ (= muslimischen) Frau ist es also, was einige der Autoren in veritable Ekstasen zu versetzen vermag. 135 Beschrieben wird hier nicht das scheinbar Evidente des Fremden, ‚Orientalischen‘, sondern im Gegenteil das, was niemand sehen darf - vielleicht nicht einmal der Autor selbst - und doch jeder irgendwie zu wissen glaubt. Nicht umsonst gehört die choreografierte Dialektik von Ver- und Enthüllung zum Standardrepertoire jedes (Populär-)Orientalismus, 136 das in der geheimnisum‐ wittertsten Blackbox muslimischer Sexualbräuche schlechthin kulminiert: dem „übersemantisierten“ Harem 137 als „kulturellem Supplement“ 138 . Hier drückt sich das - projizierte - Phantasma archetypisch aus, wobei man gar nicht so weit gehen und die ultimative Verbotszone der verschlossenen Frauengemächer betreten muss. Auffällig ist schon, wie in ‚westlichen‘ Texten die faszinierende und erotisierende ‚Primitivität‘ des Fremden sich immer wieder der Badeszene als der (an Klaus Theweleits Männerphantasien gemahn‐ enden) motivlichen Verbindung von Geschlecht und Wasser bedient, wohin‐ gegen das Land an seiner Oberfläche generell als ‚schmutzig‘ erscheint. Dies gilt genauso für die Afrika-Ethnografie der Jahrhundertwende wie für den Nord‐ deutschen Bernard Wieman, der zu jener Zeit auf Einladung eines österreichi‐ schen Freundes nach Bosnien-Herzegowina reist. An seinem Text lässt sich das C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 283 139 Mutatis mutandis gilt hier, was John Berger 1972 über den Akt in der Kunstgeschichte geschrieben hat: dieser sei „structured around male entitlement to pleasure and female objectification“; angesichts dieses keineswegs unschuldigen oder interesselosen, ge‐ genderten Blicks erscheine es wesentlich, „the identity of the observer“ zu berücksich‐ tigen (zit. n. MASQELIER 2005: 15). 140 WIEMAN 1908: 44. 141 Vgl. McCLINTOCK 1995: 21 ff. 142 STAMM 2007: 142. narrative Prinzip der Blickführung zeigen, das die eigene (erotische) Neugier auf deren Objekt überträgt: 139 Es naht die Zeit der Abendwaschung; die türkischen Mädchen kommen mit den schlanken Kannen an den Fluß, und wenn wir nahen, fliehen sie in holdem Schrecken und in Schamhaftigkeit; mir, dem Fremden, der ich alles mit staunenden Augen und empfänglich sehe, kommt es so vor; es mag Gewohnheit sein und Sitte, mich kümmert das nicht; es hat einen zauberhaften Reiz, diese schlanken Gestalten […] flüchten zu sehen, zu sehen, wie sie sich hinter den Pflaumenbäumen und den Zäunen verbergen und doch staunend aus ihrem Versteck heimlich mit den Blicken uns verfolgen. Und wenn dann keine Giauren mehr auf der Veranda sitzen, dann werden die tür‐ kischen Mädchen […] an das dunkle Ufer auf jener Seite zum Baden kommen, und die jungen Burschen werden sich an jenes Ufer schleichen und lockende Liebeslieder singen. 140 Das gendering hier ist evident: Meist sind es erfahrene ‚westliche‘ Männer, die solchermaßen durch den kurzen Moment der Enthüllung in Begeisterungs‐ stürme versetzt werden - obwohl sie weitaus Expliziteres in den zahlreichen Bordellen der k. u. k. Monarchie oder des Deutschen Reiches gesehen haben mögen. Das Textbegehren der oben wiedergegebenen gleichsam erweiterten Schlüssellochszene - für die auch der Term „Pornotropics“ 141 aus den postkolo‐ nialen Analysen Anne McClintocks zutreffen mag - lässt sich mutatis mutandis mit Ulrike Stamms Analyse des Harems wie folgt beschreiben: Hier finden sich in exemplarischer Weise verschiedene Aspekte des europäischen Blicks auf die Orientalin versammelt: der männliche Voyeurismus, der von dem Wissen um das Geheimnis und das für ihn geltende Blickverbot angestachelt wird, die Wahrnehmung der kolonisierten Frau als Lustobjekt, die Nachahmung der Position des orientalischen Patriarchen, und schließlich der Blick von oben […], der deutlich auf die Überlegenheit des Europäers verweist. 142 C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 284 143 Vgl. dazu auch die Überlegungen, die anlässlich Altenbergs Ashantee-Text angestellt wurden (Abschnitt B.2.3.); für die Reiseliteratur weiters auch BERNHARD 1996: 90 ff. 144 Vgl. DONIA 2015: 75. 145 ASBÓTH 1888: 187. 146 Vgl. ORNIG 2015. Es geht hier aber offenkundig auch um einen rousseauistischen Diskurs eines Zurück zum Ursprung, 143 der die im Zeitgeist weit verbreitete Wahrnehmung der Dekadenz der eigenen Kultur zu überbrücken vermag. Hier ist auch die Bosnierin gleichsam eine edle Wilde, wie z. B. in jenem von Kállay bei seinem Freund Asbóth in Auftrag gegebenen Reisebericht, der in mehrere Sprachen übersetzt wurde und wohl als eine Art Schleichwerbung der Sarajevoer Lan‐ desregierung anzusehen ist: 144 Die bosnische Frau ist im Allgemeinen in allen Confessionen und Ständen tugendhaft, verbotene Abenteuer gehören zu den Seltenheiten. Insbesondere die muhammedani‐ sche Frau betreffend, äußert in einem Serajewoer Blatte eine europäische Dame, die häufig Gelegenheit hatte, mit ihnen zu verkehren, solche Meinungen, die von den landläufigen sehr verschieden sind. Sie sieht in ihr durchaus nicht die unterdrückte willens- und grundsatzlose Harem‐ sclavin, für welche die Muhammedanerin in Europa gilt. In zwangloser Natürlichkeit gesund entwickelt, folgt sie meist dem Erwählten ihre Herzens, wird eine treue Gattin und gute Mutter. […] Sie kennt nichts als ihr Haus und ihre Familie: ein Lob, bei welchem gewiß so mancher europäische Ehemann aufseufzt, indem er der glänzenden Frau gedenkt, die mit ihren civilisirten Ansprüchen sein Vermögen und seine Ruhe vernichtet. Neben der ‚bril‐ lanten‘ Dame der europäischen Gesellschaft geht die Demi-monde, die Prostitution, das weibliche Proletariat, die Menge der alten Jungfern einher; all’ das sind fast un‐ bekannte Dinge im Orient. Aber aus den Armen der Mutter geht ein gesundes kräftiges Geschlecht hervor, dessen natürlichem Verstande gegenüber unser in Studien ermü‐ deter Geist oft genug nur schwer aufkommt. 145 Das Bild der muslimischen Frauen in Bosnien-Herzegowina ist freilich ambiva‐ lent wie das der Muslime insgesamt. Neben (männlichen) Texten wie dem eben zitierten stehen andere, von Männern wie Frauen verfasste, die gegen ihre pat‐ riarchalische Unterdrückung eine mitunter fadenscheinige Kampagne führen - nicht nur in katholischen Frauenzeitschriften, die ansonsten wahrlich kein Hort einer generellen Emanzipation sind. 146 „Vieles entbehren auch die moslimischen Bosnier in ihrem Familienleben. Die Stellung der Frau ist, wie überall im Orient C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 285 147 SCHWEIGER-LERCHENFELD 1878: 132. 148 Vgl. DONIA 1981: 187 ff.; HANGI 1907: 190 ff.; KÁLLAY 1900: 100 ff. 149 DONIA 1981: 113, vgl. 113 ff. 150 WENDEL 1922: 58. eine untergeordnete, für die Erziehung der Mädchen geschieht soviel wie nichts“, schreibt schon Schweiger-Lerchenfeld zur Zeit der Okkupation. 147 Zusätzlich werden, wie diverse Autoren beschrieben haben, Fälle von „Braut‐ raub“, 148 wie sie in der gesamten Westbalkan-Region vorkommen, medial aus‐ geschlachtet, um immer wieder die exotische Inferiorität, aber auch den Reformbedarf einer islamisch geprägten Kultur im Sinne einer bürgerlich-west‐ lichen Gesellschaft herauszustellen; für die muslimischen Gemeinschaften Bos‐ nien-Herzegowinas werden sie indes wichtige Nagelproben für den zivilgesell‐ schaftlichen Multikulturalismus und ihre eigenen kulturellen Rechte innerhalb des Habsburger Reiches, wie etwa im folgenden Fall, den Robert Donia aufge‐ zeichnet hat. Hier geht es im Wesentlichen um eine Wertekollison, nämlich zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau und den Bestimmungen der Scharia, die Religionsübertritte unter strenge Strafe stellt - die ähnlich wie noch heute zum Paradefall für den Schutz partikularer Gruppenidentitäten bzw. deren Integration in eine Mehrheitsgesellschaft stilisiert wird: Fata Osmanović, the sixteen-year-old daughter of Osman Osmanović, fled on the night of 2-3 May 1899 from her father’s home in the village of Bijelopolje near Mostar. Fata’s home was next door to two Catholic girls of about the same age […]. They helped to persuade Fata to flee in order to avoid an arranged marriage with a Muslim man she disliked. Fata fled with a Catholic named Ivan Perić and totally disappeared from sight. The authorities and local Muslims correctly assumed she had been taken to nearby Dalmatia (in the Austrian half of the monarchy) and converted to Catholicism. This conversion […] is taken by several Yugoslav scholars as the beginning and principal cause of the Muslim autonomy movement. 149 Trotz jenes häufig demonstrativ zur Schau getragenen Eiferns in der k. u. k. Öf‐ fentlichkeit für die Wahlfreiheit der muslimischen Frau, wenn es um Partner und Religion geht, hält Hermann Wendel noch in den 1920er Jahren lakonisch fest: „Die österreichische Herrschaft half die Sklavinnenrolle der muselmani‐ schen Frau zu verewigen; das Eherecht unterlag nach wie vor dem islamischen Scheriatgesetz [= der Scharia, C. R.] statt dem Code Civil.“ 150 Es wird dem zweiten jugoslawischen Staat obliegen, hier eine Gleichstellung nicht ganz gewaltfrei herbeizuführen. C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 286 151 FILIUS 1908: 26. 152 Besonders drastische Stellen zum Ungeziefer gibt es etwa bei HELFERT 1879: 5 u. 13 f., der an anderem Orte freilich zugibt, selbst nie in Bosnien gewesen zu sein (ebd. 4)! 153 Vgl. etwa MASQUELIER 2005; BASHFORD 2003; u. a. 154 ULLMANN 1910: 491. 2.5. Architektur der Unterschiede Im Anschluss an die einleitende Analyse zu Konjic soll nun der Fokus einiger‐ maßen geweitet werden: Häufig wird nämlich der Kontrast zwischen Orient und Okzident - der hier noch verschärft wird in jenen zwischen ‚Europa‘ und ‚Asien‘ - architektonisch ver(w)ortet; die prächtigen neuen k. u. k. Verwaltungs‐ gebäude der erzählten Gegenwart stehen in Kontrast zum malerischen, aber primitiven und schmutzigen orientalischen Haus. Dazu ein Zitat aus einem Au‐ tomobilreiseführer des Jahres 1908, der vorher auch anpreist, wie „sicher“ der Balkan unter der österreichisch-ungarischen Verwaltung geworden sei: Wir fuhren durch zahlreiche verträumte türkische Dörfer. Meist waren sie schmutzig und bestanden hauptsächlich aus Lehmhütten. Obgleich ein gewöhnlicher Wo‐ chentag, saßen die Türken in süßem Nichtstun unter den Türen ‚ihrer Häuser‘. Der Ausdruck ihrer Gesichter verriet beim Anblick des Automobils nicht die geringste Bewegung. Auch wenn wir anhielten und nach der Straße fragten, kamen sie nicht näher. 151 Das Attribut ‚schmutzig‘ ist wie gesagt in Imagologien des Fremden - neben dem allgegenwärtigen Ungeziefer 152 - wohl eine der wichtigsten Markierungen für ‚Zivilisationsmangel‘. 153 Ebenso sind es auch Vorstellungen über den Wohn‐ raum und seine Nutzung, die Beschreibungen Bosnien-Herzegowinas tenden‐ ziös prägen: Während die Bevölkerung aller Konfessionen in den Haupt- und größeren Städten in guten, zum Teil modernen, mit einem gewissen Luxus gebauten Häusern wohnt, ist schon in der Umgebung dieser und in den Landstädten das Wohnungswesen vielfach ein noch dürftiges. Auf dem flachen Lande gibt es noch viele Häuser, in denen in einem einzigen Raume von nur 30 bis 40 m³ Luftraum oft mehrere, ja 10 bis 15 Personen leben und schlafen, ja in denen auch oft noch mehrere Haustiere, Hunde, Katzen, Kleinvieh nächtigen. 154 Mit dem Leitmotiv der schmutzigen Beengung geht im Falle der k. u. k. Okku‐ pationsgebiete wie auch bei Überseekolonien ein Hygienediskurs einher. Das vorangehende Zitat stammt aus einem von Karl Ulmann im August 1910 ge‐ haltenen Vortrag Über Entwicklung und den derzeitigen Stand der hygienischen Verhältnisse in Bosnien und der Hercegovina, der auch „die Kleidungsverhältnisse C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 287 155 Ebd. 156 Ebd. 493. 157 STURM 1894: 22. 158 Vgl. HELFERT 1879: 182 u. KNOBLOCH 1878: 21. 159 Vgl. HABINGER 2011: 39. 160 Vgl. ebd. 43 u. MILLS 1994: 43. 161 MAURER 1870: 342. 162 Zit. n. SIRBUBALO 2011: 4. der Eingeborenen [! ] aller Stämme [! ], teils durch Sitte, teils durch Armut be‐ dingt“, 155 kritisiert und ebenso die starke Verbreitung der Syphilis „auf der Bal‐ kanhalbinsel“ 156 beanstandet. Alexander Sturms Bericht über eine „Ferienreise durch Bosnien und die Her‐ cegowina“ des k. k. Staats-Gymnsasiums Ried im Innkreis 1894 wiederum macht deutlich, dass die Kehrseite des zivilisatorischen Schlachtrufs gegen den „Schmutz“ und für die „purification“ eine Ästhetik des Pittoresken ist, die erst näheres Hinsehen als „verkommen“ entlarvt: Die europäischen Gebäude sind sehr solid aus Stein, Ziegel und Eisen hergestellt, den neuesten Anforderungen der Baukunst vollkommen entsprechend. Nicht so ist es mit den bosnischen Häusern, die auch nach dem großen Brande vom 8. August 1879 noch aus Lehm und Holz hergestellt wurden. Wir hatten Gelegenheit, mehrere solche Häuser zu betreten. Selbst das vornehmste bosnische Haus ist aus Holz- und Lehmziegeln gebaut, aber auch an dem ärmlichsten ist der Schönheitssinn der Orientalen und die Einwirkung orientalischer Phantasie nicht zu verkennen. Daher sind alle bosnischen Ortschaften so malerisch. So sehr die Häuser in der Nähe und im Innern oft verkommen aussehen, aus der Ferne machen sie immer einen günstigen Eindruck, oft den eleganter Villen. 157 Auf ähnliche Weise wird gerade in frühen Darstellungen immer wieder die Am‐ bivalenz der Schönheit ‚orientalischer‘ Städte in Bosnien-Herzegowina be‐ tont 158 - und später offenkundig auch abgeschrieben. Vor allem jener Topos von ‚malerischer Distanz und hässlicher Nähe‘ scheint ein Leitmotiv der literari‐ schen Stadtbeschreibungen aus dem ‚Orient‘ zu sein. 159 Eine Ästhetik des „Pit‐ toresken“ dekontextualisiert die Darstellung freilich von einer zugrunde lie‐ genden Sozioökonomie, so dass man sie durchaus als imperiales Stilmittel ansehen kann und muss. 160 Der Preuße Franz Maurer etwa nimmt die Schönheit der Stadt Sarajevo zur Kenntnis 161 - die Georg Britting das „türkische Innsbruck“ nennt 162 - um auch hier den Teufel im Detail zu finden: „Außer einigen der grössten Moscheen und mehreren Hans von ausserordentlichem Umfange“ gebe es „in Sarájewo [sic] C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 288 163 MAURER 1870: 344. 164 Ebd. 343 f. 165 Ebd. 351. 166 KÁLLAY 1900: 6 ff. 167 Ebd. 5. kein einziges Gebäude, welches nicht, an sich betrachtet, den architektonischen Schönheitssinn auf das Empfindlichste beleidigte.“ 163 Wohltuend wirke dagegen nur ein gewisser Gewöhnungseffekt: Lebt man längere Zeit im Orient, so stumpft sich der Blick nicht blos gegen Schön‐ heiten, sondern auch gegen Unschönheiten ab; letzteres merkt man am auffälligsten, wenn man die in Sarájewo wohnenden Europäer über Pracht und Schönheit der dor‐ tigen Gebäude sprechen hört. 164 Zum Abschluss verleiht der Autor noch der Hoffnung Ausdruck, dass eine ge‐ naue Beschreibung Sarajevos „bald in Bädekers Reisehandbüchern zu finden sein“ werde; „für [s]eine Leser möge die vorstehende Skizzirung des malerischen und etwas schmutzigen Chaos genügen.“ 165 Auch hier bahnt sich also eine Ent‐ wicklung an, die durchaus mit der anfangs skizzierten des Städtchens Konjic zu vergleichen ist. Geradezu selbstgefällig wirkt dann die Darstellung des Erreichten im Büch‐ lein Die Lage der Mohammedaner in Bosnien, das 1900 vom k. u. k. Finanzminister Benjamin von Kállay höchstpersönlich - anonym - veröffentlicht wurde. Die kulturelle Differenz bedarf im Rahmen der Zivilisierungsmission des Neuar‐ rangements, das Alt und Neu, Fremdes und Eigenes als Hybrid zusammenbringt, die das Andere gefälliger, d. h. „nicht mehr völlig fremd“ machen soll, ja durchaus vergleichbar mit einem zentralen Bestandteil der Habsburger Monarchie, näm‐ lich Ungarn. 166 Somit liest sich die Passage als unverhohlene Eigenpropaganda für die Politik des Autors als Gouverneur Bosnien-Herzegowinas: Eisenbahnzüge brausen dahin, Kunststrassen zerschneiden die Höhen der Gebirge, christliche Architekten studieren fern im Osten die dem Geschmack der Rechtgläu‐ bigen entsprechenden Vorbilder, katholische und orthodoxe Kirchen lassen ihre Glo‐ cken ertönen, ohne aber den abendlichen Gebetsruf des Mohammedaners ver‐ stummen zu machen. Es ist da wie eine zauberhafte Mischung von Ost und West, darum ist uns dieses Land nicht mehr völlig fremd. 167 Gleichzeitig wird hier aber eine andere Aporie des Kolonialdiskurses sichtbar, auf die schon Homi Bhabha hingewiesen hat: Wenn nämlich das zivilisatorische Projekt - d. h., die Angleichung des Fremden an das Eigene - Erfolge zeitigt, raubt dies à la longue der mission civilatrice ihre konstitutive hierarchische Dif‐ C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 289 168 Vgl. BHABHA 1994: 85-92. Vgl. WEBER 2003: 35. 169 WENDEL 1922: 44. 170 NOPCSA 1899 / 2001: 8. 171 PREINDLSBERGER-MRAZOVIĆ 1902: 2. 172 Vgl. HARTMUTH 2015. 173 BHABHA 1994: 86. 174 Vgl. HARTMUTH 2015. ferenz und damit den legimitatorischen Vorwand. 168 Andererseits ist gerade die Klage um das Verschwinden der farbenfrohen Exotik in der Moderne - und der Versuch, diese zumindest in der Schrift zu bewahren - der Tenor vieler litera‐ rischer Texte des frühen 20. Jahrhunderts. Das früher störende Unschöne wird jetzt musealisiert und verklärt: Die „westliche Zivilisation [sei] fressende Säure“, warnt etwa Hermann Wendel noch 1922, nach der Gründung Jugoslawiens: vor ihr löse „sich alles Romantische, Mittelalterliche und Orientalische in Nichts auf “; der Orient fände nur noch einen Zufluchtsort in der Čaršija, dem Basar. 169 Aber schon um 1900 findet etwa Baron Nopcsa auf seinen Reisen in den Balkan in „Sarajevo elektrische Tramway, elektrische Beleuchtung und alles fin de siècle“ vor; 170 ebenso heißt es im Bosnischen Skizzenbuch einer örtlichen Jour‐ nalistin über die Modernisierung Sarajevos: Fast enttäuscht merkt dies der Fremde, der sich von dem ersten Schritte in Bosnien bereits die Sensation des Fremden, Aussergewöhnlichen versprach. In den hohen, eleganten Räumen des maurisch-byzantinischen Bahnhofgebäudes, das den neuen bosnischen Baustyl repräsentiert, der abendländischen Komfort in morgenländischer Art ausdrücken soll, umflutet vom Auerlichte und dem gewohnten Bahnhoftreiben, wird man kaum durch mehr als vereinzelt auftauchende orientalische Gewänder an den Osten gemahnt. 171 Das bosnische Fremde soll also zivilisiert und zugleich wie in einem Museum seiner selbst ausgestellt und damit festgeschrieben werden - eine kulturelle Aporie, die nicht nur viele österreichische und deutsche Texte über Bosnien antreibt, sondern etwa auch die k. u. k. Stadtplanung in Sarajevo, 172 die dieses zum Musterbild einer mitteleuropäischen Stadt und zugleich zu einem Monu‐ ment „orientalischer“ Kultur umzugestalten trachtete: „the same, but not quite“, 173 um in der viel strapazierten Formel von Bhabha zu bleiben (und dies umso mehr, als ‚maurische‘ Architektur aus Nordafrika und nicht die osmani‐ sche der bosnischen Vergangenheit für die orientalistische Disneylandisierung Sarajevos herhalten musste, die wohl auch die Türkenzeit vergessen lassen sollte). 174 Dahinter steht also nicht nur Romantik, sondern auch, mit Michael Mann gesprochen, „the basic contradiction of the civilizing project, […] the fear C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 290 175 MANN 2005: 24. 176 Weitere Analysen, die hier nicht zu leisten sind, werden auszuweisen haben, inwiefern diese hier provisorisch als synchron vorgestellten ‚langwelligen‘ Bilderwelten sich in ihrem historischen Ablauf bzw. Vollzug verändern oder nicht - und wie disparat sie sind. 177 HALL 2002: 17 f.- Im wiedergegebenen Textzitat zitiert Catherine Hall ihrerseits aus COOPER & STOLER 1997: 3 f. u. 7. of the colonizers that the colonized might become civilized and, hence, equal.“ 175 3. ÜberBrückungen, Konglomerate, Synkretismen: „Writing Back“ (1) Alle hier skizzierten Narrative, 176 so disparat sie auch stellenweise sind, werden vom Diskurs der Differenz und deren halbherzigem Ausgleich, d. h. der Zivili‐ sation und Kultur, die auf dem Balkan gleichsam implantiert werden sollen, überwölbt. Auf die militärische und administrative Einverleibung Bosnien-Her‐ zegowinas folgt die symbolische; und was Catherine Hall in ihrer vorbildlichen Studie zum Verhältnis von ‚weißer‘ Metropole und ‚schwarzer‘ Kolonie über Differenz-Produktion und -Management schreibt, ließe sich auch auf die be‐ setzten k. u. k. Gebiete umlegen: Marking differences was a way of classifying, of categorising, of making hierarchies, of constructing boundaries for the body politic and the body social. Processes of dif‐ ferentiation, positioning men and women, colonisers and colonised, as if these divi‐ sions were natural, were constantly in the making, in conflicts of power. The most basic tension of empire was that ‚the otherness of colonised persons was neither in‐ herent nor stable: his or her difference had to be defined and maintained‘. This meant that ‚a grammar of difference was continuously and vigilantly crafted as people in colonies refashioned and contested European claims to superiority‘. The construction of this ‚grammar of difference‘ was the cultural work of both colonisers and colo‐ nised. 177 Eine ernsthafte imagologische Analyse kommt freilich nicht umhin, auf ihren methodologischen Notstand im Umgang mit den (stereotypen) Bildern hinzu‐ weisen, will sie mehr sein als die bloß buchhalterische Auflistung von textuellen Konstrukten jener „grammar of difference“, mehr als ein akribisch zusammen‐ gestelltes Bilderbuch. Sie sollte aber andererseits auch der Versuchung wider‐ stehen, die Bilder unter Verweis auf eine wie auch immer geartete ‚Realität‘ ‚korrigieren‘ zu wollen. Es gibt keinen ‚wirklichen‘ Ausweg aus dem Strudel der imagines: Dem Forscher bleibt scheinbar nur der Verweis auf das projektiv Phantasmatische, das allen diesen Bildern und Bildungen immanent ist, und auf C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 291 178 Vgl. BERNHARD 1996: „Der Reisende erfährt somit im Grunde genommen nichts Neues, sondern durchläuft eine Reihe von ohnehin erwarteten Erlebnissen.“ (134) 179 HUGGAN 2001: 31 f. 180 Vgl. WIEMAN 1908: 94 ff. die politische Instrumentalisierung der Diskurse, die sie aufgreifen - ohne je‐ doch dadurch die Wirkungsmacht der Bilder restlos verabschieden zu können. Die stereotypen Formen ‚bilden‘ keine ‚Realität‘ ‚ab‘, aber wirken doch zirkulär auf diese zurück. 178 In seinem Buch The Postcolonial Exotic hat der Anglist Graham Huggan indes auf ein weiteres „Dilemma“ hingewiesen: […] is it possible to account for cultural difference without at the same time mystifying it? To locate and praise the other without also privileging the self ? To promote the cultural margins without ministering the needs of the mainstream? To construct an object of study that resists, and possibly forestalls, its own commodification? The postcolonial exotic is the name that one might give to this dilemma, a name that accompanies the emergence of postcolonial studies as an institutional field. 179 Huggans Vorwurf wäre also, dass gerade die Post / Colonial Studies mit ihrem selbst erteilten politischen Auftrag, Perspektiven zu ändern bzw. Sichtweisen zurechtzurücken, den Exotismus als solchen nicht wirklich untergraben, son‐ dern auf ihre Weise fortschreiben und dadurch in politisch-korrekter Form sa‐ lonfähig machen. Sinnvoll scheint eine ‚postkolonial‘ kritische Imagologie trotzdem dort, wo sie eine eklatante politische Schieflage der Bilder konstatieren muss: Die Stereotypen mögen zwar nichts ‚Reales‘ abbilden, sie bewirken jedoch etwas in der sog. Lebenswelt sozialer Realitäten. In der symbolischen Praxis indes erweist sich der österreichische Exotismus Bosnien-Herzegowina gegenüber - jene Fiktion einer zivilisationsbedürftigen Peripherie und Andersartigkeit - immer schon als immanent bedroht durch die potenzielle Heterogenität und mutmaßliche Dekadenz der eigenen Kultur: In der orientalisch-balkanischen Fremde, die sich durch undurchschaubare innere Differenzen bestimmt zeigt (Serben, Kroaten, Türken bzw. Muslime, Sepharden, Roma u. v. a.), in dieser opaken Alterität begegnet der kakanische Eindringling seiner eigenen unbegreiflichen Heterogenität und Hybridität, die in literari‐ schen Texten auch immer wieder zum Gegenstand gemacht werden: so etwa in Gestalt der tschechischen Gendarmen auf Grenzpatrouille im Bosnischen Tage‐ buch von Herbert Wieman. 180 Wie schon aus den Konjicer Beispielen im ersten Teil dieses Abschnitts deutlich wurde, scheint auch die Gastronomie geradezu prädestiniert zur (weiblichen) kulturellen Hybridität zu sein; so findet sich auch C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 292 181 ANDRIĆ 1945 / 1962 / 2001: 243 ff. - Vgl. dazu auch LACHMANN 2001 u. ANTIĆ 2003 182 Die ‚Schwelle zwischen Orient und Okzident‘ ist häufiges Motiv und Metapher in Bos‐ nien-Texten. 183 ANDRIĆ 1945 / 1962 / 2001: 184. 184 Ebd. 186. - Andric zeigt hier auch das Weichbild der Stadt als Text, das von der k. u. k. Herrschaft umgeschrieben und überschrieben wird. Zum Palimpsest als ästhetisches Prinzip postkolonialen Schreibens vgl. OSTHUES 2017. beim bosnischen Autor Ivo Andrić (1892-1975) 181 das Beispiel einer ostgalizi‐ schen Jüdin, die unter Serben und Muslimen ein (Wiener) Hotelcafé betreibt. Der jugoslawische Literatur-Nobelpreisträger hat mit seinem berühmten, viel zitierten und missbrauchten Roman Na Drini ćuprija (Die Brücke über die Drina, 1945) freilich mehr geschrieben als Einstimmungslektüre für spätere peace keeper und Krisentourist / inn / en wie Juli Zeh, wo mehrere Jahrhunderte bosnischer Geschichte in kompakten Episoden Revue passieren. Andrić entwi‐ ckelt nämlich in seiner Darstellung der österreichischen Besatzungszeit in Vi‐ šegrad / Wischegrad so etwas wie eine auf beide Drina-Ufer schielende Sicht‐ weise, passend zum zentralen Kultursymbol der Brücke, die im Text Ost und West, Abendland und Orient 182 verbindet. In der für den Roman typischen nar‐ rativen Konstruktion, wo der gleichsam über den Zeiten stehende Erzähler und die Brücke über den Wassern nahezu eins werden - so als würde das Bauwerk selbst die Episoden einer gewaltsamen Geschichte berichten -, entsteht eine stereoskopische, hybride Optik, die den Zivilisationswahn der österreichischen Invasoren kritisiert, ohne aber in einen nationalistisch-nativistischen Gegen‐ diskurs naiver ‚Ursprünglichkeit‘ zu verfallen, der das Beharren auf Tradition für wirklich erstrebenswert halten würde. In dem gleichsam schwebenden Brü‐ ckenbogen seiner Ironie verabschiedet der Erzähler beide Positionen und über‐ brückt sie damit gleichsam. Er fragt sich unter anderem, welche „Unruhe“ die österreichisch-ungarischen Besatzer „wie ein Fluch zu unaufhörlich neuen Ar‐ beiten und Unternehmungen“ treibe, „deren Ende nicht abzusehen ist“. 183 Und kurz darauf heißt es: […] dieses ständige Bedürfnis der Fremden, zu bauen und abzureißen, zu graben und zu mauern, aufzurichten und umzugestalten, ihr kunstvolles Streben, die Wirkung der Naturkräfte vorauszusehen, schätzt hier niemand; […] Was zerbrochen, das hätte man geflickt, was sich neigt, abgestützt, aber als Vorbeugung und darüber hinaus hätte sich niemand ohne Not und planmäßig Arbeit gemacht […] 184 Es ist, als ob die Brücke in ihren Bogenformen hier auch die nationalen Stereo‐ typen verbinden würde und damit die in ihnen angelegten Ambivalenzen: Die Missbilligung der hektischen Betriebsamkeit der österreichisch-ungarischen In‐ C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 293 185 Es wäre irrig anzunehmen, dass der habsburgische Mythos nur ein Instrument öster‐ reichisch-ungarischer Herrschaft gewesen wäre und von der bosnischen Intelligenz abgelehnt wurde; dies hieße, die Herrschaftslogik zu verkennen, die eben in der Durch‐ setzung und Internalisierung der hegemonialen Bildwelten besteht. Ein ziemlich krasses Beispiel hierfür ist etwa ein Buch des angesehenen bosnischen Sozialwissen‐ schaftlers Smail Balić, der auf der Folie der Jugoslawienkriege der 1990er Jahre naiv die Österreicher als historische „Ordnungs- und Kulturträger“ in Bosnien-Herzegowina versteht: „Die bosnischen Muslime verdanken Österreich ihre weitgehende Europäi‐ sierung, durch die sie ihren Anschluß an die moderne Welt gefunden haben.“ (BALIĆ 1992: 50) 186 ANDRIĆ 1945 / 62 / 2001: 237. vasoren enthält zugleich einen kleinen Hauch von Zivilisationslob und Schelte dem ‚faulen‘ ‚Orientalen‘ gegenüber. An diesem Textbauwerk freilich eine ge‐ nerelle Botschaft festmachen zu wollen, ist eine unwegsame Aufgabe, denn die Perspektive der Erzählung bleibt bei Andrić häufig ungewiss; es ist nicht klar, wer hier spricht, die Figuren oder ihr allwissender Brückenerzähler, der diese liminale Zwischenposition geradezu strategisch aufbaut. Dabei entwickelt er auch eine sehr eigentümliche, selbstreflexive Variante des habsburgischen My‐ thos, 185 die sich des Prinzips der Fremdherrschaft bewusst bleibt, zugleich das Narrativ von kakanischer Zivilisation und Pax Austriaca ironisiert und damit auf eine Phantasmagorie zurückführt: Es waren dies jene drei Jahrzehnte verhältnismäßigen Wohlstandes und scheinbaren Friedens der Ära Franz Josephs, als mancher Europäer glaubte, er habe die unfehlbare Formel für die Erfüllung des jahrhundertealten Traums von einer vollen und glück‐ lichen Entwicklung der Persönlichkeit in allgemeiner Freiheit und Fortschritt ge‐ funden, […] In diese abgelegene bosnische Stadt drang von diesem ganzen Leben des neunzehnten Jahrhunderts nur ein schwacher Abglanz und nur in dem Maße und in der Form, in der ihn diese zurückgebliebene orientalische Welt aufzunehmen und auf ihre Art zu erfassen und anzuwenden vermochte. 186 Das Volk fand Ordnung, Verdienst und Sicherheit. Und das genügte, damit das […] äußere Leben auch hier in den ‚Bahnen der Vervollkommnung und des Fortschritts‘ sich fortbewegte. Alles Übrige wurde zurückgedrängt in jenes dunkle Unterbewußt‐ sein, in dem die Grundgefühle und die unzerstörbaren Überzeugungen der einzelnen Rassen, Glaubensrichtungen und Kasten leben, gären […] Die Obrigkeit hatte nach den ersten Mißverständnissen und Konflikten bei den Men‐ schen einen bestimmten Eindruck der Festigkeit und Dauer hinterlassen. (Auch sie selbst war von dieser Illusion erfüllt, ohne die es keine ständige und starke Regierung C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 294 187 Ebd. 238. 188 Zum metamorphotischen Schreiben vgl. REBER 2009. 189 Ich verwende ‚Konglomerat‘ hier als Gegenbegriff zu ‚Hybridität‘ (s. dazu BHABHA 1994; GOLDBERG 2000 / 2005; GÜRSES 2003; YOUNG 2005; DUBIEL 2007; VAN HOVE 2013; in Bezug auf Andrić JAKISA 2001: 139 et passim) - ein Term, der aufgrund seiner biologistischen Konnotationen mitunter fragwürdig wirkt (vgl. auch PRUTSCH 2003: 33 ff.). Dies scheint angebracht, zumal auch der österr. Ministerpräsident Stürgkh Cisleithanien als „kein[en] Staat, sondern ein Konglomerat“ sah (BURIAN 1923: 187). Vgl. auch Jean-Luc Nancys „for Sarajevo“ entstandenes Konzept der Mischung („mêlée“) in NANCY 2000; weiters die Konzepte der Sarajeover Literaturtheoretikerin Nirman Moranjak-Bamburac („interspace“, „westliche Östlichkeit“ etc.), dazu PREVIŠIĆ 2014: 117. 190 ANDRIĆ 1945 / 1962 / 2001: 239. 191 Im Original: „neobične orijentalne sredine“. 192 Veronika Bernhard hat darauf aufmerksam gemacht, wie viele Reisende um 1900 nur die beiden Wörter „typisch orientalisch“ in Bezug auf Bosnien und andere Regionen des Balkans verwenden müssen, um den gewünschten Effekt evozieren zu können (BERNHARD 1996: 85 u. 125). gibt.) Sie war unpersönlich, mittelbar und schon daher leichter zu ertragen als die alte türkische Herrschaft. 187 In diesem ‚illusionistischen‘ Verfahren der erzählerischen Ironie bleiben gewisse ethnische Stereotypen aufrecht wie auch der Mythos der ‚gerechten‘ k. u. k. Staatsmacht; sie stehen aber unter Anführungszeichen und werden gleichsam gestundet, vor der Utopie einer Metamorphose, 188 die Andrić entwickelt: Nichts und niemandem bleibt seine Gestalt - auch der österreichisch-ungarischen Herrschaft nicht. Andrić setzt gegen den problematischen zivilisatorischen Auf‐ trag der österreichischen Texte, die von einer Erziehung und Entwicklung phan‐ tasieren, den Synkretismus, das Konglomerat  189 als Verbindung des Hetero‐ genen, und dessen Verwandlung in einem weiteren Schritt: Aber auch diese Fremden konnten sich nach einer gewissen Zeit nicht völlig dem Einfluß der ungewöhnlich orientalischen Umwelt entziehen, in der sie leben mußten. […] Unser Volk, besonders die Christen und Juden, begann zwar in Kleidung und Gebärden den Fremden, die die Besatzung hergeführt hatte, immer ähnlicher zu werden, aber auch die Fremden blieben von der Umgebung, in der sie leben mussten, nicht unberührt und unverändert. 190 Der Akzent liegt hier m. E. auf der ans Oxymoron grenzenden Kombination „ungewöhnlich orientalisch“, 191 in der die ‚Gewöhnlichkeit‘ 192 des Stereotyps verabschiedet wird. In dieser ‚Entautomatisierung‘ - der Unentschiedenheit, welches Orientbild denn gemeint ist und was genau die Position der Österrei‐ cher / innen und Bosnier / innen darin ist - liegt die Utopie bei Andrić. Vielleicht C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 295 193 BERNHARD 1996: 132. besteht in dieser Hoffnung auf das „ungewöhnlich Orientalische“, das sich der Festlegung im Stereotyp widersetzt, ebenso wie in der Hoffnung auf das Tran‐ sitorische und nicht Festlegbare jeder Herrschaft, auf die permanente Meta‐ morphose und die unwillkürliche Kombinatorik der Kulturen auch die kleine Rest-Utopie, die der Stereotypenforscher als Lösung seiner politischen Dilem‐ mata annehmen darf. In einem Aspekt freilich unterscheidet sich auch Andrić nicht wirklich vom Orientalismus westlicher bzw. deutsch-österreichischer Texte: Auch er „weist dem Orient […] eine Funktion zu, die über seine unmit‐ telbare Realität hinausweist“; er wird gleichsam entortet und „dient als Vehikel der Reflexion über universelle Probleme.“ 193 C.2. Besetzungen (ii): Reformatierung der Orte & Fremdbilder 296 1 FREUD 1932 / 1994: 496. 2 Zum Verhältnis von Psychoanalyse und Kolonialismus vgl. ANDERSON, JENSEN & KELLER 2011 u. McCLINTOCK 1995. 3 HALL 2004: 108. C.3. Besetzungen (iii): Konstruktionen der bosnischen Fremde(n) in belle‐ tristischen Texten aus ‚Österreich‘ um 1900 […] das Verdrängte ist aber für das Ich Aus‐ land, inneres Ausland, so wie die Realität […] äußeres Ausland ist. (Freud) 1 In seinem bekannten Bonmot parzelliert Sigmund Freud die menschliche Psyche in Kategorien des In- und Auslands, die man auch als Metaphern der Nähe und Distanz lesen könnte. Was aber genau passiert, wenn die Realität ‚draußen‘ so‐ wohl im übertragenen als auch im buchstäblichen Sinn „Ausland“ ist? Sind die‐ jenigen Fremden, die es bevölkern, Projektionen - oder sogar Projekte - des eigenen Selbst und dessen, was es verdrängt? 2 Dies führt uns tief in ein Kernproblem jener zentralen anthropologischen Dyade des ‚Eigenen‘ und des ‚Fremden‘. So fragt auch der jamaikanisch-britische Kulturtheoretiker Stuart Hall - komplementär zu Freud - nach der Strahlkraft der kulturellen Differenz und der politischen Notwendigkeit, sich mit der adä‐ quaten und womöglich gleichberechtigten Repräsentation des Fremden inner‐ halb und zwischen Kulturen auseinanderzusetzen: Wie repräsentieren wir Menschen und Orte, die sich wesentlich von uns unter‐ scheiden? Warum ist ‚Differenz‘ ein so zwingendes Thema, ein so umkämpfter Bereich der Repräsentation? Was ist die geheime Faszination von ‚Andersheit‘ und warum bezieht sich die alltagskulturelle Repräsentation so häufig darauf ? 3 Jene potenzielle Fetischisierung des Anderen wurde bereits früher im Rahmen unserer Vorüberlegungen zur Imagologie nationaler Kodierungen (unter spezi‐ 4 BHABHA 1994: 66-84. 5 Vgl. Kap. A.2. der vorl. Arbeit. 6 Die Bezeichnung „Xenologie“ für eine bestimmte Subdisziplin der interkulturellen Ger‐ manistik wurde u. a. von Alois Wierlacher geprägt; vgl. WIERLACHER 1985 / 2001. Vgl. auch LESKOVEC 2009. 7 Quellennachweise werden im Folgenden gegeben. Siehe außerdem noch TURK 1990. 8 Vgl. MÜLLER-FUNK 2002b und 2016. 