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Das Evangelium bei Paulus als Kommunikationskonzeption

2017
978-3-7720-5632-1
A. Francke Verlag 
Maximilian Paynter

"Evangelium" ist ein Schlüsselbegriff christlicher Theologie. Es war wohl der neutestamentliche Briefeschreiber Paulus, der den Begriff aus dem Griechischen in den christlichen Wortschatz integriert und ihm eine spezifisch christliche Prägung gegeben hat. Was versteht Paulus unter dem Begriff und wie verortet er ihn im Rahmen seiner Theologie und seiner missionarischen Tätigkeit? Die vorliegende Dissertation wirft einen frischen Blick auf ein Kernthema neutestamentlicher Theologie: Unter Heranziehung eines modernen kommunikationswissenschaftlichen Modells wird das Evangelium ausgehend von vier Basisfaktoren (Aussage/Programm, Kommunikator, Medien, Rezipienten) analysiert und auf dem aktuellen Stand der Forschung als paulinische Konzeption erklärt.

ISBN 978-3-7720-8632-8 www.francke.de „Evangelium“ ist ein Schlüsselbegriff christlicher Theologie. Es war wohl der neutestamentliche Briefeschreiber Paulus, der den Begriff aus dem Griechischen in den christlichen Wortschatz integriert und ihm eine spezifisch christliche Prägung gegeben hat. Was versteht Paulus unter dem Begriff und wie verortet er ihn im Rahmen seiner Theologie und seiner missionarischen Tätigkeit? Die vorliegende Dissertation wirft einen frischen Blick auf ein Kernthema neutestamentlicher Theologie: Unter Heranziehung eines modernen kommunikationswissenschaftlichen Modells wird das Evangelium ausgehend von vier Basisfaktoren (Aussage/ Programm, Kommunikator, Medien, Rezipienten) analysiert und auf dem aktuellen Stand der Forschung als paulinische Konzeption erklärt. 24 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Kathy Ehrensperger, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Das Evangelium bei Paulus Maximilian Paynter 24 Das Evangelium bei Paulus als Kommunikationskonzeption Maximilian Paynter 24 Das Evangelium bei Paulus als Kommunikationskonzeption Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie Band 24 • 2017 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Kathy Ehrensperger, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Maximilian Paynter Das Evangelium bei Paulus als Kommunikationskonzeption Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über-setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektro-nischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Printed in Germany ISSN 1865-2666 ISBN 978-3-7720-8632-8 meiner Familie: Susanne Felix Lukas Ich habe euch lieb! Vorwort Die vorliegende Studie ist im Sommersemester 2016 von der Friedrich- Alexander-Universität in Erlangen als Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades Dr. theol. angenommen worden. An ihrem Anfang stand eigentlich die Frage nach der markinischen Konzeption von Evangelium, dem der Autor schließlich sein ganzes Werk zu grundegelegt hat. Doch schnell wurde klar, dass ein solches Unterfangen nicht nöglich ist, ohne eine Rückfrage nach Paulus als demjenigen, der das Wort in den frühchristlichen Sprachgebrauch überhaupt erst eingebracht hat. Die Forschungsgeschichte und das Thema bei Paulus selbst erwies sich als derart umfangreich und spannend, dass eine Arbeit zum paulinischen Evangelium enstanden ist. Ich habe versucht, auf der Grundlage der Kommunikationswissenschaft einen frischen Zugang zum paulinischen Evangelium als Konzeption zu ermöglichen und gleichzeitig eine Zusammenschau des aktuellen Forschungsstandes zu liefern. Inwieweit dies gelungen ist, bleibt dem Urteil des Lesers überlassen. An dieser Stelle soll Raum für Worte des Dankes sein. Danken möchte ich zuallererst Frau Professorin Oda Wischmeyer, die die Idee der Abfasssung einer Doktorarbeit überhaupt erst in mein Leben gebracht hat und sie sodann kontinuierlich durch Anregungen und humorvolle Gespräche begleitet hat. Ihr verdanke ich nicht nur die Liebe zur neutestamentlichen Wissenschaft, sondern auch eine einzigartige Perspektive auf deren Relevanz in der heutigen kirchlichen und säkularen Kulturlandschaft. Auf seine Weise hat auch Herr Professor Hanns Kerner zum Gelingen der Arbeit beigetragen: Einen Teil der Promotionszeit durfte ich durch eineTätigkeit im Gottesdienstinstitut Nürnberg finanzieren und mir dabei wissenschaftliche Weite durch Beschäftigung im Bereich der praktischen Theologie bewahren. Ferner danke ich meinen „ Zimmernachbarinnen “ Nadine Treu und Michaela Durst für alle interessierten Nachfragen, Korrekturlesen und gemeinsame Kaffeepausen in den drei Jahren unserer Promotions-Arbeit. Der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, der Vereinigten Lutherischen Kirche in Deutschland, der Ilse und Dr. Alexander Mayer Stiftung sowie insbesondere meinen Eltern Helmuth und Angelika Meier danke ich für den großzügigen Druckkostenzuschuss. Schließlich danke ich den Personen, die der Arbeit über zahlreiche Krisen und Zweifel hinweggeholfen und ihrer Abfassung einen letzten Sinn gegeben haben: meiner Familie Susanne, Felix und Lukas Paynter. Vielen Dank! Erlangen im April 2017 Maximilian Paynter 8 Vorwort Übersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2 Zwischen Systematik und historischer Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2.1 Das reformatorische Erbe: Evangelium als Lehrbegriff . . 18 2.2.2 Das Problem der Rückprojektion bei A. Seeberg und E. Molland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.2.3 Das Evangelium als Theologie des Paulus . . . . . . . . . . . . . . 22 2.2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.3.1 Die „ Religionsgeschichtliche Schule “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.3.2 Septuaginta und frühjüdische Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . 25 EXKURS: Urchristliche Begriffsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3.3 Hellenistische Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.3.4 Stuhlmacher und Strecker: Der Abschluss einer Kontroverse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.4 Synchrone und diachrone Exegese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.4.1 Paradigmenwechsel: Von der Begriffsgeschichte zum (Kon-)Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.4.2 Neuanfang statt Stillstand: Konsequenzen in der Forschung zu euvagge,lion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.4.3 Neue Antworten auf alte Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2.4.4 Paulus als Rezipient und Interpret . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.4.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2.5 Paulus und Markus: Das Evangelium als Gattung . . . . . . . . . . . . . 57 2.5.1 Das Evangelium bei Paulus und die Jesustradition(en) . . 58 2.5.2 Markus im Verhältnis zu Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.5.3 Die Gattungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.5.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2.6 Der sozialgeschichtliche Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2.6.1 Rekonstruktion und die Chancen von Modellen . . . . . . . . 74 2.6.2 Urchristlicher Soziolekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2.6.3 Erstverkündigung oder Unterweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2.6.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2.7 Die „ Politcal Perspective “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2.7.1 Verbindung von Sozialgeschichte und „ New Perspective “ 79 2.7.2 Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2.7.3 Einwände gegen die Political Perspective . . . . . . . . . . . . . . 84 2.7.4 N.T. Wright: Die „ finely balanced agenda ” des Paulus . . 86 2.7.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 EXKURS: Evangelium und Israel - ein Randthema . . . . . . . . . . . . 89 2.8 Diskursanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2.8.1 Was ist Diskursanalyse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2.8.2 Diskursanalytische Untersuchung des Evangeliums im Römerbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2.8.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.9 Rhetorische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2.9.1 M. M. Mitchell: Das Evangelium als Abkürzung . . . . . . . . 96 2.9.2. R. M. Calhoun: Definitionen des Evangeliums in Röm 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2.9.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2.10 Ertragssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3 Methodische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3.1 Zugang und These der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3.1.1 Euvagge,lion als Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3.1.2 Euvagge,lion als Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.1.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.2 Kommunikation im Rahmen der Kommunikationswissenschaft 109 3.3 Modellwahl und kommunikationstheoretische Ausarbeitung . . . 111 3.3.1 Das Feldschema der Massenkommunikation nach G. Maletzke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3.3.2 Kommunikation als Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3.3.3 Kommunikation als Massenkommunikation . . . . . . . . . . . . 114 3.3.4 Die vier Hauptfaktoren des Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 3.3.5 Präzisierungen: Die Relationen im Feldschema . . . . . . . . . 119 3.4 Problematisierung des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 10 Übersicht 3.5 Begründung der Methodikwahl und Anwendung . . . . . . . . . . . . . 128 3.5.1 Klarheit und Offenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3.5.2 Öffentliche Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.5.3 Faktoren und Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3.6 Exegetische Prolegomena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3.6.1 Textbasis der Analyse: Die paulinischen Briefe . . . . . . . . . 136 3.6.2 Kontextuelle Einbindung des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4 Aussage und Programm des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 4.1 Kernaussagen des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4.1.1 Analyse von 1Kor 15,3-5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4.1.2 Analyse von 1Thess 1,9 f . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4.1.3 Analyse von Röm 1,1-4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 4.1.4 Zusammenfassung: Vergleich von 1Kor 15, 1Thess 1 und Röm 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4.2 Paulinische Sicht auf Welt und Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4.2.1 Welt und Mensch als Gottes Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4.2.2 Adam und der Ursprung der Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 4.2.3 Wesen und Funktion des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4.2.4 Die Schwäche des Gesetzes und die Konsequenzen der Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 4.2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4.3 Von den Einzelaussagen zum Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4.3.1 Kreuzestod: Überwindung von Sünde und Gesetz . . . . . . 185 4.3.2 Präexistenz und Menschwerdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 4.3.3 Auferweckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 4.3.4 Erhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 4.3.5 Parusie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4.3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 4.3.7 Das Programm des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 EXKURS: Narrativität und paulinisches Evangelium . . . . . . . . . . . 198 EXKURS: Wandlungen und Widersprüche im paulinischen Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 4.4 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 5 Der Kommunikator des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 5.1.1 Der vorchristliche Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 5.1.2 Das Damaskuserlebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 5.1.3 Präzisierungen: Damaskus und das paulinische Apostolat 234 Übersicht 11 5.1.4 Deutungen des Damaskuserlebnisses und Konseqenzen für das paulinische Rollenverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 5.1.5 Zusammenfassung: Das Apostolat des Paulus . . . . . . . . . . 256 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 5.2.1 Paulus als Gesandter und Botschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 5.2.2 „ Was ist Paulus? “ (1Kor 3,5-11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 5.2.3 Vom Priesterdienst und der Völkermission . . . . . . . . . . . . . 275 5.2.4 Abfall der Welt um Christi willen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 5.2.5 Zusammenfassung - eine Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 5.3 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 6 Die Beziehungen des Kommunikators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten . . . . . . . . . . 289 6.1.1 Der Apostel als Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 6.1.2 Verhalten bei der Verkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 6.1.3 Der Apostel als Vorbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 6.1.4 Hierachie auf Augenhöhe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 6.2.1 Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 6.2.2 Die Mitarbeiter des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 EXKURS: Die inhaltliche Beteiligung der Mitarbeiter an der Evangeliumskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 6.2.3 Unabhängige Kommunikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 6.3 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums . . . . . . . . . . . . 353 7.1 Terminologie des Prozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 7.1.1 Lexikon und Semantik der Verkündigung . . . . . . . . . . . . . . 353 7.1.2 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 7.2 Der Verkündigungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 7.2.1 Rückblick auf die konkrete Verkündigung (1Thess 1,5; 1Kor 2,3-5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 7.2.2 Die Verkündigung in der Gesamtschau (Röm 15,18 f) . . . 369 7.2.3 Dynamis, Pneuma, Logos und die Evangeliumsverkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 7.2.4 Ergänzende Aspekte aus 1Thess 1,5, 1Kor 2,3-5 und Röm 15,18 f . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 7.2.5 Das Evangelium als Kraft Gottes analog der Tora (Röm 1,16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 12 Übersicht 7.3 Erstverkündigung/ Anhaltende Verkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 7.3.1 Aussagen zur Verkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 7.3.2 Bisherige Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 7.3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . 388 7.4.1 Das mündliche Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 7.4.2 Das schriftliche Wort: Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 7.4.3 Der Mensch als Medium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 7.4.4 Offenbarung Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 7.4.5 Zusammenfassung: Medien als Ausdruck der Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 7.5 Evangelium und Öffentliche Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 7.5.1 Die Entwicklung des modernen Öffentlichkeitsverständisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 7.5.2 Antike Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 7.5.3 Moderne und antike Öffentlichkeit im Vergleich . . . . . . . 417 7.5.4 Verknüpfung: Paulus - Antike - Moderne - Maletzke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 7.5.5 Die Öffentlichkeit des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 7.6 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 8 Die Rezipienten des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 8.1 Identität der Rezipienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 8.2 Relevanz des Evangeliums für die Rezipienten . . . . . . . . . . . . . . . . 432 8.2.1 Die Welt der Rezipienten in den Augen des Paulus . . . . . 433 8.2.2 Rettung durch das Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 8.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 8.3 Konsequenzen des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 8.3.1 Empfang und Weitergabe als Sender-Empfänger-Relation 440 8.3.2 Glaube als Konkretion der Annahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 8.3.3 Zum-Glauben-Kommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 8.3.4 Glaube als (Zu-)Stand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 8.3.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 8.4 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 9 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 10 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 Übersicht 13 1 Einleitung Das Evangelium bei Paulus ist eine Kommunikationskonzeption. Evangelium und Kommunikation - das ist auf den ersten Blick ein nahe liegendes Begriffspaar. Das Evangelium, die „ frohe Botschaft “ , wird ja im Grunde erst zur solchen, indem es kommuniziert wird. Oder ist eine Botschaft denkbar, die nicht weitergegeben wird? Insofern ist das Evangelium, wie sich noch eingehender zeigen wird, eigentlich schon selbst Kommunikation. Wer die beiden Begriffe nebeneinander vernimmt, wird vermutlich zunächst weniger an Paulus denken. Sie oder er könnte sich vielleicht an die Bemühungen moderner kirchenleitender Organe oder missionarischer Bewegungen erinnert fühlen, die versuchen, beides zusammenzudenken und daraus praktische Konsequenzen zu ziehen. Vielleicht hat er oder sie auch Ernst Lange im Ohr, einen der großen praktischen Theologen des 20. Jahrhunders, der die „ Kommunikation des Evangeliums “ zu einer stehenden Wendung in seiner Disziplin gemacht hat. Er erläutert sie folgendermaßen: „ Wir sprechen von Kommunikation des Evangeliums und nicht von ,Verkündigung ‘ oder gar ,Predigt ‘ , weil der Begriff das prinzipiell Dialogische des gemeinten Vorgangs akzentuiert und außerdem alle Funktionen der Gemeinde, in denen es um die Interpretation des biblischen Zeugnisses geht - von der Predigt bis zur Seelsorge und zum Konfirmandenunterricht - als Phasen und Aspekte ein- und desselben Prozesses sichtbar macht. “ 1 Die Verbindung mit dem Begriff „ Kommunikation “ - so verstehe ich Lange - betont die Einbindung des Evangeliums in ein multidimensionales und prozesshaftes Geschehen, sobald es Gegenstand menschlicher Kommunikation wird. Lange beschreibt den Dialog, also die Wechseitigkeit zwischen „ Sender “ und „ Empfänger “ der Botschaft, als grundlegende Situation der Kommunikation und nennt mit Predigt, Seelsorge und Konfirmandenunterricht Beispiele der Kontextualität dieser Kommunikation, von der sie geprägt wird. Was Lange hier etwa 1900 Jahre später formuliert hat, war Paulus schon bewusst. Er hat - so meine These - die Multidimensionalität und Prozessualität der Kommunikation des Evangeliums erkannt und entwickelte unter dem Stichwort euvagge,lion eine Konzeption, die diese Erkenntnis in alle wichtigen Bereiche seines Selbstverständnisses, seines Handelns und insbesondere der von ihm kommunizierten 1 LANGE, E., Bilanz 65, in: DERS./ SCHLOZ, R. (Hg.), Kirche für die Welt. Aufsätze zur Theorie kirchlichen Handelns, München/ Gelnhausen 1981, 66 - 160; bes. 101 - 129; Zit. 101. Botschaft integrierte. Daher kann das Evangelium bei Paulus im Rahmen dieser Arbeit als „ Kommunikationskonzeption “ bezeichnet und beschrieben werden. Lange und Paulus trennen fast zwei Jahrtausende Kirchengeschichte. In ihnen war das paulinische Evangelium Gegenstand intensiver theologischer Untersuchungen - zunächst vom Standpunkt der Dogmatik aus, dann im Verlauf der letzten 200 Jahre historisch-kritisch. In jüngster Vergangenheit hat die neutestamentliche Wissenschaft zunehmend Methoden anderer Disziplinen herangezogen (wie z. B. Textwissenschaft, Sozialgeschichte, Rhetorik) und damit neue Perspektiven auf das paulinische Evangelium erschlossen. Auch die Methodik meiner Arbeit ist einer fremden Disziplin entnommen, der Kommunikationswissenschaft, und bedarf darum einer gesonderten Begründung. 2 Zuvor sollen jedoch die Zugänge und Ergebnisse der bisherigen Forschungsgeschichte zu Wort kommen. So können die Erkenntnisse meiner Arbeit von Anfang an auf dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes nachvollzogen und eingeordnet werden. Vorab sei bereits bemerkt, dass eine vergleichbare Analyse der kommunikativen Dimension des Evangeliums bei Paulus im Kreis der Entwürfe bisher noch nicht zu finden ist. 2 Siehe Kap. 3. 16 1 Einleitung 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick 2.1 Einführung Das Wort euvagge,lion zählt zu den gut erforschten Bereichen der neutestamentlichen Wissenschaft. Als theologischer Zentralbegriff wurde es durch die Jahrunderte hindurch immer wieder neu auf dem zeitgenössichen Stand der Methodik und Weltsicht befragt und interpretiert. Dieser breite Strom an Einsichten und Perspektiven nötigt im Folgenden zur Auswahl und Schwerpunktsetzung. Einerseits beschränke ich mich grundsätzlich auf den Zeitraum der letzten 150 Jahre, in dem mit den Anfängen der historisch-kritischen Methode von in heutigem Sinne wissenschaftlich-reflektierter Forschung gesprochen werden kann. Andererseits begnüge ich mich mit der Nachzeichnung der groben Linien und hebe nur punktuell besonders ertragreiche Positionen hervor. Obwohl ich mich dabei um eine chronologisch geordnete Reihenfolge bemühe, muss im Einzelnen zugunsten der Systematisierung nach Themen und Problemstellungen darauf verzichtet werden. Weiterhin fokussiere ich aus pragmatischen Gründen möglichst auf Beiträge zum paulinischen Evangelium und beziehe Untersuchungen zum Begriff im gesamten Neuen Testament oder z. B. in den Synoptikern nur gelegentlich ein. 1 2.2 Zwischen Systematik und historischer Kritik Neutestamentliche Wissenschaft stützt sich - wie jede historisch arbeitende Wissenschaft - auf die Grundpfeiler von Rekonstruktion und Interpretation. Sie rekonstruiert, was (gewesen) ist, die neutestamentlichen Texte, Themen und Begrifflichkeiten, und interpretiert (dabei) das Vorgefundene. 2 Je nachdem 1 Für eine ausführliche Darstellung der Forschungsgeschichte bis etwa 1970 siehe STUHLMACHER, P., Das paulinische Evangelium, Bd. 1, Göttingen 1968, 7 - 55, oder SCHUSTER, R., Evangelium das Wort. Untersuchung zum Verständnis des Wortsinns von Evangelium bei Paulus, Marburg 1967, 5 - 139. Unter den neuere Arbeiten ist für einen Überblick zu empfehlen: FRANKEMÖLLE, H., Evangelium - Begriff und Gattung. Ein Forschungsbericht, Stuttgart 1994². 2 Vgl. MERK, O., Anfänge neutestamentlicher Wissenschaft im 18. Jahrhundert, in: DERS., Wissenschaftsgeschichte und Exegese. Gesammelte Aufsätze zum 65. Geburtstag, Berlin/ New York 1998, 1 - 23; 23. welchen Fokus man dabei setzt, wird man eher historisch-rekonstruierend oder theologisch-interpretierend vorgehen. Jeder der beiden Ansätze trägt sein Anliegen von Außen an die Texte heran. Doch angesichts der Komplexität neutestamentlicher Texte, Themen und Begrifflichkeiten ist eine solche Systematisierung unerlässlich. 3 In der Forschungsgeschichte hat hierbei eine Akzentverschiebung stattgefunden: Bis zur Einführung der historisch-kritischen Methode im 19. Jahrhundert war die Dogmatik das gängigste Mittel der Systematisierung. Um eine Verhältnisbestimmung beider Zugänge wird - wie wir im Folgenden sehen werden - auch im Kontext des neutestamentlichen Evangeliums bis heute gerungen. 2.2.1 Das reformatorische Erbe: Evangelium als Lehrbegriff In der protestantischen Dogmatik spielt das Evangelium seit der Reformation eine wichtige Rolle. M. Luther weist in seiner Lehre von der zweifachen Gestalt des Wortes Gottes dem Evangelium im Gegenüber zum richtenden und in die Verzweiflung treibenden Gesetz (usus theologicus) die Funktion der bedingungslosen Heilszusage zu. 4 Als Zuspruch der Sündenvergebung erhält das Evangelium v. a. in der lutherischen Rechtfertigungslehre eine soteriologische Zentralstellung, die es in der protestantischen Theologie im Grunde bis heute nicht eingebüßt hat. „ Bei Luther führt das ,sola scriptura ‘ zur Vorrangstellung der Exegese, und in diese hinein wurde die systematisch-theologische Fragestellung erheblich miteinbezogen [. . .] So blieb für Luther die Schriftauslegung doch im Rahmen der ,Dogmatik ‘“ und das galt auch in seinem Gefolge für die gesamte altprotestantische Orthodoxie im 17. Jahrhundert. 5 Aus dieser Position muss sich die Theologie erst mühsam frei kämpfen: „ Das Schicksal der ,Biblischen Theologie ‘ war die Umklammerung durch die Dogmatik, in deren Diensten die theologia biblica trotz gelegentlich geäußerter Bedenken in Orthodoxie und Pietismus stand. Im Zeitalter der Aufklärung wurden grundsätzliche Bedenken laut “ . 6 Eine echte Trennung von biblischer Theologie und Dogmatik nahm erst 3 Der Begriff euvagge,lion kommt im Neuen Testament insgesamt 76 mal vor, davon 48 mal in den authentischen Paulusbriefen. 4 Vgl. LUTHER, M., Enarrartiones epistolarum et euangeliorum (1521), WA 7, 500 - 511.520 - 537; DERS., Neujahrspredigt zu Gal 3,23-29 (1532), WA 36, 8 - 42. 5 MERK, Anfänge neutestamentlicher Wissenschaft, aaO., 4. 6 Vgl. MERK, Anfänge neutestamentlicher Wissenschaft, aaO., 5 - 21; Zit. 21; siehe auch STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 7; SCHUSTER, Evangelium das Wort, aaO., 3 ff. 18 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick J. Ph. Gabler 1787 vor 7 : „ Die biblische Theologie besitzt historischen Charakter, überliefernd, was die heiligen Schriftsteller über die göttlichen Dinge gedacht haben. Die dogmatische Theologie dagegen besitzt didaktischen Charakter, lehrend, was jeder Theologe kraft seiner Fähigkeit [. . .] über die göttlichen Dinge philosophierte “ . 8 Vielfach wurde schon das „ überaus auffällige Phänomen “ diagnostiziert, dass begriffsgeschichtliche Untersuchungen zum Evangelium für fast ein weiteres Jahrhundert unterblieben. 9 Zunächst musste die beginnende Evangelienforschung I. I. Griesbachs (1776), G. E. Lessings (1778) und C. Weisses (1856) den Begriff mit der Gattung verbinden, bis er für eine nähere Bestimmung attraktiv werden konnte: In dem Maße, wie das Interessse an der theologischen Aussage des einzelnen Evangelisten zunimmt, gewinnt auch der Begriff Evangelium an Relevanz. 10 Als Pionier der begrifflichen Auseinandersetzung mit dem Evangelium kann im 19. Jahrhundert F. Chr. Baur gelten. 11 Die Herkunft des Begriffs euvagge,lion ist für ihn - wie für die meisten Forscher seiner Zeit - in der jesuanischen Verkündigung als Urform des Evangeliums zu suchen. Dort ist es „ die Ankündigung der basilei,a tw/ n ouvranw/ n als einer auf der Lehre Jesu beruhenden sittlichen religiösen Gemeinschaft “ . 12 Für Baur setzt erst nach dem Tod Jesu eine geschichtliche Entwicklung ein, die eine inhaltliche Verschiebung des „ Evangeliums “ von der ethischen Lehre Jesu zur apostolischen Christologie vornimmt 13 : „ [D]ie Hauptfrage ist nicht [mehr], was Jesus gelehrt hat, [. . .] sondern was er gethan und gelitten hat um ihr [der Menschen] Erlöser zu werden. Dadurch ist nun erst der einfache sittlich religiöse Inhalt der Lehre Jesu zu einem theologisch gestalteten und ausgebildeten Lehrbegriff geworden “ . 14 Evangelium als Lehre Jesu wandelt sich also zur Lehre 7 Vgl. SCHNELLE, U., Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 2005 5 , 20 f; MERK, Anfänge neutestamentlicher Wissenschaft, aaO., 21 f; Johann Philipp Gabler (1753 - 1826) ist ein rationalistischer Theologe in der Tradition Eichhorns und Griesbachs. Er war v. a. in Jena als Professor tätig; vgl. BAUTZ, F.W., Art. Gabler, Johann Philipp, in: BKKL 2, 161. 8 GABLER, J. P., Von der richtigen Unterscheidung der biblischen und der dogmatischen Theologie und der rechten Bestimmung ihrer beiden Ziele, in: STRECKER, G. (Hg.), Das Problem der Theologie des Neuen Testaments, WdF 367, Darmstadt 1975, 35 f; Es handelt sich um eine Übersetzung des lateinischen Originalvortrages. 9 STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 7; Vgl. FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 61. 10 Vgl. FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 61. 11 Zur Definition von „ Begriff “ siehe Kap. 2.4.1. 12 BAUR, F. C., Vorlesungen über Neutestamentliche Theologie, F. Fr. Baur (Hg.), BthK 45, 1. Teil, Gotha 1892, 159. 13 Vgl. BAUR, Vorlesungen, aaO., 158. 14 BAUR, Vorlesungen, aaO., 159. 2.2 Zwischen Systematik und historischer Kritik 19 von Jesus. 15 Baur beschreibt dies als Entwicklung von „ einer noch in der Form eines allgemeinen Prinzips sich aussprechenden Lehre “ zu „ einem schon zur Bestimmtheit des Dogmas gestalteten Lehrbegriff “ . 16 Die apostolischen „ Dogmen “ stehen für Baur durchaus in Kontinuität zur Lehre Jesu: „ Sobald daher der Tod Jesu, seine Auferstehung und Erhöhung als vollendete Thatsachen vor dem christlichen Bewußtsein standen, konnte es nicht anders sein, als daß sie so, wie von den Aposteln geschah, aufgefaßt und in das in jenen Dogmen ausgesprocheneVerhältnis zu der Lehre Jesu gesetzt wurden. Sie enthalten demnach nichts, was nicht ideell an sich schon in der Lehre Jesu selbst enthalten war. “ 17 Paulus macht in der Perspektive Baurs diese „ Idee “ von der Person Christi zum Maßstab seines „ Standpunktes “ , durch den er wesentliche theologische Bestimmungen vornimmt. 18 Er nennt sie das „ ,Princip des christlichen Bewusstseins ‘ , wie es von Paulus bestimmt wird “ . 19 Das christliche Prinzip aber, wie es sich im „ Bewusstsein “ des Paulus ausdrückt, ist Grundlage seiner Lehre. 20 Für Baur ergibt sich das neutestamentliche Evangelium also aus einer kontiunierlichen (und unausweichlichen) Entwicklung der Lehre Jesu zu einer apostolisch entfalteten Lehre von Jesus (Christologie), die Paulus zur Grundlage seiner Lehre macht. Das Evangelium als „ Lehrbegriff “ , als Mitte eines theologischen Systems, erinnert noch stark an reformatorische Bestimmungen wie z. B. Luthers Beschreibung von Christus als „ Mitte der Schrift “ . 21 Dass Baur also im Grunde hinter einer rein historisch-kritischen Ableitung zurückbleibt, kann durchaus als repräsentativ für die Forschung seiner Zeit gelten. Wie viele seiner Zeitgenossen ist er von der Notwendigkeit überzeugt, geschichtliche Sachverhalte durch systematische Gesichtspunkte zu erarbeiten. In diesem Denken in dogmatisch-philosophischen Systemen zeigt sich bei ihm (und den Theologen seiner Zeit) die Beeinflussung durch G.W. F. Hegel. 22 Wenn C. Holsten 1868 15 Vgl. BAUR, F. C., Paulus, der Apostel Jesu Christi. Sein Leben und Wirken, seine Briefe und Lehre, Bd. 2, E. Zeller (Hg.), Leipzig 1867 2 , 134. 16 Vgl. BAUR, Vorlesungen, aaO., 158. 17 BAUR, Vorlesungen, aaO., 160. 18 Vgl. BAUR, Paulus, aaO., 134. 19 BAUR, Paulus, aaO., 129 Anm. 1. 20 Auf dieser Grundlage kann Baur die paulinischen Lehren „ von der Rechtfertigung “ (145 - 183), von „ Christus als Princip der durch ihn gestifteten Gemeinschaft “ (184 - 197) oder auch das „ Verhältniss des Christenthums zum Judenthum und Heidenthum “ (198 - 232) entwickeln. So überrascht es auch nicht, dass er der „ Specielle[n] Erörterung einiger dogmatischen Nebenfragen “ (255 - 293) ein eigenes Kapitel einräumt; Vgl. BAUR, Paulus, aaO, IIIf. 21 Vgl. LUTHER, M., Tischrede Nr. 388, WA.TR 1,169: „ Sic videmus, das alle historien dringen ad remissionem peccatorum. Es ist alles auff das centrum, das Christus heysset, gezirckelt “ . 22 Vgl. KÖPF, U., Art. Baur, Ferdinand Christian, RGG 4 1, 1183 - 1185; 1183. 20 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick das Evangelium bei Paulus als „ resultat einer [. . .] consequenten reflexion des denkenden geistes auf die tatsache des kreuzestodes des Messias “ bezeichnet, bleibt er wie Baur diesem Vorbild verbunden. 23 2.2.2 Das Problem der Rückprojektion bei A. Seeberg und E. Molland Auch A. Seeberg kann der von Hegel beeinflussten Baurschen Linie zugeordnet werden. 24 Er konstruiert 1903 ausgehend von 1Kor 15,3-5 eine normative „ Glaubensformel “ , die der apostolischen Verkündigung inhaltlich und formal zugrunde liegt. Im Rahmen des urchristlichen Taufunterrichtes erfüllt sie katechetische Funktionen und leitet sich als „ Bekenntnisinhalt “ vollständig von der jesuanischen Verkündigung ab. 25 Man kann Seeberg zugute halten, dass er sich bemüht, historisch-kritisch zu arbeiten. Jedoch projeziert er geschichtliche Zustände in die neutestamentliche Zeit zurück, die die heutige Forschung erst im 2. Jahrhundert n. Chr. als wahrscheinlich ansieht. Ähnliches begegnet weniger explizit bei E. Molland. Er erstellt eine genaue Zusammenschau der im Evangelium enthaltenen Themen, deren Substanz er zusammenfasst als „ das christologische Drama von dem präexistenten Christus, der Mensch wurde, der gekreuzigt, auferstanden und zur Würde des ,Herrn ‘ erhöht ist. “ 26 Zugleich trennt er „ zwischen dem Evangelium selbst und den Konsequenzen, die er [Paulus] daraus zieht, oder den Theologumena, die er daraus deduziert “ . 27 So ist die Beschneidungsfreiheit genauso eine „ Verlängerung des Evangeliums “ wie die Rechtfertigungslehre oder die Ethik es sind. 28 Die systematische Erfassung des Evangeliumsinhaltes und die Unterscheidung von 23 HOLSTEN, C., Zum Evangelium des Paulus und des Petrus. Altes und Neues, Rostock 1868, VIII, ähnlich 97,110; vgl. hierzu die Einschätzung Stuhlmachers, „ daß die Gleichsetzung von Evangelium mit der christlichen Doktrin Kennzeichen einer ganzen theologischen Epoche gewesen ist “ ; STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 8; Carl Holsten (1825 - 1897) lehrt Neutestamentliche Theolgie in Bern und Heidelberg. Er hat sich selbst der „ Tübinger Schule “ , also dem Einfluss Baurs zugerechnet; vgl. BAUTZ, F.W., Art. Holsten, Karl, in: BBKL 2, 1006 - 1008. 24 Alfred Seeberg (1863 - 1915) kann als „ kirchlich-konservativer Theologe “ charakterisiert werden, der weder die historisch-kritischen Ergebnisse seiner Zeit, noch die Relgionsgeschichtliche Schule rezipierte - auch wenn er bereits „ ansatzweise formgeschichtlich “ arbeitete. Er lehrte in Dorpat, Rostock und Kiel; vgl. WESSELING, K.-G., Art. Seeberg, Oskar Theodor Alfred, in: BKKL 9, 1304 - 1397. 25 Vgl. SEEBERG, A., Das Evangelium Christi, Leipzig 1905, 33; 43ff; 59; 134; DERS., Der Katechismus der Urchristenheit, TB 26, München 1966, 45 - 58 (bes. 55 f ); 168 ff. 26 MOLLAND, E., Das paulinische Euangelion. Das Wort und die Sache, Oslo 1934, 75. 27 MOLLAND, Das paulinische Euangelion, aaO., 60. 28 MOLLAND, Das paulinische Euangelion, aaO., 62 f. 2.2 Zwischen Systematik und historischer Kritik 21 Evangelium und dessen (theologischen) Konsequenzen im paulinischen Denken sind als Differenzierungen und Fragestellungen noch nicht per se problematisch. Allerdings liegen ihnen bei Molland eine „ zu enge Auffassung des Begriffes ,Lehre ‘“ , der nicht nur Verkündigung, sondern vor allem „ theologische Entfaltung einer Doktrin “ meint, zugrunde. 29 Im Ergebnis führt sie zur Identifikation des Evangeliums mit einer theologisch isolierten oder isolierbaren Doktrin. Man kann mit Stuhlmacher zu Recht vermuten: Molland „ scheint streckenweise der Gefahr erlegen zu sein, die Sache des altkirchlichen Symbols in das paulinische Evangelium zurückzuprojizieren “ 30 . Die Arbeiten von Seeberg und Molland mahnen, nicht nur der Gefahr der Rückprojektion eigener Vorstellung und Systeme aus der gegenwärtigen Zeit zu widerstehen, sondern auch der Möglichkeit der Verwechslung von geschichtlichen Umständen anderer Zeiten, der auch eine historisch-kritische Rückfrage erliegen kann. 2.2.3 Das Evangelium als Theologie des Paulus Der Versuch, das paulinische Evangelium mit Hilfe der Dogmatik zu strukturieren, ist keine Erscheinung, die auf die Frühzeit seiner historischen Erforschung beschränkt bleibt. Es handelt sich nicht um ein zufälliges Phänomen, dass neutestamentliche Arbeiten zu Paulus immer wieder auf den Begriff „ Evangelium “ zurückgreifen, wenn sie die Summe der paulinischen Theologie bezeichnen wollen. 31 In der Tat lässt sich jeder Aspekt seiner Theologie mit dem Konzept „ Evangelium “ in Beziehung setzen, wie F. Hahn in seiner Darstellung der Theologie des Paulus zeigt: „ Geht man von dem Römerbrief aus, dann legt es sich nahe, das Evangelium bzw. die Evangeliumsverkündigung zum Ausgangspunkt zu nehmen [. . .] Sofern das unter der Voraussetzung geschieht, daß das Evangelium sowohl Proklamation der Person Jesu Christi als auch Zusage des Heils ist, ergibt sich im Sinn des Paulus eine sachgemäße Verschränkung von Christologie und Soteriologie. Als Ausgangspunkt soll daher die Evangeliumsbotschaft gewählt und nach den verschiedenen Dimensionen des Evangeliums gefragt werden. “ 32 29 ASTING, R., Die Verkündigung des Wortes im Urchristentum. dargestellt an den Begriffen ,Wort Gottes ‘ , ,Evangelium ‘ und ,Zeugnis ‘ , Stuttgart 1939; zum Begriff Evangelium: 300 - 457; 412, Anm. 73. 30 STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 39. 31 Vgl. z. B. CAMPBELL, D. A., The Quest for Paul ‘ s Gospel. A suggested Strategy, London/ New York 2005. 32 HAHN, F., Theologie des Neuen Testaments, Band I, Die Vielfalt des Neuen Testaments. Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen 2002, 187. 22 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick Nach Hahn entfaltet Paulus das Evangelium in dreifacher Hinsicht: a) als „ Evangelium von Christus “ hat es das Heil begründende Geschehen zum Inhalt: das konkrete Handeln Gottes in Person und Geschichte Jesu Christi. b) als „ Frohe Botschaft “ ist es die Kraft zur Rettung, hat also die Funktion das Heil zu vergegenwärtigen (eschatologisches Geschehen). c) als „ Menschenwort “ ist es in seiner Kommunikationsweise charakterisiert: es wird durch schwache Menschen verkündigt. 33 Führt man sich nun vor Augen, wie Hahn jedem dogmatischen Topos eine Funktion des Evangeliums zuweist, das Evangelium als l „ Botschaft von der Erfüllung des im Alten Testament verheißenen Heils “ (Schriftverständnis und Hermeneutik), l „ Botschaft von Person und Werk Jesu Christi “ (Christologie), l „ Erkenntnis des Menschen, seiner Sünde und Verlorenheit und das Problem des Gesetzes “ (Schöpfungslehre und Hamartiologie), l „ wirksame Kraft der Heilszuwendung “ (Soteriologie, Rechtfertigung) l „ Grund des Lebens im Glauben und in der Glaubensgemeinschaft “ (Ekklesiologie und Ethik), l „ Heilsbotschaft für die Welt “ (Verkündigung und Heidenmission) l „ Grund der Hoffnung “ (Eschatologie), 34 wird Dreierlei deutlich: 1) Hahn erklärt das paulinische Evangelium vor allem funktional. Die inhaltliche Dimension kommt latent in allen Aspekten zum Tragen, v. a. in der Christologie. Über die kommunikative Dimension des Evangeliums in der Konzeption des Paulus äußert sich Hahn dagegen kaum noch. 2) Die Systematisierung der paulinischen Theologie anhand von Topoi aus der Dogmatik erweist sich als problematisch: Ob sich Paulus wirklich in jene Grenzen zwingen und sich hinreichend daraus erklären lässt, bleibt zweifelhaft. Gerade im Rückblick auf den „ doctrinären “ Zugang zum paulinischen Evangelium im 19. Jahrhundert scheint Zurückhaltung angebracht. 3) Es ist fraglich ob man dem paulinischen Evangelium gerecht wird, wenn man darin die „ Summe seiner Theologie “ sieht. Die Identifikation von Theologie und Evangelium erscheint zumindest nicht zwingend. Hinzu kommt, dass Paulus offenbar von einem eigenständig Konzept ausgeht, das durchaus 33 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 190. 34 Vgl. Übersicht in HAHN, Theologie, aaO., 187. 2.2 Zwischen Systematik und historischer Kritik 23 neben anderen Konzepten wie „ Liebe “ oder „ Auferstehung “ eine dezidierte Rolle spielt. 35 2.2.4 Zusammenfassung Damit sind die zentralen Probleme der „ doctrinären Interpretation “ , der Systematisierung des paulinischen Evangeliums auf dem Hintergrund der Dogmatik, angesprochen. 36 Ebenfalls deutlich geworden ist, dass diese Methodik quer durch die gesamte Kirchengeschichte bis heute Anwendung findet. Das Beispiel A. Seebergs und E. Mollands hat gezeigt, dass auch eine vermeintlich historische-kritische Rückfrage an der Rückprojektion eben jener späterer Systematisierungsversuche scheitern kann. Auch wenn ein Bemühen um Systematisierung verständlich und sogar unumgänglich ist, darf sie nicht gegen die historischeWahrscheinlichkeit erfolgen. Dass Paulus der Melanchthonschen loci-Dogmatik gefolgt ist, lässt sich aus seinen uns überlieferten Briefen nicht schließen. Ebensowenig ist eine einfache Gleichsetzung von Evangelium und Theologie gerechtfertigt und bleibt mindestens einen Nachweis schuldig. 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage Wurde bisher die Seite der (dogmatischen) Systematisierung problematisiert, sollen nun auch die historischen Rekonstruktionen kritisch in den Blick genommen werden. Ihre volle Durchschlagskraft in der neutestamentlichen Exegese entfaltete sie ausgehend von der Religionsgeschichtlichen Schule. 2.3.1 Die „ Religionsgeschichtliche Schule “ Die sog. „ Religionsgeschichtliche Schule “ entsteht Ende des 19. Jahrhunderts in Göttingen. Ihre Mitglieder wenden sich nach anfänglicher Prägung durch A. Ritschls Systematik bewusst von jeder dogmatischen Struktur ab und wollen das Christentum als Produkt historischer Entwicklungen, als synkretistische Religion in ihren antiken Kontexten erklären. Dazu wird der Text des Neuen Testamentes nicht mehr isoliert wahrgenommen, sondern auf dem Hintergrund jüdischer und hellenistisch-römischer Kultur und Religion gelesen. Mit der Methode des religionsgeschichtlichen Vergleichs wird fortan auch euvagge,lion 35 Zur Vertiefung der Argumentation vgl. WISCHMEYER, O., Themen paulinischer Theologie, 315 - 344, in: DIES. (Hg.), Paulus. Leben - Umwelt - Werk - Briefe, Tübingen 2012 36 STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 10; u. a. 24 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick intensiv untersucht. 37 Hat das 19. Jahrhundert die Herkunft des Evangeliums im Grunde „ innerchristlich “ aus einer Entwicklung zwischen dem „ historischen “ Jesus und den urchristlichen Aposteln bzw. Paulus erklärt, wird nun verstärkt in den religiösen Kontexten von Jesus und Paulus, der römisch-hellenistischen Umwelt und v. a. dem alttestamentlich-jüdischen Kulturkreis, nach seinem Ursprung gesucht. Die folgende Darstellung ist bewusst nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet. Dem Leser sollen die drei, z.T. parallel verlaufenden Forschungsstränge in einem logischen Zusammenhang aufgezeigt werden, um sie anschließend in ihrem Gegenüber besser verständlich zu machen. Die alttestamentlich-jüdische Ableitung wird vorangestellt, weil sich aus dem dort vorhandenen Referenzmaterial überhaupt erst die Möglichkeit oder Notwendigkeit ergibt, nach einer hellenistischen Ableitung zu fragen und eine innerchristliche Begriffsgeschichte zu erstellen. Dass der Überblick kaum wirkliche Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule aufzuweisen hat, kann damit erklärt werden, dass jene nur die Rahmenbedingungen für diese über 70 Jahre andauernden Etappe in der Evangeliumsforschung gesetzt haben, sich selbst aber anderen Themen zuwandten. 38 2.3.2 Septuaginta und frühjüdische Literatur Es ist naheliegend, den begriffsgeschichtlichen Ursprung des neutestamentlichen euvagge,lion im jüdischen Kontext und seinen Schriften zu suchen, der den gedanklichen Hintergrund von Jesus und Paulus bildet. a) Referenzmaterial Das frühe Christentum muss dabei nicht auf das in Hebräisch abgefasste Alte Testament zurückgreifen, sondern besitzt mit der Septuaginta-Übersetzung des hellenistischen Judentums einen unmittelbaren Zugang zur jüdischen Tradition in Griechisch - der Sprache des Neuen Testamentes. Methodisch bietet sie eine Möglichkeit, direkt nach dem griechischen Terminus zu suchen, zwingt allerdings auch zur Differenzierung zwischen der griechischen Terminologie der Septuaginta und der sonst größtenteils in hebräisch bzw. aramäisch gehaltenen (früh-)jüdischen Tradition. Hier stellen sich zwei grundlegende Probleme: 37 Vgl. HARTENSTEIN, F., Art Religionsgeschichtliche Schule I., RGG 4 7, 321 - 323. Zu den wichtigsten Angehörigen der Religionsgeschichtlichen Schule sind neben den Neutestamentlern W. Bousset, J. Weiß und W. Wrede auch A. Rahlfs und H. Gunkel als Vertreter des Alten Testamentes und der Systematiker E. Troeltsch zu zählen (322). 38 Z. B. Christologie, Gottesdienst/ Kult, Sakramente; vgl. BETZ, H. D., Art Religionsgeschichtliche Schule II.2, RGG 4 7, 323 - 325. 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 25 Einerseits ist die notwendige „ Rückübersetzung “ des neutestamentlichen euvagge, lion in eine andere Sprache (z. B. Hebräisch) spekulativ und damit methodisch fragwürdig. Andererseits lassen sich viele frühjüdische Quellen nicht so früh datieren, dass sie für die neutestamentliche Literatur relevant wären. Das wiederum nötigt zu der ebenfalls problematischen Annahme, dass sich in jenen Quellen ältere Traditionen spiegeln, die wiederum Einfluss auf das Neue Testament hätten nehmen können. 39 Die Septuaginta nutzt den Stamm euvaggelin der Regel zur Übersetzung der Wurzel rfb . Ob erst die Übersetzer eine positve Konotation mit dem Stamm verbinden 40 oder ob bereits das hebräische rfb über die neutrale Bedeutung „ Botschaft/ botschaften “ hinausgeht, ist umstritten. 41 Das hebräische Altes Testament kennt außer rfb allerdings auch andere Möglichkeiten, (frohe) Botschaften zu bezeichnen (z. B. [mf , dgn ). 42 Euvagge,lion entspricht in der Septuaginta dem Substantiv hrfb . Dort kommt es nur drei mal (2Sam 4,10 im Sinne von Botenlohn; 2Sam 18,27.31 als Textvarianten) und ausschließlich im Plural vor. Sonst begegnet das feminine euvaggeli,a in der Bedeutung „ (gute) Botschaft “ (2Sam 18,20.22.25.27; 2Kön 7,9). Nirgends ist ein theologisch qualifizierter Gebrauch des Substantivs anzutreffen. 43 Auch wenn die Septuaginta das gesuchte Substantiv nicht aufweist, verwendet sie umso häufiger das Verb euvaggeli,zomai. Theologisch und in für das Neue Testament relevanten Zusammenhängen wird das Verb v. a. in Deuterojesaja ( Jes 60,6; 61,1) und Ps 40,10; 68,12; 96,2 gebraucht. 44 Das Partizip euvaggelizo,menoj steht für rfbm und hebt sich mindestens bei Deuterojesaja als terminus technicus für „ Freudenbote “ deutlich vom gängigen euva,ggeloj und dem Unglücksboten paida,rion ab. 45 39 Vgl.FRANKEMÖLLE, Evangelium - Begriff und Gattung, aaO., 72; 77; 79; 252; STAN- TON, G. N., Jesus and Gospel, Cambridge 2004, 21. 40 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 137; 155; Zur Diskussion vgl. 109 - 111; Noch zurückhaltender: KOESTER, H., Ancient Christian Gospels. Their History and Development, London 1990. Koester nimmt an, dass sogar im Griechischen, die positive Konotation nicht stark empfunden wird (2). 41 Vgl. z. B. FRIEDRICH, G., Art. euvaggeli,zomai ktl, in: ThWNT 2, 705 - 735; 705. 42 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 122. 43 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 154; FRIEDRICH, Art. ]euvaggeli,zomai ktl, aaO., 722; FRANKEMÖLLE, Evangelium - Begriff und Gattung, aaO., 70. 44 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 157ff; FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 706 f; FRANKEMÖLLE, Evangelium - Begriff und Gattung, aaO., 70. 45 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 159; FRIEDRICH, Art. ]euvaggeli,zomai ktl, aaO., 707. 26 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick Ebenfalls in den Kontext des hellenistischen Judentums gehören die literarischen Werke von Philo und Josephus. Beide kennen das Verb euvaggeli,zomai. In Philo legat. 18 und 231 erscheint das Verb im Zusammenhang mit dem Kaiserkult. 46 Josephus gebraucht dreimal euvagge,lion (Flav.Jos.Bell. 2,420; 4,618.656) bzw. einmal euvaggeli,a. (Flav.Jos.Ant. 18,229). Fast alle Belege befinden sich in profanem Kontext und betreffen Kriegs- oder Todesnachrichten. Lediglich in Flav.Jos.Bell. 4,618.656 kommt die Ausrufung Vespasians zum Kaiser zur Sprache, womit allerdings nicht sicher eine religiöse Konotation verbunden ist: Ein Zusammenhang des Substantivs mit dem Kaiserkult ist nicht eindeutig ersichtlich. 47 Die Rabbinen schließen sich in ihrem Gebrauch von hrfb der alttestamentlichen Verwendung an. 48 Es kann positive wie negative Nachrichten bezeichnen. Im Verb rfb und im Partizip rfbm des Früjudentums hält sich die von Deuterojesaja geprägte positive Konotation und die damit verbundene Vorstellung vom Freudenboten. 49 Euvagge,lion ist bei den Rabbinen als Fremdwort bekannt, wie o! AyL ’ Gi ! w,a ’ (Unheils-/ Sündenrand) als verunglimpfende Anspielungen auf den christlichen Gebrauch belegt. 50 b) Deuterojesaja Die neutestamentliche Wissenschaft nimmt zunächst wieder ihren Ausgangspunkt beim historischen Jesus, dessen Predigt mit der Tradition der Septuaginta - genauer: mit Deuterojesaja - in Verbindung gebracht wird. 51 Die „ vom Propheten verheissene heroldsartige Proklamation der Endzeit, die die letzte Offenbarung der Herrlichkeit Gottes einleitet “ greift Jesus aus Deuterojesaja auf und formt sie zum Evangelium vom Reich Gottes um. 52 Die Tatsache, dass die Septuaginta euvagge,lion weder im Singular noch - überzeugend nachgewiesen - im theologischen Gebrauch vorweisen kann, interpretiert J. Schniewind 46 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 177. 47 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 164ff; 173; FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 711 f; FRANKEMÖLLE, Evangelium - Begriff und Gattung, aaO., 79 f. 48 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 129; FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 223. 49 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 152; FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 712 f. 50 Vgl. FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 723 f. 51 So z. B. ZAHN, TH., Einleitung in das Neue Testament, Bd. 2, Leipzig 1907, 169; 228; oder auch MÜLLER, J., Das persönliche Christentum der paulinischen Gemeinden nach seiner Entstehung untersucht, Erster Teil, Leipzig 1898, 53. 52 Vgl. MÜLLER, Das persönliche Christentum, aaO., 53ff: „ Evangelium ist also im Munde Jesu dem jesajanischen Gebrauche entsprechend die Ankündigung des endgültigen Heilsereignisses, der abschließenden Selbstoffenbarung Gottes “ (55). 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 27 elegant, imdem er aus dem in Deuterojesaja vorfindlichen Verb euvaggeli,zomai eine „ bestimmte Vorstellung eines euvagge,lion “ im Urchristentum ableitet, welche wiederum „ rückwirkend “ auf den Sprachgebrauch von euvaggeli,zomai (im Urchristentum) eingewirkt habe. So sei auch der paulinische Sprachgebrauch des Verbs durch das Substantiv bestimmt und nicht umgekehrt. 53 Schniewinds Ansatz ist repräsentativ für eine ganze Reihe ähnlicher Versuche, das neutestamentliche euvagge,lion in Ermangelung des exakten Begriffes dennoch mit der Septuaginta bzw. Deuterojesajas in direkte Verbindung zu bringen. 54 Abb. 1: Ideengeschichtliche Ableitung Dass auch Paulus ideengeschichtlich in Kontinuität zu Jesus gesehen werden kann, und damit mittelbar zur Tradition Deuterojesajas, ist das Anliegen von M. Kähler und J. Müller 55 . Müller (1864 - 1949) verfolgt um die Jahrhundert- 53 Vgl. SCHNIEWIND, J., Die Begriffe Wort und Evangelium bei Paulus, Bonn 1910, 65 f, Anm. 1. 54 Ganz ähnlich argumentiert z. B. E.Molland, der eine „ ideengeschichtliche Linie “ von Deuterojesaja zu Paulus zieht; vgl. MOLLAND, Das paulinische Euangelion, aaO., 31. 55 Vgl. KÄHLER, M., Gehört Jesus in das Evangelium? , in: Dogmatische Zeitfragen, Bd. 2: Angewandte Dogmen, Leipzig 1908, 51 - 78; Die sachliche Kontinuität zwischen Jesu Evangelium und der Botschaft Pauli hat Kähler, der Lehrer J.Schniewinds, auf ganz 28 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick wende ein ganz eigenes Interesse am neutestamentlichen Evangelium. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher erbaulicher Schriften und Begründer einer Tagungsstätte in Elmau, wo er seinen Zeitgenossen zu einem „ seinem Wesen entsprechenden Leben im Sinne der Ethik Jesu “ verhelfen will. 56 Dieser praktisch-theologischen Blickrichtung entspricht seine Definition des jesuanisch-paulinischen Evangeliums als „ Ausrichtung einer Kundgebung Gottes “ , als „ durch und durch konkreter, praktischer, aktueller Natur, an sich ein Handeln und Einwirken des lebendigen Gottes durch menschliche Organe “ . 57 Für Müller entsteht der Eindruck, „ daß es sich bei dem Evangelium um einen ganz bestimmten lebendigen Akt handelt, der durch dieVerkündigung in eigenartiger Weise in Aktion tritt. Die Worte sind Träger eines Ereignisses, das als Ereignis auf die Menschen wirkt “ . 58 Dabei bezeichnet Evangelium aber nie die Verkündigungstätigkeit, nie den Inhalt der Verkündigung selbst, „ sondern immer die Veranstaltung dieser bestimmten göttlichen Kundgebung, die durch die Verkündigung der Apostel an die Menschen ergeht. “ 59 Durch diese Definition von euvagge,lion als dynamisches Wortgeschehen nimmt Müller zwei wichtige inhaltliche Abgrenzungen vor: Weder ist das euvagge,lion identisch mit einer dogmatischen Glaubensformel, mit einer Lehre oder Theorie, noch enthält es ethische Vorschriften, also einen „ Appell an die sittlichen Leistungen des Menschen “ . 60 A. Schlatter hat dieses Verständnis von Evangelium als dynamischem Wortgeschehen durch drei Aspekte präzisiert: unnachahmliche Weise begründet: Muss er zunächst auch feststellen, dass das Wort bei Jesus nicht nachzuweisen ist, sondern erst eine apostolische Schöpfung darstellt (55 f ), so resümiert er im Anschluss dennoch ungerührt: „ Indes, was liegt zuletzt an der Bezeichnung! Es handelt sich sachlich für uns um die Verkündigung Jesu “ (56). Folgerichtig setzt sich Kähler mit der Frage auseinander, ob Jesus sich selbst zum Gegenstand seiner Verkündigung gemacht hat (56) und bejaht dies als einzig mögliche Konsequenz seiner Ethik und Gottesreichpredigt (71): „ Daher verstehen wir es, wenn Jesus nicht von Anfang an das ,ganze Evangelium ‘ verkündete, [. . .] ehe er in seiner eignen Vollendung das Gottesreich der Menschheit einverleibt hatte. Ist doch seine Verkündigung nur die eine Seite seiner Aufgabe und Leistung. Er konnte seine Verkündigung nicht unabhängig von den geschichtlichen Tatsachen vollziehen, in denen seine Person werdend und leistend sich bildete, auslebte und vollendete “ (70); vgl. MÜLLER, Das persönliche Christentum, aaO., 56. 56 ARING, P. G., Art. Müller, Johannes, in: BBKL 6, 271. 57 MÜLLER, Das persönliche Christentum, aaO., 58. 58 MÜLLER, Das persönliche Christentum, aaO., 57. 59 MÜLLER, Das persönliche Christentum, aaO., 59. 60 Vgl. MÜLLER, Das persönliche Christentum, aaO., 111 - 114. Vgl. auch STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 27. 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 29 1) Das Evangelium ist schöpferische Gottestat: „ Paulus spricht, weil er im Namen Jesu spricht und Jesu Werk durch ihn geschieht, ein wirksames, schaffendes Wort, das hervorbringt, was es sagt, die Rettung, die Bewahrung vor dem Tode “ . 61 2) Das Ziel der Verkündigung (sowohl Jesu als auch bei Paulus) ist die Offenbarung Gottes: „ Handelt die Botschaft von Gott, unterrichtet sie über Gott, vielleicht mit höchster Autorität, weil sie von Gott herkommt, dann wird aus ihrer Verkündigung eine Betrachtung über Gott, die das göttliche Wirken als ihren Gegenstand vor sich hat und ihn beschreibt. “ 62 3) Das Evangelium ist „ Machtwort “ und eschatologisches Wortereignis, das zwischen Inkarnation und Endgericht stattfindet: „ Nicht seine eigene Herrschaft verkündet Jesus und ruft nicht aus, daß er nun die Regierung antrete [. . .] Indem aber Gottes Herrschaft zum Inhalt eines euvagge,lion wird, hat Jesus das Wort des Täufers überschritten. Dadurch wird die Herrschaft nicht nur verheißen, sondern als gekommen und gegenwärtig bezeugt. “ 63 Von hier aus lässt sich der Bogen zurückschlagen zu J.Schniewind. Er führt den Vorgang der Verkündigung bei Paulus auf das alttestamentliche Wortgeschehen der Propheten zurück. 64 Euvagge,lion wird als Form des prophetischen lo,goj verstanden. Beide beleuchten dieselbe Tatsache von verschiedenen Perspektiven aus 65 : „ [D]as Evangelium ist nicht blosse äussere Botschaft, sondern, wie das ,Wort ‘ eine innerlich wirksame Macht. “ 66 Das dynamische Wortgeschen wird pneumatisch aufgefasst. 67 Daher deutet Schniewind die Genitiv-Verbindung euvagge,lion Cristou/ dahingehend, dass „ Christus nicht nur als der Stifter des Evangeliums gedacht wird, dass er vielmehr selbst als pneumatisch gegenwärtig 61 SCHLATTER, A., Gottes Gerechtigkeit. Ein Kommentar zum Römerbrief, Stuttgart 1952 2 (orig. 1935), 32. 62 SCHLATTER, Gottes Gerechtigkeit, aaO., 18; vgl. DERS., Die Theologie des Neuen Testaments, Erster Teil: Das Wort Jesu, Stuttgart 1909, 95. 63 SCHLATTER, Theologie Erster Teil, aaO., 375 - 377; DERS., Die Geschichte des Christus, Stuttgart 1923 2 (orig. 1921), 146 - 148; DERS., Der Evangelist Matthäus. Seine Sprache, sein Ziel, seine Selbstständigkeit, Stuttgart 1929, 122 f. 64 Vgl. SCHNIEWIND, Die Begriffe Wort und Evangelium bei Paulus, aaO., 114. 65 Vgl. SCHNIEWIND, Die Begriffe Wort und Evangelium bei Paulus, aaO., 109; 114. 66 SCHNIEWIND, Die Begriffe Wort und Evangelium bei Paulus, aaO., 70. Allerdings betont Schniewind an anderer Stelle die „ innere Wirkungsmacht “ als Charakteristikum des Wortes und stellt sie dagegen beim Evangelium nur als Konsequenz, „ akzidentiell “ , dar (vgl. 116). 67 SCHNIEWIND, Die Begriffe Wort und Evangelium bei Paulus, aaO., 110, Anm. 3: „ [A]lso wird euvagg. Cr. das Evangelium bezeichnen als die frohe Botschaft, in welcher und welche der pneu/ ma-Christus wirkt “ . 30 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick vorgestellt wird “ . 68 Konstitutiv für die Evangeliums-Verkündigung gegenüber der bloßen Wortverkündigung ist der Sendungsgedanke und das damit verbundene Apostolat: 69 „ [D]er offenkundige Anklang an prophetische Aussprüche [. . .] zeigt, dass Paulus sich nicht einfach als Träger einer ,Botschaft ‘ bezeichnen will, sondern dass er von seiner göttlichen Sendung redet. “ 70 Euvagge,lion erhält eine doppelte Dimension: Es ist nicht nur „ gebotschafteter “ Inhalt, sondern auch „ Botschaftung “ , also Verkündigung dieser Botschaft. 71 Allerdings - darauf sei an dieser Stelle aufmerksam gemacht - kann dieser Geschehenscharakter in der prophetischen Tradition (der Septuaginta) in Ermangelung des Substantivs terminologisch nur mit dem Verb euvaggeli,zomai in Verbindung gebracht werden. c) Palästinisches Judentum Die in der religionsgeschichtlichen Untersuchung Schniewinds noch fehlende Betrachtung des Sprachgebrauchs im palästinischen Judentum hat sein Schüler G. Friedrich nachgetragen. 72 Das rabbinische Judentum kennt hrfb als eschatologische Freudenbotschaft nicht, aber den Freudenboten ( rfbm ) und den Akt der Verkündigung ( rfb ). Das ist für Friedrich durchaus schlüssig: „ Beim Anbruch der Gottesherrschaft erwartet man gar nicht eine neue Botschaft. Was verkündet wird, danach sehnt man sich. Darum ist der Freudenbote und der Akt der Verkündigung wichtiger als die hrfb . “ 73 Aus dieser Wichtigkeit des Verkündigungsaktes leitet Friedrich eine Beziehung von Verb und neutestamentlichem Substantiv her: „ Das Verb rfb hat sich im Substantiv euvagge,lion erhalten, und dieses weist uns deutlich nicht nach Griechenland, sondern nach Palästina. Im Griechischen ist es ganz ungebräuchlich, daß mit euvagge,lion eine Tätigkeit angezeigt werden soll. “ Daher bezeichnet es im Neuen Testament nicht nur einen Inhalt, sondern auch den Akt der Verkündigung. 74 68 SCHNIEWIND, Die Begriffe Wort und Evangelium bei Paulus, aaO., 108. 69 SCHNIEWIND, Die Begriffe Wort und Evangelium bei Paulus, aaO., 114 - 117: Als weitere Unterschiede zu lo,goj erarbeitet Schniewind 1) den Gegensatz zu den euvagge,lia der Septuaginta, die der eindeutigen Beziehung des Wortes zum Alten Testament gegenübersteht, 2) das „ Evangeliumsleiden “ als Besonderheit des Sendungsgedankens, 3) der Bezug zur „ Lehre “ als Unterweisung in der Wahrheit, wohingegen das Wort eher auf die (autoritative) Kundgabe eines Personenwesens abziele. 70 SCHNIEWIND, Die Begriffe Wort und Evangelium bei Paulus, aaO., 69 f. 71 Vgl. SCHNIEWIND, Die Begriffe Wort und Evangelium bei Paulus, aaO., 74. 72 Vgl. FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 705, Anm. „ Vorbemerkung “ : Friedrich hat den Artikel kurzfristig von Schniewind übernommen und ihn in dessen Sinne, aber selbstständig, verfasst. 73 FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 723. 74 FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 723. 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 31 d) Qumran O. Michel ergänzt den religionsgeschichtlichen Ansatz von Friedrich und Schniewind um die Qumran-Texte. 75 1QH 18,15 bietet nämlich eine interessante Parallele zu Jes 61,1 f. Der dort charakterisierte „ Lehrer der Gerechtigkeit “ wird in deutlicher Anspielung auf den Jesajatext als „ Bote der guten Botschaft “ bezeichnet. 76 Dieser Bote urteilt einerseits über Sünde und Nichtigkeit der Geschöpfe und verkündigt andererseits den Armen die frohe Botschaft des göttlichen Erbarmens (vgl. 1 QH 18,12.14). Wie der synoptische Jesus (vgl. v. a. Lk 4,16.22) scheint auch der Lehrer von besonderem eschatologischen Sendungsbewusstsein geprägt. 77 Diese eschatologische Dimension der Evangeliumsbotschaft wiederum ist auch bei Paulus zu finden: „ Der Hintergrund u[nd] die Struktur der paulinischen Botschaft werden durch die Apokalyptik bestimmt. Der Apostel weiß sich in einem bestimmten u[nd] zugespitzten Augenblick der Geschichte berufen u[nd] hat seine Aufgabe in dem eschatologischen Ablauf der Endereignisse “ . 78 Als Belege führt Michel das Evangeliums- und Apostolatsverständnis des Paulus an, welches er in enger Analogie zur Freudenbotschaft und dem Gottesknecht Deuterojesajas sieht. 79 Hinzu kommen die Erwähnung bzw. Verkündigung der Gottesherrschaft (z. B. in Röm 14,17 oder 1Kor 4,20) sowie die paulinische Pneumatologie. 80 e) Zusammenfassung Die Ableitung von euvagge,lion aus der alttestamentlichen Tradition ist nicht unproblematisch. Die Septuaginta kennt euvagge,lion nicht im Singular. Nur das Verb euvaggeli,zomai und das Partizip „ Freudenbote “ werden theologisch und technisch gebraucht. Philo und Josephus helfen im semitischen Kontext nicht weiter. Das Frühjudentum führt zwar den aus Deuterojesaja bekannten Sprachgebrauch fort, stellt jedoch vor methodische Probleme (Rückübersetzung und Datierung). Das Fehlen einer direkten sprachlichen Parallele zum neutesta- 75 Vgl. MICHEL, O., Art. Evangelium, in: RAC VI, 1107 - 1160. 76 Die Stelle ist nicht ganz unumstritten, da das ohnehin schwer zu entziffernde m von rfbm sowohl Teil des Partizips „ Bote “ , als auch eigenständige Präposition sein kann, wonach hier „ aus/ von dem Fleisch “ zu lesen wäre. Jedoch ist der folgende eindeutige Infinitv rfbl starkes Indiz für den „ Freudenboten “ und eigentlich entscheidend für unser Interesse; vgl. dazu STEGEMANN, H./ SCHULLER, E., 1QHodayot a , DJD 40, Oxford 2009, 276.279.281. 77 Vgl. MICHEL, Art. Evangelium, aaO., 1109. 78 MICHEL, Art. Evangelium, aaO., 1117. 79 Vgl. MICHEL, Art. Evangelium, aaO., 1117. 80 Vgl. MICHEL, Art. Evangelium, aaO., 1118; Vgl. hierzu auch SJÖBERG, E., Der verborgene Menschensohn in den Evangelien, Lund 1955; bes. Kap. 1 Die urchristliche Botschaft als geoffenbartes Geheimnis, 1 - 40: E. Sjöberg betrachet den Offenbarungsbegriff der jüdischen Apokalyptik als Hintergrund des neutestamentlichen Evangeliums. 32 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick mentlichen Evangelium zwingt zu einer „ ideengeschichtlichen Ableitung “ aus der Tradition Deuterojesajas, die durch folgende Aspekte bestimmt ist: 1) Die Prophetentradition hält über den Umweg des historischen Jesus Einzug in das Neue Testament. Diese Anknüpfung spiegelt sich in seinem Selbstverständnis sowie seiner Botschaft, wie sie in den synoptischen Evangelien begegnen. Paulus bzw. die hellenistische Gemeinde müssen entweder diese Abhängigkeit erkannt und durch den Aufgriff der Septuaginta-Begrifflichkeit euvagge,lnachvollzogen oder sogar direkt einen bei Jesus vorfindlichen aramäisch-hebräischen Sprachgebrauch ( rfb ) übersetzt haben. 2) Die „ Idee “ , welche die alttestamentliche Prophetie und das neutestamentliche euvagge,lion verbindet, wird im pneumatisches Wortgeschehen gesehen. Sowohl Prophetenwort als auch Evangelium sind „ Ausrichtung einer Kundgebung Gottes ” , eschatologisches Machtwort bzw. Wortereignis mit dem Ziel der Offenbarung Gottes. Als Schöpfungswort ist ihre Botschaft sowohl Inhalt als auch neu (schaffendes) Geschehen. Ihre Verkünder verbindet ein gemeinsames Sendungsbewusstsein, im Alten Testament als Prophet, im Neuen Testament als Apostel. Einige religionsgeschichtliche Ansätze verdichten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Gesamtsicht von euvagge,lion innerhalb einer urchristlichen Begriffsgeschichte. Sie stützen sich in der Regel auf die hier vorgestellte Ableitung aus dem semitischen Bereich und verfolgen als Traditionsgeschichte die Motive aus Deuterojesaja durch die Überlieferung des Urchristentums. Da sie manche Annahmen und Thesen dieses Entwurfes noch einmal kritisch beleuchten, stelle ich im Rahmen eines kurzen Exkurses zwei der wichtigsten Entwürfe kurz vor. EXKURS: Urchristliche Begriffsgeschichte a) Ein grundlegender Entwurf von J.Weiß J. Weiß unterscheidet vier Stationen der urchristlichen Begriffgeschichte von euvagge,lion: 81 81 Johannes Weiß zählt zu den Begründern der formgeschichtlichen Methode. Obwohl Ritschl-Schüler lehnt er eine ideengeschichtliche Deutung der Reich-Gottes-Lehre Jesu ab. Seine Entdeckung ihres apokalyptischen Charakters stellt nach dem Urteil A. Schweitzers eine entscheidende Etappe in der Leben-Jesu-Forschung dar. Nur mit Einschränkungen ist Weiß der Religionsgeschichtlichen Schule zuzurechnen. Er wirkte v. a. in Göttingen, Marburg und Heidelberg (vgl. WESSELING, K.-G., Art. Weiss, Johannes, in: BKKL 13, 659 - 666. 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 33 1) Die Reich-Gottes-Verkündigung unter Rückgriff auf Deuterojesaja in den Reden Jesu. Zwar hat Jesus wohl das Bewusstsein, Bringer einer frohen Botschaft zu sein (wie v. a. die Seligpreisungen belegen). 82 Inhalt ist aber das Reich Gottes und nicht seine Person. Auch die Verwendung des Begriffs oder eines Äquivalents durch Jesus sieht Weiß kritisch. 83 2) Die älteste Verkündigung vor Juden. Zur Reich-Gottes-Verkündigung tritt die Proklamation Jesu als Messias. Inhaltlich wird dieses Stadium von Paulus als „ euvagge,lion th/ j peritomh/ j “ bezeichnet (Gal 2,7). Hauptargument ist die Behauptung seiner Auferstehung (vgl. Röm 10,9 f; Apg 1,21 f ). Demgegenüber treten Berichte über das Leben Jesu eher zurück. 84 3) Das euvagge,lion vor Heiden. 85 Hier rückt das irdische Leben Jesu mehr in den Vordergrund, wie Weiß der Wendung „ peri. vIhsou/ “ als Inhaltsangabe der Verkündigung in der Apostelgeschichte entnimmt (Apg 18,25; 28,23; vgl. auch Apg 13,23 ff ). Es war unumgänglich, „ den Heiden, welche nicht in Palästina lebten, wenigstens einen notdürftigen Umriss zu geben von dem, was sich damals in Galiläa und Jerusalem zugetragen hatte “ . 86 Dennoch bezieht sich das Wort nicht nur auf den Inhalt, sondern gelegentlich auch auf die Verkündigung: Es wird zum „ Ausdruck der Missionssprache “ . 87 Das paulinische Evangelium ist gewissermaßen ein Spezialfall der Heidenmission: Zwar fokussiert Paulus (in Auseinandersetzung mit Judenchristen) auf die Ambivalenz von Kreuz und Auferstehung und scheint dabei das Interesse am irdischen Jesus zu vernachlässigen. Dennoch können auch die paulinischen Ausführungen nicht verstanden werden „ ohne eine Ergänzung und Vervollständigung und zwar nach vorwärts [Parusie] wie nach rückwärts [irdisches Leben]. “ 88 Wenn Paulus den Sohn Gottes unter den Heiden verkündigen (Gal 1,16) oder sich für seine gesetzesfreie Heidenmission 82 Vgl. WEISS, J., Die Predigt Jesu vom Reich Gottes, Göttingen 1964 3 (orig.1892), 71: „ Der Grundcharakter der Predigt Jesu ist eben doch Prophetie, Evangelium. Ihre Grundstimmung ist die Hoffnung, freilich die ihres Zieles gewisse Hoffnung, aber doch immer Hoffnung “ . 83 Vgl. WEISS, J., Das älteste Evangelium. Ein Beitrag zum Verständnis des Markus- Evangeliums und der ältesten evangelischen Überlieferung, Göttingen 1903, 29 - 31; „ Mithin kann von den Evangelienstellen [in den synoptischen Evangelien] nur der kleinste Teil auf Jesus zurückgeführt werden. Und, wie gesagt, als Objekt der Verkündigung erscheint bei ihm das Reich Gottes, nicht seine Person “ (31); Dass Jesus sich des Begriffs bedient hat, hält Weiß für unwahrscheinlich: „ [E]s sprechen erhebliche Bedenken dagegen “ ; DERS., Das Urchristentum, Göttingen 1917, 537. 84 Vgl. WEISS, Das älteste Evangelium. aaO., 31 - 33. 85 Vgl.WEISS, Das älteste Evangelium. aaO., 33 - 40. 86 WEISS, Das älteste Evangelium. aaO., 39. 87 WEISS, Das Urchristentum, aaO., 537. 88 WEISS, Das älteste Evangelium. aaO., 36. 34 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick rechtfertigen sollte (Röm 10,4; vgl. Phil 2,5ff; Apg 13,26 f), schließt das notwendigerweise auch eine Reflexion auf die irdische Identität Jesu ein. 89 Weiß sieht in manchen Abschnitten der paulinischen Briefkorespondenz sogar schon den „ Darstellungscharakter und Stil unserer Evangelien “ , die zumindest Hinweise darauf sind, dass Paulus „ evangelienartiger Stoff “ zur Verfügung stand. 90 Dennoch: „ So wenig Paulus mancherlei historischmenschliches Detail ganz entbehren konnte - nie hätte er ein Interesse gehabt oder die Fähigkeit, für die Gemeinde ein evangelienartiges, ausgeführtes biographisches Bild Jesu zu zeichnen. “ 91 4) Markus als Aufzeichner des Evangeliums. Für die Evangelienschreibung bietet Paulus den begrifflichen Rahmen und die Urgemeinde das Traditionsmaterial. 92 Der Verfasser des Markusevangeliums „ will euvagge,lion bieten und damit der Verkündigung, der Lehre, also bestimmten praktischen Zwecken seiner Umgebung, seiner Zeit dienen; er schreibt aus seinem Glauben heraus für den Glauben, ihn zu erwecken, zu stärken oder zu klären. “ 93 Das Markusevangelium ist also eine „ Lehr- und Erbauungsschrift in erzählender Form, ein Bericht über die Heilstatsachen, auf denen die Existenz der Gemeinde beruht “ . 94 Den Genitiv euvagge,lion Cristou/ fasst Weiß bei Mk als genitivus objectivus, als die Verkündigung von Christus auf. 95 89 Vgl.WEISS, Das älteste Evangelium. aaO., 37 f; „ Überhaupt ist es doch undenkbar, dass Paulus in der Missionspredigt darauf verzichtet haben sollte, über die historische Person Jesu etwas näheres mitzuteilen. Wie konnte er auf das geringste Verständnis rechnen, wenn er nicht irgendwie seine Hörer orientierte, wer denn dieser Jesus eigentlich gewesen [. . .] Die Briefe geben nun einmal darin ein völlig falsches Bild, dass sie uns über die eigentliche Verkündigung des Apostels nur sehr wenig lehren. “ (38) Auch die Erwähnung der Davidssohnschaft Jesu in Röm 1,3 (34) und des Herrenmahls in 1Kor 11,23ff (39) sind von einem am irdischen Jesus völlig desinteressierten Paulus her nicht verständlich. 90 Vgl.WEISS, Das älteste Evangelium. aaO., 39. 91 WEISS, Das älteste Evangelium. aaO., 40. 92 Vgl. WEISS, Das älteste Evangelium. aaO., 40 ff. 93 WEISS, Das älteste Evangelium. aaO., 41. 94 WEISS, Das älteste Evangelium. aaO., 99. 95 WEISS, Das älteste Evangelium, aaO., 26; Analog kann Weiß den Genitiv bei Paulus interpretieren: „ Reicher und lebendiger ist der Gedanke, dass Paulus im Dienste Gottes seinen Sohn der Welt verkündet “ (26, Anm. 1). 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 35 b) Das „ Doppelte Evangelium “ bei A. von Harnack A. von Harnack ermittelt im Zusammenhang seiner Begriffgeschichte einen signifikanten Unterschied zwischen der Jesus-Überlieferung der Evangelien und den paulinischen Briefen. 96 Er spricht von einem „ doppelten Evangelium “ : „ Hier ist ,Evangelium ‘ eine Freudenbotschaft, die den Armen und mit ihnen den Sanftmütigen, den Friedfertigen und denen die reinen Herzens sind, gepredigt wird; es ist die Botschaft, daß das Reich Gottes nahe sei und daß dieses Reich den Kummer der Elenden stillen, sie mit Gerechtigkeit erfüllen und ihnen die Gotteskindschaft samt allen Gütern bringen werde; mit sich bringt es eine neue, über der Welt und ihrer Politik erhabene Lebensordnung. Dort aber ist es die Predigt, daß der Gottessohn vom Himmel herabgestiegen, als Mensch erfunden worden ist, durch seinen Tod und Auferstehung den Gläubigen die Erlösung von Sünde, Tod und Teufel gebracht und somit den ewigen Heilsratschluß Gottes verwirklicht hat. Auch hier ist das Evangelium die Botschaft vom Reiche Gottes; aber sie erscheint in der Verkündigung von Jesus Christus vollkommen beschlossen; denn nur durch den Glauben an ihn als den Gekreuzigten und Auferstandenen kann man die Reichsgüter gewinnen. “ 97 Harnack erkennt, dass Jesu Gottesreich-Predigt und die christologische Verkündigung seiner Person bei Paulus schwer miteinander vereinbar sind. Paulus nimmt das „ jesuanische “ Evangelium auf und gleichzeitig stellt Jesu Verkündigung (neben der messianischen Anschauungen des Judentums, der Theologie des Paulus und den religiösen Vorstellungen und Mythen des Heidentums) eine Wurzel des christologischen „ Zweiten Evangeliums “ dar. 98 „ Durch die ganze Kirchen- und Dogmengeschichte gehen also die Ströme beider Evangelien; man kann sie unterscheiden, aber sie sind nicht getrennt “ . Beide haben in der Verkündigung Jesu ihre „ gemeinsame Quelle “ . 99 Auf diesem Hintergrund zeichnet Harnack folgende Begriffsgeschichte: 1) Jesus: Die Verwendung des hebräischen Äquivalents hrfb ist nicht nachweisbar. Die Verkündigung vom Kommen des Gottesreiches und ihre Inter- 96 Vgl. VON HARNACK, A., Das doppelte Evangelium im Neuen Testament, in: Aus Wissenschaft und Leben. Bd. II, Zur Geschichte des Urchristentums, Gießen 1911, 213 - 224; 214. 97 VON HARNACK, Das doppelte Evangelium, aaO., 215 f. 98 VON HARNACK, Das doppelte Evangelium, aaO., 218; vgl. 217: „ Das ,Evangelium Christi ‘ ist bei Paulus nicht das Evangelium von Christus, sondern das Evangelium, welches Christus verkündigt hat “ , denn „ [d]ie Idee der Reichsstiftung und Vollendung ist auch für Paulus die oberste und umfassendste “ ; ähnlich DERS., Kirchenverfassung und Kirchenrecht in den zwei ersten Jahrhunderten, Leipzig 1910, 212 f. 99 VON HARNACK, Das doppelte Evangelium, aaO., 221 f. 36 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick pretation als Freudenbotschaft lehnt sich jedoch an Jes 61,1 (Septuaginta: euvaggeli,zomai) an. 100 2) Die Urgemeinde bezeichnet die jesuanische Reichsbotschaft als hrfb und überträgt den Begriff ins Griechische (euvagge,lion). Markus und Matthäus belegen den Begriff bereits als „ bekannt und geläufig “ , halten jedoch am „ Reich “ als Hauptinhalt ausdrücklich fest. 101 3) Bei Paulus wird euvagge,lion zum „ formalen und materialen Zentralbegriff seiner Predigt. “ Er nimmt die entscheidende Verschiebung vor, die Person und Botschaft Christi gleichsetzt. Das Evangelium wird von Paulus als „ Botschaft von dem durch die Propheten verkündeten, durch den Tod und die Auferstehung Christi verwirklichten Heilsratschluß Gottes “ verstanden. Christus selbst, sein Leiden und Sterben, werden zum Inhalt des Evangeliums 102 : „ Euvagge,lion ist im paulinischen Sprachgebrauch sowohl der Inhalt der christlichen Religion als die Verkündigung dieses Inhalts. Sofern es jenes ist, nennt Paulus es euvagge,lion (tou/ ) qeou/ [. . .], sofern es dieses ist, nennt er es euvagge,lion mou [. . .] oder h`mw/ n [. . .] Die Genitive bezeichnen den Autor, im zweiten Fall den Autor, der es in Wort und Predigt wiedergibt. “ 103 Der Genitiv euvagge,lion tou/ Cristou/ hängt mit der starken christologischen Akzentuierung des Begriffs zusammen: „ Christus [. . .] kann als der Inhalt des Worts bezeichnet werden [. . .] Daneben aber hat Paulus auch Christus als Subjekt des Worts vorgestellt. “ 104 Die zweite Weiterentwicklung des Paulus besteht in der Verbindung von Evangelium und Heil (swthri,a): Das Evangelium schenkt Heil für den Einzelnen durch Glauben. Auch dieser Gedanke ist für Harnack bereits in der Reichspredigt Jesu angelegt. 105 4) Lukas dokumentiert die bisherigen Entwicklungsstufen inhaltlich, indem er sie in seinem Geschichtswerk nebeneinander stellt: Jesus als Verkündiger der Reichsbotschaft, die Apostel Petrus und Paulus als Verkündiger Jesu. Allerdings benutzt Lukas aus unbekannten Gründen euvagge,lion nicht. 106 5) Auf einer vorerst letzten Stufe wird euvagge,lion zum Inbegriff der Missionspredigt (z. B. 1Petr). Hier hat es schließlich den vierfachen Sinn als a) Gesamtausdruck für die christliche Verkündigung, b) Botschaft vom gekreu- 100 Vgl. VON HARNACK, Kirchenverfassung, aaO., 234 f. 101 Vgl. VON HARNACK, Kirchenverfassung, aaO., 235; Für Harnack weisen beide Evangelien älteren Sprachgebrauch als Paulus auf; vgl. 236. 102 Vgl. VON HARNACK, Kirchenverfassung, aaO., 235 f. 103 VON HARNACK, Kirchenverfassung, aaO., 214. 104 Vgl. VON HARNACK, Kirchenverfassung, aaO., 217; Zit. 252. 105 Vgl. VON HARNACK, Kirchenverfassung, aaO., 236. 106 Vgl. VON HARNACK, Kirchenverfassung, aaO., 236. 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 37 zigten und auferstandenen Christus, c) „ Evangelische Geschichte “ bzw. literarische Größe „ Evangelium “ als Erzählung von Taten und Worten Jesu und d) „ Wesen und Wirkung der neuen Religion als der Gnaden- und Freiheitsreligion im Unterschied von der alttestamentlichen Stufe des Gesetzes und der Knechtschaft “ . 107 6) Den Durchgang durch die urchristliche Begriffsgeschichte beschließt Harnack mit einem Ausblick auf die - bisher unbearbeiteten - Entwicklungsstufen der späteren Kirchengeschichte des Wortes: Novatian - Augustin - Franz v. Assisi - Luther - Prostestantismus und Reformationskirchen. 108 c) Zusammenfassung Die urchristliche Begriffsgeschichte weist auf zwei Problemkreise der semitischen Ableitung in Bezug auf das paulinische Evangelium hin: 1) Das Verhältnis von Jesus zu Paulus ist problematischer als die Ableitung des Evangeliums aus Deuterojesaja glauben machen möchte. Die inhaltliche Unvereinbarkeit zwischen Gottesreichpredigt und christologischer Botschaft, die Harnack unter dem Stichwort „ doppeltes Evangelium “ verbucht, lässt sich wiederum nur auf dem Weg einer „ ideengeschichtlichen “ Verbindung lösen: So fließt für Harnack die Reichspredigt nur als eine Komponente neben Altem Testament, hellenistischen Einflüssen und paulinischer Theologie in das Evangelium bei Paulus ein, der für die Verbindung von Botschaft und Person Jesu und Evangelium und Heil verantwortlich gemacht wird. Die These von der „ Idee “ , die Jesus mit Deuterojesaja und Paulus mit Jesus verbindet, kann also nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei allen drei genannten nicht um dieselbe Sache, dieselbe Konzeption oder sogar dasselbe Evangelium handelt. Postuliert man mit der semitischen Ableitung die Nähe von Jesu Predigt zu Deuterojesaja, so bleibt für die paulinische Evangeliumskonzeption immer noch die Frage zu klären, welche Rolle die Person des geschichtlichen Jesus in ihr spielt und ob bzw. wie Jesus von Paulus rezipiert wird. 109 2) Die auf Paulus folgende „ Entwicklungsstufe “ , nämlich das Markusevangelium, ist nicht ohne Relevanz für die Frage, was das Evangelium bei Paulus sei. Auf das Evangelium als Gattung, wie es bei Markus begegnet, wird noch 107 Vgl. VON HARNACK, Kirchenverfassung, aaO., 237. 108 Vgl. VON HARNACK, Kirchenverfassung, aaO., 238 f. 109 Die traditionsgeschichtlichen „ Zwischenstufen “ der jüdischen und später griechischsprachigen Gemeinde können bewusst unberücksichtigt bleiben. Für die paulinische Konzeption ist es irrelevant, ob Paulus hinichtlich seiner Christologie auf Vorarbeiten oder eigene Gedanken zurückgreift. 38 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick zurückzukommen sein. 110 Hier soll nur kurz auf zwei grundsätzliche Fragestellungen hingewiesen werden: a) Wenn Weiß Paulus den begrifflichen Rahmen und der Urgemeinde das Traditionsmaterial für das Markusevangelium zuweist, ist erneut die Frage nach dem Verhältnis des paulinischen Evangeliums zur Person Jesu umrissen. Hat Paulus an dem (irdischen) Leben Jesu kein oder wenig Interesse, wenn er keine Quellen dazu verarbeitet? Und welche Folgerungen lassen sich daraus ziehen, dass Markus, der dieses Interesse wohl verfolgt, trotzdem auf paulinische Terminologie zurückgreift? b) Wenn das Markusevangelium als Ersatz für die mündliche Predigt, als Instruktion für den Missionar und sogar als außerchristliche Werbungsschrift gedient haben könnte und darin eine Fortentwicklung des paulinischen Verständnisses bestehen sollte, welche Rückschlüsse ließe das für das paulinische Evangelium zu? Spielt „ Schriftlichkeit “ oder „ Mündlichkeit “ des Evangeliums bei Paulus eine Rolle? Auch wenn die inhaltlichen Parallelen des paulinischen Evangeliums zur Tradition Deuterojesajas durchaus einleuchten, bleiben die methodischen Probleme gravierend. Diese unbefriedigende Sachlage hat A. von Harnack und zahlreiche andere Exegeten dazu veranlasst, andernorts nach den Ursprüngen des neutestamentlichen Evangeliums zu suchen: im römisch-hellenistischen Kontext. 2.3.3 Hellenistische Ableitung a) Referenzmaterial Mit dem Fund der Kalenderinschrift von Priene 1899 wird euvagge,lion erstmals im römisch-hellenistischen Kontext an religiös prominenter Stelle auffällig. Sie dokumentiert die Einführung des julianischen Kalenders in der römischen Provinz Asia durch Kaiser Augustus ca. 9 v. Chr. Er lässt sich durch die Verlegung des Neujahrs- und Magistratsantrittstages auf seinen Geburtstag selbst ehren. 111 Auf die Geburt des Kaisers rekurriert die Inschrift als Ursache der (gegenwärtigen) „ Freudenbotschaften “ = euvagge,lia: 110 Siehe 2.5 Paulus und Markus: Die Gattung Evangelium. 111 Vgl. MOMMSEN,TH./ VON WILAMOWITZ-MOELLENDORF, U., Die Einführung des asianischen Kalenders, in: MDAI, athen. Abt., 24 (1899), 275 - 293; STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 11 f; FRANKEMÖLLE, Evangelium - Begriff und Gattung, aaO., 81 f. 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 39 Z.40: h=rxen de. tw/ i ko,smwi tw/ n di v auvto,n euvangeli,Îwn h` gene,qliojÐ Z.41: tou/ qeou/ 112 „ Die Geburt des Gottes begründet aber dem Kosmos die Freudenbotschaften über ihn. “ Auch wenn die Schreibweise von den neutstamentlichen Belegen abweicht und die Reste der Endung (Akzent auf dem Iota) klar auf eine Pluralform hinweisen, ist - auch aus dem Kontext - trotz der Beschädigung eindeutig das Substantiv ersichtlich. Sein religiöser Charakter wird durch den Zusammenhang mit dem Kaiserkult hergestellt. Andere Inschriften im Kontext des Kaiserkultes und darüber hinaus weisen ebenfalls nur den Plural auf. 113 Auch der griechischsprachigen Literartur einschließlich der Septuaginta sind lediglich die euvagge,lia geläufig. In dieser Form ist das Substantiv terminus technicus für die (militärische) Siegesbotschaft. 114 Der Singular findet sich in der Bedeutung „ Botschaft “ außer bei Josephus erst ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. wieder belegt - in profanem Kontext. Ausnahme ist vielleicht ein Papyrusfragment aus dem 3. Jahrhundert n. Chr., in dem euvagge,lion die Kaiserproklamation des Gaius Julius Verus Maximus bezeichnet. 115 Für das Verb euvaggeli,zomai wiederum lässt sich nicht sicher ein technischer Gebrauch nachweisen, auch wenn es sich hier und da in religiösem Kontext befindet. 116 b) Entwürfe: Von Harnack zur Marxsen A. von Harnack hat sich als erster um die Erarbeitung der Priene-Inschrift im neutestamentlichen Kontext verdient gemacht. Er hat sie in seinem Aufsatz „ Als die Zeit erfüllt war “ 1906 mit euvagge,lion, wie es im NT vorliegt, in Verbindung gebracht. 117 Harnack sieht parallele Entwicklungen in den Religionen, die „ dort und hier dieselben Empfindungen, Erkenntnisse und Ausdrücke hervorgerufen “ 112 Die Inschrift ist zitiert nach VON GAERTRINGEN, H. (Hg.), Inschriften von Priene, Berlin 1906, NR.105, Z.40 f. 113 vgl. z. B. eine Inschrift aus Athen um 209/ 210 n. Chr., die die Erhebung von Lucius Septimius Geta zum Kaiser feiert; Inscriptiones Graecae, Ed. minor Bd. II/ III, Teil 1, Berlin 1916, Nr. 1077, Zeile 5 - 7. 114 Vgl. FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 719. 115 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 186 - 189, bes. 189; FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 719ff; FRANKEMÖLLE, Evangelium - Begriff und Gattung, aaO., 83 f. Das erwähnte Papyrusfragment ist zu finden bei: DEISSMANN, A., Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 1909 2 (orig. 1908), 267. 116 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 183 f; FRIEDRICH, Art. ]euvaggeli,zomai ktl, aaO., 709. 117 Vgl. VON HARNACK, A., Als die Zeit erfüllt war, in: Reden und Aufsätze, Bd. 1, Gießen 1906 2 (orig. 1904), 301 - 306. 40 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick haben. 118 So liegt „ [d]as meiste von dem, was wir sonst noch der Originalität des Christentums zuschrieben, [. . .] längst teils im Judentum, teils in der ernsten religiösen Arbeit der Griechen fertig vor und wurde von der Kraft des Evangeliums einfach in Beschlag genommen. “ 119 Das Christentum hat „ seit dem Ausgang des ersten Jahrhunderts besonders solche Begriffe und Worte bevorzugt, die ihm sowohl von dem Alten Testament als von den Griechen identisch geboten wurden. “ 120 Diese zeitliche Bestimmung deutet bereits an, dass Harnack hier nicht - wie allgemein angenommen - die originäre Herkunft des neutestamentlichen Terminus im Kaiserkult der hellenistischen Kultur sucht, sondern lediglich auf einen Prozess innerhalb der urchristlichen Begriffsgeschichte verweist: Weder bei Paulus noch bei den Evangelisten Markus und Matthäus kann er eine Anknüpfung an den Kaiserkult erkennen. Erst mit der sprachlichen Annäherung der Pastoralbriefe, bei Lukas und v. a. in der Johannes-Offenbarung macht sich für Harnack hellenistischer Einfluss bemerkbar. 121 Obwohl Harnack die Herkunft von euvagge,lion also nicht einseitig hellenistisch bzw. im Kaiserkult verortet, muss seine Arbeit doch als Ausgangspunkt für jene These gesehen werden. Sie hat in der Folge große Wirksamkeit entfaltet. 118 VON HARNACK, A., Der Heiland, in: Reden und Aufsätze, Bd. 1, Gießen 1906 2 (orig. 1904), 307 - 311; 307. 119 VON HARNACK, Als die Zeit erfüllt war, aaO., 306. 120 VON HARNACK, Der Heiland, aaO., 307. 121 VON HARNACK, Als die Zeit erfüllt war, aaO., 305 f; DERS., Der Heiland, aaO., 308; Als Beispiel für so ein Missverständnis Harnacks sei hier auf P.Stuhlmacher verwiesen, der Harnack unterstellt, er sei erst „ von seiner anfänglichen hellenistischen zu einer wesentlich differenzierteren Herleitung durchgestoßen “ ; STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 13. Entgegen der Meinung Stuhlmachers u. a. kann ich nicht feststellen, dass Harnack hier eine Ableitung aus dem Hellenismus präferiert. Er betont ja gerade die doppelte Herkunft neutestamentlicher Begrifflichkeiten aus Judentum und Hellenismus (siehe oben). Im Gegenteil deuten bereits viele Äußerungen auf seine spätere Ableitung aus dem jüdisch-alttestamentlichen Kontext und sein Anliegen einer urchristlichen Begriffsgeschichte wie er sie in „ Kirchenverfassung und Kirchenrecht in den zwei ersten Jahrhunderten “ vorstellt, hin. Die von Stuhlmacher zitierte Äußerung „ Wenn wir nachmals diese Sprache als christliche lesen und heute nur als christliche empfinden, so irren wir uns: sie ist von den Griechen geprägt und zuerst auf den Cäsar Augustus gemünzt worden. Das Christentum hat sie einfach übernommen und auf Jesus Christus übertragen “ (VON HARNACK, Als die Zeit erfüllt war, aaO., 304; vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 12) kann Harnack nicht auf das paulinische Evangelium bezogen haben, wenn er ausführt: „ Paulus hat darum nirgendwo an den Kaiserkult angeknüpft, so verlockend es sein mochte, von ihm auszugehen, sondern an den , unbekannten Gott ‘ . Er hat auch jene religiöse Sprache des Kaiserkultus, so zweckmäßig es scheinen kontte, sie als Gefäß für die Predigt von Jesus Christus zu gebrauchen, noch nicht benützt “ (VON HARNACK, Als die Zeit erfüllt war, aaO., 305). 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 41 Das Fehlen des neutralen Substantivs im Singular in der Septuaginta und ebenso das Fehlen eines technischen Äquivalents in der Sprache des nachbiblischen Judentums und der Rabbinen veranlasst J. Wellhausen zu einer Ableitung aus dem hellenistischen Bereich 122 : In der Inschrift von Priene findet er eine „ gewisse technische und religiöse Bedeutung, die der christlichen nahe kommt “ . 123 Euvagge,lion entstammt also nicht jüdischem oder christlichem Kontext, sondern sei „ von den Griechen entlehnt [. . .] sei es im Wortlaut oder in der Übertragung “ 124 . Allerdings kann er nicht verschweigen, dass auch hier nur die Pluralform euvagge,li,a gebraucht wird und sich der christliche Kontext mit der Rede vom Kaiser als swth,r nicht unmittelbar nahe legt. 125 So kann er diese Annahme nur dem Mangel an Alternativen, dem „ Versagen anderer Anknüpfungspunkte “ , zuschreiben. 126 Weniger zurückhaltend leitet A. Deißmann das neutestamentliche ]euvagge,lion aus dem Hellenismus ab: „ In einer der größten Schöpfungen des griechischen Sprachgeistes hat die christliche Urzeit selbst Sinn und Wesen ihrer Botschaft zum Ausdruck gebracht: durch das Wort euvagge,lion, ,evangelium ‘ . Nicht, als hätten die Apostel dieses Wort als Vokabel neu erfunden. Sie fanden es vor in ihrer Umwelt, in verschiedenartigem Sprachgebrauch; die gleißende Sprache des Cäsarenkultes zeigt die nächste Analogie: von einem euvagge,lion sprach man gern, wenn irgendeine erfreuliche Kunde vom Kaiser oder vom Kaiserhaus in die Provinzen drang. “ 127 Welche Rolle er dem Begriff euvagge,lion im hellenistisch-römischen Kontext beimisst, versucht Deißmann ausgehend von der Priene-Inschrift aufzuzeigen: Noch Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. ist sein 122 Vgl. WELLHAUSEN, J., Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin 1911 2 (orig. 1905), 98; Auch der historische Jesus fällt als Herkunftsangabe des Begriffs aus: „ Daß Jesus selber schon von Evangelium sollte geredet haben, ist unwahrscheinlich “ (99). 123 WELLHAUSEN, Einleitung, aaO., 99. 124 WELLHAUSEN, Einleitung, aaO., 99. 125 WELLHAUSEN, Einleitung, aaO., 99. 126 WELLHAUSEN, Einleitung, aaO., 99; Überraschenderweise sieht Wellhausen die Evangeliumsvergündigung von Jesus und Paulus an anderer Stelle in bewusster Analogie zum alttestamentlichen Prophetentum (v. a. Amos und Jeremia) und fest im Judentum verankert; vgl. WELLHAUSEN, J., Israelitische und Jüdische Geschichte, Berlin 1958 9 (orig. 1894), 359.369. Auch das Evangelium selbst wird von ihm als Heilsbotschaft mit der jesajanischen Verkündigung in Zusammenhang gebracht; vgl. WELLHAUSEN, Einleitung, aaO., 147. Schließlich kann er sich sogar zu der These versteigen, die urchristliche „ Kirche “ sei die Fortsetztung der (aus der Makkabäer-Zeit bekannten) jüdischen Theokratie gewesen; vgl. WELLHAUSEN, Israelitische und Jüdische Geschichte, aaO., 370. 127 DEISSMANN, A., Die Botschaft der Kirche an die Welt: Das Evangelium, in: Die Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung, H. Sasse (Hg.), Berlin 1929, 128 - 136; 130. 42 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick kaiserkultlicher Sprachgebrauch in einem ägyptischen Papyrus nachzuweisen. 128 Als ein neuerer Vertreter der hellenistischen Ableitung ist W. Marxsen zu nennen. Er bestreitet ein Erscheinen im urchristlichen Kontext vor Paulus: „ Vor Markus findet sich der Begriff Euangelion nur im paulinischen Schrifttum. Er stammt aus der Umwelt des hellenistischen Christentums und bedeutet dort , Proklamation einer Heilsbotschaft ‘ , in der nicht nur das Heil angesagt, sondern zugleich das in der Botschaft angesagte Heil gebracht wird. In diesem Sinne verwendet Paulus den Begriff sehr oft und faßt damit - beinahe formelhaft - das in Christus bereitete und durch die Verkündigung dem Hörer gebrachte Heil zusammen. Dasselbe Verständnis findet sich bei Markus “ . 129 Zwar kennt auch Marxsen eine „ doppelte Wurzel “ von euvagge,lion im Alten Testament und im Hellenismus 130 : „ Nimmt man [aber] hinzu, daß aller Wahrscheinlichkeit nach das Substantiv überhaupt erst durch Paulus ins NT gelangt ist, dann wird man die ,gemeinorientalische ‘ Vorstellung, die Evangelium und Kaiserkult verbindet, hier nicht außer Betracht lassen dürfen. Hier ist das Evangelium ein weit verbreiteter und geläufiger Terminus. Paulus kann ihn bei den Lesern seiner Briefe voraussetzen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß er, unter Anlehnung an die Verwendung des Verbums, überhaupt erst euvagge,lion in seiner christlichen Bedeutung geprägt hat “ . 131 Eine besondere Gemeinsamkeit erkennt Marxsen in der mythischen Komponente von Evangelium im Kaiserkult: Dort warten und hoffen die Menschen auf neue euvagge,lia. Bei Paulus ist Christus das Evangelium. „ Damit ist der Mythos auf die Person bezogen und bezeichnet nun als Prädikat das, was diese Person ausmacht. [. . .] Jeder weiß, wer darunter zu verstehen ist. So spielt dieser Begriff in der Urgemeinde - und da wohl vor allem in der Missionspraxis - eine entscheidende Rolle, weil an bekannte Vorstellungen angeknüpft werden kann. Möglich ist, daß er bald zur Formel wird “ . 132 128 Vgl. DEISSMANN, Licht vom Osten, aaO., 276 f. Es handelt sich um den besagten Papyrusausschnitt über die Kaiserproklamation des Gaius Julius Verus Maximus (siehe Anm. 115). 129 MARXSEN, W., Einleitung in das Neue Testament. Eine Einführung in ihre Probleme, Gütersloh 1963, 123. 130 MARXSEN, W., Der Evangelist Markus. Studien zur Redaktionsgeschichte des Evangeliums, Göttingen 1956, 91. 131 MARXSEN, Der Evangelist Markus, aaO., 91. 132 MARXSEN, Der Evangelist Markus, aaO., 91. 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 43 c) Kritik an der hellenistischener Ableitung Natürlich ist eine Reaktion auf die hellenistische Position nicht ausgeblieben. Einige inhaltliche Argumente seien hier kurz angedeutet. G. Friedrich diagnostiziert in Bezug auf den Kaiserkult eine Sehnsucht des antiken Menschen, der „ unter schwerer Schuld “ auf Frieden wartet. 133 Sowohl Kaiserkult als auch neutestamentliches euvagge,lion beziehen sich auf diese Erwartung und antworten in ähnlichen Begrifflichkeiten: „ Das NT spricht die Sprache seiner Zeit. Es ist volksnahe, wirklichkeitsverbundene Verkündigung. “ 134 Jedoch sind Kaiser- und Christus-Evangelium von Friedrich ganz klar inhaltlich unterschieden: „ Casear und Christus, der Kaiser auf dem Thron in Rom und der verachtete Rabbi am Kreuz in Palästina stehen sich gegenüber. Beide sind Evangelium für die Menschen, sie haben manches gemeinsam, und doch sind es zwei verschiedene Welten. “ 135 Der norwegische Theologe R. Asting (1897 - 1936) plädiert mit Hilfe des Phänomens der Eschatologie für eine alttestamentliche Ableitung: „ Der griechische Begriff ist, im Gegensatz zu dem at.lich-jüdischen, mehr der Vergangenheit als der Zukunft zugewandt. Sowohl in dem profanen wie auch in dem religiösen Gebrauch des Wortes ist auf griechischem Boden der vorherrschende Gedanke der, daß die Botschaft von etwas meldet, das schon stattgefunden hat. Das ,Evangelium ‘ ist gleichsam der ,Abglanz ‘ des freudigen Ereignisses. “ 136 Das kaiserkultliche Evangelium hat keine „ schöpferische Kraft “ , seine Wirkungskraft „ beruht voll und ganz darauf, daß es ein Abglanz der Begebenheit ist. “ 137 Demgegenüber ist der Begriff im jüdischen Kontext „ in erster Linie vorwärts gerichtet, eschatologisch und schöpferisch [. . .]: das Evangelium ist auf at.lich-jüdischem Boden die göttliche Botschaft, die Kraft ihrer schöpferischen Art, die neue Zeit, die Heilszeit hervorruft. Es schafft eine neue Wirklichkeit überirdischer, göttlicher Art, eine Wirklichkeit, die etwas ganz anderes ist als die diesseitig-irdische. “ 138 133 Vgl. FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 722. 134 FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 722. 135 FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 722. 136 ASTING, Die Verkündigung des Wortes, aaO., 312 f. 137 ASTING, Die Verkündigung des Wortes, aaO., 313. 138 ASTING, Die Verkündigung des Wortes, aaO., 313; Auch R.Kabisch betont das Evangelium bei Paulus als eschatologischen Heilsbegriff, dessen Zweck und Wirkung sw,zein (swthri,a) ist vor der „ Vernichtung “ (avpw,leia; avpollu,menoi), die Errettung vor der Vergänglichkeit (39 - 41). Durch diese eschatologischen Hoffnung erhält das Evangelium erst seinen Wert (64 f, 70); vgl. KABISCH, R., Die Eschatologie des Paulus. In ihren Zusammenhängen mit dem Gesamtbegriff des Paulinismus, Göttingen 1893. 44 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick d) Zusammenfassung Auch das hellenistische Referenzmaterial bietet euvagge,lion nicht im neutestamentlichen Modus. Der inschriftlich belegte Plural wird nur durch drei Belege bei Josephus im Singular relativiert, dort allerdings ausschließlich im profanen Kontext. Eine religiöse Komponente erhält der Begriff (im Plural) höchstens aus Belegen im Zusammenhang mit dem hellenistischen Herrscherkult, der auf den römischen Kaiser angewendet wird. Die Relevanz des Kaiserkultes für das Neue Testament wird (z. B. für die Apk) erkannt und schließlich auch als Analogie zur euvagge,lion-Begrifflichkeit bestimmt. Dabei ist allerdings zu unterscheiden zwischen der „ gemeinorientalischen Vorstellung “ des hellenistischen Herrscherkultes, auf die sich Paulus oder die hellenistische Gemeinde bezogen haben könnten, und der Sonderform des römischen Kaiserkultes. Hauptargumente für eine solche Ableitung sind die hellenistische Verwendung des Begriffs als „ Proklamation einer Heilsbotschaft “ in der doppelten Funktion, Heil anzusagen und Heil zu bringen, sowie die personale Dimension, ihr Bezug auf den (römischen) Herrscher oder den neutestamentlichen Christus. Zu Recht lassen sich aber auch signifikante inhaltliche Differenzen ausmachen. So sind der Kaiser auf dem Thron und Christus am Kreuz nicht nur zwei völlig gegensätzliche Antworten auf die Heilssehnsucht des Menschen, sondern beide Botschaften selbst auch unterschiedlich definiert: Im Herrscherkult ist das Evangelium auf die Vergangenheit gerichteter Abglanz des freudigen Ereignisses, wohingegen es im Neuen Testament auf Gegenwart und (eschatologische) Zukunft gerichtete Schöpfungsmacht und Heilskraft ist. Auch der hellenistische Kontext bietet also nur bedingt Anknüpfungspunkte für den Ursprung des neutestamentlichen euvagge,lion. 2.3.4 Stuhlmacher und Strecker: Der Abschluss einer Kontroverse Die bisher dargestellten religions- und traditionsgeschichtlichen Ansätze der Forschungsgeschichte werden in den 1970er und 1980er Jahren durch die Kontroverse zwischen P. Stuhlmacher und G. Strecker gebündelt und kommen zu einem gewissen Abschluss. Stuhlmacher, der in seiner Habilitationsschrift 1968 noch einmal die gesamte Forschung zum Thema Revue passieren lässt und in einer großangelegten „ Vorarbeit “ zum eigentlichen paulinischen Evangelium dessen religionsgeschichtliche Wurzeln zu ergründen versucht, wird in dieser Auseinandersetzung zum wichtigsten Exponenten der semitischen Ableitung. Strecker dagegen verteidigt in Auseinandersetzung mit Stuhlmacher die Ursprünge des paulinischen Evangeliums im Kontext des hellenistischen Herrscherkultes nachdrücklich. Beide Positionen sollen im Folgenden noch einmal miteinander ins Gespräch gebracht werden, sowohl 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 45 hinsichtlich der religionsgeschichtlichen Ableitungen, als auch in Bezug auf eine urchristliche Begriffsgeschichte. a) Religionsgeschichtliche Ableitungen Stuhlmacher geht davon aus, dass „ semitische Denk- und Sprachtraditionen “ den Begriff euvagge,lion prägten, die „ in den Bereich des griechisch sprachigen Judentums nachbiblischer Zeit hineinreflektiert haben “ . 139 Im hellenistischen Judentum findet Stuhlmacher Bestätigung für seine These: „ Die Verbindung mit der semitischen Überlieferung ist in der Septuaginta denkbar eng, bei Josephus und Philo dagegen teilweise nur noch sehr lose. In den restlichen, klassischen Zeugnissen des hellenistischen Judentums findet sich unsere Wortgruppe überhaupt nicht. [. . .] Der Schluß ist also unausweichlich, daß das hellenistische Judentum nur indirekt zur Traditionsgeschichte der neutestamentlichen Evangeliumsverkündigung hinzuzurechnen ist. Lediglich die Septuaginta spielt in dieser Traditionsgeschichte eine bedeutsamere Rolle “ . 140 Die Bedeutung der Septuaginta für das Urchristentum liegt für Stuhlmacher in der einheitlichen Darbietung des Wortstammes euvagge,lals Äquivalent für rfb und in der Überlieferung der Traditionen des (prophetischen) Gotteswortes. 141 Gegen diese Verknüpfung mit alttestamentlicher Prophetentradition wendet Strecker treffend ein: „ Zwar handelt es sich hier wie dort um eine eschatologische Heilsbotschaft, aber der politische Hintergrund des alttestamentlichen Textes (Voraussage eines Ereignisses, das für die Geschichte Israels Heil bedeutet, nicht als Prolepse im apokalyptischen Sinn) ist im Neuen Testament nicht vorhanden. Ferner: Eine messianologische Interpretation findet sich in Jes 61 nicht “ . 142 Das im frühen Judentum (Rabbinen; Qumran) zu findende eschatologisch-messianologische Verständnis von rfb lässt Strecker nicht als Vergleichspunkt für das christologisch euvaggeli,zomai gelten: „ Daß den neutestamentlichen Schriftstellern solche jüdische Interpretation des rfbm bekannt war, ist freilich nicht wahrscheinlich zu machen “ . 143 Natürlich bringt Strecker auch das formale Argument in Anschlag: „ Das Substantiv erscheint in der LXX lediglich im Plural [. . .] DerAbstand zum neutestamentlichen euvagge,lion-Begriff ist denkbar groß, um so mehr, als das Substantiv in der LXX, ebenso wie im MT, eine theologische Bedeutung nicht besitzt. “ 144 139 STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 153. 140 STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 177 ff. 141 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 179. 142 STRECKER, G., Das Evangelium Jesu Christi, in: DERS., Jesus Christus in Historie und Theologie, FS H.Conzelmann, Tübingen 1975, 503 - 548, 505. 143 STRECKER, Das Evangelium Jesu Christi, aaO., 506 f. 144 STRECKER, Das Evangelium Jesu Christi, aaO., 505 f. 46 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick Auch in den Kaiserinschriften fehle der technische Singular, wendet Stuhlmacher ein. 145 Doch das sieht Strecker keineswegs als Problem an: Denn Kaiserkult und neutestamentlicher Sprachgebrauch sind nur Ausformungsvarianten der Sprache der hellenistischen Herrscherverehrung. Er bildet die Grundlage, auf der ein „ allgemeines Verstehen “ der euvagge,l-Begrifflichkeiten im griechischsprachigen Bereich des römischen Imperiums möglich wurde. „ Daß das Neue Testament lediglich die singularische Fassung verwendet, charakterisiert die Botschaft vom Christusgeschehen bzw. dieses selbst als ein eschatologisches Ereignis, neben dem andere euvagge,lia in der Umwelt der frühchristlichen Gemeinden keinen Bestand haben. “ 146 Die euvagge,lia des Kaiserkultes sind also nur ein Teil der vielen anderen euvagge,lia, von denen sich die neutestamentlichen Texte durch die singularische Formulierung absetzen. Eine konkrete polemische Frontstellung ist allein in der Johannesapokalypse auszumachen. 147 Die Belege bei Philo und Josephus deutet Strecker als Bestätigung seiner Ableitung, ist doch dort das Objekt von euvaggeli,zomai die Gesundung oder Thronbesteigung des Kaisers, das Verb also hellenistisch-sakral gefüllt. 148 Weiterhin helfen die Belege, die Spur des Kaiserkultes bis in die Abfassungszeit neutestamentlicher Autoren zurückzuverfolgen: „ Ist auch [. . .] für die neutestamentlichen Schriftsteller eine direkte Abkängigkeit von der Sprache und Vorstellungswelt des Kaiserkultes nicht nachzuweisen, so kann andererseits nicht in Abrede gestellt werden, daß der Kaiserkult zur Zeit der Abfassung der neutestamentlichen Schriften eine religionsgeschichtlich wirksame Größe gewesen ist. Zwar sind die entsprechenden Inschriftenbelege weitgehend nach-neutestamentlich [. . .] aber das Zeugnis des Philo und des Josephus beweist die Möglichkeit ein der Einflußnahme auf die euvagge,lion-Begrifflichkeit in neutestamentlicher Zeit. “ 149 Selbst wenn Stuhlmacher hier formal zustimmen könnte, muss er doch inhaltlich einen solchen Bezug in Zweifel ziehen: „ Der amtliche Charakter und die ausschließlich auf irdisches Wohl ausgerichtete Anschauung von der swthri, a trennen das Evangelium des Kaiserkultes von der Christusverkündigung der 145 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 204. 146 STRECKER, Das Evangelium Jesu Christi, aaO., 510 f. 147 Vgl. STRECKER, Das Evangelium Jesu Christi, aaO., 510 f. Hier ist sich Stuhlmacher mit Strecker in Teilen einig: „ Die Übernahme kaiserkultlicher Redeweise hätte für die missionierenden Christen bedeutet, sich einer vorgeprägten Sicht des Heils adaptieren und sogleich in eine akute und explizite Auseinandersetzung mit dem Heilsangebot des Kaiserkultes eintreten zu müssen “ ; STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 204. 148 Vgl. STRECKER, Das Evangelium Jesu Christi, aaO., 508. 149 STRECKER, Das Evangelium Jesu Christi, aaO., 511, Anm. 44. 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 47 neutestamentlichen Zeugen. Deren Verkündigung ist streng apokalytischproleptisch gedacht und verheißt, den Frieden und die swthri,a zu bringen, welche die von der irdischen unterschiedene Welt Gottes durchherrschen sollen, heute aber schon im Evangelium worthaft anwesend sind und wirksam werden “ . 150 b) Urchristliche Begriffsgeschichte Die unterschiedlichen religionsgeschichtlichen Ableitungen können nicht ohne Einfluss auf die jeweilige Konstruktion der urchristlichen Begriffsgeschichte bleiben. Während Stuhlmacher an der Konzeption von Harnack im Wesentlichen festhält, kann Strecker die euvagge,l-Terminologie nicht in eine lückenlose traditionsgeschichtliche Entwicklung einordnen. 151 Scheidepunkt ist der historische Jesus, dem Strecker den Gebrauch von euvagge,lion oder einem hebräischen bzw. aramäischen Äquivalent abspricht und sogar eine inhaltliche Anlehnung an Deutero-Jesaja für unwahrscheinlich hält: Im Gegensatz zu jener Tradition habe Jesus sein Auftreten nach Ausweis der Überlieferung nicht dezidiert politisch verstanden. 152 Stuhlmacher dagegen hält eine Anlehnung an die alttestamentliche, unterminologische Ausdrucksweise von Jes 61,1ff für wahrscheinlich, in dessen Licht sich Jesus mit dem dort erwähnten rfbm identifiziert und seine Verkündigung der Gottesherrschaft als Heilsbotschaft ( hrwfb ) an Jes 52,7 angelehnt hat. 153 In der darauf aufbauenden Begriffsgeschichte sind sich Strecker und Stuhlmacher allerdings weitgend einig. Beide sehen in Paulus bzw. dem hellenistischen Judentum die entscheidende religionsgeschichtlichen Adaptionseinheit: „ Die eigentliche Wurzel der für Paulus maßgeblichen Evangelienterminologie liegt in der zur Heidenmission aufbrechenden hellenistischjudenchristlichen Gemeinde. Sie behält [. . .] die apokalyptische Rahmung des Evangeliums durchaus bei, aber unter neuen christologischen und damit auch eschatologischen Aspekten “ . 154 Die Heidenmission präge mit dem absoluten to. euvagge,lion und den neuen Wortverbindungen euvagge,lion tou/ qeou/ 150 STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 204. 151 STRECKER, Das Evangelium Jesu Christi, aaO., 545. 152 vgl. STRECKER, Das Evangelium Jesu Christi, aaO., 513. 153 STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 243 f; DERS., Zum Thema: Das Evangelium und die Evangelien, in: DERS. (Hg.), Das Evangelium und die Evangelien. Vorträge vom Tübinger Symposium 1982, WUNT 28, Tübingen 1983, 1 - 26. 21; ähnlich DERS., Das paulinische Evangelium, in: DERS., Das Evangelium und die Evangelien, aaO., 157 - 182, bes. 157 f. 154 STRECKER, Das Evangelium Jesu Christi, aaO., 522; STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 287; U. a. gehören zu diesen Aspekten die Ablösung der Menschensohnchristologie durch die Konzeption einer universalen Herrscherwürde Christi als 48 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick und euvagge,lion tou/ Cristou/ eine eigene Terminologie. 155 Der Inhalt des Evangeliums werde (literarisch) verschieden ausgelegt bzw. (traditionsgeschichtlich) akzentuiert und damit „ disparat “ . 156 Ebenso wie die urchristliche Messianologie werde das Evangelium mit verschiedenen christologische Schemata verbunden und bleibe dabei immer „ variabel “ . 157 Die Leistung des Paulus liege schließlich in der grundsätzlichen Reflexion und Interpretation dieses bereits „ eingebürgerten Sprachgebrauchs “ . 158 c) Zusammenfassung Auch die Diskussion zwischen Stuhlmacher und Strecker hat keine wirkliche Entscheidung über die Herkunft des neutestamentlichen Evangelium-Begriffs gebracht. In beiden Traditionskreisen fehlt der religiös profilierte Terminus im Singular. Ist die hellenistische Ableitung hier durch die Belege bei Josephus etwas stärker, so weist ihre inhaltliche Ableitung aus dem Herrscherkult klare Schwächen gegenüber der ideengeschichtlichen Verortung im prophetischen Wortgeschehen bei Deuterojesaja auf. Dass hier politisch-messianologische Vorstellungsgehalte eine Rolle spielen, die im NT so nicht vorkommen, wie Strecker vorbringt, kann man angesichts der politischen Dimension des Herrscherkultes nicht gelten lassen. Auch eine Differenzierung zwischen allgemeinhellenistischem Herrscherkult und römischem Kaiserkult führt hier nicht weiter. Die Schwachpunkte beider Thesen zeigen sich besonders in der Begriffsgeschichte und lassen sich auf die kurze Formel bringen: Jesus ist nicht Paulus (semitisch), und der Kaiser ist nicht Christus (hellenistisch). Die Forschungsalternative bezüglich euvagge,lion endet also an dieser Stelle in einer Aporie. Dass die religionsgeschichtliche Rückfrage nicht nur hinsichtlich ihrer Ergebnisse, sondern auch hinsichtlich ihrer Methodik der begriffsgeschichtlichen Analyse unbefriedigend bleibt, hat nach über einem halben Jahrhundert ihrer Dominanz auch die neutestamentliche Forschung erkannt und sich neuen Herangehensweisen zugewandt. Kyrios und die damit einhergehende Aufsprengung des „ partikularistischen “ Rahmens zu einem „ universalistischen “ , die Heiden ins Heil miteinbeziehenden Entwurf (286 f ). 155 Vgl. STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 287 f; Es gelingt nach Stuhlmacher nicht den absoluten Begriff to. euvagge,lion auf den Sprachgebrauch der judenchristlichen Urgemeinde zurückzuführen (108). 156 STRECKER, Das Evangelium Jesu Christi, aaO., 546. 157 Vgl. STRECKER, Das Evangelium Jesu Christi, aaO., 523; STUHLMACHER, Das paulinische Evangelium, aaO., 288. 158 STUHLMACHER, Zum Thema: Das Evangelium und die Evangelien, aaO., 22; vgl. DERS., Das paulinische Evangelium, aaO., 289. 2.3 Die religionsgeschichtliche Rückfrage 49 2.4 Synchrone und diachrone Exegese 2.4.1 Paradigmenwechsel: Von der Begriffsgeschichte zum (Kon-)Text In den 1960er Jahren kommt es mit dem sog. „ liguistic turn “ zu einem Paradigmen-Wechsel in der neutestamentlichen Exegese, der sich auch auf die Evangelium-Forschung auswirkt. Die Linguistik fragt nach dem Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit. 159 Damit stellt sie zunächst eine klare Definitionen für die Konzepte auf, die in der Exegese bis dahin stillschweigend vorausgesetzt werden: Begriff und Bedeutung. Der Sprachwissenschaftler T.Lewandowski definiert Begriffe als „ Wissenseinheiten “ , die Übersicht und Ordnung schaffen, „ indem sie einzelnen Objekten Gemeinsames (aufgrund gemeinsamer Merkmale) in Klassen zusammenfassen “ und „ in Erscheinungen, die in der Zeit wechseln, generalisierend und subsummierend das zusammen[fassen], was in allen Stadien gleich bleibt “ . 160 Ein Begriff ist also eine Ordnungskategorie, die das Gemeinsame verschiedener Sachverhalte oder eines Sachverhalts zu verschiedenen Zeiten auf den Punkt bringt. Er markiert eindeutig einen Bereich innerhalb eines logischen (sprachlichen) Systems. Daher besteht ein Begriff nicht nur aus einem „ sprachlichen Ausdruck “ (Kamlah/ Lorenzen: der Begriff als Abstraktion von der Lautgestalt), sondern auch aus einem „ Regelsystem zu seinem Gebrauch “ (Cassirer), welches seine Position innerhalb dieses Systems angibt. 161 Ein Begriff bleibt aber in gewisser Weise auch eine künstliche Angelegenheit, „ Definitionssache “ . Denn welchen Ort innerhalb eines sprachlichen Systems, welche inhaltliche Füllung, also im Grunde welche Bedeutung ein Begriff erhält, beruht auf sprachlicher Konvention. 162 159 Vgl. BECKER, E.-M., Art. Neutstamentliche Wissenschaft, in: DIES./ HILLER,D. (Hgg.), Handbuch Evangelische Theologie. Ein enzyklopädischer Zugang, Tübingen/ Basel 2006, 87 - 156; bes. 107. 160 LEWANDOWSKI, T., Art. Begriff, in: DERS., Linguistisches Wörterbuch, 3 Bde., Heidelberg 1994 6 , Bd. 1, 165 - 167; 165; vgl. STOLZENBERG , J., Art. Begriff, in: RGG 4 1, 1214 f, 1214. 161 LEWANDOWSKI, Art. Begriff, aaO., 165 f; An dieser Stelle ist auf die von F. de Saussure gemachte Differenzierung „ menschlicher Rede “ (langage) in „ Sprache “ (langue) und „ Sprechen “ (parole) zu verweisen. Unter Sprache versteht Saussure ein einheitliches „ System von Zeichen “ , deren „ Assoziationen durch kollektive Übereinstimmung anerkannt sind “ , wohingegen das Sprechen je nach Mensch verschiedenartig ist. In ihm „ ruht der Keim aller Veränderung “ (18; 117); vgl. SAUSSURE, F. d./ BALLY, C., Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin 2001 3 , 16ff; 117 ff. 162 Vgl. BERGER, K., Exegese des Neuen Testaments. Neue Wege vom Text zur Auslegung, Heidelberg/ Wiesbaden 1991 3 , 137 f. 50 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick Bedeutung resultiert textlinguistisch „ aus dem Bezug einer wahrnehmbaren Zeichenform auf einen nicht unmittelbar wahrnehmbaren Inhalt “ . 163 Die Bedeutung eines Begriffs können also alle implizit und explizit mit ihm verbundenen Inhalte bilden. Nachdem ein Begriff aber durch seine Eindeutigkeit definiert ist, sind die Inhalte nicht beliebig, sondern begrenzt. Eindeutigkeit erhält ein Begriff aber nur innerhalb eines bestimmten sprachlichen Kontextes, in dem man sich auf eine bzw. mehrere bestimmte Beutung(en) geeinigt hat. Unterschieden werden kann zwischen Denotation ( „ situationsunabhängige Systembedeutung “ , begrenzend) und Konnotation ( „ die im Kontext der Äußerung jeweils aktualisierte Zusatzbedeutung “ , ergänzend). 164 Hier führt die rein begriffsgeschichtliche Analyse allerdings zu einem Problem, das K.Berger so zusammenfasst: „ Man kann und muß nicht die verschiedenen Bedeutungen, die ein Wort zu verschiedenen Zeiten gehabt hat, für ein und denselben Kontext diskutieren oder sie gar in ihn hineintragen. Und man kann dabei insbesondere nicht diese verschiedenen Bedeutungen von anderen Wortbedeutungen abgrenzen, die ihrerseits verschiedenen Querschnitten der Geschichte angehören [. . .] Der lexikalische Vergleich gestattet lediglich die Ermittlung eines Bedeutungskerns und die Konstatierung von Bedeutungsveränderung “ . 165 Die Methodik der religionsgeschichtlichen Begriffsanalyse, wie sie z. B. im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament (ThWNT) vorliegt, ist das Summieren von Bedeutungsgehalten neutestamentlicher Lexeme durch Vergleich mit deren Verwendung in ähnlichen außerneutestamentlichen Kontexten. Aus deren historischer Entwicklung (Begriffsgeschichte) wird die Bedeutung des Begriffs ermittelt. Die Summe der Bedeutungen seiner Begriffe konstruiert die Bedeutung eines Textes. Dieses Vorgehen setzt sich jedoch „ beharrlich über die linguistischen Tatbestände, wie sie im Sprachgebrauch der hebräischen und griechischen Bibel offenbar werden “ , hinweg. 166 163 WARNKE, I., Art. Bedeutung VI, in: LBH, 71 f; 71. 164 WARNKE, Art. Bedeutung, aaO., 71; vgl. LEWANDOWSKI, Art. Begriff, aaO., 167; KUNDERT, U., Art. Bedeutung V, in: LBH, 70 f; 70; WISCHMEYER, O., Art. Bedeutung II, in: LBH, 68; DRONSCH, K., Bedeutung als Grundbegriff neutestamentlicher Wissenschaft. Texttheoretische und semiotische Entwuerfe zur Kritik der Semantik dargelegt anhand einer Analyse zu akuein in Mk 4, Tübingen 2010, 47 - 49; 422 - 425. 165 BERGER, Exegese, aaO., 140 f. 166 BARR, J., Bibelexegese und moderne Semantik. Theologische und liguistische Methode in der Bibelwissenschaft. Übers. aus dem Engl. (Orig.: The Semantics of Biblical Language, 1961), München 1965, 7. Dieses Zitat J.Barrs, der die Problematik als erster Theologe erkannte und in aller Schärfe im englischsprachigen Raum eine Stimme verlieh, deutet bereits die Intensität der Auseinandersetzung an, die nahezu ein Jahrzehnt die Exegese dominierte und bis heute andauert. V. a. das ThWNT wird von Barr kritisiert als „ durchgehende linguistische Mißkonzeption “ (261) und „ linguistische Phantasiererei “ , 2.4 Synchrone und diachrone Exegese 51 Denn Bedeutung entsteht in der Perspektive der Linguistik durch den Gebrauch von Lexemen in einer bestimmten Sprachgemeinschaft und den darin gültigen Konventionen. Dort konstituieren sich, wie K.Berger ausführt, „ individuelle Bedeutungsabweichung[en] “ , eine Kontextualität, die „ quer zu den Sätzen liegt “ und die semantisch organisiert ist, das sog. „ semantische Feld “ . 167 Das semantische Feld ist ein „ Wortgeflecht “ , ein „ abgegrenzbare[r] Bereich, in dem sich mehrere zusammengehörige Elemente finden [. . .][,] mehr oder weniger konventionelle Wortverbindungen “ . 168 Im Falle des Evangeliums dürften darunter die paulinischen Brieftexte zu verstehen sein. Das semantische Feld entspricht der Sprachkonvention, die sich natürlich auch geschichtlich manifestiert: „ Welche Wörter als zusammengehörig [. . .] betrachtet werden dürfen, entscheidet sich nicht nach unserem Sprachgefühl oder nach unseren inhaltlichen Maßstäben, sondern allein nach dem faktische Vorkommen “ . 169 Dieses faktische Vorkommen gibt Aufschluss über die jeweiligen Sprachkonventionen, die „ durch verschiedene Texte und Situationen hindurch relativ konstant bleiben “ . 170 Insofern liegt jedem Kontext auch ein Element zu Grunde, das der historisch-diachronen Untersuchung bedarf. 171 Gegen eine grundsätzliche Vernachlässigung des eigentlichen Kontextes eines Lexems wendet sich allerdings eine neue, von der Linguistik geprägte Exegese. Sie sieht die Hypothese, dass die Bedeutung bzw. der semantische Gehalt eines Lexems durch einen Vergleich mit anderen Textstellen gewonnen werden kann, deren Kontexte nicht unbedingt äquivalent sind, und die selektive Wahrnehmung von Begriffen unter weitgehender Missachtung des Textes und seiner Pragmatik kritisch. 172 Es geht nun nicht mehr allein um die Beobachtung der Bedeutungsveränderung von Wörtern über einen längeren Zeitraum hinweg oder gar um eine Ableitung der Bedeutung aus der Etymologie, sondern um die Analyse des vorhandenen Sprachmaterials zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einem bestimmten Verwen-dungskontext. 173 In Abgrenzung zu einer bishedie eine ignorante und selektive Wahrnehmung der (Kon-)Texte und deren Instrumentalisierung für die eigene wissenschaftliche These praktiziere (50). 167 BERGER, Exegese, aaO., 137 f. 168 BERGER, Exegese, aaO., 138. 169 BERGER, Exegese, aaO., 137 f. 170 BERGER, Exegese, aaO., 141. 171 Die neutestamentliche Literatur hat zahlreiche (zeitgenössische) Sprachkonventionen aufgenommen, um- oder neugeprägt. Durch Innovation, also Enttäuschung des Erwartungshorizontes des Rezipienten, wird Aufmerksamkeit erregt und zur Nachfrage gereizt. Andererseits können „ traditionelle Felder die Assoziationsbasis für Neuerungen “ sein - wie vielleicht im Fall des paulinischen euvagge,lion; BERGER, Exegese, aaO., 140. 172 Vgl. SCHOLZ, S., Art. Begriff/ Begriffsgeschichte, in: LBH, 73 f; 73 173 Vgl. KEDAR, B., Biblische Semantik. Eine Einführung, Stuttgart 1981, 43. 52 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick rigen begriffsgeschichtlichen, also „ diachronen “ Exegese, nennt sich diese Methodik nun „ synchron “ , also am konkreten Text und seinem sprachlichen Gebrauch orientiert. 174 Von der neutestamentlichen Wissenschaft wird dieser Ansatz in den 1970er Jahren zügig rezipiert und die „ synchrone “ Textanalyse neben der historisch-diachronen in den Methodenkanon integriert. 175 2.4.2 Neuanfang statt Stillstand: Konsequenzen in der Forschung zu eeuuv v aaggggee, , lliioonn In der Forschung zu euvagge,lion setzt sich die neue Methode erst Ende der 1980er Jahre mit H. Frankemölles Forschungsbericht durch. Natürlich wurde der paulinische Text auch vor dem „ liguistic turn “ ernst genommen. Welcher Stellenwert ihm aber letztendlich zukam, illustriert die Arbeit Stuhlmachers überdeutlich: Von etwa 300 Seiten entfallen nur 44 auf eine „ Exegetische Problemskizze “ , die sich vorwiegend mit einer Belegstelle (Gal 1 und 2) auseinandersetzt. Scheint sich die Forschung zu euvagge,lion nach den begriffsgeschichtlichen Arbeiten von Schniewind, Friedrich und Stuhlmacher erschöpft zu haben und kaum noch neue Erkenntnisse zutage zu fördern, weist Frankemölle darauf hin, dass diese „ einseitig methodischen Ansätze “ bisher wenig oder gar nichts zum Verstehen z. B. der literarischen Gattung beigetragen haben. 176 „ [O]hne die Berechtigung einer diachronischen Fragestellung zu leugnen “ 177 , formuliert Frankemölle drei grundsätzliche Einwände, die das Anliegen einer von der Linguistik geprägten Exegese noch einmal bündeln: 1) Gegen ein „ übersteigertes traditionsgeschichtlich-diachron orientiertes Sprachmodell “ bringt er den Kontext als eigentlichen Sinnträger in Anschlag. 178 2) Die traditionsgeschichtliche Begriffs-Exegese „ impliziert [. . .] stillschweigend, daß dem jeweiligen Autor einer neutestamentlichen Schrift die nur 174 Die methodische Unterscheidung von synchroner und diachroner Sprachanalyse geht auf Ferdinand de Saussure zurück; vgl. SAUSSURE/ BALLY, Grundfragen, aaO., 93 ff. 175 Wie stark das Interesse an linguistischer Methodik war, dokumentieren die vielen in den 1970ern gegründeten linguistisch-theologischen Zeitschriften, von denen nur „ Linguistica Biblica “ und „ Forum Theologiae Linguisticae “ als Beispiele genannt seien. Zum Überblick, wie die Exegese linguistische Methoden integrierte, sei auf Eggers Methodenlehre zum Neuen Testament verwiesen: EGGER, W./ WICK, P., Methodenlehre zum Neuen Testament. Biblische Texte selbständig auslegen, Freiburg i. B. 2011 6 . 176 FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 19. 177 FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 26. 178 FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 20ff: Zit.20. 2.4 Synchrone und diachrone Exegese 53 irgendwie mögliche globale Traditionsgeschichte präsent war und er sich mit ihr auseinandergesetzt hatte [. . .] Nicht was irgendwo in irgendwelchen Texten aus irgendwelcher Zeit an Begriffen, Vorstellungen und festen Wendungen belegt ist, ist für die Intention des Autors maßgebend, sondern nur das, was er an vorgegeben Stoffen und Traditionen (tradita) in einer aktuellen traditio tatsächlich rezipiert und weitertradiert hat. “ 179 Nicht jeder mögliche zeitgenössische Kontext, von dem wir heute noch wissen, ist für die Bedeutungserschließung relevant, sondern nur der tatsächliche Kontext. 3) „ Geht man vom kommunikativen Handlungsmodell bei Texten aus, wonach der gedruckte Text nur der Potenz nach vorhanden ist und er erst in der Rezeption durch den Leser lebendig wird, dann müßte das traditionsgeschichtliche Forschungsmodell durch ein Lesemodell ersetzt werden. Der Text wäre also nicht primär vom Sprecher/ Schreiber, sondern vom Hörer/ Leser her zu betrachten. “ 180 Dieser „ Leserperspektive “ korrespondiert eine „ rezeptionsorientierte Auslegung “ . 181 2.4.3 Neue Antworten auf alte Fragen Aufgrund dieser Einsichten schätzt Frankemölle die religionsgeschichtliche Rückfrage als unergiebig und in letzter Konsequenz sogar als irrelevant ein: „ Eine lückenlose Traditionsgeschichte des Begriffs ,Evangelium ‘ läßt sich weder für den biblisch-jüdischen noch für den griechischen Sprachraum nachweisen, so unumstritten eine innerneutestamentliche Traditionsgeschichte (vorpaulinische und vormarkinische Verwendung) zu belegen ist. Wessen Traditionen älter sind und ob sie sich eventuell auf die gleichen Traditionskreise zurückführen lassen, bleibt eine offene Frage. Die Chrarkterisierung dieser Traditionskreise als hellenistisch-judenchristlich oder hellenistisch-heidenchristlich läßt für die konkrete Sprachgruppe noch ein breites geographisches und zeitliches Spektrum offen. Belege aus den aramäisch sprechenden, palästinisch-judenchristlichen Gemeinden fehlen. Rückübersetzungen sind eo ipso hypothetisch. “ . 182 Die geringe Anzahl einschlägiger Belege dokumentiert, dass der Kaiserkult nur „ ein Ausschnitt aus der allgemeinen hellenistischen Verwendung des Wortes “ ist und es ist davon auszugehen, dass „ Paulus, dessen Muttersprache Griechisch war, [. . .] zu dieser Wortfamilie ganz bestimmt nicht nur die Septuaginta-Semantik des Verbs assoziiert [hat] “ . 183 Mit dieser Beobachtung 179 FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 23. 180 FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 23 f. 181 FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 24 f. 182 FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 251. 183 WOLTER, M., Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 53. 54 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick M.Wolters geht eine Abwendung von der Suche nach religionsgeschichtlichen Parallelen zugunsten der Hervorhebung der Einzigartigkeit des christlichen Sprachgebrauches einher: „ Es reicht darum völlig aus, die allgemeine Verwendung von euvagge,lion im Sinne von ,gute Nachricht ‘ oder ,Frohbotschaft ‘ als Grundlage für die paulinische Verwendung vorauszusetzen. [. . .] Der Inhalt dieser guten Nachricht und die Besonderheit der paulinischen Verwendung des Begriffs ,Evangelium ‘ lassen sich sowieso nicht aus dem Sprachgebrauch der Umwelt ableiten. “ 184 2.4.4 Paulus als Rezipient und Interpret Im Zuge des Paradigmen-Wechsels wird Paulus erstmals nicht nur als Rezipient, sondern auch als Interpret seiner Traditionen näher wahrgenommen, so z. B. bei O.Michel. Für ihn übernimmt Paulus das Evangelium nicht einfach aus der ihm überlieferten Tradition, sondern leitet es auch maßgeblich aus dem Damaskuserlebnis, der Begegnung mit dem Auferstandenen, als „ Ausgangspunkt und „ normierender Zielsetzung “ seiner Theologie ab. 185 DieVerkündigung des Paulus versteht Michel als „ selbstständige Reflexion u[nd] kritische Neuformung in konkreten Entscheidungen seines Lebens u[nd] Wirkens “ . 186 Michel erkennt also einerseits die Kontinuität zur jesuanischen Botschaft über den Umweg der Tradition an. Andererseits betont er die interpretatorische Freiheit des Paulus bei der Applikation des Evangeliums in der konkreten Situation, die sich direkt durch die Christuserscheinung legitimiert: „ Durch Paulus bekommt der Begriff des E[vangeliums] einen kritischen, durchreflektierten Zug, ohne allerdings abstrakt u[nd] spekulativ zu werden. Im Gegenteil, auch die paulinische Verkündigung ist im strengsten Sinn geschichtlich, d. h. in eine bestimmte Situation hineingesprochen u[nd] von ihr bestimmt. “ 187 Auf der Basis dieser Reflexion kann Paulus neue Wege gehen bei der Auslegung des Evangeliums als Botschaft für die Völker und bei der Interpretation der Tradition, v. a. des Alten Testamentes, das er „ im Lichte seines Evangeliums “ deutet. 188 184 WOLTER, Paulus, aaO., 53 f. 185 MICHEL, Art. Evangelium, aaO., 1116. 186 MICHEL, Art. Evangelium, aaO., 1116. 187 MICHEL, Art. Evangelium, aaO., 1119. 188 Vgl. MICHEL, Art. Evangelium, aaO., 1117; „ [D]ie Apostel haben nach Kreuz u[nd] Ostern in veränderter Situation die Sache Jesu wie in einer Mischna neu darzustellen “ (1116); In Auseinandersetzung mit Gegnern verwendet Paulus „ Anschauungen, Begriffe und Bilder, die aus dem Bereich älterer Traditionen stammen, aber dialogisch bei Paulus immer wieder neue u[nd] verschiedene Gestalt bekommen “ (1118). 2.4 Synchrone und diachrone Exegese 55 2.4.5 Zusammenfassung Die Linguistik hat die neutestamentliche Wissenschaft gelehrt, dass Begriffe „ gemacht “ werden und ständig in Entwicklung sind. Ein Begriff ist nicht einfach eine konstante sprachliche Größe, deren Bedeutungen durch verschiedene Zeiten und sprachliche Gemeinschaften eruierbar sind. Es handelt sich zwar um eine Ordnungskategorie, die innerhalb eines sprachlichen Systems (semantisches Feld, z. B. Text-Corpus) eine eindeutige Bedeutung hat. Doch wird diese Bedeutung jeweils durch die Sprachkonvention einer bestimmten Sprachgemeinschaft definiert, und zwar in Abgrenzung oder Anschluss an bereits bestehende Bedeutungsgehalte des Lexems oder auch in völliger Neufüllung. Die für das paulinische Evangelium relevante Sprachgemeinschaft sind die Adressatengemeinden seiner Briefe, er selbst und seine Mitarbeiter. Das relevante semantische Feld wird durch den Autor Paulus definiert und ist in den sieben echten Paulusbriefen dokumentiert. 189 Allein aus diesen Texten ist sprachwissenschaftlich gesehen auf die Sprachkonvention zu schließen, die das paulinische Evangelium prägte. Sie lässt sich aus der Art und den Kontexten der Verwendung des Lexems, aus dessen Kombination mit anderen Begriffen durch Paulus, erschließen. Zu unterscheiden ist, ob es sich um eine Sprachkonvention des Paulus (innerhalb seiner Sprache uns seines Denkens) oder um eine gemeinsame Sprachkonvention von Autor und Lesern handelt. Letzteres ließe sich durch eine Verwendung von euvagge,lion nachweisen, bei der Paulus bei seinen Lesern offensichtlich auf gemeinsames Wissen um die Bedeutung des Begriffs rekurriert. Die Sprachkonvention wiederum gibt Auskunft über die Bedeutung des Begriffs und dessen Stellung innerhalb des sprachlichen und nicht zuletzt auch des theologischen Systems des Paulus. Die synchrone Analyse macht diachrone, begriffsgeschichtliche Untersuchungen nicht überflüssig. Nur wenn die Bedeutungen von euvagge,lion in anderen Kontexten für einen Vergleich zur Verfügung stehen, kann die spezifische Bedeutung bei Paulus in Abgrenzung oder Analogie dazu untersucht werden. Allein schon für eine angemessene Übersetzung muss man den Blick weiten auf die gesamte altgriechische Sprachgeschichte. Die Begriffsgeschichte hilft weiterhin bei der Entscheidung, ob es sich bei euvagge,lion für Paulus überhaupt um einen klar definierten Begriff im Sinne einer „ Wissenseinheit “ handelt. Nur dann kommt ihm für das theologische Denken des Paulus eine übergeordnete Bedeutung zu. Die Vorarbeiten im Bereich der religionsgeschichtlichen Begriffsanalyse sind hervorragend, wie wir gesehen haben, und bedürfen - solange kein neues 189 Siehe Kap. 3.6.1. 56 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick Quellenmaterial zutage tritt - keiner signifikanten Ergänzung. Die Frage, welchem Traditionskreis Paulus seine euvagge,lion-Terminologie entnommen hat, darf allerdings getrost offen bleiben. Darum fragt die synchrone Analyse, worin sich das paulinische Evangelium von den anderen Begriffen unterscheidet und welche Bedeutungsveränderung bzw. welches Bedeutungsspektrum das Lexems eröffnet. Angesichts dieser methodischen Überlegungen ist es sinnvoll, auch nach Paulus als Rezipient und Interpret seiner Traditionen zu fragen. Hier verbinden sich diachrone und synchrone Aspekte. Einerseits wird untersucht, wie Paulus seine Traditionen verarbeitet und welche dabei wiederum eine besondere Rolle für deren Interpretation besitzen (wie z. B. die Septuaginta). Andererseits wird die selbstständige, in der Person des Paulus begründete Reflexion und Neuformung des Traditionsmaterials und dessen situationsbedingte Auslegung erarbeitet: Inwiefern ist z. B. das Damaskuserlebnis ein Katalysator für eine bestimmte Interpretationsweise des euvagge,lion? Oder wie verändert sich die paulinische Konzeption von euvagge,lion durch die Reaktionen der paulinischen Gemeinden? 2.5 Paulus und Markus: Das Evangelium als Gattung Nicht nur die „ Vorgeschichte “ des paulinischen Evangeliums ist für mein Thema aufschlussreich, sondern auch dessen „ Rezeptionsgeschichte “ . Es ist ein bemerkenswertes Phänomen, dass in der unmittelbar auf Paulus folgenden Generation euvagge,lion zu einem Schlüsselbegriff innerhalb eines christlichen Erzählwerkes zu Leben und Sterben Jesu von Nazareth wird und kaum ein Jahrhundert später sogar zur Gattungsbezeichnung gleichartiger Jesuserzählungen. Die Forschung ist mit der Frage konfrontiert, wie und wann aus einem theologisch bzw. christologisch gefüllten Begriff für eine „ Heilsbotschaft “ bei Paulus die Bezeichnung einer Jesus-Erzählung und damit einer literarischen Gattung bei Markus werden konnte. 190 Natürlich ist für diese Problematik relevant, ob überhaupt eine Verbindung zwischen Markus und Paulus nachweisbar ist. Die Briefe des Paulus sind nach gegenwärtigem Stand der Forschung das älteste uns erhaltene Zeugnis des christlichen Sprachgebrauchs von euvagge,lion. Ob Paulus diesen Gebrauch prägt oder bereits vorhandene Gewohnheiten aufgreift, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Da auch das Markusevangelium euvagge,lion absolut und in einem spezifisch christlichen Sinn gebraucht, ist es naheliegend, darin eine Anknüpfung entweder an Paulus oder an vor-/ nach- 190 Vgl. FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 261. 2.5 Paulus und Markus: Das Evangelium als Gattung 57 paulinischen, urchristlichen Sprachgebrauch zu sehen. In diesem Fall wäre dann das Evangelium bei Paulus und bei Markus in einer überlieferungsgeschichtlichen Linie und damit auch in Abhängigkeit voneinander zu sehen. Ist diese These zutreffend, lassen sich aus dem Sprachgebrauch des Markus, wie er formal und inhaltlich den urchristlichen Sprachgebrauch aufgreift, gewisse Rückschlüsse auf den Begriff bei Paulus ziehen. Das Evangelium als Gattungsbegriff ist schon lange ein Forschungsgegenstand. 191 Gefragt wird nach dem Verhältnis von Markus zu Paulus und damit verbunden nach dem Verhältnis frühchristlicher Jesus-Erzähltradition zu kerygmatischen Credo-Formulierungen. Im Fokus steht also die Stellung des Evangeliums im Spannungsfeld von Narration und Bekenntnis - eine Suche auf der Ebene der innerchristlichen Begriffsgeschichte. 2.5.1 Das Evangelium bei Paulus und die Jesustradition(en) Für einen Vergleich sind zunächst sowohl die formale als auch die inhaltliche Komponente des paulinischen Evangeliums zu untersuchen. 192 Nach M.Hengel versteht Paulus sein Evangelium als „ christologisch-soteriologisch geprägte[r] lehrhafte[r] Botschaft in einem systematisch durchdachten anthropologischen Kontext, der für Paulus in seinen Briefen typisch ist “ . 193 Allerdings gibt es keine verbindlichen Formulierungen, die seinen Inhalt fixieren, sondern nur kurze kerygmatische bzw. bekenntnishafte Wendungen, die variieren und sich nirgends im gesamten Briefcorpus wiederholen. Diese formale „ Heterogenität “ wird nur durch wenige, sich wiederholende, zentrale inhaltliche Elemente begrenzt: „ Christ ’ s suffering and death [,] his suffering ,for us ‘ , his cross, his being raised from the dead (or rising from the dead), his appearances, his coming again in the future. “ 194 Dass die stark verkürzten katechetisch-bekenntnishaften Aussagen, wie sie uns in den paulinischen Briefen z. B. in 1Kor 15,3-5 oder 1Thess 1,9 f begegnen, breiterer Erläuterung bedurften, wenn sie für den Hörer verstehbar sein sollten, ist für Hengel unzweifelhaft: „ Diese kerygmatischen Formeln bilden gerade 191 Vgl. die Evangelienforschung I. I.Griesbachs (1776), G. E. Lessings (1778) und C. Weisses (1856); vgl. FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 61. 192 Dass dies der eigentliche Gegenstand unserer Arbeit ist, soll an dieser Stelle ausgeblendet werden, um sich den Forschungsansätzen, die v. a. auf das Markusevangelium und die gattungsgeschichtliche Frage ausgerichtet sind, zuwenden zu können. So betrachte ich die hier angebotenen Vorschläge zum paulinischen Evangelium als vorläufig. 193 HENGEL, M., Die vier Evangelien und das eine Evangelium von Jesus Christus. Studien zu ihrer Sammlung und Entstehung, WUNT 224, Tübingen 2008, 244. 194 Vgl. KOESTER, Ancient Christian Gospels, aaO., 6 f. Zit.7; vgl. HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 246. 58 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick nicht als frühestes ,Credo ‘ den ursprünglichen Ausgangspunkt der urchristlichen ,Heilsbotschaft ‘ , sondern sind lediglich eine gewiß notwendige bekenntnishafte Abbreviatur des Heilsgeschehens, das bevor es in den paulinischen Missionsgemeinden geglaubt und bekannt werden konnte, erzählt und erklärt werden mußte, damit seine Botschaft für die neu gegründeten Gemeinden überhaupt erst begreifbar und verständlich wurde. “ 195 Paulus muss bei seiner Verkündigung also nicht nur die wenigen, uns in seinen Briefen noch erhaltenen Fakten aufgezählt haben, sondern diese auch in einen Gesamtzusammenhang mit Jesu Leben und natürlich auch mit dem jüdisch-alttestamentlichen Vorstellungshorizont erzählt, erklärt und gedeutet haben. 196 Der Bericht von Sterben und Auferstehen eines jüdischen Messias führte geradezu „ mit innerer Notwendigkeit zur Erzählung seiner Worte und Taten und am Ende zur Evangelienschreibung “ . 197 Denn „ [o]hne Erzählung dieser konkreten, datierbaren und lokalisierbaren Ereignisse “ , ohne Berichte wie die der Evangelien, hätten weder die Hörer des Paulus noch wir heute seine Rede vom ,gekreuzigten Christus ‘ oder dessen Auferstehung verstanden. 198 Für eine solche Explikation lassen die paulinischen Briefe allerdings eindeutige Beweise vermissen. Der Leser erhält kaum Auskunft über den Inhalt der paulinischen Missionspredigt. Nur hier und da gibt es Anspielungen, wie z. B. in 1Thess 1,9 die „ Abkehr von den Götzen hin zu dem wahren Gott “ . 199 Auch wenn Paulus in seinen Briefen kaum darauf eingeht, muss er „ mit den noch unmittelbar lebendigen Grunddaten der Jesusüberlieferung vertraut gewesen sein “ . 200 Dieses Wissen manifestiert sich z. B. in seinem Gebrauch von Herrenworten, die er nach Hengel deutlich vom Evangelium unterscheidet: „ Paulus bezeichnete konkrete Anweisungen und Belehrungen Jesu als Wort ,des Kyrios ‘ , die als ,Gebote ‘ vom ,Evangelium ‘ , der verkündigten ,Heilsbotschaft ‘ , sehr wohl zu unterscheiden sind “ 201 . Auch Koester rechnet mit „ units of 195 HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 247. 196 Vgl. HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 249; vgl. z. B. den Herrenmahlsbericht in 1Kor 11. Am Beispiel des Messiastitels erläutert Hengel die Notwendigkeit der paulinischen Erklärung: „ Schon das Wort Cristo,j war auf einen Menschen bezogen und auch als Eigenname für einen Griechen unverständlich; es mußte erklärt werden. Das war ohne Hinweis auf die Schriften unmöglich “ (251). Wenn Paulus die Messianität Jesu in seinen Briefen nie diskutiert, „ so hängt dies ganz einfach damit zusammen, daß dieses Problem in die Gründungsphase der Gemeinden gehörte, dort ein für allemal positiv beantwortet worden war und in den Briefen nicht mehr zur Debatte stand “ (251). 197 HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 246; vgl. 249. 198 Vgl. HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 247. 199 Vgl. HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 245 f; 250. 200 HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 245. 201 HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 114. 2.5 Paulus und Markus: Das Evangelium als Gattung 59 materials “ , die Paulus - wie später auch die Synoptiker - aus der urchristlichen Überlieferung übernommen und deren Diskussion und Interpretation er sich zueigen gemacht habe. 202 Jene Traditionen, ohne die ein Verkündigen der Passion, des Sterbens und Auferstehens Jesu völlig sinnlos gewesen wäre, verbinden Paulus mit den anderen Aposteln, wie z. B. die Aufzählung der Erscheinungsberichte von 1Kor 15,3ff vermuten lassen. 203 In Anbetracht dieser Indizien scheint es zu einseitig, Paulus auf ein rein kerygmatisches Verständnis des Evangeliums bzw. seiner Verkündigung zu reduzieren und ihn zu charakterisieren, als wäre er „ an der geschichtlichen Wirklichkeit Jesu nicht interessiert “ - so Hengel mit implizit polemischer Spitze gegen Bultmann. 204 G.Theißen kann eine ganze Reihe von Gründen aufzählen, warum Paulus dennoch sehr zurückhaltend mit der Jesustradition umgeht: 1) Biographischer Grund: Paulus hat den irdischen Jesus nicht gekannt. 205 2) Sozialgeschichtlicher Grund: „ Die Worte des irdischen Jesus waren von einer Radikalität, die in seinen Gemeinden fehl am Platz war. [. . .] Paulus orientierte sich mit seinen ethischen Weisungen an den Bedürfnissen der Ortsgemeinden. Das Ethos Jesu ist dagegen von Wanderradikalismus geprägt “ . 206 3) Formgeschichtlicher Grund: Die Briefe haben eine andere Funktion als die Jesusüberlieferung. „ Die Briefe sind [aber] insgesamt im Unterschied zu den Evangelien keine Sammlung kleiner Einheiten, sondern ganzheitliche Entwürfe, in die hin und wieder kleine traditionelle Einheiten aufgenommen worden sind und deren Sprache oft einer schon vorhandenen urchristlichen Sprachtradition folgt “ . 207 4) Theologischer Grund: „ das monotheistische Grundproblem des neuen Glaubens: Jesus war aufgrund der Ostererscheinung als ein göttliches Wesen erlebt worden. Das war im Judentum nur vertretbar, wenn jeder Verdacht ausgeschlossen war, dass sich Jesus selbst diese Position angemaßt hatte. Er durfte sie nur Gottes Handeln verdanken “ . 208 Deshalb konzentrierte sich Paulus auf Kreuz und Auferstehung. 202 Vgl. KOESTER, Ancient Christian Gospels, aaO., 54. 203 Vgl. HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 260 f. 204 Vgl. HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 255. 205 Vgl. THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, Heidelberg 2007, 99. 206 THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments, aaO., 99 f. 207 Vgl. THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments, aaO., 100; Zit. 102 208 THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments, aaO., 100. 60 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick 2.5.2 Markus im Verhältnis zu Paulus Das Verhältnis von Paulus und Markus hinsichtlich des Evangelium-Begriffs wird unterschiedlich eng definiert. Marxsen, Frankemölle und Hengel gehen von einer unterschiedlich engen, aber doch inhaltlichen Abhängigkeit aus und berufen sich dabei auf den „ kerygmatischen Charakter “ des Markusevangeliums. H.Koester hat diese These von der Kerygmastruktur des Markusevangeliums treffend zusammengefasst: „ The thesis of the kerygma structure of the written gospel has received support through the observation that the oldest of the gospels, the Gospel of Mark, is essentially a passion narrative with an extended introduction. Its primary purpose, therefore, was to present a narrative account of the individual topics of the Pauline kerygma which is quoted as ,gospel ‘ in 1 Co 15: 1 - 5 [. . .] One might even find a confirmation for this hypothesis in the observation that the written gospels grew in the same way in which the kerygmatic formulations were expanded. “ 209 Koester selbst (wie z. B. auch Lührmann) betont gegenüber dieser These die Unterschiedlichkeit beider Entwürfe, die sich für ihn v. a. im biographisch-narrativen Charakter des Markusevangeliums und seiner Quellen manifestiert. Paulusbriefe und das Markusevangelium gehören für Koester jeweils sowohl inhaltlich als auch hinsichtlicher ihrer Gattung unterschiedlichen Traditionsströmungen an, die sich kaum wechselseitig beeinflusst haben. Daher betrachten er die Evangeliumbegriffe beider Autoren eher in ihrer Abgrenzung zueinander. 210 a) W.Marxsen: Das Markusevangelium als Kommentar W. Marxsen nimmt erstmals eine grundlegene Verhältnisbestimmung zwischen Paulus und Markus hinsichtlich des Evangeliumsbegriffes vor: „ Sein [=Paulus] Verständnis ist für Markus vorauszusetzen, wenngleich nicht an eine unmittelbare Übernahme gedacht zu werden braucht. Immerhin kehren entscheidende paulinische Gedanken wieder. “ 211 Zwar geht Marxsen davon aus, dass sich im Markusevangelium zwei Traditionsströme kreuzen: der kerygmatisch-anschauliche, wie ihn die späteren Synoptiker repäsentieren, und der begrifflich-theologisch des Paulus. Dennoch rückt er Markus inhaltlich und 209 KOESTER, Ancient Christian Gospels, aaO., 26. 210 KOESTER, Ancient Christian Gospels, aaO., 30; 54. Vgl. auch die neueste Darstellung der Thematik, die den aktuellen Forschungsstand zusammenfasst, jedoch substantiell keinen neuen Ansatz liefert: LINDEMANN, A., Das Evangelium bei Paulus und im Markusevangelium, in: WISCHMEYER, O./ SIM, D. C./ ELMER,I. J. (Hgg.), Paul and Mark, Two Authors at the Beginnings of Christianity, BZNW 198, Berlin/ Boston 2014, 313 - 357; Lindemann wendet sich vor allem gegen eine politische Herleitung des Begriffs. 211 MARXSEN, Der Evangelist Markus, aaO., 98. 2.5 Paulus und Markus: Das Evangelium als Gattung 61 konzeptionell eng an den Apostel heran 212 : „ Beide verstehen unter Evangelium dasselbe; nur spricht Markus aus, was Paulus zwar meint, aber unausgesprochen nur angedeutet läßt. Anders formuliert: Das ,Evangelium ‘ , das Markus schreibt, ist der Kommentar zum Begriff Evangelium, der (meist) unerklärt bei Paulus vorkommt “ . 213 Für beide gilt: „ Im Evangelium ist Jesus gegenwärtig. Das Evangelium ,repräsentiert ‘ ihn. “ 214 Diese personale Dimension hebt Marxsen v.a in Bezug auf die spätere Gattung hervor: „ Zum Evangelium gehört das Motiv der Repräsentation dazu, denn die Verkündigung des Evangeliums bewirkt die Vergegenwärtigung seines Inhalts. “ 215 Bei Markus ist Jesus sowohl Inhalt als auch Bringer des Evangeliums, worin Marxsen eine „ große Ähnlichkeit mit dem Gebrauch des Begriffs bei Paulus “ erkennt. 216 Während euvagge,lion bei Paulus eher „ theologisch gefüllt “ ist, „ ersetzt “ Markus diese Füllung durch das Traditionsgut und bekommt „ auf ganz anderem Wege, dieselbe Aussage “ . 217 „ Markus verbindet Theologie und Tradition “ , was Marxsen als „ Verdichtungsprozess “ bezeichnet. 218 212 MARXSEN, Der Evangelist Markus, aaO., 99. 213 MARXSEN, Der Evangelist Markus, aaO., 92; ähnlich DERS., Einleitung, aaO., 123; vgl. LINDEMANN, Das Evangelium bei Paulus und im Markusevangelium, aaO., 355: Lindemann sieht die Übereinstimmung zwischen Markus und Paulus im gleichen, wörtlichen Verständnis von euvagge,lion als „ die (eine) frohe Botschaft “ . 214 MARXSEN, Einleitung, aaO., 123. 215 MARXSEN, Der Evangelist Markus, aaO., 86. Siehe auch BORNKAMM, G., Art. Evangelien, formgeschichtlich, in: RGG³, Bd. 2, 749 f: G.Bornkamm findet erst bei Markus die Botschaft der Geschichte Jesu zugeordnet, jedoch nicht als Gleichsetzung, sondern als „ interpretierender Leitbegriff “ , der durch das irdische Leben Jesu veranschaulicht wird. Das literarische Evangelium hat also den „ Doppelcharakter “ einer Botschaft und gleichzeitig eines Berichtes, der jedoch von der Absicht des Evangelisten geprägt ist, „ die Überlieferung ganz in den Dienst der Glaubensbotschaft zu stellen “ . Ähnlich wie bei Marxsen geht es auch bei Bornkamm Markus nicht nur um die „ bewahrende Erinnerung an den Irdischen “ , sondern um die „ vergegenwärtigende Verkündigung und Anrede “ ; vgl. auch DERS., Art. Evangelien, synoptische, in: RGG³, Bd. 2, 760. 216 MARXSEN, Der Evangelist Markus, aaO., 90 f; Anders LINDEMANN, Das Evangelium bei Paulus und im Markusevangelium, aaO., 356: „ Anders als in Mk 1,14,wo Jesus selber als Verkündiger des euvagge,lion tou/ qeou/ eingeführt wird, ist bei Paulus die Genitivverbindung euvagge,lion tou/ Cristou/ niemals als gen. auctoris zu verstehen, als wäre Jesus selber Verkündiger des euvagge,lion. Umgekehrt deutet Markus nur in 1,1 indirekt an, dass er selber das Evangelium verkündigt; to. euvagge,lion ist, anders als bei Paulus, imMkEv niemals nomen actionis “ . 217 MARXSEN, Der Evangelist Markus, aaO., 99. 218 MARXSEN, Der Evangelist Markus, aaO., 99; Anders sieht M. Dibelius das Markusevangelium: Es will Darstellung der Heilspredigt, aber nicht selbst Evangelium sein: „ [D] ieses ,Evangelium ‘ ist eine Größe, die in der Hauptsache noch außerhalb des Markusevangeliums liegt und auf die der Evangelist nur gelegentlich verweist “ (264). Dibelius ist überzeugt, „ daß die älteste Leidensgeschichte, soweit sie sich aus dem Markustext erkennen läßt, gar nicht Geschehen im historischen Sinn darstellen will [. . .] Sondern, 62 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick b) H.Frankemölle: Markus als Mischung aus Q und Paulus Markus zeichnet sich durch sein Interesse am irdischen Jesus und dessen gleichzeitiger kerygmatischer Konzeption als Auferstandener und Erhöhter aus. Deshalb steht er für H. Frankemölle zwischen den Konzeptionen von Paulus und Q 219 : „ Markus vertritt, ohne von der einen oder anderen theologischen Entwicklungslinie direkt beeinflußt zu sein, eine mittlere Position, indem er das sprachliche und nichtsprachliche Handeln Jesu für das ,Evangelium Gottes ‘ verbindet mit dem Glauben daran, daß in diesem Jesus von Nazareth der Sohn Gottes, der Messias, der Menschensohn u. a. sich geoffenbart hat - und zwar im irdischen Wirken Jesu. “ 220 Die Abhängigkeit zu Paulus ist also eher mittelbar unter Rückgriff auf gemeinsame Quellen. 221 Demgegenüber unterscheidet sich Markus signifikant und hinsichtlich der Bedeutung, die er dem Leben Jesu für die Offenbarung Gottes zumisst und insofern er sich auf das Handeln Jesu bezieht. c) M.Hengel: Markus als „ petrinische “ Variante zu Paulus M. Hengel führt das Markusevangelium auf eine „ petrinische “ Traditionslinie im Gegenüber zur „ paulinischen “ zurück. 222 Petrus als „ Augenzeuge “ des Lebens Jesu hat dieser Konzeption entsprechend natürlich einen anderen Zugang zu dessen irdischen Wirken: „ Konzentriert sich das paulinische ,Evangelium ‘ auf die Heilsbedeutung von Jesu Tod am Kreuz und seine Auferstehung - das heißt, wie 1.Kor 15,3-8 zeigt, auf ein Geschehen, das ebenfalls erzählt werden mußte - so schließt die petrinisch-markinische Form stärker das ganze heilvolle , messianische ‘ Wirken Jesu in Wort und Tat mit ein “ . 223 Der urchristlichen Missionsverkündigung gab Markus dabei gegenüber der Herrenwort-Tradition - wie sie etwa in Q überliefert ist - den Vorzug und hat sie nur in „ relativ kleiner, sie will [. . .] Heil darstellen, d. h. Erfüllung des göttlichen Willens, wie er im Alten Testament geoffenbart war. Diese Darstellung aber war nur vom Glauben, d. h. vom Osterglauben aus möglich “ (295 f ); Vgl. DIBELIUS, M., Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 1959 3 (orig. 1919). 219 Vgl. FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 161. 220 FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 161. 221 So auch LINDEMANN, Das Evangelium bei Paulus und im Markusevangelium, aaO., 353: „ Dass hier eine deutliche Nähe zu den paulinischen Briefen besteht, ist unübersehbar, aber eine direkte literarische Abhängigkeit lässt sich nicht zeigen “ . 222 Vgl. HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 143; 146; 148ff: „ All diese Zusammenhänge machen es sehr wahrscheinlich, daß der früheste ,Evangelist ‘ , Markus, wirklich, wie der , Alte Johannes ‘ bei Papias bezeugt, Begleiter und Dolmetscher des Petrus war “ (143). „ Daß, wie man im ganzen 2. Jahrundert noch sehr genau wußte, Simon Petrus hinter dem Markusevangelium steht, ergibt sich aber auch deutlich aus diesem selbst, denn er erhält darin eine einzigartige Bedeutung, die man nicht durch den völlig unscharfen und daher unzureichenden Begriff ,Gemeindetradition ‘ erklären kann “ (146). 223 HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 269. 2.5 Paulus und Markus: Das Evangelium als Gattung 63 paradigmatischer Auswahl “ einbezogen (wie auch Paulus! ): „ Ebendeshalb konnte er seiner auf das Heilsgeschehen der Passion Jesu ausgerichteten Erzählung die Bezeichnung euvagge,lion geben. “ 224 Hengel ist also davon überzeugt, dass Markus sein Werk mit der Bezeichnung „ Evangelium “ versehen und dies auch in bewusster Anknüpfung an die von Paulus (und von den Aposteln) verkündigte Heilsbotschaft „ Evangelium “ getan hat. 225 Daher überrascht es nicht, wenn er beide in inhaltlich Nähe zueinander rückt: „ Die synoptischen Evangelien und die Paulusbriefe stehen sich im Verständnis der in ihr enthaltenen rettenden Botschaft von der ,Rechtfertigung des sündigen Menschen vor Gott durch den Kreuzestod des Gottessohnes ‘ trotz aller Unterschiede im einzelnen gerade nicht in einem unversöhnlichen Gegensatz gegenüber “ . 226 d) D.Lührmann/ H.Koester: Markus als Narration D. Lührmann weist auf wichtige Unterschiede zwischen beiden Autoren hin: „ Nun sind aber Verbindungen zu dem, was Paulus als Kerygma aufnimmt und in seiner Theologie entfaltet, merkwürdig selten im Markusevangelium: zu nennen sind hier eigentlich nur Mk 10,45 [. . .] und das Kelchwort der Abendmahlsparadosis Mk 14,22-25 [. . .] als Stellen, an denen expressis verbis die Heilsbedeutung Jesu in seinem Tode liegt [. . .] Auf der anderen Seite geben weder die von Paulus bereits übernommene Bekenntnistradition 1Kor 15,3 b-5 [. . .], noch der ebenfalls vorpaulinische Hymnus Phil 2,6-11 [. . .] das Modell für die Darstellung des Weges Jesu bei Mk her “ . 227 Es findet sich also nicht nur das paulinische Kerygma so nicht bei Markus, sondern auch die Darstellungsweise des Markus hat bei Paulus keine wirkliche Entsprechung. Dem korrespondiert die Beobachtung Lührmanns, dass das markinische euvagge,lion im Gegenüber zum paulinischen nicht als eigenständige, inhaltliche Größe in oder außerhalb 224 HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 114. 225 Vgl. HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 115 f; 159; „ Weil sein Werk ,Biographie ‘ und , Verkündigung ‘ mit paradigmatischen Berichten über Jesu Taten, Lehre und Leiden untrennbar verbindet, kann Markus seine ganze Jesuserzählung vom Auftreten des Täufers bis zur Flucht der Frauen vom leeren Grab als euvagge,lion, ,Heilsbotschaft ‘ im vollen Sinne bezeichnen, das heißt als Glauben wirkender und damit heilschaffender Bericht von Jesu Wirken und stellvertretendem Sterben “ (158). Das Herrenwort läuft nach Hengel noch eine ganze Zeit unabhängig in der Überlieferung parallel und wird schließlich als identisch mit dem geschriebenen Evangelium betrachtet. Zunächst besitzt das „ Abstraktum “ Evangelium allerdings noch nicht die gleiche Autorität wie eine Berufung auf die Person des Kyrios (115). 226 HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 270. 227 LÜHRMANN, D., Biographie des Gerechten als Evangelium. Vorstellungen zu einem Markus-Kommentar, in: WuD 14 (1977), 25 - 50; Zit. 26. 64 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick des Werkes vorhanden ist, sondern als die Verkündigung Jesu mit dem ganzen Markusevangelium identifiziert wird: „ Die christologische Füllung des euvagge,lion geschieht also anders als in der paulinischen Tradition nicht über die Heilsbedeutung des Todes und der Auferweckung Jesu, sondern das Markusevangelium ist euvagge,lion, Verkündigung von Jesus “ . 228 H. Koester wiederum formuliert v. a. zwei Einwände gegen eine Ableitung der Markus-Struktur vom paulinischen Kerygma: a) Die Kirchenväter des 2. Jahrhunderts haben den Charakter des Markusevangeliums nicht als „ kerygmatisch “ empfunden, wie ihre Bezeichnungen „ rules and regulations for the Christian community “ (Didache) oder „ collection of sayings of Jesus “ (2Clem) belegen. 229 b) Die von Markus (und den anderen Evangelisten) benutzten Quellen und Traditionen haben abgesehen von den Passionsgeschichten wenig oder nichts mit dem paulinischen Kerygma von Kreuz und Auferstehung Jesu gemein. So hat auch nicht dieses Kerygma die Struktur des Evangeliums als Gattung geprägt, sondern die davon stark verschiedenen theologischen bzw. sozialen Motive der Versatzstücke wie Aretalogie, Dialog oder weisheitliches Gut. 230 2.5.3 Die Gattungsfrage Im Markusevangeliums verbindet sich der Evangelium-Begriff mit einer von den Paulusbriefen abweichenden literarischen Gattung. Über Charakter und Ursprung dieser Gattung ist lang und intensiv geforscht worden. 231 Es haben sich zwei grundsätzliche Richtungen herauskristallisiert, die entweder das Evangelium als Gattung sui generis begreifen oder es im Kontext anderer antiker Literaturgattungen wie Biographie, Historiographie und jüdisch-apokalyptisches Schrifttum verorten. 232 Im Blick auf unsere Fragestellung ist hierbei weniger die letzgültige Bestimmung der Gattungszugehörigkeit des Markusevangeliums von Bedeutung als dessen Verhältnis zum (paulinischen) Evangeliumsbegriff. Für das Verhältnis von Markus zu Paulus spielt die Gattungsfrage nur eine untergeordnet Rolle. Kann man sie näher bestimmen, so ergeben 228 Vgl. LÜHRMANN, Biographie des Gerechten, aaO., 40 f; Zit.41. 229 Vgl. KOESTER, Ancient Christian Gospels, aaO., 29. 230 Vgl. KOESTER, Ancient Christian Gospels, aaO., 30. 231 Für einen ausführlichen Überblick über die Forschungsgeschichte vgl.: COLLINS, A.Y., Mark. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2007, 19 - 43. 232 Vgl. BECKER,E.-M., Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, Tübingen 2006, WUNT 194, 34. 