9 Vgl. KLINGER 2003. eller Berücksichtigung von Homi Bhabhas Stereotypen-Aufsatz 4 ) skizziert; 5 im Anschluss daran soll nun eine Annäherung an die Figur des bosnisch-herzego‐ winischen Fremden um 1900 von Alteritätspositionen der Belletristik aus phä‐ nomenologisch unternommen werden. Aus Platzgründen verbietet sich aller‐ dings eine intensive Auseinandersetzung mit der inzwischen umfangreich angewachsenen xenologischen 6 Theoriebildung, die hier auch eher nur als Sup‐ plement zum einführenden Imagologie-Kapitel (A.2.) angedacht wird: genannt seien nur kurz die Namen von Julia Kristeva, Bernhard Waldenfels, Rudolf Stichweh oder Horst Turk, 7 die uns gleichsam in die Fremde begleitet haben. Die begriffliche Trennung des / der Fremden bzw. der Fremde von dem und der Anderen wurde mit Wolfgang Müller-Funk 8 ebenso aus einigen dieser Quellen übernommen. Das Andere ist das Gegenstück zum Eigenen, das entlang seiner modelliert wird. Dabei soll der Begriff der Fremdheit als Term einer ‚eth‐ nisch‘ überwölbten Alterität enggeführt und damit z. B. vom Begriff geschlecht‐ licher, sozialer, generationeller, monströser oder übernatürlicher Andersheit abgegrenzt werden, wiewohl sich diese Konzepte in der narrativen und dis‐ kursiven Praxis häufig intersektional verschränken. 9 (Vgl. dazu Kap.A.2.2.) Im nun Folgenden wollen wir uns theoretisch auf einige Kernthesen be‐ schränken, die zur Problematik einer literarischen Repräsentation des Fremden überleiten sollen. In einem zweiten Schritt sollen in Fortsetzung der bisherigen Analysen skizzenhaft einige Texte der österreichischen Literatur im engeren Sinne über das 1878 okkupierte Bosnien-Herzegowina untersucht werden. Einmal mehr soll aufgezeigt werden, wie die hegemoniale österreichische Kultur im 19. und frühen 20. Jahrhundert Cisleithanien und insbesondere Bosnien-Her‐ zegowina (bzw. die dort lebenden, als ‚fremd‘ wahrgenommen Menschen) kon‐ struierte und formatierte, und so einer quasi-kolonialen Zurichtung des Landes durch die Habsburger Monarchie - ihrer vorgeblichen mission civilatrice - Vor‐ schub leistete, zuarbeitete oder ihr in wenigen Fällen auch opponierte. C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 298 10 Vgl. SCHÜTZ 1944 / 1971 / 2011. 11 Vgl. WEBER 2003: 35. 12 KRISTEVA 1990: 11; vgl. VAN ALPHEN 1991. 13 KRISTEVA 1990: 23 14 WALDENFELS 1990 / 1998: 9; vgl. KRISTEVA 1990: 11; vgl. auch KOSCHORKE 2012: 94-100. 15 WALDENFELS 1990 / 1998: 15. 16 Vgl. WALDENFELS 2012; vgl. auch ACHILLES u. a. 2012. 17 STICHWEH 2010: 75 ff. 0. Aneignungen & Entfremdungen Wie erwähnt können hier nur thesenhaft - und in Fortsetzung von Kapitel A.2. - dieser Arbeit einige Kernprobleme angesprochen werden, die der „Stachel des Fremden“ (Waldenfels) gleichsam der Repräsentation injiziert: 1. In der Dyade des Eigenen und des Fremden ist die Konstruktion des letz‐ teren untrennbar an das erstere geknüpft. 10 Damit wird das Fremde aber eigentlich einer Selbstverständigung über das Eigene dienstbar gemacht, und letztlich zu einer Projektion im psychoanalytischen Sinn, das Nega‐ tivbild des Eigenen, oder mit Bhabha: sein Doppelgänger, 11 was den Zu‐ gang zu ihm erschwert, ja zu einer Art kultureller Nabelschau macht. 2. Das Eigene ist aber keineswegs stabil und sicher, denn wie Kristeva schreibt, „ist auf befremdliche Weise das Fremde eigentlich in uns selbst: Es ist die verborgene Seite unsrer Identität, der Raum, der unsere Bleibe zunichte macht.“ 12 3. Kristeva verweist auch darauf, dass „mit dem Fremden leben“ uns mit der Frage konfrontiert, „ob es möglich ist, ein anderer zu sein“. 13 Aber, mit Waldenfels gefragt: „Wie können wir auf Fremdes eingehen, ohne durch die Art des Umgangs seine Wirkungen, seine Herausforderungen und Ansprüche zu neutralisieren oder zu verleugnen? “ 14 Bleiben wir nicht vielmehr in der Selbstvergewisserung eines fatal labilen Solipsismus be‐ fangen, der das Fremde entweder ausgrenzt, es sich aneignet, wenn er über es redet, oder es zu etwas Unbegreiflichem macht? 4. Waldenfels schreibt auch, der Fremde sei „ein Grenzphänomen par ex‐ cellence“. 15 Läuft er durch diese Liminalität 16 dann aber nicht Gefahr, letztlich nur eine Leerstelle zwischen den Diskursen zu werden? Als Reaktion auf diese heuristischen Fragen soll nun weniger eine „Semantik des Fremden“ 17 betrieben werden; ebenso setzt sich der vorgeschlagene Zugang C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 299 18 Ortfried Schäffter unterscheidet zwischen 1) „abgetrennter Ursprünglichkeit“; 2) Fremdheit als Gegenbild; 3) Fremdheit als Ergänzung und 4) Fremdheit als Komple‐ mentarität (SCHÄFFTER 1991: 11-42). Vgl. auch HOFMANN 2006: 20 ff. 19 SULERI 1997: 21. 20 Vgl. RUTHNER 2004: 97 ff. 21 Zu Strobl vgl. RUTHNER 1993: 64 ff. 22 In: STROBL 1921. Im Folgenden wird nach dieser Originalausgabe mit Seitenangabe in Klammern im Lauftext zitiert. 23 Vgl. dazu auch BRITTNACHER 1994. 24 Zit. n. STOLER & COOPER 1997: 34. von Otfried Schäffters „Modi des Fremderlebens“ 18 ab (wiewohl letztere die vor‐ geschlagenen Kategorien durchaus inspiriert haben). Eher sollen in dem Sinne, wie Literatur immer eine narrative Perspektivierung herstellt, Standardsituati‐ onen des Umgangs mit dem / der / den bosnischen Fremden in imperialen lite‐ rarischen Texten aus Österreich skizziert werden - mit Sara Suleris Worten: „how particular cultures can be emplotted in other people’s tales“; 19 möglicher‐ weise handelt es sich dabei um Positionen, die im Sinne einer kulturellen Rhe‐ torik bzw. Topik auch verallgemeinerbar wären. Da auch die meisten der im Folgenden erwähnten Autor / inn / en für die Leser / innen Fremde sein dürften, sollen sie ebenso kurz vorgestellt werden. 1. Perhorreszierung und Propaganda (K. H. Strobl) Der erste Autor, Karl Hans Strobl (1877-1946), gebürtig aus Iglau / Jihlava im heutigen Tschechien, ist mit seinem Frühwerk der Jahrhundertwende-Fan‐ tastik 20 zuzurechnen: ein völkisch orientierter Schriftsteller, der später ein na‐ tionalsozialistischer Literaturfunktionär werden sollte. 21 In seiner Anthologie von sog. „seltsamen Geschichten“ unter dem Titel Lemuria  22 findet sich auch die Erzählung Der Bogumilenstein von 1916, wo Strobl - wie etwa auch in Der Wald von Augustowo (1915) - Bilder des Fremden phantastisch perhorresziert; 23 dies ganz im Sinne seiner Tätigkeit als Kriegsberichterstatter im Ersten Welt‐ krieg, und man könnte hier mit Ranjit Guhta von einer „prose of counterinsur‐ gency“ 24 sprechen. Der kurze Text spielt im Krieg in der Nähe von Bilek (bzw. Bileća) an der montenegrinischen Grenze, wo der Ich-Erzähler auf einem Erkundungsgang eines großen Bogumilen-Friedhofs ansichtig wird. Die manichäische (christ‐ liche? ) Sekte der Bogumilen ist wie bereits erwähnt das wohl esoterischste Ka‐ pitel der bosnischen Kulturgeschichte, in das man von der k. u. k. Zeit bis zum heutigen Tag alles Mögliche im Sinne eines ‚authentisch-autochtonen‘ Grün‐ C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 300 25 Vgl. etwa ASBÓTH 1888: 23-118; OBOLESNKY 1948 / 1978; DŽAJA 2004; IMA‐ MOVIĆ 2006: 76 ff. 26 Vgl. KRONPRINZENWERK 12 / 1901; ZINTZEN 1999. 27 JanMOHAMED 1985: 103 spricht in einem anderen Zusammenhang von „positing the inferiority of the native as a metaphysical fact“. dungsmythos hineinspekuliert hat. 25 Dies gilt auch für Strobls Text: „Welches Geschlecht, diese Bogumilen? Eine Rasse? Eine Sekte? Ein Reich? “ fragt sich der Ich-Erzähler und muss zugeben: „Die Geschichte wußte nicht viel über sie und ich wußte noch weniger.“ (332 f.). Dieses Wissensdefizit lässt jenes anonyme Ich schon in Bilek einen k. u. k. Oberleutnant um Aufklärung bitten, der ihm bereit‐ willig auseinandersetzt: Ihre Religion wäre gar keine Religion gewesen, sondern eine Art Sittenlehre, aus den besten Sätzen des Christentums und des Muhammedanismus bestehend. Und Spuren dieser Lehre fänden sich noch immer hier im Land, wo die Einwohner keine Moslems wären und auch keine Christen im äußeren Verstande, da sie keine Kirchen hätten und auch keine Priester brauchten. (333) Es ist u. a. genau diese Hybridität - oder besser gesagt: Unentschiedenheit - zwischen Christentum und Islam, welche die Ureinwohner aus dem Blickwinkel Strobls verdächtig machen wird. Dennoch darf der Oberleutnant vorderhand seiner Belehrung hinzufügen, die Bauern der Region seien immer noch „schlicht, redlich, gastfreundlich und sittenrein und niemandem werde größeres Unrecht zugefügt als ihnen, wenn man sie in Europa schlichtweg als Hammeldiebe ver‐ schreie“ (333). Diese humanistische Stereotypen-Kritik, die wie aus dem k. u. k. Kronprinzenwerk  26 angelesen klingt, wird indes durch den Handlungsverlauf klar widerlegt werden. Zunächst jedoch gibt sich der Protagonist angesichts der Bogumilensteine einem populären Geschichtspessimismus hin, aus dem quasi schon Oswald Spengler hervorlugt: „So dachte ich darüber nach, wie Städte und Völker zu‐ grunde gehen können und Reiche, und doch ein Gedanke sie alle überlebt, und dass uns unsere Feinde gewiss gerne dieses Bogumilenschicksal bereitet hätten, um dann vielleicht erst den deutschen Gedanken als den Gedanken der Mensch‐ heit zu erkennen“ (333.). Strobl outet hier seine völkisch-großdeutsche Gesinnung; der Gedanke eines „Weltösterreich“ ist ihm - mit Musil gesprochen - fremd; was hier unternommen wird, ist eine Art rechter border gnosis in der Grenzüberschreitung mit manifest xenophoben Zügen. Als es dunkel wird, tritt plötzlich ein gewehrtragender alter Bauer auf den Ich-Erzähler zu und führt ihn zu den „Alten“, wie er sagt. Der „Dschusch“ (335), wie der Fremde gleich pejorativ genannt wird, 27 setzt nun C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 301 28 SULERI 1997: 77. 29 Zum literarischen Genre der Phantastik vgl. etwa ABRAHAM 2012; RUTHNER, REBER & MAY 2006; LACHMANN 2002; TODOROV 1972 / 1992. 30 STAMM 2007: 161. gleichsam als subalterner Informant dem Protagonisten die wahren Gründe für den Untergang der Bogumilen auseinander: ‚Und weißt du, wodurch dieses Reich zerfiel? Durch Zügellosigkeit. Das ist der Fluch, der auf Land und Volk liegt. Es ist das Blut, das uns um alles betrogen hat. Im Blut liegt es, in jedem von uns ist dieser wilde, hitzige Strom, der alles sprengt. […] Unser Blut ist nicht wie eures, das ruhig rinnt und sich Zeit lässt, zu bauen, zu schreiben, zu denken, die Welt zu erobern. Wir denken nicht an die Welt, wir denken nur an den Feind, den allernächsten Mord und die Liebe.‘ (335). Hier wird schon im Sinne eines Blut-Rassismus dem kulturrelativistischen Dis‐ kurs des Oberleutnants widersprochen und stattdessen die bekannten und bis zum heutigen Tag gebräuchlichen Balkan-Stereotype bekräftigt, indem sie vom ruhigen, besonnenen Eigenen abgesetzt werden. Statt ‚Zivilisation‘ herrschen tribalistische Impulsivität, Leidenschaft und Grausamkeit, die nur von außen gezügelt werden können. Dies muss in der Logik des Textes förmlich zu einem Überlebenskampf der Völker und Rassen führen, der dem Deutsch-Österreicher aufgezwungen wird, will er nicht das Schicksal des Bogumilenreiches teilen. Und so nimmt es auch nicht wunder, dass der alte Mann am Ende der Erzählung sein Gewehr auf den Protagonisten anschlägt und dieser wie gelähmt nach seiner „Steyrer-Pistole“ tastet (337). Ein veritabler „clash of civilisations“ auf dem Balkan, lange vor Samuel Huntington; oder, mit den Worten von Suleri, „the imperial dynamic as a dialogue between competing males anxieties“. 28 Gerade noch rechtzeitig kommen Grenzjäger mit einer Laterne hinzu - und der Ich-Erzähler muss feststellen, dass das, was er für den aggressiven Bauern hielt, in Wirklichkeit nur ein Bogumilen-Grabstein war, der „Kreuzesform hatte und doch wieder plumpe Menschengestalt“ (338). Das Erlebte wird somit zur phantastischen Vision - und der autochtone Fremde zu einer Horrorfigur. 29 Was zum Ich-Erzähler gesprochen hat, war dann so etwas wie ein negativer genius loci des Balkan, Produkt einer blutigen Rassen- und Religionsmischung. Hier gibt sich die oberflächlich nur auf den exotistisch verbrämten Schauer-Ef‐ fekt geschriebene Erzählung als Propaganda zu erkennen; sie repräsentiert die herzegowinische Landschaft, um mit Ulrike Stamm zu sprechen, als „Topogra‐ phie der Gewalt“. 30 Nach diesem Modell funktionieren etliche andere Texte bis C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 302 31 Vgl. FREUD 1919 / 1989.- Auf diesen Zusammenhang des othering mit Freuds Prinzip des Unheimlichen hat auch PREVIŠIĆ 2014: 26 hingewiesen. 32 ERDHEIM 1982: 35. 33 Zu Michel vgl. CONCETTI 2002, 2005 u. 2006 sowie BABKA 2009. zu unsrem Tag, auch wenn sie uns ihre Dekuvrierung nicht immer so leicht machen wie Strobls Text. Die hier vorliegende Fremdheitskonstruktion ist in einem erweiterten freu‐ dianischen Sinne unheimlich: 31 Sie macht etwas scheinbar Vertrautes - nämlich den südslawischen Mitbewohner des Habsburger Reiches und seiner Grenzen - zu einem gefährlich fremden Ungeheuer, das gewaltsam aus dem Eigenen aus‐ gegrenzt wird. Zudem scheint Strobls Machwerk die zentrale These von Mario Erdheims Ethnopsychoanalyse zu bestätigen, wonach Xenophobie ein bestimmte Angst vor der Geschichte und dem Kulturwandel ausdrücke. 32 Denn wer will schon das Schicksal des Bogumilenreiches teilen - das, wie wir wissen, die Habsburger Monarchie zwei Jahre nach Erscheinen von Strobls Text ereilte. 2. Advocating vs. Patronizing (Robert Michel) Während Strobls Erzählung sicher eine negative Extremstellung im vorlie‐ genden Textkorpus zum bosnisch-herzegowinischen Fremden einnimmt, steht der nächste Autor deutlich auf der anderen Seite des Spektrums. Auch er ent‐ stammt - wie im übrigen alle hier präsentierten Schriftsteller - einem multi‐ ethnischen Milieu: Der Deutsch-Böhme Robert Michel (1876-1957) - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen deutschen Künstler - war ein schreibender k. u. k. Offizier und gewissermaßen ein fellow traveller von ‚Jung-Wien‘, der mit Leopold von Andrian und Hugo von Hofmannsthal in Kontakt stand. 33 Seit seiner Stationierung in Mostar entwickelte er eine schwärmerische Liebe zu bosnischen und vor allem herzegowinischen Themen, die freilich nicht wirklich zu seiner Berühmtheit beitrugen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass etliche seiner Werke, die versuchen, die jüngste Gebietserwerbung der Habsburger Monarchie ihren alteingesessenen Bewohnern näher zu bringen, gleichsam als Schwanengesang entstanden: als der Autor nämlich während des Ersten Weltkriegs wie Strobl im Kriegspressequartier diente und erleben musste, wie sich der Gesamtstaat - wie vorher schon im Kleinen Bosnien-Herzego‐ wina - aufzulösen begann, und nachher. Der für die Analyse ausgewählte Text ist Michels Anthologie Fahrten in den Reichslanden (1912) entnommen, einem Sammelsurium von literarischen Skizzen und Reiseberichten, das populärhistorische Ausführungen zu den di‐ versen Brückenbauten Bosnien-Herzegowinas ebenso enthält wie die Schilde‐ rung einer Tour im Automobil. Der fragliche Text sticht freilich hervor: Ein Brief C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 303 34 In: MICHEL 1912: 47-51. Im Folgenden im Lauftext mit Seitennachweis in Klammern zitiert. 35 Dessen exakter Titel auch Ein Brief ist.- Zu Hofmannsthal und Michel vgl. CON‐ CETTI 2002. 36 Vgl. etwa RODA RODA 1909. 37 Vgl. SCHACHINGER 1994 u. ŠEHIĆ 2015. des Rekruten Mustajbegović  34 fingiert ein Schreiben eines wahrscheinlich ebenso fiktiven herzegowinischen Soldaten an seinen Freund Halil in Mostar. Da Michel mit der Wiener Jahrhundertwende wie gesagt persönliche Bekanntschaften und eigene Zugehörigkeitswünsche verbanden, darf über eine gesuchte intertextu‐ elle Nähe zu einer ungleich berühmteren fiktiven Epistel, nämlich Hofmanns‐ thals sog. Chandos-Brief (1902), 35 sicher gemunkelt werden; die dort zum Aus‐ druck kommende beredete Sprachkrise ist freilich eine andere, wie noch zu zeigen sein wird. Nach der Vorlage der literarischen Toren Parzival oder Simplicissimus wird die ungebildet-naive Perspektive des jungen Manns vom Balkan dazu ver‐ wendet, eine Militär- und Zivilisationssatire über Wien anzuzetteln, die ein wenig an Michels berühmteren Zeitgenossen Roda Roda erinnert, von dem ja auch einige bosnische Anekdoten überliefert sind. 36 Zugleich greift Michel hier das Phänomen der militärischen Präsenz des Fremden von der Peripherie in den Zentren auf: Zur Jahrhundertwende waren bosnisch-herzegowinische Soldaten in Wien, Graz und Budapest als exterritoriale Eliteeinheiten der habsburgischen Streitkräfte stationiert. 37 Rührig, aber banal schreibt nun bei Michel der brave Soldat Mustajbegović, dass in Wien die Häuser „alle sehr hoch sind“ (47). In den Gassen fahren „Wagen auf Schienen“: „Sie sollen von einer geheimnisvollen Kraft getrieben werden, die Elektrizität heißt“ (ebd.). Nach einem ähnlich Verfahren fingierter Naivität werden auch der Prater und ein Revuetheater beschrieben, dessen Mädchen „ganz nackte Beine [haben] und oben sind sie offen wie die Bäuerinnen auf dem Felde“ (50). Zudem macht sich Rekrut Sorgen darüber, „ob ich aber jemals die vielen Uniformen werde unterscheiden können, die man grüßen muß, von jenen vielen, die man nicht grüßen braucht“ (48). Hier wird schnell deutlich, dass die Naivität des herzegowinischen Urein‐ wohners in Wien zu einem tieferen Zweck fingiert wird, und zwar nicht nur zur k. u. k. Satire: Mustajbegović wird als freundlicher, reformierbarer Halb-Natur‐ mensch dargestellt, der der Zivilisation bedarf und ihr auch keineswegs feind‐ selig gegenüber steht. Er scheint nicht besonders intelligent, aber lernfähig, sittlich unverdorben und bereit, dem Zentrum zu dienen. Hier schlägt also die Parteinahme (advocating) für die Fremde / n, jenes literarische Lobbying für C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 304 38 Vgl. ČIHÁK 2013. 39 Vgl. TAYLOR 1948 / 1990: 166. 40 SPIVAK 1988 / 1994. 41 Zu ihrem Leben vgl. [ANONYM] o. J. Bosnien-Herzegowina, das Michel häufig betrieben hat, unterschwellig in ein paternalistisches patronizing, ja den hegemonialen k. u. k. Kolonialdiskurs um - eine diskursive Bewegung, die wir bereits bei Peter Altenberg (vgl. Kapitel B.2.) beobachten konnten. Außerdem hielte Mustajbegovićs Brief, wenn man so wollte, einer histori‐ schen Überprüfung gar nicht stand: Wenn man nämlich davon ausgeht, dass der Rekrut mit der Bahn nach Wien verfrachtet wurde, hätte er schon seit 1909 auch beim Zwischenstopp in Sarajevo eine funktionierende elektrische Straßen‐ bahn 38 vorgefunden. Nicht zuletzt jedoch läge aufgrund der insinuierten ge‐ ringen Bildung des Rekruten und zeitgenössischer Sozialstatistiken der Schluss nahe, dass er und / oder der Empfänger seines Briefs möglicherweise in der her‐ zegowinischen Realität um 1900 Analphabeten gewesen wären, 39 also gar nicht in der Lage, ein Schreiben zu verfassen oder zu lesen. Es soll hier jedoch weniger um positivistische Faktenklauberei, sondern nochmals um die grundlegende Frage gehen, die Gayatri Spivak als Titel eines tonangebenden Aufsatzes formuliert hat (Can the Subaltern speak? 40 ), wenn auch etwas anders als dort: Ist der Fremde hier nur eine Fiktion des Eigenen und damit dem Wiederholungszwang von dessen Projektionen ausgesetzt? Wo gründet das Eintreten für die Anerkennung und Wertschätzung des Fremden, das Michels literarische Produktion immer wieder antreibt, auf einem Ort für dessen eigene Stimme - oder führt es nicht vielmehr zur Entmündigung des Fremden? 3. Solidarität / Empathie (Milena Preindlsberger-Mrazović) Ein interessanter Fall, von dem man geneigt ist, sich Alternativen zu den bis‐ herigen zu erwarten, ist Milena Mrazović (1863-1927), Autorin des bereits an‐ zitierten Bosnischen Skizzenbuches. Zum einen war sie eine der wenigen weib‐ lichen Autoren der Zeit, die auf Deutsch über bosnisch-herzegowinische Themen schrieb. Zum anderen war sie selbst eine gebürtige Südslawin, die in Bosnien lebte und somit von Anfang an die gleiche Sprache wie ihre Umgebung sprach. 41 Zusätzlich ist ihre einzigartige Karriere im kulturellen Leben Sarajevos be‐ merkenswert, wurde sie doch als junge Journalistin schon Chefredakteurin und Eigentümerin der Bosnischen Post, der wichtigsten deutschsprachigen Tageszei‐ tung des Okkupationsgebietes. In dieser Funktion, so lassen die in jugoslawi‐ scher Zeit edierten Akten der Landesregierung vermuten, machte sie sich bei C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 305 42 PREINDLSBERGER-MRAZOVIĆ 1900: IV [Hervorh. im Orig.]. 43 PREINDLSBERGER-MRAZOVIĆ 1893.- Seitennachweise erfolgen im Lauftext nach dieser Ausgabe. den österreichisch-ungarischen Behörden durch eine zu große (vermeintliche? ) Nähe zur Bevölkerung unbeliebt, ja verdächtig; als Folge wurde gegen sie int‐ rigiert. 1896 verkaufte sie ihre Zeitung und heiratete den Wiener Chirurgen und Chefarzt des Sarajevoer Landesspitals Josef Preindlsberger. Wie sie freilich selbst in einem Vorwort zu ihrem Bosnischen Skizzenbuch schreibt, bevorzugte sie von da an eher traditionelle Frauenrollen - und lässt sich deshalb nur bedingt als frühe Feministin reklamieren: Den Hintergrund meines Erinnerns nimmt das orientalische Bosnien ein. Dann hiess mich ein Paradoxon des Lebens durch sechs Jahre ein die politischen und wirtschaft‐ lichen Interessen vertretendes Journal in Sarajevo leiten, eine Aufgabe, die mich zu aufmerksamer Beobachtung von Land und Leuten zwang und viele Reisen nötig machte. Und endlich baute mir ein gütiges Geschick vor einigen Jahren hier einen eigenen Herd, und ich konnte meine offizielle Stellung mit der bevorzugten einer Gattin und Mutter tauschen. 42 Außer Reiseliteratur, Feuilletons und einer Sammlung bosnischer Märchen legte Mrazović 1893 auch den Erzählband Selam. Skizzen und Novellen aus dem bos‐ nischen Volksleben vor. 43 Die meisten dieser Prosastücke sind Dorfgeschichten, die sie häufig von Frauenschicksalen ausgehend konsequent in der dritten Person erzählt. Als Thematik zentral ist ihnen die Verhandlung von Geschlech‐ terrollen aus der Position der Schwächeren in einer traditionellen Gesellschaft, die durch die weibliche Perspektivierung der Sympathie der Leser / innen und damit wohl auch impliziter Kritik anheimgegeben wird. Die realistische Äs‐ thetik, die auf einer personalen Erzählsituation fußt, zeigt die Konsequenzen bestimmter Handlung, enthält sich aber des Kommentars. Häufig stehen die Anbahnung einer günstigen Heirat, aber auch die kata‐ strophalen Folgen eines patriarchalisch willkürlichen Umspringens mit Frauen im erzählerischen Fokus. Dabei werden die Knackpunkte einer islamisch ge‐ prägten Kultur durchlaufen: Heiratsvermittlung und die Konkurrenz der Frauen untereinander ebenso wie die rechtlich einfach gemachte und bisweilen leicht‐ fertige Verstoßung von Ehefrauen durch ihren Mann - eine von ihnen wird wie ein Tier am Wegrand sterben (in der Erzählung Zur Unzeit, 203-216) - oder, am eindringlichsten in der Erzählung Abla, die taktische Verheiratung einer häss‐ lichen Frau durch den grausamen wie skrupellosen Vater am Totenbett ihrer Mutter: C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 306 44 Vgl. Eine bosnische Semiramis. In: ebd. 217-76. 45 SIRBUBALO 2012: 145 ff. ‚Was schert sie mich? ‘ schrie er; ‚arabisches Gesindel, nicht werth meiner großen Gnade. Deinethalben, abscheuliche Dirne [gemeint ist die Tochter, C. R.], reiste ich so weit, mit den grössten Opfern fand ich dir einen Mann, dessen letzte Magd zu sein du zu schlecht bist - und nun willst du nicht kommen, wenn ich dir es befehle? ‘ (156) Es ist häufig List, die den Schwachen in Mrazovićs Texten aus ihrer Patsche hilft, sofern der Plot in Richtung eines Happyends steuert; in dem vorhin anzitierten Beispiel ist Tod der einzige Ausweg für Abla (vgl. 166 ff.). Soweit zu den empa‐ thischen Texten; auf der anderen Seite stehen Erzählungen, die die Geschichte einer narzisstischen Frau erzählen, an der naiv begehrende Männer zugrunde gehen. 44 Damit greift Mrazović offenkundig als Tribut an den Zeitgeschmack auf den populär gewordenen literarischen Typus der Femme fatale zurück. In dieser Intertextualität liegt aber auch die Crux der Novellensammlung, denn sie scheint die unterschwellige Solidarität und Empathie, die in der weib‐ lichen Perspektivierung auf die Benachteiligten liegt, zu hintertreiben. Dies liegt auch im Genre begründet: Wie Lejla Sirbubalo in ihrer Dissertation überzeugend nachgewiesen hat, rekurrieren viele der ‚österreichischen‘ Bosnientexte näm‐ lich auf die ästhetischen Konventionen der beginnenden Heimatliteratur um 1900 bzw. der älteren Dorfgeschichte, indem sie deren Muster auf das bosnische Landleben übertragen. 45 Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist das Vorwort zu dem Erzähl‐ band, in dem die Verfasserin schreibt: Welche Vorstellungen macht sich heute das deutsche Lesepublikum von den Bewoh‐ nern Bosniens und der Herzegovina? Im günstigsten Fall gar keine, häufiger aber unklare und unrichtige. […] Jahrhunderte hindurch stand dieses Volk vor der Türschwelle, ohne dass man es beachtete. […] Die edlen feinfühligen Söhne der goldenen Bosna und der tapferen Herzegovina tragen vor Europa noch immer die gleiche Etikette, wie die Congo-Neger [! ]: ‚Bar‐ baren‘ [! ]. [unpag., kursiv im Orig.] Mit dieser Ausgangsposition wird nolens volens doch dem quasi-kolonialen Er‐ wartungshorizont eines deutschsprachigen Lesepublikums Rechnung getragen, ebenso dem Rechtfertigungsdiskurs der österreichischen mission civilatrice, wenn es heißt: „Wohl in keinem Lande sonst knüpfte so unvermittelt moderne C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 307 46 Zur Tendenz der Märchenbzw. 1001-Nacht-Rhetorik in Texten über den ‚Orient‘ vgl. BERNHARD 1996: 132 ff. 47 Vgl. TODOROVA 1997. 48 Vgl. etwa BOURDIEU 1999. Kultur an das Mittelalter an.“ Im Weiteren spricht die Autorin sogar von „eine[r] in tiefstem Frieden sich vollziehende[n] Revolution“ (ebd.). Zugleich wird durch das Aufpropfen der Genre-Konventionen der Heimatli‐ teratur um 1900 im Erzählen vom neuen Reichsland dieses zum exotischen Lo‐ kalkolorit eines „westlichen“ Genres der Modernekritik reduziert - was den mitformulierten aufklärerischen Impetus letztlich hintertreibt. Das bosnische Sozialleben gerät damit gleichsam zum Negativ-Zeugen von etwas ihm Fremden und wird durch die hegemoniale Genreästhetik gleichsam ins Fixierbad gelegt, archaisiert und entfremdet. Dies wird noch durch die orientalistische Topik verstärkt, durch die die Dorfgeschichten mitunter Märchenzüge eines vermeint‐ lich Allgemeinmenschlichen erhalten, damit gleichsam als kakanische 1001 Nacht  46 ihre spezifisch bosnische Sozialproblematik abzustreifen drohen und im Figureninventar des ‚edlen Wilden‘ ihr kritisches Engagement auflösen - ein Mechanismus, dem sich etwa auch Robert Michels verspäteter Roman Die Häuser an der Džamija (1915) nicht entziehen kann. Im Falle Milena Mrazovićs kommt aber noch eine interessante Vervielfälti‐ gung der Spannung von Eigenem und Fremdem ins Bild: Auf der einen Seite verstärkt sie Bosnien-Stereotypen im Sinne eines zeitgenössischen Orienta‐ lismus (oder „Balkanismus“ 47 ) durch den gezielten Einsatz von Geschlechterdif‐ ferenz. Andererseits erhebt sich die Frage, inwieweit sie wirklich über die Fremde schreibt als Südslwain, die lange in Bosnien gelebt hat? Zudem schreibt sie - wie auch die meisten andren Autoren - vor allem über die bosnischen Muslime (die für eine literarische Verwertung den Zeitgenossen wohl maleri‐ scher erscheinen als die anderen - vertrauten - Volksgruppen des Landes), und sie tut dies in einer Fremdsprache: Deutsch. Im Sinne von Pierre Bourdieu 48 sind aber auch systemische Faktoren mitzu‐ denken: also nicht nur, wie die Genrekonventionen und die Lesererwartung der ‚eigenen‘ Literatur die Fremde nolens volens zurichten, sondern auch, wie sich die insulare, aber zugleich exorbitante Zwischenstellung der Frau Milena Mra‐ zović im männlich dominierten Kulturbetrieb des kolonialen Bosnien-Herzego‐ wina auswirkt - ebenso vielleicht wie ihre Abstammung aus gutem Hause, die sie für unsere Augen wie eine bosnische bürgerliche Realistin wirken lässt. Hier könnte eine weitere Analyse von Mrazović-Preindlsbergers publizisti‐ schem und literarischem Schaffen durchaus auf den inzwischen imposant an‐ gewachsenen Gender Studies z. B. zum Harem und anderen orientalistischen C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 308 49 Vgl. HABINGER 2011: 38 u. a. 50 LEWIS 1995: 184. 51 Vgl. ASHCROFT, GRIFFITHS & TIFFIN 2002 u. GYMNICH 2006. 52 Siehe ausführlich dazu bei VERVAET 2013 u. 2015. 53 „An alterist reading attempts to apprehend the structure of colonial power by returning the repressed term of the other to the scene of colonialism, thereby seeming to split open the monolith of domination by giving space to the hitherto unheard perspective of the dominated subject.“ (SULERI 1997: 12) 54 In: KOČIĆ 1986 II. 55 Vgl. dazu auch die Interpretamente bei FOTEVA 2014: 105-116; VERVAET 2015; HAJDARPASIC 2015: 83 ff.; PRELJEVIĆ 2018. Motiven aufbauen: insofern, als diese nämlich auch die Frustration themati‐ sieren, dass die Texte von zeitgenössischen Frauen aus dem ‚Westen‘ nicht we‐ sentlich kritischer als männliche Autoren gegenüber jenen kolonialen bis ras‐ sistischen Bildwelten auftreten, 49 sondern sich genauso - wenn auch anders - gefangen zeigen in imperialem bzw. hegemonialem Denken. Reina Lewis hat dies am Ende ihrer Studie zu Race, Femininity and Representation (1995) wie folgt zusammengefasst: We can […] regard women Orientalists as neither more pure (truthful and un-impe‐ rialist) than men, nor as more susceptible to fantasy (the dangerously gullible female tourist), but as agents whose mixture of observation and fantasy about the East is specifically gendered because of the social and psychological restraints on their ex‐ perience and representation of the Orient. 50 4. „Writing back“? (2) - die Verfremdung des Fremden Leider fehlt hier der Raum - und auch die fachliche Expertise -, um die Per‐ spektive eingehend umzukehren und über Ivo Andrić hinaus (vgl. Kap. C.2.3.) ein bosnisches Writing Back  51 gegen und über die österreichisch-ungarische Herrschaft und deren Hegemonialkultur ausführlich zu würdigen, 52 oder zu‐ mindest „alteristische“ 53 Lektüren zu unternehmen. Auf eine interessante Weise problematisch wäre dies etwa im Fall des Autors Petar Kočić (1877-1916), dem wohl prominentesten serbischen Vertreter eines anti-österreichischen Widerstands im bosnischen Kulturleben, der wegen seiner nationalistischen Agitation von den k. u. k. Behörden verfolgt wurde. In seinem berühmten satirischen Drama Jazavac pred sudom („Der Dachs vor dem Richter“, 1904) 54 präsentiert er einen alten Bauern, der durch die österreichisch-ungari‐ sche Transformation des Landes viel verloren hat, und nun das Rechtssystem der „Schwaben“ dadurch testen möchte, indem er vor dem Bezirksgericht den Dachs anzeigt, der seine Ernte verwüstet hat. 55 C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 309 56 DUBIEL 2005: 57. 57 HAJDARPASIC 2015: 84. 58 Engl. Übersetzung zit. n. ebd. 59 Edin Hajdarpašić schreibt dazu: „national suffering was not a mere legalistic claim wai‐ ting to be verified or refuted by documentary evidence and thus brought to a definitive conclusion, but a new form of political subjectivity, an enduring moral domain where the sentiments, meanings, and imperatives of patriotism were to be discovered, worked out, and brought out into the world.“ (HAJDARPASIC 2015: 87) 60 Die ist auch bereits einigen zeitgenössischen Kritikern aufgefallen „[who] worried that Kočić’s caricature could make the peasant Štrbac appear, however inadvertently, ‚su‐ perficial‘, ‚stupid‘, and unremarkable“ (HAJDARPASIC 2015: 83). Der Text hat ein prekäres Unterfangen: Er möchte die vorgebliche Rechts‐ ordnung einer beginnenden „kakanischen“ Zivilgesellschaft ad absurdum führen und ihr latent anti-bosnisches Gesicht zeigen. Man könnte hier mit Jo‐ chen Dubiel von einer „Umkehrung des kolonialen Blicks“ sprechen, indem dieser zurück auf die Kolonisatoren gerichtet wird. 56 Damit wiederum betreibt Kočić ein geschicktes humoristisches othering der Okkupatoren, dessen natio‐ nalistische Motivation es ist, das k. u. k. Fremde nicht wirklich zu sprechen und schon gar nicht Recht sprechen zu lassen. Dafür kultiviert er „the aggrieved national subject“ als neue idealtypische Figur seiner Literatur mit Stellver‐ treter-Funktion, 57 wenn der Bauer dem Gericht beschreibt, warum er selbst ‚fremd’ wirken muss: ‚I am strange to you because within me there are a million hearts and a million tongues, for I wept here today before this court on behalf of a million souls so deadened by this mighty good and joy that they can hardly breathe.‘ (All stare at him in shock.) 58 Mit dem Leitmotiv des nationalen Leidenswegs, jener (self-)victimization, der im nationalistischen Denken latent dazu ausgelegt ist, in Märtyrertum zu münden, wird eine neue politische Subjektivität geschaffen, wo das Leiden des Indivi‐ duums stets als singulärer Plural auftritt, d. h. auf das Kollektiv verweist, und sich so über jeglichen reality check erhebt. 59 Freilich greift Kočić nicht nur zum Mittel der Stereotypisierung bei der Darstellung der Fremden (des oktroyierten k. u. k. Rechtssystems), sondern auch des Eigenen: der bosnische Bauer wird hier zur dümmlichen Karikatur seiner selbst wie später im jugoslawischen Witz. 60 Außerdem hat Kočić mit seinem Text nolens volens einen Beitrag zur öster‐ reichisch-ungarischen Bürokratie-Satire geliefert, die ihn in eine Linie etwa mit dem Simplicissimus-Autor Gustav Meyrink - oder Roda Roda - stellt und damit über Genrekonventionen quasi wieder eingemeindet in die imperiale Kultur, gegen die er anschreibt: so wie es für nationalistisches Denken signifikant ist, dass es die imagologischen Hierarchien nicht in toto als inadäquat zurückweist, C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 310 61 Vgl. SAID 1993 / 94: 257 f. 62 Vgl. die Dissertation von SIRBUBALO 2012 sowie die existierenden Arbeiten von Stijn Vervaet. 63 WALDENFELS 1990 / 95: 9. 64 BACHMANN-MEDICK 1997: 10. 65 Ebd. 11. 66 Vgl. u. a. WIERLACHER & STÖTZEL 1996. sondern alternativ interpretiert oder auf den Kopf stellt. Auch das ist ein von Edward Said u. a. wiederholt offengelegtes Kennzeichen post / imperialer Kul‐ turen in Phasen vor und während einer stattfindenden Dekolonisierung, das in jenen das Fortwirken der Kolonialzeit und ihrer Bilderwelten im post-colonial aftermath - und nicht deren effektive Aufhebung - indiziert. 61 5. Ausblick: Ver- oder Entfremdung? Als vorläufige Conclusio dieser thesenhaften Abschluss-Skizze, die sich als Vor‐ arbeit wie auch als Nebenstück zu umfangreicheren Untersuchungen versteht, 62 muss eingeräumt werden, dass die Beschränkung auf ein Korpus literarischer Texte, die in einem quasi-kolonialen k. u. k. Kontext entstanden sind, vielleicht nicht unbedingt geeignet ist, um jene „responsive Ethik“ zu verwirklichen, wie sie etwa der Fremdheitsphilosoph Waldenfels als Antwort auf seine eingangs zitierte Frage gefordert hat: „Wie können wir auf Fremdes eingehen, ohne durch die Art des Umgangs seine Wirkungen, seine Herausforderungen und An‐ sprüche zu neutralisieren oder zu verleugnen? “ 63 Gemeint ist hier offenkundig eine Sprechweise, die das Fremde als selbstständigen und eigenrechtlichen Partner zulässt, der nicht vom Eigenen her projiziert wird und diesem nicht um jeden Preis angeglichen werden soll. Hier gilt auch mutatis mutandis, was Doris Bachmann-Medick über den west‐ lichen Orientalismus (nach Said) formuliert hat: Beansprucht dieses Diskurs‐ system eine symbolische „Darstellungsgewalt über den Orient als Gegenwelt“, wobei diesem die „Fähigkeit zu eigener Artikulation“ abgesprochen wird (nach dem Prinzip: „für andere sprechen und damit Herrschaft ausüben“) 64 , so wäre das vorgetragene Gegenmodell dialogisch, d. h. „wechselseitiges Aushandeln von Bedeutungen, von reziproken Formen der Übersetzung“. 65 Fast alle Theoretiker / innen des Fremden haben nun die Bedeutung des „Blickwinkels“ als seinen Gegenstand perspektivierenden und damit konstitu‐ ierenden Zugang herausgestrichen. 66 Genau hier müsste die vorher gestellte Frage auch das ästhetische Moment der Vermittlung einbeziehen: Ist denn Er‐ zählliteratur als Medium überhaupt in der Lage, eine wirkliche Dialogizität her‐ zustellen, oder sind hier andere - interaktivere - Medien der Kultur nicht besser C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 311 67 Vgl. DUBIEL 2005: 51. 68 Vgl. BHATTI & KIMMICH 2015. dafür geeignet? Bleibt literarische Fiktion letztlich nicht immer - und das ist mitunter auch ihr Verdienst - ein historisches Dokument von ambivalenten wie projektiven Fremdheitskonstruktionen? Oder, anders gefragt: Ist Literatur wirk‐ lich zu jener Responsivität imstande, zumal es ja für narrative Fiktion wesentlich ist, dass sie das Fremde immer vom Eigenen aus konstruiert, und dies in zweierlei Hinsicht: sowohl im durch das Medium gegebenen Zwang zur Erzählperspek‐ tive als auch im Vorgang des literarischen Schaffens aus der (biografisch-sub‐ jektiven) Ich-Welt eines Autors heraus (quasi seinem „inneren Ausland“)? Vielleicht können wir die utopisch geforderte Responsivität nur realisieren, wenn wir das Fremde selbst sprechen und schreiben lassen (auch wenn hier die meist notwendige Übersetzung letztlich wieder eine Aneignung bedeutet), vor allem aber, wenn wir uns im Sinne Kristevas als intern immer schon gespalten und damit als fremde Phantome unser selbst erfahren. Oder wenn das Fremde und das Eigene in der hervorbringenden Erzählperspektive nicht mehr als ge‐ trennt wahrgenommen werden, sondern als unauflösbares Hybrid - oder Kon‐ glomerat - vorkommen, 67 wie das etwa bei vielen heutigen Texten der Fall ist, die aus einem Migrationskontext heraus entstanden sind. Dies scheint freilich ein postmodernes Format der Implosion der Dyade des Eigenen und Fremden, von Nähe und Distanz zu sein, das etwa einer Milena Mrazović noch fremd ist, die im Schreiben über das Fremde die hegemoniale Perspektive eines ihr letztlich auch fremden ‚Eigenen‘ annimmt und damit eine mögliche Nähe distanziert. Radikaler geschieht die Distanzierung des Fremden (zur Horrorfigur) beim völkischen Propagandisten Strobl, während dort, wo das Eigene als Advokat des Fremden auftritt - bei Michel -, in der Nähe dessen Entfremdung, ja Entstellung letztlich nicht viel anders anmutet als bei Strobl. Vielleicht aber besteht die Crux einer gegenwärtigen Kulturwissenschaft oh‐ nehin darin, das sie auf dem Wiederholungszwang einer mantrahaft kulti‐ vierten, ja fetischisierten Differenz im Zeitalter des europäischen Imperialismus basiert und nicht etwa auf einem (neuen? ) Begriff von Ähnlichkeit, wie dies ein jüngst erschienener, prominent besetzter Sammelband moniert hat. 68 Auf ihn werden wir zum Abschluss der vorliegenden Studie noch zu sprechen kommen. C.3. Besetzungen (iii): Lit. Konstruktionen der bosnischen Fremden 312 Teil D: SynThesen & SchlussWorte 1 MANTEL 2009: 66. 2 MIGUOUÉ 2017: 39. D.0. Am Ende Beneath every history, another history. (Hilary Mantel, Wolf Hall) 1 Wir sind damit am Schluss unserer Ausführungen angelangt, die versucht haben, die sporadischen Forschungsarbeiten von fünfzehn Jahren zusammen‐ zuführen und die Frage zu beantworten, wo denn Habsburgs ‚Dark Continent‘ lag: nämlich in seinen kryptokolonialen Ambitionen innerhalb Europas. Einiges steckt zugegebenermaßen trotzdem noch in den Anfängen - und es sei hiermit der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass diese Anregungen aufgegriffen und bei‐ spielsweise in spezifischen Dissertationen detaillierter und umfassender entwi‐ ckelt werden mögen. Vielleicht konnte aber doch mit der vorliegenden Monografie die Existenz, ja die mehr oder weniger unterschwellige Wirkungsmacht von kolonialen Vor‐ stellungen und Ideologemen wie der mission civilatrice innerhalb der deutsch‐ sprachigen Hegemonialkultur der k. u. k. Monarchie nachgewiesen werden, ob‐ wohl dies vom habsburgischen Mythos eines besseren Gestern nach wie vor dementiert wird. Um in der Bildlichkeit von Haut und Einschreibung zu bleiben, die Kafkas erschreckend inspiriende Strafkolonie für die Kolonialität selbst be‐ reithält, handelt es sich wohl um die Disziplinarmaschine eines Dispositivs im Sinne von Foucault, die sowohl ‚subkutan‘ als auch (meist) unsichtbar arbeitete. Wie der kamerunische Germanist Jean Bertrand Miguoué über Altenbergs Afrika-Text richtig schreibt, finden nämlich die in Ashantee aufgezeichneten und dargestellten Ereignisse […] in einem europäischen Land statt, das zwar erfolglose Versuche unternommen hat, im kolonialen Wettbewerb Fuß zu fassen, trotzdem aber den Kolonialismus und das kolonialistische Weltbild legitimiert und unterstützt. Tatsächlich bedeutet dieser Misserfolg der Donaumonar‐ chie bei der Eroberung von Kolonien in Übersee keineswegs die Abwesenheit einer kolonialen Ideologie oder eines kolonialen Denkens in Österreich. 2 Diesem Befund kann sich die vorliegende Studie nur voll und ganz anschließen: Kolonial(istisch)e Motive und Denkfiguren fanden sich durch das gesamte un‐ tersuchte Textkorpus hindurch; sie werden ex post sichtbar und dies durchaus mit Erkenntnisgewinn. In ironischer (und freudianischer) Aneignung einer zentralen Denkfigur des Orientalismus, der Ver- und Entschleierung, könnte man auch vom doppelten Manifestwerden eines latenten Inhalts dieser kulturellen Texte im Zuge ihrer Analyse sprechen: Identitäre Konstruktionen, ethnische Differenzierungen und Herrschaftsphantasien erweisen sich dabei als die kolo‐ nialen Untertöne des literarischen Kanons, aber auch der untersuchten Ge‐ brauchstexte; in einem zweiten Schritt zeigt sich dieser basso continuo aber meist ebenso auf die ethnisch heterogene innere Verfasstheit des Habsburger Reiches und dessen Hierarchien bezogen, was die entlehnten Bilder der Kolonialität je nach Fall bestärkt oder untergräbt. Als Spezialfall präsentiert sich indes Bosnien-Herzegowina, wo das k. u. k. Kolonial-Dispositiv wohl am deutlichsten in die Praxis umgesetzt wurde - womit der Nachfolgestaat dieses einzigen(? ) habsburgischen ‚Schutzgebiets‘ sensu stricto heute nicht nur im einem zweifachen postimperialen Bezugs‐ rahmen steht (Osmanisches Reich und Österreich-Ungarn), sondern auch deut‐ liche Berührungspunkte mit dem sog. Global South aufweist: war es Zufall, das Titos Jugoslawien (als mögliches drittes [Klein-]Imperium in der bosnischen Tradition) mit seiner federführenden Rolle in der supranationalen Organisation blockfreier Staaten eine besondere postkoloniale Affinität und Sensibilität weit über das Niveau anderer europäischer Staaten hinaus entwickelte? - Was über diese allgemeinen Feststellungen hinaus auf den verbleibenden Seiten noch zu tun bleibt, ist: aus den ästhetisch-historischen Mikrokosmen der un‐ tersuchten Fallstudien heraus zu abstrahierbaren Befunden zu gelangen, die versuchen, die Topoi und Tropen [sic] des k. u. k. ‚Kolonial‘diskurses im inter‐ nationalen Vergleich als kulturelles Raster für eine imperiale Annäherung an das zu beherrschende Fremde zu beschreiben - auch als Prolegomena für künf‐ tige Forschungsarbeiten. Außerdem wird noch ein kurzer Blick auf andere ko‐ loniale Phänomene in Österreich zu werfen sein sowie auf das ‚subkutane‘ Wei‐ terwirken des beschriebenen Vorstellungskomplexes bzw. seine Bearbeitung bis zum heutigen Tag. D.0. Am Ende 316 1 HALL 1996: 259. D.1. Ergebnisse der FallStudien We always knew that the dismantling of the colonial paradigm would release strange de‐ mons from the deep, and that these monsters might come trailing all sorts of subterranean material. (Stuart Hall) 1 Wie gezeigt werden konnte, ist eine stimmige und auch erhellende Lektüre kul‐ tureller Texte aus dem imperialen Österreich entlang postkolonialer Theoreme und Fragestellungen durchaus möglich und sinnvoll. So spielte Kolonialismus sowohl als Befund, Befindlichkeit und Betrachtungsweise in den vorhergegan‐ genen Analysen eine große Rolle - am deutlichsten wie gesagt in österreichi‐ schen und reichsdeutschen Textdokumenten, die sich auf das k. u. k. Intermezzo in Bosnien-Herzegowina (1878-1918) beziehen. In Bezug auf dieses letzte geo‐ politische Abenteuer des Habsburger Reichs vor dem Ersten Weltkrieg lässt sich ganz klar von einem österreichisch-ungarischen Quasi- oder Ersatzkolonia‐ lismus sprechen, gleichsam als Parallelaktion zur großen Expansion der anderen europäischen Mächte in Übersee (aber auch innerkontinental im Fall Russ‐ lands) - in jenem „Age of Empire“ (Hobsbawm) im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, das seine Einflusssphären, „Schutzgebiete“ und Märkte so dras‐ tisch und letztendlich fatal erweiterte. Daneben finden sich das ganze lange 19. Jahrhundert hindurch literarische Texte aus den deutschsprachigen Teilen Cisleithaniens und des Königreichs Ungarn, die krypto-koloniale Phantasien entwickeln, welche häufig mit dem hegemonialen Status der Deutsch-Österrei‐ cher / innen verzahnt sind, der Frage nach dem (Habsburger) Reich, seinen Herr‐ schaftsverhältnissen und seinem Fortbestehen, während nicht-deutschspra‐ chige Texte eine koloniale Motivik bzw. Rhetorik eher als herrschaftskritisches Instrumentarium integrieren. Platt ließe sich formulieren: Man muss nur genau hinsehen, um koloniale Vorstellungen, Obsessionen und versuchte Umsetzungen in der k. u. k. Kultur zu finden. Dabei haben sich die in den Kapiteln A.1.3. und A.2.10. präsentierten Kategorien und Frageperspektiven als wichtige Vorgaben für die eigene Lektüre herausgestellt - auch wenn sie nicht akribisch und konsequent ‚angewandt‘ 2 Dennoch erwies sich die große Produktivität des Post / Kolonialismus-Paradigmas ge‐ rade in seiner Übertragung als Koncept (vgl. dazu Edward Saids Aufsatz Theorien auf Wanderschaft (1997) sowie Mieke Bals Buch Travelling Concepts in the Humanities. A Rough Guide (2002); ebenso Stefan Simoneks vorzüglichen Aufsatz Mitteleuropa als Schnittstelle interner und externer Theorieangebote von 2015, der mir erst nach Abschluss des folgenden Buches zugänglich war). 3 Quellennachweise von SPURR 1993 erfolgen in der folgenden Aufzählung in Klam‐ mern. 4 Vgl. in diesem Kontext für Balkan-Texte außerhalb unseres Untersuchungszeitraums PREVIŠIĆ 2014. wurden, um nicht der Illusion eines bereits fix und fertig existierenden tool set zu erliegen. 2 Dies gilt etwa für die von David Spurrs Buch Colonial Discourse in Journalism, Travel Writing and Imperial Administration (1993) aufgestellte Liste von Merkmalen einschlägiger Narrative, 3 die sich durchaus auch in unserem k. u. k. Textkorpus auffinden ließen: 1) „Surveillance“ (13 ff.): Anhand der untersuchten Texte zeigte sich immer wieder die Bedeutung von ästhetisch vermittelten „Blickregimes“ für die Dar‐ stellung subalterner Menschen, ‚Wilder‘, ‚Barbaren‘, Ureinwohner / innen etc., d. h. die Sichtweisen und Erzählperspektiven im Kolonialdiskurs. Die Frage Spurrs erwies sich dabei als wichtiger heuristischer Anstoß: Wer hat das „pri‐ vilege of the gaze“ (13) bzw. das Blick- und Beschreibungsmonopol, und wer wird angesehen, ohne zurückblicken zu dürfen? Auch die Rolle von Topogra‐ fien, 4 Landschaftsbeschreibungen (15) und ästhetisierten Körperbildern (22) - besonders im Fall der Ashanti - konnte in den Einzelanalysen herausgestrichen werden. 2) „Appropriation“ (28 ff.): Auch phantasmatische Motive der Aneignung fremder Länder und Menschen - gleichsam unter einem waltenden Naturrecht (der ‚Stärkeren‘ bzw. ‚Zivilisierteren‘) - kommen immer wieder zur Sprache, am stärksten wohl in Renners Mini-Märchen von Bosnien als Sleeping Beauty. 3) „Aestheticization“ (43 ff.): Der koloniale Blick ästhetisiert z. B. soziales Elend zu pittoresker Armut und definiert, was ‚authentisch‘ autochton ist und was nicht; dies kommt u. a. stark bei der historisch wechselhaften Beschreibung bos‐ nisch-herzegowinischer Behausungen zum Tragen. 4) „Classification“ (61 ff.): Das Privileg des Kolonisators, die Fremde gemäß seinen eigenen willkürlichen Kriterien in Kategorien einzuteilen, zeigte sich beispielsweise stark im Fall bosnisch-herzegowinischer Identitätspolitiken. 5) „Debasement“ (77 ff.): Diese Projektionen von Angst, Schmutz und Ekel erzeugen strategisch „the horror of the Other“ (79) und lassen den „struggle aginst the lotuslike powers of an unknown land“ (80) als heroische Herausfor‐ D.1. Ergebnisse der FallStudien 318 5 Catherine Rigby schreibt: „For challenging the myth of the noble savage, Grillparzer has also had to rewrite the Rousseauian romance of personal and social regeneration“ (RIGBY 1996: 183). derung für den Kolon erscheinen. Jenes fremde Andere als Abjekt zeigte sich mitunter in Veteranenberichten von der Okkupation Bosniens. 6) „Negation“ (92 ff.): Dieser Beschreibungsmodus vermag das Fremde / An‐ dere nur als Verneinung bzw. Gegenteil des Eigenen („state of nothingness“- 97) erfassen, als „incapacity to enter into the basic systems of thought that make civilized life possible“ (104). Dies trifft etwa auf die Landschaftsbeschreibungen in Grillparzers Argonauten-Trilogie zu, die Kolchis v. a. als Verneinung Grie‐ chenlands fassen. Wiederholt öffnet sich so in den untersuchten Texten für den Betrachter ein ‚Heart of Darkness‘ (95), das eigene ‚Zivilisation‘ und Identität radikal durchkreuzt, ja auslöscht. 7) „Affirmation“ (109 ff.): Strategien der (Selbst-)Bestätigung der kolonialen Präsenz und der mission civilizatrice finden sich in großer Zahl nachgerade als Mantra österreichisch-ungarischer Präsenz in Gebrauchstexten, die Bos‐ nien-Herzegowina behandeln. 8) „Idealization“ (126 ff.): Gemeint ist die Idealisierung des / der Fremden/ An‐ deren/ Eingeborenen z. B. zum / zur ‚edlen Wilden‘, zur Gegenwelt der Moderne, die nicht nach utilitaristischen Prinzipien organisiert ist (129). Dieses scheinbare Glück des ‚Rückständigen‘, findet sich in nahezu allen analysierten Textdoku‐ menten, wobei jener Vulgär-Rousseauismus ein imaginärer, phantasmatischer und begrenzter ist, oder bei Grillparzer auch durchaus kritisch gesehen wird, wenn die edle Wilde Medea, in den Strudel interkultureller Gewalt und Herr‐ schaftslogiken gerissen, nur selbst zum Ungeheuer werden kann. 5 9) „Insubstancialization“ (141 ff.): Dies bezeichnet z. B. die Auflösung der Leit‐ differenz von ‚innen‘ und ‚außen‘ unter dem Eindruck des fremden Lands und seiner Menschen. Dieser narrative Kunstgriff war an den untersuchten Texten weniger zu bemerken, außer bei den belletristischen Stichproben, die mitunter auch so etwas wie Ich-Verlust thematisieren (vgl. Jason-Medea im letzten Teil von Grillparzers Trilogie sowie den Ich-Erzähler der Anderen Seite und des Bo‐ gumilensteins etc.) 10) „Naturalization“ (156 ff.): Die Biologisierung und Bestialisierung des An‐ deren ist - vielleicht ob des geringeren Ähnlichkeitsgefälles in Zentraleuropa - kaum anzutreffen; ex negativo (als kritisches Instrument) nur in Altenbergs Ashantee-Afrika. 11) Gendering bzw. „Eroticization“ (170 ff.): Die intersektionale Aufladung kul‐ tureller Alterität mit Gender bzw. Sexualität war in nahezu allen untersuchten Texten zu bemerken, ob sich diese jetzt der Jungfrau / Zauberin / Mutter / Mör‐ D.1. Ergebnisse der FallStudien 319 6 Die Analyse des intersektional verschränkten othering, d. h. das gendering im Verbund mit der latenten bis manifesten Erotisierung der kolonialisierten fremden Kultur, steht seit Jahren im Brennpunkt der postkolonialen Forschung einer zweiten Generation; vgl. McCLINTOCK 1995; ZANTOP 1997: 46ff; STOLER 2002 / 2010; UERLINGS 2001, 2004; u. v. a. 7 Zur Leitvorstellung der Familie vgl. das grundlegende kulturwissenschaftliche Werk von KOSCHORKE 2000. derin Medea widmeten oder badenden jungen Bosnierinnen. Deren Darstellung folgt häufig, wie schon Spurr zeigte, „principles of unveiling and repetition“ (175), und ist einer Dialektik von Angst und Begehren unterworfen. 6 Daneben haben sich im Zuge unserer Textanalysen aus der postkolonialen Frage-Perspektive heraus weitere Knotenpunkte, Überlappungen o. ä. heraus‐ kristallisiert, die immer wieder auftauchten und so dem Buch nolens volens ein gewisses strukturelles Skelett verliehen: 12) Die literarischen Texte stellen für ein inländisches Publikum fikti‐ onal-phantasmatische „Kontaktzonen“ mit dem Fremden (Pratt) her, deren Status liminal und instabil ist. An ihrem Endpunkt steht indes nicht die Vermi‐ schung, sondern die Rückkehr in klar getrennte Bereiche des Eigenen und des Fremden. Hybridisierung spielt meist keine Rolle oder wird eher als bedrohlich erfahren. 13) ‚Zivilisation‘ vs. ‚Barbarei‘: Diese fetischisierte Leitdifferenz kolonialen Denkens erweist sich mitunter als brüchig und unterliegt vielleicht gerade des‐ halb einem manischen Wiederholungszwang in der Rhetorik der Texte. Ein häufiges Beispiel wäre die mission civilatrice, die machtwie angstvoll reiteriert werden muss, um den Ausschluss des Anderen zu bekräftigen, damit die fiktive Ordnung des Eigenen aufrecht erhalten werden kann und nicht unter der Ein‐ wirkung des Fremden kollabiert - wie dies im Bogumilenstein, aber auch in den Veteranenberichten von 1878 lesbar wurde. 14) Familienaufstellungen: 7 Die literarisch phantasierten Begegnungen mit dem Fremden werden vielfach als enge soziale Beziehung nach Familienvorbild imaginiert und führen auch manchmal zu fiktiven Vereinigungen, die freilich nur von kurzer Dauer sind. In den analysierten Texten gibt es scheiternde Ehe‐ paare ( Jason-Meda), einen ‚Hausfreund‘ („Sir Peter“ in Ashantee), einen un‐ sichtbaren Vormund (Brief des Rekruten M.) und eine allmächtige Vaterfigur (in Kubins Anderer Seite). Dahinter lässt sich der Wunsch nach Vereinnahmung und geregelten / geordneten Verhältnissen mit dem / der Fremden vermuten - aber auch eine Tiefenpsychologie im Sinne Freuds, die das Familiäre und das Un‐ heimliche miteinander verbindet. Dagegen wurde nur in Ausnahmen - wie bei Grillparzer oder in Der Bogumilenstein - ein direkter Konflikt mit dem Fremden D.1. Ergebnisse der FallStudien 320 8 Vgl. BHABHA 1990 u. REISENLEITNER 2003. dargestellt (das sich manchmal freilich auch als untereinander feindselig ge‐ sonnen erweist). 15) Interessant ist auch - mit Bhabha und Reisenleitner gesprochen - das Verhältnis von „Nation and Narration“. 8 Dabei hält Kakanien nicht nur den Na‐ tionalismen seiner (kolonisierten) Völker den unionistischen Staatspatriotismus („Viribus Unitis“) als hegemoniale Kultur und - im Falle Bosnien-Herzego‐ winas - auch als unverhohlen koloniales Pathos entgegen, das die Pax Austriaca als Völkerharmonie beschwört; wie Edin Hajdarpašić gezeigt hat, wird kultur‐ elle Differenz auch strategisch vom imperialen Zentrum und nicht nur von seinen zentrifugalen Gegner / innen erzeugt, um wie im ethnografischen Kron‐ prinzenwerk gewissermaßen jeder Ethnie ihren Platz in dieser besten (habsbur‐ gischen) aller Welten zuzuweisen. Diese Doppelstrategie hat mitunter etwas Widersprüchliches, Aporetisches, ja Kontraproduktives an und in sich. 16) Speaking in tongues: Bei den Textanalysen wurde mehrfach auf die semi‐ nale Bedeutung von Gayatri Spivaks Essay Can the Subaltern Speak? hinge‐ wiesen, stellt sich doch allen Fällen die Frage: ‚wer spricht? ‘ Dahinter steht die zentrale politische Opposition von Mündigkeit und Entmündigung. Die verhan‐ delten Texte entscheiden sich meist für Letzteres, d. h. sie lassen ganz im Sinne eines Kolonialdiskurses das Eigene - gewissermaßen in einem Ventriloquismus der Alterität - als Bauchredner (Advokat, Platzhalter etc.) für die Fremde(n) auf‐ treten, die damit nur bedingt zu Wort kommen; dies gilt auch für wohlmeinende Textprojekte wie etwa Robert Michels Brief des Rekruten Mustajbegovic oder Grillparzers Medea. Dagegen versuchen Texte wie etwa Petar Kočićs Dachs vor dem Richter, die Mündigkeit als native agency wiederherzustellen, indem das Recht der Kolonisatoren gegen diese selbst gewendet wird - was sich angesichts der beschriebenen Mechanismen übernommener Fremd-Stereotypisierung als schwierig, ja aporetisch gestaltet. Die koloniale Verzerrung des Fremden lässt - wie auch in anderen postkolonialen Kulturen - eine nativistische Authentizität nicht mehr zu; beide Seiten haben bei allem Rousseauismus letztlich ihre ‚Un‐ schuld‘ verloren. 17) Schließlich lässt sich hinter vielen der besprochenen Texten ein koloniales Begehren nach Stabilisierung der Differenzen und Fixierung des Fremden / An‐ deren bemerken, das eine ‚klare‘ Herrschaft ermöglicht, in unserem Fall die Hegemonie der österreichisch-ungarischen Gesellschaftsordnung (die sich freilich selbst mit kultureller Differenzen und konfligierenden Hegemonieansprüchen durchsetzt zeigt, so dass sich das Eigene im Anderen katastrophal als heterogen wiedererkennt; dessen Unheimlichkeit ist also auch hier im Freud’schen Sinne D.1. Ergebnisse der FallStudien 321 familiär vertraut). Jenes imperiale Identitätsprojekt, mit dem die Ordnung gleichsam zur Ruhe kommt, ist jedoch - und hiermit sei auch Homi Bhabha Recht gegeben - in der Widersprüchlichkeit der zur Darstellung kommenden Bild-Ökonomien kaum möglich. Es bleibt also auch in den affirmativsten Ord‐ nungsversuchen ein Moment der Störung bzw. Verstörung durch das Fremde. 18) Dabei soll freilich nicht unterschlagen werden, dass das Fremde (und seine zumindest phantastierte koloniale Zähmung) eine exotistische Ware ist, die den Voyeurismus der Leser / innen ansprechen / befriedigen soll, indem sie sie in ihrer Phantasie aus dem banalen k. u. k. Alltag abholt; die Konsumption dieser durch Texte und Bilder vermittelten Kulturgüter hat etwas zumindest potenziell Af‐ firmatives an sich, wobei durchaus Nebenwirkungen (s. o.) auftreten können. Nach dieser Liste von Befunden, die die Einzelanalysen zusammenzuführen möchten, bleibt noch, diese in einen weiteren Aufriss zu stellen, der im Fol‐ genden in historischer Hinsicht (ante und post) wie auch theoretisch skizziert werden soll. D.1. Ergebnisse der FallStudien 322 1 SAID 1993: 12. 2 Vgl. etwa EWEN & EWEN 2006. D.2. Einige Ausblicke: Meinl-Mohr, Vampir, Handke & Zeh We must take stock of the nostalgia for em‐ pire, as well as the anger and resentment it provoques in those who were ruled, we must look carefully and integrally at the culture that nurtured the sentiment, rationale, and above all the imagination of empire. (Said) 1 Sind koloniale Vorstellungsschemata das epistemologische Produkt des langen 19. Jahrhunderts, wo biologistische bzw. rassistische Theorien die kulturalisti‐ sche Aufsplitterung der Welt nach Herder neuerlich in den Kontext einer (’wis‐ senschaftlichen’) Great Chain of Being stellen 2 und für den europäischen Impe‐ rialismus pseudo-wissenschaftliche Legitimationen - mission civilatrice, White Man’s Burden, etc. - generieren? Oder haben diese Denkformen z. B. in Öster‐ reich eine Vorgeschichte, die länger zurückreicht und in den Türkenkriegen der Frühneuzeit eine wesentliche formative Phase erlebt? Als Kronzeuge für diese weiter ausholende Hypothese, die die europäische Aufklärung mit einbezieht, kann ein interessantes, wenngleich auch reichlich unkonventionelles Wesen nominiert werden: der südosteuropäische Vampir als Figur der Literatur und Populärkultur. Mit ihm wird die europäische Öffentlichkeit im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts vertraut gemacht, als große Teile des Westbalkans nach dem erfolgreichen Feldzug Prinz Eugens gegen die Osmanen unter habsburgischer Besatzung stehen. Als sich nämlich in den serbischen Dörfern Kisolova (Kisiljevo) 1725 und Medvedja 1731 / 32 die Einwohner/ innen plötzlich von ihren eigenen Toten be‐ droht fühlen, werden fact-finding missions österreichischer Militärärzte an die Orte der unheimlichen Vorkommnisse geschickt. Ihre Berichte, die heute noch im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv aufbewahrt werden, stellen die Basis für die spätere Herausentwicklung der Vampirgestalt in der europäischen Ro‐ mantik dar. In unserem Kontext ist freilich signifikant, dass der Vampir das Kind einer quasi-kolonialen Besatzungszeit ist, in der gegenseitiger Argwohn, ja Pa‐ 3 Der Vampir wird im Übrigen aus österreichischer Sicht auch ein exotisch vollmundiges Kernmotiv bosnischer Folklore darstellen (z. B. im Werke des Slawisten und Folkloristen Friedrich S. Krauss), das schaurige Geschichten bereitstellt wie auch den Aberglauben der neuen k. u. k. Gebiete desavouiert. 4 Zur Entstehung des modernen europäischen Vampir-Phantasmas vgl. RUTHNER 2002 u. 2011. Eines meiner nächsten Buchprojekte wird eine Literatur- und Kulturgeschichte des ‚deutschsprachigen‘ Vampirs sein. 5 Vgl. etwa LONGINOVIĆ 2011. 6 Siehe dazu etwa HEISS & FEICHTINGER 2013b u. SEIDLER 2017. ranoia kultiviert werden. Die misstrauischen Dorfbevölkerungen stehen zum ersten Mal nach Jahrhunderten osmanischer Herrschaft wieder unter christli‐ cher Vormundschaft, die ihrerseits ‚aufgeklärt‘ auf ihren ‚Aberglauben‘ herab‐ blickt: Can the Subaltern Speak? In dieser Situation nimmt es nicht wunder, dass nun plötzlich die Toten wiederkehren und die Lebenden nachholen: als Trauma-Symbol der Nachkriegsära und des Herrschaftswechsels, in einer Art von Massenhysterie, die der Gruppendynamik von Hexenverfolgungen nicht unähnlich ist. 3 Die österreichischen Ärzte suchten nach Symptomen an den verdächtigen serbischen Leichnamen, während für die Dörfler / innen von Kisolova und Med‐ vedja der Lebenswandel der Toten und die Todesumstände dafür entscheidend waren, wer ein „Vampyr“ wird - ein Wort, das es in dieser Form vor 1725 / 1732 offenkundig in keiner europäischen Sprache gibt; auch das Blutsaugen ist diesem Revenant ursprünglich nicht wirklich essentiell, sondern es tritt eher durch die Berichte - und Fehlinterpretation der Ärzte? - in den Beschreibungs‐ katalog ein. Der Verdacht liegt also nahe, dass der Vampir, wie wir ihn heute kennen, auf ein (in diesem Fall produktives) kulturelles Missverständnis zwi‐ schen ‚Zivilisation‘ und ‚Barbarei‘ zurückgeht - Transfers, wie sie im kolonialen Kontext des 19. Jahrhunderts noch oft passieren werden. 4 Gleichzeitig bleibt der Vampir auch unterschwellig ein stereotypes Emblem (süd)osteuropäischer Al‐ terität 5 und wird später zur Migrationstrope: auch das als Ergebnis seiner (post)kolonialen Geistesgeschichte als Phantasma. Abgesehen von den Türkenkriegen und ihren Folgeerscheinungen - die we‐ sentlich eine formative Phase insbesondere für einen österreichisch-ungari‐ schen Populär-Orientalismus darstellen mögen, der ursprünglich Feindbild ist, bevor er als Modephänomen positiv umkodiert wird 6 - findet man die meisten Belege eines (krypto-)kolonialen Denkens in der Habsburger Monarchie wohl im langen 19. Jahrhundert, d. h. zwischen 1815 und 1914: insbesondere nach dem erzwungenen Ausstieg Österreichs aus dem deutschen Vereinigungsprojekt mit der Schlacht von Königgrätz 1866. Dabei mag auch die zunehmende Margina‐ D.2. Einige Ausblicke: Meinl-Mohr, Vampir, Handke & Zeh 324 7 Vgl. SIMONEK 2001 / 02. 8 Wie dies teilweise schon in den Arbeiten von VERVAET 2004, 2013, 2015 u. 2018 sowie PRELJEVIĆ 2016 u. 2018 geschehen ist. Ebenso erwähnenswert sind die Arbeiten des Wiener Osteuropa-Historikers Christoph Augustynowicz (die hier nicht berücksichtigt wurden, da sie zumeist außerhalb des gewählten Südost-Fokus liegen). lisierung der k. u. k. Monarchie gegenüber dem wilhelminischen Kaiserreich eine nicht unwichtige Rolle bei ihren Großmachtphantasien nach innen bzw. in Richtung Balkan spielen. Die in unserer Studie präsentierten Stichproben aus der deutschsprachigen habsburgischen Leitkultur machen zugegebenermaßen nur einen kleinen Teil des potenziellen Korpus aus. So wären denn auch Forschungen zu weiteren li‐ terarischen Texten aus dem österreichischen Kanon des langen 19. Jahrhunderts wünschenswert: beispielsweise zu Grillparzers Ein treuer Diener seines Herrn und Libussa, Stifters Brigitta, Abdias und Witiko, zu Marie von Ebner-Eschen‐ bach oder Ferdinand von Saar (z. B. Die Steinklopfer oder Die Troglodytin), ebenso wie zu Leopold Sacher-Masoch und Emil Franzos - und zum Ausklang natürlich auch zu Robert Müller, Robert Musil und Joseph Roth (wobei zu den fünf letzt‐ genannten Autoren einschlägig wichtige Vorarbeiten durchaus vorliegen, nicht nur seitens des Teams von Kakanien revisited). Darüber hinausgehend wären auch die Texte der großen Orient-Reisenden jener Zeit, wie z. B. Ida Pfeiffer (1797-1858) und Alois Musil (1868-1944), Cousin des Autors des Jahrhundert‐ romans Der Mann ohne Eigenschaften, einzubeziehen: Auf sie einzugehen, hätte den Rahmen unserer Möglichkeiten gesprengt, und doch wären sie wichtige Zeitzeugen für eine umfassende Analyse kolonialen Gedankenguts in der k. u. k. Monarchie. Generell würde sich dabei empfehlen, eine doppelte Optik einzunehmen, die hegemoniales und anti-hegemoniales Schreiben ebenso be‐ rücksichtigt wie die latent subalterne Position, die Österreich zunehmend ge‐ genüber dem Deutschen Reich einnimmt und die es selbst zu einer „Semiperi‐ pherie“ (Immanuel Wallerstein) macht. Ebenso gälte es, jene Anregung von Stefan Simonek 7 aufzugreifen und die koloniale Motivik bzw. den anti-kolonialen Diskurs in den nicht-deutschspra‐ chigen Literaturen der Habsburger Monarchie und ihrer Nachfolgestatten sys‐ tematisch und v. a. komparatistisch zu erfassen. 8 So formuliert etwa der kroati‐ sche Autor Miroslav Krleža (1893-1981) in seiner Novelle vom Honved Jambrek, die Teil seiner epochalen Sammlung Hrvatski bog Mars (Der kroatische Gott Mars, 1922) wurde, in seiner Herrschaftskritik am Königreich Ungarn über dessen kroatisches Kanonenfutter für den Ersten Weltkrieg: „Die ersten Tage der grünen Rekruten waren ein koloniales Vergnügen für die königlich ungari‐ D.2. Einige Ausblicke: Meinl-Mohr, Vampir, Handke & Zeh 325 9 KRLEŽA 1922 / 2009: 308.- Zu einer ‚postkolonialen‘ Sicht auf diese Novellensammlung vgl. PETKOVIĆ 1996: 212-300. Ich pers. verdanke meine Einführung in das Werk Krležas den geschätzten Koll. Marijan Bobinac und Milka Car (Universität Zagreb), die in den letzten Jahren verstärkt durch Forschungsarbeiten zu diesem wohl bedeu‐ tendsten kroatischen Autor der Moderne hervorgetreten sind. Bobinac und Müller- Funk zählen auch zu den Proponenten eines ggw. laufenden Zagreber Forschungspro‐ jekts, das die ‚Postimperialität‘ der post-habsburgischen und post-jugoslawischen Kul‐ turen untersucht. 10 Wir verdanken diesen Hinweis so wie vieles andere der kritischen Produktivität von Karl-Markus Gauß; mit seiner Essaysammlung Ins unentdeckte Österreich (GAUSS 1998) war er auch einer der ersten, die über eine koloniale Dimension der habsburgi‐ schen Imperialgeschichte laut nachdachte. 11 Vgl. dazu etwa PROMITZER 2003 u. RISTOVIĆ 1991. 12 Vgl. dazu SIMONS 2004. schen Herren Unteroffiziere.“ 9 Wie hier beim Doyen der literarischen Moderne in Kroatien gäbe es noch etliche andere Beispiele zumindest für eine (kritisch) koloniale oder pseudokoloniale Metaphorik: so auch in der nicht-deutschspra‐ chigen Wien-Literatur um 1900, die die Stadt ‚von unten‘, d. h. von ihren an‐ derssprachigen proletarischen Peripherien zeigt, wie etwa in den Erzählungen und Feuilletons des Slowenen Ivan Cankar (1876-1918) aus Ottakring. 10 Wird der k. u. k. Kolonialismus-Komplex also eher zum Gegenstand der Kritik nicht-deutschsprachiger Autor / inn / en (wobei auch die ambivalente Situation Ungarns zwischen Beherrschtsein und Mitherrschaft einmal genauer beleuchtet werden müsste), waren die einschlägigen Sehnsüchte und Herrschaftskonzepte im Kernland der Monarchie mit deren Untergang keineswegs verschwunden. Sie wurden weiterentwickelt und kehrten quasi als revenants in der NS -Geopo‐ litik zurück - insbesondere in Bezug auf den Balkan. 11 Weniger spektakulär ist das Fortdauern von krypto-kolonialen Formen in der Alltagskultur Österreichs und anderer Nachfolgestaaten der Habsburger Mo‐ narchie. Hier sei an den sprichwörtlichen Orientteppich erinnert, der auch nach der Fin-de-siècle-Ära noch lange als Mode-Accessoire in fast jedem bürgerlichen Wohnzimmer Wiens zu finden war, 12 oder an den unsäglichen „Meinl-Mohr“: jenes kontroverse Wiener Kaffee-Logo, das expliziter als vieles andere koloniale Sehnsüchte nach Herrschaft, konsumierbarem Exotismus und Diene(r)n aus‐ D.2. Einige Ausblicke: Meinl-Mohr, Vampir, Handke & Zeh 326 13 Laut Auskunft der Julius-Meinl-Webseite meinlcoffee.com wurde der sog. „Mohrenkopf “ (d. h. der Profil-Schattenriss eines Fez tragenden afrikanischen Jungen) als Markenzei‐ chen 1924 vom Wiener Plakatkünstler Joseph Binder entworfen und in den 1950-er Jahren modernisiert: Er „verbindet Traditionen aus der ottomanischen Geschichte mit denen der Barockengel der zentraleuropäischen Architektur.“ In den letzten Jahren riss indes die Kritik an dem mutmaßlichen Rassismus dieser Vermarktungspraxis im Ver‐ bund mit der Kommodifizierung Afrikas (s. dazu auch McCLINTOCK 1995 oder BAY‐ ERDÖRFER & HELLMUTH 2003) nicht ab, vgl. etwa http: / / diepresse.com/ home/ wirtschaft/ economist/ 349610/ MeinlMohr-Symbol-des-Rassismus. 14 Vgl. PRUNIER 1995. 15 Die Habsburger Monarchie zeichnete z. B. für die Ansiedlung von Serb / inn/ en entlang der ehem. Militärgrenze im adriatischen Küstenhinterland (der Lika) im verantwortlich, die 1995 im Zuge der Militäroperation Oluja [Sturm] großteils aus Kroatien vertrieben wurden. drückt. 13 Im weiteren Bereich der Gastronomie war es eher späteren Immi‐ grant / inn / en-Gruppen der Nachkriegszeit vorbehalten, ehemals kakanische Gerichte wie z. B. die (eigentlich postosmanischen) Ćevap(čić)i - oder auch das künstlich kreierte Bosna, eine (west-)österreichische Antwort auf das amerika‐ nisierende Hot Dog - (wieder) in den österreichischen Städten heimisch zu ma‐ chen. Hier wäre eine ausführliche Studie von Nöten, die sich exklusiv der Ma‐ terial Culture quasi als stummem Gedächtnis-Speicher imperial(istisch)er und kolonialer Vorstellungen in postimperialen Zeiten widmet. Dabei geht es freilich nicht darum, den Befund „k. u. k. (quasi-)kolonial“ gleichsam mit einer kulturwissenschaftlichen check list abzuhaken. Zum postim ‚Postkolonialismus‘ gehört bekanntlich auch die ethische und politische Di‐ mension, die nach den langwelligen Nachwirkungen des Kolonialismus auch nach der Dekolonisierung, also seiner longue durée fragt. So ist es inzwischen - um eines der wohl krassesten Beispiel zu bringen - nahezu zum Gemeinplatz in der Historiografie Afrikas geworden, in der Identitätspolitik Belgiens in Ru‐ anda (1916-1962), d. h. in der forcierten Einteilung der Bevölkerung in die vorher eher vagen Formate ‚Hutu‘ und ‚Tutsi‘, eine wichtige Voraussetzung für den späteren Völkermord 1994 zu sehen. 14 Angesichts solcher zugegebenermaßen extremer Vergleiche erschiene es zwar häretisch, aber doch berechtigt, auch nach dem gewaltsamen Spätfolgen imperialer k.u.k. Herrschaftsvorstellungen und -strukturen zu fragen: Ist Habsburg, das gern zu einer Geschichte des bes‐ seren Gestern verklärt wird, nicht auch die Vorgeschichte militanter Nationali‐ smen (wie z. B. in der OUN bzw. UPA der Westukraine) und der Shoa in Zentral- und Osteuropa - aber inwiefern? Und wäre es nicht auch denkbar, dass die österreichisch-ungarische Verwaltung mit ihren Identitätspolitiken und an‐ deren Interventionen im Nachhinein eine gewisse historische Mitverantwor‐ tung für die jugoslawischen Nachfolgekriege der 1990er Jahre v. a. in Kroatien 15 D.2. Einige Ausblicke: Meinl-Mohr, Vampir, Handke & Zeh 327 16 Vgl. MAGRIS 1966 / 2000. 17 Was Ransmayr betrifft, liegen postkoloniale Lektüreversuche eher für seine reiselite‐ rarischen Texte vor, vgl. etwa KÖHLER 2006. 18 Vgl. dazu exemplarisch etwa die komparativen Studien von FINZI 2013 u. PREVIŠIĆ 2014. und Bosnien-Herzegowina trägt? Gerade dem letztgenannten Land haftet auch lange nach dem Friedensabkommen von Dayton 1995 hartnäckig das Stigma eines failed state an, der ähnlich wie das Kosovo nur als EU -Dauerprotektorat überleben kann. Dass aber gerade Bosnien, jener letzte unteilbare wie unheilbare Rest-Torso des alten Jugoslawien, ja aller Vielvölkerstaaten der zentraleuropäi‐ schen Vergangenheit, in seiner eigenen prekären Identitätspolitik heute wieder schnell auf den band wagon des „habsburgischen Mythos“ 16 samt Švabo babo aufgesprungen ist, sollte Politiker / innen und Intellektuelle keinesfalls befrie‐ digen, sondern eher misstrauisch machen: gibt es doch auch so etwas wie (post)colonial nostalgia. Wenn man indes nicht so weit gehen möchte, nach globalen Implikationen und politischen Verantwortlichkeiten zu fragen, würde man doch - spezifisch auf die Literatur bezogen - sehen, inwieweit der k. u. k. kryptokoloniale Vorstel‐ lungskomplex als bearbeitetes Material in den Kulturen Zentraleuropas nach 1918 - gemeinsam mit dem habsburgischen Mythos als Positiv- und Negativ‐ folie - bis in unsere Tage fortdauert; auch hier wäre einmal eine umfassende Studie von Nöten. So könnten etwa Christoph Ransmayrs Romane Die letzte Welt (1988) oder Morbus Kitahara (1995) auch als verklausulierte literarische Reaktionen auf die post / imperiale Situation Österreichs gelesen werden, die auf das Römische Reich bzw. eine alternative Nachkriegsgeschichte im 20. Jahrhundert projiziert werden. 