2.5 Paulus und Markus: Das Evangelium als Gattung 65 sich Rückschlüsse auf die Konzeption des Markus, was wiederum bei einem Vergleich mit Paulus weiterhilft. Weiterhin werden auch formal Bezüge zu Traditionskreisen und -formen aufgezeigt, die offensichtlich mit dem Evangelium als kompatibel empfunden wurden. a) EEuuv v aaggggee, , lliioonn - die Bezeichnung eines Buches Als Schlüsselstelle erweist sich der Anfang des markinischen Werkes 233 : Mk 1,1: VArch. tou/ euvaggeli,ou VIhsou/ Cristou/ Îui`ou/ qeou/ ÐÅ Anfang des Evangeliums Jesu Christi (des Sohnes Gottes). H.Koester hat darauf hingewiesen, dass antike Schriftstücke entweder mit einer formalen Widmung begonnen wurden, die den Zweck des Werks angaben, oder einem Satz, der das erste Thema einleiten sollte. 234 Im Anschluss daran unterscheidet E.-M.Becker verschiedene Funktionen von Mk 1,1, die avrch, signalisieren kann: Entweder Mk 1,1 hat „ globale “ Bedeutung für die ganze Schrift und ist als solche eine Buchüberschrift oder eine Themenangabe. Oder es handelt sich lediglich um eine „ lokale “ Überschrift über Mk 1,1-15 bzw. einen Hinweis auf Abfolge der im folgenden beschriebenen Ereignisse (initium). Natürlich ist auch eine Kombination aus allen vier Möglichkeiten denkbar. 235 Eine solche Kombination weist Becker anhand des avrch,-Begriffs nach. Sie bestimmt ihn zunächst temporal, also als zeitlichen Beginn der Darstellung: „ Für sich betrachtet, hat Mk 1,1 den formelhaften Charakter einer Bucheröffnung. Im Zusammenhang mit V.2 f. gewinnt Mk 1,1 den Charakter einer Themenangabe und der zeitlichen Eröffnung der Ereignisgeschichte: Mk 1,1-3 weisen deutend auf eine im Markus-Evangelium leitende Thematik voraus (Themenangabe). Die eigentliche Darstellung der Ereignisgeschichte setzt mit Mk 1,4 zeitlich ein (zeitliche Eröffnungswendung). Mk 1,1 benennt also den Buchanfang, leitet den zeitlichen Ablauf der Ereignisgeschichte ein und benennt eine mit der Verkündigung des euvagge,lion verbundene zentrale Thematik des Markus-Evangeliums. “ 236 v Arch, wird damit funktional auf euvagge,lion bezogen. 237 Beide Begriffe sieht Becker als „ polyvalent “ an, denn auch das Evangelium stellt 233 Vgl. BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 102. 234 Vgl. KOESTER, Ancient Christian Gospels, aaO., 13 f. 235 Vgl. BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 105; Becker weist auch ausführlich auf verschiedene Probleme bei der Interpretation dieses Verses hin, darunter das textkritisch umstrittene ui`ou/ qeou/ , die Schwierigkeit der grammatikalischen und logischen Zuordnung zu V.2 f und V.4 sowie die Frage, ob Mk 1,1 überhaupt der originale Buchanfang ist (102 f ). 236 BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 110. 237 Vgl. BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 115. 66 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick sich auf mehreren Ebenen dar: Es „ definiert die Geschichtsdarstellung gattungsspezifisch und vollzieht sich zugleich im Gang der Darstellung selbst. “ 238 Es ist umstritten, ob Mk 1,1 das Buch als „ Evangelium “ deklariert (Lührmann) oder ob es nur eine erste Themenangabe des folgenden Abschnittes darstellt (Koester). 239 Wollte Markus sein Werk dezidiert als „ Evangelium “ verstanden wissen und geschah dies auch in Anknüpfung an paulinische oder ähnliche urchristliche Terminologie, so erhält es einen wie auch immer gearteten kerygmatischen, bekennenden und verkündigenden Anspruch. Dieser ist so in anderen, aus der Antike bekannten Gattungen nicht zu finden. Daher hätte Markus also bewusst eine neue Gattung (sui generis) geschaffen. Ist das euvagge, lion in Mk 1,1 jedoch keine plakative Inhaltsangabe des ganzen Buches, so hat sich Markus bei der Schaffung seines Werkes wohl v. a. an anderen Gattungen orientiert, die er nachahmen wollte. „ Evangelium “ wäre dann erst durch spätere Zuschreibung Gattungsbezeichnung geworden. Überraschenderweise haben jedoch die Nachahmer der markinischen Gattung euvagge,lion nicht explizit als Gattungsbegriff übernommen. 240 Geht die Bezeichnung dann letztendlich auf einen unbekannten Redaktor zurück, der die Evangelienüberschriften - deutlich später - ergänzte? 241 In jedem Fall hat Markus durch Einführung des Begriffs euvagge,lion in den Kontext einer „ Jesusbiographie “ die Voraussetzung für diese Entwicklung geschaffen. Markus fügt an verschiedenen Stellen euvagge,lion in die Jesusüberlieferung ein und verleiht ihm dadurch eine Doppelbedeutung: Von einer Bezeichnung der Verkündigung von Jesus (vgl. Röm 1,1 ff ) wird er ausgeweitet auf die Verkündigung durch Jesus: „ Jesu Proklamation des Reiches Gottes ist ,Evangelium ‘ (euvagge,lion). Was Jesus getan und gelehrt hat, ist also für ihn [=Markus] genauso 238 BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 412; In dieser Mehrdeutigkeit von avrch, und euvagge,lion liegt für Becker auch der wirkungsgeschichtliche Erfolg von Mk 1,1 begründet: Er ist grundlegend dafür, „ dass sich der Übergang von einem Geschehensbegriff, einem Deutungsbegriff und einem Buchanfang zu einem literarischen Terminus, dem Genus ,Evangelium ‘ [. . .] sowie dem literarischen Phänomen der Evangelienschreibung in den ersten frühchristlichen Jahrhunderten vollziehen konnte “ (110 f ). 239 Vgl. LÜHRMANN, Biographie des Gerechten, aaO., 43; ähnlich HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 115; KOESTER, Ancient Christian Gospels, aaO., 13 f; ähnlich FRAN- KEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 160 f: Der Begriff euvagge,lion in 1,1 ist keine Kennzeichnung einer literarischen Gattung: „ Erst in der Sprachverwendung der nachneutestamentlichen Literatur [. . .] wurde aus einer offenen, perspektivenreichen Überschrift eindeutig eine literarische Gattung “ . 240 Joh und Lk verzichten vollständig auf euvagge,lion. Die vier Belege bei Mt lassen sich nur mühsam als Anspielungen auf eine Gattung verstehen (am besten noch Mt 26,14). 241 Siehe zu den Evangelienüberschriften: HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 87 ff. 2.5 Paulus und Markus: Das Evangelium als Gattung 67 ,Evangelium ‘ wie das, was Gott in Kreuz und Auferstehung an ihm getan hat. “ 242 Das Evangelium wird von Markus biographisch und narrativ erweitert und jedenfalls in den Rahmen einer neuen (nicht-brieflichen) Gattung gesetzt. Doch selbst wenn das Markus-Evangelium eine neue Gattung sui generis darstellt, hätte es nicht verstanden werden können, wenn es nicht an bewährte Gattung anknüpfen würde. Eine Verhältnisbestimmung zu anderen antiken Literaturformen ist also in jedem Fall lohnenswert. 243 b) Zwischen hellenistischem Bios und alttestamentlicher Prophetenbiographie In der Forschung zum Markusevangelium werden Gattungsanalogien sowohl aus der römisch-hellenistischen als auch aus der alttestamentlich-frühjüdischen Literatur herangezogen. Diese Optionen sind uns schon aus der Begriffsgeschichte zu euvagge,lion bekannt. Wird erstere wieder v. a. formal begründet, stützt sich die letztere wieder v. a. auf inhaltliche Aspekte: „ Die übergreifende Gattung ,Evangelium ‘ läßt sich in ihrer formalen Struktur nur von der in der Antike bekannten Biographie her erklären, während die Art der Darstellung, der Inhalt, das Kerygma, Analogien in biblischen Vorgaben haben “ . 244 Doch sind Form und Inhalt im Markusevangelium nicht einfach voneinander zu trennen, sondern bedingen und gestalten sich gegenseitig: „ Der Bedingungsrahmen wird durch die zeitgenössischen Gattungen gesetzt “ . 245 Die inhaltliche Prägung durch Jesuserzählungen signalisiert, „ daß von Anfang an ein biographisches Interesse am Heilshandeln Jesu von Nazareth bestand und umgekehrt die Auferweckung Jesu ein theologisches Interesse am Leben eines historischen Menschen schuf “ . 246 Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Forschung die antike Biographie als nächste Parallele zur Gattung des Markusevangeliums bestimmt hat - im hellenistischen Kontext die Gattung des Bios, im alttestamentlichen die der Prophetenbiographie. 247 Sie bringt damit 242 THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments, aaO., 88; Für Theißen sind diese Einfügungen an mindestens zwei Stellen (Mk 13,10 und 14,9) Ausdruck der universalen Ausrichtung des Markusevangeliums auf Heiden (87). 243 Vgl. COLLINS, Mark, aaO., 42. 244 FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 258. 245 DORMEYER, D., Evangelium als literarische und theologische Gattung, EdF 263, Darmstadt 1989, 194. 246 DORMEYER, Evangelium als literarische und theologische Gattung, aaO., 194. 247 Zum hellenistischen Bios vgl. DORMEYER, Evangelium als literarische und theologische Gattung, aaO., 58 - 64; DERS., Das Markusevangelium als Idealbiographie von Jesus Christus, dem Nazarener, SBS 43, Stuttgart 2002 2 ; FRANKEMÖLLE, Forschungsbericht, aaO., 259. Zur alttestamentlichen Prophetenbiographie vgl. die Thesen bei LÜHRMANN, Biographie des Gerechten, aaO., 35ff: Lührmann führt die Gattung des Markusevan- 68 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick formal die auffälligste inhaltliche Tatsache bei Markus zum Ausdruck: Leben und Wirken der irdischen Person Jesus von Nazareth werden als bedeutsam erachtet für die bisher euvagge,lion genannte, christliche Heilsbotschaft. G. Theißen hat versucht, den alttestamentlichen wie hellenistischen Aspekten des biographischen Charakters bei Markus Rechnung zu tragen: „ Das Evangelium hat als Muster den antiken Bios. Man erkennt aber noch, dass es von und für Menschen geschrieben ist, denen eine Prophetenschrift vertraut ist. Sein Inhalt ist eine prophetische Botschaft: das ,Evangelium ‘ , dessen Geschichte das MkEv bis auf seinen ,Anfang ‘ zurückführen will. Diese Botschaft ist prophetisch: Sie kündigt das Kommen des Gottesreiches an (Mk 1,14 f). Die Botschaft ist wichtiger als der Prophet. Daher beginnt der Bios erst mit seiner Berufung. Die Anlehnung an einen antiken Bios ist aber darin spürbar, dass die Überlieferung in einen plausiblen chronologischen und geographischen Rahmen geordnet werden und sein Tod aus den Konflikten seines Lebens heraus gedeutet wird. All das fehlt in den Prophetenbüchern. “ 248 Das Markusevangelium ist also kein Prophetenbuch mehr: „ Es ist die Überlieferung von jemandem, der mehr ist als ein Prophet, die in die Form eines Bios umgeschmolzen wurde “ . 249 Theißen erklärt den biographischen Charakter bei Markus also v. a. vom Rezipienten her: „ Während sich die Briefe des Paulus von vornherein an heidnische Gemeinden wandten (aber eben nur an einzelne Gemeinden), wandte sich die Jesusverkündigung an alle Juden, wurde aber in den Evangelien sekundär auf alle Heiden (d. h. auf alle Menschen) ausgeweitet “ . 250 In der jüdisch-hellenistischen Literatur sind nur die Vita des Mose von Philo und die Autobiographie des Josephus zu finden. Auch deren Adressaten sind v. a. Heiden. 251 „ In den Evangelien bedient sich also eine aus dem Judentum stammende Gruppe literarischer Formen, die von Nichtjuden stammen, um Nichtjuden anzusprechen. Eine Tradition, die man ohne großen Erfolg in Analogie zu einem Prophetenbuch [=Logienquelle] zu bearbeiten versucht hatte, wird in einen Bios verwandelt “ . 252 geliums auf die „ Biographie des Gerechten “ als Spezialform der „ Prophetenbiographie “ zurück (35; 38). Mit den alttestamentlichen Propheten verbindet Jesus deren typischstes Kennzeichen, das Leiden „ durch seine Botschaft und auch an seiner Botschaft “ (38). Allerdings ist Christus „ der exemplarisch leidende Gerechte, der von Gott Recht bekommt, und darin liegt sein ,mehr ‘ gegenüber einem Propheten “ (35). 248 THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments, aaO., 84 f. 249 THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments, aaO., 86. 250 THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments, aaO., 87. 251 THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments, aaO., 86 f. 252 THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments, aaO., 90. 2.5 Paulus und Markus: Das Evangelium als Gattung 69 c) Markus als Historiographisches Werk E.-M. Becker ist ausgehend von der hellenistischen Biographie einer anderen Literaturform auf der Spur: „ Die Verwendung biographischer Erzählelemente determiniert nicht notwendig die Zuordnung der Gesamtschrift zur Gattung der Biographie “ . 253 Es sind auch deutliche Unterschiede zu dieser Gattung bei Markus vorzufinden: „ Die Unterschiede zu antiken Biographien, in denen die virtus als ethisch-geprägte Entscheidung und Bewährung vorgestellt wird, bestehen besonders in der fehlenden Bewertung des Charakters und der Erscheinung Jesu “ . 254 Auch kann „ [a]ntike Geschichtsdarstellung [. . .] personenzentriert sein, ohne damit zwangsläufig der Gattung der Biographie anzugehören “ . 255 Vielmehr stellen historiographische Gattungen „ besonders in der hellenistisch-frühkaiserzeitlichen Literatur oftmals Mischformen dar. Dies steht zum einen mit der Verwendung unterschiedlichen Quellenmaterials, zum anderen mit der redaktionellen Schreibintention des Verfassers und dem jeweiligen Adressatenkreis in Zusammenhang “ . 256 Zwar bleibt der Verfasser des Markus-Evangeliums anonym und steht damit „ bleibend und grundsätzlich in der Tradition alttestamtlicher Geschichtsschreibung “ . 257 Jedoch ist das Markusevangelium „ insofern von prophetischen und apokalyptischen Literaturformen kategorial zu unterscheiden, als es prophetisch-apokalyptische Motive als Erzählelemente aufgreift und durch die implizite Bezugnahme auf Zeitgeschichte historisiert “ . 258 Trotz dieser Indizien bleibt für Becker das Markusevangelium allerdings mit den „ bekannten historiographischen Typen und Formen letzlich inkommensurabel, d. h. es stellt einen eigenen Typus von Prä-Historiographie dar “ . 259 Die Leidenstheologie sieht sie als „ negativ-panegyrisches “ Element an, dass den „ große[n] Gegensatz zu den ethischen Zielsetzungen antiker Historiographie “ markiert: „ Diese Umstände sind für die Bestimmung der Evangelien-Literatur als Gattung sui generis konstitutiv “ . 260 Stärker alttestamentlich akzentuiert A.Y.Collins das Markusevangelium als „ Eschatological Historical Monograph “ . 261 Von Mk 1,1 her interpretiert sie das euvagge,lion als „ the good news [is] that the divine plan, foretold in Scripture, is 253 BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 65. 254 BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 411. 255 BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 411. 256 BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 411. 257 BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 412. 258 BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 412. 259 BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 410. 260 BECKER, Das Markus-Evangelium im Rahmen antiker Historiographie, aaO., 412. 261 Vgl. COLLINS, Mark, aaO., 42. 70 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick about to be fulfilled “ 262 . Einerseits wird Jesu Wirksamkeit in Anlehnung an biblische Führer Israels wie Mose oder Elia beschrieben, deren Arbeit er aufnimmt und zur Erfüllung bringt. „ Mark, on the other hand, does imply that there is a divine plan in history that unfolds in stages “ . 263 Dass dieser göttliche Plan im Prozess der Offenbarung ist, zeigt Mk 13. 264 Dieser Gedanke der eschatologischen Erfüllung hat seinen Ursprung in den Prophetenbüchern des Alten Testamentes: „ His [= Markus ’ ] overall conception of history, however, with its notion of a fixed divine plan [. . .] and its incipient periodizations [. . .] is due to the influence of apocalyptic tradition and literature “ . 265 Für Collins ist das Markusevangelium darum beides, jüdisch-apokalyptisch und hellenistischbiographische Geschichtsschreibung: „ It continues Israelite and Jewish literature through the extension of the revitalization movement begun by John and Jesus to the Gentiles [. . .] [and] focuses on the activity of a leading individual [. . .] [ which is] the Jewish messiah, a royal figure whose kingship has been reinterpreted, so that the military aspect is removed and the usual political context is transcended “ . 266 d) Abfassungsgründe Die Verknüpfung einer literarischen Gattung mit der Evangeliums-Begrifflichkeit hat weitreichende Konsequenzen für das frühchristliche Evangeliums- Verständnis: „ Das geschriebene, (vor)gelesene und ausgelegte Wort tritt damit als euvagge,lion neben die bisherige ,viva vox ‘ der Predigt und des Unterrichts: Als gesprochenes Wort und als Schrift ist es ,rettende Botschaft ‘ , auch die Evangelienschrift will missionarisch wirken, ja, sie tut dies durch ihre fixierte und damit bleibende Gestalt besonders nachdrücklich “ . 267 Die Verschriftlichung der Evangeliums-Botschaft hat aber nicht nur Konsequenzen, sondern auch Ursachen. M.Hengel macht einzelne, führende Missionare und Lehrer, die „ apostolische Autorität “ besaßen, für die Abfassung der Evangelien verantwortlich. Sie haben als Autoren maßgeblichen Einfluss auf die Materialzusammenstellung und Ausformung ausgeübt und nicht „ anonyme[n], theologisch kreative[n] Gemeindekollektive “ . 268 Jene „ konventionsfreie Produktivität der 262 COLLINS, Mark, aaO., 42. 263 COLLINS, Mark, aaO., 42. 264 Vgl. COLLINS, Mark, aaO., 43. 265 COLLINS, Mark, aaO., 43. 266 COLLINS, Mark, aaO., 43. 267 HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 164. 268 Vgl. HENGEL, Die vier Evangelien, aaO., 146; Hengel wendet sich damit gegen eine „ rein formgeschichtliche Betrachtungsweise der Jesustradition, die vor allem die kreative Rolle anonymer Gemeinden betont “ und von einer Überlieferung ausgeht, die „ anonym und atomisiert, das heißt zerstückelt in allerkleinste Einheiten “ verlief. Dass er Markus 2.5 Paulus und Markus: Das Evangelium als Gattung 71 Urgemeinde “ betrachtet Dormeyer in Anbetracht der „ Wechselwirkung zwischen atl. und antiker Poetik im Frühjudentum “ eher als „ Konstrukt traditionsgeschichtlicher Hypothesenbildung “ . 269 Die Einzelautoren hingegen könnten das Aussterben der Generation der Augenzeugen des Lebens Jesu als so problematisch für die mündliche Verkündigung empfunden haben, dass sie einen schriftlich fixierten Referenztext schaffen wollten. Ob es sich dabei um einen „ Ersatz für die mündliche Predigt “ , eine Art Anleitung, „ um den jüngeren Gehilfen und Nachfolgern eine deutliche und ausreichende Instruktion für ihre Verkündigung zu geben “ , oder sogar um eine Werbungsschrift für christliche Proselyten handelte, muss offen bleiben. 270 In jedem Fall dokumentiert die Abfassung der Evangelien eine Identifikation von Heilsbotschaft mit der irdischen Geschichte Jesu und deren theologische Ausarbeitung, die sich möglicherweise schon auf Traditionssammlungen als Vorstufen und Vorbilder berufen konnte (z. B. das vorlukanisches Predigtbzw. Erzählschema von Apg 10,36 ff ). 271 2.5.4 Zusammenfassung Wie ist also nun das Verhältnis von Markus zu Paulus hinsichtlich des Evangeliums-Begriffs zu bestimmen? Es ist deutlich geworden, dass eine an den Schlagworten „ kerygmatisch “ und „ biographisch “ orientierte Gegenüberstellung zu schematisch und undifferenziert ist. Zwar fasst Paulus den Inhalt des Evangeliums in bekenntnishaften, inhaltlich sehr kurzen Formulierungen zusammen, die sich v. a. auf Kreuz, Auferstehung und Parusie Christi beziehen. Jedoch ist nicht vorstellbar, dass sich sein Evangeliumsverständnis bei der Verkündigung auf diese „ Abbreviatur des Heilsgeschehens “ (Hengel) reduzierte. Umgekehrt kann gerade bei Markus nicht behauptet werden, sein Interesse richte sich ausschließlich oder in erster Linie auf Leben und Wirken des irdischen Jesus von Nazareth. Das Faktum der Passionsgeschichte und die grundlegende theologische Ausrichtung auf Kreuz und Auferstehung, wie sie sich in der Menschensohnchristologie oder dem sog. Messiasgeheimnis manifestieren, sind sehr wohl Hinweise auf eine „ kerygmatische “ Konzeption des wirklich mit dem Begleiter und Dolmetscher des Petrus identifiziert, und daraus dessen Autorität und die Durchsetzung seines Werkes in späterer Zeit ableitet, sei hier erwähnt, aber nicht weiter diskutiert (vgl. 143 - 147). 269 Vgl. DORMEYER, Evangelium als literarische und theologische Gattung, aaO., 104 f. 270 Vgl. WEISS, Das älteste Evangelium. aaO., 28 f; ähnlich STUHLMACHER, Zum Thema: Das Evangelium und die Evangelien, aaO., 25 f. 271 Vgl. STUHLMACHER, Zum Thema: Das Evangelium und die Evangelien, aaO., 25 f; vgl. hierzu auch den Exkurs zur urchristlichen Begriffsgeschichte. 72 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick Markusevangeliums. 272 So liegen die zentralen Argumente von Lührmann und Koester für die Unterschiedlichkeit auch nicht auf der inhaltlichen, sondern auf der formalen Ebene: Die Darstellungsweise und die Art der verarbeiteten Quellen, kurzum die gesamte Gattung des Markusevangeliums unterscheidet sich fundamental von den paulinischen Bekenntnis-Zusammenfassungen. Das zeigt sich besonders an dem Umgang mit der Herrenwort-Tradition, die bei Markus in das Ganze seiner Erzählung einfließen, bei Paulus aber als Rechtfertigung konkreter Anweisungen und Gebote grundsätzlich von der Heilsbotschaft unterschieden sind. Diese Unterschiede lassen Frankemölles Urteil, es handle sich bei Markus um eine Mischung aus der Spruchquelle Q (hinsichtlich der Verarbeitung der Herrenworte) und Paulus (hinsichtlich der Konzeption als Heilsgeschichte/ Heilsbotschaft), nachvollziehbar erscheinen. Ist das Markusevangelium aber dann als andere Gattung ein Kommentar, eine Explikation dessen, was Paulus meint, aber nicht sagt? Was Marxsen so plakativ formuliert, muss Gegenstand einer anderen Untersuchung sein. Es berührt Fragen nach Selbstverständnis, Gattung und Konzeption des Markusevangeliums, die hier nicht erörtert werden können. Vielmehr soll hier geklärt werden, ob sich das paulinische Evangelium inhaltlich und formal wirklich als „ Heilsbotschaft “ auf jene kurze Wendung bei Paulus reduzieren lässt und welche Stellung es in der theologischen Konzeption des Paulus einnimmt. Das ist ein Anliegen dieser Arbeit. Für die Frage nach dem paulinischen Evangelium bleiben folgende Aspekte wesentlich: a) Formal: Ist im paulinischen Evangelium bereits eine narrativ-geschichtliche Dimension angelegt, wie sie in der späteren Gattung „ Evangelium “ zum Ausdruck kommt? 273 272 Vgl. BREYTENBACH, C., Grundzüge markinischer Gottessohn-Christologie, in: DERS./ Paulsen, H. (Hgg.), Anfänge der Christologie (FS Ferdinand Hahn), Göttingen 1991, 169 - 184; COLLINS, Mark, aaO., 44 - 84; DE JONGE, M., Die christologische Überlieferung bei Markus, in: DERS., Christologie im Kontext. Die Jesusrezeption des Urchristentums, Neukirchen-Vluyn 1995, 39 - 56; MÜLLER, P., Wer ist dieser? Jesus im Markusevangelium. Markus als Erzähler, Verkündiger und Lehrer, BThSt 27, Neukirchen-Vluyn 1995, 80 - 111.139 - 156. 273 Die hinsichtlich Markus angerissenen Fragen nach der Herkunft seiner Gattung sind für mein Thema nur bedingt relevant. Sie sind im Grunde eine Fortführung des oben breit diskutierten Streites um die Verortung des Evangeliums im jüdisch-alttestamtlichen oder römisch-hellenistischen Kontext, der jetzt auf die Herkunft der Gattung ausgeweitet bzw. übertragen wird. 2.5 Paulus und Markus: Das Evangelium als Gattung 73 b) Inhaltlich: Welche Rolle spielt die Person und das irdische Leben des Jesus von Nazareth? In welchem Verhältnis sieht Paulus sie zu Sterben, Auferstehen und Wiederkommen des erhöhten Christus? 2.6 Der sozialgeschichtliche Zugang Die sozialgeschichtliche Exegese geht aus einer Abgrenzung gegenüber der historisch geprägten religionsgeschichtliche Rückfrage zu Beginn des 20. Jahrhunderts hervor und ist gleichzeitig deren Weiterentwicklung. Der Fokussierung auf Theologie und Autor stellt sie die Frage gegenüber, was der Text für die ursprünglich intendierte Leser-/ Hörerschaft bedeutet haben könnte. Die sozialgeschichtliche Exegese widmet sich dazu „ gezielt den sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Faktoren, welche dieWelt der biblischen Texte sowie deren Autoren und Rezipienten maßgeblich prägten, um diese adäquater zu verstehen “ . 274 Vorarbeiten zu diesem Ansatz sind die Erforschung der antiken Volkskultur, der Ausbreitung des Urchristentums oder auch der formgeschichtliche Ansatz vom ,Sitz im Leben ‘ z. B. bei Harnack oder Deißmann. 275 Für die Evangeliumsforschung bedeutet das die Erschließung des Begriffs vom Kontext seiner zeitgenössischen Hörer aus und seine Einordnung in den Gesamtzusammenhang des urchristlichen Soziolekts. Hier hat besonders die USamerikanischen Exegese Ergebnisse vorgelegt. 276 2.6.1 Rekonstruktion und die Chancen von Modellen Es ist auffällig, dass die englisch-sprachige Exegese außerkanonische christliche Literatur wie die Kirchenväter oder gnostische Texte bei der Erfoschung des neutestamentlichen Evangeliumsbegriffs deutlich mehr einbeziehen als z. B. die deutsche Exegese. 277 G. N. Stanton begründet den Nutzen dieser Methodik 274 Vgl. STRECKER, G., Art. Sozialgeschichtliche Auslegung, I. Neutestamentlich, in: LBH, 556 f; Zit. 556; ESLER, P. F., Art. Social-scientific Approaches, in: PORTER, S. E. (Hg.), Dictionary of Biblical Criticism and Interpretation, London/ New York 2008, 337 - 340; 337. 275 Vgl. STRECKER, Art. Sozialgeschichtliche Auslegung, aaO., 556. 276 Die Rezeption des sozialgeschichtlichen Ansatz wurde durch die Dominanz der von der dialektischen Theologie geprägten Exegese unterbrochen und verzögert. Erst seit den 1970er Jahren werden die sozialgeschichtlichen Methoden wieder aufgegriffen und weiterentwickelt. Als wichtigste Vertreter sind hier W.Meeks oder in Deutschland G. Theißen zu nennen; vgl. STRECKER, Art. Sozialgeschichtliche Auslegung, aaO., 556; ESLER, Art. Social-scientific Approaches, aaO., 337 f. 277 Vgl. KOESTER, Ancient Christian Gospel, aaO., 14 - 48; STANTON, Jesus and Gospel, aaO., z. B. 92 ff. 74 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick folgendermaßen: „ In this book I frequently try to build up a cumulative case on the basis of as many stands of evidence as possible. Too much current New Testament research is confined within ever smaller circles. Whenever the pot of familiar questions is stirred repeatedly without the addition of new ingredients, the resulting fare is both bland and predictable. In nearly every chapter I have worked backwards from later, clearer evidence and formulations to earlier, often partly hidden roots. Of course, anachronism lurks at every corner, but disciplined use of this approach can open up sorely needed fresh perspectives. “ 278 Die Begrenztheit der wenigen neutestamentlichen Quellen lassen für Stanton also nur wenig überzeugende und vorhersehbare Ergebnisse zu. Das zwingt in späteren Quellen, die das Bild differenzierter und deutlicher darstellen, nach Hinweisen zu suchen und daraus Rückschlüsse auf neutestamentliche Verhältnisse zu ziehen. Auch wenn Stanton sich der Gefahr einer anachronistischen Rückprojektion bewusst ist, weist seine Methodik auf ein wichtiges Problem der historischen Rekonstruktion hin: ihren hypothetischen Charakter und ihre Modellhaftigkeit. Je weniger Quellenmaterial und eindeutige Informationen zur Verfügung stehen, desto größer bleibt der Spielraum bei deren Interpretation. Prinzipiell stehen dem Wissenschaftler dann zwei Möglichkeiten offen: Man kann die Quellenbasis erweitern, wie Stanton es tut, und dabei Gefahr laufen, Dinge unzulässig miteinander gleichzusetzen. Oder die wenigen vorhandenden Texte werden durch ein interpolierendes Modell möglichst schlüssig und widerspruchsfrei miteinander verbunden. Diese Modellbildung birgt Chancen und Risiken: „ Metaphern und Modelle sind nicht identisch mit dem, wofür sie stehen. Vielmehr heben sie pointiert das hervor, was an dem betreffenden Phänomen für wichtig gehalten wird [. . .] Modelle helfen uns zu verstehen, was das Modellierte verschweigt. Sie sagen uns zwar nicht, was das Modellierte tatsächlich ist, dafür aber, wie es für uns funktioniert, worin seine Besonderheit liegt und wie wir es erleben. “ 279 Ein Modell bietet also die Möglichkeit, Sachverhalte besser zu verstehen und zugespitzt darzustellen. Seine Stärke liegt in seiner Organisationsfunktion: Es ist heuristisches Werkzeug, indem es durch vorläufige Annahmen und Analogieschlüsse zu einem besseren Verständnisses des Sachverhalts beiträgt. Zugleich beschreibt ein Modell allerdings niemals das Ganze in allen seinen Dimensionen und bleibt somit zwangsläufig defizitär. 280 278 STANTON, G. N., Jesus and Gospel, aaO., 6. 279 SCHMIDT, S. J./ ZURSTIEGE, G., Orientierung Kommunikationswissenschaft. Was sie kann, was sie will, Hamburg 2000, 51. 280 Vgl. SCHMIDT/ ZURSTIEGE, Orientierung, 58; ESLER, Art. Social-scientific Approaches, aaO., 338 f. 2.6 Der sozialgeschichtliche Zugang 75 Diese ganz grundsätzlichen Erwägungen stelle ich bewusst in den Kontext der im folgenden vorgestellten sozialgeschichtlichen Exegese, da in ihr die Lektüre neutestamentlicher Texte auf dem Hintergrund von Modellen antiker mediterraner Kultur, wie sie die zeitgenössische Forschung entwirft, gängige Methodik ist. 281 Bei ihren Modellen handelt es sich beispielsweise um „ social scenarios originating in a group-oriented and honor-focused culture, where all goods are thought to exist in limited quantities and patron-client relations are entered into as a way of coping with such features “ . 282 Der Gewinn solcher Modelle liegt in „ fresh readings “ des biblischen Textes, die im Vergleich zu traditioneller Exegese weniger von einem modernen, individualistischen Weltverständnis geprägt sind. Zugrund liegt ihnen die Annahme, „ that the members of any particular culture are socialized to accept its values, structures, and institutions as usual, expected and even normative, so that models based on them will provide a better framework for exploration than the ethnocentric and anachronistic perspectives derived from modern [. . .] culture “ . 283 Die Anwendung von Modellen ermöglicht es also, pointierte Aussagen über einen Gegenstand der Vergangenheit zu treffen, der quellenmäßig nur unzureichend belegt ist. Obwohl es sich um eine defizitäre Hilfskonstruktion zur Abbildung (eines Aspektes) eines Gegenstandes handelt, ist eine bewusste Hypothese im Kontext antiker Kultur einer Exegese, die (unbewusst) moderne Maßstäbe in der Analyse anlegt, vorzuziehen. 2.6.2 Urchristlicher Soziolekt G. N.Stanton geht der Frage nach, wie sich der spezifisch neutestamentliche Wortgebrauch von euvagge,lion erklären lässt. Unter Rückgriff auf die Soziolinguistik stellt er zunächst einen Zusammenhang mit der hellenistischen Alltagssprache her: „ Sociolinguists have observed at first hand the ways religious, political, ethnic, and other social groups develop their own ,insider ‘ -termiology, often by adapting the vocabulary of ,outsiders ‘ . So too in the first century. The first followers of Jesus developed their own ,in-house ‘ language patterns, partly on the basis of Scripture, partly in the light of their distinctive Christian convictions, but partly by way of modifying contemporary ,street ‘ language. “ 284 Er fragt: „ What would have been ringing in the ears of those to whom Paul first proclaimed God ’ s good news, and those who listened to his letters read aloud? “ 281 Vgl. z. B. den aussagekräftigen Titel des Grundlagenwerkes „ The social Construction of Reality “ (1966) von P.Berger und T.Luckmann. 282 ESLER, Art. Social-scientific Approaches, aaO., 339. 283 ESLER, Art. Social-scientific Approaches, aaO., 339. 284 STANTON, Jesus and Gospel, aaO., 2. 76 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick Und antwortet sogleich: „ Not the ,non-religious ‘ usage of the noun in the Greek Bible (and perhaps not even the rich theological use of the verb in Deutero-Isaiah and related passages), but the ,religious ‘ usage of the word group in the imperial cult which pervaded the cities in which Christianity first flourished. “ 285 Doch leitet Stanton den urchristlichen Sprachgebrauch keineswegs monokausal vom Kaiserkult her: „ Wholesale borrowing from the imperial cult is equally implausible, for, as we have seen, Christian use of the noun ,gospel ‘ in the singular is almost without contemporary precedent. Although there are some similarities in terms of concepts and ideology, there are also very significant differences. “ 286 Dagegen ist durchaus auch eine einfache Übernahme aus der alltäglich „ säkularen “ Verwendung des Begriffs in der Bedeutung „ gute Nachricht “ ohne religiöse Konnotation vorstellbar. 287 Viel wichtiger ist für Stanton, wie der Terminus urchristlich gefüllt worden ist. Paulus interpretiert ihn auf dem Hintergrund der Schriften des Alten Testamentes, „ partly in the light of the Biblical usage of the verb, and more particularly on the basis of early Christian convictions concerning God ’ s salvific act through the death and resurrection of Christ. “ 288 In dieser Bedeutung wurde euvagge,lion zu einem „ shorthand term “ und „ identity marker “ des frühen Christentums. Es wurde Teil der christlichen „ inhouse language “ und bildete zusammen mit anderen „ patterns “ den christlichen „ Soziolekt “ . 289 Der Begriff speiste sich im Wesentlichen aus den drei Faktoren Schrift-Interpretation, christliche Überzeugungen und zeitgenössische „ streetlanguage “ 290 : „ Although Christian usage was quite distinctive, it was not incomprehensible to ,outsiders ‘ . For it was of the very essence of the whole semantic field associated with this noun that to. euvagge,lion was open proclamation, open heralding, to Jew and Gentile alike, of God ’ s evangel or Gospel concerning Jesus Christ. “ 291 Die ersten Christusgläubigen haben ihre Sprache nicht neu erfunden: „ If they had done so, obviously evangelism would have been 285 STANTON, Jesus and Gospel, aaO., 35. 286 STANTON, Jesus and Gospel, aaO., 34. 287 Vgl. STANTON, Jesus and Gospel, aaO., 35. 288 Vgl. STANTON, Jesus and Gospel, aaO., 34 f; Zit.35. 289 STANTON, Jesus and Gospel, aaO., 52; 61; Stanton kann diese Entwicklung sogar in den paulinischen Briefen beobachten: „ In Paul ’ s early letters, the Thessalonian correspondence and Galatians, an explanatory phrase is often tacked on to ,the gospel ‘ ; absolute use of the phrase is uncommon. In what is probably Paul ’ s final letter, Philippians, ,the gospel ‘ is nearly always used absolutely. By then there was no need to add explanatory phrases, for ,the gospel ‘ was set in stone as a key building block in a distinctively Christian language pattern “ (51). 290 Vgl. STANTON, Jesus and Gospel, aaO., 52. 291 STANTON, Jesus and Gospel, aaO., 61. 2.6 Der sozialgeschichtliche Zugang 77 impossible. “ 292 Zu der Annahme der verständlichen Sprache der Verkündigung muss für Stanton auch die Verständlichkeit ihres Inhaltes treten: „ [O]ral proclamation of ,Christ crucified and raised ‘ by Paul and his co-workers would hardly have made sense without at least a sketch of the story of Jesus. [. . .] [T] here is a narrative sub-structure to Paul ’ s theology. Nonetheless, the term , gospel ‘ has undergone considerable development between Paul and Mark. “ 293 2.6.3 Erstverkündigung oder Unterweisung Auch J. P.Dickson ist an der Bedeutung von Evangelium für die urchristlichen Hörer interessiert. Er legt dabei die Betonung auf den innerchristlichen Gebrauch als „ Neuigkeit “ bzw. „ neue Nachricht “ (news): „ Against the contentions of a number of NT scholars, the present article aims to demonstrate that the apostle Paul ’ s gospel language never refers to ongoing Christian instruction and only ever connotes announcements which are news to those who hear them. This conclusion [. . .] is shown to conform to the wholly consistent usage of gospel terminology throughout Graeco-Roman, Jewish and early Christian literature: , gospel ‘ is news. “ 294 Die Unterscheidung zwischen Evangelium als Erst-Verkündigung und (darauf erst folgender) gemeindlicher Unterweisung kann Dickson aus dem hellenistischen und dem biblischen Sprachgebrauch ableiten. 295 Aber er kann dazu auch den Gebrauch des Paulus selbst heranziehen: „ There ought to be no difficulty in accepting that Paul chose to crystallise the nature of his vocation in language that properly connoted only the core of that commission, especially since Paul believed the preaching of the gospel to be the foundation stone of a community ’ s existence and the measure of all subsequent , pastoral ‘ teaching “ . 296 2.6.4 Zusammenfassung Die sozialgeschichtliche Exegese lehrt die Bedeutung der Rezipienten des paulinischen euvagge,lion in ihrem sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Umfeld ernst zu nehmen. G. N.Stanton breitet den Sprachgebrauch sowohl nach „ innen “ (innerchristlich), als auch nach „ außen “ (in seiner missionarischen Außenwirkung) aus: 292 STANTON, Jesus and Gospel, aaO., 52. 293 STANTON, Jesus and Gospel, aaO., 53. 294 DICKSON, J. P., Gospel as News: euvaggelfrom Aristophanes to the Apostle Paul, in: NTS 51, Cambridge 2005, 212 - 230; Zit. 212. 295 Vgl. DICKSON, Gospel as News, aaO., 212 ff. 296 DICKSON, Gospel as News, aaO., 221. 78 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick Euvagge,lion wird als „ shorthand term “ und „ identity marker “ in den Lebenszusammenhang der ersten Christen eingeordnet. Auf dem Hintergrund des Alten Testamentes interpretiert und durch urchristliche Überzeugungen (wie Christi Tod und Auferstehung) inhaltlich gefüllt, ist es Bestandteil einer Insider- Terminologie mit identitätsstiftender Funktion. Für das griechischsprachige Umfeld ist euvagge,lion als Begriff der Alltagssprache in der Bedeutung „ gute Nachricht “ gut verständlich. Das macht den Begriff als Missionsterminus anwendbar. Allerdings bedarf auch euvagge,lion einer erklärenden Erläuterung der wichtigsten Begebenheiten aus Jesu Leben ( „ sketch “ ). J. P. Dickson trägt in diesem Zusammenhang den einheitlichen Sprachgebrauch der griechisch-römischen, jüdisch-hellenistischen und frühchristlichen Literatur zusammen, die das Evangelium grundsätzlich als neue Nachricht (news) verstehen. Für den innerchristlichen Gebrauch schließt Dickson auf eine deutliche Differenz zwischen „ neuer “ Erstverkündigung, die als Evangelium bezeichnet wird, und gemeindlicher Unterweisung/ Lehre. Belege dafür findet er im paulinischen Sprachgebrauch, der den Begriff v. a. im Zusammenhang seines Berufungserlebnisses oder von Gemeindegründungen verwendet. Die sozialgeschichtliche Exegese arbeitet mit Modellen, die die mäßige Quellenlage bezüglich bestimmter Sachverhalte aufhellen und vor nicht sachgerechten Vorannahmen schützen können. Wenn ich im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls auf ein Modell zurückgreife, dann immer in dem Bewusstsein, dass das paulinische Evangelium nicht vollständig, sondern nur pointiert in einem Teilbereich abgebildet wird. 2.7 Die „ Politcal Perspective “ 2.7.1 Verbindung von Sozialgeschichte und „ New Perspective “ Die „ politische Perspektive “ auf Paulus beruht auf der These, Paulus stehe - zumindest im Römerbrief - in mehr oder weniger direkter Auseinandersetzung mit dem imperialen Anspruch Roms und des Kaisers. 297 Das römische Imperium wird als die sozio-politisch prägende Kraft der neutestamentlichen Zeit angesehen, mit der Paulus und das entstehende Christentum zwangsläufig konfrontiert sind. 298 R. Horsley fasst die These der „ Political Perspective “ 297 In Anlehnung an die „ New Perspective “ habe ich die Bezeichnung „ Political Perspective “ als Sammelbegriff für jene exegetischen Entwürfe gewählt. 298 Vgl. die SBL-Gruppe „ Paul and Politics “ seit Mitte der 1990er Jahre und die von R.Horsley herausgegeben Aufsatzsammlungen zum Thema: HORSLEY, R. A. (Hg.), Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society, Harrisburg 1997; DERS. (Hg.), Paul and 2.7 Die „ Politcal Perspective “ 79 folgendermaßen zusammen: „ Christianity was a product of empire. In one of the greatest ironies of history, what became the established religion of empire started as an anti-imperial movement. [. . .] While some still read Paul through the lens of Lutheran theology, it is becoming increasingly clear that [. . .] Paul was energetically establishing ekkl ē siai among the nations that were alternatives to official ,assemblies ‘ of cities such as Thessalonica, Philippi, and Corinth [. . .], the principal social divisons of ,this world . . . that is passing away ‘ (1 Cor. 7: 29,31) were overcome in these communities of the nascent alternative society “ . 299 Ein Grundanliegen der Political Perspective ist das Hinterfragen „ klassischer “ Paulusdeutungen. Sie steht selbst in der Tradition der „ New Perspective “ hinsichtlich deren Abgrenzung von der „ alten “ , „ lutherischen “ Perspektive, die das Gesetzesverständnis des Paulus v. a. im Hinblick auf die Ablehnung einer jüdischen „ Werkgerechtigkeit “ verstehen soll. 300 Doch will die Political Perspective Paulus nicht (wie die New Perspective) aus seinem Verhältnis zu Judentum und Bundesnomismus erklären, sondern aus einer politischen Konfrontation mit dem römischen Weltreich: „ Die grundlegende theologische Frontstellung des Paulus sei also nicht in der Diskussion um die bleibende Erwählung Israels und die Geltung der Tora zu sehen, sondern im Gegenüber zum Kaiser und der imperialen Herrschaft und Propaganda. Insofern versteht sich die Frage nach ,Paul and Politics ‘ letztlich als Korrektur der ,New Perspective on Paul ‘ “ . 301 Diese Schwerpunktsetzung verdankt sich der in der Antike unbekannten Trennung von Religion und Politik: „ Kaiserliche Religion und kaiserliche Politik Politics. Ekklesia, Israel, Imperium, Interpretation. Essays in Honor of Krister Stendahl, Harrisburg 2000; DERS., Paul and the Roman Imperial Order, Harrisburg 2004. 299 HORSLEY, Paul and Empire, aaO., 1. 300 Vgl. FREY, J., Das Judentum des Paulus, in: WISCHMEYER, Paulus, aaO., 25 - 65; 55 ff. Die Bezeichnung „ lutherische Perspektive “ ist eine Erfindung der New Perspective, die sich damit eine „ Negativfolie “ für die eigene Position geschaffen hat. Gemeint ist ein Paulusverständnis wie es v. a. von Rudolf Bultmann vertreten worden ist, das von einem negativen Bild des Judentums, einer negativen Anthropologie (im Sinne lutherischer Theologie) und einer individuelle Auffassung des Heils geprägt ist (56). 301 OMERZU, H., Paulus als Politiker? Das paulinische Evangelium zwischen Ekklesia und Imperium Romanum, in: LEHNERT, V. A./ RÜSEN-WEINHOLD, U., Logos - Logik - Lyrik, FS Klaus Haacker, Leipzig 2007, 267 - 287; 271; Vgl. auch ELLIOTT, N., Paul and the Politics of Empire, in: HORSLEY, Paul and Politics, aaO., 17 - 39. und WRIGHT, N. T., Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, in: HORSLEY, Paul and Politics, aaO., 160 - 183: „ In this light, Sanders [und die New Perspective] does not appear to have gone far enough in opposing the Lutheran model of Paul; Paul may not have had as much of a critique of Judaism as Protestant thought had supposed, but he was still to be understood, in Sanders ’ s model, as fundamentally in dialogue with, and hence in a sense over against, the Jewish tradition, whereas he was in fact first and foremost in confrontation with the Roman world “ (163). 80 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick waren untrennbar verbunden; der Kaiserkult hat wesentlich dazu beigetragen, imperiale Machtstrukturen zu etablieren und soziale Kontrolle auszuüben. “ 302 Dass die politische Sphäre massiven Einfluss auf die individuelle und gemeinschaftliche Religion ausübte, ist die notwendige These der Political Perspective, um Paulus überhaupt eine Reaktion darauf unterstellen zu können. Paulus allerdings mehr oder weniger ausschließlich aus seinem Kampf gegen „ Rom “ zu verstehen, hat sogar bei Sympathisanten der Politcal Perspective wie N.T. Wright Skepsis hervorgerufen: „ Just because some people have overdrawn and wrongly highlighted Paul ’ s challenge to his own tradition, that does not mean that he did not challenge it at all. And just because his fundamental target was paganism and empire, and just because he used Jewish-style weapons to attack that target, that again does not mean that he did not challenge his fellow (but non-Christian) Jews. “ 303 2.7.2 Positionen N. Elliott hat sich als wirkungsvollster Exponent der Political Perspective erwiesen. 304 Er möchte Paulus von dem Vorurteil befreien, er sei „ sozial konservativ “ und damit unpolitisch: „ Since Paul anticipated the imminent return of the Messiah and the glorious liberation of the messianic age, we are told, he considered efforts to ameliorate social iniustices a waste of time [. . .] Indeed Paul went further, encouraging conformity to the structures and institutions of Roman society, however unjust, in the interim before the return of Christ “ . 305 Dass Paulus sich für die politischen und sozialen Zustände seiner Zeit grundsätzlich nicht interessiert haben soll, ist nicht nur für Elliott schwer nachzuvollziehen. Es besteht allerdings ein Unterschied zwischen bloßem Interesse mit gelegentlicher Wahrnehmung und sozusagen „ religiös “ motivierter Kritik oder Auseinandersetzung. Eben letzteres findet Elliott v. a. im Römerbrief: „ [F]rom its very first lines, Paul ’ s letter [Röm] burns with the incendiary proclamation of God ’ s justice, and with a searing critique of the injustice (adikia) of those who smother and suppress the truth (1: 17 - 18). The themes that dominate Romans are political topics: the imagination of a global order achieved through the obedience of nations [. . .]; the arrogance and 302 OMERZU, Paulus als Politiker? , aaO., 269. 303 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 163. 304 Mit Liberating Paul (1994) und The Arrogance of Nations (2008; Angaben s. u.) hat Elliott zwei umfangreiche Monographien dem Thema gewidmet, sowie in fast jedem Band der Paul and Politics-Reihe von R.Horsley mindestens einen Aufsatz publiziert. 305 ELLIOTT, N., Liberating Paul. The Justice of God and the Politics of the Apostle, Maryknoll 1994, 181 f. 2.7 Die „ Politcal Perspective “ 81 hypocrisy of wicked rulers who ,suppress the truth ‘ [. . .]; the tension between justice and the pretensions to ,mercy ‘ shown by the conqueror to the vanquished [. . .]; the seviceability of religious values and popular devotion [. . .]; and questions of realism, hope, and the common good “ . 306 Auf verschiedenen Ebenen entdeckt Elliott eine „ religiöse “ Auseinandersetzung des Paulus mit der soziopolitische Realität seiner Zeit: a) Die von Paulus berichteten Verfolgungen und Unterdrückungen müssen auf einer Reaktion der römischen Behörden gegenüber anti-imperialen (und damit politischen) Tendenzen der christlichen Gemeinschaften beruhen 307 : „ We cannot read these exhortations to steadfastness in the face of persecution in purely religious terms, as if they reflected Rome ’ s unenlightened suppression of ,false belief ‘ , for when we should have to explain why the usual Roman practice of tolerance for a variety of religions - extended even to the exclusively monotheistic Jewish faith - should not have applied in this case “ . 308 b) Paulus sei sich sehr wohl sozialer Imbalancen wie der Sklaverei oder des Patronatssystems bewusst und lehne Unterstützung durch letzteres z. B. in Korinth auch bewusst ab. 309 c) Das wichtige Thema der Gerechtigkeit im Röm sei ein direkter Angriff auf das eschatologische „ imperial program “ des Augustus 310 : „ The letter ’ s mes- 306 ELLIOTT, N., The Arrogance of Nations. Reading Romans in the Shadow of the Empire, Minneapolis 2008, 6. 307 Vgl. ELLIOTT, Liberating Paul, aaO., 183: „ Why did Paul so consistently provoke this response if his gospel was as unpolitical as many interpreters suggest? Could the Roman authorities have detected in Paul ’ s words and actions a real threat to the social order? “ . 308 ELLIOTT, Liberating Paul, aaO., 198. 309 Vgl. ELLIOTT, Liberating Paul, aaO., 201 f; vgl. auch DERS., The Arrogance of Nations, aaO.,14. 310 ELLIOTT, Liberating Paul, aaO., 189: „ The message of the Augustan gospel was clear. Justice and peace, the gifts of the gods, were now being made manifest on earth in the order and security emposed by Rome, whose subjects were invited to respond with gratitude, awe, and loyality “ ; vgl. DERS., The Arrogance of Nations, aaO.: Die Ausführungen über den Zorn Gottes in Röm 1 sind auf den Kaiser bezogen: „ Paul intends his hearers to recognize definite allusions to none other than the Caesars themselves. No others could serve Paul ’ s argument so effectively by offering, in their own persons, a fitting lesson on the inevitability with which divine punishment follows horrendous crimes “ (79); „ The specific sequence Paul describes - refusal to honor God; descent into idolatry; sexual debauchery and degradation; unrestrained ruthlessness - seems an almost clinical recital of the conduct of these men. Instead of imputing to Paul a heated, irrational exaggeration as he describes general human sinfulness or an equally stereotyped Judean prejudice regarding the pampant idolatry and immorality of the non-Judean world, we can read every phrase in this passage as an accurate catalog of misdeeds of one or another recent member of the Julio-Claudian dynasty “ (82). 82 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick sage to the Roman congregation is clear: The justice of God is not what the empire calls justice “ . 311 d) Paulus fordere in Röm 13 nicht auf, sich aus dem politischen Bereich zurückzuziehen: „ The ,quietism ‘ Paul encourages is not withdrawal from the sphere of public life [. . .], but withdrawal from the public frenzy of exploitation “ . 312 Ausserdem versuche Paulus dadurch „ simply to keep members of the ekklesia from making trouble in the streets “ , um die jüdische Minderheit vor anti-semitischen Ausschreitungen zu schützen. 313 e) Schließlich führt Elliott die zentrale Stellung des Kreuzes bei Paulus an und dessen unvermeidbar politische Konotation als Terror-Instrument der römischen Besatzer 314 : „ The cross was for Paul the signature in history of the forces that killed Jesus “ (vgl. 1Kor 2,8) 315 . R. Jewett hat der „ Political Perspective “ in seinem Kommentar zum Römerbrief Ausdruck verliehen. 316 Auch er entdeckt Auseinandersetzungen des Paulus mit verschiedenen politischen Themen im Röm 317 : „ It is clear that Paul criticizes and reverses the official system of honor achieved through piety on which the empire after Augustus rested. Paul offers a new approach to mercy, righteous- 311 ELLIOTT, Liberating Paul, aaO., 195. 312 ELLIOTT, Liberating Paul, aaO., 202 f. 313 ELLIOTT, Liberating Paul, aaO., 223: „ A constant current of Anti-Semitism would have led Paul to expect that any popular outcry against exploitive taxes might be deflected onto the most vulnerable population in the city: the Jewish refugees [aus Alexandria, die nach einem Pogrom unter Caligula und Claudius gelfüchtet waren] “ 314 ELLIOTT, N., The Anti-Imperial Message of the Cross, in: HORSLEY, R. A. (Hg.), Paul and Empire. Religion and Power in Roman Imperial Society, Harrisburg 1997, 167 - 183: „ As soon as we recognize the centrality of the cross of Christ for Paul, the common view that Paul was uninterested in political realities should leave us perplexed. The crucifixion of Jesus is, after all, one of the most unequivocally political events recorded in the New Testament [. . .], the brutal fact of the cross as an instrument of imperial terror. If in his theologizing Paul muted or suppressed the politically engineered horror of the cross, then we would have to conclude that Paul himself mystified the death of Jesus, accommodating his ,word of the cross ‘ to the interests of the very regime that had brought about that death “ (167). 315 ELLIOTT, The Anti-Imperial Message of the Cross, aaO., 172. 316 JEWETT, R., Romans. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2007. 317 JEWETT, Romans, aaO., 49: „ Several aspects of the civic cult are reflected in the way the argument of the Epistle to the Romans proceeds. It begins with a description of divine wrath against those who seek to suppress the truth (1: 18) and worship the creature rather than the Creator (1: 25), and it goes on to claim that all humans are liars (3: 4) and none is truely righteous (3: 19 - 10 [sic! ]), all of which comprises the antithesis of official propaganda about Rome ’ s superior piety, justice, and honor. The civic cult is also countered by Paul ’ s depiction of Christ. “ 2.7 Die „ Politcal Perspective “ 83 ness, and piety, one that avoided the propagandistic exploitation of the Roman imperial system “ . 318 Jewett bezieht den Evangeliums-Begriff explizit in dieseThematik mit ein. Der Konflikt erwächst aus der Frage „ which gospel has the power to make the world truly peaceful “ . 319 Paulus präsentiert sich als Botschafter des Evangeliums als der „ Kraft Gottes “ (Röm 1,16 f). 320 Sie stellt das Wertesystem des Kaiserreiches auf den Kopf: „ Thus the triumph of divine righteousness through the gospel of Christ crucified and resurrected is achieved by transforming the system in which shame and honor are dispensed “ . 321 Gegen den politisch-religiösen Kontext erhebt Paulus das Evangelium zu einer Größe, die Heil stiftet durch Glauben 322 : „ Evangelical persuasion rather than political or military power is thus the means whereby the salvation of the world is now occuring “ . 323 2.7.3 Einwände gegen die Political Perspective Kritisch infrage gestellt wird die „ politische Perspektive “ von H. Omerzu. Sie warnt vor einer „ erneute[n] Engführung, Paulus nahezu ausschließlich vom Widerstand gegen das römische Imperium geleitet zu sehen. Denn so wird lediglich das Judentum in seiner Position als hauptsächliche theologische Herausforderung des Paulus abgelöst “ . 324 Zwar war Paulus - so Omerzu - tatsächlich politisch nicht desinteressiert: „ Das Kreuz ist gerade im 1.Korintherbrief weit mehr als ein theologisches Symbol; es veranschaulicht die Souveränität Gottes gegenüber menschlicher Weisheit, indem es ausgerechnet denjenigen zum ,Herrn der Herrlichkeit ‘ erhebt, der nach irdischem Ermessen als politischer Anführer stirbt. “ 325 Jedoch gerade im 1Kor stellen die enthusiastischen Tendenzen der Gemeinde ein viel größeres Problem dar als der Kaiserkult: „ Rom kommt als konkurrierende Macht der Gemeinde in den Blick, aber nicht als Bedrohung und nicht als einziger Gegner. Deshalb ist sicher das Imperium als eine Front zu sehen, mit der Paulus sich in seinem Tun und Denken 318 JEWETT, Romans, aaO., 48: 319 JEWETT, Romans, aaO., 49. 320 Vgl. JEWETT, Romans, aaO., 138. 321 JEWETT, Romans, aaO., 139; „ It is the inclusive gospel of Christ that equalizes the status of Greeks and barbarians, wise and uneducated, Jews and Gentiles, which now offer new relationships in communal settings to all on precisely the same terms “ (142). 322 Vgl. JEWETT, Romans, aaO., 139; „ Paul claims that God ’ s power for salvation exercices its transforming lordship over every group that respondes in faith to the gospel of Christ crucified “ (140 f ). 323 JEWETT, Romans, aaO., 141. 324 OMERZU, Paulus als Politiker? , aaO., 285. 325 OMERZU, Paulus als Politiker? , aaO., 285. 84 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick auseinandersetzen muss. Es wird allerdings kaum die einzige Größe gewesen sein, die seine Theologie nachhaltig beeinflusst hat. “ 326 Dafür spricht auch, dass die politischen Äußerungen des Paulus immer Bestandteil seines Herrschaftsdiskurses bleiben und er zum Teil selbst „ hierarische Vorstellungen in die Ekklesia einträgt “ (z. B. 1Kor 14,34-36). 327 Auch die „ historisch wenig plausible, monokausale Bestimmung des paulinischen Apostolats “ findet Omerzu nicht einleuchtend: „ Konkret weisen seine Texte selbst darauf hin, dass er sein Evangelium sowohl in Aufnahme und Abgrenzung zu Juden als auch zu den Heiden zur Sprache bringt (1Kor 1,23) “ . 328 Das Verhältnis zu Politik und Staat sieht Omerzu bei Paulus stark apokalyptisch geprägt: „ Paulus setzt also voraus, dass mit dem Beginn des göttlichen Gerichts und dem Anbruch der Endzeit auch der Untergang Roms hereingebrochen ist, ohne dies explizit zu erwähnen. Der deutlich apokalyptische Hintergrund muss deshalb nicht als bewusste anti-imperialistische Frontstellung gegenüber Rom bewertet werden “ . 329 Vielmehr orientiere sich Paulus in politischer Hinsicht an der aristotelischen Maxime: „ Wo es nötig ist und nützlich [für das Wohl der Ekklesia], grenzt er sich vom römischen Imperium ab oder parodiert dessen Machtstrukturen - Rom ist aber nicht sein Hauptgegner. “ 330 Grundsätzlich problematisch findet Omerzu die Übertragung eines modernen Politikverständnis auf antike Verhältnisse: „ Aristoteles etwa sah es als Ideal der Politik an, das gute Leben der Bürger in einem Gemeinwesen zu verwirklichen. Demgegenüber wird der Begriff im Gefolge Machiavellis heute meist nicht mit einer normativen Ausrichtung verbunden, sondern lediglich als Kunst des Erwerbs oder Erhalts von Macht definiert. “ 331 Eben jener moderne Politik-Begriff liege aber zum Teil der Political Perspective zugrunde: „ Die Frage, ob Paulus also Politiker war, hängt demnach sehr vom Politikverständnis des Interpreten oder der Interpretin ab “ . 332 Die Kritik Omerzus und anderer ist nicht ohne Wirkung geblieben. In seinen früheren Schriften bezeichnete Elliot die politische Einstellung des Paulus (v. a. im Röm) noch als „ frontal attack on the false peace of the empire “ und „ ideological intifada “ . 333 Sein jüngstes Buch zum Thema ist demgegenüber von 326 OMERZU, Paulus als Politiker? , aaO., 286. 327 Vgl. OMERZU, Paulus als Politiker? , aaO., 285. 328 OMERZU, Paulus als Politiker? , aaO., 285. 329 OMERZU, Paulus als Politiker? , aaO., 284. 330 OMERZU, Paulus als Politiker? , aaO., 286. 331 OMERZU, Paulus als Politiker? , aaO., 268. 332 OMERZU, Paulus als Politiker? , aaO., 286. 333 ELLIOTT, Liberating Paul, aaO., 190. 2.7 Die „ Politcal Perspective “ 85 wesentlich größerer Zurückhaltung geprägt: „ Paul issued no call to arms against Rome; he rallied no rebel garrison “ . 334 Elliot relativiert: Kaiser und Rom seien nicht Gegenstand einer umfangreichen, systematischen Kritik, sondern nur prägender Bestandteil der Umwelt des Paulus (und seiner Gemeinden), mit der er sich auseinandersetzt: „ [H]is goal is to lay a claim on the allegiance of his listeners with which the rival claims of empire inevitably interfered. It is not just that his argumentation is occasionally oblique. Paul ’ s own thinking and rhetoric also was shaped by the ideoligical constraints of his age. “ 335 Schließlich nimmt Elliott seine eigeneThese so weit zurück, dass sie sich nahezu selbst atomisiert: „ I do not mean to suggest that although Paul thought he was speaking theologically in his letter, he was really, though unwittingly, speaking politically. We need not impose a crude dichotomy between theological or political interpretation, or arbitrarily assign primacy to one or the other “ . 336 2.7.4 N. T. Wright: Die „ finely balanced agenda ” des Paulus N.T. Wright stellt die Political Perspective auf Paulus auf eine solide Basis, indem er die Einwände Omerzus aufgreift. Er versucht Paulus zwischen beiden Polen, dem Judentum als Anliegen der New Perspective, und dem Römischen Reich als Anliegen der Politcal Perspective, zu verorten: „ [Paul] was opposed to paganism in all its shapes and forms; not [. . .] with a dualistic opposition that could recognize nothing good in non-Jewish or non-Christian humans and their ways of life “ . 337 Als Jude kritisiert Paulus das Judentum: „ [T]hose who refused to join this remodeled people [= Christen] were missing out on God ’ s eschatological purpose. “ 338 Und ebenfalls als Jude steht er in kritischer Haltung zum römischen Kaiser und dessen Anspruch: „ Paul was announcing that Jesus was the true King of Israel and hence the true Lord of the world at exactly the time in history, and over exactly the geographical spread, where the Roman emperor was being proclaimed, in what styled itself a ,gospel ‘ , in very similar terms. The mainstream Jewish monotheistic critique of paganism, of all its idolatry and immorality, found in Paul ’ s day a more focused target and in Paul ’ s theology a sharper weapon. “ 339 Einerseits bewegt sich Paulus mit seiner in dem Alleinverehrungsanspruch Gottes begründeten, ablehnenden Haltung ganz auf jüdischer Linie: „ Paul, in other words, was not opposed to Caesar ’ s empire 334 ELLIOTT, The Arrogance of Nations, aaO.,12. 335 ELLIOTT, The Arrogance of Nations, aaO.,15. 336 ELLIOTT, The Arrogance of Nations, aaO.,23. 337 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 164. 338 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 182. 339 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 169 f; vgl. 181. 86 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick primarily because it was an empire, with all the unpleasant things we have learned to associate with that word, but because it was Caesar ’ s, and because Caesar was claiming divine status and honors which belonged only to the one God [. . .] his political sensibilities were driven by his theological ones, not vice versa “ . 340 Andererseits entspringt auch hier das spezifisch christliche Konzept der Christologie frühjüdischer Eschatologie: „ Paul ’ s opposition to Caesar and adherence to a very high, very Jewish Christology were part of the same thing. Jesus was Lord - kyrios, with all its Septuagintal overtones - and Caesar was not. “ 341 Diese gemeinsame „ Front “ von jüdischer und christlicher Überzeugung gegenüber kaiserlichen Ansprüchen zeigt sich für Wright besonders deutlich am Begriff „ Evangelium “ . Paulus muss die Doppelbedeutung des Wortes mit all seinen politischen Implikationen bewusst gewesen sein: „ [T]he word gospel carries two sets of resonances for Paul. On the one hand, the context within which the word is used indicates that for Paul the gospel he preached was the fulfillment of the message of Isaiah 40 and 52, the message of comfort for Israel and of hope for the whole world, because YHWH, the god of Israel, was at last returning to Zion to judge and redeem. On the other hand, again and again the context into which Paul was speaking was one where gospel would mean the celebration of accession, or birth, of a king or emperor “ . 342 Das Evangelium ist für Paulus die Verkündigung des gekreuzigten und auferstandenen Jesus von Nazareth als Messias von Israel und Herr der Welt, es ist „ God ’ s triumph in Christ over all the principalities and powers. “ 343 Und gerade als solches ist es jüdisch und politisch: „ It is, in other words, the thoroughly Jewish (and indeed Isaianic) message that challenges the royal and imperial messages abroad in Paul ’ s world. It is not difficult to see how this ,gospel ‘ functions for Paul. Theologically, it belongs completely with Isaiah ’ s ringing monotheistic affirmations [. . .] Politically, it cannot but have been heard as a summons to allegiance to ,another king ‘ [. . .] Practically, this means that Paul, in announcing the gospel, was more like a royal herald than a religious preacher or theological teacher. “ 344 Die politische Brisanz erhält das Evangelium also aus der Behauptung „ Christus ist Kyrios (Herr) “ , dem Aufruf zu einer zum Kaiser und Rom alternativen „ loyalty “ und Hinweis auf eine andere oder vielmehr die wahre Realität 345 : „ [T]his counterempire can never be merely critical, never merely 340 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 164. 341 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 182. 342 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 164 f. 343 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 173. 344 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 165. 345 Vgl. WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 174. 2.7 Die „ Politcal Perspective “ 87 subversive. It claims to be the reality of which Caesar ’ s empire is the parody; it claims to be modeling the genuine humanness, not least the justice and peace, and the unity across traditional racial and cultural barriers, of which Caesar ’ s empire boasted. “ 346 Jedoch führt diese Überzeugung auch bei Paulus nicht notwendig zu einer vollständigen und grundsätzlichen Ablehnung alles Politischen oder Römischen: „ Paul is no dualist. Think for a moment of his regular ethical appeals; just because all things are new in Christ, that does not mean that Christians do not share with their non-Christian pagan neighbors a broad perception of things that are good and things that are evil [. . .] things are not so straightforward. “ 347 Paulus hatte eine „ finely balanced agenda “ . 348 Mit diesem Ergebnis wendet Wright Omerzus Kritik an der Eintragung eines modernen Politikverständnisses zu einer Kritik des modernen Religionsbegriffs: „ [W]hatever it was Paul was heralding as he went around the Mediterranean world, our post-Enlightenment category of ,religion ‘ is far too restricted to handle it. Since that category was designed to exclude politics, among other things, and since Paul ’ s proclamation clearly carried a political message at its heart, not merely as one ,implication ‘ among many, we should refuse to allow the study of Paul to be confined within what is normally thought of as the history of religion “ . 349 Weil also auch der moderne Religionsbegriff untauglich zur Beschreibung paulinischer Theologie ist, scheint Wright eine Betrachtung unter politischen Vorzeichen legitim: „ Paul ’ s gospel was a royal proclamation aimed at challenging other royal proclamations. Put Paul ’ s theology in its political context, and it will make a lot more sense than if it is put merely within something called ,religion ‘“ . 350 2.7.5 Zusammenfassung Die Political Perspective bringt in der Substanz wenig Neues an Ideen, verarbeitet aber vorhandenes Wissen zu einer anregenden Hypothese. Zunächst besteht ein sozialgeschichtliches Interesse an Paulus, der als „ politisch “ und dessen Botschaft, das Evangelium, als sozial revolutionär oder zumindest kritisch, wahrgenommen wird. Dass das Evangelium mit der Frohbotschaft des Kaiserkultes und deren Anspruch kontrastiert wird, entstammt sicherlich der begriffsgeschichtlichen Forschung. Wright hat allerdings gezeigt, dass eine 346 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 183. 347 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 178 f. 348 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 183. 349 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 182. 350 WRIGHT, Paul ’ s Gospel and Caesar ’ s Empire, aaO., 168. 88 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick solche Perspektive nicht zu einem einseitigen Verständnis des Paulus führen muss. Vielmehr macht es den Blick frei auf Paulus, der als Jude und Apostel einer im Kern jüdischen Religion grundsätzlich weltlicher Herrschaft mit religiösem Anspruch ablehnend gegenübersteht: Sowohl jüdischer Monotheismus als auch christliche Apokalyptik lassen keine uneingeschränkt positive Haltung zum imperium Romanum zu. Allerdings stellt Wright zu Recht fest, dass Paulus kein Dualist ist. In Röm 13,1ff ruft er eher zur Zurückhaltung gegenüber dem Staat auf. Und die von Elliott vorgebrachten Christenverfolgungen als Beleg für einen christlich-paulinischen Konfrontationskurs zu betrachten, scheint zu gewagt. Schließlich wurden auch andere Gruppen, wie etwa die jüdische Minderheit, immer wieder Opfer von Pogromen obwohl sie den Status der religio licita innehatten. Die universale Proklamation Jesu Christi als Herrscher der Welt mag zwar zu einem gewissen Grad in Konflikt mit den herrschenden Autoritäten geführt haben; dass Paulus mit seinem Evangeliums-Begriff v. a. oder ausschließlich gegen den römischen Kaiser polemisierte, geht über die bei Paulus begegnende „ finely balanced agenda “ (Wright) hinaus. Dennoch kann die Political Perspective dafür sensibilisieren, dass es eine (jüdische oder römisch-hellenistische) Außenwirkung des Evangeliums-Begriffs und der damit verbunden Botschaft gibt, der sich Paulus bewusst gewesen sein muss. Ob und inwiefern das seinen Sprachgebrauch beeinflusst hat, gilt es bei der Erarbeitung im Blick zu behalten. EXKURS: Evangelium und Israel - ein Randthema Die Frage nach dem Verhältnis von Evangelium und Israel spielt in der Evangeliums-Forschung eher am Rande eine Rolle. Die beiden zentralen Aspekte sind dabei durch die doppelte Dimension des Begriffs no,moj (Gesetz) vorgegeben: 1) Das Gesetz als „ Schrift “ des Judentums wirft die hermeneutische Frage nach dem Verhältnis von „ alter “ Überlieferung zu „ neuer “ Botschaft Evangelium auf. 2) Das Gesetz im Sinne von „ Bund “ problematisiert die soteriologische Bedeutung des Evangeliums für Israel und damit die soteriologische Dimension des Evangeliums überhaupt. Dieser Bereich der Forschung ist gezwungen, ein bereits vorhandenes Bild von Evangelium mit der Frage nach dem Gesetz bei Paulus ins Gespräch zu bringen und legt seinen Fokus also eher auf letzteres. Nachdem es sich bereits um eine „ Anwendung “ des Evangeliums auf ein theologisches Problem handelt, kann ein 2.7 Die „ Politcal Perspective “ 89 Überblick über die - zudem sehr breite - Diskussion im Rahmen dieser Arbeit unterbleiben. 351 2.8 Diskursanalyse 2.8.1 Was ist Diskursanalyse? Eine neuere Form linguistischer Erarbeitung von neutestamentlichen Texten ist die Diskursanalyse. Sie ist in den 1960er Jahren als „ Kulturtheorie “ im Übergang vom Strukturalismus zum Poststrukturalismus in Frankreich entstanden und in der Folge auch in Deutschland rezipiert worden. 352 Für den Poststrukturalismus ist „ die Kritik an der Ontologie der Struktur “ und deren Ablösung durch ein „ unabschließbare[s] System[s] von Differenzen “ kennzeichnend. 353 In diesem Kontext hat erstmals M.Foucault den Diskursbegriff geprägt und als „ permanent vorhandene Kontrolle des Sagbaren “ thematisiert. 354 Die Diskursanalyse „ stellt die Frage nach den diskursiven Kontexten, welche Texte hervorbringen und historisch anordnen. Somit geht sie über die reine Textwissenschaft hinaus, indem sie in sozio-kultureller Perspektive nach den metatextuellen Regeln fragt, welche Anschauungen, Aussagen und Handlungen sowie deren Anordnung lenken. “ 355 Foucault sucht nach „ Machtzentren der Kommunikation “ , die er gleichzeitig wieder in „ nicht greifbare oder mutierende Zusammenhänge “ auflöst. 356 In dem hier zum Ausdruck kommenden poststrukturalistischen Verständnis spiegelt sich bereits das Problem der textanalytischen Anwendbarkeit der Foucaultschen Diskurstheorie: „ Während der Strukturalismus scholastisch als methodisches Analyseinstrumentarium verstanden werden kann, um Ausdrucksweisen menschlichen Denkens und Handelns als Manifestationen allgemeiner Strukturen ausfzuweisen, bildet der Poststrukturalismus stärker eine philosophische Grundströmung oder gar ein Lebensgefühl ab, 351 Als Beispiele seien hier genannt: VON DER OSTEN-SACKEN, P., Das Evangelium als Einheit von Verheißung und Gesetz. Grundzüge paulinischer Theologie, in: DERS., Evangelium und Tora. Aufsätze zu Paulus, München 1987, 9 - 30; RADL, W., Kult und Evangelium bei Paulus, in: BZ 31 (1987), 58 - 75; HOFIUS, O., Das Evangelium und Israel, in: ZThK 83 (1986), Heft 3, 297 - 324. 352 Vgl. SCHOLZ, S., Ideologien des Verstehens. Eine Diskurskritik der neutestamentlichen Hermeneutiken von Klaus Berger, Elisabeth Schüssler Fiorenza, Peter Stuhlmacher und Hans Weder, Tübingen/ Basel 2008, 55 f. 353 Vgl. SCHOLZ, Ideologien des Verstehens, aaO., 57. 354 SCHOLZ, Ideologien des Verstehens, aaO., 59. 355 SCHOLZ, Ideologien des Verstehens, aaO., 55. 356 Vgl. SCHOLZ, Ideologien des Verstehens, aaO., 59. 90 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick welches jeden Ansatz einer positiven Erkenntnistheorie hinterfragt und spielerisch negiert. Somit ist im Poststrukturalismus bereits selbst das Problem der Umsetzung von Theorien in geeignete Methoden grundgelegt. “ 357 Ein ähnliches Phänomen weist der Diskursbegriff selbst auf. Was darunter zu verstehen ist, ist stark vom Gebrauchskontext abhängig: „ So bezeichnet der Diskurs in postkolonialen Theorien ein imperiales Herrschaftssystem, in der Anthropologie wird der Sinn von Kultur oder Ideologie verwendet, in der Soziolinguistik wird er als Sprechstil oder Register wiedergegeben, und in der Psychologie kann ein Diskurs eine körperliche Praxis bedeuten. “ 358 Gemeinsam ist all diesen Diskursbegriffen jedoch die analytische Funktion: „ Er wird in den unterschiedlichen Fachwissenschaften als heuristisches Modell zur Beschreibung fachrelevanter Phänomene verwendet. “ 359 Daher wird der Begriff „ Diskurs “ häufig analog zu „ Diskussion “ oder „ Thema “ verwendet. 360 Die neutestamentliche Diskursanalyse „ stellt nicht einzelne Themen [. . .] propositional dar, sondern beschreibt Mechanismen, Strategien und Techniken ihrer diskursiven Anordnung und rekonstruiert mögliche Reaktionen der Erstadressaten “ . 361 Einen Sonderfall stellt die historische Diskursanalyse dar, wofür besonders in der US-amerikanischen Exegese sprachwissenschaftliche und z.T. computergestützte Methoden entwickelt werden, um die neutestamentliche Kommunikationssituation zu erfassen und die sich damit für ähnliche Zusammenhänge wie die Rhetorik interessiert. 362 Sie ist also weniger eine „ philosophische Metatheorie “ als ein „ heuristisches Verfahren zur [strukturalistischen] Texterklärung “ . 363 Die Diskursanalyse im Einzelnen „ zeichne[t] die sozialen Relationen und Aktionen der auftretenden Handlungsträger nach und stell[t] deren Interaktionen und Dependenzen, Autorisierungen und Degradierungen dar. Ebenso wird auf sprachlicher Ebene untersucht, an welche Aktanten konkrete Machteffekte gebunden sind und wie Hierarchien sprachlich ausgedrückt werden [. . .] [und gleichzeitig] wie situativ zu erwartende bzw. geforderte diskursive 357 SCHOLZ, Ideologien des Verstehens, aaO., 61. 358 SCHOLZ, Ideologien des Verstehens, aaO., 55. 359 SCHOLZ, Ideologien des Verstehens, aaO., 55. 360 Vgl. SALS, U., Art. Diskursanalyse, II. Alttestamentlich, in: LBH, 135 f; 135; Dieses „ strukturalistische “ Moment der Diskuranalyse ist durchaus historisch nachvollziehbar, kann man den Poststrukturalismus doch z. B. mit S.Scholz als Weiterentwicklung und Radikalisierung des Strukturalismus verstehen; vgl. SCHOLZ, Ideologien des Verstehens, aaO., 59. 361 SCHOLZ,S., Art. Diskursanalyse, II.Neutestamentlich, in: LBH, 136 f; 136. 362 Vgl. SCHOLZ, Art. Diskursanalyse, aaO., 136; siehe Kap. 2.9. 363 Vgl. SCHOLZ, Art. Diskursanalyse, aaO., 136. 2.8 Diskursanalyse 91 Strategien unterwandert werden “ 364 . Dabei stehen die literarischen Gattungen als Mittel medialer Inszenierung besonders im Fokus. 365 2.8.2 Diskursanalytische Untersuchung des Evangeliums im Römerbrief J. H. Lee hat 2010 einen diskursanalytischen Entwurf zur Bearbeitung des Evangeliums im Römerbrief vorgelegt. Er will „ Paul ’ s central point(s) or peak(s) in Rom 1: 16 - 8: 39 “ , wie man diese bestimmt und die damit verbundene paulinische Intention, herausarbeiten. 366 Die Methode der Diskuranalyse wählt Lee, da sie den Text selbst und dessen linguistischen „ features “ in den Vordergurnd stellt. 367 Andere von ihm vorgestellte Lesarten ( „ readings “ ) des Römerbriefes dagegen nehmen nicht den Text als „ starting point “ ihrer Analyse und zwingen ihm so ihre Methodik auf, anstatt sie aus ihm zu gewinnen. 368 Lee entwickelt seine Textanalyse im Anschluss and M. A. K. Halliday und dessen „ systemic-functional model “ . Er versteht seine Diskursanalyse als heuristisches Modell, die sprachliche und inhaltliche Struktur von Röm 1,16- 8,39 nachzuzeichnen. 369 Der Diskurs steht bei Lee für den Prozess der Kommunikation zwischen Absender und Adressat, der durch Kontext (Kultur, Situtation, Text), die Ebene „ zwischen den Zeilen “ und „ Sequentiality and hierarchy “ (Kohäsion/ Koherenz, Gliederung und Gewichtung eines Textes) geprägt ist. 370 Dieser Diskurs wird im Hinblick auf die drei grundlegenden Fragestellungen den Methoden grouping, focality und topicality zugewiesen: Auf der Suche nach den Kernaussagen ( „ peaks “ ) des Textes untergliedert Lee ihn in verschiedene „ discourse units “ ( „ grouping “ ), zu deren Unterscheidung äußere Kriterien ( „ boundary markers “ ) und innere Kriterien (Koherenz/ Kohäsion) herangezogen werden. 371 Anhand der Wahrnehmung von „ topic changes “ kann dann eine Hierarchie aufgestellt und zwischen „ topics “ und „ subtopics “ unterschieden werden. 372 Die paulinische Intention soll auf dem Weg der „ topicality “ gefunden werden. Sie baut auf der These T. A.van Dijks auf, dass Absender und Adressat sich einem 364 SCHOLZ, Art. Diskursanalyse, aaO., 136. 365 Vgl. SCHOLZ, Art. Diskursanalyse, aaO., 136. 366 LEE, J. H., Paul ’ s Gospel in Romans: A Discourse Analysis of Rom 1: 16 - 8: 39, Leiden/ Boston 2010, 23. 367 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 24. 368 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 23. 369 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 33ff; 443. 370 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 26 - 33. 371 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 33 - 50. 372 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 50. 92 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick Thema jeweils entgegengesetzt annähern, „ from the top to the bottom “ (Absender) bzw. von der kleinsten Diskurseinheit, dem Wort, über Sätzen zum Text (Adressat). 373 Daraus ergibt sich eine „ information structure “ , die sich anhand von „ interpersonal, ideational, and textual meanings “ entschlüsseln lässt. 374 Die Frage nach der Bestimmung der zentralen Aussagen wird anhand der „ focality “ analysiert, d. h. wie die einzelne Aussage im Diskurs verpackt und dargestellt wird. 375 Besondere Beachtung finden hierzu „ linguistic devices “ wie z. B. Stimmung, Wortanordnung oder Aufmerksamkeitsmarker. 376 Im Laufe seiner Untersuchung bestimmt Lee das „ major paradigm in Paul ’ s gospel “ anhand von Röm 1,16 f als „ the righteousness of God is revealed from faith to faith “ , welche als „ interaction between God and humans “ in Erscheinung tritt. 377 Das Evangelium „ is about the salvation of humans, and [. . .] such salvation is dependent on a certain relationship between God and humans “ . 378 Um diesen Umstand zu veranschaulichen bedient sich Paulus nach Lee zweier „ descriptive frameworks “ : „ (1) an interactive paradigm between God and humans, and (2) a contrast between the old realm and the new “ . 379 Das interaktive Modell bezieht sich auf die „ reciprocal interaction between God and humans “ , bestehend aus der Initiative Gottes ( „ God ’ s righteousness “ ), der menschlichen Reaktion ( „ believing is the only way to experience [salvation] “ ) und Gottes Reaktion auf die menschliche Antwort ( „ believer ’ s being righteous before God “ ). 380 Es findet also eine Interaktion zwischen „ human sinfulness “ und „ God ’ s wrathful judgement “ sowie zwischen „ human faith “ und „ God ’ s salvation “ statt. 381 Das interaktive Modell fokussiert auf den Ablauf der Interaktion zwischen Gott und Mensch. Heil wird als „ God ’ s reward given to believers “ erklärt. 382 Das Zwei-Bereiche-Modell fokussiert auf die Situation des Menschen in jedem der beiden Bereiche. Heil wird als „ transition of believers from one realm whose dominant power is sin and death, to another, whose dominant power is God ’ s grace and eternal life “ , als Übergang von einem in einen anderen 373 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 51. 374 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 51; 54. 375 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 61 ff. 376 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 67; 68 - 79. 377 LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 98. 378 LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 431. 379 LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 431. 380 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 98; 431. 381 LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 432 - 34. 382 LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 435. 2.8 Diskursanalyse 93 Herrschaftsbereich, beschrieben. 383 Dieser Übergang wird durch die Partizipation an Jesu Tod und Auferstehung möglich. 384 Paulus bedient sich hier der Stärke des rhetorischen Kontrastes, z. B. zwischen dem gehorsamen Christus und dem sündigen Adam und verwendet diatriben Stil. 385 Eine herausgehobene Rolle spielen die „ divine beings “ Gott ( „ ultimate logical actor “ ), Jesus ( „ the one who opens the date of the new realm through his obedience “ ) und Heiliger Geist ( „ the controlling power in the new realm “ ). 386 Beide Modelle oder frameworks sind aufeinander bezogen: „ In both frameworks, it is God who makes believers experience salvation. Also, both frameworks emphasize Jesus ’ crucial role in God ’ s salvation. Moreover, both frameworks consist of an antithesis between the old and new paradigms or realms [. . .] Thus, the two frameworks are not contradictory, but complementary “ . 387 Die diskursanalytische Untersuchung hat Lee also zu dem Ergebnis geführt, dass Paulus das Evangelium in Röm 1,16-8,39 anhand von zwei beschreibenden Modellen entfaltet. Diese frameworks zeigen, dass das Evangelium einen „ peak point “ besitzt (vgl. Röm 5), der aus der zentralen Rolle Jesu in Gottes Heilsplan besteht. Daneben gibt es zwei „ sub-peaks “ (Röm 3,21-28; Röm 8), die das Heil im Hinblick auf die Rolle Gottes und den Heiligen Geist näher beleuchten. 388 2.8.3 Zusammenfassung Die Diskuranalyse hat sich in ihrer heuristischen Funktion als Weiterentwicklung und Spezialisierung herkömmlicher linguistischer Methoden erwiesen. Ihr Spezifikum liegt in der systematischen Erfassung der sozio-kulturellen Perspektive eines Textes, der Mechanismen, Strategien und Techniken seiner diskursiven Anordnung und damit der sozialen Relationen und Aktionen der auftretenden Handlungsträger, Machteffekte und sprachlichen Hierarchien. Sie kann also als Verbindung sozialgeschichtlicher wie linguistischer Anliegen verstanden werden. Das sehr offene Konzept des Diskurses muss allerdings von jedem Exegeten selbst methodisch gefüllt werden, so dass eine diskursanalytische Methode nicht auszumachen ist. J. H. Lee hat mit grouping, focality und topicality eine solche eigene Methodik vorgelegt und in einem selbst gewählten Teil des Römerbriefes (1,16-8,39) die zentralen Argumente des Paulus zu 383 LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 435. 384 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 439. 385 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 436 ff. 386 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 439. 387 LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 436. 388 Vgl. LEE, Paul ’ s Gospel in Romans, aaO., 443. 94 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick erarbeiten versucht. Der Titel seiner Arbeit „ Paul ’ s Gospel in Romans “ ist m. E. dabei leicht irreführend, handelt es sich doch nur um einen Ausschnitt des Briefes und ist die Bezeichnung Evangelium für die theologisch-inhaltlichen Aspekte des Abschnittes nicht ganz treffend. Es handelt sich doch eher um Theologie, in deren Rahmen das Evangelium von Paulus eingeordnet wird. Die inhaltlichen Aspekte Lees sind in Bezug auf den Evangeliums-Begriff entsprechend nur bedingt weiterführend. Auch kann nicht davon gesprochen werden, dass die Entdeckung zweier soteriologischer Modelle des Paulus im Römerbrief neu und allein der Methodik geschuldet wäre. 389 Der diskuranalytische Bearbeitungsvorschlag Lees macht auf zwei Problemstellungen hinsichtlich des paulinischen Evangeliums aufmerksam: 1) Zu Recht weist Lee auf die Bedeutung der Textbezogenheit der Exegese hin. 2) Deutlich unterschieden werden muss dagegen, wo Paulus über das Evangelium redet, und wo er mit dem Evangelium Theologie betreibt. 2.9 Rhetorische Analyse Die rhetorische Analyse hat 1979 seit dem Galaterkommentar von H. D. Betz in den neutestamentlichen Methodenkanon Einzug gehalten. 390 Er hat auf die Möglichkeit hingewiesen, sich antiker griechisch-römischer Rhetorik und Epistolographie bei der Exgese paulinischer Briefe zu bedienen: „ Paul ’ s letter to the Galatians can be analyzed according to Greco-Roman rhetoric and epistolography. This possibility raises the whole question of Paul ’ s relationship to the rhetorical and literary disciplines and culture, a question which has not yet been adequately discussed. “ 391 Im Gefolge von Betz bilden sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts zwei Formen rhetorischerAnalyse im Bereich des Neuen Testaments heraus: Der eine Zugang besteht in der Frage nach der dem Text zugrunde liegenden Intention (inventio) des Autors, die durch Vergleich mit antiken Rhetorik-Lehrbüchern (te,cnai), 389 Vgl. auch BECKER, E.-M., Review of Jae Hyun Lee, Paul ’ s Gospel in Romans: A Discourse Analysis of Rom 1: 16 - 8: 39., in: RBL 06/ 2011. 390 BETZ, H. D., Galatians. A commentary on Paul ’ s letter to the Churches in Galatia, Hermeneia, Philadelphia 1979 (deutsche Ausgabe: DERS, Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien, München 1988); vgl. auch CALHOUN, R. M., Paul ’ s Definitions of the Gospel in Romans 1, WUNT II 316, Tübingen 2011, 7, Anm. 13. Zur Übersicht über die Rhetorische Analyse: CLASSEN, C. J., Rhetorical Criticism of the New Testament, WUNT 128, Tübingen 2000, bes. 1 - 44. 391 BETZ, Galatians, aaO., 14; Betz ist sich bewusst, dass er nicht der Erfinder dieser Methodik ist und weist darauf hin, dass z. B. auch schon von Luther oder Melanchthon bei der Exegese auf antike Rhetoriktheorie zurückgegriffen wurde (vgl. 14, Anm. 97). 2.9 Rhetorische Analyse 95 Reden und Briefen rekonstruiert werden sollen. Der zweite Zugang wendet sich den rhetorischen Methoden aller Zeiten zu, um die „ persuasive Wirkung “ eines Textes zu eruieren. 392 Eine Verbindung beider Ansätze ist möglich, z. B. durch „ Ausweitung der Definition der auktorialen inventio von einer Kodierung im Text auf eine Rekonstruktion des ,originalen ‘ antiken Publikums und seiner rhetorisch konditionierten Reaktion auf den Text. “ 393 2.9.1 M. M. Mitchell: Das Evangelium als Abkürzung M. M. Mitchell hat sich dem paulinischen Evangelium im Korintherbrief unter rhetorischer Perspektive gewidmet und dabei den Begriff als „ Abkürzung “ untersucht: „ [T]o. euvagge,lion [. . .] serves as a ,superabbreviation ‘ of the whole, functioning as a title which both characterizes its full contents and interprets its meaning for the hearer. The logic of the gospel title is unitary: no single event in the narrative stands apart from or uninterpreted by the rest. In usage the single phrase to. euvagge,lion allows Paul, with great economy and elegance, to insert the entire long narrative of God ’ s plan ,according to the Scriptures ‘ into an argument without repeating the whole. Paul does this often, as for him the gospel is the canon or standard with which all expressions of Christian life or thought are to be compared and assessed. “ 394 Der Titel „ Evangelium “ kann also als eine Art Kurzschrift ( „ shorthand “ ) für einen ganzen Komplex inhaltlicher Aussagen und (deren) Interpretationen angesehen werden. Auf eine Abkürzung weist auch die wörtliche Wiedergabe des Begriffs als „ gute Nachricht “ hin: Er steht für einen Inhalt und eine Geschichte außerhalb seiner selbst, die den Hörern/ Lesern bekannt sein muss, um an gegebener Stelle darauf verweisen zu können. 395 Welcher Inhalt genau im Blick ist, muss aus dem Kontext erschlossen werden. 396 Dieses Phänomen interpretiert Mitchell als Anwendung antiker rhetorischer Technik durch Paulus, wobei sie drei Formen von „ rethorical shorthand “ als antiker Technik unterscheidet 397 : 392 Vgl. MITCHELL, M. M., Art. Rethorik, I.Neutestamentlich, in: LBH, 505; 393 MITCHELL, Art. Rethorik, aaO., 505; vgl. zum Überblick: MITCHELL, M. M., Paul and Rhetoric of Reconciliation. An exegetical Investiagation of the Language and Composition of 1 Corinthians, Tübingen 1992, bes. 1 - 19. 394 MITCHELL, M. M., Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation: The Functions of ,the Gospel ‘ in the Corinthian Correspondence, in: JERVIS, L. A./ RICHARDSON, P. (Hgg.), Gospel in Paul. Studies on Corinthians, Galatians and Romans. FS R. N.Longenecker, Sheffield 1994, 63 - 88; 64. 395 Vgl. MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 65. 396 Vgl. MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 66. 397 Vgl. MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 65. 96 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick 1) To. euvagge,lion und dessen Synonyme (to. kh,rugma und o` lo,goj), die als technische Begriffe oder Titel das Ganze des Evangeliums zusammenfassen. 398 Hier kommt nach Mitchell die Technik der braculogi,a ( „ brevity “ / Kürze) zum Einsatz. 2) Kurze Anspielungen auf eine einzelne Komponente der Heilsgeschichte des Evangeliums. 399 Um die Technik der sunekdoch, handelt es sich, „ when the whole is known from a small part or a part from the whole “ . 400 3) Metaphorische Umschreibungen der Überlieferung des Evangeliums. 401 Eine metafora, liegt dann vor, „ when a word applying to one thing is transfered to another “ 402 , oftmals auch mit dem Ziel verbunden, „ vivid mental pictures “ zu erzeugen. 403 Die Verwendung eines Stenogramms des Evangeliums erlaubt Paulus „ to allude to the gospel and incorporate it into particular argumentative contexts without reciting the whole all over again each time. “ 404 Sobald Paulus den Begriff „ Evangelium “ in seiner Missionspredigt etabliert hat, kann er zu einem späteren Zeitpunkt darauf zurückkommen, das bereits Bekannte ins Gedächtnis rufen und in neuen Zusammenhängen reflektieren. Ein kurzer Verweis, „ a synecdochial reference, or a metaphorical allusion “ , genügt, um eine bestimmte Tatsache am Gesamtzusammenhang des Evangeliums im Sinne der Argumentation hervorzuheben. 405 Paulus kann durch die Wendung to. euvagge,lion nicht nur die Autorität der Heilsgeschichte des Evangeliums seiner spezifische Argumentation dienlich machen, sondern - durch deren exklusives Wissen um die Bedeutung des Begriffs - auch die sozialen Bindungen seiner Gemeinden stärken 406 : „ [W]e see in all these metaphorical depictions of the preaching of the gospel Paul ’ s wish to ground the Corinthians in solidarity in the story of their origins as a church (with himself as their founder), and in the untiy of the gospel 398 Vgl. MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 65. 399 MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 65. 400 MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 66. 401 Vgl. MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 65. 402 MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 68. 403 Vgl. MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 69. 404 MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 65. Am Beispiel der Gattung kann der Vorteil einer solchen Abkürzung veranschaulicht werden: „ If one is not writing a narrative but somthing else, [. . .] one will not recite the entire narrative, because that will interfere with the chosen rhetorical genre and purpose, and will take the forcefulness out of the new literary creation “ . Das gleiche kann für die Rolle des Autors gelten: „ [I]f one has a purpose in mind other than being a storyteller, one must abbreviate the narrative in order to accomplish that new purpose “ (68). 405 Vgl. MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 69. 406 MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 68 f. 2.9 Rhetorische Analyse 97 story which is at the heart of their common identity and history. Metaphor is a powerful rhetorical tool for this argumentative purpose as it serves to portray in imaginative terms the intimate and harmonious relationship between the apostle and his church which the gospel made possible. “ 407 Obwohl Paulus den Begriff euvagge,lion sehr einheitlich und immer bezogen auf die engen Grenzen der Heilsgeschichte gebraucht, sind seine Bezüge fließend und flexibel an den jeweiligen Kontext der Argumentation angepasst. 408 2.9.2. R. M. Calhoun: Definitionen des Evangeliums in Röm 1 Was M. M. Mitchell anhand des 1.Korintherbriefes zu zeigen versucht, führt R. M. Calhoun am Beispiel von Röm 1 weiter. Auch er geht von „ Paul ’ s education and engagement with his Greco-Roman polytheistic environment “ aus. 409 Diese machen ihn mit rhetorischen Techniken vertraut: „ Paul ’ s authentic letters recognizably draw from the vast fund of rhetorical techniques and philosophical methods of his day “ . 410 Der Gebrauch dieser Methoden, macht Paulus jedoch noch nicht zu einem Redner oder Philosophen und den Römerbrief nicht in erster Linie zu einer philosophischen Schrift: „ His identity as avpo,stoloj with a God-given responsibility to proclaim the gospel puts him in an altogether different category “ . 411 Die Rezipienten seiner Briefe scheinen mit den rhetorischen Strategien und Kunstgriffen, die dort begegnen vertraut zu sein und sie mühelos mit seiner Rolle als Apostel in Einklang bringen zu können: „ He would not adopt these postures if he did not believe that they would work - in other words, that his addressees would regard the roles of transmitter of tradition, philosophical instructor, and prophet as both authoritative and familiar. “ 412 Mit dem Gebrauch eines „ philosophical mode of discourse “ signalisiert Paulus 407 MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 75; „ Paul ’ s punctuated abbreviations unite his readers with himself and one another in a common bond of shared language and assumptions, a task central to the formation of ecclesial self-identity and social cohesion, and at the same time allow for elegant economy of expression in the new literary creations, the letters “ (88). 408 Vgl. MITCHELL, Rhetorical Shorthand in Pauline Argumentation, aaO., 88. 409 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 2. 410 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 2; „ My study also confirms that Paul thoroughly engages ancient rhetorical theory and popular philosophy in a way that is more than fleeting. In fact, he uses both from the very inception of Romans “ (221). Auch in der Exegese der Kirchenvätern erkennt Calhoun massiven Gebrauch der rhetorischen Theorie der Antike (191). 411 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 2; „ It would be utterly incorrect to reduce Romans to a philosophical monograph. Yet it nonetheless partakes of some of the features of such texts “ (6). 412 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 3; vgl. 222. 98 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick seinen Lesern, „ that his letter will demand careful attention, intense intellectual engagement, and a thorough knowledge of the scriptures. “ 413 Unter der Prämisse, dass Paulus sich antike Techniken der Rhetorik, Philosophie und Epistolographie zunutze macht, will Calhoun sich dem Evangelium in Röm 1 nähern. 414 Er erkennt in den beiden Schlüsselstellen zu Beginn (VV.3 - 4) und Ende (V.16 f ) des Proömiums die aus der griechisch-römischen Philophie bekannte Gattung der Definition (o]roj). 415 Aus der antiken Rhetoriktheorie erschließt Calhoun drei Aspekte der Definition: 1) Eine Definition muss ihren Gegenstand kurz und prägnant „ entpacken “ . 416 Um einen komplexen Inhalt möglichst dicht zu formulieren, stehen dem antiken Autor rhetorische Methoden der Kürzung ( „ brevity “ ) zur Verfügung, von denen Paulus besonders die Figuren der e; lleiyij (Ellipse), sunekdoch, (Ersetzung eines Wortes durch einen Begriff aus demselben Begriffsfeld) und avpo. koinou/ (Allgemeinheit) für seine Definition des Evangeliums gebraucht. 417 2) Im rhetorischen Kontext steht bei einer Definition oft ihr „ stipulativer “ Charakter, also ihre Funktion, einen neuen oder bereits bestehenden Terminus durch eine bestimmte Bedeutung zu prägen, im Vordergrund. 418 Um to. euvagge,lion als abkürzende Definition gebrauchen zu können, muss Paulus mit dem Wissen seiner Leser um dessen vollen Inhalt und soteriologischer Relevanz rechnen können; er muss also auf dem „ referential character “ des Evangeliums aufbauen können. 419 Die Bekanntheit der Methode der inhaltlichen Kürzung bzw. Verdichtung und der begrifflichen Prägung bei seinen Lesern sind wichtige Voraussetzungen, dass sie die Definition des Evangeliums wieder sinnvoll „ entpacken “ können. 420 3) Die platonische Unterscheidung, dass eine Definition entweder einen Gegenstand oder eine Funktion definiert, weist Calhoun den beiden 413 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 3; 222. 414 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 7. 415 Vgl. CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 3. 416 Vgl. CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 38. 417 Vgl. CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 4 f; 219. 418 Vgl. CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 38. 419 Vgl. CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 82; Dass die Leser des Paulus in der Lage sein müssen, die entstehenden Leerstellen jeweils selbstständig adäquat zur füllen, interpretiert Calhoun als „ high intellectual level “ (6). 420 Vgl. CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 219. 2.9 Rhetorische Analyse 99 Defitionen im Römerbrief zu 421 : „ [T]he former articulating what it is in terms of its content, and the latter what it does in terms of its function “ . 422 Röm 1,2-4 ist für Calhoun entgegen der allgemeinen Forschungsmeinung kein vorpaulinisches Traditionsstück, sondern sorgfältig geplante, rhetorische Komposition durch Paulus. Sie gibt den Inhalt des Evangeliums an: „ The essence of the gospel exists in the dynamic between God ’ s pre-proclamation and promise in the scriptures, and the manifold fulfillments in the born, resurrected, and exalted Son “ . 423 Die Erwähnung der Verheißung durch die Propheten in den heiligen Schriften (V.2) versteht Calhoun als rhetorische Figur der sunekdoch" mit deren Hilfe er das gesamte (mit Christus verbundene) Schriftzeugnis in Erinnerung ruft. 424 In der Aussagendichte der folgenden beiden Verse (V.3 f ) sieht er die gesamte Heilsgeschichte komprimiert, wobei Paulus die Formulierung „ ökonomisiert “ , „ through the omission of anything superfluous, including articles, conjunctions and pronouns which might make the style more smooth or the meaning more clear “ . 425 Die Platzierung zu Beginn des Proömiums dient der „ stipulativen “ , begriffspägenden Funktion der Definition: Paulus präsentiert sie als unstrittig und bezieht sich intensiv auf Anschauungen, die die Leser des Römerbriefes mit ihm teilen. 426 Auch die zweite Definition in Röm 1,16 f wird von rhetorischen Figuren markiert: Die mehrfache Verwendung von prw/ ton und evk pi,stewj identifiziert Calhoun als die rhetorische Figur avpo. koinou, die Wendung evk pi,stewj eivj pi,stin als Ellipse (e; lleiyij). 427 Bestimmt Paulus in Röm 1,2-4 den Inhalt des Evangeliums, so definiert er hier dessen Funktion: „ Paul designs vv. 16 - 17 as a statement of the gospel ’ s cosmic function that makes sense in its context, that secures provisional endorsement from his addressees, and that invites the exposition which he will deliver in subsequent chapters “ . 428 Das Evangelium ist nach dieser Definition kein isolierter Eingriff in die menschlichen Angelegen- 421 Vgl. CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 38: „ Plato articulates the influential principle that a definition does two things: it states what something is, and what it does. He also remarks on its function: it secures o`mologi,a between interlocutors “ . 422 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 3 f. 423 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 141. 424 Vgl. CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 5; „ [H]e utilizes sunekdoch, of the whole of scripture in order to gather specific prophetic oracles known to himself and his audience, and thereby to assert the unitary testimony of the scriptures regarding the gospel and the Son “ (141). 425 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 141; vgl. 5. 426 Vgl. CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 141. 427 Vgl. CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 191. 428 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 5. 100 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick heiten (wie eine falsche Lesart der ersten Definition nahlegen könnte), sondern „ an ongoing divine intervention aimed at saving humanity from eschatological condemnation and restoring peace with God “ . 429 Daher ist es für Calhoun auch nicht ausreichend, Rechtfertigung, Gottes Gerechtigkeit oder Glaube als Thema des Römerbriefs zu bestimmen: „ The theme of Romans is the gospel as God ’ s power at work in the cosmos. “ 430 Beide Definitionen ergänzen sich und erfüllen für Calhoun die Anforderung an eine Definition, Inhalt und Funktion ihres Gegenstandes zu offenbaren. Für Paulus sind sie doppelt von Nutzen: Indem er das Evangelium rühmt, rühmt er indirekt auch sich als Apostel und macht sich die Autorität eines Apostels dienlich. Andererseits hat er eine argumentative Ausgangsbasis, auf die er im Laufe seines Briefes immer wieder zurückgreifen kann: „ At points in his argument, he returns to his definitional pro,qesij and his earlier definition of the gospel ’ s essence. He reorganizes their component terms into new logical sequences [. . .] He relies upon his addressees to furnish unstated content from their own knowledge and experiences of the gospel. He deftly unpacks them toward a rich exploration of their implications. “ 431 Die weitere Argumentation des Paulus versteht Calhoun als Weiterführung dieser Definition „ by , exegeting the terms ‘ [..], recombining their elements and maximizing the lexical meanings of their component terms along with their cognates toward a demonstration of how the gospel is God ’ s du,namij at work in the cosmos. “ 432 2.9.3 Zusammenfassung Die rhetorische Analyse hat sich als sehr fruchtbar für die Evangeliums- Thematik bei Paulus erwiesen. Es handelt sich um einen umfassenden Ansatz, der viele in der Forschungsgeschichte diskutierte Einzelaspekte wie Begriff, Autorenintention, sprachliche Auseinandersetzung mit dem Text und auch den antiken Kontext (der Rhetorik) berücksichtigt. Im Mittelpunkt steht das Evangelium als Kurzform ( „ shorthand “ ) bzw. Zusammenfassung seines gesamten Inhaltes mit Hilfe rhetorischer Techniken (Synekdoche, Ellipse, Metapher, Allgemeinheit). Während Mitchell auf den interpretierenden und vereinheitlichenden Charakter eines solchen Stenogramms abhebt, sieht Calhoun (im Römerbrief ) eine stipulative, definitiorische Funktion: Durch die Bestimmung von Inhalt (Dynamik von Verheißung und Erfüllung in Christus) und 429 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 191. 430 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 191. 431 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 220. 432 CALHOUN, Paul ’ s Definitions of the Gospel, aaO., 3 f. 2.9 Rhetorische Analyse 101 Funktion (anhaltende göttliche Intervention zur Rettung und Wiederherstellung des Friedens mit Gott) des Evangeliums macht sich Paulus die antike Gattung „ Definition “ zunutze, um seine eigene Position als Apostel zu stärken und eine Ausgangsbasis für seine Argumentation zu schaffen, die seine Leser mit ihm teilen. Die argumentative Arbeit deutet Calhoun - ähnlich wie Mitchell - als Exegese der Definition und also als Interpretation der Kurzform „ Evangelium “ . Die rhetorische Analyse des paulinischen Evangeliums bringt die Intention des Autors und den Begriff in enge Verbindung. Wenn es möglich ist, zu verstehen, was Paulus wie und aus welchen Gründen mit dem Begriff sprachlich formuliert, welche Idee von einem Konzept sich für Paulus hinter dieser Kurzform verbirgt, ist der pragmatische Zugang eine vielversprechende Methodik, um das Verhältnis von Paulus und seinem Evangelium zu klären. 2.10 Ertragssicherung Der forschungsgeschichtliche Überblick hat ein breites Bild an Methodiken und inhaltlichen Aspekten zum paulinischen Evangelium ans Licht gebracht. Jeder Entwurf setzt einen Fokus, der sich auch in der Methodik widerspiegelt und einen Teilbereich des Evangeliums pointiert darstellt. Die folgende Tabelle fasst noch einmal thetisch-verkürzend alle Ansätze zusammen. Ansatz Methodik Anliegen Ergebnisse/ offene Fragen Evangelium als Theologie Einordnung des paulin. Ev. in ein System dogmatischer Topoi Erkenntnisse für die (moderne) Dogmatik nutzbar machen l Notwendigkeit der Systematisierung l Verhältnis von Theologie und Ev. bei Paulus? Religionsgeschichtliche Rückfrage Begriffsgeschichtlicher Vergleich mit außerntl. Belegen Herkunft des paulin. Ev.-Begriffes klären l weder atl.-jüd. Tradition noch röm.-hellenist. Umwelt können allein die Herkunft des paulin. Ev.-Begriffs erklären l Zusammenhang von euvagge,lion und euvaggeli,zomai bei Paulus? Synchrone/ kontextorientierte Exegese v. a. sprachliche Analyse des konkreten Textes und dessen Kontextes Erklärung des Ev.-Begriffes vom werkimmanenten Kontext aus l Ev. als Ordnungskategorie und Wissenseinheit innerhalb der urchristlichen Sprachgemeinschaft (Ergebnis von Sprachkonvention)? 102 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick Ansatz Methodik Anliegen Ergebnisse/ offene Fragen l Bedeutungsspektrum/ -veränderung gegenüber atl./ hellenist. Gebrauch? l Paulus als Rezipient und Interpret seiner Traditionen (urchristl. Überlieferung, Septuaginta)? Evangelium als Gattung Vergleich von Jesus-Erzähltradition (Mk) mit paulinischer Verwendung Rezeptionsgeschichte und Verhältnis zu parallelen überlieferungsgeschichtlichen Entwicklungen klären l formal: Narrative und „ kerygmatische “ Dimension des paulin. Ev.? l inhaltlich: Verhältnis zu Person und Botschaft des irdischen Jesus? Sozialgeschichtlicher Zugang sozialgeschichtliche Modelle, Soziolinguistik Verstehen des Ev. vom urchristlichen sozialen Kontext her l Ev. nach „ Innen “ (urchristlicher Kontext): Abkürzung und Identity-marker; zusammenfassender Begriff für (Erst-)Verkündigung l Ev. nach „ Außen “ (röm.-hellenist. Umwelt): Anschlussfähiger, aber erklärungsbedürftiger Terminus l Notwendigkeit von pointiertverkürzenden Modellen Political Perspective Rückgriff auf religionsgeschichtl. Forschung, Sozialgeschichte, New Perspective Betonung der politischen Dimension des Ev. l Außenwirkung des Evangeliums in jüd. oder hellenist. Umwelt, der sich Paulus bewusst sein muss Diskursanalyse v. a. sprach-statistische Methoden (vgl. synchrone Exegese) systematische Erfassung der sozio-kulturellen Perspektive l siehe synchrone Exegese 2.10 Ertragssicherung 103 Ansatz Methodik Anliegen Ergebnisse/ offene Fragen Rhetorische Analyse antike und moderne Rhetorik, pragmatische Analyse Aufdecken der pragmatischrhetorischen Arbeit des Paulus als Schlüssel zu dessen Definition von Ev. l Ev. als Kurzform und Zusammenfassung eines Inhaltes l argumentative Grundlage paulin. Arbeit; Gegenstand von Interpretation l Definition des Ev. hinsichtlich Inhalt und Funktion (Röm 1) 104 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick 3 Methodische Einführung Die Vielfalt an methodischen Zugängen zum paulinischen Evangelium ist mit dem vorangegangenen Forschungsüberblick deutlich geworden. Auch ich wähle für diese Arbeit eine „ fachfremde “ Methodik aus dem Bereich der Kommunikationswissenschaft. Sie soll im Folgenden ausgehend von meiner These begründet und erklärt werden. 3.1 Zugang und These der Arbeit 3.1.1 EEuuv v aaggggee, , lliioonn als Konzeption Die These meiner Arbeit bezeichnet das Evangelium als paulinische „ Konzeption “ . 1 Eine „ Konzeption “ kann als „ durchdachte Vorstellung “ , als „ Anschauung “ bzw. „ Leitidee “ , also als „ geistiger Gesamtentwurf “ definiert werden. 2 Unter dem Evangelium als Konzeption verstehe ich das Evangelium, „ wie 1 Das Konzept bzw. die Konzeption sind - obgleich bildungssprachlich häufig verwendet - wissenschaftlich kaum rezipierte Größen. Einzig in Rhetorik und Psychologie werden die aus dem Lateinischen abgeleiteten Begriffe (conceptio = das Zusammenfassen/ Abfassen bzw. concipere = etwas in Worte fassen, formulieren) näher reflektiert (Vgl. Art. Konzept/ Art. Konzeption, in: DUDEN. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in sechs Bänden, Bd. 4, Wissenschaftlicher Rat/ Dudenredaktion/ Leitung: Drosowski, G., Mannheim 1978, 1550 f ). Die moderne Rhetorik - weder Konzept noch Konzeption sind Kategorien antiker Rhetorik - versteht unter dem Konzept „ das einer Rede innewohnende geistige Grundgerüst “ , „ die verschiedenen - gedanklichen oder auf Datenträgern vermerkten - Vorstufen einer Rede “ oder „ die schriftlichen Gedächtnisstützen, deren sich der Redner beim Vortrag bedient “ (COENEN, H. G., Art. Konzept, in: UEDING, G. (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 4, Darmstadt 1998, 1334 - 1339; Zit. 1334; Vgl. auch HÜBENER, W., Art. Konzept, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Darmstadt/ Basel 1976, 1082 - 1086). Die Psychologie kennt das Konzept v. a. im Zusammenhang mit der Begriffsbildung (concept - formation) und dem Begriffslernen (concept - learning), gelegentlich auch als Synonym für „ Begriff “ oder spezieller für „ theoretisches Konstrukt “ (Vgl. FOPPA, K., Art. Konzept II, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Darmstadt/ Basel 1976, 1086). Während jedoch der Begriff auf Bedeutung ausgerichtet ist und als Ordnungskategorie verschiedene Objekte zusammenfassend verallgemeinert (kronkret → allgemein), geht die Konzeption den umgekehrten Weg: eine bedeutungsvolle Vorstellung einer Einzelperson wird mit praktischer Zielrichtung entfaltet bzw. konkretisiert (allgemein → konkret). Somit kann ein Begriff Ausgangspunkt einer Konzeption sein und eine Konzeption begrifflich erfasst werden (siehe Kap. 2.4.1). 2 COENEN, Art. Konzept, aaO., 1334; DUDEN, Art. Konzeption, aaO., 1550. Paulus es denkt “ - als eigenständige Kategorie neben anderen. Dabei spiegelt ein Verständnis des Evangeliums als Konzeption nicht nur seinen Charakter als Theologumenon, als theoretisches Konstrukt mit Bezug zu anderen Bekenntnisgegenständen, wider. Auch seine praktische Dimension kommt zum Ausdruck. Denn Konzepte bzw. Konzeptionen bleiben nicht abstrakt, sondern drängen zur aktiven Umsetzung, sind also eminent auf die Praxis ausgerichtet. 3 Die Auffassung als Konzeption entspricht also der von Paulus anvisierten praktischen Verwirklichung und Anwendung des Evangeliums, wie sie sich in seinen Briefen manifestiert. Das Evangelium bei Paulus als Konzeption zu verstehen, bietet auch methodisch deutliche Vorteile. Zunächst stellt die „ Konzeption “ ein Ordnungsprinzip zur Verfügung, d. h. sie bietet eine Möglichkeit der Systematisierung, ohne eine strukturell fremde Kategorie, wie z. B. dogmatische Topoi, an Paulus herantragen zu müssen. Im Gegenteil: Die Konzeption bindet die Analyse eng an den Kontext des Evangeliums, das Denken des Paulus, wie es in seinen Briefen „ werkimmanent “ zum Vorschein kommt (vgl. synchrone/ kontextorientierte Exegese). Zugleich ermöglicht sie, die Fragestellung hinsichtlich des Evangeliums zu fokussieren: Ich frage nicht nach der bereits ausführlich diskutierten, begriffs- oder traditionsgeschichtlichen Vorgeschichte des Evangeliums (Religionsgeschichtliche Rückfrage). 4 Auch die Frage nach der Rezeption (Evangelium als Gattung) oder nach der „ historischen “ Bedeutung des Evangeliums (z. B. in der Verkündigung des Paulus) stellt sich durch die Zuspitzung auf die Person des Paulus nicht. Der zeitgeschichtliche Kontext des Paulus (sozialgeschichtlicher Zugang, Political Perspective, Diskursanalyse) rückt nur insofern ins Blickfeld meiner Analyse, als er das Denken des Paulus hinsichtlich des Evangeliums geprägt haben könnte. Dieser Zugang mag sehr paulozentrisch wirken. Jedoch sollte man sich vor Augen halten, dass eine Fokussierung auf Paulus bei der Frage nach dem paulinischen Verständnis von euvagge,lion unumgänglich ist. Auch an seiner Person manifestieren sich allerdings historischen Rahmenbedingungen, lassen sich Rückschlüsse auf die ihn beeinflussenden Faktoren, etwa seine ihn begleitenden Mitarbeiter, ziehen. 5 Das relativiert den „ Paulozentrismus “ , der meinem Ansatz zugrundeliegt. 3 Wie eine „ Empfängnis “ - die das Wort im medizinisch-biologischen Bereich bezeichnen kann (vgl. DUDEN, Art. Konzeption, aaO., 1550.) - zur Verwirklichung neuen Lebens drängt, drängt auch die gedankliche Konzeption zur Realisierung in der Praxis; man denke nur an die Konzeption einer Marketing-Strategie oder eines Forschungsprojektes. 4 Vgl. FRANKEMÖLLE, Evangelium - Begriff und Gattung, aaO., 20, der von einem „ breit ausgetretenen Pfad “ spricht; siehe Kap. 2.3.4 c. 5 Vgl. Kap. 6.2.2. 106 3 Methodische Einführung Das konzeptionelle Denken des Paulus, seine Vorstellung vom Evangelium wie sie sich heute aus dem Zeugnis seiner Briefe erschließt, ist im Zentrum meines Interesses. Unter diesem Blickwinkel erhalten natürlich die rhetorischargumentativen Ausführungen des Paulus besondere Relevanz, da sie sein Denken unter spezifischen Umständen widerspiegeln: Pragmatische Intention, Situation und Kontext der Aussagen müssen bei der Untersuchung des Evangeliums als Konzeption besondere Beachtung finden. 6 Zusammengefasst: Die Herangehensweise an das Evangelium als Konzeption eröffnet die Möglichkeit, nicht jedem Einzelaspekt von euvagge,lion Rechnung tragen zu müssen und dennoch systematisch und fokussiert auf einen Gegenstand zuzugehen. Leitperspektive ist die paulinische Vorstellung vom Evangelium. 3.1.2 EEuuv v aaggggee, , lliioonn als Kommunikation Dem Verständnis des Evangeliums als paulinischer Konzeption korrespondiert seine Wahrnehmung als Beschreibung von Kommunikation. Geht man von der wörtlichen Übersetzung des Begriffs euvagge,lion aus, stößt man zunächst auf einen Kommunikationsbegriff, der sich aus der wertenden Vorsilbe euv- = „ gut, wohl, recht “ und dem Substantiv avggeli,a = „ Nachricht, Meldung, Botschaft “ oder auch „ Befehl, Auftrag “ zusammensetzt. 7 Wir haben es also mit einer Botschaft zu tun, die in irgendeiner Weise positiv konnotiert ist, aber auch autoritativen Charakter entfalten könnte, wie die Wortteilbedeutungen „ recht “ im Sinne von „ richtig “ und „ Befehl “ andeuten. Der Begriff „ Botschaft “ weist auf einen Informationsaustausch zwischen einem Sender und einem Empfänger hin, also grundlegend auf das Phänomen der Kommunikation: Das Evangelium ist Kommunikationsgröße, insofern es eine Botschaft zwischen Sender und Empfänger kommuniziert und innerhalb dieses Kommunikationsprozesses seine Wirkung auf alle am Prozess Beteiligten entfaltet. Der paulinische Gebrauch von euvagge,lion stützt diese Beobachtung. Er scheint mit dem Begriff nämlich nicht nur die Beschreibung eines inhaltlichen Gegenstandes (z. B. 1Kor 15,1; 2Kor 10,14; Gal 1,11), sondern auch die Vermitt- 6 Wenn ich das paulinische Evangelium als Konzeption, als personenbezogene Größe verstehe, orientiere ich mich im Anschluss an die neuere synchrone/ kontextorientierte Forschung an einer „ Innenperspektive “ (im Gegenüber zu den diachronen Zugängen „ von Außen “ ); vgl. FRANKEMÖLLE, Evangelium - Begriff und Gattung, aaO., 20. 7 Vgl. Langenscheidts Großwörterbuch Griechisch, Teil I Griechisch-Deutsch, Berlin/ München 1970 21 , 4; 293. 3.1 Zugang und These der Arbeit 107 lung dieses Gegenstandes selbst, also eine Handlung, zu verbinden. 8 Weiterhin gibt es Belege (Röm 1,16; 1Kor 9,23), die sich beiden Kategorien entziehen und eine Größe jenseits der aussagbaren Wirklichkeit, geradezu ein „ dynamisches Konzept “ , in den Blick zu nehmen scheinen (vgl. die Auffassung der religionsgeschichtlichen Schule von Evangelium als in der prophetischen Tradition stehendes „ dynamisches Wortgeschehen “ ). 9 Wenn also sowohl der Begriff als auch sein Gebrauch bei Paulus ein Kommunikationsgeschehen implizieren, so ist davon auszugehen, dass diese mithilfe von Methoden der Kommunikationswissenschaft analysiert werden können. 10 3.1.3 Zusammenfassung Worin besteht das Interesse dieser Arbeit am paulinischen Evangelium? Ich will das Evangelium als Konzeption im Kontext von Kommunikation verstehen. Die Konzeption als „ durchdachte Vorstellung “ stellt einerseits eine Bündelung der Thematik auf die paulinische Perspektive dar, andererseits weitet sich von diesem Fokus auf die Person der Blick auf die historischen Zusammenhänge, in die Paulus integriert ist: die zeitgenössische Umwelt, die Tradition, in die er sich eingebunden sieht, die Menschen, mit denen Paulus interagiert, und nicht zuletzt das Evangelium als Botschaft selbst, deren geschichtliche Ursprünge sich auch in der Person des Paulus widerspiegeln. All diese Zusammenhänge verstehe ich im Rahmen von Kommunikation als Prozesse, die miteinander in Wechselwirkung stehen und bei Paulus zu einem an praktischer Umsetzung orientierten Gedankenkomplex, eben einer Konzeption zusammengefunden haben: Kommunikation beleuchtet dieWirkungen des Evangeliums in der Praxis 8 Phil 4,15; 2Kor 2,12; evtl. Phil 4,3. In 2Kor 8,18 wird ein Bruder „ im Evangelium “ gelobt: e; painoj evn tw/ | euvaggeli,w|; In 1Kor 9,14 stehen beide Bedeutungen nebeneinander: to. euvagge,lion katagge,llousin - evk tou/ euvaggeli,ou zh/ n; Röm 1,1 lässt beide Aspekte anklingen; vgl. FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 727. 9 Siehe Kap. 2.3.2 b) Deuterojesaja) 10 Im Zusammenhang der Formgeschichte hat D. Dormeyer im Anschluss an H.Gunkel eine ähnliche Untersuchung der Kleingattungen der neutestamentlichen Evangelienliteratur nach kommunikationswissenschaftlichen Aspekten ( Jakobson) gefordert; DORMEYER, Evangelium als literarische und theologische Gattung, aaO., 106. Auch O. Wischmeyer reflektiert die paulinische Mission als „ religiöse und literarische Kommunikation “ und stellt dabei v. a. Paulus als (brieflichen) Kommunikator in den Mittelpunkt. Sie zeigt, dass „ das beginnende Christentum von Anfang an eine auf Wachstum angelegte religiöse Bewegung und ein Sprach- und Kommunikationsereignis war und welche führende Rolle Paulus mündlich und schriftlich in diesem Prozeß spielte “ ; WISCHMEYER, O., Die paulinische Mission als religiöse und literarische Kommunikation, in: GRAF, F.W./ WIEGANDT, K., Die Anfänge des Christentums, Frankfurt 2009, 90 - 121; Zit. 94. 108 3 Methodische Einführung (wie Paulus sie sich vorstellt) als Interaktion zwischen Botschaft, Sender und Empfänger. Das Ziel meiner Untersuchung besteht also darin, diese Kommunikationszusammenhänge aufzudecken und als Teil der paulinischen Konzeption von Evangelium zu beschreiben. Das Evangelium lässt sich entsprechend seinem Gebrauch bei Paulus als Kommunikationsgeschehen darstellen. Dadurch entsteht ein neuer Zugang zur Interpretation der zentralen Botschaft des Christentums durch seinen ersten großen Denker. 3.2 Kommunikation im Rahmen der Kommunikationswissenschaft Erkennt man das paulinische Evangelium als Teil eines Kommunikationsprozesses, liegt es nahe, es mit Hilfe eines Kommunikationmodells zu erschließen und darzustellen. 11 Die grundsätzlichen Vor- und Nachteile eines sozialwissenschaftlichen Modells zur Beschreibung eines Untersuchungsgegenstandes sind bereits im forschungsgeschichtlichen Überblick zur Sprache gekommen (darstellende/ beschreibende Funktion). 12 An dieser Stelle ist daher nur ein kurzer Blick auf die spezifische Problematik eines Kommunikations- Modells zu werfen. Am Anfang jedes Kommunikationsmodells steht die Frage nach dem Wesen von Kommunikation. Genau dieses Wesen will das Modell ja beschreiben. Jedoch stellen die spezifischen Eigenschaften von Kommunikation den Versuch einer Definition vor außergewöhliche Herausforderungen 13 : 1) Profanität: Jeder kommuniziert und kann über Kommunikation kommunizieren. 2) Universalität: Kommunikation reicht in alle Bereiche des Lebens, ist „ irgendwie alles “ . 11 Vergleichbare Anwendungen sozialtheoretischer Modelle sind in der neutestamentlichen Wissenschaft mittlerweile bestens etabliert. Als Adaptionen kommunikationstheoretischer Erkenntnisse seien z. B. genannt: OSTMEYER, K.-H., Kommunikation mit Gott und Christus, WUNT 197, Tübingen 2006; RECK, R., Kommunikation und Gemeindeaufbau. Eine Studie zu Entstehung, Leben und Wachstum paulinischer Gemeinden in den Kommunikationsstrukturen der Antike, SBS 22, Stuttgart 1991; J.Wilke hat die kommunikationswissenschaftlichen Bemühungen und Ansatzpunkte einer Erforschung der römisch-hellenistischen Antike dokumentiert: WILKE, J., Die Kommunikationswissenschaft und die Antike, in: KUHN, C. (Hg.), Politische Kommunikation und öffentliche Meinung in der antiken Welt, Stuttgart 2012, 31 - 54. 12 Vgl. Kap. 2.6.1. 13 Vgl. zum Folgenden: BECK, K. Kommunikationswissenschaft, UTB basics 2964, Konstanz 2007, 13 ff. 3.2 Kommunikation im Rahmen der Kommunikationswissenschaft 109 3) Flüchtigkeit: Kommunikation ist ein Prozess ohne materiale Substanz oder sichtbares Ergebnis. 4) Relationalität: Alle beteiligten Kommunikationselemente sind aufeinander bezogen, ihre Funktion und Bedeutung variabel. 5) Heterogenität: Mit „ Kommunikation “ werden viele, oft verschiedene Prozesse bezeichnet. Diese mit Kommunikation verbundenen Schwierigkeiten haben auch in der verhältnismäßig jungen Kommunikationswissenschaft ihre Spuren hinterlassen und zu einem großen Defizit an Struktur und Einheitlichkeit geführt. 14 Die Kommunikationswissenschaft entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA als Nachbardisziplin von Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaften. Sie erforscht die Strukturen und Regeln gesellschaftlicher, vor allem technisch vermittelter Kommunikation. 15 In Deutschland entwickelte sie sich in mehreren „ Brüchen und Schüben “ von der Zeitungswissenschaft über die Publizistik hin zu einer empirisch-sozialwissenschaftlichen Disziplin. 16 Wie belastet der Begriff „ Kommunikation “ ist, belegt eine Bestandsaufnahme aus dem Jahr 1977 von K.Merten, der bis dato 160 verschiedene Definitionen in der Forschungsliteratur vorfand. 17 Darin spiegelt sich nicht nur ein großes Spektrum dessen, was unter Kommunikation verstanden werden kann, sondern auch eine Fülle unterschiedlicher theoretischer Zugänge bzw. Perspektiven zum „ Materialobjekt “ in seinen verschiedenen Ausprägungen. 18 Dementsprechend ist es nicht möglich, die Definition von Kommunikation zu geben, wie es auch unmöglich scheint, sie in einem Modell darzustellen, gleichsam als „ Supertheorie “ , die alle Kommunikationsbeziehungen und 14 So wird Kommunikationswissenschaft als unübersichtliches „ Feld “ (Schramm 1959), als bloßer „ Themenkatalog “ (Noelle-Neumann) ohne „ allgemeinverbindliche Systematik “ (Saxer 1980) oder gar als „ theorielos “ ( Maletzke 1980) charakterisiert; BURKART, R., Kommunikationswissenschaft, UTB 2259, Wien 2002 4 , 413 f. 15 Vgl. HACHMEISTER, L., Kommunikationswissenschaft, in: Ders. (Hg.), Grundlagen der Medienpolitik. Ein Handbuch, München 2008, 220 - 226; 220. 16 Vgl. HACHMEISTER, Kommunikationswissenschaft, aaO., 221. 17 Vgl. BECK, Kommunikationswissenschaft, aaO., 14; siehe auch EHLICH, K., „ Kommunikation “ - Aspekte einer Konzeptkarriere, in: BINDER, G. (Hg.), Kommunikation in politischen und kultischen Gemeinschaften, BAC 24, Trier 1996, 257 - 283: Ehlich kritisiert eine „ Scheinterminologisierung “ (270), die in der Geschichte der Linguistik kontinuierlich zu Wellenbewegungen zwischen Reduktion und Inklusion des Gegenstandsbereiches von Kommunikation geführt hat (264 f; 269) und heute in einer zu starken Einschränkung des Begriffs mündet (274 ff ). Er plädiert dagegen für einen entlastenden und spezifizierten Gebrauch des Konzeptes Kommunikation (278). 18 Vgl. BURKART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 414. 110 3 Methodische Einführung -dimensionen erfaßt. 19 Vielmehr sind bei der Suche nach einem Modell vorab verschiedene Ansätze auf ihre „ Problemlösungskapazität “ hinsichtlich des zu analysierenden Gegenstandsbereiches zu befragen. D. h. die Reichweite einer Kommunikations-Konzeption, also die „ Anzahl der Sachverhalte, die sie zu erklären und zu prognostizieren vermag “ , muss dem Erkenntnisgegenstand entsprechen - im vorliegenden Fall der paulinischen Konzeption von Evangelium. 20 Es erscheint mir im Rahmen dieser Arbeit deshalb nicht sinnvoll, eine beliebige oder möglichst allgemeine Definition von Kommunikation zu reproduzieren. Vielmehr gilt es, ein Modell zu finden, das dem zu analysierenden Kommunikationsprozess des Evangeliums am ehesten entspricht, und erst daraufhin das Wesen von Kommunikation zu beschreiben, wie es das zugrunde liegende Modell abbildet. Natürlich verbindet sich mit der Suche nach dem „ richtigen “ Modell die Problematik, dass über den Erkenntnisgegenstand vor der eigentlichen Analyse Vor-Annahmen zu treffen sind, um überhaupt ein geeignetes Modell wählen zu können. Diese Vorannahmen liegen der These meiner Arbeit zugrunde und werden im Folgenden mit dem gewählten Modell in Beziehung gesetzt. 3.3 Modellwahl und kommunikationstheoretische Ausarbeitung 3.3.1 Das Feldschema der Massenkommunikation nach G. Maletzke Für die Analyse des paulinischen Evangeliums wähle ich das „ Feldschema der Massenkommunikation “ von G. Maletzke. 21 Es stellt die kommunikationstheoretischen Grundlagen zur Verfügung, die nötig sind, um den oben bereits angedeuteten, mit dem Evangelium als Botschaft verbundenen Kommunikationsprozess näher zu beleuchten. Das Modell liefert zunächst eine aus dem Sender-Empfänger-Modell bekannte Systematik 22 : Kommunikator, Rezipient, Aussage und Medium sind vier Faktoren, die aufeinander verweisen und sich wechselseitig beeinflussen. 19 BURKART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 414. 20 BURKART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 423. 21 Vgl. MALETZKE, G., Psychologie der Massenkommunikation. Theorie und Systematik, Hamburg 1963. Zur Einordnung und Problematisierung des Modells im kommmunikationswissenschaftlichen Kontext siehe. Kap. 3.4. 22 Vgl. die grundlegende Lasswell-Formel „ Who Says What In Which Channel To Whom With What Effect? “ : LASSWELL, H. D., The Structure and Function of Communication in Society, in: BRYSON, L. (Hg.), The Communication of Ideas. A Series of Addresses, New York 1948, 32 - 51. 3.3 Modellwahl und kommunikationstheoretische Ausarbeitung 111 Abb. 2: Feldschema der Massenkommunikation (nach MALETZKE, Psychologie, aaO., 41). K = Kommunikator, A = Aussage, M = Medium, R = Rezipient Eine Aussage trifft mittels eines Mediums auf den Rezipienten und übt dort eine Wirkung aus. 23 Das Medium zwingt den Rezipienten zurAuswahl, da es lediglich ein Aussage-Angebot darstellt (mit unzähligen Interpretationsmöglichkeiten). Weiterhin stellt das Medium den Rezipienten unter bestimmte Zwänge, gibt Verhaltens- und Erlebensweisen vor. Der Rezipient wird in seiner Rezeption (Auswahl/ Erleben/ Wirkung) nicht nur durch sein Bild vom Medium, sondern auch durch zahlreiche Prädispositionen beeinflusst (Persönlichkeitsstruktur, Situation, Befindlichkeit, soziale Beziehungen, Bewusstsein, Teil eines Publikums zu sein, Selbstbild als Standort, Rolle und Funktion im sozialen System). Ähnliche Prädispositionen prägen auch den Kommunikator (Persönlichkeit, Intention, Situation inklusive sozialer Relationen wie Team und Institution). Er nimmt ebenfalls eine Auswahl vor und formt daraus eine Aussage, die durch das 23 „ Der Wirkungsbegriff der Kommunikationsforschung ist aus den Naturwissenschaften entlehnt. Dort wird mit dem Begriff der Wirkung eine kausal strukturierte Ursache- Folgen-Relation gefasst, wobei die durch eine Ursache erzeugten Folgen prinzipiell als Veränderung von irgendetwas beschrieben werden. Für den Begriff der Wirkung werden oft andere Begriffe wie Funktion, Folgen, Einflüsse, Aufgaben und Leistungen von Kommunikation benutzt. Diese Unschärfe verdankt sich der Vagheit des Wirkungsbegriffs gleich in doppelter Weise: Einmal in Bezug auf den Adressaten der Wirkung, zum anderen in Bezug auf den Prozess der Wirkung “ ; MERTEN, K., Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Münster 2007 3 , 340; zum naturwissenschaftlichen Kausalitätsprinzip vgl. die Zusammenfassung bei RUSSELL, R. J., Art. Kausalität, II. Naturwissenschaftlich, RGG 4 4, 909 f; zum Verständnis von „ Wirkung “ bei Maletzke siehe Kap. 3.3.5 c. 112 3 Methodische Einführung Medium den Rezi-pienten erreicht. Der Kommunikator unterliegt dabei dem Zwang des Mediums und ferner dem Zwang seiner Auswahl, der Aussage bzw. seines Programms (die Gesamtheit aller Aussagen). Als weiterer Zwang kommt - v. a. im Kontext der Massenkommunikation - die Öffentlichkeit hinzu, deren Ansichten, Meinungen, Normen und Werten er Rechnung tragen muss im Blick auf die zu erwartenden Reaktionen auf seine Aussage. Das, was Maletzke als „ spontane Antworten des Rezipienten “ bezeichnet, kann als solch eine - wie auch immer geartete - Rückmeldung verstanden werden. Als letzter prägender Faktor ist das jeweilige Bild zu nennen, das Kommunikator und Rezipient voneinander haben. 24 3.3.2 Kommunikation als Psychologie Maletzke stellt sein Modell unter dem Titel „ Psychologie der Massenkommunikation “ vor. Die psychologische Dimension ist das eigentliche Spezifikum des Feldschemas, da die vier Faktoren so auch in anderen Kommunikationsmodellen vorkommen könnten. Ziel des Entwurfs von Maletzke ist es, „ die Prozesse im Bereich der Massenkommunikation psychologisch zu untersuchen “ 25 . Psychologie ist als empirische Wissenschaft interessant, die sich „ mit den Erscheinungsweisen, Hintergründen, Bedingungen und Auswirkungen der Phänomene des öffentlichen Lebens “ - bei Maletzke: der Massenkommunikation - beschäftigt. 26 In seinem Modell kommt die Psychologie v. a. in den Prozessen und (Inter-)Dependenzen der beteiligten Akteure zum Ausdruck, „ handelt es sich doch bei diesen Prozessen um zwischenmenschliche Interaktionen, um Beziehungen zwischen zwei Seiten, Partnern oder ,Polen ‘ eines sozialen Feldes “ . 27 Hier sind v. a. das Wechselspiel von Intention des Kommunikators und Interpretation bzw. Wirkung beim Rezipienten mittels Aussage 24 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 37 - 41. 25 MALETZKE, Psychologie, aaO., 11. 26 MALETZKE, Psychologie, aaO., 13. 27 MALETZKE, Psychologie, aaO., 14; vgl. die Angabe des Gegenstandes von Psychologie bei M.Morgenthaler als „ Verhalten und Erleben (bzw. Handeln und Bewußtsein) des Menschen, deren Entwicklung über die Lebensspanne und deren innere (im Individuum angesiedelte) und äußere (in der Umwelt lokalisierte) Bedingungen und Ursachen “ . Ziel der Psychologie als Forschung sei demzufolge die „ nomologisch orientierte Beschreibung, Erklärung und Vorhersage [. . .] von Verhalten und Erleben “ . Jedoch gibt Morgenthaler zu bedenken, dass je nach Interessen, Fragestellungen und anthropologischen Voraussetzungen der Gegenstand der Psychologie je anders umschrieben werde: „ So haben auch Definitionen der Psychologie bisher nie Stabilität erlangt “ ; MORGENTHALER, M., Art Psychologie II. Wissenschaftsgeschichtlich/ Praktisch-theologisch, in: TRE 27, 690 - 699; alle Zit. und Angaben 690. 3.3 Modellwahl und kommunikationstheoretische Ausarbeitung 113 und Medium und die jeweils zugrundeliegende „ Wirklichkeitsfiktion “ (vgl. die Faktoren der „ Umwelt “ ) zu nennen. Der Art der Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern misst Maletzke ebenfalls eine zentrale Rolle bei. 28 Jedoch kennt Maletzke auch die Grenzen einer psychologischen Betrachtungsweise. Psychologie ist nämlich zunächst ein Phänomen, das auf Personen beschränkt bleibt: „ Psychologisch relevant können im Felde der Massenkommunikation immer nur jene Beziehungen sein, an denen der Kommunikator oder der Rezipient oder beide Partner beteiligt sind “ . 29 Aussage und Medium stehen in keinem „ psychologischen “ Verhältnis zueinander, sondern sind nur „ Umwege “ der Beziehung von Kommunikator und Rezipient 30 : „ Aussagen sind geistige Gegenstände, die zu erforschen zunächst und unmittelbar Aufgabe der Geisteswissenschaften ist [. . .] Wollte nun die Psychologie danach trachten, mit ihren Methoden geistige Objekte primär und zentral zu erhellen, so würde sie sich [. . .] mit Recht den Vorwurf des Psychologismus zuziehen “ . 31 Aussagen sind als „ Erzeugnis ihres Urhebers “ und „ ,Anlaß ‘ oder,Ursache ‘ für Verhaltensweisen und Erlebensprozesse beim Rezipienten “ psychologisch relevant, jedoch muss sich die Psychologie „ vor dem Anspruch hüten, mit ihrer Betrachtungsweise den geistigen Gegenstand in seinem Wesen zentral und in vollem Umfang in den Griff zu bekommen. “ 32 Auch den menschlichen Akteuren wird eine rein psychologische Perspektive nicht gerecht: „ Eine strenge Beschränkung auf rein psychologische Aspekte ist weder wünschenswert noch möglich. Benachbarte Wissenschaften, vor allem Soziologie und Anthropologie, aber auch die Philosophie und andere Disziplinen, liefern dem Psychologen Daten und Betrachtungsweisen, die es ermöglichen, die psychologischen Probleme im größeren Zusammenhang der Wissenschaft vom Menschen zu sehen “ 33 . 3.3.3 Kommunikation als Massenkommunikation Bei dem Feldschema handelt es sich um ein Modell der Massenkommunikation. Maletzke orientiert sein Verständnis von Kommunikation also an der modernen medialen Kommunikation, die er sehr allgemein folgendermaßen beschreibt: „ Unter Massenkommunikation verstehen wir jene Form der Kommunikation, 28 Siehe Kap. 3.3.4 c. 29 MALETZKE, Psychologie, aaO., 132. 30 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 132. 31 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 53. 32 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 54. 33 MALETZKE, Psychologie, aaO., 13 f; Der Psychologie selbst attestiert Maletzke ein „ wissenschaftliches ,Grenzgängertum ‘“ . Sie sei angewiesen auf Erkenntnisse der Nachbardisziplinen (14). 114 3 Methodische Einführung bei der Aussagen öffentlich (also ohne begrenze oder personell definierte Empfängerschaft), durch technische Verbreitungsmittel (Medien), indirekt (also bei räumlicher oder zeitlicher Distanz zwischen Kommunikationspartnern) und einseitig (also ohne Rollenwechsel zwischen Aussagendem und Aufnehmendem) an ein disperses Publikum [. . .] vermittelt werden “ . 34 „ Massenkommunikation “ ist ein dem Englischen entlehnter Begriff (mass communication). 35 Dessen Wortbestandteil „ Masse “ drückt aus, dass sich die Kommunikation an die „ Ansammlung einer großen Zahl von Personen “ richtet, „ die einander nicht kennen, aber einander in der jeweiligen Situation wechselseitig wahrnehmen können “ und sich durch „ Unberechenbarkeit und Spontaneität “ auszeichnet. 36 Die Masse ist anonym, insofern das einzelne Mitglied dem Kommunikator unbekannt bleibt und sie ist heterogen, insofern sich in ihr eine Vielzahl sozialer Positionen vereinen. 37 Gerade diese Heterogenität ist das Unterscheidungskriterium zum Begriff „ Publikum “ : Es wird in der Kommunikationswissenschaft als demographisch viel homogener zusammengesetzte Rezipientenschaft verstanden. 38 Daher charakterisiert Maletzke das Publikum der Massenkommunikation als „ dispers “ : Es handelt sich um eine Ansammlung von Individuen, „ deren verbindendes Charakteristikum darin besteht, daß sie sich einem gemeinsamen Gegenstand - nämlich: den Aussagen der Massenmedien - zuwenden “ . 39 Massenkommunikation ist dadurch öffent- 34 MALETZKE, Psychologie, aaO., 32. 35 Vgl. BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 167 f; 36 MERTEN, K., Art. Masse, in: BENTELE, G./ BROSIUS H.-B./ JARREN, O. (Hgg.), Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft, Wiesbaden 2006, 160; BECK, K., Art. Massengesellschaft, in: ebd., 160 f, Zit. 160: Der Begriff „ Masse “ ist in der der Kommunikationswissenschaft nicht unumstritten. Er wurde ursprünglich auf die Rezipientenschaft eines Kommunikationsprozesses als „ homogenes, amorphes, passives Massenpublikum “ übertragen, „ das den Massenmedien und seinen direkten und starken Wirkungen ausgesetzt ist “ . In diesem Sinne prägte es das Verständnis von Massenkommunikation als einseitigem, linearen Prozess und war zunehmend „ stark negativ konnotiert “ . Die heutige Kommunikationswissenschaft sieht die Begrifflichkeit kritisch, da sie sich „ als nicht hinreichend zur Beschreibung gegenwärtiger Gesellschaften erwiesen “ hat, die differenzierter sind, als es der Begriff nahelegt: „ Das Konzept der M[assengesellschaft] muss daher als veraltet und für die Kommunikationswissenschaft als unbrauchbar angesehen werden “ ; DERS, Art. Massenkommunikation, in: ebd., 161 f, Zit. 161: „ Aus kommunikationssoziologischer Sich ist daher die Bezeichnung öffentliche Kommunikation (Publizistik) dem eingeführten Begriff M[assenkommunikation] vorzuziehen “ . Dieser Entwicklung trage ich durch meine Überführung des Feldschemas in ein Modell der öffentlichen Kommunikation Rechnung (Kap. 3.5.2); siehe auch die Problematisierung im Rahmen des Vergleichs von modernem und antikem Öffentlichkeitsverständis in Kap. 7.5 (bes. 7.5.4). 37 Vgl. BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 168. 38 Vgl. MERTEN, Art. Masse, aaO., 160. 39 BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 169. 3.3 Modellwahl und kommunikationstheoretische Ausarbeitung 115 lich, dass ihr eine eindeutige, quantitative Begrenzung des an ihr beteiligten Personenkreises fehlt. 40 Seit Erfindung der Schrift ist Kommunikation nicht mehr auf den direkten Weg zwischen Partnern ( „ interaktive oder face-to-face Kommunikation “ ) beschränkt. Die Kommunikationssituation ist räumlich und zeitlich flexibel. Wissen ist dauerhaft konservierbar, übertragbar und nutzbar. 41 Moderne Massenkommunikation ist gekennzeichnet durch den Einsatz technischer Verbreitungsmittel, sog. Massenmedien: Es handelt sich um „ all jene Medien, über die durch Techniken der Verbreitung und Verfielfältigung mittels Schrift, Bild und/ oder Ton optisch bzw. akustisch Aussagen an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen vermittelt werden “ . 42 Die durch das Medium bedingte raumzeitliche Trennung (indirekt) und Einseitigkeit des Kommunikationsaktes führen zum Fehlen direkter, zwischenmenschlicher Beziehungen, sowohl des Publikums untereinander als auch mit dem Kommunikator. Es bleibt unstrukturiert und unorganisiert. 43 Dabei ist die Kommunikation, die gemeinsame Zuwendung zum Medium, das einzige Konstitutivum der Gemeinschaft; ihre soziale Existenz als solche bleibt daher zeitlich punktuell begrenzt. 44 3.3.4 Die vier Hauptfaktoren des Feldes Es ist Zeit, einen Blick auf die vier Hauptfaktoren zu werfen. Zunächst gebe ich einen Überblick über ihre jeweilige Stellung im Modell, bevor sie in dann in Beziehung zueinander wahrgenommen werden können. a) Kommunikator und Rezipient Der Kommunikator ist der Ausgangspunkt des Prozesses. Von ihm geht die Initiative zur Kommunikation aus. 45 Ihn beeinflussen zunächst seine Persönlichkeit und sein Selbstbild, die seine soziale Rolle definieren und die eigene Aufgabe interpretieren. Sie sind also für seine subjektive Selbsteinordnung im System des Kommunikationsfeldes verantwortlich, machen seine Werthaltungen sichtbar und können wie ein Filter für die anderen Einflussfaktoren wirken. 46 Auch die Rezipienten besitzen analog dem Kommunikator Persönlichkeit und Selbst- 40 Vgl. BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 171. 41 Vgl. SCHMIDT/ ZURSTIEGE, Orientierung, aaO., 174. 42 BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 171. 43 Vgl. BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 169. 44 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 28; BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 169. 45 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 36; 40; 43. 46 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 40; 44 f. 116 3 Methodische Einführung bild, die ihre Rolle im Kommunikationsprozess steuern und andere Einflüsse filtern. 47 Sowohl Kommunikator als auch Rezipienten werden zusätzlich zu diesen persönlichen Faktoren mit ihrer Umwelt konfrontiert. Maletzke definiert sie v. a. als soziale Beziehungen. 48 Hier ist die Kommunikationssituation und deren Grad an Öffentlichkeit (als Einzelner, in der Intimgruppe, im Präsenzpublikum) zu nennen, in der sich Rezipienten und Kommunikator befinden. 49 Unabhängig von dieser konkreten Situation steht der Rezipient unter dem Einfluss ständiger „ direkter Kommunikation “ , ist als Teil eines Publikums im gegenseitigen Austausch (auch über den Kommunikationsprozess). 50 Es etablieren sich „ Meinungsführer “ , also Personen, die „ in persönlichem Kontakt die Meinung [. . .] anderer Menschen besonders stark beeinflussen “ und auch als Vermittler von Meinung wirken können. Sie forcieren damit den sog. „ Bandwagoneffekt “ , das „ Streben der Menschen, sich in ihren Meinung und Urteilen der vermeintlichen Majorität anzuschließen “ . 51 Die Gruppenzugehörigkeit, oder genauer der Zwang der Gruppennormen, hat also erhebliche Auswirkungen auf das Rezeptionsverhalten. 52 Auch der Kommunikator ist den normativen Kräften und Attitüden seiner Gruppenzugehörigkeit unterworfen sowie der Dynamik der Öffentlichkeit und ihrer „ öffentlichen Meinung “ . 53 Hinzu treten eventuell vorhandene „ Mitkommunikatoren “ , seine Mitarbeiter ( „ Team “ ), mit denen ihn ein gemeinsames Ziel, ein gemeinsamer Zweck, ein gewisser Grad an Arbeitsteilung verbindet, die ihn in seiner Handlungs- und Entscheidungsfreiheit aber auch einschränken (wenn er das Team nicht verlieren möchte). 54 Maletzke unterscheidet zwischen schöpferisch tätigen Teammitgliedern und „ Pseudo-Kommunikatoren “ , die nur Mittlerfunktionen wahrnehmen. 55 All diese Umweltfaktoren prägen den Kommunikationsprozess zwischen Kommunikator und Rezipient und flließen im Wechselspiel mit Persönlichkeit und Selbstbild und geflitert durch diese in ihn ein. 47 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 78. 48 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 46ff; 78 ff. 49 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 85 f. 50 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 79. 51 Vgl. MALETZKE, Psychologie, 80ff; aaO., Zit. 80; 86. 52 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 82 ff. 53 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 46; 51. 54 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 47 f. 55 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 48. 3.3 Modellwahl und kommunikationstheoretische Ausarbeitung 117 b) Aussage Unter Aussagen versteht Maletzke „ jene symbolhaften Objektivationen, die ein Mensch (als Kommunikator) aus sich herausgestellt hat, so daß sie bei einem anderen Menschen (als Rezipient) psychische Prozesse verursachen, anregen oder modifizieren können, und zwar Prozesse, die in einem sinnvollen Zusammenhang mit der Bedeutung des Ausgesagten stehen “ 56 . Eine Aussage ist einerseits „ Erzeugnis ihres Urhebers und gleichzeitig ,Anlaß ‘ oder ,Ursache ‘ für Verhaltensweisen und Erlebensprozesse beim Rezipienten “ . 57 Weiterhin haben Aussagen als „ geistige Gegenstände “ Sinn, „ bedeuten etwas “ . 58 Jedoch sind sie „ überindividuell “ , d. h. von Kommunikator, Situation und Rezipient ablösbar, denn sie selbst bleiben unveränderlich, d. h. vom Erleben/ Rezep-tionsprozess unberührt. 59 Der Gehalt der Aussage selbst erschließt sich für Maletzke phänomenologisch auf drei Ebenen. Unter der untersten, materialen versteht er den äußerlichen Träger der Aussage, das Medium, auf welche die eigentliche Aussage abgebildet wird. Darauf baut die Ebene von Inhalt und Form auf, welche die eigentliche Aussage liefert, wohingegen sich der überzeitliche, allgemeingültige Sinn jenseits des Konkreten auf einer dritten Ebene befindet. 60 Jene letzte Ebene sieht Maletzke als Ebene des religiösen, moralischen und ästhetischen Erlebens mit metaphysischer Qualität an. 61 Der Analyse der Aussage, der Frage nach ihrer Herkunft, ihrem Zweck und ihren Wirkungen, kommt für Maletzke eine hohe Bedeutung innerhalb der Entschlüsselung des Kommunikationsprozesses zu: Durch sie sind „ möglichst viele und zuverlässige Aufschlüsse über den Kommunikator und den Rezipienten (bzw. das Publikum) zu gewinnen “ , denn sie sind auch „ Spiegel der Persönlichkeit[en] “ , die auf Intention oder Erwartungshaltung schließen lassen. 62 c) Medium Medien sind „ technische[n] Instrumente oderApparaturen, mit denen Ausagen öffentlich, indirekt und einseitig einem dispersen Publikum vermittelt wer- 56 MALETZKE, Psychologie, aaO., 53. 57 MALETZKE, Psychologie, aaO., 54. 58 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 54. 59 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 54. 60 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 55 f. 61 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 56. 62 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 66 f; Zit. 64; 65; Die Erwartungshaltung erwächst aus „ der Vorstellung, die der Rezipient im voraus von der Aussage entwickelt “ (vor der eigentlichen Begegnung) und ist gewissermaßen eine „ Ausrichtung auf das Kommende “ (149). 118 3 Methodische Einführung den “ . 63 Im Gegensatz zu den übrigen Feldvariablen handelt es sich beim Medium um eine „ Konstante “ , die „ dem Einfluss der Feldkräfte weitgehende entzogen “ , aber selbst an ihnen wirksam ist, sie „ formt, strukturiert und kanalisiert “ . 64 Die einzige Möglichkeit der Beeinflussung durch die anderen Faktoren besteht in der Wahl des Mediums (durch den Kommunikator) bzw. in der Auswahl aus dem Medienangebot (durch den Rezipienten). 65 3.3.5 Präzisierungen: Die Relationen im Feldschema Mit der Bezeichnung „ Feldschema “ richtet Maletzke besonderes Augenmerk auf die vielfältige, relationale Verflochtenheit der Faktoren im Feld der Massenkommunikation: „ Das Beziehungsfeld der Massenkommunikation ist zu verstehen als ein kompliziertes dynamisches System von Dependenzen und Interdependenzen der beteiligten Faktoren. “ 66 Daher ist nun ein Blick auf die Relationen der Faktoren innerhalb des Kommunikationsprozesses zu werfen. Zum bessern Verständnis werde ich im Folgenden auch kommunikationstheoretische Erkenntnisse zur Sprache bringen, die implizit in das Feldschema Maletzkes eingeflossen sind, von ihm aber nicht eigens thematisiert werden. Zunächst stelle ich über den Begriff der „ Nachricht “ einen Bezug zur journalistischen Praxis her, die die Kommunikationswissenschaft von Anfang an geprägt und vorangetrieben hat. 67 Im Anschluss werde ich versuchen, das Maletzke-Feldschema anhand von einschlägigen Theorien (Gatekeeper-Modell, Nachrichtenwertforschung, Feedback-Theorie) zu veranschaulichen. a) Aussage und (journalistische) Nachricht Maletzke hat sich bei der Suche nach einer Bezeichnung für den inhaltlichen Aspekt des Informationsaustauschs für den Begriff der „ Aussage “ entschieden (in Anlehnung an den übrigen deutschsprachigen Forschungskontext). Er versteht darunter das, „ was objektiviert, ausgesagt, weitergegeben, vermittelt wird “ und einen Inhalt, eine Form und einen Gehalt hat. 68 Im journalistischen Bereich hat sich die Bezeichnung der Nachricht als „ Elementarform der 63 MALETZKE, Psychologie, aaO., 76. 64 MALETZKE, Psychologie, aaO., 77. 65 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 77. 66 MALETZKE, Psychologie, aaO., 37. 67 Vgl. nur das Hervorgehen der modernen Kommunikationswissenschaft in Deutschland aus der „ Zeitungswissenschaft “ über die Publizistik hin zu einer empirisch-sozialwissenschaftlichen Disziplin; vgl. HACHMEISTER, Kommunikationswissenschaft, aaO., 221. 68 MALETZKE, Psychologie, aaO., 36. 3.3 Modellwahl und kommunikationstheoretische Ausarbeitung 119 Information “ etabliert. 69 Neben dieser inhaltlich-universalen Bedeutung kann „ Nachricht “ im journalistischen Kontext auch eine bestimmte journalistische Darstellungsform bezeichnen, die durch ihre Kürze charakterisiert ist, und deshalb nicht grundlegend von der allgemeinen Nachricht unterschieden werden muss. 70 Die journalistisch relevante Nachricht zeichnet unter anderem aus, dass sie das Interesse des Rezipienten und für diesen einen gewissen Neuigkeitswert besitzt (allgemeines Interesse und Aktualität), dass sie durch einen dritten vermittelt und damit dessen Einflussnahme unterworfen ist (entweder „ möglichst objektiv “ oder auch subjektiv wie z. B. der „ Kommentar “ ), und schließlich dass sie verständlich und in ihrer Form den Bedürfnissen des Rezipienten und der Intention des Kommunikators angepasst ist (Verständlichkeit, Aufbau). 71 Von Bedeutung ist das Verhältnis von Rezipient und Kommunikator zur Nachricht. Beide werden als auswählend, als „ selektierend “ wahrgenommen, der Rezipient durch sein Interesse, was ihm neu und informativ erscheint, der Kommunikator durch seine Intention, seine Einschätzung, was für den Rezipienten relevant sein könnte, und die Umsetzung von beidem in der Konstruktion der Nachricht. Die Kommunikationswissenschaft trägt diesem generellen Kommunikationsphänomen in „ Theorien der Nachrichtenselektion “ Rechnung. 72 Der Kommunikator wird in seinem Verhältnis zur Nachricht als „ Gatekeeper “ beschrieben, der den Informationfluss stark steuert, der „ Wert “ der Nachricht für den Rezipienten wird in der Nachrichtenwertforschung hinterfragt. Maletzke setzt diese Erkenntnisse in den Konzepten der „ Stoffauswahl “ des Kommunikators, der „ Angebotsauswahl “ des Rezipienten und dem „ Zwang der Öffentlichkeit “ um. Schließlich laufen auch vor und neben der eigentlichen Nachricht (psychologische) Kommunikationsprozesse zwischen beiden ab, die sozusagen „ zwischen den Zeilen “ zu lesen sind. Maletzke hat diesem Phänomene im „ gegenseitigen Bild “ und den „ spontanen Antworten “ Ausdruck verliehen. Dahinter steht kommunikationswissenschaftlich die „ Feedback “ -Theorie, die jenen wechselseitigen Austausch zu erfassen versucht. 73 69 DOVIFAT, E., Handbuch der Publizistik, Berlin 1968, 448. 70 Vgl. VON LA ROCHE, W., Einführung in den praktischen Journalismus, Berlin 2006 17 , 75. 71 Vgl. DOVIFAT, E., Die Zeitungswissenschaft. Band 1. Berlin 1931, 17; VON LA ROCHE, Einführung, aaO., 74: Die wichtigste Regel für den Aufbau einer Nachricht ist „ das Wichtigste kommt an den Anfang “ (88 f ). „ Der [sog.] Lead gibt Antwort auf die Frage, die das Publikum vermutlich als erste zu dem jeweiligen Thema stellen würde “ (90), die Vorgeschichte oder ein chronologisch-protokollarischer Aufbau eignen sich nicht als Lead (90 f ). Der Lead soll kurz sein, nur so lang, wie es nötig ist um sinnvoll die wichtigste Information zu transportieren (92). 72 Vgl. SCHMIDT/ ZURSTIEGE, Orientierung, aaO., 126 - 138. 73 Vgl. BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 66 - 75. 120 3 Methodische Einführung b) Theorien der Nachrichtenselektion Gatekeeper-Forschung (Kommunikator - Aussage/ Medium) W. Schulz erkannte 1989 mit Blick auf die modernen Kommunikationsmedien, dass sie nicht über Ereignisse berichten, sondern diese erst schaffen. „ Realität “ sei „ das Ergebnis einer Vielzahl selektiver Entscheidungen, Bewertungen, Interpretationen “ . 74 Was zur Nachricht wird, entscheiden in erster Linie jene, die diese Nachricht verbreiten. So ist auch das Verhältnis des Kommunikators zu Aussage oder Medium in unserem Kommunikationsmodell durch Selektion geprägt. Er „ produziert “ eine von vielen möglichen Aussagen aufgrund bestimmter Voraussetzungen. 75 Dazu zählt natürlich zuerst seine Intention, das, was er mit der Nachricht „ bewirken “ möchte. 76 Aber er ist auch an sein Programm, an „ die Gesamtheit aller Aussagen “ in einem „ abgegrenzten Zeitraum “ gebunden. 77 Intention und Programm sind die Hauptfaktoren der Selektion des Stoffes, zu der weitere hinzutreten (Persönlichkeit, Selbstbild, Rezipient, etc.). 78 Ähnliches gilt für die Wahl des Mediums, die der Kommunikator zwar frei trifft, die ihn jedoch unter einen bestimmten „ Zwang “ , die mit der Wahl verbundenen Konsequenzen für die Aussage, stellt. 79 Sowohl in Bezug auf das Medium als auch hinsichtlich der eigentlichen Aussage ist der Kommunikator also Entscheidungsträger. Er ist als „ Gatekeeper “ die erste „ Einlass-Pforte “ zur Nachrichten-Übermittlung. 80 Für die kommunizierte Nachricht kann diese Entscheidung einschneidende Modifikationen (Auslassungen oder Verkürzungen, Kontextualisierung, Umfang, Bild- und Wortwahl) nach sich ziehen. 81 Nachrichtenwertforschung (Rezipient - Aussage/ Medium) Ebenso wie der Kommunikator selektiert auch der Rezipient bei der Begegnung mit Aussage und Medium. 82 In der sog. „ präkommunikativen Phase “ werden Phänomene wie Vorurteile, Erwartungshaltung oder auch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage (also dem Interesse an Kommunikation) bestimmend 74 SCHMIDT/ ZURSTIEGE, Orientierung, aaO., 127. 75 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 89. 76 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 89 ff. 77 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 40. 78 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 92 ff. 79 Z. B. die „ technischen Bedingungen und Voraussetzungen, [. . .] die spezifischen Möglichkeiten und Grenzen “ ; MALETZKE, Psychologie, aaO., 98. 80 Vgl. SCHMIDT/ ZURSTIEGE, Orientierung, aaO., 128. 81 Vgl. SCHMIDT/ ZURSTIEGE, Orientierung, aaO., 131 f. 82 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 146 ff. 3.3 Modellwahl und kommunikationstheoretische Ausarbeitung 121 für den Selektionsprozess. 83 An diesen Prädispositionen kann auch ein Versuch der Manipulation seitens des Kommunikators grundsätzlich nichts ändern, wie Maletzke anhand eines Beispiels beschreibt: „ Publizistische, propagandistische und pädagogische Bemühungen fallen also nur dann auf fruchtbaren Boden, wenn schon in der präkommunikativen Phase das Vorstellungsbild und die präexistenten Attitüden miteinander harmonieren “ . 84 Der Rezipient bekommt mit Hilfe eines Mediums ein Aussagenangebot, aus dem er auswählt bzw. das er interpretiert und ist aktiv Mitwirkender bei der Bedeutungskonstitution der Aussage. 85 Die Nachrichtenwertforschung hinterfragt, warum über bestimmte Ereignisse berichtet wird und über andere nicht. Anders formuliert: Was macht eine Nachricht für den Rezipienten relevant und was veranlasst einen Kommunikator, zu glauben, seine Nachricht hätte Relevanz für den Rezipienten? Diese Thematik erfährt in der modernen Kommunikationsfoschung hochkomplexe Klärungsversuche. Für die vorliegende Thematik mag ein Verweis auf den Aspekt der „ individuellen Wirklichkeitsfiktion “ genügen. Der US-amerikanische Medienwissenschaftler W. Lippmann diagnostizierte 1922, dass Menschen ihre Umwelt viel häufiger mit Hilfe von Fiktionen ( „ Stereotypen “ ) beschreiben als in der Form sicheren Wissens. 86 Diese Fiktionen sind ein Weg, die hochkomplexe Umwelt zu strukturieren. Gleichzeitig sind individuelle oder auch institutionelle „ Wirklichkeitsfiktionen “ Faktoren, die über die Frage nach der Relevanz einer Nachricht bzw. eines Ereignisse entscheiden. 87 Um also zu verstehen, was eine Nachricht für den Kommunikator/ Rezipienten relevant macht, gilt es, die Faktoren zu benennen, die seine jeweilige Wirklichkeitsfiktion bestimmen. Diese Faktoren erweisen sich als in hohem Maße kulturabhängig. 88 Unter Kultur kann man aus medientheoretischer Sich mit Schmidt/ Zurstiege ein „ Programm der gesellschaftlichen Bedeutungszuschreibungen (oder Semantik) für ihr [= das gesellschaftliche bzw. individuelle] Wirklichkeitsmodell “ verstehen. 89 Vergröbernd könnte Kultur also als diejenigen (sozialen) Faktoren bezeichnen, die Denken, Fühlen und Handeln, kurzum das gesamte Weltbild des Einzelnen, strukturieren. Kulturelle Faktoren bzw. das soziale Umfeld beein- 83 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 147 ff. 84 MALETZKE, Psychologie, aaO., 148. 85 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 38; 132 f. 86 Vgl. LIPPMANN, W., Die öffentliche Meinung, Bochum 1990 2 (orig. Public Opinion, 1922); SCHMIDT/ ZURSTIEGE, Orientierung, aaO., 133. 87 Vgl. SCHMIDT/ ZURSTIEGE, Orientierung, aaO., 133 f. 88 Vgl. SCHMIDT/ ZURSTIEGE, Orientierung, aaO., 136 f. 89 SCHMIDT/ ZURSTIEGE, Orientierung, aaO., 162. 122 3 Methodische Einführung flussen die Relevanz einer Nachricht. Diesem Umstand versucht Maletzke in seinem Modell mit der Benennung einzelner Umweltfaktoren (Team, soziale Beziehungen, Öffentlichkeit) und der davon abhängigen Aspekte von Selbstbild und Persönlichkeit gerecht zu werden. Nachdem beide, Kommunikator und Rezipient, von ihrer „ Umwelt “ betroffen sind, gilt es zunächst, zu bestimmen, inwiefern diese identisch oder verschieden ist, wo die gemeinsame Schnittmenge verläuft (ohne die Kommunikation nicht möglich ist), ob eine gemeinsame Umwelt auch gleich wahrgenommen wird und schließlich wo entscheidende Unterschiede in der jeweiligen Wirklichkeitsfiktion zum Tragen kommen, die Kommunikation (darüber) überhaupt erst nötig macht. c) Verstehen und Verständigung (Kommuniktator - Rezipient) Dass es bei Kommunikation zur echten Verständigung, also zum „ Verstehen im Sinne einer identischen Verwirklichung der Mitteilungsabsichten eines Kommunikators “ kommt, ist nicht selbstverständlich. 90 Erfolgreiche Kommunikation setzt „ analoge physische und geistige Strukturen “ sowie einen Bezug auf eine „ gemeinsame Wirklichkeit “ voraus, welche die „ Identität kognitiver Prozesse “ , ähnliche Erwartungen und Erwartungserwartungen sowie die Fähigkeit zur Metakommunikation (reflektierendes Denken/ Sprechen) bedingen. 91 Das entspricht zusammengefasst in etwa dem, was ich eben unter dem Begriff der „ Wirklichkeitsfiktion “ verhandelt habe. Der Zeitpunkt des Verstehens, die „ kommunikative Phase “ , gliedert für Maletzke den gesamten Kommunikationsprozess. 92 Er beschreibt in drei Phasen, welche Voraussetzungen (Selektion) und Konsequenzen (Wirkung) das Verstehen auf Seiten des Rezipienten hat. 1) In der „ präkommunikativen Phase “ findet die Selektion der Aussage(n) statt (vgl. Theorien der Nachrichtenselektion). 93 Sie ist zunächst abhängig von den äußeren „ Zwängen “ des Mediums, z. B. akkustischer oder optischer Wahrnehmung, Verhaltens- (Aufmerksamkeit) oder Zeitbindung (Zeitpunkt der Kommunikation), räumlicher und sozialer Situation (allein, in Gruppe, in Öffentlichkeit). 