17 Am interessantesten in postkolonialer Hinsicht sind freilich jene Prosa-Texte, die auf die jugoslawischen Nachfolgekriege der 1990er Jahre Bezug nehmen, in erster Linie Peter Handkes Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina und sein Sommerlicher Nachtrag zu einer win‐ terlichen Reise (1996), Juli Zehs selbstironischer Krisentourismus mit Rucksack und Hund unter dem Titel Die Stille ist ein Geräusch. Eine Fahrt durch Bosnien (2002) sowie Norbert Gstreins Roman Das Handwerk des Tötens (2003), der sich den postjugoslawischen Kriegsverbrechen und der Mitverantwortung der Me‐ dien widmet. 18 Ihnen gemeinsam ist eine Skepsis gegenüber der Übermacht der vermittelten stereotypen Bilder vom ‚grausamen‘, ‚tribalistischen‘, ‚finsteren‘ Balkan, jenem neuen Kolchis hinter den EU -Grenzen von „Schengenland“; die strategische D.2. Einige Ausblicke: Meinl-Mohr, Vampir, Handke & Zeh 328 19 Vgl. etwa GUNREBEN 2011; LÜTZELER 2009: 69 ff.; FINZI 2013: 209; THOMAS 2007. 20 HANDKE 1996a: 45. 21 Ebd. 55. 22 Ebd. 72. 23 Ebd. 51. 24 Vgl. PREVIŠIĆ 2014: 257 u. SEXL 2013: 90 u.ff. 25 Andreas Breitenstein in der NZZ v. 6./ 7. 5. 2006 spricht von „Serbien als privatmytho‐ logische[m] Projekt“ Handkes (zit. n. PREVIŠIĆ 2014: 241). 26 PREVIŠIĆ 2014: 273. 27 FINZI 2013: 156, vgl. 161; VIDULIĆ 2007: 2 hat auch auf die Ambivalenz dieses Un‐ terfangens hingewiesen. Unsicherheit des Erzählinstanz, die getätigte Aussagen permanent hinterfragt, ja zurücknimmt, wird geradezu strukturbildend bei Gstrein. 19 Das kritische Be‐ wusstsein von der Vorgängigkeit und dem Vorgefertigt-Sein der Balkan-Bilder in den medialen „Fertigteilberichten“ 20 bzw. den „vorausgewußten Realitäts‐ embleme[n]“ 21 - die möglicherweise auch eine unausgesprochene post / kolo‐ niale Dimension haben - treibt aber schon Handke an. Den Konsequenzen aus seiner durchaus berechtigten Medienkritik an der Berichterstattung über die Jugoslawienkriege, jenem Handel mit den „Kurzwaren“ 22 einer im Nachkriegs‐ europa beispiellosen humanitären Katastrophe, die kommerziell und ideolo‐ gisch aufbereitet wurden, wollten sich freilich viele Leser / innen doch nicht an‐ schließen: Was ich von unserer Reise durch Serbien zu erzählen habe, sind allerdings nicht vor‐ sätzliche Gegenbilder zu den vielfach vorgestanzten Gucklöchern auf das Land. Denn was sich mir eingeprägt hat, das waren, ohne meinen Vorsatz und ohne mein Vortun, fast einzig dritte Dinge - jenes Dritte, welches bei dem deutschen Epiker Hermann Lenz ‚nebendraußen‘ zu sehen und zu sichten ist, und welches bei dem alten Philo‐ sophen […] Edmund Husserl ‚die Lebenswelt‘ heißt. 23 Handkes Erzählversuch hält der ideologischen Schwarz-Weiß-Malerei westli‐ cher Medien über den Westbalkan, die auf der Allmacht der Stereotypen einer postimperialen Geschichte der europäischen Ungleichheit aufbaut, eine Stifter‐ sche Ästhetik des Nebensächlichen 24 und der privatmythologischen 25 Idiolatrie der serbischen ‚edlen Wilden‘ entgegen, die ein wenig an Altenberg gemahnt und einen Jargon der Eigentlichkeit generiert - wohl auch, um der eigenen Rat‐ losigkeit zu entgehen: „Das Subjektive generiert bei ihm das Allgemeine; der Übergang vom einen ins andere wird aber nicht weiter reflektiert.“ 26 Was der Autor damit geschaffen habe, sei, so Daniela Finzi, aber lediglich ein „Balka‐ nismus unter umgekehrten Vorzeichen. 27 D.2. Einige Ausblicke: Meinl-Mohr, Vampir, Handke & Zeh 329 28 Vgl. etwa ZÜLCH 1996 u. GRITSCH 2009. 29 Vgl. dazu etwa ebd. sowie PREVIŠIĆ 2014: 253; LINDNER 2007, VIDULIĆ 2008, MI‐ GUOUÉ 2012 und die Beiträge zu Handke in GANSEL 2011: 61-136. 30 Gstrein etwa spielt in seinem Roman einmal in Figurenrede ziemlich maliziös auf Juli Zeh an (vgl. GSTREIN 2003: 236); vgl. dazu auch PRÜFER 2007: 103 ff.- PREVIŠIĆ 2014: 336 sieht v. a. eine „agonale Intertextualität“ mit Handke gegeben. 31 ZEH 2002: 28. 32 Ebd. 44 33 Ebd. 34 Ebd. 136. 35 Ebd. 67. Zumal Handkes Texte eine große Kontroverse hergerufen haben, indem sie oft als Exkulpierung des serbischen ‚Volkes‘ und seiner Kriegsverbrecher / innen, ja des gesamten Milošević-Regimes gelesen wurden, 28 soll sich die folgende Skizze eher auf Juli Zeh konzentrieren, um allzu große Wiederholungen und weitere vorschnelle Parteinahmen für oder gegen den Autor zu vermeiden (phi‐ lologische ‚Gerechtigkeit für Handke‘ ließe sich wohl nur durch ein weiteres, eigens ihm und dem close reading besagter - und möglicherweise überbewer‐ teter - Texte gewidmetes Buchprojekt erzielen). 29 Zehs Notate nehmen im Übrigen eine interessante intertextuelle Zwischen‐ stellung zwischen Handkes und Gstreins Texten ein; 30 auch sie richtet ähnlich wie Handke eher den Blick auf den Wegesrand als auf die großen Erzählungen von Kriegsschuld und -verbrechen, von Tätern und Opfern; bei aller Ironisie‐ rung gibt es aber auch hier mitunter einen Hang zur Symbolisierung und My‐ thologisierung des Beiläufigen, wie es scheint. Dazu folgendes Beispiel: Was ich auf den ersten Blick für garstige Brennnesseln gehalten habe, stellt sich als duftende Minze heraus. Ich entschuldige mich bei Gras und Pflanzenbüscheln und überhaupt bei allem: Es ist halt mein erster Tag. 31 Hier wird wie bei Handke das Zufällige, Marginale, ja Banale aufgeboten, um den Stereotypen des großen post / kolonialen Narrativs von der essentialisierten balkanischen Inhumanität zu entgehen. Ein Mädchen, das mit ihrer Zunge Chips isst, wird problematisch zur „Amphibie auf zwei Beinen“ 32 und erscheint Zeh als lohnenderer Erinnerungsort: „An sie werde ich mich erinnern, deutlicher als an die Verwüstung, an fußlose Frauen und armlose Männer, Sternenhimmel aus Einschusslöchern, an die fußballtorgroßen Granantenlöcher und wegge‐ sprengten Dächer.“ 33 Vor allem mit dem „dem morbide flirtenden Sarajevo“, 34 jenem „Setzkasten europäischer Erinnerungsstücke“, 35 hat die Ich-Erzählerin indes Probleme: D.2. Einige Ausblicke: Meinl-Mohr, Vampir, Handke & Zeh 330 36 ZEH 2002: 136. 37 Vgl. dazu PREVIŠIĆ 2014: 263, 278, 392. 38 ZEH 2002: 60; Hervorh. im Orig. 39 Ebd. 339. 40 Ebd. 95; Hervorh. im Orig. Einen Ort wie diesen kümmert es nicht, ob er sich gerade im Osmanischen Reich, in Österreich-Ungarn, dem kommunistischen Jugoslawien oder auf bosnischem Kriegs‐ gebiet befindet. Zähere Feinde als Türken oder Serben werden ihn ausrotten, Feinde, die hier jeden finden: Zum einen die Zeit. Zum anderen Touristen wie ich. 36 Die Frage erhebt sich bei allen Autoren, inwieweit sie, die vor der ex-kolonialen und postimperialen Balkan-Bilderwelt fliehen, ihr letztlich doch anheimfallen (und im Übrigen evozieren sowohl Handke als auch Zeh und Gstrein Conrads „Herz der Finsternis“ 37 ). Evident wird dies auch anhand der Beschreibung der Sarajevoer Baščaršija durch Zeh: Auf dem Markt gibt es alles, was man als Moslem braucht: Pantoffeln, Kappen, Teppiche, Teegeschirr, Wasserpfeifen und Kopftücher, Schmuck, Gewänder und Handtaschen und dazu Gerüche von Gewürzen, deren Namen man sich schlecht merken kann. Verkauft wird in schlechten Holzhütten, die dicht an dicht in einem Labyrith zusam‐ menstehen. Es ist sechs Uhr früh, und ich bin im Morgenland. 38 Die satirische Absicht hinter dieser stereotypen Liste einer muslimischen ma‐ terial culture lässt sich nicht leugnen; trotzdem fällt sie der Diskursmacht einer imagi-nativen Einteilung der Welt durch das Benennbare auch in der ironischen Brechung anheim, oder wenn ein reality check zumindest hypothetisch im Po‐ etischen ausgeführt wird: „‚Plopp‘ macht es, wenn die Wirklichkeit andockt an den Begriffen“. 39 Die Sehnsucht nach einem Zurück hinter eine durch (fremde) Herrschaft geschaffene Bilderwelt - auch hier lassen Rousseau und Herder grüßen - drücken sich dann in einem Traum Zehs aus, der nicht minder von eben jenen post / kolonialen Bild-Ordnungen geprägt ist: Später träume ich, im echten Sarajevo zu sein. Zwischen den Mauern einer türkischen Befestigungsanlage bewege ich mich auf Straßen aus gestampfter Erde [! ], spüre die historische Bedeutung des Ortes, seine besondere Schönheit. Ein gut erhaltenes Ge‐ bäude in einem Innenhof ist bewohnt, und obwohl kein Mensch zu sehen ist, weiß ich sofort, dass sich hier Macht konzentriert, dass hier ein Mufti lebt oder Milošević oder Wolfgang Petritisch, ich habe keine Ahnung, in welcher Zeit ich mich befinde. 40 Die verräterische Zeitlosigkeit zeigt an, dass die Träumerin hier nolens volens aus dem imagologischen Universum einer trostlosen Nachkriegszeit in der D.2. Einige Ausblicke: Meinl-Mohr, Vampir, Handke & Zeh 331 41 Vgl. dazu das Ende von Kap. C.2.3. dieser Arbeit. 42 HANDKE 1996a: 60. 43 Ebd. 129. 44 Ebd. 131. Zweiten Welt des ehemals kommunistischen Zentraleuropa lediglich in eine andere phantasmatische Bilderwelt eingetreten ist: den Orient. Dennoch bleibt die Sehnsucht nach einem Ausgang aus vorgängigen post‐ imperialen Bilderwelten, die in populär-orientalistischen und quasi-kolonialen Stereotypen gleichsam eingefroren sind. Wir erinnern uns an Andrić’ Begriff „ungewöhnlich orientalisch“ 41 , der sich auch bei Peter Handke widerspiegelt, wenn er Serben beschreibt: „Und zudem wirkten diese alten, dabei nie greisen Männer weder europäisch noch freilich auch orientalisch“. 42 Handkes ersehntem ästhetischen Ende des medial aufbereiteten „Wörtergift[s]“ 43 folgt eine am Ende des 20. Jahrhunderts häufig formulierte Utopie, „dachte ich, Sohn eines Deut‐ schen, ausscheren aus der Jahrhundertgeschichte, aus dieser Unheilskette, aus‐ scheren zu einer anderen Geschichte.“ 44 Wodurch sich auch die Frage nach dem Wesen dieser Geschichte stellt - und damit neuerlich nach dem Verhältnis von ‚post / kolonial‘ und ‚post / imperial‘. D.2. Einige Ausblicke: Meinl-Mohr, Vampir, Handke & Zeh 332 1 NAIPAUL 1967: 38. 2 Vgl. dazu in der Germanistik das im Erscheinen begriffene Buchprojekt BABKA i.V. 3 Zum Begriff der Transnationalität bzw. Transkulturalität vgl. z. B. BARTOLOVICH 2000 / 2005 u. WELSCH 2010. 4 Vgl. dazu etwa YOUNG 2012. D.3. SchlussFolgerungen: postkolonial vs. postimperial The empires of our times were short-lived, but they altered the world forever; their pas‐ sing away is their least significant feature. (V.S. Naipaul) 1 Bereits auf der MLA -Tagung von 2006 wurde die Frage nach dem Ende der Postcolonial Studies gestellt angesichts des Faktums, dass sich deren Theoriegut nach den „Big Three“ Said, Bhabha und Spivak nicht bedeutend weiterentwi‐ ckelt, sondern lediglich verlagert und präzisiert hat (etwa durch die Aufnahme intersektionaler Verknüpfungen im Rahmen von Gender and Queer Studies, die post / koloniale Identitätskonstruktionen und -politiken verfeinerter darstellbar machen). 2 Ebenso ist generell unter dem verstärkten Eindruck von Migrations- und Weltliteraturforschung eine Fokusverlagerung von exklusiv postkolonialen Zugängen hin zu einer transnationalen bzw. transkulturellen, 3 globalisierten Sichtweise von Literatur zu bemerken. 4 Für den Untersuchungszeitraum des langen 19. Jahrhunderts freilich hat ein von der Kolonialdiskurs-Analyse nach Said geprägter Zugang zu Belletristik und anderen kulturellen Texten nichts von seiner Plausibilität verloren. Dies hat wohl mit verschränkten Konzepten innerer und äußerer Alterität in den multi‐ ethnischen Reichen der Zeit und ganz besonders der Habsburger Monarchie zu tun. Hier sind parallel zum manifesten k. u. k. Ersatzkolonialismus in Bosnien und der Herzegowina zwischen 1878 und 1918 auch im „politischen Unbe‐ wussten“ ( Jameson) bzw. „sozialen Imaginären“ (Castoriadis) des habsburgi‐ schen Alltags quasikoloniale Formen und Phantasien am Werk, die sich nicht nur bis zum heutigen Tag in der Literatur, sondern auch diversen kulturellen Gebrauchstexten der Monarchie generell niederschlagen. Dies kommt nachge‐ rade paradigmatisch in jenem 1889 erschienenen ethnografischen Text eines 5 WLISLOCKI 1889 / 90: 603.- Zu Wlislocki vgl. auch PATRUT 2007. 6 Vgl. dazu das Standardwerk von TORGOVNICK 1990. deutschsprachigen Siebenbürgers mit polnischen Wurzeln, des Sprachwissen‐ schaftlers, Volkskundlers und Tsiganisten Heinrich von Wlislocki (1856-1907), zum Ausdruck, den wir bereits in Kapitel A.1. der vorliegenden Studie zitiert haben: Ziehen wir neben diesem Kastenunterschied […] noch einen gewissen Hang zum be‐ schaulichen Leben, womöglich ohne Arbeit und Mühe, in Betracht, so dürfen wir uns nicht im geringsten darüber wundern, daß der transsilvanische Rumäne sich selten über die allerprimitivsten Lebensverhältnisse emporschwingt; denn wahr bleibt es immerhin, daß ihm der Wahlspruch gilt: Sitzen sei besser als Gehen, Liegen besser als Sitzen, Schlafen besser als Wachen, das Beste von allem aber ist das Essen! Auf diesen unleugbaren Umstand ist daher zurückzuführen […], daß der rumänische Bauer, trotz aller Gleichheit vor dem Gesetze, noch immer in einer ärmlichen Hütte, der magya‐ rische Herr und der sächsische Bürger aber in einer bequemen Stadt- oder Landwoh‐ nung lebt. Dieser Hang zu einem beschaulichen Leben muß auch auf seine Intelligenz übertragen werden; er ist begriffstutzig und verhält sich abwehrend gegen jede neue Idee, die man ihm beibringen will. 5 Ganz deutlich ist diese Beschreibung keineswegs neutral, sondern insinuiert eine ethnische Hierarchie, wobei den Siebenbürger Sachsen die ‚goldene (bür‐ gerliche) Mitte‘ gegenüber den ‚unzivilisierten‘ rumänischen Bauern und der latent ‚verschwenderischen‘ ungarischen gentry zugewiesen wird; mit dieser ‚deutschen‘ Zwischenstellung sympathisiert offenkundig auch der Autor trotz seiner eigenen polnischen Wurzeln (und es erwies sich ja nicht nur bei den bosnischen Texten, dass sich eine aktuell vorgefundene und eine biografisch prägende Diversität in „Kakanien“ häufig gegenseitig spiegeln). Versionen jenes zentralen Topos eines sturen und faulen nativen Primitivismus, 6 der der zivili‐ sierten ‚Anleitung‘ bedarf, finden sich indes nahezu weltweit - ob es sich nun um Afrikaner / innen und ‚Oriental / innen‘ im Joch des Kolonialismus oder um das ‚innere Andere‘, wie z. B. Finn / innen unter zaristischer Herrschaft handelt; hier handelt es sich scheinbar um ein stehendes Element einer transkulturellen ‚Grammatik‘ oder vielmehr Rhetorik der Alterität. Zum Einen dient dies der Legitimation einer wie auch immer gearteten Mis‐ sion civilatrice, die ihrerseits einen der wirkmächtigsten diskursiven Vorwände für den europäischen Überseekolonialismus darstellte. Zum Anderen lässt sich kaum leugnen, dass das Differenzmanagement der Imperien in ihren inneren Peripherien und äußeren Kolonien ähnliche Formen annimmt, ja sich ver‐ D.3. SchlussFolgerungen: postkolonial vs. postimperial 334 7 Vgl. FOUCAULT 1974-1975 / 2004. 8 BAYERDÖRFER u. a. 2007: 7. 9 Vgl. FIELDHOUSE 1981: „Europeans would end slavery, suppress ‚pagan‘ practices such as infanticide, introduce Christianity, cure disease, stop endemic warfare, provide education and economic development.“ (42) 10 Vgl. SAID 1993 / 94. 11 Schon Karl Marx schreibt im Kommunistischen Manifest: „Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmo‐ politisch gestaltet. […]. Wie das Land von der Stadt, hat sie die barbarischen [! ] und halbbarbarischen Länder von den zivilisierten [! ] , die Bauernvölker von den Bourge‐ oisvölkern, den Orient vom Okzident abhängig gemacht.“ (MARX 1848 / 1990: 466). 12 TANG 2011: 112. schränkt. Aber dient eine ‚koloniale‘ Sichtweise anderer Völker im eigenen In‐ neren nur als Vergleich(smenge), wie etwa bei Wlislocki, oder geht es hier um mehr? Die mit diesem Buch vorgeschlagene Antwort lautet klarerweise: Ja. Wir müssen wohl diese inneren und äußeren Formen der Konstruktion von hierar‐ chischer kultureller Differenz und der damit verbundenen Legitimation eines Herrschaftsgefälles entlang Foucaults westlicher Leitdifferenz von Normal / Ab‐ normal 7 als die beiden Seiten einer imperialen Medaille ansehen oder - mit Hans Bayerdörfer formuliert - als groß angelegtes „Erfassungsprojekt des Fremden im Äußern und Innerem der Staaten im 19. Jahrhundert […] „zu politischen, herrschaftstechnischen und legitimatorischen Zwecken“. 8 Nach dem Ende der Sklaverei ersetzt der Kolonialismus die Ausbeutung durch innere, ‚softe‘ Moti‐ vationen wie die civilizing mission  9 - ebenso wie der Kapitalismus im 19. Jahr‐ hundert innerhalb Europas den feudalen Leibeigenen durch den Staats‐ bürger-Arbeiter, -Landwirten bzw. Konsumenten ersetzt, der in anderen Abhängigkeiten gehalten wird. In diesem Szenario sind Imperialismus wie Ka‐ pitalismus Oberbegriffe zum Kolonialismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert, wie auch Postimperialismus und Postkolonialismus - in der Nachfolge von Ed‐ ward Said 10 - als verschränkte Kategorien zu denken sind. 11 Immerhin hat der Überseekolonialismus Europas im 18. und 19. Jahrhundert deutlich von den internen Kolonisationen auf dem Kontinent gelernt, also z. B. das britische Indien-Projekt von Irland usw., ebenso wie diese von jenem be‐ einflusst werden; Chenxi Tang schreibt: „Die koloniale Spannung wirkt auf Eu‐ ropa zurück und lässt so den innereuropäischen Agon nicht nur weiter bestehen, sondern intensiviert ihn auch unter neuen Bedingungen.“ 12 Dabei gälte es auch im speziellen Fall von Österreich-Ungarn jenes bizarre Ineinander eines alten (spätfeudalen) Herrschaftssystems, das kulturelle Differenz mit einbezieht, und dem modernen Differenz-Management des westeuropäischen Kolonialismus als D.3. SchlussFolgerungen: postkolonial vs. postimperial 335 13 MIES 2003: 23. 14 Ebd. Arbeitshypothese anzudenken. Übersee-Kolonialismus und innerer bzw. konti‐ nentaler Kolonialismus stehen somit in einem wechselseitigen Abhängigkeitsbzw. Ermöglichungsverhältnis (und es sei nicht vergessen, dass auch Kolonisa‐ toren wie das Osmanische Reich oder China selbst zu Objekten kolonialen Begehrens werden können). Viel weiter geht indes noch Maria Mies, wenn sie schreibt, „Kolonialverhält‐ nisse“ seien „die verborgenen Tiefenstrukturen dessen, was wir ‚europäische Zivilisation‘ nennen“: 13 Europa ist das Ergebnis von Kolonisierungen. […] es ist das Resultat eines aktiven wie auch passiven Kolonialismus. Diese Verhältnisse betreffen vor allem die Verhältnisse zwischen Mann und Frau, zwischen Stadt und Land, zwischen Mensch und Natur und zwischen Geist und Körper. Kolonialverhältnisse sind dadurch charakterisiert, dass sie hierarchisch und nicht-wechselseitig sind und dass sie letztendlich durch Gewalt aufrechterhalten werden. 14 Ob die Denunziation der Bemächtigungsstruktur in den hierarchischen Dicho‐ tomien dieser Identitätskonstruktionen den Kolonialismusbegriff überdehnt, sei einer weiteren Diskussion überlassen. Wie auch immer diese Debatte ausgeht, bleibt aber der Kolonialismus aus der Perspektive einer historischen Sozial- und Kulturwissenschaft doch eine spezielle Ausprägung imperialer (oder: pseudo‐ imperialer) Herrschaft, die damit weiterhin als Oberbegriff fungiert; ähnlich versteht sich auch das Verhältnis von Postkolonialismus und Postimperialismus, nämlich als Dialektik eines Danach, eines Darüber-hinaus, aber auch eines heim‐ lichen Weiterhin. Im 19. und 20. Jahrhundert gibt es zumindest zwei Reaktionen auf diese Ver‐ schränkung von Differenzerzeugung nach Innen und Außen: In nationalstaat‐ lichen Homogenisierungsprojekten, die durchaus auch imperial bzw. imperia‐ listisch betrieben wurden, zum Beispiel im deutschen Kaiserreich und im Königreich Ungarn. Auf der anderen Seite der habsburgischen Gleichung steht das cisleithanische Österreich, das auf Differenzmanagement in einer frühen Form des Multikulturalismus setzt. Beide politischen Lösungsversuche eines epistemisch selbst geschaffenen Problems finden in späteren Staatsprojekten ihre Fortsetzung, wobei die Nationalstaaten lediglich die inneren Differenzen nach außen zu projizieren versuchen - durch Feindbilder und Assimilierungs‐ projekte, oder im schlimmsten Fall durch Deportation und Völkermord; dies zur Erinnerung, das die meisten der Nationalstaaten in unserer Region keineswegs D.3. SchlussFolgerungen: postkolonial vs. postimperial 336 15 BHATTI & KIMMICH 2015: 14.- Das Konzept basiert stark auf Wittgensteins „Fami‐ lienähnlichkeit“. friedlich, sondern auf den Gräbern unzähliger Opfer errichtet worden sind. Das zugrunde liegende Strukturmodell des Eigenen und des Fremden bzw. des An‐ deren ist indes im Großen und Ganzen erhalten geblieben. Hinter der kulturellen Produktion von ‚ethnischen‘ Differenzen zwischen dem zivilisierten Eigenen und den latent barbarischen Anderen steckt also eine Rechtfertigungslogik für asymmetrische Machtbeziehungen zwischen Gruppen, die vielleicht besser sozial definiert werden sollten als kulturell - wenn diese kleine postmarxistische Fußnote angebracht ist. Hier sollten wir aber auch selbstkritisch sein und fragen, inwieweit die theoretische Basis der Kulturwis‐ senschaften, nämlich Kulturen als eine Serie von zwar konstruierten, letztlich aber doch wirkungsmächtigen Differenzen zu beschreiben, nolens volens die oben beschriebene imperiale wie nationalistische Differenzerzeugung dupliziert und fortschreibt? In diesem Sinn hat eine Gruppe von Forscher / innen rund um den indischen Germanisten Anil Bhatti zu einer kritischen, d. h. nicht-nivellierenden Wieder‐ belebung des Paradigmas der Ähnlichkeit - anstatt der Differenz - als Grundlage der Kulturwissenschaften aufgerufen; dies auch im Sinne einer philosophischen, ethischen und politischen Überwindung jener wuchernden Erzeugung und Heroisierung von Differenz / en, die in Moderne wie Postmoderne die episte‐ mologische Basis für Imperien, Nationalstaaten und Kolonien gleichermaßen ausmachen. Ähnlichkeit sei, wie Bhatti formuliert, „eine ‚Figur des Kontinu‐ ierlichen‘, Übergänglichen. Sie bedarf zwar der Markierung von Differenzen, stellt aber nie einen Bruch oder Gegensatz dar.“ 15 Ob in diesem liminalen Zustand sich ein Ausweg auftut, oder ob er als potenzielle Gleichmacherei anzusehen ist, der zu neuen Differenz-Wucherungen führt - oder ob er Differenz als logische Grundlage von Ähnlichkeit ignoriert, soll dahingestellt bleiben, bis sich Bhattis Team näher erklärt hat. Beim jetzigen Stand der Dinge ist das Modell noch keine hinlänglich überzeugende Alternative, auf die wir auf unserer - vergeblichen? - Flucht vor dem Selbst und seinem Anderen zählen könnten. Wir können scheinbar noch keine Differenz zur kulturellen, geschlechtlichen etc. Differenz denken und werden wahrscheinlich wohl noch länger damit kämpfen, sie nicht latent als Legitimation für politische Ungleichheit zu akzeptieren. D.3. SchlussFolgerungen: postkolonial vs. postimperial 337 Teil E: Bibliografisches E.1. LITERATURVERZEICHNIS I. Benützte Primärquellen (Belletristik, Reiseliteratur, Publizistik u. ä.) ALTENBERG, Peter: Ashantee [1897]. Afrika und Wien um die Jahrhundertwende. Hg. von Werner Schwarz mit Beitr. von Robert McFarland, Silke Kirschnik, Kristin Kopp, Werner Michler u. Sabrina Rahman. Wien: Löcker 2008. ANDRIĆ, Ivo: Die Brücke über die Drina. Eine Wischegrader Chronik. Roman [EA 1945]. Übers. von Ernst E. Jonas. München: DTV 12 2001. ANONYM: Historisch-Topographische Beschreibung von Bosnien und Serbien. Wien: Schrämbl 1821. ANONYM: Ein Brief ohne Siegel und Unterschrift. / Armeebefehl. In: Laibacher Tag‐ blatt, Nr. 171 v. 30. 07. 1878, S. 1-2. ANONYM: Bosniens Gegenwart und nächste Zukunft. Leipzig: Brockhaus 1886. ANONYM: Eine Aschanti-Negerin vor Gericht. In: Neue Freie Presse, Nr. 11 544 v. 13. 10. 1896, S. 2. ANONYM: Dalmatien. Ein modernes Reiseziel. Wien: G. Gruber 1908. ANONYM: Jugoslawien und Griechenland. Stuttgart: Baedeker 1971. ASBÓTH, Johann [ János] von: Bosnien und die Herzegowina. Reisebilder und Skizzen. Wien: A. Hölder 1888. ATTEMS, Moriz Graf: Bosnien einst und jetzt. Wien: L. W. Seidel 1913. BAEDEKERs Oesterreich-Ungarn. Leipzig: Baedeker 28 1910. BAERNREITHER, Joseph Maria: Bosnische Eindrücke. Eine politische Studie. Wien: Manz 1908. BECK, Joseph (Hptm.): Banjaluka - Jajce. Wien, Leipzig: C. W. Stern 1908 (= Unsere Truppen 4). BEECHAM, John: Ashantee and the Gold Coast, being a sketch of the history, social state, and superstitions of the inhabitants of those countries with a notice of the state and prospects of Christianity among them. London: J. Mason 1841. BERANEK, Julius: Die Helden unserer Armee im Jahre 1878. Erinnerungen an die Okku‐ pation von Bosnien und der Herzegowina. Wien: „Austria“ F. Doll 1908. BÖHM, Hans: Hoch die ‚Achter‘! Erlebnisse auf dem Kriegsschauplatze in Bosnien im Jahre 1878. Wien: Selbstverlag 1903. BRITTING, Georg: Kleines Tagebuch einer Fahrt durch Bosnien, die Herzegowina, Dal‐ matien, Montegnegro und Albanien im Mai 1930, Bosnisches Mahl. In: ders.: Sämtliche Werke. Hg. von Wilhelm Haefs. Bd. 3 / 2. München: Süddeutscher Verl. 1987. BURIÁN, Stephan (Graf): Drei Jahre aus der Zeit meiner Amtsführung im Kriege. Berlin: Ullstein 1923. ELIOT, T. S.: The Waste Land and Other Poems. Hg. und eingel. von Helen Vendler. New York: Penguin / Signet Classics 1998. F. F.: Der ‚Held‘ des bosnischen Aufstands. In: Die Gartenlaube 48 (1878), S. 789-790. FORSTER, Georg: Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe. Hg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften. Bd. 2: Reise um die Welt. 1. Teil. Hg. von Gerhard Steiner. Berlin (Ost): Akademie-Verl. 1965. FILIUS [pseud.]: Eine Automobilreise durch Bosnien, die Herzegowina und Dalmatien. Reiseschilderung für Automobilisten mit 63 Abbildungen. Wien: Beck [1908]. FOURNIER, August: Wie wir zu Bosnien kamen. Eine historische Studie. Wien: Reisser 1909. FRANCESCHINI, Robert: Das Aschanti-Fieber. In: Neues Wiener Tagblatt v. 7. 10. 1896, S. 1-3. FRANKO, Iwan: Die galizische Schöpfungsgeschichte. In: Die Zeit [Wien] XXVII / 341 v. 13. 4. 1901, S. 18. Frater FRANZ: Bosnien, ein Land für Ansiedlung. In: Weckstimmen für das katholische Volk 9 (1878), H. 11. GLAISE-HORSTENAU, Edmund v. (Lt.): Tuzla und Doboj. Wien, Leipzig: C. W. Stern 1909 (= Unsere Truppen in Bosnien und der Herzegowina. Einzeldarstellungen VI). GRILLPARZER, Franz: Sämtliche Werke. Hg. von Peter Frank und Karl Pörnbacher. München, Darmstadt: C. Hanser 1960-65. GROSSER, Cornelia u. a.: Genug von Europa. Ein Reisejournal aus Österreich-Ungarn. Wien: Sonderzahl 1999. GSTREIN, Norbert: Das Handwerk des Tötens. Roman. Frankfurt / M.: Suhrkamp 2003. HAARDT, Vinzenz von: Die Occupation Bosniens und der Herzegovina. Nach verlässlichen Quellen geschildert von V.v.H. Wien: E. Hölzel 1878. HANDKE, Peter: Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina, oder: Gerechtigkeit für Serbien. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1996[a]. HANDKE, Peter: Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise. Frankfurt / M.: Suhr‐ kamp 1996[b]. HANGI, Anton: Die Moslim’s in Bosnien-Hercegovina. Ihre Lebensweise, Sitten und Ge‐ bräuche. Übers. von Hermann Tausk. Sarajevo: D. A. Kajon 1907. HAUSNER, Otto / Dr. WOLSKI: Oesterreichisch oder Kosakisch? Reden in der Adressde‐ batte des österr. Abgeordnetenhauses. Wien: L. Rosner 1878. HELFERT, Joseph Alexander Frhr. von: Bosnisches. Wien: Manz 1879. HELLWALD, Friedrich von: Die Umgestaltung des Orients als Culturfrage. Augsburg: Lampart 1878. E.1. Literaturverzeichnis 342 HERDER, Johann Gottfried von: Werke in zehn Bänden. Bd. 7: Briefe zu Beförderung der Humanität. Hg. von Hans Dietrich Irmscher und Martin Bollacher. Frankfurt / M.: Dt. Klassiker-Verl. 1991. HERZL, Theodor: Der Menschengarten [1897]. In: Ders.: Feuilletons. Vorrede von Raoul Auernheimer. 2 Bde. Berlin: J. Singer 2 1911, Bd. 1, S. 152-158. HERZMANOVSKY-ORLANDO, Fritz von / KUBIN, Alfred: Briefwechsel 1903-1952. Hg. v. Michael Klein. Salzburg: Residenz 1983 (= Herzmanovsky-Orlando, F.: Sämtliche Werke in 10 Bänden. Hg. v. Walter Methlagl u. Wendelin Schmidt-Dengler. Bd. VII). HOERNES, Moriz: Bosnien und die Herzegowina. Wien: K. Graeser 1889. HOFMANNSTHAL, Hugo von: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hg. v. Bernd Schoeller und Herbert Steiner. Frankfurt / M.: FTB 1979. HOLTZ, Georg (Frhr.) vom (Obst.): Von Brod bis Sarajevo. Wien, Leipzig: C. W. Stern 1907 (= Unsere Truppen in Bosnien und der Herzegowina 1878. Einzeldarstellungen II). HOLTZ, Georg (Frhr.) vom (Obst.): Die letzten Kämpfe und der Heimmarsch. Wien, Leipzig: C. W. Stern 1908 (= Unsere Truppen in Bosnien und der Herzegowina 1878. Einzeldarstellungen V). ISRAEL, Fred L. (Hg.): Major Peace Treaties of Modern History, 1648-1967. New York: Chelsea House 1967. JÜNGER, Ernst: Die Staubdämonen [1929]. In: Ders.: Alfred Kubin. Eine Begegnung. Frankfurt, Berlin, Wien: Propyläen 2 1975, S. 109-117. KAFKA, Franz: Gesammelte Werke in 12 Bänden. Nach der Krit. Ausg. hg. v. Hans-Gerd Koch. Bd. 9: Tagebücher 1 (1909-1912) in der Fassung der Handschrift. Frankfurt / M.: Fischer 1994 (= FTB 12 449). KAFKA, Franz: In der Strafkolonie. Eine Geschichte aus dem Jahre 1914. Mit Quellen, einer Chronik und Anm. Hg. v. Klaus Wagenbach. Berlin: Wagenbach 4 2010 (= WT 319). [KÁLLAY, Benjamin von]: Die Lage der Mohammedaner in Bosnien. Wien: Holzhausen 1900. KNOBLOCH, Joseph Andreas: Die Annexion von Bosnien vom volks- und landwirtschaft‐ lichen Standpunkte. Wien: Selbstverl. / C. Gerold 1878. KOČIĆ, Petar: Jazavac pred sudom [Der Dachs vor dem Richter]. In: Ders.: Sabrana djela [Gesammelte Werke]. Bd. II. Banja Luka, Sarajevo: Glas / Svjetlost 1986. KRAUS, Karl: Ein Neger. In Die Fackel, Nr. 384 / 385 v. 13. 10. 1913, S. 42-44. KRAUS, Karl: Franz Ferdinand und die Talente. In: Die Fackel, Nr. 400-403 v. 10. 07. 1914, S. 1-4. KRAUS, Karl: Nachruf. In: Die Fackel, Nr. 501-507 v. 25. 01. 1919, S. 1-120. Abt. für Kriegsgeschichte des k. k. KRIEGSARCHIVs (Hg.): Die Occupation Bosniens und der Hercegovina durch k. k. Truppen im Jahre 1878. Nach authentischen Quellen darge‐ stellt. Wien: Verlag des k. k. Generalstabes / W. Seidel 1879. E.1. Literaturverzeichnis 343 KRLEŽA, Miroslav: Der kroatische Gott Mars. Novellen [Hrvatski bog Mars, 1922]. Übers. von Milica Sacher-Masoch und Reinhard Federmann. Klagenfurt: Wieser 2009. [KRONPRINZENWERK]. Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. Aus dem ‚Kronprinzenwerk‘ des Erzherzog Rudolf. Hg. von Christiane Zintzen. Wien u. a.: Böhlau 1999 (= Literaturgeschichte in Studien und Quellen 3). KUBIN, Alfred: Dämonen und Nachtgesichte. Eine Autobiographie. München: Piper 1959. KUBIN, Alfred: Die andere Seite. Ein phantastischer Roman [1909]. München: Ellermann 1975 (= edition spangenberg). KUBIN, Alfred: Aus meiner Werkstatt. Gesammelte Prosa. Hg. von Ulrich Riemerschmidt. München: Nymphenburger 1976. KÜRNBERGER, Ferdinand: Der Amerikamüde. Roman. Berlin (Ost): Volk & Welt 1985. K. U. K. MILITÄR-GOUVERNEMENT IN MONTENEGRO: Gesichtspunkte für den kri‐ minellen Ausforschungsdienst. Cetinje: Eigenverlag 1916. MANTEL, Hilary: Wolf Hall. London: Fourth Estate 2009. MARX, Karl: Manifest der Kommunistischen Partei [1848]. In ders. / Engels, Friedrich: Werke. Bd 4. Berlin: Akademie-Verl. 11 1990. MAURER, Franz: Eine Reise durch Bosnien, die Saveländer und Ungarn. Berlin: C. Hey‐ mann 1870. MICHEL, Rudolf: Fahrten in den Reichslanden. Bilder und Skizzen aus Bosnien und der Hercegovina. Mit 25 Zeichnungen v. Max Bucherer. Wien, Leipzig: Deutsch-Österrei‐ chischer Verlag 1912. MUSIL, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften. Roman. Hg. von Adolf Frisé. 2 Bde. Reinbek: Rowohlt 1978. NAIPAUL, V. S.: The Mimic Men. London: Deutsch 1967. NEUPAUER, Josef: Wie könnte die europäische Cultur nach Bosnien verpflanzt werden? Viribus Unitis. Wien: Selbstverlag 1884. NOPCSA, Franz [Ferenc] Baron: Reisen in den Balkan. Die Lebenserinnerungen des FBN [1899]. Eingel., hg. und mit Anhang v. Robert Elsie. Prishtinë: Dukagjini 2001. NORDAU, Max: Entartung. 2 Bde. Berlin: Duncker 1892 / 93. OKUKA, Miloš / REHDER, Petra (Hg.): Das zerrissene Herz. Reisen durch Bosnien-Her‐ zegowina 1530-1993. München: C. H. Beck 1994. PLATON: Sämtliche Werke in drei Bänden. Hg. von Erich Loewenthal [Nachdr. der Ber‐ liner Ausg. 1940 / Heidelberg: L. Schneider 1982]. Darmstadt: WBG 2004. PREINDLSBERGER-MRAZOVIĆ, Milena: Selam. Skizzen und Novellen aus dem bosni‐ schen Volksleben. Berlin: Deutsche Schriftsteller-Genossenschaft 1893. PREINDLSBERGER-MRAZOVIĆ, Milena: Bosnisches Skizzenbuch. Landschafts- und Kultur-Bilder aus Bosnien und der Hercegovina. Illustr. von Ludwig Hans Fischer. Dresden, Leipzig: E. Pierson 1900. E.1. Literaturverzeichnis 344 PUNTIGAM, Anton SJ: Unsere Zukunft in Bosnien. Graz, Wien: Styria 1909. RANSMAYR, Christoph: Die letzte Welt. Roman. Mit einem Ovidischen Repertoire. Nördlingen: Greno 1988 (= Die andere Bibliothek). RANSMAYR, Christoph: Morbus Kitahara. Roman. Frankfurt / M.: S. Fischer 2 1995. RENNER, Heinrich: Durch Bosnien und die Hercegovina kreuz und quer. Wanderungen von H. R. Berlin: Reimer 1896. RILKE, Rainer Maria: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Hrsg. vom Rilke-Archiv. In Ver‐ bindung mit Ruth Sieber-Rilke besorgt durch Ernst Zinn. Frankfurt / M.: Insel 1975. RODA RODA: Der Pascha lacht. Morgenländische Schwänke. Eigenes und Echtes. Berlin, Leipzig: Schuster & Loeffler 7 1909. ROSKIEWICZ, Johann (Maj.): Studien über Bosnien und die Herzegowina. Leipzig, Wien: Brockhaus 1868. SALTEN, Felix: Das österreichische Antlitz. Berlin: S. Fischer 1909. SCHMITZ, Oscar A. H.: Brevier für Einsame. Fingerzeige zu neuem Leben. München: G. Müller 1923. SCHWEIGER-LERCHENFELD, Amand: Bosnien, das Land und seine Bewohner. Wien: Zamarski 1878. ŠIŠIĆ, Ferdinand von: Nach der Annexion. Erörterungen geographischer, ethnographischer, historischer u. staatsrechtlicher Fragen Herzeg-Bosnien betreffend. Ein Vortrag gehalten zu Laibach am 14. November 1908. Zagreb: Verl. d. Kroat. Rechtspartei 1909. SPAITS, Alexander: Der Weg zum Berliner Kongress. Historische Entwicklung Bosniens und der Herzegowina bis zur Okkupation 1878. Illustriert von Otto Gstöttnek. Wien, Leipzig: C. W. Stern 1907 (= Unsere Truppen in Bosnien und der Herzegowina 1878. Einzeldarstellungen I). STROBL, Karl Hans: Der Bogumilienstein. In: Ders.: Lemuria. Seltsame Geschichten. München: G. Müller 1921, S. 331-338. STURM, Alexander: Eine Ferienreise durch Bosnien und die Hercegowina. In: XXIII. Jahres-Bericht des k. k. Staats-Gymnasiums Ried am Schlusse des Schuljahres 1893 / 94. Ried / Innkr.: Selbstverlag 1894. TOLSTOI, Leo [Lev] N.: Die Annexion Bosniens und der Herzegowina. Übers. v. Edmund Rot. Berlin: H. Walther 1909. TRUHELKA, Ćiro: Volksleben. In: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. [=„Kronprinzenwerk“]. Bd. 12: Bosnien und Hercegovina. Wien: Hofu. Staats‐ druckerei 1901, S. 290-371. ULLMANN, Karl: Über kommerzielle Hygiene als Kollegium an der Handelshochschule. Über Entwicklung und den derzeitigen Stand der hygienischen Verhältnisse in Bosnien und der Hercegovina. Vorträge gehalten in dem internationalen Wirtschaftskurse August 1910. Wien: Selbstverlag 1911. E.1. Literaturverzeichnis 345 WENDEL, Hermann: Von Belgrad bis Bucari. Eine unphilosophische Reise durch Westser‐ bien, Bosnien, Hercegovina Montenegro und Dalmatien. Frankfurt / M.: Soc. Dr. 1922. WIEMAN, Bernard: Bosnisches Tagebuch. Kempten, München: Kösel 1908. WLISLOCKI, Heinrich von: Aus dem Leben der Siebenbürger Rumänen. In: Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge. Hg. von Rudolf Virchow und Wil‐ helm Wattenbach. Hamburg: Lüderitz 1889 / 90, S. 579-619. WOINOVICH, Emil v.: In der Herzegowina 1878. Skizzen, zusammengestellt von FML E. v. W. Wien, Leipzig: C. W. Stern 1908 (= Unsere Truppen in Bosnien und der Her‐ zegowina 1878. Einzeldarstellungen III). ZALOSCER, Hilde: Eine Heimkehr gibt es nicht. Ein österreichisches Curriculum vitae. Wien: Löcker 1988. ZANANTONI, Eduard: Erinnerungen aus meinem Leben [handschriftl., unveröff. Ms. 1922]. Wien: Österr. Staatsarchiv (ÖStA / KA / NL, B / 6: 1). ZEH, Juli: Die Stille ist ein Geräusch. Eine Fahrt durch Bosnien. Frankfurt / M.: Schöffling 2002. II. Benützte Sekundärliteratur 1. Div. Literaturwissenschaft und Kulturtheorie, Grundlagentexte, etc. ABRAHAM, Ulf: Fantastik in Literatur und Film. Eine Einführung für Schule und Hoch‐ schule. Berlin: E. Schmidt 2012. ACHILLES, Jochen / BORGARDS, Roland / BURRICHTER, Brigitte (Hg.): Liminale Anthropologien. Zwischenzeiten, Schwellenphänomene, Zwischenräume in Literatur und Philosophie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2012. AGAMBEN, Giorgio: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Übers. v. Hubert Thüring. Frankfurt / M.: Suhrkamp 2002 (= es 2068). ALDER, Lory / DALBY, Richard: The Dervish of Windsor Castle. The Life of Arminius Vambéry. London: Bachman & Turner 1979. ARENDT, Hannah: Vom Leben des Geistes. 2 Bde. München: Piper 1989. BECKERATH, Erwin von u. a. (Hg.): Handwörterbuch der Sozialwissenschaften. Bd. 4. Stuttgart: G. Fischer 1958. BAL, Mieke: Introduction to the Theory of Narrative. Toronto: U of T Press 1997. BARTHES, Roman: Das semiologische Abenteuer. Übers. von Dieter Hornig. Frank‐ furt / M.: Suhrkamp 1988 (= es 1441). BOA, Elizabeth: The Double Taboo of the Male Body in The Judgement, The Metamor‐ phosis and In the Penal Colony. In: Dies.: Kafka. Gender, Class, and Race in the Letters and Fictions. Oxford: OUP 1996, S. 107-147. E.1. Literaturverzeichnis 346 BOES, Tobias: The Poetics of Community. Thomas Mann, Joseph Conrad, Franz Kafka. In: Sherry, Vincent (Hg.): The Cambridge History of Modernism. Cambridge: CUP 2017, S. 592-609. BOURDIEU, Pierre: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Übers. von Bernd Schwibs und Achim Russer. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1999. BOURDIEU, Pierre: Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft. Übers. von Achim Russer u. a. Frankfurt / M.: Suhrkamp 2001. BOURDIEU, Pierre: Die männliche Herrschaft [1998]. Übers. von Jürgen Bolder. Frank‐ furt / M.: Suhrkamp 2005. BORN, Jürgen: Kafkas Bibliothek. Ein beschreibendes Verzeichnis. Mit einem Index aller in Kafkas Schriften erwähnten Bücher, Zeitschriften und Zeitschriftenbeiträge. Zu‐ sammengestellt unter Mitarbeit von Michael Antreter, Waltraud John und Jon Shep‐ herd. Frankfurt / M.: S. Fischer 1990 [Verzeichnis online unter http: / / www.pitt.edu/ ~kafka/ k_s_bibII.html]. BOYM, Svetlana: The Future of Nostalgia. New York: Basic Books 2001. BRITTNACHER, Hans Richard: Ästhetik des Horrors. Gespenster, Vampire, Monster, Teufel und künstliche Menschen in der phantastischen Literatur. Frankfurt / M.: Suhr‐ kamp 1994. BURNS, Wayne: The Penal Colony. Variations on a Theme by Octave Mirbeau. In: Accent 17 (Winter 1957), S. 45-51. CASTORIADIS, Constantin: L’institution imaginaire de la société. Paris: Seuil 1975. EAGLETON, Terry: The Idea of Culture. Oxford u. a.: Blackwell 2000. ERDHEIM, Mario: Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit. Eine Einführung in den ethnopsychoanalytischen Prozeß. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1982. FREUD, Sigmund: Studienausgabe. Hg. von Alexander Mitscherlich u. a. 10 Bde. und ein Erg.bd. Frankfurt / M.: Fischer 5 1980- 9 1989 (= Conditio Humana). FREUD, Sigmund: Das Unheimliche [1919]. In: Ders.: Studienausgabe. Bd. IV. Frank‐ furt / M.: Fischer 9 1989, S. 243-274. FREUD, Sigmund: Die Frage der Laienanalyse. Unterredungen mit einem Unparteiischen [1926]. In: Ders.: Studienausgabe. Bd. X. Frankfurt / M.: S. Fischer 1975, 2000, S. 275 ff. FREUD, Sigmund: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse [1932]. In: Ders.: Studienausgabe. Bd. 1. Frankfurt / M.: Fischer 12 1994. GRAMSCI, Antonio: Selections from the Prison Notebooks. Hg. u. übers. von Quintin Hoare & Geoffrey N. Smith. New York: International Publishers 1971. GÜRSES, Hakan: Funktionen der Kultur. Zur Kritik des Kulturbegriffs. In: Nowotny, Stefan / Staudigl, Michael (Hg.): Grenzen des Kulturkonzepts. Meta-Genealogien. Wien: Turia + Kant 2003, S. 13-34. GUNREBEN, Marie: „… der Literatur mit ihren eigenen Mitteln entkommen“. N. Gstreins Poetik der Skepsis. Bamberg: Univ. of Bamberg Pr. 2011. E.1. Literaturverzeichnis 347 HIEBEL, Hans Helmut: Die Zeichen des Gesetzes. Recht und Macht bei F. Kafka. München: Fink 1983, 2 1989. HOBSBAWN, Eric: The Age of Empire, 1875-1914. London: Weidenfeld & Nicolson 1987. HORKHEIMER, Max / ADORNO, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1947]. Frankfurt / M.: Fischer Taschenbuch Verl. 1988 (= Fischer Wissen‐ schaft 7404). JAMESON, Frederick: Das politische Unbewußte. Literatur als Symbol sozialen Handelns. Übers. von Ursula Bauer u. a. Reinbek: Rowohlt 1988 (= rowohlt enzyklopädie). KAPPELER, Susanne: The Pornography of Representation. Oxford: OUP 1986. KITTLER, Wolf: Schreibmaschinen, Sprechmaschinen. Effekte technischer Medien im Werk Franz Kafkas. In: Ders. / Neumann, Gerhard (Hg.): Kafka: Schriftverkehr. Frei‐ burg / B.: Rombach 1990, S. 57-163. KÖHLER, Sigrid G.: Körper mit Gesicht. Rhetorische Performanz und postkoloniale Reprä‐ sentation in der Literatur am Ende des 20. Jhs. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2006. KOSCHORKE, Albrecht: Die Heilige Familie und ihre Folgen. Ein Versuch. Frankfurt / M.: Fischer TB 2000. KOSCHORKE, Albrecht: Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähl‐ theorie. Frankfurt / M.: Fischer 2 2012. KREMER, Detlev: Kafka. Die Erotik des Schreibens. Frankfurt / M.: Athenäum 1989. LACHMANN, Renate: Gedächtnis und Literatur. Intertextualität in der russischen Mo‐ derne. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1990. LACHMANN, Renate: Erzählte Phantastik. Zur Phantasiegeschichte und Semantik phan‐ tastischer Texte. Frankfurt / M.: Suhrkamp 2002 (= stw 1578). LE RIDER, Jacques: Mitteleuropa. Auf den Spuren eines Begriffes. Übers. von Robert Fleck. Wien: Deuticke 1994. LOTMAN, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte. Übers. von Rolf-Dietrich Keil. Mün‐ chen: Fink 1972, 3 1989 (= UTB 103). LÜTKEHAUS, Ludger (Hg.): „Dieses wahre innere Afrika“. Texte zur Entdeckung des Un‐ bewußten vor Freud. Frankfurt / M.: Fischer 1989 (= FTB 6582). LYOTARD, Jean-Francois: Präskription: Kafka. In: Ders.: Kindheitslektüren. Übers. von Ronald Voullié. Wien: Passagen 1995, S. 45-76. MAXWELL, Alexander: Hungaro-German Dual Nationality. Germans, Slavs, and Mag‐ yars during the 1848 Revolution. In: German Studies Review 39 (2016), H. 1, S. 17-39. MÜLLER-FUNK, Wolfgang: Kulturtheorie. Einführung in Schlüsseltexte der Kulturwis‐ senschaften. Tübingen: Francke / UTB 2 2010. MÜLLER-FUNK, Wolfgang: Joseph Roth. Besichtigung eines Werks. Wien: Sonderzahl 2 2012. E.1. Literaturverzeichnis 348 MÜLLER-FUNK, Wolfgang: The Poetics of Spaces In-Between. Dublin: TCD ‚Identity Workshop‘, Okt. 2013 [unpubl. Vortrag]. Geplante Veröffentl. in: Ruthner, Clemens: Grenzwertig. Liminality as Critical Concept in (Austrian) Literary & Cultural Studies [in Vorber.]. NEUMANN, Gerhard: Schmerz - Erinnerung - Löschung. Die Aporien kultureller Me‐ moria in Kafkas Texten. In: Hirano, Yoshihiko / Ivanovic, Christine (Hg.): Kulturfaktor Schmerz. Internationales Kolloquium in Tokyo 2005. Würzburg: Könighausen & Neu‐ mann 2008, S. 173-193. NÜNNING, Ansgar / NÜNNING, Vera (Hg.): Konzepte der Kulturwissenschaften. Theo‐ retische Grundlagen - Ansätze - Perspektiven. Stuttgart: Metzler 2003. ROKKAN, Stein: Centre Periphery Structues in Europe. An ISSC Workbook in Comparative Analysis. Frankfurt / M.: Campus 1987. REBER, Ursula: Formenverschleifung. Zu einer Theorie der Metamorphose. München: Fink 2009. RUTHNER, Clemens: Unheimliche Wiederkehr. Interpretationen zu den gespenstischen Romanfiguren bei Ewers, Meyrink, Soyka, Spunda und Strobl. Meitingen: Corian Wimmer 1993. RUTHNER, Clemens: Sexualität Macht Tod / t. Prolegomena zu einer Literaturgeschichte des Vampirismus. In: Kakanien revisited, www.kakanien.ac.at/ beitr/ fallstudie/ Ruthner1.pdf [2002] RUTHNER, Clemens: Am Rande. Kanon, Kulturökonomie und die Intertexutalität des Marginalen am Beispiel der (österreichischen) Phantastik im 20. Jh. Tübingen, Basel: Francke 2004. RUTHNER, Clemens / REBER, Ursula / MAY, Markus (Hg.) : Nach Todorov. Neuere Zu‐ gänge zu einer Definition des Phantastischen in der Literatur. Tübingen, Basel: Francke 2006. RUTHNER, Clemens: Zur Theorie der Liminalität, oder: Die Grenzwertigkeit der Fan‐ tastik. In: Grizelj, Mario (Hg.): Der Schauer(roman): Formen - Diskurszusammen‐ hänge - Funktionen. Würzburg: Königshausen & Neumann 2010 (= Film - Medien - Diskurs 27), S. 77-90. RUTHNER, Clemens: Untotes Wachsen im Textgrab: Zur narrativen Ausarbeitung von Flückingers Vampirismus- Protokoll (1732) bei Herbert Mayo (1846). In: Augustyno‐ wicz, Christoph / Reber, Ursula (Hg.): Vampirglaube und Magia postuma im Diskurs der Habsburgermonarchie. Münster u. a.: LIT 2011. RUTHNER, Clemens: Collateral Roadkill. The Conflicted Death of „Central Europe“ en route to Sarajevo & Brussels. In: Ders. / Müller-Funk, Wolfgang (Hg.): Narrative / s in Conflict. Berlin, Boston: De Gruyter 2017 (= Culture in Conflict), S. 165-188. E.1. Literaturverzeichnis 349 RUTHNER, Clemens: „Versuchsstationen des Weltuntergangs“. Die apokalyptischen Szenarien der literarischen Fantastik vor und nach dem Ersten Weltkrieg. [i.V., er‐ scheint in der Zschr. Spiegelungen (München)]. SCHLEIERMACHER, Friedrich: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evan‐ gelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1830 / 31). Hg. v. Martin Redeker. Berlin: de Gruyter 7 1960. SCHMIDT-DENGLER, Wendelin: Der Übertreibungskünstler. Studien zu Thomas Bern‐ hard. Wien: Sonderzahl 1986, ²1989. SEIDLER, Andrea: Discourses on the Ottomans in Old Hungarian Liteature. Observa‐ tions on a Volatile Image. In: Müller-Funk, Wolfgang / Ruthner, Clemens (Hg.: Narra‐ tive(s) in Conflict. Berlin, New York: De Gruyter 2017 (= Culture in Conflict), S. 23-30. SMELSER, Neil J. / BALTES, Paul B. (Hg.): International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences. Bd. 4. Amsterdam u. a.: Elsevier 2001. TODOROV, Tzvetan: Einführung in die fantastische Literatur. Übers. von Karin Kersten u. a. München: Hanser 1972; Frankfurt / M.: Fischer 1992 (= FTB 10 958). TURK, Horst: Schlüsselszenarien. Paradigmen im Reflex literarischen und interkultu‐ rellen Verstehens. In: Bachmann-Medick, Doris (Hg.): Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen. Berlin: E. Schmitt 1997 (= Göttinger Beiträge zur int. Übersetzungs‐ forschung 12), S. 281-307. WHITE, Hayden: Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth Century Europe. Baltimore u. a.: Johns Hopkins Univ. Pr. 1973. / Metahistory. Die historische Einbil‐ dungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Frankfurt / M.: Fischer 1991. WHITE, Hayden: Tropics of Discourse. Essays in Cultural Criticism. Baltimore: Johns Hopkins Univ. Pr. 1978. / Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses. Stuttgart: Klett Cotta 1991. WILLIAMS, Raymond: Marxism and Literature. Oxford, New York: Oxford Univ. Pr. 1977. WITTGENSTEIN, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt / M.: Suhrkamp 3 1982 (= stw). ŽIVKOVIĆ, Yvonne: Between Geopolitics and Geopoetics. „Mitteleuropa“ as a Transnati‐ onal Memory Discourse in Austrian and Yugoslav Postwar Literature. New York: Phil. Diss, Columbia University 2015. E.1. Literaturverzeichnis 350 2. Theoretische und literaturwissenschaftliche Grundlagen (nach behandelten Themen) 2.1. Identitäten, Imagologien, Differenzen: das Eigene & das Fremde AHMAD, Aijaz: Orientalism and After. Ambivalence and Metropolotian Location in the Work of Edward Said. In: Ders.: In Theory. Classes, Nations, Literatures [1992]. London, New York: Verso 2008, S. 159-219. AMOSSY, Ruth: Die Idee des Stereotyps in der zeitgenössischen Diskussion [1991]. In: Freund, Wolfgang / Guimard, Cédric / Seidel, Ralph S. (Hg.): Begegnungen. Perspektiven interkultureller Kommunikation. Frankfurt / M., London: IKO 2002, S. 222-255. ANDERSON, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Kon‐ zepts. Frankfurt, New York: Campus 1988. ASSMANN, Aleida: Four Formats of Memory. From Individual to Collective Construc‐ tions of the Past. In: Emden, Christian / Midgley, David (Hg.): Cultural Memory and Historical Consciousness in the German-Speaking World Since 1500. Bern: P. Lang 2004, S. 19-37. ASSMANN, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: C. H. Beck 1992. AYDIN, Yaşar: Topoi des Fremden. Zur Analyse und Kritik einer sozialen Konstruktion. Konstanz: UVK 2009. BABEROWSKI, Jörg: Selbstbilder und Fremdbilder. Repräsentationen sozialer Ord‐ nungen im Wandel. In: Baberowski u. a. (Hg.), a. a. O. (2008), S. 9-13. BABEROWSKI, Jörg / KAELBLE, Hartmut / SCHRIEWER, Jürgen (Hg.): Selbstbilder und Fremdbilder. Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel. Frankfurt / M.: Campus 2008. BACHMANN-MEDICK, Doris: Einleitung. In: Diess.: Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen. Berlin: E. Schmidt 1997 (= Göttinger Beitr. zur int. Übersetzungs‐ forschung 12), S. 1-17. BACHTIN, Michail: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Übers. von Alexander Kämpfe. Frankfurt / M., Berlin u. a.: Ullstein 1985 (= Ull‐ stein-Buch / Materialien 35 218). BAHR, Hans-Dieter: Die Sprache des Gastes. Leipzig: Reclam 1994. BALL, Karyn: Remediated Memory in German Debates about Steven Spielberg’s Schind‐ ler’s List. In: Kakanien revisited, www.kakanien.ac.at/ beitr/ fallstudie/ KBall1.pdf (2006). BARFOOT, Cedric C. (Hg.): Beyond Pug’s Tour. National and Ethnic Stereotyping in Theory and Literary Practice. Amsterdam, Atlanta: Rodopi 1997. BASSLER, Moritz: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissen‐ schaftliche Text-Kontext-Theorie. Tübingen, Basel: Francke 2005. E.1. Literaturverzeichnis 351 BARKER, Francis / HULME, Peter / IVERSEN, Magrate / LOXLEY, Diana: (Hg.): Europe and its Others. 2 Bde. Colchester: University of Essex 1985. BAYERDÖRFER, Hans P. / DIETZ, Bettina / HEIDEMANN, Frank / HEMPEL, Paul: Einleitung. In: Diess. (Hg.): Bilder des Fremden. Mediale Inszenierung von Alterität im 19. Jh. Berlin: LIT 2007 (= Kulturgeschichtliche Perspektiven 5), S. 7-16. BELLER, Manfred: Eingebildete Nationalcharaktere. Vorträge und Aufsätze zur literari‐ schen Imagologie. Göttingen: V&R unipress 2006. BELLER, Manfred: Perception, image, imagology. In: Beller & Leersen (Hg.), a. a. O. (2007) S. 3-16. BELLER, Manfred: Fremdbilder, Selbstbilder. In: Handbuch Komparatistik. Hg. von Rü‐ diger Zymner und Achim Hölter. Stuttgart: Metzler 2013, S. 94-99. BELLER, Manfred / LEERSSEN, Joep (Hg.) : Imagology. The cultural construction and literary representation of national characters. A critical survey. Amsterdam, New York: Rodopi 2007 (= Studia imagologica 13). BELTING, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bild-Wissenschaft. München: Fink 2001, 3 2005. BHABHA, Homi: The Other Question. Stereotype, Discrimination and the Discourse of Colonialism. In: Ders.: The Location of Culture. London, New York: Routledge 1994, S. 66-84. BLAICHER, Günther: Erstarrtes Denken. Studien zu Klischee, Stereotyp und Vorurteil in englischsprachiger Literatur. Tübingen: Narr 1987. BLAŽEVIĆ, Zrinka / BRKOVIĆ, Ivana / DUKIĆ, Davor (Hg.): History as a Foreign Country / Geschichte als ein fremdes Land: Historical Imagery in South-Eastern Eu‐ rope / Historische Bilder in Süd-Ost Europa. Bonn: Bouvier 2015 (= Aachener Beiträge zur Komparatistik 11). BLEICHER, Thomas: Elemente einer komparatistischen Imagologie. In: Komparatische Hefte 2 (1980), S. 12-24. BLIOUMI, Aglaia: Imagologische Images und imagotype Systeme. Kritische Anmer‐ kungen. In: arcadia 37 (2002), H. 2., S. 344-357. BOBINAC, Marijan / MÜLLER-FUNK, Wolfgang (Hg.): Gedächtnis - Identität - Diffe‐ renz. Zur Konstruktion des südosteuropäischen Raumes und ihrem deutschsprachigem Kontext. Tübingen: Francke 2008 (= Kultur - Herrschaft - Differenz 12). BOEHM, Gottfried: Was ist ein Bild? München: Fink 4 2006. BOERNER, Peter: Das Bild vom anderen Land als Gegenstand literarischer Forschung. In: Sprache im technischen Zeitalter 56 (1975), S. 313-320. Engl. Langversion: National Image and Their Place in Literary Research. In: Monatshefte 67 (1975), S. 359-370. BOULDING, Kenneth: The Image. Knowledge in Life and Society. Ann Arbour: Univ. of Michigan Pr. 1961. BOURDIEU, Pierre: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg: VSA 1992. E.1. Literaturverzeichnis 352 BRONS, Lajos: Othering, an Analysis. In: Transcience. 6 (2015), Nr. 1, S. 69-90. BURUMA, Ian / MARGALIT, Avishai: Occidentalism. The West in the Eyes of its Enemies. New York: Penguin 2004. BUTLER, Judith: Haß spricht. Zur Politik des Performativen [1997]. Übers. von Kathrina Menke und Markus Krist. Frankfurt / M.: Suhrkamp 2006. CINIRELLA, Marco: Ethnic and National Stereotypes. A Social Identity Perspective. In: Barfoot (Hg.), a. a. O. (1997), S. 37-51. CORBEY, Raymond / LEERSSEN, Joep (Hg.): Alterity, Identity, Image. Selves and Others in Society and Scholarship. Amsterdam, Atlanta: Rodopi 1991 (= Amsterdam Studies on Cultural Identity 1). CSÁKY, Moritz / MANNOVÁ, Elena (Hg.): Collective Identities in Central Europe in Mo‐ dern Times. Bratislava: Akademie-Verl. 1999. DÄRMANN, Iris: Fremdgehen. Phänomenologische ‚Schritte zum Anderen‘. In: Münkler u. a. (Hg.), a. a. O. (1998), S. 461-544. DÄRMANN, Iris: Fremderfahrung und Repräsentation. In: Därmann & Jamme (Hg.), a. a. O. (2002), S. 7 ff. DÄRMANN, Iris / JAMME, Christoph (Hg.): Fremderfahrung und Repräsentation. Wei‐ lerswist: Velbrück Wissenschaft 2002. DERRIDA, Jacques: Von der Gastfreundschaft. Hg. von Peter Engelmann, übers. von Markus Sedlaczek. Wien: Passagen 2001. DROIT, Roger-Pol: Généalogie des Barbares. Paris: O. Jacob 2007. DUALA-M’BEDY, Munasu: Xenologie. Die Wissenschaft vom Fremden und die Verdrän‐ gung der Humanität in der Anthropologie. Freiburg, München: K. Alber 1977. DUKIĆ, Davor (Hg.): Imagology Today / Imagologie heute. Achievements, Challenges, Per‐ spectives. Bonn: Bouvier 2012. DUŢU, Alexandru: Die Imagologie und die Entdeckung der Alterität. In: Kessler, Wolf‐ gang u. a. (Hg.): Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa im 18. und 19. Jh. Fest‐ schrift für Heinz Ischreyt zum 65. Geburtstag. Berlin: Camen 1982, S. 257-263. DYSERINCK, Hugo: Zum Problem des ‚images‘ und ‚mirages‘ und ihrer Untersuchung im Rahmen der Vergleichenden Literaturwissenschaft. In: Arcadia 1 (1966), S. 107-120. DYSERINCK, Hugo: Die Quellen der Négritude-Theorie als Gegenstand komparatisti‐ scher Imagologie. In: Komparatistische Hefte 1 (1980), S. 31-40. DYSERINCK, Hugo: Komparatistische Imagologie. Zur politischen Tragweite einer eu‐ ropäischen Wissenschaft von der Literatur. In: Ders. & Syndram (Hg.), a. a. O. (1988), S. 13-37. DYSERINCK, Hugo: Über neue und erneuerte Perspektiven der komparatistischen Ima‐ gologie angesichts der Reaktivierung der Beziehungen zum osteuropäischen Raum. In: Mehnert, Elke (Hg.): Imagologica Slavica. Bilder vom eigenen und dem anderen Land. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 1997, S. 12-28. E.1. Literaturverzeichnis 353 DYSERINCK, Hugo / Syndram, Karl Ulrich (Hg.): Europa und das nationale Selbstver‐ ständnis. Imagologische Probleme in der Literatur, Kunst und Kultur des 19. und 20. Jhs. Bonn: Bouvier 1988. ERDHEIM, Mario: Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit. Eine Einführung in den ethnopsychoanalytischen Prozeß. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1982. EWEN, Elizabeth / EWEN, Stuart: Typecasting. On the Arts and Sciences of Human Ine‐ quality. A History of Dominant Ideas. New York: Seven Stories Pr. 2006. FANG, Weigui: Das Chinabild in der deutschen Literatur 1871-1933. Ein Beitrag zur kom‐ paratistischen Imagologie. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 1992. FAIRCLOUGH, Norman: Critical Discourse Analysis. The Critical Study of Language. London, New York: Routledge 2010. FINK, Gonthier-Louis: Von Winckelmann bis Herder. Die deutsche Klimatheorie in eu‐ ropäischer Perspektive. In: Sauder, Gerhard (Hg.): J. G. Herder 1744-1803. Hamburg: Meiner 1987, S. 156-176. FINZI, Daniela: Unterwegs zum Anderen. Literarische Er-Fahrung der kriegerischen Auf‐ lösung Jugoslawiens aus deutschsprachiger Perspektive. Tübingen: Francke 2013 (= Kultur - Herrschaft - Differenz 17). FISCHER, Manfred S.: Komparatistische Imagologie. Für eine interdisziplinäre Erfor‐ schung national-imagotyper Systeme. In: Zeitschrift für Sozialpsychologie 10 (1979), S. 30-44. FISCHER, Manfred S.: Nationale Images als Gegenstand Vergleichender Literaturge‐ schichte. Untersuchungen zur Entstehung der komparatistischen Imagologie. Bonn: Bou‐ vier-Grundmann 1981. FISCHER, Manfred S.: Literarische Seinsweise und politische Funktion nationenbezo‐ gener Images. Ein Beitrag zur Theorie der komparatistsichen Imagologie. In: Neohe‐ licon 10 (1983), S. 251-274. FLORACK, Ruth: Bekannte Fremde. Zu Herkunft und Funktion nationaler Stereotype in der Literatur. Tübingen: Niemeyer / de Gruyter 2007 (= Studien und Texte zur Sozial‐ geschichte der Literatur 114). FOUCAULT, Michel: Dits et Ecrits 1954-1988. Band 3: 1976-1979. Hg. von Daniel Defert und François Ewald. Paris: Gallimard 1994. FOUCAULT, Michel: Abnormal. Lectures at the Collège de France, 1974-1975. Übers. von Graham Burchell. London: Picador 2004. FOUNTOULAKIS, Evi / PREVIŠIĆ, Boris (Hg.): Der Gast als Fremder. Narrative Alterität in der Literatur. Bielefeld: transcript 2011. FREUD, Sigmund: Das Unheimliche. In: Ders.: Studienausgabe. Hg. von Alexander Mit‐ scherlich u. a. 10 Bde. und 1 Erg.bd. Frankfurt / M.: S. Fischer 1982 ff., Bd. IV, S. 241-274 [EA in Imago 5 (1919), S. 297-324]. E.1. Literaturverzeichnis 354 GOFFMAN, Erving: Frame Analysis. An essay on the organization of experience. London: Penguin 1975. GOFFMAN, Erving: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Frankfurt / M.: Suhrkamp 11 2008. GEENEN, Elke M.: Soziologie des Fremden. Ein gesellschaftstheoretischer Entwurf. Op‐ laden: Leske & Budrich / Wiesbaden: Springer Fachmedien 2002. GUYARD, Marius-François: La littérature comparée. Paris: P. U. F. 1951. HÄNGGI, Christian: Gastfreundschaft im Zeitalter der medialen Repräsentation, Wien: Passagen 2009. HAHN, Alois: Die soziale Konstruktion des Femden. In: Sprondel, Walter M. (Hg.): Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion. Für Thomas Luck‐ mann. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1994 (= stw 1140), S. 140-163. HAIDU, Peter 1990: The Semiotics of Alterity. A Comparison with Hermeneutics. In: New Literary History 21 (1990), H. 3, S. 671-691. HAHN, Hans Henning: Historische Stereotypenforschung. Methodische Überlegungen und empirische Befunde. Oldenburg: BIS 1995. HARTH, Dietrich (Hg.): Fiktion des Fremden. Erkundung kultureller Grenzen in Literatur und Publizistik. Frankfurt / M.: Fischer TB 1994. HALL, Edith: Inventing the Barbarian. Greek Self-Definition through Tragedy. Oxford: Clarendon Pr. 1989 (=Oxford Classical Monographs). HALL, Stuart: Encoding / Decoding. In: Ders. u. a. (Hg.): Culture, Media, Language. Wor‐ king Papers in Cultural Studies, 1972-1979. London: Hutchinson 1980, S. 128-138. HALL, Stuart: The Spectacle of the ‚Other‘. In: Ders. u. a. (Hg.): Representation. Cultural Representations and Signifying Practices. London: Sage / Open University 1997, S. 223-290./ Das Spektakel des ‚Anderen‘. Übers. von Kristin Carls und Dagmar En‐ gelken. In: Ders.: Ausgewählte Schriften 4. Hg. von Juha Koivisto und Andreas Merkens. Hamburg: Argument 2004, S. 108-166. HAN, Byung-Chul: Die Austreibung des Anderen. Gesellschaft, Wahrnehmung und Kom‐ munikation heute. Frankfurt / M.: S. Fischer 2016. HEISS, Johann / FEICHTINGER, Johannes (Hg.): Der erinnerte Feind. Wien: Mandel‐ baum 2013[b] (= Kritische Studien zur ‚Türkenbelagerung‘ 2). HEUBERGER, Valeria / SUPPAN, Arnold / VYSLONZIL, Elisabeth (Hg.): Das Bild vom Anderen. Identitäten, Mentalitäten und Stereotypen in multiethnischen europäischen Re‐ gionen. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 1998. HOFER, Michael: Integration, das sind die Anderen. Migrationsgesellschaftliche Positio‐ nierungen durch Sprache im österreichischen Integrationsdiskurs. Münster, New York: Waxmann 2016. HOFMANN, Michael: Interkulturelle Germanistik. Eine Einführung. Paderborn: Schön‐ ingh / UTB 2006. E.1. Literaturverzeichnis 355 HONOLD, Alexander: Poetik des Fremden? Zur Verschränkung interkultureller und postkolonialer Literatur-Dynamiken. In: Dürbeck & Dunker (Hg.), a. a. O. (2014), S. 71-103. HONOLD, Alexander / SCHERPE, Klaus R. (Hg.): Das Fremde. Reiseerfahrungen, Schreibformen und kulturelles Wissen. Bern: P. Lang 2000. HOPPENBROUWERS, Peter: Medieval peoples imagined. In: Beller & Leersen (Hg.), a. a. O. (2007), S. 45-62. HORN, Peter: Fremdheitskonstruktionen weißer Kolonisten. In: Wierlacher (Hg.), a. a. O. (1987), S. 405-418. JAMME, Christoph: Gibt es eine Wissenschaft des Fremden? Zur aktuellen Theoriede‐ batte zwischen Philosophie und Ethnologie. In: Därmann & Jamme (Hg.), a. a. O. (2002), S. 183-208. JAWORSKI, Rudolf: Osteuropa als Gegenstand historischer Stereotypenforschung. In: Geschichte und Gesellschaft 13 (1987), S. 63-76. JAY, Martin: Scopic Regimes of Modernity. In: Lash, Scott / Jonathan Friedman: Modernity and Identity. Oxford, Cambridge (Mass.): Blackwell 1992, S. 178-195. JEISMANN, Michael: Was bedeuten Stereotypen für nationale Identität und politisches Handeln? In: Link & Wülfling (Hg.), a. a. O. (1991), S. 84-93. KAELBLE, Hartmut: Eine europäische Geschichte der Repräsentationen des Eigenen und des Anderen. In: Baberowski u. a. (Hg.), a. a. O. (2008), S. 67-81. KAUPEN-HAAS, Heidrun / SALLER, Christian (Hg.): Wissenschaftlicher Rassismus. Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften. Frankfurt / M.: Campus 1999. KEUPP, Heiner u. a. (Hg.): Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Postmoderne. Reinbek: Rowohlt 1999 (= re 55 634). KLEIN, Josef: Linguistische Stereotypbegriffe. Sozialpsychologischer vs. semantiktheo‐ retischer Traditionsstrang und einige frametheoretische Überlegungen. In: Heine‐ mann, Margot (Hg.): Sprachliche und soziale Stereotype. Bern u.a: P. Lang 1998, S. 25-46. KLINGER, Cornelia: Ungleichheit in den Verhältnissen von Klasse, Rasse und Ge‐ schlecht. In: Knapp, Gudrun-Axeli / Wetterer, Angelika (Hg.): Achsen der Differenz: Gesellschaftstheorie und feministische Kritik II. Münster: Westfälisches Dampfboot 2003, S. 15-48. KRISTEVA, Julia: Fremde sind wir uns selbst. Übers. v. Xenia Rajewski [EA Paris: Fayard 1988]. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1990 (= es 1604). LEERSSEN, Joep: Echoes and Images. Reflections upon Foreign Space. In: Corbey & Leerssen (Hg.), a. a. O. (1991), S. 123-138. LEERSSEN, Joep: Image and Reality - and Belgium. In: Ders. u. Syndram (Hg.), a. a. O. (1992), S. 281-291. E.1. Literaturverzeichnis 356 LEERSSEN, Joep: The Allochronic Periphery. Towards a Grammar of Cross-Cultural Representation. In: Barfoot (Hg.), a. a. O. (1997), S. 285-294. LEERSSEN, Joep: The Rhetoric of National Character. A Programmatic Survey. In: Poetics Today 21 (2000), H. 2, S. 267-292. LEERSSEN, Joep: Imagology. In: Beller u. Leersen (Hg.), a. a. O. (2007), S. 17-33 [= 2007a]. LEERSSEN, Joep: The poetics and anthropology of national character, 1500-2000. In: Beller & Leersen (Hg.), a. a. O. (2007), S. 63-75 [= 2007b]. LEERSSEN, Joep / SYNDRAM, Karl Ulrich (Hg.): Europa Provincia Mundi. Essays in comparative literature and European studies offered to Hugo Dyserinck on the occasion of his 65th birthday. Amsterdam, Atlanta: Rodopi 1992. LESKOVEC, Andrea: Fremdheit und Literatur. Alternativer hermeneutischer Ansatz für eine interkulturell ausgerichtete Literaturwissenschaft. Berlin, Münster: LIT 2009 (= Kommunikation und Kulturen 8). LEYENS, Jacques-Philippe / YZERBYT, Vincent / SCHADRON, Georges: Stereotypes and Social Cognition. London, Thousand Oaks, New-Delhi: Sage 1994. LEVINAS, Emmanuel: Die Zeit und der Andere [1949]. Übers. von Ludwig Wenzler. Hamburg: Meiner 1979 ff. LEVINAS, Emmanuel: Zwischen uns. Versuche über das Denken des Anderen. Übers. von Frank Miething. München, Wien: Hanser 1995. LINK, Jürgen / WÜLFING, Wulf (Hg.): Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Iden‐ tität. Stuttgart: Klett-Cotta 1991. LIPPMANN Walter: Public Opinion [1922]. New York: Free Press; London, Toronto: Col‐ lier-Macmillan 1966. LONGINOVIĆ, Tomislav Z.: Vampire Nation. Violence as Cultural Imaginary. Durham: Duke Univ. Pr. 2011 (= The Cultures and Practice of Violence). MECKLENBURG, Norbert: Über kulturelle und poetische Alterität. Kultur- und litera‐ turtheoretische Grundprobleme einer interkulturellen Germanistik. In: Wierlacher (Hg.), a. a. O. (1987), S. 563-584. MEYER, Herman: Das Bild des Holländers in der deutschen Literatur. In: Ders.: Zarte Empirie. Studien zur Literaturgeschichte. Stuttgart: Metzler 1963, S. 202-224. MICHAUD, Guy: Architectures. In: Ethnopsychologie 26 (1971), S. 311-333. MITCHELL, W. J. T.: Bildtheorie. Hg. von Gustav Frank, übers. von Manfred Jatho. Frank‐ furt / M.: Suhrkamp 2008. MOSSE, George L.: Die Geschichte des Rassismus in Europa. Übers. von Elfriede Burau und Hans Guenter Holl. München: Fischer TB 1990. MOURA, Jean-Marc: Imagologie / Social images. In: DICTL. Dictionnaire International des Termes Littéraires, www.ditl.info/ arttest/ art5883.php. E.1. Literaturverzeichnis 357 MÜLLER-FUNK, Wolfgang: Das Eigene und das Andere / der, die, das Fremde. Zur Be‐ griffsklärung nach Hegel, Levinas, Kristeva, Waldenfels. In: Kakanien revisited, http: / / www.kakanien.ac.at/ beitr/ theorie/ WMueller-Funk2.pdf (2002b). MÜLLER-FUNK, Wolfgang: Theorien des Fremden. Tübingen: Franke / UTB 2016. MÜNKLER, Herfried: Politische Bilder, Politik der Metaphern. Frankfurt / M: FTB 1994 (= Fischer Wissenschaft 12 384). MÜNKLER, Herfried u. a. (Hg.): Die Herausforderung durch das Fremde. Berlin: Aka‐ demie-Verl. 1998 (= Interdiszipl. Arbeitsgruppen Forschungsberichte der Berlin-Bran‐ denburgischen Ak. der Wiss. 5). MÜNKLER, Herfried / LADWIG, Bernd: Das Verschwinden des Fremden und die Plu‐ ralisierung der Fremdheit. Einleitung. In: Münkler (Hg.), a. a. O. (1998), S. 11-25. MÜNKLER, Herfried: Barbaren und Dämonen. Die Konstruktionen des Fremden in Im‐ perialen Ordnungen. In: Baberowski u. a. (Hg.), a. a. O. (2008), S. 153-189. NEDERVEEN PIETERSE, Jan: Image and Power. In: Corbey & Leerssen (Hg.), a. a. O. (1991), S. 191-203. NIEDHART, Gottfried: Perzeption und Image als Gegenstand der Geschichte von den internationalen Beziehungen. Eine Problemskizze. In: Süssmuth, Hans (Hg.): Deutsch‐ landbilder in Dänemark und England, in Frankreich und den Niederlanden. Baden-Baden: Nomos 1984, S. 79-86. NIERAGDEN, Göran: Imagologie und Alterität. Der postkoloniale Roman. In: arcadia 34 (1999), S. 413-421. NIPPEL, Wilfried: Classical Antiquity. In: Beller & Leersen (Hg.), a. a. O. (2007), S. 33-44. O’SULLIVAN, Emer: Das ästhetische Potential nationaler Stereotypen in literarischen Texten. Auf der Grundlage einer Untersuchung des Englandbildes in der deutschspra‐ chigen Kinder- und Jugendliteratur nach 1960. Tübingen: Stauffenburg 1989 (= Collo‐ quium 8). OSTERHAMMEL, Jürgen: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zur Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001. OSTERMANN, Änne / NICKLAS, Hans: Vorurteile und Feindbilder. Weinheim, Basel: Beltz 1984. PAGEAUX, Daniel-Henri: Image / Imaginaire. In: Dyserinck & Syndram (Hg.), a. a. O. (1988), S. 367-379. PAGEAUX, Daniel-Henri: De l’imagerie culturelle à l’imaginaire. In: Brunel, Pierre/ Chevrel, Yves (Hg.): Précis de littérature comparée. Paris: PUF 1989, S. 133-161. PAGEAUX, Daniel-Henri: De l’imagologie à la theorie en littérature comparée. Éléments de reflexion. In: Leerssen & Syndram (Hg.), a. a. O. (1992), S. 297-307. PICKERING, Michael: Stereotyping. The Politics of Representation. Basingstoke, New York: Palgrave 2001. E.1. Literaturverzeichnis 358 POCHAT, Götz: Images in Kunst und Kunstwerk. Imagologie und Kunstgeschichte. In: Dyserinck & Syndram (Hg.), a. a. O. (1988), S. 187-227. POLASCHEGG, Andrea: Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imaginiation im 19. Jh. Berlin, New York: de Gruyter 2005 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 35 / 269). QUASTHOFF, Uta M.: Soziales Vorurteil und Kommunikation - Eine sprachwissenschaft‐ liche Analyse des Stereotyps. Ein interdisziplinärer Versuch im Bereich von Linguistik, Sozialwissenschaft und Psychologie. Frankfurt / M.: Athenäum 1973. REICHER, Steve / HOPKINS, Nick / CONDOR, Susan: The Lost Nation of Psychology. In: Barfoot (Hg.), a. a. O. (1997), S. 53-84. RECKWITZ, Andreas: Ernesto Laclau. Diskurse, Hegemonien, Antagonismen. In: Moe‐ bius, Stephan / Quadflieg, Dirk (Hg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften 2006, S. 339-349. RIESZ, János: Einleitung. Zur Omnipräsenz nationaler und ethnischer Stereotype. In: Komparatistische Hefte 2 (1980), S. 3-11. ROTHE, Hans: Fremd- und Eigenbilder von und über Slaven, vornehmlich über Russen und Polen. In: Dyserinck & Syndram (Hg.), a. a. O. (1988), S. 295-319. RÜHLING, Lutz: Bilder vom Norden. Imagines, Stereotype und ihre Funktion. In: Arndt, Astrid u. a. (Hg.): Imagologie des Nordens. Kultureller Konstruktionen von Nördlichkeit in interdisziplinärer Perspektive. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 2004, S. 279-300. SACHS-HOMBACH, Klaus: Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden. Frank‐ furt / M: Suhrkamp 2 2005 (= stw 1751). SACHS-HOMBACH, Klaus (Hg.): Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grund‐ lagen des Visualistic Turn. Frankfurt / M.: Suhrkamp 2009 (= stw 1888). SAID, Edward: Orientalism. New York: Vintage 1979. SAID, Edward: Orientalism reconsidered. In: Barker u. a. (1985), S. 14-27. SCHAFF, Adam: Stereotypen und das menschliche Handeln. Wien, München, Zürich: Eu‐ ropa-Verl. 1980. SCHÄFFTER, Ortfried (Hg.). Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung. Opladen: Westdeutscher Verl. 1991. SCHERPE, Klaus: Die First-Kontakt-Szene. Kulturelle Praktiken bei der Begegnung mit Fremden. In: Neumann, Gerhard / Weigel, Sigrid (Hg.): Die Lesbarkeit der Kultur. Li‐ teraturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie. München: Fink 2000, S. 149-166. SCHMUGGE, Ludwig: Über ‚nationale‘ Vorurteile im Mittelalter. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 38 (1982), S. 439-459. SCHNEIDER, Manfred: Der Barbar. Endzeitstimmung und Kulturrecycling. München, Wien: Hanser 1997. E.1. Literaturverzeichnis 359 SCHRATZ, Michael: Interkulturelles Lernen als Erinnerungsarbeit. In: Ders./ Gabriele Fuchs (Hg.): Interkulturelles Zusammenleben. Aber wie? Innsbruck: StudienVerlag 1994. SCHÜTZ, Alfred: Der Fremde. Ein sozialpsychologischer Versuch [1944 / 1971]. In: Ders.: Relevanz und Handeln 2. Gesellschaftliches Wissen und politisches Handeln. Hg. von Andreas Göttlich, Gerd Sebald und Jan Weyand. Konstanz: UVK 2011 (= Alfred Schütz Werkausgabe, hg. von Richard Grathoff u. a., Bd. VI.2). SENGUPTA, Mahasweta: Translation as Manipulation. The Power of Images and Images of Power. In: Dingwaney, Anuradha / Maier, Carol (Hg.): Between Languages and Cul‐ tures. Translation and Cross-Cultural Texts. Pittsburgh, London: Univ. of Pittsburgh Pr. 1995, S. 159-174. SHIELDS, Rob: Places on the Margin. Alternative Geographies of Modernity. London, New York: Routledge 1992. SIEBENMANN, Gustav: La investigación de las imagines mentales. Aspectos metodo‐ lógicos. In: Versants 29 (1996), S. 5-29. SINGER, Mona: Fremd.Bestimmung. Zur kulturellen Verortung von Identität. Tübingen: diskord 1997 (= Perspektiven 6). SOETERS, Joseph L. / VAN TUYWER, Mireille: National and Ethnic Stereotyping in Organizations. In: Barfoot (Hg.), a. a. O. (1997), S. 495-510. SPIERING, Menno: Englishness. Foreigners and Images of National Identity in Postwar Literature. Amsterdam: Rodopi 1993. SPIVAK, Gayatri Chakravorty: The Rani of Sirmur. An Essay in Reading the Archives. In: History and Theory 24 (Okt. 1985), H. 3, S. 247-272. SUNDHAUSSEN, Holm: Europa balcanica. Der Balkan als historischer Raum Europas. In: Geschichte und Gesellschaft [Göttingen] 25 (1999), S. 626-653. STANZEL, Franz K.: Europäer. Ein imagologischer Essay. Heidelberg: Winter 2 1998. STEINS, Martin: Das Bild des Schwarzen in der europäischen Kolonialliteratur. Frank‐ furt / M.: P. Lang 1972. STICHWEH, Rudolf: Der Fremde. Studien zu Soziologie und Sozialgeschichte. Frank‐ furt / M.: Suhrkamp 2010. TAJFEL, Henri: Gruppenkonflikt und Vorurteil. Entstehung und Funktion sozialer Stereo‐ typen. Bern, Stuttgart, Wien: H. Huber 1982. TELUS, Magdalena: Einige kulturelle Funktionen gruppenspezifischer Stereotype. In: Zeitschrift für Empirische Textforschung 1 (1994), S. 33-49. THEWELEIT, Klaus: Männerphantasien. 