94 90 SCHMIDT/ ZURSTIEGE, Orientierung, aaO., 169. 91 Vg. LEWANDOWSKI, T., Art. Kommunikation, in: DERS., Linguistisches Wörterbuch, Bd. 2, aaO., 554. 92 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 147. 93 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 147. 94 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 171. 3.3 Modellwahl und kommunikationstheoretische Ausarbeitung 123 2) Die „ kommunikative Phase “ ist der Prozess der eigentlichen Begegnung mit der Aussage und ihrem Verstehen. 95 Es spielen Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Vorstellung/ Phantasie, Ästhetik, erlebte Zeit, emotionale Verfassung und psychische Distanz zwischen Mensch und Gegenstand (die Fähigbzw. Unfähigkeit zur Objektivierung bzw. Reflexion) des Rezipienten eine Rolle. 96 3) In der „ postkommunikativen Phase “ entfaltet der Kommunikationsprozess seine Wirkung. 97 Maletzke unterscheidet zwei Definitionen von „ Wirkung “ : „ eine weite Fassung, die der theoretischen Forderung genügt, alle Wirkungsmöglichkeiten der Massenkommunikation schlechtin zu übergreifen; und eine engere, pragmatisch orientierte Fassung, die dem nahekommt, was etwa im allgemeinen Sprachgebrauch als Wirkungen der Massenkommunikation bezeichnet wird “ . 98 Umfasst erstere alle drei Phasen der Kommunikation, beschränkt sich letztere auf die „ Prozesse, die sich in der postkommunikativen Phase als Folgen der Massenkommunikation abspielen “ , und „ in der eigentlichen kommunikativen Phase [auf] alle Verhaltensweisen, die aus der Zuwendung des Menschen zu Aussagen der Massenkommunikation resultieren “ . 99 Als solche Wirkungen, die eben auch schon während des Erlebens der Aussage in der kommunikativen Phase auftreten können, versteht Maletzke Veränderungen des Verhaltens und des Wissens, der Meinung/ Attitüde, im emotionalen Bereich und in der „ Tiefensphäre des Psychischen “ . 100 Die Funktion der Aussage für den Rezipienten ist von deren Wirkungen zu unterscheiden. Sie ist für Maletzke „ die spezifische Bedeutung eines Gegenstandes, eines Sachbereiches oder eines Vorganges für den Menschen als handelndes und erlebendes Subjekt “ . 101 Das entspricht eher der Relevanz als der Wirkung. Hinzu kommt, dass sie in allen Phasen, also auch schon vor der Kommunikation, eine Rolle spielen kann. Im Kontext der Massenkommunikation benennt Maletzke Flucht aus Bindung, Verantwortung und Realität, soziale Begegnung/ Ansprache, Gesprächsstoff, Ersatzbefriedigung, Zeitfüller 95 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 151 ff. 96 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 152; zur „ psychischen Distanz “ vgl. 165 f. 97 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 171. 98 MALETZKE, Psychologie, aaO., 189. 99 MALETZKE, Psychologie, aaO., 190. 100 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 192. 101 MALETZKE, Psychologie, aaO., 133. 124 3 Methodische Einführung und Bedeutung in bestimmten Situation oder sozialen Beziehungen/ Gruppen als mögliche Funktionen einer Aussage. 102 Zu diesem rein vom Rezipienten her gedachten Prozess treten nun zwei reziproke Mechanismen, die das Verstehen prägen und beeinflussen können. Das jeweilige „ Bild “ , das Kommunikator und Rezipient voneinander haben, hat eher indirekten, vorauslaufenden Einfluss, wohingegen das „ Feeback “ direkt und aktuell einen Austausch ermöglicht. Das „ gegenseitige Bild “ Das „ Bild “ des Rezipienten vom Kommunikator ist die „ kommunikative Bewusstseinslage “ , in der er sich ihm gegenüber befindet: „ In welchem Ausmaß fühlt sich der Rezipient im Prozeß der Massenkommunikation persönlich angesprochen? “ 103 Aus dem Kontext der Nachrichtenwertforschung ist uns eine ähnliche Fragestellung bereits geläufig. Jedoch wird nun nicht nach der Relevanz der Nachricht, sondern sozusagen nach der Relevanz des Kommunikators gefragt: Wird er als Kommunikationspartner akzeptiert? 104 Auf welche Weise wird er wahrgenommen? Als Vorbild (Nachahmung von Verhalten oder Zielsetzung) oder Leitbild (zielbezogen, stilbildend, unbewußt wirkend)? Als Held/ Idol (totale und unkritische Übernahme, intensive Gefühlsbindung, hochgradige Identifikation)? Identifiziert sich der Rezipient mit ihm oder bildet er eine Projektionsfläche? 105 Wie gestaltet sich die emotionale Beziehung zum Kommunikator? 106 Wie schätzt der Rezipient seine Glaubwürdigkeit ein? 107 Wie hoch ist das Prestige des Kommunikators? 108 Aus all diesen Faktoren setzt sich das Bild des Rezipienten vom Kommunikator zusammen. Je besser der Kommunikator seinen Rezipienten - und damit auch die Antworten auf diese Fragen - kennt, ein „ Bild “ von ihm hat, desto besser kann er seiner Intention entsprechend die Aussage formulieren und medial vermitteln und damit den Rezipienten beeinflussen. 109 Die Einflussnahme (Suggestion) kann so weit gehen, dass der Rezipient „ Stellungnahmen, Rat- 102 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 134 - 146. Für mich ist die Ansicht Maletzkes nicht schlüssig, benennt er doch hier Funktionen der gesamten Kommunikation und nicht nur einzelner, inhaltlicher Aussagen. 103 MALETZKE, Psychologie, aaO., 117. 104 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 110. 105 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 119 f. 106 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 118. 107 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 129 f. 108 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 127. 109 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 103 ff. 3.3 Modellwahl und kommunikationstheoretische Ausarbeitung 125 schläge oder Anordnungen eines Kommunikators ohne kritisches Denken und ohne hinreichende rationale Begründung übernimmt “ . 110 Die „ Bilder “ von Kommunikator und Rezipient sind nicht starr und können sich während des Kommunikationsprozess immer verändern. Jedoch bedarf es dazu eines eigenen kommunikativen Akts wie der Formulierung der Aussage oder des Feedbacks. Feedback-Theorie „ Feedback “ ist ein Kontrollmechanismus, der das Gelingen von Kommunikation prüft und durch Modifikation ggf. ermöglicht. 111 „ Durch das Feedback erhält der Kommunikator Hinweise auf die Qualität des Rezipierens, d. h. auf die ,Verstehensleistung ‘ des Rezipienten. Das Feedback gibt Auskunft über den Erfolg des kommunikativen Handelns [. . .] über den Grad der erreichten Verständigung “ . 112 Dieser Vorgang bleibt nicht singulär, sodass der Kommunikationsvorgang als „ zyklischer, [. . .] [also] (mehrfach) rückgekoppelter Kodierungs- und Dekodierungsvorgang “ beschrieben werden kann. 113 Maletzke gibt diesem Phänomen unter der Bezeichnung „ spontane Antworten des Rezipienten “ Gestalt. 114 Jedoch stellt die Situation der Massenkommunikation insofern einen Spezialfall dieses Feedback-Vorgangs dar, als verschiedene Faktoren die Rückmeldung des Rezipienten hemmen: „ [S]trukturell bedingte Distanz “ (durchs Medium bedingte einseitige Kommunikation), „ Heterogenität der Rezipientenschaft “ und „ breite Streuung der kommunikativen Interessen “ (es gibt nicht den, sondern nur die Rezipienten) erschweren und verlangsamen Feedback-Prozesse. 115 Im Extremfall bleibt dieVorstellung von Wechselseitigkeit illusionär, auch und vor allem aufgrund der „ Rollenmacht “ des Kommunikators, der Kommunikation steuern oder abbrechen kann. 116 110 MALETZKE, Psychologie, aaO., 130. 111 Vgl. BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 66 ff. 112 BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 69. 113 LEWANDOWSKI, T., Art. Kommunikationsprozeß, in: Ders., Linguistisches Wörterbuch, Bd. 2, aaO., 558. 114 Vgl. MALETZKE, Psychologie, aaO., 41; 109 f. 115 BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 73. 116 Vgl. BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 74; MALETZKE, Psychologie, aaO., 101 ff. 126 3 Methodische Einführung 3.4 Problematisierung des Modells Maletzke hat das Feldschema 1963 in seinem Buch „ Psychologie der Massenkommunikation “ vorgestellt. Es entwickelte sich in der Folge zu einem Grundlagenwerk, und viele seiner Theorien wurden zu Grundwissen der Kommunikationswissenschaft. 117 Eine große Leistung des Modells stellt sicherlich die Integration der Psychologie, und damit die Umformung der Kommunikationswissenschaft zu einer empirischen Sozialwissenschaft nach US-amerikanischem Vorbild, dar. 118 Diese Errungenschaft wird bis heute nicht prinzipiell in Frage gestellt. Das zweite Verdienst Maletzkes, die (Neu-)Strukturierung seines Fachs und das Zurverfügungstellen einer klaren Terminologie, ist dagegen weit weniger unumstritten geblieben. 119 Sowohl seine Definition von Massenkommunikation als auch der Begriff „ disperses Publikum “ haben in der jüngeren Kommunikationswissenschaft zunehmend Kritik erfahren. Hintergrund ist die moderne kommunikationstechnische Entwicklung, die sich in „ Konvergenztendenzen “ zwischen Telekommunikation, Computer und elektronischen Massenmedien seit den 1990ern äußert und für die das Feldschema der Massenkommunikation als unzureichend empfunden wird. 120 Die Kritik trifft aber nicht wirklich, da sich nur das Phänomen innerhalb der Gesellschaft verändert bzw. verflüchtigt, nicht aber die Theorie als unzutreffend für die Beschreibung des Phänomens erwiesen hat. 121 Auch das Gesamtkonzept des Maletzke-Modells hat Widerspruch erfahren. So wurde verschiedentlich kritisiert, dass eine beliebige Kommunikationssituation abgebildet wird, die Maletzke nur mit dem Etikett „ Massenkommunikation “ versehen habe. Desweiteren wurde das Hauptkriterium des Massenkommunikation bei Maletzke, die (technische) Vermittlung durch Verbreitungsmittel (Medien), problematisiert: Auch direkte Kommunikation ist nicht unvermittelt; allein an die Sprache als Medium wäre zu denken. Anfragen wurden auch hinsichtlich der (psychologischen) Abläufe zwischen Kommunikator und Rezipient, der politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen sowie der sozialen und kulturellen Faktoren und deren gesellschaftlicher Entwicklung gestellt. 122 117 Vgl. HEGER, C., Im Schattenreich der Fiktionen. Studien zur phantastischen Motivgeschichte und zur unwirtlichen (Medien-)Moderne, München 2010, 232. 118 Vgl. MEYEN, M./ LÖBLICH, M., Klassiker der Kommunikationswissenschaft. Fach und Theoriegeschichte in Deutschland, Konstanz 2006, 223 f; 228. 119 Vgl. MEYEN/ LÖBLICH, Klassiker, aaO., 223 f; 230. 120 Vgl. BURKART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 503; 508. 121 Moderne Kommunikationswissenschaft beschäftigt sich gegenwärtig eher mit „ Zielgruppen- “ als mit Massenkommunikation; vgl. BURKHART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 166. 122 Vgl. MEYEN/ LÖBLICH, Klassiker, aaO., 236 f. 3.4 Problematisierung des Modells 127 Maletzke ließ viele Fragen offen. Aber gerade darin liegt die Stärke seines Modells. Es stellt im besten Sinne einen bestimmten Kommunikationsprozess „ ganzheitlich “ dar und ermöglicht dennoch zugleich durch seine distinkte Terminologie Unterscheidungen, die zu vertiefter Wahrnehmung anleiten. Das Modell ist erweiterbzw. modifizierbar und auch unter veränderten Bedingungen anwendbar. 123 Diese heuristische Qualität des Feldschemas kann auch nach fast 50 Jahren Rezeptionsgeschichte nicht bestritten werden. 124 So kann die kritisierte „ Beliebigkeit “ der dargestellten Kommunikationssituation auch als Chance begriffen werden: das Stichwort „ Massenkommunikation “ ist nur ein Fokus, ein „ Anwendungsgebiet “ des Modells, auf welches es aber (nach geringfügiger Modifikation) nicht beschränkt zu bleiben braucht. Entsprechend kann auch die Erkenntnis, dass jede Kommunikation vermittelt, also medial geschieht, bei einer interpretierenden Anwendung des Maletzke-Modells aufgegriffen werden, indem der Verengung auf technischeVerbreitungsmittel nicht unbedingt gefolgt wird. Der analytische Wert der anderen Aspekte des Modells wird dadurch in keinster Weise geschmälert. 3.5 Begründung der Methodikwahl und Anwendung 3.5.1 Klarheit und Offenheit Zunächst ist daran zu erinnern, dass nicht die historische Situation zwischen Paulus und seinen Zuhörern Gegenstand dieser Analyse ist, sondern die Konzeption von Evangelium, also die Stellung und Rolle, die das Evangelium aus paulinischer Perspektive einnimmt. Diese Konzeption - so die These dieser Arbeit - betrachtet das Evangelium vor allem als Kommunikationsgeschehen und ist nur von diesem Zusammenhang her hinreichend zu erfassen. Es ist daher naheliegend, zur Erarbeitung des paulinischen Evangeliums ein Kommunikationsmodell hinzuzuziehen, das offen genug ist, um bei notwendiger Modifikation Anwendung zu finden, und gleichzeitig klar Terminologie und Rahmen vorgeben kann, um die paulinischen Belegstellen strukturiert und unter eindeutigem konzeptionellen Fokus zu analysieren. 123 Vgl. MEYEN/ LÖBLICH, Klassiker, aaO., 237. Kommunikationsforscher wie R.Burkart nehmen die Ideen Maletzkes immer noch als Grundlage ihrer eigenen Theoriemodelle; BURKART, aaO., Kommunikationswissenschaft, 501 ff. 124 Vgl. BURKART, Kommunikationswissenschaft, aaO., 510. 128 3 Methodische Einführung Das Feldschema von Maletzke entspricht diesem nötigen Wechselspiel von Klarheit und Offenheit. Mit den vier Faktoren gibt es zentrale Aspekte eines Kommunikationsprozesses vor, deren wechselseitige relationale Verflechtungen unter einem psychologischen Fokus beschrieben werden. 125 Diese „ psychologische “ Perspektive zeichnet das Schema von Maletzke vor allen anderen kommunikationswissenschaftliche Modellen aus. Mit ihr rückt die zwischenmenschliche Interaktion, das Verhalten und Erleben der Akteure, ins Zentrum meiner Untersuchung. Das Evangelium wird von einer abstrakten Theorie zu einer in der Praxis angewandten Konzeption hin geöffnet. 126 Weiterhin ergeben sich aus der psychologischen Dimension Querverbindungen zu anderen neutestamentlichen Zugängen wie z. B. der Rezeptionswissenschaft oder der rhetorischen Analyse, wo die „ Beziehungsebene “ , das Wechselspiel von Autor und Rezipient, ebenfalls eine zentrale Rolle einnimmt. Das sozialwissenschaftliche Anliegen, das Evangelium von seinem sozialen und religiösen Kontext, von der antiken Umwelt, her zu verstehen, wird im Modell Maletzkes durch die Wahrnehmung der individuellen Verflechtungen des Kommunikators bzw. Rezipienten in ihrer Umwelt repräsentiert. Hier wird die historische Dimension, die Rolle der Tradition zu ergänzen sein, die von Maletzke so nicht benannt wird. Die Zuordnung von Aussage und Programm ermöglicht die Frage nach dem theologischen Format des Evangeliums und dessen Systematik. Seine narrative Dimension könnte im Wechselspiel von Medium und Aussage näher beleuchtet werden. 125 Vgl. z. B. das gegenseitige Bild von Kommunikator und Rezipient, die psychologischen Dimensionen der Nachrichtenselektion oder von Feedbackprozessen (siehe Kap. 3.3.4). 126 Eine „ Psychologisierung “ des Paulus intendiert diese Herangehensweise insofern nicht, als dass nicht psychologische Prozesse als solche ursächlich und um ihrer selbst willen in den Blick genommen werden, sondern nur die Art und Weise, wie Menschen mit ihrer Umwelt (und im besonderen mit dem Evangelium) interagieren. Die Psychologie eröffnet also den Zugang zu anderen Perspektiven und stellt nicht die einzige relevante Dimension dar. 3.5 Begründung der Methodikwahl und Anwendung 129 Abb. 3: Adaption des Maletzke-Modells: Offenheit für Fragestellungen der Evangeliumsforschung 3.5.2 Öffentliche Kommunikation Der Aspekt der „ Massenkommunikation “ des Maletzke-Modells bedarf noch gesondert eines kritischen Blickes. Von Massenkommunikation im modernen Sinn kann in der Antike selbstverständlich keine Rede sein. Das Fehlen entsprechender technischer Voraussetzungen macht es nahezu unmöglich, von medialer und raumzeitlich getrennter Kommunikation zu sprechen, die mit heutiger Massenkommunikation vergleichbar wäre. 127 Zwar gibt es bestimmte Erscheinungen im römischen Kaiserreich, die bereits massenmediale Züge tragen: Die Rhetorik als Lehre der öffentlichen Rede, die sog. acta diurna/ urbis als eine Art öffentlicher Aushang oder Flugblatt und das militärisch organisierte Nachrichtenwesen. 128 Doch mit Ausnahme der Rede hat Paulus kaum Möglichkeiten, von diesen Medien Gebrauch zu machen. Daher spielen sie in einer paulinischen Konzeption vom Evangelium wohl kaum eine Rolle. Die Rhetorik als Lehre der öffentlichen, wenn auch nur begrenzt massenmedialen Rede, weist uns in eine andere Richtung: Dass ein Modell der Masssenkommunikation auf das paulinische Evangelium anwendbar ist, wird dessen Erarbeitung als „ öffentliches Phänomen “ unter den antiken Gegebenheiten 127 Vgl. WILKE, J., Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, Köln 2008, 1; 6; RECK, Kommunikation und Gemeindeaufbau, aaO.,150 f. 128 Vgl. WILKE, J., Grundzüge, aaO., 6ff spricht von drei „ Urformen und Vorstufen der Massenkommunikation in der Antike “ . 130 3 Methodische Einführung und Vorstellungen von Öffentlichkeit erweisen. Die wichtigsten Aspekte der Massenkommunikation sind auch für bloße „ öffentliche Kommunikation “ konstitutiv (vgl. bei der öffentlichen Rede): gewisse Einseitigkeit der Kommunikation, Öffentlichkeit als zugrundeliegender Rahmen, in dem sich die Dispersität des Publikums entfaltet. Als Modell „ öffentlicher Kommunikation “ und nicht der „ Massenkommunikation “ ist das Feldschema auch im antiken Kontext auf das Evangelium bei Paulus anwendbar. 3.5.3 Faktoren und Fragestellungen Wie kann das Feldschema auf das paulinische Evangelium angewendet werden? Gemäß der Überlegungen zum Evangelium als Konzeption frage ich bei der Anwendung des Kommunikationsmodells stets aus dem Blickwinkel des Paulus: Wie sieht er den Kommunikationsprozess? Wen oder was hält er für Kommunikator, Rezipienten, Aussage, Medium? Wie schätzt er deren Rollen ein? Welchen Einfluss billigt er „ Umweltfaktoren “ zu? Durch das Kommunikationsmodell wird die praktische Dimension der Konzeption, die Kommunikation des Evangeliums und damit das Evangelium als Geschehen wie Paulus es sich vorstellt, konkret abgebildet. Die Faktoren des Feldschemas helfen, die hinter dem Evangelium stehenden Überlegungen des Paulus systematisch zu erfassen. Sie sind sowohl für sich als auch in ihren Relationen zu den anderen Faktoren zu analysieren. Im Folgenden übertrage ich die Fragestellungen meines Themas auf jene Grundaspekte des Modells. a) Aussage und Programm Es ist sinnvoll, die Analyse mit Aussage und Programm des Kommunikationsprozesses zu beginnen. Sie sind am ehesten unabhängig von Vorwissen über Kommunikator, Rezipienten oder Medium zu bearbeiten. 129 Nachdem ich vom Nachrichtencharakter des Evangeliums auf seine kommunikative Dimension geschlossen habe, muss hier wiederum die Anknüpfung vom Modell zurück zur Konzeption bei Paulus erfolgen. Ich definiere daher an dieser Stelle gemäß der Unterscheidung von Maletzke die Aussage als inhaltlichen Teilaspekt des Evangeliums, den Paulus situativ zur Sprache bringt, und das Programm als Summe der Einzelaussagen, gewissermaßen als „ Agenda “ oder inhaltliche Konzeption des Evangeliums. Das Programm bleibt insofern von der Theologie des Paulus unterschieden, als es sich um die spezifische Zuspitzung auf die Kommunikation der Botschaft des Evangeliums handelt und nicht um ein umfassendes Verständnis von Welt und Mensch im Licht seines Glaubens (das 129 Siehe Kap. 3.3.4 b. 3.5 Begründung der Methodikwahl und Anwendung 131 sich natürlich im Programm auch ausdrücken kann). Das Programm bindet den Kommunikator bei der Formulierung seiner Einzelaussagen (Zwang), gibt ihm aber zugleich auch gewisse Freiheit, situativ angemessen auzuwählen. Die Art der Auswahl und Kontextualisierung der Botschaft sind ein Spiegel sowohl der Intention des Kommunikators als auch der mutmaßlichen Erwartungshaltung seiner Rezipienten. Das Programm gibt den unmittelbarsten Zugang zum Evangelium als Botschaft, da es dessen „ überindividuellen “ , also von den anderen Kommunikationsfaktoren weitgehend unabhängigen Gegenstand zum Ausdruck bringt. Gelingt es, auf das von der Situation unabhängige, inhaltliche Programm des Evangeliums zurückzugreifen, kann daraus Aufschluss über Herkunft und den grundsätzlichen Anlass seiner Kommunikation gewonnen werden. Folgende Fragestellungen ergeben sich hinsichtlich der Aussage des Evangeliums: l Was ist der Inhalt des Evangeliums auf der Ebene der Einzelaussagen? Die von Maletzke auf drei Ebenen aufgeworfene Frage (material, Inhalt/ Form, Meta-Aussage) wird auf den inhaltlichen-formalen Aspekt zugespitzt. Das Medium als materialer Dimension der Botschaft werde ich gesondert nachgehen; der Meta-Aussage entspricht nach unserer Lesart im weitesten Sinn das Progamm. Die mit anderen Faktoren in Beziehung stehenden Merkmale der Aussage, „ Erzeugnis “ des Kommunikators und Anlaß für das Erleben/ Verhalten der Rezipienten zu sein, sind am besten unter den entsprechenden Faktoren zu verhandeln. l Was qualifiziert die Aussage(n) als „ froh/ gut “ ? l Welches Programm lässt sich aus den Einzelaussagen für das Evangelium ableiten? l Wo und warum beginnt die Kommunikation des Evangeliums? Was ist ihr Anlass bzw. ihre Herkunft? Botschaft und Programm verraten etwas über den ursprünglichen Absender bzw. das ursprüngliche Ausgangsereignis, von dem die Botschaft berichtet. b) Kommunikator Der Kommunikator ist derjenige, der Einzelaussagen und Programm des Evangeliums durch seine Auswahl steuert. Am wichtigsten ist daher, zunächst Klarheit über seine Rolle und primäre Funktion zu gewinnen: Ist er Initiator oder eher Übermittler einer bereits gestarteten Kommunikation? Welchen Einfluss haben Persönlichkeit, Selbstbild und Umwelt des Kommunikators auf seine Intention und in der Folge auf die Auswahl der Aussagen zum Evangelium? Schließlich ist dieser Selektionsprozess selbst noch einer Untersuchung zu 132 3 Methodische Einführung unterziehen: Was sind die Kriterien der Auswahl, wie wird sie getroffen/ vorgenommen und welche Intention, also erhoffte Wirkung verbindet sich für den Kommunikator damit? 130 Folgende Fragestellungen ergeben sich hinsichtlich des Kommunikators des Evangeliums: l Wer ist Kommunikator? Wie konzipiert Paulus dessen Rolle (Persönlichkeit, Selbstbild)? Wie definiert Paulus einen „ Kommunikator des Evangeliums “ ? Wer hat seiner Konzeption entsprechend diese Rolle inne? Worin sieht er dessen Aufgabe? Was entspricht dessen Werthaltung (und woraus speist sie sich)? Woher stammt die Initiative zur Kommunikation? Ist der Kommunikator aktiv interpretierender Inititiator oder rein passiver Übermittler? l Inwiefern wird der Kommunikator durch die antike Umwelt beeinflusst? Was ist die Gruppenzugehörigkeit des Kommunikators? Welchen Einfluss übt die „ öffentliche Meinung “ auf ihn aus? Welche Rolle spielen „ Mit- Kommunikatoren “ ( „ Team “ , andere Apostel)? In welchem Verhältnis stehen sie zueinander (gemeinsame Ziele, Grad der Arbeitsteilung, Grad der Unabhängigkeit, Unterscheidung „ schöpferische Tätigkeit “ - „ Pseudokommunikatoren “ )? l Inwiefern fungiert der Kommunikator als Gatekeeper? Gibt es nur ein Evangelium (vgl. die Wendungen e[teron euvagge,lion Gal 1,6; 2Kor 11,4 und to. euvagge,lion th/ j avkrobusti,aj Gal 2,7)? Was sind die Aspekte, nach denen der Kommunikator Einzelaussagen aus seinem Programm auswählt? Welche Intention treibt den Kommuniktor? Um welche Art von Selektion handelt es sich (Verkürzung, Kontextualisierung, Umfang, Bild- und Wortwahl)? Auf welche Weise interpretiert er das Evangelium? c) Medium Mit der Frage nach dem Medium als Übermittlungsform weitet sich der Blick auf das Kommunikationsgeschehen als Ganzes. Der Prozess und seine Bedeutung für die Konzeption des Evangeliums rücken ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Denn mit der Wahl des Mediums hat der Kommunikator die Möglichkeit, dem Kommunikationsprozess ein eigenes Gepräge zu verleihen. Das Medium formt, strukturiert und kanalisiert, es nimmt Einfluss auf dieWirkung von Aussage und Kommunikator beim Rezipienten, repräsentiert sie und ist doch gleichzeitig nur in Verbindung mit beiden als Medium wahrnehmbar. In der Wahl des Mediums spiegelt sich das Verständnis von Kommunikation des Kommunikators wider, 130 Die eigentliche Beziehung zwischen Kommunikator und Rezipient soll erst vom Rezipienten her einer genaueren Untersuchung unterzogen werden (vgl. c). 3.5 Begründung der Methodikwahl und Anwendung 133 dem wiederum das Medium entsprechen muss. Beide bedingen sich gegenseitig. Und so muss an dieser Stelle nicht nur nach dem Medium als solchem, sondern auch nach der paulinischen Vorstellung des Kommunikationsprozesses im Rahmen seiner Konzeption gefragt werden. Folgende Fragestellungen ergeben sich hinsichtlich des Mediums des Evangeliums: l Welche Medien zur Kommunikation des Evangeliums kann sich Paulus vorstellen? Gibt es ein bevorzugtes Medium? Sind Medien ausgeschlossen? l Besitzt das Medium technischen Charakter? Wie groß ist seine Reichweite? l Wie konzipiert Paulus den Kommunikationsprozess als Ganzes? Wie stellt Paulus sich den Kommunikationsprozess des Evangeliums vor? Inwiefern formt, strukturiert und kanalisiert das benutzte Medium den Kommunikationsprozess? Gibt es Unterscheidungsmerkmale von anderern Kommunikationsprozessen? Inwiefern handelt es sich um öffentliche Kommunikation? d) Rezipient Auch die Identität des von Paulus in seiner Konzeption anvisierten Rezipienten muss zunächst geklärt werden. Lässt sich eine „ Zielgruppe “ abgrenzen? Weiterhin ist dieser Rezipient in seinen vielfältigen Bezügen in Gruppe und gesellschaftlicher Umwelt so wahrzunehmen, wie Paulus ihn im Rahmen seiner Konzeption sieht. Über das Selbstbild des einzelnen Rezipienten ist im Kontext einer Konzeption natürlich keine Aussage möglich. Jedoch kann nach der paulinischen Anthropologie gefragt werden: Wie denkt Paulus den Menschen in Bezug auf das Evangelium? Welche Wirklichkeitsfiktion liegt dem zugrunde? Entspricht sie der Wirklichkeitsfiktion der einzelnen Rezipienten? Als nächstes gilt es, den Nachrichtenwert des Evangeliums für die Rezipienten zu verstehen: Welche Relevanz für die Rezipienten misst Paulus dem Evangelium bei? Rechnet er mit Selektion und Bewertung der Aussagen durch die Rezipienten? Unmittelbar mit der Relevanz des Evangeliums sind dessen Konsequenzen für den Rezipienten verbunden: Welche Veränderungen (Wirkung/ Funktion) bewirkt das Evangelium nach seiner Rezeption? Für den Erfolg von Kommunikation nicht unerheblich ist die Beziehung der Teilnehmer zueinander. Hier ist das Bild des Rezipienten vom Kommunikator bedeutsam: Wie lautet seine Legitimation? Wird er vom Rezi-pienten anerkannt? Auch wenn wir bei Paulus im antiken Kontext nicht von Massenkommunikation sprechen können, sind eine gewisse Einseitigkeit der Kommunikation ( „ Verkündigung “ ) und die Rollenmacht des Kommunikators durchaus vergleichbar. Interessant ist, inwiefern der Kommunikator für Paulus diese Rollenmacht ausspielt oder ob er auf Feedback in 134 3 Methodische Einführung seiner Konzeption eingeht. 131 Auch wie er das Verstehen der Rezipienten einschätzt und ob er sich der Problematik von Beeinflussung im gegenüber zu selbstständigem, kritischem Denken bewusst ist, kann gefragt werden. Folgende Fragestellungen ergeben sich hinsichtlich der Rezipienten des Evangeliums: l Wer sind für Paulus die Rezipienten des Evangeliums (Zielgruppe)? Welches Bild (Persönlichkeit, Selbstbild) hat er von ihnen im Kontext ihrer Umwelt? Wie sieht Paulus den Menschen und seine Welt? Wie verhält sich dazu das Evangelium? WelcheWirklichkeitsfiktion liegt dieser Sicht zugrunde und wie verhält sie sich zu derjenigen der einzelnen Rezipienten? l Welchen Nachrichtenwert hat das Evangelium? Welche Relevanz für die Rezipienten misst Paulus dem Evangelium bei? Ist es als Nachricht unmittelbar zu verstehen? Rechnet Paulus mit Selektion und Bewertung der Aussagen durch die Rezipienten? l Welche Wirkung/ Funktion bzw. Bedeutung hat das Evangelium? Welche Konsequenzen hat das Evangelium im Leben des Rezipienten? Soll eine Veränderung des Verhaltens, Wissens, der Meinung, Emotion oder einer „ Tiefensphäre der Psyche “ / der religiösen Erfahrung bewirkt werden? Folgen für die soziale, politische oder zwischenmenschliche Realität (Ethik)? l Welches Bild der Rezipienten vom Kommunikator spiegelt sich bei Paulus? Welche Relevanz hat der Kommunikator für den Rezipienten (Prestige, Glaubwürdigkeit)? Was ist seine Legitimation für die Kommunikation? Wie will er wahrgenommen werden (Vorbild, Held, Leitbild, Projektionsfläche)? Inwiefern bietet er für den Rezipienten die Möglichkeit zur Identifikation und emotionalen Bindung? l Wie gestaltet sich die Beziehung zum Kommunikator? Welche Rollenmacht besitzt der Kommunikator (Einseitigkeit), und wie wirkt sich diese auf das kommunizierte Evangelium aus? Gibt es eine „ strukturell “ bedingte Distanz, auch durch die Heterogenität der Rezipienten? Wie schätzt Paulus Kommunikationsstörungen ein? Welches Kommunikationsgefälle herrscht? Gibt es Feedback, das über das Gelingen der Kommunikation, über die Verstehensleistung des Rezipienten, Aufschluss gibt? Welche Rolle spielt Suggestion bei der Kommunikation bzw. inwiefern wird mit dem kritischen Denken des Rezipienten gerechnet und damit umgegangen? 131 Vgl. bes. 1Kor. 3.5 Begründung der Methodikwahl und Anwendung 135 e) Zusammenfassung Mit diesem Fragenkatalog ist ein breites Feld zur Konzeption des Evangeliums aufgeschlossen. Nicht jede Frage wird im Rahmen dieser Arbeit im Einzelnen zu klären sein. Ich nutze die vorangegangene Problemskizze vielmehr als heuristisches Raster, in denen die vier Faktoren des Maletzke-Modells bei der Untersuchung den Weg weisen und jeweils ein Kapitel umfassen. Als fünften Faktor möchte ich ihnen die Dimension der Beziehungen (zwischen Kommunikator, Rezipienten und Mitkommunikatoren) zur Seite stellen. Alle Faktoren des Kommunikationsmodells stehen miteinander in Beziehung und beeinflussen sich gegenseitig. Das führt dazu, dass sich kaum eine Beobachtung festhalten lässt, die nicht Auswirkungen auf das Verständnis anderer Dimensionen der Kommunikation hat. Insofern ist ein lineares, schrittweises „ Abarbeiten “ der Faktoren problematisch. Andererseits muss die Untersuchung eines zirkularen, prozessualen Geschehens an einem bestimmten Punkt einsetzen, um konkrete Aussagen treffen zu können. Der obige Fragenkatalog bringt bereits die von mir gewählte Reihenfolge zum Ausdruck: Am Anfang stehen Aussage und Programm, die die Grundlage der Kommunikation bilden und somit besser als die anderen Faktoren ohne Vorwissen zu analysieren sind (Kap. 4). Ihnen folgen meine Betrachtungen zum Kommunikator, der eng mit der Botschaft, der Auswahl einzelner Aussagen und der Konzeption des Programms verbunden ist (Kap. 5). Der Kommunikator ist sowohl konstitutiv für die Medienwahl als auch durch seine Rollenmacht für die Qualität der Beziehung zu den Rezipienten. Jene Beziehung bildet die Voraussetzung für den Kommunikationsprozess und entwickelt sich kontinuierlich im Hintergrund weiter (Kap. 6). Daher soll sie vor dem Kommunikationsprozess als Ganzem und den in ihm Verwendung findenden Medien (Kap. 7) beleuchtet werden. Den meisten dieser genannten Faktoren steht der Rezipient zunächst verhältnismäßig passiv gegenüber. Ich habe ihn nicht zuletzt deshalb an das Ende meiner Untersuchung gesetzt, weil ihm in gewisser Hinsicht die „ Reaktion “ obliegt (Kap. 8). Dass das nur mit Einschränkungen gilt, ist sicher zur Genüge deutlich geworden. 3.6 Exegetische Prolegomena 3.6.1 Textbasis der Analyse: Die paulinischen Briefe Bevor ich meine Analyse beginne, möchte ich kurz Rechenschaft ablegen über die Rahmenbedingungen meines Arbeitens. Im Mittelpunkt steht das Evangelium als Konzeption des Paulus, wie er es in den sieben echten Paulusbriefen 136 3 Methodische Einführung darstellt. Im Anschluss an den gegenwärtigen (deutschen) Forschungskonsens erachte ich folgende Briefe in der (ungefähren) Reihenfolge ihrer zeitlichen Abfassung für authentische Werke des Paulus 132 : 1Thess, 1Kor, 2Kor, Gal, Röm, Phil, Phlm. Es sind für mich die einzigen Quellen, die authentisch über sein Verständnis von euvagge,lion Aufschluss geben können, da nur in ihnen derAutor selbst spricht. Die Briefe sind in einem relativ langen Zeitraum von mehreren Jahren entstanden, sodass sie ein breites Bild vom paulinischen Denken in der aktiven Missions-Phase seines Lebens vermitteln. Gleichzeitig bleiben sie fragmentarisches und exemplarisches Zeugnis. 133 Es handelt sich um „ persönliche, situationsbezogene und adressatenbezogene Schreiben, sozusagen Gebrauchs- und Verbrauchsliteratur “ , die Paulus als „ literarische Träger von Information, Kommunikation, Argumentation und Instruktion “ benutzt. 134 Vor allem in den informativen und argumentativen Abschnitten begegnen theologische Themen, die z. B. die Aussage und das Programm des Evangeliums erschließen können. 135 Eine Konzeption wie das Evangelium erschließt sich jedoch auch in seiner praktischen Anwendung (Instruktion und Kommunikation), in der z. B. aus der Art der Kommunikation auf die Beziehung der Kommunikationsteilnehmer geschlossen werden kann. Viele der oben genannten Fragestellungen werden von Paulus unmittelbar reflektiert, so dass uns die paulinischen Briefe - unter Berücksichtigung der jeweiligen Situationsbezogenheit - ein reichhaltiges Reservoir an Informationen über seine Konzeption des Evangeliums zur Verfügung stellen. Der exegetischen Erarbeitung liegt die bis dato aktuellste Ausgabe des Nestle-Aland-Textes sowie die jeweils leitende Kommentarliteratur zugrunde. 136 3.6.2 Kontextuelle Einbindung des Begriffs Die 48 Belege von euvagge,lion im Corpus Paulinum sind relativ breit gestreut. 137 Jeder Brief weist den Begriff auf. Ballungsräume sind vor allem die Briefanfänge (Ausnahmen 1/ 2Kor) sowie das letzte Briefdrittel. Die folgende Graphik stellt die 132 Vgl. VOLLENWEIDER, S., Art. Paulus, in: RGG 4 6, 1035 - 1065, 1036. 133 Vgl. VOLLENWEIDER, Art. Paulus, aaO., 1041. 134 WISCHMEYER, Paulus, aaO., 163 f. Zum Brief als Medium des Evangeliums siehe Kap. 7.4.2. 135 WISCHMEYER, Paulus, aaO., 165. 136 ALAND, B. und K./ KARAVIDOPOULOS, J./ MARTINI, C. M./ METZGER, B. M. (Hgg.), Novum Testamentum Graece (Nestle-Aland), Stuttgart 2012 28 . 137 Auf eine Einbeziehung der 19 Belege des Verbs euaggeli,zomai wird an dieser Stelle bewusst verzichtet, da es von seiner Bedeutung her auf das Substantiv hingeordnet ist. Zur Eindordnung siehe Kap. 7.1.1. 3.6 Exegetische Prolegomena 137 Position sowie die jeweiligen Kontexte jedes Verses, der einen oder mehrere Belege von euvagge,lion enthält, dar: Abb. 4: Verteilung von euvagge,lion im Corpus Paulinum In fünf Abschnitten (1Thess 1; 1Kor 15; 2Kor 4; Gal 1.2; Röm 1) macht Paulus dezidiert Angaben über das Evangelium. Eine besondere Häufung erfährt der Begriff auch, wenn Paulus von seinem Apostolat spricht (1Thess 2; 1Kor 9; 2Kor 11; Gal 1.2; Röm 1.15). Sonst erscheint euvagge,lion vorwiegend in den Zusammenhängen „ Rückblick auf die Verkündigungstätigkeit “ (1Thess 3; 2Kor 2.8.10; Gal 2; Röm 15; Phil 1.2.4; Phlm 13) und „ Gemeindewandel “ (1Kor 4; 2Kor 9; Phil 1). Der Römerbrief zeichnet sichdurch drei weitere, besondere thematische Kontexte auf, die ich mit „ Eschatologie “ (Röm 2), „ Israel “ (Röm 10 f ) und „ Schlussdoxologie “ (Röm 16) wiedergebe. 138 3 Methodische Einführung Die Breite der Streuung sowie das weite Themenspektrum weisen euvagge,lion als einen Schlüsselbegriff paulinischer Theologie aus. Die Schwerpunkte an Briefanfang und -ende zeigen seine fundamentale Stellung innerhalb des Gedankenaufbaus: Paulus legt mit einem Verweis auf das Evangelium oft den Grundstein oder schließt damit häufig seine Ausführungen zusammenfassend ab. Bei meiner Analyse werde ich aus diesem breiten Fundus an paulinischen Stellen schöpfen, ohne natürlich jede einzelne Stelle mit der gleichen Ausführlichkeit würdigen zu können. Ich wage vorab eine grobe Zuordnung der beschrieben Kontexte zu den zu untersuchenden Faktoren, die im Einzelnen noch anzupassen sein wird: Über den Inhalt (Aussage und Programm) des Evangeliums können v. a. jene Stellen Auskunft geben, an denen sich Paulus mit dem Evangelium selbst befasst. Steht der Kommunikator im Mittelpunkt des Interesses, können Stellen im Zusammenhang mit seinem Apostolat relevant werden. Aufschluss über das Medium und den Kommunikationsprozess des Evangeliums könnten Stellen über die paulinische Verkündigungstätigkeit geben. Für die Frage der Beziehung zwischen Kommunikator und Rezipienten könnten Stellen über den Gemeindewandel fruchtbar gemacht werden. Hinzu kommen Passagen, an denen Paulus nicht explizit das Wort euvagge,lion benutzt, sich aber direkt oder indirekt mit einem Aspekt davon im Rahmen des Kommunikationsmodells befasst. 3.6 Exegetische Prolegomena 139 4 Aussage und Programm des Evangeliums Am Beginn meiner Analyse steht die Frage nach Aussage und Programm des Evangeliums. Als „ überindividuelle “ Botschaft sind beide am ehesten unabhängig von Vorwissen über die anderen Faktoren zu erarbeiten, auch wenn sie natürlich im Rahmen des Kommunikationsprozesses diesen in wechselseitiger Prägung verhaftet bleiben. Wie lautet die Botschaft, um die es im Rahmen des Kommunikationsprozesses gehen soll? Wie ist ihr Inhalt zu bestimmen? Und was charakterisiert diesen Inhalt als „ froh/ gut “ , sodass Paulus diese Botschaft als euvagge,lion bezeichnen kann? Wenn wir diesen Inhalt und dessen positiven Charakter kennen, sollten sich Rückschlüsse auf den Anfangspunkt seiner Kommunikation, den Anlass und die Herkunft des Evangeliums, ziehen lassen. Das ist gewissermaßen der wichtigste Aspekt der „ Vorgeschichte “ der Evangeliumsbotschaft, bis sie auf den Kommunikator trifft. Schließlich soll aus dem Gesamtbild aller Aussagen das Programm geformt werden, das die Grundlage der Evangeliumskonzeption bildet und auf deren Hintergrund dann die anderen Kommunikationsfaktoren analysiert und angemessen interpretiert werden können. Ziel dieses Kapitels ist es also, Programm und zentrale Einzelaussagen als kommunikative Dimension des Evangeliums abzubilden und als Anknüpfungspunkt für die weiteren Faktoren zur Verfügung zu stellen. Als Ausgangspunkt der Erarbeitung ziehe ich zunächst die drei - im wahrsten Sinne des Wortes - aussagekräftigsten Stellen zum Inhalt des Evangeliums heran: 1Kor 15,3.5, 1Thess 1,9 f und Röm 1,1-6. In Kombination können sie bereits ein erstes Bild der Aussagen des Evangeliums jenseits des jeweiligen situativen Kontextes bieten (4.1). Das Ergebnis dieser vergleichenden Zusammenschau stellt jedoch vor eine doppelte Aufgabe: Einerseits müssen die inhaltlichen Aspekte in der antiken Weltsicht des Paulus verortet werden, um sie angemessen interpretieren zu können (4.2). Andererseits müssen die Einzelaussagen aus ihrer Situationsbezogenheit gehoben und auf einer möglichst breiten Basis zu einem Programm des Evangeliums verallgemeinert werden (4.3). Den Abschluss dieses Kapitels bildet ein Exkurs zur Narrativität des Evangeliums, dessen Relevanz sich im Verlauf erschließen wird. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums Im Folgenden werde ich die drei zentralsten Texte zum Inhalt des Evangeliums auf ihre Kernaussagen hin prüfen. Ihre Auswahl beruht zum einen auf einem ausdrücklichen begrifflichen Bezug zum Evangelium (1 Kor 15,1; 1Thess 1,5; Röm 1,1), zum anderen auf einem Vergleich der inhaltlichen Aspekte. 1 Dadurch, dass sie drei unterschiedlichen Briefen entnommen sind, eröffnen sie einen ersten Blick auf die Breite innerhalb des paulinischen Denkens. Hierzu tragen auch die verschiedenen Kontexte bei, die jeweils im Rahmen der konkreten Analyse genauer vorgestellt werden. Die Texte werden dann einzeln auf ihre inhaltlichen Aussagen zum Evangelium hin analysiert, welche jeweils gleich im Gesamtkontext des paulinischen Zeugnisses entfaltet werden. In einem zweiten Schritt sollen die Inhalte aller drei Texte miteinander ver-glichen und zu einer ersten Gesamtschau der Kernaussagen zusammengeführt werden. 4.1.1 Analyse von 1Kor 15,3-5 a) Einordnung in den Kontext Das 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes stellt eine in sich abgeschlossene Erörterung zum Thema der Totenauferstehung dar, die trotz aller immer wieder geäußerten Zweifel fester Bestandteil des Briefes ist. 2 Die Thematik ist in Korinth offenbar strittig (vgl. V.12), weswegen sich Paulus zu einer längeren, argumentativ reichen Abhandlung genötigt sieht. 1Kor 15,3-5 ist Teil der 1 Die Zirkularität dieses Verfahrens ist mir bewusst, verdankt sich allerdings der Notwendigkeit, Suchkriterien für Texte zu erstellen, die aus eben diesen Texten erst gewonnen werden müssen. 2 Der Ruf zur Ordnung in 14,40 schließt die Geistesgaben-Thematik stimmig ab. Gnwri,zw de. u`mi/ n in 15,1 stellt durch die neue Thematik einen deutlichen Neueinsatz dar, was auch durch die Anrede „ Brüder “ markiert wird. Mit einem ähnlichen Aufruf zur Standhaftigkeit schließt Paulus das 15. Kapitel ab (15,58), bevor er in 16,1 mit dem aus dem übrigen Brief bereits geläufigen Peri. de. ein letztes Thema auf die Tagesordnung setzt (Kollekte). Diese starke Geschlossenheit von 1 Kor 15 hat in Zusammenhang mit inhaltlichen Besonderheiten gegenüber dem restlichen Brief Anlass zur literarkritischen Auslagerung des Kapitels z. B. in einen Vorbrief an die Korinther geführt (so SCHMITHALS, W., Die Gnosis in Korinth. Eine Untersuchung zu den Korintherbriefen, Göttingen 1969, 84ff; vgl. auch SCHENK, W., Der 1. Korintherbrief als Briefsammlung, ZNW 60 (1969), 219 - 243; Eine stichhaltige Widerlegung findet sich z. B. bei WOLFF, C., Der erste Brief des Paulus an die Korinther, ThHK 7, Leipzig 2000, 350 f ). Der Text selbst bietet m. E. keine mit Hilfe der Literarkritik zu lösenden Probleme, weswegen mit Conzelmann von einer „ in sich geschlossenen Abhandlung “ auszugehen ist, die Paulus als Teil eines durchdachten Zusammenhangs in den 1 Kor einfügt; CONZELMANN, H., Der erste Brief an die Korinther, KEK 5, Göttingen 1981, 302. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 141 eingangs formulierten Argumentationsbasis (VV.1 - 11), welche für Paulus das von ihm verkündigte Evangelium ist (V.1). Daran erinnert Paulus und fordert seine Korinther zum „ festhalten “ auf (VV.1 f). Zentrales Argument an dieser Stelle ist die Überlieferungskette, die über Paulus (neben den anderen ab V.5 b folgenden Zeugen) bis zum Ursprung der Evangeliumsbotschaft zurückreicht (pare,dwka ga.r u`mi/ n evn prw,toij(o] kai. pare,labon, V.3 a). 3 VV.3 b-5 a schließlich geben den Inhalt dessen wieder, was Paulus überliefert wurde und was er daraufhin in seiner Verkündigung weitergegeben hat. 4 b) Inhalte des Evangeliums 1Kor 15,3 b: ))) o[ti Cristo.j avpe,qanen u`pe.r tw/ n a`martiw/ n h`mw/ n kata. ta.j grafa.j . . . dass Christus für unsere Sünden gestorben ist nach den Schriften 4 kai. o[ti evta,fh kai. o[ti evgh,gertai th/ | h`me,ra| th/ | tri,th| kata. ta.j grafa.j und dass er begraben wurde und dass er auferweckt wurde am dritten Tag gemäß den Schriften 5a kai. o[ti w; fqh))) und dass er gesehen wurde . . . Die Inhalte des Evangeliums werden durch zahlreiche Konjunktionen stark strukturiert dargeboten: Jeder Aspekt wird stetst durch ein o[ti zurückbezogen auf das Faktum der Überlieferung und damit indirekt auf das Evangelium. Untereinander werden die Inhalte jeweils durch kai. syndetisch verbunden. 5 A. Lindemann spircht von zwei völlig symmetrisch gebauten Teilen, deren zwei „ zentrale Grundaussagen “ (gestorben, auferweckt) jeweils eine „ Näherbestimmung “ (für unsere Sünden, am dritten Tag) und einen „ pauschalen Verweis auf die Schrift “ enthalten. 6 Das Grundgerüst der Aussagen bilden die vier Verben sterben (avpoqnh,|skw), begraben (qa,ptw), auferwecken (evgei,rw), erscheinen 3 Siehe Kap. 8.3.1. 4 Es wurde diskutiert, ob es sich bei diesen Zeilen um vorformuliertes Traditionsgut handelt, das Paulus aufgreift; angesichts seiner Ankündigung in V.3 b scheint das nicht ganz unwahrscheinlich; vgl. SCHRAGE, W., Der erste Brief an die Korinther (1 Kor 15,1- 16,24), EKK VII/ 4, Neukirchen Vluyn 2001, 18; Das ist jedoch insofern für uns nebensächlich, als Paulus sich das Traditionsstück in jedem Fall zueigen gemacht hat und damit - ob in eigener oder fremder Sprache - seine Überzeugung zum Inhalt des Evangeliums kundtut. Eine breite Darstellung der Diskussion ist z. B. zu finden bei MERKLEIN, H./ GIELEN, M., Der erste Brief an die Korinther. Kapitel 11,2-16,24, ÖTK 7/ 3, Gütersloh 2005, 261 - 266. 5 Thiselton interpretiert die jeweiligen o[ti-Satzanschlüssel als „ quotation marks “ ; vgl. THISELTON, A. C., The First Epistle to the Corinthians. A Commentary on the Greek Text, Michigan 2000, 1189. 6 Vgl. LINDEMANN, A., Der erste Korintherbrief, HNT 9/ I, Tübingen 2000, 329. Anders gliedert Schrage: „ Die beiden jeweils an zweiter Stelle stehenden Aussagen sind Ver- 142 4 Aussage und Programm des Evangeliums (o`ra,w). Das zweifache kata. ta.j grafa.j in V.3 b und V.4 erzeugt eine parallele Satzstruktur und setzt avpe,qanen ins Gegenüber zu evta,fh und evgh,gertai. 7 So entsteht für den Leser der Eindruck, dass „ begraben/ auferweckt werden “ eine zu „ gestorben “ analoge Einheit ist. Dadurch wird einerseits das Sterben ( „ für unsere Sünden “ ) hervorgehoben. Andererseits rückt das Begraben-Werden semantisch so eng an die folgende Auferweckung, dass es kaum noch als davon unabhängiges Geschehen in Erscheinung tritt. Der Verweis auf die Schriften ist jeweils mit einer deutenden Ergänzung verbunden: Das Sterben Christi wird mit „ für unsere Sünden “ (u`pe.r tw/ n a`martiw/ n h`mw/ n) begründet; der Verweis auf die Schriftgemäßheit des Auferwecktwerdens „ am dritten Tag “ (th/ | h`me,ra| th/ | tri,th| ) bleibt zunächst unklar. Der hier angegebene Inhalt des Evangeliums ist im Wesentlichen eine auf vier Eckpunkte komprimierte Darstellung des Sterbens und Auferwecktwerdens einer Person. avpoqnh|,skw, qa,ptw, evgei,rw und o`ra,w sind in ihrer hier vorliegenden Kombination einzigartig im Corpus Paulinum. Wo Paulus einzelne Begriffe sonst miteinander ins Gespräch bringt, beschreiben sie in der Regel das gleiche Geschehen oder sind sogar direkt auf 1Kor 15 bezogene Anwendungen. 8 1Kor 15,3-5 stellt also für die dort beschriebenen Inhalte den maßgeblichen Text dar. Die Botschaft wird durch verschiedene Ergänzungen erklärt und interpretiert (für unsere Sünden, nach den Schriften, am dritten Tag). Den zentralen Schlüssel zur Deutung des beschriebenen Ereignisses liefert Paulus allerding bereits mit dem ersten Substantiv der Aufzählung: cristo,j. Mit ihm beginne ich die Analyse der einzelnen Inhalte. stärkungen der ersten, d. h. evta,fh sichert das wirkliche Gestorben- und w; fqh das wirkliche Auferwecktsein “ ; SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 20. 7 Wolff erinnert an die aus dem Alten Testament bekannte Stilfigur „ Parallelismus membrorum “ ; Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO. 360. 8 Lediglich die Paare avpoqnh,|skw und evgei,rw (Röm 6,2 ff.8 f; 8,34; 2Kor 5,15) sowie sunqa,ptw und evgei,rw (Röm 6,4; in 6,3 und 6,5 in Kombination mit qa,natoj) finden sich in gemeinsamem Zusammenhang. suneta,fhmen in Röm 6,4 kann als Anwendung der in 1Kor 15 zitierten Tradition auf die Taufe verstanden werden und wäre insofern davon abhängig. Wolff interpretiert darum unser Stück als „ Zusammenfassung der Anfangsunterweisung “ , „ vielleicht auch als Taufbekenntnis “ aufgrund der Nähe zu Röm 6,3 ff. Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO. 361; 2Kor 5,1ff ist Teil einer „ apostolischen Selbstverteidigung “ , in der Paulus sein Amt zu Christus bzw. zur endzeitlichen Erwartung in Beziehung setzt; vgl. BECKER, E.-M., 2. Korintherbrief, in: WISCHMEYER, O. (Hg.), Paulus, Leben - Umwelt - Werk - Briefe, Tübingen 2012 2 , 204 - 231, 224; Auch hier bezieht sich Paulus mit der Wendung i[na oi` zw/ ntej mhke,ti e`autoi/ j zw/ sin avlla. tw/ | u`pe.r auvtw/ n avpoqano,nti kai. evgerqe,nti (damit die Lebenden nicht mehr sich selbst leben, sondern dem für sie gestorbenen und auferweckten, V.15) indirekt zurück auf die in 1Kor 15 formulierte Ereignisfolge. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 143 Der Christustitel als hermeneutischer Schlüssel Bei cristo,j handelt es sich um einen aus der Septuaginta bekannten Titel für den „ Gesalbten “ , den Messias des jüdischen Volkes. 9 Die Konzeption eines Gesalbten ( x: yvim' ) wurzelt in dem altorientalischen Brauch, eine Salbung im Sinne eines Rechtsaktes zu vollziehen. 10 So berichtet das AlteTestament von der Salbung von Königen und gelegentlich auch von (Hohe-)Priestern oder Propheten. 11 In diesem Kontext ist eine messianische Vorstellung entstanden, die die Hoffnung transportiert, „ mit dem Regierungsantritt eines Königs aus Davids Geschlecht werde eine Heilszeit anbrechen, die oftmals auch als letzte Zeit angesehen wird “ (vgl. Königspsalmen und Jes). 12 Bis in die neutestamentliche Zeit entwickelten sich aus diesem politisch konnotierten Messianismus komplexe und unterschiedlichste Ausprägungen. 13 Allen gemeinsam ist die Ansicht, dass der Messias als menschliche Gestalt ein Nachfahre Davids sei, der ein politisches Königtum übernehme und seine Aufgabe im irdischen Bereich verwirkliche. 14 Die entscheidende Pointe liegt also auf dem zukünftigen Heilshandeln Gottes durch den Messias und in dem darin begründeten Beziehungsverhältnis der beiden: „ Er ist ein Geschöpf, das in Jahwes Auftrag das Amt der Herrschaft stellvertretend auf Erden auszuüben hat und dafür die höchsten Gaben verliehen bekommt “ . 15 Jenen Vorstellungskomplex übernimmt das frühe Christentum und wendet es in spezifischer Weise auf Jesus von Nazareth an. Bei Paulus ist die Messiaserwartung eindeutig auf Jesus festgelegt: Der Gesalbte ist derjenige, „ der sich in einzigartiger Nähe zu Gott befindet, sodass Gottes Gegenwart sich in ihm konkretisiert (vgl. 2Kor 4,6; 5,19) und Gottes segensreiches, d. h. rettendes Wirken von ihm ausgeht “ . 16 Die Christusprädikation zeichnet Jesus als „ zentrale Endzeitgestalt “ mit „ einzigartige[r] heils- und 9 Zum Überblick vgl. HESSE, F., Art. cri,w ktl, in: THWNT 9, 485 - 500; bes. 495 ff. Eine breite Entfaltung ist zu finden bei HAHN, F., Christologische Hoheitstitel, Göttingen 1995 5 , 133 - 241. Eine knappe und informative Übersicht über die im kanonischen Alten Testament enthaltenen Messiasvorstellungen liefert SCHMITT, H. C., Arbeitsbuch zum Alten Testament, Göttingen 2005, 333 - 341. Den aktuellen Forschungsstand gibt wieder: DU TOIT, D., Christologische Hoheitstitel, in: HORN, F.W. (Hg.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 294 - 299. 10 Vgl. HESSE, Art. cri,w ktl, aaO., 485. 11 Vgl. HESSE, Art. cri,w ktl, aaO., 487ff; HAHN, Christologische Hoheitstitel, aaO., 133. 12 HESSE, Art. cri,w ktl, aaO., 495; vgl. HAHN, Christologische Hoheitstitel, aaO., 136 f. 13 Vgl. HAHN, Christologische Hoheitstitel, aaO., 139 - 158. 14 Vgl. HAHN, Christologische Hoheitstitel, aaO., 157. 15 Vgl. HAHN, Christologische Hoheitstitel, aaO., 135; Zit.138. 16 DU TOIT, Christologische Hoheitstitel, aaO., 296: Das artikuliert Paulus besonders in den präpositionalen Konstruktionen dia. cristou/ ( „ Jesus als vermittelnde Instanz Gottes rettenden Handelns “ , 1Thess 5,9; Gal 1,1; Röm 5,1), evn cristw|/ ( „ Bezeichnug für den Raum des heilsamen Wirkens Gottes “ , 1Kor 1,2; Gal 3,27; Röm 6,3-5) und su.n cristw|/ 144 4 Aussage und Programm des Evangeliums offenbarungsgeschichtliche[r] Stellung “ aus und bindet ihn gleichzeitig in die mit dem Titel verbundene Tradition ein. 17 Durch die Kontextualisierung mit Tod und Auferstehung in 1Kor 15,3ff wird die Vorstellung neu gefüllt 18 : Der verheißene Messias ist Jesus von Nazareth, wenn auch anders als erwartet, aber durch Ostern sehr wohl als solcher von Gott beglaubigt. Durch diese Verbindung von Person und Geschichte Jesu wird der Begriff neu gefüllt und geprägt. 19 Cristo,j ist also nicht nur der Schlüssel zur Interpretation der folgenden Inhalte, sondern auch selbst Gegenstand der Deutung durch dieselben und durch die Tradition, in welcher der Begriff steht. Letzteres stellt uns vor ein Problem, auf das ich an dieser Stelle nur in aller Kürze aufmerksam machen möchte. Die mit dem Begriff verbundenen alttestamentlich-jüdischen Implikationen erschließen sich nämlich ohne weitere Erklärung einem mit der entsprechenden Tradition vertrauten Juden, nicht jedoch z. B. einem griechischsprechenden Angehörigen der „ Völker “ . Wenn er ihn nicht als Eigennamen hört, wird er wohl an eine irgendwie „ gesalbte “ Person denken - und nicht unbedingt an den alttestamentlich verheißenen Messias. 20 Dieser Befund stellt uns vor die Frage nach dem Umfang des Evangeliums. Als „ Völkermissionar “ kann Paulus doch unmöglich das Evangelium verkündigen, ohne eine Erläuterung alttestamentlicher Kategorien beizufügen. Wenn er seinen Rezipientenkreis nicht beschränken will auf Personen, die mit den jüdischen Traditionen vertraut sind, wird er auf eine informative Einführung ins Judentum schwerlich verzichtet haben. 21 Sonst könnte er kaum mit Interesse, ( „ Bezeichnung für die heilsame Schicksalsgemeinschaft Jesu und der Gläubigen “ , 1Thess 4,14.17; 5,9 f; 2 Kor 13,4; Röm 6,8). 17 DU TOIT, Christologische Hoheitstitel, aaO., 296. 18 Es handelt sich mit 271 Belegen um die mit Abstand häufigste Bezeichnung Jesu bei Paulus. 19 Vgl. HAHN, Christologische Hoheitstitel, aaO., 197ff: „ Es muß klar gesehen werden, daß der jüdische Vorstellungsgehalt des Messiasbegriffs hier total umgeformt worden ist “ (212). 20 Vgl. LANGENSCHEIDTS GROSSWÖRTERBUCH GRIECHISCH. Teil I, aaO., 752; BAU- ER, W./ ALAND, K. und B. (Hgg.), Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin/ New York 1988 6 , Art. Cristo,j, 1768 f. Der Begriff muss „ in einem nicht-jüdischen Kontext als ungewöhnlich gelten “ . Andererseits hat auch ein Nichtjude eine Vorstellung des Gemeinten: „ [D]as Gesalbt-Sein signalisiert Heiligkeit und besondere Gottesnähe und impliziert somit göttliche Präsenz und die segensreiche Wirkung der betreffenden Gottheit “ ; DU TOIT, Christologische Hoheitstitel, aaO., 295. 21 Zur Eingrenzung der Rezipientenschaft siehe Kap. 8.1. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 145 geschweige denn mit Verständnis bei seinen Zuhörern rechnen. 22 Paulus gibt weder hier noch an irgendeiner anderen Stelle seiner Briefe Auskunft über diesen offenbar elementaren Grundbestandteil seiner Verkündigung. Er muss es aber auch nicht, genügt doch ein Verweis auf die Schriften, um seinen Rezipienten den Deutungsrahmen der Evangeliumsbotschaft vorzugeben: Er rechnet bei seinen Lesern grundsätzlich mit dem entsprechenden jüdischalttestamentlichen „ Basiswissen “ . Die Schrift, die für Paulus der Septuaginta entspricht, ist also als Deutungsrahmen und Illustration unverzichtbarer Bestandteil der Botschaft des Evangeliums. Sie ist Teil des Evangeliums, und zwar implizit über die Einführung alttestamentlich-jüdischer Kategorien, explizit über die Verweise kata. ta.j grafa.j. Wenn Paulus also „ Christus “ an den Anfang einer Aufzählung der Inhalte des Evangeliums stellt, sagt das über jenes zunächst vor allem eines aus: Das Evangelium ist eine dem jüdischen Glauben und Denken entspringende Botschaft und nur im Rahmen derselben zu verstehen. Zurück zur wechselseitigen Interpretation von cristo,j, dessen alttestamentlicher Tradition und den in 1Kor 15,3ff folgenden Inhalten: Insofern der Christus-Titel eine Person bezeichnet, deren Schicksal im vorliegenden Text in äußerster Kurzform wiedergegeben wird, kann er als Schlüssel zum Verständnis der Aufzählung und insbesondere der Schriftverweise verstanden werden. Paulus kennzeichnet das Sterben, Begrabenwerden, Auferwecktwerden und Erscheinen der beschriebenen Person als „ messianisch “ . Andererseits hilft die „ Messianität “ als eine in der jüdischen Bibel verwurzelte Vorstellung, die Schriftverweise und ihren jeweiligen Gegenstand als Deutungsmittel einzuordnen und das Geschehen insgesamt zu verstehen. 23 To. euvagge,lion tou/ Cristou/ meint bei Paulus die frohe Botschaft von Christus, der sowohl deren Inhalt als auch deren Ursprung darstellt (vgl. Röm 1,16; 15,19; 1Kor 9,12; 2Kor 2,12; 9,13; 10,14; Gal 1,7; Phil 1,27; 1Thess 3,2). Daher sollte nicht Ursache mit Wirkung verwechselt werden: „ Tod, Begräbnis, Auferweckung und Erscheinung bekannte man nicht von einem abstrakt von der Schrift bezeugten Messias “ , sondern von der realen, geschichtlichen Person Jesus von Nazareth, wie bei Paulus die häufige Wortkombination Jesus Christus belegt. 24 Die Verwendung unterschiedlicher Konzepte und Vorstellungen zeigt, „ dass nicht 22 Vgl. dazu MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 277: „ Von daher verwundert es nicht, dass man im Falle einer Bekehrung zum Christentum - aus welchen Gründen auch immer sie erfolgt sein mag - dem Bekenntnis zu dem einen, lebendigen und wahren Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hatte (vgl. 1Thess 1,9 f.), eine Bedeutung unterlegte, die dieses im Rahmen des angestammten Sinnhorizontes auch sinnvoll machte “ . 23 Vgl. THISELTON, The First Epistle, aaO., 1190; 1195. 24 MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 267. 146 4 Aussage und Programm des Evangeliums bestimmte messianische Weissagungen des Alten Testaments zum Anlass genommen wurden, um das Geschick Jesu zu interpretieren, sondern dass das tatsächliche Geschick Jesu der Anlass war, um es im Lichte dazu passender alttestamentlicher Stellen zu deuten. “ 25 Gerade der pauschale Verweis auf „ die Schriften “ wurzelt ursprünglich in der „ Glaubensgewissheit “ , dass das Geschehen seinen Ursprung und Sinnhorizont dort finde. 26 Von den überlieferten Messiasvorstellungen her allein bleiben z. B. der Kreuzestod und die erfahrene Auferstehung unverständlich. Der Schriftverweis dient auch nicht in erster Linie der Legitimation (z. B. nach dem Schema „ Verheißung und Erfüllung “ ) und damit dem Nachweis, dass das Berichtete dem Willen Gottes entspricht, sondern der Erklärung und Sinngebung. 27 So ist bei Paulus das beschriebene Christusereignis der Ausgangspunkt, um „ mit dem ,christologischen Schlüssel ‘ in der Hand aus dem AT neue Perspektiven für christologische Erkenntnisse und Aussagen “ zu gewinnen. 28 Die Schriften sind „ Deutehorizont “ und „ Deutehilfen für das Geschehen im Christusereignis und bei der Verkündigung des Evangeliums “ 29 . Die Nennung des Christustitels gibt den ersten zentralen Inhalt des Evangeliums vor: die Messianität Jesu. Sie ist - wie eben gezeigt - zugleich Interpretationsschlüssel für alle weiteren Inhalte und damit zunächst vor- und übergeordnet. Jedoch ist weder geklärt, wodurch es zu dieser deutenden Personenbeschreibung kommt, noch was genau Paulus darunter im Rahmen seines Evangeliums versteht. „ Sterben für unsere Sünden “ Ist Jesus der Messias, so bedarf sein Sterben einer gesonderten Begründung. Im Kontext alttestamentlich-frühjüdischer Messiasvorstellungen ist der (gewaltsame) Tod des Messias nicht vorgesehen. 30 Auffällig ist, wie allgemein hier der Tod Jesu beschrieben wird. Das Kreuz etwa wird nicht erwähnt. Dass für Paulus 25 MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 268; Vgl. auch WOLFF, ThHK 7, aaO. 368: „ [D]ie Auferweckung Jesu als eschatologisches Handeln Gottes ist der eigentlich Grund dafür, daß das Alte Testament als Hinweis auf das Schicksal Jesu in Anspruch genommen werden kann “ . Es handelt sich also um eine „ nachträgliche Deutung des Geschehens “ und nicht um den „ Ursprung der Aussage “ . 26 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 25. 27 Anders LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 332 und WOLFF, ThHK 7, aaO. 362. 28 WALTER, N., Alttestamentliche Bezüge in christologischen Ausführungen des Paulus, in: SCHNELLE, U.,/ SÖDING, T., (Hgg.), Paulinische Christologie: Exegetische Beiträge, FS Hans Hübner, Göttingen 2000, 246 - 271; Zit. 247; dort auch weitere Belege. 29 WALTER, Alttestamentliche Bezüge, aaO., 248. 30 „ Der Titel wird auch hier durch seinen Träger verändert, erst recht durch sein der traditionellen jüdischen Messiaserwartung widersprechendes Leiden und Sterben “ ; SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 24. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 147 jedoch gerade auch die Anstößigkeit der Todesart in der soteriologischen Wendung „ für uns “ präsent ist, lässt sich z. B. an Gal 3,13 (geno,menoj u`pe.r h`mw/ n kata,ra; vgl. den Fluchcharakter des Kreuzes nach Dtn 21,23 und 27,26) und 1Kor 1,18 (Gegenüberstellung von Kreuz als Torheit und als Gotteskraft) ablesen. 31 Die Angabe „ für unsere Sünden “ hat nicht nur die Intention, über den Zweck des Todes zu informieren, sondern ihn im Zusammenhang mit dem Schriftverweis auch zu begründen. 32 Welche Art der Begründung 1Kor 15,3 vorgibt, hängt von der Interpretation der Präposition u`pe,r ab. Mit Genitiv kann sie entweder mit „ um . . . willen “ oder mit „ zugunsten von “ wiedergegeben werden. Entsprechend haben sich in der Forschung zwei Begründungsansätze etabliert: 1) Einer Deutung als „ um . . . willen “ könnte der aus Jes 53 bekannte Gedanke der Stellvertretung des leidenden Gottesknechts entsprechen. Nur dort findet sich in der Septuaginta die Vorstellung des Sterbens „ peri. h`mw/ n “ ( Jes 53,4). 33 Eine weitere Parallele ist zu erkennen, wenn Gott sich nach dem Tod des db,[ , zu ihm bekennt und er an ihm in einem mit der Auferstehung vergleichbaren Akt handelt. 34 Diese Variante interpretiert „ unsere Sünden “ als Ursache des Leidens und Sterbens. 35 2) Im Falle einer Wiedergabe mit „ zugunsten von “ könnte eine Anlehnung an den alttestamentlichen Sühnegedanken vorliegen. Er sieht die „ Unterbrechung des Sünde-Unheil-Zusammenhangs “ z. B. mithilfe eines Sühnopfers 31 Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 361; THISELTON, The First Epistle, aaO., 1189. Interessant dazu ist die Feststellung J.Zumsteins, dass Paulus immer dann vom stauro,j bzw. stauro,w spricht, wenn er Interpretationen des Todes Jesu vornimmt (z. B.Gal 5,11; Phil 3,18; 2Kor 13,4) und sich sonst auf qa,natoj/ avpoqnh|,skw beschränkt; ZUMSTEIN, J., Das Wort vom Kreuz als Mitte der paulinischen Theologie, in: DETTWILER, A./ DERS. (Hgg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 27 - 41; 32. 32 Vgl. MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 268. Beachte neben den Belegen zu „ sterben für “ (Röm 5,6.8; 14,15; 1Kor 8,11; 15,3; 2Kor 5,14 f; 1Thess 5,10) auch die Dahingabe-Formeln ([para]di,domi: Röm 4,25; 8,32; 1Kor 11,23; Gal 1,4; 2,20). 33 Vgl. MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 268 f; THISELTON, The First Epistle, aaO., 1190; SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 24 weist jedoch darauf hin, dass das entscheidende u`pe,r aus 1Kor 15,4 fehlt. 34 SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 24. 35 Eine Variation dieser Deutung bietet H.Merklein unter der Bezeichnung „ identitätswahrende Repräsentanz “ : „ Jesus wird im Sterben zum Repräsentanten des sündigenden und damit seine Identität verfehlenden Menschen. Eben dadurch wird diesem die Möglichkeit eröffnet, nicht nur sich selbst zu erkennen, sondern auch in der gläubigen Identifizierung mit Christus seine wahre Identität zu finden “ ; MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 269. 148 4 Aussage und Programm des Evangeliums vor. 36 Dann wäre eher keine bestimmte Referenzstelle, sondern das Ganze der Schrift im Blick. 37 Das Sterben hat den Zweck der Sühnung. 38 C.Wolff hat darauf hingewiesen, dass beide Vorstellungen inhaltlich eng miteinander verbunden sind, und eine exakte Unterscheidung schwierig sei. 39 Nicht zuletzt deswegen ist auch eine Kombination beider Deutungen gängig. 40 Unbestreitbar ist die Verknüpfung des Todes Jesu mit der anthropologischen Grundkategorie der Sünde in 1Kor 15,3. Was Paulus darunter versteht und wie er sie mit dem Evangelium in Beziehung setzt, wird noch genauer zu betrachten sein. „ Begraben werden “ qa,ptw ist bei Paulus nur in 1Kor 15 belegt (als Kompositum nochmals in Röm 6,4), Es handelt sich um eine für Paulus eher ungewöhnliche Vokabel, was den Eindruck verstärkt, dass er hier eine Tradition wiedergibt. Wie ich bereits festgestellt habe, bildet es mit evgei,rw eine syntaktische Einheit im Gegenüber zu avpoqnh|,skw. Das kann als „ Unterstreichung der Realität des Todes “ gedeutet 36 JANOWSKI, B., Art. Sühne II. 1 Altes Testament, in: RRG 4 Bd. 7, 1843 f, 1843. 37 Vgl. MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 268; THISELTON, The First Epistle, aaO., 1190. 38 Die These Merkleins, die Deutung von Jesu Tod als Sühnegeschehen, „ das natürlich auch das gesamt pharisäische Programm ritueller Reinigung in Frage stellte “ , sei von den hellenistischen Christen bevorzugt worden, bleibt einen Nachweis schuldig; vgl. MER- KLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 291. 39 Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 362; siehe auch THISELTON, The First Epistle, aaO., 1191: „ [T] he two technical terms both qualify and complement each other: Expiation denotes a meanes of dealing with sin, but risks a merely de-personalized mechanical model of the act or process; propitiation emphasizes that the act is both from God and to God, but risks distortion when Christ is substituted for God as the ultimate source and initiator of action “ ; vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 33. 40 So z. B. SÖDING, T., Sühne durch Stellvertretung. Zur zentralen Deutung des Todes Jesu im Römerbrief, in: SCHRÖTER, J../ FREY, J. (Hgg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, WUNT 181, Tübingen 2005, 375 - 396; vgl. auch LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 330. Zur Problematik beider Deutungsansätze und ihrer Begrifflichkeiten vgl. SCHRÖ- TER, J., SÜHNE, Stellvertretung und Opfer. Zur Verwendung analytischer Kategorien zur Deutung des Todes Jesu, in: DERS./ FREY, J. (Hgg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, WUNT 181, Tübingen 2005, 51 - 71. Mit guten Gründen widerspricht C. Eschner einer einseitigen Deutung, v. a. durch den Sühnegedanken. Er „ entstammt der interpretativen Sprache und ist daher in der Forschung ohnehin erst sekundär an den Text herangetragen worden “ (538). Sie verweist auf die vielfältigen Formen und Metaphern, mit denen Paulus das Sterben Christi und seine Heilsbedeutung weiterführt und expliziert und einer einseitigen Festlegung auf einen der damit verbundenen Aspekte widersprechen (535 f ); vgl. ESCHNER, C., Gestorben und hingegeben „ für “ die Sünder: Die griechische Konzeption des Unheil abwendenden Sterbens und deren paulinische Aufnahme für die Deutung des Todes Jesu Christi, WMAN T 122, Bd. 1 (von 2), Neukirchen- Vluyn 2010. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 149 werden. 41 Die „ Perfektivität des Todes “ und die „ Identität des Gestorbenen mit dem Auferweckten “ würden dann herausgestellt. 42 Jedoch könnte auch ein im jüdischen Kontext allgemein üblicher Sprachgebrauch zugrunde liegen, „ ohne daß damit dem Grab selber Bedeutung beigemessen [. . .] würde “ . 43 Dass Paulus mit dem einen, kurzen Wort qa,ptw bewusst auf die Leiblichkeit der Auferstehung anspielt, die den Lesern des 1Kor mutmaßlich problematisch war, erscheint mir nicht wahrscheinlich. 44 Er hätte andere sprachliche Möglichkeiten gehabt, diesen Gedanken eindeutig zu formulieren (vgl. 1Kor 15,35 ff ). Ich vermute, dass Paulus sich mit dem Begriff an eine traditionelle Vorgabe hält und nicht die Notwendigkeit sieht, diese abzuändern. 45 „ Auferweckt werden “ Das Phänomen der Auferstehung beschreibt Paulus v. a. durch zwei Begrifflichkeiten. Das in 1Kor 15,4 verwendete evgei,rw ist ganz klar Vorzugsvokabular (40 Belege inklusive Komposita). Es scheint sich mit wenigen Ausnahmen um einen terminus technicus zu handeln. 46 Demgegenüber wird das Substantiv avna,stasij nur sieben mal von Paulus (davon allein vier mal in 1Kor 15) in diesem Kontext verwendet. 47 Der paulinische Sprachgebrauch steht wohl mit der Septuaginta in Verbindung: Sowohl avna,stasij als auch evgei,rw sind in jüngeren Texten als Bezeichnung der endzeitlichen Totenauferstehung belegt (vgl. Jes 26,19; Dan 12,2; 2 Makk 7,9.14; 12,43 f). 48 avna,stasij steht in seiner allgemeinen Bedeutung für das aktive „ Sich- Erheben “ und zeigt immer eine neue Handlung oder Bewegung bzw. die „ Wende des Geschicks “ an. 49 Das macht es im urchristlichen Gebrauch wohl besonders 41 WOLFF, ThHK 7, aaO., 362; vgl. THISELTON, The First Epistle, aaO., 1192 f. 42 MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 270; Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 20; 37. 43 LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 331. 44 So MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 275 f und WOLFF, ThHK 7, aaO., 363; 377, der ein Wissen um die Vorgänge bei der Grablegung Jesu erkennt und als Hinweis auf die leibliche Auferstehung Jesu und damit als Vorverweis auf die Thematik in 1Kor 15,35ff ansieht. 45 Vgl. Anm. 4. 46 Ausnahmen zu evgei,rw: „ vom Schlaf aufstehen “ (Röm 13,11); Paulus „ Kummer erwecken “ durch eigennützige Verkündigung (Phil 1,17). 47 Interessanterweise ist im gesamten neutestamentlichen Kontext nicht e; gersij sondern avna,stasij zur substantivischen Bezeichnung geworden, wohingegen das Verb avni,sthmi vor allem in seiner allgmeinen, unchristologischen Bedeutung in Gebrauch ist: bei Paulus außer in zwei Septuaginta-Zitaten (Röm 15,12; 1Kor 10,7) nur in 1Thess 4,14.16 (dort als Bezeichnung der Auferstehung Christi); vgl. KREMER, J., Art. evgei,rw, EWNT I, 899 - 910; 900. 48 Vgl. KREMER, J., Art. avna,stasij ktl, in: EWNT I, 210 - 221; 214 f; DERS., Art. evgei,rw, aaO., 902. 49 Vgl. KREMER, Art. avna,stasij ktl, aaO., 212 f. 150 4 Aussage und Programm des Evangeliums geeignet, „ die unmöglich scheinende Wendung des Schicksals der Toten auszudrücken. “ 50 Andererseits bildet es den aktiven Gegenpol zum passiven evgh,gertai, wie es Paulus in 1Kor 15 immer wieder gebraucht. Jenes „ passivum divinum “ wird von den Exegeten als Betonung des göttlichen Handelns beim Auferstehungsvorgang im Gegenüber zum aktiven „ Auferstehen “ Christi gedeutet. 51 Das Perfekt des Verbs bringe entweder „ das gegenwärtige Sein Christi als des Lebendigen zum Ausdruck “ oder die „ andauernde Wirkung “ der Auferstehung Christi. 52 Die Auferweckung einzelner Toter ist in der Antike zwar „ außergewöhnlich und vielen unglaublich [. . .] aber durchaus im Bereich dessen, was als wirklich vorstellbar und Gott möglich galt “ , wie man z. B. an den Elia (1 Kön 17,17-24) und Elischa (2 Kön 4,18-37) zugeschriebene Totenerweckungen ablesen kann. 53 Auch in der paganen Welt ist das Sterben und Auferstehen von Göttern im Zusammenhang mit Vegetations- und Fruchtbarkeitskulten bekannt. Für den Glauben der Mysterienkulten bildet der Vorstellungszusammenhang sogar die Grundlage. 54 Allerdings ist eine „ Auferstehung als Rückkehr in das Leben dieser 50 KREMER, Art. avna,stasij, aaO., 213. 51 MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 272; vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 363 f LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 331; SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 38. Siehe aber auch KREMER, Art. avna, stasij, aaO., 218: Kremer weist darauf hin, dass auch avne,sth „ die Auferstehung nicht als eigene Tat [. . .], sondern [als] das durch die Tat Gottes ermöglichte Auferstehen “ bezeichnen kann. 52 Zu Ersterem vgl. Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 364. Letzteres vertreten LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 331 und SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 38. 53 Vgl. KREMER, Art. avna,stasij, aaO., 214; „ Die Aussage setzt das Vorhandensein bzw. die Konstruktion einer symbolischen Welt voraus. Zu ihren Komponenten gehört in jedem Fall die (intersubjektive) Annahme, dass die empirische Welt ihre Erklärung und ihren Sinn letztlich in Gott findet. Dies war in der jüdischen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit und in der heidnischen - mit gewissen Differenzierungen - plausibel “ ; MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 27. Siehe auch NICKELSBURG, G.W. E., Art. Resurrection, Early Judaism and Christianity, ABD 5, 684 - 691. 54 Vgl. BERTRAM, G., Art. Auferstehung I (des Kultgottes), in: RAC I (1950), 919 - 930; 920 f: Dort werden Götter zu „ sterbenden u[nd] auferstehenden Heilanden, deren Schicksal für das ihrer Gläubigen, auf die es durch sakramentale Weihehandlungen übertragen wurde, vorbildliche u[nd] urbildliche Bedeutung hatte “ . Die Sonne ist das eigentliche Symbol dieser Gottheiten, deren Symbolik in der ausgehenden hellenistischen Religionsgeschichte in einem solaren Monotheismus, im Kaiserkult und bis ins Christentum hinein wirkte. Durch ihre Herkunft aus verschiedenen religionsgeschichtlichen Wurzeln, unterschiedliche regionale Entwicklung und z. T. gegenseitiger Beeinflussung sind diese Kulte nur schwer zu kategorisieren und im Ganzen einzuschätzen. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 151 Welt sehr verschieden von der Auferstehung Christi “ . 55 Die Auferstehungsaussage fußt auf der Erfahrung der Erscheinungen. 56 Diese implizieren jedoch eine „ außerirdische personale Existenz des Auferstandenen “ , keine Wiederkehr in die irdische Welt. 57 Der Auferweckte ist nicht mehr bloßer Mensch, sondern hat als kurio,j Anteil an der Macht Gottes (Röm 10,9). 58 Die Auferstehungsaussage ist also mit keinem anderen irdischen Phänomen vergleichbar. Sie ist „ prinzipiell mehrdeutig “ und überschreitet die „ Grenzen deskriptiver Sprache “ . 59 Damit bleibt sie „ metaphorische Ausdrucksweise für eine letztlich unvorstellbare, analogielose Wirklichkeit “ 60 . Dennoch knüpft sich an die Auferstehungswirklichkeit Christi für Paulus ein realer soteriologischer Gehalt. Auch wenn die Formulierung in 1Kor 15,4 das Auferwecktwerden im Gegensatz zur Sterbeaussage nicht unmittelbar näher bestimmt (vgl. anders in Röm 4,25), lässt doch das gesamte ab V.12 folgende 55 KREMER, Art. avna,stasij, aaO., 214. Die religionsgeschichtlich nächste Parallele bietet der Mithraskult, in der Mithras allerdings nicht ausdrücklich als Auferstehungsgottheit verehrt wird. Er hat jedoch eine Entwicklung vom Vegetationszum Sonnengott durchgemacht, in der er ursprünglich in Form eines Stieres den lebensspendenden Opfertod stirbt und später als „ Bringer des Lebens “ zur allgmeinen Totenauferstehung aufruft und als Richter über Gute und Böse auftritt; vgl. BERTRAM, Art. Auferstehung I, aaO., 926. 56 Anders SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 43: Es ist „ kaum im Sinne von 1Kor 15, von einem neutralen und unqualifizierten ,Sehen ‘ auszugehen, dessen Bedeutung erst sekundär durch Reflexion erschlossen werden konnte, so daß Auferstehung als Reflexionspostulat eines Sehwiderfahrnis anzusprechen wäre “ . Allerdings widerspricht einer Deutung der Erscheinungserlebnisse als Ergebnis der Auferstehung keineswegs deren „ Erschließungskraft, ja Evidenz und Offenbarungsqualität “ (44), sondern nimmt sie vielmehr ernst. 57 KREMER, Art. avna,stasij, aaO., 218. Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 39: „ Ostern heißt von daher primär nicht, daß es ein Leben nach dem Tod gibt oder darüber Informationen zu erhalten wären, sondern Ostern wird zurückbezogen auf das avpe,qanen desselben Christus. Kein anderer als der für uns gestorbene und begrabene Jesus von Nazareth ist von Gott erweckt und von den Erscheinungszeugen gesehen worden, als derselbe, und doch als ein anderer “ . 58 Der Kyrios-Titel kann wie auch der Messias-Titel als „ weitere frühe Interpretation “ des Oster- und Erscheinungserlebnisses aufgefasst werden; KREMER, Art. evgei,rw, aaO., 909; zum Kyriostitel siehe Kap. 4.1.3 b. 59 MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 271. 60 KREMER, Art. avna,stasij, aaO., 218; Deshalb sind auch die Tagesangaben an dieser Stelle in erster Linie nicht chronologisch im Sinne historische Erinnerung, sondern theologisch als Anspielungen auf das alttestamentliche Phänomen des dritten Tages als „ Tag des Eingreifen Gottes zugunsten Israels bzw. des Gerechten “ im Allgemeinen und der im Judentum auf die eschatologische Auferstehung der Toten bezogenen Stelle Hos 6,2 im Speziellen zu verstehen; MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 278 f. Vgl zu weiteren Deutungen SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 41 ff. 152 4 Aussage und Programm des Evangeliums Kapitel keinen Zweifel an dessen Heilsbedeutung: Nuni. de. Cristo.j evgh,gertai evk nekrw/ n avparch. tw/ n kekoimhme,nwn (V.20). 61 Die Auferweckung Christi ist Ausgangspunkt für die Hoffnung auf eine Auferstehung der Gestorbenen. Für diesen Zusammenhang lohnt ein Blick auf das Verhältnis von Leben und Tod, wie es durch den Sprachgebrauch des Paulus bestimmt wird. Steht avpoqnh,|skw nicht im Zusammenhang mit Jesu Sterben (wie 1Kor 15,3 f ), so wird es von Paulus fast immer im Gegenüber zu za,w gebraucht (vgl. nur 2Kor 5,15; Gal 2,19; Röm 8,13; Phil 1,21). Dies ist insofern bemerkenswert, als in 1Kor 15 evgei,rw dessen Platz einnimmt (in 1Thess 4,14 avni,sthmi: durch die Relation zu „ Sterben “ hier in der Bedeutung der „ Überwindung des Todes “ ). 62 Wie evgei,rw mit dem „ lebendigmachenden “ Aspekt von zw/ |opoie,w verbunden ist, zeigt sich besonders dort, wo es auch andernorts sinngemäß an dessen Stelle tritt: Röm 4,17: ))) kaqw.j ge,graptai o[ti pate,ra pollw/ n evqnw/ n te,qeika, se kate,nanti ouevpi,steusen qeou/ tou/ zw|opoiou/ ntoj tou.j nekrou.j kai. kalou/ ntoj ta. mh. o; nta w`j o; ntaÅ . . . wie geschrieben steht: Ich habe dich zum Vater vieler Völker gesetzt vor Gott, von dem er [=Abraham] glaubte, dass er die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, dass es sei. Der Schöpfungsakt Gottes, der alles Existierende ins Dasein ruft, wird auf eine Stufe mit dem Lebendigmachen von Toten gestellt. Auf diesem Hintergrund erscheint die Auferstehung als Neuschöpfung oder zumindest analog der ursprünglichen Schöpfung als erneutes „ ins Dasein rufen “ . 63 Die Auferstehung wird mit der Kraft, lebendig zu machen, verknüpft, die alttestamentlich Gottes Schöpfermacht vorbehalten ist. 64 Die Auferstehung Christi zielt also auf die „ Mitteilung von Leben “ , nicht allein an ihn, sondern durch ihn an alle Menschen. 65 Entsprechend stellt Paulus die Auferstehung so dar, „ daß der Auferweckte als swth,r Anteil an der lebensspendenden Macht Gottes hat (1Kor 61 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 331; „ [H]ier im Kontext des Auferweckungskapitels soll vermutlich nicht allein angedeutet werden, daß der Auferweckung Jesu nur in ihrer Zuordnung zu seinem Tod soteriologische Bedeutung zukommt “ ; SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 33. 62 KREMER, Art. avna,stasij, aaO., 218. 63 Vgl. MARTIN-ACHARD, R., Art. Resurrection, Old Testament, ABD 5, 680 - 684; 683: „ For Israel there could be no victory over death except that of a state of existence which called for a complete renewal of the human being “ . 64 Auch im transitiven Gebrauch von evgei,rw spiegelt sich diese Schöpfungsmacht; vgl. KREMER, Art. evgei,rw, aaO., 904. 65 KREMER, Art. evgei,rw, aaO., 905. Zur alttestamentlichen Bedeutung des Lebens vgl. MARTIN-ACHARD, Art. Ressurrection, Old Testament, aaO., 680: „ Life, the greatest of gifts [. . .], implies piety, success, fecundity, happiness, and peace, under the protection of Israel ’ s God [. . .] Death is associated with everything that comes to desturb this harmony “ . 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 153 15,45) und Anteil an seiner Herrlichkeit geben kann “ (vgl. Phil 3,21). 66 Im Römerbrief begründet Paulus diese Teilhabe an der Auferstehung mit einer Schicksalsgemeinschaft der Glaubenden mit Christus (Röm 6,8; 14,7-9) und stellt die Auferstehung als Voraussetzung der univeralen Herrschaft Christi über Lebende und Tote heraus (Röm 14,9). 67 Die Auferstehung Christi besitzt für Paulus also in dreifacher Weise eine Sonderstellung gegenüber möglichen anderen „ Auferstehungen “ : 1) Es handelt sich nicht um eine Rückkehr ins Leben, sondern um eine völlig neue Mitteilung von Leben im Sinne einer Neuschöpfung durch Gott. 2) Im Zuge der Auferstehung erlangt Christus als Kyrios Anteil an dieser Schöpfermacht und avanciert dadurch zum universalen Herrscher über alle Menschen - Lebende wie Tote. 3) Die Auferstehung begründet die Hoffnung auf eine gleichartige Auferstehung mittels Teilhabe am solchermaßen Auferstandenen. „ Erscheinen “ o`ra,w ist außer im Zusammenhang mit 1Kor 15,5-8 nur noch an drei Stellen bei Paulus belegt. Es bezeichnet 1Kor 9,1 das auch in 15,8 erwähnte Erscheinungserlebnis des Paulus. In Röm 15,21 ist es Bestandteil eines Septuaginta-Zitates ( Jes 52,15), das Paulus mit seiner Verkündigung kontextualisiert. Das „ Sehen “ steht hier - in gewisser Weise analog zu den Erscheinungserlebnissen - für das Hören bzw. Begreifen der verkündigten Evangeliumsbotschaft. In 1Thess 5,15 schließlich ist o`ra,w mit einer ethischen Aufforderung an die Gemeinde verbunden und insofern hier weniger von Belang. Aus der Septuaginta ist o`ra,w in seiner Grundbedeutung „ sehen “ bekannt und wird deswegen oft synonym zu ble,pw, qewre,w oder qea,omai verwendet. 68 Im Neuen Testament wird es nie in ästhetischen Zusammenhängen und nur vereinzelt in Bezug zu alltäglichen Gegenständen gebraucht. Meistens werden Personen gesehen: „ Wer sieht, vermag einzelne Personen in ihrer Individualität [. . .] und oft in einer bestimmten Seins- oder Handlungsweise [. . .] zu erfassen “ . 69 Im übertragenen Sinn kann o`ra,w auch „ erkennen “ bedeuten. 70 66 KREMER, Art. evgei,rw, aaO., 909. 67 Vgl. dazu im Folgenden die Ausführungen zu kurio,j. 68 Vgl. KREMER, J., Art. o`ra,w, in: EWNT II, 1287 - 1293; 1288. 69 KREMER, Art. o`ra,w, aaO., 1288: Dabei ist zu beachten, „ dass der Antike die Auffassung von Sehen nach dem Modell fotografischen Aufnehmens (Ausklammerung des geistigen Raumes), die positivistische Einengung der Wirklichkeit auf das tatsächlich Feststellbare und die Kategorien der heutigen Psychologie (subjektiv und objektiv) fremd waren “ . 70 Vgl. KREMER, Art. o`ra,w, aaO., 1290. 154 4 Aussage und Programm des Evangeliums Das Passiv w; fqh, wie es uns 1Kor 15,5ff begegnet, ist in der Profangräzität selten. 71 In der Septuaginta ist es jedoch technischer Begriff für Theophanien und Angelophanien (z. B. Gen 12,7) 72 : Die Theophanie sieht die Initiative auf Gottes Seite; er ist es, „ der von sich aus aus seiner Verborgenheit hervortritt “ . 73 Wenn das Neue Testament w; fqh mit der Erscheinung des Auferstandenen verbindet, impliziert das, „ daß man dem Auferstandenen die für Jahwe und den Engel Jahwes charakteristische Macht zuschrieb, sichtbar zu erscheinen “ . 74 Im Zentrum des Epiphaniegeschehens steht daher auch das personale Sehen des Erscheinenden, das „ wegen der Existenzweise des Geschauten (vgl. 1Kor 15,44) nicht ein Sehen wie im Alltag, aber doch ein zum Erkennen hinführendes Wahrnehmen (vgl. Phil 3,10) “ ist. 75 Die Ausstattung Christi mit einem Gottesprädikat zeigt auch, dass es sich nicht um „ einen wieder ins Leben Eingetretenen, sondern den in die himmlische Welt [E]ntrückten “ handelt. 76 Er hat als „ Erhöhter “ an der Macht Gottes Anteil und nur deswegen die Fähigkeit, zu „ erscheinen “ . 77 Wie häufig in den Theophanien der Septuaginta, so ist w; fqh auch im Neuen Testament und bei Paulus mit einer „ Indienstnahme des Menschen “ verbunden: „ [N]irgends erscheint der Auferstandene wortlos, sondern er beruft bzw. sendet aus “ . 78 Von hier aus stellt sich also die Frage nach einem Zusammenhang zwischen Erscheinung und (paulinischem) Apostolat. 79 Zusammenfassung Die in 1Kor 15,3-5 angegebenen Inhalte lassen sich zunächst differenzieren hinsichtlich Sterben, Begrabenwerden, Auferwecktwerden und Erscheinen einer bestimmten Person (Christus) einerseits und den damit verbundenen Deutungen andererseits. Ohne diese Interpretationen bleibt der positive Cha- 71 Sonst im NT bezogen auf die Erscheinung des Auferstandenen nur noch Lk 24,34; vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 332. 72 Vgl. KREMER, Art. o`ra,w, aaO., 1292; MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 280. 73 WOLFF, ThHK 7, aaO., 368. 74 KREMER, Art. o`ra,w, aaO., 1291. 75 KREMER, Art. o`ra,w, aaO., 1292. Für Merklein ist vor allem von e`o,raka in 1Kor 9,1 her an ein visionäres Geschehen zu denken; vgl. MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 281. Schrage hält jedoch gegenüber den anderen von Paulus beschriebenen visionären Erlebnissen an der „ qualitativen Sonderstellung der Ostererescheinungen “ als „ Selbstoffenbarung Jesu Christi “ fest, die zudem mit einer Wortoffenbarung und einem bstimmten Auftrag verbunden war; SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 49. 76 MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 280. 77 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 332. 78 Wolff verweist auf die „ kontinuierliche Verbindung von Theophanie und Wortoffenbarung “ im Alten Testament; vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 368. 79 Siehe Kap. 5.1.2. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 155 rakter des Evangeliums unklar. Es ist deutlich geworden, wie der Christustitel, u`pe.r tw/ n a`martiw/ n h`mw/ n und die Schriftverweise „ Leseanleitungen “ der Evangeliumsinhalte sind, um es als euv -agge,lion verstehen zu können, und inwiefern die jüdische Bibel und Tradition als Verstehenshintergrund eine Rolle spielen: Messiastitel, Stellvertretung, Auferweckung als göttliches Handeln, Erscheinung als Theophanie und Gottesprädikation. Für eine Weitergabe des Evangeliums an Menschen außerhalb dieser Tradition erscheint eine Einführung in „ Basiswissen “ derselben unerlässlich. 80 Bisher unklar bleibt die Kombination der Konzepte in Anwendung auf die vier biographischen Eckpunkte und deren personale Ausrichtung, kurz: die mit 1Kor 15,3-5 verbundene Christologie. Weiterhin bleibt die eigentlich „ soteriologische “ Qualität des Evangeliums in der stark komprimierten Zusammenstellung weitgehend verborgen: Was verbirgt sich hinter dem „ Sterben für unsere Sünden “ ? Inwiefern sind Auferstehung und Erscheinung Christi heilsrelevant? Welche „ frohe Botschaft “ verbindet sich mit dem Christustitel? In V.2 findet sich mit sw/ |zw ein erster Hinweis auf einen „ objektive[n] Zusammenhang von Evangelium und Rettung “ , auf das Evangelium als „ Instrument der Rettung “ . 81 Doch will ich in dieser Frage weiteren Analyse nicht vorgreifen. 82 4.1.2 Analyse von 1Thess 1,9 f a) Einordnung in den Kontext Zu Beginn des 1. Thessalonicherbriefes kommt Paulus nach der für ihn typischen Briefeinleitung auf die Ereignisse um die Evangeliumsverkündigung in Thessaloniki und die Reaktion der Thessalonicher zu sprechen: VV.2 f: Dank und Andenken im Gebet an die Gemeinde VV.4 f: Auserwählung aufgrund erfolgreicher Evangeliumsverkündigung VV.6 - 8: Weitergabe des Evangeliums und Nachahmung des Paulus durch die Thessalonicher VV.9 f schließt an diese Rückschau mit einem Bericht des Paulus über die ihm zu Ohren kommenden Erzählungen über ihre Bekehrung und deren Inhalt an. Dass 80 Dabei kann es sich auch durchhaus nur um „ angewandte “ jüdische Traditionen handeln, also solche die zum unmittelbaren Verständnis eines Evangeliumsinhaltes situativ notwendig und ggf. sukzessiv und kumultativ erweiterbar sind. 81 MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 259; vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 355. 82 Siehe Kap. 4.5 und 8.2. 156 4 Aussage und Programm des Evangeliums die beiden Verse oder Teile davon von Paulus aus der Tradition übernommen werden, ist nicht auszuschließen, hier jedoch nicht weiter von Belang. 83 Obwohl VV.9 f euvagge,lion als Begriff nicht enthalten, wird doch von V.5 her deutlich, dass Paulus hier das euvagge,lion h`mw/ n, das an die Thessalonicher ergangen ist, im Blick hat. 84 Wenn er in V.8 vom Wort des Herrn (o` lo,goj tou/ kuri,ou) spricht, das von den Thessalonichern aus überall hin (evn panti. to,pw| ) ausgegangen ist, kann es sich doch dabei nur um das verkündigte Evangelium handeln. So präzisiert V.9 f den Inhalt dessen, was die Thessalonicher haben hören lassen (evxh,chtai, V.8): das Verkündigungs- und Bekehrungserlebnis und dessen Folgen. Die Inhalte, die Paulus wiedergibt, sind „ in Anwendung “ zu verstehen, d. h. Inhalt und Wirkung(en) des Evangeliums sind miteinander kombiniert und müssen daher im Folgenden unterschieden werden. 85 b) Inhalte des Evangeliums 1Thess, 1,9: auvtoi. ga.r peri. h`mw/ n avpagge,llousin o`poi,an ei; sodon e; scomen pro.j u`ma/ j( kai. pw/ j evpestre,yate pro.j to.n qeo.n avpo. tw/ n eivdw,lwn douleu,ein qew/ | zw/ nti kai. avlhqinw/ | Denn sie erzählen über uns, auf welche Weise wir Aufnahme fanden bei euch und wie ihr euch abgewandt habt zu dem Gott von den (Bild-)Götzen, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen 10 kai. avname,nein to.n ui`o.n auvtou/ evk tw/ n ouvranw/ n( o]n h; geiren evk Îtw/ nÐ nekrw/ n( VIhsou/ n to.n r`uo,menon h`ma/ j evk th/ j ovrgh/ j th/ j evrcome,nhjÅ und (um) zu erwarten seinen Sohn aus den Himmeln, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns rettet aus dem kommenden Zorn. Die Wirkung der Verkündigung lässt sich in diesen Versen recht gut an den von Paulus gebrauchten Verben ablesen: Die Thessalonicher haben Paulus auf- 83 Vgl. Anm. 4. In der exegetischen Literartur werden verschiedene Varianten der Einordnung diskutiert: Taufhymnus heidenchristlichen Ursprungs (FRIEDRICH, G., Ein Tauflied hellenistischer Judenchristen: 1Thess 1,9 f, in: DERS./ FRIEDRICH, J.H (Hgg.), Auf das Wort kommt es an. Gesammelte Aufsätze zum 70. Geburtstag, Göttingen 1978, 236 - 250), urchristliches Predigtschema (HAUFE, G. Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher, ThHK 12/ 1, Leipzig 1999, 28) oder einfach „ Sprach- und Vorstellungsmaterial [. . .] ökumenischer Herkunft “ (HOLTZ, T., Der erste Brief an die Thessalonicher, EKK 13, Neukirchen-Vluyn 1986, 57), das Paulus hier verwendet, um die Inhalte seiner Verkündigung in Thessaloniki zusammenzufassen (MALHERBE, A. J., The letters to the Thessalonians, AncB 32, New York 2000, 118 f; 131 f ). 84 Das apagge,llw von V.9 weist in dieselbe Richtung. Paulus verwendet das Verb sonst nur in 1Kor 14,25, wo es stark beknenntnishaften Charakter trägt. Auch in unseren Abschnitt erscheint es als „ evangelical in quality “ (MALHERBE, AncB 32, aaO., 118). 85 Einen ähnlichen Versuch, von 1Thess 1,9 f aus den Inhalt des Evangeliums zu rekonstruieren, unternimmt KIM, S., Jesus the Son of God as the Gospel (1Thess 1: 9 - 10 and Rom 1: 3 - 4), in: BIRD, M. F./ MASTON, J. (Hgg.), Earliest Christian History. History, Literature, and Theology, WUNT II 320, Tübingen 2012, 117 - 141. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 157 genommen (ei; sodon e; scomen), haben sich weggewandt von den Göttern (evpestre,yate . . . avpo,) und hin (pro.j) zu Gott, dem sie dienen (douleu,ein). Sie erwarten (avname,nein) Jesu Rückkehr und Rettung durch ihn. Über die inhaltlichen Gründe oder Auslöser dieses Verhaltens, geben eher die Substantive Aufschluss: Der wahre und lebendige Gott (qeo,j zw/ ntoj kai. avlhqino,j) wird den falschen Göttern, den Götzenbildern (ei,dola), gegenübergestellt. Dieser Gott hat einen Sohn (ui`o.j auvtou/ ), Jesus, der evk tw/ n ouvranw/ n erwartet wird, auferweckt wurde (h; geiren) und Rettung in Aussicht stellt vor zukünftigem Zorn (ovrgh/ th/ j evrcome,nhj). Vergleichen wir diese breite Palette mit dem Vierklang aus 1Kor 15, ergibt sich ein wesentlich anders akzentuiertes Bild. Zum ersten wird eine Zweiteilung in einen „ theo-logischen “ (V.9) und einen „ christo-logischen “ Vers (V.10) deutlich: Gott wird - im paganen Verkündigungskontext unvermeidlich - explizit als Gegenstand der Bekehrung genannt. Er wird als wahr im Gegensatz zu den falschen Göttern und als lebendig im Gegenüber zu den toten Götzenbildern charakterisiert. 86 Vielleicht klingt in zw/ nti auch das zw|opoie,w von Röm 4,17 an, das auf die Auferweckung Jesu (passiv! ) in V.10 bezogen werden kann. Für J.Malherbe ist zw/ nti dagegen im Zusammenhang von 2Kor 4,1-6 und 1Kor 2,2; 8,6 ein Hinweis auf Gott als Schöpfer, den Paulus durch die Predigt Christi einführt. Jesus wird in dieser Lesart zu „ God ’ s agent in creation “ . 87 Überhaupt erscheint Jesus hier nur in Relation zu Gott als „ Sohn “ ; andere Titel wie z. B. das aus 1 Kor 15,3 bekannte cristo,j fehlen. 88 Es wird also ein stark monotheistischer Impuls gesetzt. Die Verknüpfung dieser beiden Sachverhalte, die Zuordnung des christologischen von V.10 zum theologischen in V.9, zeigt an, dass beide für Paulus grundsätzlich eine Einheit bilden: Das Evangelium von Jesus ist ohne den einen Gott Israels nicht zu verkündigen. Das hat sich durch den Messiastitel und die Verweise auf die Schrift auch aus 1Kor 15,3-5 implizit erschlossen. 1Thess 1,9 f dagegen zeigt explizit die doppelte inhaltliche Struktur des Evangeliums auf: Gott und seine 86 Vgl. VON DOBSCHÜTZ, E., Die Thessalonicher-Briefe, KEK 10, Göttingen 1974 7 , 77: Gottes Existenz ist nicht nur wahr (avlhqino,j) im Sinne von „ seiend “ , sondern „ das seiend, wofür es ausgegeben wird “ . MALHERBE, AncB 32, aaO., 121 f. 87 MALHERBE, AncB 32, aaO., 121. 88 Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis Friedrichs auf den im eschatologischen Kontext sonst eher unüblichen Gottessohntitel. Dieser wird im NT v. a. in Aussagen über die irdische Menschwerdung (Gottes) verwendet, wohingegen hier eigentlich - v. a. in der synoptischen Tradition - der Menschensohntitel zu erwarten wäre. Paulus könnte den Sohntitel hier wegen seiner Affinitiät zur vorausgehenden Erwähnung Gottes eingefügt haben (s. o.) oder die den Griechen unbekannte Menschensohnanschauung durch die Gottessohnvorstellung ersetzt bzw. veranschaulicht haben; vgl. FRIEDRICH, Tauflied, aaO., 246 ff. 158 4 Aussage und Programm des Evangeliums Geschichte mit Israel auf der einen Seite als Voraussetzung und Christus in seiner aktuellen und zukünftigen rettenden Dimension auf der anderen. Zum zweiten sind die christologischen Aussagen deutlich eschatologisch ausgerichtet. Inhaltlich hält V.10 vier Sachverhalte fest: 1) Jesus ist der Sohn Gottes. 2) Er wurde durch Gott auferweckt von den Toten. 3) Er wird erwartet aus den Himmeln. 4) Er rettet aus dem endzeitlichen Zorn. Zu 1): Der traditionsgeschichtliche Ursprung der Sohn Gottes-Bezeichnung ist umstritten. 89 Geht man mit der Mehrheit der gegenwärtigen Forschung von einer Herkunft aus dem alttestamentlich-jüdischen Kontext aus, lässt sich aus dem reichhaltigen Verwendungszusammenhängen ein allen gemeinsamer charakteristischer Zug der Wendung erkennen: „ [D]ass durch die Begrifflichkeit eine einzigartige innige Beziehung zu Gott signalisiert wird. Der Gottessohn ist in besonderer Weise Gott zugehörig “ . 90 Überträgt man diese Wahrnehmung auf die Gottesohn-Prädikation Jesu, charakterisiert sie also seine einzigartige, enge Beziehung zu Gott. Die Art dieser Nähe lässt sich nur aus dem Kontext - hier: von 1Thess 1,10 - näher bestimmen: Er ist als Auferweckter bzw. Erhöhter Gott nah (Grund der Gottesnähe) und er ist in den Himmeln, aus denen er erwartet wird (Umschreibung der Gottesnähe): „ Jesus befindet sich als Auferstandener und somit als Sohn Gottes im himmlischen Hofstaat, also in unmittelbarer Nähe zu Gott “ . 91 Zu 2): Es fällt auf, dass im Zusammenhang der Auferweckung Jesu eine (deutende) Aussage über Sterben und Tod (wie in 1Kor 15,3-5) fehlt; auch die Erscheinungen bleiben unerwähnt. Dafür wird seine zukünftige „ Erscheinung “ , sein „ Rückkehr aus den Himmeln “ erwartet. 92 vEk tw/ n nekrw/ n und evk tw/ n ouvranw/ n stehen sich pointiert gegenüber und parallelisieren Parusie- und Auferstehungs- 89 Vgl. HAHN, Christologische Hoheitstitel, aaO., 274 - 284. Die prominenteste Ableitung sieht einen Zusammenhang mit der Messiaserwartung, über die der Gottessohntitel Eingang in die urchristliche Terminologie gefunden haben soll (284). Sie fußt u. a. auf der alttestamentlich bezeugten Auffassung des davidischen Königs im Südreichs Juda als Sohn Gottes im Sinne einer Adoption (2 Sam 7,14; Ps 2,7; 89,27 f ), mit der die Legitimation des Herrschers durch Gott in Anlehnung an orientalische Herrschertitulare angezeigt werden soll; vgl. WÜLFING V. MARTIZ, P., Art. u`i,oj ktl, in: ThWNT 8, 335 - 340; 336; FOHRER, G., Art. u`i,oj ktl, in: ThWNT 8, 340 - 355; 349; kritisch dazu: DU TOIT, Christologische Hoheitstitel, aaO., 298; FITZMYER, J. A., Romans, ABD 6, New York 1993, 235: „ The title ,Son of God ’ is not being used in a messianic sense “ . 90 DU TOIT, Christologische Hoheitstitel, aaO., 298. 91 DU TOIT, Christologische Hoheitstitel, aaO., 298. 92 Vgl. die ähnliche Formulierung in 1Kor 15,28. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 159 geschehen: Über beides herrscht Gewissheit, beides ist ohne das jeweils andere nicht vorstellbar. So wie in 1Kor 15 die Erscheinung das Auferstehungsgeschehen vollendet (und zeitlich gesehen weiterführt), so wird es auch in 1Thess 1 durch die zukünftige Wiederkunft Christi vervollständigt. Gleichzeitig scheint die Auferstehung für Paulus so etwas wie eine „ Scharnierstellung “ im Heilsgeschehen einzunehmen: Sie ist die „ Zeitenwende “ zwischen schon geschehenem Heil im Kreuzestod Christi und noch kommender Rettung am Tag seiner Rückkehr. 93 Zu 3): Die Erwartung Jesu aus den Himmeln ist ein ganz neuer Aspekt in der aus 1Kor 15,3-5 bekannten Heilsgeschichte. Dort wird zwar von den in der Vergangenheit liegenden Erscheinungen berichtet, nicht jedoch von einer zukünftigen Rückkehr in irdische Verhältnisse. Das Kommen Jesu ist jedoch fester Bestandteil der paulinischen Verkündigung (vgl. nur den - offenbar bekannten - Gebetsruf mara,na qa, in 1Kor 16,22). Das palästinische Judentum zur Zeit des Paulus erwartete das Kommen Gottes, besonders aber das des Messias oder auch anderer Heilspersonen. 94 Aus der jüdischen Apokalyptik entlehnt Paulus auch einen Großteil seines semantischen Inventars, um die Vorstellung des kommenden Christus auszugestalten. 95 parousi,a ist der Begriff, der die damit verbundene Vorstellung bei Paulus am treffendsten umschreibt. Allerdings stellt er gegenüber der sonstigen urchristlichen Rede vom „ Tag des Herr “ (h`me,ra kuri,ou; vgl. 1Thess 5,2) eine „ echte Innovation “ und seine eschatologische Konturierung geradezu ein „ Markenzeichen “ des Paulus dar. 96 Im Profangriechischen steht parousi,a besonders für die „ wirksame Gegenwart, Anwesenheit, etwa bei Rechtsakten “ . 97 Im Hellenismus ist es terminus technicus für den Besuch eines Herrschers, hohen Beamten und in späterer Zeit vor allem des römischen Kaisers. 98 Auch die (unsichtbare) Ankunft und Gegenwart von Göttern, etwa beim Opfer, kann 93 Vgl. ALKIER, S., Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments, NET 12, Tübingen/ Basel 2009, 55: „ Die Auferweckung des Gekreuzigten als kosmologische Zeitenwende “ (Röm 14,9). 94 Vgl. HEININGER, B., Die Parusie des Kyrios, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 299 - 305; 299. OEPKE, Art. parousi,a ktl, aaO., 861. 95 Vgl. HEININGER, Die Parusie des Kyrios, aaO., 301. 96 HEININGER, Die Parusie des Kyrios, aaO., 300 f. 97 Vgl. OEPKE, A., Art. parousi,a ktl, in ThWNT 5, 856 - 869; 857. 98 Vgl. HEININGER, Die Parusie des Kyrios, aaO., 300; 302 f; OEPKE, Art. parousi,a ktl, aaO., 857. Zur Frage der Begriffswahl des Paulus in Bezug zur Herrscher-/ Kaiser-Parusie vgl. den Aufsatz von EISEN, U. E., Die imperiumskritischen Implikationen der paulinischen Parusievorstellung, in: BULL, K.-M./ REINMU TH, E. (Hgg.), Bekenntis und Erinnerung, Rostocker Theologische Studien 16, Münster 2004, 196 - 214. 160 4 Aussage und Programm des Evangeliums damit bezeichnet werden. 99 Wenn Paulus parousi,a also auf Jesus überträgt, ist nicht einfach eine Wiederkunft im Sinne eines erneuten Kommens, einer erneuten Menschwerdung, gemeint, sondern der Aspekt seiner Ankunft bzw. Gegenwart. 100 Das korrespondiert der Erhöhungsvorstellung, führt sie aber insofern weiter, als der gegenwärtigen Erfahrung der Verborgenheit des Kyrios vor den Augen der Welt die Erwartung seines endgültigen Offenbarwerdens gegenübergestellt wird: „ Insofern hebt das Kommen des Herrn mit seiner Auferstehung an “ . 101 Parusie heißt also das letztendliche „ Heraustreten aus der Verborgenheit “ , und ihre Erwartung ist „ engstens mit der Erfahrung des Auferstandenen und seiner Gegenwart verknüpft “ . 102 Im Grunde verbirgt sich hinter der Parusievorstellung also die Überzeugung, „ daß die Gemeinschaft mit ihm sich vollenden und sein Herrsein über Welt und Geschichte offenbar werden wird “ . 103 Die spezifische Form dieser Offenbarung ist das Gericht (kri,ma, z. B. Röm 2,3), in dem Christus als Gerichtsherr (Röm 14,10; 1Kor 4,5; vgl. 11,32) auftritt und sich der Zorn Gottes zeigen wird. 104 Zu 4): Erretten muss Christus aus dem „ Zorn Gottes “ . 105 Von ovrgh, spricht Paulus im 1Thess häufiger: In 2,16 ist der Zorn (bereits gegenwärtig! ) endgültig über die Juden gekommen. In 5,9 wird er zum Antagonisten von swthri,a, wobei beide von Gott bestimmt werden bzw. ausgehen. 106 Als alttestamentliche Größe ist der Zorn Gottes eigentlich in der Abkehr von Gott, in Götzendienst und 99 Vgl. HEININGER, Die Parusie des Kyrios, aaO., 302; OEPKE, Art. parousi,a ktl, aaO., 858. 100 In dieser Bedeutung wird der Begriff auch in Bezug zur alltäglichen Ankunft/ Gegenwart von Menschen gebraucht (z. B. 1Kor 16,17 oder Phil 1,26). 101 RADL, W., Ankunft des Herrn. Zur Bedeutung und Funktion der Parusieaussagen bei Paulus, BET 15, Frankfurt 1981, 263. 102 RADL, Ankunft des Herrn, aaO., 263: Die Parusievorstellung erklärt den Widerspruch zwischen dem in Auferstehung und Erscheinung offenbargewordenen Erhöhten und seiner Verborgenheit in der Welt und führt in einer Lösung zu. 103 RADL, Ankunft des Herrn, aaO., 264. 104 Vgl. RADL, Ankunft des Herrn, aaO., 263; HEININGER, Die Parusie des Kyrios, aaO., 301. Siehe bei Paulus auch Gott als Richter: Röm 2,3.16; 3,6 f; u. ö. 105 Die Rede vom „ Zorn Gottes “ bzw. vom „ Zorn der Götter “ ist im antiken Kontext nicht ungewöhnlich. Vielmehr erweist es sich als „ Schlüsselthema nicht erst kaiserzeitlicher philosophischer Diskussion “ und ist als solches „ mit akuten politischen Konotationen “ versehen; VON BENDEMANN, R., ,Zorn ‘ und ,Zorn Gottes ‘ im Römerbrief, in: SÄNGER, D./ MELL, U. (Hgg.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006, 179 - 215; 209; vgl. FELDMEIER, R./ SPIECKERMANN, H., Verborgenheit und Zorn, in: Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, Topoi biblischer Theologie 1, Tübingen 2011, 339 - 362; bes. 354 - 359. 106 Ähnlich stark präsentisch konnotiert ist ovrgh, auch in Röm 13,4 f, wo die staatliche Obrigkeit als ausführende Dienerin des Zorns Gottes bezeichnet wird, die das Böse (schon jetzt! ) straft. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 161 Idolatrie begründet. 107 Wenn Paulus davon spricht, meint er im Anschluss daran nicht einen Affekt Gottes, sondern das Strafgericht über den Sünder, weswegen er ovrgh, auch hier auf Juden anwenden kann. 108 Zorn ist - wie in unserer Stelle - grundsätzlich eschatologisch gedacht (Röm 2,5.8; 3,5 f; 9,22). 109 Er kann aber wie eben in 1Thess 2,16 auch für das gegenwärtige Handeln Gottes im rettendenrichtenden Evangelium stehen (Röm 1,17 f), das Juden und Heiden vor die Entscheidung stellt und damit den Ausgang des Gerichtes vorweg nehmen kann 110 : Denn aus ihm rettet nur Christus (1Thess 1,10; Röm 5,9). Außerhalb des Evangeliums droht der Zorn Gottes. 111 Schlüssel zum paulinischen Verständnis des Gotteszorns ist das Kreuz Jesu, in dem der Zorn für alle Menschen aufgehoben wurde (Röm 3,24). Dadurch rückt die Kategorie des Gotteszorns in unmittelbare Nähe zur Evangeliumsbotschaft. 112 Der Zorn selbst kann sogar zum Mittel des heilvollen Handelns werden, etwa wenn Paulus in Röm 9,22-24 die als Zorn Gottes beschriebene Verstockung der Juden als Voraussetzung für die Zueignung des Evangeliums an die Völker deutet. 113 Die Aussage, dass Christus vor dem Zorn Gottes und dem kommenden Gericht rettet, ist hingegen ein eindeutiger Hinweis auf die positive (soteriologische) Qualität der Evangeliumsbotschaft. 107 Vgl. MALHERBE, AncB 32, aaO., 122; VON BENDEMANN, Zorn, aaO., 209. 108 Vgl. HAUFE, ThHK 12/ 1, aaO., 29. 109 Vielleicht auch in apokalyptischen Kategorien; vgl. MARXSEN, W., Der erste Brief an die Thessalonicher, ZBK 11.1, Zürich 1979, 41: vOrgh, als Zusammenfassung für die Einleitung der Endzeit mit Schrecken, Kriegen und Hungersnöten. 110 Zu Recht hat von Bendemann auf die „ Fülle “ und den „ semantisch-funktionalen Facettenreichtum “ der Rede vom Zorn Gottes hingewiesen (191). Wenn ich hier von der ovrgh, Gottes spreche, habe ich immer die spezifische Bedeutung als „ Zorn über die avse,beia und Ungerechtigkeit “ (Röm 1,18) im Blick (190); VON BENDEMANN, Zorn, aaO., 190 f. 111 Diese Feststellung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem paulinischen Gesetzesverständnis (vgl. Röm 4,15), auf das ich noch eingehen werde (Kap. 4.2.3). Von Bendemann hat auf ein „ juridisches Paradigma “ im Römerbrief hingewiesen, dass sich aus der Verbindung von Zorn Gottes und Gerechtigkeit (Röm 1,18 f; 2,8; 3,5; 6,13) ergibt; VON BENDEMANN, Zorn, aaO., 210. 112 Vgl. PESCH, W., Art. ovrgh" in: EWNT II, 1293 - 1297; 1296: „ Im gleichen Evangelium begegnen die gleichen Menschen dem Zorn und dem Heil [. . .] indem es die Menschen mit dem gegenwärtigen Zorn Gottes konfrontiert “ ; FELDMEIER/ SPIECKERMANN, Verborgenheit und Zorn, aaO., 357 f: Besonders im Röm versteht Paulus den Zorn „ nicht nur als einen die gesamte Wirklichkeit prägenden Faktor “ , sondern nimmt ihn „ auch immer konsequenter aus der Perspektive des Evangeliums in den Blick “ . 113 Vgl. FELDMEIER/ SPIECKERMANN, Verborgenheit und Zorn, aaO.,358 f; 341. 162 4 Aussage und Programm des Evangeliums 4.1.3 Analyse von Röm 1,1-4 a) Einordnung in den Kontext Der Römerbrief nimmt von der Kommunikationssituation her insofern eine Sonderrolle im Corpus Paulinum ein, als Paulus hier mit einer ihm weitgehend unbekannten, von ihm weder gegründeten noch bisher besuchten Gemeinde Kontakt aufnimmt. 114 Hinzu kommt, dass er der Gemeinde in Rom gegenüber als Bittsteller auftritt und sie mindestens indirekt um Unterstützung für seine geplante Mission in Spanien ersucht (Röm 15,24). 115 Das sind Gründe für die ungewöhnlich ausführliche und hinsichtlich des Evangeliums prägnante Briefeinleitung, in der Paulus sich selbst als Apostel vorstellt und sein Apostolat mit dem Evangelium in Beziehung setzt (klhto.j avpo,stoloj avfwrisme,noj eivj euvagge,lion qeou, V.1). Weiterhin nimmt das Evangelium eine Art „ Brückenfunktion “ ein, wenn Paulus es als gemeinsame Basis voranstellt und dann mit den Römern inhaltlich verbindet (evn oi-j evste kai. u`mei/ j klhtoi. VIhsou/ Cristou/ , V.6). Was wir hier über das Selbstbild von Paulus als Kommunikator anhand einer distinkten Kommunikationssituation erfahren, wird im entsprechenden Kapitel noch genauer zu untersuchen sein. Für den Moment sollen die von Paulus zum Ausdruck gebrachten Inhalte des Evangeliums genügen, die sich aus der Verbindung mit dem paulinischen Amtsverständnis recht gut herauslösen lassen (VV.2 - 4). 116 b) Inhalte des Evangeliums Röm 1,2: ))) o] proephggei,lato dia. tw/ n profhtw/ n auvtou/ evn grafai/ j a`gi,aij . . . [das Evangelium] welches er [=Gott] lange versprochen hat durch seine Propheten in heiligen Schriften 114 Vgl. FITZMYER, ABD 6, aaO., 227. 115 Jewett bezeichnet den Römerbrief darum als „ cautiously diplomatic letter that introduces an ambassador with proper protocol before carefully setting forth the mission to be accomplished “ ; JEWETT, Romans, aaO., 100. 116 Auch bei diesem Text stellt sich die Frage, inwiefern Paulus auf vorgegebene Traditionen zurückgreift, aus bereits dargelegten Gründen nicht (siehe Anm. 4). Der Vollständigkeit halber verweise ich auf WILCKENS, U., Der Brief an die Römer, 1. Teilband Röm 1 - 5, EKK VI/ 1, Neukirchen-Vluyn 1978, 56 - 61: Er weist VV.3 f als vorpaulinische Tradition aus, indem er auf formale, semantische und inhaltliche Besonderheiten aufmerksam macht: „ Die strenge Form des Parallelismus sowie der Partizipialstil sind Kennzeichen traditionell geprägten Wortlauts homologischer bzw. liturgischer Formeln “ (56). Spe,rma Daui.d, o`ri,zw und pneu/ ma a`giwsu,nhj sind Hapaxlegomena (57). „ Von der Abstammung des irdischen Jesus ist sonst nur noch 9,4 die Rede, möglicherweise unter Rückgriff auf 1,3 “ ; „ [D]ie Aussage, daß der Auferstandene in die himmlische Machtstellung des Sohnes Gottes eingesetzt worden sei, ist der paulinischen Christologie durchaus fremd “ (58); vgl. auch den Exkurs bei HAACKER, K., Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 2006 3 , 25 f. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 163 3 peri. tou/ ui`ou/ auvtou/ tou/ genome,nou evk spe,rmatoj Daui.d kata. sa,rka( über seinen Sohn, der entstammt aus dem Samen Davids nach dem Fleisch, 4 tou/ o`risqe,ntoj ui`ou/ qeou/ evn duna,mei kata. pneu/ ma a`giwsu,nhj evx avnasta,sewj nekrw/ n( VIhsou/ Cristou/ tou/ kuri,ou h`mw/ n))) bestimmt zum Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist der Heiligkeit aus der Toten- Auferstehung, Jesus Christus, unseren Herrn . . . In Röm 1 begegnen mit dem Verweis auf die Schriften (V.2), der Toten- Auferstehung (V.4) und der Bezeichnung Jesu als Sohn (Gottes) (V.3 f) mehrere bereits bekannte Begriffe und Wendungen im Kontext des Evangeliums. Sie werden hier in spezifischer Weise miteinander und mit weiteren Begrifflichkeiten in Beziehung gesetzt. Verweis auf die Schriften Im Unterschied zu 1Kor 15,3 f verweist Paulus hier nicht einfach allgemein auf „ die Schriften “ , sondern konkretisiert seine Referenz auf die Propheten Gottes (in den heiligen Schriften). 117 Damit funktionalisiert er die Schrift als Prophetie, als Vorankündigung der folgenden Aussagen: „ Das ganze Alte Testament wird als prophetisches Zeugnis gelesen, das auf Christus hinweist [. . .] und in ihm seine Erfüllung gefunden hat [. . .] als ,Verheißung ‘ Gottes, die er in Christus eingelöst hat “ . 118 Einerseits wird also der Inhalt des Evangeliums rückgebunden an die alttestamentliche Überlieferung. Das Evangelium ist durch diesen Bezug keine „ freischwebende Größe “ . 119 Es besteht Kontinuität hinsichtlich der „ Treue Gottes zu seinem Wort “ (vgl. Röm 3,21; 9,6; 1Kor 15,3; 2Kor 1,20). 120 Zugleich beglaubigt die Schrift auch die Botschaft in typologischer bzw. allegorischer Weise und wird damit zum „ Zeugen “ , auf den sich Paulus berufen kann. 121 Sie bezeugt den Gläubigen nicht nur die „ Vorgeschichte ihres Glaubens “ , sondern ist „ divine authentification of the gospel “ . 122 117 Jewett nimmt an, dass Paulus hier „ all persons mentioned in the OT through whom God spoke “ im Blick hat; JEWETT, Romans, aaO., 103; Die Wendung gra,fai a`giai. ist bei Paulus nur hier zu finden. 118 WILCKENS, EKK VI/ 1, aaO., 64. 119 WILCKENS, EKK VI/ 1, aaO., 71. 120 Vgl. FITZMYER, ABD 6, aaO., 233: „ That gospel is not unrelated to what has gone before in salvation history. God himself has already prepared for its coming “ . Ähnlich: JEWETT, Romans, aaO., 102 f. Für Haacker zeigt sich hier bei Paulus das „ Ringen um den Einklang mit der Schrift “ ; HAACKER, ThHK 6, aaO., 25. 121 WILCKENS, EKK VI/ 1, aaO., 71; 64. 122 WILCKENS, EKK VI/ 1, aaO., 64; JEWETT, Romans, aaO., 103. 164 4 Aussage und Programm des Evangeliums Christologie durch Titel: Davidssohnschaft, Gottessohnschaft, Herr Den eigentlichen Inhalt des Evangeliums leitet Paulus in V.3 f mit peri, ein: tou/ ui`ou/ auvtou/ . . . VIhsou/ Cristou/ tou/ kuri,ou h`mw/ n. Das Evangelium ist wieder stark verdichtet auf die Person Jesu, die durch Sohnes-, Christus- und Herren-Titel interpretiert und in den Mittelpunkt gestellt wird. 123 Zwei Relativsätze entfalten sie durch „ narrative “ Partizipialaussagen unter Einsatz des Stilmittels parallelismus membrorum (kata. sa,rka - kata. pneu/ ma) 124 : a) Nach dem Fleisch entstammt Jesus dem spe,rma Daui.d (V.3). b) Nach dem (heiligen) Geist ist er bestimmt zum ui`o,j qeou evn duna,mei, wobei als Ursache/ Grund der Bestimmung (evx) die Auferstehung von den Toten genannt wird (V.4). 125 Was hat es mit der Unterscheidung kata. sa,rka - kata. pneu/ ma auf sich? Ich werde auf beide Begriffe als Kategorien der paulinischen Weltwahrnehmung noch zu sprechen kommen. Hier sind sie „ christologisch “ zu bestimmen 126 : Wie in Röm 4,1 und 9,3ff zielt sa,rx auf die Herkunft des irdisch-menschlichen Jesus ab: „ Paul is asserting Jesus ’ share in our common humanity “ . 127 Das Menschsein Jesu wird jedoch nicht profan beschrieben als historische Tatsachenangabe. Mit dem Verweis auf die Herkunft aus dem Geschlecht Davids ist eine dezidierte messianische Implikation verbunden: Sie ist ein „ schriftgemäßes Merkmal des Messias “ . 128 Auch kata. sa,rka ist Jesus schon der Messias. In Verbindung 123 Vgl. dazu die treffende Aussage Haackers, wonach das Evangelium „ auf ,Christologie ‘ hinausläuft “ und der daher auch „ Christus predigen “ als Äquivalent zur Evangeliumsverkündigung in Anschlag bringt; HAACKER, ThHK 6, aaO., 25. 124 Haacker entdeckt hier ein Charakteristikum neutestamentlicher Christologie, „ die sich einerseits in titularen Prädikationen, andererseits in narrativen Aussagen ausspricht “ (vgl. Röm 10,9); HAACKER, ThHK 6, aaO., 26; vgl. WILCKENS, EKK VI/ 1, aaO., 56. 125 Die u. a. von G.Strecker vorgeschlagene temporale Übersetzung von evx (seit) finde ich nicht zielführend. Sie hat gegenüber einer kausalen Deutung (durch, aufgrund von; so auch HAACKER, ThHK 6, aaO., 28 f ) keinen Mehrwert, da beide die Auferstehung als Zeitpunkt der Einsetzung bestimmen und auch deren Begründung letztlich beidesmal im Handeln Gottes liegt, der „ bestimmt “ oder „ auferweckt. Im Gegenteil führt sie von der möglichen Zielrichtung der Einsetzung, der allgmeinen Auferstehung der Toten (avnasta,sij nekrw/ n), weg; vgl. STRECKER, G., Theologie des Neuen Testaments, Bearb. und hg. von F.W.Horn, Berlin/ New York 1996,72; HERZER, J., Passion und Auferstehung Jesu Christi, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 285 - 294; 287. 126 Vgl. FITZMYER, ABD 6, aaO., 230. 127 FITZMYER, ABD 6, aaO., 234; siehe auch HAACKER, ThHK 6, aaO., 28; Anders WIL- CKENS, EKK VI/ 1, aaO., 59, der das Anliegen des Paulus darauf beschränkt, „ den Auferstandenen als Davididen, also als Messias auszuweisen “ . 128 HAACKER, ThHK 6, aaO., 27; vgl. dazu LOHSE, E., Art. ui`o.j Daui,d, in: ThWNT 8, 482 - 492. Zum Verhältnis von Davidsohn-Titel und Gottessohntitel vgl. auch: WHITSETT, C. G., 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 165 mit den anderen christologischen Titeln charakterisiert diese Herkunft Jesus also universal (als Irdischen wie Erhöhten) als Messias. Kata. pneu/ ma kann als aus der Auferstehung resultierender Zustand verstanden werden: Es ist „ Parallelbegriff zur göttlichen Herrlichkeit und Kraft “ . 129 Der Geist ist bei Paulus jedoch mehr als ein Zustand. Er besitzt eine dynamischhandelnde Komponente (Röm 8,4 f; 1Kor 12,8ff; 2Kor 4,13; Gal 3,5). Das zeigt sich in Röm 1 an gi,nomai und o`rizw, die nicht einfach äquivalent sind 130 : Wozu Jesus als Sohn Gottes bestimmt ist, ist nicht nur eine auf einen anderen Wirklichkeitsbereich bezogene Wesensaussage (der Nähe Gottes), sondern Angabe einer Funktion, die durch evn duna,mei in ihrer Art und Weise und durch evx avnasta,sewj nekrw/ n in ihrem Zweck näher erläutert wird: Jesus ist Sohn Gottes wegen der Totenauferstehung - aufgrund seiner eigenen und mit dem Ziel der allgemeinen. Und er ist es „ in Kraft “ , d. h. einerseits durch die lebendig machende Kraft Gottes, die ihn auferweckt hat, andererseits aufgrund der Kraft, die er seitdem inne hat und durch die er als Erhöhter - wie wir noch sehen werden - im Evangelium wirkt (Röm 1,16 f ). 131 Eng verbunden mit der Bestimmung zum Gottessohn ist in Röm 1,4 der kuri,oj-Titel. 132 Das Wort bezeichnet profan zunächst einfach den „ Gebieter, den Herrn, eine Person, die Kontrolle oder Herrschaft über eine andere Person oder eine Sache besitzt, verbunden mit Entscheidungsvollmacht “ . 133 Dabei ist das Moment des rechtmäßigen Verfügens, der Entscheidungsvollmacht über etwas Son of God, Seed of David: Paul ’ s Messianic Exegesis in Romans 2: 3 - 4, in: JBL 119, 4 (2000), 661 - 681. 129 HAACKER, ThHK 6, aaO., 29.Vgl. FITZMYER, ABD 6, aaO., 236 130 `Ori,zw kann mit Fitzmyer als „ decisive act of divine appointment or establishment “ verstanden werden; FITZMYER, ABD 6, aaO., 235. Die exegetische Forschung ist sich an dieser Stelle unsicher, ob die Auferstehung als Einsetzung bzw. Herrschaftsantritt Jesu zum Sohn Gottes und Messias angesehen werden kann, also eine Art adoptianische Vorstellung das Verhältnis zu Gott beschreibt (vgl. HAACKER, ThHK 6, aaO., 28; STUHLMACHER, P., Der Brief an die Römer, NTD 6, Göttingen/ Zürich 1989, 22), oder ob Paulus hier das gesamte Heilsgeschehen in Christus im Blick hat, innerhalb dessen die Auferstehung zwar eine entscheidende Zäsur, aber kaum den Wandel im Verhältnis Gottes zu Jesus darstellen kann. In letzterem Fall müsste man die Aussage nicht als Widerspruch zur Präexistenz- Vorstellung beispielsweise in Phil 2,5-11 ansehen (vgl. FITZMYER, ABD 6, aaO., 236). Wilckens und Jewett versuchen das Problem dadurch zu lösen, indem sie die „ adoptianische “ Christologie der Tradition zuweisen, die der von Paulus übernommen Formel zugrunde liegt; vgl. JEWETT, Romans, aaO., 107; WILCKENS, EKK VI/ 1, aaO., 58 ff. 131 Vgl. JEWETT, Romans, aaO., 107; FITZMYER, ABD 6, aaO., 235 f. 132 Vgl. die breite traditionsgeschichtliche Analyse bei HAHN, Christologische Hoheitstitel, aaO., 67 - 132. 133 FITZMYER, J. A., Art. kurio,j ktl, EWNT II, 811 - 820; 813. 166 4 Aussage und Programm des Evangeliums oder jemanden besonders hervorzuheben. 134 Das Neue Testament verwendet kurio,j in Anspielungen und Zitaten auf die jüdische Bibel für Gott; doch ist eine Ableitung dieses Sprachgebrauches aus der Septuaginta nicht zwingend. 135 Allerdings ist im letzten vorchristlichen Jahrhundert in Palästina unbestreitbar die Tendenz jüdischer Autoren wahrnehmbar, sich auf Gott als „ Herr “ zu beziehen ( ! Ada' , z. B. Ps 114,7). 136 In dieser Linie ist auch der profilierte Gebrauch von kurio,j des entstehenden Christentums zu verorten. Paulus verwendet kurio,j bezgogen auf die Person Jesu v. a. in zwei Kontexten: im Zusammenhang mit Herrenworten, „ Worte, hinter denen die Autorität des Irdischen steht “ (1Thess 4,15; 1Kor 7,10; 9,14; 11,23), und in Aussagen über den wiederkommenden und erhöhten Herrn. 137 Auch „ Herr “ ist also eine auf das irdische Leben übergreifende und das Ganze der Person Jesu umfassende Bezeichnung. Aus dem beschriebenen, alttestamentlichen Traditionszusammenhang heraus impliziert der Begriff eine Gleichstellung von Jesus und Gott. 138 Das zeigt sich in dem von Paulus aufgegriffenen Traditionsstück, das heute als „ Philipper-Hymnus “ bekannt ist (Phil 2,6-11): Jesus trägt den Namen, „ der über allen Namen ist “ ; vor ihm sollen alle Knie sich beugen (VV.9 f ). Diese Huldigung gebührt eigentlich Gott (vgl. Röm 14,11; Jes 45,23). Der Kyriostitel ist ihre Begründung. Er wird Jesus gegeben als „ göttliche Antwort (dio, ) auf sein Todesleiden in Gehorsam “ (VV.8 f). 139 Steht kurio,j also in Phil 2,8 mit Jesu Sterben in Zusammenhang, so verbindet eine andere Stelle, Röm 10,9, das Bekenntnis zum Herrsein und den Glauben an die Auferweckung von den Toten miteinander 140 : Als Gestorbener und Auferweckter ist Jesus der Herr, der bis zu seiner Wiederkehr zur Rechten Gottes als Erhöhter herrscht (vgl. Röm 8,34; 1Kor 134 Vgl. FOERSTER, W./ QUELL, G., Art. kurio,j ktl, ThWNT 3, 1038 - 1098; 1081; HAHN, Christologische Hoheitstitel, aaO., 68; DU TOIT, Christologische Hoheitstitel, aaO., 296 f. 135 Vgl. FITZMYER, Art. kurio,j ktl, aaO., 815 f: Die Septuaginta verwendet kurio,j für den Gottesnamen nur in christlichen Abschriften aus dem 4./ 5. Jh. n. Chr. Handschriften aus vorchristlicher Zeit dagegen fügen ihn durch hebräische Schriftzeichen in den griechischen Text ein (vgl. aber auch die neutestamentlichen Septuaginta-Zitate als mögliche Belege für eine zeitgenössiche Übersetzung); Unkritisch zu diesem Phänomen verhält sich die übrige Forschungsliteratur, z. B. DU TOIT, Christologische Hoheitstitel, aaO., 297. 136 Vgl. FITZMYER, Art. kurio,j ktl, aaO., 816. 137 HAHN, Christologische Hoheitstitel, aaO., 91. 138 FITZMYER, Art. kurio,j ktl, aaO., 817; vgl. FOERSTER, Art. kurio,j ktl, aaO., 1088. 139 FOERSTER, Art. kurio,j ktl, aaO., 1087.vgl. FITZMYER, Art. kurio,j ktl, aaO., 817. Eigentlich lautet der „ Name über allen Namen “ gemäß V.10 Jesus; jedoch wird dieser durch das Bekenntnis von V.11 unmittelbar mit dem Kyriotitel verbunden. 140 Vgl. FOERSTER, Art. kurio,j ktl, aaO., 1088. 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 167 4,5; 1Thess 4,16) 141 : „ Der Sohn übt die Herrschaft Gottes der Welt gegenüber aus, um nach Überwindung aller Gegenmächte sie und mit ihr sich dem Vater zu Füßen zu legen “ . 142 Das Ziel der Herrschaft Christi ist es, die Welt Gott untertan zu machen (1Kor 15,28). Auch dem Kyriostitel wohnt also eine funktionale Ausrichtung inne, und zwar auf die eschatologische Vollendung des Heilswerks: Der „ Schwerpunkt “ seines Auftrages liegt im Heilshandeln gegenüber den Menschen (Röm 14,9). 143 Im Rahmen dieses Auftrages beschreibt kurio,j nicht nur eine Beziehung zu Gott, sondern impliziert auch ein „ Machtbzw. Autoritätsgefälle “ gegenüber den Menschen, das diese anerkennen sollen. 144 Auf diesem Beziehungsgeschehen liegt auch in Röm 1,4 der Akzent, wie das h`mw/ n anzeigt: „ Nur der auferweckte und erhöhte Jesus Christus kann [. . .] Kyrios sein [. . .] Der auferweckte Gekreuzigte erweist sich als Kyrios, weil er in der Gegenwart als wirksamer Herr der Glaubenden angerufen werden kann “ . 145 4.1.4 Zusammenfassung: Vergleich von 1Kor 15, 1Thess 1 und Röm 1 Ein abschließender Vergleich soll die bisher erarbeiteten Inhalte sichern. Zur besseren Übersicht seien dieTexte zunächst noch einmal nebeneinander gestellt: 141 Vgl. FOERSTER, Art. kurio,j ktl, aaO., 1088. Dem Sitzen zur Rechten Gottes liegt eine messianische Interpretation von Ps 110,1 zugrunde, die die Herrenbezeichnung mit dem Erhöhungsmotiv verbindet: „ Die Erhöhungsvorstellung ist aus der Anschauung von Jesu endzeitlicher Messianität hervorgewachsen, nicht zuletzt bedingt durch die Parusieverzögerung “ ; HAHN, Christologische Hoheitstitel, aaO., 113; vgl. auch den Exkurs zur Erhöhung 126 - 132. Eine mögliche aramäische Vorstufe zur Erwartung der Wiederkunft liegt in 1Kor 16,22 mit mara,naqa vor; zur philologischen Beurteilung siehe HAHN, 100 ff. 142 FOERSTER, Art. kurio,j ktl, aaO., 1089. 143 Vgl. FOERSTER, Art. kurio,j ktl, aaO., 1089; Daneben gilt sein Heilshandeln dem gesamten Kosmos und der Überwindung der gottfeindlichen Mächte (1Kor 15,23-28). 144 DU TOIT, Christologische Hoheitstitel, aaO., 297: „ Wegen des mit der Verwendung von Kyrios als Hoheitstitel für Jesus implizierten alleinigen Machtanspruchs Jesu eignet dieser Prädikation bei Paulus ein Moment der Konkurrenz gegenüber allen anderen gesellschaftlichen, politischen und überirdischen Machthabern “ (298); vgl. FOERSTER, Art. kurio,j ktl, aaO., 1090: In dieser Hinsicht bezeichnet der Kyriostitel das, „ wovon Menschen sich abhängig machen oder tatsächlich abhängig sind “ , von vielen Herrn/ Göttern, oder dem einen Herrn Christus (1Kor 8,5 f; vgl. auch die dou/ loj-Terminologie in 1Kor 7,22; Röm 1,1). 145 ALKIER, Die Realität der Auferweckung, aaO., 61. 168 4 Aussage und Programm des Evangeliums 1Kor 15,3-5 1Thess 1,9 f Röm 1,2-4 theologischer Teil 9 Denn sie erzählen über uns, auf welche Weise wir Aufnahme fanden bei euch, und wie ihr euch abgewandt habt zu dem Gott von den (Bild-)Götzen, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen 1 . . . das Evangelium Gottes, 2 welches er lange versprochen hat durch seine Propheten in heiligen Schriften christologischer Teil 3 b . . . dass Christus für unsere Sünden gestorben ist nach den Schriften 4 und dass er begraben wurde und dass er auferweckt am dritten Tag gemäß den Schriften 5 a und dass er gesehen wurde . . . 10 und (um) zu erwarten seinen Sohn aus den Himmeln, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns rettet aus dem kommenden Zorn. 3 über seinen Sohn, der entstammt aus dem Samen Davids nach dem Fleisch, 4 bestimmt zum Sohn Gottes in Kraft nach dem Geist der Heiligkeit aus der Toten- Auferstehung, Jesus Christus, unseren Herrn . . . Auf den ersten Blick überrascht es, wie wenig explizite begriffliche Übereinstimmungen die Texte aufweisen. Einzig die Beschreibung der Auferstehung scheinen alle Texte gemeinsam zu haben und selbst hier bedient sich Röm 1,4 des Substantivs avna,stasij im Gegenüber zu evgei,rw in 1Kor 15,4 und 1Thess 1,10. Auch ist nicht klar, ob mit avna,stasij derselbe Sachverhalt gemeint ist, oder ob es aus dem Zusammenhang heraus auf die allgemeine Totenauferstehung zielt. Eine Verbindung der Texte miteinander wird erst durch die Identifikation von Jesus und Christus in Röm 1,4 möglich: Der in 1Kor 15 gestorbene, begrabene, auferweckte und erschienene Christus ist derselbe, der in 1 Thess 1 aus den Himmeln erwartet wird, um aus dem kommenden Zorn zu erretten, und der nach Röm 1 als Messias dem Samen Davids entstammt und zum Sohn Gottes bestimmt ist. Darauf aufbauend können wir schließen, dass alle drei Stellen übereinstimmend die Person Jesus Christus als Kerninhalt des Evangeliums behandeln. Dabei werden jeweils unterschiedliche Aspekte beleuchtet und interpretiert. 1 Kor 15,3-5 beschreibt ein durch vier Eckpunkte bestimmtes Heilsgeschehen, das jeweils durch deutende Zusätze einerseits dessen Heilscharakter präzisiert ( „ für unsere Sünden “ , V.3 b), andererseits eine Lesebzw. Interpretationsanlei- 4.1 Kernaussagen des Evangeliums 169 tung an die Hand gibt ( „ gemäß den Schriften “ , V.3 b+4). Sie besteht in der jüdischen Bibel und der damit verbundenen Tradition und setzt ein Basiswissen für das Verständnis der ihr entnommenen Vorstellungsgehalte voraus. In Röm 1,2 hingegen dient der Verweis auf die Schriften explizit der Legitimierung, der glaubwürdigen „ Bezeugung “ des Evangeliums. Je nach dem Bezug von avna,stasij kommt hier keines der in 1Kor 15 erwähnten Ereignisse zur Sprache. Vielmehr entfaltet Röm 1 den messianischen Charakter der Person Jesu in zweifacher Hinsicht. Als Irdischer ist seine Messianität durch die Abstammung von David belegt. Sohn Gottes und Kyrios artikulieren dagegen das Messisassein Jesu eher funktional: Er ist eingesetzt „ in Kraft “ mit dem Ziel der Totenauferstehung. Dabei liegt bei der Sohnesbezeichnung der Akzent auf der engen Beziehung zu Gott, wohingegen Kyrios eher auf das Verhältnis zu den Menschen abzielt. Während 1Kor 15 das Evangelium durch die Erzählung eines Geschehens wiedergibt (narrativ), interpretiert Röm 1 die dem Evangelium zugrunde liegende Person durch Titel (titular). 1Thess 1,9 f weist eine klare Zweiteilung auf, die auch in Röm 1 beobachtet werden kann. Die Botschaft von der Person Jesus erhält jeweils ihre theologische Grundlegung durch die unmittelbare Zurückführung auf Gott als dem Handelnden: 1Thess 1,9 nennt den lebendigen und wahren Gott als eigentlichen Gegenstand der Bekehrung und also des Evangeliums. In V.10 erweist er sich dann auch als in der Auferweckung Jesu Handelnder. Auch Röm 1,1 f charakterisiert Gott als Urheber des Evangeliums und zeigt auf, wie es durch ihn von langer Hand vorbereitet und schließlich durchgeführt wird (o`ri,zw! V.4). Der theologischen Grundlegung entspricht jeweils ein christologischer Teil (1Thess 1,9; Röm 1,3 f ). Er ist in 1 Thess 1 mit der Erwartung des Sohnes Jesu „ aus den Himmeln “ und der Rettung durch ihn vor dem „ kommenden Zorn “ klar eschatologisch ausgerichtet. Sie werden mit seiner Auferweckung von den Toten in Beziehung gesetzt, weil Paulus darin die eigentliche Zeitenwende der Heilsgeschichte sieht. 146 In 1Kor 15 gruppieren sich (entsprechend dem Argumentationsziel) sämtliche Fakten um die Auferweckung: Der Tod als Voraussetzung, das Begräbnis als Unterstreichung der Realität des Todes und Beglaubigung der personalen Identität des Gestorbenen mit dem Auferweckten, die Erscheinung als Erweis und Machtdemonstration (Theophanie). Die Auferstehung ist nicht Rückkehr 146 Vgl. auch die Bezeichnung von Gott als Lebendigem (1Thess 1,9) im Zusammenhang mit der im Rahmen von 1Kor 15 erarbeiteten Auferstehung als „ Mitteilung von Leben “ . 170 4 Aussage und Programm des Evangeliums ins Leben, sondern Mitteilung von (neuem) Leben zur außerirdischen personalen Existenz Jesu als Kyrios in Kraft und mit lebensspendender Funktion. Als solche wird die Auferstehung in 1Thess 1 und Röm 1 bedeutsam: Seit seiner Auferstehung herrscht Jesus als Kyrios „ in Kraft “ bis zur allgemeinen Totenauferstehung (Röm 1,4). Aufgrund seiner Auferstehung ist eine Wiederkehr (Parusie) als Zielpunkt dieser Herrschaft überhaupt erst möglich (1Thess 1,10). Die Erwartung der Rückkehr des Auferstandenen ist Element der Hoffnung, aber auch der Furcht, denn mit ihr ist der „ kommende Zorn “ , das Gericht Gottes verbunden; aus ihm wird Jesus retten. Das ist die eschatologische Ausrichtung des Evangeliums als Heilsbotschaft. Rettung, so ergibt es sich aus 1Kor 15,1+3, erfährt der Mensch aufgrund des Sterbens Jesu am Kreuz für unsere Sünden, aufgrund der dort geschehenen Stellvertretung oder Sühnung. Blicken wir auf die drei Texte im Ganzen, lässt sich eine von Gott ausgehende Heilsgeschichte nachzeichnen, die sich an der Person Jesu manifestiert (theologische/ christologische Teile). Sie lässt sich in einem zeitlich-narrativen Ablauf (Verheißung in den Schriften, irdischer Jesus, Sterben, Auferstehung, Herrschaft als Kyrios, Wiederkunft aus den Himmeln, Totenauferstehung, Rettung aus dem Zorn) darstellen und wird durch verschiedene Titel hinsichtlich der von Gott ausgehenden Heilsdimension im Rahmen alttestamentlich-jüdischer Vorstellungen interpretiert. Daraus ergibt sich jedoch nur ein sehr allgemeines Bild dessen, was Paulus unter dem Inhalt des Evangeliums versteht. Wesentliche Bezüge bleiben unklar: Wie wird der Zorn Gottes begründet? Wovor muss der Mensch durch Christus gerettet werden? Was ist Sünde? Wie hängen Heilsgeschehen und Rettung zusammen? Alle diese Fragen münden in der grundlegenden Fragestellung: Welches Gottes-, Menschen- und Weltbild liegt dieser Botschaft zugrunde? Um das Ganze der Botschaft des Evangeliums zu verstehen, müssen wir uns zunächst ihres Deutehorizontes und ihrer Stellung im Rahmen der paulinischen Theologie bewusst werden. 4.2 Paulinische Sicht auf Welt und Mensch Es ist nicht möglich die Botschaft des Evangeliums wie Paulus sie kommuniziert isoliert von dessen Welt- und Wirklichkeitswahrnehmung zu betrachten. Auch wenn er in seinen Briefen immer nur fragmentarisch und der konkreten Situation entsprechend Theologie treibt, erwächst „ sein Denken und Reden aus seiner theologischen Grundposition “ (vgl. seine Ausführungen im Römerbrief ), in der „ Gott nicht seinem Wesen an sich [nach], sondern nur so wie er für den Menschen, seine Verantwortung und sein Heil, bedeutsam ist “ , zum Tragen 4.2 Paulinische Sicht auf Welt und Mensch 171 kommt. 147 Wo Paulus von Gott spricht, tut er das also nur in Bezug auf Mensch und Welt und auch umgekehrt werden beide stets in Beziehung zu Gott thematisiert. Die Beziehung wird „ durch das Handeln Gottes in der Geschichte und durch die Reaktion des Menschen auf Gottes Tun “ konstituiert. 148 Um dieser doppelten Perspektive des paulinischen Weltbildes gerecht zu werden, unterscheidet R.Bultmann zwischen dem Menschen „ vor der Offenbarung “ und dem Menschen wie er von da aus „ sichtbar geworden ist “ . 149 Bezogen auf unsere Fragestellung könnte man es so formulieren: Um verstehen zu können, was die Inhalte des Evangeliums (für den Menschen/ Rezipienten) bedeuten, worin deren spezifisch positive Qualität besteht, muss man zunächst Welt und Menschen ohne das Evangelium in den Augen der Botschaft (bzw. dessen, der sie formuliert) zu Kenntnis nehmen. Betonen möchte ich: in den Augen der Botschaft. Denn Paulus hat eben keine, im modernen Sinne systematische Anthropologie entworfen, sondern innerhalb seiner Briefe aus der Perspektive des Evangeliums immer wieder ad hoc das Menschsein in Beziehung zu Gott beleuchtet. Wenn ich im Folgenden den Versuch unternehme, Welt und Mensch vor der Kommunikation des Evangeliums zu beschreiben, kann das nicht zuletzt aufgrund des paulinischen Befundes nur in Zielrichtung auf das Evangelium hin und seine Bedeutung für die Beziehung zwischen Gott und Mensch geschehen. Das kommt meinem Anliegen entgegen, die wesentlichen Aspekte der paulinischen Weltsicht im Anschluss mit den bisher erarbeiteten Inhalten der Evangeliumsbotschaft in Beziehung zu setzen. Neben der grundlegenden Theologie von Bultmann ziehe ich mit Dunn und Hahn zwei maßgebliche neuere Monographien hinzu, die nicht nur das Vorgehen strukturien, sondern auch einen breiteren Überblick über die paulinischeTheologie bieten, als es diese Arbeit zu leisten vermag. 150 147 BULTMANN, R., Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1984 9 , 191 f; vgl. dazu SCHNELLE, U., Methodische Probleme der (Re)konstruktion der Theologie aus den erhaltenen Briefen, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 273 - 279. 148 BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 192. 149 BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 192: Bultmann folgert deshalb zuspitzend, die paulinische Theologie sei zugleich Anthropologie und seine Christologie zugleich Soteriologie. 150 Vgl. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO.; DUNN, J. D. G, The Theology of Paul the Apostle, Michigan 1998; HAHN, Theologie, aaO. Die Wahl des für den deutschsprachigen Raum grundlegenden Werkes von Bultmann bedarf keiner weiteren Begründung. Die Auswahl von Dunn und Hahn seien kurz erläutert: Es handelt sich um zwei aktuellere (1998/ 2002) Grundlagenwerke, die sowohl aufgrund ihrer Übersichtlichkeit als auch Vollständigkeit überzeugen. Sie stehen repräsentativ für die jeweilige neutestamentliche Forschung im deutschsprachigen wie im anglo-amerikanischen Raum und sind doch jeweils auf ihre eigene Art innovativ. Während Dunn sein Vorgehen heilgeschichtlich gliedert und sich dialogisch mit Paulus im Lichte seiner Umwelt auseinandzusetzen 172 4 Aussage und Programm des Evangeliums 4.2.1 Welt und Mensch als Gottes Schöpfung Mit den bisherigen Ergebnissen kann es nicht mehr überraschen, dass das Welt- und Menschenbild des Paulus von Prämissen bestimmt ist, die sich den „ Schriften “ Israels verdanken. 151 Mensch und Welt sind Gottes Schöpfung (kti,sij; Röm 8,20 ff.39) 152 : evx auvtou/ kai. diV auvtou/ kai. eivj auvto.n ta. pa,nta, alles ist aus ihm und durch ihn und auf ihn hin (Röm 11,36). „ Nichts gibt es außerhalb versucht, wählt Hahn hinsichtlich der paulinischen Theologie ein konzentrisches Modell, das ausgehend vom Evangelium als Mitte die verschiedenen Aspekte beleuchtet. Fällt bei Hahn die Darstellung zu Paulus recht konzentriert und knapp aus - es handelt sich nur um einen Teil einer Theologie des Neuen Testaments - , entfaltet Dunn das Ganze der paulinischen Theologie in ihrer Breite. Als Auswahlhilfen hinzugezogen wurden: GRAYSTON, K., The Theology of Paul the Apostle. By James D. G. Dunn, in: JthS 50,1 (2012), 245; KECK, L. E., James D. G. Dunn ’ s „ The theology of Paul the Apostle “ , in: SJTh 53,3 (2000), 380 - 389; LÖHR, H., James D. G. Dunn, „ The theology of Paul the Apostle “ , in: VF 44,1 (1999), 78 - 83; SÖDING, T., Ferdinand Hahns „ Theologie des Neuen Testaments “ , in: EvTh 64,3 (2004), 235 - 238; SLENCZKA, N., Systematische Bemerkungen über die Aufgabe und den Ansatz einer Theologie des Neuen Testaments am Beispiel des Entwurfes von Ferdinand Hahn, in: BREYTENBACH, C./ FREY, J. (Hgg.), Aufgabe und Durchführung einer Theologie des Neuen Testaments, WUNT 205, Tübingen 2007, 275 - 286. Einen wertschätzenden und in den theologiegeschichtlichen Zusammenhang einordnenen Überblick über die wichtigsten Theologien im deutschsprachigen Raum bietet FREY, J., Zum Problem der Aufgabe und Durchführung einer Theologie des Neuen Testaments, in: ebd., 3 - 53. Siehe zur Theologie von Hahn außerdem meine Einordnung im Rahmen des forschungsgeschichtlichen Überblicks (Kap. 2.2.3). Weitere beachtenswerte Monographien zur Theologie des Paulus: SCHNELLE, U., Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 2007; STUHLMACHER, P., Biblische Theologie des Neuen Testaments, 2 Bd.e, Göttingen 2005 3 / 2012 2 ; WILCKENS, U., Theologie des Neuen Testaments, 3 Bd.e, Neukirchen-Vluyn 2003 - 2012 (Bd. 3 unveröffentlicht); WOL- TER, Paulus, aaO. 151 Wie sehr nicht nur Weltbild und Theologie, sondern auch die Verkündigungsinhalte des Paulus im Horizont jüdisch-alttestamentlicher Tradition stehen, zeigt C. Bussmann durch einen Vergleich mit hellenistisch-jüdischer Missionsliteratur: BUSSMANN, C., Themen der paulinischen Missionspredigt auf dem Hintergrund der spätjüdisch-hellenistischen Missionsliteratur, EHS.T 3, Bern/ Frankfurt 1971. 152 Vgl. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 228ff; HAHN, Theologie, aaO., 222; Zum paulinischen Weltbild siehe BÖTTRICH, C., Selbstverständnis, Weltbild, Dämonologie, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 385 - 390; bes. 386: „ Vom altorientalischen Weltbild hat Paulus die Vorstellung einer vertikalen Struktur übernommen. Klassisch erscheint die Dreiteilung in die Bereiche ,Himmel, Erde und unter der Erde ‘ (Phil 2,10) [. . .] Das [apokalyptische] Schema zweier Äonen, die zeitlich-horizontal aufeinanderfolgen, gibt [. . .] die Grundstruktur geschichtlichen Denkens vor “ , wobei „ mit dem Christusereignis die neue Weltzeit schon anbricht und die alte, vergängliche Weltzeit überlagert “ . Eine Zusammenstellung der paulinischen Schöpfungsaussagen sowie eine Verhältnisbestimmung zu fu,sij bietet WISCHMEYER, O., Fysis und Ktisis bei Paulus. Die paulinische Rede von Schöpfung und Natur, in: ZthK 39, 352 - 375. 4.2 Paulinische Sicht auf Welt und Mensch 173 der von Gott geschaffenen Wirklichkeit. “ 153 Die Erkenntnis Gottes als Schöpfer zieht die (Selbst-)Wahrnehmung des Menschen als Geschöpf und damit in seiner (abhängigen) Beziehung zum Schöpfer nach sich. 154 Den Menschen in seiner Geschöpflichkeit beschreibt Paulus durch verschiedene anthropologische Grundbegriffe, die jedoch „ nicht je einen Teil des Menschen, sondern immer den ganzen Menschen bzw. sein Menschsein, und zwar unter einer bestimmten Perspektive und zugleich in einer bestimmten Relation “ beschreiben. 155 Der Mensch ist ein Wesen, das in verschiedenen Dimensionen lebt und wahrgenommen werden kann. 156 Sw/ ma ist „ der umfassendste Begriff, der menschliches Sein bei Paulus charakterisiert “ . 157 Die genaue Wiedergabe des griechischen Wortes ist schwie- 153 HAHN, Theologie, aaO., 222. Zum mit kti,sij vergleichbaren Gebrauch des Begriffs ko,smoj vgl. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 254ff; 229. Besonders pointiert spricht Paulus von dieser letztlich vergänglichen und zeitlichen Wirklichkeit, wenn er ihr eine neue, unvergängliche Wirklichkeit, die neue Schöpfung gegenüberstellt (kainh. kti,sij; 2Kor 5,17; Gal 6,15); vgl. DUNN, Theology, aaO., 28ff: Gott ist für Paulus die „ fundamental presupposition “ seiner gesamten Theologie (28). Sie ist so grundlegend, dass er sich zu ihr kein einziges Mal in seinen Briefen dezidiert äußert. Nichtsdestoweniger bleibt Paulus auch nach seiner Bekehrung seinem jüdischen Gottesverständnis verbunden: „ It was the Creator God of Genesis who had also enlightened him (2 Cor. 4.6, echoing Gen. 1.3). It was the God who had called Jeremiah who had also chosen him (Gal. 1.15, echoing Jer. 1.5) “ (29). Unter dieser Voraussetzung ist das monotheistische Gottesverständnis des Paulus ein ernst zu nehmender Faktor seiner Evangeliumsverkündigung. Weitere Literatur zu kainh. kti,sij: HOEGEN-ROHLS, C., ktisis and kain ē ktisis in Paul ’ s Letters, in: CHRISTOPHERSEN, A. (Hg.), Paul, Luke and the Graeco-Roman world, London 2003, 102 - 122; MELL, U., Neue Schöpfung. Eine traditionsgeschichtliche und exegetische Studie zu einem soteriologischen Grundsatz paulinischer Theologie, BZNW 56, Berlin/ New York 1989; DERS., „ Neue Schöpfung “ als theologische Grundfigur paulinischer Anthropologie, in: HERMS, E. (Hg.), Menschenbild und Menschenwürde, VWGTh 17, Gütersloh 2001, 345 - 364; MOO, D., Creation and new creation in: Bulletin for biblical research 20,1 (2010), 39 - 60; SCHRAGE, W., Schöpfung und Neuschöpfung in Kontinuität und Diskontinuität bei Paulus, in: EvTh 65,4 (2005), 245 - 259; STUHLMA- CHER, P., Erwägungen zum ontologischen Charakter der kainh. kti,sij bei Paulus, EvTh 27 (1967), 1 - 35. Siehe auch Kap. 8.3.3 c. 154 Vgl. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 228; 231. 155 HAHN, Theologie, aaO., 224. 156 Vgl. DUNN, Theology, aaO., 78. 157 BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 193; Vgl. ZIMMERMANN, R., Körperlichkeit, Leiblichkeit, Sexualität. Mann und Frau, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 378 - 385; 378: „ Die Rede vom Leib (sw/ ma) beschränkt sich allerdings nicht auf die Anthropologie, sondern bezieht sich ebenso auf die Gemeinde, die Christologie oder Eschatologie. Dieser bildliche Gebrauch des Leibbegriffs zeigt ein übergeordnetes Soma- Konzept bei Paulus, das Mensch, Menschheit, Gemeinde und Kosmos von der Metapher des Leibes aus versteht “ ; ähnlich diagnostiziert JANSSEN, C., Anders ist die Schönheit der Körper. Paulus und die Auferstehung in 1Kor 15, Gütersloh 2005, 60: „ dass im paulinischen Sprachgebrauch die Ebenen der konkreten Bedeutung, des metaphorischen Gebrauchs 174 4 Aussage und Programm des Evangeliums rig. Die Exegese diskutiert die Übersetzung mit „ Körper “ oder „ Leib “ . 158 Jedenfalls konstituiert für Paulus der Begriff im Anschluss an die jüdische Tradition die Personalität des Menschen. 159 : „ [D]er Mensch hat nicht ein sw/ ma, sondern er ist sw/ ma “ . 160 Es ist nach R.Bultmann der primäre Ort der Selbsterfahrung: Der Mensch „ heißt sw/ ma, sofern er sich selbst zum Objekt seines Tuns machen kann oder sich selbst als Subjekt eines Geschehens, eines Erleidens erfährt. Er kann also sw/ ma genannt werden, sofern er ein Verhältnis zu sich selbst hat “ . 161 Das sw/ ma ist „ Werkzeug des Tuns “ , „ die Möglichkeit, mit sich selbst einig zu sein oder sich selbst entfremdet, mit sich selbst zwiespältig zu sein “ . 162 „ [S]w/ ma ist der Mensch, sofern er sich selbst als Objekt seines Verhaltens gegenständlich ist, sofern er sich von sich selbst distanzieren und unter die Herrschaft fremder Mächte geraten kann. “ 163 L. Scornaienchi nennt das sw/ ma im Anschluss an die These Bultmanns die inaktive, passive Seite des Menschen, die für die Beherrschung durch andere Mächte offen ist. 164 Demgegenüber ist sa,rx „ die aktive Seite des Menschen, der beseelte und lebendige Mensch “ . 165 Dem Begriff wohnt zunächst - in der hebräischen wie in der griechischen Tradition - der Aspekt der Materialität und der theologischen Deutung in einer sich wechselseitig interpretierenden Beziehung stehen “ . 158 Zum Problem der Übersetzung vgl. JANSSEN, Anders ist die Schönheit der Körper, aaO., 26ff: Janssen weist darauf hin, dass mit jedem der im Deutschen zur Verfügung stehenden Begriffe sich ein eigenes Konzept verbindet: „ Körper wird demnach im theologischen Sprachgebrauch auf die konkreten materiellen Dimensionen menschlichen Lebens bezogen, die bei der Verwendung des Begriffes ,Leib ‘ nicht notwendigerweise mitgedacht werden. Die damit einhergehende Verengung des Bedeutungsspektrums wird in diesem Zusammenhang selten wahrgenommen “ (27). Entsprechend plädiert Janssen für die konkretere Übersetzung mit „ Körper “ , die den in der theologischen Tradition mit „ Leib “ verbundenen „ Dualismus zwischen spiritueller ,leiblicher ‘ Existenz und der materiell körperlichen “ umgeht (28). Anders z. B. HAHN, Theologie, aaO., 224: „ Der Begriff sw/ ma bezeichnet den ,Leib ‘ (,Körper ‘ besagt zu wenig) “ ; vgl. auch BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 194, der sich nicht entscheidet. 159 Vgl. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 194; 196 f. 160 BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 195; vgl. JANSSEN, Anders ist die Schönheit der Körper, aaO., 73: „ sw/ ma erfasst den ganzen Menschen in seiner Beziehungshaftigkeit, die sich konkret körperlich realisiert “ . 161 BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 196; vgl. 197. 162 BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 197. 163 BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, aaO., 203. 164 Vgl. SCORNAIENCHI, L., Sarx und Soma bei Paulus. Der Mensch zwischen Destruktivität und Konstruktivität, Göttingen 2008, 13; ähnlich JANSSEN, Anders ist die Schönheit der Körper, aaO., 72. 165 SCORNAIENCHI, Sarx und Soma bei Paulus, aaO., 13. 4.2 Paulinische Sicht auf Welt und Mensch 175 inne. 166 Unter diesem Gesichtspunkt ist sa,rx „ das belebte Fleisch des Menschen, lebendig in seinen sinnlichen Äußerungen und greifbar der sinnlichen Wahrnehmung “ und steht für „ die Menschlichkeit als solche “ in der „ Sphäre des Irdisch-,Natürlichen ‘“ . 167 Wird sa,rx jedoch für das menschliche sw/ ma bestimmend, handelt es sich um eine negativ konnotierte Aktivität, die die Fehlbarkeit, Vergänglichkeit und Destruktivität des Menschen ausdrückt. 168 Als Sitz der Affekte macht sa,rx die menschliche Existenz in der Welt schwach und korrumpierbar, zum Ort „ where animal appetites and desires dominate existence “ . 169 Als aktiver Teil des Menschen beherrscht und versklavt sa,rx das passive sw/ ma. 170 Zusammengenommen zeigen beide Begriffe, welch integrale Bedeutung Paulus der Körperlichkeit/ Leiblichkeit als ganzheitliche, menschliche Dimension einräumt. 171 So ist die aus der griechischen Philosophie bekannte Trichotomie aus Geist, Seele, Körper - obwohl sie ihm bekannt gewesen sein dürfte (vgl. 1Thess 5,23) - keine sachgerechte Beschreibung des paulinischen Verständnisses vom Menschen. 172 Yuch, ist nicht die Seele im Unterschied zum Leib, sondern „ das Geschaffen- und Lebendigsein des Menschen im Sinne des alttestamentlichen Begriffs fp,n, “ , also eine Bezeichnung des Lebens als Ganzes 166 Vgl. ZIMMERMANN, Körperlichkeit, Leiblichkeit, Sexualität. Mann und Frau, aaO., 379; JANSSEN, Anders ist die Schönheit der Körper, aaO., 64. 167 BULTMANN, Theologie, aaO., 233 f; JANSSEN, Anders ist die Schönheit der Körper, aaO., 65; siehe Kap. 4.1.3 b bezogen auf das irdische Dasein Jesu. 168 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 224; SCORNAIENCHI, Sarx und Soma bei Paulus, aaO., 13. Die Einschätzung von sa,rx als stark negativ gewertete Kategorie geht auf R.Bultmann zurück (BULTMANN, Theologie, aaO., 232 ff). Sie ist in der jüngeren Forschung als einseitge Gewichtung des exegetischen Bestandes des Begriffes kritisiert worden, der - wie bereits angesprochen - nicht nur diese negative Konotation in sich birgt. Im Gesamtzusammenhang der paulinischen Theologie empfinde ich jedoch die Ansicht Bultmanns einleuchtend (siehe die Begründung in Kap. 4.2.2, 4.2.3 und 4.2.4); zur Diskussion vgl. JANSSEN, Anders ist die Schönheit der Körper, aaO., 66 - 69. 169 DUNN, Theology, aaO., 80; vgl. JANSSEN, Anders ist die Schönheit der Körper, aaO., 69: „ Der besondere Aspekt der sa,rx in der Körpertheologie des Paulus ist der der Verwundbarkeit der Menschen [. . .] das Gefühl der Ohnmacht “ . 170 SCORNAIENCHI, Sarx und Soma bei Paulus, aaO., 13; vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 200ff: Aus dieser fundamental Beherrschtheit des menschlichen sw/ ma heraus kann Paulus den Begriff auch synonym mit sa,rx gebrauchen, sowohl hinsichtlich seiner negativen Bewertung (Röm 6,12; 8,13) als auch hinsichtlich dessen kreatürlich-leiblicher Dimension (2 Kor 4,10 f; 12,2-4): „ [E]s ist derart von der sa,rx bestimmt, daß der Unterschied zwischen sw/ ma und sa,rx verschwindet “ (201 f ). „ Es wäre jedoch methodisch falsch, wollte man von diesen Stellen ausgehen, um den für Paulus charakteristischen und seine entscheidenden Ausführungen bestimmenden sw/ ma-Begriff zu interpretieren “ (203). 171 Vgl. DUNN, Theology, aaO., 72. 172 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 225; BULTMANN, Theologie, aaO., 204. 176 4 Aussage und Programm des Evangeliums (vgl. 1Kor 15,45: Adam wird geschaffen als „ lebendiges Wesen “ ). 173 Wenn man den „ inneren “ vom „ äußeren “ , körperlichen Menschen bei Paulus unterscheiden möchte, ist die Kategorie des Willens am ehesten dazu geeignet. So transportiert kardi,a, das dem alttestamentlichen ble entsprechende „ Personzentrum “ des Menschen, nicht nur eine emotionale, von Liebe und Mitleid erfasste, sondern auch eine willentliche Komponente (vgl. die Verbindung mit qe,lew, zhte,w, u. a.). 174 Der Wille des Menschen fußt auf dem nou/ j, der Vernunft/ dem Verstand als Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Er ist Voraussetzung für Verstehen und Wollen, und zwar für Paulus v. a. in Bezug auf Gott. 175 So sind auch Erkenntnisbegriffe wie ginw,skw, kri,nw, dokima,zw und sunei,dhsij in erster Linie Relationsbegriffe im Hinblick auf Gott. Das „ Gewissen “ (sunei,dhsij) ist zwar „ das Wissen des Menschen um sein eigenes Verhalten “ , aber eben „ angesichts einer für dieses Verhalten bestehenden Forderung “ 176 : Es ist „ nicht Instanz für das Selbstsein und die Eigenverantwortlichkeit des Menschen, sondern bezogen auf das Gericht und Urteil Gottes “ (vgl. Röm 2,14-16). 177 Von der Beziehung zu Gott aus erhält die Kategorie des pneu/ ma seine Bestimmung als „ aktive, konstruktive Kraft im Menschen “ . 178 Der Geist stellt die von Gott gestiftete Alternative zur Beherrschung durch sa,rx dar, die das sw/ ma befreit und in den Dienst vor Gott stellt. 179 Damit der Mensch pneu/ ma als „ das lebendige, aktive Ich- 173 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 224 f; Zit. 224; BULTMANN, Theologie, aaO., 205. 174 Vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 221 f: „ [K]ardi,a ist das Innere im Gegensatz zum Äußeren, das eigentliche Ich im Unterschied von der Erscheinung des Menschen “ ; „ Der Unterschied von nou/ j und kardi,a liegt darin, daß in kardi,a das Moment des Wissens, das in nou/ j enthalten ist und hervortreten kann, nicht betont ist, sondern daß das Moment des Strebens und Wollens wie der Bewegtheit durch Gefühle (Schmerz und Liebe) beherrschend ist “ (222); HAHN, Theologie, aaO., 225. 175 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 225; BULTMANN, Theologie, aaO., 211 f: „ Mit ihm ist nicht die Vernunft oder der Verstand als ein besonderes Organ gemeint, sondern das Wissen um etwas, das Verstehen und Urteilen, das dem Menschen als solchem zu eigen ist und seine Haltung bestimmt “ , ein „ verstehendes Denken “ . 176 BULTMANN, Theologie, aaO., 217; vgl. 220. 177 HAHN, Theologie, aaO., 225. 178 SCORNAIENCHI, Sarx und Soma bei Paulus, aaO., 14. Für Literatur zu pneu/ ma siehe Kap. 7.2.3 d. 179 Vgl. SCORNAIENCHI, Sarx und Soma bei Paulus, aaO., 13; HAHN, Theologie, aaO., 223: sa,rx als Kennzeichen der irdischen Welt im Gegenüber zur göttliche Wirklichkeit als Wirklichkeit des Geistes (pneu/ ma) im Rahmen paulinischer Schöpfungsaussagen. MER- KLEIN, Paulus und die Sünde, aaO.,152 f: H.Merklein beschreibt diesen „ Existenzwechsel “ von s,arx zu pneu/ ma als Pendant zum Wechsel von der a`marti,a zur dikaiosu,nh: „ Der Wechsel hat mit neuer Schöpfung zu tun. Denn er zielt auf ein Sosein, das dem Menschen durch eigene Bemühung nicht erreichbar ist, sondern ihm als Seinsmöglichkeit erst geschenkt werden muss “ (vgl. Röm 8,9 f ); BULTMANN, Theologie, aaO., 208: Dazu passt die paulinische Verwendung von pneu/ ma, das sowohl für den göttlichen als auch für den menschlichen Geist eintreten kann. 4.2 Paulinische Sicht auf Welt und Mensch 177 Bewußtsein als Voraussetzung der Willensentscheidung “ (Röm 7,22; 2Kor 4,16) erfahren kann, muss jedoch sa,rx vollständig aus dem Menschen beseitigt werden (Röm 8,13; 2Kor 4,10). 180 Ich fasse zusammen: Der Mensch wird von Paulus ganzheitlich als geschaffenes Wesen angesehen (yuch,), dessen Personaliät als Körperlichkeit/ Leiblichkeit aufgefasst wird (sw/ ma). In dieser Existenz erweist er sich fremdbestimmt, entweder dominiert durch die destruktive sa,rx, welche das irdische Dasein als vergänglich prägt, oder durch das von Gott geschenkte, konstruktive pneu/ ma. Als eigenständige Person ist der Mensch fähig zur Willensentscheidung (kardi,a/ pneu/ ma), dessen Voraussetzung ihm mit der Fähigkeit zur Erkenntnis gegeben ist (nou/ j). Wille und Erkenntnis werden von Paulus grundsätzlich auf Gott bezogen. Nicht zuletzt deshalb hat der Mensch seine Entscheidung vor Gott zu verantworten (sunei,dhsij). 4.2.2 Adam und der Ursprung der Sünde Warum ist der Mensch als von Gott geschaffenes Wesen von sa,rx beherrscht und warum ist diese Herrschaft destruktiv? Durch die Schöpfung ist der Mensch zur Beziehung mit Gott geschaffen. In der ihm von Gott gewährten Freiheit hat sich der Mensch jedoch gegen diese Beziehung entschieden, das Gottesverhältnis ist zerbrochen, die Welt „ unheil “ . 181 In Anlehnung an die jüdische Tradition illustriert Paulus dieses Geschehen mit dem „ Sündenfall “ Adams in Gen 3. 182 Adam steht dort für „ [t]he creature made in the image of God, indeed invited into God ’ s presence “ , die aber auch „ primarily responsible for the subsequent alienation and enmity within creation “ ist. 183 Er repräsentiert also die zwei 180 HAHN, Theologie, aaO., 225; vgl. SCORNAIENCHI, Sarx und Soma bei Paulus, aaO., 14. 181 Vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 251; HAHN, Theologie, aaO., 227; 243; DUNN, Theology, aaO., 101. 182 Ein Verständnis von Gen 3 als „ Fall “ in Verbindung mit der Kategorie Sünde ist in der jüdischen Exegese vor Paulus nicht belegt; vgl. DUNN, Theology, aaO., 84. Zur Deutung Adams in der jüdischen Tradition vgl. ANDERSON, G., Art. Adam/ Eva, RGG 4 1, 106 f; DERS., The Penitence Narrative in the Life of Adam and Eve, HUCA 63 (1992), 1 - 38; SCHÄFER, P., Adam in der jüdischen Überlieferung, in: STROLZ, W. (Hg.), Vom alten zum neuen Adam, Freiburg/ Basel/ Wien 1986, 69 - 93; LEVISON, J. R., Portraits of Adam in Early Judaism: From Sirach to 2 Baruch, Michigan 1988; WALLACE, H. N., Art. Adam (person), ABD 1, 62 - 64. 183 WALLACE, Art. Adam (person), aaO., 63. 178 4 Aussage und Programm des Evangeliums Seiten der menschlichen Existenz. Bei Paulus (Röm 5,12-21) dient Adam hingegen ausschließlich als Paradigma für den Ungehorsam und die Entfremdung des Menschen gegenüber Gott. 184 Das Problem manifestiert sich am Gebot, nicht vom Baum des Lebens zu essen. Adam übertritt es (para,basij, Röm 5,14; 4,15 bzw. para,ptwma, Röm 2,23ff; ) und setzt so einen Unheilskreislauf in Gang, aus dem sich die Menschheit nicht mehr befreien kann (Röm 5,13 f). 185 Seine Übertretung wird zum Beispiel der in sa,rx gefangenen Menschheit, die mit ihm in einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschlossen ist. 186 Die Über- 184 Vgl. DUNN, Theology, aaO., 82 Anm. 7; BULTMANN, Theologie, aaO., 250ff: Bultmann problematisiert den unklaren Zusammenhang bei Paulus zwischen dem Verhängnis- (der Zurückführung der Sünde aller Menschen auf die Sünde Adams) und dem Schuldcharakter der Sünde: „ Denn der Schuldcharakter wäre preisgegeben, wenn die Allgemeinheit der Sünde [seit Adam] auf eine dem Menschen anhhaftende Qualtität zurückgeführt würde “ (250). Beides jedoch steht bei Paulus nebeneinander, sodass sich Bultmann zu der These genötigt fühlt: „ dem Gedanken von der Erbsünde liegt die Erfahrung zugrunde, daß jeder Mensch in eine Menschheit hineingeboren wird, die immmer schon von einem falschen Trachten geleitet ist und daß niemand von vorne anfängt. Das dadurch bestimmte [unverantwortete] Daseinsverständnis umfängt von vornherein jeden Menschen, der es in der konkreten para,basij ausdrücklich übernimmt und dadurch dafür mitverantwortlich wird “ (253). Die Problematik kann zum Teil umgangen werden, indem man den Bezug auf Adam hier paradigmatisch versteht. Die Frage nach dem Ursprung der Sünde wird damit jedoch nur unzureichend beantwortet, sodass man schließlich mit Bultmann nur festhalten kann: „ [D]ie Sünde kam durch das Sündigen in die Welt “ (251). Entsprechend versucht H.Merklein die sich auftuende Spannung durch eine Definition der Sünde als (konkrete) „ Tatwirklichkeit “ zu lösen, die durch die Kollektivität des Sündigens seit Adam die beherrschende Wirklichkeit/ Macht darstellt: „ Insofern präsentiert sich die Sünde als übersummative Größe, die mehr ist als die Summe der einzelnen Sünden, bleibt als solche aber ein Abstraktum, das nicht unabhängig für sich existiert “ ; MERKLEIN, Paulus und die Sünde, aaO., 130. Das trägt meines Erachtens jedoch nicht zur Erhellung der Problematik bei, sondern ersetzt eine Spannung (Sünde als Verhängnis - persönliche Schuld) durch eine andere (Sünde als Tatwirklichkeit - übersummatives Abstraktum). Ich tendiere dazu, diese Spannung als Teil der spannungsvollen Analogie zwischen Adam und allen Menschen, und damit zugleich auf der Textebene zu belassen und nicht zu verallgemeinern. 185 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 230. Zum Zusammenhang zwischen para,basij (Übertretung des Gesetzes) und der allgemeinen Sündhaftigkeit siehe: MERKLEIN, H., Paulus und die Sünde, in: FRANKEMÖLLE, H. (Hg.), Sünde und Erlösung im Neuen Testament, QD 161, Freiburg 1996, 123 - 163; 124ff: „ Durch das Gebot ,Du sollst nicht begehren! ‘ wird die Sünde als Begierde entlarvt, d. h. als Streben, das ausdrückliche Gebot zu übertreten [. . .] Eben diese Wirklichkeit [der Sünde] wird lebendig, wird dem Menschen zur lebendigen, ja aggressiven Wirklichkeit, sobald das Gesetz ihm die Sünde als beherrschende Macht mit göttlich sanktionierter Todesfolge begegnen läßt “ (134). 