2 Bde. Frankfurt / M.: Roter Stern 1977. TODOROV, Tzvetan: La peur des barbares. Au-delà du choc des civilisations. Paris: R. Laffont 2008. TODOROVA, Maria: Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil. Übers. von Uli Twelker. Darmstadt: WBG 1999. E.1. Literaturverzeichnis 360 TODOROVA, Maria: Spacing Europa. What is a Region? In: East Central Europe (ECE) 32 (2005), H. 1-2, S. 59-78. TORFING, Jacob: New Theories of Discourse. Laclau, Mouffe and Zizek. Oxford, Malden: Blackwell 1999. TURK, Horst: Alienität und Alterität als Schlüsselbegriffe einer Kultursemantik. In: Jahrbuch für Germanistik (1990), S. 8-31. VAN ALPHEN, Ernst: The Other Within. In: Corbey & Leerssen (Hg.), a. a. O. (1991), S. 1-16. VAN HOVE, Johnny: Hybridität Revisited. Karriere, Kritik und Alltag eines Starkon‐ zepts. (Hybridity Revisited: Career, Critique, and Everyday Reality of a Star Concept). In: Kult_online 34 (2013). WALDENFELS, Bernhard: Der Stachel des Fremden. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1990, 1998 (= stw 868). WALDENFELS, Bernhard: Studien zur Phänomenologie des Fremden. 4 Bde. Frank‐ furt / M: Suhrkamp 1997 ff. WALDENFELS, Bernhard: Fremdheitsschwellen. In: Achilles, Jochen / Borgards, Ro‐ land / Burrichter, Brigitte (Hg.): Liminale Anthropologien. Zwischenzeiten, Schwellen‐ phänomene und Zwischenräume in Literatur und Philosophie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2012, S. 15-27. WARRAQ, Ibn: Defending the West. A Critique of Edward Said’s Orientalism. Amherst (Mass.): Prometheus 2007. WELLEK, René: Concepts of Criticism. New Haven: Yale Univ. Pr. 1963. WIERLACHER, Alois (Hg.): Das Fremde und das Eigene. Prolegomena zu einer interkul‐ turellen Germanistik. München: iudicium 1985, 4 2001 (= Publikationen der Ges. für interkult. Germanistik 1). WIERLACHER, Alois (Hg.): Perspektiven und Verfahren interkultureller Germanistik. Akten des I. Kongresses für Interkult. Germanistik. München: iudicium 1987. WIERLACHER, Alois / STÖTZEL, Georg (Hg.): Blickwinkel. Kulturelle Optik und inter‐ kulturelle Gegenstandskonstitution. München: iudicium 1996. WIERLACHER, Alois / ALBRECHT, Corinna: Kulturwissenschaftliche Xenologie. In: Nünning, Ansgar & Vera (Hg.): Konzepte der Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen - Ansätze - Perspektiven. Stuttgart, Weimar: Metzler 2003, S. 280-306. WINGFIELD, Nancy (Hg.): Creating the Other. Ethnic Conflict and Nationalism in Habs‐ burg Central Europe. New York: Berghahn 2003. WODAK, Ruth u. a.: Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1998 (= stw 1349). WOLFF, Larry: Inventing Eastern Europe. The Map of Civilization on the Mind of the En‐ lightenment. Stanford: Stanford Univ. Pr. 1994. E.1. Literaturverzeichnis 361 ZEYRINGER, Klaus / CSÁKY, Moritz (Hg.): Inszenierungen des kollektiven Gedächtnisses. Eigenbilder, Fremdbilder. Innsbruck, München: StudienVerlag 2002 (= Paradigma Zent‐ raleuropa 4). ZIJDERVELD, Anton C.: On Clichés. The Supersedure of Meaning by Function in Mo‐ dernity. London, New York: Routledge 1979. Kurzfassung in: Blaicher (Hg.), a. a. O. (1987), S. 26-40. 2.2. Imperialismus, Post / Kolonialismus & Orientalismus ABDEL-MALEK, Anouar: Orientalism in Crisis. In: Diogenes 44 (Winter 1963), S. 103-140. AHMAD, Aijaz: In Theory. Classes, Nations, Literatures [1992]. London, New York: Verso 2008. ALATAS, Syed Hussein: The Myth of the Lazy Native. A Study of the Malays, Filipinos and Javanese from the 16th to the 20th century and its function in the ideology of colonial capitalism. London: F. Cass 1977. ALLERKAMP, Andrea: Die innere Kolonisierung. Bilder und Darstellungen des / der An‐ deren in deutschsprachigen, französischen und afrikanischen Literaturen des 20. Jhs. Köln, Wien, Weimar: Böhlau 1991. ALLOULA, Malek: The Colonial Harem. Übers. von Myrna u. Vlad Godzich. Minneapolis, London: U of Minnesota Pr. 1986 (= Theory and History of Literature 21). ANDERSON, Warwick / JENSEN, Deborah / KELLER, Richard C. (Hg.): Unconsicous Dominions. Psychoanalysis, Colonial Trauma, and Global Sovereignities. Durham: Duke Univ. Pr. 2011. ARENDT, Hannah: Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft. Frankfurt / M.: EVA 1955. ARNDT, Susan: „The Racial Turn“. Kolonialismus, weiße Mythen und Critical Whiteness Studies. In: Bechhaus-Gerst, Marianne / Gieseke, Sunna (Hg.): Koloniale und postko‐ loniale Konstruktionen von Afrika und Menschen afrikanischer Herkunft in der deut‐ schen Alltagskultur. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 2007 (= Afrika und Europa. Koloniale und Postkol. Begegnungen 1), S. 11-25. ARNOLD, David: The Colonial Prison. Power, Knowledge and Penology in 19 th -c. India. In: Subaltern Studies 8 (1994), S. 148-187. ASHCROFT, Bill / GRIFFITHS, Gareth / TIFFIN, Helen (Hg.): The Empire Writes Back. Theory and Practice in Postcolonial Literatures. London, New York: Routledge 1989, 2 2002. BABKA, Anna: Prozesse der (subversiven) cross-identification. Parodistische Performanz bei Judith Butler - koloniale mimikry bei Homi Bhabha. In: Grizelj, Mario / Jahraus, Oliver (Hg.): Theorietheorie. Wider die Theoriemüdigkeit in den Geisteswissenschaften. München: Fink 2011, S. 167-180. E.1. Literaturverzeichnis 362 BABKA, Anna / Malle, Julia / Schmidt, Matthias (Hg.): Dritte Räume. Homi Bhabhas Kul‐ turtheorie. Kritik Anwendung Reflexion. Wien, Berlin: Turia+Kant 2012. BADER, Wolfgang / RIESZ, János (Hg.): Literatur und Kolonialismus 1. Frankfurt / M., Bern: P. Lang 1983 (= Bayreuther Beiträge zur Literaturwissenschaft 4). BALANDIER, Georges: The Colonial Situation. A Theoretical Approach [1951]. In: Wal‐ lerstein, Immanuel (Hg.): Social Change. The Colonial Situation. New York: Wiley 1966, S. 34-81. BARTH, Boris / OSTERHAMMEL, Jürgen (Hg.): Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jh. Konstanz: UVK 2005. BARTH, Volker: Kontrollierte Träume. Der Orient auf der Pariser Weltausstellung von 1867. In: Kopp & Müller-Richter (Hg.), a. a. O. (2004), S. 31-51. BARTOLOVICH, Crystal: Global Capital and Transnationalism. In: Schwarz & Ray (Hg.), a. a. O. (2000 / 2005), S. 126-161. BASHFORD, Alison: Imperial Hygiene. A Critical History of Colonialism, Nationalism and Public Health. London: Palgrave 2003. BAYERDÖRFER, Hans-Peter / HELLMUTH, Eckhart (Hg.): Exotica. Konsum und Insze‐ nierung des Fremden im 19. Jahrhundert. Berlin, Münster u. a.: LIT 2003 (= Kulturge‐ schichtliche Perspektiven 1). BELGIN, Tayfun: Harem. Erotik, Exotik und Schein. In: Ders. (Hg.): Harem. Geheimnisse des Orients [Ausstellungskatalog]. Krems: Kunsthalle 2005, S. 8-21. BENNETT, Tony: Metropolis, Colony, Primitive. Evolution and the Vision of Politics. In: Kopp & Müller-Richter (Hg.), a. a. O. (2004), S. 69-92. BHABHA, Homi: Nation and Narration. London, New York: Routledge 1990. BHABHA, Homi: The Location of Culture. London, New York: Routledge 1994. BHABHA, Homi: Of Mimicry and Man: The Ambivalence of Colonial Discourse. In: Ders. (Hg.), a. a. O. (1994), S. 85-92. BHABA, Homi: Über kulturelle Hybridität. Tradition und Übersetzung. Hg. und eingel. von Anna Babka und Gerald Posselt, übers. von Kathrina Menke. Wien: Turia+Kant 2012. BHATTI, Anil / KIMMICH, Dorothee (Hg.): Ähnlichkeit. Ein kulturtheoretisches Para‐ digma. Mit Beitr. von Albrecht Koschorke, Jan und Aleida Assmann, Jürgen Oster‐ hammel, Klaus Sachs-Hombach u. a. Konstanz: Konstanz Univ. Pr. 2015. BHATTI, Anil / KIMMICH, Dorothee: Einleitung. In: Bhatti & Kimmich (Hg.), a. a. O. (2015), S. 7-31. BHATTI, Anil / TURK, Horst (Hg.): Reisen, Entdecken, Utopien. Untersuchungen zum Al‐ teritätsdiskurs im Kontext von Kolonialismus und Kulturkritik. Bern u. a.: P. Lang 1998. BITTERLI, Urs: Die ‚Wilden‘ und die ‚Zivilisierten‘. Grundzüge einer Geistes- und Kultur‐ geschichte der europäisch-überseeischen Begegnung. München: C. H. Beck 2 1991. E.1. Literaturverzeichnis 363 BLAUT, J. M.: The Colonizer’s Model of the World. Geographical Diffusionsm and Euro‐ centric History. New York, London: The Guilford Press 1993. BOEHMER, Elleke: Colonial and Postcolonial Literature. Migrant Metaphors. Oxford: Ox‐ ford Univ. Pr. 1995, 2 2005. BOEHMER, Elleke: Empire, the National and the Postcolonial, 1890-1920. Resistance in Interaction. Oxford: Oxford Univ. Pr. 2002. BOLLINGER, Stefan (Hg.): Imperialismustheorien. Historische Grundlagen für eine aktu‐ elle Kritik. Wien: Promedia 2004 (= Edition Linke Klassiker). BOLLINGER, Stefan: Wiederkehr der Imperialisten? Alte Theorien und neue Heraus‐ forderungen. In: Ders. (Hg.), a. a. O. (2004), S. 7-44. BUCHOWSKI, Michał: The Specter of Orientalism in Europe: From Exotic Other to Stigmatized Brother. In: Anthropological Quarterly 79 (2006), H. 3, S. 463-482. BUNZL, Matti / BURTON, Antoinette / ESTY, Jed / KAUL, Suvir / LOOMBA, Ania (Hg.): Postcolonial Studies and Beyond. Durham, London: Duke Univ. Pr. 2005. COHN, Bernard: Colonialism and its Forms of Knowledge. The British in India. Princeton: Princeton Univ. Pr. 1996. CONKLIN, Alice V. L.: A Mission to Civilize. The Republican Idea of Empire in France and West Africa, 1895-1930. Stanford: Standford Univ. Pr. 1997. COOPER, Frederick: Colonialism in Question. Theory, Knowledge, History. Berkeley, Los Angeles, London: Univ. of California Pr. 2005. CZARNECKA, Mirosława / EBERT, Christa / SZEWCZYK, Grażyna Barbara (Hg.): Der weibliche Blick auf den Orient. Reisebeschreibungen europäischer Frauen im Vergleich. Bern u. a.: P. Lang 2011 (= Jb. für Int. Germanistik, A: Kongressberichte 102). DABAG, Mihran / GRÜNDER, Horst / KETELSEN, Uwe-K. (Hg.): Kolonialismus. Kolo‐ nialdiskurs und Genozid. München: Fink 2004 (= Schriftenreihe Genozid und Ge‐ dächtnis). DEBUSMANN, Robert / RIESZ, János (Hg.): Kolonialausstellungen - Begegnungen mit Afrika? Frankfurt / M: IKO 1995. DOYLE, Michael W.: Empires. Ithaca, London: SUNY Pr. 1986. DUBIEL, Jochen: Manifestationen des ‚postkolonialen Blicks‘ in kultureller Hybridität. In: Dunker (Hg.), a. a. O. (2005), S. 45-68. DUBIEL, Jochen: Dialektik der postkolonialen Hybridität. Die intrakulturelle Überwindung des kolonialen Blicks in der Literatur. Bielefeld: Aisthesis 2007. ECKERT, Andreas: Kolonialismus, Moderne und koloniale Moderne in Afrika. In: Ba‐ berowski u. a. (Hg.), a. a. O. (2008), S. 54-66. EMERSON, Rupert: Colonialism. In: Sills, David (Hg.): International Encyclopedia of the Social Sciences. New York, London: Crowell 1968, Bd. 3, S. 1-5. FANON, Frantz: Die Verdammten dieser Erde [1961]. Vorwort von Jean-Paul Sartre. Übers. von Traugott König. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1981, 14 2014 (= st 668). E.1. Literaturverzeichnis 364 FIELDHOUSE, D. K.: Colonialism 1870-1945. An Introduction. London: Weidenfeld & Ni‐ colson 1981. FÜRST, Wolfgang: Einführung in die Postkolonialismus-Forschung. Theorien, Methoden und Praxis in den Geisteswissenschaften. Norderstedt: Books on Demand 2014. GALTUNG, Johan: Eine strukturelle Theorie des Imperialismus. In: Senghaas, Dieter (Hg.): Imperialismus und strukturelle Gewalt. Analysen über abhängige Produktion. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1972 (= es 563), S. 29-102. GANDHI, Leela: Postcolonial Theory. A Critical Introduction. Edinburgh: Edinburgh Univ. Pr. 1998. GOLDBERG, David Theo: Heterogeneity and Hybridity. Colonial Legacy, Postcolonial Heresy. In: Schwarz & Ray (Hg.), a. a. O. (2000 / 2005), S. 72-86. GREGORY, Derek: The Colonial Present. London, New York: Blackwell 2004. GREENBLATT, Stephen: Wunderbare Besitztümer. Die Erfindung des Fremden: Reisende und Entdecker. Übers. v. Robin Cackett. Berlin: Wagenbach 1994. GRUZINSKI, Serge: La colonisation de l’imaginaire. Sociétés indigènes et occidentalisation dans la Mexique espagnol, XVIIe-XVIIIe siécle. Paris: Gallimard 1988. GUHA, Ranajit: The Prose of Counterinsurgency. In: Ders. / Spivak, Gayatri (Hg.): Se‐ lected Subaltern Studies. New York: Oxford Univ. Pr. 1988, S. 45-86. GYMNICH, Marion: ‚Writing Back‘ als Paradigma der postkolonialen Literatur. In: Dies. / Neumann, Birgit / Nünning, Ansgar (Hg.): Kulturelles Wissen und Intertextua‐ lität. Theoriekonzeptionen und Fallstudien zur Kontextualisierung von Literatur. Trier: WVT 2006, S. 71-86. HALL, Catherine: Civilising Subjects. Metropole and Colony in the English Imagination, 1830-1867. Cambridge: Polity 2002. HALL, Stuart: When was ‚the Post-Colonial‘? Thinking at the Limit. In: Chambers, Iain / Curti, Lidia (Hg.): The Postcolonial Question. London: Routledge 1996, S. 242-260. HARDT, Michael / NEGRI, Antonio: Empire. Cambridge MA: Harvard Univ. Pr. 2000. HARLOW, Barbara: Introduction. In: Alloula (Hg.), a. a. O. (1986), S. ix-xxii. HARMAND, Jules: Domination et Colonisation. Paris: Flammarion 1910. HÁRS, Endre: Hybridität als Denkfigur. Homi K. Bhabhas theoretisches Engagement. In: Kakanien revisited, www.kakanien.ac.at/ beitr/ theorie/ Ehars1.pdf (2002). HÁRS, Endre / REBER, Ursula / RUTHNER, Clemens: Zentren peripher. In: Dies. (Hg.): Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn, 1867-1918. Tü‐ bingen: Francke 2006[a], S. 1-15. HECHTER, Michael: Internal Colonialism. The Celtic Fringe in British National Develop‐ ment, 1536-1966. London: Routledge & Kegan Paul 1975. HEALEY, Roisín / DAL LAGO, Enrico (Hg.): The Shadow of Colonialism in Europe’s Mo‐ dern Past. London: Palgrave 2014. E.1. Literaturverzeichnis 365 HIND, Robert J.: The Internal Colonial Concept. In: Comparative Studies in Society and History 26 (1984), S. 543-568. HOBSON, John A.: Imperialism. A Study [1902]. Reprint Ann Arbour: Univ. of Michigan Pr. 1972. HOCHSCHILD, Adam: King Leopold’s Ghost. A Story of Greed, Terror, and Heroism in Colonial Africa. New York: Pan Macmillan 1998. HODDER-WILLIAMS, Richard: Colonialism. Political Aspects. In: Smelser & Balthes (Hg.), a. a. O. (2001), S. 2237-2240. HUGGAN, Graham: The Postcolonial Exotic. Marketing the Margins. London, New York: Routledge 2001. HULME, Peter: Colonial Encounters in Europe and the Native Caribbean, 1492-1797. London, New York: Methuen 1986. JAMES, Lawrence: The Rise and Fall of the British Empire. New York: St. Martin’s Pr. 1994. JanMOHAMED, Abdul R.: The Economy of Manichean Allegory. The Function of Racial Difference in Colonialist Literature. In: Gates, Henry Louis Jr.: „Race“, Writing, and Difference. Chicago, London: Chicago Univ. Pr. 1985, S. 78-106. KALPAGAM, Uma: Colonial Governmentality and the Public Sphere in India. In: Journal of Historical Sociology 15 (2002), H. 1, S. 35-58. KAPLAN, E. Ann: Looking for the Other. Feminism, Film, and the Imperial Gaze. London, New York: Routledge 1997. KHANNA, Ranjana: Dark Continents. Psychoanalysis and Colonialism. Durham NC, London: Duke Univ. Pr. 2003. KOPP, Kristin / MÜLLER-RICHTER, Klaus (Hg.): Die Großstadt und das ‚Primitive‘. Text, Politik und Repräsentation. Stuttgart: Metzler 2004. KREUTZER, Eberhard: Theoretische Grundlagen postkolonialer Literaturkritik. In: Nünning, Ansgar (Hg.): Literaturwissenschaftliche Theorien, Modelle und Methoden. Eine Einführung. Trier: WVT 1995, S. 199-213. LARSEN, Neil: Imperialism, Colonialism, Postcolonialism. In: Schwarz & Ray (Hg.), a. a. O. (2000 / 2005), S. 23-52. LENIN, Wladimir Iljitsch: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Gemeinverständlicher Abriß [1916]. In: Bollinger (Hg.), a. a. O. (2004), S. 148-170. LEPRUN, Sylvane: Le theâtre des colonies. Scenographie, acteurs et discours de l’imaginaire dans les expositions 1855-1937. Paris: L’Harmattan 1986. LEWIS, Reina: Race, Femininity and Representation. London, New York: Routledge 1995 (= Gender, Racism, Ethnicity). LOUIS, William Roger (Hg.): Imperialism. The Robinson and Gallagher Controversy. New York: New Viewpoints 1976. E.1. Literaturverzeichnis 366 LUGARD, Frederick John D.: The Dual Mandate in British Tropical Africa. Edinburgh: Blackwood 1922. MAHOOD, M. M.: The Colonial Encounter. A Reading of Six Novels. Totowa: Collings 1977. MANN, Michael: „Torchbearers Upon the Path of Progress“. Britain’s Ideology of a „Moral and Material progress“ in India. In: Fischer-Tiné, Harald / Mann, Michael: Colonialism as Civilizing Mission. Cultural Ideology in British India. London, New York, Neu-Delhi: Anthem 2004, S. 1-26 [a]. MANN, Michael: Das Gewaltdispositiv des modernen Kolonialismus. In: Dabag u. a. (Hg.), a. a. O. (2004), S. 11-133 [b]. MASQUELIER, Adeline: Introduction. In: Dies. (Hg.): Dirt, Undress, and Difference. Cri‐ tical Perspectives on the Body’s Surface. Bloomington, Indianapolis: Indiana UP 2005, S. 1-33. MBEMBE, Achille: On the Postcolony. Übers. v. A. M. Berrett. Berkeley: Univ. of California Pr. 2001. McCLINTOCK, Anne: Imperial Leather. London, New York: Routledge 1995. METCALF, Thomas: Ideologies of the Raj. Cambridge: Cambridge Univ. Pr. 1995. MIES, Maria: Über die Notwendigkeit, Europa zu entkolonisieren. In: Werlhof, Claudia von / Bennholdt-Thommsen, Veronika / Faraclas, Nicholas (Hg.): Subsistenz und Wi‐ derstand. Wien: Promedia 2003, S. 21-28. MILLS, Sara: Knowledge, Gender and Empire. In: Blunt, Alison / Rose, Gillian (Hg.): Writing Women and Space. Colonial and Postcolonial Geographies. New York, London: Routledge 1994, S. 29-50. MOMMSEN, Wolfgang J.: Der europäische Imperialismus. Aufsätze und Abhandlungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1979. MOMMSEN, Wolfgang J. / OSTERHAMMEL, Jürgen (Hg.): Imperialism and After. Con‐ tinuities and Discontinuities. London: Allen & Unwin 1986. MÜNKLER, Herfried: Imperien. Die Logik der Weltherrschaft - vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten. Berlin: Rowohlt 5 2005. MULVEY, Laura: Visual Pleasure and Narrative Cinema [1975]. In: Nichols, Bill (Hg.): Movies and Methods. Berkeley, Los Angeles: Univ. of California Pr. 1985. NANDY, Ashis: The Intimate Enemy. Loss and Recovery of Self under Colonialism. New Delhi u. a.: Oxford Univ. Pr. 1983, 2 2009. NIERAGDEN, Göran: Imagologie und Alterität - der postkoloniale Roman. In: arcadia 34 (1999), H. 2, S. 413-421. NOYES, John: Colonial Space. Spaciality in the Discourse of German South West Africa, 1884-1915. Chur, Philadelphia: Harwood 1992. OSTERHAMMEL, Jürgen: Kolonialismus. Geschichte - Formen - Folgen. München: C. H. Beck 1995, 3 2001 (= Wissen in der BR 2002). E.1. Literaturverzeichnis 367 OSTERHAMMEL, Jürgen: „The Great Work of Uplifting Mankind“. Zivilisierungsmis‐ sion und Moderne. In: Barth & Osterhammel, (Hg.), a. a. O. (2005), S. 365-425. OSTHUES, Julian: Literatur als Palimpsest. Postkoloniale Ästhetik im deutschsprachigen Roman der Gegenwart. Bielefeld: transcript 2017. PADAMSEE, Alex: Representations of Indian Muslims in British Colonial Discourse. London: Palgrave Macmillan 2005. PARRY, Benita: Problems in Current Theories of Colonial Discourse. In: Oxford Literary Review 9 (1986), H. 1-2, S. 27-58. PARRY, Benita: Postcolonial Studies. A Materialist Critique. London, New York: Routledge 2004. PELIZAEUS, Ludolf: Der Kolonialismus. Geschichte der europäischen Expansion. Wies‐ baden: Marix 2008. PETERSSON, Niels P.: Markt, Zivilisierungsmission und Imperialismus. In: Barth & Os‐ terhammel (Hg.), a. a. O. (2005), S. 33 ff. PRATT, Marie Louise: Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation. London, New York: Routledge 1992. PRUNIER, Gérard: The Rwanda Crisis. History of a Genocide. New York: Columbia Univ. Pr. 1995. QUIJANO, Aníbal: Colonialidad del poder y clasificación social. In: Castro-Gómez, San‐ tiago / Grosfoguel, Ramón (Hg.): El giro decolonial. Bogotá: Siglo del Hombre 2007, S. 93-126. QUINTERO, Pablo / GARBE, Sebastian: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Kolonialität der Macht. Münster: Unrast 2013, S. 7-15. QUINTERO, Pablo: Macht und Kolonialität der Macht in Lateinamerika. In: Quintero & Garbe (Hg.), a. a. O. (2013), S. 53-70. REBER, Ursula: Kolonialismus im „Osten“? Imperialismus, Orientalismus und das ‚Reale‘ bei Edward Said. In: Kakanien revisited, www.kakanien.ac.at/ beitr/ theorie/ UReber1.pdf (2002). REBER, Ursula: Postkolonialismus zwischen Border-Gnosis und Institutionalisierung. In: Kakanien revisited, http: / / www.kakanien-revisited.at/ beitr/ theorie/ UReber4.pdf (2007). REINHARD, Wolfgang: Kleine Geschichte des Kolonialismus. Stuttgart: Kröner 1996, 2 2008 (= KTG 475). REINHARD, Wolfgang: History of Colonization and Colonialism. In: Smelser u.& Baltes (Hg.), a. a. O. (2001), S. 2240-2245. RICHARDS, Thomas: The Imperial Archive. Knowledge and the Fantasy of Empire. London, New York: Verso 1993. RIESZ, János: Zehn Thesen zum Verhältnis von Kolonialismus und Literatur. In: Bader u. Riesz (Hg.), a. a. O. (1983), S. 9-26. E.1. Literaturverzeichnis 368 ROBINSON, R. E.: The Excentric Idea of Empire - with or without Imperialism. In: Mommsen & Osterhammel (Hg.), a. a. O. (1986), S. 267-289. SAID, Edward: Orientalism. New York: Vintage 1979. SAID, Edward: Culture and Imperialism. New York: Knopf 1993, London u. a.: Vintage/ Random House 1994. SARTRE, Jean-Paul: Colonialism and Neocolonialism [1964]. Übers. von Azzedine Had‐ dour u. a. Vorwort v. Richard Young. London, New York: Routledge 2001, 2006. SCHMITT, Carl: Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung [1942]. Reprint Köln-Lövenich: Hohenheim 1981 (= Edition Maschke). SCHRÖDER, Wolfgang M.: Mission impossible? Begriff, Modelle und Begründungen der „civilizing mission“ aus philosophischer Sicht. In: Barth & Osterhammel (Hg.), a. a. O., (2005), S. 13-32. SCHUMPETER, Joseph: Zur Soziologie der Imperialismen [1919]. In: Ders.: Schriften zur Ökonomie und Soziologie. Hg. von Lisa Herzog und Axel Honneth. Frankfurt / M.: Suhrkamp 2016 (= stw 2112), S. 266-358. SCHWARZ, Henry / RAY, Sangeeta (Hg.): A Companion to Postcolonial Studies. Malden, Oxford, Carlton: Blackwell 2000, 2005. SCOTT, David: Refashioning Futures. Criticism after Postcoloniality. Princeton: Princeton Univ. Pr. 1999. SEGESSER, Daniel Marc: Imperialismustheorien und Geschichte. Eine empirische An‐ näherung. In: Internationales Asien-Forum 45 (2014), S. 401-423. SPIVAK, Gayatri Chakravorty: Can the Subaltern Speak? In: Williams & Chrisman (Hg.), a. a. O. (1994). / Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Übers. von Alexander Joskowicz und Stefan Novotny. Einl. von Hito Seyerl. Wien, Berlin: Turia + Kant 2008. SPURR, David: Colonial Discourse in Journalism, Travel Writing and Imperial Adminis‐ tration. Durham NC, London: Duke Univ. Pr. 1993. STAMM, Ulrike: Grenze und Grenzüberschreitung in Orientreiseberichten von Auto‐ rinnen des 19. Jhs. In: Schmidt-Linsenhoff, Viktoria / Hölz, Karl / Uerlings, Herbert (Hg.): Weiße Blicke. Geschlechtermythen des Kolonialismus. Marburg: Jonas 2004, S. 127-138. STAMM, Ulrike: Versionen der Haremsbeschreibung in Frauenreiseberichten des frühen 19. Jhs. In: Czarnecka u. a. (Hg.), a. a. O. (2011), S. 61-82. STAMM, Ulrike: Oriental Sexuality and Its Uses in 19 th -Century Travelogues. In: Hod‐ kinson u. a. (Hg.), a. a. O. (2013), S. 228-241. STOLER, Ann Laura: Carnal Knowledge and Imperial Power. Race and the Intimate in Colonial Rule. Berkeley, Los Angeles, London: Univ. of California Pr. 2002, 2 2010. E.1. Literaturverzeichnis 369 STOLER, Ann Laura / COOPER, Frederick: Between Metropole and Colony. Rethinking a Research Agenda. In: Dies. (Hg.): Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeois World. Berkeley: U of California Pr. 1997, S. 1-56. STOLL, André: Nachwort zu: Flaubert, Gustave: Reise in den Orient. Hg. und übers. von Reinhold Werner und André Stoll. Frankfurt / M.: Insel 1996 (= it 1866), S. 363-414. STREIT, Wolfgang: Postkolonialismus-Forschung. Theorien, Methoden und Praxis. Nor‐ derstedt: Books on Demand 2014. SULERI, Sara: The Rhetoric of English India. Chicago: Univ. of Chicago Pr. 1992. TODOROV, Tzvetan: Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen. Übers. von Wilfried Böhringer. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1985 (= es 1213). TORGOVNICK, Marianna: Gone Primitive. Savage Intellects, Modern Lives. Chicago, London: Univ. of Chicago Pr. 1990. TIFFIN, Helen: Post-Colonial Literatures and Counter-Discourse. In: Kunapipi 9 (1987), H. 3. UERLINGS, Herbert: Das Subjekt und die Anderen. Zur Analyse sexueller und kultu‐ reller Differenz. Skizze eines Forschungsberichts. In: Ders. / Hölz, Karl / Schmidt-Lin‐ senhoff, Viktoria (Hg.): Das Subjekt und die Anderen. Interkulturalität und Geschlech‐ terdifferenz vom 18. Jh. bis zur Gegenwart. Berlin: E. Schmidt 2001 (= Studienreihe Romania 16), S. 19-53. UERLINGS, Herbert (Hg.): Weiße Blicke. Geschlechtermythen des Kolonialismus. Mar‐ burg: Jonas 2004. VARELA, Maria do Mar Castro / DHAWAN, Nikita: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung. Bielefeld: transcript 2005 (= Cultural Studies 12). WAGNER, Birgit: Postcolonial Studies für den europäischen Raum. Einige Prämissen und ein Fallbeispiel. In: Kakanien revisited, http: / / www.kakanien-revisited.at/ beitr/ theorie/ BWagner1.pdf (2002). WALLERSTEIN, Immanuel: Aufstieg und künftiger Niedergang des kapitalistischen Weltssystems. Zur Grundlegung vergleichender Analyse. In: Senghaas, Dieter (Hg.): Kapitalistische Weltökonomie. Kontroversen über ihren Ursprung und ihre Entwick‐ lungsdynamik. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1979, S. 31-67 (= es 980). WEBER, Ute: Von Sita zur neuen Frau. Die Darstellung der Frau im postkolonialen indo-englischen Roman. Marburg: Tectum 2003. WEIBEL, Peter / ŽIŽEK, Slavoj (Hg.): Inklusion: Exklusion. Probleme des Postkolonia‐ lismus und der globalen Migration. Wien: Passagen 1997, 2 2010. WELSCH, Wolfgang: „Was ist eigentlich Transkulturalität? “ In: Darowska, Lucyna / Lüttenberg, Thomas / Machold, Claudia (Hg.): Hochschule als transkultureller Raum? Beiträge zu Kultur, Bildung und Differenz. Bielefeld: transcript 2010, S. 39-66. WILLIAMS, Patrick / CHRISMAN, Laura (Hg.): Colonial Discourse and Post-Colonial Theory. A Reader. Hemel Hempstead: Prentice Hall 1993. E.1. Literaturverzeichnis 370 YEAZELL, Ruth Bernard: Harems of the Mind. Passages of Western Art and Literature. New Haven: Yale Univ. Pr. 2000. YEGENOGLU, Meyda: Colonial Fantasies. Towards a Feminist Reading of Orientalism. Cambridge: Cambridge Univ. Pr. 1998. YOUNG, Robert J. C.: Colonial Desire. Hybridity in Theory, Culture and Race. London, New York: Routledge 1995, Taylor & Francis e-Library 2005. YOUNG, Robert J. C.: Postcolonialism. A Historical Introduction. London: Blackwell 2001. YOUNG, Robert J. C.: Postcolonial Remains. In: New Literary History 41 (2012), H. 1, S. 19-42. YOUNG, Robert J. C.: Empire, Colony, Postcolony. Chichester: Wiley Blackwell 2015. ZANELLA, Ines Caroline: Kolonialismus in Bildern. Bilder als herrschaftssicherndes In‐ strument mit Beispielen aus den Welt- und Kolonialausstellungen. Frankfurt / M.: P. Lang 2004 (= Beiträge zur Dissidenz 17). 2.3. Post / Kolonialismus und Orientalismus in deutschsprachigen Litera‐ turen bzw. in Zentraleuropa ALBRECHT, Monika: „Europa ist nicht die Welt.“ (Post)Kolonialismus in Literatur und Geschichte der westdeutschen Nachkriegszeit. Bielefeld: Aisthesis 2008. ALBRECHT, Monika: Comparative Postcolonial Studies. East-Central and Southeastern Europe as a Postcolonial Space. [Unveröff. Vortrag, gehalten auf der Tagung Memory and Postcolonial Studies: Synergies and New Directions an der University of Not‐ tingham, 10. 06. 2016]. ANNUS, Epp / BOBINAC, Marijan / GÖTTSCHE, Dirk / PATRUT, Iulia-Karin: Euro‐ päischer Binnenkolonialismus in interdisziplinärer Perspektive. In: Dunker, Axel / Dürbeck, Gabriele / Göttsche, Dirk (Hg.): Handbuch Postkolonialismus und Literatur. Stuttgart: Metzler 2017, S. 87-96. AUEROCHS, Bernd: In der Strafkolonie. In: Engel, Manfred / Auerochs, Bernd (Hg.): Kafka-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart: Metzler 2010, S. 207-217. BABKA, Anna: Den Balkan konstruieren. Postkolonialität lesen. Ein Versuch mit Karl Mays Kara Ben Nemsi Effendi aus ‚In den Schluchten des Balkan‘. In: Schmidt u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 103-116. BABKA, Anna: Postcolonial - Queer. Transdisziplinäre Erkundungen in Theorie und Lite‐ ratur. Wien: Turia & Kant i.V. BABKA, Anna / DUNKER, Axel (Hg.): Postkoloniale Lektüren. Perspektivierungen deutschsprachiger Literatur. Bielefeld: Aisthesis 2013 (= Postkoloniale Studien in der Germanistik 4). BACH, Ulrich E.: The Tropics of Vienna. Colonial Utopias of the Habsburg Empire. New York, Oxford: Berghahn 2016 (= Austrian and Habsburg Studies 19). E.1. Literaturverzeichnis 371 BAKIĆ-HAYDEN, Milica/ HAYDEN, Robert: Orientalist Variations on the Theme „Bal‐ kans“. Symbolic Geography in Recent Yugoslav Cultural Politics. In: Slavic Review 51 (1992), H. 1. BAY, Hansjörg / HAMANN, Christof (Hg.): Odradeks Lachen. Fremdheit bei Kafka. Frei‐ burg / B.: Rombach 2006. BERMAN, Nina: Orientalismus, Kolonialismus und Moderne. Zum Bild des Orients in der deutschsprachigen Kultur um 1900. Stuttgart: M & P 1996. BERMAN, Russell A.: Enlightenment or Empire. Colonial Discourse in German Culture. Lincoln: Univ. of Nebraska Pr. 1998. BERMAN, Russell A.: Colonialism, and No End. The Other Continutiy Theses. In: Lang‐ behn, Volker / Salama, Mohammad (Hg.): German Colonialism. Race, the Holocaust, and Postwar Germany. New York: Columbia Univ. Pr. 2011. BERNHARD, Veronika: Österreicher im Orient. Eine Bestandsaufnahme österreichischer Reiseliteratur im 19. Jh. Wien: Holzhausen 1996. BHATTI, Anil / TURK, Horst (Hg.): Reisen, Entdecken, Utopien. Untersuchungen zum Al‐ teritätsdiskurs im Kontext von Kolonialismus und Kulturkritik. Bern u. a.: P. Lang 1998. BOA, Elizabeth: Kafka. Gender, Class and Race in the Letters and Fictions. Oxford: Cla‐ rendon Pr. 1996. BOGDAL, Klaus-Michael (Hg.): Orientdiskurse in der deutschen Literatur. Bielefeld: Ais‐ thesis 2007. BORN, Robert / LEMMEN, Sarah (Hg.) Orientalismen in Ostmitteleuropa. Diskurse, Ak‐ teure und Disziplinen vom 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg. Bielefeld: trans‐ cript 2014. COLE, Laurence: Der Habsburger-Mythos. In: Brix, Emil / Bruckmüller, Ernst / Stekl, Hannes (Hg.): Memoria Austriae. Bd. 1. Wien: Verl. für Geschichte & Politik 2004, S. 473-504. CONCETTI, Riccardo: Muslimische Landschaften. Hugo von Hofmanntsthals Ausein‐ andersetzung mit der Prosa Robert Michels. In: Kakanien revisited, www.kakanien.ac.at/ beitr/ fallstudie/ RConcetti1.pdf (2002). CSÁKY, Moritz / ZEYRINGER, Klaus: Ambivalenz des kulturellen Erbes. Vielfachcodie‐ rung des historischen Gedächtnisses. Innsbruck: StudienVerlag 2000 (= Paradigma: Zentraleuropa 1). CSÁKY, Moritz / FEICHTINGER, Johannes / PRUTSCH, Ursula (Hg.): Habsburg post‐ colonial. Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis. Innsbruck: StudienVerl. 2003. CSÁKY, Moritz: Einführende Überlegungen: Moderne - Periphere - Mehrdeutigkeiten. In: Haid u. a.: a. a. O. (2013), S. 11-28. E.1. Literaturverzeichnis 372 DÜRBECK, Gabriele: Stereotype Paradiese. Ozeanismus in der Südseeliteratur, 1815-1914. Tübingen: Niemeyer 2007 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 115). DÜRBECK, Gabriele: Postkoloniale Studien in der Germanistik. Gegenstände, Positi‐ onen, Perspektiven. In: Dürbeck & Dunker (Hg.), a. a. O. (2014), S. 19-70. DÜRBECK, Gabriele / DUNKER, Axel (Hg.): Postkoloniale Germanistik. Bestandsauf‐ nahmen, theoretische Perspektiven, Lektüren. Bielefeld: Aisthesis 2014 (= Postkoloniale Studien in der Germanistik 5). DUNKER, Axel (Hg.): (Post-)Kolonialismus und Deutsche Literatur. Impulse der anglo‐ amerikanischen Literatur- und Kulturtheorie. Bielefeld: Aisthesis 2005. DUNKER, Axel: Kontrapunktische Lektüren. Koloniale Strukturen in der deutschspra‐ chigen Literatur des 19. Jhs. München: Fink 2008. DUNKER, Axel: Orientalismus in der Literatur des 20. Jhs. Am Beispiel von Hugo von Hofmannsthal, Gottfried Benn, Franz Kafka, Friedrich Glauser, Hermann Hesse, Arno Schmidt und Hubert Fichte. In: Dürbeck u. Dunker (Hg.), a. a. O. (2014), S. 271-324. DUNKER, Axel / HOFMANN, Michael (Hg.): Morgenland und Moderne. Orientdiskurse in der deutschsprachigen Literatur von 1890 bis zur Gegenwart. Frankfurt / M., Wien u. a.: P. Lang 2014. FEICHTINGER, Johannes: Habsburg (post-)colonial. Anmerkungen zur Inneren Kolo‐ nisierung in Zenraleuropa. In: Csáky u. a. (Hg.), a. a. O. (2003), S. 13-31. FISCHER, Wladimir u. a. (Hg.): Räume und Grenzen in Österreich-Ungarn, 1867-1918. Kulturwissenschaftliche Annäherungen. Tübingen: A. Francke 2008 (= Kultur - Herr‐ schaft - Differenz 11). GAUSS, Karl-Markus: Ins unentdeckte Österreich. Nachrufe und Attacken. Wien: P. Zsolnay 1998. GELLNER, Ernest: Language and Solitude. Wittgenstein, Malinowski and the Habsburg Dilemma. Cambridge: Cambridge Univ. Pr. 1998. GINGRICH, Andre: Österreichische Identitäten und Orientbilder. Eine ethnologische Kritik. In: Dostal, Walter / Niederle, Helmut A. / Wernhart, Karl R. (Hg.): Wir und die Anderen. Islam, Literatur und Migration. Wien: WUV 1999, S. 29-34. GLAJAR, Valentina: From Halb-Asien to Europe. Contrasting Representations of Aus‐ trian Bukovina. In: Modern Austrian Literature 34 (2001), H. 1 / 2, S. 15-35. GOEBEL, Rolf J.: Kafka and Postcolonial Critique. Der Verschollene, ‚In der Strafkolonie‘, ‚Beim Bau der chinesischen Mauer‘. In: Rolleston, James (Hg.): A Companion to the Works of Franz Kafka. Rochester NY: Camden House 2005, S. 187-212. GOLDSWORTHY, Vesna: Inventing Ruritania. The Imperialism of the Imagination. New Haven, London: Yale Univ. Pr. 1998. E.1. Literaturverzeichnis 373 GÖRNER, Rüdiger / MINA, Nima (Hg.): „Wenn die Rosenhimmel tanzen“. Orientalische Motivik in der deutschsprachigen Literatur des 19. und 20. Jhs. München: iudicium 2006 (= Publications of the Institute of Germanic Studies / SAS London 87). GÖRNER, Rüdiger: Hofmannsthals Orientalismus. In: Görner & Mina (Hg.), a. a. O. (2006), S. 165-175. GÖTTSCHE, Dirk: Remembering Africa. The Rediscovery of Colonialism in Contemporary German Literature. Rochester NY: Camden House 2013. GRÜNDER, Horst: Geschichte der deutschen Kolonien. Paderborn u.a: Schöningh 2 1991. HABINGER, Gabriele: Alterität und Identität in den Orient-Berichten österr. Reise‐ schriftstellerinnen des 19. Jhs. In: Czarnecka u. a. (Hg.), a. a. O. (2011), S. 31-60. HAID, Eilsabeth / WEISMANN, Stephanie / WÖLLER, Burkhard (Hg.): Galizien. Peri‐ pherie der Moderne - Moderne der Peripherie? Marburg: Herder-Institut 2013 (= Ta‐ gungen zur Ostmitteleuropaforschung 31). HÁRS, Endre / MÜLLER-FUNK, Wolfgang / OROSZ, Magdolna (Hg.): Verflechtungsfi‐ guren. Intertextualität und Intermedialität in der Kultur Österreich-Ungarns. Frank‐ furt / Main u. a.: P. Lang 2003 (= Budapester Studien zur Literaturwissenschaft 3). HÁRS, Endre / REBER, Ursula / RUTHNER, Clemens (Hg.): Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn, 1867-1918. Tübingen: Francke 2006 (= Kultur - Herrschaft - Differenz 9). HEIMBÖCKEL, Dieter: Der Orientdiskurs in der Kultur- und Zivilisationskritik um 1900. In: Dunker & Hofmann (Hg.), a. a. O. (2014), S. 13-33. HEINDL, Waltraud / KIRÁLY, Edit / MILLNER, Alexandra (Hg.): Frauenbilder, feminis‐ tische Praxis und nationales Bewusstsein in Österreich-Ungarn 1867-1914. Tübingen: A. Francke 2006 (= Kultur - Herrschaft - Differenz 8). HEISS, Johann / FEICHTINGER, Johannes: Uses of Orientalism in the Late 19 th -Century Austro-Hungarian Empire. In: Hodkinson u. a. (Hg.), a. a. O. (2013), S. 148-165. HODKINSON, James / WALKER, John / MAZUMDAR, Shaswati / FEICHTINGER Johannes (Hg.): Deploying Orientalism in Culture and History: From Germany to Central and Eastern Europe. Rochester: Camden House 2013. HONOLD, Alexander: Tatau. Das Fremde auf der Haut. 17. März 1911: Franz Kafka hört Adolf Looos über ‚Ornament und Verbrechen‘. In: Honold & Scherpe (Hg.), a. a. O. (2004), S. 397-406. HONOLD, Alexander: Berichte von der Menschenschau. Kafka und die Ausstellung des Fremden. In: Bay & Hamann (Hg.), a. a. O. (2006), S. 305-324. HONOLD, Alexander: In der Strafkolonie. In: Jagow, Bettina von / Jahraus, Oliver (Hg.): Kafka-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S. 477-503. HONOLD, Alexander / SCHERPE, Klaus R. (Hg.): Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit. Stuttgart u. a.: Metzler 2004. E.1. Literaturverzeichnis 374 HONOLD, Alexander / SIMONS, Oliver (Hg.): Kolonialismus als Kultur. Literatur, Me‐ dien, Wissenschaft in der deutschen Gründerzeit des Fremden. Tübingen: Francke 2002 (= Kultur - Herrschaft - Differenz 2). IVEKOVIC, Rada: Die Spaltung der Vernunft und der postkoloniale Gegenschlag. In: Müller-Funk & Wagner (Hg.), a. a. O. (2005), S. 48-64. JAWORSKI, Rudolf: Ostmitteleuropa als Gegenstand der historischen Erinnerungs- und Gedächtniskultur. In: Feichtinger, Johannes u. a. (Hg.): Schauplatz Kultur - Zentraleu‐ ropa. Transdisziplinäre Annäherungen. Innsbruck u. a.: StudienVerlag 2006, S. 65-71. JOHNSTON, Jonathan M.: A Journey into the Heart of Swissness. Postcolonial Narratives in Contemporary German-Swiss Prose Fiction. Dublin: Phil. Diss., TCD [masch.] 