186 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 230. Hier schließe ich mich der erhellenden Deutung von R. S. Schellenberg an, der betont, das die Übertretung Adams und nicht Adam selbst als Modell der Sünde und damit als Vergleichspunkt für Christus dient; vgl. SCHELLENBERG, R. S., 4.2 Paulinische Sicht auf Welt und Mensch 179 tretung des Gebotes und die damit verbundene willentliche Abwendung von Gott (avse,beia, z. B. Röm 1,18; 11,26) nennt Paulus Sünde (a`marti,a, Röm 5,12 ff ). 187 Sie ist eine Kategorie, die bei Paulus nicht ohne die Kategorie des Gesetzes (no,moj) zu verstehen ist. 188 4.2.3 Wesen und Funktion des Gesetzes Unter dem Gesetz versteht Paulus zunächst die Tora, die den Bund Israels mit Gott repräsentiert. 189 Das Gesetz ist also im Wesentlichen das mosaische Gesetz, dessen Befolgung die Zugehörigkeit zum Volk Gottes und zu seinem Bund kennzeichnet ( „ identity-marker “ ). Anders gesagt: Das Gesetz ist „ die Gesamtheit der historisch gegebenen Gesetzesforderungen “ . 190 Grundsätzlich steht der Bund unter dem Vorzeichen der Verheißungen der Erwählung Israels (evpaggeli,ai, vgl. Röm 9,4); sie sind die Voraussetzung unter denen das Gesetz gilt. 191 Das Gesetz nimmt für Israel verschiedene Funktionen wahr. In erster Linie ist es die gute Willensoffenbarung Gottes. 192 Es gibt Israel als das geforderte Gute Orientierung zum Leben (vgl. Röm 7,10.12) und ist dadurch sowohl Beschützer als auch „ Erzieher “ (paidagwgo,j, Gal 3,24). 193 Entscheidend ist es auch für die Erhaltung und Bewahrung (nicht den Erwerb! ) des Bundes/ Heils. 194 Darin erweist es sich nicht nur als Offenbarung, sondern als „ Anteilgeben Gottes an sich selbst “ . 195 Auch den Völkern ist das Gesetz „ ins Herz geschrieben “ (Röm 2,14 f); sie können Gott im Handeln in seiner Schöpfung erkennen (Röm 1,19 f) und verspüren Does Paul call Adam a type of Christ? An exegetical note on Romans 5,14, in: ZNW 105,1 (2014), 54 - 63. 187 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 226 f. Zum Selbstverständnis des Paulus als „ Sünder “ und seiner Rhetorik von „ Sünde “ vgl. RÖHSER, G., Paulus und die Herrschaft der Sünde, in: ZNW 103/ 1 (2012), 84 - 110. 188 Zum Verhältnis von Sünde und Gesetz vgl. auch: WEDER, H., Gesetz und Sünde. Gedanken zu einem qualitativen Sprung im Denken des Paulus, in: NTS 31 (1985), 357 - 376, und LICHTENBERGER, H., Das Ich Adams und das Ich der Menschheit. Studien zum Menschenbild in Römer 7, WUNT 164, Tübingen 2004. Lichtenberger zeichnet anhand von Röm 7 das Verhältnis von Sünde und Gesetz als Geschichte Adams und damit der Menschheit nach. 189 Vgl. DUNN, Theology, aaO., 97; 133. 190 BULTMANN, Theologie, aaO., 261; Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 232; DUNN, Theology, aaO., 132; 160. 191 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 234 f. 192 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 234; GUTBROD, W., Art. no,moj ktl, in: ThWNT 4, 1016 - 1084; 1063. 193 Vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 260; DUNN, Theology, aaO., 141 f; 160; GUTBROD, Art. no,moj ktl, aaO., 1064. 194 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 232; DUNN, Theology, aaO., 160. 195 GUTBROD, Art. no,moj ktl, aaO., 1064. 180 4 Aussage und Programm des Evangeliums seinen Willen im Gewissen. 196 Einen Beweis dafür sieht Paulus im partiellen, dem Gesetz entsprechenden Handeln der Völker (Röm 2,13). 197 4.2.4 Die Schwäche des Gesetzes und die Konsequenzen der Sünde Als Gottes gute Ordnung hat das Gesetz Autorität. 198 Seine Schwäche besteht jedoch darin, „ daß es der Sünde nicht anders beikommt als mit Verbot und Verurteilung “ . 199 Das Gebot erweckt Begierde (evpiqumi,a, Röm 7,7 f), den Zwang des Menschen sich gegenüber dem Anspruch Gottes selbst zu behaupten. 200 Als „ Nichtachtung Gottes “ (Röm 1,21) birgt die Begierde den Schuldcharakter der Übertretung vor Gott und macht so die Sünde real. 201 Aus dem ursprünglich gegen die Sünde gerichteten Gesetz wird ein Wort, das die Sünde zurAuflehnung und aktiven Feindschaft gegen Gott (Röm 3,19) und schließlich zu einer tötenden Kraft macht (1Kor 15,56; Röm 4,15). 202 Der Tatcharakter des Gesetzes wird deutlich: Es erfordert das Halten des Gebotes, das „ Tun des Gesetzes “ (Röm 2,13; Gal 3,19). 203 Genau darin liegt jedoch der unüberwindbare Widerspruch im Menschen, dass er das Gesetz kennt, dass 196 Vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 261 f; HAHN, Theologie, aaO., 228 f; 237. 197 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 236; MERKLEIN, Paulus und die Sünde, aaO., 127: „ Selbstverständlich ist dieser no,moj nicht einfach identisch mit der jüdischen Tora, als kritischer Maßstab aber zumindest ein Analogon dazu. Vielleicht muß man sogar von einem weiteren [. . .] Gesetzesbegriff sprechen, wenn man bedenkt, daß es im Frühjudentum selbst eine Tendenz gab, Tora und Schöpfungsordnung zusammenfallen zu lassen “ . 198 Vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 262: „ Natürlich war das Gesetz von Gott gegeben worden, damit es erfüllt werde “ . Es ist „ Gottes verbindliche Forderung “ . 199 GUTBROD, Art. no,moj ktl, aaO., 1067. 200 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 226 f. Für R.Bultmann gilt sogar: „ Deshalb, weil das Bemühen des Menschen, durch Erfüllung des Gesetzes sein Heil zu gewinnen [. . .] im Grunde selber schon die Sünde ist [. . .] weil er nicht wähnen darf, aus eigener Kraft sein Heil beschaffen zu können; er kann ja sein Heil nur dann finden, wenn er sich in seiner Abhängigkeit von Gott, dem Schöpfer, versteht “ ; BULTMANN, Theologie, aaO., 264 f. 201 Vgl. GUTBROD, Art. no,moj ktl, aaO., 1065. 202 Vgl. GUTBROD, Art. no,moj ktl, aaO., 1065 f. 203 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 236; DUNN, Theology, aaO., 135; GUTBROD, Art. no,moj ktl, aaO., 1064. Dass Paulus, „ wenn er von den e; rga no,mou spricht, den der Tora konfrontierten Menschen und sein Handeln im Blick hat und daß somit das Syntagma zunächst einmal wörtlich mit ,Werke des Gesetzes ‘ wiederzugeben ist “ , hat O.Hofius durch einen sprachlichen Vergleich mit alttestamentlich-jüdischem Quellenmaterial nachgewiesen (285). Jedoch hat dieses Tun des Gesetzes „ nicht die Befolgung von Einzelgeboten im Blick [. . .], sondern in umfassendem Sinn die alles Tun und Verhalten bestimmende Gesamtorientierung an der Tora vom Sinai “ (287); HOFIUS, O., ,Werke des Gesetzes ‘ . Untersuchungen zu der paulinischen Rede von den e; rga no,mou, in: SÄNGER, D./ MELL, U. (Hgg.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006, 271 - 310. 4.2 Paulinische Sicht auf Welt und Mensch 181 es der Vernunft und möglicherweise sogar dem eigenen Wollen entspricht, aber sein Tun dem Menschen unmöglich ist: vOu ga.r o] qe,lw poiw/ avgaqo,n(avlla. o] ouv qe, lw kako.n tou/ to pra,ssw (Röm 7,19; vgl. 2,17 ff ). 204 Der Mensch kann das Gesetz nicht tun, weil er seit Adam unter der Macht der Sünde steht (5,12.19). In dieser Perspektive ist Sünde nicht mehr nur willentliche Abkehr von Gott und Übertretung seines Gebotes. Sie wird zur (personifizierten) Macht, zu einer „ transsubjektiven Realität “ , die sich des Menschen bemächtigt und auf einer Stufe mit dem Bösen steht, wie es Paulus in der Rede vom „ Gott dieses Äons “ (2Kor 4,4) oder vom „ Satan “ (1Kor 7,5; 2Kor 2,11; 11,14; 12,7) umschreibt. 205 Von hier aus können wir die Beherrschung von sw/ ma durch sa,rx als „ das der Sünde anheimfallende Menschsein “ verstehen 206 : sa,rx ist die leibliche Manifestation von Sünde. Jeder Mensch steht im Zwiespalt zwischen dem Wissen um das Gesetz und der „ Besessenheit “ durch die Sünde (Röm 3,9). 207 Das Gesetz verliert unter diesen Umständen vollständig seine Heilsfunktion - im Gegenteil: Es lässt die Realität des Zustandes der Sünde in einzelnen Handlungen Gestalt gewinnen und so den darüber ergangenen Schuldspruch rechtskräftig werden. Dem Gesetz bleibt nur noch die Funktion, die Sünde des Menschen aufzudecken, sie zu 204 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 241. 205 HAHN, Theologie, aaO., 226; vgl. 226; DUNN, Theology, aaO., 96; 104: Paulus rückt die Sünde hier in die Nähe der allgemein antiken Vorstellung, wonach das Schicksal der Menschen von Göttern bestimmt wird „ acting within the world in ways quite as malicious and capricious as any earthly beings “ (103). Die Rede von anderen Göttern und Dämonen (1Kor 8,5 f; 10,20-22), vom Satan (2Kor 4,4) oder anderen himmlischen Wesen (Röm 8,38 f ) in analoger Weise zur Sünde scheint diese Annahme zu bestätigen (104). Hier überzeugt jedoch die These von Dunn, der die Erwähnung transzendenter Wesen im Gegenüber zu Gott und ihrer Überwindung in Christus weniger der paulinischen Überzeugung als dem paränetischen Zweck zuschreibt, „ reassuring those for whom such heavenly powers were all too real and inspired real fear “ (109). In der Tat liegt ein Stück „ Entmythologisierung “ bei Paulus vor, wenn er den Fokus weg von widergöttlichen Entitäten hin zu den Mächten Sünde und Tod wendet als „ existential more than ontological realities, the personifications or reifications, or, better, recognation of powers which were (and are) nevertheless all too real in human experience. “ (110; vgl. BULTMANN, R., Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung, in: BARTSCH, H.-W. (Hg.), Kerygma und Mythos, Bd. 1. Hamburg 1960 4 , 15 - 48; bes. 18). Jedoch handelt es sich für Paulus bei der Sünde nicht um eine „ jenseitige widergöttliche Macht “ (HAHN, 226), die den jüdischen Monotheismus infrage stellt, sondern um eine „ transpersonale innerweltliche Macht, der sich die Menschen nicht mehr entziehen können “ weil sie sich von Gott abgewendet haben (HAHN, 226). Zur Personifikation der Sünde in Röm 5 - 7 vgl. RÖHSER, G., Metaphorik und Personifikation der Sünde. Antike Sündenvorstellungen und paulinische Hamartia, WUNT II 25, Tübingen 1987, 131 - 177. 206 HAHN, Theologie, aaO., 227. 207 Vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 245: „ Es liegen also evgw, und evgw, im Streit, d. h. zwiespältig sein, nicht bei sich selbst sein, ist das Wesen des menschlichen Seins unter der Sünde “ (s. u.). 182 4 Aussage und Programm des Evangeliums definieren und den Menschen zu ihrer Erkenntnis zu führen (Röm 3,20; 4,15; 5,13; 7,7.13). 208 „ Das ,Gesetz ‘ überführt nicht nur die einzelnen Tat-Sünden als Übertretungen [. . .], so daß es den sündigen Menschen ihr Sündigen bewußt macht [. . .]; indem es vielmehr - als Schrift - alle, Juden wie Heiden, des Sündigens überführt, läßt es die Übertretungen als Teil einer alle beherrschenden Sündenmacht erkennen “ (Röm 3,10-18). 209 In dieser Funktion ist das Gesetz Voraussetzung und Maßstab des göttlichen Gerichts und seines Urteils (Röm 1,18ff; 3,19; 4,15) 210 : Denn ohne Gesetz lässt sich keine Übertretung und damit auch keine Sünde zurechnen (Röm 5,13): „ All is well with human society when no law needs to be applied “ . 211 Durch das Gesetz jedoch herrscht die Sünde (Röm 7,8 f.11) und kann ihre Folgen entfalten: Gottlosigkeit (d. h. Gott wird nicht verehrt), Götzendienst (Idolatrie) und der damit zusammenhängende partielle Verlust der Gotteserkenntnis (Röm 1,21 ff ). 212 Selbstverständlich sind auch die einzelnen Tatsünden Folgen der Sünde (Röm 1,28; 1Kor 5,10 f; 6,9 f; Gal 5,19-21), v. a. die mit dem Götzendienst in Zusammenhang stehende „ Unzucht “ (evpiqumi,ai tw/ n kardiw/ n; pa,qh avtimi,a; Röm 1,23-27). 213 Schließlich ist auch der Tod nicht einfach ein 208 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 238; 240; DUNN, Theology, aaO., 101; 159 f; GUTBROD, Art. no,moj ktl, aaO., 1065 f. 209 MERKLEIN, Paulus und die Sünde, aaO., 129; vgl. BULTMANN, Theologie, aaO.: R. Bultmann geht noch einen Schritt weiter und erkennt in dem Versuch, das Gesetz zu erfüllen eine „ eigenmächtige Haltung des Menschen “ (242), die im Grunde selbst als Abkehr von Gott und damit als Sünde anzusehen ist: „ Ob es sich nun um die Hingabe an weltliche Verlockungen und Lüste im Leichtsinn oder im Sturm der Leidenschaft handelt oder um den Eifer moralischer und religiöser Betriebsamkeit - in allen diesen Fällen ist das Leben ein Abfall von Gott und eine Zuwendung zur Schöpfung und zur eigenen Kraft “ (241); „ Gerade weil in diesem falschen Selbstseinwollen die Bestimmung zum Selbst, der Wille zur zwh, , pervertiert erhalten bleibt, ist es möglich, das menschliche Sein als Streit zwischen evgw, und evgw, zu beschreiben. (246). 210 Vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 263; HAHN, Theologie, aaO., 238; DUNN, Theology, aaO., 136. 211 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 238; DUNN, Theology, aaO., 99; MERKLEIN, Paulus und die Sünde, aaO., 132: „ Das Gesetz macht den Menschen unmißverständlich klar, daß die Sünde als Gegenstand göttlichen Zorns angerechnet wird und daß es deshalb kein Entrinnen aus der über sie (vom Gesetz! ) verhängten Sanktion des Todes geben kann “ . 212 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 228 f. Auch Israel folgt für Paulus dieser Form der „ fehlgeleiteten Religion “ , wenn es sich auf eigene Gerechtigkeit (Röm 10,3; Phil 3,9) und Bundesstatus vor Gott verlässt (Röm 2,17ff; HAHN 232; 235); Gotteserkenntnis meint hier „ mehr als ein bloßes Wissen um Gott, sie ist Bindung an den Schöpfer, ist Gottesverehrung und Gottesgemeinschaft “ . Durch die Sünde ist der Mensch „ aus dem Bereich des Vernehmens [. . .] herausgetreten, so daß er das von Gott Erkennbare nicht erfassen kann. “ (243). Vgl. DUNN, Theology, aaO., 92; 118 f. 213 Vgl. DUNN, Theology, aaO., 119; 121; Hinsichtlich der einzelnen Tatsünden stehen für Paulus v. a. Vergehen im sozialen Kontext im Mittelpunkt: „ The effect of sin is seen at its 4.2 Paulinische Sicht auf Welt und Mensch 183 natürlicher Teil der Schöpfung, sondern eine Konsequenz der Sünde - sowohl Adams als auch individuell jedes einzelnen Menschen (Röm 5,12ff; 7,5; 1Kor 15,42.50). 214 Der Tod ist das Endergebnis und die Vervollständigung der Sünde (Röm 6,16.21). 215 Er ist für Paulus „ nicht nur das definitive Ende des irdischen Lebens, sondern eine zerstörerische Macht mitten im Leben, die von der Unausweichlichkeit, sterben zu müssen, befeuert wird und sich der Sünde bedient um scheinbar den Lebenshunger der Adamskinder zu stillen, in Wahrheit aber ihrem Untergang zu dienen “ . 216 An der Herrschaft des Todes zeigt sich die Universalität der Sünde: Zusammen mit der Menschheit ist ihr die ganze vergängliche Schöpfung verfallen (Röm 8,19-22). 217 4.2.5 Zusammenfassung Das paulinische Welt- und Menschenbild ist geprägt von der Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu Gott. Die Grundbestimmung ist die von Geschöpf und Schöpfer. In diesem Rahmen lässt sich das menschliche Verhältnis unter den Perspektiven von Sünde und Gesetz näher beschreiben. Sünde ist der aus der willentlichen Abwendung Adams von Gott und seinem Gebot resultierende Zustand der Unfreiheit des Menschen, der sich in der Herrschaft von sa,rx über sw/ ma körperlich/ leiblich manifestiert. Seine deutlichste Konsequenz ist der Tod, der die universale Herrschaft und Zielrichtung der Sünde anzeigt. Das Gesetz steht für den ursprünglich mit Israel geschlossenen Bund Gottes, für sein gutes Gebot, das seinen Willen offenbart und dem Gottesvolk Orientierung und Hilfe zur Überwindung der Sünde geben soll. Für Paulus hat das Gesetz diese Funktion jedoch verfehlt, aufgrund der Begierde und der Unfähigkeit des Menschen, Gott zu achten. Wegen der Übermächtigkeit der Sünde ist das Gesetz - im Gegenteil - zu ihrem mächtigen Instrument geworden: Da der Mensch das Gesetz kennt, most serious not so much in secret vices practised in private, but in the breakdown of human relationships “ (123 f ). 214 Vgl. DUNN, Theology, aaO., 95; BULTMANN, Theologie, aaO., 246ff: R.Bultmann differenziert hier zwischen Aussagen, die den Tod als Strafe erscheinen lassen, und solchen, die ihn allgemeiner als Konsequenz darstellen. Beide seien „ nicht miteinander ausgeglichen “ (249). 215 Vgl. DUNN, Theology, aaO., 125; MERKLEIN, Paulus und die Sünde, aaO., 132: „ Der Tod erscheint als die endgültige Perspektive einer faktisch immer sündigenden adamitischen Menschheit. Die herrschende Macht der Sünde bekommt potentiell eschatologische Gültigkeit “ ; vgl. dort Anm. 32: „ Potentiell “ , weil diese Perspektive durch Christus und das Evangelium überholt ist. 216 SÖDING, T., Tora - Sünde - Tod, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 374 - 378; 375 f. 217 Vgl. DUNN, Theology, aaO., 100 f; BULTMANN, Theologie, aaO., 230: Die Schöpfung hat „ eine mit dem Menschen gemeinsame Geschichte “ . 184 4 Aussage und Programm des Evangeliums aber nicht tut, dient es nur noch zum Aufweis der Sünde, als Grundlage Sünde als solche zu benennen und zu ahnden. Die Beziehung des Menschen vor Gott bleibt also von der Sünde bestimmt und mit dieser Beziehung die gesamte Schöpfung. In diese, von der Sünde beherrschte Situation der Welt und des Menschen im Besonderen hinein verkündigt Paulus die Heilsbotschaft des Evangeliums. 4.3 Von den Einzelaussagen zum Programm Ich habe bisher die Kernaussagen des Evangeliums zusammengestellt (4.1) und das paulinische Welt- und Menschenverständnis, in welchen diese Inhalte zum Tragen kommen, in aller gebotenen Kürze dargestellt (4.2). Nun gilt es, beides miteinander zu verknüpfen, um die Aussagen des Evangeliums in ihrer „ soteriologischen “ Bedeutung für dieWelt angemessen wahrnehmen zu können: Wie verhält sich die Botschaft von der Person Jesu, die in den Aussagen des Evangeliums narrativ und titular entfaltet wird, gegenüber der von Sünde beherrschten Welt? Ich werde dazu die wichtigsten Einzelaussagen systematisieren und konzentriert in ihrem Zusammenhang mit der Weltsicht explizieren (4.3.1 - 4.3.6). Ziel dieses Schrittes ist es, aus dem Gesamtbild der Aussagen in ihrem Zusammenhang mit der paulinischen Weltsicht das Programm des Evangeliums zu gewinnen und darzulegen, wie es als „ Agenda “ sowohl die Summe aller Einzelaussagen als auch die Intention der Botschaft zum Audruck bringt (4.3.7). Zugleich nähere ich mich damit der Herkunft des Evangeliums und dem Anlass seiner Kommunikation. 4.3.1 Kreuzestod: Überwindung von Sünde und Gesetz Über den Stellenwert bzw. das Verhältnis von Kreuzestod und Auferstehung bei Paulus herrschen in der Forschung Uneinigkeit. Das ist in deren enger Bezogenheit aufeinander begründet: „ One might say that there is a presumption in the text that when the one is mentioned or discussed the other is implied “ . 218 J. Herzer hat darauf hingewiesen, dass die Zusammenschau von Tod und Auferweckung als Heilsplan Gottes so bedeutsam ist, „ dass Paulus daraus regelrecht eine Gottesbezeichnung formuliert: ,der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat ‘ [. . .], vergleichbar dem alttestamentlichen Gottes- 218 COUSAR, C. B., A Theology of the Cross. The Death of Jesus in the Pauline Letters, Minneapolis 1990, 103. 4.3 Von den Einzelaussagen zum Programm 185 prädikat, ,der uns/ dich aus Ägypten geführt hat ‘“ (Röm 4,24; ähnlich 8,11; 2Kor 4,14; Gal 1,1). 219 Wie ist diese enge Verbindung zu verstehen? Macht erst die Auferstehung den Kreuzestod zum heilvollen Geschehen? 220 Schließlich befasst sich Paulus in seinen Briefen viel öfter und ausführlicher mit ihr, wohingegen Leiden und Sterben in den Hintergrund treten. 221 Handelt es sich gar um zwei voneinander getrennte Heilsgeschehnisse, die jeweils in eine „ theologia curcis “ und eine „ theologia resurrectionis “ bei Paulus münden? 222 Mir scheint hier eine grundsätzliche Differenzierung nötig hinsichtlich wechselseitiger Deutung beider Ereignisse und ihrer Funktion. Bezüglich ihrer Funktion lassen sich beide nicht voneinander trennen: Beide sind konstitutive Teile des einen Heilsplans Gottes. 223 Sie sind es aber deshalb, weil erst die Auferstehung ein angemessenes Verstehen des Kreuzesgeschehens ermöglicht: „ Indem Gott Jesus von den Toten auferweckt, verleiht er dem Sterben Jesu eine besondere Bedeutung “ (vgl. Röm 3,21-26; 6,10 f.23). 224 Durch die Identifikation Gottes mit dem Gekreuzigten wird die Auferstehung zur „ ersten Interpretation des Todes Jesu “ . 225 Sie hat „ hermeneutische Funktion “ und ist „ Grundlage des Vertrauens auf die Verheißung des Heils “ (vgl. Röm 5,11; 2Kor 5,18-21) 226 : Die Heilswirkung des Kreuzesgeschehen wird für die Glaubenden zur „ Realität “ . 227 Insofern ist die Auferstehung Zeitenwende, weil sie als das deutende Ereignis zwischen Heilsgeschehen (Kreuz) und dessen Kundmachung (Erscheinung) der erste Schritt auf dem Weg zur Verkündigung des Evangeliums ist. Ohne die 219 HERZER, Passion und Auferstehung Jesu Christi, aaO., 285. 220 So HERZER, Passion und Auferstehung Jesu Christi, aaO., 286. 221 Vgl. HERZER, Passion und Auferstehung Jesu Christi, aaO., 292: „ Der konkreteWeg Jesu in sein Leiden und Sterben [. . .] ist für Paulus in seinen Briefen kein eigenständiges theologisches Thema “ . 222 So SCHRAGE, W., Der gekreuzigte und auferweckte Herr. Zur theologia crucis und theologia resurrectionis bei Paulus, in: ZThK 94, 25 - 38; 38. 223 Vgl. COUSAR, A Theology of the Cross, aaO., 103; BULTMANN, Theologie, aaO., 293. 224 HERZER, Passion und Auferstehung Jesu Christi, aaO., 291; H.Weder geht noch einen Schritt weiter und lässt von der Auferstehung aus auch Jesu irdisches Leben „ in einem neuen Licht erscheinen “ ; WEDER, H., Das Kreuz Jesu bei Paulus. Ein Versuch, über den Geschichtsbezug des christlichen Glaubens nachzudenken, FRLANT 125, Göttingen 1981, 232. 225 ZUMSTEIN, Das Wort vom Kreuz als Mitte der paulinischen Theologie, aaO., 30; vgl. COUSAR, A Theology of the Cross, aaO., 104; WEDER, Das Kreuz Jesu bei Paulus, aaO.: Weder nimmt eine Verhältnisbestimmung von Kreuz als „ geschichtliches Ereignis “ und Auferweckung als „ Identifikation mit dem Gekreuzigten “ vor (227). Er beruft sich dabei auch auf 1Kor 15,3-5: „ Aus dieser Kurzgeschichte geht hervor, daß das Kreuz seine wahre Bedeutung erst im Zusammenhang mit dieser seiner Zunkunft vollzieht “ (229); BULT- MANN, Theologie, aaO., 305. 226 HERZER, Passion und Auferstehung Jesu Christi, aaO., 291. 227 ZUMSTEIN, Das Wort vom Kreuz als Mitte der paulinischen Theologie, aaO., 286. 186 4 Aussage und Programm des Evangeliums Mitteilung der Auferstehung ist das Kreuz „ eine sinnlose Tragödie. Umgekehrt aber ist die Auferstehung, wenn sie behauptet, das Kreuz aufzuheben oder es an Bedeutung zu übertreffen, eine irreführende Lesart der Geschichte Jesu “ . 228 Das kommt eindrucksvoll in den paulinischen Formulierungen von der mwri,a (1Kor 1,18.23) und vom ska,ndalon (1Kor 1,23) des Kreuzes zum Ausdruck: „ Es ist das besondere Kennzeichen der paulinischen Kreuzestheologie, daß in ihr zwar das Kreuz ausschließlich im Rahmen der Auferweckung thematisch wird, daß dieses aber [. . .] dadurch seiner Kontingenz nicht beraubt wird “ . 229 Ist die Auferstehung aber - zugegeben unverzichtbare - Deutung des Kreuzesgeschehens, legt sich dieses als eigentlich zentrales Heilsereignis nahe. Von der Perspektive des von der Macht der Sünde bestimmten paulinischen Weltbildes aus, ist es sogar unumgänglich (vgl. 1Kor 1,17 f.23; 2,2; Gal 6,12; Phil 3,18). 230 Am Kreuz und nicht in der Auferstehung wird die Sünde überwunden und für den Menschen heilswirksam (Gal 1,4; 1Kor 15,3): Es ist „ immer der Tod Christi der Grund für die Bewahrung der von ihm Begünstigten vor dem ihnen drohenden Unheil [. . .] Das Sterben Christi ist für Paulus die Voraussetzung der Erlangung dieser Grundlagen der Rettung, die Rede vom Sterben Christi daher das zentrale Motiv, die soteriologische Mitte in der Vorstellung sowie aller Ausführungen des Paulus “ . 231 Die Auferstehung ist demgegenüber eine Konsequenz, an der sich der eigentliche Sieg manifestiert: die Überwindung des Todes als Konsequenz der Sünde. Vom Heilsereignis am Kreuz her erhalten die Auferstehung und alle weiteren Geschehnisse um Jesu Person ihre Heilsfunktion bzw. sind davon abhängig. 232 Am Kreuz wird die Macht der Sünde in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gebrochen: „ So fallen Vergebung vergangener Sünden und Freiheit von der Sünde in Jesu Tod zusammen “ . 233 Um das zu beschreiben, bedient sich Paulus einer Fülle metaphorischer Umschreibungen, von denen die bedeutendsten 228 ZUMSTEIN, Das Wort vom Kreuz als Mitte der paulinischen Theologie, aaO., 30. 229 WEDER, Das Kreuz Jesu bei Paulus, aaO., 233. 230 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 209; 216; DUNN, Theology, aaO., 233: Das Kreuz ist bei Paulus „ determinative for his whole perspective, a criterion by which he measures other wouldbe gospels “ vgl. 1Kor 1,18-25; 2Kor 12,1-10; Gal 6,12-15. 231 ESCHNER, Gestorben und hingegeben „ für “ die Sünder, aaO., 535: „ Wie ein roter Faden zieht sich die Rede vom Sterben Christi resp. von der Hingabe des Sohnes ,für ‘ die mit ,wir ‘ Bezeichneten bzw. deren Sünden durch die gesamte Verkündigung des Paulus und benennt in jeweils anders akzentuierter Form das Ereignis, das für die Ausrichtung des Lebens der durch dieses Geschehen Begünstigten in jeder Hinsicht grundlegenden Charakter hat “ (533). 232 Das heißt allerdings nicht, dass die Botschaft des Evangeliums sich nicht auf die gesamte Geschichte Jesu bezieht, sondern lediglich, dass sie im Kreuzestod und anschließender Auferstehung ihren Höhepunkt erreicht. 233 HAHN, Theologie, aaO., 218. 4.3 Von den Einzelaussagen zum Programm 187 Stellvertretung, Sühne, Loskauf und Versöhnung sind. 234 Jede dieser Metaphern lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass das Resultat von Jesu Sterben dem Menschen zugute kommt, dass es die Macht der Sünde überwindet (Gal 1,4; 1Kor 15,3: u`pe.r tw/ n a`martiw/ n h`mw/ n). Der Tod Jesu setzt „ dem gottlosen und gottesfeindlichen Sein des Menschen ein Ende “ . 235 Damit Jesu Tod dieseWirkung entfalten kann, muss er als Mensch im Vollsinn und doch im Aufrag Gottes gehorsam (Phil 2,8) gestorben sein: „ Daß Gott seinen Sohn gesandt hat in der ,Gleichgestalt des Fleisches der Sünde ‘ [. . .] ist die Voraussetzung für Jesu heilsstiftendes Wirken. Nur dadurch, daß er stellvertetend die irdische, von Sünde beherrschte Existenzweise des ,Fleisches ‘ angenommen hat, war er in der Lage, die Macht der Sünde zu überwinden. So hat er,die Sünde im Fleisch verurteilt ‘“ (Röm 8,3 f). 236 Zugleich ist Jesus sündlos, also nicht unter der Macht der Sünde stehend, ans Kreuz gegangen, um das der Sünde geltende Urteil stellvertretend auf sich zu nehmen (2Kor 5,21). 237 Alle drei paulinischen Hoheitstitel (Christus, Sohn Gottes, Kyrios) drücken letztlich nichts anderes aus, als dass Gott in Jesus war (vgl. 2Kor 5,19). 238 Einerseits findet also eine „ Identifizierung mit dem sündigen Fleisch “ statt, wobei andererseits zugleich der signifikante Unterschied dazu hervorgehoben wird. 239 Das Heilsgeschehen am Kreuz ist gnädige Zuwendung und Geschenk Gottes, das „ an keinerlei menschliche Voraussetzungen gebunden ist, sondern der Rettung der ,Gottlosen ‘ dient “ (Röm 5,6; 6,10). 240 Es ist die eine, endgültige Antwort Gottes auf die Sünde, auf menschliche Schwachheit, Fehlbarkeit und Rebellion gegen Gott (2Kor 5,14.19). 241 Sie hat universale Bedeutung: „ In Christus hat Gott die Welt mit sich versöhnt “ (2Kor 5,19). 242 So wie der Mensch 234 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 213 f; DUNN, Theology, aaO., 211 f; 227 - 229: „ Presumably the point is that no one metaphor is adequate to unfold the full significance of Christ ’ s death “ (231); ESCHNER, Gestorben und hingegeben „ für “ die Sünder, aaO., 534: Die verschiedenen Interpretamente dienen der paulinischen Pragmatik bzw. Argumentation im Rahmen der zwei theologischen Sachzusammenhänge, in denen er vom Tod Jesu spricht: „ Paränese angesichts aktueller Probleme “ und „ christologisch-orientierte, soteriologische Aussagen “ . Eine Zusammenfassung der verschiedenen Deutungen liefert BREYTEN- BACH, C., Interpretationen des Todes Christi, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 321 - 331. 235 BREYTENBACH, Interpretationen des Todes Christi, aaO., 331. 236 HAHN, Theologie, aaO., 218; vgl. 2Kor 13,4: „ in Schwachheit gekreuzigt “ , d. h. unter der Bedingung des vollwertigen Menschseins (210). 237 HAHN, Theologie, aaO., 219. 238 Vgl. FELDMEIER, R., Monotheismus und Christologie, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 309 - 314; 309. 239 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 219. 240 HAHN, Theologie, aaO., 216. 241 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 220; DUNN, Theology, aaO., 181; 183. 242 HAHN, Theologie, aaO., 217. 188 4 Aussage und Programm des Evangeliums in der Schicksalsgemeinschaft mit Adam der Sünde unterworfen ist, ist er in der Gemeinschaft mit Christus von der Sünde befreit (Adam-Christus-Typologie: 1Kor 15,21 f/ Röm 5,12-21). 243 Mit der Überwindung der Sünde wird auch der Unheilszusammenhang mit dem Gesetz am Kreuz aufgehoben. Weil Gott in Christus handelt, beruht das Gottesverhältnis nicht mehr auf menschlichem Handeln, auf dem Halten des Gesetzes. 244 Dessen Anspruch hat Christus am Kreuz erfüllt. So wird das Gesetz durchs Kreuz zweifach bewertet: positiv als Bestätigung (und Erfüllung) des Verdammungsurteils des Gesetzes (Röm 5,6 ff ) und gleichzeitig negativ als Befreiung vom Gesetz (Röm 8,4; Gal 4,5; vgl. auch Gal 2,21). 245 Erfüllung findet das Gesetz am Kreuz im Gehorsam und in der Liebe Christi (Phil 2,5ff; Röm 8,34 ff ). 246 Das Kreuz ist für Paulus der „ Erweis der Liebe Gottes “ , die sich wiederum in der Liebe Christi vollzieht (Röm 5,8; 8,35). 247 Vom Kreuzesgeschehen als Grundlegung der frohen Botschaft des Evangeliums her leiten sich bei Paulus die Bewertung und Deutung der übrigen Etappen der Jesusgeschichte ab. Sie sind dessen notwendige Voraussetzung (Präexistenz und Menschwerdung) bzw. Konsequenz (Auferstehung, Erhöhung, Parusie). Sie veranschaulichen - für sich genommen - bestimmte Aspekte des soteriologischen Charakters des Evangeliums. 248 243 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 217 f. Zur möglichen traditionsgeschichtlichen Herkunft der Typologie vgl. BRANDENBURGER, E., Adam und Christus, WMANT 7, Neukirchen- Vluyn 1962, 15 - 157; SCHADE, H. H., Apokalyptische Christologie bei Paulus. Studien zum Zusammenhang von Christologie und Eschatologie in den Paulusbriefen (GTA 18), Göttingen 1984 2 , 69 - 90; 239 - 244; WILCKENS, EKK VI/ 1, aaO., 305 - 337. 244 Vgl. GUTBROD, Art. no,moj ktl, aaO., 1063; 1068. 245 Vgl. GUTBROD, Art. no,moj ktl, aaO., 1063; 1068. 246 Vgl. GUTBROD, Art. no,moj ktl, aaO., 1068. 247 Vgl. BREYTENBACH, Interpretationen des Todes Christi, aaO., 331: „ Das Sterben Christi bzw. seine Selbsthingabe ist nicht nur für Paulus die ihn umschließende Liebe des Gottessohnes (Gal 2,20) bzw. Christi (2Kor 5,14), sondern ist damit zugleich der Erweis der Liebe Gottes zu allen (Röm 8,32) “ . HAHN, Theologie, aaO., 242: Dem korrespondiert die Vorstellung von der Liebe als Zusammenfassung der Forderung des Gesetzes, zu der Paulus den von der Sünde befreiten (glaubenden) Menschen aufrufen kann (Gal 5,6.14; Röm 13,10). Er kann die Liebesforderung auch das Gesetz „ des Glaubens “ (Röm 3,27), „ der Gerechtigkeit “ (Röm 9,31) oder „ Christi “ (Gal 6,2; 1Kor 9,21) nennen. GUTBROD, Art. no, moj ktl, aaO., 1069: In Röm 3,31 kann Paulus über die Gehorsamsbindung an Gott und Liebe zum Nächsten sogar sagen, „ daß durch das Evangelium von der Glaubensgerechtigkeit das Gesetz nicht nur nicht abschafft, sondern erst eigentlich aufgestellt werde “ . 248 G.Theissen unterscheidet von der Deutung des Sterbens Jesu als Sühne dessen Interpretation als „ Skandalon “ , als „ Überwindung von Wertmaßstäben aufgrund dererAchtung und Ansehen zugeschrieben und Schuld und Versagen definiert werden “ (427). Während die Sühne eher als „ Entstörungsvorgang “ , als Wiederherstellung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch zu werten ist, kann das Kreuz auch für eine „ Provokation der Welt durch Gott “ stehen; THEISSEN, G., Das Kreuz als Sühne und Ärgernis. Zwei 4.3 Von den Einzelaussagen zum Programm 189 4.3.2 Präexistenz und Menschwerdung Die Geschichte des irdischen Jesus vor seinem Tod am Kreuz wird von Paulus nur beiläufig und implizit erwähnt. Das volle Menschsein Jesu ist Voraussetzung für die (Heils-)Wirksamkeit seines Todes. Zugleich muss er jedoch als Lebender und Sterbender als Messias und Gottessohn bezeichnet werden können und in diesem Zusammenhang die Eigenschaften Gehorsam und Sündlosigkeit tragen. Diese Ambivalenz artikuliert Paulus v. a. durch zwei Vorstellungen: den Präexistenzgedanken und den Sendungs-/ Offenbarungsgedanken. 249 Paulus übernimmt das Bekenntnis zur Präexistenz Jesu aus der Tradition (vgl. Phil 2,5-11). Als Präexistenter nimmt Jesus Aufgaben analog zu denen wahr, die er als Erhöhter innehaben wird: Er wirkt verborgen innerhalb der Geschichte Israels, wie er später durchs Evangelium wirken wird (1Kor 10,4), und er ist von Beginn an beteiligt an der „ alten “ Schöpfung wie er auch seit der Auferstehung Repräsentant der neuen Schöpfung sein wird (1Kor 8,6). 250 Die Präexistenzaussagen „ stehen jeweils in Verbindung mit Aussagen über die Menschwerdung und wollen das Menschsein Jesu interpretieren: Jesus soll als Mensch von seinem göttlichen Ursprung her verstanden werden “ . 251 Der Präexistente hat volle Teilhabe an Gottes Wirklichkeit und kann sie deshalb als der Irdische vertreten. 252 Die Präexistenz ist also Voraussetzung der Sendung und der damit verbundenen Offenbarung. Denn nur wenn „ der Menschgewordene seinen Ursprung in Gott selbst hat und an Gottes Wirklichkeit partizipiert [. . .], besitzt die Menschwerdung Offenbarungscharakter, und die gesamte irdische Geschichte Jesu ist von daher wesentlich bestimmt. “ 253 Deutungen des Todes Jesu bei Paulus, in: SÄNGER, D./ MELL, U. (Hgg.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006. Bezogen auf die Kommunikation des Evangeliums ist dieser Aspekt eher auf die (ablehnende) Reaktion des Rezipienten bezogen und soll darum in diesem Kontext weiterverfolgt werden. 249 Vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 293; 303 f: Bultmann zählt die Menschwerdung und das Erdenleben zum eigentlichen Heilsgeschehen hinzu, wenn auch ohne von Kreuz und Auferstehung unabhängige Bedeutung. 250 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 208; DUNN, Theology, aaO., 199ff; siehe auch die Analogie und den Gegensatz zwischen Adam und Christus (Röm 5,12-21; 1Kor 15,20-22) und die Identifikation von Christus mit der (präexistenten) Weisheit Gottes (1Kor 1,24.30). Zu letzterem vgl. DUNN, J. D. G., Christology in the Making: A New Testament Inquiry into the Doctrine of the Incarnation, London 1980 2 , 176 - 196. 251 HAHN, Theologie, aaO., 207. 252 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 209. 253 HAHN, Theologie, aaO., 208; vgl. 209. 190 4 Aussage und Programm des Evangeliums Illustriert wird der offenbarende Charakter von Jesu Menschsein durch das Bild der Sendung des Sohnes durch Gott, den Vater (Gal 4,4 f; Röm 8,3). 254 Der Philipperhymnus (Phil 2,5-11) beschreibt die Menschwerdung als totale „ Selbstentäußerung “ (keno,w, Phil 2,7), als „ Selbsterniedrigung “ (tapeino,w, Phil 2,8) bis zum Tod am Kreuz, die „ zur vollen Teilhabe an der irdischen Wirklichkeit der Menschen “ führt (evn o`moiw,mati avnqrw,pwn geno,menoj). 255 Im Kreuzestod erreicht das Menschsein Jesu seinen Höhepunkt und erweist sich als Realität. 256 Doch auch der Philipperhymnus hält bei dieser Identifikation mit dem Menschlichen an der bleibenden Differenz fest, die er mit Hilfe einer Rahmung durch Präexistenz und Erhöhung markiert (Phil 2,6.9 - 11). 257 Hat Christus vollständig Anteil an der menschlichen und der göttlichen Wirklichkeit, so kann sich Gott in ihm offenbaren, kann in ihm die Herrlichkeit Gottes leuchten und sein Angesicht erkannt werden (2Kor 4,6): In und durch Christus ist ein Erkennen (oi; da) jenseits des Fleisches möglich (2Kor 5,16); Gott kann mit Christus „ Vater “ genannt werden (Vgl. Grüße der Briefeinleitungen z. B. 1Kor 1,3). Auch eine neue Auffasung von „ Messias “ wird durch das Menschsein Jesu ermöglicht: Jenseits von nationalen, politischen Erwartungen zeigt sich in der Person und dem Leben Jesu seine universale, weltgeschichtliche Bedeutung. Präexistenz und Menschwerdung können also als Veranschaulichungen einer der Konsequenzen aus dem rettenden Heilsgeschehen am Kreuz angesehen werden: War durch die Sünde eine angemessene Gotteserkenntnis und -beziehung unmöglich, ist sie in der Person Jesu nach Überwindung der Sünde wieder möglich. 258 4.3.3 Auferweckung Wie Jesu Menschwerdung und Präexistenz ist auch seine Auferstehung eng mit dem Heilsereignis am Kreuz verbunden: Sie ist die Bestätigung des heilstiftenden Charakters von seinem Tod, Bestätigung von Gott selbst durch 254 DUNN, Theology, aaO., 204: Dunn spricht von einem impliziten „ concept of incarnation “ . 255 HAHN, Theologie, aaO., 207. 256 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 208. 257 Vgl. HAHN, 208; siehe dazu auch die Ausführungen zur Gottessohnschaft Röm 1,3 f. 258 Freilich kennt Paulus auch die Unvollkommenheit dieses Erkennens: ble,pomen ga.r a; rti diV evso,ptrou evn aivni,gmati( to,te de. pro,swpon pro.j pro,swpon\ a; rti ginw,skw evk me,rouj( to,te de. evpignw,somai kaqw.j kai. evpegnw,sqhn (1Kor 13,12; vgl. dagegen 1Kor 3,18). Zur Relativierung menschlicher Erkenntnis angesichts des Kreuzes vgl. auch: VOSS,F., Das Wort vom Kreuz und die menschliche Vernunft. Eine Untersuchung zur Soteriologie des 1. Korintherbriefes, Forschung zur Religion und Literartur des Alten und Neuen Testaments 199, Göttingen 2002. 4.3 Von den Einzelaussagen zum Programm 191 sein „ machtvolles Eingreifen “ (vgl. Röm 4,25). 259 Zugleich wird in ihr sichtbar und erfahrbar, was durch das Heilsgeschehen bewirkt wird: der in Schwachheit Gekreuzigte „ lebt aus der Kraft Gottes “ (zh/ | evk duna,mewj qeou/ , 2Kor 13,4; vgl. auch Röm 4,17). 260 Diese lebensspendene, erneuernde Dimension findet ihren Ausdruck in der allgemeinen Totenauferstehung, zu der Jesus als „ Erstling “ , als Prototyp einer neuen Schöpfung und „ letzter Adam “ (1Kor 15,20-22) ein „ Gewißheit gewährendes Vorzeichen “ ist. 261 Jesu Aufer-weckung ist Zeichen des Sieges über den Tod, der mit der Überwindung der Sünde einhergeht (1Kor 15,56). 262 Sie ist in diesem Sinne „ als proleptisches Geschehen auf künftiges Gotteshandeln bezogen “ und Anknüpfungspunkt für Hoffnung. 263 Andererseits begründet sie die Annahme, dass Gott in der Person Jesu der Handelnde und das Kreuzesgeschehen überhaupt Heilsgeschehen ist. 4.3.4 Erhöhung Es ist schwierig, zwischen dem Zustand der Erhöhung und dem der Auferstehung zu unterscheiden: „ The resurrection was itself the exaltation which installed Jesus into his new status “ (vgl. Röm 1,4). 264 Die primäre Wahrnehmung Jesu jenseits seines Todes hat in der Erfahrung der Auferstehung ihren Ursprung: Wo bzw. was ist der Auferstandene jetzt? 265 In der zeitlichen Wahrnehmung ist die Erhöhungsvorstellung also Bindeglied zwischen der Auferstehung und der Parusie. Theologisch wird sie als „ die wiedererlangte unmittelbare Partizipation an Gottes Wirklichkeit “ verstanden, die mit der Ausstattung mit göttlicher Kraft einhergeht. 266 Als erhöhtem kurio,j werden dem Auferstandene Funktionen bezüglich der Welt übertragen (vgl. Phil 2,9-11), sodass er als gegenwärtig Handelnder erfahren werden kann (vgl. Akklamation der Gemeinde in 1Kor 12,3; Röm 10,9). 267 Besonders für die Zueignung des Heils in der Verkündigung des Evangeliums ist die Gegenwart des Erhöhten von 259 HAHN, Theologie, aaO., 210; siehe oben Kap. 4.3.1. 260 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 210 f; 220. 261 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 220; Zit. 215; DUNN, Theology, aaO., 265. 262 Vgl. zu Sünde und Gesetz in 1Kor 15,56: SÖDING, T., „ Die Kraft der Sünde ist das Gesetz “ (lKor 15,56).Anmerkungen zum Hintergrund und zur Pointe einer gesetzeskritischen Sentenz des Apostels Paulus, in: ZNW 83/ 1 - 2 (1992), 74 - 84. 263 HAHN, Theologie, aaO., 211. 264 DUNN, Theology, aaO., 265. 265 Vgl. DUNN, Theology, aaO., 265. 266 HAHN, Theologie, aaO., 211. 267 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 211. 192 4 Aussage und Programm des Evangeliums heilsbegründender Relevanz: „ Ohne das Wirken des Erhöhten hätte der Dienst der Zeugen keine Kraft “ . 268 4.3.5 Parusie Seit seiner Erhöhung nimmt Jesus als Kyrios bereits eschatologische Funktionen wahr, jedoch „ erst mit der Wiederkunft findet das Wirken Jesu seinen Abschluß “ . 269 Er kehrt als Erhöhter für alle Menschen wahrnehmbar in die Welt zurück und läutet am „ Tag des Herrn “ (1Thess 5,2; 1Kor 1,8; 2Kor 1,14; vgl. Röm 2,5: „ Tag des Zorns “ ; 2Kor 6,2: „ Tag des Heils “ ) die allgemeine Totenauferstehung, das göttliche Gericht über die Menschen und die endgültige Überwindung aller Feinde einschließlich des Todes ein (1Kor 15,23-28). 270 Die Erwartung von Jesu Parusie beinhaltet die Hoffnung auf die Totenauferstehung (vgl. 1Thess 4,13-17). Für Paulus ist sie das „ Wahrheitskriterium christlicher Botschaft “ (1Kor 15,12-18). 271 Sie ist gleichzeitig Voraussetzung für das eschatologische Gericht. Dort müssen vor dem Richterthron Gottes alle Menschen Rechenschaft ablegen, Juden wie Heiden, an Christus Glaubende und Nichtgläubige (1Kor 3,13; 2Kor 5,10; Röm 2,16) 272 : „ Bei dem ,gerechten Gericht Gottes ‘ (dikaikrisi,a tou/ qeou/ ) geht es grundlegend um die Frage, ob der Mensch Gott anerkannt, ihm vertraut und entsprechend gelebt hat, oder ob er in seiner Abkehr von Gott und seinem sündhaften Treiben verharrte “ . 273 Es ist also ein Ort, der den Menschen mit seinem Versagen konfrontiert, „ wobei gerade das Tun eine entscheidende Rolle spielt “ . 274 Die Sünde wird verurteilt und dem Sünder droht das „ Verlorensein “ (avpw,leia, vgl. 1Kor 10,5-13; Phil 3,18 f). 275 Die im Kreuzestod geschehen Heilstat Jesu findet ihren Widerhall in der Vorstellung seiner rettenden „ Interzession “ , seines Eingreifens zugunsten der an ihn 268 HAHN, Theologie, aaO., 220 f; vgl. die Vorstellung von der Königsherrschaft in 1Kor 15,25. 269 HAHN, Theologie, aaO., 212; vgl. DUNN, Theology, aaO., 314. 270 Zur Beschreibung dieser Ereignisse bedient sich Paulus in der Regel apokalyptischer Sprache; vgl. DUNN, Theology, aaO., 313 f. 271 HAHN, Theologie, aaO., 310. 272 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 320. Widersprüchlich dazu verhalten sich 1Kor 15,23 und 1 Thess 4,16 f, wo Paulus nur von der Auferstehung der zu Christus gehörenden zu sprechen scheint. Jedoch sprechen die Gerichtsaussagen gegenüber diesen relativ offenen Stellen für sich; vgl. anders LINDEMANN, A., Parusie Christi und Herrschaft Gottes, WuD 19 (1987), 87 - 107; 91. 273 HAHN, Theologie, aaO., 320. 274 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 320 f; Zit.320. 275 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 320 f. 4.3 Von den Einzelaussagen zum Programm 193 Glaubenden (Röm 8,34) 276 : Er errettet vor dem Zorn Gottes (1Thess 5,8; 1,10), wie er bereits am Kreuz „ durch sein Blut “ gerettet hat (Röm 5,9 f). Ziel der Parusie ist einerseits die Überwindung aller gottfeindlichen Mächte (1Kor 15,24-26), andererseits die Heilsvollendung und Erneuerung der Schöpfung, die Rückkehr allen Seins zu seinem Schöpfer Gott, damit er „ alles in allem “ ist (1Kor 15,28). 277 Für Paulus ist diese Gewissheit Grund zur Hoffnung für die Rettung der Welt im Allgemeinen (Röm 8,18 f ) und auch für das ungläubig gebliebene Israel im Besonderen (Röm 9 - 11). 278 Was in Kreuz und Auferstehung angekündigt und in der Person Christi selbst proleptisch schon erfüllt ist, findet in der Parusie Christi seine Einlösung: 279 Endgültiger Sieg über den Tod (Totenauferstehung), endgültige Überwindung der Sünde und Rettung (Gericht) sowie engültige Überwindung der von der Sünde geprägten Schöpfung (Erneuerung der Schöpfung). So steht die Parusie als Inhalt des Evangeliums für dessen auf die Zukunft ausgerichtete Hoffnungsdimension. 4.3.6 Zusammenfassung Der Anlass der Verkündigung des Evangeliums ist für Paulus die Einsicht, dass Gott durch die Kreuzigung Jesu die Welt gerettet hat, sodass der Kreuzestod selbst als Heilsgeschehen interpretiert werden kann. Der Herkunft nach beruht das Evangelium auf der Deutung seines Lebens, Sterbens und Erlebens als Auferstandenen und Erhöhten auf der Grundlage jenes Heilsereignisses. Am Kreuz geschieht die fundamentale Überwindung der Sünde und das Durchbrechen des Unheilszusammenhangs mit dem Gesetz. Die anderen Evangeliumsinhalte sind auf diese soteriologische Grundaussage hingeordnet: Präexistenz und Menschwerdung veranschaulichen die Aufhebung der Sündenkonsequenz der verlorenen Gotteserkenntnis und -beziehung in und durch die Person Jesu. Sie charakterisieren ihn als präexistent unmittelbar zu Gott gehörig und von diesem in die Welt gesandt, sodass in ihm Gott wieder wahrnehmbar und ansprechbar wird. Die Auferstehung bestätigt als Eingreifen Gottes den 276 Vgl. DUNN, Theology, aaO., 309; KIM, Jesus the Son of God as the Gospel, aaO., 124 ff. 277 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 212; 314 f. Zu den exegetischen Problemen des Abschnitts 1Kor 15,23-28 vgl. LINDEMANN, Parusie Christi und Herrschaft Gottes, aaO., 88 ff. Lindemann liest die Verse auch als „ Beschreibung der Beziehung zwischen Gott und Christus “ (103). Christus herrscht nicht neben oder unterhalb Gott, sondern „ in gewisser Weise anstelle Gottes “ mit zeitlicher Befristung (93). Denn das Ziel ist, „ daß das Nebeneinander von Gott und Christus hingeführt wird zu dem Ziel, daß Gott am Ende ,alles in allem ‘ werde (106). 278 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 320 f; 314 f. 279 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 221. 194 4 Aussage und Programm des Evangeliums heilstiftenden Charakter des Kreuzestodes und weist als proleptisches Geschehen auf die endzeitliche Totenauferstehung voraus. Die Erhöhungsvorstellung dient als zeitliches Bindeglied zur Parusie und beschreibt die heilspendende Gegenwart Christi in der Verkündigung seines Evangeliums. Die Erwartung der endzeitlichen Widerkunft Christi schließlich markiert die endgültige Einlösung des im Kreuz geschehenen, aber gegenwärtig noch nicht voll zum Tragen kommenden Heilsgeschehens: Sieg über den Tod, Totenauferstehung, vollständige Beseitigung der Sünde, Gericht und neue Schöpfung. 4.3.7 Das Programm des Evangeliums Das Programm des Evangeliums muss sowohl die Summe aller Einzelaussagen als auch die Intention der Botschaft zum Audruck bringen. Wie gezeigt, entwickelt Paulus seine Wirklichkeitswahrnehmung als „ Beziehungsgeschichte “ zwischen Gott und Mensch (4.2). Die Einzelaussagen des Evangeliums korrespondieren dieser Geschichte: Der durch Sünde und Gesetz entfremdeten Beziehung wird die Erneuerung der Beziehung im Heilsgeschehen am Kreuz gegenübergestellt. Denken wir an die paulinische Perspektive auf die Welt, so kann „ heil “ nur in Bezug auf die Beziehung zwischen Menschen und Gott verstanden werden: die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf wird wieder hergestellt; das Trennende, die Sünde wird überwunden und mit ihren Konsequenzen beseitigt; das Gesetz wird erfüllt (Röm 8,2). Das Evangelium ist also die „ frohe “ Botschaft hinsichtlich der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Verbindet man das mit den Einzelaussagen, lässt sich als programmatische These des Evangeliums zusammenfassen: In und durch Jesus Christus werden Welt und Menschheit heil (Röm 1,16; 1Kor 15,56 f). 280 Die soteriologische Aussage wird durch das Evangelium von Jesus Christus, also christologisch, begründet. Die Christologie besitzt als „ Explikation der Stellung und Würde der Gestalt Jesu “ eine zentrale Rolle für die Botschaft des Evangeliums. 281 Die soteriologische Qualität des Evangeliums, die es ermöglicht, es als „ frohe/ gute “ Botschaft zu bezeichnen, ist also ohne eine doppeltes Vorwissen nicht zu verstehen: Einerseits setzt die christologische Deutung des Heilsgeschehens eine Vertrautheit mit den für die Christologie maßgeblichen alttestamentlichjüdischen Traditionen voraus. Andererseits kann nur derjenige verstehen, was das „ Frohe “ der Evangeliumsbotschaft ausmacht, der die paulinische Sicht auf 280 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 202. 281 Vgl. HAHN, Theologie, aaO., 202; siehe auch die bisherigen Ausführungen zu den Hoheitstiteln Christus, Herr, Gottessohn, Davidssohn. Für Hahn haben sie als Teil der Bekenntnistradition „ homologischen Charakter “ (205). 4.3 Von den Einzelaussagen zum Programm 195 Welt und Mensch teilt, sich also der Konsequenzen von Sünde, Tod, Zorn Gottes und Gericht bewusst ist. 282 Auch hierfür erscheint die jüdische Tradition als Verstehenshintergrund. Ich fasse den positiven Charakter der Evangeliumsbotschaft in zweifacher Hinsicht zusammen: 1) Dem Menschen wird durch das Christusereignis eine neuen Gottesbeziehung eröffnet (2Kor 5,17), die ihn jedoch in der Gegenwart noch nicht dem Machtbereich von Sünde und Tod entzieht (Röm 8,18 ff). 283 2) In dieser Hinsicht spendet das Evangelium Hoffnung auf eine zukünftige Erlösung von Sünde und Tod, auf Auferstehung, Errettung im Gericht und Teilhabe an der neuen Schöpfung (1Thess 4,13). Die gegenwärtige Erneuerung der Gottesbeziehung wird mit der zukünftigen Verheißung der endgültigen Errettung verbunden. Was kann abschließend als das Programm des Evangeliums festgehalten werden? Inhaltlich muss es die Summe der Aussagen zu Jesus Christus, also das Heilsgeschehen in ihm und durch ihn, zum Gegenstand haben. Es muss den positiven Charakter des Evangeliums als Versprechen des Heils und die 282 Vgl. die Abfolge der Darstellung durch Paulus in Röm 1,18-3,31. 283 Dass für Paulus auch der „ erlöste “ Mensch in dieser Welt noch der Macht des Todes unterworfen ist, hat L.Bormann anhand paulinischer Beschreibungen von tatsächlichen Erfahrungen erarbeitet: BORMANN, L., Erfahrung und Rhetorik des Todes bei Paulus und ihr alttestamentlicher Hintergrund, in: KÜGLER, J. (Hg.), Prekäre Zeitgenossenschaft. Mit dem Alten Testament in Konflikten der Zeit. Internationales Bibel-Symposium Graz 2004, bayreuther forum Transit 6, Berlin 2006, 193 - 209. Bormann verortet das Phänomen Tod mit unmittelbarem Bezug zur Person des Paulus v. a. in vier Kontexten: 1) missionarischer Kontext: „ Die Todeserfahrung ist Folge der Evangeliumsverkündigung “ (206); 2) theologischer bzw. auferstehungstheologischer Kontext: „ Die Todesnähe führt zur Begegnung mit dem Gott, der aus dem Tode rettet und der Tote auferweckt. Paulus greift auf die biblischen Erfahrungen mit dem Rettungshandeln Gottes zurück und erfährt sie in seiner eigenen Gegenwart. Die Erwartung des endzeitlichen Gerichts intensiviert die Hoffnung in der Todesnähe, weil im Gericht das Ergebnis der Evangeliumsverkündigung als Lohn oder Ruhm sichtbar werden wird “ (206); 3) ekklesiologischer Kontext: „ Die Todesnähe ist Teil eines Kampfes (avgw,n), in den die Gemeinden miteinbezogen werden (sunagwni,zesqai, sunupourgei/ n) “ (206); 4) christologischer Kontext: „ Die Apostel und die Gemeinden orientieren sich am Schicksal Christi. Im Christusgeschehen ist ihnen das Kriterium für die Nachahmung (Mimesis) und für die kreative Neuinszenierung der Christuswirklichkeit gegeben. Todeserfahrung und Auferstehungshoffnung bilden eine dynamische Einheit, in der die gleich Kraft Gottes (du,namij tou/ Qeou/ ) wirkt wie in Tod und Auferstehung Christi “ (206 f ). 196 4 Aussage und Programm des Evangeliums Intention, dieses Heil zuzueignen repräsentieren. Paulus fasst es in Röm 1 folgendermaßen zusammen 284 : Röm 1,16: Ouv ga.r evpaiscu,nomai to. euvagge,lion( du,namij ga.r qeou/ evstin eivj swthri,an panti. tw/ | pisteu,onti(VIoudai,w| te prw/ ton kai. {EllhniÅ Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, zum Heil jedem Glaubenden, dem Juden zuerst wie auch (dem) Griechen. Das Evangelium von Jesus Christ ist eine Gotteskraft, die zum Ziel hat, Griechen und Juden zum Heil (eivj swthri,an) zu bringen. 285 Paulus trifft hier im Grunde keine inhaltliche Aussage, sondern reflektiert auf einer Metaebene Beschaffenheit und Funktion des Evangeliums 286 : Es ist eine kraftvolle, von Gott ausgehende Bewegung (du,namij), die die Rettung der Menschen zum Ziel hat, und als solches Instrument der Verwirklichung des Heils ist. Den inhaltlichen Mittelpunkt dieser göttlichen Wirkkraft bildet das „ Wort vom Kreuz “ : 1Kor 1,18: ~O lo,goj ga.r o` tou/ staurou/ toi/ j me.n avpollume,noij mwri,a evsti,n( toi/ j de. sw|zome,noij h`mi/ n du,namij qeou/ evstinÅ Das Wort vom Kreuz nämlich ist denen, die verloren gehen eine Dummheit, uns aber, die wir gerettet werden ist es eine Kraft Gottes. Angeschlossen an das zentrale Heilsereignis ist die Geschichte der Person Jesu wie sie narrativ und titular in den Briefen des Paulus entfaltet wird. Das Programm des Evangeliums lässt sich also 1) inhaltlich als heilvolle Zuwendung Gottes in Person und Geschichte Jesu von Nazareth (und insbesondere im Kreuzesgeschehen) und 2) bezüglich seiner Funktion/ Intention als die von Gott ausgehende Kraft, die die Rettung der Menschen bewirkt, bestimmen. Wie genau das Evangelium als „ Kraft Gottes “ im Rahmen des Prozesses seiner Kommunikation zu verstehen ist, wie es mit den Kommunikationsteilnehmern interagiert und swthri,a bewirkt, ist eine zentrale Fragestellung der weiteren Analysen dieser Arbeit. 287 284 Vgl. LOHSE, E., Das Präskript des Römerbriefes als theologisches Programm, in: TRO- WITZSCH, M. (Hg.), Paulus, Apostel Jesu Christi, FS Günter Klein, Tübingen 1998, 65 - 78; bes. 78: „ Hebt Paulus gleich im Präskript des Römerbriefes den Begriff des Evangeliums hervor, so ist dessen programmatischer Charakter auf das deutlichste herausgestellt “ . 285 Bezüglich der an dieser Stelle wichtigen Größe des Glaubens (pi,stij) verweise ich auf das entsprechende Kapitel über die Rezipienten: Kap. 8.3.3. 286 Vgl. ALKIER, Die Realität der Auferweckung, aaO. 48. 287 Zum Evangelium als Kraft Gottes siehe Kap. 7.2.5. 4.3 Von den Einzelaussagen zum Programm 197 EXKURS: Narrativität und paulinisches Evangelium Wie wir gesehen haben, sind Person Jesu und das Evangelium als Botschaft von ihm, seiner Würde und Geschichte, miteinander verbunden: „ Christus predigen “ und „ das Evangelium verkündigen “ können nahezu synonym gebraucht werden (vgl. Phil 1,15 ff ). 288 Jedoch stellt sich von hier aus die Frage nach dem Verhältnis von Evangelium und Geschichte Jesu. Vieles zu dieser Problematik wurde im forschungsgeschichtlichen Überblick bereits vorweggennommen. 289 Darum soll an dieser Stelle nur kurz die narrativ-geschichtliche Dimension des Evangeliums im Gegenüber zu seinem Aspekt als Heilsbotschaft reflektiert werden. Der kurze Überblick über die Inhalte des Evangeliums hat gezeigt, dass sich das paulinische Evangelium nicht in dem Bekenntnis zu Kreuz, Auferstehung und Widerkunft Christi erschöpft. Das Menschsein Jesu und sein damit verbundenes Wirken als Messias sind im Rahmen der Präexistenz- und Sendungsvorstellung ebenso Gegenstand der Deutung auf Grundlage des Kreuzesgeschehens wie die übrigen „ Etappen “ . Im Vergleich beispielsweise mit der Konzeption und Ausarbeitung des Markusevangeliums muss jedoch zugestanden werden, dass Paulus Jesu Leben nur indirekt und allgemein reflektiert, um sie in Bezug auf das Heilsgeschehen einzuordnen. 290 Dennoch kommt der Geschichte Jesu, seiner Menschwerdung, Sendung und Offenbarung genauso Heilsbedeutung zu, wie deren Höhepunkt im Sterben am Kreuz. Hinzu kommt, dass ohne eine Thematisierung der „ Vorgeschichte “ eine Verkündigung der Kreuzesbotschaft, welche Sündlosigkeit und Gehorsam des Menschen Jesus voraussetzt, für deren Rezipienten nicht verständlich erscheint. 291 Auch sie sind also „ hingeordneter “ Teil des Evangeliums. So ist die Frage falsch gestellt, ob die „ rudimentäre narrative Anordnung “ von 1Kor 15,3-5 „ den Nukleus für die erzählerische Ausgestaltung des Credos in den Passions- und Ostererzählungen bilden könnte “ , oder ob es sich umgekehrt um eine „ Komprimierung der entsprechenden evangeliaren Erzählungen “ handelt, „ deren Kenntnis für die Sprecher der Glaubensformeln vorauszusetzen ist “ . 292 In 288 Vgl. KIM, Jesus the Son of God as the Gospel, aaO., 121; 127 ff. Siehe auch Kap. 7.1.1. 289 Siehe Kap. 2.5. 290 Dennoch: „ Paul both knew and cared about the ministry of Jesus prior to his passion and death; that he recalled, alluded to, and was himself influenced in his own theology and conduct by important features of the Jesus tradition; that Jesus ’ Jewishness and messiahship remained important aspects of Paul ’ s christology [. . .] and that he thought of God ’ s actual presence in the earthly Jesus “ ; DUNN, Theology, aaO., 206. 291 Vgl. DUNN, Theology, aaO, 186: „ [I]t would be altogether surprising if those who claimed to have put their faith in this Christ were not a little curious about the character and content of his life and ministry prior to his death “ . 292 KLAUCK, H.-J., 1. Korintherbrief, NEB.NT 7, Würzburg 1984, 108. 198 4 Aussage und Programm des Evangeliums gewisser Hinsicht trifft beides zu: Paulus bietet hier bereits das deutende „ Ergebnis eines Abstraktions- und Reflexionsprozesses “ jener Geschichte, deren Interpretation wiederum sicherlich nicht ohne Einfluss auf das Entstehen der Evangelienliteratur hat bleiben können. 293 EXKURS: Wandlungen und Widersprüche im paulinischen Denken Die in diesem Kapitel dargestellten Inhalte der paulinischen Evangeliumsbotschaft scheinen sich sehr klar und konsistent aus seinen Briefen ableiten zu lassen. Dieser Eindruck ist auch der Orientierung an Zusammenfassungen seiner Theologie geschuldet, die immer harmonisierend zwischen den Textbefunden vermitteln müssen. Tatsächlich finden sich bei Paulus jedoch auch einander widersprechende oder zumindest nicht ohne Weiteres miteinander in Einklang zu bringende Aussagen, etwa das Erwählungskonzept in 1Thess und das davon abweichende heilsgeschichtliche Programm des Röm, Spannungen im Toraverständnis (Gal 3,13 zu Röm 7,12), in der Israelkonzeption (1Thess 2,16 zu Röm 11,26) oder zwischen veschiedenen eschatologischen Entwürfen (1Thess 4, 1Kor 15, 2Kor 5, Phil 1). Das hat in der Forschung die Frage aufgeworfen, „ ob Paulus in seinem Denken ,Wandlungen ‘ oder gar eine ,Entwicklung ‘ mitgemacht hat - wenn ja in welchem Ausmaß - oder ob seine Texte weitergehende Schlussfolgerungen in dieser Richtung nicht erlauben “ . 294 Da auch die paulinischen Evangeliumskonzeption von solchen Wandlungen betroffen sein könnte, bedarf es an dieser Stelle einer kurzen Reflexion der Problematik. 295 293 ROLOFF, J., Soteriologische Deutung des Todes Jesu (Mk. X. 45 und Lk. XXII. 27), in: DERS., Exegetische Verantwortung in der Kirche. Aufsätze, Göttingen 1990, 117 - 143; 125. Darunter ist sicher mehr als nur eine bloße „ Raffung “ der verkündigten Überlieferung zu verstehen; vgl. WILCKENS, U., Der Ursprung der Überlieferung der Erscheinungen, in: HOFFMANN, P., Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, Wege der Forschung Bd. 522, Darmstadt 1988, 139 - 193; 144; DUNN, Theology, aaO., 232: „ It may very well have been Paul who thus gave the gospel its focus in the death of Jesus, who stamped the ,cross ‘ so firmly on the ,gospel ‘ . And we may speculate that it was Paul ’ s influence which caused Mark to shape his ,gospel ‘ (Mark 1.1) to climax in the cross - a passion narrative with extended introduction “ . 294 THEOBALD, M., Wandlungen im paulinischen Denken (Paulus-Synopse), in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 504 - 511; 505. 295 Zur Begrifflichkeit vgl. SCHNELLE, U., Paulus. Leben und Denken, Berlin/ Boston 2014 2 , 19: „ Unter konstanten Grundgedanken sind jene Vorstellungen zu verstehen, von denen her Paulus sein Denken entwirft, die als tragende Säulen seine Sinngebäudes anzusehen sind, es durchgängig bestimmen. Der Begriff ,Wandlungen ‘ [. . .] meint durch Textvergleiche nachweisbare Veränderungen. Wie diese Veränderungen zu interpretieren sind, muss der jeweiligen Einzelexegese überlassen werden: ob als rein situationsabhängige Applikationen, als Vertiefung, Verdeutlichung oder Variation, als folgerichtige Weiter- Entwicklung früherer Aussagen, als Revision eines zuvor eingenommenen Standpunktes 4.3 Von den Einzelaussagen zum Programm 199 Erschwert wird die Diskussion über eine paulinische Entwicklung von Unsicherheiten in Bezug auf die Chronologie der Briefe (und also der möglichen Entwicklung) sowie unscharfe Beschreibungskategorien für die Differenzen 296 : Handelt es sich wirklich um gedankliche Kehrtwendungen oder sind abweichende Formulierungen anderen Gründen geschuldet, etwa der brieflichen Situation oder Nachfragen bzw. Missverständnis aus der Gemeinde, die eine detaillierter Explikation erforderlich machen? Und wie wäre das eine von den anderen Gründen nachvollziehbar zu unterscheiden? 297 Es überrascht kaum, dass der Umgang mit den Spannungen in den Aussagen des Paulus kontrovers diskutiert wird: Beispielhaft seien kurz die gegensätzlichen Positionen von M. Hengel und T.Söding herausgegriffen. 298 Im Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung steht die Frage, ob Paulus „ von Anfang an auf der Basis seiner Rechtfertigungslehre ein gesetzesfreies Evangelium verkündigt hat oder ob sich die radikale Gesetzeskritik, die literarisch zuerst in Phil 3, in 2Kor 3 - 5 und im Galaterbrief greifbar wird, erst der antiochenische Krise bzw. dem galatischen Konflikt verdankt und Paulus womöglich zunächst noch nicht auf die Forderung der Beschneidung und des Gesetzesgehorsams verzichtet hat. “ 299 Auf der Basis einer vergleichenden Analyse von 1Thess gewinnt für Söding die paulinische Theologie „ in der Phase seines Lebens, Denkens und Wirkens, die durch die Hauptbriefe erkennbar ist, eine neue Gestalt, die auf der konsequenten Fortentwicklung und dialektischen Differenzierung alter Positionen, aber auch aus der Einbringung neuer Themen und der Herausforderung durch neue Probleme beruht. “ 300 Auch wenn er zugeben muss, „ daß bei Paulus dieWeichen schon früh in die Richtung gestellt sind, die er dann in der doppelten Herausforderung durch den Enthusiasmus und den Nomismus einschlagen oder als völlig neue Gedanken “ . Für eine detaillierte Analyse ist die Monographie Schnelles zu empfehlen: SCHNELLE, U., Wandlungen im paulinischen Denken (SBS 137), Stuttgart 1989. 296 Vgl. THEOBALD, Wandlungen im paulinischen Denken, aaO., 504. 297 Für einen hilfreichen Fragenkatalog zur Gewichtung der Differenzen vgl. THEOBALD, Wandlungen im paulinischen Denken, aaO., 509 f. 298 HENGEL, M./ SCHWEMER, A. M., Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, Tübingen 2000, 27 - 30; SÖDING, T., Der Erste Thessalonicherbrief und die frühe paulinische Evangeliumsverkündigung. Zur Frage einer Entwicklung der paulinischen Theologie, in: DERS., Das Wort vom Kreuz, WUNT 93, Tübingen 1997, 31 - 56. 299 SÖDING, Der Erste Thessalonicherbrief und die frühe paulinische Evangeliumsverkündigung, aaO., 32 f. 300 SÖDING, Der Erste Thessalonicherbrief und die frühe paulinische Evangeliumsverkündigung, aaO., 56. 200 4 Aussage und Programm des Evangeliums wird “ , plädiert Söding also klar für eine wahrnehmbare Entwicklung. 301 Demgegenüber ist Hengel überzeugt: „ [G]erade die unbekannten Jahre zwischen Damaskus und dem Ende der syrisch-antiochenischen Zeit muß man als die entscheidende Epoche betrachten, in der Paulus jenes herausragende missionarische (und theologische) Profil gewann, das uns in seinen Briefen während der Missionsarbeit rund um die Ägäis in gleich bleibender Weise begegnet “ . 302 Diese „ Lehrjahre “ bilden für Hengel erst die Voraussetzung, dass Paulus bei Apostelkonzil und Antiochenischem Zwischenfall so profiliert, selbstbewusst und klar argumentieren konnte und nicht die relativ kurze Zeitspanne, in die die Abfassung der überlieferten Briefe fällt.. 303 Natürlich, so gesteht Hengel ein, stellt Paulus seine Rechtfertigungslehre nicht immer in seiner Gänze „ expressis verbis “ dar, sondern passt seine Aussagen situativ an. 304 Das ändere jedoch nichts an der grundsätzlichen „ Einheit von Biographie und Theologie im Leben des Apostels “ , die sich „ nicht zuletzt in dem für Paulus grundlegenden Gegensatz zwischen dem Einst seiner pharisäischen Vergangenheit im untadeligen Gesetzesgehorsam ,unter dem Gesetz ‘ und dem Jetzt seiner Wirklichkeit als , berufenerApostel für dieVölker ‘ , der diesen das Evangelium von der befreienden Gnade in Christus verkündigt “ , erweist. 305 Eine ausführliche Erörterung der Frage nach einer Entwicklung im paulinischen Denken, insbesondere hinsichtlich der Evangeliumskonzeption, ist im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich. Die Problematik selbst ist hochumstritten und selbst über die angemessene Methodik ihrer Bearbeitung ist man sich in der Forschung uneins. Ich beschränke mich daher auf die Skzizzierung einiger thesenartiger Beobachtungen, ausgehend von der eben beschrieben Kontroverse um „ Wandlungen “ in der paulinischen Rechtfertigungslehre. Sie ist ein gutes Beispiel, wie die Frage nach Wandlungen in anderen Themen der paulinischen Theologie auch das Evangeliumsverständnis berühren kann. Denn der Zusammenhang von Sünde, Gesetz und Kreuz (Kap. 4.3.1) ist für die oben dargestellten Inhalte des Evangeliums nicht unerheblich. Hätte Paulus zum Beispiel zu einem bestimmten Zeitpunkt das Gesetz als heilsrelevant angesehen, so wäre das gesamte oben dargestellte Programm des Evangeliums einschließ- 301 SÖDING, Der Erste Thessalonicherbrief und die frühe paulinische Evangeliumsverkündigung, aaO., 56. 302 HENGEL/ SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien, aaO., 27. 303 HENGEL/ SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien, aaO., 27; 30: „ [G] erade bei einer eingehenden Untersuchung wird sich zeigen, daß bestimmte Grundelemente der paulinischen Theologie, wie sie in den Briefen zutage treten, zumindest andeutungsweise schon viel früher vorauszusetzen sind und das Wirken und Denken des frühen Paulus überhaupt erst verstehbar machen. “ 304 Vgl. HENGEL/ SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien, aaO., 27. 305 HENGEL/ SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien, aaO., 30. 4.3 Von den Einzelaussagen zum Programm 201 lich der Alternative Christus/ Gesetz infrage gestellt. Eine solche Aussage trifft Paulus jedoch nirgends in den uns erhaltenen sieben Briefen. Im Gegenteil: Wo er sich scheinbar widersprüchlich über das Gesetz äußert (z. B. Gal 3,13: das Gesetz als Fluch; Röm 7,12: das Gesetz ist heilig, gerecht und gut), argumentiert er immer auf der Basis des Evangeliums. Sein Programm, das sich in Person und Leben Jesu Christi vollziehende Heilsgeschehen für alle Menschen, unterliegt in seiner grundlegenden Bedeutung bei Paulus keinen Schwankungen. Das hat schlaglichartig meine Analyse zu den drei verschiedenen Briefen entnommenen Kernstellen des Evangeliums demonstriert (1Thess - 1Kor - Röm). Jede dieser drei Stellen hebt die Bedeutung der Person Christi im Kontext der Heilsgeschichte hervor. Wenn Paulus sich also (scheinbar) gegensätzlich zum Gesetz oder irgend einem anderen Thema äußern sollte, so doch nie im Widerspruch zum Evangelium. Denn letztlich sind alle genannten „ Differenzen “ Themen zuzuordnen, die sich letztlich nur als „ Anwendung “ des Evangeliums auf Welt und Mensch verstehen lassen (vgl. z. B. die Zuordnung des Gesetzes in Kap. 4.2). Diese kann sich durchaus variabel und situativ gestalten und muss es vielleicht sogar, wenn man den Erfahrungszuwachs und die Persönlichkeiten von Paulus und seinen Adressaten ernst nehmen will. 306 Dass die Konzeption von Evangelium bei Paulus als prinzipiell stabiler „ Grundgedanke “ anzusehen ist, kann auch biographisch begründet werden. Nimmt man das „ Damaskuserlebnis “ , die Begegnung mit dem Auferstandenen, als Lebenswende ernst, muss man davon ausgehen, dass das paulinische Denken bleibend davon geprägt gewesen sein muss: „ Zwischen der Theologie des Heidenapostels und seiner Biographie besteht so ein tiefer innerer Zusammenhang, wobei freilich ,die Wahrheit des Evangeliums ‘ (Gal 2,5.14), d. h. die ,Theologie ‘ , oder besser der gekreuzigte und auferstandene Christus, die sein Leben bestimmende Macht wird und nicht umgekehrt “ . 307 Diesen Zusammenhang zwischen Biographie und Evangelium gilt es, im folgenden Kapitel genauer nachzugehen (siehe Kap. 5.1). 4.4 Auswertung Zum Schluss sollen die Erkenntnisse dieses Kapitels in Bezug auf das Evangelium als Kommunikationskonzeption ausgewertet werden. Ich nutze dazu den entsprechenden Teil des gewählten Kommunikationsmodells, in den die Ergebnisse eingetragen werden (siehe folgende Seite). 306 Vgl. THEOBALD, Wandlungen im paulinischen Denken, aaO., 509; SCHNELLE, Paulus, aaO., 20. 307 HENGEL/ SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien, aaO., 29. 202 4 Aussage und Programm des Evangeliums Als Programm habe ich das Evangelium als Gotteskraft zum Heil des Menschen identifiziert. Darin ist einerseits die inhaltliche Komponente der heilszuwendenden Intention des Evangeliums, andererseits aber auch eine Definition des Evangeliums als Instrument der Zueignung ausgedrückt. Eng verbunden ist dieses Programm mit der zentralen Aussage des Evangeliums: dem Kreuzestod Jesu (von Nazareth) als Geschehen, in dem das Heil für die Menschen begründet ist. Alle weiteren Aussagen leiten sich hiervon ab, sind Interpretation bzw. Explikation - ohne die freilich mitunter ein Verstehen der zentralen Aussage nicht möglich ist. Die mit ihnen verbundenen Vorstellungsgehalte - allesamt der Septuaginta bzw. der jüdischen Tradition entnommen - sind ebenfalls für ein Verstehen unverzichtbar und stellen somit den Kommunikator unter gewisse Zwänge. Zu den wichtigsten zählen sicherlich die Konzeption der Tora, die Messias-Vorstellung und das biblische Konzept der Heilsgeschichte zwischen Gott und seinem Volk. Die Auflistung der Einzelaussagen ist nicht abschließend. Es handelt sich lediglich um eine Auswahl der wichtigsten, mit dem zentralen Heilsgeschen am engsten verbundenen Aussagen. Aus ihnen (und anderen) wählt der Kommunikator aus, um in der jeweiligen Situation dem Programm, den damit verbundenen Zwängen und den weiteren Kommunikationsfaktoren gerecht zu werden. 4.4 Auswertung 203 Abb. 5 Aussage und Programm des Evangeliums im Kommunikationsmodell 204 4 Aussage und Programm des Evangeliums 5 Der Kommunikator des Evangeliums Kommunikator des Evangeliums ist für Paulus im Rahmen seiner Konzeption in erster Linie er selbst. An vielen Stellen seiner Briefkorrespondenz spricht er selbstverständlich davon, dass er das Evangelium verkündigt (vgl. nur Röm 1,1; 15,18 f; 1Kor 1,17; Gal 1,11). Natürlich gibt es für Paulus auch andere Kommunikatoren des Evangeliums (vgl. 1Kor 15,11), aber sie spielen in Bezug auf die Konzeption seines Evangeliums nur in Beziehung zu Paulus als eigentlichem Kommunikator eine Rolle. Sie sollen daher im Kontext der Beziehungen des Kommunikators verhandelt werden. 1 In diesem Kapitel frage ich, wie Paulus seine Rolle und seine Aufgabe als Kommunikator definiert, woraus sich deren Legitimität und Glaubwürdigkeit ableitet, woher Initiative und Motivation zur Kommunikation stammen und wie seine Gruppenzugehörigkeit zu beschreiben ist. Um zu verstehen, wie Paulus sich als Kommunikator konzipiert und wie er agiert, müssen wir uns seiner Person bzw. seinem Selbstbild als Einordnung in die ihn umgebende Welt zuwenden. 2 Sein Selbstbild hat nicht nur unmittelbaren Einfluss auf die Beziehung zu den Rezipienten und Mitkommunikatoren, sondern auch auf die Gestaltung des Kommunikationsprozesses hinsichtlich der Auswahl der Einzelausssage oder des Kommunikationsmediums. 3 Wie sich ein Mensch versteht und wie sich seine Persönlichkeit im Moment darstellt, hängen unübersehbar mit seiner biographischen Entwicklung zusammen: Er ist zu einem guten Teil die Summe seiner Erfahrungen und damit das Produkt seiner Geschichte. 4 Daher entfalte ich das paulinische Selbstbild zunächst von seiner Biographie her, so weit sich diese rekonstruieren lässt (5.1). 1 Vgl. Kap. 6.2. 2 Im Anschluss an E.-M.Becker arbeite ich hier bewusst nicht mit dem von Maletzke vorgeschlagenen Begriff der „ Persönlichkeit “ (vgl. Kap. 3.3.1), der „ eine kulturgeschichtliche Würdigung und Wertung impliziert “ (130). Es geht nicht um die Fremd-, sondern um die Eigenwahrnehmung des Paulus. Dieser wird durch den Begriff der „ Person “ im Sinne einer Suche nach den „ Wechselwirkungen zwischen den einmaligen biographischen Ereignissen und den bleibenden Wesenszügen “ adäquat Rechnung getragen (129); BECKER, E.-M., Die Person des Paulus, in: WISCHMEYER, O. (Hg.), Paulus. Leben - Umwelt - Werk - Briefe, Tübingen 2012 2 , 129 - 141. 3 Siehe Kap. 3.3.4 a; 3.3.5 b,c; 3.5.3 b. 4 Neben der biographischen Prägung unterliegt Paulus auch in der Gegenwart des Kommunikationsprozesses beeinflussenden Faktoren, auf die er reagieren muss, z. B. die Kommunikationsstruktur der antiken Welt, die „ öffentlichen Meinung “ , die sozialen, Als Ausgangspunkt nutze ich seine Rede von sich selbst als avpo,stoloj. „ Die Apostolizität des Paulus ist das entscheidende Wesensmerkmal paulinischer Personalität “ und intensiv mit der biographischen Dimension seines Selbstverständnisses verbunden. 5 Der Begriff wurzelt für Paulus in seiner fundamentalen Lebenswende, der Begegnung mit dem Auferstandenen, die auch als „ Damaskus-Erlebnis “ bezeichnet wird. Darin, aber auch davor und danach hat das Leben des Paulus Prägungen erfahren, die ihn als Kommunikator des Evangeliums beeinflussen. Ich versuche diesen biographischen Prägungen zunächst in ihrer zeitlichen Abfolge nachzugehen und sie hinsichtlich ihrer Bedeutung für Paulus einzuordnen. Ein anderer Weg dem paulinischen Selbstbild als Kommunikator näher zu zu kommen ist die große Menge anderer Selbstbezeichnungen neben avpo,stoloj, die seine Existenz als Kommunikator umschreiben. Als Ausdruck seines (bezogen auf die Evangeliumsverkündigung und den Abfassungszeitpunkt der Briefe als Primärquellen) gegenwärtigen Selbstverständnissses sollen sie in einem zweiten Schritt systematisiert und im Rahmen der bisherigen Erkenntnisse betrachtet werden (5.2). Die konkrete Gestaltung seiner Rolle gegenüber den Rezipienten, aber auch gegenüber Mitarbeitern und anderen Kommunikatoren werde ich gesondert im nächsten Kapitel (Kap. 6) einer Analyse unterziehen. Vorab sei noch eine Problemanzeige gegeben: Die Frage, auf welchen Zeitpunkt der Verkündigung sich die paulinische Konzeption vom Evangelium bezieht, ob damit ausschließlich der „ Erstkontakt “ mit der Botschaft, die Erstverkündigung gemeint ist, oder auch die fortgesetzte Verkündigung, wie sie uns z. B. in den Briefen begegnet, muss aus pragmatischen Gründen bis zum Kapitel über den Kommunikationsprozess (Kap. 7) zurückgestellt werden. Ohne Gewissheit über diese Problematik ist eine genaue Rollenabgrenzung von Paulus als Kommunikator schwierig, da naturgemäß beim ersten Kennenlernen zwischen Menschen eine andere Beziehung vorauszusetzen (und von Paulus zu beanspruchen) ist, als im weiteren Verlauf der gemeinsam verbrachten Zeit. So können wir nicht von vornherein davon ausgehen, dass die Beziehungen, die Paulus zu seinen Gemeinden pflegt noch Bestandteil seiner Rolle als Kommunikator des Evangeliums sind. Ich werde daher in diesem Kapitel seine Rollen möglichst umfassend wahrnehmen und miteinander harmonisieren, um dann ggf. im entsprechenden Kapitel noch einmal zu differenzieren. geographischen und religiösen Verhältnisse innerhalb derer sich die Kommunikation abspielt. Wie und ob sich Paulus gegenüber diesen Faktoren im Blick auf die Evangeliumsverkündigung verhält, wird im Kapitel über die Rezipienten (Kap. 8) zur Sprache kommen. 5 BECKER, Die Person des Paulus, aaO., 134. 206 5 Der Kommunikator des Evangeliums 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes Ich habe vom Damaskuserlebnis als „ Lebens-Wende “ gesprochen. WelcherArt ist diese Wende, wovon und wozu hin? Dazu müssen wir uns zunächst vor Augen führen, was Paulus über sein Leben vor Damaskus zu berichten weiß, wie er das Leben „ davor “ im Gegenüber zum Leben „ danach “ beurteilt. Erst dann kann der Charakter des Neuen adäquat eingeschätzt werden: „ Die Kenntnis des Juden Saulus ist eine Voraussetzung zum Verständnis des Christen Paulus. “ 6 5.1.1 Der vorchristliche Paulus a) Herkunft und frühe Prägung Über Geburtsort und Herkunft des Paulus kann man seinen Briefen nicht unmittelbar etwas entnehmen. Die Apostelgeschichte gibt das in Kilikien liegende Tarsus als Heimatstadt an (Apg 9,11; 11,25; 21,39; 22,3; ). 7 Der Duktus seiner Briefe lässt eher an einen Ort im jüdischen Mutterland oder in dessen unmittelbarer Nähe denken. 8 An zwei Stellen seiner Briefkorrespondenz gibt sich Paulus dezidiert als Angehöriger des Volkes Israels aus. Sie sollen im Folgenden eingehender betrachtet werden. Beidesmal setzt er sich mit Gegnern aus dem jüdischen Kontext auseinander: in 2Kor mit yeudapo,stoloi (11,13), deren selbsternannte Vorzüge er wahrscheinlich aufgreift, in Phil mit den ka,koi evrga,tai, die wohl militante Vertreter der Beschneidung sind (3,2 f). Das ist symptomatisch für die paulinischen Selbzeugnisse: Einerseits wird der Bezug auf seine eigenen Identität immer durch die jeweilige Situation herausgefordert; 6 HENGEL, M., Der vorchristliche Paulus, in: Ders./ HECKEL, U. (Hgg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991,177-293; 178; Weitere Literatur zum vorchristlichen Paulus: FREY, J., Das Judentum des Paulus, in: WISCHMEYER, Paulus, aaO., 25 - 65; HARRILL, J. A., Paul the Apostle. His Life and Legacy in their Roman Context, Cambridge 2012; 23 - 45; LINDEMANN, A., Paulus - Pharisäer und Apostel, in: SÄN- GER, D./ MELL, U., Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006, 311 - 351; NIEB- UHR, K.-W., Heidenapostel aus Israel, WUNT 62, Tübingen 1992. Zur Literaturbegründung: Ich habe mich in diesem Kapitel außer mit Niebuhr vor allem auf eine Auswahl aktuellerer Aufsätze gestützt, die das Thema konzentriert und dem aktuellen Forschungsstand entsprechend in den Blick nehmen. Als Beispiel für die gegenwärtige angloamerikanische Perspektive auf das Thema habe ich einen Abschnitt aus der Monographie von J. A.Harrill ergänzt. Zudem verweise ich im Lauf der Analyse neben den einschlägigen Kommentaren und Lexikonartikeln immer wieder gesondert auf Literatur zu einzelnen Themen. 7 Zur Diskussion der historischen Glaubwürdigkeit der Apg in Bezug auf Paulus vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 179 f; bes. Anm. 6. 8 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 182. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 207 es handelt sich oftmals um Konflikte, die eine Skizze seiner jetzigen Existenz in starkem Kontrast zu seinem früheren Leben herausfordern ( „ Kontrastschema “ ; so in Gal 1,13 f; Phil 3,3 ff ). 9 Andererseits nehmen die Selbstzeugnisse dadurch „ [i]n der Explikation der Glaubwürdigkeit seiner Person und seiner Botschaft gegenüber den Adressaten seiner Briefe [. . .] einen bedeutenden Platz ein. “ 10 2Kor 11,22: ~Ebrai/ oi, eivsinÈ kavgw,Å VIsrahli/ tai, eivsinÈ kavgw,Å spe,rma VAbraa,m eivsinÈ kavgw,Å Hebräer sind sie? Ich auch. Israeliten sind sie? Ich auch. Nachkommen Abrahams sind sie? Ich auch. Phil 3,5: ))) peritomh/ | ovkta h,meroj( evk ge,nouj VIsrah,l( fulh/ j Beniami,n( ~Ebrai/ oj evx ~Ebrai,wn ÅÅÅ . . . beschnitten am achten Tag, vom Geschlecht Israel, vom Stamm Benjamin, Hebräer von Hebräern . . . Wenn Paulus sich beidesmal als „ Israelit “ bezeichnet, meint er damit v. a. seine Volkszugehörigkeit. Doch der Begriff VIsrah,l akzentuiert diese Zugehörigkeit nicht nur rein ethnisch, sondern auch religiös: „ Er bezeichnet die besondere Stellung dieses Volkes, seine Bedeutung in Religion, Sprache und Kultur und ist geeignet, dem Nichtjuden die Werte des Judentums nahezubringen “ . 11 Als solcher gehört er in den Kontext religiöser Propaganda. 12 Paulus ist also nicht einfach Angehöriger irgendeines Volkes, sondern des Bundesvolkes Israel, mit entsprechender stolzer Betonung. 13 Innerhalb dieses Volkes kann er seine Abstammung sogar auf den Stamm Benjamin präzisieren. Er scheint aus einer alten und traditionsbewussten Familie zu kommen, die „ auf ihr über das babylonische Exil hinaus bis in die biblische Frühzeit zurückreichendes Alter und die Exaktheit ihres Stammbaumes stolz war “ . 14 Mit spe,rma VAbraa,m greift Paulus wohl eine Wendung der von ihm kritisierten yeudapo,stoloi auf. 15 Sie betont die mit Abraham als Stammvater verbundene heilsgeschichtliche Verheißung und erweitert damit den Modus von „ Bluts- 9 Vgl. FREY, Das Judentum des Paulus, aaO., 29. 10 NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel, aaO., 179 f; Zit. 180. 11 GNILKA, J., Der Philipperbrief, HThK X/ 3, Freiburg 1968, 189; Vgl. WOLFF, C., Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, ThHK VIII, Berlin 1989, 230 f. 12 Vgl. GNILKA, HThK X/ 3, aaO., 189. 13 Vgl. WOLFF, ThHK VIII, aaO., 231. 14 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 222. 15 Vgl. GRÄSSER, E., Der zweite Brief an die Korinther. Kapitel 8,1-13,13, ÖTK 8/ 2, Gütersloh 2005, 159. 208 5 Der Kommunikator des Evangeliums verwandtschaft und solidarische[m] Verhalten mit den Vätern und dem Volk “ um die Zugehörigkeit zum „ Volk der Heilsgeschichte “ . 16 Das in beiden Versen genannte `Ebrai/ oj ist zunächst eine Ehrenbezeichnung. 17 Sie steht für „ die von alters her bestehende religiöse und kulturelle Eigenart des Judentums, die sich u. a. in der Kenntnis der hebräischen bzw. aramäischen Sprache äußert “ . 18 Im Kontext der Diaspora, dem beide Briefe (2Kor und Phil) entstammen, würde der Begriff zunächst auch als „ Zugehörigkeit zu einem landsmannschaftlichen Verband der ,Palästinenser ‘“ eines „ den heimatlichen und völkischen Sitten Treugebliebene[n] “ gehört werden. 19 Auch hierin schlägt sich das starke Traditionsbewusstsein der Familie des Paulus nieder, die ihm nicht nur die Religion und Kultur der Heimat, sondern auch die aramäische Sprache derselben überliefert hat. 20 Er ist „ in seiner Herkunft und Bildung aufs engste mit dem Mutterland verbunden “ und kein dem Land Entfremdeter. 21 Der Verweis auf die Beschneidung, das „ Erwählungszeichen “ des jüdischen Volkes, passt in dieses Bild. 22 Dass Paulus am achten Tag beschnitten wurde, wie es das Gesetz (vgl. Gen 17,12) vorschreibt, soll die Echtheit und Ursprünglichkeit seines Judeseins belegen, das er nicht erst nachträglich erworben hat. 23 Seine Herkunft verwurzelt Paulus also tief in der jüdischen Tradition. Er wurde geboren und erzogen innerhalb einer „ orhtodoxen und frommen jüdischen Familie “ . 24 Das schließt ein Aufwachsen außerhalb des jüdischen Kernlandes in der Diaspora aber nicht aus. Im Gegenteil - es gibt unabhänig von seinem Selbstzeugnis einige Indizien dafür: Der Geburtsort des Paulus dürfte in einer größeren Stadt liegen. Seine spätere Zentrumsmission in großen Provinzhauptstädten setzen eine Vertrautheit mit städtischen Gepflogenheiten voraus und auch die Bilingualität, die im ländlichen Kontext sicherlich nicht so einfach 16 GRÄSSER, ÖTK 8/ 2, aaO., 160. Ob hier Abraham, wie Wolff behauptet, auch als erster religiöser und kultureller „ Missionar des Judentums “ aufzufasssen ist, der darum dem Auftreten der gegnerischen Missionare größeres Gewicht verlieh gemäß dem Grundsatz „ Je älter und östlicher eine Lehre ist, desto göttlicher und glaubwürdiger ist sie “ , sei für unser Thema dahingestellt. Paulus jedenfalls betrachtet Abraham vom Standpunkt der Verheißung aus als Stammvater der Glaubenden - nicht der Missionare (vgl. Röm 4,3.12 f; Gal 3,1 ff ); WOLFF, ThHK VIII, aaO., 231. 17 Vgl. GRÄSSER, ÖTK 8/ 2, aaO., 159; MÜLLER, U. B., Der Brief des Paulus an die Philipper, ThHK 11/ I, Leipzig 2002, 150. 18 WOLFF, ThHK VIII, aaO., 230. Hier sind auch von Wollf angeführte Belegstellen aus dem hellenistischen Judentum zu finden. 19 GRÄSSER, ÖTK 8/ 2, aaO., 159; GNILKA, HThK X/ 3, aaO., 190. 20 Ein Beleg, dass Paulus Aramäisch gesprochen hat, ist sicher das mara,na qa, in 1Kor 16,22. 21 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 220 f; Zit. 220. 22 GNILKA, HThK X/ 3, aaO., 189. 23 Vgl. GNILKA, HThK X/ 3, aaO., 189; MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 150. 24 GNILKA, HThK X/ 3, aaO., 190. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 209 zu erwerben war, spricht dafür. 25 Die Tatsache, „ daß Paulus das Griechische zwar eigenwillig, aber doch zugleich so meisterhaft beherrscht “ und sein souveräner Umgang mit der Septuaginta implizieren, dass es sich um seine Muttersprache handelt. 26 Die Herkunft aus einer größeren Stadt und Griechisch als Muttersprache legen aber nahe, dass Paulus Diaspora-Jude war. 27 Über ein eventuelles städtisches Bürgerrecht des Paulus bleiben wir auf dem Boden seiner Briefe ebenso im unklaren wie über seine familiären Verhätnisse, seine soziale Herkunft oder seinen Beruf. 28 Einzig eine sozial höhere Stellung seiner Familie ist aufgrund seiner doppelten, griechisch-jüdischen Bildung zu vermuten: „ Because education was a private expense [. . .] Paul ’ s parents must have had some social standing and financial means to provide this good education to their son “ . 29 In welchem Umfang er jedoch an hellenistischer Bildung partizipiert hat, lässt sich nicht sagen. 30 „ Seine Sprache zeigt keine Spuren einer Kenntnis griechischer Dichtung [. . .] Die Sprache Homers und der griechischen Tragiker ist ihm so fremd wie die Nachahmung der attischen Rhetoriker oder der klassizistische Sprachpurismus “ . 31 Vielmehr verfügt er über eine fundierte Kenntnis der griechischen Bibel, die er wohl in weiten Teilen auswendig rezitieren konnte: 32 „ Die Literatur, die er kennt, ist - auch was die Wortwahl anbelangt - die der LXX und verwandter religiöser Schriften. “ 33 25 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 182; 186. 26 HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 233 f. 27 Tatsächlich sprechen seine Briefe, unabhängig von der nicht beantwortbaren Frage, ob Tarsus tatsächlich der Geburtsort des Paulus war, für eine Herkunft aus dem griechischsprachigen Diasporajudentum; vgl. LINDEMANN, Paulus - Pharisäer und Apostel, aaO., 322; Zum Diasporajudentum vgl. GRUEN, E., Disapora. Jews admidst Greeks and Romans, Cambridge 2002; BARCLAY, J. M. G., Die Diaspora in Kleinasien und an der Schwarzmeerküste, in: ERLEMANN, K. u. a. (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, Bd. 1: Prolegomena. Quellen. Geschichte, Neukirchen-Vluyn 2004, 208 - 211. Siehe auch den knappen Überblick bei: FREY, Das Judentum des Paulus, aaO., 31 - 36. 28 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 196; 208 ff. 29 HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 25; vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 211. 30 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 183. 31 HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 184. 32 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 235. 33 HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 238. Insgesamt lässt sich seine Bildung im antiken Kontext folgendermaßen einschätzen: „ Paul ’ s education surpassed the majority of the ancient Mediterranean population, but it was below that of Rome ’ s aristocratic elite “ ; HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 25. 210 5 Der Kommunikator des Evangeliums b) Paulus als Pharisäer Seine Bildung muss Paulus nicht ausschließlich in seiner Kindheit oder Jugend erfahren haben. Über das Ergebnis seiner religiöse Bildung informiert er uns wieder selbst in seinen Briefen: Phil 3,5: ))) kata. no,mon Farisai/ oj( . . . nach dem Gesetz ein Pharisäer, 6 kata. zh/ loj diw,kwn th.n evkklhsi,an( kata. dikaiosu,nhn th.n evn no,mw| geno,menoj a; memptojÅ nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeinde; nach der Gerechtigkeit, die im Gesetz ist, untadelig geworden. Gal 1,14: ))) kai. proe,kopton evn tw/ | VIoudai? smw/ | u`pe.r pollou.j sunhlikiw,taj evn tw/ | ge,nei mou( perissote,rwj zhlwth.j u`pa,rcwn tw/ n patrikw/ n mou parado,sewnÅ . . . und (ich) machte mehr Fortschritte im Judentum als viele Altersgenossen in meinem Volk; ein besonders großer Eiferer für meine väterlichen Überlieferungen. Einzig in Phil 3,5 bezeichnet sich Paulus als Pharisäer; doch lässt der Zusammenhang in Gal 1,14 kaum Zweifel an dieserAussage aufkommen. Seine Ausbildung, die sich in Gal 1,13 f abzeichnet, könnte er in Jerusalem erhalten haben. 34 Allerdings hätte er dann in der Auseinandersetzung in Philippi wahrscheinlich darauf verwiesen. 35 Nimmt man Ersteres an, hätte Paulus eine schriftgelehrte Ausbildung in Jerusalem genossen; wäre Zweiteres zutreffend, müsste man Paulus für einen die Gottesfürchtigen in der Diaspora „ ,missionierender ‘ Pharisäer “ halten. 36 Der „ theologisch reflektierte Denker “ , als der er in seinen späteren Briefen begegnet, setzt in jedem Fall eine irgendwie geartetet theologische Qualifikation voraus. 37 Was man sich unter einem Pharisäer zu Zeiten des Paulus vorzustellen hat, erscheint in der Forschung mitunter erstaunlich unumstritten 38 : Sie seien 34 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 222. 35 Vgl. LINDEMANN, Paulus - Pharisäer und Apostel, aaO., 324. 36 Vgl. LINDEMANN, Paulus - Pharisäer und Apostel, aaO., 314. 37 HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 212. 38 Zum Pharisäismus und seiner Bedeutung vgl. die Übersicht bei FREY, Das Judentum des Paulus, aaO., 39 - 44; Zur Forschungsgeschichte: DEINES, R., Die Pharisäer. Ihr Verständnis im Spiegel der christlichen und jüdischen Forschung seit Wellhausen und Graetz (WUNT 101), Tübingen 1997; DERS., The Pharisees between „ Judaism “ and „ Common Judaism “ , in: CARSON, D./ O ’ BRIEN, P.T./ SEIFRID, M. (Hgg.), Justification and variegated Nomism I: The Complexities of Second Temple Judaism, WUNT II 140, Tübingen 2001, 443 - 504; DERS., Art. Pharisees, in: EDEJ, 1061 - 63. Zum traditionsgeschichtlichen Verhältnis von Pharisäern und Rabbinen: NEUSNER, J., The Rabbinic Traditions about the Pharisees before 70, 3 Bde., Leiden 1971; DERS., Die Verwendung des späteren rabbinischen Materials für die Erforschung des Pharisäismus im 1. Jahrhundert n. Chr., ZthK 76 (1979), 292 - 309; kritisch dazu: SCHÄFER, P., Der vorrabinische Pharisäismus, in: HENGEL, M./ HECKEL, U. (Hgg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991,125-175. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 211 „ bekanntlich eine auf die Chasidim der Makkabäerzeit zurückgehende palästinische Heiligungsbewegung von Laien, deren Ziel vornehmlich die rituelle Heiligung des täglichen Lebens in Eretz Israel war, wie sie von den Priestern im Heiligtum gefordert wurde “ , um „ ganz Israel zu heiligen “ . 39 Ihr Name, „ die Abgesonderten “ stehe für dieTrennung von allem Unheiligen. 40 Sie praktizierten „ radikalen Toragehorsam “ , seien die „ genauesten Ausleger der Gesetze “ und ehrten Väterüberlieferungen neben der Tora, weswegen sie auch als Träger der mündlichen Überlieferung gelten. 41 Ihr Ziel sei, „ dem Menschen in seiner konkreten Situation die Erfüllung der Tora und damit die Gewinnung des Heils zu ermöglichen “ , wobei mit der konkreten Situation das Leben im Kontext einer hellenistisch-paganen Welt gemeint ist. 42 Wegen dieser Orientierung am Menschen seien sie sehr beliebt im Volk gewesen. 43 Hinzu kämen der Glaube an die Auferstehung, ein „ Synergismus von göttlichem und menschlichem Handeln “ bezogen auf das Heil und eine grundsätzliche Gemeinschaftsorientierung. 44 Allen diesen Charakterisierungen liegen im Wesentlichen zwei Quellen zugrunde. Josephus gibt etwa eine Generation nach Paulus eine explizite Darstellung der Gruppe der Pharisäer (v. a. in Flav.Jos.Ant. 13 - 18). Und auch verschiedene rabbinische Schriften, die z.T. weit nach 70 n. Chr. entstanden sind, scheinen indirekt Zeugnis von den Pharisäern ablegen zu können. 45 Beide Quellen sind jedoch nicht unproblematisch. Nach eigenem Bekunden war Josephus selbst Pharisäer, sodass seine Darstellung nicht als tendenzfrei gelten kann. Andererseits können die rabbinischen Quellen - wenn überhaupt - nur indirekt das Phänomen beleuchten. Sie werden von der Forschung als Fortentwicklung des Pharisäismus nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels angesehen. Diese These stützt sich auf zwei Vorannahmen. Zum einen wird im Anschluss an E. P.Sanders zur Zeit des Paulus mit einer Art „ Common Judaism “ gerechnet, eines alle Juden verbindenden Elementes, auf das sie sich ver- 39 HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 226; MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 151. 40 Vgl. BAUMBACH, G., Art. Farisai/ oj, in: EWNT II, 992 - 997; 995. 41 GNILKA, HThK X/ 3, aaO., 190; BAUMBACH, Art. Farisai/ oj, aaO., 995; vgl. 996; HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 28. 42 BAUMBACH, Art. Farisai/ oj, aaO., 995; HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 29. 43 Vgl. BAUMBACH, Art. Farisai/ oj, aaO., 995. 44 THEISSEN, G., Die Religion der ersten Christen, Gütersloh 2008 4 , 289; vgl. BAUMBACH, Art. Farisai/ oj, aaO., 995 f. 45 Zur Infragestellung der Zuverlässigkeit seiner Darstellung vgl. DEINES, The Pharisees between „ Judaism “ and „ Common Judaism “ , aaO., 450 f. Auch Harrill fordert einen „ critical use “ der Darstellung des Josephus; HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 29. 212 5 Der Kommunikator des Evangeliums ständigen konnten. 46 Abgesehen von diesem einenden Zentrum - vielleicht der Tempelkult - gibt es jedoch ein Ringen zwischen den einzelnen religiösen Gruppen um die richtige Form jüdischen Lebens. 47 Darauf aufbauend werden andererseits gewisse Gemeinsamkeiten von Pharisäern und Rabbinen (v. a. hinsichtlich ihres Toraverständnisses) als Indiz dafür angesehen, dass sich die Pharisäer nach der Zerstörung des Tempels zu den Rabbinen weiterentwickelt und also die Rivalität um das „ wahre “ Judentum gewonnen hätten. 48 Da jedoch „ weder Josephus für die Zeit nach 70 n. Chr., noch die rabbinische Literatur für die Zeit vor 70 n. Chr. in Anspruch genommen werden können, erlaubt die Quellenlage keinen Brückenschlag von den historischen Pharisäern zu den historischen Rabbinen. “ 49 Aus beiden wie aus einem einzelnen ein Bild des für Paulus zeitgenössischen Pharisäismus abzuleiten, halte ich mit P.Schäfer für problematisch. Noch komplizierter wird die Beurteilung beider Quellen bei einem Vergleich ihrer Darstellungen: Bei den Rabbinen begegnen die Pharisäer als Gruppe, „ die sich durch ein ganz ausgeprägtes Interesse an der Befolgung der Reinheitsgebote auch außerhalb des Tempels auszeichnet und damit die priesterlichen Ideale auf das alltägliche Leben überträgt “ . 50 Die Pharisäer erscheinen im Grunde als religiöse Sekte, deren Hauptanliegen sich in der Einhaltung der Speisevorschriften manifestiert. 51 Josephus dagegen zeichnet die Pharisäer eher als „ politische Partei mit wechselndem politischem Einfluß: antihasmonäisch, antisadduzäisch, gegen die radikale Kriegspolitik der Zeloten “ . 52 Als Umgang mit dieser Problematik schlage ich vor, als „ pharisäisch “ zunächst nur das gelten zu lassen, was Paulus selbst - sozusagen als dritte Quelle - bestätigt. 53 46 Vgl. DEINES, The Pharisees between „ Judaism “ and „ Common Judaism “ , aaO., 454: „ [T] here was a common, effective, and binding element to early Judaism, which held all the currents together and enabled communication among them (and here in the first instance the temple cult is to be named) “ ; SANDERS, E. P., Judaism. Practice and belief 63 BCE - 66 CE, London 1992. 47 Vgl. DEINES, The Pharisees between „ Judaism “ and „ Common Judaism “ , aaO., 460 ff. 48 Vgl. SCHÄFER, Der vorrabinische Pharisäismus, aaO., 127 f; DEINES, The Pharisees between „ Judaism “ and „ Common Judaism “ , aaO., 487, Anm. 156; vgl. auch 465, Anm. 75 für weitere Literatur. 49 SCHÄFER, Der vorrabinische Pharisäismus, aaO., 170. 50 SCHÄFER, Der vorrabinische Pharisäismus, aaO.,130 f. 51 Vgl. SCHÄFER, Der vorrabinische Pharisäismus, aaO., 131. 52 SCHÄFER, Der vorrabinische Pharisäismus, aaO., 170. 53 Die anderen neutestamentlichen Quellen zum Pharisäismus, Evangelien und Apostelgeschichte, sind auch nicht tendenzfrei und werden in der Forschung im Allgemeinen nur zur Bestätigung eines bestehenden Bildes herangezogen. Auch aufgrund ihres zeitlichen Abstandes zum Pharisäerdasein des Paulus (mit mind. einer Generation Unterschied ist zu 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 213 Sehen wir uns zunächst die drei durch kata, eingeleiteten Aspekte in Phil 3,5 f an. Hinsichtlich des Gesetzes ist Paulus als Pharisäer zu bezeichnen. Hinsichtlich seines Eifers ist er „ Verfolger der Gemeinde “ und hinsichtlich der Gerechtigkeit hält er sich selbst für „ untadelig “ . Gesetz, Eifer und Gerechtigkeit sind also die Kriterien, denen Paulus sich hier zuordnet. Warum? In V.4 behauptet Paulus gegenüber den Beschneidungs-Verfechtern, dass auch er Vertrauen evn sarki, , also in seine Vorzüge als beschnittener Jude, haben könnte. Er will zeigen, dass er - nach den Maßstäben seiner Gegner - ein „ untadeliger “ Jude, d. h. hinsichtlich der Gerechtigkeit, die er aus seinem Judesein beziehen kann, a; memptoj ist. 54 Eben an jenem Status, jenem Gewinn (ke,rdoj, V.7), machen offenbar die Gegner ihre Gerechtigkeit fest, und daher stellt Paulus ihm ab V.7 die Gerechtigkeit aus Glauben an Christus gegenüber. Mit Blick auf V.5 stelle ich fest, dass die drei angeborenen Vorzüge (siehe oben) neben drei erworbenen stehen, die den Eindruck vermitteln, „ daß Paulus seinerseits alles tat, um sich dieses Erbes würdig zu erweisen. “ 55 Die Verhältnisbestimmung zum Gesetz als Pharisäer und zum Eifer als Verfolger der christlichen evkklhsi,a soll also in Ergänzung zu den Vorzügen seiner Abstammung sein volles, toragehorsames und damit der Beschneidung entsprechendes Leben als Jude dokumentieren. Insofern können wir festhalten, dass Paulus als Pharisäer durchaus eine besonders gewissenhafte Einstellung zum Gesetz gehabt haben dürfte, die mit einer Leidenschaft (zh/ loj) für die Verfolgung nicht toratreuer Juden einherging. 56 Gal 1,14 präzisiert diesen Hingabe dahingehend, dass er - wohl durchaus ehrgeizig - seine Kommilitonen mehrheitlich übertraf und eine besondere Vorliebe (hier die Gruppenbezeichnung zhlwth.j) für die väterlichen Traditionen (außerhalb der Tora) hatte. Einige von Josephus und den Rabbinen bekannte Charakteristika kann das Pharisäertum des Paulus also bestätigen: Toragehorsam, Interesse an Väterüberlieferungen, vielleicht auch das Zusammenwirken von Gesetzesgehorsam und göttlicher Bundesgnade zur menschlichen Gerechtigkeit. Andere Merkmale müssen offen bleiben. Besonders hinsichtlich der oft postulierten Radikalität im Gesetzesgehorsam und des universalen, also auf das ganze Volk ausgerichteten Heiligungsanspruch, wie er sich bei Paulus in der Verfolgungsaktivtät zeigen rechnen) sollen sie hier unberücksichtig bleiben. Die von Frey vorgeschlagene Hinzuziehung von Qumran-Literatur erscheint mir wegen ihrer nicht eindeutigen Zuordbarkeit zum Phänomen des Pharisäismus als vernachlässigbar; vgl. FREY, Das Judentum des Paulus, aaO., 40; HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 30 f; DEINES, The Pharisees between „ Judaism “ and „ Common Judaism “ , aaO., 461 ff. 54 Vgl. GNILKA, HThK X/ 3, aaO., 190: „ Tadellosigkeit in der Stellung zum Gesetz “ . 55 GNILKA, HThK X/ 3, aaO., 190; vgl. 188. 56 Inwiefern die urchristliche Gemeinde hier dazu zählte, wird noch zu klären sein. 214 5 Der Kommunikator des Evangeliums könnte, ist meines Erachtens Zurückhaltung angebracht. Nur weil sich die Stellung zum Gesetz bei Paulus in dieser Form auswirkte, muss das nicht für „ die Pharisäer “ im Allgemeinen gegolten haben. 57 c) Paulus als Christenverfolger An zwei weiteren Stellen bringt Paulus seineVergangenheit als Pharisäer mit der Konfrontation mit Christen in Verbindung, deren „ Gemeinde “ er verfolgt habe: 1Kor 15,9: VEgw. ga,r eivmi o` evla,cistoj tw/ n avposto,lwn o]j ouvk eivmi. i`kano.j kalei/ sqai avpo,stoloj( dio,ti evdi,wxa th.n evkklhsi,an tou/ qeou/ \ Denn ich bin der geringste der Apostel, der ich nicht wert bin, ein Apostel genannt zu werden, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Gal 1,13: VHkou,sate ga.r th.n evmh.n avnastrofh,n pote evn tw/ | VIoudai? smw/ |( o[ti kaqV u`perbolh.n evdi,wkon th.n evkklhsi,an tou/ qeou/ kai. evpo,rqoun auvth,n) Denn ihr habt von meinem früheren Verhalten im Judentum gehört, dass ich in extremem Maße die Gemeinde Gottes verfolgte und sie zerstörte. Das zh/ loj aus Phil 3,5 gibt Paulus hier in Gal 1,13 mit kaqV u`perbolh.n wieder. Es bezeichnet die Qualität seiner Verfolgung. Zh/ loj ist als „ affekt-geladenes Sich- Ausrichten auf eine Person oder Sache “ zu umschreiben. 58 Die damit verbundene Wortgruppe kommt bei Paulus positiv konotiert als christliches Bemühen um Charismen Pneumatika, Prophetie (1Kor 12,31; 14,1.12.29) oder auch die Kollekte für Jerusalem (2Kor 9,2) und als Werben um Zuneigung (2Kor 7,7.11; Gal 4,17 f) vor. In negativem Zusammenhang ist es Ausdruck „ fleischlichen “ Verhaltens (Röm 13,13; 1Kor 2,2; 13,4) oder wie in Phil 3,6 und 2Kor 11,2 falscher frommer Eifer. 59 Wenn Paulus den Eifer hier durch kaqV u`perbolh.n charakterisiert, ist das als Steigerung stilisiert, die an das Fanatische grenzt, wahrscheinlich sogar darin aufgeht. 60 Diese Wahrnehmung mag von Paulus im Galaterbrief bewusst rhetorisch inszeniert worden sein, um den großen Gegensatz zum späteren Sinneswandel herauszustellen. Wahrscheinlich ist aber dennoch der Kern eines schon im Begriff zh/ loj enthaltenen Aspektes getroffen. Er äußert sich im Verb porqe,w, der zerstörenden und tötenden Aktivität. Die Verfolgung selbst ist wohl kaum als „ scharfes polemisches Diskutieren “ zu verharmlosen, sondern als möglicherweise groß angelegte Hetzjagd, auch unter „ brutaler Gewaltanwen- 57 „ More conservative Jewish circles criticized the Pharisees for being too ,relaxed ‘ in biblical interpretation because they extended Torah into ordinary life outside the Temple and its priesthood “ ; HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 30. 58 POPKES, W., Art. zh/ loj ktl, in: EWNT II, 247 - 250; 248. 59 Vgl. POPKES, Art. zh/ loj ktl, aaO., 249 f. 60 „ [It is] referring to the harshest juridical punishment available in synagogue discipline - the ,forty lashes minus one ‘“ ; HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 32. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 215 dung “ . 61 Zu dieser Zeit besitzt Paulus wohl „ keine ganz untergeordnete Stellung mehr “ , sondern ist vielmehr ein „ Fortgeschrittener “ (Gal 1,14) mit gewisser Autorität 62 : Wenn er von seiner Verfolgertätigkeit berichtet, betont er immer seine eigene Initiative und die damit verbundene Schuld (vg. 1Kor 15,9). 63 In welchem Verhältnis steht diese leidenschaftliche Verfolgung zum Judesein des Paulus und worin liegt sie begründet? Es sieht so aus, als ob sein Verständnis von der Rolle als Pharisäer Paulus in Konflikt mit der christlichen Sekte gebracht hat. vEn tw/ | Vioudai? smw in Gal 1,13 f kann nicht die Glaubensgemeinschaft des Judentums etwa im Gegenüber zu den Christen meinen: Der Zusammenhang mit avnastrofh, und proko,ptw erweisen es eher als „ im Gegenüber zum ,Hellenismus ‘ entstandenen, seit den Makkabäerkämpfen gepflegten, kämpferischen Einsatz für die Tora, den Tempel und die religiösen Bräuche “ . 64 Paulus meint also den „ kämpferischen Einsatz für das Jüdische “ , das er als die Tora näherbestimmt - in Phil 3,5 f durch den Zusammenhang mit der Beschneidung und in Gal 1,14 durch den Kontext der Befolgung bestimmter Gebote (Gal 4,9 f) bzw. der jüdischen Lebensweise (ivoudai<zw, Gal 2,14). 65 Sein „ untadeliges “ Tora-Verständnis (evn no,mw| geno,menoj a; memptoj, Phil 3,6) scheint der Anlass seiner Christenverfolgung zu sein, die er wohl damals als Gesetzesgehorsam empfand. 66 Eine Verfolgung aufgrund seiner leidenschaftlichen Gesetzesbefolgung scheint aber nur dann sinnvoll, wenn er diese Befolgung von jedem Juden - zumindest zu einem gewissen Grad - einforderte und wenn er die Angehörigen der christlichen Ekklesia immernoch als Juden wahrnahm: „ Jesusgläubige aus den Völkern, sofern es sie überhaupt schon gab, wären für den Pharisäer Paulus ,Heiden ‘ gewesen, an deren Verfolgung er ein Interesse wie das in Gal 1,13 f beschriebene gar nicht gehabt hätte. “ 67 Und diese Judenchristen müssen in den Augen des Paulus ein unzulässiges Tora-Verständnis an den Tag gelegt haben, das so problematisch war, dass er dadurch „ die höchsten Heilsgründe in Israel bedroht sah “ . 68 Dabei kann es sich eigentlich nur um einen laxeren Umgang, vielleicht sogar eine Ablehnung der Beschneidung in Zusammenhang mit dem Umgang mit helle- 61 HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 275. 62 HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 269. 63 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 268. 64 FREY, Das Judentum des Paulus, aaO., 30. 65 FREY, Das Judentum des Paulus, aaO., 31. 66 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 268; LINDEMANN, Paulus - Pharisäer und Apostel, aaO., 325. 67 LINDEMANN, Paulus - Pharisäer und Apostel, aaO., 326. 68 HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 285; vgl. LINDEMANN, Paulus - Pharisäer und Apostel, aaO., 326 f. 216 5 Der Kommunikator des Evangeliums nistischen Christen gehandelt haben (vgl. Apg 6,1). 69 Die Anwesenheit von unbeschnittenen Nichtjuden in der Synagoge ist in der Diaspora eigentlich ein gängiges Phänomen: „ [T]he attendees were not only local Jews but also Gentile neighbors sympathetic to Judaism [. . .] having allegiance to Judaism in varying degrees “ . 70 Für diese „ Gottesfürchtigen “ war die Beschneidung jedoch aus verschiedenen Gründe eine sehr hohe Hürde, sodass es zumeist nicht zu einer endgültigen „ Konversion “ als Proselyt kam. 71 Ist für den Pharisäer Paulus diese zunehmende Vermischung von Juden und Nichtjuden und die damit verbundene mangelnde Abgrenzung problematisch? Fürchtet er, dass dadurch Probleme für die in der Diaspora lebenden Juden entstehen oder sogar in anti-jüdischer Gewalt ausarten könnten? 72 Oder widerspricht die mangelnde Abgrenzung einem pharisäischen Ziel, ganz Israel zu heiligen? 73 Dann wären die von Paulus verfolgten Judenchristen nur eine Gruppe unter vielen, die er durch Verhängung von Synagogenstrafen zu einer Abkehr von dieser Offenheit oder zum Verlassen der Synagoge bewegen will. 74 Vielleicht waren die Christen auch besonders angreifbar, weil sie als organisiertete Gruppe besser wahrnehmbar waren als andere. 75 An welchen Orten Paulus versucht hat, das - aus seiner Sicht - torakritische Judentum einzudämmen, ist aus seinen Zeugnissen kaum zu schließen. „ Gal 1,23 läßt immerhin erkennen, daß die Verfolgertätigkeit zumindest auch in Judäa bekannt war “ . 76 Die Verfolgertätigkeit des Paulus „ war sicherlich kein für (alle) Pharisäer , typisches ‘ Verhalten; viele pharisäisch denkende Juden werden die jesusgläubigen Juden ignoriert oder als ,ungefährlich ‘ eingestuft haben. “ 77 Die 69 Vgl. MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 151; HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO.: Inhaltlich bot schon allein die Vorstellung eines „ gekreuzigten Messias “ genug Anstoß für einen pharisäischen Schriftgelehrten (1Kor 1,23) (288). Aber auch die von Jesus überlieferte Gesetzes- und Tempelkritik konnte Paulus nicht einfach so hinnehmen (288); HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 32. 70 HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 32 f. 71 Vgl. HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 33. 72 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 285: „ Eine Synagogengemeinde bildete eine festgefügte soziale Gruppe, die um ihres Bestandes willen auf den Zusammenhalt und die Unterstützungswilligkeit ihrer Glieder angewiesen war. Wenn in einer solchen - relativ - geschlossenen Gruppe ,enthusiastische Sektierer ‘ einbrachen und die alten gesunden Ordnungen zu ändern suchten, so mußte das böses Blut geben “ . HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 33: „ He likely was cracking down on his fellow Jews who invited uncircumcised Gentiles [. . .] which threatened to fuel prejudicial fear among pagans that the Jews were secretly trying to recruit to increase their numbers “ (34). 73 Vgl. MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 151. 74 Vgl. LINDEMANN, Paulus - Pharisäer und Apostel, aaO., 327. 75 Vgl. LINDEMANN, Paulus - Pharisäer und Apostel, aaO., 327. 76 LINDEMANN, Paulus - Pharisäer und Apostel, aaO., 326. 77 LINDEMANN, Paulus - Pharisäer und Apostel, aaO., 336 f. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 217 Gruppe, der Paulus zugehört, zählt eigentlich nicht zu „ einem Randbereich des Judentums, sondern repräsentierte [. . .] eine seiner zentralen Ausprägungen. “ 78 Dennoch scheint Paulus innerhalb dieser Gruppe ein „ jüdischer Fundamentalist “ zu sein, sowohl was die Verfolgung Andersdenkender als auch was die Radikalität seiner Gesetzesbefolgung angeht und dessen war sich Paulus - zumindest im Rückblick auch bewusst (vgl. Gal 1,14). 79 G.Theißen, der die spätere Lebenswende psychologisch interpretiert, hat in dieser Hinsicht von einer „ Überidentifikation “ mit dem Gesetz gesprochen. 80 Ein „ Unbehagen gegenüber dem Gesetz und dessen strengen Forderungen “ , ein schwerer unbewusster Konflikt oder gar Zweifel am Gesetz, die seine spätere Wende im Leben vorbereitet haben könnten, sind in seinen Selbstzeugnissen allerdings nicht zu finden. 81 Im Gegenteil: Paulus malt in der Rückschau das Bild eines völlig gefestigten Selbstvertrauens. 82 78 NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel, aaO., 181; vgl. FREY, Das Judentum des Paulus, aaO., 44: „ Als Pharisäer stand Paulus nicht am Rand des Judentums seiner Zeit, sondern in einer Bewegung, die jüdisches Leben und jüdische Identität zu fördern und darin der göttlichen Erwählung zu entsprechen versuchte “ . Siehe aber auch DEINES, The Pharisees between „ Judaism “ and „ Common Judaism “ , aaO., 444: „ Anyone who understands Judaism in the period of the rise of Christianity as a conglomeration of many conflicting ,Judaisms ‘ , can hardly attribute a dominating role to the Pharisees “ . 79 THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 295. Dem zustimmend: WISCH- MEYER, O., Die Religion des Paulus. Eine Problemanzeige, in: DIES., Von Ben Sira zu Paulus. Gesammelte Aufsätze zu Texten, Theologie und Hermeneutik des Frühjudentums und des Neuen Testaments, Tübingen 2004, 311 - 328; 319. 80 Vgl. THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 295. Von einem „ zh/ loj-Ideal “ zu sprechen wie Theißen es hier tut, scheint jedoch etwas übertrieben. Siehe auch MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 152. 81 HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 283; vgl. THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 296: „ Die Verfolgung einer normabweichenden Minorität durch den gesetzesstolzen Paulus ist damit verbunden, dass Paulus einen unbewussten Konflikt mit sich selbst auf die Christen projizierte: Er sieht bei den Christen eine Freiheit gegenüber dem Gesetz und eine Offenheit gegenüber den Heiden, die er bei sich selbst unterdrückt. Er bekämpft in ihnen ein Stück seiner selbst, und der Kampf gegen die Christen hilft ihm zugleich, diesen ,Schatten ‘ in sich selbst zurückzudrängen “ ; vgl. dazu auch G., Lüdemann, der von einem unbewussten „ Christuskomplex “ beim vorchristlichen Paulus ausgeht; LÜDEMANN, G., Die Auferstehung Jesu. Historie - Erfahrung - Theologie, Göttingen 1994, 111. 82 Vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 283; HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 26: „ Paul had little guilt or remorse over his past. He never called himself a ,sinner ‘ [. . .] Paul never rejected his identity as a ,Hebrew ‘“ . 218 5 Der Kommunikator des Evangeliums d) Zusammenfassung: Das Judentum des Paulus Dass seine biographische „ Vorgeschichte “ bleibenden Einfluss auf den Kommunikator Paulus ausübt, zeigt sich schon an den wiederholten Referenzen in seinen Briefen. Sein Leben als jüdischer Pharisäer und Christenverfolger lässt Paulus in seinem Denken und Handeln auch nach Damaskus nicht los. Als Kristallisationspunkt ergibt sich dabei immer wieder die Auseinandersetzung über den Toragehorsam, das Gesetz, das in seinen Gemeinden als Frage bzw. Problem auftaucht. In der nicht unwichtigen Stellung des Gesetzes spiegelt sich einiges von seiner Vergangenheit als Pharisäer wider und auch die Unnachgiebigkeit, mit der Paulus an seiner Positon festhält, erinnert in der Sache an den leidenschaftlichen zhlwth.j. Wie Paulus als Pharisäer die Christen verfolgt hat, so „ fanatisch “ verkündigt er nun das Evangelium: „ Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang (avna,gkh) liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde! “ (1Kor 9,16). Vielleicht fühlt er sich durch diese Vergangenheit auch verpflichtet „ mehr zu arbeiten als sie alle “ , wie wir in 1Kor 15,10 lesen können, weil er eine Art Wiedergutmachung anstrebt. In jedem Fall ist er sich der darin begründeten Unverdientheit, der ca,rij, die ihm von Gott gewährt wurde, bewusst. Seine Bildung als Schriftgelehrter bzw. Pharisäer spiegelt sich im souveränen Gebrauch der Septuaginta und seiner scharfsinnigen, theologisch bewanderten und rhetorisch brillanten Argumentationsweise wieder. Wie sehr sich Paulus auch nach Damaskus mit seinem Volk verbunden fühlt, zeigen immer wieder die intensiven Auseinandersetzungen mit dessen Ablehnung des Christusglaubens (z. B. 1Thess 2,14ff; Röm 9 - 11), aber auch Solidarisierungen wie 1Kor 9,20: „ Und ich bin den Juden wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne; denen, die unter Gesetz sind, wie einer unter Gesetz - obwohl ich selbst nicht unter Gesetz bin - , damit ich die, welche unter Gesetz sind, gewinne “ . So bleibt für Paulus „ seine jüdische Existenz der Grund auf den auch das Denken des Apostels bleibend bezogen ist. “ 83 Mit dem Wissen um die Vergangenheit des Paulus können wir die von Paulus formulierten Aussagen und das Programm des Evangeliums, sowie seine Prämissen über Welt und Mensch in neuem Licht sehen: Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass Paulus der Größe des „ Gesetzes “ und dem alttestamentlichen Zeugnis der Schrift so großen Raum gibt, wie er es tut. Meines Erachtens zeigt sich hier, wie fundamental Paulus das Evangelium vom „ jüdischen “ Standpunkt aus zu verstehen und zu artikulieren versucht: Im paulinischen Evangelium begegnet eine zutiefst „ jüdisch “ -verwurzelte Darstellung des Heilsgeschehens, 83 FREY, Das Judentum des Paulus, aaO., 25. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 219 vielleicht sogar die „ jüdischste “ des gesamten neutestamentlichen Kanons überhaupt. 84 5.1.2 Das Damaskuserlebnis Über seine Lebenswende bei Damaskus gibt Paulus an vier Stellen seiner Briefe dezidiert Auskunft. 85 Mit 1Kor 15,8-10 werden wir uns in einem bekannten und damit überschaubaren Zusammenhang einen ersten Überblick verschaffen (a). Im Mittelpunkt wird jedoch Gal 1,1.11 - 16 stehen, wo Paulus am ausführlichsten auf das Geschehen zu sprechen kommt (b+c). In die Auswertung dieses Abschnittes (c) werden wir die eher theologischen Ausführungen aus Phil 3,7ff miteinfließen lassen. Den Beschreibungen in Gal 1 wird schließlich der kurze Vers 1Kor 9,1 gegenübergestellt (d). Beide Texte thematisieren einen Begründungszusammenhang zwischen Damaskus und dem paulinischen Apostolat und sollen dahingehend auch analysiert werden: „ Seine Bekehrung interessiert nicht als einmalig biographisches Ereignis, sondern im Blick auf das neue Selbstverständnis, das mit ihr begonnen hat und jetzt noch andauert “ . 86 84 Vgl. zum gesamten Absatz BAUMBACH, Art. Farisai/ oj, aaO., 997: „ [A]uch als christl. Apostel bleibt er in seiner Stellung zu seinem Volk (vgl. Röm 9,1ff; 11,25 f) und zu den Römern (vgl. 13,1 ff), in seiner Anerkennung der Schrift als Quelle der Gottesoffenbarung, in seinem Bemühen um ihre rechte Auslegung und in seiner Bejahung des bleibenden Verpflichtungscharakters der Tora als des Gotteswillens (vgl. 7,12ff; 9,6ff; 13,8 ff) sowie in seiner Reserviertheit gegenüber ekstatischen Phänomenen (vgl. 1Kor 14,1 ff.19) von seiner pharisäischen Vergangenheit bestimmt “ . 85 Dass das Erlebnis auch nach dem paulinischen Zeugnis nahe Damaskus stattfindet, geht indirekt aus 2Kor 11,32 und Gal 1,17 hervor; vgl. LINDEMANN, Paulus - Pharisäer und Apostel, aaO., 337. Ob auch 2Kor 4,6 eine paulinische Anspielung auf sein Damaskuserleben darstellt, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Meines Erachtens beschreibt Paulus hier eher allgemein ein für alle Glaubende typisches Phänomen. Darum soll 2Kor 4,6 in Bezug auf das Damaskusereignis unberücksichtigt bleiben. Zum Damaskuserlebnis vgl. HEININGER, B., Paulus als Visionär, HBS 9, Freiburg 1996; DIETZFELBINGER, C., Die Berufung des Paulus als Ursprung seiner Theologie, WMAN T 58, Neukirchen-Vluyn 1985; BROER, I., Die Erscheinung des Auferstandenen vor Paulus bei Damaskus, in: BACH- MANN, M., KOLLMANN, B. (Hgg.), Umstrittener Galaterbrief. Studien zur Situierung der Theologie des Paulius-Schreibens, BthST 106, Neukirchen-Vluyn 2010, 57 - 93. Siehe auch die Aufsatzsammlung von LONGENECKER, R. N. (Hg.), The Road from Damascus. The Impact of Paul ’ s Conversion on his Life, Thought and Ministry, Michigan/ Cambridge 1997 und insbesondere den darin enthaltenen Beitrag zur Rezeptions- und Deutungsgeschichte: CORLEY, B., Interpreting Paul ’ s Conversion - Then and Now, 1 - 17. 86 MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 152. 220 5 Der Kommunikator des Evangeliums a) Biographische Notizen in 1Kor 15,8-10 Im Rahmen meiner Ausführungen zu Aussage und Programm des Evangeliums haben wir uns bereits mit dem Kontext von 1Kor 15 vertraut machen können. 87 Mit VV. 8 - 11 schließt Paulus die Grundlegung seiner Argumentation für die Totenauferstehung durch das Evangelium (VV.3 - 5) und dessen Beglaubigung durch eine lange Zeugenliste (VV.5 - 8) ab. V.8 besitzt eine Scharnierstellung innerhalb des Abschnittes (VV. 1 - 11): Einerseits wechselt Paulus thematisch von der mit dem „ Überlieferten “ (paradi,dwmi, V.3) verbundenen Zeugenliste hin zu seiner eigenen Person und Biographie. Andererseits bildet das e; scatoj (V.8) formal den Abschluss der Zeugenliste und leitet mit kavmoi zum evgw. ga,r eivmi von V.9 über. Dort beginnt Paulus den biographischen Abschnitt mit der Begründung der Selbstbezeichnung e; ktrwma aus V.8. 1Kor 15,8: e; scaton de. pa,ntwn w`sperei. tw/ | evktrw,mati w; fqh kavmoi,Å Zuletzt aber von allen, wie von einer Missgeburt, wurde er auch von mir gesehen. 9 VEgw. ga,r eivmi o` evla,cistoj tw/ n avposto,lwn o]j ouvk eivmi. i`kano.j kalei/ sqai avpo,stoloj( dio, ti evdi,wxa th.n evkklhsi,an tou/ qeou/ \ Denn ich bin der Geringste der Apostel, der ich nicht würdig bin, ein Apostel genannt zu werden, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. 10 ca,riti de. qeou/ eivmi o[ eivmi( kai. h` ca,rij auvtou/ h` eivj evme. ouv kenh. evgenh,qh( avlla. perisso,teron auvtw/ n pa,ntwn evkopi,asa( ouvk evgw. de. avlla. h` ca,rij tou/ qeou/ Îh`Ð su.n evmoi,Å Durch Gottes Gnade aber bin ich, was ich bin; und seine Gnade mir gegenüber ist nicht sinnlos gewesen, sondern ich habe mehr als sie alle gearbeitet; nicht aber ich, sondern die Gnade Gottes (, die) mit mir (ist). Was ist die Funktion dieser biographischen Notiz innerhalb des Abschnittes? Es ist bemerkenswert, dass sich Paulus in die Liste der Erscheinungszeugen am Ende eingliedert (V.8), verbindet sich doch damit ein sehr hoher Anspruch: Damit ist er den aufgezählten Zeugen - allesamt Träger hohen Ansehens - formal und auch autoritativ gleichgestellt (vgl. V.11). 88 Umso irritierender ist die nun folgende massive Selbsterniedrigung: Schon e; scatoj (V.8) bringt eine 87 Siehe Kap. 4.1.1 a. 88 Vgl. MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 257: „ Obwohl er also einerseits - wie die Adressaten und Adressatinnen - Empfänger des Evangeliums ist (VV. 1 - 3 a), ist er andererseits zugleich - wie die übrigen Erscheinungszeugen - auch dessen Garant. “ ; KLAUCK, NEB.NT 7, aaO., 110. Dass Paulus die gesamte Liste wirklich nur im Blick auf sich selbst an deren Ende einfügt, wie Lindemann andeutet, scheint doch etwas zu gewagt, angesichts der Tatsache, dass die Autorität des Apostels hier im Grunde nicht offen zur Debatte steht; vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 334. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 221 gewisse Unterordnung zum Ausdruck. 89 Die Selbstcharakterisierungen als Missgeburt (evktrw,ma, V.8), Geringster der Apostel (evla,cistoj, V.9) oder gar „ unwürdig ein Apostel genannt zu werden “ (i`kano.j kalei/ sqai avpo,stoloj, V.9) sind jedoch nicht einfach bloße Steigerungen, sondern wirken überzogen und befremdlich. Zeigt Paulus hier eine offene Selbsteinsschätzung, die sich aus dem Schuldbewusstsein der in V.9 beschriebenen Verfolgungstaten gegenüber Mitbrüdern und -schwestern speist? Oder will er sein Gegenüber vielmehr rhetorisch für sich einnehmen durch diese hyperbolische Ausdrucksweise und eigentlich das Gegenteil des Gesagten zum Ausdruck bringen (vgl. den Hinweis in V.10, er habe „ viel mehr gearbeitet, als sie alle “ )? 90 Unzweifelhaft stehen die Aussagen mit dem paulinischen Apostolat in Zusammenhang (vgl. die zweifache Nennung in V.9). Den eigentlichen Rahmen bildet aber doch eher die „ Wahrheit und Wirklichkeit des Zeugnisses von der Auferweckung Jesu “ , desser Erfahrung das paulinische Apostolat erst begründet hat. 91 Dann aber geht es hier um die Autorität in der Sache und nicht um „ Apologetik “ gegenüber der Bestreitung des Apostolats. 92 Die Selbsterniedrigungen sind gewissermaßen beides: Offene Selbsteinschätzung bezogen auf das biographische Erleben der Auferstehungswirklichkeit und rhetorisch stilisierte „ Bescheidenheitsbekundung “ , mit der Paulus für eine größere Akzeptanz seiner Argumentation werben will. 93 89 Die Mehrzahl der Exegeten deuten den Begriff dahingehend, dass Paulus die Erscheinungen mit sich als abgeschlossen betrachtet und er weitere nicht für möglich hält; vgl. MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 258; WOLFF, ThHK 7, aaO., 373. Doch ist das unmöglich aus dem Zusammenhang sicher zu schließen; vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 334. Vom Kontext her könnte Paulus auch auf die „ eschatologische Qualität seines Apostolats “ abheben (SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 61), mit welchem er zur Vollendung bzw. Vervollständigung des Evangeliums beiträgt (vgl. THISELTON, The First Epistle, aaO., 1210). 90 Zur rhetorischen Figur der Hyperbel vgl. LAUSBERG, H., Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Stuttgart 1990 3 , § 909 f hyperbole, 454 f. 91 SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 66. 92 Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 353: „ Auf seine unrühmliche Vergangenheit kommt Paulus auch sonst nur in apologetischem Zusammenhang zu sprechen (Gal. 1,13ff; Phil. 3,2 ff) “ . Mit dem Hinweis auf die Verfolgertätigkeit wolle Paulus die „ besondere Größe seines durch und durch gottgewirkten Apostolats zur Geltung bringen “ . 93 Vgl. MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 258; SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 68; Schrage nennt den Verweis auf das Apostolat das „ argumentum ab effectis “ , weil sich in ihm „ die österliche du,namij und ca,rij des auferweckten Christus auch nach seinen Erscheinungen in konkret erfahrbarer Gestalt bekunde[t] “ (67). „ Jedenfalls bezeugt die paulinische Missionstätigkeit ebenfalls dieWirklichkeit und Wirksamkeit der ihm bei der Erscheinung Christi widerfahrenen Gnade und damit zugleich die der Auferweckung Jesu Christi “ (70). 222 5 Der Kommunikator des Evangeliums Will man das hier zum Ausdruck gebrachte Rollenverständnis und seine biographische Deutung ergründen, so muss der Blick zuallererst dem Begriff e; ktrw/ ma gelten (V.8). Es kann als Schlüsselbegriff des paulinischen Selbstverständnisses an dieser Stelle gelten. Aus seiner Deutung ergibt sich die Wertung der anderen Begriffe (e; scatoj, evla,cistoj, i`kano.j kalei/ sqai avpo,stoloj). Doch ist das Lexem nicht ganz leicht zu übersetzen: zeitlich kann es die Frühgeburt bezeichnen; in sachlicher Hinsicht kann es entweder für die „ Fehlgeburt “ im Sinne der Totgeburt stehen oder als Schimpfwort - hier bezogen auf die Unzulänglichkeit - „ Missgeburt “ bedeuten. 94 In 1Kor 15 veranschaulicht e; ktrw/ ma das Verhältnis von Zeugenschaft des Paulus (V.8) zu dessen biographischer Vorgeschichte als Verfolger der evkklhsi,a tou/ qeou/ (V.9). ; Escatoj legt zunächst eine zeitliche Anspielung nahe, jedoch ist Paulus eben gerade nicht der „ zu früh “ Geborene. Er passt vielmehr sachlich gar nicht in die Reihe der Zeugen, von denen er sich durch seine Verfolgertätigkeit deutlich unterscheidet. Dieses „ Defizit “ oder „ Manko “ haftet seiner Zeugenschaft an. 95 Insofern gehört er nicht zu den „ normal Geborenen “ , d. h. zu denjenigen, „ denen aufgrund ihrer Gefolgschaft Jesu gleichsam natürlicherweise eine Erscheinung zukam “ . 96 Rückblickend könnte Paulus hier - wie in Gal 1,15 - an seine eigene Auserwählung zum Apostel „ von Mutterleib an “ denken, die er gleich einer Missgeburt durch seine Verfolgertätigkeit verfehlte bzw. pervertierte. 97 Zu dieser Erkenntnis könnte Paulus aufgrund der Erscheinung gelangt sein, denn sie ist für ihn „ erkennendes Sehen, das durch Gottes offenbarendes Wirken zustande kam “ (vgl. 1 Kor 9,1; 2 Kor 4,6; Gal 1,15 f) 98 : „ Im existenziellen Getroffen-Sein durch das Christus-Ereignis gelangt Paulus zur einzig möglichen Ausdrucksform [. . .] Damit findet er am Ende zu einer neuen Sprache, zu einem neuen Reden von sich selbst, zu einem neuen Reden vom e; ktrw/ ma im Mutterleib “ . 99 Schließlich könnte man mit Lindemann e; ktrw/ ma als Bild für die Wende im Leben des Paulus interpretieren: Es signalisiert „ das völlig Neue “ , 94 Vgl. VON DER OSTEN-SACKEN, P., Art. e; ktrwma, EWNT I, 1030 f; BAUER/ ALAND, Griechisch-deutsches Wörterbuch, aaO., Art. e; ktrwma, 497. Siehe auch den bisher unveröffentlichten Aufsatz von IRRGANG, N., „ [. . .] mir, der Missgeburt. “ (1Kor 15,8). Repräsentationen menschlichen Lebens in den Biowissenschaften und im Neuen Testament, 2011, 9 Seiten. 95 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 65. 96 MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 290. 97 Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 374. 98 WOLFF, ThHK 7, aaO., 373. 99 IRRGANG, Repräsentationen, aaO., 7. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 223 „ die Vermittlung des Lebens an eine totes Wesen “ , also an eine Totgeburt, durch die Erscheinung. 100 Diw,kw ist bei Paulus der gängige Begriff zur Bezeichnung seiner Verfolgertätigkeit (vgl. Gal 1,13.23; Phil 3,6). 101 Wenn Paulus das Objekt der Verfolgung mit der „ Gemeinde Gottes “ (evkklhsi,a tou/ qeou/ ) angibt, kann das darauf hindeuten, dass er „ sein damaliges diw,kein als ein gegen Gott gerichtetes Handeln “ begreift. 102 Dem Fehlverhalten wird einerseits eine besondere Schwere verliehen; andererseits korrespondiert ihm die ca,rij Gottes, die Paulus zu dem macht, was er jetzt ist. Ca,rij (V.10) umschreibt den Wendepunkt im Rollenverständnis des Paulus. 103 Sie hat in Paulus nicht vergeblich gewirkt, sondern ihn im Gegenteil zu größerer Leistung als die übrigen Verkündiger angespornt. 104 Damit dramatisiert Paulus den Gegensatz zum Vorherigen noch weiter. Er ist sich seiner Vergangenheit bewusst, die er im Licht des Evangeliums konträr bewertet: Heute ist er als (geringster) Apostel Prediger und damit Ausbreiter des Evangeliums (V.11), das er damals als Verfolger zu vernichten versuchte (V.9). Diese Gegensätzlichkeit verleiht der Rolle des Paulus etwas dynamisches: Je intensiver der Kontrast von seinen Rezipienten empfunden wird, desto stärker wirken seine Autorität und Legitimität als Verkündiger, die aufgrund der unglaublichen Wandlung nur unmittelbar auf die ca,rij Gottes zurückzuführen sein kann. Doch steht das in 1Kor 15 nicht im Vordergrund. Vielmehr zählt für Paulus (hier) die erfolgreiche Verkündigung (V.11), die Durchsetzung der Wahrheit des Evangeliums in Form des Auferstehungsglaubens (VV.12 ff). Mit der Feststellung des Erscheinungserlebnisses (V.8) und dessen Rückbezug auf die Gnade Gottes (ca,riti de. qeou/ eivmi o[ eivmi, V.10) stellt Paulus implizit einen Zusammenhang zwischen Erscheinung und Apostolat, mit einer ihm widerfahrenen Berufung und Beauftragung zum Aposteldienst, her. Er deutet seine 100 LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 334; 336; vgl. hier die Überlegungen zu evgei,rw und za,w im Gegenüber zu avpoqnh,|skw. Daran anknüpfend ist auch an eine Identifizierung von Paulus mit Christus bzw. dem Kreuzesgeschehen zu denken: „ Auch Paulus scheint beim verstörenden Anblick des Gekreuzigten innezuhalten. ,w`sperei. tw/ | evktrw,mati ‘ - einem , Unmenschen ‘ gleich, der ,Missgeburt ‘ Paulus gleich, hängt der entstellte Jesus am Kreuz “ ; IRRGANG, Repräsentationen, aaO., 6. 101 Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 374. 102 LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 335. 103 Anders LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 335, der den Akzent nicht auf einem einmaligen Gnadenakt, sondern auf „ Gottes Begleitung auf dem Weg des Apostels “ sieht; ähnlich THISELTON, The First Epistle, aaO., 1208 f. 104 Kopia,w gebraucht Paulus in der Regel für seine Arbeit in der Gemeinde, „ wobei Missionsarbeit und (dafür erbrachte) Handarbeit und Mühsal [. . .] zusammenfließen “ ; MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 291. Der Begriff steht in Spannung zur von Paulus passiv erfahrenen, göttlichen Gnade, die sich eben durch kopia,w aktiv im Leben des Paulus manifestiert. 224 5 Der Kommunikator des Evangeliums gegenwärtige Rolle biographisch von diesem Erlebnis her. Wie versteht Paulus sein Apostolat in Bezug auf das Evangelium und welche Rolle spielt dabei sein Erscheinungsbzw. Berufungserlebnis? Dazu müssen wir uns zunächst die Geschehnisse der aus der Apostelgeschichte als „ Damaskuserlebnis “ bekannten Begebenheit vergegenwärtigen. Was Paulus an der Schnittstelle seines Lebens widerfahren ist, beschreibt er mit eigenen Worten im Galaterbrief (Gal 1). Dort lässt sich sein Rollenverständnis als Apostel - auch im Blick auf seine biographische Vorgeschichte - differenzierter einschätzen. 105 b) Die Argumentation von Gal 1 - 2 Treffend fasst F.Vouga den Inhalt und die Bedeutung der beiden Kapitel zusammen: „ Die zentrale Aussage von Gal 1,1-2,21, nach welcher das von Paulus gepredigte Evangelium weder menschlicher Art noch menschlicher Herkunft ist, sondern sowohl sein Apostelamt als auch sein Gottesverständnis und die Heidenmission aus einer Offenbarung Gottes, d. h. aus der Erscheinung des Auferstandenen und aus ihrer Interpretation folgen (Gal 1,10-12), wird in Gal 1,13-2,21 autobiographisch begründet. “ 106 In 1,6 rügt Paulus seine Gemeinde wegen ihrer Abwendung von seinem Evangelium, bei der es konkret um eine Hinwendung zum jüdischen Gesetz zu gehen scheint und damit um eine Wegwendung vom Glauben als alleiniger Rettungsvoraussetzung (vgl. 2,15ff; 3,1 ff ). 107 Nachdem Paulus in 1,6-10 das Umschwenken der Galater aufs schärftste kritisiert und jedes andere „ Evangelium “ (e[teron euvagge,lion) neben seinem eigenen strikt ablehnt, begründet er ab V.11 diesen alleinigen Wahrheitsanspruch durch Herausstellen der göttlichen Herkunft seines Evangeliums (ouvk e; stin kata. a; nqrwpon, V.11). 108 Er tut dies auf autobiographischem Weg, indem er das Evangelium und sich selbst als Ver- 105 Vgl. die Einschätzung J. D. G.Dunns von Gal 1,13-16 als „ key testimony of Paul himself “ ; DUNN, J. D. G., Paul ’ s Conversion - a Light to Twentieth Century Disputes, in: ADNA, J./ HAFEMANN, S. J./ HOFIUS, O. (Hgg.), Evangelium, Schriftauselegung, Kirche, FS Stuhlmacher, Göttingen 1997, 77 - 93; 85. 106 VOUGA, F., An die Galater, HNT 10, Tübingen 1998, 38. 107 Am wahrscheinlichsten handelt es sich bei dem Streit um die Forderung nach Beschneidung nicht-jüdischer Christen (4,21ff; 5,2ff; 6,15) und damit verbunden um die Beachtung bestimmter Vorschriften seitens der Galater (vgl. die Hinwendung zu ta. avsqenh/ kai. ptwca. stoicei/ a und die Beobachtung von bestimmten h`me,raj kai. mh/ naj kai. kairou.j kai. evniautou,j (Gal 4,9 f ). 108 Ein Bezug auf die göttliche Autorenschaft des Evangeliums findet sich in 1Kor 15,8-10 und andernorts höchstens im Verweis auf die ca,rij Gottes, der Paulus seine Berufung und seine Verkündigung unterstellt. Der Verweis auf die göttliche Natur bzw. Herkunft des Gesagten steht in einer langen Tradition: Bereits Platon lässt Sokrates dieses Argument in seiner Apologie anwenden und auch die alttestamentlichen Propheten berufen sich gelegentlich darauf; vgl. BETZ, Der Galaterbrief, aaO., 119. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 225 kündiger eng miteinander verbindet: Empfang von Botschaft und Beauftragung zum Apostel werden als gleichzeitiges Geschehen angesehen (VV.15 f). Durch den Verweis auf sein Berufungserlebnis bringt sich Paulus in eine deutlich bessere Position gegenüber den Galatern, die ihr „ anderes Evangelium “ nur durch Menschen, erhalten haben. 109 Außerdem authorisiert er seine Position, „ sein “ Evangelium, in der Gesetzesfrage als „ göttlich “ . 110 Die folgende Erwähnung seiner offensichtlich bekannten Vergangenheit hat einen dreifachen Gewinn für seine Argumentation: Einerseits stellt Paulus heraus, dass er sehr genau und besser (perissote,rwj, V.14) als viele andere weiß, worum es bei der Befolgung eines jüdischen Lebens gemäß der Tora geht. Andererseits führt er den Galatern mit der Erwähnung seiner Verfolgertätigkeit (V.13) auch eine von deren fatalen Konsequenzen vor Augen. V.15 schließlich stellt klar, dass erst das Damaskuserlebnis sein Gottesverständnis „ neu bestimmt und orientiert “ hat, und zwar durch die Gnade Gottes. 111 Allein in Gott wurzeln sein Sinneswandel und das von ihm verkündigte Evangelium. Das zweite Argument für die göttliche Herkunft seines Evangeliums ist der Nachweis der Unabhängigkeit nach seiner Berufung zum Apostel. Paulus legt Wert darauf, dass er keine Rücksprache mit sarki. kai. ai]mati gehalten hat (V.16), womit im Wesentlichen die „ Beratung mit christlichen Gemeinden und Autoritäten “ gemeint sein dürfte. 112 Die Gemeinden in Judäa erkannten nach einer gewissen Zeit seiner Missionstätigkeit den paulinischen Glauben und seine Verkündigung an (vgl. V.23). Die Anerkennung seiner Mission unter den Völkern ist für ihn aber gleichbedeutend mit der Anerkennung seiner Berufung zum Völkerapostel und seines Evangeliums. 113 Der nachträgliche Besuch nach drei Jahren bei Petrus scheint nicht-offizieller Natur gewesen zu sein - niemanden sonst hat Paulus gesehen, außer Jakobus. Er hatte eher „ informellen Charakter “ . 114 Auch den zweiten Besuch nach vierzehn Jahren stellt Paulus so dar, als ob sein Anliegen „ weder die Legitimation des Evangeliums noch das Bedürfnis, sich über die christliche Jesusüberlieferung zu 109 Vgl. BETZ, Der Galaterbrief, aaO., 128. 110 R. N.Longenecker erkennt darin eine doppelte Stoßrichtung: „ defensiv response “ und „ aggressive explication “ ; vgl. LONGENECKER, R. N., Galatians, WBC 41, Dallas 1990, 4. 111 VOUGA, HNT 10, aaO., 30. 112 VOUGA, HNT 10, aaO., 34. 113 Vgl. BECKER J., Der Brief an die Galater, in: BECKER, J./ LUZ, U., Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser, NTD 8/ 1, Göttingen 1998, 31; VOUGA, HNT 10, aaO., 29; 38. 114 BECKER, NTD 8/ 1, aaO., 30; Vgl. BETZ, Der Galaterbrief, aaO., 150. 226 5 Der Kommunikator des Evangeliums informieren [. . .], sondern die gegenseitige Anerkennung “ der jeweiligen Missionstätigkeit gewesen sei (vgl. 2,7 ff ). 115 Nachdem nun der Argumentationsrahmen geklärt ist, soll im Folgenden die paulinische Schilderung selbst zu Wort kommen. c) Das Damaskuserlebnis als Erscheinung und Offenbarung Gal 1,1: Pau/ loj avpo,stoloj ouvk avpV avnqrw,pwn ouvde. diV avnqrw,pou avlla. dia. VIhsou/ Cristou/ kai. qeou/ patro.j tou/ evgei,rantoj auvto.n evk nekrw/ n))) Paulus, Apostel, nicht von Menschen, (und) auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat aus den Toten . . . 11 Gnwri,zw ga.r u`mi/ n( avdelfoi,( to. euvagge,lion to. euvaggelisqe.n u`pV evmou/ o[ti ouvk e; stin kata. a; nqrwpon\ Denn ich mache euch bekannt, Brüder, dass das von mir verkündigte Evangelium nicht nach Menschenart ist. 12 ouvde. ga.r evgw. para. avnqrw,pou pare,labon auvto. ou; te evdida,cqhn avlla. diV avpokalu,yewj VIhsou/ Cristou/ Å Ich habe es nämlich weder von einem Menschen empfangen noch erlernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi. 15 {Ote de. euvdo,khsen Îo` qeo.jÐ o` avfori,saj me evk koili,aj mhtro,j mou kai. kale,saj dia. th/ j ca,ritoj auvtou/ Als es aber dem [Gott], der mich aussonderte aus dem Bauch meiner Mutter und durch seine Gnade berufen hat, gefiel, 16 avpokalu,yai to.n ui`o.n auvtou/ evn evmoi,( i[na euvaggeli,zwmai auvto.n evn toi/ j e; qnesin( euvqe,wj ouv prosaneqe,mhn sarki. kai. ai[mati))) seinen Sohn in mir zu offenbaren, damit ich ihn unter den Völkern verkündigte, befragte ich nicht sofort Fleisch und Blut . . . Entscheidendes Stichwort des Geschehens ist avpoka,luyij. Der Begriff bzw. seine Derivate kommen bei Paulus in drei Zusammenhängen vor: 1) Eschatologischer Kontext: Offenbarung von Zorn oder Gericht Gottes (Röm 1,18; 2,51; 1Kor 3,13 in Kombination mit fanero,j); Enthüllung zukünftiger Herrlichkeit bzw. der Christen als „ Söhne Gottes “ in dieser Herrlichkeit (Röm 8,18 f); das Offenbarwerden Christi am „ Tag des Herrn “ (1Kor 1,7). 116 2) Ein Charisma neben Erkenntnis (gnw,sij), Prophetie (profhtei,a|), Lehre (didach, ) und Psalm (yalmo,j), Zungenrede (glw/ ssa), Auslegung (e`rmhnei,a) 115 VOUGA, HNT 10, aaO., 36; vgl. LONGENECKER, Galatians, aaO., 61: „ [T]he Jerusalem apostles recognized the theological validity of his ministry and message, and that he reaffirmed his practical concern for their needs and circumstances “ . 116 Vgl. OEPKE, A., Art. kalu,ptw/ avpokalu,ptw, in: ThWNT 3, 586. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 227 (1Kor 14,6; 14,26; 14,30): Sie kann zutage treten, wenn jemand aus der Gemeinde „ etwas anderes denkt “ als Paulus (Phil 3,15) und auch Paulus selbst handelt auf sie hin, wenn er aufgrund von (einer? ) Offenbarung nach Jerusalem zieht, um sein Evangelium den Aposteln vorzulegen (Gal 2,2). Diese „ alltäglichen “ Offenbarungen können bei Paulus eine Art Erkenntnisprozess beschreiben 117 : Gottes Gerechtigkeit wird geoffenbart „ aus Glauben “ (Röm 1,17), der Glaube selbst wird geoffenbart im Gegenüber zum Gesetz (Gal 3,23), die Weisheit Gottes (über den „ gekreuzigten Herrn der Herrlichkeit “ ) offenbart sich durch den Geist (1Kor 2,10). 118 T.Holtz hat darauf hingewiesen, dass Paulus Offenbarung als Charisma mit den anderen „ in verständlicher Weise vorgetragen[en] “ Gaben, Prophetie und Lehre, im Gegenüber zur unverständlichen Glossolalie zusammengeschlossen hat (1Kor 14,6). 119 Das könnte darauf hindeuten, dass die Offenbarung ihre Klarheit und Verständlichkeit auszeichnet. 3) Besondere Offenbarungen: Von besonderer Natur zu sein scheint die „ Offenbarung des Geheimnisses, das ewige Zeiten hindurch verschwiegen war “ (Röm 16,25 f ). Diese u`perbolh, tw/ n avpokalu,yewn (Außerordentlichkeit der Offenbarung) ist mit der Erscheinung des auferstandenen Christus verbunden (ovptasi,a, 2Kor 12,1.7) und zielt wohl auf die Preisgabe von dessen Identität. 120 Die Verwendung von avpoka,luyij in Gal 1,16 entspricht am ehesten den letztgenannten „ besonderen Offenbarungen “ . Denn im Mittelpunkt der paulinischen Darstellung steht ein Erkenntniswandel über die Identität Jesu Christi: Der, dessen Anhänger Paulus früher verfolgte, wird nun von ihm im Evangelium verkündigt (Gal 1,23). Dieser Zusammenhang lässt hier bei avpoka,luyij an eine Erscheinung des Auferstandenen denken (vgl. die Betonung von tou/ evgei,rantoj auvto.n evk nekrw/ n in V.1). 121 Die enge Verbindung von Person Jesu und Inhalt des 117 Vgl. OEPKE, Art. kalu,ptw/ avpokalu,ptw, aaO., 589. In 1Kor 14,30 wird der Empfang einer Prophetie selbst als avpokalu,ptesqai bezeichnet. Von daher sind nach Holtz Gal 2,2; Phil 3,15 und 1Kor 2,10 als das „ Offenbaren vertiefter Glaubenserkenntnis “ zu begreifen; HOLTZ, T., Art. avpokalu,ptw, in: EWNT I, 315. 118 Vgl. OEPKE, Art. kalu,ptw/ avpokalu,ptw, aaO., 586 f. 119 HOLTZ, Art. avpokalu,ptw, aaO., 315. 120 vOptasi,a kommt außer in 2Kor 12,1 neutestamentlich nur noch bei Lukas vor: Lk 1,22; 24,23 (im Zusammenhang mit zwei Angelophanien) und Apg 26,19 (in einer Rede des Paulus über sein Damaskus-Erlebnis). Auch in der Septuaginta ist ovptasi,a mit nur 10 Belegen selten, davon 6 mal bei Dan im Sinne von „ Vision “ , sonst in der einfachen Bedeutung „ Auftreten, Erscheinen “ . Der Begriff ist bei Paulus am ehesten dem Wortfeld von o`raw zuzuordnen und analog diesem einzuordnen. 121 Dass Paulus hier nicht wie in 1Kor 9,1 und 15,8 vom „ Sehen “ des Auferstandenen spricht, könnte damit zusammenhängen, dass er die Vorgänge nicht primär biographisch (wie 228 5 Der Kommunikator des Evangeliums Evangeliums, die uns bereits geläufig ist (Kap. 4), findet sich auch in Gal 1. Im Grunde spricht Paulus nämlich mindestens von zwei Offenbarungsgegenständen, die er kurzerhand in eins setzt: 1) In VV.15 f offenbart Gott seinen Sohn „ in “ Paulus (e; vn evmoi). 2) In VV.11 f empfängt Paulus das Evangelium durch eine Offenbarung Jesus Christi, wobei hier unklar bleibt, ob Christus Offenbarungsgegenstand (Gen. objectivus) oder Offenbarender (Gen. subjectivus) ist. Vielleicht ist beides intendiert. 122 Hinzu kommt ein Drittes, das Paulus zwar nicht mit der Begrifflichkeit von Offenbarung verbindet, aber dennoch als Resultat des Geschehens herausstellt: die Berufung zum Apostel dia. VIhsou/ Cristou/ kai. qeou/ (V.1). Der überzeugte Pharisäer Paulus wird also vor Damaskus von Gott mit der Tatsache konfrontiert, dass Christus, der kurio,j der von ihm verfolgten Christen, sein Sohn ist, den er auferweckt hat. 123 Über das Vorsichgehen dieser Offenbarung, das in 1Kor 9,1 und 15,8 als „ Sehen “ beschrieben wird, sagt Paulus hier nur, dass es evn evmoi, geschieht. Doch bevor man diese Wendung auf einen „ innerlichen “ Vorgang bezieht, sollte man die Berufung des Paulus nicht außer Acht lassen. Der Verfolger wird in seiner Tätigkeit nämlich nicht nur zum Stillstand gebracht, sondern auch in die Gegenrichtung „ beschleunigt “ . Paulus benennt die Zielrichtung des gesamten Damaskuserlebnisses (gekennzeichnet durch das finale Adverb i[na) mit dem Auftrag zur Völkermission: i[na euvaggeli,zwmai auvto.n evn toi/ j e; qnesin (V.16). Von diesem Auftrag her lässt etwa 1Kor 15,1-11) wiedergibt, sondern „ sachlich “ , um den göttlichen Ursprung des Evangeliums hervorzuheben; vgl. BECKER, NTD 8/ 1, aaO., 29; HOLTZ, Art. avpokalu,ptw, aaO., 314. Zum „ Sehen “ (w; fqh) als terminus technicus für die Theophanie in der Septuaginta und die dortige Verbindung mit der Beauftragung siehe Kap. 4.1.1 b. Auch Gal 2,2 und 2Kor 12,1ff werden häufig mit dem Damaskusereignis in Verbindung gebracht. Sie sind jedoch durch einen mystischen Sprachgebrauch gekennzeichnet, der das Erlebte als „ ekstatisch-visionärer Natur “ darstellt; vgl. V.4; OEPKE, Art. kalu,ptw/ avpokalu,ptw, aaO., 589. Zwar bezeichnet Paulus in 2Kor 12,1 das Beschriebene als Beispiel für ovptasi,aj kai. avpokalu,yeij kuri,ou - es kann sich also auch um eine Christuserscheinung gehandelt haben. Doch lassen die wahrgenommenen Umstände (para,deisoj und a; rrhta r`h,mata, V.4) eher an eine eschatologische Offenbarung denken. Es fällt schwer, die „ unaussprechlichen Worte “ mit dem bei Damaskus empfangenen Evangelium zu harmonisieren. Auch das Zeitfenster von vierzehn Jahren scheint zu kurz für eine Identifizierung der Ereignisse. Hinzu kommt, dass Paulus in letzter Konsequenz offen lässt, ob er hier von sich selbst spricht (V.2). 122 Vgl. LONGENECKER, Galatians, aaO., 24. 123 Vgl. OEPKE, Art. kalu,ptw/ avpokalu,ptw, aaO., 588: „ Gott macht ihm durch Offenbarung die Auferstehung des Gekreuzigten gewiß “ . Primär erscheint Gott als der maßgeblich Offenbarende; vgl. VOUGA, HNT 10, aaO., 28. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 229 sich wiederum das evn evmoi, neu verstehen: In Paulus offenbart sich der Sohn unter den Völkern (evn evmoi, evn toi/ j e; qnesin, V.16). Das evn ist also nicht lokal, in einem psychologischen Sinne, sondern am besten instrumental ( „ mit Hilfe von/ durch “ ) aufzufassen. Voraussetzung für diese Offenbarung „ mittels “ Paulus ist die Mitteilung des Evangeliums über die Person Jesus Christus an ihn. Selbstverständlich kann Paulus nicht die gesamte Heilsgeschichte und all ihre theologischen Implikationen bei Damaskus zur Kenntnis genommen haben. Das gibt er an anderer Stelle auch freimütig zu: das Evangelium wird ihm (von Menschen) überliefert (1Kor 15,3). Doch in Gal 1 verschweigt Paulus diese Tatsache, um seiner Argumentation nicht zu schaden. 124 Die Offenbarung von Christus als Gottesohn ist für ihn in der Rückschau identisch mit dem Ganzen des Evangeliums. Alles was er verkündigt, leitet sich von der Autorität dieses Erlebnisses ab. Und an der Autorität des erschienenen Auferstandenen will Paulus sein Evangelium gegenüber den Galatern Anteil haben lassen. In Phil 3,7 schließt Paulus an die Beschreibung seiner Vergangenheit eine eher abstrakte Wertung des Alten im Gegenüber zum Neuen (nach Damaskus) an: Phil 3,7: [VAlla.Ð a[tina h=n moi ke,rdh( tau/ ta h[ghmai dia. to.n Cristo.n zhmi,anÅ Aber was auch immer mir Gewinn war, dieses habe ich wegen Christus für Verlust gehalten. 8 avlla. menou/ nge kai. h`gou/ mai pa,nta zhmi,an ei=nai dia. to. u`pere,con th/ j gnw,sewj Cristou/ VIhsou/ tou/ kuri,ou mou( diV o]n ta. pa,nta evzhmiw,qhn( kai. h`gou/ mai sku,bala( i[na Cristo.n kerdh,sw Ja mehr noch, ich halte auch alles für Verlust wegen der überragenden Größe der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, wegen dem ich alles verloren habe und halte es für Dreck, damit ich Christus gewinne 9 kai. eu`reqw/ evn auvtw/ |( mh. e; cwn evmh.n dikaiosu,nhn th.n evk no,mou avlla. th.n dia. pi,stewj Cristou/ ( th.n evk qeou/ dikaiosu,nhn evpi. th/ | pi,stei( und gefunden werde in ihm, ohne dass ich meine Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz ist, sondern die (Gerechichtigkeit) durch den Glauben an Christus, die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens, 10 tou/ gnw/ nai auvto.n kai. th.n du,namin th/ j avnasta,sewj auvtou/ kai. Îth.nÐ koinwni,an Îtw/ nÐ paqhma,twn auvtou/ ( summorfizo,menoj tw/ | qana,tw| auvtou/ um ihn zu erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, gleichgestaltet seinem Tod. Hier spricht Paulus nicht von Offenbarung, sondern von Erkenntnis (gnw,sij, V.8). Im griechischen Sprachgebrauch meint gnw,sij immer das „ Erfassen der 124 Vgl. LONGENECKER, Galatians, aaO., 24: „ It is a mistake, however, to read such statements apart from their contexts, or to set them in rather wooden opposition to one another “ . 230 5 Der Kommunikator des Evangeliums vollen Wirklichkeit und des Gegenstandes [. . .] im Gegensatz zum bloßen Meinen “ . 125 Im paulinischen Sprachgebrauch spielen vier Aspekte eine Rolle: gnw,sij kann 1) die personale Beziehung zwischen Erkennendem und Erkanntem veranschaulichen (Röm 7,7: Christus - Sünde), 2) eine Anerkenntnis ausdrücken (1Kor 16,18: zwischenmenschlich, 2Kor 10,5: Gottes, 1Kor 14,37: des Heils), 3) ein eher theoretisch-theologisches Erkennen bezeichnen oder 4) den Akzent auf das Handeln Gottes im Erkennen legen (1Kor 8,3; 13,12; Gal 4,9; Röm 11,33). 126 Alle diese Aspekte lassen sich auf das Erkennen Christi durch Paulus anwenden: Die erneuerte Beziehung drückt sich im Wandel des Paulus vom Verfolger zum Apostel aus; die Anerkenntnis Christi vollzieht sich in der Annahme bzw. dem Empfang des Evangeliums und dem daraus folgenden Glauben; die daraus gezogene „ theologische “ Erkenntnis nennt Paulus in Phil 3,8: Die Gerechtigkeit aus dem Gesetz; sein ganzer Status und Wandel als Pharisäer sei „ Dreck “ gegenüber der Kraft der Auferstehung Christi und der Gemeinschaft mit ihm, auch wenn sie Leiden beinhaltet; das Handeln Gottes manifestiert sich in seiner Aussonderung und Offenbarung. Was Gal 1 unter dem Stichwort avpoka,luyij verhandelt, nennt Paulus in Phil 3 gnw,sij, einen Erkenntnisakt, der sich als Phänomen in allen Texten zum Damaskusereignis wiederfinden lässt - wenn auch mit unterschiedlichem Akzent: 1Kor 9,1 (Anspielung auf Sehen) und 15,8 (Erscheinung) rekurrieren eher auf die äußere, sichtbare Dimension; Phil 3,8 (Erkenntnis Christi) und Gal 1,16 (Erkennen durch Entscheidung und Handeln Gottes) dagegen eher auf die innere, erkenntnistheoretische Dimension von Damaskus. 127 Zusammenfassend lässt sich ein doppelter Erkenntnisgewinn von Paulus durch die Offenbarung bei Damaskus ausmachen: a) Er versteht die Person Jesus als Gottessohn, Christus und Auferstandenen. b) Er versteht sich selbst als beauftragt, einem bestimmten Personenkreis (den Völkern) eine Botschaft (das Evangelium) auszurichten: Er ist avpo,stoloj dia. VIhsou/ Cristou/ kai. qeou/ patro.j (Gal 1,1). Die Erscheinung hat für Paulus also zu einer Wandlung geführt, hinsichtlich seiner Haltung zur Person Jesus von Nazareth, dessen Anhänger er bis dato verfolgt hat, und hinsichtlich seines Selbstbildes, vom eifernden Pharisäer zum Apostel. Dieser Wandel zum Apostel ist der Schlüssel zum paulinischen Selbstbild als Kommunikator der Evangeliums. Um ihn zu durchschauen lohnt 125 SCHMITZ, E. D./ HAACKER, K., Art. Erfahrung/ Erkenntnis, ginw,skw ktl, in NTBL 1, 351 - 358; 352. 126 Vgl. SCHMITZ/ HAACKER, ginw,skw ktl, aaO., 355 - 357. 127 Vgl. HAACKER, Paulus, aaO., 101 f; SCHNELLE, Paulus, aaO., 89. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 231 ein Blick auf 1Kor 9,1, wo Paulus sein Apostolat ein weiteres Mal mit dem Erscheinungserlebnis in Beziehung setzt d) Das Erscheinungserlebnis als Kriterium des Apostolats in 1Kor 9,1 1Kor 9,1: Ouvk eivmi. evleu,qerojÈ ouvk eivmi. avpo,stolojÈ ouvci. VIhsou/ n to.n ku,rion h`mw/ n e`o,rakaÈ ouv to. e; rgon mou u`mei/ j evste evn kuri,w|È Bin ich nicht frei? Bin ich nicht Apostel? Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? Seid ihr nicht mein Werk im Herrn? Aufschlussreich für eine Verhältnisbestimmung von Apostolat und Erscheinung ist der argumentative Kontext der vorliegenden Stelle: 1Kor 9,1ff unterbricht eine längere Ausführung des Paulus zur Problematik des Götzenopferfleisches. DerAbschnitt wird in der Forschung entweder als Exkurs zum Thema Apostolat oder als Exemplum verstanden. 128 Betont Ersteres eher die Grundsätzlichkeit der paulinischen Ausführungen, steht bei Letzterem die pragmatische Zielsetzung im Fokus: Paulus gibt im Rahmen der Götzenopferfleisch-Frage sein apostolisches Verhalten als Beispiel an die Hand. Der einleitende Vers besteht aus einer Abfolge von vier rhetorischen Fragen, die eine Argumentationskette bilden: Ouvk eivmi. evleu,qerojÈ Bin ich nicht frei? ouvk eivmi. avpo,stolojÈ Bin ich nicht Apostel? ouvci. VIhsou/ n to.n ku,rion h`mw/ n e`o,rakaÈ Habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen? ouv to. e; rgon mou u`mei/ j evste evn kuri,w|È Seid ihr nicht mein Werk im Herrn? Die Feststellung der Freiheit bezieht sich auf das Thema „ Essen von Götzenopferfleisch “ des vorherigen Kapitels (1Kor 8). Seiner Überzeugung, in Besitz der Freiheit zu sein, verleiht Paulus durch Verweis auf sein Apostolat Nachdruck. Dabei ist die Pointe des Abschnitts, dass Paulus von ihr keinen Gebrauch macht, so wie er es auch von den „ Starken “ in 8,9 erwartet: le,pete de. mh, pwj h` evxousi,a u`mw/ n au[th pro,skomma ge,nhtai toi/ j avsqene,sin. Doch konzentrieren wir uns zunächst darauf, wie Paulus sein Apostolat begründet: durch das „ gesehen Haben “ (e`o,raka) des Herrn und durch sein „ Werk im Herrn “ , die korinthische Gemeinde, die Paulus auch als „ Siegel “ seines Apostolats bezeichnet (sfragi,j mou th/ j avpostolh/ j, V.2). Sowohl das Erscheinungserlebnis wie auch die 128 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 200 f; MERKLEIN, Der erste Brief an die Korinther. Kapitel 5,1-11,1, ÖTK 7/ 2, Gütersloh/ Würzburg 2000, 210. 232 5 Der Kommunikator des Evangeliums „ Normativität des Faktischen “ , der offensichtliche Erfolg der paulinischen Gemeindegründung, rechtfertigen seinen Status als Apostel und damit die Autorität und Wahrhaftigkeit seines Evangeliums. Auch in 1Kor 15,10 und Gal 1,23 verweist er neben der ihm widerfahrenen Erscheinung auf seine Arbeit: Er hat durch die Gnade mehr gearbeitet als alle anderen (perisso,teron auvtw/ n pa,ntwn evkopi,asa, 1Kor 15,9) und so erfolgreich, dass die Gemeinden in Judäa von seiner Verkündigung zu hören bekommen (Gal 1,23). 129 Falls Paulus sich bei der Wendung ouvci. VIhsou/ n to.n ku,rion h`mw/ n e`o,rakaÈ (1Kor 9,1) tatsächlich auf geprägte Sprache stützt, bekräftigt das die Annahme, dass es sich bei der Herrenerscheinung um ein urchristlich allgemein anerkanntes Konstitutivum des Apostolats handelt. 130 Jedoch muss das Sehen des Auferstandenen keineswegs automatisch zum Apostolat führen (vgl. 1Kor 15,6). 131 Genausowenig kann allein von einer erfolgreichen Verkündigung auf eine wirkliche Berufung als Apostel geschlossen werden. 132 Es genügt scheinbar auch nicht, dass beide zusammenfallen. Vielmehr müssen beide Grundpfeiler des Apostolats einer gewissen Qualität entsprechen: 1) Es muss eine Berufung (kale,w) zur Evangeliumsverkündigung stattgefunden haben, z. B. innerhalb des Erscheinungserlebnisses wie bei Paulus (Gal 1,15; 1Kor 15,9), und 2) der Berufene muss einen „ Christocentric lifestyle “ führen, sich Christus gemäß verhalten (vgl. Phil 2,5; 3,17; 1Kor 9,18ff, u. a.). 133 Berufung und Erscheinung, christusgemäßes Verhalten und (notwendigerweise erfolgreiche) Verkündigung sind die Kriterien eines Apostels, denen Paulus sich unterwirft. Dass Paulus in 1Kor 9,1 sein Apostolat in besonderer Weise mit der Kategorie der Freiheit (evleuqeri,a) in Verbindung bringt, verdient noch einmal unsere gesonderte Aufmerksamkeit. 134 Im direkten Kontext, wirkt diese Freiheit wie eine Freiheit ohne Rücksicht auf die Meinung einzelner, also die Freiheit mit unhinterfragbarer Autorität zu handeln (exousi,a, 9,4). Paulus möchte mit Verweis auf diese Freiheit diejenigen in ihre Schranken weisen, die aufgrund ihrer Erkenntnis selbstverständlich und ohne Rücksicht auf die „ Schwachen “ das eivdwloqu,ton verzehren: gnw/ sij fusioi/ ( h` de. avga,ph oivkodomei/ (8,1). Gerade im Verzicht auf seine apostolische Freiheit und im Verzicht der Starken auf ihre 129 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 201; MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 213 f. 130 MERKLEIN, ÖTK 7/ 3, aaO., 213 f; vgl. auch die Beobachtung Merkleins im Blick auf 1Kor 15,9 f, dass Paulus sich bei der Kontextualisierung seines Apostolats mit der Erscheinungszeugenschaft auf ein „ Jerusalemer Konzept “ stützt (290). 131 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 201. 132 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 3, aaO., 214. 133 THISELTON, The First Epistle, aaO., 668 f; vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 3, aaO., 214. 134 Zur Freiheit bei Paulus vgl. VOLLENWEIDER, S., Freiheit als neue Schöpfung. Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt, Göttingen 1989; bes. 199 - 232 (zu 1Kor 9 f ). 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 233 Freiheit in der Erkenntnis erweist sich die Liebe zu den Schwachen. 135 Vielleicht zeigt sich im Begriff der Freiheit aber auch ein grundsätzlicher Zug des paulinischen Apostolatsverständnisses: Er ist frei, weil er in Damaskus Christus begegnet ist, „ der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat, damit er uns herausreiße aus dem gegenwärtigen bösen Äon “ (Gal 1,4). Paulus ist herausgerissen aus seiner Existenz als fanatischer Verfolger. Er ist frei, weil er nicht avpV avnqrw,pwn ouvde. diV avnqrw,pou, sondern durch Christus und Gott berufen ist (Gal 1,1) und er sich keinem fremden Urteil unterwerfen muss (Gal 1,10; 1Thess 2,4). Er ist frei durch die fest in seinem Erscheinungserlebnis und seiner Berufung verankerte Gnade Gottes (1Kor 15,10; Gal 1,6.15). Seine Freiheit findet allein ihre Grenze in seinem Auftrag: „ Denn obwohl ich allen gegenüber frei bin, habe ich mich allen zum Sklaven gemacht, damit ich so viele wie möglich gewinne “ (1Kor 9,19). So spricht Paulus auch von sich selbst, wenn er den zu Christen geworden Sklaven schreibt: „ Denn der als Sklave im Herrn Berufene ist ein Freigelassener des Herrn; ebenso ist der als Freier Berufene ein Sklave Christi “ (1Kor 7,22). Freiheit findet für Paulus ihre Grenze in der mit der Verkündigung des Evangeliums einhergehenden Liebe. Doch damit greife ich bereits den Untersuchungen der Beziehungen des Kommunikators (zu seinen Rezipienten) vor. 136 5.1.3 Präzisierungen: Damaskus und das paulinische Apostolat Ich habe bisher nur beschrieben, was Paulus über sein Erlebnis und dessen Verbindung mit dem Apostolat berichtet. Nun muss das Verhältnis beider Größen in einem weiterem Rahmen bestimmt werden, indem ich das paulinische Apostolat in das uns bekannte urchristliche Apostel-Verständnis einordne und auf dieser Grundlage die paulinischen Spezifika erarbeite (a). Im Anschluss werde ich die Zuordnung von Apostolat und Evangelium beleuchten, wie sie sich in Gal 1 bereits angedeutet hat (b). Abschließend muss ich noch auf die Zielbestimmung des Apostolates, die Berufung zur Völkermission, zu sprechen kommen (c). 