2017. KAPS, Klemens / SURMAN, Jan (Hg.): Galicja postkolonialna / Galicia postcolonial, prospects and possibilities. In: Historyka. Studia Metodologiczne [Warschau] 42 (2012), S. 7-35. KEREKES, Amália / MILLNER, Alexandra / PLENER, Peter / RÁSKY, Béla (Hg.): Leitha und Lethe. Symbolische Räume und Zeiten in der Kultur Österreich-Ungarns. Tübingen, Basel: Francke 2004 (= Kultur - Herrschaft - Differenz 6). KLUSÁKOVÁ, Ludá: The Czech Lands in the Habsburg Empire (Economic centre but political periphery). In: Nolte (Hg.), a. a. O. (1991), S. 169-184. KÖPF, Gerhard: Der halbe Türke. Literatur und koloniale Wahrnehmung. In: Bader & Riesz (Hg.), a. a. O. (1983), S. 323-348. KOHN, Margret: Kafka’s Critique of Colonialism. In: Theory & Event 8.3 (2005), online: https: / / muse.jhu.edu/ journals/ theory_and_event/ v008/ 8.3kohn.html KONTJE, Todd: German Orientalisms. Ann Arbor: Univ. of Michigan Pr. 2004. KOPP, Kristin: Germany’s Wild East. Constructing Poland as Colonial Space. Ann Arbor: Univ. of Michigan Pr. 2012. KOSCHORKE, Albrecht: Zur Funktionsweise kultureller Peripherien. In: Frank, Susi K. u.a. (Hg.): Explosion und Peripherie. Juij Lotmans Semiotik der kulturellen Dynamik revisited. Bielefeld: transcript 2012, S. 27-40. KROBB, Florian (Hg.): Colonial Austria. Austria and the Overseas (= Austrian Studies [Oxford] 20 [2012]). KUNDRUS, Birthe (Hg.): Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonia‐ lismus. Frankfurt / M., New York: Campus 2003. LE RIDER, Jacques: Mitteleuropa. Zusatz auf den Spuren eines Begriffes. Essay. Übers. von Robert Fleck. Wien: Zsolnay 1994. LE RIDER, Jacques: Le mythe habsbourgeois de la coexistence harmonieuse des natio‐ nalités et ses principes antagonistes. Le colonialisme et le nationalisme. In: Ott, Herta Luise / Beghin, Marc (Hg.): Penser le pluriculturel en Europe centrale = Chroniques al‐ lemandes [Grenoble] 11 (2006 / 07), S. 73-84. E.1. Literaturverzeichnis 375 LEE, Jie-Oun: Transformationen des Kolonialdiskurses in Franz Kafkas ‚In der Strafko‐ lonie‘. In: Literatur für Leser 23 (2000), H. 1, S. 34-45. LEMON, Robert: Imperial Messages. Orientalism as Self-Critique in the Habsburg Fin de Siècle. Rochester NY: Camden House 2011. LINDEMANN, Uwe: Der Basar als Gebilde des hochkapitalistischen Zeitalters. Über das Verhältnis von Orientalismus, Geschlechterpolitik, Konsum. und Modernekritik zwi‐ schen 1820 und 1900. In: Bogdal (Hg.), a. a. O. (2007), S. 243-271. LÜTZELER, Paul Michael: Der postkoloniale Blick. Deutsche Schriftsteller berichten aus der Dritten Welt. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1997. LÜTZELER, Paul Michael: Schriftsteller und ‚Dritte Welt‘. Studien zum postkolonialen Blick. Tübingen: Stauffenburg 1998. LÜTZELER, Paul Michael: Postmoderne und postkoloniale deutsche Literatur. Diskurs - Analyse - Kritik. Bielefeld: Aisthesis 2005. MAGRIS, Claudio: Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur [1966]. Übers. von Madeleine v. Pastory. Wien: Zsolnay 3 2000. MARJANOVIC, Vladislav: Die Mitteleuropa-Idee und die Mitteleuropa-Politik Österreichs 1945-1995, Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 1998. MECKLENBURG, Norbert: Oriente und Religionen in Goethes interkulturellen poeti‐ schen Spielen. In: Goer, Charis / Hofmann, Michael (Hg.): Der Deutschen Morgenland. Bilder des Orients in der deutschen Literatur und Kultur von 1770 bis 1850. München: Fink 2008, S. 103-116. MEISTERLE, Stefan: Von Coblon bis Delagoa. Die kolonialen Aktivitäten der Habsburger‐ monarchie in Ostindien. Wien: Phil. Diss. der Univ. Wien [unveröff.] 2014. METZ, Joseph: Austrian Inner Colonialism and the Visibility of Difference in Stifter’s ‚Die Narrenburg‘. In: PMLA 12 (2006), H. 5, S. 1475-1492. MOORE, David Chioni: Is the Postin Postcolonial the Postin Post-Soviet? Toward a Global Postcolonial Critique. In: Globalizing Literary Studies (= PMLA 116 / 1 [2001]), S. 111-128 [Online in: Atlas of Transformation, http: / / monumenttotransformation.org]. MÜLLER-FUNK, Wolfgang: Kakanien revisited. Über das Verhältnis von Herrschaft und Kultur. In: Müller-Funk, Plener & Ruthner (Hg.), a. a. O., (2002), S. 14-32 [= 2002a]. MÜLLER-FUNK, Wolfgang: Landnahme und Schiffbruch. Carl Schmitt, Theodor Herzl, Joseph Roth. In: Hárs u. a. (Hg.), a. a. O. (2003), S. 79-96. MÜLLER-FUNK, Wolfgang / PLENER, Peter / RUTHNER, Clemens (Hg.): Kakanien revisited. Das Fremde und das Eigene (in) der österreichisch-ungarischen Monarchie. Tübingen, Basel: Francke 2002 (= Kultur - Herrschaft - Differenz 1). MÜLLER-FUNK, Wolfgang / WAGNER, Birgit (Hg.): Eigene und andere Fremde. ‚Post‐ koloniale‘ Konflikte im europäischen Kontext. Wien: Turia + Kant 2005 (= Reihe Kultur.Wissenschaften 8.4). E.1. Literaturverzeichnis 376 MÜLLER-FUNK, Wolfgang / WAGNER, Birgit (Hg.): Diskurse des Postkolonialen. In: Müller-Funk & Wagner (Hg.), a. a. O. (2005), S. 9-27. MÜLLER-SEIDEL, Walter: Die Deportation des Menschen. Kafkas Erzählung ‚In der Straf‐ kolonie‘ im europäischen Kontext. Stuttgart: Metzler 1986. NEUMANN, Bernd: Kafka als Ethnologe. In: Bay & Hamann (Hg.), a. a. O. (2006), S. 325-345. NEUMEYER, Harald: „Das Land der Paradoxa“ (Robert Heindl). Franz Kafkas ‚In der Strafkolonie‘ und die Deportationsdebatte um 1900. In: Liebrand, Claudia / Schößler, Franziska (Hg.): Textverkehr. Kafka und die Tradition. Würzburg: Könighausen & Neu‐ mann 2004, S. 291-334. NOLTE, Hans Heinrich: Internal Peripheries. A Definition and a Note / Internal Peri‐ pheries in Europe. In: Ders. (Hg.): Internal Peripheries in European History. Göttingen. Zürich: Muster-Schmidt 1991 (= Zur Kritik der Geschichtsschreibung 6), S. 1-3, 5-27. NOLTE, Hans Heinrich / BÄHRE, Klaas (Hg.): Innere Peripherien in Ost und West. Stutt‐ gart: Steiner 2001. PATRUT, Iulia-Karin: Wlislocki’s Transylvanian ‚Gypsies‘ and the Discourses on Arya‐ nism around 1900. In Romani Studies 17 (2007), H.2. PATRUT, Iulia-Karin: Binneneuropäischer Kolonialismus als deutscher Selbstentwurf im 19. und 20. Jh. In: Dürbeck & Dunker (Hg.), a. a. O. (2014), S. 223-270. PETERS, Paul: Kolonie als Strafe. Kafkas ‚Strafkolonie‘. In: Honold & Simons (Hg.), a. a. O. (2002), S. 59-84. PETKOVIĆ, Nikola: The ‚Post‘ in Postmodern and Postcolonial. The Case of Central Eu‐ rope. Austin: PhD, University of Texas 1996. PIPER, Karen: The Language of the Machine. A Post-Colonial Reading of Kafka. In: Journal of the Kafka Society of America 20, H. 1-2 ( Juni / Sept. 1996), S. 42-54. POLASCHEGG, Andrea: Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jh. Berlin, New York: de Gruyter 2005 (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 35 / 269). PRUTSCH, Ursula: Habsburg postkololonial. In: Csáky u. a. (Hg.), a. a. O. (2003), S. 33-41. PURTSCHERT, Patricia / LÜTHI, Barbara / FALK, Francesca (Hg.): Postkoloniale Schweiz. Bielefeld: transcript 2012, 2 2013. REISENLEITNER, Markus: Central European Culture in Search of a Theory, or: the Lure of ‚Post / colonial Studies‘. In: spaces of identity 2.2 (2002), www.spacesofidentity.net/ _Vol_2_2/ _HTML/ Reisenleitner.html. REISENLEITNER, Markus: Slashing Postcolonial Studies, or: Why this Debate still Bo‐ thers Me. A Response to Clemens Ruthner’s ‚k. u. k. Kolonialismus als Befund, Be‐ findlichkeit und Metapher‘. In: spaces of identity 3.1 (2003), www.yorku.ca/ soi/ _Vol_3_12/ _HTML/ reisenleitner.html E.1. Literaturverzeichnis 377 ROHDE, Achim: Der innere Orient. Orientalismus, Antisemitismus und Geschlecht im Deutschland des 18. und 19. Jhs. In: Die Welt des Islams 45 (2005), H. 2, S. 370-411. RUTHNER, Clemens: Central Europe Goes Postcolonial. New Approaches to the Habs‐ burg Empire around 1900. In: Cultural Studies [London] 16.6 (2002[a]), S. 877-883. RUTHNER, Clemens: Kulturelle Imagines und innere Kolonisierung. Ethnisch kodierte Selbst- und Fremdbilder in der k. u. k. Monarchie - eine Projektskizze. In: Zeyringer & Csáky (Hg.), a. a. O. (2002[b]), S. 30-53 SANDNER, Günther: Zwischen Anerkennung und Differenz. Die Nationalitätentheo‐ rien von Karl Renner und Otto Bauer im Kontext. In: Müller-Funk & Wagner (Hg.), a. a. O. (2005), S. 90-101. SAUER, Walter (Hg.): K. u. k. kolonial. Habsburgermonarchie und europäische Herrschaft in Afrika. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2002, 2 2007. SAUER, Walter: Habsburg Colonial. Austria-Hungary’s Role in European Overseas Ex‐ pansion Reconsidered. In: Austrian Studies [Oxford] 20 (2012), S. 5-23. SCHMIDT, Matthias / FINZI, Daniela / CAR, Milka / MÜLLER-FUNK, Wolfgang (Hg.): Narrative im (post)imperialen Kontext. Literarische Identitätsbildung als Potential im regionalen Spannungsfeld zwischen Habsburg und Hoher Pforte in Zentral- und Südost‐ europa. Tübingen: Francke 2015 (= Kultur - Herrschaft - Differenz 21). SIMO, David: Interkulturalität und Asymmetrie. Koloniale Situation und Kommunika‐ tionsprobleme bei Kafka. In: Trans. Internet-Zschr. für Kulturwissenschaften 7 (1999), S. 1-6. SIMONEK, Stefan: Mit Clemens Ruthner unterwegs im Wilden Osten. Eine Replik. Si‐ monek, Stefan. In: newsletter MODERNE [Graz] 4.2 (Sept. 2001), S. 30-31. Reprint in Kakanien revisited, www.kakanien.ac. at / rez / SSimonek1.pdf (2002). SIMONEK, Stefan: Fehl-Lektüren der Wiener Moderne. Tadeusz Rittner versus Josef Svatopluk Machar. In: Kakanien revisited, http: / / www.kakanien-revisited.at/ beitr/ fallstudie/ SSimonek3.pdf (2002). SIMONS, Oliver: Orientteppich und Kunstwerk. 185: Hofmannsthals Märchen der 672. Nacht. In: Honold & Scherpe (Hg.), a. a. O. (2002), S. 182-189. STAMM, Ulrike: Die hässliche Orientalin. Zu einem Stereotyp in Reiseberichten des 19. Jhs. In: Bogdal (Hg.), a. a. O. (2007), S. 141-161. STAMM, Ulrike: Der Orient der Frauen. Deutschsprachige Reiseberichte aus dem frühen 19. Jahrhundert. Köln, Weimar: Böhlau 2010. STREIT, Wolfgang: Die Transparenz der Folter. F. Kafkas ‚In der Strafkolonie‘ aus Sicht der Postkolonialismus-Forschung. In: Ders.: Postkolonialismus-Forschung. Theorien, Methoden und Praxis. Norderstedt: Books on Demand 2014, S. 192-213. STROHMAIER, Alexandra: „Halb-Asiens“ umtriebige Körper. Zur Sexualisierung kul‐ tureller Alterität in der Habsburgermonarchie. In: Ruthner, Clemens / Whitinger, Ra‐ E.1. Literaturverzeichnis 378 leigh (Hg.): Contested Passions. Sexuality, Eroticism, and Gender in Modern Austrian Literature and Culture. New York: P. Lang 2011 (= Austrian Culture Series), S. 17-32. UERLINGS, Herbert: Postkolonialer Diskurs und Deutsche Literatur. Perspektiven und Probleme. In: Dunker (Hg.), a. a. O. (2005), S. 17-44. UERLINGS, Herbert / PATRUT, Iulia-Karin (Hg.): Postkolonialismus und Kanon. Biele‐ feld: Aisthesis 2012 (= Postkoloniale Studien in der Germanistik 2). UHL, Heidemarie: Zwischen „Habsburgischem Mythos“ und (Post-)Kolonialismus. Zent‐ raleuropa als Paradigma für Identitätskonstruktionen in der (Post)Moderne. In: Ka‐ kanien revisited, http: / / www.kakanien.ac.at/ beitr/ theorie/ HUhl1.pdf (2002). ULBANDUS 7: Empire, Union, Center, Satellite. The Place of Post-Colonial Theory in Slavic / Central and Eastern European/ (Post-) Soviet Studies. New York: Columbia Univ. 2003. WÄGENBAUR, Thomas: Kafkas literarische Rassismusanalyse. In: Bhatti & Turk (Hg.), a. a. O. (1998), S. 55-68. WILKE, Sabine: Zur Phänomenologie einer Diskursform. Der koloniale Masochismus in Jack Londons ‚The Chicago‘ und Franz Kafkas ‚In der Strafkolonie‘. In: Germanic Notes and Reviews 36 (2005), H. 1, S. 12-24. WILKE, Sabine: Masochismus und Kolonialismus. Literatur, Film und Pädagogik. Tü‐ bingen: Stauffenburg 2007 (= Stauffenburg Discussion. Studien zur Inter- und Multi‐ kultur 24). WOLFF, Larry: Inventing Eastern Europe. The Map of Civilization on the Mind of the En‐ lightenment. Stanford: Stanford Univ. Pr. 1994. ZANTOP, Susanne: Colonial Fantasies. Conquest, Family, and Nation in Precolonial Ger‐ many, 1770-1870. Durham, London: Duke University Pr. 1997. ZILCOSKY, John: Kafka’s Travels. Exoticism, Colonialism and the Traffic of Writing. New York, London: Palgrave Macmillan 2003. ZILCOSKY, John: Uncanny Encounters. Literature, Psychoanalysis and the End of Alterity. Chicago: Northwestern Univ. Pr. 2016. ZINTZEN, Christiane: Viribus unitis pour l’Œuvre du Prince Héritier ‚La Monarchie Austro-Hongroise par le texte et l’image‘. In: Ott, Herta Luise / Beghin, Marc (Hg.): Penser le pluriculturel en Europe centrale (= Chroniques allemandes [Grenoble] 11 [2006 / 07]), S. 15-40. 3. Sekundärliteratur zu den Fallstudien 3.1. Franz Grillparzer und andere Autoren des 19. Jhs. ALBRECHT, Tim: Trusting Barbarians? Franz Grillparzers ‚The Golden Fleece‘ and the Challenge to the Mythography of the Empire. In: Boletsi, Maria / Moser, Christian E.1. Literaturverzeichnis 379 (Hg.): Barbarism revisited. New Perspectives on an Old Concept. Leiden, Boston: Brill 2015, S. 203-220. ALLMANN, Barbara: Die Leiden des reisenden Franz. Grillparzer als fahrender Be‐ obachter. In: Denscher & Obermaier (Hg.), a. a. O. (1991), S. 105-110. BACHMAIER, Helmut (Hg.): Franz Grillparzer. Frankfurt/ M.: Suhrkamp 1991 (= st ma‐ terialien 2078). BACHMAIER, Helmut: Grillparzer: Ordo und Geschichte. In: Bachmaier (Hg.), a. a. O. (1991), S. 259-70. BLÄNSDORF, Jürgen: Grillparzer und die Griechen. In: Mennemeier, Franz Norbert / Reitz, Bernhard (Hg.): Amüsement und Schrecken. Studien zum Drama und Theater des 19. Jhs. Tübingen: Francke 2006, S. 45-66. BOBINAC, Marijan: Vom „bedeutendsten Vertreter der nachklassischen Literaturpe‐ riode“ bis zum „K.u.K. Schwarzgelben“. Zur Rezeption Grillparzers in Kroatien. In: Ders.: Zwischen Übernahme und Ablehnung. Aufsätze zur Rezeption deutschsprachiger Dramatiker im kroatischen Theater. Wroclaw, Dresden: Neisse 2007, S. 141-179. BÖHM, Hermann: Die gebildeten Gastwirte. F. Grillparzer und Italien. In: Denscher & Obermaier (Hg.), a. a. O. (1991), S. 111-119. BRAUCKMANN, Matthias / EVERWIEN, Andrea: Sehnsucht nach Integrität oder Wie die Seele wächst im Verzicht. ‚Das goldene Vließ‘. In: Budde, Bernhard / Schmidt, Ul‐ rich (Hg.): Gerettete Ordnung. Grillparzers Dramen. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 1987 (= Historisch-kritische Arbeiten zur deutschen Literatur 7), S. 58-105. BUB, Tillmann: Barbarei und Zivilisation in Grillparzers Trilogie ‚Das goldene Vließ‘. In: Sprachkunst 35 (2004), S. 1-22. CALEK, Cornelia: Die Tragik der Liebe. Literarische Frauengestalten in Grillparzers dramatischem Werk. In: Denscher & Obermaier (Hg.), a. a. O. (1991), S. 69-76. DARRAS, Gilles: Ombres et lumières dans ‚La Toison d’or‘. In: Lacheny u. a. (Hg.), a. a. O. (2016), S. 29-48. DENSCHER, Bernhard / OBERMAIER, Walter (Hg.): Grillparzer oder die Wirklichkeit der Wirklichkeit [Ausstellungskatalog]. Wien: Historisches Museum, Wiener Stadt- und Landesbibliothek 1991. DUNHAM, T. C.: Symbolism in Grillparzer’s ‚Das Goldene Vließ‘. In: PMLA 75 (1960), S. 75-82. DUSINI, Arno: Die Ordnung des Lebens. Zu Grillparzers ‚Selbstbiographie‘. Tübingen: Niemeyer 1991. EGGER, Irmgard: Italienische Reisen. Wahrnehmung von Goethe bis Brinkmann. Mün‐ chen: Fink 2006. FREDERIKSEN, Elke: Grillparzers Tagebücher als Suche nach Selbstverständnis. Frank‐ furt / M. u.a.: P. Lang 1977 (= EHSS, I: 174). E.1. Literaturverzeichnis 380 FRIEDRICH, Peter / PARR, Rolf (Hg.): Gastlichkeit. Erkundung einer Schwellensitua‐ tion. Heidelberg: Synchron 2009. GRIESMAYER, Norbert: Das Bild des Partners in Grillparzers Dramen. Studien zum Ver‐ ständnis ihrer sprachkünstlerischen Gestaltung. Wien, Stuttgart: Braumüller 1972 (= Wiener Arbeiten zur deutschen Literatur 3). GÜNZEL, Klaus: Der gespaltene Zeigefinger. Variationen über das Thema ‚Grillparzer und die Deutschen‘. In: Denscher & Obermaier (Hg.), a. a. O. (1991), S. 120-127. GUNDOLF, Friedrich: F. Grillparzer. In: Jb. des Freien Deutschen Hochstifts 1931, S. 9 ff. GRIMBERG, Michel: Médée peut-elle parler? Réflexions sur le discours feminin dans ‚La Toison d’or‘. In: Lacheny u. a. (Hg.), a. a. O. (2016), S. 49-64. HAGL-CATLING, Karin: Für eine Imagologie der Geschlechter. Franz Grillparzers Frau‐ enbild im Widerspruch. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 1997 (= EHSS 1: 1588). HAIDER-PREGLER, Hilde: Grillparzers Trilogie ‚Das goldene Vließ‘. Dramaturgie und Rezeption. In: Grillparzer, Franz: Das goldene Vließ. Hg. von Helmut Bachmaier. Stutt‐ gart: Reclam 1995, S. 273-320. HORNUNG, Maria / MÖCKER, Hermann: Das ‚Goldene Vließ‘: ein altösterreichischer Ritterorden - Franz Grillparzers Trilogie: ein Orthographieproblem. In: Österreich in Geschichte und Literatur [Wien] 41 (1997), S. 20-28. KAISER, Joachim: Grillparzers dramatischer Stil. München: Hanser 1969. KASCHNITZ, Marie Luise (Hg.): Franz Grillparzer - Medea. Vollständiger Text. Doku‐ mentation. Berlin: Ullstein 1966 (= UB 5018). KENKEL, Konrad: Medea Dramen. Entmythisierung und Remythisierung: Euripides, Klinger, Grillparzer, Jahnn, Anouilh. Bonn: Bouvier Grundmann 1979 (= Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik 63). KEREKES, Gábor: Grillparzer und Ungarn. In: Ders.: Grillparzer einst und heute. Szom‐ bathely: PH Dániel Berzsenyi 1993, S. 77-90. KOMMERELL, Max: Grillparzer. Ein Dichter der Treue [1936]. Reprinted in: Bachmaier (Hg.), a. a. O. (1991), S. 88-98. KRIEGLEDER, Wynfried: Vorwärts in die Vergangenheit. Das Bild der USA im deutsch‐ sprachigen Roman von 1776 bis 1855. Tübingen: Stauffenburg 1999. LACHENY, Marc / LAJARRIGE, Jacques / LEROY DU CARDONNOY (Hg.): Modernité du mythe et violence de l’alterité. ‚La Toison d’or‘ de Franz Grillparzer. Mont-Saint- Aignan: Presses universitiares de Rouen et du Havre 2016. LAJARRIGE, Jacques: Franz Grillparzer et la question des nationalités. In: Chroniques allemandes 11 (2006 / 07): Penser le pluriculturel en Europe centrale, S. 127-145. LAJARRIGE, Jacques: Franz Grillparzer, voyageur malgré lui. In: Ders. / Benay, Jeanne (Hg.): Littérature de voyage. Regards autrichiens sur le monde (= Austriaca [Rouen] 62 [2007]), S. 85-111. E.1. Literaturverzeichnis 381 LAUDIN, Gérard: Rumeurs et prétextes, raison d’État or droit instrumentalisé, identité et exclusion. Les fils torsadés du tragique dans ‚Das goldene Vließ‘. In: Lacheny u. a. (Hg.), a. a. O. (2016), S. 161-179. LENGAUER, Hubert: Nachwort. In: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerikamüde. Roman. Berlin (Ost): Volk & Welt 1985, S. 565-615. LEROY DU CARDONNOY, Éric: ‚La Toison d’or‘. Une trilogie politique? In: Lacheny u. a. (Hg.), a. a. O. (2016), S. 205-223. LORENZ, Dagmar C. G.: Grillparzer, Dichter des sozialen Konflikts. Wien u. a.: Böhlau 1986 (= Literatur und Leben, N.F. 33). LÜTKEHAUS, Ludger: Vorwort. In: Ders.: Mythos Medea. Von Euripides bis Christa Wolf. Stuttgart: Reclam 2006, S. 11-25. MÁDL, Antal: Grillparzer und Ungarn. In: Denscher & Obermaier (Hg.), a. a. O. (1991), S. 96-104. MIKOLETZKY, Lorenz: F. Grillparzer und (die) Böhmen. In: Jahrbuch der Grillparzer-Ge‐ sellschaft, 3. F. 18 (1991 / 92), S. 317-328. MÜLLER-STERNBERG, Robert: Grillparzer und die Ostvölker. In: Deutsche Studien [Lüneburg] 10 (1972), S. 354-362. NEUMANN, Gerhard: ‚Das Goldene Vließ‘. Die Erneuerung der Tragöde durch Grill‐ parzer. In: Flashar, Hellmut (Hg.): Tragödie. Ideen und Transformation. Stuttgart, Leipzig: B. G. Teubner 1997 (= Colloquium Rauricum 5), S. 258-286. NIEHAUS, Michael: „Den Gastfreund tötet er und hat sein Gut! “ Voraussetzungen und Folgen einer Untat bei Franz Grillparzer, George Lillo, Karl Philipp Moritz und Za‐ charias Werner. In: Friedrich & Parr (Hg.), a. a. O. (2009), S. 239-262. ORTKEMPER, Hubert: Medea in Athen. Die Uraufführung und ihre Zuschauer. Frank‐ furt / M., Leipzig: Insel 2004. PLATELLE, Fanny: La fonction dramatique et symbolique des objets dans ‚La Toison d’or‘. In: Lacheny u. a. (Hg.), a. a. O. (2016), S. 83-103. PÖRNBACHER, Karl: Franz Grillparzer. München: Heimeran 1970 (= Dichter über ihre Dichtungen 7). POLITZER, Heinz: F. Grillparzer oder das abgründige Biedermeier. Vorwort v. Reinhard Urbach. Wien, Darmstadt: P. Zsolnay 1990 (EA 1972). RECKZEH, Gerhart: Grillparzer und die Slaven. Weimar: A. Duncker 1929. Reprint Hil‐ desheim: Gerstenberg 1978. RIEDEL, Volker: Antike-Rezeption in der deutschen Literatur vom Renaissance-Huma‐ nismus bis zur Gegenwart. Eine Einführung. Stuttgart, Weimar: Metzler 2000. RIGBY, Catherine E.: Transgressions of the Feminine. Tragedy, Enlightenment and the Fi‐ gure of Woman in Classical German Drama. Heidelberg: Winter 1996. RITTER, Alexander (Hg.): Deutschlands literarisches Amerikabild. Neuere Forschungen zur Amerikarezeption in der deutschen Literatur. Hildesheim, New York: Olms 1977. E.1. Literaturverzeichnis 382 ROE, Ian F. : An Introduction to the Major Works of Franz Grillparzer, 1791-1872, German Dramatist and Poet. Lewinston, Queenston, Lampeter: E. Mellen 1991 (= Studies in German Language and Literature 7). ROTH, Joseph: Grillparzer [1937]. Reprinted in: Bachmaier (Hg.), a. a. O. (1991), S. 406-415. RUTHNER, Clemens / WHITINGER, Raleigh / HENN, Marianne (Hg.): Aneignungen und Entfremdungen. Franz Grillparzer’s Inter/ Nationalism. Proceedings of the 2004 Conference at the UofA. New York u. a.: P. Lang 2007 (= Austrian Culture Series 37). SCHAUM, Konrad: Gesetz und Verwandlung in Grillparzers ‚Goldenem Vließ‘. In: DVLG 38 (1964), S. 388-423. SCHEIT, Gerhard: F. Grillparzer. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek: Ro‐ wohlt 1989 (= rororo Bildmonographien 396). SCHIRINÀ, Alessandra: ‚Ich wäre tot, lebt ich mit dieser Welt.‘ Franz Grillparzer in seinen Tagebüchern. St. Ingbert: Röhrig 2000 (= Österr. u. internat. Literaturprozesse 8). ŠKREB, Zdenko: Grillparzer. Eine Einführung in das dramatische Werk. Kronberg / Ts.: Scriptor 1976. STEPHAN, Inge: Medea. Multimediale Karriere einer mythologischen Figur. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2006. STIEFEL, Rudolf: Grillparzers ‚Goldenes Vließ‘. Bern: Francke 1959. TANNER, Marie: The Last Descendants of Aeneas. New Haven, London: Yale Univ. Pr. 1993. TANG, Chenxi: Die Tragödie der Zivilisation. Völkerrecht und Ästhetik des Tragischen im 19. Jh. In: Frank, Gustav / Podewski, Madleen (Hg.): Wissenskulturen des Vormärz. Bielefeld: Aisthesis 2011 (= Forum Vormärz Foschung Jb. 17), S. 87-136. TERLINDEN, Charles de: Der Orden vom Goldenen Vlies. Wien, München: Herold 1970. THEWELEIT, Klaus: Pocahontas. Bd. II (Ca): Buch der Königstöchter. Von Göttermännern und Menschenfrauen. Mythenbildung, vorhomerisch, amerikanisch. Frankfurt / M., Basel: Stroemfeld 2013. TROMMLER, Frank (Hg.): Amerika und die Deutschen. Bestandsaufnahme einer 300-jäh‐ rigen Geschichte. Opladen: Westdeutscher Verl. 1986. VIVANI, Annalisa (Hg.): Grillparzer-Kommentar. Bd. I: Zu den Dichtungen. München: Winkler 1972. VOLKELT, Johannes: F. Grillparzer als Dichter des Tragischen. Nördlingen: Beck 1888. Tlw. Reprint in Bachmaier (Hg.), a. a. O. (1991), S. 37-48. WEISSMANN, Dirk: „Gleichsam als verschiedene Sprachen…“ Identité culturelle et dif‐ férence des idiomes dans ‚La Toison d’or‘. In: Lacheny u. a. (Hg.), a. a. O. (2016), S. 181-203. WESTPHAL Bertrand: De l’hospitalité en Colchide.’Das goldene Vließ’. In: Lacheny u. a. (Hg.), a. a. O. (2016), S. 15-28. E.1. Literaturverzeichnis 383 WIESE, Benno von: Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel. Hamburg: Hoffmann & Campe 1948, 3 1961. WINKLER, Markus: Von Iphigenie zu Medea. Semantik und Dramaturgie des Barbarischen bei Goethe und Grillparzer. Tübingen: Niemeyer 2009. YATES, W. E.: Grillparzer. A Critical Introduction. Cambridge: Cambridge Univ. Pr. 1972. 3.2. Peter Altenberg und die Völkerschauen der Jahrhundertwende ALTENBERG, Peter: Ashantee. Afrika und Wien um die Jahrhundertwende. Hg. von Werner Schwarz mit Beitr. von Robert McFarland, Silke Kirschnik, Kristin Kopp, Werner Michler u. Sabrina Rahman. Wien: Löcker 2008. ALTENBERG, Peter: Die Selbsterfindung eines Dichters. Briefe und Dokumente 1892-1896. Hg. von Leo A. Lensing. Göttingen: Wallstein 2009. BALME, Christopher B.: Schaulust und Schauwert. Zur Umwertung von Visualität und Fremdheit. In: Bayerdörfer, Hans P. u.a. (Hg.): Bilder des Fremden. Mediale Inszenierung von Alterität im 19. Jh. Berlin: LIT 2007 (= Kulturgeschichtliche Perspektiven 5), S. 63-78. BANCEL, Nicolas u. a. (Hg.): Zoos humains. Paris: La Découverte & Syros 2002. BARKER, Andrew: F. Kafka and P. Altenberg. In: Berlin, Jeffrey B. / Johns, Jorun B. / Lawson, Richard H. (Hg.): Turn-of-the-Century Vienna and Its Legacy. Essays in Honor of Donald G. Daviau. Riverside: Ariadne Pr. / Wien: Ed. Atelier 1993, S. 221-238. BARKER, Andrew: Telegrammstil der Seele. Peter Altenberg - Eine Biografie. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1998 (= Literatur und Leben 53). BARTH, Volker: Kontrollierte Träume. Der Orient auf der Pariser Weltausstellung von 1867. In: Kopp & Müller-Richter (Hg.), a. a. O. (2004), S. 31-51. DIETRICH, Stephan: Der Wilde und die Großstadt. Literarische Exotismen von Alten‐ berg bis Claire Goll. In: Kopp & Müller-Richter: a. a. O. (2004), S. 201-220. DREESBACH, Anne: Kolonialausstellungen, Völkerschauen und die Zurschaustellung des Fremden. Online in: Europäische Geschichte Online, http: / / ieg-ego.eu/ de/ threads/ modelle-und-stereotypen/ wilde-und-zivilisierte/ anne-dreesbach-kolonialausstellungenvoelkerschauen-und-die-zurschaustellung-des-fremden (17. 2. 2012). FOSTER, Ian: Altenberg’s African Spectacle. Ashantee in Context. In: Robertson, Rit‐ chie / Timms, Edward (Hg.): Theatre and Performance in Austria from Mozart to Je‐ linek. Edinburgh: Edinburgh Univ. Pr. 1993 (= Austrian Studies IV), S. 39-60. FOSTER, Ian: Peter Altenberg und das Fremde. In: Fuchs, Anne / Harden, Theo (Hg.): Reisen im Diskurs. Modelle literarischer Fremderfahrung von den Pilgerfahrten bis zur Postmoderne. Heidelberg: Winter 1995, S. 333-342. FRIEDELL, Egon: Die Welt Peter Altenbergs. In: Moderne Welt, H. 5 (1919), S. 10-11. E.1. Literaturverzeichnis 384 GILMAN, Sander L.: Difference and Pathology. Stereotypes of Sexuality, Race and Madness. Ithaca, London: Cornell Univ. Pr. 1985. / Rasse, Sexualität, Seuche. Stereotype aus der Innenwelt der westlichen Kultur. Reinbek: Rowohlt 1992. GÖTTSCHE, Dirk: Kolonialismus und Interkulturalität in P. Altenbergs ‚Ashantee‘- Skizzen. In: Dunker, Axel (Hg.): (Post-)Kolonialismus und Deutsche Kultur. Impulse der angloamerikanischen Literatur- und Kulturtheorie. Bielefeld: Aisthesis 2005, S. 161-178. GREWE, Cordula (Hg.): Die Schau des Fremden. Ausstellungskonzepte zwischen Kunst, Kommerz und Wissenschaft. Stuttgart: F. Steiner 2006. GRÖNING, Maren / PONSTINGL, Michael: Der „Photographische Kunstverlag Otto Schmidt“ in Wien. Wien: Brandstätter 2007 (= Beiträge zur Geschichte der Fotografie in Österreich 7). HAMMERSTEIN, Katharina von: „Dem edlen Männer-Auge ein Bild…“ Ambivalenz der anti / kolonialen Repräsentation in P. Altenbergs ‚Ashantee‘ (1897). In: Bechhaus, Ma‐ rianne / Gieseke, Sunna (Hg.): Koloniale und postkoloniale Konstruktionen von Afrika und Menschen afrikanischer Herkunft in der deutschen Alltagskultur. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 2006, S. 131-142. HAMMERSTEIN, Katharina von: ‚Black is Beautiful‘, Viennese Style. P. Altenberg’s Ashantee (1897). In: Altenberg, Peter: Ashantee. Übers. von Katharina von Hammer‐ stein. Riverside: Ariadne 2007, S. 101-113. HENNINGER, Peter: L’amour au zoo. ‚Ashantee‘ de P. Altenberg. In: Haag, Ingrid / Götze, Karl Heinz (Hg.): L’amour autour de 1900. Actes du colloque international à Aix les 3, 4 et 5 mars 2005. Aix-en-Provence: Blanc 2006 (= Cahiers d’Études Germaniques 50 / 1), S. 19-37. HOFMANN, Thomas: Der Menschenzoo im Wiener Tiergarten. In: Die Presse v. 13. 08. 2016, http: / / diepresse.com/ home/ zeitgeschichte/ 5068546/ Der-Menschenzoo-im-Wiener-Tiergarten. HOLZER, Anton: Verbotene Bilder. Eine Geschichte der erotischen und pornografischen Fotografie. In: Neuer Zürcher Zeitung v. 10. 01. 2015, http: / / www.nzz.ch/ feuilleton/ kunst_architektur/ verbotene-bilder-1.18457874. HONOLD, Alexander: P. Altenbergs ‚Ashantee‘. Eine impressionistische cross-over-Phantasie im Kontext der exotistischen Völkerschauen. In: Eicher, Thomas (Hg): Grenzüberschreitungen um 1900. Österreichische Literatur im Übergang. Ober‐ hausen: Athena 2001, S. 135-156. HONOLD, Alexander: Berichte von der Menschenschau. Kafka und die Ausstellung des Fremden. In: Bay, Hansjörg / Hamann, Christof (Hg.): Odradeks Lachen. Fremdheit bei Kafka. Freiburg / B.: Rombach 2006, S. 305-324. E.1. Literaturverzeichnis 385 JACOBS, Angelika: ‚Wildnis‘ als Wunschraum westlicher ‚Zivilisation‘. Zur Kritik des Exotismus in Peter Altenbergs Ashantee und Robert Müllers Tropen. In: Kakanien re‐ visited, www.kakanien-revisited.at/ beitr/ fallstudie/ AJacobs1.pdf (30. 03. 2002). KIM, David D.: The Task of the Loving Translator. Translation, Völkerschauen, and Co‐ lonial Ambivalence in P. Altenberg’s ‚Ashantee‘ (1897). In: Transit [Berkeley] 2.1 (2005). Online: http: / / escholarship.org/ uc/ item/ 32w9t2j9 KOPP, Kristin / MÜLLER-RICHTER, Klaus (Hg.): Die Großstadt und das ‚Primitive‘. Text, Politik und Repräsentation. Stuttgart: Metzler 2004. KOPP, Kristin: Peter Altenbergs literarischer Impressionismus. In: Altenberg, a. a. O. (2008), S. 141-149. LUNZER, Heinz / LUNZER-TALOS, Victoria: Peter Altenberg. Extracte des Lebens. Einem Schriftsteller auf der Spur. Salzburg, Wien, Frankfurt / M.: Residenz 2003. MERGENTHALER, Volker: Völkerschau - Kannibalismus - Fremdenlegion. Zur Ästhetik der Transgression (1897-1936). Tübingen: Niemeyer 2005. MICHLER, Werner: Darwinismus und Literatur. Naturwissenschaftliche und literarische Intelligenz in Österreich, 1859-1914. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1999 (= Literaturge‐ schichte in Studien und Quellen 2). MIGUOUÉ, Jean Bertrand: Kolonialismus - Völkerschau - Wahnsinn. Sinn und Unsinn im kolonialen Spektakel des ‚Anderen‘ in der österreichischen Kulturgeschichte. Zu P. Altenbergs ‚Ashantee‘. In: Knafl, Arnulf (Hg.): Sinn Unsinn Wahnsinn. Beispiele zur österreichischen Kulturgeschichte [Franz-Werfel-StipdenidatInnen-Tagung 2016]. Wien: Ed. Praesens 2017, S. 31-52. PLENER, Peter: (K)ein Mohr im Hemd. Aschantis in Wien und Budapest, 1897 / 97. In: Kakanien revisited, www.kakanien-revisited.at/ beitr/ fallstudie/ PPlener2.pdf (06. 11. 2001). PRIDDIS, Nathan: ‚Ashantee‘ and the Colonial Gaze. A Study in Colonialism. In: Per‐ spectives. Student Journal (2007), http: / / germslav.byu.edu/ perspectives/ 2007/ Priddis_Nathan.pdf. RAHMAN, Sabrina K.: ‚Die Aschanti‘ von Peter Altenberg und ‚Der Neger‘ von Karl Kraus. Die Frage schwarzer Präsenz im spätkaiserlichen Wien. In: Altenberg, a. a. O. (2008), S. 151-162. RÖSSNER, Christian: Der Autor als Literatur. Peter Altenberg in Texten der ‚klassischen Moderne‘. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 2006 (= Helicon. 32). SCHAEFER, Camillo: Peter Altenberg oder Die Geburt der modernen Seele. Wien: Amal‐ thea 1992. SCHWARTZ, Vanessa R.: Spectacular Realities. Early Mass Culture in Fin-de-Siècle Paris. Berkeley u. a.: Univ. of California Pr. 1999. SCHWARZ, Werner Michael: Anthropologische Spektakel. Zur Schaustellung ‚exotischer‘ Menschen‘, Wien 1870-1910. Wien: Turia + Kant 2001. E.1. Literaturverzeichnis 386 SCHWARZ, Werner Michael: Echte und falsche Menschen. ‚Anthropologische Spek‐ takel‘ in Wien. In: Kopp & Müller-Richter (Hg.), a. a. O. (2004), S. 53-67. SCHWEIGER, Hannes: P. Altenberg. ‚Ashantee‘. In: Fetz, Bernhard / Rainer, Miriam (Hg.): Das Literaturmuseum. 101 Objekte und Geschichten [Katalog zur Dauerausstel‐ lung im Literaturmuseum der ÖNB]. Salzburg, Wien: Jung & Jung 2015, S. 98-99. SCOTT, Marilyn: P. Altenberg’s ‚Ashantee‘. A Zoo Story. In: Modern Austrian Literature 30 (1997), S. 49-63. SIMFORS, Per: Extrakte des Schweigens. Zu Sprache und Stil bei Peter Altenberg. Tübingen: Stauffenburg 2009 (= Stauffenburg Colloquium 66). THODE-ARORA, Hilke: Für 50 Pfennig um die Welt. Die Hagenbeckschen Völkerschauen. Frankfurt / M.: Campus 1989. UNGLAUB, Erich: Panther und Aschanti. Rilke-Gedichte in kulturwissenschaftlicher Sicht. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 2005. WELLERING, Peter: Zur Kulturkritik und Melancholie. P. Altenberg und die Wiener Jahr‐ hundertwende. Stuttgart: H.-D. Heinz 1999 (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 366). 3.3. Alfred Kubin und die Jahrhundertwende-Fantastik ASSMANN, Peter (Hg.): Alfred Kubin (1877-1959). Mit einem Werkverzeichnis […] Linz: OÖ. Landesgalerie / Salzburg: Residenz 1995 (= Kubin-Projekt 1). BARKHOFF, Jürgen: Magnetische Fiktionen. Literarisierung des Mesmerismus in der Ro‐ mantik. Stuttgart: Metzler 1995. BERG, Stefan: Schlimme Zeiten, böse Räume. Zeit- und Raumstrukturen in der phantasti‐ schen Literatur des 20. Jhs. Stuttgart: Metzler 1991. BERNERS, Jürgen: Der Untergang des Traumreiches. Utopie, Phantastik und Traum in A. Kubins Roman ‚Die andere Seite‘. Wetzlar: Phantastische Bibliothek 1998 (= Schrif‐ tenreihe und Materialien 27). BERRY, Nicole: ‚L’autre côté‘. Une lecture psychoanalytique de Kubin. In: Austriaca [Rouen] 27 (1988), S. 127-141. BOLTERAUER, Alice: „Gehn ma halt a bisserl unter…“ Der Weltuntergang als Thema der Literatur. In: Kaindl, Heimo / Ruhri, Alois (Hg.): Weltuntergänge. Ängste und Hoff‐ nungen an einer Jahrtausendwende [Ausstellungskatalog]. Graz: Diözesanmuseum 2000. BRANDSTETTER, Gabriele: Das Verhältnis von Traum und Phantastik in A. Kubins Roman ‚Die andere Seite‘. In Thomsen, Christian W. / Fischer, Jens Malte (Hg.): Phan‐ tastik in Literatur und Kunst. Darmstadt: WBG 1980, S. 255-267. BREDT, Ernst Willy: Alfred Kubin. München: Hugo Schmidt 1922. BROCKHAUS, Christoph: A. Kubin nach 1909. Versuch einer künstlerischen Charakte‐ risierung. In: Hoberg (Hg.), a. a. O. (1990), S. 131-138. E.1. Literaturverzeichnis 387 BRUNN, Clemens: Der Ausweg ins Unwirkliche. Fiktion und Weltmodell bei Paul Scheerbart und Alfred Kubin. Oldenburg: Igel 2000 (= Reihe Literatur- und Medienwissenschaft 75). CARSTENSEN, Thorsten / SCHMID, Marcel: Die Literatur der Lebensreform. Kultur‐ kritik und Aufbruchstimmung um 1900. Bielefeld: transcript 2016. CERSOWSKY, Peter: Phantastastische Literatur im 1. Viertel des 20. Jhs. Untersuchungen zum Strukturwandel des Genres, seinen geistesgeschichtlichen Voraussetzungen und zur Tradition der ‚schwarzen Romantik‘ inbes. bei G. Meyrink, A. Kubin und F. Kafka. Mün‐ chen: Fink 1983, ²1994. DEMMELBAUER, Josef: Vom absterbenden zum totalen Staat. Von der ‚anderen Seite‘ Kubins zum ‚Arbeiter‘ Jüngers, aufgezeigt am Briefwechsel Kubin / Ernst Jünger. In: Weber, Hermann (Hg.): Recht, Staat und Politik im Bild der Dichtung. Berlin: BWV 2003 (= Juristische Zeitgeschichte 6: 15), S. 127-141. FEDERMAIR, Leopold: Das leere Zentrum der Macht. Kubins ‚Andere Seite‘ und Kafkas ‚Schloss‘. In: Weimarer Beiträge 58 (2012). H. 2, S. 181-194. FISCHER, Jens Malte: Deutschsprachige Phantastik zwischen Décadence und Fa‐ schismus. In: Phaicon 3 (1978), S. 93-13. FREUND, Winfried / LACHINGER, Johann / RUTHNER, Clemens (Hg.): „Der Demiurg ist ein Zwitter.“ A. Kubin und die deutschsprachige Phantastik. München: Fink 1999. GERHARDS, Claudia: Apokalpyse und Moderne. A. Kubins ‚Die andere Seite‘ und E. Jün‐ gers Frühwerk. Würzburg: Königshausen & Neumann 1999 (= Epistemata, Reihe Lite‐ raturwissenschaft 281). GEHRIG, Gerlinde: Sandmann und Geierkind. Phantastische Diskurse im Werk A. Kubins. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2004 (= Dissertationen zur Kunstgeschichte 40). GEYER, Andreas: Traumverwandte. Kubins Begegnung mit Kafka. In: Lachinger & Pintar (Hg.), a. a. O. (1995), S. 67-85. GEYER, Andreas: „Angriffe des Wunderbaren auf die Welt der Tatsachen“. Annähe‐ rungen an das Phantastische im Werk von E. Jünger. In: Le Blanc, Thomas / Twrsnick, Bettina (Hg.): Traumreich und Nachtseite 2. Die deutschsprachige Phantastik zwischen Décadence und Faschismus. Wetzlar: Phantastische Bibliothek 2001 (= Schriftenreihe und Materialien 21), S. 36-54. GNAM, Andrea: Erkenntnisformen des Phantastischen. Okkulte Vorstellungswelten in G. Meyrinks ‚Golem‘ und A. Kubins ‚Die andere Seite‘. In: Musil-Forum 29 (2005 / 06), S. 190-206. GREEN, Martin: Mountain of Truth. The Counterculture Begins, Ascona, 1900-1920. Ha‐ nover, London: University Press of New England 1986. GRESCHONIG, Steffen: ‚Die andere Seite‘ des Menschen. Raum, Zeit und Posthuma‐ nismus bei A. Kubin. In: Weimarer Beiträge 53 (2007), H. 2, S. 267-276. E.1. Literaturverzeichnis 388 HAUFF, Sigrid: Gut balanziert nirgends eingebissen. A. Kubin und die schöpferische In‐ differenz Salomo Friedländers. In: Hoberg (Hg.), a. a. O. (1990), S. 177-186. HEISSERER, Dirk: Wort und Linie. In: Hoberg (Hg.), a. a. O. (1990). HEWIG, Anneliese: Phantastische Wirklichkeit. Interpretationsstudie zu A. Kubins Roman ‚Die andere Seite‘. München: Fink 1967 (= Zur Erkenntnis der Dichtung 5). HILPERT, Daniel: Magnetisches Erzählen. E. T. A. Hoffmanns Poetisierung des Mesme‐ rismus. Freiburg / B., Wien: Rombach 2014. HINTERHÄUSER, Hans: Fin de Siècle. Gestalten und Mythen. München: Fink 1977. HOBERG, Annegret (Hg.): Alfred Kubin 1877-1959 [Ausstellungskatalog]. München: edition spangenberg 1990. HOBERG, Annegret: Aus halbvergessenem Lande - Über einige Grundmotive im Schaffen Kubins. In: Hoberg (Hg.), a. a. O. (1990), S. 117-130. HOBERG, Annegret: Das Selbstverständnis des späten Kubin. In: Assmann (Hg.), a. a. O. (1995), S. 9-36. HOFMANN, Werner: Über einige Motive des Romans ‚Die andere Seite‘, 1909. In: Hoberg (Hg.), a. a. O. (1990), S. 103-108. HUGHES, Jon: Modernity and Ambivalence in A. Kubin’s ‚Die andere Seite‘. In: Beniston, Judith u. a. (Hg.): Austrian Satire and other essays. Studies in Honor of Edward Timms. Leeds: Maney 2007, S. 80-95. JABŁKOWSKA, Joanna: Die Apokalyptik um die Jahrhundertwende. A. Kubins ‚Die andere Seite‘. In: Die Rampe [Linz] 2 / 1989, S. 7-24. KLEIN, Michael: A. Kubin und F. von Herzmanovsky-Orlando. Anmerkungen zu einer beinahe lebenslangen Brieffreundschaft. In: Hoberg (Hg.), a. a. O. (1990), S. 171-176. KOLLAK, Christine: Literatur und Hypnose. Der Mesmerismus und sein Einfluß auf die Literatur des 19. Jhs. Frankfurt / M., New York: Campus 1997. KOSELER, Michael: Die sterbende Stadt. Décadence und Apokalypse in A. Kubins Roman ‚Die andere Seite‘. In: Lachinger & Pintar (Hg.), a. a. O. (1995), S. 45-55. LACHINGER, Johann / Pintar, Regina (Hg.): Magische Nachtgesichte. A. Kubin und die phantastische Literatur seiner Zeit. Linz: A.-Stifter-Institut / Salzburg: Residenz 1995 (= Kubin-Projekt 3). LACHINGER, Johann: Trauma und Traumstadt. Überlegungen zu Kubins topographi‐ schen Projektionen im Roman ‚Die andere Seite‘. In: Freund & Ders. & Ruthner (Hg.), a. a. O. (1999), S. 121-130. LIPPUNER, Heinz: A. Kubins Roman ‚Die andere Seite‘. Bern: Francke 1977. MARGOTTON, Jean-Charles: A. Kubin et le monde du rêve. ‚Die andere Seite‘. In: Haag, Ingrid (Hg.): Rêve et littérature. Actes du colloque organisé à Aix les 14 et 15 mars 1997. Aix-en-Provence: Blanc 1997 (= Cahiers d’Études Germaniques 33), S. 105-118. MARTYNKEWICZ, Wolfgang: Zerstörerische Dualitäten. Destruktionstrieb, Traum- und Wachbewusstsein in A. Kubins Roman ‚Die andere Seite‘. In: Alt, Peter-André / E.1. Literaturverzeichnis 389 Anz, Thomas (Hg.): Sigmund Freud und das Wissen der Literatur. Berlin, New York: W. de Gruyter 2008 (= spectrum Literaturwissenschaft 16), S. 137-156. MEDRANO, Sofia: Ocultismo en la literatura fantástica del cambio del siglo. El motifo del magnetizador en Die andere Seite, de A. Kubin. In: Fernández Bueno, Marta (Hg.): Rückblicke und neue Perspektiven / Miradas retrospectivas y nuevas orientaciones. Bern u. a.: P. Lang 2013 (= Perspektiven der Germanistik in Spanien 7), S. 629-642. MEISTER, Jan Christoph: Hypostasierung - die Logik des mythischen Denkens im Werk G. Meyrinks nach 1907. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 1987. MEYER, Martin: Ernst Jünger. München: C. Hanser 1990. MÜLLER, Hans-Harald: Leo Perutz. München: Beck 1992 (= BR 625; Autorenbücher). MÜLLER, Hans-Harald / SCHERNUS, Wilhelm: Leo Perutz. Eine Bibliographie. Frank‐ furt / M. u.a.: P. Lang 1991 (= Hamburger Beiträge zur Germanistik 15). MÜLLER-THALHEIM, Wolfgang K.: Erotik und Dämonie im Werk A. Kubins. Eine psy‐ chopathologische Studie. München: Nymphenburger 1970. NEUHÄUSER, Renate: Aspekte des Politischen bei Kubin und Kafka. Eine Deutung der Romane ‚Die andere Seite‘ und ‚Das Schloß‘. Würzburg: Königshausen & Neumann 1998 (= Epistemata Reihe Literaturwissenschaft 234). PETRICONI, Hellmuth: ‚Die andere Seite‘ oder das Paradies des Untergangs. In: Ders.: Das Reich des Untergangs. Bemerkungen über ein mythologisches Thema. Hamburg: Hoffmann & Campe 1958, S. 96-125. POLT-HEINZL, Evelyne: Von A. Kubins Perle zu Ransmayrs Tomi. Über ein kulturhis‐ torisches Verwandtschaftsverhältnis. In: Freund, Lachinger & Ruthner (Hg.), a. a. O. (1999), S. 275-291. RHEIN, Phillip H.: The Verbal and Visual Art of A. Kubin. Riverside: Ariadne Pr. 1989 (= Studies in Austrian Literature, Culture, and Thought). ROTTENSTEINER, Franz: „Der Organisator des Ungewissen…“ A. Kubin und die phan‐ tastische Literatur. In: Lachinger & Pintar (Hg.), a. a. O. (1995), S. 25-43. RUTHNER, Clemens: Unheimliche Wiederkehr. Interpretationen zu den gespenstischen Romanfiguren bei Ewers, Meyrink, Soyka, Spunda und Strobl. Meitingen: Corian 1993 (= Studien zur phantastischen Literatur 10). RUTHNER, Clemens: Am Rande. Kanon, Kulturökonomie und die Intertexutalität des Marginalen am Beispiel der (österreichischen) Phantastik im 20. Jh. Tübingen, Basel: A. Francke 2004. SCHMIDT-DENGLER, Wendelin: Kakanische Traumreiche. A. Kubins ‚Die andere Seite‘ und F. v. Herzmanovsky-Orlandos ‚Das Maskenspiel der Genien‘. In: Jahrbuch der Österreich-Bibliothek in St. Petersburg 5 (2001 / 02), S. 44-56. SCHROEDER, Richard Arthur: A. Kubins’s ‚Die andere Seite‘. A Study in the Cross-Ferti‐ lization of Literature and the Graphic Arts. Indiana Univ.: Diss. [masch.] 1970. E.1. Literaturverzeichnis 390 SCHULLER, Marianne: ‚Entartung‘. Zur Geschichte eines Begriffs, der Geschichte ge‐ macht hat. In: Kaupen-Haas & Saller (Hg.), a.a.O (1999), S. 123-137. SCHUMACHER, Hans: ‚Die andere Seite‘ (1909) von A. Kubin. In: Freund, Winfried / Ders. (Hg.): Spiegel im dunklen Wort. Analysen zur Prosa des frühen 20. Jhs. Frank‐ furt / M. u.a.: Lang 1982 (= EHSS, Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur 513), S. 9-34. SIEBAUER, Ulrike: Leo Perutz - „Ich kenne alles. Alles, nur nicht mich“. Eine Biographie. Gerlingen: Bleicher 2000. SMIT, Frans: Gustav Meyrink. Auf der Suche nach dem Übersinnlichen. Übers. von Konrad Dietzfelbinger. München, Wien: Langen Müller 1988. SPIELMANN, Hans Robert: Geschichtsdarstellung in der franzisko-josephinischen Epik (F. von Saar: Schloß Kostenitz - A. Kubin: Die andere Seite - J. Roth: Radetzkymarsch). In: Österreich in Geschichte und Literatur [Wien] 24 (1980), H. 4, S. 238-256. TORRA-MATTENKLOTT, Caroline: Ästhetischer Raum als totalitärer Raum. A. Kubin, ‚Die andere Seite‘. In: Hebekus, Uwe / Stöckmann, Ingo (Hg.): Die Souveränität der Literatur. Zum Totalitären der Klassischen Moderne 1900-1933. München: Fink 2007, S. 165-190. WACKWITZ, Günter: Karl Hans Strobl (1877-1946). Sein Leben und sein phantastisch orientiertes Frühwerk. Halle-Wittenberg: Univ., Diss. [masch.] 1981. WILLE, Werner: Studien zur Dekadenz in Romanen um die Jahrhundertwende. Greifswald: Adler 1930. WÜNSCH, Marianne: Die Fantastische Literatur der Frühen Moderne (1890-1930). Defi‐ nition Denkgeschichtlicher Kontext Strukturen. München: Fink 1991. ŽUKOVA, Marija: Entsicherter Raum. ‚Die andere Seite‘ von A. Kubin. In: Jahrbuch der Österreich-Bibliothek in St. Petersburg 5 (2001 / 02), S. 78-86. 3.4. Österreich(-Ungarn), Bosnien-Herzegowina und Jugoslawien ALEKSOV, Bojan: Habsburg’s ‚Colonial Experiment‘ in Bosnia and Hercegovina revi‐ sited. In: Brunnbauer, Ulf / Helmedach, Andreas / Troebst, Stefan (Hg.): Schnittstellen. Gesellschaft, Nation, Konflikt und Erinnerung in Südosteuropa. Festschrift für Holm Sundhaussen zum 65. Geburtstag. München: Oldenbourg 2007 (= Südosteurop. Ar‐ beiten), S. 201-216. ALEKSOV, Bojan: Habsburg Confessionalism and Confessional Policies in Bosnia and Herzegovina. In: Ruthner u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 83-122. [ANONYM]: Milena Mrazović-Preindlsberger als Autorin der Reiseberichte über Bos‐ nien-Herzegowina. Online: http: / / fedora.phaidra.univie.ac.at/ fedora/ get/ o: 50965/ bdef: Content/ get (o. J.). E.1. Literaturverzeichnis 391 ANTIĆ, Marina: Living in the Shadow of the Bridge. Ivo Andrić’s ‚The Bridge over the Drina‘ and Western Imaginings of Bosnia. In: Spaces of Identity 3.3 (2003), www.spacesofidentity.net. BABKA, Anna: ‚Das war ein Stück Orient‘. Raum und Geschlecht in Robert Michels ‚Die Verhüllte‘. In: Kakanien revisited, www.kakanien.ac.at/ beitr/ postcol/ ABabka1.pdf (2009). BABUNA, Aydin: The Story of Bošnjastvo. In: Ruthner u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 123-128. BAER, Fritz H.: Pulverfass Balkan Bosnien-Herzegowina. Teil 2: Weder die Türken noch die Russen am Westbalkan. Österreich-Ungarn beruhigt als Ordnungsmacht (= Mili‐ taria austriaca [Wien] 12 [1993]). BALIĆ, Smail: Das unbekannte Bosnien. Europas Brücke zur islamischen Welt. Köln, Wien, Weimar: Böhlau 1992 (= Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte 23). BAUER, Ernest: Zwischen Halbmond und Doppeladler. 40 Jahre österreichische Verwaltung in Bosnien-Herzegowina. Wien: Herold 1971. BENCZE, László: The Occupation of Bosnia and Herzegovina in 1878. Hg. v. Frank N. Schubert. Boulder: Social Science Monographs u. a. 2005 (= War and Society in East Central Europe XXXIX). BENDIX, Regina: Ethnology, Cultural Reification, and the Dynamics of Difference in the Kronprinzenwerk. In: Wingfield (Hg.), a. a. O. (2003), S. 142-168. BERDAN, Helga: Die Machtpolitik Österreich-Ungarns und der Eisenbahnbau in Bos‐ nien-Herzegowina 1872. Wien: Dipl.-Arb. der Univ. [unveröff.] 2008. BÉRENGER, Jean: L’Autriche-Hongrie 1815-1918. Paris: A. Colin 1994. BETHKE, Carl: Klein-Europa in Prnjavor. Von ‚Kolonisten‘ aus Galizien, Ungarn und dem Friaul in Westbosnien. In: Ruthner & Scheer (Hg.), a. a. O. (i.V., 2018). BRADY, Joel / HAJDARPASIC, Edin: Religion and Ethnicity. Conflicting and Conver‐ ging Identifications. In: Livezeanu, Irina / Klimo, Arpad von (Hg.): The Routledge History of East Central Europe Since 1700. London, New York: Routledge 2017. BRAUN, Maximilian: Die Anfänge der Europäisierung in der Literatur der moslimischen Slaven in Bosnien und Herzegowina. Leipzig: Markert & Petters 1934. BRIDGE, Francis Roy: Österreich(-Ungarn) unter den Großmächten. In: Wandruszka & Urbanitsch (Hg.), a. a. O., Bd. VI / 1 (1989), S. 196-373. BROKOFF, Jürgen: „Srebrenica - was für ein klangvolles Wort“. Zur Problematik der poetischen Sprache in P. Handkes Texten zum Jugoslawien-Krieg. In: Gansel (Hg.), a. a. O. (2013), S. 61-88. BUJIĆ, Bojan: Artistic or Political Manifestation? Organized Music-Making in Bosnia-Herzegovina during the Austro-Hungarian Period. In: Ruthner u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 209-220. CALIC, Marie-Janine: Geschichte Jugoslawiens im 20. Jh. München: C. H.Beck 2010. E.1. Literaturverzeichnis 392 ČIHÁK, Jan: Strassenbahnen und Trolleybus in Sarajevo. Wien: bahnmedien.at 2013. CLASSEN, Lothar: Der völkerrechtliche Status von Bosnien-Herzegowina nach dem Ber‐ liner Vertrag vom 13. 7. 1878. Bern u. a.: P. Lang 2004 (= Rechts- und sozialwissenschaftl. Reihe 32). CONCETTI, Ricardo: Muslimische Landschaften. Hugo von Hofmannsthals Auseinan‐ dersetzung mit der Prosa Robert Michels. In: Kakanien revisited, www.kakanien.ac.at/ beitr/ fallstudie/ RConcetti1.pdf (2002). CONCETTI, Riccardo: Der gerettete Orient. Zu Robert Michels Novellensammlung ‚Die Verhüllte‘. In: Müller-Funk & Wagner (2005), S. 195-206. CONCETTI, Riccardo: Mit der Kodak unterwegs in der Herzegowina, oder der moderne Autor als Reiseleiter? Robert Michels Produktion zwischen Roman und Film. In: Ka‐ kanien revisited, www.kakanien.ac.at.at/ beitr/ fallstudie/ RConcetti2.pdf (2006). ČOROVIĆ, Vladimir: Bosna i Hercegovina. Belgrad: Grafički zavod „Makarije“ 1925. CVIJIC, Iovan: L’annexion de la Bosnie et la Question serbe. Paris: Hachette 1909. DEDIJER, Vladimir/ BOZIĆ, Ivan/ ĆIRKOVIĆ, Sima/ EKMEČIĆ, Milorad: History of Yugoslavia. Hg. v. Marie Longyear, übers. v. Kordija Kveder. New York u. a.: McGraw-Hill 1974. DETREZ, Raymond: Colonialism in the Balkans. Historic Realities and Contemporary Perceptions. In: Kakanien revisited, www.kakanien.ac.at/ beitr/ theorie/ RDetrez1.pdf (2002). DETREZ, Raymond: Reluctance and Determination. The Prelude to the Austro-Hunga‐ rian Occupation of Bosnia-Herzegovina in 1878. In: Ruthner u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 21-40. DONIA, Robert J.: Islam under the Double Eagle. The Muslims of Bosnia and Hercegovina, 1878-1918. New York: Columbia Univ. Pr. 1981. DONIA, Robert J.: The Proximate Colony. Bosnia-Herzegovina under Austro-Hungarian Rule. In: Kakanien revisited, http: / / www.kakanien-revisited.at/ beitr/ fallstudie/ RDonia1.pdf (2007). Reprint in: Ruthner u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 67-82. DONIA, Robert: Sarajevo. A Biography. London: Hurst & Co. 2009. DŽAMBO, Jozo: Buchwesen in Bosnien und der Herzegowina (1800-1878). Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 1985 (= Arbeiten und Bibliographien zum Buch- und Bibliothekswesen 2). DŽAJA, Srečko Matko: Bosnien-Herzegowina in der österreichisch-ungarischen Epoche (1878-1918). Die Intelligentsia zwischen Tradition und Ideologie. München: Oldenbourg 1994 (= Südosteurop. Arbeiten 93). DŽAJA, Srećko M.: Bogomilen. In: Hösch, Edgar / Nehring, Karl / Sundhaussen, Holm (Hg.): Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. München: Oldenbourg 2004. E.1. Literaturverzeichnis 393 FINZI, Daniela: Unterwegs zum Anderen. Literarische Er-Fahrung der kriegerischen Auf‐ lösung Jugoslawiens aus deutschsprachiger Perspektive. Tübingen: Francke 2013 (= Kultur - Herrschaft - Differenz 17). FOTEVA, Ana: Do the Balkans Begin in Vienna? The Geopolitical and Imaginary Borders Between the Balkans and Europe. New York u. a.: P. Lang 2014 (= Austrian Culture Series 47). GANSEL, Carsten (Hg.): Kriegsdiskurse in Literatur und Medien nach 1989. Göttingen: V&R unipress 2011 (= Deutschsprachige Gegenwartsliteratur und Medien 8) GRITSCH, Kurt: Peter Handke und ‚Gerechtigkeit für Serbien‘. Eine Rezeptionsgeschichte. Innsbruck, Wien: StudienVerlag 2009. HADŽIJAHIĆ, Muhamed: Od tradicije do identiteta. Sarajevo: Svjetlost 1984. HAJDARPAŠIĆ, Edin: Whose Bosnia? Nationalism and Political Imagination in the Bal‐ kans, 1840-1914. Ithaca: Cornell Univ. Pr. 2015. HARTMUTH, Maximilian: „K.(u.)k. colonial? Contextualizing Architecture and Urba‐ nism in Bosnia-Herzegovina 1878-1918.“ In: Ruthner u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 155-184. HASELSTEINER, Horst: Bosnien-Herzegowina. Orientkrise und die südslawische Frage. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1996 (= IDM Book Series 3). HEUBERGER, Valeria / ILLMING, Heinz: Bosnien-Herzegowina 1878-1918. Alte An‐ sichten vom gelungenen Zusammenleben. Wien: Brandstätter 1994. HÖSCH, Edgar: Geschichte der Balkanländer von der Frühzeit bis zur Gegenwart. Mün‐ chen: C. H. Beck 2002. IMAMOVIĆ, Mustafa: Bosnia and Herzegovina. The Evolution of its Political and Legal Institutions. Sarajevo: Magistrat 2006. JAKIŠA, Miranda: Dževad Karahasans ‚Šahrijarov Prsten‘. In: Wiener Slawistischer Al‐ manach, Sonderbd. 52 (2001), S. 133-166. JELAVICH, Barbara: The Habsburg Empire in European Affairs, 1814-1918. Chicago: McNally 1969 (= European History Series). JELAVICH, Barbara: History of the Balkans. 2 Bde. Cambridge: Cambridge Univ. Pr. 1983. JEZERNIK, Božidar: Wild Europe. The Balkans in the Gaze of Western Travellers. London: Saqi / Bosnian Institute 2004. JUDSON, Pieter M.: The Habsburg Empire. A New History. Cambridge: Harvard Univ. Pr. 2016. JUZBAŠIĆ, Dževad: Politika i privreda u Bosni i Hercegovini pod austrougarskom upravom. Sarajevo: Ak. der Wiss. von Bosnien-Herzegowina 2002. JUZBAŠIĆ, Dževad: Die österreichische Okkupationsverwaltung in Bosnien-Herzego‐ wina. Einige Aspekte der Beziehungen zwischen den Militär- und Zivilbehörden. In: Priloga [Sarajevo] 34 (2005), S. 81-112. E.1. Literaturverzeichnis 394 JUZBAŠIĆ, Dževad: Die Annexion von Bosnien-Herzegowina und die Probleme bei der Erlassung des Landesstatutes. In: Südost-Forschungen [München] 68 (2009), S. 247-297. KAMLER, Heinz-Georg: Annexion und Erwerb Bosniens und der Herzegowina durch Ös‐ terreich-Ungarn im Jahre 1908. Wien: Diss. der Univ. [unveröff.] 1967. KANN, Robert A.: Trends Towards Colonialism in the Habsburg Empire, 1878-1918. The Case of Bosnia-Herzegovina, 1878-1914. In: Rowney, D. K./ Orchard, G. E. (Hg.): Rus‐ sian and Slavonic History. Columbus: Slavica Publ. 1977, S. 164-180. KAPIDŽIĆ, Hamdija: Der Aufstand in der Hercegovina im Jahre 1882. Graz: Historisches Inst. der Univ. 1972 (= Zur Kunde Südosteuropas, Bd. 1 / 2). KATUS, László: Hauptzüge der kapitalistischen Entwicklung der Landwirtschaft in den südslawischen Gebieten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. In: Sándor, Pál / Hanák, Péter (Hg.): Studien zur Geschichte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Budapest: Akadémai Kiadó 1961, S. 113-163. KOLM, Evelyn: Die Ambitionen Österreich-Ungarns im Zeitalter des Hochimperialismus. Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 2001 (= EHHS 3: 900). KOS, Franz-Josef: Ein Plan österreichischer Militärs zur Erwerbung Bosniens und der Herzegowina (1869). In: Österreichische Ostheft 34 (1992), S. 36-53. KRALJAČIĆ, Tomislav: Kalajev režim u Bosni i Hercegovini, 1882-1903 [Kállays Regime in Bosnien-Herzegowina]. Sarajevo: Veselin Masleša 1987. LACHMANN, Renate: Das mnemonische Element in Ivo Andrić’ ‚Na Drini Ćuprija‘. In: Wiener Slawistischer Almanach, Sonderbd. 52 (2001), S. 43-69. LAMPE, John / Jackson, Marvin: Balkan Economic History 1550-1950. From imperial bor‐ derlands to developing nation. Bloomington: Indiana Univ. Pr. 1982. LOVRENOVIĆ, Ivan: Bosnien und Herzegowina. Eine Kulturgeschichte. Übers. von Klaus Detlef Olof. Wien, Bozen: folio 2 1999. LÜTZELER, Paul Michael: Bürgerkrieg global. Menschenrechtsethos und deutschspra‐ chiger Gegenwartsroman. München: Fink 2009. MADŽAR, Božo: Pokret Srba za vjersku-prosvjetnu samoupravu. Sarajevo: Svjetlost 1982. MALCOLM, Noel: Bosnia. A Short History. New York: NYU Pr. 1994; Pan Macmillan 1996, 2002. McCAGG, William O.: The Soviet Union and the Habsburg Empire. Problems of Com‐ parison. In: Rudolph, Richard L./ Good, David F. (Hg.): Nationalism and Empire. The Habsburg Empire and the Soviet Union. New York: St. Martin’s Press 1992, S. 45-63. MIGUOUÉ, Jean Bertrand: Peter Handke und das zerfallende Jugoslawien. Ästhetische und diskursive Dimensionen einer Literarisierung der Wirklichkeit. Innsbruck: Innsbruck Univ. Pr. 2012. E.1. Literaturverzeichnis 395 MORANJAK-BAMBURAC, Nirman: On the Problem of Cultural Syncretism in Bosnia and Herzegovina. In: Wiener Slawistischer Almanach, Sonderbd. 52 (2001), S. 5-42. NANCY, Jean-Luc: Eulogy of the Mêlée (For Sarajevo, March 1993). In: Ders.: Being Singular Plural. Übers. v. Robert D. Richardson u. Anne E. O’Byrne. Stanford: Stanford Univ. Pr. 2000, S. 145-158. NEWEKLOWSKY, Gerhard: Die bosnisch-herzegowinischen Muslime. Geschichte, Bräuche, Alltagskultur. Unter Mitarbeit v. Besim Ibišević and Žarko Bebić. Klagenfurt, Salzburg: Wieser 1996 (= Austrian-Bosnian Relations 1). NIKASCHINOVITSCH, Bozidar: Bosnien und die Herzegowina unter der Verwaltung der österreichisch-ungarischen Monarchie und deren Balkanpolitik. 4 Bde. Berlin: Thormann & Goetsch 1901. OBOLESNKY, Dimitri: The Bogomils. A Study in Balkan Neo-Manichaeism [Cambridge 1948]. Reprint New York: AMS Press 1978. OKEY, Robin: Taming Balkan Nationalism. The Habsburg ‚Civilizing Mission‘ in Bosnia, 1878-1914. Oxford: Oxford Univ. Pr. 2007. OKUKA, Miloš/ REHDER, Petra (Hg.): Das zerrissene Herz. Reisen durch Bosnien-Herze‐ gowina 1530-1993. München: C. H. Beck 1994. ORNIG, Nikola: „Der fortschrittliche Moslim“? Zum Bild der muslimischen Bevölkerung Bosniens zwischen ‚modernem‘ Islam und kultureller Alterität. In: Ruthner u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 243-262. PALIRET, Michael R.: The Balkan Economies, ca. 1800-1914. Evolution without Develop‐ ment. Cambridge: Cambridge Univ. Pr. 1997. PALOTÁS, Emil: Machtpolitik und Wirtschaftsinteressen. Der Balkan und Russland in der österreichisch-ungarischen Außenpolitik. Budapest: Akademiai Kiadó 1995. PAVLOWITCH, Stevan K.: A History of the Balkans, 1904-1945. London, New York: Longman 1999. PINSON, Mark: The Muslims of Bosnia-Herzegovina. Their Historic Development from the Middle Ages to the Dissolution of Yugoslavia. Cambridge MA: Harvard Univ. Pr. 1994. PLASCHKA, Richard Georg: Avantgarde des Widerstands. Modellfälle militärischer Auf‐ lehnung im 19. und 20. Jahrhundert. 2 Bde. Wien, Köln, Graz: Böhlau 2000 (= Studien zu Politik und Verwaltung 60 / I+II). PRELJEVIĆ, Vahidin: Das Attentat von Sarajevo: Helden, Apokalypse, Opferkult. Kul‐ turwissenschaftliche Einführung in die Poetik eines geschichtlichen Ereignisses. In: Preljević & Ruthner (Hg.), a. a. O. (2016), S. 27-56. PRELJEVIĆ, Vahidin: Zerschundene Volksseelen. Zu Figuren der Befreiung und Reinheit in der bosnischen Literatur um 1900 im habsburgischen Kontext. In: Ruthner & Scheer (Hg.), a. a. O. (2018). E.1. Literaturverzeichnis 396 PRELJEVIĆ, Vahidin / RUTHNER, Clemens (Hg.): The ‚Long Shots‘ of Sarajevo 1914. Ereignis - Narrativ - Gedächtnis. Tübingen: Francke 2016 (= Kultur Herrschaft Diffe‐ renz 22). PREVIŠIĆ, Boris: Literatur topographiert. Der Balkan und die postjugoslawischen Kriege im Fadenkreuz des Erzählens. Berlin: Kadmos 2014. PROMITZER, Christian: The South Slavs in the Austrian Imagination. Serbs and Slo‐ venes in the Changing View from German Nationalism to National Socialism. In: Wingfield (Hg.), a. a. O. (2003), S. 183-215. PRÜFER, Daniel: Schreiben über den Krieg. Literarische Verfahrensweisen in Norbert Gstreins ‚Das Handwerk des Tötens‘ [2004]. München: GRIN 2007. REBER, Ursula: Concerns of the Periphery / Peripheral Concerns. Tempting Territories of the Balkans. In: Spaces of Identity 2.3 (Dez. 2002), http: / / www.yorku.ca/ soi/ _Vol_2_3/ PDF/ Reber.pdf. REBER, Ursula: Habsburgische Begegnungen mit nomadischen Kriegerstämmen. Mon‐ tenegro als strategischer Schauplatz. In: Ruthner u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 403-427. REISINGER, Klaus: Österreichs Eisenbahnwesen als Bindeglied zwischen Zentraleuropa und den Balkanländern. In: HEPPNER, Harald (Hg.): Der Weg führt über Österreich. Zur Geschichte des Verkehrs- und Nachrichtenwesens von und nach Südosteuropa. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1996 (= Zur Kunde Südosteuropas II / 21), S. 107-142. RESS, Imre: Lajos Thallóczys Begegnungen mit der Geschichte von Bosnien-Herzego‐ wina. In: Juzbašić, Dzevad / Ders. (Hg.): Lajos Thallóczy. Der Historiker und der Poli‐ tiker. Sarajevo, Budapest: Akademie-Verl. 2010, S. 53-80. RISTOVIĆ, Milan: Die neue deutsche Ordnung in Südosteuropa 1940 / 41-1944 / 45. Pläne für die Zukunft und Praxis. Belgrad: VINC 1991. RUTHNER, Clemens / REYNOLDS, Diana Cordileone / REBER, Ursula / DETREZ, Ra‐ ymond (Hg.): WechselWirkungen. Austria-Hungary, Bosnia-Herzegovina, and the Wes‐ tern Balkans, 1878-1918. New York u. a.: P. Lang 2015 (= Austrian Culture Series 41). RUTHNER, Clemens / SCHEER, Tamara (Hg.): Annäherungen an eine Kolonie. Bos‐ nien-Herzegowina und Österreich-Ungarn. Tübingen: Francke i.V. [2018] (= Kultur - Herrschaft - Differenz 24). SCHACHINGER, Werner: Die Bosniaken kommen. Elitetruppen in der k. u. k. Armee. Graz: L. Stocker 1994. SCHEER, Tamara: „Minimale Kosten, absolut kein Blut“. Österreich-Ungarns Präsenz im Sandschak von Novi Pazar (1879-1908). Frankfurt / M. u.a.: P. Lang 2013 (= Neue For‐ schungen zur ostmittel- und südosteuropäischen Geschichte 5). SCHMID, Ferdinand: Bosnien und die Herzegovina unter der Verwaltung Österreich-Un‐ garns. Leipzig: von Veit 1914. SCHMIDL, Erwin A. (Hg.): Freund oder Feind? Frankfurt / M., Berlin, Bern: P. Lang 1995. E.1. Literaturverzeichnis 397 ŠEHIĆ, Nusret: Autonomni pokret Muslimana za vrijeme austrougarske uprave u Bosni i Hercegovini. Sarajevo: Svjetlost 1980. ŠEHIC’, Zijad: Das Militärwesen in Bosnien-Herzegowina 1878-1918. In: Ruthner u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 139-153. SEXL, Martin: Literatur als Bildkritik. Peter Handke und die Jugoslawienkriege der 1990er-Jahre. In: Gansel (Hg.), a. a. O. (2013), S. 89-106. SETHRE, Ian: The Emergence and Influence of National Identities in the Era of Mo‐ dernization: Nation-Building in Bosnia and Herzegovina, 1878-1914. In: Kakanien re‐ visited, www.kakanien.ac.at/ beitr/ fallstudie/ ISethre1.pdf (2004). Reprint in Ruthner u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 41-66. SHEDEL, James: The Elusive Fatherland. Dynasty, State, identity and the Kronprinzen‐ werk. In: Zeyringer & Csáky (Hg.), a. a. O. (2002), S. 70-82. SIRBUBALO, Lejla: „Das Volkstum ist der Völker Jungbrunnen“. Friedrich Salomo Krauss und die ethnographische Erforschung Bosnien-Herzegowinas. In: Godišnjak / Jahrbuch des Zentrums für Balkanforschungen [Sarajevo] 39 (2010), S. 199-218. SIRBUBALO, Lejla: „Sie vertrugen sich auch, Allahs Moschee und der Baum meiner Kindheit“. Georg Brittings Bosnien-Bilder. In: Kakanien revisited, http: / / www.kakanien.ac.at/ beitrag/ fallstudie/ LSirbubalo1.pdf (2011). SIRBUBALO, Lejla: „Wie wir im 78er Jahr unten waren […]! “ Bosnien-Bilder in der deutschsprachigen Literatur. Würzburg: Könighausen & Neumann 2012 (= Epistemata 745). SKED, Alan: The Decline and Fall of the Habsburg Empire 1815-1918. London u. a.: Longman 1989. SMOLEJ, Tone: The Image of Bosnia and Herzegovina (1875-1882) in Slovene Literature. In: Blažević u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 147-162. STACHEL, Peter: Der koloniale Blick auf Bosnien-Herzegowina in der ethnographi‐ schen Populärliteratur der Habsburger Monarchie. In: Csáky u. a. (Hg.), a. a. O. (2003), S. 259-288. STRIGL, Daniela: Schneidige Husaren, brave Bosniaken, feige Tschechen: Nationale Mythen und Stereotypen in der k. u. k. Armee. In: Hárs u. a. (Hg.), a. a. O. (2006), S. 129-144. SUDHOFF, Dieter / VOLLMER, Hartmut (Hg.): Karl Mays Orientzyklus. Paderborn: Igel 1991 (= Karl-May-Studien 1). SUGAR, Peter F.: Industrialization of Bosnia-Herzegovina, 1878-1918. Seattle: Univ. of Washington Pr. 1963. SUNDHAUSEN, Holm: Europa balcanica. Der Balkan als historischer Raum Europas. In: Geschichte und Gesellschaft [Göttingen] 25 (1999), S. 626-653. SUPPAN, Arnold: Zur Frage eines österreichisch-ungarischen Imperialismus in Südost‐ europa. In: Wandruszka, Adam u. a. (Hg.): Die Donaumonarchie und die südslawische E.1. Literaturverzeichnis 398 Frage von 1848 bis 1918. Texte des ersten österreichisch-jugoslawischen Historikertreffens Gösing 1976. Wien: Verl. der ÖAW 1978, S. 103-131. TAYLOR, A. J. P.: The Habsburg Monarchy 1809-1918. A History of the Austrian Empire and Austria-Hungary [1948]. Harmondsworth: Penguin 1990. THOMAS, Katja: Poetik des Zerstörten. Zum Zusammenspiel von Text und Wahrnehmung bei P. Handke und J. Zeh. Saarbrücken: VDM 2007. TODOROVA, Maria: Imagining the Balkans. New York, Oxford: Oxford Univ. Pr. 1997. VERVAET, Stijn: Some Historians from Former Yugoslavia on the Austro-Hungarian Period in Bosnia and Herzegovina (1878-1918). In: Kakanien revisited, www.kakanien.ac.at/ beitr/ fallstudie/ SVervaet1.pdf (2004). VERVAET, Stijn: Centar i periferija u Austro-Ugarskoj. Dinamika izgradnje nacionalnih identiteta u Bosni i Hercegovini od 1878. do 1918. godine na primjeru književnih teks‐ tova. Zagreb, Sarajevo: Synopsis 2013. VERVAET, Stijn: Cultural Politics, Nation Building and Literary Imagery. Towards a Post-colonial Reading of the Literature(s) of Bosnia-Herzegovina, 1878-1918. In: Ruthner u. a. (Hg.), a. a. O. (2015), S. 303-330. VERVAET, Stijn: Serbischer Okzidentalismus? Anti-westliche Rhetorik in Bosnien-Her‐ zegowina während der österreichisch-ungarischen Besatzung. In: Ruthner & Scheer (Hg.), a. a. O. (2018), i.V. VIDULIĆ, Svjetlan Lacko: Vergangenheitsfalle und Erinnerungsort. Zur Wirkung der Handke-Kontroverse in Serbien. In: Bobinac & Müller-Funk (Hg.), a. a. O. (2008) S. 205 ff. VILLARI, Luigi: Austria-Hungary’s Colonial Experiment. In: The Monthly Review 8 (1902). VRANKIĆ, Petar: Religion und Politik in Bosnien und der Herzegowina (1878-1918). Pa‐ derborn u. a.: Schöningh 1998. WANDRUSZKA, Adam / RUMPLER, Fritz (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848-1918. 11 Bde. Wien: ÖAW 1973-1989. WERTHEIMER, Eduard von: Graf Julius Andrássy. Sein Leben und seine Zeit. 3 Bde. Stuttgart: DVA 1910-1913. WESSELY, Kurt: Die wirtschaftliche Entwicklung von Bosnien-Herzegowina. In: Wand‐ ruszka & Urbanitsch (Hg.), a. a. O. (1973-89), Bd. 1, S. 528-566. WÖLFL, Adelheid: Der bosnische ‚Kaiser‘, der die Österreicher das Fürchten lehrte. In: Der Standard v. 29. 05. 2016, http: / / derstandard.at/ 2000037757126/ Der-bosnische- Kaiser-der-die-Oesterreicher-das-Fuerchten-lehrte. ZINTZEN, Christiane (Hg.): Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. Aus dem ‚Kronprinzenwerk‘ des Erzherzog Rudolf. Wien u. a.: Böhlau 1999. ZÜLCH, Tilman (Hg.): Die Angst des Dichters vor der Wirklichkeit. 16 Antworten auf P. Handkes Winterreise nach Serbien. Göttingen: Steidl 1996. E.1. Literaturverzeichnis 399 E.2. COPYRIGHT DER ERSTVERÖFFENTLICHUNGEN & ABBILDUNGEN Einige Kapitel des vorliegenden Buches sind stark überarbeitete Neufassungen bzw. Übersetzungen meiner im Folgenden aufgelisteten Aufsätze. Ich danke den Verlagen für die freundliche Genehmigung zur Wiederaufbereitung. A.1. Clemens Ruthner: ‚K. u. k.Kolonialismus‘ als Befund, Befindlichkeit und Metapher. Ver‐ such einer weiteren Klärung. In: CSÁKY, Moritz / FEICHTINGER, Johannes / PRUTSCH, Ursula (H.): Habsburg postcolonial. Machtstrukturen und kollektives Ge‐ dächtnis. Innsbruck: Studienverlag 2003, S. 111-128. [Online in Kakanien revisited: www.kakanien.ac.at/ beitr/ theorie/ CRuthner3.pdf (2003)]. A2. C. R.: „Stereotype as a Suture“. Zur literatur- und kulturwissenschaftlichen Konzeptua‐ lisierung ‚nationaler‘ Bilderwelten. In: FASSMANN, Heinz / MÜLLER-FUNK, Wolf‐ gang / Uhl, Heidemarie (Hg.): Kulturen der Differenz - Transformationsprozesse in Zentraleuropa nach 1989. Transdisziplinäre Perspektiven. Göttingen: V&R unipress / Vienna University Press 2009, S. 301-322. B.1. C. R.: Argonaut und Tourist. Repräsentationen der Fremde(n) bei Franz Grillparzer. In: HENN, Marianne / RUTHNER, Clemens / WHITINGER, Raleigh (Hg.): Aneignungen und Entfremdungen. The Austrian Playwright Franz Grillparzer. New York: P. Lang 2007 (= Austrian Culture Series 37), S. 51-70. B.3. C. R.: Traumreich. Alfred Kubins Roman ‚Die andere Seite‘ als phantastische Staatsalle‐ gorie Österreich-Ungarns. In: KEREKES, Amalia / MILLNER, Alexandra / PLENER, Peter / RASKY, Béla (Hg.): Leitha und Lethe. Tübingen, Basel: Francke 2004 (= Kultur - Herrschaft - Differenz 6), S. 179-198. C.0. C. R.: Austria-Hungary’s Only Colony. Bosnia-Herzegovina, 1878-1918. In: HEALEY, Roisín / DAL LAGO, Enrico (Hg.): The Shadow of Colonialism in Europe’s Modern Past, 1860s to 1960s, London: Palgrave 2014, S. 156-169. C.2. C. R.: Deand Re-coding Konjic(a). Eine herzegowinische Stadt als Modellfall kulturwis‐ senschaftlicher Imagologie. In: BOBINAC, Marijan / MÜLLER-FUNK, Wolfgang (Hg.): Gedächtnis - Identität - Differenz. Zur Konstruktion des südosteuropäischen Raumes und ihrem deutschsprachigem Kontext. Tübingen: Francke 2008 (= Kultur - Herrschaft - Differenz 12), S. 107-124. C. R.: Kakaniens kleiner Orient. Post / koloniale Lesarten der Peripherie Bosnien-Herzego‐ wina (1878-1918). In: HÁRS, Endre u. a. (Hg.): Zentren, Peripherien und kollektive Iden‐ titäten in Österreich-Ungarn. Tübingen: Francke 2006 (= Kultur - Herrschaft - Diffe‐ renz 9), S. 255-283. [Online auf Englisch: Habsburg’s Little Orient. A Post / Colonial Reading of Austrian and German Cultural Narratives on Bosnia-Herzegovina, 1878-1918. In: Kakanien revisited, http: / / www.kakanien.ac.at/ beitr/ fallstudie/ CRuthner5.pdf (2008)]. C3. C. R.: Habsburg Othering. The Bosnian Foreigner in Austrian Texts, ca 1900. In: BRKOVIĆ, Ivana / BLAŽEVIĆ, Zrinka / DUKIĆ, Davor (/ Hg.): History as a Foreign Country. Historical Imagery in South-Eastern Europe / Geschichte als ein fremdes Land. Historische Bilder in Süd-Ost-Europa. Bonn: Bouvier 2015 (= Aachener Beitr. zur Kom‐ paratistik), S. 163-180. * Weiters wurde folgendes Bildmaterial verwendet: Abbildung 1 (Frontispiz Teil B.) C. ALLAN GILBERT, All is Vanity (1892), in: Life 1902 https: / / fr.wikipedia.org/ wiki/ Charles_Allan_Gilbert#/ media/ File: Allisvanity.jpg Abbildung 2 (Frontispiz Teil C.) WOINOVICH, Emil v.: In der Herzegowina 1878. Skizzen, zusammengestellt von FML E. v. W. Wien, Leipzig: C. W. Stern 1908 (= Unsere Truppen in Bosnien und der Her‐ zegowina 1878. Einzeldarstellungen III), Frontispiz. E.2. Copyright der Erstveröffentlichungen & Abb. 401 ISBN 978-3-7720-8603-8 Was können Literatur- und Geschichtswissenschaft von den Postcolonial Studies für ein besseres Verständnis der Habsburger Monarchie im „langen 19. Jahrhundert“ (E. Hobsbawm) lernen? Die vorliegende Monografie, die Forschungsarbeiten des Autors aus fünfzehn Jahren zusammenfasst, geht nicht nur dieser Frage nach. Im Anschluss an eine kritische Diskussion des Kolonialismus- Begriffs und eine Neubestimmung der Imagologie als Methodik kulturwissenschaftlicher Forschung werden Fallstudien präsentiert. Sie zeigen ein „koloniales Begehren“ (S. Zantop) in exemplarischen literarischen Texten aus dem alten Österreich auf, die damit auch eine Auseinandersetzung mit dem Vielvölkerstaat selbst anzetteln: F. Kafkas In der Strafkolonie (1914), F. Grillparzers Dramentrilogie Das goldene Vließ (1818-20) und seine Reisetagebücher, P. Altenbergs Ashantee-Skizzen (1897) sowie A. Kubins Roman Die andere Seite (1909). Am deutlichsten jedoch tritt die österreichisch-ungarische Parallelaktion zum Kolonialismus der anderen europäischen Mächte anhand der Okkupation (1878) und Annexion (1908) Bosnien-Herzegowinas zutage. Die damit einhergehende imperiale Formatierung des Fremden wird anhand diverser kultureller Texte analysiert, bevor abschließend nach dem Fortwirken des ‚k.u.k. Kolonialkomplexes‘ im posthabsburgischen Zentraleuropa des 20. und 21. Jahrhunderts gefragt wird. Ruthner Habsburgs ‚Dark Continent‘ Postkoloniale Lektüren zur österreichischen Literatur und Kultur im langen 19. Jahrhundert K U LT U R - H E R R S C H A F T - D I F F E R E N Z 23 Clemens Ruthner Habsburgs ‚Dark Continent‘