137 135 Vgl. VOLLENWEIDER, Freiheit als neue Schöpfung, aaO., 226: Freiheit als „ Suspension von Exousia, als Verzicht auf deren Gebrauch [. . .] Eleutheria zeigt sich im Umgang mit Exousia, mit dem Anspruch oder Verzicht auf Recht und Macht “ . 136 Siehe Kap. 6.1.2 und 6.1.3. 137 Literatur zum paulinischen Apostolatsverständnis: FREY, J., Paulus und die Apostel. Zur Entwicklung des paulinischen Apostelbegriffs und zum Verhältnis des Heidenapostels zu seinen „ Kollegen “ , in: BECKER, E.-M./ PILHOFER, P. (Hgg.), Biographie und Persönlichkeit des Paulus, WUNT 187, Tübingen 2005, 192 - 227; GERBER, C., Paulus, Apostolat und Autorität oder Vom Lesen fremder Briefe, ThSt NF 6, Zürich 2012; DIES., Das Apostolatsverständnis und die Beziehung von Apostel und Gemeinde zueinander, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 416 - 420; SCHRÖTER, J., Der versöhnte Versöhner. Paulus als unentbehr- 234 5 Der Kommunikator des Evangeliums a) Das paulinische Apostolat im Kontext des urchristlichen Apostolats Im hellenistischen Kontext ist avpo,stoloj ein Begriff mit weitem Bedeutungsspektrum: „ Der nichtpersonale Gebrauch überwiegt jedoch bei weitem. Eine Verwendung in religiöser Sprache ist nicht belegbar “ . 138 Im Neuen Testament ist der Begriff dagegen immer „ Bezeichnung eines Menschen, der gesandt ist “ , eines „ bevollmächtigten Gesandten “ mit einer Beauftragung und einem Ziel. 139 avpo,stoloj wird hier stark inhaltlich gefüllt und diese Verwendung lässt sich nur formal auf den allgemein-griechischen Sprachgebrauch zurückführen. 140 Daher wurde immer wieder eine Anlehnung an das hebräische x; yliv' diskutiert. Im frühjüdischen Sprachgebrauch steht es für einen Bevollmächtigten, der „ rechtlich und persönlich Repräsentant seines Auftraggebers [ist]. Er ist durch die ihm erteilte Sendung berechtigt und verpflichtet, in selbständiger Entscheidung dessen Interessen zu vertreten “ . 141 x; yliv ist zunächst nur ein formaler Terminus, „ der seine konkrete Füllung erst jeweils durch den Auftraggeber und den Inhalt des Auftrags erhält. “ 142 Als feste Institution mit klarer inhaltlicher Füllung, wie z. B. als offizielle Bezeichnung eines Beauftragten des Synedriums, ist er erst nach 70 n. Chr. belegt. 143 Dennoch sieht J.Roloff die zeitlich und sachlich begrenzte Sendung von Aposteln durch urchristliche Gemeinden (vgl. Phil 2,25; 2Kor 8,23) „ ganz im Rahmen der herkömmlichen jüdischen Rechtspraxis “ . 144 Auch K. H.Rengstorf hielt das neutestamentliche avpo,stoloj für inhaltlich „ durch das x; yliv' des Spätjudentums bestimmt “ . 145 Neuere Arbeiten sehen diese Art der Ableitung kritisch: Zunächst lässt der neutestamentliche Gebrauch kaum eine Repräsentanzfunktion und überhaupt keinen sprachlichen licher Mittler im Heilsvorgang zwischen Gott und Gemeinde nach 2Kor 2,14-74, TANZ 10, Tübingen 1993; VORHOLT, R., Der Dienst der Versöhnung. Studien zur Apostolatstheologie des Paulus, WMANT 118, Neukirchen-Vluyn 2008. 138 ROLOFF, J., Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, in: TRE 3, 430 - 445; 432; zur älteren Forschungsgeschichte vgl. 430 - 432. 139 RENGSTORF, K. H., Art. avpo,ste,llw ktl, in: ThWNT 1, 397 - 448; 421; vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 38. 140 Vgl. RENGSTORF, Art. avpo,ste,llw ktl, aaO., 421. 141 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 432; Vgl. RENGSTORF, Art. avpo,ste,llw ktl, aaO., 422. 142 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 432. 143 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 432. 144 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 436. 145 RENGSTORF, Art. avpo,ste,llw ktl, aaO., 443; Zit. 421. Der von Rengstorf verwendete Begriff „ Spätjudentum “ entspricht dem Sprachgebrauch der religionsgeschichtlichen Schule zu seiner Zeit. Er ist im Wesentlichen mit dem heute gebräuchlichen „ Frühjudentum “ deckungsgleich; vgl. BÜHNER, J.-A., Art. avpo,stoloj, in: EWNT I, 342 - 351; 345. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 235 Anschluss an die hebräische Begrifflichkeit erkennen. 146 Weiterhin ist der jüdische Gesandte „ eher rechtlicher Natur und nicht mit religiöser Verkündigung oder gar einer eschatologisch motivierten Mission verbunden “ . 147 Er bietet also keinen wirklichen sachlichen Anknüpfungspunkt für das christliche Apostolat. Schließlich ist auch die Rollenzuweisung abweichend. Ist der Begriff im Judentum auf Männer beschränkt, da Frauen nicht als Zeugen gültig und nur beschränkt rechtsfähig angesehen werden, liegt in Röm 16,7 mit „ Junia “ ein deutlicher Beleg vor, dass auch Frauen Apostel sein können. 148 Die Rolle des Apostels muss also inhaltlich als etwas grundlegend Neues angesehen werden, für welches „ das griechische Wort zur Verwendung im frühchristlichen Kontext gerade wegen seiner semantischen Unscheinbarkeit brauchbar war “ . 149 Aus diesem Kontext muss der Begriff erschlossen werden. Werfen wir also einen Blick auf die früchristliche Entwicklung des Apostolatverständnisses. Eine „ entscheidende Prägung durch Jesus “ , der Jünger aussandte, „ um die Gottesherrschaft zu verkündigen “ , ist zwar nicht auszuschließen, scheitert aber an der Nachweisbarkeit 150 : „ Die christliche Rede von avpo,stoloi als Verkündiger der christlichen Heilsbotschaft ist [. . .] eindeutig nachösterlich. Sie weist wohl auf die Situation, in der sich die frühesten Zeugen des Auferstandenen durch die österlichen Erscheinungen zu einer neuen Verkündigung der Heilsbotschaft ausgesandt sahen. “ 151 Die Kriterien für einen „ Apostel “ sind am Anfang offenbar noch fließend. 152 Vermutlich haben die so Bezeichneten aber „ an den Erschei- 146 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 38; DIES., Paulus und seine „ Kinder “ . Studien zur Beziehungsmetaphorik in den paulinischen Briefen, BZNW 136, Berlin/ New York 2005, 130. 147 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 203, 203. 148 So schon RENGSTORF, Art. avpo,ste,llw ktl, aaO., 421. 149 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 203; GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 38: „ Für das Konzept eines ,Missionsreisenden ‘ gab es keine klaren sozialen Vorbilder und keine bekannten Begriffe oder eingeübte Metaphern. Das Wort apostolos war, da es selbst keine bestimmten Vorstellungen evozierte, geeignet, diese semantische Lücke zu füllen. Entsprechendes lässt sich auch für die Rede vom euangelion sagen, das offenbar bald zum Terminus der Missionssprache wurde “ (41). Das schließt die antike Praxis und Theorie des Botendienstes, insbesondere der alttestamentlichen Prophetentradition als Voraussetzung nicht aus; vgl. HAACKER, ThHK 6, aaO., 23; STUHLMACHER, NTD 6, aaO., 23. Zum Anschluss an das alttestamentliche Prophetenamt vgl. RENGSTORF, Art. avpo,ste,llw ktl, aaO., 423. 150 STUHLMACHER, NTD 6, aaO., 23; vgl. FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 203. 151 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 203 152 Vgl. GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 118: Die Beobachtungen zur allgemeinen Semantik des Wortes avpo,stoloj und seiner Verwendung in den Paulusbriefen zeigen [. . .], dass der Begriff noch keine klare Bedeutung unter ChristInnen trug und auch für Paulus gegenüber seinen Gemeinden kein umfassendes Autoritätskonzept implizierte “ . 236 5 Der Kommunikator des Evangeliums nungen des Auferstandenen in irgendwelcher Weise Anteil “ . 153 Jedoch gelten sicherlich nicht alle Auferstehungszeugen als Apostel: „ Vielmehr mußte die Erscheinung des Auferstandenen den Charakter einer Berufung und Sendung gehabt haben “ ? 154 Jedenfalls kann man grundsätzlich nicht von einem einheitlichen Verständnis des Apostolats in der Frühzeit ausgehen, sondern eher von verschiedenen Ausprägungen und „ Entwicklungs- und Interpretationsprozessen “ . 155 Die Bezeichnung wird wahrscheinlich zuerst in Jerusalem geprägt worden sein (vgl. Gal 1,17). 156 Der sehr schnelle und „ besonders dynamische “ Gebrauch des griechischen Begriffs lässt aber vermuten, dass er „ gerade nicht mit dem Kreis der ,Zwölf ‘ bzw. der aramäischsprachigen Urgemeinde verbunden “ ist, sondern eher im christlich-hellenistischen Milieu wurzelt. 157 „ Mit der ,Auswanderung ‘ missionarischer Zeugen nach Antiochien und in andere Städte ist mit einer solchen Ausweitung des Terminus zu rechnen. “ 158 In der nächsten Entwicklungsphase existieren mindestens zwei Ausprägungen des Apostolats, von denen wir wissen: Ein „ Christus- oder Erscheinungsapostolat “ , der wohl in der Jerusalemer Konzeption seinen Ursprung hat, und ein offenerer Sprachgebrauch, der auf „ eine gemeindliche und durch den Geist geleitete und bekräftigte Beauftragung “ bezogen war. 159 Gemeinsam ist beiden die missionarische Grundausrichtung 160 : Das Proprium des Apostels besteht in der „ gemeindegründenden Evangeliumsverkündigung “ (vgl. Röm 15,14-21), in dem „ Hinweis auf die Grundstruktur des Evangeliums “ . 161 Apostel sind also Träger der neutestamentlichen Verkündigung und als solche zwar nicht die 153 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 204; vgl. STUHLMACHER, NTD 6, aaO., 22; RENGSTORF, Art. avpo,ste,llw ktl, aaO., 423; ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 432. 154 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 432. 155 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 432; vgl. GERBER, Das Apostolatsverständnis und die Beziehung, aaO., 416: „ Schon der Widerspruch zwischen der Apostelgeschichte und den Paulusbriefen in der Verwendung des Apostelbegriffs zeigt, dass dieser in der ältesten Christenheit noch nicht klar definiert ist “ . 156 Vgl. FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 204. 157 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 204. 158 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 205. 159 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 198. Zu letzterem besteht die These, dass er sich in Antiochia und Umgebung herausgebildet haben könnte, was sich jedoch nicht mit Sicherheit behaupten lässt; vgl. ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 435. 160 Vgl. ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 435; FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 198. 161 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 208; ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 438; vgl. HAACKER, ThHK 6, aaO., 23; GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 40 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 237 einzigen urchristlichen Missionare, aber doch „ ihre hervorragendsten Vertreter “ 162 : Im Apostolat findet das Evangelium „ konkrete Gestalt und geschichtlichen Lebensraum “ . 163 Was die zweitere Ausprägung vom Erscheinungsapostolat unterscheidet, ist die abweichende Begründung. Das kann einmal eine eschatologisch-pneumatische Motivation sein, die sich in einer Art „ charismatischem Wander-apostolat “ manifestiert (vgl. z. B. Logienquelle oder Apk 2,2). 164 Zum anderen kann aber auch eine Autorisation „ im Sinne eines missionarischen Gesandten der Gemeinde “ vorliegen (vgl. Apg 14,4.14; 2Kor 8,23; Phil 2,25), deren Sendung „ zeitlich begrenzt und mit einem konkreten Auftrag verknüpft “ ist. 165 Dass solche Abgesandten auch „ Dienst am Evangelium “ tun, also missionarisch tätig werden, kann anhand von 2Kor 8,18 belegt werden. Die Vielfalt der urchristlichen Apostolatsverständnisse zeigt sich zum Teil auch im paulinischen Sprachgebrauch: 1Thess und 1Kor weisen eine „ Durchlässigkeit “ hinsichtlich des Apostelbegriffs auf, an welcher „ seine Mitarbeiter in der Mission - die ja nicht einfach ,Gemeindeapostel ‘ sind - und auch andere Mitarbeiter wie z. B. Apollos [. . .] zumindest gelegentlich teilhaben. “ 166 Paulus hat den Begriff also in bereits vorgegebenem Sinn aufgenommen. 167 Der Begriff hat offenbar eine Entwicklung bei Paulus durchlaufen. 168 Insgesamt finden sich bei ihm avpo,stoloj und dessen Derivate jedoch relativ selten, „ etwa genauso oft in Bezug auf sich allein wie in Bezug auf andere bzw. allgemein “ . 169 Ich konzentriere mich für den Moment auf die Verwendung als Selbstbezeichnung. Zunächst ist es nötig, zwischen der von Paulus berichteten Beauftragung und seinem von ihm daraus abgeleiteten apostolischen Rang, zu unterscheiden 170 : „ Der zwingende Grund dafür, seinen eigenen ,apostolischen ‘ Anspruch zu präzisieren, war für Paulus dadurch gegeben, daß von Jerusalem ausgehend - ebenfalls unter Verweis auf ,Apostel ‘ - die Grundlagen der von Antiochien praktizierten gesetzesfreien Heidenmission in Frage gestellt wurde “ (vgl. Gal 2,1ff und Apg 15,1 f). 171 Die Verkündigung des Evangeliums ohne die Ein- 162 RENGSTORF, Art. avpo,ste,llw ktl, aaO., 422. 163 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 439. 164 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 435. 165 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 197 f. 166 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 200 f. 167 Vgl. FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 206; ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 432. 168 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 39. Eine tabellarische Übersicht zur möglichen Entwicklung des Apostelbegriffes bietet FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 211. 169 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 39. 170 Vgl. FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 206. 171 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 208 f. 238 5 Der Kommunikator des Evangeliums forderung der Einhaltung der jüdischen Toraordnungen ist das Spezifikum des paulinischen Apostolats (Gal 1,6 f; 2,7). Das hat möglicherweise mit seiner „ existentiellen Erfahrung “ vor Damaskus zu tun. Er könnte dort die Begegnung mit Christus als „ Widerlegung seines Weges der Gesetzesgerechtigkeit “ erlebt haben, was er daraufhin im Rahmen seines Apostolatsverständnisses „ entprivatisiert und gleichsam entschränkt “ hat „ zur für die ganze Heidenkirche normativen Explikation der Struktur des Evangeliums “ . 172 Die Abmachung in Gal 2,8 verdeutlicht das Anliegen des Paulus, „ die stärker gesetzesorientierte Jerusalemer Praxis der Verkündigung unter den Juden nicht in Frage zu stellen “ und gleichzeitig seine Praxis als gleichwertig anerkennen zu lassen. 173 Jedoch verfehlt der „ Apostelkonvent “ offenbar langfristig seine Wirkung und das Gesetz wird ein „ weiter schwelender Konflikt “ , der immer stärker an Bedeutung gewinnt. 174 Der von Paulus in Gal 2,11-21 geschilderte sog. antiochenische Zwischenfall darf als Beispiel der Verschärfung der Auseinandersetzung gelten. 175 Die Eskalation manifestiert sich auch an der Entwicklung des Apostelbegriffs bei Paulus, der eng mit Gesetz und Völkermission verbunden ist: Bestand zu Beginn der Abfassungszeit seiner Briefe (1Thess; 1Kor) noch keinen Anlass, den damit gegebenen Autoritätsanspruch herauszustellen, muss dieser aufgrund von „ Relativierung oder gar Infragestellung “ durch Außenstehende in seinen Gemeinden immer wieder verteidigt und bekräftigt werden. 176 Dazu setzt Paulus auf die „ autoritative Selbstvorstellung als von Christus selbst berufener avpo,stoloj “ und behauptet die „ Äquivalenz seiner Christophanie mit der der Jerusalemer Osterzeugen “ (Gal 1,17) und damit auch „ die inhaltliche Gültigkeit und Wahrheit ,seines ‘ Evangeliums, der beschneidungs- und ge- 172 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 438. 173 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 209. 174 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 209. 175 Vgl. FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 210 176 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 199; 210. Zum Begriff der Autorität vgl. WISCH- MEYER, O., Die Grundlagen der Autorität des Apostels Paulus, in: COLLINS, P./ KLAUS- NITZER, W./ SPARN, W. (Hgg.), Autorität in der Kirche - Authority in the Church. Theologische Beiträge aus der Church of England, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der katholischen Erzdiözese Bamberg, München 2009, 29 - 45; 29 - 31: Wischmeyer hebt dabei besonders die Bedeutung des politschen ( „ legitime Herrschaft “ ), des pädagogischen ( „ Verhältnisbestimmung von Autorität und Freiheit “ ) und des soziologischen (Einflussmöglichkeiten „ auf andere Personen und Sozialbeziehungen aufgrund beanspruchter und anerkannter Kompetenz und Überlegenheit “ ) Gebrauchs für die Autorität des Paulus als Apostel hervor: „ Die spezifische Bestimmung von Autorität hängt von den Sozialsystemen ab, in denen Autorität ausgeübt beziehungsweise anerkannt wird “ (30). 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 239 setzeskritischen Heilsverkündigung für die Heiden “ . 177 „ Nach seinem Selbstanspruch gründet sein Apostolat in Gottes Ratschluß und - biographisch - in der Offenbarung des Evangeliums bzw. der Offenbarung Jesu Christi im Akt seiner Berufung “ . 178 Das schließt auch den damit verbundenen Bruch mit seinem alten Leben mit ein. 179 Phänomenologisch gesehen enthält sein Selbstverständis als Apostel sowohl Elemente des Erscheinungsapostolats als auch Kennzeichen eines pneumatisch-charismatischen Apsotolats: die Teilhabe an der Schwachheit des Kreuzes als pneumatische Legitimation (2Kor 12,9 f), das Ertragen aller Drangsale als „ Apostelzeichen “ (2Kor 12,12) oder auch Wundertaten (vgl. Röm 15,19; 2Kor 2,12), die Paulus aber gegenüber der Leidensnachfolge im „ Zeichen des Kreuzes “ relativiert (1Kor 4,9-13; 2Kor 11 ff ). 180 Jedoch ist sein Apostolat mehr als eine bloße „ Synthese ursprünglich differenter Konzeptionen “ . 181 Es wird von Paulus als „ Bestandteil eines fundamentalen theologischen Zusammenhangs “ begriffen, der einen Ursprung (Damaskus), einen Inhalt (Evangelium) und ein Ziel (Gemeindegründung) hat. 182 Der solchermaßen zugespitzte Apostolatsbegriff des Paulus ist im frühchristlichen Umfeld allerdings offenbar derart umstritten, dass er sich in allen seinen Briefen nicht auf dessen Legitimation verlässt. Im Gegenteil: „ Paulus verteidigt zwar oft seine Anliegen und in 2Kor 10,13 [. . .] auch sein persönliches Auftreten. Aber nirgends geht es dabei um ihn als apostolos “ . 183 Wenn Paulus um Autorität und Anerkennung kämpft, so tut er das nicht um des Titels willen, sondern aus inhaltlichen Gründen, z. B. um seine torafreie Mission zu rechtfertigen wie in Gal 1+2, und mit inhaltlichen Mitteln, also auf dem Weg der „ Diktion und Argumentation “ , wie in 2Kor 10 - 13 mit dem Verweis auf das Kreuz. 184 Mit der Rede von sich als Apostel scheint also eine Anerkennung verbunden zu sein, „ die in den Briefen erst erarbeitet werden soll. “ 185 Das könnte 177 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 210; vgl. WISCHMEYER, Die Grundlagen derAutorität des Apostels Paulus, aaO., 37ff; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 131: „ Die Autorität des Apostels besteht darin, von Christus gesandt zu sein und das wahre Evangelium zu verkündigen “ . 178 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 193. 179 Vgl. RENGSTORF, Art. avpo,ste,llw ktl, aaO., 439. 180 Vgl. ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 436 f; HAACKER, ThHK 6, aaO., 24. 181 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 437. 182 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 437. 183 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 42. 184 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 42; Zit. 30; BECKER, NTD 8/ 1, aaO., 29; FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 213. 185 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 51: „ Nicht das Konzept der ,apostolischen Autorität ‘ ist also der Horizont, vor dem die Briefe des Paulus zu lesen sind, sondern die Relevanz der Beziehung als solcher “ (31). 240 5 Der Kommunikator des Evangeliums auch damit zusammenhängen, dass das Apostolat nicht eine Gemeindeleitung legitimiert, sondern nur die Gemeindegründung 186 : „ Wenn Paulus einer Gemeinde Weisungen erteilt, leitet er die Autorität dazu nicht aus seinem , Apostolat ‘ ab, sondern daraus, dass er die Gemeinde begründet hat “ , also aus der Retrospektive. 187 Wenn der Apostel Autorität zur Erstverkündigung hat, ist dieser Anspruch jedoch nur gegenüber bereits gläubig gewordenen Christen sinnvoll, die ihn (dabei) unterstützen. Warum sollte ein Angehöriger der Völker dessen Legitimität akzeptieren, ja sich überhaupt dafür interessieren? 188 Das Apostolat des Paulus scheint daher in erster Linie eine nach innen gerichtete Legitimation gegenüber der christlichen Gemeinschaft darzustellen, nach außen das Evangelium vollmächtig zu verkündigen und zu vertreten, und dafür auch Unterstützung zu erhalten. Jenseits davon muss Paulus um Autorität kämpfen und er tut das ironischerweise auch unter Verweis auf jene vollmächtig vollzogene Erstverkündigung. 189 186 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 17; WISCHMEYER, Die Grundlagen der Autorität des Apostels Paulus, aaO., 40: „ Wieweit sich der Apostelbegriff im Frühchristentum auf Gemeindegründungen bezog, bleibt ungewiss. Der 1 Kor 9,2 scheint darauf hinzuweisen, dass die Apostel von ihren Gemeindegründungen her definiert und auf diese beschränkt gewesen seien [. . .] Andererseits stellt sich Paulus den christlichen Römern, die er nicht missioniert hat [. . .][,] besonders deutlich als ,Apostel der Heiden ‘ vor (Röm 11,13). Dies ist aber ein umfassender Begriff, der sich gerade nicht auf bestimmte Gemeinden bezieht, sondern potentiell alle heidnischen Gemeindegründungen umfasst “ . Das widerspricht jedoch nicht der Bezogenheit des Apostelamtes auf die Gemeindegründung, sondern weist Paulus in seiner Funktion aus, die er im Osten des römischen Reiches erfüllt hat: Erstverkündiger der Völker zu sein. Natürlich beruft sich Paulus auf diese Leistung, um sein Ansehen (und damit seine Autorität) gegenüber den Römern zu steigern (vgl. Röm 15,15-20). 187 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 51; vgl. DIES., Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 130 f. 188 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 36 f. 189 Vgl. GERBER, Das Apostolatsverständnis und die Beziehung, aaO., 416: Der Begriff „ spielt zwar für die Selbstlegitimation des Paulus als reisender Verkündiger des Evangeliums unter Nichtjuden eine große Rolle (Gal 1 f.), impliziert jedoch keine Autoritätsfunktion gegenüber bestehenden Gemeinden [. . .] [D]en Anspruch auch nach der Gemeindegründung und Abreise als religiöse Autorität anerkannt zu werden, muss Paulus, wie die Briefe spiegeln, eigens begründen “ ; WISCHMEYER, Die Grundlagen der Autorität des Apostels Paulus, aaO.: Auch seine jüdische Herkunft und Ausbildung verleihen Paulus „ grundsätzliche Autorität in Fragen von Religion und Ethos “ und er sieht sich entsprechend weiterhin „ strukturell “ als Autoritätsträger (33 f ). Als weitere Quelle seiner Autorität kann seine mit Leiden verbundene Existenz in der Christusnachfolge, in der er den Rezipienten Vorbild ist, gelten (42 f ); siehe Kap. 6.1.3. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 241 b) Apostolat und Evangelium Wenn Paulus in Gal 1 sowohl sein Apostolat als auch sein Evangelium unmittelbar auf eine Offenbarung durch Gott zurückführt, bindet er beides eng aneinander. Für mein Thema ist diese Verbindung zentral, sagt sie doch etwas über das Selbstverständnis des Paulus als Apostel in Bezug auf das Evangelium aus. Wie genau versteht Paulus das Verhältnis beider Größen? Nimmt Paulus das Wort Apostel bezogen auf sich selbst in den Mund, so umschreibt er damit seine Aufgabe der Evangeliums(erst)verkündigung: „ [E]r ist autorisiert, als Bote und Repräsentant des gekreuzigten und auferstandenen Herrn den heidenchristlichen Gemeinden das Evangelium zu bringen “ (vgl. Röm 1,1; Gal 1,15; 2,8; 2Kor 5,19; 1Thess 2,4-9). 190 Nun verkündigt Paulus das Evangelium aber nicht, um Menschen zu gefallen (avnqrw,poij avre,skein, Gal 1,10): weder ist das Evangelium kata. a; nqrwpon (Gal 1,11) noch ist sein Apostolat avpV avnqrw,pwn ouvde. diV avnqrw,pou (Gal 1,1). Beides hat seinen Ursprung in Damaskus und mittelbar in der Auserwählung (avfori,zw) und Berufung (kale,w) durch Gott (Gal 1,15). 191 Agiert Paulus also als Apostel, handelt er dem Willen (qe,lhma) Gottes entsprechend (1Kor 1,1 und 2Kor 1,1) und dieser ist „ in seinem Wirken gegenwärtig “ (1Kor 15,9 f; Röm 15,18; Gal 2,8). 192 Einerseits ordnet er damit sein gesamtes Tun dem Evangelium und seinen Empfängern unter, „ um in die Einheit mit Botschaft und Sendendem einzugehen “ (1Kor 9,23; 2Kor 4,4-6). 193 Andererseits wird das Evangelium zu der Weise, in der Gott sich selbst bezeugt: „ Paulus [aber] ist Diener des euvagge,lion, insofern er der Selbstbezeugung des Auferstandenen das artikulierende Wort leiht. Als solcher aber gehört er mit ins Evangelium “ . 194 Der Apostel drückt die Botschaft des Evangeliums „ peronal “ aus, er ist das Symbol für dessen Wahrheit. 195 Aus dieser „ bleibenden Zuordnung “ von Apostel und Evangelium ergibt sich auch der Gebrauch der Genitiv-Verbindung euvagge,lio,n mou (Röm 2,16; 16,25) 190 BÜHNER, Art. avpo,stoloj, aaO., 344. 191 Vgl. BÜHNER, Art. avpo,stoloj, aaO., 344. 192 BÜHNER, Art. avpo,stoloj, aaO., 345. 193 BÜHNER, Art. avpo,stoloj, aaO., 345; vgl. HAACKER, ThHK 6, aaO., 24: „ Unterordnung des Amtes unter die Sache “ (vgl. Röm 1,2-4). 194 KERTELGE, K., Das Apostelamt des Paulus, sein Ursprung und seine Bedeutung, in: BZ 14 (1970), 161 - 181; 169. 195 Vgl. KERTELGE, Das Apostelamt des Paulus, aaO., 170; STUHLMACHER, NTD 6, aaO., 24: „ Am Beispiel des Apostels Paulus und seiner Geschichte werden wir mit dem theologisch höchst gewichtigen Faktum konfrontiert, daß die Botschaft des Evangelium ihre Gestalt als geschichtlich unverwechselbares menschliches Zeugniswort gewonnen hat. Kirche und Theologie bleiben auf dieses ursprüngliche Zeugnis und damit zugleich darauf angewiesen, daß es historisch unaustauschbare Ursprungszeugen des Evangeliums gegeben hat “ . 242 5 Der Kommunikator des Evangeliums bzw. h`mw/ n (2Kor 4,3; 1Thess 1,5), das ja eigentlich euvagge,lion qeou/ (Röm 1,1.9; 15,16; 2Kor 11,7; 1Thess 2,2; 2,8; 2,9) bzw. Cristou/ (Röm 15,19; 1Kor 9,12; 2Kor 2,12; 4,4; 9,13; 10,14; Gal 1,7; Phil 1,27; 1Thess 3,2) ist 196 : Paulus kann mit Recht von „ seinem Evangelium “ reden, wenn Gott es ist, der „ in ihm “ das Evangelium offenbart. Als Apostel ist er das „ Vollzugsorgan des Evangeliums “ . 197 Aus diesem Selbstverständnis heraus kann er sich auch gegen ein e[teron euvagge,lion abgrenzen (Gal 1,6; 2Kor 11,4), das seinem Evangelium zuwiderläuft und somit gar keines ist (o] ouvk e; stin a; llo, Gal 1,7). 198 Gottes Evangelium und paulinisches Evangelium sind identisch und darum widerspricht derjenige, der Paulus aufgrund seines Evangeliums kritisiert, Gott selbst (vgl. Gal 2,5.14; Röm 9,1; 2Kor 4,2; 11,10). Allein an dieser Tatsache lässt sich ein hohes, „ ein gesteigertes, konfliktfähiges Selbstbewußtsein “ des Paulus beobachten, das er aus seinem Selbstverständnis als Apostel und letztlich aus Damaskus bezieht. 199 c) Berufung zur Völkermission Die Berufung zur Verkündigung des Evangeliums ist die zentrale Motivation und zugleich Zielbestimmung der Kommunikation des Paulus als Kommunikator. Paulus wird aufgefordert, euvaggeli,zwmai evn toi/ j e; qnesin (Gal 1,16; vgl. Röm 11,13 f). D. h., dass ihm mit diesem Auftrag eine bestimmte Zielgruppe, nämlich „ die Völker “ , vorgegeben ist. Der sich hieraus ergebenden Frage nach der Identität der Rezipienten des Evangeliums wird an anderer Stelle noch genauer nachzugehen sein. 200 Hier gilt meine Aufmerksamkeit der Radikalität des Wandels in der Person des Paulus, die diese Bestimmung impliziert: Der glühende Verfechter eines toratreuen Judentums, der Verfolger der „ weniger jüdischen “ Glaubensgenossen, welche Gemeinschaft mit „ Sündern aus den Völkern “ (Röm 3,29) pflegen, wandelt sich zum Apostel, der eben jenen Völkern das Evangelium predigt. Das ist eine „ radikale Kehre “ im Leben des Paulus, die mit einer „ grundlegende[n] Umkehrung aller seiner bisherigen lebensbestim- 196 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 438. Zum Verständnis der Genitivverbindung euvagge,lion Cristou/ als gen. subjectivus oder objectivus und der daran anknüpfenden Deutung Christi als Inhalt oder Agierender des Evangeliums siehe Kap. 2.3.2 und den Exkurs zur urchristlichen Begriffsgeschichte. 197 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 438. 198 Gal 2,7 stellt in diesem Zusammenhang ein Sonderfall dar, da sich die Unterscheidung zwischen dem Evangelium th/ j avkrobusti,aj und th/ j peritomh/ j als Differenzierung zweier Missionsbereiche aus dem Kontext ergibt. Das Evangelium, das Petrus unter den Beschnittenen verkündigt, hat Paulus dem Vernehmen von Gal 2 nach nicht von seinem unterschieden (vgl. bes. 2,14). 199 HAACKER, ThHK 6, aaO., 24. 200 Siehe Kap. 8.1. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 243 menden Werte “ verbunden ist 201 : „ Der jüdische Lehrer wird zum Heidenmissionar, an die Stelle des ,Eifers für das Gesetz ‘ tritt die Verkündigung des gesetzesfreien Evangeliums, an die Stelle der Rechtfertigung des Gerechten aufgrund seiner ,Werke der Tora ‘ die Rechtfertigung des Gottlosen alleine durch den Glauben “ . 202 Nicht nur, dass er den Gegenstand seiner bisherigen Verfolgung, die Integration von Angehörigen aus den Völkern in die an Christus glaubende Gemeinschaft aus Juden, gutheißt. Er forciert sogar noch dessen Wachstum, Ausweitung und z.T. auch zunehmende Abgrenzung von der jüdischen Muttergemeinschaft. Damit überwirft er sich natürlich mit seinen bisherigen, toragehorsamen Volksgenossen. Andererseits wirft die Eingliederung von Nichtjuden in die judenchristliche Gemeinschaft die Frage nach den Zugangsvoraussetzungen auf: Wie jüdisch müssen die Unbeschnittenen werden, um Christen zu sein? Konkret geht es um die Forderung der Beschneidung und die Erfüllung wenigstens eines Grundbestandes jüdischer (Reinheits-)Vorschriften. Beides lehnt Paulus klar ab. 203 5.1.4 Deutungen des Damaskuserlebnisses und Konseqenzen für das paulinische Rollenverständnis Im Folgenden sollen wichtige Deutungsansätze von Damaskus und der sich daraus ableitenden Rolle des Paulus aus der Forschung zu Wort kommen. Ich habe sie unter drei Perspektiven zusammengefasst, die das paulinische Selbstverständnis noch einmal vertiefen. In der Unterscheidung von Damaskus als Bekehrungs- und als Berufungsgeschehen (a) spiegelt sich die Frage nach dem Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität angesichts dieser Lebenwende wider: Was aus dem Leben des vorchristlichen Paulus hat bleibende Bedeutung? Wie radikal stellt sich der Bruch zwischen Altem und Neuem dar? Die Verwendung prophetischer Sprache und Motivik im Zusammenhang mit Damaskus legt eine Identifikation des paulinischen Apostolats mit dem alttestamentlichen Prophetenamt nahe (b): Inwiefern versteht Paulus sich selbst und sein Apostolat in Anknüpfung an biblische Propheten? Die Beiordnung von avpo,stoloj zu den Charismen in 1Kor 12,28 f mahnt zu einer Verhältnisbestimmung beider Größen und ggf. zu einer eindeutigen Abgrenzung (c): Versteht Paulus sein Apostolat als Charisma? 201 HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 284. 202 HENGEL, Der vorchristliche Paulus, aaO., 290; WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 322: Das Damaskuserlebnis als „ die große Störung, die Unterbrechung in seinem ivoudaismo,j “ . 203 Siehe Kap. 6.2.3 b. 244 5 Der Kommunikator des Evangeliums a) Bekehrung oder Berufung? Die Deutung des Damaskusereignisses als Lebenswende des Paulus lässt eine zweifache Interpretation zu: Bekehrung ist der „ traditionelle “ Begriff, der den persönlichen „ Gegensatz von altem und neuem Leben “ , andererseits aber auch die Dimension des „ Religionswechsels “ , des „ Übertritts zu einer anderen Konfession “ bezeichnen kann. 204 Demgegenüber hebt die Beschreibung von Damaskus als Berufung eher auf die aus dem Ereignis resultierende Verpflichtung ab: auf die Aufgabe, als Völkerapostel zu verkündigen. 205 K. Stendahl sieht Bekehrung und Berufung in Alternative zueinander und lehnt erstere wegen des Fehlens eines echten Religionswechsels ab: „ Reue und Zweifel sind vor der Berufung zu seiner Mission nicht erkennbar [. . .] [ J]ede Anklage oder Selbstanklage fehlt “ . 206 Eine Bekehrung in Analogie zu einem modernen „ Erweckungsmodell “ sei nicht ersichtlich und Paulus sei schließlich nicht Luther. 207 Hat Paulus einen Religionswechsel vollzogen und ist vom Judentum zum Christentum „ übergetreten “ ? G. Theißen hat versucht, die Selbstwahrnehmung des Paulus psychologisch zu interpretieren. 208 Er diagnostiziert Kontinuität hinsichtlich der Deutung des Gesetzes zwischen dem Paulus vor und demjenigen nach Damaskus: „ Wer vom Gesetz motiviert andere verfolgt, sich dann aber zu den Verfolgten bekehrt, dem muss das Gesetz mit seiner Bekehrung von Anfang an problematisch gewesen sein. “ 209 Paulus habe einen unbewussten Konflikt mit sich selbst auf die Christen projiziert: „ Er sieht bei den Christen eine Freiheit gegenüber dem Gesetz und eine Offenheit gegenüber den Heiden, die er bei sich selbst unterdrückt. Er bekämpft in ihnen ein Stück seiner selbst, und der Kampf gegen die Christen hilft ihm zugleich, diesen ,Schatten ‘ in sich selbst zurückzudrängen. “ 210 Das Damaskusgeschehen löst nun bei Paulus eine „ Verwandlung im Innern “ aus, die in der 204 HAACKER, K., Paulus. Der Werdegang eines Apostels, Stuttgart 1997, 99. 205 Zur Forschungsgeschichte der Kontroverse Bekehrung/ Berufung des Paulus vgl. STRECKER, C., Die liminale Theologie des Paulus. Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive, FRLANT 185, Göttingen 1999, 83 - 96; SEGAL, A. F., Paul the Convert, New Haven/ London 1990. 206 STENDAHL, K., Der Jude Paulus und wir Heiden, München 1978, 25; ähnlich COL- LINS, R. F., Paul ’ s Damascus Expierience: Reflections on the Lukan Account, in: Louvain Studies 11 (1986), 99 - 118. 207 Vgl. STENDAHL, Der Jude Paulus und wir Heiden, aaO., 23; 24 f. Letztere Spitze ist natürlich gegen die von der New Perspektive verurteilte „ lutherische “ Interpretation von Paulus gerichtet. 208 Zur Übersicht über die forschungsgeschichtlich vertretenen psychologischen Erklärungsversuche des Damaskusereignisses vgl. REICHHARDT, M., Psychologische Erklärungen der paulinischen Damaskusversion? , SBB 42, Stuttgart 1999, 17 - 88. 209 THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 298. 210 THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 296. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 245 Beschreibung Theißens tatsächlich an das „ Turmerlebnis “ Martin Luthers erinnert: „ Was er bisher verdrängt hatte und bei sich nicht hatte wahrnehmen wollen - seinen Unwillen am Gesetz, seinen verborgenen Konflikt mit ihm - , all das kann er nun akzeptieren. Er kann sich selbst als Sünder verstehen. Er hatte sich einmal dem Willen Gottes entgegengestellt. Aber dennoch wurde er zum Werkzeug eben dieses Willens “ . 211 Die Diskontinuität liegt für Theißen in der Bewertung der Vergangenheit, die er „ vehement ablehnt. “ 212 Auch sei seine Bekehrung und Berufung „ Modell für die Abwendung vom Judentum in seiner traditionellen Gestalt. “ 213 Darüber hinaus bleibt Paulus seinem Selbstverständnis nach Jude. 214 Seine Konversion ist dem Duktus Theißens zufolge eher als Wechsel der Denomination analog Luther und nicht als der Vollzug eines Religionswechsels zu interpretieren. 215 O.Wischmeyer nimmt Theißens „ Kontinuitätsmodell “ positiv auf als „ Brückenschlag zwischen dem ,vorchristlichen ‘ und dem ,christlichen ‘ Paulus “ . 216 Jedoch kritisiert sie die personale Interpretation der Kategorie des Neuen, die nicht den eschatologisch-apokalyptischen Vorstellungs- und Beschreibungsmustern des paulinischen Selbstverständnisses entspricht 217 : „ Es fehlt jeder Anknüpfungspunkt für die Christusvision im Leben des Juden Paulus “ . 218 Es lasse sich weder ein autobiographischer Bruch noch eine autobiographische 211 THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 297; vgl. HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 37: „ In modern psychological terms, one might say that Paul had a stress experience inducing him to identify with his victims “ . 212 THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 304. 213 THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 303. 214 Vgl. THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 314; ähnlich NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel, aaO., 181: „ Das ,Judentum ‘ als Ausdruck für die Sozialgestalt einer Religion, aus der er, wie von außen betrachtend und beurteilend, heraustreten könnte, gibt es für Paulus nicht. Er versteht sich auch und gerade als Christusapostel als ein Glied des Volkes Israel “ ; FREY, Das Judentum des Paulus, aaO., 25: „ Nichts erlaubt die Annahme, dass er irgendwann seine durch Geburt begründetet Zugehörigkeit zum erwählten Gottesvolk ,Israel ‘ [. . .] infrage gestellt hätte “ ; HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 23: „ Instead of underscoring the paradoxes between Paul ’ s Jewish past and his later Gentile mission, I argue for continuity “ . 215 Vgl. THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 313; 308: „ Die Bedeutung des Paulus ist aber nur unzureichend erfasst, wenn man sie in einer Abgrenzung der neuen Religion zum Judentum sieht. Seine Größe besteht darin, dass er gleichzeitig an der Kontinuität zum Judentum festhält. Für ihn ist der christliche Glaube Erfüllung des Judentums - nicht nur Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen. BETZ, Der Galaterbrief, aaO., 131; HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 35. 216 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 324. 217 Vgl. WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 324. 218 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 323. 246 5 Der Kommunikator des Evangeliums Erfüllung feststellen, sondern grundsätzliche Diskontinuität. 219 Selbst in der Rückschau erfahren „ weder seine Religion, das Judentum, noch seine individuelle Religiosität als Pharisäer [. . .] von seiner Seite aus eine Korrektur oder Veränderung “ . 220 Stattdessen interpretiert Wischmeyer Damaskus in den Augen des Paulus als „ Überschreitung von Religion “ , ohne Eintritt oder Übertritt in eine andere: „ Paulus löst sich von der einzigen Religion, die es für ihn gibt, dem Judentum, indem er von Gott selbst auf die Seite des auferstandenen Chrtistus gerufen wird und das Evangelium von dem auferstandenen Christus predigen muß [. . .] Er ist nach seinem eigenen Verständnis nicht Funktionär einer neuen Religion, sondern direktes Werkzeug Gottes “ . 221 Die „ Distanz “ zum Judentum ist also nicht begründet im „ Eintritt in eine andere bessere Religion, sondern in den direkten Wirkungsbereich Gottes “ . 222 Gott entzieht Paulus gewissermaßen dem Wirkbereich der jüdischen Religion, „ weil sie angesichts des endzeitlichen Heilshandeln Gottes in Jesus Christus ihre religiöse Bedeutung und Funktion verliert. “ 223 Paulus bleibt fu,sei ein Jude (Gal 2,15; vgl. Röm 11,14), also in ethnischer Hinsicht. Das Pendant zum religiösen Begriff „ Jude “ ist aber nicht „ Christ “ , sondern Berufener, avpo,stoloj vIhsou/ Cristou/ . 224 Damaskus ist eine „ Unterbrechung “ durch eine „ von außen kommende Größe “ , die eine „ Hineinnahme in die kainh. kti,sij bzw. die kaino,thj, d. h. in die endzeitliche Herrschaft des ku,rioj vIhsou/ j Cristo,j “ bewirkt. 225 C. Strecker betont ebenfalls die Diskontinuität, wenn er das Damaskusgeschehen im Anschluss an die RitualtheorieV. Turners als Initiationsgeschehen bzw. als „ Eröffnung eines Initiationsprozesses “ beschreibt. 226 Das Ritual sei ein 219 Vgl. WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 323; 220 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 323; kursiv O.W.; vgl. auch NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel, aaO., 181: Es ist festzustellen, „ daß er an keiner Stelle seine gegenwärtige Identität als Christusapostel mit seiner ,jüdischen Vergangenheit ‘ kontrastiert, als habe er sich seit seiner Berufung vom ,Judentum ‘ als einer Religion, deren Werte durch seine Christuserfahrung prinzipiell überholt seien, grundsätzlich abgewendet “ . 221 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 325. 222 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 326. 223 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 326. 224 Vgl. WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 326: In Anlehnung daran kann er auch die „ Christen “ seiner Gemeinden „ Berufene “ , „ Herausgerufene ,in Christus ‘“ nennen. 225 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 323; ähnlich NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel, aaO., 182: „ Entscheidend für die Beurteilung seiner Identität als Christusapostel und Glied des Volkes Israel ist es, daß Paulus im Christusgeschehen, das seit seiner Berufung Grundlage seiner Existenz geworden ist, den Gott, der der Gott Israels ist, eschatologisch handelnd erfährt “ ; vgl. auch LÜDEMANN, G., Paulus und das Judentum, München 1983, 41. 226 STRECKER, Die liminale Theologie des Paulus, aaO., 83. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 247 „ transformatives Prozeßgeschehen “ , mit drei Phasen: Trennungsphase, Wiedereingliederungsphase und dazwischen der sog. liminalen Phase ( „ Schwellenphase “ ). 227 „ Liminalität “ versteht Strecker als „ Existenz zwischen fixierten Statuspositionen, einem Zustand des ,Weder-noch ‘ , der Unstrukturiertheit, der Undefinierbarkeit und des Paradoxes; sie ist mithin grundlegend durch Ambiguität definiert [. . .] Liminalität setzt mit anderen Worten die geläufigen sozialen und kulturellen Normen und Rollenverteilungen zeitweise, z.T. auch endgültig außer Kraft und hebt damit alltägliche Wirklichkeitserfahrungen auf bzw. kehrt sie um. “ 228 Den biographischen Rückblenden des Paulus liegen nach Strecker „ ein Initiationsmuster zugrunde, das die göttlich sanktionierte Transformation Pauli aus einer renomierten Statusposition in eine liminale Stellung zum Inhalt hat und den Apostel als eine der göttlichen Souveränität des Evangeliums entsprechende Schwellenperson zeichnet. “ 229 Damaskus steht für die Stufen der Separation (Aussonderung) und der Liminalität (Passivität; Offenbarungscharakter) und kann deswegen als „ Initiationsszenario “ bezeichnet werden. 230 Die beiden Dimensionen Bekehrung und Berufung erschließt Strecker folgendermaßen: „ Die Initiationsform der mystischen Berufung beinhaltet zum einen den Aspekt einer umfassenden Transformation der individuellen Person; darin gleicht sie einer Konversion. Sie schließt aber auch das Moment der Instruktion durch göttliche Wesen und Menschen ein; darin gleicht sie einer Berufung “ . 231 In Gal 1 berichte Paulus nach Strecker von einer „ anti-strukturellen Umkehrung “ seines vergangen Lebens als Pharisäer dessen „ Hierarchisierung “ und „ Exklusivität “ zur „ Inklusivität “ , der Integration der Völker, führt. 232 Interessanterweise betrachtet Strecker damit die Initiation des Paulus nicht als abgeschlossen. Er versteht das weitere Leben des Paulus unter dem Vorzeichen der „ permanenten Liminalität “ , da eine menschliche Bestätigung seines neuen Status im Grunde ausbleibt 233 : „ Es wird ersichtlich, daß Pauli Position trotz der Abmachung in Jerusalem keineswegs unumstritten war; von einem gefestigten Status des Apostels und seiner Heidenmission kann aufgrund dieses Berichtes keine Rede sein. [. . .] [E]ine unumstrittene, dauerhafte Aggregation in eine neue Sozialstruktur blieb indes 227 Vgl. STRECKER, Die liminale Theologie des Paulus, aaO., 40; 42 f. 228 STRECKER, Die liminale Theologie des Paulus, aaO., 43. 229 STRECKER, Die liminale Theologie des Paulus, aaO., 97. 230 Vgl. STRECKER, Die liminale Theologie des Paulus, aaO., 99 - 102. 231 STRECKER, Die liminale Theologie des Paulus, aaO., 95. 232 Vgl. STRECKER, Die liminale Theologie des Paulus, aaO., 108. 233 Vgl. STRECKER, Die liminale Theologie des Paulus, aaO., 108 f; 111: „ Die Liminalität der Berufungsinitiation erstreckt sich mithin über das ursprüngliche Damaskusereignis hinaus auf sein Leben als Heidenapostel: [. . .] eine unumstrittene, dauerhafte Aggregation in eine neue Sozialstruktur blieb indes aus “ . 248 5 Der Kommunikator des Evangeliums aus “ . 234 In diese Perspektive kann Strecker auch die eschatologische Komponente des Damaskusereignisses integrieren: „ Die Initiation wird erst mit der Parusie abgeschlossen, die gegenwärtige Existenz figuriert darum als dauerhaft liminale Situation. Das Damaskusgeschehen eröffnet gewissermaßen [. . .] eine längere Schwellenphase, in derAuferstehung, Leben, Leiden und Tod aufs engste ineinander verwoben sind. Das Alte ist prinzipiell vergangen, das Neue aber noch nicht in Gänze verwirklicht “ . 235 Dass die Bekehrung nicht nur Voraussetzung der Berufung, sondern umgekehrt auch die Berufung an ihrer Verwirklichung Anteil hat, demonstriert A. Satake. 236 Er untersucht das mit der Berufung verbundene Vokabular in Gal 1 und findet heraus, dass kale,w nicht nur die Berufung des Paulus, sondern „ meistens die Berufung des einzelnen Menschen zum Christenstand “ bezeichnet, so auch in Bezug auf Paulus selbst in Röm 9,24 und 1Thess 4,7. 237 Die Berufung von anderen Amtsträgern wird dagegen niemals mit kale,w wiedergegeben. 238 Ein ähnlicher Befund ergibt sich für klhto,j. 239 Für Satake ist das ein Hinweis darauf, „ daß sein Apostelsein nicht anders begründet ist als das Christsein der andern Gemeindeglieder “ . 240 Weitere Kommentare des Apostels (z. B. 1Kor 9,16) deuten darauf hin, dass „ für den Apostel sein eigenes Heil nur dadurch ermöglicht [wird], daß er andern das Evangelium verkündet. “ 241 Aus einer Analyse des Vokabulars um ca,rij bei Paulus erarbeit Satake das Verständnis des Apostolats „ als Gnade Gottes, die ihn beruft und mit der Verkündigungsaufgabe betraut, damit er nicht nur andern Heil bringen, sondern selbst zum Heil kommen kann. “ 242 Daher fallen für Paulus „ Berufung zum Glauben und Berufung zum Apostel “ nicht nur biographisch, sondern auch sachlich zusammen. 243 Auf dem Hintergrund dieser Analysen erscheint mir die Alternative „ Bekehrung oder Berufung “ , wie Stendahl sie vertritt, zu statisch. Ebenso bleibt aber 234 STRECKER, Die liminale Theologie des Paulus, aaO., 111. 235 STRECKER, Die liminale Theologie des Paulus, aaO., 157: Dieser Aspekt von Damaskus kann auch „ paradigmatische Funktion “ für die anderen Glaubenden haben, die „ grundsätzlich in den gleichen Transformationsprozeß eingebunden “ sind: „ Hier wie dort bricht durch den Initiationsakt ein gleichsam sakramental geprägtes Leben an, das in der himmlischen Vollendung dereinst sein Ziel finden wird. So tritt die Initation des Apostels als Modell für alle Christusgläubigen in Erscheinung “ . 236 Vgl. SATAKE, A., Apostolat und Gnade bei Paulus, in: NTS 15 (1968), 96 - 107. 237 SATAKE, Apostolat und Gnade bei Paulus, aaO., 96. 238 Vgl. SATAKE, Apostolat und Gnade bei Paulus, aaO., 97. 239 Vgl. SATAKE, Apostolat und Gnade bei Paulus, aaO., 97. 240 SATAKE, Apostolat und Gnade bei Paulus, aaO., 97. 241 SATAKE, Apostolat und Gnade bei Paulus, aaO., 106. 242 SATAKE, Apostolat und Gnade bei Paulus, aaO., 106. 243 Vgl. SATAKE, Apostolat und Gnade bei Paulus, aaO., 107. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 249 auch die (allzu) starke Betonung der Kontinuität nach Damaskus (Theißen) hinter der Selbstdarstellung der paulinischen Briefe zurück. Das Überschreiten der Dimension des Judentums hinein in einen eschatologischen Wirkbereich Gottes (Wischmeyer), der damit angebrochene „ liminale Prozess “ seit Damaskus (Strecker) und die persönliche Heilsdimension der Evangeliumsverkündigung für Paulus (Satake) rücken das grundsätzlich Neue dieses biographischen Ereignisses in den Blick. Darum ist Haacker zuzustimmen, wenn er sich für eine Beibehaltung des Begriffs „ Bekehrung “ neben „ Berufung “ stark macht, da er „ die vom Subjekt vollzogene und empfundene scharfe Zäsur zwischen Einst und Jetzt “ ebenso zu umfassen vermag, wie die „ soziale Antithese “ der Gruppenzugehörigkeit bzw. -eingliederung, die im Fall des Paulus durchaus der „ Symmetrie des Bekehrungsgedankens “ entspricht 244 : So wie Paulus „ eben auch vor seiner Lebenswende kein bloß Außenstehender, sondern ein militanter Gegner der Kirche “ ist, wird er bei Damaskus nicht nur bloßer „ Christ “ , sondern Apostel Jesu Christi. 245 Insofern sind Berufung und Bekehrung zwei Aspekte, die im Damaskuserlebnis biographisch und sachlich zusammenfallen. 246 Ausgehend vom Begriff lässt sich mit I.Broer festhalten, dass beim Damaskuserlebnis zwar - entgegen der neuzeitlichen Auffassung von Bekehrung - nicht das sich bekehrende Subjekt Paulus im Vordergrund steht, sondern „ der die Wende veranlassende Gott [. . .] Das schließt freilich nicht aus, dass der Apostel sehr stark den Gegensatz zwischen dem negativ bewerteten Einst und dem postitv bewerteten Jetzt hervorhebt [. . .] [,] was für eine Berufung gerade nicht charakteristisch ist, aber in gewisser Weise als zeitloses Merkmal der Bekehrung angesehen werden kann “ 247 : „ Of course, conversion is our term, not Paul ’ s [. . .] [H]e used the biblical language for the call of a Hebrew prophet “ . 248 b) Paulus als Prophet? Wenn Paulus in Gal 1,15 f von seiner Auserwählung „ vom Mutterleib an “ (evk koili,aj mhtro,j) und von seiner Berufung (kale,w) „ durch Gottes Gnade “ (dia. th/ j ca,ritoj auvtou/ ) berichtet, verwendet er Sprache und Bildmaterial, die bereits aus alttestamentlichen Prophetenberfungen bekannt sind ( Jer 1,5 und Jes 49,1.5 f): „ Offenbar versteht Paulus seine Einsetzung, Berufung und Beauftragung in 244 HAACKER, Paulus, aaO., 101. 245 HAACKER, Paulus, aaO., 100. Die Verwendung der Begriffe „ Kirche “ und „ Christ “ im neutestamentlichen Zusammenhang wird in der gegenwärtigen Forschung als anachronistisch kritisiert. 246 Vgl. VOUGA, HNT 10, aaO., 33; SATAKE, Apostolat und Gnade bei Paulus, aaO., 96. 247 BROER, Die Erscheinung des Auferstandenen, aaO., 61; 248 HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 35. 250 5 Der Kommunikator des Evangeliums Analogie zu den großen alttestamentlichen Propheten “ . 249 Eine derartige Anspielung auf prophetische Vorstellungsgehalte im Zusammenhang mit seiner Verkündigung ist bei Paulus kein singuläres Phänomen (vgl. nur Phil 2,15 → Jes 49,6 oder Röm 10,15 → Jes 52,7). Hat sich Paulus in seinem Selbstverständnis als Apostel an die alttestamentlichen Propheten angelehnt? Versteht er sich gar selbst als von Gott berufener Prophet? 250 Warum zieht Paulus diese Parallele und wie ist sie einzuordnen? 251 K. O.Sandnes hat diesen in der Forschung immer wieder aufgeworfenen Fragen eine einschlägige Monographie gewidmet und stellt darin zu Beginn klar: „ Paul never calls himself a prophet “ . 252 Daher kann es nur um die Suche nach prophetischen Elementen und Merkmalen bei Paulus gehen. 253 Diese finden sich jedoch zahlreich. 1) Dazu zählen zunächst einmal die Verweise auf den Geist, von dem Paulus seine Predigt und seine Anweisungen geleitet weiß (1Kor 2,13; 7,40). 254 Der Geist wird im zeitgenössischen Judentum mit der Prophetie in Verbindung gebracht. 255 Ganz konkret spricht Paulus in 1Thess 1,5, 1Kor 2,4 und Röm 15,17-19 von der „ Kraft des Geistes “ , die seine Evangeliums-Verkündigung begleitet, und aus 1Kor 12,28 schließt Sandnes: „ Paul ’ s apostleship may also be correctly regarded as a spiritual gift “ . 256 2) Paulus gibt Beispiele eigener Tätigkeiten, die denen eines Propheten entsprechen: 1Kor 14,6.19 impliziert, dass er gelegentlich selbst prophetische Orakel in der Gemeinde äußert, und in 1Kor 2,6-16 präsentiert er das Evangelium des Gekreuzigten als wäre es ein prophetisches Mysterium. 257 Auch Röm 11,25 f wirkt wie eine Selbstinszenierung des Paulus als Prophet, 249 SCHNELLE, Paulus, aaO., 80. 250 Vgl. SCHNELLE, Paulus, aaO., 80. 251 Vgl. zum Thema: HOPPE, R., Der Topos der Prophetenverfolgung bei Paulus, in: NTS 50 (2004), 535 - 549; DERS., Verkündiger - Botschaft - Gemeinde. Überlegungen zu 1Thess 2,1-12.13 - 16, in: NIEMAND, C. (Hg.), Forschungen zum Neuen Testament und seiner Umwelt, FS A. Fuchs, Frankfurt a. M. 2002, 325 - 345; Rengstorf, Art. avpo,ste,llw ktl, aaO., 440 - 443. 252 SANDNES, K. O., Paul - One of the Prophets? A contribution to the Apostle ’ s Self- Understanding, WUNT II 43, Tübingen 1991, 2. 253 Vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 2. 254 Vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 1; SCHNELLE, Paulus, aaO., 159: „ Er verstand sich selbst wie die Propheten als einen vom pneu/ ma Ergriffenen, der den Geist besitzt und nach der Maßgabe des Geistes lebt und handelt “ (1Kor 14,1.18.27 f; Gal 6,1; Phil 3,15). 255 Vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 3. 256 SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 1; siehe auch Kap. 7.2.3. 257 Vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 3; 241. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 251 „ der eine Erkenntnis mitteilt, die argumentativ nicht aus dem Kerygma ableitbar ist. Die Prophetie dient Paulus [hier] als theologisches Erkenntnismittel, um eine Leerstelle theologischer Reflexion auszufüllen “ . 258 3) In der Beschreibung des Damaskuserlebnisses in Gal 1,15 f werden die Ähnlichkeiten mit Berufungsgeschichten alttestamentlicher Propheten signifikant: „ The basic structure, call, election, revelation, commission and definition of target group, corresponds to the basic structure of the commission texts of the OT prophets “ . 259 Paulus empfindet die Christophanie vor Damaskus im Wesentlichen als von Gott ausgehendes Geschehen und lehnt sich mit dieser Darstellung an prophetische Theophanien des Alten Testamentes an: Hier wie dort wird die Beauftragung, durch die der Berufene „ zum Träger und Boten des Wortes wird “ , als „ Akt der Selbstkundgabe Gottes “ geschildert (vgl. Gal 1,16). 260 Seine Selbstvorstellung als (klhto.j avpo,stoloj) avfwrisme,noj (Röm 1,1; Gal 1,15) bildet eine direkte Analogie zur Berufung des Propheten Jeremia. 261 Auch der Modus dieser Selbstkundgabe rückt das Damaskuserlebnis in die Nähe der Propheten: In 1Kor 14,26ff bringt Paulus die Offenbarung als Charisma mit dem Charisma der Prophetie in Verbindung. 262 Prophetische Rede scheint durchweg aufgrund von Offenbarung zu erfolgen, oder umgekehrt formuliert: die Offenbarung ist die „ Redeform “ der Prophetie. 263 Offenbarung (avpoka,luyij) ist jedoch auch der Schlüsselbegriff des Erlebens vor Damaskus wie es Paulus in Gal 1 beschreibt. 264 258 SCHNELLE, Paulus, aaO., 377; vgl. dazu auch (im Kontext von 1Thess 4,13-18 und 1Kor 15): MERKLEIN, H., Der Theologe als Prophet. Zur Funktion prophetischen Redens im theologischen Diskurs des Paulus, in: DERS., Studien zu Jesus und Paulus II, WUNT 105, Tübingen 1998 2 , 377 - 404. 259 SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 4. 260 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 438: „ Gottes Tatwort konkretisiert sich im Munde des Apostels zur glaubenschaffenden Botschaft “ (Röm 10,14-17). 261 Jer 1,5: „ Ehe ich dich im Mutterschoß bildete, habe ich dich erkannt, und ehe du aus dem Mutterleib heraus kamst, habe ich dich geheiligt und zum Propheten für die Völker eingesetzt “ . 262 Zur Einordnung des Phänomens der urchristlicher Prophetie bei Paulus vgl. DAUTZEN- BERG, G., Prophetie bei Paulus, in: JBTh 14 (1999), 55 - 70. 263 Vgl. DAUTZENBERG, Prophetie bei Paulus, aaO., 59; Zit. 62; FRIEDRICH, G., Art. profh,thj, ThWNT 6, 854 f. 264 Vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 245 f: Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Natur der Offenbarung (einmalige Offenbarung Christi - „ continuous reception of revelations “ ) und dem Charakter der Offenbarung (gemeindebegründend - Charisma mit Ort in der urchristlichen Liturgie). Daher unterscheidet Sandnes Paulus als „ apostle-prophet “ im Anschluss an die „ kanonischen “ alttestamentlichen Propheten von den übrigen urchristlichen Propheten, die er dem „ wider stream of prophecy in OT, Judaism and the Greco-Roman world “ zugehörig zählt. Eine ähnliche Unterscheidung findet sich bei HAACKER, ThHK 6, aaO., 24. 252 5 Der Kommunikator des Evangeliums 4) Auch jenseits der konkreten Beschreibung seiner Damaskuserfahrung stützt Paulus seinen Anspruch als Apostel durch alttestamentliche Propheten- Zitate oder Anspielungen (Phil 2,16; 1Kor 9,16; 2Kor 10,8; 13,10). Diese Verweise könnten auch nur unbewusst dem allgemeinen Gebrauch der Septuaginta geschuldet sein. 265 Der Rekurs auf prophetisches Vokabular und Motive erscheint aber so regelmäßig, dass eher von einer bewussten Inszenierung biblischer Prophetentraditionen auszugehen ist: „ [T]he audiences recognized, that Paul was presenting himself in a manner reminiscent of the ancient prophets “ . 266 Warum nennt Paulus sich trotz alledem nie einen Propheten? Wohl weil sich sein Selbstverständnis mit „ Prophet “ nicht umfassend ausdrücken lässt. Sandnes hat drei Gründe erarbeitet, warum Paulus auf diese Selbstbezeichnung verzichtet: Zum einen sieht er sich nicht mit den Propheten identisch hinsichtlich des heilsgeschichtlichen Ortes: Der Apostel ist „ Träger und Bote der abschließenden eschatologischen Selbstkundgabe Gottes, des Evangeliums, das durch die Propheten lediglich ,vorherverheißen ‘ worden war “ (Röm 1,1 f). 267 Das Evangelium ist „ actualization “ der prophetischen Botschaft. 268 Zum zweiten ist das paulinische Apostolat christologisch zentriert: „ Paul therefore presented himself throughout as ,apostle of Jesus Christ ‘“ . 269 Diese Kategorie ist der theozentrisch orientierten Prophetie des Alten Testamentes natürlich fremd. Zum dritten ist das spezifisch jüdischeVerständnis alttestamentlicher Propheten außerhalb der jüdisch geprägten Rezipientenschaft nicht selbstverständlich bekannt. 270 Umgekehrt - so möchte ich ergänzen - verbinden Juden eine klare Vorstellung mit dem Begriff des Propheten, die Paulus in seinem Selbstverständnis gerade nicht vollständig übernehmen möchte. 271 Wie lassen sich auf diesem Hintergrund die prophetischen Elemente in der paulinischen Darstellung verstehen? Paulus nutzt bekannte prophetische Traditionen einerseits inhaltlich, um sein eigenes Selbstverständnis zum Aus- 265 Vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 4. 266 Vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 241; Zit. 240: Beispiele: 1Thess 2,3-8 als Verteidigung gegen die jüdische Anklage, ein falscher Prophet zu sein; 1Kor 9,15-18 als „ concept of compulsory preaching which we found widely attested as typical prophets “ (242). 267 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 438; vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 243. 268 Vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 244. 269 SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 244. 270 Vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 244. 271 Vgl. dazu die Überlegung, dass der Apostel-Begriff aufgrund seiner fehlenden Vorgeprägtheit besonders geeignet ist, den neuen Charakter der urchristlichen/ paulinischen Rolle zu beschreiben (Kap. 5.1.3 a). 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 253 druck zu bringen, andererseits aber auch funktional, um seiner Rolle gegenüber den Rezipienten autoritatives Gewicht zu verleihen. Inhaltlich ist das Verhältnis des Paulus zur alttestamentlichen Prophetie am besten mit J.Roloff als „ typologisches “ zu bezeichnen. 272 Das Damaskusgeschehen wird in „ struktureller Entsprechung “ zu alttestamentlichen Prophetenberufungen geschildert und durch diese Kontextualisierung interpretiert 273 : Wie ein Prophet ist Paulus als Verkündiger eng von seiner Botschaft und dem ihn Sendenden abhängig 274 ; wie ein Prophet ist er auserwählt (avfori,zw) für seine Aufgabe „ von Mutterleibe an “ und gesandt mit seiner Botschaft nicht nur an Israel sondern an „ alleVölker “ ( Jer 1,5). Paulus nutzt also prophetische Semantik, um diese Aspekte seines Selbstverständnisses zu illustrieren. Andererseits - und das demonstriert besonders Röm 1,1 - greift Paulus auf die mit den Propheten verbundene Autorität zurück, um seinen eigenen Anspruch als Apostel zu unterstreichen. Das Verbindungsglied zwischen seiner und der prophetischen Autorität ist das Evangelium, das er zu verkündigen ausgesondert ist (V.1), und das Gott durch die Propheten „ vorherverheißen “ hat (V.2) 275 : „ [H]e demonstrates not only the general connection between his message and the Jewish scriptures, but also affiliates himself to the sacred library of Judaism “ . 276 Mit dieser „ literary self-presentation “ , diesem „ self-fashioning “ seiner Person in Röm 1 stellt Paulus den gesamten folgenden Brief von vornherein unter die Autorität prophetischer Rede 277 : „ [He] connects his person so tightly with God ’ s salvific plans that he appears to play a particularly vital role in God ’ s salvation history “ . 278 Das verleiht Paulus in gewisser Weise doppelte Autorität: durch die Berufung zum Apostel vor Damaskus (hier in V.1 nur angedeutet) und durch die Übereinstimmung mit bzw. die Fortsetzung von prophetischen Verkündigern. Der Ursprung derAutorität liegt freilich beidesmal unmittelbar bei Gott bzw. dem von ihm ausgehenden Evangelium. Inhalt und Funktion, Ausdruck und Anspruch des Selbstverständnisses lassen sich an keiner Stelle voneinander trennen. Wann immer sich bei Paulus Anklänge an prophetisches Vokabular oder Motiv finden, wird beides anklingen: 272 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 438. 273 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 437; vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 242. 274 Vgl. SANDNES, Paul - One of the Prophets? , aaO., 242 f; Zit. 242. 275 Vgl. WISCHMEYER, O., Romans 1: 1 - 7 and Mark 1: 1 - 3 in comparison. Two opening texts at the beginning of Early Christian literature, in: BECKER, E.-M./ ENGBERG-PEDER- SEN, T./ MÜLLER, M. (Hgg.), Mark and Paul. Comparative Essays Part II. For and Against Pauline Influence on Mark, BZNW 199, Berlin/ Boston 2014, 121 - 146; 127. 276 WISCHMEYER, Romans 1: 1 - 7 and Mark 1: 1 - 3 in comparison, aaO., 144. 277 WISCHMEYER, Romans 1: 1 - 7 and Mark 1: 1 - 3 in comparison, aaO., 136. 278 WISCHMEYER, Romans 1: 1 - 7 and Mark 1: 1 - 3 in comparison, aaO., 136. 254 5 Der Kommunikator des Evangeliums eine Illustration seines Selbstbildes durch ein bekanntes Rollenbild und der mit diesem Rollenbild verbundene „ autoritative “ Anspruch. c) Apostolat als Charisma? In 1Kor 12,28 f erscheint avpo,stoloj in einer Aufzählung neben anderen (charismatischen) Gemeindeämtern: 1Kor 12,28: Kai. ou]j me.n e; qeto o` qeo.j evn th/ | evkklhsi,a| prw/ ton avposto,louj( deu,teron profh,taj( tri,ton didaska,louj( e; peita duna,meij( e; peita cari,smata ivama,twn( avntilh,myeij( kubernh,seij( ge,nh glwssw/ nÅ Und die einen hat Gott eingesetzt in der Gemeinde erstens als Apostel, zweitens als Propheten, drittens als Lehrer, dann Kräfte, dann Gnadengaben der Heilung(en), Hilfeleistungen, Leitungen, Arten von Sprachen. 29 pa,ntej avpo,stoloiÈ mh. pa,ntej profh/ taiÈ mh. pa,ntej dida,skaloiÈ mh. pa,ntej duna,meijÈ Sind etwa alle Apostel? Alle Propheten? Alle Lehrer? Haben alle (Wunder-)Kräfte? Charakterisiert Paulus hier den „ Apostel “ als ein Gemeinde- „ Amt “ unter anderen? K.Kertelge hat darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine „ Vor-, Neben- oder Unterordnung der aufgezählten Gruppen und Charismen im Verhältnis zueinander “ handelt. „ [V]ielmehr soll in der Mannigfaltigkeit der untereinander sehr verschiedenen Geistwirkungen der eine Geist als die gründende und tragende christliche Wirklichkeit erkannt werden. “ 279 D. h. nicht die Aufzählung und ihre Bestandteile stehen für Paulus hier im Fokus, sondern die gemeinsame verbindende Perspektive, auf die er in 1Kor 12,3ff hingewiesen hat. Wie ist dann die Auswahl zu verstehen? Sind Apostel, Propheten, Lehrer, Wunderheiler willkürlich herausgegriffen? Wenn Paulus von sich selbst als Apostel spricht, verweist er nicht auf ein ca,risma, sondern auf die ca,rij Gottes (Röm 1,5; 12,3; 15,15; 1Kor 3,10; 15,10; Gal 1,15; 2Kor 12,9). 280 „ [S]onstige Dienste in der Gemeinde aber bezeichnet er nie mit diesem Wort “ . 281 Durch die Charakterisierung als ca,rij macht Paulus aber deutlich, dass das Apostolat „ kein ,Amt ‘ [ist], das man anstreben kann, sondern eine Auszeichnung [. . .], die also nicht ,verdient ‘ ist. “ 282 Nicht umsonst berichtet Paulus von einer „ Berufung “ (kale,w) und nicht von einer Ernennung oder Amtseinführung (Gal 1,15; vgl. klhto,j in Röm 1,1; 1Kor 1,1). Am ehesten ähnelt derApostel-Begriff im Mund des Paulus einer „ Berufsbezeichnung “ , die die primäre Aufgabe der gemeindegrün- 279 KERTELGE, Das Apostelamt des Paulus, aaO., 176. 280 Vgl. KERTELGE, Das Apostelamt des Paulus, 177. 281 SATAKE, Apostolat und Gnade bei Paulus, aaO., 106. 282 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 40; Vgl. KERTELGE, Das Apostelamt des Paulus, aaO., 165. 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 255 denden Erstmission umschreibt. 283 Die anderen Dienste aber sind nicht nach außen, sondern auf die Gemeinde vor Ort ausgerichtet. 284 Wenn das Apostolat nicht ein „ Amt “ neben anderen ist, wie ist dann deren Verhältnis zu ihm hier in 1Kor 12,28 f zu verstehen? Es ist hilfreich, sich den gesamten Kontext von 1Kor 12 zu vergegenwärtigen. Paulus spricht hier nicht nur von Gnadengaben (cari,smata, V.4) und Ämtern (diakoni,aj, V.5). Vielmehr nennt er auch Wirkungen des Geistes (evne,rghmata, V.6) und unterscheidet verschiedene Glieder am Leib (me,lh, VV.12 ff ). Darum fällt es nicht schwer, das Apostolat als ein Glied am Leib Christi zu betrachten (V.27), das ebenso Anteil an den Wirkungen des Geistes hat wie Ämter oder Gnadengaben. Die Frage, warum Paulus den Apostel in V.28 f an den Anfang der Liste setzt, ja warum er ihn überhaupt aufnimmt, kann nur spekulativ beantwortet werden. Vielleicht räumt er dem Apostel doch eine Sonderstellung ein, weil er bei seiner Erst-mission „ alle Dienste, die sonst in den Gemeinden auf verschiedene Träger verteilt sind, modellhaft ausübt “ , weil der Apostel Lehrer ist, „ der Traditionen übermittelt und Anweisungen für das Verhalten der Neubekehrten einschärft “ (1Kor 15,3-11; Röm 6,17; Phil 4,9) und zugleich „ Prophet, der nach dem Maß des ihm, verliehenen Geistes die Schrift auslegt und den Willen des Erhöhten für die Gegenwart kundtut “ (1Kor 7,40; 13,2). 285 5.1.5 Zusammenfassung: Das Apostolat des Paulus Wie hat das Damaskuserlebnis mit seinen Konsequenzen das Rollenverständnis des Paulus als Kommunikator geprägt und verändert? Damaskus ist sicherlich Gründungsort und -datum des paulinischen Apostolats, sowohl historisch als auch in seiner selbstreflexiven Rückschau. Als solches ist es der „ Ausgangspunkt der paulinischen Sinnbildung “ 286 . Etwas grundlegend Neues beginnt und das Erlebte führt zu tiefgreifenden Verschiebungen im bisherigen Selbstverständnis (Diskontinuität): Die Gruppenzugehörigkeit ändert sich vom Pharisäer und Juden zum Apostel Jesu Christi, zum „ Religionslosen “ (Wischmeyer) in Gottes großem Heilsplan. Seine bisherige Absicht, die Verfolgung von Christen, wird ins Gegenteil gewendet zur Werbung für das Evangelium unter den Völkern. Zugleich ändert sich auch die damit verbundene Motivation: Er handelt nicht mehr, weil er sich durch die Tora als Willenskundgebung Gottes beauftragt sieht, 283 Vgl. BECKER, Die Person des Paulus, aaO., 134 f. 284 Vgl. SATAKE, Apostolat und Gnade bei Paulus, aaO., 106. Daher wird der Apostel in gemeindlichen „ Funktionslisten “ (vgl. Eph 4,11) auch an erster Stelle genannt; GERBER., Das Apostolatsverständnis und die Beziehung, aaO., 417. 285 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 440. 286 Schnelle, Paulus, aaO., 93. 256 5 Der Kommunikator des Evangeliums sondern weil ihm Gott im Damaskusgeschehen Christus offenbart und ihm einen Auftrag gegeben hat. Es zeichnet sich zugleich eine Anpassung seines Wertesystems ab. Darin verliert der Toragehorsam an Bedeutung. An sein Stelle treten die von Gott erfahrene Gnade und der Glaube an Christus. Andererseits zeichnet sich die Rolle des Paulus als Kommunikator gerade auch durch ihre Kontinuität zum jüdischen Pharisäer aus. Das Gesetz, seine schriftgelehrte Bildung, die Verbundenheit mit Israel, seine glühende Überzeugung von dem, was er tut (1Kor 9,16) - all das hat bleibende Bedeutung für den Apostel und beeinflusst sein Denken und Handeln: „ Der Mann, die Person, bleibt identisch: rastlos und grundlegend tätig, zunächst als Jude, dann als Apostel Jesu Christi “ . 287 Und seine Vergangenheit prägt auch die paulinische Konzeption des Evangeliums derart, dass ich - zugespitzt ausgedrückt - von der „ jüdischsten “ Darstellung innerhalb des Neuen Testamentes gesprochen habe. 288 Sein Apostolat definiert Paulus jedoch in erster Linie von der ihm zuteil gewordenen Christuserscheinung her, die er aus der Perspektive Gottes als Offenbarung, aus seiner eigenen als Erkenntnisgeschehen beschreiben kann. Gegenstand ist das mit Christus identifizierbare Evangelium (Aspekt der Bekehrung) und die Berufung zum Völkerapostel. Für Paulus ist beides der Ausgangspunkt der anhaltenden Offenbarung Christi „ in ihm “ , die seine Rezipienten bei der Verkündigung erlebt haben. Der Auftrag zur Evangeliumskommunikation ist fest in die Selbstauffassung als Apostel integriert. In ihm als Apostel drückt sich das Evangelium personal aus. Ihm leiht er seine Stimme und spricht darum auch in der Autorität von demjenigem, der es ihm mitgeteilt hat. Als Apostel ist er direkter „ Gesandter “ Gottes/ Christi und hat die Aufgabe zur gemeindegründenden Erstmission. Das bedeutet einerseits, dass seine apostolische Autorität fest an seine Person gebunden und nicht übertragbar ist. 289 Andererseits ist Paulus selbst sein einziger Zeuge für die Legitimität seines Anspruches: „ Er und nur er ist der Garant dafür, dass er tatsächlich kraft einer letzten ,Ostererscheinung ‘ zum Apostel und in die Autorität eines Apostels 287 WISCHMEYER, Die Grundlagen der Autorität des Apostels Paulus, aaO., 34; Vgl. ähnlich HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 26: „ Paul ’ s personality remaind the same after he became an apostle, without repudiating his ancestral tradition of Judaism “ . 288 Siehe Kap. 5.1.1 d; vgl. HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 35: „ The language describes a model of conversion in which an entire value system remains intact but is radically reversed, being turned upside down [. . .] Paul ’ s transformation did not repudiate the content of his former values, but rather reversed the positive and negative poles within the same ideological system “ . 289 Vgl. WISCHMEYER, Die Grundlagen der Autorität des Apostels Paulus, aaO., 43: „ Paulus hat seine Autorität nicht weitergegeben. Seine Schüler leihen sich seine Autorität und schreiben nach seinem Tod [. . .] weitere Gemeindebriefe in seinem Namen “ (Eph, Kol, 2Thess). 5.1 Biographische Prägung des Selbstbildes 257 berufen wurde “ . 290 Das führt immer wieder zur Anfechtung seiner Autoriät, v. a. im Zusammenhang mit einer ihm vertrauten Thematik. Das Gesetz bleibt für den ehemaligen Pharisäer im Kontext der Völkermission wichtige Größe, wenn auch in Auseinandersetzung mit anderen Kommunikatoren in veränderter Bewertung. An ihm entzündet sich immer wieder die Infragestellung seiner Autorität, die er mit einem hohen Maß an Selbstbewusstsein kontert: Seine Lesart des Evangeliums, insbesondere der Rolle des Gesetzes darin, ist diejenige, die Gott ihm bei Damaskus mitgeteilt und für die er ihn autorisiert hat. Deswegen legt sich, wer sich mit Paulus anlegt, mittelbar mit Gott an (vgl. 2Kor 11,10: e; stin avlh,qeia Cristou/ evn evmoi. ! ). Kommunikationstheoretisch agiert Paulus in dieser Situation als rigoroser Gatekeeper im Sinne der selektiven Auswahl und Interpretation von Aussagen aus dem Programm des Evangeliums aufgrund einer situativen Intention. Damit beansprucht er konsequent seine Rollenmacht und lässt im Grunde keine gegenteilige Aussage mehr gelten. Diese radikale Auffassung der Kommunikationsrolle ist jedoch situationsabhängig und im ausgetragenen Konflikt gewachsen. In der Auseinandersetzung bleibt er daher auch nie bei dieser „ ultima ratio “ stehen und setzt auch auf die überzeugende Kraft derArgumentation, wie wir in Gal 1 sehen konnten. Paulus reagiert im Kommunikationsprozess, greift Fragen, Argumente und Kritik seiner Rezipienten auf und beantwortet und wiederlegt sie argumentativ. Er begründet seine Autorität auch nicht ausschließlich von Damaskus her, sondern erinnert z. B. an die von ihm erfolgreich vollzogene Erstverkündigung. Sein Selbstverständnis wird von Paulus durch Bildsprache und Motivik alttestamentlicher Prophetie illustriert. Apostel und Prophet stehen für ihn in heilsgeschichtlicher Analogie, wobei das Evangelium als Aktualisierung der prophetischen Botschaft angesehen werden kann. Der Rückgriff auf die Autorität prophetischer Traditionen demonstriert jedoch auch wieder jenes Ringen um Anerkennung, das ich schon in seiner Breite ausgeführt habe. In diesem Kontext erweist sich die prophetische Semantik als eine sprachlich-argumentative Waffe aus dem Arsenal des Paulus. Entscheidend für sein Selbstverständnis ist, dass Paulus sein Apostolat nie als übertragenes Amt (Charisma), sondern stets als Gnade (ca,rij) versteht. Der Auftrag ist eng an sein persönliches Heil gebunden: Christsein und Apostelsein des Paulus sind nicht differenzierbar. Von hier aus lassen sich der Einsatz mit seiner ganzen Person, die Leidenschaft in seinen Auseinandersetzungen und auch die Identität von Bekehrung und Berufung bei Damaskus einordnen. 290 WISCHMEYER, Die Grundlagen der Autorität des Apostels Paulus, aaO., 44. 258 5 Der Kommunikator des Evangeliums 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus Paulus verwendet in seinen Briefen viele weitere Begriffe, um seine Person und seine Rolle zu umschreiben. Diese Selbstbezeichnungen bieten die Möglichkeit, „ vom Neuen im Rahmen des Vertrauten zu sprechen “ . 291 D. h. sie verbinden mit dem Konzept euvagge,lion bekannte Begriffe, die durch den neuen Kontext anders akzentuiert und neu gefüllt werden. Auch die mit dem Evangelium zusammenhängende Rolle des Apostels ist offenbar „ etwas Neues, das sich nicht in bekannten Konzepten kommunizieren lässt “ . 292 Sonst würde sich Paulus nicht zusätzlich zu avpo,stoloj dieser Fülle an unterschiedlichen Selbstbezeichnungen bedienen, um seine Rolle - scheinbar jeweils nur annähernd - zu definieren. Er greift dazu zum Teil auf jüdischen oder allgemein antiken Metaphernschatz zurück, der allerdings zumeist seiner argumentativen, paränetischen oder veranschaulichenden Funktion entsprechend deutlich umgeformt wird. 293 Zwar müssen nicht alle Selbstbezeichnungen mit der Funktion des Paulus als Evangeliums-Kommunikator in Zusammenhang stehen; jedoch haben wir bereits gesehen, dass die briefliche Kommunikation des Paulus immer von seiner offiziellen Rolle als Apostel geprägt ist, sodass andere, darin verwendete Selbstbezeichnungen diesem kommunikativen Rahmen korrespondieren müssen. 294 Jede der Bezeichnungen führt in einem spezifischen Kontext eine bestimmte Facette des paulinischen Rollenbildes vor Augen, die die bisherigen Erkenntnisse zum Apostolat ergänzen. Sowohl Schnittmengen als auch Differenzen skizzieren zusammengenommen eine Annäherung an das Selbstverständnis des Paulus als Kommunikator des Evangeliums, für das eine Selbstbeschreibung nicht ausreichend zu sein scheint. 295 Aus der großen Anzahl metaphorischer Selbstumschreibungen wähle ich diejenigen aus, die das bisherige Bild vom Rollenverständnis des Paulus bereichern und vertiefen. Ihnen sind jeweils gewisse Beziehungsebenen zueigen, d. h. Referenzpersonen, denen sich Paulus durch sie zuordnet. Dazu zählen das Verhältnis zu Gott/ Christus, dem „ Auftraggeber “ seines Apostolats 291 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 53. 292 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 53; vgl. DIES., Das Apostolatsverständnis und die Beziehung, aaO., 416: „ Da soziale Vorbilder für die Rolle des Gemeindegründers fehlen, greift Paulus, um seinen Anspruch zu begründen, zu diversen Metaphern, welche seine Autorität legitimieren sollen “ . 293 VON GEMÜNDEN, P., Vegetationsmetaphorik im Neuen Testament und seiner Umwelt. Eine Bildfelduntersuchung, NTOA 18, Freiburg/ Göttingen 1993, 310; 313; zum Metapherngebrauch bei Paulus vgl. 310 - 314; zur Metaphern-Theorie (auch im Kontext neutestamentlicher Exegese) vgl. 4 - 49; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 81 - 11. 294 Vgl. Kap. 3.7.1. 295 Vgl. GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 2. 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 259 seit Damaskus oder zum Auftrag, also zu seiner Aufgabe als Verkündiger selbst. Aber auch die jeweiligen Beziehungen zu seinen Rezipienten, Mitarbeitern und Apostel-Kollegen spiegeln sich in den verschiedenen Selbstbezeichnung. 296 Im Folgenden werde ich mich schwerpunktmäßig auf die Verhältnisbestimmungen zu Auftraggeber und Auftrag konzentrieren und weitere Selbstbezeichnungen erst im Zusammenhang mit den übrigen Beziehungen besprechen (Kap. 6). 5.2.1 Paulus als Gesandter und Botschafter Wir haben mit avpo,stoloj bereits eine Form der Beziehungsbestimmung kennengelernt. Es handelt sich um einen Menschen, der „ gesandt “ ist, konkret um einen Verkündiger der Heilsbotschaft des Evangeliums und - zumindest im Fall des Paulus - um einen Zeugen der Auferstehung/ Erscheinung Christi. 297 Verbindet man diese drei Aspekte, so ergibt sich der Apostel als „ Gesandter “ Christi, der ihn in oder aufgrund der Erscheinung ausgesandt hat, das Evangelium zu verkündigen. Eben jenen Gedanken reflektiert Paulus in der Wendung u`pe.r Cristou/ ou=n presbeu,omen in 2Kor 5,20: 2Kor 5,20: ~Upe.r Cristou/ ou=n presbeu,omen w`j tou/ qeou/ parakalou/ ntoj diV h`mw/ n\ deo,meqa u`pe.r Cristou/ ( katalla,ghte tw/ | qew/ |Å So sind wir nun Gesandte an Christi Stelle, indem Gott gleichsam durch uns ermahnt; wir bitten für Christus: Laßt euch versöhnen mit Gott! Presbeu,w ist ein sehr häufig gebrauchter Begriff aus der antiken Diplomatensprache. In dieser politisch-rechtlichen Bedeutung meint er „ Gesandter sein bzw. als Gesandter wirken, eine Botschaft überbringen, verhandeln “ : „ Der Gesandte vertritt rechtsgültig die ihn entsendende staatliche Instanz; seine Kompetenz richtet sich nach deren Verfassung “ . 298 Im Imperium Romanum ist er darum Äquivalent zum lateinischen legatus, der offiziellen Bezeichnung eines außenpolitischen Vertreters, der insbesondere bei Friedensverhandlungen eine wichtige Rolle spielt. 299 Von daher erklärt sich vielleicht die besondere Funktion der Versöhnung, die Paulus mit dem „ Gesandtensein “ in Stellvertretung von Christus verbindet. 296 Vgl. GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 2: Die Metaphern „ zeichnen “ Paulus in Beziehungen. 297 So kann Paulus von sich zumindest indirekt als ma,rtuj tou/ qeou/ (Zeuge Gottes) reden (vgl. 1Kor 15,15; dort allerdings nur negativ umschrieben als yeudoma,rtuj). 298 BORNKAMM, G., Art. pre,sbuj ktl, ThWNT 6, 651 - 683; bes. 680 - 682; 680. 299 Ganz allgemein liegt „ die Praxis des öffentlichen Austausches durch Gesandtschaften [. . .], die in der damaligen Welt [. . .] ein wichtiges Mittel offiziellen Kontakts war “ zugrunde; GERBER., Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 201 f. 260 5 Der Kommunikator des Evangeliums Für ein Selbstverständnis des Paulus als Botschafter hat sich besonders R. Jewett stark gemacht: „ Paul ’ s understanding of himself as ,apostle ‘ is closely related to the Greco-Roman world ’ s understanding of ,ambassador ‘“ . 300 Er charakerisiert den gesamten Römerbrief als „ ambassadorial letter “ mit einer „ ambassadorial strategy “ , die den Zweck erfüllt, „ to advocate in behalf of the , power of God ‘ a cooperative mission to evangelize Spain “ . 301 Als Botschafter sei Paulus von Gott zu den Völkern gesandt. 302 Im Blick auf 2Kor 5 betont Jewett die mit presbeu,w verbundene Unterordnung des Botschafters unter die Botschaft: „ The ambassador is no greater than his message; he is in fact merely a channel through which the message, and thereby the foreign policy and the extension of political power, of the sovereign flows. “ 303 In dieser Hinsicht entspricht die Metaphorik vom Botschafter also dem der Vorstellung der Einheit von Verkündiger und Botschaft, die wir vom Apostolat her kennen. 304 Der Fokus liegt hier ebenso wie in Gal 1 auf der Autorität der Botschaft und weniger auf der des Verkündigers. 305 A. Bash hat den Gebrauch von Diplomatensprache im Neuen Testament untersucht. Er hält 2Kor 5,20 für „ typical of language about embassies in inscriptions “ . 306 Der Gleichsetzung von Apostel und Botschaft in den paulinischen Briefen, wie Jewett sie vorschlägt, wiederspricht jedoch die Analyse Bashs. Paulus habe zwar Diplomatensprache übernommen und in 2Kor 5,20 die aus dem hellenistischen Judentum bekannte Idee von Mose als Botschafter und Versöhner auf sich angewandt, wenn auch „ somewhat inexactly “ . 307 Die Rolle des Apostels setzt Bash jedoch grundlegend davon ab: „ Such people were agents or representatives, commissioned to carry out specified duties, often for a church or an apostle. They seem to be sui generis, combining elements of different types of agent of communication. “ 308 300 JEWETT, Romans, aaO., 44. 301 JEWETT, Romans, aaO., 44; 108; vgl. auch DERS., Romans as an Ambassadorial Letter, in: Interpretation 36 (1982), 5 - 20. 302 Vgl. JEWETT, Romans, aaO., 907; Jewett weist darauf hin, dass presbu,thj in Phlm 8 - 10 nicht nur wie in gängigen Übersetzungen mit „ alter Mann “ , sondern auch mit dem Fachterminus „ Botschafter “ wiedergegeben werden kann (46). 303 JEWETT, Romans, aaO., 45. 304 Vgl. BORNKAMM, Art. pre,sbuj ktl, 682: „ Gott selbst mahnt, indem er sich des Apostels als seines Mundes bedient “ . 305 BORNKAMM, Art. pre,sbuj ktl, 682. 306 BASH, A., Ambassador for Christ. An Exploration of Ambassadorial Language in the New Testament, WUNT II 92, Tübingen 1997; zu Paulus: 81 - 123; 122. 307 BASH, Ambassador for Christ, aaO., 122 f; vgl. BORNKAMM, Art. pre,sbuj ktl, 680 f: Der Begriff wird von Philo auch in die religiöse Sprache übertragen und dient z. B. als Bezeichnung für Engel, die Gottes Botschaft ausrichten oder für die Mittlerschaft Moses. 308 BASH, Ambassador for Christ, aaO., 123. 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 261 C.Gerber versteht die Diplomatensprache in 2Kor 5,20 v. a. im Kontext des „ Dienstes der Versöhnung “ , den sie als „ Beseitigung von Feindschaft “ auffasst. 309 In 5,18 reflektiere Paulus „ seine eigene ,Versöhnungserfahrung [. . .] [,] seine gebrochene Biographie und Berufungserfahrung als Verwandlung seiner Person vom Feind Gottes zum Missionar ,durch Christus ‘“ . 310 Diese Erfahrung hat ihn zum „ Dienst “ qualifiziert, der in der „ Vermittlungsaufgabe eines Gesandten, der ein Friedensangebot überbringt “ besteht. 311 Darin ist er Stellvertreter Christi 312 : „ Was Paulus durch eine direkte Christusbegegnung erlebte, vermittelt er jetzt der Gemeinde, indem er Christus re-präsentiert “ . 313 Paulus verbindet also die Versöhnung der Gemeinde eng mit seiner Person, die wiederum mit der Autorität des Versöhnenden und der Versöhnungsbotschaft ausgestattet ist. 314 Zusammenfassend betrachte ich 2Kor 5,20 als Illustration zweier Aspekte der paulinischen Rolle (als Apostel): der Stellvertretung Christi in der Verkündigung und des hochoffiziellen, geradezu „ öffentlichen “ Charakters seiner Botschaft. 315 Beides wirkt zurück auf die Autorität des Paulus als Kommunikator des Evangeliums. 5.2.2 „ Was ist Paulus? “ (1Kor 3,5-11) 1Kor 3,5-11 stellt einen besonders ertragreichen Abschnitt für das paulinische Selbstverständnis dar. 316 Mit vier Bildern umschreibt Paulus seine Funktion und Rolle und zwar sowohl gegenüber Kollegen (wie hier Apollos), als auch gegenüber der Gemeinde. 1Kor 3,5: Ti, ou=n evstin VApollw/ jÈ ti, de, evstin Pau/ lojÈ dia,konoi diV w-n evpisteu,sate( kai. e`ka,stw| w`j o` ku,rioj e; dwkenÅ Was ist also Apollos? Und was ist Paulus? Diener, durch die ihr gläubig geworden seid, und zwar wie der Herr jedem gegeben hat. 6 evgw. evfu,teusa( VApollw/ j evpo,tisen( avlla. o` qeo.j hu; xanen\ Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber hat wachsen lassen. 7 w[ste ou; te o` futeu,wn evsti,n ti ou; te o` poti,zwn avllV o` auvxa,nwn qeo,jÅ So ist weder der Pflanzende etwas, noch der Bewässernde, sondern der wachsen lassende Gott. 309 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 72. 310 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 73. 311 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 74. 312 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 75. 313 GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 205. 314 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 75. 315 Vgl. ROHDE, J., Art. presbeu,w ktl, EWNT III, 354 f; BORNKAMM, Art. pre,sbuj ktl, 682. 316 Vgl. dazu GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 377 - 391. 262 5 Der Kommunikator des Evangeliums 8 o` futeu,wn de. kai. o` poti,zwn e[n eivsin( e[kastoj de. to.n i; dion misqo.n lh,myetai kata. to.n i; dion ko,pon\ Der aber pflanzt und der bewässert, sind eins; jeder aber wird seinen eigenen Lohn empfangen nach seiner eigenen Arbeit. 9 qeou/ ga,r evsmen sunergoi,( qeou/ gew,rgion( qeou/ oivkodomh, evsteÅ Gottes Mitarbeiter sind wir nämlich, Gottes Ackerfeld, Gottes Bau seid ihr. 10 Kata. th.n ca,rin tou/ qeou/ th.n doqei/ sa,n moi w`j sofo.j avrcite,ktwn qeme,lion e; qhka( a; lloj de. evpoikodomei/ Å e[kastoj de. blepe,tw pw/ j evpoikodomei/ Å Gemäß der Gnade Gottes, die mir gegeben ist, habe ich wie ein weiser Baumeister das Fundament gelegt; ein anderer aber baut darauf; jeder aber sehe, wie er darauf baut. 11 qeme,lion ga.r a; llon ouvdei.j du,natai qei/ nai para. to.n kei,menon( o[ j evstin VIhsou/ j Cristo,jÅ Denn einen anderes Fundament kann niemand legen als dem gelegten, welches ist Jesus Christus. Kontext dieses Abschnittes ist die Gruppenbildung um missionarische Persönlichkeiten wie Paulus oderApollos in Korinth (vgl. 1Kor 1,12ff; 3,4). Dem tritt Paulus hier entgegen, indem er sich bzw. seine Arbeit dem Beispiel eines anderen Missionars gegenüberstellt: „ Gegen ein Auseinanderbrechen der Gemeinde bzw. einer Verselbständigung der einzelnen Gruppen handelt Paulus modellhaft von sich und Apollos “ . 317 Die Dominanz von Verben in VV.6 - 8 zeigt an, dass er die jeweiligen Tätigkeiten bzw. Funktionen gegenüber der Gemeinde ins Zentrum rückt. 318 Ausgangspunkt ist die schlichte Charakterisierung beider Missionare als Diener e`ka,stw| w`j o` ku,rioj e; dwken, also jeder auf seine spezifische Weise (V.5). Das Subjekt des Dienens bleibt zunächst unklar: Entweder besteht der Dienst in der Erweckung von Glauben unter den Korinthern, wäre also der Gemeinde zugeordnet; oder Paulus verweist mit dem Stichwort ku,rioj bereits auf Gott als obersten Dienstherrn (vgl. V.9). In jedem Fall gibt V.5 bereits das Thema Einheit und damit Gleichwertigkeit der Missionare im Dienst bei gleichzeitiger Unterschiedlichkeit nach Maßgabe des Herrn vor. Diese Thematik wird in drei metaphorischen Rollenzuweisungen entfaltet und näher begründet: Gärtner, Mitarbeiter Gottes, Baumeister. Faktisch wird darin eine Art „ Kriteriologie der unterschiedlichen Verkündigungsdienste “ gegeben, die uns wiederum Rückschlüsse auf das Selbstverständnis des Paulus als Verkündiger geben 317 VON GEMÜNDEN, Vegetationsmetaphorik, aaO., 275. 318 Vgl. MERKLEIN, H., Der erste Brief an die Korinther. Kapitel 1 - 4, ÖTK 7/ 1, Gütersloh 1992, 256; LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO., 80. 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 263 kann. 319 „ Paulus springt [. . .] in den Bildern und wertet sie nur auf ihre jeweilige Leistungsfähigkeit hin aus “ . 320 a) Diener In der Profangräzität ist mit diakone,w ursprünglich das Bedienen bzw. Servieren bei Tisch gemeint; es wird verallgemeinert zur Bedeutung „ für den Lebensunterhalt sorgen “ , und schließlich ganz allgemein einfach zu „ dienen “ . 321 Paulus bezeichnet mit diakone,w/ diakoni,a allgemein „ die Ausführung von Aufgaben unterschiedlicher Art, die auf eine Beauftragung zurückgeführt werden und häufig eine Vermittlungs- oder Botentätigkeit beinhalten. Als Auftraggeber kommen v. a. Gott bzw. Christus und die Gemeinde(n) vor “ . 322 Im Gemeindekontext werden grundsätzlich alle Formen der Mitarbeit als diakoni,ai bezeichnet (1Kor 12,5), speziell aber das Überbringen von Nachrichten im gemeindlichen (1Kor 16,15) oder übergemeindlichen (2Kor 8,19 f; Röm 15,25) Auftrag. 323 Nicht nur aus 1Kor 3,5 wird deutlich, dass für Paulus auch Apostel dia,konoi Cristou/ sind (2Kor 11,23). 324 319 MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 257. 320 VON GEMÜNDEN, Vegetationsmetaphorik, aaO., 274. 321 Vgl. WEISER, A., Art. diakone,w ktl, EWNT I, 726 - 732; 726. Bei Paulus findet sich diese Bedeutung nicht; zum Begriffsfeld vgl. HENTSCHEL, A., Diakonia im Neuen Testament. Studien zur Semantik unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen, WUNT II 226, Tübingen 2007, 90 - 184. 322 HENTSCHEL, Diakonia im Neuen Testament, aaO., 180. Daneben kann Paulus die Begrifflichkeit auch in anderen Kontexten gebrauchen, die zeigen dass sie „ nicht für spezifisch christliche Aufgaben reserviert ist “ (181): Christus als Vermittler von Sünde (Gal 2,17), offizielle Ämter des römischen Staates (Röm 13,4); vgl. WEISER, Art. diakone,w ktl, aaO., 728. 323 Vgl. HENTSCHEL, Diakonia im Neuen Testament, aaO., 180 f. Zwei Aspekte verdienen hierbei Beachtung: 1) Die so von Paulus bezeichneten Aufgaben/ Ämter sind nicht als „ Dienste “ , „ sondern als offizielle Beauftragungen, denen in Bezug auf die Adressaten durchaus eine besondere Autorität eigen ist “ , zu verstehen (181). 2) Andererseits beleuchtet diakoni,a deren Autorität als von ihrem Auftraggeber „ delegierte Autorität “ und ist deshalb geeignet, „ die für die Gemeinde wichtigen und durchaus weisungsbefugten Funktionsträger zu bezeichnen und zugleich die theo-kratische Konstitution der Gemeinde zu berücksichtigen “ (182). Diakoni,a beinhaltet „ neben dem Inhalt des Auftrages auch das dazugehörige Beziehungsgefüge zwischen Auftraggeber, Beauftragtem und Adressaten “ (181); vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 43; MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 259. 324 Vgl. auch die weiteren Stellen, an denen Paulus diako,noj oder diakoni,a auf sich anwendet: Diener des Neuen Bundes (diako,noi kainh/ j diaqh,khj, 2Kor 3,6), Diener Gottes (qeou/ dia, konoi, 2Kor 6,4), mein Dienst (diakoni,a mou, Röm 11,13; 15,31; 2Kor 4,1; 6,3; 11,8), Dienst des Geistes (diakoni,a tou/ pneu,matoj, 2Kor 3,8), Dienst der Gerechtigkeit (diakoni,a th/ j dikaiosu,nhj, 2Kor 3,9) Dienst der Versöhnung (diakoni,a th/ j katallagh/ j, 2Kor 5,18), Dienst der Hilfeleistung/ des Opfers (diakoni,a th/ j leitourgi,aj, 2Kor 9,12 f vgl. auch 8,4 und 9,1). 264 5 Der Kommunikator des Evangeliums Daraus ergeben sich zwei wesentliche Fragestellungen hinsichtlich der Begrifflichkeit: 1) Ist diakone,w/ diakoni,a Ausdruck eines Hierarchieverhältnisses? Wird also eine - wie der deutsche Begriff es impliziert - „ dienende “ Haltung der Unterordnung ausgedrückt? 2) In welchem Verhältnis stehen die ganz allgemeine Anwendung von diakone,w/ diakoni,a auf die Gemeindemitarbeit und der Bezug auf sein Apostolat? Anders ausgedrückt: Worin bestehen Unterschiede und Bedeutungsüberschneidungen zwischen dia,konoj und avpo,stoloj? Blicken wir zunächst auf 1Kor 3,5ff, so ist dia,konoj dort Bezeichnung für die „ funktionale Zuordnung der Verkündiger zur Gemeinde “ . 325 Es handelt sich nicht um selbstgewählte Funktionen, sondern um das, was „ der Herr jedem gibt “ . 326 Zugleich wird die Differenz der Verkündiger als vom Herrn gewollter „ Ausdruck des Dienstes “ gedeutet, durch den er „ auf unterschiedliche Weise Menschen zum Glauben bringen oder im Glauben bestärken will “ . 327 Beides, die Unterschiedenheit der „ Dienste “ , wie auch ihr gemeinsamer Rückbezug auf den (einen) Herrn trifft nach 1Kor 12,5 auch auf die „ Gemeindedienste “ zu. In dieser Hinsicht scheinen Verkündiger und Gemeindemitarbeiter also deckungsgleich. Aus einer etwas anderen Perspektive nimmt Paulus Fuktion und Status der Verkündiger wenig später in 1Kor 4,1 in den Blick. Der Blick geht von außen, von den Rezipienten auf ihn und Apollos und besonders das veränderteVokabular ist für unsere Fragestellungen erhellend: 1Kor 4,1: ou[twj h`ma/ j logize,sqw a; nqrwpoj w`j u`phre,taj Cristou/ kai. oivkono,mouj musthri,wn qeou/ Å Dafür soll uns halten ein Mensch: für Untergebene Christi und Verwalter (der) Geheimnisse Gottes. Oivkono,moj bezeichnet zur Zeit des Paulus in der Regel „ den Hausverwalter, davon abgeleitet die Verwalter einzelner Haushaltszweige [. . .], alles Hausbeamte, die sich meistens aus Sklaven rekrutierten “ . 328 Als „ Untergebener “ Christi verwaltet Paulus treuhänderisch die Mysterien Gottes wie fremdes Vermögen oder einen fremden Haushalt. 329 1Kor 4,2 nennt v. a. dessen Zuver- 325 MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 259: Mit der Bezeichnung als Diener ist an dieser Stelle weder eine Auszeichnung, noch eine „ gewisse Abwertung “ (so LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO., 80) verbunden. 326 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 260. 327 MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 260. 328 GOETZMANN, J., Art. oivkonomi,a ktl, TBLNT II/ 1 (1969),642 - 645; 642. 329 Vgl. KUHLI, H., Art. oivkonomi,a ktl, EWNT II, 1218 - 1222; 1220. 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 265 lässigkeit und Treue als wesentliches Qualifikationsmerkmal bei der anvertrauten Aufgabe. 330 Das stellt natürlich zum einen die Stellung des Paulus auf ähnliche Weise heraus wie der Vergleich mit dem Botschafter aus 2Kor 5,20: Paulus ist „ nur “ Verwalter im Auftrag seines Herrn, dem alles gehört und dem gegenüber er allein Rechenschaft schuldig ist (4,3) - eine klare Unterordnung, die durch das u`phre,thj noch verstärkt wird. Er ist aber zugleich als Stellvertreter Christi mit Vollmacht und dessen Autorität ausgestattet. Zum anderen wird das Evangelium charakterisiert als etwas, das wieVermögen verwaltet werden kann, und zugleich ein musth,rion qeou ist. Unter einem musth,rion versteht das klassische Griechisch ursprünglich „ den Inhalt der kultischen Feier als , unausprechbar ‘ , weil er dem diskursiven Denken nicht zugänglich ist “ . 331 Auch dem neutestamentlichen Gebrauch liegt diese Bedeutung zu Grunde. 332 Sie wird inhaltlich gefüllt durch Einflüsse aus der Weisheitsliteratur (Gottes Schöpfertätigkeit als Geheimnis, vgl. Weish 2,22; 6,22) und der apokalyptischen Literatur (eschatologisches Geheimnis; Dan 2; 4,9; jenseitiges Geheimnis Gottes, 1Hen 63,3; 106,19 u. ö.). 333 Im Neuen Testament wird musth,rion inhaltlich meistens auf Gottes Heilshandeln in Christus bezogen und in dieser Verwendung begegnet es auch hier bei Paulus. Zwei Stellen können über diesen „ Geheimnis-Charakter “ des Evangeliums näher Aufschluss geben. Ich beginne mit 1Kor 2,2.7: 1Kor 2,2: ))) ouv ga.r e; krina, ti eivde,nai evn u`mi/ n eiv mh. VIhsou/ n Cristo.n kai. tou/ ton evstaurwme,nonÅ . . . denn ich beschloss, nichts unter euch zu wissen, als nur Jesus Christus, und diesen gekreuzigt. 7 ))) avlla. lalou/ men qeou/ sofi,an evn musthri,w| th.n avpokekrumme,nhn( h]n prow,risen o` qeo.j pro. tw/ n aivw,nwn eivj do,xan h`mw/ n))) . . . sondern wir reden Gottes Weisheit in einem Geheimnis, die verborgene, die Gott vorherbestimmt hat, vor den Zeitaltern, zu unserer Herrlichkeit . . . Das Geheimnisvolle an der Botschaft des Evangeliums besteht in der Paradoxie eines gekreuzigten Messias, was den Juden als Ärgernis (ska,ndalon) und den Völkern als Dummheit (mwri,a) erscheint (1Kor 1,23; 2,14): „ Die Verkündigung, dass ein am Kreuz als Verbrecher Hingerichteter und damit öffentlich Gefolterter und Entehrter der als Heilsbringer erwartete Messias ist, entbehrt jeder Rationalität [. . .] [u]nd sie entbehrt jeder Evidenz und Plausibilität innerhalb der 330 Vgl. SCHNEIDER, G., Art. u`phre,thj, EWNT III, 956 - 958; KUHLI, Art. oivkonomi,a ktl, aaO., 1220. 331 KRÄMER, H., Art. musthri,on, EWNT II, 1098 - 1105; 1098 f. 332 Vgl. KRÄMER, Art. musthri,on, aaO., 1104. 333 Vgl. KRÄMER, Art. musthri,on, aaO., 1099 f. 266 5 Der Kommunikator des Evangeliums jüdischen Erwartung “ . 334 Gerade darin verbirgt sich aber „ Gottes Weisheit “ (2,7) im Gegenüber zur „ Menschenweisheit “ (2,5), die er offenbart hat (2,10) 335 : „ Das Kreuz ist für Paulus in aller Klarheit und Deutlichkeit das grausame und schmähliche Ende Jesu in der scheinbaren Gottverlassenheit (Gal 3,13; vgl. Mk 15,34) des Sünders und Verbrechers (2Kor 5,21) [. . .] Das Kreuz ist zugleich ein theologisches Faktum, das Gott durch die Auferweckung Jesu weder annuliert noch revidiert, sondern im Gegenteil zu eschatologischer Heilsbedeutung bringt. Gerade darin liegt das Geheimnis Gottes verborgen; gerade deshalb mus sein Handeln auf Widerspruch der Welt stoßen “ . 336 Inwiefern nun Paulus Verwalter dieses Geheimnisses ist, demonstriert er in 1Kor 15,51: 1Kor 15,51: ivdou. musth,rion u`mi/ n le,gw\ pa,ntej ouv koimhqhso,meqa( pa,ntej de. avlla ghso,meqa Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden. Hier begegnet Paulus nicht nur als Verkündiger, sondern auch als Interpret der Evangeliumsbotschaft. Er legt die Verheißung und Hoffnung auf Auferstehung aus und führt sie - vielleicht auf Grundlage einer persönlichen Offenbarung oder Eingebung - weiter ins Konkrete: Auf die Frage nach dem Verbleiben der noch Lebenden bei der Parusie antwortet er mit einem theologischen Analogieschluss. So wie die Verstorbenen auferstehen, werden die noch Lebenden verwandelt werden. Ein ähnliches Muster liegt in Röm 11,25 vor. Das Ringen des Paulus um das Schicksal seines Volkes findet seine Auflösung in der Eröffnung eines Geheimnisses: Die Ablehnung des Evangeliums durch Israel wird mit der vollständigen Mission aller Völker enden, so dass schließlich pa/ j VIsrah.l swqh,setai (V.26). Begründet wird diese Gewissheit mit der Erwählung des Volkes durch Gott (V.28), die wie alle Gaben und Berufungen Gottes avmetame,lhtoj, unwiderruflich und unbereubar ist (V.29). Als oivkono,moj hat 334 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 83. 335 Vgl. SÖDING, T., Das Geheimnis Gottes im Kreuz Jesu. Die paulinische Christologie im Spannungsgfeld von Mythos und Kerygma nach dem Ersten Korintherbrief, in: DERS., Das Wort vom Kreuz, WUNT 93, Tübingen 1997, 71 - 92; 73. Siehe trotz aller text- und literarkritischer Probleme auch Röm 16,25 f. 336 SÖDING, Das Geheimnis Gottes im Kreuz Jesu, aaO., 81; Als die wichtigsten Motive des Widerspruchs nennt Söding nach Gal 5,11 „ bei den Griechen die Suche nach Weisheit, bei den Juden das Verlangen nach einem Zeichen, das laut Dtn 13 und 18 erbringen muß, wer als Gesandter Gottes anerkannt sein will [. . .] Mit dem Hinweis auf den Kreuzestod Jesu demonstriert Paulus die Unzulänglichkeit aller Deutungsversuche des Handelns Gottes, die an menschlichen Plausibilitäten, Erwartungen und Erfahrungen orientiert sind, gerade auch denen der Frommen, der Klugen und der Gerechten “ (82). 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 267 Paulus die Autorität und auch die Fähigkeit, das Evangelium auszulegen und damit Theologie zu treiben. 337 Das unterscheidet seine Rolle sicherlich von den meisten anderen Gemeindetätigkeiten. 338 Wie stark die Stellung des oivkono,moj als möglicher Sklave im Hausverband zu betonen ist, kann allein von 1Kor 4,1 her nicht beantwortet werden. Aufschlussreich dazu verhält sich ein von Paulus ähnlich wie dia,konoj auf sein Apostolat bezogener Ausdruck, der jedoch weit häufiger Anwendung findet: dou/ loj. Im griechisch-hellenistischen Kontext hat der Begriff „ auf Grund der hohen Wertschätzung persönlicher Freiheit fast ausschließlich entwürdigenden, verächtlichen Sinn “ . 339 Dagegen können dou/ loj und seine Äquivalente im alttestamentlich-jüdischen Bereich im Bezug auf Gott auch sehr positiv konotiert sein: „ Von Gott erwählt zu sein, ihm dienen zu dürfen, entwürdigt nicht; im Gegenteil: es ist eine Ehre “ . 340 Dieses „ Abhängigkeits- und Dienstverhältnis gegenüber Gott “ schwingt auch im neutestamentlichen Gebrauch mit. 341 Die paulinische Selbstbezeichnung (Röm 1,1; 2Kor 4,5; Gal 1,10; Phil 1,1) bewegt sich zwischen beiden Verwendungskontexten: Einerseits bringt dou/ loj im griechischen Sinn zum Ausdruck, „ daß der Apostel ganz und gar Eigentum Christi oder Gottes ist “ . 342 Es ist der Korrespondenzbegriff zur Christusbezeichnung ku,rioj. 343 Andererseits ist diese Selbstcharakterisierung keine Erniedrigung, sondern paradoxerweise ein Ehrentitel, der „ nicht nur eine noble Zugehörigkeit, exklusive Gottesbeziehung und daraus abgeleitete Autorität, sondern auch die spezifische Indienstnahme durch Gott “ beschreibt. 344 So manifestiert sich in 337 Vgl. MICHEL, O., Art. oi=koj ktl, ThWNT 5, 122 - 161; 153: 1Kor 4,1 als „ Bildwort für die apostolische Vollmacht und Erkenntnis “ . 338 Als Analogie in diesem Bereich wäre die in 1Kor 14,2ff geschilderte prophetische Rede vorstellbar, die der in Geheimnissen (musth,ria) verbleibenden Glossolalie gegenüber gestellt wird. 339 WEISER, A., Art. douleu,w ktl, EWNT I, 844 - 852; 846; anders GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 145: „ Auch im sozialen Kontext der paulinischen Welt wurde der Status eines Sklaven, einer Sklavin nich undifferenziert negativ gesehen “ . 340 WEISER, Art. douleu,w ktl, aaO., 846; Das gilt sowohl allgemein für den „ Frommen “ , der sich selbst so bezeichnet, als auch für besonders erwählte Persönlichkeiten wie Mose und David, denen dieser „ Ehrentitel “ angetragen wird (851 f ). 341 Vgl. WEISER, Art. douleu,w ktl, aaO., 846. 342 BEYER, Art. diakone,w ktl, aaO., 89. 343 Vgl. RENGSTORF, Art. avpo,ste,llw ktl, aaO., 421. 344 GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 145; vgl. WEISER, Art. douleu,w ktl, aaO., 852. 268 5 Der Kommunikator des Evangeliums der Selbstbezeichnung dou/ loj der in 1Kor 1,27 ausgedrückte Grundsatz ta. avsqenh/ tou/ ko,smou evxele,xato o` qeo,j( i[na kataiscu,nh| ta. ivscura, für die Person des Paulus und sein Apostolat (vgl. auch 2Kor 11,30; 12,9; Gal 4,13). 345 Nimmt man diese Beobachtungen zusammen, kann definitiv von einer „ Unterordnung “ des Apostels unter den ihn berufenden Kyrios Christus gesprochen werden. Dies wird ganz deutlich in der Wendung u`phre,thj Cristou/ (1Kor 4,1), die sich aus dem Kontext heraus auf alle Verkündiger bezieht. Aber auch in oivkono,moj und besonders deutlich in dou/ loj spiegelt sich das Gehorsamsverhältnis eines Sklaven und Untergebenen - trotz aller zugewiesenen Verantwortung. 346 Es ist für mich äußerst unwahrscheinlich, dass Paulus diesen offenbar wichtigen Aspekt seiner Rolle gerade in der Selbstbezeichnung dia, konoj ausblendet, wohnt dem Begriff doch in seiner Grundbedeutung eben jenes Moment des Dienens bei Tisch inne. Was für den Apostel und Verkündiger im Speziellen gilt - Abhängigkeit von und Gehorsamsverhältnis zu dem ihn berufenden Herrn - das muss auch für die berufene Gemeinde gelten. 347 Tatsächlich orientiert Paulus ja alle Dienste in ihrer Verschiedenheit auf den einen Herrn hin (1Kor 12,5). In dieser Art der Hierarchie sind also Apostel und Gemeindemitarbeiter als „ Diener “ vereint. Wenn A. Hentschel dennoch darauf besteht, dass diakoni,a weder „ einen niedrigen Status der aktiven Subjekte noch [. . .] deren demütige Gesinnung “ , sondern allein den im Mittelpunkt stehenden Auftrag ausdrückt, kann sie damit nur eine andere Form der Hierarchie meinen. 348 Denn Paulus versteht sich, wie am Begriff dou/ loj zu sehen war, keineswegs als Diener irgendwelcher Menschen in einem irgendwie gearteten Gehorsamsverhältnis. Im Gegenteil - so interpretiere ich das Wechselspiel beider Begriffe - kann auch dia,konoj analog zu dou/ loj als Ehrenbezeichnung im besonderen Auftrag des Kyrios aufgefasst werden (vgl. den respektvollen Ton, mit dem Paulus 2Kor 6,3 vom Dienst spricht). 349 Es bleibt noch, das Verhältnis zwischen der dia,konoj-Selbstbezeichnung und dem paulinischen Selbstverständnis als Apostel in den Blick zu nehmen. Als 345 Die Selbstbezeichnung de,smioj Cristou/ VIhsou/ (Gefangener Jesu Christi) in Phlm 9, die in Phlm 23 und Röm 16,7 auch auf Mitarbeiter bezogen wird, komplettiert dieses Bild. Sie fügt dem bisher Gesagten jedoch keine nennenswerten neue Aspekte hinzu. 346 Vgl. GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 143: „ metaphorische Bezeichnung von Abhängigkeitsverhältnissen “ . 347 Zum Berufensein der Gemeinde vgl. Röm 1,6 f; 8,28; 1Kor 1,2.24; Gal 1,6.15; 1Thess 2,12; 5,24; u. ö. 348 Vgl. HENTSCHEL, Diakonia im Neuen Testament, aaO., 182; MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 259: Mit der Bezeichnung als Diener ist in 1Kor 3 weder eine Auszeichnung, noch eine „ gewisse Abwertung “ (so LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO., 80) verbunden. 349 Inwiefern der Apostel doch wiederum „ Diener “ der Menschen wird, wie sich aus dem Kontext von 2Kor 6,3 nahelegt, werde ich noch gesondert besprechen (Kap. 6.1.2). 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 269 Bezeichnung für nahezu jede Form der Gemeindemitarbeit erscheint dia,konoj „ offenbar allgemeiner gebrauchbar “ als die Apostelbezeichnung. 350 Wenn der „ Dienst “ die Beauftragung für eine Tätigkeit zugunsten der Gemeinde ist, kann ihm in gewisser Weise auch das Apostolat zugeordnet werden. 351 Es ist der grundlegende, gemeindegründende Dienst, der jeden weiteren Dienst überhaupt erst ermöglicht und schließlich - als Mission außerhalb - wiederum darüber hinausreicht. Was sagt Paulus über sich, wenn er sich als Apostel auch „ Diener “ nennt? Zunächst ist darunter eine Hinordnung auf die Gemeinde, eine grundsätzliche Gleichstellung mit anderen wertvollen Gemeindediensten (vgl. im folgenden den „ Dienst “ des Apollos), zu verstehen. Andererseits akzentuiert dia,konoj den funktionalen Aspekt der paulinischen Rolle, jedoch nicht unter Ausschluss der Beziehungsdimension, sondern zusätzlich zu ihr. 352 Lenkt avpo,stoloj „ den Blick auf die Initiation des Geschehens und so auf die Legitimität des Gesandten aufgrund einer besonderen Christuserfahrung “ (besonderer Status), beleuchtet dia,konoj die Beziehungsebene indem es die Unterordnung und das Gehorsamsverhältnis gegenüber dem beauftragenden Herrn ausdrückt. Was den avpo,stoloj vom dia,konoj unterscheidet, ist nicht die Beziehungsebene zum Herrn, sondern das Wesen des Auftrages: Der Apostel ist der Erstverkündiger des Evangeliums, wohingegen der Diener im weitesten Sinne „ die Weitergabe von etwas an andere in deren Interesse “ , also eine wie auch immer geartete „ Vermittlungsaufgabe “ zu erfüllen hat. 353 Dia,konoj bleibt also zunächst unbestimmter und wird erst durch den konkreten Gegenstandsbezug näher definiert. 354 Kurz: Jeder avpo,stoloj ist auch ein dia,konoj, aber nicht umgekehrt. 355 350 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 42; vgl. DIES., Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 140; siehe auch die Stellen an denen Paulus auch Nicht-Apostel und deren Dienst mit diako,noj/ diakoni,a bezeichnet (Röm 12,7; 16,1; 1Kor 12,5; 16,15). 351 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 43; DIES., Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 141: dia,konoj als „ Oberbegriff “ ; MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 259. 352 Anders HENTSCHEL, Diakonia im Neuen Testament, aaO., 183: Sie ist der Überzeugung, „ dass der Aposteltitel verstärkt den Aspekt der Sendung und die dafür nötigen Bedingungen, d. h. die Frage nach dem Ursprung thematisiert, während Diakonos v. a. auf die Beauftragung und die zuverlässige Ausführung derselben zielt, so dass Paulus unter Verwendung damit gerade die Art und Weise seiner Missionstätigkeit, seine - evangeliumsgemäße - Vermittlungsrolle zwischen Auftraggeber und Adressaten erläutern kann “ . 353 GERBER., Paulus und seine „ Kinder “ , aaO. 134 f. 354 Vgl. GERBER., Paulus und seine „ Kinder “ , aaO. 135. 355 Vgl. das Resümé bei HENTSCHEL, Diakonia im Neuen Testament, aaO., 183: „ Paulus kann mit Hilfe des Terminus Diakonos seine eigene Rolle als von Gott beauftragter und autorisierter Botschafter des Evangeliums beschreiben, so dass diese Textbedeutung des Lexems in der Nähe des Aposteltitels anzusiedeln ist “ . 270 5 Der Kommunikator des Evangeliums b) Pflanzende und Wässernde Zurück zur Bildwelt von 1Kor 3. In VV. 6 - 8 bedient sich Paulus des Vergleichs mit der Arbeit eines Gärtners oder Landwirtes, der pflanzt und gießt, um die unterschiedlichen Verkündigungstätigkeiten herauszustellen. 356 Das Bild transportiert sowohl Konvergenz als auch Divergenz. Einerseits differenziert es sachlich zwischen den Funktionen der beiden Verkündiger 357 : Das Pflanzen des Paulus entspricht der Gemeindegründung, das Bewässern des Apollos der weiterführenden Verkündigung. 358 Das Pflanzen, die auf die gesamte Gemeinde bezogen Gründung, reklamiert Paulus für sich allein, und diese hat sowohl sachlich wie auch zeitlich Vorrang (vgl. V.11). 359 Vom Bild her wird diese Unterscheidung jedoch nicht so deutlich vollzogen: „ [E]ine scharfe Trennung von ,pflanzen ‘ und ,gießen ‘ ist insofern nicht gegeben, als man die Felder schon vor Sommer- und teilweise auch vor der Winterbestellung berieselte “ . 360 Dem entspricht andererseits, dass das Bild das Handeln beider dem Handeln Gottes unterordnet, ohne welches es keine Wachsen gibt (VV.6 f). Gott selbst ist die „ essentielle Konstitution “ , die das Handeln des Apollos und des Paulus erst ermöglicht. 361 Daher sind die Unterschiede in den Tätigkeiten letzlich ohne Bedeutung und die Person des Verkündigers ohne Relevanz für das Heil der Rezipienten (womit sich Paulus gegen die Gruppenbildung 1Kor 1,13 wendet) 362 : In ihrem Dienst und ihrer Abhängigkeit von Gott sind Paulus und Apollos eine Einheit und gleichwertig (V.8). 363 Über die Qualität ihrer Arbeit entscheidet am Ende allein der „ Dienstherr “ , dem die Verkündiger unmittelbar und persönlich verantwortlich sind (V.8). 364 P. von Gemünden formuliert: „ Indem die Missionare im Bild als Pflanzende und Gießende einander ergänzend zugeordnet und auf Gott, der das Wachsen 356 1Kor 3,6-9 verschiebt das traditionell jüdische Bild der Pflanzung, das im AT auf Gott bezogen ist ( Jer 1,10; 24,6; Jes 5,1-7; 61,3; Weish 4,3-5; Mt 15,13), hin zur Perspektive der Gärtner und blickt insbesondere auf dessen „ Anfangsmoment “ ; vgl. VON GEMÜNDEN, Vegetationsmetaphorik, aaO., 310 inkl. Anm. 28; 273 Anm. 40; LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO., 80; GERBER., Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 379: „ Das Bildfeld beschreibt also traditionell vor allem die Relation Gottes zu Menschen als seinem Eigentum “ . 357 Vgl. VON GEMÜNDEN, Vegetationsmetaphorik, aaO., 273; SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 291; MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 260. 358 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 261. 359 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 260; SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 291. 360 VON GEMÜNDEN, Vegetationsmetaphorik, aaO., 275. 361 MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 261. 362 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 261; LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO., 81. 363 Vgl. VON GEMÜNDEN, Vegetationsmetaphorik, aaO., 273: „ Im Verhältnis zu Gott sind der, der pflanzt, und ist der, der begießt, nichts. Im Verhältnis zueinander sind sie eins “ ; MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 262; SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 292. 364 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 262; LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO., 81 f. 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 271 schenkt, hingeordnet werden, werden die Divergenzen im Bild integriert und als positiv-natürliche Ergänzung interpretiert, ohne daß die Unterschiede eingeebnet würden “ . 365 C. Gerber resümiert ihrerseits: „ Der Text oszilliert zwischen der Unterscheidung von Paulus und Apollos und der Nivellierung der Differenz, gibt dabei jedoch ein schlüssiges Bild: Die Handlungen der Missionare sind unterscheidbar, insbesondere von Gott, aber die Wirkung beider ist unterschiedlos abhängig vom Wirken Gottes [. . .] Es zählen nicht die Mitarbeiter Gottes, sondern Gott selbst, der das Wachsen ermöglicht “ . 366 c) Mitarbeiter Gottes „ Mitarbeiter Gottes “ ist ein weiterer häufiger Begriff der Hinordnung der (eigenen) Verkündigungsarbeit auf Gott bei Paulus. Sunergo,j meint im Profangriechischen eine Person, die „ mit- oder zusammenwirkt “ , die jemandem oder etwas „ Unterstützung, Hilfeleistung, Zuwendung “ zukommen lässt. 367 Bei Paulus hat es jedoch eine spezifische Bedeutung, die in der nachpaulinischen Literatur so nicht mehr vorkommt: Es ist die „ Qualifizierung einer Person, die mit und wie Pls als Beauftragter Gottes am ,Werk ‘ [. . .] der Missionsverkündigung arbeitet “ , also in der Regel ein „ Mitarbeiter, Mitmissionar, Arbeits- oder Missionskollege “ des Paulus. 368 1Kor 3,9 macht deutlich, dass das von Paulus nicht „ synergistisch “ , also „ kooperativ “ im heutigen Sinn gedacht wird, als ob Gott und der „ Mitarbeiter “ zusammenarbeiten und sich „ addieren “ . 369 Vielmehr bezeichnet sunergo,j qeou/ die Beteiligung des Verkündigers am Heilswerk Gottes, welcher der Urheber der Missionsarbeit ist und deren Erfolg prüft. 370 „ Mitarbeiter Gottes “ hat also eine vertikale und eine horizontale Akzentuierung: die Verwurzelung der Verkündigungstätigkeit in Gottes Heilsplan und die gemeinschaftliche Arbeit mit anderen Missionaren. Bezogen auf die Gemeindesituation in Korinth widerspricht das einerseits den Parteiparolen, welche „ die Verkündiger in eine Selbstständigkeit [drängen], die ihnen als Mitarbeiter Gottes gar nicht zukommen kann “ ; die Gemeinde ist „ Gottes Geschöpf und Eigentum “ und nicht „ Anhängerschaft eines Verkündigers “ . 371 Zum anderen zeigt sich, wie Paulus mit dem Verweis auf sich und Apollos als sunergoi, qeou/ , deren 365 VON GEMÜNDEN, Vegetationsmetaphorik, aaO., 311. 366 GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 381. 367 OLLROG, W.-H., Art. sunergo,j ktl, EWNT III, 726 - 729; 727. 368 OLLROG, Art. sunergo,j ktl, aaO., 727. 369 MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 262. 370 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 262 f; SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 293; OLLROG, Art. sunergo,j ktl, aaO., 727. 371 MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 263. 272 5 Der Kommunikator des Evangeliums Gemeinsamkeit und gleichberechtigte Würde als Verkündiger betont. 372 d) Architekt/ Baumeister V.9 wechselt übergangslos von der agrarischen Bildwelt der Pflanzung (gew,rgion) zur Metapher des Hausbaus (oivkodomh,). 373 Diese besitzt zunächst eine ähnliche Stoßrichtung wie der vorangegangene Vergleich: Paulus hat das Fundament gelegt, ein anderer hat darauf aufgebaut (V.10). 374 In Zusammenhang mit V.11 wird darin wieder die Vorrangstellung der Tätigkeit des Paulus betont, und zwar nicht aufgrund persönlicher Autorität, sondern wiederum durch die Art seiner Arbeit 375 : Auf das von ihm gelegte Fundament Christus muss ein Nachfolgender aufbauen und der Aufbau muss dem Fundament entsprechen, damit das Gebäude nicht instabil wird. 376 Die Identifizierung von Christus und paulinischem Fundament stellt klar, dass es sich dabei nicht um eine „ beliebige Privatmeinung “ , sondern um den zentralen Inhalt des Evangeliums handelt, an dem kein anderer vorbeigehen kann. 377 Paulus zeichnet sich als planenden, vorausschauenden und sachverständigen (sofo,j) Architekten, der durch Gottes Gnade „ in den Dienst an andere gerufen und zum Baumeister an der oivkodomh, qeou/ bestellt “ ist. 378 Seine Aufgabe besteht primär in der Fundamentlegung, der Gemeindegründung. Daher verwehrt sich Paulus in Röm 15,20 auch selbst das „ Bauen auf fremden Grund “ . Sachlich ist seine Arbeit damit allen anderen „ Diensten “ vor- und übergeordnet. 379 Darin geht die Metapher vom Baumeister deutlich über die Pflanzungsmetapher hinaus: „ Hatte die Vegetationsmetapher der Arbeit des Paulus nur einen zeitlichen Vorsprung eingeräumt, so macht die Baumetapher eine qualitative Differenz zwischen dem fundamentierenden Wirken des Paulus, zu dem ihn Gott begnadet hat [. . .], und allem was danach kommt “ . 380 Diese Vorrangstellung - bei aller grundsätzlichen Gleichwertigkeit - begründet er schließlich chris- 372 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 263; LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO., 82; In 2Kor 1,24 erweist sich sunergo,j auch als auf die Gemeinde bezogener Begriff. Hier spricht Paulus von sich und seinen Kollegen als sunergoi, th/ j cara/ j u`mw/ n, als Mitarbeiter, deren Aufgabe darin besteht, an der Freude (car,a) der Gemeinde zu arbeiten. 373 Zur Gemeinde als „ Bau “ vgl. KITZBERGER, I., Bau der Gemeinde. Das paulinische Wortfeld oivkodomh,/ evpoikodomei/ n, fzb 53, Würzburg 1986. 374 Auch das Bild vom Bauen und Fundamentlegen hat Vorläufer in AT und Frühjudentum: Jes 28,16 und Ps 118,22; vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 263 f; SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 294. 375 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 265; SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 297. 376 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 257; 265; SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 297 f. 377 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 297 f. 378 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 296; vgl. LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO., 82. 379 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 297. 380 GERBER., Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 390. 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 273 tologisch durch das Fundament selbst, Christus als Inhalt des Evangeliums. Das Entscheidende ist diese sachliche und nicht formale Begründung seiner „ Dienst- Autorität “ : „ Eine rein formale Autorität gibt es für Paulus nicht “ und daher auch kein formales Verständnis vom Apostolat als „ Amt “ , sondern nur eine Rückbindung an die Autorität seines Evangeliums. 381 e) Zusammenfassung In 1Kor 3,5-11 paraphrasiert Paulus seine Rolle in vier Metaphern. Paulus ist Diener, sowohl in seiner Funktion gegenüber der Gemeinde, als auch gegenüber dem Herrn, dem er als Auftraggeber Rechenschaft schuldig ist. Er ist sein Sklave und damit vollständig an ihn und seine Autorität zurückgebunden. Zugleich nimmt er aber auch dessen Stellvertretung wahr und partizipiert als Verwalter an dessen Autorität. Er ist Mitarbeiter in Gottes Heilsplan, und er ist das zusammen mit anderen. Mit ihnen ist er prinzipiell gleichgestellt und gemeinsam auf Gott ausgerichtet. Verwalten, Pflanzen und Fundamentlegen sind Tätigkeiten, mit denen Paulus seinen Verkündigungsauftrag gleichsetzt. Er verwaltet das ihm anvertraute Evangelium, das Geheimnis Gottes, welches im Paradox der Schwachheit des Kreuzestodes liegt und dennoch Heilsort ist. Die Verwaltung zeichnet aus, dass sie Vollmacht besitzt, das Evangelium nicht nur zu verkündigen, sondern auch auszulegen. Die Metaphern des Pflanzens und Fundamentlegens bezeichnen die Gemeindegründung durch Verkündigung des Evangeliums und grenzen sie gegenüber der nachfolgenden Verkündigung und Gemeindearbeit als primäre Aufgabe des Apostels ab. Sie ist zeitlich und sachlich anderen Tätigkeiten vorgeordnet. Und auch hier liegt die Betonung auf dem Rückbezug zu Gott als demjenigen, der wachsen lässt, und zu Christus als dem Fundament des „ Gemeindebaus “ . Wir können festhalten, dass Paulus auch in diesen Paraphrasen stark seine Unterordnung unter Gott bzw. Christus und die daraus resultierende (sachliche) Autorität und Sonderstellung als Apostel akzentuiert. Weiterhin verstärkt sich der Eindruck, dass Paulus seine Aufgabe prinzipiell auf die Gemeindegründung durch Evangeliumsverkündigung beschränkt sieht und dass er sich in dieser Tätigkeit von anderen funktional abgrenzt, um seine Autorität gegenüber der von ihm gegründeten Gemeinde geltend zu machen. In der Sache (dem Fundament Christus) und der gemeinsamen Bezogenheit (auf die Gemeinde/ zu Gott und Christus) empfindet er andere Kollegen als gleichwertige Mitarbeiter. 381 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 298. Zur Frage, ob sich die paulinische Verkündigung in der Erstverkündigung erschöpft, siehe Kap. 7.3. 274 5 Der Kommunikator des Evangeliums 5.2.3 Vom Priesterdienst und der Völkermission Eine außergewöhnliche Beschreibung seines Auftrages gibt Paulus in Röm 15,15 f: Röm 15,15: tolmhro,teron de. e; graya u`mi/ n avpo. me,rouj w`j evpanamimnh,|skwn u`ma/ j dia. th.n ca,rin th.n doqei/ sa,n moi u`po. tou/ qeou/ Ich habe euch aber zum Teil gewagter geschrieben, um euch zu erinnern durch die mir von Gott gegebene Gnade, 16 eivj to. ei=nai, me leitourgo.n Cristou/ VIhsou/ eivj ta. e; qnh( i`erourgou/ nta to. euvagge,lion tou/ qeou/ ( i[na ge,nhtai h` prosfora. tw/ n evqnw/ n euvpro,sdektoj( h`giasme,nh evn pneu,mati a`gi,w|Å (mit dem Zweck) ein Diener Christi Jesu zu sein für dieVölker, der priesterlich dient am Evangelium Gottes, damit das Opfer der Völker annehmbar werde, geheiligt durch den Heiligen Geist. Eigentümlich an dieser Formulierung ist die Verwendung kultischer Sprache. Die Paulus gegebene ca,rij erinnert wieder an seine Berufung zum Apostel vor Damaskus, wobei er seine Funktion hier als leitourgo.j Cristou/ bezeichnet. leitourgo,j an sich ist noch kein ausschließlich kultischer Terminus. 382 Es handelt sich primär um einen Begriff des „ öffentlich-rechtlichen “ bzw. politischen Lebens im Kontext von „ Dienstleistungen für das Volk “ . 383 Der leitourgo,j ist Diener in der Rolle eines „ ,public functionary ‘ of a city, regent, or God, an agent who provides benefaction without remuneration in a particular role “ . 384 In dieser Bedeutung verwendet Paulus das Wort in Röm 13,6 für römische Steuerbeamte, die als leitourgoi. qeou/ „ von Gott in den Dienst genommene Beauftragte bzw. Werkzeuge “ sind und ihren „ Beitrag zur von Gott zugelassenen und gewollten Ordnungs- und Machtfunktion “ des Staates leisten. 385 Der kultische Sinn in Röm 15,15 f wird also erst durch den Zusammenhang hergestellt, und zwar durch die eindeutig kultisch konnotierten Begriffe i`erourge,w, prosfora, und a`gia,zw. 386 i`erourge,w ist eine ungewöhnliche, bei Paulus und im gesamten Neuen Testament einzigartige Vokabel. Es bezeichnet „ ein heiliges Tun bei der Durchführung oder Vorbereitung eines Opfers “ und begegnet ausschließlich 382 Vgl. HAACKER, ThHK 6, aaO., 304; WILCKENS, EKK VI/ 1, aaO., 118. 383 BALZ, H., Art. leitourge,w ktl, EWNT II, 858 - 861; 859. 384 JEWETT, Romans, aaO., 906. 385 BALZ, Art. leitourge,w ktl, aaO., 861; Sonst verwendet Paulus den Begriff nur noch in Phil 2,25. Dort nennt er Epaphroditos seinen leitourgo.n th/ j crei,aj, den „ Diener seines Bedarfes “ . Es liegt der einfache profane Gebrauch im Sinne von „ Diener “ vor, vielleicht mit Anspielung auf das öffentliche „ Amt “ . 386 Vgl. STRATHMANN, H., Art. leitourge,w ktl, ThWNT 4, 221 - 238; 238; HAACKER, ThHK 6, aaO., 304. 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 275 im Kult. 387 Damit modifiziert es den vorrangegangen Satz und charakterisiert ihn als „ ,verbalized ‘ form of priesthood “ . 388 Prosfora, könnte eine Wiederaufnahme von Röm 12,1 sein, wo Paulus den Opferbegriff schon einmal auf Menschen und deren Heiligung übertragen hat - allerdings mit einem anderen Begriff: qusi,a. 389 In Röm 15,16 werden die Völker zum Opfer und als solche „ geheiligt durch den Heiligen Geist “ . 390 ` Agia,zw entspringt der Taufsprache und meint dort „ die durch Gott selbst bewirkte Teilhabe des in der Taufe von der Sünde ,gereinigten ‘ Christen an Gottes Heiligkeit “ . 391 Heiligung ist also die Beschreibung eines „ Eigentumsverhältnis zu Gott “ , das aus einem „ Akt der Hingabe “ resultiert. 392 Im Grunde geht es also um den Gedanken, „ dass Menschen - durch den Geist Gottes - auf die Seite Gottes gestellt werden “ . 393 Was meint Paulus, wenn er seine Völkermission als „ Opferhandlung “ darstellt? Was heißt das für seine Rolle als Kommunikator, wenn er „ das Evangelium als Gegenstand des Kults, oder anders gewendet: Dienst am Evangelium als Dienst am Kult “ vorstellt? 394 Erstens bringt Paulus zum Ausdruck, wie sehr er seinen Auftrag als „ Ausrichtung und Bewegung auf Gott zu “ versteht: „ Verkündigung des Evangeliums wird hier [. . .] als eine gottesdienstliche, auf Gott zielende Handlung gedeutet “ , denn sie resultiert darin, „ daß alle Welt ihrem Schöpfer und Gott gibt, was Gott gebührt, nämlich Anbetung und Dank “ (vgl. Röm 1,21). 395 „ Paulus ist mit seiner besonderen Gnade ein besonderer ,Gottes-Dienst ‘ verliehen worden “ : Wie ein opfernder Priester erfüllt er „ eine herausgehobene Vermittlerfunktion zwischen Menschen und Göttlichem “ . 396 387 RADL, Kult und Evangelium bei Paulus, aaO., 65; vgl. VAHRENHORST, M., Kultische Sprache in den Paulusbriefen, WUNT 230, Tübingen 2008, bes. 314 - 320; 317. 388 JEWETT, Romans, aaO., 907; Eine ähnliche Anwendung kultischer Sprache auf die paulinische Verkündigung ist dem latreu,w in Röm 1,9 abzuspüren. 389 Vgl. HAACKER, ThHK 6, aaO., 304. 390 DieVerbindung mit der Verkündigungstätigkeit des Paulus und der anschließende Verweis auf die Heiligung spricht dagegen, dass es sich um eine Opfergabe handelt, die die Völker darbringen, beispielsweise in Form der Kollekte für Jerusalem; vgl. VAHRENHORST, Kultische Sprache in den Paulusbriefen, aaO., 318. 391 WILCKENS, EKK VI/ 1, aaO., 118. 392 VAHRENHORST, Kultische Sprache in den Paulusbriefen, aaO., 319; HAACKER, ThHK 6, aaO., 304. 393 VAHRENHORST, Kultische Sprache in den Paulusbriefen, aaO., 319; Vielleicht ist a`gia,zw doch ein Indiz, dass das Ziel paulinischer Mission nicht nur Bekehrung, sondern „ Existenzverwandlung “ ist, dass also nicht nur die anfängliche „ Umkehr “ , sondern auch das Wachstum des „ Glaubens “ das Tätigkeitsfeld des Apostels umfasst; vgl. HAA- CKER, ThHK 6, aaO., 305; GERBER., Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 170. 394 RADL, Kult und Evangelium bei Paulus, aaO., 65. 395 HAACKER, ThHK 6, aaO., 304. 396 GERBER., Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 170 f. 276 5 Der Kommunikator des Evangeliums Zweitens werden Kult und Evangelium hier in ein Entsprechungsverhältnis gesetzt, welches das Evangelium als Fortsetzung des (jüdischen Tempel-)Kultes erscheinen lässt. 397 Der Kult wird „ verbalisiert “ und „ kerygmatisiert “ : „ Aus dem Opfer der Menschen wird das Wort Gottes. Aus der Gabe für Gott wird die Botschaft für die Menschen “ , „ [d]em Opferpriester entspricht der Verkündiger des Evangeliums “ (vgl. 1Kor 9,13 f). 398 Das Evangelium ist in dieser Lesart „ nicht nur Instrument, sondern [. . .] geradezu inneres Objekt seines priesterlichen Dienstes “ . 399 Es „ übereignet “ Menschen analog wie die Opferhandlung das Opfer an Gott: Sie werden „ aus der Gottesferne in die (Macht-)Sphäre Gottes versetzt “ . 400 Die Evangeliumsverkündigung wird damit zum „ Transfergeschehen “ . 401 Indem Paulus „ Menschen aus der Völkerwelt als Opfergabe in den Bereich des Heiligen überführt “ wird er zum Kultdiener (leitourgo,j) Christi. 402 Diese Vorstellung wird nicht von Paulus neu entwickelt. Er greift ein eschatologisches Schema aus Jes 66,20 auf, welches ursprünglich auf das Diasporajudentum zielte und das Bringen „ aller Brüder aus den Völkern “ als Opfergabe zum Tempelberg in Jerusalem zum Inhalt hat. 403 Paulus deutet das Bild auf seine Mission unter den Völkern um: „ Gentiles who were formerly kept at distance from the altar at Yahweh ’ s temple are now brought near “ . 404 Im Grunde geht es Paulus also nicht um eine „ neue kultische Dimension des Evangeliums oder gar eine sakrale Funktion des Apostels als des Priesters Christi “ , sondern um die enzeitliche Ausweitung und Erfüllung „ bisher an den Kult gebundener Hoffnungen “ . 405 Die Umschreibung seiner Verkündigung in kultischer Terminologie und in Anlehnung an die prophetisch-eschatologische Bildwelt aus Jesaja erinnern an die jüdische Verwurzelung des Paulus. Heiligkeit als Bezeichnung eines Status der Zugehörigkeit zu Gott, deren Entkoppelung von der örtlichen Lokalisierung am Tempel und Ethisierung des Lebens als Folge dieser Vorstellung könnten seinem pharisäichen Erbe entstammen. 406 Die Parallelisierung von Kult und Verkündigung des Evangeliums als zentrale „ Orte “ des Heilsgeschehens in 397 Vgl. RADL, Kult und Evangelium bei Paulus, aaO., 68. 398 RADL, Kult und Evangelium bei Paulus, aaO., 68. 399 RADL, Kult und Evangelium bei Paulus, aaO., 67. 400 VAHRENHORST, Kultische Sprache in den Paulusbriefen, aaO., 319; vgl. GERBER., Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 171: „ Wie ein Opfer nur einmal Gott dargebracht wird, so will Paulus Gottesbeziehung initiieren “ . 401 VAHRENHORST, Kultische Sprache in den Paulusbriefen, aaO., 335. 402 VAHRENHORST, Kultische Sprache in den Paulusbriefen, aaO., 335. 403 RADL, Kult und Evangelium bei Paulus, aaO., 66. 404 JEWETT, Romans, aaO., 907. 405 BALZ, Art. leitourge,w ktl, aaO., 860. 406 Vgl. VAHRENHORST, Kultische Sprache in den Paulusbriefen, aaO., 345. 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 277 Judentum und Christusglauben sind vielleicht der Versuch, Kontinuität zu demonstrieren, die freilich nur durch Ausweitung, Ablösung und vollständigen Ersatz des einen durch das andere möglich ist. Darin entspricht diese Perspektive auf das Verkündigungsgeschehen dem „ radikal Neuen “ des Damaskuserlebnisses. Mit dem Verweis auf Jesaja markiert Paulus außerdem die eschatologische Dimension seines Auftrages, zu dem er sich unmittelbar von Gott berufen fühlt und dem er am „ Tag des Herrn “ Rechenschaft schuldig ist. Vielleicht ist das „ Opfer “ der Völker auch in diesem Kontext eine Erwägung wert: Es ist nicht auszuschließen, dass Paulus auch an seine persönlichen Perspektive im Gericht denkt, wenn er Gott die Völker als Opfer präsentiert. 407 5.2.4 Abfall der Welt um Christi willen Ein letzter Blick soll den „ Tiefen “ des apostolischen Daseins gelten, wie Paulus sie in 1Kor 4,9-13 wiedergibt: 1Kor 4,9: dokw/ ga,r( o` qeo.j h`ma/ j tou.j avposto,louj evsca,touj avpe,deixen w`j evpiqanati,ouj( o[ti qe,atron evgenh,qhmen tw/ | ko,smw| kai. avgge,loij kai. avnqrw,poijÅ Ich meine nämlich, dass Gott uns, die Apostel, als die Letzten hingestellt hat, wie zum Tod verurteilte, weil wir der Welt und (den) Engeln und Menschen ein Spektakel geworden sind. 10 h`mei/ j mwroi. dia. Cristo,n( u`mei/ j de. fro,nimoi evn Cristw/ |\ h`mei/ j avsqenei/ j( u`mei/ j de. ivscuroi,\ u`mei/ j e; ndoxoi( h`mei/ j de. a; timoiÅ Wir sind Dumme um Christi willen, ihr aber seid Kluge in Christus; wir Schwache, ihr aber Starke; ihr Geehrte, wir aber Entehrte. 11 a; cri th/ j a; rti w[raj kai. peinw/ men kai. diyw/ men kai. gumniteu,omen kai. kolafizo,meqa kai. avstatou/ men Bis zur jetzigen Stunde hungern wir und sind durstig und sind nackt und werden geschlagen und sind obdachlos 12 kai. kopiw/ men evrgazo,menoi tai/ j ivdi,aij cersi,n\ loidorou,menoi euvlogou/ men( diwko,menoi avneco,meqa( und mühen uns arbeitend mit unseren eigenen Händen; als Verfluchte segnen wir; als Verfolgte ertragen wir; 13 dusfhmou,menoi parakalou/ men\ w`j perikaqa,rmata tou/ ko,smou evgenh,qhmen( pa,ntwn peri,yhma e[wj a; rtiÅ als Beleidigte ermutigen wir; wie Abfall der Welt sind wir geworden, der Dreck aller bis jetzt. Mit dieser Aufzählung reagiert Paulus auf das Selbstverständnis der Korinther als „ Herrschende “ (basileu,w, V.8), die sich arrogant erheben (fusio,w, V.6) und 407 Vgl. Kap. 6.1.4 b. 278 5 Der Kommunikator des Evangeliums über Apollos und ihn richten (kri,nw, V.5 f ). Ziel ist es, „ die Spannung zu beschreiben, die zwischen dem Selbstverständnis der Korinther [. . .] und der apostolischen Realität “ besteht. 408 Vielleicht verteidigt sich Paulus auch gegen den Vorwurf der Schwachheit: „ [D]iese Apostel sind armselige, unnütze Existenzen, über die jedermann seinen Hohn und Spott auslassen kann, die aber - vielleicht klang auch dies mit - ihr Leben in einer verächtlichen Weise selber wegwerfen. “ 409 Diese „ Herausforderung “ nimmt Paulus an, „ verstärkt das Bild der Inferiorität sogar noch und behauptet, daß eben dies die Absicht und das Werk Gottes sei “ (V.9). 410 Was bezweckt Paulus mit dieser langen Auflistung? Ist sie realistische Wiedergabe seiner apostolischen Existenz oder ironisch-überspitzte und rhetorisch gestaltete Darstellung? 411 Und wie ist die Selbstbewertung am Schluss einzuordnen? Ein Blick auf die vorliegende Gattung kann weiterhelfen: Wir haben einen Peristasenkatalog vor uns, wie er bei Paulus öfter erscheint (vgl. 2Kor 4,7-12; 6,4- 10; 11,23-33: 12,10). 412 Charakteristisch für diese Gattung ist die Beschreibung von Leiden und Nöten (peri,stasij = äußere Umstände, Unglück, Gefahr, Not) einer Einzelfigur im biographischen oder autobiographischen Kontext. 413 Sie begegnet - wie bei Paulus - in katalogischer Kurzform oder in narrativer Langform. 414 Formgeschichtlich lässt sich am Beispiel von Paulus „ das Durchstehen von Peristasen [als] eine paradoxe Form von Werken “ beobachten. Diese „ Affinität von Taten und Werken “ ist bereits aus der Heraklestradition bekannt und spiegelt sich auch in der häufigen Verbindung mit Tugenkatalogen, wie in 1Kor 4,9ff und 2Kor 6,4 ff. 415 „ Ziel der Kataloge ist es jeweils, den betroffenen Menschen nicht als Opfer, sondern als Überwinder der Mühen und Nöte vor Augen zu stellen und ihn so zum Paradigma für die Bewältigung von Leiden zu machen. Die Leiden werden zur Probe darauf, ob der jeweilige Mensch eine verborgene Kraftquelle besitzt, die ihn durch all dies hindurchzutragen ver- 408 LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO., 110. 409 STÄHLIN, G., Art. peri,yhma, ThWNT 6, 83 - 92; 90. 410 MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 312. 411 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO.,106: „ Daß die Apostel ,letzte ‘ sind, sagt Paulus sonst durchaus nicht “ . 412 Zur Gattung des Peristasenkatalogs vgl. BERGER, K., Formen und Gattungen im Neuen Testament, Tübingen/ Basel 2005, § 76 Peristasenkatalog, 284 - 287. 413 Vgl. BERGER, Formen und Gattungen, aaO., 284 f. 414 Vgl. BERGER, Formen und Gattungen, aaO., 285. 415 Vgl. BERGER, Formen und Gattungen, aaO., 287; Zit. 285. 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 279 mag “ . 416 Letztendlich ist also die Überwindung des beschriebenen Leidens die Intention der Gattung. 417 Gehen wir mit diesem Hintergrundwissen zurück zu 1Kor 4,9 ff. Wie beschreibt Paulus hier konkret sein Leiden? Als Apostel ist Paulus das „ Letzte “ (e; scatoj), wie zum Tode verurteilt und vor aller Augen ein Spektakel geworden (qe,atron tw/ | ko,smw| ,V.9). Er evoziert hier das Bild eines todgeweihten Gladiators in der Arena, dessen Kämpfen ein öffentliches Spektakel für die Zuschauer auf den Rängen ist. 418 Die Erwähnung der Engel und Menschen könnte eine Reminiszenz an Hi 77,2 sein, soll aber in jedem Fall die universale, kosmische Öffentlichkeit des Leidens als „ ein Drama mit weltweiter eschatologischer Bedeutung “ zum Ausdruck bringen. 419 Das Schauspiel, in dem sich Paulus als Apostel beschreibt, ist nun aber keine heroische Vorstellung wie etwa bei Herakles, sondern „ die ziemlich klägliche und wenig imponierende Rolle des Scheiternden “ . 420 Er leidet zwischenmenschlich unter der Verachtung als dumm und schwach, unter Entehrung, Verfluchung und Beleidigung; aber auch körperlich machen ihm der Mangel in den elementaren Grundbedürfnissen (Essen, Trinken, Kleidung, Unterkunft), Verfolgung und harte Arbeit zu schaffen. In diesen Stichworten skizziert er ein „ entbehrungsreiches Leben “ , in dem sich reale Erfahrungen seiner (Wander-)Existenz als Apostel unter dem äußeren „ Druck der Verhältnisse “ spiegeln können. 421 Die Aufzählung kulminiert in der erniedrigenden Selbstbewertung als „ Abfall “ und „ Dreck “ der Welt (V.13), die sicherlich zu einem gewissen Grad eine überzeichnende Selbstkarikatur ist und vor allem auf eine Revision des Urteils der Korinther über ihn abzielt. 422 Seine erbärmliche Situation als Apostel führt Paulus auf Gott selbst als Urheber der Schwachheit, als „ Regisseur “ des Schauspiels, zurück. 423 Warum Gott so mit den Verkündigern seines Evangeliums verfährt, erklärt Paulus in V.10: Sie sind mwroi. dia. Cristo,n. „ Was die Apostel als die letzten und als Todgeweihte erscheinen läßt ist die ,Sache ‘ , die sie umtreibt und die sie betreiben nach Sicht des Paulus: ,Christus der Gekreuzigte ‘“ . 424 Mit ihm stehen sie - todgeweiht - in einer Schicksalsgemeinschaft, sind von seinem Todesgeschick gezeichnet (vgl. Gal 6,17; 2Kor 4,10). 425 Die gesamte Existenz des Aposteles ist „ Explikation des Evangeliums, denn der 416 Vgl. BERGER, Formen und Gattungen, aaO., 286 f. 417 Vgl. BERGER, Formen und Gattungen, aaO., 287. 418 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO., 106. 419 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO.,342. 420 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO.,342. 421 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO.,345 f. 422 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 317; LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO.,110. 423 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO.,342. 424 MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 313. 425 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO.,341. 280 5 Der Kommunikator des Evangeliums Auftrag des Auferstandenen umfaßt und gestaltet sie “ . 426 Und da dieses Evangelium die Schwachheit des Kreuzes als Heilsort zum Inhalt hat, lebt auch der Apostel sein Leben „ im Schatten des Kreuzes “ . 427 Die Schwacheit und das Leiden des Apostels zeichnen ihn aber nicht nur als in Einklang mit der eigenen Botschaft stehend aus; sie sind auch unmittelbares Resultat seiner Verkündigung: Wenn Paulus in V.12 unter dem Stichwort der Verfolgung Anfeindungen thematisiert, so hat er damit den „ Kampf “ um des Evangeliums willen im Sinn (vgl. 1Thess 2,2; Phil 1,30), den - auch gewaltätigen - Widerstand gegen das Ärgernis und die Dummheit des Kreuzes. In 2Kor 11,23-26 berichtet Paulus von Gefängnis, Schlägen und sogar einer „ Steinigung “ , die er erlitten hat. Hinzu kommen die alltäglichen Gefahren und Beschwernisse eines antiken Reisenden durch Witterung bis hin zu Schiffbruch und Seenot, durch Räuber und betrügerische Weggefährten (yeuda,delfoi). All das ist Begleiterscheinung und Konsequenz und damit aber auch Beleg der paulinischen Verkündigung 428 : „ Mit seinem Geschick macht er das Sterben und Leben Christi offenbar: Da er immer wieder an den Rand des Todes gerät, von Gott aber auch immer wieder gerettet wird, kann er verkündigen, wie Gott aus dem Tod rettet “ . 429 Dass aber nicht nur das Kreuz, sondern auch die Dimension der Auferstehung für das Leben als Verkündiger konstitutiv ist, zeigt vielleicht V.12, wo Paulus „ inmitten von Verfolgung und Schmähung zu segnen und gut zuzureden vermag “ . 430 Sein Leben ist darum nicht weggeworfen, sondern die „ scheinbar unnütze Existenz kommt allen zugute “ , denen er das Evangelium verkündigt. 431 Der Aspekt des Leidens im Leben des Apostels hat auch „ paradigmatische Bedeutung für alle Christen “ (vgl. V.16). 432 Auch dies ist ein Grund, warum Paulus ihn hier artikuliert: Er will die Korinther zur Demut und Wertschätzung der Schwachheit aufrufen im Gegenüber zu ihrer derzeitigen Arroganz. Jedoch geht diese Vorbildfunktion nicht so weit, dass zur Übernahme dieser rastlosen Lebensweise aufgerufen wird: „ Die Apostel tun dies ja nicht, weil Leiden oder 426 ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 439. 427 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO.,342; vgl. BERGER, Formen und Gattungen, aaO., 287: „ Gerade weil der Christus als der Leidende und Gekreuzigte Gottes Auserwählter ist, können Peristasen die Zugehörigkeit zu Christus erweisen “ . 428 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ 1, aaO., 108. 429 GERBER., Das Apostolatsverständnis und die Beziehung, aaO., 419. 430 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO.,350; In dieser „ Schwachheit des Kreuzes “ , in der er die „ Kraft der Botschaft “ verortert, kann man durchaus das Spezifikum des paulinischen Apostelbegriffs sehen; vgl. BÜHNER, Art. avpo,stoloj, aaO., 346. 431 STÄHLIN, Art. peri,yhma, aaO., 90. 432 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO.,341. 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 281 eine Lebensweise ,am Rande der Gesellschaft ‘ einen Wert in sich hätte, sondern sie nehmen das in Kauf, um ihres missionarischen Auftrags willen “ . 433 Für die antike Gattung des Peristasenkatalogs außergewöhnlich ist, dass der Grund für das Leiden des Paulus auch gleichzeitig der Zweck und die „ Kraftquelle “ zu dessen Überwindung ist. Das ist begründet in der Paradoxie des Kreuzes als Heilsort. Hieraus leitet Paulus nicht nur Konsequenzen für das grundsätzliche Verständnis der Kategorien „ stark “ und „ schwach “ ab, sondern auch persönliche, auf sein Selbstverständnis und seinen Auftrag bezogene. Seine Lebensweise korrespondiert dem Leiden und Sterben Jesu am Kreuz, ist darum schwach und nach weltlichen Maßstäben schäbig. Durch diese Interpretation plausibilisiert Paulus seine alltäglichen Erfahrungen als Missionar mit seinem eigentlich hohen Anspruch als Apostel. Gegenüber seinen Rezipienten rechtfertigt er seine Außenwirkung und verteidigt wiederum unter konsequentem Rückbezug auf die von ihm verkündigte Botschaft sein Selbstbild und Verhalten: Leiden und Schwachheit sind Begleiterscheinungen der Verkündigung des Evangeliums, gerade dadurch aber auch ihr Beleg. Person und verkündigte Botschaft werden wieder nahezu bis zur Identität einander angenähert und miteinander vermischt. 5.2.5 Zusammenfassung - eine Übersicht Am Schluss dieses Kapitels soll noch einmal eine Zusammenschau der Selbstbezeichnungen und ihr Potential für die Erschließung des paulinischen Selbstbildes als Kommuniktor stehen: Selbstbezeichnung Rückschlüsse auf Selbstverständnis Gesandter und Botschafter (presbeu,w) l Stellvertretung Christi l öffentlichlicher Charakter des Evangeliums Diener (dia,konoj) l Betonung der funktionalen Ebene (Auftrag) neben der Beziehungsebene (hierarchische Unterordnung) l allgemeine Bezeichnung für Gemeindemitarbeit: Hinordnung auf Gemeinde und Gleichstellung mit anderen Gemeindediensten l Ehrenbezeichnung gegenüber Menschen; als Dienender dem auftraggebenden Herrn vollständig untergeordnet (vgl. dou/ loj) 433 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 88. 282 5 Der Kommunikator des Evangeliums Selbstbezeichnung Rückschlüsse auf Selbstverständnis Verwalter der Geheimnisse Gottes (oivkono,moj musthri,wn qeou/ ) l partizipiert an Autorität des Herrn: Vollmacht zur Verkündigung und Auslegung l Stellvertretung l Geheimnis = Paradoxon des Kreuzestodes Pflanzender und Baumeister (futeu,wn/ avrcite,ktwn) l Gemeindegründung als primäre Aufgabe des Apostels: zeitlich und sachlich vorgeordnet l Rückbezug auf Gott und Christus als Fundament (Botschaft) Mitarbeiter Gottes (sunergo.j qeou/ ) l Mitarbeiter in Gottes Heilsplan neben anderen l gleichgestellt und gemeinsam auf Gott ausgerichtet priesterlich tätiger Diener (leitourgo.j i`erourgou/ nta) l Völkermission als Gottesdienst: Ausrichtung/ Bewegung auf Gott zu l eschatologische Ausweitung und Erfüllung bisher an den Kult gebundener Hoffnungen: Kontinuität/ Diskontinuität in Auftrag und Botschaft Abfall der Welt (perikaqa,rmata tou/ ko,smou) l Paradoxie des Kreuzes als Heilsort: persönliche Konsequenzen für Selbstverständnis und Auftrag l plausibilisiert alltägliche Erfahrungen und hohen Anspruch als Apostel gegenüber Rezipienten l konsequenter Rückbezug auf Botschaft In den bisher analysierten Selbstbezeichnungen verortet sich Paulus gegenüber Gott und der verkündigten Botschaft - in letzter Konsequenz aber auch gegenüber seinen Rezipienten. Denn letztendlich zielen die Aussagen auf seine Autorität und Verhaltensweise ihnen gegenüber: 1) Paulus ist Gott/ Christus völlig untergeordnet und Rechenschaft schuldig. Er ist es ausschließlich ihm gegenüber und darum im Grunde der Bewertung durch Dritte entzogen. Er ist Mitarbeiter in Gottes Heilsplan (neben anderen) und in seiner Arbeit vollständig auf ihn ausgerichtet. Durch die Erfüllung der ihm anvertraute Aufgabe erhält Paulus Anteil an der Autorität des Auftraggebers: In seiner Verkündigung ist er Stellvertreter Christi, wobei Christus hier sowohl für den auferstandenen Herrn als auch für den Inhalt des Evangeliums stehen kann. Als sein Stellvertreter ist Paulus auch bevollmächtigter Ausleger. 2) Die Botschaft ist das Zentrum seines Auftrags. Sie ist das Fundament seiner Arbeit und Maßstab, dem sein Leben korrespondieren muss. Ihr Geheimnis besteht in der Paradoxie des Kreuzes, unter dessen Vorzeichen Paulus seine 5.2 Weitere Selbstbezeichnungen des Paulus 283 apostolische Existenz deutet und rechtfertigt. Die Völker als primäre Zielgruppe seines Auftrags legitimiert Paulus ebenfalls durch Rückbezug auf das Evangelium als eschatologische Ausweitung und Ablösung der Heilsfunktion des Kultes. 3) Auf andere Gemeindedienste ist Paulus als Apostel hingeordnet: Seine Funktion besteht primär in der Gründung von Gemeinden durch die Verkündigung des Evangeliums. Diese Verkündigung geschieht dem eigenen Anspruch nach öffentlich. Nachdem sie im Auftrag Gottes erfolgt, ist Paulus der Gemeinde aber nicht untergeordnet, sondern durch die Autorität seiner Botschaft sachlich und durch die gründende Dimension seines Auftrages zeitlich vorgeordnet. 5.3 Auswertung Ich halte die Ergebnisse zum Kommunikator im Rahmen der Evangeliumskonzeption wieder in einem Auschnitt des Kommunikationsmodelles fest (siehe folgende Abbildung). Grundlage des paulinischen Selbstbildes ist sein Erlebnis bei Damaskus. Es ist das Schlüsselmoment, das sein zukünftiges Leben in Diskontinuität und Kontinuität zum vorausgehenden bestimmt. Eine radikale Veränderung tritt hinsichtlich seiner Gruppenzugehörigkeit (Pharisäer → Apostel Jesus Christi), der Motivation (Tora → Christusoffenbarung) und Intention (Christenverfolgung → Verkündigung des Evangeliums) seiner zukünftigen Kommunikation ein. Bleibende Bedeutung behalten seine jüdische Prägung, insbesondere sein Umgang mit Schrift und Tradition (vgl. Prophetentradition), und die Bedeutung der Tora für seine Theologie. Besonders deutlich wird die Identität der Person des Paulus vor und nach Damaskus an seiner bleibenden festen Überzeugung von dem, was er tut: So vehement wie er zuvor Christen verfolgt hat, übt er nun seine Berufung zum Verkündiger des Evangeliums aus. Das Apostolat geht unmittelbar aus dem Damaskuserlebnis hervor und ist Ausdruck seines neuen Selbstverständnisses. Vier Dimension lassen sich den paulinischen Ausführungen entnehmen: Funktional hat Paulus den Auftrag zur gemeindegründenden Erstmission, und zwar im Bereich der Völker. Hermeneutisch interpretiert er diese Beauftragung als Offenbarung Christi in seiner Person, d.h in seiner Person manifestiert sich das Evangelium. Dieses Selbstverständnis hat auf der persönlichen Ebene existentielle Konsequenzen: Er ist der Überzeugung, dass sein Heil von der Erfüllung des Auftrages abhängt (Verständnis als Gnade, nicht als Amt). 284 5 Der Kommunikator des Evangeliums Die Dimension der Ausstattung mit Autorität ist gerade in der Rollenbestimmung gegenüber den Rezipienten die wichtigste und wird durch weitere Selbstbezeichnungen gestützt. Als Apostel ist Paulus direkter Gesandter Gottes/ Christi und damit unmittelbar der Autorität seines Auftraggeber unterstellt. Damit erhält er Anteil an dessen Autorität (v. a. hinsichtlich der authentischen Verkündigung/ Auslegung des Evangeliums) und wird unabhängig von menschlicher Einschätzung. Andererseits ist Paulus sich selbst der einzige Zeuge seiner Berufung bei Damaskus, und das macht seine Autorität angreifbar. Es ist darum nicht überraschend, dass er immer wieder auf das nachweisbare Faktum der Gemeindegründung verweist, um seinen Ausführungen Gehör zu verschaffen. Autorität erhält Paulus auch von der Botschaft, die er in den Mittelpunkt seines Auftrages stellt. Das Evangelium ist aber nicht nur das Fundament seiner Verkündigung, sondern auch der Maßstab, an dem er sein eigenens Leben gemessen und gedeutet wissen will (Kreuzesnachfolge). In Bezug auf andere gemeindliche Dienste stellt Paulus seine Beauftragung grundsätzlich gleich (Mitarbeiter Gottes), auch wenn er auf der sachlichen und zeitlichen Vorordnung aufgrund der gemeindegründenden Funktion beharrt. Die Auswirkungen dieses Selbstverständnisses auf den Kommunikationsprozess im Gegenüber zu den Rezipienten lässt sich am Beispiel der Kontroverse um das Gesetz (vgl. Gal 1) gut nachvollziehen: Paulus gebärdet sich als rigoroser Gatekeeper, nicht nur hinsichtlich der argumentativen Auswahl von Aussagen des Evangeliums, sondern auch in Bezug auf die Gültigkeit anderer möglicher Aussage neben seiner eigenen. Diese dürfen die Rezipienten nicht für wahr ansehen, ja Paulus würde deren Kommunikation im Grunde am liebsten ungeschehen machen - eine Art nachträgliches „ Gatekeeping “ . Er ist bereit, dafür im Ernstfall seine gesamte Rollenmacht als (alleiniger) Kommunikator der Evangeliums einzusetzen. Allerdings besitzt er auch die Fähigkeit, sich konstruktiv und argumentativ mit den aufkommenden Anfragen auseinanderzusetzen. 5.3 Auswertung 285 Abb. 6 Der Kommunikator des Evangeliums im Kommunikationsmodell 286 5 Der Kommunikator des Evangeliums 6 Die Beziehungen des Kommunikators Das letzte Kapitel hat das Selbstverständis des Paulus vor Augen geführt, wie er es unabhängig von jeder zwischenmenschlichen Beziehung theobzw. christozentrisch, also allein von Gott und Christus her, definiert (vgl. Gal 1,1.11 f ). Dieses Bild ist jedoch defizitär, wenn es nicht um die entsprechenden Beziehungsaussagen ergänzt wird. Gal 1 zeigt nämlich, dass Paulus gerade aufgrund und im Rahmen von Beziehung seine Autorität jenseits aller menschlichen Beziehungen allein in Gott verankert. Erst in der Beziehung erlangt sein Selbstbild Bedeutung, erst in der Kommunikation kann Paulus zum Kommunikator werden. Darum ist das Folgende nicht nur Ergänzung zum bisher erarbeiteten Rollenbild, sondern Vertiefung und Anwendung. An der Gestaltung der Beziehung können wir beobachten, wie sich sein konzentriertes und abstrahiertes Selbstbild als Apostel in der konkreten Situation verwirklicht. Nur wenn wir diese Beziehungsebene des Kommunikationsprozesses wahrnehmen, können wir Paulus als Kommunikator des Evangeliums angemessen verstehen. Die Beziehungsebene ist für das Gelingen der Kommunikation zentral. Auf ihr entscheidet sich, ob überhaupt Kommunikation zustande kommt, sowohl kognitiv (Verstehen/ Verständigung) als auch emotional (Vertrauen/ Autorität). Vorab wird die Kommunikation durch das „ gegenseitige Bild “ geprägt, das die Kommunikationsteilnehmer voneinander haben. Hier ist entscheidend, welche Legitimation der Kommunikator und seine Botschaft (Nachrichtenwert) vorweisen können. Andererseits bestimmt der Verlauf der Kommunikation (Feedback) die weitere Beziehung zwischen den Kommunikationsteilnehmern. Was für das Verhältnis zu den Rezipienten gilt, kann grundsätzlich auch auf die Beziehung zu den Mitkommunikatoren angewendet werden. Jedoch nimmt hier die Legitimation von Kommunikator und Botschaft aufgrund der möglichen Konkurrenz bezüglich der Rezipienten eine viel wichtigere Stellung ein: Erkennen die beiden Kommunikatoren ihre Legitimation zu kommunizieren gegenseitig an? Wird die gleiche Botschaft kommuniziert und wenn nicht, wie wirkt sich das auf die Anerkennung aus? Überträgt man diese Überlegungen auf Paulus als Kommunikator des Evangeliums, ergeben sich folgende Fragestellungen, die uns bei der Untersuchung leiten sollen: 1) Wie konzipiert Paulus die Beziehungsebene zu seinen Rezipienten? Welches Bild von sich möchte er vermitteln? Welches Bild hat er von seinen Rezipienten? Inwiefern ändern sich diese Bilder durch den Kommunikationsprozess? Wie entfaltet Paulus seine Legitimation als Kommunikator gegenüber den Rezipienten? Rechnet er mit Feedback? 1 2) Wie gestaltet Paulus das Verhältnis zu anderen Kommunikatoren? Unter welchen Umständen erkennt er sie an? Wie geht er mit abweichenden Botschaften um? Wie reagiert Paulus auf Bestreitung seines Anspruches von Seiten anderer Kommunikatoren? Ich werde die Beziehungen des Paulus in zwei großen Abschnitten untersuchen. Zunächst nehme ich seine Rollengestaltung gegenüber den Rezipienten in den Blick (6.1). Die Selbstbezeichnung als „ Vater “ ist paradigmatisch für das Beziehungsverhalten des Paulus und seiner Erwarungshaltung gegenüber den Rezipienten und soll darum am Anfang stehen (6.1.1). Das Verhalten bei der Verkündigung (6.1.2) und die Vorbildfunktion des Apostels (6.1.3) führe ich als Beispiele seiner Beziehungsgestaltung auf der Grundlage dieser Vaterrolle an. Schließlich stelle ich dem paulinischen Anspruch, Vater zu sein, seine Rede von den Rezipienten als „ Brüder “ gegenüber und hinterfrage damit den im Begriff anklingenden hierarchischen Anspruch. Ob von einer Beziehung „ auf Augenhöhe “ gesprochen werden kann, überprüfe ich genauer anhand des Motivs vom (gemeinsamen) Wettkampf und der daran anknüpfenden persönlich-eschatologischen Dimension der Beziehung zur Gemeinde (6.1.4). Die Beziehungen, die Paulus zu seinen Rezipienten pflegt, sind vielschichtig. Mit der Selbstumschreibung als „ Vater “ und der Anrede der Gemeinde als „ Brüder “ sind exemplarisch zwei Perspektiven herausgegriffen, in denen sich Paulus einerseits als Apostel von der Gemeinde unterscheidet und überordnet, und andererseits sich auf gleicher Ebene der Gemeinde zuordnet. Den zweiten großen Abschnitt bilden die Beziehungen zu anderen Kommunikatoren (6.2). Ich differenziere sie noch einmal hinsichtlich des Grads ihrer Zusammenarbeit mit Paulus in Mitarbeiter (6.2.2) und unabhängige Kommunikatoren (6.2.3). 1 Dem Nachrichtenwert des Evangeliums habe ich mich bereits im Kontext von Aussage und Programm zugewandt (Kap. 4.2.5 und 4.3). In Bezug auf die Rezipienten werde ich die Fragestellung unter dem Stichwort der „ Relevanz des Evangeliums “ nochmals aufgreifen (8.2). Auch die (Selbst-)Legitimation des Paulus als Kommunikator kam im Rahmen der Begründung seines Apostolats bereits zur Sprache (Kap. 5). 288 6 Die Beziehungen des Kommunikators 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 6.1.1 Der Apostel als Vater Die wichtigste Selbstbezeichnung, die Paulus verwendet, um seine Beziehung zu den Gemeinden zu beschreiben, ist die des Vaters. 2 In der antiken Gesellschaft ist der Vater eine starke Metapher für Autorität und Verfügungsgewalt. Sowohl im hellenis-tischen als auch im jüdischen Kontext ist er der Vorstand der Familie, dem Verehrung und Gehorsam gebührt. 3 Unter dem Einfluss des römischen Vater-Verständnisses werden diese Aspekte in beiden Kulturkreisen noch gesteigert: Der pater familias hat die absolute Zucht- und Strafgewalt über Angehörige seiner Familie (patria potestas), darf nicht infrage gestellt werden bzw. verdient bedingungslose Loyalität und Unterstützung und übt diese Rechte bis zu seinem Tod über alle Angehörigen seines Hausstandes aus. 4 Er entscheidet über die Aufnahme in den Familienverband (Geburt, Adoption) und gibt auch die Erlaubnis zu dessen Verlassen (Emanzipation). 5 Auch nach Außen vertritt allein der Vater die Familie rechtsgültig: Nur er ist grundsätzlich geschäftsfähig, kann Verträge schließen oder gerichtlich klagen. 6 So ist auch die materielle Sphäre vom Zugriff des Vaters bestimmt: „ Der Sohn erwirbt nach altrömischem Recht Vermögen nur für den Vater. “ 7 Die patria potestas unterliegt keinerlei rechtlichen 2 Literatur zu Paulus als Vater/ Mutter: DELLING, G., Art. Gotteskindschaft, RAC 11, 1159 - 1185; FELDMEIER, R./ ALBRECHT, F. (Hgg.), The Divine Father. Religious and Philosophical Concepts of Divine Parenthood in Antiquity (TBN 18), Leiden/ Boston 2014; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 351ff; MELL, U., Neuschöpfung und Gotteskindschaft, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 390 - 394; MÜLLER, P., Gottes Kinder. Zur Metaphorik der Gotteskindschaft im Neuen Testament, in: EBNER M. u. a., Gottes Kinder, JBTh 17, Neukirchen-Vluyn 2002, 141 - 161. 3 Vgl. SCHRENK, G., Art. path,r ktl, ThWNT 5, 946 - 1024; 949 f; 974 f. 4 Vgl. SCHIEMANN, G. Art. Pater familias, Der Neue Pauly 9, 294 f; DERS., Art. Patria potestas, Der Neue Pauly 9, 402 - 404: „ Dem körperlichen steht der,bürgerliche ‘ Tod gleich: Auch der Freiheits- oder Bürgerrechtsverlust [. . .] führt zum Erlöschen der p. p. “ (403); SCHRENK, Art. path,r ktl, aaO., 949 f; 974. 5 Vgl. SCHIEMANN, Art. Pater familias, aaO., 395; DERS., Art. Patria potestas, aaO., 403: Mit dem Ausscheiden aus dem Familienverband erlischt jedoch der Anspruch auf das väterliche Erbe; EDER, W. Art. Patriarchat, Der Neue Pauly 9, 404 - 407; 405: Mit der Aufnahme in die Familie ist die Aufnahme in die römische Bürgerschaft, d. h. die Verleihung des Bürgerrechtes, verbunden. 6 Vgl. SCHIEMANN, Art. Pater familias, aaO., 394. 7 SCHRENK, Art. path,r ktl, aaO., 950 f; vgl. 949; vgl. SCHIEMANN, Art. Patria potestas, aaO., 402 f: Die „ alleinige Befugnis zum Erwerb, zur Nutzung und zur Veräußerung des Familienvermögens “ ist sogar das Zentrum der patria potestas (402); EDER, Art. Patriarchat, aaO., 406: Im griechischen Kontext tritt - bedingt durch die Möglichkeit der Übernahme der väterlichen Gewalt vor dessen Tod - die Pflicht der Söhne hinzu, für die Eltern zu sorgen. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 289 Grenzen, sondern wird nur von sittlichen und sakralen Konventionen beschränkt. 8 Im gesamtantiken Kontext ist das Recht des Vaters sakral legitimiert, wobei in der jüdischen Vorstellung die Eltern (beide! ) als Werkzeuge Gottes, z. B. bei der Zeugung/ Empfängnis, fungieren (Philo). 9 Natürlich hat auch der Vater gegenüber seinen Kindern gewisse Pflichten bzw. Funktionen wahrzunehmen. Im Judentum ist die Fürsorge v. a. von der Unterweisung in die Tora bestimmt; er ist Erzieher und Vorbild der Kinder in seinem Verhalten. 10 Im übertragenen Sinn kann der Begriff auch zum Ehrentitel für den (rabbinischen) Lehrer werden. 11 DieseVaterbilder aus der zeitgenössichen Umwelt stehen für Paulus im Raum, wenn er sich des Vaterbegriffs bedient, und er muss damit rechnen, dass seine Rezipienten sie assoziieren. Nicht zuletzt deshalb lenkt er das Verständis des Wortes durch zwei andere Aspekte 12 : Viel häufiger als für sich selbst verwendet Paulus den Vater-Titel in seinen Briefen für Gott, und zwar nicht nur bezogen auf sein Verhältnis zum „ Sohn “ Jesus Christus, sondern auch zu den Christusgläubigen (z. B. 1Kor 1,3; 8,6; 2Kor 1,2; Gal 1,3; Phil 4,20). Röm 1,7 markiert dieses Verhältnis als von Gott ausgehende Liebesbeziehung (avgaphtoi, qeou/ ). Sie manifestiert sich in der Sendung seines Sohnes und die Zugehörigkeit zu ihm (die mit dem Empfang des Geistes einhergeht) konstituiert die Mitgliedschaft in der familia Dei, also die Gotteskindschaft (Gal 4,4 f ). 13 Röm 8,15ff entfaltet sie als „ Sohnschaft “ (ui`oqesi,a, V.15) eschatologisch im Blick auf das damit verbundene „ Erbe “ des Heils, das in Christus mitgeerbt wird (sugklhrono,moi, V.17). Dabei wird durch die Erbe-Metapher ein „ konstitutiver Zusammenhang zwischen vollgültigem Gegenwartsheil und vollgültiger Zukunftsherrlichkeit “ hergestellt (vgl. 1Kor 1,30; 2Kor 8,9). 14 8 Vgl. SCHIEMANN, Art. Patria potestas, aaO., 402; DERS., Art. Pater familias, aaO., 395: Die „ Sittengerichtsbarkeit “ wurde in Rom von den censores, später vom Kaiser selbst ausgeübt. 9 Vgl. SCHRENK, Art. path,r ktl, aaO., 950; 975. Beachte dazu auch Vater als „ überaus allgemeine Gottesanrede in hellenistischer und jüdischer Religiosität “ ; MELL, Neuschöpfung und Gotteskindschaft, aaO. 393. 10 Vgl. SCHRENK, Art. path,r ktl, aaO., 975; vgl. auch 949. 11 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 114; SCHRENK, Art. path,r ktl, aaO., 977. 12 Zur traditionsgeschichtlichen Verhältnisbestimmung der Vatermetapher bei Paulus in der Forschung vgl. MELL, Neuschöpfung und Gotteskindschaft, aaO. 393. 13 Vgl. DELLING, Art. Gotteskindschaft, aaO., 1164 f; MELL, Neuschöpfung und Gotteskindschaft, aaO. 392; FELDMEIER, Monotheismus und Christologie, aaO., 310: Feldmeier bestimmt diesen Vorgang als eine Art Adoption: „ Als Vater gibt Gott den zu seinen Kindern gewordenen Geschöpfen Anteil an seiner Göttlichkeit “ (313). 14 MELL, Neuschöpfung und Gotteskindschaft, aaO. 392; vgl. DELLING, Art. Gotteskindschaft, aaO., 1165. 290 6 Die Beziehungen des Kommunikators Für Paulus sind die liebende Zuwendung und die Anteilgabe am Heil mit dem Vatertitel für Gott konstitutiv verbunden. Darin liegt der primäre Hintergrund seiner Selbstbezeichnung als Vater, zu dem die stark autoritär geprägten Vaterbilder der Umwelt hinzutreten. Wo Paulus sich selbst als Vater bezeichnet, hat er in erster Linie seine gemeindegründende Tätigkeit als Apostel im Blick. Die Gemeinde ist das „ Werk “ des Apostels (vgl. 1Kor 9,1). In 1Kor 4,15 begründet er sein Vatersein mit der Zeugung (genna,w) durch das Evangelium in Christus. Das erinnert an die jüdische Vorstellung des Zusammenwirkens von Gott und Mensch bei der Zeugung neuen Lebens. Ebenso könnte man an die Metapher der „ Zeugung des Schülers durch den Rabbi “ mithilfe der Tora denken. 15 Bei Paulus handelt es sich jedoch um eine Zeugung „ in Christus “ , und an die Stelle Gottes bzw. der Tora tritt das Wirken des Evangeliums (dia, ) 16 : „ Paulus betont durch den Hinweis auf das Evangelium, daß sich die Existenz der angeredeten Gemeinde dem Evangelium als Mittel verdankt, durch das allein die ,Zeugungskraft ‘ des Paulus wirksam wurde. Die ,Vaterschaft ‘ ist also keine mystische, sondern sie ist in der Predigt und durch sie entstanden “ . 17 Die aus 1Kor 3,6 bekannte Umschreibung seiner Aposteltätigkeit als „ Pflanzen “ baut Paulus in 4,15 in Verbindung mit dem Vater- Titel also zur „ Zeugungsmetaphorik “ aus. Dass die Zeugung als Akt der Vaterschaft wirklich in der erfolgreichen Verkündigung des Evangeliums besteht, kann Phlm 10 belegen: Auch dort verwendet Paulus ganz selbstverständlich genna,w, um die Bekehrung des Sklaven Onesimus durch das Evangelium zu bezeichnen (vgl. V.11; 16). Gal 4,19 geht unter veränderter Begrifflichkeit in dieselbe Richtung: Paulus leidet erneut Geburtsschmerzen (wvdi,nw) für die Galater, damit Christus unter ihnen Gestalt gewinnt (me,crij oumorfwqh/ | Cristo.j evn u`mi/ n) 18 : „ Er präsentiert sich als kreißende Gebärarbeiterin, welche die Wiederholung der Geburtsarbeit auf sich nimmt. Diese ist nicht vollendet, bevor nicht die Angeschriebenen reif sind, Christus selbst zu verkörpern “ . 19 Ebenso wie die Zeugung zielt das Bild der Geburt - wenn auch unter „ mütterlichen “ Vorzeichen - auf die lebenspendene Funktion des Paulus bei der Verkündigung des Evangeliums. 20 15 SCHRENK, Art. path,r ktl, aaO., 1007. 16 Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 93; SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 355. 17 LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 114. 18 Vgl. dazu ausführlich GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 437 - 495. 19 GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 492. Gerber legt dar, dass die Selbstbezeichnung als Gebärende aus dem Kontext des Gal heraus keine persönliche Bindung impliziert, sondern auf die gegenwärtige Briefsituation hin zugespitzt ist (494 f ). Anders dagegen BETZ, Der Galaterbrief, aaO., 403: Er identifiziert den „ Vergleich mit der liebenden Mutter “ als antikes Freundschaftsthema. 20 Vgl. BETZ, Der Galaterbrief, aaO., 406; WOLFF, ThHK 7, aaO., 93. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 291 In diese Richtung weist auch die Verknüpfung der Zeugung mit Christus und dem Evangelium. In der Gemeindegründung ist Paulus das Werkzeug Gottes, wie nach jüdischer Vorstellung ein Vater bei der Zeugung und wie eine Mutter, die Geburtsschmerzen leidet. Die Zeugungs- und Geburtsschmerzenmetaphorik signalisiert also zweierlei für den Vaterbegriff bei Paulus: 1) die enge Bindung zwischen Apostel und Gemeinde analog der leiblichen Vaterschaft und 2) die Zuwendung Gottes, die in der analogen Zuwendung des Apostels als dessen Werkzeug ihren Ausdruck findet (durch die Evangeliumsverkündigung bzw. Gemeindegründung). Das Vokabular der Zeugung geht darüber hinaus noch einen Schritt weiter. Es rückt die Selbstbezeichnung in das Licht einer leiblichen Vaterschaft: So eng wie ein Vater seinem leiblichen Kind, ist Paulus seiner Gemeinde verbunden. 21 Er denkt hier sicherlich nicht in den Bahnen des römischen pater familias, der sein Kind als solches annimmt oder eben nicht. 22 Im paulinischen Gebrauch spiegelt sich - wie wir noch genauer sehen werden - vielmehr der jüdische Aspekt der Fürsorge durch Unterweisung, Erziehung und als Vorbild 23 : „ Die Vaterschaft des Apostels besteht nicht nur in einmaligem genna/ n, sondern beinhaltet eine bleibende Autorität, Fürsorgepflicht und Verantwortung “ . 24 Wenn Paulus sich selbst als Vater und die Rezipienten als seine Kinder im Zusammenhang mit seiner gemeindegründenden Missionsarbeit stilisiert, kommen damit zwei Anliegen zur Geltung: 1) Als ihr Vater und „ Erzeuger “ darf er Autorität beanspruchen. 25 Von daher ist die Abgrenzung von anderen paidagwgoi, in 1Kor 4,15 zu verstehen, die zwar Lehrer, aber nicht Väter sein können und denen darum im Zweifelsfall auch nicht Folge zu leisten ist. 26 Wie 21 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 114 hebt den „ Beiklang des Liebevollen “ hervor. Anders dagegen SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 355, der eine zu starke Betonung des affektiven Moments ablehnt: „ Allein das Wort des Evangeliums [. . .] begründet die ,Vaterschaft ‘ des Apostels “ . Ähnlich sieht GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 422 f nicht nur „ familiäre Vertrautheit “ hinter der Vaterbezeichnung, sondern vor allem eine „ Argumentationsbasis um den Appell zu begründen und ihn zu autorisieren “ . 22 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 355. 23 Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 93; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 422: Mit dem Vaterbild ruft Paulus „ einen bestimmten Ausschnitt der Beziehung von Eltern und Kindern “ ab, den Aspekt der Erziehung: „ Das so eingeschriebene pädagogische Gefälle von Adressant zu AdressatInnen impliziert das Recht des Adressanten zu Forderungen “ . 24 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 356. 25 Vgl. GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 434: eine „ asymmetrische und hierarchisch-exklusive ,religionspädagogische ‘ Beziehung “ . 26 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 356: „ [D]er antike paidagwgo,j ist alles andere als ein Pädagoge im modernen Sinn, nämlich der meist robuste und wenig zimperliche Aufpasser, oft eine sehr unsympathische Figur, der dem Zögling schlecht und recht Benehmen beizubringen hatte, ihn hart zurechtbog, beaufsichtigte und begleitete “ ; WOLFF, ThHK 7, 292 6 Die Beziehungen des Kommunikators ein Vater darf Paulus zur Ordnung rufen, ermahnen (parakale,w), aber eben auch trösten (paramuqe,komai, 1Thess 2,12). 2) Das Motiv der Tröstung ist bereits ein Aspekt des zweiten Anliegens: Paulus will sich als väterlich liebenden und fürsorglichen Vater präsentieren (vgl. 1Thess 2,11), der nicht herzlos beschämt (evntre,pw), sondern leidenschaftlich ermahnt (nouqete,w, 1Kor 4,14). 27 Seine liebevolle Zuwendung erweist sich für Paulus v. a. in seinem Verhalten, maßgeblich auch in der Frage des Unterhaltes, wo er seinen Verzicht folgendermaßen erklärt: 2Kor 12,14: ouv ga.r ovfei,lei ta. te,kna toi/ j goneu/ sin qhsauri,zein avlla. oi` gonei/ j toi/ j te,knoijÅ Denn die Kinder sollen nicht für die Eltern sparen, sondern die Eltern für die Kinder. 28 Für Paulus ist „ Vater “ also nicht nur eine Metapher, um seine Rolle bzw. seine Beziehung zu umschreiben. Es ist auch aktives Leitbild mit dessen Hilfe er die Ausrichtung seiner Beziehung begründet und anhand dessen die Gemeinde sein Verhalten messen soll. Das Vatersein des Paulus steht für eine Grundhaltung der Zuwendung und einen Anspruch auf Autorität, die beide aus seinem Verkündigungsauftrag als Apostel resultieren. Der Begriff ist Teil einer „ metaporischen Inszenierung der Beziehung “ zwischen Paulus und der Gemeinde. 29 Er „ konvergiert “ mit anderen Metaphern darin, „ dass Paulus eine über die reine ,Gemeindegründung ‘ hinausgehende Bedeutung in den Gemeinden von Thessaloniki, Korinth, Galatien und Philippi beansprucht “ . 30 Ihre Verwendung ist Beziehungsarbeit, mit der Paulus nicht einfach bestehende Verhältnisse abbildet, „ sondern er versucht, diese Verhältnisse durch die Sprache zu schaffen und zu gestalten “ . 31 Paulus will von den Rezipienten in verschiedener Hinsicht als Vater angesehen und akzeptiert werden und die Vehemenz, mit der er das tut, lässt darauf schließen, dass dieser Anspruch von der Mehrheit seiner Leser nicht ohne Weiteres geteilt wird. Neben die Kommunikation des Evangeliums tritt die Kommunikation eines Selbstbildes, das Paulus in „ exklusive Relation “ gegenüber seine Rezipienten versetzt als „ Gemeindegründer “ und der kommunizierten Botschaft persönliche Autorität aufgrund des zeitlichen Primats verleihen soll. 32 aaO., 94: Er hatte sich „ in der Regel nach den Anweisungen des Vaters zu richten “ ; LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 113. 27 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 113. 28 Man beachte hier den Unterschied zur römischen Auffassung (siehe oben)! 29 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 53 ff. 30 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 75. 31 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 55. 32 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 75 f. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 293 6.1.2 Verhalten bei der Verkündigung Die Verkündigung des Evangeliums stellt den Beginn der Beziehung zwischen Kommunikator und Rezipienten dar: „ Daß kommunikative Handlungen weitere Kommunikationsprozesse zur Folge haben, ist an sich ganz normal. So sind wie gesagt auch alle irgenwie christlichen Kommunikationen, alle Kommunikationsprozesse im Kommunikationssystem Kirche letztlich auf die eine ursprüngliche Kommunikation zurückzuführen: die Verkündigung des Evangeliums “ . 33 Mit der Verkündigung des Evangeliums wird nicht nur die inhaltliche Basis der zukünftigen Beziehung gelegt, sondern auch der Erstkontakt zwischen Kommunikator und Rezipient hergestellt und definiert. Daher kann man das Evangelium als „ initiativ kommunikativ “ bezeichnen. 34 Hält man sich das vor Augen, wird der Stellenwert, den Paulus dem Verhalten des Kommunikators bei der Verkündigung zuschreibt, nachvollziehbar: Es prägt und definiert die weitere Beziehung von Anfang an. a) Anstoß und Empfehlung Paulus formuliert im 2. Korintherbrief eine mögliche Maxime für sein Verhalten 35 : 2Kor 6,3: Mhdemi,an evn mhdeni. dido,ntej proskoph,n( i[na mh. mwmhqh/ | h` diakoni,a( Und nicht geben wir in irgendetwas Anstoß, damit nicht der Dienst für falsch befunden wird, 4a avllV evn panti. sunista,ntej e`autou.j w`j qeou/ dia,konoi sondern in allem empfehlen wir uns (selbst) als Gottes Diener. pro,skoph verwendet Paulus nur an dieser Stelle. Es kann aber als Synonym zum häufiger gebrauchten pro,skomma angesehen werden (Röm 9,32 f; 14,13.20; 1Kor 8,20). Zusammen mit ska,ndalon entsprechen sie dem Sprachgebrauch der Septuaginta, die den Anstoß als Anlass zum Heilsverlust durch Glaubensabfall oder Ablehnung spezifiziert. 36 Dabei unterscheidet Paulus zwischen dem unvermeidlichen Anstoß, den z. B. die Botschaft des Evangeliums bietet, und dem Anstoß, der vermieden werden kann und muss, um nicht den Bruder oder 33 RECK, Kommunikation und Gemeindeaufbau, aaO., 164. 34 RECK, Kommunikation und Gemeindeaufbau, aaO., 163. 35 Zum Kontext vgl. THRALL, M., The second Epistle to the Corinthians, Vol. I: 1 - 7, ICC, Edinburgh 1994, 449 ff. Die Funktion des Abschnittes (VV.3 - 10) im Gesamtkontext beschreibt Thrall als „ defence of his own conduct and circumstances “ gegenüber den Korinthern (450). Eine mögliche Gliederung des Abschnittes erfolgt im anschließenden Kap. 6.1.2 b. 36 Vgl. GIESEN, H., Art. skandali,zw, EWNT III, 592 - 594; 592; Vgl. STÄHLIN, G., Art. prosko, ptw ktl, ThWNT 6, 745 - 759; 753 f. 294 6 Die Beziehungen des Kommunikators Mitmenschen in seinem Heil zu gefährden. 37 Letzterer kann innerhalb der Gemeinde als Folge unterschiedlicher Glaubensauffassungen auftreten, wie die Auseinandersetzungen in 1Kor 8,1ff; 10,23ff; Röm 14,1-15,7) um Starke, die in ihrem Verhalten für Schwache zum Anstoß werden und so den geretteten Bruder „ ins Verderben stürzen “ (Röm 14,15), zeigt. 38 Auch Irrlehrer können von außen Anstoß erregen, indem sie zum „ Abfall von der (rechten) Lehre “ verführen (Röm 16,17). 39 Für Paulus gilt „ die Vermeidung alles dessen, was andere im Glauben erschüttert [. . .] oder vom Glauben abhalten und damit ihr su,mforon, das heißt ihr Heil, verhindern könnte “ , jedoch nicht nur für die schon gläubigen Gemeindeglieder, sondern bereits von Beginn seiner Mission an 40 : Als Apostel muss er um der Sache des Evangeliums willen ein Verhalten an den Tag legen, das Vorwürfe - ob gerechtfertigt oder nicht - ausschließt. 41 Nur so kann er die Gefahr einer Infragestellung seines „ Dienstes “ minimieren und sichergehen, dass die Mission zumindest nicht an seiner Person gescheitert ist. Im Gegenteil will er sich durch sein Verhalten „ empfehlen “ als Gottes Diener. suni,sthmi benutzt Paulus öfter, um eine befürwortende Referenz zu markieren. 42 Daneben gebraucht er das Verb im Kontext der Rechtfertigungs- und Gesetzestheologie synonym zu „ offenbaren “ (Gott bzw. Christus erweisen sich als etwas). 43 Eine besondere Rolle spielen die sustatiko,i, Empfehlungsschreiben, die von konkurrierenden Missionaren in Korinth vorgezeigt und gegen Paulus verwendet werden (2Kor 3,1; 10,12). Diese weist er in 10,18 unter Verweis auf seine „ Empfehlung “ durch den Herrn zurück und nennt in 3,2 die Gemeinde selbst seinen „ Empfehlungsbrief “ , der von allen gelesen werden kann und den er in seinem Herzen bei sich trägt. 44 „ Sich empfehlen “ heißt für Paulus also zuallererst, ein Verhalten vorzuweisen, das sichtbar und faktisch nachvollziehbar ist. Im Falle der Korinther ist das die Gemeinde selbst, in der sich seine missionarische Arbeit und deren Prägung 37 Vgl. STÄHLIN, G., Art. ska,ndalon ktl, ThWNT 7, 338 - 358; 352 - 356. Siehe auch meine Ausfürungen zum Ärgernis des Kreuzes (Kap. 5.2.2 a). 38 Vgl. STÄHLIN, Art. ska,ndalon ktl, aaO., 355 f; GIESEN, Art. skandali,zw, aaO., 594. 39 Vgl. STÄHLIN, Art. ska,ndalon ktl, aaO., 356. 40 STÄHLIN, Art. prosko,ptw ktl, aaO., 754. 41 Vgl. STÄHLIN, Art. prosko,ptw ktl, aaO., 754 f; Die Übereinstimmung zwischen Lehre und Leben des Weisen als Motiv der kynisch-stoischen Popularphilosophie bringt T.Schmeller als Parallele zu 2Kor 6,3 in Anschlag: SCHMELLER, T., Der zweite Brief an die Korinther (2Kor 1,1-7,4), EKK VIII/ 1, Neukirchen-Vluyn 2010; 349. 42 2Kor 3,1; 4,2; 5,12; 7,11; 10,12.18; 12.11; bezogen auf die Kollegin Phoebe in Röm 16,1. 43 Vgl. KRETZER, A., Art. suni,sthmi ktl, EWNT III, 737 - 739; 737 f. 44 Vgl. BALZ, H., Art. sustatiko,j, EWNT III, 749. Zur widersprüchlichen Haltung von Paulus gegenüber „ Empfehlungen “ , die er einerseits ablehnt, andererseits akzeptiert und sich - wie im hier vorliegenden Abschnitt - sogar faktisch selbst ausstellt vgl. die Problemanzeige bei M.Thrall; THRALL, The second Epistle, aaO., 456. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 295 widerspiegelt. Wenn sich Paulus auf die Autorität Dritter beruft, dann nur auf Gott und den Herrn, und auch nur insofern sie sich im Leben, d. h. im Verhalten und in der Arbeit, d. h. im Evangelium, „ erweisen “ bzw. „ offenbaren “ . Was versteht Paulus unter „ empfehlendem Verhalten “ ? b) Empfehlendes Verhalten In 2Kor 6,4-11 schließt sich eine Auflistung an, die in reicher Begrifflichkeit die „ Empfehlung “ des Paulus illustrieren soll: 2Kor 6,4 b: ))) evn u`pomonh/ | pollh/ |( evn qli,yesin( evn avna,gkaij( evn stenocwri,aij( . . . in viel Geduld, in Bedrängnissen, in Zwängen, in Schwierigkeiten, 5 evn plhgai/ j( evn fulakai/ j( evn avkatastasi,aij( evn ko,poij( evn avgrupni,aij( evn nhstei,aij( in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, in Schlaflosigkeit, in Fasten; 6 evn a`gno,thti( evn gnw,sei( evn makroqumi,a|( evn crhsto,thti( evn pneu,mati a`gi,w|( evn avga,ph| avnupokri,tw|( in Reinheit, in Erkenntnis, in Großmut, in Güte, im Heiligen Geist, in ungeheuchelter Liebe; 7 evn lo,gw| avlhqei,aj( evn duna,mei qeou/ \ dia. tw/ n o[plwn th/ j dikaiosu,nhj tw/ n dexiw/ n kai. avristerw/ n( im Wort der Wahrheit, in (der) Kraft Gottes; durch die Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken; 8 dia. do,xhj kai. avtimi,aj( dia. dusfhmi,aj kai. euvfhmi,aj\ w`j pla,noi kai. avlhqei/ j( durch Ehre und Unehre, durch Beleidigung und guten Ruf, wie Bertrüger und Wahrhaftige; 9 w`j avgnoou,menoi kai. evpiginwsko,menoi( w`j avpoqnh,|skontej kai. ivdou. zw/ men( w`j paideuo,menoi kai. mh. qanatou,menoi( wie Unwissende und Verstehende; wie Sterbende, und siehe, wir leben; wie Gezüchtigte und nicht Getötete; 10 w`j lupou,menoi avei. de. cai,rontej( w`j ptwcoi. pollou.j de. plouti,zontej( w`j mhde.n e; contej kai. pa,nta kate,contejÅ wie Traurige, die sich aber immer freuen, wie Arme, die aber viele reich machen, wie Habenichtse die auch alles besitzen. 11 To. sto,ma h`mw/ n avne,w|gen pro.j u`ma/ j( Kori,nqioi( h` kardi,a h`mw/ n pepla,tuntai\ Unser Mund hat sich euch gegenüber geöffnet, ihr Korinther; unser Herz ist weit geworden. Es handelt sich um einen schwierigen Text - im Grunde genommen von VV.3 - 10 ein einziger Satz - , dessen Einbettung auch literarkritisch nicht unumstritten 296 6 Die Beziehungen des Kommunikators ist. 45 Ein Schlüssel zu seinem Verständnis ist die Einsicht, dass Paulus hier nicht nur Verhalten und Mittel der Empfehlung, sondern auch Situationen bzw. Umstände, in denen diese zum Tragen kommen, aufzählt 46 : Sie sind „ ,Testfälle ‘ der Glaubwürdigkeit “ , sowohl der Botschaft als auch des Verkündigers. 47 Die Benutzung verschiedener Präpositionen lassen eine Dreiteilung des Abschnitts zu 48 : V.3 f formuliert als Einleitung das Thema, das im ersten Teil durch evn ausgeführt wird (VV.4 - 7): Die Geduld, Ausdauer, Standhaftigkeit (u`pomonh, ), mit der Paulus alle Widrigkeiten erträgt. 49 Sie bewährt sich in den beschriebenen Leidenssituationen (V.4 f) und verwirklicht sich in Reinheit, Erkenntnis, Großmut, Güte, heiligem Geist, aufrichtiger Liebe, wahrhaftigem Wort und Gottes Kraft (V.6 f ). Der folgende dia, -Teil (V.7 f) dient als Überleitung zum antithetischen Stil des letzten Teils durch Verweis auf zwei Waffen der Gerechtigkeit tw/ n dexiw/ n kai. avristerw/ n in V.7 und den Chiasmus dia. do,xhj kai. avtimi,aj( dia. dusfhmi,aj kai. euvfhmi,aj in V.8, der die Umkehrung der Reihenfolge positiv - negativ vorbereitet. 50 Im letzten w`j-Teil (VV.8 - 10) beschreibt Paulus in antithetischer Gegenüberstellung verschiedener Rollen die Paradoxie seines Verhaltens bzw. seiner Existenz, die sich entweder real in der äußeren Wahrnehmung zwischen beiden Extremen bewegt, oder den Unterschied zwischen äußerer Wahrnehmung und innerer Wirklichkeit aufzeigen will. 51 Der Text ist insgesamt stark rhetorisch geprägt, besonders gegen Ende 52 : „ Die Wahl dieser rhetorischen Mittel dient zweifellos der Erzeugung von Pathos. Demgegenüber tritt der Logos, die kognitive Argumentation, hier zurück “ , und es werden „ eindeutig die Affekte der Leser/ innen angesprochen “ , bei denen „ ein Bild von Paulus als einem geprüften und tadellosen Diener Gottes “ entstehen soll. 53 Man wird also gut daran tun, den Abschnitt nicht Wort für Wort zu zerlegen und aus der Fülle der Begriff einzelne Aspekte des Verkündigungs- 45 Vgl. GRÄSSER, E., Der zweite Brief an die Korinther. Kapitel 1,1-7,16, ÖTK 8/ 1, Gütersloh 2002; 240; SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 342; M.Thrall verweist auf die Möglichkeit, dass die Liste auf einer „ formal and fixed outline of apostolic hardships “ beruht, die zur Zeit des Paulus im Umlauf war; THRALL, The second Epistle, aaO., 457. 46 Vgl. SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 345; THRALL, The second Epistle, aaO., 458. 47 GRÄSSER, ÖTK 8/ 1, aaO., 240. Zur hier vorliegenden Gattung des Peristasenkatalogs siehe die entsprechende Erläuterung in Kap. 5.2.4. 48 Vgl. SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 344 f; M.Thrall schlägt demgegenüber eine Gliederung in vier Teile vor mit VV.3 - 4 a als Einleitung, die mir jedoch inhaltlich weniger schlüssig erscheint; THRALL, The second Epistle, aaO., 454. 49 Vgl. SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 344; GRÄSSER, ÖTK 8/ 1, aaO., 242. 50 Vgl. SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 345. 51 Vgl. SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 345. Etwas ausdifferenzierter bei THRALL, The second Epistle, aaO., 463 f. 52 Vgl. SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 345; THRALL, The second Epistle, aaO., 455. 53 SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 346. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 297 habitus des Paulus gewinnen zu wollen. Stattdessen müssen wir auf den Duktus des Textes achten, ihn in seiner Intention und Ausrichtung hinsichtlich unserer Fragestellung auswerten. Dabei fällt zunächst der hohe Stellenwert auf, den Paulus der Geduld beimisst. Sie ist die „ Idealhaltung des Weisen “ und Voraussetzung sowohl für das Ertragen schwieriger Situationen als auch für angemessenes Verhalten. 54 Genaugenommen zählt V.6 f nun aber keineVerhaltensweisen auf; es handelt sich vielmehr um Größen, denen sich Paulus in seinem Verhalten verpflichtet weiß, gegen die er nicht handeln will oder kann. Nur so erklärt sich die Nennung zweier Größen, die vollständig außerhalb seines Zugriffs liegen: evn pneu,mati a`gi,w und evn duna,mei qeou/ . 55 Unter diesen Umständen ist das evn nicht rein instrumental, sondern vor allem rückbindend-verpflichtend zu verstehen. 56 Das dia, drückt schon eher eine Verwirklichungsform der Geduld aus, vermitteln ja die „ Waffen der Gerechtigkeit “ eine aktive, kämpferische Handlung oder zumindest Handlungsfähigkeit. 57 Auch den Vierklang von Ehre, Unehre, Beleidigung und gutem Ruf möchte ich als solcheVerwirklichungsform auffassen, denn diese Begriffe stehen schon vom Wortfeld her dem Hauptthema des Textes nahe: der Empfehlung des Paulus. In gerechtem und empfehlendem Verhalten liegt der Fluchtpunkt der Geduld, die unabhängig von der äußeren Wahrnehmung durchgehalten werden muss. Das ist die Linie, die die Antithesen ab V.8 verfolgen. V.11 spannt den Bogen zurück zur Vaterrolle. Die Wendung vom „ weiten Herzen “ (h` kardi,a h`mw/ n pepla,tuntai) erinnert an die väterliche Liebe, die Paulus seinen Rezipien-ten gegenüber empfindet. Nicht umsonst nennt er im allernächsten Kontext in V.13 die Korinther seine Kinder. Das weite, liebende Herz, das Innerste des Paulus, wird hier mit dem Öffnen des Mundes in Verbindung gebracht und also als Begründung angegeben, warum er überhaupt verkündigt 54 GRÄSSER, ÖTK 8/ 1, aaO., 242. 55 M.Thrall problematisiert die Platzierung der Wendung evn pneu,mati a`gi,w „ within a list of human qualities “ und fragt, ob vielleicht der menschliche Geist gemeint sei. Doch auch sie kommt zu dem Schluss: „ Paul would see the spirit as fostering the virtues he lists, and the virtues themselves as evidence of the Spirit ’ s inward operation “ ; THRALL, The second Epistle, aaO., 460. 56 Vgl. GRÄSSER, ÖTK 8/ 1, aaO., 242; Grässer führt - wie auch andere Kommentatoren - die Geduld auf die Kraft Gottes zurück: „ Die Kraft zum Durchhalten kommt nicht aus ihm selber; er verdankt sie dem Übermaß der Kraft Gottes “ . Das ist jedoch jeweils nur ein Teilaspekt, den Paulus hier im Sinn hat. Weder lässt sich seine Grundhaltung ausschließlich auf die Geduld, noch seine Orientierung allein auf die Kraft Gottes reduzieren; THRALL, The second Epistle, aaO., 459: „ gifts of the Spirit “ . 57 Eine Anspielung auf den bei Paulus andernorts sehr prominent gebrauchten Gerechtigkeitsbegriff kann mit M.Thrall ausgeschlossen werden: „ [I]t is more likely that dikaiosu,nh here refers to human moral righteousness “ (vgl. Röm 6,13); THRALL, The second Epistle, aaO., 462. 298 6 Die Beziehungen des Kommunikators und warum er so verkündigt, wie eben beschrieben 58 : „ Das entscheidende Motiv zur Vermeidung des pro,skomma ist die avga,ph “ . 59 Dieses Motiv sei noch an zwei weiteren Texten näher entfaltet. c) Anteilgabe an der Person, Unterhaltsverzicht und Zuwendung zum Einzelnen In 1Thess 2,1-12 geht Paulus auf die Umstände der Verkündigung in Thessaloniki ein und beschreibt seine Rolle und sein Verhalten als Missionar: 60 1Thess 2,1: Auvtoi. ga.r oi; date( avdelfoi,( th.n ei; sodon h`mw/ n th.n pro.j u`ma/ j o[ti ouv kenh. ge,gonen( Denn ihr selbst wisst, Brüder, von unserem Eingang bei euch, dass er nicht vergeblich gewesen ist; 2 avlla. propaqo,ntej kai. u`brisqe,ntej( kaqw.j oi; date( evn Fili,ppoij evparrhsiasa,meqa evn tw/ | qew/ | h`mw/ n lalh/ sai pro.j u`ma/ j to. euvagge,lion tou/ qeou/ evn pollw/ | avgw/ niÅ sondern obwohl wir vorher gelitten hatten und misshandelt worden waren, wie ihr wisst, in Philippi, waren wir mutig in unserem Gott, zu euch das Evangelium Gottes zu reden in viel Kampf. 3 h` ga.r para,klhsij h`mw/ n ouvk evk pla,nhj ouvde. evx avkaqarsi,aj ouvde. evn do,lw|( Unsere Ermahnung nämlich geschah nicht aus Irrtum, auch nicht aus Unreinheit, auch nicht durch Täuschung, 4 avlla. kaqw.j dedokima,smeqa u`po. tou/ qeou/ pisteuqh/ nai to. euvagge,lion( ou[twj lalou/ men( ouvc w`j avnqrw,poij avre,skontej avlla. qew/ | tw/ | dokima,zonti ta.j kardi,aj h`mw/ nÅ sondern wie wir brauchbar befunden worden sind von Gott, mit dem Evangelium betraut zu werden, so reden wir, nicht um Menschen zu gefallen, sondern Gott, der unsere Herzen prüft. 5 Ou; te ga,r pote evn lo,gw| kolakei,aj evgenh,qhmen( kaqw.j oi; date( ou; te evn profa,sei pleonexi,aj( qeo.j ma,rtuj( Denn weder sind wir jemals mit schmeichelnder Rede aufgetreten, wie ihr wisst, noch mit einem Vorwand für Habsucht - Gott ist Zeuge - 6 ou; te zhtou/ ntej evx avnqrw,pwn do,xan ou; te avf V u`mw/ n ou; te avpV a; llwn( noch haben wir nach Ehre bei Menschen gesucht, weder von euch noch von anderen. 58 Diese Deutung ist natürlich nicht zwingend. Ein anderes mögliches Verständnis zeigt M. Thrall auf, die den Vers auf das von Paulus unmittelbar vorher Gesagte bezieht. Doch Thrall hält immerhin eine Ausweitung auf „ everything he has written since the opening greeting “ des 2. Korintherbriefes für möglich; THRALL, The second Epistle, aaO., 468. 59 STÄHLIN, Art. prosko,ptw ktl, aaO., 754. 60 Vgl. HAUFE, ThHK 12/ 1, aaO., 32. Dass Paulus hier wie auch sonst im 1Thess (und öfters! ) in der 1. Person Plural spricht, ist der Tatsache geschuldet, dass er nicht allein als Missionar verkündigt hat, sondern von Mitarbeitern unterstützt wird, für die er aber in Personalunion mitspricht (dazu mehr im weiteren Verlauf dieses Kapitels). 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 299 7 duna,menoi evn ba,rei ei=nai w`j Cristou/ avpo,stoloiÅ avlla. evgenh,qhmen h,pioi 61 evn me,sw| u`mw/ n( w`j eva.n trofo.j qa,lph| ta. e`auth/ j te,kna( obwohl wir fähig gewesen wären als Christi Apostel gewichtig aufzutreten; sondern wir sind sanft gewesen in eurer Mitte, wie eine Amme ihre Kinder pflegt, 8 ou[twj o`meiro,menoi u`mw/ n euvdokou/ men metadou/ nai u`mi/ n ouv mo,non to. euvagge,lion tou/ qeou/ avlla. kai. ta.j e`autw/ n yuca,j( dio,ti avgaphtoi. h`mi/ n evgenh,qhteÅ so hatten wir Sehnsucht nach euch und hielten es für gut, euch Anteil zu geben nicht allein am Evangelium Gottes, sondern auch an unserem eigenen Leben, weil ihr uns lieb geworden wart. 9 Mnhmoneu,ete ga,r( avdelfoi,( to.n ko,pon h`mw/ n kai. to.n mo,cqon\ nukto.j kai. h`me,raj evrgazo,menoi pro.j to. mh. evpibarh/ sai, tina u`mw/ n evkhru,xamen eivj u`ma/ j to. euvagge,lion tou/ qeou/ Å Erinnert euch nämlich, Brüder, an unser Werk und die Mühe: Nacht und Tag arbeitend um niemandem von euch zur Last zu fallen und unter euch das Evangelium Gottes zu predigen. 10 u`mei/ j ma,rturej kai. o` qeo,j( w`j o`si,wj kai. dikai,wj kai. avme,mptwj u`mi/ n toi/ j pisteu,ousin evgenh,qhmen( Ihr seid Zeugen und Gott, wie heilig und gerecht und untadelig wir gegenüber euch Glaubenden waren; 11 kaqa,per oi; date( w`j e[na e[kaston u`mw/ n w`j path.r te,kna e`autou/ wie ihr ja wisst, dass wir jeden einzelnen von euch wie ein Vater seine (eigenen) Kinder 12 parakalou/ ntej u`ma/ j kai. paramuqou,menoi kai. marturo,menoi eivj to. peripatei/ n u`ma/ j avxi,wj tou/ qeou/ tou/ kalou/ ntoj u`ma/ j eivj th.n e`autou/ basilei,an kai. do,xanÅ ermahnt und getröstet und beschworen haben, würdig Gottes zu leben, der euch ruft in sein (König-)Reich und Herrlichkeit. Der Abschnitt schließt an das bereits skizzierte erste Kapitel des 1. Thessalonicherbriefes an. 62 Kurz zuvor in 1,9 f hat Paulus an die Bekehrung der Thessalonicher und deren Inhalt erinnert, sowie in 1,5 das Faktum der Evangeliumsverkündigung angesprochen. Auch dieser Text ist stark von rhetorischen Mitteln und popularphilosophischen Begriffen geprägt und darum weniger von den einzelnen Begriffen, sondern eher von der Absicht her zu 61 Das im Nestle-Aland-Text zu findende nh,pioi stellt ein textkritisches Problem dar. Es ist zwar mindestens ebenso gut bezeugt wie die von mir bevorzugte Lesart und beide Varianten sind erklärbar - entweder als Dittographie oder als Happlogaphie. Inhaltlich jedoch ist nh,pioi (kindlich, unschuldig) schwer mit der Rolle der trofo,j (Amme) harmonisierbar, h,pioj (sanft, zart) hingegen schon. Diese Überlegungen zur Textlogik führen mich zu der Annahme, dass die Korrektoren der verschiedenen Handschriften einen grundsätzlichen Fehler in der Überlieferung ausgebessert haben und zum ursprünglichen Paulustext (wie ihn z. B. der Mehrheitstext erhalten hat) zurückgekehrt sind. Zum Problem vgl. MALHERBE, AncB 32, aaO., 145 f; WANAMAKER, C. A., The Epistles to the Thessalonians. A commentary on the Greek Text, NIC.NT, Michigan 1990, 100. 62 Siehe Kap. 4.1.2. 300 6 Die Beziehungen des Kommunikators interpretieren. 63 So sind z. B. die beiden dreigliedrigen Reihungen von V.3 und VV.5 f als gängige, von Paulus übernommene Schemata des antiken Diskurses zu würdigen, deren Intention als Ganzes zu suchen ist. 64 V.1 hält zunächst den Erfolg der Verkündigung fest, die ouv kenh. war. In V.2 begegnet das bereits bekannte Motiv von der Leidensexistenz des Evangeliumsverkündigers am Beispiel von Philippi. Paulus kontrastiert diese Erfahrungen mit seinem mutigen Auftreten (parrhsia,zomai), das er durch den Begriff „ Kampf “ (avgw,n) charakterisiert. 65 Parrhsi,a ist ein Begriff, den Paulus häufiger auf seine Verkündigung anwendet. 66 Er entstammt ursprünglich der politischen Sphäre, wo er die Redefreiheit des Vollbürgers in der evkklhsi,a kennzeichnet und sich von da aus auch zum negativen Ausdruck für „ Schrankenlosigkeit der Rede “ und „ Unverschämtheit “ entwickelt hat. 67 Im privaten Bereich ist die „ Offenheit, alles sagen zu können “ ein „ Zeichen der Freundschaft, weil sie sich nicht scheut, den Freund zu tadeln “ . 68 In der Popularphilosophie wird parrhsi,a als moralische Freiheit verstanden und aus der begrenzten Öffentlichkeit der Polis in die Öffentlichkeit der Kosmopolis und ihrer Beherrscher übertragen: „ Wer parrhsi,a hat, führt ein öffentliches Leben. “ 69 Die Septuaginta versteht die Freiheit als Freiheit vor Gott, d. h. als Zustand, „ der einen offenen, durch nichts mehr 63 Vgl. HAUFE, ThHK 12/ 1, aaO., 34; HOLTZ, EKK 13, aaO., 69; 71; 76; MALHERBE, AncB 32, aaO., 135 ff. 64 Vgl. HOLTZ, EKK 13, aaO., 70; 75; HAUFE, ThHK 12/ 1, aaO., 35. 65 Vgl. HOLTZ, EKK 13, aaO., 68: „ Paulus stellt also das Leiden, das er im Vollzug seines Dienstes am Evangelium erfährt, in einen Gegensatz zur freien Verkündigung eben dieses Evangeliums. Das ist überraschend, da er anderwärts mit andrängender Gewißheit das Wissen ausspricht, daß Bedrängnis und Leiden notwendig zur Existens des Apostels hinzugehören “ . 66 Freiheit ist ein Thema, das sich in vielfältigen konzentrischen Kreisen über die gesamte Theologie des Paulus ausbreitet; vgl. VOLLENWEIDER, S., Freiheit, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 394 - 399, 394 f. Vollenweider gelangt ausgehend von der Wortgruppe evleuqeri,a über evxousi,a und parrhsi,a hin zum Themenbereich der neuen Identität bzw. dem neuen Sein der Glaubenden in der Welt. Ich konzentriere mich im Folgenden bewusst auf den Aspekt der Freiheit im unmittelbaren Kontext der Verkündigung des Evangeliums. Weitere Literatur zur Freiheit bei Paulus: COPPINS, W., The Interpretation of Freedom in the Letters of Paul. With Special Reference to the „ German “ Tradition, WUNT II 261, Tübingen 2009 (vgl. hier zur Forschungsgeschichte bes. 41 - 45); DAUTZENBERG, G., Die Freiheit bei Paulus und in der Stoa, ThQ 176 (1996), 65 - 76 (eine prägnante Zusammenfassung der Forschungskontroverse um Dispersität und Einheitlichkeit des paulinischen Freiheitsverständnisses); PLITZSCH, S., Kontexte der Freiheit. Konzepte der Befreiung bei Paulus und im rabbinischen Judentum, Judentum und Christentum 16, Stuttgart 2005. 67 Vgl. SCHLIER, H., Art. parrhsi,a ktl, ThWNT 5, 869 - 884; 870. Beachte auch die Freiheit, welche „ die römischen Kaiser für ihre Wiederherstellung und Förderung der res publica programmatisch beansprucht haben “ ; VOLLENWEIDER, Freiheit, aaO., 395. 68 SCHLIER, Art. parrhsi,a ktl, aaO., 871. 69 SCHLIER, Art. parrhsi,a ktl, aaO., 872; vgl. VOLLENWEIDER, Freiheit, aaO., 395. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 301 versperrten Zugang zu ihm einschließt “ . 70 Voraussetzung der parrhsi,a ist die Gerechtigkeit, d. h. der gerechte Wandel entsprechend der Tora. 71 Für Paulus ist parrhsi,a beides, sowohl das Offensein gegenüber Gott, vor dem er nichts verbergen muss, als auch gegenüber Menschen (2Kor 3,12; 7,4; 1Thess 2,2; Phlm 8), denen er das Evangelium Gottes verkündigt. Freiheit wird nicht durch Gerechtigkeit und Tora bedingt, sondern durch die Einheit mit Christus (vgl. Phil 1,19 f). 72 Im Zusammenhang mit dem Evangelium wird sie zum „ Freimut, der die Sache Gottes auf seiner Seite weiß und sich deshalb überzeugend äußern kann. “ 73 Die Ausübung dieser Freiheit erzeugt Widerstand, was sie zum Kampf werden lässt. Das zeigt, wie sehr der Freimut an den Inhalt der frei verkündigten Botschaft rückgebunden ist, denn nicht die freie Rede an sich, sondern das Verkündigte ist Ärgernis und Dummheit (1Kor 1,23). Die freie Rede, die auch im Öffnen des Mundes in 2Kor 6,11 anklang, ist charakteristisches Merkmal der Verkündigung des Paulus und Voraussetzung für dessen Glaubwürdigkeit. Sie ist einerseits ein Beispiel für „ empfehlendes “ Verhalten, andererseits aber auch dem Bereich zugehörig, in dem notwendigerweise Anstoß entstehen kann. V.3 bietet die erste Triade, die ein Verhalten des Paulus beschreibt. Jedoch ist im Blick auf para,klhsij Vorsicht geboten: Paulus spricht hier nicht direkt von der Verkündigung des Evangeliums. 74 Schlüssiger erscheint es, von einer „ Ermutigung “ auszugehen, die vielleicht mit der in 2,14-16 angesprochenen Verfolgung in Zusammenhang steht und die nun unter Verweis auf die Erstverkündigung als glaubhaft bestätigt werden soll. 75 So erklärt sich auch der Einschub von V.4, wo Paulus sein Reden (gegenüber den Thessalonichern) nicht als ihnen zuliebe, sondern als von Gott geprüftes und mit dem Vertrauen Gottes ausgestattetes bezeichnet, wie seine Beauftragung zur Evangeliumsverkündigung belegt. Diese hier gezogenen Parallele macht freilich den 70 SCHLIER, Art. parrhsi,a ktl, aaO., 873. 71 Vgl. SCHLIER, Art. parrhsi,a ktl, aaO., 874; VOLLENWEIDER, Freiheit, aaO., 395: „ [D]as zeitgenössische Judentum hat sein Ideal des Lebens nach der Tora und seine Erlösungshoffnung in diesem Horizont reinterpretiert “ (Philo, Josephus, 4Makk 14,2). Für Vollenweider belegt die Korintherkorrespondenz, „ dass sich heidenchristliche Gemeinden auch unabhängig von der paulinischen Verkündigung auf die populären Freiheitsideale berufen haben “ . 72 Vgl. SCHLIER, Art. parrhsi,a ktl, aaO., 881 f. 73 HOPPE, R., Verkündiger - Botschaft - Gemeinde. Überlegungen zu 1Thess 2,1-12.13 - 16, in: NIEMAND, C. (Hg.), Forschungen zum Neuen Testament und seiner Umwelt, FS A. Fuchs, Frankfurt a. M. 2002, 325 - 345; 335. 74 So HOLTZ, EKK 13, aaO., 70; HAUFE, ThHK 12/ 1, aaO., 35. 75 Vgl. evtl. MALHERBE, AncB 32, aaO., 139. In welchem genauen Verhältnis der Begriff zur Evangeliumsverkündigung steht, werde ich in Kap. 8.1 noch genauer untersuchen. 302 6 Die Beziehungen des Kommunikators Vorbehalt gegenstandslos, da was für Paulus hier auch dort gelten muss. V.3,5 und 6 können also als Ausdruck ein und derselben Einstellung betrachtet werden, die Paulus hier zunächst in Abgrenzung von anderen Praktiken beschreibt. Die Kommentatoren sind sich einig, dass Paulus sich in Auseinandersetzung mit der griechischen Vorstellung vom wahren, idealen Philosophen und seinem negativen Gegenstück begibt. 76 Das eröffnet einen Gegensatz zwischen leerer, kraftloser Rede und mutiger, wahrhaftiger Offenheit, den Paulus aus den philosophischen Diskursen seiner Zeit adaptiert und auf sein Evangelium anwendet. 77 Apostel und idealer Philosoph sind nicht einfach deckungsgleich: Der Philosoph beruft sich nicht auf den Gott Israels, um seine Worte zu legitimieren, und dieses Wort besteht auch nicht in der Heilsbotschaft des Evangeliums, sondern er hat eine klare Vorstellung vom (moralisch) Richtigen, die er einer Eingebung der Götter zu verdanken hat. 78 Doch nicht der Philosoph erscheint hier als Gegenstück zu Paulus, sondern der „ hohle Phrasendrescher, der nichts zu sagen hat “ , der entweder aus Unwissenheit (evk pla,nhj) oder in böser Absicht (evx avkaqarsi,aj, evn do,lw|) die Unwahrheit erzählt. 79 Das letztere, unlautere Motiv entfaltet VV.5 f unter Rückgriff auf die Negativfolie antiker Wanderprediger. 80 Kolakei,a, die Schmeichelei, ist ein in der antiken Rhetorik beliebtes Mittel und zugleich Teil antiker Lasterkataloge. 81 Sie gilt als „ Zeichen unredlicher Freundschaft “ . 82 . Die Suche nach „ Ehre bei den Menschen “ ist ein bekannter Vorwurf gegen die Sophisten. 83 Und auch das Motiv der Habgier entstammt dem Bereich des „ popularphilosophischen Wanderbetriebes “ , wo der Vorwurf, „ die Philosophie nur um des Geldes willen verschachern zu wollen “ regelmäßig erhoben wurde, auch weil „ die Grenzen zu umherziehenden Bettlern und Goëten als fließend vorgestellt werden müssen “ . 84 76 Vgl. HAUFE, ThHK 12/ 1, aaO., 34; HOLTZ, EKK 13, aaO., 69; 71; 76; MALHERBE, AncB 32, aaO., 135 ff. Beachte auch den Eintritt in den popularphilosophische Freiheisdiskurs; VOLLENWEIDER, Freiheit, aaO., 395. 77 Vgl. MALHERBE, AncB 32, aaO., 136. 78 Vgl. MALHERBE, AncB 32, aaO., 13 f. 79 HOLTZ, EKK 13, aaO., 93 f: T.Holtz vermutet, Paulus widerspreche hier einer „ Einebnung des Apostels in die Schar der Wanderprediger “ , weil die Gemeinde unter massiven Druck ihrer heidnischen Landsleute geraten sei, die Paulus mit eben jenen zwielichtigen Gestalten gleichsetzten. 2,14-16 sei als Hinweis auf einen Verdacht des Paulus zu werten, dass hinter diesen Verleumdungen letztlich die Juden in Thessaloniki stünden. 80 Vgl. HOLTZ, EKK 13, aaO., 71. 81 Vgl. SCHNEIDER, J., Art. kolaki,a ktl, ThWNT 3, 818; Anm. 6. 82 HAUFE, ThHK 12/ 1, aaO., 36. 83 Vgl. HAUFE, ThHK 12/ 1, aaO., 37. 84 HOLTZ, EKK 13, aaO., 76. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 303 Von alldem will sich Paulus distanzieren und tut das ab V.7 in erstaunlich einfachen Worten: Er sei sanft (h,pioj), sehnsüchtig (o`meiro,mai) und sich kümmernd (qa,lpw) gewesen, wie eine Amme ihren eigenen Kindern gegenüber. Diese liebenswürdige Haltung „ Geliebten “ (avgaphtoi, ) gegenüber manifestierte sich auf dreifache Weise: 1) Paulus gibt den Rezipienten nicht nur Anteil am Evangelium, sondern auch Anteil an sich und seinem Leben (V.8). Das volle Einstehen des Paulus mit seiner Person und seinem Leben für die Botschaft des Evangeliums haben wir bereits thematisiert. Die hier angesprochene „ Anteilgabe “ an sich selbst können wir in einer Linie damit sehen. 2) Paulus verkündigt das Evangelium kostenlos, d. h. finanziert seinen Lebensunterhalt selbst, um die Rezipienten nicht zu belasten (V.9). Das Problem des „ Unterhalts “ wird von Paulus immer wieder thematisiert, v. a. in 1Kor 9,4-19 und 2Kor 11,7-10. Es entspricht offensichtlich urchristlicher Gewohnheit, wandernde Missionar bzw. Apostel samt ihren Ehepartnern durch die Gemeinde versorgen zu lassen (1Kor 9,4 ff). 85 Dieses Recht (evxousi,a) kann sogar mit Hilfe eines Herrenwortes eingefordert werden (1Kor 9,14). Auch Paulus macht es für sich geltend, „ wohl aber verzichtet er unter bestimmten Bedingungen auf die Inanspruchnahme dieses Rechts. “ 86 Eine Bedingung scheint die gegenwärtige Arbeit in der Gemeinde zu sein, aber auch die jeweilige Gemeindesituation, die z. B. in Korinth von der Auseinandersetzung mit Gegnern bestimmt ist und in Philippi scheinbar nicht (weswegen er aus letzterer Gemeinde Unterhalt akzeptiert: Phil 4,15). 87 Eine weitere Voraussetzung nennt er in 1Kor 9,12: i[na mh, tina evgkoph.n dw/ men tw/ | euvaggeli,w| tou/ Cristou/ Å Paulus will dem Evangelium kein Hindernis in den Weg legen. Sein Verhalten soll keinen Anstoß geben. C. Gerber hat das Unterhaltsthema anhand von 1Thess 2,7 mit einer paulinischen Metapher der Zuneigung verbunden, die der des Vaters durchaus ebenbürtig ist: die Amme, die ihre leiblichen Kinder versorgt: „ Eine Amme nimmt Geld für das Nähren und die Versorgung fremder Kinder, um die leiblichen, selbstredend unentgeltlich, ernähren zu können. “ 88 85 Vgl. zum Thema: THEISSEN, G., Legitimation und Lebensunterhalt: ein Beitrag zur Soziologie urchirstlicher Missionare, in: DERS., Studien zur Soziologie des Urchristentums, WUNT 19, 1983 2 , 201 - 230. 86 PRATSCHER, W., Der Verzicht des Paulus auf finanziellen Unterhalt durch seine Gemeinden: Ein Aspekt seiner Missionsweise, in: NTS 25/ 3 (1979), 284 - 298; 298. 87 PRATSCHER, Der Verzicht des Paulus auf finanziellen Unterhalt durch seine Gemeinden, aaO., 298. 88 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 46. 304 6 Die Beziehungen des Kommunikators 3) Paulus wendet sich jedem Einzelnen (e[na e[kaston) von ihnen zu, um sie zu trösten, zu ermahnen und zu begleiten (V.11 f). Diese intensive Betreuung untermauert Paulus mit dem uns bereits vertrauten Bild vom Vater, der sich seinen eigenen Kindern zuwendet (w`j path.r te,kna e`autou/ ). In Form dieses Verhaltens hat sich Paulus den Thessalonichern als heilig (o`si,wj), gerecht (dikai,wj) und untadelig (avme,mptwj) empfohlen (V.10). Die auch sonst im Neuen Testament übliche formelhafte Aneinanderreihung von heilig und gerecht lässt hier nicht an eine bestimmte Bedeutung des einzelnen Begriffs denken. 89 Vielmehr scheinen beide das avme,mptwj zu verstärken, das die Tadellosigkeit vor Gott ausdrückt, „ daß er, der Apostel, mit reinem Gewissen vor Gott steht “ . 90 d) „ Allen alles werden “ : Von Flexibilität und Freiheit Wie intensiv Paulus die „ väterliche “ Liebe in seiner Verkündigung umzusetzen versucht, zeigt schließlich auch 1Kor 9,19-22: 1Kor 9,19: VEleu,qeroj ga.r w'n evk pa,ntwn pa/ sin evmauto.n evdou,lwsa( i[na tou.j plei,onaj kerdh,sw\ Denn obwohl/ weil ich frei bin von allen/ allem 91 , habe ich mich allen zum Sklaven gemacht, damit ich die meisten gewinne. 20 kai. evgeno,mhn toi/ j VIoudai,oij w`j VIoudai/ oj( i[na VIoudai,ouj kerdh,sw\ toi/ j u`po. no,mon w`j u`po. no,mon( mh. w'n auvto.j u`po. no,mon( i[na tou.j u`po. no,mon kerdh,sw\ Und ich bin den Juden wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne; denen, die unter dem Gesetz sind, wie einer unter dem Gesetz, obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin, damit ich die unter dem Gesetz gewinne; 21 toi/ j avno,moij w`j a; nomoj( mh. w'n a; nomoj qeou/ avllV e; nnomoj Cristou/ ( i[na kerda,nw tou.j avno,mouj\ den Gesetzlosen wie ein Gesetzloser, obwohl ich nicht gesetzlos vor Gott bin, sondern unter dem Gesetz Christi, damit ich die Gesetzlosen gewinne. 22 evgeno,mhn toi/ j avsqene,sin avsqenh,j( i[na tou.j avsqenei/ j kerdh,sw\ toi/ j pa/ sin ge,gona pa,nta ( i[na pa,ntwj tina.j sw,swÅ Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich durch alles einige errette. 89 Vgl. HOLTZ, EKK 13, aaO., 87. 90 HOLTZ, EKK 13, aaO., 88. 91 Ob pa,ntwn hier maskulinisch oder neutrisch zu übersetzen ist, muss offen bleiben; vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 2, aaO., 228. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 305 Wieder begegnet die Freiheit des Apostels (evleu,qeroj) von allen Menschen oder Dingen als Charakteristikum seiner Verkündigung. 92 Sie ist die Grundlage seines freien Verhaltens, welches sich allein an Gott und seiner Botschaft orientiert (vgl. die Argumentation von Gal 1). 93 Wie schon im vorangehenden Abschnitt zur Frage des Unterhaltes (VV.1 - 1-18) wird sie zum Vorwort für die Selbsterniedrigung des Paulus im Dienste des Evangeliums, mit dem er Menschen „ gewinnen “ (ke,rdw) möchte: Die Unterordnung der Person unter dieses Ziel bzw. die Botschaft geht so weit, dass Paulus „ allen alles “ wird: den Juden ein Jude, den gesetzlosen Heiden ein Heide, den Schwachen ein Schwacher (vgl. Röm 14,1- 15,13) - „ um der Liebe und des missionarischen Erfolgs willen “ 94 : Wird hier das Verhalten des Paulus als „ prinzipienloser Konformismus und Opportunismus “ beschrieben? 95 Wenn Paulus von sich selbst schreibt, er sei den Juden eine Jude geworden, greift er nicht einfach auf sein ethnisch-religiöses Judesein zurück, sondern meint die freiwillige Annahme der jüdischen Lebensweise. 96 Das Gesetz markiert den entscheidenden Faktor jüdischer Identität, den Paulus aber als Christ neu definiert und interpretiert hat 97 : Es ist kein Heilsweg mehr, sondern nur noch ein Lebensstil, den er frei ist zu verfolgen oder nicht, solange er das „ Gesetz Christi “ erfüllt. Nach Gal 6,2 besteht der no,moj Cristou/ im gegenseitigen „ Tragen der Last des anderen “ , einer Umschreibung des Liebesgebotes. 98 Dieses 92 Vgl. COPPINS, The Interpretation of Freedom in the Letters of Paul, aaO., 74, der den Absatz als „ an explication of (Christian) freedom or what it means to be free “ auffasst. Für Literatur zum Thema Freiheit bei Palus siehe Kap. 6.1.2 c. 93 Vgl. VOLLENWEIDER, Freiheit, aaO., 399: „ Die Freiheitsverkündigung bildet zwar nicht die zentrale Achse der Theologie des Apostels, sie artikuliert aber [. . .] in einem bestimmten Kontext die christologische Zentralperspektive des Apostels. Dieser liegt sein Verständnis des Evangeliums von der in Jesu Kreuz und Auferweckung rettenden Alleinwirksamkeit Gottes zugrunde “ ; ähnlich COPPINS, The Interpretation of Freedom in the Letters of Paul, aaO., 74: „ The impetus of his argument [. . .] rests in his understanding of the gospel [. . .] rather than in a robust understanding of the nature of Christian freedom “ . 94 VOLLENWEIDER, Freiheit, aaO., 396; vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 2, aaO., 231; COPPINS, The Interpretation of Freedom in the Letters of Paul, aaO., 74: „ [H]is main point is that he does not use his rights in order not to hinder the gospel and that although he is free from all, he nevertheless made himself a slave to all in order that he may gain the many “ - zu ergänzen wäre „ den Starken ein Starker “ . Dass Paulus hier darauf verzichtet, hat mit dem Kontext von 1Kor 9 zu tun, in dem er das Verhalten der „ Starken “ gegenüber den „ Schwachen “ in der Götzenopferfleischfrage als rücksichtslos brandmarkt. 95 SCHRAGE, W., Der erste Brief an die Korinther. 2. Teilband. 1Kor 6,12-11,16, EKK VII/ 2, Düsseldorf/ Neunkirchen-Vluyn 1995; 334. 96 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 2, aaO., 229. 97 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 2, aaO., 230. 98 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 2, aaO., 345. 306 6 Die Beziehungen des Kommunikators Gesetz ist der Maßstab seines Verhaltens, und es erfordert Flexibilität bei der Verkündigung des Evangeliums 99 : Es erfordert ein Zugehen auf die vom Leben nach dem Gesetz geprägten Juden, um sie nicht vorzeitig vor den Kopf zu stoßen, und es nötigt zu einer Anpassung an die gesetzlos lebenden Heiden, insbesondere an die Schwachen, die Paulus nicht durch ein Leben nach dem Gesetz verunsichern, sondern durch „ Zurückhaltung von brüskierender Freiheit “ gewinnen will. 100 Es geht aber nicht um eine „ inhaltliche Adaption des Evangeliums an den Geschmack der Hörer oder den jeweiligen Zeitgeist “ , sondern um eine Anpassung im Verhalten: „ Nicht das Evangelium ist variabel, sondern der Apostel, nicht das Evangelium wird angeglichen, sondern das Evangelium gleicht an und bewirkt Akkomodation und Flexibilität seines Verkündigers “ . 101 Das Evangelium und seine erfolgreiche Verkündigung sind der Grund derAnpassung, aber nicht als Anbiederung oder reine Missionstaktik, sondern aus seiner Grundbotschaft mit samt dem „ Gesetz Christi “ heraus. 102 In der Evangeliumsbotschaft findet die Anpassung daher nicht nur ihren Ursprung, sondern auch ihre natürliche Grenze: Wo die Botschaft in Gefahr gerät, wo ein e[teron euvagge,lion droht, im Verhalten sichtbar zu werden (Gal 1,6), hört die Anpassung des Paulus auf. Gerade das von ihm hier angesprochene Gesetz hat in der innerchristlichen Auseinandersetzung immer wieder eine solche Grenzüberschreitung bewirkt, der Paulus entschieden entgegentritt (vgl. Gal 2,11 ff ) - weil er die Freiheit des Evangeliums, die Freiheit vom Gesetz als Heilsvoraussetzung bedroht sieht. Diese Freiheit, darauf legt Paulus in 1Kor 9,19ff den Fokus, ist aber nicht nur eine Freiheit von etwas, sondern auch Freiheit zur Verpflichtung. 103 Sie besteht darin, andere an der Freiheit teilhaben zu lassen, sie „ in der Begegnung mit dem Evangelium, in dem den Menschen und auch dem Apostel die befreiende Liebe Gottes begegnet “ , frei zu machen. 104 Darum gehört zur Freiheit auch die Flexibilität, „ gegebenenfalls ganz unterschiedlichen Situationen und verschiedenartigen Menschen gerecht zu werden “ . 105 Sie 99 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 2, aaO., 229. 100 SCHRAGE, EKK VII/ 2, aaO., 345; Kerdai,nw ist eigentlich ein Begriff aus dem Geschäftsleben und steht für „ Profitmaximierung “ . Das Verb ist allerdings ebenfalls aus der jüdischen Missionsprache als terminus technicus für die Anwerbung von Proselyten bekannt. Wie bei Paulus ist auch hier eine „ missionarische Akkomodation “ geläufig, die die Tora nicht anstößiger und belastender erscheinen lassen will, als unbedingt nötig (339; Anm. 18). Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 2, aaO., 232. 101 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 2, aaO., 341. 102 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 2, aaO., 347. 103 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 2, aaO., 336. 104 SCHRAGE, EKK VII/ 2, aaO., 336. 105 MERKLEIN, ÖTK 7/ 2, aaO., 229. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 307 vollzieht sich „ als im Zeichen des Evangeliums geschehende Zuwendung zu den anderen “ . 106 e) Zusammenfassung Paulus weiß um den sensiblen Charakter der Erstverkündigung, die Ausgangspunkt aller folgenden Beziehungen ist, sowohl der zwischenmenschlichen, als auch der zum Evangelium. Darum legt er bei der Verkündigung ein besonderes „ empfehlendes “ Verhalten an den Tag, an dem er sich und seine Arbeit messen lässt und das als solches auch objektiv überprüfbar ist. Es steht in der Spannung zwischen der Vermeidung unnötigen Anstoßes, der der Botschaft im Weg stehen könnte, und der notwendigen Offenheit und Freimütigkeit, um das Evangelium wahrheitsgetreu und glaubwürdig weitergeben zu können. Die grundsätzliche Haltung ist die in der väterlichen Liebe wurzelnde Geduld, die auch hilft, die nötige Balance zu halten zwischen Freiheit in der Verkündigung und Flexibilität im persönlichen Verhalten. Die Maxime „ allen alles zu werden “ ist darum auch kein Opportunismus, sondern lediglich Anpassung in der Lebensweise oder der Ausübung der eigenen Freiheit. Ihr Maßstab ist das Liebesgebot ( „ Gesetz Christi “ ), ihre Grenze die Wahrheit der Botschaft des Evangeliums. Das Ziel des empfehlenden Verhaltens, der Anpassung von Person und Verhalten an die Bedürfnisse des Rezipienten, ist der Schutz des Evangeliums vor negativen Eindrücken, die ihm nicht inhärent sind. Beispiele für das empfehlende Verhalten des Paulus sind das Teilen seines Lebens und seiner Person mit der Gemeinde, der Verzicht auf Unterhalt und intensive, seelsorgerliche Zuwendung zum Einzelnen. 6.1.3 Der Apostel als Vorbild Für Paulus ist mit der Vater-Metapher v. a. sein Stellenwert als Gemeindegründer gegenüber den Rezipienten verbunden. Als dieser Gründer beansprucht er für sich selbst ein Spezifikum, das auch dem Vater in seiner Rolle gegenüber den eigenen Kindern zukommt: Er will Vorbild sein. 107 Um das auszudrücken, bedient er sich zweier Begrifflichkeiten: Er kann seine Rezipienten auffordern, 106 VOLLENWEIDER, Freiheit, aaO., 396: Rückbezogen auf das Verhalten der Korinther fordert Paulus also eine „ Orientierung am ,Zuträglichen ‘ , nämlich am Wohl der Gemeinschaft (6,12; 10,23) “ . 107 Vgl. GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 411 f: Gerber bietet hier unterAnm. 284 eine Sammlung von Vergleichsstellen aus der antiken Literatur. 308 6 Die Beziehungen des Kommunikators seine Nachahmer zu werden (mimhth,j, 1Kor 4,16; 11,1; 1Thess 1,6 bzw. summimhth,j in Phil 3,17), oder er kann sich selbst als deren Vorbild präsentieren (tu,poj, Phil 3,17). 108 a) Vorbild und Nachahmung Die Grundbedeutung von tu,poj geht auf den Vorgang des Schlagens zurück: Es kann sowohl passiv für das, was geprägt wird, als auch aktiv für das Prägende stehen. Davon leiten sich jeweils die abstrakten Bedeutungen Muster, Modell, Umriß, Eindruck, Abbild, Urbild und Vorbild ab. 109 In der Septuaginta ist der Begriff nur schwach bezeugt, bei Philo dagegen häufig, jedoch kaum im spezifischen Sinn von „ Vorbild “ . 110 Paulus verwendet tu,poj in drei Zusammenhängen: 1) als hermeneutische Bezeichnung alttestamentlicher Ereignisse (1Kor 10,6.11 und Röm 5,14), die „ Vorbilder “ des gegenwärtigen Heilsgeschehens sein können, 2) als Bezeichnung der „ Form/ Gestalt “ der Lehre (didach,), die damit zur „ prägenden Norm “ erhoben wird (Röm 6,17), und 3) im Sinne von „ Vorbild “ für Personen (Phil 3,17; 1Thess 1,6 f), wo es jedoch zusammen mit mimhth,j „ in ausdrücklicher oder sachlicher Korrelation “ steht. 111 mimhth,j ist außer an den bereits erwähnten Stellen noch 1Thess 2,14 zu finden, dort allerdings in engem Zusammenhang mit 1,6 f. 112 Beidesmal lobt Paulus die Thessalonicher als Nachahmer in ihrer Leidenssituation der Verfolgung (qli/ yij, pa,scw). Objekt der Nachahmung ist zum einen Paulus bzw. der Herr (1,6 f), zum anderen die ebenfalls verfolgten Gemeinden in Judäa (2,14). In 1,6 f besteht die Nachahmung konkret in der freudigen Annahme des Wortes in Bedrängnissen (evn qli,yei), wohingegen 2,14 sehr allgemein vom Erleiden (pa,scw) spricht. Es geht nicht um ein vorbildliches Leben im ethischen Sinn, sondern um die „ Prägung durch den Ruf des Evangeliums und des Kyrios “ und dessen gehorsame, glaubende Annahme. 113 Weil sie darin zum tu,poj für andere Glaubende 108 Zur Forschungsgeschichte und dem Stand der exegetischen Diskussion vgl. die Zusammenfassung bei GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 415 - 420. 109 Vgl. SCHUNACK, G., Art. tu,poj, EWNT III, 892 - 901; 893; GOPPELT, L., Art. tu,poj ktl, ThWNT 8, 246 - 260; 247. 110 Vgl. GOPPELT, Art. tu,poj ktl, aaO., 248. 111 SCHUNACK, Art. tu,poj, aaO., 894; vgl. GOPPELT, Art. tu,poj ktl, aaO., 251. 112 Zu mimhth,j vgl. BETZ, H. D., Nachfolge und Nachahmung Jesu Christi im Neuen Testament, BHTh 37, Tübingen 1967, bes. Teil III: Die Mimesis in der Theologie des Paulus, 137 - 189. 113 SCHUNACK, Art. tu,poj, aaO., 894; vgl. BETZ, Nachfolge und Nachahmung, aaO.: „ Der Aufruf zur Mimesis ist in keiner Weise an der ethischen und sittlichen Vorbildlichkeit des historischen Jesus oder einer präexistenten Christusfigur oder des Paulus orientiert, sondern am Christusmythos selber “ (168). Denn: „ der mimhth,j sieht sich nicht verbunden mit dem Leben und Wirken Jesu damals, sondern mit dem gegenwärtig wirkenden Christus, der freilich kein anderer ist als der gekreuzigte Jesus “ (144). 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 309 geworden sind (1,7), rückt Paulus den Vorbildbegriff in den Kontext einer „ (eschatologischen) Öffentlichkeit, die unter dem Anspruch des Evangeliums steht “ . 114 Mit diesen beiden Stellen im 1Thess gibt Paulus einen ersten Eindruck, worin er nachgeahmt werden will: in der Leidensnachfolge, sowohl des am Kreuz gestorbenen Herrn, als auch des in seinem Auftrag an dieser Leidensexistenz Anteil habenden Apostels. 115 Entscheidend ist der Bezug zum Wort (lo,goj), das über 1,5 mit dem Evangelium in Verbindung gebracht werden kann. Nachfolge heißt dann Annahme des und Festhalten am Evangelium unter allen (widrigen) Umständen, wie es auch Paulus im Rahmen seines Auftrags tut. Phil 3,17 macht das noch deutlicher. Hier geht derAufforderung zur Nachahmung ein autobiographischer Abschnitt voran (VV.4 - 6), an den Paulus ein Bekenntnis zu seinem Herrn Christus anfügt (VV.7 - 9), für den er alles aufgegeben hat und alles andere als „ Dreck “ erachtet hat. Paulus erfährt seine Existenz als „ gleichgestaltet werden mit seinem [=Christi] Tod “ (summorfizo,menoj tw/ | qana,tw| auvtou/ ), die zum Ziel hat, Christus, die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seines Leidens zu erkennen (V.10) und damit selbst zur Totenauferstehung zu gelangen (V.11). In V.12 - 16 beschreibt Paulus, wie er in dieser Hinsicht selbst noch auf dem Weg ist, darum kämpft und sich danach „ ausstreckt “ (evpektei,nomai, V.13). In diesem leidenden aber zielgerichteten Streben möchte Paulus von den Philippern nachgeahmt und zu ihrem Vorbild werden. Ähnlich kann auch 1Kor 4,16 verstanden werden, wo Paulus sich wenige Verse vorher als „ Abfall der Welt “ bezeichnet (V.13). 116 b) Christus- und evangeliumsförmige Existenz Das Festhalten am Evangelium in schwierigen Situation ist eine sehr allgemeine Umschreibung des von Paulus gewünschten Verhaltens. Was stellt er sich darunter vor? Der unmittelbare Kontext von 1Kor 11,1 gibt darüber genauer Aufschluss. In 10,32 erwartet Paulus von der Gemeinde, niemandem gegenüber anstößig zu sein (avpro,skopoj), weder Juden noch Griechen noch anderen Gemeinden. Wie Paulus soll sie in allem gefällig sein (avre,skw) und nicht auf den eigenen Vorteil, sondern auf den der Vielen zu achten, damit sie gerettet werden (i[na swqw/ sin, 10,33). In diesem anstoßlosen Leben, das der Rettung anderer, und also im übertragenen Sinn dem Evangelium, dient, sollen die Korinther Paulus nachahmen, wie auch er Christus nachgeahmt hat (11,1). Dass sie das zumindest zum Teil schon getan haben, verrät das Lob durch Paulus in 11,2, dass sie an allem festhalten, was Paulus ihnen überliefert hat (paradi,domi). Wenn Paulus zur 114 SCHUNACK, Art. tu,poj, aaO., 894. 115 Vgl. BETZ, Nachfolge und Nachahmung, aaO., 144; 168. 116 Siehe Kap. 5.2.4. 310 6 Die Beziehungen des Kommunikators Nachahmung seiner Person auffordert, will er also seine „ empfehlende “ Lebensweise weitergeben, die er im Dienst des Evangeliums übt. Es geht ihm dabei nicht in erster Linie um seine eigene Rolle, wie der Verweis auf die Nachahmung anderer, die wie er wandeln (peripate,w) in Phil 3,17 belegt, sondern um die christus- und evangeliumsförmige Existenz, die auf die Weitergabe und Rettung anderer ausgerichtet ist: „ Paulus führt sich den Gemeinden, die Christus selbst nicht mehr erleben können, als Vorbild der Christusnachahmung vor Augen. Er macht ihnen Christus mittelbar ansichtig “ . 117 Solch ein „ Modell der Christusnachfolge “ sollen die Rezipienten auch für andere sein. 118 Wie bei den Thessalonichern ist also auch bei Paulus nicht von einer primär ethischen Vorbildlichkeit zu sprechen, der Nachahmung „ eines vollkommen abgerundeten Lebens “ , sondern nahezu gegenteilig von der in seiner Lebenszeit sich durchhaltende Prägung seines Lebens durch Christus “ , das in seiner Leidensdimension „ Muster eines Lebens [ist], das sich [erst] in der Zukunft erfüllt “ . 119 c) Nachahmung und Autoritätsanspruch Die Aufforderung zur Nachahmung des paulinischen Vorbildes entbehrt nicht einer gewissen Logik. Wenn die Person des Paulus den „ Erstkontakt “ zum neuen Leben „ in Christus “ herstellt (vgl. 1Kor 4,15: Paulus als Vater evn Cristw/ ), ist es naheliegend, anhand von seinem Vorbild dieses neue Leben einzuüben. Wenn Paulus andererseits „ nicht zur Nachahmung Gottes oder zur Nachfolge Jesu auffordert, sondern verlangt, ihn selbst nachzuahmen, drückt sich ein starker Autoritätsanspruch aus “ . 120 Dieses Moment der Aufforderungen darf nicht unterschätzt werden: Wann immer Paulus zur Nachahmung seiner selbst auffordert, fordert er im Grunde Gehorsam in der Sache ein, die meistes zwischenmenschliches (ethisches) Verhalten betrifft. Auf der Grundlage seiner Mission, seines Gründerbzw. „ Vater “ -Status verlangt er also Gehorsam in einer Thematik, die zunächst mit seiner Autorität in Sachen Evangelium nichts zu tun 117 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 87; vgl. DIES., Das Apostolatsverständnis und die Beziehung, aaO., 418; BETZ, Nachfolge und Nachahmung, aaO., 186. 118 SCHNELLE, Paulus, aaO., 159. Kritisch dazu GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 419: Die Vorbildfunktion des Paulus ist „ nicht auf eine Christusrepräsentanz zu reduzieren, denn der Autor stellt sich selbst in den Vordergrund, als den, den es nachzuahmen gilt [. . .] Dessen Botschaft an die AdressatInnen ist nicht das Evangelium selbst, sondern wiederum des Paulus ,Wege in Christus Jesus ‘“ (vgl. 1Kor 4,17). 119 SCHUNACK, Art. tu,poj, aaO., 895; vgl. GOPPELT, Art. tu,poj ktl, aaO., 249. 120 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 86 f; vgl. MICHAELIS, W., Art. mime,omai ktl, ThWNT 4, 661 - 678; 670; 675. Wie Michaelis von einem „ hierarchischen System “ (bestehend aus Gott - Christus - Paulus - die Gemeinde - andere Gemeinden) zu sprechen, das auf dem Vorbild-Gedanken basiert, scheint dennoch übertrieben. LARS- SON, E., Art. mime,omai ktl, EWNT II, 1053 - 1057; 1054. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 311 zu haben scheint. 121 Paulus stellt dennoch eine Verbindung her und macht damit ein ethisches zu einem soteriologischen Thema: „ Das Heil der Gemeinden, so suggerieren die Briefe, hängt auch daran, dass sie in guter Verbindung zu Paulus stehen und ihn respektieren “ und ihn auch in ethischem Verhalten als Vorbild akezptieren. 122 Entsteht durch die Installation einer solchen hierarchischen Beziehung ein Widerspruch zu dem von Paulus propagierten Niedrigkeitsideal? 123 Die Leidensexistenz des Apostels, sein Bemühen, keinen Anstoß zu geben, und sich „ empfehlend “ zu verhalten, ist ein auf die Welt ausgerichetes Auftreten, mit dem Ziel, dem Evangelium nicht im Weg zu stehen und möglichst viele dafür zu gewinnen. 124 Wenn Paulus demgegenüber seine Autorität als Apostel betont, so tut er das gegenüber bereits gläubig gewordenen Rezipienten. Sie kann er auf sein Berufungserlebnis und den damit verbundenen Auftrag sowie auf das Faktum der Gemeindegründung hinweisen. Weil er „ Experte “ für das Evangelium und dessen Erstvermittler ist, kann er auch in Sachen des „ Lebens nach dem Evangelium “ Autorität beanspruchen. 125 6.1.4 Hierachie auf Augenhöhe? Ist für Paulus das beschriebene hierarchische Verhältnis die einzige Ebene seiner Beziehung zu den Rezipienten? Immerhin nennt er rund hundert mal in seinen Briefen die Mitglieder der Gemeinden „ Brüder “ bzw. spricht sie als solche an. 126 a) Paulus - „ Bruder unter Brüdern “ VAdelfo,j ist eine gemeinantike Anrede des Volksgenossen, erhält aber besonders im Alten Testament und Judentum Bedeutung, wo der Stammes- und Volksgenosse in der Regel auch der Glaubensgenosse ist. 127 Hier begründet die gemeinsame ethnische Herkunft die Geschwisterlichkeit. Insofern stellt die neutestamentliche Verwendung im Sinn von „ Mitchrist “ , die auch den Sprach- 121 Vgl. Gal 4,12, wo Paulus auffordert, wie er zu werden, und diese Aufforderung mit seinem Verhalten bei der Verkündigung legitimiert: o[ti kavgw. w`j u`mei/ j. 122 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 31. 123 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 79 ff. 124 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 89. 125 Vgl. GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 89. 126 Eine möglicherweise zugrundeliegende Briefkonvention ist nicht bekannt; vgl. GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 348. 127 Vgl. BEUTLER, J., Art. avdelfo,j, EWNT I, 67 - 72; 68; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 348 f. SCHELKLE, K.H, Art. Bruder, RAC 2, 631 - 640; 631; VON SODEN, H., Art. avdelfo,j ktl, ThWNT 1, 144 - 146; 145 f. 312 6 Die Beziehungen des Kommunikators gebrauch des Paulus dominiert, etwas grundlegend Neues dar. 128 Denn das christliche „ Brudersein “ wird weder durch eine familiäre noch durch ethnische Verbundenheit, sondern durch den Bezug auf den gemeinsamen Herrn Jesus Christus konstituiert. In ihm sind sie Brüder (avdelfoi. evn kuri,w|, Phil 1,14) und vor ihm sind sie alle gleich (ouvk e; ni VIoudai/ oj ouvde. {Ellhn))) pa,ntej ga.r u`mei/ j ei-j evste evn Cristw/ | VIhsou/ , Gal 3,28): „ Die Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft finden sich evn kuri,w| zu einer Gemeinde zusammen - das drückt sich in dieser gegenseitigen Anrede aus “ , die überdies die Gleichheit aller Gemeindeglieder „ [s]prachlich fixiert “ . 129 Die „ geschwisterliche Verbundenheit “ begründet eine besondere Rücksicht 130 : Aus der Gemeinschaft in und mit Christus leitet sich die gegenseitig Verpflichtung zur (Bruder-)Liebe (filadelfi,a, 1Thess 4,9; Röm 12,10; sonst: avga,ph) ab. 131 Die Anrede avdelfoi, hat für Paulus also ihren Grund in der koinwni,a, der „ Gemeinschaft (mit jemandem) durch (gemeinsame) Teilhabe (an etwas) “ 132 : „ koinwnoi, sind daher Personen, die in koinwni,a, d. h. in einem Gemeinschaftsverhältnis zueinander stehen, weil sie gemeinsam Anteil haben an etwas “ . 133 128 Vgl. PILHOFER, P., Peri. de. th/ j filadelfi,aj . . . (1Thess 4,9). Ekklesiologische Überlegungen zu einem Proprium frühchristlicher Gemeinden, in: DERS., Die frühen Christen und ihre Welt. Greifswalder Aufsätze 1996 - 2001, Tübingen 2002, 139 - 153; 146; 148; BEUTLER, Art. avdelfo,j, aaO., 68; 71; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 345; SCHELKLE, Art. Bruder, aaO., 636 f. Im traditionell jüdischen Sinn für „ Volksgenosse “ gebraucht Paulus avdelfo,j z. B. in Röm 9,3; WISCHMEYER, O., Liebe als Agape. Das frühchristliche Konzept und der moderne Diskurs, Tübingen 2015, 186 ff. 129 PILHOFER, Peri. de. th/ j filadelfi,aj, aaO., 146. Kritisch dazu GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 345 - 347. 130 GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 345. 131 Vgl. BEUTLER, Art. avdelfo,j, aaO., 71; VON SODEN, Art. avdelfo,j ktl, aaO., 145; SCHELKLE, Art. Bruder, aaO., 637 f. Insofern liegt dem Begriff kein ethischer, sondern ein ekklesiologischer Zusammenhang zugrunde; PILHOFER, Peri. de. th/ j filadelfi,aj, aaO., 142. 132 HAINZ, J., Art koinwni,a ktl, EWNT II, 749 - 755; 751. Weitere Literatur zu koinwni,a und evkklhsi,a bei Paulus: BALDERMANN, I./ DASSMANN, E. (Hgg.) Volk Gottes, Gemeinde und Gesellschaft, JBTh 7, Neukirchen-Vluyn 1992; HAINZ, J., Koinonia. „ Kirche “ als Gemeinschaft bei Paulus, Regensburg 1982; DERS., Vom „ Volk Gottes “ zum „ Leib Christi “ . Biblisch-theologische Perspektiven paulinischer Ekklesiologie, in: JBTh 7 (1992), 145 - 164; KLAUCK, H.-J., Volk Gottes und Leib Christi, in DERS., Alte Welt und neuer Glaube, NTOA 29, Göttingen 1994, 277 - 301; KRAUS, W., Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, Tübingen 1996; DERS., Ekklesiologische Prädikate, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 400 - 408; MERKLEIN, H., Die Ekklesia Gottes. Der Kirchenbegriff bei Paulus und in Jerusalem, in: BZ 23 NF (1979), 48 - 70; ROLOFF, J., Die Kirche im Neuen Testament, GNT 10, Göttingen 1993, 86 - 131. 133 HAINZ, Koinonia, aaO., 173; vgl. dazu die These bei Gerber, dass die Brüderbezeichnung Mittel der Abgrenzung nach Außen sei (vgl. die „ diskriminierende Bezeichnung “ eines Christen als qeuda,delfoj, 2Kor 11,26; Gal 2,4, oder als avdelfo.j ovnomazo,menoj, 1Kor 5,11); 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 313 Anteil haben die Rezipienten an Christus (1Kor 1,9), vor allem im Herrenmahl (1Kor 10,16; vgl. Phil 3,10 und 2Kor 1,7), und in der Folge auch am heiligen Geist (2Kor 13,13; Phil 2,1), an der Gnade (Phil 1,7), am Evangelium (Phil 1,5; bezogen auf Paulus in 1Kor 9,23) und am Glauben daran (Phlm 6) 134 : „ Jetzt, in der durch Glauben und Taufe neu geschaffenen Situation, ist die Identität jedes einzelnen übergreifend durch Christus bestimmt [. . .] d. h. der einzige Faktor, der ihr Selbstverständnis prägt, ist die Zugehörigkeit zu ihm “ . 135 Durch den gemeinsamen Christusbezug wird eine neue Sozialstruktur begründet, werden die Glaubenden in ein Gemeinschaftsverhältnis zueinander gesetzt. 136 Daher kann Paulus gelegentlich auch seine Brüder mit „ Teilhaber “ (koinwno,j) ansprechen (vgl. 2Kor 8,23; Phlm 17). 137 Das Gemeinschaftsverhältnis zielt auf gegenseitigen Austausch, besonders zwischen dem, der es vermittelt hat, und denen, die es empfangen haben: Paulus teilt (metadi,dwmi) mit den Thessalonichern nicht nur das Evangelium, sondern sein ganzes Leben (1Thess 2,8). Umgekehrt soll der im Wort unterrichtete seinen Lehrer teilhaben lassen (koinwne,w) an allem Guten seines Lebens (Gal 6,6). 138 Die Gemeinschaft, die sich so etabliert, bezeichnet Paulus als evkklhsi,a. 139 Er nimmt wohl einerseits den Sprachgebrauch der Jerusalemer Urgemeinde auf, die sich in Anlehnung an die apokalyptische Vorstellung vom „ endzeitlichen Aufgebot “ als evkklhsi,a tou/ qeou/ bezeichnet hat (vgl. 1Thess 2,14; Gal 1,13; 1Kor 1,2; 10,32; 15,9; Phil 3,6). 140 Der Begriff entspricht also dem eschatologischem Selbstverständnis der Urgemeinde als „ Mitte und Kristalllisationspunkt des [. . .] endzeitlichen Israel “ . 141 Die Verkürzung zu evkklhsi,a ist durch Verzicht GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 346. Siehe weiterhin den kurzen forschungsgeschichtlichen Überblick zu koinwni,a bei ROLOFF, Die Kirche im Neuen Testament, aaO., 103. 134 Vgl. KRAUS, Ekklesiologische Prädikate, aaO., 406 f; ROLOFF, Die Kirche im Neuen Testament, aaO., 104. 135 ROLOFF, Die Kirche im Neuen Testament, aaO., 94. 136 Vgl. ROLOFF, Die Kirche im Neuen Testament, aaO., 94. 137 Vgl. KRAUS, Ekklesiologische Prädikate, aaO., 407. 138 Vgl. HAINZ, Art koinwni,a ktl, aaO., 751. 139 Vgl. KRAUS, Ekklesiologische Prädikate, aaO., 406. 140 Vgl. ROLOFF, J., Art. evkklhsi,a, EWNT I, 998 - 1011; 1000 - 1002. Roloff plädiert für eine Ableitung von Belegen aus Qumran und argumentiert gegen die traditionelle Rückführung auf den Sprachgebrauch der Septuaginta. 141 ROLOFF, Art. evkklhsi,a, aaO., 1001; vgl. hierzu die bei Kraus prägnant beschriebene Forschungskontroverse zwischen einer heilsgeschichtlich-eschatologischen Grundlegung des Begriffs (lao.j qeou/ ) und einer schwerpunktmäßig christologischen (sw/ ma Cristou/ ), sowie dem Versuch einer Synthese als „ Ellipse mit zwei Brennpunkten “ : „ Dem christologisch begründeten Motiv vom Leib Christi steht komplementär die erwählungsbzw. verheißungsgeschichtlich begründete Gottesvolk-Vorstellung zur Seite [. . .] Diejenigen, die auf Christus getauft sind (christologische Linie), werden in die Nachkom- 314 6 Die Beziehungen des Kommunikators auf die Näherbestimmung des „ Urhebers “ zu verstehen, die aber immer mitzudenken ist. 142 Andererseits zeigt der paulinische Sprachgebrauch auch eine deutliche Entsprechung zur hellenistischen Herkunft des Wortes als politische Versammlung aller stimmberechtigten Mitglieder einer Polis. 143 Denn wenn Paulus von evkklhsi,a spricht, „ so denkt er im Regelfall zunächst an die konkrete Versammlung der Getauften an einem bestimmten Ort “ (1Kor 1,1; 2Kor 1,1; 1Thess 2,14). 144 Die Versammlung der Gemeinde vor Ort ist als Ganze evkklhsi,a (vgl. 1Kor 14,23) analog der politischen Versammlung. 145 Wie „ die Versammlung des Volkes, die zu den Rechten der freien Bürger des Gemeinwesens, der polis, gehört und deren Möglichkeit zur Selbstdarstellung und zur Gestaltung des Gemeinschaftlichen Lebens darstellt “ , ist auch die Gemeinde der Ort, an dem die Glaubenden sichtbar in Erscheinung treten. 146 Allerdings ist sie nicht politisch bestimmt, sondern als Versammlung derer, die „ in Christus sind “ (Gal 3,26 f; vgl. 1,22; 1 Thess 1,1; 2,14: ). 147 Somit wird auch evkklhsi,a als Gruppenbezeichnung „ radikal christologisch interpretiert “ und mit koinwni,a verbunden 148 : Die evkklhsi,a ist der Rahmen, innerhalb dessen koinwni,a geschieht und wird wiederum erst durch diese begründet. Da die Anrede „ Brüder “ aus der Praxis der koinwni,a resultiert, ist sie im Rahmen beider Begriffe zu verstehen. menschaft Abrahams integriert und damit zu Erben der Verheißung (erwählungsgeschichtliche Linie) “ ; KRAUS, Ekklesiologische Prädikate, aaO., 400 f; Zit. 401. Ähnlich ROLOFF, Die Kirche im Neuen Testament, aaO., 87ff; 130 f. 142 Vgl. ROLOFF, Art. evkklhsi,a, aaO., 1001. 143 Vgl. MERKLEIN Die Ekklesia Gottes, aaO., 66 f; KRAUS, Ekklesiologische Prädikate, aaO., 401; KLAUCK, Volk Gottes und Leib Christi, aaO.,290: „ Ein Perspektivenwechsel mußte erfolgen mit dem Übergang in griechisches Kulturgebiet “ . 144 ROLOFF, Art. evkklhsi,a, aaO., 1003; vgl. DERS., Die Kirche im Neuen Testament, aaO., 96. Hainz spricht vom „ Ereignischarakter “ der Versammlung mit Herrenmahl als Zentrum; HAINZ, Vom „ Volk Gottes “ zum „ Leib Christi “ , aaO., 161. 145 Vgl. KLAUCK, Volk Gottes und Leib Christi, aaO., 290: Die Einzelgemeinde ist nicht „ Partikel oder Baustein einer universalen Kirche [. . .], sondern sie repräsentiert an ihrem jeweiligen Ort Gottes endzeitliches Aufgebot, sie ist dort Kirche in einem ganzheitlichen Sinne “ ; Anders akzentuiert bei ROLOFF, Die Kirche im Neuen Testament, aaO., 97: „ Hier kommt zum Ausdruck, daß ,Kirche/ Gemeinde Gottes ‘ etwas ist, was nicht ohne Rest in der jeweiligen örtlichen Versammlung aufgeht. Sie ist vielmehr eine übergreifende Größe, die sich in der jeweiligen örtlichen Versammlung darstellt “ . 146 Vgl. ROLOFF, Die Kirche im Neuen Testament, aaO., 98 f; Zit. 98; KLAUCK, Volk Gottes und Leib Christi, aaO., 291: „ Mit diesem politisch besetzten Terminus gibt die Gemeinde [. . .] zu erkennen, daß sie sich nicht in eine selbstgewählte Randexistenz zurückzieht, sondern Gehör in der ganzen Stadt einfordert “ . Siehe zur Öffentlichkeit des Evangeliums auch Kap. 7.5. 147 Vgl. MERKLEIN Die Ekklesia Gottes, aaO., 66; KRAUS, Ekklesiologische Prädikate, aaO., 401. 148 Vgl. MERKLEIN Die Ekklesia Gottes, aaO., 68. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 315 Damit ist jedoch noch keine Aussage darüber getroffen, inwiefern sich Paulus als gleichwertiges Mitglied, also als Bruder unter Brüdern versteht. Einerseits geht er sehr wohl von einer wechselseitigen koinwni,a mit seinen Rezipienten aus (vgl. nur Phil 1,7 oder das inklusiv h`mw/ n in 2Kor 1,7). Das macht ihn zu ihrem „ Bruder “ . 149 Andererseits ist nicht erkennbar, dass er sich einer lokalen evkklhsi,a zugehörig fühlt. Im Gegenteil distanziert er sich immer wieder von Gemeinden (z. B. Röm 16,23) und verleiht seiner Verantwortung für „ alle Gemeinden “ Ausdruck (z. B. 1Kor 4,17; 2Kor 11,28). Auch kann ich nicht erkennen, dass er sich einer Art urchristlicher Gesamtkirche beispielsweise durch den Begriff evkklhsi,a tou/ qeou/ eindeutig zuordnet. 150 Paulus bleibt als Apostel und Gründer der Gemeinde immer im Gegenüber und wahrt - mit Einschränkung der koinwni,a - die Distanz. „ Vater “ und „ Bruder/ Brüder “ erweisen sich als „ selbstständige, nicht miteinander korrelierte “ Metaphern: „ Die Überordnung, die in der Paulus-Vater/ Mutter-Metapher impliziert und [. . .] in den Kontexten expliziert oder durchgesetzt wird, wird von der Geschwisteranrede nicht in Frage gestellt und erst recht nicht relativiert “ . 151 Dass Paulus sich aber im Angesicht des eschatologischen Heils doch auf einem „ Niveau “ oder zumindest dem gleichen Weg sieht, zeigt das öfters von ihm vorgebrachte Bild vom Wettkampf. Allerdings werden wir sehen, wie sich Paulus auch hier eine Sonderrolle im Gegenüber zu seinen Rezipienten vorbehält. b) Paulus, der Wettkampf und eschatologischer Ruhm An zwei Stellen seiner Briefkorrespondenz bedient sich Paulus ausführlich der Wettkampfmetaphorik (Phil 3,12-14 und 1Kor 9,24-27). 152 „ Der Sportliche Wettkampf war wie heute beliebt und professionalisiert, und die großen 149 Vgl. PILHOFER, Peri. de. th/ j filadelfi,aj, aaO., 143: „ avdelfoi, [. . .] bezeichnet alle Angehörigen der christlichen Gemeinschaft ohne Unterschied “ . 150 Die Wendung erscheint bei Paulus in unterschiedlichen Zusammenhängen. In Gal 1,13 und 1Kor 15,9 ist es abstrakter Begriff für die von ihm verfolgten Christengemeinden. Ähnlich allgemein ist möglicherweise 1Kor 10,32 gemeint. 1Kor 11,16 und 1Thess 2,14 verwenden den Plural und differenzieren zwischen der angesprochenen Gemeinde und den „ Gemeinden Gottes “ . Schließlich kann auch die Gemeinde in Korinth selbst von Paulus „ Gemeinde Gottes “ genannt werden (1Kor 1,2; 11,22; 2Kor 1,1). Besonders von 1Kor 10,32 her legt sich mir die Idee nahe, mit der Wendung einen spezifisch judenchristlichen Charakter bzw. die Lokalisierung der Gemeinde in Judäa/ Jerusalem zu verbinden. Für eine spezifisch judenchristliche Prägung der korinthischen Gemeinde gibt es jedoch keine Hinweise. 151 GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 349. 152 Vgl. zum Thema: METZNER, R., Paulus und der Wettkampf. Die Rolle des Sports in Leben und Verkündigung des Apostels (1Kor 9.24 - 7 ; Phil 3.12 - 16), in: NTS 46/ 4 (2000), 565 - 583. 316 6 Die Beziehungen des Kommunikators Wettkämpfe waren sozial bedeutsam und kultisch konotiert “ . 153 Eine Metaphorisierung der Sportwelt ist zur Zeit des Paulus geläufig, etwa in der Popularphilosophie oder der Diatribe. 154 Dabei ist der Bezug zum Wettkampf unterschiedlich dicht bzw. tritt oft völlig hinter die Metapher zurück. 155 So ist der kuriose Sachverhalt zu erklären, dass Paulus im Zusammenhang mit der Wettkampfmetaphorik auf den Begriff avgw,n verzichtet, ihn aber andernorts in Phil 1,30 und 1Thess 2,2 auf die leidvollen Umstände seiner Verkündigung bzw. die Anfeindungen der Thessalonicher um des Evangeliums willen überträgt. 156 Ähnlich transferiert auch das hellenistische Judentum avgw,n auf den „ heroischen Kampf, den der Fromme in dieser Welt zu bestehen hat “ und der sich allermeist auf die Treue zum Gesetz bezieht. 157 In den Makkabäerbüchern der Septuaginta wird avgw,n auch auf den „ Leidenskampf der Märtyrer “ angewendet, woran eine gewisse Parallelität zum paulinischen Gebrauch deutlich wird. 158 Wo Paulus - wohlgemerkt unter Verzicht auf avgw,n - Wettkampfmetaphorik aufgreift, ist demgegenüber eher eine Nähe zum Gebrauch der Diatribe zu spüren, die den sittlichen Kampf als Kampf gegen die Leidenschaften und die damit verbundenen Anstrengungen und Entbehrungen herausstellen will. 159 Phil 3,10 f beschreibt die Leidensexistenz des Paulus als eschatologische, deren Ziel in der Erlangung der Auferstehung besteht: VV.12 - 14 artikulieren dieses Leben mit Hilfe von Wettkampfsprache als vorläufig, aber zielbestimmt 160 : 153 GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 193 f. 154 Vgl. GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 194: So ist die metaphorische Übertragung des Bildes vom Wettkämpfer auch bei Philo ein beliebtes literarisches Mittel. Er vergleicht ihn „ mit dem nach Erkenntnis strebenden Mann, der seine Lebensbahn ohne Fall durchläuft u[nd] am Ziel angelangt, die verdienten Kränze u[nd] Siegespreise erlangt “ . 155 Vgl. DAUTZENBERG, G., Art. avgw,n ktl, EWNT I, 59 - 64; 60; STAUFFER, E., Art. avgw,n ktl, ThWNT 1, 134 - 140; 135 f. 156 Hinsichtlich des Verbs und seiner Komposita ist nur auf sunagwni,zomai in Röm 15,30 zu verweisen, wo Paulus die Römer zum Mitkämpfen im Gebet, also um geistliche Unterstützung, auffordert. Das Verb ist hier im einfachen Sinne von „ unterstützen “ gebraucht ohne besondere Pointe oder Bezug zum avgw,n-Motiv. Anders bei STAUFFER, Art. avgw,n ktl, aaO., 139. 157 STAUFFER, Art. avgw,n ktl, aaO., 135; vgl. DAU TZENBERG, Art. avgw,n ktl,aaO., 60. 158 Vgl. STAUFFER, Art. avgw,n ktl, aaO., 136. 159 Vgl. DAUTZENBERG, Art. avgw,n ktl,aaO., 60. 160 Vgl. GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 194: „ Impliziert ist in den Metaphern jeweils die eschatologische Perspektive; aus der Vorstellung vom Laufsport wird also die lineare Zeit- und Zielperspektive transferiert “ . 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 317 Phil 3,12: Ouvc o[ti h; dh e; labon h' h; dh tetelei,wmai( diw,kw de. eiv kai. katala,bw( evf V w-| kai. katelh,mfqhn u`po. Cristou/ ÎVIhsou/ ÐÅ Nicht, dass ich es jetzt schon ergriffen habe oder schon vollendet bin; ich verfolge (es) aber, damit ich es auch ergreife, weil auch ich von Christus Jesus ergriffen bin. 13 avdelfoi,( evgw. evmauto.n ouv logi,zomai kateilhfe,nai\ e]n de,( ta. me.n ovpi,sw evpilanqano,menoj toi/ j de. e; mprosqen evpekteino,menoj( Brüder, ich denke über mich selbst nicht, (es) ergriffen zu haben. Eines aber: Ich vergesse das Hinten, strecke mich aber aus nach dem Vorn, 14 kata. skopo.n diw,kw eivj to. brabei/ on th/ j a; nw klh,sewj tou/ qeou/ evn Cristw/ | VIhsou/ Å und verfolge das Ziel bis zum Siegpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus. Zunächst grenzt sich Paulus davon ab, die Auferstehung schon „ ergriffen “ (katalamba,nw) zu haben. 161 Ob er sich dabei wirklich gegen Leute in Philippi wehrt, „ die Paulus vorwerfen, er halte sich für vollkommen “ , muss offenbleiben. 162 Auch auf das Problem des „ pneumatischen Enthusiasmus “ lassen sich seine Ausführungen nicht reduzieren. 163 Vielmehr will er doch wohl sagen, dass es selbst für ihn, den unermüdlichen Apostel, eine „ Heilsgarantie im Sinne einer sicheren Auferstehung von den Toten “ ohne Anstrengung nicht gibt. 164 Darin solidarisiert er sich gewissermaßen mit den „ Brüdern “ , die er in V.13 „ eindringlich “ anredet. 165 Die Rede von sich selbst hat typologischen Charakter für sie, wie die wiederholte Aufforderung ab V.15 (unter anderem zur Nachahmung, V.17) belegt. Wie Paulus sollen auch die Philipper sich „ ausstrecken “ (evpektei,nomai) und das hinter ihnen Liegende - bei Paulus die „ tadellose “ Vergangenheit als Pharisäer (3,5 f ) - vergessen. 166 Das Ziel (skopo,j) des Ausstreckens ist das brabei/ on der Berufung „ nach oben “ . DieVerwendung von klh,sij im Zusammenhang mit der Auferstehung ist bei Paulus äußerst ungewöhnlich. Sonst ist es Terminologie des Gläubigwerdens. Durch a; nw wird die Berufung umgeprägt auf die Zielbestimmung der Auferstehung hin. 167 Skopo,j und brabei/ on leiten das Wettkampf-Bild ein. Skopo,j ist im gesamten Neuen Testament nur an dieser Stelle zu finden. Der Wortstamm drückt den aufmerksamen, prüfenden Blick auf etwas aus. Im Zusammenhang mit dem 161 Vgl. MÜLLER, ThHK 11/ I, 167. 162 Vgl. MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 167 f. 163 Vgl. MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 168. 164 MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 168. 165 Vgl. MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 167. 166 Vgl. MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 169. Der Verweis auf seine „ gesetzliche “ Vergangenheit stellt eine Abgrenzung von judaistischen Beschneidungsbefürwortern in Phil 3,1 dar (170). 167 Vgl. MÜLLER, ThHK 11/ I, aaO., 169, Anm. 146. 318 6 Die Beziehungen des Kommunikators Wettkampf ist es das zu erreichende Ziel, an dem der Blick des Läufers haftet. 168 Brabei/ on ist der Preis, der dem Sieger eines Wettlaufes in Form des Siegerkranzes (ste,fanoj) zusteht. 169 Er ist also der Lohn für das (schnellste) Erreichen des Ziels. Die Zuordnung beider Begriffe zur klh,sij ist nicht ganz einfach. J. Reumann hat die Möglichkeiten zusammengestellt 170 : 1) Entweder sind Siegpreis und Berufung identisch und das Ziel des irdischen Strebens ist die Auferstehung. Von V.11 her legt sich diese Deutung nahe. 2) Oder die Berufung bringt den Preis. Dann wäre die Berufung das Mittel der Auferstehung. Diese Interpretation legt sich von der ursprünglichen Verwendung von klh,sij im Zusammenhang mit dem Gläubigwerden nahe. Genau genommen muss man jedoch vom Glauben als „ Mittel “ der Auferstehung reden. Dem entspricht die dritte Möglichkeit: 3) Der Preis ist das, was durch die Berufung verheißen bzw. versprochen wird. Berufung ist also die Ankündigung und Zusage der Auferstehung. Damit - und diese Variante vertritt Reumann - ist die Berufung im Grunde der Eintritt in den Wettlauf, also die Voraussetzung für das Ausstrecken „ nach oben “ . Sie ist „ not completed till the goal is reached, at the parousia or the individual ’ s death “ . 171 Paulus stellt sich in diese Spannung von dem, was er (in der Berufung) schon erhalten hat, und der Auferstehung, die noch aussteht, an die Seite seiner Gemeindemitglieder. 172 Den Lauf, den er läuft und das Ziel, dem er zustrebt, teilt er mit seinen Rezipienten. 173 Dieses gemeinsame Streben kommt auch in 1Kor 9,24-27 zum Ausdruck, wenn auch mit anderer Pointe und breiterer Wettkampf-Terminologie: 1Kor 9,24: Ouvk oi; date o[ti oi` evn stadi,w| tre,contej pa,ntej me.n tre,cousin( ei-j de. lamba,nei to. brabei/ onÈ ou[twj tre,cete i[na katala,bhteÅ Wisst ihr nicht, dass die im Stadion Laufenden zwar alle laufen, einer aber den Siegpreis empfängt? So lauft, damit ihr ihn empfangt! 168 Vgl. F UCHS, E., Art. skopo,j ktl, ThWNT 7, 415 - 419; 415. Siehe dazu auch die Verwendung des Verbs skope,w bei Paulus (Phil 3,17; Röm 16,17; 2Kor 4,18; Gal 6,1 und Phil 2,4). 169 Vgl. STENGER, W., Art. brabei/ on ktl, EWNT I, 543 f; 544; STAUFFER, E., Art. brabeu,w ktl, ThWNT 1, 636 f; 636. 170 Vgl. REUMANN, J., Philippians. A New Translation with Introduction and Commentary, Anchor Yale Bible (AYB), New Haven/ London 2008; 550. 171 REUMANN, Philippians, AYB, aaO., 551; vgl. STAUFFER, Art. brabeu,w ktl, aaO., 637: „ Gott ist es, der mit der Berufung dem Menschen das Ziel steckt, das hinfort seiner Arbeit den Sinn, seinem Leben die Richtung gibt. - Aber eben durch diesen göttlichen Akt ist der Mensch aufgerufen zu höchster Aktivität “ . 172 Vgl. REUMANN, Philippians, AYB, aaO., 551. 173 Vgl. REUMANN, Philippians, AYB, aaO., 554; F UCHS, Art. skopo,j ktl, aaO., 415 f. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 319 25 pa/ j de. o` avgwnizo,menoj pa,nta evgkrateu,etai( evkei/ noi me.n ou=n i[na fqarto.n ste,fanon la,bwsin( h`mei/ j de. a; fqartonÅ Jeder aber, der kämpft, enthält sich in allem, jene aber also, damit sie einen vergänglichen Siegeskranz empfangen, wir aber einen unvergänglichen. 26 evgw. toi,nun ou[twj tre,cw w`j ouvk avdh,lwj( ou[twj pukteu,w w`j ouvk ave,ra de,rwn\ Ich laufe daher nicht so wie ins Ungewisse; ich kämpfe so mit der Faust nicht wie ein in die Luft Schlagender, 27 avlla. u`pwpia,zw mou to. sw/ ma kai. doulagwgw/ ( mh, pwj a; lloij khru,xaj auvto.j avdo,kimoj ge,nwmaiÅ sondern ich schinde meinen Leib und versklave ihn, damit ich nicht, nachdem ich anderen gepredigt habe, selbst verwerflich werde. Mit sta,dion, tre,cw, brabei/ on, avgwni,zomai, evgkrateu,omai und ste,fanoj häuft sich hier dieWettkampf-Terminologie viel stärker als in Phil 3 - vielleicht weil Paulus noch stärker an die unmittelbare Lebenswelt der Korinther mit den Isthmischen Spielen anknüpfen kann. 174 Gleich zwei Sportarten greift Paulus auf, um seinen Lebenskampf zu illustrieren: den Lauf im Stadion und den Boxkampf. An jeder Metaphern entfaltet er eine Pointe der christlichen Existenz: ihre Ausrichtung auf ein „ unvergängliches “ Ziel und die dazu nötige Anstrengung und Aufopferung. Wie auch schon in Phil 3 ist der Laufende stark auf den Siegpreis als Ziel fixiert. Diese Zielgerichtetheit zeichnet auch den Boxkämpfer aus, der nicht ins Ungewisse und in die Luft schlägt, sondern sein Ziel treffen will. 175 Im Bild des Paulus schlägt der Boxer nun aber nicht seinen Gegner, sondern sich selbst, in dem Sinn, dass er sich „ schindet “ und „ versklavt “ . Dem entspricht die Enthaltsamkeit des Läufers, der also auch nicht gegen seine Konkurrenten läuft, wie V.24 impliziert, sondern in erster Linie gegen sich selbst, um den Siegpreis zu empfangen: Es „ zählt nicht das Laufen als solches, sondern dessen energische Art und der dabei vorausgesetzte Siegeswille “ . 176 Enthaltsamkeit ist ein typisches Phänomen der pangriechischen Spiele. Bei den Olympischen Spielen verpflichten sich die Athleten zu zehnmonatigem Verzicht auf Fleisch, Wein und Geschlechtsverkehr. 177 Wenn Paulus hier mit diesem Bild arbeitet, so ist das keine Aufforderung zur Askese: „ Er will einfach daran erinnern, daß jeder Sieg etwas kostet und einen hohen Einsatz verlangt. 174 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 2, aaO., 234; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 193. 175 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 2, aaO., 235. 176 SCHRAGE, EKK VII/ 2, aaO., 365; vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 2, aaO., 234: Paulus will alle zu „ siegesentschlossener Anstrengung “ anspornen. DAUTZENBERG, Art. avgw,n ktl, aaO., 61: Das Fehlen des Wettbewerbs-Motivs ist auch in der Wettkampf-Metaphorik der Diatribe charakterisitisch. 177 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 2, aaO., 234. 320 6 Die Beziehungen des Kommunikators Das brabei/ on fällt einem nicht in den Schoß. “ 178 Für den Verkündiger Paulus ist die „ Enthaltsamkeit “ auch eine Sache der persönlichen Glaubwürdigkeit, wie der Nachsatz von V.27 zeigt: Sein Verhalten und seine Anstrengung müssen seiner Predigt korrespondieren, also dem Evangelium konform sein. 179 Auch in 1Kor 9 wird das Ziel christlicher Existenz durch brabei/ on umschrieben. Jedoch wird in V.25 dieser Preis ausdrücklich als Siegeskranz (ste,fanoj) bezeichnet. Er ist eine sehr häufige Erscheinung in der antiken Welt im öffentlichen wie im privaten Bereich. 180 Prominenteste Beispiele sind der hier zurgrundeliegende olympische Lorbeer und der Siegeskranz des römischen Triumphators. 181 Entsprach in Phil 3 dem Siegpreis die Auferstehung, so ist auch in 1Kor 9 der Siegeskranz von V. 23 her in sachlich analoger Weise zu verstehen: Wenn Paulus Anteil am Evangelium gewinnen will, so doch an dessen Auswirkung auf seine eschatologisches Heil. 182 Von diesem Zusammenhang her hält ste,fanoj noch einen weiteren, interessanten Aspekt bei Paulus bereit: In 1Thess 2,19 und Phil 4,1 bezeichnet Paulus die jeweilige Gemeinde als seinen „ Siegeskranz “ . An beiden Stellen steht der Begriff neben der „ Freude “ (cara, ), die die Gemeinde für Paulus ist. Doch muss diese Freude mehr als bloße gegenwärtige Emotion sein. 1Thess 2,19 nennt die Thessalonicher sogar noch „ Hoffnung “ (evlpi,j) des Apostels und der Siegeskranz wird verstärkt zum Kranz, dessen Paulus sich rühmen kann (ste,fanoj kauch,sewj). Kauca,omai ist ein Konzept, das Paulus der Septuaginta entnimmt und dessen vertrauensvolles Moment er von dort übernimmt: „ Im Rühmen bekundet der Mensch, worauf er sich im Leben stützt und verläßt, worauf er seine Existenz baut “ . 183 Das können trügerische Mächte wie das eigene Selbst (1Kor 1,29), andere Menschen (1Kor 3,21; Gal 6,13) oder auch das Gesetz sein (Röm 2,17), oder eben Christus (1Kor 1,31; Gal 6,13; Phil 3,3), in welchem man sich für das Heil, für die damit verbundene Hoffnung oder für sogar die daraus resultierenden Bedrängnisse rühmen kann (Röm 5,2.3.11). 184 Wenn Paulus sich der Gemeinde rühmt, dann natürlich „ in Christus “ , d. h. aufgrund des Werkes, das Christus in ihm durch die Verkündigung des Evangeliums an ihr verrichtet hat (2Kor 10,8; 178 SCHRAGE, EKK VII/ 2, aaO., 367. 179 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 2, aaO., 371 f: „ Das Laufen des Apostels, das dem Lauf des Evangeliums durch die Welt folgt, muß mit diesem Evangelium Schritt halten und ihm adäquat bleiben, wenn er im Gericht bestehen und nicht avdo,kimoj erfunden werden will “ (372). 180 Vgl. KRAFT, H., Art. ste,fanoj ktl, EWNT III, 654 - 656; 654. 181 Vgl. KRAFT, Art. ste,fanoj ktl, aaO., 655. 182 Vgl. STENGER, Art. brabei/ on ktl, aaO., 543 f. 183 ZMIJEWSKI, J., Art. kauca,omai ktl, EWNT II, 680 - 690; 686. 184 Vgl. ZMIJEWSKI, Art. kauca,omai ktl, 686 f. 6.1 Rollengestaltung und Beziehung zu den Rezipienten 321 1Kor 9,16). 185 Das „ Rühmen “ ist für Paulus ein Begriff, der eng mit dem Ansehen gegenüber anderen Menschen in Verbindung steht: Was man rühmt, das wird geachtet, anerkannt, gelobt (Gal 6,3 f; 2Kor 5,12). Daran ist für Paulus grundsätzlich nichts Verwerfliches. Auch er kann die Korinther vor Titus oder den Mazedoniern wegen ihrer Spendenbereitschaft rühmen (2Kor 7,14; 9,2). In diesem Sinn kann auch die Gemeinde der „ Ruhm “ des Apostels und umgekehrt sein (2Kor 1,1; 5,12), ja es ist sogar von Vorteil, wenn es der Ausbreitung des Evangeliums dient, und also ein Rühmen „ im Herrn “ ist (2Kor 10,13-17). Zum Problem wird das Rühmen, wenn es aus liebloser Selbstherrlichkeit (1Kor 13,3) oder aus dem Vertrauen auf die falschen Dinge hinsichtlich des Heils (siehe oben) geschieht. 186 Daneben gibt es aber noch ein sozusagen „ eschatologisches “ Rühmen des Apostels über seine Gemeinden, wie sich in 1Thess 2,19 andeutet. Explizit nennt Paulus seine Rezipienten in 1Kor 15,31 seinen „ Ruhm “ (kau,chsij) und in Phil 2,16 ist die Tadellosigkeit der Gemeinde Grund zum Ruhm am Tag Christi (h`me,ra Cristou/ ) und Beleg, dass er nicht vergeblich gearbeitet hat und gelaufen ist. Nun kann dieses Rühmen einfacher Ausdruck der Freude und des Dankes über die Rettung der Rezipienten sein, wie ja auch die Korinther sich freuen und Gott danken sollen, dass Paulus ihnen das Evangelium und damit das Heil gebracht hat (2Kor 1,11.14; 5,12). 187 Andererseits ergeben 1Thess 2,19, Phil 2,16 und 4,1 zusammengenommen mindestens das Bild von der Gemeinde als eine den Apostel „ ehrende Auszeichnung “ im eschatologischen Gericht. 188 Dahinter scheint die Vorstellung zu stehen, dass der Apostel individuell am Erfolg seiner Arbeit von Gott gemessen wird. Er steht ja als „ Mitarbeiter “ zwischen Gott und den Menschen, denen er das Evangelium verkündigt und „ muss sein Werk gegenüber seinem Auftraggeber verantworten. “ 189 Paulus erwartet im Gericht nicht nur, als Person gerettet zu werden, sondern auch für 185 Vgl. ZMIJEWSKI, Art. kauca,omai ktl, 688; BULTMANN, R., Art. kauca,omai ktl, ThWNT 3, 646 - 654; 651. 186 Vgl. BULTMANN, Art. kauca,omai ktl, aaO., 649 - 651. 187 Vgl. BULTMANN, Art. kauca,omai ktl, aaO., 651. 188 KRAFT, Art. ste,fanoj ktl, aaO., 655. Zum kulturanthropologischen Hintergrund von Ehre und Schande in neutestamentlicher Zeit vgl. MALINA, B. J., Die Welt des Neuen Testamentes. Kulturanthropo-logische Einsichten, Stuttgart/ Berlin/ Köln 1993, bes. 40 - 87. Malina definiert „ Ehre “ als grundlegend soziales Phänomen. Sie markiert den „ Platz, den ein Mensch in der Gesellschaft einnimmt “ , die Position in der „ sozialen Hierarchie “ und beruht auf „ Anerkennung durch andere “ . Ihre soziale Funktion besteht in der „ Interaktion “ , und zwar „ in Übereinstimmung mit den festgelegten kulturellen Leitfäden einer Gesellschaft (63). Die enorme Bedeutung von Ehre in der mediteranen Gesellschaft des 1. Jahrhunderts ergibt sich aus ihrer Verknüpfung mit Status und sozialer Identität, denn sie berechtigt „ zu einer Gegenleistung in Form einer bestimmten sozialen Behandlung “ - vergleichbar der heutigen „ Kreditwürdigkeit “ (43). 189 GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 84. 322 6 Die Beziehungen des Kommunikators sein Lebenswerk - die von ihm gegründeten Gemeinden - Lohn und Lob zu erhalten. c) Zusammenfassung So sehr Paulus sich also in der Wettkampf-Metapher, dem gemeinsamen Streben nach Heil in Christus und dem gemeinsamen Ziel der Auferstehung und der Errettung im Gericht mit seinen Rezipienten solidarisiert und auf Augenhöhe begibt, sieht er sich auch hier wieder in einer Sonderrolle. Wie er als Bruder Gemeinschaft mit der Gemeinde hat und doch als Apostel ihr gegenüber vor Gott steht, so steht er auch eschatologisch gesondert vor Gott und wird in gewisser Hinsicht besonders beurteilt. Das heißt nicht, dass Paulus für sich eine Sonderbehandlung mit Vorzügen reklamiert, die anderen, „ einfachen “ Christen vorenthalten bleibt. Aber er rechnet doch mit Anerkennung und Lob seines Herrn für den aufopferungsvollen, erniedrigenden und kräftezehrenden Dienst, den er versucht, so treu wie möglich zu erfüllen. Dem Kommunikationsmodell folgend müsste nun eigentlich auch das Bild der Rezipienten von Paulus näher beleuchtet werden, soweit es sich in den paulinischen Briefen Gehör verschafft. Jedoch würde ich damit einen Schritt weg von der paulinischen Konzeption hin zu einer historischen Bestandsaufnahme des Kommunikationsprozesses gehen. Das Bild, das die Gemeinden von Paulus haben, soll ja gerade der in seiner Konzeption entworfenen Wahrnehmung als Apostel entsprechen. Wo sie das nicht tut - ein in den Briefen häufig belegter Umstand - versucht Paulus korrigierend tätig zu werden und die Realität seiner Konzeption anzugleichen. Daher verzichte ich an dieser Stelle auf eine Darstellung der Gegenseite. 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 6.2.1 Differenzierungen Paulus ist nicht der einzige Kommunikator des Evangeliums. 190 Er berichtet selbst immer wieder in unterschiedlichen Zusammenhängen von zahlreichen anderen Missionaren, die beanspruchen, das Evangelium bzw. eine dem 190 Literatur zu den Mitarbeitern des Paulus: BERTRAM, G., Art. sunergo,j ktl, ThWNT 7, 869 - 875; ELLIS, E. E., Paul and his Co-Workers, in: NTS 17 (1971), 437 - 452; VON LIPS, H., Timotheus und Titus. Unterwegs für Paulus, Leipzig 2008; ÖHLER, M., Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 243 - 256; OLLROG, W.- H., Paulus und seine Mitarbeiter. Untersuchungen zu Theorie und Praxis der paulinischen Mission, WMANT 50, Neukirchen-Vluyn 1979; DERS., Art. sunergo,j ktl, aaO. Vgl. auch die alte, aber umfassende Monographie von SCHILLE, G., Die urchristliche Kollegialmission, 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 323 Evangelium entsprechende Botschaft zu verkündigen, und die als Personen „ visible and distinguishable from the congregation “ sind. 191 Innerhalb dieser Gruppe fällt es jedoch zunehmend schwer zu differenzieren. Am leichtesten ist es noch, die (namenlose) Gruppe der „ Gegner “ zu umreißen, deren Verkündigung Paulus nicht nur ablehnt, sondern in seinen Gemeinden aktiv bekämpft (vgl. 2Kor 3,1; 11,4.22; Phil 1,28; 3,2; Gal 1,7; 3,1). 192 Die Gruppe der „ Mitarbeiter “ aus der Menge der „ unabhängigen “ , aber mit Paulus in Sachen des Evangeliums zusammenarbeitenden Missionare zu identifizieren, ist dagegen bedeutend schwieriger. Was unterscheidet den Mitarbeiter vom koexistierenden Mitmissionar? Zunächst könnte man einfach den paulinischen Sprachgebrauch heranziehen: Wen Paulus seinen sunergo,j nennt, der ist sein Mitarbeiter. 193 Doch ist hier insofern Vorsicht geboten, als heutige Begriffsintention und paulinisches Verständnis eines „ Mitarbeiters “ nicht identisch sein müssen. Auch ist das paulinische Vokabular in dieser Hinsicht vielfältiger. Ein mögliches Kriterium könnte auch die konkrete, gemeinsame Arbeit als Konstitutivum der Mitarbeiterschaft sein: Mit wem Paulus nicht (vor Ort) kooperiert, der ist nicht sein Mitarbeiter. 194 Eine dritte Variante könnte die Unterscheidung an der Herkunft des Missionars vornehmen: Wer von Paulus missioniert wird, aus seiner Gemeinden stammt und womöglich noch von ihm in eine Art „ Lehrer- AThANT 48, Zürich/ Stuttgart 1967. Literatur zu den „ Gegnern “ der paulinischen Mission: DUNDERBERG, I./ TUCKETT, C./ SYREENI, K. (Hgg.), Fair Play: Diversity and Conflicts in Early Christianity, NT.S 103, Leiden/ Boston/ Köln 2002; PORTER, S. E. (Hg.), Paul and his Opponents, Pauline Studies 2, Leiden 2005; PRATSCHER, W., Gegner der paulinischen Mission, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 257 - 266; SUMNEY, J. L., „ Servants of Satan “ , „ False Brothers “ and Other Opponents of Paul, JSNT.S 188, Sheffield 1999; WISCH- MEYER, O./ SCORNAIENCHI, L., Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte, BZNW 170, Berlin/ New York 2011. 191 ELLIS, Paul and his Co-Workers, aaO., 444; Interessant wäre, ob andere Missionare ihre Verkündigung vom Heilsgeschehen in Christus ebenfalls als „ Evangelium “ bezeichneten oder ein in Ansätzen mit Paulus vergleichbares Verständnis dieser Botschaft gehabt haben. Die einzigen Anhaltspunkte in den paulinischen Briefen (1Kor 9,14; 2Kor 11,4; Gal 1,6 f; 2,7) geben nicht wirklich Aufschluss, da hier immer Paulus über die Botschaft der anderen spricht und das wahrscheinlich in seiner Terminologie tut. Mindestens dürften die von Paulus beeinflussten Missionare ( „ Mitarbeiter “ ) ein ähnliches Verständnis und eine vergleichbare Terminologie gehabt haben (vgl. „ Deuteropaulinen “ ). 192 Vgl. PRATSCHER, Gegner der paulinischen Mission, aaO., 257. Die Unterscheidung Pratschers „ zwischen Leuten, die Paulus ’ Autorität infrage stellen [. . .] und Leuten, die eine von Paulus (mehr oder minder) abweichende Position vertreten, ohne sich ausgesprochen antipaulinisch zu verstehen “ halte ich für nicht zielführend. Das eine dürfte immer mit dem anderen einhergegangen sein. Und selbst wenn das nicht der Fall gewesen sein sollte, so demonstriert Paulus in Gal 1,11ff eindrücklich, wie er sachliche Fragen in Konfliktsituation personalisieren kann. 193 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 63 ff. 194 So OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 1. 324 6 Die Beziehungen des Kommunikators Schüler-Verhältnis “ berufen worden ist, der ist sein Mitarbeiter. 195 Schließlich könnte der Grad an Unabhängigkeit entscheidend sein. Damit ist im Wesentlichen die Reichweite und besonders die Grenze von Autorität, Einfluss oder sogar „ Weisungsbefugnis “ des Paulus in sachlicher, organisatorischer oder sonstiger Hinsicht bezeichnet. 196 Für welche dieser Optionen die paulinischen Briefe überhaupt Informationen bereithalten und in welcher Hinsicht sie zutreffen könnten, wird erst die weitere Analyse zeigen. Auch ist zu erwarten, dass eine Abgrenzung oder Zuordnung im konkreten Fall immer ein Abwägen einzelner Faktoren erfordert und allgemeine Aussagen darum nur ein begrenztes Maß an Verbindlichkeit beanspruchen können. Vorläufig jedoch soll die getroffene Unterscheidung bei der Gliederung dieses Kapitel helfen. Ich werde zunächst das Spezifikum der Mitarbeiter des Paulus erarbeiten (7.2.2) und deren Beziehung zu ihm und seinem Missionswerk, also seiner Evangeliums-Kommunikation darstellen (7.2.2). Anschließend wird das Verhältnis zu den von ihm unabhängigen Missionaren in positiver wie negativer Hinsicht analysiert (7.2.3). Beiden Personenkreisen kann ich jeweils nur in groben Zügen und anhand von exemplarischen Beispielen gerecht werden. Ziel dieses Kapitel ist es, einerseits mehr über die Perspektive des Paulus auf die Kommunikatoren des Evangeliums und ihre Arbeit zu erfahren. Andererseits will ich jede Teilgruppe seiner Mitkommunikatoren als Faktor wahrnehmen, der ihn in seiner Arbeit nachhaltig beeinflusst und darauf auch wiederum Rückschlüsse ermöglicht. 6.2.2 Die Mitarbeiter des Paulus a) Titel und Bezeichnungen Paulus benutzt sunergo,j bzw. sunerge,w 14 mal in seinen Briefen, davon zehn mal in Bezug auf andere Personen, drei mal schließt er sich selbst mit ein (1Kor 3,9; 2Kor 1,24; 6,1). 197 Es scheint ein „ übergreifenderAusdruck “ zu sein, der nicht „ auf eine bestimmte Mitarbeitergruppe eingegrenzt ist. Mit diesem Wort beschreibt er einen alle Mitarbeiter miteinander verbindenden Sachverhalt “ . 198 Der paulinische Sprachgebrauch ist eigentümlich und sonst nicht bezeugt 199 : „ Das 195 Vgl. VON HARNACK, A., Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Bd. 1 Die Mission in Wort und Tat, Leipzig 1924 4 , 85 f. 196 Vgl. ELLIS, Paul and his Co-Workers, aaO., 439. 197 Röm 8,28 bietet einen anderen Gebrauch des Verbs und sei deswegen an dieser Stelle unberücksichtigt. 198 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 63. 199 In der Septuaginta kommt der Begriff kaum vor. Ein hebräisches Äquivalent fehlt; vgl. BERTRAM, Art. sunergo,j ktl, aaO., 65; bes. Anm. 14. Auch im sonstigen neutestament- 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 325 signifikante Unterscheidungsmerkmal besteht darin, daß Verb und Substantiv als Gattungsbezeichnungen grundsätzlich auf Personen - und zwar auf solche, mit denen Paulus in der Missionsarbeit wirkte - bezogen sind, also titular gebraucht werden “ . 200 Ist die Titulierung anderer Missionare vor allem als „ ehrende Bezeichnung “ , also als soziologische Kategorie zu verstehen, so macht Paulus andererseits, wenn er sich selbst miteinschließt, eine theologische Aussage: „ Paulus und die anderen stehen in demselben Dienst, sie alle sind Gehilfen und Handlanger Gottes “ , eben „ Gottes Mitarbeiter “ (1Kor 3,9). 201 Die Basis ihrer Zusammenarbeit ist, dass Gott durch sie handelt 202 : „ sunergo,j ist, wer mit Paulus zusammen als Beauftragter Gottes am gemeinsamen ,Werk ‘ der Missionsverkündigung arbeitet. “ 203 Der Zusatz „ in Christus “ in Röm 16,3.9 markiert den Gegenstand dieser gemeinsamen Arbeit. Es geht um die Mitarbeit am Evangelium Christi (vgl. 1Kor 4,15). 204 Christus ist das Fundament der Gemeinde, das die Missionare gemeinsam legen bzw. worauf sie bauen (1Kor 3,11) 205 . Der Mitarbeiter-Begriff des Paulus ist also nach drei Seiten hin orientiert: Gott ist der gemeinsame Auftraggeber, ihm sind alle Mitarbeiter unterstellt. 206 Auch der Auftrag selbst ist gemeinsam: Es ist die Mitarbeit am Heilswerk Gottes, die gemeinsame Arbeit, die alle Beteiligten verbindet und prinzipiell gleichstellt. 207 Schließlich ist der Inhalt des Auftrages, das Evangelium in Christus, eine weitere verbindende Komponente. 208 Mit W.-H. Ollrog können wir zusammenfassen: Der Mitarbeiter-Begriff bei Paulus „ definiert sich von der gemeinsamen Arbeit her, vom e; rgon; nicht vom Teamgedanken, vom Zusammensein in der Arbeit, lichen Schrifttum fehlt der spezifisch paulinische Gebrauch und er scheint auch in der nachbiblischen christlichen Literatur kaum Eindruck hinterlassen zu haben; vgl. OLL- ROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 66 f. 200 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 66. 201 BERTRAM, Art. sunergo,j ktl, aaO., 872. Siehe auch die Ausführungen zu Paulus als Mitarbeiter Gottes im letzten Kapitel (6.2.2). 202 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 166. 203 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 67; vgl. ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 244: Mitarbeiter meint „ denjenigen, der an Gottes Stelle arbeitet (vgl. 2Kor 5,20), von diesem aber in allem abhängig ist “ . Kritisch ist Öhler hingegen in Bezug auf das Arbeitsfeld: „ Allerdings kann man aus der Verwendung von sunergo,j (Mitarbeiter) nicht schließen, dass damit stets die Verkündigung verbunden gewesen sei “ (254). 204 Vgl. BERTRAM, Art. sunergo,j ktl, aaO., 872. 205 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 167; 174. 206 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 68 f. 207 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 69 - 71. 208 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 72: sunergo,j als „ sachlicher Titel “ . 326 6 Die Beziehungen des Kommunikators dem sun-Sein. “ 209 Diesen äußeren Aspekt der Zusammenarbeit artikuliert Paulus in seinen Briefen durch Formulierungen in der 1. Person Plural. 210 Wenn Paulus also andere Missionare seine „ Mitarbeiter “ nennt, stellt er in besonderer Weise die sachliche und praktische Übereinstimmung sowie ihre mit ihm gleichwertige Stellung vor Gott und der Gemeinde als Verkündiger des Evangeliums heraus und stärkt deren Autorität. 211 Diese Intention lässt sich grundsätzlich auch anderen mitarbeiterbezogenen Titeln entnehmen. Mit W.-H.Ollrog lassen sie sich kategorisieren in Bezeichnungen, welche Tätigkeit (z. B. dia,konoj, sustratiw,thj), Indienstnahme und Veranwortlichkeit vor Gott (z. B. dou/ loj, leitourgo,j, oivkono,moj) oder auch die Beziehung zu Paulus (z. B. koinwno,j, avdelfo,j, te,knon) gegenüber der Gemeinde akzentuieren. 212 Unter ihnen verdient vor allem ein Titel besondere Aufmerksamkeit, weil er sowohl hinsichtlich der Beziehung des Paulus zu seinen Mitarbeitern als auch hinsichtlich der Herkunft der so Bezeichneten aufschlussreich ist: avpo,stoloj. b) „ Apostel der Gemeinden “ Wir haben bereits angedeutet, dass Paulus nicht immer einen einheitlichen Gebrauch des Wortes avpo,stoloj an den Tag legt. 213 Für sich selbst definiert er sein Apostolat vor allem von seinem Damaskuserlebnis her als „ Erscheinungsapostolat “ , von der er die Wahrheit seines Evangeliums und die Zielrichtung seines Auftrages (Gemeindegründung unter den Völkern) ableitet. Daneben lassen sich bei Paulus aber noch mindestens zwei weitere Apostolats-Verständnisse unterscheiden: 1Kor 15,7.9 und Gal 1,19 (vielleicht auch 1Kor 9,5) lassen einen zahlenmäßig begrenzten, mit Christophanien und Jerusalem in Verbindung stehenden Kreis erkennen, dem sich Paulus - mit Abstrichen (1Kor 209 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 67. 210 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 67; BECKER, Die Person des Paulus, aaO., 136; siehe Kap. 6.2.2 c. 211 Vgl. BERTRAM, Art. sunergo,j ktl, aaO., 872 f; ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 244: Mit dem Mitarbeiterstatus ist „ ein gewisser Autoritätsanspruch verbunden (2Kor 6,1): Mitarbeitenden und sich Mühenden soll man sich unterordnen (1Kor 16,16) “ . Andererseits bewertet Öhler die Kennzeichnung der Zugehörigkeit zu Paulus (mou) als Unterordnung: „ Diese Zuordnung macht doch sehr wahrscheinlich, dass Paulus sein Verhältnis als hierarchisches verstand “ . 212 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 73 - 76; vgl. ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 244 - 246: Öhler ergänzt diese Kategorisierung noch um Bezeichnungen, die auf gemeinsames Leiden (um der Evangeliumsverkündigung willen) und materielle Unterstützung verweisen (245 f ). Ob erstere wirklich einer eigenen Einordnung bedürfen und zweitere wirklich die Bezeichnung „ Mitarbeiter “ verdienen, bleibt für mich allerdings fraglich. 213 Siehe dazu und auch zum Folgenden Kap. 6.1.3. 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 327 15,9! ) - zurechnet. 214 Von dieser exklusiven und scheinbar in besonderer Weise anerkannten Gruppe sind jedoch die in 2Kor 8,23 f und Phil 2,25 erwähnten avpo,stoloi evkklhsiw/ n klar zu unterscheiden. 215 Es handelt sich offenbar um „ Gemeindegesandte “ , die „ aus den paulinischen Gemeinden stammten und eine Zeitlang in Vertretung für ihre Gemeinden in der Missionsarbeit mitarbeiteten “ 216 : 2Kor 8,24 fordert die Korinther auf, sich ihnen und damit ihren Gemeinden gegenüber korrekt zu verhalten, dem Rühmen des Paulus zu entsprechen und ihre Liebe zu beweisen. Phil 2,25 nennt Epaphroditos nicht nur einen Mitarbeiter des Paulus, sondern auch einen Apostel der Philipper (u`mw/ n de. avpo,stolon). W.-H.Ollrog hält die Gemeindegesandten für das „ eigentliche Schwergewicht “ und das „ Charakteristikum der paulinischen Missionsarbeit “ . 217 Sie werden scheinbar selbstverständlich und offziell (Titel! ) von den jungen paulinischen Gemeinden gesandt und sind in erster Linie deren Repräsentanten vor Paulus und in dessen missionarischer Arbeit 218 : „ Die Gemeinden wurden durch ihre Delegierten in der Missionsarbeit des Paulus vertreten und dokumentierten damit ihre Mitverantwortung und Teilhabe am paulinischen Missionswerk. “ 219 Mission erscheint durch sie als Funktion der Gemeinden, die „ selber durch einzelne ihrer Glieder aktiv an diesem Missionsauftrag teilhaben und selber zusammen mit dem Apostel wie er missionarisch wirken “ . 220 Dieser Befund deckt sich mit der Beobachtung, dass Paulus von 214 E. E.Ellis vermutet: „ [E]ach apostle carried out his own commission in relative independence and developed his own group of co-workers “ ; ELLIS, Paul and his Co-Workers, aaO., 445. 215 Vgl. auch 2Kor 8,19: Von den Gemeinden gewählte Reisegefährten (ceirotonhqei.j u`po. tw/ n evkklhsiw/ n sune,kdhmoj). 216 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 108; vgl. bes. 79 - 84; vgl. ELLIS, Paul and his Co-Workers, aaO., 451: „ It is most likely that in founding a church, no less than in undertaking a missionary journey, Paul appointed co-workers, local converts who participated in the local mission and continued it after the Apostle moved on “ . ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 254. 217 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 108. Mit den übrigen Mitarbeitern „ traf er nur mehr oder weniger zufällig zusammen “ (95). 218 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 119 f. 219 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 121; vgl. ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 256. 220 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 121; Phlm 14 könnte auf ein von Paulus einforderbares apostolisches Recht zur Entsendung von Mitarbeitern hindeuten (122). Vgl. ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 254: Öhler vermutet, dass die Weiterverbreitung des Evangeliums (z. B. im Umland) „ in der Verantwortung der Gemeinde “ und „ nicht auf Anordnung des Paulus “ geschieht: „ Eine gezielte Sendung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zur Gründung von Gemeinden lässt sich nicht belegen “ . Sie lässt sich jedoch auch nicht ausschließen und entspricht der mit der Zentrumsmission verbundenen Intention des Paulus. 328 6 Die Beziehungen des Kommunikators seinen Gemeinden „ empfehlendes Verhalten “ einfordert, um dadurch an der „ Errettung vieler “ mitzuwirken 221 : „ Durch den normalen Kontakt mit der heidnischen Umwelt, durch die mannigfachen Berührungen des täglichen Lebens und die grundsätzliche Offenheit gegenüber den Nichtchristen entstand also eine gewissermaßen natürliche missionarische Wirkung “ (vgl. auch die Teilnahme von Nichtchristen am Gottesdienst in 1Kor 14,23). 222 Dieses missionarische Selbstverständnis könnte auch in den Gemeindegesandten Ausdruck gefunden haben. Wer von den uns bekannten Mitarbeitern des Paulus in diesem Sinn „ Gemeindeapostel “ ist, können wir mit Ausnahme des Epaphroditos nicht sicher sagen. 223 Im Gegenteil scheint Paulus zwischen den Erscheinungsaposteln und den Gemeindeaposteln nicht zu deutlich zu differenzieren (1Kor 4,9; 9,5; 12,28; 2Kor 12,12). Das deutet eine Gleichstellung an, sowohl in sachlicher wie in autoritativer Hinsicht. Dass das grundsätzlich für alle Mitarbeiter gelten müsste, haben wir bereits aus der Verwendung von sunergo,j bei Paulus geschlossen. Es ist daher an der Zeit, das Rollenverhalten des Paulus gegenüber seinen Mitarbeitern auf diese These hin zu überprüfen. c) Die Beziehung des Paulus zu seinen Mitarbeitern „ Zwischen ihm und seinen Mitarbeitern war ein großer Abstand “ urteilt A. von Harnack über die autoritative Stellung des Paulus. 224 Und in der Tat wird in der Beziehung zwischen Paulus und den mit ihm Zusammenarbeitenden gelegentlich ein Gefälle sichtbar, dass dieses Urteil zu bestätigen scheint. Paulus ist in der Position, ihnen Aufträge zu erteilen: Er kann sie senden (pe,mpw), um ihn in der Arbeit am Evangelium zu verteten (z. B. 1Kor 4,17; 1Thess 3,2), um Nachricht aus der Gemeinde zu erhalten (1Thess 3,5 f) oder über seine eigene Lage zu informieren (Phil 2,23) und um die Sammlung und Überbringung der Kollekte für Jerusalem zu übernehmen (1Kor 16,3; 2Kor 9,5). 225 Dieses Privileg steht Paulus allerdings nicht bei jedem Kollegen offen. So bittet er Apollos vergeblich, nach Korinth zu kommen (1Kor 16,12). In Phil 4,2 f hat Paulus die Autorität, seine (ehemaligen) Mitarbeiterinnen Evodia und Syntyche zur Einigkeit zu ermahnen. Und nicht nur Timotheus wird von Paulus in 1Kor 4,17 und Phil 2,22 als sein 221 Vgl. Kap. 7.1.3 und 7.1.5. 222 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 130. 223 Junia und Anronikos (Röm 16,7) sind vielleicht eher den Erscheinungszeugen zuzurechnen, was Paulus mit ihrer jüdischen Herkunft und iher „ Auszeichnung “ andeuten könnte. Phöbe (Röm 16,1) könnte als dia,konoj eine Gemeindegesandte aus Kenchreä sein. 224 VON HARNACK, Die Mission und Ausbreitung des Christentums, Bd. 1, aaO., 84. 225 Zu den Funktionen der Mitarbeiter vgl. ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 254 f. 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 329 te,knon bezeichnet, sondern auch Onesimos (Phlm 10). Dieser Begriff assoziert nicht nur die bereits bekannte Vaterrolle des Paulus, sondern erweckt auch den Eindruck eines Beziehungsgefälles, das wohl am ehesten mit einem Lehrer- Schüler-Verhältnis zu vergleichen ist. Es ist durchaus legitim, Paulus eine vorgeordnete Stellung gegenüber einigen seiner Mitmissionaren einzuräumen. Die Reichweite seines Einflusses darf darum auch als am besten zutreffendstes Kriterium der Abgrenzung seiner Mitarbeiter von anderen Missionarskollegen gelten: Appollos gehört wohl nicht dazu. Worin ist die Autorität des Paulus gegenüber seinen Mitarbeitern begründet? Die naheliegenste Antwort ist sein Apostolat. Wie er gegenüber den Rezipienten Autorität als Gemeindegründer, Erscheinungszeuge und mit dem Evangelium beauftragter Apostel hat, beansprucht er auch Anerkennung gegenüber seinen Mitarbeitern. Sein Expertenstatus in Sachen des Evangeliums und seiner Verkündigung verschaffen ihm einen Vorsprung bei der Missionsarbeit: „ Die Überlegung, ob er selbst vielleicht die Basis der Christusverkündigung verlassen könnte, kommt bei ihm nie auf “ . 226 Seine Autorität speist sich also aus der Sache des Evangeliums und aus der Art, wie sie mit seiner Person verbunden ist: „ Paulus hat die Besonderheit seiner Stellung niemandem gegenüber aufgegeben “ . 227 Das bedeutet aber zugleich auch, dass er jenseits der Sache, d. h. von Inhalt und Umsetzung der Verkündigung, keine Autorität beansprucht. Das manifestiert sich in der anderen Seite der Beziehung zwischen Paulus und seinen Mitarbeitern, die von Vertrauen, Partnerschaftlichkeit und Wertschätzung geprägt ist. So ist das Senden bzw. Beauftragen von Mitarbeitern nicht nur ein Zeichen von Autorität, sondern vor allem auch von großem Vertrauen des Paulus in den jeweiligen Gesandten: Timotheus soll die Korinther an die „ Wege des Paulus “ , die er in jeder Gemeinde lehrt erinnern (1Kor 4,17). Paulus stellt ihm eine Empfehlung aus, die ihn geradezu als seinen Stellvertreter stilisiert (16,10 f). 228 Ähnliches gilt für Titus, dem er attestiert, im Grunde aus eigenem Antrieb nach Korinth zu reisen (2Kor 8,17), und für den er die Korinther zum Beweis ihrer Liebe (zu Paulus? ) und zur Berechtigung seines Rühmens über sie auffordert (8,24). Paulus ist sich sicher, „ in demselben Geist “ und „ in den gleichen Fußspuren “ mit Titus zu wandeln (12,18). Paulus traut diesen Mitarbeitern zu, dass sie ihn vollmächtig verteten. In dieses Vertrauen mischt sich allerdings immer wieder die Sorge um deren Anerkennung von Seiten der Gemeinde. Wiederholt (z. B. 1Thess 5,12 f) mahnt Paulus, sie um ihrer Arbeit willen zu achten. Das erhellt die Dreiecksbeziehung zwischen Paulus, seinen Mitarbeitern 226 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 178. 227 BERTRAM, Art. sunergo,j ktl, aaO., 872. 228 Vgl. ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 254 f. 330 6 Die Beziehungen des Kommunikators und den Rezipienten. Offenbar hat Paulus die Erfahrung gemacht, dass die Autorität seiner Mitarbeiter von den Gemeinden (noch) weniger akzeptiert wird als die eigene und versucht sich mit den Ermahnungen schützend vor sie zu stellen. Das setzt einerseits Mitarbeiter und Paulus ins Gegenüber zur Gemeinde (im Ringen um Anerkennung), andererseits artikuliert sich ein „ väterliches “ Selbstverständnis des Paulus, das ihm natürlich einen gewissen „ Mehrwert “ an Autorität sichert. Gegenüber den Rezipienten sind Paulus und seine Mitarbeiter „ Gleiche unter Gleichen “ (vgl. 2Kor 1,19). 229 Intern ist Paulus jedoch aus Respekt vor seinem Apostolat in sachlichen Fragen und darüber hinaus die „ väterliche “ Anerkennung sicher. 230 Dieses Wechselspiel von Gleich- und Überordnung lässt sich auch am konkreten Verhalten des Paulus seinen Mitarbeitern gegenüber beobachten. Als Vater nennt Paulus seine Mitarbeiter avgaphto,j, und erweist dadurch seine Zuneigung zu ihnen. Er nimmt entsprechend liebevoll auf ihre persönlichen Befindlichkeiten Rücksicht: Epaphroditos wird von Paulus vor allem deshalb nach Philippi geschickt, weil er es nach Genesung seiner lebensbedrohlichen Krankheit wünscht und auch die Gemeinde Beruhigung in der Angelegenheit bedarf (Phil 2,25-30). Paulus beauftragt nicht in Form eines Befehls, sondern durch „ bittendes Zureden “ (parakale,w, 2Kor 12,18; Phlm 9 f; vgl.1Kor 16,12). Darin drückt sich Respekt und Anerkennung aus, die er gegenüber seinen „ Brüdern “ hat (2Kor 2,13; 8,23; Phil 2,25; 1Thess 3,2; vgl. auch koinwno,j, 2Kor 8,23; Phlm 17) 231 : „ Was die Gemeinden [. . .] erfahren sollen, ist, ob und wie sich ihre Leute in der Arbeit bei Paulus bewährt haben bzw. welche wichtigen Funktionen die Mitarbeiter für sie ausfüllen. Im Mittelpunkt des Lobes steht deshalb durchgängig der Hinweis auf die ,Arbeit am Evangelium ‘“ . 232 Er beteiligt sie an derAbfassung seiner Briefe und lässt sie vielleicht sogar theologisch daran mitwirken. 233 Er erkennt ihre Leistung und Aufopferung an und ist dankbar für 229 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 189. Das Anerkennen der verschiedenen Missionare als Einheit aufgrund des gemeinsamen Gegenstandes ihrer Arbeit (= Christus) wird von Paulus auch in der Gruppenproblematik in 1Kor erwartet (vgl. 1,13; 3,5). 230 Zumal wenn diese Mitarbeiter als „ Gemeindegesandte “ größtenteils aus paulinischen Gemeinden stammen und Paulus tatsächlich ihr „ Vater im Glauben “ im Rahmen der Erstverkündigung geworden ist; So kann Öhler die Motivation für die Mitarbeit auch „ zu einem Guten Teil “ auf die Person des Paulus selbst zurückführen; ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 256. 231 Zu avdelfo,j als Mitarbeiter-Titel vgl. ELLIS, Paul and his Co-Workers, aaO., 445 - 448; 451; „ a relatively limited group of workers, some of whom have the Christian mission and/ or ministry as their primary occupation “ (447). 232 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 192. 233 Vgl. die Angaben über Mitverfasser in den Präskripten der Paulusbriefe oder die Formulierung von Briefabschnitten in der 1. Pers. Pl. (z. B. Gal 1,8 f; 1Kor 2,6ff; 2Kor 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 331 ihre Unterstützung (Röm 16,4; Phil 2,20.22; 4,3). Ihre Arbeit an einem Ort scheinen sie mit einem hohen Maß an Selbständigkeit verrichten zu können. Zumindest lassen die sehr allgemeinen Anweisungen der Gemeindebriefe auf nichts anderes schließen. 234 Den Gemeinden gegenüber betont Paulus, dass die Mitarbeiter ihre Legitimierung nicht durch ihn, sondern aus ihrer Arbeit am Evangelium haben (1Thess 3,2; 1Kor 16,10 f; Phil 2,19-23; 2,25-30; 4,3; 2Kor 8,17- 24): 235 „ Er suchte sie nicht an sich zu binden, zu gehorsamen und willfährigen Ausführungsorganen seiner weltgeschichtlichen Initiativen zu degradieren [. . .] Nicht er ist der Angelpunkt seines Mitarbeiterkreises, der ihn zusammenhält, sondern das von ihm wie von ihnen [. . .] verkündigte Evangelium, die Arbeit am gleichen Werk “ . 236 Das Evangelium ist die wichtigste Größe und damit auch die maßgebliche Grenze der Zusammenarbeit. Wo Paulus Konflikte mit seinen Mitarbeitern oder Missionskollegen auszutragen hat, erweist er sich als erstaunlich diplomatisch und kompromissbereit (vgl. Phil 1,14-18; 1Kor 3,5) - solange er die Wahrheit des Evangeliums und damit das Heil seiner Rezipienten nicht bedroht sieht. Durch diese Ausrichtung an der Sache gelingt es Paulus, „ Konflikte zu entpersonalisieren [. . .], einen Streit, der der Verkündigung des Evangeliums nicht entgegenstand, geradezu zu übergehen “ (Phil 1,18) 237 : „ Wo man aber auf der gemeinsamen Basis des Evangeliums stand, behauptete Paulus keinerlei private Vorrechte oder persönliche Vormachtstellungen, vielmehr lag ihm alles daran, das Verhältnis zu seinen Mitarbeitern partnerschaftlich zu gestalten “ . 238 Allerdings ist auch eine gewisses (organisatorisch bedingtes? ) Selbstverständnis als „ Leiter seines Teams “ nicht von der Hand zu weisen. 239 EXKURS: Die inhaltliche Beteiligung der Mitarbeiter an der Evangeliumskonzeption Wie weit geht der inhaltliche Primat von Paulus in Sachen Evangelium? Immerhin sind seine Mitarbeiter nicht nur organisatorische, sondern beispielsweise auch bei der Abfassung seiner Briefkorrespondenz eingebunden: „ [D]ie Tatsache, dass Paulus mehrere Verfasser anführt, [ist] ein deutlicher Hinweis 6,1 ff). Zur inhaltlichen Beteiligung an der theologischen Arbeit des Paulus, insbesondere an der Evangeliumskonzeption siehe den nachfolgenden Exkurs. 234 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 182 f. 235 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 183, Anm. 101. 236 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 201 f. 237 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 202. 238 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 201. 239 ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 256. 332 6 Die Beziehungen des Kommunikators darauf, dass er die Briefe [. . .] an die Gemeinden im Kontext seines Teams verfasste und auch als Mitteilungen der Verkündigungsgemeinschaft verstanden wissen wollte “ . 240 Aber ist daraus wirkliche zu schließen, „ dass die paulinische Theologie im gemeinschaftlichen Kontext entstand, von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mitgestaltet wurde, v. a. mündlich, möglicherweise durch die Mitverfassung der Briefe auch schriftlich “ ? 241 Unbestreitbar ist, dass sich Paulus im Austausch mit seinen Mitarbeitern befunden haben muss und dass diese Gespräche auch sein theologisches Denken beeinflusst haben können. Solch ein indirekter Einfluss ist jedoch aus heutiger Sicht nicht mehr eruierbar, geschweige denn zu gewichten. Ob die zahlreichen Wir-Passagen der Briefe sowie die Aufzählung als Mitabsender ausreichen, den Mitarbeitern eine substantielle inhaltliche Mitgestaltung an den Schreiben zu unterstellen ist diskussionswürdig. Wie oft nimmt Paulus die „ Rückendeckung “ seiner Mitarbeiter als zusätzliche Autorität aus rhetorischen Gründen in Anspruch? Wann bezieht sich das „ wir “ gar nicht auf Mitarbeiter, sondern auf die Gemeinschaft aus Apostel, Gemeinde und letztlich alle Christusgläubigen? Sind die Mitabsender auf formalen Gründen (etwa als bei der Abfassung Anwesende oder organisatorisch als Schreiber beteiligte) oder gar aufgrund von „ Beziehungspflege “ zwischen den Mitarbeitern und der Gemeinde notiert? All das ließe nicht zwingend den Schluss einer inhaltlichen Beteiligung zu. Die These, dass Mitarbeiter die Briefe „ mitschrieben “ und damit auch an der daraus zu erhebenden Konzeption des Evangeliums aktiv mitwirkten erscheint mir gewagt. Denn aus den Briefen heraus kristallisiert sich nicht ein Bild von Paulus als (besonders hervorgehobener) Sprecher eines vielköpfigen, egalitären theologischen Kollektivs, sondern das eines situativ theologisch abwägenden, persönlich betroffenen Autors, der seine Gemeinden aus der Ferne anleiten möchte. Konkret bezogen auf die Evangeliumskonzeption lässt sich eine regelmäßige inhaltliche Einflussnahme durch Mitarbeiter wenig Wahrscheinlich machen. Denn die Begleiter des Paulus wechseln von Brief zu Brief, die Konzeption hat sich uns jedoch in ihrem Programm und ihrem Grundprogramm als stabil dargestellt. 242 Auch ist im Umkehrschluss gar nicht sicher, ob überhaupt alle Mitarbeiter seine Konzeption vollständig verstanden und in ihrer Breite vollumfänglich übernommen haben. Schon die deuteropaulinischen Briefe als 240 ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 256; vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 186 f; 203 - 233. 241 ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 256. 242 Vgl. dazu in Kap. 4 den EXKURS: Wandlungen und Widersprüche im paulinischen Denken. 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 333 beispielhafte Zeugen einer Rezeption durch Paulus nahestehende Schüler (Mitarbeiter? ) setzen ganz andere inhaltliche Akzente. 243 Freilich, dass einzelne, punktuelle Aspekte und Fragestellungen durch Anregungen von Mitarbeitern bereichert wurden, lässt sich für uns heute nicht ausschließen - aber auch kaum am konkreten Beispiel beweisen. Ich gehe daher weiterhin davon aus, dass es sich bei der Konzeption von Evangelium in den Paulusbriefen ebenso wie bei den Briefen selbst um das geistige Werk der historischen Einzelperson Paulus handelt. d) Der Sinn der Mitarbeitermission Zahlreiche Namen von paulinischen Mitarbeitern haben die paulinischen Briefe vor allem in Einleitung und Schluss überliefert: Selbst wenn nicht alle von ihnen als Mitarbeiter im strengen Sinn zu rechnen sein sollten, sind sicherlich noch weitere hinzuzuzählen, die Paulus nicht oder nur zusammenfassend aufführt. 244 „ Indeed, Paul is scarcely ever found without companions. “ 245 Warum hat Paulus Mitarbeiter um sich geschart und warum in dieser großen Zahl? Stimmt die These der „ Gemeindegesandten “ , so sind die Gemeinden „ mehr als nur Objekte des Handelns der Mitarbeiter und die Mitarbeiter mehr als Organe des Handelns des Paulus. “ 246 Die Gemeinden werden durch Entsendung von Delegierten in den Mitarbeiterstab des Paulus zu Multiplikatoren der Evangeliumsverkündigung und verantworten die gesamte paulinische Mission mit. 247 Führt man sich die paulinische Methode der Zentrumsmission, also der Konzentration auf die größeren Städten einer Provinz bzw. deren Hauptstadt vor Augen, hat das weitreichende Konsequenzen. Paulus bleibt normalerweise solange vor Ort, bis die Gemeinde selbständig genug war, und missionierte dann in der nächsten größeren Stadt weiter. 248 Eine große Zahl an Missionaren steigert die Effizienz der Mission in dreifacher Hinsicht: Sie ermöglicht eine „ besonders konzentrierte Arbeit “ vor Ort, einen intensiven und weitverzweigten Austausch des Paulus mit seinen Gemeinden durch den Botendienst der Mitarbeiter und 243 So etwa in der kosmologischen Ausarbeitung der Christologie ( „ hohe Christologie “ des Kolosserbriefes) oder in der hierarchisierenden Ekklesiologie; vgl. HEININGER, B., Die Rezeption des Paulus im 1. Jahrhundert: Deutero- und Tritopaulinen sowie das Paulusbild der Apostelgeschichte, in: WISCHMEYER, Paulus, aaO., 349 - 380. 244 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 9; „ Daß sich Paulus mit einer solchen Anzahl von Mitarbeitern umgab, besitzt in der urchristlichen Mission keine Parallele und kann kein Zufall sein “ (2). 245 ELLIS, Paul and his Co-Workers, aaO., 339. 246 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 118. 247 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 125. 248 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 126. 334 6 Die Beziehungen des Kommunikators weitet schließlich die Mission ins Umland der Städte aus. 249 „ Dieses Netzwerk [. . .] war für das Funktionieren des Verkündigungswerkes von existentieller Bedeutung “ 250 : „ Die eigenständige Zentrumsmission des Paulus war demnach von ihrer ganzen Anlage her darauf ausgerichtet, auf sich selbst gestellte, mündige Gemeinden zu gründen, die, indem sie die Basis für das paulinische Missionswerk bildeten, auch selbständige missionarische Verantwortung wahrnahmen. “ 251 Zentrumsmission und Mitarbeitermission korrespondieren einander. 252 Welche Tätigkeiten die Mitarbeiter genau vor Ort wahrnahmen, lässt Paulus offen. 253 Die Briefe vermitteln den Eindruck, dass sie „ die ganze Bandbreite möglicher Gemeindecharismen “ ebenso wie grundsätzlich Missionsarbeit erfüllten, sodass sie „ jeweils unterschiedliche und wechselnde, durch die verschiedenen Missionssituationen und -erfordernisse bedingte Funktionen ausübten. “ 254 Ob und in welcher Weise Paulus sie dafür qualifizierte, ist nur schwer zu sagen. Ein organisierter Schulungsbetrieb ist jedoch nicht nachweisbar 255 : „ Zweifellos hat die Mitarbeitermission auch eine pädagogische Seite im Sinne eines (gegenseitigen! ) Gebens und Nehmens “ . 256 D. h. man muss auch umgekehrt fragen, inwiefern Paulus theologisch oder praktisch von seinen Mitarbeitern beeinflusst wurde. W.-H.Ollrog unterscheidet zwischen dem weiten Kreis der Gemeindegesandten, die in „ ständiger Fluktuation “ der paulinischen Mission beitraten und zu ihren Gemeinden zurückkehrten, und dem „ engsten Kreis “ von Mitarbeitern, „ die Paulus als Reisemissionare begleiteten und als übergemeindliche Missionare ununterbrochen für das paulinische Missionswerk 249 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 127 - 129. 250 ÖHLER, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Paulus, aaO., 255: „ Wahrscheinlich führte Paulus damit weiter, was ihm schon aus der Zeit in Antiochien vertraut war, nun aber in einem größeren geographischen Umfeld. Anscheinend war er auch nicht der Einzige, der in dieser Weise arbeitet (vgl. Gal 2,12; 1Kor 16,12; 2Kor 3,1; 11,4.13) “ . 251 OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 126. 252 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 127. 253 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 72. 254 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 79; 90. Mit den Dienstfunktionen oder einer besonderen Leitungsfunktion innerhalb der Gemeinde können die Mitarbeiter jedoch nicht sicher in Verbindung gebracht werden (85 - 87). ELLIS, Paul and his Co- Workers, aaO., 442: „ [D]iakonoi appear to be a special class of co-workers, those who are active in preaching and teaching “ . 255 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 114. 256 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 118. 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 335 tätig waren “ . 257 Zu letzteren zählt er Barnabas, Silvanus und Timotheus. 258 Die Art und Weise, wie Paulus z. B. über Timo-theus in seinen Briefen spricht, lässt auf eine große geistige und emotionale Nähe schließen, die einen Einfluss auf das theologische und missionarische Denken des Paulus wahrscheinlich machen. Über Umfang und Inhalt dieser Beeinflussung erlauben die spärlichen Nachrichten jedoch kein Aussage, geschweige denn, dass sie gegenüber dem Denken und der Person des Paulus abzuheben wären. Daher muss ich mich mit den bisher gemachten Beobachtungen begnügen. e) Zusammenfassung Anhand welcher Kriterien können die paulinischen Mitarbeiter von unabhängigen Missionaren abgegrenzt werden? Der paulinische Sprachgebrauch hat keine hinreichende Differenzierung erbracht. Sunergoi. qeou/ sind alle Personen, die an der Sache des Evangeliums mitarbeiten, ob in Kooperation mit Paulus oder unabhängig. Der Begriff bringt die gemeinsame Stellung der Missionare vor Gott und also deren prinzipielle Gleichwertigkeit, sowie die grundsätzliche inhaltliche und praktische Übereinstimmung in der Arbeit zum Ausdruck. Auch der Bezug zur gemeinsamen Arbeit führt also zu keiner Unterscheidung der Mitarbeiter. Die Gruppe der den paulinischen Gemeinden entstammenden avpo,stoloi evkklhsiw/ n dagegen sind aufgrund ihrer Herkunft klar Paulus zugeordnet und repräsentieren die missionarische Mitverantwortung der paulinischen Gemeinden. Als entscheidendes Kriterium des Mitarbeiters hat sich das Ausmaß der Autorität bzw. des Einflusses des Paulus auf andere Missionare ergeben. Sie fußen auf seiner sachlichen und praktischen Qualifikation hinsichtlich des Evangeliums als berufener Apostel und Erscheinungszeuge. Damit ist zugleich eine Begrenzung der Autorität auf „ Angelegenheit des Evangeliums “ gegeben. Die Beziehungen des Paulus zu seinen Mitarbeitern gestalten sich dementsprechend in der Spannung von Autorität und Partnerschaftlichkeit, Wertschätzung und Vertrauen, wobei die Briefe für letzteres eine breitere Basis an Belegen bieten. Das gegenüber den Rezipienten bereits bekannte „ väterliche Selbstverständnis “ findet auch gegenüber den Mitarbeitern Anwendung. Insgesamt steht für Paulus aber nicht die persönliche Beziehung, sondern der Erfolg der Verkündigung des Evangeliums im Mittelpunkt - auch über persönliche Konflikte hinweg. Gerade in dieser Hinsicht stellt das missionarische Engagement von Gemeinden und Mitarbeitern einen enormen 257 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 123; 107; Vgl. ELLIS, Paul and his Co- Workers, aaO., 440: „ Yet few of them are included in his immediate and subordinate working circle, still fewer work with him on a continuing, long-term basis “ . 258 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 108. 336 6 Die Beziehungen des Kommunikators Gewinn für die Arbeit des Paulus dar. Sie steigern als Multiplikatoren deren Effizienz und Intensität und ermöglichen ihm Beziehungspflege und optimale Ausschöpfung der Ressourcen. Auch theologisch und persönlich sind die Mitarbeiter für Paulus mit Sicherheit ein Bereicherung, auch wenn sich dieser Aspekt nicht mehr in ausreichendem Maß anhand der Briefe nachvollziehen lässt. 6.2.3 Unabhängige Kommunikatoren Entsprechend der oben aufgestellten Definition sind unabhängige Kommunikatoren des Evangeliums jene Missionare, die weder aus paulinische Gemeinden stammen, noch unmittelbar seiner Autorität unterstellt sind. Ich untersuche diese Gruppe und die Art, wie Paulus grundsätzlich zu ihr steht, nach zwei Seiten hin. Auf Apollos bin ich bereits mehrfach zu sprechen gekommen. Wie Paulus mit ihm und der Situation im 1Kor umgeht, soll als positives Beispiel der Kooperation dienen. Diesem stelle ich die polemische Auseinandersetzung mit anderen Kommunikatoren gegenüber, wie sie in den paulinischen Briefen begegnet. Sie lässt sich in vielerlei Hinsicht auf einen Grundkonflikt zurückführen, den ich exemplarisch an der Beziehung von Kephas und Paulus illustrieren und in seinen Konsequenzen für die paulinische Mission analysieren werde. a) Apollos und die Gruppenbildung in Korinth Aufs Ganze gesehen ist von Paulus recht wenig überApollos zu erfahren. Er wird ausschließlich in 1Kor erwähnt, und die Informationen, die den wenigen Aussagen des Briefes zu entnehmen sind, sind ausgesprochen dürftig. Apollos hat offenbar nach Paulus in Korinth gewirkt und in gewisser Weise dessen Missionswerk fortgesetzt (3,6.10). Im Anschluss daran haben sich in der Gemeinde Gruppen gebildet, die unterschiedliche Personen zu ihren Leitfiguren erhoben haben, darunter auch Paulus und Apollos (1,12; 3,22; 4,6). Gegen Ende des Briefes berichtet Paulus, dass er Apollos mehrfach gebeten habe, die Korinther aufzusuchen, zusammen mit den Brüdern, die Paulus schickt (16,12), so dass man davon ausgehen kann, dass er sich zum Abfassungszeitpunkt und also zur Zeit der Bildung der Gruppen wie Apollos in Ephesus, zumindest aber nicht in Korinth aufhält. 259 Inwiefern Paulus und Apollos eine Zeit lang zusammen in Korinth gewirkt haben, wissen wir nicht. Er scheint aber nie Mitarbeiter des Paulus gewesen zu 259 Vgl. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 38, Anm. 166: „ Er hält sich schon länger in Ephesus auf: Paulus hat ihn bereits ,oftmals ‘ gebeten, nach Korinth zu reisen “ . 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 337 sein, sondern blieb in seiner Arbeit unabhängig. 260 Das ist vor allem aus der Verweigerung gegenüber der Bitte des Paulus in 16,12 zu schließen. Aber auch sein Fehlen in Gruß- oder Absenderliste des 1Kor oder anderen Briefen weist darauf hin. 261 Weiteres Indiz könnte seine Rolle bei der Parteibildung sein. Was der Anlass für die Gruppenbildung in Korinth ist, erklärt Paulus nicht. Er „ interessiert sich nicht im Geringsten, worauf man die besondere Zugehörigkeit jeweils gründet, nach welchen Kriterien die einzelnen Gemeindeglieder ihre Wahl getroffen haben und welche speziellen Vorzüge sie an den einzelnen Autoritäten entdeckt haben mögen. “ 262 Immer wieder wird in der Forschung die Notiz von Apg 18,24 f, dass Apollos redegewandter, pneumatisch begabter und schriftgelehrter Jude aus Alexandria sei, herangezogen, um die Apollos-Gruppe in Korinth als „ Anhänger der hellenistisch-jüdisch beeiflußten Weisheitschristologie “ zu charakterisieren, die seine Verkündigung vermittelte. 263 Dem würde korrespondieren, dass Paulus zwischen der ersten Erwähnung der Gruppen- Problematik (1,12) und einer eigentlichen direkten Auseinandersetzung mit ihr (ab 3,4) einen langen Abschnitt über die Weisheit der Welt im Gegenüber zur Weisheit Gottes in Christus bzw. zum „ Wort vom Kreuz “ (1,18-2,16) einfügt. Darin geht Paulus besonders auf die Themen der Rede- und Geistbegabung ein. Dieses als Aufgreifen korinthischer bzw. von Apollos beeinflusster Weisheitstheologie zu werten, scheint naheliegend. 264 Drei Gründe widersprechen aber einer solch klaren Zuordnung. 260 Vgl. ELLIS, Paul and his Co-Workers, aaO., 439: „ Paul and Apollos always appear to work independently, admittedly with some mutual colleagues “ . 261 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 448; LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 382; OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 41: „ Die Zusammenarbeit zwischen beiden währte vermutlich nicht allzu lange “ . 262 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 148. 263 MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 134; Noch deutlicher SELLIN, G., Das ,Geheimnis ‘ der Weisheit und das Rätsel der,Christuspartei ‘ (zu 1Kor 1 - 4). in: ZNW 73 (1982), 69 - 96; 74 - 79: „ Da wo Paulus auf die Ursachen des Streites zu sprechen kommt, steht ganz klar nur eine Gruppe in der Schußlinie: die ,Schüler ‘ des Apollos. Durch den Einfluß des Apollos, der zeitlich nach Paulus in Korinth wirkte, ist es zum ,Parteien ‘ -Streit gekommen, ja, mehr noch: Paulus selber wird in die Situation gedrängt, sein Apostelamt verteidigen zu müssen [. . .] Bei dieser Apologie vermeidet er es freilich, offen gegen die von der ,Gegenpartei ‘ ausgerufene Autorität Stellung zu beziehen: seinen Rivalen Apollos “ (74). Interessant ist auch der Ansatz D. Zellers: ZELLER, D., Der erste Brief an die Korinther, KEK 5, Göttingen 2010, 96 - 104. Paulus habe „ eine undifferenzierte Vorstellung von griechischer Weisheit, betrachtet aber offensichtlich ihre rhetorische Versiertheit als ihr Kennzeichen “ (97). Apollos wird als „ Repräsentant rhetorischer Weisheit “ angesehen (101), dessen „ vergängliche[s] Baumaterial “ seine rhetorische Kunst ist (102). 264 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 134. 338 6 Die Beziehungen des Kommunikators 1) Der inhaltliche Ausgangspunkt ist die „ Zerteilung Christi “ durch die Gruppenbildung (1,13), nicht eine Auseinandersetzung mit den theologischen Positionen einer oder mehrerer (welcher? ) Gruppen. Ihr widerspricht Paulus mit dem Wort vom Kreuz, das als Torheit Gottes weiser und als Schwachheit Gottes stärker ist als die Menschen (1,25). Aus diesem Wort, dem Evangelium, sind die Korinther in Christus (1,30), nicht aufgrund der Person des Verkündigers. Das veranschaulicht Paulus an sich selbst und seinem Auftreten in Korinth, das dem Geist Gottes und nicht Menschen entsprochen habe (2,1-16). Er schließt mit dem Resume: h`mei/ j de. nou/ n Cristou/ e; comen (2,16). So erklärt sich auch der Vorwurf an alle Korinther, ihre Eifersucht und ihr Streit entsprächen „ fleischlichem “ (im Gegenüber zu dem „ geistlichen “ des Paulus) und „ menschlichem “ (im Gegenüber zu Gottes) Handeln (3,3). Ob Paulus hier Weisheitsterminologie aus Korinth aufnimmt, muss offenbleiben. Er bekämpft mit ihr und der Rede vom Wort vom Kreuz aber keine inhaltlichen Positionen der korinthischen Gruppen, sondern das Vorhandensein dieser Gruppen selbst als dem Geist Gottes, dem Evangelium und dem Sein in Christus widersprechend. 2) Selbst wenn Paulus inhaltlich auf das Thema Weisheit anspielt, lässt sich „ aus 1,18-2,16 nichts Spezielles für die Apollosgruppe entnehmen, und insbesondere läßt sich das Streben der Korinther nach Weisheit nicht allein auf die Apollos-Leute beschränken “ . 265 3) Auch wenn man die Angaben des Lukas in Apg 18,24 f für glaubwürdig hält, sagen sie nichts über Theologie und Verkündigung des Apollos aus. Allein „ aus der Herkunft eines Menschen aus einer bestimmten Stadt Schlußfolgerungen hinsichtlich seines Denkens zu ziehen “ , ist ein methodisch äußerst fragwürdiges Vorgehen. 266 Es bleibt also dabei, dass die Entstehung der Gruppenbildung von ihrer inhaltlichen Dimension her nicht mehr zweifelsfrei nachvollziehbar ist. Die Aufzählung der Gruppen in 1,12 (Paulus, Apollos, Kephas, Christus) verrät nur, dass sie sich stark personal definierten und Paulus darum froh ist, kaum Taufen vorgenommen zu haben (1,14-17), was diesen Trend hätte verstärken oder legitimieren können. Da er die Spaltung an sich ablehnt, lehnt er auch den damit verbundenen Personenkult ab. Davon, dass er Apollos für seine Rolle verantwortlich macht, ist in seinen Ausführungen nichts zu spüren. Wahrscheinlich wurde auch er ohne sein Zutun und Wissen in Abwesenheit zur Leitfigur 265 SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 144. 266 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 40. 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 339 erhoben. 267 Warum zieht Paulus dann aber ab 3,4ff seine Rolle in der Gemeinde heran und vergleicht sie mit seiner eigenen? Geht es um Konkurrenz oder indirekte Kritik? 268 „ Wenn Paulus in 3,5 f. nur von Apollos und von sich spricht, dann geschieht dies, weil er anhand der direkten Tätigkeit beider in Korinth am anschaulichsten ihre Bedeutung für die Gemeinde darstellen kann. “ 269 Weder bei Christus noch - soweit wir wissen - bei Kephas handelt es sich um Personen, die in Korinth derart gewirkt haben, dass sie sich für einen Vergleich mit Paulus angeboten hätten. 270 Die Wahl des Apollos ist also rein pragmatischer Natur. Auch lässt der Abschnitt jede Art von direkter oder verborgener Kritik an Apollos und seinerArbeit vermissen. Im Gegenteil: Zu Beginn ordnet Paulus sich selbst und Apollos gemeinsam Gott unter. 271 Auch in VV.10 - 17 kann ich keine „ unterschwellige Kritik an Apollos “ erkennen. 272 Paulus stellt ja nicht die auf seiner Gemeindegründung fußende Arbeit des Apollos unter eschatologischen Vorbehalt, sondern die Haltung der sich in Guppen übereinander erhebenden Korinther (3,18-23). Paulus macht in 3,5ff nicht das „ gute subjektive Einvernehmen “ zwischen sich und Apollos zum „ moralischen Beispiel “ für die korinthischen Gruppen, sondern er entzieht der Berufung der Gruppen auf Einzelpersonen durch den „ objektiven Tatbestand “ , dass sie alle Diener Gottes sind, die Grundlage. 273 Dieser Aspekt bestimmt auch die Haltung des Paulus zu Apollos. Gegenüber den Rezipienten sind alle Verkündiger gleich; das zeigt die Nebeneinanderstellung von Petrus, Apollos und Paulus in 3,22. Untereinander sind die Verkündiger Vorbilder im Verhalten (i[na evn h`mi/ n ma,qhte, 4,6), so dass für persönliche Konflikte oder Konkurrenzgedanken kein Platz ist. Das „ empfehlende Verhalten “ gilt nicht nur gegenüber den Rezipienten, es gilt gerade um der Rezipienten willen auch gegenüber den Mitkommunikatoren (vgl. 1Kor 15,11). Deswegen nennt Paulus Apollos in 16,12 auch ausdrücklich „ Bruder “ (im Gegensatz zu Timotheus 16,10) und bittet ihn in guter Kollegialität nach Korinth zu kommen. 274 Ob Paulus mit dieser Angabe auf eine Anfrage der Korinther 267 Vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 143: Sowohl gegenüber Kephas als auch gegenüber Apollos betont Paulus immer wieder seine Solidarität und Übereinstimmung (3,5-9.22; 4,6; 15,11; 16,12). 268 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 38; MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 137. 269 WOLFF, ThHK 7, aaO., 27. 270 Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 66. 271 Siehe Kap. 5.2.2. 272 MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 137. 273 MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 136. 274 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 381. 340 6 Die Beziehungen des Kommunikators reagiert, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. 275 Das zeigt: „ Paulus schätzte das Werk des Apollos in Korinth “ . 276 Warum Apollos nicht kommen will, wird uns vorenhalten. 277 Es scheint aber keine „ fundamentalen Differenzen oder persönliche Polemik “ zwischen Paulus und Apollos gegeben zu haben. 278 Der korinthische Parteienstreit ist keine Auseinandersetzung zwischen den beiden Missionaren, sondern ein Missbrauch ihrer Person und Wirksamkeit. 279 Für uns ist Apollos ein Beispiel, wie Paulus mit von ihm unabhängigen Missionaren friedlich kooperierte und in welcher Pflicht er sich ihnen gegenüber (um der Rezipienten willen) sah - solange die Grenzen des Evangeliums nicht überschritten wurden (vgl. Phil 1,15-18). Paulus erkennt sie als „ Diener Gottes “ an, die wie er ihren „ Dienst am Evangelium “ versehen. 280 Mögliche Spannung ordnete er diesem Dienst unter, um weder das Evangelium noch die Rezipienten zu belasten. 281 Vielleicht ist von daher auch die Maxime des Paulus, keine Mission zu betreiben, wo andere bereits missioniert haben (Röm 15,20 f ), zu verstehen: als Maßnahme der Konfliktvermeidung, aber auch aus einer Haltung des Respektes und der Anerkennung heraus. Inwiefern dabei auch die Unabhängigkeit des Paulus gegenüber anderen Missionaren eine Rolle spielte, soll sich im Folgenden zeigen. b) Kephas, Paulus und das Gesetz Kein Thema hat das Verhältnis zwischen Paulus und seinen Mit-Kommunikatoren derart negativ beeinflusst wie die Frage nach der (Heils-)Bedeutung des jüdischen Gesetzes. 282 Es ist für ihn das Hauptproblem in der Auseinandersetzung mit den jüdischen Wurzeln des Christusglaubens und wird von ihm im Philipper-, Römer- und Galalaterbrief thematisiert. 283 Während der Römerbrief 275 SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 446: „ Besser begründet ist die Vermutung, daß Paulus sein Zureden erwähnt, um den möglichen Verdacht zu zerstreuen, er habe Apollos als Gewährsmann der Apollosleute oder als potentiellen Konkurrenten oder gar Rivalen an einem Besuch gehindert “ . Anders WOLFF, ThHK 7, aaO., 433. 276 WOLFF, ThHK 7, aaO., 27. 277 Die verschiedentlich geäußerte Deutung von qe,lhma als „ Wille Gottes “ erschließt sich mir hier nicht; vgl. SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 446 f; LINDEMANN, HNT 9/ I; 381 f; OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter, aaO., 41, Anm. 186. 278 SCHRAGE EKK VII/ 1, aaO., 144. 279 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, aaO., 135. 280 Vgl. KERTELGE, Das Apostelamt des Paulus, aaO., 173 f. 281 Vgl. KERTELGE, Das Apostelamt des Paulus, aaO., 174. 282 Vgl. zum Thema SCHNELLE, U., Paulus und das Gesetz, in: BECKER, E.-M./ PILHOFER, P. (Hgg.), Biographie und Persönlichkeit des Paulus, WUNT 187, Tübingen 2005, 245 - 270. 283 Im 1Thess kommt Paulus nur auf Verfolgungen der Christen durch Juden in Judäa zu sprechen. In 2Kor hat Paulus sich zwar mit dem Judentum nahestehenden Missionskollegen auseinanderzusetzen (11,4.22), das Gesetz spielt jedoch allem Anschein nach 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 341 das Gesetz in den theologischen Gesamtzusammenhang bei Paulus einordnet und reflektiert, spricht Paulus in Phil und Gal konkret einen Konflikt an, der sich an der Arbeit anderer Missionare in der betreffenden Gemeinde entzündet. 284 In Philippi scheint das Problem weniger dramatisch zu sein, da Paulus es bei einer kurzen, aber eindringlichen Warnung vor den „ Hunden “ , den „ bösen Arbeitern “ und der „ Zerschneidung “ (katatomh,) belässt (3,2), die vielleicht auch in 1,28 als „ Widersacher “ (avntikeime,noi) bezeichnet werden, vor denen es keine Angst zu haben gilt. Eine dezidierte Polemik gegen bestimmte Personen fehlt. 285 Allerdings erklärt Paulus seine ablehnende Haltung in Kapitel 3 recht ausführlich unter Verweis auf seine tadellose Vergangenheit im Gesetz als Pharisäer. Sie schätzt er gering um Christi willen: Er hat seine Gerechtigkeit (dikaiosu,nh) nicht aus dem Gesetz, „ sondern durch den Glauben an Christus, aus der Gerechtigkeit Gottes aufgrund des Glaubens “ (avlla. th.n dia. pi,stewj Cristou/ ( th.n evk qeou/ dikaiosu,nhn evpi. th/ | pi,stei, 3,9). Judenchristliche Vertreter, die dem jüdischen Gesetz bzw. der damit verbundenen Beschneidung eine Heilsrelevanz zubilligen, spielen in der Gemeinde wohl keine (große) Rolle. Damit das auch so bleibt, warnt Paulus und fordert zum „ fest sein im Herrn “ (4,1) und Einigkeit (2,2) auf. Anders stellt sich die Situation im Galaterbrief dar. Hier scheinen „ einige “ (ti,nej) die Gemeindeglieder mit dem Gesetz zu „ verwirren “ (1,7) und zu „ verzaubern “ (3,1), so dass sie „ Tage, Monate, Zeiten und Jahre “ beachten (4,10), das Gesetz als heilsrelevant erachten (3,2; 5,4) und sogar bereit sind, sich beschneiden zu lassen (5,3). Hier reagiert Paulus mit großer Schärfe. 286 Er sieht in der Forderung, das Gesetz als heilnotwendig zu befolgen, eine Bedrohung seines keine Rolle. Es handelt sich um Pneumatiker, die das paulinische Apostolat kritisieren, z. B. aufgrund des Fehlens von Empfehlungsschreiben (3,1; 10,12-18; 12,11 f: ), seines Unterhaltsverzichts (11,7-10) oder der Schwäche seines Auftretens ohne Redegewandtheit, Wunder und Machterweise (10,10; 11,6; 12,11 f ). Vgl. dazu GEORGI, D., Die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief. Studien zur Religiösen Propaganda in der Spätantike, Neukirchen-Vluyn 1964. G.Lüdemann hält die Auseinandersetzung über die Heidenmission für einen „ bereits in der Berufung angelegter Konflikt zwischen Paulus und den Juden “ mit Röm 9 - 11 als späterer „ Kehre “ ; LÜDEMANN, Paulus und das Judentum, aaO., 41. 284 Vgl. zum Römerbrief Kap. 5.2.3, 5.2.4, 5.3.1. Zum Philipper- und Galaterbrief siehe die Ausführungen in Kap. 6.1.1 und 6.1.3 c. Interessanterweise greift Paulus in beiden Briefen auf seine eigene Vergangenheit als Pharisäer zurück. Vgl. NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel, aaO., 179; THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 303 f. 285 Vgl. dazu BECKER, E.-M., Polemik und Autobiographie. Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2-4 a, in: WISCHMEYER/ SCORNAIENCHI, Polemik in der frühchristlichen Literatur, aaO., 233 - 254. 286 Zur sprachlich-stilistischen Prägung des Galaterbriefes durch den Konflikt vgl. SÄN- GER, D., Literarische Strategien der Polemik im Galaterbrief, in: WISCHMEYER/ SCOR- NAIENCHI, Polemik in der frühchristlichen Literatur, aaO., 155 - 181 und WISCHMEY- ER, O./ SCORNAIENCHI, L., Einführung, in: ebd., 1 - 14. 342 6 Die Beziehungen des Kommunikators Evangeliums durch ein e[teron euvagge,lion (1,6), das die Gnade Gottes ablehnt (avqete,w) und den Tod Christi entwertet: eiv ga.r dia. no,mou dikaiosu,nh( a; ra Cristo.j dwrea.n avpe,qanen (2,21). Ich kann hier die gesamte Argumentation des Briefes nicht (wie in Auszügen schon geschehen) nachzeichnen. Auf ein Detail möchte ich jedoch aufmerksam machen: Paulus belässt die Gegner erstaunlich namenlos, ohne nähere Charakterisierung und diffus in seiner Argumentation. 287 Vielleicht ist die Frage +W avno,htoi Gala,tai( ti,j u`ma/ j evba,skanen* nicht nur rhetorisch gemeint und die eigentliche Identität und Herkunft der Gesetzes- Vertreter dem Paulus unbekannt. Interessanterweise gibt er sich damit jedoch nicht zufrieden, sondern wählt aus seinem eigenen biographischen Erleben einen Gegenspieler, um seine Kritik zu artikulieren: Kephas (1,18-2,21). 288 Der Bericht von seinem Antrittsbesuch in Jerusalem und dem Jahre später stattfindenden „ antiochenischen Zwischenfall “ gibt Paulus gleich doppelt die Möglichkeit, seinen Worten Gewicht zu verleihen: Zum einen stellt er sein „ gesetzesfreies “ Evangelium als in Übereinstimmung mit den urchristlichen Autorität in Jerusalem heraus (2,2.7.9), zum anderen demontiert er eine (rechtmäßige oder auch ungerechtfertigte) Berufung auf jene judenchristlichen Autoritäten als scheinheilig und widersprüchlich (2,4.13): „ Die Härte der Gegnerschaft in Galatien zwingt ihn, sein Verhältnis zu den Jerusalemern ausführlich zu bestimmen und insbesondere seinen Standpunkt im Konflikt mit Petrus darzulegen. “ 289 Warum aber hat sich Paulus ausgerechnet Kephas, eine - wenn nicht die - Autorität der urchristlichen Gemeinschaft zum Feindbild erkoren? Eskaliert Paulus damit nicht den Konflikt? 290 Eigentlich vermittelt Paulus andernorts nicht den Eindruck, dass er mit Kephas grundsätzlich im Konflikt steht. Er erkennt sein Apostolat (1Kor 9,5) und seine privilegierte Stellung als erster Erscheinungszeuge (1Kor 15,5) kommentarlos an. Auch als ihn in Korinth einige Gemeindeglieder zur Leitfigur ihrer Gruppe machen, lastet ihm das Paulus nirgends sichtbar an (1Kor 1,12; 3,22). Jedoch zeigt sich an dieser „ Kephas-Gruppe “ , die sich ja unter anderem im Gegenüber zur „ Paulus-Gruppe “ definiert, dass durchaus signifikante theologische Unterschiede zwischen beiden denkbar sind. Im Galaterbrief berichtet 287 Eine Erklärung könnten O.WISCHMEYER und L.SCORNAIENCHI geben, die im Anschluss an die neuesten Forschungstendenzen die Ausführungen des Paulus eher aus der Perspektive der „ Identitätssicherung “ denn als „ reale Gegnerbekämpfung “ wahrnehmen; WISCHMEYER/ SCORNAIENCHI, Einführung, aaO., 9. 288 Zum Verhältnis von Kephas und Paulus vgl. WEHR, L., Petrus und Paulus - Kontrahenten und Partner. Die beiden Apostel im Spiegel des Neuen Testaments, der Apostolischen Väter und früher Zeugnisse ihrer Verehrung, Münster 1996, bes. 29 - 127. 289 WEHR, Petrus und Paulus, aaO., 74. 290 Vgl. THEISSEN, Die Religion der ersten Christen, aaO., 302. 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 343 Paulus davon zunächst nichts: Zwar zieht Paulus nicht unmittelbar nach seinem Damaskuserlebnis nach Jerusalem, um sich und seine Verkündigung von den anerkannten Autoritäten autorisieren zu lassen, doch scheint das nicht mit persönlichen oder theologischen Differenzen zusammenzuhängen. 291 Im Gegenteil scheint bei seinem ersten Besuch nach drei Jahren die Person des Kephas für ihn im Mittelpunkt zu stehen. Er will ihn „ kennen lernen “ (Gal 1,18): „ Paulus sieht sich nach einer Zeit der eigenen christlichen Predigt veranlaßt, den Kontakt zu dem ,Felsen ‘ der Urgemeinde und ersten Garanten der Jesustradition aufzunehmen. “ 292 Warum Paulus den hochgeschätzten Kephas kennenlernen will, sagt er nicht. Dass schon dieser Besuch etwas mit der Anerkennung der paulinischen Mission zu tun hat, scheint angesichts der langen Zeit bis zum nächsten Aufenthalt (14 Jahre laut Gal 2,1) unwahrscheinlich. Vielleicht spielte sogar persönliche (und gegenseitige? ) Neugier eine Rolle. Zumindest scheint es zwischen beiden in zwei Wochen zu einem „ vertieften Erfahrungsaustausch “ gekommen zu sein, so dass vielleicht beide „ sachlich von diesem Treffen profitierten “ . 293 Ein Konflikt kommt hier jedenfalls nicht zum Vorschein. Auch die Jahre später vollzogene Abstimmung der paulinischen Heidenmission mit den Jerusalemer Größen verläuft den Umständen entsprechend ausgesprochen harmonisch und für Paulus zufriedenstellend. Die „ falschen Brüder “ (yeuda,delfoi), denen Paulus ununterbrochen und unerbittlich gegenüber steht (2,4 f), treten nicht in Erscheinung: Nicht einmal Titus muss sich beschneiden lassen (2,3) und die „ angesehenen Säulen “ erkennen das paulinische Evangelium und seine Mission mit Handschlag an (2,7-9). Weder die Säulen noch Kephas erscheinen hier als Gesetzes- oder Beschneidungsfanatiker: „ Petrus war nicht der Vertreter eines gesetzesstrengen Judenchristentums - vielmehr scheinen sich Paulus und Petrus zumindest zeitweise theologisch nähergestanden zu haben “ . 294 Nicht mit ihnen steht Paulus von Anfang an in Konflikt, sondern mit der dritten Gruppe der yeuda,delfoi. Die Spannung zwischen Paulus und Kephas entsteht erst aufgrund seines Verhaltens bei einem Besuch in Antiochia. Als dort ebenfalls einige, scheinbar streng gesetzestreue Judenchristen im Gefolge des Jakobus eintreffen, sondert er sich ab (avfori,zw) und kündigt aus Angst vor 291 Vgl. FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 214; 222: Eher ist denkbar, dass er den Jerusalem Autoritäten zunächst keine große Bedeutung für seine Mission zumaß oder vielleicht auch die „ Stadt seiner Verfolgertätigkeit “ mied: „ Bei den hellenistischen Judenchristen, die er bekämpft hatte, wäre er gewiß nicht mit offenen Armen empfangen worden, bei seinen einstigen Gefährten im Eifer für das Gesetz mußte er als Apostat gelten, so daß wohl sogar sein Leben bedroht gewesen wäre “ . 292 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 222. 293 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 232. 294 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 223 f. 344 6 Die Beziehungen des Kommunikators dieser Gruppe die Mahlgemeinschaft mit den „ unreinen “ Heidenchristen auf (2,12). Diese feige „ Heuchelei “ (u`pokri,sij), mit der Kephas vielleicht einfach nur diplomatisch und pragmatisch denkend keinen Anstoß bieten wollte, lässt Paulus weder ihm noch Barnabas durchgehen und stellt ihn in aller Öffentlichkeit zur Rede (2,13 f ) 295 : „ In Antiochien macht Paulus dem Petrus Vorwürfe, weil dieser sich zunächst ganz auf das gesetzesfreie Evangelium einläßt, dann aber wieder in die Gesetzesbeachtung zurückfällt und damit zu erkennen gibt, daß die Einheit der Gemeinde letztlich nur über das Gesetz zu erreichen ist. “ 296 Auch hier ist im Grunde noch kein theologischer Gegensatz zwischen beiden zu konstatieren, nur eine unterschiedliche Einschätzung der Lage. Paulus kann nicht ernsthaft denken, dass Kephas damit seine Missionspraxis bewusst und grundsätzlich infrage stellt. 297 Doch die Implikationen seines Verhaltens empfindet Paulus als verheerend. Deswegen brandmarkt er es in Gal 2 und stilisiert Kephas zu einem in Galatien bekämpften Gegner. Mindestens wird er von Paulus als Pendent zur Gemeinde dargestellt, die sich vom Ansturm der gesetzestreuen Missionare fortreißen lässt. An den beiden Personen Kephas und Paulus manifestiert sich die „ Inkompatibilität zweier theologischer Entwürfe “ , auch wenn wohl der eine in der urchristlichen Realität nicht eindeutig Kephas zuzuordnen ist 298 : Die „ bleibende Anbindung an die Tora und die durch sie auferlegten Beschränkungen “ ist mit der „ Teilhabe der Heidenchristen am Gemeinschaftsmahl und [der] Einheit von Juden- und Heidenchristen in einer Heilsgemeinde “ nicht vereinbar. 299 Die konsequente Abwendung von der Heilsrelevanz der Tora, wie sie Paulus im Gal 295 Vgl. FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 225; L.Wehr sieht gerade in dieser Heuchelei das Problem des Paulus: „ Die Jakobusleute kann Paulus schonen [. . .] Sie bleiben ihrem , gesetzlichen ‘ Evangelium treu und stellen für Paulus keine Bedrohung dar, solange sie in seinem heidenchristlichen Bereich durch schwankendes Verhalten (wie Petrus) keine Verwirrung stiften “ ; WEHR, Petrus und Paulus, aaO., 74. Allerdings vergisst Wehr bei dieser Einschätzung, dass nicht „ schwankendes Verhalten “ , sondern die eindeutige Forderung der Gesetzesobservanz judenchristlicher Missionare vom Schlag der Jakobusleute die Gemeinde in Galatien bedroht und Paulus zu schaffen macht. 296 WEHR, Petrus und Paulus, aaO., 74. 297 Vgl. FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 225. 298 Die Unterscheidung zwischen in Gal 1+2 dargestelltem Kephas und dem realen, hinter der Darstellung durchscheinenden Kephas in seiner Beziehung zu Paulus wurde bisher in der Forschung zu wenig zur Kenntnis genommen. Kephas erscheint in vielen Darstellung als wirklicher Gegenspieler des Paulus in der Gesetzesproblematik; vgl. WEHR, Petrus und Paulus, aaO., 76: „ Die Reserve des Paulus Petrus gegenüber hat ihren Grund in den theologischen Differenzen: In den Augen des Paulus lebt Petrus nicht konsequent entsprechend der Gnade, die ihm wie Paulus von Gott geschenkt wird “ . Differenzierter, aber letztlich ähnlich FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 225 - 227. 299 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 226. 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 345 fordert, führt letztlich zwangsläufig zur „ Trennung der Wege “ , zum Entweder- Oder. 300 Für Paulus ist es eine klassische Frage nach der „ Wahrheit des Evangeliums “ , die darum die kompromisslose Zurückweisung als notwendige Antwort hervorruft. 301 Daher scheint er in Antiochia keine Skrupel zu haben, die bis dahin intakte Beziehung zu Petrus in die Krise zu führen und den Streit um der anwesenden Gemeinde willen öffentlich auszutragen. 302 Über die Reaktion des Kephas lässt uns Paulus leider im Unklaren. Welche Wellen der Streit in Antiochia und darüber hinaus in den urchristlichen Gemeinden geworfen hat, können wir nur erahnen. Kephas wird in der paulinischen Korrespondenz kaum und wenn, dann (außer in Gal 2) nicht negativ erwähnt. Es ist darum gut vorstellbar, dass es zu einer Aussprache und grundsätzlichen Klärung des Konfliktes gekommen ist. Auch der Jerusalemer Urgemeinde fühlt sich Paulus ungebrochen verbunden (vgl. nur die Kollekte 1Kor 16,3; Röm 15,25 f ). 303 Doch scheinen für die Mitglieder der dortigen Gemeinde - vielleicht auf Betreiben der „ falschen Brüder “ oder der Leute des Jakobus - Gesetz und Beschneidung derart relevant geworden zu sein, dass Paulus sie in Gal 4,25 als „ Kinder der Sklaverei “ bezeichnet. Offenbar haben sie sich in der Herausforderung, „ die dynamisch wachsenden Missionsgemeinden nach Möglichkeit an ihren heilsgeschichtlichen Ursprung und zugleich an die jüdische Praxis ,anzubinden ‘ - auch um 300 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 226; vgl. LÜDEMANN, Paulus und das Judentum, aaO., 42 f: „ Die Kirche steht in der Gegenwart mit dem Judentum in einem unlösbaren theologischen Konflikt (Deswegen verlegt Paulus auch die Rettung des jüdischen Volkes in die Zukunft) “ (Röm 9 - 11); BIRD, M. F., The Incident at Antioch (Gal. 2.11 - 14): The Beginnings of Paulinism, in: DERS.,/ MASTON, J., Earliest Christian History. History, Literature, and Theology. Essays from the Tyndale Fellowship in Honor of Martin Hengel, 329 - 361; 356: Gal 2,11-14 „ signifies a ,parting in the ways ‘ between Paul and the Jerusalem church “ ; HARRILL, Paul the Apostle, aaO., 39ff: Harrill stilisiert das Treffen zwischen Petrus und Paulus zum „ face-off “ , das den Konflikt schließlich zugunsten der Beschneidungsfraktion entscheidet (45). 301 Vgl. FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 227. 302 Vgl. FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 226. Ich denke nicht, dass die Ereignisse in Antiochia einen „ paradigmatic shift from Torah to Christ “ darstellen, der einen Wandel im theologischen Denken des Paulus dokumentiert (so BIRD, The Incident at Antioch, aaO., 357). In Gal 2 sind er und Petrus Beispiele für ein falsches und scheinheiliges Evangeliumsverständnis. Nach der Aussage von Paulus kämpfte er dagegen bereits in Jerusalem. 303 Vgl. FREY, Paulus und die Apostel, aaO.: Jerusalem ist für Paulus der Ort, „ von dem das ursprüngliche Christuszeugnis ausging (Röm 15,19) und der daher auch für seine eigene missionsgeographische und eschatologische Perspektive bleibende Bedeutung hat “ (214). Er zeigt ein „ nachhaltiges Interesse an einer Verbindung mit Jerusalem und dem dortigen Judenchristentum und damit an der Einheit der Gemeinschaft von Juden und Heiden in Christus. Jerusalem ist für Paulus der Ausgangspunkt des Heilsgeschehens (Röm 15,19), aber wohl auch Gegenstand eschatologischer Erwartungen und damit nicht einfach , aufgebbar ‘“ (216). 346 6 Die Beziehungen des Kommunikators nicht noch mehr Mißtrauen bei den sich immer stärker radikalisierenden jüdischen Parteien zu erwecken “ zunehmend radikalisiert und aufgerieben. 304 Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die von Jerusalem beeinflussten Judenchristen innerhalb und außerhalb der paulinischen Gemeinden gehabt, die seiner Mission mit Tora und Beschneidung entgegentraten. 305 „ Aber von der Beziehung zu Jerusalem und der dortigen Gemeinde [. . .] ist die Beziehung des Heidenapostels zu den maßgeblichen Zeugen des Evangeliums zu unterscheiden. Mit ihnen und ihrem Zeugnis des Evangeliums sieht sich Paulus in grundsätzlicher Übereinstimmung “ (vgl. nur 1Kor 15,11). 306 Die massive Betonung der Unabhängigkeit gegenüber den Galatern (1,1.11 f), könnte auf Vorwürfen seiner realen Gegner reagieren. Mindestens dient es der Stärkung seines Evangeliums gegenüber dem „ anderen “ Evangelium der Gegner „ seine eigene Verbindung mit einem Teil der Jerusalemer stärker herunterzuspielen als dies den Tatsachen entsprach “ . 307 Kephas wird von Paulus im Galaterbrief zum Gegner in der Frage des Gesetzes aufgebaut. Er wird damit zu Paradigma all der judenchristlichen Gegner mit denen sich Paulus in dieser Frage immer wieder auseinandersetzen muss. Die scharfe, überdeutliche und bloßstellende „ Ansprache “ in aller Öffentlichkeit ist ebenso paradigmatisch zu verstehen für seinen Umgang mit Mit-Kommunikatoren, die „ nicht nach der Wahrheit des Evangeliums handeln “ (ouvk ovrqopodou/ sin pro.j th.n avlh,qeian tou/ euvaggeli,ou, 2,14). Sie entspricht dem „ notwendigen Antoß “ um des Evangeliums willen, der jedoch an der Sache orientiert, also „ sachlich “ , bleiben muss. 308 Darum begründet Paulus seine Kritik durch eine ausführliche, nachvollziehbare Argumentation (2,14-21). c) Zusammenfassung Im Zusammenspiel mit anderen Kommunikatoren gelten für Paulus dieselben Regeln wie gegenüber seinen Rezipienten und Mitarbeitern, auch wenn sich die Beziehungen naturgemäß distanzierter darstellen. Konkret verhält sich Paulus dem Grundsatz entsprechend, dass alle Verkündiger des Evangeliums gleichwertig sind. Er fordert jedoch das sich selbst auferlegte „ vorbildliche “ Verhalten 304 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 224. 305 Das Urteil Birds scheint mir zu pessimistisch und ohne schlüssigen Beleg in den paulinischen Briefen: „ [H]e became an outsider to the very assemblies that he had helped to establish [. . .] He had to seek for another base of mission operations and was left with only the support of Gentile majority churches “ ; BIRD, The Incident at Antioch, aaO., 356. 306 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 214 f. 307 FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 216. 308 Siehe Kapitel 7.1.2 a. 6.2 Beziehungen zu den Mitkommunikatoren 347 zugunsten der Rezipienten auch von anderen Mitkommunikatoren, wie er sich auch ihnen gegenüber um der Rezipienten willen „ empfehlend “ verhält. Hier gilt es, zugunsten der Verkündigung des Evangeliums Konkurrenz und Rivalität zurückzustellen und stattdessen auf Kollegialität und Rücksicht zu setzen. Die Grenze der Zusammenarbeit, ja überhaupt der Toleranz der Eigenart der Verkündigung des anderen ist für Paulus mit der „ Wahrheit des Evangeliums “ erreicht. Sie ist z. B. mit der Einordnung von jüdischem Gesetz und Beschneidung als heilsrelevant überschritten. Paulus reagiert in diesem Fall kompromisslos und polemisch, setzt seine gesamte Autorität und persönliche Biographie ein, um auf die heilsgefährdende Bedrohung durch dieses „ andere Evangelium “ aufmerksam zu machen. Er schürt damit den Konflikt um der Sache willen und scheut sich nicht, diesen „ notwendigen Anstoß “ auch öffentlich zu geben. Dabei bleibt er jedoch sachlich, argumentiert gegen die Position und nicht (vor allem) gegen die Person. 6.3 Auswertung Ich skizziere die Ergebnisse zu den Beziehungen des Kommunikators wiederum als Ausschnitt des bekannten Kommunikationsmodells. Auch wenn beide Parallelen und Ähnlichkeiten aufweisen, werde ich die paulinischen Beziehungen zu den Mitkommunikatoren gesondert von denen zu den Rezipienten betrachten. Die Beziehung zwischen Kommunikator und Rezipienten ist deutlich von einem Kommunikationsgefälle geprägt. Als Apostel und Gründer der Gemeinde fühlt sich Paulus in der Sache klar übergeordnet. Er gesteht damit seine Rollenmacht bei der Erstverkündigung nicht nur ein, sondern baut sie durch Vater-Metaphorik und Beanspruchung einer Vorbild-Funktion systematisch über den ersten Kommunikationsprozesses hinaus aus. Er kommuniziert nicht nur die Botschaft des Evangeliums selbst, sondern auch ein Selbstbild (Apostel, Vater, Vorbild), das ihn in eine „ exklusive Relation “ zu den Rezipienten versetzt. Die Legitimation seiner Autorität ist darum auch andauerndes Beziehungsthema, das Paulus durch Verweis auf die Botschaft, die er gebracht hat, und das Faktum, dass er Gründer der jeweiligen Gemeinde ist, einer Lösung zuzuführen versucht. Gleichzeitig hält er sich - bei aller Gleichwertigkeit (koinwni,a, Wettkampf-Motiv, Auferstehung) - in der Zuordnung zur Versammlung der Rezipienten und der persönlichen eschatologischen Heilsperspektive immer auf Distanz, einerseits vielleicht um seine Autorität zu wahren, andererseits vielleicht auch weil er sich seiner Sonderrolle als Apostel sehr bewusst ist. Autorität und Apostolat sind allerdings rückgebunden an die Botschaft des 348 6 Die Beziehungen des Kommunikators Evangeliums, und ebenso ist es auch die Beziehung, die Paulus zu seinen Rezipienten installiert. Er erwartet nicht Nachahmung oder Gehorsam um seiner Person willen, sondern für die „ Errettung vieler “ , also um der Verkündigung des Evangeliums willen. Das schließt sowohl die Rezipienten selbst ein, die durch ihr Verhalten nicht ihr eigenes Heil gefährden sollen, als auch diejenigen, denen das Evangelium noch nicht bekannt ist, und denen kein unnötiger „ Anstoß “ gegeben werden darf. Die Beanspruchung von Gehorsam nicht nur in soteriologischen Fragen des Evangeliums, sondern auch in ethischen Fragen im Nachgang der Erstverkündigung hat darin ihren Grund, dass auch das Verhalten der Rezipienten erheblichen Einfluss auf den Erfolg der Evangeliumsverkündigung gegenüber Dritten hat. Paulus „ empfiehlt “ sich und seine Botschaft nicht nur bei der eigenen Verkündigung, sondern auch durch das liebevolle und wahrhaftige Verhalten seiner Gemeinden, die ebenso wie er „ Modell “ des Evangeliums sind. Zugespitzt könnte man sagen: Indem Paulus weiterhin intensiven Kontakt mit seinen Gemeinden durch Briefe, Besuche und den Austausch durch Boten sucht, arbeitet er an der Verkündigung des Evangeliums, denn sie sind des Apostels und des Evangeliums „ Multiplikatoren “ . Doch damit greife ich bereits den Überlegungen zu den Medien des Evangeliums im folgenden Kapitel vor. 309 Welche Rolle spielen die Mitkommunikatoren für den Kommunikator und den Kommunikationsprozess des Evangeliums? Die Mitarbeiter können wohl grundsätzlich als Multiplikatioren der paulinischen Botschaft betrachtet werden: Wo sie (das Evangelium) kommunizieren, tun sie das (mehr oder weniger) stellvertretend für Paulus. Anders ist das Verhältnis zu unabhängigen Kommunikatoren zu beurteilen: Allein ihre Existenz zwingt Paulus zu einer Auseinandersetzung und auch der Rechtfertigung seiner Botschaft als wahr und richtig gegenüber den Rezipienten. Die Rezipienten haben die Möglichkeit, sich auch anderweitig zu „ informieren “ und zu ggf. abweichenden Schlüssen zu gelangen. Erst durch unabhängige Kommunikatoren werden die Rezipienten wirklich mündig im Blick auf die Botschaft des Evangeliums. Sie werden zu selbstständigem, kritischem Denken genötigt, das nicht nur auf die Entscheidung für oder gegen das Evangelium beschränkt ist, sondern auch eine Wahl zwischen dem „ wahren “ und den „ falschen “ Evangelien miteinschließt. Entsprechend können die unabhängigen Kommunikatoren den Kommunikationsprozess, die Verkündigung des Evangeliums, in positiver oder negativer Weise beeinflussen: Entweder bestätigen sie die Wahrheit des paulinischen Evangeliums und vergrößern durch die Weitergabe dessen Reichweite. Oder sie widersprechen ihm, „ werben “ die Rezipienten ab und machen die Arbeit des 309 Siehe Kap. 7.4.3. 6.3 Auswertung 349 Paulus (in dessen Perspektive) zunichte. Die Existenz der unabhängigen Kommunikatoren macht die paulinische Verkündigung reifer, reflektierter und ausgefeilter (vgl. die rhetorische und argumentative Brillanz seiner Briefe). Sie schärfen und bereichern sein theologisches Denken (auch die Mitarbeiter! ). Der Widerstand gegen sein Evangelium stellt aber zugleich auch eine große emotionale Belastung und Kraftanstrengung für seine Arbeit dar, die er durch sein Selbstbewusstsein als Apostel und die damit verbundene Berufung von Gott selbst auffangen muss. In der Auseinandersetzung mit anderen Kommunikatoren wird deutlich, dass Paulus seine Konzeption des Evangeliums prinzipiell für übertragungsfähig auf die Arbeit anderer Verkündiger hält: Auch sie - Mitarbeiter wie unabhängige - können Kommunikatoren des paulinischen oder eben eines „ anderen “ Evangeliums sein. Die Kommunikations-Konzeption „ Evangelium “ ist für Paulus im Kontext der urchristlichen Verkündigung also allgemeingültig und nur hinsichtlich des „ wahren “ oder „ falschen “ Inhaltes der Botschaft zu differenzieren. 350 6 Die Beziehungen des Kommunikators Abb. 7 Die Gestaltung der Beziehung des Kommunikators zu den Rezipienten 6.3 Auswertung 351 Abb. 8 Die Beziehung des Kommunikators zu den Mitkommunikatoren 352 6 Die Beziehungen des Kommunikators 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Dieses Kapitel geht der Frage nach, wie Paulus den mit dem Evangelium verbundenen Kommunikationsprozess versteht und welche Medien er damit in Verbindung bringt. Dazu wende ich mich zunächst der mit dem Evangelium verbundenen Terminologie zu, die bereits erste Rückschlüsse zulässt (7.1). Anschließend wird anhand verschiedener Schlüsselstellen die paulinische Perspektive auf den Verkündigungsprozess selbst analysiert (7.2). In einem dritten Schritt kann dann nach dem Charakter der paulinischen Verkündigung gefragt werden: Hat er das Evangelium eher als Gegenstand der Erstverkündigung oder der fortlaufenden Verkündigung im Blick? (7.3). Es folgen die konkrete Suche nach möglichen Medien als „ Transportmittel “ des Evangeliums (7.4) und eine Untersuchung zum Grad der Öffentlichkeit des paulinischen Evangeliums (7.5). Mit diesen Aspekten erschließt sich ein Gesamtbild vom Kommunikationsprozesses um das Evangelium, wie Paulus ihn sich vorstellt. 7.1 Terminologie des Prozesses Die mit dem Evangelium bei Paulus verbundenen Begriffe können erste Hinweise geben, wie er die Kommunikation der Botschaft wahrnimmt und in seine Konzeption einordnet. Neben den Verben, mit denen Paulus seine Verkündigung benennt, gibt es auch einige Substantive, die mit euvagge,lion in Verbindung stehen und zum Teil als Äquivalente zu ihm erscheinen können. Von den wichtigsten werden wir uns einen kurzen Eindruck verschaffen und jeweils den durch sie vermittelten Charakter des Verkündigungsprozesses festhalten. 7.1.1 Lexikon und Semantik der Verkündigung Das häufigste Verb in Verbindung mit euvagge,lion ist euaggeli,zomai (1Kor 9,18; 15,1; 2Kor 11,7; Gal 1,11). Paulus verwendet es insgesamt 19 mal. Dabei ist ein nicht-technischer Sinn ( „ verkündigen, gute Nachricht bringen “ ) und ein Gebrauch als terminus technicus für „ die Christusbotschaft/ das Evangelium verkündigen “ zu unterscheiden. 1 Ersterer unterscheidet sich vom technischen Gebrauch v. a. hinsichtlich des Objektes der Verkündigung - z. B. Glaube, (Gal 1,23), Friede (Röm 10,15) oder auch das Verhalten (1Thess 3,6). Bei zweiterem steht das Heilsgeschehen in Christus im Mittelpunkt. Die gelegentliche Kombination des Verbs mit euvagge,lion oder lo,goj impliziert eine Wechselbeziehung, die im technisch gebrauchten, absoluten euaggeli,zomai vorauszusetzen ist. 2 Der traditionsgeschichtliche Ursprung des Begriffs, und damit sein technischer Gebrauch bei Paulus, erschließt sich von Röm 10,15 her. Hier zitiert Paulus aus Jes 52,7 (w`j w`rai/ oi oi` po,dej tw/ n euvaggelizome,nwn Îta.Ð avgaqa,). Damit knüpft er an die jüdisch-palästinische Tradition an, „ nach der die Wächter auf den Mauern in Deuterojesaja, die Zeugen des Kommens Jahwes, zu Evangelisten werden. “ 3 Der paulinische Gebrauch ist also vom prophetischen inspiriert als Ansage des (eschatologischen) Heils. 4 Dem entspricht die sonst nirgends belegte paulinische Neuschöpfung proeuaggeli,zomai (Gal 3,8), die den Zuspruch Gottes an Abraham als „ Vorabverkündigung “ des paulinischen Evangeliums interpretiert (vgl. Röm 1,2: proepagge,llomai). 5 Darüber hinaus kann anhand des technischen Gebrauchs von euaggeli,zomai bei Paulus auch jener, aus der prophetischen Tradition Deuterojesajas bekannte Charakter eines wirkmächtigen Geschehens, das selbst vollbringt, was es ansagt, beobachtet werden. Das rückt das Verb in große Nähe zum Substantiv euvagge,lion, das bei Paulus auch für das Verkündigungsgeschehen selbst stehen kann. 6 In welchem inhaltlich-konzeptionellen Zusammenhang stehen euaggeli,zomai und euvagge,lion bei Paulus? Mit seinem prophetischen Erbe und der Ableitung aus dem mit euvagge,lion gemeinsamen Wortstamm (euaggel-) ist euaggeli,zomai eigentlich der ideale terminus technicus für dessen Verkündigung. Dennoch bedient sich Paulus in Verbindung mit dem Evangelium viel öfter anderer Begriffe. DerAkzent liegt bei ihm also offenbar auf dem Evangelium und weniger auf der verbal ausgedrückten Art seiner Verkündigung. Auch die mit euaggeli,zomai verbundenen, prophetischen Vorstellungsgehalte sind nur insofern relevant, als sie der Konzeption von Evangelium dienstbar gemacht werden, z. B. durch das Bild der laufenden Freudenboten. 1 Vgl. STRECKER, G., Art. euvaggeli,zw, EWNT II, 173 - 176; 174. 2 Vgl. STRECKER, Art. euvaggeli,zw, aaO., 175. 3 FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 716. 4 Vgl. STRECKER, Art. euvaggeli,zw, aaO., 174. Zu dieser Ableitung des Begriffs siehe die Ausführungen im forschungsgeschichtlichen Überblick (Kap. 2.3.2) und zu Paulus als Prophet (Kap. 5.1.4 b). 5 Vgl. FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 735. 6 Zur traditionsgeschichtlichen Fragestellung und weiterer Literatur siehe Kap. 2.3.2. 354 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Neben euaggeli,zomai verwendet Paulus weitere Komposita des avgge,llw- Stammes, die ebenfalls eine sprachliche Verwandtschaft zu euvagge,lion aufweisen. 7 Sie spielen jedoch rein zahlenmäßig keine allzu große Rolle: Nur fünf von insgesamt 16 Belegen sind mehr oder weniger explizit auf die Verkündigung des Paulus bezogen. Vier dieser fünf Belege entfallen auf katagge,llw, das Paulus profiliert für die Verkündigung des Evangeliums nur in 1Kor 9,14 und Phil 1,17 f (dort eigentlich bezogen auf andere Missionare, aber in Analogie zu Paulus) verwendet. Auch 1Kor 2,1 meint sinngemäß die Evangeliumsverkündigung (vgl. die Angabe kavgw. evlqw.n pro.j u`ma/ j), gibt aber als Objekt das musth,rion tou/ qeou/ an, das der folgende Vers als den gekreuzigten Christus präzisiert. 8 In Röm 15,21 bezieht Paulus Jes 52,15 auf seine Missionsarbeit und übernimmt dabei das avnagge,llw aus der Septuaginta als gültige Bezeichnung für seineVerkündigung. 9 Dazu treten Belege, die nur indirekt mit der Verkündigung in Verbindung stehen: In Röm 1,8 dankt Paulus für die Verkündigung des Glaubens der Römer in aller Welt (katagge,lletai); Röm 9,17 greift diagge,llw im Rahmen eines Septuagintazitates von Ex 9,16 auf: Wie der Pharao angesichts der Plagen von Gott verstockt wird, sind auch jene ( Juden) von Gott verstockt, die sich der Verkündigung des Evangeliums verschließen; die beiden Belege von avpagge,llomai haben eher bekenntnishaften Charakter: In 1Thess 1,9 wird Paulus von Bekehrung und Glauben seiner Thessalonicher berichtet, in 1Kor 14,25 wird der Nichtglaubende durch die gottesdienstliche Gemeinschaft zum Bekenntnis o; ntwj o` qeo.j evn u`mi/ n evstin geführt. In eine ähnliche Richtung geht 1Kor 11,26, wo die Gemeinde durch Essen und Trinken der Abendmahlsgaben den Tod des Herrn verkündet (katagge,llete). v Epagge,llomai und paragge,llw schließlich sind Komposita, an denen sich eine Abgrenzung zur Verkündigungstätigkeit des Paulus ablesen lässt. vEpagge,llomai ist an beiden Stellen seines Vorkommens an die Abrahams-Verheißung gebunden (Röm 4,21; Gal 3,19) und damit klar alttestamentlich konnotiert. In seiner Bedeutung ist es eher mit proeuaggeli,zomai oder proepagge,llomai vergleichbar. paragge,llw dagegen beinhaltet eine stark autoritäre Komponente, die sich so sonst auch nicht im Kontext der Verkündigung findet (1Kor 7,10; 11,17; 1Thess 4,11). Das „ Befehlen “ des Paulus baut zwar auf der geschehenen Verkündigung auf, ist jedoch nicht in deren Rahmen anzusiedeln. Trotz einer gewissen Austauschbarkeit der avgge,llw-Komposita aufgrund ihrer gemeinsamen Hauptbedeutung „ botschaften, ansagen, proklamieren “ , 7 Interessanterweise ist die Grundform avgge,llw bei Paulus überhaupt nicht zu finden. 8 Vgl. zum „ Geheimnis-Charakter “ des Evangeliums Kap. 5.2.2 a. 9 Der zweite Beleg zu avnagge,llomai in 2Kor 7,7 ist von wenig Signifikanz: Es geht um das bloße Erzählen bzw. Berichten des Titus aus der Gemeinde in Korinth. 7.1 Terminologie des Prozesses 355 bieten sie bei Paulus kontextbedingt ein breites Spektrum an Akzentuierungen, wobei der Zusammenhang mit der paulinischen Verkündigung natürlich eine Schlüsselstellung einnimmt. 10 Darin besitzt katage,llw sowohl bei Paulus als auch im gesamten Neuen Testament klar den „ stärksten Akzent “ . 11 Dass sich Paulus dieser sprachlichen Vielfalt bedient, zeigt, dass seine Vorstellung vom Verkündigungsgeschehen nicht auf einen Begriff festgelegt ist. Er kann die Akzente unterschiedlich setzen: auf den hervorzuhebenden Inhalt (z. B. Christus als Gekreuzigten, 1Kor 2,1 f), auf die Reaktion des Rezpienten (Hören, 15,21; Glauben, Röm 1,8; Bekenntnis 1Thess 1,9; 1Kor 14,25), auf die Ursprünge des Evangeliums in der alttestamentlichen Tradition (Abrahamsverheißung, Röm 4,21; Gal 3,8.19; prophetische Tradition, Röm 1,2; 10,15) oder auf seine eigene Rolle (Autorität, 1Kor 7,10; 11,17; 1Thess 4,11). Ein weiteres wichtiges Verb, mit dem Paulus seine Verkündigung bezeichnet, ist khru,ssw (2Kor 11,4; Gal 2,2; 1Thess 2,9). Paulus benutzt das Verb insgesamt 16 mal, wobei es in seiner Verwendung nicht auf das Evangelium festgelegt ist, sondern auch nur Teilaspekte (1Kor 1,23: Christus als gekreuzigt; 15,12: Auferstehung; 2Kor 4,5: Christus als Herr) oder mit dem Evangelium nicht unmittelbar in Verbindung stehende Inhalte (Röm 2,21: das Gebot, nicht zu stehlen; Gal 5,11: Beschneidung) als Objekt haben kann. Das weist khru,ssw als allgemeineren Ausdruck der Mitteilung aus, der seinen Inhalten nach heilsrelevante Informationen und seiner Kommunikationsstruktur nach ein Gefälle, eine Art „ belehrenden “ Charakter, besitzt (vgl. Röm 2,21; 1Kor 9,27). Diese Aspekte sind durch die Übersetzung Luthers mit „ predigen “ adäquat zum Ausdruck gebracht. Nur unzureichend ist damit dagegen ein dem Sprachgebrauch der Septuaginta entnehmbares Phänomen berücksichtigt. Sie gibt mit khru,ssw vorwiegend Ausdrücke wieder, die ein lautes Schreien bzw. Rufen intendieren (z. B. arq ). 12 Enstprechend erhält das Verb auch im Neuen Testament die Bedeutung „ Ausrufen eines Ereignisses, proklamieren “ . 13 Eine ähnliche Akzentuierung lässt sich auch aus dem griechischen Kontext her vom „ Ausrufer “ , dem Herold (khru,x) belegen: Dessen wichtigste Eigenschaft ist eine „ laute, weittragende und wohlklingende Stimme “ , mit der er nicht nur Verfügungen und Bekanntmachungen der Öffentlichkeit mitteilt, sondern auch bei der Volksversammlung oder bei Gericht Ruhe und Ordnung herstellt. 14 Wenn Paulus khru,ssw gelegentlich zur Beschreibung der Verkündigung des Evangeliums 10 Vgl. SCHNIEWIND, J., Art. avggeli,a ktl, ThWNT 1, 56 - 71; 57; vgl. auch zum Sprachgebrauch in Koine- und Septuaginta-Griechisch (61; 64). 11 Vgl. SCHNIEWIND, Art. avggeli,a ktl, aaO., 58. 12 Vgl. FRIEDRICH, G., Art. kh/ rux ktl, ThWNT 3, 682 - 717; 698. 13 Vgl. FRIEDRICH, Art. kh/ rux ktl, aaO., 702. 14 FRIEDRICH, Art. kh/ rux ktl, aaO., 685. 356 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums verwendet, impliziert er damit ein lautes und öffentliches Geschehen, das sich auch hier wieder in Nähe zur prophetischen Verkündigung befindet. Denn in diesem Kontext greift die Septuaginta auffällig häufig auf khru,ssw zurück (z. B. Mi 3,5; Jon 1,2; 3,4; Jer 20,8; Jes 61,1; Hos 5,8). 15 Mit vier Belegen (wenn man Röm 16,25 für authentisch hält) begegnet kh,rugma viel seltener, als vom Verb her zu erwarten wäre. Das legt den Verdacht nahe, dass Paulus es als reine Substantivierung des Verbs versteht. Dann kann kh,rugma als öffentliches, „ predigendes “ Verkündigen verstanden werden, das zunächst nur eine Form der Verkündigung, aber keine inhaltliche Komponente umfasst. Die einzelnen Belege berstätigen diesen Eindruck: Durchgängig bezeichnet es die Handlung, also den Akt des Verkündigens, zu dem eine inhaltliche Bestimmung erst hinzutritt (1Kor 1,21; 2,4: Weisheit Gottes; 15,14: Christus und dessen Auferstehung; Röm 16,25: Jesus Christus). 16 Das unterscheidet kh,rugma grundlegend vom paulinischen Sprachgebrauch von euvagge,lion. Direkt miteinander in Verbindung stehen beide nur in Röm 16,25, wobei jedoch die textkritische Einordnung des gesamten Abschnitts und insbesondere der Verse 25 - 27 schwierig ist. Ohnehin lässt die Beiordnung von Evangelium und Christuspredigt, durch die das musth,rion offenbart wird, großen Interpetationsspielraum, sodass an dieser Stelle keine schlüssigen Erkenntnisse zu erwarten sind. Aufschlussreicher sind die Belege aus dem 1. Korintherbrief, die allesamt einen Bezug zum Glauben als Konsequenz der Predigt herstellen. 1Kor 1,21 charakterisiert die Predigt als Torheit (mwri,a) in den Augen der Welt, weil ihr Inhalt der gekreuzigte Christus ist, worin sich allerdings die Weisheit Gottes manifestiert. 1Kor 15,14 hält die Predigt für leer bzw. vergeblich (keno,j), wenn die von ihr verkündigte Auferstehung Christi nicht stattgefunden hat. 1Kor 2,4 schließlich verweist auf Mittel der Verkündigung, die sich neben dem Wort (lo,goj) noch hinter kh,rugma verbergen könnten: avpodei,xij pneu,matoj kai. duna,mewj. Diesen werde ich mich im Folgenden noch einmal gesondert widmen. 17 lo,goj ist bei Paulus ein wichtiger und häufig gebrauchter Begriff (48 Belege). Er verbindet damit zunächst das an Israel ergangene Wort Gottes (Röm 9,6) und scheint neben der Tora auch die Gesamtheit der alttestamentlichen Überlieferung vor Augen zu haben (z. B. Abrahamsverheißung: Röm 9,9; Prophetenwort: 9,27 f; evtl. auch Dekalog, der im Nächstenliebegebot zusammengefasst wird: Röm 13,9). Diesem Gotteswort entspricht für Paulus das von ihm verkündigte Evangelium (1Kor 14,36; 15,1 f; 2Kor 2,17; 4,2). Mit der Wendung 15 Vgl. FRIEDRICH, Art. kh/ rux ktl, aaO., 699 f. 16 Vgl. FRIEDRICH, Art. kh/ rux ktl, aaO., 702 f; 715. 17 Siehe Kap. 7.4.3 e. 7.1 Terminologie des Prozesses 357 „ Wort der Verheißung “ (Röm 9,9) ordnet er das alttestamentliche Gotteswort dem Evangelium zu und macht es zum heilsgeschichtlichen „ Vorspann “ . 18 Das Evangelium als Gotteswort ist deutlich vom Menschenwort zu unterscheiden (1Thess 2,13; 1,5; 2,5; 1Kor 1,17; 2,13; 2Kor 11,6). 19 Besonders die Wendung „ Wort vom Kreuz “ (tou/ staurou/ , 1Kor 1,18) konstrastiert dessen Botschaft mit „ weltlicher Weisheit “ . Sie legt den Fokus auf den Wiederspruch von Leiden und Kreuzestod und Christusbzw. Gottessohn-Sein Jesu (to. ska,ndalon tou/ staurou/ , Gal 5,11; vgl. 1Kor 1,23). Es ist „ Wort der Versöhnung “ (th/ j katallagh/ j, 2Kor 5,19), weil es von der Versöhnung Gottes mit der Welt in Christus berichtet. Aus der Versöhnung resultieren Heil und Leben für den Menschen, weswegen Paulus auch vom Wort des Lebens (zwh/ j, Phil 2,16) spricht. Das Evangelium - von seinem Verkündiger in angemesser Weise und aus lauteren Motiven verkündigt - ist darum „ Wort der Wahrheit “ (th/ j avlhqei,aj, 2Kor 6,7), weil nicht nur der Übermittler glaubwürdig ist, sondern auch die Botschaft grundsätzliche Wahrheit über Welt- und Gottesbeziehung des Menschen enthält (2Kor 1,12; 1Thess 2,5; 2Kor 4,2). 20 Das Wort ist wahr, weil es von Gott ist (vgl. 2Kor 2,17). Auch das von Paulus zitierte „ Herrenwort “ (1Thess 4,15; 1Kor 7,10) fügt sich in diese Kategorie der Gottesrede auf eigentümliche Weise ein: Es hat hohen autoritativen Stellenwert. Seine Verbindung mit der Botschaft des Evangeliums z. B. über die Person - der Redende ist immerhin Christus - wird jedoch von Paulus nirgends explizit thematisiert. Immer wieder wird anknüpfend an 1 Kor 15,2 von einem bestimmten Wortlaut (ti,ni lo,gw| ) des Evangeliums ausgegangen, das Paulus den Korinthern ins Gedächtnis ruft und das er in den folgenden Versen 3 b-5 a regelrecht zitieren kann. 21 Jedoch ist offensichtlich nicht die wiedergegebene „ Form “ , der Wortlaut des Evangeliums strittig - dieser war den Korinthern doch wohl mit der paulinischen Verkündigung bekannt (vgl. V.3 a) - , sondern eher die Deutung des wiedergegebenen Evangeliumsinhaltes. 22 So formuliert Paulus in VV.12 f nicht die Abwendung vom Wortlaut des Evangeliums als Problem (Christus ist Auferstanden), sondern eine Fehlinterpretation desselben (Es gibt keine Auferstehung der Toten): Nicht das Fehlen von Glauben, sondern das „ vergebliche “ 18 Vgl. RITT, H., Art. lo,goj, EWNT II, 880 - 887; 884. 19 Vgl. RITT, Art. lo,goj, aaO., 883. 20 Vgl. RITT, Art. lo,goj, aaO., 884. 21 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 329; „ Paulus bezeichnet den Text als euvagge,lion, d. h. er zitiert ihn als eine im Wortlaut feststehende formelhafte (Kurz-)Fassung der von ihm verkündigten guten Nachricht “ (330); WOLFF, ThHK 7, aaO., 355; ähnlich MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 259; SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 30, 22 Vgl. LANG, F., Die Briefe an die Korinther, NTD 7, Göttingen/ Zürich 1986., 209. 358 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Glauben bereitet ihm Sorgen (V.2; 14). 23 Nichtsdestotrotz kann ein Erkenntnisgewinn aus dieser Passage gezogen werden: Mag lo,goj hier auch nicht für einen besonderen Wortlaut des Evangeliums stehen, so ist es dennoch Instrument sowohl zu dessen Vermittlung als auch zu dessen Explikation und Interpretation. 24 Für Paulus sind alttestamentliches Gotteswort und Evangelium gleichwertig, aufeinander bezogen und doch in einer eindeutigen zeitlichen Abfolge zu sehen. Das Evangelium ist das „ letzte Wort “ , die Erfüllung der vorangehenden Verheißung, die auf es hindeuten und es bestätigen. Es unterscheidet sich damit fundamental vom „ Menschenwort “ , widerspricht im Kreuz jeder menschlichen Weisheit und ist damit wahres, versöhnendes, lebenspendendes Heilswort. Weiterhin stellt sich lo,goj als zentrales Medium der Evangeliumsverkündigung dar. Der „ lehrhafte “ Charakter der Evangeliumsverkündigung ist bei kh,rugma bereits angeklungen. Von daher ist es naheliegend, die Verkündigung des Evangeliums auch als „ Unterweisung “ in einem bestimmten Inhalt zu verstehen: So parallelisiert Paulus z. B. in Röm 2,21 khru,ssw mit dida,skw. Hier ist die „ Lehre “ zugespitzt auf das jüdische Gesetz. In direktem Zusammenhang mit euvagge,lion benutzt Paulus nur in Gal 1,11 f pädagogisches Vokabular, und zwar in deutlicherAbgrenzung (ou; te) von derAnnahme des Evangeliums (paralamba,nw). Der Schwerpunkt liegt hier auf dem Subjekt des Lehrens, nämlich den Menschen, im Gegenüber zur Offenbarung durch Gott/ Christus. Andernorts bezeichnet Paulus seine Tätigkeit als „ Lehren “ bzw. die von ihm verbreitete Botschaft als Lehre (1Kor 4,17; 14,6; Röm 6,17; 16,17). 25 Es deuetet sich jedoch eine Unterscheidung zwischen seiner eigentlichen Verkündigungstätigkeit als Apostel und der als Lehrer an. Die Erwähnung von didach, und dida,skw im Kontext von Gemeindefunktionen bzw. -charismen (Röm 12,7; 1Kor 14,6.26) verstärkt diese Differenzierung. 26 Was versteht Paulus unter „ Lehren “ ? In 1Kor 11,14 „ lehrt “ die Natur, dass langes Haar beim Mann „ unehrenhaft “ , bei der Frau dagegen „ ehrenvoll “ ist. Die Natur gibt also ein Beispiel und ist damit zugleich Orientierungshilfe und 23 Einen ähnliche Auseinandersetzung um die richtige Interpretation des Evangeliums findet sich in 1Kor 1,18. Hier spitzt Paulus die Deutung auf eine Perspektive vom Kreuz her zu. 24 Vgl. LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 332. 25 Auch andernorts im Neuen Testament findet sich ein ähnlicher Gebrauch parallel zu euvaggeli,zomai (Lk 20,1; Apg 5,42) oder khru,ssw (Mt 4,23; Apg 28,31). 26 Zu Lehre/ Schule bei Paulus vgl.: SCHMELLER, T., Paulus und die „ Diatribe “ . Eine vergleichende Stilinterpretation, Münster 1987; VEGGE, T., Paulus und das antike Schulwesen. Schule und Bildung des Paulus, Berlin 2006. Beide Monographien gehen v. a. auf die Ursprüngen der paulinischen Bildung in seiner vorchristlichen Prägung ein; T. Schmeller liefert eine interessante Studie zum „ lehrhaften “ Stil bei Paulus und in der Diatribe. 7.1 Terminologie des Prozesses 359 -maßstab. Dieser Gebrauch erinnert an den Kontext des Wortes in der Septuaginta, wo es Vorzugswort für die Wiedergabe von dml ist und zwar sowohl im profanen wie im religiösen Bereich: Dida,skw erhebt dort grundsätzlich Anspruch auf den ganzen Menschen (Ps 93,10; Hi 22,2; Dtn 4,1.10). 27 Vor allem aber steht es für die (Hilfe zur) Orientierung am Gesetz als Zusammenfassung des göttlichen Willens, die in der rabbinischen Tradition in der Auslegung der Tora besteht. Mit Hilfe der Schriftauslegung leiten die Rabbinen an „ zur Ordnung des Verhältnisses des einzelnen Menschen zu Gott selbst und zum Nächsten im Sinne des göttlichen Willens “ . 28 Lehren und Schriftauslegung, Lehre und Tora als Gotteswort fließen ineinander. 29 Diese Vorstellung steht wohl hinter Röm 2,21 und kann auch das Verhältnis von didach, / dida,skw und euvagge,lion bei Paulus erhellen: Einerseits entspricht der Tora als dem alttestamentlichen Gotteswort das Evangelium (siehe lo,goj). Es kann daher ebenso „ ausgelegt “ und „ gelehrt “ werden. Andererseits - und dafür liefern die Paulusbriefe mehr als genug Belege - besteht ein enger Zusammenhang zwischen Schriftauslegung, Schriftbeweis und Erklärung des Evangeliums bei Paulus. 30 Gerade gegenüber Juden(-christen) ist der Schriftbeweis für Paulus zentrales Argumentationsmittel und auch für Heidenchristen unverzichtbar, um das Evangelium im gesamtbiblischen Kontext zu verstehen. 31 Es liegt also nahe, „ Lehren “ als bestimmte Form der Kommunikation und insbesondere der Explikation des Evangeliums zu begreifen, nämlich unter Rückbezug auf die Schrift. Wie bereits gesagt, war eine solche Unterweisung mitsamt den Grundlagen des jüdischen Glaubens besonders für Heidenchristen unverzichtbar, um die Aussage des Evangeliums zu verstehen. 32 Da es sich hierbei aber nur um ein prozessuales und zirkuläres Geschehen handeln kann, ist eine zeitliche Verortung des Lehrens, z. B. im Rahmen der Erstverkündigung oder der fortlaufenden Verkündigung, nicht möglich. Den daraus resultierenden Doppelcharakter von euvagge,lion als offenbartem Gotteswort und gleichzeitig durch „ Lehre “ vermittelbarem Wissen unterstreicht die Verbindung mit dem Verb gnwri,zw. An beiden einschlägigen Stellen geht es im Grunde um eine Erinnerung an die bereits zurückliegende paulinische Verkündigung (Gal 1,11; 1Kor 15,1). 33 Umso auffälliger ist es, dass Paulus sich 27 Vgl. RENGSTORF, K. H., Art. dida,skw, ThWNT 2, 138 - 168; 139. 28 RENGSTORF, Art. dida,skw, aaO., 140. 29 Vgl. RENGSTORF, Art. dida,skw, aaO., 149. 30 Vgl. RENGSTORF, Art. dida,skw, aaO., 148. 31 Vgl. RENGSTORF, Art. dida,skw, aaO., 149. 32 Siehe Kap. 4.1.4. 33 Vgl. auch Röm 16,25 f, das allerdings textkritisch umstritten ist und darum hier unberücksichtig bleibt. 360 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums nicht der Verben mnhmoneu,w oder mimnh,|skw bedient. Wirft man einen Blick auf die insgesamt neun Belege, lässt sich eine Nähe zur Offenbarungsterminologie beobachten 34 : Gott zeigt seine Macht und Herrlichkeit am verlorenen Menschen (Röm 9,22 f; vgl. die Parallelsetzung zu evndei,knumai). Gal 1,11 macht deutlich, dass das von Paulus verkündigte Evangelium nicht menschlicher Natur ist, sondern sich einer Offenbarung Christi verdankt. Aber auch ein proklamatorischerAspekt ist gnwri,zw zueigen, wo Paulus das Evangelium, dessen Herkunft oder den Zusammenhang zwischen Geistbesitz und Bekenntnis zu Christus als Herr kundtut (Gal 1,11; 1Kor 12,3; 15,1). Hier kann es geradezu die Funktion eines „ Aufmerksamkeitsmarkers “ einnehmen. Es entsteht der Eindruck, dass Paulus durch gnwri,zw dem Folgenden einen gewissen autoritativen Nachdruck verleihen und den Leser von der Richtigkeit seiner Feststellung überzeugen möchte. 35 Offenbarender und autoritativ-unterweisender Charakter der paulinischen Evangeliumsverkündigung fließen ineinander. Andererseits wird das Evangelium aber auch als Größe markiert, über die man etwas wissen kann. 36 avkoh, bezeichnet zunächst einfach die „ Hörfähigkeit “ des Menschen (1Kor 12,17). Das Hören ist Voraussetzung der Mitteilung und des sich daraus ergebenden Verstehens (z. B. der Zungenrede, 1Kor 14,2). 37 So meint avkouw, bei Paulus „ den Vorgang einer Information “ , die er erhält (1Kor 5,1; 11,18; Phil 1,27), die andere über ihn erhalten (Gal 1,13.23; Phil 1,30) oder die er selbst vermittelt (Phil 4,9; 2Kor 12,6). 38 Gegenstand der Mitteilung und des Hörens ist das Wort (r`h/ ma, Röm 10,8.17 f). 39 Handelt es sich bei dem gehörten Wort um das Evangelium, so übernimmt avkoh, die Bedeutung der „ Predigt “ (1Thess 2,13; Röm 10,16 f, Gal 3,2.5), wobei der Akzent auf dem akustischen Hör-Akt als Form der Weitergabe liegt. 40 Wird das Wort nicht nur gehört und verstanden, sondern führt zu „ Gehorsam “ (u`pakoh,) bzw. Glauben (pi,stij) gegenüber dem Evangelium (Röm 10,16 f ), haben sich beide wiederum „ Gehör verschaffen “ und damit zur „ Predigt “ des Evangeliums werden können (Röm 1,5; 16,26; Gal 3,2.5). Die in r`h/ ma und avkoh, zum Ausdruck kommende theologische Qualität des Sprechens und Hörens ist ein entscheidendes Moment der Kommunikation des 34 Siehe Kap. 5.1.2 b. 35 Vgl. dazu die pragmatische Pointe in 2Kor 8,1 f, wo Paulus die Korinther auf die Gnade (ca,rij) der Makedoniern hinweist, die trotz ihrer Verfolgung großzügig für die paulinische Sammlung gespendet haben. Das ist natürlich keine reine Information, sondern eine geschickte Herausforderung, ebenso reichlich zu geben. 36 Vgl. zu gnwri,zw als Wissen/ Wissensvermittlung: Phil 1,22 (Paulus weiß nicht, was er wählen soll) und 4,6 (Gott die eigenen Anliegen im Gebet wissen lassen). 37 Vgl. SCHNEIDER, G., Art. avkou,w ktl, EWNT I, 126 - 132; 129 f. 38 Vgl. SCHNEIDER, Art. avkou,w ktl, aaO., 129. 39 Vgl. RADL, W., Art. r`h/ ma, EWNT III, 505 - 507. 40 Vgl. SCHNEIDER, Art. avkou,w ktl, aaO., 126 f; 130. 7.1 Terminologie des Prozesses 361 Evangeliums. 41 Sie trägt der mündlichen Mitteilung des Evangeliums und dessen unmittelbarer Bindung an sprechende und hörende Personen Rechnung. Mit parakale,w (1Thess 2,12) wende ich mich einem bei Paulus häufigen (40 Belege), in Bezug auf das Evangelium aber eher untergeordneten Begriffsfeld zu. Im unmittelbaren Kontext von euvagge,lion ist para,klhsij bereits in 1Thess 2,3 begegnet, wo ich nicht von einer zeitlichen und sachlichen Identität ausgegangen bin. Im Gegenteil hat sich mir die Paraklese als „ Ermutigung “ im Sinne einer seelsorgerlichen Begleitung der Gemeinde angesichts der Verfolgungssituation erschlossen, die allerdings hier unter Verweis auf die Glaubwürdigkeit der erfolgten Evangeliumsverkündigung geschieht. 42 Diese Unterscheidung lässt sich auch anhand des übrigen Gebrauchs von Verb und Substantiv nachvollziehen. parakale,w zählt zu den wichtigsten Begriffen des Sagens und Beeinflussens im Neuen Testament. 43 Paulus gebraucht es in den Bedeutungen „ bitten “ (2Kor 12,8), „ ermahnen “ (Röm 12,1) und „ trösten “ (Röm 15,4), wobei diese Übersetzungen nicht ganz unproblematisch sind und die Zuordnung im Einzelnen weitestgehend der kontextuellen Interpretation vorbehalten bleibt. 44 Aus der außerneutestamentlichen Begriffsgeschichte sind v. a. zwei Beobachtungen erwähnenswert: In der griechischen Rhetorik ist para,klhsij Gattungsbegriff für die um Zustimmung zu einer grundsätzlichen Auffassung werbende Rede. 45 Dem entspricht wohl am ehesten der „ bittende “ oder „ ermahnende “ Charakter von parakale,w, freilich ergänzt um den Aspekt der Überzeugung. Aus dem jüdischen Bereich ist die Septuaginta „ stilprägend “ für das Neue Testament geworden. Sie gibt mit parakale,w vor allem mxn (trösten) und dessen Äquivalente wieder (z. B. Gen 37,35; Jes 40,1). 46 In der Bedeutung „ ermahnen “ ist es hier dagegen selten. 47 Die alttestamentliche Tradition hat also eine klare Ausrichtung auf den trostspendenen Aspekt von parakale,w. Besonderes Gewicht erhält dieser durch das Konzept der „ tröstende[n] Gottesrede “ im Angesicht der Endzeit, wie sie in der Verheißung der Errettung und Wiederaufrichtung des Volkes Israel durch das Handeln Gottes insbesondere 41 Vgl. SCHNEIDER, Art. avkou,w ktl, aaO., 130. 42 Siehe Kap. 6.1.2 c. 43 Vgl. THOMAS, J., Art. parakale,w ktl, EWNT III, 54 - 64; 55. 44 Vgl. THOMAS, Art. parakale,w ktl, aaO., 55; SCHMITZ, O./ STÄHLIN, G., Art. parakale,w ktl, ThWNT 5, 771 - 798; 772 f: Diese drei Übersetzungen werden im Neuen Testament aus einzelnen Schriften erhoben, in denen sich Verb und Substantiv häufen (z. B. Apg, 2Kor, 1Thess), dann verallgemeinert und auf andere Stellen angewendet (vgl. die griechische Grundbedeutung „ herbeirufen, jemanden zu sich rufen “ ). 45 Vgl. THOMAS, Art. parakale,w ktl, aaO., 57. 46 Vgl. SCHMITZ, Art. parakale,w ktl, aaO., 797 f. 47 SCHMITZ, Art. parakale,w ktl, aaO., 797. 362 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums im Jesajabuch und den Psalmen erscheint. 48 Im Neuen Testament wird dieser Trost auf die Grundlage der Christus- und Evangeliumsverkündigung gestellt 49 : Er entspringt der Hoffnung auf Heil durch das Christusgeschehen (vgl. die Verbindung von para,klhsij und swthri,a in 2Kor 1,5-7 und in Röm 15,4 von para,klhsij und evlpi,j), wobei jedoch nicht nur die eschatologische Dimension der zukünftigen Errettung, sondern gerade auch die gegenwärtige Tröstung z. B. in der Kreuzesnachfolge von Paulus ins Zentrum gerückt wird (Phlm 7; 1Thess 3,7; 2Kor 7,4.6 f.13). 50 Der Trost wird personalisiert: „ Das Wort drückt überwiegend eine persönliche, oft emphatische Zuwendung aus. “ 51 Daneben tritt der imperativische Gebrauch, ein „ sachbetontes Auffordern “ , bei dem jedoch der werbenden Charakter „ unüberhörbar an die Rettungsbotschaft “ anknüpft. 52 So geht Mahnen oft in Bitten über (z. B. Phlm 8; 10) und die Paraklese erscheint als „ Applikation “ der erfolgten Verkündigung (vgl. 1Thess 2), als „ aktuell-praktische Erneuerung der Berufung “ . 53 Paraklese „ ist die Klammer, die vom rettenden Ruf bis zur künftigen Herrlichkeit die Anfechtung und den Glauben verbindet und in Spannung hält “ (vgl. 2Kor 4,13-17). 54 Die wiederholte Mahnung zur dienenden Liebe (z. B. Röm 15,1-6) ist nichts anderes als „ Konkretion des Evangeliums “ im Verhalten der Gläubigen. 55 Es ist darum auch „ Mahnwort an die bereits Gewonnenen “ (Röm 12,1; Phil 4,2) „ in Christus “ (Phil 2,1; 1Thess 4,1; 1Kor 1,10; Röm 15,30; 2Kor 10,1) und nicht mit der anfänglichen Verkündigung des Evangeliums gleichzusetzen. Paraklese greift jedoch grundlegend auf das Heilsgeschehen als deren Voraussetzung und Grundlage zurück. Darin unterscheidet sie sich vom bloßen moralischen Apell. 56 Sie könnte somit als Form der „ fortgesetzten “ Evangeliumsverkündigung verstanden werden. 57 Zu ergänzen sind in dieser Reihe v. a. noch drei Verben, lale,w, metadi,dwmi und gi,nomai. Alle drei sind bei Paulus jeweils nur ein einziges Mal auf das Evangelium bezogen, und zwar ausschließlich im 1. Thessalonicherbrief. Jedes von ihnen akzentuiert einen bestimmten Aspekt der Mitteilung. So artikuliert Paulus durch lale,w (2,2), dass es sich bei der Form der Verkündigung um das Sprechen handelt, und zwar - wie der Kontext des Verses und des gesamten 48 Vgl. THOMAS, Art. parakale,w ktl, aaO., 56 f; SCHMITZ, Art. parakale,w ktl, aaO., 797 f. 49 Vgl. THOMAS, Art. parakale,w ktl, aaO., 57; SCHMITZ, Art. parakale,w ktl, aaO., 797 f. 50 Vgl. SCHMITZ, Art. parakale,w ktl, aaO., 795 f. 51 THOMAS, Art. parakale,w ktl, aaO., 56. 52 THOMAS, Art. parakale,w ktl, aaO., 58; 60. 53 THOMAS, Art. parakale,w ktl, aaO., 60. 54 THOMAS, Art. parakale,w ktl, aaO., 61. 55 THOMAS, Art. parakale,w ktl, aaO., 62. 56 Vgl. SCHMITZ, Art. parakale,w ktl, aaO., 793. 57 Siehe Kap. 7.3. 7.1 Terminologie des Prozesses 363 2. Kapitels erklärt - um das mutige und aufrichtige Sprechen im Angesicht der Verfolgung. Mit metadi,dwmi (2,8) dagegen drückt Paulus aus, dass das bloße Sprechen für ihn nicht das Ganze der Verkündigung umfasst. Zu ihr muss die Anteilgabe an der eigenen Person, am eigenen Leben und das entsprechende „ empfehlende “ Verhalten (vgl. 2,9) hinzutreten. Das muss der Missionar seinem Wort an die Rezipienten „ mitgeben “ . Gi,nomai (1,5) schließlich deutet auf das Ganze der Verkündigung hin. Es ist bei Paulus eines der häufigsten Verben (118 mal) und kann oft einfach als Synonym zu ei=nai angesehen werden. Es hat eine schöpferische Dimension ( „ werden, geschehen, geschaffen oder geboren werden “ ). 58 Hier in 1Thess 1,5 kann es als Ankündigung der Verkündigungsbedingungen des Evangeliums verstanden werden, wie das Evangelium vor den Rezipienten „ ins Leben kommt “ , also verkündigt wird. Man kann also damit rechnen, dass Paulus hier in 1Thess mit gi,nomai ein Aufzählung möglicher Medien des Evangeliums einleitet. Dem wird später noch nachzugehen sein. 59 Der Vollständigkeit halber sei hier noch auf zwei mit euvagge,lion verbundene Verben hingewiesen, die jedoch weniger über die Verkündigung des Paulus Aufschluss geben, als über dessen Selbstverständnis als Missionar. In 2Kor 10,14 weist er die Korinther durch fqa,nw darauf hin, dass er mit dem Evangelium bis zu ihnen „ hin gelangt “ ist; Röm 15,19 proklamiert die „ Erfüllung “ (plhro,w) der Mission von Jerusalem bis rings um Illyrien. Wir erfahren hier also etwas über Zielvorstellung und Arbeitsverständnis der erfolgten Mission, aber nichts Substantielles über deren Vollzug: Paulus hält fest, dass er mit dem Erreichen der Korinther seine Mission in Korinth ebenso erfüllt ist, wie zur Zeit der Abfassung des Römerbriefs in Illyrien. 60 7.1.2 Auswertung Welche Rückschlüsse lassen sich aus dieser Terminologie auf das paulinische Verständnis von der Evangeliumsverkündigung ziehen? Es ist auffällig, dass sich Paulus nicht eines einzigen, festen Ausdrucks bedient, um die Verkündigung des Evangeliums zu bezeichnen. Stattdessen variiert er immer wieder und benutzt ein breites begriffliches Spektrum. Die 58 Vgl. HACKENBERG, W., Art. gi,nomai, EWNT I, 594 - 596. 59 Siehe Kap. 7.2.1. 60 Siehe Kap. 7.2.2. Sowohl fqa,nw als auch plhro,w sind Begriffe bei Paulus, die den Zustand der Vollständigkeit ausdrücken, das wozu man „ hingelangt “ ist (das Gesetz, zu dem die Juden eben nicht hingelangt sind, Röm 9,31; der Zorn Gottes, 1Thess 2,16; die Auferstehung, 1Thess 4,15; das, was der Christ erreicht hat, Phil 3,16) und das was man „ erfüllt “ hat (das Gesetz, Gal 5,14; Röm 8,4; 13,8-10; die Menge der Sünden, 1Thess 2,16); vgl. HÜBNER, H., Art. plhro,w ktl, EWNT III, 256 - 262; 260. 364 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Bedeutungen der einzelnen Begriffe unterscheiden sich nur in wenigen Nuancen, setzen aber inhaltlich Akzente innerhalb ihres Kontextes und werden durch diesen präzisiert (vgl. die Komposita von avgge,llw). Euvaggeli,zomai nimmt innerhalb dieser Bandbreite insofern eine Sonderrolle ein, als es sprachlich und inhaltlich aufgrund seiner Begriffsgeschichte euvagge,lion am nächsten steht. Es scheint für dessen Verkündigung terminus technicus zu sein und für sich genommen dessen konzeptionellen Gehalte zu transportieren, insbesondere die prophetische Vorstellung als wirkmächtiges Geschehen. Die begriffliche Vielfalt lässt die Verkündigung des Evangeliums als ein vielschichtiges Geschehen erscheinen. Die grundlegende Form der Kommunikation ist die des Sprechens (lale,w, lo,goj, avkoh" r`h,ma). Paulus ist sich allerdings bewusst, dass das mündliche Wort immer rückgebunden ist an die kommunizierende Person und ihr Verhalten (metadi,dwmi). Theologisch kategorisiert er diesen „ menschlichen “ Faktor in der Unterscheidung zwischen Gotteswort (in alttestamentlicher Tradition) und bloßem menschlichen Wort. Als Gotteswort (lo,goj) hat das Evangelium einen uneinholbaren Anspruch auf Wahrheit. Praktisch manifestiert sich dieses Bewusstsein in der wiederholten Mahnung zu liebevollem Verhalten als Konkretion des Evangeliums in der Person des Gläubigen (parakale,w/ para,klhsij). Hinsichtlich der Kommunikation durch das Wort kristallisieren sich aus der von uns genannten Terminologie drei Unterformen des Sprechens heraus. Das Predigen/ Proklamieren (khru,ssw/ kh,rugma, katagge,llw, avnagge,llw) markiert die öffentliche Dimension der Verkündigung und setzt ein „ belehrendes “ Kommunikationsgefälle voraus, das im tatsächlichen Lehren (dida,skw/ didach, ) konkret benannt wird. Das Lehren ist im Zusammenhang mit dem Evangelium als dessen Explikation und Bestätigung mithilfe der Schriftauslegung (der Septuaginta) zu verstehen und berührt bereits die Frage nach dem Verhältnis von Erstverkündigung und fortlaufender Verkündigung. Klar letzterer zuzuordnen ist die Paraklese (parakale,w/ para,klhsij), die in der Doppelbedeutung „ Trösten/ Mahnen “ Begleitung und Stärkung der Gläubigen auf der Grundlage der Heilsbotschaft des Evangeliums meint. Für die Weiterarbeit ergeben sich also folgende Fragestellungen aus der Zusammenstellung der Verkündigungsterminologie: 1) Verkündigung als vielschichtiges Geschehen: Wie stellt sich Paulus den Prozess der Verkündigung vor? (8.2) 2) Erstverkündigung und fortlaufende Verkündigung: Wo ist die Verkündigung des Evangeliums einzuordnen? Ist eine eindeutige Zuordnung möglich? (8.3) 3) Sprechen und Verhalten als Form der Verkündigung: Welche Medien der Verkündigung schließt Paulus in seine Konzeption mit ein? (8.4) 7.1 Terminologie des Prozesses 365 4) Verkündigung als öffentliches Geschehen: Was heißt „ öffentliche “ Verkündigung des Evangeliums für Paulus im antiken Kontext? (8.5) 7.2 Der Verkündigungsprozess Im Folgenden werde ich die Verkündigung des Evangeliums als vielschichtiges Geschehen untersuchen. Dabei stehen sowohl der Kommunikationsprozess selbst als auch die mit ihm verbundenen Medien im allerweitesten Sinn des Wortes im Mittelpunkt. Zunächst werden wir uns an ausgewählten Textbeispielen einen Eindruck verschaffen, wie Paulus den Verkündigungsprozess beschreibt, und dann auf dieser Grundlage nach der Bedeutung und dem Gesamtzusammenhang dieser Aussagen fragen. Abschließend werde ich versuchen, die gewonnenen Erkenntnisse in das bisheriges Gesamtbild von Evangelium als Konzeption einzuordnen. 7.2.1 Rückblick auf die konkrete Verkündigung (1Thess 1,5; 1Kor 2,3-5) Paulus geht an drei Stellen seiner Briefe prägnant auf das Geschehen bei seiner Evangeliumsverkündigung ein. Blickt er in 1Thess 1,5 und 1Kor 2,3-5 zurück auf konkrete Situationen in Thessaloniki und Korinth, so nimmt er in Röm 15,18 f eine imperiale Perspektive ein und betrachtet das Ganze seiner Verkündigungstätigkeit im Osten des Römischen Reiches. Ich stelle zunächst die konkreteren Aussagen nebeneinander: 1Thess 1,5: ))) o[ti to. euvagge,lion h`mw/ n ouvk evgenh,qh eivj u`ma/ j evn lo,gw| mo,non avlla. kai. evn duna,mei kai. evn pneu/ mati a`gi,w| kai. ÎevnÐ plhrofori,a| pollh/ |( kaqw.j oi; date oi-oi evgenh,qhmen ÎevnÐ u`mi/ n diV u`ma/ jÅ . . . denn unser Evangelium ereignete sich unter euch nicht allein im Wort, sondern auch in Kraft und in heiligem Geist und in voller Gewissheit, wie ihr wisst welche wir geworden sind [unter] euch wegen euch. 1Kor 2,3: kavgw. evn avsqenei,a| kai. evn fo,bw| kai. evn tro,mw| pollw/ | evgeno,mhn pro.j u`ma/ j( Und ich kam in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern zu euch, 4 kai. o` lo,goj mou kai. to. kh,rugma, mou ouvk evn peiqoi/ ÎjÐ sofi,aj Îlo,goijÐ avllV evn avpodei,xei pneu,matoj kai. duna,mewj( und mein Wort und meine Predigt (bestanden) nicht in [Worten] überredender Weisheit 61 , sondern in Demonstration des Geistes und der Kraft, 61 Das hier vorliegende textkritische Problem ist kompliziert. Mindestens fünf mögliche Varianten sind zu unterscheiden, von denen außer dem Nestle-Aland-Text (peiqoi/ j sofi,aj 366 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums 5 ))) i[na h` pi,stij u`mw/ n mh. h=| evn sofi,a| avnqrw,pwn avllV evn duna,mei qeou/ Å . . . damit euer Glaube nicht auf menschlicher Weisheit, sondern auf Gottes Kraft beruht. a) Argumentativer Zusammenhang Den argumentativen Kontext von 1Thess 1 habe ich bereits mehrfach beleuchtet. 62 Bündeln wir diese Beobachtungen, so ist dieses erste Kapitel - und 1,5 im Besonderen - als Erinnerung an das Geschehen bei der Verkündigung des Evangeliums in Thessaloniki aufzufassen, die das Ziel verfolgt, im Angesicht der Verfolgungssituation (2,14-16) zu trösten, zu stärken und zu vergewissern (vgl. 2,1-13). Von daher ist auch die unmittelbar vorangehende Erwählungsaussage in 1,4 zu verstehen: Paulus ist sich der evklogh, der Thessalonicher sicher (eivdo,tej), und indem er das an dieser Stelle formuliert, ermutigt er auch selbige, sich dessen sicher zu sein. 1,5 stellt die Begründung dieser Überzeugung dar: Weil das Verkündigungsgeschehen sich so ereignet hat (evgenh,qh) und weil sich daraufhin die Thessalonicher so verhalten haben, wie sie es haben (1,6: mimhtai., dexa,menoi to.n lo,gon; vgl. 2,13), ist sich Paulus ihrer Erwählung sicher und damit ihres Heils bzw. ihrer Rettung gewiss. 63 Auch der Kontext von 1Kor 1 - 3 kam bereits zur Sprache. 64 Thema ist die Gruppenbildung in Korinth (1,12ff; 3,4), deren genaue Ursache nicht mehr rekonstruierbar ist. Vielleicht hat in einer Form Weisheitsspekulation eine Rolle gespielt, vielleicht greift Paulus aber in der Auseinandersetzung auch selbst Weisheitsterminologie auf. Der grundsätzlich Argumentationszusammenhang besteht in der Gegenüberstellung von menschlich-weltlicher und göttlicher Weisheit, wie sie im „ Wort vom Kreuz “ begegnet (1,18-25). 65 Mit dieser Antithese bekämpft Paulus die „ Zerteilung “ der Gemeinde (1,13), die sich offenbar an der lo,goij lesen a *, B, D, 33, 1175, u. a.) v. a. die Einfügung von anqrwpinhj vor sofi,aj gut bezeugt ist ( a ², A, C, L, P, Y, ɱ , u..a.). Daneben ist noch das kurze peiqoi/ j sofi,aj (P 46 , F,G, u. a.) erwähnenswert. Jedoch ist es gut möglich, dass keine der bezeugten Varianten den Urtext wiedergibt. Eine mögliche kurze Grundform peiqoi/ sofi,aj, die durch Abschreibfehler und Ergänzung zu den o. g. Wendungen hätte transformiert werden können ist nirgends bezeugt. Indessen ändert sich der Sinn bei keiner der wiedergegeben Varianten gravierend, so dass hier der Einfachheit halber der Nestle-Aland-Text zugrunde gelegt werden kann - in dem Wissen, dass Paulus hier minimal nur von überredender Weisheit spricht. 62 Siehe Kap. 4.2.1. und 6.1.2 c. 63 Vgl. WANAMAKER, Thessalonians, aaO., 78; MARXSEN, ZBK 11.1, aaO., 36; DOB- SCHÜTZ, KEK 10, aaO., 70. 64 Siehe Kap. 5.2.2 und 6.2.3 a. 65 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, 207: „ Das ,Wort vom Kreuz ‘ , das sich aus der Sicht menschlicher Weisheit als Torheit, vom Standpunkt des Glaubenden aber als Weisheit und Kraft Gottes darstellt “ . Siehe dazu 5.2.2 a. 7.2 Der Verkündigungsprozess 367 Wendung sofi,a lo,gou (1,17) entzündet. Dahinter verbirgt sich eine Hochschätzung der äußeren Form der Redekunst und der inhaltlichen Komponente weisheitlicher Spekulation. 66 Rhetorik wird durch das Wort vom Kreuz relativiert, Weisheit als menschliche oder göttliche klassifiziert. Bevor er sich am Beispiel des Apollos mit der personalen Seite der Gruppenbildung beschäftigt (3,1 ff ), entfaltet Paulus diese theologische Einschätzung anhand von zwei Beispielen, die die Struktur des Kreuzeswortes spiegeln: Nicht viele Weise, Mächtige, Angesehene sind unter den Gläubigen in der korinthischen Gemeinde, sondern zahlreicheVerachtete und Geringe prägen das Gemeindemilieu (1,26-31). Ebenso ist auch die paulinische Verkündigung nicht hohe rhetorische Kunst oder tiefe philosophische Weisheitslehre gewesen, sondern Kreuzespredigt (2,1-5). 67 Auf diesem Hintergrund sind die Antithesen der beiden Verse 2,4 f zu verstehen. b) Vergleich der Begrifflichkeiten Zunächst fällt die parallele verbale Einleitung beider Texte mit gi,nomai auf. Das Evangelium wird nicht einfach verkündigt, es „ wird, entsteht, ereignet sich “ durch das Verkündigungsgeschehen und zwar vor den Augen und Ohren der Rezipienten und in Ausrichtung auf sie. 68 Verbindet 1Kor 2,3 das Geschehen klar mit der Person des Paulus, der „ kam “ , personifiziert die Formulierung von 1Thess 1,5 das Evangelium nahezu als sich selbst verwirklichende Kraft. Das räumt einerseits dem Verkündigungsgeschehen großen Raum ein und lässt andererseits die daran Beteiligten - in erster Linie den Verkündiger - als Randfiguren erscheinen. Warum Paulus diese Formulierung wählt, ist an dieser Stelle noch nicht zu erklären. Auch bei der begrifflichen Umschreibung des Verkündigungsgeschehens fallen Parallelen auf. So werden beidesmal Geist und Kraft als maßgebliche Phänomene genannt. Sie werden jeweils mit dem Wort, zumindest aber mit einer bestimmten Form mündlicher Kommunikation (überredende Weisheit) kontrastiert. Zugleich halten aber auch beide an dem Wort als Form fest (vgl. mo,non und die Einleitung mit kai. o` lo,goj mou kai. to. kh,rugma, mou) . Geist, Kraft und Wort scheinen also feste Größen der Evangeliumsverkündigung zu sein. In welchem Verhältnis sie zueinander stehen, können wir allein den beiden Texten nicht entnehmen. Auch dies bedarf weiterer Klärung. 66 Vgl. zu Weisheit als „ inhaltlicher Bestimmung “ : WILKENS, U./ FOHRER, G., Art. sofi,a ktl, ThWNT 7,465-529; 519. 67 Vgl. MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, 207; SCHRAGE, EKK VII/ 1, aaO., 222 f: So ist das wiederholte kavgw/ in diesem Abschnitt (1Kor 2,1.3) als Rückbezug zum ersten Beispiel zu verstehen: wie die Gemeinde dem Gekreuzigten entspricht, so auch die Verkündigung des Paulus (223). 68 Vgl. MALHERBE, AncB 32, aaO., 111: „ eventful occurrence “ des Evangeliums. 368 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Begriffliche Unterschiede lassen sich vor allem in der Erwähnung der plhrofori,a pollh, (1Thess 1,5), der sofi,a, die noch einmal als sofi,a avnqrw,pwn von der du,namij qeou/ unterschieden wird, und in der Spezifizierung des in Erscheinungtretens von Kraft und Geist als avpo,deixij erkennen (1Kor 2,4 f). Auch spricht Paulus in 1Thess 1,5 dezidiert vom Evangelium, wohingegen er in 1Kor 2,4 von o` lo,goj mou kai. to. kh,rugma, mou spricht. Sind diese Abweichungen der Situation geschuldet oder sind sie maßgeblicher Teil der paulinischen Grundanschauung seiner Evangeliumsverkündigung? Auch diese Frage kann im Grunde erst auf dem Hintergrund des grundlegenden Verständnisses des Verkündigungsgeschehens geklärt werden. 7.2.2 Die Verkündigung in der Gesamtschau (Röm 15,18 f) Den an einer konkreten Situation orientierten Aussagen von 1Thess 1,5 und 1Kor 2,4 f sei die allgemeiner gehaltene Gesamtschau der paulinischen Verkündigung in Röm 15,18 f hinzugefügt: Röm 15,18: ouv ga.r tolmh,sw ti lalei/ n w-n ouv kateirga,sato Cristo.j diV evmou/ eivj u`pakoh.n evqnw/ n( lo,gw| kai. e; rgw|( Denn ich werde nicht wagen, etwas zu sagen, das nicht bewirkt hat Christus durch mich zum Gehorsam der Völker, (durch) Wort und Werk, 19 evn duna,mei shmei,wn kai. tera,twn( evn duna,mei pneu,matoj Îqeou/ ÐÅ w[ste me avpo. VIerousalh.m kai. ku,klw| me,cri tou/ VIllurikou/ peplhrwke,nai to. euvagge,lion tou/ Cristou/ ( in der Kraft der Zeichen und Wunder, in der Kraft des Geistes [Gottes], so dass ich von Jerusalem und im Umkreis bis Illyrien das Evangelium des Christus erfüllt/ voll gemacht habe. a) Argumentativer Zusammenhang Die beiden Verse sind Teil „ grundsätzlicher Selbstaussagen über das Amt des Apostels “ (VV.15 - 21), die Paulus an dem Beginn einer Verhältnisbestimmung zu den Adressaten des Römerbriefes (VV.14 - 33) stellt. 69 Zuvor hat er in einem längeren „ lehrhaft-paränetischen “ Teil in verschiedener Hinsicht die Römer ermahnt, wodurch er sich wohl zu einer Rechtfertigung seinerAutorität genötigt sieht (V.15). 70 Weitere Bestandteile der Verhältnisbestimmung sind die Ankündigung und Begründung seiner Reise in den Westen bzw. nach Rom und Jerusalem (VV.22 - 28) sowie eine freudige und gleichermaßen sorgenvolle, mit Bitte um Fürbitte verbundene Vorausschau auf beide Besuche (VV.28 - 33). Die Grundsätzlichkeit der Aussagen in VV.15ff ist dem Faktum geschuldet, dass 69 HAACKER, ThHK 6, aaO., 338. 70 HAACKER, ThHK 6, aaO., 338. 7.2 Der Verkündigungsprozess 369 Paulus die Gemeinde in Rom nicht gegründet hat und kaum persönlich kennt. 71 Daher treffen wir in VV.18 f nicht einfach auf einen Tatsachenbericht, sondern v. a. auf theologische Selbstdeutung und Bewertung seiner Arbeit im Rückblick. Die demütige Rückführung allen seines Wirkens auf Christus in V.18 ist als theologisches Selbstverständnis bereits begegnet. 72 Auch die geographische Angabe „ von Jerusalem bis nach Illyrien “ in V.19 ist ganz grundsätzlich zu sehen: Die Mission im Osten ist für Paulus „ erfüllt “ , weswegen er seinen Aposteldienst im Westen fortsetzen möchte (VV.23 f). 73 b) Vergleich der Begrifflichkeiten Beachtenswert ist, dass Paulus die Verkündigungstätigkeit als „ Wort und Werk “ und „ in der Kraft der Zeichen und Wunder “ und „ in der Kraft des Geistes “ beschreibt. Mit Wort, Kraft und Geist tauchen bereits bekannte zentrale Begriffe auf. Sie sind jedoch hier anders als in 1Thess 1,5 und 1Kor 2,4 f arrangiert. Wort und Werk scheinen etwas abgesetzt, die Kraft als Oberbegriff der folgenden beiden Aspekte „ Zeichen und Wunder “ und „ Geist “ . Wie ist diese Aufzählung zu verstehen? „ Wort und Tat “ sind in der Antike eine Art „ Allerweltsformel “ . 74 V. a. im hellenistischen Kontext handelt es sich um eine typische Unterscheidung. 75 Hier am Anfang der Aufzählung kommt ihr beim Folgenden möglicherweise eine gliedernde Funktion zu. 76 In diesem Fall ergäbe sich die Zuordnung von Wort und Tat zur Kraft, die entweder eine Kraft der „ Zeichen und Wunder “ oder des „ Geistes “ ist. Ob eine differenziertere Zuordnung möglich ist, lässt sich vom Text 71 Vgl. HAACKER, ThHK 6, aaO., 338. 72 Siehe Kap. 5.2. 73 Vgl. LOHSE, E., Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 2003, 396. Bei dieser Spitzenaussage muss man sich nochmals die Missionsmethode der Zentrumsmission des Paulus vor Augen führen (vgl. Kap. 7.2.2 d), die erklärt, warum Paulus mit dem bürokratischamtlichen Begriff plhro,w die Mission für beendet erklärt: „ What Paul claims is not that he has preached the gospel in every conceivable location but that he had fulfilled his specific calling to establish churches in a sufficient number of important centers to make th subsequent missionizing of their regional hinterlands by local colleagues feasible “ ( JEWETT, Romans, aaO., 914). Die Tatsache, dass Paulus nach eigener Aussage (Gal 1,17 f; 22 f ) nicht in Jerusalem als Missionar tätig war, könnte elegant mit K.Haacker erklärt werden: „ Es könnte ja auch der ganze Einsatz des Apostels für das Evangelium gemeint sein - einschließlich seines innerkirchlichen Kampfes für ,die Wahrheit des Evangeliums ‘ beim Apostelkonzil [. . .] und in Antiochien “ (HAACKER, ThHK 6, aaO., 344). 74 HAACKER, ThHK 6, aaO., 342. 75 Vgl. in der griechische Philosophie des 1. Jh. n. Chr., aber auch im hellenistischen Judentum (Sir 3,8); JEWETT, Romans, aaO., 910. 76 In diesem Sinne entscheiden sich auch: HAACKER, ThHK 6, aaO., 342 f; JEWETT, Romans, aaO., 910. 370 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums allein her nicht entscheiden. Auch hier ist zuerst eine weitere Zuspitzung und Einordnung der zentralen Begriffe nötig. 7.2.3 Dynamis, Pneuma, Logos und die Evangeliumsverkündigung Im Folgenden werden die zentralen Begriffe du,namij und pneu/ ma im Kontext der paulinischen Verkündigung genauer betrachtet und mit dem bereits besser vertrauten Begriff lo,goj verknüpft. a) Dynamis im antiken Kontext Du,namij ist ein Begriff mit großem Bedeutungsumfang. Besonders im Koine- Griechisch, das Paulus schreibt, lösen sich die Differenzierungen der klassischen Autoren immer mehr auf. 77 Das zeigt sich schon daran, das die Septuaginta 25 verschiedene hebräische Wörter mit du,namij übersetzt, wobei „ dieselben hebräischen Termini ohne erkennbare inhaltliche Verschiebung von den Übersetzern auch mit anderen griechischen Kraft-Begriffen wiedergegeben wurden “ . 78 Am allgemeinsten lässt sich unter du,namij „ jede Art von Kraft oder Vermögen eines Lebewesens oder einer Sache “ verstehen. 79 Die Vorstellung einer wirkenden Kraft ist Teil des giechisch-römischen Weltbildes. 80 Sie erstreckt sich auf „ alle erdenkliche[n] Bereiche des Lebens “ : 81 „ Jedem Teil der Wirklichkeit, irdisch oder transzendent, tot oder lebendig, klein oder groß, wurde gerade in nachklassischer Zeit ein spezifisches Maß an Dynamis zugemessen, das ihm kraft seiner Existenz, ,natürlicherweise ‘ , zu- 77 Vgl. KRUG, J., Die Kraft des Schwachen: ein Beitrag zur paulinischen Apostolatstheologie, Tübingen/ Basel 2001, 38. Zum Dynamis-Verständnis in der griechischen Philiosophie vgl. SCHIRREN, T., Art. dynamis, in: HORN, C./ RAPP, C. (Hgg.), Wörterbuch der antiken Philosophie, München 2008 2 , 117 f. Dort wird die Entwicklung nachgezeichnet von einer Vorstellung von Potentialtität (siehe Differenzierung von kinetischer und ontologischer du,namij = „ Möglichkeit/ Vermögen “ bei Aristoteles) hin zu einer Auffassung als eine den ganzen Kosmos durchwirkende Lebenskraft (Poseidonius) und Machteigenschaft des Allherrschers (De Mundo, ps.-aristotelisch), die schließlich in der Synthese beider Ansätze (Plotin) mündet. Weitere Literatur zu du,namij: BETZ, O., Art. du,namij, TBLNT 2, 1180 - 1184; FASCHER, E., Art. Dynamis, RAC 4, 415 - 458; FRIEDRICH, G., Art. du,namij, EWNT I, 860 - 867; HECKEL, U., Kraft in Schwachheit. Untersuchungen zu 2.Kor 10 - 13, WUNTII 56, Tübingen 1993; SCHMITZ, O., Der Begriff du,namij bei Paulus. Ein Beitrag zum Wesen urchristlicher Begriffsbildung, in: Festgabe für Adolf Deissmann zum 60. Geburtstag, Tübingen 1927, 139 - 167; SÖDING, T., Erweis des Geistes und der Kraft. Der theologische Anspruch der paulinischen Evangeliumsverkündigung und die Anfänge der neutestamentlichen Kanon-Bildung, in: DERS., Das Wort vom Kreuz, aaO., 196 - 221. 78 KRUG, Die Kraft des Schwachen, aaO.,39; vgl. FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 427. 79 KRUG, Die Kraft des Schwachen, aaO., 37. 80 FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 426. 81 FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 416. 7.2 Der Verkündigungsprozess 371 kam. “ 82 Höchste Kraft bzw. geradezu ihr Inbegriff sind die Götter. Aber auch Tieren, Pflanzen und sogar der Materie kommt Kraft zu. Dem Menschen ist Kraft z. B. in kognitiver und finanzieller Form oder als körperliche Stärke und Leistungsfähigkeit zueigen. 83 Als „ Weltprinzip “ nimmt die du,namij in Philosophie und Religion eine markante Rolle ein. 84 Im Volksglauben über Magie und Zauberkräfte hat sie eine lange Tradition und entfaltet in allen Religionen eine hohe Breitenwirkung, auch weil der Kraftbegriff deutungsoffen bleibt: Von den Göttern werden verschiedene Kraftträger wie Engel, Dämonen oder andere kosmische Mächte unterschieden, die in einem bestimmten Lebensbereich Kraft besitzen und mit bestimmten magischen Handlungen beeinflusst werden können. 85 Hier zeigt sich, dass du,namij eine Größe ist, die übertragen bzw. delegiert und an der Anteil gewonnen werden kann. 86 Alle diese Erscheinungen finden sich - in monotheistischer Zuspitzung (vgl. Dtn 4,19) - grundsätzlich auch im Alten Testament und in der antiken jüdischen Religion. 87 b) Die Dynamis Gottes im Messias Jesus Für das neutestamentliche Verständnis von Kraft ist die Person und das Geschehen um Jesus Christus zentral. Die Deutung Jesu als Messias bringt ihn mit zwei alttestamentlichen Linien in Verbindung, die einen Transfer der Kraft Gottes auf Menschen für möglich halten. 88 Die Vorstellung von der Kraft Gottes als Attribut des Messias kann sich einerseits an die alttestamentliche Königstheologie und deren Übertragung auf einen endzeitlichen König anlehnen, der ausgestattet mit der Kraft Jahwes siegreich in der Schlacht sein kann (vgl. Jes 11,2; 9,5; Ps 109,2). Andererseits wird die Kraft des Messias auch als prophetisch-richterliche Kraft interpretiert, die dazu befähigt, Gottes Urteil auszurichten (Mi 3,8). 89 Beidesmal wird die Kraft von der Aufgabe her definiert, zu deren Erfüllung sie beiträgt. In dieser Perspektive ist du,namij nicht primär Wunderkraft, sondern Wirkkraft, die zu einem Zweck von Gott gegeben wird. 90 82 KRUG, Die Kraft des Schwachen, aaO., 40. 83 Vgl. KRUG, Die Kraft des Schwachen, aaO., 40 - 42. 84 Vgl. FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 417 ff. 85 Vgl. FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 421 f. 86 Vgl. KRUG, Die Kraft des Schwachen, aaO., 44. 87 Vgl. FRIEDRICH, Art. du,namij, aaO., 862. 88 Vgl. HECKEL, Kraft in Schwachheit, aaO., 227. 89 Vgl. FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 434; FRIEDRICH, Art. du,namij, aaO., 863; HECKEL, Kraft in Schwachheit, aaO., 227; KRUG, Die Kraft des Schwachen, aaO., 46; SCHMITZ, Der Begriff du,namij bei Paulus, aaO., 157. 90 Vgl. FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 430. Siehe die Erfahrung von Gottes wirkender Macht in Schöpfung, Exodus-Ereignis und persönlichem Glauben; vgl. BETZ, du,namij, aaO., 1180 f. 372 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Mit der Messias-Vorstellung überträgt sich auch die Kraftvorstellung auf Jesus, wobei hier eher das prophetische Moment zum Tragen kommt. 91 Für die synoptischen Evangelisten manifestiert sich die messianisch-prophetische Kraft in den Macht- und Wundertaten des irdischen Jesus und wird - besonders bei Lukas - mit der Geistbegabung verbunden. 92 Das Verhältnis beider Größen wird noch genauer zu untersuchen sein. 93 Das zweite, für Paulus wichtigere Schlüsselmoment, in dem die Kraft Gottes in der Person Jesu zum Ausdruck kommt, ist die Auferweckung als „ Sieg über die Macht des Todes “ (1Kor 6,14; 15,43; Phil 3,10). Die Auferweckung ist der „ entscheidende göttliche Machterweis “ in der Person Jesu (2Kor 13,4). 94 Sie zeigt an, dass die Tod überwindende, lebendigmachende Kraft Gottes in ihm gegenwärtig ist, und qualifiziert damit zugleich das Wirken und Sterben Jesu als göttliches Kraftgeschehen. 95 Die Partizipation Jesu an der Kraft wird zur Identifikation mit ihr. Seine Person wird selbst mit der wirkenden Kraft gleichgesetzt (1Kor 1,24). 96 Analog dem alttestamentlichen Exodusgeschehen ist sie rettende Kraft insofern die Geschichte Jesu, seine Person und sein Werk, als Heilsgeschehen verstanden werden. 97 Von hier aus ergeben sich bei Paulus weitere Partizipationsbzw. Identifikationsvorstellungen hinsichtlich der Kraft, bezogen auf das Evangelium und die Jünger bzw. Apostel. c) Das Evangelium als rettende Kraft Weil das Evangelium Botschaft von diesem kraftvollen Heilsgeschehen ist und weil Glaube daran Rettung bedeutet (Röm 10,9; 1Thess 1,10; 5,9 f), kann auch das Evangelium und seine Verkündigung als rettende du,namij qeou/ verstanden werden (Röm 1,16; 1Kor 15,10; 2Kor 12,9 f) 98 : „ Gottes eschatologische Schöpfermacht ist imstande, durch das Evangelium Menschen aus ihrem Verderben zu erretten “ (Röm 1,16; 1Kor 1,18; 2,4 f). 99 Nicht nur Christus, sondern mittelbar auch das Evangelium ist Kraft Gottes: „ Gott [hat] sein Kraft in solchem Maße an diese beiden Größen delegiert, daß sie als Gottes Kraft für Gott exekutiv tätig 91 Vgl. FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 435; BETZ, du,namij, aaO., 1181: Der Messias als „ Werkzeug der endzeitlichen Machtdemonstrationen Gottes “ . 92 Vgl. BETZ, du,namij, aaO., 1182; FRIEDRICH, Art. du,namij, aaO., 863. 93 Siehe Kap. 7.2.3 d. 94 HECKEL, Kraft in Schwachheit, aaO., 225; vgl. FRIEDRICH, Art. du,namij, aaO., 862. 95 Vgl. FRIEDRICH, Art. du,namij, aaO., 862.; HECKEL, Kraft in Schwachheit, aaO., 225 f. 96 Vgl. FRIEDRICH, Art. du,namij, aaO., 863; KRUG, Die Kraft des Schwachen, aaO., 50. 97 Siehe Kap. 4.3. Vgl. auch die alttestamentliche Zusammengehörigkeit von Soteria und Dynamis (Ps 20,2; 139,8). 98 Vgl. FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 436. 99 FRIEDRICH, Art. du,namij, aaO., 862. 7.2 Der Verkündigungsprozess 373 werden und ihn auf diese Weise vor der Welt repräsentieren “ . 100 Seine Wirkung (vgl. evnerge,w in 1Thess 2,13) hat das Evangelium also nicht aus sich selbst, sondern allein von seinem Inhalt (dem Heilsgeschehen in Christus) und seinem Urheber (Gott, an dessen Kraft Christus partizipiert), Wirksam ist das Evangelium, indem es das Heilsgeschehen in Christus vergegenwärtigt, es „ so zur Sprache bringt, daß Glaube möglich wird. “ 101 d) Pneuma als Gegenwart des erhöhten Kyrios Träger des Evangeliums sind die Zeugen und Verkündiger des Heilsgeschehens um Jesus Christus, seine Jünger und Apostel. 102 Durch sie kann das Evangelium seine Kraft entfalten. Sie haben Anteil an der Kraft Gottes im Evangelium (1Kor 9,23). 103 Doch denkt Paulus das nicht abstrakt, sondern personal aus einer Beziehung zu Christus heraus: Die Kraft „ hört nicht auf, persönliches Eigentum Christi zu sein, an der die Gläubigen zwar Anteil haben, aber „ auf den Zustrom der Kraft von Christus her “ angewiesen bleiben. 104 Diese personale Interpretation des Kraft-Transfers steht mit dem pneu/ ma-Begriff in Zusammenhang. 105 Im pneu/ ma ist der erhöhte Christus im Glaubenden gegenwärtig (2Kor 3,17; vgl. den synonymen Gebrauch von evn pneu,mati und evn Cristw|/ , z. B. Tröm 8,9; 9,1; 1Kor 12,3). 106 Diesem - wie überhaupt dem neutestamentlichen - Gebrauch von pneu/ 100 KRUG, Die Kraft des Schwachen, aaO., 47. 101 SÖDING, Erweis des Geistes und der Kraft, 218; vgl. 207. 102 Vgl. BETZ, du,namij, aaO., 1182. 103 Vgl. BETZ, du,namij, aaO., 1183; FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 436 f; SCHMITZ, Der Begriff du,namij bei Paulus, aaO., 161. 104 SCHMITZ, Der Begriff du,namij bei Paulus, aaO., 162. 105 Vgl. SCHMITZ, Der Begriff du,namij bei Paulus, aaO., 161. Literatur zur paulinischen Pneumatologie: BURKE T. J., The Holy Spirit as the controlling dynamic in Paul ’ s role as missionary to the Thessalonians, in: DERS./ ROSNER, B. S. (Hgg.), Paul as Missionary. Identity, Activity, Theology, and Practice, Library of the New Testament Studies 420, London/ New York 2011, 142 - 157; ENGBERG-PEDERSEN, T., The Material Spirit: Cosmology and Ethics in Paul, in: NTS 55/ 2 (2009), 179 - 197; ERLEMANN, K., Unfassbar? Der Heilige Geist im Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn 2010; FREY, J./ SATTLER, D. (Hgg.), Heiliger Geist, JBTh 24, Neukirchen-Vluyn 2011; HORN, F.W., Das Angeld des Geistes. Studien zur paulinischen Pneumatologie, FRLANT 154, Göttingen 1992; FREY, J., Kyrios und Pneuma bei Paulus, in: SCHNELLE, U./ SÖDING, T. (Hgg.), Paulinische Christologie. Exegetische Beiträge, FS Hans Hübner, Göttingen 2000, 59 - 75; LEVINSON, J. R., Filled with the Spirit, Grand Rapids 2009, 253 - 316; VOLLENWEIDER, S., Paulinische Spiritualität, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 422 - 425. 106 Vgl. VOLLENWEIDER, Paulinische Spiritualität, aaO., 424: Die „ Christusrelation “ als Zentrum der paulinischen Pneumatologie; HORN, Kyrios und Pneuma bei Paulus, aaO. 73; 75: Jedoch sind beide nicht einfach identisch, wenn auch das Wirken von Geist und Christus zusammenfallen kann, z. B. 1Kor 6,11 und Gal 2,7; 1Kor 12,9 und Röm 6,23; 1Kor 1,9 und 2Kor 13,13. Die Differenz besteht in dem „ personalen Vorbehalt “ , dass Christus 374 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums ma liegt die alttestamentliche Vorstellung vom Geist Gottes zugrunde, „ der als Lebenskraft wirkt und darüber hinaus besondere Begabungen verleiht oder Menschen inspiriert “ . 107 pneu/ ma spielt für Paulus eine zentrale Rolle bei der Auferweckung Jesu: „ Der Geist integriert den vormaligen Menschen Jesus in die Sphäre Gottes “ . 108 Er steht hinter der Auferweckung und begründet die Einsetzung zum Kyrios. In dieser Funktion wird Christus selbst zum lebenspendenden Geist (Röm 1,3 f; 1Kor 6,14; 2Kor 3,17)). 109 Deshalb ist „ die geistgewirkte Auferweckung Jesu [. . .] für Paulus der Dreh- und Angelpunkt seiner eigenen Auferstehungshoffnung “ (1Kor 15,20- 23; Röm 8,29). 110 Denn evn pneu,mati haben die Glaubenden Anteil an der Existenzweise des auferstandenen und erhöhten Kyrios (1Kor 6,17). 111 Sie sind bleibend mit ihrem Herrn verbunden, der sie „ ,diesem Aeon ‘ entnimmt und in den neuen Aeon versetzt “ (1Kor 2,6). 112 Der Geist ist „ den Getauften als bleibende Gabe zueigen “ (Röm 5,5; 1Kor 3,16; 6,19; vgl. 2Kor 13,13). 113 Es ist die personale Kraft, die für den Glauben und sein Andauern verantwortlich gemacht wird (Gal 4,6; vgl. 2Kor 4,13: pneu/ ma th/ j pi,stewj und 1Kor 12,3: Bekenntnis zu Christus als Herrn als Kennzeichen des Geistes). 114 Als „ continuing transforming, life-changing power “ wirkt sie im Leben der Gläubigen und verwandelt sie. 115 Person des Heilsgeschehens am Kreuz und personaler Richter bei der Parusie bleibt (1Kor 1,8; 2Kor 5,10). 107 KREMER, J., Art. pneu/ ma, EWNT III, 279 - 291; 281; vgl. BURKE The Holy Spirit as the controlling dynamic, aaO., 144. 108 ERLEMANN, Unfassbar? , aaO., 172. 109 Vgl. HORN, Kyrios und Pneuma bei Paulus, aaO., 74; VOLLENWEIDER, Paulinische Spiritualität, aaO., 424. 110 ERLEMANN, Unfassbar? , aaO., 172: „ Wer Christus und den Geist seiner Auferstehung in sich beherbergt, hat das neue Leben in sich (Röm 8,10 f; Gal 2,20) “ ; vgl. ENGBERG- PEDERSEN, The Material Spirit, aaO., 185: „ The pneuma is the power that was operative in raising Christ from the dead, that lives within believers in the present and that will also at the eschaton make their mortal bodies come alive “ . 111 Vgl. SCHWEIZER, E., Art. pneu/ ma ktl, ThWNT 6, 387 - 453; 416. 112 SCHWEIZER, Art. pneu/ ma ktl, aaO., 423. 113 KREMER, Art. pneu/ ma, aaO., 285 f. 114 Vgl. SCHWEIZER, Art. pneu/ ma ktl, aaO., 423 - 25; VOLLENWEIDER, Paulinische Spiritualität, aaO., 424: pneu/ ma als das Personzentrum des gläubigen Menschen, das an die Stelle von nou/ j und yuch, tritt; siehe Kap. 4.2.1. 115 BURKE, The Holy Spirit as the controlling dynamic, aaO., 153. Zum Wirken des Geistes siehe die Zusammenschau bei HORN, Das Angeld des Geistes, aaO., 404 - 428. Besonders hervorzuheben ist die „ Brückenfunktion “ : Der Geist begleitet die Gläubigen bis zur Einlösung der zugesagten Errettung. Er ist für den Prozess der Verwandlung verantwortlich, der mit der Totenauferstehung zur Vollendung gelangt (vgl. die Bezeichung als „ Erstlingsfrucht “ , Röm 8,23 und „ Angeld “ , 2Kor 1,22; 5,5); vgl. ERLEMANN, Unfassbar? , aaO., 172; 176; VOLLENWEIDER, Paulinische Spiritualität, aaO., 423. 7.2 Der Verkündigungsprozess 375 Diese signifikante Rolle des Geistes beginnt schon mit der Begegnung des Menschen mit dem Evangelium. Er ist die Kraft, die dem Rezipienten die Erkenntnis Gottes vermittelt, die mit Paulus identisch mit der Erkenntnis Christi im Evangelium ist (1Kor 2,6-16): „ Gott schenkt seinen Geist, damit Menschen seine Heilstat als solche wahrnehmen und sie als glaubwürdig erkennen “ . 116 „ Die Evangeliumsverkündigung ist ein geistgewirktes Geschehen “ . 117 Ohne den Geist kann die Verkündigung nicht erfolgreich sein (vgl. in 1Thess 1,5; 1Kor 2,4 und Röm 15,18 f die Abgrenzung gegenüber einem reinen „ Menschenwort “ ). Weil der Geist derart die „ Effektivität “ der Verkündigung bestimmt, ist er auch maßgeblich an Inhalt und Form der Verkündigung beteiligt. 118 Der erkenntnis- und glaubenstiftende Geist kommt den Rezipienten in der Verkündigung nämlich nicht irgendwie zu, „ sondern geht den Weg über die Glaubenden, die den Geist nach außen hin sichtbar machen sollen “ . 119 Hier stehen die Apostel als zur Verkündigung des Evangeliums Beauftragte natürlich an besonders exponierter Stelle: Aus ihnen spricht, in Anlehnung an die alttestamentlichen Propheten, der Geist, freilich nicht mehr nur der Geist Gottes, sondern jetzt spezifisch auch der Geist des erhöhten Christus. 120 Er steht den Verkündigern bei und ist - sozusagen als dritte Größe - im Verkündigungsgeschehen zwischen Kommunikator und Rezipient gegenwärtig. 121 Für Paulus verbindet sich mit diesem Geschehen (wie auch bei den Synoptikern im Blick auf Jesus) der Begriff der evxousi,a (1Kor 9,4-6.12). Wie Gott Jesus Vollmacht gegeben hat, so hat auch der auferstandene und erhöhte Herr seinen Aposteln Vollmacht evn tw/ | euvaggeli,w| (1Kor 9,18) gegeben, mit dem Zweck der „ Auferbauung “ (oivkodomh,; 2Kor 10,8; 13,10). Die Vollmacht ist Paulus durch die personale Begegnung mit Jesus vor Damaskus und mit der Zielbestimmung der Evangeliumsverkündigung zuteil geworden (Gal 1). Im Begriff evxousi,a überschneiden sich also Aspekte von pneu/ ma und du,namij, ohne dass eine genauere Zuordnung möglich wäre. Das wirft die Frage nach dem Verhältnis von du,namij und pneu/ ma auf. 116 ERLEMANN, Unfassbar? , aaO., 171; vgl. auch die entscheidende Rolle, die der Geist in der Schriftauslegung bei Paulus einnimmt (2Kor 3,6-18: die Tora als Zeuge des Evangeliums; siehe auch Kap. 7.4.4); VOLLENWEIDER, Paulinische Spiritualität, aaO., 425. 117 HORN, Angeld des Geistes, aaO., 385; siehe Kap. 7.2.1. 118 Vgl. BURKE, The Holy Spirit as the controlling dynamic, aaO., 146; SCHWEIZER, Art. pneu/ ma ktl, aaO., 422. 119 ERLEMANN, Unfassbar? , aaO., 171. 120 Vgl. BURKE, The Holy Spirit as the controlling dynamic, aaO., 156; „ Paul was the human conduit or mouthpiece whom God used to preach the good news to the Thessalonians “ (144); SCHWEIZER, Art. pneu/ ma ktl, aaO., 420: Der Geist ist „ parallel zu profhtei/ ai eine Kraft, die sich in außerordentlicher Weise manifestiert “ (1Thess 1,5; 5,19; 1Kor 2,5 f ). 121 Vgl. FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 439: „ Einwohnung des Christus in den Herzen der Gläubigen “ . 376 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums e) Pneuma und Logos als Medien der Dynamis Durch den Geist ist Christus als Erhöhter bei den Glaubenden präsent. 122 Paulus erfährt ihn so als „ Kraftspender “ (Phil 4,13) und auch den übrigen Gläubigen ist die Kraft Gottes durch den Geist gegenwärtig (Röm 15,13; Gal 3,5). Zugleich ist sie aber auch im Evangelium als Botschaft vom Heilsgeschehen, dass ihn retrospektiv zum Mittelpunkt hat gegenwärtig (Röm 1,16 f ). Denn das Evangelium ist aktuelles, wahrhaftiges, versöhnendes und lebenspendendes Gotteswort, in dem Christus narrativ präsent ist. Aufgrund dieser Eigenschaften wird es zur Kraft Gottes. 123 Nicht nur der Geist, sondern auch das Wort kann also Kraft besitzen. 124 Dabei kommt es nicht auf die Kraft des Wortes als solches an, sondern auf die damit verbundene rettende Kraft (1Kor 4,19 f ). So erklärt sich, warum Paulus das Wort allein, als bloße menschliche Kommunikationsform nicht hochschätzt (1Thess 1,5; 1Kor 2,4 u. ö.). Die Kraft ist eine eng an Christus und das Heilsgeschehen gebundene Wirkung mit dem Ziel der Rettung. Der Geist ist ebenfalls eng an Christus gebunden und steht für dessen personale Gegenwart und Beteiligung im Verkündigungsgeschehen. Als Gesamtzusammenhang von lo,goj, du,namij und pneu/ ma kann also die Kraft als rettende Wirkweise Gottes bzw. des erhöhten Kyrios im Heilsgeschehen beschrieben werden. Sie verwirklicht sich im Verkündigungsgeschehen durch das Wort des Evangeliums und durch die Gegenwart des Erhöhten im Geist. Mit lo,goj und pneu/ ma lassen sich gewissermaßen die beiden Medien der Kraft Gottes und der narrativ-realen Gegenwart Christi benennen. Abb. 9: (Christologische) Verwirklichung von Dynamis in Logos und Pneuma 122 Siehe Kap. 7.2.3 d. 123 Siehe zu lo,goj Kap. 7.1.1. 124 Vgl. FRIEDRICH, Art. du,namij, aaO., 866. 7.2 Der Verkündigungsprozess 377 f) Die Kraft in der Verkündigung des Evangeliums Damit ist noch nicht geklärt, wie sich die Kraft konkret in der Verkündigung auswirkt und zeigt. Als Gotteskraft ist sie Wirkkraft, d. h. v. a. an ihrer Wirkung zu erkennen. Ziel der Kraft ist die Rettung, deren Voraussetzung der Glaube ist (Röm 1,16 f). Was ruft in der Verkündigung Glauben hervor? Zum einen die Verkündigung des Evangeliums selbst, zum anderen aber auch damit verbundene „ Krafttaten “ und Wunder. 125 Wie das Auftreten Christi, wird auch die Verkündigung der Apostel von „ Wundertaten “ begleitet (vgl. 2Kor 12,12: shmei/ a kai. te,rata kai. duna,meij als Kennzeichen des Apostels). 126 Was versteht Paulus darunter? Für das paulinische Verständis ist die Wendung shmei/ a kai. te,rata (vgl. Röm 15,19) als Ganze relevant. Te,raj erscheint im gesamten Neuen Testament ausschließlich im Rahmen dieser Wendung, spielt also sonst keine selbständige Rolle. 127 Unter shmei/ on kann Paulus das (äußere) Zeichen (Röm 4,11; 1Kor 14,22), das Wunder, „ das die kommende Erlösung und das Wirken Gottes sichtbar anzeigt “ (1Kor 1,22) oder speziell das „ Zeichen des Apostels “ , das „ von Christus, mit der Kraft des Geistes durch den Apostel gewirkt “ wird (2Kor 12,12; vgl. 3,2), verstehen. 128 Dieses pointierte Verständnis schließt an die mit der Wendung verbundene theologische Tradition an. Die Septuaginta gibt mit te,raj das nicht sicher übersetzbare tpewOm wieder. Diesem ist grundsätzlich ein Offenbarungscharakter zueigen, „ sofern mit seiner Hilfe festgestellt wird, daß Gott in der Gegenwart konkrete Entscheidungen trifft, die für die Zukunft bestimmend sind “ . 129 Das theologische Gewicht liegt auf der „ Souveränität und Einzigartigkeit des Handelns Gottes “ . 130 In der Septuaginta wird te,raj darum „ ein unentbehrliches und wirksames Moment der Selbstbezeugung Gottes, wo das Wort seiner Boten in einer entscheidenden Situation nicht durchschlägt. “ 131 Dieses Moment, „ in dem sich die Gewißheit ausdrückt, daß Gott Gang u[nd] Ziel alles Geschehens bestimmt “ , prägt auch das theologische Gewicht der Wendung shmei/ a kai. te,rata, weshalb sie die 125 Vgl. FRIEDRICH, Art. du,namij, aaO., 866. 126 Vgl. FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 437; Nicht nur die Apostel, sondern im Grunde jeder Gläubige hat Anteil an der (Wunder-)Kraft des Christus (vgl. die Aufzählung der Charismen in 1Kor 12,10.28 f; 5,4; Gal 3,5), wenn auch innerhalb der Gemeinde sich die intendierte Wirkung zur Bewahrung und Erhaltung des Glaubens verschiebt (vgl. 2Kor 6,7). Das grundlegende Ziel der Rettung bleibt jedoch gleich. Eine Kraftentfaltung bleibt den Gläubigen noch vorenthalten: die Auferstehung der Toten (2Kor 13,3 f ). 127 Vgl. RENGSTORF, K. H., Art. shmei/ on ktl, ThWNT 7, 199 - 268; 228. 128 BETZ, O., Art. shmei/ on, EWNT III, 569 - 575; 574. 129 RENGSTORF, K. H., Art. te,raj, ThWNT 8, 113 - 127; 118. 130 BALZ, H., Art. te,raj, EWNT III, 838 - 840; 839. 131 RENGSTORF, Art. te,raj, aaO., 119 f. 378 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Septuaginta exklusiv „ für die Wunder Gottes in der Mose-Zeit reserviert “ . 132 Der neutestamentliche Gebrauch überträgt diese Tradition typologisch auf seine Gegenwart, die als „ neue Mose-Zeit “ der eschatologischen Erlösung empfunden wird und mit der sich die dafür typischen „ Zeichen und Wunder “ verbinden: „ Die shmei/ a kai. te,rata, wie sie nach dem Auszug aus Ägypten mit seinen wunderbaren Begleiterscheinungen nun von neuem geschehen, bilden geradezu ein Unterpfand für die Gewißheit des eschatologischen Geschehens. “ 133 Sie sind Garanten der Erlösungszeit und weisen die Apostel, in dessen Handeln sie sichtbar werden, analog den alttestamentlichen Popheten als bevollmächtigt aus: „ [S]ie bezeugen die Wahrheit des Evangeliums und legitimieren dessen Verkündiger. “ 134 Zugleich markiert dieser Rückbezug auf das Exodusgeschehen aber auch die Zielrichtung des Wunders: Es ist nie Selbstzweck, sondern wie bei Mose so auch beim Apostel auf Rettung hin ausgerichtet, d. h. auf die Erweckung von Glauben. Daher ist das Wunder ohne deutendes Wort der Evangeliumsbotschaft ebenso kraftlos wie bloße Worte ohne „ Demonstrationen “ der Kraft (avpo,deixij; 1Kor 2,4) 135 : „ Das Wunder ist nicht ein Ereignis, das den Zuschauer zum Glauben zwingt, sondern es ist derselben Zweideutigkeit ausgesetzt, wie die christliche Predigt auch. “ 136 Wunder und Zeichen können also „ duna,meij “ haben (Röm 15,19), Kraft, die sich in ihnen entfaltet, wenn sie dem Zweck der Evangeliumsverkündigung und dem Ziel des Glaubens dienen. 137 Dann sind sie „ nicht nur charismatische Wunder, sondern auch missionarische Erfolge, die im Leben der Gemeinde sichtbar sind “ . 138 Ohne diese Zielbestimmung sind Wort und Wunder allerdings kraftlos, weil sie nicht Gottes rettendes Handeln zum Inhalt haben. Bei dieser Differenzierung bringt Paulus seine Kreuzestheologie ein, die seinem Kraft-Verständnis noch einmal eine besondere Konnotation verleiht. g) Kraft und Schwachheit Nicht zufällig begegnet in den Korintherbriefen gehäuft du,namij. Paulus scheint in Korinth unter anderem mit dem Vorwurf einer „ kraftlosen “ Verkündigung 132 RENGSTORF, Art. shmei/ on ktl, aaO., 123; 219. 133 RENGSTORF, Art. shmei/ on ktl, aaO., 239 f. 134 BETZ, Art. shmei/ on, aaO., 574; vgl. RENGSTORF, Art. shmei/ on ktl, aaO., 258 f. Konkret wird bei Wundern an „ Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen, aber auch an andere Geschehnisse zu denken sein, die Staunen und Verwundern der Augenzeugen hervorriefen “ ; LOHSE, KEK 4, aaO., 395. 135 Vgl. FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 437. 136 FRIEDRICH, Art. kh/ rux ktl, aaO., 714. 137 RENGSTORF, Art. te,raj, aaO., 126; BALZ, Art. te,raj, 840. 138 BETZ, Art. shmei/ on, aaO., 574. 7.2 Der Verkündigungsprozess 379 konfrontiert zu werden, der seine Legitimation als Apostel infrage stellt. 139 Paulus reagiert darauf mit der Feststellung, „ daß Gott den hohen Schatz des Evangeliums deshalb in das Gefäß des schwachen Apsotels gelegt hat, damit allen sichtbar die Kraft des Evangeliums nicht von Menschen, sondern von Gott kommt “ (2Kor 4,7; Phil 4,13). 140 Die Kraft ist unter der fleischlichen, menschlichen Existenz verborgen wirksam. In dieser verborgenen Form entspricht die Erscheinungsweise der Kraft dem Kreuzesgeschehen (2Kor 13,4), das dem Nichtglaubenden als Torheit und Ärgernis gilt (1Kor 1,18.23.25), dem Gläubigen aber als rettendes Kraftgeschehen. 141 Weil sich unter dem Kreuz für Paulus die Vorzeichen von weltlicher Wahrnehmung umkehren, zeigt sich auch gerade in der „ Schwachheit “ seiner Existenz und seiner Verkündigung die Kraft Gottes: avrkei/ soi h` ca,rij mou( h` ga.r du,namij evn avsqenei,a| telei/ tai (2Kor 12,9). 142 7.2.4 Ergänzende Aspekte aus 1Thess 1,5, 1Kor 2,3-5 und Röm 15,18 f Welches Licht werfen die bisherigen Ergebnisse auf die drei Ausgangstextstellen? Zunächst hat sich die zentrale Stellung von Wort, Kraft und Geist geklärt. Sie sind als Wirkung und deren Ausdrucksformen für Paulus integrale Bestandteile des Verkündigungsgeschehens und weisen die führende Rolle klar Gott bzw. Christus zu. Die in Röm 15,18 f vermutete Zuordnung von Wort und Werk zur Größe „ Kraft “ hat sich insofern bestätigt, als sich die Kraft innerhalb der Verkündigung durch Wort und Wunder-Tat artikuliert. Daher sind die Ergänzungen evn duna,mei shmei,wn kai. tera,twn und evn duna,mei pneu,matoj keine weiteren Differenzierungen, sondern Präzisierungen: der Zeichen und Wunder von „ Werk “ , der Kraft des Geistes vom Gesamtgeschehen in „ Wort und Werk “ . Beides, Wort und Wunder, sind ambivalente Größen. Beide sind nur kraftvoll, wenn sie der Verkündigung des Evangeliums dienen. Daher relativieren 1Thess 1,5 und besonders 1Kor 2,4 f das Wort als Größe, zu der noch etwas hinzukommen muss (mo,non), damit es nicht bloße Rhetorik im Sinne menschlicher Überredungskunst bleibt. 143 Erst durch die Demonstration von Christi Gegen- 139 Vgl. KRUG, Die Kraft des Schwachen, aaO., 39. 140 FRIEDRICH, Art. du,namij, aaO., 865. 141 Vgl. HECKEL, Kraft in Schwachheit, aaO., 229 ff. 142 Siehe Kap. 5.2.2 a und 5.2.4; vgl. HECKEL, Kraft in Schwachheit, aaO., 293 f. 143 Vgl. HOLTZ, EKK 13, aaO., 46; HAUFE, ThHK 12/ 1, aaO., 26; LINDEMANN, HNT 9/ I, aaO., 53; MERKLEIN, ÖTK 7/ 1, 206; Die inhaltliche Doppelung lo,goj mou kai. to. kh,rugma, mou in 1Kor 2,4 ist wohl am besten als Tautologie zu verstehen, die möglichst umfassend das bezeichnete abbilden will: Kein einziges Wort, weder das alltägliche noch das der Predigt, hat Paulus mithilfe überredender Weisheit gesprochen. 380 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums wart im Geist und der Kraft in Verkündigung und Wundertaten wird aus dem Wort das Gotteswort. Auch die Weisheit als inhaltliche Herangehensweise an das Evangelium ist dementsprechend nur dann göttlich qualifiziert, wenn sie dem Kreuz Christi und eben darum der Umkehrung menschlicher Weisheit entspricht (vgl. die Gegenüberstellung von sofi,a avnqrw,pwn und duna,mij qeou/ ). 144 Was kann noch aus den Belegstellen ergänzt werden? Plhrofori,a in 1Thess 1,5 lässt aufgrund seines „ schillernden Charakters “ noch einigen Interpretationsspielraum. Seine Bedeutung schwankt zwischen „ Fülle “ und „ Gewissheit “ . 145 Entweder handelt es sich also um eine abstrakte Sammelbezeichnung, mit der Paulus „ den übergroßen Reichtum des Tuns Gottes auch im gegenwärtigen Leben der Christenheit sprachlich zu fassen sucht “ , oder es drückt die feste Überzeugung des Paulus bzw. seiner Rezipienten bei der Verkündigung in Thessaloniki aus. 146 Sowohl der Kontext - Paulus geht es um die Gewissheit der Thessalonicher im Angesicht von Verfolgungen - als auch die sonstige Verwendung des Wortstammes (das Verb findet sich in Röm 4,21; 14,5 mit eindeutiger Tendenz) legen letztere Bedeutung nahe. 147 Auch in den Kontext des Verkündigungsprozesses fügt sich plhrofori,a als feste Gewissheit gut ein: Syntaktisch in unmittelbarer Nähe zu Geist, drückt es eine Folge bzw. Wirkung der Gegenwart Christi aus, in und aus der sich die du,namij des Evangeliums entfalten kann. Mit gi,nomai schließlich bezeichnet Paulus das Prozesshafte des Geschehens, das sich dem nur in seinen Folgen (Glaube, Rettung) feststellbaren Wirken der Kraft Gottes verdankt und dem Zugriff der Beteiligten entzieht (vgl. Gotteswort, Pneuma). Die an den Anfang gestellten drei Texte heben jeweils einen Aspekt dieses Prozesses pointiert hervor: 1) Wort, Geist, Kraft und Gewissheit sind Kennzeichen gelingender und damit rettender Verkündigung des Evangeliums. Wo sie präsent sind, gibt es keinen Zweifel an der Erwählung der Hörenden und Glaubenden (1Thess 1,5). 2) Nicht als Menschenwort, in geschliffener Rhetorik oder philosophisch-weisheitlicher Darstellung, sondern als Gotteswort, in Gegenwart und Kraft des erhöhten Kyrios und im Schatten der Weisheit des Kreuzes ereignet sich wahre Verkündigung (2Kor 2,4 f ). 3) Christus wirkt in der Verkündigung pneumatisch anwesend als Kraft durch Wort und Werk, Zeichen und Wunder. Durch ihn kann Paulus sein Missionswerk im Osten abschließen (Röm 15,18 f). 144 Vgl. WILKENS, Art. sofi,a ktl, aaO., 521 - 523. 145 Vgl. HÜBNER, H., Art. plhrofore,w ktl, EWNT III, 254 - 256; 254. 146 DELLING, G., Art. plh,rhj ktl, ThWNT 6, 283 - 309, 309. 147 Vgl. DELLING, Art. plh,rhj ktl, aaO., 308. 7.2 Der Verkündigungsprozess 381 7.2.5 Das Evangelium als Kraft Gottes analog der Tora (Röm 1,16) Ich habe das Evangelium als Kraft Gottes in den Prozess der Verkündigung, wie Paulus ihn sich vorstellt, eingezeichnet. Als paulinische Zusammenfasssung blicke ich nochmals auf Röm 1,16 148 : Röm 1,16: Ouv ga.r evpaiscu,nomai to. euvagge,lion( du,namij ga.r qeou/ evstin eivj swthri,an panti. tw/ | pisteu,onti( VIoudai,w| te prw/ ton kai. {EllhniÅ Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, zum Heil jedem Glaubenden, dem Juden zuerst wie auch (dem) Griechen. Paulus stellt hier eine programmatische These an den Anfang seines Römerbriefes, die vor allem auf die Wirkung der Botschaft bei den Hörern abzielt: das Heil und der dazu notwendige Glaube (vgl. V.17). 149 Auch hier wird also das Evangelium als Kraft Gottes aufgrund seiner Wirkung, als „ Wirkkraft “ , die das Heil Wirklichkeit werden lässt, interpretiert. 150 Seine Reichweite bzw. Ausrichtung ist universal: Jedem, Juden und Griechen, ist das Evangelium Kraft zum Heil. 151 Das Nicht-Schämen des Paulus ist wohl weniger Ausdruck mutigen Bekennens. 152 Vielmehr scheint es in Anlehnung an 1Kor 1,18 eine Anspielung auf den „ skandalösen “ Charakter des Evangeliums zu sein, das Christus als Gekreuzigten verkündigt. 153 Als solches ist es eine Herausforderung des Menschen, die nur durch Glauben überwunden werden kann. Mit der Wirksamkeit im Glauben hat das Evangelium aber nicht nur „ informativen “ und „ performativen “ Charakter, sondern wird zum Instrument von Gottes kraftvollem gegenwärtigen Handeln 154 : „ Rettung wird kraft des zugesprochenen Evangeliums hier und jetzt denen zuteil, die diesem Wort glaubend vertrauen. “ 155 Wenn Paulus das Evangelium derartig als rettende Kraft Gottes versteht, überträgt er ein ursprünglich auf die Tora angewandtes Modell auf seine Evangeliumskonzeption: „ Neben die jüd. Formel Tora = Kraft ist also die christliche zu setzen: Evangelium = Kraft “ . 156 Die ehemals dem Gesetz zugeschriebene Heilsfunktion wird nun durch das Evangelium verwirklicht, wobei diese „ Ablösung “ bei Paulus nicht auf einem „ legalhermeneutischen Verfahren “ beruht, sondern auf die „ personalcharismatische Bindung an Jesus und den , 148 Siehe Kap. 4.3.7. 149 HAACKER, ThHK 6, aaO., 38. 150 Vgl. WOLTER, M., Das Evangelium, in HORN, Paulus Handbuch, aaO., 337 - 342; 341. 151 Vgl. LOHSE, KEK 4, aaO., 78: „ Juden und Griechen als Repräsentanten der gesamten Menschheit “ ; ähnlich HAACKER, ThHK 6, aaO., 41. 152 So LOHSE, KEK 4, aaO., 76 und HAACKER, ThHK 6, aaO., 39. 153 Vgl. JEWETT, Romans, aaO., 137. 154 Vgl. HAACKER, ThHK 6, aaO., 40; LOHSE, KEK 4, aaO., 76 f; JEWETT, Romans, aaO., 138. 155 LOHSE, KEK 4, aaO., 77; vgl. WOLTER, Evangelium, aaO., 341. 156 Vgl. FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 437. 382 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Geist ‘“ zurückzuführen ist. 157 Weiterhin wird von Paulus eine antithetische Gegenüberstellung dadurch vermieden, dass er in der Tora Hinweise auf das Evangelium findet (Röm 10,4). 158 Dass das Evangelium allerdings tatsächlich Kraft Gottes mit der ehemals der Tora zugeschriebenen Wirkung der Rettung ist, kann freilich nicht bezweifelt werden. Es stellt die Grundlage der gesamten paulinischen Evangeliumskonzeption dar. Ohne diese Wirkung wäre die Aussage der Botschaft bedeutungslos, die Verkündigung der Apostel wirkungslos und damit sinnlos und für die Rezipienten weitestgehend irrelevant. Ich habe darum von Röm 1,16 f als „ Programm “ des Evangeliums gesprochen, weil sich vom Evangelium als Kraft Gottes die gesamte Konzeption des Paulus inklusive aller Einzelaussagen und Unterkonzeptionen (z. B. das Apostolat) ableiten lassen. 159 7.3 Erstverkündigung/ Anhaltende Verkündigung Zu Beginn des 5. Kapitels über den Kommunikator bin ich bereits auf das Problem der zeitlichen Einordnung der paulinischen Verkündigung zu sprechen gekommen: Denkt Paulus innerhalb seiner Konzeption an den „ Erstkontakt “ des Rezipienten mit dem Evangelium ( „ Erstverkündigung “ ), oder ist für ihn auch die andauernde Begleitung des Rezipienten z. B. in Form der Briefkorrespondenz Verkündigung des Evangeliums? Die Reichweite des Verkündigungsbegriffs hat Konsequenzen, z. B. für die bereits angesprochen Rollen des Kommunikators Paulus, aber auch für Einzelheiten des Verkündigungsprozesses wie die Gesamtdauer der Verkündigung und die möglichen Medien. So ist damit auch die Frage verbunden, inwiefern die vorliegenden paulinischen Briefe als Evangeliumsverkündigung gemäß seiner Konzeption angesehen werden können. Ich werde mich der Problematik zunächst anhand von paulinischen Aussagen zu seiner Verkündigung nähern und dann bereits gewonne Ergebnisse aus den bisherigen Kapiteln heranziehen. 157 THEISSEN, G., Judentum und Christentum bei Paulus, in: HENGEL, M./ HECKEL, U. (Hgg.), Paulus und das antike Judentum, WUNT 58, Tübingen 1991, 331 - 359; 353. Siehe auch Kap. 8.3.3 b. 158 FASCHER, Art. Dynamis, aaO., 437. Siehe dazu auch die Kap. 4.2, 4.3 und 5.1 und bes. 7.4.4. 159 Siehe Kap. 4.3.7. 7.3 Erstverkündigung/ Anhaltende Verkündigung 383 7.3.1 Aussagen zur Verkündigung Paulus kommt in verschiedenen Kontexten auf seineVerkündigung zu sprechen. Relativ selten blickt er auf seineVerkündigung als Ganzes zurück. Hier bedient er sich der Zeitstufe der Gegenwart, entweder um die zeitliche Unabgeschlossenheit des Geschehens (Gal 2,2: das Präsens khru,ssw zeigt an, dass seine Verkündigung des Evangeliums unter den Völkern ganz allgemein noch im Vollzug ist) oder um die Allgemeinheit/ Zuständlichkeit der Aussage hervorzuheben (Röm 15,19: Perfekt peplhrwke,nai). Als weltumspannendes Geschehen spielt sich die Verkündigung für Paulus ständig und auf Zukunft hin offen ab. Doch damit ist nichts über die Verkündigung in ihrer Konkretheit gesagt. Wo immer sich Paulus auf das Verkündigungsgeschehen am Anfang der Begegnung zwischen Apostel und Gemeinde zurückbezieht, benutzt er Zeitstufen der Vergangenheit (v. a. Aorist, z. B. 1Thess 2,2 oder 2Kor 10,14). Jedoch bleibt dieser Rückbezug zeitlich ambivalent. So stellt das Bild der Zeugung (evge,nnhsa, Aorist) dieVerkündigung in 1Kor 4,15 als singulären, punktuellen Akt dar, wohingegen die Thematik des Unterhaltes eine anhaltende Verkündigungstätigkeit nahelegt: „ Wir ertragen (ste,gomen, Präsens) alles, damit wir dem Evangelium Christi kein Hindernis bereiten “ (dw/ men, Aorist abhängig vom Präsens; 1Kor 9,12). 160 Aufschlussreich dazu verhält sich 1Kor 15,1: Paulus scheint hier mit dem präsentischen gnwri,zw noch einmal die Verkündigung zu vollziehen. 161 Doch dann fährt er fort: „ [das Evangelium], das ich euch verkündigt habe (Aorist), das ihr auch angenommen habt (Aorist), in dem ihr auch fest steht (Perfekt) “ . Verkündigung und Annahme scheinen ein punktuelles Geschehen in der Vergangenheit zu sein, wie der Aorist anzeigt: Paulus ist mit dem Evangelium zu den Korinthern gelangt (evfqa,samen, 2Kor 10,4). Das „ fest stehen “ (e`sth,kate, Perfekt) ist dagegen ein andauernder Zustand, der gegenwärtig auch gefährdet sein kann, z. B. durch denjenigen, „ der einen anderen Jesus predigt [. . .] oder ein anderes Evangelium, das ihr nicht angenommen habt “ (2Kor 11,4). Wenn sich der Rezipient vom ursprünglich verkündigten Evangelium abwendet (metati,qhmi) hin zu einem anderen Evangelium (Gal 1,6), muss Paulus intervenieren und das Evangelium erneut bekannt machen (gnwri,zw, Gal 1,11; 1Kor 15,1), damit die Wahrheit des Evangeliums bei den Rezipienten verbleibt (avlh,qeia tou/ euvaggeli,ou diamei,nh|, Gal 2,5). Lassen sich die Rezipienten von der Botschaft nicht abbringen, pflegen sie „ Gemeinschaft am Evangelium “ (koinwni,a u`mw/ n eivj to. euvagge,lion), im Falle der Philipper vorbildlich „ vom ersten Tag an bis jetzt “ (Phil 1,5). Was Paulus also nach der 160 Vgl. auch 1Kor 9,18: euvaggelizo,menoj (Präsens); Paulus verkündigt also jetzt momentan, gegenwärtig und in absehbarer Zeit. 161 Siehe zu gnwri,zw Kap. 7.1.1. 384 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Erstverkündigung tut, ist Verteidigung und Festigung des Evangeliums (avpologi,a kai. bebai,wsij tou/ euvaggeli,ou, Phil 1,7.16) unter seinen Rezipienten nach Außen und Innen (vgl. Phil 1,27). So ist auch zu verstehen, dass 1Thess 3,2 Timotheus als Mitarbeiter am Evangelium geschickt wird, „ um zu stärken und zu trösten wegen eures Glaubens “ (eivj to. sthri,xai u`ma/ j kai. parakale,sai u`pe.r th/ j pi,stewj u`mw/ n). Die paulinischen Aussagen lassen also eine kontinuierliche Fortsetzung der Evangeliumsverkündigung nach der Erstverkündigung wahrnehmen, die bewahrenden und festigenden Charakter in Bezug auf die Reaktionen der Rezipienten hat. Wenn Paulus gelegentlich scheinbar noch einmal zu einer erneuten Erstverkündigung ansetzt (Gal 1,11; 1Kor 15,1), so nur in der Form einer nachdrücklichen Aufforderung zur Rückkehr bzw. als Erinnerung an die Ursprungsbotschaft. Damit handelt es sich um wiederholende und vertiefende Kommunikationsakte, die allerdings gegenüber der Erstverkündigung keine grundsätzlich neuen Aspekte hervorbringen. Inwiefern deckt sich diese Einschätzung mit den übrigen bisherigen Ergebnissen? 7.3.2 Bisherige Ergebnisse Zunächst legt die Begründung des Apostolats in Damaskus den Fokus auf die Erstverkündigung des Evangeliums, die Paulus durch direkte Offenbarung des Auferstandenen widerfahren ist. Die Offenbarung hat sich als Erkenntnisgewinn, insbesondere über Jesus Christus als Gottessohn, dargestellt. 162 Diese erstmalige Erkenntnis beschreibt Paulus als einmaliges und lebenswendendes Geschehen für die eigene Person. Die hier zum Ausdruck kommende Dramatik erhält die Darstellung allerdings eher aufgrund seiner besonderen biographischen Disposition: vom Christen verfolgenden Pharisäer zum Evangelium verkündenden Apostel. Nichts weist darauf hin, dass Paulus sein punktuelles Erleben als in jeder Hinsicht exemplarisch für die Erstbegegnung mit dem Evangelium hält. Im Gegenteil: Die Beschreibung der Rahmenbedingungen seiner Verkündigung weist eher auf einen längeren Zeitraum der Erstverkündigung hin: Als Vorbild muss Paulus den Rezipienten eine bestimmte Zeit „ vor Augen “ stehen, also anwesend sein, um als solches wirken zu können. Gleiches gilt für den Unterhaltsverzicht, der ja nur Sinn hat, wenn die zeitliche Notwendigkeit eines (finanziellen) Unterhaltes bei der erstmaligen Verkündigung entsteht. 163 Von einem Erstverkündigungsprozess bzw. -zeitraum zu sprechen ist auch von meinen Überlegungen zum Inhalt der Botschaft her 162 Siehe Kap. 5.1.2 b; 5.1.3 b: das Evangelium als die Weise, in der sich Gott selbst bezeugt. 163 Siehe Kap 5.1.3; Kap. 6.1.2: das Anteilgeben an der Person und das empfehlende Verhalten. 7.3 Erstverkündigung/ Anhaltende Verkündigung 385 nachvollziehbar: Das Evangelium ist in seiner ganzen Tragweite nur auf dem Hintergrund altestamentlich-jüdischer Vorstellungen zu verstehen, die dem Rezipienten zunächst erläutert werden müssen. Die Erkenntnis des Evangeliums im obigen Sinn setzt also einen gestuften Verstehensprozess voraus. 164 Genauso kann umgekehrt die Erkenntnis der Wahrheit des Evangeliums wieder verloren gehen, d. h. zugunsten anderer Erkenntnisse aufgegeben oder modifiziert werden (vgl. Gal). 165 Dem korrespondieren die bisherigen Ergebnisse dieses Kapitels, die das Evangelium als wirkende Kraft analog der jüdischen Tora vorgestellt haben: Wie das Halten der Tora als Heilsbedingung andauerndes und prozessuales Geschehen ist, das scheitern und sich zurückentwickeln kann, ist auch der Glaube an das Evangelium von Anfang an Entwicklungen unterworfen. 166 Andererseits wohnt der Erkenntnis immer auch der Aspekt der punktuellen Anerkenntnis inne, wie die o. g. Zeugungsmetaphorik oder auch die Damaskusoffenbarung illustrieren. 167 Als Analogie hinsichtlich der Tora könnte der punktuelle Bundesschluss in der individuellen Beschneidung angesehen werden. Die verschiedenen Rollenbilder, derer Paulus sich zur Beschreibung seines Apostolats bedient (Pflanzender, Architekt und Botschafter Gottes), unterscheiden einerseits klar die zeitlich und sachlich vorgeordneter Aufgabe der Gemeindegründung von einer weiteren Begleitung (z. B. durch Apollos als Gießenden). Andererseits kann Paulus seine Rolle als Diener und Mitarbeiter Gottes in dessen Heilsplan auch ganz weit und unspezifisch fassen und sie z. B. dadurch füllen, dass er intensiven und konstanten Kontakt zu seinen Gemeinden hält. 168 Im Zentrum seines Auftrages steht das Evangelium. Daher fühlt sich Paulus als Anwalt dieser Botschaft sowohl für deren Verbreitung als auch ihren Erhaltung bei den Rezipienten verantwortlich. Von hier aus erhält die Beziehungsebene Gewicht, für die Paulus maßgeblich das Bild des Vaters gebraucht. Die Selbstbezeichnung „ Vater “ drückt das Faktum der Gemeindegründung durch Paulus ebenso aus wie seine bleibende Verbundenheit aufgrund des Evangeliums. 169 Diese Verbundenheit dient nicht nur dem Evangelium in Bezug auf die Rezipienten vor Ort, sondern erweitert auch die Reichweite der Ver- 164 Siehe Kap. 4.1.3 und den EXKURS zur Narrativität des paulinischen Evangeliums. Das trifft auch für jüdische Rezipienten zu, die zumindest einer Einordnung der Botschaft in die ihnen bekannte Tradition bedürfen. 165 Das warnt vor einer Gleichsetzung des paulinischen Lebenslaufes mit dem eines idealtypischen Rezipienten: Ein Verlust der Erkenntnis des Damaskuserlebnisses ist für Paulus selbst doch ganz unvorstellbar. 166 Siehe Kap. 7.2; bes. 7.2.5. 167 Siehe Kap. 5.1.2 b. 168 Siehe Kap. 5.2.1; 5.2.2. 169 Siehe Kap. 6.1.1. 386 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums kündigung durch Werbung und Förderung von Mitarbeitern als „ Multiplikatoren “ . 170 7.3.3 Zusammenfassung Die Aussagen des Paulus zu seiner Verkündigung sind zunächst hinsichtlich der allgemeinen Perspektive auf das Ganze der Verkündigung und der konkret vor Ort stattfindenden Verkündigung zu differenzieren. Das Ganze der Verkündigung ist für Paulus ein anhaltendes, von ihm weiterhin in Gegenwart und Zukunft praktiziertes Geschehen, das allenfalls örtlich einen Zustand der Abgeschlossenheit erreicht (Röm 15,19). Für uns von Interesse ist die konkrete Verkündigung vor Ort als Geschehen zwischen Kommunikator und Rezipienten. Im Blick auf die paulinische Verkündigung ergeben sich drei grundsätzliche Aspekte: 1) Erstverkündigung: Sie ist punktuelles Geschehen (in der Vergangenheit) im Sinne eines zeitlich festlegbaren Moments der Anerkenntnis auf Seiten der Rezipienten (vgl. Zeugungsmetaphorik, Rollenbilder Pflanzender und Architekt, Damaskuserlebnis). 2) Anhaltende Verkündigung: Sie ist zugleich prozessuales Geschehen (ggf. bis in die Gegenwart anhaltend), das einen Erkenntnisprozess auf Seiten der Rezipienten begleitet, festigt und bewahrt (Vorbild, Unterhalt, alttestamentlicher Verstehenshorizont). Punktueller und prozessualer Charakter der paulinischen Verkündigung werden personal durch die Vater-Metaphorik (Gemeindegründer - bleibende Verbundenheit) und sachlich durch die Umschreibung des Evangeliums als wirkende Kraft ausgedrückt. 3) Auch die Begleitung und Festigung des Erkenntnisprozesses durch anhaltende Verkündigung dient mittelbar der weiteren Ausbreitung des Evangeliums durch das Wirken der Gemeinde und bleibt somit dem Anliegen der Erstverkündigung verpflichtet (vgl. Gemeindegründung als Primäraufgabe des Paulus). Wie ist dieser Befund abschließend zu bewerten? Es ist eine klare Schwerpunktsetzung des Paulus auf die Anfangsphase der Verkündigung wahrzunehmen (vgl. eigene Rollenzuweisungen): Paulus ist als Apostel Erstverkündiger. Allerdings - und das ist wohl Resultat seiner Missionserfahrungen - vollzieht sich die Erstbegegnung mit dem Evangelium nicht punktuell, sondern prozessual, sodass dieses Selbstverständnis zeitlich sehr offen bleibt. Auf diesem 170 Siehe Kap. 6.1.5. 7.3 Erstverkündigung/ Anhaltende Verkündigung 387 Hintergrund können auch die paulinischen Briefe noch als Fortsetzung der Erstverkündigung angesehen werden, mindestens aber als mittelbare Weiterführung der Erstverkündigung durch Förderung der Rezipienten als potentielle Verkündiger. 171 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums Im Folgenden frage ich nach den Medien des Evangeliums. Unter Medien sind nach Maletzke technische Instrumente oder Apparaturen zur Übermittlung von Aussagen zu verstehen. 172 Dass Paulus bei der Kommunikation des Evangeliums keine modernen (oder auch antiken) Medien der Massenkommunikation zur Verfügung standen, habe ich bereits thematisiert. 173 Daher kann die sehr enge, auf die Massenkommunikation zugeschnittene Definition von Maletzke nur bedingt greifen. So lässt sich das zentrale Medium bei Paulus, das gesprochene Wort, allenfalls in seiner schriftlichen Form der Briefe als technisches Instrument im ursprünglich von Maletzke intendierten Sinne verstehen. Die Übertragung des Modells in den Kontext der öffentlichen Kommunikation (des Evangeliums) macht auch eine Öffnung der Definition von Medien erforderlich. Dann müssen unter Medien alle (auch nicht-technischen) Instrumente und Mittel verstanden werden, die für Paulus der Weitergabe des Evangeliums an die Rezipienten dienen. Unter dieser Voraussetzung lassen sich bei Paulus zwei Brennpunkte der medialen Kommunikation identifizieren: das bereits erwähnte Wort (mündlich - schriftlich, menschlich - von Gott offenbart) und das damit in Zusammenhang stehende (zwischenmenschliche) Beziehungsgeschehen selbst (der Mensch als Medium). Auf welche Weise hält Paulus diese Medien bei der Kommunikation des Evangeliums für relevant und angemessen? Und welche Folgen ergeben sich daraus für die Konzeption der Verkündigung? Das soll die folgende Analyse klären. 171 Vgl. FRIEDRICH, Art. euvaggeli,zomai ktl, aaO., 717: „ In der Missionswie in der Gemeindepredigt wird dasselbe Evangelium gepredigt. Paulus macht keinen Unterschied “ (vgl. Röm 1,15; 1Kor 9,12-18; Gal 4,13); anders WOLTER, Das Evangelium, aaO., 337: Paulus verwendet euvagge,lion und euvaggeli,zomai niemals mit Bezug auf Inhalt und Intention seiner Briefe. „ Die Verkündigung des Evangeliums geht also der paulinischen Briefschreiberei immer voraus “ . 172 Siehe die Definition von Maletzke Kap. 3.3.4 c. 173 Siehe Kap. 3.5.2. 388 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums 7.4.1 Das mündliche Wort Die mündliche Rede ist das universalste Medium der griechisch-römischen Antike. Das Wort ist jederzeit und überall verfügbar und dank der Verbreitung des Griechischen als Verkehrssprache auch allgemein verständlich. 174 Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch für Paulus die mündliche Kommunikation die primäre Form der Evangeliumsverkündigung darstellt (lale,w, lo,goj, avkoh" r`h/ ma). 175 Schließlich ist das gesprochene Wort z. B. in Form des Gerüchtes oder des Klatsches (fama und rumor) ein Medium mit nicht zu unterschätzender Breitenwirkung. 176 Ich habe bereits drei Dimensionen des Sprechens hinsichtlich seines Zeitpunktes und seiner Zielrichtung unterschieden 177 : 1) khru,ssw, katagge,llw, avnagge,llw: Erstverkündigung, öffentliche Dimension. 178 2) dida,skw: Seit Erstverkündigung anhaltend, (be-)lehrende Dimension. 3) parakale,w: Fortlaufende Verkündigung, begleitende und stärkende Dimension. Über den jeweiligen Ort bzw. die jeweilige Situation der Kommunikation (z. B. gesellschaftlicher Kontext) gibt Paulus keine Auskunft. 179 Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie innerhalb seiner Konzeption zweitrangig sind, solange die Dimensionen (Öffentlichkeit, Lehre, Begleitung) und ihre zentrale Funktion, die Verkündigung des Evangeliums, ungehindert gegeben sind. Allen drei Formen ist ein durch die Rolle des Kommunikators bestimmtes Kommunikationsgefälle gemeinsam (Verkündiger, Lehrer, Tröster/ Ermutiger/ Begleiter). Das legt ein großes Gewicht auf die Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit des Kommunikators: Ein maßgeblicher Anteil der Überzeugungskraft der Botschaft und des Gelingens der Kommunikation an sich sind in seinen rhetorischen Qualitäten begründet. Das gesprochene Wort ist ein sehr wandel- und formbares Medium und seineWirksamkeit hängt stark von der sprachlichen Qualifikation des Sprechenden ab. Wenn das in Worten kommunizierte Evan- 174 Vgl. dazu SCHMITT, R., Die Sprachverhältnisse in den östlichen Provinzen des Römischen Reiches, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt (ANRW) II.29,2, 1983, 554 - 586; bes. 555 f. 175 Siehe den Überblick zur Verkündigungsterminologie in Kap. 7.1. 176 Siehe Kap 7.5. 177 Siehe Kap. 7.1.2. 178 Zum öffentlichen Charakter der Evangeliumsverkündigung siehe das folgende Kap. 7.5. 179 Eine Möglichkeit besteht darin, sie im Anschluss an 1Kor 14,23-25 allesamt im Rahmen der Gemeindeversammlung (Ekklesia) anzusiedeln; vgl. REINBOLD, W., Propaganda und Mission im ältesten Christentum. Eine Untersuchung zu den Modalitäten der Ausbreitung der frühen Kirche, FRLANT 188, Göttingen 2000, 195ff 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums 389 gelium den Rezipienten überzeugen soll, muss der Kommunikator im Umgang mit Worten - zumindest bis zu einem gewissen Grad - geschult sein. Als wichtigstes Medium in derAntike hat die mündlichen Rede im griechischrömischen Kontext viel Aufmerksamkeit erfahren. Die Rhetorik als „ Redekunst “ gehört zur Zeit des Paulus zum Basiswissen der antiken Bildung. Auch er war sich dieser Dimension der Verkündigung bewusst und hat sich ihrer in seinen Briefen verschiedentlich auf beachtlichem Niveau bedient. 180 Interessanterweise erteilt er jedoch gegenüber seinen Rezipienten dem hohen Stellenwert der Rhetorik bei der Evangeliumsverkündigung eine Absage: Er sei nicht mit der Weisheit des Wortes bei ihnen aufgetreten, damit nicht der Inhalt der Kreuzespredigt leer gemacht werden würde (i[na mh. kenwqh/ | o` stauro.j tou/ Cristou/ , 1Kor 1,17). Inwiefern schadet Redekunst dem Inhalt der Botschaft? Zwingt ihr narrativer Charakter nicht geradzu, eine gewisse „ Erzählkunst “ an den Tag zu legen, um sich anhaltend die Aufmerksamkeit der Rezipienten zu sichern? 181 Und wie kommt es zu dieser „ Diskrepanz zwischen paulinischen Selbstaussagen (kritische Distanz zu rhetorischen Mitteln) einerseits und den bei Paulus dann doch diagnostizierbaren rhetorischen Vorgehensweisen andererseits “ ? 182 Hier hilft 1Thess 2,3-5 weiter, wo Paulus sich von den unlauteren Motiven und Praktiken der popularphilosophischen Wanderprediger abgrenzt 183 : Der bloße Anschein, zu ihnen zu gehören, schadet dem Evangelium, weil er mit der Person des Verkündigers auch die Botschaft zweifelhaft erscheinen lässt. Paulus verwehrt sich also einer „ sophistische[n] Wohlgefälligkeit, die manipulativ auf schnellen Erfolg beim Hörer zielt[e] und an der Wahrheitsfrage letztlich nicht interessiert “ ist. 184 Im Grunde ähnlich, aber von der Seite der Botschaft aus, 180 Vgl. dazu BETZ, Der Galaterbrief, aaO.; CLASSEN, C. J., Paulus und die antike Rhetorik, in: ZNW 82 (1991), 1 - 33; KENNEDY, G. A., New Testament Interpretation through Rhetorical Criticism, Chapel Hill/ London 1984; LAMPE, P., Rhetorische Analyse paulinischer Texte - Quo vadit? Methodologische Überlegungen, in: SÄNGER, D./ KONRADT, M. (Hgg.), Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament, NTOA 57, Freiburg/ Göttingen 2006, 170 - 190; DERS./ SAMPLEY, J. P. (Hgg.), Paul and Rhetoric, New York/ London 2010; DERS., Rhetorik und Argumentation, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 149 - 158; VOS, J. S., Die Kunst der Argumentation bei Paulus. Studien zur antiken Rhetorik, WUNT 149, Tübingen 2002; WINTER, B.W., Philo and Paul among the Sophists, Cambridge 1997. Siehe auch Kap. 5.1.1 d; 5.1.2 c (zu 1Kor 9,1); 6.1.2 b (zu 2Kor 6,4-11) und c (zu 1Thess 2,1-12); 6.2.4. 181 Vgl. SÖDING, Das Geheimnis Gottes im Kreuz Jesu, aaO., 86. Siehe Kap. 5, Exkurs: Narrativität und paulinisches Evangelium. 182 LAMPE, Rhetorik und Argumentation, aaO., 156. 183 Siehe Kap. 6.1.2 c. 184 LAMPE, Rhetorik und Argumentation, aaO., 156 f: Lampe ist der Meinung, dass die „ vermeintliche Diskrepanz bei Paulus [. . .] eine Diskrepanz im antiken Rhetorikbetrieb insgesamt “ widerspiegelt, und zwar zwischen der kritisierten sophistischen und der hochgeschätzten platonisch-aristotelischen Rhethorik. 390 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums argumentiert Paulus in 1Kor 1: Der Botschaft vom gekreuzigten Messias darf durch rhetorische Mittel nicht die Brisanz genommen werden, sonst ist sie nicht mehr Weisheit Gottes (V.21). Sie muss die scharfe Trennlinie, die sie den Weisen und Klugen zur Torheit macht (VV.18 ff ), behalten, um das Evangelium bleiben zu können. Darin besteht ihr Geheimnis, das unterscheidet sie als Gotteswort vom bloßen Menschenwort. 185 „ Paulus lehnt[e] also nicht jegliche rhetorische Kunst ab, sondern eine, die die zu weckende pi,stij (Glaube) des Auditoriums auf sprachlich verführerisches Menschenwerk zu gründen sucht[e] “ - wenn also der Botschaft von außen (Anschein des Kommunikators) oder innen (inhaltlich) Gefahr droht. 186 Ein rhetorisch schwaches Evangelium hingegen, das trotzdem Glauben bei den Zuhörern weckt, kann im Sinne des Paulus viel glaubhafter als „ Kraft Gottes “ ausgewiesen werden (vgl. 1Kor 2,5). 187 Dass Paulus der Rhetorik jedoch durchaus auch positive Aspekte abgewinnen kann, spiegelt sich z. B. in 2Kor 10,10: Dort erwähnt er, dass einige aus seiner Gemeinde in Korinth ihn nicht gerade für redebegabt halten, obwohl seine Briefe doch rhetorisch so „ schwer und stark “ (barei/ ai kai. ivscurai,) seien. Paulus widerspricht dem nicht, sondern verspricht - den Vorwurf positiv aufgreifend - im anschließenden Vers, genauso stark wie in den Briefen im Wort, so stark vor Ort in der Tat zu sein. Damit sind wir bereits an das zweite wichtige Medium der Evangeliumsverkündigung gewiesen: die paulinischen Briefe. 188 185 Siehe Kap. 5.2.2 a und 7.1.1 zu lo,goj; Die Unterscheidung zwischen Wort Gottes und menschlicher Verkündigung findet sich bei Paulus häufiger, z. B. 2Kor 4,7 (das Evangelium als „ Schatz in tönernen (ovstraki,noj) Gefäßen “ , also in der Form menschlicher Predigt gebunden) oder 2Kor 13,3 f (Zusammenhang zwischen schwacherApostelpredigt und dem Kreuz als Inhalt der Botschaft); vgl. SÖDING, Erweis des Geistes und der Kraft, aaO., 209 - 211. 186 LAMPE, Rhetorik und Argumentation, aaO., 156; vgl. SÖDING, Das Geheimnis Gottes im Kreuz Jesu, aaO.: „ Was Paulus vor allem vermeiden will, ist, durch seine Predigt die Hörer zu überreden “ (88). „ Das Evangelium, das er verkündet, ist nicht einfach evident, gerade wegen des Kreuzes Jesu. Gleichwohl gibt es gute Gründe, an das Evangelium zu glauben, gerade wegen des Kreuzes Jesu. Alles hängt also daran, die Adressaten von der Glaubwürdigkeit des Evangeliums und des Apostels zu überzeugen “ (89). 187 Vgl. LAMPE, Rhetorik und Argumentation, aaO., 156. 188 Literatur zur paulinischen Epistolographie: BECKER, E. M., Schreiben und Verstehen. Paulinische Briefhermeneutik im Zweiten Korintherbrief, NET 4, Tübingen/ Basel 2002; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 47 - 80; HOEGEN-ROHLS, C., Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten. Eine Einführung in die paulinische Epistolographie, Neukirchen-Vluyn 2013; SCHREIBER, S., Paulus als Briefschreiber. Vom Absender zum Adressaten, in: HORN, F.W., Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 136 - 141; RICHARDS, E. R., Paul and First-Century Letter Writing. Secretaries, Composition and Collection, Downers Grove 2004. 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums 391 7.4.2 Das schriftliche Wort: Briefe Der Brief ist ein in der Antike weit verbreitetes und beliebtes Kommunikationsmedium: „ In allen Bevölkerungsschichten teilt man mittels Briefen die Sorgen und Freuden des Alltags, nimmt Anteil aneinander, tauscht wichtige Informationen aus. “ 189 Er wird in der Regel aus gefalteten Papyrusblättern hergestellt, die mit einem Schilfrohr und Tinte beschrieben werden. 190 Obwohl die Herstellung aufwendig und verhältnismäßig kostspielig ist, stellt das Briefeschreiben eine wesentliche Form der Alltagskommunikation zur Zeit des Paulus dar. Wer wohlhabend genug ist, hat in der Elementarschule die Möglichkeit, Lesen und Schreiben zu erlernen. 191 Andere können auf „ professionelle Unterstützung “ durch Schreibsekretäre zurückgreifen, die auf jedem städtischen Marktplatz angeworben werden können. 192 Auch Paulus hat das Medium „ Brief “ intensiv für seine Arbeit genutzt. Durch ihre „ außergewöhnliche Länge “ unterscheiden sich seine Briefe signifikant von anderen antiken Privat- und Geschäftskorrespondenzen. 193 Sie sind mit kaum einer bekannten Briefgattung vollständig in Einklang zu bringen. 194 Am besten sind sie wohl mit O.Wischmeyer funktional als „ Gebrauchs- und Verbrauchsliteratur “ zu beschreiben, die Paulus „ als öffentliche Schreiben an die jeweilige christliche Volksversammlung (evkklhsi,a) in den Provinzialhauptstädten bzw. der Reichshauptstadt “ sendet, um „ persönliche, situationsbezogene und adressatenbezogene “ Gedanken auszutauschen. 195 Sie sind „ öffentlich “ oder besser: 189 SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 136; 190 Vgl. SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 136 f. 191 Vgl. SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 137 f; „ All dies war Paulus nur mit Unterstützung der gastgebenden Gemeinden möglich, die ihm Material, Räumlichkeiten, schreibkundige Personen und Boten zur Verfügung stellten und so in den Briefprozess eingebunden waren “ . Hiebei ist auch das Fehlen eines öffentlichen Beförderungssystems für private Briefe in der Antike zu beachten (139); HOEGEN-ROHLS, Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten, aaO., 19 - 21: Andererseits muss auch zugegeben werden, „ dass nahezu jede schriftliche Mitteilung in hellenistisch-römischer Zeit als Brief verstanden werden konnte “ (21). 192 Vgl. SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 137. 193 SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 140. Zu epistolographischen Merkmalen der antiken Briefes vgl. HOEGEN-ROHLS, Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten, aaO., 25 - 34. 194 Sie besitzen eine gewisse Nähe zu literarischen Briefen aufgrund ihrer Länge und der relativ weiten Adressatenöffentlichkeit, die über die genannten Briefadressaten hinausreicht; vgl. SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 140. 195 WISCHMEYER, Paulus, aaO., 163; anders HOEGEN-ROHLS, Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten, aaO.: Den paulinischen Brief kennzeichnet, „ dass er keinen reinen Gebrauchstext darstellt, der per definitionem nur in einer ganz bestimmten Kommunikationssituation und zu einem ganz bestimmten kommunikativen Zweck 392 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums „ halb-öffentlich “ , weil sie von Paulus für die Verlesung in der Gemeindeversammlung (1Thess 5,27) und Weitergabe an andere Gemeinden (1Kor 1,2; 2Kor 1,1) mit einem entsprechenden Anspruch konzipiert worden sind. 196 Vier Funktionen können unterschieden werden: „ Die Paulusbriefe sind literarische Träger von Information, Kommunikation, Argumentation und Instruktion “ . 197 1) Die Briefe tauschen Informationen mit und über die verschiedenen, z.T. weit verbreiteten Gemeinden aus und sorgen als „ Querverbindungen “ für eine kontinuierliche Vernetzung. 198 So erzeugen sie „ ein Gefühl von gegenseitiger Kenntnis und Zusammengehörigkeit “ , zu dem auch die eher unüblichen Grüße von Koautoren als Mitabsender beitragen. 199 2) Die Briefe dienen der Pflege (oder im Fall des Römerbriefs der Herstellung) von Beziehungen durch Kommunikation „ über eine räumliche Distanz hinweg “ 200 : „ Im Brief lässt sich etwas von der Anwesenheit einer entfernt lebenden Person spüren, der Brief dient als Ersatz für den Abwesenden “ (vgl. 1Kor 5,3). 201 Der Brief ist jedoch nur ein unvollständiger Ersatz: „ Der echte funktioniert “ (108). Vielmehr weist „ schon die Tatsache, dass Paulus den Gemeinden seine Briefe zur Verlesung und Weitergabe empfahl [. . .] über den jeweils unmittelbaren Anlass des Einzelbriefes “ hinaus (vgl. auch die Definition als „ Ewigkeitstexte “ , 117). Diesen stark von der (nachpaulinischen) Rezeption der Paulusbriefe denkenden Ansatz möchte ich noch nicht in die Briefintention des Paulus eintragen - auch wenn er möglicherweise damit gerechnet hat. I.Taatz hat deswegen dafür plädiert, die paulinischen Briefe als „ gemeindeleitende Briefe “ mit Nähe zu vergleichbaren offiziellen frühjüdischen Diasporabriefen zu charakterisieren; TAATZ, I., Frühjüdische Briefe. Die paulinischen Briefe im Rahmen der offiziellen religiösen Briefe des Frühjudentums, NTOA 16, Freiburg/ Göttingen 1991, 113 f; zur Unterscheidung zwischen literarischer und funktionaler Gattungsbestimmung vgl. MITCHELL, M. M., Art. Briefe, RGG 4 1, 1757 - 1762; 1759. 196 Vgl. SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 138; BEILNER, W., Art. evpistolh" EWNT II, 95 - 99; 97. Zur Öffentlichkeit der paulinischen (Evangeliums-)Kommunikation siehe das folgende Kap. 7.5, bes. 7.5.5. 197 WISCHMEYER, Paulus, aaO., 164. Zum Brief als „ intentional geprägtes Handeln “ vgl. HOEGEN-ROHLS, Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten, aaO., 49 - 53. 198 KLAUCK, H.-J., Die antike Briefliteratur und das Neue Testament, Paderborn 1998, 329; vgl. zu den paulinischen Briefen 228 - 248. 199 WISCHMEYER, Paulus, aaO., 164; vgl. MITCHELL, Art. Briefe, aaO., 1757: Briefliche Kommunikation entspricht dem „ missionarischen Charakter des frühen Christentums “ , der „ Kommunikation über weite Entfernung notwendig machte “ ; SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 139: In den Grüßen äußert sich besonders sichtbar der „ Team- Charakter “ der paulinischen Mission. 200 SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 138. 201 SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 136; vgl. MITCHELL, Art. Briefe, aaO., 1757: Dort der Hinweis auf die auf Cicero zurückgehende Charakterisierung des Briefes als „ amicorum colloquia absentium “ , als Anwesenheit des Absenders in seiner Abwesenheit. 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums 393 Dialog ist auf unmittelbare Rückkoppelung angelegt, der Brief imitiert eine solche Dialogsituation nur in schriftlicher Form, [. . .] aber seine Übertragungskapazität ist beschränkt “ . 202 In gewisser Weise verstärkt der Brief sogar noch den Eindruck räumlicher Distanz „ durch den brieftypischen Phasenverzug, durch den zeitlichen Abstand zwischen Niederschrift und Rezeption “ . 203 Gerade bei problematischen Kommunikationssituationen kann sich dieserAspekt aber auch als Vorteil erweisen, etwa gegenüber der offenen Konfrontation bei persönlicher Anwesenheit (vgl. 2Kor 12,20 f; 2,4; 7,8-12): „ Der Brief dehnt die Gesprächszeit und ermöglicht Klarheit und argumentative Stringenz und lässt den Adressaten Zeit zur Reaktion. “ 204 In jedem Fall artikulieren die Briefe Beziehungen, „ und das heißt, daß ihr Verstehen auf ein gegenseitges Verstehen der Personen und der Herzen abzielt “ . 205 3) Die Briefe bearbeiten argumentativ auftretende Schwierigkeiten und Fragen. 206 Dadurch machen sie „ die Gemeinden mit den Grundlagen und Konsequenzen der apostolischen Predigt vertraut und soll[en] sie vor dem, was Paulus als falsche Predigt gegnerischer Missionare versteht, schützen. “ 207 In dieser Hinsicht können sie also den Zweck der „ Gemeindeordnung “ verfolgen (2Kor 7,8). 208 4) Daran anschließend können die Briefe auch allgemein instruieren, also „ paränetische Ratschläge zum christlichen Leben innerhalb und außerhalb der Gemeinde “ geben. 209 Hierdurch fördern sie den Zusammenhalt und die Identität der Gemeinde. 210 Die paulinischen Briefe sind offensichtlich kein Kommunikationsmedium der Erstverkündigung des Evangeliums. Paulus schreibt (selbst im Falle des Römerbriefs) nicht an ihm unbekannte Rezipienten, die noch nie etwas von der Botschaft des Evangeliums gehört haben. Sie dienen also nicht der Gründung von Gemeinden. Dennoch stellen die Briefe eine „ spezielle Form der paulinischen Evangeliumsverkündigung “ dar. 211 Denn sie fördern im Rahmen der fortlaufenden Verkündigung den Aufbau von Gemeinden, indem sie weitergehend informieren und wiederholen, Beziehungen stärken, die Gemeinden in 202 KLAUCK, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament, aaO., 329. 203 KLAUCK, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament, aaO., 330. 204 SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 138. 205 KLAUCK, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament, aaO., 330. 206 Vgl. KLAUCK, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament, aaO., 329. 207 WISCHMEYER, Paulus, aaO., 165. 208 Vgl. BEILNER, Art. evpistolh" aaO., 98. 209 WISCHMEYER, Einführung zu Teil II: Briefe. Theologische Themen, aaO., 165. 210 Vgl. SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 138. 211 SÖDING, Erweis des Geistes und der Kraft, aaO., 211. 394 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums ihren Alltagsfragen begleiten und zur angemessenen Reaktion auf das Evangelium auffordern (Paränese). „ All dies sind Grundfunktionen und spezifische Ausdrucksformen dessen, was den apostolischen Predigtdienst im ganzen kennzeichnet “ , und daher können die Briefe durchaus als „ schriftliche Verkündigung des Evangeliums “ betrachtet werden. 212 Vor allem an zwei grundlegenden Eigenschaften des Evangeliums partizipiert der Brief: Er ist kommunikativ, wie auch das Evangelium allein von seiner Etymologie her schon auf Kommunikation hin angelegt ist. 213 Darüber hinaus ist er „ initiativ kommunikativ “ (R.Reck) insofern der Brief als Träger des Evangeliums eine „ enorme Eigendynamik freisetzt, als Initialzündung eine Kettenreaktion in Gang bringt, die zur Entstehung neuer Beziehungen führt. “ 214 Diese Eigendynamik liegt in der bleibenden Mündlichkeit des Briefmediums bei Paulus begründet 215 : Der Brief bleibt im Kommunikationsprozess kein rein schriftliches Medium. Schon seiner Entstehung liegt in der Regel ein mündliches Diktat zugrunde (1Kor 16,21; Gal 6,11; Phlm 19: Paulus schreibt einen eigenhändigen Gruß; Röm16,22: ein gewisser Tertius grüßt als Schreiber des Briefes). 216 Und dadurch, dass Paulus dazu auffordert, die Briefe im Gottesdienst laut zu verlesen, bleibt ihr Inhalt nicht allein den Mitgliedern der Adressatengemeinden vorbehalten, sondern ist auch eventuell anwesenden Außenstehenden zugänglich (1Kor 14,23). Auf diesem Weg könnten auch die Briefe - gewissermaßen indirekt - einen Beitrag zur Erstverkündigung leisten: „ Paulus nimmt für sich in Anspruch, so zu schreiben, daß er von jedem aufmerksamen Leser verstanden werden kann: In der Klarheit seiner brieflichen Äußerungen zeigt sich die Öffentlichkeit des Evangeliums das er als Apostel zu vertreten hat “ (vgl. 2Kor 1,12 f). 217 In seiner Entstehung und seiner Rezeption bleibt der paulinische Brief also eng dem mündlichen Wort und dessen Kommunikationswelt verhaftet und ist im Fadenkreuz zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation situ- 212 SÖDING, Erweis des Geistes und der Kraft, aaO., 213. 213 Vgl. RECK, Kommunikation und Gemeindeaufbau, aaO.: „ Wesentlich kommunikativ ist das Evangelium, weil es nur als verkündigtes wirklich Evangelium ist, nur so sein Wesen erreicht “ (162). „ In ihrer Verkündigung wird diese Botschaft wirksam [. . .] denn auch wenn das verkündete Geschehen schon länger zurückliegt, gewinnt es doch erst durch die Bekanntmachung die Bedeutung für die Hörer, die ihm zukommt “ (163); siehe auch Kap. 3.1.2. 214 KLAUCK, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament, aaO., 329; vgl. RECK, Kommunikation und Gemeindeaufbau, aaO., 163; zur „ initiativen Kraft “ des Evangeliums bei R.Reck siehe Kap. 6.1.2. 215 Vgl. HOEGEN-ROHLS, Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten, aaO., 47 f. 216 Vgl. LAMPE, Rhetorik und Argumentation, aaO., 152 f: Die paulinischen Briefe als „ verschriftete Reden mit typisch epistolographischem Rahmen “ (153). 217 SÖDING, Erweis des Geistes und der Kraft, aaO., 212. 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums 395 iert. 218 Was daher für das mündliche Wort als Medium gilt (Kommunikationsgefälle, Bedeutung rhetorischer Qualifikation, Glaubwürdigkeit von Evangelium und Kommunikator), trifft auf die Briefe als sprachliches Medium mindestens ebenso zu. Mehr noch: Sie sind nicht nur momentbezogene, sprachliche Ereignisse, sondern konservieren Kommunikation und steigern so die Reichweite rhetorischer Kunst- oder Fehlgriffe: „ In den Briefen kommt dieses Wort [des Evangeliums] nicht nur in abgeschwächter Form, sondern in voller Klarheit, ja sogar mit besonderem Nachdruck und in spezifischer Art und Weise zur Sprache. [. . .] [D]urch die Kraft der Sprache, die Dichte der Gedanken und die Stärke der Argumente, nicht zuletzt durch die Möglichkeit immer neuer Lektüre können sie in unverwechselbarer und unersetzbarer Weise als Medium der Botschaft dienen. “ 219 Obwohl Paulus immer wieder betont, die Dinge vor Ort lieber perönlich zu regeln, weiß er auch um die heilsame Wirkung räumlicher Distanz, die ein Brief in Konfliktfällen eröffnet (vgl. 2Kor 7,8-13): „ Der Brief verschafft sowohl seinem Verfasser als auch seinen Adressaten einen größeren Abstand zur Sache und zum Konflikt “ . 220 Andererseits wird im Brief das Kommunikationsgefälle durch die Abwesenheit des Kommunikators überdeutlich, und auch sonst fehlen wesentliche Dimensionen mündlicher Kommuni- 218 Das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichlichkeit neutestamentlicher Texte ist Gegenstand der Oralitätsforschung: BREYTENBACH, C., Art. Mündlichkeit, II. Neutestamentlich, LBH, 395 f; HORSLEY, R. A., Performing the Gospel. Orality, memory, and Mark; essays dedicated to Werner Kelber, Minneapolis 2011; KELBER, W. H., The oral and the written Gospel. The hermeneutics of speaking and writing in the synoptic tradition, Mark, Paul, and Q, Philadelphia 1983; DERS., The generative force of memory, in: BTB 36 (2006), 15 - 22; LOUBSER, J. A., Orality and Literacy in the Pauline Epistles. Some New Hermeneutical Implications, Neotestamentica 29, 1995. Inwiefern die Fragestellung auch die Entscheidung berührt, ob es sich bei den Paulusbriefen um „ Literatur “ handelt, fasst HOEGEN-ROHLS, Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten, aaO., 66 - 91 zusammen (siehe auch 40 - 48: Der Brief als Rede). Zur Verbindung von Rhetorik und Epistolographie vgl. LAMPE, Rhetorik und Argumentation, aaO., 151ff: Lampe plädiert zu Recht für eine Kombination beider Perspektiven: „ Erst beide Zugänge, die die Schriftlichkeit bedenkende epistolographische und die mündliche Vorträge reflektierende rhetorische Analyse, werden dem Text gerecht “ (154). 219 SÖDING, Erweis des Geistes und der Kraft, aaO., 217; Der Brief gibt die Möglichkeit, Probleme und Fragen viel ausführlicher und detaillierter zu bearbeiten als in einem mündlichen Gespräch (214). 220 Vgl. SÖDING, Erweis des Geistes und der Kraft, aaO., 214; Zit. 216; LAMPE, Rhetorik und Argumentation, aaO., 154: Die Schriftlichkeit der Briefe ist für Paulus „ nicht einfach ein wegen der räumlichen Distanz hinzunehmendes Übel, sodass seine Briefe als verhinderte mündliche Reden anzusehen wären. Vielmehr wird er nicht selten diese Schriftlichkeit als Alternative zum mündlichen Vortrag willkommen geheißen haben “ ; siehe auch BOSE- NIUS, B., Die Abwesenheit des Apostels als theologisches Programm. Der zweite Korintherbrief als Beispiel für die Brieflichkeit der paulinischen Theologie, TANZ 11, Tübingen 1994. 396 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums kation (Gestik, Mimik, situativer Kontext), die das Ausgesagte in seiner Intention verständlicher machen könnten. 221 In dieser Situation erscheinen die Überbringer der Briefe in viel bedeutsamerem Licht: Sie spielen eine wichtige Rolle in der angemessen Wahrnehmung der Briefe, können zusätzliche Informationen bringen und die Intentionen des Autors erläutern (vgl. 2Kor 7,8-8.13 - 15; Phlm 12). 222 Es ist darum nicht verwunderlich, dass Paulus Vertraute aus dem Kreis seiner Mitarbeiter für diese Aufgabe bestimmt hat (z. B. Timotheus in 1Thess 3,6). Dass Paulus sich derart auf das Medium Brief verlassen konnte, ist nicht zuletzt ihrer Mitarbeit, ihrem Einstehen als Boten für die Botschaft, zu verdanken. 223 Paulus greift mit dem Brief auf ein flexibles, vielgestaltiges und zugleich populäres Medium des antiken Alltages zurück. 224 Mit dem Aufbau seiner Gemeinden als Versammlung und dem Anwerben einer breiten, vertrauenswürdigen Mitarbeiterbasis schafft er die Voraussetzungen für eine erfolgreiche und in ihrer Eigendynamik weitreichenden Nutzung des Mediums. Der Brief selbst wird von Paulus auf die jeweilige Situation, aber auch auf die dem Evangelium dienenden Funktionen hin konzipiert. Dass Paulus sich des Briefs bedient, zeichnet ihn einerseits als der Welt zugewandten und selbstbewussten Menschen aus, der sich zutraut, die (rhetorischen) Zwänge dieses Mediums zu meistern. Andererseits führt sein Umgang mit dem Medium vorAugen, wie sehr er auch dieses Medium auf das Evangelium ausrichtet und dessen Zielen unterordnet. C. Hoegen-Rohls hat darum den paulinischen Brief als „ kerygmatischen Brief “ , als „ Heroldsbrief “ klassifiziert 225 : „ Kerygmatisch ist der Paulusbrief insofern, als er sich wie die mündliche Verkündigung des Apostels auf den Ruf Gottes zurückführt und die christliche Glaubensbotschaft in den Gemeindebrief als ein öffentliches, schriftliches Medium der Kommunikation des Evangeliums überführt “ . 226 Der Paulusbrief hat also Anteil an der Ver- 221 Von daher wird die Unsicherheit des Paulus in Röm 15,15 verständlich, da er der Gemeinde in Rom nicht persönlich bekannt ist und sie seine Aussagen missverstehen könnten. 222 Vgl. SCHREIBER, Paulus als Briefschreiber, aaO., 140. 223 Neben den sieben uns überlieferten authentischen Paulusbriefen gibt es v. a. in 1Kor Hinweise auf weitere Briefe. Ausserdem scheint Paulus Empfehlungsbriefe geschrieben zu haben (vgl. Phlm, Röm 16,1 f; 1Kor 16,3); vgl. BEILNER, Art. evpistolh" aaO., 98; GERBER, Paulus, Apostolat und Autorität, aaO., 33: „ Briefe spiegeln als Medium, dass im frühesten Christentum das Evangelium von Jesus Christus plausibel wurde durch die persönliche Begegnung mit Menschen, die eine Glaubensgewissheit und Heilszuversicht gerade auch angesichts unheilvoller Erfahrungen der Gegenwart überzeugend vertraten “ . Zu den Mitarbeitern siehe Kap. 6.2.2. 224 Vgl. WISCHMEYER, Paulus, aaO., 164. 225 Vgl. HOEGEN-ROHLS, Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten, aaO., 92 - 117. 226 HOEGEN-ROHLS, Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten, aaO., 106. 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums 397 kündigung des Evangeliums und leistet dazu seinen „ kerygmatischen “ Beitrag. 227 7.4.3 Der Mensch als Medium Neben dem brieflichen und dem gesprochenen Wort ist der Mensch selbst für Paulus das wichtigste Medium des Evangeliums. Welche Rolle die „ Ausstrahlung christl[icher] Gemeinschaften “ und zwischenmenschliche Kontakte ohne „ ausdrücklich missionarische Intention “ für die Ausbreitung des Christentums zur Zeit des Römischen Reiches haben, hat die Kirchengeschichte schon seit längerem wahrgenommen 228 : „ Ihr Wachstum ging wohl vor allem von den Gottesdiensten der Gemeinde aus, in denen freilich der missionarische Impuls immer erkennbar war, und Außenstehende dürften hauptsächlich durch persönliche Werbung und das öffentliche Auftreten, das die Christen machten, angezogen worden sein. “ 229 Nachbarschaftsverhältnisse, Bekanntschaften, Arbeitskollegen und Mischehen waren Kontaktmöglichkeiten, durch die der neue Glaube Aufmerksamkeit erweckte 230 : „ Gerüchte, Geschichten und Sensationen sind - Werbung. “ 231 Eindruck machten Christen im Kontext der römischen Gesellschaft also zum einen durch ihren von Liebe geprägten Zusammenhalt nach innen gerade auch in Zeiten der Not und Verfolgung. 232 Zum anderen überzeugten nach außen der Ernst und die Prinzipientreue ihrer Lebensführung, mit der sie „ aus dem Rahmen des in der spätantiken Gesellschaft Üblichen heraustraten. Einer Zeit, die in der philosophischen Lehre und in der Rhetorik mit Vorliebe von Sittlichkeit und Tugend sprach, konnten die Christen, die sie praktizierten, besonders eindrucksvoll sein “ . 233 Vieles von dieser indirekten missionarischen Wirksamkeit der Christen gilt schon für die Zeit des Paulus und hat vielleicht sogar hier, in seinen Gemeinden, 227 Vgl. HOEGEN-ROHLS, Zwischen Augenblickskorrespondenz und Ewigkeitstexten, aaO., 100 f. 228 FELDTKELLER, A., Art. Mission, II. Christentum, 2. Kirchengeschichtlich, RGG 4 5, 1275 - 1283; 1275. 229 MÖLLER, B., Geschichte des Christentums in Grundzügen, Göttingen 2008 9 , 39. 230 Vgl. REINBOLD, Propaganda und Mission im ältesten Christentum, aaO., 299: „ In der zumeist kleinen antiken Stadt bleibt wenig Raum für Privates, man kennt sich und weiß voneinander, also fallen sie [= die Christen] früher oder später auf “ ; vgl. 301; 308. 231 REINBOLD, Propaganda und Mission im ältesten Christentum, aaO., 300. 232 Vgl. MÖLLER, Geschichte des Christentums, aaO., 41. 233 MÖLLER, Geschichte des Christentums, aaO., 41; vgl. BURKE, The Holy Spirit as the controlling dynamic, aaO., 153: „ Such a distinct lifestyle would undoubtedly impact those outside the community and it is precisely this counter-cultural or alternative lifestyle that would produce a missionary effect which is nothing less than missional holiness “ . 398 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums seinen Ursprung. Natürlich bedarf jedes Handeln der erläuternden Erklärung, um dessen Zusammenhang mit dem Evangelium bzw. dem Christsein zu begreifen. Mindestens handelt es sich beim Verhalten aber um einen nonverbalen Aufmerksamkeitsmarker, der Menschen überhaupt erst für das Evangelium interessiert und daher vielleicht als allererstes Medium im Kommunikationsprozess des Evangeliums vorauszusetzen ist. Unter anderem die Bedeutung der Ethik ist darum für die Kommunikation des Evangeliums nicht zu unterschätzen. Für mich stellt sich die Frage, inwiefern Paulus diese Effekte bewusst in seine Konzeption von der Ausbreitung des Evangeliums aufnimmt und mit ihnen rechnet. a) Innen- und Außenperspektive Das Verhalten seiner Gemeinden hat für Paulus einen hohen Stellenwert. Zahlreiche paränetische Abschnitte und Mahnungen seiner Briefe belegen dies. Dabei hat er eine „ Innenperspektive “ , das Verhalten der Gemeindeglieder untereinander, und eine „ Außenperspektiv “ , welchen Eindruck die Einzelnen und die Gemeinde nach Außen geben. Beides kann theologisch begründet werden, etwa durch die Metapher vom „ Leib Christi “ (1Kor 10,17; 12,12ff; Röm 12,5) oder durch das Gebot der Nächstenliebe (Röm 13,9 f). 234 Aber auch hinsichtlich der Ausbreitung des Evangeliums ist beides sinnvoll und geboten, denn: Wie der Christ sich gegenüber einem Außenstehenden verhält, hat Auswirkung darauf, ob dieser für das Evangelium offen und interessiert ist. Und wie sich die Gemeinschaft verhält, ist entscheidend dafür, ob der Hinzukommende sich wohl fühlt und vorstellen kann, hier dauerhaft eine Heimat zu finden. 235 Paulus illustriert die Thematik an seinem eigenen Vorbild. Er verweist darauf, wie er versucht, dem Nächsten keinen Anstoß zu geben (2Kor 6,3-11), wie er im Gegenteil an seiner Person und seinem Leben Anteil gibt (1Thess 2,8 f) und sich voll auf sein Gegenüber einlässt (1Thess 1,5; 1Kor 9,19-22). 236 Als Grund für dieses Auftreten gibt er das Evangelium an (1Kor 9,22 f; 2Kor 6,3) und verbindet damit Ethik und Mission. Paulus nimmt seine Gemeinden in die Pflicht, sich analog seinem „ empfehlendem “ Verhalten an der Verkündigung des Evangeliums zu beteiligen (oder ihm zumindest kein Hindernis zu bereiten; 1Kor 9,12). 237 Dadurch werden sie zu Multiplikatoren seiner Verkündigung und 234 Vgl. SÖDING, T., Das Liebesgebot bei Paulus. Die Mahnung zur Agape im Rahmen der paulinischen Ethik, NTA NF 26, Münster 1995, 269. 235 Vgl. SÖDING, Das Liebesgebot bei Paulus, aaO., 269. 236 Siehe zum „ empfehlenden Verhalten “ des Paulus Kap. 6.1.2 und zu seinem Anspruch, Vorbild zu sein Kap. 6.1.3. 237 Vgl. SÖDING, Das Liebesgebot bei Paulus, aaO., 283. 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums 399 indirekt zu deren Medien. 238 Worin manifestiert sich diese indirekte Evangeliumsverkündigung? b) Die Gründung von Gemeinschaften Ein wesentlicher Faktor der Außenwahrnehmung ist überhaupt die Existenz einer Gemeinschaft: „ [T]he newly converted should not only change their views, but should also join the new social group whose views they come to share “ . 239 Inwiefern hinter der Gründung von Gemeinschaften bei Paulus eine eigene Intention steht, oder ob sie das selbstverständliche Resultat seiner Verkündigung des Evangeliums darstellen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. 240 In 1Kor 9,1 zumindest nennt er die Korinther sein e; rgon, und auch die metaphorische Umschreibung als Leib Christi zeigt wenigstens eine theologische Reflektion des Phänomens. 241 Für Paulus hat die Bildung von Gemeinschaften eine doppelte Bedeutung: „ [N]o ancient personality would express his religion merely in private. Religious observances were always embedded in the sprecific social context of a group. “ 242 D. h. um im antiken Kontext eine religiöse Praxis und die damit verbundene religiöse Überzeugung zu ermöglichen, ist ein Treffen in Gemeinschaften unumgänglich, ja vielleicht sogar gar nicht anders vorstellbar. Das gilt auch für die christusgläubigen Gemeinden. Sie bilden einen „ Schutzraum und Freiraum “ , in dem ein „ Klima der Vertrautheit und Verbindlichkeit “ herrscht und der die Möglichkeit gibt, Christsein „ zu erfahren und zu entwickeln “ . 243 Andererseits können die in der Versammlung zusammenkommenden Christen auf andere Weise als Einzelpersonen zur Ausbreitung des Evangeliums beitragen. 244 Als Ortkundige können sie die lokale Mission koordinieren und vor Ort 238 Siehe Kap. 6.2.2. 239 PEERBOLTE, L. J. L., Paul the Missionary, CBET 34, Leuven 2003, 203. 240 Vgl. PEERBOLTE, Paul the Missionary, aaO., 220: „ The congregations he founded were the natural result of the fact that a group of people had come to believe in the gospel “ ; siehe auch 206; 221; vgl. RECK, Kommunikation und Gemeindeaufbau, aaO., 187: Die Entstehung von Ortsgemeinden seien im Urchristentum „ unbestrittene Selbstverständlichkeit “ , da sie „ mit dem Evangelium sowohl inhaltlich als auch historisch untrennbar verbunden ist “ (vgl. nur den Zwölferkreis um Jesus als „ Präfiguration des eschatologischen Israel “ ). Siehe Kap. 8.3.6. 241 Vgl. PEERBOLTE, Paul the Missionary, aaO., 221: „„ In Paul ’ s perception of the Christian movement the focus is on the idea that Christians were one in Christ and formed a community prefiguring the New Creation. Paul thus raised communities that were to form an image of the eschatological newness of life “ . 242 PEERBOLTE, Paul the Missionary, aaO., 213. 243 SÖDING, T., „ Apostel der Heiden “ (Röm 11,13). Zur paulinischen Missionspraxis, in: DERS., Das Wort vom Kreuz, aaO., 185 - 195; 190. 244 Vgl. PEERBOLTE, Paul the Missionary, aaO., 213. 400 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums als „ Aushängeschild “ des christlichen Glaubens fungieren. Mit dieser „ Anziehungskraft “ vor Ort hat Paulus gerechnet, wenn der die Gemeinde in Korinth als „ Brief Christi “ bezeichnet (2Kor 3,2 f): „ Mission durch Faszination. “ 245 Dabei ist natürlich in erster Linie an den gemeindlichen Gottesdienst zu denken: Er soll für unkundige Außenstehende verstehbar und damit in letzter Konsequenz werbend gestaltet werden (1Kor 14,22-25). Das schließt auch eine angemessene Praxis der Ausübung der Gemeindecharismen (1Kor 12,1ff; vgl. Röm 12,6-8) sowie ein in Eintracht und Rücksicht gefeiertes Abendmahl ein (1Kor 11,20 ff ). 246 „ Da diese Gottesdienste nicht in öffentlich zugänglichen Gebäuden, sondern in Privathäusern gefeiert worden sind, setzt Paulus offenbar als gängige Praxis voraus, daß Christen Bekannte, Freunde oder Verwandte angesprochen, für das Evangelium interessiert und in die Gemeinde-Versdammlung mitgebracht haben, die dann zum Ort der Verkündigung wird. “ 247 Für die missionarische Wirksamkeit der Gemeinde spielen schließlich ganz grundsätzlich der innergemeinliche Umgang und das Wirken und Verhalten der Gemeinde als Ganzes nach Außen eine wichtige Rolle. c) Ethik und Verkündigung In 1Thess 4,9-12 stellt Paulus Innen- und Außenperspektive nebeneinander. VV.9 f ermahnen die Thessalonicher, die von ihnen geübte Bruderliebe beizubehalten und darin noch mehr „ überzufließen “ (perisseu,ein ma/ llon). VV.11 f fordern auf, „ anständig zu leben gegenüber denen draußen “ (peripath/ te euvschmo,nwj pro.j tou.j e; xw), von der eigenen Arbeit zu leben, also niemandem finanziell zur Last zu fallen, und im ganzen ein unauffälliges Leben zu führen, d. h. wohl ohne negatives Aufsehen. Wie ist die hier anklingende Abgrenzung zu „ denen draußen “ mit meiner These von der „ missionarischen Ethik “ vereinbar? Phil 2,15 führt aus, dass es sich um die andere Seite der Medaille handelt: „ Werdet untadelig und unverdorben, fehllose Kinder Gottes inmitten (me,soj) eines verkehrten und verdrehten Geschlechts, unter welchen ihr scheint wie Lichter in der Welt “ . Gerade im Verhalten besteht die Trennlinie, der andere Maßstab, und nicht im Umgang. Mit der Aufforderung zur Abgrenzung - so erklärt es Paulus in 1Kor 5,9-13 - ist nicht etwa ein grundsätzliches Meiden von Außenstehenden gemeint: Sonst müssten die Korinther ja „ aus der Welt 245 SÖDING, „ Apostel der Heiden “ , aaO., 192. 246 Vgl. BROER, I., Art. katagge,llw, EWNT II, 632 f; 633: „ Daß aber die Verkündigung des Evangeliums nicht aufs Wort angewiesen ist, geht aus 1Kor 11,26 hervor, wo gerade nicht auf die Begleitung des kultischen Tuns durch das sakramentale Wort abgehoben, sondern das Essen des Brotes und das Trinken des Bechers gerade wegen seiner Bezogenheit auf Jesu Tod [. . .] als Verkündigung (der Heilsbedeutung? ! ) dieses Todes verstanden ist “ . 247 SÖDING, „ Apostel der Heiden “ , aaO., 192. 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums 401 auswandern “ (V.10). 248 Vielmehr zielt sie auf den innergemeindlichen Umgang, auf das richtige Verhalten innerhalb der Gemeinschaft und der Sanktionierung von Fehlverhalten (1Kor 5,12 f). 249 Aber auch dieses hat mit Außenstehenden zu tun, denn im Grunde handelt es sich um ein Problem der Außenwahrnehmung: Eine Gemeinschaft mit ethisch fragwürdigen Personen wirft kein gutes Licht auf Christen. 250 „ The Corinthians are Paul ’ s letter of recommendation [. . .] If they fail to maintain the holiness proper to God ’ s covenant people [. . .], the validity both the message and the ministry of the new covenant will be called into question, and Jewish doubts and criticism will be reinforced “ . 251 Dazu passt 1Kor 10,6-8, wo Paulus ethisches Fehlverhalten mit Götzendienst auf eine Stufe stellt. Wenige Sätze später (1Kor 10,27-33) spricht er wie selbstverständlich von einer Einladung zum Essen bei Heiden, bei der die eingeladenen Christen auf das offizielle Essen von Opferfleisch verzichten sollen, um nicht einen falschen Eindruck zu hinterlassen (VV.28 f). 252 Eine Frage des Eindrucks ist im Grunde auch die Problematik des paulinischen Berichts vom sog. Antiochenischen Zwischenfall (Gal 2,11 ff ): Innerhalb der Gemeinde dürfen Unterschiede wie die Beschneidung keine Rolle mehr spielen - nicht nur, weil das dem Evangelium widerspricht, sondern weil sonst auch der Anschein von Inkonsistenz, Zersplitterung und Abstufung innerhalb der Gemeinde und nach Außen entsteht. 253 Nur wer aber in Kontakt mit Heiden ist, kann einen Eindruck hinterlassen, und dieser Eindruck soll „ würdig des Evangeliums “ sein (Phil 1,27): Die Güte der 248 Vgl. auch die Aussagen von 1Kor 7,14 (der ungläubige Partner und gemeinsame Kinder sind durch das Christsein des/ der Gläubigen mitgeheiligt) und 1Kor 14,23-25 (Anwesenheit von Unkundigen bzw. Ungläubigen beim Gottesdienst). 249 Kontrastreich verhält sich dazu etwa der dualistisch argumentierende Abschnitt 2Kor 6,14-7,1, der zu einer Abgrenzung von Außen auffordert und aus nachvollziehbaren Gründen literarkritisch hochumstritten ist: Er „ fällt durch seine unmotivierte Stellung im Kontext und durch verschiedene unpaulinische Merkmale in Sprache und Gedankengang auf “ ; SCHMELLER, T., Zweiter Korintherbrief, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 185 - 194; 188. Für eine genaue Analyse des Problems vgl. DERS., EKK VIII/ 1, aaO., 368 - 371; 378 - 382. 250 Vgl. die Antithese fw/ j und sko,toj. Die Rede vom Tempel Gottes erinnert an 1Kor 3,16 f; 6,19, wo Paulus mit der Wendung die ethische Reinheit des Körpers eines Christen veranschaulicht; vgl. dazu Röm 12,1 f: Der Christ soll den Leib „ als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer darbringen “ . 251 THRALL, The second epistle to the Corinthians, aaO., 472. 252 Übrigens bezieht Paulus bereits in 1Kor 8,1ff die gleiche Situation auf das Miteinander in der Gemeinde mit einer vergleichbaren Aufforderung, dem „ schwachen “ Bruder nicht zum Anstoß zu werden. 253 Siehe Kap. 6.2.3. 402 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Gemeindeglieder soll allen Menschen bekannt werden (Phil 4,5). Die Gemeinden in Thessaloniki und Rom lobt Paulus, weil man von ihrem Glauben überall in Griechenland und der ganzen Welt spricht (1Thess 1,6-9; Röm 1,8). Und den Korinthern führt Paulus vor Augen, dass sie als „ Brief Christi “ für alle Menschen lesbar sind: 2Kor 3,1: Arco,meqa pa,lin e`autou.j sunista,neinÈ h' mh. crh,|zomen w[ j tinej sustatikw/ n evpistolw/ n pro.j u`ma/ j h' evx u`mw/ nÈ Beginnen wir wieder, uns selbst zu empfehlen? Oder brauchen wir etwa wie einige Empfehlungsbriefe für euch oder von euch? 2 evpistolh. h`mw/ n u`mei/ j evste( evggegramme,nh evn tai/ j kardi,aij h`mw/ n 254 ( ginwskome,nh kai. avnaginwskome,nh u`po. pa,ntwn avnqrw,pwn( Unser Brief seid ihr, geschrieben in unseren Herzen, erkannt und gelesen von allen Menschen. 3 fanerou,menoi o[ti evste. evpistolh. Cristou/ diakonhqei/ sa u`f V h`mw/ n( evggegramme,nh ouv me,lani avlla. pneu,mati qeou/ zw/ ntoj( ouvk evn plaxi.n liqi,naij avllV evn plaxi.n kardi,aij sarki,naijÅ Von euch ist offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, zubereitet von uns, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinernen Tafeln, sondern auf Tafeln fleischlicher Herzen. Den Rahmen der Brief-Metapher (V.1) bietet die Frage nach der Selbstempfehlung des Paulus bzw. der Legitimierung seiner Verkündigungstätigkeit durch Empfehlungsbriefe, sowohl gegenüber den Korinthern, als auch gegenüber anderen mit Hilfe der Korinther (pro.j u`ma/ j h' evx u`mw/ n). Andere Missionare haben offenbar der Gemeinde derartige Schreiben vorgelegt (vgl. 2Kor 10,12.18; 11,22), und es besteht die Möglichkeit, dass Anfragen aus Korinth gegenüber Paulus nach etwas Vergleichbarem existieren. 255 Paulus jedoch sieht nicht die Not- 254 a , 33, 1175 und 1881 bieten hier als Variante umwn. Obwohl also die überwiegende Mehrheit den Nestle-Aland-Text bezeugt, wird das textkritische Problem in der exegetischen Literatur aufgrund seiner Auswirkungen auf den Aussagegehalt des Verses intensiv diskutiert. Dahinter steht die Überlegung, u`mw/ n würde der inneren Logik des Textes eher enstprechen und die Spannungen lösen, die ein in das Herz des Paulus geschriebener Empfehlungsbrief verursacht; vgl. THRALL, The second epistle to the Corrinthians, aaO., 223 f. Auch wenn die Variante meine Auslegung des Textes stützen würde, bleibt mit T. Schmeller festzuhalten, dass der mehrheitlich bezeugte Texte „ im Kontext schwierig, aber vertetbar “ ist, und die vorgeschlagene Textvariante ihrerseits neue Probleme mit sich führt; SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 176. Ein weiteres Argument für den Mehrheitstext stellt der paulinische Rückbezug in 2Kor 7,3 dar: Die Korinther seien - wie er vorher gesagt habe (prole,gw) - in seinem Herzen; vgl. auch GRÄSSER, ÖTK 8/ 1, aaO., 12, der dafür plädiert, die textkritische Entscheidung offen zu lassen. 255 Zu Bedeutung und gattungstypischen Topoi der in der Antike in vielen Lebensbereichen verbreiteten Praxis, Empfehlungsbriefe auszustellen, vgl. SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 173 f. 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums 403 wendigkeit einer Empfehlung - weder durch sich selbst, noch durch entsprechende Briefe. Denn: Die Korinther selbst sind ein solches Empfehlungsschreiben (V.2). 256 Der erfolgreiche Verkündigungsdienst des Paulus in Korinth ist sichtbarer Nachweis seiner „ Kompetenz “ (V.3). 257 Diesen Erfolg trägt Paulus immer bei sich und kann auf seinen Missionsreisen darauf verweisen, so dass „ alle Menschen “ davon erfahren. 258 Auch gegenüber den Korinthern selbst kann er sich jetzt im Rückblick auf das Faktum der Gemeindegründung berufen. 259 In V.3 geht Paulus noch einen Schritt weiter: Die Gemeinde ist nicht nur Empfehlung für die Arbeit des Apostels (Beziehung Gemeinde - Apostel; vgl. 2Kor 12,11). Als „ Brief Christi “ ist sie es im Grunde für das Evangelium selbst. 260 Denn an den Herzen der Gemeindeglieder können alle Menschen die Spuren des Geistes Gottes ablesen (Beziehung Gemeinde - alle Menschen) 261 : 256 Der Vergleich erinnert an 1Kor 9,2, wo Paulus die Korinther als das Siegel seines Apostolats (sfragi,j mou th/ j avpostolh/ j) bezeichnet: „ Die in der Antike ganz verbreitete Praxis der Ver- oder Besiegelung dient der sichtbaren Beglaubigung eines Dokumentes oder Briefes. Ein Siegel ist einzigartig und verweist als Zeichen auf ein bestimmtes Individuum “ ; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 175 f. 257 Paulus lehnt also nicht die Empfehlung an sich ab, sondern die Art, wie er sich gegenwärtig gegenüber der Gemeinde (und anderen? ) empfehlen soll; vgl. SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 172 f; E. Gräßer differenziert zwischen den Empfehlungsbriefen anderer Missionare als personbezogener Legitimation und dem paulinischen Verweis auf seine Verkündigung als sachbezogener Legitimation; GRÄSSER, ÖTK 8/ 1, aaO., 120; siehe Kap. 6.1.2 b. Zur „ Kompetenz “ des Paulus vgl. im Folgenden meine Anm. 260 zum Genitiv Cristou/ . 258 „ The Corinthian church is already known as Paul ’ s foundation, and the more thoroughly people become acquainted with its life, i. e., ,read the letter ‘ , the more convincing the proof of his apostolic effectiveness will become “ ; THRALL, The second epistle to the Corrinthians, aaO., 222. Durch die Formulierung evn tai/ j kardi,aij h`mw/ n drückt Paulus die (emotionale) Verbundenheit mit der Gemeinde aus, die er auch in der Distanz zu ihnen hat; vgl. SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 177, der damit „ intime Nähe “ assoziiert. 259 Siehe Kap. 6.1.1. 260 Der Genitiv Cristou/ kann sowohl auktoritativ (Christus als Verfasser) als auch objektiv (Christus als Gegenstand) verstanden werden: Akzentuiert ersteres eher den eigentlichen Ursprung der Autorität des Paulus als bloßem Mittler (vgl. Gal 1), legt zweiteres die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand der Empfehlung, für den die Korinther (als Brief ) stehen; vgl. SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 178, der eine Entscheidung für eine der beiden Möglichkeiten nicht für sinnvoll hält. Allerdings: „ Eindringlicher wird die Aussage wenn man nicht Christus als Verfasser des Empfehlungsschreibens versteht, sonder als Inhalt und Gott als impliziten Autor “ ; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 178. 261 Das Bildmaterial von V.3 stellt eine Anspielung auf den Lebenswandel unter dem „ in Stein gemeißelten “ Geboten des Dekalogs dar, dem der christliche „ ins Herz geschriebene “ als überlegen gegenübergestellt wird. Wahrscheinlich liegt eine Reminiszenz an Jer 31,33 f bzw. Ez 11,19 vor: der Wille Gottes, der im Rahmen eines neuen Bundes Israel ins Herz geschrieben wird); THRALL, The second epistle to the Corrinthians, aaO., 222; 226; „ Die Kommunikation von Adressant Paulus und Adressatin Gemeinde wird hier zusammen- 404 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums „ Corinth was an important city and commercial centre, and it might be reasonable to suppose that information about the Christian church would spread to other cities and regions “ . 262 Sowohl durch dieVerkündigung des Paulus als auch in ihrem eigenen Auftreten wird die Gemeinde also „ öffentlichkeitswirksam “ für das Evangelium. 263 Ethisches Verhalten und der Eindruck nach Außen sind Größen, die zunächst eher unkonkret bleiben. Paulus benennt zwar Beispiele (wie das Opferfleisch in 1Kor 8.10), vertraut aber sonst viele konkrete Entscheidungen der Mündigkeit seiner Gemeindemitglieder an (vgl. die Maxime von 1Kor 6,12 und 10,23: Alles ist erlaubt, doch nicht alles nützt! ). Im Folgenden seien deshalb kurz zwei konkrete Beispiele an die Hand gegeben, bei denen der Mensch und sein Handeln zum Medium des Evangeliums werden. d) Leiden und Verfolgung als Verkündigung Eine wichtige Außenwirkung des Christentums in der Alten Kirche stellt das Martyrium dar, das Leiden und Sterben um des Glaubens willen. 264 Auch Paulus beschreibt deren Kraft und Möglichkeiten für die Ausbreitung des Evangeliums: Phil 1,12: Ginw,skein de. u`ma/ j bou,lomai( avdelfoi,( o[ti ta. katV evme. ma/ llon eivj prokoph.n tou/ euvaggeli,ou evlh,luqen( Ich will aber, dass ihr wisst, Brüder, dass meine Situation mehr zur Förderung des Evangeliums beigetragen hat, 13 w[ste tou.j desmou,j mou fanerou.j evn Cristw/ | gene,sqai evn o[lw| tw/ | praitwri,w| kai. toi/ j loipoi/ j pa,sin so dass meine Ketten offenbar wurden in Christus im ganzen Prätorium und den übrigen allen 14 kai. tou.j plei,onaj tw/ n avdelfw/ n evn kuri,w| pepoiqo,taj toi/ j desmoi/ j mou perissote,rwj tolma/ n avfo,bwj to.n lo,gon lalei/ n und die meisten der Brüder im Herrn durch meine Ketten Vertrauen gefunden haben und es mehr wagen, furchtlos das Wort zu reden. gefasst zu einem Gegenstand der Kommunikation zwischen Gott und Welt “ ; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 179; anders SCHMELLER, EKK VIII/ 1, aaO., 178: „ An eine Aktivität der Gemeinde ist kaum gedacht, eher an die bekanntmachende Tätigkeit des Paulus selbst “ . 262 THRALL, The second epistle to the Corrinthians, aaO., 223. 263 Paulus behauptet hier „ hyperbolisch eine öffentliche Bekanntheit der korinthischen Gemeinde, die weit über die üblicher Empfehlungsschreiben hinausgeht “ ; GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 177; vgl. GRÄSSER, ÖTK 8/ 1, aaO., 123: Grässer bringt die auf die Gemeinde bezogene Briefmetapher mit der Neuschöpfung (5,17), durch welche die Glaubenden in Christi Bild verwandelt werden (3,18), in Verbindung. 264 Vgl. MÖLLER, Geschichte des Christentums, aaO., 38; 42. 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums 405 Die Situation, in der Paulus sich befindet, ist die Gefangenschaft. Er liegt „ in Ketten “ im Prätorium, hat dort aber offenbar Kontakt zu Mitgefangenen und wohl auch die Möglichkeit Besuch zu empfangen, wie die Abfassung des Briefes zeigt. 265 Zwischenmenschliche Kontakte nutzt Paulus für die Verkündigung. 266 Aber darüber hinaus haben die Tatsache seiner Gefangenschaft selbst und ihr Grund (nämlich sein Glaube an Christus) verkündigenden Charakter: Sie werden überall im Umkreis des praitw,rion bekannt und zeigen Wirkung. 267 Auch innerchristlich zeigen sich Auswirkungen: Die „ Brüder im Herrn “ werden angespornt, mutig aufzutreten und zu verkündigen, und erhalten durch das Vorbild des Paulus größere Gewissheit und Vertrauen bezüglich ihres Tuns. 268 Wie wichtig für Paulus die Verkündigung durch das Leiden ist, lässt sich an seiner Kreuzestheologie ablesen, mit der wir uns bereits beschäftigt haben. 269 In der schwachen und leidenden Existenz, in der Situation der Verfolgung und Erniedrigung repräsentiert Paulus (so wie jeder andere Christ in seiner Situation) das Leiden und Sterben Jesu am Kreuz - die Mitte des paulinischen Evangeliums. Wer dem Leiden der Christen begegnet, begegnet darum in der Sicht des Paulus Christus selbst und seinem Evangelium. So sind Leiden und Verfolgung um Christi willen mächtige Medien seiner Verkündigung. 270 e) Zeichen und Wunder der Apostel Eine Sonderstellung im Spannungsfeld der Medien Wort und Mensch nehmen die bereits erwähnten Zeichen und Wunder ein, die durch die Apostel gewirkt 265 Was mit praitw,rion gemeint ist und von welchem Aufenthaltsort des Paulus entsprechend auszugehen ist, ist umstritten. Ursprünglich wird damit das Hauptquartier eines Prätors oder Befehlshabers eines Militärlagers bezeichnet. Neutestamentlich ist es auch als Amtssitz des Provinzstatthalters belegt (z. B. Mt 27,27; Apg 23,35). Das lässt von der Biographie des Paulus her auf Ephesus oder Cäsarea als Abfassungsort des Philipperbriefes schließen. Allerdings kann praitw,rion auch insbesondere für die Prätorianergarde, der Leibwache des römischen Imperators, und ihre Kaserne in Rom stehen. „ Je nachdem wo man den Ort der Gefangenschaft des Paulus ansetzt, fällt die Deutung von praitw,rion hier aus “ ; MÜLLER, ThHK 11/ 1, aaO., 53; vgl. zur Diskussion: LÖHR, H., Philipperbrief, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 203 - 210; 205 f; REUMANN, Philippians, AYB, aaO., 196 f. 266 Das schließt auch die Öffentlichkeit einer eventuellen Gerichtsverhandlung ein; vgl. MÜLLER, ThHK 11/ 1, aaO., 54. 267 Vgl. MÜLLER, ThHK 11/ 1, aaO., 51: Die Formulierung des Paulus macht deutlich, dass praitw,rion „ nicht nur lokal gemeint ist, sondern die Insassen dort, im kollektiven Sinne also, meint “ . 268 Vgl. 1Thess 2,14ff: Die Thessalonicher folgen in der Erduldung von Anfeindungen ihrer Landsleute dem Vorbild der Gemeinden in Judäa. 269 Siehe Kap. 5.2.4. 270 Vgl. dazu BECKER, E.-M., Paulus im Gefängnis 406 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums werden (Röm 15,18 f; 1Kor 2,4; 2Kor 12,12). 271 Es handelt sich offenbar um nonverbale Handlungen, deren Auswirkungen als wundersam und zeichenhaft wahrgenommen werden. 272 Zugleich finden sie aber im Kontext der mündlichen Verkündigung, also des gesprochenen Wortes statt, auf das sie bei ihrer Interpretation angewiesen sind: Ohne deutendes Wort der Evangeliumsbotschaft ist das Wunder ebenso kraftlos wie bloße Worte ohne „ Krafterweise “ (1Kor 2,4). Wir wissen nicht genau, worum es sich bei den „ Zeichen- und Wundertaten der Apostel “ handelt. Es sei aber noch einmal daran erinnert, wie stark Paulus den hinter „ Zeichen und Wundern “ stehenden Kraftgedanken von der Schwachheit der Kreuzestheologie her versteht, wie sehr sich Kraft im Verborgenen unter der augenscheinlichen Schwachheit ereignet und offenbart. Vielleicht hat man sich die Krafttaten eher klein und verborgen vorzustellen und erst in der retrospektiven Erzählung Aufsehen erregend. 273 Mit Sicherheit ist es kein Zufall, dass Paulus wenig über das eigentliche, konkrete Geschehen preisgibt. Fest steht allerdings, dass er dessen Wirkung als Teil der Verkündigung des Evangeliums und seiner Botschaft vom Kreuz ansieht. 274 7.4.4 Offenbarung Gottes Der Vollständigkeit halber sei zuletzt noch auf ein Medium verwiesen, das zwar eine untergeordnete Rolle für die Verkündigung des Evangeliums, aber eine zentrale Rolle für das paulinische Apostolat und seine Theologie einnimmt: die göttliche Offenbarung. Sie begegnet bei Paulus v. a. in drei Ausprägungen: als direkte Offenbarung Christi an Paulus vor Damaskus (Gal 1,12), als Zeugnis der Heiligen Schrift (Röm 1,2; 16,26) und im Rahmen der von Gott geschaffenen Welt (Röm 1,19). 275 Nach den bisherigen Erkenntnissen bedeutet die direkte Offe- 271 Siehe Kap. 7.2.3 f. 272 „ Sie sind ,Zeichen des Apostels ‘ , die jedermann handgreiflich vor Augen führen, daß hier etwas Außergewöhnliches geschieht “ ; REINBOLD, Propaganda und Mission im ältesten Christentum, aaO., 203. 273 Anders z. B.W.Reinbold, der ganz von der Aussen- und Sensationswirkung der Wunder her denkt und mit einer, sich wie ein „ Lauffeuer “ verbreitenden „ Mund-zu-Mund Propaganda “ rechnet; REINBOLD, Propaganda und Mission im ältesten Christentum, aaO., 203 f. 274 T. Söding hält den Verweis auf „ Zeichen und Wunder “ für eine Kennzeichnung der Verkündigung „ als Geschehen, in dem Gott durch Jesus Christus selbst am Werk ist “ . Sie sind „ in Gottes Gnade begründet “ und weisen die Verkündigung als Wort Gottes aus; SÖDING, Erweis des Geistes und der Kraft, aaO., 203. 275 Bewusst zähle ich hier nicht Apokalypsen, Visionen und Himmelsreisen hinzu. Sie sind gemäß der Klassifizierung von Kap. 5.1.2 c als „ eschatologische Offenbarungen “ einzuordnen. Ihr Gegenstand ist also mystisch-ekstatischer Natur und nicht das Evangelium, wie etwa die Christusvision des Paulus vor Damaskus (siehe Kap. 5, Anm. 121). 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums 407 narung Christi vor Damaskus auch eine direkte Offenbarung des Evangeliums. Jedoch ist auch deutlich geworden, dass dieses Ereignis für Paulus zwar grundlegend ist, er in seiner Konzeption vom Evangelium jedoch kaum mit einer vergleichbaren Offenbarung bei seinen Rezipienten rechnet. 276 Eben Christus, und somit der Kernaspekt des Evangeliums, fehlt aber wiederum der Offenbarung, die der Schöpfung Gottes zu entnehmen ist (vgl. 2Kor 4,4). Ich begnüge mich daher an dieser Stelle damit, der Qualität der Schrift als Medium des Evangeliums einige Aspekte abzugewinnen. 277 Zahlreiche Zitate, Anspielungen, Paraphrasen und Verweise belegen den versierten Umgang des Paulus mit den normativen Schriften des antiken Judentums. 278 Er benutzt offenbar griechische Textfassungen der Septuaginta, die hin und wieder auf Grundlage des hebräischen Textes rezensiert sind, wobei er frei ist, „ den Wortlaut von Zitaten (und erst recht zitatähnliche Anspielungen) nach Bedarf der jeweiligen Zitierabsicht gemäß zu modifizieren “ und Mischzitate zu bilden. 279 Aus dem zeitgenössischen Judentum (und der frühchristlichen Tradition) übernimmt Paulus die Überzeugung, „ daß die Schrift grundsätzlich auf die Gegenwart bezogen ist und sich daher unmittelbar an den heutigen Hörer richtet “ . 280 Wenn er schreibt, die Schrift sei „ um unseretwillen “ geschrieben (1Kor 9,10; Röm 4,23), konstatiert er deren bleibende Relvanz für die Christusgläubigen, und zwar nicht nur hinsichtlich der ethischen Weisungen, sondern bezogen auf die Schrift als Ganzes - einschließlich der geschichtlichen 276 Siehe dazu Kap. 5.1.2, bes b. 277 Literatur zur Schrift bei Paulus: EVANS, C. A./ SANDERS, J. A. (Hgg.), Paul and the Scriptures of Israel, JSNT.S 83, Sheffield 1993; HAYS, R. B., Echoes of Scripture in the Letters of Paul, London/ New Haven 1989; KOCH, D. A., Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHTh 69, Tübingen 1986; PORTER, S. E./ STANLEY, C. D. (Hgg.), As It Is Written: Studying Paul ’ s Use of Scripture, SBBL Symposium Series 50, Atlanta 2008; WILK, F., Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, FRLANT 179, Göttingen 1998; DERS., Schriftbezüge im Werk des Paulus, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 479 - 490; DERS., „ Die Schriften “ bei Markus und Paulus, in: WISCHMEYER, O./ SIM, D. C./ ELMER,I. J. (Hgg.), Paul and Mark, Two Authors at the Beginnings of Christianity, BZNW 198, Berlin/ Boston 2014, 189 - 220. 278 Vgl. die Übersicht bei WILK, „ Die Schriften “ bei Markus und Paulus, aaO., 199 f. 279 WILK, „ Die Schriften “ bei Markus und Paulus, aaO., 207; vgl. DERS., Schriftbezüge im Werk des Paulus, aaO., 480; KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, aaO., 323 - 327; 345 f; 352 f: Der paulinische Schriftgebrauch ist von selektiver Auswahl, massiven Eingriffen in den Wortlaut und den Methoden der Allegorese, des Exemplums und direkter christologischer (Um-)Interpretation geprägt. 280 Vgl. KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, aaO., 327; Zit. 324; WILK, Schriftbezüge im Werk des Paulus, aaO., 480 - 482; DERS., „ Die Schriften “ bei Markus und Paulus, aaO., 209. 408 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums und prophetischen Aussagen. 281 Diese sind überhaupt nur im Lichte des Evangeliums angemessen zu verstehen (vgl. 2Kor 3,12-17) 282 : Im Glauben an das Evangelium wird die Verstockung (V.14) und damit die „ Decke über den Augen “ (V.13) aufgehoben. 283 Das Christusgeschehen ist eschatologischer „ Zielpunkt der Verheißungen “ (2Kor 1,20; vgl. Gal 3,6-9; Röm 1,1-5; 3,21) und wird deshalb zum „ Ausgangs- und Bezugspunkt “ der gesamten Schriftlektüre. 284 Dahinter steht die paulinische Grundüberzeugung: „ Es ist der eine, grundlegend durch die Schrift bezeugte Gott, der in Christus das eschatologische Heil für Israel und die Weltvölker heraufführt “ . 285 „ Weil Gott in seiner Offenbarung in Christus nicht mit sich selbst in Widerspruch geraten ist, sondern sich hier endgültig und vollgültig gezeigt hat, kann Paulus von der im euvagge,lion zugänglichen Offenbarung her die Schrift neu lesen und neu gewinnen. “ 286 Damit wird ein Vorgang beschrieben, „ in dem sich Christusbekenntnis und Schriftauslegung wechselseitig erhellen: Einerseits tritt erst im Licht jenes Bekenntnisses zutage, welche Bedeutung die Worte der Schrift für die Christusgläubigen haben; andererseits macht erst die neu gedeutete Schrift diverse Aspekte und Konsequenzen des Christusbekenntnisses verständlich “ . 287 Unter dieser Voraussetzung kann die Schrift zum „ Zeugen des Evangeliums “ werden. Sie kann bestätigen, was das Evangelium als Botschaft verkündigt (vgl. Röm 1,2; 16,26; 1Kor 15,3 f). 288 Entsprechend sieht Paulus ihre Bedeutung für die Gegenwart in der Belehrung und der Ermahnung (didaskali,a, para,klhsij und nouqesi,a; Röm 15,4; 1Kor 10,11). 289 Die Schrift erfüllt also Funktionen, die prinzipiell in der anhaltenden Verkündigung zu verorten sind. 290 Inwiefern kann die Schrift nun Medium der Kommunikation des Evangeliums sein? Festzuhalten ist, dass sie ohne das Wissen um die Botschaft des Evangeliums, ohne die Anerkenntnis des Heilsereignisses in Christus für Paulus defizitär bleibt. Doch liegt der Mangel im Grunde nicht in der Schrift selbst, sondern in deren Rezipienten, denen die Augen verschlossen sind (2Kor 3,12-17). 281 Vgl. KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, aaO., 322; WILK, Schriftbezüge im Werk des Paulus, aaO., 487 282 Vgl. KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, aaO., 344; WILK, Schriftbezüge im Werk des Paulus, aaO., 487. 283 Vgl. KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, aaO., 331ff; 338. 284 WILK, Schriftbezüge im Werk des Paulus, aaO., 482; 487; DERS., „ Die Schriften “ bei Markus und Paulus, aaO., 209 f. 285 WILK, Schriftbezüge im Werk des Paulus, aaO., 485. 286 KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, aaO., 348. 287 WILK, Schriftbezüge im Werk des Paulus, aaO., 487. 288 Vgl. KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, aaO., 343. 289 KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, aaO., 324. 290 Siehe Kap. 7.4.1. 7.4 Medien der Kommunikation des Evangeliums 409 Sie brauchen die Schrift, um das Evangelium zu verstehen - ein für die didaskali,a grundlegender Sachverhalt - und sie brauchen das Evangelium, um die Schrift zu verstehen. Es bedarf also mindestens eines weiteren Mediums, um beide, Evangelium und Schrift, für den Rezipienten verstehbar zu machen, sie miteinander zu verknüpfen und d. h. sie zu erklären und zu deuten. Das rückt die Schrift eher in den Stand eines „ Hilfsmediums “ , das zur Illustration, Bezeugung und Erklärung, Legitimierung und Autorisierung (bes. bei para,klhsij und nouqesi,a) von Aussagen des Evangelium tauglich ist: „ als Quelle der Bekräftigung und Mittel der Explikation des Christusglaubens “ . 291 Sie ist „ Zeugnis und Interpretament der in Christus sich vollziehenden Begegnung zwischen Gott und Mensch “ und als solche Voraussetzung und zentrales Medium der paulinischen Theologie. 292 7.4.5 Zusammenfassung: Medien als Ausdruck der Botschaft Mit Brief und mündlichem Wort greift Paulus auf die gebräuchlichsten und am besten zugänglichsten Kommunikationsmedien seiner Zeit zurück. In beiden manifestiert sich der Botschaftscharakter des Evangeliums, dem sowohl Mündlichkeit als auch der Drang zur Kommunikation schon vom Begriff her inhärent sind. Hinzu tritt die Verbindung mit der kommunizierende Person, die für Glaubhaftigkeit und Verständlichkeit eintritt (Rhetorik bei gleichzeitiger Wahrhaftigkeit und Treue zur Botschaft). So spielt z. B. beim Medium Brief nicht nur die Person des Autors Paulus eine Rolle, sondern auch die des Übermittlers, der deutend, erklärend und stellvertretend für den Autor auftritt und somit für diesen verlässlich sein muss. Ganz auf die hinter der Botschaft stehende Person ist auch die Verknüpfung von Ethik und Mission ausgerichtet, die Paulus an seiner eigenen Rolle als Apostel exemplifiziert. Der Kommunikator und die kommunizierende Gemeinde stehen nicht nur mit ihrem Wort, sondern auch mit ihrer ganzen Person, ihrer Einstellung, ihrem Auftreten und Verhalten für das Evangelium, ja sie werden als Medium selbst zu dessen Repräsentanten. Dies kann durch „ Zeichen und Wunder “ geschehen, durch Schriftauslegung oder auch durch die Manifestation der Kreuzeswirklichkeit am eigenen Leben, Leiden und Sterben. An diesem Aspekt lässt sich gut beobachten, wie der Personenbezug aller Medien des Evangeliums durch den Inhalt des Evangeliums selbst gedeckt ist: In der Personalität der Botschaft (Christus) ist die Personalität ihrer Medien (Apostel/ Gemeinde) angelegt und letztlich auch ihre Glaubwürdigkeit 291 WILK, „ Die Schriften “ bei Markus und Paulus, aaO., 209. 292 WILK, Schriftbezüge im Werk des Paulus, aaO., 490. 410 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums durch Beziehungsverhältnisse begründet 293 : Die paulinischen Briefe belegen, „ dass die durch das Evangelium gestiftete Beziehung zwischen Paulus und den von ihm gegründeten Gemeinden Teil des Evangeliums selbst ist und sich der christliche Glaube nicht durch theoretische Traktate, sondern durch die Botschaft glaubwürdiger Personen und die gegenseitige Beziehung ausbreitet “ . 294 Daran wird deutlich, wie die Wahl der Medien von der Botschaft, aber auch von der Identität des Kommunikators Paulus bestimmt wird und beides zum Ausdruck bringt. 295 7.5 Evangelium und Öffentliche Kommunikation Eine grundlegende Annahme dieser Arbeit ist es, dass es sich bei der Verkündigung des Evangeliums um ein Phänomen öffentlicher Kommunikation handelt. 296 Diese These soll im Folgenden gebündelt und durch verschiedene paulinische Aussagen gestützt werden. Zuvor ist jedoch erst unser Verständnis von „ Öffentlichkeit “ als modernem Begriff zu überprüfen und mit dem antiken Phänomen zu vergleichen. Ergibt sich daraus ein klar umrissener Begriff von antiker Öffentlichkeit, kann im Anschluss die mit der Verkündigung des Evangeliums verbundene Art der Öffentlichkeit bei Paulus untersucht und auf dem Hintergrund des modernen und antiken Begriffs eingeschätzt werden. 7.5.1 Die Entwicklung des modernen Öffentlichkeitsverständisses Der moderne Öffentlichkeitsbegriff ist das Resultat einer historischen Entwicklung, die ihren Ausgangspunkt beim lateinischen publicus, „ öffentlich, staatlich “ , genommen hat. 297 Bereits im Mittelalter wurde der v. a. im römischen Staatswesen gebräuchliche Begriff aufgenommen und auf die politische Ordnung insgesamt bezogen: „ Publicus ist abgeleitet von populus [. . .] [und] bezeichnet [. . .] die Legitimität von Rechtsakten, das, was öffentlich, feierlich coram publico, vor allen geschieht “ . 298 Öffentlichkeit ist also „ Attribut staatl 293 Siehe Kap. 5.2.1 und 8.3.3 b. 294 GERBER., Das Apostolatsverständnis und die Beziehung, aaO., 419. 295 Vgl. CHIAI, G. F., Medien religiöser Kommunikation im ländlichen Kleinasien, in: SCHÖRNER, G./ ERKER, D. Š . (Hgg.), Medien religiöser Kommunikation im Imperium Romanum, Stuttgart 2008, 67 - 89; 67: Medien in der Antike als Ausdruck der eigenen Identität, als „ Prozess von Interaktion und Abgrenzung “ . 296 Siehe Kap. 3.5.2. 297 Vgl. PETERS, T. R., Art. Öffentlichkeit, LThK 7, 1004 f; 1004. 298 HONECKER, M., Art. Öffentlichkeit, TRE 25, 18 - 26, 18 f; Zit. 19. 7.5 Evangelium und Öffentliche Kommunikation 411 [icher] bzw. kommunaler Institutionen “ . 299 Diese staatliche Konnotation behält der Begriff auch bis weit in die Zeit der Aufklärung und der neuzeitlichen Nationalstaaten: Publicus bezeichnet die Öffentlichkeit einer Sache im Sinne von deren „ Staatlichkeit “ . Das öffentliche, also staatliche Recht wird vom Privatrecht unterschieden. 300 „ Der soziale Raum der Öffentlichkeit wird freilich mit der Neuzeit infolge eines ,Strukturwandels ‘ [. . .] tiefgreifend verändert “ , so dass sich das Phänomen der Öffentlichkeit unabhängig vom lateinischen Begriff weiterentwickelt 301 : „ Die bürgerliche Gesellschaft schafft sich in Form der Öffentlichkeit eine eigene staatsfreie Sphäre “ und so bezeichnet das deutsche Wort seit dem 18. Jahrhundert das „ Publikum “ . 302 Die bürgerliche Öffentlichkeit repräsentiert ein „ kollektives Subjekt “ , ist also Bezeichnung der Allgemeinheit, der Summe aller Menschen in einem festgelegten Bereich. 303 Die Aufklärung macht „ Öffentlichkeit “ zum Synonym für einen „ allgemeinen Informations- und Kommunikationszugang “ . 304 Sie ist die „ Sphäre der allg [emeinen] Zugänglichkeit “ im Gegenüber zu den Sphären des Privaten, Intimen und Geheimen, der „ sozialpsychol[ogische] Ort, der den einzelnen dem Beobachtet-Werden durch ,alle ‘ aussetzt “ . 305 Deshalb kann Öffentlichkeit den Staat und das öffentliche Leben kontrollieren und zwar durch den Druck der sog. „ öffentlichen Meinung “ . 306 Die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit wird im 20. Jahrhundert grundlegend in Frage gestellt. Die moderne Entwicklung der Massenmedien und ihre Instrumentalisierung lassen Öffentlichkeit als Gegenstand und Mittel der Manipulation erscheinen. 307 Heute stellt sich Öffentlichkeit daher vor allem „ als Problem der Willensbildung und Meinungsformation mithilfe der Medien bzw. Massenmedien “ dar. 308 Sie ist zu einem Machtfaktor geworden, der im 299 PETERS, Art. Öffentlichkeit, aaO. 1004. 300 Vgl. HONECKER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 18 f: „ Mit der Herausbildung des Staates als organisierter Wirkeinheit der frühen Neuzeit und durch die Entwicklung einer staatlichen Souveränitätslehre erhält ,öffentlich ‘ zunächst den Sinn von ,staatlich ‘“ (19). 301 HONECKER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 18. 302 HONECKER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 19. 303 Vgl. PETERS, Art. Öffentlichkeit, aaO. 1004. 304 HONECKER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 20; vgl. PETERS, Art. Öffentlichkeit, aaO. 1004. 305 PETERS, Art. Öffentlichkeit, aaO. 1004. 306 Vgl .PETERS, Art. Öffentlichkeit, aaO., 1004; HONECKER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 20; Siehe auch SIEBEL, W., Einführung in die systematische Soziologie, München 1974, 212: Öffentlichkeit als „ jene Sphäre, in der ein Sozialsystem sich in seiner Herrschaft und Mitgliedschaft selbst darstellt und in der zwischen beiden Bereichen eine intensive Kommunikation stattfindet “ , und zwar hauptsächlich über Normfindung- und anerkennung. 307 Vgl. HONECKER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 20. 308 HONECKER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 20. 412 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Gegenüber zum vorneuzeitlichen Verständnis, nicht mehr nur „ Raum zur Legitimation durch Selbstdarstellung “ bietet, sondern selbst gesellschaftliche Machtstrukturen ausbildet und erst den Zugang zur Macht vermittelt. 309 Hinzu kommt eine gesellschaftsabhängige Segmentierung der Öffentlickeit in „ Teilöffentlichkeiten “ . 310 Die Gesellschaft besteht nicht (mehr) aus einem homogenen Sozialsystem mit einheitlicher öffentlicher Meinung, sondern aus verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen, die konkurrierende oder in Konflikt stehende Öffentlichkeitssphären ausprägen. 311 Das Bewusstsein dieser jeder Gesellschaft graduell zugrundeliegenden Zersplitterung von Öffentlichkeit problematisiert die von Bürgertum und Aufklärung betriebene Gleichsetzung von Öffentlichkeit und Allgemeinheit (Gesellschaftsgesamtheit). Entsprechend ist auch die Definition Maletzkes von „ öffentlicher Kommunikation “ als Kommunikation „ ohne begrenzte oder personell definierte Empfängerschaft “ hinterfragbar 312 : Öffentlichkeit - auch massenmediale - ist immer relativ, also personell definiert, und in irgendeiner Hinsicht begrenzt. Dementsprechend hat sich in der modernen Kommunikationswissenschaft die Rede von „ den Öffentlichkeiten “ im Gegenüber zu „ der einen Öffentlichkeit “ etabliert. 313 7.5.2 Antike Öffentlichkeit Die griechisch-römische Antike kennt gegenüber dem modernen, personalen Verständnis nur einen „ unspezifizierten Öffentlichkeitsbegriff “ . 314 Die Bedeutung des so breit rezipierten publicus bewegt sich zwischen „ zum Volk als Gemeinde, zum Staat gehörig “ und „ dem Volk als der ganzen Bevölkerung eigen, öffentlich, allgemein “ . 315 Jedoch liegt dieser Differenzierung die neuzeitliche Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft zugrunde, die den Verhältnissen der römischen res publica nicht zueigen ist: „ Das unumstritten von , populus ‘ abgeleitete Adjektiv ,publicus ‘ bezeichnet vielmehr eine politische 309 HONECKER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 20. 310 Vgl. HONECKER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 20; PREUL, R., Art. Öffentlichkeit, RGG 4 6, 489 - 491; 490. 311 Vgl. LEUTZSCH, M., Frühchristliche Öffentlichkeit in den Paulusbriefen und den Evangelien, in: BINDER, G./ EHLICH, K., Kommunikation in politischen und kultischen Gemeinschaften, BAC 24, Trier 1996, 133 - 166; 133 f. 312 MALETZKE, Psychologie, aaO., 32; vgl. PREUL, Art. Öffentlichkeit, aaO., 490. 313 Vgl. z. B. SCHMIDT, S. J., Persönliche Öffentlichkeiten im Social Web, in: Ästhetik und Kommunikation, Jg. 42 (2012), Heft 154/ 155, 79 - 83. 314 HÖLSCHER, L., Art. Öffentlichkeit in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 4 (1978), 413 - 467; 430. 315 HÖLSCHER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 420; Siehe auch LANGENSCHEIDTS HAND- WÖRTERBUCH LATEINISCH - DEUTSCH, Berlin/ München 1983. 511. 7.5 Evangelium und Öffentliche Kommunikation 413 Ordnung, in der das Volk sowohl als Geltungsbereich wie auch als Träger und Garant des herrschenden Rechts erschien. Der Ausdruck wies also ebenso auf einen Raum wie auf ein Rechtssubjekt hin. “ 316 Der Begriff publicus deckt einen weiten Vorstellungshorizont ab zwischen der Charakterisierung einer Sache als „ staatlich “ , also der Magistratsgewalt unterstellt (z. B. imperium publicum, clementia publica, vincula publica), und als „ der Allgemeinheit “ als sozialem Raum zugehörig (z. B. dies publica, verba publica). 317 Als rechtlich-soziale Größe steht publicus in Opposition zu privatus: Es meint dann „ alles, was sich ,draußen ‘ , auf der Straße ereignete (in publico) im Gegensatz zum Haus “ , und verbindet damit gleizeitig unterschiedliche Rechtsspären: Das Haus ist der Gewalt des pater familias unterstellt, wohingegen öffentliche Einrichtungen wie Straßen, Plätze, die Wasserversorgung oder das Theater ,publicus ‘ , der Aufsicht der Allgemeinheit unterstellt sind. 318 Öffentlichkeit, Allgemeinheit und Staatlichkeit werden hier also deckungsgleich verstanden. Hinter dieser Unterscheidung zwischen innerhalb und außerhalb verbirgt sich das mit dem griechischen fanero,j verbundene Öffentlichkeitsverständis: Das Offensichtliche, Offenbare findet außerhalb des Hauses statt. Seine Evidenz basiert auf seiner öffentlichen Manifestation. Das Private und Geheime bleibt verborgen hinter den Mauern des Hauses. 319 Öffentlichkeit wird also in römischer Zeit in zweifacher Hinsicht konstruiert: politisch-sozial als Einheit von Staat und Allgemeinheit im Gegenüber zur häuslichen Privatheit und in visuell-intellektueller Hinsicht als Unterscheidung zwischen sichtbarer Öffentlichkeit und verborgener, nicht zugänglicher Privatheit (im Haus). 320 Konkret lässt sich das Phänomen der Öffentlichkeit am Beispiel der antiken Stadtöffentlichkeit nachvollziehen. 321 S. Lewis ist der Kommunikationsstruktur und Verbreitung von Nachrichten in antiken Städten am Beispiel der griechi- 316 HÖLSCHER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 420. 317 Vgl. HÖLSCHER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 420. 318 HÖLSCHER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 420. 319 Vgl. HONECKER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 18; HÖLSCHER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 414. 320 Vgl. HÖLSCHER, Art. Öffentlichkeit, aaO., 413; 430; LEUTZSCH, Frühchristliche Öffentlichkeit in den Paulusbriefen und den Evangelien, aaO., 134. 321 Die antike Stadtöffentlichkeit bietet sich als Ausgangspunkt besonders an: Die paulinische Missionsmethode der Zentrummission in Provinzhauptstädten korrespondiert der rechtlichen Wahrnehmung des römischen Reiches als „ flächendeckende Ansammlung einzelner Städte “ , die eine „ Gebietskörperschaft “ aus Stadtgebiet und dem umgebenden, dem Stadtrecht unterstellten Territorium bilden; NOETHLICHS, K.L., Städte des Mittelmeergebietes: Entwicklung und Institutionen, in: SCHERBERICH, K. (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur, Bd. 2: Familie - Gesellschaft - Wirtschaft, Neukirchen-Vluyn 2005, 116 - 123; 117. 414 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums schen Polis nachgegangen. 322 Wir bewegen uns hier vom zeitlichen Rahmen her einige hundert Jahre vor Paulus; doch dürfte sich außer den politischen Umständen und der mit der Eingliederung ins Imperium Romanum verbundenen Verbesserung der außerstädtischen Kommunikationswege wenig an der grundsätzlichen Öffentlichkeitsstruktur verändert haben: Weder ergeben sich bahnbrechende technische Neuerungen auf dem Gebiet der Medien, noch nimmt der gesellschaftliche Wandel maßgeblich Einfluss auf die vorhandenen Kommunikationsstrukturen. 323 Die erste wichtige Beobachtung ist der kontinuierliche Informationsfluss innerhalb der Polis, sowohl öffentlich wie privat: „ People talked in their own houses, with their neighbours, on street-corners, in the shops and markets, and in public spaces, about themselves, their fellow-citizens and their affairs. “ 324 Dabei fällt es schwer, zwischen öffentlichen Neuigkeiten und privatem Klatsch zu unterscheiden, da auch private Angelegenheiten klar als relevant für die Öffentlichkeit angesehen werden. 325 Was über eine Person an Informationen im Umlauf ist, kann als seine Reputation gelten, und die entscheidet über den Status im öffentlichen Leben 326 : „ On this reading, nothing that was heard in the Agora, even if only ,rude jokes about other people ’ s sex lives ‘ was ,insignificant chatter ‘“ . 327 Verschärft wird dieses Phänome durch die Abwesenheit schriftlicher Dokumentation, so dass dem Wort von Zeugen einzigartige Bedeutung bei der Selbstdarstellung nach außen zukam: „ [O]nly the word of others could attest to identity, legitimacy or right to citizenship “ . 328 Auch noch in römischer Zeit bilden das Gerücht (rumor) und der Klatsch (sermo) subtile und effektive Mittel der politischen Machtausübung des Volkes. 329 Aus dieser indirekten Form der Kommunikation kann sich zwischen Volk und politischer Klasse eine intensive, direkte Kommunikation entwickeln, „ etwa im Werben eines Kandidaten um die 322 Vgl. LEWIS, S., News and Society in the Greek Polis, London 1996. Eine ärchäologische Perspektive auf die antike Stadtöffentlichkeit bietet: BIELFELDT, R., Polis made manifest: The Physiognomy of the Public in the Hellenistic City with a Case Study on the Agora in Priene, in: KUHN, C. (Hg.), Politische Kommunikation und öffentliche Meinung in der antiken Welt, Stuttgart 2012, 87 - 122. 323 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 156; NOETHLICHS, Städte des Mittelmeergebietes, aaO., 121 f. 324 LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 9. 325 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 9. 326 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 10. 327 LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 23; vgl. BIELFELDT, Polis made manifest, aaO., 92: „ [I]n the classical polis any form of individual appearance in public was considered an instrument of power “ . 328 LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 9. 329 KUHN, C., Politische Kommunikation und öffentliche Meinung in der antiken Welt: Einleitende Bemerkungen, in: Dies. (Hg.), Politische Kommunikation, aaO., 11 - 30; 19. 7.5 Evangelium und Öffentliche Kommunikation 415 Zuneigung des populus im Wahlkampf oder in Form von politischen Zustimmungs- und Unmutsbekundungen der Zuschauer durch Akklamation, Zurufe und Sprechchöre in Theater und Zirkus “ . 330 Politische Gegner können sich geradezu eine „ competition for visibility “ liefern (fanero,j! ). 331 Es entsteht ein (lokales) „ Meinungsklima “ (opinio populi), das „ aktuelle politische, moralisch aufgeladene, die res publica betreffende Fragen “ prägt. 332 Natürlich wird die eigene Person in der griechischen Polis auch aufgrund der nach außen sichtbaren Handlungen, der Partizipation am öffentlichen Leben der Stadt repräsentiert: „ Secrecy, and lack of communication, is unnatural - the citizen, by definition, should have nothing to hide. A man should appear in public because by doing so he communicates, by words, action and even appearance, information about his character to his fellow-citizens. “ 333 Die wichtigsten Orte der Partizipation an öffentlichem Leben und öffentlicher Kommunikation sind die Agora und der halböffentliche Rahmen eines Ladens. 334 Die Agora bietet die einfachste Möglichkeit, Informationen öffentlich zu machen: Sie ist allen männlichen Bürgern zugänglich und bildet innerhalb der städtischen Demokratie den Rahmen für Diskussion und Meinungsbildung v. a. zu politischen Themen. 335 Der Laden dagegen bietet einen geschützteren, semi-privaten Raum für den Meinungsaustausch. Hier geht es entsprechend auch eher um private Themen, die Nachbarn, lokale Ereignisse oder Klatsch über Personen des öffentlichen Lebens. 336 Läden sind die Keimzellen für Gemeinschaften, die sich regelmäßig dort treffen und regelrechte „ Clubs “ mit begrenztem Zugang für Außenstehende bilden. 337 Diese Abgrenzung zur Öffentlichkeit kann aus naheliegenden Gründen Skepsis und Misstrauen und bei politischem Engagement sogar den Vorwurf der Verschwörung hervorrufen. 338 330 KUHN, Einleitende Bemerkungen, aaO., 19. Zur Rolle von Rhetorik und Redner vgl. UEDING, G., Das Konzept des Redners als Meinungsführer in der römischen Rhetorik, in: KUHN, C. (Hg.), Politische Kommunikation und öffentliche Meinung in der antiken Welt, Stuttgart 2012, 151 - 166: „ Offensichtlich verkörpert jeder Bürger die Rollen des Redners und des Zuhörers in seiner Person: der Redner ist Mitzuhörer und der Zuhörer Mitredner “ (152). Andererseits wird der Redner zum Meinungsführer, wenn es ihm gelingt, „ sein individuell-subjektives Fürwahrhalten plausibel zu machen, auf möglichst allgemein akzeptierte Grundlagen zu stützen “ (155), also „ an die Gemeinüberzeugung seines Publikums, das Selbstverständnis der Gemeinschaft an[zu]knüpfen “ (154). 331 BIELFELDT, Polis made manifest, aaO., 94. 332 KUHN, Einleitende Bemerkungen, aaO., 19. 333 LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 14. 334 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 14; 16. 335 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 14 f. 336 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 16. 337 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 16. 338 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 19. 416 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Das Beispiel des Ladens führt vor Augen, wie fließend sich die Grenzen im praktischen Leben gegenüber der theoretisch scharfen Unterscheidung zwischen öffentlichem Raum und privatem Haus in der antiken Stadt darstellen. 339 Die Öffentlichkeit der antiken Stadt setzt sich keineswegs nur aus erwachsenen, männlichen Vollbürgern zusammen. Fremdarbeiter, sog. Metöken, bilden die Mehrheit der Ladenbesitzer und Arbeitskräfte. Sie sind zwar von politischer Partizipation ausgeschlossen, jedoch nicht von der öffentlichen Kommunikation darüber. Auch Frauen und Sklaven sind nicht von vornherein vom Informationsaustausch abgeschnitten, sondern nehmen bei der Verbreitung von Klatsch und Gerüchten eine wichtige Stellung ein. 340 Ein letzter wichtiger Aspekt bei der Analyse antiker Stadtöffentlichkeit ist die Einbettetung der öffentlichen Kommunikation in ein alle Lebensbezüge umfassendes religiöses Weltbild. 341 Das Gerücht (fh,mh) wird als Göttin personifiziert, die sowohl positive wie negative Wirksamkeit entfalten kann und ohne die es nicht möglich ist, Bekanntheit und Reputation zu erlangen. 342 Auch die Glaubwürdigkeit von durch Menschen vermittelten Informationen wird letztlich an deren göttlicher Inspiration festgemacht: „ The most accurate information was, according to Greek thought, that which was divinely inspired “ . 343 Von hier aus sind die - auch noch zu paulinischer Zeit - hochfrequentierten öffentlichen Orakel zu verstehen, die direkte göttliche Auskunft geben. 344 7.5.3 Moderne und antike Öffentlichkeit im Vergleich Inwiefern lassen sich Begriff und Phänomen von Öffentlichkeit heute und in der Antike vergleichen? Die moderne, seit der Entstehung des Bürgertums existierende Unterscheidung zwischen einer staatlichen und einer gesellschaftlichen Dimension von Öffentlichkeit wird in griechisch-römischem Zusammenhang nicht wahrgenommen. Vielmehr wird die Einheit von staatlich-gesellschaftlicher Öffentlichkeit der Privatheit des Hauses gegenübergestellt. Sie wird als der Beobachtung von Außen entzogen und also im Gegensatz zum außerhäuslichen Bereich nicht allgemein zugänglich empfunden (vgl. die Definitionen der Aufklärung). 339 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 15. 340 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 19 f. 341 KUHN, Einleitende Bemerkungen, aaO., 21. 342 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 13. 343 LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 156. 344 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 156. 7.5 Evangelium und Öffentliche Kommunikation 417 Interessanterweise lassen sich jedoch auch am Beispiel der antiken Stadtöffentlichkeit zahlreiche, erst in der Moderne ins Bewusstsein getretene Aspekte des Öffentlichkeitsbegriffs nachweisen. Antike Öffentlichhkeit ist zwar im Gegensatz zur modernen nicht von technischer Massenkommunikation geprägt, wohl aber von Phänomenen massenkommunikativen Charakters. Entscheidend für das Verständnis dieser vortechnischen Kommunikationsgesellschaft ist das „ Ineinanderwirken der verschiedensten verfügbaren Medien “ . 345 So ist Öffentlichkeit ein wesentlicher Machtfaktor, der gesellschaftlichen Status oder die politische Reputation betrifft, und dementsprechend Instrumentalisierung und Manipulation unterworfen (Selbstdarstellung, Wahlkampf ). Davon abgesehen hat allerdings auch die öffentliche Meinung der antiken Polis noch eine gewisse Kontrollfunktion. 346 Im Mikrokosmos der Stadt ist weiterhin mit mehr als einer Öffentlichkeit zu rechnen. Nicht nur Agora, Ladengemeinschaften, Theater oder Zirkus sind Orte der Konstituierung lokaler Teilöffentlichkeiten: Im Grunde bildet jeder Ort außerhalb der häuslichen Privatheit, auf den Straßen und Plätzen und allen öffentlich zugänglichen Einrichtungem wie Bädern oder Latrinen, Gelegenheit zur Bildung spontaner, kleinerer Öffentlichkeit. Sie bieten die eigentliche Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch (rumor, sermo), v. a. für Personen, die sonst durch ihren Status von öffentlicher Partizipation ausgeschlossen sind (Frauen, Sklaven, Metöken). Schließlich kann unter diesem Aspekt auch die Privatheit eines Hauses in gewisser Weise den Raum für eine Teilöffentlichkeit bilden, etwa wenn im Rahmen eines größeren Festes Gäste geladen werden. In all diesen Aspekten ist antike Stadtöffentlichkeit unserem modernen Öffentlichkeitsverständnis vergleichbar, auch was die Problematik der Definition von Maletzke angeht. Ein signifkanter Unterschied besteht in der Allgegenwart von Religion und religiösem Denken. Eine „ säkulare “ Öffentlichkeit, wie die Moderne sie kennt, ist undenkbar. Gesellschaft, Staat und die ihnen zugrunde liegende Öffentlichkeit sind fest von religiö-sem Denken umschlossen und auch durch eben jenes überhöht. Kommunikationstheoretische Relevanz erhält dieses Faktum bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit einer Nachricht von Seiten der Rezipienten: Je glaubwürdiger ihr göttlicher Ursprung nach- 345 RECK, Kommunikation und Gemeindeaufbau, aaO.,151. 346 BIELFELDT, Polis made manifest, aaO., 118: „ Hellenistic public opinion, even if its structures often suggest an impression of its invariability, was not a monolithic selfevident truth [. . .] Because of its potential for change, the civic doxa called for constant public challenge and re-affirmation [. . .] It was a polylithic, dynamic system of public selfassertion and self-control that kept the citizens on their toes. 418 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums gewiesen werden kann, desto glaubwürdiger der Kommunikator und entsprechend zuverlässig die überbrachte Nachricht. 347 7.5.4 Verknüpfung: Paulus - Antike - Moderne - Maletzke Welche Ansatzpunkte ergeben sich für meine These von der Öffentlichkeit des Evangeliums? Ich habe bisher dargestellt, inwiefern die moderne, dem Kommunikationsmodell von Maletzke zugrundeliegende Wahrnehmung von Öffentlichkeit mit dem antiken Phänomen vergleichbar ist. Die bestehenden Unterschiede spielen keine Rolle bei der eigentlichen Konstituierung von Öffentlichkeit, sondern spiegeln eine abweichende Wahrnehmung des Phänomens (Einheit von gesellschaftlicher und staatlicher Öffentlichkeit, religiöser Rahmen). Der Definition Maletzkes von Öffentlichkeit als unbegrenzt und nicht personell definiert widersprechen sowohl das moderne als auch das antike Phänomen durch faktisch viele begrenzte Teilöffentlichkeiten. Wenn wir also im Folgenden dieVerkündigung des Evangeliums bei Paulus als öffentliches Phänomen im antiken Rahmen erweisen, besteht keine grundsätzliche Differenz zum modernen Öffentlichkeitsverständis. Wir können im Einvernehmen mit beiden die Definition von Maletzke entgrenzen auf jede Form von Öffentlichkeit - auch wenn sie begrenzt und personell definiert sein sollte. Unter dieser Voraussetzung lässt sich das paulinische Evangelium als öffentliches Phänomen skizzieren. 7.5.5 Die Öffentlichkeit des Evangeliums Um schlüssig nachzuweisen, dass Paulus sein Evangelium als Phänomen in der Öffentlichkeit versteht, müssen wir uns kein Bild von den tatsächlichen Orten und damit vom faktischen Grad der Öffentlichkeit seiner Verkündigung machen. Über sie gibt er ohnehin so gut wie keine Auskunft. 348 Vielmehr genügt es, zu untersuchen, wie Paulus über die Verkündigung des Evangeliums spricht, wie er den Grad an Öffentlichkeit seiner eigene Rolle als Verkündiger definiert und schließlich auch wie seine Missionsstrategie die Öffentlichkeit des Evangeliums widerspiegelt. Immer wieder gilt es dabei, die Ergebnisse mit den bisherigen Erkenntnissen zur antiken Öffentlichkeit abzugleichen. 347 Zur Glaubwürdigkeit des Paulus als Kommunikator und seine Berufung auf den göttlichen Ursprung seiner Botschaft siehe Kap. 5.1.2. 348 Die Apostelgeschichte hat mit der Areopagrede (Apg 17,17 ff) ein wirkungsgeschichtlich mächtiges Bild des öffentlichen Predigers Paulus geschaffen, für welches es in den überlieferten authentischen Briefen jedoch keine sichere Bestätigung gibt; vgl. REIN- BOLD, Propaganda und Mission im ältesten Christentum, aaO., 200. 7.5 Evangelium und Öffentliche Kommunikation 419 a) Die öffentliche Verkündigung Das paulinische Evangelium hat keine eingeschränkte Adressatenschaft. Es wendet sich an Juden und Völker gleichermaßen (Röm 1,16), was soviel bedeutet wie an alle Menschen. 349 Dieser Ausrichtung auf die gesamte Menschheit entspricht, dass das Evangelium für jeden wahrnehmbar und verstehbar ist. In der Tat ist für Paulus das Evangelium „ öffentlich “ sichtbar: 2Kor 3,18: h`mei/ j de. pa,ntej avnakekalumme,nw| prosw,pw| th.n do,xan kuri,ou katoptrizo,menoi th.n auvth.n eivko,na metamorfou,meqa avpo. do,xhj eivj do,xan kaqa,per avpo. kuri,ou pneu,matojÅ Wir alle aber spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn und werden verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit wie durch den Geist des Herrn. Im Gesicht oder allgemeiner an der ganzen Person des einzelnen Christen spiegelt sich die Herrlichkeit Christi. In ihm kann man nach 2Kor 4,4.6 das Angesicht Gottes erkennen und damit die Botschaft des Evangeliums. Wenn der Christ bleibend ein Medium des Evangeliums ist, dann ist notwendigerweise auch das Evangelium öffentlich, da ein antiker Mensch, sobald er den privaten häuslichen Kontext verlässt, Subjekt und auch Gegenstand des öffentlichen Diskurses ist. Die Bewegung heraus aus der Verborgenheit in das Licht der Öffentlichkeit zeichnet Paulus an seiner eigenen Person nach: Durch die Offenbarmachung der Wahrheit (th/ | fanerw,sei th/ j avlhqei,aj) empfiehlt er sich den Menschen und sagt sich dagegen los von den verborgenen Dingen (avpeipa,meqa ta. krupta. ; V.2). Unter diesen Voraussetzungen bleibt das Evangelium nur demjenigen verdeckt (kalu,ptw), der verloren geht (V.3). Denn das Evangelium bleibt nicht verdeckt, weil es verborgen ist, sondern weil die Gedanken verblendet sind, so dass das Leuchten des Evangeliums nicht wahrgenommen werden kann (evtu,flwsen ta. noh,mata . . . eivj to. mh. auvga,sai to.n fwtismo.n tou/ euvaggeli,ou; V.4). Diese Grunddynamik des Evangeliums aus dem Verborgenen ins Offenbare und damit ins Öffentliche, allgemein Wahrnehmbare, kann an zwei Metaphern illustriert werden, die Paulus für seine Verkündigungstätigkeit nutzt. In 1Kor 9,24ff vergleicht er die christliche Existenz, im Kontext von 9,23 aber besonders seine apostolischen Bemühungen um das Evangelium, mit einem öffentlichen Wettkampf in der Rennbahn. 350 Zwar liegt der Akzent eher auf der Anstrengung des Läufers, die derjenigen des Kampfes um das Evangelium entspricht. Doch sagt das Bild auch etwas über den öffentlichen Charakter dieser Tätigkeit aus. Man kann an eine Anspielung auf die sog. Isthmischen Spiele in der Nähe von Korinth denken, die in ihrer Bekanntheit und Bedeutung mit 349 Siehe Kap. 5.1.3 c und 8.1. 350 Siehe Kap. 6.1.4 b. 420 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums heutigen internationalen Sportveranstaltungen durchaus vergleichbar sind. Zumindest aber bedient sich Paulus des allgemein verbreiteten >Phänomens lokaler sportlicher Wettkämpfe. 351 Diese finden in der Öffentlichkeit, „ unter den Augen aller “ in der Arena oder der Rennbahn statt. Auf das Evangelium übertragen könnte Paulus bei der Metapher die (unbeteiligten? ) Zuschauer der Verkündigung bzw. der christlichen Existenz im Alltag vor Augen haben, vor denen sich der Apostel wie auch jeder andere Christ für das Evangelium kämpfend abmüht. Ähnlich rückt Paulus in 1Kor 15,32 die Probleme seiner Verkündigung ins Licht: Mit seiner Formulierung (evqhrioma,chsa evn VEfe,sw| ) spielt er auf das allgemein bekannte Phänomen eines Tierkampfes in der Arena an, der natürlich ebenso wie ein sportlicher Wettkampf zur allgemeinen, öffentlichen Unterhaltung dient. 352 Deutlich zeigt auch 2Kor 2,14, wie sehr Paulus seine Verkündigung als Geschehen im öffentlichen Raum und von öffentlicher Bedeutung empfindet. Hier setzt er sie mit einem von Gott geführten Triumphzug gleich: 2Kor 2,14: Tw/ | de. qew/ | ca,rij tw/ | pa,ntote qriambeu,onti h`ma/ j evn tw/ | Cristw/ | kai. th.n ovsmh.n th/ j gnw,sewj auvtou/ fanerou/ nti diV h`mw/ n evn panti. to,pw|\ Gott aber sei Dank, der uns allezeit im Triumphzug umherführt in Christus und den Geruch seiner Erkenntnis an jedem Ort durch uns offenbart! Das hier verwendete qriambeu,w zielt auf das römische Phänomen des „ triumphus “ . 353 Der Triumph oder Triumphzug ist ein Ritual der Kriegsbeendigung in Rom und zugleich „ Einzugsritus des Heeres in die Stadt und höchste erreichbare Ehrung für Feldherrn “ . 354 Im Rahmen des Triumphzuges führt der Feldherr zusammen mit den Magistraten und Angehörigen des Senats sein Heer oder Heeresteile mit Kriegsbeute, Kriegsgefangenen und bildlichen Darstellungen der Kriegstaten (sog. „ Triumphalgemälde “ ) an der Triumphstraße entlang durch Rom bis zum Jupitertempel auf dem Capitol. Dort endet der Zug mit der Rückgabe des Triumpkranzes, den ein Sklave über dem Kopf des Triumphators 351 Vgl. ROBERTSON , A./ PLUMMER, A., I Corinthians, ICC, Edinburgh 1955 2 , 193 f. 352 Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, ob Paulus an ein reales Ereignis in Ephesus denkt oder nur eine metaphorische Umschreibung seiner Erlebnisse bei der Verkündigung vornimmt. Es genügt die Feststellung, dass sich Paulus einer (Bild-)Sprache bedient, die der Anstrengung für das Evangelium einen öffentlichen Charakter verleiht; vgl. MER- KLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 335 - 338. 353 Vgl. EHLERS, W., Art. triumphus, in: RECA 7, 493 - 511, 493; EDER, W., Art. Triumph, Triumphzug, in: DNP 12/ 1, 836 - 838, 836; DELLING, G., Art. qriambeu,w, in: ThWNT 3, 159 f. 354 EDER, Art. Triumph, Triumphzug, aaO., 836. 7.5 Evangelium und Öffentliche Kommunikation 421 hält, an Jupiter und mit Opfern für den Gott. 355 Zur Zeit des Paulus ist der religiöse Charakter des Geschehens deutlich hinter den politischen Aspekten, der Ehrung des siegreichen Feldherrn und der Zurschaustellung des errungenen Sieges, zurückgetreten. Seit Augustus ist er ein Privileg des Kaisers oder seiner Familienangehörigen. 356 Selbstverständlich erregt der Triumphzug erhebliches öffentliches Aufsehen: „ Das Publikum versammelte sich natürlich überall längs des Weges, besonders aber in den Circi und auf den Tribünen, die man am Forum und anderswo errichtet hatte [. . .] In der Stadt herrschte festliches Treiben, die Tempel waren geschmückt und standen offen, Opfer wurden dargebracht [. . .] Die Vorüberziehenden wurden mit Blumen beworfen [. . .] man klatschte Beifall [. . .] und rief io triumphe “ . 357 In diese Szene zeichnet sich Paulus mit der Verkündigung seines Evangeliums ein: Christus führt ihn als Feldherr vor den Augen aller Zuschauer im Triumph durch die Welt. Dabei ist letztlich zweitrangig, welche genaue Rolle sich Paulus selbst zuweist - ob als mittriumphierender Soldat oder in Anspielung auf seine Vergangenheit als besiegter umhergeführter Gefangener. 358 „ Paulus betont auf diese Weise den Öffentlichkeitscharakter seines missionarisch umherziehenden Wirkens [. . .] und zugleich seine totale Abhängigkeit von Christus als dem Triumphator “ . 359 Wo auch immer Paulus auftritt, „ da findet seine Verkündigung des Gekreuzigten und Auferstandenen öffentliches Interesse “ (vgl. 2Kor 2,12; 6,9; 1Kor 4,9). 360 Doch geht Paulus noch einen Schritt weiter, wenn er sich und die anderen Verkündiger als Geruch (ovsmh" V.14) oder Wohlgeruch (euvwdi,a, V.15) Christi bzw. seiner Erkenntnis bezeichnet. Das erinnert an die bei der Verbrennung der Dankopfer entstehenden Gerüche, die aufsteigen, um Jupiter bzw. die Götter zu erfreuen, und an den Weihrauch, der zur Verherrlichung des Siegers beim Triumphzug verbrannt wird. 361 Der Duft zeigt den Menschen die 355 Vgl. EDER, Art. Triumph, Triumphzug, aaO., 837 f. Ursprünglich war der Triumph sehr eng mit dem Kult des auf dem Capitol verehrten Juppiter verbunden: „ [S]akralrechtlich bedeutet die Feier auf dem Capitol die Einlösung der beim Auszug in den Krieg gegebenen Gelübde, rituell dient die Prozession der Reinigung des Heeres vom Unsegen des Krieges “ ; EHLERS, Art. triumphus, aaO., 495. 356 Vgl. EDER, Art. Triumph, Triumphzug, aaO., 838; EHLERS, Art. triumphus, aaO., 495. 357 EHLERS, Art. triumphus, aaO., 502. 358 Vgl. WOLFF, ThHK 8, aaO., 54; BARRETT, C. K., The Second Epistle to the Corinthians, BNTC, London 1973, 98: „ Paul did not forget [. . .] that he had fought on the wrong side, and that his position in the triumphal progress was due to a reversal by grace of his deserts “ ; ähnlich GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 186 f. 359 WOLFF, ThHK 8, aaO., 54. 360 WOLFF, ThHK 8, aaO., 55. 361 Vgl. THRALL, The second epistle to the Corinthians, aaO., 197 f; WINDISCH, H., Der zweite Korintherbrief, KEK 6 (1970 2 ), 97. 422 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Gegenwart Gottes an. 362 Einerseits wird dadurch dieVerkündigung des Paulus in die Nähe des priesterlichen Opferdienstes gerückt (vgl. Röm 15,16) und damit die religiöse, auf Gott bezogene Dimension des Geschehens hervorgehoben. 363 Andererseits universalisiert das Bild noch einmal den Wirkungsbereich des Evangeliums: Selbst derjenige, der am Triumphzug kein Interesse hat und ihn nicht verfolgt, kann sich des Geruchs der aufsteigenden Opfer in Rom nicht entziehen: „ Die auf die Triumphzugsmetaphorik folgende Geruchsmetaphorik nennt den Grund, warum überhaupt das apostolische Wirken des Paulus als Triumphzug des Evangeliums bezeichnet werden kann: weil durch seine Predigt die Erkenntnis Gottes allüberall öffentlich gemacht wird “ . 364 „ Paulus ist nicht Christus, aber er ist das, was Christus verströmt “ , er ist als Duft die „ Außenwirkung Christi “ . 365 „ An ihm, an seinem Geschick demonstriert Gott in aller Öffentlichkeit seinen Sieg “ . 366 Die Bilder vom Kampfgeschehen in der Arena und vom Triumphzug eines römischen Heerführers durch die Straßen Roms unterstreichen die Dynamik der Verkündigung des Evangeliums aus der Verborgenheit in die für alle sichtbare Öffentlichkeit. Beide Metaphern spiegeln zwei Aspekte der Öffentlichkeit des Evangeliums: Sowohl in die Arena als auch auf die Straßen des Triumphzuges strömen Menschen, um das Spektakel zu verfolgen und sich davon unterhalten zu lassen. Analog verfolgen Zuschauer dieVerkündigung des Evangeliums, ohne sich in das Geschehen unmittelbar verwickeln zu lassen, ohne Kämpfer oder Mitläufer im Triumphzug Christi zu sein oder zu werden. Andererseits proklamiert Paulus mit beiden Metaphern den universalen, alle angehenden Anspruch des Evangeliums, der sich besonders in der Triumphzug-Metapher deutlich manifestiert: Als Sieger geht Christus dem Triumphzug voran, und Paulus zieht mitsamt allen anderen Verkündigern in seinem Gefolge. Diese Vorstellung ist das Gegenbild, das Paulus der Wahrnehmung von ihm als lächerliches und dem Tode geweihtes „ Spektakel “ der Welt gegenüberstellt (1Kor 4,9; 9,23; 15,32). Es handelt sich also um eine weitere Explikation und Anwendung seiner Kreuzestheologie auf die Evangeliumsverkündigung. b) Das öffentliche Rollenverständnis Auch hinsichtlich des paulinischen Rollenverständnisses lässt sich der öffentliche Charakter der Evangeliumsverkündigung erweisen. Wenn Paulus sich in 2Kor 5,20 als hochoffiziellen Botschafter Christi inszeniert (Kap. 5.2.1), wenn er 362 Vgl. GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 172 f. 363 Vgl. THRALL, The second epistle to the Corinthians, aaO., 198; siehe Kap. 5.2.3. 364 GRÄSSER, ÖTK 8/ 1, aaO., 109. 365 GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 173. 366 GERBER, Paulus und seine „ Kinder “ , aaO., 187. 7.5 Evangelium und Öffentliche Kommunikation 423 sich in Analogie zu alttestamentlichen Propheten versteht (Kap. 5.1.4 b) oder durch seinen Gebrauch von khru,ssw mit dem kaiserlichen Herold identifiziert (Kap. 7.1), legt er einen öffentlichen Raum nahe, in dem sich seine Tätigkeit abspielt. 367 Botschafter und Herold agieren als Kommunikatoren in der politischen Sphäre, die - wie wir gehört haben - in der Antike immer Gegenstand gesamtöffentlichen Interesses ist. 368 Der Herold „ personifiziert “ geradezu Neuigkeiten, weil er für deren Veröffentlichung mit seiner Stimme verantwortlich ist. 369 Der Botschafter hingegen vertritt öffentlich die Interessen seines Staates und sorgt für entsprechenden Informationsaustausch zwischen zwei Ländern. 370 Auch der alttestamentliche Prophet tritt politisch und damit öffentlich in Erscheinung, etwa als königlicher Berater ( Jeremia) oder als sozialkritischer Mahner (Amos). Die Botschaft, die er im Namen Gottes verkündet, geht in jedem Fall das ganze Volk an ( Jesaja). c) Die öffentliche Missionsstrategie Den öffentlichen Charakter des weltweiten, universalen Anspruchs der paulinischen Mission habe ich bereits erwähnt. Dieser Anspruch manifestiert sich selbstverständlich auch in der konzeptionellen Umsetzung seiner Verkündigung. Paulus betreibt dezidiert Weltmission, er will „ durch Missionsreisen bis hin in das ferne Spanien so viele Regionen wie irgend möglich vor der Parusie Christi mit dem Evangelium vertraut machen “ (vgl. Röm 15,19-24). 371 Um dieses Ziel zu bewerkstelligen, greift er auf das Prinzip der Zentrumsmission zurück. 372 Paulus „ vertraut auf die Eigenständigkeit, die Beharrlichkeit und die Ausstrahlung der Kirchen, die während seiner Abwesenheit nicht nur bestehen, sondern sogar wachsen “ . 373 Die Realisierung der Mission geschieht einerseits durch die Nutzung bestimmter vorgefundener Öffentlichkeit, über deren Art die Paulusbriefe jedoch keinen Aufschluss geben. Andererseits eröffnet eben jene Öffentlichkeit die 367 Besonders aufschlussreich verhält sich dazu Röm 10,14-18, wo Paulus sowohl den prophetischen Aspekt (Zitate aus Jes 52,7 in V.15 und Jes 53,1 in V.16) als auch den heraldischen Charakter (khru,ssontoj, V.14) seiner Verkündigung zum Ausdruck bringt. 368 Siehe Kap. 7.5.2. 369 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 51 f. Beachte dazu auch die These R. Jewetts, der Römerbrief sei ein „ ambassadorial letter “ ; siehe Kap. 5.2.1. 370 Vgl. LEWIS, News and Society in the Greek Polis, aaO., 51; 63 f. 371 REINBOLD, Propaganda und Mission im ältesten Christentum, aaO., 211. 372 Zur Zentrumsmission siehe Kap. 6.2.2. 373 REINBOLD, Propaganda und Mission im ältesten Christentum, aaO., 212. 424 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums Möglichkeit zur Herstellung eigener Öffentlichkeit, die Paulus mit dem Begriff evkklhsi,a bezeichnet. 374 Als „ Versammlung “ steht sie terminologisch in der Nähe zur politischen Organisationsform der hellenistischen Polis, der auf der Agora tagenden Volksversammlung. 375 Von anderen sozialen Strukturen wie Haushalt, Verein, Synagoge oder Philosophenschule dagegen ist sie zu unterscheiden 376 . Die paulinische evkklhsi,a schafft ein eigenes Modell von Öffentlichkeit, das durchaus mit der Öffentlichkeit der hellenistischen Volksversammlung vergleichbar ist: In beiden spielen „ das Ausprechen von Lob und Tadel, das Halten von Reden, der Empfang und die Entsendung von Briefen und [. . .] Boten “ eine zentrale Rolle. 377 Zwar findet die paulinische Versammlung im Gegensatz zur städtischen nicht auf der Agora bzw. dem Forum, sondern im Haus statt (vgl. 1Kor 16,19), doch ist dafür die Teilnahme nicht auf volljährige, männliche Stadtangehörige beschränkt, sondern unabhängig von Geschlecht, sozialem Rang, Nationalität und Mitgliedschaft. 378 Dass diese Versammlung trotz des häuslichen Umfeldes keineswegs privat, sondern auch für nichteingeweihte Außenstehende zugänglich ist, bestätigt 1Kor 14,23-25. Bei der „ hergestellten “ Öffentlichkeit, die Paulus hier beschreibt, handelt es sich um eine Teil- oder Sub- Öffentlichkeit der gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit analog der Öffentlichkeit, die beispielsweise die „ Ladenclubs “ einer antiken Polis bieten. Diese Öffentlichkeit ist zwar im Sinne Maletzkes „ begrenzt “ , aber eben immer noch „ Öffentlichkeit “ . 379 d) Ergebnis Meine Untersuchung hat ergeben, dass sich die Verkündigung des Evangeliums für Paulus im antiken Kontext als öffentliches Phänomen artikuliert. Allein der universale Anspruch seiner Verkündigung, für alle Menschen ( Juden und Heiden) verstehbar und wahrnehmbar zu sein, sowie dessen konkrete Entfaltung als Weltmission auf dem Weg der Zentrums- und Mitarbeitermission heben 374 Vgl. LEUTZSCH, Frühchristliche Öffentlichkeit in den Paulusbriefen und den Evangelien, aaO., 136. Für Literatur zu evkklhsi,a siehe Kap. 6.1.4 a. 375 Vgl. LEUTZSCH, Öffentlichkeit, aaO., 137. 376 Vgl. LEUTZSCH, Öffentlichkeit, aaO., 136. Auf die umfangreiche und kontroverse Literatur zum Thema „ Verein “ kann hier nicht weiter eingegangen werden (vgl. oben die Ausführungen zur Stadtöffentlichkeit: Kap. 7.5.2). 377 LEUTZSCH, Öffentlichkeit, aaO., 137. 378 Vgl. LEUTZSCH, Öffentlichkeit, aaO., 137. 379 Neben der „ vorgefundenen “ und dieser hergestellten Gemeindeöffentlichkeit tritt bei Paulus auch so etwas wie eine gesamtkirchliche Öffentlichkeit in den Blick, wenn er Geld für Jerusalem sammelt, den Kontakt zwischen allen Gemeinden durch Briefe und Mitarbeiter hält und sich in seinen Briefen gelegentlich an alle Christen wendet; vgl. LEUTZSCH, Öffentlichkeit, aaO., 138. 7.5 Evangelium und Öffentliche Kommunikation 425 das Evangelium aus der „ privaten “ Verborgenheit in die öffentliche „ Offenbarmachung “ (fanero,j). Auch die von Paulus gebrauchten Metaphern, sowohl für seine Verkündigung (Lauf in der Rennbahn, Tierkampf in der Arena, Triumphzug) als auch für sein eigenes Rollenverständnis (Botschafter, Prophet, Herold), lassen keinen Zweifel am öffentlichen Charakter des Evangeliums. Wenn immer wieder der mutmaßliche Ort der christlichen Gemeindeversammlungen, die Privatheit eines Hauses, als Argument gegen die Öffentlichkeit der paulinischen Evangeliumsverkündigung angeführt wird, verkennt dies die moderne kommunikationswissenschaftliche Erkenntnis der Partikularität jeder Öffentlichkeit. 380 Die Gemeindeversammlung ist als Ort für Außenstehende unter Umständen zugänglicher als eine entsprechende politische Versammlung der Polis. Es handelt sich dabei um „ hergestellte “ Öffentlichkeit. Den Grad der Öffentlichkeit bestimmt also die Art der Veranstaltung und nicht per se die Räumlichkeit (vgl. die bei einer offiziellen Einladung entstehende Öffentlichkeit bei derAusrichtung eines Festes o. ä.). Zum anderen wird unterstellt, dass Paulus nur oder zumindest vorwiegend im Rahmen der Gemeindeversammlung Verkündigung des Evangeliums praktiziert. Über die tatsächlichen Vorgänge haben wir jedoch keine Informationen. So bleibt mit R.Reck festzuhalten: „ [A]ls öffentliche Liturgie kann er seine Missionspraxis nur in metaphorischer Rede bezeichnen “ . 381 Aber in dieser tut er es (z. B. Röm 15,16; Phil 2,17; 2Kor 2,14). 7.6 Auswertung Im Zentrum des gesamten Kommunikationsprozesses des Evangeliums steht sein Programm: Es ist rettende Kraft und damit Handeln Gottes (analog zur bisherigen Funktion der Tora), das allen Menschen gilt und aufgrund seiner allein rettenden Funktion auch für alle Menschen relevant ist. Dieser universale Anspruch liegt der prinzipiellen Öffentlichkeit aller Verkündigung des Evangeliums zugrunde. Aus ihm leitet sich auch die Problematik der Heilszueignung und -erhaltung in punktueller bzw. prozessualer Verkündigung ab: Rettung beginnt mit der erstmaligen Anerkenntnis des bzw. dem Glauben an das Evangelium. Daher legt Paulus den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Bekannt- 380 So z. B. REINBOLD, Propaganda und Mission im ältesten Christentum, aaO., 205: „ Der Missionar Paulus tritt in der Regel nicht in der Öffentlichkeit resp. der eingeschränkten Öffentlichkeit in Erscheinung, sondern, soziologisch formuliert, in Primär- und Quasi- Primärgruppen: in Familien, Häusern, Kleingruppen, (kleinen) Ekklesiai, usw. [. . .] Mikrokommunikation, nicht öffentlich oder halböffentliche Reden, Predigten und dergleichen, kennzeichnet die Mission des historischen Paulus “ . 381 RECK, Kommunikation und Gemeindeaufbau, aaO., 166. 426 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums machung der Botschaft unter immer neuen Rezipienten. Allerdings besteht die Notwendigkeit des Wachsens und der Erhaltung dieses „ Rettungsstatus “ . Aus dem Gefühl der Verbundenheit heraus mit den von ihm gegründeten Gemeinden übernimmt er die Aufgabe der fortdauernden Begleitung, der Wiederholung und Einübung des Evangeliums. Ebenso bleiben die Medien des Kommunikationsprozesses dem Programm verpflichtet: Die rettende Kraft besteht in der rettenden Botschaft, die personal durch Christus bestimmt ist. In gleicher Weise personal sind auch die primären Medien des Evangeliums konzipiert (Brief, Wort, Ethik/ Auftreten). Die von ihnen transportierte Glaubhaftigkeit, Authentizität und Verständlichkeit der Botschaft ist an die des jeweiligen Kommunikators zurückgebunden. Eine personale Botschaft wird nur personal, d. h. persönlich verantwortet, und nicht anonym kommuniziert. Schließlich werden durch die Wahl dieser personalen Medien die Chancen für ein Gelingen der Kommunikation grundlegend verbessert. 7.6 Auswertung 427 Abb. 10 Der Kommunikationsprozess des Evangeliums und seine Medien 428 7 Kommunikationsprozess und Medium des Evangeliums 8 Die Rezipienten des Evangeliums Immer wieder hat die bisherige Analyse die Rezipienten und ihre Rolle im Kontext anderer Faktoren gestreift. Das letzte Kapitel verleiht ihnen nun im Kommunikationsprozess eigenständiges Gewicht als Element, das mit dem bisher Erabeiteten gewissermaßen konfrontiert wird. Die Rezipienten müssen sich gegenüber Aussage, Kommunikator, Medium und dem damit zusammenhängenden Kommunikationsprozess als Ganzem verhalten und auf die Botschaft des Evangeliums reagieren. Drei grundlegende Fragestellungen sind bisher hinsichtlich der Rezipienten noch offen geblieben und geben daher die Gliederung dieses Kapitels vor: Wer sind die Rezipienten? (8.1) Welche Relevanz hat das Evangelium als Aussage für sie? (8.2) Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Rezeption des Evangeliums? (8.3). 8.1 Identität der Rezipienten Im Zusammenhang mit dem Damaskuserlebnis des Paulus bin ich bereits auf die ausdrückliche Berufung zur Völkermission zu sprechen gekommen: Paulus soll evn toi/ j e; qnesin verkündigen (Gal 1,16; Röm 11,13 f). 1 Damit scheint die Zielgruppe des Evangeliums eine klare Bestimmung zu haben. Oi` e; qnoi ist ein Begriff, der nur im Gegenüber zur Gruppe der VIoudai,oi Sinn ergibt (vgl. z. B. Röm 3,29) und also eine Formulierung aus der Perspektive des zeitgenössischen Judentums. 2 Zusammen stehen Juden und die Völker (oft auch synonym als VEllhnej bezeichnet) für die „ Menschheit als Gesamtheit “ (Röm 2,9 f; Gal 3,28). 3 Es handelt sich also jeweils um „ eine der beiden Teilmengen der Menschheit, deren Unterscheidungsmerkmal in der Erwählung Israels und den 1 Siehe Kap. 5.1.3 c; Literatur zur Identität der paulinischen Rezipienten: HAYS, J. D., Paul and the multi-ethnic first Century World: Ethnicity and Christian Identity, in: BURKE,/ ROSNER, Paul as Missionary, aaO., 76 - 87; KRAUS, W., Die Anfänge der Mission und das Selbstverständnis des Paulus als Apostel der Heiden, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 227 - 237; REISER, M., Hat Paulus Heiden bekehrt? , in: BZ 39 (1995), 76 - 91; REINBOLD, Propaganda und Mission im ältesten Christentum, aaO., bes. 164 - 182; SCHNA- BEL, E., Urchristliche Mission, Wuppertal 2002. 2 Vgl. HAYS, Paul and the multi-ethnic first Century World, aaO., 77: „ Certainly the multiethnic peoples in the churches to whom Paul wrote did not identify themselves as , Gentiles ‘ , as defined by the minority group of Ioudaioi “ . 3 KUHLI, H., Art. VIoudai/ oj, in: EWNT II, 472 - 482; 477. daraus folgenden Vorrechten liegt “ 4 . Das auserwählte Gottesvolk der Juden ist der Rahmen, in dem das Evangelium entsteht und zunächst auch wächst: Jesus wird als Jude in dieses Volk hineingeboren und verbringt sein gesamtes Leben in diesem Kontext (Röm 9,5). Auch Paulus rechnet sich mehrfach dem Gottesvolk zu (vgl. nur Gal 2,15). 5 Jedoch fühlt er sich berufen - wie andere wahrscheinlich schon vor ihm - diese Grenzen zu verlassen und den Geltungsbereich des Evangeliums auszuweiten auf die gesamte Völkerwelt. 6 Er verankert diese Zielrichtung seiner Verkündigung fest in seinem Berufungserlebnis und entzieht es somit (zunächst) jeder Fragwürdigkeit. Theologisch untermauert Paulus diese Agenda immer wieder durch Septuaginta-Zitate (Röm 4,17; 10,19; 15,9-12; Gal 3,8). Jedoch hat die Ausrichtung auf eineVerkündigung des Evangeliums unter den Völkern nicht von Anfang an Ausschließlichkeitscharakter. Die Trennung von Juden- und Völkermission hat sich für Paulus nach eigenem Bekunden erst vierzehn Jahre später vollzogen, als er mit den Jerusalemer Säulen Kephas, Jakobus und Johannes eine Aufteilung der beiden Bereiche vereinbart hat (Gal 2,9). Dabei bleibt zunächst offen, ob tatsächlich eine Trennung und damit Spezialisierung vereinbart wurde, über die Paulus sich selbstständig hinwegsetzt, oder ob von vornherein einfach eine geographische Aufteilung der Missionsbereiche (jüdisches Mutterland/ Palästina - übriges Imperium Romanum) gemeint war. Dass auch Judenchristen in den Gemeinden des Paulus vertreten sind (vgl. nur Röm 2,17; 1Kor 10,32), lässt darauf schließen, dass er auch in den kleinasiatischen und griechischen Synagogen für das Evangelium geworben hat. In 1Kor 9,20 spricht er sogar ganz offen davon, wie er bei der Evangeliumsverkündigung „ den Juden ein Jude geworden ist “ , i[na VIoudai,ouj kerdh,sw, und in Röm 1,14, dass er ein Schuldner (ovfeile,thj) von Griechen und Nichtgriechen, also auch von Juden sei. Aus der Berufung zum „ Völkermissionar “ lässt sich also keine ethnische oder religiöse Zielgruppe ableiten, sondern bestenfalls ein geographischer Rahmen - und dieser ist v. a. den Missionsstationen des Paulus zu entnehmen (vgl. Gal 1,17.21; Röm 15,19). Als 4 KUHLI, Art. VIoudai/ oj, aaO., 477; 478: In der Taufe wird dieses Unterscheidungsmerkmal aufgehoben; (vgl. Gal 3,28); vgl. WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 318: Wenn Paulus sich selbst Jude nennt, ist das also „ im zeitgenössischen Kontext immer auch ein Hinweis auf seine Religion “ . 5 Zur jüdischen Prägung des Evangeliums siehe 4.1.1 b; zu der des Paulus siehe Kap. 5.1.1. 6 Vgl. die These der antiochenischen Völkermission: ROLOFF, Art. Apostel/ Apostolat/ Apostolozität I, aaO., 435; FREY, Paulus und die Apostel, aaO., 208; KRAUS, Die Anfänge der Mission, aaO., 229 f: Kraus führt die Ausweitung der Verkündigung auf den apokalyptischen Charakter der Auferweckung Jesu bzw. deren Interpretation zurück, der im Kontext der altestamentlich-frühjüdischen Tradition zwingend die „ Frage nach dem Einbezug der Heiden im eschatologischen Prozess “ aufwirft. 430 8 Die Rezipienten des Evangeliums seine Maxime darf dabei Röm 15,20 gelten: „ So aber setze ich meine Ehre darauf, (das Evangelium) nicht dort zu verkündigen, wo Christus schon genannt wurde, damit ich nicht auf fremdem Fundament baue “ . Abgesehen davon gilt seine Mission allen Völkern, pa/ sin toi/ j e; qnesin (Röm 1,5). 7 Das Verhältnis zwischen Juden und Völkern hinsichtlich seiner Mission zeichnet Paulus als grundsätzlich gleichberechtigt, wobei der Akzent in der Regel auf der Gleichstellung der Christusgläubigen aus den Völkern mit den Judenchristen liegt (so Röm 3,29). In Röm 11 jedoch setzt sich Paulus im Ringen um sein Volk für dessen Ehrenstellung unter den Völkern ein, und Röm 15,26 f stellt die Völker als Schuldner der Juden dar, womit die Sammlung für die Jerusalemer Gemeinde gefördert werden soll. Auch in negativer Hinsicht ist das Bild von beiden bei Paulus durchaus gleichwertig: Zwar sind dieVölker „ Sünder “ (Gal 2, 15) und bekannt für ihre pornei,a (1Kor 5,1) und ihren pa,qoj evpiqumi,aj, (1Thess 4,5), ihre „ gierige Lust “ , wie Luther übersetzt. Doch auch für die Juden gilt: to. avnaplhrw/ sai auvtw/ n ta.j a`marti,aj pa,ntote (1Thess 2,16), weil sie die Völkermission verhindern und die Christengemeinde verfolgen. 8 So treffen sich Juden und Völker in ihrem Unverständnis gegenüber Christus, VIoudai,oij me.n ska,ndalon( e; qnesin de. mwri,an (1Kor 1,23), und ihrer Bedrohung, die sie für Paulus und die entstehenden frühchristlichen Gemeinden darstellen (1Kor 11,26). Jenseits der Unterscheidung von Juden und Völkern findet sich bei Paulus nur indirekt eine weitere Eingrenzung der Rezipientenschaft. Sie ergibt sich aus der Zentrumsmission und der daraus resultierenden sozialen Schichtung seiner Gemeinden. 9 Jedoch ist aus diesem Phänomen nicht annähernd eine vergleich- 7 Eine weiteres Mal sei daran erinnert, dass sich meine Untersuchung an der Perspektive des Paulus und nicht an der historisch wahrscheinlichen Wirklichkeit orientiert. Von daher kann hier die Frage nach der genaueren Identität der „ Heiden “ vernachlässigt werden. Ob es sich überhaupt um solche bei ihrem Erstkontakt mit dem Evangelium gehandelt hat oder vielmehr um sog. „ Gottesfürchtige “ bzw. Proselyten aus dem Kontext der Synagoge (so die These Reisers), ist ein Problem, das sich für Paulus in seinen Briefen nicht stellt. Auch die sog. „ radical perspective on Paul “ , die in den Rezipienten der paulinischen Verkündigung ausschließlich Heiden sehen will, sei darum hier nicht weiter zum Thema gemacht. Zur Problematik vgl. KRAUS, Die Anfänge der Mission, aaO., 230; REISER, Hat Paulus Heiden bekehrt? , aaO., 76ff; dort weiterführende Literatur zum Thema (83, Anm. 38). Kritisch zu Reiser positioniert sich SCHNELLE, Paulus, aaO., 138. 8 Vgl. KUHLI, Art. VIoudai/ oj, aaO., 479. 9 Siehe Kap. 6.2.2 d. Zur Sozialstruktur paulinischer Gemeinden vgl. STRECKER, C., Hausgemeinden und urbanes Christentum, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 238 - 243. Speziell zur sozialen Schichtung der paulinischen Gemeinden: THEISSEN, G., Soziale Schichtung in der korinthischen Gemeinde. Ein Beitrag zur Soziologie des hellenistischen Urchristentums, in: DERS., Studien zur Soziologie des Urchristentums, WUNT 19, Tübingen 1989 3 , 231 - 271: „ Das hellenistische Urchristentum ist weder eine proletarische Bewegung unterer Schichten gewesen, noch eine Angelegenheit gehobener Schichten. Charakteristisch für seine soziale Struktur ist vielmehr, daß es verschiedene Schichten 8.1 Identität der Rezipienten 431 bare Differenzierung zwischen „ Landmission “ und von Paulus betriebener „ Stadtmission “ abzuleiten. Im Gegenteil hat die Methodik rein missionspraktische Gründe und dient einem höheren konzeptionellen Ziel: der Verkündigung des Evangeliums in der gesamten Welt (Röm 15,19; vgl. 2Kor 2,14). 10 Paulus gibt also als primäre Rezipienten seines Evangeliums die Zielgruppe der Völker an. Das schließt faktisch aber eine Verkündigung unter Juden nicht aus, sondern engt den Missionsbereich des Paulus wahrscheinlich nur geographisch ein (alles außer Palästina! ). Eine weitere Eingrenzung, etwa auf Stadtbevölkerung oder bestimmte soziale Schichten, ist nicht auszumachen. Vielmehr betont Paulus den universalen Anspruch des Evangeliums, das er öffentlich und in aller Welt verkündigen will. 8.2 Relevanz des Evangeliums für die Rezipienten Die Relevanz des Evangeliums ist die am stärksten an den Rezipienten orientierte Fragestellung innerhalb des Kommunikationsprozesses. Sie fragt nicht von der Botschaft, sondern von den sie vernehmenden Menschen aus und nimmt sie als Akteure mit ihren jeweiligen Dispositionen im Kommunikationsgeschehen ernst. Ihre Wahrnehmung ist Voraussetzung für ein Gelingen der Kommunikation, da die Relevanz über die Art der Rezeption der Botschaft maßgeblich mitentscheidet. Von daher wäre es naheliegend, an dieser Stelle genauer auf die antiken Rezipienten zu blicken, sie in ihrem alltäglichen Umfeld, ihrer möglichen religiösen Sehnsucht und sozialen Einbindung zu untersuchen und anschließend zu fragen, welche Relevanz also das Evangelium in diesem Kontext haben könnte. 11 Jedoch würde damit die bisher richtungsweisende Perspektive verlassen werden, die das Denken des Paulus im Rahmen seiner Evangeliumskonzeption zum Maßstab hat. Sicherlich lebt Paulus in der gleichen Welt wie seine Rezipienten, teilt manche ihrer Vorstellungen und Lebensumfaßte - und damit verschiedene Interessen, Gewohnheiten, Selbstverständlichkeiten “ (267). 10 Siehe Kap. 7.5.5. 11 Ein solches, historisch arbeitendes Verfahren würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen oder müsste auf einem sehr oberflächlichen Niveau verharren. Eine breitere, jedoch nicht auf das paulinische Evangelium hin zugespitzte Skizze liefert: REINBOLD, Propaganda und Mission, aaO., 317 - 341. Zur gegenseitigen Wahrnehmung von Urchristentum und römisch-hellenistischer Gesellschaft vgl. LINDEMANN, A., Gott und die Götter. Paulus, Lukian von Samosata und der „ Brief an Diognet “ , in: BIENERT, D. C./ JESKA,J./ WI TULSKI, T. (Hgg.), Paulus und die antike Welt. Beiträge zur zeit- und religionsgeschichtlichen Erforschung des paulinischen Christentums, FS Dietrich-Alex Koch, Göttingen 2008, 33 - 55. 432 8 Die Rezipienten des Evangeliums umstände. Auf diesem Wege aber haben sie - wenn auch gefiltert - sicherlich Eingang in die Evangeliumskonzeption gefunden. Daher werde ich im Folgenden nicht explizit nach der Welt und der Einstellung der Rezipienten fragen, sondern die Relevanz des Evangeliums (für die Rezipienten) in den Augen des Paulus zusammenstellen. 8.2.1 Die Welt der Rezipienten in den Augen des Paulus Wie wir bereits gesehen haben, unterscheidet Paulus die Menschen grundsätzlich nur hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zum Bundesvolk in Juden oder Völker und bleibt dabei immer „ in der Perspektive und in der Begrifflichkeit des hellenistischen Diasporajudentums “ . 12 Fragt man nach seiner Einschätzung der religiösen Welt beider Gruppen, sind zwei Aspekte bedenkenswert: Zum Einen gibt es für ihn jenseits der Unterscheidung Völker/ Juden keine anderen Träger von Religion und das, was er von „ den “ Völkern zur Kenntnis nimmt, erscheint „ rudimentär und pauschal “ und „ von Angst und Abwehr gekennzeichnet “ 13 : „ Die Breite griechisch-römischer Religion und Religiosität hat Paulus weder in ihrer politischen und sozialen noch in ihrer kulturellen Dimension irgendwie wahrgenommen oder gar gewürdigt. Seine Wahrnehmung richtet sich ausschließlich auf das, was wir heute als paganen Polytheismus beschreiben “ . 14 O. Wischmeyer attestiert Paulus darum „ mangelnde Kenntnis heidnischer Religion und die daraus resultierende mangelhafte Kriteriumsbildung im kritischen Umgang mit den Phänomenen dieser Religion “ . 15 Zum anderen haben die Völker für Paulus eigentlich gar keine Religion, da ihnen die „ entscheidenen religiösen Parameter no,moj und dikaiosu,nh fehlen “ . 16 Paulus denkt im Blick auf ihre Dämonen, Götzen- und Bilderverehrung (eivdwlolatri,a) eher an eine „ inhaltsleere Selbsttäuschung “ . 17 Doch als Täuschung sind sie für Paulus nicht harmlos oder ungefährlich, sondern „ Anti-Religion, Perversion der Welt, da sie den Schöpfer aus dem Zentrum der Verehrung rücken und durch die Verehrung von Geschöpfen die Schöpfungsordnung intelektuell und ethisch pervertierten “ (vgl. 1Kor 12,2). 18 Man muss sich davon fernhalten, weil Nähe dazu nicht folgenlos 12 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 316; siehe Kap. 8.1. 13 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 318. 14 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 317; vgl. LINDEMANN, Gott und die Götter, aaO., 43: „ Offenbar hat der Apostel weder Anlass, das Alltagsleben und die Kulturleistungen der nichtchristlicher e; qnh zu würdigen, noch sieht er sich genötigt, sich damit intensiver auseinanderzusetzen “ . 15 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 317. 16 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 317. 17 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 317. 18 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 317 f. 8.2 Relevanz des Evangeliums für die Rezipienten 433 bleibt. 19 Es sind Folgen der Herrschaft der Sünde, die Gottes Zorn hervorrufen (Röm 1,21 ff ) und zum Tod führen (Röm 6,16.21) - daher die ängstliche Ablehnung des Paulus. 20 Das Judentum hingegen ist die wahre, ja im Grunde die einzige Religion für Paulus, da es nur in ihr „ wahre latrei,a, doulei,a und timh. qeou/ “ , „ rechte Gotteserkenntnis “ gibt. 21 Und immerhin gehört er ihr selbst mindestens bis zum Damaskuserlebnis als eifriger Pharisäer an. Davon ist auch seine grundsätzliche Sicht als Missionar v Ihsou/ Cristou/ geprägt: Das Judentum ist im Wesentlichen die „ menschliche Antwort auf Gottes Bundesschluß. Diese Antwort erfolgt im Halten der Tora “ . 22 Jedoch haben sich für den Christen Paulus auch die Angehörigen des Judentums durch die Problematik des Gesetzes in todbringende Sünde verstrickt (Röm 7,8 f.11). 23 Weder die Religion der Völker noch das Gesetz des Judentums hält also eine heilvolle Gottesbeziehung für den Menschen bereit. Daraus ergibt sich für Paulus die Relevanz des Evangeliums. Es tritt an die Stelle des Gesetzes und bietet dem Menschen als „ neue Tora “ Heil aufgrund des Glaubens daran (Röm 1,16). 24 Die Relevanz des Evangeliums besteht also in dem darin verheißenen Heil. Was ist darunter zu verstehen? 8.2.2 Rettung durch das Evangelium In Röm 1,16 bezeichnet Paulus das Evangelium als Gotteskraft mit der Zielrichtung des Heils (eivj swthri,an) für jeden Glaubenden (vgl. 1Kor 1,18.21). Immer wieder gibt Paulus diese Größe als Wirkung bzw. Zielbestimmung des Evangeliums an (Röm 10,10; 2Kor 7,10; 1Thess 5,9). 25 Der Begriff entstammt der Tradition der Septuaginta, wo damit Hilfe, Rettung oder Heil „ durch Menschen 19 Vgl. LINDEMANN, Gott und die Götter, aaO., 43: „ Die [. . .] Aufzählung falscher moralischer und sittlicher Praktiken gilt wohl nicht als eine realistische Analyse heidnischer Existenz, sondern als Negativfolie “ . 20 Vgl. WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 318. 21 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 318. 22 WISCHMEYER, Die Religion des Paulus, aaO., 326. 23 Siehe Kap. 4.2.3 und 4.2.4. 24 Siehe Kap. 7.2.5. Die Problematik des Verhältnisses von Treue Gottes zu seinem Bund mit Israel und dem Evangelium als neuem Bund (vgl. Röm 9 - 11) sei an dieser Stelle bewusst außen vor gelassen. 25 Vgl. auch die Verwendung von r`u,omai in 1Thess 1,10; 2Kor 1,10; Röm 7,24; Literatur zu Rettung und Gericht bei Paulus: BRANDENBURGER, E., Gerichtskonzeptionen im Urchristentum und ihre Voraussetzungen, in: DERS., Studien zur Geschichte und Theologie des Urchristentums, SBAB 15, Stuttgart 1993, 289 - 338; FREY, J., Gericht und Gnade, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 471 - 479; KONRAD, M., Gericht und Gemeinde. Eine Studie zur Bedeutung und Funktion von Gerichtsaussagen im Rahmen der paulinischen Ekklesiologie und Ethik im 1Thess und 1Kor, BZNW 117, Berlin/ New York 2003; 434 8 Die Rezipienten des Evangeliums oder Umstände, angesichts der dabei gegebenen Grenzen aber dann durch Gott “ bezeichnet werden. 26 Für das Neue Testament wird besonders die in der jüdischen Apokalytik intensivierte Verwendung von swthri,a als „ Befreiung von bösen Mächten, zuletzt Rettung im entscheidenden Gericht und alsdann eschatologisches Heil der Welt “ relevant (Weish 16,6; 18,7; Sir 16,1; 1 Makk 5,62; Jes 49,6). 27 Rettung ist für Paulus Gegenstand von Hoffnung (evlpi,j, 1Thess 5,8; Röm 8,24). 28 Es ist ein Geschehen in der Zukunft (vgl. das Futur in Röm 10,9.13; 11,14.26; 1Kor 3,15; 7,16), auf das sich die Gläubigen zubewegen (Röm 13,11), zu dem sie bestimmt sind (1Thess 5,9) und das sich am „ Tag des Herrn “ vollziehen wird (1Kor 5,5; 3,15). Formulierungen, die eine gegenwärtig oder bereits vollzogene Rettung nahe legen, spiegeln entweder die Sicherheit der erhofften Rettung, indem sie aus der Zukunft in die Gegenwart projiziert wird (Röm 8,24; 1Kor 1,18.21; 2Kor 2,15; 6,2; vgl. Phil 1,28: Bedrängnis als sicheres Vorzeichen der Rettung), oder sie zielen auf gegenwärtige Voraussetzungen der Rettung (Verkündigung des Evangeliums: 1Kor 9,22; 10,33; Festhalten am Evangelium: 1Kor 15,2; Gerechtsprechung bzw. Versöhnung mit Gott: Röm 5,9 f; Bekenntnis: Röm 10,10; Nüchternheit: 1Thess 5,8 f; Gehorsam: Phil 2,12). 29 „ Vor dem Hintergrund der als Realität erfassten Sünden-, Gerichtsbzw. Todverfallenheit aller Menschen kann auch ,Heil ‘ für Paulus nicht in Kontinuität zum irdischen Leben [. . .], sondern nur noch als ,Rettung ‘ aus dem Zorn(-Gericht) bzw. Tod verstanden werden “ . 30 Dementsprechend sind für Paulus swthri,a und sw/ |zw für die Bezeichnung der eschatologischen Rettung reserviert. 31 Als solche sind sie aber auch deutlich unterschieden von gegenwärtiger Rechtfertigung und SÖDING, T., Rettung durch das Gericht. Zur Eschatologie der paulinischen Rechtfertigungslehre, in: Communio 38 (2009), 342 - 363. 26 SCHELKLE, K. H., Art. swthri,a, EWNT III, 784 - 788; 784. Natürlich spielt sw/ thri,a auch im hellenistischen Sprachgebrauch eine wichtige Rolle, wie man schon aus der herausgehobenen Bedeutung von swth,r im hellenistischen Herrscherbzw. Kaiserkult ersehen kann; vgl. FOERSTER, W./ FOHRER G., Art. sw|/ zw ktl, ThWNT 7, 966 - 1024; 1009 f. Allerdings scheint für Paulus die Septuaginta den prägenden Traditionsstrang darzustellen (vgl. die Septuaginta-Zitate in 2Kor 6,2 = Jes 49,8 ; Röm 9,27 = Jes 28,22/ Dtn 5,28; Röm 10,13 = Joel 3,5/ 1 Kön 1,2). 27 SCHELKLE, Art. swthri,a, aaO., 784; vgl. auch die Aufnahme jüdisch-apokalyptischer Traditionen hinsichtlich des Gerichtsgedankens; FREY, Gericht und Gnade, aaO., 471. 28 Zur Hoffnung siehe Kap. 8.3.4. 29 Auch Phil 1,19 kann für mich im Zusammenhang mit 1,21ff nicht primär die Rettung des Paulus aus seiner gegenwärtigen Situation meinen, sondern ist klar auf die eschatologische Rettung hin zu deuten. 30 FREY, Gericht und Gnade, aaO., 478; siehe auch Kap. 4.2. 31 Gegen SCHELKLE, Art. swthri,a, aaO., 785 f. 8.2 Relevanz des Evangeliums für die Rezipienten 435 Versöhnung, die zwar „ die mit der Annahme des Evangeliums grundsätzlich geschehene swthri,a “ zusichern, aber noch nicht vollständig einlösen. 32 Das Subjekt der Rettung ist Gott (1Kor 1,21; 2Kor 7,10). Dass Paulus demgegenüber auch sich selbst (Röm 11,14; 1Kor 9,22; 10,33; 1Thess 2,16) oder andere (z. B. Ehepartner in 1Kor 7,16) als Rettende bezeichnen kann, liegt am Instrument der Rettung, dessen Gott sich bedient: Christus (1Thess 5,9; Röm 5,9 f; vgl. 2Kor 2,15) bzw. das Evangelium von Christus als Gottes Kraft (Röm 1,16; 10,9.13; 1Kor 1,18.21; 15,2). Durch das Evangelium können Menschen an der Rettung anderer mitwirken - ohne dass Gott als Ursprung der Rettung infrage gestellt wird. 33 Worin genau besteht die angekündigte Rettung? Um das zu verstehen, müsssen wir uns mit einem weiteren paulinischen Aussagenkomplex vertraut machen: „ Allein unter Voraussetzung der potentiell bedrohlichen Aussagen über Gericht und Verderben ist die Kraft der Rede von Rettung und Heil, Gerechtigkeit und ewigem Leben verstehbar “ . 34 Den Gerichtsaussagen bei Paulus liegen verschiedene Gerichtskonzeptionen zugrunde, deren Unterscheidung im Einzelnen aber nicht konsequent möglich ist. 35 Einer einheitlichen Erfassung der paulinischen Vorstellung vom Gericht stehen weiterhin die pragmatische Einbindung der Gerichtsaussagen (rhetorisch-argumentativ) und zugleich deren bildhaft-metaphorischer Charakter entgegen. 36 Mit J.Frey lassen sich die unterschiedlichen Aussagen jedoch hinsichtlich verschiedener Gerichtsakte, Subjekte, Objekte und Kriterien der Beurteilung systematisieren. 37 1) Gerichtsakte: Grundlegend ist die Vorstellung vom Zorn Gottes, nicht im Sinne eines Affektes, sondern als (eschatologisches) Strafgericht über den Sünder, das in ein Unheils- oder Vernichtungsgeschehen zu münden droht (z. B. 1Thess 1,10; Röm 1,18). 38 Daneben treten verschiedene Varianten und 32 FOERSTER, Art. sw|/ zw ktl, aaO., 994; vgl. 992; RADL, W., Art. sw|/ zw, EWNT III, 765 - 770; 770: „ In Glaube und Taufe wird der Mensch jetzt schon des göttlichen Heils teilhaftig “ , der hoffnungslose Zustand wird durch Gott beendet (1Thess 4,13). Jedoch wird die endgültige Errettung erst im Gericht zugesprochen (1Kor 3,15; 5,5). 33 Vgl. FREY, Gericht und Gnade, aaO., 476 f; siehe Kap. 7.4.3. 34 FREY, Gericht und Gnade, aaO., 471. 35 FREY, Gericht und Gnade, aaO., 471. 36 Vgl. FREY, Gericht und Gnade, aaO., 472; KONRADT, Gericht und Gemeinde" aaO., 524. 37 Vgl. FREY, Gericht und Gnade, aaO., 476 f. 38 Vgl. FREY, Gericht und Gnade, aaO., 476; KONRADT, Gericht und Gemeinde" aaO., 524. Siehe Kap. 4.2.1 b; dort auch Literatur. Anders BRANDENBURGER, Gerichtskonzeptionen, aaO., 307: Zorn Gottes „ weist zunächst auf eine tiefe, aufwallende innere Bewegung, auf eine äußerst leidenschaftliche Unmutsäußerung Gottes selbst [. . .] als Reaktion auf den Frevel seiner Geschöpfe “ . 436 8 Die Rezipienten des Evangeliums Motive: Das „ Vernichtungsgericht “ kann als Umschreibung des endzeitlichen Untergangs gelten, der durch die Rede vom „ Tag “ gekennzeichnet ist. 39 Es ist der „ Tag des Herrn “ (1Kor 1,8; 5,5; 2Kor 1,14), weil an ihm dessen Rückehr (parousi,a, 1Kor 1,7; 15,23; 1Thess 1,10; 2,19; 3,13; 4,15; 5,23; Phil 3,20) und damit die Auferstehung der Toten analog seiner Auferstehung erwartet wird (1Thess 4,14.16; 1Kor 6,14; 15,20.42.52; 2Kor 1,19; 4,14; Röm 6,4 f; 8,11). 40 Zugleich ist es der Tag der Entscheidung über Bestrafung oder Rettung des Menschen (1Kor 3,15), der Tag des Gerichtes (kri,ma, Röm 2,2 f; 5,16) bzw. des Zorns Gottes (Röm 2,5; vgl. 1,18; 2,8; 3,5; 12,19; 1Thess 2,16). Hier treten Motive wie der Richterstuhl (bh/ ma, Röm 14,10; 2Kor 5,10) oder die Fürsprache Christi (Röm 8,34) hinzu, sodass der Eindruck eines „ Rechtsverfahrens vor dem Richterthron “ entsteht. 41 Weil für die Glaubenden der Ausgang des Gerichts positiv bestimmt ist, kann das Gericht auch den Charakter eines Erlösungs- oder Heilsgerichts haben, das für die „ endgültige Beseitigung des Bösen “ (Röm 16,20) und die „ universale Durchsetzung der Herrschaft Gottes “ steht. 42 2) Subjekte: Eschatologischer Richter ist Gott (Röm 14,10), gegenüber den Glaubenden gelegentlich auch Christus (2Kor 5,10; 1Thess 5,23). Ganz vereinzelt wird sogar eine Beteiligung der Glaubenden selbst angedacht (1Kor 6,2; Röm 2,27). 3) Objekte: Im Sinne der paulinischen Perspektiv der Allgemeinheit der Sünde gilt das Gericht als Strafgericht den Juden und Völkern gleichermaßen (Röm 2,5-11; 3,23), also allen Menschen. Es ist „ universales Weltgericht “ . 43 Inwiefern die Glaubenden dem Gericht und einer damit verbundenen Beurteilung noch ausgesetzt (1Kor 3,4-4,5) oder aufgrund ihrer bereits 39 Vgl. BRANDENBURGER, Gerichtskonzeptionen, aaO., 310 f. 40 Vgl. auch den Aspekt der „ Gleichgestaltung mit Christus “ in Röm 8,29; 1Kor 15,49; 2Kor 3,18. 41 Vgl. FREY, Gericht und Gnade, aaO., 476; BRANDENBURGER, Gerichtskonzeptionen, aaO., 312 ff. 42 Vgl. BRANDENBURGER, Gerichtskonzeptionen, aaO., 308 f; FREY, Gericht und Gnade, aaO., 471: In diesem Zusammenhang sei auch auf die Vorstellung eines „ gegenwärtigen Gerichtsbzw. Züchtigungshandelns Gottes an den Seinen “ verwiesen, z. B. 1Kor 11,30.32 (476). Dazu auch KONRADT, Gericht und Gemeinde, aaO., 523: „ Die Gerichtsaussagen dienen [. . .] vor allem der Grenzmarkierung, d. h. sie sagen Strafe an für Verhaltensweisen, die für Paulus elementare Wesensmerkmale christlicher Identität verletzen “ . Bei einem gravierenden Verstoß drohe der Ausschluß aus dem Reich Gottes. 43 BRANDENBURGER, Gerichtskonzeptionen, aaO., 314; vgl. FREY, Gericht und Gnade, aaO., 476; siehe Kap. 4.2.2. 8.2 Relevanz des Evangeliums für die Rezipienten 437 sicheren Rettung ihm entnommen sind (1Thess 1,10; Röm 3,24; 8,1), ist nicht ganz klar. 44 4) Kriterien: Das Urteil ist infsofern an das Tun des Menschen gebunden, als sich darin die Übertretung des Gesetzes und damit dessen Sündersein erweist (Röm 5,16.18). 45 Falls von einer Einbindung der Glaubenden in das Gericht auszugehen ist, kann Paulus dessen Ausgang als „ Lohn “ (misqo,j, 1Kor 3,14) oder „ Lob “ (e; painoj, 1Kor 4,5) umschreiben. Allerdings wird das zugesagte Heil nirgends an ein Tun gebunden, „ sondern an die Gnade Gottes, die im Evangelium zugesagt und im Glauben erlangt wird “ . 46 Auf dem Hintergrund dieser Gerichtsvorstellungen besteht die Rettung der Glaubenden also in der Bewahrung vor dem Zorn Gottes und der damit verbundenen Strafe durch Christus (Röm 5,9; 1Thess 1,10 vgl. Röm 8,34): Sie sind „ nicht zum Zorn, sondern zum Erwerb des Heils durch unsern Herrn Jesus Christus bestimmt “ (ouvk e; qeto h`ma/ j o` qeo.j eivj ovrgh.n avlla. eivj peripoi,hsin swthri,aj dia. tou/ kuri,ou h`mw/ n VIhsou/ Cristou/ , 1Thess 5,9). Für die Geretteten mündet das Gericht im gemeinsamen Sein bei Christus (1Thess 5,10; Phil 1,23; vgl. Röm 8,29; Phil 3,20 f ). Umgekehrt bleiben die Konturen des Schicksals der Nicht-Geretteten unscharf: Ihnen droht die avpw,leia (Phil 1,28; 3,19, Röm 9,22; vgl. avpo,llumi, Röm 2,12; 1Kor 1,18; 8,11; 15,18; 2Kor 2,15; 4,3), die in engem Zusammenhang mit dem (ewigen? ) Tod als Konsequenz der Sünde steht (1Kor 15,17; 10,9 f; vgl. Röm 1,32; 5,12ff; 2Kor 1,9). 47 8.2.3 Zusammenfassung Das Evangelium erhält seine Relevanz angesichts der vollständig von der Sünde beherrschten Welt. Sowohl die Juden als auch die Völker sind in ihrer je eigenen Situation nicht in der Lage, eine heilvolle Gottesbeziehung zu führen, und bleiben somit auf das Evangelium angewiesen. Das Evangelium ist die Kraft Gottes, die als „ neue Tora “ dem Menschen Rettung verheißt und im bevorstehenden Gericht vor dem Verlorengehen bewahrt. Mag aus dem bisher gesagten der Eindruck enstanden sein, das Evangelium hätte für die Rezipienten nur zukünftige, rein eschatologische Relevanz, so sei diesem hiermit ausdrücklich widersprochen. Wie das Folgende zeigen wird, 44 Vgl. FREY, Gericht und Gnade, aaO., 477; KONRADT, Gericht und Gemeinde, aaO., 524: Konrad weist darauf hin, dass es sich bei dem alle - auch Christen - einschließenden Gericht „ keineswegs [um] die dominierende Gerichtsvorstellung bzw. gar die paulinische Gerichtskonzeption schlechthin “ handelt. 45 Vgl. FREY, Gericht und Gnade, aaO., 477. 46 FREY, Gericht und Gnade, aaO., 477. 47 Siehe Kap. 4.2.4. 438 8 Die Rezipienten des Evangeliums entfaltet das Evangelium bereis im Leben der Rezipienten Konsequenzen. 48 Die paulinische Rede von swthri,a weist bei genauerem Hinsehen weniger auf die Beschreibung des zukünftigen Schicksals der einzelnen Gläubigen, sondern steckt vor allem den (sozialen) Raum der durch das Evangelium Geretten in der Welt ab. 49 Ich habe bisher also lediglich die (eschatologische) Fluchtlinie der Relevanz des Evangeliums ausgezogen, zu der die gegenwärtigen Folgen aus der Begegnung mit dem Evangelium gewissermaßen als Präludium hinzutreten. 8.3 Konsequenzen des Evangeliums Die Konfrontation mit dem Evangelium stellt den Rezipienten vor eine grundsätzliche Entscheidung: Misst er der Botschaft in irgendeiner, wie auch immer graduell abgestuften Weise Bedeutung für sich zu oder nicht? Ist sie für ihn bedeutungslos, ergeben sich aus der Begegnung keinerlei Konsequenzen. Die Begegnung hätte genauso niemals stattfinden können. Damit ist noch nichts über Zustimmung oder Ablehnung gegenüber dem Evangelium gesagt. Denn auch eine Ablehnung kann - wenn sie entsprechend deutlich ausfällt - für den Rezipienten Konsequenzen haben: Sie kann in Widerspruch und Feindschaft gegenüber dem Kommunikator umschlagen und so das Beziehungsverhältnis nachhaltig beeinflussen. Paulus berichtet mehrfach von Verfolgungen dieser Art, in erster Linie von jüdischer Seite, wohl aber auch von Gläubigen der griechisch-römischen Religion (1Thess 2,14-16; 1Kor 4,12; 2Kor 4,9; Gal 5,11; 6,12). Auch eine positive Reaktion auf die Botschaft muss nicht automatisch zur vollständigen Übernahme aller Konsequenzen oder überhaupt zu den „ richtigen “ Konsequenzen führen. Immer wieder hören wir Paulus seine Gemeinden hinsichtlich der Konsequenzen des Evangeliums tadeln (vgl. 1Kor 6,9; 15,33; 2Kor 8,10 f; Phil 2,12ff und andere paränetische Abschnitte) oder sich über eine falsche Auffassung des Evangeliums entrüsten (Gal 1,6 f; 1Kor 15,12). Im Rahmen dieser Analyse kann ich nicht alle Reaktionsmöglichkeiten der Rezipienten in Ausführlichkeit behandeln. Ich konzenentriere mich hier auf den „ Optimalfall “ , also die von Paulus intendierte, „ maximale “ Zustimmung zum Evangelium mit größtmöglicher Bereitschaft zur Übernahme der richtigen Konsequenzen. Von hier aus lässt sich jederzeit eine Einschätzung der anderen Reaktionen ableiten. 48 Siehe Kap 8.3.3 b (Eintritt in ein Gehorsamsverhältnis gegenüber Christus). 49 Vgl. JOHNSON, L.T., The Social Dimensions of S ō t ē ria in Luke-Acts and Paul, in: SBL.SP 1993, 520 - 536. 8.3 Konsequenzen des Evangeliums 439 8.3.1 Empfang und Weitergabe als Sender-Empfänger-Relation Kehren wir einmal mehr zu 1Kor 15 zurück. Nirgends beschreibt Paulus konkreter die (gewünschte) Reaktion der Rezipienten auf das Evangelium: 1Kor 15,1 a: Gnwri,zw de. u`mi/ n(avdelfoi,(to. euvagge,lion o] euvhggelisa,mhn u`mi/ n( Ich aber mache euch bekannt, Brüder, das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, 1b o] kai. parela,bete( evn w-| kai. e`sth,kate( das ihr auch empfangen habt, in dem ihr auch steht, 2 diV oukai. sw,|zesqe( ti,ni lo,gw| euvhggelisa,mhn u`mi/ n eiv kate,cete( evkto.j eiv mh. eivkh/ | evpisteu,sateÅ durch welches ihr auch gerettet werdet, wenn ihr festhaltet, in welchem Wort ich (es) euch verkündigt habe, außer, wenn ihr vergeblich geglaubt habt. 3a pare,dwka ga.r u`mi/ n evn prw,toij( o] kai. pare,labon))) Ich habe euch nämlich in erster Linie überliefert, was auch ich empfangen habe . . . Paulus spricht die Korinther als Rezipienten an, die bereits mit dem Evangelium vertraut sind. 50 In immer weiteren Relativsätzen (o], evn w-|, diV ou-, ti,ni) blickt er auf die verschiedenen Reaktionen auf das Evangelium zurück, die - so zeigt das Imperfekt an - auch noch immer andauern. Es fällt eine zweipolige Struktur auf, die als „ Sender-Empfänger-Relation[en] “ bezeichnet werden kann 51 : Die Rezipienten des Evangeliums empfangen (paralamba,nw, VV.1 b+3 a) das Evangelium. Das setzt voraus, dass es weitergeben wird (paradi,dwmi, V.3 a), im Fall der Korinther durch den Sender Paulus, der es ihnen verkündigt hat (euvaggeli,zomai, V.1 a). 52 Dass dieser Vorgang konstitutiv ist und auch für Paulus als Rezipient gegolten hat, belegt V.3 a. Aus dem hellenistischen Kontext sind die beiden Begriffe paralamba,nw und paradi,dwmi als termini technici für das Traditionsverfahren bekannt. D. h. sie werden z. B. in Schultraditionen genutzt „ zur Definition des Lehrer-Schüler- Verhältnisses [. . .] oder zur Bestimmung des geistigen Eigentums und Einflusses “ . 53 Hier spielt „ die überragende Stellung der Philosophenpersönlichkeit “ eine wichtige Rolle. 54 Der autoritative Anspruch des Überlieferungsgutes verdankt sich personaler Autorität, ist „ in der Persönlichkeit des Lehrenden 50 Zum Kontext vgl. Kap. 4.1.1. 51 MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 256. 52 Die figura etymologica to. euvagge,lion o] euvhggelisa,mhn kann als Ausdruck der doppelten Dimension von Evangelium als dynamischem Akt der Verkündigung und zugleich als Inhalt verstanden werden; SCHRAGE, EKK VII/ 4, aaO., 28, Anm. 70. 53 KRETZER, A., Art. paralamba,nw, EWNT III, 68 - 71; 69. 54 KRETZER, Art. paralamba,nw, aaO., 69. 440 8 Die Rezipienten des Evangeliums verankert “ . 55 In der Septuaginta ist paralamba,nw sowohl mit persönlichen (z. B. Gen 31,23) als auch sachlichen (z. B. Num 23,20) Objekten verbunden. 56 In der rabbinische Tradition hingegen gibt es auch eine inhaltliche Schwerpunktsetzung auf die Lehre in Form der Tora bzw. ihrer Auslegung. 57 In dieser Auffassung soll weniger der Person des Weitergebenden, als viel mehr dem Inhalt Vertrauen entgegen gebracht werden. 58 Beim paulinischen Gebrauch von paralamba,nw können Parallelen zu beiden Perspektiven gezogen werden: Einerseits wird das inhaltliche Prinzip der rabbinischen Auffassung einer Traditionskette erkennbar, v. a. an Stellen wie 1Kor 11,23; 15,1ff und Gal 1,9, die den überlieferten Inhalt sogar ausdrücklich nennen (Abenmahlsparadosis, Evangelium). Andererseits bleibt immer etwas von der personalen Bindung der Überlieferung an den Überlieferer zu spüren (1Thess 4,1; Phil 4,9). Er versteht sich zwar nur als Mittler göttlicher Offenbarung, als solcher ist er aber mit einer überragenden Autorität ausgestattet (Gal 1,9.12; 1Thess 2,13). 59 Für den Rezipienten bedeutet paralamba,nw also beides: die Annahme des Inhaltes und die Anerkenntnis der autoritativen Stellung der Botschaft bzw. ihres Überlieferers. Worin genau besteht die Annahme des Inhaltes? Geht es um eine reine Übernahme von Information oder ethischer Haltung, wie es die Parallele aus der Schultradition nahelegt? Inwiefern ist diese auch mit einer autoritativen Anerkenntnis des Evangeliums analog zur Tora verbunden? Welche Haltung gegenüber der Botschaft kommt zum Ausdruck? 8.3.2 Glaube als Konkretion der Annahme Eine zweite zweipolige Sender-Empfänger-Relation, die Paulus am Ende des Abschnittes formuliert, führt weiter 60 : 1Kor 15,11: ei; te ou=n evgw. ei; te evkei/ noi( ou[twj khru,ssomen kai. ou[twj evpisteu,sateÅ Seien es also ich oder jene: so predigen wir, und so habt ihr geglaubt. 55 DELLING, G., Art. lamba,nw ktl, ThWNT 4, 5 - 16; 12: Dies mag auch mit der überwiegend mündlichen Weitergabe des Wissen im „ Wissenschafsbetrieb “ der vorplatonischen Zeit zusammenhängen. 56 Vgl. KRETZER, Art. paralamba,nw, aaO., 79. 57 Vgl. KRETZER, Art. paralamba,nw, aaO., 69. Merklein identifiziert paralamba,nw und paradi, domi jeweils mit „ m ā sar “ und „ qibbel “ , welche die jeweiligen termini technici aus der rabbinischen Tradition darstellen; MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 258; 260. 58 Vgl. DELLING, Art. lamba,nw ktl, aaO., 13 f. 59 Vgl. DELLING, Art. lamba,nw ktl, aaO., 14. 60 Die dadurch entstehende Rahmung lässt das Thema der Überlieferung bzw. der Kommunikation des Evangeliums als „ Spannungsbogen “ des gesamten Abschnittes erscheinen; vgl. MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 257; WOLFF, ThHK 7, aaO., 352. 8.3 Konsequenzen des Evangeliums 441 Hier wird dieWeitergabe des Evangeliums durch die Tätigkeitsbeschreibung des Predigens konkretisiert. Andererseits geht es nun nicht mehr allein um die Verkündigung des Paulus, sondern auch ganz allgemein um die (aller) anderer Apostel. Als Empfänger stehen in beiden Fällen die Korinther im Fokus. Ihre Reaktion wird nun mit einem anderen, konkreteren Begriff wiedergegeben: pisteu,w. 61 Die Bedeutung von pi,stij/ pisteu,w als eines theologischen Zentralbegriffs des gesamten Neuen Testaments ist weder aus der hellenistischen noch der alttestamentlich-jüdischen Umwelt erklärbar und wohl auf eine „ eigentständige christliche Weiterentwicklung “ zurückzuführen. 62 Am ehesten entspricht der paulinische Gebrauch dem frühjüdischen Kontext der hellenistischen Zeit. 63 Die Begrifflichkeit wird von der Septuaginta durch konsequente Wiedergabe des 61 Bei V.11 handelt es sich um eine „ Gegenüberstellung “ von Paulus und den übrigen Verkündigern zu den Adressaten, die „ Subjekte “ des durch die Verkündigung „ definierten Glaubens “ sind; MERKLEIN/ GIELEN, ÖTK 7/ 3, aaO., 257. Literatur zu Glaube bei Paulus: FRIEDRICH, G., Glaube und Verkündigung bei Paulus, in: HAHN, F./ KLEIN, H. (Hgg.), Glaube im Neuen Testament. Studien zu Ehren von Hermann Binder anläßlich seines 70. Geburtstags, Neukirchen-Vluyn 1982, 93 - 113; HOFIUS, O., Wort Gottes und Glaube bei Paulus, in: HENGEL, M./ HECKEL, U. (Hgg.), Paulus und das antike Judentum. Symposium in Gedenken an den 50. Todestag Adolf Schlatters (19. Mai 1938), Tübingen 1991, 379 - 408; LOADER, W., The Concept of Faith in Paul and Mark, in: WISCHMEYER/ SIM/ ELMER, Paul and Mark, aaO., 423 - 462; NEUGEBAUER, F., In Christus. Eine Untersuchung zum Paulinischen Glaubensverständnis, Göttingen/ Naumburg 1961; SCHLIESSER, B., Was ist Glaube? Paulinische Perspektiven, Theologische Studien 3, Zürich 2011; ULRICHS, K. F., Christusglaube. Studien zum Syntagma pi,stij Cristou/ und zum paulinischen Verständnis von Glaube und Rechtfertigung, WUNT II 227, Tübingen 2007; WOLTER, M., Glaube/ Christusglaube, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 342 - 347. Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund: BARTH, G., Pistis in hellenistischer Religiosität, in: ZNW 64 (1975), 19 - 38; LÜHRMANN, D., Pistis im Judentum, ZNW 64/ 1, 1973, 19 - 38. 62 BARTH, G., Art. pi,stij ktl, EWNT III, 216 - 231; 218; vgl. HAACKER, K., Art. Glaube II/ 3. Neues Testament, TRE 13, 289 - 304; 297: „ Als Erklärung für die explosionsartige Steigerung des Redens vom Glauben im Neuen Testament gegenüber dem Alten, wird vor allem die Missionspredigt in Betracht zu ziehen sein: [. . .] [D]as Urchristentum [ist] eine expansive Bewegung mit einer bestimmten Botschaft, deren gläubige Annahme eine Beziehung zu Gott stiftet und mit den Menschen mit gleicher Erfahrung verbindet “ . Für einen Überlick über die neutestamentliche Forschungsgeschichte vgl. 289 - 291. 63 Vgl. LÜHRMANN, Pistis im Judentum, aaO., 38: „ Der Verstehenshorizont für das frühchristliche Reden von ,Glaube ‘ liegt also in der internen Sprache der jüdischen Tradition, nicht in der Auseinandersetzung mit der heindnischen Umwelt “ . Für einen Überblick über die antike Begriffsgeschichte siehe: DERS., Art. Glaube, RAC 11,48-122; Zum religiösen Gebrauch auch im paganen Hellenismus vgl. dagegen auch: BARTH, Pistis in hellenistischer Religiosität, aaO. 442 8 Die Rezipienten des Evangeliums Stammes nma mit pisteingeführt. 64 Verschiedene Autoren/ Schriften des hellenistischen Judentums machen ihn sich in unterschiedlichen Zusammenhängen zueigen (z. B. Philo, Sir, 4 Makk). 65 In dieser Zeit wird pi,stij zu einem „ der zentralen Begriffe, die das Verhältnis zu dem in der Tora sich offenbarenden Gott bezeichnen; es ist Leben entsprechend der Tora mit allen Konsequenzen eines Durchhaltens dieses Glaubens auch in der Versuchung und Verfolgung [. . .] Im Judentum selber assoziiert das Wort den Zusammenhang von Gesetz und Treue gegenüber dem Gesetz als Spezifikum der Gottesverehrung “ . 66 Paulus bleibt dieser Sprachtradition und „ dem in dieser Sprache gefaßten Denken verpflichtet “ , auch wenn er sie aus dem vorgegebenen Zusammenhang mit dem Gesetz herauslöst und auf die Botschaft des Evangeliums überträgt. 67 Was Glaube für Paulus bedeutet, lässt sich unter zwei Perspektiven beschreiben: Wie in 1Kor 15,11 deutlich wird, kann im Kontext der Verkündigung ein Prozess des Zum-Glauben-kommens bezeichnet werden. Ausgehend von i[sthmi (15,1) und kate,cw (15,2) legt sich hingegen ein (Zu-)Stand des „ Glaubens “ nahe. 68 8.3.3 Zum-Glauben-Kommen a) Glaube als „ Für-wahr-halten “ Zunächst kann die Annahme des Evangeliums als einfaches „ Für-wahr-halten “ aufgefasst werden. 69 Dieser Zugang zur Botschaft erfordert Erkenntnis (gnw/ sij), die sich für Paulus aus dem Inhalt der Botschaft selbst ergibt: Im Angesicht Christi erschließt sich dem Rezipienten die Wahrheit der Botschaft und letzt- 64 Vgl. LÜHRMANN, Pistis im Judentum, aaO., 20; 24: Lührmann spricht von „ Bedeutungslehnwörtern “ und meint damit die Übertragung von in der griechischen Sprachtradition gerade nicht in diesem Kontext verwendeten Wörtern. 65 Für eine detailliertere Darstellung vgl. LÜHRMANN, Pistis im Judentum, aaO., 25 - 36. 66 LÜHRMANN, Pistis im Judentum, aaO., 36. 67 LÜHRMANN, Pistis im Judentum, aaO., 37; vgl. HOOKER, M. D., Art. Glaube III. Neues Testament, RGG 4 3, 947 - 953; 950; WOLTER, Glaube/ Christusglaube, aaO., 345 f. 68 Vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 300; LOADER, The Concept of Faith in Paul and Mark, aaO., 442. Ein weiteres Mal möchte ich an dieser Stelle auf Parallelen zwischen dem Evangelium bei Paulus und dem jüdischen Tora-Verständnis hinweisen. Der zweifache Gebrauch des pi,stij-Vokabular bei Paulus als Beschreibung des Glaubensbeginns und des Bleibens im Glaubens entspricht - um auf die Begrifflichkeit E. P.Sanders (vgl. SAN- DERS, E. P., Paul and Palestinian Judaism.A comparison of patterns of religion, London 1977) zurückzugreifen - dem jüdischen „ getting in “ (Beschneidung) und „ staying in “ (Halten des Gesetzes). Wird die Tora durch das Evangelium abgelöst, so auch Beschneidung und Erfüllung des Gesetzes durch den Glauben und die damit verbundene Veränderung der Existenz (siehe Kap. 7.2.5). 69 Vgl. WOLTER, Glaube/ Christusglaube, aaO., 345. 8.3 Konsequenzen des Evangeliums 443 endlich Gott selbst (2Kor 4,6; vgl. 2,14; 10,5; Phil 3,8) 70 : „ Weil das paulinische Evangelium nicht lediglich über das in Jesus Christus erschlossene Heil Gottes informiert, sondern weil es dieses Heil im Wort der Verkündigung vergegenwärtigt, bekommen diejenigen, die der paulinischen Verkündigung glauben, Anteil an ihrem Inhalt “ . 71 Hier kommt einmal mehr der Kraft-Charakter des Evangeliums zum Ausdruck. 72 Andererseits wird aber auch deutlich, dass Glaube nicht nur Glaube an Christus, sondern auch Glaube an Gott ist, insofern er für wahr hält, „ dass Gott durch Jesus Christus zum Heil der Menschen gehandelt hat und dass durch Jesus Christus das Heil Gottes erschlossen wird “ 73 : Es ist Glaube an das Evangelium Gottes über Christus. Mit der Erkenntnis verbindet sich unmittelbar die Anerkenntnis, nicht nur der Wahrheit der Botschaft, sondern auch des sich darin offenbarenden Gottes in Christus. 74 Beide sind untrennbar miteinander verbunden: „ Es ist unmöglich, das paulinische Evangelium von Jesus Christus erst als Gottes Heilswort zu hören und dann zu entscheiden, ob man ihm Glauben schenkt oder nicht “ . 75 Der Glaube ist „ die verpflichtende Annahme des in der Predigt vernommenen euvagge,lion tou/ Cristou/ und als solche die Erkenntnis und Anerkenntnis der Wahrheit des Evangeliums “ . 76 Aber pisteu,w beinhaltet auch das Moment der Umkehr: Es ist „ Bezeichnung des Neuen, dem man sich in der Bekehrung zuwendet “ , weg von der alten Überzeugung hin zu einer neuen Sicht aufgrund der Botschaft (1Thess 70 Vgl. HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, aaO., 380; LOADER, The Concept of Faith in Paul and Mark, aaO., 441: „ There is an important cognitive component to Paul ’ s understandig of faith “ . 71 WOLTER, Glaube/ Christusglaube, aaO., 345. Insofern lässt sich das Evangelium als Glauben wirkendes Schöpferwort begreifen: „ Es ist einzig der durch Gottes Schöpferwort verwandelte und durch das Licht der Neuschöpfung erleuchtete Mensch, der - als kainh. kti,sij! - die Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi zu erkennen und an den gekreuzigten und auferstandenen Kyrios zu glauben vermag “ ; HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, aaO., 394. 72 Siehe Kap. 7.2.5. 73 WOLTER, Glaube/ Christusglaube, aaO., 344: Wolter bringt diese inhaltlich Erkenntnis mit dem Begriff des Hörens (akou/ w) in Verbindung, der „ nicht lediglich einen akustischen Vorgang, sondern eine Weise der qualifizierten inhaltlichen Deutung “ zum Ausdruck bringt (345). Zu akou/ w siehe Kap. 7.1.1. 74 Vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 303; siehe Kap. 4.1; 4.3. Mit der Anerkenntnis der Botschaft und ihres Inhaltes wird natürlich auch der kommunizierende Verkündiger in seiner Funktion als legitim anerkannt (Kap. 6.1.1; 7.4.5); vgl. LOADER, The Concept of Faith in Paul and Mark, aaO., 450 f. 75 WOLTER, Glaube/ Christusglaube, aaO., 345 f. 76 HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, aaO., 388; vgl. LOADER, The Concept of Faith in Paul and Mark, aaO., 445: „ Faith is simply to believe in the offer and to accept it, thus entailing both a cognitive and a responsive component “ . 444 8 Die Rezipienten des Evangeliums 1,8 f). 77 Die Aneignung des Evangeliums erfordert ebenso eine Neuordnung des überkommenen Welt- und Selbstbildes entsprechend den gedanklichen Grundlagen der Evangeliumsbotschaft 78 : Nur wer sich selbst als der Sünde und dem Tod verfallen wahrnimmt, ist in der Lage, das Evangelium als wahrhaft „ frohe “ Botschaft von seiner Rettung zu begreifen. 79 b) Glaube als Bekenntnis und Gehorsam Erkenntnis und Anerkenntnis münden in das Bekenntnis: „ In der o`mologi,a wendet sich der Glaubende von sich selbst weg und bekennt Jesus Christus als seinen Herrn “ (Phil 2,11). 80 Im Bekenntnis manifestiert sich die Annahme des Evangeliums und der daraus resultierende Glaube nach außen (Röm 10,9 f) 81 : Der Glaube erhält „ Öffentlichkeitscharakter “ . 82 Das Bekenntnis ist jedoch nicht nur Ausdruck des Glaubens, sondern auch Verhältnisbestimmung zu seinem Gegenstand. Mit dem Bekenntnis ku,rioj vIhsou/ j unterstellt sich der Glaubende Christus als (neuem) Herrn. Dieser Vorgang wird von Paulus als Akt des Gehorsams verstanden (u`pakoh. pi,stewj, Röm 1,5; 16,26; 2Kor 10,5). 83 Sich ihm zu unterstellen, ist Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes (Röm 12,2), wie er sich im Evangelium artikuliert (Röm 10,16; vgl. u`potagh, in 2Kor 9,13). 84 Diese 77 LÜHRMANN, Pistis im Judentum, aaO., 37; vgl. DERS., Art. Glaube, aaO., 71. 78 Siehe Kap. 4.2; vgl. HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, aaO., 387: „ Daß der Glaube das im Evangelium Gesagte - weil als wahr erkannt - für wahr hält, das impliziert allerdings eo ipso, daß er es als die auch für ihn geltende und also auch über seine Existenz vor Gott definitiv entscheidende Wahrheit anerkennt “ . 79 Vgl. BULTMANN, R., Art. pisteu,w ktl, ThWNT 6, 174 - 230; 219: „ Der Glaube ist also die gehorsame Annahme des göttlichen Urteils über das bisherige Selbstverständnis des Menschen [. . .] In doppeltem Sinne redet Paulus daher vom Wissen der Glaubenden: einmal von dem durch das Kerygma vermittelten Wissen um das Heilsgeschehen, sodann von dem Wissen, das sich als neues Selbstverständnis dem Glauben erschließt “ ; ähnlich SÖDING, T., Die Trias Glaube, Hoffnung, Liebe bei Paulus. Eine exegetische Studie, SBS 150, Stuttgart 1992; 164: Glaube als „ Überwindung jeglichen Selbstruhmes vor Gott “ (1Kor 1,27-31). 80 BULTMANN, Art. pisteu,w ktl, aaO., 218. 81 Vgl. NEUGEBAUER, In Christus, aaO., 169 f; FRIEDRICH, Glaube und Verkündigung bei Paulus, aaO., 113: „ Wie die Verkündigung Ursache des Glaubens ist, so ist der Glaube Ursache des Bekennens “ . 82 FRIEDRICH, Glaube und Verkündigung bei Paulus, aaO., 113; vgl. Kap. 7.5. 83 Vgl. BARTH, Art. pi,stij ktl, aaO., 221; HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, aaO., 387 f; WOLTER, Glaube/ Christusglaube, aaO., 343: Die Bedeutung des Glaubens als Gehorsam ist für Paulus so selbstverständlich, dass er beide Begriffe synonym verwenden kann (vgl. Röm 1,5 und 2Kor 10,5). 84 Vgl. SÖDING, Die Trias Glaube, Hoffnung, Liebe bei Paulus, aaO., 170; HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, aaO., 388: Paulus spricht vom Gehorsam, „ weil zum einen der Glaube auf das vernommene Wort bezogen und Antwort auf dieses Wort ist, zum andern aber der Glaubende im Bekenntnis des Glaubens - d. h. in der Anrufung des Kyrios 8.3 Konsequenzen des Evangeliums 445 Hinordnung auf Gott und Christus kann Paulus auch mit douleu,w ausdrücken: Hat der Mensch zuvor anderen Göttern (Gal 4,8 f) oder der Sünde gedient (Röm 6,6), so dient er im Glaubensgehorsam fortan Gott (1Thess 1,9; Röm 7,6.25; 12,11; 14,18; 16,18). 85 Die Glaubenden sind ein sw/ ma in Christus (Röm 12,5; 1Kor 12,27; vgl. 10,17), insofern er bzw. die Botschaft von ihm und der Glaube daran fortan ihre Existenz bestimmen. 86 Denn aus dem Gehorsamsverhältnis folgt eine neue Selbstbestimmung: „ Wer mit dem Herzen glaubt, dessen ganze Existenz wird durch den Glauben bestimmt “ . 87 Im Gegenüber zur Unterscheidung Juden - Völker bedeutet für Paulus „ in Christus “ eine ganz neue und eigene ethnische Identität. 88 Dies kann Paulus auch mit dem umfassenden kosmologischen Bild der „ neuen Schöpfung “ ausdrücken (2 Kor 5,17; Gal 6,15). 89 c) Glaube als Vertrauen Das Dienst- und Gehorsamsverhältnis, in das der Glaubende gegenüber Gott und Christus eintritt, erfordert eine weitere Ebene im Prozess des Zum-Glauben- Kommens. Sie ist im Bedeutungsspektrum des Begriffs pi,stij enthalten und schlägt eine Brücke zur jüdischen Tradition im Kontext der Tora: Treue und das ihr entsprechende Vertrauen. Beide Begriffe drücken ein Beziehungsverhältnis aus und verweisen auf die personale Dimension des Evangeliums: Es ist nicht einfach eine Botschaft, es ist eine Botschaft über Gott, der in Christus Mensch wird. 90 Die Einheit von Person und Botschaft manifestiert sich auch am pi,stij- Vokabular in einer durchgängigen „ Affinität “ zwischen Glauben und Christus- - gehorsam den Anspruch Christi anerkennt, der im verkündigten Evangelium zur Geltung kommt “ . 85 Nicht verschwiegen werden soll hier die Forschungsdebatte um die Wendung pi,stij Cristou/ , die entweder als Glaube(nsgehorsam) Christi (gen. subj.) oder - was wahrscheinlicher ist - als Glaube an Christus (gen. obj.) aufgefasst werden kann; vgl. dazu ausführlich ULRICHS, Christusglaube, aaO. und WOLTER, Glaube/ Christusglaube, aaO., 343 f (dessen spitzfindige Unterscheidung zwischen einem genitivus objectivus und einem genitivus qualitatis ich nicht teile). 86 Vgl. BULTMANN, Theologie, aaO., 302. 87 FRIEDRICH, Glaube und Verkündigung bei Paulus, aaO., 113; vgl. LOADER, The Concept of Faith in Paul and Mark, aaO., 443: Glaubensgehorsam als „ acting in accordance with belief in submitting to its claims “ . 88 Vgl. HAYS, Paul and the multi-ethnic first Century World, aaO., 78; 84: „ He is declaring that the followers of Christ are a new and different ethnicity and that their primary identity and group association must change from their old self-identity to this new one “ . 89 Im Rahmen der „ neuen Schöpfung “ vollzieht sich für Paulus die im Evangelium verheißene eschatologische Rettung. Die alte Schöpfung wird der avpw,leia anheim fallen; siehe Kap. 8.2.2 und 4.2.1. 90 Vgl. HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, aaO., 379: Das Heilshandelns Gottes in Christus hat zwei konstitutive Momente: Das Heilsgeschehen als Tat und das heil- 446 8 Die Rezipienten des Evangeliums Titel. 91 Sie kann sogar so weit gehen, dass von pi,stij wie vom Christusereignis selbst gesprochen werden kann (Gal 1,23) oder der personifizierte Glaubensbegriff für den mit Christus gekommenen Heilsweg eintritt (Gal 3,23.25). 92 Wird also die Botschaft angenommen, so auch die Person Jesus Christus. Wird Christus angenommen, so folgt daraus das gehorsame Unterstellen unter ihn als Herrn. Dieses Beziehungsverhältnis begründet ein Vertrauensverhältnis und setzt es zugleich voraus (vgl. pepoi,qhsij in 2Kor 3,4). 93 Jene Dimension von Glauben erschließt sich aus den Überlegungen, die Paulus in Analogie zu Abraham formuliert (Röm 4; Gal 3,6ff; vgl. Gen 15,6): „ Abrahams Glaube wird dabei nicht wie im Judentum als Tugend [. . .] oder gar als Verdienst [. . .] verstanden, sondern als das Sich-Halten an Gottes Zusage unter Absehen von sich selbst, seinen Möglichkeiten und Leistungen “ (Röm4,17 ff ). 94 Dem Vertrauen des Menschen korrespondiert die Treue Gottes (Röm 3,3: pi,stij! ), mit der er zu seiner Verheißung (evpaggeli,a), der Rettung in Christus steht (2Kor 1,20; 7,1; Gal 3,14.16.22.29). 95 d) Glaube als Entscheidung Gottes Abschließend sei kurz auf den Aspekt des menschlichen Anteils an dem Prozess des Zum-Glauben-kommens eingegangen. 96 bringende Wort als „ Kundgabe der vollzogenen Sühne und Versöhnung im gepredigten Evangelium “ . 91 LÜHRMANN, Art. Glaube, aaO., 68. Mit Genitiv: Röm 3,22.26; Gal 2,16.20; 3,22; Phil 1,27; 3,9; mit eivj: Gal 2,16; mit evn: Röm 3,25; Gal 3,26; mit pro,j: Phlm 5; siehe. auch 1Thess 1,8 bezogen auf Gott; vgl. zur Genitiv-Verbindung pi,stewj VIhsou/ Cristou/ die Diskussion bei HOOKER, Art. Glaube III, aaO., 951 f. 92 Vgl. NEUGEBAUER, In Christus, aaO., 163; BARTH, Art. pi,stij ktl, aaO., 226; FRIEDRICH, Glaube und Verkündigung bei Paulus, aaO., 105. 93 Vgl. SÖDING, Die Trias Glaube, Hoffnung, Liebe bei Paulus, aaO., 164 f; LOADER, The Concept of Faith in Paul and Mark, aaO., 443: „ To ongoing faith as the basis of the relationship with God in Christ belongs also the quality of faithfulness “ . 94 BARTH, Art. pi,stij ktl, aaO., 225. 95 M.Wolter beschreibt den Vertrauensaspekt des Glaubens bei Paulus als „ Wirklichkeitsgewissheit “ : Gegenüber dem heutigen Begriffsverständnis als „ defizitäre Erkenntnis im Sinne einer subjektiven Vermutung oder Annahme, die immer mit einem Rest von Unsicherheit einhergeht [. . .] besteht die Eigenart des Glaubens bei Paulus darin, dass er bestimmte Sachverhalte als wirklich gegeben ansieht, weil sie mit der Wirklichkeit Gottes übereinstimmen “ ; WOLTER, Glaube/ Christusglaube, aaO., 346. 96 Die Frage nach der „ Möglichkeit “ des Menschen, sich frei zu „ entscheiden “ , ist in der jüngeren protestantischen Forschung intensiv diskutiert worden und hat sich zumeist an der Wortwahl R.Bultmanns entzündet, der den Glauben als „ Entscheidungsfrage “ charakterisiert. Es sei das „ Wort, das den Hörer anredet und in die Entscheidung zwingt “ ; BULTMANN, Theologie, aaO., 300; kritisch dazu: HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, aaO., 402, Anm. 160; NEUGEBAUER, In Christus, aaO., 165ff; FRIEDRICH, Glaube und Verkündigung bei Paulus, aaO., 109 ff. 8.3 Konsequenzen des Evangeliums 447 Grundsätzlich begreift Paulus den Glauben als Gabe Gottes (1Kor 12,9; Gal 5,22; Phil 1,29). Er beruht auf Gotteskraft (duna,mij qeou/ ) und nicht auf menschlicher Weisheit (1Kor 2,5; vgl. Röm 1,17). Auch der „ absolute Gebrauch von pi,stij/ pisteu,w legt nahe, „ daß Paulus die pi,stij weniger als Verhaltensweise eines bestimmten Menschen beschreibt, sondern in ihr eher ein Objektivum vernimmt “ . 97 Andererseits erscheint angesichts der paulinischen Vorstellung vom fleischlichen und unter die Sünde verkauften Menschen die Idee einer freien Entscheidung zum Evangelium von vornherein als „ Fiktion “ (Röm 1,18-3,20.23; 5,12; 6,20; 7,5 ff ). 98 Dass der Glaube des Einzelnen allein auf die Entscheidung Gottes zurückgeht, schlägt sich besonders deutlich in dem Oppositionspaar Erwählung (evklogh, ; 1Thess 1,4; Röm 8,33; 9,11; 11,5.7.28; 16,13; 1Kor 1,27 f ) und Verhärtung (sklhro,thj, Röm 2,5; 9,14-18) nieder: Die Zustimmung zum Evangelium wurzelt in der gnädigen göttlichen Erwählung, wohingegen die Ablehnung auf göttliche Verhärtung zurückgeführt wird (Röm 11,7). 99 In dieses Bild fügt sich Röm 12,3 ein: Gott teilt das Maß des Glaubens zu (o` qeo.j evme,risen me,tron pi,stewj). Zugespitzt wertet Paulus die Annahme oder Ablehung des Evangeliums also theologisch als „ Entscheidung Gottes “ . 100 Dieser Befund lässt sich von der Verkündigungspraxis her erhärten: Trägt das Evangelium nach paulinischem Verständnis den Schlüssel zur Erkenntnis seiner Wahrheit und damit zur Annahme in sich selbst, in seinem Inhalt Christus, so kann pi,stij nicht anders als von außen zugeeignetes Geschenk an den Rezipienten verstanden werden. 101 97 NEUGEBAUER, In Christus, aaO., 164. 98 Vgl. HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, aaO., 402. 99 Aufschlussreich dazu verhält sich Röm 10,14-21, wo Paulus auf den Zusammenhang Hören - Glaube im Kontext seiner jüdischen Glaubensbrüder eingeht: Die Verhärtung besteht demnach im mangelnden Wissen/ Verstehen (ginw,skw, V.19); vgl. auch Röm 4,20: Zweifeln (diakri,nw) als Form des Unglaubens. Interessanterweise benutzt Paulus für seine eigene Erwählung (zum Apostelamt) avfori,zw (Röm 1,1; Gal 1,15). Nach 1Kor 15,10 wirkt Gottes Gnade im Verkündigungsdienst des Paulus. 100 Vgl. FRIEDRICH, Glaube und Verkündigung bei Paulus, aaO., 109; NEUGEBAUER, In Christus, aaO., 165. 101 Vgl. NEUGEBAUER, In Christus, aaO., 167. Dabei besteht das Geschenk gerade in der Annahme und nicht in einem „ Angebot “ , das der Mensch auch ablehnen kann (gegen FRIEDRICH, Glaube und Verkündigung bei Paulus, aaO., 112); vgl. HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, aaO., 402: „ Nicht der Mensch macht sich in freier Entscheidung zu eigen, was ihm bloß als heilsame Möglichkeit vor Augen gestellt wird, sondern Gott selbst eignet ihm durch sein heilbringendes Wort und seinen befreienden Geist zu, was ihm in Christus schon ,geschenkt ‘ ist “ . 448 8 Die Rezipienten des Evangeliums 8.3.4 Glaube als (Zu-)Stand Paulus kann vom Glauben nicht nur als unmittelbarer Reaktion bei der Verkündigung im Sinne eines Zum-Glauben-kommens sprechen. Die Mehrzahl seiner Formulierungen, lassen eher auf einen „ Modus der Heilsteilhabe “ schließen. 102 Charakteristisch ist die Rede von den Christen als pisteu,ontej (1Kor 14,22; 1Thess 1,7; 2,10.13) oder als „ Hausgenossen des Glaubens “ (Gal 6,10; Phlm 6). 103 Ganz deutlich wird die Auffassung von einem gewissen „ Status “ in 1Kor 15,1 f: Hier spricht Paulus vom Evangelium als einer Größe, in der die Korinther stehen (i[sthmi) und die sie festhalten (kate,cw) sollen. [Isthmi hat allgemein eine „ lokalisierende Bedeutung “ . Das von Paulus ähnlich verwendete sth,kw lässt sich sogar mit eivmi, bedeutungsgleich wiedergeben. 104 Daher kann das „ Stehen im Evangelium “ in 1Kor 15 als Gegensatz zum „ Sein in den Sünden “ (evste. evn tai/ j a`marti,aij u`mw/ n, 15,17) aufgefasst werden. Der Sündenzustand ergibt sich für Paulus aus der Nichtigkeit (keno,j, V.14; matai,oj, V.17) der Evangeliumsbotschaft bzw. des darin gründenden Glaubens, wenn die Kernaussage der Auferstehung unwahr wäre. 105 ; Eti zeigt an, dass es sich um den Ausgangszustand der Rezipienten handelt, in dem sie sich ohne das Evangelium noch befänden. Dass das „ Stehen im Evangelium “ tatsächlich mit einem Zustand des Glaubens gleichgesetzt werden kann, belegen Röm 5,2 (Stehen in der Gnade, zu der man im Glauben Zugang hat) und Röm 11,20 bzw. 2Kor 1,24 (Stehen im Glauben). 106 In der Grundbedeutung kennzeichnet i[sthmi auch das Ende einer Bewegung, besonders im Gegenüber zu pi,ptw, dem „ Fallen (aus dem Glauben) “ (1Kor 10,12; vgl. Gal 5,4; Röm 11,11.22). 107 Das Stehen, als Ende einer Suchbewegung, als Standhaftigkeit im Gegenüber zum schwankenden Fallen (vgl. die Mahnung in 1Kor 16,13) kommt auch im vorliegenden kate,cw zum Ausdruck: Es wird von Paulus im Sinne von „ besitzen “ (Phlm 13; 1Kor 7,30; 2Kor 6,10), aber auch negativ 102 HOFIUS, Wort Gottes und Glaube bei Paulus, aaO., 404. Diesem Phänomen korrespondiert die Beobachtung, dass es eine Erst- und eine fortgesetzte Verkündigung des Evangeliums für Paulus gibt (vgl. Kap. 7.3); vgl. LOADER, The Concept of Faith in Paul and Mark, aaO., 443: „ Always Paul assumes that faith is to be something which continues “ . 103 In diesen Wendung wird auch deutlich, dass der Glaube für Paulus das ist, was alle Christen miteinander verbindet; vgl. WOLTER, Glaube/ Christusglaube, aaO., 342. 104 Vgl. WOLTER, M., Art. i[sthmi ktl, EWNT II, 504 - 509; 505; „ Angeknüpft wird an jüd [ische] Aussagen vom Stehen/ Bleiben im Gesetz, im Bund usw. “ (508). 105 Vgl. Kap. 4.3.3. 106 Vgl. WOLFF, ThHK 7, aaO., 354: Für Wolff markiert das „ präsentische Perfekt “ e`sth,kate das „ Stehen im Evangelium “ als „ jetzigen Standort “ der Korinther; 107 Vgl. WOLTER, Art. i[sthmi ktl, aaO., 505. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch die Rede vom „ Bleiben “ (evpime,nw) in der Sünde (Röm 6,1) oder in der Güte bzw. im Unglauben (Röm 11,22 f ). 8.3 Konsequenzen des Evangeliums 449 (die Wahrheit nieder halten, Röm 1,18; gefangen gehalten werden vom Gesetz, Röm 7,6; Gal 3,23) gebraucht. Im Zusammenhang mit der Erhaltung des Glaubensstandes erscheint es drei mal positiv-paränetisch: Festhalten der Überlieferung (1Kor 11,2), des Evangeliums (1Kor 15,2) und des Guten (1Thess 5,21). 108 Die paränetischen Aufrufe des Paulus in diesem Zusammenhang lassen ein notwendiges „ Ringen “ um den Glauben deutlich werden (Röm 11,20; 1Kor 16,13; 2Kor 1,24; Gal 5,1). Man kann angesichts von Anfechtungen geradezu den Eindruck eines Kampfes bekommen, innerhalb dessen jeder Gläubige am Glauben festhalten muss (Phil 1,27.30; 1Thess 2,2; 1Kor 9,24 ff ). Den Erfolg dieses Kampfes, das festhaltende Stehen im Glauben hält Paulus für überprüfbar: Eautou.j peira,zete eiv evste. evn th/ | pi,stei (2Kor 13,5). Er sendet Timotheus zu den Thessalonichern um deren Glauben zu erfahren (to. gnw/ nai th.n pi,stin u`mw/ n, 1Thess 3,5). Mit der Möglichkeit des Fallens bzw. der Notwendigkeit des Festhaltens deutet sich bereits an, dass Paulus den Glauben nicht als Zustand im statischen Sinne versteht. 109 Vielmehr zeigen auf den Glauben bezogene Formulierungen wie schwach sein (avsqene,w, Röm 4,19; 14,1), wachsen/ stärker werden (auvxanw, 2Kor 10,15; 9,10; 1Kor 3,6 f), stärken (sthri,zw, Röm 1,11 f; 1Thess 3,2), vervollständigen der Glaubensmängel (katarti,sai ta. u`sterh,mata th/ j pi,stewj u`mw/ n, 1Thess 3,10), Förderung (prokoph" Phil 1,25), reich sein/ werden (perisseu,w, 2Kor 8,7; vgl. Röm 15,13) und erfüllt sein/ werden (plhro,w, Röm 15,13) seinen prozessualen Charakter: „ Die Grenze vom anfänglichen Glaubensakt, der Bekehrung, zum daraus resultierenden Glaubensstand [. . .] ist fließend “ . 110 Wie versteht Paulus diese graduellen Abstufungen? Natürlich kann ein Mangel an Glauben immer in einer mangelnden Anerkennung des Evangeliums, in einer Abwendung bzw. (vgl. Gal 1,6 ff ), in einer Hinwendung zu einem falschen Evangelium begründet liegen. Doch ist die Dimension des Für-wahr-haltens nicht die einzige, in der der Glaube „ Schwäche “ zeigen kann. Sie spielt im Gegenteil bei Paulus eine eher untergeordnete Rolle. Wesentlich häufiger und ausführlicher geht er auf Probleme in anderen Bereichen ein. Der Zusammenschluss von pi,stij in einer Trias mit avga,ph (Liebe) und evlpi,j (Hoffnung) weist auf die enge Verbindung der drei Größen bei Paulus hin (1Thess 1,3; 5,8; 1Kor 13,13). 111 Die in der Gottesliebe gründende Liebe der 108 Vgl. TRILLING, W., Art. kate,cw, EWNT II, 670 f. 109 Vgl. BULTMANN, Art. pisteu,w ktl, aaO., 219. 110 HAACKER, K., Art. Glaube II/ 3, aaO., 297. 111 Literatur zur Trias: BOSSMANN, D. M., Paul ’ s Mediterranean Gospel: Faith, Hope, Love, Biblical Theology Bulletin 25 (1995), 71 - 78; MELL, U., Die Entstehungsgeschichte der Trias „ Glaube Hoffnung Liebe “ (1.Kor 13,13), in: DERS./ MÜLLER, E. B. (Hgg.), Das 450 8 Die Rezipienten des Evangeliums Gläubigen kann als „ tätiger Glaube “ verstanden werden, als seine Wirkweise (Gal 5,6) und „ Rückstrahlung “ der in der Botschaft des Evangeliums erfahrenen Gottesliebe an die Welt (1Thess 2,8; Gal 5,13; 2Kor 5,14). 112 Die Hoffnung verbinden drei Aspekte mit dem Glauben: Sie ist Erwartung der geglaubten Rettung (1Thess 4,13ff; 5,9; Röm 5,9 f; 1Kor 3,15; 5,5; 15,19 f), Vertrauen auf die eschatologische Einlösung des Erwarteten (Röm 4,18; Gal 3,8 f.14) und Geduld, die den Zeitraum bis zum Eintreten des Erwarteten überbrückt (Röm 5,2-5; 8,25; 1Kor 1,7; 2Kor 1,10; Gal 5,5; Phil 3,20). 113 Liebe und Hoffnung sind im Zusammenhang mit dem Glauben jedoch bereits an der Schnittstelle zur Ethik und zur eschatologischen Existenz bei Paulus zu verorten. Als Konsequenzen des Glaubens sind sie ein eigenständiges Thema, das hier nicht in Kürze dargestellt werden kann. 114 8.3.5 Zusammenfassung Ich habe die Konsequenzen des Evangeliums im Leben der Rezipienten anhand der Grundreaktion des Glaubens entfaltet. Es handelt sich um ein prozessuales Geschehen, dessen Anfangspunkt, das Zum-Glauben-Kommen, ebenso wie seine Dauerhaftigkeit als Zustand beschrieben werden können. Eine klare Trennung zwischen beiden lässt sich nicht vollziehen. So haben das anfängliche Urchristentum in seiner literarischen Geschichte, FS Jürgen Becker, BZNW 100, Berlin/ New York 1999, 197 - 226; SÖDING, Trias, aaO.; WEISS, W., Glaube — Liebe — Hoffnung. Zu der Trias bei Paulus, ZNW 84, 196 - 217. 112 Vgl. BACKHAUS, K., Evangelium als Lebensraum. Christologie und Ethik bei Paulus, in: SCHNELLE, U./ SÖDING, T. (Hgg.), Paulinische Christologie. Exegetische Beiträge, FS Hans Hübner, Göttingen 2000, 9 - 31; SCHNEIDER, G., Art. avga,ph ktl, EWNT I, 19 - 29; SÖDING, T., Das Liebesgebot bei Paulus. Die Mahnung zur Agape im Rahmen der paulinischen Ethik, Münster 1995; STAUFFER, E., Art. avga,ph ktl, ThWNT 1, 20 - 55; WISCHMEYER, O., Der höchste Weg. Das 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes, Gütersloh 1981, StNT 13; DIES., Liebe als Agape, aaO.; DIES., Art. Liebe IV, TRE 21, 138 - 146. Siehe auch das „ empfehlende Verhalten “ in Kap. 6.1.2 und 7.4.3. 113 Vgl. BÖTTRICH, C., Die Auferstehung der Toten, in: HORN, Paulus Handbuch, aaO., 461 - 471; MAYER, B., Art. evlpi,j ktl, EWNT I, 1066 - 1075; RENGSTORF, K. H./ BULTMANN, R., Art. evlpi,j ktl, ThWNT 2, 515 - 531; WEDER, H., Art. Hoffnung II, TRE 15, 484 - 491. 114 Aus der Annahme des Evangeliums folgt eine grundlegende Neuausrichtung der Einstellung des Menschen, die zahlreiche Konsequenzen nach sich zieht und im Rahmen dieser Arbeit nicht dargestellt werden kann. Auf zwei weitere Aspekte möchte ich daher nur kurz aufmerksam machen: Die eschatologische Perspektive der Gewissheit der Auferstehung und Rettung sind Grund zur sichtbaren Freude (cara,; cai,rw; Röm 12,12; 14,17; 15,13; 2Kor 1,24; Gal 5,22; Phil 1,25; 3,1; 1Thess 5,16), die sich zum Rühmen steigern kann (Röm 2,17; 5,2.11; 1Kor 1,31; 2Kor 10,17; Phil 3,3). Andererseits gibt sie Kraft und Mut zur offenen Verkündigung der frohen Botschaft (2Kor 3,12; Phil 1,20; Phlm 8), zu der Paulus sich sogar geradezu gezwungen fühlt (1Kor 9,16). Siehe Kap. 5.1.1 d. 8.3 Konsequenzen des Evangeliums 451 Führ-wahr-Halten (Erkenntnis und Anerkenntnis), der Eintritt in ein Gehorsams- und Vertrauensverhältnis, das sich im Bekenntnis manifestiert, sowie das Wissen um den Geschenkcharakter bleibende Bedeutung für das Glaubensleben der Rezipienten. Die Bestimmung der christlichen Identität durch den Glauben zieht zahlreiche Konsequenzen für das Leben der Gläubigen nach sich (z. B. Liebe, Hoffnung). Die Frage nach der Reaktion des Rezipienten auf das Evangelium ist nicht automatisch mit der Frage nach der Zueignung des mit dem Evangelium verheißenen Heils verbunden. Sie wird von Paulus mit unterschiedlichen Konzepten beschrieben, z. B. Rechtfertigung (Gal 2,16; Röm 1,17) oder Partizipation (1Kor 9,23; Phil 1,23: su.n Cristw/ | ei=nai). Auch die Frage nach der Zueignung geht bereits einen Schritt über den bisher dargestellten Glauben als Reaktion des Rezipienten auf das Evangelium hinaus: Sie beleuchtet auf der nächsten Ebene den Zusammenhang zwischen Glaube und Heil und kann darum ebenfalls nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit sein. 8.4 Auswertung Auch der Rezipient soll als Faktor der Kommunikationskonzeption Evangelium in das Kommunikations-Modell eingezeichnet werden. Die Rezipienten werden als „ Völker und Juden “ , also alle Menschen bestimmt. Das entspricht der Grundausrichtung des Evangeliums, Heil für die gesamte Welt zu sein. Innerhalb dieser Rezipientenschaft lassen sich die Völker als programmatische Zielgruppe des Paulus ausmachen, wobei dieser Fokus nicht exklusiv zu verstehen ist. Im Rückblick auf das vergangene Kapitel seien auch noch einmal die von Paulus gegründeten Gemeinden als besondere Rezipienten seiner anhaltenden Verkündigung erwähnt. Das Evangelium ist für die Rezipienten insofern von Relevanz, als es Heil/ Rettung im kommenden eschatologischen Gericht Gottes verheißt. Konkret geht es dabei um die Abwendung der drohenden Vernichtung aufgrund der Sünde. Um Anteil an diesem Heil zu erlangen, müssen die Rezipienten die Reaktion und die Verhaltensform des Glaubens an den Tag legen. Er ist einerseits hinsichtlich des ersten, punktuellen Zum-Glauben-kommens und des anhaltenden Glaubens(zu)stands zu differenzieren. Andererseits können sachlich die Aspekte des Für-wahr-haltens (Erkenntnis und Anerkenntnis), des Bekenntnisses zum Glaubensgegenstand Christus, des Gehorsams und Vertrauens als Ausdruck der veränderten Beziehung gegenüber Christus/ Gott und der Geschenkcharakter des Glaubens unterschieden werden. Sie spielen sowohl zu 452 8 Die Rezipienten des Evangeliums Beginn als auch im Fortdauern des Glaubens in jeweils unterschiedlichem Maß eine Rolle. Aus dem Glauben als Basisreaktion auf das Evangelium resultieren weitere Konsequenzen (z. B. Liebe, Hoffnung), die der durch den Glauben veränderten Existenz der Rezipienten korrespondieren. 8.4 Auswertung 453 Abb. 11 Die Rezipienten des Evangeliums 454 8 Die Rezipienten des Evangeliums 9 Ergebnis Am Anfang dieser Arbeit stand die These, dass das paulinische Evangelium eine Kommunikationskonzeption sei, die im Denken des Paulus die praktischen Wechselwirkungen der Verkündigung des Evangeliums widerspiegelt. Ausgehend vom kommunikationswissenschaftlichen Modell G. Maletzkes (Feldschema) habe ich die vier Hauptfaktoren des mit dem Evangelium verbundenen Kommunikationsprozesses (Kommunikator, Rezipient, Medium, Aussage/ Programm) und ihre Beziehungen analysiert und dargestellt. Es hat sich als brauchbares Interpretationsmodell erwiesen, um einen zentralen paulinischen Begriff vollständiger zu interpretieren: Euvagge,lion ist bei Paulus in erster Linie ein Kommunikationsbegriff. Im Einzelnen hat die Analyse folgende Ergebnisse geliefert: 1) Das Evangelium ist programmatisch Gottes Kraft zum Heil/ zur Rettung aller Menschen. Es entfaltet verschiedene Aussagen zu Person, Leben und Bedeutung Jesu von Nazareth als Christus. 2) Eben dieser Inhalt des Evangeliums spielt eine entscheidende Rolle bei der Lebenswende des Kommunikators Paulus vor Damaskus in Form des ihn berufenden Christus. 3) Die personale Bestimmtheit des Evangeliums hat auch Auswirkungen auf die Wahl der Medien: Wort, Brief und Verhalten werden ausnahmslos unmittelbar personal verantwortet, um Authentizität, Verständlichkeit und Glaubhaftigkeit der Botschaft zu garantieren. 4) Auch die Basisreaktion des Rezipienten, der Glaube, ist unmittelbar auf das Evangelium bzw. personal auf Christus gerichtet, mit dem die Rezipienten in Beziehung treten. Als Konsequenz ergibt sich nicht nur Rettung/ Heil, sondern auch der Auftrag, selbst Kommunikator des Evangeliums zu werden. 5) Die verschiedenen Beziehungsebenen des Kommunikationsprozesses sind ebenso vom Charakter des Evangeliums geprägt. In Bezug auf die Rezipienten beruft sich Paulus sowohl auf den personalen Ursprung des Evangeliums (Christus) und seiner Verkündigung (Apostolat) als auch auf die vollzogene Verkündigung selbst, um sich Autorität zu verschaffen. Andererseits lässt er - wenn auch in wesentlich nachgeordneterem Umfang - die Perspektive des gleichberechtigten Geschwisterseins in der Gemeinschaft mit Christus bzw. im Hinblick auf die gemeinsame Heilsperspektive zu. In Auseinandersetzung mit anderen Kommunikatoren schärft Paulus sein eigenes Profil auf Grundlage des Evangeliums, um aber gleichzeitig an der Einzigkeit des Evangeliums festzuhalten, das er selbstverständlich mit seinem eigenen identifiziert. 6) Ebenfalls dem Programm des Evangeliums geschuldet ist die grundsätzliche Öffentlichkeit der Evangeliumskommunikation: Das Evangelium gilt allen Menschen, bedeutet Heil für die ganze Welt. 7) Das Evangelium kann - wie auch das mit ihm zusammenhängende Verb euaggeli,zomai - den Prozess der Kommunikation selbst repräsentieren: Euvagge,lion ist nicht nur ein Inhalt, eine Botschaft vom Heil - seine Kommunikation selbst ist Heilsgeschehen. Der prozessuale Charakter des Evangeliums korrespondiert dem personalen Aspekt: Wie das Evangelium von Menschen immer wieder punktuell, also prozessual kommuniziert wird, so wird es auch von den Rezipienten aufs Ganze gesehen prozessual rezipiert. Betrachtet man diese Ergebnisse für sich, werden sich darin wenig grundlegend neue Einsichten zeigen. Der Erkenntnisgewinn dieser Arbeit liegt in der Betrachtung des Evangeliums als Kommunikationsmodell in seiner Summe. Denn: Weder läßt sich das Evangelium bei Paulus auf eine bloße Nachricht bzw. den Inhalt dieser Nachricht reduzieren, noch auf seineVollzugsseite (Prozess der Verkündigung). Erst das Ganze der Evangeliumskonzeption, die vier Faktoren des Modells (Aussage/ Programm, Kommunikator, Medien, Rezipienten) und ihre Beziehungen bzw. Wechselwirkungen, bilden das Evangelium bei Paulus vollständig ab. Kommunikator und Rezipienten bilden nicht nur den Rahmen der Konzeption, sondern sind integraler Bestandteil. Paulus schließt seine eigene Person, sein Apostolat in die Konzeption mit ein, mehr noch: er definiert sein Apostolat in erster Linie von seinem Evangeliumskonzept her. Ebenso sind die Rezipienten Teil der Konzeption, und nicht einfach nur Empfänger einer Nachricht. Zusammengefasst: Die zentrale Bedeutung des Evangeliums für alle Kommunikationsfaktoren und die Tatsache, dass es Paulus ist, der diese Bedeutung zuweist, rechtfertigt die Annahme, dass es sich bei euvagge,lion um die Bezeichnung einer das Denken des Paulus bestimmenden Konzeption handelt. Der paulinische Sprachgebrauch stützt diese Feststellung ausnahmslos. Als Kommunikationskonzeption integriert das Evangelium alle wichtigen Aspekte der Existenz, des Handelns und der Botschaft des Paulus (siehe nachfolgende Abbildung). Darin erweist es sich als integratives Kommunikationsgeschehen, sowohl auf der Beziehungsebene, als auch auf der - letztlich unverfügbaren - Ebene des Kommunikationsprozesses. 456 9 Ergebnis Abb. 12 Das paulinische Evangelium als Kommunikationskonzeption 9 Ergebnis 457 10 Literaturverzeichnis Allgemeine Abkürzungen, Zeitschriften und Reihen, sowie biblische Bücher, biblische Pseudepigraphen, rabbinisches Schrifttum und antike Autoren richten sich nach „ Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaften nach RGG 4 “ , Tübingen 2008. Das Literaturverzeichnis ist alphabetisch nach Autoren geordnet. ALAND, B. und K./ KARAVIDOPOULOS, J./ MARTINI, C. M./ METZGER, B. M. (Hgg.), Novum Testamentum Graece (Nestle-Aland), Stuttgart 2012 28 . ALKIER, S., Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments, NET 12, Tübingen/ Basel 2009. ANDERSON, G., l Art. Adam/ Eva, RGG 4 1, 106 f. l The Penitence Narrative in the Life of Adam and Eve, HUCA 63 (1992), 1 - 38. 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Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Das Evangelium bei Paulus Maximilian Paynter 24 Das Evangelium bei Paulus als Kommunikationskonzeption Maximilian Paynter 24